Die Wirkungsgeschichte der Septuaginta 9783641310967

430 135 6MB

English; German Pages [690] Year 2022

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Die Wirkungsgeschichte der Septuaginta
 9783641310967

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort zum »Handbuch zur Septuaginta«
Vorwort
1. Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen
1.1 Die jüdische Bezeugung und Verteidigung des »kanonischen« Wertes der Übersetzung der Thora
1.2 Die Übernahme der Entstehungsgeschichte im ältesten Christentum bis Augustin
2. Termini, Themen und Texte der Septuaginta
2.1 Termini und Themen der Septuaginta
2.1.1 Gottesbezeichnungen
2.1.2 Attribute Gottes
2.1.3 Präexistenz des himmlischen Heiligtums
2.1.4 Schöpfung
2.1.5 Exodus
2.1.6 Götterbild
2.1.7 Konversion
2.1.8 God as Pedagogue
2.1.9 Kultterminologie
2.1.10 Halacha
2.1.11 Gottesschau
2.1.12 Messianic Texts
2.1.13 Hoffnung
2.2 Texte der Septuaginta
2.2.1 Pentateuch
2.2.2 Geschichtsbücher
2.2.3 Psalmen und Weisheitsliteratur
2.2.4 Propheten
3. Rezeptions- und Auslegungsgeschichte der Septuaginta
3.1 Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur
3.1.1 Die Literatur des Zweiten Tempels
3.1.2 Der Aristeasbrief
3.1.3 Philon von Alexandria
3.1.4 Josephus
3.1.5 Jüdisch-griechische Inschriften
3.1.6 Tannaitisches Schrifttum
3.1.7 Byzantine Judaism
3.2 Die Septuaginta im Neuen Testament
3.2.1 Synoptische Evangelien und Apostelgeschichte
3.2.2 Johannesevangelium
3.2.3 Corpus Paulinum
3.2.4 Hebräerbrief
3.2.5 Catholic Epistles
3.2.6 Johannesapokalypse
3.3 Die Septuaginta in den neutestamentlichen Apokryphen, in den Kirchenordnungen sowie bei den Apostolischen Vätern und Apologeten
3.3.1 Christian Apocryphal literature (including Gnostic literature)
3.3.2 Church Orders
3.3.3 Apostolische Väter und Apologeten
3.4 Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)
3.4.1 Irenaeus
3.4.2 Hippolyt
3.4.3 Origenes
3.4.4 Eusebius von Caesarea
3.4.5 Théodoret de Cyr
3.4.6 Hieronymus
3.4.7 Lateinische christliche Autoren vor und neben Hieronymus
3.5 Die Septuaginta in den orthodoxen Kirchen
3.5.1 Die Septuaginta als Quelle der griechisch-orthodoxen Hymnographie am Beispiel des byzantinischen Kanons
3.5.2 The Septuagint in Russia
3.6 The Septuagint in Pagan Greek Texts
Die Autorinnen und Autoren
Register

Citation preview

gtvh 08105 / p. 2 / 31.3.2022

HANDBUCH ZUR SEPTUAGINTA HANDBOOK OF THE SEPTUAGINT

LXX.H Herausgegeben von Martin Karrer, Wolfgang Kraus und Siegfried Kreuzer

gtvh 08105 / p. 1 / 31.3.2022

gtvh 08105 / p. 3 / 31.3.2022

HANDBUCH ZUR SEPTUAGINTA HANDBOOK OF THE SEPTUAGINT

LXX.H

BAND VOLUME

6

Martin Meiser / Florian Wilk (Hg./eds.)

Die Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte der Septuaginta The History of the Septuagint’s Impact and Reception Gütersloher Verlagshaus

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Wir haben uns bemüht, alle Rechteinhaber an den aufgeführten Zitaten ausfindig zu machen, verlagsüblich zu nennen und zu honorieren. Sollte uns dies im Einzelfall nicht gelungen sein, bitten wir um Nachricht durch den Rechteinhaber.

1. Auflage Copyright © 2023 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München ISBN 978-3-641-31096-7 www.gtvh.de

gtvh 08105 / p. 5 / 31.3.2022

Inhaltsverzeichnis Vorwort zum Handbuch der Septuaginta / Handbook of the Septuagint . . . Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.

2.

9 11

Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Die jüdische Bezeugung und Verteidigung des »kanonischen« Wertes der Übersetzung der Thora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mogens Müller 1.2 Die Übernahme der Entstehungsgeschichte im ältesten Christentum bis Augustin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mogens Müller Termini, Themen und Texte der Septuaginta . 2.1 Termini und Themen der Septuaginta . . . . . . 2.1.1 Gottesbezeichnungen . . . . . . . . . . Martin Meiser 2.1.2 Attribute Gottes . . . . . . . . . . . . . Antonella Bellantuono 2.1.3 Präexistenz des himmlischen Heiligtums Michael Bachmann 2.1.4 Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . Eberhard Bons 2.1.5 Exodus . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anna Mambelli 2.1.6 Götterbild . . . . . . . . . . . . . . . . Stefanie Peintner 2.1.7 Konversion . . . . . . . . . . . . . . . . Daniela Scialabba 2.1.8 God as Pedagogue . . . . . . . . . . . . Jason M. Zurawski 2.1.9 Kultterminologie . . . . . . . . . . . . . Martin Vahrenhorst 2.1.10 Halacha . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian A. Eberhart 2.1.11 Gottesschau . . . . . . . . . . . . . . . Christian A. Eberhart / Martin Meiser 2.1.12 Messianic Texts . . . . . . . . . . . . . Arie van der Kooij 2.1.13 Hoffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . Cristina Buffa / Martin Meiser

13 14

33

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51 52 52

. . . . . . . . . . . . .

58

. . . . . . . . . . . . .

68

. . . . . . . . . . . . .

75

. . . . . . . . . . . . .

90

. . . . . . . . . . . . .

98

. . . . . . . . . . . . .

109

. . . . . . . . . . . . .

117

. . . . . . . . . . . . .

124

. . . . . . . . . . . . .

130

. . . . . . . . . . . . .

141

. . . . . . . . . . . . .

165

. . . . . . . . . . . . .

180

5

gtvh 08105 / p. 6 / 31.3.2022

Inhaltsverzeichnis

2.2 Texte der Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Pentateuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.1-4 Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri . . . . . . . . . . . Martin Meiser 2.2.1.5 Deutéronome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cécile Dogniez 2.2.2 Geschichtsbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.1 Joshua . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michaël N. van der Meer 2.2.2.2 Richter – 2. Königtümer . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Meiser 2.2.2.3 3.-4. Königtümer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Benedikt Collinet 2.2.2.4 Chronicles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ma Victoria Spottorno 2.2.2.5 Esther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marie-Theres Wacker 2.2.2.6 Tobit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beate Ego 2.2.2.7 Reports about the Maccabean Martyrs in Jewish and Christian Reception . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Willem van Henten 2.2.3 Psalmen und Weisheitsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3.1 Psalmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Brucker 2.2.3.2 Proverbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Susan Docherty 2.2.3.3 Ecclésiaste / Kohelet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Françoise Vinel 2.2.3.4 Cantique des cantiques . . . . . . . . . . . . . . . . . Jean-Marie Auwers 2.2.3.5 Ijob . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Witte 2.2.3.6 Weisheit Salomos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mareike Blischke 2.2.3.7 Jesus Sirach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Ueberschaer 2.2.4 Propheten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4.1 Dodekapropheton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gert J. Steyn / Martin Meiser 2.2.4.2 Jesaja. Die Septuaginta-Version des Jesaja-Buches in der Patristik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Skeb 2.2.4.3 Jeremia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Meiser

6

. . .

190 190 190

.

208

. .

214 214

.

220

.

223

.

228

.

233

.

248

.

255

. .

266 266

.

282

.

288

.

293

.

297

.

310

.

315

. .

324 324

.

347

.

362

gtvh 08105 / p. 7 / 31.3.2022

Inhaltsverzeichnis

2.2.4.4 Zur Rezeption von Baruch 3,38 . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Kraus / Christian Lustig 2.2.4.5 Ezechiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Konkel 2.2.4.6 Daniel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Olariu / Michael Segal 3.

Rezeptions- und Auslegungsgeschichte der Septuaginta . . . . . . 3.1 Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Die Literatur des Zweiten Tempels . . . . . . . . . . . . . . Jan Dochhorn 3.1.2 Der Aristeasbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mogens Müller 3.1.3 Philon von Alexandria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jutta Leonhardt-Balzer 3.1.4 Josephus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Avioz 3.1.5 Jüdisch-griechische Inschriften . . . . . . . . . . . . . . . . Walter Ameling 3.1.6 Tannaitisches Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elisabeth Bittner 3.1.7 Byzantine Judaism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicholas de Lange 3.2 Die Septuaginta im Neuen Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Synoptische Evangelien und Apostelgeschichte . . . . . . . . Mogens Müller 3.2.2 Johannesevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Labahn 3.2.3 Corpus Paulinum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Wilk 3.2.4 Hebräerbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Karrer 3.2.5 Catholic Epistles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steve Moyise 3.2.6 Johannesapokalypse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Karrer 3.3 Die Septuaginta in den neutestamentlichen Apokryphen, bei den Apostolischen Vätern und Apologeten . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Christian Apocryphal literature (including Gnostic literature) Rémi Gounelle 3.3.2 Church Orders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jonathan A. Draper 3.3.3 Apostolische Väter und Apologeten . . . . . . . . . . . . . . Martin Meiser

373 381 396

. . . . . .

419 420 420

. .

449

. .

458

. .

475

. .

481

. .

488

. .

494

. . . .

499 499

. .

513

. .

524

. .

542

. .

551

. .

553

. . . .

557 557

. .

566

. .

569

7

gtvh 08105 / p. 8 / 31.3.2022

Inhaltsverzeichnis

3.4 Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.) . . . . . . . . . . 3.4.1 Irenaeus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephen O. Presley 3.4.2 Hippolyt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katharina Bracht 3.4.3 Origenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Metzler 3.4.4 Eusebius von Caesarea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Xaver Risch 3.4.5 Théodoret de Cyr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jean-Noël Guinot 3.4.6 Hieronymus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Schulz-Flügel 3.4.7 Lateinische christliche Autoren vor und neben Hieronymus Martin Meiser 3.5 Die Septuaginta in den orthodoxen Kirchen . . . . . . . . . . . . 3.5.1 Die Septuaginta als Quelle der griechisch-orthodoxen Hymnographie am Beispiel des byzantinischen Kanons . . Konstantin Nikolakopoulos 3.5.2 The Septuagint in Russia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anatoly A. Alexeev 3.6 The Septuagint in Pagan Greek Texts . . . . . . . . . . . . . . . . John Granger Cook Die Autorinnen und Autoren

. . . . . .

582 582

. . .

586

. . .

592

. . .

601

. . .

610

. . .

619

. . .

627

. . .

647

. . .

647

. . .

654

. . .

659

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

667

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aquila, Symmachus, Theodotion . . . . . . 3. Antike und mittelalterliche jüdische Literatur 4. Griechisch-römische Autoren . . . . . . . . 5. Neues Testament . . . . . . . . . . . . . . . 6. Antike christliche Texte . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

. . . . . . . . .

669 669 669 674 675 679 679 681 685

gtvh 08105 / p. 9 / 31.3.2022

Vorwort zum »Handbuch zur Septuaginta« Das Handbuch zur Septuaginta, dessen Band zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte hier vorliegt, will eine umfassende Darstellung der derzeitigen Forschungen zur Septuaginta und ihrem Umfeld geben. Es ist damit Hinführung zu den vielfältigen Fragen und Ergebnissen der Septuagintaforschung, Bilanz des aktuellen Standes und Grundlage für die weitere Forschung. Bereits erschienen sind die Bände zur Einleitung, zur Sprache und zur Theologie der Septuaginta. Vorgesehen sind Bände zur Textgeschichte, zum historischen Kontext und zur historischen Geographie. Die Planungen für das Handbuch entstanden auf dem Hintergrund von »Septuaginta-Deutsch«. Schon die Übersetzung Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung (hg. von Wolfgang Kraus und Martin Karrer, 2009; 22010) und die damit verbundenen Bände Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare (hg. Martin Karrer und Wolfgang Kraus, 2011) waren international orientiert. In den Bänden des Handbuches spiegelt sich dieses Anliegen in der internationalen und interdisziplinären Zusammensetzung des Herausgeberkreises und auch der Autorenschaft. Die Septuagintaforschung erlebt in jüngster Zeit eine eindrucksvolle Blüte. Ein Ausdruck dafür sind die zahlreichen Übersetzungsprojekte. Während zuvor nur zwei schon ältere englische Übersetzungen existierten, gibt es nun bzw. sind in Bearbeitung eine neue Übersetzung in Englische, eine französische Übersetzung, die erwähnte deutsche Übersetzung, aber auch Übersetzungen ins Rumänische, Spanische, Italienische, Serbische, Neugriechische, Japanische, Koreanische und Ungarische. Die Übersetzungen erleichtern den Zugang zur Septuaginta und fördern ihre Wahrnehmung nicht nur im Bereich der Theologie, sondern auch in anderen Fachgebieten wie etwa der Geschichte, der Sprachwissenschaft oder der Übersetzungs- und der Editionswissenschaft. Zugleich ergeben sich immer wieder neue Fragestellungen als Herausforderung an die Septuagintawissenschaft. Die verschiedenen Teilbände des Handbuchs zur Septuaginta wollen hier die bisherigen Forschungen bündeln, neue Fragestellungen aufnehmen und sowohl Basis als auch Impuls für die weitere Forschung geben. Die Hauptherausgeber danken den Herausgebern der Bände und den zahlreichen Autorinnen und Autoren für ihre engagierte Arbeit und dem Gütersloher Verlagshaus für den Mut, dieses große Projekt auf den Weg zu bringen und zu realisieren. Siegfried Kreuzer, Wolfgang Kraus und Martin Karrer

9

gtvh 08105 / p. 10 / 31.3.2022

gtvh 08105 / p. 11 / 31.3.2022

Vorwort Der vorliegende Band zum Handbuch zur Septuaginta ist einem außerordentlich breiten Thema gewidmet. Die Wirkungsgeschichte der Septuaginta setzt im Grunde bereits kurz nach Abfassung der ersten Übersetzung eines biblischen Buches, der Genesis, ins Griechische ein, insofern diese – wie dann auch die Übersetzung des Pentateuchs im Ganzen – die später entstandenen griechischen Fassungen anderer biblischer Bücher mehr oder weniger stark geprägt hat. Die Wirkungsgeschichte der Septuaginta vollzieht sich in vielen verschiedenen Lebensbereichen: in der Philosophie, der Liturgie, der Literatur, der Kunst, um nur vier zu nennen. Und sie erstreckt sich in etlichen dieser Bereiche bis in die Gegenwart hinein. Dieses weite Feld an Wirkungen kann im vorliegenden Band selbstverständlich nicht umfassend oder auch nur in repräsentativer Auswahl dargestellt werden. Einem solchen Ansinnen stünde nicht nur der vorgesehene Umfang des Bandes entgegen, sondern auch der fragmentarische Stand der entsprechenden Forschungsarbeit. Andererseits soll der Band auch nicht eine zufällige Zusammenstellung exemplarischer Einblicke in jenes Feld an Wirkungen bieten. In seiner Anlage folgt er deshalb folgenden Überlegungen und Grundentscheidungen: 1. Die Schriftensammlung »Septuaginta« ist in einem längeren Prozess entstanden, bildet in sich – etwa in konzeptioneller Hinsicht – kein geschlossenes Ganzes und ist oftmals nur partiell gelesen und verwendet worden. Als Ausgangspunkt der Wirkungsgeschichte kommt daher nicht nur das Gesamtgefüge der Septuaginta in den Blick; vielmehr sind auch einzelne Begriffe, Themen, Bücher und Partien dieses Textgefüges hinsichtlich ihrer jeweiligen Wirkungen zu bedenken. Dabei werden gegebenenfalls auch innerhalb dieser Schriftensammlung erfolgte Wirkungen berücksichtigt. 2. Eine »Wirkung« der Septuaginta im Ganzen oder eines einzelnen ihrer Elemente liegt dort vor, wo dieses oder jenes in späterer Zeit benutzt wird und dabei in seiner besonderen, septuagintaspezifischen Eigenart auf neue Weise Sinn generiert. Mit Blick auf die Eindeutigkeit derartiger Zusammenhänge beschränkt sich die Darstellung weithin auf textuell dokumentierte Rezeptionsvorgänge. Nur in besonders begründeten Einzelfällen werden auch andere prägnante Verwendungsweisen einbezogen. 3. Im Zuge einer Nutzung fungieren sowohl der Text der Septuaginta als auch die jeweiligen Rezipienten als Produzenten von Sinn; ein neuer Sinn entsteht jeweils im Zusammenspiel zwischen dem Text und denen, die ihn interpretierend verwenden. Demgemäß ist die Wirkungsgeschichte in zwei Hinsichten darzustellen: zum einen ausgehend von bestimmten Begriffen, Themen und Textabschnitten der Septuaginta, zum andern für bestimmte Autoren, Gruppen, Schriften und Textkorpora aus späterer Zeit. Sachliche Überschneidungen zwischen einzelnen Beiträgen werden dabei nicht nur in Kauf genommen, sondern als vertiefte Wahrnehmungen der betreffenden Zusammenhänge begrüßt. 4. Selbst in der Eingrenzung auf textuell dokumentierte Rezeptionsvorgänge ist die Wirkungsgeschichte der Septuaginta unüberschaubar vielfältig. Die Darstellung konzentriert sich deshalb auf die Antike als Wirkungsraum und nimmt nur dort, wo es sachlich geboten erscheint, weitere Zeiträume in den Blick. Eine Konzentration auf die 11

gtvh 08105 / p. 12 / 31.3.2022

Inhaltsverzeichnis

Rezeption der Septuaginta in Texten jüdischer und christlicher Provenienz ergibt sich dabei von selbst. Darüberhinausgehende Wirkungen sind jedoch an mancher Stelle durchaus im Blick. Dass in den einzelnen Beiträgen individuelle Schwerpunktsetzungen vorgenommen werden, ist unvermeidlich. Auf die Vorgabe eines abzuarbeitenden Programms wurde seitens der Herausgeber bewusst verzichtet. Eine irgendwie geartete Vollständigkeit wäre ohnehin keinesfalls zu erreichen. Aus diesen Überlegungen ergibt sich der im Inhaltsverzeichnis detailliert dokumentierte Aufbau des Bandes. Der erste Hauptteil ist den antik-jüdischen und -christlichen Versionen der Entstehungsgeschichte der Septuaginta gewidmet. Im zweiten Hauptteil werden die Wirkungen und Auslegungsprozesse behandelt, die einerseits wichtige Begriffe und Themen, andererseits markante Texte und Bücher der Septuaginta ausgelöst haben. Der dritte Hauptteil geht vor allem der Verwendung und Deutung von Septuagintatexten in Schriften des antiken Judentums sowie des antiken Christentums nach; Ausblicke auf die Fortwirkungen der Septuaginta einerseits in zwei Bereichen des orthodoxen Christentums, andererseits in antik-paganen Schriften runden den Hauptteil ab. Die Tochterübersetzungen werden in dem Band zur Textgeschichte gebührend berücksichtigt werden. Die Vergabe der Artikel war infolge der Komplexität der Aufgabe nicht immer einfach; für manche Themen musste der Erstunterzeichnete entgegen der ursprünglichen Planung schließlich selbst die Verantwortung übernehmen. Die Herausgeber danken den Autorinnen und Autoren für ihre sorgfältige Arbeit an den Beiträgen und ihre Geduld im langen Redaktionsprozess. Dessen Durchführung wurde durch Herrn PD Dr. Andreas Klingenberg (Köln), Frau Nora Hempel und Frau Kerstin Kirsch (beide Saarbrücken) sowie Herrn Benjamin Blum (Wuppertal) und Herrn Niklas Henning (Göttingen) wesentlich gefördert; für die Drucklegung zeichnen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gütersloher Verlagshauses in gewohnt zuverlässiger Weise verantwortlich. Auch Ihnen gilt unser Dank. Saarbrücken und Göttingen, im Juli 2021

12

Martin Meiser Florian Wilk

gtvh 08105 / p. 13 / 31.3.2022

1. Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen

gtvh 08105 / p. 14 / 31.3.2022

1.1 Die jüdische Bezeugung und Verteidigung des »kanonischen« Wertes der Übersetzung der Thora Mogens Müller Literatur Editionen und Übersetzungen Lettre d’Aristée a Philocrate, ed. André Pelletier, SC 89, Paris 1962 – Aristeas: Der König und die Bibel. Griechisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Kai Brodersen, Reclams Universalbibliothek Nr. 18576, Stuttgart 2008 – Meisner, Norbert: Aristeasbrief, JSHRZ II, Gütersloh 1973, 35-87 – Sauer, Georg, Jesus Sirach, JSHRZ III 5, Gütersloh 1981 – Walter, Nikolaus, Fragmente jüdisch-hellenistischer Exegeten: Aristobulos, Demetrios, Aristeas, JSHRZ III 2, Gütersloh 1975 – Die Werke Philos von Alexandrien in deutscher Übersetzung, ed. Leopold Cohn, I,1, Breslau 1909 – Philo of Alexandria, with an English Translation by Francis H. Colson, Vol. VI, LCL, London/Cambridge [MA] 1935 – Des Flavius Josephus Jüdische Altertümer. Übersetzt und mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Heinrich Clementz, Bd. I–II, 8. Aufl. Wiesbaden 1989 – Flavius Josephus. Kleinere Schriften: Selbstbiographie, Gegen Apion, Über die Makkabäer, übersetzt und mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Heinrich Clementz, 2. Aufl. Wiesbaden 1995. Clemens Alex.: Stromata I-VI, ed. Otto Stählin / Ludwig Früchtel, 4. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 52, Berlin 1985 – Eusebius Caes.: Commentaria in Psalmos, PG 23, 66-1396; PG 24, 9-76 – Eusebius Caes.: Praeparatio evangelica, 1. Teil: Einleitung, Die Bücher 1-10, ed. Karl Mras, GCS 43/1, Berlin 1954, 2. Aufl., ed. Karl Mras / Édouard des Places 1970; Bd. 2, ed. Karl Mras, GCS 43/2, Berlin 1956, 2. Aufl., ed. Karl Mras / Édouard des Places, Berlin 1970.

Weitere Literatur Barr, James: The Typology of Literalism in Ancient Biblical Translations, Mitteilungen des Septuaginta-Unternehmens 15, NAWG.PH11, Göttingen 1979, 279-325 (auch als selbständige Veröffentlichung erschienen: Göttingen 1979). – Bickerman, Elias: The Septuagint as a Translation, PAAJR 28, 1959, 1-39, überarbeitete Ausgabe in: ders., Studies in Jewish and Christian History, AGJU 9, Leiden 1976, 167-200 – Brock, Sebastian P.: To Revise ot not to Revise: Attitudes to Jewish Biblical Translation, in: George J. Brooke / Barnabas Lindars (ed.), Septuagint, Scrolls and Cognate Writings, SCSt 33, Atlanta 1992, 301-338 – Cohen, Naomi G.: Philo’s Scriptures. Citations from the Prophets and Writings. Evidence for a Haftarah Cycle in Second Temple Judaism, JSJ.S 123, Leiden 2007 – Collins, Nina: 281 BCE: The year of the Translation of the Pentateuch into Greek under Ptolemy II, in: George J. Brooke / Barnabas Lindars (ed.), Septuagint, Scrolls and Cognate Writings, SCSt 33, Atlanta 1992, 403-503 – Feldman, Louis H.: Josephus’s Interpretation of the Bible, Berkeley 1998 – Feldman, Louis H.: Use, Authority and Exegesis of Mikra in the Writings of Josephus, in: Martin Jan Mulder (ed.), Mikra, CRINT II,1, Assen 1988, 455-518 – Gooding, David Willoughby: Aristeas and Septuagint Origins: A Review of Recent Studies, VT 13 (1963), 357-379 – Hanhart, Robert: Fragen um die Entstehung der LXX, VT 12 (1962), 139-163; Nachdruck in: ders., Studien zur Septuaginta und zum hellenistischen Judentum, ed. Reinhard Gregor Kratz, FAT 24, Tübingen 1999, 3-24 – Hanhart, Robert: Jüdische Tradition und christliche Interpretation. Zur Geschichte der Septuagintafor-

14

gtvh 08105 / p. 15 / 31.3.2022

Die jüdische Bezeugung und Verteidigung des »kanonischen« Wertes der Übersetzung der Thora

schung in Göttingen, in: Adolf Martin Ritter (ed.), Kerygma und Logos. FS Carl Andresen, Göttingen 1979, 280-297; Nachdruck in: ders., Studien zur Septuaginta und zum hellenistischen Judentum, ed. Reinhard Gregor Kratz, FAT 24, Tübingen 1999, 231-247 – Harl, Marguerite / Dorival Gilles / Munnich, Olivier: La Bible greque des Septante. Du judaïsme hellénistique au christiainisme ancien, Paris 1988 – Holladay, Carl R.: Fragments from Hellenistic Authors, III, Aristobul, Atlanta 1995 – Honigman, Sylvie: The Septuagint and Homeric Scholarship in Alexandria. A Study in the Narrative of the Letter of Aristeas, London / New York 2003 – Jellicoe, Sidney: The Occasion and Purpose of the Letter of Aristeas: A Re-Examination, NTS 12 (1965-1966), 144-150 – Jellicoe, Sidney: The Septuagint and Modern Study, Oxford 1968 – Kahle, Paul E.: The Cairo Geniza, 2. Ausgabe, London 1959 – Kreuzer, Siegfried: Entstehung und Publikation der Septuaginta im Horizont frühptolemäischer Bildungs- und Kulturpolitik; in: Siegfried Kreuzer / Jürgen Lesch (ed.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta: Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, Band 2, BWANT 161, Stuttgart 2004, 6175 – Kreuzer, Siegfried: »Object of great care« The Prologue to the Wisdom of Jesus, Son of Sirach, in the context of its genre, in: ders., The Bible in Greek. Translation, Transmission, and Theology of the Septuagint, SCS 63, Atlanta, GA 2015, 94-109 – Kreuzer, Siegfried: The Origins and Transmission of the Septuagint, in ders. (ed.), Introduction to the Septuagint, Waco TX 2019, 3-56 – Krieger, Klaus-Stefan: Die Funktionen der Septuaginta-Legende in Flavius Josephus’ Werken Antiquitaes Judaicae und Contra Apionem, in: Jürgen U. Kalms (ed.), Internationales Josephus-Kolloquium Aarhus 1999, Münsteraner Judaistische Studien 6, Münster 2000, 246-261 – Leonhardt-Balzer, Jutta: Philo und die Septuaginta, in: Wolfgang Kraus / Martin Karrer (ed.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 623-637 – Meisner, Norbert: Untersuchungen zum Aristeasbrief, Berlin 1972 – Müller, Karlheinz: Die rabbinischen Nachrichten über die Anfänge der Septuaginta, in Josef Schreiner (ed.), Wort, Lied und Gottesspruch. Beiträge zur Septuaginta. FS Joseph Ziegler, FzB 1, Würzburg 1972, 73-93 – Müller, Mogens: Josephus und die Septuaginta, in: Wolfgang Kraus / Martin Karrer (ed.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 638-654 – Müller, Mogens: Motive der Septuaginta bei Aristobul und ihre Intention, in: Siegfried Kreuzer / Martin Meiser / Marcus Sigismund (ed.), Die Septuaginta: Orte und Intentionen, WUNT 361, Tübingen 2016, 717-730 – Müller, Mogens: The First Bible of the Church. A Plea for the Septuagint, JSOTS 206/CIS 1, 1996 (dänische Ausgabe, Kopenhagen 1994) – Munck, Johannes: Aristeas, in: Erling Hammershaimb et al. (ed.), De gammeltestamentlige Pseudepigrafer, Band 1, Kopenhagen 1953-1963, 381-440 – Niehoff, Maren: Jewish Exegesis and Homeric Scholarship in Alexandria, Cambridge 2011 – Orlinsky, Harry M.: The Septuagint as Holy Writ and the Philosophy of the Translators, HUCA 46 (1975), 89-114 – Orth, Wolfgang: Ptolemaios II. und die Septuaginta-Übersetzung, in: Heinz-Josef Fabry / Ulrich Offerhaus (ed.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, BWANT 153, Stuttgart, 97-114 – Pelletier, André: Flavius Josèphe adapteur de la Lettre d’Aristeée. Une réaction atticisante contre la koinè, EeC XLV, Paris 1962 – Pelletier, André: Josephus, the Letter of Aristeas, and the Septuagint, in: Louis H. Feldman / Gohei Hata (ed.), Josephus, the Bible and History, Detroit 1989, 97-115 – Rajak, Tessa: Translation and Survival. The Greek Bible of the Ancient Jewish Diaspora, Oxford 2009 – Rösel, Martin: Der Brief des Aristeas an Philokrates, der Tempel in Leontopolis und die Bedeutung der Religionsgeschichte Israels in hellenistischer Zeit, in: Friedhelm Hartenstein / Michael Pietsch (ed.), »Sieben Augen auf einem Stein« (Sach 3,9). Studien zur Literatur des Zweiten Tempels. FS Ina Willi-Plein, Neukirchen-Vluyn 2007, 327-344 – Schaller, Bernd: Hekataios von Abdera über die Juden. Zur Frage der Echtheit und der Datierung, ZNW 54 (1963), 15-31 – Schenker, Adrian: Wurde die Tora wegen ihrer einzigartigen Weisheit auf Griechisch übersetzt? Die Bedeutung der Tora für die Nationen in Dt 4:6-8 als Ursache der Septuaginta, FZPhTh 54 (2007), 327-347 – Schürer, Emil: The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ, revised and edited by Geza Vermes et alia, III,1, Edinburgh 1986 – Siegert, Folker: Early Jewish Inter-

15

gtvh 08105 / p. 16 / 31.3.2022

Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen

pretation in a Hellenistic Style, in: Magne Sæbø (ed.), Hebrew Bible/Old Testament. The History of Interpretation, Vol. 1, From the Beginnings to the Middle Ages (Until 1300), Göttingen 1996, 130-198 – Stählin, Gustav: Josephus und der Aristeasbrief, ThStKr 102 (1930), 323-331 – Veltri, Guiseppe: Eine Tora für den König Talmai. TSAJ 41, Tübingen 1994 – Walter, Nikolaus: Der Thoraausleger Aristobulos. Untersuchungen zu seinen Fragmenten und zu pseudepigraphischen Resten der jüdisch-hellenistischen Literatur, TU 86, Berlin 1964 – Wasserstein Abraham / Wasserstein, David J.: The Legend of the Septuagint, Cambridge 2006 – Wright III, Benjamin G.: The Letter of Aristeas. ›Aristeas to Philocrates‹ or ›On the Translation of the Law of the Jews‹, CEJL, Berlin 2015 – Zuntz, Günther: Aristeas Studies: Aristeas on the Translation of the Torah, JJS 4 (1959), 109-126.

Die Übersetzer der Thora ins Griechische haben keine Auskunft über sich selbst gegeben. In der Folgezeit entsteht jedoch eine Erzählung, die erklären – und vielleicht auch verteidigen – will, wie und warum es zu diesem Projekt kam. So existieren aus der Zeit des 2. Jh. vor und dem 1. Jh. n. Chr. vier jüdischen Quellen, die von der Entstehung der griechischen Übersetzung der Thora erzählen. 1

1. Aristobulos Der älteste Zeuge scheint der jüdische Philosoph Aristobulos 2 zu sein, der während der Regierungszeit des Ptolemäus VI. Philometor (181-145 v. Chr.) in Alexandria wirkte. 3 Bei ihm finden sich einige Elemente der später stark entwickelten Entstehungslegende, obwohl sein Hauptinteresse die Bestätigung dessen war, dass Teile der Thora auch vor Ptolemäus II. Philadelphos in griechischer Übersetzung vorlagen. In einem Fragment, das in Eusebius von Caesareas Praeparatio evangelica erhalten geblieben ist, erklärt Aristobulos seinem König: Es ist offenbar, daß Platon sich an das bei uns geltende Gesetz angeschlossen hat, und er hat sich offensichtlich um jede Einzelheit in ihm sorgfältig bemüht. Denn schon vor Demetrios von Phaleron, schon vor der Einnahme (Ägyptens) durch Alexander, ja vor der durch die Perser, ist von anderen die Erzählung vom Auszug der Hebräer, unserer Landsleute, aus Ägypten und die anschauliche Schilderung aller ihnen widerfahrenen Ereignisse sowie die Inbesitznahme des Landes und die ausführliche Darstellung der ganzen Gesetzgebung in Übersetzung zugänglich gemacht worden, so daß deutlich ist, daß der eben genannte Philosoph vieles daraus entlehnt hat – er war nämlich vielseitig gebildet –, wie auch Pythagoras vieles den bei uns (geläufigen Anschauungen) entnommen und in sein 1. 2. 3.

Zu mehr übergreifenden Darstellungen der Geschichte der Entstehungserzählung in jüdischen Quellen vgl. z. B. Müller: The First Bible, 46-67; Wasserstein / Wasserstein: Legend, 19-50. Siehe hierzu Müller: Motive der Septuaginta bei Aristobul, passim. Früher wurde die Authentizität der Aristobulosfragmente bei Clemens von Alexandrien und Euseb von Cäsarea oft in Zweifel gezogen. Heute ist Aristobulos aber allgemein »rehabilitiert«, nicht zuletzt durch Walter: Der Thoraausleger Aristobulos. Siehe auch Schürer: The History of the Jewish People, III, 1, 579-587, und, mit ausführlicher Forschungsgeschichte, Holladay: Fragments from Hellenistic Authors, III, Aristobul. Nicht überzeugt von der Existenz eines historischen Aristobulos sind jedoch Wasserstein / Wasserstein: Legend, 27-35. Sowohl Clemens als auch Euseb identifizieren diesen Aristobulos mit dem gleichnamigen in 2Makk 1,10, der als der Lehrer des späteren König Ptolemäus Philometor genannt wird.

16

gtvh 08105 / p. 17 / 31.3.2022

Die jüdische Bezeugung und Verteidigung des »kanonischen« Wertes der Übersetzung der Thora

eigenes Lehrsystem eingebaut hat. Die vollständige Übersetzung aller Stücke im Gesetz jedoch (geschah) unter dem König mit den Beinamen Philadelphos, deinem Vorfahren, der (diesem Vorhaben) ganz besondere Aufmerksamkeit zuwendete, während Demetrios von Phaleron (alles) dafür (Nötige) ins Werk setzte … 4

Aristobulos berichtet hier als von etwas allgemein Bekanntem und baut im gegebenen Fall auf vorliegenden Überlieferungen auf. Es geht ihm offensichtlich nicht um die Korrektheit der Übersetzung, sondern vorerst um die Feststellung, dass das, was unter Ptolemäus II. Philadelphos geschah, allein die Vollendung einer lange zuvor angefangenen Arbeit war. Auch lange zuvor lagen große Teile der Thora in griechischer Sprache vor. Denn das Hauptanliegen des Aristobulos ist die Feststellung, dass auch Philosophen wie Platon und Pythagoras, die im 4., beziehungsweise 6. Jh. v. Chr. wirkten, Gedanken aus der Thora entlehnt hatten. So ist Aristobulos der älteste bekannte Zeuge der Vorstellung von dem »Diebstahl der Hellenen«, die später sowohl im Judentum wie im Christentum in der Apologetik eine große Rolle spielte. Besondere Schwierigkeiten bereitet jedoch seine Auskunft über Demetrios von Phaleron als den, der für alles Praktische in Verbindung mit dem Übersetzungswerk sorgte. Denn obwohl dieses Detail im Aristeasbrief und danach von Josephus und einigen christlichen Autoren in die Entstehungslegende übernommen wird, scheint eine Verbindung zwischen ihm und der Übersetzung während Philadelphos historisch unmöglich zu sein. 5 Dass hier Demetrios von Aristobulos eingeführt wird, erklärt sich aus seinem apologetischen Interesse, einen solchen berühmten Staatsmann als Garant des Projektes zu haben. Von der Rezeption dieser Übersetzung bei den Juden sagt das Fragment nichts.

2. Aristeasbrief Das Zeugnis des Aristobulos ist mit einiger Sicherheit rund hundert Jahre nach dem Ereignis zu datieren. Die »Hauptquelle« der Entstehungsgeschichte, der Aristeasbrief, ist zeitlich etwas später anzusetzen. Denn obwohl diese Erzählung – Brief ist eigentlich eine irreführende Bezeichnung; selbst nennt es sich »Bericht (διήγησις)« (Arist 1, 8 und 322) – vorgibt, gleichzeitig mit dem Übersetzungsunternehmen geschrieben zu sein, herrscht in der Forschung seit langem Einigkeit darüber, dass dies nicht der Fall ist. Der Aristeasbrief ist eher als ein pseudepigraphischer hellenistischer Roman zu 4.

5.

Euseb. Caes.: Praep. ev. XIII, 12,1 f., GCS 43/2, 190 f.; Übersetzung nach Walter: JSHRZ III, 2, S. 273 f. Teile dieses Fragments befinden sich auch in Clemens von Alexandria: Strom. I, 148,1; 150,1-3, GCS 52, 92 f. Siehe die Diskussion bei Bickerman: Septuagint, überarbeitete Ausgabe, 168 f. Wahrscheinlich wurde Demetrios 282 nach dem Tod von Ptolemäus I. Soter verbannt. Collins: 281 BCE, behauptet, ausgehend von patristischen Quellen (z. B. Irenaeus: Adversus haereses III, 21,2 FC 8/3, 254-256), dass die Initiative zur Übersetzung deshalb bereits während der Lebenszeit von Ptolemäus I. Lagos, also vor der Verbannung des Demetrios ergriffen wurde. Überhaupt setzt Nina Collins ein überraschendes Vertrauen in Quellen, die ihre Ansichten unterstützen. Früher hat auch Gilles Dorival Ptolemäus I. die Initiative der Übersetzungsarbeit zugeschrieben; vgl. Harl / Dorival / Munnich: La Bible greque, 76 f., während Orth: Ptolemaios II., insb. 108-110, die Nennung des Demetrios als einen Anachronismus betrachtet.

17

gtvh 08105 / p. 18 / 31.3.2022

Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen

charakterisieren, 6 der wahrscheinlich in den letzten Jahrzehnten des 2. Jh. v. Chr. entstanden ist. 7 Seine eventuellen Quellen kennen wir nicht. Dass jedoch der Verfasser die Auskunft über die Beteiligung des Demetrios von Phaleron einarbeitet, obwohl er aus dem Staatsmann einen Bibliothekar macht, macht es glaubhaft, dass er das Werk des Aristobulos gekannt hat. 8 Aristeas’ Erzählung hatte ihre Anziehungskraft in erster Linie dank ihrer Geschichte der Entstehung der griechischen Übersetzung der Thora. Das ist schon an der abkürzenden Wiedergabe bei Josephus zu erkennen. Diese Entstehungsgeschichte ist aber eigentlich eine Rahmenerzählung der stark apologetischen Beschreibung der Begegnung des Königs mit den Übersetzern, die eine Gelegenheit bietet, ihn von der Überlegenheit des Inhaltes der Thora zu überzeugen. 9 Der pseudonyme Verfasser verbirgt sich hier hinter einem Aristeas, der angeblich wie sein Gefährte Andreas ein hohes Amt am Hof des Ptolemäus innehat, und ist an den gleicherweise vornehmen Philokrates adressiert. Der Verlauf der Ereignisse ist nach Aristeas folgender: Der Oberbibliothekar der königlichen Bibliothek, der also mit Demetrios von Phaleron identifiziert wird, erzählt dem König, dass eine Abschrift des heiligen Gesetzes (νόμιμα) der Juden ein desideratum ist. Von dem König gefragt, was eine Beschaffung dessen verhindert, gibt er als Antwort: »Sie bedürfen einer Übersetzung. In Judäa gebraucht man nämlich eigene Buchstaben, die wie die ägyptischen gesetzt werden, dementsprechend haben sie auch ihre eigene Sprache« (11). 10 Der König befiehlt dann, dass man den Hohepriester der Juden anschreiben soll, um das Projekt auszuführen. Dies wird nun von Aristeas ge6. Der pseudepigraphe Charakter dieser Schrift wurde bereits im 16. Jh. entdeckt. Siehe zum Beispiel Hanhart: Tradition, in ders.: Studien, 235, der Juan Luis Vives (1492-1540), Joseph Justus Scaliger (1540-1609) und Humphrey Hoodys (1659-1707) als die ersten Vertreter dieser Anschauung nennt. Für eine mehr nuancierte Diskussion siehe Rajak: Translation, 38-43. 7. Schürer: History III, 677-680, der es wahrscheinlich findet, dass Aristobulos den Aristeasbrief gekannt hat, argumentiert jedoch für eine Ansetzung am Anfang des 2. Jh. v. Chr., während Honigman: Septuagint, die Entstehungszeit kurz vor 145 v. Chr. ansetzt (sie meint übrigens, dass die Übersetzung sich am besten in die Zeit des Ersten Syrischen Krieges (274-271) unterbringen lässt), plädieren Wasserstein / Wasserstein: Legend, 20, für eine Zeit um 200 v. Chr. Durch Vergleich mit Titeln und ptolemäischen Dokumenten sowie der politischen Situation datiert Meisner: Untersuchungen, den Aristeasbrief auf die Zeit um 125 v. Chr. 8. So auch mit einigen Vorbehalten Walter: Der Thoraausleger Aristobulos, 88-103, insb. 102 f. 9. Im Anschluss an den Gedanken, dass Aristeas geschrieben ist, um eine bestimmte Übersetzung der Thora zu verteidigen, nämlich eine alexandrinische, gegenüber einer alternativen aus dem Tempel in Leontopolis (so z. B. Jellicoe: Occasion), hat Rösel: Aristeas, passim, einen neuen Vorschlag zur Diskussion gestellt: Weil Aristeas in einer Zeit entstanden ist, wo auch griechische Übersetzungen der Mehrheit der übrigen später biblischen Bücher vorlagen (vgl. den Prolog zum Jesus Sirach), lässt es sich vielleicht besser als eine priesterlich-sadduzäische Verteidigung des Tempels Jerusalems als des einzig legitimen und der Bücher Mose als allein »kanonisch« verstehen, wo die Leute in Leontopolis vielleicht einen umfangreicheren »Kanon« vertraten. Stimmt das, geht es also allererst um den Umfang des »Kanons« und erst an zweiter Stelle um den Wortlaut. Auch bei Philo ist ja nur der Pentateuch heilige Schrift. 10. Übersetzung nach Meisner: JSHRZ II,1. Griechischer Text nach Pelletier: Lettre d’Aristée à Philocrate. Neuere deutsche Übersetzung in Brodersen: Aristeas. Der König und die Bibel, passim.

18

gtvh 08105 / p. 19 / 31.3.2022

Die jüdische Bezeugung und Verteidigung des »kanonischen« Wertes der Übersetzung der Thora

schickt mit der Freilassung von jüdischen Kriegsgefangenen in Verbindung gebracht. Denn Worte und Handlungen sollten übereinstimmen. »Da nämlich das Gesetz, das wir nicht nur abzuschreiben, sondern auch zu übersetzen beabsichtigen, für alle Juden gilt, welche Berechtigung werden wir zu einer Gesandtschaft haben, wenn noch so große Massen (von Juden) sich in deinem Reich in Sklaverei befinden?« (15) Der König erlässt sofort ein großzügiges Edikt über den Freikauf und befiehlt Demetrios ein Memorandum bezüglich einer Abschreibung der jüdischen Bücher (περὶ τῆς τὼν Ἰουδαϊκῶν βιβλίων ἀντιγραφῆς) (28) anzufertigen. Es lautet: Neben gewissen anderen fehlen die Bücher des Gesetzes der Juden; sie sind nämlich in hebräischer Sprache verfaßt und unsorgfältig und nicht wie es sich gehört geschrieben (ἀμελέστερον δὲ, καὶ οὐχ ὡς ὑπάρχει, σεσήμανται), 11 wie die Sachverständigen berichten; ihnen fehlte es nämlich an königlicher Fürsorge. Es ist aber notwendig, dass sich nach einer Verbesserung auch diese in deiner Bibliothek befinden, da dies eine philosophische und reine, weil göttliche Gesetzgebung ist (30 f.).

Wenn die Schriftsteller, Dichter und all die Historiker diese »Bücher und die Männer, die ihnen gemäß lebten und noch leben« nicht erwähnen, ist es, »weil sich in ihnen eine heilige und reine Anschauung findet, wie Hekataios von Abdera sagt« (31). 12 Deshalb fordert er nun den König auf, dem Hohepriester in Jerusalem zu schreiben, »er möge Greise mit besonders guten Lebenswandel herschicken, die sich in ihren Gesetz auskennen, und zwar von jedem Stamm sechs, damit wir den Text, in welchem die Mehrheit übereinstimmt, prüfen und eine genaue Übersetzung erhalten (τὸ κατὰ τὴν ἑρμηνείαν ἀκριβές)« (32; wie in 39 referiert, wird im Brief hinzugefügt: »ist doch die Angelegenheit von höchster Wichtigkeit«). Zusammen mit dem Brief, der von zwei Obersten der Leibgarde, Andreas und Aristeas, überbracht wird, folgen köstliche Weihgeschenke für den Tempel. Der Hohepriester namens Eleazar antwortet neben einem sehr entgegenkommenden Brief mit einer Übersendung von 72 Übersetzern, deren Namen aufgelistet werden, zusammen mit einem Exemplar des Gesetzes (46), das erst sehr viel später (176) zusammen mit den von dem Hohepriester übersandten Gaben beschrieben wird als »den verschiedenen Pergamenten, auf denen das Gesetz geschrieben stand. Es war aber mit goldener Schrift in jüdischen Buchstaben geschrie-

11. Früher wurde σεσήμανται in der Bedeutung »übersetzt« genommen – so zum Beispiel Kahle: Cairo Geniza, 212-214, und Johannes Munck in der dänischen Übersetzung des Aristeas, 402. Seit Zuntz: Aristeas Studies, 116-118, wird das Verbum jedoch allgemein in der Bedeutung »geschrieben« verstanden. So auch die neueren Übersetzungen. Niehoff: Jewish Exegesis, 3035, hat inzwischen dafür argumentiert, dass u. a. die Wortwahl in Arist 30 mit οὐχ ὡς ὑπάρχει (nicht wie gegeben/vorhanden) und σεσήμανται (geschrieben/gedeutet/übersetzt) auf Polemik gegen zeitgenössische jüdische Exegeten wegen eines Umgangs mit der Schrift wie der des Aristarchos und seiner Schule zielte, wo verschiedene Zeichen signalisierten, was ursprünglich und was später hinzugekommen war. Die Worte betreffen also den griechischen Text. Niehoffs Konklusion lautet (34): »It is thus the original pre-critical stage of the biblical text which Aristeas hopes to recover through the notion of a new translation from the Hebrew original.« 12. Für eine Diskussion, wie diese Nennung von Hekataios von Abdera (ca. 350-290 v. Chr.) zu verstehen ist, siehe Schaller: Hekataios von Abdera. Schaller kommt zu einem negativen Urteil in der Frage der Echtheit.

19

gtvh 08105 / p. 20 / 31.3.2022

Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen

ben; das Pergament war wunderbar gearbeitet, und die Verbindung zwischen den einzelnen Pergamenten konnte man nicht erkennen.« 13 Vorher kommt dennoch eine ausführliche Beschreibung der königlichen Geschenke an den Hohepriester, der Sendung selbst und die Einführung derselben in die Weisheit des Gesetzes der Juden (47-171; s. u.). Die Beschreibung der Pergamente in Verbindung mit dem Überreichen umfasst auch die Reaktion des Königs: »Als sie die Rollen aus den Futteralen geholt und die Blätter entrollt hatten, verharrte er lange Zeit davor; und nachdem er sich etwa siebenmal (vor ihnen) verneigt hatte, sprach er: ›Männer, ich danke euch, mehr noch dem, der euch gesandt hat, am meisten aber dem Gott, dessen Sprüche dies sind‹« (177). Nachdem der König nun in sieben Tagen jeden der 72 befragt und ihre weisen Antworten bewundert hat (182-300), werden sie nach weiteren drei Tagen von Demetrios auf die Insel Pharos gebracht, wo sie denn die Übersetzungsarbeit folgendermaßen vollbrachten: (zunächst) brachten sie die einzelnen (Übersetzungen) durch Vergleich in Übereinstimmung; worin sie nun übereingekommen waren, das schrieb Demetrios in diesem Wortlaut ordentlich nieder. Und die Sitzungen dauerten bis zur neunten Stunde; danach gingen sie auseinander, um sich um ihr leibliches Wohl zu kümmern, wobei für alles, was sie wünschten, verschwenderisch gesorgt war (302).

Nach königlichem Befehl bekamen sie hier dasselbe Essen wie der König und machten jeden Tag auch frühmorgens dem König ihre Aufwartung, um dann zu ihrem Versammlungsort zurückzukehren. »Wie es aber bei allen Juden Brauch ist, wuschen sie sich die Hände im Meer und wandten sich, sobald sie zu Gott gebetet hatten, der Lektüre und Interpretation (διασάφησις) der einzelnen Stellen zu« (305). Es kommt hier auch zu einer Erklärung dieses Händewaschens, nämlich dass sie damit »bezeugten, nichts Schlechtes getan zu haben – denn jede Tätigkeit geschieht vermittels der Hände –, indem sie in schöner und frommer Weise alles auf Gerechtigkeit und Wahrheit bezogen« (306). Von dem Ergebnis heißt es: »Es ergab sich aber, daß die Übersetzung in 72 Tagen fertiggestellt wurde, als ob dies absichtlich so geschehen wäre« (307). Die Übersetzung wird danach für die örtliche jüdische Bevölkerung – die übrigens zuvor mit keinem einzigen Wort genannt wurde – öffentlich vorgelesen, die Übersetzer finden großen Beifall und Demetrios wird gebeten, eine Abschrift des ganzen Gesetzes zu geben. Als die Rollen verlesen waren, traten die Priester, die Ältesten der Übersetzer, Vertreter der (jüdischen) Gemeinde zusammen und sprachen: »Da diese Übersetzung gut, fromm und völlig genau ist (καλῶς καὶ ὁσίως διηρμήνευται καὶ κατὰ πᾶν ἀκριβωμένως), ist es recht, daß sie so erhalten bleibt und keine Überarbeitung (διασκευή) stattfindet.« Da 13. Überhaupt überrascht die Gleichstellung von König und Hohepriester, die Aristeas wie auch später Philo und Josephus ohne weiteres voraussetzen. In ihren Briefen behandeln König und Hohepriester einander als ihresgleichen. Man bekommt überhaupt keinen Eindruck von der historischen Realität, nämlich, dass Ptolemäus die politische Oberherrschaft über Judäa innehatte. Judäa war ja Teil des ptolemäischen Reiches geworden, als Ptolemäus I. Soter das Gebiet nach der Schlacht bei Ipsos 301 v. Chr. eroberte, und war es bis zur Schlacht bei Paneas im Jahre 198 v. Chr., als die Seleukiden unter Antiochus III. dem Großen es wiedereroberten.

20

gtvh 08105 / p. 21 / 31.3.2022

Die jüdische Bezeugung und Verteidigung des »kanonischen« Wertes der Übersetzung der Thora

nun alle diesen Worten zustimmten, ließen sie, wie es bei ihnen Sitte ist, den verfluchen, der durch Zusätze, Umstellungen oder Auslassungen (die Übersetzung) überarbeiten (διασκευάσει) würde. Das taten sie zu Recht, damit sie für alle Zukunft stets unverändert erhalten bleibt (310 f.). 14

Erst nach dieser »Kanonisierungszeremonie« wird auch dem König die Übersetzung vorgelesen. Seine Bewunderung des Gedankenganges des Gesetzgebers (τὴν τοῦ νομοθέτου διάνοιαν) ruft die Frage an Demetrios hervor, warum kein Historiker oder Dichter »ein so bedeutendes Werk erwähnt hat« (312), und die Antwort lautet: »Weil die Gesetzgebung heilig ist und von Gott stammt«, so dass die, die es früher tatsächlich versucht haben, von Gott geschlagen wurden und deshalb ihr Vorhaben aufgegeben haben (313). Als Beispiele führt Demetrios dann Theopomp (von Chios, 377-300 v. Chr.) an, der mehr als 30 Tagen von Sinnen war, weil er Stücke aus dem Gesetz, »was schon früher, aber ungenau übersetzt (τινὰ τῶν προηρμηνευμένων ἐπισφαλέστερον)« worden war, in seiner Geschichte verwenden wollte, und Theodektes (von Phaselis, 377-336 v. Chr.), der erblindete, als er etwas aus dem Buch in einem Drama verwenden wollte (314-316). »Als der König wie berichtet von Demetrios Auskünfte darüber eingeholt hatte, verneigte er sich und befahl, die Bücher mit großer Sorgfalt zu behandeln und sie heilig zu halten« (317). Danach wird davon berichtet, dass der König die Verbindung mit den Übersetzern zu bewahren wünscht und dass er ihnen reiche Geschenke gibt. Hiermit schließt Aristeas seinen Bericht an Philokrates. Es fällt bei dieser Erzählung von dem Zustandekommen der Übersetzung des Gesetzes ins Auge, dass sie keinerlei Motive einer göttlichen Eingebung aufzeigt. 15 Nur dass alles innerhalb von 72 Tagen vollendet wird, bekommt den Zusatz οἱονεὶ κατὰ πρόθεσίν τινα (gleichsam wie mit einer bestimmten Absicht; 307). Sonst wird die Qualität der Übersetzung vorerst mit den guten Absichten des Hohepriesters Eleazar und mit den hervorragenden Eigenschaften der 72 Übersetzer garantiert. 16 So wird der Hohepriester bereits am Anfang (3) in der Begründung des Aristeas, warum er an der Gesandtschaft nach Jerusalem teilzunehmen wünschte, als »ein durch Tugend (καλοκἀγαθίᾳ) und Rang von seinen Bürgern und (allen) anderen Menschen hochge-

14. Vgl. für ähnliche Sicherheitsvorkehrungen bezüglich des Gesetzes Moses, Dtn 4,2; 12,32. Eine Darstellung der Züge im Aristeasbrief, die den »kanonischen« Charakter der griechischen Übersetzung untermauern sollen, gibt Orlinsky: Septuagint, 94-97, wo es unter anderem heißt, dass »the biblical expression for »to canonize« [das ist: »to read aloud to the people«] is precisely the phrase employed in the Letter to indicate that the Septuagint, exactly as the Hebrew Torah, was canonized« (95). »It was, simply put, no less divinely inspired than the Hebrew original of Moses« (97). 15. Hanhart: Fragen um die Entstehung der LXX, 17, sieht diesen Zug als eine Folge der Vorstellung von der Abwesenheit des prophetischen Geistes in Israel, nachdem die Zeit der »richtigen« Propheten vorbei war: »Unter dieser Voraussetzung aber erscheinen die Aussagen des Aristeasbriefes über die Stellung der Judenschaft zur LXX in einem anderen Licht: Sie sind das bestmögliche Zeugnis, die dieser Übersetzung im Lichte dieses Geschichtsbildes überhaupt ausgestellt werden konnte« (Hervorhebung von Hanhart). 16. Dieser Hohepriester Eleazar scheint eine fiktive Person zu sein, obwohl Josephus ihn später mehrmals als eine historische Person in seine Darstellung einbezieht. Siehe dazu zum Beispiel Müller: Josephus und die Septuaginta, insb. 642.

21

gtvh 08105 / p. 22 / 31.3.2022

Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen

achteter Mann beschrieben, der auch die »für seine Bürger, die heimischen 17 und die in der Diaspora«, wichtigsten Eigenschaften mit Hinblick auf die Übersetzung des »göttlichen Gesetzes« besitzt, denn es befindet sich »bei ihnen auf Pergament in hebräischen Buchstaben (geschrieben)«. Schon zu Beginn werden also die Juden als die wichtigsten Adressaten der Übersetzung vorgestellt. Dass zudem die höchste Expertise an dem Projekt in diesen Auftrag eingebunden wurde, geht später aus der Beschreibung der 72 hervor. Denn nachdem sie in § 46 als »edle Greise« beschrieben sind, wird ihre Wahl in § 121 f. ausführlich dargestellt: Eleazar wählte ausgezeichnete Männer aus, die, weil vornehmer Abkunft, auch eine hervorragende Bildung besaßen und nicht nur die jüdische Sprache beherrschten, sondern auch eifrig die griechische studiert hatten. Deswegen waren sie auch für die Gesandtschaften gut geeignet und erfüllten, wenn nötig, diese Aufgabe, auch waren sie zu Gesprächen und Diskussionen über das Gesetz sehr begabt, wobei sie sich einer mittleren Haltung – diese ist ja die schönste – befleißigten: Grobheit und Unkultur hatten sie abgelegt, gleichermaßen aber auch Selbstgefälligkeit und das sich anderen überlegen Dünken überwunden. Im Gespräch ließen sie sowohl die Fähigkeit zum Zuhören als auch die, stets eine Antwort parat zu haben, erkennen, und alle pflegten diese (Fähigkeiten) und wollten – würdig ihres Leiters und seiner Tugend – besonders darin einander übertreffen.

Diese Charakteristik der von dem Hohepriester ausgewählten Übersetzer scheint ein implizites Urteil über andere Teile des Judentums zu enthalten, die nicht diese Qualitäten besaßen oder hochschätzten, indirekt auch eine Kritik eines Pentateuchtextes, der nicht diesen Standards entsprach. Denn eine »Kulturkluft« wird in der Antwort, die Aristeas dem aufgeklärten Hohepriester in dem Mund legt, sichtbar, wenn er von den ägyptischen Gesandten während ihres Aufenthaltes in Jerusalem nach dem Sinn der jüdischen Speisevorschriften gefragt wird (siehe 128-171). 18 Denn hier wird diese ganze Gesetzgebung einer allegorischen Interpretation unterworfen, die zum Beispiel die tiefere Bedeutung (παράσημον) der Rede von unreinen Tieren aufdeckt (147), nämlich »dass diejenigen, denen das Gesetz auferlegt ist, in ihrer Seele Gerechtigkeit üben und niemanden im Vertrauen auf die eigene Kraft unterdrücken und auch nichts wegnehmen, sondern ihr Leben in Gerechtigkeit führen sollen.« So wird ja auch weiter den Fragenden erklärt (161 f.): Der überaus tiefe Sinn der Rede über Unterscheidung und Erinnerung – wie wir Zweihufigkeit und Wiederkäuen auslegen –, ist dir gerade aufgewiesen worden. Die Gesetze sind nämlich nicht unüberlegt und aus plötzlicher Eingebung formuliert worden, sondern wegen der Wahrheit und um auf die richtige Einstellung hinzuweisen. Da er nämlich auch, was Essen, Trinken und Berühren anbetrifft, alles festgesetzt hat, befiehlt er, nichts aufs Geratewohl zu tun und zu hören und sich auch nicht durch Missbrauch der Redegewalt dem Unrecht zuzuwenden.

17. Die Nennung auch der einheimischen Bürger scheint indizieren zu wollen, dass der Hohepriester überhaupt den Schlüssel zu dem rechten Schriftverständnis besitzt. 18. Siehe Siegert: Interpretation, insb. 144-154, wo es (150) heißt: »Sect. 128-171 are one of the earliest hermeneutic programmes known from ancient literature.«

22

gtvh 08105 / p. 23 / 31.3.2022

Die jüdische Bezeugung und Verteidigung des »kanonischen« Wertes der Übersetzung der Thora

Schließlich heißt es (169): »Auch bezüglich der Speisen und der unreinen Schlangen und Tiere zielt jedes Wort auf die Gerechtigkeit und das gerechte Zusammenleben der Menschen.« Die »mittlere Haltung« (τὸ μέσον κατάστημα), die außer in der Beschreibung der Übersetzer später auch in § 223 und 256 hervorgehoben wird, ist ein Topos der Populärphilosophie und die ist es, die in dem besonderen Wortlaut der Übersetzung zum Ausdruck kommt. Mit anderen Worten: Übersetzung wird auch als inhaltliche Vermittlung verstanden. Dieser Vermittlungscharakter ist es aber wahrscheinlich auch, der bereits im 2. Jh. v. Chr. in gewissen Kreisen, in oder vielleicht eher aus Palästina, die Übersetzung verdächtig gemacht hat. Jedenfalls gibt es bereits in vorchristlicher Zeit ein Beispiel (8ḤevXIIGr, in Palästina gefunden) einer Revision, die eine griechische Übersetzung in größere Übereinstimmung mit einem hebräischen Text zu bringen versucht. 19 Eine solche »Reaktion« könnte zusammen mit den Flüchtlingen, die Palästina in Verbindung mit der Erhebung gegen die Seleukiden verließen, nach Ägypten gekommen sein. Eine andere Frage ist, ob sich das zu der Theorie eines Kreises um den exilierten Hohepriester in Leontopolis konkretisieren lässt, der von dem ägyptischen König die Erlaubnis bekam, auf den Ruinen eines heidnischen Tempels einen jüdischen zu errichten. 20 Das erledigt auch die früher oft verhandelte Frage, ob die starke Versicherung, dass aus der von Ptolemäus befohlenen Übersetzung eine für alle Zukunft endgültige griechische Ausgabe der Thora resultierte, gegen frühere Übersetzungen gerichtet ist. Obwohl, wie in dem Aristobulosfragment, inzwischen von früheren Übersetzungsversuchen gesprochen wird, redet Aristeas von dem Produkt der 72 als der ersten vollständigen und also zudem allein korrekten Wiedergabe des Originals. Das bedeutet auch, dass der Aristeasbrief nicht als eine Verteidigung einer griechischen Übersetzung des Pentateuch als solches zu verstehen ist, 21 sondern dass dieser Roman den unantastbaren Charakter einer alten und etablierten griechischen Aus19. Auch deshalb könnte es dem Verfasser des Aristeasbriefes wichtig sein, dass die hebräische Grundlage der Übersetzung mit der höchsten Autorität ausgestattet wurde. So auch Gooding: Aristeas, 378, der konkludiert, dass es für Juden in Alexandria keinen besonderen Propagandawert besaß, dass 72 Juden aus Jerusalem so vertraut mit dem Griechischen waren, dass sie imstande waren, vom Hebräischen ins Griechische zu übersetzen. »But to have a translation that must be right, and must represent exactly what the Law meant, because it was made by seventy-two experts in interpretation of the Law, straight from Jerusalem and with the confidence of the High Priest, would be a great comfort for Jews who were disturbed by rumors and reports that not all Hebrew MSS agreed.« 20. Die Gründung dieses Tempels ist bezeugt in Josephus: Antiquitates XIII, 64-73, wo der exilierte Hohepriester als Onias III., hingegen im Bericht von der Zerstörung desselben Tempels in Bellum VII, 420-432 als des Onias Sohn Onias IV. identifiziert wird. Vgl. Schürer: History III, 47-48 und 145-147. 21. Zeugnisse einer Verdächtigung des Übersetzungsprojektes stammen erst aus einer sehr viel späteren Zeit, wo sowohl Christen als auch Juden, zwar mit sehr verschiedenen Gründen, Vorbehalte gegenüber der Septuaginta äußerten. Für die jüdische Rezeption siehe Müller: Nachrichten, passim; Veltri: Tora, passim; Wasserstein / Wasserstein: Legend, 51-94. Rajak: Translation, 87, warnt: »It is a modern fallacy – and still something of a scholarly obsession – to see ›Hellenism‹ as a threat to them [die Juden in der Diaspora] rather than as an opportunity for them to embrace.«

23

gtvh 08105 / p. 24 / 31.3.2022

Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen

gabe des Gesetzes begründen will. Offenbar auch, weil diese Übersetzung zugleich als auf der Höhe mit dem Besten im Judentum, das heißt, im gemäßigten Grad auch als eine notwendige Interpretation erlebt wurde. Denn obwohl sich der Aristeasbrief als apologetische Schrift eher an Juden richtet, die von der Überlegenheit ihrer eigenen religiösen Tradition überzeugt werden sollen, gehört offenbar auch eine Anerkennung seitens der tonangebenden Kreise der heidnischen Umwelt dazu. 22 Insbesondere fällt in diesem Zusammenhang die mehrmals erwähnte Bewunderung der Weisheit, ja Göttlichkeit der jüdischen Gesetzgebung durch den König auf, die ja überraschenderweise nicht wie selbstverständlich zu einer Bekehrung zum Judentum führt. 23 Jedoch gewinnt die Anschauung wieder Anhänger, dass der Aristeasbrief der Wahrheit nahekommt, wenn er die Übersetzung mit einer Initiative der königlichen Administration in Verbindung bringt. Denn der König konnte tatsächlich ein Interesse haben, angeblich alte Schriften wie die jüdische Gesetzgebung, die aus seinem Herrschaftsgebiet kam, in einer griechischen Ausgabe in seiner Bibliothek zu haben. 24 In dem Prolog zur Übersetzung des Jesus Sirach, die in zeitlicher Nähe zu Aristeas geschrieben ist, erklärt der Enkel nicht nur: »Denn nicht hat etwas die gleiche Bedeutung, was ursprünglich auf Hebräisch gesagt wurde und danach übersetzt wird in eine andere Sprache« (21 f.). 25 Er redet auch davon (29), dass er während seines Aufenthaltes in Ägypten »ein Bemühen um eine nicht geringe Bildung (οὐ μικρὰς παιδείας ἀφόμοιον)« fand, was ihn dazu drängte, »auch selbst nun einen gewissen Eifer und

22. Schenker: Tora, passim, sieht in der Rede von der zukünftigen Bewunderung der jüdischen Gesetzgebung und des jüdischen Gottesglaubens durch die Völker in Dtn 4,6-8 eine mögliche Ursache des Übersetzungsprojektes. Auch hier wird die Bewunderung ohne eine damit zusammenhängende Bekehrung vorgestellt. 23. Wasserstein / Wasserstein: Legend, 25, sehen das Hauptanliegen des Schreibens darin, »to show the pagan reader how well regarded the Jews were at the Ptolemaic court; how highly their Law was esteemed there, how persuasive their High Priest was in expounding the underlying principles of their law and how learned their Elders in translating and thus explicating its text.« 24. Honigman: Septuagint, 38-41 argumentiert in ihrer sehr profunden Untersuchung, der Aristeasbrief repräsentiere »the transfiguration of history into charter myth«, wo »[m]yth appeals to the emotions in order to create adherence, and in order to shape an attitude, engender pride and a correct stance.« Außerdem setzt Honigman: Septuagint, 37-63 das Übersetzungsunternehmen mit den philologischen Bestrebungen in Alexandria, Originaltexte zu klassischen Werken zu etablieren, in Verbindung. Deshalb findet sie eine königliche Initiative wahrscheinlich. Auch Rajak: Translation, 64-91, schließt sich der Ansicht an, dass Ptolemäus wirklich involviert war. Etwas vorsichtiger ist Kreuzer: Entstehung und Publikation, der auf die durch die Bibliothek geschaffene kulturpolitische Situation rekurriert. Diese forderte, analog zur Präsentation der ägyptischen Geschichte durch Manetho und der mesopotamischen Geschichte durch Berosses, dazu heraus, auch die eigene, jüdische Geschichte zu präsentieren. Demzufolge wäre zwar die Septuaginta zunächst innerjüdischen Bedürfnissen entsprungen, man hätte sich aber dann auch von jüdischer Seite gezielt präsentiert, vielleicht insbesondere durch das Buch Genesis, das einerseits kosmologische Interessen anspricht und andererseits mit Joseph, einem Juden als zweiten Mann nach dem Pharao, endet. 25. Barr: Typology, 317-318 (= ders: Typologie, 43-44), zufolge bringt der Übersetzer eine Unzufriedenheit »with the performance of Greek translations from Hebrew which was to lead to the movement for increasing literalism« zum Ausdruck.

24

gtvh 08105 / p. 25 / 31.3.2022

Die jüdische Bezeugung und Verteidigung des »kanonischen« Wertes der Übersetzung der Thora

Fleiß darauf zu verwenden, dieses Buch zu verdolmetschen (μεθερμηνεύσαι)« (30). 26 Es forderte offensichtlich Mühe zu zeigen, dass das Judentum insgesamt die überlegene Religion war. Wo aber der Enkel als etwas Selbstverständliches auch von Übersetzungen anderer Teile der jüdischen Bibel redet, steht es mit Aristobulos und Aristeas fest, dass das ursprüngliche, königlich veranstaltete und bewunderte Übersetzungsprojekt allein dem Pentateuch galt. Erst die christliche Rezeption der Legende lässt es auch die übrigen heiligen Bücher umfassen.

3. Philo Erst lange nach der Abfassung des Aristeasbriefes taucht wieder eine Erzählung über die Entstehung der griechischen Übersetzung des Pentateuch auf. Es geschieht im zweiten Buch der Schrift De vita Mosis von Philo von Alexandrien (ca. 20 v. Chr. – ca. 50 n. Chr.). Wenn er Aristeas gekannt hat, so verrät er es nicht, so wie er überhaupt keine Quelle für seine Berichte anführt. 27 Dennoch enthält seine Ausgabe viele ähnliche Züge wie Aristeas, und vielleicht ist die Anonymisierung seiner Quelle dadurch bedingt, dass Philo die Geschichte als allgemein bekannt darzustellen wünscht. Das Ziel der Einbeziehung der Legende von dem hellenistisch-jüdische Philosophen ist auch eine weitere Akzentuierung des autoritativen Charakters der Übersetzung. 28 Die Entstehungsgeschichte wird in De vita Mosis II, 25-44 referiert, motiviert durch eine Bemerkung darüber, dass dem heiligen Charakter der Gesetzgebung Moses »nicht bei den Juden allein, sondern auch bei allen anderen Völkern volle Bewunderung gezollt wird« (25). 29 So »hielten es manche für einen Übelstand, dass die Gesetze bei der Hälfte des Menschengeschlechts, bei den nichtgriechischen, allein sich finden« (27). Eine solche hohe und gemeinnützige Aufgabe war aber nicht Privatleuten oder Beamten, sondern »Königen, und zwar dem angesehensten Könige vorbehalten« (28). Nach einem hochstrebenden Lob der Ptolemäer im allgemeinen und des Ptolemäus Philadelphos im Besonderen (er wurde, »wie im Tiere das leitende Organ der Kopf ist, gewissermaßen das Haupt der Könige« [30]) wird sein Interesse und sein Verlangen nach unserer Gesetzgebung genannt, ebenso sein Entschluss, sie von chaldäisch in die hellenistische Sprache übertragen zu bekommen. Der Verwaltungsapparat, der in Aristeas sowohl die Aufmerksamkeit des Königs auf das Gesetz richtet wie auch die Ausführung seiner Befehle veranstaltet, wird hier nicht erwähnt. Der König 26. Übersetzung nach Georg Sauer: JSHRZ III,5. 27. Daher meint auf der einen Seite zum Beispiel Jellicoe: The Septuagint and Modern Study, 38 f., dass er eine zielgerichtete, abgekürzte Ausgabe von Aristeas bietet, während Munck: Aristeas, 390, zu der These neigt, dass Philo eine selbständige Ausgabe derselben Legende bringt. 28. So auch Leonhardt-Balzer: Philo und die Septuaginta, insb. 623 f. und 635-637. Hauptanliegen dieses Aufsatzes ist jedoch Philos Einbeziehung von Septuagintazitaten außerhalb des Pentateuchs, in Auseinandersetzung mit und Weiterführung von Cohen: Philo’s Scriptures. 29. Übersetzung nach: Die Werke Philos von Alexandrien in deutscher Übersetzung, ed. Leopold Cohn. Griechischer Text nach The Loeb Classical Library, Philo VI, ed. Francis H. Colson, London 1935.

25

gtvh 08105 / p. 26 / 31.3.2022

Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen

schickt eine Botschaft zu dem Hohepriester und König in Jerusalem – sie werden als ein und derselbe Person vorgestellt 30 –, um mit seiner Hilfe Übersetzer des Gesetzes (τοὺς τὸν νόμον διερμηνεύσοντας) ausgewählt zu bekommen. Der Hohepriester seinerseits, weil überzeugt, »dass nicht ohne den göttlichen Willen der König sich für ein solches Werk interessiere«, »sucht die angesehensten seiner Hebräer aus, die neben der einheimischen auch hellenische Bildung besaßen«, und sendet sie dahin (32). Nachdem der König sich durch Gespräche mit ihnen im Hinblick auf die Erfüllung ihrer ehrenvollen Gesandtschaft ihrer Weisheit vergewissert hat, wird die Aufgabe beschrieben als die, das »durch göttliche Verkündigung offenbarte Gesetz zu übertragen (διερμηνεύειν), wobei man weder etwas hinwegnehmen noch hinzufügen oder ändern kann, sondern ihren ursprünglichen Gedanken und ihren Charakter beibehalten muss (τὴν ἐξ ἀρχῆς ἰδέαν καὶ τὸν τύπον αὐτῶν διαφυλάττοντας)« (34). Um nicht zu riskieren, in der Großstadt Alexandria krank und kultisch unrein zu werden, entscheiden die Übersetzer, mit Hinblick auf ruhige und stille Arbeit, ihren Aufenthalt auf der Insel Pharos zu nehmen, »in der die Seele sich ungestört dem Verkehr mit den Gesetzen ganz hingeben könnte (καὶ μονῇ τῇ ψυχῇ πρὸς μόνους ὁμιλῆσαι τοὺς νόμους)« (36). Weiter heißt es: Sie nehmen die heiligen Bücher (τὰς ἱερὰς βιβλίους) und erheben zugleich mit ihnen die Hände zum Himmel empor und bitten Gott, dass sie in ihrem Vorhaben nicht fehlgehen mögen. Und Gott erhört (ἐπινεύει) ihre Gebete, damit der grösste Teil der Menschen oder vielleicht die ganze Menschheit davon Nutzen habe, indem sie zum Zwecke guter Lebensführung die weisen und herrlichen Gebote beobachte (36).

In ihrer Isolation auf Pharos sind sie dann alleine mit den Elementen der Natur: Erde, Wasser, Luft und Himmel, dessen Schöpfung sie ja auch als das allererste offenbaren (ἱεροφαντήσειν) sollten, weil die Gesetze mit der Schöpfung der Welt anfangen. Das Resultat ihrer Übersetzungsarbeit wird nun nicht als das einer Kommission, bei der man miteinander konferiert, geschildert, sondern sie verdolmetschten »wie unter göttlicher Eingebung (καθάπερ ἐνθουσιῶντες) nicht jeder in anderen, sondern alle in den gleichen Ausdrücken für Begriffe und Handlungen, als ob jedem von ihnen unsichtbar ein Lehrer diktierte (ὥσπερ ὑποβολέως ἑκάστοις ἀοράτως ἐνηχοῦντος)« (37). Selbst wenn die griechische Sprache überaus reich an verschiedenen Ausdrucksformen ist, so dass man immer dasselbe auch mit anderen Worten ausdrücken kann, war dies mit der Übersetzung des Gesetzes nicht der Fall. Hier wurde der griechische Text in dem Maß in Einklang mit dem hebräischen/chaldäischen gebracht, »dass alles in den zutreffenden Ausdrücken wiedergegeben (κυρία κυρίοις ὀνόμασι) wurde und die Worte den bezeichneten Dingen vollständig entsprachen«. Dieses Ergebnis der Übersetzungsarbeit beschreibt Philo weiter ausführlich so: 30. Von einem König in Jerusalem zu dieser Zeit erzählen weder Aristobulos noch Aristeas. Aber beide Ämter wurden ja vereinigt, nachdem der Makkabäer Jonathan im 152 v. Chr. sich auch als Hohepriester hatte ausrufen lassen, und diese (Un)ordnung wurde ja fortgesetzt bis zu der Machtübernahme von Königin Salome Alexandra (76-67 v. Chr.) um dann wiederaufgenommen zu werden von dem letzten Repräsentanten der Hasmonäer, Antigonos (40-37 v. Chr.). Vielleicht trifft es jedoch zu, wenn Wasserstein / Wasserstein: Legend, 40, in der Vereinigung der Ämter nicht eine historische Anspielung auf den Makkabäer, sondern im Hintergrund Philos Bild von Moses als Hohepriester-König sehen.

26

gtvh 08105 / p. 27 / 31.3.2022

Die jüdische Bezeugung und Verteidigung des »kanonischen« Wertes der Übersetzung der Thora

Wie nämlich meiner Meinung nach in der Geometrie und in der Logik die einmal gewählte Bezeichnung eine Verschiedenheit der Übertragung (ποικιλίαν ἑρμηνείας) nicht zulässt, sondern die von Anfang an für sie gebrauchte unverändert bleiben muss, so haben wahrscheinlich auch die Übersetzer die mit den Dingen sich deckenden Ausdrücke aufgefunden, die allein oder am deutlichsten die dargelegten Gedanken wiedergeben konnten. Der klarste Beweis dafür ist folgender Umstand. Wenn Chaldäer die hellenische Sprache oder Hellenen die chaldäische erlernt haben und beide Schriften, die chaldäische und ihre Übersetzung (ἑρμηνευθείσῃ) lesen, so erkennen sie mit Bewunderung und Ehrfurcht, dass sie wie Schwesterschriften oder vielmehr gleichsam eine und dieselbe sind in den Dingen und den Ausdrücken dafür, so dass sie jene Männer nicht Übersetzer (ἑρμηνέας), sondern Oberpriester und Propheten nennen, denen es gelungen sei, durch sonnenklares Denken mit Moses’ reinem Geisteshauche gleichen Schritt zu halten (οἷς ἐξεγένετο συνδραμεῖν λογισμοῖς τῷ Μωυσέως καθαρωτάτῳ πνεύματι) (39 f.).

Dieser Hinweis auf die Übereinstimmung mit dem Geist Moses zeigt, dass die transzendente Wirklichkeit tertium comparationis ist. Beide Versionen der Tora, sowohl die hebräische als auch die griechische, spiegeln zur Vollkommenheit die himmlische Welt, das heißt, dass beide die rettende Offenbarung vermitteln. 31 Philo schließt (41-44) seine Version der Entstehungsgeschichte des griechischen Pentateuch, in der er an keiner Stelle die Zahl der beteiligten Übersetzer nennt, mit einer Beschreibung einer Feier, die noch in seiner Zeit jährlich und nicht nur von Juden, sondern auch von anderen auf der Insel Pharos gehalten wird zum Andenken sowohl der Stelle, wo das Licht dieser Übersetzung zum ersten Male erstrahlte, als auch, »um der Gottheit den Dank für die alte, stets jung bleibende Wohltat darzubringen.« Er bemerkt auch, dass die Gesetze in dieser Weise sowohl bei gewöhnlichen Leuten als auch bei Vornehmen als begehrenswert und geschätzt erlebt werden, obwohl die Juden lange Zeit nicht in blühenden Verhältnissen gelebt haben, was sonst gerne Schatten werfen konnte. Sollte eine Entwicklung hin auf hellere Zeiten eintreffen, wie groß würde da wohl erst der Zuwachs sein? Die andern würden wohl alle, meine ich, ihre eigenen Sitten aufgeben und den väterlichen Gebräuchen von Herzen absagen und sich schließlich zur Wertschätzung dieser Gesetze bekehren. Denn mit dem Glücke des Volkes werden gleichzeitig seine Gesetze durch ihren Glanz die andern, wie die Sonne bei ihrem Aufgange die Sterne, verdunkeln (44). 32

Wenn Philo mit Revisionen der griechischen Übersetzung des Pentateuchs überhaupt bekannt ist, gibt seine Ausgabe der Entstehungsgeschichte jedenfalls keinen Raum für

31. Vgl. 48, wo Philo, nachdem er die Identität des Vaters und Schöpfers der Welt und des wahrhaften Gesetzgebers festgestellt hat, erklärt, dass »wer nach diesen Gesetzen leben will, freudig nach Übereinstimmung mit der Natur streben und dem Gesetze des Alls gemäß in vollen Einklang seiner Worte mit seinen Handlungen und der Handlungen mit seinen Worten leben wird.« 32. Wasserstein / Wasserstein: Legend 39, behaupten, dass Philo »is concerned to argue that the religion and the scriptures of the Jews have a potentially universal application, and beyond that he is interested … in the possibilities of proselytism created and enhanced by the availability of a translation of the Jewish scriptures in the Greek tongue.«

27

gtvh 08105 / p. 28 / 31.3.2022

Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen

Unsicherheit, was die Arbeit der Übersetzer zur Zeit des Ptolemäus Philadelphos betrifft. Sie war prophetisch inspiriert und vollgültiger Ausdruck der Thora.

4. Josephus Am Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts bringt Josephus 33 in seinem Werk Die Jüdischen Altertümer (Antiquitates Judaicae) im zwölften Buch § 12-118/12,1-15 eine auf ungefähr zwei Fünftel verkürzende Paraphrase des Aristeas. 34 Ab Buch 11 § 297 fehlen Josephus biblische Quellen. Den unmittelbaren Hintergrund der Schilderung der Entstehung der griechischen Übersetzung der Thora bildet nach Josephus ein Streit zwischen jüdischen und samaritanischen Nachkommen darüber, ob Opfergaben nach Jerusalem oder zum Garizim geschickt werden sollten. Die Überschrift der Paraphrase des Aristeas bildet in Ant. XII, 11 / 2,1 eine chronologische Auskunft: Als Alexander zwölf Jahre regiert hatte und nach ihm Ptolemäus Soter 41 Jahre, übernahm Ptolemäus Philadelphos die Regierungsgewalt, die er in den folgenden 39 Jahren innehatte. Danach heißt es: »Er ließ die Gesetze der Juden ins Griechische übertragen und setzte die in ägyptischer Knechtschaft schmachtenden Jerusalemer, hundertzwanzigtausend an der Zahl, in Freiheit, und zwar aus folgender Veranlassung. …« Wie auch sonst hat er seine Quellenbenutzung nicht dargelegt. Der nicht-wissende Leser entdeckt nicht, dass Josephus tatsächlich ein vorliegendes Buch reproduziert, sondern bekommt den Eindruck, dass er selbst der Verfasser ist. Wenn er im Verlauf seiner Darstellung einmal ausdrücklich auf das Büchlein von Aristeas (XII, 100 / 2,12: τὸ Ἀρισταίου βιβλίον, ὃ συνέγραψε διὰ τοῦτο; vgl. auch XII, 57 / 2,7) hinweist, begründet er es nicht damit, dass er etwas von des Aristeas Bericht ausgelassen hat, sondern empfiehlt es nur für weitere Auskunft. Seine Paraphrase enthält jedoch eine Reihe von in unserem Zusammenhang interessanten Änderungen, so dass sie zu einem gewissen Grad ganz wie die Wiedergabe der biblischen Bücher als ein »rewriting« hervortritt. So wird die Charakteristik des Hohepriesters in Arist 3 ausgelassen, und in dem Gespräch mit dem König sagt Demetrios (Ant. XII, 14 / 12,1): Er habe ja auch in Erfahrung gebracht, dass es bei den Juden viele Bücher über deren Gebräuche gebe, die des Studiums wert seien und einen Platz in der königlichen Bibliothek verdienten, die aber, da sie in hebräischer Sprache und hebräischen Buchstaben geschrieben seien, der Übersetzung ins Griechische viele Schwierigkeiten bereiten würden. 33. Siehe zu diesem Abschnitt Müller: Josephus, passim. Zu der in diesem Aufsatz benutzten Literatur ist hinzufügen: Krieger: Funktionen der Septuaginta-Legende, passim. Aus älterer Zeit stammt der Beitrag von Stählin: Josephus. 34. Griechischer Text nach Loebs Ausgabe, besorgt von Ralph Marcus. Deutsche Übersetzung nach Des Flavius Josephus Jüdische Altertümer. Übersetzt und mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Heinrich Clementz I–II. Die Einteilung hierin variiert von der in Loeb. Im Folgenden werden beide Zählungssysteme benutzt, Loebs mit Buch und Paragraph, Clementz’ mit Buch, Kapitel und Abschnitt (z. B. 12,2,1). Letztgenannte Übersetzung wird hier nicht konsequent benutzt. Grundlegend ist die sorgfältige komparative Studie von André Pelletier: Flavius Josèphe adapteur, die auch eine sehr nützliche Synopse Aristée Joséphe enthält (307-327); vgl. außerdem ders.: Josephus, the Letter of Aristeas, and the Septuagint, passim.

28

gtvh 08105 / p. 29 / 31.3.2022

Die jüdische Bezeugung und Verteidigung des »kanonischen« Wertes der Übersetzung der Thora

Als erklärender Vermerk wird in XII, 15 / 2,1 die Bemerkung des Demetrios ergänzt: »Obgleich nämlich die Schrift der Juden der syrischen ganz ähnlich sei und auch ihre Sprache sich nicht viel von der syrischen unterscheide, seien doch Sprache wie Schrift durchaus eigenartig.« In Anbetracht des überaus positiven Verhältnisses zum Judentum, das Aristeas zugeschrieben wird, versteht man gut, dass Josephus über seine Vorlage hinaus sich genötigt sieht, in XII, 23 / 2,2 Aristeas selbst beteuern zu lassen, dass er kein Jude ist; sein alleiniger Beweggrund ist, dass »wir alle Geschöpfe Gottes sind, und weil ich weiß, dass er an wohltätigen Menschen seine Freude hat.« Die Ungenauigkeit, die laut Arist 30 an den hebräischen Handschriften in Alexandria haftete, lässt Josephus den Bibliothekar so erklären (XII, 36 f. / 2,4) … dass unter anderem auch die Bücher mit der Gesetzgebung der Juden uns fehlen. Denn diese sind, weil in hebräischer Schrift und landeseigener Sprache geschrieben, für uns unverständlich. Und so ist es geschehen, dass sie weniger genau abgeschrieben sind, als es sich gehört (… τὰ τῆς Ἰουδαίων νομοθεσίας βιβλία λείπειν ἡμῖν σὺν ἑτέροις. χαρακτῆρσι γὰρ Ἑβραϊκοὶς γεγραμμένα καὶ φωνῇ τῇ ἐθνικῇ ἐστιν ὑμῖν ἀσαφῆ. συμβέβηκε δ’αὐτὰ καὶ ἀμελέστερον ἠ ἔδει σεσημάνθαι), weil sie noch nicht königliche Fürsorge erfahren haben. 35 Indessen ist es notwendig, dass du deine Aufmerksamkeit auch ihnen zuwendest. Denn diese Gesetzsammlung (τὴν νομοθεσίαν) ist so beschaffen, dass sie von höchster Weisheit und unbeflecktester Sittenreinheit Zeugnis ablegt, als käme sie von Gott selbst her.

Hier wird also das Verständnis ausgeschlossen, dass es um bereits existierende Übersetzungen geht. 36 Auch die Charakteristik der gewünschten Übersetzer in Demetrios’ Memorandum in Arist 32 wird in XII, 39 / 12,4 umformuliert, so dass hier nicht mehr von einem besonders guten Lebenswandel der sechs Ältesten aus jedem Stamme, 37 noch davon, was eine Mehrheit dieser Ältesten meint, gesprochen wird. In der Antwort des Hohepriesters wird übrigens nicht nur darum gebeten, dass der König die 72 Ältesten zurückreisen lässt (Arist 46), sondern auch darum, dass er nach Fertigstellung der Übersetzung auch die Manuskripte wieder zurückschickt (XII, 56 / 2,7). Das hebt ihren Charakter als Originale hervor. Die erste große Auslassung in Josephus’ Wiedergabe betrifft den Bericht der Sendung der zwei Beamten nach Jerusalem (Arist 83-171). Mehrere Gründe können dafür namhaft gemacht werden. Teils ist es vielleicht zu offensichtlich gewesen, dass die Schilderung nicht von einem Augenzeugen herrühren konnte, teils hat Josephus kaum die moralisierende allegorische Auslegung der jüdischen Reinheitsgesetze gebilligt, die der Hohepriester seinen Gästen mitteilte. Nicht umsonst war Josephus Pharisäer – das kann zudem begründen, dass er die moralisierende Erklärung von Arist 306 ausgelas35. Hier weicht die Übersetzung aber beträchtlich von der des Heinrich Clementz ab. 36. So gibt Josephus auch Arist 314 wieder, dass das Verbum προερμηνεύειν nicht vorkommt. 37. Später »vergisst« Josephus diese Zahl und spricht von dem Siebzig; siehe Ant. XII, 57.86 / 2,7.11. Pelletier: Josephus, the Letter of Aristeas, and the Septuagint, 98, behauptet, dass die Gewohnheit, die Übersetzung nach den Siebzig zu benennen, bereits im »mainstream Judaism« im ersten Jh. n. Chr. in Gebrauch war. Pelletier lässt übrigens Euseb von Caesarea den Ersten sein, der die Bezeichnung auf den Text selbst und nicht auf die Übersetzer bezog (Eusebius Caes.: In Psalmos, ad Ps 2; PG 23, 81 D).

29

gtvh 08105 / p. 30 / 31.3.2022

Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen

sen hat, warum die Übersetzer ihre Hände vor der Arbeit wuschen. 38 Durch diese und die andere große Auslassung, die die Wiedergabe der Gespräche des Königs mit den Übersetzern betrifft (Arist 187-292), 39 ist bei Josephus alles entfernt, was unmittelbar das Bild des Judentums als Religion zeichnen könnte. Außerdem hat Josephus ja selbst am Anfang seines Werkes seine Fassung des Inhaltes der Thora gegeben. So sind bei Josephus in dieser Weise die ersten Schritte in die Richtung getan, den Aristeasbrief zunächst als eine Legitimierung der griechischen Übersetzung der Thora aufzufassen. In der Beschreibung der Übersetzungsarbeit sind die Worte, dass die Übersetzungen durch Vergleich in Übereinstimmung gebracht wurde (Arist 302), ersetzt durch die Aussage, dass die Ältesten sich mit größtem Fleiße darangaben, eine genaue Übersetzung anzufertigen (XII, 104 / 2,13). So lässt Josephus auch die Bemerkung in Arist 307 von der Fertigstellung der Übersetzung in 72 Tagen (»als ob dies absichtlich so geschehen wäre«) aus. Auch in Josephus’ Wiedergabe wird die Übersetzung erst den Juden des Ortes vorgelesen, und die Übersetzer und Demetrios werden gelobt. Nach der Feststellung, dass die Übersetzung, »weil sie so gut ausgefallen sei, nun auch unverändert bleiben soll (μὴ μετακινείν)«, folgt nicht wie im Arist 311 eine Verfluchung über die, die irgendwie die Übersetzung überarbeiten würden. Stattdessen legt Josephus der Versammlung eine Anweisung für den Fall in den Mund, dass jemand Veränderungen im Text entdeckt: [W]enn jemand bemerke, dass etwas Überflüssiges sich in den Text eingeschlichen habe oder etwas weggelassen worden sei, [dass] er sich nochmals gründlich davon überzeugen und dann auf Verbesserung bedacht sein solle. Daran taten sie klug; denn nachdem die Übersetzung einmal als richtig befunden war, sollte sie es auch bleiben (εἴ τις ἢ περισσόν τι προσγεγραμμένον ὁρᾶ τῷ νόμῳ ἢ λεῖπον, πάλιν ἐπισκοποῦντα τοῦτο καὶ ποιοῦντα φανερὸν διορθοῦν, σωφρόνως τοῦτο πράττοντες, ἵνα τὸ κριθὲν ἅπαξ ἔχειν καλῶς εἰς ἀεὶ διαμένῃ (XII, 109 / 2,13).

Diese Formulierung enthält zwar eine gewisse Doppeldeutigkeit. Für sich selbst genommen, könnte es als eine Aufforderung aussehen, die Übersetzung im Verhältnis zu dem hebräischen Text zu kontrollieren, der Kontext auf beiden Seiten scheint jedoch ein solches Verständnis zu verbieten. Offenbar wünscht Josephus die Tür für Benutzung beider Traditionen offen zu halten. 40 38. Weitere Beispiele bei Pelletier: Flavius Josèphe adapteur, 199-202; vgl. außerdem 271-272. 39. Wenn Josephus doch im Begriff war abzukürzen, kann jedenfalls ein moderner Leser sich darüber wundern, dass er die umständliche Beschreibung der Geschenke des Ptolemäus, vor allem eines Schaubrottisches von massivem Gold (Arist 51-82; Ant. XII, 64-84 / 2,7) nicht ausgelassen hat. Hier findet sich übrigens ein Beispiel für den Einfluss von ExLXX 25,23-30; 37,10-16, wo der Schaubrottisch, der im hebräischen Text ausdrücklich aus Akazienholz angefertigt und nur an der Oberfläche mit Gold belegt ist, nunmehr insgesamt als aus massivem Gold bestehend beschrieben wird. Josephus scheint selbst bemerkt zu haben, dass die genaue Beschreibung des Schaubrottisches in seinem Kontext überflüssig wirkt, denn er bringt (Ant. XII, 59 / 2,7) geradezu eine Begründung für die Aufnahme der Schilderung in seine »Geschichte«, nämlich dass die Vornehmheit des Geschenkes »einen Begriff von dem Schönheitssinne und der Hochherzigkeit des Königs geben kann.« Unter den Zufügungen befindet sich Ant. XII, 43 f. / 2,5 eine Darlegung des Platzes Eleazars in der Liste der Hohenpriester. 40. Brock: To Revise ot not to Revise, 309, meint, dass diese Doppeldeutigkeit vielleicht beabsichtigt ist, weil es klare Zeichen gibt, dass Josephus inzwischen einen »revidierten« Septuaginta-

30

gtvh 08105 / p. 31 / 31.3.2022

Die jüdische Bezeugung und Verteidigung des »kanonischen« Wertes der Übersetzung der Thora

In seinem letzten bekannten Werk, Contra Apionem, bringt Josephus im Buch II, § 45-47 nochmals die Entstehungsgeschichte des griechischen Pentateuchs in Erinnerung. Es geschieht in einer Kurzform, denn das apologetische Anliegen ist allein, den Wert der jüdischen Gesetzgebung durch Ptolemäus’ aktives Interesse hervorzuheben. Denn nicht nur ließ dieser König die jüdischen Kriegsgefangen in seinem Reich los und schenkte ihnen mehrmals Geld, er verlangte auch unsere Gesetze kennen zu lernen und unsere heiligen Bücher zu lesen. … Zu diesem Zweck beschied er Männer zu sich, die ihm das Gesetz verdolmetschen sollten, und damit ein vortreffliches Schriftstück zustande käme, übertrug er die Vorbereitungen nicht etwa dem ersten besten, sondern betraute damit den Demetrios Phalereus, der unter seinen Zeitgenossen durch Bildung hervorragte, sowie Andreas und Aristeas, denen die Bewachung der Person des Königs oblag. Er wäre doch wohl kaum so begierig gewesen, unsere Gesetze und die bei uns einheimische Weisheit kennen zu lernen, wenn er von den Männern, die damit vertraut waren, geringschätzig gedacht und nicht vielmehr seine ganze Bewunderung ihnen gezollt hätte. 41

Die Diskussion des Übersetzungscharakters von Josephus’ »rewriting« der biblischen Geschichte gehört nicht hierher. 42 Dass er sein Projekt auch durch die Sanktionierung einer griechischen Ausgabe der biblischen Traditionen durch Eleazar legitimiert sah, geht aus dem diesbezüglichen Hinweis am Anfang seines Werkes (Ant. I, 10-12) hervor. Keiner der vier Zeugen der Entstehungsgeschichte des griechischen Pentateuch nimmt irgendeine Reserve gegenüber diesen Bibeltexten ein. Dass alle diese Geschichten allein die Übersetzung dieses Teils der jüdischen Bibel umfassen, obwohl jedenfalls Aristeas, Philo und Josephus auch von Übersetzungen von Schriften aus den zwei anderen Teilen des späteren jüdischen Kanons wissen – siehe zum Beispiel Josephus’ Übersicht über die heiligen Bücher des Judentums in Contra Apionem I, 37-41, sowie seine Vertext benutzt. (Diese Annahme steht allerdings auf dem Hintergrund der Meinung von Brock, dass der Text des Kodex Vaticanus der älteste ist, während der sog. lukianische bzw antiochenische Text, mit dem Josephus in den Geschichtsbüchern weithin übereinstimmt, jünger sei (wenn auch notwendiger Weise proto-lukianisch). Dagegen wurde durch die Qumranfunde (insbesondere 1QSama) und die Arbeiten von Dominique Barthélemy (Les Devanciers d’Aquila, VTS 10, Leiden 1963) sowie Siegfried Kreuzer (siehe: Origin and Transmission, 25-31.38-41), deutlich, dass der Josephustext (abgesehen von einzelne Textverderbnissen) die alte Septuaginta repräsentiert. Siehe dazu auch die Referenzen auf Josephus im Apparat der Edition Natalio Fernández Marcos/José Ramon Busto Saiz: Il texto Antioqueno, I 12 Samuel. II 1-2 Reyes (TECC 50, 53), Madrid 1989, 1992. 41. Übersetzung nach Clementz (ed.): Flavius Josephus. Kleinere Schriften, 151 f. 42. Siehe dazu Müller: Josephus und die Septuaginta, 644 f. Vgl. auch Feldman: Josephus’s Interpretation, 14: »The most obvious model for Josephus was the Septuagint, which is, indeed, on the borderline between a translation and a close paraphrase of Scripture, but with modifications in varying amounts from biblical book to book.« Dennoch ist Josephus dabei anders verfahren, indem »in retelling the biblical narrative, he applied the critical method he had learned from the Greek historians, notably Thucydides« (23). Beide Zitate stammen aus Kap. 2: Josephus as Rewriter of the Bible, einer stark überarbeiteten Ausgabe des Beitrages Use, Authority and Exegesis of Mikra, 455-518.

31

gtvh 08105 / p. 32 / 31.3.2022

Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen

wendung der Samuel- und Königebücher für die Antiquitates – hat zwei Ursachen. Einerseits lag die Entstehungsgeschichte in dieser Hinsicht fest; anderseits legte es sich nicht nahe, dem König auch ein Interesse an »religiöser« jüdischer Literatur jenseits der jüdischen Gesetzgebung zuzumuten.

32

gtvh 08105 / p. 33 / 31.3.2022

1.2 Die Übernahme der Entstehungsgeschichte im ältesten Christentum bis Augustin Mogens Müller Literatur Editionen und Übersetzungen Aristeas: Ad Philocratem epistvla cvm ceteris de origine versionis LXX interpretum testimoniis, ed. Paul Wendland, Leipzig 1900 – Aristeas: Der König und die Bibel. Griechisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Kai Brodersen, Reclams Universalbibliothek Nr. 18576, Stuttgart 2008. Augustinus: De civitate Dei, ed. Emanuel Hoffmann, Bd. 1: Bücher 1-13, CSEL 40/1, Prag / Wien / Leipzig 1899; Bd. 2: Bücher 14-22, CSEL 40/2, Prag / Wien / Leipzig 1900 – Augustinus: De doctrina christiana, rec. William M. Green, CSEL 80, Wien 1963 – Aurelius Augustinus: Der Gottesstaat. De civitate Dei, Zweiter Band Buch XV-XXII. In deutscher Sprache von Carl Johann Perl, Paderborn / München / Wien / Zürich 1979 – Clemens Alex.: Stromata I-VI, ed. Otto Stählin / Ludwig Früchtel, 4. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 52, Berlin 1985 – Cyrillus Hieros.: Opera quae supersunt omnia Bd. 1, ed. Wilhelm Karl Reischl, München 1848 = Hildesheim 1967; Bd. 2, ed. Josef Rupp, München 1860 = Hildesheim 1967 – Epiphanius Salam.: De mensuris et ponderibus: James Elmer Dean, Epiphanius’ Treatise on Weights and Measures: The Syriac Version, Chicago 1935 – Eusebius Caes.: Die Kirchengeschichte, ed. Eduard Schwartz / Theodor Mommsen Bd. 1: Bücher I bis V, GCS 9/1, Leipzig 1903; Bd. 2: Bücher VI bis X, GCS 9/2, Leipzig 1908; Bd. 3: Einleitungen, Übersichten und Register, Leipzig 1909 – Eusebius Caes.: Praeparatio evangelica, 1. Teil: Einleitung, Die Bücher 1-10, ed. Karl Mras, GCS 43/1, Berlin 1954, 2. Aufl., ed. Karl Mras / Édouard des Places 1970; Bd. 2, ed. Karl Mras, GCS 43/2, Berlin 1956, 2. Aufl., ed. Karl Mras / Édouard des Places 1970 – Hieronymus: Commentariorum in Hiezechielem Libri 14, ed. François Glorie, CC.SL 75, Turnhout 1964 – Hieronymus: Quaestiones hebraicae in Genesim, ed. Paul de Lagarde, CC.SL 72, Turnhout 1959, 1-56 – Hilarius Pict.: Tractatus super Psalmos, ed. Anton Zingerle, CSEL 22, Prag / Wien / Leipzig 1891 – Irenaeus von Lyon, Adversus haereses. Gegen die Häresien III, ed. Norbert Brox, FC 8.3/4, Freiburg im Breisgau 1995/1997 – Johannes Chrysostomos: In Genesim homiliae, PG 53, 21-54, 580 – Marcellos Anc.: Ps.-Justin (Markell von Ankyra?), Ad Graecos de vera religione (bisher Cohortatio ad Graecos). Einleitung und Kommentar I-II ed. Christoph Riedweg, Basel 1994 – Justinus Martyr: Apologie pour les Chrétiens, ed. Charles Munier, SC 507, Paris 2006 – Justinus Martyr: Dialogue avec Tryphon. Édition critique, traduction, commentaire, ed. Philippe Bobichon, Par. 47/1-2, Fribourg 2003 – Origenes: Matthäuserklärung, Bd. I, ed. Erich Klostermann, GCS 40, Berlin 1935 – Origenes: Epistula ad Africanum, ed. Nicholas de Lange, SC 302, Paris 1983, 522-573 – Tertullian: Apologeticum, ed. Eligius Dekkers, CC.SL 1, Turnhout 1954, 77-171 – Tertullian: De cultu feminarum, ed. Aemilius Kroymann, CC.SL 1, Turnhout 1954, 341-370.

Weitere Literatur Altaner, Berthold / Stuiber, Alfred: Patrologie, Freiburg / Basel / Wien 71966 – Döpp, Siegmar / Gerlings, Wilhelm, ed.: Lexikon der Antiken Christlichen Literatur, Freiburg et al., 3. Aufl. 2002 – Hengel, Martin: Die Septuaginta als von den Christen beanspruchte Schriftensammlung bei Justin und den Vätern vor Origenes, in: James D. G. Dunn (ed.), Jews and Chris-

33

gtvh 08105 / p. 34 / 31.3.2022

Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen

tians. The Parting of the Ways A.D. 70 to 135, WUNT 66, Tübingen 1992, 39-84 – Hengel, Martin: Die Septuaginta als »christliche Schriftensammlung«, ihre Vorgeschichte und das Problem ihres Kanons, unter Mitarbeit von Roland Deines, in: Martin Hengel / Anna Maria Schwemer (ed.), Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum, WUNT 72, Tübingen 1994, 182-284 – Hennings, Ralph: Der Briefwechsel zwischen Augustinus und Hieronymus und ihr Streit um den Kanon des Alten Testaments und die Auslegung von Gal. 2,11-14, SVigChr 21, Leiden 1994 – Kranz, Dirk Kurt: Ist die griechische Übersetzung der heiligen Schrift der LXX inspiriert? Eine Antwort nach den Zeugnissen der Kirchenväter (2.–4. Jh.) vor dem Aufkommen der Diskussion um die »hebraica veritas«, Studi e ricerche 3, Rom 2005 – Markschies, Christoph: Hieronymus und die »Hebraica veritas«. Ein Beitrag zur Archäologie des protestantischen Schriftverständnisses, in: Martin Hengel / Anna Maria Schwemer (ed.), Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum, WUNT 72, Tübingen 1994, 131-181 – Müller, Mogens: Die Septuaginta als Bibeltext der ältesten Kirche. Graeca veritas contra Hebraica veritas, in: Wolfgang Kraus / Siegfried Kreuzer (ed.), Die Septuaginta: Entstehung, Sprache, Geschichte, WUNT 325, Tübingen 2014, 613-636 – Müller, Mogens: Die Septuaginta als Teil des christlichen Kanons, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 708-727 – Müller, Mogens: Josephus und die Septuaginta, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Geschichte, WUNT 252, Tübingen 2010, 638-654 – Müller, Mogens: Justin und die Septuaginta. Benutzung und Bedeutung«, in: Eberhard Bons u. a. (ed.), Die Septuaginta. Themen – Manuskripte – Wirkungen, WUNT 444, Tübingen 2020, 740-752 – Müller, Mogens: The First Bible of the Church. A Plea for the Septuagint, JSOTS 206 (= CIS 1), Sheffield 1996 – Schulz-Flügel, Eva: The Latin Old Testament Tradition, in: Magne Sæbø (ed.), Hebrew Bible/ Old Testament I/1, Göttingen 1996, 642-662 – Schulz-Flügel, Eva: Hieronymus – Gottes Wort: Septuaginta oder hebraica Veritas, in Wolfgang Kraus / Siegfried Kreuzer (ed.), Die Septuaginta: Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 746-758 – Seibt, Klaus: Art. Marcel von Ancyra, TRE 22, 1992, 83-89 – Wasserstein, Abraham / Wasserstein, David J.: The Legend of the Septuagint. From Classical Antiquity to Today, Cambridge 2006.

Eine Folge dessen, dass die Verfasser der Schriften, die später das Neue Testament wurden, sich der Septuaginta bedienten, war die Übernahme einiger Stellen, wo die alte griechische Übersetzung sich deutlich von dem geltenden hebräischen Text unterschied. 1 Ob es eine bewusste Wahl war, mag dahingestellt sein. Jedenfalls bedeutete die zunehmende Autorität dieser Schriften in der Praxis eine »Kanonisierung« des Wortlautes der griechischen Wiedergabe. 2 1.

2.

Die inzwischen, nicht zuletzt durch die Qumran-Schriften, entdeckte Pluriformität jedenfalls von Teilen der hebräischen Textüberlieferung in den Jahrhunderten um den Anfang unserer Zeitrechnung spiegelt sich in der aufkommenden Debatte nur in vereinzelten Beschuldigungen gegen die Juden, dass sie den hebräischen Wortlaut geändert haben, um den Gebrauch ihrer heiligen Schriften seitens der Christen unmöglich zu machen. Das Folgende reproduziert teilweise die Darstellung in Müller: The First Bible of the Church, Kap. 4: The Reception of the Septuagint Legend into the Church up to and Including Augustine. Siehe aber auch ders.: Die Septuaginta als Bibeltext der ältesten Kirche. Ein nützliches Kompendium der meisten relevanten Texte sowohl auf Griechisch / Latein als auch auf Deutsch, teils aufgrund der neuesten Übersetzungen, teils vom Verfasser selbst, befindet sich in Kranz: Übersetzung. Im Folgenden wird, wenn nicht Anderes vermerkt ist, die Übersetzungen von Kranz benutzt. Eine mehr selektive Auswahl findet sich in Brodersen (ed.): Aristeas. Der König und die Bibel, wovon Teile auch im Anhang zur Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, 1503-1507, aufgenommen sind. Eine

34

gtvh 08105 / p. 35 / 31.3.2022

Die Übernahme der Entstehungsgeschichte im ältesten Christentum bis Augustin

1. Justinus Martyr Der älteste uns bekannte christliche Schriftsteller, der mit dieser Problematik konfrontiert wurde, war Justinus Martyr (* um 100, † um 165). 3 In seinen Apologie(n), wohl um 150 abgefasst, bringt er die Existenz der Weissagungen über Christus vor seiner Ankunft zur Sprache und sagt, dass sie in ihrer ursprünglichen, hebräischen Gestalt von den verschiedenen jüdischen Königen aufbewahrt wurde. 4 Dass sie dennoch auch auf Griechisch vorliegen, erklärt er als ein Ergebnis dessen, dass der ägyptische König Ptolemäus diese »prophetischen Bücher« in seiner neu eingerichteten Bibliothek zu besitzen wünschte. Nach Justin bat er König Herodes (sic!), sie zu schicken. Als er aber entdeckte, dass sie in hebräischer Sprache geschrieben waren, schickte er nochmals Gesandte mit der Bitte, Leute, die übersetzen können, zu bekommen. Dies geschah, und seither befinden sich diese Bücher in griechischer Sprache überall bei den Juden, die sie dennoch nicht verstehen, sondern die Christen, die sie verstehen, als Feinde betrachten. Es handelt sich hier also zuerst um eine Erklärung dafür, dass die heiligen Schriften der Juden in griechischer Sprache vorlagen. Justin nennt keine Quelle für diese Geschichte und lässt auch nicht erkennen, ob er weiß, dass die Geschichte, auf die er hinweist, ursprünglich nur von der Übersetzung des Pentateuchs handelt. Außerdem weiß er augenscheinlich (noch) nicht von einer bestimmten Anzahl der Übersetzer und bemerkt auch nichts über eine eventuelle Inspiration oder andere wundersame Züge. Stillschweigend – vielleicht auch unbewusst – hat er zudem die Entstehungsgeschichte auf alle heiligen Schriften des Judentums ausgedehnt, die er als »die Bücher der Propheten (αἱ βιβλοὶ τῶν προφητῶν)« zusammenfasst. Mit dieser Bezeichnung lag es ja nicht nahe, den Pentateuch auszusondern, und vielleicht reflektiert Justins Ausdehnung, dass er wusste, dass sie alle auf Griechisch vorlagen. Unter den vielen Schriftzitaten in der Apologie befindet sich auch die zentrale Stelle im nur wenig später bezeugten Streit über die Verlässlichkeit der griechischen Wiedergabe, Jes 7,14. Obwohl Justin sie ausführlich in seine Darlegung einbezieht, bekommt der Leser keinen Hinweis auf diese Problematik. Es wäre wohl auch nicht förderlich gewesen, auf eine solche Unsicherheit in einer Verteidigungsschrift hinzuweisen. Hier sieht es in der weit umfangreicheren Schrift Dialog mit dem Juden Tryphon anders aus, die ungefähr 10 Jahre später um 160 entstand. Hier wird die Entstehungsgeschichte zum ersten Mal als Argument für die Zuverlässigkeit der griechischen Bibelübersetzung herangezogen und tritt im Dialog zudem durchgehend, obwohl mit Variationen, als die Version von den siebzig Ältesten auf, die bei Ptolemäus waren, dem König der Ägypter. 5 Auch hier liegt eine Herkunft der Überlieferung außerhalb von Justins Gesichtskreis.

3. 4. 5.

ältere Sammlung der »Testimonia« liegt vor in Wendland (ed.): Aristeae ad Philocratem epistvla, Leipzig 1900. Neuere Darstellungen der Geschichte liegen vor in: Hengel: Die Septuaginta als von den Christen beanspruchte Schriftensammlung, 39-84 (gekürzter Ausgabe in: Hengel: Die Septuaginta als »christliche Schriftensammlung«, 187-203; Wasserstein / Wasserstein: The Legend of the Septuagint, Kap. 5 (95-131) »The Church Fathers and the Translation of the Septuagint«. Siehe hierzu auch: Müller: Justin und die Septuaginta. Justinus: 1.Apol. 31,2-5, SC 507, 210. Siehe Justinus: Dial. 68,7; 71,1, Bobichon I, 372.378; Dial. 84,3, Bobichon I 414 [ohne Zahl-

35

gtvh 08105 / p. 36 / 31.3.2022

Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen

Nachdem Justinus bereits in Dial. 43,5-6 Jes 7,14 zitiert hat, zusammen mit einer Anklage der jüdischen Lehrer, die sich erkühnen zu behaupten, dass diese Stelle nicht von einer Jungfrau, sondern von einer jungen Frau (νεᾶνις) spricht (43,8) 6, redet er zum ersten Mal in Dial. 68,7-8 von der griechischen Übersetzung, und zwar in Verbindung mit der Erwähnung des Streites über den wahren Inhalt von Jes 7,14. In 67,1, beginnt eine längere Diskussion über den rechten Wortlaut der Jesaja-Stelle, wo Justinus in Dial. 68,7-8 fragt, ob er, wenn er nachweisen kann, dass die Weissagung Christus – und nicht wie die Juden meinen, dem späteren König Ezekias – gilt, nicht seine Gesprächspartner veranlassen solle, sich von ihren Lehrern abzuwenden, die behaupten, dass »die »Übersetzung der siebzig Ältesten« unglaubwürdig sei, und erklären, dass das, was über Jesus Christus prophezeit wurde, nicht auf ihn hin, sondern über eine ihnen erwünschte Person gesagt wurde – so wie sie es hinsichtlich Jes 7,14 getan haben. 7 Zum letzten Mal kehrt Justinus in Dial. 71,1-2 resümierend zum Thema zurück, diesmal mit einer Anklage gegen die jüdischen Lehrer, die nicht nur nicht die alte bei dem König Ptolemäus gefertigte Übersetzung anerkennen, sondern sogar eine eigene versuchen, worin sie »viele Schriftstellen vollständig entfernt haben, in denen klar bewiesen wird, daß von unserem gekreuzigten Jesus verkündet war, er sei Gott und Mensch, er werde gekreuzigt und sterbe.« 8 Noch einmal nennt Justinus hier Jes 7,14 (später ein letztes Mal in Dial. 84,1-3 9), und, von Tryphon gefragt, welche Schriftworte es seien, die entfernt worden sind, listet er in Dial. 72-73 vier Stellen auf, darunter sowohl bekannte als unbekannte Aussagen, zum Beispiel die berühmte Wendung »vom Holze her« (ἀπὸ τοῦ ξύλου) in Ps 95,10, das schon in Apol 41 mitzitiert wurde, aber in allen frühen Bibelhandschriften fehlt. In Dial. 74,3 wird merkwürdigerweise Ps 95,10 ohne diese Worte angeführt. Keine der vier Stellen ist überzeugend. 10 Justinus’ Einbeziehung der Entstehungsgeschichte ist aber zu entnehmen, dass er neue jüdische Übersetzungen wie z. B. die von Aquila am Anfang des 2. Jhs. als gegen die christliche Benutzung der Schrift gerichtet sieht, das heißt, als darauf zielend, die Christen ihres Schriftbeweises zu berauben. Ohne es ausdrücklich zu sagen, setzt Justinus in seiner Argumentation voraus, dass die Septuaginta den rechten Sinn des hebräischen Originals ausdrückt, während die neue Übersetzung die Wahrheit unterdrückt. Es kommt jedoch nicht dazu, dass Justinus behauptet, die Juden hätten den hebräischen Originaltext verderbt.

6. 7. 8. 9. 10.

angabe]; Dial. 120,4; 131,1; 137,3 (bis), Bobichon I, 506.534.552 (nur mit Zahlangabe: οἱ ἑβδομήκοντα) und 124,3, Bobichon I, 518 (einzige Stelle bei Justinus mit der Genitivverbindung, »der Siebzig«: ἐν δὲ τῇ τῶν ἑβδομήκοντα ἐξηγήσει, die sehr nahe an die Bezeichnung »Septuaginta« kommt). Während Philo in seiner Wiedergabe der Entstehungsgeschichte nie die Zahl der Übersetzer nennt, übernimmt Josephus sie vom Aristeasbrief, obwohl er sie auch mehrmals zu »siebzig« abrundet; siehe Müller: Josephus und die Septuaginta, 641, 643. Dial. 43,5-8, Bobichon I, 290-292. Dial. 68,7 f., Bobichon I, 372. Dial. 71,1 f., Bobichon I, 378. Dial. 84,1-3, Bobichon I, 414. Justinus: 1.Apol 41,4, SC 507, 238; Dial. 72-73, Bobichon I, 380-384. Siehe Martin Hengel, Die Septuaginta als von den Christen beanspruchte Schriftensammlung, 56-60.

36

gtvh 08105 / p. 37 / 31.3.2022

Die Übernahme der Entstehungsgeschichte im ältesten Christentum bis Augustin

2. Irenaeus Der nächste Zeuge für die Einbeziehung der Entstehungsgeschichte ist Irenaeus (* 135; † um 202 als Bischof in Lugdunum/Lyon). In seinem Adversus haereses III 21,1-4 weist er, ebenfalls in Verbindung mit der Interpretation von Jes 7,14, als Auftakt die neuen Übersetzungen der jüdischen Proselyten Theodotion und Aquila ab, wo die Jungfrau zur jungen Frau geworden ist. Dies sei eine grobe Geringschätzung des prophetischen Wortes aus einer Zeit vor der babylonischen Gefangenschaft, das von den Juden selbst lange Zeit vor der Ankunft des Herrn mit Jungfrau übersetzt wurde; diese frühe Entstehung der Übersetzung sollte ja den Verdacht ausschließen, dass die Juden es um der Christen willen getan hätten. Hätten sie das gewusst, hätten sie zweifelsohne alle Schriften verbrannt, die verkündigen, dass auch die übrigen Völker Anteil am Heil haben sollten, und dass die, die sich rühmen, Jakobs Haus und Israels Volk zu sein, von dem Erbe der Gnade Gottes ausgeschlossen sind. In diesem Zusammenhang bringt Irenaeus seine Version der Entstehungsgeschichte, die nun wie Philos, aber im Unterschied zu Justins Version, mit übernatürlichen Zügen ausgestattet ist. Irenaeus nennt als die jüdischen Empfänger der königlichen Bitte die Einwohner Jerusalems und bemerkt auch, dass sie damals noch unter makedonischer (das heißt wohl »ptolemäischer«) Herrschaft waren. Sie schicken dem König siebzig Älteste, »ihre besten Kenner der Schriften und beider Sprachen«, um seinen Wunsch zu erfüllen. Irenaeus erwähnt auch als erster, dass der König die Sicherheitsmaßnahme traf, die Übersetzer voneinander abzusondern, aus Furcht davor, dass sie sonst untereinander verabreden würden, die Wahrheit in den Schriften durch die Übersetzung zu verbergen. Deshalb ließ der König sie auch alle die gesamten biblischen Bücher übersetzen. Irenaeus schließt dann seine Erzählung (III 21,2): 11 Als sie dann bei Ptolemaios zusammenkamen und ihre Übersetzungen verglichen, da bedeutete das Ruhm für Gott und Bestätigung der Schriften in ihrem wahrhaft göttlichen Charakter. Alle (siebzig) hatten dieselben (Texte) von Anfang bis zum Ende mit denselben Ausdrücken und Wörtern wiedergegeben, so daß sogar die Heiden, die dabei waren, erkannten, daß die Bücher unter der Inspiration Gottes (per aspirationem Dei) übersetzt worden waren.

In Irenaeus’ Ausgabe spürt man einen judenfeindlichen Ton, der bei den späteren Nacherzählern der Geschichte jedoch in der Regel verstummt. Auffallend ist, dass die göttliche Inspiration der – hebräischen – Schriften durch die Übereinstimmung der Übersetzungen festgestellt wird. Dazu vergleicht er in der Folge die Übersetzungstat mit der Nachschaffung der heiligen Schriften durch Esra, nachdem sie bei Nebukadnezars Zerstörung des Tempels völlig verlorengegangen waren: Als Artaxerxes den Juden erlaubte heimzukehren, inspirierte (ἐπέπνευσεν) Gott den Priester Esra aus dem Stamm Levi, so dass er alle Worte der früheren Propheten niederschreiben und die ganze Gesetzgebung des Moses wiederaufrichten konnte; diese Legende ist auch aus 4 Esra 14,37-48 bekannt. Irenaeus bemerkt weiter, dass die Übersetzung lange vor dem Herabkommen des Herrn auf die Erde zustande kam – »denn unser Herr ist ja erst ungefähr im einundvierzigsten Jahr der Regierungszeit des Augustus geboren, viel 11. Irenaeus: Haer. III, 21,2, FC 8/3, 256 f.

37

gtvh 08105 / p. 38 / 31.3.2022

Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen

früher hat aber Ptolemaios gelebt«. 12 Deshalb ist sie als die allein wahre zu betrachten. Dazu kommt noch ein entscheidendes Argument dagegen, den neueren Übersetzungen Aufmerksamkeit zu schenken: Die Apostel, die ja älter sind als alle diese Leute, stimmen mit der beschriebenen Übersetzung überein, und die Übersetzung stimmt mit der Tradition der Apostel überein. Petrus, Johannes, Matthäus und Paulus und die übrigen Apostel und deren Anhänger haben alle Prophetenworte in der Version verkündet, in der sie die Übersetzung der (siebzig) Ältesten enthält. Ein und derselbe Geist Gottes hat nämlich durch die Propheten die Ankunft des Herrn und deren nähere Umstände ausgesagt und durch die (siebzig) Ältesten richtig übersetzen lassen, was richtig prophezeit worden war, und er hat auch durch die Apostel verkündet, … 13

Irenaeus nennt keine Quelle für seine Entstehungsgeschichte, ist aber offenbar besser unterrichtet als Justinus. Er verrät jedoch weder Wissen über einen Hohenpriester in Jerusalem noch über die ursprüngliche Zahl 72. Mit einer Interpretationsstrategie, die auch in vielen Beispielen von »umgeschriebener Bibel« (»rewritten Bible«) auftritt, erzählt er die Entstehungsgeschichte der Septuaginta in einer Weise nach, die seinen theologischen Bedürfnissen entspricht. Außer den judenfeindlichen Zügen fällt die starke und im Vergleich zu Justin neue Unterstreichung der Benutzung der Apostel und des Mitwirkens des Geistes auf. Mit der Behauptung der Inspiration der Übersetzung entfällt jede Notwendigkeit der Nachprüfung ihrer Übereinstimmung mit dem hebräischen »Grundtext«.

3. Klemens von Alexandrien Klemens von Alexandrien (* um 140; † um 215) ist der erste uns bekannte christliche Verfasser, der eine jüdische Quelle (nämlich Aristobulos) in Verbindung mit seiner Ausgabe der Entstehungsgeschichte der Septuaginta erwähnt. Nach einer längeren Darstellung der chronologischen Argumente dafür, dass die jüdischen Institutionen und Gesetzte viel älter als die griechische Philosophie sind 14, schreibt er, dass erzählt wird, dass sowohl das Gesetz als auch die Propheten unter Ptolemaios ins Griechische übersetzt wurden. 15 In diesem Zusammenhang nennt er neben Aristobulos, Aristeas und Josephus auch Demetrios von Phaleron als den Vollführer dieser Aufgabe, was aber aus chronologischen Gründen nicht wahrscheinlich ist. Klemens folgt Irenaeus darin, dass der König mit den Einwohnern Jerusalems verhandelt, fügt aber – in teilweiser Übereinstimmung mit Aristeas – hinzu, dass die siebzig Ältesten die göttlichen Bücher – also nicht nur die Mosebücher – mitbrachten. Auch bei Klemens arbeiten die Siebzig separat und kommen zu identischen Resultaten. Nachdem er erklärt hat, dass es dem Entschluss Gottes entsprach, dass die Schriften auch den Griechen zu Gehör kamen, setzt er fort: »Jedenfalls war es nichts Ungewöhnliches, dass unter der Inspira12. 13. 14. 15.

Irenaeus: Haer. III, 21,3, FC 8/3, 258 f. Irenaeus: Haer. III, 21,3 f., FC 8/3, 260 f. Clemens Alex.: Strom. I 21/101,1-147,6, GCS 52, 64-92. Clemens Alex.: Strom. I, 22/148,1-149,3, GCS 52, 92.

38

gtvh 08105 / p. 39 / 31.3.2022

Die Übernahme der Entstehungsgeschichte im ältesten Christentum bis Augustin

tion Gottes (ἐπιπνοίᾳ θεοῦ), der die Prophetien gegeben hat, auch die Übersetzung gewissermaßen als eine griechische Prophetie zustande käme«, wonach er wie Irenaeus auf die Geschichte von Esras Nachschaffen der biblischen Schriften nach deren Zerstörung durch Nebukadnezar hinweist. In einem expliziten Zitat aus dem ersten Buch des Aristobulos, das [Ptolemaios] Philometer gewidmet war, heißt es, dass Platon genaue Kenntnis der jüdischen Gesetzgebung besaß, weil schon vor Demetrios, vor der Einnahme (Ägyptens) durch Alexander, ja vor der durch die Perser, die Erzählungen vom Auszug der Hebräer aus Ägypten und der Inbesitznahme des Landes samt der ganzen Gesetzgebung in Übersetzung vorlagen. Auch Pythagoras hat davon profitiert 16, und Klemens zitiert hier die berühmten Worte des pythagoräischen Philosophen Numenios (2. Hälfte des 2. Jhs. v. Chr.): »Was ist Platon denn sonst als ein griechisch schreibender Moses? (τί γάρ ἐστι Πλάτων ἢ Μωυσῆς ἀττικίζων;)«. 17 Zum Schluss schreibt Klemens, dass »dieser Moses, Gotteskenner (θεολόγος) und Prophet, war, wie einige meinen, Interpret der heiligen Gesetzgebung (νόμων ἱερῶν ἑρμηνεύς)«. 18 Die Schriften selbst, denen höchste Glaubwürdigkeit zukommt, verkünden seinen Ursprung, seine Leistungen und seinen Lebenswandel, was dann in den nächsten Kapiteln untersucht wird. Diese letzten Bemerkungen über Moses deuten einen tieferen Sinn der Gesetzgebung an, dessen Inhalt sich aber nicht explizit in den Schriften selbst befinde. 19 Überhaupt fällt es auf, dass Klemens ausdrücklich von dem Gesetz spricht, und dass er Jes 7,14 und das Problem der Jungfrauengeburt nicht nennt. Wenn er Irenaeus’ Ausführungen gekannt hat, so hat er jedenfalls die judenfeindlichen Maßnahmen des Königs nicht übernommen. Obwohl er die Inspiration erwähnt, ist sein Interesse vor allem der durch die Übersetzung ermöglichte Zugang der Griechen zu den heiligen Schriften. Seine Einbeziehung der früheren Übersetzungen, ohne die »neue« Übersetzung der siebzig Ältesten hervorzuheben, dient natürlich – apologetisch – dazu, den »Diebstahl der Hellenen« zu ermöglichen.

4. Tertullian Als erster uns bekannter christlicher Schriftsteller nennt der nordafrikanische Theologe Tertullian († nach 220) ausdrücklich Aristeas als seine Quelle und die »richtige« Zahl der Übersetzer. Offensichtlich hat er, wenn nicht direkten, so doch indirekten Zugang dazu gehabt. Die Entstehungsgeschichte taucht in Tertullians aus dem Jahre 197 stammenden Apologeticum auf 20, in Verbindung mit einer Erklärung dafür, wie Gott als Mittel, seine Ratschlüsse und Absichten für die Menschen bekannt zu machen, auch »das Werkzeug des geschriebenen Wortes beigegeben« hat. In »der Schatz16. Dieses Fragment des Werkes des Aristobulos befindet sich in einer etwas längeren Form auch in Eusebius Caes.: Praep. ev. XIII, 12, 1-2, GS 43/2, 190 f. 17. Clemens Alex.: Strom. I, 22/150,4, GCS 52, 93. 18. Clemens Alex.: Strom. I, 22/150,4, GCS 52, 93. 19. Der Gedanke, dass es so einen »Sinn« der Gesetzgebung außerhalb des Pentateuchs gibt, wird später von Hilarius von Poitiers verwertet. Siehe unten. 20. Tertullian: Apol. 18,5-8, CC.SL 1, 118 f.

39

gtvh 08105 / p. 40 / 31.3.2022

Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen

kammer der Schriftwerke«, die nicht verborgen sind, leben sowohl die Voraussagungen der Propheten als »ihre Wundertaten, die sie zum Beweis ihres göttlichen Auftrags verrichteten, fort«. Von Aristeas wird gesagt, dass er »die in griechischer Sprache zugänglich gemachten Dokumente (excerpta monumenta) hinterlassen« hat. Die hebräischen Originale sind noch im Serapeum in Ptolemaios’ Bibliothek zu sehen, und die Juden verlesen sie – wohl auch in der griechischen Übersetzung – öffentlich. »Wer zuhört, wird Gott finden, wer sich obendrein bemüht, ihn zu erkennen, wird gezwungen sein, auch an ihn zu glauben.« 21

5. Origenes Seine umfassende Inanspruchnahme der Septuaginta hätte erwarten lassen, dass Origenes (* um 185; † um 254) Interesse an deren Entstehungsgeschichte zeigte, aber das tut er in den überlieferten Werken nicht. Sein Vertrauen auf die Septuaginta beruht nicht auf deren wundersamer Entstehung, sondern auf der Tradition, die er freilich der Vorsehung zuschreibt. Sein Anliegen ist die größtmögliche Übereinstimmung dieser Übersetzung mit dem hebräischen Original, wobei er meint, dass die nicht übersehbaren Unterschiede zwei Ursachen haben. Teils seien sie auf Unachtsamkeit oder Kühnheit der Abschreiber zurückzuführen 22, teils könnten sie aber auch daher rühren, dass die Gelehrten unter den Juden dem gemeinen Volk das in den Schriften verbergen, was Anklagen gegen die Ältesten, Führer und Richter des Volkes enthält. Einiges davon hat gerade in den Apokryphen überlebt. 23 Mit anderen Worten: Die Septuaginta spiegelt die hebräische Bibel, wie sie ursprünglich aussah.

6. Eusebius von Caesarea Eusebius von Caesarea (* um 263; † 339) bringt in seiner 312-322 verfassten Praeparatio evangelica Auszüge des Aristeasbriefes, die ungefähr ein Viertel dieses Textes enthalten. 24 Der Kirchengeschichtsschreiber sieht Aristeas als einen Augenzeugen an und geht – wie auch Klemens von Alexandrien – auf die heilsgeschichtliche Bedeutung der Übersetzung als Vorbereitung des Evangeliums ein. So stellt er in seiner Einleitung der Auszüge fest, dass, als sich die Zeit der Heilspredigt vom Heiland näherte, das Alte Testament der Juden, das so lange in ihrer Landessprache verhüllt war, nun endlich auch für die übrigen Völker zugänglich gemacht wurde, damit sie an Gottes Segnun21. Auch Tertullian weist auf die Geschichte der Nachschöpfung der biblischen Bücher durch Esra hin. Dies erfolgt aber nicht in diesem Zusammenhang, sondern in De cultu feminarum I, 3,1-3 CC.SL 1, 346 f. in Verbindung mit der Neuschreibung des (ersten) Henochbuches, das er augenscheinlich zu den übersetzten Büchern zählt. 22. Siehe die Beschreibung der Textsituation in Origenes: In Matthaeum XV, 14, GCS 40, 387 f. 23. Siehe die Ausführungen bei Origenes: Ep. ad. Africanum, wo er in Kap. 4/8 (SC 302, 532) sein Zutrauen in die Septuaginta als die durch die Vorsehung Gottes bestimmte Bibel der Kirche ausdrückt, und Kap. 9/13 f. eine Reihe an Beispielen von Aussagen gibt, die in der hebräischen Bibel gestrichen sind (SC 302, 542. 546). 24. Eusebius Caes.: Praep. ev. VIII, 2,1-5,10; 9,1-37, GCS 43/1, 421-427.444-451.

40

gtvh 08105 / p. 41 / 31.3.2022

Die Übernahme der Entstehungsgeschichte im ältesten Christentum bis Augustin

gen teilhaben konnten. Deshalb gab Gott es in das Herz des Ptolemäus ein, eine Übersetzung erstellen zu lassen. Begnügt sich Eusebius in Praeparatio evangelica damit, dem Aristeasbrief einen christlichen, heilsgeschichtlichen Rahmen zu geben, ohne die Entstehungsgeschichte mit weiteren Zügen zu versehen, bringt er in seiner wenige Jahre später verfassten Historia ecclesiastica die christlich verarbeitete Ausgabe in Gestalt eines Irenaeus-Zitates. 25

7. Marcellos von Ankyra Die Weitläufigkeit in der Entstehungsgeschichte der Septuaginta, zu der Irenaeus Anlauf nahm, entfaltet sich frei bei Marcellos von Ankyra (* um 280; † um 374), wenn die nun vorgeschlagene Zuschreibung der Cohortatio ad gentiles oder ad Graecos an ihn korrekt ist. 26 Gegebenenfalls ist es eine Jugendschrift aus der Zeit zwischen 311 und 324, wo die »Tatsachen« aus den Bedürfnissen des Verfassers entstehen, eine wasserdichte Legitimierung des göttlichen Ursprungs der Septuaginta vorzulegen. Nachdem er in Cohortatio 12 festgestellt hat, dass die hebräischen Schriften die ältesten sind, weil Griechisch erst später erfunden wurde, nennt er in Kap. 13 die griechische Übersetzung als ein Ergebnis davon, dass der König Ptolemäus, »von der Existenz altehrwürdiger in hebräischer Schrift verfasster Geschichtsbücher« benachrichtigt, ihren Inhalt kennenzulernen wünschte. Marcellos erweitert hier die auch von Irenaeus erwähnten Maßnahmen, indem er – hier wohl auch von Philo inspiriert – erzählt, dass der König, damit die Übersetzer von jeder Störung verschont wurden und so auch schneller arbeiten konnten, anordnete, dass jedem eine kleine Hütte gebaut werden sollte dort, wo sich auch der Leuchtturm befindet, alles aber in der Absicht, dass jeder für sich allein die Übersetzung anfertigen sollte. Diener wurden bestellt, um ihnen jede Form der Aufwartung zu leisten, sie aber auch »an gegenseitigem Umgang zu hindern, damit die Sorgfältigkeit der Übersetzung auch an der Übereinstimmung der einzelnen Übersetzungsarbeiten erkannt würde.« 27 Als er also gewahr wurde, dass die siebzig Weisen nicht nur denselben Inhalt erarbeitet, sondern auch denselben Wortlaut gebraucht hatten, ja dass sie nicht einmal in einem einzigen Wortlaut, was die Übereinstimmung untereinander betrifft, voneinander abwichen, sondern dasselbe hinsichtlich desselben geschrieben hatten, war er ganz bestürzt und glaubte daran, dass die Übersetzungsarbeit mit göttlicher Vollmacht (θεὶᾳ δυνάμει) vonstatten gegangen war. … Die Bücher aber, deren göttlichen Ursprung (ἐκθειάσας) er erklärte – wie es billig war –, ließ er in seiner Bibliothek aufbewahren. 28

25. Eusebius Caes.: H.e. V, 8, 11-15, GCS 9/1, 448-450, mit Aufnahme von Irenaeus: Haer. III, 21,2. 26. Noch nicht bezweifelt in Altaner / Stuiber: Patrologie (auch die Neubearbeitung von Altaner / Stuiber: Döpp / Gerlings: Lexikon der Antiken Christlichen Literatur, enthält noch keinen Hinweis) und Seibt: Marcel von Ancyra, TRE 22, 83-89. Siehe aber Christian Riedweg: Ps.-Justin (Markell von Ankyra?), Ad Graecos de vera religione. 27. Marcellus Anc.: Coh. 13,2, Riedweg II, 548. 28. Text: Marcellus Anc.: Coh. 13,3, Riedweg II, 548.

41

gtvh 08105 / p. 42 / 31.3.2022

Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen

Die letzte Auskunft gilt wohl den hebräischen Originalen, die auch von Tertullian genannt wurden. Marcellos weist auch als mögliche weitere Literatur unter anderem auf Philo und Josephus hin, die »weisen und anerkannten Männern, die das diesbezügliche aufgeschrieben haben«. 29 Er geht zuletzt auch auf die Frage ein, ob diese Bücher dennoch nicht jüdische Positionen vermitteln, was er mit einem klaren Nein beantwortet. Wenn sie sich auch bei den Juden befinden, sind sie »ein Werk der göttlichen Vorsehung (θείας προνοίας) unseretwegen«. 30 Denn das schließt jeden Betrug auf Seiten der Christen aus: Jeder kann ja in die Synagoge gehen und sich vergewissern, dass der Inhalt dieser Schriften tatsächlich auf Christus zielt.

8. Cyrill von Jerusalem Cyrill von Jerusalem († 386) kommt in der vierten seiner insgesamt 24 Katechesen bei der Behandlung der inspirierten Schriften des Alten und Neuen Testaments auch auf die Septuaginta zu sprechen. So warnt er vor der Lektüre apokrypher Schriften und empfiehlt, dass man nur die von den 72 übersetzten 22 Bücher des Alten Testaments liest (33) – Cyrill setzt also hier den Umfang des »hebräischen Kanons« und nicht die Septuaginta einschließlich der Apokryphen als das Alte Testament voraus. 31 In Kap. 34 geht er dann auf die Initiative des König Ptolemaios ein und erwähnt dabei, dass er es für würdiger hielt, die Schriften nicht mit Zwang und gegen den Willen der Juden in Besitz zu nehmen, sondern ihnen freundlich zu begegnen und großzügige Gaben für den Tempel an den Hohenpriester Eleazar zu schicken. »Er wusste nämlich, dass Zwang, der nur widerwillig gibt, häufig Betrug zur Folge hat. Was hingegen freiwillig gegeben wird, wird in aller Aufrichtigkeit geschenkt.« 32 Cyrill berichtet weiter in einer Weise, die die Erzählung von Aristeas, eventuell in der Wiedergabe von Josephus, reflektiert; so kennt er zum Beispiel den Namen des Hohenpriesters und weiß, dass die 72 Übersetzer sechs von jedem der zwölf Stämme Israels umfassten, und nennt endlich auch als erster uns bekannter christlicher Schriftsteller, dass die Übersetzer ihr Werk innerhalb von 72 Tage vollendeten. Darüber hinaus berichtet er, dass der König zu wissen wünschte, »ob die Bücher göttlichen Ursprungs waren oder nicht« – wessen 29. Marcellus Anc.: Coh. 10,1, Riedweg II, 544 f. 30. Marcellus Anc.: Coh. 13,5, Riedweg II, 549. 31. Cyrillus Hieros.: Catech. 4,33, Reischl, 124. Die ältesten Zeugnisse über den Umfang des Alten Testaments wissen davon, dass es bei den Juden nicht die Apokryphen umfasst, so Meliton von Sardes († vor 190) in seinem Brief an Onesimos um 170 (überliefert in Eusebius Caes., H.e. IV, 26, 13 f., GCS 9/1, 386-388), sowie Origenes in einer Aussage, die in demselben Werk, VI, 25,1 f., GCS 9/2, 572-574 zitiert ist. Doch meint Origenes nicht, dass das für die Kirche verpflichtend ist. Anders verhält es sich mit Athanasius (* 295; † 373), der in seinem für die Kanongeschichte bedeutungsvollen 39. Osterbrief aus dem Jahr 367, 3 f., behauptete, dass die Kirche den hebräischen Kanon respektieren und die sogenannten Apokryphen gesondert halten sollte. So auch Gregor von Nazianz (* 329/30; † um 390), Amphilochius von Ikonium († um 394), Cyrill von Jerusalem sowie – wie wir unten sehen werden – Hieronymus, der sich in dieser Frage dennoch nicht durchgesetzt hat. Zur Frage der Stellung der Apokryphen, siehe auch Müller: Die Septuaginta als Teil des christlichen Kanons, 709-712. 32. Text und Übersetzung in Kranz: Übersetzung, 94-97.

42

gtvh 08105 / p. 43 / 31.3.2022

Die Übernahme der Entstehungsgeschichte im ältesten Christentum bis Augustin

er sich natürlich nur kraft einer Übersetzung vergewissern konnte. Dennoch geht Cyrill deutlich über die jüdischen Entstehungsgeschichten hinaus, wenn er wie seine christlichen Vorgänger zufügt, dass der König »die Vermutung hegte, die übersandten Männer würden miteinander geheime Sache machen«, und sie deshalb gesondert, jeder in seine Hütte beherbergte und verordnete, dass jeder alle Schriften übersetzen sollte. Eine Kontrolle jedoch fand sie nicht nur im Inhalt, sondern auch im Wortlaut übereinstimmend. Was hier zustande gekommen war, war nicht die Frucht von Worterfindungen nach Menschenart listig verworrener Gedankengänge: es war vielmehr vom Heiligen Geist, dass die Übersetzung der vom Heiligen Geist diktierten göttlichen Schriften durchgeführt worden ist. 33

Diese vollkommene Übereinstimmung beweist nicht nur die Inspiration der Übersetzung, sondern offenbar zudem den göttlichen Ursprung der Originale.

9. Hilarius von Poitiers Hilarius von Poitiers († 367) eröffnet in seinem wohl um 365 verfassten Tractatus super Psalmos in subtiler Weise die Möglichkeit, dass die griechische Übersetzung dennoch nicht ganz mit dem hebräischen Original übereinstimmt, sondern tiefere Einsicht in die Wahrheit vermittelt. In Prologus 8 f. geht er auf die Anordnung der Psalmen ein und stellt fest, dass Esra, wenn er sie in einem unordentlichen Zustand fand, sie nur sammelte, ohne sie nach Autor oder Entstehungszeit einzuordnen. Die siebzig Ältesten dagegen, »die nach der Überlieferung des Mose zur Hütung der Gesetzeslehre in der jüdischen Gemeinde verbleiben sollten«, und die von Ptolemaios mit der Übersetzung ins Griechisch beauftragt wurden, hatten »durch geistliches und himmlisches Wissen Kenntnis von der Wirkkraft der Psalmen gewonnen« und konnten sie deshalb in die richtige Reihenfolge bringen. 34 Auch jede Zahl ist ja von Bedeutung. In seiner Auslegung von Psalm 2,2-3 kommt Hilarius wieder auf die Bedeutung der Institution der siebzig Ältesten in jeder jüdischen Gemeinde zurück, die auch den Titel Gelehrte tragen, und sagt, dass Mose ihnen »gesondert insgeheim einige etwas tiefere Geheimnisse des Gesetzes« anvertraute. An dessen Lehre erinnert auch der Herr in den Evangelien, wenn er spricht [Mt 23,3]: »Alles, was sie euch sagen, tut und beachtet, handelt aber nicht nach ihrem Beispiel.« Ganz wie die Zahl der Ältesten wurde in der Folgezeit dieses Geheimwissen bewahrt. Aus diesem Grund haben die Ältesten bei der Übersetzung dieser Bücher, weil sie ja dank der Überlieferung des Mose eine geistliche Kenntnis vom verborgenen Wissen gewonnen hatten, die mehrdeutigen Ausdrücke der hebräischen Sprache und einiges mehr, das sie aus eigenen Antrieb hinzufügten, nach dem jeweiligen Inhalt mit eindeutigen und angebrachten Wortsinn übersetzt und mit Sachverstand Ordnung in die Bedeutungsvielfalt der Ausdrücke gebracht. 35

33. Cyrillus Hieros.: Catech. 4,34, Reischl, 128. 34. Hilarius: Tract. Psalm., prol. 8 f., CSEL 22, 9 f. 35. Hilarius: Tract. Psalm., 2,2, CSEL 22, 38 f.

43

gtvh 08105 / p. 44 / 31.3.2022

Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen

Die nachfolgenden jüdischen Übersetzer, die nicht diese Überlieferung kannten, haben große Verwirrung geschaffen, weil sie nach eigenem Gutdünken übersetzten. Daher gibt es laut Hilarius zwei Argumente für die Autorität der Septuaginta, nämlich erstens dass diese Übersetzung lange vor der leiblichen Ankunft des Herrn entstanden ist und daher nicht der Textverfälschung bezichtigt werden kann, zweitens dass »jene Volksführer und Gelehrte aus der Synagoge, außer aufgrund der Kenntnis vom Gesetz, auch aufgrund der von Mose weitergegebenen geheimen Lehre bei der Übersetzung keine verwerflichen Urteile fällten; waren sie doch äußerst sichere und ins Gewicht fallende Gewährsmänner in doktrinellen Fragen.« Diese Konstruktion einer mosaischen Geheimüberlieferung als Ursache faktischer Unterschiede zwischen dem hebräischen und dem griechischen Bibeltext erklärt und beurteilt sie so als etwas Positives zugunsten der Septuaginta.

10. Johannes Chrysostomus Johannes Chrysostomos (* zwischen 344 und 354; † 407) weist in seiner 4. Genesishomilie 36 auf die Entstehung der griechischen Übersetzung der heiligen Schriften hin als Vorsehung Gottes, denn »dieses Werk kam zustande, damit nicht nur die der hebräischen Sprache Kundigen, sondern auch alle Bewohner des Erdkreises aus ihm Nutzen fassen konnten«. Das ist umso verwunderlicher, weil der König Ptolemäus nicht die jüdische Religion befolgte, sondern Götzen anbetete.

11. Epiphanius von Salamis Ein Höhepunkt der Weitläufigkeit in der »Umschreibung« der Entstehungsgeschichte wird erreicht mit Epiphanius von Salamis (* um 315; † 403) und seiner »biblischen Realenzyklopädie« De mensuris et ponderibus aus dem Jahr 392. In Kap. 3-11 bietet der damalige Bischof von Salamis eine sehr erweiterte, detailreiche Ausgabe der christlichen Version der Geschichte von der Entstehung der Septuaginta. 37 Er fängt (3) mit der Feststellung an, dass die Übersetzung der 72 Wörter enthält, die nicht in die Übersetzungen von Aquila und Symmachus verzeichnet sind. Die 72 Übersetzer haben diese Wörter von sich aus hinzugefügt, nicht ohne guten Grund, vielmehr zum Vorteil. Sie haben die Zusätze dort angebracht, wo der Satzbau mangelhaft war, und erleichtern auf diese Weise das Lesen, dass wir annehmen können, dass sie keineswegs von der Wirkung des Heiligen Geistes ausgeschlossen waren. Die Ausdrücke, für die kein Bedarf bestand, haben sie ausgelassen; wo hingegen ein Satz, nach der Übersetzung ins Griechische, unvollkommen war, dort haben sie einen Zusatz vorgenommen.

Nach dieser Öffnung für – prinzipiell mehr stilistische – Unterschiede im Verhältnis zum hebräischen Original, kommt seine Nacherzählung der Geschichte, für die er 36. Johannes Chrysostomus: Hom. Gen. 4,4, PG 53, 42 f. 37. Einen Versuch, die augenscheinlich schlechte Disposition des Stoffes zu erklären, bieten Wasserstein / Wasserstein: The Legend of the Septuagint, 116.

44

gtvh 08105 / p. 45 / 31.3.2022

Die Übernahme der Entstehungsgeschichte im ältesten Christentum bis Augustin

später (9) ausdrücklich auf Aristeas und sein Werk hinweist. Diese Schrift ist doch offenbar nicht sein alleiniger Ausgangspunkt. So berichtet er von einer Aufteilung der 72 in 36 Paare, die in 36 Häuschen untergebracht werden. 38 Hier arbeiteten sie vom frühen Morgen bis zum Abend, bis sie in 36 kleinen Fährbooten zur Tafel mit König Ptolemaios kamen, die sie auch später zurückbrachten zu ihren 36 Schlafgemächern, »damit sie sich nicht untereinander austauschen konnten, sondern ohne Hinterlist die Übersetzung durchführten«. Ihnen standen auch Tachygraphen (Schnellschreiber) zu Diensten. Um jeden Austausch zu verhindern, waren die Häuschen ohne Fenster gebaut, so dass das Licht nur durch ein Loch im Dach kam. Einem jeden Paar wurde ein Buch nach dem anderen zugeteilt, so dass alle 36 Paare alle Schriften übersetzten. So wurden also die 27 »kanonischen« (ἐνδιάθετοι) Bücher – 22, wenn man nach der Anzahl der Buchstaben des hebräischen Alphabets zählt – übersetzt, und dasselbe gilt überraschender Weise auch für 72 Apokrypha (vgl. 10). Das Resultat wird in Kap. 6 beschrieben: Als alles vollbracht war, setzte sich der König auf seinen hohen Thron, ebenso nahmen 36 Lektoren ein wenig unterhalb Platz; diese hatten 36 Abschriften eines jeden Buches zur Hand, einer hatte auch eine Abschrift des Buches auf Hebräisch. Während nun ein Lektor den Text vorlas, warteten die anderen ab und es fand sich keinerlei Unstimmigkeit (in den Texten). Es erwies sich vielmehr als ein bewundernswertes Werk Gottes, damit man erkenne, dass jene Männer eine Gabe des Heiligen Geistes innehatten, weil sie in ihrem Übersetzungswerk Übereinstimmung erzielt hatten: Wo sie nämlich ein Wort hinzufügten, handelten alle gemeinsam in dieser Weise, wo sie hingegen etwas wegnahmen, verfuhren sie alle ebenso. Der Worte, die sie wegnahmen, bestand kein Bedarf; der Worte hingegen, die sie hinzufügten, bestand wohl Bedarf.

Später erzählt Epiphanius mit einigen Variationen nochmals die Geschichte, zählt sogar die Namen der Übersetzer auf. Hier wird von göttlichen Büchern (βίβλοι θεϊκαί) von Propheten gesprochen, »die von Gott, der Entstehung der Welt und aller möglichen gemeinnützigen Lehre handeln«. Auf des Königs Wunsch, sie zu erwerben, reagieren die Juden so, dass sie unverzüglich die Bücher mit goldenen hebräischen Schriftzeichen kopieren ließen, und zusammen mit den 22 Büchern des Alten Testaments 72 Apokrypha übersandten. 39 Da der König kein Hebräisch beherrschte, mussten nachher auch Übersetzer geschickt werden. Denn, »wenn ein Schatz verborgen liegt und eine Quelle versiegelt ist – welchen Nutzen hat man davon?« [eine Kombination von Sir 20,30 und Hld 4,12 LXX].

38. Die paarweise Aufteilung der 72 scheint die paarweise Sendung der 72 in Lk 10,1 zu spiegeln. 39. Die überraschende Auskunft, dass die Juden dem König auch 72 Apokryphen übersandten, reflektiert offensichtlich 4Esra 14,45 f., wo neben den 24 Büchern, die Esra veröffentlichen darf, auch 70 genannt werden, die er verwahren soll, »um sie den Weisen aus deinem Volk zu übergeben« (Übersetzung von Josef Schreiner in JSHRZ V 4). Auch hier hat Epiphanius dann die Anzahl korrigiert, so dass sie zu den 72 Übersetzern passt. Obwohl eine Anzahl von Apokryphen tatsächlich in den großen Septuaginta-Handschriften auftreten, und obwohl Epiphanius klar zwischen den 22 Büchern des Alten Testaments und den Apokryphen unterscheidet, berichtet er dennoch im Folgenden auch von der Übersetzung dieser 72 »nichtkanonischen« Bücher.

45

gtvh 08105 / p. 46 / 31.3.2022

Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen

Obwohl Epiphanius also die Unterschiede zwischen der hebräischen und der griechischen Bibel vor allem als stilistische Verbesserungen zugunsten der Leser erscheinen lässt, ermöglicht seine Nacherzählung dennoch den Gedanken, dass die griechische Fassung nicht mit der hebräischen identisch, sondern sogar besser als diese ist. So sind in der christlichen Nacherzählung der Entstehungsgeschichte der Septuaginta zwei Tendenzen zu erkennen. Die eine besteht in der Behauptung, dass die griechische Übersetzung das hebräische Original bzw. dessen wahren Sinn treu wiedergibt, wenn sie nicht sogar die ursprüngliche Fassung dieses Textes widerspiegelt. Die andere geht von einer Verbesserung oder Vertiefung des hebräischen Textes aus, so oder so von Gottes Geist inspiriert und mit heilsgeschichtlicher Adresse an die Heidenwelt.

12. Augustinus Am vorläufigen Ende dieser Entwicklung stehen die zwei theologiegeschichtlich bedeutungsvollsten Gestalten der Jahrzehnte um 400 mit je ihrer Ansicht, nämlich Augustinus und Hieronymus. 40 Obwohl er kein Griechisch beherrschte, war Augustinus (* 354; † 430) fest davon überzeugt, dass die Septuaginta die wahre Gestalt des Alten Testaments der Kirche repräsentierte. Seine Ansicht kommt zum Ausdruck teils in einem Briefwechsel mit Hieronymus, teils in seinen Schriften De doctrina Christiana aus 396 und im 18. Buch des Hauptwerkes De civitate Dei aus dem Jahr 424 oder 425. Hier kann nur eine Zusammenfassung gegeben werden. Augustinus führt unter anderem seinen Briefwechsel mit Hieronymus, weil er erfahren hat, dass dieser nicht mehr bereit ist, die Septuaginta zu übersetzen, sondern den hebräischen Text des Alten Testaments übersetzen will. Die Septuaginta habe ja aufgrund einer divina dispensatio (De doctrina II, 15) 41 die heiligen Schriften auch den Heiden zugänglich gemacht, die durch den Herrn zum Glauben kommen sollten. Deshalb muss – so argumentiert Augustinus in De civitate Dei XVIII, 43 – jeder treue Übersetzer des Alten Testaments z. B. ins Lateinische in Übereinstimmung mit der Septuaginta sein, denn in dieser ist die rechte prophetische Tiefe zu finden (altitudo ibi prophetica esse credenda est). Augustinus schreibt: 42 Der nämliche Geist, der in den Propheten war, als sie sprachen, war auch bei den Siebzig Männern, als sie es übersetzten. Und dieser Geist konnte wahrlich mit göttlicher Autorität (profecto auctoritate divina) auch etwas anders sagen, so wie auch der Prophet beides hätte sagen können, weil beides derselbe Geist sagen konnte; sowohl ein und dasselbe anders, wobei ohne die gleichen Worte doch der gleiche Sinn für den richtig Verstehenden klar wurde, als auch, indem hier etwas ausgelassen, dort etwas hinzugefügt wurde, damit auch dadurch gezeigt würde, dass in jener Arbeit nicht menschliche Unterwürfig-

40. Für eine ausführlichere Darstellung der Kontroverse zwischen Augustinus und Hieronymus, siehe Müller: The First Bible of the Church, 83-94. Vgl. auch die monographische Behandlung in Hennings: Briefwechsel. 41. Augustinus: Doctr. II, 15/22, CC.SL 32, 48. 42. Augustinus: Civ. XVIII, 43, CSEL 40/2, 337. Deutsche Übersetzung zitiert nach Aurelius Augustinus, Der Gottesstaat, Zweiter Band.

46

gtvh 08105 / p. 47 / 31.3.2022

Die Übernahme der Entstehungsgeschichte im ältesten Christentum bis Augustin

keit war, die den Übersetzer zum Knecht der Wörter macht, sondern vielmehr göttliche Macht den Geist des Übersetzers erfüllte und leitete.

Gewiss haben einige gemeint, dass die griechischen Bibelhandschriften nach den hebräischen korrigiert werden sollten, und während niemand es gewagt hat, das, was in dem hebräischen Text fehlt, zu entfernen, hat man jedoch das eingeführt, was der hebräische Text mehr als der griechische hatte, und das, was dem hebräischen Text fehlt im Verhältnis zu dem griechischen, zu erkennen gegeben. Unmöglich ist es jedoch gewesen, alle die Stellen zu markieren, wo nichts zugefügt oder entfernt ist, sondern wo eine andere Ausdrucksweise vorliegt. Augustinus schlussfolgert: Wir haben daher in all den Schriften nichts anderes zu berücksichtigen, als was Gottes Geist durch Menschen gesprochen hat. Was nun etwa in den hebräischen Texten steht und nicht auch bei den Siebzig, das wollte eben Gottes Geist nicht durch sie, sondern durch jene Propheten sagen. Was sich hingegen in der Septuaginta findet und bei den Hebräern nicht, das wollte derselbe Geist lieber durch sie als durch jene sagen, um damit zu zeigen, dass eben beide Propheten waren. In dieser Weise hat er ja auch das eine durch Isaias, das andere durch Jeremias und wieder andres durch einen anderen Propheten oder auf andre Art dasselbe durch den oder jenen gesagt, wie er wollte. Was schließlich bei beiden gemeinsam gefunden wird, wollte ein und derselbe Geist durch beide sagen, aber so, dass die einen mit ihren Prophezeiungen früher hervortraten, die anderen mit prophetischer Übersetzung (prophetice illos interpretando) ihnen folgten, weil in den einen, die das Wahre und Übereinstimmende sagten, derselbe Geist des Friedens wohnte, wie er sich auch in den anderen, die sich nicht miteinander besprochen hatten und doch wie aus einem Munde das Ganze übersetzt haben, als der eine Geist kundgab.

13. Hieronymus Wo Augustinus die Septuaginta als einen selbständigen Offenbarungszeugen wertet und zwar als die Ausgabe des Alten Testaments, die Gott in seiner Vorsehung für die christliche Kirche bestimmt hat, kehrt sein Gegner in dieser Frage, Hieronymus (* um 347; † 419/20), im Laufe seiner Bestrebungen einen neuen lateinischen Bibeltext zustande zu bringen, um 390 zum hebräischen »Grundtext« zurück. 43 In seinem Vorwort zu Quaestiones hebraicae in Genesim spricht er von der Hebraica veritas und begründet seine Neigung zum hebräischen Text auch damit, dass die Siebzig in ihrer Übersetzung aus Rücksicht auf König Ptolemäus die Geheimnisse (mystica) der Schrift unterdrückten, insbesondere ihre Prophezeiung der Ankunft Christi, damit der König nicht den Eindruck bekommen sollte, dass die Juden, die er gerade wegen ihres Monotheismus bewunderte, tatsächlich noch einen Gott verehrten. Dazu kommt, dass laut Hieronymus die Evangelien, der Herr selbst und auch der Apostel Paulus vieles anführten, als ob es aus dem Alten Testament stamme, was sich aber in den Exemplaren der Kirche nicht finden lasse (multa quasi de ueteri testamento proferunt, quae in nos43. Eine Analyse von Hieronymus’ Weg von der Graeca veritas zur Hebraica veritas gibt Markschies: Hieronymus und die »Hebraica veritas«. Siehe aber auch Schulz-Flügel: The Latin Old Testament Tradition, 657-662; und: Hieronymus – Gottes Wort: Septuaginta oder hebraica Veritas, passim.

47

gtvh 08105 / p. 48 / 31.3.2022

Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen

tris codicibus non habentur). 44 Anders ausgedrückt, für Hieronymus ist der hebräische Text der vollständige. Außerdem konnte er auf die Unordnung der Textüberlieferung der Septuaginta hinweisen, wogegen er offenbar den hebräischen Text als sicher überliefert ansah. Er meinte zudem in Übereinstimmung mit Origenes zu sein, der durch den Vergleich der verschiedenen griechischen Übersetzungen ihr Verhältnis zum hebräischen Original zu bestimmen versuchte. Deshalb sei es auch näherliegend, direkt zum hebräischen Text zurück zu gehen als Rücksicht zu nehmen auf die neueren Übersetzungen von einem Juden wie Aquila und judenchristlichen Ketzern wie Symmachus und Theodotion (sic!), die viele von den Geheimnissen des Heilands durch trügerische Übersetzungen verbergen (qui multa mysteria Salvatoris subdola interpretatione celarunt). Die Annahme der Hebraica veritas bedeutete für Hieronymus nun auch eine Annahme des hebräischen Kanons, das heißt, den Ausschluss der Apokryphen. Deshalb besteht das Alte Testament laut Hieronymus aus 22 – oder mit einer alternativen Zählung 24 – Büchern, ganz wie es 24 Älteste um den Thron des Lammes in Apk 4,4-10 gibt. Unter Druck hat er dennoch auch einige der Apokryphen, von denen er die Existenz eines chaldäischen Textes behauptet, übersetzt. Und letztendlich ist es ihm nicht gelungen, die Apokryphen außerhalb des Kanons der Kirche zu halten. Im Prinzip bedeutet das Festhalten an der Hebraica veritas, dass der hebräische Text zum »Grundtext« für die Kirchen im lateinischen Sprachgebiet wurde, was einen Abschied von der Septuaginta in denselben Kirchen zur Folge hatte. Deshalb weist er auch die mit wunderhaften Zügen ausgestattete Entstehungsgeschichte der Septuaginta ab. So schreibt Hieronymus in Prologus in Pentateucho, dass er nicht weiß, wer als der erste mit seiner Lüge die siebzig Hütten in Alexandria errichtet hat, worin sie jeder für sich dasselbe geschrieben haben, wenn Aristeas, ein Protegé (υπερασπιστης) derselben Ptolemäus, und lange danach Josephus nicht solches erzählen, sondern, dass sie in einer Basilika (sic!) versammelt geschrieben, nicht prophezeit haben. Denn eines ist, Prophet zu sein, etwas anderes Übersetzer (Aliud est enim vatem, aliud esse interpretem); der eine sagt unter Beistand des Geistes voraus, der andere übersetzt, was er mit Gelehrtheit und Fleiß bei den Worten erfasst hat. 45

Hieronymus verneint also, dass die Septuaginta unter göttlicher Inspiration übersetzt ist, und auch die christliche Rezeption der Entstehungsgeschichte dieser Übersetzung zählt für ihn in diesem Zusammenhang nicht. Er kann zudem darauf aufmerksam machen, dass die Entstehungsgeschichte ursprünglich nur von der Übersetzung des Pentateuchs berichtete. 46 Es liegt nahe zu denken, dass der Umstand, dass Hieronymus in eine dritte Sprache übersetzen sollte, dazu beigetragen hat, dass er sich dem hebräischen Text zuwandte und sich nicht damit genügte, eine Übersetzung zu übersetzen. 44. Dieselben Gründe werden auch in Hieronymus: Prologus in Pentateucho (hier nach Biblia Sacra iuxta Vulgata versionem, Stuttgart 1969, 3) genannt; als Beispiele werden Mt 2,15.23; Joh 19,37; 7,38; 1 Kor 2,9 angegeben. Die zwei letztgenannten stimmen dennoch auch nicht ganz mit dem hebräischen Text zu Sach 12,10 und Jes 64,4 überein. 45. Hieronymus: Prologus in Pentateucho (hier nach Biblia Sacra iuxta Vulgata versionem, Stuttgart 1969, 3). 46. Siehe Hieronymus: Qu. Hebr. Gen, prol., CC.SL 72, 2, aber auch seinen Ezekiel-Kommentar (II, 5,12, CC.SL 75, 60).

48

gtvh 08105 / p. 49 / 31.3.2022

Die Übernahme der Entstehungsgeschichte im ältesten Christentum bis Augustin

Als erster bekannter christlicher Schriftsteller schiebt er dann ohne weiteres die ganze wundersame Entstehungsgeschichte der Septuaginta zur Seite als das, was sie historisch betrachtet ist: Ein Versuch, durch fiktive Erzählung die göttliche Autorität der griechischen Übersetzung des Alten Testaments zu bekräftigen. Wenn nicht mehr nötig, wird dieser Versuch einer Legitimierung aufgegeben. Das Bewusstsein, dass die Entstehungsgeschichte das fromme Produkt kirchlich-theologischer Bedürfnisse ist, lag offenbar nicht fern, und die kreativen Nacherzählungen wurden nicht notwendig als eigentliche Geschichte aufgefasst. Für die allmählich lateinsprachige Kirche im Westen verlor die Septuaginta in den folgenden Jahrhunderten ihre Bedeutung. Sie überlebte aber insoweit, als die lateinische Bibel ihre Anordnung der Bücher und die Inklusion (eines Teiles) der Apokryphen bewahrte – in dieser letzten Frage konnte Hieronymus sich also nicht durchsetzen. Seine Übersetzungen und Revisionen, die im Mittelalter den Namen Vulgata erhielten, sind dennoch nicht immer in ihrem Wortlaut ganz in Übereinstimmung mit der Hebraica veritas. Nicht zuletzt die Rezeption der Septuaginta in alttestamentlichen Zitaten im Neuen Testament hat dazu geführt, dass die lateinische Übersetzung an einer Reihe von Stellen stillschweigend den Wortlaut der Septuaginta reproduziert, zum Beispiel Jes 7,14 und 40,3; dies ist, trotz ihrer Forderung, den hebräischen Bibeltext wiederzugeben, auch bei den reformatorischen Übersetzungen der Fall.

49

gtvh 08105 / p. 50 / 31.3.2022

gtvh 08105 / p. 51 / 31.3.2022

2. Termini, Themen und Texte der Septuaginta

gtvh 08105 / p. 52 / 31.3.2022

2.1 Termini und Themen der Septuaginta 2.1.1 Gottesbezeichnungen Martin Meiser Literatur Philo: Opera quae supersunt, ed. Leopold Cohn / Paul Wendland, 7 Bände, Berlin 1896-1930 – Josephus: Opera, ed. Benedikt Niese, 7 Bände, Berlin 1955 (*1887-1895) Anastasius Sinaita: Viae Dux, ed. Karl-Heinz Uthemann, CC.SG 8, Turnhout 1981 – Andreas Caes.: Commentarius in Apocalypsin, PG 106, 207 A-486 A – Ps.-Athanasius: Disputatio contra Arium in Concilio Nicaeno 37, PG 28, 439 A-602 A – Basilius Caes.: Lettres, ed. Yves Courtonne, Tome 2, Paris 1961 – Clemens Alex.: Stromata I-VI, ed. Otto Stählin /Ludwig Früchtel, 4. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 52, Berlin 1985 – Cyrillus Alex: Commentarius in Prophetas Minoras, PG 71; PG 72, 9 A-364 D – Cyrillus Alex.: Glaphyra, PG 69, 9 A-678 C – Cyrillus Alex.: Eplanatio in Isaiam, PG 70, 9 A-1450 C – Cyrillus Hieros.: Opera quae supersunt omnia Bd. 1, ed. Wilhelm Reischl, München 1848 = Hildesheim 1967; Bd. 2, ed. Joseph Rupp, München 1860 = Hildesheim 1967 – Didascalia et Constitutiones Apostolorum, ed. Franz Xaver von Funk, Paderborn 1905 = Turin 1961 – Didymus Alex.: Sur la Genèse, ed. Pierre Nautin, Bd. 1, SC 233, Paris 1976, Bd. 2, SC 244, Paris 1978 – Eusebius Caes.: Der Jesajakommmentar, ed. Joseph Ziegler, GCS 57, Berlin 1975 – Eusebius Caes.: Praeparatio evangelica, ed. Karl Mras, GCS 43/1, Berlin 1954, 2. Aufl. ed. Édouard des Places, Berlin 1982 – Gregorius Magnus: Moralia in Job, ed. Marc Adriaen, CC.SL 143/143 A, Turnhout 1979 – Gregorius Naz.: Discours 4-5 contre Julien, ed. Jean Bernardi, SC 309, Paris 1983; Discours 6-12, ed. Marie-Ange Calvet-Sebasti, SC 405, Paris 1995; Discours 27-31, ed. Paul Gallay, SC 250, Paris 1978 – Gregorius Nyss.: Contra Eunomium 1-2, ed. Werner Jaeger, GNO 1, Leiden 1960 – Hieronymus: Commentarii in Prophetas minores, ed. Marc Adriaen, CCL 76 / 76 A, Turnhout 1969 – Irenaeus: Adversus Haereses. Gegen die Häresien, ed. et trad. Norbert Brox, Bd. 4, FC 8/4, Freiburg u. a. 1997 – Johannes Chrysostomus: Homiliae in Genesim, PG 53, 21 – 54, 580 – Johannes Chrysostomus: Homiliae in Epistulam ad Romanos, PG 60, 291-682 – Johannes Damasc, Expositio Fidei, ed. Bonifatius Kotter, PTS 12, Berlin / New York 1973 – Johannes Damasc.: Expositio in epistulam ad Romanos, PG 95, 441 A-570 B – Julian Aecl.: Tractatus prophetarum Osee Iohel etAmos, ed. Lucas De Coninck, CC.SL 88, Turnhout 1977 – Justin: Dialogue avec Tryphon, ed. Philippe Bobichon, Par. 47/1-2, Fribourg 2003 – Olympiodor Alex.: Kommentar zur Hiob, ed. Ursula Hagedorn / Dieter Hagedorn, PTS 24, Berlin / New York 1984 – Origenes: Contra Celsum, ed. Marcel Borret, Tome 2, SC 136, Paris 1968, Tome 3, SC 147, Paris 1969 – Origenes: Die Schrift vom Martyrium, ed. Paul Koetschau, GCS 2, Leipzig 1899, 1-47 – Ps.-Basilius: Enarratio in Esaiam Prophetam, PG 30, 117 A-668 C – Ps.-Dionysius Areopagita: De divinis nominibus, ed. Beate Regina Suchla, PTS 33, Berlin / New York 1990; PG 3, 585 A-996 B – Theodoret: Quaestiones in Octateuchum, ed. John F. Petruccione, Vol 1, OECT 1, Oxford 2007 – Theodoret: Interpretatio epistolae ad Romanos, PG 82, 44 C-226 C – Theophilos Ant.: Ad Autolycon, ed. Miroslav Marcovich, PTS 44, Berlin / New York 1995 – Theodoret: In divini Jeremiae Prophetiam interpretatio, PG 81, 495 A-760 B.

52

gtvh 08105 / p. 53 / 31.3.2022

Gottesbezeichnungen

Weitere Literatur Albrecht, Felix: Dominus Deus, Pater Omnipotens. Die göttlichen Verheißungen von 2Kor 6,16-18, in: ders. / Reinhard Feldmeier (ed.), The Divine Father. Religious and Philosophical Concepts of Divine Parenthood in Antiquity, Themes in Biblical Narrative 18, Leiden / Boston 2014, 277-292 – Dogniez, Cécile: Le Dieu des armées dans le Dodecapropheton: quelques remarques sur une initiative de traduction, in: Bernard A. Taylor (ed.), IX Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, SCS 45, Atlanta 1997, 19-36 – Feldmeier, Reinhard: »Der Höchste«. Das Gottesprädikat Hypsistos in der paganen Religiosität, in der Septuaginta und im lukanischen Doppelwerk, in: Wolfgang Kraus / Siegfried Kreuzer (ed.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 544-558 – Schaller, Bernd: Paralipomena Jeremiou, JSHRZ I 8, Gütersloh 1998 – Schmitz, Barbara: »… using different names, as Zeus and Dis« (Arist 16). Concepts of »God« in the Letter of Aristeas, in: Siegfried Kreuzer u. a. (ed.), Die Septuaginta – Orte und Intentionen, WUNT 361, Tübingen 2016, 703-716 – Witte, Markus: Theologien im Buch Jesu Sirach, in: ders., Texte und Kontexte des Sirachbuchs. Gesammelte Studien zu Ben Sira und zur frühjüdischen Weisheit, FAT 98, Tübingen 2015, 59-82.

1. Bezeichnungen des wahren Gottes Dieser Artikel bietet zu den Bezeichnungen des Gottes Israels einige Passagen, in denen Bezeichnungen philologisch oder theologisch kommentiert werden. θεός: Zu diesem Begriff 1 gibt es in griechischer Philosophie die Ableitung von τίθημι, (»setzen, festsetzen« 2), θέω (»laufen«), was sich auf den Lauf der Gestirne bezieht 3, und von θεωρέω (»betrachten«). 4 Erstgenannte Ableitung wiederholt sich bei Philo von Alexandria. 5 Im Bereich der christlichen Antike wiederholen sich faktisch die Interpretationen dieser Bezeichnung. So finden sich Ableitungen von τίθημι und von θέω 6, von θεάομαι (»schauen, betrachten«) 7, von τίθημι 8, dann auch, neben alternativen Vorschlägen, von αἴθω (»brennen«), aufgrund von Dtn 4,24; Hebr 12,29. 9 Gelegentlich werden auch alternative Deutungen nebeneinander gestellt, so die Ableitung von τίθημι und θέω 10, von θέω und αἴθω 11, von θεωρέω, θέω und αἴθω 12, von θέω, αἴθω und θεάομαι 13. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.

Vgl. Lampe: A Patristic Greek Lexicon, 632 s. v. θεός A. in gen. 1 derivations. Herodot: Hist. II, 52. Platon: Kratylos, bei Eusebius Caes.: Praep. ev. I, 9,12, GCS 43/1, 37. Eusebius Caes.: Praep. ev. V, 3,2, GCS 43/1, 225, ohne Namensnennung. Philo: Abr. 121. Theophilos: Autol., I, 4,1, PTS 44, 19 (die hier genannten Ausführungen zu θέειν beziehen sich auf das göttliche Schöpfungs- wie Erhaltungshandeln); Clemens Alex.: Strom. IV, 23, GCS 52, 31. Irenaeus: Haer. IV, 38,3, FC 8/4, 338; Eusebius Caes.: Praep. ev. V, 3,2, GCS 43/1, 225; Gregorius Nyss.: Eun. II, 149, GNO 1, 268 f. Clemens: Strom. I, 29, GCS 52, 112. Gregorius Naz.: Or. 30,18, SC 250, 262-264. Theophilos: Autol. I, 4,1, PTS 44, 19. Gregorius Naz.: Or. 30,18, SC 250, 262-264. Anastasius Sinaita: Viae Dux II, 8, CC.SG 8, 71 Johannes Damasc.: Expos. fid. 9/I, 9, PTS 12, 31 f.

53

gtvh 08105 / p. 54 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

ἱκανός (»Genügend«): Die Bezeichnung ἱκανός 14 (bei Aquila, Symmachus und Theodotion geläufig, in der Septuaginta nur in hexaplarisch ergänzten Stellen, z. B. Hi 21,15; 31,2, oder in revidierten Fassungen, z. B. Ruth 1,20 f.) ist im Testament Hiobs nicht als Gottesbezeichnung verwendet, dafür in ParIer 6,3. Bei Philo begegnet ἱκανός zur näheren Charakterisierung Gottes in Mut.Nom. 27.46 (Gott war sich vor der Schöpfung selbst genug und blieb das auch nach der Schöpfung unverändert); Leg.All. I 44; Cher. 46 (ἱκανός γὰρ μόνος καὶ αὐταρκέστατος ἑαυτῷ [»Der Genügende«]). In Mut.Num. 27 kann um des willen die Anrede an Abraham »Ich bin dein Gott« (Gen 17,1) sogar als καταχρηστικῶς, οὐ κυρίως (»im uneigentlichen Gebrauch, nicht im eigentlichen Sinne«) erfolgt bezeichnet werden. Die Bezeichnung ist »sachlich in der philosophischen Religiosität der hellenistischen Welt mit ihrer Vorstellung von der Autarkie Gottes verankert.« 15 Sie wird in antiker christlicher Literatur recht selten kommentiert. Bei Olympiodor wird zu Hi 21,15 der Begriff mit ἰσχύω umschrieben 16; zu Hi 31,2 heißt es nur ὁ δύνατος καὶ ὕψιστος θεός 17. Ps.-Johannes Chrysostomus in seinem fragmentarisch überlieferten Hiobkommentar und Julian von Aeclanum bieten keine Ausführungen zur Sache. κύριος (»Herr«): Philo, Abr. 121, halt die Bezeichnung aufgrund der Herrschaftsstellung Gottes über seine Geschöpfe für legitim. Philo ordnet hier wie auch in Somn I, 163 die Eigenschaften der Gnade und der Güte der Bezeichnung θεός, die Eigenschaften der Herrschaft und Strafgewalt dem Titel κύριος zu. Er verfährt hierin umgekehrt wie der Midrasch. Der Übersetzer von de Abrahamo, Joseph Kohn, z.St., begründet das mit der mangelnden Hebräischkenntnis Philos. In christlicher Literatur wird κύριος ebenfalls naheliegenderweise mit κυριεύειν … τῶν ὅλων zusammengebracht. 18 παντοκράτωρ (»Allherrscher«): Der Begriff παντοκράτωρ findet sich konzentriert in einzelnen Büchern der Geschichtsschreibung (2 Makk/3 Makk) und der Weisheitsliteratur 19 und steht für die Herrschermacht Gottes »in seinem Wirken als Schöpfer 20, Richter und kriegerischer Schutzherr« 21, dem am Ende die nichtisraelitischen Völker huldigen werden. 22 In EpArist 185 steht er dafür, dass der Gott Israels die salus privata der nichtisraelitischen königlichen Familie garantiert, stellt somit die Anschlussfähigkeit jüdischer Theologie unter Beweis. 23 In der Gebetsanrede Bar 3,1.4 begegnen »Pantokrator« und »Gott Israels« zusammen: »Gott Israels« steht für das Verpflichtende, an dem Israel schuldig wurde; »Pantokrator« steht für die Geschichtsmacht, mit der Gott sein Volk ins Exil geführt hat, es aber auch wieder herausführen kann. In 2Kor 6,18 und Apk 1,8; 4,8 etc. ist der Begriff auch im Neuen Testament als Gottesbezeichnung greifbar. In antiker christlicher Literatur wird die Tatsache, dass

14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23.

Vgl. dazu Schaller: Paralipomena Jeremiou, 730 Anm. i. Schaller: Paralipomena Jeremiou, 730 Anm. i. Olympiodor: In Job, PTS 24, 185. Olympiodor: In Job, PTS 24, 258. Theophilos: Autol. I,4,2, PTS 44, 19. dogniez: Le Dieu des armées, 28 f. Sir 42,17; vgl. dazu Albrecht: Dominus Deus, 288. Witte: Theologien im Buch Jesu Sirach, 66 mit Anm. 36 (Belege). OrMan 1; EpArist 185; 3Bar 1,3; ParJer 1,5;9,6; TestAbr A 8,3; 15,12. Schmitz: »… using different names«, 713.

54

gtvh 08105 / p. 55 / 31.3.2022

Gottesbezeichnungen

die Bezeichnung in Hi 5,8.17; 8,5 für ‫»( שדי‬Allmächtiger«) steht, in Hos 12,5(6); Am 3,13; 4,13; etc. für ‫[( צבאות‬Herr der] »Heerscharen«), nicht kommentiert. Ausführungen beziehen sich auf die Deutung wie auf die Einordnung dieser Bezeichnung in ein System der Gottesbezeichnungen. Die Ableitung von κρατέω ist natürlich bewusst. 24 Julian von Aeclanum umschreibt die Bezeichnung einmal mit propugnator (»oberster Kämpfer«) 25; ein anderes Mal hält er fest: Die Engel dienen Gott auf seinen Wink und bekennen ihn als König. 26 Für Kyrill von Alexandria ist παντοκράτωρ mit der Wendung ὁ τῶν ὅλων θεός (»der Gott des Alls«) umschrieben. 27 Bei Theodoret fasst der Titel Pantokrator sowohl das Wirken Gottes als des Schöpfers aller Dinge in Worte als auch die Geistmitteilung an die Heiden; πάντων in der Auflösung πάντων θεός für παντοκράτωρ wird dabei zunächst als Neutrum, dann als Maskulinum verstanden. 28 Andreas von Caesarea verbindet das Moment des Herrschens mit dem der Ewigkeit: Gott (Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist) hat keinen Anfang und kein Ende. 29 Das Attribut πατήρ (»Vater«) wird mit dem Moment der Vorzeitigkeit erklärt. 30 Zur Einordnung in ein System von Gottesbezeichnungen finden sich Äußerungen bei Gregor von Nazianz und Ps.-Dionysios Areopagita. Nach Gregor von Nazianz gehören Namen wie βασιλεύς (»König«) und παντοκράτωρ zu den Namen, die sich nicht auf die οίκονομία (»Heilsveranstaltung«; dahin gehören etwa Redewendungen »Gott des Friedens«, »Gott der Gerechtigkeit«, »Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs«), sondern auf die ἐξουσία beziehen. 31 Ps.-Dionysios Areopagita bemerkt: Die Namen βασιλεύς, ποιήτης (»Schöpfer«) und παντοκράτωρ beziehen sich auf die Akte der πρόνοιαι τῶν προνοουμένων (»Akte der Vorsehung und ihrer Objekte«). 32 Σαβαώθ: Mehrfach wird das Nebeneinander der verschiedenen Übersetzungen von ‫( צבאות‬Zebaoth), nämlich die Transkription Σαβαώθ und die Wiedergabe als παντοκράτωρ (»Allherrscher«) und κύριος (ὁ θεός) τῶν δυνάμεων (»Gott/Herr der Mächte«), benannt, aber nicht kommentiert. 33 ὕψιστος (»der Höchste«): Das Gottesprädikat veranlasst Philo von Alexandria zu der Verwahrung dagegen, dass es noch einen anderen Nicht-Höchsten geben könne, denn, so der Alexandriner, Gott ist einzig und es gibt keinen außer ihn. 34 Andere Autoren sowohl im griechischen als auch im aramäischen Traditionsbereich sind weniger zurückhaltend. 35 Die »Verwendung des Namensäquivalents ὕψιστος als Genitivattri24. Theophilos: Autol. I, 4,2 PTS 44,19; Ps.-Athanasius: Disputatio contra Arium in Concilio Nicaeno 37, PG 28, 488 C; Andreas Caes.: in Apocalypsin, PG 106, 225 CD. 25. Julian Aecl.: In Oseam, CC.SL 88, 210. 26. Julian Aecl.: In Amos, CC.SL 88, 285. 27. Cyrillus Alex.: In Amos, PG 71, 489 A. 28. Theodoret: In Jer., PG 81, 523 B (zu Jer 3,19). 29. Andreas Caes.: In Apocalypsin, PG 106, 225 CD. 30. Theophilos: Autol. I,4,2, PTS 44, 19. 31. Gregorius Naz.: Or. 30,19, SC 250, 264. 32. Ps.-Dionysios Areopagita (Paraphrasis Pachymerae): Div. Nom. I 8, PG 3, 633 A (in PTS 33, 120 f. nicht enthalten). 33. Origenes: Cels. V, 45, SC 147, 132; Hieronymus: In Zach. I, 1,3, CC.SL 76 A, 751; Gregorius Naz.: Or. 30,19, SC 250, 264. 34. Philo: Leg.All. III, 82; dazu Feldmeier: »Der Höchste«, 551. 35. Feldmeier: »Der Höchste«, 550f, verweist auf Joseph und Aseneth, das Testament Abrahams,

55

gtvh 08105 / p. 56 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

but für Menschen oder Menschengruppen« 36 bezeichnet bestimmte Menschen im Gegensatz zu anderen als Verehrer des unvergleichlichen Gottes Israels, hat also apologetische bzw. selbstvergewissernde Funktion. Die Gottesbezeichnung ist auch im Neuen Testament und dann auch in christlicher Antiker Literatur gebräuchlich. Theophilos von Antiochia gibt die Begründung, warum Gott so tituliert wird: Er steht über allem. 37 ὁ ὤν (»der Seiende«): Bei Philo, Vit.Mos. I, 75, finden sich drei Gedanken: 1. Es ist Gott, der über den Unterschied zwischen Seiendem und Nichtseienden belehrt; 2. nur Gott allein kommt das Sein zu; 3. Es gibt keinen Namen, der sein Wesen treffend erfasst. Um der Akkomodation an die schwache Fassungskraft willen nennt sich Gott jedoch zusätzlich »Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs«, also Gott der drei Männer, die die Tugend bedeuten. 38 In christlicher Tradition finden sich u. a. die Deutungen τὸ εἶναι καθ’ ἑαυτὸ (»das Sein gemäß seiner Selbst«) und ἄναρχος καὶ ἀτελεύτητος (»ohne Anfang und ohne Ende«). 39 Johannes von Damaskus bezeichnet den Namen als den treffendsten Namen für Gott, weil er das ganze Sein in sich zusammenfasst. 40 Gregor d. Gr. sieht in Ex 3,14 die Unveränderlichkeit Gottes betont. 41

2. Bezeichnungen für nichtisraelitische Gottheiten Die Erwähnung der γίγαντες (»Giganten«) u. a. in Gen 6,4 und Jes 13,3; 14,9 hat gelegentlich die Frage nach der Vergleichbarkeit biblischer mit griechischer Mythologie evoziert. Philo von Alexandria zufolge haben die γίγαντες mit den griechischen Giganten nichts zu tun 42; nach Josephus hingegen sind beide hinsichtlich ihrer Schlechtigkeit durchaus vergleichbar. 43 Im Bereich antiker christlicher Exegese und Theologie findet man gelegentlich Referenzen von Jes 13,3 auf Gen 6,4 44 oder auf die bösen Engel von Ps 77[78],49 45, Bezugnahmen auf griechische Mythologie recht selten. 46 Bei Orige-

36. 37. 38.

39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46.

die Testamente der Zwölf Patriarchen, aber auch auf die aramäischen Texte von Qumran und das Vierte Esrabuch (Altissimus). Feldmeier: »Der Höchste«, 552, mit Verweis u. a. auf JosAs 16,14; 21,4; 22,13; vgl. 8,2, wo Joseph der durch den höchsten Gott Gesegnete genannt wird. Theophilos: Autol. I, 4,2, PTS 44, 19. Philo: Vit.Mos. I, 76. Es folgt die bei Philo häufig wiederkehrende Symbolik der Patriarchen anhand der Frage, wie sie sich Tugend erworben haben, durch Belehrung (Abraham), Naturbegabung (Isaak) oder Übung (Jakob). Gregorius Naz.: Or. 30,18, SC 250, 264, letzteres auch Ps.-Dionysios Areopagita (Paraphrasis Pachymerae): Div. Nom. I 1, PG 3, 613 B (in PTS 33, 109 f. nicht enthalten). Johannes Damacs.: Expos. fid. 9/I, 9, PTS 12, 31. Gregorius Magnus: Mor. in Job V, 34/63, CC.SL 143, 263; ähnlich Gregorius Magnus: Mor. in Job XVIII 50/82, CC.SL 143 A, 945 f., wo er auf die sachliche Parallele Ps 101,27 f. verweist. Philo: Gig. 58. Josephus: Ant. I, 73. Eusebius Caes.: Jes., GCS 60, 95; Johannes Chrysostomus: Hom. Gen. 22,5, PG 53, 191. Ps.-Basilius: In Isaiam 258, PG 30, 572 D-573 A. Sie fehlen bei Cyrillus Hieros.: Catech. 2,8, Reischl, 48; Origenes: Mart 18, GCS 2, 17; Eusebius Caes.: Jes., GCS 57, 102-104.

56

gtvh 08105 / p. 57 / 31.3.2022

Gottesbezeichnungen

nes 47 ist das lange Zitat von Homer, Il. II, 308-321, wo die Verwandlung des Drachens in einen Stein durch den Sohn des Kronos erzählt wird, nur Beiwerk zum kritisch behandelten Thema de divinatione (»Über die Wahrsagung«): Die in Gen 6,4 genannten Wesen treiben in wilden Tieren ihr Unwesen; man erfährt aber von ihnen keine Auskunft über die Zukunft. Didymus von Alexandria behauptet mit Verweis auf Jes 3,2; Dtn 1,28; Num 13,33, der Bezug auf die griechischen Giganten sei ein Eintrag von Ungläubigen in die Interpretation des Bibeltextes; die Bibel gebrauche γίγαντες als Bezeichnung von Menschen mit besonders großer körperlicher Kraft. 48 Die feminine Lesart Dat. Sg. τῇ Βααλ (»die Baal«, der weibliche Artikel ist aber wahrscheinlich nicht als Hinweis auf eine Göttin zu verstehen, sondern als Lesehinweis, dass an Stelle von Baal αἰσχύνη [»Schande«] gelesen werden soll; vgl. 3Kgt 18,19) in 3Kgt 19,18 wird gelegentlich weitergetragen, aber nicht kommentiert. 49 Das gilt auch von der Aufnahme dieser Lesart in Röm 11,4. 50 Bei den in Jes 65,11 genannten Gottheiten δαίμων (»Daimon«) und τύχη (»Glück«) werden Beziehungen zu nichtjüdischer Mythologie in der Auslegung kaum gezogen; die dort Angeredeten werden zumeist nur allgemein der Teilhabe am Götzendienst bezichtigt. 51 In der Martyriumsparänese kann eine Anspielung auf Jes 65,11 das Fehlverhalten derer bezeichnen, die sich vor dem Martyrium scheuen. 52

47. Origenes: Cels. IV, 91, SC 136, 410-414. 48. Didymus Alex.: In Gen., SC 244, 36. Zur Deutung auf die Körperkraft vgl. auch Johannes Chrysostomus: Hom. Gen. 22,5, PG 53, 191; Cyrillus Alex.: Glaph. Gen. II, PG 69, 56 AB; ders.: In Is. II, PG 70, 373 AB; Theodoret: Qu. Gen. 48, OECT 1, 102-104. 49. Justin: Dial 39,1; 46,6 Bobichon I 280.298 im Zitat; Dial. 136,3, Bobichon I 550 im Fließtext; Basilius: Ep. 156,3, Courtonne 84; Gregorius Naz.: Or. 4,65, SC 309, 172; Or. 11, 5, SC 405, 338, jeweils in Form einer Anspielung, sowie in den Apostolischen Konstitutionen VIII 1,15, von Funk, 466. 50. Johannes Chrysostomus: Hom. in Rom. 18,4 PG 60, 577 f.; Theodoret: In Rom., PG 82, 172 BC; Johannes Damasc.: In Rom, PG 95, 529 C. 51. Eusebius Caes.: Jes, GCS 60, 394 f. 52. Origenes: Mart. 40, GCS 2, 37 f.

57

gtvh 08105 / p. 58 / 31.3.2022

2.1.2 Attribute Gottes Antonella Bellantuono Literatur Textausgaben Delatte, Louis (ed.): Les traités de la Royauté d’Ecphante, Diotogène et Sthénidas, Liège / Paris 1942 – Diels, Hermann (ed.): Doxographi Graeci, Berlin 1879 – Hense, Otto (ed.): Ioannis Stobaei Anthologium, 5 Bände, Berlin 1884-1912 – Squilloni, Antonella (ed.): Il concetto di regno nel pensiero dello Ps. Ecfanto Le fonti e i trattati Peri basileias, Florenz 1991 – Thom, Johan C. (ed.): Cleanthes’ »Hymn to Zeus«. Text, translation, and commentary, Tübingen 2005.

Literatur Bellantuono, Antonella: The Biblical God in His Greek Shape, Turnhout 2022 – Bertram, Georg: εὐεργετέω, εὐεργέτης, εὐεργέσια, ThWNT II, 1935, 651-653 – Gilbert, Maurice: La Sagesse de Salomon. Recueil d’études, Rom 2011 – Harnack, Adolf von: Lehrbuch der Dogmengeschichte, Darmstadt 1964 – Lévy, Carlos: Les philosophies hellénistiques, Paris 1997 – Luck, Ulrich: φιλανθρωπία, φιλάνθρωπως, in: ThWNT IX (1973), 106-111 – Muccioli, Federicomaria: Gli epiteti ufficiali dei re ellenistici, Historia Einzelschriften 224, Stuttgart 2013 – Passoni Dell’Acqua, Anna: Euergetes, Aegyptus 61 (1976), 177-191 – Passoni Dell’Acqua, Anna: Innovazioni lessicali e attributi divini: una caratteristica del giudaismo alessandrino?, in: Rinaldo Fabris (ed.), La parola di Dio cresceva (At 12,24). Scritti in onore di Carlo Maria Martini per il suo 70° compleanno, Bologna 1998, 87-108 – Preisker, Herbert: ἐπιείκεια, ἐπιεικής, ThWNT II (1935), 585-587 – Scarpat, Giuseppe: Libro della Sapienza, 3 Bände, Brescia 1989-1999 – Schubart, Wilhelm: Das hellenistische Königsideal nach Inschriften und Papyri, in: Archiv für Papyrusforschung 12 (1936-37), 1-26 – Spicq, Ceslas: Lexique théologique du Nouveau Testament, Fribourg / Paris 1991.

Einleitung Die Literatur der griechischsprachigen jüdischen Diaspora kennt eine Anzahl von neuen göttlichen Attributen zur Beschreibung des Gottes Israels, die als solche kein Vorbild in den hebräischen oder aramäischen Texten des Alten Testaments haben. Die Deutung einiger hebräischer Gottestitel stößt bekanntlich auf Schwierigkeiten, da ihre ursprüngliche oder im Laufe der Zeit entwickelte Bedeutung kaum noch zu ermitteln ist, z. B. Ṣebaʾôt, wörtlich »der [himmlischen] Armeen« oder Šadday, was häufig im Sinne von »allmächtig« verstanden wird. Wie auch immer die hellenistisch gebildeten jüdischen Übersetzer und Autoren mit diesen Titeln umgingen, etwa indem sie sie ins Griechische zu übersetzen suchten, so steht fest, dass sie andere göttliche Attribute ihrer griechisch und später römisch geprägten Umwelt entnahmen. Dabei wählten sie Begriffe, die in den unterschiedlichsten philosophischen, literarischen oder historischen Zusammenhängen beheimatet waren. So wurden dem hellenistischen kulturellen und politischen Kontext positive Eigenschaften sowie Tugenden entlehnt, 58

gtvh 08105 / p. 59 / 31.3.2022

Attribute Gottes

mit denen allgemein bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sowie zivile Autoritäten charakterisiert wurden, um auf diese Weise den Gott Israels zu beschreiben. Von diesem wollte man mit einer »moderneren«, verständlicheren Begrifflichkeit sprechen, mit Termini also, die den unter der Herrschaft Alexanders des Großen vereinten Völkern des Mittelmeerraums und des Vorderen Orients hinreichend bekannt waren. Zu solchen neuen Attributen gehören die φιλανθρωπία, »Menschenfreundlichkeit«, die ἐπιείκεια, »Milde«, sowie die εὐεργεσία, »gute Behandlungsweise«, »Wohltätigkeit«. Diese Eigenschaften, von denen Texte aus Theater und Philosophie seit dem fünften Jh. v. Chr. sprechen, wurden in der klassischen Epoche prominenten Persönlichkeiten zugeschrieben. Dies gilt etwa von den Proxenoi, die für ihre εὐεργεσία gerühmt wurden, aber auch von solchen Richtern und Magistraten, die sich bei der Urteilsfindung nicht nur auf die νόμοι, die geschriebenen Gesetze, beriefen, sondern imstande waren, aufgrund der φιλανθρωπία die unterschiedlichen Situationen im Leben mit anderen Kriterien zu bewerten, und zwar mit der aequitas, »Billigkeit«, und der ἐπιείκεια, der Milde. 1 Nach dem Tod Alexanders des Großen gingen diese Begriffe jedoch in das Lexikon der offiziellen Propaganda der Diadochen ein, ja sie prägten die Sprache, mit der für die Herrscher geworben wurde, nicht nur in hellenistischer Zeit, sondern auch dort, wo sich später hellenistischer Einfluss zeigen sollte. Die zitierten Begriffe finden sich in der Tat auf Münzen, Inschriften und Papyri 2 und wurden in einigen Fällen – etwa bei εὐεργέτης – Bestandteil der offiziellen Titulatur von Herrschern. Für ihre Verbreitung sorgte vor allem die Stoa, die sich die Frage nach dem Wesen der Monarchie sowie nach den Eigenschaften stellt, die ein gerechtes Staatsoberhaupt besitzen sollte. 3 Die drei zitierten Begriffe haben keine genaue Entsprechung in der hebräischen Sprache und erscheinen nur selten in den übersetzten Texten der Septuaginta. 4 Häufig werden sie dagegen in den ursprünglich auf Griechisch geschriebenen Büchern gebraucht – und zwar zusammen mit den entsprechenden Adjektiven und Verben –, ebenso in der jüdisch-hellenistischen Literatur, wenn es darum geht, vom Gott Israels mit griechischen Attributen zu sprechen. Dabei nehmen diese Attribute bestimmte theologische Ideen vorweg, die sich später im Neuen Testament und der frühchristlichen Literatur finden. In diesem Artikel wird zunächst der Gebrauch der Substantive ἐπιείκεια, εὐεργεσία und φιλανθρωπία sowie der verwandten Termini in der Septuaginta untersucht (1), sodann ihre Verbreitung in der hellenistisch-jüdischen Literatur (2), im Neuen Testament (3) und schließlich bei den Kirchenvätern (4).

1.

2. 3.

4.

Vgl. Plato: Def. 412b8: Ἐπιείκεια δικαίων καὶ συμφερόντων ἐλάττωσις· μετριότης ἐν συμβολαίοις· εὐταξία ψυχῆς λογιστικῆς πρὸς τὰ καλὰ καὶ αἰσχρά. Vgl. ferner Aristoteles: Rhet. 1374a-1375b. Vgl. Schubart: Das hellenistische Königsideal, 1-26. Nur wenige Werke sind erhalten geblieben. Hinzuweisen ist auf die Traktate Περὶ βασιλείας, die von Ekphantus, Diotogenes und Sthenidas verfasst und deren Fragmente von Stobaeus überliefert worden sind; vgl. Hense (ed.): Ioannis Stobaei Anthologium; Delatte (ed.): Les traités de la Royauté; Squilloni: Il concetto. Zu weiteren Details zum stoischen Denken vgl. Lévy: Les philosophies hellénistiques, 161-166. Vgl. Passoni Dell’Acqua: Innovazioni lessicali, 87-108.

59

gtvh 08105 / p. 60 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

1. Die Septuaginta 1.1 Die Milde Gottes (ἐπιείκεια) Die Wortfamilie von ἐπιείκεια 5 kommt in der Septuaginta 16-mal vor, und zwar bis auf wenige Ausnahmen – besonders Ps 85[86],5; 2Esdr 9:8LXX [Esra 9,8MT]; 1Kgt[1Sam] 12,22; 4Kgt[2Kön] 6,3; Dan 4,24 – in den nicht übersetzten Schriften. Tatsächlich gibt es keine genaue Entsprechung des Begriffs ἐπιείκεια in der Hebräischen Bibel, ja die Vorstellung scheint der hebräischen Sprache – als Begriff – fremd zu sein. Die hebräischen Äquivalente sind dementsprechend verschieden, beschränken sich aber auf die Wurzeln slḥ, »vergeben« (in Ps 86,5), ḥnn »wohlwollend sein« (Esra 9,8) und yʾ l (hiph.), »zustimmen« (1Sam 12,22; 2Kön 6,3). 6 In den meisten Fällen beschreibt die griechische Terminologie das Handeln Gottes, der gegenüber den Menschen wie ein wohlwollender Herrscher agiert, in einigen Fällen jedoch auch das positive Verhalten von Menschen, auch von Königen, so die Sanftmut des Gerechten in Weish 2,19, die Entscheidung des Artaxerxes in Esth 3,13b sowie das Handeln des Ptolemäus Philopator in 3Makk 3,15. Gerade diese Verwendung der Terminologie hat Adolf von Harnack zu der Behauptung veranlasst, der Begriff ἐπιείκεια werde in der Septuaginta verwendet, um die Art und Weise zu bezeichnen, wie Gott als absoluter, gleichzeitig aber zur Vergebung und Toleranz bereiter König handelt. 7 In den übersetzten Texten gilt der Gott Israels als ἐπιεικής, da er seinem Volk Barmherzigkeit und Gunst erweist (1Kgt[1Sam] 12,22; 2Esdr 9:8). Außerdem wird die Terminologie in Gebetstexten verwendet, um damit auf eine Eigenschaft Gottes hinzuweisen, mit der er gewissermaßen identifiziert werden soll, so in Ps 85[86],5; vgl. auch 2Makk 10,4. Die ἐπιείκεια Gottes wird nämlich als ein Verhalten angesehen, das die Gläubigen zur Abkehr von ihren Sünden bewegen soll. Darum findet sich das Wort auch in Parallele mit anderen Eigenschaften Gottes wie ἔλεος, »Erbarmen« (Dan 3,42) und οἰκτιρμός, »Mitleid« (Bar 2,27), Eigenschaften, die traditionell Gott zugeschrieben werden (vgl. Ex 34,6 in der Septuaginta-Fassung). Dieser Befund lässt sich nicht in dem Sinne interpretieren, dass man die überkommene Art der Beschreibung YHWHs verworfen hätte; vielmehr wird diese angereichert durch neue, der griechischen Umwelt und insbesondere der zeitgenössischen offiziellen Proagandaliteratur entlehnten Begriffen. So wird in Weish 12,18 Gott wohl absichtlich wie ein Monarch dargestellt: σὺ δὲ δεσπόζων ἰσχύος ἐν ἐπιεικείᾳ κρίνεις, »du aber, der du über Kraft gebietest, richtest [uns] mit Milde«.

1.2 Die Menschenfreundlichkeit Gottes (φιλανθρωπία) Im Unterschied zur ἐπιείκεια wird das Substantiv φιλανθρωπία 8 in der Septuaginta überwiegend als Attribut von Menschen verwendet, meist um die wohlwollende Haltung eines Herrschers oder von Personen in einer übergeordneten Position zu be5. 6. 7. 8.

Vgl. hierzu auch Spicq: Lexique théologique, 544-548. Im aramäischen Text von Dan 4,24 findet sich kein Äquivalent von ἐπιείκεια. Von Harnack: Lehrbuch, 111-126 s. v. Vgl. hierzu auch Spicq: Lexique théologique, 1582-1587.

60

gtvh 08105 / p. 61 / 31.3.2022

Attribute Gottes

schreiben (Antiochus III. in 2Makk 4,11; 13,23; Artaxerxes in 1Esdr 8,10; Ptolemäus IV. in 3Makk 3,15-18; Alkimus in 2Makk 14,9). 9 In der Weisheit Salomos erscheint das Adjektiv φιλάνθρωπος (»menschenfreundlich«) dreimal, wobei nur hier in der Septuaginta die φιλανθρωπία direkt oder indirekt als eine Eigenschaft des Gottes Israels angesehen wird. 10 Schon im ersten Kapitel des Buches (Weish 1,6) wird die σοφία (»Weisheit«), die als Emanation Gottes aufgefasst wird, als πνεῦμα φιλάνθρωπον (»menschenfreundlicher Geist«) bezeichnet. Als solche leitet sie das sittliche Leben eines Menschen; jedoch kann die Weisheit keinesfalls Zugang zu einem Menschen haben, der Böses sinnt, oder in einem Körper wohnen, der der Sünde ergeben ist (Weish 1,4). Der Ausdruck πνεῦμα φιλάνθρωπον lässt sofort an Vorstellungen denken, die dem Milieu der Stoa entstammen. So war die Idee des πνεῦμα in der Schule Zenons sehr präsent. Der Begriff bezeichnet in der Sprache der Philosophie einen aus Luft und Feuer zusammengesetzten Geist, der die Welt durchdringt und sie regiert. Sein Wirken war jedoch nicht mit demjenigen Gottes vergleichbar, wie es eine monotheistische Theologie auffasst. Das πνεῦμα griff weder in die menschlichen Angelegenheiten ein noch sollte es den Menschen belehren oder erziehen, sondern beschränkte sich darauf, das ordnungsgemäße Funktionieren der συμπάθεια, der Harmonie der verschiedenen Elemente des Kosmos, zu gewährleisten, die durch den λόγος geordnet werden. Dieser wird in vielen Fällen als »menschenfreundlich« bezeichnet. 11 In Weish 7,22-23 wird die Weisheit mit einer Serie von 21 Adjektiven und Epitheta beschrieben, darunter auch φιλάνθρωπος. Eine solche Aufzählung von Titeln erinnert an Ex 34,6, wo YHWH mit 13 Attributen gepriesen wird, die seine »Eigenschaften« ausdrücken sollen. Doch finden sich derartige Aufzählungen von Attributen nicht nur in der Bibel, sondern auch in außerbiblischen Aretalogien sowie in der magischen und religiösen Literatur. Der Zeus-Hymnus des Stoikers Kleanthes 12 zum Bei-

9. Die Thematik der φιλανθρωπία erscheint mit weniger deutlichen politischen Konnotationen in Est 8,13, wo die Aufnahme, die Haman, Berater des Königs und Gegner der Juden, vom persischen Hof bereitet wurde, obwohl er Makedonier war, und die Freundlichkeit (φιλανθρωπία), die ihm entgegengebracht wurde, hervorgehoben werden. Das Substantiv kommt auch vor in 2Makk 6,22, im Zusammenhang mit der Tötung Eleasars, eines Juden und Schriftgelehrten, des ersten Märtyrers in der Verfolgung durch Antiochus IV. Eleasar weigerte sich, Schweinefleisch zu essen, und starb. In 2Makk 6,22 schlugen ihm die für die Folter verantwortlichen Bediensteten des Königs vor, das Schweinefleisch gegen das Fleisch eines anderen Tieres auszutauschen, um damit vorzutäuschen, dass er die Mahlzeit isst, ohne sich schuldig zu machen. In diesem Fall erfahre er die φιλανθρωπία. In 4Makk 5,12 ist es Antiochus selbst, der spricht: Der Herrscher ruft Eleasar dazu auf, auf seine wohlwollenden Worte einzugehen (προσκυνήσας μου τὴν φιλάνθρωπον παρηγορίαν) und sich so vor der todbringenden Folter zu retten. In adverbialer Form taucht die Begrifflichkeit wieder in dem Brief auf, den Antiochus IV. kurz vor seinem Tod den Juden schreibt. Diesen kündigt er an, dass er seinen Sohn zum König bestimmt habet, und sichert ihnen gleichzeitig zu, dass er sich ἐπιεικῶς και φιλανθρώπως, »wohlwollend und milde«, verhalten werde (2Makk 9, 27). 10. Vgl. zum Folgenden auch die neueren Kommentare und Studien zur Weisheit Salomos, z. B. Scarpat: Libro della Sapienza; Gilbert: La Sagesse de Salomon. 11. Diels: Doxographi Graeci, 29. 12. Vgl. hierzu Thom (ed.): Cleanthes’ »Hymn to Zeus«.

61

gtvh 08105 / p. 62 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

spiel kennt 26 Attribute des Gottes, und die Göttin Isis wird oft als Göttin μυριώνυμος, »mit zahlreichen Namen«, bezeichnet. 13 In den zitierten Passagen der Weisheit Salomos wird somit die Weisheit personifiziert. Sie besitzt ein πνεῦμα, einen dem Wesen nach dynamischen Geist, in dem sich ihre Identität verkörpert. Der Autor des Buches will so die transzendente Natur dieses Geistes hervorheben und sucht ihn so detailliert wie möglich zu beschreiben. Dabei ist es wichtig, die Wortwahl in Weish 7,22-23 genau zu beachten: Die σοφία wird unter anderem definiert als φιλάγαθος, »Freund des Guten«, εὐεργετικός, »wohltätig«, φιλάνθρωπος, »menschenfreundlich«, also mit Epitheta, die in hellenistischer Zeit in offiziellen Texten als Eigenschaften der Herrscher belegt sind. 14 Dabei ist die verwendete literarische Technik typisch für die griechische philosophische Rhetorik. Die Reihenfolge der Attribute scheint zwar keiner Logik zu unterliegen, aber in Wirklichkeit ist eine gewisse Steigerung feststellbar, so auch in Weish 7,22-23. In Weish 12,19 schließlich ist der Gerechte menschenfreundlich, insofern als er dem Beispiel Gottes folgt. Denn Gottes eigenes Verhalten hat den Menschen das richtige Verhalten gelehrt. Anscheinend bedarf es keiner besonderen Gaben, um dies zu verstehen. Es genügt, sich am Beispiel Gottes zu orientieren und für seine Lehre empfänglich zu sein. Jeder Gläubige kann diese innere Entwicklung selbst vollziehen; jeder Mensch hat in sich selbst die Möglichkeit, Gott zu begegnen, ohne dass es eines Mittlers bedarf. Die φιλανθρωπία ist somit gleichzeitig menschliches und göttliches Attribut. Sie ist eine Eigenschaft, die von Gott auf den Menschen übergehen kann. Nicht ohne Grund ermahnt der Verfasser der Weisheit Salomos in Weish 1,1 die Herrscher der Erde, dem Beispiel des letztlich menschenfreundlichen Gottes zu folgen.

1.3 Die Wohltätigkeit Gottes (εὐεργεσία) Was die Vorstellung der εὐεργεσία, wörtlich »Wohltat«, betrifft, so wird man sicherlich behaupten können, dass sie der Hebräischen Bibel durchaus nicht fremd ist. Denn mehr als einmal erweist Gott sich als wohltätig oder fürsorglich gegenüber seinem Volk Israel. Allerdings findet sich an den in Frage kommenden Stellen der Septuaginta die Terminologie der εὐεργεσία nur selten. 15 In der hebräischen Sprache gibt es anscheinend keinen Begriff, der in seiner Morphologie dem Wort εὐεργεσία entspricht, wahrscheinlich weil es sich um ein zusammengesetztes Wort handelt, das als solches den semitischen Sprachen nicht bekannt ist. 16 Im Hebräischen wird die Vorstellung gewöhnlich mit der Wurzel ‫ טוב‬ausgedrückt, vor allem mit dem Verb ‫ יטב‬hiphʿ il (‫)היטב‬, das soviel bedeutet wie »Gutes tun«. In der Septuaginta findet sich dafür die Wurzel ἀγαθ- (»gut«, z. B. Rut 3,10) oder die Wortverbindung εὖ ποιέω (wörtlich »gut tun«, z. B. Gen 32,10; Ex 1,20). Eine andere hebräische Wurzel, mit der die erwähnte Vorstellung ausgedrückt wird, ist das Verb ‫גמל‬, das jedoch oft im Sinne eines Vergel-

13. 14. 15. 16.

Plutarch: Is. Os. 372e 8. Vgl. P. Enteux. 6, 7, 60, 74; P. Genova 3.111; P. Cair. Zen. 3.59341. Häufig ist die Terminologie hingegen bei Symmachus; vgl. Ps 118,65; 141,8; Spr 11,17; Jes 63,7. Vgl. Passoni Dell’Acqua: Euergetes, 177-191.

62

gtvh 08105 / p. 63 / 31.3.2022

Attribute Gottes

tungshandelns verwendet wird; dementsprechend lautet die griechische Übersetzung oft ἀνταποδίδωμι, »vergelten« (z. B. Gen 50,15). 17 In den übersetzten Texten der Septuaginta sind die einzigen Belege von εὐεργεσία (»Wohltat«) und εὐεργετέω (»Wohltaten erweisen«) im Psalter zu finden. Dort kommt das Verb εὐεργετέω dreimal vor, und zwar in Ps 12[13]6; 56[57],3; 114[116],7, jeweils als Wiedergabe des hebräischen Verbs ‫גמל‬, und einmal das Substantiv εὐεργεσία in Ps 77[78],11 als Übersetzung von ‫»( עלילה‬Tat«, »Handlung«). In allen Fällen ist Gott das explizite oder angenommene Subjekt des mit εὐεργεσία und εὐεργετέω ausgedrückten Handelns. Dabei wird gerade das Verb in Zusammenhängen gebraucht, in denen der Psalmsprecher mit Hinweis auf die von Gott kommenden Wohltaten um dessen Gunst wirbt. Man kann mit guten Gründen behaupten, dass die Einführung dieser Idee in die griechischen Psalmen auf die Übersetzer zurückgeht. Diese waren ihrerseits durch das alexandrinische Milieu geprägt, insbesondere durch den Sprachgebrauch der an die Herrscher gerichteten Petitionen. 18 Da mit den griechischen Wörtern εὐεργεσία und εὐεργετέω verschiedene hebräische Termini wiedergegeben werden, darf man wohl folgern, dass die Übersetzer mit der Wahl gerade dieser Äquivalente dem griechischen Psalter einen neuen Akzent verleihen wollten. Man wollte offenbar bei den Lesern eine bestimmte Assoziation hervorrufen, nämlich diejenige des Wohlwollens, dessen einziger wirklicher Garant Gott selbst ist. Allerdings muss man betonen, dass das einzige Element der Wortfamilie von εὐεργεσία, das nicht auf Gott bezogen wird, das Nomen εὐεργέτης, »Wohltäter«, ist. Wahrscheinlich wurde es vermieden, da es sich um einen offiziellen Titel des Ptolemaios III. und des Ptolemaios VIII. handelte, man also keine direkte Entsprechung zwischen Gott und dem Herrscher herstellen wollte. Die Wortfamilie von εὐεργεσία ist zwar in den übersetzten Büchern der Septuaginta wenig bezeugt; in den nur in griechischer Sprache vorliegenden Texten ist sie jedoch umso häufiger belegt, und zwar in Bezug auf Herrscher oder Menschen ganz allgemein (2Makk 9,26; 3Makk 3,19; 6,24; 4Makk 8,6, 17; Est 8,12c; Weish 19,14). Im Zweiten Makkabäerbuch und in der Weisheit Salomos erscheint die Terminologie außerdem im Zusammenhang von Gottes Fürsorge gegenüber seinem Volk (2Makk 10,38; Weish 11,5, 13; 16,2) oder allgemein von Gottes segensreichem Handeln (Weish 3,5; 16,11.24). Das Epitheton ἐυεργέτης wurde dagegen auch hier nicht als göttliches Epitheton verwendet, vermutlich da es – wie schon gesagt – der offizielle Titel divinisierter Herrscher war. So wurde also auch weiterhin eine Überschneidung der Bezeichnungen für hellenistische Könige und denen des Gottes Israels vermieden.

17. Vgl. Passoni Dell’Acqua: Euergetes, 184-185. 18. Vgl. Spicq: Lexique théologique, 618-624; Muccioli: Gli epiteti ufficiali, 178-192.

63

gtvh 08105 / p. 64 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

2. Die jüdisch-hellenistische Literatur 2.1 Die Milde Gottes (ἐπιείκεια) Dass Gott die Eigenschaft der ἐπιείκεια besitzt, ist auch der hellenistisch-jüdischen Literatur bekannt. Dabei behält das Wort nach wie vor die Bedeutung von »Milde« und »Nachsicht«. Folgende Beispiele seien genannt: In der Gastmahlszene des Aristeasbriefes raten die Übersetzer König Ptolemaios Philadelphos dazu, sich die ἐπιείκεια Gottes zum Vorbild zu nehmen, um ein vollkommener Herrscher zu werden (Arist. 188; 192 sowie in Verbindung mit φιλανθρωπία in Arist. 290). Im Roman Joseph und Aseneth wird die Eigenschaft der ἐπιείκεια in einem Fall einem Menschen zugeschrieben, nämlich dem Patriarchen Joseph (JosAs 1.3); einmal wird sie auf ein Substantiv im Femininum, die μετάνοια, »Bekehrung« (JosAs 15.8), bezogen, zweimal jedoch auf Gott selbst. In diesen Fällen erhält die ἐπιείκεια die Bedeutung von »Milde«, die sie auch schon in der Septuaginta hatte. Dabei erscheint die Terminologie – ähnlich wie in Ps 85,5LXX – gerade im Gebet Aseneths. Diese bereut in JosAs 11.8-9 ihre Sünden – vor allem die Verehrung der Götterbilder – und ruft in JosAs 11.10 den Gott Josephs an als einen zur Vergebung bereiten und barmherzigen Gott. Die von Aseneth gewählte Formulierung ἐλεήμων καὶ οἰκτίρμων καὶ μακρόθυμος καὶ πολυέλεος καὶ ἐπιεικής (»barmherzig, mitleidig, langmütig, voller Erbarmen und milde«) erinnert dabei an Ex 34,6-7 in der griechischen Fassung. Im weiteren Verlauf des Gebetes, in JosAs. 12.14, wendet die junge Frau sich erneut an Gott, indem sie Gott für diese Eigenschaft lobt und damit zugleich die Bitte verbindet, von diesem nicht abgewiesen zu werden und Vergebung zu erlangen. In den Psalmen Salomos begegnet die Terminologie einmal in PsSal 5,12. Der Beter vertraut darauf, dass Gott die Bedürfnisse seiner Gläubigen wahrnimmt und sie versteht, und gerade auf diese Weise beweist Gott ihnen gegenüber seine ἐπιείκεια: καὶ σὺ ἐπακούσῃ, ὅτι τίς χρηστὸς καὶ ἐπιεικὴς ἀλλ᾽ ἢ σὺ εὐφρᾶναι ψυχὴν ταπεινοῦ ἐν τῷ ἀνοῖξαι χεῖρά σου ἐν ἐλέει; »und du wirst erhören, denn wer ist gnädig und milde außer dir, der du die Seele der Elenden erfreust, indem du deine Hand in Barmherzigkeit auftust?«. Weiterhin begegnet das Substantiv ἐπιείκεια in der griechischen Version des Ersten Henochbuches (1Hen 3.6). Das Wort erscheint in den einleitenden Kapiteln, in denen die von Gott gewollte Ordnung des Kosmos und die daraus resultierende Strafe für diejenigen, die diese Harmonie stören, beschrieben werden. Im Gegensatz dazu werden diejenigen, die nicht sündigen, von Übeln verschont, vielmehr dürfen sie Barmherzigkeit, Frieden und ἐπιείκεια erwarten. Im Gegensatz zu Flavius Josephus, der die ἐπιείκεια in der Regel als eine menschliche Eigenschaft ansieht (z. B. Ant. XII, 122; XV, 165; Ausnahme: Ant. VI, 92), kommt die Wortfamilie von ἐπιείκεια bei Philo 38-mal, auch zur Charakterisierung Gottes, vor, so in Vit.Mos. I, 198 zusammen mit φιλανθρωπία.

64

gtvh 08105 / p. 65 / 31.3.2022

Attribute Gottes

2.2 Die Menschenfreundlichkeit Gottes (φιλανθρωπία) Die φιλανθρωπία wird in der jüdisch-hellenistischen Literatur weiterhin als Attribut des Königs angesehen. Nach einem Zitat in Flavius Josephus’ Contra Apionem (I, 186) rühmt Hekataeus die φιλανθρωπία Ptolemaios’ I. (vgl. Arist. 36, wo sie ebenfalls ein Attribut des Königs ist). Als göttliche Eigenschaft begegnet die φιλανθρωπία jedoch in anderen Kontexten, so in Gebeten, etwa in JosAs 13.1. Zusammen mit der ἐπιείκεια wird sie im Aristeasbrief erwähnt (Arist. 290), und zwar als Eigenschaft des Königs, die er aber letztlich Gott verdankt. In den Werken Philos findet sich die Wortfamilie von φιλανθρωπία rund 90-mal. Dabei bewegt sich der jüdische Philosoph im Fahrwasser zeitgenössischer hellenistischer Vorstellungen. In den meisten seiner Traktate schreibt er nämlich die φιλανθρωπία Gott zu, wobei er die bereits in der Septuaginta bezeugte Bedeutung des Wortes übernimmt. Er vergleicht den Gott Israels mit einem Herrscher, der das Wohl seiner Untertanen anstrebt; denn es geht ihm um das Wohlergehen und die Bewahrung seiner Gläubigen, von denen ihrerseits erwartet wird, dass sie sich am göttlichen Verhalten orientieren (vgl. Plant. 92). In der Abhandlung De philanthropia (= Virt. 51174) hingegen arbeitet er eine Theologie des Begriffs aus, indem er untersucht, wie Gott seine Liebe zum Menschen ausdrückt und ihnen ein Gesetz gibt, das sie zur Menschenfreundlichkeit anleitet (vgl. Virt. 121); ähnliche Konzepte finden sich auch in Cher. 99. Somn I, 147. Diese Menschenfreundlichkeit Gottes zeigt sich auch in der Schöpfung (Opif. 81) und in der Geschichte Israels (Vit.Mos. 1.198). In einigen Schriften Philos wird dagegen die menschliche φιλανθρωπία nicht als direkt abhängig von derjenigen Gottes betrachtet. Der Autor versteht sich in diesen Abhandlungen als Verteidiger des jüdischen Gesetzes und bezieht die φιλανθρωπία auf die Bewahrung der mosaischen Gebote, die letztlich auf dem Ideal der Menschenfreundlichkeit beruhen und zu dieser aufrufen (vgl. Spec.Leg. 4.72). Als eine »Zwillingsschwester« der εὐσέβεια (Virt. 51) erstreckt sich die φιλανθρωπία auf die Liebe zum Bruder (Virt. 82), weiterhin zu den Feinden (Virt. 109-118), zu den Sklaven (Virt. 121-124), ja sogar zu den Pflanzen (148-160). Flavius Josephus schreibt die φιλανθρωπία insbesondere bestimmten Königen zu, sowohl solchen aus Israel (Ant. VIII, 385) als auch fremden Herrschern, die sich den Juden gegenüber wohlwollend verhielten (z. B. Xerxes in Ant. XI, 123), ebenso den Römern (Bell. IV, 96). Flavius Josephus spricht aber auch von Gottes φιλανθρωπία sowie von seiner μεγαλειότης (»Größe«, Majestät«, Ant. I, 24), wohl um dem Vorwurf der Menschenfeindlichkeit zu begegnen, dem die Juden ausgesetzt waren. Diese Eigenschaften Gottes spiegeln sich – so argumentiert Flavius Josephus – nicht zuletzt auch im jüdischen Gesetz wider, dessen Vorschriften keinesfalls als menschenfeindlich angesehen werden können, vielmehr zielen sie auf die Herstellung von Gerechtigkeit ab (Ap. II, 291; Ant. XVI, 42).

65

gtvh 08105 / p. 66 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

2.3 Die Wohltätigkeit Gottes (εὐεργεσία) Die εὐεργεσία ist die menschliche Tugend, Gutes zu tun, in Test. Hiob 16.6; 44.2; Test. Jos. 20.6. Als göttliche Eigenschaft gilt sie stattdessen in Arist. 190 und 210, wo Gottes Fürsorge gegenüber dem Menschengeschlecht erwähnt wird. Flavius Josephus verwendet die Wortfamilie von εὐεργεσία nur sporadisch mit Bezug auf Gott, etwa wenn er von den Wohltaten spricht, die Gott seinem Volk gewährt hat (Ant. III, 312; IV, 213; V, 115; vgl. Ps 77[78],11). Diese letztere Verwendung findet sich auch bei Philo, wenn er von der Fürsorge Gottes für die Menschen allgemein (Leg.All. I, 95; III, 78. 215; Cher. 99) oder für einzelne Menschen spricht (Migr. 30). Philo verwendet somit die Begrifflichkeit in Anlehnung an griechisch-hellenistischen Sprachgebrauch. Außerdem bezieht er zum ersten Mail den Terminus εὐεργέτης als Epitheton auf Gott (Leg.All. I, 96).

3. Neues Testament Die zuvor behandelten Terminologien finden sich auch im Neuen Testament wieder. In 2Kor 10,1 verweist der Apostel Paulus auf die ἐπιείκεια τοῦ Χριστοῦ (»Milde Christi«), an der sich auch sein eigenes demütiges Verhalten gegenüber der Gemeinde orientiert. In Analogie zum Aristeasbrief (s. o.) ist die ἐπιείκεια also eine nachahmenswerte Eigenschaft, hier Jesu Christi, die sich der Apostel ebenfalls zu eigen macht und die ihn zur Sanftmut veranlasst. Doch die ἐπιείκεια soll nicht nur Paulus’ Handeln leiten, sondern, wie aus Phil 4,5, hervorgeht, sie soll das Verhalten der Gläubigen bestimmen, die die frohe Botschaft empfangen haben und in der Erwartung des nahen Heils so leben sollen, dass ihre Milde allen Menschen bekannt werde (vgl. auch Tit 3,2). Wie in hellenistischer Zeit ist die ἐπιείκεια außerdem eine menschliche Eigenschaft, die den mit der Herrschaft betrauten Persönlichkeiten zugeschrieben wird (Apg 24,4), weiterhin den Herren von Sklaven (1Petr 2,18) sowie – im Kontext christlicher Gemeinden – dem ἐπίσκοπος (1Tim 3,3). In Jak 3,17 schließlich wird die Weisheit als ein himmlisches Wesen beschrieben, das mit allen Tugenden eines Herrschers einschließlich der ἐπιείκεια ausgestattet ist. Die Eigenschaft der φιλανθρωπία hingegen wird im Neuen Testament nur dreimal erwähnt. Dabei wird sie zweimal Menschen zugeschrieben. In Apg 27,3 wird gesagt, Julius, ein hochrangiger römischer Offizier, habe sich »menschenfreundlich« verhalten, indem er Paulus erlaubte, einige seiner Freunde in Sidon zu besuchen. In Apg 28,2, nach dem Schiffbruch vor Malta, bewiesen die Einheimischen φιλανθρωπία gegenüber den Schiffbrüchigen, hier verstanden als Hilfe und Gastfreundschaft. Aus theologischer Sicht ist dagegen Tit 3,4 bedeutsam, wo im Anschluss an hellenistischen Sprachgebrauch χρηστότης und φιλανθρωπία, also »Güte« und »Menschenfreundlichkeit«, in Parallele stehen. In diesem Fall beziehen sich die Termini auf das Ereignis des Kommens Christi, das als eine Epiphanie der χρηστότης und der göttlichen φιλανθρωπία interpretiert wird, die den Menschen rettet durch das »Bad der Wiedergeburt und die Erneuerung, die der Geist bewirkt« (Tit 3,4). Die Wortfamilie von εὐεργεσία ist im Neuen Testament viermal belegt. So wird in Apg 4,9-10 die Heilung des Lahmen (vgl. Apg 3,2-8) als eine durch die Apostel ver66

gtvh 08105 / p. 67 / 31.3.2022

Attribute Gottes

mittelte, aber letztlich von Gott bewirkte Wohltat angesehen. Ähnlich werden in Apg 10,38 die Taten Jesu als Wohltaten an den Menschen bezeichnet, zu denen Jesus durch Gott befähigt wurde. Auch dieser Sprachgebrauch ist durch hellenistische Vorbilder zu erklären (s. o.). Dasselbe gilt weiterhin von Lk 22,25, wo der Titel εὐεργέτης vorkommt, allerdings abwertend, und der lukanische Jesus darauf hinweist, dass das Attribut ironischerweise denjenigen verliehen wird, die die Völker beherrschen. Schließlich ist in 1Tim 6,2 die εὐεργεσία Bestandteil des gegenseitigen Verhältnisses von Dienst und Respekt zwischen christlichen Herren und Sklaven.

4. Frühchristliche Literatur Die Termini der Wortfamilie von ἐπιείκεια dienen mehrfach zur Charakterisierung des Wesens Gottes, so in 1Clem 29,1; IgnPhld 1,2, jedoch soll sie auch zum Merkmal des Verhaltens der Gläubigen werden, z. B. 1Clem 13,1 (Jesus hat ἐπιείκεια und μακροθυμία gelehrt); 30,8; 56,1; 62,2. Weiterhin dient auch die φιλανθρωπία dazu, Gottes Handeln zu beschreiben (vgl. Tit 3,4), wobei φιλανθρωπία als Fürsorge und Zuwendung des Herrn zu den Menschen verstanden wird. 19 Schließlich drückt die Wortfamilie von εὐεργέσια die bereits der Septuaginta und dem Neuen Testament bekannte Vorstellung der göttlichen Wohltätigkeit aus (z. B. 1Clem 19,2; 20,11; 21,1; 38,3; Diogn. 8,11), ja in 1Clem 23,1 wird Gott geradezu als εὐεργετικὸς πατήρ (»wohltätiger Vater«) bezeichnet.

19. Z. B. Diogn. 8,7; 9,2; Justinus: Dial 47,5, Bobichon I, 302.

67

gtvh 08105 / p. 68 / 31.3.2022

2.1.3 Präexistenz des himmlischen Heiligtums Michael Bachmann Bibliographie Die Tempel-Artikel der theologischen Lexika, insbesondere von TRE und WiBiLex. Bachmann, Michael: Das Freiburger Münster und seine Juden. Historische, ikonographische und hermeneutische Beobachtungen, Regensburg 2017 – Bachmann, Michael: Himmlisches Jerusalem und himmlischer Tempel: Biblische Motive und ihre Rezeption, Symb. NF 22 (im Erscheinen) – Bachmann, Michael: Von Paulus zur Apokalypse – und weiter. Exegetische und rezeptionsgeschichtliche Studien zum Neuen Testament (samt englischsprachigen summaries), NTOA/StUNT 91, Göttingen/Oakville 2011, bes. 299-316 (Die Stephanusepisode (Apg 6,18,3). Ihre Bedeutung für die lukanische Sicht des jerusalemischem Tempels und des Judentums [zuerst: 1999]), 397-404 (Himmlisch: Der ›Tempel Gottes‹ von Apk 11,1 [zuerst: 1994]) und 427446 (Ausmessung von Tempel und Stadt. Apk 11,1f und 21,15 ff. auf dem Hintergrund des Buches Ezechiel [zuerst: 2006]) – Böcher, Otto: Johannesoffenbarung und Kirchenbau. Das Gotteshaus als Himmelsstadt, Neukirchen-Vluyn/Ostfildern 2010 – Deutsch, Celia: Transformation of Symbols: The New Jerusalem in Rv 211-225 ZNW 78 (1987), 106-126 – Bühner, Jan-A.: Jesus und die himmlische Welt. Das Motiv der kultischen Mittlung zwischen Himmel und Erde im frühen Judentum und in der von Jesus ausgehenden Christologie, TANZ 65, Tübingen 2020 – Ego, Beate: Im Himmel wie auf Erden. Studien zum Verhältnis von himmlischer und irdischer Welt im rabbinischen Judentum, WUNT II/34, Tübingen 1989 – Ego, Beate / Lange, Armin / Pillhofer, Peter (ed. [in Zusammenarbeit mit Kathrin Ehlers]): Gemeinde ohne Tempel / Community without Temple. Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum, WUNT 118, Tübingen 1999 – Faßbeck, Gabriele: Der Tempel der Christen. Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur Aufnahme des Tempelkonzepts im frühen Christentum, TANZ 33, Tübingen 2000 – Hengel, Martin / Schwemer, Anna Maria (ed.): Königsherrschaft Gottes und himmlischer Kult im Judentum, Urchristentum und der hellenistischen Welt, WUNT 55, Tübingen 1991 – Häfner, Gerd / Schreiber, Stefan: Pastoralbriefe und Johannesoffenbarung. Kontroverse Einstellungen zu Staat und Gesellschaft, in: Martin Ebner / Gerd Häfner / Konrad Huber (ed.): Kontroverse Stimmen im Kanon, QD 279, Freiburg / Basel / Wien 2016, 10-63 (bes.: 31-33 [St. Schreiber]) – Horbury, William (ed.): Templum Amicitiae. Essays on the Second Temple – presented to Ernst Bammel, JSNT.SS 48, Sheffield 1991 – Keel, Othmar / Zenger, Erich (ed.): Gottesstadt und Gottesgarten. Zur Geschichte und Theologie des Jerusalemer Tempels, QD 191, Freiburg / Basel / Wien 2002 – Köhnlein, Manfred: Weltbild und Gottesverständnis im württembergischen Pietismus des 19. Jahrhunderts – Zur erwecklichen Predigt des Bildes »Der breite und der schmale Weg«, in: Gerhard Büttner / Jörg Thierfelder (ed.): Religionspädagogische Grenzgänge. Für Erich Bochinger und Martin Widmann […], AzP 26, Stuttgart 1988, 127-149 – Koester, Craig R.: The Dwelling of God. The Tabernacle in the Old Testament, Intertestamental Jewish Literature and the New Testament, CBQ.MS 22, Washington 1989 – Moss, Candida R. / Feldman, Liane M.: The New Jerusalem: Wealth, Ancient Building Projects and Revelation 21-22, NTS 66 (2020), 351-366 – Müller, Christoph Gregor: Gottes Pflanzung – Gottes Bau – Gottes Tempel. Die metaphorische Dimension paulinischer Gemeindetheologie in 1 Kor 3,5-17, FuSt 5, Frankfurt am Main 1995 – von Naredi-Rainer, Paul: Salomos Tempel und das Abendland. Monumentale Folgen historischer Irrtümer (Mit einem Beitrag

68

gtvh 08105 / p. 69 / 31.3.2022

Präexistenz des himmlischen Heiligtums

von Cornelia Limpricht), Köln 1994 – Tóth, Franz: Der himmlische Kult. Wirklichkeitskonstruktion und Sinnbildung in der Johannesoffenbarung, ABG 22, Leipzig 2006.

Bei der Beschreibung der Einweihung des salomonischen Tempels in 1Kön 8 wird der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass Gott »im Himmel« die Gebete von Menschen »hören möge« (V. 34.36.39.43.45.49), und es wird (in V. 30) sogar davon gesprochen, dass dort, eben »im Himmel«, die »Stätte« zu finden sei, »an der du«, Gott, »thronst«. Dem auf Veranlassung Salomos nun errichteten jerusalemischen Tempel wird indes immerhin der »Name« Gottes zugeordnet (V. 18.29.44; vgl. V. 33.35.41 f.). Noch ein wenig betonter als in 1Kön 8 (und als dort zumal in V. 27 [»Sollte Gott wirklich auf der Erde wohnen? Siehe, selbst der Himmel und die Himmel der Himmel fassen dich«, Gott, »nicht, wieviel weniger dieses (Tempel-)Haus«]) wird die Vorstellung von einem irdischen Tempel als »Haus«, »Stätte meines«, Gottes, »Wohnens« in Jes 66,1 (vgl. z. B. 1Kön 8,12 f.; Ps 22,4, ferner 1Chron 28,2 f.) durch den Verweis auf den »Himmel« kritisiert: »So spricht der Herr: Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel für meine Füße. Was wäre das für ein Haus, das ihr mir bauen könntet, und welches wäre die Stätte meines Wohnens?« Dass damit auch hier der jerusalemische Tempel nicht etwa einfach verworfen wird, lässt der Kontext freilich deutlich erkennen (s. bes. V. 6.8.13.20). Er bietet im Übrigen auch das Motiv eines von Gott geschaffenen »neuen Himmels« und einer »neuen Erde« (V. 22). Während Jes 66 und 1Kön 8 lediglich vom himmlischen Thronen Gottes sprechen, wird in 3Reg 8 die himmlische »Verortung« Gottes entschieden nachdrücklicher als im hebräischen Text akzentuiert. In V. 30 wird der jerusalemische Tempel als »dieser Ort« ausdrücklich von dem »Ort deines [d. h.: Gottes] Wohnens im Himmel« unterschieden, und beide Male wird derselbe Terminus, nämlich τόπος, verwandt. Die somit zumindest nahegelegte Korrespondenz kann man als dadurch charakterisiert begreifen, dass das Flehen hin in Richtung auf den irdischen »Ort« eigentlich am himmlischen »Ort« (»gnädig«) »gehört« bzw. »erhört« (V. 29 f.) werde bzw., wie es mehrfach (nämlich in V. 32.34.39.43.45.49; vgl. V. 52) heißt, »aus dem Himmel heraus«. Damit verbunden ist in V. (38–)43 (vgl. noch V. 53) bemerkenswerterweise die Einbeziehung des »Fremdlings« und der »Völker« in den Kreis der den göttlichen Namen »fürchtenden« (und sich an die entsprechende Gottheit wendenden) Personen (dem natürlich zuvörderst Gottes Volk, »Israel«, zugerechnet wird). Die derart betonte Idee von einer Präsenz Gottes im Himmel wird im griechischen Text noch insofern präzisiert, als – der Rede von einem irdischen »Haus Gottes« (o. ä.) (V. 1.53.63 f.; vgl. V. 64 f. [»vor dem Herrn« bzw. »vor dem Herrn, unserem Gott«], ferner V. 13 v. l.) bzw. vom »Haus für den Namen des Herrn« (o. ä.) (V. 17 f.19 f.27) immerhin vergleichbar – vom himmlischen »Wohnort« bzw. von der »Wohnstätte« Gottes gesprochen wird (V. 39.43.49: »deine [nämlich: Gottes] Wohnstätte«). Im Blick auf die Rezeption ist dabei wichtig, dass es hier jeweils (also: dreimal) von der »bereiteten Wohnstätte« heißt. Inhalt einer anderen Textpassage, des Liedes des Mose und der Israeliten in Ex 15,121, ist die Rettung der Israeliten (s. V. 1), des von Gott »erworbenen« »Volks« (s. V. 16), das eben der »Herr« (s. lediglich V. 1.18) – gemäß diesem Hymnus – am sog. Schilfmeer vor den ägyptischen »Widersachern« (s. bes. V. 4-6) gerettet und insofern »erlöst« hatte (s. bes. V. 13). Obwohl dieser Retter-Gott hier mit einer Fülle von Prädikaten versehen wird und auch den Vergleich mit anderen Göttern offenkundig 69

gtvh 08105 / p. 70 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

gerade nicht zu scheuen braucht (s. bes. V. 11), hat es dieser Gesang nicht eigentlich mit einem himmlischen Ort des so Gepriesenen zu tun, und das auch nicht in V. 13.17, wo von einer »Wohnstätte« dieses Gottes gesprochen wird, die freilich nicht für ihn da sei, vielmehr ihm gehöre und dem »Volk« zugutekommen, von ihm als Wohngebiet genutzt werden solle. Die LXX, die dabei in Ex 15,13 von einer Einladung in eine »(heilige) Herberge« spricht, verwendet dann in V. 17 eine Ausdrucksweise, die zwar völlig mit der Terminologie von 3Reg 8,39.43.49 übereinstimmt, nämlich: »deine bereitete Wohnstätte« (ἕτοιμον κατοικτήριόν σου), in diesem »Schilfmeerlied«, aber etwas anderes, etwas Irdisches meint. Es heißt (in Ex 15,17) ja genauer folgendermaßen: »Bring sie [d. h. die Angehörigen des Gottesvolks] hin und pflanze sie auf den Berg deines Erbes, an deiner bereiteten Wohnstätte, die du errichtet hast, Herr, dem Heiligtum (ἁγίασμα), Herr, das deine Hände bereitet haben.« Versuchte man, die in 3Reg 8 angedeutete Korrespondenz zwischen dem jerusalemischen Tempel und der im Himmel »bereiteten Wohnstätte« Gottes mit den Formulierungen von Ex 15, bes. von V. 17, über das irdische »Heiligtum« der Israeliten zusammenzunehmen, so ergäbe sich, dass der irdischen »bereiteten Wohnstätte« eine himmlische (»bereitete Wohnstätte«) entsprechen könnte, und auch bei der »oberen Lokalität« ließe sich dann an ein »Heiligtum« denken, ja, an einen »bereiteten«, »präexistenten« Tempel. Die Rezeptionsgeschichte weist denn auch in der Tat eine Fülle entsprechender Aussagen auf, übrigens nicht nur im Einflussbereich der LXX, sondern auch auf hebräisch- und auf aramäischsprachigem Gebiet. Dabei spielt das Ezechielbuch eine erhebliche Rolle. Denn in Ez 8-11 wird im Rahmen einer Visionserzählung nicht nur so etwas wie ein Gericht über die Stadt Jerusalem und über den dortigen Tempel zum Ausdruck gebracht (s. lediglich 9,4-7), sondern es ist da auch davon die Rede, dass »die Herrlichkeit des Herrn« sich »erhob« und außerhalb der Stadt einen erhöhten Platz einnahm (s. 11,23), zudem davon, dass Gott selbst den in die Verbannung Zerstreuten so etwas wie ein »Heiligtum« (LXX: »ein kleines Heiligtum« [ἁγίασμα μικρόν]) geworden sei bzw. sein wolle (11,16). Die damit (wie in Ez 43,3 expliziert wird:) zu verbindenden Kapitel Ez 40-48 haben es mit »Gottesgesichten« zu tun, bei denen der sich auf »einen sehr hohen Berg« im »Land Israel« »geführte« Visionär »etwas wie den Bau einer Stadt« sieht (40,2) – und in ihr kommt einem Tempelareal ein besonders prominenter Platz zu. Sie soll erst noch errichtet werden, und ein, wie man vielleicht formulieren darf, einigermaßen »himmlisch« präsentiertes »Modell« ist zuvor erst einmal zu betrachten und zu vermessen (s. lediglich 40,3-5; 42,15-20; 48,30-35). In der griechischsprachigen Sapientia Salomonis findet sich etwas wie ein Resultat der traditionsgeschichtlichen Vorgaben. Salomo beruft sich, wie es in Weish 9,8 heißt, darauf, Gott habe »gesagt, ich [also: Salomo] solle einen Tempel [ναός] auf deinem [nämlich: Gottes] heiligen [bzw. heiligem] Berg bauen und in der Stadt deines Wohnens [κατασκηνώσεώς σου] einen Altar [θυσιαστήριον], eine Kopie [μίμημα] des heiligen Zeltes, das du von Anfang an vorbereitet hast.« Die Entsprechung der zwei hier angesprochenen Tempelanlagen wird dabei mit dem Ausdruck »Kopie« (μίμημα) zum Ausdruck gebracht, und der jedenfalls zeitliche Vorrang des »Modells« wird durch die Redeweise von einer Vorbereitung (d. h. durch die Verwendung des Kompositums προετοιμάζω anstelle von ἑτοιμάζω [»bereiten«] bzw. von ἕτοιμος [»bereit«]) akzentuiert. 70

gtvh 08105 / p. 71 / 31.3.2022

Präexistenz des himmlischen Heiligtums

Immerhin erwähnt sei, dass sich ähnliche Vorstellungen auch in den sog. Qumranschriften finden, ferner in der rabbinischen Literatur. Was die Funde vom Toten Meer angeht, ist zumal auf die sog. Sabbatopferlieder zu verweisen, gerade auch auf das dreizehnte (s. bes. 11Q17 10,5-9). Der »Midrasch zur Eschatologie« (4QMidrEsch [d. h. 4Q174 und 4Q177]) nimmt in dem betreffenden Passus (4QMidrEsch 3,1-9) sogar eben auf Ex 15,17 f. Bezug (Z. 2 f.), und dabei ist hier nun an einen eschatologischen Tempel gedacht, der mit den »Heiligen« in Zusammenhang gebracht wird (Z. 4) und der, anders als das »Heiligtum Israels« (Z. [5–]6), dauerhaft existieren soll (wie das wohl auch für die [in Z. 6] als »Menschen-Heiligtum« benannte Größe anzunehmen sein wird), sofern es heißt: »Und nicht werden Fremde es zerstören, wie sie es vordem zerstört haben« (Z. 5). Das hinsichtlich »der rabbinischen Exegese des Verses« Ex 15,17 zu Beobachtende lässt sich (mit Ego: Im Himmel wie auf Erden, 96) folgendermaßen zusammenfassen: Es sei da »eine systematische Entfaltung der beiden Aspekte« auszumachen. Genauer gelte (sofern nämlich die »Wohnstätte« dieses Verses [mittels einer Verdoppelung des vorletzten Buchstabens des hier verwendeten hebräischen Worts, d. h. von ‫ ]מכון‬durch ein »gegenüber« [‫ ]מכוון‬interpretiert werde): »Der himmlische Tempel liegt genau gegenüber dem irdischen Tempel.« Ähnliche Vorstellungen begegnen verschiedentlich auch (sonst) im frühjüdischen Schrifttum (s. äthHen 25,5-7; vgl. JosAs 8,9; 20,1, zudem Josephus, Ant III, 137, überdies 4Esr 13,35), ferner im Neuen Testament. Darin sind hier vor allem die Johannesoffenbarung, der Hebräerbrief und das lukanische Werk von Interesse. Außerdem verdient der einzige protopaulinische Beleg für das Verb προετοιμάζω Erwähnung, Röm 9,23 (vgl. noch Eph 2,10), sofern die Formulierung, Gott werde »den Reichtum seiner Herrlichkeit an den Gefäßen des Erbarmens erweisen, die er zur Herrlichkeit vorherbestimmt« habe, jedenfalls mit den Termini »Herrlichkeit« und »Gefäße (n)« an so etwas wie alttestamentliche Kultbegrifflichkeit (vgl. nur Ez 10,4 und Num 4,26) anknüpfen wird (vgl. [indes auch] 2Tim 2,21). Ähnlich dürfte es sich bei Mt 25,34 (»nehmt das Reich in Besitz, das euch bereitet ist seit der Erschaffung der Welt« [vgl. dazu V. 31: »Thron der Herrlichkeit«]) verhalten (vgl. ferner Mk 10,40 par. Mt 20,23) und auch bei Joh 14,2 (»euch einen Ort [τόπος] zu bereiten«, und zwar »im Haus meines Vaters« [d. h.: des Vaters Jesu]; vgl. 2Kor 5,1 [dann werden wir »haben einen Bau, von Gott gebaut, ein nicht mit Händen gemachtes ewiges Haus in den Himmeln«]). Was nun das lukanische Werk anbetrifft, so fallen bei unserer Thematik zunächst zwei Tempelszenen des dritten Evangeliums ins Auge, die dort gegen Beginn ihren Platz haben, nämlich Lk 1,5-25 und Lk 2,21-39, und zwar schon deshalb, weil diese Erzählungen im wesentlichen im jerusalemischen Tempelareal situiert sind, es indes gerade dort nicht zuletzt mit einigermaßen eschatologischen Fragen zu tun haben. Es geht nämlich u. a. darum, »dem Herrn ein wohlgerüstetes Volk zu bereiten« (1,17) und Gottes »Heil« wahrzunehmen, das er »im Angesicht aller Völker bereitet« habe (2,31 [vgl. Jes 52,10]). Dabei wird, obwohl es sich doch um den irdischen Tempel handelt, davon gesprochen, dass Jesus hier »dem Herrn [also: Gott] darzustellen« ist (2,22) und dass Priester wie Zacharias, der Vater Johannes des Täufers, ihren Dienst »vor Gott« verrichten (1,8). Der Konnex mit Gottes originärem Ort wird in dieser einleitenden Erzählung nicht zuletzt durch den »Engel« »Gabriel« angedeutet – an der irdischen Stätte »zur Rechten des Räucheraltars stehend« (1,11), obwohl er eigentlich »vor Gott steht« und von dort her »gesandt« worden ist (1,19). 71

gtvh 08105 / p. 72 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

Solche Beobachtungen passen gut zur »Stephanusepisode« (Act 6,1-8,3). Die Stephanus gegenüber erhobenen Vorhaltungen (s. 6,11.13 f.) werden durch seine Apologie (7,2-53) und die sich anschließende Martyriumsszene (7,54-60) zurückgewiesen (s. bes. 7,4b.38c.44.53.55 f.59). Hinsichtlich der Anschuldigung, dass er »gegen diesen heiligen [Tempel-]Ort« (V. 13) polemisiere (und insofern gegen »Gott« [V. 11]), ist sehr bemerkenswert, dass dieser Tempel-Vorwurf offenkundig den Aufbau der Verteidigungsrede bestimmt (s. nur: 7,9-29; 7,30-44; 7,45-50). Darüber hinaus ist zweierlei von erheblicher Relevanz: Zum einen geht dem Blick auf den – mit Anspielungen auf 3Reg 8 und auf Ps 131(132),5 und mit einer Jes 66,1-2a zitierenden Sentenz beleuchteten – Salomo-Bau (s. Act 7,47-50; vgl. V. 46: »ein Zelt für das Haus Jakob«) eine ausdrückliche Bemerkung dazu voraus, dass zumindest (und bereits) dessen Vorgängereinrichtung, »das Zelt des Zeugnisses«, dem himmlischen »Modell« (τύπος) entsprochen habe, welches Mose »gesehen hatte« (s. V. 44). Für die sog. Stephanusvision (V. 55 f. [vgl. V. 59]), bei welcher der Angeklagte »zum Himmel blickte und die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen sah«, scheint, zum anderen, angesichts eben dieser Ausdrucksweise, auch wegen der inhaltlichen Nähe zu Lk 1,11.19, »der Schluß unumgänglich« zu sein: »Lukas will in Apg 7,54 ff. tatsächlich von einem Blick ins himmlische Heiligtum und von Jesus als Priester bzw. Hohempriester reden« (Bachmann: Stephanusepisode, 314), womit dem »präexistenten« Tempel hier zugleich in die Zukunft weisende Aufgaben zukommen (s. dazu bes. V. 60b). Den Hebräerbrief beschäftigt die Thematik eines »präexistenten Tempels« und der anzustrebenden »zukünftigen Stadt« (s. Hebr 13,14), die zugleich das erwartete Heil symbolisiert, noch intensiver (s. bes. 8,1-10,18; 13,10-16). In 11,16 ist davon die Rede, Gott habe den zuvor aufgeführten Glaubensvorbildern, die durch die Erwartung »einer besseren Heimat, nämlich der himmlischen«, bestimmt gewesen seien, eben »eine [solche] Stadt vorbereitet« (vgl. V. 10, ferner 12,22). Dem gegenüber wird das – zur Abfassungszeit der Schrift wohl bereits zerstörte – »mit Händen gemachte« irdische »Heiligtum« (9,24) deutlich abgewertet (vgl. 8,5: »Abbild und Schatten«). Christus sei »in ein Abbild [ἀντίτυπον] des wahren [Heiligtums], […] den Himmel selbst eingegangen, um jetzt für uns vor dem Angesicht Gottes zu erscheinen« und so »durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben« – auch als Fürbitter (s. 7,25; vgl. 9,24) –, und das ein für alle Mal (9,24-28; vgl. 10,12). Insofern kann Christus in diesem »Brief« auch als »Hoherpriester« bezeichnet werden (s. 8,1; vgl. V. 2: »Diener [λειτουργός] am Heiligtum«), und sein (hier nun) in majestätischer (Sitz-)Haltung eingenommener Platz ist »zur Rechten des Thrones der Majestät im Himmel« (8,1; vgl. 10,12; 12,2), und zwar gemäß Ps 109(110),4 f. (vgl. lediglich 5,6.10; 7,17; vgl. z. B. 4Q401 Frgm. 11,3). Die komplizierte Terminologie im Blick auf den irdischen und den himmlischen Tempel (u. a. [»erstes« und »zweites«] »Zelt« [s. nur 8,2; 9,2 f.]; [»das«] »Heiligtum« [s. etwa 8,2; 9,24]) und auch die genauen »räumlichen« Vorstellungen nachzuzeichnen, dürfte hier wohl zu weit führen. Die Entsprechung zwischen einem himmlischen Modell und einem irdischen Abbild spricht jedoch gegen eine Interpretation von 9,8-12, nach welcher der (oder die) Himmel (vgl. z. B. 9,24 [bzw. 4,14]) als das »Allerheiligste« des Tempels zu begreifen wäre(n) und diese Welt als Hauptraum, als »Heiliges«. Vielmehr ist mit jener Korrespondenz in diesem Schreiben fraglos ein betontes Gegenüber verknüpft: Die Geretteten sind nämlich, wie es in 12,18-29 heißt, »nicht zu etwas Berührbarem gekommen« (V. 18), »sondern […] zu dem Berg Zion und zu der Stadt des 72

gtvh 08105 / p. 73 / 31.3.2022

Präexistenz des himmlischen Heiligtums

lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu Myriaden von Engeln, zur Festversammlung und zur Gemeinschaft der Erstgeborenen […] und zu dem Mittler des neuen Bundes, Jesus« (V. 22-24a). Die Johannesoffenbarung, die wie Act 7,44 und immerhin ähnlich wie der Hebräerbrief (s. bes. Hebr 9,2 f.; 13,10) im Blick auf so etwas wie den Tempel vom »Zelt des Zeugnisses« (Apk 15,5) – und einfach vom »Zelt« (13,16; 21,3; das betreffende Verb »zelten«: 7,15; 12,12; 13,6; 21,3) – sprechen kann, verwendet noch häufiger (nämlich: 16 mal) den Ausdruck ναός, der das zentrale »Gebäude« einer solchen Anlage meint. Dieses »Tempelhaus« (und das »Zelt« [s. 13,6; 21,3]) wird mehrfach mit dem Genitiv als »Tempel(haus) Gottes« (s. z. B. 3,12 [»meines Gottes«]; 11,1; vgl. etwa 11,19) gekennzeichnet und (dabei) verschiedentlich eigens »im Himmel« (11,19; 14,17; 15,5; vgl. 12,12; 13,6) situiert. Himmlisches wird in dieser – wahrscheinlich ebenfalls in die Zeit nach der Tempelzerstörung zu datierenden – Apokalypse-Schrift wohl auch der Beleg 11,1 (Vermessung in Bezug auf »den Tempel Gottes und diejenigen, die in ihm anbeten«) meinen (vgl. bes. 21,15-17, ferner Ez 40,3), während beim »äußeren Vorhof«, der »den Völkern/ Nicht-Juden preisgegeben« wird, an Irdisches zu denken ist. Auch das mit »Tempelhaus« und »Altar« (»Brandopfer-« und »Räucheraltar« [Apk 6,9; 8,3a.5; 14,28; 16,7 und 8,3b; 9,13]; vgl. 11,19: »Bundeslade«) verknüpfte Motiv vom göttlichen »Thron« (s. bes. 8,3; 16,17) und vom durch Engel gebildeten Tempel- und Kultpersonal (s. bes. 7,15; 14,15-19; 15,5-16,1; vgl. z. B. 5,11, ferner nochmals 11Q17 10,5-9) unterstreicht die Konzentration (ausschließlich) auf den himmlischen, den »präexistenten« Tempel. Er wird hier zugleich als ein in endzeitlichen Gefährdungen wichtiger Hoffnungsort begriffen (s. bes. 3,12; vgl. 5,6-14; 11,15-19), und dazu fügt sich das Schlussbild 21,1-22,5. Der Blick auf »neuen Himmel und neue Erde« (21,1; vgl. nochmals Jes 66,22) und auf »die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommend« – ein kubisch geformtes Gebilde von riesigen Ausmaßen (s. bes. 21,15-17) – hat es, obwohl die Tore auf die »zwölf Stämme der Söhne Israels« (21,12) bezogen werden (während die zwölf »Grundsteine« die »zwölf Namen der zwölf Apostel des Lammes« tragen [21,14]), zum einen in der Tat mit Rettung, mit die »Völker« einbeziehender Rettung zu tun (s. bes. 21,24.26; 22,3; vgl. 21,3-7; 22,3-5), und das auch insofern, als die Stadt sogleich als Frau, als »Braut« Christi, des »Lammes« verstanden wird (s. bes. 19,7-9; 21,2; vgl. Josephus, Bell. VI, 301). Zum anderen wird dieser Ort trotz der in 21,22a begegnenden Wendung (»einen Tempel sah ich nicht in ihr [d. h.: der Stadt]«) sehr wohl im Sinne der endzeitlichen Präsenz des »präexistenten Heiligtums« zu begreifen sein. Inhaltlich trägt nämlich in 21,22 (nicht anders als in 21,23) der zweite Versteil das Gewicht, also die Aussage, »ihr [d. h.: der Stadt] Tempel« sei »der Herr, der Gott, der Pantokrator […] und das Lamm« – was im Übrigen durch den Chiasmus in 21,1-5a bestätigt wird, der ja Stadt- (V. 1 f.) und Zelt-Motive (V. 3-5a) miteinander verknüpft. Schon gegen Beginn der Vision heißt es denn ja auch hinsichtlich des »neuen Jerusalem«, es handle sich um »das Zelt Gottes bei den Menschen« (21,3; vgl. z. B. Ez 30,27), und beides steht zudem mit seinem »Thron« (und zugleich mit dem des »Lammes«) in Verbindung (s. Apk 21,3.5; 22,1.3). Die überaus reiche Wirkungsgeschichte dieser Aussagen kann hier allenfalls angedeutet werden. Z. B. wird die Motivik in den Ignatianen aufgegriffen, so in IgnEph 9,1 (wo die Adressaten als »Steine des Tempels des Vaters, bereitet zum Bau Gottes des Vaters« angesprochen werden) und in IgnRöm 2,2 (hier nun im Blick auf den Verfasser 73

gtvh 08105 / p. 74 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

selbst). Einflussreich sind die zahlreichen Apokalypse-Ausgaben und -Kommentare, angefangen mit der Auslegung dieser Schrift durch Victorinus von Pettau († 304), nicht selten (und jedenfalls spätestens seit der sog. Trierer Apokalypse [wohl: erstes Viertel des 9. Jahrhunderts]) begleitet durch Illustrationszyklen. Dementsprechend ist es dann bei den gedruckten Bibeln im Bereich des Neuen Testaments zunächst die Johannesoffenbarung, die ziemlich durchgehend bebildert wird (etwa auch in Martin Luthers Septembertestament). An Visualisierungen des himmlischen Altars und der Tempel-Stadt von Apk 21 f. fehlte es also nicht. Die in der konstantinischen Zeit beginnende »christliche« Bautätigkeit in Jerusalem (nicht zuletzt: die Grabeskirche) und die späteren (muslimischen) Gebäude auf dem Tempelberg (zumal: der Felsendom [bzw.: templum domini]) beeinflussten (vor allem seit der Kreuzzugszeit) die europäische (und die muslimische) Architektur (wobei auf islamischer Seite auch die sog. Himmelfahrt des Propheten eine Rolle spielte) und führten da zu »vielfältigen Nachwirkungen des Tempels von Jerusalem« (von Naredi-Rainer: Salomos Tempel, 7). Erwähnt seien (teils in zwölf Sektoren aufgeteilte) Radleuchter sowie Rundfenster und auch verschiedentlich in Gestalt eines regelmäßigen Zwölfecks errichtete Zentralbauten (z. B. Vera Cruz, geweiht im Jahr 1208). Romanische und gotische Kirchen wurden in der Entstehungszeit ohnehin im Sinne eines Hinweises auf das himmlische Jerusalem verstanden und (jedenfalls seit dem 10. Jh. nicht zuletzt mit dem Gesang des Hymnus »Urbs beata Hierusalem«) ihrer Bestimmung übergeben. Auch danach gab es eine breite Weiterführung des Motivbündels, so in Dantes »Divina Commedia« (ca. 13071321 entstanden), deren dritter Teil, Paradiso, gerade auch auf die Johannesoffenbarung zurückgreift (und das Moment der Regelmäßigkeit des himmlisch-endzeitlichen »Baus« etwa mit der Betonung der Kreis-Form aufgreift). Ähnliches kann man in protestantischen Milieus beobachten, wo etwa John Bunyans Schriften »The Pilgrim’s Progress« (1678 veröffentlicht) – vor allem die (beiden) Schlusspassagen (von »The First« und »The Second Part«) – und »Salomo’s Temple Spiritualized« (vorgelegt 1688) Beachtung verdienen. In Württemberg erschien im Jahr 1866 eine von der Diakonisse Charlotte Reihlen (1805-1868) entworfene Lithographie unter dem Titel »Der breite und der schmale Weg«. Sie hing in dieser oder auch in einer der anderen Versionen in vielen (schwäbischen) Haushalten, und rechts oben ist die himmlische Stadt bzw. das »präexistente Heiligtum« dargestellt, gelegentlich als Kubus mit zwölf Toren. Überdies: Selbst der nicht zuletzt für das nationalsozialistische Regime wichtige Begriff »Drittes Reich« versucht wohl, Vorstellungen aus Apk (20–)21 f. aufzugreifen (wie das in einigermaßen vergleichbarer Weise Jahrhunderte zuvor bereits beim Bau des Schlosses Chambord [unter Franz I.] der Fall gewesen sein wird).

74

gtvh 08105 / p. 75 / 31.3.2022

2.1.4 Schöpfung Eberhard Bons Literatur Textausgaben: Joseph und Aseneth, ed. Christoph Burchard u. a., Leiden 2003. Origenis Hexaplorum quae supersunt sive veterum interpretum graecorum in totum Vetus Testamentum fragmenta, ed. Frederick Field, Tomus 1, Oxford 1875 – Hieronymus: Commentariorum in epistulam ad Ephesios libri tres, PL 26, 439 A-554 D. – Theodoret: Interpretatio in Psalmos, PG 80, 857 A-1998 B – Vetus Latina. Die Reste der altlateinischen Bibel 25: Epistulae ad Thessalonicenses, Timotheum, Titum, Philemonem, Hebraeos, 7. Lieferung Hebr 7,10-9,12, ed. Hermann Josef Frede, Freiburg im Breisgau 1990.

Weitere Literatur: Bellantuono, Antonella: The Biblical God in His Greek Shape, Turnhout 2022 – Blischke, Mareike V.: Zur Theologie der Sapientia Salomonis, in: Karl-Wilhelm Niebuhr (ed.), Sapientia Salomonis (Weisheit Salomos), SAPERE 27, Tübingen 2015, 155-173 – Bons, Eberhard: Le verbe κτίζω comme terme technique de la création dans la Septante et dans le Nouveau Testament, in: Jan Joosten / Peter J. Tomson (ed.), Voces Biblicae. Septuagint Greek and its Significance for the New Testament, CBET 49, Leuven 2007, 1-15 – Bons, Eberhard: Beobachtungen zu den Schöpfungskonzepten der griechischen Bibel und zu ihrem Einfluss auf das Neue Testament und die Schriften des Urchristentums, in: Thomas S. Caulley / Hermann Lichtenberger (ed.), Die Septuaginta und das frühe Christentum, WUNT 277, Tübingen 2011, 205-216 – Bons, Eberhard / Passoni Dell’Acqua, Anna: A Sample Article: κτίζω – κτίσις – κτίσμα – κτίστης, in: Eberhard Bons / Jan Joosten (ed.), Septuagint Vocabulary. Pre-History, Usage, Reception, SCS 58, Atlanta 2011, 173-187 – Bons, Eberhard: Psalter Terminology in Joseph and Aseneth, in: Wolfgang Kraus / Siegfried Kreuzer (ed.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 430-443 – Bons, Eberhard: Der Einfluss des Septuaginta-Psalters auf die jüdisch-hellenistische Gebetssprache – Beispiele aus der Septuaginta und der zwischentestamentlichen Literatur, in: Florian Wilk (ed.), Identität und Sprache. Prozesse jüdischer und christlicher Identitätsbildung im Rahmen der Antike, BThSt 174, Göttingen 2017, 113-137 – Borbone, Pier Giorgio: Il Libro del Profeta Osea. Edizione critica del testo ebraico, Quaderni di Henoch 2, Turin 1990 – Breytenbach, Cilliers: Art. Schöpfung III. Neues Testament, TRE 30 (1999), 283-292 – Bussino, Severino: Creation and Humanity in the Book of Ben Sira, in: Michael W. Duggan / Renate Egger-Wenzel / Stefan C. Reif (ed.), Cosmos and Creation. Second Temple Perspectives, Berlin 2020, 149-178 – Casevitz, Michel: Le vocabulaire de la colonisation en grec ancien. Étude lexicologique: les familles de κτίζω et de οἰκέω – οἰκίζω, Études et commentaires 97, Paris 1985 – Dorival, Gilles / Harl, Marguerite / Munnich, Olivier: La Bible grecque des Septante. Du judaïsme hellenistique au christianisme ancien, Paris 21994 – Gera, Deborah Levine: Judith, CEJL, Berlin 2014 – Gerber, Christine: Blickwechsel. Joseph und Aseneth und das Neue Testament, in: Eckart Reinmuth (ed.), Joseph und Aseneth, SAPERE 15, Tübingen 2009, 203-217 – Hanges, James Constantine: The Greek Foundation Legend: Its Form and Relation to History, SBL.SP 131 (1995), 494-520 – Hanges, James Constantine: Paul, Founder of Churches. A Study in Light of the Evidence for the Role of »Founder-Figures« in the Hellenistic-Roman Period, WUNT 292, Tübingen 2012 – Koole,

75

gtvh 08105 / p. 76 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

Jan L.: Isaiah Part 3. Volume 2: Isaiah 49-55, HCOT, Leuven 1998 – Kratz, Reinhard G. / Spieckermann, Hermann: Art. Schöpfung II. Altes Testament, TRE 30 (1999), 258-283 – Leschhorn, Wolfgang: »Gründer der Stadt«. Studien zu einem politisch-religiösen Phänomen der griechischen Geschichte, Palingenesia 20, Wiesbaden 1984 – Lona, Horacio E.: An Diognet. Übersetzt und erklärt, KfA 8, Freiburg im Breisgau, 2001 – Luz, Ulrich: Das Evangelium nach Matthäus. 3. Teilband: Mt 18-25, Zürich / Neukirchen-Vluyn 1997 – Morla Asensio, Víctor: Los manuscritos hebreos de Ben Sira. Traducción y notas, Estella (Navarra) 2012 – Oberlinner, Lorenz: Die Pastoralbriefe. Erste Folge: Kommentar zum 1. Timotheusbrief, HThNT XI/2, Freiburg im Breisgau 1994 – O’Connor, Micheal: The Language of Creation in Ben Sira: ‫= חלק‬ κτίζω, in: Jeremy Corley / Vincent Skemp (ed.), Studies in the Greek Bible. Essays in Honor of Francis T. Gignac, S.J., CBQ.MS 44, Washington 2008, 217-228 – Olofsson, Staffan: God is My Rock, A Study of Translation Technique and Theological Exegesis in the Septuagint, CB.OT 31, Stockholm 1990 – Passoni Dell’Acqua, Anna: La metafora biblica di Dio come roccia e la sua soppressione nelle antiche versioni, Ephemerides liturgicae 91 (1977), 417-453 – Pouchelle, Patrick: Les astres errants. L’utilisation des Écritures dans la finale du dernier Psaume de Salomon (Ps.Sal. 18,10-12), in: Eibert Tigchelaar (ed.), Old Testament Pseudepigrapha and the Scriptures, BETL 270, Leuven 2014, 157-172 – Rösel, Martin: Übersetzung als Vollendung der Auslegung. Studien zur Genesis-Septuaginta, BZAW 223, Berlin / New York 1994 – Scarpat, Giuseppe: Libro della Sapienza. Testo, traduzione, introduzione e commento. Volume primo, Brescia 1989 – Schmitz, Barbara: Gedeutete Geschichte. Die Funktion der Reden und Gebete im Buch Judit, HBS 40, Freiburg im Breisgau 2004 – Schmitz, Barbara: Does κτίστης Mean »Creator«? The Lexeme κτι- and Its Implications in the Greek-Hellenistic Context, in: Michael W. Duggan / Renate Egger-Wenzel / Stefan C. Reif (ed.), Cosmos and Creation. Second Temple Perspectives, Berlin 2020, 35-52 – Schmitz, Barbara/Engel, Helmut, Judit, HThKAT, Freiburg im Breisgau, 2014 – Scialabba, Daniela: Creation and Salvation. Models of Relationship Between the God of Israel and the Nations in the Book of Jonah, in Psalm 33 (MT and LXX) and in the Novel »Joseph and Aseneth«, FAT II/106, Tübingen 2019 – Tate, Marvin E.: Psalms 51-100, WBC 20, Dallas 1990 – Zimmermann, Christiane: Die Namen des Vaters. Studien zu ausgewählten Gottesbezeichnungen vor ihrem frühjüdischen und paganen Sprachhorizont, AJEC 69, Leiden 2007.

1. Einleitung Der erste Satz des Buches Genesis lautet in der Septuaginta wie folgt: ἐν ἀρχῇ ἐποίησεν ὁ θεὸς τὸν οὐρανὸν καὶ τὴν γῆν, »am Anfang machte Gott den Himmel und die Erde«. Der Übersetzer wählt also anscheinend kein spezifisches griechisches Verb, um damit Gottes Schöpfungstätigkeit auszudrücken und das hebräische Wort bārāʾ wiederzugeben, sondern verwendet hier das »Allerweltswort« ποιέω, »machen«. 1 Nicht anders verhält sich um die Zeitenwende der jüdische Philosoph Philo von Alexandrien, der in seinen Werken mehrmals dieselbe Formulierung für die Wiedergabe von Gen 1,1 verwendet, so auch die Verbform ἐποίησεν (vgl. Opif. 26; 27; Aet. 19). Einige Jahrzehnte später jedoch ersetzt Flavius Josephus in seinen Antiquitates ἐποίησεν durch ein anderes Wort, ἔκτισεν: Ἐν ἀρχῇ ἔκτισεν ὁ θεὸς τὸν οὐρανὸν καὶ τὴν γῆν (Ant. I, 27). Denselben Weg geht auch Aquila in seiner Bibelübersetzung. Er zieht zwar dem Ausdruck ἐν ἀρχῇ einen anderen, geradezu gleichbedeutenden vor, ἐν 1.

Vgl. dazu Rösel: Übersetzung, 29: »Es erstaunt, daß der Übersetzer kein Äquivalent für ‫ברא‬ eingeführt hat, das der besonderen Bedeutung dieses Wortes gerecht wird …«

76

gtvh 08105 / p. 77 / 31.3.2022

Schöpfung

κεφαλαίῳ, wörtlich »am Haupt«, womit das hebräische ‫בראשׁית‬, »am Anfang« wiedergegeben werden soll, das wiederum mit dem Wort ‫ ֵראשׁ‬, »Kopf, Haupt« etymologisch verwandt ist; das Verb ἔκτισεν behält Aquila jedoch bei. 2 Beide Autoren verwenden somit eine Form von κτίζω, also eines Verbs, das, aus der Perspektive des nichtbiblischen Griechisch betrachtet, soviel wie »gründen« bedeutet, z. B. einer Stadt oder eines Bauwerks. Doch weder Flavius Josephus noch Aquila haben diesen Wortgebrauch im Zusammenhang der Rede von der Schöpfung erfunden. Vielmehr ist er bereits der Septuaginta bekannt. Er kommt zwar noch nicht in den beiden Schöpfungsberichten am Anfang der Genesis vor, findet sich jedoch in Gen 14,19.22 und vermehrt in denjenigen Texten der Septuaginta, die in einer zweiten Phase übersetzt wurden, also nach dem Pentateuch und vermutlich in der Zeit vom 2. Jh. v. Chr. an. 3 Dies gilt vor allem für die Psalmen, die Propheten (besonders Jesaja), ferner für die deuterokanonischen Schriften, so für das Buch Jesus Sirach und die Weisheit Salomos, schließlich für verschiedene Werke der jüdisch-hellenistischen Literatur in griechischer Sprache. Wie in diesem Artikel gezeigt werden soll, hat die Septuaginta eine Schöpfungsterminologie geschaffen, die ohne Zweifel die weitere Geschichte der jüdischen und später der christlichen Theologie beeinflusst hat. Diese Terminologie umfasst nicht nur das Verb κτίζω, sondern auch das Substantiv κτίστης, »Schöpfer« – ein Begriff, der zum Gottestitel wird – sowie die zwei Termini, die mit unterschiedlichen Nuancen die Schöpfung bezeichnen können: κτίσις und κτίσμα. Das bedeutet keineswegs, dass letztere Begriffe in der griechischen Sprache vorher nicht bekannt gewesen wären. Sie unterliegen jedoch einer Umdeutung, insofern sie sich nicht mehr auf den Gründer einer Stadt oder eines Bauwerks sowie auf die Gründung als solche beziehen. Doch damit nicht genug: Mit dieser Umdeutung sind auch bestimmte theologische Implikationen verbunden, die in den jeweiligen Kontexten entweder unausgesprochen bleiben oder aber breiter entfaltet werden können. Im folgenden Abschnitt soll kurz der Befund der Septuaginta skizziert werden. 4 Dabei stellen sich vor allem folgende Fragen: – Welche Gründe könnten die Übersetzer dazu veranlasst haben, das Verb κτίζω zu wählen, und welche Konnotationen sind mit diesem Wort in den griechischen Bibeltext eingeführt werden? – Welche Elemente der Schöpfungsvorstellungen, die in späterer jüdischer und christlicher Literatur begegnen, haben möglicherweise ihren Ursprung in der Septuaginta? In den weiteren Abschnitten wird anhand von ausgewählten Beispielen entfaltet, wie bestimmte schöpfungstheologische Motive oder Gedanken, die in der Septuaginta ihren Ursprung haben, in den jüdisch-hellenistischen Schriften, im Neuen Testament und in der frühchristlichen Literatur aufgenommen und weiterentwickelt werden. Ab-

2. 3. 4.

Nachweise bei Field: Origenis Hexaplorum quae supersunt, 7. Zur relativen Chronologie der einzelnen Bücher der Septuaginta vgl. Harl / Dorival / Munnich: La Bible grecque, 93-97. In den folgenden Abschnitten wird auf die Ergebnisse einiger früherer Publikationen zurückgegriffen, vor allem Bons: Beobachtungen; ders.: Le verbe κτίζω, und Bons / Passoni Dell’Acqua: Sample Article.

77

gtvh 08105 / p. 78 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

geschlossen wird der Artikel mit einigen Beobachtungen zum lateinischen Substantiv creatio in der Bedeutung »Schöpfung«.

2. Die schöpfungstheologische Terminologie der Septuaginta und ihre Konnotationen In der Septuaginta bedeutet das Verb κτίζω nur noch gelegentlich »gründen« 5, wobei die Objekte verschiedenartiger Natur sind: Ägypten (Ex 9,18), das Zelt des Zeugnisses (Lev 16,16), der Jerusalemer Tempel (Hag 2,9 [Zusatz in der LXX]), die Stadt Jerusalem selbst (1 Esdras 4,53). Während in diesen Versen ein menschliches Subjekt des Gründens ausdrücklich genannt oder wenigstens vorausgesetzt wird, ist an allen anderen Stellen Gott das grammatische oder logische Subjekt des Verbs. Dieses begegnet in den verschiedensten Zusammenhängen und Textgattungen. Objekte des göttlichen Wirkens, das mit κτίζω ausgedrückt wird, sind z. B. »Himmel und Erde« (Gen 14,19.22; Dan 4,37LXX), die Erde und das »Heer des Himmels« (Hos 13,4 [Zusatz]), Lebewesen allgemein (Ps 103,27LXX), die Menschen insgesamt oder das einzelne Individuum (Ps 32,9; 88,48; 148,5LXX; Koh 12,1). Dazu passt weiterhin, dass mit dem Substantiv κτίστης Gott selbst bezeichnet wird (2 Kgt [2 Sam] 22,32), während die Hebräische Bibel an dieser Stelle ‫צור‬, »Fels«, liest. Wie im Psalter vermeidet es also die Septuaginta, Gott mit einem Felsen zu assoziieren. 6 Einen menschlichen κτίστης, also einen Gründer z. B. einer Stadt oder eines Bauwerks, kennt die Septuaginta jedoch nicht. Somit bleibt als Zwischenergebnis festzuhalten, dass das Verb κτίζω keineswegs auf ein bestimmtes Buch der Septuaginta beschränkt ist, sondern ausgehend vom Pentateuch seinen Weg in die anderen übersetzten Texte findet und geradezu zu einem terminus technicus wird, mit dem das göttliche Schöpfungshandeln ausgedrückt wird. Wie aber ist dieser spezifische Gebrauch des Verbs κτίζω zu erklären? Zunächst gibt der Befund zu der Vermutung Anlass, dass die jüdischen Übersetzer, denen die ältesten Bücher der Septuaginta zu verdanken sind, auf der Suche nach einem geeigneten griechischen Vokabular waren, um die Texte, die Gott als Schöpfer darstellen, adäquat zu übertragen. Das Verb κτίζω besaß jedoch keineswegs diesen spezifischen Sinn im nichtbiblischen Griechisch, weder in der klassischen noch in der hellenistischen Literatur, erst recht nicht in den überlieferten Papyri. Dass die Übersetzer dennoch das Verb κτίζω wählten, also nicht am Gebrauch von ποιέω festhielten, ist wohl so zu erklären, dass sie – möglicherweise intuitiv – im faktischen Gebrauch von κτίζω Konnotationen erkannten, die einer Bedeutungserweiterung zumindest nicht entgegenstanden. Dies hat zur Folge, dass die im griechischen Sprachgebrauch vorhandenen Konnotationen von κτίζω nicht zugunsten einer neuen, spezifisch biblischen Bedeutung des Verbs zurücktreten, sobald Gott zum grammatischen oder logischen Subjekt des Verbs wird. Vielmehr ist von der Annahme auszugehen, 5. 6.

Vgl. zum Septuaginta-Befund Bons / Passoni Dell’Acqua: Sample Article, 175-177. Vgl. hierzu die Untersuchungen von Passoni Dell’Acqua: Metafora, und Olofsson: God is My Rock. Anders Zimmermann: Namen des Vaters, 349. Ein analoges Phänomen liegt auch in Sir 4,6 vor, wo Ms. A ‫צורו‬, »sein Fels«, liest, die Septuaginta jedoch ὁ ποιήσας αὐτόν, »der ihn gemacht hat«.

78

gtvh 08105 / p. 79 / 31.3.2022

Schöpfung

dass beide »Ingredienzien« – die biblischen und die griechischen – eine Synthese bilden, so dass die biblischen Schöpfungsvorstellungen mit der Übersetzung ins Griechische eine mehr oder weniger stark ausgeprägte interpretatio graeca erfahren. Welche spezifischen Konnotationen von κτίζω konnten aber für die Wahl dieses Verbs sprechen? Ohne hier die Bedeutungsentwicklung des Wortes von seinen frühesten Bezeugungen an nachzuzeichnen 7, sei festgehalten, dass die Gründung einer Stadt in der Regel als ein in einer fernen Vergangenheit zurückliegendes Ereignis betrachtet wird. 8 Besonders die manchmal sehr legendär wirkenden Begleitumstände verdienen dabei Beachtung, wie dies an zahlreichen Gründungserzählungen illustriert werden kann. Zitiert sei hier nur ein später Text, die Biographie Alexanders des Großen von Plutarch. Dort führt Plutarch aus (Alex. 26.4-10), dass Alexander nach der Eroberung Ägyptens vorhatte, dort eine große Stadt für eine griechische Bevölkerung zu gründen. Diese Stadt sollte seinen Namen tragen. Deren genaue Lage – die Insel Pharos – war dem König aber noch nicht bekannt, wird ihm aber in einer Vision offenbart. Für die Umsetzung des Plans bedarf es nun der Expertise von Fachleuten verschiedenster Art. Diese sehen die Lage der zukünftigen Stadt am Meer als geeignet an, da sie vor allem die Anlage eines Hafens ermöglicht, was eine Voraussetzung für florierenden Handel bedeutet. Zudem bietet sie mit ihrem Hinterland den Bewohnern genügend Nahrung, was ein weiteres wichtiges Kriterium für die Gründung ist. Diese Details mögen genügen. Sie zeigen, dass die Gründung einer Stadt ein sehr planvolles Vorgehen ist, bei dem ganz verschiedene Kriterien berücksichtigt werden müssen, damit das Projekt sich nicht nur als zweckmäßig erweist und gelingen soll, sondern auch dauerhaft ist. Die Gründung einer Stadt zielt somit auf die Herstellung einer Realität ab, die die Eigenschaften des Neuartigen, Unvergleichlichen und Permanenten besitzt. Zugleich dient sie einem Kollektivum, nicht allein den Einzelinteressen einer Person, und erfordert sowohl eine gründliche Planung als auch eine sorgfältige Organisation der vielfältigen finanziellen, handwerklichen und technischen Maßnahmen. Das Verb κτίζω bezeichnet somit eine Tätigkeit, deren materielle, konzeptionelle und organisatorische Aspekte die Dimension der alltäglichen Arbeit des Handwerkers übersteigen. Darin liegt möglicherweise der Grund dafür, dass die jüdischen Übersetzer nicht etwa das Verb δημιουργέω, »(handwerklich) schaffen, verfertigen«, wählten, sondern κτίζω. 9 Gott hätte also – so könnte man folgern – mit den Gründern von Städten gemeinsam, dass er nicht nur den Anstoß zur Entstehung seiner Werke gibt und als ihr Urheber gelten kann, sondern dass er seinen Plan mit Sorgfalt und Autorität ausführt und jedem seiner Werke seinen Platz und seine Funktion in der Schöpfung zuweist. Gerade letzteres geht ja aus Texten wie Gen 1,28-30 deutlich hervor. Die Wahl von κτίζω ist keineswegs ein isoliertes Phänomen in der Septuaginta. Man ersetzte nicht lediglich ein geläufiges Wort, etwa ποιέω, durch ein anderes, das man aus irgendeinem Grund als geeigneter ansah. Möglicherweise hat die Vorstellung des absichtsvollen und umsichtigen Schaffens dazu veranlasst, verschiedene Gedanken 7. 8. 9.

Vgl. ausführlich hierzu Casevitz: Vocabulaire, 15-72. Vgl. hierzu die Untersuchungen von Hanges: Foundation Legend, und ders.: Paul, Founder of Churches, bes. Kapitel 2; Leschhorn: »Gründer der Stadt«, passim. Vgl. Bons / Passoni Dell’Acqua: Sample Article, 177.

79

gtvh 08105 / p. 80 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

und Argumentationsfiguren zu entwickeln, die in dieser Form der Hebräischen Bibel weitgehend unbekannt sind. So hat nach Hos 13,4, einem Zusatz in der Septuaginta, Gott die Sterne nicht zu dem Zweck geschaffen, dass die Israeliten sie verehren sollen (vgl. Dtn 4,19). Gerade dieses Element fehlt im hebräischen Text, wobei fraglich ist, in welcher Phase der Textgeschichte es in den Bibeltext hineingelangt ist. 10 Wie auch immer, die Septuaginta formuliert hier den Gedanken, dass die Kreaturen einem bestimmten Zweck dienen, der gleichsam von Anfang an von Gott so definiert wurde. Weiterhin erfährt der hebräische Text von Jes 54,16-17 in der Septuaginta eine bemerkenswerte Neuinterpretation. Der hebräische Text besagt, dass Gott den Schmied und den Verderber geschaffen hat, beides Figuren, die anscheinend Babylon repräsentieren. Doch erlaubt Gott es nicht, dass deren Wirken gegen Israel zum Erfolg führt. 11 Die Septuaginta hat mit diesen Aussagen wenig gemeinsam 12: Nicht den Schmied hat Gott erschaffen, sondern er erschafft Jerusalem, aber nicht wie ein Schmied. Der Verderber kommt im griechischen Text nicht mehr vor. Stattdessen lässt die Septuaginta Gott erklären, dass er Jerusalem nicht zum Verderben erschaffen habe, um es zu vernichten (οὐκ εἰς ἀπώλειαν φθεῖραι). Gott handelt also offenbar anders als der Töpfer in Jer 18,1-10, der durchaus bereit ist, ein misslungenes Werkstück wieder zu zerstören. Dass Gott nicht ohne Grund schafft, erhellt schließlich aus der rhetorischen Frage, die der Beter von Ps 88,48bLXX an Gott richtet: μὴ γὰρ ματαίως ἔκτισας πάντας τοὺς υἱοὺς τῶν ἀνθρώπων, »hast du denn alle Menschenkinder vergeblich geschaffen?« Das vom Übersetzer ergänzte einleitende μή legt eine negative Antwort auf die gestellte Frage nahe. 13 Gott soll antworten – so wird erwartet –, dass er die Menschen nicht ohne Grund geschaffen hat und – so müsste man folgern – daher an ihrem Schicksal Anteil nimmt. 14 Nach dem hebräischen Text hingegen erinnert der Beter Gott daran, wie vergänglich er die Menschen geschaffen hat, was wesentlich resignativer klingt. 15 Einige der in der Septuaginta grundgelegten Gedanken werden in den deuterokanonischen Büchern sowie in der übrigen jüdisch-hellenistischen Literatur aufgenommen und entfaltet, vor allem die Vorstellung, dass Gott jedem Schöpfungswerk eine bestimmte Funktion zuschreibt. Außerdem ist auf ein weiteres Phänomen aufmerksam zu machen, und zwar auf den verstärkten Gebrauch der in der Einleitung erwähnten Substantive κτίστης, κτίσις und κτίσμα. Mit Ausnahme des Buches Jesus Sirach sind diese Begriffe denjenigen Büchern der Septuaginta weitgehend fremd, die aus dem Hebräischen oder Aramäischen übersetzt worden sind; sie begegnen aber vermehrt in der jüdisch-hellenistischen Literatur. Im folgenden Abschnitt 10. Borbone: Profeta Osea, 179, vermutet, dass der Zusatz nicht vom Propheten Hosea selbst stammt, dennoch aber in der Vorlage der Septuaginta enthalten war und folglich auch ins Griechische übersetzt wurde. 11. Vgl. die Kommentare, z. B. Koole: Isaiah III, 396. 12. Vgl. hierzu ausführlich Bons: Le verbe κτίζω, 8-10. 13. Vgl. BDR § 427,2; Tate: Psalms 51-100, 412. 14. Vgl. schon die antiken Kommentare zu dieser Stelle, etwa Theodoret von Cyrus, der wie folgt formuliert (Interpretatio in Psalmos, PG 80, 1596 C): Οὐκ εἰκῆ, οὐδὲ μάτην τοὺς ἀνθρώπους διέπλασας, ἀλλ’ ἀγαθότης τῆς δημιουργίας ἡγήσατο, »nicht aufs Geratewohl, nicht umsonst hast du die Menschen gestaltet, sondern Güte hat [dein] Schaffen geleitet.« 15. Vgl. Tate: Psalms 51-100, 428: »frailty and finitude of all humankind«.

80

gtvh 08105 / p. 81 / 31.3.2022

Schöpfung

werden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einige Beispiele ausgewählt, an denen sich illustrieren lässt, wie die auf die Septuaginta zurückgehende Terminologie weiterentwickelt wurde, aber auch die damit verbundenen Vorstellungen.

3. Schöpfungstheologische Motive in den deuterokanonischen Büchern und in der übrigen jüdisch-hellenistischen Literatur 3.1 Die mit der Schöpfung verbundenen Absichten Gottes Der Gedanke, dass Gott nicht planlos erschafft, sondern dass alle Schöpfungswerke ihren Zweck und Nutzen haben, wird an manchen Stellen der Schriften aus den letzten beiden vorchristlichen Jahrhunderten entfaltet, entweder anhand von bestimmten Beispielen oder in eher systematischer Form. Diese Argumentationsfigur, die auch noch christlichen Texten bekannt ist (s. u.), begegnet in verschiedenen Kontexten, wie die folgenden Beispiele zeigen. Wozu die Sterne geschaffen sind, präzisiert ein Text wie PsSal 18,10-12: Sie sind von Gott dazu Gott dazu bestimmt, von ihrer Erschaffung an bis in alle Ewigkeit in der Furcht vor ihrem Schöpfer ihre Bahn zu ziehen (V. 11: ἐν φόβῳ θεοῦ ἡ ὁδὸς αὐτῶν καθ᾽ ἑκάστην ἡμέραν ἀφ᾽ ἧς ἡμέρας ἔκτισεν αὐτοὺς ὁ θεὸς καὶ ἕως αἰῶνος). Was die ihnen auferlegte Aufgabe anbetrifft, sollen sie den Menschen dazu dienen, die Zeit zu messen (V. 10: εἰς καιροὺς ὡρῶν). 16 Im Sirachbuch wird κτίζω zu einem geläufigen Verb, das Gottes schöpferisches Handeln als solches ausdrückt. 17 Dies wird schon aus Stellen wie Sir 17,1 deutlich, wo die Aussage von Gen 3,19 leicht verändert und Ursprung und Ziel des menschlichen Lebens wie folgt formuliert wird: κύριος ἔκτισεν ἐκ γῆς ἄνθρωπον καὶ πάλιν ἀπέστρεψεν αὐτὸν εἰς αὐτήν, »der Herr schuf aus Erde den Menschen und ließ ihn wieder zu ihr zurückkehren« (ein hebräischer Text ist nicht erhalten). Ebenso wird in Sir 18,1 ausgesagt, dass Gott alle Dinge insgesamt erschaffen hat (ἔκτισεν τὰ πάντα κοινῇ). Die Kapitel 38-40 widmen sodann einige systematische Überlegungen der Idee des Nutzens der einzelnen Schöpfungswerke; die Thematik wird aber auch anderswo im Buch behandelt. Nur einige ausgewählte Aussagen seien zitiert. 18 So hebt Sir 39,21 folgendes Prinzip hervor, das man nicht in Zweifel ziehen soll: οὐκ ἔστιν εἰπεῖν· τί τοῦτο; εἰς τί τοῦτο; πάντα γὰρ εἰς χρείας αὐτῶν ἔκτισται, »man soll nicht sagen: Was ist dies? Wozu ist es da? Denn alle Dinge sind zu ihrem Nutzen erschaffen worden« (Sir 39,21; Ms. B ʾ yn lʾ mr zh lmh zh ky hkl lṣrkw nbḥr »nicht soll man sagen: Was ist dies? Wozu ist dies? Alles ist zu seiner Bestimmung ausgewählt worden«). 19 Wenig später wird in Sir 39,25 zwischen zwei Kategorien unterschieden: ἀγαθὰ τοῖς ἀγα16. Zur Auslegung des Abschnitts vgl. ausführlich und mit zahlreichen außerbiblischen Parallelen Pouchelle: Les astres errants. 17. Vgl. auch die statistischen Beobachtungen bei Bussini: Creation and Humanity, 150-152. 18. Einen systematischen Überblick über die einzelnen Aussagen zum Thema der Schöpfung im Sirachbuch liefert Bussini: Creation and Humanity, 153-162; vgl. auch die kurze Synthese der Schöpfungstheologie im Sirachbuch bei Kratz / Spieckermann: Schöpfung II, 277. 19. Zum Vergleich der verschiedenen Textüberlieferungen der Stelle vgl. Morla Asensio: Los manuscritos hebreos, 231-232.

81

gtvh 08105 / p. 82 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

θοῖς ἔκτισται ἀπ᾽ ἀρχῆς, οὕτως τοῖς ἁμαρτωλοῖς κακά, »Gutes ist für die Rechtschaffenen von Anfang an geschaffen worden, genauso Schlechtes für die Sünder«. In diesem Fall ist das Äquivalent zu ἔκτισται im nur fragmentarisch erhaltenen hebräischen Text (Ms. B) ḥlq, »er hat erschaffen« 20. Doch es bleibt nicht bei den grundsätzlichen Aussagen. Vielmehr finden sich im Sirachbuch Vorstellungen über den Zweck und Nutzen der einzelnen Schöpfungswerke, wobei anscheinend die Vorstellung der creatio continua vorausgesetzt ist. Dass dabei immer wieder ein Bezug zwischen Schöpfungswerken und Mensch hergestellt wird, ist unverkennbar. 21 So ist beispielsweise der Wein dazu geschaffen, den Menschen Freude zu verschaffen (Sir 31,27: ἔκτισται εἰς εὐφροσύνην ἀνθρώποις). Im nur lückenhaft erhaltenen hebräischen Text (Ms. B) steht hier das Verb nwṣr, »wurde gebildet/geschaffen«. Ähnlich hat Gott Heilmittel geschaffen, vermutlich Pflanzen, die aus der Erde hervorkommen (Sir 38,4: Κύριος ἔκτισεν ἐκ γῆς φάρμακα), damit der Mensch von Schmerzen befreit werde (Sir 38,7). Das hebräische Verb lautet in Sir 38,4 (Ms. B) mwṣyʾ, wörtlich »lässt herauskommen« im Sinne von »bringt hervor«. Dagegen dienen andere Schöpfungswerke zur Bestrafung der Sünder, wie Sir 39,29 betont: πῦρ καὶ χάλαζα καὶ λιμὸς καὶ θάνατος πάντα ταῦτα εἰς ἐκδίκησιν ἔκτισται, »Feuer, Hagel, Hungersnot und [wohl vorzeitiger] Tod, all diese Dinge sind zur Bestrafung geschaffen« (Sir 39,29), wobei hier in den vorhandenen hebräischen Handschriften (Ms. B und M) kein Äquivalent von ἔκτισται erhalten ist. Diese Beobachtungen führen zu dem Ergebnis, dass der Übersetzer des Sirachbuches – offenbar der Enkel des Verfassers, der sich im Prolog als solcher zu erkennen gibt – das griechische Verb κτίζω als ein Standardverb verwendet, wenn es um das göttliche Schöpfungshandeln geht. Dabei wird Gott nicht nur als Schöpfer des gesamten Schöpfungswerks dargestellt, sondern auch als derjenige der einzelnen Kreaturen, deren Zweck und Nutzen den Menschen zu erkennen aufgetragen ist. Eine noch allgemeinere Färbung erfährt der mit dem Verb κτίζω ausgedrückte Schöpfungsgedanke in der Sapientia Salomonis. Dieser kann hier nur kurz skizziert werden. 22 Die erste wichtige Aussage findet sich in Weish 1,14: ἔκτισεν γὰρ εἰς τὸ εἶναι τὰ πάντα καὶ σωτήριοι αἱ γενέσεις τοῦ κόσμου, »denn er hat alle Dinge zum Sein geschaffen, und heilbringend sind die Geschöpfe des Kosmos«. Im ersten Satz wird sicherlich an die Aussage von Gen 1,1 angespielt, wonach Gott Himmel und Erde erschuf. Diese beiden Substantive werden aber durch τὰ πάντα, »alle Dinge«, ersetzt, und das hier verwendete Verb ist ἔκτισεν, »er hat geschaffen«. Wie in einigen Stellen des Sirachbuches regiert das Verb die Präposition εἰς, hier allerdings gefolgt von der abstrakten Formulierung τὸ εἶναι: Gott hat die Geschöpfe ins Dasein gebracht. 23 Dass die Schöpfungswerke »heilbringend« sind, wie der zweite Satz aussagt, ist möglicherweise eine Umdeutung der Aussage des ersten Schöpfungsberichts, wonach Gott die gesamte Schöpfung als gut ansah (Gen 1,31). Die Schöpfungswerke sind aber insofern segensreich, als sie – wie Weish 16,24 entfaltet – Gott dazu dienen, die 20. Zu diesem Verb, seiner Bedeutung »erschaffen« sowie seinem griechischen Äquivalent κτίζω vgl. O’Connor: Language of Creation, 220-225. 21. Vgl. Bussini: Creation and Humanity, 175. 22. Vgl. neben den Kommentaren u. a. Blischke: Theologie, 171-173. 23. Vgl. hierzu und zum Folgenden Mazzinghi: Weisheit, 71.

82

gtvh 08105 / p. 83 / 31.3.2022

Schöpfung

Ungerechten zu bestrafen, umgekehrt aber denjenigen zur Wohltat (εὐεργεσία) werden können, die auf ihn vertrauen. Wenn auch der Verfasser der Weisheit Salomos sich eines anderen Vokabulars bedient als das Sirachbuch, so entfernt er sich kaum von dem Gedanken, der schon in Sir 39,25 zum Ausdruck kam (s. o.): In der Hand ihres Schöpfers wird die Schöpfung selbst zum Instrument, mit dem Gott an den Menschen handelt. 24 Dass schließlich die Erschaffung des Menschen ebenfalls von einem göttlichen Heilswillen geleitet ist, erhellt aus Weish 2,23, einem Vers, der wiederum den ersten Schöpfungsbericht des Buches Genesis voraussetzt: ὅτι ὁ θεὸς ἔκτισεν τὸν ἄνθρωπον ἐπ᾽ ἀφθαρσίᾳ καὶ εἰκόνα τῆς ἰδίας ἰδιότητος 25 ἐποίησεν αὐτόν, »denn Gott hat den Menschen zur Unverderblichkeit 26 geschaffen, und als Bild seines eigenen Wesens hat er ihn gemacht.« Das bedeutet: Da nach Gen 1,26 der Mensch Bild Gottes ist, ist ihm eine grundsätzliche ἀφθαρσία (»Unverderblichkeit«) verliehen. Diese geht ihm nicht prinzipiell verlustig, auch nicht angesichts des sicheren Todes 27, wie man aus Weish 3,1-6 folgern kann, ist also nicht mit der Idee der Unsterblichkeit zu verwechseln. Somit entfaltet der Verfasser der Weisheit Salomos in Weish 2,23 einen Gedanken, der sich in älteren Texten der Septuaginta wie Jes 54,16 wenigstens im Keim findet (s. o.) 28: Gott hat den Menschen nicht dazu geschaffen, dass er vernichtet wird, sondern als Bild Gottes ist ihm die Unverderblichkeit verliehen, die ihm über den Tod hinaus erhalten bleibt.

3.2 Die Begriffe κτίστης, κτίσις und κτίσμα: Schöpfung in der Geschichte In ihrer neuen Bedeutung, die für die theologische Sprache des hellenistischen Judentums spezifisch ist, kommen alle drei Begriffe κτίστης, κτίσις und κτίσμα erst vermehrt in den Schriften der Septuaginta vor, die nicht aus dem Hebräischen oder Aramäischen übersetzt worden sind. 29 Dort beziehen sie sich jeweils auf den Schöpfer sowie auf die Schöpfung. Wie bereits erwähnt wurde, ist die einzige Ausnahme, die ein Äquivalent in der Hebräischen Bibel hat, das Substantiv κτίστης, das als Gottestitel in 2 Kgt [2 Sam] 22,32 erscheint (s. o.). Alle drei Termini begegnen aber schon – und dies ist die zweite Ausnahme – im Sirachbuch. Dieser Befund lässt darauf schließen, dass die Wahl des Verbs κτίζω für das göttliche schöpferische Handeln nicht ohne Wirkung geblieben war, sondern die theologische Sprache prägen sollte. Denn offenbar gab die neue, für die Sprache der Septuaginta charakteristische Verwendung von κτίζω dazu Anlass, das Vokabular der Schöpfung um die drei genannten Termini zu ergänzen. Sie wurden ebenfalls einer entsprechenden Umdeutung unterzogen. Statt sich auf die Gründung einer Stadt, eines Bauwerks oder dergleichen oder auf den 24. Zum Begriff der εὐεργεσία in der Weisheit Salomos vgl. den dritten Teil der Monographie von Bellantuono: The Biblical God. 25. Für diese Lesart optiert u. a. Ziegler in der Göttinger textkritischen Ausgabe der Weisheit Salomos. Zum textkritischen Problem vgl. die Kommentare, so u. a. Scarpat: Libro, 198; Mazzinghi: Weisheit, 97. 26. Die Präposition ἐπί mit Dativ hat finale Bedeutung, vgl. Scarpat: Libro, 198 27. Ausführlich hierzu Blischke: Theologie, 164-165. 28. Vgl. Mazzinghi: Weisheit, 101. 29. Nachweise bei Bons / Passoni Dell’Acqua: Sample Article, 179.182-183.185.

83

gtvh 08105 / p. 84 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

Gründer selbst zu beziehen 30, ist der κτίστης nun niemand anders als Gott selbst, während die beiden anderen Substantive die Schöpfung bezeichnen. Dass diese neue Terminologie schnell Verbreitung fand, zeigt ihr Gebrauch in den verschiedensten Kontexten, und zwar sowohl in der argumentativen Sprache wie auch in Gebeten. Nur zwei Beispiele aus der Gebetsliteratur seien ausgewählt, das Gebet der Judit in Jdt 9 sowie das Gebet der Aseneth in JosAs 12. Im Gebet der Judit in Jdt 9,2-14 redet die Protagonistin der Erzählung Gott mit verschiedenen Titeln an, von denen einige (besonders diejenigen von Vers 11) der Sprache des Septuaginta-Psalters entlehnt sind. 31 Die Aufzählung dieser Titel endet in Vers 12 mit folgenden Worten, für die man kaum Parallelen in der Septuaginta finden kann 32: δέσποτα τῶν οὐρανῶν καὶ τῆς γῆς, κτίστα τῶν ὑδάτων, βασιλεῦ πάσης κτίσεώς σου, »Herrscher über die Himmel und die Erde, Schöpfer der Wassermassen, König deiner gesamten Schöpfung« 33. Hierzu zwei Beobachtungen: – Die drei Elemente dieser Anrede sind auf zweifache Weise miteinander verbunden. Zunächst wird in einer parallelen Formulierung die Macht Gottes über die Himmel und die Wassermassen betont. Diese stellen aber anscheinend nicht die gesamte Schöpfung dar, so dass abschließend die Souveränität Gottes über diese, die κτίσις, unterstrichen wird. Dabei werden das zweite und das dritte Element der Anrede Gottes mit den beiden Termini κτίστης und κτίσις gerahmt. – Diese drei Anreden Gottes bilden nicht ohne Grund den Abschluss einer Serie von Gottestiteln. Im vorhergehenden Vers 11 hatte Judit sich mit insgesamt fünf Anreden an Gott gewandt, und zwar als den Beschützer der Bedrängten und Hilflosen, also von Individuen, die nicht näher spezifiziert werden. Sodann wird Gott als der Gott seines Erbbesitzes Israel bezeichnet; es wird also eine Beziehung zu seinem Volk hergestellt. Den Abschluss bilden dann die zitierten Anreden von Vers 12, die Gottes Macht über den gesamten Kosmos betonen. Diese Anreden widersprechen sich keineswegs, sondern ergänzen sich: Gott ist der Beschützer der Bedrängten und Hilflosen, der Gott, der den Anspruch auf sein Volk Israel nicht aufgibt und schließlich 30. Nachweise bei Casevitz: Vocabulaire, 54-55. 58.69-70. 31. Vgl. hierzu und sowie zu den folgenden Ausführungen Bons: Einfluss, 124-128. 32. Vgl. die einschlägigen Untersuchungen und Kommentare, z. B. Schmitz: Gedeutete Geschichte, 308; Gera: Judith, 323. 33. Schmitz: Does κτίστης Mean »Creator«?, 43-44, zieht die Übersetzung »Schöpfer« für κτίστης und »Schöpfung« für κτίσις in Zweifel; denn der griechisch-hellenistische Hintergrund dieser Begrifflichkeit – ein κτίστης ist sehr häufig der reale oder legendäre Gründer einer Stadt – lasse nur eine solche Übersetzung für die biblische Terminologie zu, nicht zuletzt wegen der hellenistischen Einflüsse auf das Juditbuch. Daher übersetzt sie die Gottesanreden in Jdt 9,12 wie folgt (ebd., 43): »Founder of the waters, King of all your foundation.« Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass das Buch Judit zahlreiche Hebraismen oder Septuagintismen kennt, die die Diskussion über eine mögliche hebräische Vorlage bis heute nicht hat verstummen lassen. Wer also in einem hellenistischen Kontext die übrigen Bücher der Septuaginta kannte, konnte im Buch Judit durchaus vertraute biblischen Sprachkonventionen finden, also auch die Schöpfungsterminologie. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Bedeutung von Begriffen nicht zuletzt auch durch den Kontext und nicht durch ein für alle Verwendungen identisches Signifikat determiniert wird. Schließlich: Was hätten zeitgenössische jüdische Leserinnen und Leser denn unter einem »Gründer der Wassermassen« und einem »König von deiner ganzen Gründung« verstehen können?

84

gtvh 08105 / p. 85 / 31.3.2022

Schöpfung

der Herrscher über den Kosmos, der als solcher sich auch um die Geschehnisse in Welt und Geschichte kümmert. Daher nimmt er auch die hilflose Lage der belagerten Stadt wahr, in der Judit lebt. Der Gedanke wird schon in Jdt 8,14 vorbereitet 34, wo Judit zwei Vorstellungen miteinander in Verbindung bringt: die Schöpfermacht Gottes, der alle Dinge geschaffen hat (ὃς ἐποίησεν πάντα), und seine verborgenen Gedanken angesichts der verzweifelten Lage der Stadt, die zuvor in Jdt 7,19-22 anschaulich beschrieben wurde. Eine ähnliche Kombination beider Motive wird auch in Jdt 13,18 – nach Judits erfolgreichem Anschlag auf Holofernes – dem Ältesten Usija in den Mund gelegt: Der Gott, der die Himmel und die Erde erschaffen hat (ὁ θεός ὃς ἔκτισεν τοὺς οὐρανοὺς καὶ τὴν γῆν), hat Judits verwegenes Vorhaben gelingen lassen. Eine derartige Verknüpfung von göttlicher Schöpfermacht und Wirken in der Geschichte ist aber nicht nur dem Buch Judit bekannt. Wie Philo von Alexandrien in einem argumentativen Kontext ausführt, nämlich in seiner Deutung von Ex 22,26, erweist sich Gott – und zwar als der Schöpfer aller Dinge (ὁ τῶν ὅλων κτίστης) – als barmherzig selbst in scheinbar unbedeutenden Angelegenheiten, hier gegenüber dem Schuldner, dessen Mantel vom Gläubiger als Pfand einbehalten wurde (Somn. I, 93). Somit wird deutlich, dass der Titel κτίστης zwar auf ein urzeitliches göttliches Wirken Bezug zu nehmen scheint, dieses aber in die Geschichte hinein ausgedehnt und verlängert wird. Es ist daher nicht notwendig, in den Anreden κτίστα τῶν ὑδάτων und βασιλεῦ πάσης κτίσεώς σου Anspielungen auf die in der Erzählung beschriebene Situation zu suchen, etwa den Wassermangel der belagerten Stadt (vgl. Jdt 7,20-22) 35; vielmehr werden die Anreden – genauso wie diejenigen in Vers 11 – gleichsam unabhängig vom erzählten Kontext, in den sie eingebettet sind, verwendet. Als Herr der gesamten Schöpfung nimmt Gott auch die Situation der von einem übermächtigen Feind belagerten Stadt Betulia wahr und lässt Judits Vorhaben gelingen. Das zweite Beispiel aus der Gebetsliteratur ist der fiktiven Erzählung Joseph und Aseneth entnommen, die von der Bekehrung der Ägypterin Aseneth zum Gott des Patriarchen Joseph handelt. Als ob Aseneth mit den biblischen Traditionen in griechischer Sprache und ihrem Vokabular vertraut wäre, formuliert sie in JosAs 12 ein Gebet, das vor allem dem Septuaginta-Psalter, aber auch anderen biblischen Texten sprachliches Material entlehnt. 36 Und dennoch finden sich neue Motive in diesem Gebet. Bevor Aseneth ihrer Zuflucht zu Gott Ausdruck gibt und ihn um Vergebung ihrer Sünden bittet, insbesondere ihrer Verehrung fremder Gottheiten (JosAs 12,2-6), wendet sie sich in einer langen invocatio an den Schöpfergott (JosAs 12,1). Dies bedeutet letztendlich, dass sie sich ebenfalls als Kreatur des biblischen Gottes begreift und als solche ihre Bitte um Vergebung und Schutz legitimiert. 37 Folgende Gedanken seien hervorgehoben 38:

Vgl. Zimmermann: Die Namen des Vaters, 351. So etwa Gera: Judith, 323; Schmitz / Engel: Judit, 301. Nachweise bei Bons: Psalter Terminology, 432-442. Vgl. Scialabba: Creation and Salvation, 259; ebd., 255-274 eine sehr detaillierte Analyse des Gebets. 38. Zitiert wird der Text nach der kritischen Ausgabe von Burchard: Joseph and Aseneth.

34. 35. 36. 37.

85

gtvh 08105 / p. 86 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta





Für Aseneth ist Gott der Schöpfer aller Dinge, der ihnen Leben verleiht: ὁ κτίσας τὰ πάντα καὶ ζωοποιήσας, ὁ δοὺς πνοὴν ζωῆς πάσῃ τῇ κτίσει σου, »der alles geschaffen und lebendig gemacht hat, der Lebensatem all seiner Schöpfung gibt«. Dies bedeutet, dass auch Aseneths Leben von diesem Schöpfergott abhängig ist, ja dass auch ihre Bekehrung zu ihm ebenso unter dem Schutz dieses lebensspendenden Gottes steht, der ihr, der Einsamen und von den Menschen wie von den Göttern Verlassenen (vgl. JosAs 12,12-13), neues Leben schenkt. 39 In einer weiteren Aussage (JosAs 12,2) bezeichnet Aseneth Gott als denjenigen, der das Seiende und das Sichtbare aus dem Unsichtbaren und dem Nichtseienden schafft (ὁ ποιήσας τὰ ὄντα καὶ τὰ φαινόμενα ἐκ τῶν ἀφανῶν καὶ μὴ ὄντων), wobei die Formulierung ἐκ … μὴ ὄντων an Texte wie 2 Makk 7,28 erinnert. Damit ist nicht notwendigerweise an die Idee der creatio ex nihilo angespielt. Vielmehr wird das Schöpfungshandeln Gottes keineswegs nur als ein urzeitliches Geschehen verstanden, sondern als in die Geschichte hinausgreifend, insofern als Gott immer wieder neu an seiner Schöpfung handelt. Anders als in den vorhin zitierten Passagen des Buches Judit gilt dieses Handeln Gottes einem konkreten Menschen, Aseneth. In seinem Gebet hatte Joseph, der Aseneth zuvor kennengelernt hatte, an Gott die Bitte gerichtet: ἀνάπλασον αὐτὴν […] καὶ ἀναζωοποίησον αὐτήν τῇ ζωῇ σου […] καὶ ζησάτω ἐν τῇ ζωῇ σου εἰς τὸν αἰῶνα χρόνον, »und forme sie wieder neu […] und mache sie wieder lebendig mit deinem Leben […], und sie soll leben in deinem Leben für immer«. Aseneth drückt in ihrem Gebet ebenfalls das Vertrauen darauf aus, dass auf Gottes Wort hin alles ins Leben gezeugt wurde (JosAs 12,2: ὅτι σύ, κύριε, ἐλάλησας καὶ πάντα ἐζωογονήθησαν), ja dass alle Geschöpfe – und hier fällt der Ausdruck κτίσματα – sich seinem Wort verdanken (JosAs 12,2: ὁ λόγος σου, κύριε, ζωή ἐστι πάντων τῶν κτισμάτων σου) – wobei impliziert ist, dass sie selbst auf dieses neue Leben in Gott hofft. Da Gott also Neues schaffen kann, auch aus »Unsichtbarem« und »Nichtseiendem«, kann sie sich ihm anvertrauen und ihn um Schutz und Hilfe bitten. Zumindest in seiner Grundstruktur hat dieser Gedanke Ähnlichkeiten mit der Vorstellung der καινὴ κτίσις (2Kor 5,17; Gal 6,15) des Apostels Paulus, wiewohl die Unterschiede unverkennbar sind: Das Leben in Christus bedeutet eine »neue Schöpfung«, mit der das Alte vergangen und Neues entstanden ist. 40

4. Schöpfungstheologische Argumente im Neuen Testament und in der frühchristlichen Literatur: Drei Beispiele Das Neue Testament und die frühchristliche Literatur kennen ebenfalls die Schöpfungsterminologie, die auf die Septuaginta und die übrigen jüdisch-hellenistischen Schriften in griechischer Sprache zurückgeht. Im Kontext dieses Artikels seien nur drei Texte zitiert, ohne alle für die Exegese wichtigen Gesichtspunkte zu behandeln. Auf dem Hintergrund der vorhin beschriebenen Konnotationen der jüdisch-hellenis-

39. Vgl. auch Zimmermann: Namen des Vaters, 352. 40. Zur Fragestellung vgl. u. a. Gerber: Blickwechsel, 213-214.

86

gtvh 08105 / p. 87 / 31.3.2022

Schöpfung

tischen Schöpfungsvorstellungen ist es jedoch möglich, der spezifischen Aussage dieser drei Stellen noch präzisere Konturen zu verleihen. – In der von Mk 10,2-9 und Mt 19,3-8 überlieferten Perikope zur Frage der Erlaubtheit der Entlassung der Ehefrau aus der Ehe ist auffällig, dass trotz aller Unterschiede im Detail beide Evangelisten die Thematik der Schöpfung erwähnen. Um sein Verbot der Verstoßung zu begründen, zitiert Jesus nicht nur die Stellen Gen 1,27 und 2,24, sondern erwähnt explizit die Thematik der Schöpfung. Das Motiv wird in Mt 19,4 und Mk 10,6 verschieden mit dem unmittelbaren Kontext verknüpft. In Mk 10,6 folgt das Schriftzitat aus Gen 1,27, ἄρσεν καὶ θῆλυ ἐποίησεν αὐτούς, »männlich und weiblich erschuf er sie«, dem Ausdruck ἀπὸ δὲ ἀρχῆς κτίσεως, »vom Anfang der Schöpfung«. Dagegen kennt Mt 19,4 nicht diesen Zusatz, sondern versieht das Zitat aus Gen 1,27 mit dem Subjekt ὁ κτίσας, »der Schöpfer«: Der Schöpfer hat die Menschen vom Beginn der Schöpfung an als männlich und weiblich erschaffen. In der Septuaginta-Version des ersten Schöpfungsberichts begegnet keine der beiden Formulierungen. Wie dem auch sei, beide Evangelisten verstehen das Zitat aus Gen 1,27 mit dem Hinweis entweder auf den Anfang der Schöpfung oder auf den Schöpfer selbst. Damit betonen sie, dass es dem Schöpferwillen entspricht, dass Mann und Frau miteinander verbunden sind, ja nur in ihrer Verbundenheit »den Menschen im Vollsinn des Wortes bilden« 41. Die Ehe wird somit ausdrücklich als eine Institution verstanden, die auf Gottes Schöpferwillen zurückgeht. Mose dagegen, den die Pharisäer als Gesetzgeber zitieren, habe den Vorfahren Zugeständnisse gemacht, und zwar aufgrund ihrer σκληροκαρδία, »Hartherzigkeit« (Mk 10,5 par Mt 19,8). 42 Somit wird in den beiden Evangelien nicht eine bestimmte Kreatur, die vom Menschen verschieden ist, mit dem Schöpferwillen Gottes in Verbindung gebracht, sondern der Mensch selbst in seiner Polarität von Mann und Frau. – Der Verfasser des Ersten Timotheusbriefs greift auf die Argumentationsfigur zurück, wonach Gott seine Kreaturen zu einem bestimmten Zweck geschaffen habe, und weiß sie für seine spezifischen Intentionen zu nutzen. In 1Tim 4,1-5 wendet er sich gegen diejenigen, die dazu auffordern, sich von Speisen fernzuhalten, die Gott geschaffen habe. Diese Speisen seien aber dazu da – so der Verfasser des Briefes –, dass die Gläubigen und diejenigen, die die Wahrheit erkennen, sie mit Danksagung empfangen: ἃ ὁ θεὸς ἔκτισεν εἰς μετάλημψιν μετὰ εὐχαριστίας τοῖς πιστοῖς καὶ ἐπεγνωκόσι τὴν ἀλήθειαν (1Tim 4,3). Denn, so wird im folgenden Vers hervorgehoben, alles, was Gott geschaffen hat, ist gut: ὅτι πᾶν κτίσμα θεοῦ καλόν. Dieses Argument erinnert an die Aussage von Gen 1,31, wo die Gesamtheit der geschaffenen Werke als καλὰ λίαν, »sehr gut«, bezeichnet wird (vgl. auch Sir 39,16). Wie die Kontrahenten auch immer ihre Ablehnung von Speisen begründen mögen – das einzige und letztlich entscheidende Gegenargument 43 des Verfassers des Briefs ist schöpfungstheologischer Natur. Wenn Gottes Schöpfung als ganze gut ist – so legt die 41. So Luz: Evangelium nach Matthäus, III 93. 42. Vgl. hierzu auch Breytenbach: Schöpfung III, 287: »Was am Anfang war, soll als Orientierung gelten; darum kritisiert Jesus nach der von Markus ausgehenden Überlieferung die jüdische Ehescheidungspraxis anhand der ursprünglichen Institution der Ehe, die Gott ihr bei der Schöpfung zudachte.« 43. Vgl. Oberlinner: 1. Timotheusbrief, 181

87

gtvh 08105 / p. 88 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta



Argumentation von 1Tim 4,3-4 nahe –, dann kann die Ablehnung bestimmter Speisen letztlich nicht als vereinbar mit dem Willen des Schöpfers gelten. Insofern folgt der Verfasser des Briefes einer Argumentationslinie, die man in Texten wie Sir 39,16 findet, freilich dort in einem anderen Kontext. Zuletzt sei mit dem Brief an Diognet ein Text aus der frühchristlichen Literatur zitiert, der ebenfalls die Unterscheidung von Schöpfungswerken kritisiert. In Diogn 4,1-2 wendet sich der Verfasser anscheinend gegen jüdische Speisegesetze 44: τό τε γὰρ τῶν ὑπὸ τοῦ θεοῦ κτισθέντων εἰς χρῆσιν ἀνθρώπων ἃ μὲν ὡς καλῶς κτισθέντα παραδέχεσθαι, ἃ δ᾽ ὡς ἄχρηστα καὶ περισσὰ παραιτεῖσθαι, πῶς οὐκ θέμις ἐστί; »von dem nämlich, was von Gott geschaffen worden ist zum Gebrauch durch die Menschen, das eine als gut geschaffen zu empfangen, das andere aber als unbrauchbar und überflüssig zu verschmähen, was ist daran gebührlich?« Wie auch immer die genaue Stoßrichtung des Briefes an Diognet zu bestimmen ist, man fühlt sich an das Argument erinnert, das schon das griechische Sirachbuch vorbrachte (Sir 39,21): Alle Kreaturen hat Gott zu einem bestimmten Zweck erschaffen. Damit untersteht die Schöpfung als ganze der Autorität Gottes. Der Mensch ist nicht dazu berechtigt, die Pläne Gottes zu unterlaufen, indem er gegen dessen Schöpferwillen verstößt – genauso wenig ist es ihm erlaubt, den Sinn und Nutzen der Schöpfungswerke in Zweifel zu ziehen.

5. Epilog: creatio, die Umdeutung eines lateinischen Substantivs Im Englischen sowie in den romanischen Sprachen sind die Substantive, die »Schöpfung« bedeuten, aus dem lateinischen creatio abgeleitet: creation, création, creación, creazione, criação. Dem klassischen Latein war diese Bedeutung nicht bekannt. Bei Cicero etwa bezeichnet creatio die Bestellung von Amtsträgern (De legibus 3.10), und procreatio liberorum die Zeugung von Kindern (Tusc. 1.14). Zwar kennt die Vetus Latina, wenigstens in einigen Handschriften, die Übersetzung creatio für das griechische κτίσις in Hebr 9,11 45. Und dennoch war die Verwendung von creatio für die Schöpfung als ganze oder wenigstens für den Vorgang der Schöpfung nicht selbstverständlich. Dies zeigt eine Überlegung zu Eph 4,24 aus der Feder des Hieronymus, der als Übersetzer und Kommentator der Bibel Diskrepanzen zwischen zwei Termini verschiedener Sprachen leicht wahrnahm. Der Vers Eph 4,24 beginnt im Griechischen wie folgt: καὶ ἐνδύσασθαι τὸν καινὸν ἄνθρωπον, τὸν κατὰ θεὸν κτισθέντα, »und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen worden ist.« Im Lateinischen klingt dies so: et induite novum hominem, qui secundum deum creatus est. Beide Formulierungen scheinen dasselbe auszusagen. Doch gerade die Übersetzung und Interpretation des Relativsatzes qui secundum deum creatus est veranlasst Hieronymus zu folgender Überlegung: qui secundum deum creatus est, non idipsum sonat in latino sermone quod graeco. creatio quippe apud nos, generatio, vel nativitas dicitur: apud graecos vero sub nomine creationis, verbum facturae et conditionis accipitur 46, »der 44. Vgl. hierzu die Exegese von Lona: An Diognet, 129-130. 45. Frede: Vetus Latina, 1393. 46. Hieronymus: In Eph., PL 26, 509 A.

88

gtvh 08105 / p. 89 / 31.3.2022

Schöpfung

gemäß Gott geschaffen worden ist: In der lateinischen Sprache klingt dies nicht genauso wie im Griechischen. Creatio wird ja bei uns die Zeugung oder die Geburt genannt. Bei den Griechen jedoch wird mit dem Wort creatio [d. h. κτίσις] die Bedeutung ›Herstellung‹ oder ›Gründung‹ verstanden.« Das bedeutet: creatio scheint für Hieronymus wohl noch nicht das geeignete Wort zu sein, um von der Schöpfung zu sprechen. Doch seine Bedenken weisen darauf hin, dass sich in seiner Zeit schon eine weitere Umdeutung eines Wortes angebahnt hatte. Genauso wie κτίσις im hellenistischbiblischen Kontext nicht mehr »Gründung«, sondern »Schöpfung« bedeutete, genauso erhielt im spätantiken christlichen Kontext das lateinische Substantiv creatio einen neuen Sinn – nicht mehr »Zeugung«, sondern »Schöpfung« – und mit dieser Bedeutung sollte es Jahrhunderte später Eingang in die europäischen Sprachen finden.

89

gtvh 08105 / p. 90 / 31.3.2022

2.1.5 Exodus Anna Mambelli Literatur Editionen und Übersetzungen Philo: Opera quae supersunt, ed. Leopold Cohn / Paul Wendland, 7 Bände, Berlin 1896-1930 – Josephus: Opera, ed. Benedikt Niese, 7 Bände, Berlin 1955 (*1887-1895) – Testamentum Iob, ed. Sebastian P. Brock, PVTG 2, Leiden 1967 – The Testaments of the Twelve Patriarchs, ed. Marinus De Jonge, PVTG 1/2, Leiden 1978. Clemens Alex.: Stromata I-VI, ed. Otto Stählin / Ludwig Früchtel, 4. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 52, Berlin 1985 – Epiphanius: Panarion haer. 1-33, ed. Karl Holl, GCS 25, Leipzig 1915, 151-464 – Eusebius Caes.: Die Kirchengeschichte, ed. Eduard Schwartz / Theodor Mommsen, Bd. 1: Bücher I bis V, GCS 9/1, Leipzig 1903; Bd. 2: Bücher VI bis X, GCS 9/2, Leipzig 1908; Bd. 3: Einleitungen, Übersichten und Register, Leipzig 1909 – Eusebius: Praeparatio evangelica, ed. Karl Mras, GCS 43/1, Berlin 1954, 2. Aufl. ed. Édouard des Places, Berlin 1982 – Hieronymus: Epistulae, ed. Isidor Hilberg, CSEL 54-56, Wien 2996 – Justin: Dialogue avec Tryphon, ed. Philippe Bobichon, Par. 47/1-2, Fribourg 2003 – Origenes: Contre Celse, Tome 2: Livres 3-4, ed. Marcel Borret, SC 136, Paris 1968 – Origenes: Homélies sur Jérémie, Bd. 1: Homélies I-XI, ed. Pierre Husson / Pierre Nautin, SC 232, Paris 1976.

Weitere Literatur Bons, Eberhard / Mambelli, Anna / Scialabba, Daniela (ed.): Exodos. Storia di un vocabolo, Bologna 2019 – Bons, Eberhard: Beobachtungen zum anthropologischen Vokabular von Weish 7,1-6 (θνητὸς ἄνθρωπος, εἴσοδος und ἔξοδος), in: Siegfried Kreuzer / Martin Meiser / Marcus Sigismund (ed.), Die Septuaginta – Entstehung, Sprache, Geschichte, WUNT 286, Tübingen 2012, 144-154 – Borgen, Peder / Fuglseth, Kare / Skarsten, Roald: The Philo Index. A Complete Greek Word Index to the Writings of Philo of Alexandria, Grand Rapids / Leiden 2000 – Denis, Albert-Marie: Introduction à la littérature religieuse judéo-hellénistique, 2 Bände, Turnhout 2000 – Lampe, Geoffrey William Hugo, A Patristic Greek Lexicon, Oxford 1961 – Michaelis, Wilhelm: εἴσοδος, ἔξοδος, διέξοδος, ThWNT V (1954), 108-113 – Peppermüller, Rolf: ἔξοδος, EDNT II (1991), 8 – Rengstorf, Karl Heinrich (ed.), A Complete Concordance to Flavius Josephus, 2 Bände, Leiden 22002 – Schulz-Flügel, Eva: Hieronymus, Feind und Überwinder der Septuaginta? Untersuchungen anhand der Arbeiten an den Psalmen, in: Anneli Aejmelaeus / Udo Quast (ed.), Der Septuaginta-Psalter und seine Tochterübersetzungen, Göttingen 2000, 33-50 – Seiler, Stefan: Psalm 113[114; 115], in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, 2 Bände, II, Psalmen bis Daniel, Stuttgart 2011, 1819-1822.

1. Einleitung Die Septuaginta hat einen wesentlichen Einfluss auf die jüdisch-hellenistische Literatur ausgeübt, so auf Philo von Alexandrien und Flavius Josephus, später auf die Verfasser der neutestamentlichen Schriften sowie noch später auf die griechischsprachi90

gtvh 08105 / p. 91 / 31.3.2022

Exodus

gen Kirchenväter. Diese kannten oft nur die Septuaginta als ihren einzigen Bibeltext, vielleicht auch deren Revisionen durch Aquila, Symmachus und Theodotion. Der Einfluss der Septuaginta auf jüngere jüdische und christliche Literatur macht sich nicht nur in Anspielungen und Zitaten geltend, die in einen jeweils neuen Kontext eingefügt werden, sondern auch im Vokabular. Dies betrifft nicht nur solche Wörter, die anscheinend zum ersten Mal in der Septuaginta verstärkt auftreten und von späteren jüdischen und christlichen Autoren übernommen worden sind, z. B. ἀλλογενής, wörtlich »andersstämmig«. Es ist auch auf solche Termini hinzuweisen, die sicherlich nicht für die Septuaginta erfunden worden sind, deren spezifischer Gebrauch aber auf sie zurückgeht. Der vorliegende Artikel soll einen bestimmten dieser Termini behandeln, der Geschichte gemacht hat, und zwar das Substantiv ἔξοδος, nach dem bekanntlich auch das zweite Buch der Bibel bezeichnet wird. Wie in den folgenden Abschnitten gezeigt werden soll, ist auch dieses Substantiv der nichtbiblischen griechischen Sprache völlig geläufig. Die verschiedenen Bedeutungen des Wortes finden sich auch noch in der Septuaginta. Jedoch bahnt sich in der Septuaginta ein Sprachgebrauch an, der die modernen Sprachen bis heute beeinflusst: Während die Hebräische Bibel kein Substantiv für den Auszug der Israeliten aus Ägypten hat, nimmt in der Septuaginta das Wort ἔξοδος eine solche Bedeutung an. 1

2. Die vielen Bedeutungen des Substantivs ἔξοδος in der griechischen Literatur und in der Septuaginta Das Nomen ἔξοδος setzt sich bekanntlich aus der Präposition ἐκ (»aus«) und dem gebräuchlichen Substantiv ὁδός (»Straße«, »Weg«) zusammen. Es spezifiziert damit die Bedeutung von ὁδός, indem es den Akzent auf den Ausgangspunkt eines Weges legt. Seine Grundbedeutung ist somit »Ausgang«, »Weggang«. Das Substantiv ist erstmals in der attischen Tragödie des Aischylos: Sept. (467 v. Chr.), bezeugt, wo es im Plural verwendet wird, um die »Ausgänge« der Stadt zu bezeichnen, d. h. die berühmten sieben Tore Thebens (V. 33, 58 und 284). Im klassischen Theater bezieht sich ἔξοδος oft auch auf die konkret im Theater vorhandene Tür; ferner bezeichnet es das Erscheinen eines Schauspielers auf der Bühne oder sein Abtreten von dieser (z. B. Sophokles: Ant. 1184; Euripides: Ion 515; Aristophanes: Lys. 16). Gerade wegen dieser Verwendung wird das Wort später von Aristoteles als Fachbegriff gewählt, um den letzten Teil der Tragödie zu bezeichnen, also den Moment, in dem sich der Chor von der Bühne zurückzieht (Poet. 1452b, Kap. 12,1-9). Außerhalb der Sprache des Theaters wird ἔξοδος in der klassischen und hellenistischen griechischen Literatur in den unterschiedlichsten Kontexten verwendet, mit teilweise alltäglichen und konkreten Bedeutungen, z. B. »Expedition« oder »Feldzug« bei Thukydides: Hist. III 5,2, und bei Lysias: Mant. 18, oder »Ausfluss« von Körperflüs-

1.

Der vorliegende Artikel setzt einige wichtige Untersuchungen voraus, die in den Sammelband Bons / Mambelli / Scialabba: Exodos, eingeflossen sind. Für zahlreiche weitere Details sei auf die dort publizierten Artikel verwiesen.

91

gtvh 08105 / p. 92 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

sigkeiten bei Aristoteles: Part. anim. 693b. Bei Platon bedeutet ἔξοδος z. B. das Ergebnis einer Argumentation (Prot. 361a) oder – geradezu bildlich – das Vergessen als ein Verschwinden des Wissens (Symp. 208a: λήθη γὰρ ἐπιστήμης ἔξοδος). Mehrere konkrete Bedeutungen finden sich auch in Papyri und Inschriften, z. B. im Zusammenhang der Abgrenzung eines Grundstücks in P. Enteux. 66 (218 v. Chr., Magdola), im Sinne von finanziellen Ausgaben in IG XIV 426 (Taormina, Sizilien), von »Feldzug« in IG II2 1006 (122-121 v. Chr., Attika) oder sogar von »Scheidung« in BGU 4.1105 (11-10 v. Chr., Alexandria). Diese Vielfalt von Bedeutungen des Begriffs ἔξοδος kennzeichnet auch die Septuaginta, ja sie kennt sogar einige Bedeutungen, die sonst nicht belegt sind. Nur die wichtigsten seien hier genannt. So bezeichnet das Substantiv das »Hinausgehen« von Personen (z. B. Num 35,26; Ri 5,4; 3Kgt 2,37; 1Chr 20,1; Ez 47,3; Jdt 1,4; 13,3; 3Makk 5,26.27; Sir 50,5). Häufig ist auch die Verwendung von ἔξοδος in Kombination mit seinem Gegenteil εἴσοδος, um die Bewegung von »Eingang« und »Ausgang« zu bezeichnen. Eine solche Kombination beider Substantive kann sowohl wörtliche (1Kgt 29,6; 4Kgt 19,27; 2Chr 16,1; Ps 120[121],8; Jes 37,28) als auch übertragene Bedeutungen haben, z. B. 3Kgt 3,7: »Ich kenne meinen Ausgang und meinen Eingang nicht«, was bedeutet: »Ich weiß nicht, welche Richtung ich einschlagen soll«. Manchmal wird das Substantiv in Zusammenhängen verwendet, die für die Septuaginta charakteristisch sind, insofern als sie wörtliche Übersetzungen der hebräischen Vorlage darstellen. So bezeichnet ἔξοδος das Aufgehen der Sonne in Ri 5,31; Ps 18[19],7; Sir 43,2. In 2Esra 4,15 (MT Esra-Neh 4,15) bezieht sich das Wort auf das Erscheinen der Sterne, in Ijob 38,27 auf das Sprießen des Grases. In Spr 25,26 findet sich die Periphrase ὕδατος ἔξοδος (»Sprudeln des Wassers«, im Sinne von »Wasserquelle«), mit der das einzelne hebräische Wort ‫ָמקוֹר‬, »Quelle«, nicht wörtlich übersetzt wird, wahrscheinlich um die Wiederholung des vom Übersetzer bereits im ersten Teil des Verses verwendeten Substantivs πηγή, »Quelle«, zu vermeiden. Es ist wahrscheinlich, dass auch in Spr 25,13 der Ausdruck ὥσπερ ἔξοδος χιόνος (»wie das Ausgehen / Fallen von Schnee«) vom Übersetzer aus Gründen der Klarheit und des Stils gewählt wurde, während der hebräische Text ‫ְכִּצ ַנּת־ֶשֶׁלג‬, »wie die Frische von Schnee«, liest. Wie in der klassischen griechischen Literatur bezeichnet ἔξοδος in der Septuaginta nicht nur den Akt des Weggehens, sondern auch den »Ausgang«, verstanden als den physischen Ort, durch den man einen anderen verlässt. Ein solcher Gebrauch findet sich nur im Buch des Propheten Ezechiel, und zwar in Ez 42,11; 43,11; 44,5. Weiterhin bezeichnet ἔξοδος die Stellen, die aus einer bestimmten Perspektive als »außerhalb« gelten, so je nach Kontext die Straße (2Kgt 1,20; 22,43; 3Kgt 21[20],34; Spr 1,20; Jes 51,20; Jer 11,13; Klgl 2,19.21; 4,1.5.8.14) oder das Land oder die Landschaft außerhalb einer Stadt (Ps 143[144],13). Schließlich bezieht sich in einigen Texten ἔξοδος auf den Ausgangspunkt einer Bewegung und meint somit den Ursprung oder die Herkunft: 3Kgt 10,28; 2Chr 1,16; 9,28 (ἡ ἔξοδος τῶν ἵππων, »die Herkunft der Pferde« Salomos); 3Kgt 10:29 (die Herkunft der Wagen und Pferde aus Ägypten); Mich 5,1 (αἱ ἔξοδοι αὐτοῦ ἀπ᾽ ἀρχῆς, »seine [scil. des neuen Herrschers von Israel] Ursprünge liegen in der Vorzeit«). Zuletzt ist noch auf einen bestimmten katachrestischen Gebrauch von ἔξοδος aufmerksam zu machen. Entsprechend der ursprünglichen Bedeutung »Ausgang« kann sich das Wort auch auf das »Ende« im zeitlichen Sinne beziehen, z. B. in Ex 23,16 (ἐπ᾽ 92

gtvh 08105 / p. 93 / 31.3.2022

Exodus

ἐξόδου τοῦ ἐνιαυτοῦ, »am Ende des Jahres«), 2Chr 23,8 (ἕως ἐξόδου τοῦ σαββάτου, »bis zum Ende des Sabbats«), schließlich »Ende des Lebens«, »Tod« in Weish 3,2; 7,6. Gerade letzterer Gebrauch begegnet u. a. noch mehrfach in antiker jüdischer Literatur. 2 Da dieser Gebrauch von ἔξοδος in der nichtbiblischen griechischen Literatur nicht bezeugt ist, mag man erwägen, ob er nicht in spezifisch jüdischen Kontexten beheimatet ist. 3 Auch dem Neuen Testament ist übrigens ein solcher Gebrauch von ἔξοδος noch bekannt (vgl. Lk 9,31; 2Petr 1,15), später auch der antiken christlichen Literatur. 4 Um zur Septuaginta zurückzukehren, ist es bemerkenswert, dass in Sir 38,23 der Ausdruck ἔξοδος πνεύματος zwar wörtlich »Ausgang des Geistes« zu bedeuten scheint, jedoch auf jemanden bezogen wird, der bereits verstorben ist. Umgekehrt wird in Sir 40,1 das Substantiv ἔξοδος in Bezug auf die Geburt verwendet, die als »Ausgang aus dem Mutterschoß« (ἔξοδος ἐκ γαστρὸς μητρός) bezeichnet wird. Die zuvor gesammelten Beobachtungen führen nicht nur zu dem Ergebnis, dass die Septuaginta das Wort ἔξοδος in sehr verschiedenartigen Zusammenhängen und mit den unterschiedlichsten Bedeutungen verwendet, sondern dass die Übersetzer und Autoren der jeweiligen Texte dem Substantiv mehrere neue Bedeutungen verleihen. Dies gilt auch für die vielleicht bekannteste Bedeutung des Wortes, von dem die beiden folgenden Abschnitte handeln.

3. Die spezifische Verwendung von ἔξοδος in der Septuaginta – Ἔξοδος als Bezeichnung des Auszugs Israels aus Ägypten Die bekannteste und zugleich sehr spezifische Bedeutung des Substantivs ἔξοδος im Sinne vom »Auszug« der Israeliten aus dem Land Ägypten hat die die modernen Sprachen bis zum heutigen Tag beeinflusst. Diese verwenden den Ausdruck »Exodus« ja häufig im Zusammenhang von der Not geschuldeten und unter problematischen Umständen verlaufenden Migrationen. Ein solcher Sprachgebrauch bahnt sich in der Septuaginta an, wiewohl das Wort noch nicht auf diese Bedeutung festgelegt ist, wie vorhin gezeigt wurde. In der Tat findet sich das Wort zur Bezeichnung des Gründungsereignisses der Geschichte Israels nur an einigen verstreuten Stellen: Ex 19,1; Num 33,38; 3Kgt 6,1; Ps 104[105],38; 113 [114],1. In allen fünf Passagen verwenden die Übersetzer das Substantiv ἔξοδος zur Wiedergabe des infinitivus constructus des Verbs ‫ ָיָצא‬, »hinausgehen«. Der hebräische Bibeltext spricht also verbal vom »Hinausgehen« der Israeliten, kennt aber kein entsprechendes Substantiv.

2. 3. 4.

Philo: Virt. 77; Test. Iob 47.11 (Mss. S und V); Josephus. Ant. IV. 189 (ἐπ’ ἐξόδου τοῦ ζῆν, »am Ende des Lebens [des Moses]«). Vgl. auch Bons: Beobachtungen, 152. Vgl. Justin: Dial. 105,3.5, Bobichon I, 468; Clemens Alex.: Strom. III, 9,65 und IV, 4,14, GCS 52, 226.254; Origenes: Hom. Jer. 7.1.30, SC 232,342; Eusebius Caes.: H.e. V, 1,36.55 und V, 2,3, GCS 9/1, 416.424.428. Zu den verschiedenen Bedeutungen von ἔξοδος und Beispielen in der antiken christlichen Literatur vgl. vor allem Lampe: Lexicon, 498.

93

gtvh 08105 / p. 94 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

Dass das Wort ἔξοδος erst allmählich zu einem terminus technicus wird, zeigt folgende Beobachtung: Wo es sich auf den »Auszug« des Volkes Israel aus Ägypten bezieht, begegnet ἔξοδος meist in festen Wendungen, die das Subjekt dieses Auszugs im Genitiv ausdrücken und den Ort des Auszugs durch die Präposition ἐκ einleiten. In Ex 19,1 und Num 33,38 wird wie folgt formuliert: τῶν υἱῶν Ισραηλ ἐκ γῆς Αἰγύπτου ([Auszug] »der Kinder Israels aus dem Land Ägypten«). In 3Kgt 6,1 variiert die Formulierung nur geringfügig: υἱῶν Ισραηλ ἐξ Αἰγύπτου ([Auszug] »der Kinder Israel aus Ägypten«). In Ps 113[114],1 dagegen wird die Formulierung durch weitere Elemente angereichert: Ισραηλ ἐξ Αἰγύπτου οἴκου Ιακωβ ἐκ λαοῦ βαρβάρου ([Auszug] »Israels aus Ägypten, des Hauses Jakob, aus einem fremden Volk«). Das bedeutet, dass das Substantiv ἔξοδος mit weiteren Elementen versehen werden muss, damit es eindeutig den Auszug Israels aus Ägypten bezeichnen kann. 5 Anders stellt sich die Situation jedoch in Ps 104[105],38 dar, wo der Terminus ἔξοδος gleichsam absolut gebraucht wird, und zwar in der Formulierung ἐν τῇ ἐξόδῳ αὐτῶν, »im [Augenblick] ihres [d. h. der Israeliten] Auszugs«. Drei zusätzliche Beobachtungen verdienen hier weitere Aufmerksamkeit: a) In den drei Belegen Ex 19,1; Num 33,38 und 3Kgt 6,1 wird der Exodus zu einer Art »Jahr Null«, das einen Wendepunkt in der Geschichte Israels darstellt. Dieser Wendepunkt ermöglicht es, ein »Vorher« und ein »Nachher« in Israels Geschichte als Volk des Bundes zu definieren. Bezeichnend ist in dieser Hinsicht vor allem 3Kgt 6,1. Dort wird ein Ereignis erwähnt, das in eine Epoche eingeordnet wird, die vom Auszug Israels aus Ägypten zeitlich weit entfernt ist, und zwar die Anlage der Fundamente des ersten Jerusalemer Tempels. Letztlich bleibt aber auch hier der Exodus der zeitliche Bezugspunkt, von dem aus gerechnet wird. Viele Jahrhunderte später wird eine ähnliche Unterscheidung mit den Begriffen »vor Christus« und »nach Christus« getroffen werden. b) Bemerkenswert ist, dass in der klassischen griechischen Literatur die Verwendung von ἔξοδος im Sinne von »Migration« von Gruppen oder Völkern sehr selten ist. Besonders signifikant sind in dieser Hinsicht zwei Passagen aus Herodots Historiae (I, 94 und IV, 11). Dort bezieht der Begriff sich auf den Wegzug eines großen Teils der Einwohnerschaft aus dem Gebiet der betreffenden Stadt (ἔξοδος ἐκ τῆς χώρης). Aufgrund äußerer Umstände wird ein solcher ἔξοδος als unvermeidlich angesehen, aber in Erwartung einer besseren Zukunft für die Bevölkerung dennoch unternommen. In diesen Texten mag man eine gewisse Parallele zu der Situation zu erkennen, die am Anfang des Buches Exodus anklingt, so in Ex 2,23, wo von der Not der zur mühseligen Arbeit verpflichteten Israeliten die Rede ist. Auch in diesem Falle bedeutet der ἔξοδος den Aufbruch in eine bessere Zukunft. Man wird nicht ausschließen können, dass den alexandrinischen Übersetzern der Bibel ein solcher Gebrauch des Wortes ἔξοδος bekannt war. c) In der Vulgata verwendet Hieronymus an den drei Stellen Ex 19,1, Num 33,38 und 3Kgt 6,1 eine fast identische Formel: egressio Israhel / filiorum Israhel de terra Aegypti / ex Aegypto. Was seine Übersetzung von Ps 104[105],38 und 113[114],1 betrifft, so bevorzugt Hieronymus im Psalterium Gallicanum (= Psalterium iuxta LXX) die 5.

Zum Unterschied zwischen der Septuaginta und dem Masoretentext des Verses vgl. Seiler: Psalm 113[114; 115], 1819-1822, bes. 1819.

94

gtvh 08105 / p. 95 / 31.3.2022

Exodus

Verwendung von Substantiven (profectio und exitus) in Übereinstimmung mit dem griechischen Text der beiden Psalmen. Im Falle des Psalterium iuxta Hebraeos dagegen wird ein Verb (egredior) eingesetzt, in Übereinstimmung mit dem hebräischen Text der beiden Passagen. 6 Das bedeutet, dass in der lateinischen Terminologie zunächst noch nicht das Lehnwort exodus verwendet wird, um den Auszug der Israeliten aus Ägypten zu bezeichnen.

4. Ἔξοδος als Bezeichnung des Auszugs Israels aus Ägypten in jüdisch-hellenistischen Schriften, im Neuen Testament und in der frühen christlichen Literatur Die spezifische Verwendung von ἔξοδος als Termins zur Bezeichnung von Israels Auszug aus Ägypten hat zwar seine Ursprünge in der Septuaginta-Übersetzung des Pentateuchs, insbesondere in Ex 19,1 und Num 33,38, setzt sich aber erst in späterer Zeit allmählich durch. Es findet sich noch innerhalb stereotyper Formeln in den Testamenta XII Patriarcharum, wenn von einem Zeitraum bis zum Auszug aus Ägypten die Rede ist, so im Testamentum Symeon 9.1 (ἕως ἡμέρας ἐξόδου αὐτῶν ἀπ᾽ Αἰγύπτου, »bis zum Tag ihres Auszugs aus Ägypten«) und im Testamentum Beniamin 12.4 (ἕως ἡμέρας ἐξόδου αὐτῶν ἐκ γῆς Αἰγύπτου, »bis zum Tag ihres Auszugs aus dem Land Ägypten«). Außerdem findet sich eine entsprechende Formulierung im späten, wahrscheinlich aus dem zweiten oder dritten Jh. n. Chr. stammenden Testamentum Salomonis 25.5 7 (ἐν τῇ ἐξόδου τῶν υἱῶν Ἰσραήλ, »beim Auszug der Kinder Israels«). Das Substantiv ἔξοδος erscheint weiterhin mindestens einmal in der Tragödie ’Εξαγωγή, die einem gewissen Ezechiel, »Ezechiel dem Tragiker« (spätes 2. Jh. v. Chr.), zugeschrieben wird. Dieser sonst unbekannte Autor, der dem jüdisch-hellenistischen Kulturraum entstammt und wahrscheinlich in Alexandria wirkte, greift die in Ex 1-15 dargestellten Begebenheiten auf. 8 Dabei verwendet er das Substantiv ἔξοδος ohne weitere Angaben, um das spezifische Ereignis des Exodus zu bezeichnen (V. 191): καὶ τοῦδε μηνὸς ἔξοδον διδοῖ θεός, »und Gott gibt den Exodus in diesem Monat« 9. Dabei ist auffällig, dass gemäß dem folgenden V. 192 dieses Ereignis als Anfang der Zählung von Monaten und Zeiten dienen soll (ἀρχὴ δὲ μηνῶν καὶ χρόνων οὗτος πέλει). Der unbekannte Autor setzt damit eine Tradition fort, die in der Septuaginta ihren Anfang nahm und wonach der Auszug Israels aus Ägypten gleichsam den Nullpunkt in der Geschichte Israels darstellt (s. o.). Auch der jüdische Philosoph Philo von Alexandrien verwendet das Substantiv ἔξοδος ohne weitere erklärende Elemente, etwa »Ägypten«, so in seinem Werk De Migratione Abrahami 15. Bevor dort Mose das Volk Israel zur Befreiung führt, hat Gott es über seinen Auszug (τὰ περὶ τὴν ἔξοδον) unterrichtet. Dabei wird das Heilsereignis des Exodus allegorisch als Befreiung der Seele aus der Herrschaft des Körpers, sym6. 7. 8. 9.

Zu den von Hieronymus angefertigten Psalmenübersetzungen vgl. z. B. Schulz-Flügel: Hieronymus, 33-50. Vgl. Denis: Introduction, I, 536-539, bes. 538. Vgl. Denis: Introduction, II, 1201-1216. V. 191 bei Eusebius Caes.: Praep. ev. IX, 29, 13, GCS 43/1,534. Vgl. die Parallele in Ex 12,17.

95

gtvh 08105 / p. 96 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

bolisiert durch Ägypten, gedeutet. In Philos Werk De vita Mosis erscheint an zwei Stellen (1.105 und 1.122) die Konstruktion von ἐπιτρέπω (im Sinne von »gewähren«) mit dem Akkusativ τὴν ἔξοδον sowie dem Dativ, der die Personen bezeichnet, denen der Auszug gewährt wird (ähnlich 2.248). Dabei ist es völlig eindeutig, dass es sich um den Auszug Israels aus Ägypten handelt. 10 Vor allem ab dem 1. Jh. n. Chr. scheint sich ἔξοδος als Terminus für den Auszug Israels aus Ägypten zu etablieren, wie seine häufige Verwendung mit dieser Bedeutung bei Flavius Josephus zeigt (z. B. Ant. II, 271.309.312; III, 61; V, 261; VIII, 61). Gerade in Ant. VIII, 61 wird auf 3Kgt 6,1 Bezug genommen und das beschriebene Ereignis – der Beginn des Tempelbaus – anhand des Auszugs der Israeliten aus Ägypten datiert, hier allerdings mit einer anderen Zahl als im biblischen Text. In seinem apologetischen Werk Contra Apionem (Ap. II, 17), geht es Flavius Josephus um die exakte Datierung des Auszugs der Israeliten aus Ägypten, wobei hier das Substantiv ἔξοδος ohne weitere Angaben steht. Wenn auch aus dem Kontext eindeutig hervorgeht, welches Ereignis gemeint ist, dürfte spätestens an dieser Stelle deutlich werden, dass das Substantiv zum terminus technicus geworden ist. 11 Im Neuen Testament wird zwar das Exodus-Ereignis selbst erwähnt, etwa in der Stephanus-Rede in der Apostelgeschichte (Apg 7,20-36), aber das Substantiv ἔξοδος begegnet dort nicht. Mit Bezug auf den Auszug Israels aus Ägypten kommt es nur einmal vor, und zwar in Hebr 11,22 (περὶ τῆς ἐξόδου τῶν υἱῶν Ἰσραήλ ἐμνημόνευσεν [»er erinnerte sich an den Auszug der Söhne Israels«]). Dieser spezifische Gebrauch verbreitet sich in der christlichen Literatur der ersten Jahrhunderte. 12

5. Die griechische und lateinische Bezeichnung des zweiten Buchs der Bibel Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass das zweite Buch der Bibel im Hebräischen bekanntlich mit dem Titel ‫ְשׁמוֹת‬, wörtlich »Namen«, bezeichnet wird, gemäß dem ersten Substantiv des Textes: »Dies sind die Namen der Israeliten«. In der christlichen Literatur griechischer Sprache wird dagegen Ἔξοδος auch bald zum Titel des zweiten Buches des Pentateuchs. Man wählte also das Wort, das das zentrale Ereignis bezeichnet, das in diesem Buch beschrieben wird. Jedoch ist der Titel nur in christlichen Quellen bezeugt. Die ersten Belege finden sich bei Justin. 13 Nach dem Zeugnis des Eusebius von Cäsarea kennt auch Origenes die Bezeichnung Ἔξοδος für das zweite Buch der

10. Vgl. auch die Konkordanz von Borgen / Fuglseth / Skarsten: The Philo Index, 134. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass Philo nicht nur den Terminus ἔξοδος verwendet, wenn er vom Auszug der Israeliten aus Ägypten spricht, sondern auch das Substantiv ἀποικία, eigentlich »Kolonie«, z. B. in Vit.Mos. I, 71. 11. Zu anderen Belegen von ἔξοδος bei Flavius Josephus vgl. Rengstorf: Concordance, I, 669670. 12. Z. B. Clemens Alex.: Strom. I, 21/136, GCS 52, 84; Origenes: Cels. IV, 47, 25-26, SC 136, 306; Epiphanius: Haer. VIII, 5,3; IX, 2,1, GCS 25, 190.198. 13. Justin: Dial. 59.1.2; 75.1; 126.2; 128.1, Bobichon I, 342.390.524.528.

96

gtvh 08105 / p. 97 / 31.3.2022

Exodus

Bibel. 14 In latinisierter Form Exodus dringt der Titel auch in die christliche Literatur lateinischer Sprache ein, so bei Hieronymus 15, und wird somit – wiewohl griechischen Ursprungs – zur üblichen Bezeichnung des biblischen Buches auch im Bereich der westlichen Kirchen.

14. Eusebius Caes.: H.e. VI, 25,2, GCS 9/2, 572. 15. Hieronymus: Ep. 53,8,1, CSEL 54, 454.

97

gtvh 08105 / p. 98 / 31.3.2022

2.1.6 Götterbild Stefanie Peintner Literatur Textausgaben und Übersetzungen Becker, Jürgen: Die Testamente der zwölf Patriarchen, JSHRZ III/1, Gütersloh 1980 – van Henten, Jan Willem: Flavius Josephus. Translation and Commentary, Vol. 7B, Judean Antiquities 15, Leiden/Boston 2014. Athenagoras: Legatio pro Christianis, ed. Miroslav Marcovich, PTS 31, Berlin / New York 1990 – Justinus Martyr: Apologie pour les Chrétiens, ed. Charles Munier, SC 507, Paris 2006.

Weitere Literatur Fischer, Moshe / Jackson-Tal, Ruth E.: A Glass Pendant in the Shape of Harpokrates from Yavneh-Yam, Israel, Journal of Glass Studies 35 (2003), 35-40 – Griffith, Terry: ΕΙΔΩΛΟΝ as ›Idol‹ in Non-Jewish and Non-Christian Greek, JThS 53 (2002), 95-101 – Griffith, Terry: Keep Yourselves from Idols: A New Look at 1 John, JSNT.S 233, London / New York 2002 – Grimm, Jacob / Grimm, Wilhelm: Deutsches Wörterbuch (Glibber-Gräzist, Bd. 8), München: Nachdruck 1984 – Haacker, Klaus: Die Apostelgeschichte, ThKNT 5, Stuttgart 2019 – Harl, Marguerite / Casevitz, Michel: ἄγαλμα, in: Eberhard Bons (ed.), Historical and Theological Lexicon of the Septuagint. Bd. 1: Alpha – Gamma, Tübingen 2020, 13-24 – Lust, Johan: Idols? ‫ גלולים‬and εἴδωλα in Ezekiel, in: Hans Ausloos / Bénédicte Lemmelijn / Marc Vervenne (ed.), Florilegium Lovaniense. Studies in Septuagint and Textual Criticism in Honor of Florentino García Martínez, BEThL 224, Leuven 2008, 317-333 – Peintner, Stefanie: »Aber nicht wie die Ägypter formierte er seine Kunstwerke aus Backstein und Granit …« Bild-Gottheiten in der Septuaginta, in: Johann Cook / Martin Rösel (ed.), Toward a Theology of the Septuagint. Stellenbosch Congress on the Septuagint 2018, SCS 74, Atlanta 2020, 142-146 – Plangger, Stefanie: Gott im Bild. Eidôlon – Studien zur Herkunft und Verwendung des Septuagintabegriffes für das Götterbild, Diss. theol., Universität Straßburg 2018 – Rösel, Martin: »Du sollst die Götter nicht schmähen!« (LXX Ex 22,28[27]). Die Übersetzung Gottes und der Götter in der Septuaginta, in: Melanie Lange / Martin Rösel (ed.), Der übersetzte Gott, Leipzig 2015, 5468 – Scheer, Tanja Susanne: Die Gottheit und ihr Bild. Untersuchungen zur Funktion griechischer Kultbilder in Religion und Politik, Zetemata 105, München 2000 – Seeligmann, Isac Leo: The Septuagint Version of Isaiah and Cognate Studies, FAT 40, Tübingen 2004 – Vernant, Jean-Pierre: Figuration et image, Métis 5 (1990), 225-238 – Vogel, Manuel: Einführung, in: Eckart Reinmuth (ed.), Joseph und Aseneth, SAPERE XV, Tübingen 2009, 3-31 – Woyke, Johannes: Götter, ›Götzen‹, Götterbilder. Aspekte einer paulinischen ›Theologie der Religionen‹, BZNW 132, Berlin 2005.

1. Einleitung In den modernen Sprachen bezeichnet »idol« (Englisch) und »idole« (Französisch) bis in die Gegenwart ein »Götterbild«. Beide Begriffe gehen zurück auf latinisierte Formen (idolum) des griechischen Begriffs εἴδωλον, der in der Septuaginta zu einem terminus 98

gtvh 08105 / p. 99 / 31.3.2022

Götterbild

technicus für das Götterbild wird. 1 In der deutschen Sprache versteht man unter »Idol« in erster Linie eine Person, die einen »Personenkult« genießt, wobei Spuren des antiken Wortsinnes erhalten bleiben. Der Idolbegriff betont stärker als der Ausdruck Ikone (εἰκών) das Moment der Verehrung, und genau darin liegt die Krux: die Kombination aus Adoration und Bildhaftigkeit steht im Widerspruch mit der alttestamentlichen Theologie der bildlosen Alleinverehrung JHWHs. Als Standardäquivalent in der deutschen Sprache hat sich durch Martin Luthers Bibelübersetzung die Wortschöpfung »Götze« bzw. »Götzenbild« eingebürgert. Die stark pejorative Konnotation des Begriffes »Götzen« 2 als Übersetzung für die biblischen Termini, die Fremdgötter und deren bildliche Darstellungen bezeichnen, ist jedoch als problematisch zu bewerten.

2. Der Terminus εἴδωλον in nichtjüdischen Quellen In der Septuaginta dient der Terminus εἴδωλον als Bezeichnung für Fremdgottheiten, wobei das Hauptaugenmerk auf deren sichtbarer Erscheinungsform liegt. Im Unterschied zu θέος »Gott« sind damit eindeutig andere Gottheiten gemeint. Der Begriff εἴδωλον bringt dabei die Verschmelzung von Gottheit und Bild zum Ausdruck: Das Substantiv kann nämlich sowohl fremde Götter als auch deren Kultbilder benennen. Die Verbindung bzw. das Ineinanderfließen von Gottheit und Bild zeichnet den Begriff εἴδωλον in dieser Hinsicht besonders aus. Unabhängig vom Kontext kann die »sichtbare Erscheinungsform«, die dem Begriff zugrunde liegt (»[er]scheinen«, »gleichen«) 3, als gemeinsamer Nenner der verschiedenen Erwähnungen eines εἴδωλον betrachtet werden. Der Ausdruck kann alle Formen von handwerklich hergestellten Bilddarstellungen bezeichnen, aber auch »mentale Bilder«. 4 In der griechischen Literatur wird εἴδωλον mit einer Vielfalt von konkreten Bedeutungen verwendet, so die sichtbare Existenzweise eines Verstorbenen im Hades als »Schatten-« oder »Spiegelbild« (Od. 11.476, 601-602; 24.14; Il. 23,72) 5 bei Homer oder bei Platon im Kontext der schöpferischen Tätigkeit Gottes die Unterscheidung von »nachahmenden Abbildern« und der Wirklichkeit selbst (Soph. 265b-266d), schließ-

1. 2.

3.

4. 5.

Vgl. Rösel: »Du sollst die Götter nicht schmähen!«, 62 (mit Hinweis auf Seeligmann: The Septuagint Version of Isaiah, 263). Nach dem Grimm’schen Wörterbuch lauten die Grundbedeutungen von Götze »Dummkopf«, »Bildwerk«, »Abgott«, vgl. Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 8, 431. Als alternative Übersetzungen wären »Bild-Gottheiten« (in Kontexten, in denen Fremdgottheiten selbst im Vordergrund stehen) oder »Götter(bilder)« (primär Bilddarstellungen von fremden Göttern) zu bevorzugen. Vgl. T. Griffith: ΕΙΔΩΛΟΝ as ›Idol‹, 99. Nach Vernant: Figuration, 233, drückt der Terminus εἴδωλον drei Arten von Phänomenen aus: « l’apparition surnaturelle, phasma, le songe, oneiros (onar), l’âme-fantôme des défunts, psuché. » Siehe Vernant: Figuration, 228. Vgl. dazu Plangger: Gott im Bild, 24-25. Vgl. zur Verwendung von εἴδωλον in der griechischen Literatur auch Woyke: Götter, ›Götzen‹, Götterbilder.

99

gtvh 08105 / p. 100 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

lich als »Spiegelbilder« der Menschen (vgl. das Höhlengleichnis in Resp. 532b). 6 Die Epikureer verwenden den Ausdruck zur Erklärung des Sehvorgangs. 7 Lange galt der kultische Kontext als Charakteristikum jüdisch-christlicher Texte, wofür insbesondere das griechische Alte Testament eine entscheidende Rolle spielte. Wenngleich der kultische Gebrauch von εἴδωλον in der klassischen griechischen Literatur eher selten vorkommt, ist er dennoch nicht unbekannt. 8 Ein standardisierter Ausdruck für das Götterbild existierte nämlich offenbar gar nicht. Welcher Begriff jeweils verwendet wurde, hing stattdessen stark von den Vorlieben des einzelnen Autors ab. 9 Erwähnenswert sind zuletzt die Belege von εἴδωλον in Texten, die die Kultbildtheologie Ägyptens betreffen. Danach ist die Gottheit im Bild präsent, dem sie gleichsam einwohnt. 10

3. Der Begriff εἴδωλον in der Septuaginta Die Wahl von εἴδωλον durch die Übersetzer ist wahrscheinlich theologisch begründet, da mit diesem Ausdruck alle wesentlichen Elemente der Fremdgötterthematik abgedeckt sind: Die Zugehörigkeit zum Fremdartigen, die Bildhaftigkeit und eine Nähe zur Divination sind die wesentlichen Konnotationen, die den Gebrauch des Wortes εἴδωλον prägen, das häufig im kultischen Kontext begegnet. 11

3.1 Die hebräischen Äquivalente von εἴδωλον Die Vielzahl von hebräischen Äquivalenten lässt auf Seiten der Übersetzer eine starke Tendenz erkennen, die Terminologie zu vereinheitlichen. Mit nur einem einzigen Begriff können anscheinend wesentliche Aspekte der »anderen« Götter erfasst werden. Die zahlreichen hebräischen Entsprechungen lassen sich grob in drei Wortfelder einordnen. Das erste betrifft die bildlichen Repräsentationen und umfasst Termini wie ‫עצב‬ »Götterbild«, und ‫פסל‬, »Kultbild«, »behauene oder geschnitzte, teilweise mit Metall überzogene Götterskulptur«, weiterhin ‫צלם‬, »Statue« oder ‫גלולים‬, »Götterbilder« wie auch künstlich gebildeter Spottname: »Mistdinger«. Außerdem fungiert εἴδωλον als Vgl. Plangger: Gott im Bild, 28. Plangger: Gott im Bild, 28. So überzeugend Griffith: ΕΙΔΩΛΟΝ, 95-101. Das Fehlen eines allgemeinen Kultbildbegriffes lag möglicherweise am Mangel eines verbindlichen Buches als Zentrum der Religiosität, vgl. Scheer: Gottheit, 33-34. Die Annahme, ein neutraler allgemeiner Götterbildbegriff wie ἄγαλμα »Schmuckstück«, »Götterbild«, »Statue«, sei in der LXX bewusst vermieden worden, lässt sich nicht halten. Siehe ausführlich dazu Peintner: »Aber nicht wie die Ägypter«, 142-146. Weitere griechische Wörter für das Götterbild oder die Götterplastik sind ξόανον »Schnitzbild« und εἰκών »Abbild«, auch ἵδρυμα »Geweihtes«, vgl. ausführlich Scheer: Gottheit, 19. 10. In den Papyri ist εἴδωλον als Götter(bild)bezeichnung bezeugt, und Kultstatuen werden darin mit Gottheiten identifiziert, vgl. P.Strasb. 2.91; P.Worp 7; PSI 8.901. Vgl. dazu Peintner: »Aber nicht wie die Ägypter«, 144; Plangger: Gott im Bild, 40-51. 11. Möglicherweise ist εἴδωλον Teil eines jüdischen Soziolekts, vgl. dazu LXX.H 3, Septuagint Greek and the Jewish Sociolect in Egypt, 246-256. 6. 7. 8. 9.

100

gtvh 08105 / p. 101 / 31.3.2022

Götterbild

Äquivalent für Götterbezeichnungen, z. B. als Wiedergabe für ‫אלהים‬, »Gott«, »göttliches Wesen«, ‫בעל‬, »Baal« (im Plural als Zusammenfassung für Fremdgottheiten) oder ‫אליל‬, »Göttlein«, »nichtige Götter« mit einer abwertenden Konnotation. Stark pejorativ ist der Ausdruck ‫ שׁקץ‬mit der Grundbedeutung »abscheulich, verabscheuen« (»Scheusale«). Das dritte Wortfeld umfasst schließlich das Kultvokabular wie etwa ‫במה‬, »kleine Erhebung zu kultischem Gebrauch«, »Kultstätte«, oder ‫חמן‬, »Kultgegenstand«, »Kultgebäude« (im Kontext eines Höhenheiligtums). Im Unterschied dazu hat der teilweise synonym zu εἴδωλον verwendete Terminus εἰκών »Bild«, »Abbild« nur hebräische Äquivalente, die den bildlichen Repräsentationen zuzuordnen sind, und zwar vor allem ‫צלם‬, so in Gen 1,26.27 und häufig im Buch Daniel. 12

3.2 Die Vielfalt an Bedeutungen und Kontexten von εἴδωλον innerhalb der Septuaginta Das wesentliche Kennzeichen von εἴδωλον ist seine hohe Affinität gegenüber dem »Fremdartigen«, präziser den »Fremdgottheiten«. Ein εἴδωλον ist stets ein Fremdkörper für Israel. So sind zum Beispiel in Gen 31,18.34.35 εἴδωλα im Besitz von Laban, dem Aramäer. Ein Charakteristikum des Ausdrucks, das auch an dieser Stelle anklingt, ist der Zusammenhang mit dem Phänomen der Divination (in Genesis 31 besonders durch das Äquivalent ‫[» תרפים‬menschliche] Statuetten« 13). Im Buch Numeri (Num 25,1-3) werden die εἴδωλα den Moabiterinnen zugeordnet: Es kommt dabei zu einem zweifachen »Fremdgehen«, einerseits durch den Verkehr mit den Moabiterinnen und andererseits gegenüber Gott, von dem die Israeliten zugunsten Baal-Peors abfallen. Die Thematik des drohenden, möglichen oder erfolgten Abfalls zu den εἴδωλα anderer Völker begegnet auch in anderen Texten, vgl. 3 Kgt 11,2; Jer 9,13; Dan 3,12LXX; Ps 151,6LXX [Bild-Gottheiten Goliats]). Zur Gestalt der εἴδωλα sagen diese Texte jedoch wenig aus. Aus 2 Makk 12,40 kann man allerdings folgern, dass man unter εἴδωλα auch »Götterminiaturen« auf Amuletten verstehen konnte 14; in anderen Fällen dürfte man mit Statuen rechnen. Das Lexem εἴδωλον lässt sich weiterhin auch in autoritativen Texten wie dem zweiten Dekaloggebot in Ex 20,4 und Dtn 5,8 beobachten. Eigentlich würde man anstelle von εἴδωλον die wörtliche Übersetzung von ‫פסל‬, »etwas Behauenes oder Geschnitztes«, mit γλυπτόν erwarten. Die Wahl von εἴδωλον erlaubt es aber, sowohl die Konnotationen des Fremden wie des Bildhaften herzustellen. Dass die εἴδωλα als »Nichtgott« (οὐ θεός) näher charakterisiert werden können, geht aus dem Moselied (Dtn 32,21) hervor, wo gesagt wird, dass Israel JHWH mit ihnen »eifersüchtig« gemacht hat. 12. Für die griechische Sprache weist Vernant: Figuration, 225-238, auf die Gemeinsamkeiten zwischen εἴδωλον und εἰκών hin. Die Ausdrücke εἰκών »Bild« oder ἄγαλμα »Statue« können daher nicht generell als positiv konnotiert im Gegensatz zu εἴδωλον gelten. Ausführlicher zu den hebräischen Äquivalenten siehe Plangger: Gott im Bild, 52-69. 13. Der Diebstahl Rachels ist rabbinischen Texten zufolge ein bewusster Akt, damit Laban keine Orakelbefragung über Jakobs Fluchtort machen kann. Auch der Kontext spricht für diese Deutung, vgl. ausführlich mit weiteren Beispielen Peintner: »Aber nicht wie die Ägypter«, 150. 14. Zum archäologischen Befund vgl. Fischer / Jackson-Tal: A Glass Pendant, 35-36.

101

gtvh 08105 / p. 102 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

Das Buch Ezechiel stützt das Verständnis von εἴδωλον als Kultbegriff. In unterschiedlichen Textpassagen, die ein kultischer Kontext alle miteinander verbindet, ist es die bevorzugte Wiedergabe für den hebräischen Begriff ‫גלולים‬. 15 In Ez 6,4-6 sind die εἴδωλα als materielle, konkrete Objekte wesentlicher Bestandteil eines Höhenheiligtums, das neben einem Kultinventar aus Altären und heiligen Bezirken besteht. Die Herstellung und Verehrung von Kultbildern ist auch ein Zuwiderhandeln gegen den Schöpfergott, wie man aus Hosea 13 folgern kann. In diesem Text wird vermutlich eine unangemessene imitatio Dei kritisiert. Die Anspielung auf den Schöpfungsakt Gottes wird in der Septuaginta durch die Wendung κατ᾽ εἰκόνα ausgedrückt: (Hos 13,2). Die εἴδωλα stehen sozusagen als Prototyp bzw. Modell für konkrete »Gussbilder« oder »Schnitzbilder« (γλυπτά); auf Gottes schöpferisches Wirken wird dagegen in dem schöpfungstheologischen Septuaginta-Zusatz in Hos 13,4 Bezug genommen. 16 Zusammenfassend kann man feststellen, dass die feinen Nuancen der hebräischen Götter(bild)terminologie in der Septuaginta allesamt im griechischen Begriff εἴδωλον zusammenfließen. Wie ein roter Faden zieht sich durch die Belege durch, dass zwischen der Gottheit selbst und ihrer sichtbaren Erscheinungsform eine unauflösliche Verbindung besteht. 17

4. Der Begriff εἴδωλον im hellenistischen Judentum 4.1 Joseph und Aseneth In Joseph und Aseneth 18 ist die Rede von der Abkehr Aseneths, einer ägyptischen Priestertochter, von der Idolatrie hin zur Bekehrung zum wahren Gott, dem »Gott der Hebräer«. In der Darstellung von Aseneths Konversion vom Polytheismus zum Monotheismus lässt sich ein synonymer Gebrauch zwischen den θεοί, den Göttern, und den εἴδωλα Ägyptens beobachten. In Aseneths Gemach befanden sich an den Wänden οἱ θεοὶ τῶν Αἰγυπτίων, »die Götter der Ägypter« (unzählbar und aus den Materialien »Silber und Gold«, χρυσοῖ καὶ ἀργυροῖ). Aseneth verehrte sie und brachten ihnen Opfer dar. Es handelte sich bei den εἴδωλα offenbar um Statuetten, die die betreffenden Gottheiten repräsentierten. In JosAs 10,12 bekehrt Aseneth sich in einem Akt des »Bildersturmes«: Sie warf »all die Götter(bilder) der Ägypter« (πάντα

15. Vgl. Lust: Idols?, 324. 16. Zur engen Verflechtung von bundestheologischer und schöpfungstheologischer Argumentation gegen Fremdgottheiten, siehe Peintner: »Aber nicht wie die Ägypter«, 156-159. Weitere Kategorien zum Bedeutungsverständnis von εἴδωλον, ebd., 146-159; ausführlicher in Plangger: Gott im Bild, 268-280. 17. Die Begriffswahl in der LXX kann als theologisch und kulturell bedingte Übertragung betrachtet werden, vgl. ausführlicher Peintner: »Aber nicht wie die Ägypter«, 153-154; Plangger: Gott im Bild, 149-156. 18. Zur Diskussion über die Datierung siehe Vogel: Einführung, 13-15. Dieser grenzt mit »Vorsicht« den »Entstehungszeitraum von JosAs auf die 2. Hälfte des 1. Jh. n. Chr. und die ersten Jahre des 2. Jh. …« ein (15).

102

gtvh 08105 / p. 103 / 31.3.2022

Götterbild

τὰ εἴδωλα τῶν Αἰγυπτίων) zusammen mit »allen goldenen und silbernen Göttern« (πάντας τοὺς θεοὺς αὐτῆς […] τοὺς χρυσοῦς καὶ ἀργυροῦς) aus dem Fenster. Ein weiteres Element ihrer Götterverehrung lässt sich in JosAs 3,6 anhand der Beschreibung von Aseneths Schmuck beobachten: Die Namen der ägyptischen Götter waren darauf eingraviert und stellten die »Angesichter aller Götterbilder« (εἴδωλα) dar (vgl. dazu die Götterminiaturen in 2 Makk 12,40). Eindeutig ist an dieser Stelle der Repräsentationscharakter der εἴδωλα für die betreffenden Fremdgottheiten bezeugt. In der Erzählung Joseph und Aseneth wird somit das Charakteristikum der Bildhaftigkeit der Fremdgötter, wie es in der Septuaginta erkennbar ist, bestätigt. Zugleich zeigt sich einmal mehr die »Komplexität« der εἴδωλα, insofern in ihnen eine Verschmelzung von Gottheit und Bild stattfindet. Doch gerade diese Verschmelzung wird von der einschlägigen Kritik an den εἴδωλα, wie sie auch diese Erzählung kennt, bestritten. Denn Aseneth kommt zur Einsicht, dass die εἴδωλα nur vermeintliche Götter sind, εἴδωλα κωφὰ καὶ νεκρά, »stumme und tote Götter(bilder)« (JosAs 13,11), unfähig zur Kommunikation im Unterschied zum lebendigen Schöpfergott. Die Argumente, die in anderen Texten in hymnischer oder eher abstrakter Diktion ausgedrückt wird (vgl. Ps 113,12-15LXX; 134,15-17LXX; Weish 15,15), werden somit in der Erzählung der konversionswilligen Ägypterin in den Mund gelegt. 19

4.2 Die Testamente der Zwölf Patriarchen Die Textsammlung, die in einem semitisierenden Griechisch verfasst wurde, stammt ursprünglich aus dem 2. Jh. v. Chr. (»nach 200 und vor 174 v. Chr.«) und enthält christliche Bearbeitungen. 20 Im Testament Josephs will Potiphars Frau durch ihr Versprechen, die εἴδωλα zu verlassen, Joseph zum Ehebruch verleiten (TestJos 4,5). Der Text erinnert an das Fremdgehen Israels mit den Moabiterinnen in Num 25,1-3 in der Septuaginta-Fassung. Hier wie dort geht es um unerlaubte sexuelle Beziehungen mit Fremden. Im Unterschied zu Num 25,1 ist in TestJos 4,5 jedoch von der Abkehr von den εἴδωλα die Rede. Die Zusicherung, von diesen abzulassen und allein dem Gott Josephs zu dienen, wird allerdings unglaubwürdig, wenn sie an die Verführung Josephs gebunden ist (vgl. TestJos 6,5). Das Problem unerlaubter sexueller Beziehungen spielt auch eine Rolle im Testament Rubens. In TestRub 4,6 wird wiederum ein Zusammenhang zwischen einer unerlaubten sexuellen Beziehung (πορνεία) und der Verehrung der εἴδωλα hergestellt, insofern als beide den Menschen von Gott entfernen. Zuvor, in TestRub 3,10-15, hatte Ruben vom unerlaubten Verkehr mit Bilha, der Nebenfrau seines Vaters Jakob, berichtet (vgl. Gen 35,22). In TestJud 19,1 schließlich wird die Geldgier (φιλαργυρία) verantwortlich gemacht für die Hinwendung zu den εἴδωλα.

19. Vgl. dazu Woyke: Götter, 91-92; zu den Belegen von εἴδωλον in den Sybillinischen Orakeln, siehe ebd. 93-94. 20. Vgl. Becker: Testamente, 25.

103

gtvh 08105 / p. 104 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

4.3 Philo von Alexandrien Im Werk des jüdischen Philosophen Philo von Alexandrien kommen Gottheiten und Götterbilder in unterschiedlichen Zusammenhängen vor sowie mit einem breit gefächerten Vokabular. In Schriftzitaten folgt er der Septuaginta-Terminologie, wie etwa aus Spec.leg. I, 25 hervorgeht, wo Lev 19,4 zitiert wird: »Folgt nicht den εἴδωλα, und stellt keine gegossenen Götter her« (θεοὶ χωνευτοί, s. o.). In Leg.All. II, 46 deutet Philo die Erzählung von Rachels Diebstahl der εἴδωλα, also der »Figurinen«, die sich im Besitz Labans befanden (vgl. Gen 31,19.34.35). Philo lässt in die biblische Erzählung auch seine allegorische Auslegung einfließen: Die sich auf die εἴδωλα niederlassende Rachel verkörpert die »Sinnlichkeit« (αἴσθησις), die den Geist (νοῦς) und nicht Gott als Urheber der Bewegungen betrachtet. 21 In Conf. 74, wo Philo auf Gen 35,2.4 Bezug nimmt, stehen die »anderen Götter« (θεοὶ ἀλλότριοι) in Form der εἴδωλα im Gegensatz zu allem »wahrhaft Existierenden« (ὄντως ὑπαρκτά). Weiterhin kennt Philo auch die Bedeutung von εἴδωλον im Sinne von »Trugbild« und »unwirkliche Vorstellung«, so in Spec.Leg. I, 26. Dort bezeichnet er die εἴδωλα als »den Schatten und Phantomen Ähnliches« (σκιαῖς ἐοικότα καὶ φάσμασιν); vgl. auch Spec.Leg. I, 28, für die Assoziation von εἴδωλα und »Schatten«. Philo benutzt als Bezeichnung für das Götterbild auch das griechische Lexem ἄγαλμα, »Schmuckstück«, »Götterbild«, das oft in Verbindung mit ξόανον, »geschnitztes Bild« vorkommt. 22 In Decal. 7 werden jedoch die religiös verehrten ἀγάλματα und andere als heilig angesehene Gegenstände als »leblose Dinge« (ἄψυχα) abgewertet. Dabei ist besonders die Stelle Decal. 66 erwähnenswert, weil danach die Verehrer der Gestirne weniger verwerflich handeln als diejenigen, die sich aus unterschiedlichen Materialien Guss- und Schnitzwerke und somit von Menschenhand gefertigte Götterbilder herstellen; vgl. auch Weish 13,10 für ein ähnliches Argument. Wo Philo Septuaginta-Passagen nicht zitiert, sondern deutet, vermeidet er den Begriff εἴδωλον. So erwähnt er in Virt. 221 den Ort der Herkunft Tamars, dem in Gen 38 keine weitere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Demnach ist Tamar in einer Stadt und in einem Haus aufgewachsen, wo mehrere Götter verehrt wurden und zahlreiche Götterbilder vorhanden waren (ἐν οἰκίᾳ καὶ πόλει τραφὲν πολυθέῳ γεμούσῃ ξοάνων καὶ ἀγαλμάτων καὶ συνόλως ἀφιδρυμάτων). Nachdem sie einen »kleinen Schein der Wahrheit« (βραχεῖαν αὐγὴν ἀληθείας) gesehen hat, gelangt sie zur »Verehrung und Anbetung des Einen, des Urgrundes« (τὴν θεραπείαν καὶ ἱκεσίαν τοῦ ἑνὸς αἰτίου).

21. Vgl. dazu Woyke: Götter, 95. 22. Vgl. Ebr. 109; Vit.Mos. I, 298; II, 205. Philo verwendet den Ausdruck auch abseits polemischer Kritik am Bilderkult. Er beschreibt den symbolischen Wert von Statuen in philosophischen Kontexten, in Orientierung an Platon. Außerdem erklärt er mit ἄγαλμα den biblischen Begriff ἐικών (Ausdruck für »Bild Gottes« in Genesis 1), siehe dazu und mit weiteren Informationen Harl / Casevitz: ἄγαλμα, 23.

104

gtvh 08105 / p. 105 / 31.3.2022

Götterbild

4.4 Josephus Flavius Der jüdische Historiker Josephus Flavius erzählt in den Jüdischen Altertümern (Antiquitates Judaicae) die Geschichte von der Erschaffung des ersten Menschen bis zu seiner Zeit, dem 12. Regierungsjahr Neros, nach. Grundsätzlich steht die Anbetung der fremden Götter der Verehrung des »eigenen« (ἴδιος) und »heimischen« (πάτριος) Gottes 23 diametral gegenüber; vgl. etwa Ant. V, 107; VIII, 194; X, 50. So wie Philo thematisiert auch Josephus den Diebstahl der Hausgötter Labans durch Rachel (Genesis 31), jedoch bezeichnet er die Götterfigurinen als τύποι (»Bilder«, »Nachbildungen«) τῶν θεῶν in Ant. I, 311. Gemeinsam mit ἄγαλμα kommt der Begriff auch in Ant. XV, 329 vor. In diesem Kontext sind mit den Statuen und Skulpturen, die Herodes aufstellen ließ, offenbar gegossene Artefakte gemeint, und zwar, wie Josephus noch hinzufügt, »nach Art und Weise der Griechen« (πρὸς τὸν Ἑλληνικὸν τρόπον). Darunter ist vermutlich die griechische Praxis zu verstehen, Skulpturen und Reliefs außerhalb des Tempels aufzustellen, die Gottheiten, aber auch Menschen und mythologische Kreaturen repräsentieren. 24 Josephus weist aber zugleich darauf hin, dass diese Maßnahmen außerhalb des Gebietes der Juden stattfanden, denn Statuen seien den Juden verboten. In diesen Zusammenhang gehört auch die Erklärung, dass der Jerusalemer Tempel über kein ἄγαλμα verfüge (Ap. I, 199). Im Kontext der Verfehlungen der Könige Israels und Judas findet auch das Substantiv εἴδωλον Verwendung. In Ant. IX, 98-99 wird König Joram vorgeworfen, das Volk zu zwingen, »fremden Göttern« (ἀλλότριοι θεοί) Ehrerbietung zu erweisen, ja ebenfalls den Stamm Juda und die Einwohner Jerusalems dazu zu nötigen, die Verehrung des »einheimischen« Gottes aufzugeben und Götterbilder zu verehren (σέβειν τὰ εἴδωλα). Ähnlich äußert sich Josephus in Bezug auf die Idolatrie späterer Könige; vgl. Ant. IX, 205.243. Die Kultreform unter König Hiskija bestand für Josephus im Wesentlichen in einer Reinigung des Landes »von aller Verunreinigung durch Idole« (Ant. IX, 273; παντός […] μιάσματος εἰδώλων); vgl. 2 Chr 31,1). Auch König Joschija (vgl. 2 Kön/ 4 Kgt 23) veranlasste nach Josephus, Ant. X, 50, das Volk dazu, sich von seiner (falschen) »Ansicht« (δόξα) über seine εἴδωλα abzuwenden, weil sie nämlich keine Götter seien (ὡς οὐχὶ θεῶν ὄντων). Das Volk sollte stattdessen den einheimischen Gott (πάτριος θεός) verehren. Sichtbar wird an dieser Stelle, dass die Götterbilder – zumindest von ihren Verehrern – für Gottheiten gehalten wurden. Somit liegt der Gegensatz einerseits zwischen der von den einen angenommenen, von den anderen bestrittenen göttlichen Natur der εἴδωλα, andererseits zwischen dem einheimischen Gott (πάτριος θεός) und den fremden Gottheiten (θεοὶ ξενικοί), mit denen die εἴδωλα im Kontext der von Joschija angeordneten Tempelreinigung zusammen erwähnt werden (Ant. X, 65; vgl. auch X, 69). Somit bleibt festzuhalten, dass für Josephus die Verehrung der εἴδωλα die zentrale Sünde darstellt, deren sich die Israeliten und ihre Könige schuldig gemacht haben.

23. Weitere Gottesattribute lauten ἐγχώριος »einheimischer« und ἐπιχώριος »landesüblicher«, vgl. Woyke: Götter, 99. 24. Siehe Van Henten: Flavius Josephus, 238 zu Abschnitt 329 sowie Fußnoten 2218-2219.

105

gtvh 08105 / p. 106 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

Erwähnenswert ist auch die Bezeichnung Dagons, des Gottes der Philister, einerseits als »Gott« (θεός) in Ant. VI, 1-2, andererseits als τὸ ξόανον, »das Götterbild«, in Bell. V, 384. Dieses Beispiel zeigt, dass die Termini für Kultbilder keine feste Bedeutung hatten und mit einer gewissen Beliebigkeit verwendet werden konnten, wobei Josephus wenigstens gelegentlich zwischen »Gott« und »Götterbild« wechseln kann. 25 Dass das Substantiv εἴδωλον auch bei Josephus nicht völlig auf die Bedeutung »Götterbild« festgelegt ist, zeigen zwei Stellen in seinem Werk Der Jüdische Krieg. Dort lässt sich nämlich auch eine Verwendungsweise von εἴδωλον beobachten, die dem klassisch-griechischen Gebrauch entspricht: In Bell. V, 513 bedeutet der Ausdruck so etwas wie »Schatten«. Vom Hunger in der belagerten Stadt Jerusalem geplagt, streifen Kinder und auch junge Männer um die Marktplätze umher wie εἴδωλα, »Schatten«, »Phantome«. Josephus berichtet schließlich von der Krankheit des Catullus in Bell. VII, 452, dessen seelische Qualen im Sehen von Erscheinungen (εἴδωλα) seiner ermordeten Opfer bestanden.

5. Neues Testament In der Apostelgeschichte finden sich neben den Paulusbriefen aufschlussreiche Belege zum Thema der Fremdgötter und der Götterbilder. Allerdings fehlen im Neuen Testament die Termini, die noch Philo verwendete, insbesondere ἄγαλμα und ξόανον. In der Rede des Stephanus’ wird auf die Herstellung des Goldenen Kalbes (vgl. Ex 32,1-6) Bezug genommen (Apg 7,39-41). Das »Kalb« wird dabei explizit mit einem εἴδωλον identifiziert, dem ein Opfer dargebracht wird. Der Terminus fehlt hingegen in der Septuaginta-Fassung des Berichts. Wie auch immer, die Formulierung in der Apostelgeschichte bestätigt die enge Verbindung, die man zwischen den Göttern und ihren Kultbildern herstellte, sowie deren gängige Abwertung als menschliche Erzeugnisse (V. 41: καὶ ἐμοσχοποίησαν ἐν ταῖς ἡμέραις ἐκείναις καὶ ἀνήγαγον θυσίαν τῷ εἰδώλῳ, καὶ εὐφραίνοντο ἐν τοῖς ἔργοις τῶν χειρῶν αὐτῶν, »sie machten in jenen Tagen ein Kalb und brachten dem Götterbild Opfer dar und erfreuten sich an den Werken ihrer Hände.« Im Bericht über das sogenannte Apostelkonzil in Apg 15 nennt Jakobus drei wesentliche Pflichten, die den Bekehrten aus den Nationen aufzuerlegen seien (Apg 15,20; vgl. auch V. 29), nämlich die Enthaltung von der »Verunreinigung« bzw. »Befleckung« 26 durch die εἴδωλα und der »Unzucht« (πορνεία) sowie »vom Erstickten und vom Blut« (τοῦ πνικτοῦ καὶ τοῦ αἵματος). Alle drei Vergehen beziehen sich auf die kultische Unreinheit, die aus dem Fremdgötterkult (vgl. die Belege von εἴδωλον bei Ezechiel), aus dem Ehebruch, aus dem verbotenen Blutgenuss (vgl. Lev 17,11.13 und Dtn 12,23-24) und dem Essen von nicht geschächteten Tieren hervorgeht. 27 25. Vgl. dazu Woyke: Götter, 99-100. 26. Siehe Haacker: Apostelgeschichte, 262. 27. Haacker: Apostelgeschichte, 262. Kritisch ist die Übersetzung von εἴδωλα mit »Phantome« zu sehen. Hier ist ein eindeutiger kultischer Kontext gegeben, der für die Wiedergabe mit »Kultbilder« oder die Transliteration »Idole« spricht. Es spiegelt sich hier vermutlich sowohl die unglückliche Bedeutungsreihung im Wörterbuch von Liddell/Scott als auch die Unkennt-

106

gtvh 08105 / p. 107 / 31.3.2022

Götterbild

Die Gefahr der εἴδωλα wird möglicherweise am Ende des 1. Johannesbriefes thematisiert: »Hütet euch vor den εἴδωλα!« (5,21). Im Buch der Weisheit werden die Idole als σκάνδαλον, »Falle« (metaphorisch: Ursache des Verderbens) für die Seele genannt (Weish 14,11). 28 Möglicherweise klingt eine solche Thematik auch in 1 Joh 5,21 an, wo die Verehrung der εἴδωλα dem Sein im wahren Gott gegenübergestellt wird (V. 20). In den paulinischen Belegen kommt die Problematik des εἰδωλόθυτον, des »Opferfleischs für die Götterbilder«, wieder zur Sprache, wovon auch in Apg 15,20.29 die Rede war. In 1 Kor 8 bildet diese Thematik, die untrennbar verknüpft ist mit dem Status der εἴδωλα, einen Schwerpunkt. Die Existenz anderer Götter wird von Paulus bestritten, da es nur einen Gott gebe, wie er in V. 4 ausführt: οἴδαμεν ὅτι οὐδὲν εἴδωλον ἐν κόσμῳ, καὶ ὅτι οὐδεὶς θεὸς εἰ μὴ εἷς, »wir wissen, dass es in der Welt keinen fremden Gott gibt und dass kein anderer Gott ist außer dem einen«. Mit den εἴδωλα sind an dieser Stelle wohl kultisch verehrte Gottheiten gemeint und nicht nur deren bildliche Darstellungen. 29 Paulus stellt in 1 Kor 8,7 noch einmal das »Opferfleisch« (εἰδωλόθυτον) in Beziehung zum εἴδωλον, das offenbar auch nach der Bekehrung einiger weiter als Götzenopferfleisch verzehrt wurde. 30 In 1 Kor 12,2 werden die εἴδωλα der Nationen als ἄφωνα, »stumm«, abgewertet. Es ist die einzige Stelle bei Paulus, an der εἴδωλον ein Attribut enthält. Zwar hat dieses Adjektiv kein Vorbild in der Polemik gegen die Götterbilder in der Septuaginta, aber dass sie »stumm« sind, wird mehrfach betont (Ps 113,13; 134,16LXX; Hab 2,18). Aussageabsicht ist vermutlich, dass in den Götterbildern kein πνεῦμα vorhanden ist 31. Im Proömium des Ersten Thessalonicherbriefs wird die Bekehrung der Thessalonicher (ἐπεστρέψατε, »ihr habt euch bekehrt«) von den εἴδωλα hin zum »wahren und lebendigen Gott«, θεὸς ζῶν, lobend hervorgehoben (1 Thess 1,9). Der Gegensatz zwischen »lebendig« und »nicht lebendig« ist auch schon anderen Texten zu eigen. So werden im Buch der Weisheit die εἴδωλα als ἄψυχα, »leblos«, bezeichnet (Weish 14,29), und in Dan 5,23LXX wird dem König Belschazzar vorgeworfen, nicht den lebendigen Gott gepriesen zu haben. Ähnlich wendet Aseneth sich an den θεὸς ζῶν, den »lebendigen Gott« (Jos.As. 11,10). In 1 Thess 1,10 gewinnt diese Aussage aber eine völlig neue Kontur, insofern als Gottes Fähigkeit, Leben zu spenden, in der Auferweckung Jesu eine neue Dimension erhält. 32

28.

29. 30. 31. 32.

nis von εἴδωλον in kultischen Zusammenhängen wider, ausführlicher dazu in Plangger: Gott im Bild, 28. Griffith: Keep Yourselves, 207, beschäftigt sich in einer umfassenden Studie mit der Auslegung des Schlussverses. Seiner Ansicht nach richtet sich der Vers gegen das Judentum von einer christlichen Perspektive aus: »I have argued that the standard Jewish polemic that sets the true God against idols has been inverted and applied to Judaism from a Christian perspective. … The ending of 1 John therefore provides a powerful reminder of the consequences of denying that the Messiah is Jesus. John’s strategy is to highlight the limits of the community and to strengthen its boundaries.« Vgl. Woyke: Götter, 189 Woyke: Götter, 206. Siehe ausführlicher mit Berücksichtigung des alttestamentlich-frühjüdischen Hintergrunds, Woyke: Götter, 264-267. Vgl. Woyke: Götter, 133.155-157.

107

gtvh 08105 / p. 108 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

6. Frühes Christentum In der Didache ist die Idolatrie (εἰδωλολατρία) auf einer Liste der Verhaltensweisen angeführt, die man meiden soll (Did. 3.4). Besonders erwähnenswert sind die hier angeführten Ursachen; magische (οἰωνοσκόπος »Vogelschauer«, ἐπαοιδός »Zauberer) und astrologische (μαθηματικός »Sterndeuter«) Praktiken führen zur Idolatrie. Der enge Zusammenhang zwischen divinatorischen Handlungen und der Idolatrie ist sowohl in außerbiblischen Quellen als auch im Alten Testament belegt. Im Barnabasbrief beziehen sich die εἴδωλα wie schon in der Apostelgeschichte (s. o.) auf die Verehrung des Goldenen Kalbs, wobei in Barn 4,8 das Thema des Bundes Israels betont wird: Die Hinwendung zu den Götterbildern (Plural!) führte zum Verlust des Bundes (ἐπιστραφέντες ἐπὶ τὰ εἴδωλα ἀπώλεσαν αὐτήν [= τὴν διαθήκην]). Im 2. Clemensbrief besteht wiederum ein Zusammenhang zwischen der Idolatrie und der Konversion, die die Errettung des Menschen vor der Dunkelheit und dem Tod zur Folge hat; denn die Neubekehrten hatten zuvor lediglich Werke von Menschen verehrt (2Clem 1.6). Die Neubekehrten haben aber, so führt 2Clem 17,1 aus, auch Gebote erhalten, so dass sie Menschen von den Götterbildern losreißen (ἀπὸ τῶν εἰδώλων ἀποσπᾶν) und sie unterweisen sollen (vgl. auch Justinus Martyr, 1.Apol. 49, 5.7, SC 507, 256. 258). Athenagoras verwendet den Begriff εἴδωλον in einem anderen Kontext, und zwar in einer Diskussion über die Entstehung von Reliefkunst. Das Bild der Artemis bezeichnet er als τὸ εἴδωλον. 33 Bei ihm lässt sich auch die semantische Weite des Begriffes beobachten, da er ebenso Bilder, die aus der Seele hervorgehen, mit diesem Terminus beschreibt. Diese εἴδωλα führen dann zu »einer rasenden Begeisterung für Idole« (εἴδωλομανεῖς). 34 Die Abkehr von den in Kultbildern verehrten Fremdgottheiten ist nicht nur für Juden, sondern auch für Christen ein wesentliches Identitätsmerkmal und offenbar entscheidend bei einem Bekehrungsprozess. Die Verehrung der εἴδωλα schließt den Glauben an den »einen und wahren Gott« aus. Dies wird auf der Grundlage der hebräischen Bibel und der Septuaginta sowohl im jüdisch-hellenistischen Kontext als auch am Beginn des Christentums weiter entfaltet. 35

33. Athenagoras: Leg. 17,3, PTS 31, 54. 34. Athenagoras: Leg. 27,2, PTS 31, 89; vgl. Griffith: Idols, 56. Für weitere Beispiele bei Athenagoras siehe Woyke: Götter, 101-102. 35. Ich möchte mich bei Eberhard Bons für die wertvollen Hinweise und die Unterstützung bei der Entstehung dieses Artikels bedanken.

108

gtvh 08105 / p. 109 / 31.3.2022

2.1.7 Konversion Daniela Scialabba Literatur Textausgaben Joseph und Aseneth. Kritisch herausgegeben von Christoph Burchard mit Unterstützung von Carsten Burfeind und Uta Barbara Fink, Leiden 2003 La Lettera di Clemente ai Corinzi, ed. Emanuela Prinzivalli, in: dies. / Simonetti, Manlio, Seguendo Gesù. Testi cristiani delle origini. Vol. I, Mailand 2010, 77-275.449-571 – Augustinus: De civitate Dei, ed. Emanuel Hoffmann, 2 Bände, CSEL 40/1-2, Prag / Wien / Leipzig 1899-1900 – Clemens Alex.: Stromata I-VI, ed. Otto Stählin / Ludwig Früchtel, 4. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 52, Berlin 1985 – Origenes: Contra Celsum, ed. Marcel Borret, Tome 2, SC 136, paris 1968 – Tertullian: De carne Christi, ed. Aemilius Kroymann, CC.SL 2, Turnhout 1954, 871-917.

Weitere Literatur Aslanoff, Cyril: Les notions de retour à Dieu et de repentir dans la Septante, in: Annick Charles-Saget (ed.), Retour, repentir et constitution de soi, Paris 1998, 50-63 – Aubin, Pierre: Le problème de la »conversion«. Étude sur un terme commun à l’Hellénisme et au christianisme des trois premiers siècles, Paris 1963 – Bouffartigue, Jean: Par quels mots le grec ancien pouvait-il désigner le passage d’une religion à une autre ?, in: Hervé Inglebert / Sylvain Destephen / Bruno Dumézil (ed.), Le problème de la christianisation du monde antique. Textes, Images et Monuments de l’Antiquité au haut Moyen Age, TIMA, Paris, 2010, 19-31 – Cohen, Shaye J. D.: Crossing the Boundary and Becoming a Jew, HTR 82 (1989), 13-33 – Gerlitz, Peter / Signer, Michael A. / Kollar, René / Brenner Beatus: Konversion, TRE 19 (2000), 559578 – Hallermayer, Michaela: Text und Überlieferung des Buches Tobit, DCLS 3, Berlin / New York 2007 – Helbing, Robert: Die Kasussyntax der Verba bei den Septuaginta. Ein Beitrag zur Hebraismenfrage und zur Syntax der Κοινή, Göttingen 1928 – Judge, Edwin Arthur: Conversion in the Ancient World, in: ders., Jerusalem and Athens. Cultural Transformation in Late Antiquity. Essays Selected and Edited by Alanna Nobbs, Tübingen 2010 – Légasse, Simon: ἐπιστρέφω / ἐπιστροφή, EDNT II (1991), 40 f. – Marböck, Johannes: Jesus Sirach 1-23. Übersetzt und ausgelegt, HThKAT, Freiburg im Breisgau 2010 – Mohr, Hubert: Art. Konversion / Apostasie, in: Hubert Cancik / Burkhard Gladigow / Karl-Heinz Kohl (ed.): Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Bd. 3: Gesetz – Kult, Stuttgart 1993, 436-445 – Morla Asensio, Víctor: Los manuscritos hebreos de Ben Sira. Traducción y notas, Estella (Navarra) 2012 – Muraoka, Takamitsu: A Greek-English Lexicon of the Septuagint, Leuven 2009 – Nock, Arthur Darby: Conversion – The Old and the New in Religion from Alexander the Great to Augustine of Hippo, Oxford 1988 (11933) – Plummer, Alfred: A Critical and Exegetical Commentary to the Gospel according to S Luke, Edinburgh 61960 – Scialabba, Daniela: The Vocabulary of Conversion in Joseph and Aseneth and in the Acts of the Apostles, in: Wolfgang Kraus / Siegfried Kreuzer (ed.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 501-514 – Dies.: Creation and Salvation. Models of Relationship Between the God of Israel and the Nations in the Book of Jonah, in Psalm 33 (MT and LXX) and in the Novel »Joseph and Aseneth«, FAT II / 106, Tübingen 2019 – Smith, John E.: The Concept of Conversion, in: Walter E. Conn (ed.), Conversion – Perspectives on Personal and Social Transforma-

109

gtvh 08105 / p. 110 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

tion, New York 1978, 51-61 – Spittler, Janet E.: Conversion, I. New Testament, II. GraecoRoman Antiquity, EBR 5 (2012), 708-711 – Thackeray, Henry St. John: A Grammar of the Old Testament in Greek, Hildesheim 2003 (= Cambridge 31909) – Waschke, Ernst-Joachim: Bekehrung / Konversion III.1 Altes Testament, RGG I (1998), 1230-1231.

1. Einleitung Wer heute von »Konversion« spricht, versteht darunter häufig ein Phänomen, das religiöse Überzeugungen und Praktiken betrifft, in der Regel den Übergang von einer Religion zu einer anderen, wobei die eine zugunsten der anderen aufgegeben wird. 1 In der gegenwärtigen religionswissenschaftlichen Diskussion herrscht keine Einigkeit darüber, welche Phänomene vor allem inhaltlicher, psychologischer, sozialer, administrativer, politscher, kultischer und ethischer Natur der Begriff im Detail bezeichnet und inwiefern die alltägliche Lebenspraxis des Individuums oder des Kollektivs von einer »Konversion« beeinflusst wird. 2 Wie auch immer man das Phänomen der Konversion definieren mag, es steht fest, dass der Begriff in seinen verschiedenen Formen vielen modernen Sprachen bekannt ist: »conversion« im Englischen und Französischen 3, »conversione« im Italienischen, »conversión« im Spanischen, um nur einige zu nennen. Die Etymologie des Begriffs ist eindeutig, insofern er vom lateinischen Substantiv conversio abgeleitet ist, das seinerseits vom Verb converto abstammt. Allerdings haben im klassischen Latein weder das Verb noch das Substantiv die erwähnte Bedeutung, die es in den modernen Sprachen hat. So bezieht sich das Substantiv bei Cicero beispielsweise auf die Bewegungen der Gestirne (Rep. I, 22) oder im Zusammenhang der Rhetorik auf die Wiederholung ein und desselben Wortes (Orator III, 206-207). In den biblischen Schriften ist der locus classicus für die religiöse Verwendung des Substantivs conversio eine Stelle in der Apostelgeschichte. Nachdem bereits der römische Hauptmann Cornelius mit seiner Familie getauft worden ist (Apg 10), berichtet Apg 15,3 von der Bekehrung von Nicht-Israeliten. Die Vulgata-Übersetzung des Verses lautet wie folgt: illi igitur deducti ab ecclesia pertransiebant Foenicen et Samariam narrantes conversionem gentium et faciebant gaudium magnum omnibus fratribus, »von der Gemeinde begleitet, zogen jene durch Phönizien und Samaria und berichteten von der Bekehrung derer aus den Völkern, und sie machten allen Brüdern eine große Freude«.

1. 2.

3.

Zur Definition des Begriffs vgl. u. a. Gerlitz / Signer / Kollar / Brenner: Art. Konversion, 559; Mohr: Art. »Konversion / Apostasie«, 436-437. Vgl. etwa die ältere Definition durch Nock: Conversion, 7: »By conversion we mean the reorientation of the soul of an individual, his deliberate turning from indifference or from an earlier form of piety to another, a turning which implies a consciousness that a great change is involved, that the old was wrong and the new is right. It is seen at its fullest in the positive response of a man to the choice set before him by the prophetie religions.« Dass die Begriffe in den modernen Sprachen jedoch nicht nur die Konversion im religiösen Sinn beschreiben, heben verschiedene Autoren hervor, z. B. Aubin: Problème, 17-18; Smith: Concept, 51-56.

110

gtvh 08105 / p. 111 / 31.3.2022

Konversion

Dieser Gebrauch des Wortes conversio ist den christlichen Autoren lateinischer Sprache keineswegs fremd. So spricht Tertullian († um 230 n. Chr.) von der conversio hominum ad culturam veri dei, wörtlich von der »Hinwendung der Menschen zur Verehrung des wahren Gottes«. 4 Rund 200 Jahre später verwendet Augustinus den Begriff conversio wie selbstverständlich, wenn er die ad unum verum deum sanctumque conversio, die »Bekehrung zum einen, wahren und heiligen Gott« erwähnt. 5 In diesem Artikel soll gezeigt werden, dass der Gebrauch von conversio im Sinne von »Bekehrung« letztlich seine Wurzeln in der Terminologie der Septuaginta hat. Das lateinische Substantiv kann nämlich als eine geradezu wörtliche Übersetzung von ἐπιστροφή gelten. Dieser Begriff begegnet seinerseits im griechischen Text von Apg 15,3, wo die Bekehrung der Menschen aus anderen Völkern als ἡ ἐπιστροφὴ τῶν ἐθνῶν bezeichnet wird. Die folgenden Abschnitte widmen sich dem sprachlichen Hintergrund des Begriffes conversio in der Septuaginta, vor allem dem Gebrauch von ἐπιστροφή und dem Verb ἐπιστρέφω. In einem weiteren Schritt sollen dann kurz die Zitate aus der jüdisch-hellenistischen Literatur, dem Neuen Testament und den Apostolischen Vätern vorgestellt werden, in denen sich ein religiöser Gebrauch der Terminologie anbahnt. Einige weiterführende Überlegungen schließen den Artikel ab.

2. Der religiöse Gebrauch von conversio / converto und seine sprachlichen Wurzeln in der Terminologie der Septuaginta Weder die Hebräische Bibel noch die Septuaginta haben einen terminus technicus für die Bekehrung von Nicht-Israeliten zum Gott Israels. 6 Überdies ist es zweifelhaft, ob im nichtbiblischen Griechisch ein Begriff für den Vorgang existierte, den man traditionell mit »Konversion« bezeichnet. 7 Wie in Apg 15,3 begegnet das Substantiv ἐπιστροφή, wörtlich »Herumdrehen«, in späterer christlicher Literatur im Sinne der Bekehrung von Menschen aus fremden Völkern. 8 Jedoch stellt sich die Frage, in welcher Bedeutung das Wort in der Septuaginta belegt ist.

2.1 Was bedeutet ἐπιστροφή in der Septuaginta? In der Septuaginta bezieht sich das Substantiv ἐπιστροφή an keiner Stelle auf einen Sachverhalt, den man mit »Konversion« im modernen Sinne bezeichnen könnte. Sofern ἐπιστροφή nicht wörtlich im Sinne von »Rückkehr« gebraucht wird – wörtlich in RiB 8,9, metaphorisch in Sir 40,11 –, verwendet die Septuaginta das Substantiv hier und

4. 5. 6. 7. 8.

Tertullian: Carn. Chr. 4,6, CC.SL 2, 879. Augustinus: Civ. VIII, 24,2, CSEL 40/1, 398. Zur Hebräischen Bibel vgl. Waschke: »Bekehrung / Konversion« III.1, 1230. Vgl. Bouffartigue: Par quels mots, 25. So z. B. bei Clemens Alex.: Strom. VI, 45,5, GCS 52, 454: die Jünger Jesu führen die Völker zur Bekehrung (τὰ ἔθνη εἰς ἐπιστροφήν); Origenes: Cels. III, 29, SC 136, 70: das Evangelium dient auf der ganzen Welt zur Umkehr und Besserung der Menschen (ὑπὲρ τῆς τῶν ἀνθρώπων ἐπιστροφῆς καὶ διορθώσεως).

111

gtvh 08105 / p. 112 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

dort im Sinne von »Umkehr zu Gott«, z. B. in Sir 18,21 9: πρὶν ἀρρωστῆσαί σε ταπεινώθητι καὶ ἐν καιρῷ ἁμαρτημάτων δεῖξον ἐπιστροφήν, »bevor du erkrankst, demütige dich und in der Zeit der Sünden [d. h. wenn du gesündigt hast], zeige [deine] Umkehr«. Gemeint ist, dass der Kranke sich vor Gott demütigen und zu ihm umkehren soll, da die Krankheit wohl als Folge der Sünde angesehen wird. 10 Ähnlich formuliert PsSal 16,11: γογγυσμὸν καὶ ὀλιγοψυχίαν ἐν θλίψει μάκρυνον ἀπ᾽ ἐμοῦ, ἐὰν ἁμαρτήσω ἐν τῷ σε παιδεύειν εἰς ἐπιστροφήν, »Murren und Mutlosigkeit in Bedrängnis halte fern von mir, wenn ich sündige [und] du mich erziehst, dass ich umkehre [wörtlich: zur Umkehr]«. Auch hier bezeichnet das Substantiv ἐπιστροφή die Umkehr hin zu Gott, offenbar aber von solchen, die schon an ihn glauben. Zwar bezieht sich das Substantiv ἐπιστροφή an keiner Stelle der Septuaginta auf irgendeine Art der Annäherung von Nicht-Israeliten an den Gott Israels. Dennoch hat die spezifische Verwendung des Begriffs in diesem Sinne ihre Vorbilder in der Septuaginta, und zwar im Gebrauch des Verbs ἐπιστρέφω, von dem das Substantiv abgeleitet ist. Allerdings wird das Verb nicht von vornherein zum einem terminus technicus, sondern entwickelt sich erst dazu und wird häufig parallel mit μετανοέω verwendet. Doch bedeuten beide Verben nicht dasselbe. Das erste bewahrt die räumliche Konnotation in dem Sinne, dass das Ziel des Vorgangs die Hinwendung zum Gott Israels ist. Das zweite dagegen betont einen inneren Vorgang, der einerseits Bedauern und Reue impliziert, andererseits eine neue Phase im Leben des Menschen einleitet, der sich von ihren früheren Leben distanziert. 11

2.2 Wie wird die Annäherung von Nicht-Israeliten an den Gott Israels ausgedrückt? In den wenigen Fällen, in denen die Septuaginta eine Annäherung von Nicht-Israeliten an den Gott Israels 12 erwähnt, ist die Terminologie keineswegs einheitlich. Drei Beispiele mögen genügen. 13 Im Falle der Fremden, die nach Jes 56,3-6 den Sabbat beachten und an Gottes Bund festhalten, wird das griechische Verb πρόσκειμαι, wohl im Sinne von »sich anschließen«, »ergeben sein« (MT: ‫ לוה‬niph., »sich anschließen«). Die Moabiterin Ruth hingegen »vertraut« unter den Flügeln Gottes, wie Boas feststellt (Ruth 2,12: πρὸς ὃν ἦλθες πεποιθέναι ὑπὸ τὰς πτέρυγας αὐτοῦ, »zu dem du gekommen bist, um unter seinen Flügeln zu vertrauen«; MT: ‫חסה‬, »Zuflucht suchen«). In der Gesetzesvorschrift Dtn 23,2-9 schließlich geht es um die verschiedenen Kategorien von Personen, die nicht zur Versammlung des Herrn zugelassen sind. In all diesen Fällen ist das entsprechende Verb εἰσέρχομαι, wörtlich »hineingehen« (MT: ‫בוא‬, »hineingehen«). Den betreffenden Personen ist somit der »Eintritt« in die Gemeinschaft Israels untersagt. 9. Ein hebräischer Text dieses Verses ist in den bisher bekannten Handschriften des Sirachbuches nicht enthalten; vgl. Morla Asensio: Los manuscritos hebreos, 20-21. 10. Vgl. Marböck: Jesus Sirach, 228. 11. Vgl. Scialabba: Vocabulary, 509. 12. Ich verwende absichtlich diese offene Formulierung, da sowohl die Hebräische Bibel wie auch die jüngere Literatur jüdischen Ursprungs verschiedene Möglichkeiten des »crossing the boundary« bezeugt, d. h. die »Grenze« zum Judentum zu überschreiten; vgl. Cohen: Crossing, 14. 13. Ausführlich hierzu Scialabba: Vocabulary, 502-506.

112

gtvh 08105 / p. 113 / 31.3.2022

Konversion

2.3 Was bedeutet ἐπιστρέφω in der Septuaginta? Was das Verb ἐπιστρέφω im Sinne von »sich [zu Gott] hinwenden« angeht, handelt es sich um eine Metapher, die im Laufe der Zeit so geläufig wird, dass sie in die theologische Terminologie in griechischer Sprache eindringt. Wie im nichtbiblischen Griechisch bedeutet das Verb nämlich in der Septuaginta in der Regel »sich umwenden«, »zurückkehren«, wenn es intransitiv gebraucht wird. 14 So kehrt Mose nach Ägypten zurück, nachdem er von Gott erfahren hat, dass dort niemand mehr nach seinem Leben trachtet (Ex 4,19-20). In wenigen anderen Fällen jedoch sind der Gott Israels oder andere Götter das Ziel der mit ἐπιστρέφω ausgedrückten Bewegung. Dies trifft für einige Stellen im Buch Deuteronomium zu. Nach Dtn 4,30 kehren die Israeliten nach einer Zeit der Untreue gegenüber Gott und der folgenden Bestrafung zu diesem zurück (καὶ ἐπιστραφήσῃ πρὸς κύριον τὸν θεόν σου, »und du [= das Volk Israel] wirst zum Herrn, deinem Gott, zurückkehren«; ähnlich Dtn 30,10). Die Untreue gegenüber Gott wird jedoch mit der Formulierung ausgedrückt, dass die Israeliten sich zu fremden Göttern hingewendet haben, so in Dtn 31,18: ἐπέστρεψαν ἐπὶ θεοὺς ἀλλοτρίους (ähnlich in Dtn 31,20, dort im Futur). Dass umgekehrt Fremde sich zum Gott Israels hinwenden, wird nur in ganz wenigen Texten der Septuaginta mit dem Verb ἐπιστρέφω beschrieben. So wird im Schlussteil des Psalms 21[22] angekündigt, dass »die Enden der Erde sich zum Herrn hinwenden und alle Stämme der Völker vor ihm niederfallen werden« (V. 28: ἐπιστραφήσονται πρὸς κύριον πάντα τὰ πέρατα τῆς γῆς, καὶ προσκυνήσουσιν ἐνώπιόν αὐτοῦ 15 πᾶσαι αἱ πατριαὶ τῶν ἐθνῶν). Dass die Hinwendung zu Gott mit der Abwendung von den Fremdgöttern verbunden ist, also exklusiver Art ist, kommt eindeutig in TobBA 14,6 zum Ausdruck: πάντα τὰ ἔθνη ἐπιστρέψουσιν ἀληθινῶς φοβεῖσθαι κύριον τὸν θεὸν, καὶ κατορύξουσιν τὰ εἴδωλα αὐτῶν, »alle Völker werden umkehren, um in Wahrheit Gott, den Herrn, zu fürchten, und sie werden ihre Götterbilder vergraben«. Zwar kann man im Fall der Verwendung von ἐπιστρέφω mit folgendem Infinitiv erwägen, ob das Verb als Hilfsverb im Sinne von »wieder etwas tun« 16 verwendet wird; doch eine solche Deutung wird vom Kontext nicht gestützt. Dementsprechend formuliert TobS 14,6 wie folgt: ἐπιστρέψουσιν καὶ φοβηθήσονται τὸν θεὸν ἀληθινῶς, »sie werden umkehren und in Wahrheit Gott fürchten«, was mit der Aufgabe der Fremdgötterkultes verbunden ist: καὶ ἀφήσουσιν πάντες τὰ εἴδωλα αὐτῶν, »und sie alle werden ihre Götterbilder verlassen«. Es ist sicherlich nicht auszuschließen, dass die Wahl von ἐπιστρέφω durch den hebräischen Bibeltext bedingt ist, der das Verb ‫ שׁוב‬liest, so im Fall von Ps 21,28LXX. Es würde sich also um eine Standardübersetzung handeln wie schon in Ex 4,20, wo sich dasselbe hebräische Verb ‫ שׁוב‬findet. Im Fall von Tob 14,6 ist der aramäische Text in

14. Zahlreiche Details und Beispiele aus der klassischen und nachklassischen griechischen Literatur bei Aubin: Problème, 19-22; vgl. außerdem Muraoka: Lexicon, 282. Zu den verschiedenen Verwendungen von ἐπιστρέφω / ἐπιστρέφομαι in der Septuaginta sowie zu den Präpositionen, die das Verb regiert, vgl. Helbing: Kasussyntax, 284-285. 15. Die Codices B, S und A lesen αὐτοῦ, Rahlfs hingegen σου, was dem MT entspricht. 16. Vgl. Thackeray: Grammar, 53.

113

gtvh 08105 / p. 114 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

4Q198 nur teilweise erhalten, so dass ein Äquivalent von ἐπιστρέψουσιν fehlt 17, mit dem man die beiden griechischen Versionen des Verses vergleichen könnte. Wie auch immer, es fällt auf, dass das Verb sowohl in den Formen des Aktivs wie des Passivs 18 in Zusammenhängen verwendet wird, die von der Hinwendung von Fremden zum Gott Israels handeln.

2.4 Beobachtungen zum Gebrauch von ἐπιστρέφω in der jüdisch-hellenistischen Literatur, im Neuen Testament und im frühen Christentum Selbst in Texten, die keine hebräische Vorlage kennen, begegnet das Verb ἐπιστρέφω in Zusammenhängen, wie sie vorhin beschrieben worden sind. Dies gilt für den jüdisch-hellenistischen Roman Joseph und Aseneth, dessen Protagonistin, die ägyptische Priestertochter Aseneth, sich in ihrem Selbstgespräch entscheidet, die Nähe und den Schutz des Gottes des Patriarchen Joseph zu suchen, den sie zuvor kennengelernt hatte (Jos.As. 11,11): ὅθεν τολμήσω κἀγὼ καὶ ἐπιστρέψω πρὸς αὐτὸν καὶ καταφεύξομαι ἐπ᾽ αὐτὸν καὶ ἐξομολογήσομαι αὐτῷ πάσας τὰς ἁμαρτίας μου καὶ ἐκχέω τὴν δέησίν μου ἐνώπιόν αὐτοῦ 19, »daher werde auch ich es wagen und werde mich zu ihm hinwenden, bei ihm Zuflucht suchen, ihm all meine Sünden bekennen und mein Gebet vor ihm ausschütten«. Wie aus dem Kontext hervorgeht, versteht Aseneth unter ihrer Sünde insbesondere die Verehrung der Götterbilder, von denen sie sich zuvor abgekehrt hatte, ja die sie buchstäblich aus dem Fenster geworfen hatte (Jos.As. 9,2; 10,12). 20 Mutatis mutandis findet sich der Gebrauch von ἐπιστρέφω im Sinne der Hinwendung zu Gott auch in der Apostelgeschichte, gerade wenn von der Bekehrung von anonymen Personen die Rede ist, oft Nicht-Israeliten, z. B. in Apg 9,35 die Bewohner von Lydda und vom Scharon, οἵτινες ἐπέστρεψαν ἐπὶ τὸν κύριον, »die sich zum Herrn bekehrten«; Apg 11,21: πολύς τε ἀριθμὸς πιστεύσας ἐπέστρεψεν ἐπὶ τὸν κύριον, »eine große Menge fand zum Glauben und bekehrte sich zum Herrn«; ähnlich Apg 14,15; 15.19; 26,20. Man mag diese wiederkehrende Verwendung des Verbs ἐπιστρέφω in der Apostelgeschichte vielleicht damit erklären, dass der Verfasser des lukanischen Doppelwerks eine große Vertrautheit mit dem Sprachgebrauch der Septuaginta hatte. 21 Doch ist auffällig, dass auch Paulus diesen Gebrauch von ἐπιστρέφω kennt. Im Ersten Thessalonicherbrief weiß der Apostel von anderen, die davon erzählen, dass sich seine Adressaten von den Götterbildern weg zu Gott »hingewandt« haben, um ihm als dem lebendigen und wahren Gott zu dienen (1Thess 1,9: πῶς ἐπεστρέψατε πρὸς τὸν θεὸν ἀπὸ τῶν εἰδώλων δουλεύειν θεῷ ζῶντι καὶ ἀληθινῷ).

Vgl. die sorgfältige Analyse von 4Q198 bei Hallermayer: Text und Überlieferung, 129-133. Vgl. Aslanoff: Les notions, 54. Zitiert nach Burchard: Joseph und Aseneth, 148. Zu den Details des Selbstgesprächs und der Abkehr von den Göttern vgl. Scialabba: Creation, 247-251. 21. Vgl. schon Plummer: Luke, xlix, sowie die Listen ebd., lii-liii; Légasse, Art. ἐπιστρέφω / ἐπιστροφή, 40.

17. 18. 19. 20.

114

gtvh 08105 / p. 115 / 31.3.2022

Konversion

Weiterhin findet sich dieser spezifische Gebrauch von ἐπιστρέφω in der frühchristlichen Literatur. 22 So erinnert der Erste Clemensbrief daran, dass Gott von Generation zu Generation denjenigen eine Gelegenheit zur Umkehr gegeben hat, die sich zu ihm bekehren wollten (1Clem 7,5: ὅτι ἐν γενεᾷ καὶ γενεᾷ μετανοίας τόπον ἔδωκεν ὁ δεσπότης τοῖς βουλομένοις ἐπιστραφῆναι ἐπ᾽ αὐτόν); dabei führt er als Beispiele Noach 23 und den Propheten Jona an (1Clem 7,6-7) und hebt hervor, dass doch gerade die Niniviten Gott fremd waren (ἀλλότριοι τοῦ θεοῦ ὄντες, 1Clem 7,7). Im Zweiten Clemensbrief werden die Angeredeten aufgerufen, zu dem Gott, der sie gerufen hat, sich hinzuwenden, da sie keine unbedeutende Gelegenheit erhalten haben und nun für sie der Zeitpunkt zur Umkehr gekommen ist (2Clem 16,1: ἀφορμὴν λαβόντες οὐ μικρὰν εἰς τὸ μετανοῆσαι καιρὸν ἔχοντες ἐπιστρέψωμεν ἐπὶ τὸν καλέσαντα ἡμᾶς θεόν) 24.

3. Abschließende Bemerkungen Man könnte die Belege von ἐπιστρέφω und ἐπιστροφή in der frühchristlichen Literatur leicht durch andere Beispiele ergänzen. Dennoch erlauben die vorhin gemachten Beobachtungen drei weiterführende Überlegungen, die hier nur kurz skizziert werden: a) In der lateinischen Terminologie der Alten Kirche wird conversio zusammen mit dem Verb converto zu einem Begriff, der die Hinwendung von Menschen, die nicht dem Judentum entstammen, zum einen Gott ausdrückt. Dabei kann conversio als eine Art etymologisierende Übersetzung von ἐπιστροφή gelten, die sich später in der Vulgata-Übersetzung von Apg 15,3 zeigt. Ebenso ist zu beobachten, dass in der Vulgata von Ps 21,28 die entscheidende Stelle lautet: convertentur ad Dominum (»sie werden sich zum Herrn bekehren«). Schließlich begegnet das Verb auch in 1Thess 1,9: quomodo conversi estis ad Deum a simulacris servire Deo vivo et vero, »wie ihr euch zu Gott gewandt hat weg von den Götterbildern, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen«. Trotzdem geht auch in der Vulgata die räumliche Konnotation von conversio nicht völlig verloren, wie ein Text wie Sir 38,22 zeigt: noli oblivisci neque enim est conversio et huic nihil proderis et te ipsum pessimabis, »vergiss nicht, denn es gibt keine Rückkehr [d. h. für den Toten, der ins Leben zurückkehren würde], und du nützest ihm nicht und schadest dir selbst«. b) In vielen Texten lässt sich der parallele Gebrauch von ἐπιστρέφω und μετανοέω beobachten, so auch im Neuen Testament, wenn von der Bekehrung der NichtIsraeliten die Rede ist. Letztlich beziehen sich beide Termini auf denselben Vorgang, wobei der erste das Ziel der »Umkehr« betont 25, der zweite dagegen die damit verbundenen inneren und äußeren Prozesse. Dies zeigt besonders Apg 26,20, wo Paulus gegenüber dem König Agrippa behauptet, dass er den Heiden verkündet habe, umzukehren, sich zu Gott zu wenden und Werke zu tun, die der Umkehr würdig sind: 22. Für weitere Beispiele vgl. Aubin: Problème, 77-92. 23. Zur nichtbiblischen Tradition von Noach als Umkehrprediger vgl. Prinzivalli: Lettera di Clemente, 470-471, Fußnote 72. 24. Vgl. zu diesem Zitat auch Aubin: Problème, 84. 25. Vgl. auch Spittler: Conversion, 708.

115

gtvh 08105 / p. 116 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

καὶ τοῖς ἔθνεσιν, ἀπήγγελλον μετανοεῖν, καὶ ἐπιστρέφειν ἐπὶ τὸν θεόν, ἄξια τῆς μετανοίας ἔργα πράσσοντας. Die Vulgata gibt dies wie folgt wieder und übersetzt dabei das Verb ἐπιστρέφω mit convertor, μετανοέω dagegen mit paenitentiam ago: adnuntiabam ut paenitentiam agerent et converterentur ad Deum digna paenitentiae opera facientes (»ich verkündete, dass sie Buße tun und sich zu Gott bekehren sollten, indem sie Taten vollbringen, die der Buße würdig sind«). c) Die Septuaginta spricht niemals von einer μετάνοια von Nicht-Israeliten, die sich dem Gott Israels annähern wollen, sondern höchstens von einem »Sich-Hinwenden« (ἐπιστρέφω) zu diesem. Es ist daher vielleicht nicht zufällig, dass der Verfasser des lukanischen Doppelwerks den Terminus ἐπιστροφή in Apg 15,3 wählt, wenn er von den Menschen »aus den Völkern« (τῶν ἐθνῶν) spricht. Wie schon anfangs gesagt, wird daraus im Lateinischen conversio gentium. Insofern reflektiert der moderne Sprachgebrauch von »Konversion« letztlich eine Tradition, die in der Apostelgeschichte begründet ist, jedoch in der Septuaginta ihre Wurzeln hat.

116

gtvh 08105 / p. 117 / 31.3.2022

2.1.8 God as Pedagogue Jason M. Zurawski Literature Adam, James: “Ancient Greek Views of Suffering and Evil,” in: id., The Vitality of Platonism and other Essays, ed. by Adele Marion Adam, Cambridge 1911, 190-212 – Beck, Frederick A. G.: Greek Education 450-350 B.C., London 1964 – Bertram, Georg: “Der Begriff der Erziehung in der griechischen Bibel,” in: Heinrich Bornkamm (ed.), Imago Dei. Beiträge zur theologischen Anthropologie. Gustav Krüger zum siebzigsten Geburtstag am 29. Juni 1932 dargebracht, Gießen 1932, 33-51 – Bertram, Georg: “παιδεύω,” TDNT 5:596-625 – Bonner, Stanley F.: Education in Ancient Rome: From the Elder Cato to the Younger Pliny, Berkeley 1977 – Cribiore, Raffaella: Gymnastics of the Mind: Greek Education in Hellenistic and Roman Egypt, Princeton 2001 – deSilva, David: 4 Maccabees. Introduction and Commentary on the Greek Text in Codex Sinaiticus, Septuagint Commentary Series, Leiden 2006 – Gerleman, Gillis: Studies in the Septuagint. III. Proverbs, Acta Universitatis Lundensis Nova Series, Lunds Universistets Årsskrift Ny Följd Första Avedelningen I 52/3, Lund 1956 – Johnson, Brian E.: The Role Ethics of Epictetus: Stoicism in Ordinary Life, Plymouth 2014 – Kraus Reggiani, Clara: 4 Maccabei, CSANT Supplementi 1, Genova 1992 – Long, Anthony A.: The harmonics of Stoic virtue, in id., Stoic Studies, Berkeley 1996, 202-223 – Marrou, Henri Irénée: Histoire de l’éducation dans l’antiquité (Paris 1948), translated into English as A History of Education in Antiquity, New York 1956 – Morgan, Teresa: Literate Education in the Hellenistic and Roman Worlds, Cambridge 1998 – Nickelsburg, George W. E.: Resurrection, Immortality, and Eternal Life in Intertestamental Judaism, Cambridge 1972 – Pfitzner, Victor C.: Paul and the Agon Motif: Traditional Athletic Imagery in the Pauline Literature, NovTSup 16, Leiden 1967 – Schwartz, Daniel R.: 2 Maccabees, CEJL, Berlin 2008 – Winston, David: The Wisdom of Solomon, AB 43, Garden City 1979 – Zurawski, Jason M.: Mosaic Paideia: The Law of Moses within Philo of Alexandria’s Model of Jewish Education, JSJ, 2017, 480-505 – Zurawski, Jason M.: Paideia: A Multifarious and Unifying Concept in the Wisdom of Solomon, in: Karina Martin Hogan / Matthew Goff / Emma Wassermann (eds.), Pedagogy in Early Judaism and Christianity, Atlanta 2017, 195-214.

1. Introduction. From Musar to Paideia. The Hebrew term musar is translated almost universally with the Greek παιδεία throughout the Septuagint texts, as is the cognate verb ysr with the Greek παιδεύω. 1 While there would have been closer Greek matches for the Hebrew, the two are not entirely dissimilar in their respective ranges of meaning, the primary locus of each being the general realm of instruction and pedagogy. Yet, the differences in how each would have been natively understood and utilized are significant. Musar most often referred to the process of instruction, the pedagogy itself, while παιδεία more naturally referred to the content of the instruction and the result. Further, the form musar

1.

Rare exceptions are found, e. g., in Job 4:3 (νουθετέω for ‫ )יסר‬or 5:17 (νουθέτημα for ‫)מוָּסר‬.

117

gtvh 08105 / p. 118 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

pedagogy would typically take—verbal rebukes and physical, violent discipline—finds no parallel in the usage of παιδεία prior to the Septuagint translations. This is not to say that the education of children did not involve beatings, but rather that other Greek terminology was used to refer to such measures. This is, in part, due to the very early idealization of the Greek concept in philosophical and rhetorical circles, another distinction from the Hebrew term. Παιδεία would be linked directly to an individual’s virtue, culture, and citizenship, becoming, ultimately, a universalizing force. Isocrates’s claim that being Greek was a matter of shared παιδεία rather than shared bloodline or kinship (Panegyr. 50), which would be taken up vigorously in the Hellenistic and Roman periods, is not an idea attached to the understanding of musar in the Hebrew Bible, but it would have a profound influence on the reception of the Septuagint in later Jewish and Christian communities. Within the Greek translations, we can identify two distinct strategies for dealing with these differences, particularly when musar was connected to disciplinary violence or punishment. First, the translators could strive to maintain the native understanding of the Greek term, to the point of distancing the term from notions of violent discipline in their translations. We find examples of this throughout the books of Proverbs and Job. For example, while in Proverbs musar and παιδεία are associated in some fashion to tochaḥath and ἔλεγχος, “rebuke” or “reprimand,” when the Hebrew parallelism puts the two into an interwoven, inter-dependent pair, the Greek translator breaks the connection and distances παιδεία from ἔλεγχος (10:17; 13:18; 15:10). While it is true that a breaking of the Hebrew parallelism in LXX Proverbs is not uncommon, 2 the important point is that the resultant text—i. e. the received text—exhibits a greater distance between παιδεία and ἔλεγχος. 3 Similarly, in Greek Job the translator eliminates the idea that Job’s afflictions are somehow meant to be God’s pedagogical discipline, as suggested by Job’s misguided friends in the Hebrew (5:17; 33:16; 36:10). A different type of strategy to the translation of musar with παιδεία can be found in the Pentateuch, the prophetic literature, and the Psalms. The close translations found in many passages leaves us with a sense of παιδεία largely foreign to the classical Greek range of meaning. Παιδεία in these texts could take on notions of divine disciplinary action, including physical and mental violence designed to either punish the people for their sins, instruct the people to uphold their covenant promises, or both. In these texts, we might say that Hebrew notions of musar have been overlaid onto the Greek term. An extreme example of this is found in the Holiness Code, where God “educates” (the verb παιδεύω translating ysr) the people through things such as terror, wild animals, and a hunger so strong it forces them to eat their own children (Lev 26:16-29). In LXX Isaiah, this type of divine disciplinary παιδεία is viewed as but

2. 3.

Gerleman: Studies, 18. Note too that the Greek ἔλεγχος refers more to verbal rebuke and does not have the strong sense of physical punishment or threat often integral to the Hebrew ‫תּו ַֹכ ַחת‬. At its worst, ἔλεγχος could indicate ridicule and shame (Xenophon, Memorabilia 1.7.2; Homer, Odyssey 21.424; Iliad 9.522). In addition, ἔλεγχος would come to play an integral role in παιδεία within the realm of philosophical dialectic, where it described the philosopher’s controverting of arguments. See Plato, Sophist 229c-230d, 470e-471a; Aristotle, De sophisticis elenchis.

118

gtvh 08105 / p. 119 / 31.3.2022

God as Pedagogue

a small affliction compared to the great benefits conferred (26:16; 28:16; 53:5). This idea will prove hugely influential. The translation of musar with παιδεία had two significant impacts in how the texts were received and utilized in later Jewish and Christian communities. First, a discourse of παιδεία within their sacred scriptures allowed later Jews to enter into conversation with the wider Greek and Roman philosophical world of thought on this central topic and, from that, to develop their own unique notions of ideal Jewish education which could incorporate both Greek intellectual culture and their ancestral traditions. The Septuagint (at least the Pentateuch) would become their own divinely received textbook, God’s means of educating the people. Second, the assumption of disciplinary violence in the Pentateuch and Prophets resulted in a potential expanded semantic range for παιδεία. I do not suggest that this led to a fundamental conceptual shift in the term, 4 but rather that it opened up new possibilities which would have been unlikely without the Greek translations. The notion of God as the pedagogue of the people is a direct result of these effects, the first leading to the idea of God educating via the law, the second to the idea of God educating through violent discipline and tests, specifically depicted as παιδεία, and thus integral to (some) overall educational models.

2. God as Disciplinarian The image of God instructing through violence becomes a popular motif among later Jewish and Christian authors, who draw heavily on four related ideas found throughout the Septuagint. First is the idea that God educates his people as a father does his son, found most notably in Deut 8:5 and Prov 3:11-12. Second, a father’s education (and thus God’s) naturally involves beatings and the ῥάβδος, the rod so popular with pedagogues for beating misbehaving children who forget to do their homework (2 Sam 7:14; Ps 88:33; 117:18). Third, this discipline, despite the pain, torment, and humiliation, is actually a good thing (Ps 93:12; Job 5:17-18). This is because, finally, God’s discipline is but a small inconvenience compared to the ultimate benefits received (Isa 26:16-17; 28:26-27; 53:5). The confluence of these four ideas would be determinative in later concepts of suffering as divine discipline. While it is true that ancient Greek education of children often involved corporal punishment, 5 and suffering at the hands of the gods too could be seen as a means of attaining wisdom, 6 the punishment itself was neither termed nor a defining element of παιδεία. The Greek translations would provide the justification necessary to bring divine discipline into the realm of Jewish παιδεία.

4. 5.

6.

As suggested by Bertram: “παιδεύω,” TDNT 5:596-625; and “Begriff,” passim. Aristophanes: Clouds 962-976; Plato: Laws 808c-e. See Marrou: History of Education, 158-159; Beck: Greek Education 450-350 B.C., 104-109, 215-218; Bonner: Education, 115-145; Cribiore: Gymnastics of the Mind, 65-73. There was, however, a strong philosophical debate about the value of corporal punishment in education. See Pseudo-Plutarch: Lib. Educ. 5c-e; Marrou: History of Education, 272-273; Morgan: Literate Education, 132. Aeschylus: Ag. 176-183; Plato: Rep. 380b; Laws 854d, 862e, 934a, 944d. See Adam: Ancient Greek Views of Suffering and Evil, passim.

119

gtvh 08105 / p. 120 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

Some would view God’s discipline as necessary for the correction of erroneous behavior, not simply punishment for sins but a tool designed to educate and prevent future mistakes. This concept is most fully developed in the Wisdom of Solomon, 7 where God (or Wisdom) is depicted as humankind’s educator, who’s παιδεία could involve violent disciplinary tests. We find the idea particularly in the final third of the text, which has long been given the unfortunate title, the “Book of History,” where the author transforms the unique history of Israel into a universal didactic tale designed to highlight the differences between the righteous and the impious. Here, God’s discipline is specifically tailored to educate and correct unique deficiencies: “Therefore, you correct little by little those who trespass, and you remind them of the things through which they sin, in order that they may be delivered from their wickedness and come to believe in you, Lord” (12:2). All are disciplined and tested by God, but while the righteous learn from their corrective education, the impious do not and instead continue to sin. In chapter eleven, the author references the story of Moses striking the rock at Horeb, providing miraculous water for the people to drink (Ex 17:6; Deut 8:15). Here, God or Sophia provides the righteous with water from the flinty rock (11:4). The impious, instead, receive a river defiled with blood (11:6). These actions were intended to educate and correct both the righteous and the impious. First, the righteous learn the consequences of impiety and the rewards for enduring God’s trials: “You revealed, by the thirst [of the righteous], how you punished their antagonists. For when the righteous were tested, though disciplined in mercy (καίπερ ἐν ἐλέει παιδευόμενοι), they came to know how the impious were tormented when judged with anger” (11:8-9). The righteous endure God’s test in the wilderness and are rewarded with miraculous water, learning that God’s pedagogy leads to rewards and that a failure to do so leads to even greater testing. The impious, too, are taught these lessons (11:12-14), but unlike the righteous, they immediately forget their teaching and continue in their iniquity and ignorance. 8 Punishments and rewards in the Wisdom of Solomon are based not on some notion of ethnic particularism but rather on the diligence of the students. Even something as horrific as a martyr’s torture and death could be viewed as God’s necessary παιδεία for the people. In 2 Maccabees, where the vividly described martyrdoms are explicitly understood as just punishment for the collective sin of the nation (7:32), the suffering death of the martyrs is still meant to educate and discipline: “Therefore, I urge those who read this book not to be depressed by the misfortunes, but to consider that these punishments were designed not for the destruction of our people but for their education (μὴ πρὸς ὄλεθρον ἀλλὰ πρὸς παιδείαν)” (6:12). This seems like a very odd education until we realize that its intent is to reconcile the people with their God and allow them to go on to enjoy the future immortal life: “And if, through his reproof and discipline (ἐπιπλήξεως καὶ παιδείας), our living Lord has become briefly (βραχέως) angry, he will again be reconciled (καταλλαγήσεται) to

7. 8.

See Zurawski: Paideia: A Multifarious and Unifying Concept in the Wisdom of Solomon, passim. Cf. 12:18-27 and 16:4-9 for similar didactic tests of the righteous and the impious.

120

gtvh 08105 / p. 121 / 31.3.2022

God as Pedagogue

his own servants” (7:33). 9 Thus, this brief suffering is a great benefit and kindness shown to God’s people, as opposed to their enemies who are allowed to continue in sin without correction and thus receive the full measure of punishment without hope for reconciliation (6:13-14; 7:36). If we go back to the Wisdom of Solomon, now to the first section of the text, the so-called “Book of Eschatology,” we also see torture and murder at the hands of the impious depicted as God’s παιδεία, but here, in contrast to the martyrdoms in 2 Maccabees, the victim is wholly righteous and the suffering is, thus, decidedly not punitive. In chapter two, we find a group of impious men who have rejected their own παιδεία and are ignorant about the true nature of life and death (2:1-5, 12). They decide to test, torture, and murder an innocent individual because his righteousness highlights their own iniquity (2:12-20). At the start of chapter three, however, we learn just how ignorant the impious are and the degree to which even righteous suffering could be construed as divine παιδεία: 1

The souls of the righteous are in the hand of God, and no torment will ever touch them. 2 In the eyes of the foolish they seem to have died, and their departure was considered a misfortune, 3 and their going away from us their destruction, but they are at peace. 4 For though in the sight of mortals they were punished, their hope is full of immortality. 5 And, having been educated a little (ὀλίγα παιδευθέντες), they will receive great good, because God has tested (ἐπείρασεν) them and found them worthy of himself. (3:1-5)

The reliance on Greek Isaiah is essential, 10 as it was with 2 Maccabees. Even death itself —i. e. the death of the body—becomes insignificant compared to the immense reward earned by the good student who passes God’s test, the immortal life of the soul in nearness to the divine. Corporeal existence in the Wisdom of Solomon becomes a divine contest, an ἀγών, where God educates, tests, and disciplines humanity to determine their worthiness for the true psychic existence. 11 This confluence of ideas from the Septuagint translations is found also in the texts of the New Testament and in early Christian literature to describe God as humankind’s disciplinary pedagogue. Paul understands the discipline of the Lord as necessary and beneficial as it prevents future sin and condemnation (1 Cor 11:32). In encouraging his readers to endure struggle and suffering, the author of the Letter to the Hebrews quotes Prov 3:11-12, comparing the members of the community to children in need of their father’s παιδεία, combined with the idea from Isaiah that this παιδεία might be 9. Cf. 2 Macc 7:9, 11, 14, 23, 29, 36; 12:43-44; 14:46. On the text’s notion of martyrdom as reconciliation, see Schwartz: 2 Maccabees, 272-273, 299. 10. On the Wisdom of Solomon’s reliance on LXX Isaiah, see Winston: Wisdom of Solomon, 2021. On the connection specifically to the fourth servant song, see Nickelsburg: Resurrection, 58-92. 11. Cf. Wisd 4:2 and 10:12. On the Hellenistic agōn motif in the Wisdom of Solomon, see Pfitzner: Paul and the Agon Motif, 54-57.

121

gtvh 08105 / p. 122 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

unpleasant but well worth enduring for the benefits conferred (Heb 12:5-11). The connection between Jesus and Isaiah’s fourth servant song would become an early and powerful image for many Christian communities. Clement’s First Epistle to the Corinthians contains one of the earliest unambiguous references, where Jesus takes on God’s παιδεία of peace on behalf of the world’s sins (1 Clem. 16:5). He then goes on to directly quote Ps 117:18; Prov 3:11-12; Ps 140:5; and Job 5:17 to encourage the community to welcome the παιδεία of the Lord—and of the presbyters (56:1-57:1). The next logical step would be to understand Jesus, as the Word or Wisdom of God, explicitly as the pedagogue of the world, such as we find in Clement of Alexandria (Paedagogus) and Origen (De principiis).

3. God as (non-violent) Educator God as the pedagogue of humanity who instructs through violent reproofs, punishment, and discipline was a concept supported by certain Septuagint translations and the resultant expanded range of meaning attached to the Greek term παιδεία. As mentioned above, this was not a universal conceptual shift, but rather an opening of new possibilities. And, not all Jews during the Second Temple period agreed with the idea of suffering as God’s pedagogical discipline. In the version of the Maccabean martyrs as told in 4 Maccabees, the gruesome torture and murders are linked to God’s παιδεία, but not in the way 2 Maccabees described them. While 2 Maccabees saw martyrdom as just punishment for the collective guilt of the people and an atoning sacrifice which brought about the needed reconciliation between God and his people, 4 Maccabees reinterprets the idea of martyrdom in a distinctly non-punitive manner. 12 The martyrs are able to endure their unjust suffering thanks to the παιδεία they have received through God’s law, their educator (παιδευτής) which taught them that reason (λογισμός) rules over emotions (πάθη) (1:13-19; 5:22-24, 34; 13:22-24). The author of 4 Maccabees will thus echo the sentiment found in 2 Maccabees that the martyrs, though suffering now, will be far better off than their tormenters in the end, but he ingeniously shifts the idea that their suffering is God’s παιδεία to the notion that they are able to endure due to God’s παιδεία: “We, most blood-soaked tyrant, suffer these things on account of the education and virtue of God (διὰ παιδείαν καὶ ἀρετὴν θεου), but you will undergo endless torments on account of your impiety and bloodthirstiness” (10:10-11). Philo of Alexandria also understood παιδεία as the tool necessary to beat back the problematic emotions which would plague the soul and lead to its destruction. To do this, Philo symbolizes παιδεία as the ῥάβδος, the pedagogue’s rod, and in so doing directly takes on the idea of corporal punishment in education and παιδεία as divine discipline. For Philo, the rod becomes the symbol for mental discipline not physical punishment. 13 12. See Kraus Reggiani: 4 Maccabei, 54; deSilva: 4 Maccabees, 185. 13. Leg.All. 2:88-92; Mut.Nom. 135; Cong. 94; Sacr. 63. The rod of παιδεία is often linked to Jacob, the symbol of the mind which improves to virtue through training and the model athlete which serves as a paradigm for chastening the irrationality of the soul. See Det. 3; Agr. 41-43.

122

gtvh 08105 / p. 123 / 31.3.2022

God as Pedagogue

The ultimate transcendence of the deity in his philosophy means that Philo typically does not portray God as directly teaching the people, but instead educating through intermediaries. One of the most common of God’s instructors is Moses who teaches via the law. Moses was taught directly by God and initiated into the divine will (Vit.Mos. 1:77-80; 2:71; Her. 17), which led to his becoming a teacher of divine things (Gig. 54; Virt. 178). Moses would pass on his education through the written law and its proper interpretation. 14 In his treatise De ebrietate, Philo describes two other surrogate teachers: the unwritten, universal law of nature and encyclical παιδεία. God and Wisdom may properly be understood as the parents of the cosmos (Ebr. 30-31), but because mortals would be unable to endure their rewards and punishments, they have as parents and instructors the cosmic parents’ own pupils: “Therefore we say that the father is masculine and perfect right reason (ὀρθὸν λόγον), 15 and the mother is the middle and encyclical course of study and education (τὴν μέσην καὶ ἐγκύκλιον χορείαν τε καὶ παιδείαν)” (Ebr. 33). The best children and students are those who attend to the lessons of both parents (Ebr. 35, 80-92), those related to nature and truth from the father, and those concerning the particular customs and laws of the state from the mother (Ebr. 34, 64-65, 68, 77).

4. Conclusions Jewish thinkers during the Hellenistic and early Roman periods would develop new and unique models of education which could incorporate the best of both their ancestral traditions and their contemporary intellectual surroundings. The influence of this educational discourse is profound. One need only look at the monumental impact the incorporation of Greek παιδεία into late antique Christian education had on the history of the early Church and of Western education as a whole to appreciate the influence of the diverse theories of Jewish paideia during the Second Temple period. The confluence of Jewish thought and Greek philosophy was, of course, determinative, and it was the Jewish scriptures in Greek which acted as the necessary means for engaging with the common world of thought on the value and role of παιδεία as well as the precedent for those points which may have come in conflict with traditional Greek or Roman views. The idea of God as the pedagogue of the people is but one example.

In addition, humankind has internal helpers in the fight against the passions, most notably ὀρθὸς λόγος and conscience, both of which work in concert with παιδεία to control irrationality. On ὀρθὸς λόγος here, see Post. 68; Leg.All. 3:80, 118, 128, 222-223; Sacr. 51. On conscience (συνειδός), see Imm. 100, 126, 128. 14. See Zurawski: Mosaic Paideia, passim. 15. Ὀρθὸς λόγος is the term used by early Stoics to describe the unwritten order of the universe and is regularly used by Philo as equivalent to νόμος φύσεως. See, e. g., Diogenes Laertius 7: 1.87-88; Philo: Opif. 143; Prob. 45-46; Plant. 121. On the Stoics and ὀρθὸς λόγος, see Long: The harmonics of Stoic virtue, 202-223; and Johnson: Role Ethics, 72-76.

123

gtvh 08105 / p. 124 / 31.3.2022

2.1.9 Kultterminologie Martin Vahrenhorst Literatur Textausgaben und Übersetzungen Philo: Opera quae supersunt, ed. Leopold Cohn / Paul Wendland, 7 Bände, Berlin 1896-1930 – Philo: Quod omnis Probus liber sit, übs. v. Francis Henry Colson, in: Philo. Works. Greek and English Translation, ed. by Francis Henry Colson / George Herbert Whitaker (Hrsg.): Philo. In Ten Volumes, Vol. IX, LCL 363, Cambridge 1941, 11-101 – Philo von Alexandria, Ueber das Leben Mosis, übersetzt von B. Badt, in: Leopold Cohn u. a. (ed.), Philo von Alexandrien. Die Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 1, Breslau 1909 = Berlin 21962, 215-365 – Josephus: Opera, ed. Benedikt Niese, 7 Bände, Berlin 1955 (*1887-1895). Origines: In Leviticum Homiliae, ed. Wilhelm Adolf Baehrens, GCS 29, Leipzig 21920, 280507 – Procopius Gaz.: Commentarii in Exodum, in Leviticum, in Numeros, in Deuteronomium, in librum Josue, in Judices, in libros Regum, in Paralipomena, PG 87/1, 511-1201 – Cyrillus Alex.: Glaphyra in Pentateuchum, PG 69, 9-678 C – Theodoret: Quaestiones in Octateuchum, ed. John F. Petruccione, Vol 1, OECT 1, Oxford 2007.

Weitere Literatur Rösel, Martin / Schlund, Christine: Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Stuttgart 2011 Septuaginta Deutsch (LXX.D), 431-522 – Martin Vahrenhorst: Exkurs: »Hinweise zur Opferterminologie im LXX Pentateuch«, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Stuttgart 2011 Septuaginta Deutsch (LXX.D), 335-346 – Vahrenhorst, Martin: der Kult, in: Eberhard Bons / Jan Joosten (ed.), Die Sprache der Septuaginta, LXX.H 3, Gütersloh 2016, 329-334 (dort Literatur) – Vahrenhorst, Martin: Die Übersetzung kultischer Begriffe am Beispiel der ‫תנופה‬, in: Siegfried Kreuzer / Martin Meiser / Marcus Sigismund (ed.), Die Septuaginta – Entstehung, Sprache, Geschichte, WUNT 286, Tübingen 2012, 203-212 – Wevers, John William: Notes on the Greek Text of Leviticus, SCS 30, Atlanta 1997.

Bei der Übersetzung der heiligen Schriften Israels aus dem Hebräischen ins Griechische entstanden neue Texte, die Assoziationen wachriefen und zu Deutungen einluden, die in der Ausgangssprache nicht angelegt waren. Dieser Beitrag untersucht exemplarisch Termini aus der Welt des Kultes, auf die diese Beobachtung zutrifft. Der Fokus liegt dabei nicht auf dem Vorgang des Übersetzens selbst. 1 Es geht vielmehr um die Auslegungen, die das Ergebnis des Übersetzungsvorgangs erfuhr, und zwar speziell um solche Auslegungen, die sich vom hebräischen Text her nicht nahegelegt hätten. Dabei soll zunächst die Rezeption kultischer Begriffe bei Philon von Alexandrien untersucht werden. In einem zweiten Schritt geraten Auslegungen der Kirchenväter in den Blick. 1.

Vgl. Vahrenhorst: Der Kult, LXX.H 3, 329-334 (dort Literatur).

124

gtvh 08105 / p. 125 / 31.3.2022

Kultterminologie

1. Philon von Alexandrien 1.1 Das erste Opfer, das nach der Sintflut dargebracht wird, ist eine ‫( עולה‬Gen 8,20). Der Name dieses Opfers leitet sich von der Wurzel ‫»( עלה‬aufsteigen«) ab. Martin Buber und Franz Rosenzweig übersetzten es mit »Darhöhung«. Dabei handelt es sich um ein Opfer, das in seiner Gesamtheit Gott übereignet wird, an dem Menschen also keinen Anteil haben. Die griechischen Übersetzer prägten dafür Worte wie ὁλοκαύτωμα (»Ganzbrandopfer« [LXX.D]). 2 Damit wird einerseits betont, dass das Opfer durch den Akt der Verbrennung zu Gott transferiert wird. Die Vorsilbe ὁλο lässt zudem deutlich werden, dass das Opfer vollständig verbrannt wird. Diese Vorsilbe inspiriert Philon. Zu Lev 9,14 schreibt er: »Der Weise opfert seine ganze Seele (ὅλην γὰρ τὴν ψυχὴν) als das, was Gott darzubringen würdig ist …« (Leg.All. III, 141). Ähnlich verfährt Philon in Sacr. 139: Die Teile, die die Seele als ganze (ψυχὴν ὁλόκληρον) repräsentieren, sollen als Ganzbrandopfer dargebracht werden. Als Abraham sich anschickte, seinen Sohn als ὁλοκάρπωσις 3 zu opfern (Abr. 198), widmete er Gott seine ganze Seele (ὅλην τὴν ψυχὴν). 4 Alle diese Deutungen hätten sich von der Etymologie von ‫ עולה‬her nicht entwickeln lassen. Sie verdanken sich der Entscheidung der Übersetzung des Pentateuch, den hebr. Namen des Opfers so wiederzugeben, dass dabei deutlich wird, was mit ihm geschieht: es wird ganz verbrannt. 5 1.2 Der Pentateuch kennt auch Opfer, bei denen bestimmte Opferteile von Gott den Opfernden zum Verzehr überlassen werden. Auf Hebräisch heißen sie ‫זבח שלמים‬ (»Schlacht- bzw. Friedensopfer«). In der griechischen Übersetzung findet sich für ‫ שלמים‬6 in der Regel ein Element von σωτηρία (»Rettung«). 7 Auch dieser Übersetzung verdankten sich besondere Akzente in der Auslegung. Nach Lev 23,19 sollen am Wochenfest u. a. zwei Lämmer als »Rettungsopfer« (θυσίαν σωτηρίου) dargebracht werden. Ihr Fleisch ist von den Priestern zu essen. Philon schreibt dazu: »diese werden Rettungsopfer genannt, weil Nahrung für die Menschen aus vielen und unterschiedlichen Umständen hindurchgerettet (διασεσῶσθαι) wird« (Spec.Leg. I, 184). Ähnlich lesen wir in Spec.Leg. I, 197: »Die Rettungsopfer (werden) wegen der Rettung und der Verbesserung menschlicher Angelegenheiten (dargebracht)«. 8 1.3 Eine Untergattung dieses Opfers stellt nach Spec.Leg. I, 224 das Lobopfer (τῆς αἰνέσεως) dar. Im hebr. Text heißt es ‫»( זבח תודה‬Dankopfer«, z. B. Lev 7,11f). Dahinter steht die Wurzel ‫ידה‬, die sowohl mit danken als auch mit loben wiedergegeben werden kann. Nach Philon ist dieses Opfer von jemandem zu bringen, dem es in seinem Leben immer nur gut ergangen ist. Er soll Gott mit Hymnen, Glücksbezeugungen, Gebeten und Opfern dankend seinen Dank erweisen. Philon ist sich durchaus bewusst, dass all diese aus geschuldeter Dankbarkeit entspringen, aber seine Zuspitzung auf Hymnen etc. verdankt sich der Präzisierung, die die LXX Übersetzer vorgenommen haben. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Vgl. Vahrenhorst: Exkurs: »Hinweise zur Opferterminologie, 336 Dies ist ebenfalls eine Übersetzung von ‫עולה‬. Vgl. dazu Vahrenhorst: Exkurs, 337 Vgl. Abr. 198. Die gleiche Ableitung findet sich auch in Spec.Leg. I, 196. Die Übersetzung ist nach Gesenius / Donner: Wörterbuch, 1369, umstritten. Vorgeschlagen werden: Gemeinschafts-Schlachtopfer, Heilsopfer oder Schlussopfer. Vgl. Vahrenhorst: Exkurs, 339. Ähnlich Spec.Leg. I, 239; 1,252f

125

gtvh 08105 / p. 126 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

1.4 Im hebr. Text von Num 28,2 werden die Israeliten angewiesen Gott die festgesetzten Gaben zur rechten Zeit darzubringen. Im Folgenden wird das näher ausgeführt. Objekt der Darbringung ist nach dem hebr. Text: ‫»( קרבני לחמי לאשי‬mein Opfer, meine Speise als Feueropfer« [Zürcher Bibel]). Die LXX macht daraus eine Trias: »Τὰ δῶρά μου δόματά μου καρπώματά μου« (»meine Gaben, meine Geschenke, meine Ertragsopfer«). Auffällig dabei ist die Wiedergabe von ‫ לחם‬mit δόμα (»Geschenk«). »Seit Lev 21,6 wird die wörtl. Übersetzung ›Brot‹ für ‫ לחם‬vermieden«. 9 Diese Übersetzungsentscheidung ermöglicht es Philon in Leg.All III, 196 zwischen Gaben und Geschenken zu unterscheiden. Erstere seien höherwertig und würden von Gott nur den Vollkommenen verliehen, letztere hingegen seien geringer und kämen denen zu, die sich um Vollkommenheit bemühen. 10 1.5 In Prob. 69 bietet Philon eine Auslegung des seltenen Opfernamens ὁλοκάρπωμα (»Ganzfeueropfer« [LXX.D]). 11 Er weise darauf hin, dass im Unterschied zum natürlichen Wachstum, bei dem die Frucht 12 erst am Ende des Wachstumsprozesses steht, bei der Ausprägung der Tugenden bereits alles Frucht sei. 13 Die hebr. Vorlage ‫ עולה‬hätte diesen Auslegungsweg nicht gewiesen. 1.6 Zur Weihe der Priester gehört ein bestimmtes Opfer, das Einsetzungsopfer (Ex 29,22). [‫» ִמֻלִּ֖אים‬Handfüllung, d. h. Ordination der Priester« 14]). Die LXX übersetzt es sachgemäß mit τελείωσις (»Weihe«). Philo entdeckt darin folgenden Gedanken: »Den andern Widder verlangte er, um die Priester durch heiligende Läuterung zu weihen, weshalb er ihn auch treffend den Widder der ›Weihe‹ nannte […], da sie durch ihn in die für Diener Gottes und Vollzieher heiliger Handlungen passenden Weihen eingeführt werden sollten« (Vit.Mos. II, 149). 15 1.7 Nach Lev 16,10 hat der Hohepriester über dem für Asasel bestimmten Bock Sühne zu schaffen. Die LXX gibt ‫ כפר‬mit ἐξιλάσκομαι (»Sühne schaffen« [LXX.D]) wieder. Dieses Kompositum verwendet Philon nur im Zitat von Lev 16,10 (Post. 70 und 72), geläufiger ist ihm ἱλάσκομαι. In Post. 72 scheint er der Vorsilbe ἐκ besonderes Gewicht beizumessen. 16 Seiner Lektüre nach sei in Lev 16,10 gemeint, dass der Mensch bekennt, dass in ihm Leidenschaften und Begierden wohnen, dass er ihnen aber nicht nachgeben wolle, sondern gegen sie streiten wolle (ἀπομαχόμεθα) bis er sie gänzlich beseitigt habe (ἀποδιοπομπησώμεθα). In beiden Fällen entspricht der Vorsilbe ἐκ (heraus) in Philons Paraphrase die Vorsilbe ἀπό (ab), und in beiden Fällen geht es um ein gänzliches Beseitigen. 1.8 Philon beobachtet, dass der Altar (gr. βωμός) im Pentateuch einen eigenen Namen erhält, so es sich dann um einen Altar für den einen Gott handelt: θυσιαστήριον (Opferstätte). Philon leitet den zweiten Bestandteil dieses Wortes vom Verb τηρέω (behüten / erhalten) ab und kommt so in Vit.Mos. II, 106 zu folgender Auslegung: Rösel / Schlund: Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose, 501. Ähnlich Cher 84. Vgl. dazu oben Anm. 3. Philo leitet den Wortteil κάρπωμα von καρπός (»Frucht«) ab. Vgl. Colson (LCL 363), 511 f. Gesenius / Donner: Wörterbuch, 678. Übersetzung nach B. Badt in: Cohn, Leopold (ed.), Philo von Alexandrien. Die Werke in deutscher Übersetzung, Breslau 1909, Bd. 1. 16. Vgl. BdA III, 153.

9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.

126

gtvh 08105 / p. 127 / 31.3.2022

Kultterminologie

Der Altar behütet und bewahrt die Opfer (ὡσανεὶ τηρητικὸν καὶ φυλακτικὸν ὄντα θυσιῶν). 17 1.9 Zur Welt des Kultes gehören auch die priesterlichen Gewänder. Der Hohepriester soll nach Ex 28,15 eine Brusttasche (‫ )חשן‬tragen, auf der zwölf Edelsteine appliziert sind, die die zwölf Stämme Israels symbolisieren. In dieser Tasche befinden sich die Losorakel ‫ אורים‬und ‫( תומים‬möglicherweise mit Licht und Vollkommenheit zu übersetzen [Ex 28,30]). Die LXX übersetzt ‫ חשן‬mit λογεῖον (»Orakel« [LXX.D]) und die Namen der beiden Lose mit δήλωσις (»Offenbarung«) und ἀλήθεια (»Wahrheit«). Philo setzt in Spec.Leg. I, 87 die Edelsteine mit den Tierkreiszeichen gleich und deutet den Namen λογεῖον im Sinne von Vernunft, weil im Himmel alles nach vernünftigen Regeln geordnet sei (I, 88). Der Name Wahrheit sei angemessen, weil die Lüge in der himmlischen Welt keinen Platz habe, und Offenbarung deute darauf hin, dass die himmlischen Geschöpfe uns offenbaren, was auf Erden geschieht – so könnten wir ohne das Licht der Sonne nichts sehen (I, 89f).

2. Alte Kirche 2.1 Origenes 2.1.1 Origenes (184/85-253/54) lässt sich ähnlich wie Philon von der Übersetzung der ‫זבח‬ ‫ שלמים‬mit θυσία σωτηρίου (sacrificio salutaris [»Rettungs-/Heilsopfer«]) inspirieren. 18 Nach Lev 3,1 ff. kann dieses Opfer nur von Rindern oder vom Kleinvieh, nicht aber von Vögeln dargebracht werden. Origenes erklärt das wie folgt: »Wer Rettungsopfer opfert, ist sich ohne Zweifel seiner eigenen Rettung bewusst«, daher sei es angemessen große und vollkommene Dinge zu opfern. 19 In Lev.Hom. 5 findet sich ein ähnlicher Gedanke: »Niemand opfert Gott dieses Opfer, er sei denn gesund / heil (salus) und sich seiner Gesundheit / seines Heils bewusst (salutis suae conscius)«. 20 2.1.2 In Lev 5,10 hat Origenes ὁλοκάρπωμα gelesen. 21 Wie Philon vor ihm setzt er diesen Terminus mit καρπός (Frucht) in Beziehung: »es ist alles Frucht, was Gott geopfert wird«. 22 Etwas ausführlicher äußert er sich dazu bei seiner Auslegung von Lev 7,30. Das Opfer sei zu verstehen im Sinn von »jede Frucht« (omnem fructum). Jemand der nicht die Frucht der Gerechtigkeit, der Barmherzigkeit oder des Geistes (vgl. Jak 3,17) habe, könne es nicht bringen. 23 2.1.3 Zwei weitere Opfertermini begegnen in Lev 7,34. Im hebr. Text stehen die Begriffe ‫ שוק התרומה‬und ‫חזה התנופה‬. 24 Die LXX übersetzt στηθύνιον τοῦ ἐπιθέματος und βραχίονα τοῦ ἀφαιρέματος (»Bruststück der Zugabe« und »Schulterstück der 17. Ähnlich Spec.Leg. I, 290. 18. Die Homilien zum Leviticusbuch sind nur in der lateinischen Übersetzung von Rufin (340/45410) erhalten. 19. Origenes: Lev. Hom. 2,2,6, GCS 29, 292. 20. Origenes: Lev. Hom. 5,12,6, GCS 29, 356. Vgl. auch Origenes: Lev. Hom. 5,12,6, GCS 29, 357. 21. Vgl. den Apparat bei Wevers: Notes on the Greek Text of Leviticus, 76. 22. Origenes: Lev. Hom. 5,2,2, GCS 29, 336. 23. Origenes: Lev. Hom. 5,2,2, GCS 29, 355. 24. Vgl. dazu Vahrenhorst: Übersetzung, 203-212.

127

gtvh 08105 / p. 128 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

Abhebe« [LXX.D]). Origenes fragt, was einem Bruststück hinzugegeben werden müsse, damit es ein Bruststück der Zugabe (appositionis) werden könne. Er antwortet: Nachdem es gereinigt worden sei, müsse ihm die Gnade des Heiligen Geistes hinzugefügt werden (apponatur ei gratia Spiritus sancti). Entsprechend werde der Arm dessen, der es vermöge, die Werke des Lichts von denen der Finsternis zu unterscheiden, und der entsprechend seine Handlungen von der Finsternis abhebe (separes), zu einem »brachium separationis«. 25 Auch hier ist nicht zu übersehen, dass Origenes die Etymologien der griechischen Opfertermini zum Ausgangspunkt seiner Auslegung macht. 2.1.4 Zuweilen ermöglicht der Wortlaut der LXX eine Verbindung zu einem Text aus dem NT. Dies ist in Lev.Hom 4,10,4 zu beobachten. Dort geht es um das vegetabile Opfer, das Priester darbringen (Lev 6,14). Die LXX nennt es »ein Opfer aus Stücken« – θυσία ἐκ κλασμάτων. Letztere erinnern Origenes an die Speisung der 5000, bei der κλάσματα (»Stücke«) übrig geblieben sind (Mt 14,20). 26 2.1.5 Der oben erwähnte Widder des »(Für-)die-Einweihung« (τῆς τελειώσεως [Lev 8,29]) wird von Origenes offenbar so interpretiert, dass er dahinter – anders als Philon – nicht den terminus technicus für Initiationen wahrnimmt, sondern das Adjektiv vollkommen. Rufin übersetzt »perfectionis«. Aus diesem Grund dürfe niemand von diesem Opfer essen außer Mose allein, der nach Sap 7,27 ein Freund Gottes war. 27 2.1.6 Auch durch die Übersetzung von ‫( נדר‬Gelübde) mit εὐχή Lev 7,16 werden neue intertextuelle Bezüge möglich. Die zu verzehrenden Bestandteile des Opfers dürfen nicht über den zweiten Tag hinaus gegessen werden. Wer dies dennoch tue, habe seine Sünde zu tragen. Origenes erinnert die Verwandlung des Opfers in eine Sünde an Ps 109,7: »ἡ προσευχὴ αὐτοῦ γενέσθω εἰς ἁμαρτίαν« (»sein Gebet soll zur Sünde werden«). Vom hebr. Text her, in dem sich ‫»( נדר‬Gelübde«) und ‫»( תפילה‬Gebet«) finden, wäre dies kaum möglich gewesen. 28 2.1.7 In Lev 6,18f wird ausgeführt, dass der Priester vom Opfer für die Sünde essen soll. Im Hebr. sind die grammatikalischen Bezüge deutlich: Das Objekt ist in jedem Fall das Sündopfer (‫)חטאת‬. In 6,18 übersetzt die LXX das mit einem Neutrum plural »τὰ περὶ τῆς ἁμαρτίας«. Im folgenden Vers übersetzt sie – dem hebr. Text entsprechend – feminin. Der nächstliegende Bezug dazu wäre ἁμαρτία. Origenes deutet dies unter Verweis auf Hos 4,8 so, dass der Priester die Sünde des Volkes isst und sie so beseitigt. 29 Hier ist es eine grammatikalische Zweideutigkeit im Griechischen, die zu einer theologischen Deutung einlädt.

2.2 Weitere Beispiele 2.2.1 Prokopius von Gaza (465-528) unterteilt die Rettungsopfer (σωτηρίαι θυσίαι) in zwei Kategorien: Lobopfer und freiwillige Gaben. Er führt weiterhin aus, dass diese im Vergleich zum Ganzbrandopfer weniger wert seien, weil nur Teile davon dargebracht

25. 26. 27. 28. 29.

Origenes: Lev. Hom. 5,12,6, GCS 29, 357. Origenes: Lev. Hom. 4,10,4, GCS 29, 330 f. Origenes: Lev. Hom. 5,2,1, GCS 29, 335. Origenes: Lev. Hom. 5,9,2, GCS 29, 350. Origenes: Lev. Hom. 5,3,2, GCS 29, 338.

128

gtvh 08105 / p. 129 / 31.3.2022

Kultterminologie

würden, während letzteres vollständig Gott übereignet würde. 30 Ähnlich deutet er die ὁλοκαύτωσις (»Ganzbrandopfer«). 31 2.2.2 Cyrill von Alexandrien (375/80-444) greift auf den gleichen Gedanken zurück und vergleicht Christus mit dem Ganzbrandopfer: »ganz aus ganzem und nicht teilweise zum Wohlgeruch Gott dargebracht«. 32 2.2.3 Theodoret (393 – ca. 458/466) erörtert die Frage, warum das Opfer, das Priester darbringen, ein Ganzbrandopfer sein müsse. Dies läge daran, dass Priester sich selbst vollkommen und nicht nur teilweise Gott darbringen sollten. 33

30. 31. 32. 33.

Procopius Gaz.: In Lev., PG 87/1, 705 A. Procopius Gaz.: In Lev., PG 87/1, 697 A. Cyrillus Alex.: Glaph. Lev., PG 69, 549 D-552 A. Theodoret: Qu. Lev. 3, OECT 2, 18.

129

gtvh 08105 / p. 130 / 31.3.2022

2.1.10 Halacha Christian A. Eberhart Literatur Agus, Aharon R. E.: Das Judentum in seiner Entstehung. Grundzüge rabbinisch-biblischer Religiosität, Judentum und Christentum 4, Stuttgart u. a. 2001 – Ameling, Walter: Die jüdische Gemeinde von Leontopolis nach den Inschriften, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 117-133 – Calabro, David: A Reexamination of the Ancient Israelite Gesture of Hand Placement, in: Henrietta L. Wiley / Christian A. Eberhart (ed.), Sacrifice, Cult, and Atonement in Early Judaism and Christianity. Constituents and Critique, SBLRBS 85, Atlanta 2017, 99-124 – Capponi, Livia: Il tempio di Leontopoli in Egitto. Identità politica e religiosa dei Giudei di Onia (c. 150 a.C. – 73 d.C.), Pubblicazioni della Facoltà di Lettere e Filosofia dell’Università di Pavia 118, Pisa 2007 – Collins, John J.: Between Athens and Jerusalem. Jewish Identity in the Hellenistic Diaspora, BRS, Grand Rapids / Cambridge 22000 – Den Hertog, Cornelis / Labahn, Michael / Pola, Thomas: Deuteronomion. Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erklärungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Bd. 1: Genesis bis Makkabäer, Stuttgart 2011, 523-601 – De Troyer, Kristin: Towards the Origins of Unclean Blood of the Parturient, in: Raija Sollamo / Seppo Sipilä (ed.), Helsinki Perspectives. On the Translation Technique of the Septuagint. Proceedings of the IOSCS Congress in Helsinki 1999, Publications of the Finnish Exegetical Society 82, Helsinki / Göttingen 2001, 269-278 – Douglas, Mary: Leviticus as Literature, Oxford 1999 – Eberhart, Christian: Beobachtungen zu Opfer, Kult und Sühne in der Septuaginta, in: Wolfgang Kraus / Siegfried Kreuzer (ed.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 297-314 – Eberhart, Christian A.: Blutschande, WiBiLex 2008 – Egger-Wenzel, Renate: Vom Schlachtopfer zum Hebeopfer der Lippen. Transformation der Opferterminologie von H nach G im Buch Ben Sira. Oder: Ein Verständnisproblem des Enkels? in: Heinz-Josef Fabry / Dieter Böhler (ed.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta, Bd. 3. Studien zur Theologie, Anthropologie, Ekklesiologie, Eschatologie und Liturgie der Griechischen Bibel, BWANT.NF 14, Stuttgart 2007, 245-265 – Erbele-Küster, Dorothea: Körper und Geschlecht. Studien zur Anthropologie von Leviticus 12 und 15, WMANT 121, Neukirchen-Vluyn 2008 – Erbele-Küster, Dorothea: »She Shall Remain in (According to) Her Blood-of-Purification«. Ritual Dynamics of Defilement and Purification in Leviticus 12, in: Henrietta L. Wiley / Christian A. Eberhart (ed.), Sacrifice, Cult, and Atonement in Early Judaism and Christianity. Constituents and Critique, SBLRBS 85, Atlanta 2017, 59-70 – Frankel, Zacharias: Ueber den Einfluss der palästinischen Exegese auf die alexandrinische Hermeneutik, Leipzig 1851 (Nachdruck Westmead u. a. 1972) – Gray, Alyssa: Halakhah. I. Judaism. B. Rabbinic Judaism, EBR 11 (2015), 7-12 – Hanhart, Robert: The Translation of the Septuagint in Light of Earlier Tradition and Subsequent Influences, in: George J. Brook / Barnabas Lindars (ed.), Septuagint, Scrolls and Cognate Writings. Papers Presented to the International Symposium on the Septuagint and its Relations to the Dead Sea Scrolls and Other Writings (Manchester 1990), SCS 33, Atlanta 1992, 339-379 – Hayward, C. T. Robert: Understanding of the Temple Service in the Septuagint Pentateuch, in: John Day (ed.), Temple and Worship in Biblical Israel, LHB / OT 422, London / New York 2005, 385400 – Herklotz, Friederike: Prinzeps und Pharao. Der Kult des Augustus in Ägypten, Oikumene. Studien zur antiken Weltgeschichte, Frankfurt 2007 – Hieke, Thomas: Levitikus 1-15, HThKAT, Freiburg 2014 – Jacobs, Louis: Development of Halakhah, EJ (1971), 1161-1166 –

130

gtvh 08105 / p. 131 / 31.3.2022

Halacha

Jacobs, Louis: Halacha, TRE 14 (1985), 384-388 – Joosten, Jan: To See God. Conflicting Exegetical Tendencies in the Septuagint, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 287-299 – Köckert, Matthias / Köckert, Heidelore: Ungeborenes Leben in Exodus 21,22-25. Wandlungen im Verständnis eines Rechtsatzes, in: Ingolf Hübner u. a. (ed.), Lebenstechnologie und Selbstverständnis. Hintergründe einer aktuellen Debatte, Religion – Staat – Kultur 3, Münster 2004, 43-73 – Kraus, Wolfgang / Karrer, Martin (ed.): Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, Stuttgart 2009 – Kreuzer, Siegfried: Entstehung und Entwicklung der Septuaginta im Kontext Alexandrinischer und Frühjüdischer Kultur und Bildung, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Bd. 1: Genesis bis Makkabäer, Stuttgart 2011, 3-39 – Milgrom, Jacob: Leviticus 1-16. A New Translation with Introduction and Commentary, AB 3, New York 1991 – Peters, Melvin K. H.: 1.5 Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose, in: Siegfried Kreuzer (ed.), Einleitung in die Septuaginta, LXX.H Bd. 1, Gütersloh 2016, 161-173 – Pfeiffer, Stefan: 16. Ägyptische Elemente im Griechischen der LXX, in: Eberhard Bons / Jan Joosten (ed.), Die Sprache der Septuaginta. The Language of the Septuagint, LXX.H Bd. 3, Gütersloh 2016, 231-245 – Pfeiffer, Stefan: Herrscher- und Dynastiekulte im Ptolemäerreich. Systematik und Einordnung der Kultformen, MBPF 98, München 2008 – Rösel, Martin: Exkurs »Übersetzung und Gebrauch des Gottesnamens«, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erklärungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Bd. 1: Genesis bis Makkabäer, Stuttgart 2011, 413 f. – Schaper, Joachim: Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erklärungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Bd. 1: Genesis bis Makkabäer, Stuttgart 2011, 258-324 – Schiffman, Laurecne H.: Halakhah. I. Judaism. A. Second Temple and Hellenistic Judaism, EBR 11 (2015), 1-7 – Schiffman, Laurence H.: The Septuagint and the Temple Scroll. Shared »Halakhic« Variants, in: George Brooke / Barnabas Lindars (ed.), Septuagint, Scrolls and Cognate Writings. International Symposium on the Septuagint and its Relations to the Dead Sea Scrolls and Other Writings (Manchester, 1990), Atlanta 1992, 277-297 – Schlund, Christine: »Kein Knochen soll gebrochen werden«. Studien zu Bedeutung und Funktion des Pesachfests in Texten des frühen Judentums und im Johannesevangelium, WMANT 107, Neukirchen-Vluyn 2005 – Schwagmeier, Peter: 1.2 Exodos / Exodos / Das zweite Buch Mose, in: Siegfried Kreuzer (ed.), Einleitung in die Septuaginta, LXX.H Bd. 1, Gütersloh 2016, 120-136 – Siegert, Folker: Zwischen Hebräischer Bibel und Altem Testament. Eine Einführung in die Septuaginta, Münster 2001 – Stemberger, Günter: Einleitung in Talmud und Midrasch, München 82011 – Steyn, Gert J.: Heliopolis and On in the Septuagint, in: Siegfried Kreuzer / Martin Meiser / Marcus Sigismund (ed.), Die Septuaginta – Orte und Intentionen, WUNT 361, Tübingen 2016, 155-168 – Usener, Knut: Griechisches im Griechisch der LXX, in: Eberhard Bons / Thomas J. Kraus (ed.), Et sapienter et eloquenter. Studies on Rhetorical and Stylistic Features of the Septuagint, FRLANT 241, Göttingen 2011, 81-98 – Vahrenhorst, Martin: Exkurs »Hinweise zur Opferterminologie im LXX-Pentateuch«, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erklärungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Bd. 1: Genesis bis Makkabäer, Stuttgart 2011, 335-346 – Vahrenhorst, Martin: Exkurs »Hinweise zur Reinheitsterminologie im LXX-Pentateuch«, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erklärungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Bd. 1: Genesis bis Makkabäer, Stuttgart 2011, 366-371 – Vahrenhorst, Martin: 22.1 Der Kult, in: Eberhard Bons / Jan Joosten (ed.), Die Sprache der Septuaginta. The Language of the Septuagint, LXX.H 3, Gütersloh 2016, 329-334 – Vahrenhorst, Martin: Levitikon. Leviticus / Das dritte Buch Mose, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erklärungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Bd. 1: Genesis bis Makkabäer, Stuttgart 2011, 325-430 – Vahrenhorst, Martin: Zwischen Alexandria und Tiberias. Berührungen zwischen dem Text der LXX und rabbinischen Traditionen,

131

gtvh 08105 / p. 132 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

in: Wolfgang Kraus / Siegfried Kreutzer (ed.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 483-500 – Wevers, John William: Notes on the Greek Text of Leviticus, SCS 44, Atlanta 1997.

1. Einführung Im vorliegenden Beitrag um halachische Differenzen zwischen MT und LXX bezeichnet »MT« als Grundlage der Übersetzung der LXX notgedrungen den Proto-MT. Im weiteren Sinne werden hier Wirkungen der Septuaginta skizziert, wie sie später auch in halachisch orientierten Texten jüdischer Provenienz manifest sind. Der Bereich der Halacha umfasst den rechtlich-normativen Teil der Überlieferung des Judentums. Der Begriff leitet sich vom Verb ‫» הלך‬gehen, wandeln« ab und ist eigentlich rabbinischen Ursprungs, findet aber allgemein auch auf vor-rabbinische Rechtssysteme Anwendung. Er umfasst u. a. die 613 Gebote (Mizwot), zu deren Observanz ein männlicher Jude verpflichtet war. Von der Halacha unterscheidet sich die Aggada (aramäisch ‫)אגדה‬, gelegentlich auch »Haggada« (hebräisch ‫ )הגדה‬genannt; beide Begriffe bedeuten »das Erzählte«. Die Aggada enthält in diesem Sinne frei formulierte und interpretierende, also jedenfalls nicht rechtlich verbindliche Traditionen, deren Sammelbezeichnung »Midrasch Rabba« ist, so z. B. Fabeln, liturgische Texte, Poesie, aber auch Parabeln und Legenden sowie ethische Ermahnungen. 1 Insofern der Charakter der Halacha »die Verbindlichkeit der rabbinischen Normativität im Handeln ausdrückt, muss jede Abweichung von den traditionellen Normen in einer strengen ›logischen‹ Argumentation oder einer sichtbaren Macht von Erlassen legitimiert sein«. 2 Um u. a. solche Normativität zu erreichen und vor allem institutionell zu gewährleisten, entstanden halachische (oder tannaitische) Midraschim, welche die Tora – speziell die Bücher Exodus bis Deuteronomium – auslegen (z. B. Mekhilta de Rabbi Jischmael zu Exodus; Sifra [aram. ‫» ִסְפ ָרא‬das Buch«] zu Leviticus; Sifre Numeri; Sifre Deuteronomium). 3 Anfang des 3. Jahrhunderts n. Chr. wurde zudem in Galiläa mit dem Werk der Redaktion der Mischna als Corpus religionsgesetzlicher Traditionen für das rabbinisch geprägte Judentum Palästinas und auch Teile der Diaspora begonnen. Später wurde der Talmud zur Grundlage der Halacha, und zwar zunächst der Jeruschalmi, ab Mitte des 8. Jahrhunderts dann zunehmend der Bavli. Die Existenz von halachischen Differenzen war schon im pharisäischen Judentum Palästinas bekannt; allein zwischen den Schulen von Hillel und Schammai bestanden aufgrund von unterschiedlichen Auslegungsmethoden hunderte von Differenzen. Dieser war man sich bewusst – bald wurde von der Gefahr gesprochen, aus der einen

1.

2. 3.

Vgl. Jacobs: Halacha, 384-388; Schiffman: Halakhah, 1 f.; Gray: Halakhah, 7-10. Für die christliche Kirche und Wissenschaft ist der Bereich der Halacha weitgehend fremd und jedenfalls von geringer Relevanz, was daran zu erkennen ist, dass diesbezüglich nur wenig einschlägige Literatur existiert. Für die jüdische Gelehrsamkeit und Frömmigkeit dagegen ist die Halacha von zentraler Bedeutung; sie ist deshalb als »das unterscheidenste Merkmal der jüdischen Religion« bezeichnet worden (Jacobs: Halacha, 385). Agus: Judentum, 18. Vgl. Stemberger: Einleitung, 245-271.

132

gtvh 08105 / p. 133 / 31.3.2022

Halacha

Tora könnten zwei Torot werden; später befürchtete man, dass aus zwei Torot sogar viele verschiedene werden könnten. 4 Halachische Differenzen zwischen Proto-MT und LXX sind nun allerdings vor den eben angesprochenen im Judentum Palästinas zu datieren. Sie lassen sich u. a. in ethisch-kasuistischen sowie kultischen bzw. kultisch relevanten Themenbereichen beobachten. Als Gründe für die Textdifferenzen zum MT lassen sich oft die veränderten Lebensumstände speziell in der jüdischen Diasporagemeinde Ägyptens, wo viele Bücher der LXX übersetzt worden sind, anführen. Generell sind Vorschriften zudem aktualisiert, präzisiert und/oder verschärft worden. Selten verallgemeinert die LXX demgegenüber Aussagen des Proto-MT. Gelegentlich erlauben Beobachtungen zu halachischen Differenzen schließlich Rückschlüsse insbesondere auf theologische Unterschiede zwischen dem palästinischen und dem unterägyptischen Umfeld.

2. Veränderte Lebensumstände in der jüdischen Diasporagemeinde Ägyptens Die jüngere Forschung zur LXX hat plausibel machen können, dass die einzelnen Schriften von unterschiedlichen Übersetzern verantwortet wurden, die allerdings mehrheitlich in die jüdische Diasporagemeinde Unterägyptens in und um Alexandria zu verorten sind. Solche einleitungswissenschaftlichen Erwägungen haben vor allem für halachische Texte – und hier vor allem für die vielfältigen zwischen Vorlage und Übersetzung zu konstatierenden Differenzen – weitreichende Konsequenzen, bieten aber gleichzeitig mit Blick auf die veränderten Lebensumstände und religiös-kulturelle Verhältnisse einen Interpretationsrahmen. Zu fragen ist nämlich jeweils, ob den Übersetzern überhaupt an einer präzisen Wiedergabe des (Proto-)MT gelegen war, oder ob sie vielmehr eine zeitgenössische Anpassung und Aktualisierung des Textes an die halachische Praxis in und um Alexandria anstrebten, um eine bleibende Relevanz der LXX und eine einheitliche rechtliche Basis zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund können sowohl geringfügige als auch weitreichende Änderungen erklärt werden, so beispielsweise die LXX-Lesart in den Rechtsbestimmungen für Sklaven, zu denen Ex 12,44 gehört. Hier findet sich anstelle von ‫» ֶעֶבד‬Sklave« der Terminus οἰκέτης »Haushaltssklave«; anzunehmen ist, dass es im Gegensatz zu Palästina in der ägyptischen Diasporagemeinde verschiedene Arten von Sklaven gab. 5 Auch in den Bestimmungen zur Auslösung der Erstgeburt nach Ex 13,13 und 34,20 fällt auf, dass textliche oder übersetzungstechnische Erwägungen nicht zu erklären vermögen, warum ֹ‫» ַוֲע ַרְפתּו‬so breche er sein Genick« mit λυτρώσῃ αὐτό »du sollst es auslösen« 6 wiedergegeben wird. 4. 5. 6.

Vgl. Jacobs: Development, 1162.1165 f. Vgl. Schaper: Exodos, 290. Deutsche Übersetzungen aller LXX-Passagen in diesem Beitrag orientieren sich an: Kraus / Karrer (ed.), Septuaginta Deutsch. Dabei sind in längeren Textpassagen Worte der LXX, die vom MT abweichen, kursiv gesetzt; fehlen in der LXX Worte oder Textpassagen des MT, erscheint in der deutschen Übersetzung das Zeichen + (vgl. dazu Kraus / Karrer, Septuaginta Deutsch, XXI). Von mir als notwendig erachtete Korrekturen der deutschen Übersetzung werden jeweils mit eckigen Klammern [ ] kenntlich gemacht und in Fußnoten kommentiert. Deutsche Übersetzungen sämtlicher MT-Passagen habe ich ansonsten selbst vorgenommen.

133

gtvh 08105 / p. 134 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

Hier schlägt Joachim Schaper im Anschluss an Zacharias Frankel vor, den Übersetzern sei nicht an einer präzisen Wiedergabe des (Proto-)MT gelegen. »Sie strebten vielmehr eine Angleichung des Textes an die halachische Praxis im Alexandria ihrer eigenen Zeit an«. 7 Ähnlich verhält es sich mit der Präposition πρό »vor«, die in Ex 13,16 zur Wiedergabe von ‫» ֵבּין‬zwischen« gewählt wurde. Vergleichbare Äquivalente sind später in Mekhilta und Bavli (Meg 24; Men 37) belegt, denen zufolge das »Anlegen zwischen« als illegitim gilt. 8 Auf einen speziellen Aspekt der ägyptischen Antike nimmt eine andere Passage Bezug. Im 3. und 2. Jh. v. Chr. wurde das Land zunehmend durch den ptolemäischen Herrscherkult geprägt (s. Dekret von Kanopos). 9 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass sich in Ex 22,27bMT statt ‫» ְו ָנִשׂיא ְבַעְמָּך ל ֹא ָתאֹר‬und einem Obersten in deinem Volk sollst du nicht fluchen« in Ex 22,28bLXX vielmehr καὶ ἄρχοντας τοῦ λαοῦ σου οὐ κακῶς ἐρεῖς »und von den Anführern deines Volkes sollst du nicht übel reden« findet, also die Aussage des hebräischen Textes verschärft wurde. Er ist Ausdruck der auch in anderen zeitgenössischen Texten reichlich bezeugten Loyalität von Juden gegenüber dem ägyptischen Herrscherhaus. 10

3. Ethisch-kasuistische Themenbereiche Vielfältig und vielgestaltig sind die Differenzen zwischen dem Buch Exodus und der wohl im 3. Jh. v. Chr. »für Juden im nichtjüdischen Ägypten« 11 entstandenen griechischen Übersetzung, die u. a. eine vom MT abweichende hebräische Vorlage plausibel erscheinen lassen. Dabei ist die Unabhängigkeit am größten im Bundesbuch (Ex 21-23), dessen Material Joachim Schaper zufolge »nach halachischer Aktualisierung nur so schrie«, 12 finden sich hier doch »Rechtssätze« (21,1), also verbindliche Gesetze, die es mit der geltenden Rechtspraxis in Deckung zu bringen galt. Zu vermuten ist, dass solche Fälle von halachischer Aktualisierung wegbereitend für spätere jüdische Traditionen waren. So weisen die Rechtssätze zur Körperverletzung Zahlungen für »Arbeitsunfähigkeit (ἀργία) und die Heilungskosten« an (Ex 21,19LXX). Führt die fahrlässige Verletzung einer schwangeren Frau zu einer Fehlgeburt, dann werden gleichfalls Ersatzzahlungen fällig. Bei der Beschreibung des Unfalls liest Ex 21,22MT undifferenziert ‫» ְו ָיְצאוּ ְיָל ֶדיָה‬und ihr Kind fährt aus«, während Ex 21,22LXX auf Basis griechischer Philosophie und hellenistischer Naturphilosophie präzisiert: καὶ ἐξέλθῃ τὸ παιδίον αὐτῆς μὴ ἐξεικονισμένον »und dabei ihr noch nicht ebenbildliches Kind abgeht«, womit ein im frühen Entwicklungsstadium befindlicher Fötus gemeint ist, der nach Ansicht des Diaspora-Judentums unter Heranziehung von Gen 1,26 f. noch 7. Schaper: Exodos, 291, mit Verweis auf Frankel: Einfluss, 98 f. 8. Vgl. Schaper: Exodos, 292. 9. Alexander dem Großen wurden zu Lebzeiten göttliche Ehren von Athen und Sparta zuteil. Aus dieser Praxis entwickelte sich nach seinem Tod allmählich die Huldigung lebender Herrscher (vgl. Herklotz: Prinzeps, 36 f.; Pfeiffer: Herrscher- und Dynastiekulte, 77). 10. Vgl. Schaper: Exodos, 308. 11. Schwagmeier: Exodos, 132. 12. Schaper: Exodos, 269.

134

gtvh 08105 / p. 135 / 31.3.2022

Halacha

keine Gottesebenbildlichkeit hat. 13 Dieser Gedanke wird anschließend in Ex 21,23LXX – gegen MT – fortgeführt, wo nun auch die Fehlgeburt eines Kindes, »wenn es aber [ebenbildlich] 14 (ἐξεικονισμένον) ist«, thematisiert wird; dieser Fall wiegt schwerer, weshalb das Talionsrecht zur Anwendung kommt. Diese differenzierte Vorstellung findet sich ebenfalls bei Philo von Alexandria (Spec.Leg. III, 108) und hat Einzug in den Bavli (b.Nid 24b) gehalten. In ähnlicher Weise präzisiert im Rahmen der Gesetze zu Eigentumsvergehen Ex LXX 22,8 , dass im ungeklärten Fall des Verlustes einer Verwahrsache der Hausherr, auf den der Verdacht fällt, nicht nur »vor Gott treten« muss – Ex 22,7MT belässt es dabei –, sondern außerdem einen Schwur zu leisten hat. Dieselbe Empfehlung spricht später die Mekhilta aus. 15 Auch die im Anschluss aufgezählten allgemeinen Fälle, so etwa κατὰ πᾶν ῥητὸν ἀδίκημα »bei jedem angeführten Vergehen«, oder wenn es um πάσης ἀπωλείας τῆς ἐγκαλουμένης, ὅ τι οὖν ἂν ἦ »irgendein beanspruchtes Verlorenes geht, was immer es auch sei« (Ex 22,9LXX), gehen wahrscheinlich auf verschiedene halachische Praktiken zurück, Fundsachen auszurufen und demjenigen zu überlassen, der ihre charakteristischen Eigenschaften benennen konnte. 16 Derartige Beobachtungen sind keineswegs auf das Bundesbuch oder auf ExLXX beschränkt. Das Buch Deuteronomium, ins Griechische übersetzt im 3. Jh. v. Chr. in Ägypten, 17 enthält ebenfalls umfangreiche Gesetzessammlungen, so z. B. in den Kapiteln 12-26. Hier ist eine minimale Differenz im Gesetz über die Schwagerehe zu diskutieren, denn Dtn 25,5MT zufolge hat der Bruder eines Ehemannes, der ohne Söhne (ֹ‫ )וֵּבן ֵאין־לו‬stirbt, die Pflicht zur Heirat der Witwe; nicht angesprochen ist der Fall, dass ggf. eine Tochter vorhanden ist. Nach Dtn 25,5LXX wird die Schwagerehe hingegen angeordnet, wenn er überhaupt keinen Nachkommen hat (σπέρμα δὲ μὴ ἦ αὐτῷ), also auch keine Tochter. Insofern wird die potentielle Ambivalenz des MT eliminiert. Martin Vahrenhorst merkt an, diese Präzisierung entspreche »der tannaitischen Diskussion in Sifre Devarim § 388«. 18 Im Heiligkeitsgesetz (Lev 17-26) wird schließlich in den Verboten geschlechtlicher Beziehungen die Wendung ‫» ְל ַגלּוֹת ֶע ְר ָוה‬um ihre Scham zu entblößen« (Lev 18,6MT) in der LXX mit ἀποκαλύψαι ἀσχημοσύνην »um eine Unschicklichkeit aufzudecken« übersetzt, womit Geschlechtsverkehr gemeint ist. Die nachfolgenden Bestimmungen zur Tabuisierung inzestuöser Beziehungen sind nach unterschiedlichen Verwandtschaftsgraden strukturiert. Allgemein fallen in der LXX z. B. diverse Textzusätze auf (Lev 18,11.14.17.23 u. ö.), die in der Regel der Präzisierung und Verdeutlichung dienen, da diese Inzestvorschriften (sowie diejenigen aus Lev 20) im Judentum weiterhin nor-

13. Vgl. Köckert / Köckert: Ungeborenes Leben, 71-73; Schaper: Exodos, 303. 14. LXX.D übersetzt ἐξεικονισμένον mit »ausgebildet« (s. ad loc.). Da Ex 21,23 aber den Gedanken von V. 22 fortführt und dazu auch denselben Begriff ἐξεικονισμένον erneut verwendet, ist es nicht sinnvoll, diesen in beiden Sätzen unterschiedlich zu übersetzen. Deshalb habe ich als Wiedergabe auch in V. 23 »ebenbildlich« gewählt. 15. Vgl. Vahrenhorst: Alexandria, 495 f.; Schaper: Exodos, 304. 16. Vgl. Schaper: Exodos, 305 f. 17. Vgl. den Hertog / Labahn / Pola: Deuteronomion, 529; Peters: Deuteronomion, 169. 18. Vahrenhorst: Alexandria, 493.

135

gtvh 08105 / p. 136 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

mativ geblieben sind (s. m.Yevamot 1,1; m.Sanhedrin 7,4; Jub 33,7-13; Jos.Ant. 3,274; Spec.Leg. 3,21; Sib 5,387-391). 19

4. Kultische bzw. kultisch relevante Themenbereiche Die Verhältnisse Unterägyptens kommen auch bei kultischen bzw. kultisch relevanten Themen zum Tragen. Einer dieser Bereiche ist das Passafest, dessen Zugehörigkeit zu den kultischen Opferfeiern fortwährend in Frage stand. Dem MT zufolge hat das in Ex 12 erzählte Passaritual noch den Charakter eines privaten Familienfestes, das vom Pater Familias am eigenen Haus zu zelebrieren ist; dennoch wird das Passalamm in V. 5 mit der für kultische Opfer üblichen Terminologie als »fehlerlos (‫)ָתִּמים‬, männlich, ein Jahr alt« beschrieben. In den Opfergesetzen ist Standardäquivalent der LXX für ‫ָתִּמים‬ das Wort ἄμωμος (Lev 1,3.10; ferner 3,1.6 u. ö.). Insofern fällt in Ex 12,5LXX die alternative Wortwahl πρόβατον τέλειον »ein vollkommenes Schaf« auf. Dieses Attribut ist »im Rahmen der LXX nicht in der Opfersprache etabliert, und das Pesachtier ist auf diese Weise aus dem Kontext der üblichen Opfertiere herausgehoben«. 20 Das Passa war evtl. gerade in Ägypten ein vornehmlich dem Privatbereich zugeordnetes traditionelles Fest. Außerdem ist auch auf die nicht einheitliche Übersetzung des zentralen Verbums ‫» פסח‬überspringen, übergehen« hinzuweisen: In Ex 12,13 wird es mit σκεπάζω »schützen«, in 12,23 dagegen mit παρέρχομαι »vorbeigehen« wiedergegeben. Diese Option findet sich ebenfalls in Jub 49,3, jene dagegen in den Targumim und in der Mekhilta. 21 Schließlich ist halachische Exegese bei der griechischen Übersetzung von Ex 12 vermutet worden. Frankel sieht sowohl in Ex 12,15 ἀπὸ δὲ τῆς ἡμέρας τῆς πρώτης »vom ersten Tag an« als auch in 12,18 ἐναρχομένου τῇ τεσσαρεσκαιδεκάτῃ ἡμέρᾳ τοῦ μηνὸς τοῦ πρώτου ἀφ’ ἑσπέρας »beginnend mit dem vierzehnten Tag des ersten Monats vom Abend« Hinweise auf die damalige örtliche Praxis. 22 Weiterhin ist halachische Exegese bei der Übersetzung der Kultgesetzgebung selbst zu vermuten. Angesichts neuerer Erkenntnisse der Einleitungswissenschaften, denen zufolge die Übersetzung der LXX in der jüdischen Diasporagemeinde Unterägyptens erfolgte, ist auf die Existenz eines jüdischen Tempels in der Militärkolonie in Leontopolis 190 km südöstlich von Alexandria hinzuweisen. Dieser bestand zwischen ca. 160 v. Chr. und 73 n. Chr., 23 war also während der frühen Phase des Übersetzungsprojekts der LXX in Betrieb. Folglich können die Übersetzer der in diesem Zeitraum entstandenen Bücher den dortigen Tempel und Opferkult vor Augen gehabt haben, möglicherweise aber auch früher entstandene Übersetzungen auf Grundlage dortiger Praktiken redigiert und aktualisiert haben. In diesem Sinne sei z. B. auf Unterschiede in der Beschreibung von Opferritualen hingewiesen, so etwa beim Gestus der Handaufstemmung. Dieser ist dem Gesetz des 19. 20. 21. 22. 23.

Vgl. Eberhart: Blutschande, § 2.1.; Vahrenhorst: Levitikon, 389 f. Schlund: Knochen, 19. Vgl. Schlund: Knochen, 20; Schaper: Exodos, 290 f. Vgl. Frankel: Einfluss, 89; ähnlich Schaper: Exodos, 290. Zum Tempel in Leontopolis vgl. z. B. Ameling: Leontopolis, 117-121; Collins: Between Athens, 68-73 u. ö.; Steyn: Heliopolis, 158-160; Capponi: Il tempio, 39-89.

136

gtvh 08105 / p. 137 / 31.3.2022

Halacha

(Ganz-) Brandopfers zufolge einhändig auszuführen (Lev 1,4); beim ‫» ֶזַבח ְשָׁלִמים‬Gemeinschafts-Schlachtopfer« / θυσία σωτηρίου »Rettungsopfer« ist nach dem vokalisierten MT ebenfalls ֹ ‫» ָידו‬seine Hand« aufzustemmen, nach LXX dagegen τὰς χεῖρας »die Hände« (Lev 3,2.8.13). Die Übersetzer hätten den noch unvokalisierten Text ‫ ידו‬im Proto-MT demnach als Dual gelesen. 24 Interessant ist nun, dass auch Philo in seiner Darstellung des Opferkults eine zweihändige Handaufstemmung kennt (Spec.Leg. I, 198), Mischna, Tosefta und Talmud später ebenso (mMen 9,8; tMen 10,12; bJom 36a). 25 Im Bereich der Tempeltheologie ist wenig überraschend, dass die Übersetzer der LXX das in hellenistischer Religiosität vorgefundene Vokabular zum Teil übernehmen (z. B. θυσία »Opfer«, δῶρον »Gabe«, ἐσχάρα »Feuergestell«). Allerdings entwickeln sie aus dem Bestreben der Abgrenzung auch Neologismen (z. B. θυσιαστήριον »Opferstätte«, ὁλοκαύτωμα »Ganzbrandopfer«). 26 Zudem ist eine gewisse Aversion gegen anthropomorphe Attribute Gottes (Wiedergabe von ‫» ֵרי ַח ִניחֹו ַח‬Wohl-/ Beruhigungsgeruch« mit ὀσμὴν εὐωδίας »Duft von Wohlgeruch«; von ‫» ֶלֶחם‬Brot, Speise« als Oberbegriff für Opfer mit δῶρον »Geschenk, Gabe«, usw.) sowie gegen dessen Sichtbarkeit (Ex 24,10 f.) zu beobachten, die auch in den Targumim sowie in frühchristlichen Texten (Joh 1,18) Spuren hinterlassen hat. 27 Da der Opferkult in den Gesetzen der Tora geregelt war, stellt sich die Frage, wie das konkurrierende Heiligtum in der jüdischen Diasporagemeinde Unterägyptens und der dortige Kult in halachischer Sicht bewertet wurden. Gemäß bMen 109a und tMen. 13,12-14 gab es weder eine ablehnende noch eine zustimmende Haltung; Juden in Ägypten durften in Leontopolis opfern, sollten aber gleichzeitig die Abgaben an Jerusalem leisten. 28 Signifikant ist angesichts der Existenz eines Lokalheiligtums in Unterägypten auch folgender Textüberschuss in Lev 17,4aLXX: »… und (sc. das Opfertier) nicht zur Tür des Zeltes des Zeugnisses bringt, um es zu einem für den Herrn annehmbaren Ganzbrandopfer oder Rettungsopfer zu machen, zu einem Duft von Wohlgeruch, und wer immer außerhalb schlachtet und es nicht zur Tür des Zeltes des Zeugnisses bringt, um (es) dem Herrn vor dem Zelt des Herrn als Gabe darzubringen, …«. Er ist gegenüber MT als lectio difficilior zu bevorzugen und wird durch den Samaritanischen Pentateuch und 4QLevd bestätigt; die Auslassung im MT erklärt sich John William Wevers zufolge als »parablepsis due to homoiarchon«. 29 Das Insistieren, kultische Opfer zum Heiligtum zu bringen, führt letztlich zu einer Verschärfung der Vorschrift gegenüber MT. Diese kann von Bedeutung gewesen sein, weil aufgrund der Vorrangstellung und Autorität 24. Vgl. Calabro: Reexamination, 107 f. Vgl. auch Vahrenhorst: Levitikon, 351. 25. Vgl. Calabro: Reexamination, 109 f. Damit wird insgesamt fraglich, ob die Handaufstemmung bei Opferritualen je einhändig ausgeführt worden ist. Da dem Übersetzer der LXX bekanntlich nur der Konsonantentext vorlag, hätte er ggf. in Lev 1,4.10 mit τὴν χεῖρα eine zwar philologisch mögliche, in der Praxis aber nicht belegte, in 3,2 usw. dagegen mit τὰς χεῖρας eine der kultischen Praxis entsprechende (und damit korrekte) Übersetzung präsentiert (vgl. ebd., 111-116). 26. Vgl. Usener: Griechisches, 91; Siegert: Bibel, 229; Vahrenhorst: Kult, 330 f. 27. Vgl. Joosten: To See God, 295-299; Eberhart: Beobachtungen, 298-306. 28. Vgl. Egger-Wenzel: Schlachtopfer, 261 f. 29. Wevers: Text of Leviticus, 261. Vgl. ferner Vahrenhorst, Levitikon, 386; Eberhart, Beobachtungen, 309 f. Auch in Dtn 12,4-7 wird betont, kultische Opfer am legitimen Heiligtum darzubringen und nur dort den Gottesnamen anzurufen.

137

gtvh 08105 / p. 138 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

des Jerusalemer Tempels derjenige in Leontopolis samt seinem Opferkult eventuell umstritten war, auch wenn er nicht als schismatisch einzuschätzen ist. 30 Von kultischer Relevanz sind zudem die für das frühe und rabbinische Judentum so wichtigen Reinheitsgebote, denn der Zustand persönlicher Reinheit war Voraussetzung für den Zugang zum Heiligtum. Bekanntlich erlaubt das Deuteronomium unter bestimmten Voraussetzungen Fleischverzehr ohne ein damit verbundenes Opferritual (Dtn 12,20-22). In der LXX findet sich hier die Ergänzung ὁ ἀκάθαρτος ἐν σοὶ καὶ ὁ καθαρὸς ὡσαύτως ἔδεται »der Unreine unter dir und der Reine dürfen es in gleicher Weise essen« (Dtn 12,22), die auf halachische Auslegung schließen lässt, um den Sinn der Vorschrift klar zu vermitteln. Ähnliche Erweiterungen sind auch im Samaritanischen Pentateuch und in der Tempelrolle (11QT 53,7 f.) belegt. 31 In den Gesetzen zur Heiligung des täglichen Lebens können im übrigen auch theologische Begründungen bzw. deren Erklärungen geändert werden. Dabei zeigt sich einmal mehr eine besondere Vorliebe für Reinheitskonzepte, wenn in Dtn 30,6MT die Formulierung ‫» וָּמל ְיה ָוה ֱאל ֶֹהיָך ֶאת־ְלָבְבָך ְואת־ְלַבב ַז ְרֶעָך‬Und Jhwh, dein Gott, wird dein Herz beschneiden und das Herz deiner Nachkommen« folgendermaßen in Dtn 30,6LXX wiedergegeben wird: καὶ περικαθαριεῖ κύριος τὴν καρδίαν σου καὶ τὴν καρδίαν τοῦ σπέρματός σου »Und der Herr + wird dein Herz und das Herz deiner Nachkommen rein machen«. Zu vermuten ist, dass eine vergleichbare Änderung in Lev 19,23, wo die LXX erneut das Motiv der Beschneidung durch Reinheitsterminologie ersetzt, von Dtn 30,6LXX beeinflusst ist, und dass es sich ferner um einen erklärenden Eingriff handelt. 32 Die Verwandtschaft von Beschneidung und Reinheit ist wohl schon aus der Tradition vorgegeben und findet sich bereits in Jes 52,1, wo beide Begriffe parallel stehen und sich wechselseitig deuten. Allerdings kommt es in der LXX zu einer interessanten konzeptionellen Verschiebung speziell beim Verständnis der Kategorie der Unreinheit. Im MT ist ‫ ָטהֹר‬der Begriff für »rein«; alles was nicht ‫ ָטהֹר‬ist, wird als ‫ ָטֵמא‬bezeichnet. Zu fragen ist, wie letzterer Terminus angemessen zu übersetzen und verstehen ist. Die konventionelle Wiedergabe von ‫ ָטֵמא‬ist »unrein«, jedoch orientiert sie sich eher an dem Begriffspaar καθαρός und ἀκάθαρτος in der LXX, wobei jenes »rein« bedeutet, dieses aber als Alpha-privativum-Bildung das exakte Gegenteil vermittelt, nämlich »unrein«. Das Problem ist nun, dass die Begriffe ‫ ָטהֹר‬und ‫ ָטֵמא‬gerade nicht in solch einem gegenteiligen Verhältnis zueinander stehen. Wenn ‫» ָטהֹר‬rein« bedeutet, ist ‫ ָטֵמא‬nicht unbedingt »unrein«, da es von einer anderen Wurzel gebildet wird. Dorothea Erbele-Küster versteht beide Begriffe speziell in Lev 11-15 als »relationale Begriffe mit Blick auf den Kult« 33 und gibt deshalb im Anschluss an Mary Douglas ‫ ָטֵמא‬z. B. mit »kultabstinent« wieder; damit wird ein positiveres Assoziationsspektrum evoziert als bei »unrein«. 34 In den Vorschriften für die Wöchnerin, die Lev 12,4MT zufolge ‫» ִבּ ְדֵמי ָטֳה ָרה‬mit / im Reinigungsblut« zu Hause bleiben muss, fällt in der LXX außerdem die Wiedergabe ἐν αἵματι ἀκαθάρτῳ αὐτῆς »in ihrem unreinen Blut« auf (s. a. V. 5). Damit ist die Aus30. 31. 32. 33. 34.

Vgl. Collins: Between Athens, 71 f. Vgl. Schiffman: Temple Scroll, 280 f. Vgl. Vahrenhorst: Levitikon, 394; den Hertog / Labahn / Pola: Deuteronomion, 590. Erbele-Küster: Körper, 154; vgl. auch dies.: Ritual Dynamics, 68. Vgl. Erbele-Küster: Körper, 157, mit Bezug auf Douglas: Leviticus, 151.

138

gtvh 08105 / p. 139 / 31.3.2022

Halacha

sage des MT ins Gegenteil verkehrt, wodurch weibliches Blut nicht mehr als rein, sondern als unrein gilt. Klar ist, dass eine solche Dis-Qualifizierung weitreichende Konsequenzen für den Status von Frauen hat und eindeutig auf das zeitgenössische gesellschaftliche Patriarchat zurückzuführen ist. Die Qumrangemeinde nimmt bei der Auslegung von Lev 12,4 die Position der LXX auf, während die rabbinische Exegese am Sinn des im MT vorzufindenden »Reinigungsblutes« der Wöchnerin festhält. Letzteres wird allerdings von gewöhnlichen Regelblutungen unterschieden. 35 Lev 15,19MT zufolge ist eine Frau in dieser Zeit sieben Tage lang ‫» ְבּ ִנ ָדָּתהּ‬in ihrer Unreinheit«; LXX wählt hier das Äquivalent ἐν τῇ ἀφέδρῳ αὐτῆς »in ihrer Menstruation«. Im Rahmen der halachischen Rezeption wurden die Vorschriften allmählich verschärft. Nach dem Bavli darf eine Frau während der Menstruation – mit Ausnahme einiger weniger Tätigkeiten – noch ihren Aufgaben im Haushalt nachkommen (bKetubbot 61a); nach Josephus müssen Frauen dann vorübergehend abseits vom ehelichen Haus wohnen (Ant. III, 261). 36 »In talmudischer Zeit erfolgt auch eine gravierende Veränderung in der halachischen Fassung des Umgangs mit der Menstruation durch die Hinzufügung von sieben ›reinen‹ oder ›weißen‹ Tagen; in der Mitte der amoräischen Epoche galt es bereits als axiomatisch, dass sieben ›weiße‹ Tage nach der Menstruation zu zählen seien (bNidda 66a), d. h. nach dem letzten Tag, an dem die Frau an sich Menstruationsblut feststellt, müssen sieben Tage ohne Blutung folgen«. 37

5. Halachische Differenzen von besonderer theologischer Relevanz Eingriffe der Übersetzer in kommunikative und liturgische Vorschriften lassen wichtige Entwicklungen in der frühjüdischen Theologie greifbar werden. So ist Lev 24,16MT zufolge die Lästerung (‫ )נקב‬des Gottesnamens mit der Todesstrafe durch Steinigung zu ahnden; nach Lev 24,16LXX steht aber schon die bloße Nennung (ὀνομάζων … τὸ ὄνομα) desselben unter Strafe. Hier manifest sich also bereits der für das spätere Judentum charakteristische Brauch der Vermeidung des Gottesnamens. Dem entspricht die Verwendung einer Reihe von Ersatzlesungen für das Tetragramm ‫יהוה‬, allen voran das von ‫»( אָדֹון‬Herr«) her gebildete, mit dem Suffix 1. Sg. com. versehene Qere Perpetuum ‫» ֲאדֹו ָני‬mein Herr«, das in der LXX meist durch κύριος »Herr« (ohne Possessivpronomen und Artikel) wiedergegeben wird. Die Praxis der Vermeidung des Gottesnamens findet sich auch in den Handschriften von Qumran, wo als Ersatz allerdings primär ‫» אל‬Gott« verwendet wird. In der LXX lässt sich – und zwar teilweise gegen die Vorlage im MT (Num 23,8) – eine Tendenz beobachten, allgemein κύριος in Assoziation mit dem barmherzigen, Israel freundlich zugeneigten Gott zu verwenden (Ri 1,2; 1 Sam 1,11), θεός dagegen für den allgewaltigen bzw. strafenden Gott (Dtn 2,15). 38 Dem entspricht auch die Neigung, Gott als nicht-gewalttätig darzustellen; so ist in Ex 15,3LXX der Herr – gegen MT – einer, »der die Kriege zerschlägt« (κύριος συντρίβων πολέμους; s. a. Jes 42,13; Jdt 9,7; Od 1,3; 16,2). Solche Eingriffe werden auf die spezifische 35. 36. 37. 38.

Vgl. De Troyer: Origins, 277 f.; Vahrenhorst: Levitikon, 375. Vgl. Milgrom; Leviticus, 949; Hieke: Leviticus, 551. Hieke: Leviticus, 551. Vgl. Kreuzer: Entstehung, 21; Rösel: Übersetzung, 413 f.

139

gtvh 08105 / p. 140 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

Theologie des hellenistischen Judentums in und um Alexandria zurückgeführt, die ein transzendenteres Gottesbild als der MT propagiert. 39

6. Schlussfolgerungen Halachische Differenzen sind im tannaitischen Judentum wohlbekannt (speziell Differenzen zwischen den Schulen von Hillel und Schammai). Diejenigen zwischen MT und LXX sind in veränderten Lebensumständen sowie theologischen Unterschieden speziell der jüdischen Diasporagemeinde Unterägyptens begründet. Zwar lag den griechischen Übersetzern an einer möglichst genauen Wiedergabe des Proto-MT; ihnen war es aber auch wichtig, in Anbetracht jüdischer Sitten und Gebräuche in Alexandria durch Anpassung und Aktualisierung einen Text zu schaffen, der weitmöglichst der zeitgenössischen Praxis entsprach und / oder als gesetzliche Grundlage tauglich war. Halachische Differenzen zwischen MT und LXX lassen sich grob in ethisch-kasuistische und kultisch relevante Themenbereiche einteilen. Zu beobachten sind dabei: a) Tendenzen zur notwendigen Erklärung oder fortgesetzten Präzisierung von Vorschriften (Ex 21,22-25; 22,8[7]; 22,19[18]; Lev 1,10; 17,4a; 18,5.11.14.17.23; Dtn 12,22; 25,5); b) Tendenz zur Verschärfung von Vorschriften (Ex 12,15.18; Lev 17,4a; 24,16). c) selten auch Tendenzen zur Verallgemeinerung von Aussagen (Ex 22,8[7]). Zu fragen wäre schließlich noch nach möglichen Erklärungen der Ähnlichkeiten zwischen den textlichen Differenzen in der LXX und rabbinischen halachischen Traditionen. Erwogen wurden Einflüsse in beide Richtungen, zudem auch, dass die Änderungen der LXX auf älteren jüdischen Traditionen in Palästina beruhen, die ebenfalls den rabbinischen zugrunde liegen. 40

39. Vgl. Schaper: Exodos, 292 f. 40. Vgl. Vahrenhorst: Alexandria, 498 f.

140

gtvh 08105 / p. 141 / 31.3.2022

2.1.11 Gottesschau Christian A. Eberhart Bibliographie Texte und Editionen Le Boulluec, Alain / Sandevoir, Pierre: La Bible d’Alexandrie. L’Exode, BdA 2, Paris 1989 – Flavius Josephus, De bello Judaico. Der Jüdische Krieg. Griechisch und Deutsch, Bd. 1, ed. Otto Michel / Otto Bauernfeind, Darmstadt 31982 – Eusebius Caes., Kirchengeschichte, ed. Heinrich Kraft, Darmstadt 1984 – Eusebius Caes.: Preaparatio evangelica, ed. Karl Mras / Édouard des places, GCS 43/1-2, Berlin 21982-1983.

Weitere Literatur Assmann, Jan: Ägypten III. Religion und Kultur, RGG4 1 (1998), 201-211 – Ausloos, Hans / Lemmelijn, Bénédicte: Theology or not? That’s the Question. Is there such a Thing as »the Theology of the Septuagint«? in: ders / dies. (ed.), Die Theologie der Septuaginta/The Theology of the Septuagint, LXX.H 5, Gütersloh 2020, 19-45 – Beavis, Mary Ann / Kim-Cragg, HyeRan: Hebrews, Wisdom Commentary 54, Collegeville 2015 – Bons, Eberhard: Der Septuaginta-Psalter. Übersetzung, Interpretation, Korrektur, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 450-470 – Bons, Eberhard: Die Septuaginta in der neueren Exegese. Forschungsgeschichtlicher Hintergrund, theologische Akzente, gesamtbiblische Perspektiven, VF 60 (2015), 29-42 – Borgen, Peder: Philo of Alexandria. A Critical and Synthetical Survey of Research since World War II, ANRW II.21.2 (1984), 98-154 – Brucker, Ralph: Psalmen und Lieder, in: Hans Ausloos / Bénédicte Lemmelijn (ed.), Die Theologie der Septuaginta / The Theology of the Septuagint, LXX.H 5, Gütersloh 2020, 108-115 – Brucker, Ralph: »Wer ist der König der Herrlichkeit?« Psalm 23[24] – Text, Wirkung, Rezeption, in: Wolfgang Kraus / Siegfried Kreuzer (ed.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 405-429 – Dahood, Mitchell: Psalms I: 1-50. Introduction, Translation, and Notes, AB 16, Garden City 1966 – Erman, Adolf: Die Religion der Ägypter. Ihr Werden und Vergehen in vier Jahrtausenden, Berlin/New York 22001 – Feldman, Louis H.: Flavius Josephus Revisited. The Man, his Writings, and his Significance, ANRW II.21.2 (1984), 763-862 – Frankfurter, David: Egyptian Religion and the Problem of the Category »Sacrifice«, in: Jennifer Wright Knust / Zsuzsanna Várhelyi (ed.), Ancient Mediterranean Sacrifice, Oxford 2011, 75-93 – Gilders, William K.: Jewish Sacrifice. Its Nature and Function (According to Philo), in: Jennifer Wright Knust / Zsuzsanna Várhelyi (ed.), Ancient Mediterranean Sacrifice, Oxford 2011, 94-105 – Gnilka, Joachim: Das Matthäusevangelium. Bd. 1: Kommentar zu Kapitel 1,1-13,58, HThKNT 1/1, Freiburg i. Br. 1986 – Gutmann, Joshua: Aristobulus of Paneas. EJ2 2 (2007), 459 f. – Gzella, Holger: Lebenszeit und Ewigkeit. Studien zur Eschatologie und Anthropologie des Septuaginta-Psalters, BBB 134, Berlin / Wien 2002 – Hanson, Anthony T.: The Treatment in the LXX of the Theme of Seeing God, in: George J. Brooke / Barnabas Lindars (ed.), Septuagint, Scrolls, and Cognate Writings, SCS 33, Atlanta 1992, 557-568 – Hayward, Charles Thomas Robert: Understanding of the Temple Service in the Septuagint Pentateuch, in: John Day (ed.), Temple and Worship in Biblical Israel, LHB/OT 422, London/New York 2005, 385-400 – Hendel, Ronald S.: Aniconism and Anthropomorphism in Ancient Israel, in: Karel Van der Toorn (ed.), The Image and the Book. Iconic Cults, Aniconism, and the Rise of Book Religion in Israel and the Ancient Near East,

141

gtvh 08105 / p. 142 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

Leuven 1997, 205-228 – Den Hertog, Cornelis / Labahn, Michael / Pola, Thomas: Deuteronomion / Deuteronomium / Das fünfte Buch Mose, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erklärungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Bd. 1: Genesis bis Makkabäer, Stuttgart 2011, 523-601 – Holladay, Carl R.: Aristobulus (OT Pseudepigrapha), ABD 1 (1992), 383 f. – Hossfeld, Frank-Lothar / Zenger, Erich, Die Psalmen I. Psalm 1-50, NEB.AT 29, Würzburg 1993 – Joosten, Jan: Seeing God in the Hebrew Bible and the Septuagint, in: Evangelia G. Dafni (ed.), Gottesschau – Gotteserkenntnis. Studien zur Theologie der Septuaginta, Bd. I, WUNT 387, Tübingen 2017, 19-27 – Joosten, Jan: To See God. Conflicting Exegetical Tendencies in the Septuagint, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 287-299 – Karrer, Martin: Der Brief an die Hebräer. Kapitel 1,1-5,10, ÖTK 20/1, Gütersloh 2002 – Keller, Martin: Untersuchungen zur deuteronomisch-deuteronomistischen Namenstheologie, BBB 105, Weinheim 1996 – Kepper, Martina: Genesis / Das erste Buch Mose, in: Siegfried Kreuzer (ed.), Einleitung in die Septuaginta, LXX.H Bd. 1, Gütersloh 2016, 107-119 – Kleinknecht, Hermann: λέγω κτλ., B. Der Logos in Griechentum und Hellenismus, ThWNT 4 (1942), 76-89 – Koester, Craig R.: Hebrews. A New Translation with Introduction and Commentary, AB 36, New York u. a. 2001 – Koester, Helmut: Introduction to the New Testament. Bd. 1: History, Culture and Religion of the Hellenistic Age, Berlin / New York 1987 – Kreuzer, Siegfried: Entstehung und Entwicklung der Septuaginta im Kontext alexandrinischer und frühjüdischer Kultur und Bildung, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erklärungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Bd. 1: Genesis bis Makkabäer, Stuttgart 2011, 3-39 – Kreuzer, Siegfried: Entstehung und Überlieferung der Septuaginta, in: ders. (ed.), Einleitung in die Septuaginta, LXX.H 1, Gütersloh 2016, 29-88 – KurekChomycz, Dominika A.: Spreading the Sweet Scent of the Gospel as the Cult of the Wise: On the Backdrop of the Olfactory Metaphor in 2 Corinthians 2:14-16, in: Christian A. Eberhart (ed.), Ritual and Metaphor. Sacrifice in the Bible, SBL.RBS 68, Atlanta 2011, 115-133 – Law, Timothy Michael: When God Spoke Greek. The Septuagint and the Making of the Christian Bible, Oxford u. a. 2013 – Legrand, Thierry: Le Dieu unique et sans limites dans les traditions targumiques, in: ders./Eberhard Bons (ed.), Le monothéisme biblique. Évolution, contextes et perspectives, Lectio divina, Paris 2011, 315-337 – Mach, Michael: Philo von Alexandrien, TRE 26 (1996), 523-531 –Matusova, Ekaterina: »Seeing« God in Alexandrian Exegesis of the Bible. From Aristobulus to Philo, in: Evangelia G. Dafni (ed.), Gottesschau – Gotteserkenntnis. Studien zur Theologie der Septuaginta, Bd. I, WUNT 387, Tübingen 2017, 63-86 – Mayer, Günter: Josephus Flavius, TRE 17 (1988), 258-264 – Merklein, Helmut: Christus als Bild Gottes im Neuen Testament, JBTh 13 (1998), 53-75 – Mettinger, Tryggve N. D.: JHWH-Statue oder Anikonismus im ersten Tempel? Gespräch mit meinen Gegnern, ZAW 117 (2005), 485-508 – Michaelis, Wilhelm: ὁράω κτλ., ThWNT 5 (1954), 315-381 – Müller, Mogens: Motive der Septuaginta bei Aristobul und ihre Intention, in: Siegfried Kreuzer / Martin Meiser / Marcus Sigismund (ed.), Die Septuaginta – Orte und Intentionen, WUNT 361, Tübingen 2016, 717-730 – – Prestel, Peter: Die Diversität des Griechischen in der Septuaginta, in: Eberhard Bons / Jan Joosten (ed.), Die Sprache der Septuaginta. The Language of the Septuagint, LXX.H 3, Gütersloh 2016, 39-68 – Prestel, Peter / Schorch, Stefan: Genesis. Das erste Buch Mose, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erklärungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Bd. 1: Genesis bis Makkabäer, Stuttgart 2011, 145-257 – Propp, William H. C.: Exodus 19-40. A New Translation with Introduction and Commentary (AB 2A), New York u. a. 2006 – Rendtorff, Rolf: Theologie des Alten Testaments. Ein kanonischer Entwurf, Bd. 1: Kanonische Grundlegung, Neukirchen-Vluyn 1999 – Rodgers, Zuleika: Josephus, Titus Flavius. I. Judaism, EBR 14 (2017), 733-741 – Rösel, Martin: Wie Gott sich erkennen lässt. Gottesschau und Gotteserkenntnis in der Septuaginta, in: Evangelia G. Dafni (ed.), Gottesschau – Gotteserkenntnis. Studien zur Theologie der Septuaginta, Bd. I, WUNT 387, Tübingen 2017, 163-176 – Schalit, Abraham: Josephus Flavius, EJ 11 (22007), 435-441 – Schaper, Joachim:

142

gtvh 08105 / p. 143 / 31.3.2022

Gottesschau

Exodos / Exodus / Das zweite Buch Mose, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Bd. 1, Genesis bis Makkabäer, Stuttgart 2011, 258-324 – Schlier, Heinrich: Der Römerbrief, HThKNT 6, Freiburg u. a. 1977 – Schnackenburg, Rudolf: Das Johannesevangelium, HThKNT 4/1, Freiburg im Breisgau 1972 – Scholz, Susanne: The Complexities of ›His‹ Liberation Talk, in: Brenner, Athalya (ed.), A Feminist Companion to the Bible. Second Series: Exodus to Deuteronomy, Sheffield 2000, 20-40 – Schwagmeier, Peter: Exodos / Exodos / Das zweite Buch Mose, in: Siegfried Kreuzer (ed.), Einleitung in die Septuaginta, LXX.H 1, Gütersloh 2016, 120-136 – Simon-Shoshan, Moshe: The Tasks of the Translators. The Rabbis, the Septuagint, and the Cultural Politics of Translation, Prooftexts 27 (2007), 1-39 – Spieckermann, Hermann: Heart, Spirit, and Steadfast Love. Substantial Contributions of Torah and Psalter to Old Testament Theology, SJOT 28 (2014), 253-265 – Stählin, Gustav: μῦθος κτλ., ThWNT 4 (1942), 769-803 – Steyn, Gert J.: »Show me yourself«. The Reception of Exodus 33:13 (LXX) by Philo of Alexandria, in: Evangelia G. Dafni (ed.), Gottesschau – Gotteserkenntnis. Studien zur Theologie der Septuaginta, Bd. I, WUNT 387, Tübingen 2017, 87-102 – Theobald, Michael: Die Fleischwerdung des Logos. Studien zum Verhältnis des Johannesprologs zum Corpus des Evangeliums und zu 1 Joh, NTA.NF 20, Münster 1988 – Vahrenhorst, Martin: Levitikon / Leviticus / Das dritte Buch Mose, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erklärungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Bd. 1: Genesis bis Makkabäer, Stuttgart 2011, 325-430 – Veltri, Giuseppe: Philo von Alexandrien, RGG4 6 (2003), 1286-1288 – Walter, Nikolaus; Der Thoraausleger Aristobulos. Untersuchungen zu seinen Fragmenten und zu pseudepigraphischen Resten der jüdisch-hellenistischen Literatur, TU 86, Berlin 1964 – Wevers, John W.: Notes on the Greek Text of Exodus, SCS 30, Atlanta 1990 – Wilson, Brittany: Imaging the Divine. Idolatry and God’s Body in the Book of Acts, NTS 65 (2019), 353-370 – Wyrwa, Dietmar: Über die Begegnung des biblischen Glaubens mit dem griechischen Geist, ZThK 88 (1991), 29-67 – Zimmermann, Ruben: Christologie der Bilder im Johannesevangelium, WUNT 171, Tübingen 2004 – Zwi Werblowsky, Raphael Jehuda: Anthropomorphism, EJ2 2 (2007), 188-190.

Das Thema Gottesschau (visio dei) ist auf fast allen Rezeptionsstufen des AT theologisch zentral und brisant. Es erlaubt zunächst, spezifische theologische Gesichtspunkte der Übersetzungspraxis der LXX zu eruieren und auf diesem Wege Charakteristika der alexandrinischen Diasporasituation zu erfassen, die dann die Rezeption der LXX in sonstigen literarischen Werken des Frühjudentums, im Neuen Testament sowie in patristischen Texten geprägt haben. Auf allen Stufen dieses Überlieferungsprozesses ist dabei zum einen die intensive geistige Auseinandersetzung mit (spät-)antiken Entwürfen platonischer und aristotelischer Philosophie greifbar, zum anderen können Einflüsse lokaler Kulte Ägyptens vermutet werden. Aufgrund dieser Ambivalenz sind unterschiedliche Reaktionen auf die Anthropomorphismen des MT in Bezug auf Gott zu konstatieren, und zwar speziell beim Thema des Sehens.

1. Die visio dei zwischen MT und LXX Was ist besonders am Thema Gottesschau (visio dei) im AT? Dort wird bekanntlich mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass es fatale Konsequenzen für Menschen hat, Israels Gott zu sehen (Ex 19,21; 33,20; Ri 13,22; Jes 6,2). 1 Am Großen Versöhnungstag 1.

Vgl. Joosten: To See God, 288 f.; Rösel: Gott, 166; s. dazu auch unten. Angesichts des begrenzten Umfangs dieses Beitrages kann das kontrovers diskutierte Thema der Existenz materieller

143

gtvh 08105 / p. 144 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

muss der Hohepriester deswegen den Ort der Präsenz Gottes über der sog. Bundeslade durch eine »Wolke vom Räucherwerk« verbergen (Lev 16,12 f.). Im MT sind die Gründe für das Verbot der Gottesschau auf verschiedenen Ebenen zu lokalisieren. So wird auf die Bestimmung Gottes als Schöpfer und der daraus resultierenden grundsätzlichen Unterschiedenheit von der Welt, aber auch auf allgemeine menschliche Ehrfurcht gegenüber dem Heiligen hingewiesen. 2 Beide Fälle gehen von einer ontologischen Kluft zwischen menschlicher und göttlicher Sphäre aus, obwohl letztere gewissermaßen »begehbar« und visuell zugänglich sein kann (Ex 24,9-11; 33,12-23). Transzendent ist Israels Gott solchen Traditionen zufolge nicht; vielmehr residiert er wenigstens zeitweise auf einem Berg oder im Heiligtum. 3 Hinsichtlich der Umgangsweisen der griechischen Übersetzer mit dem Thema Gottesschau (und ebenso mit anthropomorphen Attributen Gottes) sind gegenläufige Tendenzen zu konstatieren. So wurden einige Passagen, die von einer Gottesschau berichten, von den griechischen Übersetzern geglättet. Dem stehen andere Passagen gegenüber, in denen MT keine Gottesschau kennt, während LXX ein solches Ereignis einträgt; wieder andere Textstellen zur visio dei wurden ohne Modifikation übernommen. Dieser komplexe Befund ist das Resultat eines lange andauernden und vielschichtigen religionsphilosophischen Vermittlungsprozesses aus der Begegnung des ägyptischen Diaspora-Judentums einerseits mit dem Hellenismus und seinen geistesgeschichtlichen Grundlagen, andererseits aber auch mit lokalen religiösen Kulten Ägyptens, die sich nicht zuletzt aufgrund ihrer visuellen Ästhetik einer großen Popularität in der breiten Bevölkerung erfreuten. 4

1.1 LXX eliminiert Erwähnung einer visio dei im MT Im MT werden Menschen verschiedentlich vor der direkten Begegnung und dem unmittelbaren Sehen Gottes gewarnt; auffallend sind angesichts dessen aber einige Ausnahmen. So steigen nach dem Vollzug des Sinaibundes Mose, Aaron und siebzig Älteste Israels auf den Gottesberg, wo sie vor Gott essen und trinken (Ex 24,9-11). Dieses Ereignis kulminiert abschließend – wenigstens nach MT – in einer visio dei,

2. 3.

4.

Kultbilder im Jhwh-Kult, ob anthropomorph oder theriomorph, sowie des generellen Bilderverbotes (Ex 20,3-5; Dtn 5,7-9 usw.) hier nicht behandelt werden. Zur Begriffsklärung sei lediglich darauf hingewiesen, dass der Problemkreis eines ikonischen oder anikonischen Kultes unterschieden ist von demjenigen der geistigen Vorgestellung eines visuellen Zugangs zu Gott und einem damit evtl. verbundenen Anthropomorphismus (vgl. dazu z. B. Mettinger: Statue, 487). Vgl. Hendel: Aniconism, 205-228; vgl. zum Thema auch allgemein Keller: Untersuchungen, 22-58. An die umfassende Frage nach der Transzendenz Gottes schließt sich diejenige nach der Wesenhaftigkeit an. Das Problem des Themas »Gottesschau« ist letztlich, ob Gott körperlich vorgestellt ist oder nicht. Neben dem hier behandelten Thema der Gottesschau gehört dazu u. a. der Bereich der Emotionen und der Beschreibung von Bewegungen Gottes, dann auch die göttliche Einstellung zu Gewalt (Gott tötet nicht mehr selbst, sondern delegiert gemäß Ex 4,24LXX an einen Engel) und Krieg (so dass aus dem ‫» ְיה ָוה ִאישׁ ִמְלָחָמה‬Jhwh ist ein Kriegsmann« nach Ex 15,3MT nun κύριος συντρίβων πολέμους »Der Herr [ist jemand], der die Kriege zerschlägt« in Ex 15,3LXX wird; s. a. Jdt. 9,7; 16,2; vgl. dazu z. B. Schaper: Exodos, 292-294; Ausloos / Lemmelijn: Theology, 26).

144

gtvh 08105 / p. 145 / 31.3.2022

Gottesschau

die gleich zweimal Erwähnung findet. Zunächst heißt es: ‫» ַו ִיּ ְראוּ ֵאת ֱאל ֵֹהי ִיְשׂ ָרֵאל‬und sie (sc. Mose und die Ältesten Israels) sahen den Gott Israels« (V. 10a); dann in ähnlicher Weise: ‫» ַו ֶיֱּחזוּ ֶאת־ָהֱאל ִֹהים‬und sie (sc. Mose und die Ältesten Israels) schauten Gott« (V. 11b). Demgegenüber ändert LXX beide Passagen so entscheidend, dass die Gottesschau unterbleibt. 5 Das erreicht sie in V. 10a durch Einfügung mehrerer Worte: καὶ εἶδον τὸν τόπον, οὗ εἱστήκει ἐκεῖ ὁ θεὸς τοῦ Ισραηλ »und sie sahen den Ort, wo der Gott Israels sich hingestellt hatte«. 6 In V. 11bα wählt LXX dann neben einer Erweiterung noch eine passivische Formulierung: καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ »und sie erschienen an dem Ort Gottes«. Als Motiv für diese Änderung sind dogmatische Gründe veranschlagt worden. 7 Damit ist weiterhin zu fragen, wie LXX mit der Bemerkung umgeht, dass nach Ex 24,11aMT die absehbare fatale Konsequenz ausbleibt, denn Gott »streckte seine Hand nicht gegen die Edlen Israels aus (‫ְוֶאל־ֲאִציֵלי ְבּ ֵני ִיְשׂ ָרֵאל‬ ‫«)ל ֹא ָשַׁלח ָידֹו‬. Da jedoch nach LXX die Gottesschau nicht stattgefunden hat, ist diese Bemerkung, weil irrelevant, wie folgt modifiziert worden: καὶ τῶν ἐπιλέκτων τοῦ Ισραηλ οὐ διεφώνησεν οὐδὲ εἷς »und von den Ausgewählten + Israels fehlte auch nicht einer« (Ex 24,11aLXX). Diese Tendenz der LXX, die Gottesschau aus der Erzählung vom Sinaibund zu eliminieren, lebt in der Rezeptionsgeschichte fort. So wählen z. B. die Targumim zu Ex 24,10a ihrerseits Einfügungen, nämlich das Wort ‫ איקר‬/ ‫» יקר‬Herrlichkeit«, teils auch in Verbindung mit ‫» שכינתה‬Präsenz«: ‫» וחזו ית יקר אלהא דישראל‬Und sie schauten die Herrlichkeit des Gottes Israels« (Tg. Onkelos); ‫» וחמון ית איקר שכינתה דיײ‬Und sie sahen die Herrlichkeit der Präsenz von JJ« (Tg. Neophyti). Beide Begriffe ermöglichten wohl den aramäischen Übersetzern, von Gott in indirekter Weise zu reden, wobei gleichzeitig die göttliche Transzendenz gewahrt blieb. 8 Interessant ist, sich im Zuge solcher rezeptionsgeschichtlichen Beobachtungen die alternative Überlieferung der Gesetzesoffenbarung nach Dtn 4-5 zu vergegenwärtigen. 5.

6.

7. 8.

Bei der Suche nach Gründen für diese textliche Modifikation wird u. a. erwogen, dass die griechischen Übersetzer bereits eine veränderte hebräische Vorlage hatten (vgl. Hanson: Treatment, 559; ferner grundsätzlich Law: When God Spoke Greek, 20-32 u. ö.). Wahrscheinlicher ist aber, dass es sich um einen bewussten interpretierenden Eingriff der Übersetzer handelt (vgl. Wevers: Notes, 384-386; Rösel: Gott, 167). Differenzen zwischen MT und LXX sind in der deutschen Übersetzung, die aus LXX.D übernommen ist, jeweils durch Kursivschreibung kenntlich gemacht. Das Zeichen + deutet an, dass MT mehr Text bietet, in LXX also eine Wortauslassung vorliegt. Vgl. dazu Schaper: Exodos, 308; Le Boulluec / Sandevoir: L’Exode, 246 f. Gelegentlich wird hier sogar von »zensieren« gesprochen; vgl. Propp: Exodus 19-40, 140: »LXX bowdlerizes«. Vgl. Legrand: Le Dieu unique, passim. Anzumerken ist außerdem, dass die Passage der Gottesschau beim Sinaibund nach MT eine rege und kontroverse Diskussion unter den Rabbinern ausgelöst hat. Nach Raschi haben die Israeliten durchaus die Todesstrafe verdient, aber Gott habe die Freude über den Erhalt der Tora nicht trüben wollen. Gebührlich bestraft wurden die Israeliten für die visio dei später aber dennoch; Nadab und Abihu wurden nach der Errichtung des Zeltheiligtums getötet (Lev 10,2), die anderen Israeliten nach ihren Klagen (Num 11,1). Raschbam meint demgegenüber, die Israeliten hätten in Einklang mit Gen 33,23 lediglich Gottes Rücken geschaut. Ibn Esra ist der Auffassung, hier hätte es sich nicht um direktes Sehen, sondern ähnlich wie in Jes 6,1 um prophetische Vision gehandelt. Dem widerspricht Nachmanides, da die Israeliten eben den »Gott Israels« gesehen hätten, was impliziert, dass sie Gunst aufgrund des Verdienstes ihres Vorvaters Israel hatten.

145

gtvh 08105 / p. 146 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

Im Rahmen der Rede des Mose spricht hier Gott das Volk Israel an; das allerdings geschieht, mit Reminiszenz an die Theophanie im brennenden Busch (Ex 3,2-4), nun »mitten aus dem Feuer« (‫ִמתּו ְֹך ָהֵאשׁ‬, Dtn 4,12). Die anschließende Notiz »seine (sc. Gottes) Worte hörtet ihr, aber ihr saht keine Gestalt, nur eine Stimme war da« macht deutlich, dass Gott anders als in Ex 24,9-11 nun nicht mehr sichtbar ist. (Bezeichnenderweise gibt LXX diese Passage wortgetreu wieder. 9) Es handelt sich in Dtn 4,12-15 um keine transzendente Wirklichkeit Gottes; gesehen zu werden ist gleichwohl eine Disposition des Immanenten, die schlechterdings mit der Vorstellung von Israels Gott nicht kompatibel ist. Ähnliche Tendenzen, Aussagen im MT über eine visio dei zu glätten (s. dazu ferner Num 12,8), sind auch im Psalter zu beobachten. Exemplarisch sei auf die abschließende Aussage des unschuldigen Beters in Ps 17 verwiesen: ‫ֲא ִני ְבֶּצ ֶדק ֶאֱח ֶזה ָפ ֶניָך ֶאְׂשְבָּעה ְבָהִקיץ‬ ‫» ְתּמוּ ָנֶתָך‬Ich aber will in Gerechtigkeit dein (sc. Gottes) Angesicht schauen, möge ich mich doch beim Erwachen an deiner Gestalt sättigen« (V. 15). 10 LXX gibt diese Passage folgendermaßen wieder: ἐγὼ δὲ ἐν δικαιοσύνῃ ὀφθήσομαι τῷ προσώπῳ σου, χορτασθήσομαι ἐν τῷ ὀφθῆναι τὴν δόξαν σου »Ich aber werde in Gerechtigkeit von deinem (sc. Gottes) Angesicht geschaut werden; ich werde gesättigt werden beim Erscheinen deiner Herrlichkeit« (Ps 16,15LXX). Ergo wird die Gottesschau durch Invertierung der Richtung des Sehens eliminiert: der Mensch sieht nicht mehr Gott, sondern Gott sieht den Menschen. 11 Ferner liegen entsprechende Tendenzen u. a. in Ps 84,8 vor, wo nach MT das Ziel von Wallfahrten ist, »den Gott der Götter in Zion« zu schauen, während Gott nach LXX dort erscheinen wird (s. a. Ps 42,3; 63,3). Derartige Eingriffe sind manchmal als »Eigenart des theologischen Profils nicht nur des griechischen Psalters, sondern der gesamten Septuaginta« bezeichnet worden. 12 Sie werden in der Frage von Sir 43,31 problematisiert: τίς ἑόρακεν αὐτὸν καὶ ἐκδιηγήσεται; »Wer hat ihn gesehen und wird es berichten?« Hier kommt eine Zurückhaltung gegenüber anthropomorphen Attributen Gottes zum Ausdruck, die nicht erst in der LXX, sondern bereits Jahrhunderte zuvor in der griechischen Kultur anzutreffen war. 13

9. Vgl. Rösel: Gott, 169. 10. Gelegentlich wird dieser Wunsch des Beters auf eine jenseitige Gottesschau bezogen (vgl. Dahood: Psalms I: 1-50, 99). Allerdings ist eine solche Interpretation im Text nicht zwingend angelegt und angesichts frühjüdischer theologischer und eschatologischer Erwartungen wohl sogar fraglich. Eine alternative Deutung schlagen Hossfeld / Zenger: Psalmen I, 118, vor, die eine »sichtbare, konturierte Erscheinung« vor dem Hintergrund der morgendlichen »Epiphanie des Sonnengottes« erkennen. 11. Vgl. dazu ausführlich Gzella: Lebenszeit, 231-243. 12. Ibid., 244. Vgl. dazu ferner Bons: Septuaginta-Psalter, passim; ders.: Die Septuaginta in der neueren Exegese, 37 f.; Brucker: Psalmen, 112. 13. Hermann Spieckermann zufolge hat im 7. und 6. Jh. v. Chr. u. a. der griechische Philosoph Thales von Milet die Entpersonalisierung der Kosmologie und ihrer göttlichen Repräsentanten vorangetrieben (vgl. Spieckermann: Heart, 253).

146

gtvh 08105 / p. 147 / 31.3.2022

Gottesschau

1.2 LXX übernimmt MT-Passagen zur visio dei ohne inhaltliche Änderung Allerdings lässt die LXX auch vielfältige Tendenzen erkennen, Passagen einer visio dei im MT wiederzugeben. Kurz ist deshalb zu erwähnen, dass die griechischen Übersetzer dieses Moment durchaus häufig wortgetreu, also ohne Modifizierung übernommen haben. Jan Joosten zufolge ist das in folgenden Passagen der Fall: Gen 12,7; 17,1; 18,1; 22,14; 26,2.24; 35,1.9; 48,3; Ex 3,16; 4,1.5; 6,3; Lev 9,4; 16,2; Num 14,14. 14 Joosten merkt an, dass die Targumim bei diesen Passagen jedoch das Moment der Gottesschau gleichwohl oft glätten oder völlig unterbinden. 15 Anzumerken ist, dass die Bitten des Mose, Gott möge ihm seine Wege offenbaren, auch nach Ex 33,12-23LXX dieser inhaltlichen Rubrik zuzurechnen ist. LXX.D übersetzt ἐμφάνισόν μοι σεαυτόν, γνωστῶς ἴδω σε in Ex 33,13 zwar als »zeige dich mir! Deutlich will ich von dir erkennen«, sodass die indirektere Formulierung im MT ‫הֹו ִדֵע ִני ָנא‬ ‫» ֶאת־ ְדּ ָרֶכָך ְוֵא ָדֲעָך‬so lass mich deine Wege wissen, damit ich dich erkenne« überboten zu sein scheint. Allerdings ist mit Joachim Schaper zu fragen, ob die griechischen Worte nicht besser als »erscheine mir selbst/du selbst offenbare dich mir« wiederzugeben sind. Schaper weist mit Blick auf den weiteren Textverlauf auch nach LXX darauf hin, dass die Sichtbarkeit Gottes für Mose ausgeschlossen bleibt, es also lediglich um die Offenbarung des Namens nach 33,19 geht. 16

1.3 LXX führt visio dei gegen MT ein Die zwei soweit dokumentierten Tendenzen in der Übersetzungspraxis der LXX sind schließlich durch eine dritte zu ergänzen. Erst jüngst machte Robert Hayward darauf aufmerksam, dass LXX das brisante Moment der Gottesschau gelegentlich auch dort einführt, wo MT nicht davon handelt; Jan Joosten hat diese Beobachtungen aufgenommen und weiterentwickelt. 17 Diese Tendenz manifestiert sich z. B. in Gen 31,13; MT liest in der Erzählung über Jakobs Flucht: ‫» אָנ ִֹכי ָהֵאל ֵבּית־ֵאל‬Ich bin der Gott von Bethel«, während LXX folgendermaßen erweitert: ἐγώ εἰμι ὁ θεὸς ὁ ὀφθείς σοι ἐν 14. Joosten: To See God, 291 f. Lediglich geringfügige Modifikationen sind ggf. bei einigen dieser Belegstellen festzustellen. So wird aus Lev 9,4MT ‫» ִכּי ַהיּוֹם ְיה ָוה ִנ ְראָה ֲאֵליֶכם‬denn heute wird euch Jhwh erscheinen« in Lev 9,4LXX ὅτι σήμερον κύριος ὀφθήσεται ἐν ὑμῖν »denn heute wird der Herr unter euch erscheinen«. Hier und in Lev 9,6LXX ist eine Abmilderung des möglichen Anthropomorphismus der Aussage zu erkennen (vgl. Vahrenhorst: Levitikon, 363). 15. Ibid., 292. Ähnliche Tendenzen lassen sich bei Philo (s. dazu unten) und in der späteren rabbinischen Exegese konstatieren. Ibn Esra beispielsweise bemerkt zur Aussage in Gen 12,7, dass Gott dem Abram lediglich »prophetisch« erschienen sei. Nachmanides setzt sich kritisch mit dem Kommentar des Maimonides auseinander, die Erscheinung Gottes in Form der drei Männer (18,1f; hier mit Wiederholung von »und er sah …« und insgesamt drei Belegen von ‫ )ראה‬sei lediglich eine Vision gewesen. Vielmehr handele es sich beim Besuch Gottes um eine Belohnung für die kurz vorher durchgeführte Beschneidung. Freilich war für Maimonides die Unkörperlichkeit Gottes ein Glaubensaxiom; er hatte einen entsprechenden Satz als dritte Aussage in sein Glaubensbekenntnis aufgenommen (s. a. den sephardischen und aschkenasischen Jigdal-Hymnus). 16. Vgl. Schaper: Exodos, 318 f.; zustimmend Rösel: Gott, 168 f. Zur Rezeption durch Philo s. u. 17. Hayward: Understanding, passim; Joosten: To See God, 292-295.

147

gtvh 08105 / p. 148 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

τόπῳ θεοῦ »Ich bin der Gott, der sich dir am Gottesort zeigte«. Das Partizip Aorist Passiv von ὁράω assoziiert in der Tat das Moment der Gottesschau. 18 Hier lässt sich der Versuch der Übersetzer erkennen, eine Verbindung zur vorhergehenden Erzählung von Jakobs Traum (Gen 28,10-22) herzustellen, der zufolge Jakob eine bis in den Himmel reichende Leiter sieht. Da Gott auf dieser steht und ihn anspricht (V. 13), ist der Gedanke einer Gottesschau nicht ausgeschlossen. 19 Ähnliche Divergenzen zwischen MT und LXX liegen oft in weiteren Passagen vor, die von Heiligtümern, Orten von Theophanien u. ä. handeln (Gen 16,13; Ex 25,8; Dtn 33,16; usw.). 20 Zu fragen ist allgemein, wie sich diese spezielle Tendenz in der Übersetzungspraxis der LXX erklären lässt. Hayward führt sie auf intertextuelle Exegese zurück, die sich an Gen 12,7 und Ex 3,16 orientiert. 21 Joosten begründet diese Tendenz demgegenüber durch den alexandrinischen Hintergrund der LXX, da im ägyptischen Kult der hellenistischen Zeit das öffentliche Zurschaustellen von Gottheiten ein wesentlicher Aspekt war. 22 Tatsächlich war die ägyptische Religion in ihren verschiedenen Ausformungen kultisch orientiert, weshalb der Sakralarchitektur und den gottesdienstlichen Ritualen hohe Bedeutung zukam. Dazu gehörte »eine besondere Bildtheol.[ogie], derzufolge der Kult die himmlischen Götter in ihre irdischen Bilder herabzwingt … Die Bilder werden zu Garanten der Gottesnähe …«. 23 Diese Bildtheologie manifestierte sich u. a. im Reinigen, Bekleiden, Salben und Schminken der Kultbilder; all das diente der Vorbereitung des öffentlichen Zurschaustellens der Kultbilder, in denen sich nun der Gott oder die Göttin befand. Ägyptische Priester, die ihrerseits jeweils ihre spezielle Befugnis zu versichern hatten, die Gottheit schauen zu dürfen, führten sodann Prozessionen durch und positionierten die Kultbilder u. a. auf den Dächern von Heiligtümern, um sie weithin sichtbar zu machen. 24 Mit solchen kultischen Gegebenheiten setzten sich die Übersetzer der LXX teils kritisch auseinander, teils rezipierten sie diese positiv. Das hat wohl

18. Dementsprechend bietet Joosten als Übersetzungsalternative: »I am the God who appeared (lit.: was seen) to you in the place of God« (ibid., 292). 19. Vgl. Prestel / Schorch: Genesis 212. 20. Im Abschnitt Ex 25,1-9 über die Gaben zum Bau des Zeltheiligtums Israels wird die Aussage in V. 8MT ‫» ְוָעשׂוּ ִלי ִמְק ָדּשׁ ְוָשַׁכ ְנִתּי ְבּתו ָֹכם‬Und sie sollen mir ein Heiligtum machen, dass ich unter ihnen wohne« im korrespondierenden Vers Ex 25,7LXX wie folgt modifiziert: καὶ ποιήσεις μοι ἁγίασμα, καὶ ὀφθήσομαι ἐν ὑμῖν »Und du sollst mir ein Heiligtum errichten und ich werde unter euch erscheinen«. Nach Joachim Schaper sollte mit dieser Wiedergabe, ähnlich wie in Ex 29,45 f., der Anthropomorphismus der Vorstellung des Wohnens im Heiligtum vermieden werden (Schaper: Exodos, 310). Allerdings ist Anthropomorphismus auch in der modifizierten Aussage der griechischen Übersetzung enthalten. Ähnliches gilt für Dtn 33,16, wo das »Wohnen« Gottes im Dornbusch nach LXX ein »Erscheinen« ist (vgl. den Hertog / Labahn / Pola: Deuteronomion, 600). Auch die spätere rabbinische Exegese spricht vorzugsweise vom »Erscheinen« Gottes im Dornbusch (so z. B. Raschi). Ibn Esra bietet eine weitere Deutungsvariante, indem er das Wort ‫ ְס ֶנה‬mit »Himmel« übersetzt, wo ihm zufolge Gott sehr wohl »wohnt«. 21. Hayward: Understanding, 386 f. 22. Joosten: To See God, 295-299. Vgl. dazu auch Bons: Septuaginta, 35; kritisch Rösel: Gott, 169173. 23. Assmann: Ägypten III., 210. 24. Vgl. Erman: Religion, 175; Frankfurter: Egyptian Religion, 83.

148

gtvh 08105 / p. 149 / 31.3.2022

Gottesschau

auch mit der Popularität eines derart visuell vermittelten Kultes bei der breiten Bevölkerung zu tun.

2. Wirkungsgeschichte 2.1 Rezeption in frühjüdischen Texten Das theologisch zentrale und brisante Thema der Gottesschau hat bei den griechischen Übersetzern der LXX also gegensätzliche Reaktionen hervorgerufen. Drei Tendenzen sind beobachtet worden: zum Teil ist das Moment der Gottesschau abgeschwächt oder getilgt worden, zum Teil sind solche Texte wörtlich bzw. getreu übersetzt worden, und schließlich gibt es auch Fälle, in denen LXX dieses Moment gegen MT eingetragen hat. Dieser Befund dokumentiert die Vielstimmigkeit der LXX, deren mehrerer Jahrhunderte währender Übersetzungsprozess bereits vermuten lässt, dass sich bisweilen gegensätzliche Tendenzen ausgeprägt haben. Die Texte der LXX zum Thema Gottesschau haben ihrerseits eine vielfältige Wirkungsgeschichte in hellenistisch geprägten frühjüdischen Texten. Exemplarisch sollen hier religionsphilosophische bzw. historische Schriften von Aristobulus, Philo und Josephus untersucht werden, in denen sich weiterführende Hinweise zum Thema finden. Aristobulos und Philo sind Vertreter einer hellenistisch geprägten jüdischen Religionsphilosophie alexandrinischer Provenienz. Beide versuchten, jüdische Traditionen einem hellenistischen Publikum zugänglich zu machen und u. a. die Kompatibilität und Affinität mit griechischer Philosophie darzustellen. Aristobulos 25 lebte in der Mitte des 2. Jh. v. Chr. in Alexandrien; sein mehrbändiges, auf Griechisch verfasstes Werk ist heute nur noch fragmentarisch in Zitaten der patristischen Literatur (Clemens von Alexandria, Eusebius von Caesarea, Anatolius von Laodikeia) erhalten. Jedoch lässt sich daraus noch immer schließen, dass er als erster die allegorische Auslegungsweise biblischer Texte (und zwar primär der Bücher Genesis, Exodus und Deuteronomium) verwendete und deshalb als Wegbereiter Philos zu gelten hat. 26 Aristobulos ist als gebildeter Leser der LXX vor allem interessant, da seine Lebensdaten in den Zeitraum der Übersetzung der ersten Bücher des LXX-Unternehmens fallen. 27 Zudem wohnte und wirkte er am Ort dieses Projektes, damals einem Zentrum hellenistischer Philosophie. 28 Entsprechend solcher zeitgenössischen gedanklich-philosophischen Voraussetzungen betrieb er eine Form der Exegese, deren platonische und 25. Die Bezeichnung »Aristobulos von Paneas« ist irreführend und deshalb zu vermeiden. 26. Vgl. Stählin: ThWNT 4, 797; Koester: History, 271; Müller: Motive, 719 f. 27. Aristobulos lebte wohl einige Jahrzehnte nach der Übersetzung von GenLXX und ExLXX. Als erstes Buch des LXX-Projekts wurde Genesis wahrscheinlich zwischen dem Beginn des 3. Jahrhunderts und der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. in Alexandrien übersetzt (vgl. z. B. Kepper: Genesis, 111-113; Prestel / Schorch: Genesis 150); die Übersetzung von Exodus wird allgemein in das 3. Jh. v. Chr. datiert (vgl. Schwagmeier: Exodos, 132). 28. Daran mag es liegen, dass Aristobulos in der Kirchengeschichte des Eusebius von Caesarea fälschlich zum Kreis der 70 jüdischen Gelehrten gezählt wird, die die Übersetzung der LXX besorgt hätte (H.e. VII, 32,16, GCS 9/2, 722-724). Vgl. Müller: Motive, 718.

149

gtvh 08105 / p. 150 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

aristotelische Prägung sich auch in anderen deuterokanonischen Büchern der hellenistisch-jüdischen Epoche manifestierte (Sapientia Salomonis, Jesus Sirach, PseudoPhokylides, 4. Makkabäer). Zu deren Programm gehörte u. a. die Vermeidung von Anthropomorphismen in Bezug auf Gott; primär zu diesem Zweck verwendete Aristobulos die allegorische Exegese. Im übrigen gab er vor, eine griechischsprachige Version des Pentateuchs habe schon vor dem Übersetzungsprojekt der LXX den großen Philosophen Pythagoras, Sokrates und Plato zur Verfügung gestanden und sei Grundlage mancher theologischer Einsichten in ihren literarischen Werken. 29 Philosophisch motivierte Interpretation ist bei Aristobulos in seinem Umgang mit Anthropomorphismen in der Erzählung von Israels Ankunft am Sinai nach Ex 19 zu beobachten. 30 Hier liegt bereits in der LXX eine Korrektur im Bereich der visio dei vor. Gemäß Ex 19,20 f.MT kam (‫ )ירד‬Jhwh auf den Gipfel des Berges Sinai hinunter, rief Mose zu sich hinauf und sagte zu ihm: ‫ֵרד ָהֵעד ָבָּעם ֶפּן־ ֶיֶה ְרסוּ ֶאל־ ְיה ָוה ִל ְראוֹת ְו ָנַפל ִמֶמּנּוּ‬ ‫» ָרב‬Steig hinab und verwarne das Volk, dass sie nicht durchbrechen zu Jhwh, um ihn zu sehen, und viele von ihnen fallen« (19,21). In Ex 19,20 f.LXX findet sich demgegenüber nach dem Hinabstieg (καταβαίνω) Gottes folgender modifizierter Text: … μήποτε ἐγγίσωσιν πρὸς τὸν θεὸν κατανοῆσαι »… dass sie sich Gott nicht nähern, um (ihn) wahrzunehmen«. 31 Damit betrifft die Warnung an Israel schon nicht mehr das direkte Sehen Gottes, sondern nur noch die indirekte Wahrnehmung, die allerdings weiterhin verboten ist. 32 Aristobulos geht es in seiner Lektüre von Ex 19LXX demgemäß eher um das »Hinabsteigen« Gottes auf die Bergspitze. Dieser Aspekt widerspricht einerseits der aristotelisch-peripatetischen Vorstellung von Gott als dem unbewegten Beweger, der unveränderlich und über allem ist, andererseits auch derjenigen, dass die transzendent-himmlische Sphäre von der materiell-irdischen kategorisch getrennt ist. Deshalb legt Aristobulos in Fragm. 2 33 dar, dass die Israeliten anstelle des Wesens Gottes die »von Gott herrührende Energie« (2,15), die sich durchaus überall in der Welt manifestiert, gesehen haben. Diese Energie sei weiterhin bei der göttlichen Gesetzgebung im Einsatz gewesen. Aristobulos hat mit solchen interpretierenden Ansätzen bleibenden Einfluss gehabt, der Jahrzehnte später vor allem im Werk des Philo zur Entfaltung kam. In ähnlicher Weise deutet auch die rabbinische Exegese Ex 19,20 f.MT. Raschi fragt, ob es wirklich Gott war, der auf den Berg hinunterkam, und erklärt, wie Gott dazu den oberen und unteren Himmel gebogen hätte. Ibn Esra stellt ähnlich wie Aristobulos klar, dass der Geist, da er kein Körper sei, weder hinab- noch hinaufsteigen kann; anhand einer a minore ad maius (‫)קל וחומר‬-Argumentation schließt er dann, dass auch Gott, der Herr der Geister des Fleisches, dieses nicht könne. Vielmehr gehe es

29. Aristobulos Frgm. 3 bei Eusebius Caes., Praep. ev. XIII, 12,1-2, GCS 43/2, 190 f. Zum Leben und literarischen Werk des Aristobulos vgl. Walter: Thoraausleger; Koester: History, 271; Holladay: Aristobulus, passim; Gutmann: Aristobulus, passim; Schaper: Exodos, 271 f.; Müller: Motive, passim. 30. Vgl. dazu Matusova: »Seeing« God, 63-66; Müller: Motive, 725 f. 31. In LXX.D sind die hier durch Kursivschreibweise als Differenz zwischen MT und LXX kenntlich gemachten Worte »(ihn) wahrzunehmen« nicht kursiv gesetzt. 32. Vgl. Joosten: To See God, 288 f.; Rösel: Gott, 166. 33. Aristobulos Frgm. 2,12-17 bei Eusebius Caes., Praep. ev. VII, 10,12-17, GCS 43/1, 453 f.

150

gtvh 08105 / p. 151 / 31.3.2022

Gottesschau

in diesem Text um Gottes Präsenz in der Schechina. Nachmanides spricht von vornherein nur vom Hinuntersteigen des »Namens Gottes«. Die Lebensdaten des Philo von Alexandrien (20/10 v. Chr. – ca. 45 n. Chr.) fallen in die Endphase des LXX-Übersetzungsprojektes. Philo entstammte einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie, hatte eine gründliche griechische Bildung genossen und in Alexandriens Synagogengemeinden im Laufe der Zeit eine hohe Position erlangt, weshalb er ca. 39/40 n. Chr. an einer Gesandtschaft von deren Vertretern nach Rom teilnahm, was vielleicht auch darauf zurückzuführen war, dass er sich bereits als sachverständiger und eloquenter Vermittler jüdischer Religion und Kultur ausgezeichnet hatte. Letzteres mag ebenfalls mit seiner eventuellen Lehrfunktion an den Synagogen Alexandriens in Verbindung gestanden haben. In Philos Schriften sind vielfältige Spuren der Modifikationen der LXX-Texte festzustellen, und zwar auch speziell zum Thema Gottesschau. Außerdem ist von seiner intensiven Rezeption des literarischen Werkes des Aristobulos auszugehen, waren doch beide in derselben Stadt ansässig. Der Großteil von Philos umfangreichem Schrifttum, das den Höhe- und Endpunkt hellenistischjüdischer Philosophie markiert, 34 bezieht sich ebenfalls auf den Pentateuch; dem Buch Exodos widmet er gar ein eigenes Werk. 35 Da Philo trotz seines hohen Bildungsniveaus das Hebräische wohl kaum beherrschte, 36 kann die Rezeption des LXX-Textes (oder dazugehöriger Varianten), deren Übersetzung er nach Vit.Mos. II, 26-44 als göttlich inspiriert sah, als gesichert gelten. 37 Wie Aristobulos geht Philo von der absoluten Transzendenz Gottes aus, weshalb nur das Sein Gottes als solches vom Menschen bestimmt werden kann, nicht aber, was oder wie Gott ist (Vit.Mos. I, 14). 38 In der Welt ist nicht Gott selbst; vielmehr sind dort Mittlerwesen aktiv, allen voran der Logos, der im irdischen Kontext wirkt und auch die Schöpfung vollbracht hat (Opif. 19-20; 29-31; 78). Ein solcher Ansatz steht eindeutig mit Heiligtumskonzeptionen des Frühjudentums und der ägyptischen Religion im Widerspruch. Auch wenn sich aufgrund der spezifisch anikonischen Prägung der frühjüdischen Jhwh-Religion das Problem der Gottesschau im Gegensatz zum ägyptischen Kult nicht stellte, so galt doch hier wie dort ein Tempel als »Wohnung« (‫)ִמְשָׁכּן‬ oder »Haus« (‫ )ַבּ ִית‬Gottes, womit durchaus immanente Vorstellungen einhergehen. Demgegenüber ist bei Philo im Sinne von für den mittleren Platonismus charakteristischen Urbild-Abbild-Konzeptionen der wahre Tempel transzendent; der »von Hän-

34. Vgl. Koester: History, 274. 35. S. Philos Quaestiones et solutiones in Exodum. Vgl. Schaper: Exodos, 271; Veltri: RGG 6, 1287. 36. Vgl. dazu z. B. Mach: TRE 26, 524, der Philo u. a. »absolute Unkenntnis des Hebräischen« attestiert. 37. Zu Philos Leben und literarischem Schaffen vgl. Koester: History, 273-280; Borgen: Philo, 108-117; Mach: TRE 26, passim; Veltri: RGG 6, passim; Schaper: Exodos, 271-272; SimonShoshan: Tasks of the Translators, 7-10. Die allgemein positive Haltung Philos zur LXX geht auch aus seiner Bemerkung hervor, die jüdischen Bewohner Alexandriens hätten jährlich ein Septuagintafest auf der Insel Pharos gefeiert, zu dem nichtjüdische Personen gleichfalls eingeladen wurden (Vit.Mos. II, 41 f.; vgl. Kreuzer: Entstehung, 14). 38. Vgl. Veltri: RGG 6, 1287.

151

gtvh 08105 / p. 152 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

den gemachte« (χειρόκμητος) Tempel auf Erden genügt allein menschlichen Bedürfnissen (Spec.Leg. I, 66-67). 39 Exemplarisch sei an einigen Aussagen aus Philos literarischem Werk seine Auseinandersetzung mit dem Thema der Gottesschau beschrieben. Von den verschiedenen griechischen Verben für »sehen« verwendet er vor allem ὁράω, etwas seltener βλέπω, θεάομαι und θεωρέω. Die monotheistische Selbstaussage Gottes im Lied des Mose nach Dtn 32,39LXX lautet: ἴδετε ἴδετε ὅτι ἐγώ εἰμι, καὶ οὐκ ἔστιν θεὸς πλὴν ἐμοῦ »Seht, seht, + dass ich + es bin, und es gibt keinen Gott außer mir«. Philo zitiert diese Passage zwar in Post. 167-168 wortgetreu, erläutert aber, es gehe um intuitive Wahrnehmung und nicht um Gotteserkenntnis aufgrund von logischer Argumentation (τοῦ ὄντως ὄντος ἐναργείᾳ μᾶλλον [ἀντι]καταλαμβανομένου ἢ λόγων ἀποδείξει συνισταμένου). Auch fügt er sofort hinzu, die Rede von Gottes Sichtbarkeit sei nicht wörtlich gemeint (τὸ δ’ ὁρατὸν εἶναι τὸ ὂν οὐ κυριολογεῖται, κατάχρησις δ’ ἐστὶν ἐφ’ ἑκάστην αὐτοῦ τῶν δυνάμεων ἀναφερομένου). Der Grund dafür ist nämlich, dass (gemäß der philosophischen Überzeugung Platos) geschöpfliche Wesen Gott nicht sehen können (ἀμήχανον γὰρ τὸν κατὰ τὸ εἶναι θεὸν ὑπὸ γενέσεως τὸ παράπαν κατανοηθῆναι). Hier ist ferner auf die Bitten des Mose nach Offenbarung der göttlichen Wege einzugehen. Erwähnt wurde schon (s. o.), dass nach dem modifizierten Wortlaut von Ex 33,12-23LXX ἐμφάνισόν μοι σεαυτόν »zeige dich mir« weniger an die Sichtbarkeit Gottes und eher an die Offenbarung des Namens zu denken ist. Philo notiert nun erstens in Spec.Leg. I, 41, damit sei auf die Sehnsucht nach Bildung angespielt, und zweitens in I, 45, dass Mose selbst Gott gegenüber eingesteht: … οὐκ ἂν ἴσχυσα δέξασθαι τὸ τῆς σῆς φαντασίας ἐναργὲς εἶδος »… ich hätte niemals eine von dir klar manifeste Vision empfangen können«. Damit ist die grundsätzliche Unergründbarkeit und Unerreichbarkeit Gottes ausgesagt. 40 Mose beschwichtigt dann, eigentlich habe er lediglich Gottes »Herrlichkeit« (δόξα) sehen wollen. Die Aussage in Ex 33,13LXX ist für Philo derartig wichtig, dass er sie abgesehen von Spec.Leg. I, 41 auch in Mut.Nom. 8, Leg.All. III, 101 und Post. 16 zitiert, und zwar jeweils zur Vermittlung vergleichbarer Inhalte. 41 Im übrigen verneint Philo schließlich generell, dass Gott jemals den göttlichen Namen geoffenbart habe; in Ex 3,14 gehe es vielmehr um die Offenbarung der allgemeinen Existenz Gottes (Mut.Nom. 11; Somn. II, 230 f.). 42 39. Dem entspricht, dass Philo auch den Zweck bzw. die Funktion des am Heiligtum durchgeführten Opferkultes primär auf Seiten der Menschen bestimmt, die Segen und Befreiung vom Bösen erfahren, insofern sie denn Gott mit ihren Opfern aufrichtig ehren (Spec.Leg. I, 195, vgl. dazu u. a. Gilders: Jewish Sacrifice, 96). 40. Vgl. Wyrwa: Begegnung, 44 f. 41. Zur Rezeption von Ex 33,13 bei Philo vgl. Wyrwa: Begegnung, 45; Matusova: »Seeing« God, 74; Steyn: »Show me yourself«, passim. Raschi erklärt zu Ex 33,13LXX, dass es Mose nicht um Kenntnis von Gottes Wegen geht, sondern darum, welche Belohnung für diejenigen zu erwarten ist, die Gottes Gunst gefunden haben. Ibn Esra zufolge wird eine Person, die Gottes Wege kennt, engelgleich. 42. Jhwh offenbart Mose nach Ex 3,14MT den göttlichen Namen als ‫» ֶאְה ֶיה ֲאֶשׁר ֶאְה ֶיה‬ich werde sein, der ich sein werde« bzw. verkürzt ‫» ֶאְה ֶיה‬ich werde sein« und suggeriert damit – ggf. volksetymologisch motiviert – eine Ableitung vom Verb ‫» היה‬sein/da sein«. Sie hat sicherlich auch eine relationale Dimension, um Mose in einer Situation existentieller Herausforderung – er

152

gtvh 08105 / p. 153 / 31.3.2022

Gottesschau

In ähnlicher Weise merkt Philo in Abr. 80 zu Gen 12,7LXX an, das kausative Passiv von ὤφθη »zeigte sich« für die Epiphanie eines Gottes weise auf die Unmöglichkeit der Menschen hin, das wahre göttliche Sein ohne Offenbarung zu sehen. 43 Vergleichbare Bemerkungen Philos sind u. a. auch in Conf. 96 belegt, denen zufolge das »Sehen« (θεάομαι) des »Wortes« (λόγος) den Dienern Gottes möglich ist. Angesichts der hier dargestellten Grundzüge von Philos religionsphilosophischem Ansatz mag es nicht überraschen, dass sich in seinem literarischen Werk über 100 Belege von ἀόρατος »unsichtbar« finden. 44 Damit ist ein wichtiger Unterschied in der grundsätzlichen Vorstellung Gottes und den daraus resultierenden Konsequenzen benannt. Aus dem generellen Verbot der Gottesschau nach MT, die in der Regel tödliche Folgen hat, wird im Prozess der Rezeption bis zu Philo allmählich die Unmöglichkeit der Gottesschau. Von hier aus gewinnt die Beobachtung neue Plausibilität, dass in Ex 24,11aLXX die Aussage des MT, Gott habe seine Hand im Anschluss an die visio dei nicht gegen die Israeliten erhoben, einfach ausgelassen wird (s. o.). Was Menschen unmöglich ist, braucht und kann nicht bestraft werden. Auch Emotionen, Bewegung, Wesenswandel usw. sprach Philo in seinen Schriften Gott ab; Gott ist unwandelbar und unveränderlich (Mut.Nom. 57; Somn. II, 237). Kritisiert wurde der alexandrinische Philosoph deshalb, er habe unter dem Einfluss einer Weltanschauung platonischer und aristotelischer Prägung den jüdischen Gott entpersonalisiert. 45 Es gelang ihm aber gleichwohl, gemeinsam mit den Übersetzern der LXX die Relevanz der frühjüdischen Religion einem neuen, breiten und internationalen Publikum zu vermitteln. 46

43. 44. 45.

46.

hatte den göttlichen Auftrag, Israel aus Ägypten herauszuführen, immerhin fünfmal hinterfragt – Mut zuzusprechen, und sagt das göttliche »Mit-Sein« auch für die Zukunft zu (Rendtorff: Theologie, 37). Nach Susanne Scholz evoziert die Formulierung ‫ ֶאְה ֶיה ֲאֶשׁר ֶאְה ֶיה‬zudem »an image of God beyond androcentrism … Moreover, the explanation does not presuppose the divine as fixed and unchangeable. On the contrary, the image is dynamic and flexible« (Scholz: Complexities, 29). Die Übersetzer der LXX deuten diese Formulierung in ontologischer Hinsicht aus: Ἐγώ εἰμι ὁ ὤν »Ich bin der Seiende« bzw. Ὁ ὢν »Der Seiende« (vgl. Schaper: Exodos, 281). Philo knüpft seinerseits an diese Interpretation an und gibt sich als Zeuge des sog. Mittelplatonismus zu erkennen (vgl. Borgen: Philo, 147 f.; Wyrwa: Begegnung, 40). Konkret ist er der Meinung, im brennenden Dornenbusch sei nicht Gott selbst, sondern der Logos erschienen (Vit.Mos. I, 66; Quaest.Ex. II, 47; Som. I, 69). Vgl. dazu auch Prestel / Schorch: Genesis, 180. Vgl. Michaelis: ThWNT 5, 369. Vgl. Werblowsky: EJ 2, 189: »The consistent avoidance of any personification of God led Philo of Alexandria to the concept of a Deity who neither acts nor creates, who is without attributes or qualities and hence no kind of positive relationship to this world could be attributed to him«. Vgl. dazu Wyrwa: Begegnung, 39 (mit Bezug auf Ex 3,14): »Als Jahwe seinen Namen offenbarte, sagte er seine Gegenwart zu und behauptete gleichzeitig seine Freiheit. An eine philosophische Seinsaussage war nicht zu denken. Aber der alttestamentliche Gott, dessen Eigentümlichkeit es ist, sich nach und nach alle Bereiche unterwürfig zu machen, der mit der Seßhaftwerdung Israels durch die Berührung mit der kanaanäischen Kulturwelt Züge des über einem Pantheon thronenden Himmelsgottes auf nahm, der in der Jerusalemer Kulttradition die altorientalische Gott-Königsideologie absorbierte, der sich aus ursprünglich polytheistischem Hintergrund heraushob, die Götter der Völker abdrängte und seinen Herrschaftsbereich über alle Nationen ausdehnte, bis er bei Deuterojesaja der einzige universale Gott ist — dieser Gott reklamiert

153

gtvh 08105 / p. 154 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

Der jüdisch-hellenistische Historiker Josephus (37/38-100 n. Chr.) war seinerseits nachhaltig von der LXX beeinflusst. Josephus hatte ein bewegtes Leben; als junger Priester aus Jerusalem geriet er im Jüdischen Krieg in römische Gefangenschaft, wurde jedoch von Vespasians Sohn Titus freigelassen und durfte sich, mit kaiserlicher Pension ausgestattet, der literarischen Tätigkeit hingeben. Aufgrund seiner Herkunft hatte er eine andere Bildung als die beiden alexandrinischen Philosophen genossen; Josephus berichtet über sich selbst, dass er schon als Jugendlicher für seine Liebe zu den jüdischen Schriften bekannt war und diesbezüglich von Priestern und anderen führenden Persönlichkeiten Jerusalems konsultiert wurde. 47 Josephus bezieht sich, wie vor ihm schon Aristobulos und Philo, auf die LXX und macht dazu explizite Angaben (Ant. I, 10-12). 48 An einigen Passagen aus dem literarischen Werk des Josephus, das beispielsweise über weite Teile der Antiquitates Judaicae als eher sinngemäße, auf Belehrung und Unterhaltung der Leserschaft angelegte Nacherzählung mit manchmal Aggada-artigen Erweiterungen zu verstehen ist, 49 sei nun sein Umgang mit dem Thema der Gottesschau skizziert. Wie adaptierte Josephus etwa die Erzählung der Theophanie im Dornbusch? Die Aussage in Ex 3,6MT, Mose habe sein Angesicht aus Furcht vor dem sich im brennenden Dornbusch offenbarenden Gott verhüllt (‫)סתר‬, wird in Ex 3,6LXX dahingehend verstärkt, dass Mose sein Angesicht »abwandte« (ἀποστρέφω). Zudem ergänzt LXX den anschließenden Satz folgendermaßen: εὐλαβεῖτο γὰρ κατεμβλέψαι ἐνώπιον τοῦ θεοῦ »Er scheute sich nämlich, in der Gegenwart Gottes niederzublicken«. Damit wird diese Aussage theologisch verschärft: »Nicht nur das Anschauen Gottes ist nicht gestattet (so auch der MT), sondern auch das ehrfürchtige Senken des Blicks in der Gegenwart Gottes. Der Blick muss sich völlig von Gott abwenden«. 50 Josephus führt in seiner eigenen Nacherzählung der Textpassage diese Tendenz weiter, indem er in Ant. II, 264-267 jeglichen Aspekt einer möglichen visio dei eliminiert. Zwar verwendet er das Wort ὄψις »Anblick«, dieses bezieht sich aber lediglich auf die Kenntnisnahme des stark lodernden Feuers im Busch. Der dort anwesende Gott wurde von Mose jedoch nur gehört. Dem entspricht, dass Josephus später in seiner Version der Besteigung des Sinai-Berges nicht davon spricht, Mose habe Gott gesehen; vielmehr wurde Mose nur von Gott empfangen (Ant. III, 75-88). 51 Hinter solchen Modifikationen stehen religionsphilosophische Konzeptionen platonisch-aristotelischer Prägung, nach denen der unbewegte, unveränderliche und un-

47.

48.

49. 50. 51.

nun auf dem Wege der Übersetzung der normativen Glaubenszeugnisse Israels den metaphysischen Bereich, das absolute, rein geistige Sein für sich«. Vgl. Mayer: TRE 17, 258. Zu Philos Leben und literarischem Schaffen vgl. Koester: History, 398-402; Feldman: Josephus, passim; Michel / Bauernfeind: Bello Judaico, XI-XVIII; Mayer: TRE 17, 258, passim; Schalit: EJ 11, 435 f. Vgl. dazu präzisierend nun Rodgers: EBR 14, 736: »Evidence suggests his use of different versions of the LXX (B and L). Many stylistic and linguistic differences may reflect Josephus’ wish to remove semitisms and offer improvements to the LXX«. Etwas anders hatte noch Günter Mayer (TRE 17, 261 f.) geurteilt, der meint, es sei »die Benutzung einer LXX-Rezension anzunehmen, die einer hebräischen Überlieferung nahestand«. Vgl. Mayer: TRE 17, 261; Schalit: EJ 11, 438. Schaper: Exodos, 280. Vgl. Michaelis: ThWNT 5, 338.

154

gtvh 08105 / p. 155 / 31.3.2022

Gottesschau

sichtbare Gott aufgrund der ontologischen Kluft nicht auf der Welt der Menschen wohnhaft sein kann. Angesichts dessen stellt sich nicht nur die Frage nach dem frühjüdischen Tempel als »Haus« Gottes neu, sondern auch diejenige nach der »Lade Jhwhs« (1Sam 4-6; 2Sam 6,9 u. ö.) bzw. »Lade Gottes« (1Sam 3,3; 4,18; 2Sam 6,2-7; 7,2), die sich aufgrund solcher Bezeichnungen als Ort der Präsenz Gottes ausweist, denn Jhwh »thront über den Cherubim« (1Sam 4,4; 2Sam 6,2 u. ö.). Interessant ist in diesem Zusammenhang die lakonische Auskunft des Josephus über den »innersten Raum«, nämlich das Allerheiligste im Jerusalemer Tempel: ἔκειτο δὲ οὐδὲν ὅλως ἐν αὐτῷ »In ihm befand sich überhaupt nichts« (Bell. V, 219). Josephus spielt damit auf den Verlust der Lade im Zuge der Plünderung des Jerusalemer Tempels durch Nebukadnezar II. an. Er implizit durchaus, dass Gott in diesem Heiligtum dann auch nicht residiert. Die Leere des Heiligtums, für manche sicherlich eine tragische historische Tatsache, 52 passt für Josephus gut mit hellenistisch geprägten Gottesvorstellungen zusammen. Abseits solcher Nacherzählungen biblischer Bücher finden sich gelegentlich ebenfalls Angaben zu religionsphilosophischen Grundsatzfragen, so etwa in De Bello Judaico. Im Rahmen der Rede des Eleazar, deren Ziel die Ermutigung zum kollektiven Selbstmord angesichts der drohenden Niederlage im Kampf gegen die römische Armee ist, wird auf Grundlage der Überzeugung eines Lebens nach dem Tode eine Seelenlehre entfaltet, der zufolge der Tod die menschliche Seele (ψυχή) befreit und ihr so Zugang zu heimatlichen Gefilden verleiht (Bell. VII, 344). Die Seele habe nach dem Tod glückselige Kraft und ungehinderte Macht; auch ist sie ἀόρατος μένουσα τοῖς ἀνθρωπίνοις ὄμμασιν ὥσπερ αὐτὸς ὁ θεός »unsichtbar für die menschlichen Augen wie Gott selbst« (VII, 346). Damit ist der Tod des Menschen der Einstieg in eine reale und bessere, wenn auch unsichtbare Welt.

2.2 Rezeption im Neuen Testament Die drei verschiedenartigen Tendenzen der LXX haben ihrerseits über die frühjüdische Rezeption die Theologie und Christologie neutestamentlicher Schriften geprägt. 53 Auf die Eliminierung der Gottesschau in der LXX mag evtl. zurückzuführen sein, dass in Joh 1,18 kategorisch formuliert wird: Θεὸν οὐδεὶς ἑώρακεν πώποτε »Niemand hat Gott je gesehen« (s. a. 6,46). Die visio dei etwa beim Sinaibund – nach MT – ist hier unbekannt. 54 Zudem wurde das Attribut ἀόρατος (»unsichtbar«), in LXX noch »äußerst selten«, 55 charakteristisch für das frühchristliche Gottesverständ52. So ist die Legende in 2Makk 2,5-7 zu erklären, der Prophet Jeremia habe die Bundeslade in einer Höhle am Berg Nebo versteckt, welche die Hoffnung vermittelt, sie werde eines Tages wiedergefunden und könne dann erneut ihren traditionellen kultischen Funktionen dienen. 53. Vgl. dazu Bons: Septuaginta, 40: »In vielfacher Hinsicht ist die Septuaginta die Heilige Schrift, auf die die Texte des Neuen Testaments zurückgreifen, ja sie bilden den terminologischen und konzeptionellen Hintergrund, auf dem viele Aussagen des Neuen Testaments erst verstehbar sind …«. 54. Im Hintergrund steht evtl. die Bitte des Mose nach Ex 33,12-23, Gott möge sich ihm zeigen (vgl. Schnackenburg: Johannesevangelium, 253). 55. Vgl. Michaelis: ThWNT 5, 369; Wilson: Imaging, 357. Die Belege sind Gen 1,2; Isa 45,3; 2Makk 9,5.

155

gtvh 08105 / p. 156 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

nis. So ist im Hebräerbrief Mose ein positives Beispiel für den Glauben, denn er hielt sich beim Exodus mutig »an den, den er nicht sah, als sähe er ihn« (τὸν γὰρ ἀόρατον ὡς ὁρῶν ἐκαρτέρησεν, Hebr 11,27; s. a. Röm 1,20; Kol 1,15 f.; 1Tim 1,17). 56 Das bedeutet jedoch nicht, dass in frühchristlicher Vorstellung Gott unsichtbar geblieben wäre. Vielmehr konnte einerseits Jesus im JohEv sagen: ὁ ἑωρακὼς ἐμὲ ἑώρακεν τὸν πατέρα »Wer mich sieht, der sieht den Vater« (Joh 14,9; s. a. 6,46; 12,45); eine solche Selbstaussage ist als Anspielung auf die Inkarnation zu werten (Joh 1,14; Phil 2,1-11). 57 Dass Jesus in diesem Evangelium zudem als λόγος »Wort« der bei Gott befindliche, an der Wortschöpfung beteiligte, als Licht leuchtende, von Gott ausgehende und auf die Welt hinabsteigende Mittler ist, kann nur als Aufnahme philonischhellenistischer Vorstellungen gewertet werden. 58 Entsprechend kann Jesus in anderen ntl. Texten z. B. als ἀπαύγασμα τῆς δόξης καὶ χαρακτὴρ τῆς ὑποστάσεως αὐτοῦ »Abglanz seiner Herrlichkeit und Ebenbild seines Wesens« (Hebr 1,3) bzw. als εἰκὼν τοῦ θεοῦ τοῦ ἀοράτου »Ebenbild des unsichtbaren Gottes« (Kol 1,15) bezeichnet werden, womit Terminologie und Motivik eines Lobes der Weisheit nach Sapientia Salomonis rezipiert wurde: ἀπαύγασμα γάρ ἐστιν φωτὸς ἀιδίου καὶ ἔσοπτρον ἀκηλίδωτον τῆς τοῦ θεοῦ ἐνεργείας καὶ εἰκὼν τῆς ἀγαθότητος αὐτοῦ »Denn sie ist ein Abglanz des ewigen Lichts und ein fleckenloser Spiegel des göttlichen Wirkens und ein Bild seiner Güte« (Weish 7,26). Der nach wie vor unsichtbare Gott ist in Jesus Christus gleichwohl sichtbar geworden. 59 Andererseits hat Jesus den Gott, den kein Mensch je gesehen hat (Joh 1,18), als »Vater« gesehen (6,46). 60 Im NT wird aber Gottesschau nicht nur mit Blick auf Jesus, sondern auch auf Gott selbst thematisiert. Zuversichtlich ist etwa die Zusage Jesu in den Seligpreisungen der Bergpredigt, auch wenn hier offenbleibt, ob sie sich auf eine präsentische oder zukünftig-eschatologische visio dei bezieht: »Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen (ὅτι αὐτοὶ τὸν θεὸν ὄψονται)« (Mt 5,8). Diskutiert wird, ob hier Anspielungen an die Tempeltor-Liturgie auf Ps 24 vorliegen, sodass sich das Sehen Gottes auf die Pilgerreise zum Heiligtum beziehen würde. 61 Die Verbindung zwischen Heiligung (ἁγιασμός) und Gottesschau wird ähnlich in Hebr 12,14 hergestellt. Für Paulus ist die Gottesschau ebenfalls eschatologisches Verheißungsgut, wenn er 56. Die Flucht des Mose und der Exodus werden auch von Philo, Leg.All. III, 12 f. und Josephus, Ant. II, 256 f. als vorbildliche Handlungsmuster herangezogen (vgl. Koester: Hebrews, 509). Nach Heinrich Schlier ist die Formulierung in Röm 1,20, Gottes unsichtbares Wesen könne gesehen werden, »ein Oxymoron« (Schlier: Römerbrief, 52). Vgl. ferner Merklein: Bild Gottes, passim. 57. Vgl. Michaelis: ThWNT 5, 365. 58. Dieses umfangreiche Thema kann hier nicht weiterverfolgt werden; vgl. dazu nur Kleinknecht: ThWNT 4, 79-89; Theobald: Fleischwerdung. 59. Vgl. Karrer: Brief, 120-122; Beavis / Kim-Cragg: Hebrews, 4f: »Jesus was often interpreted as a prophet or embodiment of Sophia by early christians (sic). But Hebrews submerges the origins of this christological language in the Wisdom tradition by never explicitly referring to Woman Wisdom/Sophia«. 60. Vgl. Theobald: Fleischwerdung, 362-368; Zimmermann: Christologie, 432 f. 61. Vgl. z. B. Gnilka: Matthäusevangelium, 125; Brucker: Psalm, 416. Für diese Annahme spricht, dass das stärker traditionell-jüdisch geprägte Mt-Ev durchaus weniger hellenistischen Einfluss erkennen lässt als das Joh-Ev.

156

gtvh 08105 / p. 157 / 31.3.2022

Gottesschau

schreibt: βλέπομεν γὰρ ἄρτι δι’ ἐσόπτρου ἐν αἰνίγματι, τότε δὲ πρόσωπον πρὸς πρόσωπον »Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht« (1Kor 13,12). Eine solche beata visio ist evtl. in der Vorstellung begründet, nach dem Tode sei die im Paradies gegebene Nähe zu Gott erneut verfügbar (s. ferner 1Joh 3,2-3; Offb 22,4). Sie rezipiert das eben angesprochene Motive des »fleckenlosen Spiegels« nach Weish 7,26. 62 Jenseits vom visuellen Zugang zu Gott sind im NT auch andere sinnfällige Vorstellungen belegt, so etwa die enigmatischen Formulierungen des Paulus, dass Gott »den Geruch seiner Erkenntnis« (τὴν ὀσμὴν τῆς γνώσεως αὐτοῦ) offenbart und gerettete Menschen dementsprechend »ein Wohlgeruch Christi« (Χριστοῦ εὐωδία) für Gott sind (2Kor 2,14 f.). 63

2.3 Rezeption in patristischer Literatur (Martin Meiser) Literatur Texte und Editionen Ambrosiaster: Quaestiones Veteris et Novi Testamenti, ed. Alexander Souter, CSEL 50, Wien / Leipzig 1908, 1-416 – Athanasius: Expositiones in Psalmos, PG 27, 9 B-590 A – Augustinus: De beata vita, ed. Pius Knöll, CSEL 63, Wien / Leipzig 1922, 87-116 – Augustinus: De civitate Dei, ed. Emanuel Hoffmann, CSEL 40/1-2, Prag / Wien / Leipzig 1899-1900 – Augustinus: De Trinitate, ed. William J. Mountain / François Glorie, CC.SL 50, Turnhout 1968 – Augustinus: Epistulae III (no. 124-184a), ed. Alois Goldbacher, CSEL 44 Prag / Wien / Leipzig 1904 – Augustinus: Quaestiones in Heptateuchum, ed. Jean Fraipont, CC.SL 33, Turnhout 1958, 1-377 – Basilius Caes.: De Spiritu Sancto, ed. Hermann-Josef Sieben, FC 12, Freiburg 1993 – Ps.-Basilius Caes.: Commentaria in Isaiam, PG 30, 117 A-668 C – Beda Venerabilis: Expositio in Evangelium Iohannis, PL 92, 635 B-938 A – Clemens Alex.: Paedagogus, ed. Otto Stählin, 3. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 12, Berlin 1972, 87-292 – Clemens Alex.: Stromata VII, ed. Otto Stählin, 2. Aufl. ed. Ludwig Früchtel, GCS 17, Leipzig 1909, 21970 – Cyrillus Alex.: Commentarium in Evangelium Iohannis, PG 73 – Diodor Tars.: Commentarii in Psalmos, Vol. I, Commentarii in Psalmos I–L, ed. Jean-Marie Olivier, CC.SG 6, Turnhout 980 – Ps.-Dionysius Areopagita, De divinis nominibus, PG 3, 585 A-996 B – Eusebius Caes.: Commentaria in Isaiam, PG 24, 77 B526 A – Gregorius Naz.: Orationes Theologicae / Theologische Reden, ed. Hermann Josef Sieben, FC 22, Freiburg 1966 – Gregorius Nyss.: De beatitudibus ed. Johannes F. Callahan, GNO 7/2, Leiden 1992, 75-170 – Gregorius Nyss.: De vita Mosis, ed. Herbert Musurillo, GNO 7,1, Leiden 1964 – Hieronymus: Commentariorum in Esaiam libri XVIII, ed. Marcus Adriaen, 2 Bde. CC.SL 73/73A, Turnhout 1963 – Gregor Palamas: De Hesychastis, PG 150, 1101 A-1108 A – Irenaeus Lugd.: Adversus haereses. Gegen die Häresien, ed. Norbert Brox, Vol. 3, FC 8/3, Freiburg 1995; Vol. 4, FC 8/4, Freiburg 1997; Vol. 5, FC 8/5, Freiburg 2001 – Johannes Chrysosto-

62. In Kontinuität zu solchen ntl. Vorstellung gilt im Mönchtum der orthodoxen Kirchen die Gottesschau als ultimatives Ziel asketischer Übungen. 63. Vgl. dazu Kurek-Chomycz: Sweet Scent, passim. Dass der Geruch von rituell dargebrachten Opfern die Präsenz Gottes im jüdischen Tempelkult vermittelt, geht u. a. aus dem Altargesetz in Ex 20,22-26 und Ritualtexten wie Lev 1-3 oder Num 28-29 hervor.

157

gtvh 08105 / p. 158 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

mus: De incomprehensibili Dei natura homiliae 5, PG 48, 701-748 – Johannes Chrysostomus: Homiliae in Genesim, PG 53, 21-54, 580 – Johannes Chrysostomus: Interpretatio in Isaiam prophetam, ed. Jean Dumortier / Arthur Liefooghe, SC 304, Paris 1983 – Justinus Martyr: Apologie pour les Chrétiens, ed. Charles Munier, SC 507, Paris 2006 – Justinus Martyr: Dialogue avec Tryphon, ed. Philippe Bobichon, Par. 47/1-2, Fribourg 2003 – Manuel Kalekas: De fide deque principiis fidei catholicae, PG 152, 429 A-662 B – Maximus Confessor, Capita de charitate, PG 90, 959 A-1080 D – Novatian: De Trinitate, ed. Gerard F. Diercks, CC.SL 4, Turnhout 1972, 1-78 – Origenes: Commmentarius in Iohannem, ed. Erwin Preuschen, GCS 10, Leipzig 1903 – Origenes: De principiis, ed. Herwig Goergemanns / Heinrich Karpp, TzF 24, Darmstadt 1976 – Origenes: Die Homilien zum Buch Jesaja, ed. Alfons Fürst / Christian Hengstermann, OW 10, Berlin / Freiburg 2009 – Procopius Gaz., Eclogarum in liberos historicos Veteris Testamenti epitome, Teil 1: Der Genesiskommentar, ed. Karin Metzler, GCS NF 22, Berlin / Boston 2015 – Syméon le Nouveau Theologién: Hymnes 16-40, ed. Johannes Koder / Louis Neyrand, SC 174, Paris 1971 – Tertullian: adversus Praxean, ed. Aemilius Kroymann / Ernest Evans, CC. SL 2, Turnhout 1954, 1157-1205 – Tertullian: De anima, ed. Jan Hendrik Waszink, CC.SL 2, Turnhout 1954, 779-869 – Theodor Mopsuest.: Commentary on Psalms 1-81, ed. Robert C. Hill, Writings from the Greco-Roman World 5, Atlanta 2006 – Theodoret: Interpretatio in Psalmos, PG 80, 857 A-1997 B – Theodoret: Quaestiones in Octateuchum, ed. John F. Petruccione, Vol 1, OECT 1, Oxford 2007 – Walafrid Strabo: Glossa ordinaria, PL 113.

Sammlungen: Reuss, Joseph (ed.), Matthäus-Kommentare aus der griechischen Kirche aus Katenenhandschriften gesammelt und herausgegeben (TU 61, Berlin 1957).

Weitere Literatur Armstrong, A. Hilary: Art. Gottesschau, RAC 12 (1983), 1-19 – de Noronha Galvão, Henrique: Art. Beatitudo, AugL 1 (1986-1994), 624-638 – Fürst, Alfons: Hieronymus gegen Origenes. Die Vision Jesajas im ersten Origenismusstreit, REAug 53 (2007), 199-233 – Fürst, Alfons: Origenes, Theologie der Freiheit, in: ders., Von Origenes und Hieronymus zu Augustinus. Studien zur antiken Theologiegeschichte, AKG 115, Berlin / Boston 2011, 3-24 – Kirchner, Andreas: Dem Göttlichen ganz nah: »Muße« und Theoria in der spätantiken Philosophie und Theologie, Tübingen 2018 – Markschies, Christoph: Origenes – Leben – Werk – Theologie – Wirkung, in: ders., Origenes und sein Erbe. Gesammelte Studien, TU 160, Berlin 2007, 1-13 – Martzelos, Georgios D.: Die Gottesschau des Jesaja in der Orthodoxen Überlieferung, Orthodoxes Forum 22 (2008), 73-87 – Wyrwa, Dietmar: Die christliche Platonaneignung in den Stromateis des Clemens von Alexandrien, AKG 53, Berlin 1983.

Das Thema »Gottesschau« in der Patristik lässt ebenso nach der Nähe der einzelnen Konzeptionen zu zeitgleichen Entwicklungen in (spät-)antiker Philosophie 64 wie nach dem Ausgleich einiger scheinbar einander widerstreitender biblischer Texte fragen; auf letzteres wird in diesem Artikel der Schwerpunkt gelegt. Es geht immer um den Ausgleich zwischen Ex 33,20; Joh 1,18; 2Kor 12,4 und Kol 1,15 einerseits, Gen 12,7; 16,13; 28,13; Ex 3,1-21; 33,20; Jes 6,1; Ez 1,26-28; Am 9,1 andererseits; Ex 24,8-11 wird aufgrund der Formulierungen der Septuaginta nicht mehr bedacht. Sachlich stellen sich folgende Fragen: Wer bzw. was wird in der Gottesschau sichtbar? Wie verhält sich die Vorstellung einer Gottesschau in diesem Leben zu der einer eschatologischen Gottesschau? Wodurch und womit wird die Gottesschau ermöglicht? Was ist für die Gottes64. Dazu grundlegend Armstrong: Art. Gottesschau, passim; Fürst: Origenes, passim.

158

gtvh 08105 / p. 159 / 31.3.2022

Gottesschau

schau vorausgesetzt? Da die Antworten der antiken christlichen Theologen ineinandergreifen, wird in diesem Artikel eine chronologische Gliederung vorgenommen. Für die frühe Patristik zieht die zeitgenössische pagan-philosophische Vorstellung, dass (der höchste) Gott nicht auf Erden erscheint, in Verbindung mit den genannten biblischen Aussagen die These nach sich, dass nicht Gott (Vater), sondern der Logos in den alttestamentlichen Theophanien 65, etwa bei Gen 28,13 66 und Ex 3 67 erschienen sei. Joh 12,41 mag diese Sicht begünstigt haben; auf die Stelle wird jedoch nicht immer verwiesen. 68 Mt 5,8 und 1Kor 13,12 legen den eschatologischen Zeitpunkt der vollkommenen Gottesschau fest. Irenaeus entwickelt seine Ideen zum Thema Gottesschau im Rahmen seiner Abgrenzung gegen eine Zweigötterlehre. 69 Der Vater, so Irenaeus ist unfassbar, lässt sich aber in seiner Liebe und Freundlichkeit von Menschen sehen, wenn er es will. Irenaeus entwirft eine Geschichte der Gottesschau in drei Phasen: Anfangs haben die Propheten Gott durch den Geist geschaut (das rechtfertigt Irenaeus später mit Dtn 5,24; Hos 12,10; Jes 6,5), aber nur in seinen Anordnungen; für die jetzige Zeit gilt die Schau durch den Sohn, d. h. die Wahrnehmung dessen, was Christus von Gott verkündigt (Joh 1,18); die unmittelbare vollkommene Gottesschau steht erst am Ende, wenn das tausendjährige Reich anbricht und jeder nach dem Maß seiner Verdienste zuteil (Irenaeus vereist im Folgenden auf die 30-, 60- und 100-fache Frucht nach Mt 13,8) in eine der verschiedenen himmlischen Wohnungen (Joh 14,2) kommt. 70 Clemens von Alexandria charakterisiert die Gottesschau als intellektuelle Schau und bezeichnet sie als das höchste, wozu die Seele gelangen kann, wenn sie vollkommen rein ist 71 und so »von Angesicht zu Angesicht« erkennen und dem ihr Verwandten begegnen kann und auf die von Gott verheißene »Ruhe« wartet. 72 Diese Schau ist in ihrer Fülle nur nach dem Tod erreichbar, jetzt nur bruchstückhaft 73, und sie ist nur wenigen möglich. 74 Anders als in mancher griechischen Tradition führt nicht die Bin65. Irenaeus: Haer. V, 1,2, FC 8/5, 26 und Justin: Dial. 60; 61, Bobichon I, 344-348. Irenaeus: Haer. IV, 6,6, FC 8/4, 50: »Invisibile etenim Filii Pater, visibile autem Patris Filius«. Seit Irenaeus: Haer. IV, 10,1, FC 8/4, 76, gilt häufig die These, dass auch bei den anderen Gottesbegegnungen nicht Gott Vater, sondern der Logos erscheint. 66. Tertullian: Adv. Prax. 14,2.7 f., CC.SL 2, 1176.1177 f., mit Verweis auf Ex 33,20. U. a. dies dient ihm gegen Praxeas als Argument dafür, dass man zwischen Gott Vater und Christus unterscheiden muss. Gen 28,13 wird auch sonst als Christusvision verstanden (Irenaeus: Haer. IV, 10,1, FC 8/4, 76). 67. Justin: 1.Apol. 62,3, SC 507, 294 (gegen die Juden); Irenaeus: Haer. III, 6,2, FC 8/3, 54 (gegen Gnostiker). Zur philosophischen Begründung vgl. Justin: Dial. 60,2, Bobichon I, 344. 68. Ein Verweis findet sich bei Ambrosiaster: Qu.V.N.T. 88, CSEL 50, 148. 69. Irenaeus: Haer. IV, 20,5, FC 8/4, 160-162, aufgrund der Analogie zwischen alttestamentlichen Ankündigungen der Gottesschau und Mt 5,8. 70. Irenaeus: Haer. V, 32,1, FC 8/5, 236-238 mit Verweis auf Röm 8,19-21. Auch Tertullian: An. 55,35, CC.SL 2, 862 f., hält ohne Annäherung an den Chiliasmus fest: Die Gottesschau erfolgt erst am Ende der Tage, nur die Märtyrer kommen sofort ins Paradies. 71. Zu dieser nach Mt 5,8 formulierten Voraussetzung schon Clemens Alex.: Strom. VII, 56,5, GCS 17, 41. 72. Clemens Alex.: Strom. VII, 68,4, GCS 17, 49. 73. Clemens Alex.: Paed. I, 36,5 f., GCS 12, 111 f., mit Verweis auf 1Kor 13,12. 74. Wyrwa: Platonaneignung, 277, mit Verweis auf Strom. V, 78,1-3, GCS 52, 377 f., zeigt, wie Cle-

159

gtvh 08105 / p. 160 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

dung an die Leiblichkeit, sondern die Einschränkung des vernünftigen Vermögens dazu, dass die Gotteserkenntnis vor der eschatologischen Vollendung unzureichend ist – damit sie wenigstens bruchstückhaft möglich wird, ist das Herabkommen des göttlichen Lehrers notwendig. 75 Origenes zufolge ereignet sich die Gottesschau »durch die geistige Ankunft Christi im Innern der Seele, durch die diese von ihrer geistigen Blindheit gereinigt wird und im Wort den trinitarischen Gott schaut.« 76 Sie, ist, so Origenes in großer Nähe zum »unmittelbar vorplotinischen Platonismus« 77, eine Schau des Vaters. 78 Die endgültige Vergöttlichung erfolgt am Ende der Tage, wenn »Gott alles in allem ist« (1Kor 15,28b) und durch die Wiederbringung aller der ursprüngliche heilvolle Weltzustand wieder hergestellt ist. 79 In nachnizänischer Zeit werden Aussagen zur Gottesschau auch den jeweiligen dogmatischen Konzepten dienstbar gemacht; gleichzeitig werden die Fragen nach der Reichweite, dem Ermöglichungsgrund und den Voraussetzungen der Gottesschau vertieft. Unter diesen Vorzeichen weitergeführt werden die klassischen christologischen Deutungen von Gen 12,7 80; 28,13 81; Ex 3,2 82; Jes 6,1 83; Ps 35[36],10 84; Ps 83[84],8 85 etc.

75. 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82.

83.

84.

mens Platon, Ep. VII, 341 und Platon, Tim 28c ausgleicht und in eine Deutung von Ex 19,19 f. integriert. Die Gottesschau, die Mose widerfährt, erweist die absolute Transzendenz Gottes; dass Mose die Menge unten im Tal zurücklässt, »zeigt, dass der Menge der Ungläubigen die Gotteserkenntnis verwehrt ist.« Wyrwa: Platonaneignung, 259 f., der 269 auf die Parallele zur Vorstellung des unaussprechlichen Gottes mit zeitgenössischen Mittelplatonismus verweist. Fürst: Origenes, 19. Armstrong: Art. Gottesschau, 11. Origenes: Ioh.comm. XIX, 36,8, GCS 10, 305. Origenes: Princ. III, 6,3, Goergemanns / Karpp, 648-652. Zu dieser Geschichtsschau vgl. Markschies: Origenes, 11. Novatian: Trin. 18,1-3, CC.SL 4, 44. Walafrid Strabo: Glossa ordinaria, PL 113, 154 CD. In Ex 3,2 ist Christus derjenige, der zu Mose spricht – Gott Vater kann nicht der Vater eines ἄγγελος sein; Christus hingegen ist ἄγγελος für seine Jünger (Theodoret: Qu.Ex. 5, OECT 1, 226). Augustinus: Qu.Ex. 3, CC.SL 33, 71, rechtfertigt die Erwägung, mit dem angelus sei Christus gemeint, mit Jes 9,6, worin er die Wendung magni consilii angelus ebenfalls auf Christus deutet. Vgl. Hieronymus: In Is. III, 6,1, CC.SL 73, 84 f. Dass der Prophet den erhöhten Christus sieht, wird an dem Textdetail festgemacht, dass der Prophet nicht absolut vom »Herrn«, sondern vom »Herrn der Heerscharen« spricht; so ist auch kein Widerspruch zu Joh 1,18a; Ex 33,20 gegeben. Doch auch die Göttlichkeit Christi und des Heiligen Geistes können wir nicht mit körperlichen Augen sehen. Die nach Mt 5,8 geforderte Herzensreinheit bezeichnet nicht nur Vorbedingung, sondern die Eigenart dieser Schau. Abraham (Gen 12,7), Jakob (Gen 32,30) und Ezechiel (Ez 1,26-28) erschien Gott in Menschengestalt. – Origenes hatte die Seraphim als Christus und den Heiligen Geist identifiziert (Origenes: Hom. Jes., 1,2, OW 10 [Fürst / Hengstermann, 198]). Nachnizänisch ist letzteres nicht mehr tragbar, weil es den Gedanken der Konsubstantialität des Sohnes und des Heiligen Geistes verletzt (Hieronymus: In Is. III, 6,2, CC.SL 73, 87; s. Fürst: Hieronymus, 210 f.). Athanasius erklärt nur kurz, Christus sei die Quelle des Lebens und Licht vom Licht (Athanasius: In Psalm., PG 27, 176 C). Theodoret: In Psalm., PG 80, 1124 CD deutet die »Quelle des Lebens« auf den Sohn (aus Jer 2,13, ad vocem πήγη ζωῆς mit Ps 35,10 wird geschlossen, dass

160

gtvh 08105 / p. 161 / 31.3.2022

Gottesschau

Augustinus integriert die Vorstellung der endzeitlichen Gottesschau in seine Aufnahme (so die Frühschrift De beata vita) und kritische Würdigung (so die Ausführungen in Civ. XIX, 1-4) antiker Philosophie in der Frage nach der εὐδαιμονία des Menschen. 86 Das höchste Gut ist nach Augustinus das ewige Leben nach christlichem Verständnis; 87 so ergibt sich: quisquis igitur ad summum modum per ueritatem uenerit, beatus est. hoc est animis deum habere, id est deo perfrui. (»Wer also zum höchsten Modus [scil. der Seele] durch die Wahrheit gekommen ist, ist selig. Das ist für die Seelen, Gott zu haben, das heißt, Gott zu genießen«). 88 Letzterer Begriff impliziert die Unterscheidung zwischen frui, dem Genießen einer Sache um ihrer selbst willen, und uti, dem Gebrauch einer Sache 89 um eines höheren Zieles willen. In der Gottesschau kommt das unendliche Glückstreben des Menschen zur Ruhe. Als Antwort auf den Rationalismus eines Aëtius und Eunomius von Cicykus verstärkt sich im 4. Jhdt. die Tendenz zur apophatischen Theologie. 90 Als unerkennbar gilt die φύσις (»Natur«) 91 bzw. die οὐσία (»Wesen«) Gottes. 92 Das wird schon durch die Differenzen des in Gen 12,7; 18,1 etc. Berichteten, aber auch durch Ex 33,20 nahegelegt. 93 Für Gregor von Nyssa »ist die eschatologische Vereinigung mit Gott ein end-

85.

86. 87. 88.

89. 90. 91.

92.

93.

die eigentliche Quelle des Lebens »bei« Gott ist, aber nicht mit ihm, Gott Vater identisch, weswegen Theodoret Joh 14,10 anführt), die Wendung »in deinem Licht« auf den Heiligen Geist, aufgrund von 1Kor 12,3, und »das Licht« auf Gott Vater – so sind zugleich Wesenseinheit und verschiedene Wirkweisen der drei göttlichen Personen bezeugt. Eine trinitätstheologische Deutung der Stelle zitiert auch Theodor von Mopsuestia: »Bei Dir (Gott Vater) ist die Quelle des Lebens, und in deinem Licht (in dem Lichte des Sohnes) sehen wir das Licht (den Heiligen Geist).« Theodor bestreitet zunächst, dass sich der Vers auf die Gottesschau bezieht. Es geht darum, dass uns nur durch das Schöpfungslicht die Wahrnehmung irdischer Dinge möglich ist (Theodor Mopsuest.: In Psalm. 36[35],10 [Hill 404]). Zu Ps 83[84],8 differenziert Theodoret: In Psalm PG 80, 1544 A, offenbarungsgeschichtlich: Der Logos bewirkte erst die οἰκεία ἐπιφάνεια am Zion, dann erschien er als menschgewordener Logos. Biblische Probleme werden vor allem in Ep. 147, CSEL 44, 274-331 bearbeitet. Eine subtile Darstellung der Thematik bei Augustinus bietet Kirchner: Dem Göttlichen ganz nah, 306-323. So auch später, Augustinus: Civ. XIX, 4, CSEL 40/2, 373. Augustinus: De beata vita 34, CSEL 63, 114 f. Mit dem »höchsten Zustand« der Seele ist gemeint, dass sie an nichts Irdisches mehr sich binden lässt. Die Wahl des Begriffs »Seele« in unserer Übersetzung für animus resultiert aus dem Umstand, dass der deutsche Plural »Geister« missverständliche Assoziationen an Wesenheiten außerhalb des Menschlichen hervorruft, während es um den Menschen als Geistwesen geht. Das schließt selbst die »Ausübung der Tugend im Hier und Jetzt« (de Noronha Galvão: Art. Beatitudo, 633) ein. Armstrong: Art. Gottesschau, 11. Gregorius Naz.: Or. 28,19, FC 22, 134, mit Bezug auf die Gottesschau des Jesaja und des Ezechiel. Bei Ps.-Basilius Caes.: In Is., PG 30, 425 C-446 B, werden solche Überlegungen nicht expliziert. Johannes Chrysostomus: Hom. Gen. 32,2, PG 53, 294. So kann Augustinus: Ep. 147,16, CSEL 44, 288, auch zwischen Joh 1,18 und Joh 14,9 ausgleichen: gemeint ist an letzterer Stelle die Wesensgleichheit zwischen Vater und Sohn. Eusebius Caes.: In Jes, PG 24, 124 BC. Die Verschiedenheit der Gottesvisionen kann mit Hos 12,10[11] (ἐγὼ ὁράσεις ἐπλήθυνα καὶ ἐν χειρὶ προφητῶν ὡμοιώθην) begründet werden (Johannes Chrysostomus: Hom. Gen. 32,2, PG 53, 294).

161

gtvh 08105 / p. 162 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

loses Streben: immer zu Gott gelangend, aber nie ein volles Erkennen erreichend, da das endliche, geschaffene Seiende das Wesen Gottes nicht erfassen kann, weil dieses eben unendlich ist«. 94 Ein wirklicher Widerspruch zwischen Mt 5,8 und Joh 1,18a besteht nicht: Gott ist sichtbar in seinen Werken 95 und durch die Bibel. 96 Umgekehrt fragt Johannes Chrysostomus nach der Rechtfertigung von Joh 1,18 angesichts von Jes 6,1; Dan 7,9; 3Reg 22,19; Am 9,1 und antwortet: Die Verschiedenheit der jeweiligen, durch die göttliche συγκατάβασις (»Herablassung«) gewährten Schau der σχήματα (»Gestalten«) zeigt, dass die Propheten nicht die οὐσία (das »Wesen«) Gottes geschaut, keine genaue Kenntnis hatten; ὁ γὰρ θεὸς ἁπλοῦς καὶ ἀσύνθετος καὶ ἀσχημάτιστος (»denn Gott ist einfach, nicht zusammengesetzt und ohne Gestalt«). 97 Kyrill von Alexandria findet den Ausgleich zwischen Joh 1,18 und Jes 6,1-3; Ez 1,26-28 über Ex 33,20; Joh 6,46; entscheidend ist die präzise Formulierung in Ez 1,28 (αὕτη ἡ ὅρασις ὁμοιώματος δόξης κυρίου [»dies ist die Schau des Gleichbildes der Herrlichkeit des Herrn«]), d. h. Joh 1,18 betrifft nur die ungetrübte und genaue Gotteserkenntnis. Die Schönheit der Schöpfung lässt auf den Schöpfer zurückschließen, wie auch Ps 18[19],2 bezeugt. 98 Die Gedanken des Augustinus sind in Kürze in einem Zitat aus Ep. 147 zusammengefasst (angeredet ist die Adressatin des Briefes): Si enim quaeris, utrum possit deus uideri, respondeo: potest. si quaeris, unde sciam, respondeo: qnia in veracissima scriptura legitur: Beati mundo corde, quoniam ipsi deum uidebunt, et cetera talia. si quaeris, quo modo dictus sit inuisibilis, si uideri potest, respondeo invisibilem esse natura, videri autem, cum vult, sicut vult; plurimis enim visus est, non sicuti est, sed quali specie illi placuit apparere. Wenn du nämlich fragst, ob Gott gesehen werden kann, antworte ich: Er kann gesehen werden. Wenn du fragst, woher ich das weiß, antworte ich: weil es in der die Wahrheit in höchstem Maße enthaltenden Schrift gelesen wird: »Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen« (Mt 5,8), und ähnliche Stellen. Wenn du fragst, inwiefern er unsichtbar genannt wird, wenn er gesehen werden kann, antworte ich: Er ist unsichtbar hinsichtlich seiner Natur, kann aber gesehen werden, wenn er will, wie er es will; den meisten ist er nämlich erschienen, nicht wie er ist, sondern in gewisser Art, wie es ihm zu erscheinen gefiel. 99

Die Tendenz zur apophatischen Theologie verstärkt auch die Rückfrage nach dem Ermöglichungsgrund der Gottesschau. Eusebius von Caesarea betont die Herablassung Christi aus seiner Majestät, aufgrund deren z. B. dem Propheten Jesaja die Schau Christi überhaupt möglich war. 100 Johannes Chrysostomus erklärt: Die Schau des Pro94. Armstrong: Art. Gottesschau, 13, in der Wiedergabe von Gregorius Nyss.: Vit.Mos II, GNO 7/1, 114-121. Armstrong betont die Nähe zu Plotin. 95. Gregorius Nyss.: Beat. 6,2, GNO 7/2, 141. 96. Apollinaris Laodic.: In Mt., Frgm. 13, Reuss, 5. 97. Johannes Chrysostomus: Incomprehens. 4,3, PG 48, 730. 98. Cyrillus Alex.: In Ioh., PG 73, 176 C-177 D. 99. Augustin: Ep. 147,37, CSEL 44, 310. 100. Eusebius Caes.: In Jes, PG 24, 121 C. Dass die Seraphim ihr Angesicht bedeckten, wird mit Mt 11,27 begründet. Auch Gregorius Naz. sagt, dass Gott wahrscheinlich sogar den Engeln nicht völlig erkennbar sei (Or. 28,4, FC 22, 100); Johannes Chrysostomus betont gegen die Anhomöer, dass Gott den Engeln gänzlich unerkennbar bleibe (Incomprehens. 3,1, PG 48, 720; erkennbar ist Gott Vater nur für den Sohn und den Heiligen Geist). Die Engel bedeckten ihr

162

gtvh 08105 / p. 163 / 31.3.2022

Gottesschau

pheten nach Jes 6,1 ist nicht die Schau des Wesens Gottes. Er sieht, wie der Begriff καθήμενον (»sitzend«) anzeigt, Gott gestalthaft (σχηματισθέντα); dass der Prophet in dieser Weise Gott schauen durfte, ist Resultat der göttlichen συγκατάβασις. Gott stieg bei seiner Herablassung in der Vision des Jesaja so tief herab, wie es dem Propheten auf Grund seiner menschlichen Schwäche möglich war, geistig heraufzusteigen, damit die Begegnung mit Gott gelingen konnte. 101 Notwendig ist, wie aus Ps 35[36],10 geschlossen wird, die Erleuchtung durch Gott selbst. 102 Augustinus betont, dass bei der Erscheinung Gottes vor Abraham nach Gen 18 die Initiative bei Gott lag. 103 Dass man mit dem νοῦς (»Verstand«) 104, mit der durch den Heiligen Geist erleuchteten διάνοια (»Denkkraft«) 105, mit den Augen des Herzens sieht 106, steht fest. 107 Als Voraussetzungen werden die Herzensreinheit 108 und die Frömmigkeit 109 genannt, ebenso die heilvolle Christuserkenntnis im Rahmen der Erkenntnis der wesenseinen Heiligen Dreieinigkeit. 110 Als Zeitpunkt der vollkommenen Gottesschau gilt aufgrund des Futurs in Mt 5,8 sowie aufgrund von Joh 17,3; 1Tim 6,16; Ex 33,20 die Zeit nach dem Jüngsten Gericht. 111 Dass wir nur die göttlichen Kräfte, aber nicht sein Wesen erkennen 112, wird während der Diskussion um den Hesychiasmus von Bedeutung. Symeon der Neue Theologe behauptet, dass eine Schau der göttlichen Kräfte während des irdischen Lebens

101. 102.

103. 104.

105. 106.

107.

108. 109. 110. 111. 112.

Angesicht, weil sie den Lichtglanz Gottes nicht aushalten konnten (Incomprehens. 3,1, PG 48, 721 f.). Johannes Chrysostomus: In Is. 6, 1, SC 304, 256. Basilius Caes.: Spir. 47, FC 12, 214. Die Wendung »in deinem Licht« wird auf den heiligen Geist bezogen, der als Quelle der Erkenntnis auch in 1Kor 12,3 genannt ist; »das Licht« ist nach Joh 1,9 der Sohn als Ebenbild des unsichtbaren Vaters (Kol 1,15). Augustinus: Ep. 147,18, CSEL 44, 289. Ps.-Basilius Caes.: In Is. 13, 254, PG 30, 565 C (zu Jes 13,1). Didymus (bei Procopius Gaz.: Comm. Gen, GCS NF 22, 238) lässt auch die biblischen Begründungen dessen erkennen (Röm 1,20: νοοῦμενα καθορᾶται; Ex 33,13: γνωστῶς ἴδω σε). Eusebius Caes.: In Jes, PG 24, 124 D. Augustinus: Ep. 147,37, CSEL 44, 311, mit Verweis auf Eph 1,18; Ps 12,4. Mit dieser Art der Erkenntnis ist es wie mit der Liebe, die ja auch nicht mit körperlichen Augen und an einem äußerlichen Ort befindlich geschaut wird (Augustinus: Ep. 147,44, CSEL 44, 318). Für die Gegenwart gilt das aufgrund von Joh 1,18b (Augustinus: Ep. 147,18, CSEL 44, 290). Für die Endzeit wird bei Augustinus offenbar modifiziert: In der Ewigkeit werden diejenigen, die auf Erden recte gelebt haben, Gott schauen, auch in ihrer verklärten Leiblichkeit (Augustinus: Civ. XXII, 29, CSEL 40/2, 661). Augustinus legt zunächst Wert darauf, dass es in Hi 19,26 heißt »in meinem Fleisch (in carne mea)«, nicht »mit meinem Fleisch« (per carnem meam). Die später (CSEL 40/2, 664) begegnende Wendung per corpora in omni corpore ist dazu kein Widerspruch, denn sie wird mit Hilfe von 1Kor 4,5 auf die am Ende offenbar werdenden Gedanken des Herzens ausgelegt. Vgl. Hieronymus: In Is. III, 6,1, CC.SL 73, 84; Augustinus: Ep. 147,18, CSEL 44, 290. Diodor Tars.: In Psalm 35[36], CC.SG 6, 213 (εὐσέβεια). Augustinus: Trin. I, 21, CC.SL 50, 57 f.; Beda Venerabilis: In Ioh., PL 92, 645 A-646 B. Vgl. z. B. Augustinus: Ep. 147,13, CSEL 44, 285 f.; Beda Venerabilis: In Ioh., PL 92, 645 A-646 B. Manchmal dient auch 1Kor 15,28a zur Terminierung (Augustinus: Trin. I, 21, CC.SL 50, 57). Ps.-Dionysius Areopagita: Div. nom. II, 7, PG 3, 645 A, sowie Maximus Confessor: Cap. char. I, 100, PG 90, 981 D-984 A. Den gegenteiligen Gedanken, dass wir in der Endzeit aufgrund der durch Lk 20,36 feststehenden Gleichartigkeit mit der Natur der Engel nach 2Kor 3,18 mit dem

163

gtvh 08105 / p. 164 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

möglich ist 113, Gregor Palamas nannte u. a. auf der Basis von 2Kor 4,6 f. als Ort dieser Erkenntnis das Herzensgebet. 114 Diese These wurde von anderen mit Hinweis auf das Futur in Mt 5,8 zurückgewiesen 115, doch hat sich der Palamismus in der Orthodoxie durchgesetzt.

Licht unseres Verstandes auch die natura Gottes erkennen, äußert Augustinus: Ep. 148,2.7f, CSEL 44, 338. 113. Symeon: Hymn. 17, 514-537, SC 174, 48-50. 114. Gregor Palamas: De Hesychiastis, PG 150, 1105 B. 115. Manuel Kalekas: De fide deque principiis fidei catholicae, PG 152, 653 BC; er betont den Charakter von Mt 5,8 als Verheißung.

164

gtvh 08105 / p. 165 / 31.3.2022

2.1.12 Messianic Texts Arie van der Kooij Bibliography Texts and Editions The Old Testament in Syriac according to the Peshitta Version. Part III, 1: Isaiah, ed. Sebastian P. Brock. Leiden 1987 – Origenis Hexaplorum quae supersunt; sive veterum interpretum graecorum in totum vetus testamentum fragmenta, ed. Frederick Field, 2 vols; Oxford 1867/ 1874; repr. Hildesheim 1964 – Targum Onqelos on Genesis, ed. Moses Aberbach / Bernard Grossfeld, SBL Aramaic Studies 1, Missoula 1976 – Dorival, Gilles: Les Nombres. Traduction du texte grec de la Septante, Introduction et Notes, BdA 4, 1994. Philo Alex: Opera quae supersunt, eds. Leopold Cohn et al., 7 vol., Berlin 1896-1930 – Flavius Josephus: Opera omnia, ed. Benedikt Niese, 7 Vol., Berlin 1955 – Flavius Josephus: De Bello Judaico, der Jüdische Krieg. Zweisprachige Ausgabe der Sieben Bücher, ed. Otto Michel / Otto Bauernfeind, Bd. II, 2. Darmstadt 1969. Clemens Alex.: Paedagogus, ed. Otto Stählin, 3. edition ed. Ursula Treu, GCS 12, Berlin 1972, 87-292 – Eusebius Caes.: Demonstratio evangelica, ed. Ivar A. Heikel, GCS 23, Leipzig 1913 – Eusebius Caes.: Historia ecclesiastica, ed. Eduard Schwartz / Theodor Mommsen, 2 Bde., GCS 9/1+2, Leipzig 1903-1908 – Hieronymus: Commentariorum in Esaiam libri XVIII, ed. Marcus Adriaen, 2 Bde., CC.SL 73 / 73 A Turnhout 1963 –Irenaeus Lugd.: Démonstration de la predication apostolique, ed. Adelin Rousseau, SC 406, Paris 1995 – Irenaeus Lugd.: The Demonstration of the Apostolic Preaching, trad. J. Armitage Robinson, London 1920 – Justinus Martyr: Apologies, ed. Denis Minns / Paul Parsis, Oxford 2009 – Justinus Martyr: Dialogus, ed. Philippe Bobichon, Par. 47/1-2, Fribourg 2003 – Origenes: Contra Celsum, transl. Henry Chadwick, Cambridge 1980 (pb) – Origenes: De principiis, ed. Paul Koetschau, GCS 22, Leipzig 1913 – Origenes: Homélies sur les Nombres, T. 2, ed. Louis Doutreleau, SC 442, Paris 1999. Julian the Emperor, Works, ed. et trad. Wilmer Cave France Wright, Vol. III, LCL 157, 1923.

Secondary Literature Alexander, Philip S.: The Rabbis and Messianism, in: Markus Bockmuehl / James Carlton Paget (eds.), Redemption and Resistance. The Messianic Hopes of Jews and Christians in Antiquity, London 2007, 227-244 – Chilton, Bruce D.: The Glory of Israel. The Theology and Provenience of the Isaiah Targum, JSOT SS 23, Sheffield 1983 – Churgin, Pinkhos: Targum Jonathan to the Prophets, New Haven 1927, repr. 1980 – Collins, John J.: The Scepter and the Star: Messianism in Light of the Dead Sea Scrolls, Grand Rapids 22010 – Collins, John J.: Messianism and Exegetical Tradition: The Evidence of the LXX Pentateuch, in: Michael A. Knibb (ed.): The Septuagint and Messianism, BEThL 195, Leiden 2006, 129-150 – Cook, John / van der Kooij, Arie: Law, Prophets, and Wisdom. On the Provenance of Translators and their Books in the Septuagint Version, CBET 68, Leuven 2012 – Goodblatt, David: The Monarchic Principle. Studies in Jewish Self-Government in Antiquity. TSAJ 38, Tübingen 1994 – Horner, Timothy J.: Listening to Trypho. Justin Martyr’s Dialogue Reconsidered, CBET 28, Leuven 2001 – Jaffé, Dan: Croyances et conceptions messianiques dans la litérature talmudique: entre rationalisme et utopie, in: David Hamidović (ed.), Aux origines des messianismes juifs. Actes du colloque international tenu en Sorbonne, à Paris, les 8 et 9 juin 2010, VTSup 158, Leiden 2013, 173-202 – Kamesar, Adam: The Virgin of Isaiah 7,14. The Philological Argument from the Second to the

165

gtvh 08105 / p. 166 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

Fifth Century, JThS 41 (1990), 51-75 – Karrer, Martin / Kraus Wolfgang (eds.): Septuaginta Deutsch: Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Stuttgart 2011 – Kooij, Arie van der: Die alten Textzeugen des Jesajabuches. Ein Beitrag zur Textgeschichte des Alten Testaments, OBO 35, Fribourg / Göttingen 1981 – Kooij, Arie van der: Wie heißt der Messias? Zu Jes 9,5 in den alten griechischen Versionen, in: Christoph Bultmann / Walter Dietrich / Christoph Levin (eds.), Vergegenwärtigung des Alten Testaments. Beiträge zur biblischen Hermeneutik (FS Rudolf Smend), Göttingen 2002, 156-169 – Kooij, Arie van der: Josephus, Onkelos, and Jonathan: On the Agreements between Josephus’ Works and Targumic Sources, in: Geoffrey Khan / Diana Lipton (eds.), Studies on the Text and Versions of the Hebrew Bible in Honour of Robert Gordon, VTSup 149, Leiden 2012, 253-267 – Kooij, Arie van der: The Old Greek of Isaiah 9:6-7 and the Concept of Leadership, in: Wolfgang Kraus / Siegfried Kreuzer (eds.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 333-345 – Kooij, Arie van der: The Septuagint of Gen 49,10 and Concepts of Leadership in Early Judaism, in: Hans Ausloos / Bénédicte Lemmelijn (eds.), A Pillar of Cloud to Guide (Exod. 13,21). Old Testament Text-critical, Redactional, and Linguistic Perspectives (FS Marc Vervenne), BEThL 269, Leuven 2014, 493-504 – Kooij, Arie van der: Isaiah in the Greek Bible of Symmachus and Second Century Judaism in Palestine, in: Peter Gemeinhardt / Florian Wilk (eds.), Transmission and Interpretation of the Book of Isaiah, BEThL 280, Leuven 2016, 99111 – de Lange, Nicholas R. M.: Origen and the Jews. Studies in Jewish-Christian relations in third-century Palestine, University Cambridge Oriental Publications, 25, Cambridge 1977 – Levey, Samson H.: The Messiah: An Aramaic Interpretation. The Messianic Exegesis of the Targum, New York 1974 – Levine, Etan: The Aramaic Version of the Bible: Contents and Context, BZAW 174, Berlin / New York 1988 – Lust, Johan: The Greek Version of Balaam’s Third and Fourth Oracles: The ἄνθρωπος in Num 24:7 and 17. Messianism and Lexicography, in: Leonard Greenspoon / Olivier Munnich (eds.), VIII Congress of the IOSCS Paris 1992, SCS 41, Atlanta 1995, 233-248 – McNamara, Martin: Early Exegesis in the Palestinian Targum (Neofiti 1) Numbers Chapter 24, Proceedings of the Irish Biblical Association 16 (1993), 53-79 – Rajak, Tessa: Josephus. The Historian and His Society, London 1983 – Rico, Christophe: La mère de l’Enfant-Roi Isaïe 7, 14. “Almâ” et “Parthenos” dans l’univers biblique: un point de vue linguistique, La Bible en ses traditions, Études, Paris 2013 – Schäfer, Peter: Hadrian’s Policy in Judaea and the Bar Kochba Revolt: A Reassessment, in: Philip R. Davies / Richard T. White (eds.), A Tribute to Geza Vermes. Essays on Jewish and Christian Literature and History, JSOT SS 100, Sheffield 1990, 281-303 – Schreckenberg, Heinz: Josephus in Early Christian Literature and Medieval Christian Art, in: id. / Kurt Schubert (eds.), Jewish Historiography and Iconography in Early and Medieval Christianity, CRINT III, 2, Assen 1992, 1-138 – Schürer, Emil: The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ (175 B.C. – A.D. 135). A New English version rev. and ed. by Geza Vermes / Ferguson Millar, Volume I, Edinburgh 1973 – Skarsaune, Oskar: The Proof from Prophecy. A Study in Justin Martyr’s Proof Text Tradition: TextType, Provenance, Theological Profile, NTSup 56, Leiden 1987 – Skarsaune, Oskar: Justin Martyr, in: Magne Saebø (ed.), Hebrew Bible / Old Testament. The History of Its Interpretation, Vol. I/1: Antiquity, Göttingen 1996, 389-410 – de Sousa, Rodrigo F.: Eschatology and Messianism in LXX Isaiah 1-12, LHB/OTS 516, London 2010 – Trigg, Joseph W.: The Angel of Great Counsel: Christ and the Angelic Hierarchy in Origen’s Theology, JThSt 42 (1991), 35-51 – Vorm-Croughs, Mirjam van der: The Old Greek of Isaiah: An Analysis of its Pluses and Minuses, SCS 61, Atlanta 2014 – Wevers, John William: Notes on the Greek text of Numbers, SCS 46, Atlanta 1998.

166

gtvh 08105 / p. 167 / 31.3.2022

Messianic Texts

1. Introduction The aim of this contribution is to show how certain “messianic” passages in the Septuagint (LXX) have been received and interpreted in sources dating to antiquity. As far as Early Judaism is concerned, scholars have pointed out that the designation “messianic” refers to a leading figure – basically a king or a priest – in the past, the present, or expected in the near future (“eschatology”). 1 To be more specific, the term “messiah” is related to concepts or models of leadership in Early Judaism – that of kingship, or high priesthood, the model of dual leadership (two messiahs: high priest and king, or the other way around), or of single leadership (a leader being priest and king). 2 The passages in the LXX dealt with in what follows, are a selection of well-known cases being marked by specific modifications in comparison to MT: Genesis 49:10; Numbers 24:17; Isaiah 7:14, and 9:5. These texts are commonly considered “messianic”, although opinions vary as to the question which model of messianic leadership may apply. First of all, specific features as well as the meaning of each of these passages in the LXX shall be discussed briefly. As to the reception history, the main focus concerns the way these texts have been quoted and interpreted in a number of Jewish and Christian sources dating to the 1st –4th century. Particular attention will be paid to those scholars (Church Fathers), who were involved in polemics between Christian and Jewish scholars of their time.

2. Passages 2.1 Genesis 49:10 LXX οὐκ ἐκλείψει ἄρχων ἐξ Ιουδα καὶ ἡγούμενος ἐκ τῶν μηρῶν αὐτοῦ, ἕως ἂν ἔλθῃ τὰ ἀποκείμενα αὐτῷ, καὶ αὐτὸς προσδοκία ἐθνῶν. A ruler shall not be wanting from Ioudas and a leader from his thighs until the things stored up for him come, and he is the expectation of nations. (NETS) MT (tr.) The sceptre shall not depart from Judah, nor the ruler’s staff from between his feet, until comes Shiloh (‫)שילה‬, and to him shall be the obedience of the peoples

2.1.1 LXX Specific renderings are: τὰ ἀποκείμενα αὐτῷ for Hebrew shiloh; and προσδοκία for ‫( יקהת‬via ‫)קוה‬. V. 10b is about “things that are stored up to him”, alluding to the expectation that at a certain moment in history (“in the last days”, cf. v. 1), “Judah”, i. e., one of his sons, will bring liberation from enemies, the result being peace (cf. vv. 11-12). “Expectation of nations” may be interpreted as referring to a ruler expected by the

1. 2.

See e. g. Collins: Scepter and Star. See e. g. Goodblatt: Monarchic Principle.

167

gtvh 08105 / p. 168 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

people of Israel (“nations” in the sense of Israel rather than nations in general). The passage has a ruler (ἄρχων) in mind rather than a king, in line with LXX Deut 17:14.15 (ἄρχων), hence is strictly speaking not messianic. 3

2.1.2 Reception Gen 49:10 is one of the passages, which play an important role in the writings of Justin Martyr (Apology; Dialogue) as references to demonstrate, against Jewish scholars (Trypho), that the messiah is Jesus Christ. In some cases, the text of Gen 49:10 is quoted in line with the Old Greek, but as to the phrase τὰ ἀποκείμενα αὐτῷ 4 he also offers an alternative version, namely, the reading ᾧ ἀπόκειται (“for whom it is reserved”). 5 As scholars have suggested, the latter reading makes Gen 49:10 “more suited as a Christological testimony”. 6 This seems likely indeed but it is also clear that this reading was not introduced by Justin himself because in Dial 120 he asserts that it is in line with the way the Seventy had explained the text. It is interesting in this regard to quote the critical statement of the emperor Julian, in his writing Against the Galilaeans, on this (second) reading: “you (i. e., the Christians) have wrongly interpreted it ‘until he comes for whom it is reserved’”. 7 So in his view Christians were to blame for the alternative reading. Regarding the text, “until the one for whom it lies in store”, “it” is explained as “royal power” ([τὸ βασίλειον]), an interpretation, which is also found in TgOnk (“until the Messiah shall come, whose is the kingdom”). 8 As to v. 10a, “a ruler shall not fail”, Justin argues that the Jews had their own ruler and king until the coming of Christ because after the crucifixion of the latter, the Jewish land was given to the Romans. 9 The latter part of the verse, “He shall be the one awaited by the nations”, is said to refer to the second coming of Christ (“people from all nations [Christians] will await him, Jesus Christ, who is to come again”). 10 Origen as a Christian scholar also argues for a Christian reading of Gen 49:10. 11 He does so against a particular interpretation on the Jewish side. As he tells his readers, there were Jews who explained the prophecy as referring to the patriarch or ethnarch, who “claimed descent from Judah, asserting that his line would never fail until the advent of the Messiah”. 12 He is referring here to a Jewish understanding of our text in the sense of a ‘teacher-messiah’ rather than that of a king-messiah, the latter of which

3. For a more detailed discussion of the verse, see van der Kooij: The Septuagint of Gen 49,10. 4. Justin: Dial. 52,2, Bobichon I, 314. 5. Justin: 1.Apol. 32,1 SC 507, 212; Justin: Dial. 120,3 f., Bobichon I, 506 For the full evidence, see Skarsaune: Proof, 26. 6. Skarsaune: Proof, 27. 7. See The Works of the Emperor Julian, Vol. III, 395. 8. Justin: 1.Apol. 32,2, SC 507, 214. Cf. Irenaeus: Dem 57, SC 406, 166: “kingship in heaven”. 9. Justin: 1.Apol. 32,2 SC 507, 212-214; On the more nuanced position of Justin in Dial 52 regarding the argument that the Jews had their own ruler and king until the coming of Christ, see Skarsaune: Proof, 143, 195 f. 10. Justin: 1.Apol. 32,4, SC 507, 214. 11. Origenes: Princ IV, 1,3, GCS 22, 296; Origenes: Cels I, 53, GCS 2, 104. 12. De Lange: Origen, 97; cf. Origenes: Princ IV, 1,3, GCS 22, 297.

168

gtvh 08105 / p. 169 / 31.3.2022

Messianic Texts

is typical of the Targums. 13 Origen’s response runs as follows: Gen 49:10 is about a ruler and king who will never fail till the advent (second coming) of the messiah, so Jesus Christ obviously is the messiah. The text does not refer, in his view, to a ruler long after the destruction of the temple in 70 as is clear from LXX Hosea 3:4, according to which there will be no king or ruler since the destruction of the temple. Hence the prophecy of Gen 49:10a does not fit the situation after 70 as is claimed by the Jews. 14 The interpretation of Gen 49:10 was not only a matter of dispute between Jews and Christians because the Christian view was also strongly criticized, in the fourth century, by the pagan emperor Julian, in his Against the Galilaeans: “it is very clear that not one of these sayings (i. e., the two readings of Gen 49:10b in Greek, referred to above) relates to Jesus; for he is not even from Judah”. 15

2.2 Numbers 24:17 LXX […] ἀνατελεῖ ἄστρον ἐξ Ιακωβ, καὶ ἀναστήσεται ἄνθρωπος ἐξ Ισραηλ καὶ θραύσει τοὺς ἀρχηγοὺς Μωαβ καὶ προνομεύσει πάντας υἱοὺς Σηθ. […] A star shall dawn out of Jacob, and a man shall rise up out of Israel; and shall crush the princes of Moab, and shall take as spoils all the sons of Seth. MT (tr.) […] a star shall come forth out of Jacob and a sceptre shall rise out of Israel; it shall crush the forehead of Moab, and break down all the sons of Seth.

2.2.1 LXX Compared to MT the Greek version is marked by the use of Greek ἄνθρωπος (“human being”) for “sceptre”, which is also found in v. 7 (for MT “water”, taken in the sense of “seed”): ἐξελεύσεται ἄνθρωπος ἐκ τοῦ σπέρματος αὐτοῦ καὶ κυριεύσει ἐθνῶν πολλῶν, καὶ ὑψωθήσεται ἢ Γωγ βασιλεία αὐτοῦ, καὶ αὐξηθήσεται ἡ βασιλεία αὐτοῦ. (“A man will come forth from his seed and he shall rule over many nations; his reign / kingship shall be exalted more than Gog, and his kingship shall be increased”; MT [tr.]: “Water shall flow from his buckets and his seed shall be in many waters; his king shall be higher than Agag, and his kingdom shall be exalted”).

While it seems clear that the vocabulary of MT (“star” and “sceptre”) alludes to a king, this is not that certain for ἄνθρωπος in LXX. According to Wevers, by substituting ἄνθρωπος for “sceptre” the translator “avoids the notion that the person is a royal 13. On this distinction, see van der Kooij: Symmachus. For the type of “teacher-messiah”, see also van der Kooij: Textzeugen: 153 f. 14. Origenes: Princ. IV, 1,3, GCS 22, 296. 15. The Works of the Emperor Julian, Vol. III, 395.

169

gtvh 08105 / p. 170 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

figure, a king”. 16 Furthermore, as has been pointed out by Lust, ἄνθρωπος is never used, in LXX, as a messianic title. 17 On the other hand, though, since it is employed in v. 7 together with the verb κυριεύω and the noun βασιλεία it obviously refers to a ruler, a royal character. 18 If not a king, then one might think of a priestly ruler who was considered to have royal standing. If so, the passage in Greek can be regarded messianic.

2.2.2 Reception First of all, I would like to draw the attention to an issue regarding the oracle of Num 24:17 in an early Jewish source – the War of Josephus. 19 I have in mind the famous passage in War VI, 312-313 about “an ambiguous oracle (χρησμὸς ἀμφίβολος) […] in the sacred scriptures”, which he paraphrases as follows: “one from their country would become ruler of the world (ἀπὸ τῆς χώρας αὐτῶν τις ἄρξει τῆς οἰκουμένης)”. Josephus then continues: “This they (i. e., the Jews in Jerusalem) understood to mean someone of their own race, and ‘many of their wise men’ (πολλοὶ τῶν σοφῶν) went astray in their interpretation of it. The oracle (τὸ λόγιον) however in reality signified the sovereignty of Vespasian, who was proclaimed Emperor on Jewish soil”. The Jews fighting against the Romans and defending the city and temple were convinced that the alleged oracle was to be understood as promising a ruler of their own race. Hence, as Josephus notes, this oracle “incited them to the war” (311). Scholars have argued that Num 24:17 would be the most likely candidate for the prophecy referred to by Josephus. 20 The notion of “ambiguous” may fit MT (“a sceptre shall rise out of Israel”) but seems more appropriate in the case of the Old Greek text because of ἄνθρωπος if taken in the sense of τις. 21 Targ Onk Num 24:17 (second century), on the other hand, offers an explanation which is far from ambiguous: “a king will rise from Jacob and the messiah will be installed (anointed) from Israel; he will slay the leaders of Moab and he will rule over all men”. This explanation of the oracle is actually in line with the way it was understood by the “wise men” as noted by Josephus, namely, as a prophecy about “someone of their own race”. 22 16. Numbers, 413. Compare Rösel in LXX.E I, 491 (on v. 7): “die endzeitliche Königsherrschaft, die von einem Menschen gebracht wird”. 17. Lust: The Greek Version, 250 (emphasis mine). Cf. Dorival: Nombres, 139 f. (“un hommeseigneur”). 18. Collins: Messianic and Exegetical Tradition, 144: “a royal character” because of the term “kingdom” in v. 7. 19. Philo quotes Num 24:7 in Vit.Mos. I, 290, but without any exegesis. Part of this text (“there shall come forth a man”) is cited in De Praemiis et Poenis, 95, the “man” being understood here as follows, “leading his host to war he will subdue great and populous nations” (cf. shall rule over many nations in Num 24:7). 20. See the discussion by Michel and Bauernfeind: De Bello Judaico II, 2, 190-192; Rajak: Josephus, 192; Schreckenberg: Josephus, 35, and McNamara: Early Exegesis, 55. Others think of Gen 49:10; see e. g. Aberbach / Grossfeld: Targum Onqelos, 14. 21. In Ant. 4:114-117 Josephus provides a summarizing version of the oracles of Balaam but without making any reference to Num 24:7, 17. 22. On the relationship between Josephus’ writings and the official targums (TgOnk and TgJon), see van der Kooij: Josephus, Onkelos, and Jonathan.

170

gtvh 08105 / p. 171 / 31.3.2022

Messianic Texts

2.2.3 Early Christian exegesis Among the early Christian scholars Justin Martyr was the first who explicitly dealt with the prophecy of Num 24:17 as a passage, which was believed to refer to Jesus Christ. As far as the wording of the text is concerned, he sometimes quotes the passage in a version slightly different from the LXX, being marked by the use of ἡγούμενος (“the leading one”) instead of ἄνθρωπος. 23 It is likely that this variant was due to influence from Gen 49:10. 24 Interestingly, in 1 Apol 32 a quotation, being ascribed to the prophet Isaiah, is given in which part of Num 24:17 is combined with elements from LXX Isa 11,1 and 51,11: “A star shall rise out of Jacob, and a flower shall spring from the root of Jesse, and in his arm shall the nations hope”. 25 Justin: “a star of light has arisen, and a flower has sprung from the root of Jesse – this is Christ”. 26 As to the “star” in Num 24:17, in his Contra Celsum I, 59-60 Origen states, that “the man foretold as coming with the star” is Jesus. 27 Elsewhere in his writings the “star” is said to be the star of the magi symbolizing the divinity of Jesus while the term “man” applies to his human nature. 28 2.2.4 The Interpretation of Gen 49:10 f. and Num 24:17 and the Bar Kochba Revolt As is well known, on the Jewish side the prophecy about the “star” in Num 24:17 was applied, in the first half of the second century CE, to Bar Kochba, the leader of the Jewish revolt, in the years 132-135. His real name was Simon ben Kosiba 29 but in order to make clear that he was the messiah he was called Bar Kochba, Son of the Star, on the basis of Num 24:17. 30 It has been suggested that Justin’s exegesis of this text as well as of Gen 49:10 f. was affected in one way or another by the way these texts were interpreted by Jews at that time. Skarsaune is of the opinion that this might well be the case. He points first of all to the fact that the writings of Justin “show reflexes of the Bar Kochba revolt and its consequences (the Hadrianic decree)”. 31 He further notes that this revolt “must have been a startling experience to Christians”, especially to Jewish Christians, because it “seemed the Jews had got a Messiah corresponding to their expectations, a Messiah doing what Jesus had not done” (ibid.). It is arguable indeed that Justin’s exegesis mirrors, in a polemical way, the Bar Kochba episode. First, it is worthwhile to note that his exegesis of Gen 49:10 f. as well as of Num 24:17 in 1 Apol 32 is preceded, in ch. 31, by an explicit reference to this episode: “[…] in the Jewish war which lately raged, Barchochebas, the leader of the revolt of the Jews, gave orders that Christians alone should be led to cruel punishSo e. g. Dial. 106,4, Bobichon I, 470-472. Skarsaune: Proof, 50. For this variant, see also Irenaeus: Dem 58. Cf. Skarsaune: Proof, 50-51. Justin: 1.Apol. 32,13, SC 507, 316. Origenes: Cels. I, 59 f. GCS 2, 110 f. Origenes: Hom. Num. 18,4,2, SC 442, 330-332. Cf. Schürer: History Vol. I, 543. On Bar Kochba as messiah, see Jaffé: Croyances, 184-197 (“un roi Messie politique et national” [191]). 31. Skarsaune: Proof, 272. A reference to this decree is found in Dial 16 (Skarsaune: Proof, 160 f.). 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30.

171

gtvh 08105 / p. 172 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

ments, unless they would deny Jesus (to be) the Christ and utter blasphemy”. 32 Furthermore, as Skarsaune observed, the two passages in the Pentateuch just mentioned are also the only texts in TgOnk, which received a messianic interpretation. 33 There is more to it because in both cases – Justin and TgOnk – the exegesis is linked up with that of Isa 11. As we have seen, Justin combined Num 24:17 with Isa 11,1. Notably, TgOnk is marked by a similar exegetical link between the Law and the Prophets, because part of its rendering of Gen 49,11 (“the righteous shall be round about him”) is based on TgJon Isa 11,5. 34 According to TgOnk and TgJon the messiah is a royal figure, a king from the house of David, who is not only the supreme judge and teacher of the Law but also a warrior who will be successful and victorious. As has been argued by scholars, both targums reflect a portrait that goes back to the 70-135 period in Palestine. They testify to a picture of the messiah, 35 which would fit the figure of Bar Kochba. There is some evidence that both targums, at least the main body of them, have been produced to serve the interests of Bar Kochba and its movement. 36 A most interesting piece of evidence in this regard is to be found in TgJon Isa 25:2 – “the temple of the nations shall never be built in Jerusalem” –, a passage that alludes to plans of the emperor Hadrian, in 130 C.E., to build a temple for Jupiter Capitolinus in Jerusalem. For Bar Kochba and his movement this was one of the major reasons to revolt against Rome. 37 The period of Bar Kochba was a big challenge to (Jewish) Christians in Palestine, as indicated by Justin, due to the great difference between the messianic views on both sides. It therefore would make perfect sense to assume that on the Christian side passages like Gen 49:10 and Num 24:17 – in Greek – became part of their apologetics in order to make clear that these prophecies should be understood as referring to Jesus as the Christ. 38

2.3 Isaiah 7:14 LXX διὰ τοῦτο δώσει κύριος αὐτὸς ὑμῖν σημεῖον· ἰδοὺ ἡ παρθένος ἐν γαστρὶ ἕξει καὶ τέξεται υἱόν, καὶ καλέσεις τὸ ὄνομα αὐτοῦ Εμμανουηλ· Therefore the Lord himself will give you a sign, ‘Look, the virgin shall be with child and bear a son, and you shall name him Emmanouel’ (NETS).

32. Justin: 1.Apol. 31,6, SC 507, 210. Cf. Eusebius, H.e. IV, 8,4, GCS 9/1, 316. 33. Skarsaune: Proof, 265. 34. Compare also TgOnk Gen 49,10 (“and him shall the nations obey”) and TgJon Isa 11,10 (“and him shall kingdoms obey”). 35. This picture is to be distinguished from rabbinic messianism; see Alexander: The Rabbis. 36. This applies in particular to the messianic interpretation of TgJon Isa 53. See Churgin: Targum Jonathan, 26; Levey: The Messiah, 67; Chilton: Glory, 95; van der Kooij: Symmachus. 37. Cf. Schürer: History, Vol. I, 542. On the group of Bar Kochba as to be distinguished from other groups among the Jews such as the rabbinic movement, see the illuminating comments made by Schäfer: Hadrian’s Policy, 296 f. 38. As to Justin’s phrase, “a star of light” (see above), one may compare Eusebius: H.e. IV, 6,2, GCS 9/1, 306 (Bar Kochba [“star”] considered by Jews as a light from heaven having come down).

172

gtvh 08105 / p. 173 / 31.3.2022

Messianic Texts

MT (tr.) Therefore the Lord himself will give you a sign, Behold, a young woman is with child and shall bear a son, and shall call his name Immanuel

2.3.1 LXX The Old Greek version of Isa 7:14 is marked by the choice of ἡ παρθένος for Hebrew ‫“( העלמה‬young woman”), the Greek term conveying the meaning of “maiden, unmarried woman, virgin”. 39 In the LXX it is the standard equivalent of Hebrew ‫בתולה‬, except for two instances, Gen 24:43 and Isa 7:14, where it is a rendering of ‫העלמה‬. So its use in Isa 7:14, although being uncommon, cannot be regarded a unique case. 40 In Gen 24 though this choice is due to a harmonization to v. 16. 41 This also makes sense for LXX Isaiah, which as a translation is characterized by harmonisations between passages within the book as a whole. 42 In this instance one might think in particular of Isa 37,22 (παρθένος θυγάτηρ Σιων [“virgin daughter Sion”]) and 47,1 (παρθένος θυγάτηρ Βαβυλωνος [“virgin daughter of Babylon”]). In light of these passages, the term is best understood as reference to the female figure of Sion. Hence, the oracle is not about a real birth of a son, but is clothed in figurative language pertaining to the installation of a new king (cf. Ps 2,7!), possibly Hezekiah, son and successor of Ahaz. Another difference between LXX and MT concerns the one who will call the name of the child: “she” in MT and “you” in LXX. As to the latter, the most important mss (A, B) attest the reading καλεσεις, while other mss offer the plural καλεσετε (mainly so the Lucianic mss), presumably an assimilation to υμιν in v. 14a; the variant καλεσουσιν on the other hand seems to be due to Mt 1,23. 2.3.2 Reception In this instance the reception history starts early – in the New Testament. The text is cited in Matthew 1,23, and interpreted to the effect that ἡ παρθένος is taken as referring to a real mother who, being still a virgin, will give birth to a (divine) son. It is not Mary, but Joseph who is said to call the name of the newborn child (cf. vv. 21, 25). This may explain the variant καλεσουσιν in the quotation of Isa 7:14, because “you” (sg.) would not fit the context. Justin Martyr: In his Dialogue with Trypho the Greek of Isa 7:14 plays an important role. 43 The rendering παρθένος for ‫ עלמה‬turns out to be a matter of debate because according to Trypho, the Jewish discussion partner, this rendering is mistaken: “the passage is not ‘Behold the virgin (παρθένος) shall conceive and bear a son’, but ‘Behold the young woman (νεᾶνις) shall conceive and bear a son’, and so on as you said. Further, the whole prophecy stands spoken of Hezekiah with respect to whom events [of his reign] are proved to have taken place in accordance with this prophecy”. 44 Thus, the virgin birth was not acceptable to Trypho, not only because of the 39. 40. 41. 42. 43. 44.

For a recent discussion of the term in Classical Greek and in the LXX, see Rico: La mère, 23-35. Cf. De Sousa: Eschatology, 75. The same is true of the Vulgate (virgo in both verses). Cf. Van der Vorm-Croughs: The Old Greek of Isaiah, 299-356. See esp. Dial. 43,5. 8; 67,1, and 71,3, Bobichon I, 290.292.364.380. Justin: Dial. 67,1, Bobichon I, 364. See also Horner: Listening, 159.

173

gtvh 08105 / p. 174 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

disputed translation of the Hebrew ‫ עלמה‬in Isa 7:14, but also because this prophecy should be taken as referring to Hezekiah. He therefore asserts that one should rather say that Jesus was “a man of human origin” who can only be regarded the messiah if it could be proven from the Scriptures “that because of his perfect life under the Law he was deemed worthy to be chosen to be Christ”. 45 As to the variant reading νεᾶνις scholars have suggested that it might reflect the version of Aquila. 46 This may be so, but it is to be noted that this reading is also found in a Greek version prior to Aquila, namely, the Kaige/Theodotion recension. The second point put forward by Trypho has to do with what can be called the Jesus-versusHezekiah polemics between Jews and Christians. Skarsaune refers in this regard to rabbinic sources (NumR 14:2; ExR 18,5), which contain evidence that Isa 7:14 was considered a prophecy about Hezekiah. 47 These sources are of course quite late, but, as the Dialogue indicates, the Hezekiah interpretation among Jews goes back, at least, to the second century CE. In this regard, one might also refer to TgJon Isaiah which attests the following rendering of Isa 7:14 – ‘Behold, the young woman is pregnant, etc’, thus mirroring an understanding of the text pertaining to a son of Achaz. Justin responded to the Jewish objection regarding Isa 7:14 by saying that Jewish scribes are known to have altered the readings of “the Seventy” in more places than this. 48 He seems not to be aware of other Greek versions of the Hebrew Bible, at that time (Kaige/Theodotion, and Aquila), having νεᾶνις in Isa 7:14. Origen, on the other hand, employed a philological argument in order to respond to the Jewish criticism. In Contra Celsum I, 34 he states: first, “we should say […] that the word Alma […] also occurs, so to say, in Deuteronomy applied to a virgin”. 49 The passage he has in mind is Deut 22,23-24 (in Greek): “If a girl that is a virgin betrothed to a man, and a man find her in a city and lie with her, you shall bring both out to the gate […], the young woman because […]”. The Greek of this passage contains both renderings – παρθένος and νεᾶνις – which would allow for the argument, put forward by many Christian scholars in antiquity, in support of the claim that both words could be synonymous. 50 However, by saying that the Hebrew almah is used for a virgin in Deut 22,23 (see also v. 28), Origen is mistaken because the Hebrew words used are betulah and naʾarah, not almah. 51 The contribution of Jerome to the debate is more sophisticated. 52 In his Commentary on Isaiah, ad Isa 7:14, his argument runs as follows: it is true, he admits, that the correct term for “virgin” is betulah, and not almah. However, the meaning of almah “apud eos verbum ambiguum est; dicitur enim et adolescentula et abscondita, id est ἀπόκρυφος” (“among them almah is an ambiguous term, for it is said to mean both young girl and hidden, i. e., kept out of sight”). In this connexion he refers to Aquila’s rendering of almah in Gen 24:43 – “non adolescentulam, nec puellam sed abscondi45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52.

Justin: Dial. 67,2, Bobichon I, 364. See Skarsaune: Proof, 34. Skarsaune: Proof, 380. Justin: Dial. 71-73, Bobichon I, 378-384. Cf. Skarsaune: Justin Martyr, 405. Origenes: Cels. I, 34, GCS 2, 85. See Kamesar: Virgin, 51-58. Cf. De Lange: Origen, 99; Kamesar: Virgin, 58. For a more detailed presentation of Jerome’s arguments, see Kamesar: Virgin, 62-71.

174

gtvh 08105 / p. 175 / 31.3.2022

Messianic Texts

tam” (“not young girl nor girl but a hidden one”). Thus, almah does not only mean puella or virgo, but also virgo abscondita being a young woman who was kept hidden in the house of her parents, hence a virgin. He also notes that in the Punic language the term almah also carries the meaning of “virgin”. In addition to the philological argument, he also claims that the word almah is used only of virgins in the Hebrew Bible. 53 The main point of Jerome’s argument concerns a rendering of almah by Aquila, which actually was part of a Jewish interpretive tradition – almah being understood in the sense of someone being hidden (via ‫ עלם‬I, “to hide”). 54 Seen from this perspective his argument can be seen as an appropriate one within the frame of the ChristianJewish polemics of the time. The issue of the meaning of a Hebrew word was not the only thing to be considered, because as the Christian scholars were well aware of, also the whole passage in Isa 7 should be explored, in particular the question of which kind of sign was given to Ahaz. For example Origen: “What sort of sign would it be if a young woman not a virgin bore a son? And which would be more appropriate as the mother of Emmanuel, that is ‘God with us’, a woman who had had intercourse with a man and conceived by female passion, or a woman who was still chaste and pure and a virgin? It is surely fitting that the latter should give birth to a child at whose birth it is said ‘God with us’”. 55 At an earlier date Justin Martyr argued in a similar vein: the sign of Isa 7:14 would be meaningless unless it predicts something wonderful. 56

2.4. Isaiah 9:6 (5) LXX (v. 6) ὅτι παιδίον ἐγεννήθη ἡμῖν, υἱὸς καὶ ἐδόθη ἡμῖν, οὗ ἡ ἀρχὴ ἐγενήθη ἐπὶ τοῦ ὤμου αὐτοῦ, καὶ καλεῖται τὸ ὄνομα αὐτοῦ Μεγάλης βουλῆς ἄγγελος· ἐγὼ γὰρ ἄξω εἰρήνην ἐπὶ τοὺς ἄρχοντας, εἰρήνην καὶ ὑγίειαν αὐτῷ. For a child was born to us, a son was even given to us, whose sovereignty was (put) upon his shoulder; and his name is called, ‘Messenger of great counsel’. For I will bring peace upon the rulers, peace and health to him. MT (v. 5, tr.) For a child was born to us, a son was given to us; and the government came upon his shoulder, and his name was called, ‘Counsellor of wonderful things, mighty god, everlasting father, prince of peace’.

2.4.1 LXX The Greek text differs markedly from MT, in particular as far as the name of the new ruler is concerned. Compared to MT the name is quite short: “Messenger of great 53. 54. 55. 56.

Jerome: In Jes., CC.SL 73, 103 f. See Kamesar: Virgin, 71. Cf. Rico: La mère, 59-63 (with examples); Kamesar: Virgin, 64 f. Origenes: Cels. I, 35, GCS 2, 86. Justin: Dial. 84,1, Bobichon I, 414; cf. Skarsaune: Proof, 201; id.: Justin Martyr, 405.

175

gtvh 08105 / p. 176 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

counsel”. The underlying phrase in MT (“counsellor of wonderful things”) has not been taken as a reference to the ruler/king (so MT), but rather to God as the one who is counselling wonderful things (cf. Isa 25,1). The rest of the verse – “for I will bring peace upon the rulers, peace and health to him” – presupposes a specific understanding of the Hebrew. Different from MT the corresponding words have not been interpreted as part of the name of the new ruler, but as a clause about what God is going to do according to his “great counsel”. The Greek ἄξω is based on ‫“( אבי‬father”) which has been read as ‫“( אביא‬I shall bring”, hifil of the root ‫)בוא‬, whereas the phrase “upon the rulers” reflects the words ‫עד שר‬, the second of which has been taken in a collective sense. Furthermore, the fact that “peace” occurs twice is due to a double translation of ‫שלום‬. According to LXX, there will be peace upon “the rulers”, and peace and health (yet another double rendering of shalom) “to him”. 57 As I have argued elsewhere, the Greek version of Isa 9:5 represents a messianic passage, which alludes to a priestly leader vested with royal power and glory. In the light of what we know about the constitution of the Jews the reference to “the rulers” makes good sense if considered a reference to the leading priests, i. e., the colleagues of the high priest (cf. Josephus, Ap. II, 194). 58

2.4.2 Reception Christian scholars read the Greek of Isa 9:6 as a prophecy about Jesus as the son of God. Justin Martyr: “And when Isaiah calls him ‘the angel of great counsel’, did he not foretell him to be the teacher of those truths, which he did teach when he came [to earth]? For he alone taught openly those great counsels which the Father designed both for all those who have been and shall be pleasing to him”. 59 Justin quotes the name of the messiah in agreement with the original LXX. 60 Greek ἄγγελος is understood by him as “angel” rather than “messenger”, 61 and the phrase “great counsel” is regarded proof of the divine origin of Jesus. Origen too quoted the short name of the messiah, as is at least the case in Contra Celsum V, 53 and VIII, 27. 62 His interpretation is similar to the one offered by Justin. The work of Jesus, he claims, was not merely of an angel (against Celsus) for “he proclaimed to men the great counsel of the God and Father of the universe concerning them, that those who yield to a life of pure religion ascend to God by their great actions, and that those who did not believe alienate themselves from God and are on the road to destruction through unbelief about God” (V, 53). So, here again, Jesus is seen as the angel of the great counsel of God, his father. It is interesting to note however that in quoting Isa 9:6 some other scholars added readings, which were based on the rendering of the Three, more in particular the text of Kaige/Theodotion.

57. 58. 59. 60. 61. 62.

For a more detailed discussion of the differences, see van der Kooij: Isaiah 9:6-7. Van der Kooij: Isaiah 9:6-7, 343 f. Justin: Dial. 76,3, Bobichon I, 394. So also in Dial. 126,1, Bobichon I, 522. Cf. Trigg: Angel of Great Counsel. Origen: Cels. V, 53; VIII, 27, GCS 3, 57. 243. The passage is not cited in De Principiis.

176

gtvh 08105 / p. 177 / 31.3.2022

Messianic Texts

Irenaeus who at one place cites our text fully in line with the original Greek version (Dem 56), 63 offers at two other places in the same writing (Dem 40; 54; 55) the following reading: “wonderful counsellor and mighty God”. 64 This variant reading strikes one as it is close to the Hebrew text (“counsellor of wonderful things, mighty god”) but as we will see is based on the Three. As to its meaning Irenaeus notes that Jesus is the “wonderful counsellor” of God, his father. Clement of Alexandria is the next scholar who is of interest in this regard. In Paedagogus I 24,2, he first quotes the original LXX up to and including ἄγγελος which then is continued by the following long plus: θαυμαστὸς σύμβουλος θεὸς δυναστής πατὴρ αἰώνιος ἄρχων εἰρήνης (“wonderful counselor, powerful God, everlasting father, prince of peace”). 65 As a matter of fact, this long plus, the first part of which equals the reading of Irenaeus, agrees with the reading of Kaige/Theodotion, except for σύμβουλος, which corresponds to the rendering of Aquila, 66 and for θεός. Kaige/ Theodotion as well as Aquila have ἰσχυρός (“strong”), and not θεός, for Hebrew ‫אל‬. The reading “God” seems to be due to influence from the text of Irenaeus. Whatever the background of this variant, the issue at stake is the divinity of Jesus: he is not only an angel; he is also “God”. Eusebius’ writings are even more interesting regarding the way Isa 9:6 was cited. In his Commentary on Isaiah he quotes the original Greek version, arguing that our Saviour is not only human but also of an angelic nature, being the one who knows the great counsel of God, his father. However, our Saviour, he goes on, is more than just an angel because ἀρχή (“the arche on his shoulder”) points to his divinity (θεότης). Eusebius then notes that, according to the Hebrew text, the messiah is considered to be greater (μειζόνως) than an angel. In order to make this clear he quotes the translations of the verse by the Three – Symmachus, Aquila and Theodotion –, taking these versions not as an alternative to LXX, but as a supplement to it. In the ensuing discussion first he dwells on the issue of ‫( אל‬ηλ) in the Hebrew text, arguing that this should be rendered “God” instead of “strong” (cf. the Three). He then goes on to explain the phrase “father of the age to come” (πατὴρ τοῦ μέλλοντος αἰῶνος), which however is not found in the versions of the Three. So one wonders where this phrase might come from. For this question we need to turn to another work of Eusebius, which he produced some time before the Commentary on Isaiah – Demonstratio evangelica (DE). In DE VII 1,135 Eusebius tells the reader that according to the LXX the name is called, μεγάλης βουλῆς ἄγγελος, and that according to one of the copies (of the Greek text) the passage has also the following additional text: θαυμαστὸς σύμβουλος θεός ἰσχυρὸς ἐξουσιαστής ἄρχων εἰρήνης πατὴρ τοῦ μέλλοντος αἰῶνος (“wonderful counselor, strong God, mighty one, prince of peace, father of the age to come”). 67 Here we touch on a Greek version of Isa 9:6 which includes the phrase “father of the age to come”. 63. 64. 65. 66. 67.

Irenaeus: Dem. 56, SC 406, 162-164. Irenaeus: Dem. 40, 54, 55, SC 406, 138.160-162. See also Skarsaune: Proof, 390. Clement: Paed. I, 24,2, GCS 12, 104. Kaige/Theodotion: βουλεύων, Aquila: σύμβουλος. Eusebius: Dem. VII, 1, 135, GCS 23, 323-324; cf. Eusebius: Dem. V, 10, 6; VII, 1, 134, 138, GCS 23, 233.323.324.

177

gtvh 08105 / p. 178 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

Like in the case of Clement this whole passage too is based on the Three, but differs in some respects from the Three as well as from the text of Clement. θεός is also found here, but different from Clement, the reading of the Three (“strong”) has been retained. The reading “God” thus is a plus within the plus. Instead of the expression ἰσχυρὸς δυνάστης (Kaige/Theodotion), or ἰσχυρὸς δυνατός (Aquila and Symmachus), the text of Eusebius reads ἰσχυρὸς ἐξουσιαστής. Regarding the final part of the long plus (ἄρχων εἰρήνης πατὴρ τοῦ μέλλοντος αἰῶνος), it is of note that the word order differs from the corresponding texts of the Three, which correspond to the word order of MT (“everlasting father, prince of peace”). As noted above, the phrase “father of the age to come” is not attested by the Three. In my view, it is best understood as a modification or explicitation of Symmachus’ rendering: πατήρ αἰῶνος, “father of the age”. 68 This would fit in with the fact that Eusebius highly valued Symmachus’ translation of the Hebrew Bible, more so than the versions of Theodotion and Aquila. 69 So one could imagine that Eusebius himself introduced the phrase “father of the age to come”, but this is not certain. 70 As we know from his Commentary on Isaiah the phrase is interpreted in light of a passage in the New Testament – 1 Cor 15,22-23: “For as in Adam all die, so also in Christ shall all be made alive. But each in this own order: Christ the first fruits, then at his coming those who belong to Christ”. According to Eusebius, Adam is the father of “the present age” (for this expression, see Gal 1,4), and Christ the father of “the coming age”. 71 In sum, the writings of Irenaeus, Clement of Alexandria, and of Eusebius testify to a tendency to add to the original Greek version of Isa 9:6 a plus based on Hexaplaric readings (esp. Kaige/Theodotion). This plus was not meant, it seems, to be a replacement of the final part of the original Greek (ἐγὼ γὰρ ἄξω εἰρήνην etc.) because Eusebius at least does also quote this part of the text in his Commentary on Isaiah. The expansion of the text of Isa 9:6 aimed, likely so, at enhancing the Christological reading of the prophecy. Finally, it may be useful to note the long plus attested in some MSS dating after Eusebius: MS A (5th century) – θαυμαστος συμβουλος ισχυρος εξουσιαστης αρχων ειρηνης πηρ (= πατηρ) του μελλοντος αιωνος (= Eusebius, without θεος!); Lucianic MSS – θαυμαστος συμβουλος θεος ισχυρος εξουσιαστης αρχων ειρηνης πατηρ του μελλοντος αιωνος (= Eusebius). 72

68. Kaige/Theodotion: πατὴρ αἰώνιος, Aquila: πατὴρ ἔτι. 69. This may also explain the reading ἐξουσιαστής (see above) because, among the Three, this word only occurs in Symmachus (Isa 25,7; Jer 28(51), 46 [bis]). 70. At the expert meeting in Göttingen (24-25 February 2014), prof. Annette von Stockhausen suggested that the phrase might well go back to Origen’s (lost) Commentary on Isaiah. 71. The idea of the (royal) messiah in the age or world to come is also found in TgJon Prophets (see e. g. 2 Sam 7,19). 72. The reading “father of the age to come” is also attested by some manuscripts of Peshitta Isaiah (it is found in the text of the MSS 7a1 and 8a1, and in the margin of the MSS 6h5 and 9a1); see The Old Testament in Syriac according to the Peshitta Version. Part III, 1, 16.

178

gtvh 08105 / p. 179 / 31.3.2022

Messianic Texts

3. Concluding remarks In the above I have dealt with some passages in the LXX – Gen 49:10; Num 24:17; Isa 7:14, and Isa 9:6(5) – in order to show how they were received, both textually and exegetically, in sources dating to antiquity. All these passages, except possibly Gen 49:10, can be said to be “messianic”, and this is even more true if one turns to the way these texts have been read and understood by scholars in antiquity, both Christian and Jewish. Obviously, Christian scholars interpreted these and other passages from their Christian perspective. Evidence of Jewish exegesis of the texts of the LXX is of course limited (mainly Philo, as far as the Pentateuch is concerned), but regarding the passages dealt with in this contribution, first there is reason to believe that Josephus provides a specific interpretation of Num 24:17, and secondly, the Dialogue of Justin Martyr may reflect exegesis on the Jewish side (Trypho) as far as Isa 7:14 in Greek is concerned. Apart from a Christian reading of the passages, in some cases there is evidence of modifications of the original Greek text. A most interesting case in this regard is Isa 9:6, the Greek text of which was expanded, in the second and third century (Irenaeus, Clement of Alexandria, Eusebius) by adding Hexaplaric readings, including a few modifications of the latter (“God”; “father of the age to come”). Finally, an interesting aspect concerns the issue of the polemical setting, which may have triggered scholars to pay particular attention to certain passages. In the cases discussed above, the focus has been on polemics between Christians and Jews, not between Christians and pagan scholars like Celsus (with the exception of the reference to the emperor Julian, in the case of Gen 49:10). The following settings, pertaining to the second (Justin Martyr), and early third century (Origen), seem to be of note: regarding Gen 49:10 and Num 24:17 – Justin Martyr and the Jews (cf. TgOnk), against the backdrop of the Bar Kochba period; regarding Gen 49:10 – Origen and the Jews, the latter applying the prophecy to their Ethnarch; and regarding Isa 7:14 – Justin and Trypho; Origen, Jerome, and the Jews, concerning the interpretation of Hebrew ʿ almah. If based on the Greek, Josephus’ exegesis of Num 24:17 is another case because, as he tells us himself, his interpretation differs markedly from that of the “wise men”, thus reflecting a controversy among Jewish intellectuals, in the first century C.E.

179

gtvh 08105 / p. 180 / 31.3.2022

2.1.13 Hoffnung Cristina Buffa / Martin Meiser 1 Literatur Textausgaben und Übersetzungen Philo von Alexandria: Die Werke in deutscher Übersetzung, Band VII, in: Leopold Cohn / Isaak Heinemann / Maximilian Adler / Willy Theiler (ed.), Berlin 1964 – Philo von Alexandria: Legatio ad Gaium, edited with an Introduction, Translation and Commentary by E. Mary Smallwood, Leiden 1961 – Capelli, Piero: Testamento di Giobbe (introduzione, traduzione e commento), in: Paolo Sacchi (ed.), Apocrifi dell’Antico Testamento IV, Brescia 2000 – Spittler, Russell Paul: Testament of Job, in: James Hamilton Charlesworth (ed.), The Old Testament Pseudepigrapha, Apocalyptic Literature and Testament, Vol. 1, Garden City 829868 – Clément de Rome: L’Épître aux Corinthiens, ed. Annie Jaubert, SC 167, Paris 1971 – Barnabé: L’Épître de Barnabé, ed. Pierre Prigent / Robert Kraft, SC 172, Paris 1971 – Origène, Contre Celse, ed. Marcel Borret, Tome 3, SC 147, Paris 1969.

Sekundärliteratur Aejmelaeus, Anneli: A Lexical and Syntactical Study of the Semantic Field of Hope in the Greek Psalter, in: Peter W. Flint / Emanuel Tov / James C. Vanderkam (eds.), Studies in the Hebrew Bible, Qumran, and the Septuagint presented to Eugene Ulrich, VT.S 101, Leiden / Boston, Brill, 2006, 360-376 – Barth, Chistoph: ‫ ָי ַחל‬, ThWAT 3 (1982), 603-610 – de Boer, Martinus C: Galatians.A Commentary, NTL, Louisville 2011 – Bons, Eberhard: Die Septuaginta-Version von Psalm 22, in: ders, Textkritik und Textgeschichte. Studien zur Septuaginta und zum hebräischen Alten Testament, FAT 93, Tübingen 2014, 81-96 – Bons, Eberhard / Brucker, Ralph / Bauks, Michaela / Kraus, Thomas J. / Seiler, Stefan / Siffer-Wiederhold, Nathalie: Psalmoi. Das Buch der Psalmen, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Band II, Psalmen bis Daniel, Stuttgart 2011, 1479-1885 – Bormann, Lukas: Der Brief des Paulus an die Kolosser, ThHK 10/I, Leipzig 2012 – Brox, Norbert: Der erste Petrusbrief, EKK 21, Zürich / Neukirchen 1979 – Bultmann, Rudolf: ἐλπίς, ThWNT 2 (1935), 515-520, 525-531 – Felle, Antonio Enrico: Expressions of Hope Quoted from Biblical Texts in Christian Funerary Inscriptions (3rd-7th cent. C.E.), in: Wolfgang Kraus u. a. (ed.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 775-824 – Fitzmyer, Joseph: First Corinthians. A New Translation with Introduction and Commentary, The Anchor Yale Bible 32, New Haven / London 2008 – Focant, Camille: De l’art de digresser pour donner au sujet une profondeur radicale (1 Corinthiens 13), in: Daniel Gerber / Pierre Keith (ed.), Les hymnes du Nouveau Testament et leurs fonctions. XXIIe congrès de l’Association catholique française pour l’étude de la Bible (Strasbourg, 2007), LeDiv 225, Paris 2009, 99-118 – Gourgues, Michel: Les deux lettres à Timothée. La lettre à Tite, CbNT 14, Paris, Cerf, 2009 – Grässer, Erich: Der zweite Brief an die Korinther, Kapitel 1,1-7,16, ÖTK 8,1, GTB 513, Gütersloh / Würzburg 2002 – Haacker, Klaus: Der Brief des Paulus an die Römer, ThHK 6, Leipzig 1999 – Hübner, Hans: An Philemon, An die Kolosser. An die Epheser, HNT 12, Tübingen 1997 – Karrer, Martin: Der Brief an die 1.

Die Ausführungen zu Josephus wurden vollständig, die Ausführungen zu Paulus und den frühen Deuteropaulinen wesentlich von Martin Meiser nachergänzt.

180

gtvh 08105 / p. 181 / 31.3.2022

Hoffnung

Hebräer, ÖTK 20/1-2, Gütersloh / Würzburg, 2002 / 2008 – Keener, Craig S.: Galatians, Grand Rapids 2019 – Kremer, jacob: Der Erste Brief an die Korinther, RNT, Regensburg 1997 – Matera, Frank J.: Galatians, Sacra Pagina series 9, Collegeville 1992 – Pokorný, Petr: Der Brief des Paulus an die Epheser, ThHK 10/2, Leipzig 1992 – Quesnel, Michel: La première épître aux Corinthiens, CbNT 7, Paris 2018 – Schmeller, Thomas: Der zweite Brief an die Korinther (2Kor 1,1-7,4), EKK 8/1, Neukirchen / Ostfildern 2010 – Sellin, Gerhard: Der Brief an die Epheser, KEK 8, Göttingen 2008 – Steins, Georg: Psalmoi Salomontos / Die Psalmen Salomon, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Band II, Psalmen bis Daniel, Stuttgart 2011, 19001940 – Van Menxel, François: Ἐλπίς. Espoir. Espérance: études sémantiques et théologiques du vocabulaire de l’espérance dans l’Hellénisme et le Judaïsme avant le Nouveau Testament, Publications Universitaires Européennes, XXIII / 213, Frankfurt am Main 1983 – Waschke, Ernst Joachim: ‫קוה‬, ThWAT 6 (1989), 1225-1234 – Weiss, Hans-Friedrich: Der Brief an die Hebräer, KEK 13, Göttingen 1991 – Wolter, Michael: Der Brief an die Kolosser. Der Brief an Philemon, ÖTK 12, GTB 519, Gütersloh / Würzburg 1993 – Wolter, Michael: Der Brief an die Römer, Teilband 1: Röm 1-8, EKK 6/1, Neukirchen / Ostfildern 2014, Teilband 2: Röm 9-16, Ostfildern / Göttingen 2019 – Woschitz, Karl Matthäus: Elpis, Hoffnung, Geschichte, Philosophie, Exegese, Theologie eines Schlüsselbegriffs, Wien / Freiburg / Basel, Herder, 1979 – Wright, Robert: Psalms of Solomon. A New Translation and Introduction, in: James Hamilton Charlesworth (ed.), The Old Testament Pseudepigrapha, Expansions of the »Old Testament« and Legends, Wisdom and Philosophical Literature, Prayers, Psalms, and Odes, Fragments of Lost Judeo-Hellenistic Works, Vol. 2, Garden City 1985, 639-670.

1. Einleitung In diesem Artikel werden wir einige Beispiele für das Wort ἐλπίς (»Hoffnung«) und das Verb ἐλπίζω (»hoffen«) in der LXX, in den pseudepigraphischen Texten des Alten Testaments und in der jüdisch-hellenistischen Literatur, und schließlich im NT und bei den Apostolischen Vätern analysieren. Unsere Absicht besteht darin, zu zeigen, dass der Begriff »Hoffnung«, der in der LXX benutzt wird, einen besonderen Einfluss auf die spätere jüdische und christl. Literatur gehabt hatte. 2

2. Die Interpretation des Begriffs »Hoffnung« nach der LXX In der LXX tauchen die Termini ἐλπίς / ἐλπίζω besonders oft auf und übersetzen verschiedene hebräische Wurzeln, unter anderem ‫»( שבר‬warten«), ‫»( בתח‬vertrauen«), ‫»( יחל‬erwarten«), ‫»( קוה‬hoffen / warten«) und ‫»( חסה‬Zuflucht suchen«). 3 Im Gegensatz zur griech. Welt, in der das Wortfeld eine Vielfalt von Bedeutungen abdeckt, wird dieses Wortfeld in der LXX enger und genauer. 4 Die LXX-Übersetzer führen einen 2.

3. 4.

Auch wenn die Sprache der Psalmen die christlichen Grabinschriften des 3. Jh. bis ins 7. Jh. n. Chr. beeinflußt hat, wird es in diesem Zusammenhang nicht in Betracht gezogen. Näheres bei Felle: Expressions of Hope, 775-824. Vgl. dazu die Beiträge von Woschitz: Elpis, 221-230; Van Menxel: Ἐλπίς. Espoir., 162-172. Bultmann bemerkt, dass die Hoffnung im AT zu einem Erwarten des Guten wird und mit dem Vertrauen verwandt ist. Vgl. Bultmann: ἐλπίς, 518.

181

gtvh 08105 / p. 182 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

Begriff der Hoffnung ein, der eine klare religiöse Konnotation hat. Dieser Begriff wird hauptsächlich auf drei Arten ausgedrückt: a) »die auf Gott gesetzte Hoffnung«: Substantiv ἐλπίς + Präp. ἐπί + Akk. oder Dat. eines Nomens oder eines Pronoms, der sich auf Gott bezieht. b) »auf Gott hoffen«: Verb ἐλπίζω + die Präp. ἐπί + Akk. oder Dat. eines Nomens oder eines Pronoms, der sich ebenfalls auf Gott bezieht. c) »Gott als Hoffnung« des Gläubigen: Substantiv ἐλπίς »Hoffnung« als Gottesepitheton. Ein gutes Beispiel für den ersten Ausdruck ist Ps 145,5LXX. In diesem Fall wird die Hoffnung (ἡ ἐλπίς), im hebr. ֹ‫ִֹשְברו‬, von ‫»( שבר‬warten«), auf Gott gesetzt (ἐπὶ κύριον τὸν θεὸν αὐτοῦ). Der zweite Ausdruck findet man in 1Chr 5,20, wo erzählt wird, dass Rubens Söhne sich an Gott wenden, um die Agaräer zu besiegen, und dass sie erhört werden, weil sie auf ihn gehofft haben (ὅτι ἤλπισαν ἐπ᾽ αὐτόν); Gott ist das Fundament ihrer Hoffnung. Die entsprechende hebr. Wendung ֹ‫ ִכּי־ָבְטחוּ בו‬stammt von der Wurzel ‫»( בטח‬vertrauen«). Im Ps 32,22LXX bittet der Psalmist in der Wir-Form den Herrn, dass sein Erbarmen über die Betenden kommen möge, da sie auf ihn ihre Hoffnung gesetzt haben (ἠλπίσαμεν ἐπὶ σέ). ἠλπίσαμεν steht hier für MT ‫ ִי ַחְלנוּ‬, dessen hebr. Wurzel ‫» יחל‬erwarten« ist. 5 Wie in den vorherigen Beispielen, wird das Verb ἐλπίζω oft mit einer Präp. verwendet. 6 Der Sinn »auf Gott hoffen« tritt auch in Jes 25,9 auf, wo gesagt wird, dass man nicht nur auf Gott hoffen kann, sondern dass man durch diese Hoffnung gerettet werden kann. Die »Hoffnung« hat in diesem Fall eine rettende überirdische Dimension. Die hebr. Form von ἠλπίζομεν ist hier ‫ִק ִוּינוּ‬, dessen hebr. Wurzel ‫» קוה‬hoffen / warten« bedeutet. 7 Das Substantiv ἐλπίς »Hoffnung« als Gottesepitheton »Gott als Hoffnung« taucht im Ps 21,10LXX auf. Der griech. Psalmist behauptet, dass Gott schon seine Hoffnung war, als seine Mutter ihn stillte. Dieser Beleg ist aus verschiedenen Gründen interessant. Vor allem übs. die LXX die Form ‫ =( ַמְבִטיִחי‬Ptz. hiph. mit Suff. 1. sg. von ‫)בטח‬ »[du bist der,] der mich [den Brüsten der Mutter] anvertraut« mit dem Subst ἡ ἐλπίς ου. 8 Hier hat die LXX vielleicht das Substantiv *‫» ִמְבָטִחי‬mein Vertrauen« mit ἐλπίς ου übs. 9 Auf diese Weise wird Gott der Gegenstand der Hoffnung, 10 derjenige, der die Hoffnung garantiert, eine Hoffnung, die nicht enttäuscht. In diesem Zusammenhang ist ἐλπίς »Hoffnung« ein Synonym für eine gute Hoffnung. In der griech. Literatur ist ἐλπίς eine vox media, die positiv oder negativ bewertet werden kann, je nach den Adj., die sie bestimmen. Dagegen scheint ἐλπίς im Ps 21,10LXX eine gute ἐλπίς zu sein, die durch eine semantische Entwicklung gekennzeichnet wird, und zugleich eine engere Bedeutung hat als in der griech. Welt.

5. Die griech. Bibel übs. ‫ יחל‬meistens mit ἐλπίζω (13-mal). Vgl. Barth: 604 ,‫ ָי ַחל‬. 6. Die meist benutzte Präp. in den griech. Psalmen ist ἐπί + Dat. oder Akk.; vgl. Aejmelaeus: Study, 371. 7. Als Verb ist die Wurzel ‫ קוה‬im qal und piel belegt. So Waschke: 1226 ,‫קוה‬. 8. Vgl. Bons: Septuaginta-Version, hier 94. 9. Vgl. dazu Bons et al.: Psalmoi, 1555, Notiz 10; Bons: Septuaginta-Version, 94. 10. Van Menxel: Ἐλπίς, 238, schreibt: »Dieu est l’objet de la confiance de l’homme pieux de la Diaspora juive depuis la naissance«.

182

gtvh 08105 / p. 183 / 31.3.2022

Hoffnung

3. Der Einfluss des LXX-Begriffs »Hoffnung« auf die pseudepigraphischen Texte des Alten Testaments und auf die jüdisch-hellenistische Literatur Die in der LXX vorhandenen Wendungen »die auf Gott gesetzte Hoffnung« und »auf Gott hoffen« sind vielfach auch in den pseudepigraphischen Texten des Alten Testaments und in der jüdisch-hellenistischen Literatur zu finden. 11 Im PsSal 8,31 12 wendet sich der Psalmist direkt an Gott und bittet ihn in der 1. Pers. des Pl. um Hilfe; er beteuert, dass Gott von Anfang an (ἀπ᾽ ἀρχῆς) ihr Gott ist (ὁ θεὸς ἡμῶν) und dass ihre Hoffnung (ἐλπίς ἡμῶν 13) in ihm (ἐπὶ σέ) ist. In anderen Worten hebt der Psalmist hervor, dass Gott der Gott Israels ist, und dass er seine Hoffnung in ihn setzt. In diesem Fall wird das Wort ἐλπίς, wie im Ps 145,5LXX, mit der Präp. ἐπί + Akk. gebildet. Des weiteren taucht der Sinn »Gott als Hoffnung« im PsSal 5,11 14 wieder auf. In diesem Zusammenhang meint der Psalmist, dass Gott die Könige, die Herrscher und die Völker ernährt, und fragt sich zugleich, wer die Hoffnung (ἡ ἐλπίς) des Armen und des Bedürftigen (καὶ πτωχοῦ καὶ πένητος) ist, wenn nicht der Herr selbst (εἰ μὴ σύ κύριε). Die Wendung »auf Gott hoffen« befindet sich in TestHiob 37,5. Baldad versucht zu verstehen, in welcher Verfassung sich Hiob befindet. Deshalb stellt er Fragen. Unter anderem: εἰ τῷ θεῷ ἐλπίζεις 15 (»und Du, hoffst Du auf Gott?«). So möchte er wissen, bis zu welchem Grad Hiob auf Gott vertraut, auch wenn er sich in einer schwierigen Lage befindet. Hiob antwortet, dass sein Verstand noch unangetastet ist, und dass sein Vertrauen auf Gott nie geschwächt wurde. An dieser Stelle wird das Verb ἐλπίζω nicht mit einer Präp., sondern mit einem Dat. gebildet und bedeutet dann »seine Hoffnung auf Gott setzen«. Nach 2Makk 2,18 richtet sich die Hoffnung Israels auf das Erbarmen Gottes und die Heimholung der Diaspora, nach 2Makk 7,14 ist für den sterbenden Märtyrer die Hoffnung auf die Auferweckung sein Trost, nach 2Makk 7,20 für seine Mutter die Hilfe, das Schicksal der Hinrichtung ihrer sieben Söhne zu ertragen. Bei Philo von Alexandria bekundet sich das Bestreben, mit Hilfe eklektisch angeeigneter griechisch-philosophischer Tradition die Heilige Schrift Israels zu erklären, auch in seinem Umgang mit der Wortfamilie ἐλπίς. Anthropologisch gelten ἐλπίς und προσδοκία (»Erwartung«) als Tätigkeiten nicht der Sinnlichkeit (αἴσθησις), sondern des Geistes (νοῦς). 16 In ethischen Kontexten benennt die Wortfamilie die

11. Daneben findet sich auch die weisheitliche Einsicht in die Vergeblichkeit mancher trügerischen Hoffnung (Sir 31[34],1). Das kann allerdings auch kritisch gegen Nichtjuden gewendet werden (Weis 3,11). 12. Für eine mögliche Datierung des PsSal 8, s. Van Menxel: Ἐλπίς, 401. 13. Wright: Psalms of Solomon, 660, übs. die Wendung καὶ ἐπὶ σὲ ἡ ἐλπὶς ἡμῶν κύριε mit »and on you we have hoped, Lord«. 14. Dieser Psalm ist ein »Bekenntnis des Vertrauens auf den gütigen, barmherzigen und gerechten Gott«. Vgl. Steins: Psalmoi Salomontos, 1920. 15. Spittler übs. die Frage εἰ τῷ θεῷ ἐλπίζεις mit »do you hope upon God?«, während Capelli sie mit »E tu confidi in Dio?« wiedergibt. Vgl. Spittler: Testament of Job, 857, und Capelli: Testamento di Giobbe, 166. 16. Philo: Leg.All. II, 43, neben προσδοκία (In Abr. 14 ist die ἐλπίς schlicht die προσδοκία ἀγαθῶν). Die Gegenüberstellung zwischen αἴσθησις und νοῦς greift in die philosophische De-

183

gtvh 08105 / p. 184 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

uns aktivierende Hoffnung auf Selbstvervollkommnung (τελείωσις) 17, aber auch die Voraussetzung für die Freude als seelisches Hochgefühl, die, als eigenständiges wie mit anderem verbundenes Gut uns nicht erst dann belebt, wenn der Gegenstand der Freude realisiert ist, sondern auch in Form der Vorfreude. 18 Die von der Septuaginta überkommene generelle positive Bestimmung von ἐλπίς und ihr religiöser Zusammenhang zeigt sich bei Philo da, wo er, durch den Zusammenhang von Gen 4,26; 5,1 bedingt, die Hoffnung auf den wahrhaft seienden Gott als den Geber aller Güter als ein Kennzeichen des Menschlichen benennt. 19 Die Harmonisierung griechischer und biblischer Ethik wird sichtbar, wenn die geforderte Orientierung der ἐλπίς hin auf Gott der gegebenen Orientierung der ἐπιθυμία (»Begierde«) auf das σῶμα (den »Leib«) kontrastiert wird. 20 Die religiöse Nuance ist erkennbar in Leg.Gai. 21 196, wo Philo sich auf die Errichtung der Statue des Imperators im Tempel zu Jerusalem bezieht 22 und sagt, dass die Heimsuchung eine Prüfung für die heutige Generation sein könnte. Da jede Hoffnung auf eine menschliche Hilfe verschwunden ist, ermutigt er seine Leser, mit einer unzerstörbaren Hoffnung (ἀκαθαίρετος ἡ … ἐλπίς) auf Gott, den Heiland (ἐπὶ τὸν σωτῆρα θεόν) zu harren. Bei Josephus findet sich neben dem positiven 23 und dem neutralen 24 auch der negative Begriffsgebrauch, 25 manchmal durch ein Attribut markiert 26, wie solche Markierung gelegentlich auch bei positivem Begriffsgebrauch nicht fehlt. 27 Für die Antiquitates ist dies unabhängig davon feststellbar, ob Josephus biblische Vorlagen paraphrasiert oder frei formuliert. Dass die Wortfamilie in der in Contra Apionem II, 144 beginnenden Selbstdarstellung des Judentums für Nichtjuden fehlt, mag darin begrün-

17. 18. 19.

20. 21.

22. 23.

24. 25. 26. 27.

batte ein, ob man Erkenntnis nur durch das eine oder das andere erlangt bzw. wie die Zuordnung von αἴσθησις und νοῦς zun rechten Erkenntnisgewinn auszusehen hat. Philo: Her. 310 f. für das aktivierende Moment steht ἐπισπεύδειν. Philo: Leg.All. III, 86; Mut.Nom. 161-165. Philo: Det. 138 f. Die religiöse Konnotation zeigt sich bei Philo auch in Leg.All. III, 164, wo Hoffnungslosigkeit als Haltung beschrieben wird, dass man mit der Gabe des Guten nur jetzt und nicht auch später zu rechnen bereit ist. Hier stehen δύσελπις, ἄπιστος und ἄνους nebeneinander. Philo: Post. 26. Im Jahre 40 n. Chr. war Philo als Botschafter einer jüdischen Gesandtschaft aus Alexandria nach Rom gegangen, um beim Kaiser Gaius Caligula eine Versöhnung zwischen den Juden und den Römern in Sachen Religionsfreiheit, Bürgerrechte der Juden und ihrer Lage in Alexandria zu erlangen. S. Philo von Alexandria: Legatio ad Gaium, 24-25. LegGai ist ein Bericht der Judenverfolgung in Alexandria unter Gaius Caligula. Weiteres bei Philo von Alexandria: Werke, 166-170. Als Philo in Puteoli ankam, erfuhr er, dass Gaius befohlen hatte, eine Statue seiner selbst in Gestalt des Jupiters im Tempel zu Jerusalem aufstellen zu lassen (Leg.Gai. 185-188). Für das Syntagma ἐλπὶς βοηθείας vgl. Bell. V, 11; für ἐλπὶς σωτηρίας vgl. etwa Bell. VII, 331; Ant. I, 327; VI, 24; VII, 158; XIII, 399; XV, 153; XVI, 238, für das Syntagma ἐλπὶς πλεονεξίας vgl. etwa Ant XV, 79, für das Syntagma ἐλπὶς νίκης vgl. Bell. VII, 369; Ant. VI, 26; VIII, 406 (dasselbe mit εἰς τὸ νικᾶν in Ant XV 130), für das Syntagma ἐλπὶς κέρδους vgl. Bell. II, 587. Zumeist in der Formulierung παρ’ ἐλπίδα: Bell. I, 34.123; Ant. XVIII, 239. Ant. V, 40; XV, 196.261; Vita 380. Ant. XVIII, 277. Ant. II, 332; V, 222; VI, 275; VIII, 214.

184

gtvh 08105 / p. 185 / 31.3.2022

Hoffnung

det sein, dass Josephus hierin keinen wirklichen Unterschied zwischen der Religion Israels und nichtjüdischer Religiosität erkennen konnte; den Gedanken, die Hoffnung auf Gott zu setzen, kennt er sehr wohl. 28

4. Die Entwicklung des LXX-Begriffs »Hoffnung« im NT und bei den Apostolischen Vätern Bei Paulus kommt die ἐλπίς in 1Kor 13, was oft als eine Hymne und eine Lobrede an die Liebe betrachtet wird 29, neben dem Glauben (πίστις 30) und der Liebe (ἀγάπη) als eine der drei grundsätzlichen Tugenden zu stehen 31, die im Leben eines Christen bleiben (νυνὶ δὲ μένει). 32 Die Wortfamilie ἐλπίς kann bei Paulus sowohl von innergeschichtlicher als auch von eschatologischer Hoffnung verwendet werden. 33 Als auf Gott gerichtete innergeschichtliche Hoffnung ist ἐλπίς Hoffnung gegen das normalerweise zu Erwartende (Röm 4,18), radikales Vertrauen auf Rettung in einer ausweglosen Situation (2Kor 1,8-10) 34, Modus christlicher Lebenshaltung in Freude (Röm 12,12). 35 Ihr eignet das Moment der unbedingten Gewissheit 36, basierend auf dem Gedanken der Geschichtsmacht Gottes, der sich als Helfer auch in Sachen der salus privata (»der privaten Wohlfahrt«) erweist. 37 Die eschatologische Hoffnung wird in 1Thess 4,13 als Charakteristikum für die Lebenshaltung der Christusgläubigen im Unterschied zu den Nichtchristen aus griechisch-römischem Kulturkreis benannt. 38 In Gal 5,5 erscheint 28. Ant. VIII, 282; XII, 300, mit ἐλπίζω Ant. X, 258. 29. Weiteres bei Focant: De l’art, 99-118. 30. Nach Quesnel hat πίστις hier nicht die Bedeutung »foi permettant des miracles«, sondern eher »foi-fidélité«. Vgl. Quesnel: La première épître, 323. 31. Die Triade »Glaube«, »Hoffnung«, »Liebe« findet man auch z. B. in Gal 5,5-6; Röm 5,l-5; Hebr 10,22-24; 1Petr 1,21-24 sowie in 1Thess 1,3 (Kremer: Der Erste Brief, 291). 32. Dabei ist das Größte (μείζων δὲ τούτων) die Liebe, die über das Leben hinaus besteht. Vgl. Fitzmyer: First Corinthians, 502. 33. Für ersteres vgl. u. a. 1Kor 16,7; Phlm 22, für letzteres vgl. 1Thess 1,3; 5,8; 1Kor 13,13; 15,19. Im ersteren Falle wird ἐλπίς oft auf einen Zustand oder ein Verhalten (häufig das des Gegenübers z. B. 2Kor 1,13; 5,11; 10,15; 13,6) hin konkretisiert. 34. Die Situation wird in der Sprache der Psalmen beschrieben, vgl. Ps 33,19; 5,4 f.; 56,15 etc. Woran Paulus denkt (Gefangenschaft in Ephesus; Kränkung in Korinth, Krankheit), bleibt offen (Grässer: Der zweite Brief an die Korinther I, 64). 35. Der Dativ τῇ ἐλπίδι gibt nicht den Gegenstand oder den Grund der Freude an, sondern den Modus (Wolter: Römer II, 287, Anm. 41) 36. Schmeller: Der zweite Brief an die Korinther I, 73: Die Hinzufügung von ἠλπίκαμεν bezeichnet keine Einschränkung der Rettungserwartung. 37. Die Vorstellung war auch für Angehörige des griechisch-römischen Kulturkreises verständlich, wie Plinius, Ep. I, 22,11 erweist. Auffällig ist allerdings, daß die Gottesprädikation ἐπήκοος – der Gott, der erhört –, im Neuen Testament nur in 2 Kor 6,2, in einem Zitat aus Jes 49,8 LXX begegnet. 38. In 1Thess 4,13-18 setzt sich Paulus nicht mit griechisch-römischen Unsterblichkeitsvorstellungen auseinander. Allerdings ist auch auf die begrenzte Verbreitung dieser Unsterblichkeitsvorstellungen zu verweisen. Anders wäre der Spott über christliche Auferstehungsvorstellungen nicht erklärbar, von dem christliche Apologeten berichten (u. a. Justin: 1. Apol. 8,5, SC 507, 146; Tertullian: Apol. 47,12-14, CC.SL 1, 164 f.; Origenes: Cels V, 14, SC 147, 48-50).

185

gtvh 08105 / p. 186 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

die δικαιοσύνη (»Gerechtigkeit«) als Gegenstand der ἐλπίς, was die Wiedergabe mit »erhoffte Gerechtigkeit« nahelegt. 39 Dies mag auf den ersten Blick irritieren 40, doch ist traditionsgeschichtlich die bei Paulus auch in 1Thess 1,9 f. bezeugte Vorstellung der eschatologischen Rettung im antiken Judentum breit verankert. 41 In Röm 5,2 greift Paulus mit der Wendung »Herrlichkeit Gottes«, auf die sich die Hoffnung richtet, auf Röm 3,23 zurück, wo er »den Verlust dieser Herrlichkeit als Unheilsfolge der menschlichen Sünde festgestellt hatte … Die Erfüllung der Hoffnung auf den Wiedergewinn der Herrlichkeit Gottes ist Paulus so gewiss, dass er schon die Hoffnung auf sie als ein Heilsgut darstellen kann, dessen sich die Glaubenden ›rühmen‹ können.« 42 Die Hoffnung der Glaubenden ist der Modus, »in dem das von der Zukunft erwartete eschatische Heil … bereits in der Gegenwart präsent ist.« 43 Bei Röm 8,24 sind zum Begriffsgebrauch Aspekte zu beobachten, die schon bei der innergeschichtlichen Hoffnung zu beachten waren: »Das dankbare Bekenntnis ›gerettet‹ ist immer noch ein Bekenntnis der Zuversicht und nicht die Feststellung einer abgeschlossenen Handlung. Es enthält das Wagnis des Widerspruchs gegen den Augenschein und stellt vor die Aufgabe der Ausdauer.« 44 In den Deuteropaulinen ist eine Verschiebung gegenüber Paulus im Begriffsgebrauch festzustellen. Die Wortfamilie ἐλπίς wird ihres anthropologischen Gehaltes entkleidet 45 und bezeichnet in Kol 1,4 wie Eph 1,18 nur noch das jenseitige Hoffnungsgut. Dabei wird auf eine apokalyptische Tradition zurückgegriffen, dergemäß »zukünftiges Heil und Unheil schon immer in Gottes himmlischer Jenseitigkeit bereitliegen, bevor sie in eine allgemein wahrnehmbare Realität überführt werden«. 46 In Eph 1,18 ist das Syntagma ἐλπὶς τῆς κλήσεως (»Hoffnung der Berufung«) wohl gen. qualitatis 47; ἐν τοῖς ἁγίοις (»unter den Heiligen«) kann sich auf gegenwärtige lebende wie auf

39. In der Wendung ἐλπίδα δικαιοσύνης in Gal 5,5 ist wie bei den Wendungen καινότητι πνεύματος und παλαιότητι γράμματος in Röm 7,6 in Analogie zu Grundregeln der hebr. Grammatik die doppelte Determination vermieden. Der Gen. δικαιοσύνης bezeichnet dann nicht die Quelle der Hoffnung und ist wohl auch nicht als genitivus epexegeticus aufzufassen (so aber Matera: Galatians, 182). Nach ἀπεκδέχομαι wie nach ἐλπίδα erwartet man die Angabe eines konkreten Objektes. Dass es um eschatologische Hoffnung geht, ist dadurch nahegelegt, dass Paulus den Begriff ἀπεκδέχομαι grundsätzlich in eschatologischen Zusammenhängen verwendet (1Kor 1,7; Phil 3,20; Gal 5,5; Röm 8,19.23.25. Er bezeichnet weniger die ungewisse Hoffnung als die gewisse Erwartung (Keener: Galatians, 458). 40. Vielleicht kommt es bei der ἔλπις in Gal 5,5 überhaupt weniger auf die Zukünftigkeit der erhofften δικαοισύνη denn vielmehr auf Gott als den Urheber der δικαοισύνη an (de Boer: Galatians, 316). 41. Vgl. 1QS IV17-20; äthHen 5,8 f.; 10,16; PsSal 17,32. 42. Wolter: Römer I, 322 (Hervorhebungen Wolter). 43. Wolter: Römer I, 322 f.; ähnlich ebd. 520, zu Röm 8,24 f. 44. Haacker: Römer, 166. 45. Bormann: Kolosser, 63, der allerdings betont, dass der Hoffnung ein dynamischer Aspekt innewohnt, da sie Glaube und Liebe bewirkt. In Kol 1,27 ist ἡ ἐλπὶς τῆς δόχης Näherbestimmung zu Χριστὸς ἐν ὑμῖν (Hübner: Kolosser, 71), die Zukunftsbezug und Relevanz der Christusbindung gleichermaßen herausstellt. 46. Wolter: Kolosser, 52, mit Verweis auf 4Esr 7,14.77; äthHen 11,1; 25,7; syr Bar 4,3.7 u. a. 47. Sellin: Epheser, 130.

186

gtvh 08105 / p. 187 / 31.3.2022

Hoffnung

vollendete Christen bzw. die Engel beziehen. 48 Die Gewissheit der Hoffnung ist begründet in Gott als demjenigen, der in die eine Kirche hinein beruft (Eph 4,4); das soll aber auch zu einem entsprechenden Lebenswandel motivieren (Eph 4,1). Im Hebräerbrief ist die Wortfamilie ἐλπίς mit zentralen Anliegen und unverwechselbaren Characteristica des Schreibens verknüpft, nämlich mit der Hohepriesterchristologie. Hoffnung »bietet Orientierung über die vorfindliche Lebenswelt hinaus« 49, ist die Verankerung der Gemeindeglieder im himmlischen Raum 50, »Zuflucht, die die vorfindliche Welt überschreitet«. 51 Der Begriff ἐλπίς meint in Hebr 6,18 »das gleichsam objektive Hoffnungsgut, die ›res sperata‹, die zwar gegenwärtig noch ›vor‹ (προ-) den Christen liegt, gerade so aber – wie dann sogleich V. 19 zeigt (ἣν … ἔχομεν) – zugleich einen Grund hat, der schon gelegt ist.« 52 Hebr 10,19-25 benennt, als summierender Rückblick auf Hebr 7,1-10,18 den Grund der Hoffnung in dem hohenpriesterlichen Wirken Christi und verweist in V. 23b nochmals auf die Treue Gottes 53, die solche Hoffnung unbedingt gewiss macht. Der Hinweis auf den in der Heiligen Schrift (Gen 22,16 f.) bezeugten Eid Gottes soll die Unverbrüchlichkeit seiner Verheißung unterstreichen; diese soll die Adressaten zum Festhalten an der zukünftigen Hoffnung motivieren. 54 Auch im Ersten Petrusbrief bezeichnet die Wortfamilie ἐλπίς die in der Gegenwart begründete Zukunftsdimension christlicher Existenz 55, über deren Grund man gegenüber Nichtglaubenden Rechenschaft ablegen können muss (1Pt 3,15). 56 Die Wendungen »die auf Gott gesetzte Hoffnung« und »auf Gott hoffen«, die schon in der LXX vorkommen, wie auch in den pseudepigraphischen Texten des Alten Testaments und in der jüdisch-hellenistischen Literatur, tauchen sowohl in den Spätschriften des Neuen Testaments als auch bei den Apostolischen Vätern auf. In 1Tim 4,10 ermahnt der Verfasser den Adressaten, ein guter Diener Jesu Christi zu sein und fromm zu leben. 57 Er erinnert ihn an die Grundlagen ihrer Hoffnung, die auf den 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54.

55. 56.

57.

Sellin: Epheser, 131. An die vollendeten Christen denkt Pokorný: Epheser, 80. Karrer: Hebräer I, 199, mit Verweis auf Röm 5,2: Kol 1,23, ähnlich ders.: Hebräer II, 221. Karrer: Hebräer II, 48. Karrer: Hebräer II, 52. καταφεύγω (Hebr 6,18) ist Terminus der Asylsuche. Weiss: Hebräer, 365. Zur Wendung καύχημα τῆς ἐλπίδος (Hebr. 3,6) verweist Karrer: Hebräer I, 198 f., auf das Motiv »Gott als Israels Ruhm« in Dtn 10,21 LXX. Daß Gott nicht lügen kann, ist biblischer (vgl. 1 Sam 15,29MT; Num 23,19) und frühjüdischer (vgl. Philo: Vit.Mos. I, 283, zu Num 23,19) Grundsatz, der aber auch einem Angehörigen des griechisch-römischen Kulturkreises einleuchtet. Die Lebendigkeit der Hoffnung (1Pt 1,3) meint wohl deren Gewissheit (Brox: Der Erste Petrusbrief, 61). Gemeint sind kritiche Rückfragen von Nichtglaubenden, die sich im sozialen Miteinander von Glaubenden und Nichtglaubenden ergeben; gemeint sind nicht speziell Christenprozesse (Brox: Der Erste Petrusbrief, 139 f.). Tit 2,13; 3,7 stellen klar, dass die Hoffnung auf die Parusie Christi und auf das ewige Leben den lebensbegleitenden, zu ethischem Handeln motivierenden Horizont darstellen, wie dies auch sonst im Neuen Testament häufig begegnet. Wird in 1Tim 6,17 die Hoffnung auf Gott der verfehlten Hoffnung auf den unsicheren Reichtum entgegengesetzt, so wirkt auch hier die alttestamentliche wie paulinische Konzeption der in Gott als gegenüber verbürgten unbedingten Gewissheit der Hoffnung nach.

187

gtvh 08105 / p. 188 / 31.3.2022

Termini und Themen der Septuaginta

lebendigen Gott gesetzt ist (ἠλπίκαμεν ἐπὶ θεῷ ζῶντι), auf den Gott, der der Retter eines jeden Menschen (ὅς ἐστιν σωτὴρ πάντων ἀνθρώπων), insbesondere der Gläubigen (μάλιστα πιστῶν 58) ist. In diesem Vers wird das Verb ἐλπίζω mit der Präp. ἐπί + Dat. gebildet, und dieser Ausdruck heißt »auf Gott hoffen«. Dieses Verb hat auch diese Bedeutung in Barn 19,7c. 59 Im Kap. 18-20 fordert der Autor den Leser dazu auf, einer Liste der Gebote zu folgen. Er schreibt z. B. im Kap. 19, dass man gegen seinen Diener oder seine Magd, die auf denselben Gott hoffen (τοῖς ἐπὶ τὸν αὐτὸν θεὸν ἐλπίζουσιν), nicht zu hart sein soll. Im Unterschied zu dem vorhin erwähnten Beispiel (1Tim 4,10) wird das Verb ἐλπίζω mit der Präp. ἐπί + Akk. gebildet. Dasselbe gilt für 1Clem 11,1. Klemens von Rom nimmt Gen 19 wieder auf, und er betont, dass Lot durch seine Gastfreundlichkeit und seine Frömmigkeit aus Sodoma gerettet wurde. 60 Er fügt hinzu, dass der Herr diejenigen, die auf ihn hoffen (τοὺς ἐλπίζοντας ἐπ᾽ αὐτόν), nicht im Stich lässt, aber dass er die Widerspenstigen in Strafe und Qual stürzt. Daneben kann ἐλπίς in 1Clem 27.1 inhaltlich gefüllt werden als Hoffnung auf die Auferweckung von den Toten, wie sie in Ps 3,6; Hi 19,26 als bezeugt gilt. Eine ähnliche Bedeutung wie »Gott als die Hoffnung« ist bei Ignatius, IgnTrall 2,2 zu finden. In diesem Brief ermuntert Ignatius von Antiochia die Gemeinde von Tralles, vor den Falschlehren zu fliehen, und er ermutigt sie, unter der Obhut des Bischofs Polybius vereint im Gebet zu bleiben. Im 2. Kap. des Briefes wiederholt er die Notwendigkeit, nicht ohne die Zustimmung des Bischofs zu handeln, und den Aposteln zu gehorchen. Er betont, dass die Apostel »die Apostel Jesu Christi, unserer Hoffnung« sind (ἀπόστολοι Ἰησοῦ Χριστοῦ τῆς ἐλπίδος ἡμῶν). In diesem Fall ist das Wort ἐλπίς in Kontinuität zu Ps 21,10LXX zu verstehen. Wenn Ignatius Jesus Christus als »unsere Hoffnung« kennzeichnet, ist es, als ob er sagen würde, dass Gott »unsere Hoffnung« ist, weil er an Jesu Christi Göttlichkeit glaubt. 61

5. Abschließende Bemerkung Nach dieser Analyse mancher Belege des Substantivs ἐλπίς »Hoffnung« und des Verbes ἐλπίζω »hoffen« in der LXX wird klar, dass der Begriff »Hoffnung«, der der LXX eigen ist, eine religiöse und existentielle Bedeutung in Bezug auf das menschliche

58. Der Ausdruck ὅς ἐστιν σωτὴρ πάντων ἀνθρώπων μάλιστα πιστῶν wurde verschieden interpretiert. Näheres bei Gourgues: Les deux lettres à Timothée, 164-169. Gourgues liest 1Tim 4,10 angesichts Tit 3,4, und er betrachtet den Glauben in Christus als der privilegierte Zugang zu Gott, vgl. Gourgues: Les deux lettres à Timothée, 166. 59. Der Barnabasbrief ist eine Abhandlung in der Form eines Briefes. Vgl. Barnabé: L’Épître de Barnabé, 9. 60. Die Tatsache, dass der Autor in 1Clem 10,7-12,6 die Tugend der Gastfreundlichkeit von Abraam, Lot und Rachab betont, sollte eine Lehre für die Korinther, eine Anspielung auf ihre mangelnde Gastfreundlichkeit sein. Vgl. Clément de Rome: L’Épître, 117. 61. Ignatius definiert Jesus Christus ausdrücklich als Gott (θεοῦ Ἰησοῦ Χριστου) z. B. in IgnTrall 7,1. Daneben kennt der Autor auch den normalen Gebrauch im Sinne einer konkreten positiven Zukunftserwartung (IgnEph 10,1) und den Gebrauch im Sinne der Jenseitshoffnung (IgnTrall prooem.).

188

gtvh 08105 / p. 189 / 31.3.2022

Hoffnung

Schicksal bekommt. Die drei Ausdrücke (»die auf Gott gesetzte Hoffnung«, »auf Gott hoffen« und »Gott als Hoffnung« des Gläubigen) haben eine starke Auswirkung auf die spätere jüdische und christl. Literatur gehabt.

189

gtvh 08105 / p. 190 / 31.3.2022

2.2 Texte der Septuaginta 2.2.1 Pentateuch 2.2.1.1-4 Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri Martin Meiser

1. Texte aus Genesis Literatur Texte, Editionen, Übersetzungen Genesis, ed. Bonifatius Fischer, Vetus Latina 2, Freiburg 1951-1954. Ambrosiaster: Quaestiones Veteris et Novi Testamenti, ed. Alexander Souter, CSEL 50, Prag / Wien / Leipzig 1908, 1-416 – Ambrosius: Exaemeron, ed. Carl Schenkl, CSEL 32/1, Prag / Wien / Leipzig 1896, 1-261 – Anastasius Sinaita: Anagogicarum contemplationum in Hexaemeron ad Theophilum libri duodecim, PG 89, 851 A-1078 – Anastasius Sinaita: Quaestiones et Responsiones, PG 89, 311 A-824 C – Anastasius Sinaita: Quaestiones et responsiones, ed. Marcel Richard / Joseph A. Munitiz, CC.SG 59, Turnhout 2006 – Augustinus: De Genesi ad litteram libri duodecim, ed. Joseph Zycha, CSEL 28/1, Prag / Wien / Leipzig 1889, 1-456 – Augustinus: De Genesi ad litteram liber imperfectus, ed. Joseph Zycha, CSEL 28/1, Prag / Wien / Leipzig 1889, 457-503 – Augustinus: De Genesi contra Manichaeos, ed. Dorothea Weber, Wien 1998 – Augustinus: Quaestionum in Heptateuchum libri VII, ed. Jean Fraipont, CC.SL 33, Turnhout 1958, 1-377 – Augustinus: Sermones de Vetere Testamentum, ed. Cyril Lambot, CC.SL 41, Turnhout 1961 – Basilius Caes.: Sur l’origin de l’Homme, ed. Alex Smets / Michel van Esbroeck, SC 160, Paris 1970 – Basilius Caes.: Homélies sur l’hexaéméron, ed. Stanislas Giet, SC 26, Paris 21968 – Basilius Caes.: Homilien zum Hexaemeron, ed. Emmanuel Amand de Mendieta / Stig Y. Rudberg, GCS NF 2, Berlin / New York 1997 – La Chaîne sur la Genèse. Édition intégrale, Vol. I, Chapitres 1 à 3, texte établi par Françoise Petit, TEG 1, Leuven 1992, Vol. II, Chapitres 4 à 11, texte établi par Françoise Petit, TEG 2, Leuven 1993 – Clemens Alex.: Excerpta ex Theodoto, ed. Otto Stählin, GCS 17, Leipzig 1909, 103-133 – Clemens Alex.: Protrepticus, hg. Otto Stählin, 3. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 12, Berlin 1972, 1-86 – Collectio Coisliana in Genesim, ed. Françoise Petit, CC.SG 15, Turnhout 1986 – Cyprianus Gallus: Heptateuchus, ed. Rudolf Peiper, CSEL 23, Prag / Wien / Leipzig 1891 – Cyrillus Alex.: Gegen Julian, ed. Christoph Riedweg, 2 Bde., GCS NF 20/21, Berlin / Boston 2016-2017 – Cyrillus Alex.: Glaphyra, PG 69, 9 A678 C – Didymus Alex.: Sur la Genèse, texte inédit d’après un papyrus de Toura, ed. Pierre Nautin, Bd. 1, SC 233, Paris 1976, Bd. 2, SC 244, Paris 1978 – Eusebius Emes.: Commentaire de la Genèse. Texte arménien de l’édition de Venise (21980). Fragments grecs et syriaques. Avec traductions par Françoise Petit / Lucas van Rompay / Jos. J. S. Weitenberg, TEG 15, Leuven / Walpole 2011 – Filastrius: Diversarum haereseon liber, ed. Friedrich Marx, CSEL 38, Prag / Wien / Leipzig 1898 – Gregorius Nys.: In hexaemeron, ed. Hubert R. Drobner, GNO IV/1, Leiden 2009 – Hippolytus Rom.: Refutatio omnium haeresium, ed. Paul Wendland, GCS 26, Leipzig 1916 – Johannes Chrysostomus: Homiliae in Gen., PG 53, 21-54, 580 – Johannes Chrysos-

190

gtvh 08105 / p. 191 / 31.3.2022

Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri

tomus: Sermons sur la Genèse, ed. Laurence Brottier, SC 433, Paris 1998 – Johannes Philoponos: De opificio mundi / Über die Erschaffung der Welt, ed. Clemens Scholten, FC 23,1-3, Freiburg 1997 – Justinus Martyr: Apologie pour les Chrétiens, ed. Charles Munier, SC 507, Paris 2006 – Origenes: Die Homilien zu Genesis (Homiliae in Genesim), ed. Peter Habermehl, Origenes Werke VI/1, Homilien zum Hexateuch in Rufins Übersetzung, GCS NF 17, Berlin / Boston 2012 – Origenes: Die neuen Psalmenhomilien. Eine kritische Edition des Codex Monacensis Graecus 314, ed. Lorenzo Perrone u. a., GCS NF 19, Berlin / München / Boston 2015 – Procopius Gaz.: Eclogarum in libros historicos Veteris Testamenti epitome, Teil 1: Der Genesiskommentar, ed. Karin Metzler, GCS NF 22, Berlin / München / Boston 2015 – Ps.-Athanasius: Quaestiones in Scripturam, PG 28, 711 A-774 A – Tertullian: Adversus Hermogenem, ed. Aemilius Kroymann, CC.SL 1, Turnhout 1954, 395-435 – Theodoret: Quaestiones in Octateuchum, ed. John F. Petruccione, Vol 1, OECT 1, Oxford 2007 – Vicebodus: Quaestiones in Genesim, PL 96, 1101 C-1168 B.

Weitere Literatur Amirav, Hagit: Rhetoric and Tradition. John Chrysostom on Noah and the Flood, TEG 12, Leuven 2003 – Alexander, Monique: L’exégèse de Gen 1,1-2a dans l’Hexaemeron de Grégoire de Nysse: deux approches du problème de la matière, in: Heinrich Dörrie / Margarete Altenburger / Uta Schramm (ed.), Gregor von Nyssa und die Philosophie. Zweites internationales Kolloquium über Gregor von Nyssa, Leiden 1976, 159-192 – Blowers, Paul M.: From Nonbeing to Eternal Well-Being: Creatio ex nihilo in the Cosmology and Soteriology of Maximus the Confessor, in: Geert Roskam / Joseph Verheyden (ed.), Light on Creation, STAC 104, Tübingen 2017, 169-185 – Henke, Rainer: Basilius und Ambrosius über das Sechstagewerk. Eine vergleichende Studie, Chrêsis 7, Basel 2000 – Jervell, Jacob: Imago Dei. Gen 1,26 f. im Spätjudentum, in der Gnosis und in den paulinischen Briefen, FRLANT 76, Göttingen 1960 – Köckert, Charlotte: Christliche Kosmologie und kaiserzeitliche Philosophie. Die Auslegung des Schöpfungsberichtes bei Origenes, Basilius und Gregor von Nyssa vor dem Hintergrund kaiserzeitlicher Timaeus-Interpretationen, STAC 56, Tübingen 2009 – May, Gerhard: Schöpfung aus dem Nichts. Die Entstehung der Lehre von der creatio ex nihilo, AKG 48, Berlin / New York 1978 – Rösel, Martin: Übersetzung als Vollendung der Auslegung. Studien zur Genesis-Septuaginta, BZNW 223, Berlin / New York 1994 – van der Horst, Pieter Willem: Was the Earth »Invisible«? A Note on ἀόρατος in Genesis 1:2 LXX, JSCS 48 (2015), 5-7.

1.1 Gen 1,2 Die Wiedergabe von ‫»( ובהו תהו‬wüst und leer«) durch ἀόρατος καὶ ἀκατασκεύαστος (»unsichtbar und ungestaltet«) in Gen 1,2a, aber auch das Imperfekt ἦν, wirft zu beiden Begriffen Fragen des Verstehens und der Wertung auf. 1 Philon von Alexandria hat ἀόρατος mit Hilfe der platonischen Ideenlehre gedeutet 2 – Die Unsichtbarkeit kommt der Ewigkeit zu (Opf. 9), die nur für die Ideen 1.

2.

Allerdings ist mindestens die christliche Rezeption der Stelle her auch von der Diskussion um die Begriffe ἄβυσσος und πνεῦμα bestimmt. Das πνεῦμα wurde zunächst auf den Heiligen Geist bezogen (Origenes: Hom. 2 in Ps. 36, GCS NF 19, 549; Basilius Caes.: Hex. 2,6, GCS NF 2, 31; Gregorius Nyss.: Hex., GNO IV/1, 31; Augustinus: Qu. Gen. 134, CC.SL 33, 51), dann als belebende Kraft (Johannes Chrysostomus: Hom. Gen. 3,1, PG 53,33), dann als Wind gedeutet (Severianus Gabal.: Creat. 1,4, PG 56, 434; Theodoret: Qu. Gen. 8 [Fernández Marcos / Sáenz Badillos 12 f.]), schließlich als Feuersphäre (Johannes Philoponos: Opf. II, 2, FC 23/1, 188). Philo: Opf. 29. Allerdings lässt sich, so Rösel: Übersetzung, 32, das folgende ἀκατασκεύα-

191

gtvh 08105 / p. 192 / 31.3.2022

Pentateuch

im Sinne Platons, aber nicht für die sichtbare Welt gegeben ist – und damit der Aussage eine positive Richtung gegeben. Umstritten ist Philons Position in der Frage der Ewigkeit der ungestalteten Materie; die folgenden, unvollständigen Ausführungen können das Problem nur andeuten. Einerseits kann er den κόσμος als γενητὸν καὶ ἄφθαρτον bezeichnen 3, andererseits findet sich als Beweis der Übereinstimmung Platons mit Mose die These, Wasser, Finsternis und Chaos seien schon vor der Welt vorhanden gewesen. 4 Der Begriff ἀκατασκεύαστος aus Gen 1,2a wird bei Philo nicht näher interpretiert. Josephus zufolge ist die Erde nicht sichtbar wegen der vor der Erschaffung des Lichtes herrschenden generellen Finsternis. 5 Da wo Gen 1,2a nicht im Sinne der platonischen Ideenlehre gedeutet wird, ist für die Begriffe ἀόρατος und ἀκατασκεύαστος eine Auslegung im Sinne des Defizitären gegeben. Schon in gnostischer Exegese kann mit beiden Begriffen der ungeordnete Zustand der Materie beschrieben sein. 6 Für den Begriff ἀόρατος finden sich in großkirchlicher Exegese kontextbasierte Auslegungen von Gen 1,3 und von Gen 1,6 oder von Gen 1,26 her: Die Erde ist nicht sichtbar wegen der vor der Erschaffung des Lichtes herrschenden generellen Finsternis 7 oder wegen der noch nicht erfolgten Teilung der Wassermassen, so dass sie unter dem Wasser unsichtbar war 8 oder weil noch kein Mensch da war, der sie hätte anschauen können. 9 Eine andere Deutung besagt, die Erde sei ungeordnet gewesen 10 und sei es damals noch nicht wert gewesen, dass man sie ansieht.

3.

4. 5. 6. 7.

8.

9.

10.

στος unter dieser Prämisse nicht recht erklären. Philo spielt aber nicht auf Platon, Timaios 51a an, wo die Begriffe ἀνόρατον εἷδός τε καὶ ἄμορφον begegnen. Philo: Aet. 19, mit Verweis auf Gen 1,1 f., ohne dass Gen 1,2 näher ausgelegt wird. Die Schrift ist m. E. vor allem als Stellungnahme gegen die stoische Theorie von einem (zyklischen) Weltende durch Weltenbrand zu lesen. Philo: Prov. I, 22. Josephus: Ant. I, 27. Zu christlichen Analogien s. u. Tertullian: Adv. Hermog. 23,1, CC.SL 1, 416. Origenes: Hom. Gen. 1,1, GCS NF 17, 2; Acacius Caes.: In Collectio Coisliana in Genesim, CC. SG 15, 18; Ambrosius: Exaemeron I, 7/26, CSEL 32/1, 25; Johannes Philoponos: Opf. IV, 1, FC 23/ 2, 372. Tertullian: Adv. Hermog. 29,4, CC.SL 1, 421; Basilius Caes.: Hex. 2,2, SC 26, 156; Basilius Caes. in: La Chaîne sur la Genèse, TEG 1, 9; Johannes Chrysostomus: Hom. Gen. 3,2, PG 53, 34; Ps.Athanasius: Qu. Script. 47, PG 28, 729 C; Eusebius Emes.: In Gen. 3, TEG 15, 28; Theodoret: Qu. Gen. 5, OECT 1, 18; Cyprianus Gallus: Heptateuchus, 2, CSEL 23,1; Severianus Gabal. bei Procopius Gaz.: In Gen., GCS NF 22, 14; Johannes Philoponos: Opf. II, 2, FC 23/1, 184; IV, 1, FC 23/ 2, 372; Ambrosiaster: Qu. 106,6, CSEL 50, 238. Severianus kommt auch auf die Übersetzung κένη bei Aquila zu sprechen, die er als Alternative zu ἀόρατος, nicht zu ἀκατασκεύαστος auffasst und mit ἀκόσμητος inhaltlich erklärt, dieses wiederum mit Verweis auf die noch nicht erfolgte äußere Gestaltung der Landschaft (Gen 2,5 f.) näher umschreibt. Basilius, in: Collectio Coisliana in Genesim, CC.SG 15, 21. Acacius von Caesarea antwortet, dass die Erde, auch wenn schon ein Mensch vorhanden gewesen wäre, sie zu betrachten, aufgrund der sie bedeckenden Wassermassen unsichtbar blieb. Dass sie für Gott nicht sichtbar gewesen sein sollte, dürfe man nicht sagen (Acacius Caes., in: Collectio Coisliana in Genesim, CC.SG 15, 19). Ambrosius zufolge hatte Gott auf die Erde noch nicht sein Augenmerk gerichtet, »denn um des Menschen willen ist die Erde erschaffen, und ihm gilt das eigentliche Interesse Gottes« (Henke: Ambrosius und Basilius, 188). Severianus Gabal., in: La Chaîne sur la Genèse. Édition intégrale, Vol. I, Frgm. 14, TEG 1, 9.

192

gtvh 08105 / p. 193 / 31.3.2022

Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri

Der Begriff ἀκατασκεύαστος verweist in gnostischer Exegese auf die formlose und ungeordnete Masse, die die Sophia hervorbringt. 11 Die Ewigkeit der Materie hat Hermogenes wie dann später Julian Apostata und die bei Augustinus genannten »Häretiker« speziell aus dem Imperfekt ἦν in Gen 1,2 abgeleitet. 12 Auch Justin der Märtyrer versteht Gen 1,2 als Aussage über die ungeordnete präexistente Materie, ohne dass der Gedanke, sie sei von Gott erschaffen, expliziert würde. 13 Nach den uns vorliegenden Quellen war sein Schüler Tatian der erste, der, vermutlich in Auseinandersetzung mit Markioniten, die Annahme zurückgewiesen hat, dass die Materie ein ungewordenes Prinzip sei. Für Theophilos von Antiochia beschreibt Gen 1,2a ebenfalls, platonisierender Tradition folgend, den Zustand der Materie vor ihrer Gestaltung. doch gilt die Materie als von Gott erschaffen. 14 Origenes hält, anders als es die mögliche Anlehnung an Platon, Timaios 51a in Gen 1,2 nahelegen könnte, unter Verweis auf 2Makk 7,28 die Materie nicht für ewig, sondern für geschaffen. 15 Basilius von Caesarea grenzte sich von der seit Philon und Origenes bezeugten, dann bei Ambrosius wiederholten Identifizierung der Erde mit der Hyle ab. 16 Gregor von Nyssa fragt, wie durch den immateriellen Gott die Materie geschaffen sein kann und verweist aus das Zusammenwirken von Gottes Weisheit und Gottes Schöpferkraft – das Wollen kommt bei ihm uneingeschränkt zur Verwirklichung. Der Begriff ἀκατασκεύαστος bezieht sich darauf, dass die körperliche Realität nur in der Verbindung von Qualitäten (kalt / warm, hart / weich) existiert, die ihrerseits nichts anderes als ἔννοιαι sind. 17 In seiner zweiten Auslegung zu Gen 1,2a innerhalb von In hexaemeron betont er unter Verweis auf die Übersetzungen bei Symmachus, Theodotion und Aquila gut aristotelisch, dass die Erde in der Möglichkeit (δύναμις), aber noch nicht in der Wirklichkeit (ἐνέργεια) als Erde vorhanden war. 18 Gegen die Behauptung der Ewigkeit der Materie hält Augustinus fest, dass sich die Begriffe invisibilis et inconparata auf die auf die Ungeformtheit der körperlichen Ma-

11.

12.

13. 14. 15. 16. 17. 18.

Van der Horst: Earth, 7, greift diese Deutung als vom Übersetzer der Septuaginta intendiert wieder auf. Hippolyt: Ref. VI, 30,9, GCS 26, 158. Clemens Alex.: Excerpta ex Theodoto 47,4, GCS 17, 122, spiegelt eine Auffassung wider, dergemäß ἀόρατον i. S. von ἀσώματον zu verstehen sei und sich auf die Körperlosigkeit und Gestaltlosigkeit der hylischen im Unterschied zur psychischen Substanz bezieht (May: Schöpfung, 107 mit Anm. 218). Traditionsgeschichtlicher Hintergrund dürfte Sap 11,17 (in der Anrede an Gott: ἡ … σου χεὶρ … κτίσασα τὸν κόσμον ἐξ ἀμόρφου ὕλης) sein (May: Schöpfung, 108). Tertullian: Adv. Hermog. 23,1, CC.SL 1, 416; Cyrillus Alex.: C. Iul. II, 19, GCS NF 20, 112; Augustinus: Gen Litt. Imp. 4, CSEL 28/1, 465. Zu den mittelplatonischen Parallelen vgl. May: Schöpfung, 145 f. Auch Clemens Alex., Strom. V, 90,1, GCS 52, 385 hat Gen 1,2a auf die ungeordnete Materie bezogen. May: Schöpfung, 124, in Interpretation von Justinus Martyr: 1.Apol. 59,1-5, SC 507, 282-284. May: Schöpfung, 153 f. 165 f. Origenes: Princ. IV, 4,6-8, GCS 22, 357. Henke: Basilius und Ambrosius, 109. Gregorius Nyss.: Hex. 7, GNO IV/1, 15 f. Gregorius Nyss.: Hex. 17, GNO IV/1, 28. Zu dieser Passage vgl. Alexander: L’exégèse de Gen 1,1-2a, 169 f.

193

gtvh 08105 / p. 194 / 31.3.2022

Pentateuch

terie beziehen, 19 die aber, so Gen 1,1, ebenfalls von Gott geschaffen sei. 20 Aus Gen 1,1 f. lässt sich, so Augustinus schon zuvor gegen die Manichäer, die Ablehnung des alttestamentlichen Gottes als einer Potenz, die in ihrem Schöpfungshandeln von der Existenz der Materie abhängig sei, nicht belegen. 21 Mit Hilfe von Jes 45,9 v. l. (Ποιῶν βέλτιον κατεσκεύασα σε ὡς πηλὸν κεράμεως 22) lässt sich ἀκατασκεύατος als ἀκόσμητος präziser fassen: So wie der ungeformte Ton durch den Töpfer zu seinem brauchbaren Gefäß wird, so wie er es haben will, so impliziert das Schöpfungshandeln Gottes eine Wendung zum Besseren. 23 Nach Johannes Chrysostomus zielt der mit dem Begriff angezeigte defizitäre, aber dann von Gott geänderte Zustand auf das Staunen über den Schöpfer 24, nach Ambrosius wehrt er der Vorstellung der Ewigkeit der Materie. 25 Naturwissenschaftlich steht für Johannes Philoponos fest, dass der Begriff den Zustand bezeichnet, bevor das Trockene sichtbar, das eigentlich charakteristische der Erde und ihre zeugende Potenz (γεννητική … δύναμις). 26

1.2 Gen 1,26 Von Bedeutung für die Rezeptionsgeschichte war nicht nur der Begriff εἰκών, sondern auch, dass das Stichwort ὁμοίωσις in Gen 1,26 eine Erinnerung u. a. an Platons Formel ὁμοίωσις τῷ θεῷ κατὰ δύνατον evozieren konnte. Platon hatte diese Worte u. a. mit der Wendung δίκαιον καὶ ὅσιον μετὰ φρονήσεως γενέσθαι umschrieben. 27 Die ethische Deutung von Gen 1,26 f. mit Hilfe des Begriffes ὁμοίωσις führt in der Frühzeit in der valentinianischen Gnosis sowie bei den pseudoclementinischen Homilien gelegentlich zu einer Überordnung der ὁμοίωσις über die εἰκών, – εἰκών ist der choische, ὁμοίωσις der psychische Mensch – während bei Satornil das umgekehrte Verhältnis vorliegt. 28 Clemens knüpft explizit an Platon an 29, bezieht daneben aber auch Dtn 13,4 ein, dessen Anfangsworte ὀπίσω κυρίου τοῦ θεοῦ ὑμῶν πορεύεσθε er mit dem Begriff ἀκολουθία systematisiert und von da aus auf Lk 6,36 30 sowie auf die stoische Telosformel in der Formulierung bei Chrysipp verweist (ἀκολούθως τῇ 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26.

27. 28. 29. 30.

Augustinus: Gen. Litt. I, 1, CSEL 28/1, 5; ähnlich Ambrosiaster: Qu. 106,6, CSEL 50, 238. Augustinus: Gen. Litt. Imp. 4, CSEL 28/1, 465. Augustinus: Gen. Man. 1,5, CSEL 91, 71. Diese Variante bietet zwei Besonderheiten, auf denen ihre Exegese beruht: ποιῶν statt ποῖον und die Einführung des σε. Procopius Gaz.: In Gen., GCS NF 22, 14 f. Johannes Chrysostomus: Serm. in Gen. 1,3, SC 433, 168, aufgenommen auch bei Procopius Gaz.: In Gen., GCS NF 22, 15. Ambrosius: Exaemeron I, 7/27, CSEL 32/1, 25. Johannes Philoponos: Opf. IV, 1,10, FC 23/2, 372. 406, an letzterer Stelle in den Zusammenhang der u. a. von Aristoteles: Metaph. 2,4, 360a22-25 dargestellten Lehre von den vier Urelementen Feuer, Wasser, Luft und Erde eingestellt. Platon: Theaetet 176b. Belege bei Jervell: Imago Dei, 166 f. Clemens Alex.: Protr. 122,4, GCS 12, 86. Ähnlich ein nicht identifizierbarer Autor bei Procopius Gaz.: In Gen, GCS NF 22, 69, der zusätzlich auf Gal 4,19 verweist. Eine ethische Deutung ohne expliziten Bezug auf Platon an dieser Stelle vertreten auch Johannes Chrysostomus: Serm. Gen 3,1, SC 433, 204, mit Deutung auf

194

gtvh 08105 / p. 195 / 31.3.2022

Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri

φύσει ζῆν). 31 Darüber hinaus verweist er auf eine bestimmte Interpretation von Gen 1,26 f., der gemäß der Mensch bei der Schöpfung die Ebenbildlichkeit empfangen habe, die Ähnlichkeit aber erst später bei der Endvollendung empfangen werde. 32 Später, bei Origenes, liegt diese Deutung tatsächlich vor, und sie lässt als ihren Hintergrund eine exegetische Beobachtung erkennen: In der Ankündigung der Menschenschöpfung Gen 1,26 ist von der εἰκών und von der ὁμοίωσις, in der Ausführung Gen 1,27 aber nur mehr von der εἰκών die Rede, so dass die Erschaffung der ὁμοίωσις eben noch aussteht. 33 Basilius von Caesarea führt die Deutung ethisch mit Hilfe von Mt 5,48; Kol 3,12; Gal 3,27 weiter: Die ὁμοίωσις erwerben wir mit Hilfe unseres sittlichen Strebens, mit Hilfe unserer auf Gott gerichteten προαίρεσις, die uns aufgrund der Gottebenbildlichkeit gegeben ist. 34 In der späteren Handschriftentradition zu Anastasius Sinaita wird auf Theodoret von Kyros die einfache Definition zurückgeführt: τὸ δὲ καθ’ ὁμοίωσιν ἡ τῆς ἀρετῆς κατὰ τὸ δύνατον ὁμοίωσις (»die Wendung καθ’ ὁμοίωσιν bezieht sich auf die Verähnlichung hinsichtlich der Tugend, soweit es dem Menschen möglich ist«). 35 Isidor von Sevilla unterscheidet die imago als die Ewigkeit und Unsterblichkeit und die similitudo als den Verstand, mit dem sich der Mensch vom Tier unterscheidet. 36 In antiker christlicher Exegese führt der Terminus ὁμοίωσις gelegentlich dazu, dass nach dem Ausgleich zu dem anthropologisch verstandenen Frage Ps 82[83],2 (ὁ θεός, τίς ὁμοιωθήσεταί σοι) gesucht wird. Augustinus löst die Frage mit dem Verweis darauf, dass Gott selbst in uns abtötet, was ihm nicht ähnlich ist. 37

1.3 Gen 4,26 Die Textdifferenz οὗτος (= Ενως) ἤλπισεν (= ‫ )החל זה‬vs. ‫ הוחל אז‬in dem Satz οὗτος ἤλπισεν ἐπικαλεῖσθαι τὸ ὄνομα κυρίου τοῦ θεοῦ ermöglicht bei passivischer Deutung des Indikativs ἐπικαλεῖσθαι 38 eine Interpretation der sperrigen Wendung υἱοὶ

31.

32. 33. 34. 35.

36. 37. 38.

die Demut; Ps.-Athanasius: Interpretationes ex V.T. 55, PG 28, 733C, und Anastasius Sinaita: Hex. VI, 6,5, OCA 278, 198 (Tugend der Liebe). Clemens Alex.: Strom. II, 100,3 f., GCS 52, 167 f.; ähnlich Strom. V, 94,6, GCS 52, 388. Zur Zuweisung der Formel ἀκολούθως (τῇ φύσει) ζῆν an Chrysipp vgl. Diogenes Laertios VII, 89 u. ö. Clemens Alex.: Strom. II, 131,6, GCS 52, 185. Origenes: Princ. III, 6,1, GCS 22, 280, der zusätzlich auf 1 Joh 3,2 verweist (ὁμοίοι αὐτῷ ἐσόμεθα). Basilius d. Gr.: Creat. I, 16 f., SC 160, 206-212. Auch Johannes Philoponos: Opif. VI, 7, FC 23/3, 522, bringt den Begriff der προαίρεσις ein. (Ps.-)Anastasius Sinaita: Qu., PG 89, 545 B (in CC.SG 59 nicht mehr enthalten); ähnlich Gregorius Nyss.: In La Chaîne sur la Genèse. Édition intégrale, Vol. I, Frgm. 133, TEG 1 :103; Filastrius, Haer. 109/137,2, CSEL 38, 107. Augustinus: Serm. V.T. 24,2-4, CC.SL 41, 326-328. bei Wicbodus: Liber quaestionum super librum Genesis, PL 96, 1133 A. Diese passive Interpretation des Infinitives begegnet etwa bei Didymus Alex.: In Gen., SC 233, 332; Cyrillus Alex.: Glaph. Gen II, 1,4, PG 69, 64; Theodoret: Qu. Gen. 47.2, OECT 1, 98 (er führt sie auf Aquila zurück) sowie in der Chaîne sur la Genèse Frgm. 577, TEG 2, 53, dort dem Eusebius von Emesa zugeschrieben. In der Chaîne sur la Genèse. Édition intégrale, Vol. I, Frgm. 617, TEG 1, 76 (ein fassbarer Autor wird hier nicht eindeutig genannt), wird auf die

195

gtvh 08105 / p. 196 / 31.3.2022

Pentateuch

θεοῦ von Gen 6,2 als Nachkommen des Ενως. Zugleich wird damit das Problem beseitigt, wie sich eigentlich außermenschliche Wesen mit menschlichen Frauen vermischen können. 39

1.2 Gen 6,4 Die Übersetzung γίγαντες für ‫ גברים‬in Gen 6,4LXX provoziert die Frage nach dem Vergleich mit den Giganten der griechischen Mythologie. Hierin sind antike jüdische Kommentatoren gespalten; Philo von Alexandria zufolge haben die γίγαντες mit den griechischen Giganten nichts zu tun; nach Josephus hingegen sind beide hinsichtlich ihrer Schlechtigkeit durchaus vergleichbar. 40 Ähnlich wie Philo, aber ohne auf ihn zu verweisen, behauptet Didymus von Alexandria, der Verweis auf die griechischen Giganten sei ein Eintrag von Ungläubigen in die Interpretation des Bibeltextes; die Bibel gebrauche γίγαντες als Umschreibung für kräftige Menschen. 41 Ohne Bezugnahme auf griechische Mythologie und ohne den Vorwurf einer Fehlinterpretation begegnet diese Deutung noch öfters. 42

2. Texte aus Exodus Literatur Editionen, Übersetzungen Flavius Josephus: Über die Ursprünglichkeit des Judentums (Contra Apionem), Band 2: Beigaben, Anmerkungen, griechischer Text, in Zusammenarbeit mit dem Josephus-Arbeitskreis des Institutum Judaicum Delitzschianum Münster, ed. Folker Siegert, Göttingen 2008. Ambrosius: De fide, ed. Otto Faller, CSEL 78, Wien 1962 – Ambrosius: Expositio Evangelii secundum Lucam, cura et studio Marcus Adriaen, CC.SL 14, Turnhout 1957, 1-400 – Andronicus Comnenus: Dialogus contra Iudaeos, PG 133, 797 A-922 C – Athanasius: De decretis Nicae-

39.

40. 41. 42.

passivische Deutung von Gen 4,26 explizit Bezug genommen. In der Vulgata begegnet die aktive Deutung invocare. Die Vetus Latina bietet durchgehend das Aktiv invocare (Fischer [ed.]: Genesis, 92 f.). Der Grundsatz θεὸς δὲ ἄνθρώπῳ οὐ μίγνυται begegnet bei Platon, Symp. 203 a, im Rahmen dessen, dass alles Dämonische zwischen Göttern und Menschen vermittelt, also den Göttern überbringt, was von Menschen kommt, und umgekehrt. Der Grundsatz ist aber verallgemeinerbar. Insgesamt vgl. Amirav: Rhetoric and Tradition, 84-94. Das Problem stellt sich für die alexandrinischen Exegeten, die häufig der Lesart ἄγγελοι θεοῦ in Gen 6,2 folgen, meist deshalb nicht, weil sie die »Engel« sehr stark mit der menschlichen Seele in Verbindung bringen (Amirav: Rhetoric and Tradition, 90). Philo: Gig. 58; Josephus: Ant. I, 73. Zu Philos Rezeption der Stelle s. den Beitrag von Jutta Leonhardt-Balzer in diesem Band (S. 470-473). Didymus Alex.: In Gen., SC 244, 36, mit Verweis auf Jes 3,2; Dtn 1,28; Num 13,33. Die Deutung auf die Körperkraft (und -größe) begegnet auch bei Kyrill: Glaph. Gen. II, PG 69, 56 A-B. Johannes Chrysostomus: Hom. Gen. 22,4, PG 53, 191; Theodoret: Qu. Gen. 48, OECT 1:102-104; La Chaîne sur la Genèse, Frgm. 616 (mit unterschiedlichen Zuweisungen), TEG 2, 75 f.

196

gtvh 08105 / p. 197 / 31.3.2022

Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri

nae synodi 22,3, AW 2, Berlin 2006, 1-45 – Athanasius: De synodis, AW 2, Berlin 2006, 231-278 – Augustinus: Contra Maximinum episcopum Arianum, PL 42, 743-814 – Augustinus: De civitate Dei, ed. Bernhard Dombard / Alfons Kalb, CC.SL 47, Turnhout 1955 / CC.SL 48, Turnhout 1955 – Augustinus: De Trinitate libri XV, ed. William John Mountain / François Glorie, CC. SL 50 / 50 A, Turnhout 1968 – Augustinus: De vera religione, ed. William M. Green, CSEL 77, Wien 1961 – Augustinus: Enarrationes in Psalmos, ed. D. Eligius Dekkers / Jean Fraipont, Bd. 1: Ps. 1-50, CC.SL 38, Turnhout 1956 = 1990; Bd. 2: Ps. 51-100, CC.SL 39, Turnhout 1956 = 1990; Bd. 3: Ps. 101-150, CC.SL 40, Turnhout 1956 = 1990 – Augustinus: Quaestionum in Heptateuchum Libri VII, ed. Jean Fraipont, CC.SL 33, Turnhout 1958, 1-377 – Augustinus: Sermones in Vetus Testamentum, ed. Cyrille Lambot, CC.SL 41, Turnhout 1961 – Augustinus: Tractatus in evangelium Iohannis, ed. D. Radbodus Willems, CC.SL 36, Turnhout 1954 – Cassiodorus: Expositio psalmorum, ed. Marcus Adriaen, Bd. 1: Expositio psalmorum I–LXX, CC.SL 97, Turnhout 1953; Bd. 2: Expositio psalmorum LXXI-CL, CC.SL 98, Turnhout 1953 – La Chaîne sur l’Exode I, Fragments de Sévère d’Antioche, ed. Françoise Petit / Lucas van Rompay, TEG 9, Leuven 1999 – Chromatius Aquil.: Sermones, ed. Raymond Etaix / Joseph Lemarie, CC.SL 9 A, Turnhout 1974, 1-182 – Chromatius Aquil.: Tractatus in Matthaeum, in: Chromatii Aquileiensis opera, ed. Raymond Étaix / Joseph Lemarié, CC.SL 9 A, Turnhout 1974, 183-498 – Filastrius: Diversarum haereseon liber, ed. Friedrich Marx, CSEL 38, Prag / Wien / Leipzig 1898 – Fulgentius Rusp.: Ad Trasamundum, in: Sancti Fulgentii Episcopi Ruspensis Opera, cura et stuio Jean Fraipont, CC.SL 91/91 A, Turnhout 1968, 95-185 – Hieronymus: In Ezechielem, cura et studio Frans Glorie, CC.SL 75, Turnhout 1964 – Hilarius Pict.: De Trinitate libri XII, cura et studio Pieter Frans Smulders, CC.SL 62 / 62 A, Turnhout 1979-1980 – Irenaeus: Adversus haereses. Gegen die Häresien, ed. Norbert Brox, Bd. 1, FC 8/1, Freiburg u. a. 1993; Bd. 2, FC 8/2, Freiburg u. a. 1993; Bd. 3, FC 8/3, Freiburg u. a. 1995; Bd. 4, FC 8/4, Freiburg u. a. 1997; Bd. 5, FC 8/5, Freiburg u. a. 2001 – Justinus Martyr: Apologie pour les Chrétiens, ed. Charles Munier, SC 507, Paris 2006 – Novatianus: De Trinitate libri XII, in: Novatiani Opera quae supersunt, ed. Gerard F. Diercks, CC.SL IV, Turnhout 1972, 1-85 – Origenes, Contra Celsum, ed. Marcel Borret, Tome 2, SC 132, Paris 1968, Tome 4, SC 150, Paris 1969 – Origenes: De Principiis, ed. Paul Koetschau, GCS 22, Leipzig 1913 – Primasius Hadrum.: Commentarius in Apocalypsin, ed. Arthur White Adams, CC.SL 92, Turnhout 1985 – Prosper Aquit.: Expositio Psalmorum (100-150), ed. Piet Callens / M. Gastaldo, CC.SL 68A, Turnhout 1972, 1-211 – Ps.-Didymus: De Trinitate, Buch 1, ed. Jürgen Hönscheid, BKP 44, Meisenheim 1975 – Theodor Mopsuest.: Katechetische Homilien, ed. Peter Bruns, FC 17/1-2, Freiburg 1994-1995 – Theodoret: Quaestiones in Octateuchum, ed. John F. Petruccione, Vol 1, OECT 1, Oxford 2007.

Weitere Literatur Cook, John Granger: The Interpretation of the Old Testament in Greco-Roman Paganism, STAC 23, Tübingen 2004 – Feldman, Louis H.: Judean Antiquities 1-4. Translation and Commentary, Flavius Josephus. Translation and Commentary, ed. Steven Mason, Vol. 3, Leiden 2000 – Karrer, Martin: Septuaginta und Philosophie, in: Siegfried Kreuzer / Martin Meiser / Marcus Sigismund (ed.), Die Septuaginta – Orte und Intentionen, WUNT 361, Tübingen 2016, 3-35 – Schwartz, Daniel R.: Reading the first Century. On Reading Josephus and Studying Jewish History of the First Century, WUNT 300, Tübingen 2013 – Wevers, John William: Notes on the Greek Text of Exodus, SCS 30, Atlanta 1990.

2.1 Ex 3,14 Zacharias Frankel, der Ahnherr der Septuagintaforschung in der Mitte des 19. Jahrhunderts, kommentiert: »Diese Uebersetzung ist eine der vortrefflichsten: Gott ist der Seiende, die Bedingung des Seins liegt in ihm selbst, das Sein selbst eine innere Noth197

gtvh 08105 / p. 198 / 31.3.2022

Pentateuch

wendigkeit.« 43 Die Deutung betont die Konvergenz zwischen biblischer Theologie und den höchsten Gedanken griechischer Philosophie. Während man zu Ex 3,14LXX selbst noch diskutieren kann, ob der Übersetzer platonisch denkt oder nicht 44, deutet Philon von Alexandria Ex 3,14 unter Einfluss des platonischen Gegensatzes zwischen wirklichem und scheinbar Seiendem 45; vgl. etwa Det. 160: ὡς τῶν μετ’ αὐτὸν οὐκ ὄντων κατὰ τὸ εἶναι, δόξῃ δὲ μόνον ὑφεστάναι νομιζομένων (»da das, was nach ihm kommt, nicht nach der Kategorie des Seins existiert, vielmehr nur dem Anschein nach für wirklich gehalten wird«). 46 In Vit.Mos I 75 verbindet sich damit der andere Gedanke, dass es eigentlich für Gott überhaupt keinen passenden Namen gibt 47; der Name »Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs« ist Anpassung an die Fassungskraft der Schwachen und bezeichnet Gott als den Gott der drei Männer, die die Tugend symbolisieren; Abraham erwirbt sie durch Belehrung, Isaak durch die natürliche Begabung, Jakob durch die praktische Übung. 48 Ex 3,14 hat zusammen mit Ex 20,5, auch als jüdisches Argument gegen die Trinitätslehre gedient. 49 Die christliche Wirkungsgeschichte von Ex 3,14 umschließt Rezeptionen zum Gottesbegriff im Allgemeinen wie speziell in antipaganer Frontstellung 50, dann aber auch trinitätstheologische und christologische Debatten. Exegetisch bedarf das Nebeneinander der Engelserscheinung und der Gottesstimme der Klärung. Ex 3,14 ist eine der Kardinalstellen auch für die christliche Gottesvorstellung. Schon Origenes hielt die Ewigkeit der göttlichen ὑπόστασις des Vaters in einem metaphysischen Sinne durch Ex 3,14 für bewiesen. 51 Augustinus zufolge benennt Ex 3,14 die Ewigkeit in Gott, die keine Veränderung 52 und keine Akzedentien kennt 53; er be43. Frankel: Einfluss, 82. 44. Karrer: Septuaginta und antike Philosophie, 27. 45. Auch Numenius von Apameia soll die Selbstvorstellung Gottes nach Ex 3,14 mit Hilfe das platonischen τὸ ὄν (»das Seiende«) verstanden haben (Cook: Interpretation of the Old Testament, 37). 46. Vgl. auch Philo: Opif. 172: εἷς ὁ ὤν ὄντως ἐστί (»Der eine, der ist, ist in Wahrheit«). 47. So auch Philo: Somn. I 231. Bei Philo: Abr 121, kann es heißen: κυρίῳ ὀνόματι καλεῖται ὁ ὤν (»Mit zutreffenden Namen wird er ›der Seiende‹ genannt«). 48. Philo: Vit.Mos I, 76; ähnlich Philo: Mut. 11 f. 49. Andronicus Comnenus: Dialogus contra Iudaeos, PG 133, 800 B. 50. Von der Erinnerung an die im 4. Jh. immer wieder nochmals aufflackernde Dominanz nichtchristlicher Religiosität ist die Rezeption von Ex 3,14 bei Chromatius: Serm. 33,1, CC.SL 9 A, 150, bestimmt: Ex 3,14 benennt den wahren Gott im Gegensatz zu den nichtchristlichen Göttern. Die nichtchristlichen Götter werden mit Jer 10,11 und Ps 95,5 gekennzeichnet. 51. Origenes: Princ. I, 3, 6, GCS 22, 57. Der Rahmen, in den Ex 3,14 hier hineingestellt ist, ist die subordinatianische Trinitätslehre des Alexandriners. Ex 3,14 beweist, dass es das Gott Vater eigentümliche Werk ist, allem, was ist, Gerechten wie Sündern, vernunftbegabten wie vernunftlosen Wesen, Anteil an seinem Sein zu geben, das Werk des Sohnes hingegen, an den vernunftbegabten Wesen zu wirken, während der Heilige Geist nur kraft der Vermittlung des Sohnes in den Frommen wirkt. 52. Augustinus: De vera religione 273, CSEL 77, 70; Augustinus: Serm. V.T. 7,7, CC.SL 41, 75. Ähnlich Cassiodorus: Expos. Ps. 49,6, CC.SL 97, 444; Expos. Ps. 89,2, CC.SL 98, 822, zuvor schon Novatianus: Trin. IV 5 f., CC.SL 4, 17; Ambrosius: In Lc. X, 81, CC.SL 14, 369. Zu den Worten ego sum heißt es bei Ambrosius illius est enim esse qui semper est (« dem kommt das Sein [scil.

198

gtvh 08105 / p. 199 / 31.3.2022

Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri

nennt Gott als die summa essentia … et ideo immutabilis (»die höchste Wesenheit … und folglich unveränderlich«). 54 Ex 3,14 bezeichnet, was nur Gott zukommt, nicht irgendeiner Kreatur 55, der das Sein nicht im selben Maße zugesprochen werden kann. 56 Ex 3,14 lässt neben Gen 1,1 am ehesten die Möglichkeit als denkbar erscheinen, dass Platon die heiligen Schriften gekannt hat, obwohl er lange Zeit nach den Propheten, aber noch vor der Zeit der Septuaginta-Übersetzung gelebt hat. 57 Für Ps.-Hilarius von Poitiers enthält Ex 3,14 die absolute, die Unerkennbarkeit der göttlichen Natur für die menschliche Fähigkeit des Verstehens am ehesten geeignete Gottesbezeichnung. 58 Dass Gott sich mit den Worten von Ex 3,14 vorstellt, soll den Zweifel daran zerstreuen, ob in dem brennenden Dornbusch wirklich Gott gesprochen habe. 59 In den trinitätstheologischen Streitigkeiten musste Gregor von Nyssa sicherstellen, dass Ex 3,14 nicht in der Nachfolge des Origenes als Argument zugunsten einer subordinatianischen Trinitätslehre eingebracht werde 60; andererseits ist Ex 3,14 (über Joh 1,1) als Hilfsargument für die ewige Gottheit des Sohnes verwendet worden. 61 Auch der Sinn des Nebeneinanders der Namensformen Ex 3,14 und Ex 3,15 (Gott Abrahams, Isaaks, Jakobs) ist immer wieder bedacht worden. Augustinus zufolge benennt Ex 3,14 den Namen Gottes »bei« ihm (apud), Ex 3,15 den Namen Gottes »wegen« der Menschen (propter) 62; der Name in Ex 3,15 will uns trösten angesichts unserer Endlichkeit und Begrenztheit. 63 Letztlich soll man sich an den inkarnierten Christus hal-

53. 54.

55. 56. 57. 58. 59. 60. 61.

62. 63.

im eigentlichen Sinne] zu, der immer ist »), bei Ambrosius: De fide V, 1,26, CSEL 78, 225: qui … est, semper est. Bei Ps.-Hilarius: Trin. IV, 8, CC.SL 62, 109, der auch auf Jer 1,6 LXX verweist, heißt es dazu: hunc quoque solum manentem innascibilem (»diesen, der als einziger im Status des nicht geboren werden Könnens verbleibt«). Von daher ergibt sich auch, dass dem christologisch gedeuteten hodie (»heute« [scil. habe ich dich gezeugt]) von Ps 2,7 keine Zeitvorstellung im menschlichen Sinne zugrunde liegt (Cassiodor: Expos. Ps. 2,8, CC.SL 97, 44). Augustinus: Trin. V, 3, CC.SL 50, 207 f. Augustinus: Civ. XII, 2, CC.SL 48, 357; ähnlich Augustinus: Tract. Ev. Io. 39,8, CC.SL 36, 349. Auch bei Cassiodorus: Expos. Ps. 76,15. CC.SL 98, 705, heißt es: esse enim ipsi proprie convenit, qui ut sit, nullius adiutorio continetur; sed naturae suae potentia semper magnus, semper excelsus, semper incommutabilis perseverat (»ihm kommt im eigentlichen Sinne das Sein zu, der, damit er sei, nicht durch die Hilfe eines anderen gestützt werden muss; vielmehr bleibt er durch die Macht seiner Natur immer und fortwährend groß, immer erhaben, immer unveränderlich«). Augustinus: Trin. I, 1, CC.SL 50, 29. Augustinus: En. Ps. 134,4, CC.SL 40, 1940. Augustinus: Civ. VIII, 11, CC.SL 47, 227 f. Ps.-Hilarius: Trin. I, 5, CC.SL 62, 5. Ps.-Hilarius: Trin. V, 22, CC.SL 62, 173. Gregorius Nyss.: C. Eun. III, 6,3, GNO 2, 186. Ambrosius: De fide I, 13,8, CSEL 78, 36; Ps.-Didymus: Trin. I, 15.6, Hönscheid, 46; Athanasius: Decr. 22,3, AW 2, 18; Athanasius: Syn. 35,2, AW 2, 262; Theodor Mopsuest.: Hom. cat. 2.9, FC 17/1, 95 f. Andreas Caes.: In Apc, PG 106 221 D-224 A, und Arethas: In Apc., PG 106, 504 D505 A, verknüpfen Ex 3,14 mit Apk 1,4, das trinitarisch ausgelegt wird: Die Bezeichnung ὤν (»der da ist«) verweist auf den Vater nach Ex 3,14, die Bezeichnung ἦν (»der da war«) auf den Sohn nach Joh 1,1 und 1Joh 1,1, die Bezeichnung ἐρχόμενος (»der da kommt«) auf den Heiligen Geist. Augustinus: En. Ps. 101, s. II 12, CC.SL 40, 1445. Augustinus: En. Ps. 101, s. II 14, CC.SL 40, 1449; Augustinus: Serm. V.T. 6,5, CC.SL 41, 64.

199

gtvh 08105 / p. 200 / 31.3.2022

Pentateuch

ten. 64 Prosper von Aquitanien stellt fest, es sei nur wenigen möglich, Gott in seinem Wesen zu ergründen; wohl aber ist es allen möglich, die Gegenwart Gottes in dem Handeln mit den Vätern zu erfassen. 65 Severus von Antiochia deutet das ὤν in Ex 3,14 auf die Einheit der göttlichen οὐσία (des göttlichen Wesens), die dreifach gegliederte Benennung in Gen 3,15 auf die Dreiheit der Hypostasen, ohne eine Einzelzuordnung der Elemente in Gen 3,15 vorzunehmen. 66 Exegetisch werden die Selbstoffenbarungen Jesu in Mt 14,27 67, Joh 8,24 68 und Joh 69 18,6 als Wiederaufnahme von Ex 3,14 gedeutet. Der Sohn hat an der durch Ex 3,14 bezeichneten Unveränderlichkeit des Vaters teil, wie 2Kor 1,19 und Hebr 1,12 belegen. 70 Gelegentlich wird Ex 3,14 auch zur Klärung exegetischer Fragen zu anderen Stellen herangezogen, etwa zu der Frage, warum es in Apk 3,14 qui est Amen heißt. Primasius antwortet mit Verweis auf Ex 3,14 und erklärt: Ipse enim vere est qui semper idem est. (»Derjenige ist nämlich in Wahrheit, der immer ist«). 71 Die Zweiheit zwischen Engelserscheinung (Ex 3,2) und Gottesrede (Ex 3,4) bedurfte eigener Klärung. Einerseits steht es christlicher Theologie seit alters fest, dass nicht Gott Vater auf der Erde erscheint, sondern »nur« sein Logos. 72 Dass ein Engel im Dornbusch erschienen ist, sagt Apg 7,30 73; jedoch wohnt Gott ein. Denn von der Stimme gilt: habitatoris vox est, non templi (»Es ist die Stimme dessen, der da einwohnt, nicht die Stimme des Tempels«). 74 Nach Theodoret war es nicht ein Engel, der Mose erschien, denn Gott kann nicht der Vater eines Engels sein; der ἄγγελος ist vielmehr Jesus Christus, von dem gilt, dass er alles verkündet, was er vom Vater gehört hat (Joh 15,15), und der insofern zum ἄγγελος für seine Jünger geworden ist. Die Reden offenbaren insofern die Göttlichkeit Christi. 75

2.2 Ex 22,27[28] Bei Ex 22,27[28] hat vor allem die pluralische Wiedergabe von ‫ אלהים‬eine eigene Wirkungsgeschichte entfaltet 76, die im Judentum und im Christentum allerdings unterschiedlich akzentuiert ist. Bei Philo von Alexandria sind Vit.Mos. II 205; Spec. Leg I 43 und qu. Ex. 2,5 zu bedenken. Nach Vit. Mos. II 205 mahnt Ex 22,27 dazu, sich der Beschimpfung heid64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76.

Augustinus: En. Ps. 121,5, CC.SL 40, 1805. Prosper Aquit.: Expos. Ps. 104,6, CC.SL 68 A, 30. La Chaîne sur l’Exode 103, TEG 9, 14. Chromatius: Tract. in Matthaeum 52,3, CC.SL 9 A, 455. Augustinus: Tract. ev. Io. 40,3, CC.SL 36, 351. Hieronymus: In Ez. I, 2,2, CC.SL 75, 26. Fulgentius: Ad Trasamundum III, 11,1, CC.SL 91, 156. Den Gedanken kennt auch Augustinus: Contra Maximinum episcopum Arianum II, 14, PL 42, 814. Primasius: In Apc. I, 3, CC.SL 92, 42. Justinus Martyr: 1.Apol. 62,3, SC 507, 294; Irenaeus: Haer. III, 6, 2, FC 8/3, 54. Augustinus: Serm. V.T. 6,2, CC.SL 41, 63. Augustinus: Serm. V.T. 7,7, CC.SL 41, 74. Theodoret: Qu. Ex. 5, OECT 1, 226. In der Septuaginta-Handschrift 106 ist θεούς durch κρίτην ersetzt. Das hat seine Parallelen in den Targumim und in der Peschitta, Wevers: Notes on the Greek Text of Exodus, 355.

200

gtvh 08105 / p. 201 / 31.3.2022

Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri

nischer Götter bzw. ihrer Bilder zu enthalten, »damit niemand der Jünger des Moses sich daran gewöhnt, überhaupt die Bezeichnung ›Gott‹ geringzuachten.« In Spec. Leg I 53 steht die Außenwirkung im Vordergrund: Man solle diejenigen nicht schmähen, die andere Wesenheiten als den Gott Israels für Götter halten, damit nicht auch die Nichtjuden zu Lästerungen gegenüber dem wahren Gott angestachelt werden. Erfahrungen der Auseinandersetzung in der Diaspora 77 prägen diese Rezeption; Philo will erreichen, dass Juden nicht von sich aus Konflikte mit Nichtjuden provozieren. 78 Philos Erklärung in qu. Ex 2,5 ist dreigeteilt: Den Gutwilligen unter den Nichtjuden sichert Philo jüdische Toleranz gegenüber fremder Religiosität zu; zugleich distanziert er das Judentum von allem gewaltbereitem Fundamentalismus; schließlich erwartet er, dass der eigene respektvolle Umgang mit dem heiligen Gottesnamen auch Nichtjuden dazu veranlasst, auf Lästerungen des Gottes Israels zu verzichten. Josephus gibt Ex 22,27[28] in seiner Thora-Paraphrase in Ant IV 207 in eigentümlicher Erweiterung wieder: Niemand soll die Götter schmähen, an die fremde Völker glauben; auch ist die Beraubung fremder Heiligtümer und die Wegnahme von Weihegeschenken irgendeines Götzenbildes verboten. Der Sinn der Erweiterung um das Motiv des Tempelraubes ist klar: Was bei Nichtjuden als schwer verpönt gilt, sollen auch die Juden beachten, damit sie nicht von sich aus Anlass zu Konflikten geben – umgekehrt sollten auch Nichtjuden wissen, dass sich Juden diesem Verbot verpflichtet wissen. Zu den Vorwürfen des Tempelraubes vgl. Josephus, Ap. I 249 sowie das in Ap. I 310 wiedergegebene antijüdische Stereotyp: Lysimachos nennt Jerusalem Ἱερόσυλα und führt den Namen auf das »typische Verhalten« (διάθεσις) der Juden zurück, die τὰ ἱερὰ συλῶντες seien (»die Heiligtümer berauben«). Den Ausgleich zu Ant IV 191, wo Dtn 7,1-5 zugrunde liegt, hat man wohl in einer Beschränkung der dort vorgesehenen Maßnahmen auf »Feinde« Israels zu erblicken, d. h. in der Einschränkung auf Konflikt- und Kriegsfälle. 79 Der Kontext der Rezeption von Ex 22,27[28] in Ap II 237 ist die bei Lysimachos und Molon greifbare antijüdische Verleumdung, die Juden seien die schlechtesten aller Erdenbewohner. Eigentlich, so Josephus, ist es nicht seine Absicht, die Einrichtungen fremder Völker einer Prüfung zu unterziehen; »denn wir pflegen wohl das Eigene treu zu bewahren, nicht aber gegen Fremdes anzugehen. Hat doch der Gesetzgeber schon mit Rücksicht auf den Namen ›Gott‹ uns streng untersagt, die Götter, an welche andere Nationen glauben, zu verspotten oder zu lästern.« 80 Aber weil die Ankläger des Judentums die Vorzüge ihrer Völker herausstreichen, will Josephus nicht schweigen – es folgt die schon in griechischer Philosophie und dann wieder im Judentum bekannte Kritik an griechischer Mythologie. Auch bei Josephus sind das Motiv des ge77. »Indeed, it was essential for the safety of the Diaspora communities that they should be restrained from expressing their scorn for paganism by attacks on the cults of the gentiles among whom they lived« (Schwartz: Reading the first Century, 169). 78. In der angespannten Situation des Judenpogroms in Alexandria betont Philo die Loyalität zum Kaiserhaus, um die Judenverfolgung als ungerechtfertigt zu erweisen, Philo: Flacc. 49 f. 94. 98. 99. 101. 103, dort aber ohne Zitat von Ex 22,27[28]. 79. In den Antiquitates tilgt Josephus mehrfach die Hinweise auf Intoleranz seitens von Juden, z. B. in Ri 6,25-31; 1Kön 15,12; 2Ch 17,6; 1Kön 10,27; vgl. Feldman: Judaean Antiquities, 396 n. 561. 80. Übersetzung Siegert: Flavius Josephus, Über die Ursprünglichkeit, 183.

201

gtvh 08105 / p. 202 / 31.3.2022

Pentateuch

botenen Respektes gegenüber dem Gottesnamen und die Warnung vor konfliktträchtigem Verhalten leitend. Die christliche Wirkungsgeschichte von Ex 22,27[28] beginnt im Neuen Testament, in Apg 23,5, wonach sich Paulus mit dem Zitat der zweiten Hälfte nach einem verbalen Ausfall gegen den Hohenpriester, den er nicht als solchen erkannt hatte, zu entschuldigen versucht. 81 Lukas verfolgt damit einen apologetischen und zugleich paränetischen Zweck: Die Aussage soll Paulus als thora-treu erweisen und die Christen dazu ermahnen, dass sie nicht von sich aus unnötig für Konflikte sorgen. Das war wichtig in einer Zeit zunehmenden gesellschaftlichen Misstrauens gegen diese neue Gruppe, die man nicht recht einzuordnen wusste, um deren jüdisch begründeten Monotheismus man wusste, die aber ethnisch nicht auf das Judentum begrenzt (vgl. Apk 7,9) und damit in der Reichweite ihrer als problematisch empfundenen Ausstrahlung nicht eingegrenzt war. In den antiken schulmäßigen Auslegungen von Apg 23,5 wird das Zitat aus Ex 22,27[28]b nicht eigens bedacht; der Gehorsam des Apostels gegenüber dem biblischen Wort galt als selbstverständlich. Nachneutestamentlich hat Ex 22,27[28] Nichtchristen zur Verteidigung des nichtchristlichen Polytheismus gedient 82; Christen haben das Wort als Verteidigung gegen den Vorwurf provokanten Verhaltens 83 ebenso wie als allgemeine Verhaltensanweisung 84 oder als Mahnung zum Gehorsam gegenüber kirchlichen 85 und staatlichen Autoritäten aufgefasst. 86 Innerhalb spezieller exegetischer Literatur ließ der Plural Ausschau halten nach anderen Stellen, wo in der Bibel trotz des feststehenden Monotheismus jenseits der Verbote der Fremdgötterverehrung noch von »Göttern« gesprochen und was damit bezeichnet wird. 87 Bezugnahmen auf Ex 22,27[28] haben sich deshalb – mit unter81. Textkritisch ist zu bemerken: Die Septuagintatradition schwankt zwischen dem Plural ἄρχοντας und dem Singular ἄρχοντα; im Lukastext begegnet in der griechischen Tradition unangefochten der Singular ἄρχοντα (in der lateinischen Texttradition begegnet gelegentlich auch der Plural; so https://download.uni-mainz.de/fb07-klassphil-nttf/Apostelgeschichte/Act %2023/Act%2023_05.pdf, abgerufen am 25. 09. 19), nur in den griechischen Apg-Handschriften 181 und 1875 durch ἄρχοντι ersetzt. Des Weiteren heißt es im Septuagintatext (außer Cod. A) am Ende κακῶς ἐρεῖς, im Lukastext ἐρεῖς κακῶς (wie in Ex 22,27[28]LXX.A), letzteres wiederum unangefochten. 82. Vgl. Ps.Clem.: Hom. 16, 6.4; 16, 8.1, GCS 42, 220.222; Makarios Magnes: Apocr. IV, 23,1-3, TU 169, 402; Cyrillus Alex.: C. Iul. VII, 28, GCS NF 21, 508. 83. Origenes: Cels. VIII, 38, SC 150, 256-258, wendet sich gegen den Vorwurf, die Christen würden durch ein öffentlichkeitswirksames Schmähen von Götterbildern von sich aus Konflikte anheizen. Christliche Maximen gegen ein solches Verhalten sind ihm außerdem Röm 12,14; 1 Kor 6,10. Anders Origenes: Hom. Num. 27,12, GCS 30, 278: Dtn 4,19; Ex 22,27[28] benennen die Gefahr des Abfalls vom Glauben, die, so der Apostel, der »Gott dieser Weltzeit« (2Kor 4,4) bewirkt und vor der auch der Gläubige auf dem Weg zur spirituellen Vollkommenheit nicht gesichert ist. 84. Cyprianus: Testim. III, 14, CC.SL 3, 104 mit der Textform Non maledices neque principi populi tui detraxeris. Als analoge Texte nennt er Ps 33,13 f.; Lev 14,13 f.; Eph 4,29; Röm 12,14; Mt 5,22. 85. Const. Ap. II, 26,4; 31,1, von Funk, 105.112; Gregor d. Gr., ep. 14,17, PL 77, 1325 A-B. 86. Procopius Gaz.: Catena in Exodum, PG 87/1, 621. 87. Gelegentlich begegnen sogar von Gen 6,2 her Verweise auf Ex 22,27[28], so bei Theodoret: Qu. Gen. 47, OECT 1, 100.

202

gtvh 08105 / p. 203 / 31.3.2022

Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri

schiedlichen Ausdeutungen der in der zweiten Vershälfte 88 genannten ἄρχοντες – in Auslegungen zu Ex 7,1; Dtn 10,17; Ps 49[50],1 und Ps. 81[82],1.6 gefunden. Da wo die ἄρχοντες auf die Richter gedeutet werden 89, setzt sich die konkrete Angabe in Ps 81 [82],1.6 gegenüber der allgemeinen Angabe ἄρχοντες durch. Ähnlich werden die in Ps 49[50],1 Genannten aufgrund der Konkretionen in Ps 81[82],1.6 und Ex 22,27[28] als Richter und Herrscher bezeichnet. 90 Ps 81[82],1.6 wird manchmal aber auch auf Priester bezogen 91 oder auf Freunde der Tugend 92 oder auf Pharisäer und Schriftgelehrte. 93 Für Augustin führt Ex 7,1 auf die Deutung des Begriffes Deos auf die Richter, was durch die Fortsetzung in Ex 22,27[28]b bestätigt werde; alternativ erwägt er die Deutung auf die »so genannten Götter« (1Kor 8,5), die man nicht schmähen, aber auch nicht verehren soll. 94 Gregor d. Gr. nennt den Sprachgebrauch von Ex 7,1; Ex 22,27[28] nuncupative (»übertragen«; im Gegensatz zu essentialiter [»wesensgemäß«]) und identifiziert die an diesen Stellen Gemeinten mit Predigern oder allgemein mit weisen Menschen. 95 Das hinsichtlich seines historischen Informationswertes fragwürdige Buch de haereseon des Filastrius von Brescia lässt bei aller Zweifelhaftigkeit seiner Information das Wissen um innerbiblische Spannungen erkennen. Er charakterisiert eine Gruppe von »Häretikern«, die er ansonsten doxographisch nicht näher beschreibt, mit Bezug auf ihr Verständnis von Ex 22,27[28]: Sie verstünden Ex 22,27[28]a (Diis alienis 96 non maledicetis) fälschlich so, als sei es von der vanitas paganorum (»Nichtigkeit der Heiden«) gesagt, im Widerspruch zu Ex 34,15; Ri 6,28; Ps 114,8. Gemeint sind die Heiligen, die man nicht schmähen soll, wie ja auch Barnabas und Paulus Götter genannt wurden (Apg 14,11), ebenso Mose für den Pharao (Ex 7,1). 97

88. Dabei wird das einleitende καί stets als epexegetisches καί gelesen, so dass der Satz keinen synthetischen, sondern einen weiterführenden parallelismus membroum bildet; es sind nicht zwei verschiedene Wesenheiten angesprochen sind, sondern nur eine. 89. Origenes: Cels. IV, 31, SC 136, 262; Theodoret: In Ps., PG 80, 1229 B-C; Procopius Gaz.: Catena in Exodum, PG 87/1, 621. 90. Eusebius Caes.: In Ps., PG 23, 433 D. Diodor: In Ps., CC.SG 6, 301, legt die Psalmstelle ähnlich aus, aber ohne biblische Referenzen. Johannes Chrysostomus: In Ps., PG 55, 240 f., bezieht Ps 49[50] aufgrund von Ex 22,27[28] auf die Herrschenden. 91. Cyrillus Alex.: In Ps., PG 69, 1204 A-B; Hieronymus, In Hos. I, 3,4-5, CC.SL 76, 37. 92. Photius Const.: Qu. 89, PG 101/1, 564 B, unter Zitat von Gen 6,2; Ps 81[82],6; Ex 22,27[28]; Ex 7,1. 93. Nikephoros Blemmyda: In Ps., PG 142, 1525 D-1526 A. 94. Augustinus: Qu. Ex. 86, CC.SL 33, 113. 95. Ersteres Gregor d. Gr.: In 1Reg I, 44; V, 99, CC.SL 144, 78.480, letzteres Gregor d. Gr.: In 1Reg III, 100, CC.SL 144, 255. 96. Der Zusatz ἀλλοτρίους begegnet auch in den Septuaginta-Handschrift 58 und 72, der Zusatz alienis, ähnlich wie der Plural maledicetis, auch in der Vetus-Latina-Handschrift 103. 97. Filastrius: Haer. 119/147, CSEL 38, 116-118.

203

gtvh 08105 / p. 204 / 31.3.2022

Pentateuch

3. Texte aus Leviticus Literatur Editionen Lettre d’Aristée a Philocrate, ed. André Pelletier, SC 89, Paris 1962 – Philo: Opera quae supersunt, ed. Leopold Cohn / Paul Wendland, 7 Bde., Berlin 1896-1930 – The Testaments of the Twelve Patriarchs, ed. Marinus de Jonge, PVTG 1/2, Leiden 1978. Hesychius Hieros.: Commentarii in Leviticum, PG 93, 787 A-1180 A – Julianus Tolet.: ἀντικειμέωνν libri, PL 96, 595 A-704 C – Maximus Confessor: Quaestiones ad Thalassium, Vol. I: Quaestiones I–LV, una cum Latina interpretatione Ioannis Scotti Eriugenae iuxta posita ed. Carl Laga et Carlos Steel, CC.SG 7, Turnhout 1980; Vol. II: Quaestiones LVI–LXV una cum Latina interpretatione Ioannis Scotti Eriugenae iuxta posita ed. Carl Laga / Carlos Steel, CC. SG 22, Turnhout 1990 – Prokopius Gaz.: Commentarii in Leviticum, PG 87/1, 691 B-794 B – Theodoret: Quaestiones in Octateuchum, ed. John F. Petruccione, Vol 2, OECT 2, Oxford 2007.

Weitere Literatur Akiyama, Kengo: The Love of Neighbour in Ancient Judaism. The Reception of Leviticus 19:18 in the Hebrew Bible, the Septuagint, the Book of Jubilees, the Dead Sea Scrolls, and the New Testament, AJEC 105, Leiden / Boston 2018.

3.1 Lev 19,18 Lev 19,18 ist bekanntlich nicht erst im Christentum zu einem der zentralen ethischen Sätze geworden. In EpArist 229 gilt die Liebe als zentrale Leittugend, das Verhältnis zum nächsten betreffend. Im antiken Judentum begegnet, das sei in Hinsicht auf Mk 12,31 vorausgenommen, mehrfach die Zusammenstellung von Frömmigkeit und Menschenliebe als Hauptgebote 98 und wesentliche Lebensgrundsätze 99; nur derjenige, der in sich Gottesfurcht und Liebe zu den Menschen vereint, verwirklicht die Tugend in ihrer Vollkommenheit. 100 Die christliche Wirkungsgeschichte beginnt mit dem Einbezug bei Paulus (Gal 5,14; Röm 13,9) wie in der synoptischen Tradition (Mk 12,31 par. Mt 22,39 par. Lk 10,27, dort jeweils mit Dtn 6,[4].5 kombiniert) und im Jakobusbrief (Jak 2,8). 101 Tertullian

98. Philo: SpecLeg II 63. Vgl. TestIss 5,2: Liebt den Herrn und den Nächsten, erbarmt euch der Armen und Schwachen. TestIss 7,6: … Den Herrn liebte ich mit meiner ganzen Kraft und jeden Menschen liebte ich gleichermaßen wie meine Kinder. 99. Jub 36,7 f.; TestBenj 3,3-5 (wer das verwirklicht, den werden die Geister Beliars nicht bedrängen); TestDan 5,3. 100. Philo: Decal. 110. 101. Zu den unterschiedlichen Akzentsetzungen in der Rezeption vgl. Akiyama: Love, 207 f.: In Gal 5,14; Röm 13,9 zeigt Paulus, wie auch Nichtjuden das Wesentliche der Thora erfüllen; in Jak 2,8 kommt es darauf an, dass die geforderte Liebe nicht nur Emotion bleibt, sondern sichtbar wird, nämlich in der Tat. Mk 12,32 f. verbindet das Liebesgebot mit Kultrelativierung; Mt 22,39 benennt es als hermeneutischen Schlüssel biblischer Ethik. In Lk 10 wird die Frage »Wer ist mein Nächster?« verwandelt in die Frage »Wem muss ich jetzt zum Nächsten werden?«.

204

gtvh 08105 / p. 205 / 31.3.2022

Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri

macht diesen Einbezug gegen Markion geltend 102, ebenso, wie er in ähnlicher Abgrenzungssituation auf die Konvergenz von Gal 5,6 und Lev 19,18 verweist. 103 Theodoret und Beda Venerabilis empfinden keinen Klärungsbedarf und behandeln die Stelle nicht. 104 Hesychius von Jerusalem bemerkt die Differenz zwischen »Freund« und dem in der Septuaginta gebrauchten Ausdruck »Nächster«, kommentiert sie aber nicht näher, sondern verweist auf die Aufnahme von Lev 19,18 in Röm 13,8-10. Die Wendung »wie dich selbst« verweist auf die Mitfreude mit dem Nächsten und warnt vor Neid in weltlichen wie geistlichen Belangen. Wir sollen Christus nachahmen, der den Gläubigen größere Werke als sich selbst zugestanden (Joh 141,12) und sein Leben für die Seinen dahingegeben hat (Joh 15,13). 105 Procopius von Gaza. betont die Übereinstimmung mit natürlicher Überlegung (φυσικός … λογισμός), auf die hin Christus auf die Goldene Regel Mt 7,12 formuliert habe. 106 Augustin zufolge ist nach Röm 13,8 und Lev 19,18 auch das Alte Testament Gesetz Christi (Gal 6,2), das durch die Liebe zu erfüllen er gekommen ist (vgl. Mt 5,17). 107 Julian von Toledo fragt, wie das Gebot, den Nächsten zu lieben und den Feind zu hassen, mit Jesu Gebot der Feindesliebe zu vereinbaren ist. Man soll die Ungerechtigkeit in ihm hassen, jedoch ihn dessentwegen lieben, was in ihm an Gutem zu finden ist. 108

3.2 Lev 24,16 Hesychius von Jerusalem erörtert das Problem, warum man »Gott« nicht lästern darf und dafür Strafe bekommt (Lev 24,15), jedoch am Leben bleibt, aber bei Todesstrafe den Namen des Herrn nicht nennen darf. Dass »Gott« und »der Herr« dieselbe Referenz haben, beweist er mit Dtn 6,4. Den möglichen Widerspruch zu Ex 34,5 und Jes 26,13 (τὸ ὄνομά σου ὀνομάζομεν) löst er so, dass er Lev 24,15 auf die unwissentliche, Lev 24,16 auf die wissentliche Lästerung des Namens bezieht, die auch in Mt 12,32 f. verboten ist. Wer aber Gotteserkenntnis erlangt hat, nennt Gottes Namen in angemessener Weise, wie auch 1Kor 12,3 bezeugt. Aquila habe allerdings die bessere Übersetzung geboten, mit der die Parallelität von Lev 24,16 zu Lev 24,15 zum Ausdruck kommt. 109 Bei Procopius findet sich die Gleichsetzung »nennen« = »verfluchen« (καταρᾶσθαι), er weiß aber auch von der Deutung einiger, man dürfe im Judentum den Inhalt des Tetragramms nicht kundtun. 110

102. Tertullian: Adv. Marc. I 23,4, CC.SL 1, 465, sowie ironisch in adv. Marc. II 17,4, CC.SL 1, 495: »das (scil. das Gebot der Nächstenliebe) musste mein Schöpfer nicht von deinem Gott lernen«. 103. Tertullian: Adv. Marc. V 4,11, CC.SL 1, 674. 104. Zu erwarten wäre eine Äußerung bei Theodoret nach Qu. Lev. 26, OETC 2:62, bei Beda Venerabilis in seinen Commentarii in Pentateuchum, PL 91, 352 B. 105. Hesychius Hieros.: In Lev., PG 93, 1029 B. 106. Procopius Gaz.: In Leviticum, PG 87/1, 757 C-D. 107. Augustinus: Exp. Gal. 58,2f, CSEL 84, 134. 108. Julianus Tolet.: ἀντικειμέωνν libri, PL 96, 611 A-B. 109. Hesychius Hieros.: In Lev., PG 93, 1106 A-11007 B. 110. Procopius Gaz.: In Lev., PG 87/1, 781 B.

205

gtvh 08105 / p. 206 / 31.3.2022

Pentateuch

4. Texte aus Numeri Editionen und Übersetzungen Ambrosiaster: Quaestiones Veteris et Novi Testamenti, ed. Alexander Souter, CSEL 50, Prag / Wien / Leipzig 1908, 1-416 – Ambrosius: De officiis libri tres, PL 16,23 A-184 B – Clemens Alex.: Paedagogus, ed. Otto Stählin, 3. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 12, Berlin 1972, 87-292 – Cyprian: Testimoniorum libri tres ad Quirinum, ed. Robert Weber, CC.SL 3, Turnhout 1972, 3-179 – Gregorius Naz.: Discours 4-5, ed. Jean Bernardi, SC 309, Paris 1983 – Irenaeus: Adversus haereses / Gegen die Häresien, ed. Norbert Brox, Bd. 1, FC 8/1, Freiburg u. a. 1993; Bd. 2, FC 8/2, Freiburg u. a. 1993; Bd. 3, FC 8/3, Freiburg u. a. 1995; Bd. 4, FC 8/4, Freiburg u. a. 1997; Bd. 5, FC 8/5, Freiburg u. a. 2001 – Johannes Chrysostomus: Homiliae in Primam Epistulam ad Corinthienses, PG 61, 9-382 – Johannes Chrysostomus: Homiliae in Secundam Epistulam ad Timotheum, PG 62, 599-662 – Johannes Chrysostomus: Homiliae in Matthaeum, hom. 1-44, PG 57, hom. 45-90, PG 58 – Justinus Martyr: Apologie pour les Chrétiens, ed. Charles Munier, SC 507, Paris 2006 – Leo I. Rom.: Tractatus, ed. Antoine Chavasse, CC.SL 138/138 A, Turnhout 1973 – Origenes: Contra Celsum, ed. Marcel Borret, Tome 1, SC 132, Paris 1967 – Petrus Chrysologus: Collectio Sermonum a Felice episcopo parata sermonibus extravagantibus adiectis, ed. Alexandre Olivar, CC.SL 24, Turnhout 1975; Pars II, CC.SL 24 A, Turnhout 1981; Pars III, CC.SL 24 B, Turnhout 1982 – Theodoret: Histoire des Moines de Syrie, ed. Pierre Canivet / Alice LeroyMolinghen, T. 1, SC 234, Paris 1977.

Num 24 Balaam Das negative Balaam-Bild der Septuaginta speist sich daraus, dass Num 31,8.16 rückwirkend nahelegt, dass die Verführung der Israeliten nach Num 25 auf Anstiftung Balaams erfolgte. Dementsprechend kehrt das negative Balaam-Bild mit direktem Bezug auf Num 25 auch in Jud 11 und Apk 2,14 wieder; in Jud 11 wird mit πλάνη die Terminologie der Debatte um falsche Prophetie eingespielt (Dtn 13,6), in Apk 2,14 unmittelbar auf Num 25 Bezug genommen. An Beispiel Balaams wird in späterer antiker christlicher Literatur vor Habsucht 111 und Verschlagenheit 112 gewarnt; sein gewaltsames Ende warnt vor Zügellosigkeit 113 und dient dazu, den Tod kirchenpolitischer Gegner zu stilisieren. 114 Andererseits wird die Prophetie Num 24,17 seit Justin als Weissagung auf Christus hin verstanden 115; ihre Erfüllung wird in Mt 2 gefunden 116, nicht selten

111. Ambrosius: De officiis II, 26/130, PL 16, 138 A-B: Balak meinte, Bileam lasse sich aus Habsucht für Weissagungen gegen Israel gewinnen. Ambrosius will u. a. an diesem Beispiel und an dem Beispiel des Diebstahls Achans (Jos 7) vor Habsucht warnen. 112. Petrus Chrysologus: Serm. 27,3, CC.SL 24: 156. Die Verschlagenheit des Balaam liegt darin, dass er die Israeliten nicht mit Waffengewalt niederringen, sondern durch Mädchen verführen lassen will. 113. Clemens Alex., Paed. III, 45,1, GCS 12, 262, in Aufnahme von Jud. 11. 114. Theodoret: H.rel. II, 22, SC 234, 242-244, zu dem Anhomöer Asterius. 115. Justinus Martyr: 1.Apol 32,12, SC 507, 216; Num 24,17 wird mit Jes 11,1.10 kombiniert. Genaueres s. Arie van der Kooij, Messianic Texts, in diesem Band S. 169-172. 116. Irenaeus: Haer. III, 9,2, FC 8/3, 76 (in antihäretischer Zielsetzung: Es ist ein- und derselbe Gott, der von den Propheten verkündet und in den Evangelien gepredigt wurde); Origenes:

206

gtvh 08105 / p. 207 / 31.3.2022

Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri

mit der historisierenden Vermutung, die Magier hätten diese Prophezeiung gekannt. 117 Dass Bileam trotz seiner Unwürdigkeit die Prophetengabe besaß, kann einerseits zur Warnung dienen, dass auch der Besitz von Geistesgaben nicht vor einem negativen Schicksal im Jüngsten Gericht bewahrt 118, andererseits als Bestätigung dessen, dass Gott auch durch unwürdige Menschen, auch durch unwürdige Priester 119, Gutes bewirken kann. Die Wahrheit offenbart sich auch durch ihre Feinde. 120 Der in Num 24,7.17 jeweils gegen die Vorlage neu gesetzte Begriff ἄνθρωπος fordert im Rahmen einer allgemeinen christologischen Interpretation diese Weissagungen heraus. Nach Cyprian erweist er die wahre Menschheit Christi. 121

117. 118. 119. 120.

121.

Cels. I, 59, SC 132, 238 (in Auseinandersetzung mit jüdischer Bestreitung des Christentums), der damit auch die erzählerische Lücke gefüllt sieht, warum sich die in Mt 2 genannten Magier überhaupt auf den Weg gemacht haben. Dass auch die griechischen Magier diese Weissagung Balaams kannten, gilt Origenes: Cels. I, 60, SC 132, 238-240, als Beweis für die Bedeutsamkeit Christi. Ambrosiaster: Qu. 63, CSEL 50, 111 f.; Leo I. Rom.: Tract. 34,2, CC.SL 138 A, in einer Predigt zur Epiphanie. Johannes Chrysostomus: Hom. Mt. 24, 2, PG 57, 324, in der Auslegung zu Mt 7,21-23. Ersteres Johannes Chrysostomus: Hom. 1Cor 8, 1, PG 61, 69, letzteres Johannes Chrysostomus: Hom. 2Tim 2,3, PG 62, 610. Gregorius Naz.: Or. IV, 54, SC 309, 158 mit zusätzlichem Verweis auf die Beschwörung Samuels durch die Bauchrednerin in Endor und die unfreiwillige Anerkennung Jesu durch die Dämonen. Cyprianus: Testim. II, 10, CC.SL 3, 42.

207

gtvh 08105 / p. 208 / 31.3.2022

2.2.1.5 Deutéronome Cécile Dogniez Bibliographie Éditions Dogniez, Cécile / Harl, Marguerite: Le Deutéronome, La Bible d’Alexandrie 5, Paris 1992. Lettre d’Aristée à Philocrate, ed. André Pelletier, SC 89, Paris 1962 – Philo: Opera quae supersunt, ed. Leopold Cohn / Paul Wendland, 7 T., Berlin 1896-1930 – Josephus: Opera, ed. Benedikt Niese, 7 T., Berlin 1955 (*1887-1895) – Flavius Josèphe, Les Antiquités juives I, Livres I-III, ed. Étienne Nodet, Paris 1990. Clemens Alex: Paedagogus, ed. Otto Stählin, 3. édition ed. Ursula Treu, GCS 12, Berlin 1972, 87-292 – Clemens Alex.: Stromata I-VI, ed. Otto Stählin / Ludwig Früchtel, 4. édition ed. Ursula Treu, GCS 15, Berlin 1985 – Cyrillus Alex.: Glaphyra, PG 69, 9 A-678 C – Eusebius Caes.: Demonstratio evangelica, ed. Ivar A. Heikel, GCS 23, Leipzig 1913 – Irenaeus Lugd.: Contre les hérésies, livre IV, ed. Adelin Rousseau / Louis Doutreleau / Charles Mercier, T. II, SC 100, Paris 1969; livre V, ed. Adelin Rousseau / Bertrand Hemmerdinger / Louis Doutreleau / Charles Mercier, SC 153, Paris 1969 – Irenaeus Lugd. : Démonstration de la prédication apostolique, ed. Adelin Rousseau, SC 406, Paris 1995 – Justinus Martyr: Dialogue avec Tryphon, ed. Philippe Bobichon, Par. 47/1-2, Fribourg 2003 – Melito Sard.: Sur la Pâque, ed. Othmar Perler, SC 123, Paris 1966, 1-213 – Origenes: Contra Celsum, ed. Marcel Borret, Tome 1, SC 132, Paris 1967, Tome 2, SC 136, Paris 1968, Tome 3, SC 147, Paris 1969 – Origenes: Homélies sur le Lévitique, T. 1: Homélies I-VII, ed. Marcel Borret, SC 286, Paris 1981 – Origenes: In Isaiam Homiliae, ed. Willem A. Baehrens, GCS 33, Leipzig 1925, 242-289 – Origenes: Commentaire sur saint Jean, ed. Cécile Blanc, T. 1, SC 120, Paris 1966; T. 2, SC 157. Paris 1970 – Origenes: Matthäuserklärung, T. 1: Die griechisch erhaltenen Tomoi, ed. Erich Klostermann, GCS 40, Leipzig 1935, ed. Ursula Treu, Berlin 21968 – Origenes: Commentarii in epistulam ad Romanos / Römerbrief, ed. Theresia Heither, T. 1, FC 2/1, Freiburg 1990; T. 2, FC 2/2, Freiburg 1992; T. 3, FC 2/3, Freiburg 1993; T. 4, FC 2/4, Freiburg 1994, T. 5, FC 2/5, Freiburg 1999.

Littérature secondaire Berthelot, Katell: Philanthrôpia Judaica. Le débat autour de la « misanthropie » des lois juives dans l’Antiquité, JSJSup 76, Leiden 2003 – Boulnois, Marie-Odile: Un Dieux jaloux qui fait des émules. Interprétations patristiques d’Ex 20, 5, Nb 25, 11 et Dt 32-21, dans: Hedwige Rouillard-Bonraisin (ed.): Jalousie des dieux, jalousie des hommes. Actes du colloque international organisé à Paris les 28-29 novembre 2008, Turnhout 2011, 249-276 – Boulnois, Marie-Odile: La diversité des nations et l’élection d’Israël. Y a-t-il une influence du Contre Celse d’Origène sur le Contre les Galiléens de Julien ? dans: Sylwia Kaczmarek / Henryk Pietras (ed.): Origeniana Decima; Origen as Writer. Papers of the 10th International Origen Congress, University School of Philosophy and Education « Ignatium », Krakow, Poland, 31 August – 4 September 2009, Leuven 2011, 803-830 – Daniélou, Jean: La Vie suspendue au bois (Deut. 28, 66), dans: Études d’Exégèse judéo-chrétienne, Théologie historique 5, Paris 1966, 53-75 – Daniélou, Jean: Les sources juives de la doctrine des anges des nations chez Origène, Recherches de Science Religieuse 38 (1951), 132-137 – Daniélou, Jean: Les Anges et leur mission d’après les Pères de l’Eglise, Chevetogne 1952, rep. Desclée 1990 – Feldman, Louis H.: Josephus’s Interpretation of the Bible, Berkeley 1998 – Freund, Richard A.: The Decalogue in Early Judaism and Christianity, dans:

208

gtvh 08105 / p. 209 / 31.3.2022

Deutéronome

Craig A. Evans / James A. Sanders (ed.), The Function of Scripture in Early Jewish and Christian Tradition, JSNTSup 154, Sheffield 1998, 124-141 – Gerhardsson, Birger: Du judéo-christianisme à Jésus par le shema, dans: Joseph Moingt (ed.), Judéo-Christianisme (FS Jean Daniélou), RSR 60, 1972, 24-36 – Gounelle, Rémi / Prieur, Jean-Marc (ed.): Le décalogue au miroir des Pères, Cahiers de Biblia Patristica 9, Turnhout 2008 – de Lubac, Henri: Exégèse médiévale. Les quatre sens de l’Ecriture, t. I, Paris 1959 – Mason, Steve / Kraft, Robert A.: Josephus on Canon and Scriptures, dans: Magne Saebø (ed.), Hebrew Bible, Old Testament: The History of its Reception, Göttingen 1996, 217-236 – Noël, Filip: The Double Commandment of Love in Lk 10,27. A Deuteronomistic Pillar or Lukan Redaction of Mk 12,29-33? dans: Christopher M. Tuckett (ed.), The Scriptures in the Gospels, BEThL 131, Leuven 1997, 559-570 – Waters, Guy P.: The End of Deuteronomy in the Epistles of Paul, WUNT 221, Tübingen 2006 – Wilcox, Max: ‹ Upon the Tree ›—Deut 21:22-23 in the New Testament, JBL 96 (1977), 85-99.

Après la génération du monde et des patriarches (Genèse), après la libération des Hébreux hors d’Egypte (Exode), l’enseignement rituel de la tribu de Levi (Lévitique) et la préparation en vue de la conquête de la terre promise (Nombres), le cinquième et dernier livre de la Torah, le Deutéronome – très différent des autres livres en ce qu’il est constitué de discours prononcés par Moïse avant la traversée du Jourdain – est un livre clé des écritures juives. Au fondement de la religion juive dans sa version hébraïque, le Deutéronome, dans sa version grecque des LXX, n’en occupe pas moins une place spécifique tant dans la réception juive que chrétienne des écrits bibliques 1.

1. Judaïsme Au sein du judaïsme, la Lettre d’Aristée, au début de 2e siècle avant notre ère, est le document juif le plus ancien que nous possédons qui témoigne de cette lecture du Deutéronome en grec. Par exemple l’expression « avoir un pied fourchu » pour les animaux purs de Dt 14, 6 reçoit une interprétation allégorique, celle du discernement en vue de la justice (§ 150-151). La mention des « ruminants » dans ce même verset, associée à la citation de Dt 7, 18 elle-même combinée à Dt 10, 21 (« Tu te souviendras du Seigneur après les grandes merveilles qu’il a faites en toi »), est à l’origine d’un long développement allégorique sur la mémoire qui inclut les signes que sont les phylactères et les mezuzot de Dt 6, 8-9 et Dt 11, 18.20, puisque les paroles que ces écrins contiennent sont « une occasion de nous souvenir de Dieu » (§ 153-160). Philon d’Alexandrie, un exégète juif de la première moitié du 1er siècle après notre ère qui lit la Bible non en hébreu mais en grec, offre dans les quatre livres de son traité sur les Lois spéciales un commentaire des lois du code deutéronomique, classées selon les thèmes des dix commandements. Philon donne une exacte description des lois écrites, mais aussi, pour atteindre le sens caché de l’Ecriture, la signification allégorique de la totalité ou au moins de la majeure partie de cette législation mosaïque. Il découvre en particulier dans la loi de Moïse la philanthropie (De virtutibus 51-174), cette vertu de Moïse et de Dieu qui sert de modèle pour les hommes dans leurs devoirs

1.

On se reportera, d’une manière générale, à Dogniez / Harl: Le Deutéronome, 68-73 et notes aux versets.

209

gtvh 08105 / p. 210 / 31.3.2022

Pentateuch

de modération et de bonté à l’égard des autres 2. Mais certains autres versets du Deutéronome, cités dans les autres traités, reçoivent une lecture religieuse spécifique : Philon s’appuie par exemple sur Dt 1, 17 pour affirmer que le jugement de Dieu prime sur celui de l’homme même parfaitement vertueux (De Somniis II, 24), de même qu’il cite plusieurs fois Dt 8, 18 pour affirmer que l’homme ne doit rien à sa propre force mais que « c’est Dieu qui donne la force d’acquérir la puissance » (De agricultura 172 ; De sacrificiis 56 ; De virtutibus 165). En outre Philon met en œuvre dans son commentaire de la loi les notions philosophiques grecques de son temps, non pour exposer une doctrine philosophique, mais pour apercevoir le sens profond de la Bible : par exemple Philon légitime l’unicité du lieu de culte qui est ordonnée en Dt 12, 2-5 parce que le Temple est à l’image du monde qui est lui-même, à côté de l’âme rationnelle, le véritable Temple de la divinité (De somniis I, 62). Enfin, la piété juive de Philon nourrit l’exégèse qu’il fait de certains passages du Deutéronome : le grand cantique de Dt 32 est un acte d’« action de grâces » pour les bienfaits reçus mais aussi un exemple de la bienveillance de Moïse pour son peuple (De virtutibus 72-75), tandis que la conversion d’Israël annoncée en Dt 30, 2-3 est interprétée au cours d’un long développement comme une petite étincelle lors de la conversion finale (De praemiis 162-172). Dans le judaïsme ancien, Flavius Josèphe est un autre témoin privilégié dans l’étude des Ecritures 3. Dans la paraphrase des écrits bibliques que constituent Les Antiquités juives, Josèphe se réfère souvent aux lois du Deutéronome mais il y fait davantage œuvre d’historien que d’exégète : il donne des informations sur l’actualisation de telle ou telle loi ou explique certaines coutumes. Il ne cite pas à proprement parler le Deutéronome mais offre un classement par matières et par sujets des différentes lois de Moïse (AJ IV, 176-331). Et on retrouve à la fin du Contre Apion (II, 190-219) ce même classement thématique des prescriptions et des défenses de la loi juive. Même si Josèphe interprète la Bible conformément au contexte historique dans lequel il vit et même si parfois sa lecture s’accorde avec celle de la LXX, il est néanmoins à peu près certain que Josèphe n’avait pas sous les yeux le texte grec de la LXX 4.

2. Christianisme Dans la tradition chrétienne le Deutéronome occupe également une place de premier plan. Après les livres d’Isaïe et des Psaumes, c’est le livre le plus cité dans le Nouveau Testament, en particulier les passages clés relatifs au décalogue (Dt 5) 5, au Shema (Dt 6) 6 et au cantique de Moïse (Dt 32). Fidèle à la Vorlage hébraïque, le texte grec du

2. 3. 4. 5. 6.

Voir par exemple le chapitre « La défense de la philanthrôpia chez Philon d’Alexandrie » in Berthelot: Philanthrôpia Judaica, 233-321. Voir par exemple Mason / Kraft: Josephus on Canon and Scriptures, 217-236 et l’abondante bibliographie p. 217-218. Voir par exemple l’introduction de Nodet: Josèphe, Les Antiquités juives I, XXVIII; Feldman: Josephus’s Interpretation of the Bible, 1998, 26-27. Voir par exemple Freund: The Decalogue in Early Judaism and Christianity, 124-141; Gounelle / Prieur (eds.): Le décalogue au miroir des Pères, 2008. Voir par exemple Gerhardsson: Du judéo-christianisme à Jésus par le shema, passim.

210

gtvh 08105 / p. 211 / 31.3.2022

Deutéronome

Deutéronome que lisent les auteurs du Nouveau Testament est à peu près identique à la traduction originale, malgré les diverses révisions qui eurent lieu au tournant de l’ère. Ainsi, dans certains manuscrits d’Ac 13, 18, Dt 1,31 est attesté avec la forme τροποφορεῖν, « s’adapter à », et non τροφοφορεῖν, « apporter de la nourriture à », qui dans la LXX conférait à Dieu le rôle d’un père nourricier. La célèbre expression deutéronomique de l’amour d’Israël pour le Seigneur de Dt 6, 5 est également citée de façon variée dans les trois synoptiques (Mc 12, 30 ; Lc 10, 27 ; Mt 22, 37): tous ont, comme la LXX, « Tu aimeras le Seigneur ton Dieu de tout ton cœur (καρδία) et de toute ton âme (ψυχή) » mais aucun n’a δύναμις « de tout ton pouvoir » ; ils ont en plus « de tout ton esprit » (διάνοια) et Marc ajoute « de toute ta force » (ἰσχύς), tandis que Luc insère ἰσχύς entre ψυχή et διάνοια 7. En revanche l’hébraïsme dans le grec de Dt 19, 15 « sur la bouche de », ἐπὶ στόματος, est conservé dans le rappel de la règle du témoin en Mt 18, 16 et 2 Co 13, 1, alors que He 10, 28 emploie simplement ἐπί. La seconde partie de Dt 8, 3 concernant la mise à l’épreuve d’Israël au désert est citée dans les mêmes termes que ceux de la LXX en Mt 4, 4, comme une parole de Jésus adressée au diable qui lui demande de transformer les pierres en pains. En Gal 3, 10, dans sa fameuse argumentation sur la foi et la loi, Paul cite Dt 27, 26, mais en des termes qui sont plutôt ceux de la LXX de Dt 29, 20 : « Maudit soit quiconque ne s’attache pas à tout ce qui est écrit dans le livre de la loi » Ἐπικατάρατος πᾶς ὃς οὐκ ἐμμένει πᾶσιν τοῖς γεγραμμένοις ἐν τῷ βιβλίῳ τοῦ νόμου (dans la LXX de Dt 27, 26 il est en effet question de « toutes les paroles de cette loi », ἐν πᾶσιν τοῖς λόγοις τοῦ νόμου τούτου). Et c’est de cette malédiction de la loi que le Christ a racheté les hommes, poursuit Paul en Gal 3, 13, en citant cette fois d’une façon assez fidèle une partie du texte grec de Dt 21, 23 8 ; la malédiction du condamné, « maudit quiconque est suspendu au bois », Ἐπικατάρατος (et non κεκατηραμένος comme dans la LXX) πᾶς ὁ κρεμάμενος ἐπὶ ξύλου, est de fait appliquée de façon analogique au Christ crucifié qui s’est fait solidaire de cette malédiction 9. Le sens littéral du participe κρεμάμενος, « suspendu », ici en Dt 21, 23 comme en Dt 28, 66, permet l’évocation du Christ suspendu sur la croix, par exemple en Ac 5, 30. Considéré comme une prédiction scripturaire de la passion du Christ, Dt 28, 66, avec d’autres versets bibliques, fait partie des Testimonia 10. Enfin Paul, en Rom 10, 19, cite la menace de Dieu prononcée dans le chant de Moïse en Dt 32, 21 « et moi, je les rendrai jaloux avec ce qui n’est pas une nation, avec une nation insensée, je les irriterai », κἀγὼ παραζηλώσω αὐτοὺς ἐπ᾽ οὐκ ἔθνει, ἐπ᾽ ἔθνει ἀσυνέτῳ παροργιῶ αὐτούς, et comprend que le « non-peuple », c’est-à-dire les croyants issus des nations, remplace le premier peuple élu de Dieu, Israël. En dépit d’une perspective salvatrice pour les Juifs finalement convertis par cette jalousie, de cette interprétation paulinienne procédera une lecture polémique contre les Juifs qui

7. Sur la citation de Dt 6, 5 en Luc 10, 27, voir par exemple Noël: Double Commandement, passim. 8. Wilcox: ‹ Upon the Tree ›, passim. 9. Sur la lecture de ces chapitres du Deutéronome en Galates, voir également Waters: The End of Deuteronomy, le chapitre 3, Deut 27-30 in Galatians (and 1 Corinthians ?), 79-130. 10. Sur le dossier des Testimonia, voir par exemple Daniélou: La Vie suspendue, 53-75.

211

gtvh 08105 / p. 212 / 31.3.2022

Pentateuch

sera elle-même au fondement de la théologie du remplacement des Juifs par les chrétiens comme « peuple » de Dieu. Chez les premiers exégètes chrétiens, le Deutéronome, en général, n’a pas retenu l’attention pour lui-même mais un certain nombre de versets, cités ponctuellement, ont abondamment nourri leur pensée. C’est le cas, par exemple, de Dt 4, 19 sur le culte des astres donnés en partage aux nations. Justin lit le verset avec le verbe συγχορεῖν, « concéder », et non pas comme dans la LXX avec ἀπονέμειν, « donner en partage » ; Justin comprend que Dieu a concédé les astres aux nations pour qu’elles les adorent comme des dieux. 11 Le culte des astres est ainsi un moindre mal pour les païens. Clément d’Alexandrie voit même dans cette concession un moyen d’accéder à la vérité. 12 Eusèbe reprendra ce thème de la valeur relative du culte des astres par rapport à l’idolâtrie. 13 Origène considère que les astres « donnés en partage à ceux qui n’étaient pas dignes de prendre pour leur Dieu le dieu des dieux » constituent « un égarement bien préférable et supérieur à celui des gens qui appellent dieu l’ouvrage des mains des hommes ». 14 Dans quelques autres versets du Deutéronome, les lecteurs chrétiens lisent une annonce de Jésus sauveur. Par exemple, des Pères grecs comme Clément d’Alexandrie, Origène ou Eusèbe de Césarée, voient dans l’annonce de la venue d’un prophète de Dt 18, 15-19 un témoignage préfigurant Jésus. 15 Ces exégètes s’inscrivent en réalité dans la lignée de l’exégèse typologique telle qu’on la trouve dans le Nouveau Testament, dès Actes 3, 22-23 : dans cette interprétation probablement influencée par l’ambivalence sémantique du verbe ἀνίστημι, signifiant « faire lever » mais relevant également pour les chrétiens du vocabulaire résurrectionnel, Jésus y est en effet identifié au prophète promis par le Seigneur. D’autres versets encore reçoivent une signification christologique, par exemple Dt 21, 23 : contre l’emploi polémique de ce verset chez les Juifs, Justin répond que la « croix » est au contraire le symbole du salut et de la victoire. 16 Ce verset est généralement associé à Dt 28, 66 dans le dossier des témoignages prophétiques de la passion et de la mort du Christ sur la croix. Alors que le texte grec de Dt 28, 66 parle de l’incertitude de la vie des Juifs, ce verset prend un tout autre sens, par exemple chez Méliton de Sardes 17: il s’agit de la vie, présentée aux Juifs dans le Christ crucifié et à laquelle ils ne croiront pas. Irénée comprend également Dt 28, 66 en ce sens et il le rapproche du thème de l’arbre de vie. 18 Sans le citer, Clément d’Alexandrie fait allusion à notre verset et l’associe de même à l’arbre de vie. 19 Origène, enfin, dans un contexte de polémique

11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19.

Justin Martyr: Dial. 55,1; 121,2, Bobichon I, 320-322. 508. Clément: Strom. VI, 110, 3, GCS 52, 487. Eusèbe: Dem. IV, 7-8, GCS 23, 160-162. Origène: Comm. Ioh. II, 24-27, SC 120, 222-224. Clément: Paed I, 60,3, GCS 12, 125 f.; Origène: Comm. Ioh. VI, 45.90, SC 157, 162.194-196; Eusèbe: Dem. IX, 11, 8-9, GCS 23, 429. Justin Martyr: Dial. 32,1; 89, 2; 90,1, Bobichon I, 260. 430. Meliton: Pasch. 61/444-446, SC 123, 84. Irénée: Dem. 79, SC 406, 192; Haer IV, 10, 2, SC 100, 496; Haer V, 18, 3, SC 153, 244. Clément: Strom. V, 72,2, GCS 52, 374 f.

212

gtvh 08105 / p. 213 / 31.3.2022

Deutéronome

anti-juive, cite ce verset comme prophétie de l’incrédulité des Juifs 20 mais aussi en un sens christologique lorsqu’il le met en rapport, comme Clément, avec l’arbre de vie. 21 Pour d’autres passages du Deutéronome, les Pères sont tributaires de cette même interprétation qui, de façon tendancieuse, remplace les Juifs comme peuple élu par les chrétiens. Par exemple, le fameux passage sur la belle captive de Dt 21, 10-14, qu’Origène 22 et à sa suite Jérome ont lu comme une allégorie sur les richesses littéraires du paganisme 23, est compris par Cyrille d’Alexandrie dans un tout autre sens, éloigné de sa signification originelle : la femme, dont on enlève les vêtements de captivité, est une figure de la synagogue, belle de la gloire de ses pères mais finalement rejetée au profit de l’Eglise des nations. 24 Origène lui-même opérera un changement complet du sens des versets concernant le peuple de Dieu et lira ainsi Dt 33, 29 pour l’appliquer aux Chrétiens : le bonheur promis aux Juifs est désormais passé aux disciples de Jésus. 25 On ne saurait, pour terminer, omettre de signaler l’importance du cantique de Moïse de Dt 32 dans l’exégèse chrétienne, particulièrement soucieuse de montrer en chacun de ses versets à la fois l’œuvre du Christ et le salut du nouveau peuple qu’est l’Eglise. Nous ne retiendrons que quelques versets. Ainsi, sur les deux versets de Dt 32, 8-9 reposera la doctrine chrétienne, d’origine juive 26, des « anges » qui gouvernent les nations, développée en particulier chez Clément d’Alexandrie 27 puis chez Origène 28, à partir de la lecture majoritaire de la LXX « il fixa les frontières des nations selon le nombre des anges de Dieu » (TM : « fils d’Israël ; autres manuscrits grecs « fils de Dieu »). Le verset de Dt 32, 21 recevra chez Origène la même interprétation qu’en Rom 10, 19 : Dieu rend jaloux ceux qui l’ont rendu jaloux pour les punir, mais en réalité, la conversion des nations contribuera, par émulation, à la conversion et à la foi des Juifs. 29 Clément d’Alexandrie glosera de même ce verset qu’il cite en Stromata II, 43, 4 30.

20. Origène: Cels. II, 75, SC 132, 460-462. 21. Origène: Comm. Matt. XII, 33, GCS 40, 139 f. Sur l’importance de Dt 28, 66 dans la catéchèse ancienne, voir Daniélou: La Vie suspendue, 53-75. 22. Origène: Hom. Lev. 7, 6, SC 296, 346-348. 23. Sur l’exégèse de ce thème de la « belle captive », voir par exemple dé Lubac: Exégèse médiévale, 290-304. 24. Cyril d’Alexandrie : Glaphyra in Pentateuchum, PG 69, 649-657. 25. Origène: Commentarii in Romanos, PG 14, 1,8, 853; Homiliae in Isaiam. 26. Voir Daniélou: Les sources juives, 132-137 et Les Anges. 27. Clément: Strom. VI, 157,4-5, GCS 52, 513. 28. Origène: Cels. IV, 8; V, 29.32, SC 136, 204; SC 147, 86.94-96. Sur ces textes, voir par exemple Boulnois: La diversité des nations, 811-819. 29. Origène: Comm. Rom., FC 2/4, 266. 30. Clément: Strom. II, 43,4, GCS 52, 135 f. Sur ce passage, voir Boulnois: Un Dieux jaloux, 249276.

213

gtvh 08105 / p. 214 / 31.3.2022

2.2.2 Geschichtsbücher 2.2.2.1 Joshua Michaël N. van der Meer Literature Editions and Translations The Assumption of Moses, ed. Johannes Tromp, SVTP 10, Leiden 1993 – Philo: De virtutibus. ed. Leopold Cohn, Philonis Alexandrini Opera quae supersunt, ed. Leopold Cohn / Paul Wendland, Vol. 5, Berlin 1906, 266-335 – Flavius Josephus: Judean Antiquities 5-7, ed. and trans. Christopher T. Begg, FJTC 4, Leiden 2005 – Pseudo-Philo: Liber Antiquitatum Biblicarum, ed. Guido Kisch, Publications in Mediaeval Studies 10, Notre Dame 1949 – Holladay, Carl R. (ed.): Fragments from Hellenistic Jewish Authors 3. Aristobulus, SBLTT 39, Pseudepigrapha series 13, Atlanta 1995. Clemens Alex.: Stromata I-VI, ed. Otto Stählin / Ludwig Früchtel, 4. edition ed. Ursula Treu, GCS 52, Berlin 1985 – Eusebius Caes.: Praeparatio evangelica, ed. Karl Mras, GCS 43/1, Berlin 1954 – Justinus Martyr: Dialogus cum Tryphone Iudaeo, ed. Philippe Bobichon, 2 Vol., Par. 47/1+2, Fribourg 2003 – Origenes: Homélies sur Josué, ed. Annie Jaubert, SC 71, Paris 1960 – Origenes: Homilies on Joshua, trans. Barbara J. Bruce / Cynthia White, FaCh, Washington 2002 – Theodoret: The Questions on the Octateuch 1-2, ed. John F. Petruccione / Robert C. Hill, The Library of Early Christianity 1-2, Washington 2007.

Secondary Literature Bertholet, Katell: The Biblical Conquest of the Promised Land and the Hasmonean Wars according to 1 and 2 Maccabees, in: Geza Xeravits / József Zsengellér (eds.), The Books of Maccabees, JSJSup 118, Leiden 2007, 45-60 – Collins, Adele Yabro: Aristobulus, OTP 2:831-842 – Elssner, Thomas R. / Heither, Theresia: Die Homilien des Origenes zum Buch Josua. Die Kriege Josuas als Heilswirken Jesu, Beiträge zur Friedensethik 38, Stuttgart 2006 – Elssner, Thomas: Josua und seine Kriege in jüdischer und christlicher Rezeptionsgeschichte, Theologie und Frieden 37, Stuttgart 2008 – Farber, Zev: Images of Joshua in the Bible and their Reception, BZAW 457, Berlin 2016 – Feldman, Ariel: The Rewritten Joshua Scrolls from Qumran, BZAW 438, Berlin 2014 – Feldman, Louis H.: “Josephus’s Portrait of Joshua,” HTR 82 (1989), 351-376; repr. in: Josephus’s Interpretation of the Bible, Hellenistic Culture and Society 27, Berkeley 1998, 443-460 – Feldman, Louis H.: Philo’s Interpretation of Joshua, JSP 12 (2001), 105-114 – Greenspoon, Leonard J.: Textual Studies in the Book of Joshua, HSM 28, Chico 1983 – Hengel, Martin: Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jh.s v. Chr., 2nd ed. Tübingen 1973 – Hertog, Cornelis G. den: “Erwägungen zur Territorialgeschichte Koilesyriens in frühhellenistischer Zeit,” ZDPV 111 (1995), 168-183 – Hertog, Cornelis G. den: Studien zur griechischen Übersetzung des Buches Josua, Ph.D. diss., Justus-Liebig-Universität Gießen: Kohler, 1996 – Hofmann, Norbert J.: Die Assumptio Mosis, JSJSup 67, Leiden 2000 – Jacobson, Howard: A Commentary on PseudoPhilo’s Liber Antiquitatum Biblicarum, AGJU 31, Leiden 1996 – Koch, Stefan: “Mose sagt zu ‘Jesus’” – Zur Wahrnehmung von Josua im Neuen Testament, in: Ed Noort (ed.), The Book of Joshua, BEThL 250, Leuven 2012, 541-554 – Meer, Michaël van der: ‘Sound the Trumpet!’

214

gtvh 08105 / p. 215 / 31.3.2022

Joshua

Redaction and Reception of Joshua 6:2-25, in: Jacques van Ruiten / J. Cornelis de Vos (eds.), The Land of Israel in Bible, History, and Theology. Studies in Honour of Ed Noort, VTSup 124, Leiden 2009, 19-44 – Meer, Michaël van der: Symmachus’s Version of Joshua, in: James W. Barker / Anthony Le Donne / Joel N. Lohr (eds.), Found in Translation. Essays on Biblical Translation in Honor of Leonard J. Greenspoon, West Lafayette 2018, 53-93 – Meer, Michaël van der: Formation and Reformulation. The Redaction of the Book of Joshua in the Light of the Oldest Textual Witnesses, VTSup 102, Leiden 2004 – Meer, Michaël van der: Literary and Textual History of Joshua 2, in: Wolfgang Kraus / Michaël N. van der Meer / Martin Meiser (eds.), XV Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies. Munich, 2013, SBLSCS 64, Atlanta 2016, 565-592 – Meer, Michaël N. van der: Joshua, in: James K. Aitken (ed.), The T &âT Clark Companion to the Septuagint, London 2015, 86-101 – Meer, Michaël N. van der: Provenance, Profile, and Purpose of the Greek Joshua, in: Melvin K. H. Peters (ed.), XII Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Leiden, 2004, SBLSCS 54, Atlanta 2006, 55-80 – Meer, Michaël N. van der: The Reception History of Joshua in the Septuagint and Contemporary Documents, in: Martin Meiser et al. (eds.), Die Septuaginta – Geschichte, Wirkung, Relevanz, WUNT 405, Tübingen 2018, 431463 – Moatti-Fine, Jacqueline: Jésus (Josué), La Bible d’Alexandrie 6, Paris 1996 – Noort, Ed: Joshua. The History of Reception and Hermeneutics, in: Johannes C. de Moor / Harry F. van Rooy (eds.), Past, Present, Future, OtSt 44, Leiden 2000, 199-215 – Reinmuth, Eckart: Zwischen Investitur und Testament: Beobachtungen zur Rezeption des Josuabuches im Liber Antiquitatum Biblicarum, SJOT 16 (2002), 24-43 – Schnocks, Johannes: Die Rezeption des Josuabuches in den Makkabäerbüchern, in: Ed Noort (ed.), The Book of Joshua, BEThL 250, Leuven 2012, 511-521 – Tov, Emanuel: The Rewritten Book of Joshua as Found in Qumran and Masada, in: Michael E. Stone / Esther Chazon (eds.), Biblical Perspectives, STDJ 28, Leiden 1998, 233-256, repr. in ders., Hebrew Bible, Greek Bible and Qumran, TSAJ 121, Tübingen 2008, 71-91 – Tsamakda, Vasiliki: The Joshua Scroll, in: Vasiliki Tsamakda (ed.), A Companion to Byzantine Illustrated Manuscripts, Brill’s Companions to the Byzantine World 2, Leiden 2017, 207-213 – de Vos, Jacoubs Cornelis: Josua und Jesus im Neuen Testament, in: Ed Noort (ed.), The Book of Joshua, BEThL 250, Leuven 2012, 523-540 – Weitzmann, Kurt: The Joshua Roll: A Work of the Macedonian Renaissance, Princeton 1948.

1. Introduction Compared to the pervasive influence the Old Greek versions of the Pentateuch, Prophets and Psalter had on Hellenistic Jewish and Early Christian writings, the reception history of the Old Greek version of Joshua is comparatively modest. 1 Quotations from or allusions to the book of Joshua in these writings are sparse and when they occur, it is usually to the Hebrew text, rather than the Old Greek translation. 2 This may have to do with the circumstance that much of the more original function of the book with its spectacular stories of conquest and violent extermination of the territories west of the

1.

2.

See the overviews of the reception history of the book of Joshua during the Hellenistic and Roman periods by Noort: “Joshua. The History of Reception and Hermeneutics,” 199-215; Elssner: Josua und seine Kriege; Farber: Images of Joshua; and van der Meer: The Reception History of Joshua in the Septuagint and Contemporary Documents. See e. g. van der Meer: Joshua, in: The T &âT Clark Companion to the Septuagint, esp. 98.

215

gtvh 08105 / p. 216 / 31.3.2022

Geschichtsbücher

Jordan (Josh 1-12) as well as the detailed description of that region, had lost its significance during the Hellenistic, Roman and Byzantine periods, when the land of Israel formed part of a larger empire that wanted to maintain peace in that region.

2. Hellenistic Period The Old Greek translation of the book of Joshua itself may have been produced in period when knowledge about earlier conquest and division of Palestine did play a role in world history, i. e. the time of the Syrian wars between the Ptolemaic and Seleucid empires. Particularly the period between the fourth (219-217 BCE) and fifth (202-195 BCE) Syrian wars witnessed a dramatic shift in supremacy over this land from Ptolemy IV Philopator during the battle of Raphia (217 BCE) to Antiochus III the Great (198 BCE). It is perhaps in these decades that the Old Greek version of Joshua was produced, possibly by an educated Jewish high official such as Dositheos, son of Drimylos, in order to strengthen within the Ptolemaic court the cultural position of the Jews as well as the illustrious history of the conquest of their homeland. 3 The rich Greek vocabulary for military terms, 4 as well as internal evidence posed by a number of Greek toponyms may support this original setting. 5 A first echo of the Greek translation of Joshua may perhaps be found in the work of the Jewish philosopher Aristobulus (first half of the second century BCE). 6 In a fragment (nr. 3) of his largely lost commentary on the Pentateuch (Ἐξήγησεις τῆς Μωυσέως γραφῆς) Aristobulus claims that already Plato and Pythagoras had borrowed from the Greek translation of the events of the Jewish people from their exodus from Egypt (τά τε κατὰ τὴν ἐξ Αἰγύπτου ἐξαγωγὴν τῶν Ἑβραίων τῶν ἡμετέρων πολιτῶν) up until the conquest of the land (καὶ ἡ γεγονότων ἁπάντων αὐτοῖς ἐπιφάνεια καὶ ἡ κράτησις τῆς χώρας καὶ τῆς ὅλης νομοθεσίας ἐπεξήγησις). 7 The Greek formulation for “gaining control over a specific country,” κράτησις, parallels the unusual Greek rendering in Josh 18:1 for Hebrew ‫( כבשׁ‬elsewhere κατακυριεύω). Writings from the middle of the second to the middle of the first century BCE place Joshua in a tradition culminating either in the tradition of high-priests (thus Ben Sira 46:1-5 where Joshua is characterized as Moses’s successor in prophecy ‫משרת‬

3. 4. 5.

6.

7.

van der Meer: Provenance, Profile, and Purpose of the Greek Joshua, 55-80. See Moatti-Fine: Jésus (Josué), 53-66. den Hertog: Erwägungen zur Territorialgeschichte Koilesyreiens; idem, Studien zur griechischen Übersetzung des Buches Josua, 110-44; Van der Meer: Provenance, Profile, and Purpose of the Greek Joshua, 61-74. See e. g. Holladay: Fragments from Hellenistic Jewish Authors 3. Aristobulus. Holladay (7475) dates the work to 176-170 BCE, see also Hengel: Judentum und Hellenismus, 295-97, and others. Adele Yabro Collins: “Aristobulus,” OTP 2, 832-33, finds a date between 155-145 BCE more likely. I follow the higher datation. Fragm. 3 apud Clement of Alexandria, Strom. 1.22.150.2, GCS 52, 93, and Eusebius of Caesarea, Praep. Ev. 9.6.7, GCS 43/1, 493.

216

gtvh 08105 / p. 217 / 31.3.2022

Joshua

‫ – משה בנבואה‬διάδοχος Μωυσῆ ἐν προφητείαις, cf. Philo, Virt. 56-65; 8 As.Mos. 9) or the Davidic dynasty (Eupolemos fragm. 2, 10, 1 Macc 2:55 cf. 4Q522 fragm. 9 col. ii 11). 1 Macc 2:64 takes up the specific Septuagintal language for encouragement of a successor (ἴσχυε καὶ ἀνδρίζου cf Josh 1:6, 7, 9, 18; 10:25; Deut 31:6, 7, 23; cf. Philo, Virt. 70), but does not show echoes of the Greek translation of Joshua. This also applies to 2 Maccabees 12:15 where the conquest of Kaspin is compared to that of Jericho (Josh 6). Although one might expect the Hasmoneans to extol the former conquest of the territory they aimed to regain as narrated in the book of Joshua, 12 they were much better served by presenting themselves as the rightful autochthonous rulers of the land and successors of the great kings David and Solomon (see e. g. the works of the Jewish ambassador Eupolemos). 13 Jewish fractions during the Second Temple Period were more interested in matters of cultic calendar (4QApocrJoshb), polemics with the Hasmoneans (4QTestimonia) or faithful observance to the Torah (1QWords of Moses), than the accomplishments of an Israelite general a millennium earlier.

3. Roman Period After the fall of Jerusalem and the destruction of the temple (70 CE) the surviving Jewish elite had to reconsider Jewish identity and the relation to foreigners. New Testament writers paid more attention to a benevolent foreigner like Rahab than to a military leader such as Joshua (see Matt 1:5; Heb 11:30; Jas 2:25; 1 Clem 12:1-8). For them the identical names in Greek of Joshua (Greek Ἰησοῦς) and Jesus of Nazareth did not play a role. 14 A completely different attitude is found in the book of biblical antiquities, erroneously ascribed to Philo (Liber Antiquitatum Biblicarum), where the expulsion of foreign occupiers from ancestral property as told in the stories of the Judges receives full attention. 15 Although it is generally assumed that the Latin text of the sole extant manuscript of this composition 16 ultimately derives from a Hebrew original via a 8. See e. g. Moatti-Fine: Jésus (Josué), 27; Elssner: Josua und seine Kriege, 105-114; Feldman: Philo’s Interpretation of Joshua, 105-114; Farber: Images of Joshua, 153-161. 9. See Tromp: The Assumption of Moses; Hofmann: Die Assumptio Mosis; Farber: Images of Joshua, 161-175. 10. Eupolemos, fragm. 2 apud Eusebius, Praep. ev. 9.30.1-2, GCS 43/1, 538. 11. For the thesis of a single composition, Rewritten book of Joshua, behind 4Q378 (ApocrJosha), 4Q379 (ApocrJoshb), 4Q522 (ApocrJoshc), 5Q9, Mas 1039-211, see Tov: The Rewritten Book of Joshua as Found in Qumran and Masada; Feldman: The Rewritten Joshua Scrolls from Qumran; Farber: Images of Joshua, 195-199. 12. See e. g. Bertholet: The Biblical Conquest of the Promised Land, 45-60; Schnocks: Die Rezeption des Josuabuches in den Makkabäerbüchern, 511-21. See further Elssner: Josua und seine Kriege, 56-71; Farber: Images of Joshua, 149-150. 13. Van der Meer: Reception History, 441-444. 14. Elssner: Josua und seine Kriege, 82-104; de Vos: Josua und Jesus im Neuen Testament, 523540; Koch: “Mose sagt zu ‘Jesus’”, 541-554. 15. See e. g. Jacobson: A Commentary on Pseudo-Philo’s Liber Antiquitatum Biblicarum; Reinmuth: Zwischen Investitur und Testamen, 24-43; Farber: Images of Joshua, 176-195; Van der Meer: Reception History of Joshua, 455-461. 16. Kisch: Pseudo-Philo’s Liber Antiquitatum Biblicarum.

217

gtvh 08105 / p. 218 / 31.3.2022

Geschichtsbücher

Greek translation, it is noteworthy that in the retelling of Joshua 24 in LAB 23 Joshua gathers all Israel in Shiloh rather than Shechem, which corresponds the Greek alteration of ‫( ֶשֶׁכם‬mt-Josh 24:1, 25) into Σηλω (lxx). Only in the works of Flavius Josephus do the stories of Joshua receive full attention, yet here too, there are only few echoes of the Old Greek version. For Josephus Joshua is the ideal στρατηγὸς Ἑβραίων, a portrait that derives from Thucydides’s description of Pericles rather than the Old Greek of Joshua, where this expression does not occur. 17 Josephus shares with the Old Greek version of Joshua an interest in military affairs and vocabulary, but hardly adopts the formulations or alterations introduced by the Greek translator. In this respect the work of this Jewish Greek author differs from the Greek revisers of the Septuagint, who were among the last Jewish authors in Antiquity to deal with the Bible in Greek. Theodotion (first century BCE) supplemented the sections in the Old Greek of Joshua where the translator had abbreviated his Hebrew text (e.g Josh 2:4b, 9b, 12b, 15b, 21b; 5:4-5, 10-12a; 6:3-4, 6b, 20b; 8:12-18) 18 or followed a shorter Vorlage (Josh 20:4-5, 6b). 19 Aquila (beginning of the second century CE) transformed the Greek text of the Bible into an idiosyncratic composition in which every detail of the proto-Masoretic text is mimicked in Greek. Symmachus, by contrast, tried to present a comprehensible Greek version of the book of Joshua, while maintaining loyal to the proto-Masoretic text and the work of his predecessors. 20 His own adaptation of the Old Greek of Joshua is mostly found in the second half of the book, where the numerous toponyms had confused both the original Greek translator as well as later copyists. Symmachus also seems to have recast the story of Israel’s potential apostasy in Josh 22 into an inner-Jewish halakhic polemic. Whereas the few Jewish interpreters of the Old Greek version of Joshua seemed to have had special interest in inner-worldly themes such as law, land and leadership, Christian interpreters read the book in an allegorical way. 21 For them the Joshua stories were only accessible through the Old Greek version. Elements that lent themselves for typological exegesis were the conversion of Rahab and her family as prototype for all the heathen proselytes entering the new faith, the scarlet cord (τὸ σπαρτίον τὸ κόκκινον Josh 2:18) she left as sign (σημεῖον) for the newcomers, the passage through the Jordan as typology for baptism, entrance into the Promised Land, a second circumcision, the conquest of Jericho, the divine gift of rest (κατάπαυσις cf. καταπαύω Josh 1:15; 22:4) in that new land. 22 A full-fledged application of these themes to almost the 17. Feldman: Josephus’s Portrait of Joshua; see further Moatti-Fine: Jésus (Josué), 27; Elssner: Josua und seine Kriege, 114-26; Farber: Images of Joshua, 200-220; Begg: Flavius Josephus. Judean Antiquities 5-7, with references to his earlier publications on Joshua according to Josephus. 18. See the discussion of these passages in my work “Formation and Reformulation”, 249-478; and my essays “‘Sound the Trumpet!’ Redaction and Reception of Joshua 6:2-25,” and “Literary and Textual History of Joshua 2”. 19. See the discussion of all the readings attributed to Theodotion for the book of Joshua by. Greenspoon: Textual Studies in the Book of Joshua. 20. See my essay “Symmachus’s Version of Joshua”. 21. Elssner: Josua und seine Kriege, 198-225: “Frühchristliche Literatur.” 22. 1 Clem 12; Barn 6, 12; Justinus Martyr: Dial. 62.5, Bobichon I 350-352.

218

gtvh 08105 / p. 219 / 31.3.2022

Joshua

whole of the book (Josh 1-22) is found in the 26 Homilies on Joshua by Origen of Alexandria / Caesarea (c. 185-254 CE), 23 preserved only in the Latin translation by Rufin of Aquileia (c. 345-410 CE). Origen makes full use of the identity in names between Joshua (Greek Ἰησοῦς) and Jesus of Nazareth and explains the book entirely in a spiritual way. 24 In this way Origen is able to justify the extermination of a city like Ai (Josh 8:22-24) by bloodthirsty Jews (humanum sanguinem sitiunt) 25 as a just struggle against demons and bad habits. Later Church Fathers paid only little attention to the book of Joshua. Theodoret of Cyrrhus formulated and answered some twenty questions on the book of Joshua, 26 Here too, an allegorical exegesis of the book prevails, but paired with Antiochene precision for certain details such as toponyms (Hill of Foreskins, Gilgal, Hebron, Jebus).

23. Jaubert: Origène. Homélies sur Josué; Bruce / White: Origen. Homilies on Joshua; Elssner / Heither: Die Homilien des Origenes zum Buch Josua; Elssner: Josua und seine Kriege, 226254. 24. Origen: Hom. Jos. XV.1, SC 71, 330: Nisi bella ista carnalia figuram bellorum spiritualium gererent, numquam, opinor, Iudaicarum historiarum libri discipulis Christi, qui venit pacem docere, legendi in ecclesiis fuissent ab Apostolis traditi, “Unless those physical wars bore the figure of spiritual wars, I do not think the books of Jewish history would ever have been handed down by the apostles to the disciples of Christ, who came to teach peace, so that they could be read in the churches.” 25. Origen: Hom. Jos. VIII.7, SC 71, 234. 26. Petruccione / Hill: Theodoret of Cyrus. The Questions on the Octateuch 1-2. The number of 20 questions and answers on Joshua is modest compared to the 112 questions and answers for Genesis, 72 for Exodus, 38 for Leviticus, 51 for Numbers, 46 for Deuteronomy and 28 for Judges.

219

gtvh 08105 / p. 220 / 31.3.2022

Geschichtsbücher

2.2.2.2 Richter – 2. Königtümer Martin Meiser

1. Texte aus dem Richterbuch Literatur Editionen Augustinus: Quaestiones in Heptateuchum, ed. Jean Fraipont, CC.SL 33, Turnhout 1958, 1-377 – Theodoret: Quaestiones in Octateuchum, ed. John F. Petruccione, Vol 2, OECT 2, Oxford 2007.

Für das Richterbuch sind nur wenige Septuaginta-spezifische Nachwirkungen festzustellen. Gideons Ephod (Ri 8,27), im Kontext mit einem illegitimen Kult verbunden (Ri 8,28), stellt für Augustinus wie für Theodoret ein exegetisches Problem dar, hat doch Hanna, so Augustinus, ebenfalls für Samuel ein Ephod angefertigt, und wollte doch Gideon, so Theodoret, keineswegs zur Gottlosigkeit verführen. Das Widergesetzliche dieses σκάνδαλον (Ri 8,27A) liegt nach Augustin an der Missachtung dessen, dass der Kult des wahren Gottes nur im Zelt der Begegnung vollzogen werden durfte, nach Theodoret darin, dass Gideon als Nicht-Priester ein Ephod gar nicht benutzen durfte. 1 In Ri 17,7A ergibt die Formulierung παιδάριον … ἐκ τῆς συγγενείας Ιουδα, καὶ αὐτὸς Λευίτης (»ein junger Mann … aus der Sippe Juda, und er war ein Levit«) die Frage, wie ein Levit zugleich ein Angehöriger des Stammes Juda sein kann. Theodoret erwägt, der Betreffende sei Levit gewesen, habe aber auf dem Gebiet des Stammes Juda gewohnt, oder er stamme von einem Leviten und einer Angehörigen des Stammes Juda ab. 2 Ri 18,30A hält fest, dass Jonathan, der für den Stamm Dan als Priester gewirkt habe, ein Nachkomme des Gesetzgebers Mose gewesen sei. 3 Theodoret stellt diesbezüglich ein doppeltes Fehlverhalten fest: 1. Jonathan hat illegitimen Kult betrieben (das γλυπτόν [»Skulptur«] gilt ihm als εἴδωλον [»Götzenbild«]); 2. Jonathan ist Levit und darf eigentlich keinen Priesterdienst ausüben. Da Mose eine ausländische Frau geheiratet hatte, wurden deren Nachkommen zu den Leviten gezählt, nicht zu den Priestern, um die priesterliche Würde unangetastet zu belassen. 4

1. 2. 3. 4.

Augustinus: Qu. Iud. 41,2, CC.SL 33, 353; Theodoret: Qu. Iud. 17, OECT 2:338. Augustin deutet Gideons Ephod als Gewand, Theodoret als Kultgegenstand zur Gottesbefragung. Theodoret: Qu. Iud. 25, OECT 2,352-354. – Augustinus: Qu. Iud. endet mit Ri 15,12. MT und Cod. B ändern ab zu »Manasse.« Theodoret: Qu. Iud. 26, OECT 2, 354-356.

220

gtvh 08105 / p. 221 / 31.3.2022

Richter – 2. Königtümer

2. Texte aus dem Ersten Samuelbuch Literatur Editionen Ambrosiaster: Quaestiones Veteris et Novi Testament, ed. Alexander Souter, CSEL 50, Wien / Leipzig 1908, 1-416 – Augustinus: De civitate Dei, ed. Emanuel Hoffmann, Vol. 1: Bücher 1-13, CSEL 40/1; Vol. 2: Bücher 14-22, CSEL 40/2, Prag / Wien / Leipzig 1899-1900 – Basilius Caes.: Homilia de ieiunio 2, PG 31, 185 A-198 C – Beda Venerabilis: In 1 Samuhelem, ed. David Hurst, CC.SL 119, Turnhout 1962, 1-272 – Beda Venerabilis: In Regum Librum XXX quaestiones, ed. David Hurst, CC.SL 119, Turnhout 1962, 289-322 – Les constitutions apostoliques, Tome III, Livres VII et VIII, ed. Marcel Metzger, SC 336, Paris 1987 – Cyprian: Epistularium, ed. Gerard F. Diercks, CC.SL 3 B, Turnhout 1994 – Gregorius I. Rom.: Expositio in Librum primum Regum, ed. Patrick Verbraken, CC.SL 144, Turnhout 1963, 47-614 – Gregorius Naz.: Discours 1-3, ed. Jean Bernardi, SC 247, Paris 1978 – Origenes: Die Leviticushomilien, ed. Willem A. Baehrens, GCS 29, Leipzig 1920, 280-507 – Tertullian: De ieiunio adversus Psychicos, ed. August Reifferscheid / Georg Wissowa, CC.SL 2, Turnhout 1954, 1255-1277 – Theodoret: Quaestiones in Octateuchum, PG 80, 76 A-528 A – Theodoret: Quaestiones in librum I Regnorum, PG 80, 527 B-596 B – Zeno Veron., Tractatus, ed. Bengt Löfstedt, CC.SL 22, Turnhout 1971.

Hanna wird aufgrund der Voraussage des/der »Gesalbten des Herrn« (1Sam/Kgt 2,10) in jüdischer wie christlicher Tradition als Prophetin verstanden. 5 Samuel wird in der Septuaginta des Ersten Samuelbuches deutlicher als in der hebräischen Vorlage einem Priester angenähert (1Kgt 2,18; 7,16), und in 1Kgt 1,11 wird die Weihe Samuels durch den Vermerk, dass er keinen Wein trinken werde, noch deutlicher als in der hebräischen Vorlage vollständig den Bestimmungen für das Nasiräat angepasst. In antiker jüdischer Tradition wird die Kennzeichnung Samuels als eines Nasiräers auch bei Philo von Alexandria und bei Josephus weitergetragen. 6 In der patristischen Tradition ist etwas häufiger die Vorstellung belegt, dass Samuel Priester war 7 (gelegentlich wird er sogar als ἀρχιερεύς, als Hoherpriester bezeichnet 8), während auf den Weinverzicht nur Tertullian und Basilius von Caesarea zu sprechen kommen, um den Nutzen des Fastens zu unterstreichen. 9 Für Origenes wie für Theodoret gilt Samuel in der Tat als Nasiräer. 10 5. Philo: Somn. I, 254; Augustin: Civ. XVII, 4, CSEL 40/2, 212. 6. Philo: Ebr. 143; Somn. I, 253 f.; Josephus: Ant V, 47. Josephus: Ant V 48 übernimmt die Vorstellung, dass Elkana und Anna die Zehntfrüchte geopfert haben und somit als vorbildliche Fromme erscheinen. 7. Cyprian: Ep. 3,2, CC.SL 3 B, 11; Const. Apost. VIII, 5,4, SC 336, 146; Augustin: Civ. XVII, 4, CSEL 40/2, 210; Zeno: Tract. I, 2,4/8, CC.SL 22, 17; kritisch dazu Ambrosiaster: Qu.V.N.T. 46, CSEL 50, 83-90. Für Theodoret: Qu. 1Reg 1, PG 80, 529D – 530A hingegen gilt Samuel als Levit, vermutlich unter Einfluss von 1Chr 6,18-23. Beda: Qu. 1Reg 1, CC.SL 119, 296, muss die Tatsache, dass Samuel Levit war (1Chr 6,18-23), ausgleichen mit 1Reg 2,35 f., wo die Erweckung eines neuen Priesters statt der Söhne Elis angekündigt wird. Er verweist darauf, dass Christus auch nicht aus dem Stamme Levi stammt; das maßgebliche Urteil Gottes über 1Kgt 8,3 sei durch Samuels Lebensführung bestätigt. 8. Const. Apost. VIII, 46,7, SC 336, 268. 9. Tertullian: De ieiunio 9,9, CC.SL 2,1266 f.; Basilius: Ieiun. 2,6, PG 31, 193 B. 10. Origenes: Hom. Lev. 8,11; 11,1, GCS 29, 413.449; Theodoret: Qu. 1Reg 6, PG 80, 536A. Für Theo-

221

gtvh 08105 / p. 222 / 31.3.2022

Geschichtsbücher

Die Lesart ἑνιαυτοῦ im Antiochenischen Text von 1Kgt 13,1, das Alter Sauls bei seinem Herrschaftsantritt betreffend, ist gelegentlich auf die Bescheidenheit Sauls während seines ersten Regierungsjahrs gedeutet worden 11, häufiger aber allegorisch ausgelegt worden, auf die Einfalt der Seele 12, wie auf die kindliche Unschuld 13 oder auf die Einmütigkeit der Orientierung auf das Reich des Glaubens im Gottesvolk sive in sinagoga sive in ecclesia (»sei es in der Synagoge, sei es in der Kirche«). 14

3. Das Zweite Buch Samuel Manche Texte aus dem Zweiten Buch Samuel sind später von Bedeutung gewesen (z. B. 2Kgt 7,12.14; 11,1-12,15). Septuaginta-Spezifisches hat aber keine eigene Rezeptionsgeschichte nach sich gezogen.

11. 12. 13. 14.

doret rechtfertigt das auch, warum Samuel den Ephod tragen durfte, obwohl er nicht Priester war, sondern Levit. Beda Venerabilis: In 1Sam I 2,18, CC.SL 119, 27 setzt voraus, dass auch die Leviten den Ephod trugen. Beda Venerabilis: In 1Sam I 13,1, CC.SL 119, 102. Theodoret: Qu. 1Reg 26, PG 80, 553C. Weil Saul aber diese Einfalt nicht lange beibehalten habe, habe er nur zwei Jahre regiert Gregor d. Gr.: in 1Reg V, 45, CC.SL 144, 446 f. Beda Venerabilis: In 1Sam I 13,1, CC.SL 119, 102.

222

gtvh 08105 / p. 223 / 31.3.2022

3.-4. Königtümer

2.2.2.3 3.-4. Königtümer Benedikt Collinet Literatur Editionen Clemens Alex.: Stromata I-VI, ed. Otto Stählin / Ludwig Früchtel, 4. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 52, Berlin 1985, Stromata VII-VIII, ed. Otto Stählin, 3. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 17, Berlin 1970, 3-102 – Origenes: Die Homilien zum Buch Jeremia, ed. Alfons Fürst / Horacio E. Lona, OW 11, Berlin 2018 – Severus Antioch.: Fragments grecs tirés des chaînes sur les derniers livres de l’octateuque et sur les règnes. Texte grec établi et traduit par Françoise Petit, TEG 14, Leuven 2006 – Theodoret: Quaestiones in Reges et Paralipomena, ed. Natalio Fernández Marcos / José Ramon Busto Saíz, TECC 32, Madrid 1984.

Weitere Literatur Karrer, Martin / Kraus, Wolfgang (ed.): Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Bd. I. Genesis bis Makkabäer, Stuttgart 2011 – Siquans, Agnethe: Der Deuteronomiumkommentar des Theodoret von Kyros, ÖBS 19, Wien 2002.

Vom Gesamtumfang unterscheiden sich 3/4Kgt im griechischen Text nicht signifikant vom MT, mit Ausnahme der größeren und sinnändernden Einschübe in 3Kgt 12,24a-z und 14, die die Reichsteilung nach Salomo in ein anderes Licht rücken wollen. 1 Auffällig im Bereich der Septuaginta sind eher die Abweichungen zwischen Ant bzw. kaige und OG, als der Vergleich zwischen den hebräischen und griechischen Lesarten. 2 Eine Ausnahme bilden die Notarika, z. B. wird der Name des ammonitischen Gottes Milkom, in 3Kgt 11,5.33 in mlk m* (»ihr König«) aufgeteilt, um Rang und Namen des Idols als Verherrlichung eines Menschen darzustellen. 3 Ein immer wieder anzutreffendes Phänomen sowohl in der jüdischen (z. B. Josephus Flavius) als auch christlichen Rezeption (z. B. Eusebius von Caesarea) ist das unkommentierte Ineinanderlesen von 3/4Kgt mit 1/2Chr, was dazu führt, dass Kommentare, Homilien, Geschichtsschreibungen und Traktate zu allen vier Büchern für die Wirkungsgeschichte einbezogen werden müssten. 4

1.

2.

3. 4.

Ebenso wie in 1/2 Chr zeigt sich auch in der Lxx eine Tendenz Salomo zu verherrlichen (vgl. Septuaginta Deutsch. Erläuterungen I, 724) und deswegen zu entschuldigen. Eine solche Tendenz könnte auch Grundlage des Nachtrags und der anderen Ergänzungen sein. Vgl. Septuaginta Deutsch. Erläuterungen I, 716-719. Auch die Tatsache, dass immer wieder Änderungen in der Reihenfolge vorgenommen werden, z. B. 3Kgt 7 oder die Vertauschung von 3Kgt 20 und 21 ist signifikant. In der Wirkungsgeschichte der Lxx lässt sich diese Tatsache aber nicht als relevanter Unterschied zum MT ausmachen. In 3Kgt 11,7 wird der Name ganz ausgelöscht. In der Einspielung dieser Stelle in 4Kgt 23,13 dagegen, wird er als Name, MolochAnt bzw. MolcholRA-Text, wiedergegeben. Für die Wirkungsgeschichte von 1/2 Chr sei auf den entsprechenden Beitrag in diesem Band verwiesen.

223

gtvh 08105 / p. 224 / 31.3.2022

Geschichtsbücher

Eine weitere Schwierigkeit ist das Fehlen vollständiger Kommentare zu 3/4Kgt, da die später dominierende allegorische Auslegung des Christentums sich stärker auf Pentateuch, Heptateuch oder auch Oktateuch sowie Hintere Prophetie konzentriert, das Judentum, sofern es sich überhaupt auf die Lxx bezieht, Tora, Hintere Propheten und besonders die Weisheitsschriften vorzieht. Die wenigen Werke, die es gab, scheinen daher kaum kopiert worden zu sein, was einen Mangel an Handschriften zur Folge hatte. Es bleiben in der Regel nur Fragmente, bspw. der Antiochenischen Schule. Außerdem gibt es Namen und Daten von Königen, die zu chronistischen Zwecken verwendet werden (Clemens v. Alexandrien, Eusebius u. a.), die teils stark veränderte Nacherzählung in den Antiquitates Judaicae des Josephus Flavius (bes. Bücher VIII-X) sowie Zitate innerhalb von Traktaten, die aus dem biblischen Text herausgelöst wurden, um eigene theologische Ausführungen zu untermauern oder zu verdeutlichen. 5 Das hellenistische Judentum befasst sich zwar mit den Erzählungen der getrennten Reiche, aber weder in den Fragmenten der Geschichtsschreiber, noch in den knapp zehn – und in ihrer Zuordnung teils umstrittenen – Zitaten bei Philo von Alexandrien lässt sich eine Besonderheit des Lxx-Textes gegenüber der MT-Version feststellen. Der Philo zugeschriebene Liber Antiquitatum Biblicarum umfasst bei seiner Erzählung nur die Zeit von Adam bis David und verweist nur an zwei Stellen auf die nachfolgende Königsgeschichte bzw. Zerstörung und Untergang des Südreiches Juda (XXVI,13; LVI,3). Spätestens zur Zeit des Targum Jonatan über die Vorderen Propheten (entstanden zwischen 200 und 400 n. Chr.) endet die griechisch-sprachige Rezeption von 3/4Kgt im Judentum. Es ergeben sich daraus zwei Konsequenzen. Zum einen ist das Fehlen dieser Bücher bei Philo geradezu programmatisch für die christlich-alexandrinische Schule, aber auch die allegorische Auslegung im Allgemeinen, d. h. 3/4Kgt werden so gut wie gar nicht berücksichtigt. Andererseits bleibt aus Sicht des Judentums Josephus als Hauptquelle der Wirkungsgeschichte, dessen eigensinnige Rezeption sowohl in der freien Nacherzählung der Antiquitates als auch in den wenigen Verweisen in Contra Apionem eher apologetische Züge trägt als den Willen zu einer textnahen Überlieferung. Auf christlicher Seite finden sich hauptsächlich Anspielungen an 3/4Kgt, die sich nicht auf die Auslegung größerer Textpassagen im Zusammenhang konzentrieren, sondern den Text als argumentative Stütze verwenden. Im Neuen Testament finden sich wenige Anspielungen auf die Königsbücher; eher ist es eine Einspielung von Namen, z. B. prominent in Mt 1,1-13 oder der Salomokritik in Mt 6,29par; 12,42par. Bei Clemens Alexandrinus finden sich die meisten Zitate in seinem geschichtlichen Durchgang zu den Königen Israels (Str. I, 110-124) 6, wobei es in erster Linie um eine Zusammenfassung der Erzählungen geht. 5.

6.

All diesen Zitate, Allusionen und Fragmenten ist gemeinsam, dass es ihnen nicht um eine Kommentierung von 3/4Kgt selbst geht, sondern um andere Ziele. In der Konsequenz handelt es sich daher selten um Vollzitate von Bibelstellen, sodass eine wirkungsgeschichtliche Entfaltung eher auf der Inhalts- als auf der Wortebene erfolgen müsste – eine Leistung, die ein so kurzer Artikel gar nicht leisten kann und will. Clemens Alex: Strom. I, 110,1-124,4, GCS 52, 70-78.

224

gtvh 08105 / p. 225 / 31.3.2022

3.-4. Königtümer

Origenes hat innerhalb seines umfangreichen Werkes keine Hinweise auf Homilien oder einen Kommentar hinterlassen. Die vorhandenen Informationen zu den Königsbüchern sind breit gestreut und können in der Regel nur aus Rückübersetzungen aus dem Lateinischen erschlossen werden. 7 Sein exegetisches Interesse liegt in anderen Schriften. Daher sind die annähernd 500 Zitate 8 zu den Königsbüchern zwar beeindruckend, müssen aber je einzeln nachverfolgt und aus ihrem Kontext heraus verstanden werden. Sie dienen, wie schon bei Philo und Clemens, als Autoritäten, werden aber selber kaum ausgelegt oder direkt zitiert. Die Exegeten-Schule der Antiochener dagegen schenkte den Geschichtsbüchern mehr Aufmerksamkeit. Ihre Werke sind jedoch größtenteils fragmentarisch erhalten. Das gilt im Fall von 3/4Kgt ebenso von Theodor von Mopsuestia, wie von den späten Antiochenern Procopius von Gaza (465-528) und Severus von Antiochien (456-538). Ersterer gibt 4Kgt 24,18 indirekt wieder, letzterer endet mit seinem Kommentar bei 4Kgt 23,17 f. 9 Die einzige Ausnahme bildet Theodoret von Cyrus mit seinem weitgehend erhaltenen bzw. rekonstruierbaren Werk De quaestionibus ambiguis in Libros Regnorum et Paralipomenon. Genau genommen handelt es sich hierbei um die Gattung Quaestiones et solutiones, d. h. es wird von einem Direktzitat ausgegangen, um eine Frage zu beantworten. 10 Eusebius von Caesarea zitiert immer wieder 3/4Kgt in seinen geschichtlichen Passagen. Da er sich häufig auf Josephus als Quelle bezieht, auch was die Schriftzitate angeht, ist seine Rezeption bereits aus zweiter Hand und 3/4Kgt wird von ihm als geschichtlich wahr vorausgesetzt, d. h. die indirekten Zitate und Paraphrasen stehen axiomatisch und deshalb in der Regel unkommentiert. Die Kappadokier schließlich verwenden 3/4Kgt sehr breit gestreut, mit je einer Auffälligkeit. Gregor von Nazianz nimmt gerne in seinen Orationes auf sie Bezug, wobei es sich meist um Allusionen handelt. In den Enarrationes in Esaiam des Basilius, deren Autorschaft allerdings umstritten ist, liegt der Schwerpunkt auf Parallelstellen, die die Kommentierung des Buches Jesaja unterstützen, d. h. auch hier geht es eher um Anspielungen und Autorität als um den Text selber. Bei Gregor von Nyssa schließlich finden sich die meisten Zitate bzw. Anspielungen in seinen Hohelied-Homilien. Diese wiederum sind stark von Origenes beeinflusst, sodass auch hier eher eine Bezugnahme aus zweiter Hand zu vermuten wäre, nämlich nicht aus den Hexapla, sondern aus dem Hoheliedkommentar bzw. den -Homilien. Ein kurzes Beispiel für die Wirkungsgeschichte der Lxx muss an dieser Stelle genügen: die Namensgleichheit der Könige Jojakim (4Kgt 23,36) und Jojachin (4Kgt 24,8) als »Joakim« findet sich nur in der OG Überlieferung. Einige antike Exegeten versuchen dies zu erklären, indem sie von dieser Gleichheit Rückschlüsse auf den Untergang Judas (4Kgt 25) ziehen. 7. 8. 9. 10.

Aus diesem Grund fällt Origenes als Beispiel aus. Vgl. Biblia Patristica 3. Origène, Paris 1980, 112-116. Sévère d’Antioche: Fragments grecs tirés, 97; 119. Vgl. ACCS xviiif. Die folgenden Ausführungen basieren auf dem Text der kritischen Edition von Fernández Marcos / Busto Saiz: Theodoreti Cyrensis Quaestiones in Reges et Paralipomena.

225

gtvh 08105 / p. 226 / 31.3.2022

Geschichtsbücher

Während sich bei Josephus oder auch im Ant keine Hinweise auf eine Namensgleichheit finden, sondern zwischen den beiden Königen unterschieden wird, finden sich in der christlichen Rezeption einige Spuren, die auf den Ra-Text hinweisen. Clemens von Alexandrien führt in den Stromateis die letzten Könige von Juda in für seine Zeit bemerkenswert unpolemischer Form auf. Ausgehend vom Ra-Text schließt er auf eine Verbindung von Königtum und Prophetie. Die Propheten scheinen ihm dabei wichtiger zu sein als die Könige, denn er zählt an einer Stelle nur erstere als relevant für ihre Zeit auf. 11 An anderer Stelle deutet er an, dass die Könige selbst Teil der Propheten sein könnten, was sie zu Typoi für Christus machen würde. 12 Die Namensgleichheit übernimmt Clemens dabei und glaubt, dass es um Blickwinkel der Herrschaft eines Königs zu verschiedenen Zeitpunkten seiner Herrschaft gehe, die jeweils eigene Aspekte des göttlich-prophetischen Königtums eröffnen. Origenes’ einzige Kommentierung zu 2 Kön 23-25 findet sich in einer JeremiaKatene: Unter Verweis auf Josephus, Ant. X, 97 deutet er Jer 22,24 auf Joakim als begnadigten König hin (4Kgt 25,27-30). Joakim habe seine Sünden bereut und sei dadurch teilweise gerechtfertigt worden. Das ganze Heil bleibe ihm allerdings verwehrt, denn sonst hätte er nach Jerusalem zurückkehren dürfen. 13 Auch bei Origenes zeigt sich die Kenntnis der Namensgleichheit. Er rezipiert sie ebenfalls unhinterfragt bzw. unkommentiert. Nach diesen beiden geistigen Auslegungen erstarkt in den folgenden Dekaden Antiochenische Exegese. Von Theodor von Mopsuestia (350-429) sind nur noch Fragmente erhalten. 14 4Kgt 25,3f findet sich als Einspielung ohne Auslegung in Fragment 15. 15 Theodoret von Cyrus nimmt in den Quaestiones in Reges 5’ und 57’ auf 4Kgt 23f Bezug. Bei der Frage nach der unklaren Bedeutung des Namens Ahasjas verweist Theodoret auf 4Kgt 24,17, wo Mattanja den Thronnamen Zidkijahu verliehen bekommt. 16 Theodoret möchte damit wohl die Benennungsprobleme in der Septuaginta literal auflösen, um nicht – wie Clemens von Alexandrien – auf eine geistig-moralische Antwort ausweichen zu müssen. In Quaestio 57, die zugleich die letzte der Königsbücher ist, zitiert Theodoret die Begnadigung Jojachins (4Kgt 25,27) wörtlich. Kontext sind die prophetischen Vorhersagen des Jeremia und das Eintreten von göttlicher Strafe und Gnade. 17 Auch diese ist für Theodoret plausibel, ohne einen geistigen Schriftsinn hinzuziehen zu müssen. Er hat bei seinen Ausführungen Jojachin namentlich von Jojakim unterschieden, d. h. er scheint wie Josephus, und damit im Gegensatz zu den Alexandrinern, Ant als Quelle

11. Clemens Alex.: Strom. I, 122,1-4, GCS 52, 76 f. 12. Ersteres Clemens Alex.: Strom. I, 121,1-4, GCS 52, 76, letzteres Clemens Alex.: Strom. I, 127, 1-2, GCS 52, 79. 13. Origenes: In Ier., Frgm. 14(89), Fürst / Lona, 549. 14. Grund dafür ist wohl das aufkommende Interesse an der Allegorie im Mittelalter. Origenes und Philo werden wichtig für die Sammler und Kopisten, während die Antiochenische Schule aus dem Blick gerät und ihre Handschriften verloren gehen (vgl. auch Siquans: Deuteronomiumkommentar, 33). 15. Sévère d’Antioche: Fragments, 176. 16. Fernández Marcos / Busto Saíz: Theodoreti Cyrensis Quaestiones, 196. 17. Vgl. ebd.: 241-243.

226

gtvh 08105 / p. 227 / 31.3.2022

3.-4. Königtümer

verwendet zu haben. An diesem Beispiel zeigt sich, dass die von Hieronymus angenommene Teilung der Bibelversionen in eine westlich-alexandrinische und eine östlich-antiochenische Version für 3/4Kgt durchaus plausibel ist.

227

gtvh 08105 / p. 228 / 31.3.2022

2.2.2.4 Chronicles Ma Victoria Spottorno Bibliography Editions and Translations Septuaginta: Paralipomenon liber II, ed. Robert Hanhart, Septuaginta Vetus Testamentum Graecum, Göttingen 2014 – Fernández Marcos, Natalio / Busto Saiz, José Ramon (eds.): El texto antioqueno, III, 1-2 Crónicas. TECC 60, Madrid 1996 – Cañas Reíllo, José Manuel: Paraleipómena, in Natalio Fernández Marcos / María Victoria Spottorno Díaz-Caro (eds.): La Biblia griega. Septuaginta. II: Libros históricos. Salamanca: Ed. Sígueme, 22018, 429554 – Sabatier, Petrus (ed.): Bibliorum sacrorum latinae versiones antiquae seu Vetus Italica et caeterae quaecumque in codicibus manuscripti et antiquorum libris reperiri potuerunt, Reims: 1743 – Eusebius Caes.: Praeparatio evangelica, ed. Karl Mras, GCS 43/1, Berlin 1954, 2nd edition ed. Édouard des Places, Berlin 1982 – Johannes Chrysostomus: Homélies sur Ozias (In illud, Vidi Dominum), ed. Jean Dumortier, SC 277, Paris 1981 – Theodorus Mopsuest.: Le Commentaire de Théodore de Mopsueste sur les Psaumes, ed. Robert Devresse, Studi e Testi 93, Vaticano 1939 – Theodorus Mopsuest.: Commentarius in XII Prophetas, ed. Hans Norbert Sprenger, Wiesbaden 1977 – Theodoret: Quaestiones in Reges et Paralipomena, ed. Natalio Fernández Marcos / José Ramon Busto Saíz, TECC 32, Madrid 1984.

Secondary Literature Allen, Leslie, C.: The Greek Chronicles. The Relation of the Septuagint of I and II Chronicles to the Masoretic Text. Part I: The translator’s Craft, VTSup 25, Part II: Textual Criticism. VTSup 27, Leiden 1974 – Barthélemy, Dominique: Les devanciers d’Aquila, VT.S 10, Leiden 1963 – Carmignac, Jean: Les devanciers de S. Jérôme. Une traduction latine de la recension kaige dans le second livre des Chroniques, in: Pierre Casetti / Othmar Keel / Adrian Schenker (eds.), Mélanges Dominique Barthélemy, OBO 55/1, Fribourg / Göttingen 1981, 31-50 – Devresse, Robert: Essai sur Théodore de Mopsueste. Vaticano: Studi e Testi 141, 1948 – Fernández Marcos, Natalio: La edición de las Quaestiones in Reges et Paralipomena de Teodoreto, Sefarad 40 (1980), 235-255 – Fernández Marcos, Natalio: Scribes and Translators. Septuagint and Old Latin in the Books of Kings. Leiden: VTS 54, 1994 – Fernández Marcos, Natalio: The Antiochian Text in I-II Chronicles, in: Claude E. Cox (ed.), VII Congress of the IOSCS. Atlanta, Georgia: SBLSCS 31, 1991, 301-311 – Gerleman, Gillis: Studies in the Septuagint. II Chronicles, Lund 1946 – Spottorno Díaz Caro, Maria Victoria: The Books of Chronicles in Josephus’ Jewish Antiquities, in: Bernard A. Taylor (ed.), IX Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Cambridge, 1995, SBLSCS 45, Atlanta1997, 381-390 – Weber, Robert: Les anciennes versions latines du deuxième livre des Paralipomènes. Roma 1945.

228

gtvh 08105 / p. 229 / 31.3.2022

Chronicles

1. The Septuagint of Chronicles The reception history of the books of Chronicles does not come isolated from other books of the Bible; nonetheless, due to their particular contents, they give a blurry sketch of their presence in the subsequent transmission. The books of Chronicles (Paraleipomena in LXX) are considered as a possible duplicate or a complement of the history of the kings related in the four books of Kingdoms. They are placed inmediately after the books of Kingdoms in the Greek Bible, offering a second version of those books. The narrative of the history of Israel is completed in the two books of Esdras. With certain caution, it is possible to draw the links among them about the date and the impact of these eight historical books of the Septuagint; nevertheless, each book, even in the duplicate accounts, has its own character sometimes supported by the literal approach between the LXX translation of Chronicles and the MT. 1 In the first decades of the 20th century a deep discussion about the origin of the Greek translation of the Paraleipomena took place among Biblical scholars. The question was taken in connection with 1-2 Esdras. It was assumed that 1 Esdras, followed by Josephus, is a Septuagintal translation, 2 Esdras is a later translation, and the Paraleipomena is a version from one of the Three, most probably Theodothion, bearing parallel resemblance to the book of Daniel. This theory, initiated by H. Howorth, was followed by C. C. Torrey, and after him by G. F. Moore, W. A. L. Elmslie, B. J. Roberts, S. Jellicoe (Ur-Theodotion in the 1st century BC). R. H. Pfeiffer admits a later date (1st–2nd cent. AD) for the translation, but not made by Theodotion. Some scholars (H. St. J. Thackeray, A. Rahlfs, A. T. Olmstead, B. Walde, M. Rehm and G. Gerleman) were against Torrey’s theory. The disagreements began by observing the Egyptian Ptolemaic traits of Pararaleipomena, 2 and afterwards other reasons were taking place in favour of rejecting a Theodotionic authorship. 3 The arguments inclined the scientific community to admit that the text of Paraleipomena were part of the LXX and were translated around the first half of the 2nd century BCE. The first citation of the Greek translation of the books of Paraleipomena was quoted by Eusebius of Cesarea in the 3rd–4th century. In his Praeparatio evangelica IX 34 it is said that Eupolemus, the hellenistic jewish historian, quoted the LXX with the word κώδωνας (2 Par 4:13), unusual for ‫רמונים‬, normally translated by ῥοάς. 4 Eupolemus probably was one of the ambassadors sent by Judas Maccabee to negotiate the peace with the Romans (1 Mac 8:17-22 and 2 Mac 4:11) This fact might take place between 161-157 BCE, dating the composition of the books of Paraleipomena not after the first half of the 2nd century BCE. These texts were transmitted together with other historical books, but, by their own character – giving duplicity of the main narrative – they did not have a wide reception in commentaries and quotations. Nonetheless the traces of their textual evolution can be found through the subsequent literature. Although the καίγε revision was not active in the books of Paraleipomena, some features of that revision are found 1. 2. 3. 4.

Allen: The Greek Chronicles I, 38-64. Allen: The Greek Chronicles I, 21-23. Allen: The Greek Chronicles I, 13-15. Eusebius Caes.: Praep. ev. IX, 34,11, GCS 43/1, 543; Allen: The Greek Chronicles I, 11-12.

229

gtvh 08105 / p. 230 / 31.3.2022

Geschichtsbücher

in different groups of manuscripts. 5 The Antiochene or Lucianic group is representative of the evolution that took place in the first centuries of the Christian era over the old LXX, bringing as a result an homogeneous text clearly connected with the indirect witnesses of Qumran, Josephus and the Antiochene Fathers. The manuscripts concerning the Antiochene recension in the Books of Kingdoms have been reduced in the Paraleipomena to three or four manuscripts (19, 108, 93, and 121 in the first 11 chapters of 1 Par). This little group is the most significant receiver of the LXX text. Thus, the text of Par stands out in the quotations of Josephus, as the main witness for the proto-lucian trend, of the Antiochene Fathers (Theodoretus Cyrensis 393-465, John Chrysostom ca. 349-407, Eustathius of Antioch ca. 270–ca. 360, Theodor of Mopsuestia ca. 350-428), of the Vetus Latina (Old Latin Version) with the Latin Fathers (Lucifer of Cagliari ?–370/371), the marginal glosses of the Spanish Vulgata Bibles and the Alcalá Polyglot Bible, with the support of the Armenian version shared with hexaplaric manuscripts. They offer, within the Septuagintal tradition, a text closely representative of the original Paraleipomena. 6

2. The witness of Josephus Although Josephus’ techniques in adapting the Biblical text constitutes a handicap to find out his real sources, it is clear that he knew the Greek books of Chronicles. Some examples illustrate this assertion: 2 Par 26:21 ἀπεσχίσθη (ἐξώσθη Ant, “he was retired”) ἀπὸ οἴκου Κυρίου (“from the house of the Lord”); JA 9:226 καὶ ἐκέλευον ἐξιέναι τῆς πόλεως (“and they asked [him] to leave the city”) TM ‫“( נזר מבית יהוה‬he was excluded from the house of the Lord”); this is a sentence that Josephus most probably took from Paraleipomena, because it is absent in the parallel text of the book of Kings (4 Kgs 15:5). In the next case Josephus changes the word according to his most consistent technique of hiding his sources: 2 Par 11:22 διενοεῖτο (“he had in mind”); JA 8:250 ἐπίστευσεν; (“he believed”) TM > Armenian posuerunt in mente sua (“they put in his mind”). If we dismiss the readings derived from the parallel text of the four books of Kingdoms, 7 the other readings indicating clear contacts become of great value. Josephus shows in about thirty cases 8 of these books not specifically supported by the MT. Josephus’ quotations that are unambiguously present in the Antiochene prove that the text received by the Antiochene is in line with the old LXX.

5. 6. 7. 8.

Barthélemy: devanciers, 41-43, 48-67. Fernández Marcos: The Antiochian Text in I-II Chronicles, 301-311. Allen: The Greek Chronicles 175-218. Spottorno: Books of Chronicles, 386-387.

230

gtvh 08105 / p. 231 / 31.3.2022

Chronicles

3. The witness of Christian authors and texts 3.1 Eustathius of Antioch There is one clear quotation of 2 Par 35:19a in Eustathius’ Homily upon the Witch of Endor, but it does not reflect either text, the LXX or the Antiochene. 9 The word καρσαείν Eust, καρασίμ LXX, and καρεσείμ Ant, seems to be a transcription of a term derived from a wrongly read Hebrew word ‫“( קדש‬being sacred”), corrupted in the manuscripts (‫ ר‬for ‫)ד‬. 10

3.2 Diodorus Tarsensis Allusions and indirect quotations of our books can be found in Diodorus’ Commentaries on Psalms, and do not appear in the catenae manuscripts. 11 The identification of the text quoted by Diodorus with the text of 2 Par chapters 32 and 36 present greater difficulties due to the parallel passages in 4 Kgms 18-20 and Isaiah 36-38. Among the possible connections, one of them reproduces unequivocally an Antiochene reading: 2 Par 32:15, where ῥύσεται (“shall rescue”) agrees with the Antiochene against σώσει (“shall save”) of the rest of the LXX. 12

3.3 John Chrysostom Some of the scarce quotations of Paraleipomena in John Chrysostom’s homilies are coincident with the text of both, the LXX and the Antiochene, e. g. 2 Par 26:19, 13 but in the cases where those texts disagree he quotes the Antiochene (2 Par 26:4,16,18). They all belong to Homilies on Ozias. 14 In the extensive writing of Chrysostom, Paraleipomena have not been the subject of any of his works, only allusions can be found through his homilies or commentaries on other books of the Bible.

3.4 Theodore of Mopsuestia Only one quotation of Paraleipomena, 1 Par 16:22 15: μὴ ἅπτεσθε τῶν χριστῶν μου καὶ ἐν τοῖς προφήταις μου μὴ πονηρεύσθε (“Do not touch my anointed ones, and among my prophets do no harm”), 16 coincident with the Antiochene in the present form ἅπτεσθε (“touch”), discrepant with the LXX middle subjunctive aorist ἅψησθε (“may touch”); the quotation is found in his Commentary on the twelve Prophets. 17

9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.

Fernández Marcos / Busto Saíz (ed.): El texto antioqueno, XXXIII. Cañas Reíllo, note a.l. Devreesse: Commentaire 155-167. Fernández Marcos / Busto Saíz (ed.): El texto antioqueno, XXXII-XXXIII. Dumortier: Jean Chrisostome: Homélies sur Ozias, 192. Dumortier: Jean Chrisostome: Homélies sur Ozias, 110, 130, 166. Fernández Marcos / Busto Saíz (ed.): El texto antioqueno, XXXIII. Th 129,25 and 278,1. Sprenger: Commentarius, 1977.

231

gtvh 08105 / p. 232 / 31.3.2022

Geschichtsbücher

Theodore’s Commentary on the Psalms, preserved in Latin up to Psalm 31, 18 bears five allusions and a quotation in Latin (2 Par 32:26): Sicut in Paralipomenis scriptum est, “et corruit Ezechias ab exaltatione cordis sui” (“As it is written in the Paraleipomena, ‘and Hezekias was brought low from the exaltation of his heart’”), where the Antiochene text and the LXX agree.

3.5 Theodoretus Cyrensis The commentary of Theodoretus Quaestiones in Reges et Paraleipomena is the main witness for the text of Paraleipomena. He is the only Father of the Greek Church who wrote about these books, as if no other writer was interested in commentating the books of Chronicles. Theodoretus himself made the difference, and while the Quaestiones about the four books of Kingdoms are 119, only two Quaestiones, one for each book, fill the commentary of Chronicles. The manuscripts and their groups are described in the Introduction of the late edition, 19 as well as a sound study of the text. The quotations mostly coincide with the Antiochene text as a witness closer to the original LXX than the texts corrected to approach the Hebrew.

3.6 The Vetus Latina (The Old Latin Version) Although the VL manuscripts are akin to the Antiochene text, the evidence coincident with the mayority or with part of the LXX is not lacking. R. Weber edited the Old Latin text as it is preserved in Cardinal Cisneros’ Complutensian Biblia Polyglotta, and he collected some of the evidence of the Latin Fathers. The text of the Complutensian goes back to the 4th century, quoted by Lucifer of Cagliari, and it is mostly present in the Antiochene text of 2 Par. Since this is a revised text of the original LXX, Lucifer’ quotations are also representative of the majority LXX, his text being probably derived from a mixed Greek text of the Old LXX and the Antiochene, as it occurs in the Complutensis manuscript and in the marginal notes of Codex Legionensis, 20 although the VL marginal notes found in the Spanish Vulgata Bibles, are mostly coincident with the Antiochene recension. The patristic witnesses of the VL in 1 Par have been collected by P. Sabatier. These readings come from Augustin’s De gratia et libero arbitrio, from Opus imperfectum in Mattaeum by an unknown author, from the Codex Corbeiensis 1, from Facundus of Hermiane (6th cent.). Other quotations come from the Quaestiones in I et II Paralipomena (ca. 800) that were falsely attibuted to Jerome in the middle ages. 21

18. 19. 20. 21.

Devresse: Commentaire, 186-201. Fernández Marcos / Busto Saíz (ed.): El texto antioqueno. Carmignac: devanciers, 33-34. For these and other witness, see Fernández Marcos / Busto Saíz (ed.): El texto antioqueno III, XLIV-XLVIII.

232

gtvh 08105 / p. 233 / 31.3.2022

2.2.2.5 Esther Marie-Theres Wacker Literatur Texte und Editionen Cavalier, Claudine: Esther. La Bible d’Alexandrie 12, Paris 2012 – De Troyer, Kristin / Wacker, Marie-Theres: Esther (Das Buch Esther), in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, Stuttgart 2009, 593-618 Börner-Klein, Dagmar / Hollender, Elisabeth: Rabbinische Kommentare zum Buch Esther, 2 Bde. Leiden u. a. 2000 – Börner-Klein, Dagmar / Zuber, Beat: Josippon, Jüdische Geschichte vom Anfang der Welt bis zum Ende des Aufstands gegen Rom. Hebräisch-Deutsche Textausgabe. Wiesbaden 2010 – Ego, Beate: Targum Scheni zu Esther, TSAJ 54, Tübingen 1996 – Grossfeld, Bernard: The First Targum to Esther, New York 1983 – Grossfeld, Bernard: The Two Targums of Esther. The Aramaic Bible 18, Edinburgh 1991 – Grossfeld, Bernard: The Targum Sheni to the Book of Esther, New York 1994 – Hüttenmeister, Frowald G.: Megilla. Schriftrolle. Übersetzung des Talmud Yerushalmi 2,10, Tübingen 1987 – Niese, Benedikt (ed.), Flavii Iosephi Opera. 7 Bde., Berlin 1885-1895 – Rosenberg, Avraham Yosef: ‫מגלת אסתר‬ ‫ – גדולות מקראות‬The Book of Esther. A New English Translation of the Text, Rashi, and a Commentary digest, Judaica Books of the Hagiographa – The Holy Writings, New York 1992 – Rottzoll, Dirk U.: Abraham Ibn Esras Kommentar zu den Büchern Qohelet, Esther und Rut, Studia Judaica 12, Berlin 1999 – Samuelsson, Gunnar: Crucifixion in Antiquity. An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion, WUNT II 310, 2. Aufl. Tübingen 2013 – Tilly, Michael (ed.): Flavius Josephus: Jüdische Altertümer. Wiesbaden 2011 – Wechsler, Michael G.: The Book of Conviviality in Exile (Kitāb al-īnās bi-’l-jalwa): The Judaeo-Arabic Translation and Commentary of Saadia Gaon on the book of Esther, Leiden 2015. Ambrosius: De Helia et Ieiunio, in: ders., Opera 2, ed. Carl Schenkl, CSEL 32/2, Prag / Wien 1897, 409-465 – Ambrosius: Epistulae et acta, ed. Michaela Zelzer, CSEL 82/3, Wien 1982 – Ambrosius: De officiis, ed. Maurice Testard, CC.SL 15, Turnhout 2000 – Aphrahat: Unterweisungen. 2 Teilbände, ed. Peter Bruns, FC 5/1+2, Freiburg u. a. 1991 – Athanasius: Epistolae heortasticae, PG 26, 1339-1444 – Cassianus: Collationes XXII, ed. Michael Petschenig / Gottfried Kreuz, CSEL 13 ed. altera, Wien 2004 – Clemens Alex.: Stromata IV, ed. Annewies van den Hoek, SC 463, Paris 2001 – Clemens Rom.: Epistola ad Corinthios. Brief an die Korinther, ed. Gerhard Schneider, FC 15, Freiburg u. a. 1994 – Gregorius Naz.: Gegen die Putzsucht der Frauen, ed. Andreas Knecht, Heidelberg 1972 – Hieronymus: Dialogus adversus Pelagianos, ed. Claudio Moreschini, CC.SL 80, Turnhout 1990 – Methodius, ed. Nathanael Bonwetsch, GCS 27, Leipzig 1917 – Origenes: Über das Gebet, ed. Maria Barbara von Stritzky, Werke mit deutscher Übersetzung 21, Berlin / Boston und Freiburg 2014 – Quodvultdeus: De promissionibus et preadictionibus Dei Bd. 2, ed. René Braun, SC 102, Paris 1964 – Rabanus Maurus, Expositio in librum Esther, PL 109, 635 C-670 D – Rupert von Deutz, De Victoria Verbi Dei libri XIII, PL 169, 1215 A-1500 B – Sulpicius Severus: Chronicorum libri duo, ed. Ghislaine Senneville-Grave, SC 441, Paris 1999 – Walafrid Strabo, Glossa ordinaria in Librum Esther, PL 113, 739 C-748 C.

233

gtvh 08105 / p. 234 / 31.3.2022

Geschichtsbücher

Weitere Literatur Conti, Marco: Esther, in: ders. (ed.), 1-2 Kings, 1-2 Chronicles, Ezra, Nehemiah, Esther. Ancient Christian Commentary on Scripture OT Bd. 5, Downers Grove, IL 2008, 374-399 – De Troyer, Kristin: The End of the Alpha-Text of Esther: Translation and Narrative Technique in MT 8:1-17, LXX 8:1-17, and AT 7:14-41, Atlanta 2000 – De Troyer, Kristin / Wacker, MarieTheres: Das Buch Esther, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare Bd. I, Stuttgart 2011, 1253-1296 – Dönitz, Saskia: Überlieferung und Rezeption des Sefer Yosippon, TSAJ 29, Tübingen 2013 – Ebach, Jürgen: »fast von nahe«. Beobachtungen und Erwägungen zu Rainer Maria Rilkes Esther-Gedicht, in: Stephanie Feder / Aurika Nutt (ed.), Esthers unbekannte Seiten. Theologische Perspektiven auf ein vergessenes biblisches Buch, Ostfildern 2012, 24-40 – Franke, Birgit: Assuerus und Esther am Burgunderhof. Zur Rezeption des Buches Esther in den Niederlanden (1400-1530), Berlin 1998 – Ilan, Tal: Flavius Josephus und die Frauen der Bibel, in: Eileen Schuller / Marie-Theres Wacker (ed.), Frühjüdische Schriften. Die Bibel und die Frauen 3.1, Stuttgart 2017, 143-156 – Limardo Daturi, Elisabetta: Représentations d’Esther entre écritures et images, Bern 2004 – Paul, Jürgen / Busch, Werner: »Mardochäus«, in: Lexikon der christlichen Ikonographie Bd. 3 (1971, repr. 1994), 153 f. – Romano, Eileen (ed.): Artemisia Gentileschi (mit Beiträgen von Pietrangelo Buttafuoco und Maurizia Tazartes), Mailand 2016 – Siquans, Agnethe: Esther in der Interpretation der Kirchenväter: Königin, Vorbild der Tapferkeit oder Typos der Kirche?, ZAC 12 (2009), 414-432 – Steward, Anne / Wechsler, Michael G. u. a.: Esther (Book and Person), EBR 8 (2014), 10-54 – Wacker, Marie-Theres: Ester im Bild, in: Klara Butting / Geraard Minnaard / Marie-Theres Wacker (ed.), Die Bibel erzählt … Ester, Wittingen 2005, 78-87 – Wacker, Marie-Theres: Das biblische Estherbuch zwischen Palästina und Israel. Zum Film ›Esther‹ von Amos Gitai (1985) und seiner Kontextualisierung, in: Reinhold Zwick (ed.), Religion und Gewalt im Bibelfilm. Film und Theologie 20, Marburg 2012, 39-59 – Walfish, Barry Dov: Esther in Medieval Garb. Jewish Interpretation of the Book of Esther in the Middle Ages, Albany, NY 1993 – Washof, Wolfram: Die Bibel auf der Bühne. Exempelfiguren und protestantische Theologie im lateinischen und deutschen Bibeldrama der Reformationszeit, Münster 2007 – Weber, Ingrid: »Esther«, in: Lexikon der christlichen Ikonographie Bd. 1 (1968; repr. 1994), 684-687.

Das septuagintagriechische Estherbuch (EstLXX) gilt i. a. als Übersetzung einer hebräischen Vorlage, die in ihrem »Kerntext« dem des MT recht ähnlich war, aber durch sechs sog. Zusätze erweitert wurde und eine Reihe weiterer kleinerer und größerer Modifikationen enthält. Für die Nachzeichnung einer Rezeption von EstLXX empfiehlt es sich deshalb, auf diese Unterschiede zwischen EstMT und EstLXX zu achten. 1 Inhaltlich bzw. motivlich geht es dabei, was die Zusätze betrifft, um einen Traum des Mordechai (Zus. A) und die Deutung des Traumes am Schluss des Buches (Zus. F), um das Vernichtungsedikt des Haman (Zus. B) und das Gegenedikt aus jüdischer Feder (Zus. E), um die Gebete des Mordechai und der Esther (Zus. C) und um den Gang Esthers zum König (Zus. D). Dazu kommen als signifikante Unterschiede zwischen MT und LXX im »Kerntext« die zweimal erzählte Komplottszene (Est 2,21-23 + A 1517, in deren erster (Zus. A) Haman bereits als Widersacher Mordechais eingeführt wird, die (geplante) Ehe Mordechais mit Esther (Est 2,7LXX), die Klage Mordechais nach Bekanntwerden des Vernichtungsediktes (4,1LXX) und die vom König angeordnete »Kreuzigung« Hamans (Est 7,9LXX; Zus. E,18). 1.

De Troyer / Wacker: Esther (LXX.D) haben sie in ihrer Übersetzung minutiös nachgezeichnet.

234

gtvh 08105 / p. 235 / 31.3.2022

Esther

Wahrscheinlich im 1. Jh. n. Chr. 2 entstand eine zweite griechische Version des Estherbuches, der sog. Alfatext oder A-Text. Er setzt die Kenntnis der LXX-Fassung des Estherbuches voraus und benutzt ihren Wortlaut auf breiter Basis (weswegen ein detaillierter Vergleich hier nicht möglich ist 3), scheint aber auch andere, dem MT näherstehende Traditionen gekannt zu haben und geht für den Schlussteil des Buches (Est 810) eigene Wege. Die Vetus Latina des Estherbuches geht ihrerseits auf eine griechische Textform zurück, die der der LXX nahesteht. Auch hier sollen Details nicht nachvollzogen werden, zumal die Frage nach der Priorität (LXX oder griech. Vorlage der VL) umstritten ist. 4 Der Kirchenvater Hieronymus hat das Estherbuch in der Ordnung (und im Wesentlichen auch im Wortlaut) des Masoretentextes übersetzt und die sechs LXX-Zusätze (in der Reihenfolge F; A – E) an den Schluss gestellt. In dieser Form wurde das Esterbuch für die lateinische Christenheit der Bezugstext. In seinen »Antiquitates Iudaicae« bietet der jüdisch-römische Historiker Flavius Josephus eine Nacherzählung des Estherstoffes, deren offensichtliche Bezüge auf die LXX im Folgenden in einem ersten Abschnitt zusammengestellt werden. Ein zweiter Abschnitt widmet sich der Mischna sowie dem Traktat Megilla im babylonischen und Jerusalemer Talmud, ein dritter Abschnitt den Targumim zu Esther; ein vierter Abschnitt behandelt die zahlreichen Esther-Midraschim, ein fünfter Abschnitt die ersten jüdischen Esther-Kommentare von Saadja Gaon und Raschi sowie den Kommentar von Ibn Esra. Die älteste bildliche Darstellung von Szenen aus dem Estherbuch, wie sie in der Synagoge von Dura Europos (3. Jh. n. Chr.) identifiziert wurden, bleibt unberücksichtigt, da ein Bezug auf EstLXX nicht gegeben zu sein scheint. Die Abschnitte sechs und sieben verfolgen Spuren der Rezeption von EstLXX in der patristischen bzw. spätantiken christl. Literatur bis zu den ersten Estherkommentaren christlicher Herkunft von Rabanus Maurus und Walafrid Strabo sowie den Schriften Ruperts von Deutz. Ein achter Abschnitt betrifft den Zeitraum vom Mittelalter bis in die Neuzeit, wobei aus Kunst und Literatur sujetorientiert jeweils nur einzelne Verweise gegeben werden können. Abschnitt neun bespricht ausgewählte Filme auf Bezüge zu EstLXX hin.

1. Die Esthererzählung bei Flavius Josephus (Ant. XI, 6,1-13) Die Nacherzählung der Esthergeschichte bei Flavius Josephus 5 folgt der Erzählchronologie des dem MT und der LXX gemeinsamen Stoffes. Josephus kennt offensichtlich die Gebete Mordechais und Esthers (Zus. C), die er zusammenfassend referiert. Der 2. 3. 4. 5.

Für dieses Datum tritt de Troyer: The End of the Alpha-Text, ein, gefolgt von Cavalier: Esther. Für einen detaillierten Vergleich zwischen EstLXX und EstAt vgl. De Troyer / Wacker: Das Buch Esther (LXX.D). Vgl. Cavalier: Esther, 31 zur Diskussion und a. a. O., 243-266 für eine französische Übersetzung der VL. Textedition: Niese: Opera Bd. 3 (gr.); Tilly: Flavius Josephus (dt.).

235

gtvh 08105 / p. 236 / 31.3.2022

Geschichtsbücher

hochtheologische Duktus von Esthers Gebet geht dabei allerdings fast gänzlich verloren. An den erzählchronologisch jeweils passenden Stellen bringt er eine Paraphrase auch der beiden Edikte (Zus. B und E), wobei er das Gegenedikt Esther allein zuzuschreiben scheint (Est 8,11LXX bietet die singularische Verbform ἐπέταξεν / »er [oder sie] ordnete an«, die Josephus vielleicht auf Esther bezogen hat). Ebenfalls findet sich bei ihm Zus. D mit der ausgeführten Schilderung von Esthers Gang zum König. Aber auch der kleine Zusatz in Est 4,1LXX, wonach Mordechai in Sack und Asche durch die Stadt läuft und dabei ausruft »Ein unschuldiges Volk wird getötet« ist von Josephus aufgenommen (XI,6,7). An kleineren Erzählzügen finden sich aus der LXX die Namen des Berater-Fürsten Muchaios (MT: Memuchan) und des Eunuchen der Esther als Achrataios (MT: Hatach), der zwölfte Monat als Monat der Hochzeit zwischen Ahasveros und Esther (2,16LXX, während EstMT nur vom 10. Monat als dem Monat der ersten Begegnung spricht), und die Bezeichnung des Purimfestes als »phruräische Tage« (XI, 6,13, § 295; vgl. Est 9,26.28LXX). Das Verb ἀνασταυρόω / wörtl. »an einem Pfahl emporheben«, bei dem man im römischen Kontext an eine Kreuzigung denken konnte, hat Josephus über EstLXX 7,9; Zus E,18 hinaus (hier steht in der LXX bereits dieses Verb in der Form σταυρόω) eingetragen, wo es um Hinrichtungen geht: die beiden Eunuchen werden »gekreuzigt« (Ant XI, 6,4, § 208; anders Est 2,23), Hamans Frau schlägt vor, Mordechai »kreuzigen« zu lassen (Ant XI, 6,10, § 246; anders Est 6,13), und schließlich fordert Esther die »Kreuzigung« auch der zehn Kinder Hamans (Ant XI, 6,13, § 289; anders Est 9,13), nachdem bereits Haman an jenes »Kreuz« gehängt worden war (σταυρός / »Pfahl« oder »Kreuz« mit dem Verb κρεμάννυμι / »hängen«), an dem er Mordechai sehen wollte (Ant XI, 6,11, § 267) 6. Von den LXX-Zusätzen A und F und damit dem neuen narrativen Rahmen der LXX findet sich bei Josephus keine Spur (was wiederum nicht bedeuten muss, dass er sie nicht kannte). Seine Fassung ist eine Mixtur aus MT und LXX mit Spuren auch des A-Textes und weiteren Elementen, die man in keiner dieser drei Versionen finden kann. Folgt man der Mahnung von Tal Ilan 7, so sollte man dafür nicht zu schnell des Josephus eigene Hand behaupten, sondern die Möglichkeit offen halten, dass Josephus Quellen verarbeitet hat, die wir nicht (mehr) identifizieren können.

2. Mischna; babylonischer und Jerusalemer Talmud Der Traktat Megilla des babylonischen Talmud 8 setzt die Existenz nichthebräischer Esther-Versionen voraus, wenn er bMeg 18a (so auch bereits in der Mischna [mMeg II,1]) vorschreibt, dass es erlaubt sei, die Estherrolle Fremdsprachigen in ihrer Sprache vorzulesen. Einen Bezug auf die griechische Texttradition hält Dagmar Börner-Klein mit dem Ausdruck ‫ למפרע‬in mMeg II,1 für möglich, der auf eine »falsche Reihenfolge« des Textes verweisen und damit die LXX-Fassung des Estherbuches im Blick haben 6. 7. 8.

Zu den komplexen sprachlichen und sachlichen Problemen um die Rede von (ἀνα)σταυρόω bzw. σταυρός vgl. Samuelsson: Crucifixion. Ilan: Flavius Josephus. Dt. Text: Börner-Klein / Hollender: Rabbinische Kommentare, Bd. 1.

236

gtvh 08105 / p. 237 / 31.3.2022

Esther

könnte. 9 Gefragt werden kann auch, ob die Position eines »Lehrers im Namen Rabi Meirs« in bMeg 13a, wonach in Est 2,7 nicht zu lesen sei, dass Mordechai sich Esther »zur Tochter« genommen habe (‫)לבת‬, sondern »zum (Bau eines) Haus(es)«, d. h. »zur Frau« (‫)לבית‬, im Blick auf 2,7LXX entwickelt worden sein mag. Diese Stelle bliebe jedoch eine punktuelle Bezugnahme in bMeg auf EstLXX. Auch im Traktat Megilla des Jerusalemer Talmud 10 werden Esther-Übersetzungen vorausgesetzt und wird die »verkehrte Ordnung« des Lesens der Estherrolle kritisiert (jMeg 73a). 11 Insgesamt steht jMeg einer Übersetzung der Bibel ins Griechische positiv gegenüber (vgl. jMeg 71c 12; auch 71b 13). Eine Bezugnahme auf EstLXX ist jedoch nicht erkennbar.

3. Esthertargume Der sog. Erste Targum zum Estherbuch (TargEst I) 14 kennt offenbar für Est 2,7 die Lesart ‫ לבית‬neben der Lesart ‫לבת‬, denn er übersetzt beide Varianten (»and Mordecai took her to himself to his house and called her daughter« 15), ohne dass hier allerdings eine Beziehung zur LXX erkennbar wäre. Für Est 2,10 scheint der Targum der LXX näher zu stehen als dem MT, wenn er ‫ מולדת‬übersetzt mit »birthplace« (‫ ולדותתא בית‬16; vgl. in der LXX τὴν πατρίδα / »Herkunft«, aber auch »Vaterland«). Den Vers 2,20, dem gemäß Esther auch nach ihrer Hochzeit mit dem persischen König ihre Herkunft nicht preisgibt, füllt TargEst I auf mit Angaben zu Esthers toragemäßer Lebensweise am Hof 17 und erinnert darin, wenn auch nicht wörtlich, an Esthers Gebet (Zus. C, 28). Zu Est 3,4 erläutert der Targum, Haman habe ein Götzenbild auf seiner Brust anbringen lassen, und Mordechai habe sich nicht vor ihm niedergeworfen, weil ihm Götzendienst verboten sei 18. Eine ähnliche Begründung führt Mordechai in seinem Gebet zu Gott an (LXX; Zus. C, 7). TargEst I kennt ein Gebet Esthers unmittelbar vor der Begegnung mit dem König, das aber motivlich ganz andere Wege geht als das Gebet der Esther in der LXX. Der Targum bringt auch eine ausführlichere Fassung der Rede Hamans vor dem König, in die Vorwürfe gegen das jüdische Volk eingebettet sind, kennt aber kein eigentliches Vernichtungsedikt, ebensowenig wie ein Gegenedikt, das mit Zus. E vergleichbar wäre. Der Schlaf des Königs (Est 6,1) wird durch einen Engel Gottes weggenommen, nicht durch Gott selbst, wie in der LXX, aber bleibt auch nicht 9. Börner-Klein / Hollender: Rabbinische Kommentare, Bd. 1, 25. 67. A. a. O. 217, Anm. 3 weisen die Autorinnen darauf hin, dass die Gemara für den Ausdruck offensichtlich eine andere Bedeutung annimmt und ihn auf ein falsches Datum der Verlesung bezieht. 10. Dt. Text: Hüttenmeister: Megilla. 11. Hüttenmeister: Megilla, hier 90. 12. Hüttenmeister: Megilla, 44 f. 13. Hüttenmeister: Megilla, 41. 14. Vgl. Grossfeld: The First Targum; ders., 1991, bes. 27-93. 15. Grossfeld: The First Targum, 46; vgl. 11 für den aramäischen Wortlaut. 16. Grossfeld: The First Targum, 46; vgl. 11f für den aram. Wortlaut. 17. Grossfeld: The First Targum, 48; vgl. 13 für den aram. Wortlaut. 18. Grossfeld: The First Targum, 49; vgl. 14 für den aram. Wortlaut; vgl. auch zu Est 2,5 (a. a. O., 52 bzw. 16). und zu Est 4,7 (a. a. O., 59).

237

gtvh 08105 / p. 238 / 31.3.2022

Geschichtsbücher

unerklärt wie im MT. Insgesamt wird man nicht davon ausgehen, dass dieser Targum EstLXX rezipiert hat. Michael Wechsler ist jedoch Recht zu geben, dass die Technik des Targums, »Leerstellen« eines vorgegebenen Estherbuches zu füllen und damit die implizite Theologie der Erzählung herauszuarbeiten, der Technik von EstLXX ähnlich ist, so dass umgekehrt EstLXX als »essentially an early form of targumic-midrashic elucidation« 19 betrachtet werden kann. Diese Einschätzung lässt sich am Zweiten Esther-Targum bestätigen, den Beate Ego in ihrer Habilitationsschrift übersetzt und ausführlich kommentiert hat 20. Sie macht auf einige strukturelle Übereinstimmungen zwischen diesem Targumtext und der septuagintagriechischen Fassung aufmerksam, so etwa die Einfügung eines ausführlichen Vernichtungsediktes oder auch von mehreren Gebeten Esthers. Im jeweiligen Wortlaut aber sind dies Textschöpfungen, die eher eigene Wege gehen. Anders allerdings die (im Übrigen in der gesamten rabbinischen Literatur nur hier begegnende) Einfügung des Gegenediktes, das im Namen des Königs das Edikt Hamans außer Kraft setzt. Hier erscheinen Motive des septuagintagriechischen Ediktes (Zus. E) fast wörtlich wieder (vgl. E,2-3 und E,10-12) 21, so dass die Kenntnis dieses Textstückes angenommen werden kann. Vorstellbar ist deshalb, dass die Zusätze, die in der LXX an bestimmten Textstellen erscheinen, als flexible »Bausteine« betrachtet wurden, die man je nach Bedarf aufgreifen konnte, wie dies auch für bestimmte Textelemente der Targumim, die in den Midraschim wieder erscheinen, gelten dürfte. 22

4. Midraschim zu Esther Die hohe Zahl der Midraschim zum Estherbuch 23 zeigt die Verbreitung und Beliebtheit dieser Erzählung im Judentum der Spätantike und im Mittelalter. Dagmar Börner-Klein und Elisabeth Hollender gehen davon aus, dass eine genaue Datierung bzw. Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte in den meisten Fällen nicht möglich ist. Sie geben grundsätzlich zu bedenken, ob diese Fragestellung Sinn macht angesichts einer Überlieferungssituation, die besser mit dem Konzept eines »offenen Textes« beschrieben werden kann 24: die Auslegung der Esthererzählung wird in den Midraschim nicht linear weiterentwickelt, sondern je und je aus Überlieferungsstücken neu kompiliert. 19. Wechsler in Steward / Wechsler: Esther (Book and Person), 14. 20. Ego: Targum Scheni; vgl. auch Grossfeld: The Two Targums, bes. 95-198, und Grossfeld: The Targum Sheni (aram. Text). 21. Vgl. die Gegenüberstellung der Texte bei Cavalier: Esther, 41 und den Kommentar bei Ego: Targum Scheni, 322-23. 22. Vgl. die folgenden Bemerkungen zu den Midraschim; vgl. auch die Überlegungen bei Cavalier: Esther, 32-33 zur Analogie mit »Mythenbildung«. 23. Börner-Klein / Hollender: Rabbinische Kommentare, Bd. 2 (im Folgenden nur noch BKl-H Bd. 2) bieten die Übersetzung von Midrasch Abba Gurion (ca. 10. Jh.), Panim Acherim A (12. Jh.?) und B (11. Jh.?), Midrasch Megillat Ester (ed. Jellinek; 11. Jh.?), Ester Rabba I (ca. 500) und II (11. Jh.?), Midrasch Megilla (ed. Gaster; 10. Jh.?), Pirqe de Rabbi Eliezer Kap. 49-50 (8./9. Jh.), Sefer Josippon Kap. 9 (10. Jh.), Midrasch zu Ps 22, Midrasch Megillat Ester (ed Horowitz; 13. Jh.?), Leqach Tov zu Ester (um 1100) und Jalkut Schimoni zu Ester (13. Jh.). 24. Vgl. Börner-Klein / Hollender: Rabbinische Kommentare, Bd. 2, 15 f.

238

gtvh 08105 / p. 239 / 31.3.2022

Esther

Auch bei der Betrachtung der Midraschim ist es sinnvoll, zwischen strukturellen Parallelen, motivlichen Ähnlichkeiten und inhaltlichen Parallelen zu EstLXX zu unterscheiden. Als strukturelle Parallele wäre zum einen das ausgeführte Vernichtungsedikt Hamans (vgl. Zus. B) zu nennen, das in einigen Midraschim erscheint, aber anders gefüllt wird. Ester Rabba II und der Midrasch Megilla (ed. Horowitz), Abba Gurion sowie der Jalkut Schimoni führen zahlreiche Beispiele dafür an, dass die Juden immer schon andere Völker übervorteilt haben. 25 Auch der Midrasch Leqach tov bietet einen Text des Vernichtungsediktes, das in seinen Anfangszeilen dem in Abba Gurion ähnelt, aber sehr viel knapper gehalten ist. 26 Panim Acherim A geht eigene Wege und entwickelt im Zentrum des Vernichtungsedikts das Bild eines starken Adlers, der die Welt beherrschen will und vernichtet werden muss. 27 Eine strukturelle Parallele stellt zum anderen auch das Gebet der Ester im Midrasch zu Ps 22 dar, die hier sogar in inhaltliche Ähnlichkeiten hineinspielt, insofern Esters Gebet aus Elementen von Ps 22 besteht, in denen wiederum Motive aus Zus. C anklingen. Man könnte geradezu behaupten, dass der Midrasch eine Intertextualität in Zus. C deutlich macht, die womöglich bereits dort im Blick war. Motivliche Ähnlichkeiten betreffen Erzählzüge, die in der LXX abweichend vom MT ausgestaltet sind und vergleichbar in Midraschim erscheinen, ohne dass Abhängigkeit von der LXX (oder der Vulgata) angenommen werden muss – in vielen Fällen wird die Traditionskette innerhalb der rabbinisch-midraschischen Überlieferung selbst anzunehmen sein. Dazu gehört die bereits in bMeg 13a belegte Diskussion darüber, ob Ester von Mordechai als Tochter erzogen wurde (vgl. Est 2,7MT; ‫ )לבת‬oder er sie zu seiner Frau machen wollte bzw. bereits gemacht hat (vgl. Est 2,7LXX; ‫)לבית‬. Sie findet sich im Midrasch Megillah ed. Gaster und ed. Horowitz, in Leqach tov und im Jalkut. 28 Dazu gehört auch das vielleicht aus Est 2,9f herausgesponnene und an C,28 erinnernde Motiv der speziellen Speisen, die Ester mit ihren Dienerinnen im Frauenhaus des Königs genießt (Panim Acherim B; Leqach tov; Jalkut 29) bzw. der Sorge Mordechais, Ester könne sich an Speisen verunreinigen (MMegHorowitz 30). Vielfach erscheint als Begründung für Hamans Proskyneseverweigerung, dass Haman ein Götzenbild auf der Brust trägt (Panim Acherim A und B; EstR I und II; MMegHorowitz; MMegGaster; Pirqe de Rabbi Eliezer 31; vgl. schon den Ersten Targum zu Est 3,4) oder sich selbst

25. EstR II zu Est 3,9; BKl-H Bd. 2, 237-39; MMegHorowitz zu Est 3,11; BKl-H Bd. 2, 340-41; Abba Gurion zu Est 3,12; BKl-H Bd. 2, 50-52; Jalkut zu Est 3,12; BKl-H Bd. 2, 477-78. 26. Leqach tov zu Est 3,11; BKl-H Bd. 2, 394 – BKl-H Bd. 2, 352 denken an Abhängigkeit von Abba Gurion. 27. PanAchA zu Est 3,12; BKl-H Bd. 2, 70. 28. MMegGaster zu Est 2,7; BKl-H Bd. 2, 272; MMegHorowitz zu Est 2,7; BKl-H Bd. 2, 332; Leqach tov zu 2,7; BKl-H Bd. 2, 379; Jalkut zu Est 2,7; BKl-H Bd. 2, 457. 29. PanAchB zu Est 2,15 (allerdings mit Verweis auf die drei Jünglinge aus dem Danielbuch); BKlH Bd. 2, 101; Leqach tov zu 2,9 und ähnlich 2,10; BKl-H Bd. 2, 380; Jalkut zu Est 2,9; BKl-H Bd. 2, 458. 30. MMegHorowitz zu Est 2,21; BKl-H Bd. 2, 333. 31. PanAch A zu Est 3,6; BKl-H Bd. 2, 68; PanAchB zu Est 2,5; BKl-H Bd. 2, 141; EstR I zu Est 2,5; BKl-H Bd. 2, 217; EstR II zu Est 3,1; BKl-H Bd. 2, 226; MMegHorowitz zu Est 3,1; BKl-H Bd. 2,

239

gtvh 08105 / p. 240 / 31.3.2022

Geschichtsbücher

zum Götzen gemacht hat (EstR II; Leqach tov; Jalkut 32), eine Begründung, die der Mordechais in seinem Gebet (C,7) entspricht. Ester, die ihre Asche abschüttelt und sich das Bußgewand ausziehen lässt (Panim Acherim B und Jalkut 33), wird der Ester in C,13 bzw. D,1 vergleichbar. Der Midrasch zu Ps 22 weiß, dass der König sieben Speisezimmer hatte, durch die Ester hindurchschreiten musste 34 – dies erinnert an »alle Türen« (D,6), die Esther hinter sich ließ auf ihrem Weg zum König. Der Schlaf des Königs wird nach dem Midrasch Leqach tov und dem Jalkut, wie auch im Ersten Targum, zwar nicht von Gott (so Est 6,1LXX und im Midrasch Panim Acherim B 35), aber durch einen Engel genommen. 36 Breit belegt ist auch das Motiv der »Kreuzigung« (hebr. ‫ )צלב‬37, sei es bereits in Verbindung mit dem Holz für die beiden Eunuchen (Jalkut 38), sei es in Bezug auf das Holz, das Haman für Mordechai errichtet hat (Abba Gurion; Panim Acherim B; Jalkut 39) oder auch für das Kreuz, an dem Haman (mit seinen Söhnen) endet (EstR I 40). Der Midrasch Panim Acherim B betont Hamans Absicht, Mordechai kreuzigen zu lassen, aber auch die Grube, die er sich selbst damit gräbt, besonders stark 41 (vgl. JosAnt XI, 6,11, § 267 f.!). Dagmar Börner-Klein vermutet bewusst antichristl. Polemik, wenn von Haman gesagt wird, er habe den Kreuzestod für Mordechai geplant, weil davon noch niemand errettet worden sei. 42 Dieses Motiv begegnet auch im Midrasch Abba Gurion, hier im Mund Sereschs, Hamans Frau. 43 Inhaltliche Parallelen zu EstLXX sind im Midrasch Ester Rabba II die beiden Gebete Mordechais und Esters (Zus. C), letzteres in sehr verknappter Form. 44 Dazu tritt der Gang Esters zum König (Zus. D) und der Traum Mordechais in Anlehnung an Zus. A, allerdings, wie auch im Jalkut Schimoni, im Erzählverlauf erst nach Bekanntwerden des Vernichtungsediktes platziert. 45 Vom Traum Mordechais ist auch im Midrasch Megilla ed. Horowitz die Rede, hier im Zusammenhang mit Mordechais Gebet. Ein-

32. 33. 34. 35. 36. 37.

38. 39. 40. 41. 42.

43. 44. 45.

334; MMegGaster zu Est 2,5 und 3,1; BKl-H Bd. 2, 270 und 273; Pirqe zu Est 2,5; BKl-H Bd. 2, 285. EstR II zu Est 3,4; BKl-H Bd. 2, 228; auch zu Est 8,15; BKl-H Bd. 2, 263; Leqach tov zu 3,2; BKl-H Bd. 2, 386; Jalkut zu Est 9,22; BKl-H Bd. 2, 515. PanAchB zu Est 5,1; BKl-H Bd. 2, 114; Jalkut zu Est 5,1; BKl-H Bd. 2, 486. MidrPs 22, § 24 zu Ps 22,12; BKl-H Bd. 2, 318. PanAch B zu Est 6,1; BKl-H Bd. 2, 119. Leqach tov zu 6,1; BKl-H Bd. 2, 408. Von ‫ צלב‬im Sinne von »Kreuzigen« sprechen BKl-H durchgehend und implizieren damit eine Bedeutungskontinuität zum griechischen σταυρόω und zur Kreuzigung Christi, lassen aber die komplexe Frage, welche Hinrichtungsform genau jeweils gemeint ist, offen. Jalkut zu Est 3,1; BKl-H Bd. 2, 466. Abba Gurion zu Est 5,14; BKl-H Bd. 2, 57; PanAchB zu Est 5,9; BKl-H Bd. 2, 115; Jalqut zu Est 2,5; BKl-H Bd. 2, 453. EstR I zu Est 1,12; BKl-H Bd. 2, 202. Vgl. PanAchB zu Est 5,9; BKl-H Bd. 2, 115-16; vgl. auch zu Est 5,10 und 5,12; BKl-H Bd. 2, 116 und zu Est 5,14; BKl-H Bd. 2, 118. Börner-Klein / Hollender: Rabbinische Kommentare, Bd. 2, 84 (allerdings ist es in PanAchB Est 5,9 nicht Seresch, die diese Überlegung ausspricht, sondern sie wird Haman in den Mund gelegt). Abba Gurion zu Est 5,14; BKl-H Bd. 2, 57. EstR II zu Est 4,17; BKl-H Bd. 2, 250-51. Traum: EstR zu Est 4,7; BKl-H Bd. 2, 248-49; Jalkut zu 4,1; BKl-H Bd. 2, 481.

240

gtvh 08105 / p. 241 / 31.3.2022

Esther

zelmotive (Finsternis; Licht) erinnern an Zus. A, ansonsten geht es aber um den Angriff einer großen Schlange, die schließlich von einem mächtigen Wind besiegt wird. 46 Die Zusätze A, C und D finden sich auch im Sefer Josippon, dessen Abschnitt zur Estererzählung sich insgesamt vor allem an diesen Textstücken zu orientieren scheint und sie fast wörtlich reproduziert. 47 Dazu kommen eingangs die Motive von Hamans Hass gegen Mordechai, weil dieser die beiden Eunuchen angezeigt hatte (vgl. A,17), und von Haman, der den persischen Thron den Makedonen ausliefern will (vgl. Zus. E,10-14). Der Midrasch Leqach Tov bezieht sich explizit auf den Sefer Josippon und referiert daraus Esters Ohnmacht (Zus. D) 48, steht aber auch anderswo Josippon nahe. »Das byzantinische Umfeld mit der Septuaginta als kanonischen Bibeltext, die normannische Bedrohung des byzantinischen Westerns sowie die zeitgenössische Judenverfolgung von 1096 könnten Faktoren sein, die zur Rezeption des Abschnitts aus dem SY (Kap. 9) geführt haben«. 49 Mit dem Sefer Josippon sind wichtige Partien von EstLXX (vermittelt über den im Christentum verbreiteten Flavius Josephus bzw. dessen lateinische Bearbeitung durch Hegesipp sowie über die Vulgata 50) ins Judentum gleichsam zurückgekehrt. Für die weitere jüdische Rezeption ist daher im Einzelnen zu prüfen, ob die LXX-Anklänge über jüdische Quellen wie Sefer Josippon 51 oder über christl. Quellen wie die Vulgata oder direkt über die LXX vermittelt sind. Umgekehrt nennt Saskia Dönitz vereinzelte Spuren wie den Pijutdichter Eleazar bi-Rabbi Qallir aus dem Palästina des 6./7. Jh., 52 die darauf hinweisen, dass die Zusätze zum Esterbuch, insbesondere der Traum des Mordechai und die Gebete Mordechais und Esters, auch schon vorher und über Flavius Josephus hinaus im Judentum bekannt waren bzw. blieben.

5. (Früh)mittelalterliche jüdische Kommentare Barry Dov Walfish zählt eine große Zahl von (früh)mittelalterlichen Kommentaren zum Buch Esther auf. 53 An vereinzelt zu findenden Ähnlichkeiten zu LXX-Formulierungen verweist er nur auf die Motivation der Eunuchen für das Mordkomplott gegen 46. MMegHorowitz zu Est 4,1; BKl-H Bd. 2, 338. 47. Textedition (Hebr.-dt.): Börner-Klein/Zuber: Josippon. A. a. O. 17 wird für möglich gehalten, dass die Esterabschnitte dem Sefer Josippon erst im 12. Jh. hinzugefügt wurden. Dönitz: Überlieferung, 201 dagegen geht davon aus, dass auch die Esterabschnitte zum ursprünglichen Buch und damit ins 10. Jh. gehören. 48. Leqach tov zu 5,1; BKl-H Bd. 2, 402 49. Dönitz: Überlieferung, 169-170 (SY = Sefer Josippon). Vgl. auch a. a. O. 170-172 die Analysen zu Immanuel Ben Salomo aus Rom (1260-1330). 50. Vgl. BKl-H Bd. 2, 293; Börner-Klein und Zuber: Josippon, 13-16; Dönitz: Überlieferung, 410.197 mit Hinweis darauf, dass auch für das Danielbuch und die Makkabäerbücher die Vulgata die Quelle gewesen sei. 51. Vgl. Dönitz: Überlieferung, 173f, die die innerjüdische Tradition über den Sefer Josippon nachzeichnet. 52. Dönitz: Überlieferung, 193-94. 53. Walfish in Steward / Wechsler: Esther (Book and Person), 21-24; vgl. auch Walfish: Esther in Medieval Garb.

241

gtvh 08105 / p. 242 / 31.3.2022

Geschichtsbücher

den König (Est 2,21LXX) und die im Hebräischen mehrdeutige Formulierung in Est 7,8, die die LXX im Sinne eines Fassungsverlustes Hamans deutet. 54 Im Folgenden seien die Kommentare von Saadja Gaon und Raschi sowie Ibn Esra exemplarisch gesichtet. Das »Buch des Zusammenlebens in der Galut«, das Saadja Gaon (882-942) verfasst hat, gilt als der erste namentlich zuweisbare jüdische Estherkommentar. 55 Ein Motiv, das an EstLXX erinnert, wird bei ihm breit diskutiert: er unterscheidet die (erlaubte) Prostration vor einem Menschen zum Erweis von Respekt von einer Proskynese als Zeichen der Anbetung und bezieht den »Fall Haman« darauf (zu Est 3,1-5 56; vgl. das Gebet Morchechais C,7). Ein anderes Motiv wird nur kurz eingespielt: Als Grund der Schlaflosigkeit des Königs hält er das Eingreifen Gottes für möglich (vgl. Est 6,1LXX). 57 Der recht knappe Estherkommentar von Raschi (1040-1105) 58 enthält, soweit mir ersichtlich, keine Motive, die an EstLXX erinnern. Bestenfalls wäre seine Überlegung zu nennen, dass Mordechai Esther zur Frau nehmen wollte (zu Est 2,7; vgl. Est 2,7LXX), eine Überlegung, die er aber sicher aus bMeg kannte und weiterentwickelte (vgl. zu 4,16). Ibn Esras Esther-Kommentar (ca. Mitte 12. Jh.) 59, der grammatisch-semantische Erklärungen mit Erklärungen von Sachverhalten verbindet, weist mehrere Motive auf, die an EstLXX anklingen. Auch er bringt die Überlegung, dass Mordechai Esther heiraten wollte (zu Est 2,7; vgl. Est 2,7LXX); er hält es für möglich, dass Mordechai Esther verbot über ihre Herkunft zu berichten, weil er sicherstellen wollte, dass sie die Gebote der Tora, insbesondere die Speisegebote, im Geheimen einhalten konnte (zu Est 2,10; vgl. Est 2,10LXX und C,28), dass Mordechai sich nicht vor Haman niederwarf, weil dieser auf seiner Brust ein Götzenbild trug (zu Est 3,2; vgl. C,7), und dass es Gott war, der dem König den Schlaf nahm (zu Est 6,1; vgl. 6,1LXX). Aber auch für Ibn Esra gilt, dass diese Motive bereits in der einen oder anderen Form in rabbinischen Quellen zu finden sind, so dass keine direkte Kenntnis der LXX-Fassung angenommen werden muss.

6. Kirchenväter Die nicht sehr zahlreichen und wenig ausführlichen Bezüge auf das Estherbuch bzw. auf die Figur der Esther bei christlichen Schriftstellern der patristischen Zeit haben Agnethe Siquans und Marco Conti zusammengestellt. 60 Es ist davon auszugehen, dass die genannten christlichen Autoren das Estherbuch im Umfang der LXX-Fassung kannten, wenn auch nicht immer eine direkte Bezugnahme auf die LXX-Version an-

Walfish: Esther in Medieval Garb, 177 zu Est 2,12; a. a. O. 23 und 244 Anm. 56 zu Est 7,8. Vgl. Wechsler: Book of Conviviality, 3 f. Wechsler: Book of Conviviality, 217; vgl. auch a. a. O. 302f zu Est 5,9. Wechsler: Book of Conviviality, 314. Textaugabe (hebr.-engl.) z. B.: Rosenberg, Book of Esther. Vgl. Rottzoll: Abraham Ibn Esras Kommentar, 257-371 (dt. Übersetzung und Kommentierung). 60. Siquans: Esther, ordnet thematisch; Conti: Esther, geht dem Text des Estherbuches entlang. Vgl. auch Cavalier: Esther, 126-128. 54. 55. 56. 57. 58. 59.

242

gtvh 08105 / p. 243 / 31.3.2022

Esther

genommen werden kann. Ein durchlaufender Kommentar oder eigener Traktat zum Estherbuch aus einer christlichen Perspektive ist vor dem 9. Jh. (s. u. 7.) nicht nachgewiesen. Die Esthererzählung interessiert als Material, aus dem Motive zur Ermahnung, Erbauung oder Belehrung zu gewinnen sind. Clemens von Rom zählt in seinem 1. Brief an die Korinther Frauen auf, die »manch männliche Tat vollbracht« hätten, darunter Judith und neben ihr auch die »glaubensstarke Esther«, die sich einer »großen Gefahr« (κίνδυνος) ausgesetzt habe, um ihr Volk zu »retten« (ῥύομαι), und die den »allsehenden« (παντεπόπτης) Gott durch Fasten und »Verdemütigung« (ταπείνωσις) um Hilfe angefleht habe (vgl. 1Clem 55,3-6). 61 Clemens bezieht sich deutlich erkennbar auf das Gebet der Esther in Zus. CLXX und den Hinweis auf ein weiteres Gebet zum »allsehenden Gott« (τὸν πάντων ἐπόπτην θεὸν) in Zus. D,1LXX. Die »im Glauben vollkommene Esther« lobt auch Clemens von Alexandrien im IV. Buch seiner Stromata und betont, dass sie, »eine Frau allein, aufgerieben durch Fasten«, aber unter Einsatz ihres Gebetes, den Plan Hamans vereitelte. 62 Alle drei Motive dürften durch EstLXX inspiriert sein, rekurriert Clemens doch (auch hier) auf Esthers Gebet, in dem sie Gott darlegt, dass sie allein sei und deshalb der Hilfe des Alleinigen bedürfe (C,14), und kann ihre Ohnmacht vor dem König durchaus als Folge ihres Geschwächtseins durch das dreitägige Fasten gedeutet werden (vgl. D,7.15). In seinem Paidagogos mahnt Clemens zum Verzicht auf Reichtum bzw. Prachtentfaltung und rechtfertigt Esthers Prachtentfaltung vor dem König damit, dass dies geschah, um ihr Volk zu retten. 63 Hier dürfte Clemens ebenfalls Zus. DLXX vor Augen gestanden haben. Auch Gregor von Nazianz kommt darauf zu sprechen, dass Esther sich herausgeputzt hat. In seinem Traktat »Gegen die Putzsucht der Frauen« 64 darf Esther aber nur als Ausnahme gelten, die ihr liebreizendes Äußeres (auch hier ist die Anspielung auf Zus. D,1-5 zu hören) zur Rettung ihres Volkes eingesetzt hat. Mehrere Erwähnungen findet das »richtige«, da mit Fasten verbundene Gebet des Mordechai bzw. der Esther, womit Zus. CLXX in beiden Komponenten, der des Fastens und der des Gebets, zusammengefasst ist. Auf Gebet und Fasten bezieht sich Origenes, Über das Gebet 65 und Athanasius in seinem 4. Festbrief. 66 Methodius von Olymp stellt in seiner Schrift über die Unterscheidung der Speisen 67 den Aspekt der Selbstminderungsriten Esthers bei ihrem Gebet in den Vordergrund (vgl. Zus. C,13); Ambrosius glaubt, dass Esther durch ihr Fasten schöner wurde 68, scheint also Zus. C und D zusammenzusehen. In einem seiner Briefe stellt er erneut das Fasten Esthers (und Judiths

61. Schneider: Clemens von Rom, 199; Siquans: Esther, 424f; Conti: Esther, 384. 62. Clemens Alex.: Strom. IV,19/118 f., GCS 52, 300 f.; vgl. Siquans: Esther, 426; van den Hoek: Clemens, 252-254. 63. Clemens Alex.: Paed. III, 2/12,5, GCS 12, 243. Vgl. Siquans: Esther 420 f. 64. Siquans: Esther, 421; Knecht: Gregor von Nazianz, 35 (griech. Text 34). 65. Origenes: Or. 13,2, GCS 3, 326, zitiert bei Conti: Esther, 384; von Stritzky, Origenes, 146 f. 66. Zitiert bei Conti: Esther, 397; vgl. PG 26, 1139-1444 (lat. Text in Ermangelung einer gr. Überlieferung). 67. Methodius: De cibis 14,7, GCS 1, 447; vgl. Siquans: Esther, 417. 68. Ambrosius: De Helia et ieunio 9,30 f., CSEL 32/2, 428 f., zitiert auch bei Siquans: Esther, 419.

243

gtvh 08105 / p. 244 / 31.3.2022

Geschichtsbücher

maßvolles Genießen von Speisen) als Grund ihres Erfolgs bei ihrem Bittgang zum persischen König heraus. 69 Mehrere Autoren gehen auch dem Motiv der Schlaflosigkeit des Königs (Est 6,1) nach. Nach Hieronymus (Gegen die Pelagianer 3,10) 70 hätte Gott, durch die Gebete Mordechais und Esthers bewegt, der natürlichen Schläfrigkeit des Königs Einhalt geboten. Bei Johannes Cassianus liegt die Pointe darin, dass Gott den König durch Schlafentzug straft und ihn dadurch auf den guten Gedanken bringt, Mordechai zu ehren. 71 Der unter dem Namen Quodvultdeus bekannte Autor bezieht sich in seinem Liber promissionum sogar direkt auf den biblischen Text, wenn er formuliert »Als der empörte König sie sah und jene in Angst dahinschmolz, ›kehrte Gott‹, so wird gesagt, ›sein Herz in Milde‹« 72 (vgl. D,8). Bei ihm ist diese Beobachtung eingebettet in eine kurze Zusammenfassung des gesamten Estherbuches, wobei er Esther als Typos der Kirche herausarbeitet. In diesem Sinne schreibt er es auch der Esther zu, dass Haman schließlich an eben jenem Holz »gekreuzigt (crucifigi)« wurde, an das er seinen Gegner Mordechai bringen wollte. Auch Ambrosius kennzeichnet das Ende Hamans als Kreuzestod 73, und zwar im Rahmen einer Kurzwiedergabe des Estherbuches, die deutlich aus Zus. E schöpft, wenn Haman als vermeintlicher Freund des Königs und Zweiter im Rang gezeichnet wird, der seinen Gönner jedoch durch falsche Ratschläge entehrte (vgl. E,10-13). Eine recht ausführliche Nacherzählung der Estergeschichte bietet Sulpicius Severus in seinen »Chronica«. 74 Nach einleitenden Überlegungen zur Datierung der Geschehnisse (II, 12,1) folgt er dem Erzählverlauf im Wesentlichen nach dem hebräischen Estherbuch, mit Einzelmotiven, die sich in der LXX finden, so z. B. die Aufnahme der Klage Mordechais, dass ein unschuldiges Volk getötet werde (Est 4,1LXX; vgl. Chron II, 12,2) oder die befohlene und vollzogene Kreuzigung Hamans (cruci affigitur / »er wurde ans Kreuz geheftet«, ebd.). Eine kleine Nebenbemerkung weist darauf hin, dass Sulpicius Severus auch das Gebet der Esther wohl gekannt haben muss: »Inuocato prius Deo aulam regis ingreditur« / »Nachdem sie zuvor Gott angerufen hatte, betrat sie den Hof des Königs«. 75 Die Nacherzählung schließt mit der Übergabe von Hamans Besitz an Mordechai und der Bemerkung »iudaeique sunt absoluti« / »und die Juden sind befreit worden«, also unter Übergehung von Kap. 8-10. Eine Sonderstellung nimmt der syrische Kirchenlehrer Aphrahat ein, der sich in seinen »Unterweisungen« auch mehrmals auf das Estherbuch bezieht. Ein erster Abschnitt findet sich in seinen Darlegungen über das Fasten (3,10-13). 76 Hier stellt er das Fasten Mordechais und Esthers als »Schild« gegen die Vernichtungspläne des Haman vor. 77 Haman wird ausführlich als Amalekiter gekennzeichnet, der die Juden aus Rache für die Vernichtung seines Volkes zur Zeit des Mose und des Josua und dann 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77.

Ambrosius: Ep. 63, 29, CSEL 82/3, 250 f., auch zitiert bei Siquans: Esther, 418. Hieronymus, Adv. Pelag. 3,10, CC.SL 80, 110 f., zitiert bei Conti: Esther, 388 f. Cassian: Collationes Patrum I, 19,1, CSEL 13, 28, zitiert bei Conti: Esther, 389. Quodvultdeus: Lib. prom. II, 38/86, SC 102, 486; Text identisch bei Siquans: Esther, 430. Ambrosius: De officiis III, 21/124, CC.SL 15, 140, zitiert bei Conti: Esther, 123-24. Sulpicius Severus: Chron. II, 12 f., SC 441, 251-257. Sulpicius Severus: Chron. II 13,3, SC 441, 254. Aphrahat: Dem. 3,10-13, FC 5/1, 127-132. Aphrahat: Dem. 3,10, FC 5/1, 127.

244

gtvh 08105 / p. 245 / 31.3.2022

Esther

Sauls auslöschen will (ein Motiv, das nicht in der LXX, aber in rabbinischen Quellen erscheint). 78 Überhaupt interessiert sich Aphrahat vor allem für die Figur Mordechais als Antagonisten Hamans 79, welcher schließlich den Kreuzestod fand (9,3; 14,10). 80 Dieses Motiv kann Aphrahat auch über jüdisch-rabbinische Quellen bekannt geworden sein. In Abschnitt 21 »Über die Verfolgung« findet sich eine breit durchgeführte Mordechai-Christus-Typologie 81, in der das Motiv des Gebets Mordechais an Zus. C in EstLXX erinnert, aber auch in diesem Fall aus rabbinischen Quellen stammen kann. Gleichzeitig zeichnet Aphrahat eine klare Trennlinie hin zum »törichten Volk« (der Juden), das durch Waschti repräsentiert wird und das in der Figur des Haman sein Blut über sein eigenes Haupt herabruft.

7. Die ersten christlichen Esther-Kommentare Der Benediktinerabt Rabanus Maurus hält im Vorwort zu seinem Estherkommentar 82, dem ersten christlichen Kommentar zum Buch Esther überhaupt (836), fest, dass er nur den hebräischen Text übersetzt habe und kommentiere. Trotzdem kann er nicht umhin, auf Esthers und Mordechais Gebet zu verweisen. 83 Insgesamt deutet Rabanus den Esther-Text gezielt typologisch auf christliche Figuren und Lehren hin, einschließlich der substitutionstheologischen Gegenüberstellung von Esther=Kirche und Waschti=Synagoge. Elisabetta Limardo Daturi 84 macht auf einen weiteren Estherkommentar des 9. Jh. s aufmerksam, den von (Ps.-)Walafried Strabo 85, der in den Spuren von Rabanus Maurus das Estherbuch ebenfalls allegorisch-typologisch auslegt. Zudem nennt sie Rupert von Deutz († 1129), der sich in mehreren Schriften auf das Estherbuch bezieht und in Buch VIII seiner Schrift »De victoria Verbi Dei« 86 auch den Traum des Mordechai bespricht (vgl. Zus. A+FLXX).

8. Kunst und Literatur vom christlichen Mittelalter bis in die Neuzeit Geht man davon aus, dass das Estherbuch in den christlichen Kirchen des Westens bis zur Reformationszeit über die Vulgata vermittelt war und damit auch die sog. Zusätze enthielt, die schon in der LXX die Estherfassung gegenüber dem MT erweitern, so kann man alle bildlichen und literarischen Rezeptionen des Estherstoffes im Christen78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86.

Aphrahat: Dem. 3,11, FC 5/1, 128 f. Aphrahat: Dem. 5,3, FC 5/1, 159. Aphrahat: Dem. 9,3, FC 5/1, 258; Aphrahat: Dem. 14,10, FC 5/2, 339. Siquans: Esther, 427f kritisiert zu Recht die Tendenz, die Bedeutung Esthers für das im Estherbuch geschilderte Geschehen völlig auszublenden. Rabanus Maurus, Expositio in librum Esther. Rabanus Maurus, Expositio in librum Esther 7, PL 109, 635 A. Limardo Daturi: Réprésentations, Kap. 3: »Le livre d’Esther dans l’exégèse chrétienne« (5364). Walafrid Strabo: Glossa ordinaria, PL 113, 739 C-748 C (Ausgabe ist ungenügend). Rupert von Deutz: De Victoria Verbi Dei VIII, 26, PL 169, 1396 A-C.

245

gtvh 08105 / p. 246 / 31.3.2022

Geschichtsbücher

tum bis zur Reformationszeit auch mit der LXX-Fassung verbinden. Will man spezifischer den Besonderheiten der LXX gegenüber dem MT nachgehen, so bieten sich auch hier die Motive an, die aus den größeren und kleineren Zusätzen stammen. Darunter ist in der christlichen Kunst 87 (Gemälde; Fresken; auch Kirchenfenster) besonders beliebt das Motiv der Begegnung Esthers mit dem König, wobei der LXX-Bezug in der Gestalt der beiden Esther begleitenden Zofen (D,2-4) sehr häufig gegeben ist. Die Szene verbindet sich seit dem Mittelalter mit dem Motiv der Krönung Esthers und kann typologisch der Krönung Mariens an die Seite gestellt werden. Sie wird aber auch gestaltet als Fürbittszene und ist dann Typos Mariens als Fürbitterin (so z. B. in der Marienbasilika des Wallfahrtsortes Kevelaer am Niederrhein noch zu Beginn des 20. Jh.s). 88 Esthermotive erscheinen seit der frühen Neuzeit auch in Kontexten (z. B. Rathäusern oder fürstlichen Sammlungen) oder auf Medien (z. B. Wandteppichen 89, aber auch z. B. Hochzeitstruhen), die keinen spezifisch religiösen Gebrauch mehr anzeigen. Als Beispiel sei das Ölgemälde der römischen Malerin Artemisia Gentileschi (entstanden 1626-29 wohl in Venedig) 90 genannt, das Esthers Ohnmacht und die erschrocken-interessierte Geste des Aufspringens von Seiten des Königs aufnimmt (Zus. D), aber so inszeniert, dass diese Szene auch als Angriff/Übergriff des Königs auf Ester gedeutet werden kann. Ein anderes Motiv, das LXX-Einfluss zeigen könnte, ist das der Kreuzigung Hamans, die etwa Michelangelo in einem der Zwickel des Deckenfreskos in der Sixtinischen Kapelle ins Bild gebracht hat. Vereinzelt begegnet auch das Motiv von Mordechais Traum. 91 Der Estherstoff hat sich auf christlicher Seite, ähnlich wie in den jüdischen Purimspielen, in Form von Estherspielen niedergeschlagen, die sich im Zeitalter der Reformation besonderer Beliebtheit erfreuten. 92 Septuagintaanleihen findet man etwa bei der Zeichnung Esthers bzw. Mordechais als Betenden. 93 Immer wieder wurde die Esthergeschichte auch in Dramen, Romanen, Erzählungen oder in lyrischen Formen aufgegriffen. In seinem Überblick nennt Anthony Swindell auch einzelne Stücke, in denen ein Bezug zur LXX erkennbar ist. 94 Als Beispiel für eine lyrische Interpretation von Esthers Gang zum König (D,1-5) sei das Gedicht »Esther« von Rainer Maria Rilke genannt. 95

87. 88. 89. 90. 91. 92. 93. 94. 95.

Einen Überblick gibt Weber: »Esther«. Wacker: Ester im Bild, 80 f. Fanke: Assuerus. Tazartes in Romano (ed.): Artemisia Gentileschi, 46 f.53.126 f. Paul / Busch: »Mardochäus«, 154 verweisen auf die Rodabibel (11. Jh.) und weitere illustrierte mittelalterliche Bibelmanuskripte. Washof: Die Bibel auf der Bühne. Washof: Die Bibel auf der Bühne, 131-139. Swindell in Steward / Wechsler: Esther (Book and Person), 39-42. Ebach: Beobachtungen.

246

gtvh 08105 / p. 247 / 31.3.2022

Esther

9. Filme Einen Überblick zu Estherfilmen seit der Stummfilmzeit stellt Rhonda BurnetteBletsch zusammen. 96 Auch in diesem Medium werden Septuagintamotive aufgegriffen, um den Stoff auszugestalten. Dies gilt beispielsweise für den Fernsehfilm »Esther« aus der Reihe »Die Bibel im Film« (Regie: Raffaele Mertes, 1999), in dem Mordechai und Esther im Gebet vorgestellt werden und damit Zus. C zur Geltung kommt. Mehrere Filme (z. B. »Das Schwert von Persien« [Regie: Raoul Walsh, 1960] und »Eine Nacht mit dem König« (Regie: Michael D. Sajbel, 2006) knüpfen (ob über LXX oder rabbinische Traditionen vermittelt) an das Hochzeitsmotiv an: Zwar wird Esther nicht als Frau Mordechais eingeführt, aber als Jüdin mit jüdischem Liebhaber bzw. Verlobten, womit Esthers Wegführung an den Hof und ihre Verheiratung mit dem König eine Komplikation darstellt, die in EstMT fehlt. Der Film »Esther« des israelischen Regisseurs Amos Gitai (1986) 97 hält sich in großen Partien an den hebräischen Esthertext, inszeniert ihn jedoch nach Art eines Purimspiels, das vor der Kulisse des Wadi Salib in Haifa stattfindet und Erzählmotive und Gegenwartbezüge ineinanderfließen lässt. Als das Vernichtungsedikt des Haman überall im Land verlesen wird, sieht man Mordechai – der von einem palästinensischen Schauspieler verkörpert wird – durch die Gassen springen und schreien: Hier wird ein unschuldiges Volk getötet (vgl. Est 4,1LXX ≠ MT, aber auch Flavius Josephus). Auch bei Gitai hatte Mordechais Begründung für seine Proskyneseverweigerung gelautet »Ich bin Jude« (vgl. D,7; hier aber auch eine breite Motiventfaltung in den Midraschim). Das Vernichtungsedikt Hamans steht im Zentrum einer ganzen Szenenfolge und wird in Anlehnung an die Langform in Zus. B zitiert (die aber auch Flavius Josephus kennt). An der Stelle, da EstLXX das Gebet der Esther hat, wird Esther in Seitenund Nahansicht gezeigt, während eine Frauenstimme auf Arabisch ein Lied singt, mit dem die Ich-Stimme des Liedes der Mutter drohendes Leid und Unheil erzählt. Gitai scheint Anlehnungen an die LXX-Fassung (wohl vermittelt über innerjüdische Traditionen) demnach insbesondere dazu zu nutzen, Gefährdung und Unterdrückung in ihrer aktuellen Komplexität zu unterstreichen.

96. Burnette-Bletsch, in: Steward / Wechsler: Esther (Book and Person), 50-54. 97. Dazu vgl. Wacker: Estherbuch.

247

gtvh 08105 / p. 248 / 31.3.2022

2.2.2.6 Tobit Beate Ego Literatur Texte und Editionen Fitzmyer, Joseph A.: Tobit, in: Magen Broshi u. a. (Eds.), Qumran Cave 4: XIV: Parabiblical Texts 2 (DJD 19), Oxford 1995, 1-76. Tafeln I-X – Gaster, Moses: Two Unknown Hebrew Versions of Tobit. Published for the First Time, with Introduction and Translation, London 1897 – Hanhart, Robert (ed.): Tobit (Septuaginta: Vetus Testamentum Graecum: Auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis editum 8/5), Göttingen 1983 – Neubauer, Adolf (ed.): The Book of Tobit. A Chaldee Text from a Unique Ms. in the Bodleian Library, with Other Rabbinical Texts, English Translations and the Itala, Oxford 1878 – Wagner, Christian: Polyglotte TobitSynopse. Griechisch – Lateinisch – Syrisch – Hebräisch – Aramäisch. Mit einem Index zu den Tobit-Fragmenten vom Toten Meer, Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse Dritte Folge, Bd. 258, Mitteilungen des Septuaginta-Unternehmens (MSU) XXVIII, Göttingen 2003 – Weeks, Stuart / Gathercole, Simon / Stuckenbruck, Loren: The Book of Tobit. Texts from the Principal Ancient and Medieval Traditions with Synopsis, Concordance, and Annotated Texts in Aramaic, Hebrew, Greek, Latin and Syriac, FoSub 3, Berlin 2004. Athanasius: Apologia contra Arianos, PG 25, 248 A-349 C – Origenes: Epistola Origenis ad Africanum, ed. Nicholas de Lange, SC 302, Paris 1983, 522-573 – Clemens Alex.: Stromata I-VI, ed. Otto Stählin / Ludwig Früchtel, 4. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 52, Berlin 1985, Stromata VII-VIII, ed. Otto Stählin, 3. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 17, Berlin 1970, 3-102 – Eusebius Caes., Die Kirchengeschichte, ed. Eduard Schwartz / Theodor Mommsen, Vol. 1, GCS 9/1, Leipzig 1903; Vol. 2, GCS 9/2, Leipzig 1908 – Origenes: De oratione, ed. Paul Koetschau, GCS 3 (Origenes 2), 295-403 – Origenes: Homilia in Numeros, ed. Wilhelm Adolf Baehrens, GCS 30 (Origenes 7), 1-285.

Übersetzungen Ilgen, Karl David: Die Geschichte Tobi’s nach drey verschiedenen Originalen, dem Griechischen, dem Lateinischen des Hieronymus und einem Syrischen übersetzt und mit Anmerkungen exegetischen und kritischen Inhalts, auch einer Einleitung versehen, Jena 1800 – Stuckenbruck, Loren T.: The »Fagius« Hebrew Version of Tobit: An English Translation Based on the Constantinople Text of 1519, in: Géza G. Xeravits / József Zsengellér (eds.), The Book of Tobit. Text, Tradition, Theology. Papers of the First International Conference on the Deuterocanonical Books, Pápa, Hungary, 20-21 May 2004, JSJ.S 98, Leiden et al. 2005, 189-219.

Weitere Literatur Bhayro, Siam: A Leaf from a Medieval Hebrew Book of Tobit: Jacques Mosseri Genizah Collection at Cambridge University Library, Mosseri I.38 (with a Note on the Dating of T-S A45.25), in: Károly Dániel Dobos / Miklós Kőszeghy (ed.), With Wisdom as a Robe: Qumran and Other Jewish Studies in Honour of Ida Fröhlich, Sheffield 2009, 163-173 – Busch, Peter: Das Testament Salomos. Die älteste christliche Dämonologie, kommentiert in deutscher Erstübersetzung, Berlin u. a. 2006 – Docherty, Susan E.: The Reception of Tobit in the New Testament and Early Christian Literature, with Special Reference to Luke-Acts, in: Joseph Verheyden /

248

gtvh 08105 / p. 249 / 31.3.2022

Tobit

Bart J. Koet, / Steve Moyise (ed.), The Scriptures of Israel in Jewish and Christian Tradition. Essays in Honour of Maarten J. J. Menken, NT.S 148, Leiden 2013, 81-94 – Dyma, Oliver: Die Wallfahrt zum Zweiten Tempel. Untersuchungen zur Entwicklung der Wallfahrtsfeste in vorhasmonäischer Zeit, FAT II/40, Tübingen 2009 – Ego, Beate: Die Mehrfachüberlieferung des griechischen Tobitbuches, in: Wolfgang Kraus / Oliver Munnich (ed.), La Septante en Allemagne et en France. Septuaginta Deutsch und La Bible d’Alexandrie, OBO 238, Freiburg/ Schweiz / Göttingen 2009, 100-117 – Fitzmyer, Joseph A.: Tobit, CEJL, Berlin / New York 2003 – Gamberoni, Johann: Die Auslegung des Buches Tobias in der griechisch-lateinischen Kirche der Antike und der Christenheit des Westens bis 1600, StANT 21, München 1969 – Hallermayer, Michaela: Text und Überlieferung des Buches Tobit, DCLS 3, Berlin / New York 2008 – Hanhart, Robert (ed.): Text und Textgeschichte des Buches Tobit, MSU 17, Göttingen 1984 – Nöldeke, Theodor: Die Texte des Buches Tobit, in: Monatsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Sitzung der phil.-hist. Klasse vom 20. Januar 1879, Berlin 1880, 45-69 – Schöpflin, Karin: Die Hellenisierung der jüdischen Gottesbezeichnung. Ein Versuch anhand von Beobachtungen am spätbiblischen Buch Tobit, in: Tobias Georges / Felix Albrecht / Reinhard Feldmeier unter Mitarbeit von Manuel Kaden und Christoph Martsch (ed.), Alexandria, Tübingen 2013, 313-340 – Schumpp, Meinrad M.: Das Buch Tobias, Exegetisches Handbuch zum Alten Testament 11, Münster 1933 – Skemp, Vincent: Avenues of Intertextuality between Tobit and the New Testament, in: Jeremy Corley / Vincent Skemp (ed.), Intertextual Studies in Ben Sira and Tobit. Essays in Honor of Alexander A. Di Lella, O.F.M., CBQ.MS 38, Washington 2005, 43-70 – Skemp, Vincent: The Vulgate of Tobit Compared with Other Ancient Witnesses, SBL.DS 180, Atlanta 2000 – Weeks, Stuart: Restoring the Greek Tobit, in: JSJ 44 (2013), 1-15 – Weskott, Hanne: Die Darstellung der Tobiasgeschichte in der bildenden Kunst West-Europas (Von den Anfängen bis zum 19. Jahrhundert). Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zu München, 1974.

1. Einleitung Die Wirkungsgeschichte der Tobiterzählung erschließt sich über deren komplexe Textgeschichte. In ihrer ältesten Textgestalt liegt die Tobiterzählung heute nur in vier aramäischen Handschriften bzw. einem hebräischen Manuskript aus Qumran vor, die nur fragmentarisch erhalten sind. 1 Der älteste vollständige Text des gesamten Buches ist in Griechisch überliefert, wobei sich hier drei verschiedene Textformen unterscheiden lassen, nämlich G I – repräsentiert durch den Codex Vaticanus (IV. Jh.), den Codex Alexandrinus (V. Jh.) und den Codex Venetus (VIII. Jh.) sowie durch eine Anzahl von Minuskelhandschriften; G II – repräsentiert durch den Codex Sinaiticus (IV. Jh.; es fehlt Tob 4,7-19b und 13,6i–10b) sowie die Minuskelhandschrift 319 (3,66,16); G III ist auf 6,9-12,22 begrenzt und wird durch die Handschriften 106 und 107 repräsentiert. 2 Zu den älteren Übersetzungen gehören – neben einer syrischen, sahi1.

2.

Cf. die Erstedition Fitzmyer: Tobit (DJD XIX), 176, sowie die neueren Publikationen von Hallermayer: Text und Überlieferung, 13-19; Weeks / Gathercole / Stuckenbruck: Book of Tobit, 29-31 (alle mit weiterführenden Literaturhinweisen). S. die Einleitung zu der kritischen Ausgabe von Hanhart: Tobit, 7-10 (»Die lateinischen Übersetzungen«); 31-36 (zur Gruppierung der Textzeugen); Hanhart: Text und Textgeschichte, 2272; sehr hilfreich ist auch Wagner: Polyglotte Tobit-Synopse, xiii-xvi.

249

gtvh 08105 / p. 250 / 31.3.2022

Geschichtsbücher

dischen, äthiopischen und armenischen Version – auch zwei lateinische Fassungen, die Vetus Latina und die Vulgata des Hieronymus, die ebenfalls beträchtliche Unterschiede zueinander aufweisen. 3 Schließlich ist noch auf die sechs späten nachantiken Versionen zu verweisen, von denen fünf in Hebräisch und eine in Aramäisch überliefert sind. Innerhalb dieses Rahmens lassen sich die Linien der Wirkungsgeschichte entfalten.

1. Die Wirkungsgeschichte innerhalb der Tobitüberlieferung selbst An erster Stelle ist die Wirkungsgeschichte der Septuaginta ein Prozess, der bereits innerhalb der griechischen Überlieferung einsetzt, insofern die kürzere Textform G I als eine bewusste Bearbeitung der des Langtextes G II anzusehen ist, die G II glättet und paraphrasiert, aber auch inhaltliche Akzente setzt. 4 Hier ist zunächst auf einen veränderten Umgang mit den Gottesnamen zu verweisen. Die Verbindung von »Herr« (κύριος) und »Gott« (θεός) erscheint im älteren Langtext G II nur zweimal (4,21; 14,15), wohingegen G I diese Gottesbezeichnung insgesamt sieben Mal verwendet (3,11; 4,5.19; 13,13; 14,2.6-7). Sie kann Gott zudem auch häufiger als den »Heiligen« (12,12.15) oder den »Höchsten« (ὕψιστος; 1,4) bezeichnen. 5 Weitere wichtige Unterschiede beziehen sich u. a. auf die Angelologie (Fokussierung auf die Gebetsmittlerschaft des Engels; s. Tob 3,16 f. G I; 12,12-15 hat in beiden Textformen das Motiv), die Beschreibung des Abfalls der Naftaliten (anstelle der Verletzung der Kultzentralisation geht es in G I um Fremdgötterdienst; s. Tob 1,5) sowie die Universalisierung des Achikarstoffes durch die Nennung Hamans als Gegenspieler Achikars (s. Tob 14,10 f. G I). 6 Schließlich tritt in G I auch die Israelbegrifflichkeit 7 sowie der Verweis auf verwandtschaftliche Verhältnisse 8 zurück.

2. Die Rezeption des Tobit-Buches im Neuen Testament Für die neutestamentliche Überlieferung liegen insgesamt nur wenige explizite Bezugspunkte zur Tobit-Septuaginta vor. An erster Stelle ist die Beschreibung des Neuen Jerusalem in Apk 21,10-21 zu nennen, die mit der Motivik der Lichtherrlichkeit der

3. 4.

5.

6. 7. 8.

Zu den Übersetzungen s. Hanhart: Tobit, 11-23; insbesondere zur Vulgata s. Skemp: Vulgate. Die Frage nach dem Abhängigkeitsverhältnis von G I und G II wurde lange diskutiert; v. a. vor dem Hintergrund der Qumran-Funde, die in der Regel G II unterstützen, hat sich die Priorität von G II in der neueren Forschung immer mehr durchgesetzt; vgl. hierzu jetzt Weeks: Restoring the Greek Tobit, 1-5. Zur unterschiedlichen Verwendung der Gottesnamen s. die instruktive Untersuchung von Schöpflin: Die Hellenisierung der jüdischen Gottesbezeichnung, 326-339, mit weiteren Belegen; zu den unterschiedlichen Gottesnamen s. a. Ego: Mehrfachüberlieferung, 110-112. Zu diesen Motiven ausführlicher Ego: Mehrfachüberlieferung, 108-110.113-115. S. Tob 1,5.8.18; 5,5.9; 13,18; 14,4 [2 �].5.7), jeweils in G I; s. Dyma: Wallfahrt, 224, Anm. 617. S. hierzu Skemp: Vulgate, 468 mit Verweis auf u. a. Tob 1,5; 5,7.10; 7,1; 10,6 (2 �).

250

gtvh 08105 / p. 251 / 31.3.2022

Tobit

künftigen Stadt deutliche Ankläge an Tob 13,16b-17 aufweist. Die Trias der guten Werke »Almosen«, »Beten« und »Fasten« erscheint auch in Mt 6,1-18, und Mt 7,12 / Lk 6,31 enthält zudem auch die Goldene Regel (cf. Tob 4,15; allerdings in positiver Fassung). Ein direkter Kontakt mit der griechischen Tobitüberlieferung ist hier aber nur schwerlich festzumachen, insofern solche Aussagen – wie auch die gemeinsamen angelologischen und dämonologischen Vorstellungen – integraler Bestandteil eines gemeinsamen religiösen Symbolsystems sind. 9 Didache zitiert zumindest sinngemäß die Goldene Regel. 10

3. Die Rezeption des Tobit-Buches im Christentum 1. Aus der Aussage des Origenes, wonach das Buch Tobit nicht von den Juden gelesen würde und diese es auch nicht in hebräischen Sprache besäßen, kann geschlossen werden, dass das Buch Tobit im Judentum seiner Zeit keine wesentliche Rolle spielte. 11 Ein Nachhall auf die Tobiterzählung findet sich allerdings in der christlich-gnostischen Schrift »Testament Salomos« (3./4. Jh.), in der von der Bindung des Dämons Asmodäus durch den König Salomo erzählt wird (TSal 5). Die Darstellung des Dämons als Wesen, das sich jungen Frauen gegenüber aggressiv verhält, dessen Gegenspieler der Engel Rafael ist und der durch Räucherwerk von Leber und Fischgalle vertrieben werden kann, verweist eindeutig auf die Tobiterzählung. 12 Für die Literatur der Kirchenväter ist festzuhalten, dass die griechische Welt die Kurzform der Erzählung belegt. 13 Im Vordergrund steht die Rezeption der weisheitlich-moralischen Aussagen wie der Goldenen Regel als Formulierung der Nächstenliebe oder die Sentenzen von den Heilswirkungen von Almosen, Fasten und Gebet. 14 Aber auch die Wunder und das Wirken des Engels können thematisiert werden. 15 2. Die westliche Welt bediente sich zunächst der Tradition der Vetus Latina. Insofern diese eine wörtliche Übersetzung von G II darstellt 16, liegt an dieser Stelle zumindest eine indirekte Wirkung der Septuagintatradition vor. Nun soll auch eine allegori9. Zum Ganzen s. Skemp: Avenues of Intertextuality, 43-70; s. a. Docherty: Reception of Tobit, 81-94, insbes. 92; sowie Schumpp: Tobias, lxi. 10. Gamberoni: Auslegung des Buches Tobit, 19. 11. Origenes: Ep. ad Africanum 13/19, SC 302, 562. S. hierzu Gamberoni: Auslegung des Buches Tobit, 31-34. Vgl. hierzu auch die Aussage des Hieronymus, wonach das Buch nicht zum jüdischen Kanon gehört und er mit seiner Übersetzung befürchtet, dem Urteil der Pharisäer zu missfallen; ausführlich hierzu Skemp: Vulgate, 15-21; cf. Gamberoni: Auslegung, 74. 12. Busch: Testament Salomos, 115-129; zum direkten Bezug des Textes zur Tobiterzählung ibid. 119. 13. Sehr instruktive sind die Belege bei Schumpp: Tobias, LXIIf., der direkt auf die ausgelegten Passagen verweist; s. a. Docherty: Reception of Tobit, 81. 14. Cf. Clemens Alex., Strom. VI, 102,1-2, GCS 52, 483; Dionysius Alex. bei Euseb. H.e. VII, 11, 2, GCS 9/2, 654 (Tob 12,7), ebenso Athanasius: Apol. c. Arian 11, PG 25, 268 A. 15. So Origenes, Hom. Num. 14,2, GCS 30, 125,2-6; De oratione 14,4, GCS 3, 331,27-232,17. S. die Zusammenstellung bei Gamberoni: Auslegung, 19-40. Allerdings unterscheidet Gamberoni bei der Nennung der Belege nicht explizit zwischen den östlichen und westlichen Auslegern. 16. Hanhart: Tobit, 13.

251

gtvh 08105 / p. 252 / 31.3.2022

Geschichtsbücher

sche Exegese, die den Fisch und das Wasser als Heilszeichen deutet, in das Blickfeld gelangen (cf. Optatus von Mileve). 17 Des Weiteren ist hier auch auf die Vulgata zu verweisen: Diese soll nach dem Bericht des Hieronymus zwar von einer chaldäischen Vorlage übersetzt worden sein (deren Gestalt bis heute allerdings nicht bekannt ist), 18 de facto basiert diese aber auf der Vetus Latina, 19 sodass hier zumindest von einer indirekten Wirkung der Septuaginta gesprochen werden kann. 20 Die Vulgata enthält aber auch Sondergut (so z. B. die explizite Angleichung des Leidens Tobits an Hiob und seine Glaubenstreue in Vg. 2,12-18 oder die Tradition vom dreitägigen Gebet vor der Hochzeitsnacht in Vg. 6,16-22), die wohl direkt auf den Kirchenvater Hieronymus zurückzuführen sind. 21 3. Die Fassung der Vulgata war es dann auch, die für die abendländisch-christliche Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte bedeutsam wurde. 22 Neben den Auslegungen und Kommentaren 23 ist an dieser Stelle die reiche Tradition in der bildenden Kunst zu nennen, die u. a. Motive wie das Begraben der Toten, den Streit der Eheleute, den Fischfang, die gemeinsame Wanderung von Tobias und dem Reisebegleiter mit dem Schutzengelmotiv, die Vertreibung des Dämons, die Heilung des alten Tobit und die Rückkehr des Engels in die himmlische Welt zum Gegenstand hat. 24 Der Einfluss der Vulgata (und eben nicht der Septuagintaversion) zeigt sich eindeutig an der Darstellung der Heilungsszene der Vulgata, die den Vater sitzend darstellt, während ihm sein Sohn Tobias die Salbe auf die Augen streicht (Vg. 11,11-15); nach der griechischen Tradition findet die Heilung statt, während Vater und Sohn außerhalb des Hauses aufeinander zugehen (cf. Tob 11,10 f.). 4. Spuren der Wirkungsgeschichte werden im späten Mittelalter und im Humanismus in der jüdischen Tradition und bei den christlichen Hebraisten sichtbar. Fünf der insgesamt sechs nachantiken Versionen stehen in einer Beziehung zum griechischen Text. 25 Ein direkter Bezug ist eindeutig für die aramäische Fassung (Ar) anzunehmen, die durch Ms. 2339 der Bodleian Library belegt ist (datiert auf das 15. Jh. oder das späte 14. Jh., in orientalischer, sephardischer Schrift geschrieben und ara-

17. Zur Auslegung im Westen s. Schumpp: Tobias, LXIVf.; speziell zur allegorischen Auslegung Gamberoni: Auslegung, 36 f. 18. Zur Übersetzung des Hieronymus von einer chaldäischen Vorlage s. Gamberoni: Auslegung, 75; Skemp: Vulgate, 19 f. 19. Skemp: Vulgate, 455-457 und passim bei den einzelnen Kommentierungen. 20. Cf. Skemp: Vulgate, 467: Die Entsprechungen zwischen Vg und G II sind in der Regel über die Vetus Latina vermittelt; eine Ausnahme bilden 9,8 und 13,6. 21. Zu den für die Vulgata typischen Traditionen s. Gamberoni: Auslegung, 86-97; Skemp: Vulgate, 463-465. 22. Cf. Gamberoni: Auslegung, 83: »Die Übersetzung des Hieronymus beherrscht das Mittelalter«. 23. Ausführlich hierzu die Darstellung von Gamberoni: Auslegung, 103-196 (»Von Beda bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts«). 24. Zu den Einzelszenen und ihrer Entwicklung s. Weskott: Darstellung der Tobiasgeschichte, 63123. 25. Zu diesen Texten insgesamt s. die 2004 erschienene Edition von Weeks / Gathercole / Stuckenbruck, die die Texte kurz einführt und synoptisch darstellt (abgekürzt als WGS); s. a. Loren T. Stuckenbruck / Stuart Weeks: Medieval Hebrew and Aramaic Texts, 71-86.

252

gtvh 08105 / p. 253 / 31.3.2022

Tobit

bischer Provenienz). 26 Die Version orientiert sich im Wesentlichen am Langtext, und die Verwendung zahlreicher gräzisierender Begriffe belegt eine direkte griechische Vorlage. 27 Eng verwandt mit Ar ist Hebraeus Münster (1516 in Konstantinopel gedruckt, wobei ältere Genizahandschriften für einen Teil der Überlieferung vorliegen; der Druck von Sebastian Münster erschien mit zahlreichen Abweichungen von der Vorlage erstmals im Jahre 1542) 28 sowie Hebraeus Gaster (von Moses Gaster nach einer inzwischen verlorenen Handschrift aus dem 15. Jh. kopiert) 29. Auch bei diesen Texten ist die Orientierung an der Langform offensichtlich, wobei angenommen wurde, dass Ar die direkte Quelle darstellt. 30 Ebenso orientiert sich die unter dem Namen »Hebraeus Fagius« bekannte Version der Tobiterzählung, die im Jahre 1519 erstmals in Konstantinopel gedruckt und im Jahre 1542 von dem Reformator und Hebraisten Paul Fagius veröffentlicht wurde 31 (Handschriftenfragmente aus der Geniza aus dem 13. Jh.) 32, an der griechischen Überlieferung, wobei es sowohl Berührungen mit dem Kurztext als auch mit dem Langtext gibt. Ein direkter griechischer Einfluss wurde bereits 1800 von Ilgen postuliert 33 und nun auch von Fitzmyer formuliert. 34 Eine Mischung der beiden Texttypen belegt schließlich die recht kurze Version der Tobiterzählung »Ozar ha-Qodesh« (Druck Lemberg 1851, Datierung sehr schwierig, da Unklarheit über Quelle). 35 Bei all diesen Texten handelt es sich allerdings nicht um wörtliche 26. Erstmals publiziert (mit einer englischen Übersetzung) durch Neubauer: The Book of Tobit. A Chaldee Text (1878). Eine erneute Publikation erfolgte unter der Bezeichnung A 7 in WGS 62-333 (Text); 336-413 (Anmerkungen). Zur Handschrift Neubauer: Book of Tobit, viif.; WGS 44 f. 27. So bereits Nöldeke: Texte des Buches Tobit (1880), 50-59; s. hierzu auch die Belege bei Fitzmyer: Tobit, 13. Neubauer dagegen wollte von einer semitischsprachigen Vorlage des Ar ausgehen; s. Neubauer, Chaldee Text, vii. 28. Die Tobitversion »Hebraeus Münster« wurde auch in der Waltonschen Polyglotte, Vol. 4 (1657), 35-63 abgedruckt; Neubauer hat das zugrundeliegende Manuskript Konstantinopel 1516 unter Heranziehung weiterer Mss. zusammen mit einer englischen Übersetzung in seinem Band »The Book of Tobit. A Chaldee Text« ediert. Eine neue Ausgabe findet sich in WGS 62333 (Text); 336-413 (Anmerkungen) unter dem Label »H 3«. Zu den Mss. s. Neubauer: Chaldee Text, xii; WGS 32-35. 29. Eine erste Edition mit englischer Übersetzung erfolgte durch Moses Gaster in »Two Unknown Hebrew Versions of Tobit« im Jahre 1897; eine neue Edition wurde in WGS 62-333 (Text); 336-413 (Anmerkungen) unter der Bezeichnung »H 5« vorgelegt. Zum Manuskript Gaster, ibid., 12-14; WGS 39 f. 30. So Gaster: Two Unknown Versions, 12 f. Weitaus zurückhaltender ist WGS 46. 31. Isny 1542. Auch dieser Text wurde in der Waltonsche Polyglotte Vol. 4 (1657) abgedruckt; eine Neuedition findet sich in WGS unter der Bezeichnung »H 4«; s. a. Stuckenbruck: Fagius, mit einer englischen Übersetzung. 32. So Stuckenbruck: Fagius, 191, und WGS 36; vgl. dagegen Bhayro: Leaf, der das Manuskript auf der Basis des Wasserzeichens auf das Ende des 15. Jh. bzw. den Anfang des 16. Jhs. datiert und den westlichen Mittelmeerraum als Herkunftsort benennt. 33. Bereits Ilgen (1800) nimmt auf Hebraeus Fagius Bezug und notierte wichtige sprachliche und inhaltliche Merkmale sowie dessen enge Beziehung zum griechischen Text; s. Ilgen: Geschichte Tobi’s, CXXXVIII-CXLIV. 34. Auch Fitzmyer: Tobit, 14 scheint sich für eine griechische Vorlage von Hebraeus Fagius, konkret Cod. Vaticanus, auszuprechen. 35. »Ozar ha-Qodesh« wurde zunächst von Gaster: Two Unknown Hebrew Versions, 14 erwähnt,

253

gtvh 08105 / p. 254 / 31.3.2022

Geschichtsbücher

Übersetzungen, sondern um Versionen, die ihre Vorlage einerseits mehr oder weniger abkürzen können (z. B. für den Erzählverlauf, aber auch in der Betonung des eschatologischen Momentes, cf. Tob 13) und andererseits aber auch um weiteres Material ergänzen (z. B. Gebete, Betonung der Almosen, Dämonologie; Schriftbelege). Eine umfangreiche Untersuchung der Texte, die Klarheit über die jeweilige direkte Textvorlage verschaffen könnte, ist ein Forschungsdesiderat. Nichtsdestotrotz wird deutlich, dass die Wirkungsgeschichte der griechischen Tobitüberlieferung, wie sie in der Septuaginta vorliegt, mit der Übersetzung ins Lateinische und der Verbreitung der Vulgata nicht beendet war. Im Zeitalter des Humanismus findet dann auch christlicherseits wieder eine Zuwendung zum Tobit-Text der Septuaginta statt, die sowohl in Übersetzungen als auch Kommentierungen zum Ausdruck kommt. 36

dann aber erstmals in WGS publiziert; zur Quellenlage s. WGS 42-44; eine Übersetzung in eine moderne Sprache liegt bislang nicht vor. 36. Ausführlich hierzu Gamberoni: Auslegung, 227-239.

254

gtvh 08105 / p. 255 / 31.3.2022

2.2.2.7 Reports about the Maccabean Martyrs in Jewish and Christian Reception Jan Willem van Henten Literature Editions, Translations Börner-Klein Dagmar / Zuber, Beat: Josippon: Jüdische Geschichte vom Anfang der Welt bis zum Ende des Aufstands gegen Rom. Hebräisch-Deutsche Textausgabe, Wiesbaden 2010 – Dupont-Sommer, André: Le quatrième livre des Maccabées: Introduction, traduction et notes, Paris 1939. Augustinus: Sermones 300. 301, PL 38:1376-1385; English transl: The Works of St. Augustine: Sermons on the Saints, Translation and Notes by E. Hill (New York 1994, Vol. III/8) – Clemens Alex.: Stromata I-VI, ed. Otto Stählin / Ludwig Früchtel, 4. edition ed. Ursula Treu, GCS 52, Berlin 1985, Stromata VII-VIII, ed. Otto Stählin, 3. edition ed. Ursula Treu, GCS 17, Berlin 1970, 3-102 – Cyprian: Ad Quirinium testimoniorum libri tres, ed. Robert Weber, CC.SL 3, Turnhout 1972, 1-179 – Cyprian: Ad Fortunatum, ed. Robert Weber, CC.SL 3, Turnhout 1972, 181-216 – Eusebius Caes., Die Kirchengeschichte, ed. Eduard Schwartz / Theodor Mommsen, Vol. 1, GCS 9/1, Leipzig 1903; Vol. 2, GCS 9/2, Leipzig 1908 – Gregorius Naz.: Oratio 15 in Machabaeorum laudem, PG 35:915-933 – Hippolytus Rom.: Commentaire sur Daniel, ed. Gustave Bardy / Maurice Levefre, SC 14, Paris 1947 – John Chrysostom: Homilia 1 in sanctos Maccabeos et in matrem eorum, PG 60:617-624 – John Chrysostom: Homilia 2 in sanctos Maccabeos, PG 50:623-626 – John Chrysostom: Homilia de Eleazaro et de septem pueris, PG 63:523-530 – John Chrysostom: Homilia 3 in sanctos Maccabeos, PG 50:625-628 – John Malalas: Chronographia PG 97:65a-718a – Origenes: Werke I, Die Schrift vom Martyrium. Buch I–IV gegen Celsus, ed. Paul Koetschau, GCS 2, Leipzig 1899 – Severus Antioch.: Les Homiliae Cathedrales, ed. Rubens Duval, PO 4, Paris 1908. Musurillo, Herbert A.: The Acts of the Christian Martyrs, Oxford 1972 – Nau, François: Un martyrologe et douze ménologes syriaques: Edités et traduits (Martyrologes et ménologes orientaux; Patrologia orientalis 10.1; Paris: 1912 repr. Turnhout 1993.

Secondary Literature Augustyn, Wolfgang: Der Lateinische Hamilton-Psalter im Berliner Kupferstichkabinett (Hs. 78 A 5) (Diss. LMU München, 1987; s.i.; s.n.: 1995) – Bammel, Ernst: Zum jüdischen Märtyrerkult, ThLZ 78 (1953), 119-126; reprinted in Idem, Judaica. Kleine Schriften I, WUNT 37, Tübingen 1986, 79-85 – Beckwith, Roger T.: The Old Testament Canon of the New Testament Church and its Background in Judaism, London 1985 – Berger, Albrecht: The Cult of the Maccabees in the Eastern Orthodox Church, in: Gabriela Signori (ed.), Dying for the Faith, Killing for the Faith: Old-Testament Faith-Warriors (Maccabees 1 and 2) in Historical Perspective, Leiden 2012, 105-123 – Bickerman, Elias: The Maccabees of Malalas, in: id., Studies in Jewish and Christian History: A New Edition in English including the God of the Maccabees, Leiden 2007, Vol. 1, 465482 (473-480) [transl. of French original published in 1951] – Bright, Pamela: Origenian Understanding of Martyrdom and its Biblical Framework, in: Charles Kannengiesser / William Lawrence Petersen (eds.), Origen of Alexandria: His Work and His Legacy, Notre Dame IN 1988, 180-199 – Brown-Tkacz, Catherine: The Seven Maccabees, Three Hebrews and a Newly Discovered Sermon of St. Augustine (Mayence 50), REA 41 (1995), 59-78 – Burkhart, Peter:

255

gtvh 08105 / p. 256 / 31.3.2022

Geschichtsbücher

Kunsthistorische Einführung, in Vera Trost et al. (eds.), Kupfergrün, Zinnober & Co: Der Stuttgarter Psalter, Stuttgart 2011, 19-78 – Cohen, Gerson D.: Hannah and Her Seven Sons in Hebrew Literature, in: id. (ed.), Studies in the Variety of Rabbinic Cultures, Philadelphia 1991, 39-60 – Cohen, Jeremy: Sanctifying the Name of God: Jewish Martyrs and Jewish Memories of the First Crusade, Philadelphia 2004 – De Wald, Ernest T.: The Stuttgart Psalter: Biblia folio 23 Wuerttembergische Landesbibliothek, s.i.; s.n.: 1930 – Déléani, Simone: Une typologie du martyre chrétien: la Passion des frères Maccabées et de leur mère selon Saint Cyprien, in: Figures de l’Ancien Testament chez les Pères, Cahiers de Biblia Patristica 2, Strasbourg 1989, 189-213 – den Boeft, Jan / Bremmer, Jan: Notiunculae martyrologicae, VigChr 45 (1991), 105-122 – DeSilva, David A.: An Example of How to Die Nobly for Religion: The Influence of 4 Maccabees on Origen’s Exhortatio ad Martyrium, JECL 17 (2009), 337-355 – Dönitz, Saskia: Überlieferung und Rezeption des Sefer Yosippon, TSMJ 29, Tübingen 2013 – Doran, Robert: The Martyr: A Synoptic View of the Mother and Her Seven Sons, in: Nickelsburg, George W. E. / Collins, John J. (eds.), Ideal Figures in Ancient Judaism: Profiles and Paradigms, SBLSCS 12; Chico 1980, 189-221 – Fabry, Heinz-Josef: Der Beitrag der Septuaginta-Codizes zur Kanonfrage, in: Siegfried Kreuzer / Martin Meiser / Marcus Sigismund (ed.), Die Septuaginta – Entstehung, Sprache, Geschichte, WUNT 286, Tübingen 2012, 582-599 – Frend, William H. C.: Martyrdom and Persecution in the Early Church: A Study of a Conflict from the Maccabees to Donatus, Oxford 1965 – Guillaumin, Marie-Louise: Une jeune fille qui s’appelait Blandine, in: Jacques Fontaine / Charles Kannengiesser (eds.), Epektasis: Mélanges patristiques offerts au Cardinal J. Daniélou, Paris 1972, 93-98 – Hartmann, Prosper: Origène et la théologie du martyre d’après le PROTREPTIKOS de 235, ETL 34 (1958), 773-824 – Hasan-Rokem, Galit: Web of Life: Folklore and Midrash in Rabbinic Literature, Stanford 2000 – Havice, Christine: The Marginal Miniatures in the Hamilton Psalter (Kupferstichkabinett 78.A.9, Jahrbuch der Berliner Museen 26 (1984), 79-142 – Hengel, Martin: The Septuagint as Christian Scripture: Its Prehistory and the Problem of Its Canon, Edinburgh 2002 – Himmelfarb, Martha: The Mother of the Seven Sons in Lamentations Rabbah and the Virgin Mary, JQR 22 (2015), 325-351 – Hirner, Roswitha: Der Makkabäerschrein in St. Andreas zu Köln, Bonn 1970 – Jeremias, Joachim: Heiligengräber in Jesu Umwelt (Mt. 23,29; Lk. 11,47): eine Untersuchung zur Volksreligion der Zeit Jesu, Göttingen 1958 – Joslyn-Siemiatkoski, Daniel: Christian Memories of the Maccabean Martyrs, New York / Basingstoke 2009 – Klauck, Hans-Josef: Makkabaion IV / Das Vierte Buch der Makkabäer, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.): Septuaginta Deutsch: Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Vol. 1. Genesis bis Makkabäer, Stuttgart 2011, 1445-1475 – Knust, Jennifer W.: ‘Who Were the Maccabees?’ : The Maccabean Martyrs and Performances on Christian Difference, in: Ihab Saloul / Jan Willem van Henten (eds.), Martyrdom: Canonisation, Contestation and Afterlives, Amsterdam 2020, 79-103 – Kunzelmann, Adalbero Wilhelm: Die zeitliche Festlegung der Sermones des Hl. Augustinus, Würzburg 1928 – Metcalfe, William, Origen’s Exhortation to Martyrdom and 4 Maccabees, JTS 22 (1921), 268-269 – Nicklas, Tobias: Makkabaion II / Das Zweite Buch der Makkabäer, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (eds.), Septuaginta Deutsch: Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Vol. 1. Genesis bis Makkabäer, Stuttgart 2011, 1376-1416 – Nodet, Étienne: La Dédicace, les Maccabées et le Messie, RB 93 (1986), 321-375 – Oulton, John Ernest Leonard / Chadwick, Henri: Alexandrian Christianity, Philadelphia 1954 – Rampolla da Tindaro, Mariano: Del luogo del martirio e del sepolcro dei Maccabei, Bessarione 1 (1896-1897), 655-662; 751-763; 853-866; Bessarione 2 (1897-1898), 9-22 – Rampolla da Tindaro, Mariano: Martyre et sépulture des Machabées. RArtC 42 (1899), 290305; 377-392; 457-465 (also published separately: Martyre et Sépulture des Macchabées, Bruges 1899) – Rouwhorst, Gerard: The Cult of the Seven Maccabean Brothers and their Mother in Christian Tradition, in: Marcel Poorthuis / Joshua Schwartz (eds.), Saints and Role Models in Judaism and Christianity, Jewish Christian Perspectives Series 7, Leiden 2004, 183-204 – Rouwhorst, Gerard: The Emergence of the Cult of the Maccabean Martyrs in Late Antiquity,

256

gtvh 08105 / p. 257 / 31.3.2022

Reports about the Maccabean Martyrs in Jewish and Christian Reception

in: Johan Leemans (ed.), More than a Memory. The Discourse of Martyrdom and the Construction of Christian Identity in the History of Christianity, Leuven 2005, 81-96 – Rutgers, Leonard V.: The Importance of Scripture in the Conflict between Jews and Christians: The Example of Antioch, in: Leonard V. Rutgers et al. (eds.), The Use of Sacred Books in the Ancient World, Leuven 1998, 287-303 – Rutgers, Leonard V.: Making Myths: Jews in Early Christian Identity Formation, Leuven 2009 – Saxer, Victor: Morts. Martyrs. Reliques. En Afrique chrétienne aux premiers siècles. Les témoignages de Tertullien, Cyprien, et Augustin à la lumière de l’archéologie africaine, Paris 1980 – Schatkin, Margaret: The Maccabean Martyrs, VigChr 28 (1974), 97-113 – Shepkaru, Shmuel: Jewish Martyrs in the Pagan and Christian Worlds, Cambridge 2005 – Sheppard, Dorothy: Romanesque Display Bibles, in: Richard Marsden / E. Ann Matter (eds.), The New Cambridge History of the Bible, Vol. 2; Cambridge 2012, 392403 – Triebel, Lothar: Die angebliche Synagoge der makkabäischen Märtyrer in Antiochia am Orontes, ZAC 9 (2006), 464-495 – van Henten, Jan Willem: A Jewish Epitaph in a Literary Text: 4 Macc. 17:8-10, in: Jan Willem van Henten / Pieter Willem van der Horst (eds.), Studies in Early Jewish Epigraphy, Leiden 1994, 44-69 – van Henten, Jan Willem: The Christianization of the Maccabean Martyrs: the Case of Origen, in: Johan Leemans (ed.), Martyrdom and Persecution in Late Ancient Christianity: FS Boudewijn Dehandschutter, BETL 241, Leuven 2010, 333-352 – van Henten, Jan Willem: The Maccabean Martyrs as Saviours of the Jewish People: A Study of 2 and 4 Maccabees, Leiden 1997 – Van Henten, Jan Willem: The Reception of Daniel 3 and 6 and the Maccabean Martyrdoms in Hebrews 11:33-38, in: Jitse Dijkstra et al. (eds.), Myths, Martyrs, and Modernity (FS Jan N. Bremmer), Leiden 2010, 359-377 – van Henten, Jan Willem / Mulders, Esther: Hannah and her Seven Sons: II Visual Art, in: Christine Helmer et al. (eds.), Encyclopedia of the Bible and its Reception 11, Berlin 2015, 248-251 – van Henten, Jan Willem / Walvoort, Henk: The Re-Interpretation of the Maccabean Mother and her Sons by Frater Magdalius Iacobus Gaudensis in the Framework of the Cult of the Maccabees in Cologne, LIAS 46 (2019), 1-28 – Vinson, Martha: Gregory of Nazianzen’s Homily 15 and the Genesis of the Christian Cult of the Maccabean Martyrs, Byzantion 64 (1994), 166-192 – Ziadé, Raphaëlle: Les martyrs Maccabées: de l’histoire juive au culte chrétien: Les homélies de Grégoire de Nazianze et de Jean Chrysostome, VigChrSup 80, Leiden 2007.

1. Introduction The “Maccabean martyrs” were a group of Jews who were tortured to death during the persecution by the Seleucid King Antiochus IV Epiphanes (175-164 bce), preceding the Maccabean Revolt in 168/7-164 bce. The description of Antiochus IV’s persecution in the Second Book of Maccabees (late second century bce, provenance Judea or a Diaspora city) 1 includes a report about these martyrs (2 Macc 6:18-7:42), relating how the ninety-year-old scribe Eleazar and an anonymous mother with her seven sons refused to participate in a ritual meal during which they were forced to eat a piece of pork (2 Macc 6:18, 6:21, 7:1, 7:42). The martyrs refused to do this because they preferred death to violating God’s laws, which functioned as the ancestral laws of the Jewish people (2 Macc 6:28, 7:2, 7:9, 7:11, 7:23, 7:30, 7:37). The martyrdom narratives hardly provide information about the setting, arrest, and juridical procedure that precedes the execution. Second Maccabees 7 is a power game between the martyrs and the king, which highlights the final words of the martyrs and climaxes with the clash between the king and the youngest son (2 Macc 7:24-40; cf. 4 Macc 12). The mother dies last, 1.

Nicklas: Makkabaion II/Das Zweite Buch der Makkabäer, 1376-1416.

257

gtvh 08105 / p. 258 / 31.3.2022

Geschichtsbücher

after having seen her sons being tortured and executed one by one (2 Macc 7:41; cf. 4 Macc 17:1). By their faithfulness to the Jewish practices in the conflict with King Antiochus the martyrs exemplify the Jewish way of life and their willingness to sacrifice themselves for these practices as exemplary figures (2 Macc 6:28, 6:31) reflects the special character of the Jewish people. Second Maccabees also implies that the martyrs and the freedom fighter Judas the Maccabee fought for the same cause and that the martyrdoms were a decisive step towards the restoration of an independent Jewish state. 2

2. Jewish reception The Maccabean martyrdoms are much elaborated in the Fourth Book of Maccabees (date debated, first century ce or even later; provenance Antioch in Syria or Asia Minor), 3 which is a combination of a philosophical treatise about the autonomy of devout reason, a report of the martyrdoms and praise for the martyrs. The anonymous author builds on Second Maccabees (esp. 2 Macc 3:1-7:42) by expanding the torture scenes and praising the martyrs in line with epideictic rhetoric, and he demonstrates in this way that the book’s philosophical proposition is right. In comparison to Second Maccabees, Fourth Maccabees pays much more attention to the role of the mother (4 Macc 14:11-17:1) by elaborating the motif of maternal love. The author highlights that the mother totally disregarded her love for her sons, which demonstrates the truth of the philosophical argument that pious reason masters all emotions (4 Macc 14:11-12; cf. 15:11, 23). Her behaviour during the executions of her sons expresses the attitude of the ideal philosopher. She exemplifies ἀνδρεία (“courage,” “manliness”), one of the cardinal virtues. Another prominent motif in Four Maccabees, only hinted at in Second Maccabees, concerns the presentation of the martyrdoms as a contest between king and martyrs. Athletic vocabulary highlights this contest, which results in the defeat of the king, as the elaborate athletic metaphor in Four Maccabees 17:11-16 implies (see also 1:11; 17:15; 18:4-5). The martyrdom of the mother and her sons has been radically re-interpreted in three rabbinic passages, all put in the setting of a Roman persecution: Midrash Lamentations Rabbah 1:16, Pesiqta Rabbati 43 (ed. Friedmann fol. 180b), and Babylonian Talmud Gittin 57b. 4 In the first two passages the mother is named Miriam bat Tanḥum or Miriam bat Naḥum, in the third one she is anonymous. Lamentations Rabbah 1:16 concludes the martyrdom with the Holy Spirit quoting from Lamentations 1:16 (“For these I weep”). The context of Babylonian Talmud Gittin 57b is a quotation of Psalm 44:23: “For Your sake we are slain all day long.” The emperor forces the martyrs to prostrate themselves before a statue of a deity, similar to Nebuchadnezzar’s order in Dan 3. The youngest son is duped by being asked to pick up a signet ring in front of the statue. The interrogations of the first six brothers by the emperor (sometimes identi2. 3. 4.

Further discussion: van Henten: The Maccabean Martyrs as Saviours. Klauck: Makkabaion IV/Das Vierte Buch der Makkabäer”, 1445-1475. Doran: The Martyr, passim; Cohen: Hannah, passim; Hasan-Rokem: Web of Life, 114-125; Himmelfarb: The Mother of the Seven Sons, passim. See also Sefer Eliyahu Rabbah 28 (ed. Friedmann, 151-153).

258

gtvh 08105 / p. 259 / 31.3.2022

Reports about the Maccabean Martyrs in Jewish and Christian Reception

fied as Hadrian) are described in a stereotypical way. The brothers emphasize their faithfulness to the God of Israel by quoting relevant passages from the Torah. The lengthy dialogue between the emperor and the seventh brother is the climax. It is a midrash on Ps 115:5-7 that highlights the contrast between idols with their anthropomorphic form and God. The mother plays a central role in this passage, by nursing her son and asking the emperor to be executed together with him. She is compared with Abraham (cf. 4 Macc 14:20; 15:28; 17:6; 18:20), and even claims to have surpassed him, stating: “I built seven altars and sacrificed my sons on them” (LamR 1:16). Pesiqta Rabbati 43 differs from the other two rabbinic versions of the story about the mother and her seven sons. It is much shorter and lacks the scriptural proof supporting the argument of the brothers. The seventh son does not engage in a debate with the emperor, but consults his mother as to whether he should prostrate himself before the image of the emperor. In the end the mother commits suicide, and God vindicates her by promising her bliss in the future world, citing Psalm 113:9: “He gives the barren woman a home.” Josippon, the 10th-century Southern Italian chronicle of the confrontation between Israel and Rome in the ancient period considers the Maccabean martyrs “holy,” as in the Christian tradition. 5 Later editions of this work call the mother Hannah, which name derives from 1 Sam 2:5, where the biblical Hannah says: “The barren one has borne seven.” 6 The chronicles that commemorate martyrdoms during the crusaders’ massacres of German Jews in 1096 also allude to the story of Hannah and her sons. The conclusion of the Mainz Anonymous chronicle compares Rachel of Mainz, who slew her own children in order to prevent them from being baptized, with Hannah. It indicates that each died righteously and as “a happy mother of children” (Ps 113:9). The chronicle invokes the memory of Hannah, but its content contrasts the two women, because Hannah and her sons take pride in their martyrdom, but Rachel bewails her fate and kills her children against their will. 7 The story of Hannah and her sons is incorporated in liturgical poems (piyyutim) that are part of the liturgy of the Sabbath of Hanukkah and of the Ninth of Av, when the destruction of the Temple is commemorated. 8

3. Christian Reception Both Second and Fourth Maccabees have been recycled many times in Christian contexts. 9 The books were incorporated in some of the early codices of the Septuagint as well as later versions of the Christian Bible. 10 The stories about the martyrs were included in 5. Josippon 14-15 (ed. Flusser 1.68-75) offers a paraphrase of the Maccabean martyrdoms based on a Latin version of 2 Macc. 6:18-7:42, Cohen: Hannah, 51. “The youngest son hopes that God will be merciful again to his people, but the intercessory prayer is absent in his statement.” 6. Cohen: Hannah, 51-54; Cohen: Sanctifying the Name of God, 117-118; Dönitz: Überlieferung, 184-185. 7. Cohen: Sanctifying, 106-29; Shepkaru: Jewish Martyrs, 180-182. 8. References: Cohen, Hannah”, 54-55. 9. Joslyn-Siemiatkoski: Christian Memories of the Maccabean Martyrs. 10. Beckwith: Old Testament Canon, 74; 186; 196; 225; 427 n. 219; 482; 484-485; 493; Hengel: Septuagint, passim; Fabry: Der Beitrag der Septuaginta-Codizes zur Kanonfrage, passim. Con-

259

gtvh 08105 / p. 260 / 31.3.2022

Geschichtsbücher

Christian collections of martyrdoms and calendars of Christian martyrs (martyrologia), in the West as well as the East. The stories were also depicted in art, including reliefs on reliquaries and illustrated manuscripts of the Bible and other writings. 11 The Christian reception of 2 Maccabees 6:18-7:42 starts with the New Testament Letter to the Hebrews, 12 which alludes a few times to the Maccabean martyrdoms in its list of witnesses of trust (πίστις). The author catalogues a series of anonymous models of trust, arguing that his community can find encouragement in them (Hebr 11:32-38). The author discusses heroes known from Scripture who suffered because of their trust and also alludes to the Maccabean martyrs in this context, writing: “Women received their dead [sons] by resurrection. Others were tortured, refusing to accept release, in order to obtain a better resurrection.” (Hebr 11:35). The phrase “Others suffered mocking and flogging …” in Hebrews 11:36 may also allude to the story of 2 Maccabees 7. The first allusion combines the martyrdom of the old scribe Eleazar with that of the mother and her seven sons, paraphrasing both, starting with the mother and focusing upon the resurrection of the martyrs. The second allusion highlights the scourging and mocking of the martyrs. 13 The Martyrdom of Lyon and Vienne, usually dated in 177 ce and transmitted by Eusebius in his History of the Church, may hint at the Maccabean mother as a model for the Christian martyr Blandina. 14 Both women encourage their fellow martyrs to remain steadfast. Blandina dies last, as Hannah does. Both women are presented as exemplary mothers, but in very different ways. Hannah is a hero, because she disregarded her deep maternal love for her sons out of faithfulness to God. 15 She exemplifies Abraham’s attitude, who was willing to sacrifice his own son (4 Macc 15:28; 16:20) and is called a “mother of the nation” (4 Macc 15:29). Blandina functions as a spiritual mother 16 and she may be connected with the symbolism of the Church as a virgin-mother who rejoices in the martyrdoms because they inspire others to confess Jesus Christ. 17 From the end of the second century ce onward explicit references to the Maccabean martyrs are found in Christian literature. Christian authors re-interpret the martyrs as models for Christians in the context of sermons, homilies, and panegyric discourses. The Passion of Montanus and Lucius compares the mother of the martyr Flavianus with the mother of the Maccabean martyrs. 18 Flavianus’ mother is called a “Maccabean mother” (Machabaeica mater) as well as a “daughter of Abraham” (Abra-

11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18.

trary to Second Maccabees, Four Maccabees is not part of the Vetus Latina and the Vulgate, but it is sometimes included in Bible translations. van Henten and Mulders: Hannah and her Seven Sons: II Visual Art, passim. Beckwith: Old Testament Canon, 199; 389; 426-427; 430. Van Henten: The Reception of Daniel 3 and 6, passim. Frend: Martyrdom, 18-19; Guillaumin: Une jeune fille, passim; Saxer: Morts. Martyrs. Reliques, 260; den Boeft and Bremmer: Notiunculae martyrologicae, 115-116. 2 Macc 7:20, 27; 4 Macc 14:11-17:1. Eusebius Caes.: H.e. 5.1.41, GCS 9/1:418. Eusebius Caes.: H.e. 5.1.45-46, GCS 9/1:420; Cf. cf. 4 Macc 18:7; Augustine: Sermo 301.1, PL 38: 1376-1377. The date of the martyrdoms according to tradition is spring 259 ce (Musurillo: Acts, xxxvxxxvi with references).

260

gtvh 08105 / p. 261 / 31.3.2022

Reports about the Maccabean Martyrs in Jewish and Christian Reception

hae filia). 19 These titles construct an analogy between the mothers and focus on their ideal attitude of being prepared to sacrifice a child for a higher cause. The text highlights that the number of sons – the Maccabean mother had seven – did not play a role: “no matter the number of her sons, for in like manner she too [i. e., the mother of Flavian] offered all her love to her Lord in this her only one”. 20 The same motif is found in the conclusion of the Passion of Marian and James, where the mother of Marian rejoices after her son’s martyrdom and compares herself with the Maccabean mother. 21 Origen (ca. 185-254 CE) builds extensively on the Maccabean martyrdoms in his Exhortation to Martyrdom, 22 by quoting and paraphrasing sections from 2 Maccabees 6:18-7:42 23, which he considers to be Scripture. 24 Origen’s father died a martyr’s death when Origen was about seventeen years old (ca. 203 ce), which implied that martyrdom was the ultimate goal of a Christian life for him. He wrote his Exhortation to Martyrdom in Caesarea in 235 ce, during the persecution of Christian leaders by the Roman emperor Maximinus Thrax (235-238 CE). 25 His primary addressees were two local Christian leaders and Origen exhorts them to submit themselves to martyrdom. He propagates a strict view of martyrdom, implying that Christians should refuse to deny Christianity during trial and refuse to swear by the “good fortune” (fortuna) of the emperor at all cost, 26 and thus “bear their cross” like Jesus Christ did. 27 Origen’s elaborate section about the Maccabean Martyrs (Exh. 22-27) emphasizes specific points and omits other issues. 28 He leaves out factual information about the martyrs and omits almost all references to their Jewish identity. A striking reinterpretation of the Maccabean martyrdoms concerns the brutal scalping of one of the seven brothers. Origen associates the scalping of the first brother in an intriguing way with circumcision: “And he [i. e. the first of the seven brothers] endured the scalping in the Scythian way (τὸν περισκυθισμόν; transl. adapted) as others undergo the circumcision appointed by God’s law, believing that even in this way he was fulfilling the in-

19. Pas. Mont. 16.4, Musurillo, 230; Pas. Mont. 16.3, Musurillo 230. 20. Pas. Mont. 16.5: nihil enim interest de numero filiorum, cum perinde et haec in unico pignore totos affectus suos domino manciparit, Musurillo, 230; Trans. Musurillo, 231. 21. Pas. Mar. 13: “When this was all over, Marian’s mother, now sure of her son once his passion was finished, rejoiced like the mother of the Maccabees (Machabaico gaudio), congratulating not only Marian but also herself that she had borne such a son” (trans. Musurillo, 213). 22. GCS 2:1-47; Hartmann: Origène et la théologie du martyre, passim; Bright: Origenian Understanding of Martyrdom, passim. Origen also used Fourth Maccabees: DeSilva: Example, passim; van Henten: Christianization, 340-343. 23. Origen: Exh. Mart. 23-27, GCS 2:20-24. 24. Origen: Exh. Mart. 27, GCS 2:23; similarly: Clement of Alexandria: Strom. 1.21/123.2; 5.14/97.7, GCS 52:77, 390. 25. Eusebius Caes.: H.e. 6.28, GCS 9/2, 582. 26. Origen: Exh. Mart. 6-7, GCS 2:7-8. 27. Origen: Exh. Mart. 12, GCS 2:11. 28. Origen: Exh. Mart. 22-27, GCS 2:19-24; Cf. also the paraphrases of 2 Macc. 7 in Hippolytus of Rome: In Dan. 2.20f; 2.35, SC 14:154-157; 184-187; Cyprian, Ad Fortunatam 11, CC.SL 3:205-210; Déléani: Une typologie du martyre chrétien, passim.

261

gtvh 08105 / p. 262 / 31.3.2022

Geschichtsbücher

tention of the covenant of God.” 29 Scalping was a Scythian punishment for defeated enemies, and the Scythians were famous for their cruelty. 30 Origen’s association of the Scythian way of scalping (περισκυθίζω; also 2 Macc 7:4) with circumcision (περιτομή) may have been triggered by the assumption of some similarity of practice, i. e. the all-round taking away of human skin–note the περί- in both words. However, there may also be a theological motivation for this association. Origen’s passage suggests that there is an analogy between martyrdom and baptism, implying that martyrdom is a second baptism, this time by blood, which would be an entry ritual as the actual circumcision is an entry ritual for Jewish males. 31 Obviously this alternative way of circumcision implies that the actual circumcision is relativized. In Origen’s reinterpretation the martyrs do not sacrifice their lives for the ancestral laws, instead they die for proper worship (εὐσέβεια) 32 and the love of God (τὸ πρὸς θεὸν φίλτρον), 33 both interpreted from a Christian perspective. 34 Origen’s consistent de-Judaization of the Maccabean martyrs was necessary to turn them into proper models for Christian martyrs. Two biblical quotations round off the section concerning the Maccabean martyrs and highlight Jesus Christ’s support of the martyrs. Origen quotes Psalm 117:14 in the Septuagint version: “The Lord is my strength and my song”; the context implies that Jesus is the Lord. Another quotation combines Philippians 4:13 and 1 Timothy 1:12: “I can do all things through Christ Jesus our Lord who strengthens me.” 35 In the context of the Exhortation the quotations focus upon Jesus Christ as the one who supports and strengthens the Maccabean martyrs in their situation of extreme suffering. From the second half of the fourth century ce onward panegyrical discourses have been transmitted, which are interconnected with festivities for the martyrs that were part of a martyr cult, which seems to have originated in the second half of the fourth century in Antioch, the former capital of the Seleucid Empire. Several Christian writings assume that the Maccabean martyrs were tortured to death in Antioch. 36 Unfortunately, there is no material evidence for a cult of the Maccabean martyrs in Antioch. 37 The epitaph for the Maccabean martyrs quoted in 4 Maccabees 17:8-10 is fictitious. 38 The Antiochene origin of the cult may derive from a literal reading of 29. 30. 31. 32.

33. 34. 35. 36. 37. 38.

Origen: Exh. Mart. 23, GCS 2:21. Herodotus 4.64-65. See also 2 Macc 4:47. Oulton / Chadwick: Alexandrian Christianity, 408 n. 13. Origen: Exh. 22-23; 25; 27; 29, 42, 47, GCS 2:19-20, 22, 23, 26, 39, 43. See already Exh. 5, GCS 2:6. Eusebeia is a central virtue in Fourth Maccabees, Metcalfe: Origen’s Exhortation, 268-69; DeSilva: Example, 345. Origen: Exh. 27, GCS 2:23; cf. Exh. 2-3; 7; 10-11; 25; 37-8, GCS 2:3, 4, 9, 10-11, 22, 34-36; den Boeft and J. N. Bremmer: Notiunculae, 121 n 33; Ziadé: Les martyrs Maccabées, 98-99. Cf. Origen: Exh. 5, 12, 18, 29, GCS 2:6, 11-12, 16-18, 25. For the motif of Jesus Christ supporting martyrs, see also Eusebius: Hist. eccl. 5.1.22-24, 27-28, 56, GCS 9/1:410, 412, 424. Cf. Pas. Perp. 4.6; Origen: Exh. 4, GCS 2:5-6. E. g. John Malalas: Chronographia 8, PG 97:321, 324. Rutgers: Importance of Scripture, 289-291, 298-303; Triebel: Synagoge, 471. van Henten: A Jewish Epitaph in a Literary Text, passim; Triebel: Synagoge, 471-472. Differently: Dupont-Sommer: Le quatrième livre des Maccabées, 67-68; Nodet: La Dédicace, 326 n. 11; Ziadé: Les martyrs Maccabées, 55. See also Knust: ‘Who Were the Maccabees?’.

262

gtvh 08105 / p. 263 / 31.3.2022

Reports about the Maccabean Martyrs in Jewish and Christian Reception

2 Maccabees 5-7: chapter 7 presupposes that King Antiochus IV was present during the martyrdom, while 2 Macc. 5:21 reports that he had returned to Antioch, which implies that Antioch was the setting of the martyrdom. 39 Several scholars argue that the Christian cult for the Maccabean martyrs at Antioch was the follow-up of a local Jewish cult at or near a synagogue in Antioch or the nearby town of Daphne, which might be connected with the festival of Hanukkah. 40 The relevant sources for this reading include the sixth century chronicler John Malalas and an eleventh century Judea-Arabic chronicle by Nissim Ibn Shahin, which are relatively late. More importantly, the veneration of bodily remains goes against Jewish purity laws. Therefore it is more probable that Christians have founded the cult of the Maccabean martyrs. 41 The Martyrologium of Edessa (411-412 ce) refers to the Christian celebration of a festival in commemoration of the death of the mother and her sons on August 1 in Antioch and it also mentions that the martyrs (“the sons of Shamuni”) were buried in the district of the Kerateion in Antioch. 42 Raphaëlle Ziadé argues that the Greek original of this Syriac martyrologium dates from 362, which implies that Christians celebrated the “birthday” of the martyrs in the east in about the same period when the Church Fathers John Chrysostom and Gregory of Nazianzen composed writings devoted to them. Discourse 15 (PG 35:912-933) by Gregory of Nazianzen (bishop of Nazianzen, Cappadocia, born in 329/330) was in Ziadé’s view composed for the celebration of this festival on August 1 in 362 ce at Nazianzen. 43 A few decades later the Councils of Hippo and Carthage (393 and 397 ce) allowed for the liturgical reading of martyrdoms at the occasion of the celebration of the day of the martyrs’ death. The Antiochene priest John Chrysostom (born between 344 and 354, archbishop of Constantinople from 398 CE onward) wrote two Homilies on the Maccabees between 386 and 397 CE and another Homily on Eleazar and the seven infants in circa 398 ce. 44 The beginning of John Chrysostom’s first Homily on the Maccabees opens with an ode to the bones of the martyrs, which renders it plausible that it was presented at the

39. Van Henten: Maccabean Martyrs, 79-80. 40. E. g. Rampolla da Tindaro: Del luogo del martirio, passim; Martyre et sépulture des Machabées, passim; Bickerman: The Maccabees of Malalas, 473-80; Bammel: Zum jüdischen Märtyrerkult, passim; Jeremias: Heiligengräber, 18-23; Schatkin: The Maccabean Martyrs, passim; Nodet: La Dédicace, 374; Vinson: Gregory of Nazianzen’s Homily 15, 183-184; Ziadé: Les martyrs Maccabées, 55-65. Further references: Triebel: Synagoge, 488-491. John Malalas: Chronographia 8 (PG 97 321:324) reports that the martyrs were buried in Antioch’s district of the Kerateion and adds that there was a synagogue at this place. 41. With Rutgers: Importance of Scripture, 290-291; 298-300; Triebel: Synagoge; Rutgers: Making Myths, 19-48; Rouwhorst: The Cult of the Seven Maccabean Brothers, 184-193. 42. Nau: Un martyrologe et douze ménologes syriaques, no. 19 lines 6-7. Cf. John Chrysostom: Hom. 1, PG 50:617; Augustin: Sermo 300. For the history of the cult of the Maccabean martyrs, see Rouwhorst: “Cult”; Rouwhorst: Emergence, passim; Berger: The Cult of the Maccabees in the Eastern Orthodox Church, passim. 43. Gregorius Naz., Or. 15,1, PG 35:912a; cf. Ziadé: Les martyrs Maccabées, 136-154. See also Vinson: Gregory of Nazianzen’s Homily 15. 44. PG 50:616-626; PG 63.523-530. A third Homily on the Maccabees by John Chrysostom, PG 50:625-628, is probably inauthentic. See also Severus of Antioch’s Homily on the Maccabees (Hom. 52, early 6th century), Duval: Les Homiliae Cathedrales, col. 7-23.

263

gtvh 08105 / p. 264 / 31.3.2022

Geschichtsbücher

martyrs’ tomb in Antioch, possibly at the Church of the Maccabees in the Kerateion, mentioned in the Martyrologium of Edessa. The remaining part of the homily focuses on the mother of the seven brothers (below). The second homily concerns the youngest of the seven sons and praises his exceptional courage, which is presented as a model to the audience. Both homilies were probably delivered on August 1 and 2 respectively. 45 Building on 4 Maccabees (4 Macc. 14:11-15:32), John embellishes the martyrdom of the mother by expanding the motif of maternal love that is already prominent in 4 Maccabees. 46 4 Maccabees compares the mother with birds and bees who protect their young from intruders (14:14-20) 47 and praises her extensively because she fully controlled her motherly feelings for her children for the higher cause of the Jewish laws and religion. John Chrysostom further elaborates this motif and presents the mother’s martyrdom as a triumph of spiritual fire over actual fire (Homily 2). 48 The mother presents her sons as a second delivery to God, which allows them access into a world that concerns “real life”. The epilogue of Gregory’s Discourse 15 presents the martyrdom of the mother and her sons as the accomplishment of the mother’s motherhood, which leads up to the educational exhortation at the end: the imitation of the seven brothers’ sacrifice for Christ. 49 Greek and Latin Bible manuscripts often include illustrations of the martyrs, sometimes in connection with the beginning of Ps. 79 (Vg. 78). 50 A historiated initial depicting the scene of the execution of the martyrs in front of a city can be found in the Stuttgart Psalter, which originated in Saint-Germain-des-Prés (Paris) and dates from ca. 820/830. 51 The initial preludes Ps. 79:2-3 (“They have given the bodies of your servants to the birds of the air for food, the flesh of your faithful [LXX and Vg. “holy ones”] to the wild animals of the earth”). The association of the martyrdom of the mother and her sons with Ps. 79 developed into an established tradition. The Hamilton Psalter, from the Byzantine Cypriot School (late 13th- early 14th c.), also depicts the martyrdom next to the first three verses of Ps. 78 (Vg.). 52 King Antiochus IV is seated on a cushioned bench with a footstool. He wears a crown and commands the execution of the martyrs; one is kneeling and going to be beheaded with the sword, while the sons who were already decapitated are depicted to the right. The story of 2 Maccabees 7 is illustrated in a Bible commissioned by Stephen Harding, abbot of Cîteaux, which dates from 1109-1111. 53 The text opens with a historiated initial that depicts Antiochus IV, wearing headgear and sitting on a folding stool, while three executioners are

Rouwhorst: Emergence, 87. Cf. Origen: Exh. 27, GCS 2:23-24. Cf. Gregory of Nazianzen: Discourse 15,8, PG 35:925a-b,14-21. PG 50:625.32-46. PG 35:929.20-21; 932.36-39. See also Augustine: Sermo 300.7, PL 38; 301.1. Hirner: Der Makkabäerschrein, 57-67. De Wald: The Stuttgart Psalter; Burkhart: Kunsthistorische Einführung. Berlin, Kupferstichkabinett MS 78.A.9, fol. 154r. Augustyn: Der Lateinische Hamilton-Psalter; Havice: Marginal Miniatures, passim. 53. Dijon, Bibliothèque Municipale MS 12-15, MS 14, fol. 191r. Sheppard: Romanesque Display Bibles, 401-402. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52.

264

gtvh 08105 / p. 265 / 31.3.2022

Reports about the Maccabean Martyrs in Jewish and Christian Reception

mutilating the seven sons in several ways; the mother exhorts her youngest son, whose hands are bound. 54 The Christian reception of the Maccabean martyrdoms reflects a particular way of the Christian negotiation of its relationship with Judaism. It shows how Christians asserted their own identity by finding a source of inspiration and legitimation in martyrdom traditions that have a Jewish pre-Christian origin. They simply turned the Maccabean martyrs into Christian heroes and erased most if not all traces of their Jewish origin, as passages by Origen and John Chrysostom show. It is remarkable that John Chrysostom not even mentions the martyrs in his famous eight homilies against Judaizers in the Antiochene community. One of the few authors who reflect upon the Jewish identity of the martyrs is Augustine. In one of his sermons about the Maccabean martyrs 55 Augustine notes that the martyrdoms occurred before the passion of Jesus Christ and that they belonged to “that first people, which produced the prophets who foretold these present realities”. 56 It is significant that Augustine does not use the name “Jews” here, which he explains a few lines further: God’s people before the coming of Christ was Christian too. The Maccabean martyrs suffered for the Law of Moses by way of anticipation of the later martyrs, who suffered for the name of Christ. 57 To a hypothetical Jewish opponent who points out that the Maccabean martyrs cannot be martyrs of the Christian people because they died for the Law, Augustine responds that this person has to convert to Christianity because only then will be the Old Testament unveiled by the New Testament and will it be clear that the martyrs confessed Christ in a concealed way. 58 This implies that even Augustine, who is aware of the Jewish origin and pre-Christian context of the martyrdoms, re-interprets the martyrs in a Christian framework of anticipation or prefiguration of Christian martyrdom because of ultimate faithfulness to the name of Jesus Christ.

54. Other examples can be found in the St. Gumbertus Bible (end of the 12th c., Erlangen UB MS 121, fol. 310) and the Ripoll Bible (ca. 1015-1020, BAV MS Vat lat. 5729, fol. 352). The beginning of the Book of Second Maccabees in an early 14th century Bible (now in New York, Pierpont Morgan Library MS M. 215, fol. 358v) has a historiated initial showing the portraits of the seven brothers. 55. Augustine’s Sermons 300 (date unclear) and 301 (dated in 417 ce, Kunzelmann: zeitliche Festlegung, 11; 54) are devoted to the Maccabean martyrs (PL 38:1376-1385; English translation in Hill: Works of St. Augustine Vol. III/8). Sermon 300.1, PL 38:1376-1377 and Sermon 301A.7, PL 38:1383, also refer to the commemoration of the Maccabean martyrs on August 1. In Sermo 301.2, PL 38:1381 and a newly discovered sermon Augustine compares the Maccabean martyrs with Daniel’s three companions, see Brown-Tkacz: The Seven Maccabees, passim. 56. Augustine: Sermo 300.1, PL 38:1376-1377. Cf. Gregory of Nazianzen, Or. 15.1, PG 35:912a; Rutgers: Importance of Scripture, 295-296. 57. Augustine: Sermon 300.1-2, PL 38:1377. 58. Augustine: Sermon 300.3, 5-6, PL 38:1377-1378, 1379.

265

gtvh 08105 / p. 266 / 31.3.2022

2.2.3 Psalmen und Weisheitsliteratur 2.2.3.1 Psalmen Ralph Brucker Literatur Textausgabe Psalmi cum Odis, ed. Alfred Rahlfs (Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum, Auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis editum, Vol. X), Göttingen 1931 (= 31979).

Altkirchliche Kommentare Griechisch Apollinaris Laodic.: Fragmenta in Psalmos, ed. Ekkehard Mühlenberg, Psalmenkommentare aus der Katenenüberlieferung, Bd. 1, PTS 15, Berlin / New York 1975 – Asterios Antioch.: Asterii sophistae commentariorum in Psalmos quae supersunt, ed. Marcel Richard, SO.S 16, Oslo 1956 (Übersetzung: Wolfram Kinzig: Asterius, Psalmenhomilien, BGL 56/57, Stuttgart 2002) – Athanasius: Epistola ad Marcellinum in: interpretationem Psalmorum, PG 27, 11-46 (Übersetzungen: Hermann Josef Sieben: Brief an Marcellinus, in: ders.: Ausgestreckt nach dem, was vor mir ist. Geistliche Texte von Origenes bis Johannes Climacus, Sophia 30, Trier 1998, 143-179 – Everett Ferguson: Athanasius’ ›Epistola ad Marcellinum in interpretationem Psalmorum‹, EkklPh 60, 1978, 378-403 – Robert C. Gregg: Athanasius: The Life of Antony and the Letter to Marcellinus, Classics of Western Spirituality, New York 1980) – Athanasius: Expositiones in Psalmos, PG 27, 60-545. 548-589 (Syrische [+ englische] Übersetzung: Athanasiana Syriaca 4: Expositio in Psalmos, ed. Robert W. Thomson, CSCO 386/387, Leuven 1977) – Basilius Caes.: Homiliae super Psalmos, PG 29, 209-494 – Didymos Alex.: Fragmenta in Psalmos, ed. Ekkehard Mühlenberg, Psalmenkommentare aus der Katenenüberlieferung, PTS 15/16, 1975/1977 – Didymos Alex.: Psalmenkommentar (Tura-Papyrus), ed. Michael Gronewald, PTA 4-8, Bonn 1968-1970; Nachträge: Michael Gronewald: Didymos der Blinde, Psalmenkommentar (Nachtrag der Seiten 248/49 des Tura-Papyrus), ZPE 46 (1982), 98-110 (Kommentar zu Ps 36,1519) – Thomas W. MacKay: Didymos the Blind on Psalm 28 (LXX). Text from Unpublished Leaves of the Tura Commentary, StPatr 20 (1989), 40-49 – Didymos Alex.: Didymus the Blind’s Commentary on Psalms 26:10-29:2 and 36:1-3, ed. Lincoln H. Blumell, P.BYU 1, Turnhout 2019 (Übersetzungen: Emanuela Prinzivalli: Didimo il Cieco, Lezioni sui Salmi. Il Commento ai Salmi scoperto a Tura, LCPM 37, Mailand 2005; Albert-Kees Geljon: Didymos the Blind: Commentary on Psalm 24 (23 LXX), VigChr 65 (2011), 50-73) – Diodorus Tars.: Commentarii in Psalmos, I: Commentarii in Psalmos I-L, ed. Jean-Marie Olivier, CC.SG 6, Turnhout 1980 (Übersetzung: Robert Charles Hill: Diodore of Tarsus, Commentary on Psalms 1-51, SBL. WGRW 9, Atlanta/GA 2005) – Eusebius Caes.: Commentaria in Psalmos, PG 23, 66-1396; PG 24, 9-76 (Übersetzung: Maria Benedetta Artioli: Eusebio di Cesarea, Commento ai Salmi, CTePa 176/177, Rom 2004) – Eustathios Antioch.: Oratio in inscriptione psalmorum graduum (Frg.); Commentarius in Psalmum 92 (Frg.); Commentarius in Psalmum 15 (Frg.), in: Michel Spanneut: Recherches sur les écrits d’Eustathe d’Antioche avec une édition nouvelle des fragments dogmatiques et exégétiques, Lille 1948 – Gregorius Nyss.: In inscriptiones Psalmorum, ed. James McDonough: GNO 5, Leiden 1962, 24-175 (Übersetzungen: Jean Reynard: Grégoire de Nysse, Sur les titres des psaumes, SC 466, Paris 2002; Ronald E. Heine: Gregory of Nyssa’s

266

gtvh 08105 / p. 267 / 31.3.2022

Psalmen

Treatise on the Inscriptions of the Psalms, Oxford 1995; Casimir McCambley: Gregory of Nyssa, Commentary on the Inscriptions of the Psalms, Brookline/MA 1995) – Gregorius Nyss.: In sextum Psalmum, ed. James McDonough, GNO 5, Leiden 1962, 187-193 – Hesychius Hieros., Fragmenta in Psalmos, PG 93, 1179-1340 – Hippolytus Rom.: Fragmenta in Psalmos, ed. Hans Achelis, Hippolyt’s kleinere exegetische und homiletische Schriften, GCS 1,2, Leipzig 1897 – Pierre Nautin: Le dossier d’Hippolyte et de Méliton dans les florilèges dogmatiques et chez les historiens modernes, Patr. 1 (1953), 167-183 – Johannes Chrysostomos: Expositiones in Psalmos, PG 55, 39-498 (Übersetzung: Robert Charles Hill: St. John Chrysostom, Commentary on the Psalms, Brookline/MA 1998) – Cyrillus Alex.: Expositio in Psalmos, PG 69, 717-1273 – Origenes: Fragmenta in Psalmos 1-150, ed. Jean-Baptiste Pitra, Analecta sacra spicilegio Solesmensi parata, Bd. 2, Paris 1884 (repr. Farnborough 1966), 444-483; Bd. 3, Venedig 1883, 1-236, 242-245, 248-364 – [Origenes: Psalmenhomilien:] Origène: Homélies sur les Psaumes 36 à 38, ed. Emanuela Prinzivalli, Übersetzung v. Henri Crouzel / Luc Brésard, SC 411, Paris 1995 – [Origenes: In Psalmos:] Origenes: Die neuen Psalmenhomilien. Eine kritische Edition des Codex Monacensis Graecus 314, ed. Lorenzo Perrone u. a., GCS.NF 19, Berlin 2015 – Theodor Mopsuest.: Le Commentaire sur les Psaumes (I-LXXX), ed. Robert Devreesse, StT 93, Rom 1939; Lat. Übersetzung: Expositionis in Psalmos Iuliano Aeclanensi interprete in Latinum versae quae supersunt, ed. Lucas de Coninck, CC.SL 88A, Turnhout 1977 (Übersetzung: Robert Charles Hill: Theodore of Mopsuestia, Commentary on Psalms 1-81, SBL.WGRW 5, Atlanta/GA 2006) – Theodoret: Interpretatio in Psalmos, PG 80, 857-1997 (Übersetzung: Robert Charles Hill: Theodoret of Cyrus, Commentary on the Psalms, FaCh 101/102, Washington/ D.C. 2000/2001).

Lateinisch Ambrosius: Explanatio super Psalmos XII, ed. Michael Petschenig / Michaela Zelzer, CSEL 64, 1919/1999 – Ambrosius: Expositio de Psalmo CXVIII, ed. Michael Petschenig / Michaela Zelzer, CSEL 62, 1913/1999 – Arnobius: Commentarii in Psalmos, ed. Klaus-Detlef Daur, CC.SL 25, Turnhout 1990 – Augustinus: Enarrationes in Psalmos, ed. Eligius Dekkers / Jean Fraipont, CC.SL 38/39, Turnhout 1956; Enarrationes in Psalmos 1-50, ed. Clemens Weidmann, CSEL 93, 2003 ff.; Enarrationes in Psalmos 51-100, ed. Hildegund Müller / Adolf Primmer, CSEL 94, 2004 ff.; Enarrationes in Psalmos 101-150, ed. Francesco Gori, CSEL 95, 2001 ff. (Übersetzungen: Hugo Weber: Die Auslegungen der Psalmen. Christus und sein mystischer Leib [Auswahl], Paderborn 1955; Hugo Weber: Die Auslegungen der Psalmen, Lfg. 1: Ps 117, Deutsche Augustinus-Ausgabe, Paderborn 1964; John E. Rotelle / Maria Boulding: St. Augustine, Expositions of the Psalms, The Works of Saint Augustine. A Translation for the 21st Century, III/15-20, 6 Bde., Hyde Park/NY, 2000-2004) – Cassiodorus: Expositio Psalmorum, ed. Marcus Adriaen, CC.SL 97/98, Turnhout 1958 (Übersetzung: Patrick G. Walsh: Cassiodorus, Explanation of the Psalms, ACW 51-53, Mahwah/NJ 1990-1991) – Hieronymus: Commentarioli in Psalmos, ed. Germain Morin, CC.SL 72, Turnhout 1959 (Übersetzung: Siegfried Risse: Hieronymus, Commentarioli in Psalmos / Anmerkungen zum Psalter, FC 79, Turnhout 2005) – Hilarius Pict.: Tractatus super Psalmos, ed. Jean Doignon, CC.SL 61/61A, Turnhout 1997/2002 (Übersetzungen: Marc Milhau: Hilaire de Poitiers, Commentaire sur le Psaume 118, SC 344/ 347, Paris 1988; Patrick Descourtieux: Hilaire de Poitiers, Commentaires sur les Psaumes, Bd. I, SC 515, Paris 2008) – Prosper Aquit.: Expositio Psalmorum (100-150), ed. Piet Callens / M. Gastaldo, CC.SL 68A, Turnhout 1972.

Sammlungen Ancient Christian Commentary on Scripture, Old Testament, Vol. 7: Psalms 1-50, ed. Craig A. Blaising / Carmen S. Hardin, Downers Grove/IL 2008, Vol. 8: Psalms 51-150, ed. Quentin F. Wesselschmidt, Downers Grove/IL 2007 – La Chaîne Palestinienne sur le Psaume 118 (Origène, Eusèbe, Didyme, Apollinaire, Athanase, Théodoret), ed. et trad. Marguerite Harl / Gilles

267

gtvh 08105 / p. 268 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

Dorival, SC 189/190, Paris 1972 – Reemts, Christiana: Schriftauslegung. Die Psalmen bei den Kirchenvätern, NSK.AT 33/6, Stuttgart 2002.

Sonstige antike Literatur

Acta Pauli: Πράξεις Παύλου / Acta Pauli, nach dem Papyrus der Hamburger Staats- und Universitäts-Bibliothek, ed. Carl Schmidt unter Mitarbeit v. Wilhelm Schubart, Glückstadt / Hamburg 1936 – Cicero: Tusculanae disputationes, ed. Max Pohlenz, Leipzig 1918 – Clemens Alex.: Paedagogus, in: Clemens Alexandrinus, Bd. 1, ed. Otto Stählin, GCS 15, Leipzig 1905 – Cyprian: Epistola ad Donatum, ed. Manlio Simonetti, in: Cyprianus: Opera, Bd. 2, ed. Manlio Simonetti/Claudio Moreschini, CC.SL 3A, Turnhout 1976 – Didascalia: Didascalia et Constitutiones Apostolorum, ed. Franz Xaver Funk, 2 Bde., Paderborn 1905 (Syrisch: Die syrische Didaskalia, übs. u. erkl. v. Hans Achelis u. Johannes Flemming, TU 10/2, Leipzig 1904) – Eusebius Caes.: Historia ecclesiastica / Kirchengeschichte, ed. Eduard Schwarz, GCS 9/1-2, 2 Bde., Leipzig 1903-1909 – [Ps.-]Hippolyt: Traditio Apostolica, in: Didache / Zwölf-ApostelLehre – Traditio Apostolica / Apostolische Überlieferung, hg. u. übs. v. Wilhelm Geerlings, FC 1, Freiburg u. a. 1991 – Josephus: Opera, ed. Benedikt Niese, 7 Bde., Berlin 1885-1895 – Justinus Martyr: Apologia – Appendix – Dialogus, in: Die ältesten Apologeten, ed. Edgar J. Goodspeed, Göttingen 1914 (= 1984) – Philon von Alexandria: Opera quae supersunt, edd. Leopold Cohn/Paul Wendland/Siegfried Reiter, 7 Bde., Berlin 1896-1930 – Seneca: Epistulae morales ad Lucilium [ed. François Préchac], in: Seneca: Philosophische Schriften, hg. u. übs. v. Manfred Rosenbach, durchges. Sonderausg., 5 Bde., Darmstadt 1995, Bd. 3-4 – Synode von Laodicea (Concilium Laodicenum), Canon 59, in: Acta et symbola conciliorum quae saeculo quarto habita sunt, ed. Engbert Jan Jonkers, Textus Minores 19, Leiden 1954, 21974 – Tertullian: Adversus Iudaeos / Gegen die Juden [ed. Hermann Tränkle], hg. u. übs. v. Regina Hauses, FC 75, Turnhout 2007 – Tertullian: Adversus Marcionem, hg. u. übs. v. René Braun/Claudio Moreschini, SC 365, 368, 399, 456, 483, 5 Bde., Paris 1990-2004 – Tertullian: Apologeticum / Verteidigung des Christentums, hg. u. übs. v. Carl Becker, München 1952 – Tertullian: De anima, hg. u. komm. v. Jan Hendrik Waszink, SVigChr 100, Leiden/Boston 2010 [zuerst 1947] – Tertullian: De carne Christi, hg. u. übs. v. Jean-Pierre Mahé, SC 216, Paris 1975.

Weitere Literatur Abel, Félix-Marie: Les livres des Maccabées, ÉtB, Paris 1949 – Bader, Günter: Psalterspiel. Skizze einer Theologie des Psalters, HUTh 54, Tübingen 2009 – Bauckham, Richard: Jude, 2 Peter, WBC 50, Waco/TX 1983 – Biblia Patristica, Supplément: Philon d’Alexandrie, Paris 1982 – Böhm, Christiane: Die Rezeption der Psalmen in den Qumranschriften, bei Philo von Alexandrien und im Corpus Paulinum, WUNT II 437, Tübingen 2017 – Brinktrine, Johannes: »Dominus regnavit a ligno«, BZ.NF 10 (1966), 105-107 – Brucker, Ralph: ›Christushymnen‹ oder ›epideiktische Passagen‹ ? Studien zum Stilwechsel im Neuen Testament und seiner Umwelt, FRLANT 176, Göttingen 1997 – Brucker, Ralph: La Wirkungsgeschichte de la Septante des Psaumes dans le judaïsme ancien et dans le christianisme primitif, in: Jan Joosten / Philippe Le Moigne (ed.), L’apport de la Septante aux études sur l’Antiquité, LeDiv 203, Paris 2005, 289-308 – Brucker, Ralph: Observations on the Wirkungsgeschichte of the Septuagint-Psalms in Ancient Judaism and Early Christianity, in: Wolfgang Kraus / R. Glenn Wooden (ed.), Septuagint Research. Issues and Challenges in the Study of the Greek Jewish Scriptures, SCS 53, Atlanta 2006, 355-369 – Brucker, Ralph: Textgeschichtliche Probleme des Septuaginta-Psalters, in: Siegfried Kreuzer / Martin Meiser / Marcus Sigismund (ed.), Die Septuaginta – Entstehung, Sprache, Geschichte, WUNT 286, Tübingen 2012, 79-97 – Brucker, Ralph: »Wer ist der König der Herrlichkeit?« Psalm 23[24] – Text, Wirkung, Rezeption, in: Wolfgang Kraus / Siegfried Kreuzer (ed.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 405-429 – Brucker, Ralph: Zum ›Sitz im Leben‹ des Septuaginta-Psalters, in: Siegfried Kreu-

268

gtvh 08105 / p. 269 / 31.3.2022

Psalmen

zer / Martin Meiser / Marcus Sigismund (ed.), Die Septuaginta – Orte und Intentionen, WUNT 361, Tübingen 2016, 564-579 – Brucker, Ralph: Berauscht von Gott. Ps 22,5LXX im Licht von Eph 5,18 und verwandten Texten, in: Martin Meiser u. a. (ed.), Die Septuaginta – Geschichte, Wirkung, Relevanz, WUNT 405, Tübingen 2018, 757-776 – Büttner, Frank Olaf (ed.): The Illuminated Psalter. Studies in the Content, Purpose and Placement of its Images, Turnhout 2004 – Burkhardt, Helmut: Die Inspiration heiliger Schriften bei Philo von Alexandrien, Gießen / Basel 1988 (= 21992) – Daly-Denton, Margaret: David in the Fourth Gospel. The Johannine Reception of the Psalms, AGJU 47, Leiden / Boston / Köln 2000 – Deichgräber, Reinhard: Gotteshymnus und Christushymnus in der frühen Christenheit, StUNT 5, Göttingen 1967 – Delling, Gerhard: Zum gottesdienstlichen Stil der Johannesapokalypse, NT 3 (1959), 107-137 [wiederabgedruckt in: ders., Studien zum Neuen Testament und zum hellenistischen Judentum, Göttingen 1970, 425-450] – Derrett, J. Duncan M.: Ὁ κύριος ἐβασίλευσεν ἀπὸ τοῦ ξύλου, VC 43 (1989), 378-392 – Dommershausen, Werner: 1 Makkabäer / 2 Makkabäer, NEB.AT 12, Würzburg 1985 – Dorival, Gilles: Autour des titres des Psaumes, RevSR 73 (1999), 165-176 – Dufrenne, Suzy: L’illustration des psautiers grecs du Moyen-âge, I: Pantocrator 61, Paris Grec 20, British Museum 40731, Bibliothèque des Cahiers Archéologiques 1, Paris 1966 – Egan, Patrick T.: Did Peter Change Scripture? The Manuscript Tradition of Greek Psalms 33-34 and 1Peter 3:10-12, in: Siegfried Kreuzer / Martin Meiser / Marcus Sigismund (ed.), Die Septuaginta – Entstehung, Sprache, Geschichte, WUNT 286, Tübingen 2012, 505-528 – Enns, Peter: Creation and Re-Creation: Psalm 95 and its Interpretation in Hebrews 3:1-4:13, WTJ 55 (1993), 255-280 – Felle, Antonio Enrico: Expressions of Hope Quoted from Biblical Texts in Christian Funerary Inscriptions (3rd-7th cent. C.E.), in: Wolfgang Kraus / Siegfried Kreuzer (ed.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 775-824 – Füglister, Notker: Die Verwendung und das Verständnis der Psalmen und des Psalters um die Zeitenwende, in: Josef Schreiner (ed.), Beiträge zur Psalmenforschung. Psalm 2 und 22, fzb 60, Würzburg 1988, 319-384 – Füglister, Notker: Die Verwendung des Psalters zur Zeit Jesu: Der Psalter als Lehr- und Lebensbuch, BiKi 47 (1992), 201-208 – Grimm, Carl Ludwig Wilibald: Das erste Buch der Maccabäer, Kurzgefasstes exegetisches Handbuch zu den Apokryphen des Alten Testamentes 3, Leipzig 1853 – Harmon, Alan M.: Aspects of Paul’s Use of the Psalms, WThJ 32 (1969), 1-23 – Hofius, Otfried: Der Psalter als Zeuge des Evangeliums. Die Verwendung der Septuaginta-Psalmen in den ersten beiden Hauptteilen des Römerbriefes, in: ders., Paulusstudien II, WUNT 143, Tübingen 2002, 38-57 [zuerst 1997] – Hommel, Hildebrecht: Ciceros Gebetshymnus an die Philosophie (Tusculanen V 5). SHAW.PH 1968/3, Heidelberg 1968 – Human, Dirk J. / Steyn, Gert J. (ed.), Psalms and Hebrews. Studies in Reception, LHB.OTS 527, London / New York 2010 – Jörns, Klaus-Peter: Das hymnische Evangelium. Untersuchungen zu Aufbau, Funktion und Herkunft der hymnischen Stücke in der Johannesoffenbarung, StNT 5, Gütersloh 1971 – Kautzsch, Emil: Das erste Buch der Makkabäer, APAT 1, 1900, 24-81 – Karrer, Martin / Sigismund, Marcus / Schmid, Ulrich: Textgeschichtliche Beobachtungen zu den Zusätzen in den Septuaginta-Psalmen, in: Wolfgang Kraus / Martin Karrer (ed.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 140161 – Keck, Leander E.: The Function of Rom 3:10-18: Observations and Suggestions, in: Jacob Jervell / Wayne A. Meeks (ed.), God’s Christ and His People, FS Nils Alstrup Dahl, Oslo 1977, 141-157 – Kistemaker, Simon: The Psalm Citations in the Epistle to the Hebrews, Amsterdam 1961 (= Eugene/OR 2010) – Koch, Dietrich-Alex: Die Schrift als Zeuge des Evangeliums. Untersuchungen zur Verwendung und zum Verständnis der Schrift bei Paulus, BHTh 69, Tübingen 1986 – Kooij, Arie van der: On the Place of Origin of the Old Greek of Psalms, VT 33 (1983), 6774 – Kooij, Arie van der: The Septuagint of Psalms and the First Book of Maccabees, in: Robert J. V. Hiebert / Claude E. Cox / Peter J. Gentry (ed.), The Old Greek Psalter. Studies in Honour of Albert Pietersma, JSOT.S 332, Sheffield 2001, 229-247 – Kraft, Robert Alan: Christian Transmission of Greek Jewish Scriptures: A Methodological Probe, in: ders., Exploring the Scripturesque. Jewish Texts and Their Christian Contexts, JSJ.S 137, Leiden / Boston 2009, 61-82

269

gtvh 08105 / p. 270 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

[zuerst in: André Benoit u. a. (ed.), Paganisme, Judaïsme, Christianisme. Influences et affrontements dans le monde antique (FS Marcel Simon), Paris 1978, 207-226] – Kraus, Thomas J.: »Außertextliche« Rezeption von LXX-Psalm 90 – »Lebensgeschichte« und Lebendigkeit eines Psalms, in: Wolfgang Kraus / Siegfried Kreuzer (ed.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 825-838 – Kugel, James L.: The Idea of Biblical Poetry: Parallelism and its History, New Haven / London 1981 – Leonhardt-Balzer, Jutta: Philo und die Septuaginta, in: Wolfgang Kraus / Martin Karrer (ed.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 623-637 – Lohfink, Norbert: Psalmen im Neuen Testament. Die Lieder in der Kindheitsgeschichte bei Lukas, in: Klaus Seybold / Erich Zenger (ed.), Neue Wege der Psalmenforschung, HBS 1, Freiburg u. a. 1994 (= 21995), 105-125 – Löning, Karl: Die Funktion des Psalters im Neuen Testament, in: Erich Zenger (ed.), Der Psalter in Judentum und Christentum, HBS 18, Freiburg u. a. 1998, 269-295 – Maier, Johann: Zur Verwendung der Psalmen in der synagogalen Liturgie (Wochentag und Sabbat), in: Hans J. Becker / Reiner Kaczynski (ed.), Liturgie und Dichtung. Ein interdisziplinäres Kompendium, Bd. 1, Pietas Liturgica 1, St. Ottilien 1983, 55-90 – Menken, Maarten J. J.: Old Testament Quotations in the Fourth Gospel. Studies in Textual Form, CBET 15, Kampen 1996 – Moyise, Steve / Menken, Maarten J. J. (ed.): The Psalms in the New Testament, London / New York 2004 – Müller, Paul-Gerhard: Die Funktion der Psalmzitate im Hebräerbrief, in: Ernst Haag / Frank-Lothar Hossfeld (ed.), Freude an der Weisung des Herrn. Beiträge zur Theologie der Psalmen (FS Heinrich Groß), SBB 13, Stuttgart [1986] 21987, 223-242 – Pietersma, Albert: The Present State of the Critical Text of the Greek Psalter, in: Anneli Aejmelaeus / Udo Quast (ed.), Der Septuaginta-Psalter und seine Tochterübersetzungen, MSU 24, Göttingen 2000, 12-32 – Pietersma, Albert: Exegesis and Liturgy in the Superscriptions of the Greek Psalter, in: Bernard A. Taylor (ed.), X Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Oslo, 1998, SCS 51, Atlanta 2001, 99-138 – Rascher, Angela: Schriftauslegung und Christologie im Hebräerbrief, BZNW 153, Berlin / New York 2007 – Rebiger, Bill: Die magische Verwendung von Psalmen im Judentum, in: Erich Zenger (ed.), Ritual und Poesie. Formen und Orte religiöser Dichtung im Alten Orient, im Judentum und im Christentum, HBS 36, Freiburg u. a. 2003, 265-281 – Rose, Martin: »Wie denn geschrieben steht: Da ist nicht, der rechtfertig sei, auch nicht einer« (Römer 3,10). Ein Alttestamentler sieht Paulus auf die Finger, WuD 28 (2005), 345-359 – Rösel, Martin: Die Psalmüberschriften des Septuaginta-Psalters, in: Erich Zenger (ed.), Der Septuaginta-Psalter. Sprachliche und theologische Aspekte, HBS 32, Freiburg u. a. 2001, 125-148 – Runia, David T.: Philo’s Reading of the Psalms, SPhA 13 (2001), 102-121 – Rusam, Dietrich: Das Alte Testament bei Lukas, BZNW 112, Berlin / New York 2003 – Rüsen-Weinhold, Ulrich: Der Septuaginta-Psalter im Neuen Testament. Eine textgeschichtliche Untersuchung, Neukirchen-Vluyn 2004 – Schaper, Joachim: Eschatology in the Greek Psalter, WUNT II 76, Tübingen 1995 – Schaper, Joachim: Der Septuaginta-Psalter. Interpretation, Aktualisierung und liturgische Verwendung der biblischen Psalmen im hellenistischen Judentum, in: Erich Zenger (ed.), Der Psalter in Judentum und Christentum, HBS 18, Freiburg u. a. 1998, 165-183 – Schmid, Wolfgang: Ein Tag und der Aion. Betrachtungen zu Ciceros Doxologie der Philosophia (Tusc. V 5), in: Harri Meier / Hans Sckommodau (ed.), Wort und Text (FS Fritz Schalk), Frankfurt a. M. 1963, 14-33 [wiederabgedruckt mit einem Nachtrag in: Gregor Maurach (ed.), Römische Philosophie, WdF 193, Darmstadt 1976, 142-168] – Schneider, Johannes: Art. ξύλον, ThWNT 5 (1954), 36-40 – Schorch, Stefan: »Ihr Rachen ist ein offenes Grab; mit ihren Zungen betrügen sie«. Die hebräische Fassung des deuterokanonischen Florilegiums Röm 3,13-18//Ps 14,3 in Ms Leiden Or. 4725, in: Renate Egger-Wenzel / Karin Schöpflin / Johannes Diehl (ed.), Weisheit als Lebensgrundlage (FS Friedrich V. Reiterer), DCLS 15, Berlin / Boston 2013, 321-343 – Schrage, Wolfgang: »Ein Tag ist beim Herrn wie tausend Jahre, und tausend Jahre sind wie ein Tag«. 2 Petr 3,8, in: Erich Grässer / Otto Merk (ed.), Glaube und Eschatologie (FS Werner Georg Kümmel), Tübingen 1985, 267-276 – Schröger, Friedrich: Der Verfasser des Hebräerbriefes als Schriftausleger, BU 4, Regensburg 1968 –

270

gtvh 08105 / p. 271 / 31.3.2022

Psalmen

Schunck, Klaus-Dietrich: 1. Makkabäerbuch, JSHRZ I/4, Gütersloh 1980 – Silva, Moisés: The Greek Psalter in Paul’s Letters: A Textual Study, in: Robert J. V. Hiebert / Claude E. Cox / Peter J. Gentry (ed.), The Old Greek Psalter, Studies in Honour of Albert Pietersma, JSOT.S 332, Sheffield 2001, 277-288 – Stanley, Christopher D.: Paul and the Language of Scripture. Citation Technique in the Pauline Epistles and Contemporary Literature, MSSNTS 69, Cambridge 1992 – Tikkanen, Johan Jakob: Die Psalterillustration im Mittelalter. Die byzantinische Psalterillustration. Der Utrecht-Psalter (Acta Societatis Scientiarum Fennicae 31.5), Helsinki 1903 [zuvor separat in drei Lieferungen Helsinki 1895-1900; Nachdruck Soest (NL) 1975] – Tilly, Michael: 1 Makkabäer, HThKAT, Freiburg u. a. 2015 – Vollmer, Hans: Die Alttestamentlichen Citate bei Paulus textkritisch und biblisch-theologisch gewürdigt, nebst einem Anhang Ueber das Verhältnis des Apostels zu Philo, Freiburg / Leipzig 1895 – Weinreich, Otto: Ciceros Gebet an die Philosophie, in: ders., Ausgewählte Schriften II, Amsterdam 1973, 5-7 [zuerst in: ARW 21 (1922), 504-506] – Weinreich, Otto: Ciceros Hymnus an die Philosophie und ein Psalmenvers. Das Gebet aus den Tusculanen, in: ders., Ausgewählte Schriften III, Amsterdam 1979, 381-394 [zuerst in: Die Brücke zur Welt. Sonntagsbeilage zur Stuttgarter Zeitung vom 6. 12. 1958] – Williams, Tyler F.: Towards a Date for the Old Greek Psalter, in: Robert J. V. Hiebert / Claude E. Cox / Peter J. Gentry (ed.), The Old Greek Psalter. Studies in Honour of Albert Pietersma, JSOT.S 332, Sheffield 2001, 248-276.

1. Vorbemerkungen Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über die Wirkungsgeschichte der LXXPsalmen vom antiken Judentum über das Neue Testament bis ins frühe Christentum. 1 Neben der literarischen Adaption in Zitaten und Anspielungen sollen auch die Verwendung des griechischen Psalters in Liturgie und privater Frömmigkeit sowie seine kunstgeschichtliche Rezeption in byzantinischer Zeit in den Blick kommen. 2 Die Stellenangaben folgen der LXX-Zählung; lediglich in einigen Fällen ist zur Verdeutlichung die Zählung des MT in eckigen Klammern hinzugefügt. Grundlage für die Zitierung der Psalmen sowie des textkritischen Befundes ist die Göttinger Ausgabe von Alfred Rahlfs 3.

2. Antikes Judentum Das wohl um 100 v. Chr. entstandene 1. Makkabäerbuch in der uns vorliegenden griechischen Fassung ist nach allgemeinem Forschungskonsens nur die Übersetzung eines

1.

2.

3.

Vgl. hierzu durchgängig Brucker: La Wirkungsgeschichte de la Septante des Psaumes; ders.: Observations on the Wirkungsgeschichte of the Septuagint-Psalms; dort werden einige Details ausführlicher entfaltet, andere Aspekte fehlen hingegen. Für ein anderes Vorgehen, nämlich die exemplarische Verfolgung der Wirkungsgeschichte eines einzelnen Psalms, vgl. z. B. T. J. Kraus: »Außertextliche« Rezeption von LXX-Psalm 90; Brucker: »Wer ist der König der Herrlichkeit?« (zu Psalm 23[24]). Psalmi cum Odis. – Zu den Verdiensten und Grenzen dieser Ausgabe siehe Brucker, Textgeschichtliche Probleme.

271

gtvh 08105 / p. 272 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

verlorengegangenen hebräischen oder aramäischen Originals. 4 Einige Forscher vertreten die Meinung, dem Übersetzer habe bereits die griechische Version der Psalmen vorgelegen 5; wenn das zuträfe, dann könnte der Beginn der Wirkungsgeschichte des LXX-Psalters noch innerhalb der Griechischen Bibel anzusetzen sein. Arie van der Kooij weist auf die Anführung von Ps 78,2-3 in 1Makk 7,17 hin, die als leicht modifiziertes wörtliches Zitat angesehen werden kann, und auf die Anspielung auf Ps 109,4 in 1Makk 14,41 mit der auffälligen Wendung »Hohepriester bis in Ewigkeit« (ἀρχιερέα εἰς τὸν αἰῶνα). Der zweite Fall ist allerdings weniger überzeugend, denn Ps 109,4 spricht von einem »Priester bis in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks« (Σὺ εἶ ἱερεὺς εἰς τὸν αἰῶνα κατὰ τὴν τάξιν Μελχισεδεκ). Sieht man sich noch ein weiteres (bei van der Kooij nicht berücksichtigtes) Psalmzitat näher an, verliert die These, der LXX-Psalter hätte dem Übersetzer vorgelegen, zusätzlich an Wahrscheinlichkeit: Beim Bericht über den Triumphzug der Juden nach dem Sieg über Gorgias unter Judas Makkabäus in 1Makk 4,24 steht die Wendung ὅτι καλόν, ὅτι εἰς τὸν αἰῶνα τὸ ἔλεος αὐτοῦ »denn es ist gut, denn (bis) in Ewigkeit währt sein Erbarmen«. Dies ist ein in mehreren Psalmen anzutreffender Kehrvers, dem üblicherweise die Aufforderung ἐξομολογεῖσθε τῷ κυρίῳ »Preist den Herrn« vorausgeht. Er findet sich jedoch auch in den späteren Geschichtsbüchern, und zwar mit einem bemerkenswerten Unterschied: Heißt es in den Psalmen »Preist den Herrn, denn er ist gut/gütig (ὅτι ἀγαθός/χρηστός) …« 6, so bieten die Chronikbücher und 2. Esdras »Preist den Herrn, denn es ist gut (ὅτι ἀγαθόν) …«. 7 Das Neutrum ὅτι καλόν »denn es ist gut« in 1Makk 4,24 steht also der letzteren Version näher, was – wenn es denn die ursprüngliche Lesart darstellt 8 – eher gegen eine Benutzung der griechischen Psalmenübersetzung spricht. Philon von Alexandria, der in seiner Bibelauslegung die LXX-Fassung zugrundelegt, zitiert auch einige Verse aus den Psalmen. 9 Seine Standard-Einleitung ἐν ὕμνοις 4. 5. 6. 7.

8.

9.

Vgl. z. B. Schunck: 1. Makkabäerbuch, 289-292; Tilly: 1 Makkabäer, 43-50 (vgl. ders.: LXX.H 1, 301 f.). van der Kooij: The Septuagint of Psalms and the First Book of Maccabees; dieser Ansicht schließt sich Williams: Towards a Date for the Old Greek Psalter, 270-272, an. Ps 99,5; 105,1; 106,1; 135,1 und passim (ὅτι χρηστός); Ps 117,1.2.3.4.29 (ὅτι ἀγαθός). Die erste Variante findet sich auch Jer 40,11 und Dan 3,89 f. 1Chr 16,34 (vgl. 16,41); 2Chr 5,13; 7,3 (vgl. 7,6; 20,21); 2Esdr 3,11. – Die zugrundeliegende hebräische Wendung ‫ כי טוב‬kann in der Tat sowohl maskulinisch als auch neutrisch verstanden werden; zum letzteren vgl. Ps 146[147],1 (ähnlich Ps 91[92],2). Da die Aufforderung »Preist den Herrn« fehlt, kann diese nicht der Bezug für das καλόν sein, somit bleibt im Kontext nur τὸ ἔλεος αὐτοῦ »sein Erbarmen« als Bezugswort, was zu einer seltsamen Aussage führt (»gut ist sein Erbarmen …«). Die Textvarianten ἀγαθός (55, 58) und ἀγαθόν (534) anstatt καλόν sind als Erleichterungen zu werten, ebenso das Weglassen des zweiten ὅτι (A). Gleichwohl bevorzugen viele moderne Übersetzungen die Wiedergabe nach dem Muster der Psalmenstellen »denn er ist gut/gütig« (mit Begründung Abel: Les livres des Maccabées, 78; Dommershausen: 1 Makkabäer / 2 Makkabäer, 36). Wahrscheinlich liegt tatsächlich ein Versehen des Übersetzers vor (so Grimm: Das erste Buch der Maccabäer, 70; Kautzsch: APAT 1, 44 Anm. c; Schunck: 1. Makkabäerbuch: 315, Anm. 24; vgl. auch LXX.E 1, 1359 = Tilly: 1 Makkabäer, 128). Ps 22,1 (Mut. 115; Agr. 50); 26,1 (Somn. 1,75); 30,19 (Conf. 39); 36,4 (Plant. 39; Somn. 2,242); 41,4 (Migr. 157); 45,5 (Somn. 2,246); 61,12 (Deus 82); 64,10 (Somn. 2,245); 74,9 (Deus 77); 77,49 (Gig.

272

gtvh 08105 / p. 273 / 31.3.2022

Psalmen

»in den Hymnen« 10 legt eine Kenntnis des ganzen Psalters als Sammlung nahe, wenngleich die später gängigen Bezeichnungen ψαλμοί (Cod. B) und ψαλτήριον (Cod. A u. a.) in seinen Werken nicht zu finden sind. 11 Die häufig verwendete Einführungsformel γέγραπται »es steht geschrieben« bezieht sich stets auf Zitate aus dem Pentateuch, der für Philon die Hauptquelle seiner allegorischen Schriftinterpretation darstellt (von 1161 Bibelzitaten stammen nur 41 nicht aus dem Pentateuch). 12 Die wichtigsten biblischen Lieder sind für Philon daher auch die des Mose in Ex 15 und Dtn 32 (der Terminus ᾠδή bezieht sich bei ihm fast immer auf einen dieser beiden Texte). 13 Auf dieser Linie liegt auch seine Wahrnehmung der Psalmen: Sie werden an keiner Stelle namentlich mit David in Verbindung gebracht, der ja in den Büchern der Königtümer als Psalmensänger erscheint und in der Tradition als Verfasser zahlreicher Psalmen gilt 14, und wenn überhaupt eine Zuschreibung erfolgt, dann an Freunde und Gefährten des Mose 15. Josephus zitiert die Psalmen nicht, bringt sie aber mit David als Erfinder diverser Musikinstrumente in Verbindung (Ant. 7,305 f.); in diesem Zusammenhang findet sich die kuriose Mitteilung, David habe seine »Lieder und Hymnen auf Gott« in verschiedenen Metren verfertigt – teils Trimeter, teils Pentameter (305). Diese Angabe dient,

10.

11. 12.

13. 14.

15.

17); 79,6 (Migr. 157); 79,7 (Conf. 52); 83,11 (Her. 290); 93,9 (Plant. 29); 100,1 (Deus 74); 113,25 (Fug. 59). Von diesen ist die Bezugnahme auf Ps 83,11 in Her. 290 trotz der Zitationsformel eher als Anspielung anzusehen. Daneben gibt es noch freie Anspielungen auf Ps 90,11-12 (Deus 182) und Ps 113,13-15 (Decal. 74) mit paraphrasierender Wiedergabe in Philons eigenen Worten. – Zu Philons Gebrauch der LXX-Psalmen siehe ausführlicher Runia: Philo’s Reading of the Psalms. Die Wendung ἐν ὕμνοις kommt im LXX-Psalter in den Überschriften von sechs Psalmen vor, die allerdings nicht von Philon zitiert werden (Ps 6,1; 53,1; 54,1; 60,1; 66,1; 75,1, immer als Übersetzung von ‫)בנגינות‬. Dort scheint sich die Bezeichnung jedoch auf eine Teilsammlung innerhalb des Psalters zu beziehen, während Philon den Ausdruck »Hymnen« für alle Psalmen verwenden kann. Zwar kommt das Wort ψαλτήριον zweimal vor (Post. 103, 111), es bezeichnet hier aber (wie auch stets in der LXX) ein Musikinstrument (»Psalter« oder »Harfe«). Zur Statistik vgl. Runia: Philo’s Reading of the Psalms, 102; ferner Burkhardt: Inspiration, 134 (beide folgen dem Index von Leisegang). In der Aufstellung der Biblia Patristica, Supplément: Philon d’Alexandrie, nimmt der Pentateuch 123 Spalten ein (S. 27-88), die übrigen Schriften 5 ½ Spalten (S. 88-91), von denen die Psalmen fast eine ganze Spalte in Anspruch nehmen (50 Einträge, S. 89 f.). Die Bezeichnung ᾠδή für die Lieder des Mose findet sich bereits in der LXX (Ex 15,1; Dtn 31,19.21.22.30; 32,44; vgl. die Überschriften von Od 1 und Od 2). Die einzige Erwähnung Davids bei Philon zeigt allerdings seine Vertrautheit mit dieser Tradition: Conf. 149 bezeichnet er die Könige Israels als »Söhne Davids, der Gott (in Hymnen) gepriesen hat« (υἱοὶ τοῦ τὸν θεὸν ὑμνήσαντος Δαβίδ). Von daher könnte hinter den Verfasserbezeichnungen ὁ ὑμνῳδός (Deus 74), ὁ τὰς ὑμνῳδίας ἀναγράψας (Agr. 50) und παρὰ τῷ ὑμνογράφῳ (Gig. 17) David vermutet werden; die Weglassung des Namens bleibt jedoch auffällig. Insgesamt bevorzugt Philon das anonym-passivische »es heißt« (ᾄδεται, εἴρηται, λέγεται, λέλεκται, λεχθέν; zu dieser Bedeutung von ᾄδεται s. Brucker: ›Sitz im Leben‹, 572 f.). So Conf. 39; Plant. 39; Somn. 2,245. In diese Gruppe würden auch die anonymen Bezeichnungen ὁ θεσπέσιος ἀνήρ (Plant. 29) und τις προφητικὸς ἀνήρ (Her. 290) passen, wenngleich auch sie auf David bezogen werden könnten.

273

gtvh 08105 / p. 274 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

ebenso wie die analoge Behauptung, Ex 15 und Dtn 32 hätten den Hexameter als Versmaß (Ant. 2,346; 4,303), dem apologetischen Interesse, die Erwartungshaltung der hellenistischen Leserschaft zu befriedigen. Die angeblichen Metren der »biblischen Poesie« finden sich dann später bei christlichen Autoren wie Origenes, Eusebius, Hieronymus und Augustin wieder. 16

Exkurs: Die Rezeption eines Psalmverses in der griechisch-römischen Philosophie Im fünften Buch von Ciceros »Gesprächen in Tusculum« (entstanden 45 v. Chr.) gibt es einen berühmten Abschnitt, der zu Recht als »Gebetshymnus an die Philosophie« bezeichnet worden ist (Tusc. 5,5-6). 17 Die hochfeierliche Passage, die mit der Anrede O vitae Philosophia dux (»O Lebensführerin Philosophie!«), beginnt, spricht Ciceros persönliche ›Gottheit‹ im Stil griechisch-römischer Gebete und Hymnen an. 18 Ausgerechnet hier findet sich wohl der Reflex eines Psalmverses 19: Der rhetorisch kunstvoll gestaltete Gebetshymnus kulminiert in einer Sentenz: est autem unus dies bene et ex praeceptis tuis actus peccanti immortalitati anteponendus (»Es ist aber ein einziger Tag, der gut und nach deinen Vorschriften verbracht worden ist, einer Unsterblichkeit vorzuziehen, die sich versündigt«). Der Kontrast zwischen einem einzigen Tag und einer langen Zeitdauer sowie der zwischen einem Leben im Einklang mit dem Göttlichen und einem Leben in Sünde erinnern stark an einen Psalmvers, nämlich Ps 83 [84],11: »Denn besser ist ein einziger Tag in deinen Vorhöfen als (sonst) Tausende; ich wählte mir aus, beiseitegeworfen zu werden im Haus Gottes, lieber als zu wohnen in den Zelten der Sünder.« 20 Sollte Cicero etwa den LXX-Psalter gekannt haben? Das ist unwahrscheinlich, zumal er die Sentenz offenbar seinem stoischen Lehrer Poseidonios (aus Apameia in Syrien) verdankt, von dem Seneca, Epistulae morales 78,28, einen entsprechenden Satz überliefert: nam ut Posidonius ait, unus dies hominum eruditorum plus patet quam imperitis longissima aetas (»Denn, wie Poseidonios sagt: Ein einziger Tag der gebildeten Menschen bedeutet mehr als den Ungebildeten das längste Leben«). Aber auch Poseidonios hat den Gedanken wohl nicht aus der eigenen Lektüre der LXX-Psalmen gewonnen, sondern eher als weisheitliche Maxime aus mündli-

16. Siehe dazu ausführlich Kugel: The Idea of Biblical Poetry, 135-170. 17. So Hommel: Ciceros Gebetshymnus an die Philosophie, der auch eine eingehende Analyse des Textes bietet. Vgl. knapp, aber prägnant bereits Weinreich: Ciceros Gebet an die Philosophie; ferner Schmid: Ein Tag und der Aion. 18. Zu Hymnen, Lobreden und lobenden Passagen in der antiken Literatur (Theorie und Praxis) siehe Brucker: ›Christushymnen‹, passim; speziell zu Cicero ebd. 211-218. 19. Vgl. bes. Weinreich: Ciceros Hymnus an die Philosophie und ein Psalmenvers. Die Nähe ist jedoch, wie schon 1922 ders.: Ciceros Gebet an die Philosophie, 505, feststellt, »längst bemerkt« worden. 20. LXX: ὅτι κρείσσων ἡμέρα μία ἐν ταῖς αὐλαῖς σου ὑπὲρ χιλιάδας· ἐξελεξάμην παραρριπτεῖσθαι ἐν τῷ οἴκῳ τοῦ θεοῦ μᾶλλον ἢ οἰκεῖν ἐν σκηνώμασιν ἁμαρτωλῶν. Vgl. auch die lateinische Version im Psalterium Gallicanum: quia melior est dies una in atriis tuis super milia; elegi abiectus esse in domo Dei mei magis quam habitare in tabernaculis peccatorum.

274

gtvh 08105 / p. 275 / 31.3.2022

Psalmen

cher Überlieferung empfangen. Bei ihm wie auch bei Cicero erfährt er dann eine Umdeutung von jüdischer Theologie zu hellenistischer Philosophie. 21

3. Neues Testament Im NT spielen die Psalmen eine herausragende Rolle. 22 Lukas kennt die ψαλμοί (»Psalmen«) als Buch (Lk 20,42; 24,44; Apg 1,20; 13,33) und verwendet in diesem Zusammenhang die singuläre Formulierung »das Gesetz des Mose und die Propheten und die Psalmen« (Lk 24,44). Diese wird in der Forschung oft im Sinne der dreiteiligen Hebräischen Bibel aus »Tora, Propheten und (übrigen) Schriften« (vgl. im griechischen Bereich Sir Prol 1-2.8-10.24-25; Josephus, Ap. 1,39 f.) verstanden, aber da die Nennung der »Psalmen« als pars pro toto für die ganze (überdies noch nicht fest definierte) Gruppe der »Schriften« in der zeitgenössischen jüdischen Literatur nicht belegt ist, dürfte die Aufzählung bei Lukas eher wörtlich zu verstehen sein: Der Pentateuch, die Propheten und die Psalmen haben für seine christologische Schriftrezeption eine besondere Bedeutung. 23 Bei den alttestamentlichen Zitaten und Anspielungen im NT stehen die Psalmen an erster Stelle; dabei heben sich die Psalmen 2; 21[22]; 109[110] und 117[118] noch einmal besonders hervor, deren Rezeption z. T. von wenigen Versen dominiert ist. 24 In den synoptischen Evangelien werden die Psalmzitate den handelnden Personen (v. a. Jesus) in den Mund gelegt. Die meisten von ihnen sind mit Jerusalem verbunden: Ps 117,26 als Ruf der Menge bei Jesu Einzug 25, Ps 117,22 f. und Ps 109,1 in Jesu Verkündigung 26 und schließlich Ps 21,2 als Ausruf des sterbenden Jesus am Kreuz 27. Anspielungen auf Ps 21 durchziehen die ganze Passionserzählung 28; Ps 109,1 klingt beim Verhör vor dem Hohen Rat an 29. Daneben finden sich Anspielungen auf Ps 2,7 in den 21. Eine ähnliche Umdeutung kann man bei Philons sehr freier Anführung des Psalmverses in Her. 290 beobachten: Im Rahmen einer Betrachtung über das »schöne Greisenalter« (καλὸν γῆρας) von Gen 15,15 setzt er einem bloß zeitlich langen Leben ein Leben mit Vernunft entgegen und fügt begründend hinzu: »Hat doch ein prophetischer Mann vernünftig gesagt, er wolle lieber einen einzigen Tag in Tugend leben als zehntausend Jahre im Schatten des Todes, wobei er mit ›Tod‹ anspielt auf das Leben der Bösen« (μίαν γὰρ ἡμέραν ὑγιῶς εἶπέ τις προφητικὸς ἀνὴρ βούλεσθαι βιῶναι μετ’ ἀρετῆς ἢ μυρία ἔτη ἐν σκιᾷ θανάτου, θάνατον μέντοι τῶν φαύλων αἰνιττόμενος βίον). Die Wendung σκιὰ θανάτου »Schatten des Todes« hat Philon aus anderen Psalmen (vgl. Ps 22,4; 43,20; 87,7; 106,10.14) hier eingebracht. – Vgl. zur Abwandlung desselben Grundgedankens bei Philon auch Praem. 112 sowie Quaest. Exod. 2,20. 22. Als Überblick vgl. Löning: Die Funktion des Psalters im Neuen Testament (Passionstradition der Evangelien, Römerbrief und lukanisches Doppelwerk); eine Reihe von Einzelstudien bietet der Sammelband The Psalms in the New Testament (ed. Moyise u. Menken). 23. Vgl. hierzu mit entsprechenden Nachweisen Rusam: Das Alte Testament bei Lukas, 259-262. 24. Siehe dazu den Appendix »Loci citati vel allegati« im Novum Testamentum Graece von Nestle/ Aland (NA26-28); hier nehmen die Psalmen 9 Spalten ein, gefolgt von Jesaja mit 8 Spalten. 25. Mk 11,9; Mt 21,9; Lk 19,38. 26. Mk 12,10 f.; Mt 21,42; Lk 20,17 bzw. Mk 12,36; Mt 22,44; Lk 20,42 f. 27. Mk 15,34; Mt 27,46 (in der Parallelstelle Lk 23,46 durch Ps 30,6 ersetzt). 28. Mk 15,24.29; Mt 27,29.35.39.43; Lk 23,34 f. 29. Mk 14,62; Mt 26,64; Lk 22,69.

275

gtvh 08105 / p. 276 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

Erzählungen von Jesu Taufe und Verklärung. 30 – Im Johannesevangelium gibt es mehr förmliche Zitate statt Anspielungen, und sie sind gleichmäßiger über das Buch verteilt. 31 Bei Paulus sind Schriftzitate nur in seinen »Hauptbriefen« zu finden 32, Psalmzitate sogar nur in Röm, 1Kor und 2Kor 33. Besonderes Interesse verdient Röm 3,10-18, wo der Zitierung von Ps 13,1-3 einige weitere inhaltlich ähnliche Verse ohne erneute Zitationsformel folgen (Ps 5,10; 139,4; 9,28; Jes 59,7 f.; Ps 35,2; alle leicht verkürzt bzw. modifiziert). Diese Zusammenstellung ist wohl nicht ad hoc entstanden, sondern lag Paulus entweder schon als Florilegium vor 34 oder wurde von ihm selbst vor der Abfassung des Römerbriefes planvoll komponiert 35. Nun findet sich aber genau diese Zitatreihe bei den Hauptzeugen der LXX-Textüberlieferung als »Langtext« von Ps 13,1-3. 36 In der Göttinger Ausgabe von Rahlfs wird die Erweiterung von V. 3 als christliche Interpolation aus Röm 3,13-18 angesehen (und daher in eckige Klammern gesetzt) 37, was in jüngerer Zeit jedoch aus methodischen Bedenken in Zweifel gezogen worden ist 38. Letzten Endes kann nicht mit Sicherheit entschieden werden, ob der »Langtext« von Ps 13,1-3 30. Mk 1,11; 9,7; Mt 3,17; 17,5; Lk 3,22; 9,35. 31. Folgende Psalmverse begegnen im Johannesevangelium als (modifizierte) Zitate: Ps 6,4 f. (Joh 12,27, ohne explizite Zitationsformel); Ps 21,19 (Joh 19,24); Ps 33,21 (Joh 19,36); Ps 34,19/68,5 (Joh 15,25); Ps 40,10 (Joh 13,18); Ps 68,10 (Joh 2,17); Ps 77,24 (Joh 6,31); Ps 81,6 (Joh 10,34); Ps 117,25 f. (Joh 12,13). In Joh 19,28 liegt trotz der Zitationsformel (»damit die Schrift erfüllt würde«) lediglich eine Anspielung vor (auf Ps 68,22; vgl. 62,2). Siehe hierzu monographisch Daly-Denton: David in the Fourth Gospel; als Sammlung wichtiger Aufsätze Menken: Old Testament Quotations in the Fourth Gospel (hier Nr. II, III, VII, VIII, IX). 32. Zum Schriftgebrauch des Paulus generell siehe Koch: Die Schrift als Zeuge des Evangeliums; Stanley: Paul and the Language of Scripture. 33. Gal 2,16 ist eine Anspielung auf Ps 142,2 (vgl. Röm 3,20). – Einen umfassenden Überblick zur Verwendung der Psalmen bei Paulus gibt Silva: The Greek Psalter in Paul’s Letters; vgl. auch Harmon: Aspects of Paul’s Use of the Psalms (Zusammenfassung einer unveröffentlichten Dissertation); Hofius: Der Psalter als Zeuge des Evangeliums (zu Röm 1-4). 34. Das wird – unter Hinweis auf die parallele Zitatreihe bei Justin, Dial. 27,3 – seit Vollmer: Die alttestamentlichen Citate bei Paulus, 40 f., oft angenommen; vgl. in Aufsatzform bes. Keck: The Function of Rom 3:10-18; Rose: »Wie denn geschrieben steht«. 35. Diese Ansicht wird von Koch: Die Schrift als Zeuge des Evangeliums, 179-184, vertreten, nach dessen vergleichender Analyse die Zitatkombination bei Justin nicht aus einer von Paulus unabhängigen Quelle stammt, sondern »ohne Schwierigkeiten als eine Verkürzung von Röm 3,10-18 verständlich [ist]« (182); dem schließt sich Stanley: Paul and the Language of Scripture, 88 f., explizit an. 36. Außer in den Handschriften B, S, R, U, 1219, 1221, 2019 findet er sich in der bohairischen, sahidischen und syrischen Übersetzung sowie in der Vulgata. Er fehlt im Lukianischen Text (inkl. T, Z und Theodoret) sowie in den Handschriften A und 55. In der Hexapla des Origenes (hier bezeugt durch das Psalterium Gallicanum) ist er obelisiert. 37. Vgl. zur Begründung den Apparat z. St. sowie Prolegomena § 4.4, S. 30 f. – In LXX.D erscheinen die betreffenden Zeilen ebenfalls in eckigen Klammern (und kursiv), während sie in NETS, wie alle als sekundär angesehenen Stellen (vgl. Psalms. To the Reader, S. 542), kommentarlos weggelassen sind. Letzteres gilt auch für alle Übersetzungen, die der orthodoxen Tradition (und damit dem Lukianischen Text) verpflichtet sind. 38. Siehe die Diskussionen bei Kraft: Christian Transmission of Greek Jewish Scriptures, 76 f. [220-222]; Rüsen-Weinhold: Der Septuaginta-Psalter im Neuen Testament, 147-153; Karrer /

276

gtvh 08105 / p. 277 / 31.3.2022

Psalmen

eine Erweiterung aufgrund von Röm 3,10-18 darstellt oder ob die Erweiterung auf ein Florilegium zurückgeht, das unabhängig davon auch Paulus vorgelegen hat, oder ob gar der Psalmtext, der Paulus zugänglich war, bereits die Erweiterung enthalten hat – dann wäre statt einer christlichen auch eine jüdische Herkunft des Langtextes denkbar. 39 Aus den übrigen neutestamentlichen Schriften seien folgende Stellen hervorgehoben: Apg 1,20 verbindet den Tod des Judas und die Nachwahl des Matthias explizit mit zwei Zitaten »aus dem Buch der Psalmen« (Ps 68,26 und 108,8). In der Pfingstpredigt des Petrus Apg 2 wird Ps 15,8-11 zitiert (Apg 2,25-28) und als Weissagung Davids auf Jesus (als κύριος und Christus) ausgelegt; ein Satz aus diesem Komplex – Ps 15,10b – wird in Apg 13,35 im Rahmen der ersten Missionsrede des Paulus wiederaufgenommen. In diesen beiden programmatischen Reden werden auch zwei Psalmenstellen zitiert, die bereits für die synoptischen Evangelien wichtig waren: Ps 109,1 in Apg 2,34 f. und Ps 2,7 in Apg 13,33. Der Hebräerbrief hat besonders viele Psalmzitate zu verbuchen. 40 Er beginnt mit einer feierlichen Einleitung (Hebr 1), in der mehrere Psalmverse aufgenommen werden (Ps 2,7; 96,7; 103,4; 44,7 f.; 101,26-28; 109,1). In Hebr 2,6-8 wird Ps 8,5-7 als christologischer Schlüsseltext herangezogen. Einzigartig im NT ist die Zitierung einer Psalmstelle von fünf Versen (Ps 94,7b-11), die anschließend ausgiebig nach Art eines Midrasch ausgelegt wird (Hebr 3,7-4,11). 41 Ein längeres Psalmzitat bietet auch 1Petr 3,10-12, wo Ps 33,13-17a zur Unterstützung der Argumentation dient, aber nicht durch eine Zitationsformel markiert wird. 42 In 2Petr 3,8 wird Ps 89,4 (»tausend Jahre wie ein Tag«) aufgegriffen, um den Einwand der ausbleibenden Parusie zu entkräften; diese Stelle ist später – wohl kaum zu Recht – manchmal als biblischer Beleg für die Erwartung eines tausendjährigen Reiches Christi auf Erden (»Chiliasmus«) gedeutet worden. 43 Insgesamt kann festgestellt werden: Die große Zahl der Psalmenzitate in den Schriften des NT dient vorwiegend dem (christologischen) Schriftbeweis. Eine Unter-

39.

40.

41. 42. 43.

Sigismund / Schmid: Textgeschichtliche Beobachtungen zu den Zusätzen in den SeptuagintaPsalmen, 143-156 (vgl. 160 f.). Dafür können allerdings nicht die in der BHS, Apparat zu Ps 14,3 (c), angeführten »zwei« hebräischen Handschriften als Zeugen verbucht werden, denn von diesen erweist sich bei näherem Hinsehen die zweite (Cod. 694 Kennicott) als sekundäres Zeugnis der ersten (Cod. 649 Kennicott = Ms. Leiden Or. 4725) und diese wiederum als Rückübersetzung aus der lateinischen Vulgata, angefertigt im 12. Jh. von einem christlichen Hebraisten in England; siehe dazu Schorch: »Ihr Rachen ist ein offenes Grab«. Diese sind monographisch bearbeitet von Kistemaker: The Psalm Citations in the Epistle to the Hebrews; als wichtiger Aufsatz ist Müller: Die Funktion der Psalmzitate im Hebräerbrief, zu nennen, als Aufsatzsammlung: Psalms and Hebrews (ed. Human u. Steyn). Umfassend zu den Schriftzitaten: Schröger: Der Verfasser des Hebräerbriefes als Schriftausleger; Rascher: Schriftauslegung und Christologie im Hebräerbrief. Speziell dazu: Enns: Creation and Re-Creation. Zu diesem Zitat siehe (mit weiterer Literatur) Egan: Did Peter Change Scripture? Zu 2Petr 3,8 siehe Schrage: »Ein Tag ist beim Herrn wie tausend Jahre, und tausend Jahre sind wie ein Tag«. Von den Kommentaren geht Bauckham: Jude, 2 Peter, 306-310, besonders ausführlich auf diesen Vers und seine Interpretation ein.

277

gtvh 08105 / p. 278 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

scheidung der zitierten Psalmenverse als poetische oder gar gesungene Texte im Unterschied zu anderen Schriftzitaten in Prosa findet sich nicht, wohl aber werden sie als göttlich inspirierte Texte angesehen, und so kann auch einmal ein Psalmwort als angebliches Prophetenzitat eingeführt werden. 44 Schließlich ist es auch zur Wirkungsgeschichte der LXX-Psalmen zu rechnen, wenn an einigen Stellen im NT der Stil alttestamentlicher »Hymnen« imitiert wird. Dies gilt vor allem für die »Cantica« in Lk 1-2 und die »Lieder« in der Offenbarung des Johannes. 45 Weitere stilistisch auffällige Passagen dieser Art sind etwa bei Paulus (z. B. Röm 8,31-39; 11,33-36) oder im Epheserbrief (z. B. Eph 1,3-14; 2,14-18) zu finden, wobei durchaus kurze Zitate und Anspielungen als ›Versatzstücke‹ aufgenommen werden können – so spielt Paulus z. B. in Röm 8,31-39 auf verschiedene alttestamentliche Stellen an (darunter Ps 117,6 und Ps 109,1) und zitiert sogar einen Psalmvers (Ps 43,23), schafft damit jedoch eine eigene literarische Komposition in gehobener Prosa.

4. Frühes Christentum Von den Apostolischen Vätern basieren der 1. Clemensbrief und der Barnabasbrief stark auf Schriftzitaten, und so finden sich hier auch viele Psalmstellen. Besondere Erwähnung verdienen die längeren Psalmzitate in 1Clem 18 (Ps 50,3-19); 22 (Ps 33,1218); 35,7-12 (Ps 49,16-23). Unter den frühchristlichen Apologeten sticht Justin heraus, auch was die Zitierung der Psalmen angeht. Insbesondere sein »Dialog mit dem Juden Tryphon« ist voll von Psalmzitaten. Er gibt mehrmals auch die Nummer eines Psalms (nach der LXXZählung) an 46 und ist der erste Autor, der Psalmen in voller Länge zitiert: Ps 23 (Dial. 36,3-4); 44 (Dial. 38,3; vgl. 63,4); 49 (Dial. 22,7); 71 (Dial. 34,3; 64,6); 81 (Dial. 124,2); 95 (Dial. 73-74); 98 (Dial. 37,2; vgl. 64,4); 109 (Dial. 32,6; vgl. 83,2); vgl. auch Ps 21,2-24 (als »ganzen Psalm« in Dial. 98 zitiert und anschließend ausgelegt) sowie die Zitierungen von Ps 1 und 2 in Apol. 40 und großer Teile von Ps 95 in Apol. 41. Das interessanteste Zitat ist wohl das von Ps 95 in Dial. 73-74 (vgl. Apol. 41): Justins Text hat in V. 10 einen Zusatz gegenüber dem seines jüdischen Gesprächspartners, und zwar folgt auf die Worte Ὁ κύριος ἐβασίλευσεν (»Der Herr ist König geworden«) hier noch ἀπὸ τοῦ ξύλου (»vom Holze her«, d. h. »aufgrund des Kreuzes«). 47 Damit wird die Proklamation des Königtums Gottes auf Christus übertragen. Dies ist ein offensichtlich christlicher Zusatz (überliefert von ganz wenigen griechischen Textzeugen sowie in der bo-

44. So Mt 13,35 (Ps 78,2); weitere Beispiele außerhalb des NT: Barn 9,1; 11,6-8 (Ps 17,45 bzw. Ps 1,3-6, beide wohl aus einer Testimoniensammlung übernommen). 45. Zu Lk 1-2 siehe etwa Lohfink: Psalmen im Neuen Testament. – Zur Offb siehe Delling: Zum gottesdienstlichen Stil der Johannesapokalypse; Deichgräber: Gotteshymnus und Christushymnus, 44-59; Jörns: Das hymnische Evangelium. 46. Dial. 22,7 (Ps 49); 37,1 (Ps 46); 37,2 (Ps 98); 38,3 (Ps 44); 73,1 (Ps 95); 97,3 (Ps 21). 47. Die neutestamentliche Verwendung von ξύλον (»Holz, Baum«) für das Kreuz in Apg 5,30; 10,39; 13,29; Gal 3,13; 1Petr 2,24 ist in der LXX vorgeprägt (vgl. bes. Dtn 21,22 f.; daneben Gen 40,19; Jos 10,26 f.; Esth 5,14; 6,4; 7,9 f.; 8,7 [hier regelrecht als »Galgen«]). Siehe dazu Schneider: Art. ξύλον, ThWNT 5, 38 f.; Bauer: Wörterbuch, s. v. ξύλον.

278

gtvh 08105 / p. 279 / 31.3.2022

Psalmen

hairischen, sahidischen und altlateinischen Übersetzung) 48 – Justin jedoch ist von seiner Ursprünglichkeit felsenfest überzeugt und behauptet, die jüdischen Lehrer hätten die auf den gekreuzigten Jesus verweisenden Worte aus ihrem Text gestrichen. 49 Bei den Kirchenvätern 50 werden die Psalmen zumeist in allegorischer Weise auf Jesus Christus hin gedeutet. Eine Ausnahme bildet allerdings die sog. »antiochenische Schule« (Diodor von Tarsus; Theodor von Mopsuestia; Theodoret von Cyrus): Diese Autoren versuchen grundsätzlich, die Psalmen historisch zu interpretieren und sie mit Situationen in der Geschichte Israels in Verbindung zu bringen; gleichwohl finden sich aber auch bei ihnen christologische Psalmendeutungen. Abgesehen von unzähligen Einzelzitationen von Psalmversen im Rahmen von Schriftbeweisen in den Werken der Kirchenväter sind v. a. die fortlaufenden Auslegungen in exegetischen Kommentaren oder Homilien hervorzuheben. 51 Für eine liturgische Verwendung der (LXX-)Psalmen im jüdischen Synagogengottesdienst wie auch im frühesten Christentum gibt es keine sicheren Belege; daher wird heute vielfach mit einer ursprünglichen Verwendung des Psalters als Gebets- und Erbauungsbuch gerechnet. 52 Unter Verweis auf die LXX-Psalmenüberschriften, die den jeweiligen Psalm – über den MT hinaus – einem bestimmten Wochentag zuordnen (Ps 23; 47; 91; 92; 93; vgl. Ps 80), wird von einigen Forschern jedoch auch die liturgische Verwendung der betreffenden Psalmen postuliert 53; dies ist freilich nicht unwidersprochen geblieben 54. Unsicher ist auch, ob sich das Stichwort ψαλμός an NT-Stellen wie 1Kor 14,26 und Kol 3,16 = Eph 5,19 auf LXX-Psalmen bezieht und somit für deren li48. Die Codices B, S und A sowie die mit den Namen Origenes und Lukian verbundenen Rezensionen (von Origenes abhängig auch die beiden Übersetzungen des Hieronymus: Psalterium Gallicanum und Vulgata) haben den Zusatz nicht; hingegen wird er von Tertullian (Adv. Iud. 10,11-12, CC.SL 2, 1379; Adv. Marc. III, 19,1, CC.SL 1, 533), Augustin (En. Ps. 95,11, CC.SL 39, 1350 [zu V. 10]) und einigen weiteren lateinischen Kirchenvätern bezeugt sowie vielleicht von Barn 8,5 (ὅτι ἡ βασιλεία Ἰησοῦ ἐπὶ ξύλου) bestätigt. 49. Vgl. § 4.4 der Prolegomena in der Göttinger Ausgabe von Rahlfs, S. 31, sowie ausführlicher und neueren Datums Derrett: Ὁ κύριος ἐβασίλευσεν ἀπὸ τοῦ ξύλου. – Der Bezug auf das Kreuz und damit der christliche Ursprung des Zusatzes wird bestritten von Brinktrine: »Dominus regnavit a ligno«, der das ἀπό als sklavische Wiedergabe eines ‫ מן‬comparativum (»mehr als«) verstehen und ξύλον auf hölzerne Götzenbilder (vgl. Jes 45,20; Jer 2,26; Ez 20,32) beziehen will; für eine komparativische Verwendung von ἀπό wie auch für einen entsprechenden hebräischen Zusatz zum Psalm fehlen jedoch die Belege. – Als Beispiel für die »Widerstandskraft des LXX-Septuagintatextes gegen Sekundäreinflüsse« wird der Zusatz von Karrer / Sigismund / Schmid: Textgeschichtliche Beobachtungen zu den Zusätzen in den Septuaginta-Psalmen, 157-160, besprochen. 50. Einen hilfreichen Einstieg bieten Reemts: Schriftauslegung, sowie besonders die beiden Bände zu den Psalmen in der Reihe Ancient Christian Commentary on Scripture, Old Testament, Vol. 7-8 (s. Literatur: Altkirchliche Kommentare – Sammlungen). 51. Siehe dazu die Aufstellung unter Literatur: Altkirchliche Kommentare. 52. Vgl. bes. Maier: Zur Verwendung der Psalmen in der synagogalen Liturgie; Füglister: Die Verwendung und das Verständnis der Psalmen und des Psalters um die Zeitenwende; ders.: Die Verwendung des Psalters zur Zeit Jesu. 53. So van der Kooij: Place of Origin, 71-74; Schaper: Septuaginta-Psalter, 177-179. 54. Vgl. z. B. Pietersma: Critical Text, 29 f.; ders.: Superscriptions, 129-137; Dorival: Autour des titres des Psaumes, 166-168; Rösel: Psalmüberschriften, 143-145; Brucker: ›Sitz im Leben‹, 569-571 (vgl. auch ebd. 571-576 zu Philon als angeblichem Zeugen für den liturgischen Ge-

279

gtvh 08105 / p. 280 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

turgische Verwendung ins Feld geführt werden kann (der Kontext deutet eher auf inspirierte christliche Schöpfungen). 55 Die Heranziehung der LXX-Psalmen zur schriftgelehrten Argumentation seit dem NT (wie auch schon bei Philon) ist hingegen unstrittig. Gegen Ende des 2. Jh. ist die Verwendung alttestamentlicher Psalmen in der christlichen Liturgie erstmals eindeutig belegt; im 4. Jh. wurde der Psalter zum offiziellen Gesang- und Gebetbuch der Kirche. 56 Daneben ist die Verwendung von LXXPsalmversen in der privaten Frömmigkeit (Grabinschriften, Schutzamulette) hervorzuheben. 57 Kunstgeschichtlich bedeutend sind die illuminierten Psalterien, vor allem ab dem 9. Jh – nach der Überwindung des Bildersturmes (843). Die älteste bekannte Handschrift dieser Art ist der sog. Chludov-Psalter aus dem 9. Jh. (= Ra 1101). Dieser befand sich bis 1847 auf dem Berg Athos, gelangte dann nach Moskau in den Besitz des Kaufmanns Alexei Ivanovič Chludov und befindet sich seit 1917 im Staatlichen Historischen Museum in Moskau (Ms. Gr. 129d). Die über 200 Bilder, auf die meistens durch kleine Pfeile aus dem Text heraus verwiesen wird, beziehen sich sowohl auf alttestamentliche als auch auf neutestamentliche Szenen und sogar auf historische Personen der Zeit des Byzantinischen Bilderstreits, wobei die Ikonoklasten durch karikaturhafte Darstellung polemisch verzerrt werden. Metaphorische Ausdrücke der Psalmen werden in teils grotesker Weise ›beim Wort genommen‹. 58 Der Textwert des Psalters ist allerdings eher gering, da im 12. Jh. die ursprünglichen Unzialen des 9. Jh. weitgehend getilgt und durch Minuskeln mit dem byzantinischen Text ersetzt wurden. Ein Palimpsest ist auch die etwa gleich alte Athos-Handschrift Pantokrator 61 (= Ra 1032), deren Unzialen aus dem 9. Jh. im 13. Jh. überschrieben wurden; die ca. 100 erhaltenen Bilder stammen aus der ursprünglichen Entstehungszeit. Von den übrigen meist nur fragmentarisch erhaltenen illuminierten griechischen Psalterien ist vor allem noch der Pariser Psalter (Bibliothèque nationale, Ms. Gr. 139 = Ra 1133) aus dem 10. Jh. zu nen-

55. 56.

57.

58.

brauch der LXX-Psalmen, in Auseinandersetzung mit Leonhardt-Balzer: Philo und die Septuaginta, 632-634). Vgl. Brucker: ›Sitz im Leben‹, 575-576. Vgl. Brucker: ›Sitz im Leben‹, 577-579. Ob es sich bei der liturgischen Verwendung freilich um Gesang oder Lesung bzw. Rezitation handelt, ist in den ohnehin spärlichen Quellen nicht immer deutlich, zumal einige von ihnen offenbar noch nicht einmal die griechische, sondern eine lateinische Fassung der Psalmen voraussetzen (vgl. Acta Pauli 9 [P.Hamb.bil.1, p. 7]; Tertullian: Apol. 39,18, CC.SL 1, 152 f.; Tertullian: De anima 9,4, CC.SL 2, 792; [Ps.-]Hippolyt, Traditio Apostolica 25, FC 1, 276; Athanasius, Epistola ad Marcellinum 27, PG 27, 37 D-40 A; Synode von Laodicea, Canon 59; gar nicht auf den Gottesdienst bezogen sind wohl Clemens von Alexandria, Paedagogus II, 4,43,1-44,5, GCS 12, 183 f. [vgl. 40]; Tertullian: De carne Christi 20,3, CC.SL 2, 909; Cyprian: Epistola ad Donatum 16, CC.SL 3A, 13; Didascalia I, 6,5, ed. Funk, 15). Dazu siehe Brucker: Textgeschichtliche Probleme, 79 f. mit Anm. 2-7, sowie Rebiger: Die magische Verwendung von Psalmen im Judentum; Felle: Expressions of Hope; T. J. Kraus: »Außertextliche« Rezeption von LXX-Psalm 90 (jeweils mit weiterer Literatur). Als ein Beispiel sei hier die Illustration zu Ps 72,9 (ἔθεντο εἰς οὐρανὸν τὸ στόμα αὐτῶν, καὶ ἡ γλῶσσα αὐτῶν διῆλθεν ἐπὶ τῆς γῆς »Sie haben ihren Mund gegen den Himmel gesetzt, und ihre Zunge ist auf der Erde einhergegangen«) auf Folio 70v genannt, wo die weit aufgerissenen Münder der Gesetzlosen fast den Himmel berühren (der als Halbkugel, die mit einem Kreuz gekrönt ist, vor ihren Gesichtern hängt) und zugleich ihre lang herabhängenden Zungen an die Erde reichen.

280

gtvh 08105 / p. 281 / 31.3.2022

Psalmen

nen, eine Prachthandschrift in der Tradition hellenistischer Kunst, in der besonders die vielen allegorischen Figuren (personifizierende Darstellung der Melodie, der Kraft, der Sanftmut usw.) hervorstechen; der in Minuskeln geschriebene Text bietet auch Auslegungen griechischer Kirchenväter als Katenen. 59

59. Zu diesem Feld siehe Tikkanen: Psalterillustration; Dufrenne: L’illustration des psautiers grecs du Moyen-âge; den Sammelband The Illuminated Psalter (ed. Büttner); ferner Bader: Psalterspiel, 168-218 (= § 5). Hier werden auch die lateinischen und kirchenslavischen illuminierten Psalterien behandelt.

281

gtvh 08105 / p. 282 / 31.3.2022

2.2.3.2 Proverbs Susan Docherty Literature Editions Ps.-Basilius: Adversus Eunomium, Libri IV et V, PG 29, 671 A-774 A – Faustinus: De Trinitate, ed. Manlio Simonetti, CC.SL 69, Turnhout 1967, 289-353 – Hieronymus: Epistulae, ed. Isidor Hilberg, Vol. 1, Epistulae 1-70, CSEL 54, Wien / Leipzig 1910 – Hilarius Pict.: Liber de synodis seu fide orientalium, PL 10, 471 B-546 B. Lindemann, Andreas / Paulsen, Henning: Die Apostolischen Väter. Griechisch-deutsche Parallelausgabe auf der Grundlage der Ausgaben von Franz Xaver Funk/Karl Bihlmeyer und Molly Whittaker mit Übersetzungen von Martin Dibelius und Dietrich-Alex Koch neu übersetzt und hg., Tübingen 1992.

Secondary Literature Barr, J.: “ba-arets – ΜΟΛΙΣ Prov. XI.31, 1 Pet. IV, 18.” JSS 20 (1975), 149-164 – Brooke, George J.: “Biblical Interpretation in the Wisdom Texts From Qumran,” in: Charlotte Hempel / Armin Lange / Hermann Lichtenberger (eds.), The Wisdom Texts From Qumran and the Development of Sapiential Thought, Leuven 2002, 201-220 – Burkett, Delbert Royce: The Son of Man in the Gospel of John, Sheffield 1991 – Croy, N. Clayton: Endurance in Suffering: Hebrews 12.1-13 in its Rhetorical, Religious, and Philosophical Context, SNTSMS 98, Cambridge 1998 – Dick, Michael Brennan: “The Ethics of the Old Greek Book of Proverbs,” in: David T. Runia (ed.), The Studia Philonica Annual: Studies in Hellenistic Judaism. Vol II, Atlanta 1990, 20-50 – Durst, Michael: Studien zum “Liber de Synodis” des Hilarius von Poitiers, Band I, Einleitung, Text und die Apologetica Responsa, Habil. Masch. Bonn 1993 – Evans, Craig A.: Word and Glory: On the Exegetical and Theological Background of John’s Prologue, Sheffield 1993 – Harrington, Daniel J.: Wisdom Texts From Qumran. London / New York 1996 – Mack, Burton L.: Logos und Sophia: Untersuchungen zur Weisheitstheologie im hellenistischen Judentum, Göttingen 1973 – Ulrich, Jörg: Die Anfänge der abendländischen Rezeption des Nizänums, PTS 39, Berlin / New York 1994 – Wilson, Walter T.: The Sentences of Pseudo-Phocylides, Berlin 2005 – Xeravits, Géza G. (ed.): Dualism in Qumran, London 2010.

1. Introduction The Wirkungsgeschichte of LXX Proverbs has not been extensively studied, perhaps because this book has generally been regarded as peripheral to the development of Jewish and Christian theology. This survey of its interpretation in later literature may, therefore, highlight some previously overlooked aspects of its reception and significance.

282

gtvh 08105 / p. 283 / 31.3.2022

Proverbs

2. A Developing Tradition: The Personification of Wisdom Writings now included within the Apocrypha, such as Sirach and the Wisdom of Solomon, together with the sapiential works discovered at Qumran, attest to the endurance and creativity of the wisdom tradition in early Judaism, both in Palestine and in the Diaspora. Connections between Proverbs and Sirach are especially evident, in content and literary form. The ‘fear of the Lord’ is introduced as the ‘beginning of wisdom’ in both texts (Prov 1:7; Sir 1:14), for instance, and many of the same virtues are stressed, including humility (e. g. Prov 3:34; 11:2; 18:12; Sir 3:18; 13:20) and concern for the poor (e. g. Prov 3:27-28; 17:5; Sir 4:1-6; 7:32-35). In LXX Proverbs wisdom appears as a personification of that attribute of God, but this presentation is significantly enhanced in subsequent interpretation, so that the figure of wisdom becomes an independent and quasi-divine being who has been active throughout Israel’s history (Wisd 10) and is worthy of great praise (Sir 24). Philo likewise combines scriptural exegesis with Hellenistic philosophical thought to claim for this personified wisdom mediatorial functions and an involvement in creation (Mack 1973), citing Prov 8:22-23LXX specifically (Ebr. 31). These ideas were taken up in early Christianity as Jesus came to be identified with this divine wisdom (Evans 1993). A Hebrew text from Qumran, 4Q184 illustrates a related development of Proverbs 1-9 by portraying foolishness, wisdom’s antithesis, as a wicked woman eager to seduce the righteous (Harrington 1996). Wisdom also became equated with the torah in later sapiential works (e. g. Sir 24:1-29; Bar 4:1-4). The Greek translation of Proverbs possibly contributed to this move, since the Hebrew term torah, or instruction, is frequently (although not exclusively) rendered into Greek as νόμος, increasing the association between ‘law’ and the search for wisdom.

3. The Use of LXX Proverbs in the New Testament The association of Jesus with the figure of wisdom is not a prominent theme in the NT, although the influence of Prov 8 is evident in the prologue to the Fourth Gospel and in other occasional references to his closeness to God and involvement in creation (Col 1:17; Rev 3:14). In addition, Matthew’s Parable of the Wedding Feast recalls the description of wisdom sending out her servants to summon people to a banquet (Matt 22:1-14; Prov 9:2-6), and the ‘Bread of Life’ discourse in John 6:47-51 may be indebted to Prov 9:5 (as well as to the Pentateuchal narratives of the giving of the manna), since there wisdom calls, ‘Come, eat of my bread …’ The language of seeking for Christ or the kingdom as for a valuable treasure may also echo the injunctions in Proverbs to diligently search out wisdom. 1 It is not always possible to be certain, though, whether the NT authors are alluding specifically to LXX Proverbs in these cases, or drawing on a broader wisdom tradition. The explicit appeal to LXX Proverbs within the NT is, however, greater than is often recognised. There are five definite citations of it (Prov 3:11-12 at Heb 12:5-6; Prov 3:34 at Jas 4:6 and 1Pet 5:5; Prov 11:31 at 1Pet 4:18; Prov 25:21-22 at Rom 12:20); two further possible quotations (at Matt 16:27 and Rom 2:6; cf. Prov 24:12 and the virtually 1.

E. g. Matt 7:8; 13:44-46; Jn 7:34; Jas 1:5; cf. Prov 1:28; 2:3-6; 8:17-19.

283

gtvh 08105 / p. 284 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

identical Ps 61:13LXX); three instances where it is either partially cited or clearly alluded to 2; and a significant number of other more minor allusions (e. g. Prov 22:8a at 2Cor 9:7 ‘God loves a cheerful giver …’). Proverbs is, therefore, quoted by the NT authors considerably more often than the other ‘writings’ (excluding Psalms), more frequently than the majority of the Minor Prophets, and approximately the same number of times as Numbers, Ezekiel and Daniel. Almost every NT work shows a familiarity with its language and teaching; the exceptions are Mark’s Gospel and seven of the shorter letters (2 Thess, 1 Tim, Tit, Phm, 2 Pet, 2 Jn, 3 Jn). There are also dozens of references to themes found in this work but widespread elsewhere in scripture and Second Temple Jewish literature, for which, therefore, Proverbs may not be the direct source. Examples of these include assurances that God hears the prayers of the righteous (Jn 9:31; Prov 15:8; cf. CD 11:20-21); exhortations to keep walking in a straight path 3; or warnings that people can expect to reap as they sow. 4 Commentators have not always been sufficiently alert to this range of NT allusions to Proverbs. The reference at Jn 3:13 to the son of man ascending and descending into heaven, for instance, probably draws on Prov 30:4, as this is the only scriptural verse which speaks of both ascent into and descent from heaven (Burkett 1991). However, the influence of LXX Proverbs here is often downplayed in favour of other possible parallels with texts such as Dan 7:13. The use of LXX Proverbs in the NT is characterised by two features in particular. First, it is generally employed to support instruction about the correct way to live as a follower of Jesus, and, second, it frequently receives an eschatological interpretation. The NT authors read Proverbs as applying directly to their communities in the present, then. In Heb 12:5-6, for example, each member of the epistle’s audience has become the ‘son’ who is personally addressed by the exhortation of Prov 3:11-12. Likewise in Rom 12:20, Paul urges his hearers to follow the teaching of Prov 25:21-22 to give food and drink even to an enemy. His commitment to the continuing relevance of the ethics of Proverbs is further demonstrated throughout this chapter: the warning against pride (Rom 12:16), for instance, echoes Prov 3:7, although this is a fairly common scriptural motif. The injunction to ‘take thought for what is noble in the sight of all’ (Rom 12:17; cf. 2Cor 8:21), however, does appear to be a stronger allusion to Prov 3:4. All the undisputed citations of Proverbs in the NT occur in the letters, highlighting its perceived value for addressing pastoral and ethical issues. The solid and more significant allusions are also clustered in three texts which strike a particularly didactic or exhortatory note, namely James, 1 Peter and Matthew. James, for example, reflects the teaching of Proverbs in its key warnings against anger and an unbridled tongue 5, and in its reminder that we do not know what tomorrow will bring. 6 The attitude to the poor enjoined by these three writers is also similar to that found in Proverbs, although a call to generosity in almsgiving is hardly unique to Proverbs within scripture. Nevertheless, the specific language of LXX Proverbs seems to be picked up in Jas 2:6 ‘But you 2. 3. 4. 5. 6.

Prov 10:12 at Jas 5:20 and 1Pet 4:8; Prov 26:11 at 2 Pet 2:22. Acts 13:10; Heb 12:13; Prov 3:6; 4:26; 21:16; cf. e. g. Ps 5:8. 2Cor 9:6; Gal. 6:7; Prov 11:24; 22:8; cf. Test. Levi 13:6. Jas 1:19-20; 3:6; Prov 15:1; 16:27; cf. Matt 5:22. Jas 4:14; cf. 1:5; 3:13-18; Prov 27:1; 30:8; cf. Lk 12:16-20.

284

gtvh 08105 / p. 285 / 31.3.2022

Proverbs

have dishonoured the poor man …’ (cf. Prov 14:21; 17:5; cf. Matt 5:7). In addition, Proverbs directly equates having compassion on the needy with helping God, a concept graphically illustrated in Matthew’s Parable of the Sheep and Goats (Matt 25:31-46; Prov 19:17; cf. 2 En. 44:1-2). The Proverbial instruction clearly continued to be highly valued in some early Jewish and early Christian circles, then, and these links between it and the ethical guidance given in the NT merit further investigation. The teaching of Proverbs was perhaps regarded as especially applicable in the endtimes, the period in which the followers of Jesus understood themselves to be living. The firm expectation that ‘… the end of all things is at hand …’ (1Pet 4:7, 17), for instance, is the motivation for holding fast to the love which ‘covers all offences’ (1Pet 4:8; cf. Jas 5:20; cf. Prov 10:12). The early Christians may have understood Proverbs, therefore, like other sections of the scriptures such as the prophetic literature and the Psalms, as being ‘fulfilled’ in the coming of Jesus and their own experiences (see e. g. 2Cor 10:4, echoing Prov 21:22). The second century work the Martyrdom and Ascension of Isaiah (4:21) does specifically describe both Proverbs and Psalms as containing scriptural predictions of future events. Sometimes the NT authors produce an eschatological interpretation of a Proverbs text by combining it with another scriptural verse, as in Rom 12:19-20, which juxtaposes citations from Deut 32:35 ‘Vengeance is mine, I will repay …’ and Prov 25:21-22. At other places, their reading is specifically prompted by the Greek translation. As part of a whole chapter dealing with the coming judgment, for example, 2 Pet 2:22 applies Prov 26:11 to his opponents. The expansion of this verse in the LXX, contrasting the shame that brings about sin with that which leads to glory and grace, supports its exegesis in the letter. This saying may have circulated in a popular form, since the second clause quoted here, about a sow wallowing in mire, has no obvious scriptural source, but is found also in the Syriac version of The Words of Ahiqar (8:18). Similarly, in the citation of Prov 11:31 at 1Pet 4:18, the LXX text used by the author differs considerably from the MT: μόλις has replaced the Hebrew baarets, and yeshallem (‘is requited’) is rendered as σώζεται (Barr 1975). This translation enables the author of 1 Peter to exhort his audience to endure their present sufferings in the hope of receiving ‘salvation’ in the future. Some early Jewish sources show affinities with this eschatological interpretation of Proverbs. In 4Q184, for instance, future rewards and punishments are linked with right behaviour in the present (Brooke 2002), and the Psalms of Solomon combines an apocalyptic expectation with a commitment to the ethical teaching and general outlook of Proverbs.

4. The Significance of the Greek Translation for Interpretation and Theology The possibility that Greek translations of Proverbs contributed to the identification of torah and wisdom has already been noted above, as have some examples of the significance of the differences between the MT and LXX versions of specific texts for their interpretation in the NT. There are two further ways in which the LXX form of Proverbs may have contributed to later theological developments. First, a stronger distinction is created in Greek between the wise/righteous and the foolish/wicked by the repeated translation of various Hebrew terms meaning ‘fools’ as ἀσεβής, ‘wicked’ or 285

gtvh 08105 / p. 286 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

‘godless’ (Dick 1990). However, this division of humanity into two distinct groups is present to some extent within MT Proverbs, and is not confined to Hellenistic Jewish sources: dualism is a marked feature of a number of Qumran compositions, for example (Xeravits 2010). Second, the key Hebrew wisdom term musar (instruction) is regularly rendered into Greek as παιδεία, a translation which helped to establish an important bridge between the moral teaching of Jewish sapiential literature and Hellenistic philosophical and educational traditions. Some commentators argue that this has resulted in a subtle shift of meaning, because παιδεία bears a greater sense of educative rather than correctional ‘discipline’ (Croy 1998). According to this view, then, the citation in Heb 12:5-6 (Prov 3:11-12) is employed to emphasise God’s desire to strengthen those who are enduring difficulties rather than to punish the community through their suffering. This fits with Philo’s use of the same Proverbs text to argue that life’s difficulties can prove a blessing and lead to greater intimacy with God (Prelim. Studies 175-177). This understanding of the Hebrews passage is by no means certain, however, since the need for God to correct the audience clearly emerges elsewhere in the letter (e. g. Heb 5:116:8), and a sense that παιδεία can entail divine chastisement is not lost in early Christian tradition more widely: a citation of Prov 3:12 in 1 Clem 56:4 and an allusion to it in Rev 3:19, for instance, both carry clear overtones of reproof and the need to repent.

5. Other Uses of Proverbs in Early Jewish and Early Christian Literature Outside of the wisdom literature, an investigation of the extant writings from the late Second Temple period yields only a very short list of possible references to Proverbs, even in texts which include considerable ethical content. Any allusions which can be identified are minor and rather general. Joseph and Aseneth, for example, mentions the repayment of people according to their deeds, a concept which is not unique to Proverbs (Jos. Asen. 28:3; for other possible allusions to Proverbs, see also 6:3; 12:1). The giving of a loaf of bread to satan disguised as a beggar in the Testament of Job may be intended to show Job as dutifully following the exhortation of Proverbs to give bread even to one’s enemy (Test. Job 7:11; Prov 25:21; cf. Rom 12:20). The clearest parallels with its language and thought are to be found in a Hellenistic Jewish work of uncertain date known as Pseudo-Phocylides (Wilson 2005), which gives prominence to Proverbial themes such as self-control, generosity to the poor, wise speech and the value of hard work. Very occasionally a verse from Proverbs is seen as exemplified in a specific person or event, as in some NT uses (e. g. Heb 12:5-6; 2Pet 2:22). In 4 Maccabees 18:16, for instance, the mother of the martyrs applies to her sons the words of Prov 3:18: ‘He is a tree of life to those who do his will.’ The apostolic fathers make only limited use of Proverbs, although they refer to it more often than to other scriptural wisdom books. Direct citations from Proverbs are found in Ignatius’ Letter to the Magnesians 12:1 (Prov 18:17) and the Epistle of Barnabas 5:4 (Prov 1:17). On the whole, however, the appeal to Proverbs in these texts depends on the quotations within the NT rather than on the LXX directly. Allusions are found, 286

gtvh 08105 / p. 287 / 31.3.2022

Proverbs

for example, to the love which ‘covers all offences’ 7; to the warning against pride 8; and to the search for what is noble in the sight of God and other people. 9 By this time, then, Proverbs, like the rest of the Jewish scriptures, is beginning to be read through the prism of the NT. The identification of Jesus as Logos with divine wisdom, however, meant that the interpretation of Prov 8:22-31 became critical for the Trinitarian debates of the fourth century CE (Ulrich 1994). The Greek translation of Prov 8:22 (κύριος ἔκτισέν με) was widely used to support claims that the son was subordinate to the ‘Lord’ who ‘created’ him in time. 10 Opponents of this position, therefore, argued that the underlying Hebrew verb qanah is better translated as ‘possess’ 11 and so does imply the son’s co-eternality and unique relationship with the Father. They also pointed to Prov 8:25 as attesting more clearly to his existence with God before creation (Durst 1993) 12, and it was this view that ultimately triumphed at the Councils of Nicaea and Constantinople.

7. 8. 9. 10. 11. 12.

1 Clem. 49:5; 2 Clem. 16:4, cf. Jas 5:20; 1Pet 4:8; Prov 10.12. 1 Clem. 30:2; Ign. Eph. 5:3; cf. Jas 4:6; 1Pet 5:5; Prov 3:34. Polyc., Phil. 6:1; cf. Cor 8:21; Rom 12:17; Prov 3:4. E. g. Ps.-Basilius: Adv. Eun. 4, PG 29, 704c; Hilarius Pict.: De synodis 17, PL 10, 493 B. E. g. Jerome: Ep. 140.6, CSEL 54:275. E. g. Faustinus: De Trinitate 2, CC.SL 69:345.

287

gtvh 08105 / p. 288 / 31.3.2022

2.2.3.3 Ecclésiaste / Kohelet Françoise Vinel Literature Éditions Swete: OT II, 1896 – RaHa 1935/2006 – Biblia Sacra iuxta vulgatam versionem, rec. R. Weber, 1969/19944 emendavit Roger Gryson – Gentry, Peter: Ecclesiastes, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum, Auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis editum 11/2, Göttingen 2019.

Traductions Backhaus, Franz Josef: Ekklesiastes / Kohelet / Der Prediger Salomos, LXX.D, Stuttgart 2009, 20102, 987-997 – Gentry, Peter: Ecclesiast, NETS, Oxford / New York 2007, 20092, 648-656 – Vinel, Françoise: L’Ecclésiaste, BdA 18, Paris 2002.

Commentaires anciens Kohelet Rabbah, dans: Midrash Rabbah, Vol. VIII, traduction anglaise de Harry Freedman / Maurice Simon, Londres 19613 – Mopsik, Charles: L’Ecclésiaste et son double araméen. Qohélet et son Targum, Lagrasse 1990 – Taradach Madeleine / Ferrer, Joan (ed.): Un Targum de Qohéleth. Editio Princeps du LMS. M–2 de Salamanca. Texte araméen, traduction et commentaire critique, Genève 1998. Anonymus in Ecclesiasten: Commentarius qui dicitur Catena Trium Patrum, ed. Santo Lucà, CC.SG 11, Turnhout 1983 – Catena Hauniensis: In Ecclesiasten in qua saepe exegesis servatur Dionysii Alexandrini, ed. Antonio Labate, CC.SG 24, Turnhout 1992 – Didymus Alex.: Commentarius in Ecclesiasten (Tura Papyrus), 6 Vol., ed. Gerhard Binder, Leo Liesenborghs et al., Bonn 1969-1979 – Evagrius Ponticus: Scholia in Ecclesiasten, ed. Paul Géhin, SC 397, Paris 1993 – Gregorius Nyss.: In Ecclesiasten Homiliae, ed. Jacob McDonough / Paulus Alexander, GNO 5, Leiden 1986 – Gregoriius Nyss.: Omelie sull’Ecclesiaste. Traduzione, introduzione e note a cura di Sandro Leanza, collana di testi patristici, Roma 1990 – Gregorius Nyss.: Homilies on Ecclesiastes, translated by Stuart E. Hall and Rachel Moriarty, dans: Stuart G. Hall (ed.), Gregory of Nyssa, Homilies on Ecclesiastes. An English Version with Supporting Studies, Berlin 1993 – Gregorius Nyss.: Homélies sur l’Ecclésiaste, texte grec de Paul Alexander, Introduction, traduction, notes et index de Françoise Vinel, SC 416, Paris 1996 – Jérôme: Commentarius in Ecclesiasten, ed. Marcus Adriaen, CC.SL 72, Turnhout 1959, 248-361 – Jérôme: Commentaire de l’Ecclésiaste, traduction, introduction et notes de Gérard Fry, Pères dans la foi 79-80, Paris 2001 – Procopius Gaz.: Catena in Ecclesiasten, ed. Sandro Leanza, CC.SG 4, Turnhout 1978.

Études récentes Backhaus, Franz Josef: Ekklesiastes / Kohelet / Der Prediger Salomos, LXX.E, Stuttgart 2011, 2001-2028 – Barthélemy, Dominique: Les Devanciers d’Aquila, VT.S 10, Leiden 1963 – Bertram, Georg: Hebraïscher und grieschischer Kohelet, ZAW 64 (1952), 26-49 – Canellis, Aline: Le Commentaire de l’Ecclésiaste de saint Jérôme, dans: Laurence Mellerin (ed.), La réception du livre de Qohélet. Ier-XIIIe siècle, Paris 2016, 205-227 – Bons, Eberhard: Le livre de Qohéleth: les paradigmes de l’histoire de son interprétation chrétienne, Revue de Théologie et de Philosophie, 49 (1999), 199-215 – Cannon, W. W.: Jerome and Symmachus. Some points in the Vulgate

288

gtvh 08105 / p. 289 / 31.3.2022

Ecclésiaste / Kohelet

translation of Koheleth, ZAW 45 (1927), 191-199 – Dahan, Gilbert: Le roi et l’enfant: l’exégèse médiévale de Qo 4, 13-14, dans: Laurence Mellerin (ed.), La réception du livre de Qohélet, Paris 2016, 263-281 – De Lange, Nicholas R. M.: Greek Jewish Texts from the Cairo Genizah, TSAJ 51, Tübingen 1996 – Dorival, Gilles: La formation du canon des Écritures juives. Histoire de la recherche et perspectives nouvelles, dans: Rémi Gounelle / Jan Joosten (éd.), La Bible juive dans l’Antiquité, Histoire du Texte Biblique 10, Prahins 2014, 9-40 – Gentry, Peter J. / Yi, Yun-Yeong: Ekklesiastes / Kohelet / Der Prediger Salomo, dans: Siegfried Kreuzer (ed.), Handbuch zur Septuaginta, Bd. 1, Einleitung in die Septuaginta, Gütersloh 2016, 389-397 – Harl, Marguerite: Les trois livres de Salomon et les trois parties de la philosophie dans les Prologues des Commentaires sur le Cantique des Cantiques (d’Origène aux Chaînes exégétiques grecques), TU 133, Berlin 1987, 249-269 – Hyvvärinen, Kyösti: Die Übersetzung von Aquila, Lund 1977 – Jarick, John: Gregory Thaumaturgos’ Paraphrase of Ecclesiastes, SCS 29, Atlanta 1990 – Jarick, John: A Comprehensive Bilingual Concordance of the Hebrew and Greek Texts of Ecclesiastes, SCS 36, Atlanta 1993 – Leanza, Sandro: L’esegesi di Origene al libro dell’Ecclesiaste, Reggio di Calabria 1975 – Leanza, Sandro: Le tre versioni geronimiana dell’Ecclesiaste, Annali di Storia dell’esegesi 4 (1987), 87-108 – Leanza, Sandro: Le Omilie di Gregorio di Nissa e l’interpretazione crisiana antica dell’Ecclesiaste, dans: Stuart G. Hall (ed.), Gregory of Nyssa, Homilies on Ecclesiastes. An English Version with Supporting Studies, Berlin 1993, 337-359 – Lobrichon, Guy: L’Ecclésiaste médiéval en Occident ou comment convertir un livre embarrassant, dans: Laurence Mellerin (ed.), La réception du livre de Qohélet. Ier-XIIIe siècle, Paris 2016, 245-262 – Mellerin, Laurence (ed.): La réception du livre de Qohélet. Ier-XIIIe siècle, Paris 2016 – Munnich, Oliver: Contribution à l’étude de la première révision de la Septante, dans: ANRW II,20.1, Berlin / New-York 1987, 190-220 – Munnich, Olivier: Les révisions juives de la Septante: modalités et fonctions de leur transmission; enjeux éditoriaux contemporains, dans: Rémi Gounelle / Jan Joosten (éd.), La Bible juive dans l’Antiquité, Histoire du Texte Biblique 10, Prahins 2014, 141-190 – Paul, Andre: La Bible grecque d’Aquila, ANRW II, 20.I, Berlin / New York 1987, 221-245 – Salters, Robert B.: Observations on the Septuagint of Ecclesiastes, OTE 5 (1992), 163-174 – Schoors, Antoon (ed.): Qohelet in the context of wisdom, BEThL 136, Leuven 1998 – Schoors, Antoon: Ecclesiastes, Historical Commentary on the Old Testament, Leuven 2013 – Vinel, Françoise: Accumulation de ὅτι dans l’Ecclésiaste: brouillage du sens ou force rhétorique?, dans: Bernard A. Taylor (ed.), IX Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Cambridge 1995, SCS 45, Atlanta 1995, 391-401 – Vinel, Françoise: Le texte grec de l’Ecclésiaste et ses caractéristiques. Une relecture critique de l’histoire de la royauté, dans: Antoon Schoors (ed.), Qohelet in the context of Wisdom, Actes des Journées Bibliques de Louvain, BEThL 136, Leuven 1998, 283-302 – Vinel, Françoise: La réception de l’Ecclésiaste, de la Septante aux Pères cappadociens, dans: Laurence Mellerin (ed.), La réception du livre de Qohélet. Ier-XIIIe siècle, Paris 2016, 113-131.

1. De Qohélet à l’Ecclésiaste 1.1 De l’hébreu au grec : une traduction littérale Écrit tardif, sans doute du début de la période hellénistique, à un moment où, selon M. Hengel, la religion juive connaît une crise, Qohélet a pu apparaître comme un écrit sceptique, marqué par différentes tendances de la pensée grecque, sinon sans Dieu. Cela explique les discussions sur sa canonicité (Dorival, 2014). Il es finalement entré dans le canon au bénéfice de la pseudépigraphie salomonienne, puis, plus tard, il a été inséré dans les Megilloth, et relié à la fête des Tentes. La langue de Qohélet est difficile, 289

gtvh 08105 / p. 290 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

tant au point de vue lexical, avec de nombreux indices d’une langue tardive, qu’au point de vue syntaxique (Schoors, Ecclesiastes, 2013). Pour la transmission du texte hébraïque, voir Gentry, 2. Témoin de l’entrecroisement de l’hébreu et du grec, des fragments de Qohélet trouvés dans la Genizah du Caire présentent un texte grec transcrit en lettres hébraïques, qui ne correspond exactement à aucune des versions connues du livre (De Lange, 1996). La traduction grecque intégrée à la LXX présente les caractéristiques d’une des révisions juives de la LXX, celle d’Aquila (Barthélemy, Les Devanciers d’Aquila). La version d’Aquila peut être datée de la toute fin du 1er siècle de notre ère, soit un des derniers livres traduits de l’hébreu. D. Barthélemy puis O. Munnich (« Les révisions juives de la Septante : modalités et fonctions de leur transmission ; enjeux éditoriaux contemporains ») ont défini les traits littéralistes des traductions d’Aquila. Dans les Hexaples d’Origène, la version d’Aquila pour Qohélet a pris place dans la colonne « LXX » ; la question demeure de l’origine de ce qui figure dans la colonne Aquila. Signe du respect scrupuleux du texte hébraïque, la version grecque ne présente ni additions ni « moins » par rapport à celui-ci et respecte le plus souvent l’ordre des mots. Au plan syntaxique, principalement, le processus quasi mécanique de traduction trahit les usages grecs : emploi récurrent de καί γε, « vraiment », (hébreu ‫גם‬, « aussi »), caractéristique d’une des recensions de la LXX (Barthélemy, Munnich); emploi de la préposition σύν, « avec », suivie du datif, pour rendre la particule ‫ את‬introduisant en hébreu le complément direct ; la particule conjonctive ‫כי‬, « car » est uniformément rendue par ὅτι, « parce que », avec un enchaînement peu clair de propositions (par ex. Eccl 8, 6-7; Vinel, 1995). Plus complexe est le passage de l’hébreu au grec pour le système verbal (voir Gentry, p. 394), le traducteur marquant cependant une préférence pour le futur comme expression de l’inaccompli, ce qui renforce la question de l’audelà et du jugement. Ces différents traits sont symptomatiques d’une traduction littérale qui produit des effets de sens. À rebours de ces originalités, Grégoire le Thaumaturge (4ème s.) procède dans sa Metaphrasis in Ecclesiasten à une totale reformulation du texte biblique, à peine plus longue que celui-ci, il gomme toutes les difficultés syntaxiques et, selon les règles de cet exercice littéraire, s’astreint le plus souvent à choisir des équivalents lexicaux, éloignant ainsi toutes les singularités de l’Ecclésiaste.

1.2 Des choix lexicaux riches de sens L’effet produit par le lexique d’Ecclésiaste LXX est paradoxal: résultat d’un parti pris de littéralisme, il est néanmoins bien attesté dans la langue grecque et, dans ce livre traduit si tardivement, il porte la possibilité d’un intertexte élargi à l’ensemble la LXX, mais surtout aux livres sapientiaux. Contemporain de la rédaction du Nouveau Testament, l’Ecclésiaste est aussi le témoin d’un état de la langue grecque : plusieurs mots qui apparaissent comme des mots très rares, voire des hapax de la LXX (mais sont attestés dans la langue profane de la même période) entrent dans le lexique du NT : ainsi de περισσεία, « avantage » et περίσσευμα, « excès », ou encore de συνείδησις, « conscience » (Eccl 10, 20; traduit par cogitatio dans la Vulgate) appelé à devenir un des termes-clés du lexique anthropologique chrétien (plus de 20 emplois dans le NT) – de même pour ἐξουσιάζειν, « avoir de l’autorité » (10 emplois dans Eccl, et 7 dans tous les autres livres pour rendre l’hébreu shālaṭ, « avoir l’autorité », « dominer »,), signifiant 290

gtvh 08105 / p. 291 / 31.3.2022

Kohelet

la puissance et la liberté d’action du roi, et pour προαίρεσις πνεύματος, « choix de vent » (10 emplois, 5 dans tous les autres livres) qui, loin du sens de l’hébreu ‫רוח רעיון‬ raʿ yōn, « poursuite de vent », fait écho au lexique philosophique grec et conduit Grégoire de Nysse à une réflexion sur la responsabilité humaine dans le choix du bien ou du mal. Un même déplacement s’opère avec le choix du substantif θέλημα, « vouloir » en 5,3 (hébreu ‫ חפץ‬ḥēpèç, « faveur ») : TM : il n’y a pas de faveur pour les insensés / LXX : il n’y a pas de vouloir chez les insensés. Le choix du terme ἐκκλησιάστης, « ecclésiaste » repose sur une analyse étymologique de son correspondant hébraïque qohèlèt mais, du fait de son lien avec ἐκκλησία, « assemblée », ἐκκλησιάζω, « assembler, réunir », attestés dans la LXX, il suggère un double enracinement, dans le monde gréco-romain (une institution politique où l’art du discours a un rôle éminent) et dans le contexte des premières communautés chrétiennes. Il en est de même pour συκοφαντία, « oppression », et συκοφαντεῖν, « opprimer », traduisant ‫ עשׁק‬ʿ āshaq, « opprimer » (un choix privilégié par Aquila dans les autres livres, là où les LXX utilisent ἀδικεῖν, « commettre une injustice »), au sens d’oppression ou de calomnie : ces termes sont conservés par Grégoire le Thaumaturge dans sa Metaphrasis in Ecclesiasten mais ils renvoient aussi aux dénonciations d’Amos (2,8) et à un des interdits du Lévitique (19,11). Enfin, la présence du verbe ἀνίστημι, « relever » facilite l’interprétation de versets énigmatiques: Didyme lit en 12, 4 l’appel du sauveur, dont le « moineau » (στρουθίον) est la métaphore, à la résurrection; et la Catena Hauniensis explique en 4, 15 l’opposition entre « le jeune homme » et « le deuxième » comme une allusion à la résurrection d’Adam accomplie par le Christ.

2. Réception dans les premiers siècles L’usage pseudépigraphique du nom de Salomon assure à l’Ecclésiaste une réception importante jusqu’au Moyen-Âge (Lobrichon, 2016) mais la place faite alors à l’interprétation historique tend à rapprocher certaines interprétations médiévales chrétiennes de la tradition juive du Targum et du Midrash (Dahan, 2016), qui recherchent dans Qohélet / Ecclésiaste les allusions à des épisodes et personnages des livres historiques de l’AT. Jamais cité dans le NT et ayant très peu de place dans la liturgie, l’Ecclésiaste est progressivement réduit au leit-motiv « Vanité des vanités, tout est vanité », volontiers utilisé dans la prédication. L’exégèse moderne ne reconnaissant plus à Salomon la paternité du livre, il se fond dans le groupe des sapientiaux – avec une confusion fréquente entre Ecclesiastes et Ecclesiasticus (Siracide).

2.1 Les versions latines, Vetus Latina et Vulgate Comme pour d’autres livres bibliques, la connaissance des différentes versions de la Vetus Latina, traduction de la LXX, n’est accessible qu’à travers les citations (peu nombreuses sauf chez Ambroise et Augustin) faites par les Pères latins avant Jérôme. Et ce dernier lui-même a laissé trois versions de sa traduction de l’Ecclésiaste à partir de l’hébreu (voir Leanza, 1987), y compris celle utilisée pour son commentaire suivi, le premier dans la littérature latine chrétienne, écrit vers 388. Signalons pour la Vetus 291

gtvh 08105 / p. 292 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

Latina la leçon vanitas vanitantium citée plusieurs fois par Ambroise et Augustin. Et la comparaison entre les versets connus pour la Vetus Latina et les traductions de Jérôme montre comment il passe d’une révision de la Vetus Latina, souvent avec l’appui de Symmaque, à une traduction faite sur l’hébreu: Eccl 3, 21: VL (Augustin) spiritus hominis / Jérôme CommentEccl: spiritus filiorum hominum / Vulgate: spiritus filiorum Adam. Eccl 10, 17: VL (Augustin) in fortitudine et non in confusione / Jérôme, CommentEccl: in fortitudine et non in confusione / Vulgate: ad reficiendum et non ad luxuriam. Dédié à ses amies Paula et Eustochium, qui choisissent de mener une vie ascétique, le commentaire de Jérôme fait de l’Ecclésiaste, comme des autres livres sapientiaux, l’instrument d’une éducation morale nécessaire à la préparation au salut.

2.2 L’Ecclésiaste et les livres de Salomon Deux traits majeurs caractérisent l’interprétation de l’Ecclésiaste dans les premiers siècles chrétiens, de Denys d’Alexandrie (fragments dans la Chaîne de Procope sur l’Ecclésiaste) jusqu’à Maxime le Confesseur (fragments dans la Chaîne des Trois Pères) : une lecture typologique qui voit dans l’ecclésiaste une figure du Christ, qui s’adresse à l’Église dont il est la tête (Eph 5, 23 est la référence récurrente pour l’interprétation d’Eccl 2, 14 : « les yeux du sage sont sur sa tête »); et dans la perspective éducative des livres sapientiaux, l’Ecclésiaste est inséré dans la trilogie salomonienne (Proverbes, Ecclésiaste, Cantique, selon l’ordre propre à la LXX). Cette succession est assimilée aux parties de la philosophie dans le monde gréco-romain (éthique, physique et logique ou époptique) et elle est comprise comme une progression dans la connaissance. L’Ecclésiaste, livre de la « physique », fait comprendre les limites de la création (en ce sens, ce monde est ματαιότης, « vanité, folie ») et oriente vers une quête du Créateur lui-même. Le commentaire théologique de Grégoire de Nysse (portant sur Eccl 1-3,13) montre le passage de la prise de conscience de la « vanité » à l’aspiration à ce qui se joue dans le Cantique des Cantiques, l’union mystique de l’Époux et de l’Épouse. Cette ligne interprétative se retrouve jusqu’au Moyen-Âge. Dans un contexte plus spécifiquement monastique, les Scholies d’Évagre préparent le lecteur de l’Ecclésiaste à la parfaite « connaissance » (γνῶσις) de lui-même et de Dieu. En dehors des commentaires du livre, le livre est peu cité par les Pères, à l’exception du verset-refrain « Vanité des vanités, tout est vanités » dès qu’il s’agit d’inviter au renoncement et au mépris du monde (thème du contemptus mundi).

292

gtvh 08105 / p. 293 / 31.3.2022

2.2.3.4 Cantique des cantiques Jean-Marie Auwers Littérature Principaux commentaires patristiques grecs du Cantique des cantiques Gregorius Nyss.: In Canticum Canticorum (in Ct 1,1-6,9), ed. Hartmut Langerbeck, GNO 6, Leiden 1960 – Homélies sur le Cantique des Cantiques, éd. partielle [jusque Ct 2,17] avec trad. fr. par Mariette Canévet et Françoise Vinel, SC 613, Paris, 2021; les volumes suivants sont en préparation (Trad. ital. par Claudio Moreschini, Collana di testi patristici 12, Roma, 1988; trad. allemande par Franz Dünzl, FC 16, Freiburg, 1994; trad. fr. par Adelin Rousseau, Bruxelles, 2008; trad. angl. par Richard A. Norris, Atlanta, 2012) – Hippolytus : Commentarius in Canticum (in Ct 1,1-3,8) = Traités d’Hippolyte sur David et Goliath, sur le Cantique des cantiques et sur l’Antéchrist. Version géorgienne éditée par Gérard Garitte, CSCO 263, Leuven 1965, 32-70 (Trad. latine par Gérard Garitte, CSCO 264, Leuven 1965, 23-53) – Nilus Ancyr. In Canticum Canticorum = Nilus von Ancyra: Schriften. Band 1. Kommentar zum Hohelied, Bearbeitet von Hans-Udo Rosenbaum, PTS 57, Berlin 2004 – Nil d’Ancyre: Commentaire sur le Cantique des Cantiques, édition partielle [jusque Ct 4,1] avec trad. fr. par Marie-Gabrielle Guérard, SC 403, Paris 1994, le volume suivant est en préparation) – Origenes: Homiliae in Canticum, ed. Wilhelm Adolf Baehrens, GCS 33, Leipzig 1925, 27-60 (Origène: Homélies sur le Cantique des Cantiques (sur Ct 1,1-2,14), trad. fr. par Olivier Rousseau, SC 37bis, Paris 1966; trad. ital. par Maria Ignazia Danieli, Collana di testi patristici 83, Roma 1990; trad. ital. par Manlio Simonetti, Milano, 1998; trad. allemande par Alfons Fürst et Holger Strutwolf, Origenes Werke mit deutscher Übersetzung 9/2, Berlin 2016) – Origene: Commentarius in Canticum (in Ct 1,1-2,15) = Origenes: Homilien zu Samuel I …, GCS 33, Leipzig 1925, 61-241 (Trad. angl. par Ruth Penelope Lawson, ACW 26, 1957; trad. ital. par Manlio Simonetti, Collana di testi patristici 1, Roma 1976; trad. fr. par Luc Brésard et Henri Crouzel, SC 375-376, Paris 1991-1992) – Origene: Commentario al Cantico dei cantici. Testi in lingua greca, ed. Maria Antonietta Barbàra, Biblioteca Patristica 42, Bologna, 2005 (édition des scholies des chaînes, avec trad. italienne) – Philo Carp., Commentarius in Canticum, ed. Michael Angelus Giacomelli, PG 40, 28-153. Adaptation latine par Épiphane le scholastique, ed. Aldo Ceresa-Gastaldo, Corona Patrum 6, Turin 1979 (avec trad. ital.) – Procopius Gaz. Epitome in Canticum canticorum, ed. par Jean-Marie Auwers, CC.SG 67, Turnhout, 2011 (Trad. fr. en préparation) – Theodoretus Cyrrh.: Commentarius in Canticum (ed. Johann Ludwig Schulze), PG 81, 28-213 (Trad. angl. par Robert C. Hill, Brisbane, 2001).

Autres textes patristiques cités dans cette contribution Augustinus: Enarrationes in Psalmos I-L, ed. Eligius Dekkers / Jean Fraipont, CC.SL 38, Turnhout 1956 – Gregorius Magnus: Moralia in Iob Libri I-X, ed. Marcus Adriaen, CC.SL 143, Turnhout 1979 – Origène, Contre Celse, ed. Marcel Borret, Tome 3, SC 147, Paris 1969.

Littérature secondaire Auwers, Jean-Marie: « Le Cantique des cantiques, matrice de la spiritualité chrétienne », in: « Canterò in eterno le misericordie del Signore (Sal 89:2) », Festschrift Gianni Barbiero, AnBib, Rome 2015, 347-358 – Auwers, Jean-Marie: Le Cantique des cantiques, La Bible d’Alexandrie 19,

293

gtvh 08105 / p. 294 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

Paris 2019, 127-158 et passim – Cabassut, André: « Blessure d’amour », Dictionnaire de spiritualité 1 (1937), 1724-1729 – Cabassut, André: « Une dévotion médiévale peu connue : la dévotion à « Jésus notre mère » », Revue d’ascétique et de mystique 25 (1949), 234-245 – Chrétien, JeanLouis: Symbolique du corps. La tradition chrétienne du Cantique des cantiques, Paris 2005 – Courcelle, Pierre: Connais-toi toi-même, de Socrate à saint Bernard, 3 Vol., Collection des Études Augustiniennes, Série Antiquité, 58-60, Paris 1974-1975 – Crouzel, Henri: « Origines patristiques d’un thème mystique : le trait et la blessure d’amour chez Origène », dans: Patrick Granfield / Josef Andreas Jungmann (éds), Kyriakon. Festschrift Johannes Quasten, Vol. 1, Münster 1970, 309-319 – Doignon, Jean: « « Blessure d’affliction » et « blessure d’amour » (Moralia 6, 25, 42): une jonction de thèmes de la spiritualité patristique de Cyprien à Augustin », dans: Jacques Fontaine / Robert Gillet / Stan M. Pellistrandi (éds), Grégoire le Grand, Colloques internationaux du CNRS, Paris 1986, 297-303 – Frank, Karl Suso: « Geordnete Liebe. Cant 2,4b in der patristischen Auslegung », Wissenschaft und Weisheit 49 (1986), 15-30 – Pétré, Hélène: « Ordinata caritas. Un enseignement d’Origène sur la charité », RSR 42 (1954), 40-57 – Simke, Heinz: « Cant. I, 7 f. in altchristlicher Auslegung », ThZ 18 (1962), 256-267.

1. Remarques préliminaires Le Cantique des cantiques est la matrice biblique de la spiritualité chrétienne. Il a fourni aux chrétiens les mots dont ils avaient besoin pour dire la plus haute expérience mystique, celle de l’union de l’être humain avec son Dieu, mais la plupart des thèmes qui ont marqué la spiritualité chrétienne proviennent d’options prises par le traducteur grec. 1

2. L’histoire de la réception des particularités de la Septante En Ct 1,2b, la bien-aimée réclame les baisers de son amoureux, en lui disant : « tes caresses sont meilleures que le vin » (TM). La LXX lui fait dire : « tes seins (μαστοί σου) sont meilleurs que le vin ». De même, en 1,4d, au lieu de « nous célébrerons tes caresses plus que le vin » (TM), le grec traduit: « nous aimerons tes seins (μαστούς σου) plus que le vin ». La traduction grecque suppose la lecture ‫ ַדּ ֶדּיָך‬au lieu de ‫דֹּ ֶדיָך‬. Même option dans la Vulgate (ubera). Dans la lecture allégorique qu’ils ont faite du Cantique, les lecteurs chrétiens ont interprété les seins du bien-aimé comme la source de l’enseignement du Verbe divin. Déjà Hippolyte identifie les deux seins avec l’Ancien et le Nouveau Testament 2, tandis que pour Origène la doctrine évangélique, issue de la poitrine du Sauveur, surpasse de beaucoup le vin des enseignements prophétiques. 3 On est ici au point de départ du thème des seins nourriciers du Verbe, source de sa doctrine, thème que les commentateurs vont traiter dans toute sa diversité 4 : ils surpassent tantôt le vin de la Loi et la doctrine prophétique (comme chez Origène), tantôt

1. 2. 3. 4.

Auwers: « Le Cantique des cantiques, matrice de la spiritualité chrétienne », passim. Hippolyte: ComCt, CSCO 263, 26. Origène: ComCt, I, 2, 8-9, GCS 33, 94. Cf. Chrétien: Symbolique du corps, 201-223.

294

gtvh 08105 / p. 295 / 31.3.2022

Cantique des cantiques

« le lait de la sagesse des Grecs, qui paraît avoir le goût du vin ». 5 Si les seins sont souvent identifiés à la doctrine du Verbe, ils peuvent être aussi « les généreuses interventions de la puissance divine en notre faveur, par lesquelles Dieu allaite la vie de chacun, accordant à chacun de ceux qui la reçoivent la nourriture qui leur convient ». 6 Ce thème aboutira, dans l’Occident médiéval, à la dévotion à Jésus-notre-mère (sous l’influence de saint Anselme, 11e s.) 7. En Ct 1,7, la bien-aimée demande au bien-aimé de lui indiquer où il fait paître son troupeau. Il lui est répondu : « Si tu ne (le) sais pas toi-même (litt. : « pour toi », ‫)ָלְך‬, belle entre les femmes, sors sur les traces des brebis … » (TM). La LXX propose : « Si tu ne te connais pas toi-même … » (ἐὰν μὴ γνῷς σεαυτὴν), c.-à-d. que le traducteur grec a interprété le dativus commodi ‫ «( ָלְך‬pour toi ») comme le complément d’objet direct. Jérôme, dans sa traduction d’après l’hébreu, a pris la même option : Si ignoras te. C’est donc un contresens qui est à l’origine d’une riche tradition interprétative, chez Philon d’Alexandrie et dans la patristique tant grecque que latine, sur la nécessité de se connaître soi-même 8. Origène, qui a repéré ici la présence du précepte delphique « Connais-toi toi-même », a réinterprété celui-ci à la lumière de la révélation biblique : se connaître, c’est découvrir l’empreinte divine que chacun porte en soi, et plus précisément se reconnaître créé à l’image de Dieu (Gn 1,26-27), et donc reconnaître que la beauté originelle de l’âme tient à l’image de Dieu qui est en elle. 9 Origène a investi ce précepte d’un sens fondé sur la tradition judéo-chrétienne. En 2,4, la bien-aimée constate: « Il m’a fait entrer dans la maison du vin; son étendard au-dessus de moi, c’est Amour » (TM). La LXX traduit le v. 4b par : τάξατε ἐπ’ ἐμὲ ἀγάπην, c.-à-d. que le traducteur a lu une forme verbale (‫ ִדּ ְגלוּ‬ou ‫ ) ַדּ ְגּלוּ‬au lieu du substantif ֺ‫ «( ִדּ ְגלו‬son étendard »). Le sens voulu par le traducteur grec est probablement : « déployez contre moi l’amour » (sens militaire de τάσσειν) 10. Mais le verbe τάσσειν (« placer, mettre ») est trop général en grec pour sauver l’image militaire auprès des lecteurs qui n’avaient pas accès au modèle hébreu. L’image est déjà perdue dans la traduction vieille-latine : constituite in me caritatem, « établissez en moi l’amour ». Les chrétiens ont vu ici une invitation à « ordonner » la charité, à y mettre bon ordre. De « ranger en ordre de bataille », on est passé à l’idée d’« arranger, mettre en ordre ». D’où le thème patristique de la charité bien ordonnée, qui apparaît dès Origène 11 et qui sera traité tout au long de l’époque patristique 12. En Ct 2,5, la bien-aimée demande à être ranimée avec des pommes, car, dit-elle selon le TM, « je suis malade d’amour ». Le grec ne parle pas de maladie, mais de blessure : τετρωμένη ἀγάπης ἐγώ « je suis blessée d’amour ». D’où le thème mystique du

5. 6. 7. 8.

Nil d’Ancyre: ComCt, PTS 57, 10. Grégoire de Nysse: HomCt, 1, GNO 6, 33. Cf. Cabassut: « Une dévotion médiévale peu connue », passim. Cf. Simke: « Cant. I, 7 f. in altchristlicher Auslegung », passim; Courcelle: Connais-toi toimême, Vol. 1, Paris 1974. 9. Origène: ComCt, II, 5, GCS 33, 141-142. 10. Cf. Auwers: Le Cantique des cantiques, 216-217. 11. Origène: HomCt, II, 8, GCS 33, 52-53 ; ComCt, III, 7, GCS 33, 186-191. 12. Cf. Pétré: « Ordinata caritas. Un enseignement d’Origène sur la charité », passim ; Frank: « Geordnete Liebe. Cant 2,4b in der patristischen Auslegung », passim.

295

gtvh 08105 / p. 296 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

trait et de la blessure d’amour, qui apparaît chez Origène. 13 Pour Origène, l’archer est soit le Père (selon Is 49,2), soit le Christ lui-même dans sa beauté d’image du Père ; la flèche est le Verbe, ou bien la plaie qui se forme dans l’âme 14; l’épouse que blesse le trait n’est jamais l’Église, mais toujours l’âme fidèle 15. Ce thème sera abondamment traité dans la littérature mystique, à l’époque patristique 16 et bien au-delà 17. En Ct 2,7, les filles de Jérusalem sont adjurées de ne pas réveiller l’amour avant son bon vouloir : « si vous éveillez, si vous réveillez l’amour avant qu’il ne le veuille, … » (sous-entendu : « malheur à vous »). Le traducteur grec a rendu la phrase mot pour mot, en décalquant la tournure hébraïque d’adjuration, mais, comme la proposition conditionnelle n’est pas attestée en grec avec cette valeur, les lecteurs anciens ont compris que le texte invitait à réveiller l’amour endormi, « au point où il le veut » ou « jusqu’à cela qu’il veut ». Le verset a donc été lu à contresens de l’hébreu, comme une invitation à réveiller l’amour de charité qui dort au fond de nous, et cela dès Origène. 18 En 4,8, au lieu de « tu quitteras le sommet de l’Amanah » (TM), la LXX propose : « Tu parviendras depuis la début de la foi », ce que Grégoire de Nysse identifie au « sacrement de la naissance d’en-haut ». 19 Tous ces développements auraient été impossibles à partir de la Bible des Massorètes.

13. 14. 15. 16.

Origène : HomCt, II, 8, GCS 33, 53-54 ; ComCt, Prol., 2,36 et III, 8, 13-15, GCS 33, 67 et 194-195. Origène: Contre Celse, VI, 9, SC 147, 200. Cf. Crouzel: « Origines patristiques d’un thème mystique », passim. Grégoire de Nysse : HomCt, 4, GNO 6, 127-129; Augustin : En. Ps., 37, 5, CCSL 38, 385-386; Grégoire le Grand : Moralia in Job VI, 25, 42, CC.SL 143, 315. Cf. Doignon: « « Blessure d’affliction » et « blessure d’amour » », passim. 17. Cabassut: « Blessure d’amour », passim. 18. Origène: HomCt, II, 9, GCS 33, 55; ComCt, III, 10, GCS 33, 197-199. 19. Grégoire de Nysse: HomCt, 8, GNO 6, 250.

296

gtvh 08105 / p. 297 / 31.3.2022

2.2.3.5 Ijob Markus Witte Literatur Editionen und Übersetzungen Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum, Band XI/4: Iob, ed. Joseph Ziegler, Göttingen 1982 – Biblia Sacra iuxta Latinam Vulgatam Versionem: Ad Codicum Fidem iussu Pii PP. XII cura et studio monachorum abbatiae pontificiae sancti Hieronymi in urbe ordinis sancti Benedicti edita. Liber Hester et Iob, Rom 1951 – Caspari, Carl Paul: Das Buch Hiob (1,1-38,16) in Hieronymus’s Uebersetzung aus der alexandrinischen Version nach einer St. Gallener Handschrift saec. VIII, Christiania 1893. – Cox, Claude E.: Armenian Job. Reconstructed Greek Text, Critical Edition of the Armenian with English Translation, Hebrew University Armenian Studies 8, Leuven u. a. 2006 – Lagarde, Paul A. de: Des Hieronymus Uebertragung der griechischen Uebersetzung des Iob, Mittheilungen II,11, Göttingen 1887, 189-237 – Meade, John Daniel: A Critical Edition of the Hexaplaric Fragments of Job: Chapters 22-42, Ph.D. The Southern Baptist Theological Seminary, Louisville 2012 – Sabatier, Pierre: Liber Job, in: ders., Bibliorum Sacrorum Latinae Versiones Antiquae seu Vetus Italica, I, Reims 1743, 826910 – Woods, Nancy Therese: A Critical Edition of the Hexaplaric Fragments of Job: Chapters 1-21, Ph.D. The Southern Baptist Theological Seminary, Louisville 2009 – Weber, Robert (ed.): Prologus Sancti Hieronymi in Libro Iob; Liber Iob, in: ders., Biblia Sacra Iuxta Vulgatam Versionem, I, Stuttgart 51994, 731-766 – Witte, Markus / Kepper, Martina: Job / Das Buch Ijob (Hiob), in: Wolfgang Kraus / Martin Karrer (ed.), Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in Übersetzung, Stuttgart 22009, 1007-1056. Testamentum Iobi, ed. Sebastian P. Brock, PVTG II, Leiden 1967 – Apocalypse of Paul. A New Critical Edition of Three Long Latin Versions with fifty-four Plates, ed. Theodore Silverstein / Anton Hilhorst, Cahiers d’Orientalisme XXI, Genf 1997 – Doran, Robert: Aristeas the Exegete, in: James H. Charlesworth (ed.), The Old Testament Pseudepigrapha, II, London / New York 1985, 855-859 – Philonenko, Marc.: Le Testament de Job. Introduction, traduction et notes, in: Sem. 18 (1968), 1-75 – Schaller, Berndt: Das Testament Hiobs, JSHRZ III, Gütersloh 1979, 303-387 – Spittler, Russell P.: Testament of Job, in: James H. Charlesworth (ed.), The Old Testament Pseudepigrapha, I, New York 1983, 829-868. Didymos Alex.: Kommentar zu Hiob, Tl. I-II, ed. Albert Henrichs, PTA 1-2, Bonn 1968; Tl. III, ed. Ursula Hagedorn / Dieter Hagedorn / Ludwig Koenen, PTA 3, Bonn 1966; Tl. IV, ed. Ursula Hagedorn, PTA 33, Bonn 1985 – Eusebius Caes.: Das Onomastikon der biblischen Ortsnamen. Edition der syrischen Fassung mit griechischem Text, englischer und deutscher Übersetzung, ed. Stefan Timm, TU 152, Berlin / New York 2005 – Johannes Chrysostomos: Kommentar zu Hiob, ed. Ursula Hagedorn / Dieter Hagedorn, PTS 35, Berlin / New York 1990 – Julianus Arianus: Hiobkommentar, ed. Dieter Hagedorn, PTS 14, Berlin / New York 1973 – Justinus Martyr: Dialogus, ed. Philippe Bobichon, Par 47/1+2, Fribourg 2003 – Olympiodorus Alex.: Kommentar zu Hiob, ed. Ursula Hagedorn / Dieter Hagedorn, PTS 24, Berlin / New York 1984 – Severian: In Job (sermones 1-4), in: PG 56, 563-582 – Tertullian: Liber de patientia, ed. Jan Willem Ph. Borleffs, CC.SL 1, Turnhout 1954, 297-317. Denis, Albert-Marie (ed.): Fragmenta Pseudepigraphorum quae supersunt graeca una cum historicorum et auctorum Judaeorum hellenistarum fragmentis, PVTG IIIb, Leiden 1970 – Donner, Herbert: Pilgerfahrt ins Heilige Land. Die ältesten Berichte christlicher Palästinapilger (4.–7. Jahrhundert), Stuttgart 20022 – Fischer, Josef Anton: Der Klemens-Brief, in: ders., Die

297

gtvh 08105 / p. 298 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

Apostolischen Väter. Eingeleitet, herausgegeben, übertragen und erläutert, Schriften des Urchistentums I, Darmstadt 101993, 1-107 – Jacoby, Felix: Fragmente der griechischen Historiker, Neuausgabe Brill online – Hagedorn, Ursula / Hagedorn, Dieter (ed.): Die älteren griechischen Katenen zum Buch Hiob, Bd. I, PTS 40, Berlin 1994; Bd. II, PTS 48, Berlin 1997; Bd. III, PTS 53, Berlin 2000; Bd. IV, PTS 59, Berlin 2004 – Walter, Nikolaus: Fragmente jüdisch-hellenistischer Exegeten: Aristobulos, Demetrios, Aristeas, JSHRZ III, Gütersloh 1980, 257-299.

Weitere Literatur THB 1c: 151-239 – Apt, Naftali: Die Hiobserzählung in der arabischen Literatur, 1. Teil: Zwei arabische Handschriften der kgl. Bibliothek zu Berlin herausgegeben, verglichen und übersetzt, Diss. phil. Heidelberg, Kirchhain N.-L. 1913 – Begg, Christopher T.: Comparing Characters: The Book of Job and the Testament of Job, in: Willem A. M. Beuken (ed.), The Book of Job, BEThL 114, Leuven, 1994, 435-445 – Burchard, Christoph: Hiob unter den Propheten. Ein biblisches Exempel im Jakobusbrief (5,11), in: Claudia Nauerth / Reinhard Grieshammer (ed.), Begegnungen (FS Bernd Jörg Diebner), DBAT, Dielheim 1999, 13-18 – Budde, Rainer: Job, LCI 2 (1970) [Nachdr. 1994], 407-414 – Centre d’Analyse et de Documentation Patristiques (ed.): Biblia Patristica. Index des citations et allusions bibliques dans la littérature patristique, I-VII, Suppl., Paris 1975-2000 – Centre d’Analyse et de Documentation Patristiques (ed.): Le livre de Job chez les Pères, CBiPa 5, Strasbourg 1996 – Cimosa, Mario: John Chrysostom and the Septuagint (Job and Psalms), in: Melvin K. H. Peters (ed.), XII Congress of IOSCS, Leiden 2004, SCS 54, Atlanta 2006, 117-130 – Cimosa, Mario: L’intercessione di Giobbe in LXXGb 42,7-10, Salesianum 49 (1986), 512-538 – Clines, David J. A.: Job 1-20, WBC 17, Dallas 1989, lxiii-lxvii; xciii-xcvi; cvi (Lit.); Clines, David J. A.: Job 21-37, WBC 18a, Nashville 2006; Clines, David J. A.: Job 38-42, WBC 18b, Nashville u. a. 2011, 1260-1266; 1337-1340; 1342 f. (Lit.) – Constantelos, Demetrios J.: The Holy Scriptures in Greek Orthodox Worship, in: The Greek Orthodox Theological Review 12 (1966/67), 7-83 – Dassmann, Ernst: Akzente frühchristlicher Hiobdeutung, JAC 31 (1988), 40-56 – Dassmann, Ernst: Hiob, RAC 15 (1991), 366-442 – Dochhorn, Jan: Das Testament Hiobs als exegetischer Text. Ein Beitrag zur Rezeptionsgeschichte der Hiob-Septuaginta, in: Wolfgang Kraus / Martin Karrer (ed.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 671-688 – Dresken-Weiland, Jutta: Die Auferstehung des Fleisches in den frühchristlichen Grabinschriften, in: Tobias Nicklas / Friedrich V. Reiterer / Joseph Verheyden (ed.), The Human Body in Death and Resurrection, DCLY 2009, Berlin / New York 2009, 371-389 – Freudenthal, Jacob: Hellenistische Studien 1-2. Alexander Polyhistor und die von ihm erhaltenen Reste jüdischer und samaritanischer Geschichtswerke, Breslau 1875 – Fürst, Alfons: Veritas Latina. Augustins Haltung gegenüber Hieronymus’ Bibelübersetzungen, in: ders., Von Origenes und Hieronymus zu Augustinus. Studien zur antiken Theologiegeschichte, AKG 115, Berlin / Boston 2011, 359-383 – Gammie, John G.: The Angelology and Demonology in the Septuagint of the Book of Jb, HUCA 56 (1985), 1-19 – Gard, Donald H.: The Concept of Future Life According to the Greek Tradition of the Book of Job, JBL 73 (1954), 137-143 – Gard, Donald H.: The Exegetical Method of the Greek Translator of the Book of Job, JBL.MS 8, Philadelphia 1952 [Nachdr. 1967] – Gitay, Zefira: The Portrayal of Job’s Wife and Her Representation in the Visual Arts, in: Astrid Beck (ed.), Fortunate the Eyes that See (FS Daniel Noël Freedman), Grand Rapids 1995, 516-526 – Gorea, Maria: Job repensé ou trahi? Omissions et raccourcis de la Septante, Étb N.S. 56, Paris 2007 – Gounelle, Rémi: Le frémissement des portiers de l’Enfer à la vue du Christ. Jb 38, 17b et les trois symbolse de foi des années 359-360, in: Centre d’Analyse et de Documentation Patristiques (ed.), Le livre de Job chez les Pères, CBiPa 5, Strasbourg 1996, 177-214 – Gray, Patrick: Points and Lines: Thematic Parallelism in the Letter of James and the Testament of Job, NTS 50 (2004), 406-426 – Grünbaum, Max: Neue Beiträge zur semitischen Sagenkunde, Leiden 1893 – Hagedorn, Ursula / Hagedorn, Dieter: Nachlese zu den Fragmenten der jüngeren griechischen Übersetzer des Buches Hiob, NGWG.PH 10, Göttingen 1991, 375-411 – Hainthaler, Theresia: »Von der Ausdauer Ijobs habt

298

gtvh 08105 / p. 299 / 31.3.2022

Ijob

ihr gehört« (Jak 5,11). Zur Bedeutung des Buches Ijob im Neuen Testament, EHS XXIII/337, Frankfurt/M. 1988 – Haralambakis, Maria: The Testament of Job. Text, Narrative and Reception History, LSTS/JSPS 80, London u. a. 2012 – Herzer, Jens: Jakobus, Paulus und Hiob: Die Intertextualität der Weisheit, in: Thomas Krüger u. a. (ed.), Das Buch Hiob und seine Interpretationen, AThANT 88, Zürich 2007, 329-350 – Hoogland Verkerk, Dorothy: Job and Sitis: Curious Figures in Early Christian Funerary Art, in: Mitteilungen zur Christlichen Archäologie 3 (1997), 20-29 – van der Horst, Pieter Willem: Images of Women in the Testament of Job, in: Michael A. Knibb / Pieter Willem van der Horst (ed.), Studies on the Testament of Job, MSSNTS 66, Cambridge 1989, 93-116 – Huber, Paul: Hiob. Dulder oder Rebell. Byzantinische Miniaturen zum Buch Hiob in Patmos, Rom, Venedig, Sinai, Jerusalem und Athos, Düsseldorf 1986 – Janowski, Bernd: Sündenvergebung »um Hiobs willen«. Fürbitte und Vergebung in 11QtgJob 38 2 f. und Hi 42 9 f. LXX, ZNW 73 (1982), 251-280 – Kalman, Jason: Job Denied the Resurrection? A Rabbinic Critique of the Church Fathers’ Use of Exegetical Traditions Found in the Septuagint and the Testament of Job, in: Ian H. Henderson / Gerbern S. Oegema (ed.), The Changing Face of Judaism, Christianity, and Other Greco-Roman Religions in Antiquity, JSHRZ.St 2, Gütersloh 2006, 371-397 – Knibb, Michael A. / van der Horst, Pieter Willem (ed.): Studies on the Testament of Job, MSSNTS 66, Cambridge 1989 – Konkel, August H.: The Elihu Speeches in the Greek Translation of Job, in: Robert J. V. Hiebert (ed.), »Translation is Required.« The Septuagint in Retrospect and Prospect, SCS 56, Atlanta 2010, 135-157 – Kugler, Robert A. / Rohrbaugh, Richard L.: On Woman and Honor in the Testament of Job, JSP 14 (2004), 43-64 – Kutz, Karl Victor: The Old Greek of Job: A Study in Early Biblical Exegesis, PhD Diss. University of Wisconsin-Madison 1997 – Mangin, D.: Le texte court de la version grecque du livre de Job et la double interprétation du personnage jusqu’au IIe siècle, tome I–III, Diss. Université d’Aix-Marseille-I, Aix-en-Provence 2005 – Oberhänsli-Widmer, Gabrielle: Hiob in jüdischer Antike und Moderne. Die Wirkungsgeschichte in der jüdischen Literatur, Neukirchen-Vluyn 2003 – Oeming, Manfred: Ijobs Frau (Sitidos) – von der Perserzeit bis heute, in: Adelheid M. von Hauff (ed.), Frauen gestalten Diakonie, I, Stuttgart 2007, 25-41 – Omerzu, Heike: Das bessere Erbe. Die privilegierte Stellung der Töchter Hiobs im Testament Hiobs, in: Katharina Greschat / Heike Omerzu (ed.), Körper und Kommunikation. Beiträge aus der theologischen Genderforschung, Leipzig 2003, 57-93 – Opel, Angela Maria: Hiob – Leid, Klage, Erkenntnis, Triumph. Facetten künstlerischer Darstellung vom Mittelalter bis in die Moderne, in: Werner Schüßler / Marc Röbel (ed.), HIOB – transdisziplinär. Seine Bedeutung in Theologie und Philosophie, Kunst und Literatur, Lebenspraxis und Spiritualität, Herausforderung Theodizee. Transdisziplinäre Studien 3, Berlin u. a. 2013, 119-149 – Papadaki-Oekland, Stella: Byzantine Illuminated Manuscripts of the Book of Job. A Preliminary Study of the Miniature Illustrations. Its Origin and Development, Athen 2009 – Philonenko, Marc: Le Testament de Job et les Thérapeutes, Sem. 8 (1958), 41-53 – Rahnenführer, Dankwart: Das Testament des Hiob und das Neue Testament, ZNW 62 (1971), 69-93 – Reed, Annette Yoshiko: Job as Jobab: The Interpretation of Job in LXX Job 42:17b-e, JBL 120 (2001), 31-55 – Römer, Cornelia / Thissen, Heinz J.: P. Köln Inv. Nr. 3221: Das Testament des Hiob in koptischer Sprache. Ein Vorbericht, in: Michael A. Knibb / Pieter Willem van der Horst (ed.), Studies on the Testament of Job, MSSNTS 66, Cambridge 1989, 33-45 – Schaller, Berndt: Das Testament Hiobs und die Septuaginta-Übersetzung des Buches Hiob, Bib. 61 (1980), 377-406 – Schaller, Berndt: Der Textcharakter der Hiobzitate im paulinischen Schrifttum, ZNW 71 (1980), 2126 – Schnocks, Johannes: Rettung und Neuschöpfung. Studien zur alttestamentlichen Grundlegung einer gesamtbiblischen Theologie, BBB 158, Göttingen 2009 – Seow, Choon-Leong: Job 1-21. Interpretation and Commentary, Illuminations, Grand Rapids / Cambridge 2013, 6-12; 110121; 167-201 (Lit.) – Seow, Choon-Leong: Job’s Wife, with Due Respect, in: Thomas Krüger u. a. (ed.), Das Buch Hiob und seine Interpretationen, AThANT 88, Zürich 2007, 351-373 – Sigismund, Marcus: Anmerkungen zur antiochenischen Textform der LXX-Zitatvorlagen im Neuen Testament. XXXI.: Ijob, in: http://www.kiho-wb.de/files/31_Ant%20in%20Ijob.pdf (Zugriff:

299

gtvh 08105 / p. 300 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

6. 3. 2014) – Simonetti, Manlio / Conti, Marco (ed.): Job, Ancient Christian Commentary on Scripture 6, Downers Grove 2006 – Spittler, Russell P.: History for Research and Interpretation, in: Michael A. Knibb / Pieter Willem van der Horst (ed.), Studies on the Testament of Job, MSSNTS 66, Cambridge 1989, 7-32 – Terrien, Samuel L.: The Iconography of Job through the Centuries: Artists as Biblical Interpreters, University Park, 1996 – Tremblay, Hervé: Job 19:25-27 dans la Septante et chez les Pères grecs: Unanimité d’une tradition, EB NS 47, Paris 2002 – Trenkler, Almut: Die beiden Rezensionen von Augustins ›Adnotationes in Iob‹ im Licht von Hieronymus’ erster Ijob-Übersetzung. Genetische Analysen aufgrund der ältesten Codex-Fragmente Inguimbertinus 13 und Ashburnhamianus 95, FKDG 111, Göttingen 2017 – Vicchio, Stephen J.: The Image of the Biblical Job: A History. Vol. 1: Job in the Ancient World. Vol. 2: Job in the Medieval World, Eugene 2006 – Wahl, Harald-Martin: Elihu, Frevler oder Frommer? Die Auslegung des Hiobbuches (Hi 32-37) durch ein Pseudepigraphon (TestHi 41-43), JSJ 25 (1994), 117 – Warns, Gerd-Dietrich: Die Textvorlage von Augustins Adnotationes in Iob. Studien zur Erstfassung von Hieronymus’ Hiob-Übersetzung iuxta Graecos, FKDG 112, Göttingen 2017 – Wessel, Klaus: Hiob, RBK III (1978), 131-152 – Wevers, John William: Septuaginta-Forschungen, ThR 22 (1954), 85-138.171-190 – Witte, Markus / Kepper, Martina: Job / Das Buch Ijob (Hiob), in: Wolfgang Kraus / Martin Karrer (ed.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Stuttgart 2011, 2041-2126 – Witte, Markus: Das Ethos der Barmherzigkeit in der jüdischen Weisheit der hellenistisch-römischen Zeit, in: ders., Texte und Kontexte des Sirachbuchs. Gesammelte Studien zu Ben Sira und zur frühjüdischen Weisheit, FAT 98, Tübingen 2015, 225-243 – Witte, Markus: Hiob als jüdisches, christliches und paganes Werk: Überlegungen zur Hermeneutik heiliger Schriften, in: Louis C. Jonker / Gideon R. Kotzé / Christl M. Maier (ed.), Congress Volume Stellenbosch 2016, VTS 177, Leiden / Boston 2017, 329-353 – Witte, Markus: Hiob und die Väter Israels. Beobachtungen zum rabbinischen Hiobtargum, in: ders., Hiobs viele Gesichter. Studien zur Komposition, Tradition und frühen Rezeption des Hiobbuches, FRLANT 267, Göttingen 2018, 171-189 – Witte, Markus: Hiob und seine Frau in jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, in: ders., Hiobs viele Gesichter, 133-164 – Witte, Markus: Ist auch Hiob unter den Propheten? Grundsätzliche Probleme der Sirachexegese am Beispiel von Sir 49,9, in: ders., Texte und Kontexte des Sirachbuchs, 23-37 – Witte, Markus: The Greek Book of Job, in: Thomas Krüger u. a. (ed.), Das Buch Hiob und seine Interpretationen, AThANT 88, Zürich 2007, 33-54 – Ziegler, Joseph: Iob 14,4-5a als wichtigster Schriftbeweis für die These »Neminem sine sorde et sine peccato esse« (Cyprian, test. 3,54) bei den lateinischen christlichen Schriftstellern, SBAW.PH 3 (1985), München 1985.

1. Wirkungsgeschichtlich bedeutsame Differenzen zwischen der Ijob-Septuaginta und dem hebräischen (masoretischen) Ijobbuch Die »Ijob-LXX« weist gegenüber dem hebr. Ijobbuch, wie es im MT vorliegt, erhebliche makrotextliche und mikrotextliche Unterschiede auf. So ist die ursprüngliche griech. Übersetzung, der sogenannte Old Greek Text (OG), ca. 18 % kürzer als das masoretische Ijobbuch. Die Auslassungen, die teilweise auf eine andere hebr. Vorlage als die des MT, teilweise auf bewusste Kürzungen der Übersetzer zurückgehen, finden sich vor allem in den Kap. 20-37. Origenes (185-253/254 n. Chr.) hat die gegenüber dem hebr. Ijobbuch fehlenden Verse vornehmlich aus der Übersetzung des »Theodotion« (1. Jh. n. Chr.) nachgetragen und mittels textkritischer Zeichen kenntlich gemacht. 1 1.

Siehe dazu Gentry: Materials; Woods: Hexaplaric Fragments; Meade: Hexaplaric Fragments; Gorea: Job.

300

gtvh 08105 / p. 301 / 31.3.2022

Ijob

Dieser von Origenes erstellte griech. »Volltext«, der übersetzungstechnisch einen Mischtext bildet, ist in die großen LXX-Handschriften eingedrungen und damit zum Ausgangstext für die nachorigenistische Rezeption und Auslegung des griech. Ijobbuches geworden. Daneben kommen in den großen ostkirchlichen Ijobkommentaren aber auch andere griech. Rezensionen und die jüngeren griech. Übersetzungen des Aquila, Symmachus und Theodotion zur Anwendung. 2 Den Lücken in der ursprünglichen griech. Ijob-Übersetzung stehen punktuelle Zusätze gegenüber. Zu ihnen gehören u. a. die ausdrückliche Kennzeichnung Ijobs als »gerecht« (δίκαιος, 1,1), 3 die Erweiterung des Bekenntnisses Ijobs, sich unbedingt in den Willen Gottes zu fügen (1,21d), die Lokalisierung des Aufenthaltes des erkrankten Ijobs »außerhalb der Stadt« (2,8), eine ausführliche Klage der Frau Ijobs (2,9a-e), 4 die Stilisierung der Freunde Ijobs als Könige (βασιλεύς, τύραννος, 2,11; 42,17e) und ein dreigliedriger Epilog (42,17a-e). In diesem wird erstens mitgeteilt, dass Ijob zu denen gehören wird, die der Herr einst auferstehen lasse (42,17a), 5 dass die griech. Übersetzung auf ein syrisch (aramäisch?) verfasstes (oder aus Syrien stammendes) Buch zurückgeht (42,17b) 6 und dass Ijob (Job) alias Jobab in der Ausitis 7 gelebt habe und ein Nachkommen Esaus sei (42,17b-d). Ausdrücklich wird in 1,5 über den hebr. Text hinausgehend herausgestellt, dass Ijob in seiner skrupulösen Frömmigkeit für die mögliche Sünde (ἁμαρτία) seiner Söhne einen Jungstier opfert (vgl. Lev 4,3.12 f.) und am Ende nicht nur für seine Freunde Fürbitte leistet (42,9-10), sondern Sündenvergebung für diese erwirkt (vgl. 11QTgIjob Kol. XXXVIII,2-3). 8 Durchgehend wird in der Ijob-LXX die Gerechtigkeit Ijobs besonders betont. 9 Tendenziell werden einzelne Klagen Ijobs gegen Gott entschärft. 10 Mitunter, aber nicht 2. Vgl. dazu exemplarisch für den Ijob-Kommentar des Chrysostomus: Cimosa: Chrysostom, und für die 24 Homilien zu Ijob des Hesych von Jersualem: Dassmann: Akzente, 55. 3. Sämtliche im Folgenden genannten Stellen aus dem Ijobbuch beziehen sich auf die Ijob-LXX. 4. Siehe dazu ausführlich Witte: Hiob und seine Frau, 140-151. 5. Die Frage, ob das griech. Ijobbuch (im Gegensatz zur hebr. Fassung), abgesehen von 42,17a, über eine Auferstehungsvorstellung verfügt, wird bereits bei den Kirchenvätern (und den Rabbinen) kontrovers diskutiert (vgl. dazu Cimosa: Chrysostom, 126 f.; Tremblay: Job, 281 ff. bzw. Kalman: Resurrection). Mir scheinen auch in der LXX die einschlägigen Stellen (Ijob 14,13-17; 19,25-27), selbst wenn sie sich charakteristisch vom hebr. Text unterscheiden und für eine eschatologische Lesart offen sind, keine Auferstehungsvorstellung zu belegen (vgl. Ijob 7,9 f.; gegen Gard: Concept, 137-143; Kutz: Job, chapter 4; Tremblay: Job, 209; Vicchio: Image, Vol. 1, 150; Schnocks: Neuschöpfung, 43-53), so dass ich 42,17a für einen vorhexaplarischen Zusatz halte. 6. Zur Problematik von Ijob 42,17bα siehe Witte / Kepper: Erläuterungen, 2048 f.; 2125 f. 7. Nur in Ijob (1,1; 32,2; 42,17) wird in der LXX Ausitis als Wiedergabe für das hebr. Wort ‫( עוץ‬Uz) gebraucht, das sonst mit Ους (vgl. Aq und Th zu Ijob 1,1) oder Ως / Ωξ (Gen 10,23; 22,21; 36,28) übersetzt wird. Eine Ijob 42,17b entsprechende Verortung von Ausitis im arab. Bereich vertreten auch die Ijob-Kommentare von Chrysostomus, Julian und Olympiodor, vgl. auch Eusebs Onomastikon der biblischen Ortsnamen 142,3, sowie den Pilgerbericht der Nonne Egeria (um 400) (übersetzt bei Donner: Pilgerfahrt, 110 f.). 8. Zum Motiv vgl. auch 2Makk 7,37 f.; 4Makk 6,27 ff.; DanLXX/Th 3,39 f.; syrBar 85,2 und dazu Janowski: Sündenvergebung, 251-280, sowie Cimosa: L’intercessione, 513-538. 9. Vgl. Ijob 1,21d; 6,29; 12,4; 30,19; 32,1; 40,8; 42,6. 10. Vgl. Ijob 6,9; 9,13; 10,2; 16,13 f.; 19,6; 22,17; 24,12; 34,24-26; Gard: Method, 32-44; Wevers: Septuaginta-Forschungen, 188-190.

301

gtvh 08105 / p. 302 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

generell, werden Anthropomorphismen im Gottesbild getilgt und die Souveränität Gottes besonders unterstrichen. 11 Die Rede von den Engeln (ἄγγελοι), die bereits in der Wiedergabe von 1,6 an die Stelle der ‫»( בני האלהים‬Söhne der Götter / Gottes«, vgl. 2,1; 38,7) treten, wird vereinheitlicht und verstärkt. 12 Aus dem ‫»( שטן‬der Satan / Ankläger«) wird der διάβολος (»der Durcheinanderwirbler«, später »der Teufel«, vgl. Weish 2,24). In einzelne Passagen dringen spezifische pagane Mythologeme ein. 13 Schließlich unterscheiden sich die im MT und in der LXX überlieferten Fassungen des Ijobbuches in zahlreichen Versen in lexikalischer und grammatischer Hinsicht. Wie im Bereich der Auslassungen basieren diese Differenzen teilweise auf einer anderen Vorlage, teilweise auf einem anderen Verständnis des hebr. Konsonantentextes oder auf einer Verlesung und teilweise auf einer bewussten Änderung, in der sich bestimmte religiöse und theologische Vorstellungen der griech. Übersetzer widerspiegeln. 14 Die folgende Übersicht zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte der Ijob-LXX konzentriert sich auf eine knappe Nachzeichnung der genannten Zusätze und besonders charakteristischer Differenzen gegenüber dem masoretischen Ijobbuch. Eine ausführlichere Darstellung der Rezeptionsgeschichte der Ijob-LXX bietet Dassmann. Wichtige Aspekte der reichhaltigen ostkirchlichen Auslegungsgeschichte behandeln der vom Centre d’Analyse et de Documentation Patristiques herausgegebene Sammelband Le livre de Job chez les Pères, die Untersuchung der altkirchlichen Rezeption von Ijob 19,25-27 durch Tremblay, die Einleitungen zu den kritischen Editionen der großen Ijob-Kommentare des Chrysostomus, Didymus, Julian und Olympiodor sowie die von Simonetti und Conti edierte Anthologie patristischer Auslegungen des Ijobbuches in der Reihe Ancient Christian Commentary on Scripture. Eine umfassende Darstellung der Rezeptionsgeschichte des griech. Ijobbuches steht ebenso wie eine neuzeitliche Kommentierung der Ijob-LXX noch aus.

2. Spuren früher Rezeption: Aristeas Exegeticus, Philo von Alexandria, Neues Testament, Clemens Romanus 2.1 Als frühester Beleg für eine Rezeption des griech. Ijobbuches wird mitunter das Werk des Exegeten Aristeas »Über die Juden« angesehen, 15 das in Auszügen über die 11. Vgl. Ijob 10,13; 21,22; 22,2; 40,8; 42,7. 12. Vgl. Ijob 1,6; 2,1; 4,18; 5,1; 33,23; 36,14; 38,7; 40,11.19; Gard: Method, 55 ff.; Wevers: SeptuagintaForschungen, 133 f.; Gammie: Angelology, 5. 13. Vgl. die Wiedergabe des Wortes ‫ שאול‬mit ᾅδης (»Hades«, Ijob 7,9; 11,8; 14,13; 17,13.16; 21,13; 26,6; 33,22; 38,17), die Eintragung des Begriffs τάρταρος (»Tartaros, Ijob 40,20; 41,24) oder die Wiedergabe des Wortes ‫»( ראם‬Wildstier«) mit μονοκέρως (»Einhorn«, Ijob 39,9). Umgekehrt können die Übersetzer auch einzelne Stellen »entmythologisieren«, wenn z. B. an die Stelle des Namens ‫»( לויתן‬Leviathan«) das Wort κῆτος (»großer Fisch/Seeungeheuer«) oder δράκων (»Drache«) tritt (vgl. Ijob 3,8; 40,25 und dazu Witte / Kepper: Erläuterungen 2074). 14. Vgl. dazu bereits die übersetzungstheoretischen Erwägungen im Prolog zum Ijob-Kommentar des Polychronios (Hagedorn: Katenen, 35 f.). 15. Schaller: Septuaginta, 402; Dassmann: Hiob, 374; Reed: Job, 38 ff. Umgekehrt votierten Freudenthal: Studien, 138 ff.; Gerleman: Studies, 74; Walter: Fragmente, 293; FMI, 260 f., für eine Abhängigkeit des LXX-Epilogs von AristEx.

302

gtvh 08105 / p. 303 / 31.3.2022

Ijob

Vermittlung von Alexander Polyhistor (100-40 v. Chr.) bei Euseb von Caesarea 16 erhalten ist. Die entsprechende Passage bietet im Wesentlichen eine Zusammenfassung der Rahmenerzählung ohne Himmelsszenen, aber mit Nennung der vier Freunde und mit geneaologischen Angaben zu Ijob aus Gen 36,33. Die Leiden Ijobs werden unter dem Motiv der göttlichen Versuchung (πειράζω) 17 subsumiert. Ijobs Verhalten wird grundsätzlich als εὐσέβεια (»Frömmigkeit«) 18 gekennzeichnet, seine Restitution erscheint als Erlösung durch Gott. Gegenüber der Annahme einer literarischen Beziehung zwischen der Ijob-LXX und AristEx ist es auch denkbar, dass beide auf eine gemeinsame mündliche Tradition zurückgegriffen haben. 19 Im Rahmen der innerbiblischen Chronologie erscheint Ijob über den Zusatz in 42,17b-e in der Generation Amrams, des Vaters des Mose (vgl. Ex 6,16-20) 20, was sich mit der chronologischen Annäherung Ijobs an Mose in der kanonsgeschichtlichen Diskussion des Babylonischen Talmuds trifft, wenn dort Mose als Verfasser des Ijobbuches erscheint (bBB 14b.15a). 21 Wie in der LXX wird Ijob bei AristEx ausdrücklich als Gerechter (δίκαιος) gekennzeichnet, was sich später auch in Überschriften einzelner griech. Minuskeln niedergeschlagen hat. 22 2.2 Den ältesten eindeutigen Beleg für die Rezeption des griech. Ijobbuches stellt die Zitation von Ijob 14,4-5 bei Philo von Alexandria (etwa 25 v. Chr. bis 50 n. Chr.) in Mut. 48,4 dar. Dabei handelt es sich zugleich um das einzige ausdrückliche Zitat aus dem Ijobbuch bei Philo. Hinzu kommen Anspielungen auf Ijob 1,21 in Spec.Leg. I, 295; auf Ijob 28 in Prob. 65; auf Ijob 28,24 in Det. 61 und QG. I, 69 sowie auf Ijob 38,4 in Migr. 136. Die zwei Verse Ijob 14,4-5, die charakteristische mikrotextliche Differenzen gegenüber dem MT aufweisen, spielen in der späteren Ausbildung der christlichen Vorstellung von der Erbsünde eine wesentliche Rolle und gehören zu den am meisten zitierten Versen des Ijobbuches bei den griech. und lat. Kirchenvätern. 23 2.3 Das Verzeichnis der loci citati vel allegati im NTG28 listet zu 78 Stellen aus dem Ijobbuch Randverweise im NT auf. In der Mehrzahl handelt es sich um Parallelen zu einzelnen Begriffen oder Motiven, die sich auch im Ijobbuch finden, die aber keine spezielle Bezugnahme durch die neutestamentlichen Autoren auf das Ijobbuch erken16. Eusebius Caes.: Praep. ev. IX, 25,1-4, GCS 43/1, 518. Vgl. FGH 725 (Vol. III C 2: 680); Denis: Fragmenta, 195 f.; Walter: Fragmente, 293-296. 17. Die Ijob-LXX verwendet die Begriffe πειράζω und πειρασμός nicht (vgl. dagegen Sir 4,17; 13,11; 18,23; 37,27; 39,4 / 2,1; 6,7; 27,5.7; 33,1; 44,20; 1Makk 2,52; Weish 1,2; 2,17.24; 3,5; 11,9; 12,26; 19,5), während sie im frühchristlichen und altkirchlichen Bereich dann sehr häufig im Zusammenhang der Ijob-Thematik begegnen (vgl. Jak 1,13 f.). 18. Anstelle des in der paganen Welt weit verbreiteten und im frühjüdischen Schrifttum häufig in 4Makk gebrauchten Begriffs εὐσέβεια verwenden die Übersetzer des Ijobbuches den LXXNeologismus θεοσέβεια (Ijob 28,28; vgl. θεοσεβής in Ijob 1,1.8; 2,3). 19. Doran: Aristeas, 856-857. 20. Vgl. die Linien Abraham > Isaak > Jakob > Levi > Kehat / Kaath > Amram und Abraham > Isaak > Esau > Reguel / Raguel > Serach / Zare / Zara > Ijob. Zur Parallelisierung Ijobs und Abrahams, die bereits im innerbiblischen Gegenüber von Ijob 1-2 und Gen 22 angelegt ist und die sich im TestIjob fortsetzt, siehe ausführlich Witte: Väter Israels. 21. Vgl. auch die Anordnung des Buches Ijob unmittelbar hinter dem Pentateuch in der Peschitta. 22. Vgl. die Minuskeln 250 (13. Jh.) und 46 (13.–14. Jh.), in denen das Buch mit »Leben des gerechten Ijob« bzw. mit »das Buch des gerechten Ijob« überschrieben ist. Ähnliche Abschlussnotizen finden sich in den Minuskeln 130 und 261 sowie in Syh. 23. Vgl. dazu Ziegler: Iob 14,4-5a; Dassmann: Akzente, 45-47.

303

gtvh 08105 / p. 304 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

nen lassen. Dazu gehören Motive wie das sich Fernhalten vom Bösen, 24 das Wandeln des διάβολος auf der Erde, 25 die Unerforschlichkeit Gottes, 26 die Wundertätigkeit und Allmacht Gottes, 27 die Erschaffung des Lichts aus der Finsternis 28 oder die pejorative Bezeichnung des Menschen als γεννητὸς γυναικός (»ein von einer Frau Geborener«). 29 Hinzu kommen intertextuelle Bezüge, die sich vor dem Hintergrund einer kanonischen und christologisch orientierten Lektüre der Ijob-LXX ergeben, wenn Ijob typologisch als Vorbild Christi verstanden oder Christus als endzeitliche Überhöhung Ijobs gedeutet wird, wie es für weite Teile der altkirchlichen (und mittelalterlichen christlichen) Auslegung der LXX charakteristisch ist. Unter den im NTG28 genannten Randverweisen gehören dazu z. B. die Parallelisierung der Schmähung Ijobs mit der Jesu (vgl. Ijob 30,10 mit Mt 26,67), der Hoffnung Ijobs auf eine Reinigung von seinen Sünden (καθαρισμὸς τῆς ἁμαρτίας) mit der durch Jesus Christus gewirkten Sündenvergebung (vgl. Ijob 7,21 mit Hebr 1,3) oder die Kennzeichnung Jesu als Mittler (μεσίτης), der entsprechend Ijobs Wunsch zwischen Gott und Mensch vermittelt (vgl. Hebr 12,24 mit Ijob 9,33). Eigentliche Zitate aus dem griech. Ijobbuch sind nur Ijob 5,12-13 in 1Kor 3,19, Ijob 41,3 in Röm 11,35 und Ijob 13,16 in Phil 1,19. 30 Bei allen weiteren in der Literatur sonst noch als Zitate bezeichneten Stellen handelt es sich, wie oben skizziert, lediglich um begriffliche, motivische oder intertextuelle Bezüge. Häufig verdanken sie sich einfach einer im Griechischen weit verbreiteten Redewendung, die nur zufällig auch einmal in der LXX und bei Paulus begegnet. 31 Während Phil 1,19 textlich der LXX entspricht, zeigen die spezifischen Textformen von Ijob 5,12-13 in 1Kor 3,19 und von Ijob 41,3 in Röm 11,35, dass Paulus auf einen griech. Text zurückgegriffen hat, der nach einem hebr. Text rezensiert wurde und der nicht identisch ist mit dem in der LXX tradierten. 32 Thematisch stehen die Ijobzitate in 1Kor 3,19 und in Röm 11,35 im Kontext der paulinischen Verhältnisbestimmung von Gotteserkenntnis, Gerechtigkeit und menschlicher Weisheit. 33 Ob die einzige namentliche Nennung Ijobs im NT in Jak 5,10 f. auf das Ijobbuch oder auf eine im antiken Judentum verbreitete Ijobtradition zurückgeht, ist umstritten. 34 Die Nennung des für Christen vorbildhaften Ijob im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Beispiel der leidenden Propheten könnte auf ein Verständnis Ijobs als 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34.

Vgl. Ijob 1,1.8; 2,3; 1Thess 5,22. Vgl. Ijob 1,7; 1Petr 5,8; Apk 12,9. Vgl. Ijob 5,9; 9,10; Röm 11,33. Vgl. Ijob 10,13; 42;2; Mk 14,36; Mt 19,26: Aus dem Gegenüber ergibt sich auch eine besondere typologische Entsprechung zwischen Ijob und Jesus Christus. Vgl. Ijob 37,15; 2Kor 4,6. Vgl. Ijob 11,2; 14,1; 15,14; 25,4; Mt 11,11; Lk 7,28. Schaller: Textcharakter, 21-26; Herzer: Jakobus, 331; vgl. auch Sigismund: LXX-Zitatvorlagen. Vgl. z. B. ἐλπὶς σωτηρίας (Ijob 2,9; 1Thess 5,8); σύνοιδα ἐμαυτῷ (Ijob 27,6; 1Kor 4,4). Schaller: Textcharakter, 21-26. Herzer: Jakobus, 339-350. Zur Diskussion siehe Rahnenführer: Testament, 86; Schaller: Textcharakter, 21; Burchard: Hiob, 16 f.; Gray: Points, 420 ff.; Vicchio: Image, Vol. 1, 140-143; Herzer: Jakobus, 333-338.

304

gtvh 08105 / p. 305 / 31.3.2022

Ijob

Propheten hindeuten, wie es auch in der hebr. Version des Sirachbbuches (HB) begegnet. 35 Die besondere Betonung der »Geduld« (ὑπομονή) Ijobs und seines durch Gott gewirkten glücklichen Endes (τέλος) könnte eine von Jakobus formulierte Zusammenfassung vor allem der Rahmenerzählung des Ijobbuches darstellen (vgl. Ijob 1,2122; 2,9; 42,10-11), wobei allerdings auch der häufige Gebrauch der Verbalwurzel ὑπομένω im griech. Ijobbuch und die vom MT abweichende Textform von 19,26aβ zu berücksichtigen ist. 36 Möglicherweise blickt die Erwähnung des durch die Barmherzigkeit Gottes (vgl. Jak 1,12 ff.) geschenkten Endes auch auf die Auferstehungsnotiz in Ijob 42,17a zurück. 2.4 Das früheste eindeutige auferstehungstheologische Verständnis des Ijobbuches findet sich bei Clemens Romanus (um 50-97/101 n. Chr.). So führt Clemens im (ersten) Brief an die Korinther in einem charakteristisch vom überlieferten LXX-Text abweichenden Zitat Ijob 19,26 37 – neben einem Rekurs auf die Mythe vom Vogel Phönix und zitatähnlichen Bezugnahmen auf PsLXX 3,6; 22,4; 27,7 und 87,11 – als Beleg für die Auferstehung an (1Clem 26,1-3). Ijob 19,26, was sowohl im hebr. als auch im griech. Text nicht auf eine jenseitige Wiederherstellung Ijobs zielt, ist hier aus der Perspektive von Ijob 42,17a eschatologisch transformiert. Die von Hieronymus (347-420 n. Chr.) aus dem Hebräischen erstellte lat. Übersetzung von Ijob 19,26, die sich in der Vg niedergeschlagen hat, frühchristliche Grabinschriften, in denen die Hoffnung auf die Auferstehung des Fleisches artikuliert wird, 38 und einzelne Kirchenväter 39 haben diese Linie fortgeschrieben. Für das TestIjob (s. u.) und die ursprünglich auf Griech. abgefasste Apokalypse des Paulus / Visio Sancti Pauli (4./5. Jh. n. Chr.) ist die Vorstellung eines Lebens nach dem Tod, sei es mittels einer Auferstehung, Himmelfahrt oder Unsterblichkeit der Seele, grundlegend. 40 Neben dem Beleg für die Auferstehung gilt Ijob für Clemens als Beispiel für die Erkenntnis menschlicher Sündhaftigkeit (Ijob 14,4 f.), von der auch der Gerechte (Ijob 1,1) befallen ist. Dabei reiht Clemens Ijob in eine Beispielkette alttestamentlicher Vorbilder, wie sie sich später auch bei zahlreichen Kirchenvätern findet, zwischen Abraham und Mose ein, die sich gleichfalls als Gerechte zur menschlichen Niedrigkeit und Sündhaftigkeit bekannt haben (1Clem 17,3 f.). 41 Hinzu kommen weitere Zitate in 1Clem

35. Burchard: Hiob, 18; Witte: Propheten. 36. Ijob 6,11; 7,3; 9,4; 14,14; 17,13; 22,21, vgl. ἀναμένω in Ijob 2,9a (vgl. auch 4Makk 7,22 f.), die Buchüberschriften in den Minuskeln 130 und 261 (»die Ehrensäule der Geduld des gerechten Ijob«) sowie TestIjob 1,5; Tob 2,12 (Vg); 1Clem 26,3; Tertullian: De patientia 14,5, CC.SL 1, 315; Clemens Alex.: Strom. IV, 17/106,3, GCS 52, 295; lat. ApkPl 49 (Silverstein / Hilhorst, 166 f.) u. a. und dazu Schaller: JSHRZ, 326 f.; Dassmann: Akzente, 40-45; Hainthaler: Ausdauer. 37. So liest 1Clem 26,3 anstelle von ἀναστήναι τὸ δέρμα μου (»er möge auf[er]stehen lassen meine Haut«, entsprechend MT ‫ )עו ֹ ִרי‬ἀναστήσεις τὴν σάρκα μου ταύτην (»du wirst auferstehen lassen dieses mein Fleisch«). 38. Siehe dazu Dresken-Weiland: Auferstehung, 376. 39. Siehe dazu ausführlich Tremblay: Job, 281-380. 40. Vicchio: Image, Vol. 1, 146-157. 41. Die Stellung Ijobs zwischen Abraham und Mose ergibt sich v. a. über die zitathafte Kombination von Ijob 42,6 mit Gen 18,27 und einem biblisch so nicht belegten Niedrigkeitsbekenntnis des Mose, er sei »Dampf aus einem Topf« (ἀτμὶς ἀπὸ κύθρας). Entsprechend erklärt sich die

305

gtvh 08105 / p. 306 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

aus dem griech. Ijobbuch in 20,7 (Ijob 38,11); 30,4 f. (Ijob 11,2 f.); 39,3-9 (vgl. Ijob 4,165,5; 15,15); 56,6-15 (Ijob 5,17-26) und 59,3 (Ijob 5,11). 2.5 Dem Märtyrer Justin (etwa 100-165 n. Chr.) schließlich dient der in Ijob 1,6 verwendete Terminus διάβολος als ein Beleg für die unterschiedlichen biblischen Bezeichnungen des göttlichen Widersachers. 42

3. Das Testament Ijobs Das im 1./2. Jh. n. Chr. entstandene, griech. abgefasste TestIjob, das nach seiner Gattung der jüdischen Märtyrer- und Erbauungsliteratur zuzuweisen ist, bildet die umfangreichste nachbiblische Auseinandersetzung mit dem Ijobstoff. Aufgrund seiner weitgehenden Gestaltung als im Ich-Stil abgefasster Lebensrückblick Ijobs lässt es sich auch als Testament ansprechen. 43 Der Wechsel von Monologen, Dialogen und Hymnen / Chorliedern verleiht ihm einen dramatischen Akzent. Das TestIjob basiert auf einer hebraisierenden Rezension der Ijob-LXX, die teilweise wörtlich zitiert wird, 44 und auf umfangreichem Material einer (mündlich) umlaufenden Ijobtradition, wie sie außerhalb des Judentums und des Christentums in islamischen Ijoblegenden weitergelebt hat. 45 Zahlreiche narrative Besonderheiten des TestIjob lassen sich als schriftgelehrte Arbeit an der Ijob-LXX, zumal am Sondergut, erklären, so dass das TestIjob auch ein »exegetischer Text« ist. 46 Aus dem leidenden Gerechten des hebr. und des griech. Ijobbuchs, der mit seinen Freunden um die Fragen der Gerechtigkeit Gottes ringt und gegen Gott klagt, ist im TesIjob ein über sein Leiden erhabener weiser Lehrer geworden, der im vollen Bewusstsein eines Lebens nach dem Tod (vgl. Ijob 42,17a!) den Kampf mit dem Satan aufnimmt und diesen wie ein Athlet niederringt. 47 Eine besondere Rolle spielt in Weiterführung der biblischen Vorlage in Kap. 31, die bereits in der LXX gegenüber der hebr. Fassung ethisch noch weiter vertieft ist, die Wohltätigkeit und Barmherzigkeit Ijobs. 48 Im Schatten der oben genannten Besonderheiten der Ijob-LXX sind Ijob und seine Freunde im TestIjob Könige. Die Klage der Frau Ijobs aus 2,9a-e ist zu einem mehrere Kapitel umfassenden Zyklus von Ijob und seiner Frau Sitidos 49 geworden, die aus Liebe zu ihrem leidenden Mann dem Satan ihr Haar gibt, um davon Brot kaufen zu können (TestIjob 21-27; 39 f.). Muss sich Sitidos zunächst gemäß Ijob 2,9 f. dafür tadeln lassen, dass ihr die rechte Einsicht in das Handeln Gottes

42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49.

Fortsetzung mit David vor dem Hintergrund des ihm zugeschriebenen Bußgebets in PsLXX 50,3-19; vgl. dazu auch Vicchio: Image, Vol. 1, 144-146. Justinus Martyr: Dial. 103,5, Bobichon I, 464; vgl. auch Dial. 79,4, Bobichon I, 404. Vgl. die Testamente der Zwölf Patriarchen; Schaller: JSHRZ, 312 f. Siehe dazu Schaller: Septuaginta-Übersetzung. Apt: Hiobserzählung; Grünbaum: Sagenkunde, 263-273; Dochhorn: Testament, 682. Dochhorn: Testament. TestIjob 4,9 f.; 27,3; vgl. 4Makk 6,10; 17,15 f.; Philo, sobr. 65; Schaller: JSHRZ, 329 f. Anm. 330; Vicchio: Image, Vol. 1, 124. Siehe dazu Witte: Ethos, 236-241; Dochhorn: Testament, 681. Der Name variiert in den Handschriften: so findet sich neben Sitidos Sitis, Sitida, Sigidos und Site, vgl. Witte: Hiob und seine Frau, 153 f.

306

gtvh 08105 / p. 307 / 31.3.2022

Ijob

fehle, so bekennt sie sich kurz vor ihrem eigenen Tod auch zu einem ewigen Leben (TestIjob 40,4). 50 Deutet der Epilog der Ijob-LXX mit seiner Lokalisierung Ijobs in der Ausitis und seiner Einordnung in die Linie Esaus / Edoms an, dass Ijob als Heide angesehen wurde, so entfaltet das TestIjob genau diese Vorstellung, wenn es das Leiden des ägyptischen (!) Herrschers Ijob auf dessen Konversion zum Judentum zurückführt, die sich in der Zerschlagung von Götzenbildern manifestiert (TestIjob 2,1-5,2), und wenn es schließlich Ijob nach dem Tode der Sitidos die Jakobstochter Dina heiraten lässt und ihn so ins Judentum einholt. 51 In der Linie der LXX (Ijob 42,10) werden den Freunden mit Ausnahme Elihus, den das TestIjob als Werkzeug des Satans charakterisiert (TestIjob 41,5; 42,2; 43,1), 52 die Sünden vergeben (TestIjob 42,8; 43,14.17). Der gedankliche Tiefgang und die theologische Dramatik, die das hebr. und das griech. Ijobbuch auszeichnen, fehlen dem TestIjob. Dafür bietet es eine breite Ausmalung der am Geschehen beteiligten Figuren, insbesondere auch der Töchter Ijobs (vgl. TestIjob 46-51), 53 sowie eine plastische Darstellung von Ijobs Krankheit (TestIjob 20,8 f.; 31,2-4). Das TestIjob, das in griech., kopt. und slawischen Handschriften vorliegt, wurde offenbar nur im Christentum als Erbauungsliteratur tradiert und dort vor allem in ostkirchlichen Heiligenviten rezipiert. 54

4. Ausblick 4.1 Eine umfassende Auslegungsgeschichte besitzt das griech. Ijobbuch in den Ijobkommentaren der griech. Kirchenväter. Unter diesen ragen die Homilien des Origenes und die Werke von Julian dem Arianer, 55 Didymus dem Blinden (313-398 n. Chr.), Johannes Chrysostomus (354-407 n. Chr.) und Olympiodor von Alexandrien (geb. um 470/480 n. Chr.) sowie die in Katenen erhaltenen Fragmente der Auslegung durch Polychronios (gest. um 430 n. Chr.) heraus. Aus Katenen sind zahlreiche weitere ostkirchliche Ijobkommentare aus der Spätantike und dem frühen Mittelalter bekannt, die aber nicht selbständig überlebt haben. 56 Insofern alle ostkirchlichen Kommentare die LXX auslegen, kommen natürlich die Besonderheiten, welche die Ijob-LXX gegenüber dem MT aufweist, zur Sprache. Mitunter werden diese zum Ausgangspunkt eigentümlicher, zumeist typologisch-christologisch und dogmatisch bedingter Korrelationen, so wenn beispielsweise das Sitzen des leidenden Ijob außerhalb der Stadt (Ijob 2,8) mit dem Leiden Jesu außerhalb der Stadt verglichen wird 57 oder wenn die Frage Gottes an Ijob, ob sich die Türhüter des Hades vor ihm fürchten würden (Ijob 38,17,

50. Siehe dazu Witte: Hiob und seine Frau, 151-158; Dochhorn: Testament, 682 f. 51. Vgl. TestIjob 1,5 f., vgl. Ps-Philo, LibAnt, 8,7 f., TgIjob 2,9; bBB 15b; BerR 19,12; 57,4; 76,9; 80,4; siehe dazu auch Dochhorn: Testament, 673 f. 52. Vgl. dazu Wahl: Elihu, 11-15; Dochhorn: Testament, 685 f. 53. Siehe dazu Omerzu: Erbe. 54. Siehe dazu Schaller: JSHRZ, 318-321, und ausführlich Haralambakis: Testament, 141-172. 55. Die Lebensdaten sind unbekannt: Hagedorn: Julian, LXVI, datiert die Abfassung des Ijobkommentars auf die Zeit zwischen 357/365 n. Chr. 56. Dassmann: Hiob, 380 ff.; ders.: Akzente, 40 ff.; Centre d’Analyse: Job; Tremblay: Job, 281-380. 57. Severian: In Job (PG 56,578,22).

307

gtvh 08105 / p. 308 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

vgl. Mt 16,18; Apk 1,18), in der dogmatischen Diskussion um die Höllenfahrt Christi eine Rolle spielt. 58 4.2 Zur literarischen Auslegungsgeschichte der Ijob-LXX gehören auch die alten Übersetzungen ins Lateinische, Koptische, Äthiopische, Armenische, Georgische und Altslawische. Eine griech. Grundlage haben auch spätsyrische Ijob-Übersetzungen neben der älteren in die Peschitta eingegangenen, aus dem Hebräischen erstellten syrischen Übersetzung. Zudem scheinen christliche arabische Iob-Übersetzungen aus dem 9. Jh. auch von der LXX beeinflusst zu sein. 59 Die nicht selbständig erhaltene altlateinische und die sahidische Übersetzung basieren auf einer vororigenistischen griech. Ijob-Übersetzung. Die durch mehrere Handschriften bezeugte Revision der Vetus Latina, die Hieronymus unter Heranziehung der Hexapla (und wohl auch eines hebräischen Textes) erstellt hat (La-Hier), 60 ist wie die Syrohexapla und die armenische Übersetzung ein wichtiger Zeuge für die durch Origenes gesetzten Asteriskoi und Obeloi. 4.3 In der griech. orthodoxen Kirche werden, dem LXX-Text folgend, 61 in der Karwoche Ijob 1,1-2,10; 38,1b-21; 42,1-5; 42,12-17c gelesen und damit Spezifika der Ijob-LXX tradiert. Zudem werden in verschiedenen Liturgien des Mega Euchologion, dem Hauptbuch des griech. orthodoxen Gottesdienstes, im Kontext von Gebeten, die mit alttestamentlichen Zitaten, v. a. aus den Psalmen durchsetzt sind, Ijob 4,17a; 5,8b; 5,9; 7,20b; 22,18 und 37,7b zitiert. 62 4.4 Schließlich beziehen sich die Darstellungen Ijobs in der christlichen Kunst, von den römischen Katakomben 63 über mittelalterliche Bibelillustrationen bis in die Neuzeit, häufig auf die LXX. So gehen die Darstellungen des außerhalb der Stadt auf einem Misthaufen sitzenden Leidenden (2,8), Ijobs und seiner Freunde als Könige (Ijob 2,11) oder der Auferweckung in christlichen Bibelhandschriften des Mittelalters auf entsprechende Passagen im griech. Ijobbuch (Ijob 42,17a) zurück. 64

58. Vgl. dazu Gounelle: Le frémissement. 59. Zu dem gesamten Absatz siehe die kurze Beschreibung der entsprechenden Übersetzungen in THB 1C, 207-239. 60. Zur komplexen Enstehungs- und Überlieferungsgeschichte von La-Hier siehe knapp Ziegler: Iob, 37-40, sowie ausführlich Trenkler: Rezensionen, und Warns: Textvorlagen. 61. Teilweise finden sich kleine textliche Varianten, siehe dazu die Fußnoten in LXX.D. 62. Siehe dazu Constantelos: Scriptures; Dassmann: Hiob, 435-438. 63. Ob sich bereits in der Synagoge von Dura Europos (Mitte des 3. Jh. n. Chr.) eine Darstellung Ijobs findet, ist umstritten (zustimmend Budde: Job, 408; Terrien: Iconography, 3-9; Vicchio: Image, Vol. 1, 217 f.; ablehnend Wessel: Hiob, 152; Dassmann: Hiob: 428). 64. Budde: Job; Wessel: Hiob; Huber: Hiob, 111-113 Abb. 73 u. 74; 240-241 Abb. 245-247; 246 Abb. 251; Seow: Job’s Wife; Papadaki-Oekland: Manuscripts.

308

gtvh 08105 / p. 309 / 31.3.2022

Ijob

Codex Vaticanus Graecus 1231, Miniatur Nr. 145, Folio 453v (Huber: Hiob, 240 f., Abb. 247). Das Bild zeigt die Auferweckung der drei urzeitlichen Gerechten, Noah, Daniel und Ijob (vgl. Ez 14,14.20). Es basiert textlich auf der Auferstehungsnotiz in IjobLXX 42,17a sowie einer Auslegung von Ez 14,14.20 auf die Auferstehung hin, wie sie sich z. B. auch in 2Klem 6,8 zeigt.

309

gtvh 08105 / p. 310 / 31.3.2022

2.2.3.6 Weisheit Salomos Mareike Blischke Literatur Editionen Le Livre de la Sagesse ou La Sagesse de Salomon (3 Bde.), ed. Chrysostome Larcher, Paris 1983-85 – Philo: Opera quae supersunt, ed. Leopold Cohn / Paul Wendland, 7 Bände, Berlin 1896-1930 – Origenes: De principiis, tome I (Livres I et II), ed. Henri Crouzel et Manlio Simonetti, SC 252, Paris 1978.

Weitere Literatur Blischke, Mareike: Die Eschatologie in der Sapientia Salomonis, FAT II,26, Tübingen 2007 – Engel, Helmut: Das Buch der Weisheit, NStKAT 16, Stuttgart 1998 – Fürst, Alfons: Die Weisheit als Prinzip des Seins und der Erkenntnis. Zur Rezeption der Sapientia Salomonis im antiken Christentum und zu ihrer Auslegung bei Origenes, in: Karl-Wilhelm Niebuhr (ed.), Sapientia Salomonis (Weisheit Salomos), SAPERE 27, Tübingen 2015, 293-316 – Larcher, Chrysostome: Études sur le Livre de la Sagesse, Paris 1969.

1. Die Entstehung des Textes und die Stellung im Kanon Die Weisheit Salomos entstand in den Jahrhunderten um die Zeitenwende innerhalb des griechisch sprachigen Diasporajudentums in Alexandria. Für eine Entstehung in diesem Milieu sprechen verschiedene Indizien, wie beispielsweise die Nähe zu den Schriften Philos und insbesondere auch die äußerst polemische Auseinandersetzung mit Ägypten und den ägyptischen Gottheiten in Weish 11-19. Als konkreter Zeitrahmen wird zumeist von einer Abfassung zwischen dem Jahr 30 v. Chr. und dem Jahr 39 n. Chr. ausgegangen. Die Schrift lässt sich in drei Teile mit einer jeweils sehr unterschiedlichen inhaltlichen Ausrichtung gliedern (Weish 1,1-6,27; 7,1-11,1; 11,2-19,22). Behandelt der erste Teil die Frage nach der Gerechtigkeit und nach einem gerechten Leben, dessen Wert in einem eschatologischen Szenario illustriert wird, liegt der Focus des zweiten Teiles auf dem Wesen und Wirken der Weisheit. Der dritte Teil legt dar, dass Gott in der Geschichte mit seinem Volk stets als ein gerechter Gott aufgetreten ist. Zwei Exkurse, über die Milde Gottes in Weish 11,17-12,27 und über den Götzendienst in Weish 13,1-15,19, verklammern die drei Buchteile miteinander. Auch wenn die Weisheit Salomos seit langem als ein einheitliches Werk betrachtet wird, führt diese unterschiedliche Ausrichtung der einzelnen Buchteile immer wieder auch dazu, dass eine sukzessive Entstehung der Schrift in Betracht gezogen wird. Im Wesentlichen wird dann ein Blockmodell vertreten, nach dem die drei Teile der Weisheit Salomos sukzessive entstanden sind, in sich noch einzelne Fortschreibungen erfahren haben und abschließend im Rahmen einer Endredaktion durch die Einschreibung der Exkurse in Weish 11,17-12,27 und in Weish 13,1-15,19 miteinander verklammert worden sind. Vor 310

gtvh 08105 / p. 311 / 31.3.2022

Weisheit Salomos

allem zwei thematische Bereiche stehen innerhalb der Weisheit Salomos gleichberechtigt nebeneinander. Dies ist zum einen der Themenbereich, der um die Frage der Gerechtigkeit (δικαιοσύνη) kreist. Im Zentrum steht hier die Frage, wie der Mensch sich als gerecht (δίκαιος) erweisen kann, und inwieweit Gott sich als gerecht erweist. Zum anderen beschäftigt sich die Weisheit Salomos vor allem innerhalb ihres zweiten Teiles (Weish 7,1-11,1) mit der Weisheit als einer in enger Beziehung zu Gott stehenden Vermittlerin von Erkenntnis und Einsicht. Aufgrund der Tatsache, dass die Weisheit Salomos in griechischer Sprache verfasst wurde und keine hebräische Vorlage besitzt, ist ihre Stellung im Kanon der biblischen Schriften ambivalent. Zwar ist sie deutlich eine jüdische, vorchristliche Schrift, die sich durchgängig auf die ihr vorausgegangen Schriften des Alten Testaments bezieht, dennoch wurde sie im rabbinischen Schrifttum nie zitiert oder erwähnt. Innerhalb der christlichen Kirche war sie aber spätestens seit dem 2. Jh. n. Chr. weit verbreitet und wurde beispielsweise von Irenaeus von Lyon (180 n. Chr.), von Clemens von Alexandrien, von Tertullian und von Origenes genutzt. In einigen Kanonverzeichnissen, wie z. B. im Canon Muratori, wird sie im Anschluss an neutestamentliche Schriften genannt. Hieronymus, der den Ausdruck hebraica veritas geprägt hat und dementsprechend die Auffassung vertrat, dass nur ursprünglich hebräisch verfasste Bücher zum Alten Testament gehören, führt sie als eine zu den Apokryphen gehörige Schrift zwischen dem Alten und dem Neuen Testament auf. Dort findet sie sich heute auch in der Lutherbibel. In der katholischen Kirche gehört sie zu den deuterokanonischen Schriften, also zu den Schriften, die nach der Lesart der Kirche zum Alten Testament gehören, aber in der jüdischen Tradition nicht überliefert werden.

2. Das Weiterwirken einiger Begriffe der »Weisheit Salomos« Da die Weisheit Salomos also schon immer in griechischer Sprache abgefasst war, erübrigt sich die Frage nach Besonderheiten der griechischen Fassung gegenüber einer hebräischen Vorlage. Von Bedeutung ist aber, wie die Weisheit Salomos griechischen Begriffen einen neuen Bedeutungshorizont beigibt und wie sie griechische Begriff, die in den ihr vorausgegangenen Schriften des Alten Testaments in der Übersetzung der LXX bisher wenig oder gar nicht verwendet wurden, innerhalb ihrer theologischen Argumentation einen zentralen Stellenwert gibt. So finden griechische Termini Eingang in theologisches Denken, die dann, möglicherweise vermittelt durch die Weisheit Salomos, innerhalb des Neuen Testaments und über das Neue Testament hinaus in der frühchristlichen Theologie wie selbstverständlich verwendet werden. Solche Begriffe finden sich vor allem in den eschatologisch ausgerichteten Kapiteln der Weisheit Salomos, da sich in keiner zum Kanon des Alten Testaments gehörigen Schrift ein in ähnlicher Weise elaboriertes eschatologisches Szenario findet. Hervorzuheben sind vor allem die Begriffe ἀθανασία »Unsterblichkeit« und ἀφθαρσία »Unvergänglichkeit«. So spricht die Weisheit Salomos davon, dass die Gerechtigkeit unsterblich sei (Weish 1,15), dass in der Kenntnis der Gerechtigkeit die Wurzel der Unsterblichkeit liege (Weish 15,3) und dass der Mensch von Gott zur Unvergänglichkeit geschaffen wurde (Weish 2,23). Innerhalb der LXX finden sich beide Termini ansonsten nur noch im 4. Makkabäerbuch (ἀθανασία in 4 Makk 7,3; 14,5 f.; 16,3; 18,23 und ἀφθαρσία in 311

gtvh 08105 / p. 312 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

4 Makk 9,22; 17,12). Das Buch Jesus Sirach betont, dass der Mensch gerade nicht unsterblich (ἀθάνατος) ist (Sir 17,30). Beide Begriffe begegnen auch im jüdischen Umfeld der Weisheit Salomos, besonders in den Schriften Philos und in der Schrift Joseph und Aseneth. Den Terminus ἀθανασία verwenden außerdem die Sibylinischen Orakeln und Flavius Josephus. Mit einer der Weisheit Salomos vergleichbaren Konnotation finden sich beide Begriffe dann aber vor allem innerhalb des Neuen Testaments in den paulinischen und deuteropaulinischen Briefen. Zu nennen ist hier vor allem 1 Kor 15, wo es um die Auferstehung und die Verwandlung der Gläubigen durch den Tod hindurch geht (1 Kor 15,42.50-53) und in dem sowohl der Begriff ἀφθαρσία »Unvergänglichkeit« als auch der Begriff ἀθανασία »Unsterblichkeit« von zentraler Bedeutung sind. Außerhalb des ersten Korintherbriefes wird dem Begriff der ἀφθαρσία gegenüber dem Begriff ἀθανασία der Vorzug gegeben. So wird vom unvergänglichen Leben gesprochen (Eph 6,24), von unvergänglichem Samen (1 Petr 1,23), vom unvergänglichen Erbe (1 Petr 1,4) und von einem unvergänglichen Siegeskranz (1 Kor 9,25). Die bevorzugte Verwendung des Begriffes ἀφθαρσία liegt vermutlich darin begründet, dass dieser Terminus die Möglichkeit eines physischen Sterbens, über das hinaus sich das Leben dann erst als unvergänglich erweist, nicht ausschließt. Eine Profilierung des Begriffes in diesem Sinne liegt innerbiblisch erstmals in der Weisheit Salomos vor, so dass man vermuten muss, dass die neutestamentliche Verwendung des Begriffes aus der Weisheit Salomos übernommen wurde. Mit der Vorstellung, dass der Mensch von Gott zur Unvergänglichkeit geschaffen worden sei, ist innerhalb der Weisheit Salomos weiterhin der Gedanke verbunden, dass der Tod durch den Neid des Teufels (φθόνος δὲ διαβόλου) in die Welt gekommen sei (Weish 2,24) und das diejenigen den Tod erleiden müssen, die dem Teufel verfallen (Weish 2,25). Diese Profilierung des Teufels als Ursache für die Existenz des Todes ist gegenüber den alttestamentlichen Schriften ebenfalls neu. Im übrigen Alten Testament begegnet der Teufel ohnehin vergleichsweise selten, vorwiegend im Hiobbuch und hier auch nur in der Rolle als Widersacher. Im Neuen Testament wird sie dagegen vor allem in Röm 5,12 ff. aufgegriffen. Aber auch in Hebr 2,14 erscheint der Teufel als derjenige, der mit dem Tod verbunden ist. Die Gefahr, dass der Mensch dem Teufel und damit seinem Verderben anheimfallen kann, reflektieren eine Vielzahl von neutestamentlichen Belegstellen (1 Petr 5,8; Eph 4,27; 6,11; 1 Tim 3,17; Jak 4,7). Im Zusammenhang mit der Frage, wie es möglich ist, in Gerechtigkeit zu leben und vor Gott zu bestehen, etabliert die Weisheit Salomos einen weiteren vorher nicht in dieser Weise verwendeten Begriff, den Begriff der Umkehr (μετάνοια). Der von einem Leben in Gerechtigkeit abgekommene Mensch, soll durch das erzieherische Strafhandeln Gottes, das als Ausdruck der Güte Gottes gesehen wird, zur Umkehr (μετάνοια) geführt werden (Weish 11,23; 12,19 f.). In der LXX begegnet μετάνοια ansonsten nicht. Lediglich im Buch Sirach wird Henoch als ein Beispiel für Buße (μετάνοια) dargestellt (Sir 44,16). Breit belegt ist der Terminus und mit ihm die Vorstellung, dass der Mensch die Möglichkeit zur Umkehr hat, dann wieder in den Texten des Neuen Testaments. Verbunden mit dem Gedanken, dass Gottes Güte zur Umkehr führt, begegnet er in Röm 2,4; 2 Tim 2,25 und in 2 Petr 3,9. Daneben findet er sich natürlich in der Verkündigung des Täufers 1 und in einer Vielzahl von anderen Beleg1.

Mk 1,4; Mt 3,8.11; Lk 3,3.8; Apg 13,24; 19,4.

312

gtvh 08105 / p. 313 / 31.3.2022

Weisheit Salomos

stellen. 2 Vor allem dort, wo der Gedanke der Umkehr mit der Güte Gottes verbunden ist, wird eine Nähe zur Weisheit Salomos deutlich. Über diesen Vorstellungsbereich hinaus hat die Weisheit Salomos einige wenige Begriffe geprägt, die für die Beschreibung des Wesens Gottes und für die Verhältnisbestimmung Gott-Mensch von Bedeutung sind. Zu diesen Begriffen gehört z. B. der Terminus ἀπαύγασμα »Abglanz«, der in der Septuaginta nur an einer einzigen Stelle in Weish 7,26 in einer Beschreibung der Weisheit begegnet. Dort heißt es: »denn sie ist ein Abglanz des ewigen Lichtes und ein fleckenloser Spiegel des göttlichen Wirkens und ein Bild (εἰκών) seiner Güte«. Im Neuen Testament wird der Terminus ebenfalls nur ein einziges Mal verwendet und zwar im Hebräerbrief in Heb 1,3, wo das Verhältnis von Gott Vater und seinem Sohn Jesus Christus beschrieben wird. Dort heißt es »er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Abbild (χαρακτήρ) seines Wesens. Auch wenn man unmöglich von einem direkten Zitat sprechen kann, so ist die terminologische Entsprechung in der Verwendung des Begriffes ἀπαύγασμα doch auffällig. Beide Stellen zusammen werden dann auch bei Origenes im christologischen Kapitel seiner Grundlagenschrift ausführlich besprochen. 3 In Weish 2,23 wird nicht das Verhältnis von Gott und Weisheit, sondern das Verhältnis von Gott und Mensch beschrieben, indem gesagt wird, dass Gott den Menschen zum Abbild seines eigenen Wesens (εἰκόνα τῆς ἰδίας ἀϊδιότητς) geschaffen habe. Dieser Vers greift Gen 1,26 auf und gibt ihm eine klar umrissene Interpretation. Während der hebräische Text in Gen 1,26 eine Offenheit zeigt, die zulässt, dass er z. B. in Zusammenhang mit Gen 5,3 dahingehend interpretiert werden kann, dass das Verhältnis zwischen Gott und Mensch wie das Verhältnis zwischen Vater und Sohn zu verstehen ist, erscheint der Mensch in der Weisheit Salomos als Abbild des göttlichen Wesens. Dies entspricht dem Interesse, das das hellenistische Judentum und vor allem Philo dem Gedanken der Gottebenbildlichkeit des Menschen entgegen gebracht hat. 4 Auch in den Schriften des Neuen Testaments begegnet der Gedanke, dass der Mensch das Abbild Gottes sei (1 Kor 15,49; Kol 3,10). Möglicherweise hat die Weisheit Salomos auch hier eine Brückenfunktion zwischen Alten und dem Neuen Testament inne. Abschließend bleibt noch auf eine weitere Begriffsprägung hinzuweisen, die die Weisheit Salomos vorgenommen hat. Sie nennt in Weish 1,5 den heiligen Geist der Erziehung (ἄγιον πνεῦμα παιδείας) als feste Größe neben Gott und der Weisheit. Die Wendung Heiliger Geist ist innerhalb des Alten Testaments nur selten belegt. Sie findet sich abgesehen von Weish 1,5 nur noch in Jes 63,10f und Ps 51,13. An diesen beiden Stellen hat der Heilige Geist eine ähnliche Bedeutung, wie der ansonsten in den Schriften des Alten Testamentes belegte Geist Gottes, der die Fähigkeit zum Vollbringen besonderer Taten verleiht. In der Weisheit Salomos begegnet die Bezeichnung Heiliger Geist in Weish 1,5 und in Weish 9,17. Daneben ist der Begriff πνεῦμα in unterschiedlichen Bedeutungsnuancen noch häufiger belegt (1,6f; 5,23; 7,7; 7,22; 9,17; 12,1). Vor allem die Verse Weish 1,5 und Weish 9,17, in denen vom heiligen Geist als einem Erzieher die Rede ist, der den Menschen auf den rechten Weg weist und sie so vor dem Untergang errettet (Weish 9,18), sind wirkungsgeschichtlich für spätere frühchristliche 2. 3. 4.

Lk 5,32; 24,47; Apg 5,31; 11,18; 20,21; 26,20; 2 Kor 7,9. Origenes: Princ. I, 2,9-13, SC 252, 128-142. Philo: Det. 83; Virt. 203; Decal. 134.

313

gtvh 08105 / p. 314 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

pneumatologische Überlegungen von Bedeutung. Zum einen erscheint der Heilige Geist hier als ein zunehmend eigenständiger Aktant. Ähnliche Eigenständigkeit entwickelt der Heilige Geist dann auch im Neuen Testament, z. B. im Johannesevangelium oder in der Apostelgeschichte. Vor allem aber findet sich die Vorstellung, dass der Heilige Geist die Menschen auf den Weg führt und so errettet in den Überlegungen des Origenes wieder, der das Werk des Geistes darin sieht, dass er die zu Gott strebenden Menschen auf ihrem Weg zur Vervollkommnung unterstützt. 5 Dieser Überblick zeigt, dass die Weisheit Salomos mehrere Begriffe etabliert und profiliert hat, die innerhalb des Neuen Testaments und darüber hinaus auch für die christliche Theologie große Bedeutung erlangt haben. Die Weisheit Salomos erweist sich damit einmal mehr als eine theologisch innovative Schrift, die ganz offensichtlich im Urchristentum gerne gelesen und rezipiert wurde, so dass sie als der Brückentext par excellence zwischen dem Alten und dem Neuen Testament gelten kann.

5.

Origenes: Princ. I, 3,4, SC 252, 150.

314

gtvh 08105 / p. 315 / 31.3.2022

Jesus Sirach

2.2.3.7 Jesus Sirach Frank Ueberschaer Literatur Editionen und Übersetzungen Ziegler, Joseph: Sapientia Iesu Filii Sirach, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum, Bd. 12,2, Göttingen 21980 – Börner-Klein, Dagmar: Das Alphabet des Ben Sira. Hebräisch-deutsche Textausgabe mit einer Interpretation, Wiesbaden 2007. Agnellus Raven.: Liber Pontificalis / Bischofsbuch, ed. et trad. Claudia Nauerth, FC 21, Freiburg u. a. 1996 – Ambrosius: De Fide [ad Gratianum] / Über den Glauben [an Gratian], ed. et trad. Christoph Markschies, FC 47/1-3, Freiburg 2005 – Ambrosius: De Fide, rec. Otto Faller, CSEL 78, Wien 1962 – Basilius Caes.: De Spiritu Sancto, ed. Benoît Pruche, SC 17 bis, Paris 1968 – Cassiodor: Institutiones Divinarum et Saecularum Litterarum, ed. et trad. Wolfgang Bürsgens, 2 Bde., FC 39, Freiburg u. a. 2003 – Dorotheus Gaz.: Oeuvres Spirituelles, ed. Lucien Regnault / Jacques de Préville, SC 92, Paris 1963 – Gregor d. Gr.: Homiliae in Evangelia / Evangelienhomilien, ed. et trad. Michael Fiedrowicz, FC 28/1-2, Freiburg u. a. 1997-1998 – Johannes Chrysostomus: Catecheses Baptismales octo ineditae, ed. Antoine Wenger, SC 50, Paris 1957 – Johannes Chrysostomus: Tres Catecheses baptismales, ed. Auguste Piédagnel, SC 366, Paris 1990 – Dorotheus Gaz.: Oeuvres Spirituelles, ed. Lucien Regnault / Jacques de Préville, SC 92, Paris 1963 – Gregor I.: Homiliae in Evangelia / Evangelienhomilien, ed. et trad. Michael Fiedrowicz, 2 Bde., FC 28/1-2, Freiburg u. a. 1997 – Johannes Philoponos: De Opificio Mundi / Über die Erschaffung der Welt, ed. et trad. Clemens Scholten, 3 Bde., FC 23/1-3, Freiburg u. a. 1997 – Origenes: Contra Celsum, ed. Paul Koetschau, Buch I-IV, GCS 2, Leipzig 1899, 49-374; Buch V-VIII, GCS 3, Leipzig 1899, 1-293 – Origenes: Commentarius in Epistulam ad Romanos: Hammond Bammel, Caroline P.: Der Römerbriefkommentar des Origenes. Kritische Ausgabe der Übersetzung des Rufinus, 3 Bde., Freiburg 1990 / 1997 / 1998 – Origenes: Commentarius in Epistulam ad Romanos, Livres III-V, ed. Caroline P. Hammond Bammel / Michel Fédou / Luc Brésard, SC 539, Paris 2010; Livres VI-VIII, ed. Caroline P. Hammond Bammel / Michel Fédou / Luc Brésard, SC 543, Paris 2011 – Origenes: Commentarius in Epistulam ad Romanos: Karl Staab, Neue Fragmente aus dem Kommentar des Origenes zum Römerbrief, BZ 18 (1927/28), 72-83 – Pelagius: Epistula ad Demetriadem / Brief an Demetrias, ed. et trad. Gisbert Greshake, FC 65, Freiburg / Basel / Wien 2015 – Phoebadius: Contra Arianos / Streitschrift gegen die Arianer. ed. et trad. Jörg Ulrich, FC 38, Freiburg u. a. 1999. Wengst, Klaus: Didache (Apostellehre). Barnabasbrief. Zweiter Klemensbrief. Schrift an Diognet, Schriften des Urchristentums 2, Darmstadt 1984.

Weitere Literatur Kraus, Wolfgang: Die hermeneutische Relevanz der Septuaginta für eine Biblische Theologie, in: ders. / Kreuzer, Siegfried (ed.): Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 3-25 – Kreuzer, Siegfried / Vieweger, Dieter u. a.: Proseminar I: Altes Testament. Ein Arbeitsbuch, Stuttgart 22005 – Kreuzer, Siegfried: »Object of Great Care«: The Prologue to the Wisdom of Jesus, Son of Sirach, in the Context of Its Genre, in: ders., The Bible in Greek. Translation, Transmission, and Theology of the Septuagint, SCS 63, Atlanta 2015, 94-109 – Kreuzer, Siegfried: Von der Vielfalt zur Einheitlichkeit. Wie kam es zur Vorherrschaft des masoretischen Textes?, in: ders., Geschichte, Sprache und Text. Studien zum Alten Testament

315

gtvh 08105 / p. 316 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

und seiner Umwelt, BZAW 479, Berlin / Boston 2015, 354-365 – Skehan, Patrick W.: Didache 1,6 and Sirach 12,1, Bibl. 44 (1963), 533-536 – Wright, Benjamin G.: Why a Prologue? Ben Sira’s Grandson and His Greek Translation, in: Shalom M. Paul u. a. (ed.), Emanuel. Studies in the Hebrew Bible, Septuagint and Dead Sea Scrolls, FS Emanuel Tov, VT.S 94, Leiden 2003, 633-644.

1. Vorbemerkungen Bei fast allen Schriften, die im Kanon der Septuaginta versammelt sind, handelt es sich um Übersetzungsliteratur. In den meisten der Bücher wird dies jedoch nicht eigens thematisiert und erschließt sich aus ihnen selbst heraus in der Regel vor allem aufgrund des Sprachstils, der für griechischsprachige Literatur häufig (mindestens) ungewöhnlich ist. Die Funktion, Schriften der Septuaginta als Übersetzung zu thematisieren, erfüllen Traditionen außerhalb ihrer selbst, wie beispielsweise der Aristeasbrief, Aristoboulos und Philon. In diesen Traditionen kommt zum Ausdruck, dass der der Übersetzung zugrunde liegende hebräische Text eine normative Größe war; vor allem aber begründen sie – ob beabsichtigt oder nicht – die faktische kanonische Geltung der Septuagintaschriften als eigenständige heilige Schrift, die schließlich zu einer selbstständigen Größe wurde. Dennoch blieb das Bewusstsein für die Bedeutung des hebräischen Textes, bei dem es sich in der Zeit nach Beginn der christlichen Zeitrechnung bereits im Wesentlichen um den masoretischen Text handelte, 1 auch nach der Trennung von Christentum und Judentum bestehen. 2 Insofern richtet sich die rezeptionsgeschichtliche Frage zum Septuagintatext – ob (und wenn ja, wie) in der Theologiegeschichte Unterschiede zwischen beiden Textkorpora thematisiert und möglicherweise sogar fruchtbar gemacht wurden – auf zwei Größen, die beide kanonischen Rang hatten. Fast all dies ist im Buch Ben Sira / Jesus Sirach anders. 3 Zum einen hat sich das hebräische Buch Ben Sira in der Geschichte nicht als kanonisches Buch durchgesetzt. Die zahlreichen Varianten zwischen den wenigen überlieferten hebräischen Manuskripten, die viel stärker voneinander abweichen, als es in der masoretisch kontrollierten Textüberlieferung seit der Spätantike der Fall ist, lassen sich zweifellos auf diesen Umstand zurückführen. In der Folge spielen diese Einzelhandschriften auch beim Vergleich zwischen der hebräischen und der griechischen Texttradition eine viel stärkere Rolle als bei den weiteren in der Septuaginta enthaltenen, auch im masoretischen Text vertretenen Schriften. Vor allem aber ist es der fehlenden kanonischen Geltung geschuldet, dass der hebräische Textbestand des Buches im Laufe des Mittelalters verloren ging, sodass ab dieser Zeit lediglich die christlich kanonisierten Versionen des Buches in seinen Übersetzungen erhalten geblieben sind: in der Septuaginta, in der Vulgata und in den Übersetzungen in die östlichen Sprachen. Doch dieses Problem 1. 2. 3.

Kreuzer: Vielfalt, 354-365. Die Vulgata des Hieronymus stellt dafür sowohl textgeschichtlich als auch in ihrem Selbstanspruch ein Zeugnis dar. Um zwischen dem hebräischen und dem griechischen Buch begrifflich unterscheiden zu können, wird hier die Bezeichnung »Buch Ben Sira« für die hebräische und »Jesus Sirach« für die griechische Schrift verwendet.

316

gtvh 08105 / p. 317 / 31.3.2022

Jesus Sirach

zeigt sich bereits in den ersten Jahrhunderten, in denen das Buch ausschließlich in seiner vom jeweiligen Verfasser verwendeten Sprache in den Blick kommt. Immer wieder zeigt sich, dass andere Versionen als in den großen Kodizes verwendet werden, doch werden weder Differenzen zu einem hebräischen Text noch zwischen verschiedenen griechischen oder weiteren Textüberlieferungen thematisiert. Der Hauptunterschied zu den übrigen Schriften im Septuagintakanon besteht aber darin, dass sich das Buch Jesus Sirach in der Septuaginta von sich aus als Übersetzung zu erkennen gibt, denn in seiner griechischen Fassung steht ihr der Prolog des Übersetzers voran. In diesem Vorwort reflektiert er, der sich als Enkel des Verfassers vorstellt, über die Schwierigkeit zu übersetzen und die Differenzen zwischen den Texten, die dadurch entstehen – und stellt damit selbstverständlich auch seine eigene Leistung heraus. 4 Umso erstaunlicher für die Rezeptionsgeschichte ist, dass dieser Hinweis des Übersetzers so wenig Resonanz gefunden hat. Dieses Phänomen lässt sich nicht mit dem Verlust des hebräischen Textes im Laufe der Zeit erklären, schließlich belegen gerade die Kairoer Genizafragmente, dass das Buch noch bis ins Hochmittelalter gelesen und bearbeitet worden ist. Wahrscheinlicher ist wohl, dass dem griechischen Buch Jesus Sirach von Anfang der »Kanonisierung« an ein kanonisches Gegenüber im Hebräischen fehlte, sodass dem Prolog keine weitere Beachtung geschenkt wurde, was allerdings auch bedeutete, dass sein Aussagegehalt lange unterbewertet blieb. Doch dies gilt nicht nur für einen Vergleich zwischen den hebräischen und griechischen Texttraditionen, sondern auch für die innerhalb einer Sprachtradition bestehenden Differenzen, die keine Thematisierung fanden, wie sich in den Schriften der Kirchenväter zeigt. Vor diesem Hintergrund kann es in einem Beitrag zur Thematisierung und Verarbeitung textlicher Differenzen in der vom griechischen Buch Jesus Sirach ausgehenden Rezeptionsgeschichte weder um die Rezeption des Buches Jesus Sirach allgemein gehen noch um die Thematisierung textlicher Unterschiede zwischen zwei »kanonischen« Textkorpora. Aus diesem Grund soll vielmehr die Frage im Vordergrund stehen, wie das Buch selber wahrgenommen worden ist und wie mit seinem Text umgegangen wurde. Da es primär um den Septuagintatext geht, stehen die griechisch schreibenden Autoren der Alten Kirche im Zentrum des Interesses.

4.

Siehe dazu Wright: Prologue; Kreuzer: Object.

317

gtvh 08105 / p. 318 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

2. Jesus Sirach als fluider Text Während das Buch Jesus Sirach im Neuen Testament nicht explizit rezipiert wird, 5 findet es in der Didache zweimal Erwähnung. 6 Dabei erscheint das Buch entweder als fluider Text oder stand Pate bei der Formulierung einzelner Passagen. So ist in Did 1,6 7 ein Satz bezeugt, der Sir 12,1 sehr ähnlich ist: Ἱδρωσάτω ἡ ἐλεημοσύνη σου εἰς τὰς χεῖρας σου μέχρις ἂν γνῷς τίνι δῷς Dein Erbarmen / Almosen sei so lange in deiner Hand, bis du weißt, wem du gibst. In Did 4,5 wird derselbe Gedanke wie in Sir 4,31 in ähnlicher Wortwahl ausgedrückt: Μὴ γίνου πρὸς μὲν τὸ λαβεῖν ἐκτείνων τὴν χεῖρα, πρὸς δὲ τὸ δοῦναι συσπῶν Sei nicht einer, der zum Nehmen die Hand ausstreckt, [sie] aber zum Geben zusammenballt. Dabei fehlt in Did 4 jede Form eines Zitationshinweises, sodass offen bleiben muss, ob hier wirklich auf Sir 4,31 zurückgegriffen worden ist oder ob es sich um die Formulierung eines Gedankengangs handelt, der entweder von Sir 4,31 her inspiriert ist oder an beiden Stellen nur zufällig ähnlich geäußert wird. 8 Dennoch ist die Nähe auffällig. Da5.

6. 7. 8.

Kraus: Hermeneutische Relevanz, 7-8, hat auf Jak 1,19 und Mk 10,19 als neutestamentliche Rezeptionen von Sir hingewiesen und darin Reflexe auf Sir 5,11 in der hebräischen Version von Ms A (in Jak 1,19) und Sir 4,1 in der griechischen Version (in Mk 10,19) erkannt. Für Jak 1,19 ist dies zwar durchaus denkbar, allerdings weisen die die konkreten Formulierungen erhebliche Unterschiede auf, sodass es sich wohl eher um eine mündliche Wiedergabe und nicht um eine schriftliche Abhängigkeit von Sir 5,11 handelt. Zudem handelt es sich um ganz klassisches Gedankengut aus dem weisheitlichen Kontext (vgl. bspw. aus akkadischen Weisheitstexten TUAT III/1, 167 Zeile 133f uvm.). Sehr plausibel ist also auch, dass Jak 1,19 einen klassischen weisheitlichen Grundgedanken aufnimmt, der auch bei Sir vertreten ist, aber allgemein zu weisheitlichen Unterweisungen gehört. Jak 1,19 würde ihn zudem auf seine Argumentation hin zuspitzen (Stichwort: Zorn). Noch zurückhaltender ist Sir 4,1 in Mk 10,19 zu beurteilen. Die beiden übereinstimmend verwendeten Worte (Du sollst nichts unterschlagen / vorenthalten) entsprechen in der Tat wörtlich Sir 4,1LXX, haben aber mit dem sehr spezifischen Zusammenhang dort nichts zu tun. Hinzu kommt, dass die Wendung in einer Reihe von Geboten steht, die dem Dekalog entnommen sind, die dessen Reihenfolge allerdings auflöst und sich damit als Wiedergabe der Dekaloggebote, aber nicht als Zitat desselben zu erkennen gibt. Dem »Selbstverständnis« der Wendung nach handelt es sich also um ein dem Dekalog äquivalentes Gebot, nicht um einen weisheitslichen Lehrsatz. Inhaltlich handelt es sich zudem um eine äquivalente Formulierung zum »Nicht-Stehlen«, sodass evtl. auch die textkritisch nicht unproblematische Situation nicht außer Acht zu lassen ist. Es könnte sich also auch um eine Ergänzung aus anderen Gebotsreihen handeln, zumal das Verb in Ex 21,10 in einem Gebotskontext belegt ist. Texte der Didache sind entnommen aus Wengst: Didache. Did 1,6 gehört zu der sog. interpolatio evangelica Did 1,3b-2,1, die in gut der Hälfte der Handschriften von Did enthalten ist (Wengst: Didache, 18-20; 66f). In der Textüberlieferung gibt es zu diesem Satz zwar Varianten, doch stehen diese in keinem engeren Verhältnis zu Sir als der o. g. Text (Abkürzungen nach Wengst: Didache): τὴν χεῖρα (die Hand) CA L] τὰς χεῖρας (die Hände) H KO B; συσπῶν (zusammenziehend) H KO B] συστέλλων (zusammenziehend) CA.

318

gtvh 08105 / p. 319 / 31.3.2022

Jesus Sirach

gegen wird in Did 1,6 durch die Einführung mit εἵρηται (es ist gesagt) deutlich, dass Did hier eine autoritative Tradition aufgreift und anführt, 9 auch wenn es nicht der üblichen Zitationsformel entspricht. Gedanken aus dem Buch Jesus Sirach mögen im Umlauf gewesen sein, was bei Einzelsentenzen nicht unwahrscheinlich ist. Es ist aber auch möglich, dass das Buch Jesus Sirach hier als das verstanden wurde, was es sein will: eine Lehre, um sich daran zu orientieren und mit ihr sein Leben zu gestalten, was sich bei Verfassern schließlich auch in ihren eigenen Texten niederschlägt.

3. Jesus Sirach als autoritative Schrift Während in der Didache noch vieles im Fluss ist, handelt es sich für die Kirchenväter dagegen beim Buch Jesus Sirach bereits um eine autoritative heilige Schrift, um deren Stellung nicht mehr gerungen werden muss. Dennoch weisen auch sie zahlreiche Besonderheiten auf, die zeigen, wie vielfältig der Umgang mit dem Buch Jesus Sirach war. Dies beginnt bei der Frage, wie das Buch Jesus Sirach bezeichnet wird. Dabei ist die Qualifikation als heiliger Text schon alt. So charakterisiert Origenes (185-254) das Buch als »göttliches Wort« (ὁ θεῖος λόγος), wenn er Sir 10,19 anführt: 10 φησὶ γοῦν καὶ ὁ θεῖος λόγος· »Σπέρμα ἔντιμον ποῖον; σπέρμα ἀνθρώπου. σπέρμα ἄτιμον ποῖον; σπέρμα ἀνθρώπου.« So sagt dann auch das göttliche Wort: Welcher Same ist ehrenwert? Der Same des Menschen. Welcher Same ist verachtenswert? Der Same des Menschen.

Das hindert ihn allerdings nicht daran, frei mit dem Text umzugehen, wenn er aus dem vierstichigen Vers lediglich den ersten und den dritten Stichos zitiert und damit die Sätze aufnimmt, die in seine Argumentation passen. In seinem Kommentar zu Röm 1,17 zitiert Origenes Sir 20,9 als aus »der Schrift« stammend: ἔστι γὰρ, φησὶν ἡ γραφή, ἐν κακοῖς εὐοδία ἀνδρός. 11 Denn es gibt, sagt die Schrift, im Übel Erfolg des Mannes.

Auch hier geht er anscheinend ähnlich frei mit dem Text um, denn es gibt keine weitere Textbezeugung, die der seinen entspricht, 12 auch wenn das Zitat deutlich erkennbar ist. Analoges zeigt sich auch in den weiteren Texten des Römerbriefkommentars des Origenes, auch wenn hier zu berücksichtigen ist, dass der griechischsprachige Kommentar heute nur noch fragmentarisch besteht und darüber hinaus in lateinischen 9. Zum Verhältnis von Sir 12,1 und Did 1,6 siehe auch Skehan: Didache, 533-536. Der Verweise auf eine Quelle mit εἵρηται ist zwar keine klassische Zitationsformel, aber durchaus nicht unüblich. 10. Origenes: Cels. VIII, 50, GCS 3, 265. 11. Text nach Staab: Origenes, 72-83. 12. Vgl. Ziegler: Sirach 216.

319

gtvh 08105 / p. 320 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

Übersetzungen erhalten ist, deren bedeutendste die des Rufinus (345-411/2) ist. Zwar können sie als Übersetzung nur in einem geringeren Maße über die genaue Verwendung des Buches Jesus Sirach durch Origenes Auskunft geben, dennoch zeigen sie, dass er wahrscheinlich auch sonst Zitate aus dem Buch als Schriftzitate gekennzeichnet hat. So wird Sir 11,28 schlicht als aus der »Schrift« eingeführt: sicut et scriptura dicit (so sagt auch die Schrift) 13, und auch Sir 15,9 wird als Teil der Schrift bezeichnet: et iterum alia scriptura dicit (und wiederum sagt eine andere Schriftstelle). 14 Chrysostomos (349-407) zeigt sich demgegenüber eher zurückhaltend. In seinen Taufkatechesen führt er Zitate aus dem Buch Jesus Sirach ein, indem er ihn als »jemanden« (τίς) bezeichnet. Markant ist dies in einer kurzen Sequenz, in der er über die Zunge bzw. über das Reden spricht. Im hinführenden Satz zu Sir 28,18 führt er das Zitat ohne Herkunftsangabe ein: τὶς δηλῶν ἔλιγε (jemand, der [uns dies] deutlich macht, sagt) (Cat. 2,17) 15. Auch im nachfolgenden Satz leitet er zu Sir 20,18 über mit den Worten: πάλιν ὁ αὐτὸς εἶπεν (wiederum sagt derselbe) (ebd.), und nach einer kurzen Auslegung folgt dann Sir 28,25b, dem er οὕτως εἰπών voranstellt (ebd.). Das ist insofern nicht besonders auffällig, als er Zitate beispielsweise aus dem Buch Jeremia auch nicht als solche kennzeichnet 16, bleibt aber dennoch bemerkenswert, wenn er in einer weiteren Taufkatechese Sir 8,13 mit den Worten διὰ τοῦτο καί τις σοφὸς παραινεῖ λέγων (deshalb rät auch ein Weiser folgendes) 17 einführt und Sir 19,30 mit dem einfachen Hinweis: φησίν (sagt). 18 Dabei sind die Zitate eindeutig zuzuordnen, auch wenn sich die Textversionen, die Chrysostomos bietet, sowohl von den jeweiligen Hauptbezeugungen der Verse unterscheiden als auch von weiteren Zitaten desselben Satzes in weiteren Katechesen, 19 ohne dass er dies thematisieren würde. Von anderen dagegen wird das Buch Jesus Sirach schlicht als »Weisheit« bezeichnet. Dies beginnt möglicherweise bereits mit Origenes, denn Rufinus führt Sir 27,5 nicht mit Verweis auf »die Schrift« oder gar die Nennung Jesus Sirachs ein, sondern mit der Bezeichnung sapientia: et sapientia dicit (und die Weisheit sagt). 20 Angesichts dessen, dass es sich um eine spätere Übersetzung handelt, lässt sich Origenes’ eigener Sprachgebrauch nicht mehr klären, doch ist auch Rufinus’ Ausdrucksweise insofern bemerkenswert, als sie zeitgleich mit Chrysostomos’ Zurückhaltung geschieht und er das Buch klar einer Gattung zuordnet. Dabei war bereits Basilius (330-379) deutlicher geworden, wenn er Jesus Sirach als Buch mit dem Titel »Weisheit« anführt, so zu Sir 43,30 in seiner Abhandlung über den Heiligen Geist: κατὰ τὸν λόγον τῆς ἐπιγραφομένης Σοφίας (gemäß dem Wort der niedergeschriebenen Weisheit). 21 Wiederum später zitiert Cassiodorus (485-580) Sir 1,1, indem er seine Quelle ausdrücklich als »liber Sapientiae« bezeichnet: Scientes plane, sicut saepe iam dictum est, 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21.

Origenes: Comm. Rom. III, 2,16, SC 539, 74. Origenes: Comm. Rom. III, 4, 12, SC 539, 118. Johannes Chrysostomus: Catech. [1]2/1, 17, SC 366, 146. Johannes Chrysostomus: Catech. [1]2/1, 15, SC 366, 140.142. Johannes Chrysostomus: Catech. [2]3/1, 15, SC 50, 142. Johannes Chrysostomus: Catech. 4[3/3],26, SC 50, 195. Vgl. beispielsweise den Apparat zu Sir 28,18 in Ziegler: Sirach, 258. Origenes: Comm. Rom. VII, 15, 3, SC 543, 396. Basilius Caes., Spir. 70/28, SC 17bis, 244.

320

gtvh 08105 / p. 321 / 31.3.2022

Jesus Sirach

rectam veramque sapientiam Dominum posse conceder, sicut ait liber Sapientiae (Wir wissen genau, weil es mehrfach gesagt worden ist, dass der Herr die wirkliche und wahrhaftige Weisheit schenken kann, wie das Buch der Weisheit sagt). 22 Das ist insofern bemerkenswert, als er das Buch, das heute als Sapientia bezeichnet wird, nicht mit dieser Benennung einführt, sondern mit sicut ait Salomon (zu Sap 11,20). 23 Ebenso verweist auch Dorotheos von Gaza (510-580) in seinen Doctrinae Diversae auf die Aussage in Sir 2, derzufolge man sich auf Versuchungen einstellen müsse, wenn man Gott dienen wolle, mit den Worten κατὰ τὴν Σοφίαν (gemäß der Weisheit). 24

4. Das Buch und sein Verfasser In den bereits genannten Texten von Origenes, Chrysostomos, Basilius und Dorotheos von Gaza wird nicht auf einen Verfassernamen zurückgegriffen, obwohl er in Sir 50,27 zur Verfügung gestanden hätte. Vielmehr scheint das Buch Jesus Sirach als Äußerung »der Weisheit« in Geltung gestanden zu haben. Möglicherweise spiegelt sich hier wider, dass gerade diese ungewöhnliche Verfasserangabe nicht nur für die jüdische Tradition hinsichtlich der Kanonisierung des Buches problematisch war, sondern eben auch für die christliche. So lassen alle ihre Bezeichnungen für das Buch auch die Möglichkeit zu, sie schlicht als Hinweis auf ein nicht näher bezeichnetes Weisheitsbuch zu verstehen. Dies gilt auch für Gregor den Großen, der in seiner Homilie zu Lk 12,35-40 das Zitat aus Sir 5,4 einführt mit den Worten Hinc per quendam sapientem dicitur (daher wird durch einen Weisen gesagt). 25 Dieselbe Problematik mag seinerseits Agnellus von Ravenna (9. Jh.) widerspiegeln, der in seinem Liber pontificalis zu Sir 1,1 als Herkunftsangabe angibt: David filius (Sohn Davids) 26 und zu Sir 25,22 Vg sagt: veritas per Salamonem dicit (die Wahrheit spricht durch Salomo). 27 Für Agnellus von Ravenna handelt es sich also beim Buch Jesus Sirach um ein Werk Salomos, sodass er es ganz der biblischen Tradition der salomonischen Verfasserschaft der weisheitlichen Bücher folgend in deren Bestand einordnet. Andererseits bezeichnet schon Origenes den Verfasser des Buches Jesus Sirach zwar als τῶν καθ’ ἡμᾶς τις σοφῶν (einer unserer Weisen) 28, unterscheidet dann aber im selben Werk deutlich zwischen Salomo und Jesus Sirach, wenn er Spr 10,17 mit den Worten ὅπου μὲν Σολομῶντος λέγοντος (hier sagt Salomo) einleitet und Sir 21,18 mit ὅπου δὲ τοῦ τὸ σύγγραμμα τὴν Σοφίαν ἡμῖν καταλιπόντος Ἰησοῦ υἱοῦ Σιρὰχ φάσκοντος (hier aber versichert Jesus, der Sohn des Sirach, der uns die Schrift »die Weisheit« hinterlassen hat),während er gleichzeitig beide Texte als ὁ θεῖος λόγος (göttliches Wort) qualifiziert. 29 Origenes differenziert damit nicht nur zwischen den

22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29.

Cassiodorus: Inst. I, 28,4, FC 39/1, 258. Cassiodorus: Inst. II, praef. 3, FC 39/2, 292. Dorotheus Gaz.: Doctr. div. 13/138, SC 92, 402. Gregor d. Gr.: Hom. 13,5, FC 28, 218. Agnellus: Lib Pont. 54, FC 21, 254. Agnellus: Lib Pont. 18, FC 21, 126. Origenes: Cels. IV, 75, GCS 2, 345. Origenes: Cels. VI, 7, GCS 3, 77.

321

gtvh 08105 / p. 322 / 31.3.2022

Psalmen und Weisheitsliteratur

beiden Büchern, sondern benennt auch den Verfasser des Buches Jesus Sirach mit der Bezeichnung, die in Sir 50,27 LXX angegeben wird. Die im synoptischen Vergleich textgeschichtlich durchaus nicht unproblematische Namensnennung in Sir 50,27 spiegelt sich möglicherweise auch bei Johannes Philoponos (495-575) wider. In seinem Werk De opificio mundi leitet er ein Zitat von Sir 32,8 mit ὡς καὶ ὁ τοῦ Σιρὰκ δηλοῖ λέγων (wie auch der Sohn des Sirach verdeutlicht, indem er sagt) ein. 30 Er präsentiert damit auf Griechisch die hebräische Bezeichnung des Buches, die sich bereits im Talmud findet 31 und dann durchgesetzt hat, wie beispielsweise das mittelalterliche Alphabet des Ben Sira zeigt. 32 Abgesehen davon ist bemerkenswert, dass er mit Σιράκ eine andere als die übliche Schreibweise für Σιραχ bezeugt; dies lässt sich aber wohl am besten als Fehler aus einem zu einem κ verlesenen χ erklären.

5. Jesus Sirach zitieren Bei den Zitaten, die aus dem Buch Jesus Sirach verwendet werden, ist zu unterscheiden zwischen Textbezeugungen alter Entwicklungsstufen, wie beispielsweise bei den Kirchenväterzitaten für die Vetus Latina, und einer freien Verwendung. In der griechischsprachigen Texttradition entspricht keines der Zitate in seiner Gänze einer der Lesarten, die in einzelnen Handschriften des Buches Jesus Sirach enthalten sind, während sie natürlich partiell durchaus in Handschriften des Buches selber bezeugte Einzellesarten widerspiegeln. Doch dabei handelt es sich nicht um ein Spezifikum für den Umgang mit dem Buch Jesus Sirach, der sich von dem mit anderen kanonischen Büchern unterscheiden würde. Hinzu kommt, dass Zitate auch in die Notwendigkeiten des Satzduktus des Verfassers eingefügt werden, sodass es zu Umstellungen der Worte, Austausch von Worten mit gleicher Bedeutung und Verkürzungen des Zitates kommt. All dies lässt sich schon früh bei Origenes belegen, wenn auch nur in Rufinus’ Übersetzung. So fügt Rufinus gemäß des lateinischen Sprachgebrauchs Worte zu (so zu Sir 1,14 initium sapientiae timor Dei [der Anfang der Weisheit {ist} die Furcht Gottes] ein est [ist] am Ende des Satzes 33) oder zitiert unvollständig (so fehlt im Zitat von Sir 27,5 [vasa figuli probat fornax et homines iustos temptatio tribulationis {Töpferware prüft der Ofen und gerechte Menschen die Versuchung in Bedrängnis}] bei Origenes das Schlusswort tribulationis [Bedrängnis] bzw. eine Entsprechung zu ἐν διαλογισμῷ αὐτοῦ [in seiner Überlegung] 34, und es gibt in der Textüberlieferung des Kommentars keinen Hinweis darauf, dass auf den Text der Vulgata hin korrigiert worden wäre). 35 Allerdings spiegelt auch die lateinische Übersetzung den freien Umgang des Origenes mit dem Wortlaut des biblischen Textes wider, wenn er in 7,10 36 ein Mischzitat aus Ps 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36.

Johannes Philoponos: Opf. I, 4, FC 23, 94. Vgl. bKet 110b; bBB 146a; bSan 100b. Börner-Klein: Alphabet, 3. Origenes: Römerbriefkommentar VII, 1,4, SC 543, 248. Origenes: Römerbriefkommentar VII, 17,3, SC 543, 396-398. Hammond Bammel: Römerbriefkommentar des Origenes, 627. Origenes: Römerbriefkommentar VII, 10, SC 543,332-333.

322

gtvh 08105 / p. 323 / 31.3.2022

Jesus Sirach

111,5 Vg 37 und Sir 7,40 Vg 38 herstellt: dispone sermones tuos in iudicio; praepara opera tua ad exitum; memento nouissimorum tuorum et non peccabis (Mäßige deine Reden im Gericht; bereite deine Werke auf das Ende vor; denke an deine letzten Dinge, und du wirst nicht sündigen)!

6. Interpretationen Das Kapitel Sir 24 ist ein bedeutender Markstein in einer geistesgeschichtlichen Entwicklung, die sich von Spr 8 über Sir 24 bis zu Joh 1 und Kol 1 ausziehen lässt. 39 Auf dieser Fluchtlinie liegen auch die Interpretationen der Kirchenväter zu Sir 24. So legt Ambrosius (339-397) in seinen trinitätstheologischen Überlegungen in De Fide I, 17/110 40 Sir 24,3 in doppelter Hinsicht aus. Zum einen versteht er den Text als Beleg dafür, dass der Sohn aus dem Vater ausgegangen sei (ex deo exivit) und betont dabei, dass nur etwas ausgehen (exire) könne, was bereits vorher existiert habe. Zum anderen hält er anhand von Sir 24,3 fest, dass der Sohn nicht von irgendwoher ausgegangen sei, sondern vom Vater als »deus de deo«. Dabei verschiebt sich im Laufe seiner Argumentation bemerkenswerterweise die Nuance, wenn er am Ende des Abschnitts, an dem er das Zitat aus Sir 24,3 (ex ore altissimi prodivi [aus dem Mund des Höchsten bin ich hervorgegangen]) anführt, nicht mehr so betont vom exire, sondern vom prodire (qui ex patre nascendo prodivit [der aus dem Vater durch Geburt hervorgegangen ist]) spricht. In De Fide IV, 8/87 identifiziert Ambrosius die Weisheit und Christus, indem zunächst auf Sir 24,3 und anschließend auf Ps 110(109),3 in der Version der Vetus Latina verweist (denique de eadem sapientia, hoc est de domino Iesu, alibi pater dicit [schließlich sagt der Vater über dieselbe Weisheit, das heißt: über den Herrn Jesus, an anderer Stelle]). 41 Denselben Gedankengang verfolgt Phoebadius (4. Jh.) in seinem Werk Contra Arianos, wenn er den Satz aus Sir 24,3 unmittelbar als vom Sohn gesagt versteht: Filius ait: Ego ex ore Altissimi prodivi (der Sohn sagt: Ich bin aus dem Mund des Höchsten hervorgegangen). 42 Auch Ambrosius richtet Jesus Sirach gegen Arius. Er verweist ihn an Sir 3,21: Sed Arrio et hominibus dictum est: Altiora te ne quaesieris (aber Arius und den Menschen ist gesagt: Was zu hoch für dich ist, erforsche nicht). 43 In einem gewissen Sinn werkgetreuer äußert sich dagegen Pelagius, wenn er mit Sir 15,14.18 den freien Willen und die Entscheidungsfähigkeit des Menschen betont. 44

37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44.

bonus vir clemens et fenerans dispensabit verba sua in iudicio. in omnibus operibus tuis memorare novissima tua et in aeternum non peccabis. Für das rabbinische Schrifttum ist des Weiteren auf GenR 1 hinzuweisen. Ambrosius: Fid. I, 17/110, FC 47/1, 228. Ambrosius: Fid. IV, 8/87, FC 47/2, 522. Phoebadius: C. Ar. 11,6, FC 38, 116. Ambrosius: Fid. V, 19/235, FC 47/3, 772. Pelagianus: Ep. ad Demetriadem 2, FC 65, 62.

323

gtvh 08105 / p. 324 / 31.3.2022

2.2.4 Propheten 2.2.4.1 Dodekapropheton 2.2.4.1.1 Explicit Quotations of the Dodekapropheton in the New Testament Gert J Steyn Literature Editions and Translations Abegg, Martin G. et al.: The Dead Sea Scrolls Bible: The Oldest Known Bible Translated for the First Time into English, New York 1999 – Lohse, Eduard (ed.): Die Texte aus Qumran, Darmstadt 1964 – Steudel, Annette (ed.): Die Texte aus Qumran II, Darmstadt 2001 – Tov, Emanuel: The Greek Minor Prophets Scroll from Naḥal Ḥever (8ḤevXIIgr), DJD VIII; Oxford 1990 – Ziegler, Joseph (ed.): Septuaginta, Vol. XIII: Duodecim prophetae, Göttingen, 3. Aufl. 1984.

Secondary Literature Ådna, Jostein: James’ position at the Summit Meeting of the Apostles and Elders in Jerusalem (Acts 15), in: Jostein Adna / Hans Kvalbein (eds.), The Mission of the Early Church to Jews and Gentiles, WUNT 127, Tübingen 2000, 125-161 – Ahlborn, Erko: Die Septuaginta-Vorlage des Hebräerbriefes, Diss. Theol. Göttingen 1966 – Albl, Martin C.: “And Scripture Cannot Be Broken”. The Form and Function of the Early Christian Testimonia Collections, NT.S 96, Leiden 1999 – Attridge, Harold W.: The Epistle to the Hebrews, Hermeneia, Philadelphia 1989 – Baasland, Ernst: Rhetorischer Kontext in Apg 15,13-21. Statuslehre und die Acta-Reden, in: Todd Fornberg / David Hellholm (eds.), Texts and contexts. Biblical Texts in Their Textual and Situational Contexts (FS Lars Hartman), Oslo 1995, 191-226 – Barthélemy, Dominique: Les Devanciers d’Aquila, VTS 10, Leiden 1963 – Barrett, Charles Kingsley: A Critical and Exegetical Commentary on the Acts of the Apostles, Vol. II, ICC, Edinburgh 1998 – Blomberg, Craig L.: Matthew, in: Gregory K. Beale / Donald A. Carson (ed.), Commentary on the New Testament Use of the Old Testament, Grand Rapids 2007, 1-110 – Borger, Rykle: Amos 5,26, Apostelgeschichte 7,43 und Šurpu II, 180, ZAW 100 (1988), 70-81 – Braun, Herbert: Qumran und das Neue Testament, Bd. I, Tübingen 1966 – Bruce, Frederick Fyvie: The Epistle to the Hebrews, Grand Rapids 1990 – Bruce, Frederick Fyvie: Qumran and Early Christianity, NTS 2 (1956), 176-190 – Conzelmann, Hans: Die Apostelgeschichte, HNT 7, Tübingen 1963 – de Waard, Jan: A Comparative Study of the Old Testament Text in the Dead Sea Scrolls and in the New Testament, Leiden 1965 – Ellingworth, Paul: The Epistle to the Hebrews, NIGTC, Grand Rapids 2000 – Ellis, Earle E.: Paul’s Use of the OT, Edinburgh 1957 – Fitzmyer, Joseph A.: The Acts of the Apostles, AncB 31, New York 1998 – Goodacre, Mark: Elijah, the Baptist and Matthew: The Success of the First Intertextual Reading of Mark, in: Thomas R. Hatina (ed.), Biblical Interpretation in early Christian Gospels, London 2006, 73-84 – Grässer, Erich: An die Hebräer III, EKK 17/III, Zürich / Neukirchen 1997 – Haenchen, Ernst: Die Apostelgeschichte, KEK 3, Göttingen 1968 – Helberg, Jaap L.: Wat sê die boek Amos en Handelinge 15:15-17 oor

324

gtvh 08105 / p. 325 / 31.3.2022

Dodekapropheton

die/’n beloofde land?, In die Skriflig / In Luce Verbi 33 (1999), 567-583 – Holtz, Traugott: Untersuchungen über die alttestamentlichen Zitate bei Lukas, Berlin 1968 – Howard, Georg: Hebrews and the Old Testament Quotations, NT 10 (1968), 208-216 – Jewett, Robert / Kotansky, Roy D.: Romans: A Commentary, Hermeneia, Minneapolis 2006 – Karrer, Martin: Der Brief an die Hebräer, ÖTK 20/2, Gütersloh 2008 – Kistemaker, Simon J.: The Psalm Citations in the Epistle to the Hebrews, Amsterdam 1961 – Kistemaker, Simon J.: Exposition of the Epistle to the Hebrews, New Testament Commentary, Welwyn 1984 – Koch, Dietrich-Alex: Der Text von Hab 2:4b in der Septuaginta und im Neuen Testament, ZNW 76/2 (1985), 68-85 – Kosmala, Hans: Hebräer – Essener – Christen. Studien zur Vorgeschichte der frühchristlichen Verkündigung, StPB 1, Leiden 1959 – Kraus, Wolfgang: The Role of the Septuagint in the New Testament: Amos 9:11-12 as a Test Case, in: Robert J. V. Hiebert (ed.), “Translation is Required”. The Septuagint in Retrospect and Prospect, SBLSCS 56, Atlanta 2010, 171-190 – Kreuzer, Siegfried: Ursprüngliche Septuaginta (Old Greek) und hebraisierende Bearbeitung. Die Entwicklung der Septuaginta in ihrer Bedeutung für die Zitate und Anspielungen im Neuen Testament, untersucht anhand der Zitate aus dem Dodekapropheton, in: Johannes de Vries / Julian Elschenbroich, (ed.), Worte der Weissagung. Studien zu Septuaginta und Johannesoffenbarung [FS Martin Karrer], ABG 47, Leipzig 2014, 17-55 – Kreuzer, Siegfried: Stages of the Greek Text of Dodekapropheton Witnessed by the Quotations from the New Testament, in: Cécile Dogniez / Philippe Le Moigne, Les Douze Prophètes dans la LXX, VT.S 180, Leiden 2019, 265-284 – Louw, Johannes P. / Nida, Eugene A.: Greek-English Lexicon of the New Testament: Based on Semantic Domains, Vol. 1, New York 1996 – Luz, Ulrich: Matthew 21-28: A Commentary, Hermeneia, Minneapolis 2005 – Meiser, Martin: Das Alte Testament im lukanischen Doppelwerk, in: Heinz-Josef Fabry / Ulrich Offerhaus (ed.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, BWANT 153, Stuttgart 2001, 167-195 – Menken Maarten J. J.: Matthew’s Bible: The Old Testament Text of the Evangelist, BEThL 173, Leuven 2004 – Moyise, Steve: Jesus and Scripture, Grand Rapids 2010 – Moyise, Steve: Paul and Scripture, London 2010 – Nägele, Sabine: Laubhütte Davids und Wolkensohn. Eine auslegungsgeschichtliche Studie zu Amos 9,11 in der jüdischen und christlichen Exegese, AGJU 24, Leiden 1995 – New, David S.: Old Testament Quotations in the Synoptic Gospels, and the TwoDocument Hypothesis, Atlanta 1993 – Nogalski, James D.: The problematic suffixes of Amos IX,11, VT 43 (1993), 411-418 – Nolland, John: King as Shepherd. The King as Shepherd: The Role of Deutero-Zechariah in Matthew, in: Thomas R. Hatina (ed.), Biblical Interpretation in Early Christian Gospels. Volume 2: The Gospel of Matthew, London 2008, 133-146 – Pietersma, Albert: The Present State of the Critical Text of the Greek Psalter, in: Anneli Aejmelaeus / Udo Quast (eds.), Der Septuaginta-Psalter und seine Tochterübersetzungen, MSU 24, Göttingen 1999 – Reicke, Bo: Glaube und Leben der Urgemeinde. Bemerkungen zu Apg. 1-7, AThANT 32, Zürich 1957 – Richard, Earl: The Creative Use of Amos by the Author of Acts, NT 24 (1982), 37-53 – Schart, Aaron: The Jewish and the Christian Greek Versions of Amos, in: Wolfgang Kraus / R. Glenn Wooden (eds.), Septuagint Research: Issues and Challenges in the Study of the Greek Jewish Scriptures, SBLSCS 53, Atlanta 2006, 157-177 – Schneider, Gerhard: Apostelgeschichte II. Teil. Kommentar zu Kap. 9,1-28,21, Freiburg 1982 – Schröger, Friedrich: Der Verfasser des Hebräerbriefes als Schriftausleger, Regensburg 1969 – Schunack, Gerd: Der Hebräerbrief, Zürich 2002 – Seeligmann, Isaac Leo: The Septuagint Version of Isaiah. A Discussion of Its Problems (Mededelingen en Verhandelingen van het Vooraziatisch-Egyptisch Genootschap “Example Oriente Lux” 9), Leiden 1948, repr. in: id., The Septuagint Version of Isaiah and Cognate Studies, ed. Robert Hanhart / Hermann Spieckermann, FAT 40, Tübingen 2004, 119-294 – Smits, Crispinus: Oud-Testamentische Citaten in het Nieuwe Testament, Malmberg 1955 – Soards, Marion L.: The Speeches in Acts. Their Content, Context, and Concerns, Louisville 1994 – Steudel, Annette: Der Midrasch zur Eschatologie aus der Qumrangemeinde (4QMidrEschata,b), STDJ 13, Leiden 1994 – Steyn, Gert J.: A Quest for the Assumed LXX Vorlage of the Explicit Quotations in Hebrews, FRLANT 235, Göttingen 2011 – Steyn, Gert

325

gtvh 08105 / p. 326 / 31.3.2022

Propheten

J.: Dodekapropheton Quotations in Matthew’s Gospel, in: Wolfgang Kraus / Michaël N. van der Meer / Martin Meiser (eds.), XV Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies: Munich 2013, SBLSCS 64, Atlanta 2016, 741-762 – Steyn, Gert J.: Notes on the Vorlage of the Amos Quotations in Acts, in: Cilliers Breytenbach / Jens Schröter (eds.), Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung. Festschrift für Eckard Plümacher zu seinem 65. Geburtstag, AGJU/AJEC 57, Leiden 2004, 59-81 – Steyn, Gert J.: Observations on the Text Form of the Minor Prophet Quotations in Romans 9-11, JSNT 38 (2015), 49-67 – Steyn, Gert J.: Quotations from the Minor Prophets in Hebrews, in: Johann Cook (ed.), Septuagint and Reception. Essays prepared for the Association for the Study of the Septuagint in South Africa, VT.S 127, Leiden 2009, 119-140 – Steyn, Gert J.: Septuagint Quotations in the Context of the Petrine and Pauline Speeches of the Acta Apostolorum, Kampen / Leuven 1995 – Steyn, Gert J.: The Text Form of the Isaiah Quotations in the Sondergut Matthäus compared to the Dead Sea Scrolls, Masoretic Text and LXX, in: Johann Cook / Hermann-Josef Stipp (eds.), Text-Critical and Hermeneutical Studies in the Septuagint, VT.S 157, Leiden 2012, 427-446 – Steyn, Gert J.: Trajectories of Scripture Transmission: The Case of Amos 5:25-27 in Acts 7:42-43. HTS Theological Studies 69 (2013) online – Stowasser, Martin: Am 5,25-27; 9,11 f. in der Qumranüberlieferung und in der Apostelgeschichte, ZNW 92 (2001), 47-63 – Strobel, August: Untersuchungen zum eschatologischen Verzögerungsproblem, auf Grund der spätjüdisch-urchristlichen Geschichte von Habakuk 2,2 ff., NT.S 2, Leiden 1961 – Strobel, August: Der Brief an die Hebräer, NTD 9/2, Göttingen 1991 – Swete, Henry Barclay: An Introduction to the Old Testament in Greek, Cambridge 1914 – Tönges, Elke: The Epistle to the Hebrews as a Jesus-Midrash, in: Gabriella Gelardini (ed.), Hebrews. Contemporary Methods – New Insights, StPB 75, Leiden 2005, 89-105 – Ulrich, Eugen E.: The Dead Sea Scrolls and Their Implications for an Edition of the Septuagint Psalter, in: Anneli Aejmelaeus / Udo Quast (eds.), Der Septuaginta-Psalter und seine Tochterübersetzungen, MSU 24, Göttingen 1999, 323-336 – van de Sandt, Huub: Bearing the entire yoke of the Lord: An Explanation of Didache 6 in the light of Matthew 11:28-30, in: Bart J. Koet / Steve Moyise / Joseph Verheyden (eds.), The scriptures of Israel in Jewish and Christian tradition: essays in honour of Maarten J. J. Menken, Leiden / Boston 2013, 73-97 – van Oyen, H.: Brief aan de Hebreeën, Nijkerk 1962 – Washburn, David L.: A Catalog of Biblical Passages in the Dead Sea Scrolls, Atlanta 2002 – Weiser, Alfons: Das “Apostelkonzil” (Apg 15,1-35), BZ 28 (1984) 145-167 – Weiser, Alfons: Die Apostelgeschichte, Bd. II, ÖTBK 5, Gütersloh 1985 – Weiss, Hans-Friedrich: Der Brief an die Hebräer, KEK 13, Göttingen 1991 – Westcott, Brooke Foss: The epistle to the Hebrews. The Greek text with notes and essays, London 1892 – Witherington III, Ben: The Acts of the Apostles. A Socio-Rhetorical Commentary, Grand Rapids 1998.

1. Introduction The number of Dodekapropheton (12P) quotations in the NT depends on which criteria are applied to identify a quotation. A maximalist approach includes references, allusions, echoes and motifs. 1 A minimalist approach only considers explicit quotations with clear introductory formulae. Based on this latter criterium, one might identify at 1.

References and allusions are found to Hosea (Mk 8:31; 2Th 2:8; Rev 6:16; 9:6), Joel (Mk 4:29; 13:24-25; Mt 24:21, 29; Lk 21:25; Ja 5:7; Rev 6:12, 17; 8:12; 9:2, 7-9; 14:14-19; 19:15; 22:1), Amos (Jud 23; Rev 4:8; 10:7; 15:3), Obadiah (Rev 11:15), Jonah (Mk 8:31), Micah (Mk 13:12; Lk 1:55; Jn 7:42; Rev 12:2), Nahum (Eph 6:15; Rev 6:17; 17:1), Zephaniah (Rev 6:17; 14:5; 16:1; 18:7), Haggai (Mt 24:29; Lk 21:25-26), Zechariah (Eph 2:13, 17; Mt 24:30; 26:15; Jud 23; Rev 1:7, 12; 4:5; 5:6; 6:2, 4-5, 8,

326

gtvh 08105 / p. 327 / 31.3.2022

Dodekapropheton

least 34 explicit quotations from the 12P in the NT. Some of these occur more than once. A survey of the occurrence and distribution of these quotations presents the following profile: Paul quotes six times from the 12P in his letter to the Romans, 2 twice from it in his Corinthian correspondence 3 and once in his letter to the Galatians. 4 His quotations cover the following seven prophets: Hosea, Joel, Amos, Nahum, Habakkuk, Zechariah and Malachi. Mark’s gospel quotes three times from the 12P 5 (Zechariah, Malachi), whilst Matthew’s gospel, 6 in turn, used all three of those Markan quotations and includes another seven – of which six are Sondergut Matthaus 7 (one doublet and one shared with John 8). The seventh is shared with Q. 9 Matthew quotes from the prophets Hosea, Jonah, Micah, Zechariah and Malachi. Luke’s gospel contains only one Sondergut Lukas quotation from the 12P, 10 but shares one of the Markan quotations 11 as well as the one Q quotation 12 with Matthew. In his second work, Acts, Luke quotes four times from the 12P: once from Joel (in Peter’s first speech), 13 twice from Amos (in Stephen’s and James’ speeches) 14 and once from Habakkuk (in Paul’s first speech). 15 Luke’s 12P quotations cover Hosea, Joel, Amos, Micah, Habakkuk, and Malachi. Another three quotations from Zechariah are to be found, once in John’s gospel 16 (in addition to one shared with Matthew), 17 once in Ephesians 18 and once in Jude. 19 Hebrews has two quotations from the 12P: 20 one from Haggai 21 and one from Habakkuk 22

2.

3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22.

10; 10:7; 11:1, 4, 15; 12:10; 19:6, 11; 21:25; 22:1, 3, 5), and Malachi (2Th 2:8; Lk 1:17, 76, 78; 1Pt 2:9; Rev 6:17). Hos 2:1 [1:10] in Rm 9:26-27; Hos 2:25 [2:23] in Rm 9:25; Joel 3:5 [2:32] in Rm 10:13; Nah 2:1 [1:15] in Rm 10:15; Hab 2:4 in Rm 1:17 and Mal 1:2-3 in Rm 9:13. Swete listed only four quotations from the 12P in Romans, namely Hos 2:1 in Rm 9:26; Hos 2:23 in Rm 9:25; Hab 2:3 f. in Rm 1:17 and Mal 1:2 f. in Rm 9:13 (Swete: Introduction, 384-5). Nah 2:1 in Rm 10:15 is seldom included as a quotation in the secondary literature. Cf. Steyn: Observations. Hos 10:12 in 2Cor 9:10; Hos 13:14 in 1Cor 15:55. Hab 2:3-4 in Gal 3:11. Mal 3:23 in Mk 9:11 (Mt 17:10); Zech 13:7 in Mk 14:27 (Mt 26:31) and Mal 3:1 in Mk 1:2 (Mt 11:10). Cf. Steyn, Dodekapropheton Quotations in Matthew’s Gospel, passim. Hos 6:6 in Mt 9:13 and 12:7; Hos 11:1 in Mt 2:15; Jon 2:1[1:17] in Mt 12:40; Mic 5:1 in Mt 2:6; Zech 11:12-13 in Mt 27:9-10 and Zech 9:9 in Mt 21:5. Zech 9:9 in Mt 21:5. Mic 7:6 in Mt 10:35-36. Hos 10:8 in Lk 23:30. Mal 3:1 in Lk 7:27. Mic 7:6 in Lk 12:53. Joel 2:28-32 in Ac 2:17-21. Am 5:25-27 in Ac 7:42-43 and Am 9:11-12 in Ac 15:16-17. Cf. Steyn: Notes, passim; and Steyn: Trajectories, passim. Hab 1:5 in Ac 13:41. Zech 12:10 in Jn 19:37. Zech 9:9 in Jn 12:15. Zech 8:16 in Eph 4:25. Zech 3:2 in Jud 9. Cf. Steyn: Quotations from the Minor Prophets in Hebrews, passim. Hag 2:6, 21 in Hb 12:26. Hab 2:3-4 in Hb 10:37-38.

327

gtvh 08105 / p. 328 / 31.3.2022

Propheten

– the latter which is also present in a shorter form by Paul. 23 There are no explicit quotations in the NT from the prophets Obadiah and Zephaniah. References or allusions to these books are present, however, in Revelation. 24 The frequency scale of 12P quotations in the NT is: Hosea (7), Zechariah (7), Malachi (6), Habakkuk (4), Micah (3), Joel (2) and Amos (2), Jonah (1), Nahum (1) and Haggai (1). A brief overview on the text form and function of most of the 12P quotations in the NT follows below.

2. The Pauline Tradition The highest density of Paul’s 12P quotations can be found in Romans 9-11. There is, furthermore, an interesting intra-textual connection between the 12P quotations in Rom 9-11. The Stichwörter ἀγαπάω (“to love”), καλέω (“to call”) and σώζω (“to save”) connect the 12P passages with each other and build upon each other to support Paul’s argument that God loved (Mal 1:2-3; Hos 2:25), called (Hos 2:25; Hos 2:1 [1:10]; Joel 3:5 [2:32]) and saved (Hos 2:1 [1:10]; Joel 3:5 [2:32]) – proclamation which is the good news (Nah 2:1). This phenomenon points to a careful selection of passages from the 12P for Paul’s argument in Rom 9-11. He achieves this with the transposition of ἠγάπησα (“I have loved”) from his Malachi-quotation, the repetition of ἠγαπημένην ἠγαπημένην (“beloved beloved”) and the preference for καλέσω (“I will call”) in his quotation from Hos 2:25, combining κληθήσονται (“they shall be called;” Hos 2:1) with σωθήσεται (“will be saved;” Isa 10:22) and linking it with the ἐπικαλέσηται – σωθήσεται (“he who calls – shall be saved”) of Joel 3:5, and finally conflating Nah 2:1 with Isa 52:7 to underline the good news of this proclamation. These adaptations show careful exegetical work by Paul, based on some LXX Vorlage of the Dodekapropheton.

2.1 Hosea quotations by Paul Hosea takes the foremost position amongst Paul’s quotations from the 12P with two occurrences in Romans 25 and two in Corinthians. 26 The text form of Paul’s Hosea quotations differs from both the MT and LXX in all cases, 27 which might rather be the result of Paul’s rhetorical adaptation than of another LXX Vorlage in these four cases. Technically, the case of Hos 2:25[2:23] in Rom 9:25 should be taken as a paraphrase and that from Hos 2:1[1:10] (+ Isa 10:22) in Rom 9:26-27 as a conflated quotation. In the latter case (Rom 9:26-27), Paul is closer to the Antiochian text and follows probably an older text tradition, which is closer to the original LXX. 28 In the former case 23. Hab 2:3-4 in Rm 1:17 and Gal 3:11. 24. Obadiah [Rev 11:15] and Zephaniah [Rev 6:17; 14:5; 16:1; 18:7]. 25. Rm 9:25 (Hos 2:23 [2:25]) and Rm 9:26 (Hos 1:10 [2:1]). These “are applied to the inclusion of the Gentiles” (Moyise: Paul and Scripture, 73). 26. 1 Cor 15:55 (Hos 13:14) and 2 Cor 9:10 (Hos 10:12 – conflated with Isa 55:10). Moyise excludes the latter occurrence in 2 Cor 9:10, but points to the fact that the former is applied to “Christ’s victory over death” (Paul and Scripture, 73). 27. See Kreuzer: Ursprüngliche Septuaginta, 26-30. 28. Kreuzer: Ursprüngliche Septuaginta, 27.

328

gtvh 08105 / p. 329 / 31.3.2022

Dodekapropheton

(Rom 9:25), Paul adapts to the context and ventures towards the next quotation. 29 The case of Hos 10:12 (+ Isa 55:10) in 2 Cor 9:10 is both a conflation and should rather be considered as an allusion or a paraphrase from Hos 10:12, than as a quotation. The only clear explicit quotation from Hosea by Paul, Hos 13:14 in 1 Cor 15:55, is again combined with a quotation from Isa 25:8, which forms the first of three lines. In the latter two of these three lines, the Pauline text interchanged the position of the vocatives and indicatives in both questions that were taken from Hos 13:14, transposing the indicatives emphatically to the end of the NT lines. It also substituted ἡ δίκη (“the judgement”) for τὸ νῖκος (“the victory”), and ᾅδη (“hades”) for a repetition of θάνατε (“death”) – creating two strong parallelistic and hymnic lines. Aside from late LXX witnesses, which replaced δίκη with νίκη, no text critical witnesses support the NT variations. The textual history points to two possibilities. Paul either utilized an Old Greek remnant, or a reading error in its early transmission stage. 30 Early Christianity’s interest in the book Hosea found its way probably through the Jewish tradition which connected the names “Hosea” and “Joshua”, as referred to in the Pentateuch (Num 13:8, 16; Deut 32:44). The connection of Joshua with Hosea might have contributed further – via the LXX translation Ἰησοῦς (“Jesus”) – to early Christianity’s interest in the book Hosea. This tradition would have evoked soteriological connotations and would strike a Christological chord for early Christians such as Paul.

2.2 Habakkuk quotations by Paul Habakkuk 2:4 is quoted twice by Paul, in Gal 3:11b and Rom 1:17b. Paul argues about the importance of justification through faith in contrast to the Law in Gal 3:1-14, quoting Deut 27:26 in Gal 3:10 and arguing that no one is justified before God by the Law. He then quotes Hab 2:4, albeit without a clear introductory formula. The text form of Paul’s Habakkuk quotation differs from both the MT and LXX texts. 31 In Rom 1:17b Paul’s quotation of Hab 2:4 follows from his argument that the righteousness of God is revealed through faith for faith. The connection between Hab 2:4 and its interpretations in early Judaism with those who observe the Law, who are the righteous and who will be delivered from judgement, was not unknown. 32 Although the text of Hab 2:4 lacks in the Pesher on Habakkuk (1QpHab) due to a lacuna – likely quoted between 1QpHab 7:17 and 8:1 – its pesher is preserved in 1QpHab 8:1-3, where it is interpreted as referring to all those in the “house of Judah” who are practicing the Law, by which God delivered them from the “house of judgement” in serving their evil doings and their faith in the “Moreh Tsedek”.

29. Kreuzer: Ursprüngliche Septuaginta, 28. 30. Kreuzer: Ursprüngliche Septuaginta, 30, 31. See Koch: Der Text von Hab 2,4b, passim, and Kreuzer: Ursprüngliche Septuaginta, 32-35; ID.: Stages, 280 f. Kreuzer concludes that Paul most probably did not have the revised “kaige”Version at his disposal (Ursprüngliche Septuaginta, 34). 32. Cf. 4 Ezra 4:26-27, 34, 39; 2 Bar. 21:21, 25; 54:17.

329

gtvh 08105 / p. 330 / 31.3.2022

Propheten

2.3 Joel and Nahum Quotations by Paul 2.3.1 Joel 2:32 [3:5] in Rom 10:13 Paul quotes only a single line from Joel 2:32 [3:5] and the text form is virtually identical with both the LXX and MT. He uses the quotation in a Christological manner as evidence that the Gentiles too could share salvation. 33 Luke later uses an extended version (Joel 2:28-32 [3:1-5]) in the first Petrine Speech in Acts 2:14b-21. (See below). 2.3.2 Nahum 1:15 [2:1] (+ Isa 52:7) in Rom 10:15 This quotation is a conflated quotation.

2.4 A Malachi Quotation by Paul: Malachi 1:2-3 in Rom 9:13 Whereas Malachi introduced the words of Mal 1:2-3 with a verb of saying (by the κύριος – “Lord”), Romans uses a typical Pauline 34 verb of writing (γέγραπται, “it is written”) 35 when referring to the prophetic material. The absence of καί (“and”) in Rom 9:13 36 (also omitted amongst some late LXX witnesses, probably on the basis of knowledge of the NT) is likely due to Paul. The chiastic construction of Mal 1:2-3 is replaced by an antithetic parallelism in Rom 9:13 by interchanging the word order ἠγάπησα (“I have loved”) and τὸν Ιακωβ (“Jacob”) – resulting in a sharper antithesis 37 (ἠγάπησα – ἐμίσησα, “I have loved – I have hated”). Considering the text tradition of the LXX and with no extant witnesses amongst the DSS (including the Greek Naḥal Ḥever Scroll), 38 there is no support for the word order as it is found in Romans. Neither does the text tradition of Romans support the word order as it is found in the LXX. It is thus fairly safe to assume that Paul changed the word order of his Vorlage.

3. The Synoptic Tradition and the Acts of the Apostles 3.1 The Gospel according to Mark – and its reception by Matthew and Luke The following three 12P quotations in Mark are shared by Matthew. Their Matthean text forms are virtually identical to Mark’s, with both gospels deviating from the text form of the LXX 12P. The first two quotes are introduced in both gospels with a γέγραπται introductory formula.

Steyn: Septuagint Quotations in the Context of the Petrine and Pauline Speeches, 73. Cf. also for the rest of Romans: Rm 1:17; 2:24; 3:4, 10; 4:17; 8:36; 9:33; 10:15; 11:8, 26; 15:3, 21. Codex Vaticanus and Origen read here καθαπερ (like as if). “The deletion of the initial “and” in the LXX text is consistent with Paul’s citation practice in many other instances, and the reversal of verb and object in the first clause is rhetorically effective” (Jewett & Kotansky: Romans, 580-81. 37. So also Koch: Schrift, 107; Stanley: Scripture, 106; Jewett & Kotansky: Romans, 580-581. 38. “Only two of the ten manuscripts of the Minor Prophets contain the text of Malachi”, namely 4QXIIa, 4QXIIc (Abegg et al.: The Dead Sea Scrolls Bible, 476). 33. 34. 35. 36.

330

gtvh 08105 / p. 331 / 31.3.2022

Dodekapropheton

3.1.1 Mal 3:1 (+ Exod 23:20) in Mark 1:2 (par. Matt 11:10; Luke 7:27) The motif of a messenger who prepares the way surfaces already by Philo of Alexandria (Agr. 51; Migr. 174) where it is connected to a quotation from LXX Exod 23:20. The same quotation appears the first time in early Christianity in Mark 1:2 where it is then combined with Mal 3:1 39 (and perhaps also with Isa 40:3). 40 Hereafter the combination of Exod 23:20 and Mal 3:1 41 surfaces again as an explicit quotation in Matt 11:10 42 and in Luke 7:26-28. Mark 1:2 attributes the composite quotation, however, not to Malachi or Exodus, but to Isaiah (some Markan witnesses simply attribute it to “the prophets”). Matthew 11:10 43 and Luke 7:27 largely follow the text form of Mark’s conflated quotation, whose Vorlage aligns closer to Exod 23:20 than to Mal 3:1. Matthew certainly included ἐγώ (I) as in Philo (Agr. 51), in LXX Exod 23:20, Mal 3:1 and the Sinaiticus version of Mark 1:2 – but ἐγώ lacks in Luke’s version. The inclusion of ὁ κατασκευάσας (“the one who will prepare”) shows Matthew’s and Luke’s dependence on the Markan tradition, which was probably influenced by the broader context of Isaiah 40 – hence Mark’s reference to Isaiah in his introductory formula as the origin for his quotation. Matthew and Luke probably knew that the quotation does not come from Isaiah and omitted this reference. The addition of ἔμπροσθέν σου (“before you”) by Matthew and Luke is most likely not a remnant of their LXX Vorlage, but certainly present here in their common source (Q?). It is nowhere attested in the extant textual tradition and is an editorial addition at the end of the quotation for the sake of emphasis. 3.1.2 Mal 4:4 [3:23] in Mark 9:11 (par. Matt 17:10) Matthew 17:10 follows Mark 9:11 with a verbal repetition of the question (Ἠλίαν δεῖ ἐλθεῖν πρῶτον; “Elijah must come first?”). Neither presents an exact verbal quotation of LXX Mal 4:4 [3:23], but rather a freely composed question based on the LXX text. Matthew, interestingly, also includes the future form ἀποκαταστήσει (“he will restore”; cf. Mal 4:5 [3:24]) in his quoted answer (Matt 17:11). The answer is, however, differently formulated in his Markan source and follows the stem of the LXX verb, which appears now in the present: ἀποκαθιστάνει (Mark 9:12). 3.1.3 Zech 13:7 in Mark 14:27 (par. Matt 26:31) Zechariah 9-14 played an important role in the early church’s understanding of Jesus’ passion. The shepherd motif, which was associated figuratively with God, cultic leaders, and the messiah, was not unknown in the Jewish literature, as became clear from Philo of Alexandria (Agr. 50-51) and the DSS (Cairo Geniza Fragment B [CD-B XIX, 711]), which also quotes Zech 13:7. 44 Matthew again closely follows his Markan source 39. So also, amongst others, Blomberg: Matthew, 38. 40. Moyise: Jesus and Scripture, 19, 24, 29, 40. 41. No extant witnesses of neither Exod 23:20, nor of Mal 3:1, were found amongst the DSS. See Washburn: Catalog. 42. Goodacre has drawn attention to the fact that “Q theorists have always struggled with the minor agreements / mark-Q overlap in this complex” (Goodacre: Mark, 80, fn.18). 43. For a discussion on how Matthew understood this passage, see Moyise: Jesus and Scripture, 40-41. 44. Cf. Blomberg: Matthew, 92. The reference lacks in Washburn: Catalog, 155.

331

gtvh 08105 / p. 332 / 31.3.2022

Propheten

for his quotation in Matt 26:31 – also retaining Mark’s singular τὸν ποιμένα (“the shepherd”) instead of LXX plural τοὺς ποιμένας (“the shepherds”), and Mark’s διασκορπισθήσονται (“they will be scattered”) instead of LXX ἐκσπάσατε (“remove them!”). But Matthew either changes Mark’s word order in the latter part of the quotation, or still follows a Markan tradition similar to that of Codex A. Matthew’s order is, nevertheless, closer to that of the LXX than to that of Mark and his addition of τῆς ποίμνης (“of the flock”) at the end of the quotation might either reflect his first-hand knowledge of the Zech 13:7 passage, or it is merely an emphatic addition which refers to the τὸν ποιμένα earlier in the quotation.

3.2 Q-material 3.2.1 Micah 7:6 in Matt 10:35-36 (par. Luke 12:53) Matthew’s quotation of Micah 7:6 in Matt 10:35-36 closely resembles a LXX text form, but this resemblance is most likely due to the Vorlage of his Q-source. The preferences for κατά + genitive (“against”) and ἄνθρωπος (“a man”) might therefore being the result of Matthew’s Q-Vorlage. Luke is closer to LXX Micah 7:6 by using ἐπί + accusative (“against”) and lacking ἄνθρωπος. There is insufficient evidence to establish whether the 12P quotations in Q represent another LXX version. The extant LXX versions of Micah 7:6 represent a largely literal translation of the Hebrew. To be noted especially here is the occurrence of the preposition ‫ ְבּ‬which has been twice translated with ἐπί, and the very literal translation of the last line which has ‫“( ִ֖אישׁ אַ ְנֵ֥שׁי‬a man’s … men of”: ἀνδρός … οἱ ἄνδρες, “a man … the men”). LXX Micah lists four categories and so does Matthew: son/man–father; daughter– mother; daughter-in-law–mother-in-law; enemies–household members. Luke, however, lists six categories: The first three groups are being repeated and the last (enemies) are left out. The Gospel of Thomas (16:3a), in turn, makes mention of five in a household (“three against two and two against three”), but only explicitly mentions “father against son and son against father” (16:3b). It is hard to tell if Mark 13:12 implies the same passage from Micah 7:6, but it might allude to it. In this case, there are three groups: brother–brother; father–child; children–parents.

3.3 Sondergut-Matthäus The next three cases all belong to material which is only to be found in Matthew’s gospel, thus situated within the Sondergut Matthäus.

3.3.1 Micah 5:1, 3 (+ 2 Kgds 5:2) in Matt 2:6 45 The text of Micah 5:1-4 was found amongst the DSS in 8Ḥev1 (8ḤevXIIgr). 46 This text and that of the LXX 47 differ from the Hebrew at some points. The most significant 45. Cf. Justinus Martyr: 1.Apol 34.1-4; Dial: 78.1, Bobichon I, 398. 46. Cf. Washburn: Catalog, 148. 47. The book Micah is absent (with those of Hosea and Amos) in the Greek 4th cent. Codex Sinaiticus.

332

gtvh 08105 / p. 333 / 31.3.2022

Dodekapropheton

variant reading amongst extant LXX witnesses 48 is the fact that some of them also include ἡγούμενος (“a governor”) after ἐξελεύσεται (“he shall go out”) – like Matt 2:6. Matthew’s quotation from Micah 5:1, 3 is a rewritten and paraphrased quotation which is substantially different in text form from the Micah versions. Although Matthew largely followed the structure of the two sentences from which he quoted, some changes are interesting. Without listing all, attention is drawn to the substitution of ἄρχοντα (“a ruler”) in Micah 5:1, 3 to ἡγούμενος in Matt 2:6 – possibly alluding to the Latin praefectus who ruled as governor over a minor Roman province, such as Pilate to whom Jesus was handed over later (Matt 27:2). 49 Without sufficient “verbal parallelism to prove dependence on the LXX”, 50 scholars agreed that the text in general “is somewhat closer to the MT” 51 and that “the predominant witness is to the Hebrew text”. 52 Several differences between Matthew and the LXX, on the one hand, might actually be explained as being due to Matthew’s hand during the process of his adaptation and application of the LXX quotation within the context of his audience. 53 Some other differences, on the other hand, might be due either to Matthew’s independent translation of the Hebrew 54 or to another LXX Vorlage with closer resemblance to our known Hebrew texts.

3.3.2 Hos 6:6 in Matt 9:13 and Matt 12:7 Matthew quoted Hos 6:6 twice (i. e. a Matthean doublet: Matt 9:13 and Matt 12:7) at different occasions where Jesus speaks. It is a very brief verbatim quotation and is presented as a type of maxim. Neither instance is introduced with any of the familiar introductory formulae. Matthew stays close to his LXX Vorlage. 3.3.3 Jonah 2:1 in Matt 12:40 Matthew also quoted Jonah 2:1 within the context of a Jesus-speech in Matt 12:40. He again remains closer to his LXX Vorlage. The text of Jonah 1:15-2:1 was found amongst the DSS in 4Q76 (4QXIIa) and Jonah 2:1, 4-7 in 8Ḥev1 (8ḤevXIIgr). Both versions support the MT. 55

3.4 Sondergut-Matthäus: The pre-Matthean “fulfilment-quotations” The next three cases also belong to the Sondergut Matthäus, but specifically to the group of so-called “fulfilment quotations” in Matthew. All three of them contain the basic introductory formula διὰ τοῦ προφήτου λέγοντος (“what had been spoken 48. These are Codex A, Boharic and Syro-Palestinian translations, Eusebius and Cyrill of Alexandria. See Ziegler (ed): Septuaginta, Vol. XIII: Duodecim prophetae, 217. 49. Cf. Louw / Nida: Greek-English Lexicon of the New Testament, 481. 50. Blomberg: Matthew, 6. 51. Nolland: King as Shepherd, 134. 52. New: Old Testament Quotations, 20. 53. See Blomberg for a discussion and substantiation of several of these divergences (Matthew, 6). 54. It is technically not correct when Blomberg (Matthew, 7) speaks of an independent translation of “the MT”. 55. Cf. Washburn: Catalog, 146.

333

gtvh 08105 / p. 334 / 31.3.2022

Propheten

through the prophet”) – with some expansions in the first and third cases. They differ in introductory formulae from those quotations that Matthew took from Mark (introduced with γέγραπται) and from the quotation from Q (introduced with a simple γάρ, “because”). None of these three Sondergut Matthäus fulfilment quotations, however, agree with the existing or extant LXX text forms. In fact, they show closer alignment towards the known Hebrew texts. It is largely accepted that the fulfilment quotations are pre-Matthean 56 and represent another LXX Vorlage than that known today. 57

3.4.1 Hos 11:1 in Matt 2:15 The very brief quotation from Hos 11:1 in Matt 2:15 contains three divergences from LXX Hosea: Matthew reads ἐκάλεσα (“I have called”) instead of Hosea’s compound verb μετεκάλεσα (“I recalled”); he prefers τὸν υἱόν (“the son”) above Hosea’s τὰ τέκνα (“the children”), and he uses the 1st pers. sg. pronoun μου (“my”) instead of Hosea’s 3rd pers. sg. pronoun αὐτοῦ (“his”). These alternatives in Matthew are closer to the MT than to the LXX. 58 3.4.2 Zech 9:9 (+ Isa 62:11) in Matt 21:5 (par. John 12:15) 59 A conflated quotation taken from passages in Isaiah and Zechariah occurs in Matt 21:5 – although Matthew introduced it with reference to διὰ τοῦ προφήτου (“through the prophet”) in the singular. Whereas the beginning of the quotation in Matt 21:5 agrees verbatim with the available LXX versions of Isa 62:11, the last two thirds correspond to LXX Zech 9:9 but lacks the phrase δίκαιος καὶ σῴζων αὐτός (“just and salvific is he”). There is no textual evidence to support a possible LXX Vorlage that lacks this phrase (which is also present in the MT), and its absence in Matthew’s version might cautiously be ascribed to his own editorial hand. Neither the Isaiah part, nor the Zechariah part of the quotation, appears in Mark or Luke. John’s gospel, however, provides a paraphrase of the Zechariah section in John 12:15. 60 An allusion to Zech 9:9 occurs in Mark 11:2. 3.4.3 Zech 11:13 in Matt 27:9 The text of Zech 10:11-11:2 and 12:1-3 survived in fragment 4Q82 (4QXIIg) amongst the DSS witnesses, but lacks Zech 11:13. 61 Matthew already used Zech 11:12 in Matt 26:15. Scholars have tried to connect and identify Matthew’s reference to Jeremiah 62 – 56. Luz: Matthew 21-28, 467-68. 57. Cf. the work of Maarten Menken in this regard. 58. So also Blomberg (Matthew, 7-8) who cautions, however, against the viewpoint of Menken: Matthew’s Bible, 133-42, that “the quotation is too short to prove literary dependence” on the MT. See also Kreuzer: Ursprüngliche Septuaginta, 38-40, and ID.: Stages, 272 f., who reminds of the equivalents in Aquila and (kaige-)theodotion as documented in Ms 86. This indicates that Matthew used a Greek text of the kaige tradition (cf. Barthélemy: Les Devanciers d’Aquila). 59. Cf. Jus: Apol. 35; Dial 53. 60. Steyn: The Text Form of the Isaiah Quotations in the Sondergut Mattäus, passim. 61. Contra Washburn: Catalog, 155. 62. So, for instance, Moyise: “Not least that he (i. e. Matthew, GJS) attributes the saying to Jeremiah. It would appear that Matthew has considerably reworded Zechariah 11.12-13 and com-

334

gtvh 08105 / p. 335 / 31.3.2022

Dodekapropheton

although the quotation itself is closer to Zech 11:13. The quotation in Matthew appears to be a composite quotation of which the first part closely aligns with LXX Zech 11:13. The second part (τὴν τιμὴν τοῦ τετιμημένου ὃν ἐτιμήσαντο ἀπὸ υἱῶν Ἰσραήλ, “the price of estimation, which the sons of Israel estimated”) is difficult to identify with extant LXX witnesses, although some scholars suspected possible echoes or allusions to Jeremiah. However, turning to the MT of Zech 11:13, it becomes evident that the quotation in Matt 27:9 is closer to the Hebrew text or a similar LXX Vorlage. Matthew, furthermore, seems to have interchanged the two halves of Zech 11:13. 63

3.5 Sondergut-Lukas 64 3.5.1 Hos 10:8 in Luke 23:30 Luke’s quotation from Hos 10:8 in Luke 23:30 closely follows the LXX formulation but interchanges the second (Καλύψατε ἡμᾶς, “cover us”) and fourth phrases (Πέσατε ἐφ’ ἡμᾶς, “fall on us”) of Hos 10:8 with firm NT text critical confirmation from all witnesses. The interchange could have been present in Luke’s LXX Vorlage as evidenced by Codex A+106, unless the scribe of Alexandrinus adapted his 12P text to correspond with the NT (which is not uncommon to Alexandrinus).

3.6 Acts of the Apostles 3.6.1 Joel 2:28-32 [3:1-5] in Acts 2:17-21 (Peter’s Speech) 65 Luke probably quoted Joel 2:28-32 [3:1-5] 66 from a LXX version of the 12P, which seem to have differed in minor details from those readings known today. His version, nonetheless, seems to be nearer still to the Hebrew. There are indications that he consciously changed his source text in several places to accommodate for his own understanding and interpretation of it in Acts 2. In general, these changes were made on theological rather than stylistic grounds, and probably in order to emphasize an eschatological viewpoint. 67 The quoted section ends strategically and emphatically with the soteriological statement of salvation in the name of the κύριος.

63. 64. 65. 66. 67.

bined it with phrases from Jeremiah 18.2-3 and perhaps also Jeremiah 32.6-15” (Moyise: Jesus and Scripture, 131). Luz: Matthew 21-28, 467-68. Cf. Meiser: “Das Alte Testament im lukanischen Doppelwerk,” passim. Cf. Steyn: Septuagint Quotations, 72-99. Cf. Meiser: “Das Alte Testament im lukanischen Doppelwerk”, 181 f. Steyn: Septuagint Quotations, 91-92.

335

gtvh 08105 / p. 336 / 31.3.2022

Propheten

3.6.2 Amos 5:25-27 in Acts 7:42-43 (Stephen’s Speech) 68 No preserved text of Amos (or parts thereof) survived in 8ḤevXIIgr. 69 Amos 5:25-27 is quoted in a shortened version 70 in CD 7:14-15 71 and in a longer version in Acts 7:42-43. Although the contexts appear to be similar, 72 the readings and the function of this quotation in Acts and in CD 73 differ. The text form of Acts 7:42-43 is closer, but does not correspond, to that of the reconstructed LXX 74 and differs even more from the MT and CD. Several differences 75 between Acts and the LXX are evident, although the only instance where possible evidence exists of another Vorlage that might have been used by Luke, is that which is to be found in the phrase ἐν τῇ ἐρήμῳ (“in the wilderness”). Stylistic changes by the author are evident in the word sequence of ἔτη τεσσεράκοντα (“fourty years”) and the lack of αὐτῶν (“of them”) after τοὺς τύπους (“the statues”). Deliberate contextual and hermeneutical changes were made in the addition of προσκυνεῖν (“to worship”) and the substitution of Δαμασκοῦ (“Damascus”) by Βαβυλῶνος (“Babylon”). As Luke uses Damascus exclusively in connection with the conversion of Paul and as this is the only occurrence of Babylon in Luke-Acts, it is possible that he interprets the same quotation in a different manner than CD. It has rightly been assumed that Luke reinterpreted this explicit quotation from Amos via the LXX. 76 3.6.3 Amos 9:11-12 in Acts 15:16-17 (James’ Speech) 77 Amos 9:11a is quoted in CD 7:16, as well as in 4Q174 (4QMidrEschat), 78 whereas Amos 9:11a-12 is also quoted in Acts 15:16-17. 79 Luke’s second Amos quotation is placed within James’ speech (Acts 15:13-21) at the Jerusalem church. It is therefore situated within the

68. Cf. Steyn: “Amos Quotations in Acts,” 59-81; Schart: Versions of Amos, passim. 69. So also Ådna: James’ position, 141, who refers to Tov: The Greek Minor Prophets Scroll. 70. Seen as a “free citation” by Borger: Amos 5,26, 71; Braun: Qumran, 319; Haenchen: Apostelgeschichte, 235. 71. So identified by Bruce: Qumran and Early Christianity, 182-184; Braun: Qumran, 156; Fitzmyer: Acts, 382; Albl: “And Scripture Cannot Be Broken”, 92. For the text, cf. Lohse (ed): Die Texte aus Qumran, 80-81. 72. The present is taken as fulfilled endtime (Braun: Qumran, 156). 73. Cf. de Waard: A Comparative Study, 46; Braun: Qumran, 156. Also Fitzmyer: “It has little bearing on this passage in Acts, except in that it interprets the consonants skt as a sg., swkt hmlk, ‘the tent of the king,’ which supports the sg. understanding of the LXX” (Acts, 382). 74. Similar also Reicke: Glaube und Leben, 150-151; Braun: Qumran, 319; Holtz: Untersuchungen, 15. 75. Against Smits: Oud-Testamentische Citaten, 192; Witherington III: Acts, 272, who stated that only προσκυνεῖν is added and that Damascus is changed to Babylon. 76. Braun: Qumran, 319; Haenchen: Apostelgeschichte, 235; Conzelmann: Apostelgeschichte, 55. 77. For an extensive discussion, see Steyn: Amos Quotations in Acts, 59-81; Kraus: The Role of the Septuagint, 171-190; Kreuzer: Ursprüngliche Septuaginta, 45-49; ID.: Stages, 275-279. 78. Frg. 1i,21,2 (4Q174). Formerly known as 4QFlor, dated last third of 1st cent. A.D. Cf. Steudel (ed.): Die Texte aus Qumran II, 187, 196-197. “Florilegium” is a misleading title as its structure is midrashic (cf. Albl: Scripture, 91). 79. Cf. Nägele: Laubhütte, for a detailed study on Amos 9:11.

336

gtvh 08105 / p. 337 / 31.3.2022

Dodekapropheton

section of the Apostolic Council, which is the “architektonische Mitte” of Acts. 80 The application of the quotation differs in Acts, CD 7 and in 4Q174. 81 The readings of Acts 15 and 4Q174 are apparently closer to each other, 82 as well as to that of the MT, CD 7 and surprisingly also to that of the LXX. The actual introductory formula, καθὼς γέγραπται (“as it is written”), had already been used when the quotation from Amos 5:25-27 was introduced in Acts 7:42-43. It agrees with the introductory formula of 4Q174 that introduces the same quotation. 83 The quotation from Amos 9:11-12 is very complex 84 with many attempts to disentangle all the textual, tradition-historical and hermeneutical complexities. 85 Luke did not use the text reading of the Hebrew MT. 86 Despite the textual complexities of the quotation, it is clear that Luke’s reading is closer to that of the LXX, 87 although differing from it at some points. These differences could be seen as an isomorphic adaptation of the translation of the original LXX, which is a little freer, especially in the syntax. 88 The differences are mainly located in the first part of the quotation (Acts 15:16), whereas the latter part of the quotation (Acts 15:17) agrees exactly with the reading of the known LXX versions. It seems, in general, as if Luke followed the LXX in the instances where it differs with the MT. 89 The classical viewpoint is that Jer 12:15 might have been in Luke’s mind at the beginning of the quotation, thus surfacing as an allusion, with an allusion to Isa 45:21-22 at its end. 90 The resemblance between Jer 12:15 (μετὰ … ἐπιστρέψω / “after … I will turn”) and Acts 15:16 (μετὰ … ἀναστρέψω / “after … I will return”) is striking. The same Amos quotations (5:25-27 and 9:11-12) also occur in the Damascus Document (CD). It surely cannot be incidental that both CD and Acts quoted exactly the same sections. Then, again, the wording between all the different versions seems to differ – except for that between Acts 15 and 4Q174. Did Luke translate these quotations from Amos into Greek himself, representing a similar Hebrew tradition, shared by 4Q174 or, did he use another existing form or version of the LXX, one which differed from those known to us today, but which was closer to the readings found in (some of) the DSS? Or, did he for these quotations use a different source altogether, such as the old postulated hypothetical “testimony book”, which, in turn, might have represented text readings closer to those found in (some of) the DSS? 80. 81. 82. 83. 84. 85.

86. 87. 88. 89. 90.

Cf. Nägele: Laubhütte, 71. Fitzmyer: Acts, 557. Steudel: Midrasch, 45.138; de Waard: Comparative Study, 24-26. Steudel: Midrasch, 45. Soards: The Speeches in Acts, 9. Cf., for instance, Stowasser: Am 5,25-27, 47-63; Baasland: Rhetorischer Kontext, 211-215; Nogalski: suffixes of Amos IX,11; van de Sandt: Explanation, 73-97; Weiser: Apostelkonzil, 153-154; Richard: Creative Use, 37-53; de Waard: Comparative Study, 24-26. So Haenchen: Apostelgeschichte, 233; Schneider: Apostelgeschichte II, 182. Ådna: James’ position, 127; Soards: Speeches, 94; Jervell: Apostelgeschichte, 395; Fitzmyer: Acts, 555; Barrett: Acts II, 725; Weiser: Apostelgeschichte, II, 153. Kreuzer: Ursprüngliche Septuaginta, 49. So also Nägele: Laubhütte, 87. For instance, Weiser: Apostelkonzil, 153; Soards: Speeches, 94; Jervell: Apostelgeschichte, 395; Fitzmyer: Acts, 555; Barrett: Acts II, 725; Helberg: Boek Amos en Handelinge, 575. Differently: de Waard: Comparative Study, 24.

337

gtvh 08105 / p. 338 / 31.3.2022

Propheten

3.6.4 Habakkuk 1:5 in Acts 13:41 (Paul’s Speech) 91 The Lukan Paul quotes from Hab 1:5 in this Pauline Speech in Acts 13, whereas the Pauline Literature used Hab 2:4b in Gal 3:11 and Rom 1:17. Although the introductory formula refers to τὸ εἰρημένον ἐν τοῖς προφήταις (“what is said in the prophets”) (plural), the quoted text is taken only from one prophet, i. e. Habakkuk. The quotation agrees largely with the known LXX readings, but there are some noteworthy differences. These include pluses of ἔργον (“a work”) and ὑμῖν (“to you”), minuses of καὶ ἐπιβλέψατε (“and watch”) and θαυμάσια (“marvellous things”), a substitution where διότι (LXX) became ὅτι (NT), and a transposition of ἐγὼ ἐργάζομαι (“I am working”; LXX) to ἐργάζομαι ἐγώ (NT). The differences can fairly easily be explained as the result of Luke’s stylistic and theological editorial adaptation of the quotation.

4. Hebrews 4.1. [Isa 26:20 +] Hab 2:3b-4 in Heb 10:38a 92 The author of Hebrews presents a quotation, consisting of a conflation of two quoted texts. 93 He probably used a phrase from Isa 26:20 from memory 94 as a fixed expression and merges it with his own reworking of the quotation from Hab 2:4 95 – known via the early Christian tradition from Paul in Gal 3:11 and Rom 1:17 – which he expanded and rearranged in poetic format. Some scholars suspect that the combination between the two quotations might have been made already in the traditions available by the time

91. Cf. Steyn: Septuagint Quotations, 187-193. 92. Cf. Steyn: Quest, 310-325; Koch: Hab 2,4b, 68-85; Kreuzer: Ursprüngliche Septuaginta, 35; ID.: Stages, 280 f. 93. E. Tönges correctly states that “This practice appears frequently in other Jewish literature, and such study and interpretation of Scripture was an established practice in first-century Judaism” (‘Jesus-Midrash,’ 95). 94. B. F. Westcott speaks of “freely using familiar language to convey his own thought” (Hebrews, 348). Martin Karrer, too, assumes that the absence of an introductory formula, the conflation of Isa 26:20 and Hab 2:3b-4, as well as rearrangement of the quoted lines, point to a situation where the author quoted these lines from memory and not from a Scroll, or from a testimonium that originated shortly before his time (Hebräer II, 247). S. J. Kistemaker, in turn, thinks in a similar direction when pointing to the fact that Isa 26 “was chanted or read in worship services of the ancient synagogue and of the early Christian church” (Hebrews, 302; Kistemaker: Psalm Citations, 47). The first line of the conflated quotation corresponds to the Ode of Isaiah (Ode 5 LXX-A). S. Kistemaker states that “we may be certain that the hymns circulated among the early Christians for quite some time before they were recorded in the present order, and that many of these hymns were sung in the churches near the end of the first century A.D. already” (Psalm Citations, 47, n. 1). The scepticism of A. Pietersma with regard to a pre-NT date needs to be noted. Cf. Pietersma: ‘Present State,’ 27. 95. Isac Leo Seeligmann talks about this as a case where the NT contains a “free reminiscence” of the OT, particularly by “contamination” of two different passages (Seeligmann: Septuagint Version of Isaiah, 158, n. 23).

338

gtvh 08105 / p. 339 / 31.3.2022

Dodekapropheton

that the author of Hebrews wrote. 96 It is doubtful, 97 however, as the author of Hebrews usually follows the practice of paying attention to the context of his quotations. The quotation from Hab 2:3b-4 in Heb 10:38a is neither in exact agreement with the Hebrew readings, nor with the Greek readings. It is, nonetheless, closer to the LXX reading than to that of the MT. 98 Neither the text of 8ḤevXIIgr, nor that of 1QpHab, is in agreement with LXX Hab 2:4a, which makes it unlikely to assume a Vorlage similar to these for Heb 10:38. 99 The LXX seems to be closer to Heb 10:37-38 100 than both 8ḤevXIIgr 101 and 1QpHab. This leaves the question unanswered about how these differences in the text of Heb 10:37-38 should be explained. They could be due to another Textvorlage, 102 a liturgical tradition, 103 some kind of “promise list”, 104 an existing “testimonium to the coming of Christ,” 105 or due to the hand of this early Christian writer himself. 106 The author of Hebrews clearly interprets his quotation in a christological 96. Cf. Attridge: Hebrews, 301; Strobel: Untersuchungen, 84. 97. Ellingworth: Hebrews, 555; Koch: Hab 2 4b, 76, n. 39. So also Grässer: “(es) ist nicht nachweisbar” (Grässer: Hebräer III, 76, n. 61). 98. Cf. also de Waard: “In general the LXX character of Heb 10,37.38 is ascertained beyond doubt. Heb 10,38 follows the deviating reading of Hab 2,4a LXX” (Comparative Study, 19). Also Schröger: Verfasser, 182; Kistemaker: Psalm Citations, 49; Kistemaker: Hebrews, 302; van Oyen: Hebreeën, 186; Attridge: Hebrews, 301; Weiss: Hebräer, 548, 550; Karrer: Hebräer II, 250. 99. For a discussion on the relation between 1QpHab and Hebrews, see amongst others, Kosmala: Hebräer – Essener – Christen, 97; Strobel: Untersuchungen, 79-86. 100. Seen from a text-historical point of view, the Hebrews-Author (like Paul) still had the unchanged LXX before him (Kreuzer, Ursprüngliche Septuaginta, 35). 101. So also E. Ulrich who points out that this is one of the cases where the NT “appears to be quoting the OG form of the text rather than the recensional 8ḤevXIIgr” (Ulrich: The Dead Sea Scrolls, 335). 102. Ahlborn already pointed out that Hebrews’ δίκαιός μου is particularly supported by the Alexandrian tradition, some witnesses of the Lucianic recension and the Catena group. “Es ist möglich daß der Verfasser des Hebräerbriefes die Variante seiner Vorlage, einem der alexandrinischen Gruppe nahestehenden Text, entnommen hat. Doch ist die Bezeugung zu schwach, um dieses Urteil zur Gewißheit zu erheben” (Ahlborn: Septuaginta-Vorlage, 94). 103. The inclusion of ὁ (the) with ἐρχόμενος (one who is coming) and possible knowledge thereof from Ps 118(117):26 via the liturgical tradition, might be evidence in this regard. 104. Karrer thinks in this direction, suggesting an early Christian testimonium that originated shortly before the time of Hebrews. “Im Testimonium könnte unsere Zitatenkombination nämlich in einer Reihe von Gottesworten gestanden haben …” Due to the difficulty of proving such a theory, Karrer chooses to keep the possibility open that the author of Hebrews also could have made these changes himself (Hebräer II, 249). 105. Ellis: Paul’s Use of the OT, 93. 106. Ahlborn concludes that the author of Hebrews used another Vorlage than that known today, altering it independently (Septuaginta-Vorlage, 94-5). Karrer, however, doubts redactional changes by the author resulted in the form of this quotation, mainly because “der auffällig freie Umgang mit dem Schrifttext ist für den Hebr-Autor ungewöhnlich” (Hebräer II, 249). But the author’s use of Gen 14:17-20 in Heb 7:1-3 might be used as a counter argument against this position. Ellingworth, for instance, thinks precisely that it is “less probably his source” but rather the author of Hebrews that made the changes (Hebrews, 554). So, similarly, Weiss: Hebräer, 549.

339

gtvh 08105 / p. 340 / 31.3.2022

Propheten

manner – a connection that is probably made on the basis of the messianically understood words of the prophets. 107

4.2 Hag 2:6 in Heb 12:26 108 This Haggai-passage was known in the Jewish apocalyptic tradition and connected to a messianic expectation. Especially Hag 2:6 was considered messianic, for it is reported that Rabbi Aqibah (died ca. 135 C.E.) applied this text to affirm the coming of the messiah at the end of the second Temple. 109 The reading of the quotation from Hag 2:6 in Heb 12:26 is unlike either the MT or the LXX 110 and Hebrews probably adapted the quoted passage from LXX 111 by relying more on the eschatologically oriented wording of the LXX 112 than on that of the MT. These changes were probably due to the author of Hebrews rather than to his Vorlage. They assist in the contrast of the past and future shakings and in emphasising the shaking of heaven as well. 113 The MT and LXX readings of Hag 2:6 are close, but with one exception: the MT inclusion of ‫ְמַעט ִהיא‬ (“once again, a little while it is”). The LXX, Peshitta and the quotation in Heb 12:26 lack the two Hebrew words.

107. Cf. Bruce: Hebrews, 273; Kistemaker: Hebrews, 302; Kistemaker: Psalm Citations, 48; Attridge: Hebrews, 302; Schröger: Verfasser, 187; Grässer: Hebräer III, 76; Schunack: Hebräerbrief, 159. Also Strobel: “Die Prophetenstelle erweist sich als Kernbeleg jüdischer Messiaserwartung” (Hebräer, 205). H. van Oyen makes the point that particularly Hab 2:3 is given a messianic connotation, and that the terms “faith”, “justification”, “life”, “perfection”, are all christologically determined – “zij wortelen alle in de schaduwen van de vroegere bedeling, maar treden pas in Christus in het volle, heerlijke hemellicht” (Hebreeën, 184, 185). 108. Cf. Steyn: LXX Vorlage in Hebrews, 351-358. 109. Kistemaker: Psalm Citations, 54. See also the rabbinic Sanh 97b which interprets Hag 2:5 in a messianic manner. 110. It is, according to Hans-Friedrich Weiss, “ein sehr freies, im Grunde schon interpretierendes Zitat, das hier vorliegt” (Hebräer, 688). 111. Ahlborn: Septuaginta-Vorlage, 95; Westcott: Hebrews, 420; Attridge: Hebrews, 380; Grässer: Hebräer III, 331; Howard: ‘OT Quotations,’ 210. Cf. Strobel: “Wie immer ist auf die Fassung der LXX zurückgegriffen” (Hebräer, 241). 112. Attridge: Hebrews, 380. 113. According to Grässer: “Um das Überbietende der letztmaligen Weltkatastrophe hervorzuheben …” (Hebräer III, 332).

340

gtvh 08105 / p. 341 / 31.3.2022

2.2.4.1.2 Das Dodekapropheton in antiker christlicher Literatur Martin Meiser Literatur Editionen und Übersetzungen Ambrosiaster: Quaestiones Veteris et Novi Testamenti CXXVII, ed. Alexander Souter, CSEL 50, Wien/Leipzig 1908 – Ambrosius: De Spiritu Sancto libri tres, ed. Otto Faller, CSEL 79, Wien 1964, 1-222 – Athanasius: Werke. Band I/Teil 1: Die dogmatischen Schriften. Lg. 4: Epistulae I-IV ad Serapionem, ed. Kyriakos Savvidis / Dietmar Wyrwa, Berlin / New York 2010 – Augustinus: De civitate Dei, ed. Emanuel Hoffmann, CSEL 40/1-2, Prag / Wien / Leipig 18991900 – Augustinus: De doctrina christiana, ed. Joseph Martin, CC.SL 32, Turnhout 1962, 1-167 – Basilius Caes.: Epistolae, PG 32, 219 – 1112 – Beda Venerabilis: Expositio in Canticum Abacuc Prophetae, ed. J. E. Hudson, CC.SL 119 B, Turnhout 1972, 377-409 – Caesarius Arlet.: Sermones, ed. Germain Morin, CC.SL 103/104, Turnhout 1953 – Clemens Alex.: Stromata I-VI, ed. Otto Stählin / Ludwig Früchtel, 4. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 52, Berlin 1985 – Cosmas Indicopleustes: Topographia Christiana, PG 88, 51 A-476 – Cyrillus Alex.: In Prophetas minoras, PG 71; PG 72, 9 A-364 D – Didymus Alex.: De Spiritu Sancto, PG 39, 1033 B-1086 B – Eusebius Caes.: Demonstratio evangelica, ed. Ivar A. Heikel, GCS 23, Leipzig 1913 – Eusebius Caes.: De theologia ecclesiastica, ed. Erich Klostermann, GCS 14, Leipzig 1906, 59-182 – Faustus Riet.: De Spiritu Sancto, ed. August Engelbrecht, CSEL 21, Prag/Wien/Leipzig 1891, 99-157 – Gregorius Nyss.: In Canticum Canticorum homiliae / Homilien zum Hohenlied, ed. Franz Dünzl, 3 Bde., FC 16/1-3, Freiburg u. a. 1994 – Gregorius Nyss.: Ad Simplicium de fide, ed. Friedrich Müller, GNO III/1, Leiden 1958, 61-67 – Hadrian: Introductio in Sacram Scripturam, PG 98, 1273 A-1312 B – Hesychius Hieros.: Fragmenta in XII prophetas minores, PG 93, 1339-1370 – Hieronymus: Commentarii in Prophetas Minores, ed. Marcus Adriaen, CC.SL 76/76A, Turnhout 1969 – Hieronymus: Epistulae 1-70, ed. Isidorus Hilberg, Wien/Leipzig 1910 – Hippolyt: Chronicon, ed. Rudolf Helm, GCS 36, Leipzig 1929 – Julian Aecl.: Tractatus prophetarum Osee Iohel et Amos, ed. Lucas de Coninck, CC.SL 88, Turnout 1977 – Origenes: Commentarii in Epistulam ad Romanos / Römerbriefkommentar, ed. Theresia Heither, Bd. VI, Fragmente, FC 2/6, Freiburg 1999 – Origenes: De principiis, ed. Paul Koetschau, GCS 22, Leipzig 1913 – Theodor Mopsuest.: Commentarius in Duodecim Prophetas Minoras, PG 66, 105-632 C – Theodoret: Commentarius in Duodecim Prophetas, PG 81, 1545 B-1988 A.

Weitere Literatur Bruns, Peter: Das Offenbarungsverständnis des Theodor von Mopsuestia im Zwölfprophetenkommentar, StPatr 32 (1997), 272-278 – Dassmann, Ernst: Amos, RAC. Suppl. 1 (2001), 335-350 – Dassmann, Ernst: Frühchristliche Prophetenexegese, NRW Akademie der Wiss. Vorträge G 339, Opladen 1996 – Dassmann, Ernst: Umfang, Kriterien und Methoden frühchristlicher Prophetenexegese, JBTh 14 (1999), 117-143 – Eberhardt, Barbara / von Stockhausen, Annette: Joel, in: LXX.E 2381-2387 – Fabry, Heinz-Josef: Naum / Nahum, LXX.H 1, 513-518 – Kessler, Stephan C.: Die patristischen Hoseakommentare: Zur Rezeption der Kleinen Propheten in der Alten Kirche, StPatr 34 (2001), 413-419 – Strutwolf, Holger: Die Trinitätstheologie und Christologie des Eusebius von Caesarea. Eine dogmengeschichtliche Untersuchung seiner Platonismus-Rezeption und Wirkungsgeschichte, FKDG 72, Göttingen 1999.

341

gtvh 08105 / p. 342 / 31.3.2022

Propheten

1. Vorbemerkungen Die altkirchliche Rezeption der Prophetenbücher im allgemeinen wie der Zwölf Propheten im Besonderen ist generell abhängig von ihrer dogmatischen oder ethischen Verwertbarkeit, die zu bestimmten Zeiten auch wechseln kann. 1 Neutestamentliche Vorgaben sind hermeneutisch da von Bedeutung, wo die Prophetenschriften typologisch ausgelegt werden. Auf textkritischer Ebene sind sie nicht allein bestimmend. Für die Frühzeit ist eine Verfügbarkeit des kompletten Bestandes der Prophetenbücher nicht gegeben. Kommentare zu den Zwölf Propheten sind erhalten von Kyrill von Alexandria, Theodoret von Kyros, Hieronymus, Theodor von Mopsuestia; Julian von Aeclanum sowie, wenngleich nur sehr fragmentarisch, von Hesychius von Jerusalem. 2

2. Einleitungsfragen Relativ selten stehen Einleitungsfragen im Blickpunkt der altkirchlichen Exegeten. Für die Datierung des Wirkens dieser Propheten sind naheliegenderweise die Angaben in den jeweiligen Prophetenbüchern maßgebend. 3 Unterschiede der Anordnung werden gelegentlich benannt. 4 Hosea und Amos wirken, so Augustin, zur Zeit des Königs Ozias, danach Micha, Jonas und Joel. 5 Amos wird gelegentlich mit dem Vater des Jesaja, Amiz, verwechselt. 6 Micha von Moreschet wird an einer Stelle bei Clemens von 1. 2.

3.

4. 5. 6.

Dassmann: Prophetenexegese, 16 f. Für Hosea nennt Hieronymus: In Os., prol., CC.SL 76, 5, Origenes (verloren gegangen), Eusebius von Caesarea (D.e. XVIII; verloren gegangen), Apollinaris von Laodicea und Didymus von Alexandria als Vorgänger, für Habakuk den Kommentar von Viktorin von Pettau (Hieronymus: Ep. 61,1, CSEL 54, 577 f.). Dass die Schriften der zwölf Propheten in einem Buch vereinigt sind, tut der verschiedenen zeitlichen Wirksamkeit keinen Abbruch (Theodoret: In XII, prooem., PG 81, 1548 D-1549 A). Theodoret: In XII, prooem., PG 81, 1549 A-B, bietet folgende Aufstellung: Hosea wirkte zur Zeit des Usia, ebenso Amos und Joel. Nach dem Tod Usias wirkten Micha und Jona, kurz darauf Nahum, der auf die von Jona angesagte Zerstörung Ninives zurückschaut. Obadja wirkte nach der Zerstörung Edoms, Zefanja zur Zeit Josias, danach Habakuk. Viele Jahre später erst wirkten Haggai, Sacharja und Maleachi. Zur unterschiedlichen Anordnung im hebräischen Text und in der LXX vgl. u. a. Hieronymus: In XII, CC.SL 76 A, 525. Augustin: Civ. Dei XVIII, 31, CSEL 40/2, 310, vermerkt: Drei von den kleinen Propheten, nämlich Abdias, Nahum und Habakuk, geben weder selbst die Zeit ihres Auftretens an, noch findet man in den Chroniken von Eusebius und Hieronymus eine Zeitbestimmung ihrer Weissagungen. Vgl. u. a. Hieronymus: In XII, CC.SL 76 A, 525; Cyrillus Alex.: In XII, PG 71, 328 B. Augustin: Civ. Dei XVIII, 27, CSEL 40/2, 303 f. Clemens Alex.: Strom. I, 118,1, GCS 52, 75. Die Theorie ist auch Hippolyt, Chron., GCS 36, 98, Augustinus, Civ. Dei XVIII, 27, CSEL 40/2, 303, bekannt und wird von Hieronymus: In Am., praef., CC.SL 76, 211, bestritten. Der Kontext der Abhandlungen des Clemens ab Strom. I,109,1 ist der Erweis, dass die Philosophie der Hebräer älter ist als die der Griechen. In diesem Abschnitt zur Geschichte Israels stimmt Clemens häufiger mit LXXA gegen MT + LXXB.S überein, so dann auch in I 111,1 (LXX-Cod. A + MT: 6 Jahre; rell.: 60 Jahre), 111,3 (wie MT 40 Jahre statt LXX 20 Jahre. Anpassung an geläufiges Schema?), 115,1 (Asa 41 Jahre, wie LXX-Cod. A + MT; davor aber Abia 3 Jahre wie MT; LXX: 6 Jahre). In Strom. I, 121,2 teilt Clemens mit LXX die

342

gtvh 08105 / p. 343 / 31.3.2022

Dodekapropheton

Alexandria mit Micha ben Jimla verwechselt 7; das hält sich aber auch bei Clemens nicht durch; an anderer Stelle nennt er ihn zusammen mit Hosea und Joel als Zeitgenossen der Spätzeit Jesajas 8, während dieser in seiner Frühzeit als Zeitgenosse seines Vaters Amos (s. o.), Hoseas und Jonas gilt. 9 Joel gilt zumeist als Zeitgenosse Hoseas und Jesajas. 10 Jona wird als »Jona ben Amittai« identifiziert, also mit dem in 1 Kön 14,25 Genannten ineinsgesetzt. 11 Nahum wird zeitlich gelegentlich nach Ezechiel 12, zumeist aber nach Micha und Jona datiert. 13 Gilt Habakuk bei Clemens von Alexandria als Prophet noch zu Zedekias Zeiten 14, verlegt Hieronymus die Datierung aufgrund von Dn 14,35-39 in die Exilszeit 15, während ihn Theodor von Mopsuestia auf die nachexilische Zeit datiert. 16 Zefanja ist Prophet unter Josia. 17 Zu Maleachi weist Hieronymus mit der Deutung einiger Unbekannter ab, ein Engel sei vom Himmel gekommen und habe einen menschlichen Leib angenommen. 18 Augustins Nennung der Reihenfolge der Zwölf Propheten entspricht der Reihenfolge im Masoretischen Text. 19 Textdifferenzen zwischen griech. und hebr. Text sind bekannt 20, ebenso zwischen alttestamentlichen Texten und neutestamentlichen Zitaten 21, aber sie stören nicht, so-

7. 8. 9. 10.

11.

12. 13. 14.

15. 16. 17. 18. 19. 20.

21.

Zuweisung des Namens Jojakim nicht nur an den drittletzten, sondern auch an dessen Sohn, den vorletzten König Judas. Clemens Alex.: Strom. I, 135,4, GCS 52, 84. Clemens Alex.: Strom. I, 119,5, GCS 52, 75; ähnlich reiht Cosmas Indicopleustes: Top. V, PG 88, 265 D, Micha nach Jesaja ein. Clemens Alex.: Strom. I, 118,1, GCS 52, 74 f., ähnlich Hieronymus: In XII, CC.SL 76, 379. Clemens Alex.: Strom. I, 119,5, GCS 52, 75; Cyrillus Alex.: In XII, PG 71, 328 B; Theodoret: In XII, prooem., PG 81, 1549 AB; Julian Aecl.: In Iohel, CC.SL 88, 227. Eine Ausnahme stellt Cosmas Indikopleustes: Top. V, PG 88, 261 B dar, der Joel als zweiten Propheten nach Hosea und vor Amos bezeichnet. Clemens Alex.: Strom. I, 118,1, GCS 52, 75; Hesychius von Jerusalem: In XII, PG 93, 1341 C; Hieronymus: In XII, CC.SL 76, 378, der als »Tradition der Hebräer« mitteilt, Jonas Vater sei mit dem Sohn der Witwe zu Zarpath identisch. Ohne dass Clemens einen Ausgleich innerhalb seiner Ausführungen zur Geschichte Israels anstrebt, spricht er später (Clemens Alex.: Strom. I, 123,5, GCS 52,77) von der Exilszeit als der Zeit, in der sich das »Wunder Jonas« ereignet haben soll. Cosmas Indicopleustes: Top. V, PG 88, 264 CD bietet nur die Einordnung von Abdias und Jona vor Jesaja, ohne Stellenangaben. Clemens Alex.: Strom. I, 122,4, GCS52, 77. Hieronymus: In XII, CC.SL 76 A, 525; Theodoret: In XII, prooem., PG 81, 1549 AB. Clemens Alex.: Strom. I, 122,4, GCS 52, 77; mit einer Datierung nach Zefanja rechnet Theodoret: In XII, prooem., PG 81, 1549 AB. Cosmas Indicopleustes: Top. V, PG 88, 268 CD, reiht Nahum und Habakuk noch vor Jeremia ein. Hieronymus: In XII, CC.SL 76 A, 580. Hesychius Hieros.: In XII, PG 93, 1341 D, kennt die Bezugnahme ebenfalls, ist sich ihrer aber nicht sicher. Theodor Mopsuest.: In XII, PG 66, 425 A. Clemens Alex.: Strom. I, 120,2, GCS 52, 76. Hieronymus: In XII, CC.SL 76 A, 901. Auch Hesychius Hieros.: In XII, PG 93, 1341 D, versichert: Obgleich er »Engel Gottes« genannt würde, sei er ein Mensch. Augustin: Doctr. II, 8/13, CC.SL 32, 40. Cyrillus Alex.: In XII, PG 71, 464 B, schreibt zur Frage, ob in Amos 3,9 ursprünglich Asdod oder Assyrien zu lesen war: κατ’ ἄμφω γὰρ ἀληθεύει τῆς θεοπνευστῆς Γραφῆς ὁ λόγος (»gemäß beiden [Lesarten] ist das Wort der durch Gottes Geist eingegebenen Schrift wahr«). Hieronymus: Ep. 57,7, CSEL 54, 514, kommentiert die Rezeption von Sach 12,10 in Joh 19,37 mit

343

gtvh 08105 / p. 344 / 31.3.2022

Propheten

lange sie sich dem Glaubenssystem bruchlos einfügen lassen. Hieronymus erklärt gelegentlich den literalen Sinn einer Prophetenstelle nach dem hebr. Text, den anagogischen Sinn nach der LXX. 22 Manches, was heute als theol. Differenz der LXX zu ihrer Vorlage gilt, ist in altkirchlicher Exegese nicht von Bedeutung. 23

3. Septuaginta-spezifische Rezeptionsvollzüge LXX-Spezifisches ist zu Hos 9,12; Am 4,13; Joel 2,25.28; Jona 3,4; Nah 1,9; Hab 3,2 zu erheben. Hos 9,12LXX enthält die merkwürdige Wendung σάρξ μου (scil. θεοῦ) ἐξ αὐτῶν (»mein Fleisch [ist] aus ihnen«). Hadrian deutet diese Wendung im Rahmen dessen, dass in der Heiligen Schrift der Begriff σάρξ oft für die eigentliche φύσις (»Natur«) steht, als Hinweis auf die wahre Gottesverwandtschaft, 24 Hieronymus auf die Zusammengehörigkeit der Kirche mit Christus; er ist das Haupt, die Kirche ist sein Leib. 25 Hatten die Pneumatomachen aus Am 4,13 aufgrund der Formulierung κτίζων πνεῦμα (»der, der den Geist schafft«) die Subordination des Geistes gefolgert 26, hält Athanasius ihnen entgegen, dass hier gar nicht vom Geist, sondern vom Wind die Rede sei. Dieser Auffassung folgen die Kommentare des vierten und fünften Jahrhunderts. 27 Ambrosius bringt exegetische Argumente bei: Wenn der Prophet vom heiligen Geist gesprochen hätte, hätte er nicht zuerst den Donner erwähnt. Auch die folgenden

22. 23. 24. 25. 26.

27.

den diversen Lesarten dergestalt, dass er auf die Übereinstimmung im Geist der Einheit verweist. Hieronymus: In XII, CC.SL 76, 122, zu Hos 11,3 f., ähnlich Hieronymus: In XII, CC.SL 76, 261, zu Am 4,4 (er versteht den hebräischen Text nicht als Imperativ). Das gilt zu Am 5,15 für Hieronymus: In XII, CC.SL 76, 288, wo für ihn das von der LXX abgemilderte »vielleicht« des hebräischen Textes keinen Anstoß bereitet. Hadrian: Intr. 3,39, PG 98, 1293 D-1296 A. Hieronymus: In Os. II, 9,11-13, CC.SL 76, 101. Athanasios: Ep. ad Serapionem 1,3,2-5, Savvidis, 455 f. Schon Eusebius Caes.: Eccl. Theol. III, 2, GCS 14, 140) erklärt, dass die Formel κτίζων πνεῦμα sich nicht auf das vorzeitliche Entstehen des Heiligen Geistes bezieht, sondern auf die Verkündigung der Botschaft durch die Apostel (zu den Einzelheiten der Geistlehre des Eusebius, die den Heiligen Geist den körperlichen Vernunftwesen voraus- und gegenübergestellt sieht, ihn aber innertrinitarisch in einem eindeutigen Subordinations- und Abhängigkeitsverhältnis von Vater und Sohn sieht, vgl. Strutwolf: Trintiätstheologie, 203 f.). Zur Rezeption von Amos 4,13 in den trinitätstheologischen Debatten vgl. Dassmann: Amos, 346 f. Didymus Alex.: Spir. 14 f., PG 39,1046 C-1048 B; Theodor Mopsuest.: In XII, PG 66, 269 C; Cyrillus Alex.: In XII, PG 71, 488 C; Theodoret: In XII, PG 81, 1685 C; Julian Aecl.: in Iohel, CC.SL 88, 284, sowie, mit explizitem Bezug auf die Verwertung der Stelle durch die Pneumatomachen, Gregorius Nyss.: Fid., GNO III/1 67; Ambrosius, Spir II, 6/48, CSEL 79, 104-106; Hieronymus: In XII, CC.SL 76, 270. Die Vulgata-Version creans ventum (»der, der den Wind schafft«) lässt solche Unsicherheit nicht aufkommen, verbreitet sich aber nicht sofort (vgl. den Verweis auf Fulgentius von Ruspe, der die Stelle wieder trinitätstheologisch deuten und verteidigen muss, bei Dassmann: Amos, 346 f.). Auch Faustus Riet.: Spir. II, 3, CSEL 21, 136 f., hält fest, dass πνεῦμα hier nicht mit spiritum (»Geist«), sondern mit ventum (»Wind«) zu übersetzen sei. Eine ähnliche Verschiebung der Deutung ist übrigens zu Gen 1,2 festzustellen.

344

gtvh 08105 / p. 345 / 31.3.2022

Dodekapropheton

Elemente in Amos 4,13 wie des Präsens (statt eines Vergangenheitstempus) verweisen auf Gottes Schöpfungshandeln. 28 Gregor von Nyssa legt den »Donner« von Am 4,13 allegorisch auf das Evangelium aus, dank dessen die Glaubenden aus fleischlichen Menschen »Geist« werden. 29 Joel 2,25 ist ad vocem δύναμις (»Macht«) in der trinitätstheologischen Diskussion verwendet worden: Wenn die Heuschrecken »große Macht« genannt werden, sagt die Verwendung von δύναμις als Attribut Christi noch nichts über dessen Wesenseinheit mit dem Vater aus. 30 In Joel 2,28 hat die partitive Präposition ἀπό zu der Unterscheidung zwischen Gottes Heiligem Geist als Gegenüber und dem Geist in jedem einzelnen von uns geführt 31, aber auch zu der These von der eingeschränkten Geistmitteilung vor, der uneingeschränkten Geistmitteilung nach der Taufe Christi. 32 Allerdings konnte auch das ἐπὶ πᾶσαν σάρκα (»auf alles Fleisch«) im Vordergrund stehen. 33 In Jona 3,4 hat die Differenz der Ninive noch zugebilligten Tage bis zur Vernichtung – in der LXX sind es drei Tage, im hebräischen Text sind es vierzig Tage – die Typologie der Gerichtspredigt Jonas auf die Gerichtspredigt des Menschensohns ermöglicht (Lk 11,29 f. im Zusammenhang mit Lk 17,26.28-30) sowie darüber hinaus und unabhängig davon Anlass zum Nachdenken gegeben. Hieronymus zufolge lässt sich die Lesart der LXX nicht als Verschreibung vom Hebräischen her erklären 34; er hält die drei Tage für eine unangemessen kurze Bußzeit. 35 Ambrosiaster stellt fest, dass mit der Ankündigung des Strafgerichtes nach drei Tagen den Niniviten Gelegenheit zur Buße gegeben werde, nach der Maxime, dass Gott nicht den Tod des Sünders will – auch denen gegenüber, die während der langen Bauzeit der Arche Noah die Gelegenheit hatten, zuzusehen und sich zu bessern, wollte Gott in ähnlicher Weise barmherzig sein. 36 Augustin bevorzugt, was das historische Verständnis anbetrifft, den hebräischen Text; wichtiger ist ihm, dass beide Zahlen auf Christus vorausverweisen. 37 In Nah 1,9 führt die LXX-Lesart »Nicht wird er zweimal strafen« bei Origenes zu einer Theologie der Strafe, die für seine Lehre vom Fegfeuer wichtig wurde. 38 Nah 1,9 hat aber auch Eingang ins Kirchenrecht gefunden: Die Kleriker, welche die »Sünde zum Tode« begehen, sollen ihren Grad verlieren, nicht aber von der Gemeinschaft der Laien ausgeschlossen werden. »Denn du sollst nicht dasselbe Vergehen zweimal strafen.« 39 In den Kommentaren kann die Aussage auf die Schonung Israels um der Väter und der in Christus neu hinzukommenden Nichtjuden willen bezogen werden. 40

28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40.

Ambrosius: Spir. II, 6/50. 52, CSEL 79, 105 f. Gregorius Nyss.: Fid., GNO III/1 67. Eberhardt / von Stockhausen: Joel, 2385. Clemens Alex.: Strom. V, 88,3, GCS 52, 384. Origenes: Princ. II, 7,2, GCS 22, 149. Cyrillus Alex.: In XII, PG 71, 376 D. So aber Theodoret: In XII, PG 81, 1733 CD. Hieronymus: In XII, CC.SL 76, 405. Ambrosiaster: Qu. 102,8, CSEL 50, 206, mit Verweis auf Ez 18,32/33,11. Augustin: Civ. Dei XVIII, 44, CSEL 40/2, 338-340. Fabry: Naum, 517. Basilius, Ep. 59/199,32, PG 32, 728. Cyrillus Alex.: In XII, PG 71, 796 BC.

345

gtvh 08105 / p. 346 / 31.3.2022

Propheten

In Hab 3,2LXX kann in dem Satzteil ἐν μέσῳ δύο ζῴων γνωσθήσῃ (»inmitten zweier Leben/Lebewesen wirst du erkannt werden«) der Genitiv Plural ΖΩΩΝ, in Majuskelschrift ohne diakritische Zeichen geschrieben, sowohl von ζωαί (»Leben«) als auch von ζῶα (»Lebewesen«) abgeleitet werden; Theodoret und Kyrill von Alexandria benennen diese Doppeldeutigkeit explizit. Die Ableitung von ζωαί ermöglicht Deutungen auf das göttliche wie das menschliche Leben in Christus 41 wie auf das irdische und das ewige Leben. 42 Die Ableitung von ζῶα lässt an zwei Cherubim 43 denken oder an irdische Wesen, z. B. die Sünder Israels und die Babylonier, zwischen denen Gott seine Macht offenbar werden lasse 44, oder an die Erscheinung Christi zwischen Mose und Elia auf dem Berg der Verklärung oder zwischen den beiden Schächern am Kreuz 45, gibt aber u. a. auch trinitätstheologische Deutungen frei: Der Vater erscheint zwischen Sohn und Geist. 46 Eben diese Deutung lehnt Kyrill von Alexandria ab: Etwas, was lebensschaffend sei, könne nicht ζῶον genannt werden; auch sei die Dreieinigkeit insgesamt unkörperlich. Hingegen führe ζωαί auf den richtigen Sinn, indem Christus zwischen den beiden Testamenten erscheint. 47

41. 42. 43. 44. 45.

Eusebius Caes.: Dem. ev. VI, 15,3, GCS23, 270. Gregorius Nyss.: Hom. Cant. 12, FC 16, 630; Theodoret: In XII, PG 81, 1825 AB. Origenes: Comm. Rom., FC 2/6, 100. Theodor Mopsuest.: In XII, PG 66, 441 D. Beides bei Augustin: Civ. Dei XVIII, 32, CSEL 40/2, 312 f.; Beda Venerabilis: In Cant. Abacuc 3,2, CC.SL 119 B, 383 f. 46. Origenes: Princ. I, 3,4, GCS 22, 53; Hieronymus: In XII, CC.SL 76 A, 620 f. 47. Cyrillus Alex.: In XII, PG 71, 897 A – D. Allerdings erreicht Caesarius: Serm. 107,1, CC.SL 103, 444, die Deutung auf die Testamente auch von der Lesart in medium duorum animalium cognosceris (»inmitten zweier Lebewesen wirst du erkannt werden«) aus, die er als allgeorische Deutung eines Deteils aus der Kundschaftergeschichte (Num 13,23) vorträgt.

346

gtvh 08105 / p. 347 / 31.3.2022

2.2.4.2 Jesaja Die Septuaginta-Version des Jesaja-Buches in der Patristik Matthias Skeb Literatur Editionen und Übersetzungen Septuaginta: Vetus Testamentum Graecum. Bd. 14: Isaias, ed. Joseph Ziegler, Göttingen 31983 – Cyrillus Alex.: Commentarius in Isaiam prophetam, PG 70 – Cyrillus Alex.: Glaphyra in Pentateuchum, PG 69, 9-678 C – Eusebius Caes.: Commentarii in Isaiam, ed. Joseph Ziegler, GCS 60, Berlin 1974 – Eusebius Caes.: Historia ecclesiastica, ed. Eduard Schwartz / Theodor Mommsen, 2 Bde., GCS 9/1+2, Leipzig 1903-1908 – Hieronymus: Epistulae, ed. Isidor Hilberg, CSEL 54-56, Wien 21996 – Hieronymus: De viris illustribus, ed. Ernest C. Richardson, TU 14, Leipzig 1896, 1-56 – Hieronymus: Commentarii in Isaiam, ed. et trad. Roger Gryson / PaulAugustin Deproost / Joelle Coulie / Veronique Somers / Corinne Gabriel, 5 Bde., AGLB 23; 27; 30; 35; 36, Freiburg 1993-1999 – Irenaeus Lugd.: Adversus haereses 3, ed. et trad. Adelin Roussaeu / Louis Doutreleau, SC 211, Paris 1974 – Irenaeus Lugd.: Demonstratio praedicatonis evangelicae (Epideixis), trad. Norbert Brox, FC 8/1, Freiburg u. a. 1993, 21-97 – Iohannes Chrys.: In Isaiam, ed. et trad. Jean Dumortier / Arthur Liefooghe, SC 304, Paris 21983 – Justinus Martyr: Dialogus cum Tryphone Iudaeo, ed. et trad. Philippe Bobichon, 2 Bde., Par. 47/1+2, Fribourg 2003 – Origenes: In Isaiam homiliae, ed. Wilhelm Adolf Baehrens, GCS 33, Leipzig 1925, 242-289 – Theodoretus Cyrrh.: Interpretatio in Isaiam, ed. August Möhle, MSU 5, Berlin 1932.

Weitere Literatur Barthélemy, Dominique: Eusèbe, la Septante, et »les autres«, in: La Bible et les Pères. Colloque de Strasbourg (1er – 3 octobre 1969), Bibliothèque des centres d’études supérieures spécialisés, Paris 1971, 51-65 – Böhm, Thomas: Theodoret von Cyrus, in: Lexikon der antiken christlichen Literatur (LACL), ed. Siegmar Döpp / Wilhelm Geerlings, Freiburg 32002, 683-685 – Brock, Sebastian P. / Fritsch, Charles T. / Jellicoe, Sidney: A classified bibliography of the Septuaginta, ALGHJ 6, Leiden 1973 – Cattaneo, Enrico: Il »Commento a Isaia« di Basilio di Cesarea. Attribuzione e studio teologico-letterario, SEAug 139, Roma 2014 – Childs, Brevard Springs: The struggle to understand Isaiah as Christian scripture, Grand Rapids/MI / Cambridge (U.K.) 2004 – Danieli, M. J.: Isaia (scritti su), in: Origene. Dizionario. La cultura, il pensiero, le opere; a cura di Adele Monaci Castagno, Roma 2000, 229-230 – de Margerie, Bertrand: Introduction à l’histoire de l’exégèse. Bd. 1: Les Pères grecs et orientaux, Paris 1980, 242-243 – de Margerie, Bertrand: L’exégèse christologique de saint Cyrille d’Alexandrie, NRTh 102 (1980), 400-425 – Dogniez, Cécile: Bibliographie de la Septante – Bibliography of the Septuagint (1970-1993). Avec un préface de Pierre-Maurice Bogaert, VT.S 60, Leiden 1995 – Dorival, Gilles: Esapla, in: Origene. Dizionario. La cultura, il pensiero, le opere; a cura di Adele Monaci Castagno, Roma 2000, 138-141 (mit weiterführender Literatur) – Dorival, Gilles: Settanta, in: Origene. Dizionario. La cultura, il pensiero, le opere; a cura di Adele Monaci Castagno, Roma 2000, 444-450 (mit weiterführender Literatur) – Dumortier, Jean: Introduction, in: Jean Chrysostome, A Théodore; introduction, texte critique, traduction et notes par Jean Dumortier, SC 117, Paris

347

gtvh 08105 / p. 348 / 31.3.2022

Propheten

1966, 7-44 – Evans, Craig Alan: The citation of Isaiah 60:17 in 1 Clement, VC 36 (1982), 105-107 – Fernández Marcos, Natalio: Is there an Antiochene reading of Isaiah?, in: Michaël N. van der Meer / Percy van Keulen / Willem van Peursen / Bas ter Haar Romeny (ed.), Isaiah in Context. Studies in honour of Arie van der Kooij on the occasion of his sixty-fifth birthday, VT.S 138, Leiden / Boston 2010, 247-260 – Fernández Marcos, Natalio: The Septuagint in context. Introduction to the Greek versions of the Bible, Boston / Leiden 2000 – Fernández Marcos, Natalio: The Septuagint in context. Introduction to the Greek versions of the Bible, Boston / Leiden 2000, 35-52 – Fladerer, Ludwig / Börner-Klein, Dagmar: Kommentar, RAC 21, 2006, 274-329 – Fuhrer, Terese: Scholion, LACL, 623 – Fürst, Alfons: Hieronymus, LACL, 323-330 – Gryson, Roger / Szmatula, Dominique: Les commentaires patristiques sur Isaïe d’Origène à Jérôme, in: REAug 36 (1990) 3-41 – Gryson, Roger: Introduction, in: Commentaires de Jérôme sur le prophète Isaïe. Bd. 1: Livres I-IV; texte établi par Roger Gryson / Paul-Augustin Deproost, AGLB 23, Freiburg 1993, 11-128 – Guinot, Jean-Noel: L’héritage origénien des commentateurs grecs du prophète Isaïe, in: Lothar Lies (ed.), International Origen Congress 4, 1985, Innsbruck / Origeniana Quarta. Die Referate des 4. Internationalen Origeneskongresses (Innsbruck, 2.–6. September 1985), IThS 19, Innsbruck 1987, 379-389 – Guinot, Jean-Noël: L’exégèse de Théodoret de Cyr, ThH 100, Paris 1995 – Hagner, Donald Alfred: The use of the Old and New Testaments in Clement of Rome, NT.S 34, Leiden 1973 – Hamm, Ulrich: Irenäus von Lyon, in: LACL3, 2003, 351-355 – Hengel, Martin: Die Septuaginta als christliche Schriftensammlung, ihre Vorgeschichte und das Problem ihres Kanons, in: Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum, ed. Martin Hengel / Anna Maria Schwemer, WUNT 72, Tübingen 1994, 182-284 – Hill, Robert Charles: Reading the Old Testament in Antioch, Bible in Ancient Christianity 5, Leiden / Boston 2005 – Hollerich, Michael J.: Eusebius of Caesarea’s commentary on Isaiah. Christian exegesis in the age of Constantine, OECS, Oxford 1999 – Jay, Pierre: Jesaja, RAC 17 (1996), 764-821 – Jay, Pierre: L’exégèse de Saint Jérôme d’après son Commentaire sur Isaïe, CEAug.Sèr.Ant. 108, Paris 1985 – Kamesar, Adam: The virgin of Isaiah 7: 14. The philological argument from the second to the fifth century, JThS N.S. 41 (1991) 51-75 – Kerrigan, Alexander: St. Cyril of Alexandria interpreter of the Old Testament, AnBib 2, Roma 1952, 35-240 – Kerrigan, Alexander: The objects of the literal and spiritual senses of the New Testament according to St. Cyril of Alexandria, in: Kurt Aland / Frank Leslie Cross (ed.), International Conference on Patristic Studies 2, 1955, Oxford, Bd. 1, StPatr 1, TU 63, Berlin 1957, 354-374 – Kraft, Robert A.: Barnabas’ Isaiah text and the »Testimony Book« hypothesis, JBL 79 (1960), 336-350 – Kraus, Wolfgang: Hebräische Wahrheit und griechische Übersetzung. Überlegungen zum Übersetzungsprojekt Septuaginta-deutsch (LXX.D), ThLZ 129 (2004), 989-1007 – Matusova, Ekaterina: The meaning of the letter of Aristeas. In light of biblical interpretation and grammatical tradition, and with reference to its historical context, FRLANT 260, Göttingen 2015 – Möhle, August: Einleitung, in: Theodoret von Kyros. Kommentar zu Jesaia, ed. Möhle, August, MSU 5, Berlin 1932, V-XXVIII – Möhle, August: Der Jesajakommentar des Eusebios von Kaisareia fast vollständig wieder aufgefunden, ZNW 33 (1934), 87-89 – Moreau, Jacques: Eusebius von Caesarea, in: RAC 6, 1966, 1052-1088 – Münch-Labacher, Gudrun: Cyrill von Alexandrien, LACL, 174-178 – Munnich, Olivier: La texte de la Septante, in: Gilles Dorival / Marguerite Harl / Olivier Munnich, La Bible grecque des Septante. Du judaïsme hellénistique au christanisme ancien, ICA, Paris 21994, 129-200 – Nautin, Pierre: Le »De seraphim« de Jerome et son appendice »Ad Damasum«, in: Michael Wissemann (ed.), Roma renascens. Beiträge zur Spätantike und Rezeptionsgeschichte. Ilona Opelt von ihren Freunden und Schülern zum 9. 7. 1988 in Verehrung gewidmet, Frankfurt a. M. / Bern / New York / Paris 1988, 257-293 – Pauli, Judith: Basilius von Caesarea, LACL, 114-120 – Prostmeier, Ferdinand Rupert: Der Barnabasbrief. Übersetzt und erklärt, KAV 8, Göttingen 1999 – Rösel, Martin: Die Jungfrauengeburt des endzeitlichen Immanuel. Jesaja 7 in der Übersetzung der Septuaginta, JBTh 6 (1991), 135-151 – Schäublin, Christoph: Untersuchungen zu Methode und Herkunft der antiochenischen Exegese, Theoph. 23, Köln / Bonn 1974 – Seeligmann, Isac L.: The Septuagint version

348

gtvh 08105 / p. 349 / 31.3.2022

Jesaja

of Isaiah and cognate studies; edited by Robert Hanhart / Hermann Spieckermann, FAT 40, Tübingen 2004, 135-178 – Simonetti, Manlio: Sulle fonti del Commento a Isaia di Girolamo, Aug. 24 (1984), 451-469 – Skarsaune, Oskar: The Proof from Prophecy. A Study in Justin Martyr’s Proof-text Tradition: Text-type, Provenance, Theological Profile, NT.S 56, Leiden 1987 – Skeb, Matthias: Exegese und Lebensform. Die Proömien der antiken griechischen Bibelkommentare, Clavis commentariorum antiquitatis et medii aevi 5, Leiden / Boston 2007 – Starrat, Alfred Byron: The use of the Septuagint in the five books against Heresies by Irenaeus of Lyons, Kenyon College, Gambier, Ohio, Harvard, 1952, ChH 23 (1954), 356 – Starrat, Alfred Byron: The use of the Septuagint in the five books against Heresies by Irenaeus of Lyons Harvard University, Dissertation Cambridge, Mass. 1952 – Ulrich, Jörg: Eusebius von Cäsarea, LACL, 240-245 – van der Kooij, Arie: Esaias / Isaias / Jesaja, in: Siegfried Kreuzer (ed.), Handbuch zur Septuaginta. Handbook of the Septuagint. LXX.H. Bd. 1: Einleitung in die Septuaginta, Gütersloh 2016, 559-576 – Vetten, Claus Peter: Justin der Märtyrer, LACL, 411-414 – Vogt, Hermann Joseph: Origenes, LACL, 460-469 – Wengst, Klaus: Didache (Apostellehre), Barnabasbrief, zweiter Klemensbrief, Schrift an Diognet. Eingeleitet, herausgegeben, übertragen und erläutert, SUC 2, München 1984 – Wengst, Klaus: Tradition und Theologie des Barnabasbriefes, AKG 42, Berlin / New York 1971 – Ziegler, Joseph: Untersuchungen zur Septuaginta des Buches Isaias, ATA 12,3, Münster 1934, 31-46.

Patristische Theologie ist weitgehend auf biblischer Exegese und Hermeneutik beruhende Theologie. Unter den biblischen Schriften, für die sich die »Väter« interessierten, nahm, vorbereitet durch seine Hochschätzung als Messiasprophetie im Judentum, das Jesaja-Buch neben dem Matthäusevangelium und dem Psalter eine besondere Stellung ein. 1 Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über die in der Forschung 2 bereits herausgearbeiteten Hauptlinien der patristischen Rezeption der LXX-Jesaja unter besonderer Berücksichtigung ausdrücklicher Bezugnahmen auf die LXX-Übersetzung 3.

1.

2.

3.

Jede Beschäftigung mit der LXX-Jesaja in der Patristik geht von Zieglers kritischer Ausgabe (Septuaginta: Vetus Testamentum Graecum. Bd. 14: Isaias, Göttingen 31983) und von dem für die inhaltlichen Rezeptionsschwerpunkte grundlegenden Artikel Jay: Jesaja, RAC 17, 764-821 aus. Als Hilfsmittel sind vor allem zu nennen: Biblia patristica. Index des citations et allusions bibliques dans la littérature patristique, 7 Bde., Paris 1975-2000; Brock / Fritsch / Jellicoe: Bibliography; Dogniez: Bibliographie de la Septante. Die LXX-Jesaja gibt es genauso wenig, wie es die LXX gibt, die letztlich eine Zusammenstellung selbständiger Übersetzungen biblischer Bücher ist; vgl. Fernández Marcos: Septuagint in context, 35-52; Kraus: Hebräische Wahrheit, 997-998. Die LXX-Jesaja liegt in unterschiedlichen »Rezensionen« vor: vgl. Seeligmann: The Septuagint version of Isaiah (2004), 135-178; Ziegler: Untersuchungen, 31-46. Jedoch scheinen die Inkonsistenzen in der Übersetzung nicht die Annahme unterschiedlicher Übersetzer zuzulassen; vgl. Ziegler: Untersuchungen 44-47, Seeligmann: Septuagint version 178 [39] – 184 [42]. Dass die LXX-Jesaja in hohem Maße bereits eine Interpretation des Jesaja-Buches ist, stellt van der Kooij: Esaias, 566-572, heraus. Damit ist zugleich gesagt, dass alttestamentliche und neutestamentliche Apokryphen sowie gnostische und byzantinische Literatur in diesem Beitrag ausgeklammert werden müssen. Die Fülle des Materials macht es von vornherein unmöglich, den »hermeneutischen Transformationen« nachzugehen, die sich durch die Übertragung des hebräischen Urtextes in die griechische Übersetzung(en) der LXX für die patristische Exegese ergeben haben. Dieses Thema wäre monographischer Behandlung zuzuweisen.

349

gtvh 08105 / p. 350 / 31.3.2022

Propheten

1. Die LXX-Jesaja in der Überlieferung der frühen griechischen Patristik (vor Origenes) 1.1 Der »Barnabasbrief« (ca. 130/131 n. Chr.) Mit dem Barnabasbrief (CPG 1050) setzt in der Patristik eine gehäufte Bezugnahme auf das Jesaja-Buch ein 4. Er stellt in der Rezeption die Kult-Polemik (z. B. Barn. 2,5 und 15,8 [Jes 1,11-13]; 16,2 [Jes 40,12]) und die messianische Interpretation (Barn. 5-6 [Jes 3,10 LXX; Jes 50,6-9; 53,5.7; 28,16]) in den Vordergrund. Der größte Teil der biblischen Zitate und Anspielungen des Barn. entstammen dem Jesaja-Buch, dann dem Psalter. 5 Dieser Befund entspricht der Beliebtheit dieser Bücher unter Juden und Christen und ihrer dadurch bedingten Verbreitung. 6 Man muss nach Prostmeier davon ausgehen, dass dem Verfasser des Barnabasbriefes eine Kopie oder ein Exzerpt des Jes in der Form einer griechischen Übersetzung zur Verfügung stand. 7 Die Hypothese der Übernahme von Testimonienmaterial 8, d. h. von Material aus Sammlungen unkommentierter (Schrift-) Zitate, »die als autoritative ›Zeugen‹ für die Richtigkeit einer aufgestellten Behauptung bzw. Untermauerung einer bestimmten Ansicht herangezogen werden« 9, lässt sich nur im Hinblick auf Barn. 9,1-3 und 11,4 f. erhärten 10, während in Barn. 2-16 außer griechischen Bibelübersetzungen noch Material verwendet wurde, das auf einen vielschichtigen und mit dem schulischen Unterricht verbundenen Traditionsprozess zurückgeht (»Lehrvorträge«) 11. Im Einzelfall ist im Barn. die Identifikation von Zitaten schwierig, weil neben wortgetreuen (Bibel-)»Zitaten« auch die »kompositorisch variantenreiche und transformierende Einbindung des vorgefundenen Materials« anzutreffen ist. 12 Dabei ist zu beachten, dass bei den am häufigsten zitierten Schriften (Jes., Ps., Gen., Dtn.) die Übereinstimmung zwischen den griechischen Bibelübersetzungen und dem Wortlaut der Zitate am höchsten ist. 13 »Barnabas’ Isaiah references are reasonable close to our LXX texts and are not greatly influenced by the MT tradition.« 14 Andererseits lässt sich kein Muster der Abhängigkeit

4. Jay: Jesaja 796 und ausführlicher Wengst: Tradition, passim. Zur Datierung siehe Prostmeier: Barnabasbrief, 111-119. Zu Clemens Romanus vgl. Hagner: The Use of the Old and New Testaments, passim, der aber kaum über eine Feststellung von Zitaten hinauskommt, und Evans: Citation, 105-107. 5. Prostmeier: Barnabasbrief, 94 mit erhellenden methodologischen Reflexionen zum Thema »Bibelzitat« (94-97). 6. Prostmeier: Barnabasbrief, 94. 7. Prostmeier: Barnabasbrief, 94; vgl. auch Wengst: Didache, 129; Kraft: Barnabas’ Isaiah text, 44-89. 8. Vgl. dazu Prostmeier: Barnabasbrief, 101-106 mit weiterführender Literatur. Die Hypothese scheint zurückzugehen auf Rendel Harris; vgl. Kraft: Barnabas’ Isaiah text, 338. 9. Prostmeier: Barnabasbrief, 103 Anm. 44. 10. Prostmeier: Barnabasbrief, 103. 11. Prostmeier: Barnabasbrief, 103-106. 12. Prostmeier: Barnabasbrief, 96. 13. Prostmeier: Barnabasbrief, 102. 14. Kraft: Barnabas’ Isaiah text, 337.

350

gtvh 08105 / p. 351 / 31.3.2022

Jesaja

von einer einzigen LXX-Handschrift feststellen. 15 Eine ausdrückliche Nennung der LXX als solcher findet sich im Barnabasbrief jedoch noch nicht.

1.2 Justin († nach 162-168 n. Chr.) In Justins 16 1. Apologie (CPG 1073) und im Dialog mit Tryphon (CPG 1076) ist das Jesaja-Buch die »Hauptstütze der Argumentation« und »die am häufigsten zitierte atl. Schrift« mit einem Schwerpunkt in den Kapiteln 32-53. 17 Justin legt das Jesaja-Buch vor allem messianisch aus im Kontext des Prophetenbeweises und mit deutlicher IsraelKritik. 18 Oskar Skarsaune hat in einer ausführlichen Studie 19 die zur Führung des Prophetenbeweises von Justin benutzten Schriftstellen untersucht und kommt zu dem Ergebnis, dass Justins Bibeltexte auf zwei Traditionen beruhen: 20 1. eine frühe jüdische Rezension der LXX, die die griechische Übersetzung mit dem normativ werdenden hebräischen Urtext in Übereinstimmung zu bringen versucht, und 2. eine griechische Übersetzung, die nicht zur LXX-Tradition gehört, aus einem frühchristlichen Umfeld stammt und Justin als »Exzerptensammlung« vorlag. Als 2. Anhang zu seiner Studie präsentiert Skarsaune eine Tabelle mit in den Werken Justins zu findenden alttestamentlichen Referenzen. 21 Er unterscheidet dabei zwischen direkten »Zitaten« und »Anspielungen« sowie zwischen LXX- und nicht-LXXReferenzen. Justin folgt nicht einfach den bereits im Neuen Testament vorhandenen Belegtexten aus dem Jesaja-Buch; er stützt sich auch auf eine unabhängige christliche Tradition und eigene Exzerpte des AT. 22 Von besonderem theologiegeschichtlichem Interesse ist Justins Version der Entstehungsgeschichte der LXX im Kontext des Streites um die Übersetzung von Jes 7,14. Der sog. Aristeasbrief 23 als ältester Zeuge der jüdischen Übersetzungslegende erzählt, Aristeas sei auf Anregung des Bibliothekars Demetrion von Phaleron von König Ptolemaios II Philadelphos zum Hohenpriester in Jerusalem geschickt worden, um für die Bibliothek von Alexandria die Thora zu beschaffen und Übersetzer zu finden. Mit dem jüdischen Gesetz und 72 Ältesten als fähigen Übersetzern sei er zurückgekehrt. Die Übersetzung sei dann in 72 Tagen angefertigt worden. In der 1. Apologie 24 ändert Justin einige Akzente. Ptolemaios II habe sich an den jüdischen König Herodes gewandt. Vor allem aber seien »Bücher der Prophetien« (τὰς βίβλους τῶν προφητειῶν) besorgt und übersetzt worden, nicht nur der Pentateuch. 25 Das Interesse Justins richtet 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25.

Kraft: Barnabas’ Isaiah text, 337. Zur Datierung siehe Vetten: Justin der Märtyrer, 411. Jay: Jesaja 798. Zu Justins Jesaja-Auslegung vgl. Childs: The struggle to understand, 32-44. Vgl. die Stellen bei Jay: Jesaja, 798-799. Skarsaune: Proof, 1987. Skarsaune: Proof, 43-46. 90-92. Skarsaune: Proof, 454-471. Skarsaune: Proof, 464. Vgl. Matusova: Letter of Aristeas, 2015. Iustinus Mart.: 1.Apol. 31,1-5, SC 507, 208-210. Iustinus Mart.: 1.Apol. 31,2, SC 507, 210; vgl. auch die Vorbereitung des Themas »Prophetie« in 31,1.

351

gtvh 08105 / p. 352 / 31.3.2022

Propheten

sich darauf, Jes 7,14 als Prophetie der Jungfrauengeburt des Erlösers auslegen zu können. 26 Im Dialogus cum Tryphone verteidigt Justin die Lesart der LXX-Version ἡ παρθένος gegen die von jüdischer Seite favorisierte und von ihm als Fälschung angesehene Übersetzung ἡ νεᾶνις. 27 Der Schriftbeweis für die Jungfrauengeburt des Messias ermöglichte es, gegen Ebioniten, für die Joseph der Vater Jesu war 28, und gegen den Juden Tryphon, für den nur ein von einem Menschen geborener Mensch der Messias sein konnte 29, an der Menschwerdung des Gottessohnes bei gleichzeitiger weitgehender Wahrung seiner Göttlichkeit festzuhalten 30.

1.3. Irenaeus von Lyon († ca. 200 n. Chr.) Fast alle Jesaja-Referenzen Justins 31 sind auch bei Irenaeus zu finden; das Jesaja-Buch ist bei Irenaeus das am häufigsten in der Demonstratio benutze Buch der Hl. Schrift (60 Referenzen) und dient vor allem dem prophetischen Beweis. 32 In Adversus haereses begegnet das Jesaja-Buch an ca. 160 Stellen. Drei ausgedehnte Zitate beziehen sich auf die Immanuel-Prophetie 33, den Sprössling aus Isais Wurzelstock 34 und das 4. Gottesknechtslied. 35 Möglicherweise hat die Überlieferungssituation der Werke des Irenaeus – Adversus haereses liegt bis auf wenige griechische Fragmente nur in einer lateinischen Übersetzung des 4. Jahrhunderts, die Demonstratio in einer armenischen Übertragung vor 36 – dazu beigetragen, dass sie bislang nicht intensiv auf die Verwendung der LXX-Jesaja hin untersucht worden sind. 37 Wie bei Justin so ist auch bei Irenaeus Jes 7,14 Ausgangspunkt für die Darstellung einer Version der Entstehungsgeschichte der LXX; sie ist ihre »wirkungsgeschichtlich bedeutsamste Fassung« 38, die sich auch bei Eusebius von Caesarea findet. 39 Irenaeus 26. Iustinus Mart.: 1.Apol. 31,7, SC 507, 210-211. Weitere Stellen, an denen Justin Jes 7,14 entsprechend der LXX im Sinne der Jungfrauengeburt auslegt, sind: 1.Apol. 33,1.4, SC 507, 216. 218; 54,8, SC 507, 274. Vgl. dazu Hengel: Die Septuaginta als christliche Schriftensammlung, 189 f. 27. Iustinus Mart.: Dial. 43,3-8, Bobichon 1,288-292; 66,2-4, Bobichon 1,362-364; 67,6, Bobichon 1,366; 71,3, Bobichon 1,380; 77,3, Bobichon 1,396; 84,1, Bobichon 1,414; 84,3, Bobichon 1,414). Vgl. dazu Kamesar: The virgin of Isaiah 7:14, passim; Rösel: Jungfrauengeburt, passim. 28. Iustinus Mart.: Dial. 48,4, Bobichon 1,304. 29. Iustinus Mart.: Dial. 49,1, Bobichon 1,304-305; 67,2, Bobichon 1,364; 68,5, Bobichon 1,370. 30. Vgl. dazu Hengel: Christliche Schriftensammlung, 192-193. 31. Zur Datierung siehe Hamm: Irenäus von Lyon, 351. 32. Jay: Jesaja, 800; Irenaeus Lugd.: Dem. 42-97, FC 8,1,61-96. 33. Irenaeus: Haer. III, 21,4, SC 211, 410-411: Jes 7,10-16. 34. Irenaeus: Dem. 59, FC 8,1,74-75: Jes 11,1-10. 35. Irenaeus: Dem. 68, FC 8,1,79-80: Jes 52,13-53,5; zu den drei genannten Passagen Jay: Jesaja, 800. Vgl. auch zur Jesaja-Rezeption bei Irenaeus Childs: The struggle to understand, 45-55 allerdings ohne Auseinandersetzung mit dem von Irenaeus benutzten Jesaja-Text. 36. Hamm: Irenäus von Lyon, 352-353. 37. Die mir nicht verfügbare ältere Studie Starrat: The use of the Septuagint, Dissertation Cambridge, Mass. 1952 beschränkt sich anscheinend auf allgemeine Hinweise zur Hermeneutik des Irenaeus; vgl. dazu die Zusammenfassung vom Autor: Starrat: The use of the Septuagint, in: ChH 23 (1954) 356. 38. Hengel: Christliche Schriftensammlung, 200. 39. Eusebius Caes.: H.e. V, 8,11-14, GCS 9/1, 448.

352

gtvh 08105 / p. 353 / 31.3.2022

Jesaja

unterstützt mit »seiner« Version die LXX (Jes 7,14: virgo) gegen die jüngeren Übersetzungen des Theodotion und Aquila (Jes 7,14: νεᾶνις), die kein Textfundament bieten für die Idee der Jungfrauengeburt des Erlösers. 40 Diese Unterstützung geschieht zunächst durch die Berufung auf das Alter der LXX. 41 Außerdem postuliert er die Inspiriertheit der LXX mit dem Hinweis, die Ältesten seien unabhängig voneinander zu identischen Übersetzungen der alttestamentlichen Bücher gelangt. 42 Irenaeus untermauert dieses Inspirationswunder durch ein weiteres Inspirationswunder aus 4 Esra 14,37-46, die Wiederherstellung der vorexilischen hebräischen Schriften durch eine inspirierte Niederschrift. 43 Irenaeus’ Version der Übersetzungslegende findet sich in modifizierter Form auch bei Clemens von Alexandrien, der besonders an der Inspiriertheit der Übersetzung interessiert ist. 44 Tertullian hingegen folgt dem Aristeasbrief. 45

2. Die LXX-Jesaja in der Kommentartradition 46 der Patristik 2.1 Origenes (ca. 185 – ca. 253 n. Chr.) Origenes’ 47 Jesaja-Kommentar 48, der erste christliche Jesaja-Kommentar, von dem wir Kenntnis haben, ist fast gänzlich verloren. Hieronymus erwähnt im Prolog zu seinem Jesaja-Kommentar auch den Kommentar des Origenes 49; dabei erfahren wir folgende Einzelheiten: (1) Origenes hat den Jesaja-Text »entsprechend den vier Editionen« (iuxta editiones quattuor) ausgelegt, d. h. nach den vier letzten Spalten der Hexapla: Aquila, Symmachus, LXX und Theodotion. (2) Die Auslegung erfolgte bis Jes 30,6 (»Vision der vierfüßigen Tiere in der Einöde«). (3) Der Kommentar umfasste 30 Bücher (an anderer Stelle: 36). 50 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46.

47. 48.

49. 50.

Irenaeus Lugd.: Haer. III, 21,1, SC 211, 398-400. Irenaeus Lugd.: Haer. III, 21,1, SC 211, 398-400. Irenaeus Lugd.: Haer. III, 21,2-4, SC 211, 400-414. Irenaeus Lugd.: Haer. III, 21,2, SC 211, 400-406) entspricht Eusebius Caes.: Hist. V, 8,15, GCS 9/1, 448-450. Clemens Alex.: Strom. I, 11/149,3, GCS 52, 92. Tertullian: Apol. 18,5-9, CC.SL 1,118 f. Zum patristischen Kommentar vgl. Fladerer / Börner-Klein: Kommentar. Das Material ist weitgefächert und kann nicht in einem Artikel zufriedenstellend behandelt werden. Wir beschränken uns daher hier auf die Hauptvertreter der Kommentartradition. Katenenkommentare, z. B. Prokops Jesaja-Katene (CPG 7434), und Glossenkommentare, z. B. Hesychios’ »Interpretatio Isaiae« (CPG 6559), müssen daher ausgeklammert bleiben. Zur Datierung s. Vogt: Origenes, 528. Vgl. zum Jesaja-Verständnis des Origenes Jay: Jesaja, 805-806; Childs: Struggle, 62-74 (mit weiterführender Literatur); Danieli: Isaia (scritti su), 229-230. Zu Origenes’ LXX-Benutzung: Dorival: Settanta, 444-450 (mit weiterführender Literatur); zur Hexapla des Origenes: Dorival: Esapla, 138-141 (mit weiterführender Literatur) und Fernández Marcos: The Septuagint in context, 204-222 (mit weiterführender Literatur). Hieronymus: Commentarii in Esaiam 1,1,83-89, Gyson / Deproost 1, 137-138. Vgl. Gryson / Szmatula: Les commentaires patristiques sur Isaïe, 13-19. Hieronymus: Ep. 33,4,2, CSEL 54, 255,17: In Isaiam libros XXXVI. Vgl. Gryson / Szmatula:

353

gtvh 08105 / p. 354 / 31.3.2022

Propheten

(4) Buch 26 des Kommentars ist unauffindbar. Von diesem Kommentar nach den vier Editionen der Hexapla sind nur 3 Fragmente bei Pamphilus, Apologia pro Origene erhalten (vgl. CPG 1435): eines über Christus als den einzigen Sohn Gottes (vielleicht ein Kommentar zu Jes 1,2) und zwei weitere zur Auferstehung (zu Jes 26,19). 51 Gryson / Szmatula ist wahrscheinlich zuzustimmen, wenn sie Hieronymus Presb.: epist. 18B 52 auf Origenes’ Kommentar zu Jes 6,6-8 zurückführen. 53 Der Text ist ganz offensichtlich kein Brief, sondern ein Kommentarfragment, dessen Lemmata (wie Origenes’ Jesaja-Kommentar) neben der LXX auch Aquila, Theodotion und Symmachus anführen. In seinem Jesaja-Kommentar erwähnt Hieronymus außerdem 25 Homilien des Origenes zu Jesaja. 54 Von ihnen sind 9 in seiner eigenen lateinischen Übersetzung erhalten. 55 Sie lassen sich folgendermaßen dem Jesaja-Text zuordnen 56: In Hom. Jes. 1: Jes 6,1-7; 2: Jes 7,10-15; 3: Jes 4,1; 4: Jes 6,17; 5: Jes 6,1-7 und 41,2; 6: Jes 6,8-10; 7: Jes 8,18-20; 8: Jes 10,10-14; 9: Jes 6,8-9. In ihnen findet sich auch die von Hieronymus abgelehnte 57 Interpretation der zwei Seraphim aus Jes 6,1-2 als Christus und Hl. Geist. 58 Hieronymus erwähnt im Prolog zu seinem Jesaja-Kommentar außerdem »σημειώσεις, quae nos excerpta possumus appellare« 59, einen »Scholienkommentar« mit kurzen Anmerkungen zum Jesaja-Text 60, der vollständig verloren ist 61.

51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58.

59. 60. 61.

Commentaires patristiques sur Isaïe, 13: Die Stelle findet sich in 4 Handschriften, deren Archetypus bei Zahlenangaben unzuverlässig ist. Trotzdem meinen sie (13-15), die Hypothese aufstellen zu können, der Kommentar des Origenes habe bis Jes 35 oder 39 gereicht. Vgl. dazu kritisch Jay: Jesaja, 805. Vgl. Gryson / Szmatula: Commentaires patristiques sur Isaïe, 17. Der Versuch einer Zuordnung der Kapitel des Jesaja-Buches zu den Büchern des Kommentars findet sich ebd., 18 f. Hieronymus: Ep. 18 B, CSEL 54, 97-103. Gryson / Szmatula: Commentaires patristiques sur Isaïe, 19-24. Vgl. auch Nautin: Le »De seraphim« de Jerome et son appendice »Ad Damasum«, 279-281. Hieronymus: In Is., I, 1,87-88, Gryson / Deproost 1, 138. Origenes: Hom. Is., GCS 33, 242-289. Vgl. Gryson / Szmatula: Commentaires patristiques sur Isaïe, 24-25. Gryson / Szmatula: Commentaires patristiques sur Isaïe, 25-31. Hieronymus: Ep. 18A,4, CSEL 54, 77-79. Vgl. Gryson / Szmatula: Commentaires patristiques sur Isaïe, 31-33 zum »Tractatus contra Origenem de visione Isaiae«, einer von Hieronymus übersetzten scharfen Kritik des Theophilus Alexandrinus an Origenes: Hom. Jes. 1,2. Hieronymus: In Is. I, 1,88-90, Gryson / Deproost 1, 138. Vgl. auch Hieronymus: Ep. 33,4,2, CSEL 54,255,18: In Isaiam excerpta. Fuhrer: Scholion, 623. Die CPG 1436 unter dem Titel »In Isaiam excerpta« angeführten beiden Katenenfragmente zu Jes 39,7 und Jes 66,1 stammen nicht notwendigerweise aus Origenes’ Scholienkommentar. Die Katenisten können sie aus jedem beliebigen (verlorenen) Werk des Origenes übernommen haben; Gryson / Szmatula: Commentaires patristiques sur Isaïe, 33.

354

gtvh 08105 / p. 355 / 31.3.2022

Jesaja

2.2 Eusebius von Cäsarea (* vor 265, † 339/340 n. Chr.) Drei Werke des Eusebius 62 enthalten den größten Teil seines Jesaja-Verständnisses: 1. Die Eclogae propheticae = Generalis elementaria introductio 6-9 (CPG 3475) wurden während der diokletianischen Christenverfolgung geschrieben mit der katechetischen Intention, eine Einleitung in die christliche Glaubenslehre zu bieten. Sie enthalten eine kommentierte Sammlung messianischer Prophetien aus dem AT. Das 4. Buch (Generalis elementaria introductio 9) ist Jesaja gewidmet. 63 2. Die Demonstratio evangelica (CPG 3487) wurde kurz nach dem sog. »Edikt von Mailand« abgefasst mit der apologetischen Zielsetzung, die christliche Lehre aus alttestamentlichen Prophetien zu beweisen. Während die Eclogae eher dem biblischen Text folgen, ist die Demonstratio thematisch aufgebaut. 64 3. Die Commentarii in Isaiam (CPG 3468), die Eusebius nicht lange nach der Niederlage des Licinius abgefasst hat 65, umfassten nach Hieronymus 15 66 bzw. 16 67 Bücher und waren bis vor nicht allzu langer Zeit nur in einer unzuverlässigen Katenenausgabe (PG 24,89-526) zugänglich. Bei Forschungen im Zusammenhang mit der Edition des Jesaja-Buches für die Göttinger Septuaginta-Ausgabe hat August Möhle den fast vollständigen Text des Kommentars am Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt 68; er wurde erst 1975 von Ziegler kritisch herausgegeben 69. Für Eusebius’ Rezeption der LXX-Jesaja ist vor allem auf Michael J. Hollerichs Studie zum Jesaja-Kommentar zu verweisen. 70 Eusebius war in seiner Jugend Mitarbeiter des Pamphilus in Cäsarea, an dessen Emendations- und Editionstätigkeit am LXX-Text auf der Grundlage der Handschriften und der Hexapla/Tetrapla des Origenes er sich beteiligte. 71 Man darf bei ihm daher eine gute Kenntnis antiker Philologie und insbesondere Textkritik voraussetzen. Der von Eusebius im Kommentar benutzte Bibeltext gehört zur hexaplarischen Rezension der LXX. 72 Das dominante Thema des Kommentars ist die »gottesfürchtige Ordnung« (θεοσεβὲς πολίτευμα), die er nach 325 in einer christlichen Kirche, deren Mitglieder das römische Reich regieren, verwirklicht sieht, die aber bereits von den Propheten vorhergesehen wurde und sich erst im Eschaton vollendet: 73 Was Jesaja vorhergesagt hat, kann jetzt mit eigenen Augen gesehen werden. 74 Der Kommentar bietet also bibeltheologische Unterstützung für Zur Datierung s. Ulrich: Eusebius von Cäsarea, 240-241. Hollerich: Eusebius of Caesarea’s commentary on Isaiah, 57-61. Hollerich: Eusebius of Caesarea’s commentary on Isaiah, 57-61. Hollerich: Eusebius of Caesarea’s commentary on Isaiah, 57. Hieronymus: In Is. I, 1,89-90, Gryson / Deproost 1, 138. Hieronymus: Vir. ill. 81, TU 14, 43,11. Möhle: Der Jesajakommentar des Eusebios von Kaisareia, 87-89. Eusebius Caes.: In Is., GCS 60, 9. Hollerich: Eusebius of Caesarea’s commentary on Isaiah. Hollerich: Eusebius of Caesarea’s commentary on Isaiah, 6; Moreau: Eusebius von Caesarea, 1054-1055. 72. Hollerich: Eusebius of Caesarea’s commentary on Isaiah, 18. 73. Hollerich: Eusebius of Caesarea’s commentary on Isaiah, 26-33. 74. Hollerich: Eusebius of Caesarea’s commentary on Isaiah, 32 mit Bezug auf Eusebius Caes.: In Is. 15,10.

62. 63. 64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71.

355

gtvh 08105 / p. 356 / 31.3.2022

Propheten

eine nach 325 relevante kirchliche Gruppenidentität. 75 Während Justin im Umgang mit dem LXX-Text eher von der Eindeutigkeit der prophetischen Aussage ausgeht, hebt Eusebius auf die Notwendigkeit der (auch historisch-literalen) Interpretation ab. 76 Eusebius’ wertvollste Quelle für die literale Bedeutung des Jesaja-Textes und die textkritische Arbeit an ihm war die Hexapla des Origenes. 77 Hollerich geht allerdings davon aus, dass Eusebius die sog. »Tetrapla« benutzte (Aquila, Symmachus, Theodotion, LXX), erweitert um den ins Griechische transkribierten hebräischen Text. 78 Eusebius betrachtete die LXX als den traditionellen alttestamentlichen Standard-Text der Kirche, den er aus philologischen und apologetischen Gründen um die Tetrapla ergänzte, weil das hebräische Original auf verschiedene Weise in Griechisch wiedergegeben werden kann und weil die Kenntnis griechischer Übersetzungen des AT jüdischen Ursprungs in der Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Judentum nützlich gewesen ist. 79 Im Jesaja-Kommentar lassen sich folgende Anlässe für den Rückgriff auf griechische Übersetzungen feststellen, die nicht zur LXX gehören 80: 1. Der LXX-Text ist unverständlich (»dunkel«). 2. Origenes hat den LXX-Text mit einem Asterisk versehen, um ihn als korrigierenden Zusatz zur traditionellen LXX auszuweisen. 3. Der Text der LXX ist zwar nicht »dunkel«, aber schwierig zu interpretieren (z. B. aufgrund eines Widerspruchs zwischen Prophetie und Historie). 4. Apologetische Motive lassen diese Übersetzungen vorteilhafter erscheinen. De facto hat Eusebius nach Hollerich die Übersetzungen des Symmachus, Aquila und Theodotion als der LXX ebenbürtige und bisweilen bessere Zeugen für einen zeitlich früheren und autoritativ überlegenen Text angesehen, das hebräische Original, und bereitet darin Hieronymus’ entschiedene Zuwendung zum Originaltext vor. 81

2.3 Basilius von Cäsarea (329/330 – 378 n. Chr.) Auch im Fall von Basilius’ Jesaja-Kommentar 82 sind wir in der glücklichen Situation, auf eine gründliche Studie verweisen zu können, die Enrico Cattaneo 2014 vorgelegt hat. 83 Die Basilius zugeschriebenen Enarrationes in Prophetam Isaiam (CPG 2911) sind, soweit bis heute bekannt ist, in der direkten Überlieferung bis zum 12. Jh. in 62 Handschriften erhalten, was ihre weite Verbreitung wahrscheinlich macht. Sie werden 75. 76. 77. 78.

79. 80. 81.

82. 83.

Hollerich: Eusebius of Caesarea’s commentary on Isaiah, 33. Hollerich: Eusebius of Caesarea’s commentary on Isaiah, 44-46 (mit Beispielen). Hollerich: Eusebius of Caesarea’s commentary on Isaiah, 74 f. Hollerich: Eusebius of Caesarea’s commentary on Isaiah, 75 f. Vgl. auch Barthélemy: Eusèbe, la Septante, et »les autres«, 51-65. Zur »Tetrapla« vgl.: Hollerich: Eusebius of Caesarea’s commentary on Isaiah, 207; Munnich: La texte de la Septante, hier: 164. Hollerich: Eusebius of Caesarea’s commentary on Isaiah, 77. Hollerich: Eusebius of Caesarea’s commentary on Isaiah, 77-78. Hollerich: Eusebius of Caesarea’s commentary on Isaiah, 86. Hollerich folgt allerdings (Anm. 81) nicht Barthélemys gewagter These, Eusebius habe in den nicht der LXX angehörenden griechischen Übersetzungen grundsätzlich die providentielle Enthüllung der wahren Bedeutung der hebräischen Bibel gesehen. Vgl. zur Datierung Pauli: Basilius von Caesarea, 114-115. Cattaneo: Commento, 2014.

356

gtvh 08105 / p. 357 / 31.3.2022

Jesaja

in allen Handschriften Basilius von Cäsarea zugeschrieben mit Ausnahme des Parisinus gr. 2463 (16. Jh.), der Eusebius als ihren Autor ansieht. Keine Handschrift geht über Jes 16,14 hinaus. 84 Außerdem finden sich zahlreiche Fragmente in griechischen Handschriften und in drei Jesaja-Katenen (Prokop von Gaza [465-528 n. Chr.], Johannes Drungarius [7.–8. Jh.] und Nicolaus Muzalon [12. Jh.]) sowie in weiteren Katenen zu Büchern des Alten und Neuen Testamentes. 85 Seit dem Beginn der Neuzeit wurde die basilianische Verfasserschaft des Kommentars bestritten, bis Anfang des 20. Jh. im Gefolge von Studien Joseph Wittigs langsam ein Umdenken einsetzte. Nach den Forschungen von R. Loonbeek (1955), N. Lipatov (1993) und vor allem E. Cattaneo (2014) scheint sich die Auffassung durchzusetzen, dass Basilius von Cäsarea der Autor des Kommentars ist. 86 Der Kommentar beruht vor allem auf der selektiven und überarbeitenden Rezeption von Materialien aus Origenes’ verlorenem Jesaja-Kommentar (»Origene basilianizzato«). 87 Basilius folgt gewöhnlich in seinem Kommentar der hexaplarischen Rezension der LXX, ergänzt um einige sonst bezeugte Lesarten. 88 Häufig bezieht er sich auch auf Aquila, Symmachus und Theodotion; Cattaneo setzt voraus dass diese Bezugnahmen aus Origenes’ verlorenem Jesaja-Kommentar stammen. 89

2.4 Hieronymus (ca. 347-419) Hieronymus 90 stuft Jesaja als Apostel und Evangelisten ein. 91 Daher nimmt es nicht wunder, dass er im Jesaja-Buch Prophetien aller Geheimnisse des Glaubens ausgedrückt sieht, vor allem solche der Ankunft Christi und der Kirche. 92 Die von Hieronymus verfassten Commentarii in Isaiam sind sein »exegetisches Hauptwerk«. 93 Ihm gehen voran als Werke über das Jesaja-Buch nicht nur die in Konstantinopel verfasste Übersetzung der Jesaja-Homilien des Origenes 94, das älteste Zeugnis über Hieronymus’ Interesse für Jesaja (ca. 380/381 n. Chr.) 95, sondern auch die kurz nach der Übersetzung entstandene epist. 18A (CSEL 54,73-96) »De Seraphim« an den römischen Bischof Damasus, ein »brevis subitusque tractatus« 96 zu Jes 6,1-9, der sich von Origenes’

84. 85. 86. 87.

88. 89.

90. 91. 92. 93. 94. 95. 96.

Cattaneo: Commento, 23. Cattaneo: Commento, 24-27. Vgl. die Übersicht über die Diskussion bei Cattaneo: Commento, 37-55 und bes. 61-79. Cattaneo: Commento, 514-516. Der Kommentarprolog enthält interessante offenbarungstheologische und hermeneutische Hinweise (147-184); vgl. auch Skeb: Exegese und Lebensform, 279-363. Cattaneo: Commento, 221. Cattaneo: Commento, 222-228. Die Idee ist nicht völlig neu; vgl. Simonetti: Sulle fonti del Commento a Isaia di Girolamo: Hieronymus und Basilius haben eine gemeinsame Quelle, Origenes. Zur Datierung s. Fürst: Hieronymus, 323-324. Hieronymus: In Is. prol., 17-19, Gryson / Deproost 1, 134. Childs: Struggle, 92. Jay: Jesaja, 810 mit weiterführender Literatur. Childs: Struggle, 809. Vgl. dazu die ausführliche Studie: Jay: L’exégèse de Saint Jérôme. S. o. S. 353-354. Fürst: Hieronymus, 325. Hieronymus: In Is. III, 3,8-9 (6,1c), Gryson / Deproost 1,309.

357

gtvh 08105 / p. 358 / 31.3.2022

Propheten

Deutung der Seraphim in Jes 6 distanziert. 97 Epist. 18 B (CSEL 54,97-103) zu Jes 6,6-8 ist eine Zusammenfassung von Origenes’ Jesaja-Kommentar (!) zur Stelle. 98 Die »In Esaia parvula adbreviatio de capitulis paucis« (CPL 585) ist eine Homilie zu Jes 6,1-6 für Mönche in Bethlehem. 99 Außerdem besitzen wir zu Jesaja den von Hieronymus übersetzten Tractatus contra Origenem de visione Isaiae, eine Kritik an Origenes, In Isaiam homiliae 1,2 (die zwei Seraphim als Christus und der Hl. Geist). 100 Hieronymus hat die 18 Bücher der Commentarii in Isaiam zwischen 408 und 410 verfasst, die inzwischen in einer modernen editorischen Ansprüchen genügenden Neuedition von R. Gryson und P. A. Deproost vorliegen. 101 Buch 5 des Werkes ist eine bereits 397 entstandene und Bischof Amabilis gewidmete literale Exegese (iuxta historiam) von Jes 13-23 (Verkündigung über die Völkerschaften); ihr folgt in den Büchern 6 und 7 die entsprechende geistliche Auslegung. 102 Hieronymus erklärt, in der Jesaja-Kommentierung 5 Vorgänger zu haben: 103 Victorin von Pettau, Origenes, Eusebius, Didymus von Alexandrien und Apollinaris von Laodicea, wobei sich in Ermangelung überlieferter Quellen nur im Fall von Eusebius genaue Abhängigkeiten herausarbeiten lassen. Hieronymus benutzt vier hermeneutische Schlüssel, von denen die beiden ersten von Eusebius stammen: 104 Das Jesaja-Buch verweist 1. auf den Sieg der Kirche über die heidnische Religion, 2. auf die Ersetzung der Juden durch die Christen als Empfänger der göttlichen Verheißungen, 3. auf den Konflikt zwischen der Kirche und den Häresien, 4. auf die Beziehung zwischen Christus und der menschlichen Seele. Hieronymus 105 beginnt entsprechend seiner programmatischen Betonung der hebraica veritas die Lemmata seines Kommentars im Allgemeinen mit einer eigenen lateinischen Übersetzung des hebräischen Originaltextes. Bisweilen zieht Hieronymus Einzelformulierungen (meistens in griechisch) aus Aquila, Symmachus und Theodotion heran, deren Texte er offensichtlich vor Augen hatte, um im Dienste der hebraica veritas seine Übersetzung des hebräischen Originaltextes zu rechtfertigen. Als besonders zuverlässig gilt ihm die Übersetzung des Symmachus. Meistens jedoch (wenn auch längst nicht durchgängig) setzt sich Hieronymus mit einzelnen Worten oder (Halb-) Versen der LXX auseinander, deren Funktion sich allerdings nicht mehr nur auf die 97. Jay: Jesaja, 810; Jay: Exégèse de Saint Jérôme, 63-64; Gryson / Szmatula: Commentaires patristiques sur Isaïe, 8-10. 98. Gryson / Szmatula: Commentaires patristiques sur Isaïe, 10 kritisch zu Nautin: Le »De seraphim« de Jerome; Jay: Jesaja, 810; Jay: Exégèse de Saint Jérôme, 63-64. 99. Gryson / Szmatula: Commentaires patristiques sur Isaïe, 11-12 (Der Text enthält keine Hinweise auf den Gebrauch der LXX oder anderer hexaplarischer Übersetzungen.). 100. Jay: Jesaja, 805-806. 101. S. »1.1. Textausgaben und Übersetzungen«. Sie ersetzt die überholte Ausgabe von Marcus Adriaen, CC.SL 73 + 73A; vgl. CPL 584. 102. Jay: Exégèse de Saint Jérôme, 64-65. 103. Hieronymus: In Is. I, 80-98, Gryson / Deproost 1,137 f. 104. Gryson / Szmatula: Commentaires patristiques sur Isaïe, 7-8. 105. Hieronymus’ LXX-Benutzung im Jesaja-Kommentar ist gut erforscht: vgl. Jay: Exégèse de Saint Jérôme 102-126, auf den wir für unsere Angaben pauschal verweisen. Vgl. auch Gryson: Introduction, 47-58.

358

gtvh 08105 / p. 359 / 31.3.2022

Jesaja

Stützung der hebraica veritas beschränkt. Dabei unterscheidet er die LXX in ihrer hexaplarischen Rezension (»palästinische Handschriften«), die ihm einen zuverlässigen Text bietet, eine editio vulgata (κοινὴ), die verderbt ist und der antiochenischen (»lukianischen«) Rezension entspricht, und eine hesychianische bzw. alexandrinische Rezension. Dementsprechend bietet er ihren Text (wie den der hebräischen Bibel) in einer eigenen Übersetzung (und nicht in der Version der sog. »Vetus Latina«) und begründet ihre Abweichungen vom hebräischen Jesaja-Text. In dieser Weise stellt sich Hieronymus in die kirchliche Tradition, ohne sich davon beschränken zu lassen.

2.5 Johannes Chrysostomus (349-407 n. Chr.) Während der Jesaja-Kommentar des Theodor von Mopsuestia bis auf zwei Katenenfragmente (vgl. CPG 3838) vollständig verloren ist, besitzen wir von Johannes Chrysostomus in Griechisch einen zusammenhängenden Kommentar bis Jes 8,10 (CPG 4416). 106 Dass der Kommentar nur bis Jes 8,10 überliefert ist, ist der Tatsache zu verdanken, dass die Kopisten des Marcianus gr. 87 und des Ottobonianus gr. 7 die ab 8,11 in der Vorlage einsetzende Kurzschrift (διὰ σημείων) nicht zu entschlüsseln vermochten. Johannes Chrysostomus hat also das Jesaja-Buch über 8,10 hinaus eingehend kommentiert, allerdings ohne das auf mündlichem Vortrag beruhende Stenogramm überarbeitet zu haben. 107 Der wohl vor 377 verfasste Kommentar 108 ist nach Dumortier 109 »un travail préparatoire à la prédication pastorale«. Als Schüler des Diodor von Tarsus achtet der Verfasser besonders auf den literalen Sinn der Bibeltexte. Der von ihm benutzte LXX-Text ist eine antiochenische (»lukianische«) Rezension. 110

2.6 Cyrill von Alexandria († 444 n. Chr.) Cyrill 111 fügt sich in der Benutzung der exegetischen Terminologie (σκοπὸς, ἱστορία, μυστήριον, θεωρία) in die Tradition der alexandrinischen Kirche ein, setzt aber zugleich besondere Akzente. 112 Was als geistlicher oder literaler Sinn eines Textes zu betrachten ist, hängt nicht von der Intention des göttlichen oder menschlichen Autors ab, sondern vom Gegenstand: Menschliches (d. h. menschliche Eigenschaften oder Tä106. Iohannes Chrys.: In Is., SC 304. 107. Dumortier: Introduction, 11-12. Wir besitzen eine altarmenische Übersetzung des Kommentars in verschiedenen Handschriften von Jes 2,2 bis 54,17 (mit einer Lücke von Kapitel 21 bis 30), die bis Jes 8,10 dem griechischen Text folgt und danach offensichtlich auf dem nicht mehr von Johannes Chrysostomus redigierten Text in Kurzschrift beruht; Dumortier: Introduction, 12-14. 108. Dumortier: Introduction, 15. 109. Dumortier: Introduction, 11. 110. Dumortier: Introduction, 15 mit Anm. 6; vgl. Fernández Marcos: Is there an Antiochene reading of Isaiah?. 111. Zur Person und Datierung vgl. Münch-Labacher: Cyrill von Alexandrien, 174 f. 112. Cyrillus Alex.: Glaph. Pent. 6, PG 69, 308 C. Siehe auch Kerrigan: Cyril interpreter, 35-240; de Margerie: Histoire de l’exégèse, 242-243. Als eigentlicher Erbe des Origenes in der JesajaKommentierung muss Hieronymus angesehen werden (vgl. Guinot: L’héritage origénien des commentateurs grecs du prophète Isaïe).

359

gtvh 08105 / p. 360 / 31.3.2022

Propheten

tigkeiten) gehört zum literalen Sinn, Göttliches (d. h. göttliche Lehren und Geheimnisse) zum geistlichen Sinn. 113 Dementsprechend unterscheidet er auch in seinem Jesaja-Kommentar einen doppelten (literalen und geistlichen) σκοπὸς der Heiligen Schrift. 114 Der geistliche Sinn ist immer auf das Geheimnis Christi bezogen: »Es ist das Ziel der göttlich inspirierten Schrift, uns das Geheimnis Christi durch eine fast unendliche Anzahl von Themen anzuzeigen.«. 115 Die christozentrische Ausrichtung der Exegese wird im Jesaja-Kommentar des Cyrill (Commentarius in Isaiam prophetam) bereits im Proöm sichtbar 116: Weil Christus im göttlichen Heilsplan die Erfüllung von Gesetz und Propheten ist (vgl. Röm. 10,4), darum ist offenbarungstheologisch das Prophetenwort dunkel, voller verborgener Gedanken und göttlicher Geheimnisse; die alttestamentliche Offenbarung in Gesetz und Propheten enthält nach ihrem eigenen Zeugnis eine Finalisierung ihrer Inhalte auf Christus hin, so dass sie einen verborgene soteriologischen Sinn haben. Der Erfüllungsgedanke, der im Wort τέλος liegt, legt im griechischen Originaltext nahe, dass diesem Sinn ein typologisches Verständnis zugrunde liegt. Eine vollständige und nutzbringende Erfassung des Textes bedarf der Berücksichtigung des historischen Details und des pneumatischen Sinns. Obwohl Kerrigan Cyrill »little flair for textual criticism« bescheinigt 117, ist der vollständige Jesaja-Kommentar ein »wichtiger Zeuge« für den alexandrinischen Text der LXX 118, auch wenn in Ermangelung einer kritischen Edition die Ergebnisse nur vorläufigen Charakter haben. Immerhin konnte Ziegler durch einen Vergleich der Ausgabe von Aubert (= PG 70) mit Handschrift 384 (Florenz, Biblioteca Laurenziana, 12. Jh.) zeigen, dass die Lemmata des Kommentars der hexaplarischen und antiochenischen (»lukianischen«) Rezension der LXX folgen, während der von Cyrill in den eigentlichen Erklärungen zitierte und benutzte Jesaja-Text der alexandrinischen Überlieferung folgt. (Codex Alexandrinus und verwandte Minuskeln). 119 Hexaplarische Lesarten berücksichtigt Cyrill selbst nur an 4 Stellen. 120

2.7 Theodoret von Cyrus (ca. 393 – ca. 466) Die um 444 n. Chr. 121 von Theodoret von Cyrus 122 verfasste Interpretatio in Isaiam 123 ist der letzte erhaltene Großkommentar (ὑπόμνημα, commentarius) der Patristik zu 113. de Margerie: Histoire de l’exégèse, 243; Kerrigan: The objects of the literal and spiritual senses. Einen kurzen Überblick über Cyrills Jesaja-Exegese bietet Childs: Struggle, 110-129. 114. Cyrillus Alex.: In Is. praef., PG 70, 12 A8 – 13 B7. Siehe dazu auch Skeb: Exegese und Lebensform, 332. 115. Cyrillus Alex. Glaph. 6, PG 69, 308 C. Siehe auch de Margerie: Histoire de l’exégèse, 244 f. und de Margerie: L’exégèse christologique. 116. Cyrillus Alex.: In Is. praef., PG 70, 9 A1-12. Vgl. dazu Skeb: Exegese und Lebensform, 305-306. 117. Kerrigan: Cyril interpreter, 253. 118. Ziegler: Untersuchungen, 30. 119. Ziegler: Untersuchungen, 30 f. mit 21 f. Vgl. auch Kerrigan: Cyril interpreter, 250 f. 120. Kerrigan: Cyril interpreter, 253. 121. Guinot: Exégèse de Théodoret, 63. Guinots Buch stellt die maßgebliche Studie zur Exegese des Theodoret dar; vgl auch zusammenfassend Childs: Struggle, 139-146. 122. Zur Datierung: Böhm: Theodoret von Cyrus, 683-685. 123. Theodoretus Cyrrh.: In Is., Möhle.

360

gtvh 08105 / p. 361 / 31.3.2022

Jesaja

Jesaja. Der Kommentar spiegelt inhaltlich die christologischen Auseinandersetzungen am Anfang des 5. Jh. wider. 124 Gegen Nestorius verteidigt er den dyophysitischen christologischen Ansatz der Antiochener, indem er in Christus auf der unvermischten Einheit von zwei Naturen (göttlicher und menschlicher) besteht. Wo es ihm angemessen erscheint, benutzt Theodoret die Jesaja-Exegese zur Verteidigung dieses Dyophysitismus. Methodisch ist bei ihm ein ausgeprägtes Interesse an der literalen und »historischen« Bedeutung des Textes zu erkennen (κατὰ τὸ ῥητόν); außerdem kennt er einen »übertragenen« (τροπικῶς) christologischen Sinn, d. h. eine metaphorische (κατὰ διάνοιαν) bzw. eine davon oft nur schwer zu unterscheidende typologische Bedeutungsebene. 125 Theodoret ist der Hauptzeuge im patristischen Schrifttum für die antiochenische (»lukianische«) Rezension des LXX-Textes des Jesaja-Buches, die seiner Exegese zugrunde liegt und die er als offiziellen Bibeltext betrachtet. 126 Wo Theodoret den »alten Septuaginta-Text« bietet, liegen nach Ziegler teils nachträgliche Korrekturen aus dem 14. Jh. vor, teils Übernahmen durch Theodoret selbst. 127 Sein Bemühen um einen textkritisch abgesicherten Jesaja-Text führt ihn zur Berücksichtigung und Diskussion von Varianten. Dabei bezieht er sich nicht nur auf die in der ihm vorliegenden Bibelhandschrift vorhandenen textkritischen Zeichen (Asterisken zu Jes 2,22; 25,5; 41,3; 51,14; 59,18), er vergleicht auch selbständig den hebräischen Originaltext (Jes 8,8.21; 9,5; 23,1; 42,1; 45,4; 60,8), den hexaplarischen LXX-Text (Jes 45,4; 60,8; 63,11), Aquila, Symmachus und Theodotion 128, sowie eine weitere griechische Übersetzung (Jes 23,13; 30,33), genannt ὁ Σύρος; außerdem erwähnt er an 9 Stellen Lesarten weiterer (uns unbekannter) Handschriften. 129 Erst die Hexapla des Origenes machte dem Antiochener Theodoret ausführliche textkritische Arbeit am Bibeltext möglich.

124. Guinot: Exégèse de Théodoret, 563-629. 125. Guinot: Exégèse de Théodoret, 449-464. Zur antiochenischen Exegese vgl. grundlegend Schäublin: Untersuchungen, sowie (etwas vereinfachend) Hill: Reading the Old Testament in Antioch. 126. Ziegler: Untersuchungen, 80. 127. Ziegler: Untersuchungen, 80-81. 128. Möhle: Einleitung, XXIV mit einer Zusammenstellung der Belegstellen. 129. S. zur Textkritik Theodorets: Möhle: Einleitung, XXIII-XXIV, und Guinot: Exégèse de Théodoret, 174-190.

361

gtvh 08105 / p. 362 / 31.3.2022

2.2.4.3 Jeremia Martin Meiser Literatur Editionen und Übersetzungen Adamantius: De recta in Deum fide, ed. Willem Hendrik van de Sande Bakhuyzen, GCS 4, Leipzig 1901 – Ambrosiaster: Commentarius in Epistulam ad Romanos, ed. Heinrich Joseph Vogels, CSEL 81/1, Wien 1966 – Ambrosiaster: Quaestiones veteris et novi testamenti, ed. Alexander Souter, CSEL 50, Wien / Leipzig 1908, 1-416 – Athanasius: Orationes I et II contra Arianos, ed. Karin Metzler u. a., SC 599, Paris 2019 – Augustinus: Contra Faustum Manichaeum, ed. Joseph Zycha, CSEL 25/1, Prag / Wien / Leipzig 1891 – Augustinus: De civitate Dei, ed. Emanuel Hoffmann, CSEL 40/1-2, Prag / Wien / Leipzig 1899-1900 – Clemens Alex.: Protrepticus, ed. Otto Stählin, GCS 12, Leipzig 1905, 1-86 – Clemens Alex.: Stromata I–VI, ed. Otto Stählin / Ludwig Früchtel, 4. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 52, Berlin 1985 – Cyprian: Testimoniorum libri tres ad Quirinum, ed. Robert Weber, CC.SL 3, Turnhout 1972, 3-179 – Epiphanius: Ancoratus, ed. Karl Holl, GCS 25, Lepizig 1915, 1-149 – Epiphanius: Panarion Haer. 1-33, ed. Karl Holl, GCS 25, Lepizig 1915, 151-464 – Eusebius Caes.: Demonstratio Evangelica, ed. Ivar A. Heikel, GCS 23, Leipzig 1913 – Eusebius Caes.: Praeparatio Evangelica, ed. Karl Mras, GCS 43/1, Berlin 1954 – Firmicus Maternus: De Errore profanarum religionum libellus, ed. Conrad Bursian, Leipzig 1856 – (Ps.-) Gregor Nyss., Testimonia adversus Iudaeos, PG 46, 193 A234 B – Hieronymus: in Hieremiam Libri VI, ed. Siegfried Reiter, CC.SL 74, Turnhout 1960 – Hilarius Pict.: Tractatus super Psalmos, ed. Anton Zingerle, CSEL 22, Prag / Wien / Leipzig 1891 – Hilarius Pict.: De trinitate libri I-VII, ed. Pieter Smulders, CC.SL 62, Turnhout 1979 – Irenaeus Lugd.: Adversus haereses 3, ed. et trad. Adelin Rousseau / Louis Doutreleau, SC 211, Paris 1974, Adversus haereses 4, ed. et trad. Adelin Rousseau / Louis Doutreleau / Charles Mercier, SC 100, Paris 1965, Adversus haereses 5, ed. et trad. Adelin Rousseau Bertrand Hemkmerdinger / Louis Doutreleau / Charles Mercier, SC 153, Paris 1969 – Irenaeus Lugd.: Demonstratio, ed et trad. Adelin Rousseau, SC 406, Paris 1995 – Johannes Chrys.: Homilia in locum illud Isaiae: Ego Dominus Deus feci lumen, etc., PG 56, 141 – 152 – Johannes Chrys.: Homiliae XC in Matthaeum, PG 57, 14 – 472 – Johannes Chrys.: Homiliae XII in Epistolam ad Colossenses, PG 62, 299 – 392 – Justinus Martyr: Dialogus cum Tryphone, ed. Miroslav Marcovich, PTS 47, Berlin 1997 – Justinus Martyr: Dialogue avec Tryphon. Édition critique, ed. Philippe Bobichon, Paradosis 47/1-2, Fribourg 2003 – Lactantius: Divinae Institutiones et Epitome Divinarum Institutionum, ed. Samuel Brandt / Georg Laubmann, CSEL 19/1, Prag / Wien / Leipzig 1890 – Olympiodor: Fragmenta in Jeremiam, PG 93, 627 D-726 A – Origenes: Commentarii in Matthaeum, Bd. 1: Die griechisch erhaltenen Tomoi, ed. Erich Klostermann, GCS 40, Leipzig 1935 – Origenes: Commentarium in Canticum Canticorum, ed. Wilhelm Adolf Baehrens, GCS 33, Leipzig 1925, 61-241 – Origenes: Die Homilien zum Buch Jeremia, ed. Alfons Fürst / Horacio E. Lona, OW 11, Berlin 2018 – Origenes: Homiliae in Leviticum, ed. Willem Adolf Baehrens, GCS 29, Leipzig 1920, 280-507 – (Ps.?)-Polychronios: Fragmenta in Jeremiam, PG 64, 740 B-1037 A – Tertullian: Adversus Iudaeos, ed. Aemilius Kroymann, CC.SL 2, Turnhout 1954, 1337-1396 – Tertullian: Adversus Marcionem, ed. Aemilius Kroymann, CC.SL 1, Turnhout 1954, 437-726 – Theodoret: In divini Jeremiae prophetiam interpretatio, PG 81, 495 A-760 B.

362

gtvh 08105 / p. 363 / 31.3.2022

Jeremia

Weitere Literatur Bloch, René: Philo and Jeremiah: A Mysterious Passage in De Cherubim, in: Hindy Najman / Konrad Schmid (ed.), Jeremiah’s Scriptures: Production, Reception, Interaction, and TransformationBrill. Leiden / Boston 2015, 431-442 – Dassmann, Ernst: Art. Jeremia, RAC 17 (1996), 543631 – Fischer, Georg et al.: Art. Jeremiah (Book and person), EBR 13 (2016), 908-948 – Frey, Jörg: The Reception of Jeremiah and the Impact of Jeremianic Tradition in the New Testament: A Survey, in: Hindy Najman / Konrad Schmid (ed.), Jeremiah’s Scriptures. Production, Reception, Interaction, and Transformation, JSJ.S 173, Leiden / Boston 2017, 499-522 – Herzer, Jens: Die Paralipomena Jeremiae. Studien zur Traditio und Redaktion einer Haggada des frühen Judentums, TSAJ 43, Tübingen 1994 – Karrer, Martin: Der Brief an die Hebräer, Kapitel 5,1113,25, ÖTK 20/2, Gütersloh 2008 – Knowles, Michael: Jeremiah in Matthew’s Gospel. The Rejected Prophet Motif in Matthean Reaction, London etc. 1993 – Kraus, Wolfgang: Die Rezeption von Jer 38,31-34 (LXX) in Hebräer 8-10 und dessen Funktion in der Argumentation des Hebräerbriefes, in: Johann Cook / Hermann-Josef Stipp (ed.), Text-Critical and Hermeneutical Studies in the Septuagint, VT.S 157, Leiden 2012, 447-462 – Meiser, Martin: Prophecy and Pseudo-Prophecy: Biblical texts, rewritten Bible and ancient exegetical literature, in: Pekka Lindquist / Sven Grebenstein (ed.), Take Another Scroll and Write. Studies in the Interpretive Afterlife of Prophets and Prophecy in Judaism, Christianity and Islam, Studies in the Reception History of the Bible 6, Turku/Indiana 2016, 201-231 – Pollner, Manfred: Die Vetus-LatinaFragmente im Jeremiabuch. Untersuchungen zur Textgestalt und deren Lesartendifferenzen gegenüber LXX und MT unter Berücksichtigung inhaltlich-theologischer Bearbeitungsstufen, DSI 10, Göttingen 2018 – Schaller, Berndt: Die griechische Fassung der Paralipomena Jeremiou: Originalext oder Übersetzungstext, in: ders., Fundamenta Judaica, ed. Lutz Doering / Annette Steudel, StUNT 25, Göttingen 2001, 67-103 – Schaller, Berndt: Paralipomena Jeremiou, JSHRZ I 8, Gütersloh 1998 – Schenker, Adrian: Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten. Jer 31 in der hebräischen und griechischen Bibel, von der Textgeschichte zu Theologie, Synagoge und Kirche, FRLANT 212, Göttingen 2006 – Schulz-Flügel, Eva: Hieronymus – Gottes Wort: Septuaginta oder Hebraica Veritas, in: Wolfgang Kraus / Siegfried Kreuzer (ed.): Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 746-758 – Schwemer, Anna Maria: Studien zu den frühjüdischen Prophetenlegenden Vitae Prophetarum I, TSAJ 49, Tübingen 1995 – Siegert, Folker: Einleitung in die hellenistisch-jüdische Literatur. Apokrypha, Pseudepigrapha und Fragmente verlorener Autorenwerke, Berlin/Boston 2016 – Skarsaune, Oskar: Proof from Prophecy. A Study in Justin Martyr’s Proof-Text Tradition: Text-Type, Provenance, Theological Profile, NT.S 56, Leiden 1987 – Stipp, Hermann-Josef: Gottesbildfragen in den Lesartendifferenzen zwischen dem masoretischen und dem alexandrinischen Text des Jeremiabuches, in: Johann Cook / Hermann-Josef Stipp (ed.): Text-Critical and Hermeneutical Studies in the Septuagint, VT.S 157, Leiden / Boston 2012, 237-274 – Wolff, Christian: Jeremia im Frühjudentum und Urchristentum, TU 118, Berlin 1976.

Die Rezeption des Jeremiabuches im antiken Judentum und Christentum insgesamt ist durch die Arbeiten von Christian Wolff, Ernst Dassmann und Georg Fischer et al. gut erschlossen. Bei Eupolemos 1 sind aufgrund der Kürze seines Jeremia-Referates LXX-spezifische Details nicht zu erwarten; wichtig ist er als früher Zeuge der Legende, Jeremia habe die Bundeslade und die Tafeln in ihr in Verwahrung genommen. 2 Für Philon von 1. 2.

Bei Eusebius Caes.: Praep. Ev. IX, 39,2-5, GCS 43/1, 548. Vgl. 2Makk 2,4-8; VitProph. 2,9-14; vgl. ParJer 3,7(9): Jeremia vergräbt die Tempelgeräte. Zu diesen Motiven, die über das im kanonisch gewordenen Jeremiabuch hinausgehen, vgl. insgesamt Wolff: Jeremia, 61-98.

363

gtvh 08105 / p. 364 / 31.3.2022

Propheten

Alexandria, der insgesamt wenig Interesse an den Propheten zeigt, ist Jeremia »der Führer des prophetischen Chors« 3, der gottbegeisterte Hierophant. 4 Jer 3,4LXX dient dem Alexandriner ad vocem οἶκος (»Haus«) dazu, Gott als unkörperliche Stätte unkörperlicher Ideen zu bezeichnen, der in dem Menschen die sich stets gleichbleibende Idee der Jungfräulichkeit, d. h. der Tugend eingepflanzt habe 5, Jer 15,10 in leicht variierter Fassung 6 zur Feststellung, dass auch die friedfertigen Menschen kein untätiges und unedles Leben führen, sondern diejenigen zurechtweisen, die das Gleichgewicht der Seele erschüttern, und ihre Lebensweise nicht übernehmen (darauf bezieht Philon die Worte οὔτε ὠφείλησα … [»weder half ich«]). In Josephus’ Bericht über Jeremia kommen LXX-spezifische Details mit Ausnahme der »Schlammgrube« (λάκκος βορβόρου) 7 nicht zum Tragen; es ist nicht einmal gesichert, in welcher Sprache Josephus das Jeremiabuch vor sich hatte. 8 Konnten die Paralipomena Jeremiae 9 nach einem bis vor kurzem gültigen Konsens im Kern (außer ParJer 9,10-32) als Beweis für die Wirkung der Jeremia-LXX im Judentum gelten, steht heute die jüdische Herkunft eines Grundbestandes wieder neu zur Diskussion. 10 Dass der Text 11 auf der LXX aufruht, dürfte nicht zu bezweifeln sein. Instruktiv sind Fälle, wo der griech. Text der Paralipomena mit dem LXX-Text des Jeremiabuches gegen dessen MT steht, z. B. ParJer 1,2 // Jer 1,18 (ὡς τεῖχος [»wie eine Mauer«], für ‫»[ לחומות‬zu einer Mauer«]), ParJer 1,5 // Jer 39[32],3 f. (παραδίδωμι, [»übergeben«] für ‫נתן‬, [»geben«]), ParJer 3,9 // Jer 45[38],6-13 (λάκκος βορβόρου [»Schlammgrube«]), ParJer 6,13 // Jer 3,14 (λέγει κύριος [»spricht der Herr«], für ‫»[ נאם־יהוה‬Spruch des Herrn«]). 12 Manchmal zeigt die Benutzung des Jeremiabuches bereits eine hebraisierend bearbeitete Vorlage. 13 Die Jeremia-Vita innerhalb der Vitae Prophetarum setzt in Einzelheiten des Sprachgebrauchs wie im Aufbau die LXX-Fassung des Jeremiabuches voraus. 14

3. Philo: Conf.ling. 44. 4. Philo: Cher. 49; dazu Bloch: Philo and Jeremiah, passim. Er betrachtet Cher 49 als isolierte Äußerung des Alexandriners, die nicht auf eine besondere Wertschätzung Jeremias schließen lasse. 5. Philo: Cher. 49.51. 6. Die wichtigste Veränderung ist die Einführung der Negation οὐδέ vor ἡ ἴσχυς (Kraft) in Philo: Conf.ling. 44. 7. Josephus: Ant X, 121.123. 8. Wolff: Jeremia, 15. 9. Die Paralipomena Jeremiae hatten wohl die syrische Baruch-Apokalypse zum Vorbild; so jedenfalls Wolff: Jeremia, 45 f.; Herzer: Paralipomena Jeremiae, 77. Zum Jeremiabild der syrischen Baruch-Apokalypse vgl. Wolff: Jeremia, 30-34. 10. Vgl. Siegert: Einleitung, 612. 617 f. 11. Der Text war im christlichen Osten weit verbreitet und zählt in der äthiopischen Kirche zum Kanon; im Westen ist er nie von Bedeutung geworden (Schaller: Paralipomena Jeremiou 693). 12. Schaller: Fassung, 90-96. 13. Schaller: Paralipomena Jeremiou, 680. 14. Schwemer: Studien, 168 mit Anm. 26.

364

gtvh 08105 / p. 365 / 31.3.2022

Jeremia

2. Die Rezeption des griechischen Jeremia-Buches im Neuen Testament Im Neuen Testament sind an markierten Zitaten vor allem Jer 38[31],15 in Mt 2,18 15 und Jer 38[31],31-34 in Hebr 8,8-13; 10,16 f. 16 zu nennen. Textgeschichtlich liegt in Hebr 8 eine gewisse Nähe des Zitates zur LXX-Handschrift A vor. Der Pl. νόμους (»Gesetze«) in V. 33 statt des dem MT entsprechenden Sg. νόμον (»Gesetz«) lockert den eindeutigen Bezug zur Sinai-Thora. 17 Wendungen aus Jer 28[51]LXX mögen an einzelnen Stellen von Apk 17; 18 im Hintergrund stehen. 18 Lk 19,41 impliziert möglicherweise ad vocem ἔκλαυσεν (»er weinte«) eine Anspielung an den Titulus von Lam. 1,1LXX (κλαίων, »weinend«).

3. Die Rezeption des griechischen Jeremia-Buches im antiken Christentum 3.1 Die Rezeption außerhalb der Kommentare Im Mittelpunkt der Rezeption des Jeremia-Buches in der Frühzeit steht vor allem dessen erste Hälfte, während der Fremdbericht (ab Jer 26) kaum mehr Aufmerksamkeit findet. Jeremia wird am ehesten als Bußprediger und Kritiker Israels wahrgenommen. Dassmanns These, dass 1Clem 13,1 mit seiner Aufnahme von Jer 9,22LXX nicht zwingend eine direkte Kenntnis des Jeremiabuches voraussetzt 19, hängt an seiner anderen These der Benutzung von Testimoniensammlungen, die nicht unwidersprochen geblieben ist. Rezeptionsvorgänge im Zweiten Clemensbrief und im Barnabasbrief 20 enthalten nichts LXX-Spezifisches. Bei Justin ist neben Jer 2,13 21; 4,4 22 vor allem Jer 38 [31],31-34 von Bedeutung, das nach seiner Auslegung die Abkehr von dem wörtlich

15. Der Anfang des Zitates weist eine größere Nähe zum masoretischen Text auf, während das Ende (ὅτι οὔκ εἰσιν) mit Jer 38[31],15LXX.A übereinstimmt. Der Ersatz von υἱοί/‫ בניה‬durch τέκνα mag dem Interesse des Matthäus geschuldet sein, die für Israel unheilbringende Wirkung der Verwerfung Jesu schon an dessen Lebensanfang anzuzeigen (Knowles: Jeremiah, 37). 16. Vgl. Schenker: Bund, 71-73; Kraus: passim. 17. Karrer: Hebräer II, 118. 18. Zu Einzeldiskussion vgl. Wolff: Jeremia, 167-169. – Weitere neutestamentliche Rezeptionsvorgänge der Figur des Propheten wie seines Buches (Mk 8,18; 11,17; Mt 16,14; Lk 19,41-48; Apg 7,51) kommen ohne Septuaginta-spezifische Details aus. 19. Dassmann: Art. Jeremia, 565. 20. Jer 38[31]31-34 wird im Barnabasbrief nicht zitiert: Mose hat den Bund empfangen, die Israeliten waren seiner nicht würdig; so haben die Christen den Bund erhalten (Barn 14,4). 21. Dial 14,1; 19,2; 140,1, Bobichon I, 218.228.558. 22. Dial. 27,4; 32,5; 36,2; 123,4, Bobichon I, 250.262.270.514 – In einem Teilbereich der Vetus Latina (LaVer = Cod. Veronensis XXXVIII) könnte die Formulierung circumcidite carnem praeputii cordis uestri (»Beschneidet das Fleisch der Vorhaut eueres Herzens«) unbeschadet der Einflüsse von Dtn 10,16 ad vocem carnem ein Eingreifen des christlichen Übersetzers sein (Pollner: Vetus-Latina-Fragmente, 209 f.).

365

gtvh 08105 / p. 366 / 31.3.2022

Propheten

verstandenen alttestamentlichen Zeremonialgesetz rechtfertigt 23. Zu Jer 11,19 ist er der Meinung, die Stelle sei in jüdischer Überlieferung getilgt worden, um den Christen einen Vorverweis auf den gewaltsamen Tod Jesu zu entwinden. 24 Die These hat sich in der altkirchlichen Exegese nicht durchgesetzt 25, ebensowenig das vermeintliche Jeremiazitat in Dial. 72,4, das die Heilsverkündigung Gottes an die Entschlafenen zum Inhalt hat und sich in variierter Form auch bei Irenaeus von Lyon findet. 26 Bei diesem benennt Jer 17,9LXX (καὶ ἄνθρωπός ἐστι, καὶ τίς γνώσεται αὐτόν [»und ein Mensch ist er, und wer wird ihn erkennen?«]) Christi gottmenschliches Geheimnis 27, bei späteren Autoren die wahre Menschheit Christi. 28 Jer 38[31],31-34 fasst, kombiniert mit Joel 3, in Worte, dass die Berufung der Heidenchristen in der Erneuerung des Geistes geschieht und nicht zur Gesetzgebung des Mose zurückführt 29, ist aber auch ein Beweis für die Einheit des Gottes beider Testamente. 30 Damit sind auch für die folgende Literatur die Hauptlinien der Interpretation von 38[31],31-34 gegeben. Die Stelle rechtfertigt die Abkehr von dem wörtlich verstandenen alttestamentlichen Zeremonialgesetz 31, das für Christen als überholt gilt, 32 sie gibt ein Zeugnis für die Einheit des Gottes beider Testamente gegen Markion 33 oder die Manichäer 34 und belegt gegen die nicht an Jesus glaubenden Juden die Notwendigkeit eines neuen Bundes 35, den die Christen 23. Justinus Martyr: Dial. 11,1, Bobichon I, 210. 24. Zur Zeit der Abfassung hat Justin das Jeremiabuch vielleicht nicht direkt benutzt, wie zwei Falschzuschreibungen nahelegen; als er den Dialog mit Tryphon schrieb, hatte er wohl einen Text vor sich; vgl. Wolff: Jeremia, 179 f. 185. 25. Justinus Martyr: Dial. 72,2, Bobichon I, 380. Diese textkritische Debatte ist bei Origenes: Hom. Ier. 10,1.2, Fürst / Lona 268-270 nicht aufgegriffen worden. Das »Holz« wurde meist als Vorverweis auf das Kreuzesholz Christi verstanden. 26. Justinus Martyr: Dial. 72,4, Bobichon I, 382; Irenaeus: Haer. III, 20,4, SC 211, 394-396; IV, 22,1, SC 100/2, 686; V, 31,1, SC 153, 390; Dem. 78, SC 406, 192. 27. Irenaeus: Haer. III, 18,3, SC 211, 347 u. ö., s. Dassmann: Jeremia, 571. 28. Lactantius: Epit. 39,5 f., CSEL 19/1, 716, mit zusätzlichem Verweis auf Bar 3,36-38; Epiphanius: Anc. 30,4; 32,3, GCS 25, 39.41; Haer. 30,20,5, GCS 25, 260; Augustinus: Contra Faustum 13,8, CSEL 25/1, 387 f.; Hilarius: Trin. 4,42, CC.SL 62, 147, mit zusätzlichem Verweis auf Bar 3,36-38; Olympiodor: Frgm. Ier., PG 93, 665 C. Zur Kritik an dieser Deutung vgl. Hieronymus: In Ier. III, 74, CC.SL 74, 166. 29. Irenaeus: Dem. 90, SC 406, 204; ähnlich Haer. IV, 33,14, SC 100/2, 840, an beiden Stellen unter Verbindung mit Jes 43,18-21, an letzterer Stelle zusätzlich unter Aufnahme von Ez 36,26. 30. Irenaeus: Haer. IV, 9,1, SC 100/2, 478-480. 31. Hieronymus: In Ier. VI, 26,5, CC.SL 74, 319 f.; Gregor von Nyssa: Test. 11, PG 46, 217 CD, speziell gegen die Beschneidung. 32. Tertullian: Adv. Iud 3,8, CC.SL 2, 1346; Ambrosiaster: In Rom. 3,31, CSEL 81/1, 126: lege Moysi cessante meliora praecepta daturus erat deus (»während das Gesetz des Mose weichen sollte, war Gott im Begriff, besere Vorschriften zu geben«). Antijüdischer Polemik dient die Stelle auch bei Lactantius: Inst. IV, 20, CSEL 19/1, 365. 33. Tertullian: Adv. Marc. IV, 1,6, CC.SL 1, 546. Diese Auslegung kehrt wieder bei Adamantius: Dial. 23, GCS 4, 44; (Ps.?)-Polychronios: In Jer., PG 64, 981 A; Theodoret: In Jer., PG 81, 665 C-668 A. 34. Johannes Chrysostomus: Hom. Mt. 16,7, PG 57, 247. 35. Clemens Alex.: Strom. VI, 41,6 f., GCS 52, 452; Tertullian: Adv. Iud. 3,7 f., CC.SL 2, 1345 f.; Cyprian: Test. I, 11, CCS.SL 3, 13 f.; Theodoret: In Jer., PG 81, 665 D. Cyprian las die Stelle zusätzlich unter dem Leitsatz Fundamentum et Firmamentum spei et fidei esse timorem (»Fundament

366

gtvh 08105 / p. 367 / 31.3.2022

Jeremia

auch einhalten. 36 Clemens von Alexandrien bezieht speziell die Aussage von den ins Herz geschriebenen Gesetzen und der Möglichkeit der Gotteserkenntnis auf Gottes gütiges Wirken in Christus, dem die Nichtchristen mit ihrer Bekehrung zum Christentum entsprechen sollen. 37 Ambrosiaster kann, bezogen auf die Verheißung des Neuen Testamentes, demgemäß die alttestamentlichen Vorschriften spiritaliter (»geistlich«) zu verstehen sind, kurz und bündig formulieren: Noster ergo profeta est Hieremias. (»Unser Prophet ist Jeremias«). 38 Augustinus sieht in der Stelle die Erfüllung der Bundesverheißung im Neuen Testament vorhergesagt. 39 Athanasius widerlegt mit Jer 38 [31],22 (ἔκτισέν κύριος σωτηρίαν καινὴν εἰς καταφύτευσιν [»der Herr schuf Heil in einer neuen Pflanzung«]) die arianische Berufung auf Spr 8,22 (κύριος ἔκτισέν με ἀρχὴν ὁδῶν αὐτοῦ εἰς ἔργα αὐτοῦ [»Der Herr schuf mich als Anfang seiner Wege auf seine Werke hin«]): Der bloße Gebrauch des Verbums κτίζειν muss nicht notwendig auf ein »Geschöpf« als Objekt hinweisen. 40 Bei Firmicus Maternus wird EpJer 5-10 aufgenommen im Kampf gegen die heidnische Religion, die vom christlichen Kaiser am besten ausgerottet werden soll. 41

3.2 Die Rezeption in antiken christlichen Kommentaren Von altkirchlichen Kommentatoren sind zu Jeremia vor allem Origenes 42, Hieronymus, Theodoret, Olympiodor und (Ps.?)-Polychronios von Apamea zu erwähnen 43; Olympiodors Kommentar ist aber nur in Katenenfragmenten erhalten. Der Kommentar des Hieronymus, sein letztes größeres Werk (es reicht nur bis Jer 32 MT), ist deshalb von Interesse, weil er trotz seiner immer stärker gewordenen Distanz zur LXX 44 doch immer wieder auf ihre Lesarten zu sprechen kommt, nicht selten kritisch, etwa

36. 37.

38. 39. 40. 41. 42. 43. 44.

und Firmament der Hoffnung und des Glaubens ist die Furcht«), Cyprian: Test. III, 20, CC.SL 3, 115. Jer 38,31-34 wurde nach Spr 28,14; Jes 665,2; Gen 22,11 f.; Ps 2,11; Dtn 4,10 eingestellt und mit Jer 39,37-41 verknüpft. Eusebius Caes.: Dem. Ev. I, 7,23, GCS 23, 38. Clemens Alex.: Prot. 114,1-115,2, GCS 12, 80 f. In der Folgezeit wird die Stelle allerdings nicht allzu häufig rezipiert: Bei Origenes ist der einzige Beleg (Origenes: Comm. Mt. XVI, 10, GCS 40, 506) nicht wirklich tragend, bei Cyrill von Jerusalem und Epiphanius von Salamis findet man nichts. Ambrosiaster: Qu. V.N.T. 44,12, CSEL 50, 78. Augustinus: Civ. Dei XVII, 3; XVIII, 33, CSEL 40/2, 208. 318. Athanasius: C. Ar. II, 44,1, SC 599, 154. Firmicus Maternus: De errore religionum profanarum 28,4, Bursian 42. Zur Rezeption des Jeremiabuches bei Origenes außerhalb seiner Jeremiahomilien vgl. Dassmann: Jeremia, 579-584. Die Auslegungen von Diodor von Tarsus und Theodor von Mopsuestia sind nicht erhalten geblieben. Schulz-Flügel: Hieronymus, 752.

367

gtvh 08105 / p. 368 / 31.3.2022

Propheten

zu Jer 8,15 45; 10,20 46; 33[26],2. 47 Die Umstellungen der LXX in Jeremia gegenüber MT beurteilt Hieronymus als durch Irrtum verwirrt, die Auslassungen der LXX als textlich korrupt. 48 Der folgende exemplarische Durchgang ist nach der Abfolge im Jeremiabuch gegliedert. In Jer 2,21 enthält die LXX neu das Motiv der »Bitterkeit«. Origenes wie Theodoret ziehen eine Parallele zu Dtn 32,32 49; Hieronymus fasst die amaritudo als Konkretion der vinea aliena auf 50; (Ps.-)Polychronios verweist auf den hebr. Text, den er auf die Annahme nichtjüdischer Gebräuche deutet. 51 Zu Jer 6,11a bietet Hieronymus als hebr. Text Idcirco furore domini plenus sum, laboraui sustinens, (»deswegen bin ich vom Grimm des Herrn erfüllt; ich habe mich abgemüht, ihn zurückzuhalten«), als LXX-Text et furorem meum impleui et sustinui, et non consumsi eum (»und das Maß meines Grimmes war voll, aber ich hielt ihn zurück, und habe ihn nicht zu Ende gebracht«) und bemerkt zu letzterem: Quod mihi uidetur sibi esse contrarium; si enim conpleuit furorem suum, quomodo sustinuit, ne conpleret? (»Das scheint mir ein Selbstwiderspruch zu sein: Wenn er nämlich seinen Grimm erfüllt hat, wie hielt er ihn zurück, dass er ihn nicht erfülle«). 52 Anders Theodoret: Statt die Strafe zu vollenden, hat Gott die Adressaten dann doch des Erbarmens und der Schonung für würdig befunden. 53 Zu Jer 6,16 wird die Differenz zwischen »Reinigung« (LXX) und »Ruhe« (MT) gelegentlich vermerkt 54, aber nicht kommentiert, weil beides sich der Glaubensvorstellung bruchlos einfügt. Dass nach Jer 10,16LXX Gott Israels Erbteil sein soll, ist eine Vorstellung, die in altkirchlicher Exegese kaum Verständnis findet. Bei Olympiodor ist zur Stelle nichts erhalten; Hieronymus kommentiert den MT, demgemäß Israel Gottes Erbteil dar-

45. Hieronymus: In Ier. II, 60,2, CC.SL 74, 90: Zu ingrediamur civitatem munitam (»lasst uns in eine befestigte Stadt gehen«) in Jer 8,15 bemerkt Hieronymus: Die Septuaginta übersetzt hier Plural, doch das Volk hat es nicht so gesagt, sondern im Singular, und hat damit die Stadt Jerusalem gemeint. 46. Hieronymus: In Ier. II, 93,3, CC.SL 74, 109: Den Zusatz siue pecora mea (»und meine Schafe«) nach den Worten Filii mei exierunt a me (»meine Kinder sind weggegangen von mir«) in Jer 10,20 kommentiert er wie folgt: Das ist historisch unwahrscheinlich; wie hätte man in der langen Belagerung Schafe und Kleinvieh wegführen können, das nicht schon von der hungernden Bevölkerung verzehrt worden wäre? 47. Hieronymus: In Ier. V, 36,3, CC.SL 74, 253: In der zweiten Tempelrede soll Jeremia im Tempelvorhof nach Jer 26,2 MT zu den Städten Judas reden. Jer 33[26],2LXX lässt die Erwähnung der Städte aus, da Städte nicht im Tempelvorhof gedacht sein können. 48. Hieronymus: In Ier., prol. 2, CC.SL 74, 1. 49. Origenes: Comm. Cant., GCS 33, 132, in antijüdischer Polemik; Theodoret: In Jer., PG 81, 509 C. 50. Hieronymus: In Ier. I, 28,2, CC.SL 74, 21. 51. (Ps.?)-Polychronios: In Ier., PG 64, 767 B. 52. Hieronymus: In Ier. II, 16,2, CC.SL 74, 67. 53. Theodoret: In Ier., PG 81, 544 B. 54. Hieronymus: In Ier. II, 21,3, CC.SL 74, 69. – Bei (Ps.?)-Polychronios: In Ier., PG 64, 828 B dringt die Lesart ἀνάπαυσις in den Kommentar ein.

368

gtvh 08105 / p. 369 / 31.3.2022

Jeremia

stellt 55; Theodoret hat die mit MT harmonisierende Fassung von Aquila und Theodotion vor Augen und verweist auf Israels göttliche Erwählung. 56 (Ps.?)-Polychronios kommentiert das nur mit dem Hinweis, der Begriff κληρονομία stehe hier überflüssigerweise, und die LXX sei insgesamt unklar (ἀσαφῶς); gemeint sei, dass Israel das Erbteil Gottes sei. 57 Zu Jer 11,19 hat Theodoret eine im Bereich der Vorstellbarkeit der Szene liegende Begründung für die traditionelle, aufgrund der Begriffe ξύλον und ἄρτος (Joh 6,51) naheliegende christologische Interpretation geliefert, nämlich anhand der LXX-spezifischen Ausdrucksweise ἐμβάλωμεν ξύλον εἰς τὸν ἄρτον αὐτοῦ (»lasst uns Holz in sein Brot hineingeben«): Dies sei im wörtlichen Sinne verstanden unmöglich. 58 In Jer 15,18LXX ist es nicht mehr Gott, der dem Propheten zum Lügenwasser geworden ist; es sind vielmehr die Verwundungen, die der Prophet erlitten hat. Hieronymus wie Theodoret nehmen das Motiv der Bitterkeit auf, aber nicht das Bild des Lügenwassers. 59 Olympiodor (?) bezieht das Lügenwasser auf die Taufe seitens der Häretiker. Die Worte »woher werde ich Heilung erfahren« sind Worte, ἀπὸ κοινοῦ τῆς ἀνθρωπότητος (»von dem normalen Charakter der Menschlichkeit«) hervorgebracht – Olympiodor zeigt Gespür für die Härte der Anklage. 60 Wieder anders (Ps.?)-Polychronios von Apamea: Die Prophetie des Jeremia galt in der Tat als Lügenwasser – bei seinen Gegnern. 61 Jer 17,17, die Bitte des Propheten, Gott möge ihm nicht zur ἀλλοτρίωσις (»Zurückweisung«) werden, wird bei (Ps.?)-Polychronios zur Bitte, er, der Prophet, möge nicht als Lügenprophet erscheinen und nicht in die Hände seiner Gegner gelangen 62, bei Hieronymus zur Bitte um Züchtigung in dieser Weltzeit und darauffolgender ewiger Ruhe. 63 Ähnlich verweist Theodoret auf den nach Jer 17,18 erhofften göttlichen Beistand. 64 In Jer 20,7LXX heißt es gegenüber dem Masoretischen Text unverändert: Ἠπάτησάς με, κύριε, καὶ ἠπατήθην (»Du hast mich getäuscht, Herr, und ich wurde getäuscht«). 65 Mit der Stelle sind die antiken christlichen Autoren unterschiedlich umgegangen. (Ps.?)-Polychronios von Apamea entschuldigt Jeremias Worte mit dem Satz, εἰ γὰρ καὶ προφήτης ἦν, ἄνθρωπος ἦν (»Wenn er auch Prophet war, so war er doch nur ein Mensch«) und bezieht die problematische Aussage darauf, dass Gott nicht sofort strafend eingegriffen und so das Wort des Jeremia als wahr erwiesen habe. 66 Olympiodor zufolge hat Jeremia die Worte nicht als Anklage gegen Gott ausgespro55. 56. 57. 58. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65.

Hieronymus: In Ier. II, 89,8, CC.SL 74, 107. Theodoret von Kyros: In Jer., PG 81, 568 BC, zu Jer 10,16. (Ps.?)-Polychronios: In Ier., PG 64, 861 D-864 A. Theodoret: In Jer., PG 81, 576 CD. Hieronymus: In Ier. III, 58, CC.SL 74, 151-153; Theodoret: in Ier, PG 81, 599 A. Olympiodor: Frgm. Ier., PG 93, 664 A. (Ps.?)-Polychronios: In Jer., PG 64, 908 D. (Ps.?)-Polychronios: In Jer., PG 64, 917 D. Hieronymus: In Ier. III, 78, CC.SL 74, 169. Theodoret: In Jer., PG 81, 605 CD. Anders als der Übersetzer der Septuaginta hat der Übersetzer im Targum eingegriffen: »Du hast mich verwirrt, und ich bin verwirrt worden.« 66. (Ps.?)-Polychronios: In Jer., PG 64, 928 B.

369

gtvh 08105 / p. 370 / 31.3.2022

Propheten

chen, sondern im Sinne von 2Kor 12,8 (»deshalb habe ich zum Herrn gebetet«); daneben erwägt Olympiodor das Verständnis, der Prophet habe vergebens die Besserung seiner Zuhörer durch die Worte Gottes erhofft. 67 Johannes Chrysostomus entschärft die Aussage, indem er zwischen der hier genannten guten und einer verderblichen Täuschung unterscheidet, wie sie von der Weltweisheit ausgeht. 68 Andere Exegeten äußern sich nicht zur Härte der Anklage, sondern fragen, worin das »Täuschen« besteht. 69 Man konnte also die Anklage als hart empfinden, musste es aber nicht. 70 Die Vetus-Latina-Übersetzung delectare kann als Abschwächung, aber auch als Wiedergabe einer in der Koiné neu aufgekommenen Bedeutung von ἀπατάω i. S. von »Vergnügen« aufgefasst werden. 71 Zu Jer 20,14-16 war bereits Origenes um den Ausgleich zwischen der Selbstverfluchung des Propheten und der Berufungsaussage Jer 1,5 bemüht. 72 Theodoret zufolge hat Jeremia die Aussage im übergroßen Schmerz getätigt. 73 (Ps.?)-Polychronios vergleicht Jer 2014 mit Ijob 3,12. 74 Olympiodor begründet den Charakter der Verfluchung V. 15 damit, dass es der falsche Propheten Chananias gewesen sein soll, der dem Vater Jeremias die Geburt seines Sohnes, des Propheten, überbracht hatte. 75 Das Gottesbild von Jer 21,7LXX (»und seine Grausamkeit – ich werde sie nicht schonen«) führt bei Hieronymus zur Bevorzugung des MT (»er, der König von Babylon, wird sie nicht schonen«): Meliusque est iuxta Hebraicum, ut crudelis sententia et inflexibilis magis regis Babylonii quam domini esse uideatur (»Und die Stelle ist besser nach dem Hebr. Text zu verstehen, sodass die grausame und unbeugsame Gesinnung eher dem babylonischen König zu eignen scheint als dem Herrn«). 76 Dass gerade deshalb MT eine ermäßigende Abweichung gegenüber LXX sein könnte, erwägt Hieronymus nicht. 77 Als Ursache einer Tilgung seitens der LXX vermutet Hieronymus zu Jer 34[27],1 das Bestreben, überflüssige Wiederholungen zu vermeiden: die erneute Redeeinleitung werde als überflüssige Dublette zu Jer 26,1MT in der LXX getilgt. 78

67. Olympiodor: Frgm. Ier., PG 93, 669 CD. 68. Johannes Chrysostomus: Hom. Col. 6,1, PG 62, 338. 69. Nach Hieronymus: In Ier. IV, 22,2, CC.SL 74, 190, besteht sie in dem Widerspruch zwischen der Ankündigung Gottes, Jeremia werde gegen die Völker weissagen (Jer 1,5), und den Anklagen, die Jeremia im Auftrag Gottes gegen Israel vorbringen muss. Theodoret: In Ier., PG 81, 613 BC, betont den Widerspruch zwischen Jer 1,18 und dem Leiden des Propheten an seinem Amt. 70. Gregor von Nazianz hat Texte aus den Konfessionen mehrfach auch auf sein eigenes Schicksal bezogen, vgl. dazu Dassmann: Jeremia, 608. 71. Pollner: Vetus-Latina-Fragmente, 349. 72. Origenes: Hom. Lev. 8,3, GCS 29, 397. Vgl. dann auch Hilarius: Tract. Ps. 119,19 f., CSEL 22, 555 f. 73. Theodoret: In Jer., PG 81, 616 C. 74. (Ps.?)-Polychronios von Apameia: In Jer., PG 64, 932 C. 75. Olympiodor: Frgm. Ier., PG 93, 672 B. 76. Hieronymus: In Ier. IV, 31,3, CC.SL 74, 197. Von (Ps,?)-Polychronios, Olympiodor und Theodoret sind keine Auslegungen zu dieser Stelle erhalten. 77. Zur (möglichen) Priorität der nicht-masoretischen Überlieferung vgl. Stipp: Gottesbildfragen, 218 f.; Pollner: Vetus-Latina-Fragmente, 355. 78. Hieronymus: In Ier. V, 45,2, CC.SL 74, 261.

370

gtvh 08105 / p. 371 / 31.3.2022

Jeremia

Bei Jer 39[32],17 v. l. (qui es = ὁ ὤν) vermerkt Hieronymus die Gestaltung nach Ex 3,14. 79 Das Thema Prophetie und Pseudoprophetie, durch die LXX mit der gelegentlichen Wahl des terminus ψευδοπροφήτης (»Lügenprophet«) »zum besseren Verständnis« 80 akzentuiert, hat im Neuen Testament wie in antiker christlicher Jeremia-Auslegung seine Spuren hinterlassen. 81 Durch die Propheten, so Johannes Chrysostomus zu Jer 6,13, wolle Gott den Israeliten durch das Wort Furcht einflößen, damit er nicht durch die im Wort angekündigte Sache wirklich strafen müsse; Pseudopropheten, vom Teufel geschickt, suchten die Besserung der Menschen zu vereiteln. Ihre Verkündigung werde durch das Ausbleiben der geweissagten Ereignisse falsifiziert. 82 Das zweite in Dtn 18,22 genannte Kriterium ist hier leitend. Origenes mahnt zu Jer 23,28 f. die Unterscheidung der Geister ein, da auch die Pseudopropheten die Botenformel »So spricht der Herr« verwenden. 83 Zu Jer 33[26] hält Hieronymus fest, härter als die politische sei die religiöse Elite gegen Jeremia vorgegangen. 84 Die Bezeichnung des Chananias als Propheten werde in Jer 35[28],12.15.17LXX gemieden 85, denn, so Hieronymus: Wie hätte Jeremia jemanden als Propheten bezeichnen sollen, zu dem er sagt: »Der Herr hat dich nicht gesandt …«? 86 Theodoret benutzt, Dtn 18,22 folgend, den Widerspruch zwischen Chananias’ Ankündigungen und den tatsächlichen Ereignissen als Beweis gegen Chananias, Olympiodor vergleicht ihn mit dem in Apg 5 genannten Hanania. 87 Zu Jer 45,4 f. kennzeichnet Origenes das Wirken der Pseudopropheten mit dem Begriff κολακεία (»Schmeichelei«), der schon Platon als Negativcharakteristik der Sophisten gedient hatte. 88 Bei Jer 38[31],31-34 tritt in christlicher Rezeption sowohl das Moment der Überbietung als auch das Moment der gottgewollten Kontinuität in den Blick. LXX-Spezifisches wird unterschiedlich wahrgenommen. Jer 38,32b (»Denn sie hielten an meinem Bund nicht fest«) wird bei Theodoret und Olympiodor nicht beachtet, bei (Ps.?)-Polychronios nicht akzentuiert, die Phrase οὐκ ἠμέλησα αὐτῶν (»ich kümmerte mich nicht um sie«) wird bei den Genannten gar nicht kommentiert. Anders ist es mit dem Plural νόμους in V. 33. Theodoret deutet »die Gesetze« auf die göttlichen Gesetze der Bergpredigt und speziell die Seligpreisungen für die Täter der Tugend 89, Olympio-

79. 80. 81. 82.

83. 84. 85. 86. 87. 88. 89.

Hieronymus: In Ier. VI, 37,3, CC.SL 74, 333 f. Hieronymus: In Ier. V, 56,2, CC.SL 74, 269. Vgl. Meiser: Prophecy and Pseudo-Prophecy, 224-226. Johannes Chrysostomus: In illud Isaiae, Ego Dominus Deus feci lumen etc. 6, PG 56, 151; ähnlich Theodoret von Kyros: In Ier., PG 81, 648 BC; (Ps.?)-Polychronios von Apamea: In Ier., PG 64, 964 B. Origenes: Frgm. Ier. 19 (94), Fürst / Lona, 598 f. Hieronymus: In Ier. V, 40,2, CC.SL 74, 257. Hieronymus: In Ier. V, 61,2, CC.SL 74, 272 f. Hieronymus: In Ier. V, 62,2, CC.SL 74, 274. Theodoret: In Ier., PG 81, 648 B; Olympiodor: Frgm. Ier., PG 93, 681 B. Origenes: Frgm. Jer. 63 (142), Fürst / Lona, 644; vgl. Platon, Gorgias, 466a. Theodoret: In Jer., PG 81, 668 B. Die Aussage von der zukünftigen Gotteserkenntnis bezieht sich auf das Eschaton. Da bedürfen wir tatsächlich der Belehrung nicht mehr, denn die Dinge sind offenbar, die Affekte wirken nicht mehr, und den Leibern haftet die Unzerstörbarkeit an.

371

gtvh 08105 / p. 372 / 31.3.2022

Propheten

dor auf die durch den Geist vermittelten ὑπομνήσεις 90, Hieronymus auf das Evangelium. 91 Hingegen wird bei (Ps.?)-Polychronios der Singular vorausgesetzt. 92 Hieronymus bietet einen Querverweis auf 1Kor 3,16 (die Christen sind der Tempel Gottes und der Geist Gottes wohnt in ihnen). 93 Zuvor kommt er auf ein bekanntes Problem zu sprechen: Quod autem pactum pro testamento ponimus, Hebraicae veritatis est, licet et testamentum recte pactum appellatur, quia voluntas in eo atque testatio eorum, qui pactum ineunt, continetur (»Dass wir aber pactum für testamentum setzen, entspricht dem hebräischen Urtext, wobei ein testamentum auch zu Recht pactum geannt wird, weil in ihm der Wille und das Zeugnis derer, die ein pactum eingehen, festgehalten wird«). 94

90. 91. 92. 93.

Olympiodor: In Ier., PG 93, 689 D. Hieronymus: In Ier. VI, 26,4, CC.SL 74, 319. (Ps.?)-Polychronios: In Ier., PG 64, 981 B. Hieronymus: In Ier. VI, 26,6, CC.SL 74, 319 f. Den möglichen Einwand, die Kirche aus den Heiden sei ja wohl kaum mit den Adressaten der Verheißung zu identifizieren, beantwortet Hieronymus mit dem Verweis auf die geschichtliche Abfolge von Mt 15,24 und Apg 13,46 (Hieronymus: In Ier. VI, 26,8 f., CC.SL 74, 320), das dann seinerseits mit Mt 15,26 und Joh 1,11 f. kommentiert wird. Freilich ist der innere Bruch in dieser Argumentation nicht zu übersehen. 94. Hieronymus: In Ier. VI, 26,4, CC.SL 74, 319.

372

gtvh 08105 / p. 373 / 31.3.2022

2.2.4.4 Zur Rezeption von Bar 3,38 Wolfgang Kraus / Christian Lustig Literatur Editionen und Übersetzungen Ambrosius: De Fide [ad Gratianum] / Über den Glauben [an Gratian], ed. Christoph Markschies, FC 47/1-3, Freiburg 2005 – Athanasius: Traités contre les Ariens, Tome II ed. Karin Metzler / Kyriakos Savvidis, SC 599, Paris 209 – Athenagoras: Legatio pro Christianis, ed. by Miroslav Marcovich, PTS 31, Berlin / New York 1990 – Augustinus: De civitate Dei, ed. Emanuel Hoffmann, CSEL 40/1-2, Prag / Wien / Leipzig 1899-1900 – Augustinus: Epistulae Pars III, Ep. 124-184A, ed. Alois Goldbacher, Wien / Leipzig 1904 – Augustinus: Enarrationes in Psalmos, ed. D. Eligius Dekkers / Jean Fraipont, Bd. 2: Ps. 51-100, CC.SL 39, Turnhout 1956 = 1990 – (Ps.?)-Cyprian: Ad Quirinium testimoniorum libri tres, ed. Robert Weber, CCL 3, Turnhout 1972, 1-179 – Basilius Caes.: De fide, PG 31, 675 C-692 C – Cyrillus Hieros.: Opera quae supersunt omnia Bd. 1, ed. Wilhelm Reischl, München 1848 = Hildesheim 1967; Bd. 2, ed. Joseph Rupp, München 1860 = Hildesheim 1967 – Didascalia et Constitutiones Apostolorum, Vol. I: Textus, ed. Franz Xaver von Funk, Paderborn 1905 – Gregorius Nazianz: Discours 2731, ed. Paul Gallay, SC 250, Paris 1978 – Gregorius Nazianz: Lettres Théologiques, ed. Paul Gallay, SC 208, Paris 1974 – Gregorius Nyss.:, Contra Eunomium, ed. Werner Jaeger, GNO I; GNO II 1-311, Leiden 1960 – Gregorius Nyss.: Refutatio Confessionis Eunomii, ed. Werner Jaeger, GNO II, 312-410, Leiden 1960 – Hilarius Pict.: De Trinitate. Praefatio. Libri I-VII, ed. Piet Smulders, CC.SL 62, Turnhout 1979 – Hippolyt: Contra Noëtum / Gegen Noët, ed. et trad. Hermann-Josef Sieben, in: ders., ed.: Tertullian, Adversus Praxean / Gegen Praxeas, FC 34, Freiburg 2001, 257-313 – Irenaeus: Epideixis / Darlegung der apostolischen Verkündigung, trad. Norbert Brox, FC 8/1, Freiburg u. a. 1993, 32-97 – Johannes Cassian: De Incarnatione Verbi Contra Nestorium Libri VII, ed. Michael Petschenig, CSEL 17, Prag / Wien / Leipzig 1888, 233-391 – Johannes Chrysostomos: Homiliae in Matthaeum, hom. 1-44, PG 57, hom. 45-90, PG 58 – Johannes Chrysostomos: In illud Pater, si possible est (Matt 26,39) et contra Marcionitas et Manichaeos PG 51, 31-40 – Johannes Damasc.: Expositio fidei, ed. Bonifatius Kötter, PTS 12, Berlin / New York 1973 – Lactantius: Épitomé des Institutions Divines, ed. Michel Perrin, SC 335, Paris 1987 – Lactantius: Divinarum Institutionum Libri Septem, Fasc. 2, Libri III et IV, ed. Eberhard Heck / Antonie Wlosok, BTeu, Berlin / New York 2007 – Rufinus: Explanatio Symboli, in: Rufinus: Opera, ed. Manlio Simonetti, CC.SL 20, 1961, 125-182 – Tertullian: Adversus Praxean / Gegen Praxeas, ed. et trad. Hermann-Josef Sieben, FC 34, Freiburg u. a. 2001 – Theodoret: Correspondance, ed. Yvan Azéma, T. II, SC 98, Paris 1964, Tome IV, SC 429, Paris 1998 – Theodoret: Eranistes, ed. Gerard H. Ettlinger, Oxford 1975 – Thomas Aqu.: Summa Theologiae III, ed. Raimundo Suárez, Madrid 31964.

Weitere Literatur Adams, Jean A.: Baruch and the Epistle of Jeremiah. A Commentary Based on the Texts in Codex Vaticanus, Septuagint Commentary Series, Leiden / Boston 2014 – Assan-Dhôte, Isabel / Jaqueline Moatti-Fine: Baruch, Lamentations, Lettre de Jérémie. Traductions du texte grec de la Septante. Introduction et notes, BdA 25/2, Paris 2005 – Gäbel, Georg / Kraus, Wolfgang: Das Buch Baruch, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament II (LXX.E), Stuttgart 2011,

373

gtvh 08105 / p. 374 / 31.3.2022

Propheten

2815-2826 – Gryson, Roger: Altlateinische Handschriften. Manuscrits Vieux Latins. Répertoire descriptiv, Freiburg 1999 – Hauschild, Wolf-Dieter: Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte, Bd. 1, Gütersloh 22000 – Kneucker, Johann: Das Buch Baruch. Geschichte und Kritik, Übersetzung und Erklärung aufgrund des wiederhergestellten hebräischen Urtextes, Leipzig 1879 – Kraus, Wolfgang / Georg Gäbel: Das Buch Baruch, in: Wolfgang Kraus / Martin Karrer (ed.), Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung (LXX.D), Stuttgart 22010, 1343-1348 – Kraus, Wolfgang: Zur Frage der Ursprünglichkeit und Rezeption von Bar 3,38, in: Siegfried Kreuzer / Martin Meiser / Marcus Sigismund (ed.) Die Septuaginta – Orte und Intentionen, WUNT 361, Tübingen 2016, 731-742 – Lustig, Christian, Das Buch Baruch, in: Jürgen Wehnert (ed.), Bibliothek der antiken jüdischen und christlichen Literatur, Paderborn 2022 (im Druck) – Reusch, Franz Heinrich: Erklärung des Buchs Baruch. Studien zu Rezeption und Konzentration ›kanonischer‹ Überlieferung, Freiburg 1853 – Schürer, Emil: Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi III, Leipzig 41909 (zuerst in 2 Bänden 1886-1890, 21901-1902, 3 Bde.) – Steck, Odil Hannes: Das apokryphe Baruchbuch, FRLANT 160, Göttingen 1993 – Steck, Odil Hannes: Das Buch Baruch, in: ders. / Reinhard G. Kratz / Ingo Kottsieper, Das Buch Baruch. Der Brief des Jeremia. Zu Ester und Daniel (ATD.A 5), Göttingen, 1998, 13-68 – Walter, Nikolaus: Pseudepigraphische jüdisch-hellenistische Dichtung: Pseudo-Phokylides, Pseudo-Orpheus, Gefälschte Verse auf Namen griechischer Dichter, JSHRZ IV/3, Gütersloh 1983, 174-278.

1. Problemanzeige Bar 3,38 hat in der altchristlichen Literatur eine erstaunliche Rezeptionsgeschichte. Um zu verstehen, wie es dazu gekommen ist, muss der Zusammenhang bedacht werden. Der Vers findet sich im dritten Teil des Baruch-Buches (3,9-4,4), einer Mahnrede, die zur Umkehr und Treue gegenüber der Tora auffordert. 1 Diese Mahnrede lässt sich unterteilen in einen grundlegenden Aufruf (3,9-13), die Entfaltung des Aufrufs (3,144,1) und einen Zielaufruf (4,2-4). Der entscheidende Vorwurf lautet, Israel habe die Quelle der Weisheit verlassen (3,12). In der Entfaltung wird dargestellt, wo sich Weisheit finden lässt und wo nicht: Nicht bei den Mächtigen (3,16-21), nicht bei den außerisraelitischen Weisen (3,22-25), nicht bei den Giganten (3,26-29), nicht bei den Himmelsstürmern (3,29-31), sondern allein beim Gott Israels (3,32-37a) und zwar in dem Israel gegebenen Gesetz (3,37b–4,1). Bar 3,9.12 – 15: [9] ῎Ακουε, Ισραηλ, ἐντολὰς ζωῆς, ἐνωτίσασθε γνῶναι φρόνησιν. [12] ἐγκατέλιπες τὴν πηγὴν τῆς σοφίας. [13] τῇ ὁδῷ τοῦ θεοῦ εἰ ἐπορεύθης, κατῴκεις ἂν ἐν εἰρήνῃ τὸν αἰῶνα. [14] μάθε ποῦ ἐστι φρόνησις, ποῦ ἐστιν ἰσχύς, ποῦ ἐστι σύνεσις τοῦ γνῶναι ἅμα, ποῦ ἐστι μακροβίωσις καὶ ζωή, ποῦ ἐστι φῶς ὀφθαλμῶν καὶ εἰρήνη.— [15] τίς εὗρε τὸν τόπον αὐτῆς, καὶ τίς εἰσῆλθεν εἰς τοὺς θησαυροὺς αὐτῆς; 3,9. Höre, Israel, die Gebote des Lebens, ihr alle, hört aufmerksam zu, damit ihr zu Verstand kommt. 3,12. Die Quelle der Weisheit hast du hinter dir gelassen. 3,13. Wenn du den Weg Gottes gegangen wärst, hättest du für immer in Frieden leben können. 3,14. Lerne, wo es Verstand, Stärke und Einsicht gibt, damit du zugleich erkennst, wo es langes und 1.

Zur Gliederung des Buches Baruch s. Steck: Baruchbuch, 14.80.128.245f; vgl. Kraus: Frage, 732. Adams: Baruch, 94, spricht von einem »Wisdom Poem«.

374

gtvh 08105 / p. 375 / 31.3.2022

Zur Rezeption von Bar 3,38

wahres Leben, wo es Licht für die Augen und Frieden gibt. 3,15. Wer hat herausgefunden, wo sich die Weisheit aufhält, und ist zu ihren Schätzen gelangt? Bar 3,36 – 4,1: [36] οὗτος ὁ θεὸς ἡμῶν, οὐ λογισθήσεται ἕτερος πρὸς αὐτόν. [37] ἐξεῦρε πᾶσαν ὁδὸν ἐπιστήμης καὶ ἔδωκεν αὐτὴν Ιακωβ τῷ παιδὶ αὐτοῦ καὶ Ισραηλ τῷ ἠγαπημένῳ ὑπ’ αὐτοῦ· [38] μετὰ τοῦτο ἐπὶ τῆς γῆς ὤφθη καὶ ἐν τοῖς ἀνθρώποις συνανεστράφη. [4,1] αὕτη ἡ βίβλος τῶν προσταγμάτων τοῦ θεοῦ καὶ ὁ νόμος ὁ ὑπάρχων εἰς τὸν αἰῶνα· πάντες οἱ κρατοῦντες αὐτήν εἰς ζωήν, οἱ δὲ καταλείποντες αὐτὴν ἀποθανοῦνται. 3,36. Dies ist unser Gott, keinen anderen wird man als Gott ansehen außer ihm. 3,37. Er hat jeden Weg zur Erkenntnis erdacht und ihn Jakob, seinem Knecht, und Israel, den er liebte, übergeben. 3,38. Danach hat sie (d. h. die Weisheit/Erkenntnis) sich auf der Erde gezeigt und verkehrte mit den Menschen: 4,1. Dies (der Weg der Erkenntnis) ist das Buch der Gebote Gottes und das Gesetz, das ewig existiert. Alle, die an ihm 2 (dem Buch) festhalten, werden leben, die ihn aber fahrenlassen, werden sterben.

Seit den Arbeiten von J. J. Kneucker und E. Schürer steht V. 38 im Verdacht, ein Zusatz zu sein. 3 Ein wichtiges Argument hierbei ist, dass die in Bar 3,36-4,1 vorausgesetzte Abfolge der Ereignisse der Abfolge, die in Sir 24,3-7 vorausgesetzt wird, widerspricht. Vers 38 beginnt mit μετὰ τοῦτο. Μετά wird in der Regel temporal im Sinn von »nach / danach« verstanden. D. h. nach der Gabe der Erkenntnis / Weisheit an Jakob/ Israel erschien sie / er auf Erden. 4 Die Abfolge in Sir 24,3-7 unterscheidet sich insofern davon als dort die Weisheit / Erkenntnis von Gott ausgeht, sich in der Welt verbreitet und danach ihren Ruheplatz in Israel als Tora findet. Die Abfolge unterscheidet sich auch von äthHen 42: Die Weisheit kommt auf die Erde, findet jedoch keinen Platz und kehrt in den Himmel zurück. Dort findet sie einen Platz unter den Engeln. Die grammatischen Formen ὤφθη und συνανεστράφη lassen sich auch mit maskulinem Subjekt lesen. Dann wäre zu übersetzen: »Danach hat er sich auf der Erde gezeigt und verkehrte mit den Menschen.« Sollte es sich um eine christliche Interpolation handeln, dann würde man diesen Vers auf Gottes Erscheinen in Christus beziehen können. Sollte es sich um eine jüdisch-hellenistische Interpolation handeln, dann könnten sich die Verben in V. 38 auf die Erkenntnis/Weisheit beziehen. Eine christliche Interpolation ist aus verschiedenen Gründen unwahrscheinlich: Man müsste dann annehmen, dass sie sehr früh erfolgt ist, da bereits Irenaeus, Hippolyt und Tertullian an der Wende vom 2. zum 3. Jh. diesen Vers voraussetzen. Sie müsste also vor 200 CE eingedrungen sein und sich in der gesamten hss Überlieferung verbreitet haben. Außerdem würde der Bezug des αὕτη in Bar 4,1 unklar, wenn im vorausgehenden Satz mit der Inkarnation Jesu Christi ein Themenwechsel anzunehmen wäre.

2. 3. 4.

Die Ausgabe von Rahlfs/Hanhart liest in 4,1 anders als Ziegler (Göttinger Septuaginta) statt αὐτήν (Akk.) αὐτῆς (Gen.). Dann wäre zu übersetzen: »alle, die sie (die Weisheit) erlangen«. Der jüngste Kommentar von Adams: Baruch, 113f, geht nicht von einer Interpolation aus. μετὰ τοῦτο nicht im Sinn von »nachdem«, sondern als »in Folge davon« zu verstehen, ist nicht möglich. μετά mit acc. hat stets temporalen Sinn, BDR § 226.

375

gtvh 08105 / p. 376 / 31.3.2022

Propheten

Geht man von einer jüdisch-hellenistischen Interpolation aus, lässt sich das Problem umgehen: V. 37 bezieht sich dann auf die Gebote für die Väter. Mit diesen Geboten kommt die Weisheit in die Welt. 4,1 bezieht sich dann auf die Sinai-/Mose-Tora. V. 38 könnte so verstanden werden, dass die Tora auch das beste Gesetz für die Völker darstellt und in der Endzeit von diesen angenommen wird (vgl. Sib 3,564 f. 573 ff. 580; Sib 3,710.716-720; Sib 3,757.767-770; Philo, VitMos 2,18-23.43f; QuaestEx 2,22; PseudoOrpheus, Rez. C 1-3a; Euseb, PraepEv XIII,12,5) 5. Noch eine weitere Möglichkeit ist in Erwägung zu ziehen: Wenn sich V. 38 nicht auf die Weisheit, sondern auf Jakob/Israel bezieht, dann ist zu übersetzen: »Danach erschien es (das Volk Israel) im Land und hat sich unter (anderen) Menschen aufgehalten.« 6 Diese Möglichkeit wird nahegelegt durch den Bezug von V. 37 auf Jakob/ Israel bei den Kirchenvätern. Dann wäre V. 38 nicht als Interpolation zu begreifen, denn Israels/Jakobs Zerstreuung in der Welt und der Aufenthalt unter den Völkern ist auch sonst im Baruchbuch häufig Thema (Bar 2,4.13.29; 3,8.10).

2. Zur Rezeption im altchristlichen Bereich Das maskulin verstandene ὤφθη wird beinahe in der gesamten altlateinischen Bibel mit visus est wiedergegeben, συνανεστράφη mit conversatus est (cum hominibus) übersetzt. 7 Grund dafür kann einerseits sein, dass die Übersetzer bereits in ihrer Vorlage Jakob/Israel als Subjekt gelesen haben und sich daher für die maskulinen Formen entschieden haben. Oder aber man wollte den Satz bewusst christologisch ausdeuten. In dem Fall müsste man das Subjekt Gott (= Christus) ergänzen: »Danach hat er (Gott) sich auf der Erde gezeigt und verkehrte mit den Menschen.«

2.1 Irenaeus von Lyon († ~202) 8 Das erste bekannte Zitat von Bar 3,38 findet sich bei Irenaeus in seiner Epideixis. 9 Er zitiert Bar 3,29-4,1. V. 37f lauten bei Irenaeus: »Er hat alle Wege mit seiner Klugheit gefunden und hat sie Jakob gegeben, seinem Diener, und Israel, seinem Liebling. Hernach erschien er auf Erden und wandelte unter den Menschen.« Sprecher des Textes

5. 6. 7.

8. 9.

Walter: JSHRZ IV/3, 226; Kraus: Frage, 736-738. Das Verbum ὤφθη ist nicht für Gottes- bzw. Christuserscheinungen reserviert (vgl. Gen 46,29; 1Makk 4,6). Die einzige Ausnahme bildet Cod. 185 (Codex Sangermanensis). Dort ist das Subjekt nicht eindeutig zu bestimmen, da es futurisch heißt: Post haec super terram apparebit et inter homines conversabitur. Nach Gryson: Altlateinische Handschriften, 295 handelt es sich um das einzige Manuskript gallischer Rezension, das nicht durch die Texte der römischen Liturgie beeinflusst ist. Vgl. die bei Reusch: Baruch, 3-6 genannten Autoren, die Baruch in der Regel als Worte Jeremias anführen. Vgl. Reusch: Baruch, 3. Irenaeus: Epid. 97, FC 8/1, 95. Das griechische Original ist nicht erhalten. Nach Reusch: Baruch, 3 Fn. 4, wird Bar 3,38 in AdvHaer 5,35 im gleichen Sinn von Irenaeus als Jeremia-Wort zitiert.

376

gtvh 08105 / p. 377 / 31.3.2022

Zur Rezeption von Bar 3,38

ist Jeremia. Bar wird von den antiken christlichen Autoren in der Regel zu Jeremia gerechnet. 10 Irenaeus verwendet den Text zum Erweis der Inkarnation. Bereits Jakob und Israel (V. 37) werden auf Jesus bezogen: »Jakob und Israel nennt er hier nun den Sohn Gottes, der vom Vater die Herrschaft empfing über unser Leben«. Dieses brachte er, nachdem er es empfangen hatte, zu uns herab, »als er auf Erden erschien und unter den Menschen einherging.« Dieser Bezug von Jakob/Israel auf Jesus findet sich häufiger und dass dann »er« erschienen ist, schließt sich problemlos an.

2.2 Tertullian († ~220) Tertullian gehört zu den Gegnern der modalistischen Monarchianer. 11 Jene behaupteten zur Abwehr eines möglichen Ditheismus die Identität Gottes (seine Mon-archie); sie ließen nur eine Differenzierung der Namen gelten: Der Sohn heiße nur so, weil sich in ihm, als der sichtbaren Seinsweise Gottes, der unsichtbare Vater offenbare. 12 In Tertullians Schrift Adversus Praxean 16,3 finden wir zwar kein Zitat, aber eine deutliche Anspielung auf Bar 3,38: ipse enim et ad humana semper colloquia descendit, ab Adam usque ad patriarchas et prophetas, in visione in somnio in speculo in aenigmate ordinem suum praestruens ab initio semper quem erat persecuturus in fine. ita semper ediscebat et deus in terris cum hominibus conversari. 13 Tertullian stellt Jesus als den Schöpfungsmittler dar, der seit Adam immer wieder auf die Welt kommt. Jeder Eingriff Gottes auf Erden geschieht durch den Sohn: das Niederreißen des Turms von Babel, die Zerstörung von Sodom und Gomorrha (s. AdvPrax 16,2). Der Sohn Gottes ist immer wieder herabgestiegen, um mit den Menschen zu verkehren.

2.3 Hippolyt (170-235) 14 Mit Hippolyts Schrift Contra Noetum befinden wir uns erneut in der Phase der modalistischen Streitigkeiten. Noët von Smyrna ist ebenfalls modalistischer Monarchianer oder, wie diese Richtung von Tertullian bezeichnet wird, Patripassianer. Der Streit wurde in der Zeit um 200 n. Chr. ausgetragen. Hauptvertreter waren, neben dem schon genannten Praxeas, Noët von Smyrna und Sabellius. Von letzterem (oder seinen Schülern) stammt die Rede von Gott als »Sohn-Vater« (υἱοπάτωρ). 15 10. So u. a. Tertullian (s. u.); Hippolyt (s. u.); Laktanz (s. u.); Cyprian, de or. dom. 5; Commodius: Carmen apol. V. 366; Firmitius Maternus, Ephraem Syr; vgl. hierzu Reusch: Baruch, 2-21. Das macht die Zitation als Schriftwort möglich. 11. Zur Sache s. Hauschild: Lehrbuch I, 13 f. 12. Hauschild: Lehrbuch I, 14. 13. Tertullian: Adv. Prax. 16,3, FC 34, 176: »Er stieg auch immer wieder zum Gespräch mit den Menschen herab, von Adam an bis zu den Patriarchen und Propheten, in Visionen und Traumgesichten, im Spiegel und im Rätsel. Von Anfang an bereitete er allzeit seinen Weg vor, den er bis zum Ende verfolgen sollte. Obwohl er Gott war, übte er sich immer wieder darin, mit den Menschen zu verkehren.« Vgl. Reusch: Baruch, 5f Fn. 4. 14. Nach Reusch: Baruch, 6, handelt es sich um den Bischof von Porto (gest. ca. 250). Das wird in der Forschung heute anders gesehen. Nach Hauschild: Lehrbuch I, 14.85, handelt es sich um Hippolyt von Rom. 15. Vgl. Hauschild: Lehrbuch I, 14.

377

gtvh 08105 / p. 378 / 31.3.2022

Propheten

Hippolyt zitiert Bar 3,36-38 in Contra Noëtum 2,5 mit kleinen Abweichungen bei V. 38 (ταῦτα statt τοῦτο; fehlendes ἐν). In 5,3 wird erneut Bar 3,38 zitiert, wiederum mit kleinen Abweichungen (ταῦτα statt τοῦτο; fehlendes τῆς; fehlendes ἐν). 16 Wie bei Irenaeus wird Jakob/Israel auf Jesus bezogen, aber Hippolyt kombiniert diese Beziehung mit zwei neutestamentlichen Belegen: Mt 17,5 (du bist mein geliebter Sohn) und Joh 1,18 (der den Willen des Vaters kundgetan hat) werden mit Bar 3,36-38 auf Jesus bezogen und kombiniert. Ziel ist es, gegen die Patripassianer die Unterscheidung zwischen Vater und Sohn aus dem Text abzuleiten: »[5,2] Denn wer ist ›Jakob, sein Knecht‹, und ›Israel, der von ihm geliebte‹, anders als der, über den er ausruft und sagt: ›Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn hört‹ (vgl. Mt 17,5)? [5,3] Nachdem der vollkommene Israel, der wahre Jakob, all sein Wissen vom Vater erlangt hatte, ›erschien er danach auf Erden und unterhielt sich mit den Menschen‹. [5,4] Und Israel, wer ist das anders als der Mensch, der Gott sieht? Niemand sieht Gott außer dem Knecht und dem vollkommenen Menschen, der allein den Willen des Vaters kundgetan hat (vgl. Joh 1,18).« 17

2.4 Laktanz (~250-320) Hier kommen wir in den Bereich der arianischen Auseinandersetzungen des dritten Jahrhunderts. Jesus ist nach Laktanz 18 Gott und Mensch, was er mit Jes 45,14-16 und Bar 3 begründet. 19 Er bezieht dabei die Aussage Bar 3,36: »dieser ist unser Gott« auf Jesus. In V. 37 bleiben Jakob und Israel erhalten. In V. 38 geht es wieder um Jesus und dessen Inkarnation. Mit Ps 43 (44),7-8 und der Aussage: »dein Thron, Gott [besteht bis] in alle Ewigkeit […] deswegen hat dich Gott, dein Gott, gesalbt mit Salböl« begründet Laktanz, dass der »Gesalbte« eben auch Gott ist (vgl. Hebr 1,8).

2.5 Origenes († 254) In seinem Kommentar zum Johannesevangelium (Comm. in Ev. Joh. Tom. 6, c. 15; vgl. Sel. in Ps 125) nimmt Origenes Bar 3,38 der Sache nach auf, um zu belegen, dass die Aussage Johannes des Täufers: »es steht einer unter euch, den kennt ihr nicht, der kommt nach mir, und ich bin nicht wert, ihm die Schuhriemen aufzulösen«, in der Schrift angekündigt ist. 20 Die Inkarnation wurde also prophezeit in Bar 3,38.

16. 17. 18. 19. 20.

Hippolyt: C. Noët 2,5, FC 34, 262. Vgl. Reusch: Baruch, 269 f. Hippolyt: C. Noët 5,2-4, FC 34, 274. Lactantius: Inst. IV, 13,8, Heck / Wlosok 354. Reusch: Baruch, 269. Auch nach Laktanz stammt Bar 3 von Jeremia. Reusch: Baruch, 4 f.268. Auch Origenes scheint Baruch den jeremianischen Schriften zuzurechnen.

378

gtvh 08105 / p. 379 / 31.3.2022

Zur Rezeption von Bar 3,38

2.6 Kyrill von Jerusalem (313-386) Kyrill geht es darum, die Gottheit Jesu zu belegen. In seinen Katechesen (11,14f; vgl. 12,4) zitiert Kyrill Bar 3,36-38 neben Jes 45,14, um nachzuweisen, dass Jesus von Gott gezeugt, und zwar ewig gezeugt wurde. 21 Der vom Vater ewig gezeugte Sohn wurde später Mensch. Bar 3,36-38 soll belegen: »[15] Gott ist nach der Gesetzgebung des Mose Mensch geworden.« Ähnlich wie bei Laktanz findet sich auch hier ein Querverweis auf Ps 44 (43),7-8. Der Vater hat nicht den Sohn aus dem Nichtsein ins Dasein geführt (das wäre Schöpfung), auch hat er nicht den Nichtseienden als Sohn angenommen (das wäre Adoption). Vielmehr hat der Vater, der ewig ist, ewig und auf unsagbare Weise den einen und einzigen Sohn gezeugt.

2.7 Hilarius von Poitiers (315-367) Hilarius zitiert in De Trinitate V, 39 Bar 3,36-38 als Worte Jeremias. 22 Vater und Sohn sind gleichermaßen Gott. Sie sind nicht voneinander separierbar. Aber diese Einheit bedeutet nicht »Einzigkeit«. Jesus ist kein anderer Gott (gegen den Ditheismus). Er hat die »gleichwesentliche Göttlichkeit« wie der Vater (indiscretae a Deo Patre naturae unigenitum esse Deum; d. h. mit von Gottvater nicht zu unterscheidender Natur sei der Eingeborene [ebenfalls] Gott). Dies wird bewiesen mit Bar 3,36-38, aus dem gefolgert wird: »Deus est pater, deus est filius. In deo deus est, praeter eum deus non est, non alter ad eum deputatur ut deus sit« (d. h. Gott ist der Vater, Gott ist der Sohn. In Gott ist Gott, außer ihm gibt es keinen Gott. Kein anderer wird für Gott gehalten).

2.8 Ambrosius von Mailand (339-397) In seiner Schrift De fide 3,28f (vgl. 1,3) geht es Ambrosius um die trinitarische Einheit Gottes. 23 Er ordnet Baruch dem Propheten Jeremia zu und bezieht Bar 3,36-38 wieder auf Jesus, um die Einheit der Gottheit zu belegen. »[3,28] In Hieremiae quoque libro unum deum scriptura dicit et tamen et patrem et filium confitetur. Itaque sic habes: ›Hic deus est noster et non aestimabitur alius ad eum. Adinvenit omnem viam disciplinae et dedit eam Iacob puero suo et Israhel dilecto suo. Post haec in terris visus est et cum hominibus conversatus est.‹ [29] De filio dicit; ipse enim est ›cum hominibus conversatus‹. Et dicit: ›Hic est deus noster et non aestimabitur alius ad eum.‹ Quid discutimus eum, de quo sanctus dicit propheta quod ad eum alius non possit aestimari? Quae enim potest esse alia aestimatio, ubi deitatis unitas est?«

Die Rezeption von Bar 3,36-38 in der christologischen Diskussion ist mit den o. g. Beispielen nicht zu Ende. Auch bei den Großen Kappadoziern, bei Johannes Chrysostomos und bei Augustin wird Bar 3,36-38 in christologischen Kontexten als Schriftbeleg herangezogen. 21. Reusch: Baruch, 10.271. 22. Hilarius: Trin. V, 39, CC.SL 62, 194. Vgl. Reusch: Baruch, 13 Fn. 3. 274 f. 23. Ambrosius: Fid. I, 3/28, FC 47/1, 160. Vgl. Reusch: Baruch, 275.

379

gtvh 08105 / p. 380 / 31.3.2022

Propheten

Die altchristlichen Autoren haben einen ursprünglich auf die Tora oder auf Jakob/ Israel bezogenen Vers auf Jesus hin angewendet.

2.9 Weitere Belege für Zitate von Bar 3,36-38 24 Ambrosius: Fid. I, 3/28, FC 47/1, 160 (Bar 3,36-38) (s. o.); II, 9/80, FC 47/2, 308 (Bar 3,36-38) – Apostolische Constitutionen V, 20,3, von Funk 295 (Bar 3,36-38) – Athanasius: Adv. Ar. II, 49,5, SC 599, 172 (Bar 3,36) – Athenagoras: Leg. pro Christianis 9, PTS 31, 38 (Bar 3,36) – Augustinus: Civ. XVIII, 33, CSEL 40/2, 317 (Bar 3,36-38); Augustinus: Ep. 164,17, CSEL 44, 537 (Bar 3,38) – Augustinus: En. Ps. 47, 15, (Bar 3,38), CC.SL 38, 550 – Basilius Caes., De fide 4, PG 31, 685 A (Bar 3,38); – Ps.-Cyprian: Testim. II,6, CC.SL (Bar 3,35 unter der Überschrift quod Deus Christus) – Cyrillus Hieros., Catech. 11.15, Rupp 308 (Bar 3,36-38; s. o.) – Gregorius Nazianz: Ep. 102,12, Gallay 76 (Bar 3,38); Or. 30.13, SC 250, 254 (Bar 3,36.38) – Gregor von Nyssa: C. Eun. III, 36, GNO II, 120; Ref. 2, GNO II, 312 – Hilarius von Poitiers, Trin. IV, 42, CC.SL 62, 148 (Bar 3,36-38); V, 39, CC. SL 62, 194 (Bar 3,36-38; s. o.) – Hippolyt: C. Noëtum 2,5, FC 34, 262 (Bar 3,36-38); 5,1.3, FC 34, 274 (Bar 3,36; s. o.); 5,3, FC 34, 274 (Bar 3,38) – Johannes Cassian: De Incarnatione Verbi Contra Nestorium V, 5,1, CSEL 17, 307 (Bar 3,38); IV, 13,3, CSEL 17, 301 (Bar 3,37-38) – Johannes Chrysostomos: Hom. Mt. 19,9, PG 57, 286 (Bar 3,36); Hom. Mt. 2.2, PG 57, 25 (Bar 3,38) – Johannes Chrysostomos: In illud Pater, si possibile est (Matt 26,39) et contra Marcionitas et Manichaeos 3, PG 51, 37 (Bar 3,36-38) – Johannes Damasc.: Expos. fid. 13 (= I, 13), PTS 12, 38 (Bar 3,38); Expos. fid. 48 (= III, 4), PTS 12,118 (Bar 3,36.38); Expos. fid. 89 (= IV, 16), PTS 12, 207; 91 (= IV, 18), PTS 12, 213 (Bar 3,36.38) – Lactantius, Inst. IV,13,8 Heck / Wlosok 354 (Bar 3,36-38; s. o.); Epitome 44, SC 335, 180 (Bar 3,36-38) – Rufinus, Expos. Symb. 5, CC.SL 20, 141 – Theodoret, Eran. 1, Ettlinger 72 f. 1 (Bar 3,36.38); Theodoret, Ep. 76, SC 98, 164 (Bar 3,38); Ep. 151/IV, 4, SC 429, 108 (Bar 3,36-38) – Thomas Aqu.: S. Th. III, 4,4, Suárez 46 (Bar 3,38); III, 40,1, Suárez 307 (Bar 3,38).

24. Zur Liste der Zitationen der Kirchenväter bis zu Thomas v. Aquin vgl. Adams: Baruch, 205f, dessen Liste allerdings korrekturbedürftig ist.

380

gtvh 08105 / p. 381 / 31.3.2022

Ezechiel

2.2.4.5 Ezechiel Michael Konkel Literatur Editionen und Übersetzungen Hieronymus: Commentariorum in Hiezechielem Libri 14, cura et studio François Glorie, CC. SL 75, Turnhout 1964 – Hieronymus: Commentary on Ezekiel. Translated and introduced by Thomas P. Scheck, Ancient Christian Writers 71, New York / Mahwah 2017 – Theodoret: In divini Ezechielis prophetiam interpretatio, PG 81, 807 A-1256 B – Theodoret: Commentary on the Prophet Ezekiel. Translated with an introduction by Robert Charles Hill, Commentaries on the Prophets 2, Brookline 2006.

Weitere Literatur Crane, Ashley S.: Israel’s Restoration. A Textual-Comparative Exploration of Ezekiel 36-39, VT.S 122, Leiden / Boston 2008 – Dassmann, Ernst: Hesekiel, RAC 14 (1988), 1132-1191 – Fabry, Heinz-Josef: Ezechiel in Qumran und Masada – Bezeugung und Rezeption, in: Corinna Körting / Markus Witte (ed.), Das Buch Ezechiel. Komposition, Redaktion und Rezeption, BZAW 516, Berlin 2019, 1-41 – Karrer, Martin: Von der Apokalypse zu Ezechiel. Der Ezechieltext der Apokalypse, in: Dieter Sänger (ed.), Das Ezechielbuch in der Johannesoffenbarung, BThS 76, Neukirchen-Vluyn 2004, 84-120 – Konkel, Michael: ‫ ְיֶח ְזקאל‬jeḥæzqeʾ l, in: HeinzJosef Fabry / Ulrich Dahmen (ed.), Theologisches Wörterbuch zu den Qumrantexten 2, Stuttgart 2013, 130-133 – Konkel, Michael: Das Ezechielbuch zwischen Hasmonäern und Zadokiden, in: Ulrich Dahmen / Johannes Schnocks (ed.), Juda und Jerusalem in der Seleukidenzeit. Herrschaft – Widerstand – Identität, FS Heinz-Josef Fabry, BBB 159, Göttingen 2010, 59-78 – Konkel, Michael: The Vision of the Dry Bones (Ezek. 37.1-14). Resurrection, Restoration or What?, in: William Arthur Tooman / Penelope Barter (ed.), Ezekiel. Current Debates and Future Directions, FAT 112, Tübingen 2017, 107-119 – Konkel, Michael: Die Ezechiel-Septuaginta, Papyrus 967 und die Redaktionsgeschichte des Ezechielbuches. Probleme und Perspektiven am Beispiel von Ez 34, in: Corinna Körting / Markus Witte (ed.), Das Buch Ezechiel. Komposition, Redaktion und Rezeption, BZAW 516, Berlin 2019, 43-62 – Kowalski, Beate: Die Rezeption des Propheten Ezechiel in der Offenbarung des Johannes, SBB 52, Stuttgart 2004 – Kreuzer, Siegfried: Papyrus 967 – Bemerkungen zu seiner buchtechnischen, textgeschichtlichen und kanongeschichtlichen Bedeutung, in: Die Septuaginta. Texte, Kontexte, Lebenswelten, Tagung Wuppertal 2006, WUNT 219, Tübingen 2008, 65-81. – Lange, Armin: Handbuch der Textfunde vom Toten Meer, Bd. 1, Tübingen 2009 – Lilly, Ingrid E.: Two Books of Ezekiel. Papyrus 967 and the Masoretic Text as Variant Literary Editions, VT.S 150, Leiden / Boston 2012 – Lohfink, Norbert: Dt 26,17-19 und die »Bundesformel«, ZKTh 91 (1969), 517-553 – Lust, Johan: Ezekiel 36-40 in the Oldest Greek Manuscript, CBQ 43 (1981), 517-533 – Lust, Johan: Jezekiel / Ezechiel / Hesekiel, in: Siegfried Kreuzer (ed.), Handbuch zur Septuaginta, LXX.H 1, Gütersloh 2016, 631-632 – Mackie, Timothy P.: Expanding Ezekiel. The Hermeneutics of Scribal Addition in the ancient Text Witnesses of the Book of Ezekiel, FRLANT 257, Göttingen 2015 – Neuss, Wilhelm: Das Buch Ezechiel in Theologie und Kunst bis zum Ende des XII. Jahrhunderts, Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinerordens 1-2, Münster 1912 – Olley, John W.: Ezekiel. A Commentary based in Iezekiēl, Septuagint Commentary Series, Leiden / Boston 2009 – Schwagmeier, Peter: Untersuchungen zur Textgeschichte und Ent-

381

gtvh 08105 / p. 382 / 31.3.2022

Propheten

stehung des Ezechielbuches in masoretischer und griechischer Überlieferung, Diss. Zürich 2004 – Talmon, Shemaryahu: Fragments of an Ezekiel Scroll from Masada, OLP 27 (1996), 29-49 – Tigchelaar, Eibert: Notes on the Ezekiel Scroll From Masada (MasEzek), RQu 22/2 (2005), 269-275 – Willmes, Bernd: Die sogenannte Hirtenallegorie Ez 34. Studien zum Bild des Hirten im Alten Testament, BET 19, Frankfurt a. M. 1984.

1. Vorbemerkungen Der Artikel arbeitet nicht allgemein die Rezeption des griechischen Ezechielbuches auf, sondern fokussiert die Rezeption von Spezifika des griechischen Buches gegenüber dem Masoretischen Text. Grundsätzlich gilt, dass eine solche spezifische Rezeption der Ezechielseptuaginta methodisch schwer zu erfassen ist. Ausgangspunkt sollten dabei direkte Zitate sein. Erst wenn hierüber eine direkte Verwendung der Septuagintafassung des Ezechielbuches nachgewiesen ist, kann nach einer weitergehenden Rezeption gefragt werden. 1 Die Ezechielseptuaginta ist in zwei Fassungen greifbar: 2 Die eine wird repräsentiert u. a. durch den Codex Vaticanus als Hauptzeugen. Sie bietet einen etwas kürzeren Text als MT, entspricht diesem aber im Aufbau. Demgegenüber bezeugen der vorhexaplarische Pap 967 und davon unabhängig der Codex Wirceburgensis eine Buchfassung mit einer im hinteren Buchteil von MT abweichenden Kapitelfolge: Ez 36,1-16bα; Ez 38-39; Ez 37; Ez 40-48. Darüberhinaus wird das theologische gewichtige Stück Ez 36,23bβ–38 von Pap 967 nicht bezeugt. 3 In den vergangenen Jahren hat sich in der Forschung ein relativ weit reichender Konsens etablieren können, dass diese Kapitelfolge nicht auf einen Unfall der Textüberlieferung zurückzuführen ist, sondern den Aufbau des Old Greek und insgesamt eine ältere Buchgestalt repräsentieren dürfte. 4 Neben Zitaten aus dem griechischen Ezechielbuch ist somit zu prüfen, ob diese ältere Buchfassung in der Rezeption ihre Spuren hinterlassen hat.

1.

2. 3. 4.

Anspielungen bieten keine hinreichende Beweiskraft für eine spezifische Rezeption der Ezechielseptuaginta. Als Beispiel sei Apk 4,1 genannt: »Danach sah ich und siehe, eine Tür war geöffnet am Himmel.« Hier könnte eine Anspielung auf Ez 1,1 vorliegen, da an beiden Stellen das Verb ἀνοίγειν verwendet wird. Allerdings wird das Verb auch in TestLev 5,1 im Kontext des Motivs der Himmelsreise verwendet. Apk greift hier also einen auch im Ezechielbuch belegten Topos auf und entwickelt diesen weiter. »Die Wahl von ἀνοίγειν als Äquivalent von ‫ פתח‬genügt angesichts dessen nicht, um eine enge Referenz auf Ez LXX zu sichern; wir befinden uns lediglich allgemein in der Sprache des griechischen Judentums.« (Karrer: Von der Apokalypse zu Ezechiel, 103) Nichtsdestoweniger lässt sich dann gerade für Apk eine spezifische Rezeption der Ezechiel-Septuginta auf anderem Wege nachweisen (s. u.). Siehe Lust: Jezekiel. Dort umfassende weitere Literatur. Weiterhin fehlen Ez 12,26-28 und 32,25-26. Leider sind die ersten neun Blätter des Papyrus (Ez 1,1-11,24) verschollen. Zu Pap 967 allgemein s. Kreuzer, Papyrus 967. Schwagmeier: Untersuchungen; Crane: Israel’s Restoration; Lilly: Two Books, Mackie: Expanding Ezekiel.

382

gtvh 08105 / p. 383 / 31.3.2022

Ezechiel

2. Die vorchristliche Rezeption der Ez-Septuaginta Eine spezifische Rezeption der Ezechiel-Septuaginta lässt sich in den Schriften des Frühjudentums nicht nachweisen. Signifikant ist der Befund in Qumran: Die griechische Fassung des Buches ist dort nicht belegt. Überhaupt gilt: »In Qumran ist die Bezeugung des Ezechielbuches außerordentlich schmal. Lediglich 6 Handschriften, von denen nur winzige Fragmente übrig geblieben sind, bezeugen die Existenz von Ezechiel-Texten.« 5 Dabei dürften nur zwei Rollen auch wirklich als Ezechielrollen zu identifizieren sein (4Q73 und 11Q4). »Ezechiel darf damit als das am schwächsten bezeugte Prophetenbuch in Qumran gelten.« 6 So weit erkennbar, wird dabei überwiegend eine Textform tradiert, die MT nahe steht. Dies gilt auch für die Fragmente aus Masada, welche die Textfolge des MT (Ez 37 – 38 – 39) sicher bezeugen, und welche den sicheren terminus ad quem (1. Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr.) für die masoretische Textgestalt des Buches definieren. 7 Auch die Rezeption des Ezechielbuches in den Texten der Gemeinschaft von Qumran fällt mit vier Zitaten bescheiden aus. 8 Eine breitere Rezeption des hebräischen Ezechieltextes ist nur für Texte, die bereits aus vorqumranischer Zeit stammen, bezeugt (Tempelrolle, Neues Jerusalem, Sabbatopferlieder, 4QPseudo-Ezekiel). Eine spezifische Rezeption der Ezechiel-Septuaginta ist auch hier nicht nachweisbar. Auffällig ist, dass 4QPseudo-Ezekiel bereits die Kapitelfolge des masoretischen Textes zu rezipieren scheint, womit postuliert werden kann, dass die masoretische Buchgestalt ins 2. Jh. v. Chr. zurückreichen dürfte. 9

3. Die Rezeption der Ez-Septuaginta im Neuen Testament Die Rezeption des Ezechielbuches im Neuen Testament fällt ebenfalls vergleichsweise schwach aus. Ich konzentriere mich zunächst auf die Suche nach direkten Zitaten. Mk 8,18 identifiziert Nestle-Aland als Zitat von Jer 5,21. Der synoptische Vergleich zeigt jedoch, dass die Formulierung deutlich näher bei Ez 12,2 liegt: Mk 8,18

ὀφθαλμοὺς ἔχοντες οὐ βλέπετε 5. 6. 7.

8. 9.

Ez 12,2

Jer 5,21

Υἱὲ ἀνθρώπου, ἐν μέσῳ τῶν ἀδικιῶν αὐτῶν σὺ κατοικεῖς, οἳ ἔχουσιν ὀφθαλμοὺς τοῦ βλέπειν καὶ οὐ βλέπουσιν

ἀκούσατε δὴ ταῦτα, λαὸς μωρὸς καὶ ἀκάρδιος, ὀφθαλμοὶ αὐτοῖς καὶ οὐ βλέπουσιν,

Fabry: Ezechiel in Qumran, 3. Fabry: Ezechiel in Qumran, 3. Talmon: Fragments, datiert MasEz ins 1. Jh. v. Chr. Tigchelaar: Notes, dürfte jedoch gezeigt haben, dass »es sich um eine spätherodianische Schrifttype aus der Zeit nach der Mitte des 1. Jh. n. Chr. handelt.« (Lange: Handbuch, 328). Ez 9,4 in CD 19,11-12; Ez 25,8 in 4QMidrEschatb 19,13 f.; Ez 37,23 in 4QMidrEschata 3,16 f.; Ez 44,15 in CD 3,21-4,4. Zur Analyse der Stellen s. Konkel: ‫ ; ְיֶח ְזקאל‬Fabry: Ezechiel in Qumran. Zur Datierung der Ezechielseptuaginta in die hasmonäische Zeit s. Konkel: Ezechielbuch.

383

gtvh 08105 / p. 384 / 31.3.2022

Propheten

Mk 8,18

Ez 12,2

Jer 5,21

καὶ ὦτα ἔχοντες οὐκ ἀκούετε;

καὶ ὦτα ἔχουσιν τοῦ ἀκούειν καὶ οὐκ ἀκούουσιν, διότι οἶκος παραπικραίνων ἐστίν. Menschensohn, inmitten ihrer Ungerechtigkeiten wohnst du, die Augen haben zu sehen und sie sehen nicht, und sie haben Ohren zu hören, und sie hören nicht, denn ein rebellierendes Haus ist es.

ὦτα αὐτοῖς καὶ οὐκ ἀκούουσιν.

Augen habend seht ihr nicht und Ohren habend hört ihr nicht?

Hört nun dies, törichtes und herzloses Volk: Augen (haben) sie und sie sehen nicht; Ohren (haben) sie und sie hören nicht.

Gleichwohl gilt, dass Mk 8,18 nicht als Zitat gekennzeichnet ist und anstelle des Aussagesatzes Ez 12,2 sich bei Mk ein Fragesatz findet. Im Hintergrund steht das Verstockungsmotiv, welches bei Mk von Jes 6,9f her gestaltet wird (Mk 4,12; vgl. auch 18,17). Mk 8,18 zitiert also mit den Worten von Ez 12,2 einen Topos an. Von einem direkten Zitat (weder von Ez 12,2 noch von Jer 5,21) kann man m. E. nicht sprechen. Erst recht ist hier keine spezifische Septuaginta-Rezeption erkennbar. Im Corpus Paulinum spielt das Ezechielbuch de facto keine Rolle. Nestle-Aland identifiziert ein Zitat von Ez 5,11 in Röm 14,11: Röm 14,11

Ez 5,11

ζῶ ἐγώ, λέγει κύριος,

διὰ τοῦτο Ζῶ ἐγώ, λέγει κύριος, εἰ μὴ ἀνθ’ ὧν τὰ ἅγιά μου ἐμίανας ἐν πᾶσιν τοῖς βδελύγμασίν σου, κἀγὼ ἀπώσομαί σε, οὐ φείσεταί μου ὁ ὀφθαλμός, κἀγὼ οὐκ ἐλεήσω.

ὅτι ἐμοὶ κάμψει πᾶν γόνυ καὶ πᾶσα γλῶσσα ἐξομολογήσεται τῷ θεῷ.

384

Jes 45,23

κατ’ ἐμαυτοῦ ὀμνύω Ἦ μὴν ἐξελεύσεται ἐκ τοῦ στόματός μου δικαιοσύνη, οἱ λόγοι μου οὐκ ἀποστραφήσονται ὅτι ἐμοὶ κάμψει πᾶν γόνυ καὶ ἐξομολογήσεται πᾶσα γλῶσσα τῷ θεῷ

gtvh 08105 / p. 385 / 31.3.2022

Ezechiel

Röm 14,11

Ez 5,11

So wahr ich lebe, spricht der Herr,

Deshalb, (so wahr) ich lebe, spricht der Herr, dafür, dass du mein Heiligtum befleckt hast mit allen deinen Gräueltaten, werde ich dich gewiss verstoßen, mein Auge wird nicht nachsichtig sein, und ich werde nicht barmherzig sein. Bei mir selbst schwöre ich: Wahrlich Gerechtigkeit wird aus meinem Munde kommen, und meine Worte werden nicht rückgängig gemacht werden, denn vor mir wird jedes Knie sich beugen und jede Zunge Gott preisen.

vor mir wird jedes Knie sich beugen und jede Zunge Gott preisen.

Jes 45,23

Aus Ez 5,11 stammt freilich lediglich die sog. »Schwurformel«. Inhaltlich steht Ez 5,11 in keinerlei Bezug zu Röm 14,11. Das Herz des Schriftzitats wird vielmehr von Jes 45,23 in der Septuagintafassung gebildet. Die Schwurformel ist mit sechzehn Belegen zwar typisch für das Ezechielbuch, aber sie findet sich auch in Jes 49,18 (vgl. auch Num 14,28; Jer 22,24; 26,18; Zef 2,9). Paulus zitiert also Jes 45,23 unter Hinzunahme der allgemein prophetischen und auch bei DtJes belegten Schwurformel. Weder von einem Zitat noch von einer Anspielung auf Ez 5,11 kann hier die Rede sein. Gleich zwei Ezechielzitate identifiziert Nestle-Aland in 2 Kor 6,16 f. 2 Kor 6,14-18 gehört zum Finale des ersten Teils von 2 Kor, in dem Paulus seine Mahnungen mit Schriftzitaten untermauert. Dabei amalgamiert er gleich mehrere Stellen zu einem einzigen Schriftzitat: 2 Kor 6,16-18

Ez 37,27

16 τίς δὲ συγκατάθεσις ναῷ θεοῦ μετὰ εἰδώλων; ἡμεῖς γὰρ ναὸς θεοῦ ἐσμεν ζῶντος, καθὼς εἶπεν ὁ θεὸς ὅτι ἐνοικήσω ἐν αὐτοῖς καὶ ἔσται ἡ κατασκήνωσίς μου ἐν αὐτοῖς, καὶ ἐμπεριπατήσω καὶ ἔσομαι αὐτῶν θεὸς καὶ καὶ ἔσομαι αὐτοῖς θεός, αὐτοὶ ἔσονταί μου λαός. καὶ αὐτοί μου ἔσονται λαός.

Lev 26,11Gö

11 καὶ θήσω τὴν σκηνήν μου ἐν ὑμῖν, καὶ οὐ βδελύξεται ἡ ψυχή μου ὑμᾶς. 12 καὶ ἐμπεριπατήσω ἐν ὑμῖν καὶ ἔσομαι ὑμῶν θεός, καὶ ὑμεῖς ἔσεσθε μου λαός.

385

gtvh 08105 / p. 386 / 31.3.2022

Propheten

2 Kor 6,16-18

Ez 37,27

16 Wie verträgt sich der Tempel Gottes mit Götzen? Denn wir sind der Tempel des lebendigen Got- Und meine Wohnung wird tes, wie bei ihnen sein, gesprochen hat der Gott: Ich will bei ihnen wohnen Und ich werde umhergehen Und ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein. 17 διὸ ἐξέλθατε ἐκ μέσου αὐτῶν καὶ ἀφορίσθητε, λέγει κύριος, καὶ ἀκαθάρτου μὴ ἅπτεσθε·

Deshalb geht weg aus ihrer Mitte und sondert euch ab, sagt der Herr, und Unreines fasst nicht an!

κἀγὼ εἰσδέξομαι ὑμᾶς

386

und ich werde ihnen Gott sein, und sie werden mein Volk sein.

Lev 26,11Gö

11 und ich werde mein Zelt unter euch aufschlagen, und ich meine Seele wird euch nicht verabscheuen. 12 Und ich werde unter euch umhergehen, und ich werde euer Gott sein, und ihr werdet mein Volk sein.

Jes 52,11 ἀπόστητε ἀπόστητε ἐξέλθατε ἐκεῖθεν καὶ ἀκαθάρτου μὴ ἅπτεσθε, ἐξέλθατε ἐκ μέσου αὐτῆς ἀφορίσθητε, οἱ φέροντες τὰ σκεύη κυρίου· Weichet, weichet, geht weg von dort und Unreines fasst nicht an! Geht weg aus ihrer Mitte, sondert euch ab, die ihr tragt die Geräte des Herrn! Ez 20,34 καὶ ἐξάξω ὑμᾶς ἐκ τῶν λαῶν καὶ εἰσδέξομαι ὑμᾶς ἐκ τῶν χωρῶν, οὗ διεσκορπίσθητε ἐν αὐταῖς, ἐν χειρὶ κραταιᾷ καὶ ἐν βραχίονι ὑψηλῷ καὶ ἐν θυμῷ κεχυμένῳ·

Zef 3,20 καὶ καταισχυνθήσονται ἐν τῷ καιρῷ ἐκείνῳ, ὅταν καλῶς ὑμῖν ποιήσω, καὶ ἐν τῷ καιρῷ, ὅταν εἰσδέξωμαι ὑμᾶς· διότι δώσω ὑμᾶς ὀνομαστοὺς καὶ εἰς καύχημα ἐν πᾶσιν τοῖς λαοῖς τῆς γῆς. ἐν τῷ ἐπιστρέφειν με τὴν αἰχμαλωσίαν ὑμῶν ἐνώπιον ὑμῶν, λέγει κύριος.

gtvh 08105 / p. 387 / 31.3.2022

Ezechiel

2 Kor 6,16-18

Ez 37,27

Lev 26,11Gö

Und sie werden sich schämen zu jener Zeit, wenn ich euch Gutes tun werde, und zu der Zeit, Und ich werde euch aufneh- Und ich werde euch samwenn ich euch annehmen men meln aus den Orten, unter denen ihr zerstreut wurdet, werde; denn ich werde euch mit starker Hand und mit er- Ansehen und Ruhm verleihobenem Arm und mit aus- hen unter allen Völkern der gegossenem Grimm. Erde, indem ich eure Gefangenen vor euren Augen zurückbringe, sagt der Herr. 2 Kgt 7,14 18 καὶ ἔσομαι ὑμῖν εἰς ἐγὼ ἔσομαι αὐτῷ εἰς πατέρα πατέρα, καὶ ὑμεῖς ἔσεσθέ μοι εἰς καὶ αὐτὸς ἔσται μοι εἰς υἱοὺς καὶ θυγατέρας, υἱόν· καὶ ἐὰν ἔλθῃ ἡ ἀδικία αὐτοῦ, καὶ ἐλέγξω αὐτὸν ἐν ῥάβδῳ ἀνδρῶν καὶ ἐν ἁφαῖς υἱῶν ἀνθρώπων· Ich werde ihm zum Vater 18 Und ich werde euch zum Vater sein und ihr werdet mir sein, zu Söhnen und Töchtern und er wird mir zum Sohn sein, sein. Und ich werde euch aus den Völkern herausführen

λέγει κύριος παντοκράτωρ.

sagt der Herr, der Allherrscher.

Und wenn er ungerecht handelt, werde ich ihn zurechtweisen durch die Rute von Männern und durch Schläge von Menschen. 2 Kgt 7,8 καὶ νῦν τάδε ἐρεῖς τῷ δούλῳ μου Δαυιδ Τάδε λέγει κύριος παντοκράτωρ Ἔλαβόν σε ἐκ τῆς μάνδρας τῶν προβάτων τοῦ εἶναί σε εἰς ἡγούμενον ἐπὶ τὸν λαόν μου ἐπὶ τὸν Ισραηλ Und nun sollst du folgendes sagen zu meinem Knecht David: So spricht der Herr, der Allherrscher:

387

gtvh 08105 / p. 388 / 31.3.2022

Propheten

Klar erkennbar ist das Zitat von Jes 52,11, welches Paulus kürzt und dem er durch die Hinzufügung der Gottesspruchformel (λέγει κύριος) zusätzliche Autorität verleiht. Daran schließt ein an den Kontext angepasstes Zitat aus der Nathansverheißung an (2 Kgt 7,14). Selbiges beschließt Paulus mit der erweiterten Botenformel, welche in dieser Form die Eröffnung der Nathansverheißung in 2Sam 7,8 bildet. Der Bezug zu 2 Kgt 7 ist damit trotz der Umformung eindeutig. Weitaus weniger klar aber ist, ob Paulus hier auch das Ezechielbuch anzitiert. Nestle-Aland zufolge folgt auf das Jesajazitat ein Zitat von Ez 20,34. Die Parallele beschränkt sich aber allein auf das καὶ εἰσδέξομαι ὑμᾶς, was im Ezechielbuch auf den zweiten Exodus aus den Völkern bezogen wird. Entsprechend ist εἰσδέχομαι im Ezechielbuch mit »sammeln« zu übersetzen (Ez 11,17; 20,34.41 sowie 22,19.20; vgl. Mi 4,6; Hab 2,5; Zef 3,8.19; Sach 10,8.10; Jer 23,3). 2Kor 6 aber verwendet das Lexem in der ursprünglichen Bedeutung »annehmen«. In dieser Bedeutung ist es in der Septuaginta allein in Zef 3,20 belegt, der einzigen Stelle neben Ez 20,34, die wörtlich mit 2 Kor 16,17 übereinstimmt. Von daher dürfte καὶ εἰσδέξομαι ὑμᾶς als Zitat von Zef 3,20 zu identifizieren sein. Es verbleibt der Beginn des Schriftzitats in 2 Kor 6,16. Nestle-Aland erkennt hier ein Zitat von Ez 37,27. Der Bezug ist freilich nur im zweiten Teil des Verses erkennbar. Dieser aber zitiert selbst wiederum die sog. »Bundesformel« an. Diese ist in ihrer zweigliedrigen Form im Alten Testament 19 mal belegt. 10 Deutlich näher an 2 Kor 6,16 liegt aufgrund des vorhergehenden καὶ ἐμπεριπατήσω Lev 26,12 (vgl. aber auch Jer 38,33 = 31,33 MT). Entscheidend ist daher, ob das ἐνοικήσω ἐν αὐτοῖς als Zitat von Ez 37,27 zu verstehen ist. Vom Wortlaut her stimmt der Satz weder mit Ez 37,27 noch mit Lev 26,11 oder einer anderen Stelle in der Septuaginta überein. Auffällig ist auch, dass in der Septuaginta ἐνοικήσω konsequent mit Menschen (»Bewohner«) und nie mit Gott als Subjekt konstruiert wird. Die Formulierung von 2 Kor 6,16 ist somit singulär (vgl. aber Röm 8,11), so dass Paulus hier vermutlich nicht auf die Septuaginta zurückgreift, sondern eine eigene Übersetzung eines Schriftzitates bietet. Damit dürfte als Referenz aber eher Lev 26,11 in Frage kommen. Auch eine Umformung von Sach 8,8 ist denkbar. Somit lässt sich auch hier keine Rezeption der Ezechielseptuaginta nachweisen. In Apk 11,11 identifiziert Nestle-Aland ein Zitat aus Ez 37: Apk 11,11

Ez 37,5

Ez 37,10

Καὶ μετὰ τὰς τρεῖς ἡμέρας καὶ ἥμισυ πνεῦμα ζωῆς ἐκ τοῦ θεοῦ εἰσῆλθεν ἐν αὐτοῖς, καὶ ἔστησαν ἐπὶ τοὺς πόδας αὐτῶν, καὶ φόβος μέγας ἐπέπεσεν ἐπὶ τοὺς θεωροῦντας αὐτούς.

Τάδε λέγει κύριος τοῖς ὀστέοις τούτοις Ἰδοὺ ἐγὼ φέρω εἰς ὑμᾶς πνεῦμα ζωῆς

καὶ ἐπροφήτευσα καθότι ἐνετείλατό μοι· καὶ εἰσῆλθεν εἰς αὐτοὺς τὸ πνεῦμα, καὶ ἔζησαν καὶ ἔστησαν ἐπὶ τῶν ποδῶν αὐτῶν, συναγωγὴ πολλὴ σφόδρα.

10. Ex 6,7; Lev 26,12; Dtn 26,17-19; 29,12; 2 Kgt 7,24 (= 1 Chr 17,22); Jer 7,23; 11,4; 24,7; 30,22; 31,1.33; 32,38; Ez 11,20; 14,11; 36,28; 37,23.27; Sach 8,8 (Liste nach Lohfink: Dt 26,17-19 und die »Bundesformel«, 517).

388

gtvh 08105 / p. 389 / 31.3.2022

Ezechiel

Apk 11,11

Ez 37,5

Ez 37,10

Und nach drei Tagen und Geist des Lebens von Gott kam in sie,

Dies sagt der Herr diesen Und ich verkündete, wie er Knochen: Siehe, ich bringe in mir aufgetragen hatte; und es euch Geist des Lebens. ging hinein in sie der Geist, und sie wurden lebendig, und sie stellten sich auf ihre und sie stellten sich auf ihre Füße, Füße, eine sehr zahlreiche Verund große Furcht fiel auf die, sammlung. die sieh sahen.

Hier ist nun ein eindeutiger Bezug zur Vision von der Erweckung der Gebeine in Ez 37,1-14 erkennbar, der durch die einzigartige Abfolge von Geistgabe und »Stellen auf die Füße« gesichert ist. Das von Gott ausgehende Lebensprinzip ist πνεῦμα ζωῆς, was exakt Ez 37,5 entspricht. Der Ausdruck πνεῦμα ζωῆς ist nun spezifisch, insofern die Septuaginta (inkl. Pap 967) damit das ‫ רוח וחייתם‬des MT wiedergibt. 11 »In Ez 37,5.10 wagte die LXX die Verdichtung von Gottes Geist zum Geist des Lebens […]. Die Relevanz dessen ist hoch: Erst dank der LXX konnte Apk 11 das Ezechielbuch selbst für eine Neubelebung im Sinne der Auferstehung (und nicht eine inntergeschichtliche kollektive Neubelebung Israels) benützen.« 12 Damit ist eine spezifische Rezeption der Septuagintafassung von Ez 37 für Apk 11 nachgewiesen. Apk 21,7 zitiert laut Nestle-Aland Ez 11,20: Apk 21,7

Ez 11,20

ὁ νικῶν κληρονομήσει ταῦτα

ὅπως ἐν τοῖς προστάγμασίν μου πορεύωνται καὶ τὰ δικαιώματά μου φυλάσσωνται καὶ ποιῶσιν αὐτά· καὶ ἔσονταί μοι εἰς λαόν, καὶ ἐγὼ ἔσομαι αὐτοῖς εἰς θεόν.

καὶ ἔσομαι αὐτῷ θεὸς καὶ αὐτὸς ἔσται μοι υἱός.

2 Kgt 7,14

ἐγὼ ἔσομαι αὐτῷ εἰς πατέρα, καὶ αὐτὸς ἔσται μοι εἰς υἱόν· καὶ ἐὰν ἔλθῃ ἡ ἀδικία αὐτοῦ, καὶ ἐλέγξω αὐτὸν ἐν ῥάβδῳ ἀνδρῶν καὶ ἐν ἁφαῖς υἱῶν ἀνθρώπων·

11. Zum unterschiedlichen Gebrauch von ‫ רוח‬bzw. πνεῦμα in MT und der Septuaginta innerhalb von Ez 37,1-14 s. Konkel: Vision of the Dry Bones, 116 f. 12. Karrer: Von der Apokalypse zu Ezechiel, 111.

389

gtvh 08105 / p. 390 / 31.3.2022

Propheten

Apk 21,7

Ez 11,20

Wer siegt, wird dies als Anteil Damit sie in meinen Vorerhalten, schriften wandeln und meine Rechtssätze beachten und sie und ich werde ihm Gott sein tun werden. Und sie werden mir zum und er wird mir Sohn sein. Volk sein, und ich werde ihnen zum Gott sein.

2 Kgt 7,14

Ich werde ihm zum Vater sein, und er wird mir zum Sohn sein. Und wenn er ungerecht handelt, werde ich ihn zurechtweisen durch die Rute von Männern und durch Schläge von Menschen.

Apk 21,7 zitiert die bereits oben erwähnte zweiteilige Bundesformel. Ist man bereit, hier einen direkten Bezug zu einem bestimmten Text anzunehmen, so kommt hierfür jedoch allein 2 Kgt 7,14 innerhalb der Nathansverheißung in Frage. Hier ein Zitat von Ez 11,20 anzunehmen, ist willkürlich. Ich ziehe ein kurzes Zwischenfazit: Das Ezechielbuch spielt im Neuen Testament eine marginale Rolle. Die von Nestle-Aland genannten fünf Zitate aus dem Ezechielbuch halten bis auf das Zitat von Ez 37,5.10 in Apk 11,11 einer näheren Betrachtung nicht stand. In Apk 11 kann freilich nicht nur eine Rezeption des Ezechielbuches allgemein, sondern spezifisch der Ezechielseptuaginta nachgewiesen werden. Diese Spur gilt es nun weiter zu verfolgen. Es besteht keinerlei Zweifel, dass das Ezechielbuch von Apk breit rezipiert wird (vgl. das Motiv des Verschlingens der Buchrolle, die Anklänge an die Merkaba-Vision, die zweite Tempelvision Ez 40-48 u. a.). 13 Auf eine spezifische Septuaginta-Rezeption führt dabei neben Apk 11,11 auch die Nennung von »Gog und Magog« in Apk 20,8. Damit wird deutlich auf Ez 38-39 Bezug genommen. Freilich ist in MT von »Gog aus dem Land Magog« die Rede (Ez 38,2). Demgegenüber liest die Septuaginta an dieser Stelle »Gog und das Land des Magog«. Das entspricht zwar noch nicht Apk 20,8, aber die Septuaginta legt hier die Grundlage für die Identifikation zweier Figuren Gog und Magog. 14 Bereits 1981 vermutete J. Lust, dass der Verfasser von Apk die beiden Texttraditionen des Ezechielbuches gekannt habe. 15 M. Karrer hat dies weiter vertieft und zugleich die Komplexität der Problematik aufgezeigt: »Der Apk-Autor kannte das Ezechielbuch auf griechisch und mutmaßlich zusätzlich hebräisch.« 16 Fraglich ist freilich, welche Buchfassungen jeweils zugrunde lagen. Der Blick auf die Komposition von Apk 20-22 macht deutlich, dass sich hierauf keine eindeutige Antwort geben lässt:

13. Zur Rezeption des Ezechielbuches in Apk s. Kowalski: Rezeption; Karrer: Von der Apokalpyse zu Ezechiel. 14. Karrer: Von der Apokalypse zu Ezechiel, 111. 15. Lust: Ezekiel 36-40, 532. 16. Karrer: Von der Apokalypse zu Ezechiel, 118.

390

gtvh 08105 / p. 391 / 31.3.2022

Ezechiel

Apk 20,1-3 Apk 20,4-6 Apk 20,7-10 Apk 20,11-14 Apk 21,1-22,5

Überwindung des Satans (Ez 38-39) für tausend Jahre Auferstehung der Märtyrer Ez 37,1-14 Endgültiger Sieg über Satan, Gog und Magog Allgemeine Auferstehung und Gericht Das neue Jerusalem

Ez 38-39 Ez 37,1-14 Ez 40-48

(Sieg über Gog aus Magog) Vision von der Erweckung der Gebeine Sieg über Gog aus Magog Vision von der Erweckung der Gebeine Der neue Tempel und die neue Stadt

Ab Apk 20,7-10 ist die Abfolge deckungsgleich mit der von Pap 967 für das Ezechielbuch bezeugten Textfolge. Gestört wird dies freilich durch die vorgeschaltete Auferstehung der Märtyrer in Apk 20,4-6. Das entspricht eher der Textfolge des MT. Denkbar ist, dass hier beide Textfassungen zu einem Ablauf amalgamiert werden. 17 Bezieht man jedoch Apk 20,1-3 mit ein, ist auch denkbar, dies als Aufnahme von Ez 38-39 zu lesen, auch wenn Gog und Magog hier noch nicht namentlich genannt werden. Der Verfasser von Apk hätte dann den durch Pap 967 bezeugten Geschehensablauf gleichsam verdoppelt. Auch Apk 11, wo ja eine spezifische Rezeption der Ezechielseptuaginta nachgewiesen werden konnte, scheint die von Pap 967 bezeugte Textfolge zu spiegeln: Apk 11,7-10 Apk 11,11-14

Krieg des Tiers gegen die zwei Zeugen Auferweckung und Himmelfahrt der zwei Zeugen

Ez 38-39

Sieg über Gog aus Magog

Ez 37,1-14

Vision von der Erweckung der Gebeine

Damit ist es wahrscheinlich, dass dem Verfasser der Apk das griechische Ezechielbuch mit der von Pap 967 bezeugten Textfolge vorlag. Das Konzept einer zweiten Auferstehung nach dem letzten Endzeitkampf dürfte somit von dieser Fassung des griechischen Ezechielbuches inspiriert sein. Abschließend noch ein Wort zu Joh 10. Hier dürfte Ez 34 im Hintergrund stehen. Es ist allerdings kaum möglich, eine direkte literarische Abhängigkeit beider Texte nachzuweisen. 18 Mit Blick auf eine spezifische Septuagintarezeption ist Joh 10,16 zu diskutieren: Joh 10,16 καὶ ἄλλα πρόβατα ἔχω ἃ οὐκ ἔστιν ἐκ τῆς αὐλῆς ταύτης· κἀκεῖνα δεῖ με ἀγαγεῖν καὶ τῆς φωνῆς μου ἀκούσουσιν, καὶ γενήσονται μία ποίμνη, εἷς ποιμήν.

Ez 34,23Ra

Ez 37,24

καὶ ἀναστήσω ἐπ’ αὐτοὺς ποιμένα ἕνα [Gö: ἕτερον]

καὶ ὁ δοῦλός μου Δαυιδ ἄρχων ἐν μέσῳ αὐτῶν, καὶ ποιμὴν εἷς ἔσται πάντων·

17. So Karrer: Von der Apokalypse zu Ezechiel, 117. 18. Siehe hierzu den Nachweis bei Willmes: Hirtenallegorie, 487-490.

391

gtvh 08105 / p. 392 / 31.3.2022

Propheten

Joh 10,16

Ez 34,23Ra

Ez 37,24

καὶ ποιμανεῖ αὐτούς, τὸν δοῦλόν μου Δαυιδ,

ὅτι ἐν τοῖς προστάγμασί μου πορεύσονται καὶ τὰ κρίματά μου φυλάξονται καὶ ποιήσουσιν αὐτά.

καὶ ἔσται αὐτῶν ποιμήν· Und ich habe andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind. Auch jene muss ich führen und sie werden auf meine Stimme hören. Und es wird eine Herde sein, ein einziger Hirte.

Und mein Knecht David wird Herrscher in ihrer MitUnd ich werde über sie einen te, einzigen [Gö: anderen] Hir- und es wird ein einziger Hirte für alle sein. ten setzen, und er wird sie weiden, mei- Denn sie werden nach meinen Anordnungen wandeln nen Knecht David, und er wird ihr Hirte sein. und meine Entscheidungen bewahren und nach ihnen handeln.

Die betonte Rede von dem einen Hirten hat ihre Parallele in Ez 34,23 und 37,24. Die Göttinger Ausgabe liest in 34,23 mit dem Zeugnis von Pap 967, dem Alexandrinus und dem Codex Wirceburgensis ἕτερον, während Rahlfs hier dem Vaticanus folgt, der mit MT übereinstimmt. Die von Ziegler bevorzugte Lesart dürfte als interpretativer Versuch zu werten sein, die Spannung zwischen V. 15 – JHWH übt sein Hirtenamt direkt aus – und der Einsetzung Davids zum Hirten in V. 23 auszugleichen. Welche Septuagtina-Lesart älter ist, lässt sich schwerlich entscheiden. 19 In jedem Fall kann die Lesart der Göttinger Ausgabe nicht im Hintergrund von Joh 10,16 stehen. Insgesamt lässt sich nicht nachweisen, dass Joh 10,16 von einer der beiden Ezechielstellen literarisch abhängig ist. Es ergibt sich somit ein geschlossenes Bild: Eine spezifische Rezeption der Ezechielseptuaginta ist im Neuen Testament nur in Apk nachweisbar. Dass für letztere das Ezechielbuch mit seinen ausgebauten Visionen und dem endzeitlichen Kampf gegen Gog und seine Heerscharen von herausragender Bedeutung war, bedarf keiner weiteren Begründung. Schwerer zu erklären ist, warum allgemein das Ezechielbuch im Neuen Testament so schwach rezipiert wird. Auffällig ist, dass der Befund sich hier mit Qumran deckt. Den Grund für die schwache Rezeption dort sieht Fabry in der priesterlichen Prägung des Buches mit seinem starken Tempelbezug, die »in den chasidischen Gemeinden für eine gewisse Marginalisierung« 20 sorgte. Mutatis mutandis dürfte dies auch für das sich konstituierende Christentum gelten. Denkbar ist auch, dass die rabbinische Diskussion um die Kanonizität des Buches (vgl. bMen 45a) auch die christliche Rezeption negativ beeinflusste. In jedem Fall ist es keine spezifische

19. Zu einer ausführlichen Diskussion von Ez 34,23 s. Konkel: Ezechiel-Septuaginta. 20. Fabry: Ezechiel in Qumran, 34.

392

gtvh 08105 / p. 393 / 31.3.2022

Ezechiel

christliche Reserviertheit gegenüber der Botschaft dieses Prophetenbuches, welche den Grund für die schwache Rezeption abgibt.

4. Die Rezeption der Ez-Septuaginta bei den Kirchenvätern Die Rezeption ab dem 2. Jh. n. Chr. kann hier bestenfalls angerissen werden. 21 Der Ezechiel-Kommentar der Origenes ist verschollen. Seine Ezechiel-Homilien sind nur in der lateinischen Übersetzung des Hieronymus erhalten, weshalb das Erfassen einer Rezeption von Spezifika des Septuagintatextes methodisch problematisch ist. Die älteste erhaltene vollständige Kommentierung des Ezechielbuches stammt von Hieronymus. Verfasst zwischen 410 und 415 n. Chr. legt dieser seine eigene Übersetzung aus dem Hebräischen zugrunde. Er vergleicht jedoch durchgängig den hebräischen Text mit dem griechischen. In schwierigen Passagen zitiert er den Septuagintatext sogar vollständig in Form der Vetus Latina. Er thematisiert also explizit die Differenzen von hebräischem und griechischem Text. De facto legt Hieronymus neben Origenes den Grundstein zur textkritischen Arbeit am Ezechielbuch. Freilich steht er der Septuaginta sehr kritisch gegenüber, weshalb er nahezu durchgehend dem hebräischen Text den Vorzug gibt. Der Grund hierfür erschließt sich aus seinen Anmerkungen zur Textgestalt von Ez 33,25-27: »First one must know that eight of these lines more or less are not found in the Septuagint, from that passage that we recorded as, You who eat with the blood, and lift up your eyes to your uncleanness, all the way to that passage were it is written, You shall say these things to them: thus says the Lord God. The Seventy omitted these lines along with many others, or lines that were translated by them were removed little by little through the fault of copyists.« 22

Hieronymus sieht nur zwei Möglichkeiten, das Minus der Septuaginta in 33,25aβ-27aα zu erklären: als bewusste Auslassung der Übersetzer oder als Kopistenfehler. Er setzt unhinterfragt voraus, dass der ihm in Form der Hexapla des Origenes vorliegende hebräische Text mit der Vorlage der Übersetzer identisch war. Von dieser Grundvoraussetzung her muss er die Septuaginta abwerten. Die Möglichkeit, dass die Verse in der Vorlage der Übersetzer gefehlt haben könnten, stellt für ihn keine Denkmöglichkeit dar. Daraus ist jedoch nicht zu schließen, dass Hieronymus das Zeugnis der Septuaginta grundsätzlich beiseite schiebt. Als Beispiel sei auf Ez 42,15 verwiesen: »He brought me out by the way of the gate that looked toward the way of the east, and he measured it on every side round about (or ›the likeness of the house‹), through which it is shown that it is not the house itself but the ›likeness‹ of the house that is seen. For ›now we see through a mirror enigmatically‹ [1 Cor 13:12]; ›but when what is perfect comes, then what is in part shall be destroyed‹ [1 Cor 13:10].« 23 21. Eine umfassende Darstellung der Ezechiel-Rezeption in der Patristik stellt ein dringendes Forschungsdesiderat dar. Grundlegend weiterhin die Übersicht bei Neuss: Buch Ezechiel, 23-106; Dassmann: Hesekiel. 22. Hieronymus: Commentary on Ezekiel, 388 f. (CC.SL 75, 475). 23. Hieronymus: Commentary on Ezekiel, 496 (CC.SL 75, 618).

393

gtvh 08105 / p. 394 / 31.3.2022

Propheten

Hieronymus übersetzt das ‫ סביב סביב‬des MT zunächst korrekt mit per circuitum (»round about«). Die von ihm vorgeschlagene Alternativübersetzung similitudinem domus (»the likeness of the house«) ist freilich mit dem Hebräischen nicht in Deckung zu bringen. Hier steht eindeutig die Septuaginta im Hintergrund, welche an dieser Stelle τὸ ὑπόδειγμα τοῦ οἴκου liest. De facto votiert Hieronymus für die Septuaginta gegen den hebräischen Text, was er durch einen Verweis auf 1Kor 13,10 untermauert. Im Hintergrund steht hier die bereits in der frühjüdischen Auslegung greifbare Tradition, derzufolge Ezechiel das himmlische Urbild des Tempels geschaut habe (vgl. VitProphEz 16). Ein analoger Fall findet sich in Ez 47,3: »And he led me across through the water up to the ankles – which Aquila, Symmachus, and Theodotion translated as ἀστραγάλους (neck vertebrae). The Septuagint translated it as, ›but he crossed into the water, the water of remission.‹ We can understand this to mean the first sins of men, which are forgiven us when we enter the waters of the Lord, and they show the saving grace of baptism, and are the beginning of progress.« 24

Auch hier lässt Hieronymus die Septuagintalesart (aquam remissionis) als gleichwertig stehen. ὕδωρ ἀφέσεως ist Transkription des Hapleg. ‫אפאסים מי‬. (»Übersetzung«). Das Nomen ἄφεσις bedeutet ursprünglich »Loslassen, Auslaufen, Ablassen«. Der Übersetzer dürfte mit ὕδωρ ἀφέσεως eine ›Abflussrinne‹ vor Augen gehabt haben. 25 Da jedoch ἄφεσις im NT »Vergebung« bedeutet, wurde im Christentum die Tempelquelle auf die Taufe bezogen (vermutlich bereits bei Melito frag. 12, 2. Jh. n. Chr.). Wir haben es hier somit mit einer spezifisch christlichen Rezeption des Septuagintatextes zu tun, die von Hieronymus weitergeführt wird. Etwas jünger ist der in der Antiochenischen Tradition stehende Kommentar des Theodoret von Kyros, den dieser vor 436 verfasst haben dürfte. Dieser legt seiner Auslegung den Text der Septuaginta zugrunde, freilich in Gestalt der posthexaplarischen Rezension Lukians. Entsprechend spielt hier, wie bereits bei Hieronymus, die ältere, durch Pap 967 bezeugte Textfolge keine Rolle. Auch die im Old Greek fehlenden Passagen werden sowohl von Hieronymus wie auch von Theodoret kommentiert. Nichtsdestoweniger geht Theodoret an einigen Stellen – eine Systematik ist hierbei nicht erkennbar – auf die Differenzen zwischen hebräischem und griechischem Text ein. Dabei greift er auf die Peschitta zurück, um sich von dort her das Hebräische zu erschließen. Um die Art und Weise der spezifischen Septuagintarezeption vor Augen zu führen, seien drei Beispiele aus Theodorets Kommentierung der zweiten Tempelvision (Ez 40-48) herausgegriffen: (1) Ez 41,4 wird in MT die Grundfläche des Allerheiligsten vermessen. Sie beträgt 20 � 20 Ellen. Die Septuaginta bietet in diesem Vers einen unsinnigen Text: »Und er maß die Länge der Türen: 40 Ellen und 20 Ellen Breite vor der Haupthalle. Und er sprach: Das ist das Hochheilige.« Theodoret kommentiert: »He [d. h. Ezechiel; M. K.] says he observed also the doors separating the Holy of Holies from the holy places, equal in width to the Temple, namely, twenty cubits, in height forty cubits. Looking 24. Hieronymus: Commentary on Ezekiel, 563 (CC.SL 75, 709). 25. Vgl. zu dieser Bedeutung P Pter. 3, 88 (3. Jh. v. Chr.); P Flor. 388.44 (3. Jh. n. Chr.) (LSJ, 288) sowie 2Kgt 22,16; Joel 1,20.

394

gtvh 08105 / p. 395 / 31.3.2022

Ezechiel

in both the Syriac and the Hebrew for the measurements, however, I found the height to be equal to the breadth: both were in agreement, Syriac and Hebrew, saying that both breadth and height were twenty cubits.« 26 Theodoret korrigiert also die Maßangaben von der Peschitta und vom Hebräischen her. Er bezieht das Ganze aber weiterhin auf die Maße der Türen und nicht auf die Grundfläche des Allerheiligsten! Er erkennt nicht, dass der Vers insgesamt in der Septuaginta fehlerhaft ist. An diesem Beispiel wird deutlich, dass Theodoret nur über rudimentäre Kenntnisse des Syrischen und Hebräischen verfügte. (2) In Ez 43,3 liest MT »als ich kam, um die Stadt zu zerstören«, was keinen Sinn ergibt. Vermutlich handelt es sich um einen Euphemismus, der die Zerstörung der Stadt durch Gott selbst nicht aussprechen will. Die Septuaginta versucht, MT einen Sinn abzugewinnen, indem sie ‫ לשחת‬von der Wurzel ‫ משח‬ableitet, und übersetzt: »als ich kam, um die Stadt zu salben.« Theodoret weist auch hier auf die Differenz zwischen dem griechischen und dem syrischen bzw. hebräischen Text hin. Während Hieronymus dem griechischen Text »plurimam obscuritatem« attestiert, versucht Theodoret, diesem einen Sinn abzugewinnen, indem er das »Salben« auf die Markierung an der Stirn bezieht, welche die Unschuldigen vor dem Gericht bewahren sollte (vgl. Ez 9,4). 27 (3) Das Ezechielbuch schließt in MT mit einer Umbenennung der Stadt: »Und fortan lautet der Name der Stadt: JHWH ist dort.« Demgegenüber liest die Septuaginta: »Und der Name der Stadt, von dem Tag, da sie vollendet ist, soll ihr Name sein.« Theodoret gelingt es, diesem rätselhaften Satz einen Sinn abzugewinnen: »not that it took a different name after the rebuilding, being called Jerusalem even after Zerubbabel; rather, in this he hinted it would then acquire fame. Scripture, you see, is often in the habit of using ›name‹ to refer to glory«. 28 Ab dem 5. Jh. nimmt die Bezugnahme auf das Ezechielbuch derart zu, dass eine Erfassung der Rezeption auch nur in Ansätzen zumindest derzeit kaum möglich ist. Weitere Väterkommentierungen des Buches entstehen nach Theodoret freilich keine mehr.

26. Theodoret: Commentary on the Prophet Ezekiel, 266 (PG 81, 1224 BC). 27. Hieronymus: In Ez, CC.SL 75, 622; Theodoret: Commentary on the Prophet Ezekiel, 266 (PG 81, 1228 A). 28. Theodoret: Commentary on the Prophet Ezekiel, 281 (PG 81, 1248 B).

395

gtvh 08105 / p. 396 / 31.3.2022

2.2.4.6 Daniel Daniel Olariu / Michael Segal

2.2.4.6.1 The Greek Texts of the Book of Daniel: Old Greek and Theodotion Daniel Olariu / Michael Segal Literature Editions and Translations Praefatio Hieronymi in Danielem Prophetam, PL 28, 1357 C-1360 C – Baillet, Maurice (ed.): 6QpapDan, in: id. (ed.), Les ‘petites grottes’ du Qumrân: exploration de la falaise, les grottes 2Q, 3Q, 5Q, 6Q, 7Q à 10 Q, le roulleau de cuivre, DJD 3, Oxford 1962, 114-116, pl. XXIII – Barthélemy, Dominique / Milik, Józef Tadeusz (ed.): Qumran Cave 1, DJD 1, Oxford 1955 – Ceriani, A. M.: Codex Syro-Hexaplaris Ambrosianus photolithographice editus, Monumenta sacra et profana 7, Milan 1874 – Geißen, Angelo: Daniel 5-12; Susanna, Bel et Draco; Esther: Der Septuaginta-Text des Buches Daniel, Kap. 5-12, zusammen mit Susanna, Bel et Draco, sowie Esther Kap. 1,1a-2,15 nach dem Kölner Teil des Papyrus 967, PTA 5, Bonn 1968 – Hamm, Winfried: Daniel 1-2: Der Septuaginta-Text des Buches Daniel, Kap. 1-2, nach dem Kölner Teil des Papyrus 967, PTA 10, Bonn 1969 – Hamm, Winfried: Daniel 3-4: Der Septuaginta-Text des Buches Daniel, Kap. 3-4, nach dem Kölner Teil des Papyrus 967, PTA 21, Bonn 1977 – Magistris, Simon de: Daniel secundum Septuaginta ex tetraplis Origenis, Rome 1772 – Munnich, Olivier / Fraenkel, Detlef (ed.): Susanna, Daniel, Bel et Draco. Septuaginta: Vetus Testamentum Graecum 16/2, Göttingen 1999. Rev. 2nd ed. of Joseph Ziegler, Susanna, Daniel, Bel et Draco. Septuaginta: Vetus Testamentum Graecum 16, Göttingen 1954 – Kenyon, Frederic G.: Daniel 3,726,18: The Chester Beatty Biblical Papyri, Description and Texts of Twelve Manuscripts on Papyrus of the Greek Bible, Fsc. VII Ezekiel, Daniel, Esther (Plates), 2 vols. London 1938 – Rahlfs, Alfred (/Hanhart, Robert): Septuaginta, Stuttgart 1935 (/2006) – Roca-Puig, Ramon (ed.): Daniel: Dos semifolis del codex 967, Papir de Barcelona, Inv. no. 42 i 43, Barcelona 1974 – RocaPuig, Ramon: Daniel: Dos semifogli del codex 967, Aegyptus 56 (1976), 3-18 – Schaff, Philip / Wace, Henry (ed.): Jerome: Letters and Select Works. In vol. 6 of The Nicene and Post-Nicene Fathers, Series 2. Translated by W. H. Fremantle. Repr. Michigan 1979 – Ulrich, Eugene: 112116: 4QDana–c, in Ulrich, Eugene et al., Qumran Cave 4 XI Psalms to Chronicles. Discoveries in the Judaean Desert 16, Oxford 2000, 239-289 and plates XXIX-XXXVIII – Ulrich, Eugene (ed.): The Biblical Qumran Scrolls: Transcriptions and Textual Variants, VT.S 134, Leiden 2010.

Secondary Literature Albertz, Rainer: The Social Setting of the Aramaic and Hebrew Book of Daniel, in: John J. Collins / Peter W. Flint (eds.), The Book of Daniel: Composition and Reception, VT.S 83/1, Leiden 2001, 171-204 – Amara, Dalia: “The Old Greek Version of Daniel: The Translation, the Vorlage and the Redaction.” PhD diss., Ben-Gurion University of the Negev, 2006 (Hebrew) – Baillet, Maurice: Daniel, in: Maurice Baillet / Jozef T. Milik / Roland de Vaux, Les ‘petites grottes’ de Qumran. Exploration de la falaise. Les grottes 2Q, 3Q, 5Q, 6Q, 7Q à 10Q. Le rouleau de cuivre. DJD 3, 2 vols. Oxford 1962, 1.114-116 and plates 2.XXIII – Barthélemy, Do-

396

gtvh 08105 / p. 397 / 31.3.2022

Daniel

minique: Daniel (i). Daniel (ii), in: Dominique Barthélemy / Jozef T. Milik, Qumran Cave 1. DJD 1, Oxford 1955, 150-152 – Barthélemy, Dominique: Les devanciers d’Aquila. Premiére publication intégrale du texte des fragments du Dodécaprophéton, VT.S 10, Leiden 1963 – Barthélemy, Dominique: Études d’histoire du texte de l’Ancien Testament, OBO 21, Fribourg / Göttingen 1978 – Behrmann, Georg: Das Buch Daniel. Handkommentar zum Alten Testament: Die Prophetischen Bücher 3/3.2. Göttingen 1894 – Bevan, Anthony Ashley: A Short Commentary on the Book of Daniel. Cambridge 1892 – Bludau, August: Die alexandrinische Übersetzung des Buches Daniel und ihr Verhältnis zum massorethischen Text, Biblische Studien II 2/3, Freiburg i. Br. 1897 – Bogaert, Pierre-Maurice: Daniel 3 LXX et son Supplément Grec, in: Adam Simon van der Woude (ed.), The Book of Daniel in the Light of New Findings, BEThL 106, Leuven 1993, 13-37 – Braverman, Jay: Jerome’s Commentary on Daniel: A Study of Comparative Jewish and Christian Interpretations of the Hebrew Bible, Catholic Biblical Quarterly Monograph Series 7, Washington 1978 – Charles, Robert Henry: The Book of Daniel. Rev. ed. with notes, index and map, The Century Bible, Edinburgh 1921 – Collins, John J.: Daniel: A Commentary on the Book of Daniel, Hermeneia, Minneapolis 1993 – Collins, John J.: Current Issues in the Study of Daniel, in: John J. Collins / Peter W. Flint (eds.), The Book of Daniel: Composition and Reception, VT.S 83/1, Leiden 2001, 1-15 – Di Lella, Alexander A.: The Textual History of Septuagint-Daniel and Theodotion-Daniel, in: John J. Collins / Peter W. Flint (eds.), The Book of Daniel: Composition and Reception, VT.S 83/2, Leiden 2001, 586-607 – Flint, Peter W.: The Daniel Tradition at Qumran, in: John J. Collins / Peter W. Flint (eds.), The Book of Daniel: Composition and Reception, VT.S 83/2, Leiden 2001, 329-367 – Hartman, Louis Francis / Di Lella, Alexander A.: The Book of Daniel, AncB 23, Garden City, 1978 – Henze, Matthias: The Madness of King Nebuchadnezzar: The Ancient Near Eastern Origins and Early History of Interpretation of Daniel 4, JSJ.S 61, Leiden 1999 – Jeansonne, Sharon Pace: The Old Greek Translation of Daniel 7-12, CBQ.MS 19, Washington 1988 – Jellicoe, Sidney: The Septuagint and Modern Study, Oxford 1968 – Knibb, Michael A.: The Book of Daniel in its Context, in: John J. Collins / Peter W. Flint (eds.), The Book of Daniel: Composition and Reception VT.S 83/1, Leiden 2001, 16-35 – Kottsieper, Ingo: Zusätze zu Daniel, in: Odil Hannes Steck / Reinhard Gregor Kratz / Ingo Kottsieper, Das Buch Baruch, Der Brief des Jeremia, Zusätze zu Ester und Daniel. ATD.A 5, Göttingen 1998, 206-328 – Kreuzer, Siegfried: Papyrus 976. Bemerkungen zu seiner buchtechnischen, textgeschichtlichen und kanongeschichtlichen Bedeutung, in Wolfgang Kraus/Martin Karrer (eds.): Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 76-78 – Kreuzer, Siegfried: Papyrus 967: Its Significance for Codex Formation, Textual History, and Canon History, in: Siegfried Kreuzer: The Bible in Greek, SBLSCS 63, Atlanta 2015, 255-271 – Lange, Armin / Tov, Emanuel (eds.): Textual History of the Bible. Vol. 1C. Leiden 2017 – Lange, Armin: 18.2.1 Ancient Manuscripts Evidence, in: Armin Lange / Emanuel Tov (eds.), Textual History of the Hebrew Bible, Vol. 1C, Leiden 2017, 528-532 – Lust, Johan: The Septuagint Version of Daniel 4-5, in: Adam Simon van der Woude (eds.), The Book of Daniel in the Light of New Findings, BEThL 106, Leuven 1993, 39-53 – McCrystall, Arthur: Studies in the Old Greek Translation of Daniel, PhD diss., Oxford University, 1980 – McLay, Timothy R.: The OG and Th Versions of Daniel, SBLSCS 43, Atlanta 1996 – McLay, Timothy R.: Kaige and the Septuagint Research, Textus 19 (1998), 127-139 – McLay, Timothy R.: The Relationship between Greek Translations of Daniel 1-3, BIOSCS 37 (2004), 2953 – McLay, Timothy R.: The Old Greek Translation of Daniel IV-VI and the Formation of the Book of Daniel, VT 55 (2005), 304-323 – Montgomery, James A.: A Critical and Exegetical Commentary on the Book of Daniel. The International Critical Commentary. Edinburgh 1964 – Moore, Carey A.: Daniel, Esther and Jeremiah: A New Translation With Introduction and Commentary. AncB 44. Garden City, 1977 – Munnich, Olivier: Les Nomina Sacra dans les versions grecques de Daniel et leurs suppléments deutérocanoniques, in: Gilles Dorival / Olivier Munnich (eds.), Κατὰ τοὺς ό: Selon les Septante: trente études sur la Bible grecque des Septante: en hommage à Marguerite Harl, Paris 1995, 145-167 – Obiajunwa, Chukwudi J.: Semi-

397

gtvh 08105 / p. 398 / 31.3.2022

Propheten

tic Interference in Theodotion-Daniel, PhD diss, The Catholic University of America, 1999 – Olariu, Daniel: The Quest for the Common Basis in the Greek Versions of the Book of Daniel, M.A. thesis, The Hebrew University of Jerusalem, 2015 – Olariu, Daniel: 18.1 Textual History of Daniel, in: Armin Lange / Emanuel Tov (eds.), Textual History of the Hebrew Bible, Vol. 1C, Leiden 2017, 517-527 – Olariu, Daniel: Criteria for Determining the Common Basis of the Greek Versions of Daniel, Textus 28 (2019), 105-124 – Olariu, Daniel: The Mechanics of the Recensional Process: Theodotion’s Treatment of First-Found Equivalents in Old Greek Daniel, BIOSCS 52 (2019), 177-195 – Olariu, Daniel: An Analysis of the Revisional Process in Theodotion’s Greek Text of Daniel, PhD diss., The Hebrew University of Jerusalem, 2021 – Olariu, Daniel: Recensional Additions: Insights from Theodotion Daniel, in: Felix Albrecht / Frank Feder (eds.), The Göttingen Septuagint. Papers presented at the 50th anniversary of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, SBL, Denver 2018 (De Septuaginta Investigationes), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, forthcoming – Rösel, Martin: 3.2 Greek, in: Frank Feder / Matthias Henze / Mika Pajunen (eds.), Textual History of the Bible, Vol. 2B, Leiden 2019, 143-148 – Satran, David: Early Jewish and Christian Interpretation of the Fourth Chapter of the Book of Daniel, PhD diss., Hebrew University of Jerusalem, 1985 – Segal, Michael: The Text of Daniel in the Dead Sea Scrolls, Meghillot 11-12 (2015), 171-198 (Hebrew) – Segal, Michael: Dreams, Riddles, and Visions: Textual, Contextual, and Intertextual Approaches to the Book of Daniel. Berlin 2016 – Segal, Michael: The Anchor Yale Bible Commentary on the Book of Daniel (in preparation), Paper presented at the Annual Meeting of the SBL, San Diego, CA, 25 Nov 2019 – Schmitt, Armin: Stammt der sogenannte “θ”-Text bei Daniel wirklich von Theodotion? MSU IX. Göttingen 1966 – Swete, Henry Barclay: The Old Testament in Greek. 3 vols. Cambridge 1912 – Tov, Emanuel: Three Strange Books of the LXX: 1 Kings, Esther, and Daniel Compared with Similar Rewritten Compositions from Qumran and Elsewhere, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (eds.), Die Septuaginta –Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 369-393. Repr. in id., Hebrew Bible, Greek Bible and Qumran: Collected Essays, TSAJ 121, Tübingen 2008, 289-309 – Ulrich, Eugene: The Canonical Process, Textual Criticism, and Later Stages in the Composition of the Bible, in: Michael Fishbane / Emanuel Tov (eds.), Shaʾ arei Talmon: Studies in the Bible, Qumran, and the Ancient Near East Presented to Shemaryahu Talmon, Winona Lake 1992, 267-291 – Ulrich, Eugene: The Text of Daniel in the Qumran Scrolls, in: John J. Collins / Peter W. Flint (eds.), The Book of Daniel: Composition and Reception, VT.S 83/2, Leiden 2001, 573-585 – Wenthe, Dean Orrin: The Old Greek Translation of Daniel 1-6, PhD diss., University of Notre Dame, 1991 – Wills, Lawrence Mitchell: The Jew in the Court of the Foreign King: Ancient Jewish Court Legends. Harvard Dissertations in Religion 26, Minneapolis 1990.

1. Preliminary Remarks The text of Daniel is attested in a wide array of witnesses in both Hebrew/Aramaic and primary/secondary translations. For the former, in addition to the Masoretic text, fragments of both biblical scrolls and of parabiblical compositions that quote or allude to Daniel were preserved at Qumran. 1 For the latter, the most notable contributions

1.

In total, eight copies of the biblical book of Daniel were discovered at Qumran: 1QDana-b (published by Barthélemy in DJD 1), 4QDana-e (published by Ulrich in DJD 16), 6QpapDan (published by Baillet in DJD 3). For a summary of the Danielic parabiblical compositions, see Flint: The Daniel Tradition at Qumran, 329-367.

398

gtvh 08105 / p. 399 / 31.3.2022

Daniel

come from the Greek translations that have preserved the text of Daniel in two complete versions. 2

2. Two Greek Versions of Daniel 2.1 Manuscripts The Septuagint translation of Daniel circulated in antiquity in two Greek versions, known as the Old Greek (OG-Dan) and Theodotion (Th-Dan). The vast majority of Septuagint manuscripts preserve the text of Th-Dan. 3 By contrast, OG-Dan is attested in only three manuscripts. Until 1931, OG-Dan was known from two Hexaplaric witnesses, MS 88 (or Codex Chisianus) 4 and the Syro-Hexapla (or Codex Ambrosianus). 5 The discovery of Papyrus 967 in that year offered access for the first time to a prehexaplaric witness to OG-Dan. 6 As a result, new attention was given to the study and reassessment of the text-critical value of OG-Dan. 7 2.

3.

4.

5.

6.

7.

A critical edition was published by Olivier Munnich, with Detlef Fraenkel (eds.): Susanna, Daniel, Bel et Draco. The Old Greek text has been updated by Munnich in light of the newly published Pap. 967, which was not available for the first edition prepared by Ziegler in 1954. Similarly, Fraenkel has updated the Theodotion text with readings from fragments not included in the previous edition. For the other primary and secondary translations, see “18.3.27” and “18.4.1-6” in Textual History of the Bible (vol. 1C; eds. Armin Lange / Emanuel Tov; Leiden: Brill, 2017), 554-591; Montgomery: Daniel, 24-57; Munnich: Susanna, Daniel, Bel et Draco, 129-136. Th-Dan has been preserved in the major uncial codices: A (Alexandrinus), B (Vaticanus), Q (Marchalianus [only 5:21-7:9]), V (Venetus), ZVI (Zuqniensis rescripus [only 3:2-3:15]); in a large number of cursives manuscripts; as well as in some patristic commentaries in Greek such as those of Hippolytus of Rome, Johannes Chrysostomos, Polychronius of Apamea, and Theodoret of Cyrus. For a discussion and a comprehensive list with all Th-Dan manuscripts available, see Munnich: Susanna, Daniel, Bel et Draco, 121-214. Codex Chisianus was published by S. de Magistris: Daniel secundum Septuaginta ex Tetraplis Origenis (Rome: 1772). For a history of its publication, see Henry Barclay Swete: The Old Testament in Greek, 3:xii-xiii, and Montgomery: A Critical and Exegetical Commentary on the Book of Daniel, 25-26. The Syro-Hexapla (Syh) was preserved in Codex Ambrosianus (ca. 9th century) and represents a “literal Syriac version of the entire LXX made from a hexaplar text in the year 616-617” (Swete: The Old Testament in Greek, 3:xiii). Syh was published by A. M. Ceriani: Codex Syro-Hexaplaris Ambrosianus photolithographice editus, folios 143a-151b. The editiones principes of Pap. 967 for Daniel have been prepared by Hamm: Daniel 1-2: Der Septuaginta-Text des Buches Daniel, Kap. 1-2; Hamm: Daniel 3-4: Der Septuaginta-Text des Buches Daniel, Kap. 3-4; Kenyon: Daniel 3,72-6,18: The Chester Beatty Biblical Papyri; Geißen: Daniel 5-12; Susanna, Bel et Draco; Esther; R. Roca-Puig: ed. Daniel 7,25-8,7; 11,2911,37: Daniel. Dos semifolis del còdex 967, Papir de Barcelona, Inv. no. 42 i 43 (Barcelona 1974); idem: “Daniel: Dos semifogli del codex 967,” Aeg 56 (1976), 3-18. For an overview of the Papyrus and some specifics, including the sequence of chs. 5-8 and the unique reading in 7:13, see Kreuzer: Papyrus 967 (with Lit.). Despite the early date of Pap. 967, it is now generally acknowledged that the text it contains has also suffered contamination during its transmission history and, in its extant form, embeds

399

gtvh 08105 / p. 400 / 31.3.2022

Propheten

Jerome’s testimony on the transmission history of the two versions suggests an early rivalry between these versions, and he explains OG-Dan’s replacement by Th-Dan as a result of the former’s differences from the “original” (presumably a text close to MT-Dan). In this regard, Jerome wrote: 8 The Septuagint version of Daniel the prophet is not read by the Churches of our Lord and Saviour. They use Theodotion’s version, but how this came to pass I cannot tell. Whether it be that the Language is Chaldee, which differs in certain peculiarities from our speech, and the Seventy were unwilling to follow those deviations in a translation; or that the book was published in the name of the Seventy, by some one or other not familiar with Chaldee, or if there be some other reason, I know not; this one thing I can affirm – that it differs widely from the original, and is rightly rejected.

As already described above, the effect of this decision had further implications on the ratio of extant manuscripts for each of the two traditional textual streams.

2.2 General Characterization Beyond the quantitative difference of manuscripts between the two versions, the Greek translations of Daniel are further distinguished by their different approaches to translation technique. The Old Greek translator renders its underlying Vorlage in a relatively free style. As such, the translator is more concerned overall in rendering the meaning of the source text into the target language than in formally representing every element of the former in the latter. 9 The opposite is true for the Th-Dan translator who “tends to maximally represent its MT-like Vorlage—both quantitatively and qualitatively” as well as to employ standard equivalents and stereotyping. 10

2.3 The Special Nature of Daniel 4-6 A further unique feature of OG-Dan against MT/Th-Dan is the large-scale textual differences clustered in chapters 4-6. The variants in OG-Dan in these chapters include both minor and major deviations. From the former category, one can identify short pluses (e. g., 4:9[12]; 6:4[3]) and minuses (e. g., 4:17[20]; 5:2; 6:11[10]), which occur repeatedly over against MT. From the latter category, OG-Dan displays a shorter text certain secondary readings. Consequently, this observation warns against working with an a priori preference for a particular manuscript; rather each different reading of these manuscripts should be examined on its own right. For instance, see the examples adduced by Amara: The Old Greek Version of Daniel, 22-23 (Hebrew). For further discussion on this issue, see Olariu: The Quest for the Common Basis, 25-28. 8. Jerome’s comment appears in the Preface to his Commentary on Daniel (PL 28, 1357 C). The translation here is from The Principal Works of St. Jerome (trans. W. H. Fremantle; NPNF 6; Grand Rapids, Michigan: Eerdmans, 1979), 492. Jellicoe suggests that the Old Greek was replaced by Theodotion in the second half of the third century C.E.; cf. Jellicoe: Septuagint and Modern Study, 86-87. See also Braverman, who argues that the replacement of OG-Dan with Th-Dan in most of the MSS took place before Jerome (cf. Braverman: Jerome’s Commentary on Daniel, 31-32, esp. n. 61). 9. Amara: The Old Greek Version of Daniel, iii. 10. Olariu: The Quest for the Common Basis, 126.

400

gtvh 08105 / p. 401 / 31.3.2022

Daniel

(e. g., 4:3-6[6-9]; 4:32[35]; 5:13-16, 18-22; 6:16[15]–17[16]), long pluses (e. g., 4:37[34]; 5:0 [the brief abstract of ch. 5]), variation in order (the epistolary introduction that precedes ch. 4 of MT [3:31-33] is reflected in OG-Dan at the end of the story, cf. 4:34[37b,c]), and doublets (e. g., 4:14[17a]; 6:13[12a]). Overall, there are major disparities in length (i. e., OG-Daniel 4 is estimated as one-quarter longer than MT, whereas OG-Daniel 5 reflects a shorter version of the MT), and differences in key phraseology.

2.4 The Additions Both OG-Dan and Th-Dan share additional material (although with differences between them) vis-à-vis MT-Dan and Q-Dan. These include the Prayer of Azariah and the Hymn of the Three Young Men (OG/Th-Dan 3:24-90), Susanna, and Bel and the Dragon. While the first of the three appears in chapter 3 in both Greek versions, the placement of the other stories in the manuscripts varies greatly. Thus, regarding OG-Dan, Pap. 967 places the stories after Dan 1-12, first Bel and the Dragon followed by Susanna, while MS 88 and Syh (as well as the Vulgate) have Susanna followed by Bel and the Dragon. In Th-Dan’s textual tradition, Susanna precedes MT-Dan 1-12, which is followed by Bel and the Dragon. 11 The Additions are almost certainly later, secondary insertions to the book of Daniel. These could have been added to the book either prior to the translation, occasioned with the work of the OG translator(s), or by subsequent editors. 12

11. The placement of Susanna before Dan 1-12 can be explained as an attempt to solve a sort of narrative lacuna. Since Susanna depicts Daniel as wisdom-endowed, young man, placing the story at the beginning of MT-Dan not only fits chronologically, but also aims to introduce Daniel to the Jewish community, before being brought to the Babylonian royal court. Cf. Di Lella: The Textual History of Septuagint-Daniel and Theodotion-Daniel, 598; Segal: Dreams, Riddles, and Visions, 182-183. 12. This issue is related to the language of composition of each of the Additions; see below, 4.3.2. The secondary, editorial insertion of the additions in OG-Dan 3 is argued by McLay: The OG and Th Versions of Daniel, 144-146, Amara: The Old Greek Version of Daniel: The Translation, the Vorlage and the Redaction, 293-303, and Bogaert: Daniel 3 LXX et son supplément grec, 18-27. Moore has noted the secondary character of all of the LXX additions (cf. Moore: Daniel, Esther and Jeremiah, 24-25). Analyzing the ways in which nomina sacra have been rendered in the Additions in OG-Dan and Th-Dan, Munnich has put forward an innovative argument, showing that originally Th-Dan did not have any of the Additions (cf. Munnich: “Les Nomina Sacra dans les versions grecques de Daniel, 145-167). Segal has also discussed the secondary status of Susanna (cf. Segal: Dreams, Riddles, and Visions, 180-182).

401

gtvh 08105 / p. 402 / 31.3.2022

Propheten

3. Textual Relationship between Q, MT, OG, and Th 3.1 Q and MT, OG, Th Careful analysis of the variants of the Daniel scrolls from Qumran 13 collated by Barthélemy, Ulrich, and Baillet 14 shows “powerful evidence of the antiquity of the textual tradition of the MT.” 15 This overall judgment acknowledges the disagreements between Q and MT, but that the majority of them pertain to minor orthographical and less important variants that do not impact the overall assessment. Q-Dan also attests to the absence of the additions in Dan 3, between vv. 23-24, similar to MTDan. 16 Regarding the question of whether OG and/or Th align with a particular scroll, the variants from Qumran offer inconclusive data. Nevertheless, decisive evidence from the agreement between Q and OG over against MT, or between Q and Th over against MT, would be of great importance. However, the statistics offered by Lange for the longer, preserved scrolls point to inconclusive affiliation between the Greek versions and Q-Dan. Accordingly, Lange notes that 1QDana reads seventeen times with and nineteen times against Old Greek, nine times with and twenty-seven times against Theodotion; 4QDanb reads three times with and twelve times against Old Greek (three times with and twelve times against LXX967), twice with and thirteen times against Theodotion,); 4QDanc reads five times with and eleven times against Old Greek (five times with and seven times against LXX967), four times with and twelve times against Theodotion; 6QPapDan reads twice with and twice against Old Greek, once with and three times against Theodotion. 17

3.2 MT/Th against OG The textual relationship between MT, OG-Dan and Th-Dan varies greatly in different parts of the book. We distinguish between two large translational units that determine the characterization of the relationship between the Greek versions and MT.

3.2.1 Dan 1-3, 7-12 In Dan 1-3, 7-12 the Greek versions of Daniel witness to an underlying text-type similar to MT (except, of course, for the long Addition between 3:23-24, preserved in both Greek versions). This is not to say that the versions do not contains readings that 13. For the purposes of the discussion here, the Qumran scrolls are assessed as a unit. Of course, each scroll needs to be analyzed on its own in order to arrive at a precise description of its textual affiliations. 14. In addition to the official publication of the scrolls in the editions principes by Barthélemy, Ulrich, and Baillet (cf. bibliography and n. 1 above), see the summary of their significance and most notable textual features in Ulrich: “The Text of Daniel in the Qumran Scrolls,” 573585. 15. Collins: Daniel, 3. See also Segal: “The Text of Daniel in the Dead Sea Scrolls,” passim. 16. The lack of the additions is evidenced by two Qumran scrolls of Daniel, 1QDanb frgs. 1-2 and 4QDand, frg. 2 ii; cf. Ulrich: Biblical Qumran Scrolls, 756, 768-769. 17. Cf. Lange: “18.2.1 Ancient Manuscripts Evidence,”, 528-532.

402

gtvh 08105 / p. 403 / 31.3.2022

Daniel

jointly or each on their own differ from MT. 18 However, the vast majority of these deviations do not reflect genuine readings but rather attest to translational phenomena, including explicating pluses, textual harmonization, haplography, etc. In addition, in other instances, acknowledging the subjectivity involved when working with the available data, makes it difficult to determine whether these deviations are in fact variants. 19

3.2.2 Dan 4-6 A different picture emerges in the translation unit of Dan 4-6, where OG differs significantly from MT and Th. The aforementioned challenges posed by the wide range of textual disparities have led scholars to offer three types of explanations: (a) those who view MT-Dan as the earlier version which has been revised secondarily, resulting in OG; 20 (b) those who view OG-Dan as an accurate representation of its Vorlage, which has been revised secondarily, resulting in MT; 21 and (c) those who identify original and secondary readings in both OG and MT/Th textual traditions, and therefore postulate two parallel editions of Daniel, that circulated side-by-side. 22 18. For example, in Dan 1:19, both OG and Th read καὶ Μισαηλ (= ‫ )וִּמיָשֵׁאל‬against MT ‫ִמיָשֵׁאל‬. Since OG/Th reading is also supported by 4QDana, it most likely documents a variant. Similarly, the wording in OG (συνέσει καὶ παιδείᾳ) and Th (σοφίας καὶ ἐπιστήμης) in Dan 1:20 point to a different reading, also supported by 4QDana: instead of MT’s construct chain ‫ָחְכַמת ִבּי ָנה‬, OG, Th and 4QDana presuppose ‫חכמה ובינה‬. However, such minor variants do not attest to a text-type different from MT. 19. As an example, the assessment of a plus common to both versions in Dan 1:3 highlights the difficulty involved in deciding between a variant and a non-variant. In contrast to the MT reading ‫ִמְבּ ֵני ִיְשׂ ָרֵאל‬, both Greek versions reflect the addition of an extra element between the nouns of the construct chain, i. e. OG: ἐκ τῶν υἱῶν τῶν μεγιστάνων τοῦ Ισραηλ and Th: ἀπὸ τῶν υἱῶν τῆς αἰχμαλωσίας Ισραηλ. The assessment of the plus as a variant can be based on the overall characterization of Th as a literal translation that renders word-for-word its underlying text. Such an explanation would further interpret the agreement in the presence of an additional term between Th and OG as additional evidence, pointing to related variants (perhaps ‫ ְשִׁבי‬/ ‫)ָשׂ ֵרי‬. Cf. Segal: Anchor Yale Bible Commentary on the Book of Daniel. On the other hand, the plus can be equally interpreted as an exegetical explanatory addition. Given the fact that v. 2 refers to the deportation of only the king, the translators needed to add precision and clarify the target group intended by the king’s command. While OG perhaps freely added a word based on the context of the verse, Th harmonized the expression with 2:25 identifying the target group as the “sons of the captivity of Israel.” Cf. Olariu: Recensional Additions: Insights from Theodotion Daniel. 20. Some scholars identify the source of these differences in the translational approach of the OG translator, ascribing them to a paraphrastic, midrashic or tendentious agenda; see Behrmann: Daniel, xxviii-xxxviii and Bevan: Daniel, 45-46. Others view OG-Dan 4-6 as a faithful representation of its Aramaic Vorlage, which itself is secondary to MT-Dan. This view has been defended by Montgomery: Daniel, 37, 248; Satran: Early Jewish and Christian Interpretation; Amara: The Old Greek Version of Daniel. 21. The superiority of OG’s Vorlage was claimed by Charles: Daniel, xxx; Albertz: Social, 180; Wills: The Jew in the Court of the Foreign King, 87-152; Lust: Septuagint Version of Daniel 45, 52-53. 22. The view of two literary editions is argued by Ulrich: Canonical Process, 285; Tov: Three Strange Books, 283-309; Segal: Dreams, Riddles, and Visions, 94-131. While Ulrich, Tov and Segal posit a literary kernel common to both versions, Henze argues for two literary editions as

403

gtvh 08105 / p. 404 / 31.3.2022

Propheten

3.3 Relationship between OG-Dan and Th-Dan 23 The intricate question of the relationship between the Greek versions of Daniel has been tackled in several studies, but with a special emphasis on the MT-Dan 1-12. In order to offer a complete view based on all translational units, we also include the Additions in our analysis.

3.3.1 Dan 1-12 Septuagint research on Dan 1-12 has addressed issues related to the translational character of OG-Dan, the affiliation of Th-Dan with the supposedly Kaige group of texts, and the understanding of the relationship between OG-Dan and Th-Dan. Jeansonne 24 and Wenthe 25 have assessed the character of OG–Dan as a translation, arguing against the presence of a Tendenz or paraphrase, and even against the claim of a relatively free approach of the translator. 26 The implication of this assessment is that OG-Dan can be used as a reliable evidence for the reconstruction of its underlying textual source. In contrast, having identified cases where the OG translator betrays free and expansionistic tendencies, in addition to contamination of the OG manuscripts with Th readings in their transmission, Amara’s study concludes that OG has minimal importance for reconstructing its Hebrew/Aramaic Vorlage. 27 Both Schmitt and McLay have tested Barthélemy’s claim that Th-Dan belongs to the Kaige group. 28 In his detailed comparison of Th-Dan to the other Theodotionic readings collated from the books of Proverbs, Job, Isaiah, Jeremiah, and Ezekiel, Schmitt denies any connection between Th-Dan and the Kaige group. 29 Moreover, McLay has investigated whether the allegedly lexical equivalencies attributed to Kaige in previous scholarship are traceable in Th-Dan. Similar to Schmitt, he determined that there are no conclusive results to suggest such affiliation. 30

23. 24.

25. 26.

27. 28.

29. 30.

well, but claims that the underlying source of both versions cannot, and should not, be reconstructed; cf. Henze: The Madness of King Nebuchadnezzar, 38-49. For an in-depth overview of the literature on the relationship between these two versions, see Olariu: “18.1 Textual History of Daniel,” 517-527. Jeansonne: The Old Greek Translation of Daniel 7-12. Jeansonne’s study is a response to previous studies such as Bludau’s and McCrystall that claimed that OG-Dan reflected the Tendenz of the translator; see McCrystall: Studies in the Old Greek Translation of Daniel; Bludau: Die alexandrinische Übersetzung des Buches Daniel. Wenthe’s study complements Jeansonne’s analysis, applying a similar argument to the first six chapters of the book; see Wenthe: The Old Greek Translation of Daniel 1-6. See especially Wenthe’s elaborate discussion of the translational character of the OG-Dan in chap. 2 of his dissertation, as well as in Appendix 1, The Old Greek Translation of Daniel 1-6, 25-43, 251-257. Amara: The Old Greek Version of Daniel, iii-iv. Barthélemy’s theory regarding the Kaige group was articulated in his publication of the Greek scroll of the Minor Prophets from Naḥal Ḥever, in Les devanciers d’Aquila. Excerpts from this study have been republished in Barthélemy: Études d’histoire du texte de l’Ancien Testament, 66-90. Schmitt: Stammt der sogenannte “θ”-Text bei Daniel wirklich von Theodotion?, 112. McLay: The OG and Th Versions of Daniel, 239-240; see also McLay: Kaige and the Septuagint Research.

404

gtvh 08105 / p. 405 / 31.3.2022

Daniel

The scholarship on the textual relationship between OG-Dan and Th-Dan has led to two opposing views: (a) they both reflect independent translations of their Vorlagen; or (2) OG-Dan is a translation that was revised by Th-Dan. For decades scholars have repeatedly affirmed the latter view, although without a systematic study to substantiate the claim. This deficiency was noted in the first comprehensive studies that focused on this issue, in which both McLay 31 and Obiajunwa 32 concluded that Th-Dan is in fact an independent translation. Olariu’s studies called this assessment into question. Basing his argument upon the high number of shared significant equivalents, he was able to demonstrate the common basis shared by OG-Dan and Th-Dan as well as the recensional tendencies in Th-Dan, leading to the conclusion of a translation-revision relationship between them. 33

3.3.2 The Additions The absence of any Semitic original to the Additions in OG and Th has led to a consideration of whether any such original ever existed. While some scholars have maintained such a position, the increasing scholarly consensus upholds the view that the Additions represent proper translations from underlying Semitic texts. 34 Moreover, a comparison between the vocabularies of the Additions attests to significant shared agreements between the two Greek versions in hapax legomena and rare words, pointing to a common basis in these passages as well. 35 Furthermore, comparable textual phenomena to those described above in Dan 1-12 are also found in the Additions. Thus, the Prayer of Azariah and the Hymn of the Three Young Men in OG-Dan are replicated almost verbatim in Th-Dan, with only minor differences. On the other end of the spectrum, the story of Susanna reflects large-scale textual variation between OG and Th, similar to that in Dan 4-6. Bel and the Dragon appears to be situated on a middle ground.

4. The Text-Critical Value of the Greek Versions of Daniel As is the case in all text-critical analyses of the Hebrew Bible, the attempt to single out original readings from the Greek versions of the Book of Daniel does not follow 31. Cf. McLay: The OG and Th Versions of Daniel. By the same author, see further the following studies: The Relationship between Greek Translations of Daniel 1-3; The Old Greek Translation of Daniel IV-VI and the Formation of the Book of Daniel. 32. Obiajunwa: Semitic Interference in Theodotion-Daniel. 33. Olariu: The Quest for the Common Basis in the Greek Versions of the Book of Daniel, esp. 119-125 and id.: An Analysis of the Revisional Process in Theodotion’s Greek Text of Daniel, 96-298. See further Olariu: Criteria for Determining the Common Basis of the Greek Versions of Daniel; The Mechanics of the Recensional Process. 34. Cf. inter alia Rösel, “3.2 Greek,” 143-148; Collins: Current Issues in the Study of Daniel, 3; Knibb: The Book of Daniel in Its Context, 24-31; Kottsieper: Zusätze zu Daniel, 222-223, 254255, 292; Moore: Daniel, Esther and Jeremiah, 44-49, 81-84, 119-120. 35. Cf. Olariu: The Quest for the Common Basis, 104-118. Olariu’s results point to similar conclusions as those expressed by Bogaert, that Th in Dan 3 is dependent on OG both in the sections that overlap with MT and in the Additions to this chapter, cf. Bogaert: Daniel 3 LXX, 13-37.

405

gtvh 08105 / p. 406 / 31.3.2022

Propheten

a priori, set rules. As Di Lella has phrased it, “there are no iron rules or golden rules.” 36 Ideally, in order to retrieve unequivocal variants, an agreement between Q-Dan, OG-Dan and Th-Dan would provide us with the best context. Second to it, are agreements between Q-Dan and OG-Dan or Q-Dan and Th-Dan, over against MT. As has been observed since Montgomery, the cumulative evidence from an agreement between OG-Dan and Th-Dan over against MT is more problematic, due to Th’s reliance on OG. 37 In such a case, “their combined evidence may not count more than one unit.” 38 Differences between OG-Dan and MT-Dan, or Th-Dan and MT-Dan need to be investigated carefully to determine whether they in fact reflect Hebrew/Aramaic variants, or whether they are the result of translation technique. Individual differences between Th-Dan and MT-Dan are significant, since the former is a revision of OG-Dan towards a literal reflection of a proto-MT version of Dan. Each of these variants needs to be investigated on its own, and within its local and broader contexts, in order to determine whether OG-Dan or Th-Dan perhaps preserves an earlier reading than found in other textual witnesses. The situation is more complex in Dan 4-6, in which OG-Dan preserves large-scale differences from the other textual witnesses (see 3.2.2). In these chapters, the differences cannot be analyzed using the standard tools of textual criticism alone, and instead need to be appraised as evidence for broader literary processes.

2.2.4.6.2: The Reception of Septuagint Daniel in Jewish and Christian Literature Daniel Olariu Literature Editions, Translations Josephus: Judean Antiquities, Books 8-10: Translation and Commentary by Christopher T. Begg / Paul Spilsbury, Flavius Josephus 5, ed. Steven Mason, Leiden 2005 – Whiston, William: The New Complete Works of Josephus. Rev. and enl. ed. Grand Rapids 1999. Hippolytus Rom.: De Christo et Antichristo, English trans. by A. Cleveland Coxe, ANF 5, Repr. Peabody 1994, 204-219 – Hippolytus Rom.: Commentaire sur Daniel, ed. Maurice Lefèvre, SC 14, Paris 1947 – Hippolytus Rom.: Commentary on Daniel and ‘Chronicon,’ transl. Thomas Coffman Schmidt / Nick Nicholas, Gorgias Studies in Early Christianity and Patristics 67, Piscataway 2017 – Irenaeus: Adversus haereses 3, ed. Adelin Roussaeu / Louis Doutre36. Hartman / Di Lella: The Book of Daniel, 75. 37. Montgomery: A Critical and Exegetical Commentary on the Book of Daniel, 40. 38. Undoubtedly, this comment relates to the issue on how we generally characterize Th-Dan, either as a revision or a translation. Since we are of the opinion that the evidence points to the former alternative, for text-critical purposes, the disagreements between OG-Dan and Th-Dan “must be appraised” and “are worthy of inspection” (ibid., 57).

406

gtvh 08105 / p. 407 / 31.3.2022

Daniel

leau, SC 211, Paris 1974 – Irenaeus, Against Heresies, transl. Philip Schaff, ANF 1, Grand Rapids 1885, Repr. Peabody 1994, 309-567 – Jerome: Apology against Rufinus, transl. W[illiam] H [enry] Fremantle, NPNF2 3, Grand Rapids 1892, 482-541 – Jerome: Commentary on Daniel, transl. Gleason L. Archer, Grand Rapids 1958 – Justinus Martyr: Dialogue avec Tryphon, ed. Philippe Bobichon, Par. 47/1-2, Fribourg 2003 – Justinus Martyr: Dialogue with Trypho, a Jew, transl. Alexander Roberts / James Donaldson, Repr. Peabody 1994, 194-270 – The Pastor of Hermas, ed. Robert Joly, SC 53.bis, Paris 1968 – The Pastor of Hermas, transl. Frederick Crombie, ANF 2, Grand Rapids 1885, Repr. Peabody 1994, 1-58 – Theodoret: Explanatio in Danielem, PG 81, 1256 C-1546 A – Theodoret: Commentary on Daniel, transl. Robert C. Hill: Writings from the Greco-Roman World 7, Leiden 2006.

Secondary Literature Amara, Dalia: The Old Greek Version of Daniel: The Translation, the Vorlage and the Redaction, PhD diss., Ben-Gurion University of the Negev, 2006 (Hebrew) – Beale, Gregory K.: The Use of Daniel in Jewish Apocalyptic Literature and in the Revelation of St. John, Eugene 1984 – Begg, Christopher T.: Daniel and Josephus: Tracing Connections, in: Adam Simon van der Woude (ed.), The Book of Daniel in the Light of New Findings, BEThL 106, Leuven 1993, 539-545 – Bodenmann, Reinhard: Naissance d’une exégèse: Daniel dans l’eglise ancienne de troix premiers siècles, BGBE 28, Tübingen 1986 – Braverman, Jay: Jerome’s Commentary on Daniel, CBQMS 7, Washington 1978 – Bruce, Frederick Fyvie: Josephus and Daniel, ASTI 4 (1965), 148-162 – Charles, Robert Henry: A Critical and Exegetical Commentary on the Book of Daniel, Oxford 1929 – Collins, Adela Yarbro: The Influence of Daniel on the New Testament, in: John J. Collins, Daniel, Hermeneia, Minneapolis, 1993, 90-112 – Collins, John J.: Daniel: A Commentary on the Book of Daniel, Hermeneia, Minneapolis 1993 – Chapman, Honora Howell / Rodgers, Zuleika (ed.): A Companion to Josephus. Blackwell Companions to the Ancient World, Malden 2016 – Dunn, James D. G.: The Danielic Son of Man in the New Testament, in: John J. Collins / Peter W. Flint (ed.), The Book of Daniel: Composition and Reception, VT.S 83/2, Leiden 2001, 528-549 – Evans, Craig A.: Daniel in the New Testament, in: John J. Collins / Peter W. Flint (ed.), The Book of Daniel: Composition and Reception, VT.S 83/2, Leiden 2001, 490-527 – Feldman, Louis H.: Josephus’s Interpretation of the Bible, Berkeley 1998 – Fernández Marcos, Natalio: The Septuagint in Context. Introduction to the Greek Versions of the Bible. Translated by Wilfred G. E. Watson, Leiden 2000 – Ginsburg, Louis: The Legends of the Jews. Vol. 6. Philadelphia 1968 – Goldingay, John E.: Daniel, WBC 30, Dallas 1989 – Gruen, Erich S.: Polybius and Josephus on Rome, in: Jack Pastor / Pnina Stern / Menahem Mor (ed.), Flavius Josephus: Interpretation and History, JSJ.S 146, Leiden 2011, 149-162 – Harris, James Rendel: Hermas in Arcadia and Other Essays, Cambridge 1896 – Karrer, Martin: Johannesoffenbarung (Offb. 1,1-5,14), EKK 24,1, Ostfildern/Göttingen 2017 – Koch, Klaus: Europa, Rom und der Kaiser vor dem Hintergrund von zwei Jahrtausenden Rezeption des Buches Daniel, Berichte aus den Sitzungen der Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften e. V. Hamburg 15, Göttingen 1997 – Kreuzer, Siegfried: Papyrus 976. Bemerkungen zu seiner buchtechnischen, textgeschichtlichen und kanongeschichtlichen Bedeutung, in: Wolfgang Kraus / Martin Karrer (eds.): Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 76-78 – Kreuzer, Siegfried: Papyrus 967: Its Significane for Codex Formation, Textual History, and Canon History, in: Siegfried Kreuzer, The Bible in Greek, JBL.SCS 63, Atlanta 2015, 255-271 – Lust, Johan: Dan 7:13 and the Septuagint, EThL 54 (1978), 62-69 – Madden, Shawn Clarke: Josephus’s Use of the Book of Daniel: A Study of HellenisticJewish Historiography, PhD diss., The University of Texas at Arlington, 2001 – Mason, Steve: Josephus, Daniel, and the Flavian House, in: Fausto Parente / Joseph Sievers (ed.), Josephus and the History of the Greco-Roman Period, Leiden 1994, 161-191 – Montgomery, James A.: A Critical and Exegetical Commentary on the Book of Daniel. The International Critical Commen-

407

gtvh 08105 / p. 408 / 31.3.2022

Propheten

tary, Edinburgh 1964 – Müller, Mogens: The Reception of the Old Testament in Matthew and Luke-Acts: From Interpretation to Proof from Scripture, NT 43 (1991), 315-330 – Olariu, Daniel: The Quest for the Common Basis in the Greek Versions of the Book of Daniel, MA thesis, The Hebrew University of Jerusalem, 2015 – Olariu, Daniel: From Suspicion to Appreciation: The Change of Perception Regarding Theodotion’s Version of Daniel in Patristic Literature, Paper presented at the Annual Meeting of the SBL, Boston, MA, 18-21 Nov 2017 – Olariu, Daniel: An Analysis of the Revisional Process in Theodotion’s Greek Text of Daniel, PhD diss., The Hebrew University of Jerusalem, 2021 – Segal, Alan F.: Two Powers in Heaven, SJLA 25, Leiden 1977 – Segal, Michael: The Text of Daniel in the Dead Sea Scrolls, Meghillot 11-12 (2015), 171-198 (Hebrew) – Thackeray, Henry St. John: Josephus: The Man and the Historian, New York 1967 – Vermes, Geza: Josephus’ Treatment of the Book of Daniel, JJS 42.2 (1991), 149-166 – Vetne, Reimar: The Influence and the Use of Daniel in the Synoptic Gospels, PhD diss., Andrews University, 2011.

Septuagint Daniel in both its forms—OG-Dan and Th-Dan—has drawn the attention of subsequent generations of Greek readers from both Jewish and Christian traditions. The former is represented mainly by Josephus, while the latter by New Testament writers and church fathers. As will be shown, a high regard for the prophet Daniel and his purported book pervades their compositions. 1

1. Jewish Literature 1.1 Flavius Josephus 2 Traces of the influence of Danielic ideas and theological concepts on Jewish compositions subsequent to the production of OG-Dan and Th-Dan are numerous. 3 For the vast majority of these compositions, however, the transfer of ideas was arguably facilitated by their shared Hebrew and Aramaic language with Daniel. Therefore, they are excluded from our survey. Josephus, however, wrote in Greek and his works therefore offer insight into influences from OG-Dan and Th-Dan. Josephus’s extensive references to the book of Daniel in Jewish Antiquities 10:186281, 4 represent the most notable retelling of the book in Jewish literature. The author’s 1. 2.

3.

4.

For general overviews on the reception history of the Book of Daniel, see Goldingay: Daniel, xxi-xl; Collins: Daniel, 72-123; and Koch: Europa, Rom und der Kaiser. For the English translation of the works of Josephus, I use the edition of Whiston: The New Complete Works of Josephus. For a general introduction to Josephan studies, e. g. his writings, their literary context, themes, and transmission and reception history, see Chapman / Rodgers, eds.: A Companion to Josephus. For the influence of Daniel on intertestamental literature, e. g. Qumran, 4 Ezra, etc., see Collins: Daniel, 72-89; and Michael Segal: The Text of Daniel in the Dead Sea Scrolls, passim (Hebrew). In addition, Josephus briefly refers on two other occasions to the book of Daniel, namely, in Ant. 11:337 and 12:322. The former alludes to the episode of the high priest notifying Alexander the Great that Daniel’s oracles anticipated his victory over the Persians. The latter mentions the “desolation” of the temple by Antiochus, apparently as a fulfillment of the prophecy of Daniel 9. If so, this would be the only indirect reference to the oracle of Seventy Heptads in Josephus.

408

gtvh 08105 / p. 409 / 31.3.2022

Daniel

treatment reveals his perception of Septuagint Daniel as a historical document, reliable for information regarding Jewish life in the time of the last Neo-Babylonian kings. In addition, not only does he position himself within the stream of Jewish tradition that confers on Daniel prophetical status (Ant. 10:246, 249, 268), 5 but he is also the first to develop a type of preeminence theology regarding Daniel over the other prophets. Consequently, Josephus intimates, “he did not only prophecy of future events, as did the other prophets, but he also determined the time of their accomplishment” (Ant. 10:267). Through the fulfilment of his predictions, Josephus further maintains, “[Daniel] procured the belief of their truth, and the opinion of [a sort of] divinity for himself, among the multitude (Ant. 10:268; cf. 10:111-112). 6 Josephus’s rewriting of Daniel reveals selectivity, referring only to chapters 1-6 and 8, and also probably to chapter 9. However, the precise rationale for the exclusion of the others, especially the prophetical discourses of chapters 7, (9)-12, remains both intriguing and obscure. Among the notable techniques that he employs in retelling these chapters is the transformation of the biblical narratives by means of amplifications, modifications, and synchronization with other biblical motifs. At times he records completely new traditions, e. g. the dating of the second year of the king Nebuchadnezzar in Dan 2:1, which alludes to “two years after the destruction of Egypt” (Ant. 10:195). 7 The biblical text underlying Josephus’s rewritten section on Daniel includes both OG-Dan and Th-Dan. The retelling of chapter 1 unequivocally exemplifies the historian’s dependency on each of the two texts. As in its Hebrew context, the story underscores the decision of the Jewish youth to prefer “a severe diet, and to abstain from those kinds of food which came from the king’s table” (Ant. 10:190). The king’s dietary plan is alluded to twice more in the context of retelling the story, in 10:187 and 10:193. These mentions of the food from the king’s “table” evoke the difficult word ‫“ פתבג‬portion,” which represents a Persian importation into Hebrew, i. e., patibaga. 8 The OG struggled in rendering the term, its meaning being most likely deduced imprecisely from the context. Consequently, the translator has provided two equivalents: (1) τράπεζα “table” (Dan 1:5); and (2) δεῖπνον “dinner, supper” (Dan 1:8, 13, 15-16). The ana5.

6.

7.

8.

Other Jewish sources which refer to Daniel as prophet are Mek. 1b; Pesiq. Rab Kah. 4:36b; Pesiq. Rab. 14:61; and S. ʿ Olam Rab. 20. Cf. Ginsburg: The Legends of the Jews, Vol. 6, 413414 [at n. 76]. See further 4QFlor 2:3 and the discussion below on New Testament literature. See further Ant. 10:211-212. Josephus’s overall justification of the seer’s preeminence combines supernatural and rational reasons. On the one hand, he underscores Daniel’s distinct endowment of conversing with and receiving revelation from God (Ant. 10:194, 200-201, 237, 264, 266267, 277). On the other hand, he explains that Daniel’s career as a prophet of “good things” contrasts to the other prophets who had to announce “misfortunes.” As a result of their oracles, the former “procured the goodwill of all men,” while the latter became “disagreeable to kings and multitude” (Ant. 10:268). For detailed analyses of these techniques and others, see Bruce: Josephus and Daniel, 148-162; Vermes: Josephus’ Treatment of the Book of Daniel, 149-166; Begg: Daniel and Josephus: Tracing Connections, 539-545; Mason: Josephus, Daniel, and the Flavian House, 161-191; Feldman: Josephus’s Interpretation of the Bible, 629-637; Madden: Josephus’s Use of the Book of Daniel; Begg / Spilsbury: Judean Antiquities Books 8-10: Translation and Commentary. HALOT 3:984; Montgomery: Daniel, 21. In Hebrew, the term is also spelled ‫פת־בג‬.

409

gtvh 08105 / p. 410 / 31.3.2022

Propheten

lysis of how Th-Dan has handled ‫ פתבג‬indicates dependency on the OG. The imprecise τράπεζα was likely adopted from OG-Dan 1:5 and, further, was consistently applied in vv. 8, 13, 15. Th-Dan again betrays its dependence on the OG in v. 16, switching from τράπεζα to the other OG equivalent δεῖπνον, because τράπεζα would not fit the context. 9 Turning to the text of Josephus, his use of the equivalents for ‫ פתבג‬matches that in Th-Dan. Significantly, it not only attests τράπεζα more times than δεῖπνον, as Th-Dan does, but it also preserves the shift from the former to the latter in the same location as Th-Dan. The table below presents a synopsis of the agreements between the multiple texts: Ch. 1 MT

OG

Th

‫ וימן להם המלך דבר‬καὶ δίδοσθαι αὐ- καὶ διέταξεν αὐ- διαθεὶς ἐχορήγει ‫ יום ביומו מפת־בג‬τοῖς ἔκθεσιν ἐκ τοῖς ὁ βασιλεὺς τὸ μὲν αὐτοῖς τὰ ἀπὸ ‫ המלך‬τοῦ οἴκου τοῦ βα- τῆς ἡμέρας καθ’ τῆς τραπέζης

v. 5

σιλέως καθ’ ἑκά- ἡμέραν ἀπὸ τῆς στην ἡμέραν καὶ τραπέζης τοῦ ἀπὸ τῆς βασιλι- βασιλέως κῆς τραπέζης

αὐτοῦ εἰς δίαιταν, (Ant. 10:187)

‫ וישם דניאל על לבו‬καὶ ἐνεθυμήθη καὶ ἔθετο Δανιηλ Δόξαν δὲ Δανιήλῳ ‫ אשר לא יתגאל בפתבג‬Δανιηλ ἐν τῇ καρ- ἐπὶ τὴν καρδίαν μετὰ τῶν συγγενῶν σκληραγωγεῖν ‫ המלך‬δίᾳ ὅπως μὴ ἀλισ- αὐτοῦ ὡς οὐ μὴ

v. 8

γηθῇ ἐν τῷ δείπνῳ τοῦ βασιλέως

‫ ומראה הילדים‬τοὺς ἄλλους νεα‫ האכלים את פתבג‬νίσκους τοὺς ‫ המלך‬ἐσθίοντας ἀπὸ

v. 13

τοῦ βασιλικοῦ δείπνου

v. 15

ἀλισγηθῇ ἐν τῇ ἑαυτὸν καὶ τῶν τραπέζῃ τοῦ βα- ἀπὸ τῆς βασιλισιλέως κῆς τραπέζης ἐδεσμάτων ἀπέχεσθαι (Ant. 10:190) καὶ αἱ ἰδέαι τῶν παιδαρίων τῶν ἐσθιόντων τὴν τράπεζαν τοῦ βασιλέως

Not attested.

‫ מן כל הילדים האכלים‬τῶν ἄλλων νεανί- ὑπὲρ τὰ παιδάρια ὡς τοὺς μὲν ἐνδεε‫ את פתבג המלך‬σκων τῶν ἐσθιόν- τὰ ἐσθίοντα τὴν στέρους ὑπολαμτων τὸ βασιλικὸν δεῖπνον

9.

Josephus

τράπεζαν τοῦ βασιλέως

βάνειν οἷς τὴν βασιλικὴν συνέβαινεν εἶναι χορηγίαν (Ant. 10:193)

The MT-Dan 1:16 reads: ‫ ַו ְיִהי ַהֶמְּלַצר נֵֹשׂא ֶאת־ַפְּתָבּ ָגם ְו ֵיין ִמְשֵׁתּיֶהם ְונֵֹתן ָלֶהם ֵז ְרֹע ִנים‬. If the text of ThDan maintained τράπεζα as the equivalent for ‫ַפְּתָבּ ָגם‬, it would have read: καὶ ἐγένετο Αμελσαδ ἀναιρούμενος τὴν τράπεζαν αὐτῶν καὶ τὸν οἶνον τοῦ πόματος αὐτῶν καὶ ἐδίδου αὐτοῖς σπέρματα “And there was Hamelsad withholding their table and the wine of their drink, and he would give them seeds.” Consequently, it stands to reason that the reviser abandoned τράπεζα and adopted δεῖπνον from the OG to solve the problem. See further, Olariu: The Quest for the Common Basis, 46-49; and Amara: The Old Greek Version of Daniel, 18 (Hebrew).

410

gtvh 08105 / p. 411 / 31.3.2022

Daniel

Ch. 1 MT v. 16

OG

‫ ויהי המלצר נשא את‬καὶ ἦν Αβιεσδρι ‫ פתבגם‬ἀναιρούμενος τὸ δεῖπνον αὐτῶν

Th

Josephus

καὶ ἐγένετο Αμελσαδ ἀναιρούμενος τὸ δεῖπνον αὐτῶν

ἔκτοτε μετ’ ἀδείας ὁ Ἀσχάνης ἃ μὲν ἀπὸ τοῦ δείπνου καθ’ ἡμέραν συνήθως ἔπεμπε τοῖς παισὶν ὁ βασιλεὺς αὐτὸς ἐλάμβανεν, ἐχορήγει δ??apox?? αὐτοῖς τὰ προειρημένα (Ant. 10:193)

The example above thus indicates a systematic use of Th-Dan in retelling the story of Daniel 1. 10 Nevertheless, the biblical text of Josephus regarding Daniel 1 equally points to the OG. Its traces are manifest in the terminology concerning the vegetarian diet suggested by Daniel to the eunuch appointed over him and his companions. According to the MT, Daniel asked permission to eat ‫“ ֵזר ִֹעים‬things sown, vegetables,” instead of other food. The story reports that the request was granted, the youths receiving ‫ֵז ְרֹע ִנים‬ “seeds, vegetables” (v. 16). Both terms are closely related hapax legomena and were rendered in the OG with ὄσπριον “edible seed, pulse.” Interestingly, the OG’s equivalent represents a hapax word as well, which Th-Dan has rejected it in favor of σπέρμα “seed,” aiming toward standardization. 11 Of the two possibilities, Josephus’s text aligns with the OG, attesting the hapax ὄσπριον. 12 Consequently, the discussion of the biblical text underlying the rewritten story of Daniel 1 confirms that Josephus’s biblical text is a mixture of both the OG and Th, as has been pointed out in earlier literature. 13 10. Against Bruce, who holds that the Bible text of Josephus “has closer affinities with the LXX than with the Theodotionic text.” Cf. Bruce: Josephus and Daniel, 160 (at n. 3). 11. ‫ ֶזּ ַרע‬occurs 229 times, having σπέρμα as its standard equivalent, cf. Gen 1:112 �, 122 �, 292 �; 3:152 �; 4:25; 7:3; 8:22; 9:9; 12;7; 13:15, 162 �; 15:3, 5, 13, 18; 16:10; 17:72 �, 8-10, 12, 19; 19:32, 34; 21:12-13; 22:172 �, 18; 24:7, 60; 26:3, 43 �, 24; 28:4, 13, 142 �; 32:13; 35:12; 38:8, 92 �; 46:6-7; 47:19, 23-24; 48:4, 11, 19; Exod 16:31; 28:43; 32:132 �; 33:1; Lev 11:37-38; 15:16-18, 32; 18:20-21; 19:20; 20:2-4; 21:15, 21; 22:3, 42 �, 13; 26:16; 27:30; Num 5:13, 28; 11:7; 14:24; 17:5; 18:19; 24:7; 25:13; Deut 1:8; 4:37; 10:15; 11:9; 14:22; 22:9; 28:38, 46, 59; 30:6, 19; 31:21; 34:4; Josh 24:3; 1 Sam 1:11; 2:20; 8:15; 20:422 �; 24:22; 2 Sam 4:8; 7:12; 22:51; 1 Kgs 2:332 �; 11:14; 18:32; 2 Kgs 5:27; 11:1; 17:20; 25:25; Isa 1:4; 14:20; 23:3; 30:23; 41:8; 43:5; 44:3; 45:19, 25; 48:19; 53:10; 54:3; 55:102 �; 57:3-4; 59:21; 61:92 �; 65:9, 23; 66:22; Jer 7:15; 22:30; 23:8[42]; 31:27[38:27] 2 �; 35:7, 9[42:7, 9]; 46:27[26:27]; Ezek 17:5, 13; 20:5; 43:19; 44:22; Mal 2:15; Psa 18 [17]:51; 21[20]:11; 22[21]:242 �, 31; 25[24]:13; 37[36]:25-26, 28; 69[68]:37; 89[88]:5, 30, 37; 102 [101]:29; 105[104]:6; 106[105]:27; 112[111]:2; 126[125]:6; Job 5:25; Ruth 4:12; Eccl 11:6; Esth 9:27; Ezra 2:59; 9:2; Neh 7:61; 9:8; 1 Chr 16:13; 17:11; 2 Chr 20:7; 22:10. 12. Ὄσπριον is attested once more in Josephus’s writings in War 7:296. Credit goes to Bruce as being the first to observe that ὄσπριον may represent a trace of the OG-Dan in Josephus. Cf. Bruce: Josephus and Daniel, 160 [at n. 3]. 13. Our conclusion supports Thackeray’s early, intuitive comment that Josephus “appears to have used a Greek Daniel combining the peculiarities of the two known versions.” Cf. Thackeray:

411

gtvh 08105 / p. 412 / 31.3.2022

Propheten

However, in at least two occasions we are compelled to admit that Josephus was also acquainted with a form of the MT similar to or identical with that extant in Leningrad Codex 19A. The first of these occurs at Dan 8:9. According to the MT, the horn in this verse is characterized as being ‫“ צעירה‬a little one.” 14 For whatever reason, OG-Dan renders the adjective with ἰσχυρός “strong, mighty,” denoting the opposite meaning. Th-Dan displays the peculiar ἰσχυρός as well, which most likely represents a significant equivalent shared between the OG and Th-Dan. In contrast, Josephus utilizes μικρός “small, little” for ‫( צעירה‬Ant. 10:271), indicating his reliance on MT. 15 The second occasion concerns Daniel 3, where the influence of the MT on Josephus is apparent in the fact that his retelling lacks any allusion to the Additions of Daniel (cf. Ant. 10:213-215).

2. Christian Literature Christian literature demonstrably reflects the same threads of tradition that are apparent in Josephus’s work. Considering that “primitive Christianity appeared from the beginning sociologically as a community of interpretation within the framework of Early Judaism,” 16 these similarities should not be a surprise.

2.1 New Testament The influence of Septuagint Daniel on New Testament writers is visible through its many quotations, allusions, echoes, and thematic parallels in their compositions. 17 Matthew 24:15 constitutes the locus classicus where early Jewish traditions converge: Ὅταν οὖν ἴδητε τὸ βδέλυγμα τῆς ἐρημώσεως τὸ ῥηθὲν διὰ Δανιὴλ τοῦ προφήτου ἑστὸς ἐν τόπῳ ἁγίῳ, ὁ ἀναγινώσκων νοείτω, “So when you see standing in the holy place ‘the abomination that causes desolation,’ spoken of through the prophet Daniel—let the reader understand […]” (NIV). As with Josephus, Daniel was received both as a prophetical figure and as the author of the book, and the phraseology τὸ βδέλυγμα τῆς ἐρημώσεως “the abomination that causes desolation” was also understood as forecasting significant historical events—here, applied in Jesus’s Olivet dis-

14. 15.

16. 17.

Josephus: The Man and the Historian, 89. However, he does not support his comment with any example. Cf. HALOT 3:1041. Alternatively, it can be contended with Begg / Spilsbury: Judean Antiquities 8-10, 311, that “Josephus used a Greek text which closely reflected the Hebrew original at this point.” This view goes against Feldman’s: Josephus’s Interpretation of the Bible, 630 (at n. 3), who argues that Josephus based his retelling directly on a Hebrew-Aramaic text. Müller: The Reception of the Old Testament in Matthew and Luke-Acts, 315. Reflecting on the almost 200 quotations and allusions provided by two important indexes of Greek New Testament editions, Evans estimates that Daniel stays “in the same category as Isaiah and the Psalms, the books most frequently quoted and alluded to in the New Testament.” Evans: Daniel in the New Testament:, 490. For a systematic evaluation of possible quotation and allusions from Daniel into the Synoptic Gospels, see Vetne: The Influence and the Use of Daniel in the Synoptic Gospels.

412

gtvh 08105 / p. 413 / 31.3.2022

Daniel

course to the destruction of Jerusalem. 18 Furthermore, even the subtle comment “let the reader understand” might share with Josephus the strategy of using evasive references to the contemporary power—the Roman empire—as the agent of fulfilling the prophecy. 19 Certain allusions to Septuagint Daniel in the Synoptic Gospels reveal that much of Jesus’s teaching, and perhaps even his own self-consciousness and mission, stemmed from the constellation of Danielic apocalyptic ideas. Take for example the influence of the description ὡς υἱὸς ἀνθρώπου “(one) like a son of a man” (OG/Th-Dan 7:13) on the “Son of Man” sayings in Matthew, Mark, Luke, John, and Revelation. Collins has aptly summarized that “the historical Jesus referred in his teaching to Dan 7:13 as an eschatological prophecy about to be fulfilled.” 20 Furthermore, a convincing case for the Danielic eschatological influence on the proclamation of the “kingdom of God” by Jesus was made by Evans. He sees it “in Jesus’ unvarying proclamation of the kingdom of God, in the kingdom’s imminence, its mysteriousness, its unstoppable crushing power, and in the hope that what is man-made will be cleared away to make room for a Temple ‘not made by the hands’ of humans and to establish a government on whose seats of power Jesus and his disciples will sit.” 21 On top of that, many of these allusions also appear in Pauline eschatology. Among others, 2 Thess 2:1-12 is a case in point, wherein the author clearly shows dependence on Dan 11:36-37 in his portrayal of the anticipated Antichrist figure. 22 Lastly, the influence of the versions of Daniel on Revelation is well illustrated by the various thematic and linguistic parallels between these compositions. 23 For instance, the language of Revelation 13 alludes frequently to 18. Cf. Ant. 10:276. The verses in Matt 24:15 and Luke 21:20 draw from Mark 13:14. The former expands it by clarifying that the language is a quotation from Daniel. The latter partly reworks it with the aim of making explicit that the event refers to the surrounding of Jerusalem by armies. The phrase βδέλυγμα τῆς ἐρημώσεως is influenced by OG/Th 9:27; 11:31; 12:11, which is also quoted in 1 Macc 1:54. 19. We refer here to Josephus’s retelling of Daniel 2. Scholars have noted since early on that the historian stops short of explaining the meaning of the stone shattering the kingdom of “iron,” the metal which he most likely understood as a symbol of Rome (cf. Ant. 10:276). As Gruen: Polybius and Josephus, 160, put it, “an outright statement about the kingdom of God eventually pulverizing the Roman empire might have been impolitic.” However, Josephus advises the curious reader looking for the explanation to “be diligent in reading the book of Daniel.” We suggest that Jesus’s language “let the reader understand” functions in the context of Matthew 24 as a similar strategy for the same purpose. 20. Adela Yarbro Collins: The Influence of Daniel on the New Testament, 105. See further Dunn: The Danielic Son of Man in the New Testament, 528-549. 21. Evans: Daniel in the New Testament, 521. 22. Cf. 2 Thess 2:4 with Dan 11:36-37. Paul’s eschatology represents an actualized version of Daniel’s through the lens of his fulfilled messianic expectations in Jesus. His silence in identifying who the “restrainer” is, together with his subtle allusion to the teachings he delivered when personally visited the community (2 Thess 2:5-6), makes us think that we witness here a maneuver comparable to Josephus’s and Matthew’s, evoking the contemporary power of Rome in an indirect way. This interpretation of the “restrainer” was the earliest, and was articulated by Tertullian (Res. 24, in ANF 3:562-563) and Hippolytus (Comm. Dan. 4.21; Antichr. 49, in ANF 5:214). 23. One of the first systematic treatments of the use of Daniel in Revelation, i. e. in chaps. 1, 4-5, 13, 17, is Beale: The Use of Daniel, 154-285.

413

gtvh 08105 / p. 414 / 31.3.2022

Propheten

OG/Th-Daniel 7, the ferocious beasts of Daniel inspiring heavily the description of the beasts from both the sea and the land in this chapter. 24 The allusions and quotations to the Septuagint text of Daniel in the NT reflect both OG-Dan and Th-Dan. Daniel 7:13 may serve as the best example to illustrate this point, considering its certainty and frequency as a quotation in the NT (see chart below). 25 MT-Dan 7:13

LXX-Dan 7:13

NT

‫ָח ֵזה ֲה ֵוית ְבֶּח ְז ֵוי ֵליְל ָיא‬ ‫ַוֲארוּ ִעם־ֲע ָנ ֵני ְשַׁמ ָיּא‬ ‫ְכַּבר ֱא ָנשׁ אֵָתה ֲה ָוה‬ ‫ְוַעד־ַעִתּיק יוַֹמ ָיּא ְמָטה‬ ‫וְּק ָדמוִֹהי ַהְק ְרבוִּהי׃‬

OG: ἐθεώρουν ἐν ὁράματι τῆς νυκτὸς καὶ ἰδοὺ ἐπὶ τῶν νεφελῶν τοῦ οὐρανοῦ ἤρχετο ὡς υἱὸς ἀνθρώπου, καὶ ἕως παλαιοῦ ἡμερῶν παρῆν, καὶ οἱ παρεστηκότες παρῆσαν αὐτῷ.

Group A: NT=OG-Dan (1) καὶ τότε φανήσεται τὸ σημεῖον τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου ἐν οὐρανῷ, καὶ τότε κόψονται πᾶσαι αἱ φυλαὶ τῆς γῆς καὶ ὄψονται τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου ἐρχόμενον ἐπὶ τῶν νεφελῶν τοῦ οὐρανοῦ μετὰ δυνάμεως καὶ δόξης πολλῆς· (Matt 24:30) (2) λέγει αὐτῷ ὁ Ἰησοῦς· σὺ εἶπας. πλὴν λέγω ὑμῖν· ἀπ’ ἄρτι ὄψεσθε τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου καθήμενον ἐκ δεξιῶν τῆς δυνάμεως καὶ ἐρχόμενον ἐπὶ τῶν νεφελῶν τοῦ οὐρανοῦ. (Matt 26:64)

TH: ἐθεώρουν ἐν ὁράματι τῆς νυκτὸς καὶ ἰδοὺ μετὰ τῶν νεφελῶν τοῦ οὐρανοῦ ὡς υἱὸς ἀνθρώπου ἐρχόμενος καὶ ἕως τοῦ παλαιοῦ τῶν ἡμερῶν ἔφθασεν καὶ προσήχθη αὐτῷ

Group B: NT=Th-Dan: (1) ὁ δὲ Ἰησοῦς εἶπεν· ἐγώ εἰμι, καὶ ὄψεσθε τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου ἐκ δεξιῶν καθήμενον τῆς δυνάμεως καὶ ἐρχόμενον μετὰ τῶν νεφελῶν τοῦ οὐρανοῦ. (Mark 14:62) (2) Ἰδοὺ ἔρχεται μετὰ τῶν νεφελῶν, καὶ ὄψεται αὐτὸν πᾶς ὀφθαλμὸς καὶ οἵτινες αὐτὸν ἐξεκέντησαν, καὶ κόψονται ἐπ’ αὐτὸν πᾶσαι αἱ φυλαὶ τῆς γῆς. ναί, ἀμήν. (Rev 1:7)

24. Beale: The Use of Daniel, 229-249; Adela Yarbro Collins: “The Influence of Daniel on the New Testament,” 107-109. See further the synoptic list of the allusions to Daniel 7 throughout Revelation, by Dunn: “The Danielic Son of Man in the New Testament,” 536. 25. Among others, Th-Dan readings quoted in the NT are also found in Matt 13:32, Mark 4:31-32 and Luke 13:19 (cf. Dan 4:37); in Matt 13:43 (cf. Dan 12:3); in Mat 24:21 and Mark 13:19 (cf. Dan 12:1).

414

gtvh 08105 / p. 415 / 31.3.2022

Daniel

MT-Dan 7:13

LXX-Dan 7:13

NT Group C: NT 6¼ OG/Th-Dan (1) καὶ τότε ὄψονται τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου ἐρχόμενον ἐν νεφέλαις μετὰ δυνάμεως πολλῆς καὶ δόξης. (Mark 13:26) (2) καὶ τότε ὄψονται τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου ἐρχόμενον ἐν νεφέλῃ μετὰ δυνάμεως καὶ δόξης πολλῆς. (Luke 21:27)

The main difference between OG-Dan and Th-Dan concerns the selected equivalents for the preposition ‫“ עם‬with.” Whereas the former produces a dynamic translation using ἐπί “upon, on,” the latter translates literally with μετά (+ gen) “with.” Furthermore, the Theodotionic reading μετά is attested in Mark 14:62 (Group B) while the OG ἐπί in Matt 24:30; 26:64 (Group A). Apparently, Matthew, which depended on Mark, has adjusted the quotation to match his known text, OG-Dan. To complicate things even further, the NT points to another variation, namely, the preposition ἐν (+ dat) “in” (Mark 13:26; Luke 21:27; Group C). There is no doubt regarding the influence of Mark on Luke in this passage, who probably has deliberately replaced the preposition μετά with ἐν, to avoid clustering μετά with the genitive case twice in the same phrase. 26 Most interesting is the passage καὶ ὡς παλαιὸς ἡμερῶν παρῆν (“and he came like an ancient of days [= like an old one]”). Ὡς “like” instead of ἕως “to/until” (“and he came to the old one”) is found in Ms 88 and in the Syrohexapla. Alfred Rahlfs in his edition of the Septuagint decided for this reading, while Joseph Ziegler in the Göttingen edition conjectured ἕως. In the meantime, ὡς became confirmed by Papyrus 967. 27 The reading ὡς solves the problem of two heavenly beings, 28 and coincides with the monotheistic intentions of the Septuagint. On the other hand, it influenced the image of the Son of Man as being old. This most probably is reflected in Apc 1,7 with the son of man having white hair, which is reflected in medieval iconography where Christ is often resented as old. 29

2.2 Patristic Literature 30 The church fathers provide valuable insights regarding the influence of Septuagint Daniel on Christian eschatology as well as rare information about the transmission history of OG-Dan and Th-Dan. The patristic interpretations are pervaded with tradi26. An alternative explanation would be to postulate the existence of another textual tradition which is not known today, e. g. “Proto-Theodotion” (see further the conclusions). 27. See Lust: Dan 7,13 and Kreuzer: Papyrus 967. 28. Alan F. Segal: Two Powers in Heaven. 29. See the discussion and history of research in Karrer: Johannesoffenbarung, 258-261. 30. For an extensive review of the reception of selected topics such as the four kingdoms, the “son of man,” and the seventy weeks in the patristic literature, see Bodenmann: Naissance d’une exégèse.

415

gtvh 08105 / p. 416 / 31.3.2022

Propheten

tions similar to those visible in the ancient Jewish and NT writings. We limit our brief survey to the apocalyptic ideas that appear in the systematic treatments of Hippolytus (ca. 170-236), Jerome (ca. 347-419), and Theodoret of Cyrus (ca. 393-457). 31 Hippolytus’s commentary on Daniel 32 represents the first complete specimen of a Bible commentary in ancient literature. Written during the persecutions at the turn of the third century (ca. 204), he interprets the stone of Daniel 2 and the “son of man” of Daniel 7 as Christ (Comm. Dan 2.13; 4.11.1-5); the forth beast with ten horns of Daniel 7 as Rome, which will unexpectedly undergo division (2.12; 4.5.3; 4.7.4; 4.8.2); the little horn of the same chapter as Antichrist (4.5.3); and the little horn of Daniel 8 as Antiochus Epiphanes (4.26.7) 33; and the seventy-weeks prophecy of Daniel 9 as foretelling the incarnation of Christ at the end of the sixty-ninth week (4.31.1-5) while the last week consuming in the future (4.35.3); and, lastly, the section of Dan 11:36-45 as referring to Antichrist (4.49.1). Jerome had similarly maintained in his exposition on Daniel (ca. 407) that the “stone” and “son of man” applied to Christ (Expl. Dan. 2:40; 7:13-14). 34 The future Antichrist was perceived as being signified by the little horn entity of Dan 7:7-8, 2526; 8:14, and the language of 11:24-45. Jerome diverges, however, from Hippolytus in interpreting the seventy weeks as being terminated with the destruction of Jerusalem in AD 70 (9:24-27). Jerome’s commentary is also valuable for including exegetical insight from Porphyry, who embryonically anticipated the critical interpretations which construe the visions of Daniel as ex eventu prophecies. 35 Theodoret designed his commentary (c. 433) to accredit Daniel as a prophet, whose book was deserving of a place among the Prophets rather than the Writings. 36 He follows the same line of Christological interpretation regarding the “stone” (Daniel 2), the “son of man” (Daniel 7), and the seventy weeks (Daniel 9). Similarly, he differentiates between the “little horn” of Daniel 7 (Antichrist) and the one of Daniel 8 (Antiochus Epiphanes), while up to Dan 11:35 he sees the portrayal of Antiochus as a type for the Antichrist, and the antitype starting from v. 36 onward. 31. There were other commentaries on Septuagint Daniel produced by Christian scholars that circulated in late antiquity, but they were lost. Jerome notes in his Commentary on Daniel that Origen, in his work Stromata, “is discussing the text from this point on (from Dan 4:6) in the prophecy of Daniel, not as it appears in the Septuagint, which greatly differs from the Hebrew original, but rather as it appears in Theodotion’s edition” (Jerome: Commentary on Daniel, trans. Gleason L. Archer, 48). Similarly, Jerome mentions Methodius, Eusebius, and Apollinarius as defending the authenticity of Daniel’s prophecies (Apology against Rufinus 2.33, in NPNF2 3:517). 32. For an English translation, see Hippolytus of Rome: Commentary on Daniel and ‘Chronicon,’ trans. Thomas Coffman Schmidt and Nick Nicholas. For a French translation, see Hippolyte, Commentaire sur Daniel, trans. Maurice Lefèvre. Hippolytus’s eschatological expectations are also systematically stated in his Treatise on Christ and Antichrist (English trans. by A. Cleveland Coxe in ANF 5:204-219). 33. So Josephus: Ant. 10:275-276. 34. We will refer to Jerome’s commentary by the biblical verse which is commented on. For the English translation, see at n. 66. See further the study of Braverman: Jerome’s Commentary on Daniel. 35. Cf. Collins: Daniel, 114. 36. PG 81:1256-1546. The English translation consulted was that of Robert C. Hill (2006).

416

gtvh 08105 / p. 417 / 31.3.2022

Daniel

The quotations from Septuagint Daniel convincingly indicate that both versions were known to the church fathers. Generally speaking, citations from OG-Dan were expected considering that it was regarded as an inspired Bible for Christians in late antiquity. However, Th-Dan is surprisingly quoted as well, in spite of the strong tradition that the purported Theodotion had his floruit sometime in the last quarter of the second century. One of the earliest attestations of Th-Dan in the patristic literature comes from the composition Shepherd of Hermas, which in its fourth vision refers demonstrably to Th-Dan 6:23. 37 The longest cited passage predating the floruit of Theodotion is Dan 7:9-28, found in Justin Martyr’s work, Dialogue with Trypho. The extract presents a mixed text of both OG-Dan and Th-Dan. 38

3. Conclusions Septuagint Daniel influenced successive generations of Jewish and Christian authors in late antiquity. Its claims were taken at face value. Daniel was perceived as the author of the book, and the greatest among the prophets. Both the narrative and the prophetic sections were interpreted as reflecting historically consummated or not yet realized realities. Its apocalyptic overtones heavily shaped a matrix that regards history as four successive empires culminating with the appearance of Antichrist and the establishment of the kingdom of God. Needless to say, many of its ideas nurtured the Christological reflections of the first centuries. In the case of Septuagint Daniel, its influence on subsequent Greek literature was further boosted by the unique feature of having two parallel, complete versions, circulating side by side at an early stage. The presence of quotations from both OG-Dan and Th-Dan in Josephus, the NT, and the church fathers supports this contention. The paradoxical situation of having Theodotionic readings antedating the historical Theodotion as known from the patristic writings has led scholars to postulate ex hypothesi the existence of new layer of text, “proto-Theodotion,” which probably originated in pre-Christian times. 39 Another intriguing realization emerges while studying the reception of Septuagint Daniel: the replacement of OG-Dan with Th-Dan in the transmission history. The first patristic reflections indicate suspicion regarding the benefit of reading Daniel in Theodotion’s version. Consequently, Irenaeus believed that the Theodotionic version served the cause of Jewish apologists, and Isa 7:14 was quoted as the prominent exam-

37. Cf. ὁ θεός μου ἀπέστειλεν τὸν ἄγγελον αὐτοῦ, καὶ ἐνέφραξεν τὰ στόματα τῶν λεόντων (Th-Dan) with διὰ τοῦτο ὁ κύριος ἀπέστειλεν τὸν ἄγγελον αὐτοῦ τὸν ἐπὶ τῶν θηρίων ὄντα, οὗ τὸ ὄνομά ἐστιν Θεγρί, καὶ ἐνέφραξεν τὸ στόμα αὐτοῦ (Shepherd of Hermas Vis. IV, 2,4/23,4, SC 53.bis, 136; Eng. trans., Pastor of Hermas 1.4.2 [ANF 2:18]). For an extensive discussion of the problems involved, see Harris: Hermas in Arcadia, 21-25. 38. Justinus Martyr: Dial. 31,2-7, Bocichon I, 256-260 (ANF 1:209-210). For a discussion of the passage, see Charles: Daniel, cxvi-cxxii. 39. For an updated discussion on the issues regarding “proto-Theodotion” theory (or “kaigeTheodotion” by other scholars), see Olariu: An Analysis of the Revisional Process, 3-49 and Fernández Marcos: The Septuagint in Context, 142-154.

417

gtvh 08105 / p. 418 / 31.3.2022

Propheten

ple in this regard. 40 However, two centuries later, the literature attests a shift of perception regarding it, its manifest expression constituting the replacement of OG-Dan with Th-Dan by the Christian church. This reversal of attitudes from suspicion to appreciation probably resulted primarily from the influence of Origen’s Hexapla, which relied heavily on Theodotionic version to fill in the minuses of the Septuagint over against the MT. 41

40. Cf. Irenaeus: Against Heresies 3.21.1, SC 211, 398 (ANF 1:451). 41. Olariu: From Suspicion to Appreciation, 1-21.

418

gtvh 08105 / p. 419 / 31.3.2022

3. Rezeptions- und Auslegungsgeschichte der Septuaginta

gtvh 08105 / p. 420 / 31.3.2022

3.1 Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur 3.1.1 Die Literatur des Zweiten Tempels Jan Dochhorn Literatur Editionen und Übersetzungen Black, Matthew: Apocalypsis Henochi Graece, PVTG 3, Leiden 1970 – Brock, Sebastian P. (Ed.): Testamentum Iobi, PVTG 2, Leiden 1967 – de Bruyne, Donatien: Epistula Titi, Discipuli Pauli, De Dispositione Sanctimonii, RBen 37 (1925), 47-72 – Clemen, Carl: The Assumptio Mosis, Materials for the Use of Theological Lecturers 10, Cambridge 1904) – Clemen, Carl: Die Himmelfahrt des Mose, KIT 10, Bonn 1904 – De Jonge, Marinus: The Testaments of the Twelve Patriarchs. A Critical Edition of the Greek Text, PVTG 1/2, Leiden 1978 – de Lagarde, Paul Anton: Onomastica sacra, Göttingen 21887 (Nachdruck: Hildesheim 1966) – Denis, Albrecht-Marie: Fragmenta Pseudepigraphorum Quae Supersunt Graeca una cum Historicorum et Auctorum Judaeorum Hellenisticarum Fragmentis – Dochhorn, Jan: Die Historia de Melchisedech (Hist Melch) – Einführung, editorischer Vorbericht und Editiones praeliminares, Le Muséon 117 (2004), 7-48 – Dochhorn, Jan: Die Apokalypse des Mose. Text, Übersetzung, Kommentar, TSAJ 106, Tübingen 2005 – Dochhorn, Jan: Testament Jakobs, JSHRZ-NF 1/7, Gütersloh 2014 – Erbse, Hartmut: Theosophorum Graecorum Fragmenta, BiTeu, Stuttgart 1995 – Förster, Max: Das lateinisch-altenglische Fragment der Apokryphe von Jamnes und Mambres, ASNS 56 / 108 (1902), 15-28 – George, Stefan: Werke. Ausgabe in zwei Bänden, ed. Rudolf Böhringer / Georg Peter Landmann, Stuttgart 1958 (41984) – Goodspeed, Edgar J.: Die ältesten Apologeten. Texte mit kurzen Einleitungen, Göttingen 1984 (* 1914) – Hansen, Günther Christian: Anonyme Kirchengeschichte (Gelasius Cyzicenus, CPG 6034), GCS NF 9, Berlin / New York 2002 – Hanson, J.: Demetrius the Chronographer (Third Century B.C.). A New Translation and Introduction, in: James Hamilton Charlesworth (ed.), The Old Testament Pseudepigrapha, New York 1985, II, 843-854 – Kern, Otto: Orphicorum Fragmenta, Berlin 1922 – Marcovich, Miroslav: Pseudo-Iustinus, Cohortatio ad Graecos, De Monarchia, Oratio ad Graecos, PTS 32, Berlin / New York 1990 – Mras, Karl: Eusebius Werke, achter Band: Die Praeparatio Evangelica, erster Teil: Einleitung, die Bücher I bis X, GCS 43,1, Berlin 1954 – Mras, Karl: Eusebius Werke, achter Band: Die Praeparatio Evangelica, zweiter Teil: Die Bücher XI bis XV, Register, GCS 43,2, Berlin 1956 – Niese, Benedikt: Flavii Iosephi Opera, Berlin 1955 (*1887-1895; 7 Bände) – Pietersma, Albert: The Apocryphon of Jannes and Jambres the Magicians. P. Chester Beatty XVI (with New Editions of Papyrus Vindobonensis Greek inv. 29456 + 29282 verso and British Library Cotton Tiberius B. v f. 87), Religions in the Graeco-Roman World 119, Leiden 1994 – Schmidt, Francis: Le Testament grec d’Abraham. Introduction, édition critique des deux recensions grecques, traduction, TSAJ 11, Tübingen 1986 – Schwartz, Eduard / Mommsen, Theodor: Eusebius Werke, zweiter Band. Die Kirchengeschichte, GCS NF 6, Berlin 1999 (3 Bände; *1909) – Stählin, Otto: Clemens Alexandrinus, zweiter Band: Stromata I-VI. Neu herausgegeben von Ludwig Früchtel. 4. Auflage mit Nachträgen von Ursula Treu, GCS o. Z.), Berlin 1985 – Stegmüller, Otto: Berliner Septuagintafragmente, BKT 8, Berlin 1939 – Stegmüller, Günter: Einleitung in Talmud und Midrasch, München 81992 – Tromp, Johannes: The Assumption of Moses. A Critical Edition with Commentary, SVTP 10, Leiden

420

gtvh 08105 / p. 421 / 31.3.2022

Die Literatur des Zweiten Tempels

etc. 1990 – Wevers, John William: Genesis, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum Auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis Editum 1, Göttingen 1974 – Wolff, Gustav: Porphyrii de Philosophia ex Oraculis Haurienda Librorum Reliquiae, Berlin 1856 (Nachdruck: Hildesheim 1983) – Wutz, Franz: Onomastica Sacra. Untersuchungen zum Liber Interpretationis Nominum Hebraicorum des Hl. Hieronymus, TU 41, Leipzig 1914-1915 (2 Bände) – Ziegler, Joseph: Iob, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum Auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis Editum 11/4, Göttingen 1982. Preisendanz, Karl: Papyri Graecae Magicae. Die griechischen Zauberpapyri. Zweite verbesserte Auflage, mit Ergänzungen von Karl Preisendanz durchgesehen und herausgegeben von Albert Henrichs (SWC Sammlung wissenschaftlicher Commentare, Stuttgart 1973-1974 [2 Bände; erste Auflage: 1928; 1931]).

Weitere Literatur Allison, Dale C.: Resurrecting a Calf. The Origin of Testament of Abraham 6:5, JThS.NS 55 (2004), 103-116 – Allison, Dale C.: Eldad and Modad, JSPE 21 (2011), 99-131 – Baltzer, Klaus / Kabiersch, Jürgen / Koenen, Klaus / van der Kooij, Arie / Wilk, Florian: Esaias. Isaias / Das Buch Jesaja, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Band II: Psalmen bis Daniel, Stuttgart 2011, 2484-2695 – Barthélemy, Dominique: Les devanciers d’Aquila. Première publication intégrale du texte des fragments du ›Dodecapropheton‹ trouvés dans le désert de Juda, précédée d’une étude sur les traductions et recensions grecques de la Bible réalisées au premier siècle de notre ère sous l’influence du rabbinat palestinien, VTS 10, Leiden 1963 – Bauckham, Richard: Visiting the Places of the Dead in the Extra-Canonical Apocalypses, PIBA 18 (1995), 78-95 – Bickel, Gustav: Der ursprüngliche Septuagintatext des Buches Job, ZKTh 10 (1886), 557564 – Christ, Wilhelm: Geschichte der griechischen Literatur, HAW 7, München 1898 – Collins, John J.: Between Athens and Jerusalem. Jewish Identity in the Hellenistic Diaspora, BibRS, Grand Rapids 22000 – Collins, John J.: Rez. »Markus Mülke: Aristobulos in Alexandria. Jüdische Bibelexegese zwischen Griechen und Ägyptern unter Ptolemaios VI. Philometor, UALG 126, Berlin etc. 2018«, Brynn Mawr Classical Review 2019 (online) – Cook, Johann: The Relationship Between the Wisdom of Jesus Ben Sira and the Septuagint Version of Proverbs, in: Pierre Johan Jordaan / Nicolas Peter Legh Allen (ed.), Construction, Coherence and Connotations. Studies on the Septuagint, Apocryphal and Cognate Literature, DCLS 34, Berlin etc. 2016, 11-26 – Dähne, August Ferdinand: Geschichtliche Darstellung der jüdisch-alexandrinischen Religions-Philosophie, Halle 1934 – Dalbert, Peter: Die Theologie der hellenistischjüdischen Missionsliteratur unter Ausschluss von Philo und Josephus, ThF 4, 1954 – Delcor, Mathias: Le Testament de Job, la prère de Nabonide et les traditions targoumiques, in: Siegfried Wagner (ed.), Bibel und Qumran. Beiträge zur Erforschung der Beziehungen zwischen Bibel- und Qumranwissenschaft. Hans Bardtke zum 22. 9. 1966, Berlin 1968, 57-74 – Dochhorn, Jan: Abel and the Three Stages of Postmortal Judgement. A Text-Critical and Redaction-Critical Study of the Christian Elements in T.Ab. 13, 2-8, in: I. Henderson / Gerbern Oegema (ed.), The Changing Faces of Judaism, Christianity and Other Greco-Roman Religions in Antiquity, JSHRZ-St 2, Gütersloh 2006, 398-415 – Dochhorn, Jan: Paulus und die polyglotte Schriftgelehrsamkeit seiner Zeit. Eine Studie zu den exegetischen Hintergründen von Röm 16,20a, ZNW 98 (2007), 189-212 – Dochhorn, Jan: Das Testament Hiobs als exegetischer Text. Ein Beitrag zur Rezeptionsgeschichte der Hiob-Septuaginta, in: Wolfgang Kraus / Martin Karrer (ed.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 671-688 – Dochhorn, Jan: Zur Krise der Gerechtigkeit im frühen Judentum. Reflexionen über das Entstehungsmilieu des frühen Christentums, BN.NF 155 (2012), 77-111 – Dochhorn, Jan: Jüdisch-alexandrinische Literatur? Eine Problemanzeige und ein Überblick über diejenige Literatur, die potentiell dem antiken Judentum entstammt, in: Tobias Georges / Felix Albrecht / Reinhard Feldmeier et

421

gtvh 08105 / p. 422 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

al. (ed.), Alexandria (COMES Civitatum Orbis MEditeranei Studia 1, Tübingen 2013, 285-312 – Dochhorn, Jan: Testament Jakobs, JSHRZ-NF 1/7, Gütersloh 2014 – Dochhorn, Jan: Die Adamdiegesen und das Neue Testament, in: Frédéric Amsler / Albert Frey / Jean-Daniel Kaestli / André-Louis Rey (ed.), La Vie d’Adam et Éve et les traditions adamiques. Actes du quatrième colloque international sur les littératures apocryphes juive et chrétienne, Lausanne – Genève, 7-10 janvier 2014, Lausanne 2017, 57-75 – Dochhorn, Jan: Der Tod des Mose in der Assumptio Mosis, in: Michael Sommer / Erik Eynikel / Veronika Niederhofer / Elisabeth Hernitschek (ed.), Mosebilder. Gedanken zur Rezeption einer literarischen Figur im Frühjudentum, frühen Christentum und der römisch-hellenistischen Literatur, WUNT 390, Tübingen 2017, 167-185 – Dochhorn, Jan: Geleitwort zur Serie »Parabiblica«, demnächst in einem von Felix Albrecht herausgegebenen Band zum Testament Salomos in der Serie »Parabiblica« – Dochhorn, Jan: The Testament of Solomon. Some Preliminary Remarks, demnächst in einem von Felix Albrecht herausgegebenen Band zum Testament Salomos in der Serie »Parabiblica« – Dochhorn, Jan: Die Bedeutung der Assumptio Mosis für die Erforschung des frühen Christentums (erscheint demnächst) – Erbse, Hartmut: Theosophorum Graecorum Fragmenta, BiTeu, Stuttgart 1995 – Frankl, P. F.: Die Zusätze in der LXX zu Hiob, MGWJ 21 (1872), 306-315 – Freudenthal, Jacob: Alexander Polyhistor und die von ihm erhaltenen Reste jüdischer und samaritanischer Geschichtswerke, Breslau 1874 – Gerö, Stephen: Parerga to »The Book of Jannes and Jambres«, JSPE 9 (1991), 67-85 – Graetz, Heinrich: Die Chronologie des Demetrius, MGWJ 26 (1877), 68-72 – Graetz, Heinrich: Das Zeitalter der griechischen Uebersetzung des Buches Hiob, MGWJ 26 (1877), 83-91 – Graetz, Heinrich: Der angebliche judäische Peripatetiker Aristobulos und seine Schriften, MGWJ 27 (1878), 49-60; 97-109 – Gutschmid, Alfred von: Zeit und Zeitrechnung der jüdischen Historiker Demetrios und Eupolemos, JPTh 1 (1875), 744-753 – Hatch, Edwin / Redpath, Henry A.: A Concordance to the Septuagint and the Other Greek Versions of the Old Testament (Including the Apocryphal Books), Oxford 1897 (Nachdruck: Wien 1975) – Horbury, Wiliam: Biblical Interpretation in Greek Jewish Writings, in: James Carleton Paget / Joachim Schaper (ed.), The New Cambridge History of the Bible, Volume I: From the Beginnings to 600, Cambridge etc. 2013, 289-320 – Karlauf, Thomas: Stefan George. Die Entdeckung des Charismas, München 2007 – Kepper, Martina / Witte, Markus: Job. Das Buch Ijob / Hiob, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Band II: Psalmen bis Daniel, Stuttgart 2011, 2041-2126 – Koehler, Ludwig / Baumgartner, Walter et alii: Hebräisches und aramäisches Lexikon zum Alten Testament, Leiden etc. 32004 (*1967-1995) – Lehnardt, Andreas: Bibliographie zu den Jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, JSHRZ-NF 6/2, Gütersloh 1999 – Leisegang, Ioannes: Indices ad Philonis Alexandrini Opera, Philonis Alexandrini Opera Quae Supersunt ed. Cohn / Wendland 7, Berlin 1926 – Lobeck, Chr. Augustus: Aglaophamus sive De Theologogiae Mysticae Graecorum Causis Libri Tres. Idemque Poetarum Orphicorum Dispersas Reliquias Collegit, Tomus I, Königsberg 1829 – Milik, Joseph Thadée.: Recherches sur la version grecque du Livre des Jubilés, RB.NS11 78 (1971), 545-557 – Mülke, Markus: Aristobulos in Alexandria. Jüdische Bibelexegese zwischen Griechen und Ägyptern unter Ptolemaios VI. Philometor, UALG 126, Berlin etc. 2018 – Mulzer, Martin: Josephus und der Text des Alten Testaments, BiKi 53 (1998), 59-60 – Noth, Martin: Geschichte Israels, Göttingen 21954 – Rösel, Martin: Übersetzung als Vollendung der Auslegung. Studien zur Genesis-Septuaginta, BZAW 223, Berlin 1994 – Schaller, Bernd: Das Testament Hiobs und die Septuaginta-Übersetzung des Buches Hiob, Biblica 61 (1980), 377-406 – Schaller, Bernd: Zum Textcharakter der Hiobzitate im paulinischen Schrifttum, ZNW 71 (1980), 21-26 – Schaller, Bernd: Das 4. Makkabäerbuch als Textzeuge der Septuaginta, in: Detlef Fraenkel et al., Studien zur Septuaginta – Robert Hanhart zu Ehren, AAWG.PH, dritte Folge 190, Göttingen 1990, 323-331 – Schmidt, C.: Art. Anatolius von Alexandrien / Laodizea, in: Siegmar Döpp / Wilhelm Geerlings, Lexikon der antiken christlichen Literatur, Freiburg etc. 32002, 34 – Siegert, Folker: Zwischen Hebräischer Bibel und Altem Testament. Eine Einführung in die Sep-

422

gtvh 08105 / p. 423 / 31.3.2022

Die Literatur des Zweiten Tempels

tuaginta, MJSt 9, Münster 2001 – Siegert, Folker: Flavius Josephus. Über die Ursprünglichkeit des Judentums (Contra Apionem) (SIJD 6, Göttingen 2008 (2 Bände) – Veltri, Giuseppe: Eine Tora für den König Talmai. Untersuchungen zum Übersetzungsverständnis in der jüdisch-hellenistischen und rabbinischen Literatur, TSAJ 41, Tübingen 1994 – Wacholder, Ben Zion: Biblical Chronology in the Hellenistic World Chronicles, HThR 61 (1968), 451-481 – Walter, Nikolaus: Der Thoraausleger Aristobulos. Untersuchungen zu seinen Fragmenten und zu pseudepigraphischen Resten der jüdisch-hellenistischen Literatur, TU 86, Berlin 1964 – YoshikoReed, Annette: Job as Jobab. The Interpretation of Job in lxx Job 42:17b-3, Journal of Biblical Literature 120 (2001), 31-55.

1. Forschungsbedarf Eine systematische Suche nach Septuaginta-Textaufnahmen 1 in der griechischsprachigen Literatur der Juden außer Philo und Josephus steht noch aus; eine durchgehede textkritische Evaluation des Befundes bleibt ebenso zu wünschen wie eine systematische Darstellung der hermeneutischen Strategien, die sich in dieser Literatur beim Umgang mit Septuagintatexten manifestieren. Was Septuagintatextaufnahmen und dabei zu gewinnende Lesarten betrifft, hat allerdings vor einiger Zeit Schaller Wege aufgezeigt, der zwei Werken der frühjüdischen Literatur, dem Testament Hiobs und dem vierten Makkabäerbuch, unter dieser Perspektive hat Aufmerksamkeit zukommen lassen; er hat mehrere Fälle von Textaufnahme diskutiert, im vierten Makkabäerbuch sogar solche mit Zitatmarkierung. 2 Die Zahl der bei dieser Spurensuche erbeuteten Lesarten war, wie er hervorhebt, eher gering, so daß eine beträchtliche Ausweitung des Göttinger Apparats kaum nötig wäre. Aber textgeschichtlich ließ sich zumindest beim Testament Hiobs ein interessanter Befund erheben: Es bezeugt Revision griechischer Textüberlieferung anhand hebräischer Vorlagen 3, gehört also zu dem, was 1.

2. 3.

Ich bemühe mich um einen präzisen Sprachgebrauch mit Hinblick auf die Anwesenheit von Prätexten in Texten. Die wichtigsten Begriffe sind die Folgenden: Der Terminus Fremdtextaufnahme bezeichnet das Phänomen als Ganzes. Von einem Zitat kann nur bei einer Zitatmarkierung die Rede sein. Eine Allusion ist eine nichtmarkierte Fremdtextaufnahme, die der Leser identifizieren soll. Ein Echo ist eine nichtmarkierte Fremdtextaufnahme, die durch Einwirkung eines Textes auf einen Autor bedingt ist, ohne daß ihre Identifikation Absicht des Autors bzw. Aufgabe des intendierten Lesers wäre. Echos und Allusionen sind für nichtkundige Leser (z. B. Forscher) nur unter Mühen zu differenzieren, aber es kommt für die Rekonstruktion der Pragmatik eines Textes sehr viel auf diese Differenzierung an (wir haben hier einen der Gründe dafür, daß Resultate in den Geisteswissenschaften schwerer zu gewinnen sind als in den sogenannten exakten Wissenschaften). Wo so viel von Intertextualität die Rede ist (oft mehr, als man gebrauchen kann), müßte es einigermaßen erstaunen, daß Exegeten vielfach nur wenig bemüht scheinen, bei der Präsenz von Prätexten in Texten, die ja wohl ein zentrales Phänomen von Intertextualität darstellt, klare Kategorien zu entwickeln. In den meisten der Texte, die hier zur Sprache kommen, gibt es keine Zitate, weil sie Erzählliteratur sind, wo Zitate den Erzählfluß stören würden. Vgl. Schaller: Testament Hiobs und die Septuaginta-Übersetzung; idem: Das 4. Makkabäerbuch als Textzeuge, 323-331 (eine Problemanzeige findet sich dort auf S. 321). Mehr als zwei, vielleicht auch drei Fälle nennt Schaller indes nicht, vgl. idem: Testament Hiobs und die Septuaginta-Übersetzung, 404 (Test Hiob 15,6 // Hiob 1,5lxx; Test Hiob 28,2 // Hiob 2,11lxx und vielleicht Test Hiob 15,9 // Hiob 1,5lxx.

423

gtvh 08105 / p. 424 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

Barthélemy wirkungsvoll unter dem Titel »Les devanciers d’Aquila« ins Forschungsgespräch eingebracht hat. 4 Was kreative Arbeit mit der Septuaginta betrifft, wird man unter anderen in Forschungen zum Schriftgebrauch in Apokryphen und Pseudepigraphen fündig, die aber nicht auf die Septuaginta fokussiert (oder eingegrenzt) sind; als Beispiel sei ein Beitrag von Horbury genannt. 5 Ich selber habe in einem Artikel zum Testament Hiobs gezeigt, wie dieses nahezu durchgehend auf narrativ-exegetischer Arbeit am Septuagintatext des Hiobbuches beruht. 6 Der vorliegende Artikel kann nicht mehr leisten, als die Möglichkeitsbedingungen und Chancen einer Suche nach Septuagintatextaufnahmen und ihrer Interpretation zu sondieren. Dafür ist zunächst einmal zu klären, wie das zu analysierende Textkorpus abzugrenzen ist (§ 2). Dann werden methodologische Probleme und Chancen der genannten Forschungsaufgabe zu erörtern sein (§ 3.1; 3.2). Es folgen Fallbeispiele, die punktuell unterschiedliche Etappen der Geschichte der griechisch-jüdischen Literatur illustrieren (§ 4). Abschließend wird demonstriert, daß mehr als unüberschaubare Vielfalt bzw. ein atomistisches Bild aus Unsicherheiten und divergierenden Rezeptionsereignissen das Ergebnis der Rekonstruktionsarbeit sein kann: Bei der Rezeption der Hiobseptuaginta, der zumindest ich nicht gerade herausragende Prominenz zugetraut hätte, läßt sich – anhand einer Reihe von frühjüdischen Schriften – etwas wie eine geschichtliche Entwicklung, ein Wachstumsprozeß identifizieren (§ 5).

2. Das Textkorpus In der Überschrift meines Artikels ist von Literatur des Zweiten Tempels die Rede; im Hintergrund steht der im Englischen geläufige Titel »Second Temple Literature«. Ich schätze diesen Begriff gewöhnlich überhaupt nicht, dies vor allem, weil er nicht selten recht bedenkenlos auf Werke bezogen wird, die auch weit nach der Tempelzerstörung verfaßt wurden (für das Testament Jakobs etwa sollte man ihn ganz sicher nicht verwenden; es handelt sich hier um ein nur auf Bohairisch, Arabisch und Äthiopisch überliefertes Buch, das ich dem koptischen Mittelalter zugeordnet habe). 7 Hier aber paßt er ganz gut, wenn man ihn denn auf Literatur beschränkt, die tatsächlich in der Zeit des zweiten Tempels – oder nur wenig später – entstanden ist, und wenn man, wie bei diesem Begriff wohl üblich, Philo und Josephus einerseits und in den Tenakh aufgenommene Literatur andererseits ausnimmt. Wenn man zu diesem Bereich um Forschungsarbeit gebeten wird, dann wird einem gewöhnlicherweise gesagt, man solle etwas zu den Pseudepigraphen schreiben. Auf angenehme Weise bleibt dabei eher offen, was damit gemeint ist. Für den Alltagsgebrauch verstehe ich den Begriff »Pseudepigraphen« dahingehend, daß er etwas bezeichnet, was apokrypher ist als apokryph: Wem, im Vergleich zum Lukasevangelium, das Buch Tobit nicht entlegen genug ist, der beschäftigt sich mit »Pseudepigraphen« 4. 5. 6. 7.

Vgl. Barthélemy: Devanciers d’Aquila. Vgl. Horbury: Biblical Interpretation, 289-320; vgl. auch die Literaturangaben bei Lehnardt: Bibliographie (1999), 58-59. Vgl. Dochhorn: Das Testament Hiobs als exegetischer Text. Vgl. Dochhorn: Testament Jakobs.

424

gtvh 08105 / p. 425 / 31.3.2022

Die Literatur des Zweiten Tempels

wie etwa dem ersten Henochbuch oder den Testamenten der Zwölf Patriarchen (beides Schriften übrigens, die faktisch wohl einflußreicher waren und für die Theologiegeschichte des Judentums wichtiger sein dürften als etwa der Prediger Salomos). Wissenschaftlich ist der Terminus »Pseudepigraphen« aber nur eingeschränkt verwendbar: Sehr viele »Pseudepigraphen« sind keine Pseudepigraphen in dem Sinne, daß gefälschte Autorschaft ihnen wesenseigentümlich wäre. Für die meisten dieser Schriften bevorzuge ich den Begriff Parabiblica. Er umgreift solche Werke, die sich in biblischer Erzählwelt kreativ verorten (meistens narrativ, aber nicht immer) und oftmals dahingehend zu verstehen sind, daß sie innerkanonische Fortschreibung extrakanonisch weiterführen, wobei sie ihrerseits vielfach wie biblische Schriftstellerei funktionieren (während der Begriff »Pseudepigraphen« eher Diskontinuität zum biblischen Schrifttum signalisiert). Ein Großteil der Literatur des zweiten Tempels ist so beschaffen; es zählt neben »Pseudepigraphen« wie etwa 1 Hen und Test XII auch ein Teil der sogenannten Apokryphen dazu (etwa die Weisheit Salomos), aber auch ausschließlich in Qumran überliefertes Schrifttum (Testament Qahats, Visionen Amrams). Viele von ihnen sind christlich (etwa die Ascensio Isaiae), viele deutlich nachantik (etwa das Testament Jakobs); von diesen ist hier abzusehen. 8 Aber es reicht eben auch nicht aus, sich auf das zu beschränken, was unter den Parabiblica sicher dem frühen Judentum entstammt: Zur Literatur des hellenistischen Judentums gehört, interessanterweise gerade in seiner Frühzeit, auch Autorenliteratur, die den Parabiblica inhaltlich nahesteht, zum Beispiel Fragmente jüdischer Historiker, der Philosoph Aristobulos, der Tragiker Ezechiel. Des weiteren zu nennen sind Falsifikate griechischer Poesie (diesmal handelt es sich wirklich um Pseudepigraphen!). Beide Literaturarten stellen zumindest potentiell Rezeptionszeugen der Septuaginta dar und werden hier berücksichtigt, freilich nicht umfassend, sondern exemplarisch.

3. Methodologie Der zur Rede stehenden Literatur eignet nach wie vor eine gewisse Randständigkeit. Sie ist nicht klassisch (wie etwa Rabbinica), nicht kanonisch (wie etwa Lukas) und nicht im landläufigen Sinne aufregend (wie etwa die Qumranfunde, die der Reiz des Archäologischen umgibt). Geistig unbedeutend sind ihre Werke deshalb noch lange nicht; um das festszustellen, muß man sie lesen. Und erst recht ist die Arbeit mit ihnen methodisch nicht uninteressant, ganz im Gegenteil. Wer sich ihnen widmet, hat spezifische Schwierigkeiten zu überwinden, was doch immer auch inspiriert, und gewinnt Erträge, die anderswo ausbleiben. Dies ist hier mit Hinblick auf die Rezeption der Septuaginta in dieser Literatur zu skizzieren; es wird dabei zuerst um Probleme (§ 3.1) und dann um Chancen (§ 3.2) gehen:

8.

Zum Konzept Parabiblica vgl. Dochhorn: Jüdisch-alexandrinische Literatur?, speziell 291-300 sowie idem: Geleitwort (demnächst).

425

gtvh 08105 / p. 426 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

3.1 Probleme 1. Wir wissen kaum, wie repräsentativ der uns erhaltene Textbestand für das historische Phänomen ist, das er bezeugt. Gerade Parabiblica tauchen immer wieder irgendwo auf, ohne daß man je vorher von ihnen wußte, so etwa das Testament Qahats in Qumran. Das bedeutet: Es kann alles Mögliche gegeben haben, von dem wir jetzt nichts ahnen. Von manchen Parabiblica kennen wir immerhin die Namen, etwa vom Buch Eldad und Modad; es kann, wie Allison überzeugend aufweist, einmal einflußreich gewesen sein. 9 Dies kann auch für Parabiblica zutreffen, von denen wir wenigstens kurze Fremdexzerpte oder schwer lesbare Bruchstücke haben: Laut Bauckham etwa war eine Eliasapokalypse, von der uns ein lateinisches Exzerpt im Pseudo-Titusbrief erhalten ist 10, sehr wichtig für die Geschichte der Höllenvorstellung im frühen Judentum und Christentum (zweifellos ein wichtiges Thema). 11 Für ein sehr prominentes Stück Literatur stand auch vergleichsweise einsam lange Zeit ein lateinischaltenglisches Exzerpt aus dem Buch von Jannes und Jambres 12; neuerdings hat man von Jannes und Jambres mehr aus einem – allerdings stark verstümmelten – Papyrus. 13 2. Für unsere Fragestellung ist vor allem griechischsprachige Literatur relevant, Originalliteratur vor allem, aber wohl auch Übersetzungsliteratur, da auch bei der Übersetzung ins Griechische Septuagintaeinfluß möglich ist (was hier kaum erörtert werden kann). 14 Gerade aber in griechischer Sprache hat sich von dieser Literatur, insbesondere den jüdischen Parabiblica, eher wenig erhalten; es hat den Anschein, als sei die griechische Kirche hier nicht besonders rezeptionsfreudig gewesen. Etwas besser sieht es in orientalischen Überlieferungen und denen des Westens aus: Dort blieb vieles aufbewahrt, was es einmal auf Griechisch gegeben haben wird, etwa weil griechische Restbestände oder auch Gräzismen dies nahelegen: Ganz wesentliche Werke wie das Jubiläenbuch, das erste Henochbuch, das vierte Esrabuch, den zweiten Baruch und den Liber Antiquitatum Biblicarum des Pseudo-Philo verdanken wir ausschließlich oder hauptsächlich nichtgriechischen Überlieferungen, die aber auf griechische Vorlagen zurückgehen dürften. Auch bei orientalischen oder lateinischen Übersetzungen aus dem Griechischen wird man Gebrauch oder auch Nichtgebrauch der Septuaginta feststellen können, aber kaum ohne größere Schwierigkeiten; dies Thema wird hier unerörtert bleiben. Besser geht dies bei den griechisch erhaltenen Schriften, die aber einen historisch kontingenten, nicht unbedingt repräsentativen Bestand darstelVgl. Allison: Eldad and Modad. Vgl. de Bruyne: Epistula Titi, speziell 58 (Zeilem 400-417). Vgl. Bauckham: Places of the Dead. Vgl. Förster: Jamnes und Mambres. Das lateinische Exzerpt erscheint innerhalb eines Codex auf einer Buchseite zusammen mit einer damit parallelen altenglischen Übersetzung; wir haben es mit einem absichtsvoll ausgeschnittenen Text zu tun. Zu den Rezeptionszeugen für die apokryphe Geschichte von Jannes und Jambres vgl. Gerö: Parerga. 13. Zu Jannes et Jambres (gr) vgl. Pietersma: Jannes and Jambres; auf S. 212-213; 232-233 befinden sich die griechischen Gegenstücke zu dem lateinisch-altenglischen Fragment. 14. Vgl. aber als ein aufschlußreiches Beispiel die Überlegungen von Cook zum Einfluß des griechischen Proverbienbuches auf den griechischen Übersetzer des Buches Sirach, s. Cook: Relationship.

9. 10. 11. 12.

426

gtvh 08105 / p. 427 / 31.3.2022

Die Literatur des Zweiten Tempels

len. Und unter diesen wiederum werden hier solche zu bevorzugen sein, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf Griechisch abgefaßt wurden. 3. Sehr häufig weist die Textüberlieferung von Parabiblica und der ihnen nahestehenden Werke – auch da, wo ein griechischer Text erhalten ist – eine hohe Varianz auf, womit eine Rekonstruktion von Archetyp und Urtext und infolgedessen die Identifikation ursprünglichen Septuagintagebrauchs beträchtlich erschwert scheint. Ob diese damit von vornherein nicht zu leisten ist, steht vielfach noch dahin, weil eine gründliche textkritische Erschließung des überlieferten Materials oftmals noch gar nicht stattgefunden hat. Dies gilt etwa für die Historia de Melchisedech, zu der ich etwa 30 Handschriften ausfindig gemacht habe. 15 Ich habe sie aber noch nicht editorisch bearbeitet. Etwas anders liegt der Fall beim Testament Abrahams: Hier hat Schmidt eine Edition vorgelegt 16, die sicher einen Fortschritt darstellt, aber zu stark einem Leitzeugen folgt und zudem weite Teile der Überlieferung mit problematischen Gründen unberücksichtigt läßt (Schmidt scheidet stark gekürzte Textzeugen aus, als könnten nicht auch diese da, wo sie aktiv sind, wertvolle Überlieferungen bieten). 17 Doch auch abgesehen von diesen Mängeln, die zu beheben sind, wird wohl immer fraglich bleiben, inwieweit wir bei dem Testament Abrahams überhaupt je auf einen jüdischen Kernbestand kommen: Eine Grunderzählung mag rekonstruierbar sein, aber die vorhandenen Rezensionen werden wohl immer eher frühmittelalterliche Repräsentanten eines in der konkreten Textgestalt nicht mehr rekonstruierbaren Originals bleiben. 18 Noch stärker gilt dies für das Testament Salomos, bei dem ich ebenfalls eine jüdische Kernerzählung vermute, dessen Textzeugen aber wohl nur in wenigen Passagen auf einen vorbyzantinischen Archetyp zurückgeführt werden können. 19 Für eine Literatur- und Religionsgeschichte des frühen Judentums lassen sich diese Texte unter Vorbehalten auswerten, für eine Philologie des frühen Judentums, um die es der Septuagintaforschung zu einem guten Teil ginge, weit weniger. 4. Bei dem, was sich auf Griechisch aus der Literatur des zweiten Tempels bei anderen Schriftstellern erhalten hat oder – etwa laut Denis – erhalten haben soll (Exzerpte, Allusionen, Echos) 20, erweckt vieles kaum den Eindruck besonderer Ursprünglichkeit, speziell mit Hinblick auf den Wortlaut. Die Fragmente jüdischer Historiker etwa sind gewöhnlich über Euseb und Clemens Alexandrinus aus einem Werk des Alexander Polyhistor über die Juden auf uns gekommen, und dieser hat seine Quellen grundsätzlich in indirekte Rede überführt und schon damit paraphrasiert, was bei ihrer Auswertung in Rechnung zu stellen ist (aber wie?). 21 Unter den griechischen Vgl. Dochhorn: Historia de Melchisedech. Vgl. Schmidt: Testament grec d’Abraham. Zur Kritik an Schmidts Ausgabe vgl. Dochhorn: Abel. Vgl. hierzu § 2 meiner Einleitung zum Testament Abrahams (einzusehen auf meiner Academia-Seite). 19. Vgl. hierzu Dochhorn: The Testament of Solomon (demnächst). 20. Vgl. Denis: Fragmenta Pseudepigraphorum. 21. Die Fragmente jüdischer Historiker finden sich bei Denis: Fragmenta Pseudepigraphorum, 175-202; Referenzen auf Polyhistor werden von den Exzerptoren (überwiegend Euseb, auch Clemens, Josephus) vielfach gegeben, von Denis auch vielfach dokumentiert. Zu Alexander Polyhistor, dessen Werk über die Juden nur eines seiner vielen Geographica war, vgl. Freudenthal: Alexander Polyhistor, 17-35; Christ: Geschichte, 609 f. 15. 16. 17. 18.

427

gtvh 08105 / p. 428 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

Fragmenten des vierten Esrabuches bei Denis kann ich von vieren nur eines als Textzeugen wahrnehmen (ausgerechnet eines, das Clemens Alexandrinus überliefert 22, ein – im Vergleich etwa zu Euseb – eher schlechter Exzerptor). 23 Und erst recht bereitet die griechische Überlieferung des Jubiläenbuches Sorgen: Kaum eines der griechischen Bruchstücke deckt sich zufriedenstellend mit der äthiopischen oder lateinischen Überlieferung (die einander nahestehen und einigermaßen sicher den frühjüdischen Originaltext bezeugen werden). Der Grund dürfte ein sehr spezifischer sein: Das Jubiläenbuch hat vor allem Historiker interessiert (viel ist bei Syncellus und Michael Cedrenus überliefert), die insbesondere seine chronographischen Angaben ausgeschrieben haben – und dabei weiterverarbeiteten, mit der Folge, daß sie nun stark überformt erscheinen (bei Synkellos referieren die Jubiläen-Exzerpte unter anderem auf lateinische und ägyptische Monatsnamen; der Verfasser des Jubiläenbuches hatte allen Grund, sich für dergleichen nicht zu interessieren). 24 5. Speziell Parabiblica lassen sich oft nur schwer datieren; ob sie überhaupt dem Judentum und nicht viel eher dem Christentum zugeordnet werden müssen, bleibt häufig umstritten. Forscher, die einem Habitus der methodischen Skepsis zusprechen, scheiden sie daher für die Rekonstruktion von Judentumsgeschichte tendenziell aus – mehr oder minder großzügig. Aber Skepsis ist in meinen Augen häufiger, als man denkt, Faulheit des Geistes 25 und führt entweder zu keinen Ergebnissen oder – noch schlimmer – zu falschen, indem sie Befunde als problematisch einstuft und anschließend neutralisiert, die man für eine angemessene Rekonstruktion des Historischen eigentlich nötig hätte. Ein Bild vom Judentum, in dem der Großteil des Materials aus dem ersten Henochbuch nicht vorkäme (das vor den Qumranfunden keineswegs als sicher jüdisch galt), wäre grundfalsch, und genauso grundfalsch ist meines Erachtens ein Bild vom Judentum, das die Apokalypse des Mose exkludiert. Gleichwohl wird eben immer erst zu klären sein, ob wir es überhaupt mit einem frühjüdischen Text zu tun haben, in dem wir eine Septuagintareminiszenz wahrzunehmen meinen. Das alles ist sehr schlimm, aber mit dem hier umrissenen Forschungsfeld werden gleichwohl Ergebnisse möglich, auf die wir ohne dieses verzichten müßten:

22. Vgl. Denis: Fragmenta Pseudepigraphorum, 130-132. 23. Zu Clemens als Exzerptor im Vergleich zu Euseb s. Freudenthal: Alexander Polyhistor, 12-14. 24. Vgl. die Texte bei Denis: Fragmenta Pseudepigraphorum (1970), 70-102; ein prägnantes Beispiel für das oben Mitgeteilte ist Fragment c aus Synkellos. Die Situation wird sich wohl nicht ändern mit dem, was bei Denis noch fehlt, aber präliminär und andeutungsweise dokumentiert wird bei Milik: Recherches. 25. Skepsis ist Nichtsehenwollen dessen, was andere sehen; sie kann Einbildung vermeiden, aber auch Tiefenschau. Eben dieses Vermeidungsverhalten ist Faulheit, eine Variante von Faulheit, die das betrifft, was Geist eigentlich ausmacht: die Suche nach Idealem, nach Hintergründen. Skepsis kann, wie Faulheit überhaupt, auf kluger Entscheidung beruhen, dies aber wohl seltener, als man gerne glaubt.

428

gtvh 08105 / p. 429 / 31.3.2022

Die Literatur des Zweiten Tempels

3.2. Chancen 1. Gewöhnlich liegen fast dreihundert Jahre zwischen Philo und einem Septuagintatext, den er bezeugt; für Josephus gilt Ähnliches, soweit er denn die Septuaginta benutzt. 26 Mit Literatur des Zweiten Tempels haben wir die Möglichkeit, diese dreihundert Jahre zumindest in Umrissen auszuleuchten, gewinnen wir erst das einigermaßen bestimmte Wissen, daß es sich in der Tat um etwa dreihundert Jahre handelt. Es soll hier einmal hervorgehoben werden, welch erstaunliche und vor allem auch früh einsetzende Dynamik im Umgang mit griechischer Bibelüberlieferung unsere Literatur bezeugt: Mit dem Chronographen Demetrius kommen wir in den Zeitraum 221-204 v. Chr., und er bezeugt sicher die Septuagintaversion der Thora (s. § 4). Ich muß es für wahrscheinlich halten, daß er auch eine griechische Version der Königsbücher hatte (s. § 4). Analoges gilt für Aristobul, der etwas später datiert: Er zitiert die SeptuagintaThora, aber er setzt möglicherweise auch das Proverbienbuch voraus (s. § 4). Ist es nicht einigermaßen wahrscheinlich, daß er und die von ihm intendierten Leser auf eine griechische Version Zugriff hatten? Erst recht läßt sich Entsprechendes bei Eupolemos beobachten: Er erzählt eine Legende, derzufolge Jeremia die Bundeslade versteckt hat und die Parallelen in den Vitae Prophetarum und dem zweiten Makkabäerbuch aufweist 27; als Titel eines Buches oder Kapitels aus seinem Schrifttum ist »Von der Prophetie des Elia« überliefert. 28 All das deutet darauf hin, daß Bücher, die in unseren Bibelüberlieferungen der Thora folgen, seine historische Wahrnehmung geprägt haben. Eine – vielleicht zufällig – überraschend dichte und überraschend weit zurück reichende Rezeptionsgeschichte ist ausgerechnet für die Hiob-Septuaginta bezeugt (s. § 5); würde man ohne dies gerade das Hiobbuch als formativ für Jüdisches ansehen? Wir sind gewohnt, bei Philo einen Fokus auf der Thora festzustellen 29, und es mag daher der Eindruck stammen, daß die ägyptischen Juden sich mit der Rezeption des Bibelschrifttums außerhalb der Thora Zeit ließen oder Zurückhaltung auferlegten, was sie in die Nähe der Samaritaner brächte und die judäischen Palästinenser als relativ rezeptionsoffen dastehen ließe, aber man wird einmal fragen müssen, ob dieses Bild zutrifft: Philo mag für etwa 80 % der jüdisch-ägyptischen Literatur stehen, die uns erhalten ist, aber in Wirklichkeit ist er wohl eher ein relativ spätes Produkt einer sehr viel umfangreicheren jüdisch-ägyptischen Literaturgeschichte, die ihm vor26. Josephus benutzt die Königsbücher nach einem griechischen Text, der dem lukianischen ähnelt (er ist wohl vorrezensionell), arbeitet aber auch mit dem hebräischen Text, weist Nähe zu targumischer und parabiblischer Überlieferung auf (hier vor allem: Pseudo-Philo, Liber Antiquitatum Biblicarum); man findet hier eine Konstellation, die der nachfolgend erläuterten Kultur der polyglotten Schriftgelehrsamkeit in Palästina ähnelt; zur ersten Orientierung vgl. Mulzer: Josephus und der Text des Alten Testaments. 27. Vgl. Eupolemus bei Eusebius Caes.: Praep. ev. IX, 39,5, GCS 43/1, 548, nach Denis: Fragmenta Pseudepigraphorum, 185 und die Parallelen in 2 Makk 2,4-7; Vit Proph (ps-epiph) 8 (Jeremia) (in anderen Rezensionen steht der Text woanders). 28. Vgl. Eupolemus bei Eusebius Caes.: Praep. ev. IX, 30,1, GCS 43/1, 538 nach Denis: Fragmenta Pseudepigraphorum, 180. 29. Einen ersten Eindruck von der Thora-Orientierung Philos vermittelt der Index locorum Veteris Testamenti bei Leisegang: Indices, 29-43: Die Belege außerhalb der Thora beginnen auf S. 43.

429

gtvh 08105 / p. 430 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

ausgeht. Und entsprechend müssen seine Lesegewohnheiten nicht diejenigen früherer Zeiten oder auch nur die von Juden gewesen sein, die mit ihm gleichzeitig in Ägypten lebten. 2. Die Geschichte der Revision der ursprünglichen Septuaginta-Überlieferung nach hebräischer Bibelüberlieferung ist uns spätestens mit dem Fund des Zwölfprophetenbuchs von Naḥal Ḥever und der daran anschließenden Arbeit Barthélemys eine auch vorhexaplarische und damit jüdische Angelegenheit geworden (vgl. § 1). Revision fand dabei anscheinend nicht nur einmal statt; sie ist ein vielfach auftretendes Phänomen. Anzeichen genau dafür können wir auch jüdischen Parabiblica entnehmen. Das Testament Hiobs benutzt laut Schaller eine nach hebräischer Überlieferung revidierte Fassung der Hiob-Septuaginta (vgl. § 1); Revisionstätigkeit an demselben Buch bezeugt auch ein früher Papyrus 30, daneben Paulus 31, und es muß nicht immer dieselbe Revisionstätigkeit gewesen sein. Für die Apokalypse des Mose erweise ich eigens vom Verfasser vorgenommene Revisionsarbeit an Gen 3lxx als wahrscheinlich. 32 Ebenso zeige ich für Paulus, wie er an einem Aquila vorausgehenden und zu Aquila hinführenden Diskurs zur angemessenen Übersetzung von Gen 3,15 beteiligt war. 33 All dies deutet an: Revision war nicht die Arbeit von nur Einzelnen, sondern eher ein im Judentum kulturell tief verankertes Phänomen, an dem sich viele beteiligten, mitunter auch die Autoren von parabiblischer Überlieferung, wenn sie Revidiertes nicht aufnahmen, sondern selber Revisionen hervorbrachten. Ich ordne unter anderem dieses Phänomen einem größeren Zusammenhang zu, für den ich den Begriff polyglotte Schriftgelehrsamkeit geprägt habe. 34 Sie wird vor allem in Palästina prominent gewesen sein, denn aus Palästina stammen wohl durchweg die soeben genannten Texte. Inwiefern das ägyptische Judentum an ihr mehr als rezeptiv beteiligt war, wird wohl noch zu klären sein; bewußtseinsprägend war sie dort wohl allemal, wie die gerade bei Philo exegetisch ausgesprochen ideenfördernde Onomastik zeigt, deren Grundidee ja nun einmal im Übersetzen besteht. 35 3. Septuagintarezeption besteht nicht nur in der Wiederholung von Septuagintatext, mag er denn zitiert oder alludiert werden oder irgendwie nachwirken (als Echo, als Reminiszenz). Es gibt auch kreative Arbeit mit der Septuaginta, und diese steht oft Seite an Seite mit der Aufnahme oder Ausarbeitung exegetischer Tradition, die mitunter andere Quellen haben kann als die Septuaginta: Parabiblica wie das Jubiläenbuch, hebräische Bibeltextüberlieferung. Im Testament Hiobs zum Beispiel konnte ich eine durchgehende Strategie narrativ-exegetischer Auswertung von Feinheiten

30. Es handelt sich um das Berliner Papyrusfragment P 11778, vgl. dazu Stegmüller: Berliner Septuagintafragmente, 50 ff.; http://berlpap.smb.museum/03315/; Schaller: Textcharakter, speziell 24. 31. Vgl. Schaller: Textcharakter. 32. Vgl. Dochhorn: Apokalypse des Mose, 118 f. (freilich nur ein Beispiel). Ein spezieller Fall liegt vor in Apc Mos 16,5; 26,1: Grundlegend ist hier die Idee, daß σκευάζειν eine gute Alternativübersetzung zu ποιεῖν (so die Septuaginta) für ‫ עשׂה‬in Gen 3,1.14 darstelle, vgl. ibidem 318; 412. 33. Vgl. Dochhorn: Polyglotte Schriftgelehrsamkeit, 189-212. 34. Vgl. Dochhorn: Polyglotte Schriftgelehrsamkeit. 35. Zu den Onomastika vgl. de Lagarde: Onomastica; Wutz: Onomastica Sacra (dort erörtert der zweite Band Methoden und Gattungsprofile der Onomastik).

430

gtvh 08105 / p. 431 / 31.3.2022

Die Literatur des Zweiten Tempels

des griechischen Bibeltextes ausmachen. 36 In der Apokalypse des Mose fand ich eine methodisch dem nahestehende Umgangsweise mit hebräischem Bibeltext bei gleichzeitiger Aufnahme der Septuaginta. 37 Im Testament Abrahams, das wohl die Septuaginta benutzt, begegnen daneben ebenfalls Spuren einer exegetischen Arbeit mit hebräischem Bibeltext. 38 Simultaneität mehrerer Sprachen manifestiert sich hier genauso wie bei den Bibeltextrevisionen; auch diese Phänomene gehören zur polyglotten Schriftgelehrsamkeit, und wir werden sie wohl wieder einmal in Palästina verorten müssen; ob ausschließlich oder nicht, muß hier undiskutiert bleiben (es würde sich lohnen, speziell die Sapientia Salomonis unter diesem Blickwinkel zu untersuchen). All dies sind kreative Prozesse, und mit ihnen ist eine Enttäuschung verbunden: Den Wert der betreffenden Texte als Septuagintazeugen vermindern sie erheblich; Kreativität impliziert, generiert Devianz von Vorlagen. Die von Schaller angeregte und angemahnte Suche nach Septuagintatext und Septuagintatextvarianten erscheint damit nicht gerade befördert. Aber diese ist sowieso nicht der interessanteste Teil dessen, was die Forschung zur Septuagintarezeption im frühen Judentum erbringen kann: So anspruchsvoll und ehrenwert die edle Philologie sein mag, ihr eignet eben doch oftmals die Blässe des Gedankens; aufregender wird es, wenn – nicht ohne Unterstützung der Philologie – Geistesgeschichte rekonstruiert wird, und eben darum geht es, wenn in den Blick kommt, was mit Bibeltext, von den oft schwer nachweisbaren und auswertbaren Textaufnahmen abgesehen, sonst noch alles passiert.

4. Fallbeispiele 1. Wir beginnen mit der ältesten Literatur bzw. mit den eher bescheidenen Resten, die sich von ihr bei Kirchenschriftstellern erhalten haben, diesen oftmals vermittelt durch Alexander Polyhistor (vg. § 3), aber nicht immer. Es ist auffällig verschieden vom Späteren, was uns hier begegnet: Besteht letzteres vor allem aus Parabiblica, so haben wir hier Autorenliteratur einerseits und pseudo-griechische Poesie andererseits, etwa den Chronographen Demetrius, eine pseudo-orphische Versdichtung, den Philosophen Aristobul – um nur diejenigen zu nennen, die hier etwas näher in den Blick genommen werden. Erstaunlich nahe steht diese Literatur dem hellenistischen Kontext: Orthonyme Auktorialität, Affinität zur philosophischen Tradition, Adaption griechischer Dichtung, Adaption von Methoden der hellenistischen Chronographie 39 – all das sind Phänomene, die hier begegnen und sich hellenistischem Einfluß verdanken. Zum Vergleich: Die biblische Literatur bleibt anonym; selbst die Propheten sind redende Akteure, auch Verfasser von Schriftstücken nur in einer als ganzer anonymen Komposition. Es fehlt ihr zudem die metrisch gebundene Rede, dies freilich nur in der 36. Vgl. Dochhorn: Testament Hiobs als exegetischer Text. 37. Dies ist die Hauptthese meiner Arbeit zur Apokalypse des Mose; vgl. dort insbesondere S. 115121. 38. Vgl. Allison: Resurrecting a Calf; Dochhorn: Abel, 412-414. 39. Zu Konvergenzen zwischen hellenistischer und griechisch-jüdischer Geschichtsschreibung (Demetrius inklusive) vgl. Wacholder: Biblical Chronology.

431

gtvh 08105 / p. 432 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

griechischen Übersetzung: Das Lied des Mose am Ende des Deuteronomiums etwa haben die Übersetzer nicht in griechische Verse gebracht, die Psalmen dann – wohl einige Zeit später – ebenfalls nicht. Wir können konstatieren: Es liegt uns hier eine Literatur von Juden vor Augen, die sich in erstaunlich starkem Maße als Teilhaber der griechischen Kultur erweisen, viel mehr als die Späteren: Parabiblische Literatur besiedelt biblische Erzählwelt jedenfalls stärker als Pseudo-Orpheus und setzt nicht die griechische Autorenschriftstellerei, sondern biblische Anonymität fort. Zu beobachten ist ein über die Jahrhunderte langsam sich an Dynamik gewinnender (Re-) Orientalisierungsprozeß, bei dem die Septuaginta tendenziell auf dem Rückzug ist: zuerst revidiert, dann auch stärker gemieden; doch verschwindet sie nie, auch nicht bei den Rabbinen. 40 Was wir an jüdischer Literatur ab ca. 200 n. Chr. haben – bleiben wir bei der Antike – ist jedenfalls dann überwiegend auf Hebräisch geschrieben und arbeitet überwiegend mit hebräischer Bibelüberlieferung. Drei Momente sind an dieser ältesten Literatur besonders hervorzuheben: A. Sie ist erstaunlich alt und gerade damit entscheidend relevant für eine frühe Datierung der Übersetzungsaktivität: Bis zur Zeit des vierten Ptolemäers rechnet der Chronograph Demetrios 41 ausweislich eines – in der Überlieferung der Zahlen freilich beschädigten – Exzerpts bei Clemens von Alexandria, in dem das Exil des Nordreichs und das Exil des Südreichs ausgehend von der Regierungszeit des vierten Ptolemäers datiert werden. 42 Es legt sich mit diesem Exzerpt die Annahme nahe, daß Demetrius in der Zeit des Ptolemaios Philopator (221-204) gewirkt hat. Der Bibeltext, der bei Demetrius manifest wird, ist die Septuaginta: In der Chronologie stimmt er mit ihr und nicht mit der masoretischen Überlieferung (bzw. deren Vorstufen) überein. 43 Eine Kalkulation zur Frau des Mose 44, derzufolge diese in der fünften Generation von Abraham abstammt, ist nur möglich mit onomastischem und genealogischem Material, wie wir es in der Septuaginta finden (in Gen 25,1-3; Ex 2,15-21). 45 Sie erweist übrigens, daß Demetrius durchaus eine nationaljüdische Tendenz vertreten haben kann: Stammt die Frau des Mose von Abraham ab, dann hat Moses wenigstens nicht völlig exogam geheiratet. Auch Affinität zur Haggada läßt sich erkennen: Erzählerisch kreative Exegese an genealogischem Material ist für diese nicht untypisch, wie sich noch zeigen wird (vgl. § 5). Vor allem aber haben wir hier einen Anhaltspunkt dafür, daß die Septuagintaübersetzung der Thora bereits um 200 vorlag. Gab es auch noch mehr? »Über die Könige in Judäa« (Περὶ τῶν ἐν Ἰουδαίᾳ βασιλέων) ist der Titel eines Werks von Demetrios, den Clemens an der oben genannten Stelle überliefert, sei dies nun ein 40. Vgl. hierzu die rabbinischen Septuagintareferenzen bei Veltri: Tora. 41. Zu Demetrios vgl. die Fragmente bei Denis: Fragmenta Pseudepigraphorum, 175-179, ferner Freudenthal: Alexander Polyhistor, 35-81; Dalbert: Missionsliteratur, 27-32; Collins: Athens, 33-35. 42. Vgl. Fragment 6 bei Denis: Fragmenta Pseudepigraphorum, 179 und Strom. I, 141,1, GCS 52, 87. Als Reparaturversuche vgl. Freudenthal: Alexander Polyhistor, 57-65; Gutschmid: Zeitrechnung; Graetz: Chronologie; Fragen der Chronologie konnten offenbar gerade die ältere Forschung begeistern. 43. Vgl. hierzu Freudenthal: Alexander Polyhistor, 40-51. 44. Vgl. Exzerpt 3 bei Denis: Fragmenta Pseudepigraphorum, 178 bei Eusebius Caes.: Praep. ev. IX, 29,1-3, GCS 43/1, 528. 45. Vgl. hierzu Freudenthal: Alexander Polyhistor, 42-44.

432

gtvh 08105 / p. 433 / 31.3.2022

Die Literatur des Zweiten Tempels

(das?) Gesamtwerk oder nur ein Abschnitt aus einem größeren Werk. Über die Könige Judäas konnte man nur aus den Königsbüchern und den Propheten Bescheid wissen. Waren wenigstens schon die Königsbücher in griechischer Sprache zuhanden, vielleicht in einer uns gar nicht mehr greifbaren Gestalt? Und wie soll Demetrius überhaupt seine Berechnungen zum Exil angestellt haben ohne Material aus den Königsbüchern, den Propheten und noch späteren Büchern? Konnte er hier auf Griechisches zurückgreifen, und wenn ja, worauf? In eine ziemlich frühe Zeit kommen wir wohl auch mit dem Philosophen Aristobul. 46 Clemens datiert ihn in die Zeit des Ptolemaios Philometor (181-145) und identifiziert ihn mit »Aristobul, dem Lehrer des Königs Ptolemaios«, der in 2 Makk 1,10 erwähnt wird – zusammen mit den Juden Ägyptens als Adressat eines Briefes, der unter anderem von Judas Makkabäus ausgeht 47; auch Euseb nimmt diese Identifikation vor. 48 Ein König Ptolemaios begegnet in den Exzerpten des Euseb als Gesprächspartner des Aristobul; daraus konnte man wohl schließen, dieser sei der Lehrer eines Ptolemäers gewesen (wenn er es denn nicht auch wirklich war). Wie weit hier auch immer historiographische Konstruktion vorliegt (von Clemens?), es scheint mir, was wir hier über Aristobul erfahren, plausibler als Versuche einer Spätdatierung des Philosophen. 49 Der Bibeltext, mit dem Aristobul arbeitet, ist erkennbar die Septuaginta; es kommen Zitate in seinem Werk vor. Sie stammen aus der Thora (ein prominentes Beispiel wird weiter unten folgen). Hatte auch Aristobul schon mehr? An einer Stelle sagt er, Salomo habe über die Weisheit ähnlich geredet wie der Peripatos, nur noch schöner. 50 Sein Salomo-Zitat ist leider nicht spezifisch genug, um fraglos als septuagintabasiert wahrgenommen zu werden: Σαφέστερον δὲ καὶ κάλλιον τῶν ἡμετέρων προγόνων τις εἶπε Σολομῶν αὐτὴν πρὸ οὐρανοῦ καὶ γῆς ὑπάρχειν (»Deutlicher jedoch und schöner hat einer von unseren Vorfahren, Salomo, gesagt, sie [die Weisheit] bestehe vor Himmel und Erde«). 51 Das kann ein Resumée von Prov 8,22-31 sein, aber eine präzisere Prätextidentifikation will nicht gelingen. Immerhin: Der Salomo, der hier aufgerufen wird, war vielleicht doch schon auf Griechisch greifbar; erneut läßt

46. Zu Aristobul vgl. die Exzerpte bei Denis: Fragmenta Pseudepigraphorum, 217-222, ferner Dähne: Religions-Philosophie, II, 73-112; Dalbert: Missionsliteratur, 102-106; Collins: Athens, 186-190; Walter: Thoraausleger; Mülke: Aristobulos (non vidi, vgl. die Rezension von Collins 2019). 47. Vgl. den Text bei Denis: Fragmenta Pseudepigraphorum, 228 = Clemens Alex.: Strom V, 97,7, GCS 52, 390. 48. Vgl. Fragment 1 bei Denis: Fragmenta Pseudepigraphorum, 217 = Eusebius Caes.: Praep. ev. VIII, 9,38, GCS 43/1, 451. 49. Graetz hält Aristobul für eine Fälschung, die nach der Zeit des Tiberius entstanden ist (in dieser setzt er den Aristeasbrief an, von dem für ihn Aristobul abhängt), vgl idem: Aristobulos. Dalbert verortet ihn im ersten Jh. und dekretiert, die »Nennung des Ptolemäus Philometor als Adresse« sei »eine Fiktion«, vgl. Dalbert: Missionsliteratur, 103. Wer soll fingiert haben und warum? Wer Quellenmaterial exkludieren will, sollte besser erklären, warum es fehlerhaft sei, muß also auch eine Geschichte für das exkludierte Quellenmaterial vorlegen. Walter und Mülke datieren Aristobul wieder früh. 50. Vgl. Eusebius Caes.: Praep. ev. XIII, 12,11, GCS 43/2, 195-196. 51. Vgl. den Text bei Denis: Fragmenta Pseudepigraphorum, 224.

433

gtvh 08105 / p. 434 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

sich zumindest plausibel vermuten, daß man nach der Übersetzung der Thora mit den anderen Büchern nicht sehr lange gewartet haben muß. Wir kommen schon mit Aristobul, wie es scheint, in eine frühe Zeit, und noch viel mehr gilt das für ein älteres Werk, das er aufnimmt: Er zitiert als Beleg für den Eingottglauben ein monotheistisches Bekenntnis des Orpheus 52, das dieser im Geheimen vor Musaios auf seinem Sterbebett abgegeben haben soll: eine gewagte jüdische Fälschung, zugleich das älteste Stück außerbiblischer jüdischer Testamentenliteratur, für Aristobul allerdings wie der zuvor von ihm zitierte Aratos ein Beleg aus der nichtjüdischgriechischen Literatur. Erstaunlicherweise bietet er es in einer Fassung, die im Vergleich zu anderen Fassungen desselben Werkes sekundäre Züge aufweist (Aristobul repräsentiert neben der Theosophia Tubingensis und einem Clemens-Exzerpt Rezension B, während Rezension A vor allem von Pseudo-Justin bezeugt wird). 53 Was liegt hier vor? Ein jüdischer Autor stößt – wie zufällig eigentlich? – auf eine verkappt jüdische Dichtung, die genau zu seinen Anliegen paßt, und schon an dieser hat es redaktionelle Arbeit gegeben, die ebenfalls von Juden vorgenommen sein muß. Wie kommt hier ein pseudonymer Text zu einem Publikum, das zu ihm paßt, zuerst zu Redaktoren und dann zu einem, der ihn zitiert? Textpragmatisch und rezeptionssoziologisch werfen Pseudepigrapha immer wieder Rätsel auf. Vor allem aber: Wie alt muß dieses Stück sein? Und was kann es mit der Septuaginta zu tun haben? Es soll ja Orpheus reden, also ist mit Bibeltextaufnahme erst einmal nicht zu rechnen. Andererseits: Es soll ja doch die Religion Israels indirekt bestätigt werden, und so kommt es eben doch zu Referenzen auf Biblisches, die der Kenner identifizieren kann: Es heißt gegen Ende des Gedichts (Vers 40-42 bei Denis, erhalten nur bei Aristobulos und anderen Zeugen von Rez. B): ἀρχὴν αὐτὸς ἔχων καὶ μέσσην ἠδὲ τελευτήν, / ὡς λόγος ἀρχαίων, ὡς ὑλογενὴς διέταξεν, / ἐκ θεόθεν γνώμῃσι λαβὼν κατὰ δίπλακα θεσμόν (»Weil dieser Anfang hat und End und Mitte / Wie es die Alten sagten, wie der Holzgeborne, / Welchem es Gott in zwei Gesetzestafeln kundtat«). Mose, den wir mit einigen Mühen identifizieren konnten, bezeugt eine bestimmte Lehre, die auch die der Alten ist, nämlich daß Gott »Anfang, End und Mitte« hat. Das ist eine berühmte Formel, die schon Platon als einen παλαιὸς λόγος zitiert und somit »den Alten« zuweist (Leges IV, 715e– 716a), einem Scholiasten zufolge aus orphischer Überlieferung; 54 er hat mit ihr sehr viel Aufmerksamkeit gefunden (bei Plutarch, Clemens, Pseudo-Justin) 55; noch Stefan George nimmt sie auf (an prominenter Stelle: im allerersten Vers vom »Stern des Bundes«: »Der du uns anfang bist und end und mitte« – dort auf einen Gymnasiasten zu

52. Vgl. den Text bei Eusebius Caes.: Praep. ev. XIII, 4-6, GCS 43/2, 191-195. 53. Eine Grundtextrekonstruktion bietet Denis: Fragmenta Pseudepigraphorum, 163-167; die Textzeugen dokumentiert und sortiert er auf S. 163-164. Für Ps-Justin (Cohortatio ad Graecos und De Monarchia) ist jetzt die Ausgabe von Marcovich einzusehen. 54. Bei Plato sagt ein Athener: ὁ μὲν δὴ θεός, ὥσπερ καὶ ὁ παλαιὸς λόγος, ἀρχήν τε καὶ τελευτὴν καὶ μέσα τῶν ὄντων ἁπάντων ἔχων κτλ. (»Gott nun, wie das alte Wort sagt, Anfang und Ende und Mitte alles Seienden besitzend etc.«). Als orphisch ist diese Tradition identifiziert bei Kern: Orphicorum Fragmenta, 90-93 (Fragment 21): Er zitiert Plato, dann den Scholiasten und dann den Zeushymnus bei Ps-Aristoteles: De Mundo 7 und weitere Parallelen, um ihre orphische Herkunft zu erweisen. 55. Vgl. hierzu die Dokumentation im Apparat bei Erbse: Fragmenta Theosophorum, 41.

434

gtvh 08105 / p. 435 / 31.3.2022

Die Literatur des Zweiten Tempels

beziehen, was nicht alle überzeugt). 56 Sie wird hier Mose zugeeignet, der den Dekalog empfing. Vielleicht sollen wir an das erste Gebot denken, das hier zur Vorlage orphischer Überlieferung gemacht wird, diesmal – im jüdischen Sinne – tragfähiger orphischer Überlieferung. Bezeichnet wird dabei das, was Mose empfing, als δίπλαξ θεσμός. Mindestens das Wort δίπλαξ erinnert an Septuagintasprachgebrauch; sowohl im Buch Exodus als auch im Buch Deuteronomium werden die Gesetzestafeln mit dem Lexem πλάξ bezeichnet. 57 B. Vorgeschichte der Septuaginta kann sich in dieser Literatur andeuten: Die Septuagintaaffinität des Pseudo-Orpheus war nicht überdeutlich, konnte sie schon der Textpragmatik eines nicht-biblischen Pseudepigraphs wegen nicht sein. Erlaubt ist immerhin die Frage: Liegt überhaupt ein Abhängigkeitsverhältnis vor? Das pseudoorphische Gedicht kann ausweislich der Indizien redaktioneller Überarbeitung schon zur Zeit des Aristobul einige Jahre hinter sich gehabt haben. Schlägt sich hier vielleicht geistige Arbeit nieder, die der Septuaginta-Übersetzung der Thora vorausgeht? Man wird Ähnliches auch bei dem Chronographen Demetrius fragen dürfen: So sehr bei ihm Septuaginta manifest wird, ist nicht vielleicht die Geistesarbeit, die er bezeugt, älter als diese? Wie wahrscheinlich ist es, daß es die Übersetzer der Septuaginta waren, die – gewissermaßen ad hoc – für ihren griechischen Text ein chronographisches Konzept eigener Prägung entwickelten; lag ein solches nicht eher schon vor? War Demetrius vielleicht sogar der Urheber, wenn es nicht ein Vorgänger des Demetrios war? 58 Auch bei Aristobul wird möglicherweise Vorgeschichte der Septuaginta spürbar: Ein bei Euseb zitierter Kirchenschriftsteller Anatolius bezeichnet Aristobul als Peripatetiker, zählt ihn zu den Übersetzern der Septuaginta und weiß von seinen Lehrern, zwei mit dem Namen Agathobulos, zu berichten. 59 Liegt hier Legendenbildung vor? Auszuschließen ist das nicht 60, aber interessanter wäre es, wenn man sich von Anatolius dazu anregen ließe, Aristobul bei der Suche nach Voraussetzungen der Septuagintaübersetzung in der philosophischen Tradition eingehend zu berücksichtigen. 61 C. Hebräische Bibeltextüberlieferung interferiert: Der hebräische Bibeltext scheint in der hier behandelten Periode griechisch-jüdischer Literatur stärker in den Hinter56. Vgl. George: Werke, 350 und dazu Karlauf: Stefan George (2007), 342-360. 57. Vgl. die Belege bei Hatch / Redpath: Concordance, II, 1140. 58. Ben Zion Wacholder sieht Demetrius eher als Urheber denn als Rezipienten des chronologischen Systems der Septuaginta-Thora, postuliert die Existenz einer Schule jüdischer Chronographen in Alexandria und hält es für möglich, daß Demetrius selbst zu den Thora-Übersetzern gehörte, vgl. idem: Biblical Chronology, 452-458. 59. Eusebius Caes.: H.e. VII, 32, 16, GCS 9/2 722-725. Vgl. den Text auch bei Denis: Fragmenta Pseudepigraphorum, 227. 60. Die Septuaginta-Übersetzung war ein prominentes Ereignis, zu dem einen Geschichten einfallen konnten; dieser Tendenz ist Anatolius vielleicht erlegen. Andererseits: Er war Peripatetiker und sieht auch Aristobul als einen solchen; kann er nicht gerade über ihn besser Bescheid gewußt haben als andere? Oder aber wollte er besser Bescheid wissen – mit der Folge, daß er kreativ Geschichte schrieb? Daß Anatolius in Alexandria die Aristoteles-Tradition pflegte, berichtet Eusebius Caes.: H.e. VII, 32,6, GCS 9/2, 718-719. Über ihn vgl. Schmidt: Anatolius von Alexandrien. 61. Dem hellenistischen Kontext der Genesis-Septuagimnta geht Rösel nach, vgl. Rösel: Übersetzung. Er erwähnt Aristobul einige Male; vielleicht läßt sich hier weitermachen.

435

gtvh 08105 / p. 436 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

grund zu treten, als es später der Fall ist, aber auch schon in dieser frühen Zeit macht er sich bemerkbar. Zwei Beispiele mögen hier genügen: - Ps-Orpheus verweist auf Mose, allerdings in verschlüsselter Sprache, die der (jüdische) Kenner aber entschlüsseln kann: In dem bereits zitierten Text nennt er ihn den »Holzgebornen«, dies allerdings nur, wenn man eine Konjektur Scaligers nicht übernimmt, der ὑδογενής statt des handschriftlich bezeugten ὑλογενής, also »Wassergeborener« lesen will (vgl. Ex 2,10). 62 Mit Scaliger müßte man indes nicht nur den Text bei Euseb / Aristobulos ändern, sondern auch den in der Tübinger Theosophie, die wohl unabhängig von beiden exzerpiert. 63 Es gibt also Gründe, von dieser genialen Konjektur abzusehen. Und in der Tat ergibt sich mit der überkommenen Lesung ein Sinnzusammenhang: Das Holz wäre das Kästlein, in dem Moses lag (Ex 2,3.5) 64; dieses wird in hebräischer Bibelüberlieferung, nicht in der Septuaginta, genauso wie die Arche Noahs bezeichnet, nämlich als ‫( תבה‬die Septuaginta hat hier θῖβις und dort κιβωτός), und eben diese Arche Noahs wird in jüdischer Überlieferung, wenn auch wohl deutlich später, nach der Art eines verrätselnden Kennings prädiziert als ein »Holz, durch das Gerechtigkeit geschieht« (Sap Sal 14,7: εὐλόγηται γὰρ ξύλον, δι’ οὗ γίνεται δικαιοσύνη). Ein kastenartiger Gegenstand, der heilswirksam war, konnte anscheinend durch das Kenning »Holz« evoziert werden, und dies haben die Arche Noah und das Kästlein des Mose gemeinsam, nicht zuletzt aufgrund einer Wortübereinstimmung im hebräischen Text: Dies könnte die exegetische Idee sein, die hier, bei Pseudo-Orpheus, zugrundeliegt. Ausgangspunkt wäre dann eher hebräische als griechische Bibeltextüberlieferung, und es würde sich eine exegetische Technik andeuten, die auch in Parabiblica bezeugt ist (Parallelenverknüpfung aufgrund von Stichwortübereinstimmungen) und später von den Rabbinen Gezera Schawah genannt werden wird. 65 - Um dem König Ptolemaios zu erläutern, daß »Hand« bei Gott so etwas wie »Macht« bedeute, also nicht im anthropomorphen Sinne zu verstehen sei, zitiert Aristobul aus der Heiligen Schrift: Ἀποστελῶ τὴν χεῖρά μου καὶ πατάξω τοὺς Αἰγυπτίους (»Ich werde meine Hand aussenden und die Ägypter schlagen«). 66 Das Schriftwort entspricht Ex 3,20lxx, und es paßt ganz gut: An der betreffenden Stelle entfaltet Gott Macht. Nur steht in Ex 3,20lxx nicht ἀποστελῶ, sondern ἐκτείνας. Im hebräischen Text wird die Wurzel ‫»( שׁלח‬aussenden«) verwendet, und so ist klar, was in der 62. Zur Konjektur vgl. die Diskussion im Apparat bei Mras: Praeparatio Evangelica XI bis XV, 194. Die dort zitierte ältere Forschungsliteratur (Valckenaer und Wesseling im Anhang des vierten Bands von Gaisfords Euseb-Ausgabe) führen bibliographisch nicht zu Scaliger; man kommt wohl weiter mit Lobeck: Aglaophamus, 443 (siehe dort den Apparat). 63. Die Ps-Orpheus-Version der Theologia Tubingensis findet sich bei Erbse: Fragmenta Theosophorum, 37-42. Sie ist bei Denis: Fragmenta Pseudepigraphorum, 163-167 eingearbeitet. Ihre Eigenständigkeit gegenüber Euseb und Aristobul ergibt sich wohl aus Lesarten, bei denen sie besser ist als der Text bei Euseb, aber dies müßte anderenorts im Einzelnen nachgewiesen werden. 64. Dies ist schon bei Mras: Praeparatio Evangelica XI bis XV, 194 und den von ihm zitierten Forschern das Kontrastargument zu Scaligers Konjektur. 65. Vgl. hierzu Stemberger: Einleitung, 28 f. 66. Aristobul bei Eusebius Caes., Praep. ev. VIII, 10, 8, GCS 43/1; Denis: Fragmenta Pseudepigraphorum, 218.

436

gtvh 08105 / p. 437 / 31.3.2022

Die Literatur des Zweiten Tempels

griechischen Überlieferung geschieht: Dem Septuagintaübersetzer erschien es unpassend, daß eine Hand ausgesendet wird; er ließ Gott seine Hand lieber ausstrecken. 67 Aber man hatte offenbar das Empfinden, daß dies nicht die Sprache der Heiligen Schrift war – und revidierte die Übersetzung nach dem Hebräischen, wer auch immer es das getan hat (Aristobul selbst?). Derlei ist im Laufe der Textgeschichte der Septuaginta alltäglich geworden. Warum ging man schon in früher Zeit so vor? Offenbar lag einem an anderem als idiomatischem Ausdruck. Sah man das Bibelgriechisch, je alltagsferner es erschien, als einen poetischen Idiolekt? Das Griechisch Homers und vieler älterer Dichter war doch auch anders als das gewöhnliche, gewissermaßen seltsam, und solcherlei wußte man, wie Ps-Orpheus zeigt, auch als Jude nachzuahmen. Lag es dann nicht nahe, daß die eigene Heilige Schrift ebenfalls einen besonderen Klang hatte? Man wird sich fragen können, wie neugierig der hellenistische Pharao Ptolemaios auf gerade das oben zitierte Schriftzitat gewesen sein muß; selbst in einer fiktiven Anredesituation wirkt es doch nur dann passend, wenn umstandslos vorausgesetzt wird, daß der damalige Konflikt zwischen Juden und Ägyptern in der Zeit von Autor und Leser abgetan ist. Das war nicht immer so; insbesondere die Exodusgeschichte ist von Gegnern der Juden in Ägypten durchaus gehässig aufgenommen worden. Josephus zitiert mit Manetho, Chairemon und Lysimachos gleich drei Beispiele (Contra Apionem I,227-253; 288292; 304-311). Beim ersteren (3. Jh. v. Chr.!) scheint wohl durch, daß eine Judenpolemik ursprünglich nicht beabsichtigt war 68, aber für die letzteren, deren Datierung schwerfällt, kann dies nicht gelten. Haben die Juden in Ägypten ihre Exodustradition vielleicht etwas zu freimütig erzählt, so daß sie eben bekannt – und unbeliebt werden konnte? Aristoboulos mag ein Beleg dafür darstellen; er kann dem antijudaistischen Diskurs in Ägypten vorausgehen, was wieder in eine frühere Zeit weist.

2. Es wird Zeit, sich auch einmal mit etwas einfacheren Dingen zu befassen. Wenden wir uns also den Testamenten der zwölf Patriarchen (Test XII) zu, wo meines Erachtens in mancher Hinsicht eher die Forschungsdiskussion als der Text selbst Umstände macht. Ja: Die vieldiskutierten christlichen Interpolationen lassen sich meines Erachtens in diesem Text relativ leicht ausscheiden; den Rest wird man für ein jüdisches Elaborat halten können (den Einwänden von De Jonge zum Trotz), freilich immer mit dem Vorbehalt, daß der – unzweifelhaft von einem Christen geschriebene – Archetyp, sofern ihn De Jonge denn schon abschließend rekonstruiert hat 69, Abweichungen vom Urtext aufweisen kann (die nicht christlich motiviert sein müssen; die meisten Textveränderungen in Handschriften sind doch bloße Fehler und damit nicht rezensionell, das heißt durch Nachdenken motiviert). Der solchermaßen erahnbare Grundtext ist

67. Vgl. den Hinweis bei Collins: Rez. Mülke. 68. Zu den Manetho-Exzerpten in des Josephus Schrift gegen Apion vgl. Siegert: Contra Apionem II, 41-47. 69. Vgl. De Jonge: Testaments of the Twelve Patriarchs. Ein Risiko des Textes besteht darin, daß von zwei Hauptüberlieferungszweigen einer von nur einer einzigen Handschrift repräsentiert wird, vgl. das Stemma ibidem xxxiii und die Liste der Lücken im zweiten Hauptzeugen ibidem xxi-xxii. Dieses Risiko ist wohl kaum aus der Welt zu schaffen.

437

gtvh 08105 / p. 438 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

ein griechischer, wohl auch auf Griechisch komponiert worden; es läßt sich jedenfalls Septuagintarezeption zeigen. 70 Wie steht es nun mit dieser? Ein Beispiel mag zeigen, wie es sich wohl grundsätzlich verhält: Im Testament Rubens geht es darum, wie man jugendlichen Leichtsinn beim Umgang mit Frauen vermeiden kann, und als Beispielgeschichte dient der Vorfall mit Balla (im masoretischen Text: Bilha), der Nebenfrau Jakobs, mit der Ruben unerlaubterweise Beischlaf hatte. Die Erzählung Rubens nimmt in Test Rub 1,6 Worte der Septuagintaversion des Patriarchensegens zu Ruben in Gen 49,4 auf, die sich auf diesen Vorfall beziehen, freilich ohne Zitatmarkierung; es ist wohl an einen Leser der Septuaginta gedacht, bei dem hier Texterinnerung wachgerufen werden soll. Der Vorfall selbst, kurz erwähnt in Gen 35,22, wird indes nicht nach der Septuaginta erzählt; ja, es läßt sich sogar konstatieren, daß ein Spezifikum der Septuaginta fehlt: Diese berichtet über den masoretischen Text hinaus, daß die Sache Jakob mißfiel, und eben davon findet sich im Testament Rubens nichts: Eher steht hier der Vater auf der Seite seines Sohnes, der schon von Gott her genügend hart gestraft wird (vgl. Test Rub 1,6-10; 3,11-15). Wichtiger aber noch ist: Erzählt wird mit Amplifikationen, die auch im Jubiläenbuch begegenen (Lib Jub 33,19): Daß Balla nackt war, daß sie an einem einsamen Ort war, das alles findet sich auch im Jubiläenbuch. Anders als in diesem war Balla laut dem Test Ruben auch noch betrunken (Test Rub 3,14), als Ruben sie so vorfand; damit soll wohl gesagt sein, daß ganz unschuldig auch die Frau nicht gewesen sei (Alkoholgenuß wird sehr wenig geschätzt in den Test XII), was bei der allfälligen Misogynie der Test XII und nicht zuletzt des Test Rub nicht weiter verwundert. Wie ist hier mit dem Bibeltext umgegangen worden? Wörtlich aufgenommen wird die Septuaginta, dem durch Narration geprägten Kontext entsprechend eher allusiv denn zitierend. Wo dann aber Erzählung generiert wird, mag eher hebräischer Bibeltext maßgeblich sein. Und vor allem: Es tritt etwas hinzu, das von einer anderen Quelle stammt, im gegebenen Fall aus parabiblischer Überlieferung, eben dem Jubiläenbuch. Doch bleibt es nicht nur bei der Replikation von Material: Gerade die Geschichte aus dem Jubiläenbuch wird erheblich umerzählt, nicht zuletzt um einer frauenkritischen Agenda willen, die Frauen sehr stark als Ausgangspunkt von Bösem konzeptualisiert. Es fragt sich, welche Geschichtshermeneutik oder welche theologische Erkenntnislehre derartigen Neugestaltungen zugrundeliegen mag: Warum sieht sich ein Erzähler hier berechtigt, über die Patriarchen etwas zu erzählen, was er sich ausdenkt? Oder denkt er sich nicht etwas aus, sondern forscht, rekonstruiert erzählend, was gewesen ist, Wissen zugrundelegend, auch etwas, das er über Frauen weiß bzw. zu wissen meint? Neben der Septuaginta steht im Test Rub mit dem Jubiläenbuch eine Quelle von sicher palästinischer Herkunft. Ob sie ihm auf Griechisch vorlag, kann ich hier nicht klären; das Aramäische Levi-Dokument (ALD), das im Testament Levis verwendet wird, hat jedenfalls ausweislich eines langen Interpolats in einer der Test XII-Handschriften auch auf Griechisch existiert (was noch nicht heißt, daß eben dieser grie-

70. Meine Sicht zu den Test XII findet sich in meiner bisher unveröffentlichten Einleitung zu diesem Buch (einsehbar auf meiner Academia-Seite).

438

gtvh 08105 / p. 439 / 31.3.2022

Die Literatur des Zweiten Tempels

chische Text auch Grundlage von Test Levi gewesen sein muß). 71 Für die Geschichte der haggadischen Methodik ist das Nebeneinander von Septuagintatextaufnahme und Benutzung palästinischer Quellen wichtig. Diese Konstellation wird sich nämlich wiederholen: Auch in der Apc Mos stehen Septuagintatextaufnahmen neben Wissen aus dem Jubiläenbuch. In der Hauptsache freilich dominiert dort etwas anderes hinzu, das sich schon im Testament Rubens angedeutet hat und ebenfalls eindeutig palästinischer Herkunft ist: hebräische Bibelüberlieferung und mehr noch, was der Verfasser der Apc Mos daraus macht: exegetischnarrative Erzählungen, aus denen er im Wesentlichen seine Adam-Geschichte baut, dies übrigens in griechischer Sprache (vgl. § 3.2). Mehr und mehr entwickelt sich eine Strategie des Nebeneinanderlesens von aufeinander Bezogenem, ein synoptisches Lesen: Septuaginta und Parabiblisches, Septuaginta und Haggada aus Exegese an Hebräischem werden miteinander amalgamiert, mit steigender Tendenz. Auch dies gehört zu der von mir namhaft gemachten polyglotten Schriftgelehrsamkeit. Die Test XII stehen hier wohl eher noch am Anfang. Sie werden, wie – mindestens überwiegend – auch die anderen Produkte der polyglotten Schriftgelehrsamkeit – nach Palästina gehören; dies deutet nicht zuletzt auch ihr starker Bezug auf Makkabäisches an, bejahend wie – mindestens in späteren Schichten – auch kritisch. Septuagintabenutzung wird eine Angelegenheit Palästinas. Wir kommen damit in eine etwas spätere Zeit, in der Hellenisierung und griechische Schriftstellerei zunehmend auch im palästinischen Judentum auszumachen sind. Dies zeigt auch das nachfolgende Beispiel. 3. Die Assumptio Mosis (Ass Mos) ist uns überwiegend in einem noch vormittelalterlichen lateinischen Fragment aus der Bibliotheca Ambrosiana erhalten; daneben existieren lateinische und griechische Kirchenschriftstellerexzerpte, unter anderem im Judasbrief. 72 Das lateinische Fragment besteht – nach einer Einleitung – überwiegend aus einer Weissagung des Mose über die Geschichte Israels bis zum Offenbarwerden des Gottesreiches (das etwa ist die Terminologie des Textes: Ass Mos 10,1). Die Kirchenschriftstellerexzerpte entstammen fast durchgehend dem verlorengegangenen Teil der Assumptio Moses, der sich an die Weissagung angeschlossen haben muß und vom Tod des Mose handelte; eines indes überlappt sich mit der Weissagung und sichert so die Zusammengehörigkeit der Fragmente (zu diesem s. u.). Aufgrund der historischen Anspielungen und der Zukunftserwartungen in der Weissagung kann die Assumptio Mosis sicher in die Regierungszeit des Archelaos datiert werden, eher an ihr Ende als an deren Beginn. Sie war ausweislich des Judasbriefes und der Kirchenväterexzerpte im frühen Christentum beliebt; daß ihre Gottesreichskonzeption wichtig war für den historischen Jesus, ihre Vorstellung vom heilswirksamen Tod eines Gerechten wichtig für die älteste (schon jesuanische?) Christologie, ist mindestens wahr71. Vgl. Test Levi nach dem Zeugen e in Text Levi 2,3 und 1,2 nach De Jonge: Testaments, 25; 46-48 und die Beschreibung des Textzeugen e bei De Jonge: Testaments, xviii. 72. Zum Text vgl. Clemen: Assumptio Mosis; englische Übersetzung von Clemen: Himmelfahrt des Mose (stellt das Dossier aus handschriftlichem Fragment, Exzerpten und Testimonien zutreffender zusammen als etwa Denis: Fragmenta Pseudepigraphorum oder Tromp); Tromp: Assumption of Moses) (bietet einen fortgeschrittenen Stand der Emendation des handschriftlichen Textzeugen). Meine Forschungsauffassung zum Text findet sich bei Dochhorn: Krise der Gerechtigkeit, 88-100; idem: Tod des Mose (dort wird auch das Überlieferungs-Dossier zur Ass Mos erörtert); idem: Bedeutung (demnächst).

439

gtvh 08105 / p. 440 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

scheinlich. Wenn es um die Rekonstruktion des Milieus geht, in dem das frühe Christentum entstanden ist, dann ist die Assumptio Mosis einer der wichtigsten Bezugstexte. Zu ihren Quellen gehört, wie ich anderweitig gezeigt habe, die Apokalypse des Mose 73, ein etwas früher in Palästina entstandenes Werk, das – wie schon angedeutet – auf Griechisch verfaßt wurde, die Septuaginta benutzt und zugleich narrative Exegese treibt mit hebräischer Bibelüberlieferung. All das deutet auf palästinische Herkunft der Assumptio Mosis hin. Da sie eine griechische Quelle benutzt und von ihr griechische Fragmente existieren, wird sie auf Griechisch verfaßt sein, also – wie wohl schon die Test XII – zur griechischsprachigen Literatur des jüdischen Palästinas gehören. Wie verhält sich nun dieses Werk zur Septuaginta-Tradition? Ein Bezug zu dieser erweist sich schnell als mindestens sehr wahrscheinlich: Ganz am Anfang des Ambrosiana-Fragments gibt es einen expliziten Bezug auf Biblisches (der einzige, der sich überhaupt ausmachen läßt), und zwar in Gestalt einer Referenz auf das ausdrücklich so genannte Buch Deuteronomium: In Zeile 5 des Ambrosiana-Fragments steht profetiae quae facta est a Moysen in libro Deuteronomio; die syntaktische und inhaltliche Kontextualisierung bleibt unklar, die Schriftreferenz ist aber deutlich, und sie gemahnt an Septuaginta-Überlieferung. Man beachte auch, daß in der Namensform Moysen das ›y‹ typisch ist für Septuaginta-Überlieferung zum Namen des Mose. 74 Läßt sich mehr feststellen? Der lateinische Text im Ambrosiana-Fragment ist stark verderbt; er wird hier nicht näher untersucht werden können. Unberücksichtigt bleiben hier auch auf Latein erhaltene Exzerpte (bei Clemens Alexandrinus, Origenes / Rufin und Didymus von Alexandrien). Interessante Beobachtungen lassen sich aber schon anhand der griechischen Exzerpte machen. Sie lassen Einfluß von Septuagintatext erahnen, insonderheit das an dritter Stelle genannte, aber es zeigt sich auch mehr und Interessanteres: Eigenständigkeit, ein Hinauswachsen über die SeptuagintaSprachwelt und ein Wissen um andere Traditionen: A. Ein sehr wichtiges Exzerpt bietet Pseudo-Gelasius, Historia Ecclesiastica II,17,17: Μέλλων ὁ προφήτης Μωσῆς ἐξιέναι τὸν βίον, ὡς γέγραπται ἐν βίβλῳ Ἀναλήψεως Μωσέως, προσκαλεσάμενος Ἰησοῦν υἱὸν Ναυῆ καὶ διαλεγόμενος πρὸς αὐτὸν ἔφη· ›καὶ προθεάσατό με ὁ θεὸς πρὸ καταβολῆς κόσμου εἶναί με τῆς διαθήκης αὐτοῦ μεσίτην‹. (»Da der Prophet Mose aus dem Leben scheiden sollte, wie geschrieben steht im Buch von der Himmelfahrt des Mose, rief er Jesus, den Sohn Naves, und sagte in seiner Unterredung mit ihm: ›Und Gott hat mich vor der Grundlegung der Welt dazu ersehen, dass ich Mittler seiner Bundesverfügung sei.‹«). 75 Dieses Exzerpt, im Präkontext bei Pseudo-Gelasius übrigens als Schriftreferenz gekennzeichnet, überlappt sich mit dem Ambrosiana-Fragment und sichert dieses damit für die Assumptio Mosis (im Ambrosiana-Fragment ist keine Superscriptio und kein Titel überliefert). Textzeugenwert für die Rekonstruktion der Ass Mos nimmt es erst in 73. Vgl. Dochhorn: Adamdiegesen, 73 (dort Anm. 38); idem: Tod des Mose, 177 f.; weiteres folgt in meinem demnächst erscheinenden Buch zu Röm 7,7-25. 74. Vgl. hierzu Siegert: Septuaginta, 188 f. 75. Pseudo-Gelasius: Historia Ecclesiastica II, 17,17, GCS NF 9, 58; dort auch zum Text. Das Werk läuft seit der Editio princeps (1599) unter dem Namen Gelasius Cyzicenus; der Wiedererkennbarkeit willen benutze ich diesen Namen auch hier.

440

gtvh 08105 / p. 441 / 31.3.2022

Die Literatur des Zweiten Tempels

den Worten des Moses an; dort geht die Übereinstimmung mit dem AmbrosianaFragment ins Wörtliche. Passend dazu ist es auch nur das Wort des Mose, das als Zitat markiert ist, nämlich durch das Wort καί, das, anders denn als Zitateinleitung (und damit Zitatabgrenzer) verstanden, asyntaktisch wäre. Diese Konstellation ist bezeichnend, auch für andere Zitate von Kirchenschriftstellern aus der Assumptio Mosis: Referenzen auf diese sind in der Regel Zitate von Akteuren; von den Passagen zum Tod des Mose sind uns durchgängig nur Worte des Erzengels Michael als Zitate überliefert. Ganz ähnlich sind übrigens Schriftreferenzen im vierten Makkabäerbuch gestaltet: Nicht auf Bücher wird dort verwiesen, sondern auf biblische Gestalten, die sagen, was in heiligen Büchern steht (vgl. 4 Mkk 2,5.19; 17,19; 18,14.15.16.17). 76 Man wird sich fragen können, ob Intertextualität eigentlich das vollkommen treffende Wort für diese Art von Referenz ist: Wir lassen mit diesem Begriff Texte miteinander interagieren, aber liegt dort nicht eher eine personale Interaktion vor? Man weiß nicht primär um Texte, sondern primär darum, was bestimmte Personen gesagt haben, gegebenenfalls unter Referenz auf eine schriftliche Quelle (die aber ausbleiben kann, so etwa im Judasbrief, der nicht die Assumptio Mosis zitiert, sondern Michael; erst Origenes belehrt uns über die literarische Quelle). Die Worte des Mose haben einen Ort in der biblischen Geschichte: Das Gespräch Moses mit Josua kurz vor seinem Tod. Haben sie etwas mit der Septuaginta zu tun? Hier folgt nun, was für Parabiblica zumeist – bedauerlicherweise in den Augen von Septuagintaforschern – typisch ist: eine Fehlanzeige. Was Moses hier sagt, steht gerade nicht in der Schrift; Parabiblica teilen gewöhnlich für Erzählorte der Schrift mit, was nicht in der Schrift steht. Und wie steht es mit der Sprachgestalt dieser Worte? Spiegeln sie Septuagintaeinfluß wider? Auch hier ist vor allem Nichtübereinstimmung zu vermerken: Entscheidende Schlüsselwörter, προθεᾶσθαι, πρὸ καταβολῆς κόσμου, μεσίτης kommen gerade nicht in der Septuaginta vor; die beiden letzteren finden Entsprechungen im Neuen Testament. Θεός und διαθήκη freilich sind Wörter, die auch in der Septuaginta verwendet werden. Dieser Befund ist einigermaßen bezeichnend für griechische Sprache in vorchristlicher und zugleich nachbiblischer jüdischer Literatur: Sie setzt nicht einfach nur die Septuaginta fort, sie entwickelt sich auch weiter und wird dabei vielfach Vorlage für Späteres, das sich im Neuen Testament und bei den Kirchenschriftstellern findet. Solche Übereinstimmungen mit Späterem, mit Christlichem, könnten theoretisch für Spätdatierungen der betreffenden Parabiblica in Anspruch genommen werden. Das wäre hier aussichtslos und auch sonst vielfach methodisch falsch – mit dem Effekt, daß Christliches seiner Vorgeschichte beraubt und die Originalität des vorklassischen, vorchristlichen Judentums unterschätzt würde. B. Ein weiteres Exzerpt bei Pseudo-Gelasius lautet folgendermaßen 77: Ἐν βίβλῳ δὲ Ἀναλήψεως Μωσέως Μιχαὴλ ὁ ἀρχάγγελος διαλεγόμενος τῷ διαβόλῳ λέγει· ›ἀπὸ γὰρ πνεύματος ἁγίου αὐτοῦ πάντες ἐκτίσθημεν‹. Καὶ πάλιν λέγει· ›ἀπὸ προσώπου τοῦ θεοῦ ἐξῆλθε τὸ πνεῦμα αὐτοῦ, καὶ ὁ κόσμος ἐγένετο‹. Ἴσον ἐστὶ τοῦτο τοῦ ›πάντα δι’ αὐτοῦ ἐγένετο‹. (»Im Buch von der Himmelfahrt des Moses aber sagt der Erzengel Michael in seiner Unterredung mit dem Teufel: ›Von seinem 76. Vgl. die Aufstellung bei Schaller: 4. Makkabäerbuch, 326-328. 77. Pseudo-Gelasius: Historia Ecclesiastica II, 21,7, GCS NF 9, 69.

441

gtvh 08105 / p. 442 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

Heiligen Geist her sind wir alle erschaffen.‹ Und wiederum sagt er: ›Vom Angesicht Gottes ging sein Geist aus, und es ward die Welt‹. Dies aber ist ähnlich dem Wort ›Alles ist durch ihn geworden.‹«). Auch hier ließe sich das Vokabular auf Septuagintaaffinität untersuchen: Die Übereinstimmung wäre etwas größer als oben; der seltsame Gebrauch der Präposition ἀπό wiese allerdings auch auf Eigenständigkeit der Assumptio Mosis. Auf ihren theologischen Gehalt habe ich diese Worte – es handelt sich um zwei Akteurszitate, zwei Worte des Erzengels Michael, die in der Vorlage nahe beieinander gestanden haben dürften – anderswo untersucht: Im Wesentlichen begründen sie eine Pneuma-Angelologie und korrelieren Erschaffung der Engel und Erschaffung der Welt miteinander. 78 Hier sind die biblischen Hintergründe nachzutragen: Erschaffung der Welt und Erschaffung der Engel kann man nebeneinander auch wahrnehmen (ohne daß dies notwendigerweise der ursprüngliche Textsinn wäre) in Ps 32(33),6. Die Septuagintaversion lautet dort: Τῷ λόγῳ τοῦ κυρίου οἱ οὐρανοὶ ἐστερεώθησαν, καὶ τῷ πνεύματι τοῦ στόματος αὐτοῦ πᾶσα ἡ δύναμις αὐτῶν (»Durch das Wort des Herrn wurden die Himmel festgemacht, und durch den Hauch / Geist seines Mundes all ihre Kraft«). Für δύναμις steht im Hebräischen ‫»( צבא‬Heerschar«); vielleicht kommt man vom hebräischen Wort her leichter auf Engel (vgl. Jos 5,14-15). Ich will nicht ausschließen, daß eher die hebräische als die griechische Version des Psalmenverses für unseren Autor relevant war. In jedem Fall wird wohl auch die Gleichsetzung von Urpneuma und Engeln in Lib Jub 2,1 (// Gen 1,2) anregend gewesen sein; von da ist am ehesten zu erklären, daß hier Engel nicht bloß als Kreaturen, sondern als Geist-Kreaturen konzeptualisiert werden. Wie die Apc Mos, eine Vorlage der Ass Mos, hat die Ass Mos dann als Grundlage neben der Septuaginta (die sie ausweislich des vorhergehend Erwähnten kannte) auch hebräische Bibeltradition und das Jubiläenbuch. Polyglotte Schriftgelehrsamkeit, synoptische Verwendung autoritativen Schrifttums wäre auch hier zu konstatieren, erneut in Palästina, erneut in einer griechischen Sprachwelt. Zu beachten ist auch, wie hier Mose-Parabiblica miteinander koalieren: Das Jubiläenbuch, die Apokalypse des Mose und die Assumptio Mosis sind alle mit Mose assoziiert. C. Das letzte hier zu besprechende Exzerpt aus der Ass Mos ist dasjenige des Judasbriefes, und auch hier beschränkt sich das, was im eigentlichen Sinne zitiert wird, auf Worte eines Akteurs, nämlich Michaels. Dieser sagt im Streit um die Leiche des Mose zum Teufel: Ἐπιτιμήσαι σοι κύριος (»Es schelte dich der Herr«). Fast dieselben Worte werden dem Teufel auch in einem Septuagintatext entgegengehalten: In Sach 3,2lxx sagt der Herr zum Teufel: Ἐπιτμήσαι κύριος ἐν σοί. Die Übereinstimmung ist signifikanter, als daß sie bloßer Zufall sein könnte. Es liegt wohl eine mit Absicht vorgenommene Referenz, eine Allusion vor, und dafür spricht, daß die Konstellation in Sach 3 überhaupt der in Jud 9 aus der Ass Mos aufgenommenen Szene zugrundezuliegen scheint: Hier wie dort steht der Teufel gegen einen Priester (Josua // Mose), hier wie dort verteidigt den Priester jemand gegen den Teufel. Dieser jemand ist beim Propheten Sacharja und so auch in dessen Septuagintatext wohl der Herr selbst, wenngleich im Kontext auch der Engel des Herrn genannt wird, während es in Jud 9 // Ass Mos Michael ist. Dieser könnte für den Engel des Herrn bei Sacharja stehen, und zwar dahingehend, daß die Sprecherkonstellation bei Sacharja angelo78. Vgl. Dochhorn: Tod des Mose, 175-177.

442

gtvh 08105 / p. 443 / 31.3.2022

Die Literatur des Zweiten Tempels

logisch umgedeutet wurde (nicht der Herr spricht, sondern sein Engel). So geschieht es in der Peschitta (vgl. den Apparat der Biblia Hebraica Stuttgartensia). Eine ähnliche Veränderung des Bibeltextes ist dann wohl auch in der Ass Mos vorausgesetzt. Sie wäre aber eben gerade nicht in der Septuaginta zu finden, sondern anderswo, vielleicht in einem targumischen Substrat der Peschitta. Septuagintabenutzung stünde dann hier neben der Benutzung von anderem, das nicht dem griechischsprachigen Milieu angehörte; erneut würde synoptisch gelesen, manifestierte sich polyglotte Schriftgelehrsamkeit. Bleiben wir bei der Septuagintareferenz: Sie stimmt nicht ganz wörtlich überein mit dem, was wir in unserem Septuagintatext vorfinden: Sach 3,2lxx hat eine andere Wortstellung und bietet statt σοι das etwas komplizierte ἐν σοί. Was liegt hier vor? Ungewöhnlich ist eindeutig der Septuagintatext: Ἐπιτιμᾶν wird normalerweise mit bloßem Dativ verbunden, so auch überall sonst in Septuagintatexten (Gen 37,10; Ruth 2,6; Ps 9,5 etc.). Nur hier verhält es sich anders, und es ist zu erkennen, was die Ursache ist: Es wird die hebräische Vorlage kopiert; ἐν σοί korreliert mit ‫ בך‬in der hebräischen Überlieferung. Warum man sich hier diese Mühe macht, läßt sich erraten: Das Machtwort gegen den Teufel sollte sprachlich markiert werden; ein leichter Hebraismus soll es fremdartig erscheinen lassen wie eine Beschwörungsformel, denn Fremdsprachliches in Beschwörungen anzuwenden war damals populär. 79 Doch eben solche Fremdartigkeit schleift sich bei der Benutzung ab und wird damit überflüssig. Damit kann erklärt werden, warum in Jud 9 die einfachere Form verwendet wird, wofür theoretisch drei Akteure verantwortlich sein können, nämlich ein Schreiber in der Septuagintavorlage der Ass Mos, der Autor der Ass Mos oder der Verfasser des Judasbriefs. Für den Autor der Ass Mos könnte Folgendes sprechen: Derjenige, der die betreffenden Worte in der Ass Mos verwendet, der Erzengel Michael, soll ja laut dem Referat in Jud 9 gerade keine Macht beanspruchen, wie sie in einer leicht magisch anmutenden Formel zum Ausdruck käme, sondern überläßt alle Macht einem anderen, nämlich Gott. Vielleicht hat der Verfasser der Ass Mos seine Bibelreferenz also eigenhändig verändert, diesmal allerdings nicht unbedingt angesichts hebräischer Bibelüberlieferung. Freilich bleibt zu notieren, daß die von Jud 9 // Ass Mos bezeugte Textgestalt auch bei Justin belegt ist, der Sach 3,2 in Dialogus cum Tryphone 79,4 (Goodspeed 191) zitiert. In einer künftigen Ausgabe des Dodekaprophetons sollte ἐπιτιμήσαι σοι κύριος als Lesart von Jud 9 nach der Ass Mos und von Justin verzeichnet werden (Notierung: Jud 9 < Ass Mos; Justin, Dial 79,4). Jetzt haben wir also doch noch eine Lesart gefunden.

79. Es mag als Beispiel hier genügen, wie mit Fremdsprachlichkeit, zumeist fiktiver, im achten Buch Mose gespielt wird, einem jüdisch inspirierten Zaubertext, den ein Leidener Papyrus aus dem Jahre 346 n. Chr. in zwei Rezensionen überliefert, vgl. Nr. XIII,1-734 bei Preisendanz: Papyri Graecae Magicae, II, 86-120, beispielsweise Z. 79-84 (S. 91 – Anrufung Gottes in verschiedenen Sprachen, in Tiersprachen, aber auch auf Hebräisch). Wenn Markus in Wunderheilungsgeschichten aramäische Jesusworte überliefert (Mk 5,41; 7,34), dann sorgt er für passendes Kolorit – freilich nur bei seinen griechischsprachigen Lesern, denn in der Welt seiner Erzählung soll sich doch wohl das Jesuswort in seiner Sprachlichkeit doch gar nicht vom Milieukontext unterscheiden.

443

gtvh 08105 / p. 444 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

5. Zur Rezeptionsgeschichte der Hiobseptuaginta Rezeptionsgeschichte sollte nicht nur in Momentaufnahmen bestehen, denn Geschichte ist eine Abfolge mehrerer, aufeinander bezogener Momente. Ob, was gewesen ist, in diesem Sinne überhaupt Geschichte sein kann, bleibt geschichtshermeneutisch anderwärts zu klären, fest steht wohl, daß Gewesenes gerne als Geschichte wahrgenommen wird. Bei der Hiobseptuaginta jedenfalls kann Geschichte erzählt werden; vorausliegende und gleichzeitige hebräische Bibelüberlieferung ist dabei einzubeziehen. Ich beschränke mich auf eine thetische Darstellung von Ereignissequenzen, verzichte also weitgehend auf eine argumentative Begründung: 1. In Hiob 1,17 wird Hiob überfallen; nach dem masoretischen Text sind es Chaldäer. Statt ‫כשׂדים‬, so mt, muß in der hebräischen Vorlage von Hiob 1,17 ‫ פרשים‬gestanden haben; dies kann aus dem Wort ἱππεῖς in Hiob 1,17lxx geschlossen werden. Gemeint waren aber nicht Reiter, sondern Perser, und so konnte sich eine Haggada bilden, derzufolge der Teufel Hiob in Gestalt des Königs der Perser überfallen hat; sie hat sich in Test Hiob 17 niedergeschlagen, was noch zu erörtern sein wird. 80 Der Sinn der alten Variantenbildung besteht wohl in dem, was sie über die Zeit impliziert, in der Hiob lebte. Überfallen ihn Chaldäer, so lebte er zur Zeit des babylonischen Reiches, überfallen ihn Perser, dann zur Zeit des Perserreiches. Im Hintergrund der Lesartenkonkurrenz wird die Weltreichelehre des Danielbuches stehen. Wir befinden uns hier in einem Milieu, das dem Danielbuch nahesteht; nicht notwendig ist dessen Endredaktion vorausgesetzt, denn die von Daniel vertretene Weltreichelehre hat Traditionshintergründe und kann sich schon vor der Endredaktion ausgestaltet haben. Vielleicht ist es sinnvoll, die Lesartenbildung um 200 oder etwas danach anzusetzen, aber das muß hier nicht entschieden werden. 2. Die ursprüngliche Hiobseptuaginta wird nicht sehr viel später entstanden sein, denn schon Alexander Polyhistor (1. Jh. v. Chr.) kennt Aristeas, der wiederum – mittelbar (s. u.) – von der Hiobseptuaginta abhängt. 81 Sie scheint vielfach eine von Hiobmt abweichende Vorlage zu bezeugen, aber auch erheblich zu kürzen (ihr Text wurde später aus der Hexapla supplementiert; gehalten hat sich der ursprüngliche Bestand in der sahidischen und altlateinischen Tradition). 82 In der Rahmengeschichte kürzt sie allerdings kaum (nur ein Stichos in 2,1 und 42,8; ferner 42,16b.17), hat sogar Zusätze, deren einer freilich mit ziemlicher Sicherheit sekundär ist (der weiter unten zu besprechende Anhangs Anhang zur Hiobseptuaginta). Ob auch das Surplusmaterial in der Rede von Hiobs Frau (Hiob 2,9a–e) sekundär zur Hiobseptuaginta hinzugefügt ist, kann hier nicht geklärt werden. 83 Nur daß auch dieser Surplus alt ist, kann als sicher gelten, denn er ist in Test Hiob 24-25 vorausgesetzt. 84 Auf jeden Fall zeigt sich in der Hiobseptuaginta eine Tendenz, biographische Nachrichten über Hiob 80. Vgl. hierzu schon Delcor: Testament de Job, 66 f.; 73. 81. Als Beispiel für eine frühere und sicher verkehrte Datierung der Hiob-Septuaginta (mit interessantem Argumentationsmaterial) vgl. Graetz: Zeitalter, 83-91. 82. Vgl. hierzu Ziegler: Iob; Bickel. 83. Vgl. hierzu die Hinweise von Witte bei Kepper / Witte: Job, 2047-2048. 84. Die Hiobseptuaginta ist hier Vorlage des Test Hiob, nicht umgekehrt, vgl. Dochhorn: Testament Hiobs, 682 f.

444

gtvh 08105 / p. 445 / 31.3.2022

Die Literatur des Zweiten Tempels

eher aufzubewahren oder zu erweitern als zu kürzen, also für wichtig zu halten; mag sie auch dem Übersetzer noch nicht sicher zugeschrieben werden können, so manifestiert sie sich doch deutlich – durch Zusätze – in der frühen Transmissionsgeschichte des Textes. Ein Interesse an der Hiobbiographie war schon mit der Lesartenbildung in Hiob 1,17 erkennbar geworden; es setzt sich also fort. 3. Nur in Hioblxx werden die Informationen über Hiob geboten, die in 42,17a– elxx zu lesen sind. 85 Der Leser soll sie als Nachträge wahrnehmen: Sie beginnen mit zwei Referenzen auf anderwärtig zu Lesendes: Es stehe über Hiob geschrieben, daß er an der Auferstehung teilhaben werde, liest man in Hiob 42,17a, und danach (42,17b) wird auf »das syrische Buch« verwiesen, was immer das ist (ein Targum?). Solche Referenzen schaffen Diskontinuität, wecken die Erwartung von Metatextuellem, und am Ende eines Buches deuten sie einen Nachtrag an. Dies bedeutet nicht zwingend, daß sie auch nachgetragen wurden, eröffnet aber die Möglichkeit dazu. Und das Material, das dann als Inhalt des syrischen Buches folgt, paßt zu dieser Möglichkeit: Es enthält Informationen zur Hiobbiographie, die für den Leser wahrnehmbar als Ergebnis genealogischer Studien ausgewiesen werden, von denen man im Hiobbuch wie auch seiner Septuagintaübersetzung bisher nichts gemerkt hat. Die Kernidee dieser Nachrichten ist die Identifikation von Hiob als Edomiter: Er ist identisch mit dem edomitischen König Jobab, der in Gen 36,33 erwähnt wird. Dieser ist dort – im hebräischen Text – Sohn des ‫זרח‬, und dieser Name wiederum begegnet in Gen 36,13.17, wo ‫ זרח‬Sohn des Raguel und dieser wiederum Sohn Esaus ist. Kombiniert man diese Angaben, dann kommt man auf genau die Information, die uns Hiob 42,17clxx bietet, nämlich, daß Iobab bzw. Hiob der fünfte nach Abraham war (Isaak > Esau > Raguel > Zæraḥ > Jobab). Die Spur zu alledem wird uns gelegt, indem in Hiob 42,17d ausführlich Material aus Gen 36,31-35 zitiert wird, womit die Quelle angedeutet ist. Zu beachten ist, daß man auf all das nicht so sehr mit der Septuaginta der Genesis kommt als vielmehr mit deren hebräischer Textüberlieferung: Nur in Gen 36,13.17. 33mt gibt es die alles entscheidende Namensübereinstimmung, während die Septuagintaversion hier Ζαρε und dort Ζαρα hat, kein großer Unterschied, aber eben doch so groß, daß jedenfalls die Variantenbildung im Laufe der Textgeschichte der Septuaginta nicht auf eine Anähnelung beider Namensformen hinauslief, sondern auf eine noch viel stärkere Differenzierung. 86 Wir haben hier etwas vorliegen, das wir auch sonst beobachten konnten: Geschrieben wird auf Griechisch, aber exegetische Arbeit erfolgt an hebräischer Textüberlieferung. Derjenige, der die Arbeit vorgenommen hat, muß nicht der Autor des Zusatzes sein; der Zusatz verweist ja auch einen aramäischen Targum. Dann aber muß übersetzt worden sein, womit wieder polyglotte Schriftgelehrsamkeit aktiviert scheint. Welchen Sinn hat diese gelehrte Arbeit? Zunächst einmal wird uns erneut eine Theorie geboten zur Hiobbiographie, speziell über die historische Epoche, in der er lebte: Es ist die Zeit der Patriarchen, in der wir Hiob zu verorten haben. Ob damit die vorhergehende Debatte, die Perserzeit und Chaldäerzeit gegeneinanderstellte, im85. Zur Auslegung von 42,17a-elxx vgl. Frankl: Zusätze (nur über diesen Text); Yoshiko-Reed: Job as Jobab, 31-55. 86. Vgl. Text und Apparat bei Wevers: Genesis, 341; 343; 348.

445

gtvh 08105 / p. 446 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

plizit zurückgewiesen wird, ist schwer zu beweisen; es ist aber denkbar. Wichtiger ist vermutlich etwas anders, worauf speziell A. Yoshiko Reed hinweist: Hiob als Edomiter zu imaginieren, wird attraktiv in einer Zeit, in der die Edomiter / Idumäer in das jüdische Ethnos integriert wurden, also in der mittleren Makkabäerzeit (unter Johannes Hyrkan). 87 4. Von Hiob 1-2lxx und den Nachträgen in Hiob 42,17a–e ist Aristeas abhängig, den Euseb zufolge Alexander Polyhistor exzerpiert hatte (vgl. Praep Ev IX,25,4). 88 Wir könnten uns immer noch im 2. Jh. v. Chr. befinden. Aristeas verändert seiner Quelle gegenüber nicht viel: In der Hauptsache transponiert er das genealogische Material dahin, wo man es eher erwarten würde, nämlich in die ersten Passagen seines Hiobberichtes, und er dünnt es aus, mit der Folge, daß die exegetische Substruktur nicht mehr erkennbar ist. Erst recht verwischen die Konturen damit, daß er Hiob = Jobab zu einem (direkten?) Sohn Esaus macht. Textverderbnis oder ein Exzerptorenfehler kann natürlich immer vermutet werden, aber der Text des Aristeas-Exzerptes macht ansonsten einen gut leserlichen Eindruck, so daß die Nachlässigkeit vielleicht doch eher auf Seiten des Verfassers Aristeas liegt. Es läßt sich über den inhaltlich eher unprofilierten Aristeas nicht mehr vermelden, als daß sich bei ihm das Interesse am Edomiter Hiob fortsetzt. Eine Kleinigkeit fällt immerhin auf: Geschwüre bekommt Hiob an dem gleichen Tag, an dem er auch ausgeraubt wird; im Griechischen steht αὐθήμερον. Damit wird ein Textmerkmal in der Hiob-Septuaginta umgesetzt, das dort eher irritierend wirkt, nämlich die mehrfach wiederkehrende Wendung ὡς ἡ ἡμέρα αὕτη, die unter anderem in Hiob 2,1lxx erscheint, dem Beginn der Sequenz von der Krankheit Hiobs. Aristeas entnahm dieser Wendung, daß sich die Unglücke Hiobs alle an demselben Tag ereigneten, also Schlag auf Schlag über ihn kamen. Auch im Testament Hiobs begegnet diese Zeitökonomie. 89 Sie verdankt sich einer Fokussierung auf profilierte oder auch störende Textmerkmale in der Septuaginta, eine Interpretationstechnik, die für Haggada nicht untypisch ist und sich hier bei einem Autor, der Historiker gewesen sein mag, ankündigt. Eine Vorgeschichte von Haggada bei jüdischen Historikern hatten wir schon in vorhergehenden Kapiteln wahrnehmen können. 5. Vom Testament Hiobs war soeben schon die Rede. In ihm kommt die exegetische Technik mikrotextueller narrativ-exegetischer Arbeit am Septuagintatext des Hiobbuches zu voller Entfaltung. Zu verorten ist dieses Werk wohl auch in Palästina; in Test Hiob 28,7 läßt es indirekt Palästinaperspektive erkennen. 90 Wie das Test Hiob 87. Vgl. Yoshiko-Reed: Job as Jobab. 88. Vgl. den Text bei Denis: Fragmenta Pseudepigraphorum, 195 f., bei dem ich aber Eusebs Hinweis auf Alexander Polyhistor vermisse, vgl. Mras: Praeparatio Evangelica I-IX, 518. Dieser Hinweis ist allerdings auch nicht ganz eindeutig: Es steht in Praep. ev. IX, 24,1, GCS 43/1, 518 lediglich: Ἄκουε δὲ οἷα καὶ περὶ τοῦ Ἰὼβ ὁ αὐτὸς ἱστορεῖ (»Höre aber, was derselbe dann noch über Hiob sagt«). Statt eines Namens ein Pronomen – mit unklarer Referenz; es bliebt dem Leser überlassen, zu erraten, daß nicht der vorhergehend zitierte Epiker Philo gemeint ist (der anders als Aristeas in Versen schreibt), sondern der in IX, 23,11 GCS 43/1, 516 genannte Alexander Polyhistor, von dem Euseb die im Kontext genannten Autoren bezieht). 89. Vgl. Dochhorn: Testament Hiobs als exegetischer Text, 675-677. 90. Hiob wird dort von seinen Freunden, den Königen als König von Ägypten bezeichnet. Vorher sagt er über sich selbst, er sei vornehmer gewesen als die Leute des Ostens (Test Hiob 28,6), was

446

gtvh 08105 / p. 447 / 31.3.2022

Die Literatur des Zweiten Tempels

mit seiner narrativ-exegetischen Arbeit im Einzelnen vorgeht, habe ich anderenorts gezeigt 91; hier sind vier Momente hervorzuheben: A. Test Hiob setzt die Hiobseptuaginta voraus, allerdings, wie Schaller nachgewiesen hat, zuweilen in einer nach hebräischer Bibelüberlieferung revidierten Form. 92 Hier zeigt sich Nähe zur Arbeit der hebraisierenden Septuagintarevisoren. Affinität von Parabiblizität und Revisionstätigkeit am Bibeltext haben wir auch sonst schon festgestellt, gerade auch im palästinischen Milieu. B. Die narrative Exegese des Test Hiobs dient vor allem einer konsequent satanologischen Interpretation der Rahmenerzählung des Hiobbuches. Der Teufel war in der Hiobüberlieferung schon vorher da (er ist ja geradezu ein Spezifikum der Rahmengeschichte des Hiobbuchs), aber nun wird er konsequent hinter allem verortet, was Hiob wiederfährt. C. Das Interesse an Hiob, dem Edomiter, setzt sich fort, und er bleibt eine Gestalt der Patriarchenzeit. Nun wird er aber konsequent als Proselyt gesehen, der zum wahren Eingottglauben kommt, ein Götzenbild zerstört und eben darum vom Teufel angefeindet wird – mit der Folge, daß die Theodizeeproblematik, die für das ursprüngliche Hiobbuch so typisch war, weitgehend verdrängt wird. D. Exegetisches Wissen über Hiob und die Perser, das man aus der Variantenbildung zu Hiob 1,17 offenbar noch hatte, war für unseren Verfasser zu interessant, als daß er es einfach liegen lassen konnte. Er baute es ein, und zwar indem er seiner satanologischen Hermeneutik entsprechend den Teufel zu einem König der Perser machte. Hiob als Zeitgenosse der Patriarchen, von Persern überfallen? Hier deutet sich eine historische Dissonanz an, die eigentlich stören müßte, aber das interessiert unseren Verfasser nicht: An Geschichtlichem ist ihm nicht eigentlich gelegen, ganz im Gegenteil: Er kann die gröbsten Dissonanzen in der Chronologie ertragen, kann den Edomiter Hiob mal eben schnell zum König Ägyptens machen (Test Hiob 28,7), ohne dies vorzubereiten oder auch weiter auszubauen, gibt Hiobs Söhnen griechische Phantasienamen (Test Hiob 1,3) und stellt als Autor des Hiobtestaments einen Bruder Hiobs dar, der Nereus heißt (Test Hiob 53) – als genügte nicht schon minimales Wissen darüber, was biblische Tradition ist, um zu bemerken, daß ein solcher Name bestimmt nicht historisch sein kann: Spuren, die auf gewollte Nonhistorizität, auf Fiktionalität deuten, sind damit meines Erachtens geradezu überdeutlich gelegt. Und mit der Fiktionalität verbindet sich Desinteresse an narrativer Plausibilität. Wie so oft in den Parabiblica wird nicht anschaulich, sondern lehrhaft, schriftgelehrt erzählt: Atomistische Textwahrnehmung, Beobachtung auffallender Textmerkmale, führt zu Narrationen, die nicht unbedingt zueinander passen.

Hiob 1,3lxx entspricht. Der exegetische Hintergedanke ist: Wenn Hiob vornehmer ist als die Leute des Ostens, muß er vornehmer sein als die Könige (aus dem Osten), die ihn besuchen; also muß er jemand im Westen sein, der höher steht als sie, eben der König von ganz Ägypten. Geographische Bezugsgröße (die ungenannte Mitte) ist Palästina; von dieser geht der Autor hier ganz selbstverständlich aus. 91. Vgl. Dochhorn: Testament Hiobs als exegetischer Text. 92. Vgl. Anm. 2.

447

gtvh 08105 / p. 448 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

Aber was soll diese Episode vom Teufel als Perserkönig, für die erst einmal mühevoll nachgewiesen werden mußte, daß sie nicht stört? Meines Erachtens liegt ihr Reiz in einer Analogie: Es gab auch einen anderen Edomiter, der durch einen Perser(= Parther-) König bedrängt wurde und dabei – zunächst – alles verlor, nämlich Herodes (in den Jahren 41-37 v. Chr.). 93 Erneut ist also Hiob, der Edomiter, interessant, und erneut mit Hinblick auf Zeitgeschichte. Auch nach der durch die Makkabäer betriebenen Assimiliation der Edomiter war das Thema, daß die Edomiter zu den Juden gekommen sind und damit eben gerade nicht ursprünglich zu ihnen gehörten, aktuell, nämlich mit der Person des Herodes, der deswegen angreifbar war. 94 Unsere Episode wird den Leser also anhalten, an Herodes zu denken. Er kann dann Hiob mit Herodes vergleichen und an der Gestalt Hiobs feststellen, daß sogar ein Idumäer, der ursprünglich noch nicht einmal »Halbjude« war, »dazugehören« kann. Ja, wer sich auf jüdische Religion besinnt, ein Proselyt wird, der kann sogar ein Vorbild für Juden werden. Ob der Verfasser des Hiobtestaments dies für Herodes gelten lassen wollte, soll hier dahingestellt bleiben; explizit sagt er weder positiv noch negativ etwas; er bleibt bei seiner Geschichte. Für die haggadische Methodik relevant ist, daß hier wieder einmal synoptisch gearbeitet wird: Während im Kontext Beobachtungen an der Hiobseptuaginta narrativ umgesetzt werden, arbeitet unser Verfasser hier mit Wissen, das auf hebräischer Bibelüberlieferung zum Hiobbuch basiert. Wir kennen ähnliche Verfahrensweisen schon aus anderen Zusammenhängen, und wir hatten mehrfach Gelegenheit, sie in Palästina anzusetzen. Hiermit ist die Nachzeichnung einer Rezeptionsgeschichte der Hiobseptuaginta im frühen Judentum abgeschlossen, ohne daß damit Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wäre. Wichtig ist mir, daß die Geschichte der Hiobseptuaginta auch die einer Kohabitation mit hebräischer Hiobüberlieferung ist und daß sie mit intensiver haggadischer Arbeit verbunden war, die einen Höhepunkt erreichte in der Zeit des Herodes mit dem Testament Hiobs.

93. Vgl. Noth: Geschichte Israels, 366-369. 94. Vgl. etwa Josephus: Antiquitates XIV, 403, Niese III, 314, wo der von den Parthern unterstützte Makkabäer Antigonus sich abschätzig über Herodes als Halbjuden (ἡμιιουδαῖος) äußert.

448

gtvh 08105 / p. 449 / 31.3.2022

3.1.2 Der Aristeasbrief Mogens Müller Literatur Editionen, Übersetzungen Meisner, Norbert: Aristeasbrief, JSHRZ II/1, Gütersloh 1973 – Pelletier, André: Lettre d’Aristée a Philocrate. Introduction, texte critique, traduction et notes, index comple des mots grecs, SC 89, Paris 1962 – Thackeray, Henry St. J.: The Letter of Aristeas. Appendix in Henry Barclay Swete: An Introduction to the Old Testament in Greek. Revised by Richard Rusden Ottley. 2. ed., Cambridge 1914, 531-606 – Wendland, Paul: Aristeae ad Philocratem epistvla cvm ceteris de origine versionis LXX interpretum testimoniis, Leipzig 1900.

Weitere Literatur Feldmeier, Reinhard: Weise hinter »eisernen Mauern«. Tora und jüdisches Selbstverständnis zwischen Akkulturation und Absonderung im Aristeasbrief, in: Martin Hengel / Anna Maria Schwemer (ed.), Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum, WUNT 72, Tübingen 1994, 20-37 – Hacham, Noah: The Letter of Aristeas: A New Exodus Story? JSJ 36 (2005), 2-20 – Honigman, Sylvie: The Septuagint and Homeric Scholarship in Alexandria, London 2003 – Kreuzer, Siegfried: Entstehung und Publikation der Septuaginta im Horizont frühptolemäischer Bildungs- und Kulturpolitik, in: ders. / Jürgen Peter Lesch (ed.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, Band 2, BWANT 161, Stuttgart 2004, 61-75 – Meecham, Henry G.: The Letter of Aristeas. A Linguistic Study with Special Reference to the Greek Bible, Manchester 1935 – Müller, Karlheinz: Art. Aristeasbrief, TRE 3 (1978), 719-725 – Müller, Mogens: Josephus und die Septuaginta, in: Wolfgang Kraus / Martin Karrer (ed.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 638-654 – Müller, Mogens: Motive der Septuaginta bei Aristobul und ihre Intention, in: Siegfried Kreuzer / Martin Meiser / Marcus Sigismund (ed.), Die Septuaginta – Orte und Intentionen, WUNT 361, Tübingen 2016, 717-730 – Murray, Oswyn: Aristeasbrief, RAC Supplement – Band 1 (2001 [1981]), 573-587 – Murray, Oswyn: The Letter of Aristeas, in: Biagio Virgilio (ed.), Studi ellenistici II, Pisa 1987, 15-29 – Orlinsky, Harry: The Septuagint as Holy Writ and the Philosophy of the Translators. HUCA 46 (1975), 89-114 – Scott, Ian W.: Revelation and Human Artefact: The Inspiration of the Pentateuch in the Book of Aristeas, JSJ 41 (2010), 1-28 – Tcherikover, Victor: The Ideology of the Letter of Aristeas, HTR 51 (1958), 59-85 – Walter, Nikolaus: Thoraausleger Aristobulus, TU 86, Berlin 1964 – Wright III, Benjamin G.: The Letter of Aristeas. ›Aristeas to Philocrates‹ or ›On the Translation of the Law of the Jews‹, CEJL, Berlin 2015 – Zuntz, Günther: Aristeas Studies II: Aristeas on the Translation of the Torah, JSS 4 (1959), 109-126, wiederabgedruckt in: Sidney Jellicoe: Studies in the Septuagint, New York 1974, 208-225.

449

gtvh 08105 / p. 450 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

1. Einleitung Heute herrscht ein gewisser Konsens, den Aristeasbrief 1 in die letzte Hälfte des 2. Jh. v. Chr. zu datieren. 2 Zu dieser Zeit waren zwar fast alle Schriften des späteren hebräischen Alten Testament ins Griechische übersetzt. Weil der Aristeasbrief dennoch allein von der Übersetzung des Pentateuchs handelt, und zwar ausdrücklich als Gesetz, schließt die Erzählung selbst aus, dass wir auch von der Übersetzung der übrigen Bücher hören. Der »Heide« Aristeas weiß davon augenscheinlich nichts. Und so erfährt der Leser/die Leserin auch nicht, dass die jüdische Sammlung von heiligen Schriften auch – wie im Prolog des Sirachbuches ausgedruckt wird – so etwas wie »die Propheten und die anderen Bücher, so uns von unseren Vätern hinterlassen sind«, umfasst. War die Forschung früher geneigt, das Romanartige, d. h. die historische Unzuverlässigkeit des Aristeasbriefes hervorzuheben, gehen die Interpretationsbestrebungen in den letzten Jahrzehnten immer mehr in die Richtung, es als ein ernst gemeintes Geschichtsbuch zu verstehen. Der Verfasser selbst benennt es als διήγησις (1; 8; 322). 3 Er zeigt nicht größere Freiheit als andere Geschichtsschreiber in dieser Epoche, Personen, Begebenheiten, Reden usw. aufzufinden, um sein Bild der Vorzeit für seine Lesern/innen wirksam zu machen (siehe weiter unten). Der Verfasser scheint das überlieferte Aristobul-Fragment (Fragment 3) über die Entstehung der PentateuchÜbersetzung während Ptolemaios II Philadelphos auf der Initiative des Demetrios zu kennen. 4 Im Übrigen sind wir im Unklaren, welche mögliche mündliche oder (anderen) schriftliche Traditionen ihm sonst zugänglich waren. Dass solche aber tatsächlich existierten, muss als wahrscheinlich gelten. Heute geht die Tendenz zudem in die Richtung, die Entstehung des griechischen Pentateuchs faktisch in die erste Hälfte des 3. Jh. anzusetzen und sie auch in eine – gewiss nicht ganz so nahe –Verbindung mit Ptolemaios II Philadelphos und der Bibliothek in Alexandria zu setzen. 5 1.

2.

3.

4.

5.

Der Titel Aristeasbrief ist insofern irreführend, dass es kein Brief ist. Dieser Bezeichnung taucht auch erst im 14. Jh. auf. Josephus liefert den ältesten bekannten Hinweis (siehe unten), und er spricht von »Aristeas’ kleinem Buch«. Die Bezeichnung Pseudo-Aristeas ist auch schief, denn sie setzt voraus, dass der anonyme gewiss jüdische Verfasser sich mit einem bekannten Aristeas identifiziert und nicht mit einem sonst unbekannten höheren Beamten des ptolemäischen Hofes. Die Pseudepigraphie des Aristeas wurde erst im 16. Jh. erkannt; siehe oben S. 18 Anm. 6. Siehe z. B. Meisner: Aristeasbrief, 42-43; Karlheinz Müller: Aristeasbrief, 724; Murray: Aristeasbrief, 574; Honigman, The Septuagint and Homeric Scholarship: 11; 119-143, und die Diskussion in Wright III: The Letter of Aristeas, 21-30. Dieses Werk ist der bis heute ausführlichste Kommentar zu diesem Pseudepigraph. So hebt der Verfasser selbst in 322 hervor, dass seine διήγησις sich von τὰ τῶν μυθολόγων βιβλία unterscheidet. Διήγησις ist ja auch, als was der Verfasser des lukanischen Doppelwerkes seine Darstellung benennt, und Murray: Aristeasbrief, 584, behauptet übrigens, dass er damit Kenntnis dieses Schrift verrät – als der früheste christliche Autor. Ich nehme an, dass der Verfasser auf Aristobul aufbaut, nicht umgekehrt, auch nicht, dass sie beide von einer anderen gemeinsamen Quelle abhängig sind. Siehe hierzu Mogens Müller: Motive der Septuaginta, 722. Während z. B. Walter: Thoraausleger Aristobulus, 102 f., obwohl zögerlich, mit dieser Möglichkeit rechnet, wird jede Abhängigkeit zwischen den zwei von Wright, Letter of Aristeas, 28-30, als »not likely« abgewiesen. Siehe z. B. die Diskussion in Kreuzer: Entstehung, 61-75, der auf den durch die Bibliothek geschaffenen kulturellen Kontext verweist.

450

gtvh 08105 / p. 451 / 31.3.2022

Der Aristeasbrief

Obwohl der Verfasser auch vieles Anderes in seiner Darstellung mitteilt, ist das Motiv der Übersetzung des Pentateuchs das übergeordnete. Sylvie Honigman spricht geradeaus von einer »charter myth«, der dem Status der Septuaginta als heiligem Text für die Juden Alexandrias sein Fundament geben will. 6 In Zusammenhang damit wünscht der Verfasser dennoch auch, seine spezielle, stark hellenisierte Ausgabe des Judentums zu legitimieren. Wir können jedoch feststellen, dass es die Erzählung von der Übersetzung in der Rahmengeschichte gewesen ist, die ihr die Popularität und deshalb auch Überlieferung gesichert hat. Das geht hervor aus Philons freier Wiedergabe in seiner Mose-Biographie (De vita Mosis 2.26-44), die auf den Aristeasbrief zurückzugehen scheint und die das Inspirationsmotiv zufügt. Ausgesprochen gilt es für das ausführliche, wenn auch große Parteien auslassende, aber sonst nur leicht redigierende Referat bei Josephus in Antiquitates 12,11-118. 7 Hier befindet sich geradezu ein Hinweis auf das Buch (Ant 12,100: Ἀρισταίου βιβλίον, ὃ συνέγραψε διὰ τοῦτο; vgl. 12,57), das übrigens ohne weiteres als historische Quelle auf gleiche Linie wie die biblischen Bücher ausgewertet wird. Auch bei Philon und Josephus geht es allein um die Übersetzung des Pentateuchs ohne jede Rücksicht auf die übrigen biblischen Bücher, die jedenfalls Josephus, in Contra Apionem 1,37-41, sonst gerne als heilige Bücher des Judentums aufzählt. Ferner kann man feststellen, dass es kaum Spuren dieser übrigen »biblischen« Bücher im Aristeasbrief gibt.

2. Sprache und Zitate Noch mehr überrascht jedoch, dass das Griechische des Aristeasbriefes 8 überhaupt sehr wenig von der Sprache der Pentateuch-Übersetzung beeinflusst ist. Vielmehr spiegelt es durchgehend die literarische Koine der Epoche. 9 Die ausführlichste Einbeziehung, nämlich in 56-71, ist in der Beschreibung des Tisches zu finden, den der König Ptolemaios als Geschenk für den Tempel in Jerusalem verarbeiten lässt, und 6.

7. 8.

9.

Siehe Honigman: Septuagint and Homeric Scholarship, 8: »In our case, the charter myth comes to confirm, or rather, using its own logic, to found, the status of the LXX as a sacred text, in fact the sacred text of the Alexandrian Jews.« Dies wird dann ausführlich ausgeführt in Kap. 3, bes. 38-41. Honigman verweist für diese Vorstellung auf Murray: Aristeasbrief, 576577, zwar in einer späteren englischen Fassung (Murray: The Letter of Aristeas, 18 f.). So spricht Murray: Aristeasbrief, 577, von einer »legendäre Gründungsurkunde für das alex. Judentum in all seinen Aspekten, für seine Gebräuche, seine hl. Schrift u. sein Verhältnis sowohl zu Judäa wie zu den Ptolemäern.« Siehe Mogens Müller: Josephus und die Septuaginta, 641-645. Die Textausgabe von Thackeray: The Letter of Aristeas, markiert alle biblischen Zitate/Anspielungen durch Kapitälchen. Die neuere und heute am meisten hervorgezogene Textausgabe, Pelletier: Lettre d’Aristée a Philocrate, enthält dafür – wie es auch aus dem Titel hervorgeht – ein komplettes Wortverzeichnis. Damit ersetzt sie die Ausgabe von Wendland: Aristeae ad Philocratem epistvla, die die Arbeit am Text von Ludwig Mendelssohn vollendete, und die auch ein Wortverzeichnis umfasst. Siehe Meecham: The Letter of Aristeas, ins. 312, wo behauptet wird, dass »both the literary and the vernacular Κοινή are represented in his Letter. Nevertheless, his affinities lie with the literary rather than with the spoken Greek of his day.« Vgl. auch 158: »On the whole, Aristeas writes in a good literary style, idiomatic and well-balanced.«

451

gtvh 08105 / p. 452 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

zwar mit Rücksicht auf die Dimensionen nach den Anweisungen, die in Ex 25,23-25 als Befehl, in Ex 37,10-12 wortwörtlich als Beschreibung der Ausführung auftreten. Zwar hat der König erst eine ganz überwältigende Größe überlegt, dennoch wünscht er, in Übereinstimmung mit dem Befehl des (Bibel)-Textes (56: διὰ γραπτῶν) zu sein. Nur spärlich und als verhüllte Zitate und allein im Anfang der Beschreibung der Maße des Tisches treten jedoch kleine Teile des Exodus-Textes auf. 10 Es überrascht nicht, dass diese Teile mit LXX übereinstimmen, die sich hier beträchtlich von MT unterscheidet. Denn wo dieser Schaubrottisch in MT aus Akazienholz hergestellt und erst danach mit feinem Gold überziehen werden soll, wird im LXX Moses befohlen, ihn aus reinem Gold zu herstellen. Übrigens scheint der Verfasser sich über diesen Unterschied ganz im Klaren zu sein, denn – im Zusammenhang eigentlich unnötig – er unterstreicht geradezu, »ich meine also nicht eine Goldauflage auf anderem Material, sondern es war eine massive Metallplatte« (57) 11. Hier scheint der Verfasser gegen den MT zu polemisieren, als ob er mit dessen Wortlaut bekannt war. 12 Der Teil des Befehls in Ex 25,26-28 (vgl. 37,13-15), der die goldenen Ringe und Stangen von Akazienholz für das Herumtragen beschreibt, ist ausgelassen. An diese Stelle tritt eine sehr detaillierte Schilderung der außerordentlich schönen und kostbaren Einzelheiten dieses Tisches (57-82), die im Exodus-Text keine Entsprechung hat. Die kurze Fortsetzung, aber, die Schilderung der verschiedenen Gegenstände, die nach Ex 25,29; 37,16 auf dem Tisch angebracht werden sollten, hat endlich ihre Seitenstücke in die Beschreibung in 73-76 der zwei goldenen und weitere silbernen Mischkrüge, die der König auch ausfertigen ließ. 13 Wo sonst gilt, dass der Aristeasbrief aus dem Pentateuch nicht ausdrücklich zitiert, taucht dennoch in 155 – es geschieht in dem Abschnitt 128-171 als Teil der Belehrung, die der Hohepriester den Gästen gibt, – eine Ausnahme auf. Deren Einleitung lautet: »Deshalb gebietet er [der Gesetzgeber] auch in der Schrift (διὸ παρακαλεύεται καὶ διὰ τῆς γραφῆς ὁ λέγων οὗτως)«. Dann folgt eine Kombination aus Worten aus Dtn 7,18 und 10,21, in der aufgefordert wird: »Gedenke des Herrn, der an dir das Große und 10. Tatsächlich ist die Rezeption des Exodustextes in EpArist 57 f. i. W. auf die Maßangaben begrenzt: πήχεων τὸ μῆκος … ὕψος πήχεος καὶ ἡμίσους, dem Material: χρυσίου δοκίμου, aber auch Angaben zur Ornamentik werden aufgenommen: στεφάνην … παλαιστιαίαν κυκλόθεν … κυμάτι στρεπτά. 11. Hier und im Folgenden wird in Zitaten aus dem Aristeasbrief die Übersetzung von Meisner: Aristeasbrief, benutzt. 12. Ob dieser polemische Hinweis genügt für die Feststellung von Meecham: Letter of Aristeas, 314: »Now Aristeas almost certainly knew the O.T. in the original language, since at one point he follows a reading in the LXX as against the Hebrew«, nämlich in § 57, ist dennoch zweifelhaft. 13. Jedenfalls für einen modernen Leser überraschend nimmt Josephus das Meiste von dieser Beschreibung der verschwenderischen Gaben des Königs an den Jerusalemer Tempel in seine Wiedergabe mit auf. Siehe Mogens Müller: Josephus und die Septuaginta, 641 f. Josephus gibt selbst (Ant XII, 59) die Begründung, dass die Vornehmheit des Geschenkes »einem Begriff von dem Schönheitssinne und der Hochherzigkeit des Königs geben kann.« Damit trifft Josephus, was auch ein Hauptmotiv des Pseudo-Aristeas zu sein scheint, nämlich die Bewunderung des Judentums seitens eines heidnischen Königs.

452

gtvh 08105 / p. 453 / 31.3.2022

Der Aristeasbrief

Wunderbare getan hat … groß und herrlich (μνείᾳ μνησθήσῃ κυρίου τοῦ ποιήσαντος ἔν σοι τὰ μεγάλα καὶ θαυμαστά … μεγάλα καὶ ἔνδοξα).« Auch in dem großen Abschnitt 187-292 mit den sieben Tischgesprächen zwischen dem König und den eingeladenen Übersetzern begegnet 228-229 einmal eine deutliche Erinnerung an die Schrift, nämlich anlässlich der Frage des Königs, wem man dankbar sein muss. Die Antwort lautet: »Auf jeden Fall den Eltern, denn auch Gott hat über die Ehrung der Eltern ein sehr wichtiges Gebot (ἐντολὴν μεγίστην) erlassen.« Das ist ein klarer Hinweis auf das fünfte Gebot in Ex 20,12 und Dtn 5,16; ihr folgt ein nichtmarkiertes Zitat oder eine Anspielung an Dtn 13,7, in dem der Freund unmittelbar danach eingestuft wird, wenn er »dem eigenen Leben gleich« (ἴσος τῇ ψυχῇ τὸν φίλον) geachtet wird. Dazu kommen verstreute Hinweise oder Anspielungen wie in 96-99 in der Beschreibung der hohepriesterlichen Kleidung, die terminologisch die Texte in Ex 28-29 spiegelt. 14 Sodann weist die allegorische Auslegung der Reinheitsgesetze in 128-157 insbesondere auf die Bestimmungen in Lev 11 und Dtn 14 hin. Aus der Schrift stammen auch die Rede in 158-159 von den Erinnerungszeichen (Quasten) und den Sprüchen, die auf die Kleider (Num 15,37-41; vgl. Dtn 22,12), auf den Händen (Dtn 6,8) und auf den Toren und Türen anzubringen (Dtn 6,9) sind. Endlich erinnern die Maßnahmen, die § 311 zufolge beschlossen werden, um die hergestellte Übersetzung unverändert zu behalten, an das, was auch in Dtn. 4,1-8 (vgl. 28,15-68) bestimmt wird, obwohl es dort um die Gebote, nicht um den Text geht. Ein eindeutiger Hinweis liegt nicht vor. Sonst verraten allein einzelne Wörter 15 den mit der Bibel Vertrauten Bekanntschaft mit dem Pentateuchtext. 16 14. Aus Ex 28: χιτῶνος (28,4; cf. 21-35), χρυσοῖ ... κώδωνες (28,33-34), ποδήρη (28.4), ῥοΐσκοι (28,33), ζώνην (28,39), τοῦ στήθους (28,23.26), λίθοι δεκαδύο (28,21) ὀνόματα (28,9-10), κίλαριν (28,39), μίτραν (28,36f.), ἐκτυποῦν … πετάλῳ χρυσῷ (28,36). 15. Außer den oben bereits genannte Stellen in 57 f., 96-99 und 155, markiert Thackeray so in seine Textausgabe mit Kapitälchen nur folgende Worte als Zitate/Anspielungen: 87 aus Ex 36,35 (vgl. 28,39): βυσσίνοις χιτῶσιν, 144-147 aus Lev 11,29.22; Dtn 14,18: μυῶν … γαλῆς, 150 aus Lev 11,3 ff. (vgl. Dtn 14,6 ff.): διχηλεύειν, 153: aus Lev 11,3 ff.: πάντα … ὅσα διχηλεῖ … μηρυκισμὸν ἀνάγει, 158-160: aus Dtn 6,7: ἐπὶ τῶν πυλᾶν … ἐπὶ τῶν χειρῶν … περιῆφθαι … καὶ κοιταζομένους καὶ διανισταμένους, 163: aus Lev 11,29: γαλῆς … μυῶν. 16. Was ansonsten als Beispiele von Aussagen angeführt wird, die Bibel-Stellen außerhalb des Pentateuchs zu spiegeln scheinen, kann immer auch auf einen anderen Hintergrund verstanden werden. Das gilt für die Auskunft, dass die Wasserversorgung des Tempels nie versiegt, »da im Innenraum eine natürliche Quelle reichlich Wasser spendet« (89). Denn offenbar entstammt es nicht der Darstellung des Tempels Ezechiels (Ez 47,1), sondern eher Aristoteles’ Vorstellungen in Politica 7,3-4 von der idealen Stadt, die übrigens nicht nur hier im Aristeasbrief ihre Spuren hinterlassen hat (so z. B. Wright, Letter of Aristeas, 37 und, im Kommentarteil, 195-196, wo auch auf Honigmans diesbezügliche Studien hingewiesen wird). Ähnliches gilt mit Hinsicht auf 234, wo wir einen Gedankengang finden, der jedenfalls mit Hos 6,6 verwandt ist, wenn als Antwort auf die Frage: »Was ist das höchste Ruhm?« gesagt wird: »Gott zu ehren! Dies geschieht aber nicht durch Gaben und Opfer, sondern durch die Reinheit der Seele und der frommen Auffassung, wie von Gott alles nach seinem Willen bereitet und verwaltet wird.« Auch hier ist nämlich eine nicht-biblische Quelle möglich. So schlägt Meisner: Aristeasbrief, 75, vor: »Vielleicht folgt Ps.-Aristeas hier einer nichtakademischen Auslegung des 10. Buches der platonischen Gesetze.« Was Reminiszenzen aus 1. Sam. 2,7-8 und Sprüche 3,34 sein könnten, wenn in den Gesprächen der siebenten und letzten Abends in 263 gesagt wird, »Gott vernichtet die Hochmutigen, die Barmherzigen und Demütigen aber erhöht er,« könnte endlich

453

gtvh 08105 / p. 454 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

3. Göttliche Gesetzgebung Der Aristeasbrief präsentiert sich als ein Versuch, den Pentateuch als Ausdruck einer uralten gewiss »göttlichen«, aber auch universellen Gesetzgebung darzustellen, die zudem einen unvergesslichen Eindruck auf einen heidnischen König wie Ptolemaios macht; zweimal verehrt er sie geradezu mit religiösen Gesten (177 und 317). Das kommt erstens indirekt zu Wort in der Beschreibung der Eigenschaften der 72 ausgewählten Übersetzer in 121-122. Denn sie werden hier vorerst als zivilisierte und diplomatisch eingestellte Weltbürger dargestellt, die nicht nur mit der jüdischen, sondern auch mit der griechischen Literatur vertraut sind. Als besonders positiv wird vermerkt, dass »sie sich einer mittleren Haltung – diese ist ja die schönste – befleißigten: Grobheit und Unkultur hatten sie abgelegt, gleichermaßen, aber auch Selbstgefälligkeit und das sich anderen überlegen Dünken überwunden« (siehe auch 32). Eigentlich wird nichts speziell Jüdisches genannt. Zweitens kommt dasselbe zu Tage in der Wiedergabe der durchgeführten allegorischen Auslegung der Reinheitsgesetze, die der Hohepriester den ägyptischen Gästen während ihres Besuches in Jerusalem vorträgt (128-171). Sie handeln alle letztendlich allgemeinmenschlich um moralische Fragen und nicht um etwas besonders Jüdisches. Entsprechend gelten die 72 Antworten der 72 Übersetzer während der sieben Tischgespräche nicht speziell als jüdische Lebensweisheit, sondern als eine Mischung allgemeine populärphilosophischer Lebensweisheit und antiker Peri Basileus-Literatur. 17 Auffallend tritt der Name Moses überhaupt nur einmal auf, und zwar als Gesetzgeber (144). Übereinstimmend mit dem Vorhaben des Bibliothekars, das göttliche Gesetz der Juden dem König zugänglich zu machen, wird der Pentateuch im Aristeasbrief auch durchgehend als Gesetz erwähnt. So heißt er mehrmals einfach Gesetz (νόμος 15; 32; 38; 39; 46; 122; 168; 171; 309; 314; vgl. 3: τοῦ θείου νόμου; 45: τοῦ ἁγίου νόμου; 279: κατακολουθεῖν τοῖς νόμοις). Mehrmals wird auch von Gesetzgebung (νομοθεσία 5; 15; 31; 128; 129; 133; 147; 176; 313) und von Gesetzgeber (νομοθέτης 131; 139; 148; 312; vgl. νομοθετεῖν 240 und auch 144) geredet, und zweimal wird die Bezeichnung νόμινα benutzt (10: τῶν Ἰουδαίων νόμινα; 127: τὰ νόμινα συντηρεῖν). Obwohl der Verfasser diese Gesetzgebung mit aller Hochschätzung umzäunt, setzt er sie nie in direkter Verbindung mit Gott, und so wird Moses auf eine Ebene mit anderen Gesetzgebern gesetzt. 18 Auf diese Weise tritt es auch nicht als etwas besonders Jüdisches hervor, und der Text selbst kommt im Verlauf der Darstellung kaum zu Wort. auch anders erklärt werden. So weist z. B. Meisner, Aristeasbrief zur Stelle (78), auf Diogenes Laertios 1,69 hin. 17. Siehe hierzu den Exkurs Aristeas, Hellenistic Symposia and Peri Basileus Literature, Teil 1 und 2, in Wright: Letter of Aristeas, 327-335 und 424-429, und die dort angeführte Literatur. 18. Siehe hierzu Scott: Revelation and Human Artefact, insb. 14-20. Während z. B. Philon die Gesetzgebung Moses durch göttliche Offenbarung und prophetische Inspiration zur Stande kommen lässt, ist es im Aristeasbrief anders. Scott schreibt (20): »In Eleazar’s account of the Tora, … no one other than Moses is the agent behind Israel’s law« so »that Moses’ activity comes closest to the kind of strictly human brilliance displayed by Solon or Lycurgus. The net result is a depiction of the Law as an entirely human artefact, shaped from beginning to end by Moses alone. God’s involvement is limited to his having gifted the legislator with a prodigious mind.«

454

gtvh 08105 / p. 455 / 31.3.2022

Der Aristeasbrief

4. Neuschreibung In seiner Darstellung bedient der Verfasser sich also durchgehend nicht »biblischer« Quellen, sondern benutzt weitgehend griechische Literatur, die ihm zugänglich war, wie auch die Rhetorik, die ihm durch seine hellenistische Schulung vertraut war. 19 Das gilt z. B. für den Reisebericht in 83-120, der eine Reisebeschreibung bietet, die in weiteren Verlauf auch aus Aristoteles’ Politica, 7. Buch, Elemente in seiner Schilderung Jerusalems als idealer Stadt einbezieht. Ähnliches gilt für die anderen Digressionen. Dennoch scheint die Exodus-Geschichte in gewisser Hinsicht hinter seiner Erzählung zu stehen, so dass es möglich ist von einer Neuschreibung (rewriting) davon zu reden. So hat Honigman auf drei Motive der biblischen Erzählung hingewiesen, die in stark veränderter Gestalt aufgenommen werden. Das gilt erstens für das Motiv der Befreiung der jüdischen Sklaven (12-27), die mit dem Übersetzungsinitiative in Verbindung gebracht wird, und die als ein »non-Exodus«-Motiv bezeichnet werden kann. 20 Zweitens haben die 72 Ältesten ihre Entsprechung in den 70 Ältesten, die Moses zusammen mit Aron, Nadab und Abihu nach Ex 24,1 auf den Berg Sinai mitnehmen soll. Auch in der idealen Stadt in Platos Respublica wohnen übrigens 12 Stämme. Drittens erinnert schließlich die Proklamation des übersetzten Gesetzes in Alexandria in 308-311 an die Szene in Ex 24,3-7.

5. Verfasserintention Mit dem Wenigen, was wir über die Entstehung der Übersetzung des Pentateuchs als Sicheres wissen, scheint es jedoch naheliegend anzunehmen, dass sie am Anfang vorerst als Verstehenshilfe gedacht war. Tatsächlich ist die Wiedergabe erst dann ganz verständlich, wenn man die Vorlage kennt. 21 Ungefähr 150 Jahre später hat aber die Übersetzung die Autorität als vollgültiger Ausdruck des Pentateuchs gewonnen. Und genau diese Autorität wünscht der Verfasser mit seiner Darstellung in die Zeit des Ptolemaios zurückzuverlegen und zu verankern. Manche Ausleger sehen hier auch eine Front gegenüber entweder aufkommender Kritik der herkömmlichen Überset-

19. Siehe hierzu insb. Honigman: Septuagint and Homeric Scholarship, 13-35 et passim, und Wright: Letter of Aristeas, passim. 20. Siehe Honigman: Septuagint and Homeric Scholarship, 56. Siehe zur dieser Thema überhaupt Honigman, 53-63. Vgl. außerdem Hacham: The Letter of Aristeas, passim, und Wright: Letter of Aristeas, 56: »In its briefest form, Aristeas has taken the Exodus story and has rewritten it as a foundation story of the Jews who lives in Alexandria. From Ptolemy II’s freeing of the slaves to the construction of the temple, to the travel to Jerusalem, to the symposia, Ps.-Aristeas rewrites, adapts and inverts parts of the story, which he does without much apparent reliance on the specific textual wording of the Septuagint, thereby converting it into a story expressing/reinforcing Alexandrian Jewish identity.« Dass die Äußerungen Aristobuls über die Entstehung der Übersetzung vielleicht auch für das Projekt des Aristeasbriefes bestimmend gewesen waren, ist schon oben angedeutet. 21. Siehe hierzu wieder Honigman: Septuagint and Homeric Scholarship, 96-98, Wright: Letter of Aristeas, 12-13.

455

gtvh 08105 / p. 456 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

zung, dass sie nicht genau mit dem hebräischen Text übereinstimmt, oder gegenüber anderen Übersetzungen. Es kommt hier dem Verfasser nicht so sehr darauf an, den Inhalt des Pentateuchs zu vermitteln, als durch seine Erzählung zu bekräftigen, dass die Übersetzung nach den höchsten menschlichen Maßstäben zu Stande kam. Teils geschah es auf königliche Initiative und mit königlicher Fürsorge, so dass die Übersetzung auch in Übereinstimmung mit den philologischen Editionsprinzipien erfolgte, die in der Bibliothek Alexandrias angewandt wurden. 22 Teils gab es die Mitwirkung des Hohepriesters, der nicht allein einen autoritative Pentateuch-Handschrift lieferte, sondern auch 72 auf höchstem Niveau befähigten Übersetzer aus Judäa schickte, die nicht nur sklavisch übersetzt, sondern die korrekte Interpretation in ihrer Wiedergabe in einer solchen Weise eingebaut haben, dass der griechische Text des Pentateuch in aller Zukunft so aussehen soll. Alles dient dem Ziel zu versichern, dass dieser Text in nichts hinter dem Hebräischen zurücksteht. 23 Das wird auch dadurch unterstrichen, dass das Resultat nicht nur erst für die jüdische Gemeinde vorgelesen – und von ihr anerkannt – wird, sondern dass die Bibliothek am Ende nicht mehr erwähnt wird. Wir hören nur, dass der König, nachdem die Übersetzung auch ihm vorgelesen worden war, befahl, »die Bücher mit großer Sorgfalt zu behandeln und sie heilig zu halten (συντηρεῖν ἁγνῶς)« (317). So zeichnet der Text auch indirekt ein Bild des Pentateuchs, das diese Gesetzgebung als grundlegend relevant für alle zivilisierten Menschen darstellt. Wohl auch deshalb sucht er dabei auch nicht die Sprache der Septuaginta zu imitieren. Im Gegenteil lässt für den Verfasser sein hellenistischer Aristeas sozusagen die Qualität der Sprache der Septuaginta und ihr hohes literarische Niveau garantieren. Reinhard Feldmeier hat auf die doppelte Absicht dieses Verfassers aufmerksam gemacht. 24 Teils hebt er durch den Mund des Hohenpriesters hervor (139), dass, als »der Gesetzgeber als Weiser, der von Gott zur Erkenntnis aller Dinge befähigt wurde«, die Gefahr der heidnischen Vielgötterei erkannte, er uns »umgab … mit undurchdringlichen Wällen und eisernen Mauern, damit wir uns mit keinem der anderen Völkern irgendwie vermischen, (sondern) rein an Leib und Seele bleiben und – befreit von den törichten Lehren – den einzigen und gewaltigen Gott überall in der ganzen Schöpfung verehren.« Teils lässt er – wie wir gesehen haben – denselben Hohepriester die Reinheitsgebote als letztendlich »wegen der Wahrheit und um auf die richtige Einstellung hinzuweisen« (161) gegeben werden. Und diese Interpretation stellt er nicht als etwas Hinzugekommenes dar, sondern als auch ursprünglich von dem Gesetzgeber intendiert. Ausgelegt in dieser Weise enthalten die Gebote auch eine Weisheit, die von den Verständigen unter den Heiden anerkannt werden kann. So wird ja nicht nur der Inhalt des göttlichen Gesetzes von dem König verehrt und hochgeschätzt, vielmehr wird auch die Weisheit der 72 sowohl von dem König als auch seinen Hof22. Auf diesen Aspekt aufmerksam gemacht hat erstmals Zuntz: Aristeas Studies II, insb. 215-222. Seither ist er z. B. von Murray: Aristeas, 578 f., aufgegriffen. Eine ausführliche Analyse liefert Honigman: Septuagint and Homeric Scholarship, insb. 130-136. In den Kommentar von Wright ist diese Ansicht grundlegend geworden. 23. Dies wurde bereits hervorgehoben von Orlinsky: The Septuagint as Holy Writ, insb. 97: »It [the Septuagint] was, simply put, no less divinely inspired than the Hebrew original of Moses.« Siehe auch Wright: Letter of Aristeas, 71. 24. Siehe Feldmeier: Weise hinter »eisernen Mauern«, passim.

456

gtvh 08105 / p. 457 / 31.3.2022

Der Aristeasbrief

philosophen bewundert (siehe 200-202). Recht verstanden ist die jüdische Gesetzgebung nicht im Gegensatz zur heidnischen Weisheit, denn alle richtige Weisheit stammt aus einer göttlichen Quelle. Wie Feldmeier es ausdrückt: »Der ideale Grieche ist sozusagen ein ›anonymer Jude‹, wie umgekehrt der gebildete Jude das hellenistische Menschheitsideal verkörpert.« 25 Eine solche Argumentation ist selbstverständlich am besten als apologetisch vor allem nach innen zu verstehen. 26

25. Feldmeier: Weise hinter »eisernen Mauern«, 26 (Hervorhebung R. F.). Vgl. Wright: Letter of Aristeas, 72: Der Verfasser »portrays Alexandrian Jews as the best of all Greeks, not better than but the finest.« 26. Siehe Feldmeier: Weise hinter »eisernen Mauern«, 34: »Der Aristeasbrief ist eine auch nach innen gerichtete Apologie, sein Ziel ist hier die Vergewisserung der eigenen Identität durch eine zeitgemäße Interpretation der Tora.« Und weiter S. 36, wo es von der Bemühungen des PseudoAristeas heißt, dass das Ergebnis ist »eine Synthese, die sich griechischem Denken weit öffnet und zugleich die eigenen Wurzeln in der Tora nicht preisgibt, sondern diese allem Assimilierungsdruck zum Trotz ganz zentral in den Mittelpunkt des jüdischen Selbstverständnis rückt.« (Kursive des Verfassers). Siehe aber auch früher Tcherikover: The Ideology of the Letter of Aristeas, 71: »Judaism is a combination of a universal philosophy with the idea of monotheism.« Weiter Wright: Letter of Aristeas, 19: »By writing in the voice of a Gentile narrator, our author reassures his educated Jewish co-ethnics/religionists that the Gentiles who occupy the upper strata of Hellenistic Alexandrian society understand and accept Jews as Jews.« Vgl. 319.

457

gtvh 08105 / p. 458 / 31.3.2022

3.1.3 Philon von Alexandria Jutta Leonhardt-Balzer Literatur Texte und Editionen Harl, Marguerite: La Bible d’Alexandrie. I. La Genèse, Paris 1986 – Tov, Emmanuel: The Greek Minor Prophets Scroll from Nahal Hever (8ḤevXIIgr), DJD 8, Oxford 1990 – Rahlfs, Alfred / Hanhart, Robert (ed.): Septuaginta editio altera, Stuttgart 2006 – Wevers, John William / Quast, Udo (ed.): Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum Auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis editum, Göttingen 1974-1991 (Genesis 1974, Exodus 1991, Leviticus 1986, Numeri 1982, Deuteronomium 1977). Cohn, Leopold: Philonis Alexandrini opera quae supersunt. Vol. 1, Berlin 1896 – Cohn, Leopold / Heinemann, Isaak / Adler, Maximilian / Theiler, Willy (ed.): Philo von Alexandrien. Die Werke in deutscher Übersetzung, 7 Bände, Breslau, Berlin: de Gruyter, 1909-1938, 1964 (Bd. 7)

Weitere Literatur Amir, Yehoshua: La letteratura giudeo-ellenistica. La versione dei LXX, Filone e Giuseppe Flavio, in: Sergio J. Sierra (ed.), La letteratura ebraica delle scritture, La Bibbia nella storia 18, Bologna, 1995, 21996, 31-58 – Arnaldez, Roger: L’influence de la traduction des Septante sur le Commentaire de Philon, in: Raymond Kuntzmann / Jacques Schlosser (ed.), Études sur le Judaïsme hellénistique. Congrès de Strasbourg (1983), LeDiv 119, Paris 1984, 251-266 – Barthélemy, Dominique: Est-ce Hoshaya Rabba qui censura le ›Commentaire Allégorique‹ ? A partir des retouches faites aux citations bibliques, étude sur la tradition textuelle du Commentaire Allégorique de Philon, in: Roger Arnaldez / Claude Mondésert / Jean Pouillou (ed.), Philon d’Alexandrie. Actes du colloque national Lyon 11-15 Septembre 1966. Colloques nationaux du Centre National de la Recherche Scientifique, Paris: Editions du centre national de la recherche scientifique, 1967, 45-78, Nachdruck in: ders., Études d’histoire du texte de l’ancien testament, OBO 21, Göttingen 1978, 140-173, mit zus. Anm. S. 390 f. – Begg, Christopher T.: Angels in the Work of Josephus, in: Friedrich V. Reiterer / Tobias Nicklas / Karin Schöpflin, Deuterocanonical and Cognate Literature. Yearbook 2007. Angels. The Concept of Celestial Beings – Origins, Development and Reception, Berlin 2007, 525-535 – Belkin, Samuel: ‫ותשובות של בראשית‬ ‫[ ושמות לפילון האלכסנדרוני ויחסו למדרש הארץ־ישראלי מדרש שאלות‬Philo von Alexandriens ›Quaestiones et solutiones‹ zu Genesis und Exodus und ihre Beziehung zum palästinischen Midrasch], Horeb 14-15 (1960), 1-74 – Berger, Klaus: Das Buch der Jubiläen, JSHRZ 2.3, Gütersloh 1981 – Bogaert, Pierre-Maurice: Septante et versions grecques, in: Jacques Briend / Édouard Cothenet (ed.), Supplément au Dictionnaire de la Bible 68, Paris 1993, 536-692 – Brock, Sebastian P.: To Revise or not to Revise. Attitudes to Jewish Biblical Interpretation, in: George J. Brooke / Barnabas Lindars (ed.), Septuagint, Scrolls and Cognate Writings. Papers Presented to the International Symposium on the Septuagint and Its Relations to the Dead Sea Scrolls and Other Writings, Manchester 1990, Septuagint, Scrolls and Cognate Writings 33, Atlanta 1992, 301-338 – Cohen, Naomi G.: Philo’s Scriptures. Citations from the Prophets and Writings. Evidence for a Haftarah Cycle in Second Temple Judaism, JSJ.Suppl 123, Leiden 2007 – Cohn, Leopold / Wendland, Paul: Zur neuen Philo-Ausgabe. Eine Erwiederung, Philologus 59 (1900), 521-536 – Dillon, John: The Formal Structure of Philo’s Allegorical Exegesis, in: David Win-

458

gtvh 08105 / p. 459 / 31.3.2022

Philon von Alexandria

ston / John Dillon (ed.), Two Treatises of Philo of Alexandria. A Commentary on De Gigantibus and Quod Deus Sit Immutabilis, Brown Judaic Studies 25, Chico 1983, 77-87 – Dillon, John: Philo’s Doctrine of Angels, in: David Winston / John Dillon (ed.), Two Treatises of Philo of Alexandria. A Commentary on De Gigantibus and Quod Deus Sit Immutabilis, Brown Judaic Studies 25, Chico 1983, 197-205 – Dines, Jennifer M.: The Septuagint, Understanding the Bible and Its World, London 2005 – Fuller, Russell E.: ›Minor Prophets‹, in: Lawrence H. Schiffman / James C. Vanderkam (ed.), Encyclopedia of the Dead Sea Scrolls, Bd. 1, Oxford 2000, 554-557 – Goodenough, Erwin R. / Goodhardt, Howard L.: General bibliography of Philo, in: Erwin R. Goodenough, The Politics of Philo Judaeus. Practice and Theory, New Haven 1938; Nachdr. Hildesheim 1967, 127-328 – Gooding, David W., Nikiprowetzky, Valentin: Philo’s Bible in the De Gigantibus and Quod Deus sit immutabilis, in: David Winston / John Dillon (ed.), Two Treatises of Philo of Alexandria. A Commentary on De Gigantibus and Quod Deus Sit Immutabilis, Brown Judaic Studies 25, Chico 1983, 89-125 – Hadas-Lebel, Mireille: Philo of Alexandria. A Thinker in the Jewish Diaspora, Studies in Philo of Alexandria 7, Leiden 2012 – Harl, Marguerite / Dorival, Gilles / Munnich, Olivier: La Bible grecque des Septante. Du Judaïsme hellénistique au christianisme ancient, Initiations au christianisme ancient, Paris 1988 – Howard, George: The ›Aberrant‹ Text of Philo’s Quotations Reconsidered, HUCA 44 (1973), 197-211 – Inowlocki, Sabrina: Un ›mélange de langues‹ dans le tour de Babel?: Le choix du terme σύγχυσις pour traduire la ›confusion‹ des langues (Genèse 11:1-9), Revue de philosophie ancienne 25 (2007), 61-79 – Kahle, Paul Ernst: The Cairo Geniza, Oxford 2 1959 – Karrer, Martin / Kraus, Wolfgang (ed.): Septuaginta Deutsch – Erläuterungen und Kommentare. Band 1: Genesis bis 4. Makkabäer, Stuttgart 2011 – Katz, Peter: Notes on the Septuagint. II. A Fresh Aquila Fragment Recovered from Philo, JThS 47 (1946), 31-33 – Katz, Peter: Das Problem des Urtextes der Septuaginta, ThZ 5 (1949), 1-24 – Katz, Peter: Philo’s Bible. The aberrant text of Bible quotations in some Philonic writings and its place in the textual history of the Greek Bible, Cambridge: Cambridge University Press, 1950 – Katz, Peter: P. Katz, Frühe hebraisierende Rezensionen der Septuaginta und die Hexapla, ZAW 69 (1957), 77-84 – Katz, Peter: Justin’s Old Testament Quotations and the Greek Dodekapropheton Scroll, Studia Patristica 1/ TU 63 (1957), 343-353 – Kraft, Robert A.: Philo’s Bible Revisited. The ›Aberrant texts‹ and their Quotations of Moses, in: Florentino García Martínez / Marc Vervenne (ed.), Interpreting Translation. Studies on the LXX and Ezekiel in Honour of Johann Lust, BEThL 192, Leuven 2005, 237-253 – Kraus, Wolfgang / Karrer, Martin (ed.): Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, Stuttgart 2009 – Leonhardt, Jutta: Jewish Worship in Philo of Alexandria, TSAJ 84, Tübingen 2001 – LeonhardtBalzer, Jutta: Philo und die Septuaginta, in: Wolfgang Kraus / Martin Karrer / Martin Meiser (ed.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 623637 – Levison, John R.: The Spirit in First Century Judaism, AGJU 29, Leiden 1997 – Martin, Dale B.: When Did Angels Become Demons?, JBL 129 (2010), 657-677 – Nestle, Erwin: Zur Rekonstruktion der Septuaginta, Philologus 58 (1899), 121-131 – Nestle, Erwin: Zur neuen Philo-Ausgabe, Philologus 59 (1900), 256-271 – Nestle, Erwin: Zur neuen Philo-Ausgabe. Eine Replik, Philologus 60 (1901), 271-276 – Niehoff, Maren R.: Jewish Exegesis and Homeric Scholarship in Alexandria, Cambridge 2011 – Nikiprowetzky, Valentin: Sur une lecture démonologique de Philon d’Alexandrie, De gigantibus 6-18, in: Gerard Nahon, Charles Touati (ed.), Hommage à Georges Vajda. Études d’histoire et de pensée juives, Louvain 1980, 43-71 – Nikiprowetzky, Valentin: L’Exégèse de Philon d’Alexandrie dans le De Gigantibus et le Quod Deus, in: David Winston / John Dillon (ed.), Two Treatises of Philo of Alexandria. A Commentary on De Gigantibus and Quod Deus Sit Immutabilis, Brown Judaic Studies 25, Chico 1983, 5-75 – Passoni dell’Acqua, Anna: Upon Philo’s Biblical Text and the Septuagint, in: Francesca Calabi (ed.), Italian Studies on Philo of Alexandria, Studies in Philo of Alexandria and Mediterranean Antiquity 1, Leiden 2003, 25-52 – Possevino, Antonio: Apparatus sacer ad scriptores Veteris et Novi Testamenti, Venice 1603-1606, Coloniae Agrippinae 1608 II, 281-286 – Rod-

459

gtvh 08105 / p. 460 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

ríguez, Merino: La demonología y la angelologia en los inicios del Imperio. Filón de Alejandría, Helmantica 49 (1998), 267-284 – Royse, James R.: Some Observations on the Biblical Text in Philo’s De Agricultura, SPhA 22 (2010), 111-129 – Runia, David T.: Philo in Early Christian Literature. A Survey, CRINT III 3, Van Gorcum 1993 – Runia, David T.: Philo’s Reading of the Psalms, in: David T. Runia / Gregory E. Sterling (ed.), In the Spirit of Faith. Studies in Philo and Early Christianity in Honor of David Hay [= The Studia Philonica Annual 13 (2001)], Brown Judaic Studies 332, Providence 2001, 102-121 – Siegfried, Carl: Philo und der überlieferte Text der LXX, in: Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie 16 (1873), 217-238, 411-428, 522-540 – Sterling, Gregory E.: A Philosophy according to the Elements of the Cosmos. Colossian Christianity and Philo of Alexandria, in: Carlos Lévy (ed.), Philon d’Alexandrie et le langage de la philosophie, Monothéismes et Philosophie, Turnhout: Brepols, 1998, 349-373 – Sterling, Gregory E.: Which Version of the Greek Bible did Philo Read?, in: Akio Moriya / Gohei Hata (ed.), Pentateuchal Traditions in the Late Second Temple Period. Proceedings of the International Workshop in Tokyo, August 28-31, 2007, JSJ.S 158, Leiden 2012, 89-113 – Steyn, Gert J.: Can We Reconstruct an Early Text Form of the LXX from the Quotations of Philo of Alexandria and the New Testament? Torah Quotations Overlapping between Philo and Galatians as a Test Case, in: Siegfried Kreuzer / Martin Meiser / Marcus Sigismund (ed.), Die Septuagina — Entstehung, Sprache, Geschichte, WUNT 286, Tübingen 2012, 444-464 – Sullivan, Kevin P.: Wrestling with Angels, A Study of the relationship between Angels and Humans in Ancient Jewish Literature and the New Testament, AGJU 55, Leiden 2004 – Uhlig, Siegbert: Das äthiopische Henochbuch, JSHRZ 5.6, Gütersloh 1984 – Ulrich, Eugene: Septuagint, in: Lawrence H. Schiffman / James C. Vanderkam (ed.), Encyclopedia of the Dead Sea Scrolls, Bd. 2, Oxford: Oxford University Press, 2000, 863-868 – Walters, Peter (urspr. Katz): The Text of the Septuagint, ed. David W. Gooding, Cambridge 1973 – Wolff, Christian, Jeremia im Frühjudentum und Urchristentum, TU 118, Berlin 1976.

1. Einleitung Philon lebte in der ersten Hälfte des 1. Jh. n. Chr. in Alexandrien. Seine Familie gehörte zur Oberschicht und hatte Kontakte sowohl zu Herodes Agrippa, dem jüdischen König, als auch zum römischen Kaiserhaus. Philon selbst sah sich schwerpunktmäßig als Gelehrter, der die jüdischen Traditionen in hellenistischer Philosophie zum Ausdruck bringen wollte. Dennoch übernahm er in der Zeit nach dem Pogrom in Alexandrien unter Flaccus die Leitung der Gesandtschaft zum Kaiser Gaius Caligula, um die alexandrinischen Juden vor dem Kaiser zu vertreten. Über diese Mission hinaus ist von seinem Leben nicht viel bekannt. 1 Von seinen Schriften jedoch sind 36 Abhandlungen erhalten. Man teilt Philons Werke in Gesetzesauslegung, allegorischen Kommentar und philosophisch-historische Schriften ein. 2 Somit dient die große Mehrheit der philonischen Schriften ausdrücklich der Thoraauslegung. Insbesondere in seinem allegorischen Kommentar finden sich biblische Zitate. Das Format dieses Kommentars besteht aus dem Zitat (Lemma), das dann anhand einer Fragestellung (quaestio), auf verschiedene Weise, meist zuerst wörtlich, dann in verschiedenen allegorischen Aus-

1. 2.

Zu Philons Leben im alexandrinischen Kontext vgl. Hadas-Lebel: Philo of Alexandria. Diese Einteilung ist heutzutage allgemein anerkannt. Eine Zusammenfassung gibt z. B. Passoni dell’Acqua: Upon Philo’s Biblical Text, 29-31.

460

gtvh 08105 / p. 461 / 31.3.2022

Philon von Alexandria

legungen, interpretiert wird (solutio). 3 Dabei bewegt sich Philon von der Auslegung des Basistextes über eine Reihe von Nebentexten zurück zum Haupttext, bevor er zum nächsten Vers oder der nächsten Frage übergeht. Die Thora wird von Philon auf Griechisch zitiert. Er versucht nur sehr vereinzelt, sich mit hebräischen Worten auseinanderzusetzen. 4 Die Septuaginta war für Philon die maßgebliche Übersetzung. Diese griechische Übersetzung der Thora ist für Philon inspiriert und vollgültig und somit dem hebräischen Original gleichwertig. Philon beschreibt ausführlich die Geschichte, wie die wundersame Übersetzung auf Befehl des ptolemäischen Königs von einem Gremium dafür geladener jüdischer Experten zustande kam (Mos. II, 25-44). 5 Die Legende bezieht sich lediglich auf die Übersetzung des Pentateuchs, nicht der anderen Schriften, und dieser Unterschied spiegelt sich in den von Philon kommentierten Bibeltexten wieder, unter denen die Thora die bei weitem größte Anzahl stellt. 6 Wenn man seinen Bericht über die Entstehung der Septuaginta-Übersetzung mit der älteren Version der Legende im Aristeasbrief vergleicht, zeigt sich, dass bei Philon die göttliche Inspiration der Übersetzung stärker betont wird. 7 Philons Version belegt somit die Entwicklung der Legende der Übersetzung, insbesondere die überragende Bedeutung der Septuaginta für die alexandrinischen Juden des ersten Jahrhunderts. 8 Die meisten neueren Arbeiten zum Thema Philon und die Septuaginta beschränken sich auf die Untersuchung der Legende, 9 und ihre Entwicklung wird in diesem Band ausführlich von Mogens Müller behandelt. Doch damit ist die Bedeutung Philons für das Studium der Septuaginta nicht erschöpft. Über die Beschreibung der Legende hinaus hat Philon auch Bedeutung für die Forschung am Text der Septuaginta selbst, wie auch seiner exegetischen Aufnahme. Seit dem 16.–17. Jh. sind seine zahlreichen Verweise auf die Thora nicht nur als Zitate sondern als Auslegungen der Septuaginta untersucht worden. 10 Diese beiden Aspekte, der Text, auf den sich Philon in seinen Kommentaren beruft, und die Auslegungen, die 3. Zu Philons allegorischem Kommentar und seiner Struktur, vgl. Nikiprowetzky: L’Exégèse de Philon d’Alexandrie, 5-75; Dillon: The Formal Structure of Philo’s Allegorical Exegesis, 77-87; Niehoff: Jewish Exegesis, 133-168. 4. In der früheren Forschung wurde behauptet, Philon sei mit dem hebräischen Text vertraut, vgl. Arnaldez: L’influence de la traduction des Septante, 264-266. Doch lässt sich über ein paar aus Wörterbüchern entnommene Stichwörter hinaus kein konkreter und durchgehender Bezug auf das Hebräische belegen, gelegentlich lehnt Philon sogar die hebräische Bedeutung ab (z. B. dass Gott eine Tat bereuen könnte, in Immut. 21) vgl. Gooding / Nikiprowetzky: Philo’s Bible, 119-122. 5. Vgl. Passoni dell’Acqua: Upon Philo’s Biblical Text, 33-35. 6. Vgl. Passoni dell’Acqua: Upon Philo’s Biblical Text, 3 f. 7. Vgl. Brock: To Revise or not to Revise, 303-309. 8. Z. B. Harl / Dorival / Munnich: La Bible grecque des Septante, 46 f.; Amir: La letteratura giudeo-ellenistica, 31-58. 9. Vgl. Leonhardt-Balzer: Philo und die Septuaginta, 623-637. 10. Possevino: Apparatus sacer ad scriptores Veteris et Novi Testamenti, 281-286. Weitere frühe Arbeiten, hauptsächlich zum Pentateuch, s. Goodenough / Goodhardt: General bibliography of Philo, 246-246; vgl. auch Cohn / Heinemann / Adler / Theiler (ed.): Philo von Alexandria, Bd. 1. Einen Überblick über die Forschung gibt Passoni dell’Acqua: Upon Philo’s Biblical Text, 27-28.

461

gtvh 08105 / p. 462 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

speziell auf der besonderen Textgrundlage der Septuaginta basieren, sollen hier genauer untersucht werden.

2. Philons Textgrundlage Bevor Philon einen Text interpretiert, zitiert er ihn, insbesondere in seinem allegorischen Kommentar. Die meisten Bibelzitate Philons geben einen Text wieder, der dem aus bekannten Septuagintatraditionen bekannten (hier der Kürze halber ›der Septuagintatext‹ genannt) entspricht. 11 Doch enthalten die Schriften Philons auch Varianten verschiedener Art. Grob lassen sich solche Abweichungen in vier Kategorien einteilen: 1. Varianten aufgrund von Philons Sprache und Lehre, 12 2. aufgrund von fehlendem Interesse an Wortgenauigkeit, 13 3. aufgrund eines abweichenden Grundtexts und 4. aufgrund von Fehlern in der Textüberlieferung der philonischen Schriften. 14 Alle vier Punkte sind in der Forschung mehr oder weniger kontrovers diskutiert worden. Grundsätzlich legt Philon eine große Flexibilität im Umgang mit dem Bibeltext an den Tag, vom wortgenauen Zitat über die Paraphrase bis zur bloßen Andeutung. 15 Doch gibt es gerade in bestimmten Textausgaben Philons gehäuft Zitate, die dem Hebräischen näher stehen als dem in der Septuaginta erhaltenen Text. 16 Diese Abweichungen finden sich fast ausschließlich im allegorischen Kommentar. 17 Schon Cohn hat die Nähe dieser Abweichungen zu den Varianten in der Hexapla des Origenes festgestellt, was für das Alter dieser Lesarten spricht. 18 Und sogar schon in der Forschung des 19. Jahrhunderts gab es eine heftige Debatte darum, ob diese hebraisierenden Zitate ursprünglich seien. 19

11. So z. B. die Handschriften MAHG, vgl. Gooding / Nikiprowetzky: Philo’s Bible, bes. 89. 12. Vgl. Katz: Philo’s Bible, 9; A. Passoni dell’Acqua: Upon Philo’s Biblical Text, 45-47. 13. Vgl. dazu z. B. die Theorie, dass manche Abweichungen im Text durch ein Interesse an der Rhythmik der Sprache nach Art der Exagoge des Hesekiel Tragicus verursacht sind, Cohen: Philo’s Scriptures, 29-33; Passoni dell’Acqua: Upon Philo’s Biblical Text, 47. 14. Vgl. die Zusammenfassung von Ryle bei Passoni dell’Acqua: Upon Philo’s Biblical Text, 37. 15. Vgl. Gooding / Nikiprowetzky: Philo’s Bible, 91-125, bes. 105. 16. Die ältere Forschung ging davon aus, dass sich dieser »abweichende Text« auf bestimmte Manuskripte, UF(L), beschränkt, vgl. schon Cohn: Philonis Alexandrini opera quae supersunt. Vol. 1, Berlin 1896, XLIV-XLIX; dann Kahle: Philo’s Quotations from the Bible, in: ders.: The Cairo Geniza, 247-249. Alle für dieses Thema relevanten Textfamilien (MAGHP – UFL) der Schriften Philons stammen aus dem 13.–14. Jh. n. Chr., vgl. Cohn: Philonis Alexandrini opera quae supersunt, vol 1, III-LXX. Einen Überblick der Textverteilung gibt Kraft: Philo’s Bible Revisited, 238-239. Einen Überblick über die verschiedenen Arten der Abweichung, die in der älteren Forschung beschrieben wurden, gibt Passoni dell’Acqua: Upon Philo’s Biblical Text, 36-45. 17. Vgl. Kraft: Philo’s Bible Revisited, 238-239. 18. Cohn: Philonis Alexandrini opera quae supersunt I, XIX-XXVII, XLIX. 19. Z. B. Siegfried: Philo und der überlieferte Text der LXX, passim. Für die Ursprünglichkeit der hebraisierenden Lesarten: Nestle: Zur Rekonstruktion der Septuaginta, 121-131; ders.: Zur neuen Philo-Ausgabe, 256.271; ders.: Zur neuen Philo-Ausgabe. Eine Replik, 271-276. Dagegen:

462

gtvh 08105 / p. 463 / 31.3.2022

Philon von Alexandria

Nun ist beobachtet worden, dass gelegentlich nicht nur der Text, den Philon zitiert von der Septuaginta abweicht, wie es bei der freien Anwendung eines Textes im Rahmen der philonischen Lehre zu erwarten ist, 20 sondern dass es auch Widersprüche zwischen diesen Zitaten und Philons Auslegung gibt und dass gerade diese Zitate hebraisierenden Charakter tragen. 21 Katz hat die Nähe dieses überarbeiteten Textes zu Aquila betont, 22 doch ist diese Aussage als zu einseitig kritisiert worden, 23 und Katz selbst gibt zu, dass die Textgrundlage der abweichenden Texte nicht einheitlich ist. 24 Auch bei den festgestellten Ähnlichkeiten mit der καίγε-Textgruppe in einigen abweichenden Zitaten Philons in den Manuskripten UFL (z. B. Ex 23,20 in Agr. 51) 25 ist der Textgebrauch nicht konsistent. 26 Darüber hinaus lässt sich oft nicht erkennen, welche Textversion Philon benützt, weil er sie auch frei abwandeln kann. 27 Für das Gesamtwerk Philons lässt sich somit kein konsistenter Text für die abweichenden Zitate rekonstruieren. 28 Gerade im Blick auf diesen uneinheitlichen Befund stellt sich die Frage, an welchem Punkt der Überlieferung diese abweichenden Zitate ihren Weg in Philons Auslegung gefunden haben. Aufgrund der beobachteten Widersprüche zwischen Philons Auslegung und dem Text schwenkte im 20. Jh. der Forschungskonsens dahingehend um, dass die Septuagintazitate Philons nachträglich dem hebräischen Text angepasst worden seien. 29 Man hat nicht nur versucht, die hebraisierenden Abweichungen in Pentateuchzitaten als das Werk eines späteren Redaktors zu erklären, sondern auch diese Person zu identifizieren, erst als ein christlicher, dann als jüdischer Redaktor. 30 Doch erklärt diese Theorie nicht, warum nur einige und nicht alle philonischen Bibelzitate eine solche Überarbeitung erfahren haben. Eine andere Erklärung der unterschiedlichen Textfor-

20.

21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28.

29. 30.

Cohn / Wendland: Zur neuen Philo-Ausgabe, 521-536. Einen Überblick über die ältere Forschung gibt Katz: Philo’s Bible, 125-138. Dieser freie Umgang mit dem Text wird häufig als Erklärung der Abweichungen angegeben, vgl. Passoni dell’Acqua: Upon Philo’s Biblical Text, 45-46, doch auch wenn sich anhand von Philons Umgang mit der Bibel kein zusammenhängender Text rekonstruieren lässt, bedarf die Beobachtung von Widersprüchen in abweichenden Zitaten eine Erklärung. So wird in Congr. 1 die Lesart von Gen 16,1 f. von der Auslegung nicht getragen. Vgl. Katz: Philo’s Bible, 3, 36-37; Howard: The ›Aberrant‹ Text, 197-198, 205. Vgl. Katz: Philo’s Bible, 5-6, 11, 33 f., 116-121; Katz: Notes on the Septuagint. II., 31-33. Vgl. Howard: The ›Aberrant‹ Text, 201. Katz: Philo’s Bible, 95-97. Zu dem Text als Gruppe, nicht als einzelner Text vgl. Dines: The Septuagint, 81-84. Howard: The ›Aberrant‹ Text, 201-203, 208 f. Vgl. Katz: Philo’s Bible, 29-30; 40-43; Howard: The ›Aberrant‹ Text, 207 f. Katz: Das Problem des Urtextes der Septuaginta, 1-24; ders.: Philo’s Bible; Kahle: Philo’s Quotations from the Bible, 247-249; Howard: The ›Aberrant‹ Text of Philo’s Quotations Reconsidered, 197-209; Passoni dell’Acqua: Upon Philo’s Biblical Text, 38-41. Vgl. Katz: Philo’s Bible, z. B. 3, 11, 17; auch Gooding / Nikiprowetzky: Philo’s Bible, 89-90; Passoni dell’Acqua: Upon Philo’s Biblical Text, 41 f. Barthélemy: Est-ce Hoshaya Rabba qui censura le ›Commentaire Allégorique‹ ?, Nachdr., 140-173, mit zus. Anm. S. 390 f.; Passoni dell’Acqua: Upon Philo’s Biblical Text, 42 f.

463

gtvh 08105 / p. 464 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

men liegt immer noch in der Vermutung, dass Philon verschiedene Textgrundlagen verwendet. 31 Die Theorie der nachträglichen Überarbeitung basiert auf zwei Annahmen: erstens, dass die meisten Abweichungen in Philons Text auf einer konkreten Textgrundlage beruhen, 32 und zweitens, dass der Septuagintatext von Anfang an einheitlich war, dass es einen identifizierbaren Grundtext, vielleicht sogar einen Urtext gab, den Philon ausschließlich verwendet habe. Erstere Annahme basiert auf dem Vergleich mit hebräischen und anderen Versionen. Letztere Annahme wird von der Legende gestützt. Doch in Naḥal Ḥever wurden griechische Versionen der Zwölfpropheten schon aus den Jahren 50BCE-50CE gefunden, die einen überarbeiteten, an den hebräischen Text angenäherten Septuagintatext enthalten. 33 Damit ist schon für Philons Zeit die Existenz solcher hebraisierenden Versionen belegt und ein solcher Text wurde auch für andere Teile der Septuaginta beschrieben. 34 Das bedeutet, dass es auch in Philons Umfeld nicht nur die Septuaginta, sondern auch andere Übersetzungen gab. Demgegenüber scheint Philons Betonung der inspirierten und einheitlichen Übersetzung der Thora dafür zu sprechen, dass er andere Versionen ablehnte. 35 Nun stellt sich die Frage: ist es wahrscheinlicher, dass Philon Auslegungstraditionen benutzte, denen eine solche von der Septuaginta abweichende Textform zugrunde lag, oder dass er nachträglich überarbeitet wurde? 36 In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, vorerst den Blick auf die Zitate, die nicht aus der Thora stammen, zu lenken. Diese Zitate sind von N. G. Cohen detailliert untersucht worden. 37 Eine erste mögliche Erklärung für Abweichungen vom Septuagintatext hier wäre, dass Philon nur den Septuagintatext der Thora, nicht jedoch der Propheten und Schriften gekannt habe, doch stimmen die meisten seiner biblischen Zitate außerhalb der Thora mit dem bekannten Septuagintatext überein. 38

31. So wurden zwei verschiedene Versionen von Howard: The ›Aberrant‹ Text, 208, vorgeschlagen; vgl. auch Passoni dell’Acqua: Upon Philo’s Biblical Text, 44 f. 32. So sogar für Auslassungen angenommen von Katz: Philo’s Bible, 108-112. 33. Tov: The Greek Minor Prophets Scroll from Nahal Hever (8ḤevXIIgr); vgl. Ulrich: Septuagint, 863-868; S. auch Fuller: Minor Prophets, 554-557; Brock: To Revise or not to Revise, 302303. Katz und Kahle haben schon 1955 und 1959 die Bedeutung des Zwölfprophetentextes vom Toten Meer für Philons Text erkannt: Katz: Frühe hebraisierende Rezensionen, 77-84; ders., Justin’s Old Testament Quotations, 343-353, basierend auf einem Vortrag von 1955, vgl. Brock: To Revise or not to Revise, 302; Kahle: Philo’s Quotations from the Bible, 246 f. 34. Vgl. Brock: To Revise or not to Revise, 303. 35. Dies wird besonders betont von Brock: To Revise or not to Revise, 303-305. 36. Gelegentlich ist es plausibel, anzunehmen, dass Manuskripte Philons überarbeitet wurden, so bei der logos/nomos Abänderung in Deus 57, Plant 8 und 10, vgl. Kraft: Philo’s Bible Revisited, 241. 37. Cohen: Philo’s Scriptures. 38. Zu Jeremia: Wolff: Jeremia im Frühjudentum und Urchristentum, 152-155; zu den Psalmen: Runia: Philo’s Reading of the Psalms, 102-121. Runia betont mit Recht, dass Philons Psalmenzitate kurz sind, meist mit dem Septuagintatext übereinstimmen (Abweichungen können durch kleinere Erinnerungsfehler erklärt werden) und in seine Auslegung eingebettet sind. Daher schließt er, dass sie nicht auf zugrundeliegenden Auslegungstraditionen beruhen (a. a. O., 113f).

464

gtvh 08105 / p. 465 / 31.3.2022

Philon von Alexandria

Eine bessere Erklärung setzt bei der Beobachtung an, dass die abweichenden Zitate aus den Propheten und Schriften nicht in den Haupt-, sondern in den Nebenzitaten vorkommen. So gibt es in den von Cohen untersuchten Texten aus Conf. 1-62 in Philons Hauptzitaten aus dem Pentateuch keine Abweichungen, sondern in den Subzitaten, die zu dessen Auslegung hinzugezogen werden. 39 Eine nachträgliche Überarbeitung erklärt nicht, weshalb nur die Hilfszitate vom Septuagintatext abweichen. Ein so genau begrenzter Befund passt jedoch zu Philons Gebrauch von Hilfsmitteln, exegetischen Wörterbüchern und Konkordanzen. 40 Wenn diese Theorie zutrifft, hat Philon nicht nur einzelne Begriffe, sondern ganze Auslegungen und mit ihnen auch die ihnen zugrunde liegenden hebraisierenden Texttraditionen übernommen. Insbesondere in den allegorischen Kommentaren und den Quaestiones lässt sich immer wieder beobachten, dass Philon keine Hemmungen hat, unterschiedliche Auslegungs- und Texttraditionen zu verwenden. Gerade in den Quaestiones benützt Philon unterschiedliche Text- und Auslegungstraditionen, die sich nicht unbedingt auf den Septuagintatext beziehen. 41 In Philons Aufnahme lässt sich kein Unterschied in seiner Wertschätzung der jeweiligen Übersetzung erkennen. Die Zitate der hebraisierenden Version sind für ihn nicht weniger inspiriert als die der Septuagintaübersetzung der Thora. In den Thorazitaten ist das Bild komplizierter: so beschränken sich nicht alle abweichenden Zitate auf die Hilfszitate. Dennoch lässt sich die Theorie des Gebrauchs von exegetischen Hilfsmitteln und anderen Auslegungstraditionen auch auf den Pentateuch anwenden. Katz hat eine Liste abweichender Zitate im Zusammenhang seiner Arbeit an der These der nachträglichen hebraisierenden Überarbeitung zusammengestellt, 42 die bis heute nicht durch eine bessere ersetzt worden ist. Von Barthélemy ist Katz’ Ansatz erweitert und vertieft worden. 43 Die Argumentation der beiden ist bis heute weitgehend akzeptiert worden. 44 Doch gibt es auch Probleme mit ihrer These: Katz’ grundlegende Argumentation, die von vorneherein die Möglichkeit der Ursprünglichkeit der hebraisierenden Zitate in UF ausschloss, ist von Howard kritisiert worden, da diese abweichende Lesart gelegentlich nicht nur im Lemma, sondern auch in der Auslegung Philons zu finden ist (z. B. Ex 15,9 in Cher. 74, Num 27,17 in Agr. 44; und Gen 46,20 in Congr. 43). 45 Selbst Katz kann z. B. in Conf. 82 zu Ex 2,22 nur festCohen: Philo’s Scriptures, 92 f. Vgl. Cohen: Philo’s Scriptures, 112-117. Belkin: Philo von Alexandriens ›Quaestiones et solutiones‹, 1-74. Katz: Philo’s Bible, 5-92. Folgende Beobachtungen macht Barthélemy zu den abweichenden Passagen: 1. Gebrauch von Aquila. 2. ›Logos‹ wird gelegentlich durch ›nomos‹ ersetzt. 3. Der ›logos‹ als ›erstgeborener Sohn‹ in Agr. 51 wird ersetzt durch »der Erzengel, dessen Name nicht genannt werden muss«. 4. Der Name ›Jesus‹ wird gelegentlich zu ›Josua‹ abgewandelt. 5. In Som. I wird zehnmal das spezifische »Mose sagt« in einen allgemeineren Ausdruck (»das heilige Wort sagt«) abgewandelt, vgl. Barthélemy: Est-ce Hoshaya Rabba qui censura le ›Commentaire Allégorique‹ ?, 140-173; Runia: Philo in Early Christian Literature, 24 f. 44. Vgl. z. B. Kraft: Philo’s Bible Revisited, 237-253; Runia: Philo in Early Christian Literature, 24 f. 45. Vgl. Howard: The ›Aberrant‹ Text, 199-200. Barthélemy hat zwar Howards These, dass die Abweichungen ursprünglich sein könnten, vehement zurückgewiesen, in ders., Études, 390391, doch reicht die These einer redigierten Teilausgabe von Philons Werken (so Kraft: Philo’s 39. 40. 41. 42. 43.

465

gtvh 08105 / p. 466 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

stellen, dass Philons Text dem Hebräischen näher stand als der Septuaginta: γιώρας … εἰμὶ ἐν γῇ ἀλλοτρίᾳ (»Ich bin ein Fremder im Ausland«). Seine Auslegung lässt nicht erkennen, dass er sich der Septuagintalesart πάροικός εἰμι (»Ich bin ein Fremdling«) bewusst war, die besser zu Philons Ausführungen in 75-82 zu dem Thema παροικεῖν (»für eine kurze Zeit wohnen«) gepasst hätte; somit muss Philon ein dem Hebräischen näher stehenden Text zugrunde gelegen haben. 46 Darüber hinaus findet Katz nicht nur »aberrant texts« in UF, sondern auch in anderen Texttraditionen, 47 z. B. in Plant. 47, zu Ex 15,17-18, wo nur G die Septuagintaversion hat, MUFH dagegen Annäherungen an das Hebräische zeigen. 48 Dazu kommt, dass in Alleg. III, Sobr. und Post., ausschließlich die nach Katz »minderwertige«, »inferior group« erhalten ist. 49 Kraft beobachtet dasselbe Phänomen von »›aberrant‹ Aquila-type texts« in Schriften Philons, für die es nur die UFL-Traditionen gibt, da keine »non-infected texts« identifiziert werden konnten. 50 Im Blick auf den in Plant. 47 beobachteten hebraisierenden Text in MUFH stellt sich die Frage, welche Textgrundlage die anderen Ausgaben in diesen Schriften gehabt hätten. In jedem Fall beinhaltet die Wortwahl »aberrant«, »abweichend« / »irregeleitet« oder »infected«, »infiziert« eine Wertung, die die Komplexität des Textbefundes nicht zur Geltung kommen lässt. Auch wird die behauptete redaktionelle Tätigkeit von den Vertretern dieser Theorie nicht nur in den Zitaten selbst, sondern in ihrer Einleitung gefunden. So argumentiert Kraft am Beispiel von Som. I, dass ein von rabbinischer Sprachpraxis beeinflusster Redaktor immer wieder Ausdrücke wie »Mose sagt« durch »das heilige Wort / der Gesetzgeber sagt«, ersetzt habe. 51 Was diese Abweichungen so auffallend macht, ist, dass sie ausschließlich in Som. I zu beobachten sind. 52 Kraft erklärt diesen erratischen Befund dadurch, dass ein Redaktor lediglich eine Auswahl von Philons Schriften zusammengestellt und überarbeitet habe. Die Regel der lectio difficilior potior (die schwierigere Lesart ist die wahrscheinlichere) verlangt jedoch zumindest die Überlegung, ob hier nicht die ursprüngliche Lesart zu finden ist. Die Begrenztheit der Abweichung auf eine Schrift könnte wiederum durch Philons Gebrauch anderer Auslegungstraditionen erklärt werden. Auf andere Schriften ausgedehnt würde diese Theorie auch das für Kraft und Barthélemy rätselhafte, gelegentliche Vorkommen sol-

46. 47. 48. 49. 50. 51.

52.

Bible Revisited, 240-241) nicht aus, um die erratische Natur der so durch ihn rekonstruierten Redaktion plausibel zu erklären, insbesondere im Blick auf die schon erwähnten von Howard beobachteten »aberrant« Einzelzitate in den anderen, nach Kraft »non-infected« Textausgaben. Vgl. Katz: Philo’s Bible, 73 f. Vgl. Katz: Philo’s Bible, 51-75. Vgl. Katz: Philo’s Bible, 34-36. Vgl. Katz: Philo’s Bible, 75-92. So in Plant., Sobr. und Her., Kraft: Philo’s Bible Revisited, 239. Dabei zeigt sich, dass die rekonstruierte Redaktion nicht konsequent ist, da sich Abweichungen gleicher Art nicht in allen Fällen in den abweichenden Manuskripten finden (z. B. I,34.76.221), doch die gleiche Sprachpraxis sich gelegentlich durch alle Manuskripte zieht (Som. I,53; 164-229); Kraft: Philo’s Bible Revisited, 241-248. Vgl. Kraft: Philo’s Bible Revisited, 246-248, 250-253.

466

gtvh 08105 / p. 467 / 31.3.2022

Philon von Alexandria

cher hebraisierenden Traditionen in Philons Auslegung selbst, nicht nur im Lemma, erklären. 53 Seit den Arbeiten von Katz und Barthélemy ist die textkritische Arbeit an der Septuaginta durch die Veröffentlichung der Göttinger Septuaginta 54 und weiterer, seitdem gefundener Bibelhandschriften 55 bereichert worden. Doch hat sich bisher keine Texttradition – sei sie hebräisch oder griechisch – aus Philons Zeit identifizieren lassen, die Philons Text entspräche. Für die Legum Allegoriae hat A. Passoni dell’Acqua für Gen 2,1-17 und die entsprechenden Hilfstexte 56 eine Untersuchung der Zitate im Blick auf die neueren Textausgaben angestrebt. 57 Sie beobachtet entscheidende Abweichungen in Leg. I 53 (Ex 29,23) und 56 (Gen 2,9), bei denen Philon mit dem masoretischen Text gegen die Septuaginta übereinstimmt, 58 doch bleibt es bei dieser Beobachtung ohne weitere Interpretation oder Erklärung des Sachverhalts. Demgegenüber hat G. Sterling die Hauptzitate in den Legum Allegoriae genauer untersucht. 59 Auf dieser Grundlage findet er einerseits Hinweise auf die von Katz behauptete spätere Überarbeitung einiger Zitate, doch dahinter auch auf die Existenz einer anderen, Philo zugrunde liegenden Textform und stellt die Möglichkeit in den Raum, dass Philo verschiedene Textformen kannte. 60 Ein Vergleich der neutestamentlichen LXX Zitate mit denen Philos ergibt ein ähnliches Bild: es gibt gelegentliche Übereinstimmungen, die die Existenz abweichender Textversionen andeuten, aber der Befund ist nicht eindeutig. 61 Im Blick auf die Vielseitigkeit von Philons Umgang mit der Bibel ist es ohnehin fraglich, ob ein textkritischer Ansatz überhaupt noch Früchte tragen kann. So kümmert sich auch J. R. Royse in der neuesten Untersuchung von Philons Zitaten nicht mehr um den biblischen Text, der De Agricultura zugrunde liegt. 62 Er legt größeren Wert auf Stellen, an denen Philon weder den Septuagintatext wiedergibt, noch einen anderen Text, sondern wo er selbst den Text abwandelt, so z. B. in Agr. 1, wo er Gen 9,20-21 aus stilistischen Gründen ein εἶναι (»sein«) hinzufügt, das sich auch in QG 2,66 findet, und καὶ ἐγυμνώθη (»er war nackt«) weglässt, weil es nicht für seine Auslegung relevant ist. 63 Meist lassen sich diese Änderungen durch stilistische und rheto53. Zu der Problemstellung vgl. Kraft: Philo’s Bible Revisited, 248. 54. Wevers / Quast (ed.): Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum Auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis editum, 1974-1991. 55. Eine Liste neuerer Handschriften findet sich z. B. bei Bogaert: Septante et versions grecques, 536-692. 56. Gen 3,23.29.35; 30.18; 42.36; 49.15; Ex 7,1.20.23; 28,17-18; Lev 19,23; Num 6,9.12; 12,12; Deut 6,21. 57. Vgl. Passoni dell’Acqua: Upon Philo’s Biblical Text, 48-52. 58. Passoni dell’Acqua: Upon Philo’s Biblical Text, 51 f. 59. Sterling: Which version of the Greek Bible did Philo Read?, 89-113. Er nimmt an, dass Philo für die Nebenzitate keine schriftliche Textvorlage benützte, doch wird dies nicht weiter begründet, a. a. O., 93. 60. Sterling: Which version of the Greek Bible did Philo Read?, 103, 110-113. 61. Vgl. Steyn: Can We Reconstruct?, 444-464. 62. Royse: Some Observations, 111-129. 63. Royse: Some Observations, 112-113. Vgl. auch a. a. O., 115-129 zu Agr. 12 zu Deut 20,20, Agr. 94 zu Gen 49,17-18, Agr. 127 zu Gen 4,7, Agr. 148 zu Deut 20,5-7, Agr. 172 und Sacr. 56 zu Deut 8,18.

467

gtvh 08105 / p. 468 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

rische Absicht (Erläuterung und Vereinfachung) erklären. 64 In jedem Fall belegt dieser Befund, dass Philo sich Freiheiten mit seinem Text herausnehmen konnte. Insgesamt ist festzustellen, dass Philons Umgang mit dem biblischen Text nicht nur auf den Wortlaut der Septuaginta festgelegt ist. Philon ist frei zur kreativen Anpassung. Darüber hinaus lassen die gesammelten Beobachtungen der bisherigen Forschung kumulative Schlussfolgerungen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu, auch wenn eine detaillierte Neuuntersuchung des Befundes anhand neuerer Handschriftenfunde in dem hier gegebenen Rahmen nicht möglich ist. Es häufen sich die Anzeichen, dass Philon nicht nur den Septuagintatext, sondern auch gelegentlich andere Textversionen verwendet hat, letztere wahrscheinlich im Zusammenhang der Übernahme anderer exegetischer Traditionen. Das würde wiederum bedeuten, dass die Septuaginta nicht nur Einfluss auf Philons Auslegung, sondern auch auf die spätere Textüberlieferung der Werke Philons hatte, die an sie angepasst wurde. Dennoch greift Philon in der Mehrheit der Fälle auf die Septuaginta zurück.

3. Beispiele für Philons Auslegung Es ist immer wieder hervorgehoben worden, dass es Einzelheiten des griechischen Textes sind, die Philon Anlass zu seinen exegetisch-philosophischen Ausführungen geben, und es gibt viele Beispiele, in denen Philons Auslegung auf die Eigenarten der Septuagintaübersetzung zurückgeführt wurden. 65 Im Folgenden werden zwei solche Beispiele dargestellt.

64. Royse: Some Observations, 129. 65. Sogar Arnaldez, der grundsätzlich davon ausgeht, dass Philon viele seiner theologischen Ausführungen aus dem hebräischen Text entwickelt haben könnte, kommt anhand von fünf allegorischen Schriften (Leg., Sacr., Heres, Congr. und Fug.), zu dem Schluss, dass es bestimmte Aspekte gibt, die speziell auf den in der Septuaginta gewählten Ausdrücken basieren, vgl. Arnaldez: L’influence de la traduction des Septante, 251-266, insbesondere zu Leg. gibt er Beispiele: erst der 7. Tag wird in Num 6,12 gezählt – vgl. Gen 2,3 – aus Leg. I,16 (253 f.); das »Buch der Schöpfung« aus Gen 2,4 in Leg. I, 21 (254); die Unterscheidung von ›schaffen‹ und ›machen‹ als Erklärung des Unterschiedes zwischen materiellem und ideellen Menschen aus Gen 2,15 in Leg. I, 53-55 (254 f.), die Etymologie des Flusses Pischon aus Gen 2,11 in Leg. I,66.74 (255), die allegorische Auslegung von Gen 2,21, wo sich im Hebräischen kein Plural findet, in Leg. I, 98 und Philons wörtlicher Umgang mit dem Hebraismus der LXX (255-256); die Schlussfolgerung, dass Gott ideelle und materielle Schöpfung schafft anhand des »wieder« in LXXGen 2,19 in Leg. II, 12 (256 f.); das Verb λαμβάνειν in Gen 2,21 in Leg. II, 38 (257-258); das νῦν in Gen 2,23 in Leg. II, 42 (258); die Unterscheidung der Begriffe für Reiter in Gen 49,17 und Ex 15,1 in Leg. II, 101 (258-259); die Unterscheidung der beiden Mächte anhand der Ausdrücke »Gott« und »Herr« zu Gen 3,14-15 in Leg. III,69 (259-260); die Vorstellung, Gott direkt zu erkennen zu Ex 33,13 in Leg. III, 95f (260); die Art, in der Mose und Aaron das Opfer darbringen (Lev 8,29 und 7,34) in Leg. III, 125-132 (260-263); das Essen des Passahlamms aus Ex 12,4 in Leg. III, 165 (263); nach LXXGen 3,16 sucht die Frau bei ihrem Mann Hilfe, vgl. Leg. III, 221, sie begehrt ihn nicht, wie im hebräischen Text.

468

gtvh 08105 / p. 469 / 31.3.2022

Philon von Alexandria

3.1 Beispiel 1: Die Sprachverwirrung zu Babel als σύγχυσις (»Verwirrung«, Gen 11,9 in Conf. 1) Schon R. Arnaldez hat kurz darauf hingewiesen, dass in der griechischen Wortwahl συγχέωμεν (»verwirren«) der Septuaginta in Gen 11,7 die Grundlage der Auslegung Philons in Conf. 1 mit ihrer Betonung der stoischen Vorstellung von μῖξις (»Mischung«), κρᾶσις (»Zusammenziehung«) und σύγχυσις (»Verwirrung«) zu sehen ist, nicht in dem hebräischen ‫»( ְו ָנְבָ֥לה‬Mischung«). 66 Die Übersetzung von Gen 11,1-9 ist seitdem auch einer noch genaueren Untersuchung unterzogen worden. 67 Der Begriff σύγχυσις findet sich ausdrücklich in LXXGen 11,9 als Übersetzung des Namens Babel. Während der hebräische Text die Etymologie des Namens von der Wurzel ‫»( בלל‬mischen«) herleitet und als Verwirrung im Sinn von Auseinanderentwicklung verschiedener Sprachen sieht, legt der griechische Begriff den Schwerpunkt auf die Verwirrung, die durch Mischung entsteht und hat gleichzeitig Konnotationen von Aufruhr. 68 Wie die Vielzahl der Sprachen durch einen Prozess des Mischens entstehen kann, ist das Problem, das Philon in seiner gesamten Schrift unter Aufnahme stoischer Begrifflichkeit angeht. Die »Mischung«, σύγχυσις, gibt die Eigenschaften der einzelnen Bestandteile auf (Conf. 187), und Philon kritisiert aufgrund der griechischen Terminologie ausdrücklich die Vorstellung, dass Mose die Entstehung vieler Sprachen aus einer gemeint haben könne, wenn er diese Deutung auch nicht vollständig ablehnt (Conf. 191-192). 69 Die politische Konnotation des Begriffs σύγχυσις als »Aufruhr« deutet er im Sinn von Zerstörung der Stabilität eines Staates, verbunden mit der Tyrannei als schlechter, totalitärer Regierungsform (Conf. 109; 113). 70 Auch die psychologische Deutung des Begriffs kennt Philon und bezieht sie auf die Seele des Übeltäters (Conf. 69). 71 Der Widerspruch zwischen der Bedeutung des griechischen Begriffs, die auf Vermischung hinweist, und der biblischen Erzählung, die von Verstreuung redet, ist für Philon Anzeichen, dass der Text eine allegorische Auslegung erfordert, die Mose (!) durch seine Wortwahl im Griechischen (!) ausdrücklich einfordert (Conf. 189): die Deutung auf die Mischung als Zerstörung der menschlichen »Schlechtigkeit«, κακία (Conf. 188-189). 72 Dies ist ein Beispiel dafür, dass Philon seine Exegese ausschließlich, d. h. unter Ausschluss der Bedeutung des hebräischen Textes, auf der Wortwahl der Septuaginta aufbaut.

66. 67. 68. 69. 70. 71. 72.

Vgl. Arnaldez: L’influence de la traduction des Septante, 253. Inowlocki: Un ›mélange de langues‹, 61-79. Vgl. Inowlocki: Un ›mélange de langues‹, 61-64, 68-70. Vgl. Inowlocki: Un ›mélange de langues‹, 64-66. Vgl. Inowlocki: Un ›mélange de langues‹, 69 f. Vgl. Inowlocki: Un ›mélange de langues‹, 70. Vgl. Inowlocki: Un ›mélange de langues‹, 66.

469

gtvh 08105 / p. 470 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

3.2 Beispiel 2: Böse Engel (Gen 6,1-4 und Ps 77,49 in Gig. 16-18) Ein weiteres Beispiel für den Einfluss der Übersetzung der Septuaginta auf die Auslegung Philons findet sich in der Wächter-/Gigantengeschichte der Genesis, Gen 6,1-4. Hier beeinflusst der Septuagintatext nicht nur seine Auslegung der Genesis, sondern auch die Einfügung von Psalmenzitaten, die in diesem Zusammenhang von ihm zu seiner Exegese hinzugezogen werden. Dabei trägt Philon zusätzlich noch zur Textkritik der Septuaginta bei. In Gen 6,2 wird der Abstieg der »Söhne Gottes« (‫ )ְב ֵני־ָֽהֱאל ִֹהים‬zu den Menschenfrauen beschrieben. In der Septuaginta werden diese »Söhne Gottes« einerseits als οἱ υἱοὶ τοῦ θεοῦ (»die Söhne Gottes«) und andererseits als οἱ ἄγγελοι τοῦ θεοῦ (»die Engel Gottes«) wiedergegeben. 73 Theodotion stimmt mit der ersten Variante überein, Aquila übersetzt noch wörtlicher: οἱ υἱοὶ τῶν θεῶν (»die Söhne der Götter«) und Symmachus steht in der Tradition palästinischer und babylonischer Targumim mit οἱ υἱοὶ τῶν δυναστευόντων (»die Söhne der Mächte«). 74 Im Gegensatz zu der Annahme Rahlfs dass die wörtliche Übersetzung οἱ υἱοὶ τοῦ θεοῦ (»die Söhne Gottes«) ursprünglich sei, 75 ist die Lesart οἱ ἄγγελοι τοῦ θεοῦ (»die Engel Gottes«) vorzuziehen, da durch Philon die Lesart im Codex Alexandrinus und anderen späteren Zeugen schon als frühe alexandrinische Textform belegt ist und diese Lesart mit der Tradition in 1Hen 6,2 und Jub 4,15 übereinstimmt. 76 Auch Philons einzige andere Auslegung von Gen 6,1-4, QG I, 92, 77 belegt, dass Philons Text in Gen 6,2 »Engel« und in Gen 6,4 »Söhne Gottes« gelesen hat. 78 Philon steht nun aufgrund gerade dieser Lesart vor einem ganz besonderen Problem. Dieses Problem ist, dass der Text seiner Thoraausgabe die Möglichkeit aufzeigt, dass Engel nicht nur gute Boten des Göttlichen, sondern auch böse Einflüsse auf die Menschen sein können. So widmet er sich diesen vier Versen in einem ganzen Buch. In

73. So findet sich letztere Lesart außer bei Philon im Codex Alexandrinus A, verschiedenen Minuskeln, insbesondere in deren ursprünglicher Lesart (*): 72 56* et mg 75-458* 71* (vid)-121-392* 55* 509, und auch bei Josephus, Euseb und in der europäischen altlateinischen, der äthiopischen und der syro-hexaplarischen Übersetzung, vgl. Wevers: Genesis, Septuaginta, 108. 74. Vgl. Brock: To Revise or not to Revise, 318 f. 75. So lautet auch noch der Text in der editio altera, Rahlfs / Hanhart, Septuaginta editio altera, Stuttgart 2006 und die Septuaginta Deutsch übersetzt entsprechen »Söhne Gottes« in Gen 6,2, Kraus / Karrer (ed.): Septuaginta Deutsch, 9. Im Erläuterungsband wird dann zwar auf die Lesart ἄγγελοι (»Engel«) hingewiesen, die als Grundlage der »spätere[n] Rede von den ›gefallenen Engeln‹« gesehen wird, aber eine mögliche Ursprünglichkeit wird nicht vermutet, vgl. Karrer / Kraus (ed.) Septuaginta Deutsch – Erläuterungen und Kommentare. Band 1, 166 f. 76. Vgl. Katz: Philo’s Bible, 20-21; Walters (urspr. Katz): The Text of the Septuagint, 255; Harl: La Bible d’Alexandrie. I. La Genèse, 125; Gooding / Nikiprowetzky: Philo’s Bible, 106 f.; Brock: To Revise or not to Revise, 319. 77. In Immut. 1, fasst er lediglich noch einmal Gen 6,4 zusammen, bevor er mit der Exegese des nächsten Verses beginnt. 78. Vgl. Gooding / Nikiprowetzky: Philo’s Bible, 107. Nikiprowetzky betont andernorts auch, dass für Philo Gott der Vater schlechthin ist, und dass daher diese Lesart auch mit seiner Grundtheologie übereinstimmt, vgl. Nikiprowetzky: Sur une lecture démonologique de Philon d’Alexandrie, De gigantibus 6-18, 44-46.

470

gtvh 08105 / p. 471 / 31.3.2022

Philon von Alexandria

Gig. 1 zitiert Philon Gen 6,1, in Gig. 6 Gen 6,2, in Gig. 19 und 56 Gen 6,3 und in Gig. 58 Gen 6,4. Auf der Suche nach biblischen Texten, die bei der Auslegung des problematischen Textes helfen können, stößt man schnell an eine Grenze. In der Thora gibt es zwar viele Beispiele, in denen der oder die Engel Gottes Tod und Verderben bringen, doch tun sie das immer nur im Auftrag Gottes, und so werden sie nie »böse« genannt, denn die Behauptung, dass die Boten Gottes »böse« seien, wirft unmittelbar die unangenehme Frage auf, ob Gott selbst »böse« sei. Auch in den Propheten und Schriften wird meist das negative Urteil über Gott verweigert, selbst wenn, wie im Hiobbuch, der Sinn von Leid und Unheil nicht erkennbar ist. Es gibt nur einen einzigen Text, in dem von den ‫ ַמְלֲאֵ֥כי ָרִֽעים‬die Rede ist, in Ps 78,49. Nur im Psalm wagt der Beter, das Unmögliche anzusprechen, und auch hier nicht bezogen auf ihre Taten gegenüber dem Volk Gottes. Auch muss der Ausdruck hier in erster Linie als »Engel der Bösen« übersetzt werden. Der Vers bezieht sich auf die Engel, die den Ägyptern die Plagen bringen und Ausdruck des strafenden Zorns Gottes sind. Darüber hinaus ist der status constructus jedoch auch adjektivisch übersetzbar als »böse Engel«, und so ist dieser Vers in der Traditionsgeschichte schon in der Septuaginta verstanden worden. Die Septuaginta, übersetzt hier ἄγγελοι πονηροί, »böse Engel«. In der Septuaginta wird nicht nur ‫»( ַמְלאְָך‬Engel«/ »Bote«) mit ἄγγελος (»Engel«/ »Bote«) übersetzt, sondern auch Begriffe wie ‫»( ְב ֵני־ָֽהֱאל ִֹהים‬Söhne Gottes«), 79 doch gibt es auch in der Septuaginta den zusammengesetzten Begriff nur dieses einzige Mal, in dem genannten LXXPs 77,49: »Er sandte zu ihnen den Zorn seines Ärgers, Ärger und Zorn und Betrübnis, ausgesandt durch böse Engel« (ἐξαπέστειλεν εἰς αὐτοὺς ὀργὴν θυμοῦ αὐτοῦ, θυμὸν καὶ ὀργὴν καὶ θλῖψιν, ἀποστολὴν δι’ ἀγγέλων πονερῶν). Somit findet sich in der Septuaginta eine Engführung der Bedeutungsbreite des Hebräischen, die den Text eindeutig auf eine bestimmte Deutung hin festlegt. Die Deutung, die die Engel »den Bösen«, d. h. den Feinden des Gottesvolkes, zuordnet, wird fallengelassen. Maßgeblich an der Veränderung beteiligt war der Mythos vom Wächterfall, dessen früheste Version wohl aus dem 3.–4. Jh. v. Chr. stammt. Hier werden die Wächter anfangs auch Engel genannt (1Hen 6,2; 4Q180 Frag. 1:7), doch nicht mehr nach ihrer Verbindung mit den Menschenfrauen. 80 In der Folge sehen nahezu alle späteren Traditionen die Wächter als Engel, 81 so auch das Jubiläenbuch (Mitte 2. Jh. v. Chr.) in Jub 5,1 und 5,6. 82 Diese Verbindung von Wächterfall und bösen Engeln findet sich auch in Philons Auslegung von Gen 6,1-4 in Gig. 16-18. 83 Mit den göttlichen Strafengeln hat er keine Probleme, diese sind Bilder und Aspekte der königlichen, der strafenden Macht Gottes 79. Vgl. Katz: Philo’s Bible, 20-21; Sullivan: Wrestling with Angels, 19 f., 205, 216-219. 80. So werden z. B. die »Wächter« in 1Hen 14,3 nur noch mit dem Epithet »Söhne des Himmels« bezeichnet und die Kinder aus der Verbindung mit den Menschenfrauen werden böse Geister« genannt (1Hen 15,9), vgl. Uhlig: Das äthiopische Henochbuch, ad loc. 81. Jubiläen, Judasbrief, vgl. Sullivan: Wrestling with Angels, 200, 215. Josephus, vgl. Begg: Angels in the Work of Josephus, 529. 82. Berger: Das Buch der Jubiläen, ad loc. 83. Vgl. Dillon: Philo’s Doctrine of Angels, 204 f. Doch erkennt Dillon nicht die Bedeutung des Begriffs »böse Engel« im Psalm für Philons Exegese, er sieht den Vers im Kontext von der hebräischen Bedeutung her und stellt so nur fest, dass Philons Gebrauch unsachgemäß sei.

471

gtvh 08105 / p. 472 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

(Sacr. 132; Conf. 171 ff.; Spec. I 307). 84 In De Gigantibus spielt der strafende Gott jedoch keine Rolle, sondern Philos Gottesbild ist ganz platonisch. Für seinen platonischen Gottesbegriff sind Engel keine mythischen Wesen, er identifiziert die Engel mit den δαίμονες (»Geistwesen«) der griechischen Philosophie und den »Seelen« (ψυχαί) der Menschen (6 und 16) 85 und beschreibt die körperlosen Seelen, die den gesamten Kosmos ausfüllen, »beseelen« (7). 86 Von ihnen beschäftigen einige sich mit dem Dienst an dem Vater und wenden sich nie der Materie zu, andere verbinden sich zwar mit ihr, doch gelingt es ihnen dann, durch die Philosophie aus der Materie emporzusteigen, und wiederum andere bleiben der Materie verhaftet (12-15). 87 Diese Einteilung der Welt findet sich auch in anderen mittelplatonischen Traditionen. 88 Aus dieser Sicht werden diese überirdischen Wesen nicht als böse gedacht, 89 und so schließt Philon auch, dass Dämonenfurcht überflüssig sei. Auch diese philosophischen Engel sind Boten zwischen Mensch und Gott. Da Gott jedoch das Gute ist, können wahre Engel nur Seelen sein, die sich ihm zuwenden. Die Engel, die nicht heilig sind, sind für Philon eigentlich dieses Namens nicht wert (16). Doch sein Bibeltext gebraucht nun einmal ἄγγελοι (»Engel«) für die »Söhne Gottes« in Gen 6,1-4. Als Beleg für die Existenz böser Engel im Sinne von emotionaler Seelen zitiert Philon den schon erwähnten LXX Ps 77,49 (78,49) in Gig. 17, um zu zeigen, dass Engel gut oder böse sein können (16). Philon ignoriert den Kontext des Psalmverses. Er überträgt den Vers in den Kontext seiner Auslegung von Gen 6,2 (16): Die »bösen« Strafengel des Psalms werden hier zu Engeln, die eher die Genüsse als die Tugenden begehren (17 f). 90 So dient der Psalmvers dazu, den Mythos vom Engelfall zu interpretieren. Im Gegensatz zu der Wächtertradition werden hier die angedachten Engel ausdrücklich als böse charakterisiert, auch wenn Philon die Möglichkeit ausschließt, dass wirkliche Engel böse sein können. Philons Verbindung dieser beiden grundsätzlich unzusammenhängenden Traditionen deutet darauf hin, dass in seinem Umfeld die Wächter schon als »böse Engel« charakterisiert wurden. Diese Engel handeln jedoch für Philon nicht im göttlichen Auftrag und so wird Gott von jeder bösen Handlung losgesprochen. Letztlich stellen »böse Engel« für Philon eine unmögliche Möglichkeit 84. Vgl. Dillon: Philo’s Doctrine of Angels, 203 f. 85. Vgl. Plato, Timaeus 39E-40A; Dillon: Philo’s Doctrine of Angels, 197-205; Sullivan: Wrestling with Angels, 216 f.; Martin: When Did Angels Become Demons?, 671-673; Rodríguez: La demonología y la angelologia, bes. 274-277. 86. Vgl. Dillon: Philo’s Doctrine of Angels, 198. 87. Vgl. Plato, Symposium 202E; Dillon: Philo’s Doctrine of Angels, 199; Levison: The Spirit in First Century Judaism, 140; Sterling: A Philosophy according to the Elements of the Cosmos, 366-369. 88. Vgl. Sterling: A Philosophy according to the Elements of the Cosmos, 370-372. 89. Vgl. Martin: When Did Angels Become Demons?, 672. 90. Vgl. Leonhardt: Jewish Worship, 155. Der Haupttext der Septuaginta folgt hier dem hebräischen Text und schreibt »Söhne Gottes« (οἱ υἱοὶ τοῦ θεοῦ). Doch es gibt alternative Lesarten aus der geographischen Region Philo, die ἄγγελοι (»Engel«) lesen, der rescriptor des alexandrinischen Texts. Angesichts des Problems, dass sein Haupttext Gen 6,2 die Existenz böser Engel suggeriert, ist das Psalmzitat (17) der einzige Text in Torah, Propheten und Psalmen, in dem sich ἄγγελοι πονηροί auf »böse Engel« beziehen.

472

gtvh 08105 / p. 473 / 31.3.2022

Philon von Alexandria

dar. Dennoch akzeptiert er die Realität dieser Tradition, sonst hätte er sich nicht die Mühe gemacht, den Psalmvers hinzuzuziehen. Für ihn sind solche Engel jedoch die Seelen, die sich der Materie zuwenden, die Menschen, die nie über ihre Emotionen und Begierden hinauswachsen. Somit dient der Vers keiner dualistischen Erstellung zweier Engelkategorien, sondern der Erklärung der Seelen, die sich an die Materie binden und kein Interesse am Dienst Gottes und der wahren Philosophie haben. 91 Das zweite Beispiel zeigt nicht nur, welche Textgrundlage Philon hatte, sondern auch, welche anderen biblischen Texte und exegetischen Traditionen zu ihrer Interpretation hinzugezogen wurden.

4. Schlussfolgerung Die Legende der Übersetzung der Thora ist Ausdruck der Wertschätzung der griechischen Übersetzung. Andererseits gibt es bei Philon im praktischen Umgang mit dem griechischen Text weder einen erkennbaren Unterschied zwischen Thoraübersetzung und Prophetenübersetzung, noch zwischen der Septuaginta und anderen Übersetzungen. Darüber hinaus kann er auch in seiner Auslegung des unveränderten Septuagintatexts ohne Rücksicht auf den Kontext des Texts sowohl den Wortsinn als auch die griechische Syntax auf seine philosophische Auslegung hin anpassen. 92 Aufgrund der Septuagintalegende ist behauptet worden, dass Philon die Übersetzer der Septuaginta als inspirierte, leserorientierte Ausleger, expositores, und nicht als textorientierte Übersetzer, interpretes, gesehen hat und daher durch seine Darstellung der Legende keine Revision der Septuaginta zulassen wollte. 93 Im Blick auf die Flexibilität seines praktischen Umgangs mit dem griechischen Text bietet sich jedoch ein anderes Bild: Die Unterscheidung von expositor und interpres, und die Betonung der Bedeutung des ersteren im Gegensatz zu letzterem ist zwar wichtig, doch nicht nur bezogen auf die Übersetzer. Die Inspiriertheit des Textes zeigt sich zwar in seinem Wortbestand als Grundlage der Auslegung, indem hebräisches Original und Übersetzung übereinstimmen. Doch viel mehr noch kommt die Inspiriertheit in der Wahrheit seiner Anwendung durch den Exegeten zum Tragen. Aus diesem Grund übernimmt Philon den jeweiligen Text derjenigen Tradition, die gerade seiner Auslegung zugrundeliegt. Inspiriert ist somit für ihn der Weg zu den Ideen der mosaischen Offenbarung, die Kommunikation mit dem Geist Mosis, die er in der Legende den Übersetzern zuschreibt. 94 Der Einzeltext hat daran nur insofern Anteil, als er ein Stein auf dem Weg 91. Zu der psychologischen Deutung der daimones als Seelen und der »bösen Engel« nicht als dämonische Wesen, sondern als ihren Begierden unterworfene Menschen, vgl. Nikiprowetzky: Sur une lecture démonologique, 46-71; Dillon: Philo’s Doctrine of Angels, 205. Beide lehnen jedoch eine Verbindung der Auslegung mit den Wächtertraditionen ab. Im Blick auf die Bedeutung des Wortlauts des Psalmzitats ist jedoch diese Verbindung nicht zu leugnen, die psychologische Deutung ist erst auf der Basis der Allegorie möglich, schließt den ursprünglichen Mythos jedoch nicht aus. 92. Vgl. Gooding / Nikiprowetzky: Philo’s Bible, 122 f. 93. Vgl. Brock: To Revise or not to Revise, 309-314, 320 f. 94. Auch wenn er die Komplexität der Zitate Philons nicht berücksichtigt, kommt Brock diesem Sachverhalt recht nahe, wenn der er unter Aufnahme Barthélemys von dem Zweck einer Über-

473

gtvh 08105 / p. 474 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

zu diesen Ideen ist. Philons Legende belegt lediglich die Tatsache der Überzeugung, dass über die griechische Übersetzung ein authentischer Weg zu der Erkenntnis Gottes gangbar ist, und dass man nicht das Hebräische braucht, um die Wahrheit der Mosethora zu erkennen. Deswegen lehnt er auch jegliche Textkritik ab, auch wenn die alexandrinische allegorische Methode diese durchaus zur Lösung von Problemen im Text anwendet und sie auch anscheinend von jüdischen Exegeten angewendet wurde (vgl. QG IV,168; Deus 140-141; Heres 81-82). Den Text zu hinterfragen ist für Philon Zeichen mangelnden Respekts gegenüber der Thora, demgegenüber sind Besonderheiten im Text als Anreiz zur allegorischen Auslegung zu sehen. 95 Dieser Balanceakt zwischen Text und Auslegung zeigt sich auch in seiner Einzelauslegung. Philon steht fest auf dem Boden des jeweiligen griechischen Textes, den er behandelt. Gleichzeitig verbindet er die Einzelheiten der Textbeobachtungen mit seinen philosophischen Prinzipien. Wie Philon immer wieder betont (z. B. in Conf. 189), verlangen die Widersprüche im Text, dass man sie durch Auslegung vervollständigt. Der Exeget bewegt sich zwischen dem Text und der Wahrheit, die er im Text erkennt. Seine Aufgabe ist es, diese beiden miteinander zu verbinden. In dem Ergebnis der Auslegung liegt die Inspiration des Textes.

setzung in dem jeweiligen Rezeptionskontext einer bestimmten Gemeinde und Tradition spricht, Brock, To Revise or not to Revise, 332 f. 95. Vgl. Niehoff: Jewish Exegesis, 113-118.

474

gtvh 08105 / p. 475 / 31.3.2022

3.1.4 Josephus Michael Avioz Literature Attridge, Harold W.: The Interpretation of Biblical History in the Antiquitates Judaicae of Flavius Josephus, Missoula 1976 – Avioz, Michael: Josephus’ Interpretation of the Books of Samuel, London 2015 – Barthelemy, Dominique: Les Devanciers d’Aquila. Première Publication Intégrale du Texte des Fragments du Dodecapropheton trouvés dans le désert de Juda, précédée d’une étude sur les traductions et recensions grecques de la Bible réalisées au premier siècle de notre ère sous l’influence du Rabbinat Palestinien, VTS 10, Leiden 1963 – Begg, Christopher T.: Josephus’ Account of the Early Divided Monarchy (AJ 8,212-420). Rewriting the Bible, Leuven 1993 – Begg, Christopher T.: Josephus’ Account of the Early Divided Monarchy (AJ 8, 212-420), BEThL 108, Leuven 2000 – Begg, Christopher T.: Josephus’ Retelling of 1 Kings 1 for A Graeco-Roman Audience, Tyndale Bulletin 57 (2006), 85-108 – Bloch, Heinrich: Die Quellen des Flavius Josephus, Leipzig 1879 – Chalupa, Petr: The Book Esther in Josephus: Authority of Conflict-causing Laws, in: Jan Dušek / Jan Roskovec (eds.), The Process of Authority: The Dynamics in Transmission and Reception of Canonical Texts, Berlin/Boston 2016, 139-150 – Cohen, Shaye J. D.: Josephus in Galilee and Rome: His Vita and Development as a Historian, Leiden 2002 – Feldman, Louis H.: Josephus’s Interpretation of the Bible, Berkeley 1998 – Franxman, Thomas W.: Genesis and the ‘Jewish Antiquities’ of Flavius Josephus, BibOr 35, Rome 1979 – Fernández Marcos, Natalio / Busto Saiz, José Ramon: El Texto antioqueno de la Biblia Griega, I, 1-2 Samuel (TECC 50), Madrid 1989; II, 1-2 Reyes (TECC 53), Madrid 1992; III, 1-2 Crónicas (TECC 60), Madrid 1996 – Kauhanen, Tuukka: The Proto-Lucianic Problem in 1 Samuel, DSI 3, Göttingen 2012 – Kim, Jong-Hoon: Die hebräischen und griechischen Textformen der Samuel- und Königebücher, BZAW 394, Berlin/New York 2009 – Kreuzer, Siegfried: The Origins and Transmission of the Septuagint, in ders. (ed.), Introduction to the Septuagint, Waco TX 2019, 3-56 – Lincoln, Lawrence Ronald: The Use of Names as Evidence of the Septuagint as a Source for Josephus’s Antiquities in Books 1 to 5, in: Johann Cook (ed.), Septuagint and Reception: Essays Prepared for the Association for the Study of the Septuagint in South Africa, Leiden 2009, 179-194 – Mason, Steve: Josephus and his Twenty-Two Book Canon, in: Lee Martin McDonald / James A. Sanders (eds.), The Canon Debate, Peabody 2002, 110-127 – Mez, Adam: Die Bibel des Josephus untersucht für Buch V–VII der Archäologie, Basel 1895 – Müller, Mogens: Josephus und die Septuaginta, in: Wolfgang Kraus / Martin Karrer / Martin Meiser (eds.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 638-654 – Nodet, Étienne: Josephus and the Pentateuch, JSJ 28 (1997): 154-194 – Nodet, Étienne: The Text of 1-2 Kings Used by Josephus, in: André Lemaire / Baruch Halpern (eds.), The Books of Kings: Sources, Composition, Historiography and Reception, Leiden / Boston 2010), 41-66 – Norton, Jonathan D. H.: Contours in the Text: Textual Variation in the Writings of Paul, Josephus and the Yahad, LNTS 430, London 2011 – Pelletier, André: Josephus, the Letter of Aristeas, and the Septuagint, in: Louis H. Feldman / Gohei Hata (eds.), Josephus, the Bible and History, Detroit 1989, 97-115 – Pummer, Reinhard: The Samaritans in Flavius Josephus, TSAJ 129, Tübingen 2009 – Rajak, Tessa: Flavius Josephus. Jewish History and the Greek World, PhD diss., University of Oxford, 1974 – Schalit, Abraham: Josephus’ Jewish Antiquities with a Translation from the Greek: Introduction, Commentary, Maps, and Illustrations (3 vols.), Jerusalem 1944-1963 – Spottorno Díaz-Caro, Maria Victoria: Josephus’ Text for 1-2 Kings (3-4 Kingdoms), in: Leonard Greenspoon / Olivier

475

gtvh 08105 / p. 476 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

Munnich (eds.), VIII Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies: Paris 1992, SBLSCS 41, Atlanta 1995, 145-152 – Spottorno Díaz-Caro, Maria Victoria: Some Remarks on Josephus’ Biblical Text for 1-2Kgs, in: Claude E. Cox (ed.), VI Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies: Jerusalem 1986, SBLSCS 23, Atlanta 1987, 277-285 – Sterling, Gregory E.: Historiography and Self-Definition: Josephus, Luke- Acts and Apologetic Historiography, Leiden 1992 – Thackeray, Henry St. J.: Josephus: The Man and the Historian, New York 1929 – Wasserstein, Abraham / Wasserstein David J.: The Legend of the Septuagint: From Classical Antiquity to Today, Cambridge 2006.

Flavius Josephus is a first-century Jewish-Hellenistic author. In books 1-11 of his Antiquities of the Jews, he rewrites a significant portion of the Bible: he adds, omits and rearranges the biblical narratives. He omits large parts of the Latter Prophets and Wisdom literature, and the Poetic books are completely absent (see Mason 2002). 1 The purpose of this article is to deal with the place of the Septuagint in Josephus’ writings. I will distinguish between his appreciation of this translation and his use of it during his retelling of the Hebrew Bible. Due to space limits, this chapter is not exhaustive, providing select discussion of the most pertinent issues.

1. The Making of the Septuagint Josephus refers to the making of the Septuagint in both Against Apion and Antiquities. These paragraphs are taken from the Letter of Aristeas, with some changes he entered into the original. Josephus refers his readers to Aristeas in Ant.12.100. In Against Apion 2.45-47, he is concerned to show the high favour in which the Ptolemies held the Jews. He mentions the positive attitude of the first Ptolemy towards the Jews, expressed in his employment of Jews as garrison troops in Egypt. He also mentions the freeing of Jewish captives by Ptolemy II, Philadelphus. 2 Josephus cites the Septuagint as a precedent for presenting the history of the Jews to the non-Jewish Greek world (Ant. 1.1012).

2. The “Bible” of Josephus One would expect Josephus to make an extensive use of the LXX and thus make his project of rewriting the Hebrew Bible easier. 3 However, this is not the case, since, though there are similarities between Josephus and the LXX, there is also much divergence. The question that now arises concerns the text form that Josephus had at his disposal. There is an on-going debate with regard to this issue. Some hold that Josephus had the Greek text only, while others posit that he had the MT or some Hebrew version. Another group argues that he had an Aramaic Targum or paraphrase, and finally 1. 2. 3.

Mason: Josephus and His Twenty-Two Canon. Pelletier: Josephus; Feldman: Josephus’s Interpretation of the Bible, 26; Wasserstein / Wasserstein: Legends: 45-50; Müller: Josephus. Bloch: Quellen, 18.

476

gtvh 08105 / p. 477 / 31.3.2022

Josephus

still others think that Josephus had both Greek and Hebrew and possibly Aramaic versions. 4 The answers not the least depend on the question which textual tradition of the Septuagint was available at Josephus’ time that he may have used. 5

2.1 The Order of Biblical Books In Against Apion 1.37-43 Josephus enumerates the twenty-two biblical books. He does not mention the names of these books, but it can be deduced from reading his Antiquities: The Pentateuch, Joshua, Judges + Ruth, Samuel, Kings, Isaiah, Jeremiah + Lamentations, Ezekiel, the Twelve, Chronicles, Ezra-Nehemiah (= Esdras), Daniel, Job, and Esther. The points of resemblances with the LXX are placing Ruth between Judges and Samuel, ending the book of Samuel in 1 King 2, 6 and viewing Jeremiah and Lamentations as one composition. Josephus’ use of the Book of Esdras and the additions to Esther show a dependence upon the LXX. 7

2.2 Josephus and the Text of the Pentateuch Franxman (1979) finds several cases within the book of Genesis where Josephus follows the LXX. 8 He also notes that as far as the transliteration of proper names is concerned, in some instances Josephus follows the LXX (Arpachshad, Shelah, Eber and Peleg), and in others he gives his own transliteration (Shem, Reu, Serug and Nahor). Franxman concludes that Josephus did not wish to produce a rival version for the LXX but rather used the Greek Bible as one of his sources. Lincoln examined the use of personal names in the LXX and in Josephus’ Antiquities 1-5. He concludes, “Attempts to try and determine the nature of the relationship Josephus had with the LXX or the MT as a source by examining place and proper names is fraught with many difficulties and complexities on a textual and lexical level.” 9 Rajak analyzed Josephus’ retelling of Exodus (Ant. 2.206-3.207). Josephus’ use of the word καλάμος (reed) for a type of perfume is seemingly obscure enough for him to explain to his readers, ἔστι δὲ καὶ τοῦτο ἦδος θυμιάματος. 10 In the account of the High Priests’ vestments, the ephod is said by Josephus to look like the Greek ἐπωμίς, a short cape covering the shoulders (Ant. 3.162), which is the

4. See the summary in Feldman: Josephus’s Interpretation of the Bible, 23-30; Norton: Contours in the Text. 5. This basically depends on the evaluation of the so called Lucianic or Antiochian text (see below, fn. 28, and Kim: Textformen). 6. This coincides with the book division in the Antiochian text, see Fernández Marcos / Busto Saíz, El Texto antioqueno; cf. Avioz: Josephus’ Interpretation, 158: “Josephus views 1 Kgs 1.12.11 as the conclusion to the David narratives … They also mark the conclusion of the seventh book of Antiquities.” 7. See Mason: Josephus and His Twenty-Two Canon. 8. Franxman, Genesis; cf. Feldman: Josephus’s Interpretation of the Bible, 30 f. 9. Lincoln: Use of Names, 193. 10. Rajak: Flavius Josephus, 1974.

477

gtvh 08105 / p. 478 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

word used in the LXX. Since ἐπωμίς is part of a woman’s garment, it is far from an obvious choice for comparison. The description of the High Priest’s breastplate, ἔσσην (‫ )חֶֹשׁן‬as λόγιον an oracle, is paralleled by the λόγιον of LXX and Philo’s λογεῖον (Life of Moses 2.113). Norton (2011) has dealt with Josephus’ discussion of weights and measures, sacrifices, and priestly garments in the Pentateuch. His main interest is to show Josephus’ familiarity with textual variety. He summarizes the instances in which Josephus follows the LXX: 1. Josephus adopts χιτὼν (Ant. 3.153) and ζώνη (Ant. 3.154) used in the LXX for ‘coat’ and ‘girdle.’ He also adopts LXX’s βύσσινος (153) for “linen.” 2. Josephus uses LXX’s σωτήριος (‘welfare’) to render ‫‘( שלם‬peace’). 3. Josephus follows the LXX in his use of ὁλοκαυτέω (AJ 3.225 f.), which echoes LXX’s ὁλοκάρπωμα (‘burnt offering’ ; LXX Lev. 5.10 et al.). 4. In AJ 3.217 he has ἐσσῆνα λόγιον; and essên is a transliteration of ‫‘( חשן‬breastplate’). In Exod. 28.15, 29 and 30 it is called the ‘pouch of judgement’ (λογεῖον τῶν κρίσεων) because of the decision given by the Urim and Thummim. 11 Thackeray holds that Josephus primarily used a Semitic text of the Pentateuch with occasional reference to the LXX. 12 However, Norton mentions other cases in which Josephus follows the Proto-MT version or enters a new translation of his own. Josephus’ use of the LXX in his rewriting of the Pentateuch is quite complex, since even in those cases where he seems to follow the LXX he still reformulates and adjusts it to his own purposes.

2.3 The Historical Books Thackeray argues that Josephus used a Semitic text for Joshua, Judges, and Ruth with a Targum for Judges, and a Greek text of the Lucianic type for Samuel through the Historical Books. 13 However, Sterling concludes that “it has proven problematic to come to a firm resolution whether his primary version was in Hebrew, Greek, Aramaic or a combination of these.” 14 In 1895, Mez argued that thirty readings from the books of Samuel show his dependence on the Lucianic text. 15 There are scholars who followed Mez while others disagreed. Brock found that only nine cases are valid and adds five cases where Josephus follows the MT and twelve cases where Josephus follows the LXX against the MT. Kauhanen concludes with regard to 1 Samuel that the occasional agreement between Josephus and L is probably not due to a close text-historical relationship but rather to a shared concern for a more literary Greek style. As a result, some shared lexical variants between these witnesses should be expected. 16 Begg has written extensively on Josephus’ rewriting of the books of Samuel. In his essay on Josephus’ rewriting on 1 Kings 1 he writes, “whereas Josephus’ primary text 11. 12. 13. 14. 15. 16.

Norton: Contours in the Text. Thackeray: Josephus, 75-99 esp. 81. Thackeray: Josephus, 81-89. Sterling: 1998, 108. Mez: Die Bibel des Josephus. Kauhanen: Proto-Lucianic Problem.

478

gtvh 08105 / p. 479 / 31.3.2022

Josephus

for 1 Kings 1 was a ‘proto-Lucianic’ one, he drew on other text forms of the chapter as well.” 17 However, at other times he reaches more decisive conclusions regarding Josephus’ Greek Bible. 18 Rajak is of the opinion that as far as the books of Samuel are concerned, Josephus used a Hebrew text. 19 Avioz concludes that Josephus makes use of both the MT and the LXX in his retelling of the books of Samuel, in addition to his own interpretation. There is no apparent consistency in his selection of these versions nor any obvious preference for any particular version. It is difficult to support the conclusions of various scholars that Josephus relied solely on the LXX and thus based his rewriting of the stories in Samuel on the LXX alone. 20 Nodet argues that Josephus never used any known Greek translation of the Bible for 1-2 Kings, and on the whole it is quite close to the MT. 21 This is in contrast with Begg, who claims that Josephus’ text in Kings was close to the LXX. 22 Spottorno claims that it is not possible to draw general conclusions about the text used by Josephus in his rewriting of 1-2 Kings. It appears as if Josephus avoided using certain words found in the LXX. 23 Regarding Kings and Chronicles, Feldman believes that the LXX was most likely Josephus’ primary source. 24 There are some interesting cases for the argument that Josephus was relying on the LXX. 25 Josephus (Ant. 7.343) writes that Abishag was θαλπούσης, a woman heating the king (Hebrew ‫סכנת‬, caretaker). In the LXX a similar word appears (θάλπουσα), and it seems that Josephus took this rare term from the LXX. In regard to Josephus’ version of Nehemiah, Pummer asserts, “It differs in so many instances from the biblical account that it is clear that Josephus’ vorlage was neither the MT nor the LXX of the book of Nehemiah.” 26 Chalupa notes that in his retelling of Esther, Josephus ignores laws mentioned several times in both the MT and the LXX. 27 The Septuagint and the so-called Alpha-text are less interested in the juridical connotations. Josephus, however, stresses again that nearly everything in his retelling of the story is an implication of the law.

3. Conclusion Josephus is not the ideal source to trace the impact of the Septuagint upon later generations. In many cases, he refrains from using the LXX or reformulates it. He may use a Hebrew text or disregard both the Greek and the Hebrew and offer his own trans17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27.

Begg: Josephus’ Retelling of 1 Kings 1, 103. See his works in Avioz: Josephus’ Interpretation of the Books of Samuel. Rajak: Flavius Josephus, 1974. Avioz: Josephus’ Interpretation of the Books of Samuel. Nodet: The Text of 1-2 Kings. Begg: Josephus’ Account of the Early Divided Monarchy. Spottorno: Josephus’ Text for 1-2 Kings (3-4 Kingdoms). Feldman: Josephus’s Interpretation of the Bible, 30. Schalit: Josephus’ Jewish Antiquities 1944; Cohen 2002: 36, n.48. Pummer: Samaritans, 82. Chalupa: Esther in Josephus.

479

gtvh 08105 / p. 480 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

lation. For that matter, the situation is even more complex in the case of the Former Prophets, especially in the books of Samuel, since one is hard pressed to find a consistent method used by Josephus in his retelling of the Bible. Even if scholars thoroughly research and analyze Josephus’ retelling of the Bible, comparing it with the MT and the LXX, one can hardly expect well-defined conclusions. Moreover, since Josephus’ contribution for this topic is quite limited, one is inclined to consider other avenues for future research on Josephus. 28

28. As mentioned above, the question mainly depends on the evaluation of the Antiochene text. Many authors still defend the view that the Lucianic text must be late, i. e. the result of a revision from around 300 CE. In order to maintain this view, one has to minimize the agreements with Josephus because they would confirm (as also quotations in the New Testament and agreements with the Old Latin; cf. the critical apparatus in Fernández Marcos / Busto Saíz: El Texto antioqueno, and XXXII-LXXIX: “Los testimonios indirectos”) that the Antiochian text is old. A new situation has arisen with Barthélemy: Les Devanciers d’Aquila, who not only identified the kaige-recension but also demonstrated that the kaige recension reworked the Antiochian text. Therefore, the Antiochian text is (at least for Samuel and Kings) the original Greek text (Old Greek), although with some curruptions in the course of its transmission (p. 127). This insight has been supported by many analyses of texts from Samuel and Kings; and e. g. the Spanish translation of the Septugint of these books is now based on the Antiochene text. However, some still maintain the old view. For a history of research see Kreuzer: Origin and transmission, esp. 21-31 and 38-41.

480

gtvh 08105 / p. 481 / 31.3.2022

3.1.5 Jüdisch-griechische Inschriften Walter Ameling Literatur Textausgaben Ameling, Walter / Cotton, Hannah M. / Eck, Werner / Isaac, Benjamin et alii (ed.): Corpus Inscriptionum Iudaeae Palaestinae II – IV, Berlin 2011-2018 – Felle, Antonio: Biblia Epigraphica, Bari 2006 – Frey, Jean Baptiste (ed.): Corpus Inscriptionum Judaicarum II, Rom 1952 – Horbury, William / Noy, David: Jewish Inscriptions of Graeco-Roman Egypt, Cambridge 1992 – Le Bohec, Yann: Inscriptions juives et judaïsantes de l’Afrique romaine, in: Antiquités africaines 17 (1981), 165-207 – Lüderitz, Gert: Corpus jüdischer Zeugnisse aus der Cyrenaika, Wiesbaden 1983 – Noy, David / Bloedhorn, Hanswulf / Ameling, Walter / Panayotov, Alexander (ed.), Inscriptiones Judaicae Orientis I – III, Tübingen 2004 – Noy, David: Jewish Inscriptions of Western Europe I/II, Cambridge 1994/95 – Schwabe, Moshe / Lifshitz, Baruch: Beth She’arim II: The Greek Inscriptions, New York 1974.

Weitere Literatur Aitken, James: The Jewish Use of Greek Proverbs, in: Nicholas de Lange / Julia Krivoruchko / Cameron Boyd-Taylor (ed.), Jewish Reception of Greek Bible Versions, Tübingen 2009, 53-77 – Ameling, Walter: Epigraphische Kleinigkeiten IV, ZPE 219, 2019, 185 f. – Blass, Friedrich / Debrunner, Albert / Rehkopf, Friedrich (ed.): Grammatik des Neutestamentlichen Griechisch, Göttingen 182001 – Breytenbach, Cilliers: Psalms LXX and the Christian Definition of Space: Examples Based on Inscriptions from Central Asia Minor, in: Johann Cook / Hermann Josef Stipp (ed.), Textcritical and Hermeneutical Studies in the Septuagint, 2012, 381-94 – Cappelletti, Silvia: Biblical Quotations in the Greek Jewish Inscriptions of the Diaspora, in: Nicholas de Lange / Julia G. Krivoruchko / Cameron Boyd-Taylor (ed.), Jewish Reception of Greek Bible Versions, Tübingen 2009, 128-141 – Deissmann, Adolf: Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neu entdeckten Texte der hellenistisch-römischen Welt, Tübingen 41923 – Feissel, Dennis: La bible dans les inscriptions grecques, in: Claude Mondésert (ed.), Le monde ancien et la bible, Paris, 1984, 223-231 – Hengel, Martin: Die Septuaginta als ›christliche Schriftensammlung‹, ihre Vorgeschichte und das Problem ihres Kanons, in: id. / Anna Maria Schwemer (ed.), Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum, WUNT 72, Tübingen 1994, 182-284 – Kotansky, Roy: Greek Magical Amulets. The Inscribed Gold, Silver, Copper and Bronze Lamellae Published Texts of Known Provance, Papyrologica Coloniensia 22.1, Opladen 1994 – Lifshitz, Baruch / Schiby, Jacob: Une synagogue samaritaine à Thessalonique, RB 75, 1968, 368-378 – Rajak, Tessa: Translation and Survival, Oxford 2009 – Robert, Louis: Opera Minora Selecta V; VII, Amsterdam 1989 / 1990 – Salvesen, Alison: Psalm 135(136):25 in a Jewish Greek inscription from Nicaea, in: Geoffrey Khan (ed.), Semitic Studies in Honour of Edward Ullendorff, Leiden 1992, 212-221 – Stebnicka, Krystyna: Identity of the Diaspora. Jews in Asia Minor in the Roman Imperial Period, JJP Supplement 26, Warsaw 2015 – Strubbe, Johan H. M.: Curses against Violation of the Grave in Jewish Epitaphs of Asia Minor, in: Jan Willem van Henten / Pieter Willem van der Horst (ed.), Studies in Early Jewish Epigraphy, Leiden 1994, 70-128 – Trebilco, Paul: Jewish Communities in Asia Minor, Cambridge 1991 – van der Horst, Pieter Willem: Studies in Ancient Judaism and Early Christianity, Leiden 2014 – van der Horst, Pieter Willem: Biblical Quotations in Ju-

481

gtvh 08105 / p. 482 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

daeo-Greek Inscriptions, in: Bart Koet / Steve Moyise / Joseph Verheyden (ed.), The Scriptures of Israel in Jewish and Christian Tradition, Leiden 2013, 363-376 – van der Horst, Pieter Willem: Ancient Jewish Epitaphs, Kampen 1991 – Vriezen, Karel: Inscriptions in Mosaic Pavementes in Byzantine Palaestina/Arabia Quoting Texts from the Old Testament, in: Leonard V. Rutgers – Pieter Willem van der Horst – Henriette Havelaar – Lieve Teugels (ed.), The Use of Sacred Books in the Ancient World, 1998, 49-60 – Zuckerman, Constantine: Psalm 135:25 in Symmachus’ Translation on a Jewish Inscription from Nicaea (Iznik), in; SCI 20, 2001, 105-111.

1. Einleitung Jüdische Inschriften mit Bibelzitaten wurden von Felle 614 ff. no. B 1070 – 1105 zusammengestellt: 1 Er fand 36 Inschriften, von denen hier allerdings nur knapp 20 einschlägig sind. 2 Selbst wenn in manchen dieser Texte auf Stellen aus dem AT angespielt wird, so enthalten viele von ihnen doch keine wirklichen Zitate, 3 ist bei vielen von ihnen 1.

2.

3.

Felle: Biblia Epigraphica gibt oft, aber nicht immer Verweise auf die neueren Corpora jüdischer Inschriften; seine Inschriften sind dort aber nicht schwer zu finden. – Übersetzungen sind, wenn nicht ausdrücklich gesagt, aus den jeweils zitierten Corpora übernommen; Septuaginta-Übersetzungen in der Regel aus LXX.D. Nicht einschlägig sind: a) lateinische Texte: Noy: Inscriptions I, 120 (Tarent); 197 (Augusta Emerita); LeBohec: Inscriptions, 190 no. 168 (Henchir Fouara); b) Texte in hebräischer resp. aramäischer Sprache: CIJ II 1164 (Beth Alpha, Synagoge); IJudOr III Syr 4 (Tyros); Syr 42 (Damaskus); Syr 44 – 47 (Palmyra); Syr 76 (Beroia); Noy: Inscriptions I, 21 (Nola); die von Felle: Biblia Epigraphica, 622 B 1094 zitierte Lampe; c) evtl. christliche Texte: zu Felle: Biblia Epigraphica, 614 B 1071 (CIJ II 877, Sidon) erklären Noy / Bloedhorn: IJudOr III, 24: »uses terminology which is much more likely to be from a Christian than a Jewish tomb«; dasselbe dürfte für das Amulett aus Tyros gelten (Felle: Biblia Epigraphica, 614 B 1072), in dem Ps 90, 1 zitiert wird (nicht in IJudOr III); d) uneindeutige Zuordnungen: 1) IJudOr II, 47 (Hypaipa): Ἰουδα|[ί]ων νε|ωτέ|ρων (»(Platz) der jüngeren Juden«) ist sicher kein Hinweis auf Sus 41; 60-62, geschweige denn ein Zitat; 2) IJudOr I Mac 13 (Thessalonike): κύριος μεθ᾽ ἡμῶν (»The Lord (is) with us«), mag man als Zitat von Jes 7,14; Ps 45,8 sehen, doch macht es auch ohne diesen Hintergrund Sinn; 3) CIJ II 1189 (Nikopolis; cf. Felle 625 B 1101) wurde als Zitat von Ps 5,12 gewertet (πάντες εὐλογοῦσιν [»Tous (le) louent«]), ist aber wohl anders zu lesen, s. CIIP IV 3100 (Emmaus [Nicopolis]): εὐχι πάντες λέγουσιν (»,. prayer … all say …); 4) IJudOr II Magica 4 ist ein Zaubertext, der Jes 6,3 zitiert – doch ist die Herkunft solcher Stücke schwer abzuschätzen; das gilt sogar 5) für die große Gemme Felle: Biblia Epigraphica, 620 B 1085, die so ausführlich von L. Robert, Op. Min. VII, 468 ff. besprochen wurde: hier zeigt sich, wie stark der jüdische Einfluß in der Welt der Magie war, aber ein einschlägiges Zitat läßt sich ebensowenig finden wie der Beweis jüdischer Herkunft; 6) IJudOr II, 170 ist zu fragmentarisch überliefert, als daß sich ein Zitat im griechischen oder hebräischen Text sicher bestimmen ließe. – Einzelne Ausdrücke, die nicht wirklich einer bestimmten Stelle zuzuordnen sind, werden im Folgenden nicht behandelt (reflektiert z. B. die ὀργὴ θεοῦ [»Zorn Gottes«] die in der LXX häufige ὀργὴ κυρίου [»Zorn des Herrn«]?). Mehrfach werden in Akmoneia αἱ ἀραὶ ἡ γεγραμμέναι ἐν τῷ Δευτερονομίῳ evoziert (IJudOr II, 173-4 [»die Flüche, die im Deuteronomium aufgeschrieben sind«]), was auf Dtn 27; 29 zu beziehen ist; das dort auch verwendete Wort ἐπικατάρατος (»verflucht«) führt ebenfalls in die Sprache der LXX, ohne daß es mit einer bestimmten Stelle verbunden werden könnte (Robert, Op. Min. V, 706). Dasselbe gilt für IJudOr II, 186 (Akmoneia): ὃς δ᾽ ἂν ἐπιχειρήσει ἕτερον ἐπεισενεγκεῖν, λήψεται παρὰ τοῦ ἀθανάτου θεοῦ μάστειγα αἰώνιον

482

gtvh 08105 / p. 483 / 31.3.2022

Jüdisch-griechische Inschriften

nicht sicher auszumachen, ob die LXX oder eine andere Übersetzung im Hintergrund stand. 4 In den Anm. 3 und 4 genannten Fällen ist es wahrscheinlich, wenn auch nicht wirklich sicher, daß Juden die Urheber waren. Interessanter scheint mir aber, daß eine Wirkung dieser Flüche zum Schutz des Grabes vorausgesetzt wurde – daß also die Menschen in der Umgebung, die die Flüche lesen sollten, an die Wirkmacht des Deuteronomions glauben mussten. 5

2. Zitate in jüdischen Grabinschriften Wieder gibt es Beispiele, in denen die Herkunft einer Wendung aus einer griechischen Übersetzung des AT sicher ist oder wenigstens vermutet wird, aber kein genaues Zitat verwendet wird. 6 Zwei späthellenistische Flüche auf Grabsteinen aus Rheneia (IJudOr

4.

5.

6.

(»Wer aber versuchen sollte, einen anderen zusätzlich hineinzulegen, der wird vom unsterblichen Gott die ewige Geißel erhalten«): der atl. Kontext ist klar, aber ein genauer Herkunftsort der Drohung konnte noch nicht gefunden werden. – Gerade in Phrygien gibt es viele Grabinschriften, deren Flüche εἰς τέκνα τεκνῶν (»gegen Kinder und Kindeskinder«) Geltung haben sollen; diese Formel wurde manchmal mit Prov 17,6 (Trebilco: Communities, 69 ff.) oder Ex 34,7 verbunden (Stebnicka: Identity, 8), aber es ist ganz klar, daß hier eine allgemeine griechische Tradition zu fassen ist, Strubbe: Curses, 73 ff. Eine Ausnahme macht IJudOr II, 175 (Akmoneia; vgl. auch das Fragment IJudOr II, 176): ἐὰν δέ τις αὐτῶν μὴ φοβήθῃ τούτων τῶν καταρῶν, τὸ ἀρᾶς δρέπανον εἰσέλθοιτο εἰς τὰς οἰκήσις αὐτῶν καὶ μηδίναν ἐνκαταλείψετο (»Wenn aber einer von ihnen diese Verfluchungen nicht fürchten sollte, dann soll des Fluches Sichel in ihre Häuser eindringen und niemanden zurücklassen«). Hier wird Bezug genommen auf Sach 5,1 ff., wo der MT von einer fliegenden Buchrolle (megillah) spricht, auf der der Fluch geschrieben ist, während die Übersetzer der LXX wohl maggal, Sichel, lasen und daraus δρέπανον machten. Aquila und Theodotion waren näher an MT und übersetzten διφθέρα (»eine Art rohes Pergament«, Pape s. v.), wie die Hexapla bezeugt. Vgl. auch Stebnicka: Identity, 202 ff. Dasselbe gilt auch für die oft zitierten Inschriften aus Euboia, die Flavius Amphikles errichten ließ (IG XII 9, 955; 1179: τοῦτόν τε θεὸς πατάξαι ἀπορίᾳ καὶ πυρετῷ καὶ ῥίγει καὶ ἐρεθισμῷ καὶ ἀνεμοφθορίᾳ καὶ παραπληξίᾳ καὶ ἀορασίᾳ καὶ ἐκστάσει διανοίας [»que Dieu le frappe d’indigènce, de fièvre, de frisson, d’éréthisme, de vent destructeur, de démence, de cécité, d’égarement de l’ésprit« (Robert, Op. Min. V 702)]). Hier werden ebenfalls Flüche des Dtn zitiert, und zwar 28,22: πατάξαι σε κύριος ἀπορίᾳ καὶ πυρετῷ καὶ ῥίγει καὶ ἐρεθισμῷ καὶ φόνῳ καὶ ἀνεμοφθορίᾳ καὶ τῇ ὤχρᾳ, καὶ καταδιώξονταί σε, ἕως ἂν ἀπολέσωσίν σε (»Der Herr möge dich mit Not, Fieber Kälte, heftiger Aufregung, Totschlag, Sturmschäden und mit Mehltau schlagen, und sie sollen dich verfolgen, bis sie dich zugrunde gerichtet haben«); 28: πατάξαι σε κύριος παραπληξίᾳ καὶ ἀορασίᾳ καὶ ἐκστάσει διανοίας (»Der Herr möge dich schlagen mit Verrücktheit, Blindheit und Verwirrung des Geistes«). Robert, Op. Min. V, 701 ff. zeigt, daß der Autor aus seiner von Herodes Atticus her stammenden Vorlage polytheistische Elemente entfernt hatte (704: »Rien dans l’inscription ne peut gêner un judaisant ou un Juif.«). Liturgische Sprache wird auch sonst verwendet: εὐλογοῖτο τε ἐν παντὶ δήωμι καὶ πληθύοι αὐτῷ παίδων γοναῖς καὶ καρπῶν ἀπολαύσεσιν (»er sei gepriesen in jedem Volk und er es soll ihm (das Haus) voll sein mit Kindern und von Genuß an Feldfrüchten«). Robert 706 betont, daß dieser Kenner des Dtn – vielleicht sogar der Sprache der LXX – ein bekannter Sophist und Mitglied eines »weit berühmten Geschlechtes aus consules« (γένεος φερεκυδέος ἐξ ὑπάτων) war. Noy: Inscriptions II, 588 (Goldglas aus einer römischen Katakombe): οἶκος ἰρή[νη]ς. λάβε

483

gtvh 08105 / p. 484 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

I Ach 70/71) stellen die frühesten Belege für die epigraphische Nutzung der LXX dar. 7 Wichtig ist unter den Grabinschriften v. a. die häufige Benutzung von Prov 10, 7: μνήμη δικαίων μετ᾽ ἐγκωμίων (»Das Gedenken an Gerechte [wird gefeiert] mit Lobreden«), das einmal sogar in einer lateinischen Form verwendet wird (Noy: Inscriptions I, 120), und ansonsten viermal in Grabinschriften vorkommt – allerdings dreimal in Rom (IJudOr I Cret 3; Noy: Inscriptions II, 112; 276; 307). Dabei sind die Zitate nie völlig identisch, 8 was ganz unterschiedliche Gründe haben kann: a) Die Zitate werden dem Gegenstand angepaßt, weshalb wir auch nicht den Plural finden (μνήμη δικαίων), sondern immer nur den auf einen Toten bezogenen Singular. 9 b) μνήμη und μνεία sind in den italischen Grabinschriften fast austauchbar, und gerade in Rom ist μνεία besonders häufig: Wir können es also mit einer ohnehin geringen Anpassung an epigraphische Bräuche der Umgebung zu tun haben – zumal die Genauigkeit eines Zitates nicht unbedingt einen Wert darstellte 10 – wie die Inschrift aus Kreta ja auch

7.

8.

9.

10.

εὐλογία (»House of peace. Accept a blessing.«); hier der Verweis auf 1 Reg 25, 27: καὶ νῦν λάβε τὴν εὐλογίαν ταύτην κτλ. (»und nun nimm diese Segensgabe«). 2 Chron 5, 15: νῦν λάβε τὴν εὐλογίαν παρὰ τοῦ δούλου σου (»und nun nimm die Segensgabe von deinem Diener an«). Cf. Cappelletti: Quotations, 132. – Persönlich sehe ich in Noy: Insciptions II, 25 (Felle: Biblia Epigraphica, 625 B 1102; Rom: νῦν δέσποτα ἐν εἰρήνῃ κόμησιν αὐτοῦ [»Now, Lord, (grant?) his sleep in peace.«]) keinen brauchbaren Bezug zu Ps 4,9: ἐν εἰρήνῃ ἐπὶ τὸ αὐτὸ κοιμηθήσομαι καὶ ὑπνώσω, ὅτι σύ, κύριε, κατὰ μόνας ἐπ᾽ ἐλπίδι κατῴκισάς με (»Im Frieden werde ich mich hinlegen und am selben Ort einschlafen, denn du, Herr, hast meine Wohnung allein auf Hoffnung gegründet«). Auch Noy II 584 (Felle: Biblia Epigraphica, 625 B 1103; Rom: εἶδεν ἐκ τῶν τέκνων αὐτῆς ἔγγονα [»From her children she saw grandchildren.«]) zeigt keine signifikante Verbindung zu Ps 127,6: καὶ ἴδοις υἱοὺς τῶν υἱῶν σου (»und sehen mögest du die Söhne deiner Söhne«). Und zitiert Beth Shearim II 130 (ἔσηται ἡ ψυχὴ ὑμῶν ἐχομένη ἀθανάτου βίου [»may your souls be bound (in the bundle) of immortal life«]) wirklich 1 Reg 25,29 ([»das Leben meines Herrn wird eingebunden sein in das Bündel des Lebens bei Gott, dem Herrn«], so van der Horst: Quotations, 366)? Da die beiden Texte fast identisch sind, zitiere ich nur aus Ach 70, und darunter nur die wichtigsten Parallelen. – Z. 3 f.: τὸν κύριον τῶν πνευμάτων καὶ πάσης σαρκός (»the Lord of the spiritis and all flesh«), cf. Num 16,22: Θεὸς θεὸς τῶν πνευμάτων καὶ πάσης σαρκός (»Gott, du Gott der Geister und allen Fleisches«); 27,16: κύριος ὁ θεὸς τῶν πνευμάτων καὶ πάσης σαρκός (»der Herr, der Gott der Geister und allen Fleisches«). – Z. 5 f.: ἐχχέαντας αὐτῆς τὸ ἀναίτιον αἷμα (»wickedly spilled her innocent blood«), cf. Dtn 19,10: καὶ οὐκ ἐκχυθήσεται αἷμα ἀναίτιον ἐν τῇ γῇ σου (»und nicht soll unschuldiges Blut in deinem Land vergossen werden«). – Z. 9 f.: κύριε, ὁ πάντα ἐφορῶν (»O Lord, who sees everything«), cf. Hiob 34,23: ὁ γὰρ κύριος πάντας ἐφορᾷ (»denn der Herr beobachtet alle«). Allgemein: Deissmann: Licht, 351 ff.; Hengel: Septuaginta, 236 f. IJudOr I Cret 3: μνήμη δικέας (!) ἰς ἐῶνα (»The memory of the righteous woman (be) forever«); Noy: Inscriptions II, 112: μνία δικαίου εἰς εὐλογίαν (»The memory of the righteous one for a blessing«); 276: μνήμη δικαίου ἰς εὐλογίαν, οὗ ἀληθῆ τὰ ἐνκώμια (»The memory of a just man for a blessing, whose eulogies are true«); 307: μνήμη δικαίο[υ] σ[ὺ]ν ἐνκωμίῳ (»The memory of the just man with praise«);. S. hierzu Aitken: Jewish Use, 62 ff.; Cappelletti: Quotations, 128 ff.; van der Horst: Quotations, 367 ff. In diese Richtung weist auch der Gebrauch des Singulars in Gen. Rab. 49, 1 zu Gen. 17,17-9 (zitiert bei Noy: Inscriptions I, 157). Gegen Aitken: Jewish Use, 63 glaube ich nicht, daß der Singular auf die größere Nähe zum hebräischen Text zurückzuführen ist, sondern daß es sich bei ihm um eine Anpassung an die Situation der Inschrift handelt. Das gilt auch für Zitate aus dem hebräischen Text des AT: Horbury/Noy: Inscriptions, 119

484

gtvh 08105 / p. 485 / 31.3.2022

Jüdisch-griechische Inschriften

zeigt. c) Der Gebrauch des Wortes εὐλογία (»Segen«) an Stelle von ἐνκώμιον wird gerne auf die Benutzung der Aquila-Übersetzung zurückgeführt, 11 die aber doch wohl die LXX nicht völlig ersetzt hat: Noy: Inscriptions II, 276 hat eine Kombination beider Formulierungen, die kaum auf die parallele Benutzung unterschiedlicher Übersetzungen, sondern auf Erinnerungen im mündlichen Umgang mit Segenswünschen zurückzuführen sein wird. 12 Hebräische Zitate des Verses finden sich dann im spätantiken Süditalien (Noy: Inscriptions I, 122; 131; 133; 137) – in zeitlicher wie geographischer Hinsicht ein interessanter Befund.

3. Zitate in Synagogen Inschriften mit Zitaten biblischer Bücher aus Synagogen gibt es kaum – nur zwei aus jüdischen Synagogen, eines aus einer samaritanischen Synagoge in Thessaloniki. Alle Texte stammen aus der Spätantike. IJudOr I Mac 17 beginnt mit einem samaritanischen Segen, auf den der Segensspruch Num 6,22-27 folgt – in einer Form, die an 13 Stellen von der LXX abweicht. 13 Der Segen gilt offenbar den Besuchern des Gotteshauses. Aus dem 6./7. Jh. stammt ein Mosaik vom Boden einer Synagoge in Caesarea Maritima (CIIP II, 1142) – ein fast perfektes Zitat von Is 40,31: 14 Die Stelle ist ebenfalls auf die Besucher der Synagoge zu beziehen. Ein reich verzierter Stein aus Nikaia in Bithynien gehörte sicher zu einer Synagoge, vielleicht sogar zu einem Torah-Schrein (IJudOr II, 153). Dort steht ein Zitat des Ps 135(136),25: διδοὺς ἀρ[τ]ὸν τῖ πάσι σαρκί, ὅτι εἰ[ς] ἐῶνα ἔλεο[ς] αὐτοῦ (»Der allem Fleisch Speise gibt, denn seine Güte währet ewiglich«). Dies wurde Symmachus zugeschrieben 15, andere Stimmen dachten an Aquila oder wenigstens an eine Aquila nahestehende Übersetzung.

11. 12.

13.

14. 15.

(Antinoopolis) mit einer freien Wiedergabe von 1 Sam 25, 29; Noy: Inscriptions I, 120; 183 zitieren Prov 10, 7 sehr frei. Aitken: Jewish Use, 63; 64; Cappelletti: Quotations, 130; cf. van der Horst: Epitaphs, 37. Vgl. auch die leichte Änderung in Noy: Inscriptions II, 307: μνήμη δικαίο[υ] σ[ὺ]ν ἐνκωμίῳ statt μετ᾽ ἐγκωμίων (vgl. n. 8). Sprachlich ist der Unterschied zwischen μετά und σύν kaum noch zu spüren, Blass / Debrunner / Rehkopf: Grammatik, 183 § 227. Lifshitz / Schiby: Synagogue, 370. Diese Unterschiede sind verschieden interpretiert worden: als Beleg für eine eigenständige samaritanische Übersetzung (Lifshitz / Schiby: Synagogue; van der Horst: Epitaphs, 144); als Beleg für eine LXX-Revision, die sich wieder stärker dem Hebräischen hatte annähern wollen (Feissel: Bible, 225 mit Verweisen). Es handelt sich wohl um das einzige griechische Bibel-Zitat in einer inscriptio iudaica aus Palaestina. Zuckerman: Psalm, 105 ff., bes. 111: »the first empirical proof of the use of Symmachus’ translation … in a Jewish, arguably synagogal context«. S. sonst Salvesen: Psalm, 212 ff.; Cappelletti: Quotations, 134 ff.; Stebnicka 204.

485

gtvh 08105 / p. 486 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

4. Sonstiges Und was für die Bibel insgesamt gilt, gilt erst recht für deren griechische Übersetzungen. In den Bereich der Magie gehört ein aus dem 2./3. Jh. n. Chr. stammendes Bronzeplättchen aus Akrai bei Syrakus (Felle: Biblia Epigraphica, 618 B 1082), das sich selbst als φυλακτήριον Μωσέως bezeichnet (»phylactery of Moses«). 16 Wie viele Zaubertexte, so wurde auch dieser wohl aus einem Musterbuch abgeschrieben. Z. 19-22 steht ein Zitat von Dtn 31,1-3 nach der Übersetzung des Aquila. 17 Unklar ist die Interpretation einer Inschrift aus Harran (Karrhai). 18 Dort wird das e Sch ma Jisrael zitiert (Dtn 6,4 f.): ῎Ακουε, Ισραηλ· κύριος ὁ θεὸς ἡμῶν κύριος εἷς ἐστιν (»Höre, Israel: Der Herr, unser Gott, ist ein einziger Herr«). Es ist nicht klar, woher dieser Stein stammt, der in zweiter Verwendung als Gewicht einer Presse diente, aber die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß es sich hier um den Türsturz einer Synagoge handelte (womit zum erstenmal Juden in Harran bezeugt wären).

5. Zusammenfassung Insgesamt haben wir nur wenige griechische Inschriften mit atl. Zitaten gefunden. 19 Die meisten stammen von Grabinschriften – griechische Bibel-Zitate in Synagogen sind ausgesprochen selten (einzig in Palaestina sind Bibelzitate in Synagogen überhaupt verbreitet, aber dann auf hebräisch). Selten sind es präzise Zitate (was im übrigen auch für das Aquila-Zitat aus Dtn 31 gilt), aber es zeigt sich immerhin, daß die LXX seit dem 1. Jh. v. Chr. und mindestens noch im 3. Jh. n. Chr. in den Gemeinden präsent war – ein Argument gegen die früher vorgetragene These, daß der christliche Gebrauch der LXX zu neuen jüdischen Übersetzungen geführt habe. Allerdings wurde die LXX nicht einzig benutzt: neben ihr standen auch andere Übersetzungen, wie z. B. die des Aquila und des Symmachus. Die hauptsächlich benutzten Texte sind ganz andere als die, die wir später in christlichen Inschriften finden; 20 gegen Ende der Antike wird das Zitieren der hebräischen Versionen immer häufiger. Wie Cappelletti sagte: 21

16. Ausführlich Kotansky: Amulets I, 126 ff. no. 32, bes. 149 – 154 zum Zitat und seiner Zuweisung an Aquila. 17. Dtn 31,1-3 (nach Aquila): γν[ο]hφωiθήσεται οὐ|ρανός, [κ]αὶ λαλήσω, καὶ [ἀ]κούετω ἡ γῆ λόγhον στόμiα|τος μοῦ … ὡς τριhχιiῶντ[α] ἐπὶ πόαν καὶ | ὡς ψεκάδες ἐπὶ χλοήν. ὅτι ὄνομα κ(υρίο)υ hἐκάλεσαi (»The Heaven will bei darkened, and I will speak, and let the earth hear the words of my mouth, as finde dew upon the grass and as gentle showers upon the herb, because ›I have called‹ the name of the Lord.«);. Vgl. noch Kotansky: Amulets, 149: »Elsewhere in this table there seems to be additional allusions to Aquilan readings«. 18. E. Lafli, Philia 4, 2018, 90 nr. 20 mit Ameling, Kleinigkeiten 185 f. 19. Feissel: Bible, 230, zitiert noch zwei Texte, bei denen jüdische Herkunft erwogen wurde: a) ein Jona-Zyklus in Mopsuestia, cf. IJudOr II, 496; b) Psalm 14 in Zypern, cf. IJudOr III App. 25. 20. Van der Horst: Quotations, 375 weist auf das Fehlen des in christlichen Inschriften so prominenten Psalters hin (gegen Breytenbach: Psalms, 383 scheint mir in CIIP II, 1348 keine jüdische, sondern eine christliche Inschrift vorzuliegen). 21. Cappelletti: Quotations, 141; cf. Stebnicka: Identity, 213 »It is evident that the Jews did not

486

gtvh 08105 / p. 487 / 31.3.2022

Jüdisch-griechische Inschriften

»We have to conclude that in the Diaspora of the Roman period, the Jews did not use the Bible in an epigraphic context to define and assess their cultural and ethnic identity.«

express their cultural and religious identity by explicit biblical citations and references to the Old Testament.«

487

gtvh 08105 / p. 488 / 31.3.2022

3.1.6 Tannaitisches Schrifttum Elisabeth Bittner Literatur Aptowitzer, Victor: Rabbinische Parallelen und Aufschlüsse zu Septuaginta und Vulgata, ZAW 29 (1909), 241-252 – Dorival, Gilles: New light about the origin of the Septuagint?, in: Wolfgang Kraus / Martin Karrer (ed.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 36-47 – Frankel, Zacharias: Ueber den Einfluss der palästinischen Exegese auf die alexandrinische Hermeneutik, Leipzig 1851 – Fürst, Julius: Spuren der palästinisch-jüdischen Schriftdeutung und Sagen in der Übersetzung der LXX, in: George Alexander Kohut (ed.), Semitic Studies in Memory of Rev. Dr. Alexander Kohut, Berlin 1897, 152-166 – Law, Timothy M. / Salvesen, Alison (ed.): Greek Scripture ans the Rabbis, CBET 66, Leuven 2012 – Rosenblatt, Samuel: The Interpretation of the Bible in the Mishnah, Baltimore 1935 – Rosenblatt, Samuel: The Interpretation of the Bible in the Tosefta, The Jewish Quarterly Review, Monograph Series IV (1974) – Schenker, Adrian: Was führte zur Übersetzung der Tora ins Griechische? Dtn 4,2-8 und Platon (Brief VII,326a-b), in: Wolfgang Kraus / Martin Karrer (ed.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 23-35 – Simon-Shoshan, Moshe: The Task of the Translators. The Rabbis, the Septuagint, and the Cultural Politics of Translation, Prooftexts 27, 1 (2007) 1-39 – Stemberger, Günter: Einleitung in Talmud und Midrasch, 9., vollständig neubearbeitete Auflage, München 2011 – Tov, Emanuel: The Rabbinic Tradition concerning the ›Alterations‹. Inserted into the Greek Translation of the Torah and Their Relation to the Original Text of the Septuagint, in: Ders. (ed.), The Greek and Hebrew Bible. Collected Essays on the Septuagint, VT.S 72, Leiden / Boston / Köln 1999, 1-20 – Vahrenhorst, Martin: Zwischen Alexandria und Tiberias. Berührungen zwischen dem Text der LXX und den rabbinischen Traditionen, in: Wolfgang Kraus / Siegfried Kreuzer (ed.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 483-500 – Veltri, Giuseppe: A Mirror of Rabbinic Hermeneutics. Studies in Religion, Magic and Language Theory in Ancient Judaism, SJ 82, Berlin 2015 – Veltri, Giuseppe: Eine Tora für den König Talmai. Untersuchungen zum Übersetzungsverständnis in der jüdisch-hellenistischen und rabbinischen Literatur, TSAJ 41, Tübingen 1994 – Wasserstein, Abraham / Wasserstein David J.: The Legend of the Septuagint: From Classical Antiquity to Today, Cambridge 2006 – Wevers, John William: Notes on the Greek Text of Genesis, SCS 35, Atlanta 1993 – Wevers, John William: Notes on the Greek Text of Exodus, SCS 30, Atlanta 1990 – Wevers, John William: Notes on the Greek Text of Leviticus, SCS 44, Atlanta 1997 – Wevers, John William: Notes on the Greek Text of Numbers, SCS 46, Atlanta 1998 – Wevers, John William: Notes on the Greek Text of Deuteronomy, SCS 39, Atlanta 1995.

1. Allgemein Schenkt man ihrer Selbstauskunft Glauben, so nehmen die rabbinischen Schriften neben der Hebräischen Bibel und ihrem eigenen Textcorpus auf keine weiteren Schriften als Referenztexte Bezug. 1 Schon die Frage nach der Übersetzbarkeit der Tora löste bei 1.

Vgl. Simon-Shoshan: The Task of the Translators, 1.

488

gtvh 08105 / p. 489 / 31.3.2022

Tannaitisches Schrifttum

den jüdischen Gelehrten der tannaitischen Epoche zwiespältige Reaktionen aus. Einerseits galt Ihnen Griechisch als die einzige geeignete Übersetzungssprache für die Heiligen Schriften Israels: M Meg I 8 2 beschränkt die Sprache von Tefillin und Mezuzot auf das Hebräische, während für Schriftrollen und Bücher jede Sprache (nach R. Schimon ben Gamliels Ansicht nur Griechisch) als zulässig betrachtet wird. 3 Letzteres gilt sogar für die mündliche Übersetzung von Tora und Propheten als völlig unproblematisch. 4 Andererseits findet sich neben dieser recht liberalen Position die Behauptung der absoluten Unübersetzbarkeit Heiliger Texte: T Meg III 21 5 unterstellt im Namen R. Jehudas sowohl demjenigen, der sich an einer ausgangssprachlich orientierten Übersetzung versucht, als auch demjenigen, der eine zielsprachlich orientierte Übersetzung anstrebt, Lüge und Lästerei; die Möglichkeit der Anfertigung einer Übersetzung wird somit ausgeschlossen. Darüber hinaus wird bereits das generelle Phänomen der Schriftlichkeit als problematisch angesehen: Der Midrasch Tanchuma 6 warnt vor Verschriftlichung der bestimmenden Tradition und insbesondere davor, neben der Tora auch die Mischna in schriftlicher Form zu überliefern, wodurch sich eine unerwünschte Verbreitung vollzöge. Die übersetzbare und übersetzte Tora könne die fremden Völker 7 dazu veranlassen, sich ihrerseits als Israel und als Kinder Gottes zu bezeichnen – eine exklusive Position, die allein Israel durch die mündliche Weitergabe der Mischna (bzw. der mündlichen Tora), hier als Geheimnis Gottes bezeichnet, rechtmäßig zustehe. Samuel Rosenblatt 8 legt zwei ausführliche Listen von Abweichungen zwischen der Mischna bzw. der Tosefta (die beiden wichtigsten Textcorpora der tannaitischen Epoche) und dem masoretischen Bibeltext (MT) vor. Auch wenn fraglich bleibt, ob es sich bei diesen Unterschieden um echte Varianten handelt oder ob den Rabbinen nicht eventuell ein anderer Text als die im Mittelalter bestimmend gewordene Texttradition vorlag, so lässt sich hieraus dennoch schlussfolgern, dass sich die Verbindlichkeit »des« Textes der Hebräischen Bibel anfangs in Grenzen hielt.

2. Die LXX-Legende Die Legende von der Entstehung der LXX 9 wird in der rabbinischen Literatur verschiedener Epochen tradiert (BerR, yMeg, bMeg, SefT, MekhY, Tan und TanB, ARN 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

.‫ ותפילין ומזוזות אינן נכתבות אלא אשורית‬.‫ אלא שהספרים נכתבין בכל לשון‬.‫אין בין ספרים לתפילין ומזוזות‬ ‫ אף בספרים לא התירו שיכתבו אלא יונית‬.‫רבן שמעון בן גמליאל אומר‬ yMeg 71c ist überzeugt, dass die Tora angemessen nur ins Griechische und in keine andere Sprache übersetzt werden kann. Vgl. T Meg III 13 (‫)א’ קורא בתורה וא’ מתרגם‬.

‫רבי יהודה אומר המתרגם פסוק כצורתו הרי זה בדאי והמוסיף הרי זה מגדף‬

Obwohl erst in der amoräischen Epoche redigiert, ist Rabbi Jehuda wohl im 4. Jh. zu verorten. Hierbei handelt es sich eigentlich um Polemik gegen das entstehende Christentum. Vgl. Rosenblatt: The Interpretation of the Bible in the Mishnah; ders.: The Interpretation of the Bible in the Tosefta. Für die Beweggründe der Übersetzung der Tora liegen keine zeitgenössischen Dokumente vor. Schenker: Was führte zur Übersetzung der Tora ins Griechische?, betrachtet die Möglichkeit der »Begegnung von Mose und Platon in Dtn 4,6-8 und Stellen wie Platons Brief VII 326a-b«

489

gtvh 08105 / p. 490 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

B, Sof, MegTaanB, ShemR, LeqT; MHG). 10 Moshe Simon-Shoshan 11 unterteilt diese Überlieferungen in »Changes« traditions, welche die Übersetzung der Tora ins Griechische als Traditionswandel darstellen, und »Catastrophe« traditions, welche die Entstehung der LXX als Unglück von kosmischem Ausmaß darstellen, wobei die »Catastrophe« traditions deutlich seltener sind und von ihm größtenteils in die nachtalmudische Zeit datiert werden. Die Entstehungslegende der griechischen Übersetzung der Tora ist zumeist mit einer in Umfang und Reihenfolge in den einzelnen Überlieferungen abweichenden Aufzählung von – durchweg als Veränderungen des hebräischen Textes betrachteten – Abweichungen zwischen MT und LXX verbunden. Da diese Listen, bei denen sich tatsächlich beobachtbare Textveränderungen und Veränderungen, die aus theologischen oder politischen Gründen wünschenswert gewesen wären, vermischen, allesamt im Kontext der rabbinischen Traditionsliteratur überliefert werden, muss gefragt werden, welche Funktion ihnen zukommt, zumal die uns überlieferte Version der LXX an erheblich mehr Stellen von dem uns überlieferten MT abweicht als diese Aufzählung suggeriert. 12

3. Implizite Berührungen zwischen LXX und Tosefta 13 Über die in den rabbinischen Listen angeführten Textveränderungen hinaus gibt es weitere, nicht explizit als solche markierte Berührungen zwischen der LXX und den rabbinischen Texten. Insgesamt gestaltet sich eine Antwort auf die Frage nach unmarkierten Veränderungen jedoch schwierig, da es weder den MT 14, noch die Tosefta noch die LXX gibt, sondern vielmehr stets die Heterogenität der jeweiligen handschriftlichen Überlieferung in Rechnung gestellt werden muss:

10.

11.

12. 13. 14.

(33) als Grund für die Übersetzung der Tora ins Griechische. Eine ausführliche Darstellung der antiken und modernen Begründungsansätze für die Entstehung der LXX findet sich bei Dorival: New light, passim. Vgl. Veltri: Tora, 19: »Eine historische, also eine zeitliche Einreihung der Quellen […] wird der Fragestellung der Quellen nicht gerecht und muß daher ihr Ziel verfehlen. Wir besitzen lediglich spärliche Nachrichten, die in verschiedenen Traktaten der rabbinischen Traditionsliteratur in unterschiedlichen Kontexten überliefert sind. Ihre beträchtliche Fluktuation, also die Veränderung von Form und Inhalt einer Aussage, ist nicht nur innerhalb der parallelen Überlieferung in den rabbinischen Korpora, sondern auch der Handschriftenüberlieferung der Traktate selbst nicht zu übersehen.« Vgl. Simon-Shoshan: The Tasks of the Translators, passim. Eine ausführliche Behandlung der LXX-Legende und der Liste von Textveränderungen findet sich in: Wasserstein / Wasserstein: Legend. Vgl. Veltri: A Mirror of Rabbinic Hermeneutics, 253-266; ders., Tora, sowie Tov: Rabbinic Tradition, passim. Vgl die kommentarartige Zusammenstellung von Differenzen zwischen MT und LXX in Wevers: N-Gen; Wevers: N-Ex; Wevers: N-Lev; Wevers: N-Nbs; Wevers: N-Deut. Bislang liegt keine neuere ausführliche Untersuchung der Textformen von Bibelzitaten in den verschiedenen Toseftahandschriften vor. Wenn im Folgenden von MT gesprochen wird, ist der der BHS zugrundeliegende Codex Leningradensis/ Petropolitanus gemeint.

490

gtvh 08105 / p. 491 / 31.3.2022

Tannaitisches Schrifttum

3.1 Übereinstimmungen der Schriftzitate mit der LXX gegen den MT T Sota I 4 zitiert 1 Kön 8,32. Hierbei stimmt die Erfurter Handschrift 15 mit dem MT überein, während die Handschrift Wien genau wie die LXX 16 ein ‫מן‬/ἐκ ergänzt. Die Formulierung 17‫ ִתְּשַׁמע ַהָשַּׁמ ִים‬weist einige Auffälligkeiten auf: Durch den Artikel und die Stellung nach dem finiten Verb ist ‫ השמים‬potentielles Subjekt, was jedoch durch die Inkongruenz mit dem voranstehenden Verb sowie durch die explizite Nennung des Subjekts (‫ )אתה‬unmöglich erscheint. Alternativ wäre es möglich, dass es sich bei dem Wort ‫ השמים‬aufgrund seiner syntaktischen Stellung um ein Akkusativobjekt handelt. Das Fehlen der nota accusativi bei einem solchen Substantiv mit Artikel wäre jedoch ungewöhnlich, zumal sich hierdurch auch inhaltliche Probleme ergeben. Die von der Handschrift Wien, der LXX, dem Targum und der syrischen Übersetzung gebotene Ergänzung hat bereits einen direkten Anhalt in 2 Chr 6,23.25.30.33 (während die Formulierung in 1 Kön 8,32.34.36.39.43 immer ohne ‫ מן‬auftaucht), die die später entstandene Parallelüberlieferung zu 1 Kön darstellt. Eine weitere Möglichkeit stellt das Verständnis von ‫ השמים‬als Vokativ dar: »Und du, Himmel, sollst hören …« Der Kontext, ein Gebet Salomos bei der Tempelweihe, lässt dies plausibel erscheinen. Allerdings ist ‫ השמים‬anders als ‫ המקום‬in der rabbinischen Tradition keine gängige Entsprechung des Gottesnamens. Moderne Übersetzungen ergänzen »im«, was ausschließlich kontextuell (vgl. 1 Kön 8,30 – Gott thront im Himmel), aber nicht aus dem hebräischen Text heraus erklärbar ist, da eine Verlesung von ‫ ה‬und ‫ ב‬angenommen werden müsste, die nicht zu den gängigen Varianten gehört. Die Ergänzung des ‫ מן‬in der Handschrift Wien kann auf eine Aufnahme des LXX-Textes hinweisen, kann jedoch ebenso gut den anderen Texttraditionen wie dem Targum, der syrischen Übersetzung oder 2 Chr geschuldet sein bzw. auf die Schreiber der Toseftamanuskripte, deren Bestreben nach Texterklärung zum gleichen Ergebnis führt, selbst zurückgehen. Gegen eine Anlehnung an die Variante der LXX spricht vor allem, dass die im weiteren Textverlauf auftretende Veränderung der LXX, nämlich τὸν λαόν σου Ισραηλ als Entsprechung bzw. Übersetzung von ‫ ֶאת־ֲעָב ֶדיָך‬nicht ebenfalls übernommen wird. Die Verbindung von Tetragramm und der Gottesbezeichnung ‫ אלהיך‬weicht beim Zitat von Dtn 18,12 in der Erfurter Handschrift von t AZ VIII 6 vom MT erkennbar ab, stimmt jedoch zugleich mit der Reihenfolge der LXX überein. Der MT nennt zunächst das Tetragramm und sodann die Kombination aus Tetragramm und ‫אלהיך‬, während die Handschrift Erfurt sowie die LXX zunächst ‫יהוה‬18 ‫אלהיך‬/κυρίῳ τῷ θεῷ σου und anschließend das Tetragramm/κύριος verwenden. Diese Änderung findet sich in den Varianten zum MT nur partiell: Das Tetragramm wird im samaritanischen Pentateuch, 15. Die Erfurter Toseftahandschrift (Berliner Staatsbibliothek) lässt sich recht genau auf das Jahr 1260 datieren und umfasst nur die ersten vier Sedarim, wohingegen die etwas jüngere Wiener Toseftahandschrift nahezu vollständig ist. Vgl. Stemberger: Einleitung, 177 f. 16. Neben dem Targum und der syrischen Übersetzung, die außerdem ebenfalls in den Versen 36.39.43.45.49 die sich wiederholende Formulierung um ‫מן‬/ἐκ erweitern. 17. Ähnliche Formulierungen finden sich darüber hinaus noch in 1 Kön 8,45.49 (‫) ְוָשַׁמְעָ֙תּ ַהָשַּׁ֔מ ִים‬. 18. Das Tetragramm wird weder in der Handschrift Erfurt noch in der Handschrift Wien ausgeschrieben. W weist drei im Dreieck angeordnete ‫ י‬auf, während E zwei nebeneinander stehende ‫ י‬anstelle des uns aus dem MT bekannten Tetragramms bietet.

491

gtvh 08105 / p. 492 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

der syrischen Übersetzung und in einem Targum durch ‫ אלהיך‬ergänzt. In all diesen Fällen bleibt es jedoch auch im zweiten Fall bei ‫אלהיך יהוה‬. Darüber hinaus ist die Kombination der beiden Änderungen zwar in der LXX eindeutig belegt, aber nicht so ungewöhnlich, dass hier von einer direkten Abhängigkeit ausgegangen werden muss. Ein weiteres vom MT abweichendes Zitat eines Verses aus dem Dtn (Dtn 17,9) findet sich in t RH II 3: Die Erfurter Handschrift lässt genau wie der Codex Vaticanus einen Teil des Verses (‫הכהנים הלוים ואל‬/ τοὺς ἱερεῖς τοὺς Λευίτας καὶ πρὸς) aus. Diese Variante lässt sich als Haplographie bzw. durch die Auslassung des gesamten zwischen den beiden in kurzem Abstand aufeinander folgenden Präpositionen ‫אל‬/ πρός erklären. Hierbei scheint einerseits eine Abhängigkeit der Erfurter Handschrift vom Codex Vaticanus theoretisch möglich. Andererseits wäre auch die Möglichkeit einer gemeinsamen, vom MT und allen anderen erhaltenen hebräischen Handschriften abweichenden Vorlage zu bedenken. Eine eher unauffällige Textvariante findet sich in der Wiener Handschrift von t Neg I 2, welche Lev 14,54-57 zitiert und V. 57 genau wie die LXX 19 mit einem ‫ו‬/καί beginnt. Tatsächlich begegnet hier eine signifikante Bedeutungsverschiebung: Die Variante bewirkt nämlich, dass »und um zu lehren/ ‫ולהורות‬/ καὶ τοῦ ἐξηγήσασθαι« zu einem weiteren Glied der vorangehenden Aufzählung wird, während der MT sämtliche vorherigen Glieder der Aufzählung als Mittel, etwas zu lehren, auffasst.

3.2 Entsprechungen zwischen der Argumentation der Rabbinen und der Übersetzungsentscheidung der LXX 20 Vergleicht man das Zitat von Jes 58,7 in t Sota VII 2 (Erfurter Handschrift) sowohl mit dem MT als auch mit der LXX, so ist der Prophetenvers in der Tosefta mit dem MT identisch, während die LXX ‫ ומבשרך‬mit καὶ ἀπὸ … τοῦ σπέρματός σου widergibt. 21 Der entsprechende Abschnitt in t Sota befasst sich mit der Strafe für einen unrechten Schwur (‫)שבועה‬, bei dem im Gegensatz zu anderen Vergehen wie Lüge, Mord oder Ehebruch nicht nur der Verursacher selbst zur Rechenschaft gezogen wird, sondern auch seine Verwandten. Diese Aussage wird mit einem Zitat aus Koh 5,5 begründet (‫)אַל־ִתֵּתּן ֶאת־ִפּיָך ַלֲחִטיא ֶאת־ְבָּשׂ ֶרָך‬. Das dort begegnende Wort ‫ בשר‬wird von den Gelehrten näher spezifiziert als ‫( קרובו‬seine Verwandten), wofür nun eine Erklärung dieser Behauptung in Form des Zitats von Jes 58,7 eingefügt wird. Dies wiederum kann als Hinweis darauf gelten, dass die Verfasser das Wort ‫ בשר‬ebenso wie die Übersetzer der LXX als Ausdruck einer Verwandtschaftsbeziehung auffassten. Alle diese Beispiele lassen keine eindeutigen Aussagen hinsichtlich des Verhältnisses zwischen den hebräischen und griechischen Texttraditionen zu. Erstens ist es theoretisch möglich, dass die Verfasser der angeführten Toseftahandschriften eine ihnen zugängliche Handschrift der LXX genutzt und daraus ihre Zitate übernommen haben, was jedoch eine sekundäre Rückübersetzung ins Hebräische erforderlich machen wür19. Sowie einige wenige andere Handschriften und die syrische Übersetzung. 20. Einige Beispiele aus der Mischna und anderen rabbinischen Texten finden sich bei Vahrenhorst: Zwischen Alexandria und Tiberias, passim. 21. Weder für die Lesart des MT noch für die der LXX gibt es Varianten.

492

gtvh 08105 / p. 493 / 31.3.2022

Tannaitisches Schrifttum

de. Für diese theoretische Möglichkeit scheinen indes die Übereinstimmungen zwischen dem MT und den Handschriften der Tosefta zu groß bzw. die Übereinstimmungen mit der LXX zu gering zu sein – wie anhand von t Sota I 4 demonstriert, fehlen in den Toseftahandschriften generell deutliche Entsprechungen zur LXX gegen den MT. Zweitens können auch intentionale und methodische Textveränderungen durchaus auf die Verfasser der Toseftahandschriften zurückgehen – die Übereinstimmungen ihrer Abweichungen mit LXX-Handschriften wären somit kein zwingendes Indiz für eine traditionsgeschichtliche Beziehung, sondern allein ein Anhaltspunkt für ein vergleichbares Bestreben nach Texterklärung. Drittens könnten sich die Verfasser der Toseftahandschriften an einigen der genannten Stellen an den Targumim oder auch an syrischen Übersetzungen orientiert haben, da in beiden Fällen anstelle einer rein ausgangssprachlich orientierten Übersetzung vor allem um Aktualisierung und Applikation des Ausgangstextes bemühte Auslegungs- und Deutungstraditionen Anwendung fanden. Viertens können die Gemeinsamkeiten schließlich auch durch die Annahme einer vom MT abweichenden, gemeinsamen hebräischen Vorlage der LXX und der Toseftahandschriften erklärt werden – die Übereinstimmungen wären somit einer früheren Stufe der Textüberlieferung geschuldet.

493

gtvh 08105 / p. 494 / 31.3.2022

3.1.7 Byzantine Judaism Nicholas de Lange Literature Boyd-Taylor, Cameron: Echoes of the Septuagint in Byzantine Judaism, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (eds.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Einflüsse, Tübingen 2010, 272-288 – de Lange, Nicholas: An early Hebrew-Greek Bible glossary from the Cairo Genizah and its significance for the study of Jewish Bible translations into Greek, in: Martin F. J. Baasten / Reinier Munk (eds.), Studies in Hebrew literature and culture presented to Albert van der Heide on the occasion of his sixty-fifth birthday, Dordrecht 2007, 31-39 – de Lange, Nicholas: A Thousand Years of Hebrew in Byzantium, in: William Horbury (ed.), Hebrew Study from Ezra to Ben-Yehuda, Edinburgh 1999, 147-161 – de Lange, Nicholas: Etudier et prier à Byzance, Revue des Etudes Juives 158 (1999), 51-59 – de Lange, Nicholas: Japheth in the Tents of Shem: Greek Bible Translations in Byzantine Judaism (Texts and Studies in Medieval and Early Modern Judaism, 30), Tübingen 2015 – de Lange, Nicholas: Jewish Education in the Byzantine Empire in the Twelfth Century, in: Glenda Abramson / Tudor Parfitt (eds.), Jewish Education and Learning, Chur (Switzerland) 1994, 115-128 – de Lange, Nicholas: Jewish Greek Bible versions, in: Richard Marsden / E. Ann Matter (eds.), The New Cambridge History of The Bible, Cambridge 2012, 56-68 – de Lange, Nicholas: La tradition des « révisions juives » au moyen âge: les fragments hébraïques de la Geniza du Caire, in: Gilles Dorival / Olivier Munnich (eds.), “Selon les Septante”, Hommage à Marguerite Harl, Paris 1995, 133-143 – de Lange, Nicholas: The Greek Bible translations of the Byzantine Jews, in: Paul Magdalino / Robert S. Nelson (eds.), The Old Testament in Byzantium, Washington, DC 2010, 39-54 – de Lange, Nicholas: The Greek Bible in the Medieval Synagogue, in: Robert Bonfil / Oded Irshai / Gedaliahu G. Stroumsa / Rina Talgam (eds.), Jews of Byzantium: Dialectics of Minority and Majority Cultures, Leiden 2011, 371-384 – de Lange, Nicholas: The Hebrew Language in the European Diaspora, in: Benjamin Isaac / Aharon Oppenheimer (eds.), Studies on the Jewish Diaspora in the Hellenistic and Roman Periods, Teʿ uda 12, Tel Aviv 1996, 111-137 – de Lange, Nicholas: Greek Jewish Texts from the Cairo Genizah, Tübingen 1996 – Hesseling, Dirk C.: Le livre de Jonas, BZ 10 (1901), 208-217 – Hesseling, Dirk C.: Les cinq livres de la Loi (le Pentateuque), Leiden / Leipzig 1897 – Krivoruchko, Julia G.: The Constantinople Pentateuch within the Context of Septuagint Studies, in: Melvin K. H. Peters (ed.), XIII Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Ljubljana 2007, Atlanta, GA 2008, 255-276 – Linder, Amnon: The Jews in Roman Imperial Legislation, Detroit / Jerusalem 1987 – Smelik, Willem F.: Justinian’s Novella 146 and Contemporary Judaism, in: Timothy M. Law / Alison Salvesen (eds.), Greek Scripture and the Rabbis, Leuven 2012, 141-163.

1. The language question The story of the Greek Bible in Byzantine Judaism is inseparable from wider developments relating to two languages: Greek and Hebrew. In the ancient period, Greek was the high cultural language as well as the lingua franca over a vast area that included Egypt, Palestine and western Syria. It is to this setting that the original translation of the Hebrew scriptures into Greek by and for the Jewish communities belongs. By the 494

gtvh 08105 / p. 495 / 31.3.2022

Byzantine Judaism

mid-7th century, however, the regions just named, home to large Jewish communities, had passed under Arab rule, and over the following centuries the body of Greek speakers declined considerably, eventually being more or less confined to the ever-shrinking Byzantine empire, of which it remained the official language. Meanwhile Hebrew, which had almost died out at one point, had experienced a dramatic revival among Jews, partly but probably not entirely due to the efforts of the rabbinic movement, which spread the language from Palestine into Europe. Hebrew, while not a spoken language in the Middle Ages, came to be, for most Jews everywhere, the language of prayer and of the public reading of scripture. It was thus at the heart of the Jewish religion, and of the Jewish educational system. 1 For a while the Greek-speaking Jews of the Byzantine empire managed to maintain their liturgy and scriptural readings in Greek, using various Greek versions of the scriptures: the LXX, Aquila, and perhaps other alternative versions. The Kulturkampf between proponents of Greek and Hebrew is exemplified in Novella 146 of Justinian, issued on 8 February 533. The preamble to the Novella speaks of a long-standing conflict between those who want to use Hebrew alone, and those who also want to allow a reading in Greek. The emperor’s decision comes down firmly against the practice of reading the scriptures in Hebrew alone; on the other hand it does not prescribe any specific translation, encouraging the use of LXX, but permitting Aquila or any other translation. The specific mention of Aquila may be a concession to the Hebraist faction, because this is the only translation that is mentioned by name and even spoken of with favour in rabbinic writings. The wording of the novella is subtly ambiguous: it could refer to a reading in Greek in addition to a Hebrew reading, or it might be taken to refer to a reading in Greek (in some synagogues) in addition to a reading in Hebrew (in others). This ambiguity may be deliberate, so as to give some solace to both factions: while permitting a reading in Greek it does not rule out a reading in Hebrew. 2 Despite the emperor’s support for the Hellenist faction, in the course of the succeeding centuries Hebrew decisively won the battle. By the end of the first millennium all the evidence we possess shows Hebrew to be the dominant language of Jewish worship and public reading of the scriptures in Byzantium, with Greek and Aramaic relegated to a subordinate role. It is important to bear this background in mind as we turn to consider the medieval evidence for Greek Jewish translations.

2. Limited evidence The concrete evidence is very limited in its scope and nature. Much of it comes from the Cairo Genizah. This remarkable cache of manuscript and printed materials contains many handwritten fragments of lost works, as well as informal writings, which together throw a new light on many aspects of Jewish life in the Middle Ages, includ1. 2.

de Lange: The Hebrew Language in the European Diaspora; id.: A Thousand Years of Hebrew in Byzantium; id.: Etudier et prier à Byzance; id.: Jewish Education in the Byzantine Empire. Text and translation in Linder: The Jews in Roman Imperial Legislation, 405-411; most recent discussion in Smelik: ‘Justinian’s Novella 146 and Contemporary Judaism.; de Lange: Japheth in the Tents of Shem, 60-67.

495

gtvh 08105 / p. 496 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

ing the use of Greek Bible translations. Their testimony is reinforced by that of manuscripts preserved in other ways, such as Bibles, biblical commentaries and prayer books. With few exceptions, the Greek translations, whether continuous texts or isolated words and phrases, are written in the Hebrew alphabet. 3 Continuous texts of Greek translations are very rare in Jewish manuscripts. Among the Genizah fragments the only example is a fragment of the book of Ecclesiastes, which shares some characteristics of the ancient Greek version of this book, but is not simply a variant text of it. 4 The only book preserved in Greek in its entirety in a medieval manuscript is Jonah, which is found in two 14th/15th-century prayer books. 5 In addition, a Greek translation of the entire Pentateuch was printed in Constantinople in 1547; despite the date of publication (1547), this translation is thought by some specialists to have originated in the Middle Ages. 6 The remaining testimonies come from glossaries, scholia and commentaries, in other words from the apparatus of biblical study. They mainly consist of isolated words and phrases. The dividing lines between these three genres are not always easy to draw. A basic glossary lists Hebrew words with their Greek equivalents in parallel columns. A more developed form of glossary combines Hebrew lemmata, Greek translations, and occasional short Hebrew comments; sometimes two alternative renderings are given. Scholia are short comments on the Hebrew embodying Greek glosses, while commentary takes the form of a continuous Hebrew text in which Greek renderings are used occasionally. The term ‘gloss’ is also commonly applied to marginal and interlinear annotations in the vernacular: these are found written both into biblical texts and into scholia or commentaries. 7

3. The character of the translations Taken together, these scattered testimonies give us a fair idea of the character of the medieval Jewish translations. Firstly, it is clear from alternative renderings of the same biblical word that there was no single authorised Greek text. Different versions circulated side by side. But these all share certain features. They have some very archaic elements, which can be traced back to the ancient translations, particularly that of Aquila, but not excluding the LXX and perhaps some lost versions. 8 At the same time they have lexical, morphological, syntactic and phonological characteristics deriving 3.

4. 5. 6. 7.

8.

Fully searchable texts are available at www.gbbj.org. On the Genizah materials see also de Lange: Greek Jewish Texts from the Cairo Genizah. A substantial collection of scholia on the Prophets, not included in earlier collections, is being edited by Krivoruchko: The Late Byzantine Hebrew–Greek Glossary to the Prophets (to be published by Brill). de Lange: Greek Jewish Texts, 71-78; de Lange: Japheth in the Tents of Shem, 95-98. Hesseling: Le livre de Jonas, 208-217; de Lange: Japheth in the Tents of Shem, 123-126. Edition in Greek characters: Hesseling: Les cinq livres de la Loi (le Pentateuque); discussion: Krivoruchko: The Constantinople Pentateuch within the Context of Septuagint Studies. See further de Lange: The Greek Bible translations of the Byzantine Jews, 39; id.: The Greek Bible in the Medieval Synagogue; id.: Jewish Greek Bible versions; id.: Japheth in the Tents of Shem. de Lange: La tradition des « révisions juives » au moyen âge; id., An early Hebrew-Greek Bible

496

gtvh 08105 / p. 497 / 31.3.2022

Byzantine Judaism

from medieval vernacular Greek. We are thus in the presence of a developing tradition with ancient roots, which (unlike its Christian equivalent) was neither unified nor authoritative. This character may be seen as deriving from its status as secondary and ancillary to that of the Hebrew text, as well as from the inherent conservatism of Byzantine culture in general. For Greek-speakers, who had to make an effort to learn Hebrew, the Greek served as a reference-point, a tool for study, and a guide to the meaning and interpretation of the Hebrew, but it did not exert verbal authority: that belonged to the Hebrew alone.

4. Form and function The specimens of continuous translation demonstrate that such translations existed. From the glossaries and scholia as well as annotations in Hebrew biblical manuscripts we can see how they functioned as a tool for teaching and studying the Hebrew. But how were they used in the synagogue? A feature of the Ecclesiastes fragment, as well as the printed Pentateuch, is that each verse of the Greek is preceded by the opening word or two of the Hebrew. This may point to a bilingual reading, each verse of the Hebrew being followed by its Greek translation. This is the practice indicated in one of the two manuscripts of Jonah, where each verse of the Hebrew is followed by the Greek translation. In the other one, however, there is no indication of a Hebrew reading of the book: the first verse is given in full in Hebrew, and is followed by the Greek translation of the entire book, with the traditional ending of the reading (Micah 7:18-20) following. This suggests that, at least at some times and in some places, the reading of the Greek could replace, not supplement, the Hebrew one. The language of the translations is remarkable for the use of words that formed no part of the current medieval Greek vernacular; some of them were unique coinages of Aquila. It will thus have been necessary for students not only to study Hebrew, using the Greek, but also to study the Greek language of the translations. A question that current research is unable to answer is whether students learnt the translations by heart. At the very least, they must have become very familiar with them from an early age, from the classroom and the synagogue.

5. Concluding reflections The materials in question, particularly the newly-discovered Genizah fragments, open a window on a little-known aspect of the reception and transmission of Greek Bible translations in the Middle Ages. They shed interesting light on Byzantine Judaism, with its twin Hellenic and Hebraic roots. A question that needs more research is the possible influence of the Jewish tradition on Christian Bible study. Some Christian manuscripts (the most famous example being the Codex Ambrosianus, F) have marginal annotations deriving from the Jewish glossary from the Cairo Genizah; Boyd-Taylor: Echoes of the Septuagint in Byzantine Judaism.

497

gtvh 08105 / p. 498 / 31.3.2022

Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur

tradition. How they came to be present in these manuscripts and what effect their presence had on Christian scholarship is unclear. Much further work remains to be done on these materials, many of which have only recently been published.

498

gtvh 08105 / p. 499 / 31.3.2022

3.2 Die Septuaginta im Neuen Testament 3.2.1 Synoptische Evangelien und Apostelgeschichte Mogens Müller Editionen Septuaginta. Duodecim prophetae, ed. Joseph Ziegler. Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum Auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis editum, 13 Göttingen 21967. Hieronymus: Epistulae, ed. Isidor Hilberg, Vol. 1, Epistulae 1-70, CSEL 54, Wien/Leipzig 1910.

Weitere Literatur Barrett, Charles Kingsley: Luke/Acts, in: Donald A. Carson / Hugh G. M. Williamson (ed.), It Is Written. Scripture Citing Scripture. FS Barnabas Lindars, Cambridge 1988, 231-244 – Dominique Barthélemy: Les Devanciers d’Aquila, VTS 10, Leiden 1963 – Beaton, Richard: Isaiah’s Christ in Matthew’s Gospel, SNTSMS 123, Cambridge 2002 – Fitzmyer, Joseph A.: The Gospel According to Luke I-IX, AncB 28; New York 1981 – Gundry, Robert H.: The Use of the Old Testament in St. Matthew’s Gospel with Special Reference to the Messianic Hope, NTS 18, Leiden 1967 – Hartman, Lars: »Det är skrivit« – Markusevangeliets läsares bibel, in: Niels Peter Lemche / Henrik Tronier (ed.), Kanon. Bibelens tilblivelse og normative status, FS Mogens Müller, Forum for Bibelsk Eksegese 15, Kopenhagen 2006, 81-91 – Holtz, Traugott: Untersuchungen über die alttestamentlichen Zitate bei Lukas, TU 104, Berlin 1968 – Kraus, Wolfgang: Die Aufnahme von Am 9,11 f. LXX in Apg 15,15 f. Ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte eines Textes aus hellenistischer Zeit, in: Ulrich Dahmen / Johannes Schnocks (ed.), Juda und Jerusalem in der Seleukidenzeit. Herrschaft – Widerstand – Identität. FS Heinz-Josef Fabry, BBB 159; Göttingen 2010, 297-322 – Kreuzer, Siegfried: Ursprüngliche Septuaginta (Old Greek) und hebraisierende Bearbeitung. Die Entwicklung der Septuaginta in ihrere Bedeutung für die Zitate und Anspielungen im Neuen Testament, untersucht anhand der Zitate aus dem Dodekapropheton, in Julian Elschenbroich / Johannes de Vries (ed.), Worte der Weissagung. Studien zur Septuaginta und Johannesoffenbarung, ABG 47, Leipzig 2014, 17-55 – Ders.: Stages of the Greek Text of Dodekapropheton. Witnessed by the Quotations in the New Testament, in: Cécile Dogniez / Phillipe Le Moigne (eds.), Les Douze Prophètes dans la LXX, VTS 180, Leiden 2019, 265-284 – Lust, Johan: A Septuagint Christ Preceding Jesus Christ? Messianism in the Septuagint Exemplified in Isa 7,10-17, in: Katrin Hauspie (ed.), Messianism and the Septuagint. Collected Essays by J. Lust, BEThL 178, Leuven 2004, 211-226 – McConnell, Richard S.: Law and Prophecy in Matthew’s Gospel. The Authority and Use of the Old Testament in the Gospel of St. Matthew, Theologische Dissertationen 2, Basel 1969 – McLay, R. Timothy: The use of the Septuagint in New Testament Research, Grand Rapids 2003, 159-169 – Meiser, Martin: Das Alte Testament im lukanischen Doppelwerk, in: Heinz-Josef Fabry / Ulrich Offerhaus (ed.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta. Studien zur Entstehung und Bedeutung der Griechischen Bibel, BWANT 153, Stuttgart 2001, 167-195 – Menken, Marten J. J.: Matthew’s Bible. The Old Testament Text of the Evangelist, BEThL 173, Leuven 2004 – Müller, Mogens: Die Lukasschriften und die Septuaginta, in: Siegfried Kreuzer / Martin Meiser / Marcus Sigismund (ed.), Die Septuaginta – Entstehung, Sprache, Geschichte, WUNT 286, Tübingen

499

gtvh 08105 / p. 500 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

2012, 465-479 – Müller, Mogens: The Reception of the Old Testament in Matthew and LukeActs. From Interpretation to Proof from Scripture, NT 43 (2001), 315-330 – Müller, Mogens: Josephus und die Septuaginta, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Geschichte, WUNT 252, Tübingen 2010, 638-654 – Norden, Eduard: Die antike Kunstprosa vom vi. Jahrhundert v. Chr. bis in die Zeit der Renaissance. Band 2, Leipzig und Berlin 21909 = 81981 – Prabhu, George M. Soares: The Formula Quotations in the Infancy Narrative of Matthew, AnBib 63, Rome 1976. – Pryke, Edgar John: Redactional Style in the Marcan Gospel. A Study of Syntax and Vocabulary as Guides to Redaction in Mark, SNTSMS 33, Cambridge 1978 – Rese, Martin: Alttestamentliche Motive in der Christologie des Lukas, StNT 1, Gütersloh 1969 – Ringgren, Helmer: Luke’s Use of the Old Testament, HThR 79 (1986), 227-235 – Rothfuchs, Wilhelm: Die Erfüllungszitate des Matthäus-Evangeliums, BWANT 88, Stuttgart 1969 – Rösel, Martin: Die Jungfrauengeburt des endzeitlichen Immanuel. Jesaja 7 in der Übersetzung der Septuaginta, JBTh 6 (1991), 135-151 – Rusam, Dietrich: Das Alte Testament bei Lukas, BZNW 112, Berlin 2003 – Senior, Donald: The Lure of the Formula Quotations. ReAssessing Matthew’s use of the Old Testament with the Passion Narratives as Test-Case, in: Christopher M. Tuckett (ed.), The Scriptures in the Gospels, BEThL 131, Leuven 1997, 89-115 – Sparks, Hedley Frederick Davis: The Semitisms of St. Lukes Gospel, JThS 44, 1943, 129-138 – Stanton, Graham: Matthew, in: Donald A. Carson / Hugh G. M. Williamson (ed.), It Is Written. Scripture Citing Scripture. FS Barnabas Lindars, Cambridge 1988, 205-219 = ders., A Gospel for a New People. Studies in Matthew, Edinburgh 1992, 346-363 – Stendahl, Krister: The School of St. Matthew and Its Use of the Old Testament, ASNU 20, Lund / Copenhagen 1954, 2nd ed. Philadelphia 1968 – Steyn, Gert J.: Septuagint Quotations in the Context of the Petrine and Pauline Speeches of the Acta Apostolorum, CBET 12, Kampen 1995 – Sterling, Gregory E.: »Do You Understand What You are Reading?« The Understanding of the LXX in Luke-Acts, in: Jörg Frey / Clare K. Rothschild / Jens Schröter (ed.), Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie, BZNW 162, Berlin 2009, 101-118 – Strecker, Georg: Der Weg der Gerechtigkeit. Untersuchung zu Theologie des Matthäus, FRLANT 82, Göttingen 1962, 3. Aufl. 1971 – Sweete, Henry Barclay: An Introduction to the Old Testament in Greek, 2. ed. revised by Richard Rusden Ottley, Cambridge 1914 – Troxel, Ronald L.: Isaiah 7,14-16 Through the Eyes of the Septuagint, EThL 79 (2003), 1-22 – Turner, Nigel: The Style of Mark, in: Elliott, James Keith (ed.), The Language and Style of the Gospel of Mark. An Edition of C. H. Turner’s »Notes on Marcan Usage« Together with Other Comparable Studies, NT.S 71, Leiden 1993 – Wifstrand, Albert: Epochs and Styles. Selected Writings on the New Testament, on Greek Language and Greek Culture in the Post-Classical Era, ed. Lars Rydbeck / Stanley E. Porter, WUNT 179; Tübingen 2005 – Wifstrand, Albert: Luke and Greek Classicism, in: Epochs and Styles, ed. Lars Rydbeck / Stanley E. Porter, WUNT 179, Tübingen 2005, 17-27; Wifstrand, Albert: Luke and the Septuagint, in: ders., Epochs and Styles, edited by Lars Rydbeck / Stanley E. Porter, WUNT 179, Tübingen 2005, 28-45.

Die Einbeziehung der Septuaginta in den neutestamentlichen Schriften ist nicht nur dadurch bedingt, dass die Benutzung einer griechischen Übersetzung für einen griechisch schreibenden Verfasser naheliegend – wenn nicht sogar die einzige Möglichkeit – war. Es ging auch darum, die heiligen Schriften des Judentums in einer Gestalt vorzuführen, die den Zuhörern oder Lesern bereits bekannt, oder ihnen jedenfalls zugänglich war. Und weil die synoptischen Evangelien und Acta ganz wie Paulus und die übrigen neutestamentlichen Schriften griechisch sprechende Gemeinden voraussetzen, wurden Zitate und Anspielungen natürlich aus den alten griechischen Übersetzungen der biblischen Bücher genommen. Die Septuaginta war der gemeinsame Referenzrahmen der Autoren und ihren Zielgruppen. 500

gtvh 08105 / p. 501 / 31.3.2022

Synoptische Evangelien und Apostelgeschichte

1. Das Markusevangelium Dies ist bereits in der ältesten überlieferten und wohl auch ersten Evangelienschrift, dem Markusevangelium, das gewöhnlich um 70 n. Chr. datiert wird, der Fall. Dieses Evangelium enthält nach allgemeiner Zählung 1 11 markierte Zitate, 2 18 nicht markierte (dazu ein textkritisch unsicheres) 3 und 13 Anspielungen (dazu 3 textkritisch unsichere). 4 Dass einige dieser Zitate und Anspielungen spezielle LXX-Lesarten aufzeigen, berechtigt zur Annahme, dass die Septuaginta auch da benutzt wurde, wo diese Übersetzung nicht spezielle Septuaginta-Lesarten bietet. Der Verfasser des Markusevangeliums hat aber als Bibeltext nicht nur die Septuaginta beim Zitieren vorgezogen, er hat auch mehrere stilistische Merkmale aus dieser Übersetzung übernommen, offensichtlich um seine eigene Schrift mit einer »biblischen« Aura zu versehen. In einer Debatte über das Genre der Evangelien, wo nunmehr oft, und zwar mit Recht, auf die antike Biographie hingewiesen wird, besteht Anlass, als narratives Vorbild auch auf die biblische Geschichtsschreibung, nicht zuletzt auf die Prophetenlegenden über Elias und Elisha in den Königbüchern, hinzuweisen. Nicht nur inhaltlich, sondern auch was die Erzählweise betrifft, sind die Übereinstimmungen auffallend. Hinsichtlich der Quellen des Markusevangeliums, auch hinsichtlich der Frage, wie der Verfasser Zugang zu den biblischen Schriften hatte, können nur Hypothesen aufgestellt werden. Wenn er sich im paulinischen Traditionsstrom befindet, gibt es jedenfalls nur wenige Schriftworte, die das belegen können, darunter die Einbeziehung von Ps 110(109),1 und die weiterführende Wiedergabe des hebräischen Begriffs rea (Volksgenosse), mit ὁ πλήσιον (der Nächste, der Mitmensch) beim Zitieren des Gebotes in Lev 19,18 in Mk 12,31.33 (cf. Gal 5,14; Röm 13,9). Ansonsten sind Überlegungen, ob er seine angeführten und nichtangeführten Zitate und seine Anspielungen vorliegenden Traditionen oder eigenem Lesen verdankt, mehr oder weniger gegenstandlos. Was wichtig ist, ist, dass das Bild ziemlich eindeutig ist. Wenn man nach »der Bibel« – so anachronistisch diese Bezeichnung auch sein mag – sowohl des Verfassers als auch seiner Gemeinde fragt, muss die Antwort lauten: es war die Septuaginta. 5 1.

2. 3. 4. 5.

Die Zählung steht nicht ganz fest, denn erstens gibt es Anführungen, die nicht von einem konkreten Zitat gefolgt sind (z. B. Mk 9,12.13 und 14,49), zweitens ist die Frage, was Zitate sind, inzwischen eine Frage der Einschätzung. So gibt es nun Beispiele, wo etwas im Nestle-Aland, Novum Testamentum Graece27 noch als Zitat angegeben wird, aber in der 28. Ausgabe, 2012, nicht mehr in Kursivdruck erscheint (z. B. Mk 4,32 = Mt 13,32 = Lk 13,19 (Ps 103,12 LXX) und Mt 11,5 = Lk 7,22 (Es 29,18; 35,5 f.; 42,18; 26,19). Endlich ist es noch mehr eine Frage der Einschätzung, was überhaupt als Anspielung zu betrachten ist. Eine »klassische« Übersicht über ›Quotations from the LXX. in the New Testament‹ befindet sich in Sweete: An Introduction to the Old Testament, 381-405 (Zitate in den synoptischen Evangelien: 386 f., Zitate in der Apostelgeschichte: 388). Von diesen 11 angeführten Zitaten sind in N.-A., NT Graece28 nur folgende als spezielle LXXLesarten angegeben: Mk 1,2-3 (Jes 40,3); 7,6 f. (Jes 29,13); [10,19 (Sir 4,1)]; 12,29-31 (Jos 22,5). Von diesen nicht angeführten Zitaten sind in N.-A., NT Graece28 nur 10,7 (Gen 2,24) und 12,32 (Jos 22,5) als spezielle LXX-Lesarten angegeben. Von den Anspielungen ist in N.-A., NT Graece28 nur 4,32 (Ps 103,12) als spezielle LXX-Lesart angegeben. Siehe hierzu in erster Linie Hartman: »Det är skrivit« – Markusevangeliets, 81: »Selbst wenn die alttestamentlichen Zitate und Anspielungen im Markusevangelium nicht immer mit dem

501

gtvh 08105 / p. 502 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

Im Unterschied zu den markierten Zitaten, wo ja der Zuhörer/Leser auf den Schriftcharakter des Folgenden aufmerksam gemacht wird, ist es mit Rücksicht auf die Zitate ohne Einführungsformel und die Anspielungen notwendig, dass so viele Ähnlichkeiten mit dem Bibeltext vorhanden sind, dass die Identifikation als Schriftwort für den Aufmerksamen möglich ist, und hier ist es natürlich entscheidend, ob Vertrautheit mit dem griechischen Text vorausgesetzt werden kann. Dass der Verfasser des Markusevangeliums selbst eine Vertrautheit mit der Septuaginta besaß, geht bereits aus seiner Schreibart hervor, die sehr wohl als SeptuagintaStil bezeichnet werden kann. 6 Dieser Bibelstil äußert sich nicht nur im parataktischen Satzbau, sondern auch in der speziellen LXX-Bedeutung, mit der eine Reihe von Wörtern auftreten, wie z. B. καλέω mit der religiösen Färbung von »rufen« und mit göttlichem Subjekt (siehe Jes 42,6; 46,11; 50,2; cf. Mk 1,20; 2,17; cf.), παραβολή nicht nur in der Bedeutung »Vergleich« (Kap. 4; 12,1.12; 13,28), sondern auch spezieller als Rätselwort, Sprichwort (siehe 1 Sam/1Kgt 24,14; Ps 48,5 LXX; 77,2; Ez 17,2; cf. Mk 3,23; 7,17), κτίζω und Derivate, die allgemein für bauen und gründen, aber in LXX für Gottes Schaffen benutzt werden (siehe Gen 14,19; Deut 4,32; Ps 32,9 LXX; 89,12; 103,24.30; cf. Mk 10,6; 13,19), und schließlich σάρξ, das im gewöhnlichen griechischen Sprachgebrauch »Fleisch« bedeutet, in LXX aber oft mit einer übertragenen Bedeutung auftritt (siehe z. B. Gen 6,3; Ps 77,39LXX; cf. Mk 13,20; 14,38 aber auch 10,8). So wird das erste alttestamentliche Zitat im Markusevangelium, Mk 1,2-3 – vom Verfasser wird es als von Jesaja stammend eingeführt, obwohl es ein Mischzitat auch aus Ex 23,20/Mal 3,1 ist – nach dem Wortlaut der LXX in 40,3 mit φωνὴ βοῶντος ἐν τῇ ἐρήμῳ wiedergegeben; der Wortlaut der Septuaginta erfüllt seine Funktion im Zusammenhang viel besser als der masoretische Text, wo das Präpositionalgefüge mit der Wegbereitung verbunden wird. Die Anspielung in Mk 4,32 auf Ps 103,12LXX gibt mit τὰ πετεινὰ τοῦ οὐρανοῦ κατασκηνοῦν ebenfalls deutlich LXX wieder; außerdem kommt das angeführte Zitat aus Jes 29,13 in Mk 7,6 f. der Version der LXX sehr nahe mit der Zufügung »vergeblich (μάτην)« zu dem Verbum »verehren« und statt »angelernten« mit διδάσκοντες (»weil sie lehren«), womit »Menschengebote« Objekt und nicht Prädikat zu ihrer Gottesfurcht wird. In Mk 10,7 f., wo Gen 2,24 ohne Zitationsformel angeführt wird, ist die LXX-Abhängigkeit ebenfalls deutlich, nicht zuletzt durch das Zahlwort δύο in V. 8. In den übrigen Fällen stimmt der Wortlaut nicht nur mit der LXX, sondern auch mit dem MT überein. Lars Hartman weist auch auf die Stellen im Markusevangelium hin, wo der markinische Jesus sagt, dass etwas geschrieben steht, ohne jedoch etwas Konkretes zu zitieren. Es geschieht dort, wo er über seinen bevorstehenden Tod redet, wie im Mk 9,12; 14,2 und 14,21. Auch dadurch bereitet der Erzähler die Zuhörer/Leser vor, wenigstens die Anklänge an Ps 22/21LXX mitzubekommen, die in der Leidensgeschichte verstreut

6.

Wortlaut der LXX übereinstimmen, dennoch wenigstens ihm ähnlich sind, ist es wahrscheinlich, dass die Form, in der sie [die Heidenchristen der markinischen Gemeinde] das Alte Testament vorgefunden haben, die der LXX oder eine ihr sehr ähnliche gewesen ist.« (eigene Übersetzung aus dem Schwedischen). Das Folgende baut nicht zuletzt auf Hartmans Darstellung auf, auch was einige der Hinweise betrifft. Siehe Pryke: Redactional Style in the Marcan Gospel, 8: »The Septuagint is his [sc. Mark’s] Bible, and also his only book of style.« Außerdem Turner: The Style of Mark, passim.

502

gtvh 08105 / p. 503 / 31.3.2022

Synoptische Evangelien und Apostelgeschichte

sind, um in dem impliziten Zitat in Jesu Ruf am Kreuz in Mk 15,34 mit Worten aus Ps 22,2 zu kulminieren – an den übrigen Stellen geht es um Mk 15,24 (Teilung seiner Kleider; Ps 21[22],19); 15,29.32 (Verspottung; Ps 21[22],7) und 15,29 (Kopfschütteln; Ps 21 [22],8). Die mit dem Psalmentext vertrauten Zuhörer/Leser werden durch das Wiedererkennen darin bestärkt, dass alles in Übereinstimmung mit Gottes Willen so geschehen ist. Dasselbe ist wahrscheinlich der Fall, wenn in der apokalyptischen Rede in Mk 13 eine Reihe impliziter Zitate und Anklänge aus dem Danielbuch auftritt, 7 in dem es auch Beispiele wie Dan 11,30 gibt, wo der Exeget in der Gefahr steht, eine wesentliche Pointe nicht mitzubekommen, wenn er nicht wie die damaligen Zuhörer / Leser den Wortlaut der LXX als Hintergrund hat; denn hier lautet der Text des MT: »Kittäische Schiffe greifen ihn an, und er kehrt eingeschüchtert um«, während die LXX formuliert: »Und (die) Römer werden kommen und ihn hinausdrängen und ihn anschnauben.«

2. Das Matthäusevangelium Das Matthäusevangelium ist auf der Textoberfläche viel mehr als das Markusevangelium von alttestamentlichen Zitaten und Anspielungen geprägt. 8 Die Zahl liegt bei 80 mit 40 9 markierten und 22 nichtmarkierten Zitaten 10 und 18 Anspielungen oder pauschalen Hinweisen zur Schrift. 11 Im Großen und Ganzen sind alle Zitate und Anspielungen aus dem Markusevangelium übernommen, 12 obwohl eine Reihe davon mit bedeutungsvollen Änderungen und einige Anspielungen auch »verifiziert« sind, das heißt, als Zitate auftreten. »Septuaginta-Eigentümlichkeiten« sind hier nicht getilgt. Wo Zitate und Anspielungen im Markusevangelium nur sehr sparsam in redaktionellem und erzählendem Stoff vorhanden waren, ist das Bild im Matthäusevangelium markant anders, wo sie bereits in der Vorgeschichte (1,1-4,16) auf der redaktionellen Ebene auftreten, nicht nur in Gestalt von sechs der insgesamt zehn sogenannten Erfüllungszitate, sondern auch z. B. in den zwei ersten Teilen der Ahnentafel.

7. Hartman: »Det är skrivit«, 86, notiert folgendes: Mk 13,2 (Zerstörung; Dan 2,22(?); 9,26; 11,30(?)); 13,4 (Vollendung; Dan 9,26 f.; 11,35; 12,4.6 f.); 13,7 f. (Krieg; Dan 9,27; 11,27); 13,7 (was geschehen muss; Dan 2,28 f.45; 8,19); 13,7 (noch nicht das Ende; Dan 11,27.35); 13,9 (Verfolgungen; Dan 7,25); 13,10 (alle Völker der Erde; Dan 7,14); 13,13 (das Ende; Dan 9,27); 13,14 (Gräuel der Verwüstung; Dan 9,27; 11,31; 12,11); 13,19 (Zeit der Not; Dan 12,1); 13,20.22.27 (die Auserwählten; Dan 11,35); 13,24 (der Menschensohn auf den Wölken; Dan 7,13); 13,30 (alles vollenden; Dan 12,7.13). Nach Hartman könnte man durchaus sagen, dass die zweite Hälfte des Danielbuches ein Hypotext unter dem Hypertext von Mk 13 ist, dass also eine Art Intertextualität nach dem Definition Gérard Genettes vorliegt. 8. Eine Übersicht bietet z. B. Stanton: Matthew, 346-363. 9. Von diesen 40 markierten Zitaten sind in N.-A., NT Graece28 nur 1,23 (Jes 7,14 + 8,8.10); 4,7 (Deut 6,16); 15,7-9 (Jes 29,13); 19,5 (Gen 2,24); 21,16 (Ps 8,3) und 22,37 f. (Deut 6,5; Jos 22,5) als spezielle LXX-Lesarten angegeben. 10. Von diesen 22 nicht-markierten Zitaten sind in N.-A., NT Graece28 nur 13,32 (Ps 103,12) und 27,10 (Ex 9,12) als spezielle LXX-Lesarten angegeben. 11. Von diesen 18 Anspielungen ist in N.-A., NT Graece28 keine einzige als spezielle LXX-Lesart angegeben. 12. Ich setze hier die Markus-Hypothese als selbstverständlich voraus.

503

gtvh 08105 / p. 504 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

Wie im Fall des Markusevangeliums stellt sich auch hier die Frage, in welcher Textgestalt dieser Verfasser seine heiligen Bücher als verbindliche Schrift selbst einbezog und auch bei seinen Gemeinden als solche erkennbar voraussetzte. Dass die Antwort nicht ohne weiteres der Text der Septuaginta ist, beruht nicht zuletzt auf der Textgestalt in den Erfüllungszitaten, von denen keines aus dem Markusevangelium übernommen ist, obwohl eine Formulierung wie die in Mk 14,49 Anlass gewesen sein könnte. Denn der Text der Erfüllungszitate stimmt nicht durchgehend mit dem der Septuaginta überein, was seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts eine umfassende Diskussion über ihren Ursprung hervorgerufen hat, weil sie zudem auch nicht ohne weiteres den hebräischen Text spiegeln. So behauptete Krister Stendahl, dass die abweichende Textform einer Schriftbenutzung wie der in den Pescher-Kommentaren der Qumran-Schriften, das heißt, gelehrter Schularbeit, zu verdanken ist, 13 während Georg Strecker zu dem Schluss kam, dass die Zitate überhaupt nicht von dem Verfasser des Evangeliums selbst stammen, sondern von judenchristlicher Tradition, die er übernommen und in seine Schrift eingearbeitet hat. 14 Andererseits meinte z. B. Robert H. Gundry, der Verfasser sei sein eigener Targumist gewesen, das heißt er selbst habe eine für seine Zwecke passende Übersetzung angefertigt. 15 Die vorläufig 16 letzte größere Untersuchung von Maarten J. J. Menken hat es jedoch wahrscheinlich gemacht, dass die Abweichungen in der griechischen Wiedergabe auf matthäischer Redaktion beruhen und die bereits in vorchristlicher Zeit beginnende Revisionsarbeit spiegelt, die darauf zielte, die griechische Wiedergabe in größere Übereinstimmung mit dem hebräischen Text zu bringen. 17 Das bedeutet, dass auch dieser Verfasser einen griechischen Text als vollgültige »Schrift« voraussetzte, obwohl seine bevorzugte Auslegungsweise die des Pescher-Kommentars war, der nicht in derselben Weise wie der später in den

Siehe Stendahl: The School of St. Matthew, 1954/1968. Siehe Strecker: Der Weg der Gerechtigkeit, 49-85. Siehe Gundry: The Use of the Old Testament in St. Matthew’s Gospel. Aus der Folgezeit seien weitere Beiträge genannt, nämlich McConnell: Law and Prophecy in Matthews’ Gospel, der Streckers Ansicht, die Erfüllungszitaten seien als Fremdkörper im Matthäusevangelium anzusehen, zu widerlegen versucht und Bertil Gärtner darin folgt, dass die theologischen Intentionen des Verfassers die Wiedergabe der Zitate bestimmt haben; Rothfuchs: Erfüllungszitate, stimmt der These zu. Prabhu: Formula Quotations, bewegt sich in dieselbe Richtung und behauptet, dass die Zitate keine Assimilation zur LXX ausweisen und sich deshalb besser als freie, targumartige Übersetzungen verstehen lassen, die der Verfasser selbst vorgenommen hat. Zustimmung findet diese Ansicht auch bei Stanton: Matthew, 214217, während Senior: The Lure of the Formula Quotations, 115, es als einzigartig hervorhebt, dass »it is the narrator rather than other characters in the narrative world of Matthew who makes the recurring and fundamental affirmation.« 17. Siehe Menken: Matthew’s Bible. Bei der hebraisierenden Revision des Septuagintatextes geht es vor allem um die sog. kaige-Rezension, die Barthélemy: Les Devanciers d’Aquila, an Hand der Naḥal Ḥever Rolle des Zwölfprophetenbuches entdeckte und auch in weiteren Schriften identifizierte. Diese formal-hebraisierende Bearbeitung der Septuaginta erfolgte in unterschiedlicher Intensität (teilweise auch etwas schwächer, was man als semi-kaige Bearbeitung bezeichnen könnte). Sie entstand im 1. Jh. v. Chr. und verbreitete sich im 1. Jh. n. Chr., was dann auch in den späteren Texten des Neuen Testaments erkennbar wird. Siehe dazu Kreuzer: Ursprüngliche Septuaginta, und ders., Stages of the Greek Text. 13. 14. 15. 16.

504

gtvh 08105 / p. 505 / 31.3.2022

Synoptische Evangelien und Apostelgeschichte

lukanischen Schriften auftretende Schriftbeweis auf ein buchstäbliches Verstehen baute und deshalb ein freieres Verhältnis zum zitierten Text aufweisen konnte. Als Beispiel des Verfahrens dieses Verfassers kann die Kindheitsgeschichte in den ersten zwei Kapiteln herangezogen werden. 18 Bereits in den zwei ersten Abteilungen der Ahnentafel Jesu ist die Abhängigkeit von der Septuaginta deutlich, wenn Teile davon aus unmarkierten Zitaten aus 1 Chr 1,34LXX, Ruth 4,18-22LXX und 1 Chr 3,10-16 bestehen, was sich allein schon an den Namensformen zeigt, die durchgehend die der Septuaginta wiedergeben. Nur für den, der mit dem griechischen Bibeltext vertraut war, konnte diese Aufzählung von Namen als die verkürzte Nacherzählung der biblischen Geschichte von Abraham bis zum Exil fungieren, mit der dieser Verfasser seine Jesus-Geschichte als die Fortsetzung der Geschichte verstand, die mit Abraham seinen Anfang hatte. 19 Er setzt mit anderen Worten Bekanntschaft mit der Schrift – und zwar in ihrer griechischen Form – voraus. Dies wird auch in den ersten der Erfüllungszitate mit aller wünschenswerten Klarheit deutlich, nämlich der Einbeziehung von Jes 7,14 in Mt 1,23. Was auch immer der Übersetzer des jesajanischen Textes mit seiner Wiedergabe von ha’alma mit ἡ παρθένος gemeint haben musste, 20 ist es jedenfalls im Matthäusevangelium in der Bedeutung einbezogen, dass Maria ohne Vermittlung eines Irdischen Jesu Mutter wurde, nämlich kraft des Geistes Gottes. Im Unterschied zum späteren Schriftbeweis kommt in der pescher-artigen Benutzung von Jes 7,14 ein entscheidendes »Mehr« hinzu, das nicht in Jes 7,14 auftritt, nämlich der Heilige Geist (siehe V. 20). Eigentlich ist es das Hauptanliegen in der Heranziehung des Schriftwortes, Raum für den Heiligen Geist zu schaffen. Eine Besonderheit ist Mt 2,15 mit dem Zitat aus Hos 11,1 in der singularischen Formulierung (»aus Ägytpen rief ich meinen Sohn«), während sämtliche Septuagintazeugen die pluralische Formulierung (»aus Ägypten rief ich meine Söhne«) haben. Diese Stelle war in der Antike der wesentliche Anknüpfungspunkt für die Annahme, dass das MtEv ursprünglich hebräisch verfasst war. Allerdings ist für diese Stelle in Ms 86 ein Ausschnitt aus der Hexapla erhalten, der zeigt, dass Aquila (und ähnlich Theodotion und Symmachus) ebenfalls die singularische Lesung hatten. 21 Matthäus hatte offensichtlich eine

18. Eine Voraussetzung wie der, dass er hier mit anderen Quellen als das Markusevangelium arbeitet, ist m. E. Ausdruck eine Unterschätzung der Selbstständigkeit des Verfassers und seiner Fähigkeit, die für seine Zwecke notwendige »Geschichte« selbst zu schreiben. In dieser Hinsicht hat die Entdeckung des Genres oder Interpretationsstrategie »Rewritten Bible« neue Möglichkeiten geboten, die Autoren der Evangelien als schöpferische Schriftsteller zu sehen. 19. Der Verfasser bedient sich hier desselben Mittels wie der bzw. die Verfasser des Chronistischen Geschichtswerkes, wo die Geschichte von Adam bis David praktisch durch Stammtafeln ersetzt worden ist (siehe 1 Chr 1-11). 20. So findet z. B. Rösel: Jungfrauengeburt, 135-151, den Hintergrund in fremden mythologischen Vorstellungen, während Troxel: Isaiah 7,14-16, 1-22, in einer ausgewogenen Kritik der Interpretation Rösels, der inneren Logik des Textes zufolge eher Gewicht darauf legen will, was in VV 15 f. von dem Kind gesagt wird, und im Übrigen zeigt, dass der Ausdruck παρθένος hier nicht so ungewöhnlich ist, wie oft angenommen. Siehe auch Lust: A Septuagint Christ, 211226. 21. Siehe Ziegler: Septuaginta. Duodecim prophetae, Göttingen 21967, 172.

505

gtvh 08105 / p. 506 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

sich an Aquila annähernde, 22 hebraisierend bearbeitete (»kaige«-)Version des griechischen Textes zur Verfügung. 23

Der Verfasser des Matthäusevangeliums benutzt auch die größere Öffnung der Heidenwelt gegenüber, die an mehrere Stellen in der griechischen Übersetzung zum Ausdruck kommt, z. B. in dem Erfüllungszitat in 12,18-20 aus Jes 42,1-4 (den Anfang des ersten Gottesknechtsliedes). Während es bereits in V. 1 in MT über ihn sagt, »Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er bringt den Völkern das Recht«, was in LXX ziemlich wortgetreu mit »Ich habe meinen Geist auf ihn gegeben. Recht wird er den Völkerschaften bringen (κρίσιν τοῖς ἔθνεσιν ἐξοίσει)« wiedergegeben wird, wird »Auf sein Gesetz warten die Inseln« im hebräischen Text von V. 4 im griechischen durch »und auf seinen Namen werden Völkerschaften hoffen (καὶ ἐπὶ τῷ ὀνόματι αὐτοῦ ἔθνη ἐλπιοῦσιν),« 24 interpretiert, wohl unter Einbeziehung von Jes 11,10LXX (cf. Röm 15,12). Obwohl der Bibeltext des Matthäusevangeliums sich hier nicht deutlich feststellen lässt, ist es jedoch klar, dass vorliegende griechische Textformen entscheidend sein Verständnis beeinflusst haben. 25 Während die Geistverleihung als Überschrift über den Rest der Kapitel gelten kann, wird die Schrift zur Grundlage gemacht für die im Verhältnis zu Jesu Erdenleben zukünftige Verkündigung für die Heidenwelt, die überhaupt durch eine Reihe von »Prolepsen« in dieser Evangelienschrift signalisiert ist. Es ist der Verdienst von R. Timothy McLay wahrscheinlich gemacht zu haben, wie Jona 2,7LXX: κατέβην εἰς γῆν, ἧς οἱ μοχλοὶ αὐτῆς κάτοχοι αἰώνιοι, »Ich stieg herab in ein Land, dessen Riegel ewig fest sind« an mehreren Stellen im Matthäusevangelium seine Spuren hinterlassen hat. 26 So werden die Worte in Jona 2,1: »Und Jona war in dem Bauch des Seetiers für drei Tage und drei Nächte« in Mt 12,40 durch die Zufügung des Vergleichs interpretiert: »so wird auch der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Innern der Erde sein.« »Im Innern« gibt hier ἐν τῇ καρδίᾳ τῆς γῆς wieder, was sich am besten als ein Hinweis auf Jesu Aufenthalt in der Unterwelt verstehen lässt. Die Metapher καρδία τῆς γῆς ist einzigartig in der Bibel und scheint auf Jona 2,3b anzuspielen, wo gesagt wird, dass Gott »aus der Tiefe der Unterwelt« die Schreie des Jona um Hilfe hörte, was in LXX mit ἐκ κοιλίας ᾅδου übersetzt wird, was also hier nicht nur die gewöhnliche Wiedergabe des Begriffs Scheol mit Hades bezeugt, sondern zudem durch das Vorkommen des κοιλία sowohl in V. 2 und V. 3 (der hebräische Text redet von dem Bauch des Fisches beziehungsweise der Tiefe der Unterwelt) die Identifikation des Bauches des Seetiers mit dem Bauch des Hades vornimmt. Die Richtigkeit dieser Interpretation des Jona-Zeichens (siehe 16,4) wird nicht nur 22. Vgl. den Titel von Barthélemy: Les Devanciers d’Aquila (»die Vorläufer Aquilas«). 23. Siehe dazu Kreuzer: Ursrpüngliche Septuaginta, 38-41. 24. LXX.D folgt hier einer Konjektur in die Göttinger-Ausgabe und hat statt »Namen« wie MT »Gesetz«. Diese Lesart ist jedoch in der Matthäusüberlieferung nicht repräsentiert. Menken: Matthew’s Bible, 67-88, hat wahrscheinlich gemacht, dass die Abweichungen von LXX hier auf die Benutzung einer revidierten Übersetzung beruhen. 25. Siehe hierzu z. B. Beaton: Isaiah’s Christ in Matthew’s Gospel, 122-173, insb. 141: »Matthew’s unique text-form, it seems, demonstrates his use of either the Hebrew, or more likely a Greek (or Aramaic) text conformed to the Hebrew, which he then altered in the light of his own concerns.« 26. Siehe McLay: The Use of the Septuagint, 159-169.

506

gtvh 08105 / p. 507 / 31.3.2022

Synoptische Evangelien und Apostelgeschichte

unterstützt durch die Zusage Jesu an Petrus – hier vielleicht nicht zufällig Barjona angeredet (das geschieht im NT nur hier) – in Mt 16,18: »Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Pforten des Hades werden sie nicht überwältigen«, wo πύλαι ᾅδου an κοιλὶα ᾅδου in 12,49 erinnert. Sie scheint auch der schwierigen Stelle in Mt 27,51-53 von den gespaltenen Felsen und geöffneten Gräbern und der Auferweckung der Leiber vieler entschlafener Heiliger, die nach der Auferweckung Jesu ihre Gräber verließen und in die Heilige Stadt kamen und vielen erschienen, einen leichter vertretbaren Sinn zu geben als die vielen »Verlegenheitsauskünfte«, die häufig in der Kommentarliteratur und anderswo auftreten. So lässt die Einbeziehung von Jon 2 Mt 27,51-53 als eine Narrativisierung dessen hervortreten, wie die Pforten des Hades nicht Stand halten könnten, wenn sie bei Jesu Auferweckung von innen angegriffen werden.

3. Das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte Das Lukasevangelium ist unter den neutestamentlichen Evangelien besonders von der Septuaginta und ihrer Sprache geprägt; dies betrifft auch die Apostelgeschichte. 27 Fragen wir zuerst nach den Schriftzitaten im lukanischen Doppelwerk. 28 Im Falle des Lukasevangeliums fällt nun auf, dass die Zahl von expliziten Schriftzitaten mit 17 viel kleiner ist als im Matthäusevangelium. Davon sind nur vier ohne Parallelen im Markus- oder Matthäusevangelium (nämlich 2,23.24; 4,18 f. und 22,37). Sonst übernimmt der Verfasser acht Zitate vom Markusevangelium, die alle auch Parallelen im Matthäusevangelium haben (Lk 3,4-6; 10,26 f.; 18,20; 19,46; 20,17; 20,28; 20,37; 20,42 f.), während fünf Zitate nur Parallelen im Matthäusevangelium haben, vier davon in der Versuchungsgeschichte (Lk 4,4 par. Mt 4,4; Lk 4,8 par. Mt 4,10; Lk 4,10 f. par. Mt 4,6; Lk 4,12 par. Mt 4,7; Lk 7,27 par. Mt 11,10). Außerdem gibt es 14 nicht eingeleitete Zitate und 16 Anspielungen oder pauschale Hinweise. In der Apostelgeschichte ist die Anzahl von expliziten Schriftzitaten auch verhältnismäßig klein – nach meiner Zählung gibt es insgesamt 35 direkte und indirekte Zitate. Dazu treten sie fast ausschließlich in den Reden des Petrus, Stephanus, Jakobus und Paulus auf. 29 Die deutlichsten expliziten Zitate außerhalb dieser Reden sind die als 27. Siehe hierzu Müller: Die Lukasschriften und die Septuaginta, passim. Dieser Aufsatz wird unten teilweise reproduziert. 28. Übersichten bieten Ringgren: Luke’s Use of the Old Testament, 227-235, und Barrett: Luke/ Acts, 231-244. Siehe aber insb. Meiser: Das Alte Testament im lukanischen Doppelwerk, 167195. 29. In der Rede Petri in Apg 1,15-22 zwei Zitate, in seiner Pfingstrede in 2,14-36 fünf, in seiner Rede in Salomos Säulenhalle in 3,12-26 drei, in seiner Rede vor dem Rat in 4,8-12 eins. Dazu klingt die Schrift in dem Gebetsanruf in 4,24 an, und 4,25 f. ist ein Zitat aus Ps 2,1 f.LXX. In der Rede des Stephanus sind die ersten zehn Zitate in die Erzählung eingebettet, während die zwei letzten als Anklage auftreten. In der Rede des Paulus in der Synagoge im pisidischen Antiochia gibt es sechs Zitate, in der Rede Jakobus beim Apostelkonzil wird in 15,16 f. Amos 9,11 f.LXX zitiert, in Verbindung mit des Paulus Rede vor dem Rat weist er in 23,5 auf Ex 22,27 hin, und endlich schließt Paulus seine Rede an die römischen Juden in 28,26 f. mit einem Hinweis auf Jes 6,9 f. als Argument dafür, dass die Mission sich nun exklusiv an die Heiden wendet. Außer den

507

gtvh 08105 / p. 508 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

Rede Davids durch den heiligen Geist eingeführten Worte aus Ps 2,1-2LXX im Gebet in Apg 4,25 f. und das Zitat aus Jes 53,7 f. in der Erzählung von dem äthiopischen Hofbeamten in Apg 8,32 f. Die meisten dieser Zitate haben eine Einführungsformel, aber insbesondere in der Rede des Stephanus gehen sie in die Erzählung ein, sodass dort nur die zwei letzten Zitate mit Anführungsformeln auftreten. In diesem Doppelwerk liegt zum ersten Mal im Neuen Testament das vor, was später Schriftbeweis genannt wird. 30 Während der Pescher-Kommentar überwiegend den eigentlichen Inhalt und die Bedeutung eines Schriftwortes durch eine vom Geist inspirierte Interpretation der Ereignisse entdeckt, arbeitet der Schriftbeweis mit einer deutlichen, nachweisbaren Übereinstimmung zwischen Vorhersage und Erfüllung. Dieser Übergang, den ich auch als chronologisch bedingt betrachte – wir befinden uns mit dem lukanischen Doppelwerk meines Erachtens ein Stück weit im 2. Jh. und in der Nähe von Justin – entspringt zudem einer geänderten Haltung zu den heiligen Büchern des Judentums. Besteht zu Anfang die Herausforderung, durch die Interpretation der heiligen Schriften die Wahrheit des Evangeliums zu bekräftigen, wird es in späteren Generationen zur Aufgabe, an der theologischen Relevanz dieser Schriften festzuhalten, gerade auch um die darin enthaltene Vorgeschichte in einer Zeit nicht zu verlieren, in der gnostische Auslegungen diese Geschichte nicht mehr als Vorgeschichte, sondern als Ausdruck eines anderen Gottesglaubens betrachten. Das mag auch einen Teil der Erklärung dafür bilden, dass die Sprache der Lukasschriften das Griechische der Septuaginta in viel höherem Maß als die drei anderen Evangelien spiegelt. 31 Selbst das, was früher rundweg als Semitismen aufgefasst wurde, also als Beispiele unbewusster Alltagssprache, ist besser als Übersetzungshebraismen zu bezeichnen, deren Quelle die Septuaginta ist. Nun sind ja die Lukasschriften zusammen mit dem Hebräerbrief als die Schriften des Neuen Testaments bekannt, deren Verfasser das literarisch gesehen vornehmste Griechisch beherrschen. Bereits Hieronymus charakterisiert »Lukas« als den Evangelisten, der das beste Griechisch schrieb (qui inter omnes evangelistas graeci sermonis eruditissimus fuit), bedingt dadurch, dass »Lukas« als Arzt ausgebildet war, was für Hieronymus wohl auch eine literarische Bildung inkludierte. 32 Eduard Norden stellt in seinem Werk »Die antike Kunstprosa« 33 fest, dass in einer Untersuchung der Sprache der Lukasschriften die Apostelgeschichte gesondert vom Evangelium betrachtet werden müsse. Denn im Evangelium habe der Verfasser mehr

30. 31.

32.

33.

bereits angeführten Zitaten mit speziellen LXX-Lesarten sind auch 2,17-21 (Joel 3,1-5); 2,25-28 (Ps 15,8-11); 2,34 f. (Ps 109,1); 7,18 (Ex 1,8); 7,42 f. (Amos 5,25-27); 13,34 (Jes 53,3); 13,35 (Ps 16,10); 13,41 (Hab 1,5) in diesem Zusammenhang zu nennen. Siehe z. B. Müller: The Reception of the Old Testament, 315-330. In den neuesten größeren Kommentaren zum Lukasevangelium wird die Frage nach dessen besonderer Sprache allein ausführlich behandelt von Fitzmyer: Luke I-IX, 107-127. Die m. W. neueste größere Monographie zum Thema Lukas und das Alte Testament, Rusam: Das Alte Testament bei Lukas, thematisiert diese Frage nicht. Hieronymus: Ep ad Damasum 20,4,4, CSEL 54, 108; Hieronymus setzt fort: quippe ut medicus et qui in Graecis euangelium scripserit, quia se uidit proprietatem sermonis transferre non posse, melius arbitratus est tacere, quam id ponere, quod legenti faceret questionem. Den Hinweis verdanke ich Fitzmyer: Luke I-IX, 107. Norden: Kunstprosa, 480-492.

508

gtvh 08105 / p. 509 / 31.3.2022

Synoptische Evangelien und Apostelgeschichte

als in der Apostelgeschichte Quellen benutzt, diese nicht so stark überarbeitet, und zwar »mit gutem Grunde und feinem Gefühl; denn, wie das von späteren Christen den spöttischen Bemerkungen der Hellenen sehr richtig entgegengehalten wurde, ein Evangelium in einer Kunstsprache wäre ein Unding gewesen.« 34 Der Prolog zeigt, dass der Verfasser seine Jesus-Geschichte in einem kultivierten, literarischen Griechisch hätte schreiben können. Wenn das Evangelium jedoch nicht in diesem Stil geschrieben ist, geschah dies mit der genannten Absicht. Norden spricht hier von »Judengriechisch«, 35 ohne die Septuaginta zu nennen. Bei einem oberflächlichen Vergleich mit den anderen synoptischen Evangelien meint Norden trotzdem feststellen zu können, »daß Lukas an einer überaus großen Anzahl von Stellen das vom klassizistischen Standpunkt aus Bessere hat, während die gegenteiligen Fälle quantitativ und qualitativ kaum in Betracht kommen.« 36 Norden vergleicht mit Stellen der attizistischen Lexika. Nordens Auffassung fand jedoch relativ früh eine qualifizierte Widerlegung bei dem schwedischen Altphilologen Albert Wifstrand (1901-1964). 37 Was Norden in den Lukasschriften als Attizismen bestimmt, ist Wifstrand zufolge viel besser als literarische Koine zu bezeichnen. Der Attizismus, auf den in den Lexika Bezug genommen wird, gehört zur 2. Hälfte des 2. Jh. Im 1. Jahrhundert und – ich füge hinzu – in den ersten Jahrzehnten des 2. Jahrhunderts äußerte sich diese später als Attizismus zu bezeichnende Tendenz vornehmlich im Einbezug von Wörtern und Ausdrucksweisen aus der attischen Literatur. Ähnlich, obwohl nicht besonders elegant, ist das auch bei Josephus zu beobachten. »Luke would undoubtedly have been rather surprised had any contemporary literary critic praised him for being an Atticist; similar surprise would no doubt also have been felt by the same critic’s professional colleagues.« 38 Was das Verhältnis zwischen Lukas und der Septuaginta betrifft, gilt es Wifstrand zufolge grundlegend: Wenn anzunehmen ist, dass der Schriftsteller hinter den Lukasschriften – wie sein Verhältnis zum Markusevangelium zeigt – bewusst die Sprache seiner Quellen umformt und keinen Wert darauf legte, Aramaismen zu bewahren, liegt der Schluss nahe, dass hebraisierende Phrasen und Konstruktionen nicht unbewusst von semitischen, hebraisierenden (oder hebräischen) Quellen übernommen sind, sondern ihren Ursprung eher in bewusster Übernahme des LXX-Stils haben. Als erstes Beispiel wählt Wifstrand Lk 9,51-53, die Einleitung zum sogenannten Reisebericht, die als repräsentativ gelten kann. Diese Verse sind bemerkenswert voll von sprachlichen Übereinstimmungen mit der LXX. Wenn man damit argumentiert, 34. Norden: Kunstprosa, 482 f. 35. Norden: Kunstprosa, 484, wo die Rede von Stephanus als ein besonders charakteristisches Beispiel angeführt wird; es heißt: »wer von Judengriechisch eine deutliche Vorstellung hat und beispielweise weiß, daß eins seiner Spezifika die maßlose Häufung der obliquen Kasus von αὐτός ist (außer den jüdischen Schriften bieten auch die Evangelien massenhafte Belege), findet das hier wieder« – es folgt ein Zitat aus Apg 7,4 f. (484 f.). 36. Norden: Kunstprosa, 485. 37. Siehe Wifstrand: Lukas och den grekiska klassicismen, SEÅ V, 1940 = FS Erling Eidem, 139151; Lukas och Septuaginta, STK 16, 1940, 243-262. Beide Aufsätze sind nun in englischer Übersetzung zugänglich in Wifstrand: Epochs and Styles (Luke and Greek Classicism: 17-27; Luke and the Septuagint: 28-45). In dem ersten Aufsatz nimmt Wifstrand Nordens Beispiele zur kritischen Kommentierung auf, siehe insb. 20. 38. Wifstrand: Luke and Greek Classicism, 27.

509

gtvh 08105 / p. 510 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

das seien Reminiszenzen einer hebraisierenden Quelle, schuldet man eine Antwort auf die Frage, wie es dazu gekommen ist, dass Lukas dennoch diese hebraisierenden Phrasen in seiner Sonderquelle beibehalten und sie zudem in genau der gleichen griechischen Form wiedergegeben hat, wie sie in der LXX zu finden ist. Erinnern wir uns daran, dass Lukas als ein bewusster Schriftsteller mit bestimmten Stilisierungstendenzen schon daran zu erkennen ist, dass er viele sprachliche Einzelheiten im Markusstoff ändert. Die einfachste Erklärung ist, dass er ihre alttestamentliche Herkunft sieht und beabsichtigt, mit ihrer Hilfe seiner Darstellung Würde und einen biblischen Ton zu verleihen. Dieser biblische Ton war ihm durch die LXX vertraut. Dabei ist es keine Selbstverständlichkeit, dass er die im Hintergrund stehenden hebräischen Ausdrücke mit genau diesen griechischen Phrasen übersetzt. 39 Im Verhältnis zu den anderen Synoptikern versucht Lukas ja, seine Darstellung in einem besseren und würdigeren Stil zu schreiben. Dies geschieht durch eine bewusste und durchdachte Übernahme des »heiligen« Stils, der nicht nur unter hellenisierten Juden und hellenistischen Proselyten, sondern auch bei den ersten Christen bekannt war. Dieser »heilige« Stil fand seine Ausprägung durch die LXX mit deren eigenartigem Griechisch, das in seiner Phraseologie so oft eine andere, nämlich die hebräische Sprache spiegelt. Von diesem Verfasser gilt somit folgendes: »He was deeply versed in his Bible and knew it like the Greek rhapsodes knew Homer or Dante knew Vergil.« 40 Im Fall Lukas ist es also nicht sachgemäß, von einer populären Koine zu sprechen. Auch in dieser Hinsicht ist die früher beliebte Nomenklatur »Kleinliteratur« oder »Volksliteratur« abwegig. Es handelt sich vielmehr um ein biblisches Griechisch. Mit Absicht imitiert Lukas die Sprache der LXX, die in seiner Umgebung florierte, sowohl in jüdisch-griechischer Literatur als auch in christlicher Verkündigung. Beide wiesen ständig auf die Prophetien des Alten Testaments hin und übernahmen prophetische Sprache. Deutlich wird das nicht zuletzt in den Reden der Apostelgeschichte, die viel mehr als die umgebende Erzählung von der LXX geprägt sind. 41 Das Doppelwerk schließt mit einem längeren Zitat aus Jesaja 6LXX von der Verstockung Israels. Bei den anderen Synoptikern tritt es bekanntlich im Zusammenhang mit der Gleichnisrede auf. Auf diese Weise nimmt der Verfasser eine entscheidende Zäsur zwischen dem Schluss der Judenmission und der danach folgenden endgültigen Hinwendung allein zu den Heiden bzw. Völkern vor. Aus der Septuaginta ergibt sich, wie nun auch das Verhältnis des jüdischen Volkes zum Heil in den Lukasschriften zu bestimmen ist. 39. Wifstrand: Luke and the Septuagint, 31-34; vgl. Wifstrands Schlussfolgerung (36), nachdem er auch andere Beispiele einbezogen hat: »Given these instances, it would not seem too rash to suppose that quite a number of other expressions within Luke’s narratives and speeches that agree closely with the LXX but are otherwise unusual in Greek are likewise deliberate and intended imitations.« 40. Wifstrand: Luke and the Septuagint, 41. 41. Wifstrand: Luke and the Septuagint, 42 f., schließt: »Luke’s stylistic aim resembles the contemporary classicizing movement within higher Greek literature. In the same way as Plutarch and Dio Chrysostom borrowed embellishments, nuances and devices from Attic literature, so too Luke sought to borrow the atmosphere and dignity of his own classics, which were not, however, Plato and Thucydides, but Isaiah and Jeremiah, and Moses and David, as they came to him in the Greek attire given them by the Hellenistic Jews in Egypt. This biblical tone decreases in a quite remarkable fashion in the final chapters of the Acts.«

510

gtvh 08105 / p. 511 / 31.3.2022

Synoptische Evangelien und Apostelgeschichte

Alles in allem hat Albert Wifstrand nachdrücklich auf die Bedeutung der Septuaginta für das Griechisch der Lukasschriften und auf die dahinterliegende Absicht hingewiesen. 42 Waren bereits das Markusevangelium und noch mehr das Matthäusevangelium als »heilige« Schriften in Verlängerung der heiligen Schriften des Judentums konzipiert, so gilt das nicht minder von den Lukasschriften. Sie sind literarisch durch die bewusste Einbeziehung eines »Septuaginta-Stils« auch auf diese Art und Weise als direkte Fortsetzung bzw. Ende der biblischen Geschichte angelegt. 43 Die Konklusion, dass der Verfasser der Lukasschriften beim Zitieren des Alten Testament ausschließlich die Septuaginta benutzte, wurde später durch die Untersuchungen von Traugott Holtz bekräftigt, 44 obwohl seine Ansicht, dass dieser Verfasser sehr textgetreu gearbeitet habe, von Martin Rese in Frage gestellt wurde: Für »Lukas« sei »weder der Wortlaut noch der Sinn des zitierten Textes sakrosankt«; zudem scheue Lukas sich nicht, »durch Streichen und Ergänzen das Zitat zu verändern. Anpassung an den engeren Kontext oder die größere theologische Konzeption sind das Motiv solcher Änderungen.« 45 Auf der anderen Seite gilt, dass an einer Reihe von Stellen nur der Wortlaut der Septuaginta seine exegetischen Schlüsse ermöglicht. 46 Das darf aber nicht zu der Auffassung veranlassen, der Verfasser habe hier eine bewusste Wahl vorgenommen. Offensichtlich hatte er nicht die Möglichkeit, einen hebräischen Bibeltext zu konsultieren. 47

42. Die »Wirkungsgeschichte« der Aufsätze Wifstrands in der Forschungsdiskussion, die sie verdient hätte, ist merklich von ihrer ursprünglichen Publikation auf Schwedisch behindert. Wenige Jahre später erreichte Sparks eine ähnliche Konklusion in seiner Aufsatz, The Semitisms of St. Lukes Gospel, 134: »Granted that St. Luke was dependent upon Semitizing sources; granted also that he may have been influenced to a slight degree by Semitic-Greek patois of his Aramaic-speaking friends; the bulk of his Semitisms are to be ascribed to his reverence for, and imitation of, the LXX. They are, in fact, not ›Semitisms‹ at all, but ›Septuagintalisms‹ ; and St. Luke himself was not a ›Semitizer‹, but an habitual, conscious, and deliberate ›Septuagintalizer‹.« 43. Wie Fitzmyer: Luke I-IX, 113, später feststellt, verhält es sich beim Autor des lukanischen Doppelwerkes zudem statistisch so, dass »90 per cent of his vocabulary is found in the LXX, where it resembles most the vocabulary of Judges, Samuel, Kings, and above all 2 Maccabees.« Vgl. auch die Listen von »Luke’s characteristic vocabulary« und »Septuagintisms in Lucan Greek«, 109-116. 44. Holtz: Untersuchungen, 166. 45. Rese: Alttestamentliche Motive, 63. Das gilt nach Rese (216) auch bei »freien« Zitaten. Siehe überhaupt Reses kritische Auseinandersetzung mit Holtz im Exkurs I, op. cit. 211-216. Diese Ergebnisse werden mit Rücksicht auf Acta später bekräftigt von Steyn: Septuagint Quotations. Steyn lenkt ebenfalls die Aufmerksamkeit darauf, dass die alttestamentlichen Zitate allein in den Reden auftreten, die Juden als Adressaten haben, was auch in 23,5; 26,26 f. gilt und sowieso in 8,26-40, wo der äthiopische Hofbeamte ja die Autorität der Schrift akzeptiert. 46. Eine Exemplifizierung dieser Problemstellung liegt vor in Kraus: Am 9,11 f. LXX, passim. 47. Die Frage, welche alttestamentlichen Schriften der Verfasser der Lukasschriften selbst gekannt hat, wird unterschiedlich beantwortet. Sicher scheint nur, dass er jedenfalls einige für ihn wichtige Bücher wie z. B. das Jesaja-Buch zur Hand hatte. Eine andere Frage ist, ob er in seinen Übersichten über die biblische Geschichte in der Stephanus-Rede und der Paulus-Rede in der Synagoge im pisidischen Antiochia eine Art »Lesehilfe« durch andere Nacherzählungen der in der Septuaginta enthaltenen Geschichten gehabt hat. In diese Richtung deuten die verschiede-

511

gtvh 08105 / p. 512 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

Betrachten wir Sprache und Zitate, ist das Griechisch der Septuaginta in den lukanischen Schriften also als Ergebnis einer bewussten Wahl anzusehen. In den Wiedergaben der biblischen Geschichte durch Josephus, den meines Erachtens älteren Schriftstellerkollegen, hat die Septuaginta weitgehend einen weit geringeren Einfluss, vermutlich weil Josephus das Griechisch dieser Übersetzung als unliterarisch empfunden hat. 48 Der Vergleich legt es nahe, dass der Verfasser der Lukasschriften die sprachlichen Eigentümlichkeiten seiner Wiedergabe absichtlich wählt. Durch diese sprachliche Klammer beabsichtigte der Verfasser des Doppelwerks, auf die Einheit der »biblischen« Vorgeschichte und der Jesus-Geschichte hinzuweisen. Das »Christentum« hatte seinen Anfang nicht im fünfzehnten Regierungsjahr des Kaisers Tiberius (vgl. Lk 3,1), wie z. B. Markion laut Tertullian behauptet habe (siehe Adversus Marcionem IV 6 und IV 7), sondern war in den heiligen Schriften im Voraus verkündet. Der Verfasser der Lukasschriften hat also ein »literarischeres« Verhältnis zu den heiligen Schriften als die anderen Evangelien-Verfasser. Sie werden mehrmals konkret angegeben (z. B. Apg 13,33). Zudem bezeugt er als einziger neutestamentlicher Verfasser die Dreiteilung der Schriften Israels (Lk 24,44). Mehrmals macht er die Schriften explizit zum Gegenstand einer Auslegung. »Die Heilige Schrift« tritt auf diese Weise – sozusagen – auch als Referenzwerk auf, in dem Leserinnen und Leser sich über die Wahrheit der Darstellung in Evangelium und Apostelgeschichte erkundigen können. Ohne es zu nennen, geschweige denn Kenntnis von einem Unterschied zwischen einem hebräischen und einem griechischen Bibeltext zu verraten, wird es auf diese Weise für den Autor des Doppelwerkes notwendig, eine von seiner Zielgruppe lesbare Version der Schriften Israels, näherhin die Septuaginta, als eine vorausgesetzte Tatsache hervortreten zu lassen. Umgekehrt bot die Existenz dieser alten griechischen Übersetzung mit ihren auffallenden sprachlichen Eigentümlichkeiten dem Verfasser der lukanischen Schriften die Möglichkeit, sein Werk als Fortsetzung der in den heiligen Schriften des Judentums enthaltenen Geschichte anzusehen. Wir begegnen damit einem wichtigen Schritt der Entwicklung, worin sich die Septuaginta als die von den christlichen Gemeinden benutzte und deshalb gültige Version der »Bibel« durchsetzt. Die nächste Stufe wird von den ältesten uns bekannten expliziten Hinweisen auf die Übersetzung der Siebzig in Justins Dialog mit dem Juden Tryphon 68,7; 71,1; 86,5 usw. erreicht.

nen Unterschiede zwischen Bibeltext und Nacherzählung. So Sterling, zuletzt in, »Do You Understand What You are Reading?«, passim. 48. Siehe Müller: Josephus und die Septuaginta, 638-654.

512

gtvh 08105 / p. 513 / 31.3.2022

Johannesevangelium

3.2.2 Johannesevangelium Michael Labahn Literatur Barthélemy, Dominique: Les Devanciers d’Aquila. Première publication integrale du texte des fragments du Dodécaprophéton. Truvés dans le désert de Juda, VT.S 10, Leiden 1963 – Beutler, Johannes: Der Gebrauch von »Schrift« im Johannesevangelium, in: ders.: Studien zu den johanneischen Schriften, SBAB 25, Stuttgart 1998, 295-315 – Beutler, Johannes: Das Johannesevangelium. Kommentar, Freiburg et al. 2013 – Borgen, Peder: Bread from Heaven. An Exegetical Study of the Concept of Manna in the Gospel of John and the Writings of Philo, NT.S 10, Leiden et al. 21981 – Bynum, Wm. Randolph: The Fourth Gospel and the Scriptures. Illuminating the Form and Meaning of Scriptural Citation in John 19:37, NT.S 144, Leiden / Boston 2012 – Daise, Michael A.: Quotations in John. Studies on Jewish Scripture in the Fourth Gospel, LNTS 610, London 2020 – Dietzfelbinger, Christian: Aspekte des Alten Testaments im Johannesevangelium, in: Hermann Lichtenberger (ed.), Geschichte – Tradition – Reflexion. FS Martin Hengel. Bd. III: Frühes Christentum, Tübingen 1996, 203-218 – Dodd, Charles Harold: According to the Scriptures. The Sub-Structure of New Testament Theology, London 1952 – Freed, Edwin D.: Old Testament Quotations in the Gospel of John, NT.S 11, Leiden 1965 – Hengel, Martin: Die Schriftauslegung des 4. Evangeliums auf dem Hintergrund der urchristlichen Exegese, JBTh 4 (1989), 249-288 – Hübner, Hans / Labahn, Antje / Labahn, Michael: Vetus Testamentum in Novo. Vol. I.2: Evangelium secundum Iohannem, Göttingen 2003 – Jobes, Karen H. / Moisés Silva: Invitation to Septuagint, Grand Rapids, MI, 2000 – Kraus, Wolfgang: Johannes und das Alte Testament. Überlegungen zum Umgang mit der Schrift im Johannesevangelium im Horizont Biblischer Theologie, ZNW 88 (1997) 1-23 – Kreuzer, Siegfried: Ursprüngliche Septuaginta (Old Greek) und hebraisierende Bearbeitung. Die Entwicklung der Septuaginta in ihrer Bedeutung für die Zitate und Anspielungen im Neuen Testament, untersucht anhand der Zitate aus dem Dodekapropheton, in: Julian Elschenbroich / Johannes de Vries (ed.), Worte der Weissagung. Studien zur Septuaginta und Johannesoffenbarung, Festschrift für Martin Karrer, ABG 47, Leipzig 2014, 17-55 – Kreuzer, Siegfried: From »Old Greek« to the Recension. Who and What Caused the Change of the Hebrew Reference Text of the Septuagint, in: Wolfgang Kraus / R. Glenn Wooden (ed.), Septuagint Research. Issues and Challenges in the Study of the Greek Jewish Scriptures, SBL Septuagint and Cognate Studies 532, Leiden/Boston 2006, 225-237 – Kreuzer, Siegfried: Stages of the Greek Text of Dodekapropheton Witnessed by the Quotations in the New Testament, in Cécile Dogniez / Phillipe Le Moigne (ed.), Les Douze Prophètes dans la LXX, VT.S 180, Leiden 2019, 265-284 – Labahn, Michael: Art. Bread of Life 1. New Testament, Encyclopedia of the Bible and Its Reception 4 (2012) 425-430 – Labahn, Michael: Die Macht des Gedächtnisses. Überlegungen zu Möglichkeit und Grenzen des Einflusses hebräischer Texttradition auf die Johannesapokalypse, in: Martin Karrer / Siegfried Kreuzer / Marcus Sigismund (ed.), Von der Septuaginta zum Neuen Testament. Textgeschichtliche Erörterungen, ANTT 43, Berlin / New York 2010, 385-416 – Labahn, Michael: Jesus und die Autorität der Schrift im Johannesevangelium: Überlegungen zu einem spannungsreichen Verhältnis, in: ders.: Ausgewählte Studien zum Johannesevangelium. Selected Studies in the Gospel of John. 1998-2013, hg. v. Antje Labahn, BiTS 28, Leuven 2017, 157-180 – Labahn, Michael: Deuteronomy in John, in: ders.: Ausgewählte Studien (s. o.), 181207 – Labahn, Michael: Scripture Talks because Jesus Talks: The Narrative Rhetoric of Persuading and Creativity in John’s Use of Scripture, in: ders.: Ausgewählte Studien (s. o.), 209-

513

gtvh 08105 / p. 514 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

228 – Labahn, Michael: »Verlassen« oder »Vollendet«. Ps 22 in der »Johannespassion« zwischen Intratextualität und Intertextualität, in: ders.: Ausgewählte Studien (s. o.), 229-260 – Menken, Maarten J. J.: Old Testament Quotations in the Fourth Gospel. Studies in Textual Form, CBET 15, Kampen 1996 – Menken, Maarten J. J.: The Use of the Septuagint in Three Quotations in John. Jn 10,34; 12,38; 19,24, in: Christopher M. Tuckett (ed.), The Scriptures in the Gospels, BEThL 131, Leuven 1997, 367-393 – Menken, Maarten J. J.: Observations on the Significance of the Old Testament in the Fourth Gospel, in: Gilbert van Belle / Jan Gabriël Van der Watt (ed.), Theology and Christology in the Fourth Gospel. Essays by the Members of the SNTS Johannine Writings Seminar, BEThL 184, Leuven 2005, 155-175 – Moser, Marion: Genügt ein christologisches Verständnis der Schrift im Johannesevangelium? Überlegungen zum Kontext der expliziten Schriftbezüge, in: Jörg Frey / Uta Poplutz (ed.), Narrativität und Theologie im Johannesevangelium, BThSt 130, Neukirchen-Vluyn 2012, 41-66 – Müller, Mogens: Schriftbeweis oder Vollendung? Das Johannesevangelium und das Alte Testament, in: Klaus-Michael Bull / Eckart Reinmuth (ed.), Bekenntnis und Erinnerung. FS Hans-Friedrich Weiß, Rostocker Theologische Studien 16, Münster 2004, 151-171 – Obermann, Andreas: Die christologische Erfüllung der Schrift im Johannesevangelium. Eine Untersuchung zur johanneischen Hermeneutik anhand der Schriftzitate, WUNT II 83, Tübingen 1996 – Reim, Günter: Jochanan. Erweiterte Studien zum alttestamentlichen Hintergrund des Johannesevangeliums, Erlangen 1995 – Rogland, Max: Lawlessness, Idolatry, and Apostasy in the Book of Deuteronomy and in 1 John: An Old Message in a New Setting, in: Craig A. Evans / B. J. Oropeza / Paul T. Sloan (ed.), New Studies in Textual Interplay, LNTS 632, London 2021, 193-208 – Rusam, Dietrich: Das Alte Testament bei Lukas, BZNW 112, Berlin / New York 2003 – Sänger, Dieter: »Von mir hat er geschrieben« (Joh 5,46). Zur Funktion und Bedeutung Mose im Neuen Testament, in: ders.: Von der Bestimmtheit des Anfangs. Studien zu Jesus, Paulus und zum frühchristlichen Schriftverständnis, Neukirchen-Vluyn 2007, 241-265 – Schnelle, Udo: Theologie als kreative Sinnbildung: Johannes als Weiterbildung von Paulus und Markus, in: Thomas Söding (ed.), Johannesevangelium – Mitte oder Rand des Kanons? (QD 203), Freiburg i. Br. et al. 2003, 119-145 – Schnelle, Udo: Einleitung in das Neue Testament (UTB 1830), Göttingen 92017 – Schuchard, Bruce G.: Scripture Within Scripture. The Interrelationship of Form and Function in the Explicit Old Testament Citations in the Gospel of John, SBL.DS 133, Atlanta 1992 – Theobald, Michael: Schriftzitate im »Lebensbrot«-Dialog Jesu (Joh 6). Ein Paradigma für den Schriftgebrauch des Vierten Evangelisten, in: ders.: Studien zum Corpus Iohanneum, WUNT 267, Tübingen 2010, 309-348 – Wevers, John William: Notes on the Greek Text of Deuteronomy, SBL.SCSS 39, Atlanta 1995 – Williams, Catrin H.: Isaiah in John’s Gospel, in: Steve Moyise / Maarten J. J. Menken (ed.), Isaiah in the New Testament, London / New York 2005, 101-117 – Williams, Catrin H.: The Testimony of Isaiah and Johannine Christology, in: Claire Mathews McGinnis / Patricia K. Tull (ed.), »As Those Who are Taught«. The Interpretation of Isaiah from the LXX to the SBL, SBL.Symp 27, Atlanta, GA 2006, 107-124 – Williams, Catrin H.: Johannine Christology and Prophetic Traditions. The Case of Isaiah, in: Benjamin E. Reynolds / Gabriele Boccaccini (ed.), Reading the Gospel of John’s Christology as Jewish Messianism. Royal, Prophetic, and Divine Messiahs, AJEC 106, Leiden 2018, 92-123.

514

gtvh 08105 / p. 515 / 31.3.2022

Johannesevangelium

1. Problemstellung Die Bedeutung der Schriften Israels für den Erzähler des vierten Evangeliums ist unstrittig. Er greift breit und oft frei auf Texte, Motive und Geschichten der biblischen Schriften zurück. 1 Die Zitate, deren Anzahl aufgrund der besonderen johanneischen Rezeptionsweise nicht eindeutig ist, 2 werden durch vielfältige Anspielungen, Echos und weitere offene Rezeptionsformen ergänzt. Methodisch muss sich die wirkungsgeschichtliche Analyse der Septuaginta dem stellen, was Udo Schnelle für die Verwendung von Tradition generell beobachtet hat; der johanneische Erzähler »integrierte jene Traditionen in sein Evangelium, die nach seiner Meinung geeignet waren, ein Verstehen des Christusgeschehens und den Glauben an Jesus Christus als den fleischgewordenen Gottessohn zu fördern. Dieser Rezeptionsvorgang lässt die theologische und schriftstellerische Kompetenz des 4. Evangelisten erkennen. Johannes gestaltet Tradition und Redaktion zu einem erzählerisch und theologisch neuen Ganzen aus.« 3 Diese Kompetenz konkretisiert sich im Blick auf die Wirkungsgeschichte der Septuaginta auf eine christologische Hermeneutik, die die Schriften als Zeugen für den Gottessohn versteht und dem Erzähler ermöglicht, sie auf sein christologisches Verständnis hin gleichermaßen aktiv wie kreativ zu gestalten. 4 Widerspruch, der auf die soziologischen Faktoren dieser Hermeneutik verweist, 5 verändert diesen Konsens nicht, sondern erinnert daran, dass christologische Diskussionen mit der Alltagswirklichkeit der Trägergruppen verbunden sind und somit keine ausschließlich theoretische, sondern praktische Bedeutung haben. Die im vierten Evangelium entfaltete Präexistenz des Logos wird als ein Voraussein des Christus vor der Schrift gedeutet (vgl. Joh 12,41; s. a. z. B. 8,58), so dass die Schriften (Israels) durch den Christus von ihm her und zu ihm gestaltet sind. 6 Es ist also der johanneische Christus, der die Schrift »füllt«. 7 Der Erzähler selbst lässt die Schrift sogar zu einer Stimme werden, die diese Figur im johanneischen Diskursuniversum zugunsten des Gottessohns erhebt. 8 Dies bedeutet, dass das johanneische Verständnis des Christusgeschehens sich sachnotwendig in der Textgestaltung seiner Schriftrezeption einschließlich textlicher Änderungen und Zuspitzungen auf den Kontext auswirkt. Diese Schrifthermeneutik führt zu der eigentümlich-johanneischen Rezeption der Septuaginta, die für die Analyse der jeweiligen Vorlagen / Textformen eine beachtliche Hypothek darstellt. 1. 2.

3. 4. 5. 6. 7. 8.

Eine umfangreiche Materialsammlung bieten Hübner / Labahn / Labahn: Vetus Testamentum. Menken, Quotations, 12, dessen Definition und Zählung hier gefolgt wird, zählt 17 Zitate (Joh 1,23; 2,17; 6,31.45; 7,38.42; 8,17; 10,34; 12,15.34.38.40; 13,18; 15,25; 19,24.36.37) und 2 weitere Texte (17,12; 19,28), die zwar durch eine explizite Markierung als Zitat gekennzeichnet sind, aber kein spezifisches Zitat aufweisen. Schnelle: Einleitung, 581. Vgl. z. B. Beutler: Gebrauch; Dietzfelbinger: Aspekte; Kraus: Johannes; Hengel: Schriftauslegung; Labahn: Jesus; Müller: Schriftbeweis; Obermann: Erfüllung; Sänger: Mose. Moser: Verständnis. Vgl. Labahn: Jesus. Müller: Schriftbeweis, 158. Vgl. Labahn: Scripture.

515

gtvh 08105 / p. 516 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

Andererseits ist eine Antwort auf die Frage nach der Wirkung der Septuaginta nicht ohne die Analyse der Textformen möglich. Aufgrund der sprachlichen Signale der einzelnen Zitate wird die Schriftrezeption des vierten Evangeliums mehrheitlich als Rezeption des Septuagintatextes begriffen, 9 wobei die minutiösen Analysen von Maarten J. J. Menken davor warnen, sich monokausal auf eine einzige Textform als Referenztext zu beschränken. Die Entscheidung über die verwendeten Textformen ist im Einzelfall für jeden Rezeptionstext zu diskutieren und anhand der Textdaten neu zu begründen. So müssen die Abweichungen zur Septuaginta und die unterschiedlichen Theorien zur Nutzung hebräischer Textformen oder abweichender griechischer Textformen bedacht werden.

2. Text-Beispiele und Kurzanalysen Vor diesen Voraussetzungen konzentrieren sich die folgenden Überlegungen auf ausgewählte, mit formula quotationis eingeleitete Beispiele. 10 Beachtenswert ist die Zweiteilung der Intertextualitätsmarkierungen, die sich von γεγραμμένον mit ἐστίν (es ist / steht geschrieben) im ersten Teil des Evangeliums (2,17; 6,31.45; 10,34; 12,14) zu Zitationsformeln mit dem Erfüllungsmotiv (ab Joh 12,38) verändern, wodurch die in den Gliederungen angezeigte Einteilung von öffentlichem Wirken und Passion und Kreuzigung sich in der Schriftrezeption niederschlägt. Auch die Platzierung dreier Jesajazitate zu Beginn und Abschluss des öffentlichen Wirkens Jesu gehört in dieses Bild (1,23; 12,38.40). Vor dem Hintergrund antiker (auch antik-jüdischer und frühchristlicher) Zitationsbräuche repräsentieren diese Formeln lediglich Rezeptions- bzw. Intertextualitätsmarker, die nicht notwendig eine sprachliche Identität zwischen Referenz- und Rezeptionstext implizieren. 11 Zudem liegt bisweilen ein äußerst schmaler Kohärenzbereich von gelegentlich nur zwei Worten zwischen den möglichen Referenztexten und der Rezeption vor. Dies entspricht einer Rezeptionstechnik, bei der durch den Zitationsmarker auch Zusammenfassungen von Inhalten oder Motiven aus dem Referenzraum der Schriften in johanneischer Sprache gekennzeichnet werden. 12 Hierzu gehört die auf Christus bezogene Metapher vom lebendigen Wasser in Joh 7,38, die nach Maarten Menken auf Ps 77(78),16-20 anspielt, 13 jedoch wie zuvor in Joh 6,31 die Exoduserzählung (bes. Ex 17,1-7) verdichten kann. 14 In der so genannten zweiten johanneischen Abschiedsrede wird der Hass der Welt gegen die Gemeinde durch eine Zitationsformel biblisch und zugleich christologisch begründet (Joh 15,25), wobei kaum zu entscheiden ist, ob diese Septuagintarezeption Ps 34(35),19 oder 68(69),5 ver9. Vgl. z. B. Menken: Quotations, 206. S. a. Schuchard: Scripture. 10. Aufgrund dieser Auswahl fallen die Johannesbriefe aus der Darstellung heraus, wenngleich auch im 1. Johannesbrief beachtenswerte Beispiele johanneischer Schriftrezeption vorliegen; vgl. jetzt z. B. Rogland: Lawlessness. 11. Vgl. z. B. Rusam: Lukas, 53 f. 12. Menken: Quotations, 15-18, rechnet Joh 7,42; 8,17 und 12,34 zu dieser Kategorie; s.a 12,28. 13. Menken: Quotations, 187-203. 14. S. a. die umfangreiche Liste möglicher Referenztexte bei Hübner / Labahn / Labahn: Vetus Testamentum, 254-261.

516

gtvh 08105 / p. 517 / 31.3.2022

Johannesevangelium

wendet (s. a. Ps 108[109],3; Ps Sal 7,1). Beide Psalmen können mit ihrem unmittelbaren Kontext als Referenzebene im Rezeptionstext anklingen, so dass das Motiv selbst und seine christologische Interpretation die entscheidende Rolle spielen, nicht aber ihr biblischer Sprecher, David. Die angesprochene Kürze des Kohärenzbereiches eröffnet das Problemfeld, welcher Referenztext auf den johanneischen Rezeptionstext einwirkt. So ist beispielsweise Joh 8,17 ein durch johanneische Intratextualität geprägter Vers, der mit der Zitationsformel als intertextuelle Referenz markiert ist. Als mögliche Referenzen sind Dtn 19,15 und 17,15 zu nennen (Num 35,30 15 spricht nicht ausdrücklich von zwei Zeugen). Wie Menken 16 beobachtet hat, konzentriert sich Dtn 17,6 (wie Num 35,30) auf die Todesstrafe, während Dtn 19,15 und Joh 8,17 allgemeiner die Aufgabe der Zeugen reflektieren. 17 Da der Septuagintatext genereller als der hebräische formuliert, indem er von »jedem Fall« (πᾶν ῥῆμα) spricht, ist er als Referenztext wahrscheinlicher. So ist Joh 8,17 als weiteres Beispiel für eine von der johanneischen Argumentation bestimmte Septuagintarezeption zu lesen. In Joh 10,34 (Ps 82[81],6); 12,38 (Jes 53,1) und 19,24 (Ps 22[21],19) liegen Zitate vor, die dem Septuaginta-Text wörtlich entsprechen und damit die Annahme des Septuagintatexts als grundlegenden Referenzbereich der johanneischen Schriftrezeption begründen. Jene Rezeptionen, die die Gestaltung des johanneischen Erzählers zeigen, ergänzen das Bild der Septuagintaverwendung. Ein instruktives Beispiel ist die in allen vier Evangelien belegte Verwendung von Jes 40,3 zur Charakterisierung des Täuferauftretens. In Joh 1,23 wird der Wortlaut der Septuaginta weitestgehend aufgenommen. Neben der ergänzten Selbstreferenz des Täufers (ἐγώ [ich]) fällt auf, dass aufgrund der Präexistenztheologie der Täufer nicht durch das Verb ἑτοιμάσατε (bereitet) als ein Jesu vorausgehender Wegbereiter vorgestellt wird. Er ist vielmehr der Zeuge, der die Adressaten mit der Aufforderung zum Begradigen (εὐθύνατε [macht gerade / ebnet]) des Weges gegenwärtig in die Verantwortung des Glaubens nimmt – ein Verb, das der zweiten Vershälfte (Jes 40,3c: εὐθείας ποιεῖτε τὰς τρίβους τοῦ θεοῦ ἡμῶν [macht gerade die Straßen unseres Gottes]) entnommen wird. 18 Ähnlich knapp, aber eindrucksvoll eignet sich der Erzähler Ps 68(69),10 mit dem Bild von dem Jesus verzehrenden Eifer für das Haus seines Vaters in Joh 2,17 an, das Jesu souveränen Gang zur Kreuzigung in der johanneischen Passionsgeschichte vorab deutet. Gegenüber dem Septuagintazitat wird aus dem Rezeptionstext nur die Verbform κατέφαγεν (»hat verzehrt«) das Futur καταφάγεται (»wird verzehren«) geändert. Dass der Aorist dem hebräischen Text (‫»[ ֲאָכָלְת ִני‬hat mich verzehrt«]) entspricht, auch wenn die Überset15. So Beutler: »Schrift«, 304. 16. Menken: Quotations, 16: »The legal content of Deut 19:15 has evidently been rephrased in Johannine language«. 17. Vgl. Wevers: Notes, 315, zu Dtn 19,15: »V. 15b makes a general rule out of the regulation concerning minimum witnesses at 17:6 for capital offences«. 18. Ein direkter Rückgriff auf das hebräische ‫ פנה‬im Piel (beseitigen / aufräumen) ist nicht wahrscheinlich, da es in der LXX nicht durch εὐθύνω (gerade machen) übersetzt wird. Beachtenswert ist das Verb εὐθύνω in Jes 40,3b bei Aquila (86; vgl. zur Textbasis von Joh 1,23 Menken: Quotations, 22-25). Allerdings weicht der Text bei α’ in weiterer Hinsicht von der Septuaginta und Jes 40,2-3 ab, so dass nicht mehr als die Möglichkeit, dass diese Übersetzungsvariante dem johanneischen Text voraus ist, gegeben ist.

517

gtvh 08105 / p. 518 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

zung des hebräischen Simplex mit dem Kompositum in der Septuaginta nicht singulär ist, zeigt dies erneut die Komplexität der Rezeptionsanalyse; da der Tempuswechsel der johanneischen Sichtweise und das verwendete Kompositum dem Septuagintatext entsprechen, ist kein Rückgriff auf eine hebräische oder hebraisierende Vorlage zu vermuten. Die johanneischen Jünger erinnern sich nachösterlich-rückblickend an das in der Erzählung noch zukünftige Geschehen der Passion, die durch den ζῆλος (Eifer) als Geschehen des unbedingten Einsatzes des Sohnes für seinen Vater dargestellt wird. Ein weiteres Beispiel für die Komplexität der johanneischen Schriftreferenzen und damit für die Wirkungsgeschichte der Septuaginta ist die Aufnahme von Jes 6,10 in Joh 12,40. In Joh 12,38.40.41 werden drei Schriftstellen des Jesajabuches absichtsvoll aneinandergefügt, Jes 53,1, Jes 6,10 und – meist als direkte Rezeption außer acht gelassen – Jes 6,1. 19 Mit Blick auf die synoptische Rezeption von Jes 6,9 f. (Mk 4,11 f.; Mt 13,14 f.; Lk 8,10; auch Apg 28,26 f.) wird für Joh 12,40 eine Herkunft aus einem frühchristlichen Testimonienbuch vermutet; 20 allerdings erklärt dies nicht die Zusammenfügung mit Jes 53,1. Die sprachlichen Abweichungen in Joh 12,40 von Jes 6,10 (z. B. die Auslassung von »mein Volk«, des Ertauben-Lassens, die Veränderung der Reihenfolge von Sehen und Verstehen, die Verwendung weiterer Verbformen) sprechen für eine bewusste Gestaltung durch den johanneischen Erzähler und seinen Idiolekt. Menken vermutet neben der durch die Textidentität von Referenz- und Rezeptionstext in der letzten Zeile begründete Septuagintarezeption eine eigenständige Übersetzung aus dem Hebräischen; 21 dann stellt sich die Frage, wie der Wechsel zwischen hebräischer Vorlage und Septuagintatext im praktischen Vollzug zu denken ist. Es bleibt wahrscheinlicher, dass der Erzähler die Septuaginta nutzt und unterschiedlich frei zu seinem Text macht. Zunächst wird das Fehlen des Glaubens trotz des Sehens der Zeichen (12,37) mit Hilfe des LXX entsprechenden Wortlauts aus Jes 53,1 biblisch fundiert. Dieser Mangel wird in Joh 12,40 durch Gottes Handeln begründet und zwar durch eine kreative Rezeption von Jes 6,10, vom Verstockungsauftrag des Propheten auf Gott selbst verlagert, ohne dass der Mensch jedoch aus seiner Verantwortung für sein Handeln entlassen wird. Weitere Beispiele unterstreichen diese Beobachtung, dass der diskutierte Einfluss hebräischer oder hebraisierender Vorlagen aufgrund der oft selektiven und kreativen Rezeption schwer begründbar ist. Joh 13,18 könnte für eine Übersetzung des johanneischen Erzählers aus dem Hebräischen in Frage kommen. 22 Jesus identifiziert seinen Verräter durch den Hinweis auf die Schrift (Ps 41,10): Joh 13,18

… ἀλλ᾽ ἵνα ἡ γραφὴ πληρωθῇ· ὁ τρώγων μου τὸν ἄρτον ἐπῆρεν ἐπ᾽ ἐμὲ τὴν πτέρναν αὐτοῦ.

19. Die Wendung εἶδεν τὴν δόξαν αὐτοῦ (»er sah seine Herrlichkeit«) nimmt zudem Kernbegriffe aus Jes 6,1b-c auf und zwar mit deutlichem Bezug auf die griechische und nicht die hebräische Textform. 20. Z. B. Dodd: Scriptures, 38 f. 21. Menken: Observations, 120; Hengel: Schriftauslegung, 265 Anm. 60, vermutet beispielsweise ausschließlich die Übersetzung aus dem Hebräischen. 22. Menken: Quotations, 123-138; Obermann: Erfüllung, 255-271.

518

gtvh 08105 / p. 519 / 31.3.2022

Johannesevangelium

(… sondern damit die Schrift erfüllt wird: Der, der mein Brot aß, hat seine Ferse gegen mich erhoben.) PsLXX 40,10 … ὁ ἐσθίων ἄρτους μου, ἐμεγάλυνεν ἐπ᾽ ἐμὲ πτερνισμόν· (… der mein Brot (mit mir) aß, machte gegen mich die Täuschung noch größer) PsMT 41,10



‫בוֹ אוֵֹכל ַלְחִמי‬ ‫ִה ְג ִדּיל ָעַלי ָעֵקב׃‬

(… der mein Brot aß, hat die Ferse gegen mich erhoben)

Angesichts der ansonsten zwanglos aus der Septuagintavorlage zu erklärenden Psalmenrezeption wäre es überraschend, wenn der Erzähler die Aussage von der Abwendung des die Mahlgemeinschaft teilenden Freundes selbst übersetzt hätte. Die hebräische Wendung ‫( ִה ְג ִדּיל ָעַלי ָעֵקב‬hat die Ferse gegen mich erhoben) wirft Rätsel auf, da sie in dieser Form semantisch singulär ist. Sie bedeutet wohl eine Missachtung des anderen, bei der die Ferse eine Rolle spielt, vielleicht auch eine gewaltsame Handlung mit der Ferse einschließt. Wahrscheinlicher ist erneut eine Septuagintarezeption »in freier Form« zu beobachten 23 – die Täuschung (πτερνισμόν), die durch das Vorauswissen des johanneischen Jesus nicht vorliegt, wäre durch die ähnlich klingende gegen den Sprecher feindlich erhobene Ferse (πτέρναν) eventuell mit Erinnerung im Gedächtnis an das ungewöhnliche Bild der Ferse (‫ )עקב‬aus dem Hebräischen 24 ersetzt. In Summe erklären sich die Veränderungen als Anpassung an den johanneischen Erzählrahmen, mit Verrat und dem einen Bissen (12,26-30), so dass aus der Täuschung der Verrat wird, den die Schrift als Wille Gottes und Jesu voraussagt. Abweichungen zwischen Septuagintatext und Rezeptionstext provozieren die weitergehende Frage, ob neben der Septuaginta bekannte oder noch unbekannte, insbesondere griechische Textformen von Einfluss sind. Zur Illustration sei auf die Dissertation The Fourth Gospel and the Scriptures. Illuminating the Form and Meaning of Scriptural Citation in John 19:37 von Wm. Randolph Bynum hingewiesen, der sich anhand der Sacharjarezeption in Joh 19,37 dieser Frage mit weitreichenden Rekonstruktionsvorschlägen zur Textgeschichte von Sach 12,10 widmet: Joh 19,37 καὶ πάλιν ἑτέρα γραφὴ λέγει· ὄψονται εἰς ὃν ἐξεκέντησαν.

23. Beutler: Johannesevangelium, 382. 24. Vgl. zu diesem Thema Labahn: Macht, 390-394.

519

gtvh 08105 / p. 520 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

(und wiederum sagt eine andere Schrifthstellei]: Sie werden auf den sehen, den sie durchbohrt haben) SachLXX 12,10 … καὶ ἐπιβλέψονται πρός με ἀνθ᾽ ὧν κατωρχήσαντο, … (… Und sie werden auf mich schauen, weil sie (triumphierend) getanzt haben, …) SachMT 12,10



‫ְוִהִבּיטוּ ֵאַלי ֵאת ֲאֶשׁר־ ָדָּקרוּ‬

… (Und sie werden auf mich blicken, den sie durchbohrt haben. …)

Deutlich erkennbar sind die Differenzen zwischen dem Rezeptionstext und dem Septuagintatext von Sach 12,10b. Bynums Lösungsvorschlag lautet: »the best explanation for the form of Zech 12:10 is a citation from R (= 8ḤevXIIgr; ML) or a similar manuscript. This places John’s form in harmony with the lxx correction movement represented by R. The author of the FG (Fourth Gospel; ML) thus desires in this instance to cite the Jewish Scriptures in a manner more closely compatible with the predominant Hebrew proto-mt of the era, in contrast to the lxx form of the verse. At the same time, he wishes to cite in a Greek form acceptable to the Jewish-Hellenistic culture of his day«. 25 Damit bietet Joh 19,37 »one of the oldest available stages of the textual history of the verse.« 26 Diese These stellt den johanneischen Referenztext in eine Linie mit hebraisierenden Rezensionen, wie sie auch bei Aquila, Symachus und Theodotion nachweisbar und in frühchristlichen Texten zu finden sind (Mt 24,30; Offb 1,7; Did 16,8; Barn 7,9b; ApkPetr 6; Justin Dial 14,8; 1Apol 52,12), so dass Joh 19,37 auf »an Early Greek translation of the Hebrew text« zurückzuführen sein könnten. Tatsächlich steht die freie Septuagintawiedergabe von Joh 19,37 in christlicher Auslegungstradition von Sach 12,10, ohne dass tragfähige Schlüsse für die verwendete Textform des Referenztextes gezogen werden können. Joh 19,37 zeigt vielmehr, wie der johanneische Erzähler mit seiner Überlieferung Sach 12,10 als Hinweis auf Jesu Kreuzigung verstanden hat. Die johanneische Wirkungsgeschichte der Septuaginta ist zudem eine Geschichte der Schriftdeutung durch Textkombination (vgl. auch das oben genannte Beispiel aus 25. Bynum: Fourth Gospel, 6. Bynum bezieht sich damit auf die von Barthélemy: Les devanciers d’Aquila, an Hand der Naḥal Ḥever Rolle des Zwölfprophetenbuches (8ḤevXIIgr) entdeckte und auch in weiteren Schriften erkannte hebraisierende Textform des Septuagintatextes, die als sogenannte kaige-Rezension identifiziert wird; hierzu Kreuzer: »Old Greek«; anders Jobes/Silva: Invitation 285. 26. Bynum: Fourth Gospel, 168 f. Vgl. Kreuzer: Septuaginta, 51: Der wenig sinnvolle Text »sie tanzten« erklärt sich als früher Schreibfehler (Buchstabenvertauschung ‫דקר‬/‫)רדק‬, der sich auf den Septuagintatext auswirkte. »Die Vorlage von Apk 1,7 und auch von Joh 19,37 ist somit ein [griechischer] Text von Sach 12,10, in dem der offensichtliche Fehler korrigiert worden war.« (51). Die Lesart ist dann auch bei Aquila bezeugt. »Aquila certainly would not have taken over a new Christian reading so well presenting a prophetic anouncement of the death of Jesus. This means that the reading existed in the first century already.« S. a. Kreuzer: Stages, 282.

520

gtvh 08105 / p. 521 / 31.3.2022

Johannesevangelium

dem Jesajabuch: Joh 12,38.40.41). Eindrucksvoll ist die auch bei den Synoptikern bekannte Verwendung von Sach 9,9 zur Interpretation des Einzugs Jesu nach Jerusalem (Joh 12,15); nicht allein die Kürzung des Referenztextes fällt auf, sondern auch die Kombination mit Gen 49,11: Joh 12,15 μὴ φοβοῦ, θυγάτηρ Σιών· ἰδοὺ ὁ βασιλεύς σου ἔρχεται, καθήμενος ἐπὶ πῶλον ὄνου. (Fürchte dich nicht, Tochter Zion: Siehe, dein König kommt; er sitzt auf einem Eselsfüllen.) SachLXX 9,9 Χαῖρε σφόδρα, θύγατερ Σιων· κήρυσσε, θύγατερ Ιερουσαλημ· ἰδοὺ ὁ βασιλεύς σου ἔρχεταί σοι, δίκαιος καὶ σῴζων αὐτός, πραῢς καὶ ἐπιβεβηκὼς ἐπὶ ὑποζύγιον καὶ πῶλον νέον. (Freue dich sehr, Tochter Sion, verkündige, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Retter [ist] er, sanftmütig und reitend auf einem Lasttier, und zwar [auf] einem jungen Füllen.) GenLXX 49,11 δεσμεύων πρὸς ἄμπελον τὸν πῶλον αὐτοῦ καὶ τῇ ἕλικι τὸν πῶλον τῆς ὄνου αὐτοῦ· πλυνεῖ ἐν οἴνῳ τὴν στολὴν αὐτοῦ καὶ ἐν αἵματι σταφυλῆς τὴν περιβολὴν αὐτοῦ· (Er bindet sein Füllen an einen Weinstock und das Füllen seiner Eselin an die Weinranke. Im Wein wird er sein Kleid waschen und im Blut der Traube seinen Umhang.)

Zu Beginn des Textes wird das Motiv der Freude im vierten Evangelium durch die Aufforderung μὴ φοβοῦ ersetzt, eine Aufforderung, die der gefährdeten Situation der nachösterlich-johanneischen Gemeinde entspricht (z. B. Joh 15,18 ff.; 16,2; s. a. 7,12 f.; 9,22; 12,42; 13,38; 20,19). Möglich ist, dass in dieser Wendung jesajanische Erwartungen des Kommens Gottes (Jes 35,4; 40,9 f.) zusammengefasst werden. Das Zitat aus Sach 9,9 in seiner Verbindung mit GenLXX 49,11 mag traditionell mit der Tempelreinigung verbunden gewesen sein und ist als Septuagintarezeption 27 zu verstehen. Die Rezeption inszeniert den Einzug Jesu wie den eines Königs als Kommen Gottes im biblisch fundierten Plan zum Heil der Welt und damit zugunsten der nachösterlichen Gemeinde (vgl. V. 16). Eine ähnliche Schriftkombination ist für Joh 19,36 zu beobachten (… ὀστοῦν οὐ συντριβήσεται αὐτοῦ [Kein Knochen wird ihm zerbrochen werden]), wo für die Unversehrtheit der Knochen selektiv auf Ps 33(34),21 (κύριος φυλάσσει πάντα τὰ ὀστᾶ αὐτῶν, ἓν ἐξ αὐτῶν οὐ συντριβήσεται [Der Herr wird all ihre Gebeine bewahren, keines von ihnen wird zerbrochen werden.]) zurückgegriffen wird, der 27. Wobei SachLXX 9,9 eine sachgerechte Übersetzung des hebräischen Textes ist.

521

gtvh 08105 / p. 522 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

den Schutz des Gerechten durch Gottes Tun betont. Für diese Referenz spricht die übereinstimmende futurische Verbform συντριβήσεται (wird zerbrochen werden). Ergänzender Quereinfluss der Passalammunterweisung (vgl. Ex 12,10.46; Num 9,12) ist möglich, 28 da Jesus bei Johannes zur Zeit der Schlachtung der Passalämmer stirbt. Es ist Gottes schützende Macht, in der Jesus bei Johannes als Lamm zur Vergebung der Sünden (vgl. 1,29,36) am Kreuz stirbt. Durch die Kombination der Septuagintareferenzen entsteht im Rezeptionstext ein christologischer Mehrwert, der unterschiedliche Aussagen über den Tod des johanneischen Jesus vereint. Das bekannte Bild von Jesus als dem Brot aus dem Himmel, das sich dem Gespräch mit der Septuaginta verdankt, verdeutlicht, dass johanneische Schriftrezeption durchaus kontextorientiert und damit nicht atomistisch erfolgt. Die Metapher vom Lebensbrot bezieht sich auf die Geschichte von Israels Wüstenwanderung und spielt damit auf Gottes Fürsorge für Israel durch die Gabe von Manna an (Ex 16). Die Gesprächspartner Jesu weisen auf Israels Wanderschaft in der Wüste hin, wenn sie die Autorität der Schrift für sich beanspruchen (Joh 6,31). Es liegt eine ironisierende Schriftrezeption vor, da die Sprecher behaupten, ihre Väter hätten durch Mose (vgl. V. 32) das Brot vom Himmel empfangen, und leugnen so eigentlich mit Hilfe der Schrift und Mose, die in johanneischem Verständnis für Jesus zeugen (z. B. 2,17; 12,16 bzw. 1,45; 5,46 u. ö.), eine Verbindung zu Jesus als wahrem gottgegebenem Himmels- bzw. Lebensbrot (V. 32). Gegen den Anspruch der Gegner spricht die Schrift für Jesus. Einige Interpretationen lesen den Lebensbrotdiskurs als Midrasch über Ps 78,24, der den exegetischen Regeln der Juden folgt. 29 Während die verbale Affinität PsLXX 78,24 als johanneisch rezipierten Primärhintergrund von Joh 6,31-32 plausibel erscheinen lässt, kann die sprachliche Beeinflussung durch andere Manna-Texte (z. B. Weish 16,20; Neh 9,15) möglicherweise in hebräischer Form oder als hebraisierende Version nicht vollständig ausgeschlossen werden. Ex 16,4.15, wo sich der »Herr« (V. 4: κύριος) als Himmelsbrotspender vorstellt, spielen dem johanneisch-christologischen Schriftverständnis im Kontext der Kontroverse der Lebensbrotrede in die Karten. Jesus als Gabe Gottes kann mit dem Schriftwort zu Recht beanspruchen, das Lebensbrot zu sein. So wird einmal mehr die johanneische Wirkungsgeschichte der Septuaginta als Christuszeugnis erkennbar.

3. Zusammenfassung Die christologische Lektüre der Schriften Israels verbunden mit der kreativen Erzählweise des johanneischen »Meistererzählers« 30 führt zu bisweilen signifikanten Abweichungen vom Septuagintatext der Rezeptionstexte. Dort, wo Differenzen zur Septuaginta nicht in Kohärenz mit der johanneischen Sprach- und Erzählwelt erklärt werden können, kann die Möglichkeit erwogen werden, dass das vierte Evangelium ein Zeuge für eine abweichende zeitgenössische, vornehmlich griechische Textform ist. Mehr28. Eine Anzahl von Exegeten sieht in den Pentateuchtexten den primären Referenzbereich; z. B. Hengel: Schriftauslegung, 280; auch Obermann: Erfüllung, 298-310, der allerdings συντριβήσεται auf Ps 33(34),21 zurückführt. 29. Z. B. Borgen: Bread. 30. Anspielung auf Schnelle: Theologie, bes. 144.

522

gtvh 08105 / p. 523 / 31.3.2022

Johannesevangelium

heitlich sind die Eigentümlichkeiten jedoch als Ausdruck der johanneischen Wirkungsgeschichte des Septuagintatextes zu verstehen, die ihren Hintergrund auch in den christologischen Diskussionen des Trägerkreises der johanneischen Überlieferung (Schule) haben. Die Verwendung schriftbezogener Argumentation erweist sich als Teil der christologischen Prämissen der johanneisch-christologischen Hermeneutik und bildet eine kreative Kommunikation mit den Referenztexten, was die johanneische Schriftrezeption mit aktualisierender jüdischer Schriftverwendung verbindet, aber zugleich den eigentümlichen Charakter der johanneischen Schriftrezeption ausmacht.

523

gtvh 08105 / p. 524 / 31.3.2022

3.2.3 Corpus Paulinum Florian Wilk Literatur Beale, Gregory K. / Carson, Donald A. (ed.): Commentary on the New Testament Use of the Old Testament, Grand Rapids / Nottingham 2007 – Beale, Gregory K.: Colossians, in: Gregory K. Beale / Donald Carson (ed.), Commentary (s. o.), 841-870 – Blass, Friedrich / Debrunner, Albert: Grammatik des neutestamentlichen Griechisch. Bearbeitet von Friedrich Rehkopf, Göttingen 151979 – Bons, Eberhard / Joosten, Jan (ed.): Die Sprache der Septuaginta. The Language of the Septuagint, LXX.H 3, Gütersloh 2016 – Bormann, Lukas: Schriftgebrauch im Kolosser- und im Epheserbrief. Zur Praxis frühchristlicher Text- und Interpretationsgemeinschaften, in: Florian Wilk / Markus Öhler (ed.), Paulinische Schriftrezeption. Grundlagen – Ausprägungen – Wirkungen – Wertungen, FRLANT 268, Göttingen 2017, 217-234 – Brucker, Ralph: Die Sprache der Septuaginta und das Neue Testament: Stil, in: Eberhard Bons / Jan Joosten, Sprache (s. o.), 460-472 – Deissmann, Adolf: Paulus. Eine kultur- und religionsgeschichtliche Skizze, Tübingen 21925 – Dochhorn, Jan: »Denn der Nichtigkeit ist die Schöpfung untergeordnet worden« (Röm 8,20). Eine kosmologische Aussage des Paulus und ihre exegetischen Hintergründe, in: Florian Wilk / Markus Öhler (ed.), Schriftrezeption (s. o.), 57-80 – Inkelaar, Harm J.: Conflict on Wisdom. The Theme of 1 Corinthians 1-4 Rooted in Scripture, CBET 63, Leuven u. a. 2011 – Janssen, Martina: Corpus pastorale catholicum. Studien zu Komposition und Intention der Pastoralbriefe, Diss. habil. Göttingen 2019 – Kautzsch, Emil F.: De Veteris Testamenti locis a Paulo Apostolo allegatis, Leipzig 1869 – Koch, Dietrich-Alex: Die Schrift als Zeuge des Evangeliums. Untersuchungen zur Verwendung und zum Verständnis der Schrift bei Paulus, BHTh 69, Tübingen 1986 – Kreuzer, Siegfried: Ursprüngliche Septuaginta (Old Greek) und hebraisierende Bearbeitung. Die Entwicklung der Septuaginta in ihrer Bedeutung für die Zitate und Anspielungen im Neuen Testament, untersucht anhand der Zitate aus dem Dodekapropheton, in: Julian Elschenbroich / Johannes de Vries (ed.), Worte der Weissagung. Studien zur Septuaginta und Johannesoffenbarung, Festschrift für Martin Karrer, ABG 47, Leipzig 2014, 17-55 – Ders.: Stages of the Greek Text of Dodekapropheton Witnessed by the Quotations in the New Testament, in: Cécile Dogniez / Phillipe Le Moigne (ed.), Les Douze Prophètes dans la LXX, VTS 180, Leiden 2019, 265-284 – Lang, Markus: Nützlich in den richtigen Händen. Schriftrezeption in den Pastoralbriefen, in: Florian Wilk / Markus Öhler (ed.), Schriftrezeption (s. o.), 235-247 – Lim, Timothy H.: Holy Scripture in the Qumran Commentaries and Pauline Letters, Oxford 1997 – Luz, Ulrich: Der Brief an die Kolosser, in: Jürgen Becker / Ulrich Luz, Die Briefe an die Galater, Epheser und Kolosser, NTD 8/1, Göttingen 1998, 181-244 – Porter, Stanley E.: Pauline Techniques of Interweaving Scripture into His Letters, in: Florian Wilk / Markus Öhler (ed.), Schriftrezeption (s. o.), 23-55 – Schaller, Berndt: 1 Kor 10,1-10(13) und die jüdischen Voraussetzungen der Schriftauslegung des Paulus, in: Ders., Fundamenta Judaica. Studien zum antiken Judentum und zum Neuen Testament, ed. Lutz Doering / Annette Steudel, StUNT 25, Göttingen 2001, 167-190 – Schaller, Berndt: Zum Textcharakter der Hiobzitate im paulinischen Schrifttum, in: Ders., Fundamenta Judaica (s. o.), 156-161 – Schumacher, Thomas: Zur Entstehung christlicher Sprache. Eine Untersuchung der paulinischen Idiomatik und der Verwendung des Begriffes πίστις, bbb 168, Göttingen 2012 – Sellin, Gerhard: Der Brief an die Epheser, KEK 8, Göttingen 2008 – Stanley, Christopher D.: Paul and the Language of Scripture. Citation Technique in the Pauline Epistles and Contemporary Literature, MSSNTS 74, Cambridge 1992 – Theissen, Gerd: Die Entstehung

524

gtvh 08105 / p. 525 / 31.3.2022

Corpus Paulinum

des Neuen Testaments als literaturgeschichtliches Problem, Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 40, Heidelberg 2007 – Thielmann, Frank S.: Ephesians, in: Gregory K. Beale / Donald A. Carson (ed.), Commentary (s. o.), 813833 – Towner, Philip H.: 1-2 Timothy and Titus, in: Gregory K. Beale / Donald A. Carson (ed.), Commentary (s. o.), 891-918 – Trilling, Wolfgang: Der zweite Brief an die Thessalonicher, EKK 14, Zürich u. a. 1980 – Wagner, J. Ross: Reading the Sealed Book. Old Greek Isaiah and the Problem of Septuagint Hermeneutics, Tübingen / Waco 2013 – Weima, Jeffrey A. D.: 1-2 Thessalonians, in: Gregory K. Beale / Donald A. Carson (ed.), Commentary (s. o.), 871889 – Weiser, Alfons: Der zweite Brief an Timotheus, EKK XVI/1, Düsseldorf u. a. 2003 – Wilk, Florian: Alles neu!? Schriftgebrauch und Christusglaube im Neuen Testament, in: Peter Gemeinhardt (ed.), Zwischen Exegese und religiöser Praxis. Heilige Texte von der Spätantike bis zum Klassischen Islam, Tübingen 2016, 31-60 – Wilk, Florian: Die Bedeutung des Jesajabuches für Paulus, FRLANT 179, Göttingen 1998 – Wilk, Florian: »Zu unserer Belehrung geschrieben …« (Römer 15,4): Die Septuaginta als Lehrbuch für Paulus, in: Wolfgang Kraus u. a. (ed.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 559-578 – Wilk, Florian: Between Scripture and History: Technique and Hermeneutics of Interpreting Biblical Prophets in the Septuagint of Isaiah and the Letters of Paul, in: Arie van der Kooij / Michaël N. van der Meer (ed.), The Old Greek of Isaiah. Issues and Perspectives, CBET 55, Leuven u. a. 2010, 189-209 – Wilk, Florian: Bezüge auf »die Schriften« in den Korintherbriefen, in: Florian Wilk / Markus Öhler (ed.), Schriftrezeption (s. o.), 149-173 – Wilk, Florian: De migratione Abrahami als Kontext des Neuen Testaments, in: Maren R. Niehoff / Reinhard Feldmeier (ed.), Abrahams Aufbruch. Philon von Alexandria, De migratione Abrahami, SAPERE 30, Tübingen 2017, 219-244 – Wilk, Florian: The Letters of Paul as Witnesses to and for the Septuagint Text, in: Wolfgang Kraus / R. Glenn Wooden (ed.), Septuagint Research. Issues and Challenges in the Study of the Greek Jewish Scriptures, SBLSCS, Atlanta 2006, 253-271 – Wilk, Florian: Paulus als Nutzer, Interpret und Leser des Jesajabuches, in: Stefan Alkier / Richard B. Hays (ed.), Die Bibel im Dialog der Schriften. Konzepte intertextueller Bibellektüre, NET 10, Tübingen / Basel 2005, 93-116 – Wilk, Florian: Schriftauslegung als Bildungsvorgang im ersten Korintherbrief des Paulus – untersucht ausgehend von 1Kor 4,6, in: Ders. (ed.), Scriptural Interpretation at the Interface between Education and Religion. In Memory of Hans Conzelmann, TBN 22, Leiden / Boston 2019, 88-111 – Wilk, Florian: Schriftbezüge im Werk des Paulus, in: Friedrich W. Horn (ed.), Paulus Handbuch, Tübingen 2013, 479-490 – Wilk, Florian: »Die Schriften« bei Markus und Paulus; in: Oda Wischmeyer u. a. (ed.), Paul and Mark. Comparative Essays Part I: Two Authors at the Beginnings of Christianity, BZNW 198, Berlin / Boston 2014, 189-220 – Wilk, Florian: Verblendet oder verstockt? Gottes Macht und der Misserfolg des Evangeliums in der Sicht des Paulus, in: Reinhard G. Kratz / Hermann Spieckermann (ed.), Vorsehung, Schicksal und göttliche Macht, Tübingen 2008, 193-214.

Die im Corpus Paulinum gesammelten Briefe zählen zu den bedeutendsten Zeugnissen der Rezeption und der Wirkung der Septuaginta (LXX) im Neuen Testament und damit im entstehenden Christentum. Die in ihnen dokumentierte Verwendung der »heiligen Schriften« (Röm 1,2) – meist schlicht »die Schrift« (vgl. Röm 4,3 u. ö.) genannt – geht dabei weit über explizit gekennzeichnete Zitate, Gottesworte o. ä. (vgl. 2Kor 4,6; 6,16-18; Röm 10,6-8) und Paraphrasen (vgl. 1Kor 10,1-4; Gal 4,22 f. u. ö.) hinaus. Allerdings besteht in der Forschung kein Konsens, wie jene weiteren Schriftbezüge, die ja allererst exegetisch zu identifizieren sind, sachgerecht kategorisiert werden können. 1 Die folgende Darstellung muss daher aus einer subjektiv geprägten 1.

Vgl. die Diskussion bei Porter: Techniques, 24-38.

525

gtvh 08105 / p. 526 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

Perspektive erfolgen. 2 Um der gebotenen Überprüfbarkeit des präsentierten Befundes willen ist es freilich angezeigt, sich auf solche Schriftbezüge zu beschränken, die, durch Wortlautübereinstimmungen gekennzeichnet, auf der Textoberfläche erkennbar sind. Näherhin muss sich der Blick angesichts der mit dem Titel gestellten Aufgabe auf diejenigen Stellen richten, bei denen sich die Rezeption einer LXX-Version der »Schrift« aufweisen lässt. Demgemäß werden im Folgenden neben den explizit markierten drei weitere Arten von Schriftbezügen in die Untersuchung einbezogen: 3 1. zitatähnliche, je einen ganzen Satz umfassende Formulierungen aus »der Schrift« (vgl. z. B. Röm 11,34 f.), 2. Anspielungen, die charakteristische Wendungen aus der »Schrift« unter Beachtung ihres kontextuell bedingten Sinngehalts aufgreifen (vgl. z. B. Phil 1,19init.), sowie 3. Reminiszenzen, d. h. biblische Sprachfiguren und Begriffe, bei denen ein Sachbezug teils nicht plausibel erscheint (wie z. B. in 1Thess 2,10a: »Ihr seid Zeugen und Gott [ist es]« [vgl. Jes 43,12]), teils spekulativ bleiben muss (wie z. B. in Phil 2,15: »verdrehtes und verkehrtes Geschlecht« [vgl. Dtn 32,5]). Unberücksichtigt bleiben demnach die – theologisch durchaus bedeutsamen – thematischen Verweise (wie etwa die Rede vom »neuen Bund« in 1Kor 11,25), da ihre Verankerung in der LXX nicht hinreichend wahrscheinlich zu machen ist. Innerhalb des Corpus Paulinum weisen die in der Forschung generell dem Apostel Paulus selbst zugeschriebenen Briefe (Röm, 1-2Kor, Gal, Phil, 1Thess, Phlm) gegenüber den anderen, vermutlich später von Schülern unter seinem Namen veröffentlichten Briefen (Eph, Kol, 2Thess, 1-2Tim und Tit) hinsichtlich des Schriftgebrauchs ein eigenes Profil auf. Daher werden Erstere im Folgenden gesondert behandelt.

1. Die Septuaginta in den echten Paulusbriefen Um Rezeption und Wirkung der LXX in den Briefen des Paulus zu erfassen, ist zu klären, in welcher Weise und welchem Umfang er die LXX genutzt hat, wie die beigezogenen Passagen in seinen Briefen verwendet sind, welche Deutung der LXX in solcher Verwendung zum Ausdruck kommt und welche Prägung des Paulus durch die LXX daraus zu erschließen ist.

1.1 Die Nutzung der Septuaginta in den echten Paulusbriefen Um die Zeitenwende gab es keinen feststehenden Wortlaut der »Schrift«; Letztere existierte zu jener Zeit vielmehr in einer Vielzahl von Handschriften und einer beachtlichen Diversität von Texttraditionen. Unter dieser Voraussetzung lässt sich feststellen, dass Schriftbezüge in den Paulusbriefen grundsätzlich auf der LXX-Überlieferung basieren; das ist angesichts etlicher Stellen, an denen Zitate dieser Überlieferung entsprechen und zugleich deutlich von der hebräischen abweichen, in der Forschung mittlerweile weithin anerkannt. 4 Zwar wird nach wie vor gelegentlich ein direkter 2. 3. 4.

Vgl. grundlegend Wilk: Schriftbezüge. Zur vorgeschlagenen Kategorisierung vgl. Wilk: Bedeutung, 266-268; Wilk: Bezüge, 150-152. Vgl. grundlegend Kautzsch: De locis; Koch: Schrift, 48-88. Dabei lässt sich für Pentateuch und Jesajabuch eine markante Nähe zu alexandrinischen Textformen aufweisen (vgl. a. a. O., 48-54).

526

gtvh 08105 / p. 527 / 31.3.2022

Corpus Paulinum

Rückgriff auf hebräische Textfassungen vermutet. 5 Die vorhandenen Konvergenzen zwischen ihnen und den paulinischen Schriftbezügen stehen jedoch öfters in Spannung zur jeweiligen Zitierintention oder haben Parallelen in späteren, auf die LXX folgenden Übersetzungen; 6 sie sind daher, wenn sie nicht selbst bereits in der handschriftlichen Überlieferung der LXX belegt sind, 7 am besten auf die Verwendung von Manuskripten zurückzuführen, in denen der griechische Wortlaut anhand eines hebräischen Textes überarbeitet worden war. 8 Entsprechende Rezensionsvorgänge sind z. B. in der Zwölfprophetenrolle aus Naḥal Ḥever (8ḤevXII gr) eindeutig dokumentiert. Natürlich lässt sich ein Gebrauch von Handschriften, die zur Zeit des Paulus das Format von Schriftrollen hatten, im Zuge des Schreibvorgangs – oder auch des Diktiervorgangs, in dem jedenfalls lange Briefe entstanden sind (vgl. Röm 16,22 sowie 1Kor 16,21; Gal 6,11) – kaum vorstellen. Das gilt erst recht für Passagen wie Röm 15,8-12, in denen mehrere Schriftworte aus verschiedenen Büchern kombiniert sind. Demnach dürften die Schriftbezüge beim Diktieren oder Schreiben eher aus dem Gedächtnis hergestellt worden sein. 9 Doch im Vorfeld der Abfassung seiner Briefe – bzw. der Konzeption bestimmter Abhandlungen in ihnen – hat Paulus höchstwahrscheinlich Handschriften konsultiert, und zwar wiederholt. Dafür sprechen drei Beobachtungen: Erstens folgen, wie etwa in Röm 3,12-18 10; 4,7 f.; 12,20 oder Gal 4,27, auch längere Schriftzitate oft genau der LXX. Zweitens spiegelt sich der ursprüngliche Kontext zitierter Schriftworte allermeist im paulinischen Umfeld der Zitate wider, 11 sodass die Zitation jeweils auf der Kenntnis eines ganzen Passus aus dem betreffenden Buch der »Schrift« beruht. Drittens verteilen sich diejenigen Jesajazitate, die einer dem hebräischen Text angenäherten LXX-Version entstammen, innerhalb der Briefe an die Römer und die Korinther so, dass die Zitate in Röm 9-11 allem Anschein nach aus einer anderen Jesajarolle stammen als die im Rest des Röm – und die im 1Kor wiederum aus einer anderen Rolle als die im 2Kor. Demnach dürfte Paulus an seinen verschiedenen Aufenthaltsorten LXX-Handschriften jeweils neu eingesehen haben: in der bzw. einer Synagoge vor Ort oder ggf. auch in der lokalen, ihn beherbergenden Gemeinde von Christusgläubigen.

Vgl. etwa Lim: Scripture, passim; Inkelaar: Conflict, 151-158.308-310 u. ö. Vgl. z. B. die Zitate in Röm 9,27 f. oder 1Kor 15,55 und dazu Wilk: Bedeutung, 37 f. bzw. 20 f. Vgl. z. B. das Zitat in Röm 10,15 und dazu Wilk: Bedeutung, 24-26. Vgl. Schaller: Textcharakter (zu Hi); Koch: Schrift, 73-77 (zu 3Kgt); Wilk: Bedeutung, 19-42 (zu Jes). 9. Nicht auszuschließen ist auch der Gebrauch von selbst gefertigten Exzerpten (so Koch: Schrift, 99). 10. Lediglich den Auftakt des Psalmzitats in Röm 3,11 hat Paulus in Anlehnung an den aus Koh 7,20 entlehnten Einleitungssatz (3,10) modifiziert; vgl. Wilk: Bedeutung, 9 f., und s. u. bei Anm. 24f. 11. Vgl. für die Jesajazitate Wilk: Bedeutung, 207-266. Zum Befund s. u. Abschnitt 1.4. 5. 6. 7. 8.

527

gtvh 08105 / p. 528 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

Sieht man von den zahlreichen Reminiszenzen (s. u. 1.4) einmal ab, so werden in den Paulusbriefen nach meiner Zählung insgesamt 204 Schriftworte in Form von Zitaten, Gottes- bzw. Gerechtigkeits-Worten, Paraphrasen, zitatähnlichen Formulierungen oder Anspielungen aufgenommen. 12 Auf die einzelnen Bücher der »Schrift« verteilen sie sich wie folgt: gesamt

Jes Gen Pss Dtn Ex XII Num Spr Lev Hi Jer Ez 3Kgt 2Kgt Dan Koh

Röm

85

27

15

14

9

3

5

1

1Kor

54

11

7

7

7

9

2

7

2Kor

32

10

2

3

2

6

1

Gal

22

4

9

1

4

1

1

Phil

4

2

1

1Thess

7

3

gesamt

204

(Anteil in %)

57

34

4

2

1 2

2

1

3

1

1

1

2

2

1

1

2

5

4

4

1

2 1

25

22

19

9

27,9 16,7 12,3 10,8 9,3 4,4

8

6

3,9

2,9

5

2,4 2,4 2,0 2,0

3

1

1

1

1,5

0,5

0,5

0,5

Es zeigt sich zum einen eine Beschränkung auf solche Bücher, die zum späteren hebräischen Kanon gehören, zum andern eine Konzentration auf relativ wenige Partien der »Schrift«: Den fünf Büchern Jes, Gen, Pss, Dtn und Ex entstammen 157, also ca. 77 % aller in sachlich relevanter Weise beigezogenen Schriftworte. Die damit gegebene Vorliebe für Pentateuch, Jesaja und Psalmen entspricht im Grundsatz dem Befund in weiteren frühchristlichen (etwa Mt und Lk-Apg) sowie ungefähr zeitgenössischen antik-jüdischen Texten (wie den Rollen aus Qumran); die deutliche Vorrangstellung des Jesajabuches stellt aber eine Besonderheit der Paulusbriefe dar. Ähnliches gilt für den Befund, dass überhaupt nur acht weitere Bücher (Lev und Num; 3Kgt[1Kön], Jer, Ez und XII-Propheten; Spr und Hi), aus denen 44, also ca. 21,6 % aller Bezüge stammen, mehrfach Verwendung finden. Die Verteilung der Schriftbezüge auf die Thora (88 = 43,1 %), die Propheten inkl. Dan (79 = 38,7 %) und die übrigen Schriften (37 = 18,1 %) hat allerdings hinsichtlich ihrer Gewichtung eine auffällige Parallele im MkEv. 13 Weiterhin lassen sich innerhalb der fünf meistgenutzten Bücher, außer bei den Psalmen, einige klare Schwerpunkte der paulinischen Nutzung identifizieren:

12. Bei vermischten Zitaten und Anspielungen sowie bei umfassenderen Paraphrasen sind jeweils alle beigezogenen Quelltexte gezählt. 13. Diese Konvergenz dürfte auf eine Prägung beider Autoren, Paulus und Markus, durch frühchristliche Traditionen aus dem syrischen Raum zurückgehen; vgl. dazu Wilk: Schriften, 196200.

528

gtvh 08105 / p. 529 / 31.3.2022

Corpus Paulinum Buch [Bezüge insges.]

Gen [34]

Kapitel

1-3 12-25 12-17 31-34 5-6 27-32 22-29 40-45 49-56

Röm

1

1Kor

7

2Kor

2

Ex [19]

14

Gal

8

Phil

1

Dtn [22]

1

2

7

5

7

6

1

1

2

4

3

1

5

1

1

2

1Thess gesamt %-Anteil an Bezügen – auf das Buch – auf die Schrift insges.

Jes [57] 7

23

29,4 67,6 97,0 4,9

11,3

8

7

42,1

36,8 18,2

78,9 3,9

4

3,4

2,0

(von 54:) 44 %

17

(von 32:) 53 %

3

15

(von 22:) 68 %

1

1

3

(von 4:) 75 %

1

(von 7:) 14 %

104

51,0

15

16

50

17,5

26,3

28,1

71,9 4,9

(von 85:) 52 %

24 5

10

5,4

44

1

11 68,2

Anteil an Schriftbezügen im Brief

3

1 10

ges.

7,4

66,2 7,8

51

Mehr als die Hälfte (51 %) aller beigezogenen Quelltexte – und etwa zwei Drittel (gut 66 %) der aus jenen vier Büchern aufgenommenen Schriftworte – stammen also aus einem Konvolut von lediglich 57 Buch-Kapiteln der LXX. Dabei deckt sich die Schwerpunktsetzung z. T. mit dem Befund im zeitgenössischen Judentum; 14 eigene paulinische Akzente sind gleichwohl vorhanden. Andererseits werden die fünf meistgenutzten Bücher mit Ausnahme der Genesis – hier beschränkt sich die Nutzung auf Gen 125 – durchaus in ihrer jeweiligen Breite rezipiert. 15 Ähnliches gilt für andere Bücher wie das Zwölfpropheten- oder das Sprüchebuch. 16 Die Briefe des Paulus bezeugen somit eine durchaus ausgedehnte Nutzung der LXX.

1.2 Die Verwendung der Septuaginta in den echten Paulusbriefen Ordnet man die in Form von Zitaten, Gottes- bzw. Gerechtigkeits-Worten, Paraphrasen, zitatähnlichen Formulierungen oder Anspielungen aufgegriffenen Schriftworte den sieben echten Briefen des Paulus zu, ergeben sich nach meiner Zählung insgesamt 160 Schriftbezüge. Auf die einzelnen Briefe verteilen sich diese wie folgt:

14. Das gilt etwa mit Blick auf die Schöpfungs- und die Abrahamkapitel der Genesis, auf Passagen wie Ex 32-34, Dtn 5-6 und Dtn 32 sowie auf jesajanische Prophetien von Gottes Gericht über und Gottes Heil für Israel. 15. Die betreffenden Schriftbezüge stammen aus Ex 9-34 (vgl. Röm 9,17; 2Kor 3,16), Dtn 5-32 (vgl. Röm 13,9; 15,10), Ps 8-142[143] (vgl. 1Kor 15,27; Gal 2,16) und Jes 1-65 (vgl. Röm 10,19b.20 f.). 16. Die Bezüge stammen aus Hos-Mal (vgl. Röm 9,25 f.; 9,13) bzw. Spr 3-25 (vgl. Röm 12,17.20).

529

gtvh 08105 / p. 530 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament Röm

1Kor

2Kor

Gal

11

5

8

Zitate

43

Gottes-/Gerechtigkeitsworte

3

Paraphrasen

4

10

3

2

zitatähnliche Formulierungen

8

6

3

1

13

14

8

5

71/95

41/54

22/28

16/17

Anspielungen Schriftbezüge / betroffene Verse Briefumfang in Versen Anteil der Schriftbezüge daran

17

Phil

1Thess Phlm

Briefe gesamt 67

3

6 19 1

19

4

5

49

4/5

6/7

0

160(206)

89 7,9 %

25 0%

1490 13,8 %

430 437 256 149 104 22,1 % 12,4 % 10,9 % 11,4 % 4,8 %

Dieser Befund lässt den generellen Schluss zu, dass der Apostel den Schriftgebrauch, zumal in der Form von Zitaten, im Lauf der Entstehungsgeschichte seiner Briefe sukzessive – vom 1Thess, über 1-2Kor sowie Gal, bis zum Röm – ausgeweitet hat. Allerdings stehen die Briefe an die Philipper und an Philemon mit ihren auffällig niedrigen Zahlen quer zu dieser Tendenz – ganz unabhängig davon, ob man sie in die ephesinische oder die römische Periode des paulinischen Wirkens datiert. Zudem ist die Datierung des Gal, der eine relativ intensive Verwendung der »Schrift« aufweist, umstritten, eine Frühdatierung nicht auszuschließen. 18 Die Intensität des Schriftgebrauchs dürfte demnach wesentlich auch von der jeweiligen Eigenart des einzelnen Briefes abhängen. Dabei ist zum einen die kulturelle Prägung der Adressaten von Belang: Die größte Dichte an Schriftbezügen weisen die Briefe an die Gemeinden in Rom, Korinth und Galatien auf, deren Existenz erheblich durch die Gemeinschaft von »Heiden« bzw. Griechen mit Juden geprägt wurde (vgl. Röm 1,16 u. ö.; 1Kor 1,24 u. ö.; Gal 2,12 f. u. ö.). Zum andern wirken sich die Kommunikationssituationen samt den in ihnen verhandelten Themen aus: Während der Phlm mit Blick auf die Beziehung zwischen dem Sklaven Onesimus, seinem Herrn Philemon und dem Apostel Paulus jedes erkennbaren Schriftbezugs entbehrt, 19 häufen sich solche Bezüge, z. T. massiv, in den Passagen, die angesichts konkreter Herausforderungen Grundfragen des paulinischen Apostolats und Evangeliums behandeln: in Röm 1-5 (zur Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes für Juden und »Heiden«: 16 Bezüge) und 9-11 (zur Stellung Israels zwischen Erwählung und Evangelium: 36[!] Bezüge), in 1Kor 1-4 (zum Verhältnis zwischen Christusbotschaft und Weisheit: elf Bezüge), 8-10 (zur Haltung gegenüber Götzendienst und Götzenopferfleisch: 15 Bezüge) und 15 (zur Erwartung der Auferweckung der Toten: acht Bezüge), in 2Kor 2-7 (zur Würde des paulinischen Aposteldienstes: 13 Bezüge) sowie in Gal 3-4 (zum Verhältnis zwischen Rechtfertigungsbotschaft und Gesetz: elf Bezüge). 20 Demgemäß finden in einzelnen Briefen

17. Die Zahl der durch die Schriftbezüge bestimmten Verse liegt der Berechnung des Anteils am Umfang des jeweiligen Briefs zugrunde. 18. Vgl. dazu etwa Theissen: Entstehung, 122-124. 19. Vgl. Beale/Carson: Commentary, 918. 20. Zur Anwendung der drei Aspekte »Adressatenorientierung«, »Situationsbedingtheit« und »thematische Bedingtheit« auf die Korintherbriefe vgl. Wilk: Bezüge, 153-169.

530

gtvh 08105 / p. 531 / 31.3.2022

Corpus Paulinum

auch bestimmte Bücher oder Passagen der »Schrift« besonders intensiv Verwendung, wie die Übersichten oben unter 1.1 erkennen lassen. 21 Da die Paulusbriefe der Kommunikation zwischen Absendern und Adressaten über anstehende Anliegen, Fragen oder Probleme im Rahmen der jeweiligen Beziehungsgeschichte dienen, sind die Schriftbezüge diesem Briefzweck grundsätzlich zugeordnet. Dabei haben explizit markierte Schriftbezüge regelmäßig die Funktion, die paulinische Gedankenführung als schriftgemäß zu erweisen; nicht selten geht es dabei darum, die Position des Apostels in der Auseinandersetzung mit Anfragen oder Kritiken, die unter den Adressaten laut geworden waren, bestätigend, begründend oder entfaltend zu stützen. 22 Bezüge auf die »Schrift«, die in die brieflichen Ausführungen nahtlos integriert sind, setzen hingegen eher das Einverständnis mit den Adressaten – oder zumindest mit den Schriftkundigen unter ihnen – voraus. 23 Die funktionale Einbindung der expliziten Zitate in die briefliche Argumentation spiegelt sich auch in der Gestaltung des angeführten Wortlauts der Schriftworte wider. In Aufnahme, aber auch Intensivierung von Gepflogenheiten antiker Zitationspraxis wird dieser Wortlaut in den Briefen des Paulus häufig dem Verwendungszweck angepasst. 24 Konkret unterstreicht er durch Umstellungen, grammatische Änderungen, Auslassungen, Umformulierungen (für die er meist verwandte Bibelstellen heranzieht; vgl. etwa 1Kor 1,19) oder Zusätze, welchen präzisen Aussagesinn ein Schriftwort im jeweiligen Kommunikationszusammenhang hat; 25 bisweilen greift er dabei auch exegetische Traditionen auf (vgl. etwa 1Kor 2,9). Zudem stellt er des Öfteren zu interpretatorischen Zwecken mehrere Schriftworte zu einer Zitatenkette zusammen (vgl. etwa 1Kor 3,19 f.; Röm 10,19-21); gelegentlich kombiniert oder vermischt er auch zwei verschiedene Schriftworte zu einem einzigen Zitat (vgl. etwa 1Kor 15,54 f. oder Röm 9,33). Bei aller funktionalen Prägung erwächst der paulinische Schriftgebrauch demnach aus einer intensiven schriftgelehrten Arbeit an den biblischen Texten.

21. Siehe o. nach Anm. 12 und 13. Auffällig hervor treten etwa die Verwendung der Genesis im Gal (41 % aller Schriftbezüge im Brief gegenüber 16,7 % im Durchschnitt aller Briefe), die von Gen 1-3 im 1Kor (13 % gegenüber 4,9 %) oder die des Buches Exodus im 2Kor (18,7 % gegenüber 9,3 %). Im Röm ist der Gebrauch der ohnehin meistverwendeten Bücher Jesaja, Genesis und Psalmen erkennbar intensiviert (zusammen 65,9 % gegenüber 56,9 %). 22. Vgl. Wilk: Schriftbezüge, 484 f. 23. Vgl. etwa die Aufnahme des Austreibungsbefehls aus Dtn 22,21 f. u. ö. in 1Kor 5,13: Die Wahrnehmung des Schriftbezugs klärt, warum der Sexualsünder als »Böser« tituliert wird, und unterstreicht im Horizont der zuvor aufgerufenen Passamotivik (vgl. 5,6-8) die Dringlichkeit des Appells. 24. Vgl. dazu Koch: Schrift, 102-198; Stanley: Paul: passim. Zu den methodischen Fragen hinsichtlich der Identifikation der jeweiligen Textvorlage vgl. ferner Wilk: Letters. 25. Vgl. etwa Röm 2,24, wo das Zitat aus Jes 52,5b durch Auslassung, Umstellung und Wortlautänderung einzelner Elemente deutlicher als Bestätigung der in Röm 2,23 implizit aufgestellten These markiert wird (vgl. Wilk: Bedeutung, 49.73 f.)

531

gtvh 08105 / p. 532 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

1.3 Die Deutung der Septuaginta in den echten Paulusbriefen An vier Stellen, je zweimal im 1Kor und im Röm, äußert sich Paulus grundsätzlich zu der Frage, wem bestimmte Passagen der »Schrift« gelten. Zweimal wird notiert, dass etwas »um unseretwillen geschrieben« sei: Dies betrifft einerseits mit Blick auf das Wirken der Apostel das Gebot aus Dtn 25,4 (vgl. 1Kor 9,9 f.), andererseits mit Blick auf alle, die »an den glauben, der Jesus, unseren Herrn, aus den Toten auferweckt hat«, die Erzählung über die Anrechnung des Glaubens Abrahams zur Gerechtigkeit in Gen 15 (vgl. Röm 4,23 f.). Nach 1Kor 10,5-11 wiederum wurden die Erzählungen von dem Verderben, das Israels Wüstengeneration ob ihres Götzendienstes und seiner Begleiterscheinungen wiederholt getroffen hat, »zur Zurechtrückung unseres Sinns geschrieben«, d. h. derer, die in der Beziehung zu Christus an der »Vollendung der Äonen« teilhaben; und Ps 68[69],10 samt »allem, was im Voraus geschrieben wurde«, wurde laut Röm 15,3 f. »zu unserer Belehrung geschrieben«, nämlich derer, die sich von »Christus angenommen« (15,7) wissen. Zusammen genommen zeigen diese Äußerungen an, dass sich Paulus zufolge die »Schrift« generell an die Christusgläubigen richtet und erst im Bezug auf deren Dasein ihren endzeitlichen Sinn entfaltet. Da er aber an allen Stellen auf die LXX-Version der beigezogenen Schriftpassagen rekurriert, betrifft seine Einschätzung auch, ja, gerade die LXX. Diese Einschätzung gründet zum einen auf der gemeinjüdischen Anschauung, dass die »Schrift« fundamentale Bedeutung für die Gestaltung des Lebens in der Beziehung zu Gott habe, 26 zum andern auf der frühchristlichen Überzeugung, das Christusbekenntnis entspreche der »Schrift« (vgl. z. B. 1Kor 15,3 f.). Die dabei schon vor Paulus angewendete, von ihm weiterentwickelte und breit zur Geltung gebrachte Erfüllungs-Interpretation hat Analogien in der Schriftauslegung, wie sie etwa in den Pescharim aus Qumran dokumentiert ist; 27 Ansätze dazu finden sich freilich wohl auch in manchen Büchern der LXX selbst. 28 Charakteristisch für Paulus ist freilich die Definition des Ausgangspunktes jener Erfüllungs-Interpretation. Sie erwächst aus der Einsicht, dass Jesus der »Christus« ist: der endzeitliche Repräsentant Gottes, der die Verheißungen der »Schrift« für Israel und die Völkerwelt sukzessive zur Erfüllung bringt; dass also diese Verheißungen durch das Christusgeschehen bekräftigt worden sind (vgl. 2Kor 1,20). So kommt es zu einem Prozess wechselseitiger Erschließung: Wie im Licht des Christusbekenntnisses deutlich wird, welche Bedeutung Worte der »Schrift« für die Christusgläubigen haben, so machen umgekehrt besagte Worte verständlich, was es mit jenem Bekenntnis konkret auf sich hat. Dieser Prozess aber verläuft – wie die Paulusbriefe erkennen lassen – dynamisch: Neue Erfahrungen führen zu neuen Fragen oder Einsichten, die an die »Schrift« herangetragen werden, und daraus wiederum entstehen neue Erkenntnisse zum Zusammenhang von »Schrift« und Evangelium. Anschaulich wird dieser Sachverhalt einerseits darin, wie Paulus manche Themengebiete mehrfach, aber je anders zugespitzt sowie verstärkt im Rekurs auf die »Schrift« bearbeitet, andererseits darin, dass einzelne Schriftworte von ihm in verschiedenen Briefen jeweils auf eigene Weise eingeordnet 26. Vgl. etwa Josephus, Ap. 1,42. 27. Vgl. insbesondere 1QpHab VI,14-VII,5. 28. Vgl. Wilk: Between, 190-195, mit Bezug auf die Jesaja-LXX. Diese Auffassung der LXX-Version des Jesajabuches ist allerdings umstritten; kritisch zu ihr steht etwa Wagner: Reading, 236 f.

532

gtvh 08105 / p. 533 / 31.3.2022

Corpus Paulinum

und ausgelegt werden. 29 Der Sache nach geht es bei solchen Erkenntnissen vor allem um dreierlei: von den Verheißungen der »Schrift« her den eschatologischen Charakter des Daseins »in Christus« in seinen verschiedenen Aspekten zu realisieren; den heilsgeschichtlichen Sinn des Gesetzes zu erfassen; und in der Schrift für jede Situation aufs Neue die einschlägigen Weisungen zur Lebensgestaltung zu entdecken. 30 Um den erneuerten Sinn von Schriftworten im Kontext der brieflichen Kommunikation verständlich und plausibel zu machen, nutzt der Apostel diverse Methoden, die auch im zeitgenössischen Judentum bei der Schriftauslegung zur Anwendung kamen: Aussagen der »Schrift« werden (a) typologisch auf die eschatologische Heilszeit bezogen, (b) in ein Analogieverhältnis mit ihr gestellt oder (c) als prototypisches Exempel präsentiert; 31 sie werden ergänzt durch eine exegetische Bemerkung, die (d) die Bedeutung eines Begriffs, (e) ihren Gehalt im Ganzen, (f) ihre Adressierung oder (g) ihren Bezugspunkt expliziert; 32 ihr Sinn wird (h) ausführlicher erläutert oder (i) fortlaufend kommentiert; 33 sie werden (j) mit Schriftworten verwandten Inhalts zur Reflexion eines Themas zusammengestellt; 34 des Öfteren wird ihre Bedeutung mit einem logischen Schluss erhoben, sei es ein Schluss (k) e contrario, (l) a minore ad maius, (m) vom Besonderen aufs Allgemeine, (n) aus dem literarischen Kontext oder auch (o) aus dem Sachzusammenhang mit anderen Stellen; 35 und vereinzelt werden sie (p) allegoretisch interpretiert 36. Die engsten Parallelen zur Methodik der paulinischen Schriftauslegung und zum Aussagehalt, den Paulus einzelnen Schriftworten zumisst, finden sich dabei allerdings in Zeugnissen der im palästinischen Raum beheimateten jüdischen Schriftgelehrsamkeit (wie manchen Qumrantexten, Jub, ApkMose, den Targumim oder auch manchen rabbinischen Texten). 37 So bleibt Paulus bei aller Orientierung an der LXX in seinem Schriftgebrauch und -verständnis gleichwohl ein »Hebräer« (Phil 3,5).

29. Vgl. als Themengebiete etwa die Auferstehung der Toten in 1Thess 4-5 sowie 1Kor 15 oder die Abraham-Geschichte in Gal 3-4 sowie Röm 4 und 9, als Schriftworte etwa Jer 9,23[22] in 1Kor 10,31 und 2Kor 10,17 oder Spr 3,4 in 2Kor 8,21 und Röm 12,17. Für Jesajaworte vgl. die Analyse bei Wilk: Bedeutung, 352-363. 30. Vgl. Wilk: Schriftbezüge, 488 f. 31. Vgl. etwa (a) 2Kor 4,6 (Schöpfung), 1Kor 15,21 f. (Sündenfall), Gal 4,28 (Geburt Isaaks), 1Kor 10,1-11 (Israel in der Wüste), (b) 2Kor 11,3 (Verführung Evas), Gal 4,29 (Anfeindung Isaaks), Röm 11,2-5 (Existenz eines Rests von Getreuen zur Zeit Elijas) sowie (c) Röm 4,18-22 (Abrahams Glaube). 32. Vgl. etwa (d) Gal 3,16; 2Kor 3,16 f., (e) Röm 14,11 f., (f) Röm 3,19 und (g) 2Kor 4,13; 6,2. 33. Vgl. etwa (h) 1Kor 1,19-21; 15,54-57 sowie (i) Röm 4. 34. Vgl. etwa Gal 3,5-14 (Christus-Glaube und Gesetzes-Werke); Röm 9,6-29 (Israels Erwählung). 35. Vgl. etwa (k) Gal 3,12; Röm 4,13, (l) 2Kor 3,7-11; Röm 5,15.17, (m) 1Kor 14,21 f. Röm 7,1-3, (n) Gal 3,17; Röm 4,10 sowie (o) Gal 3,6-9; Röm 13,9 f. 36. Vgl. Gal 4,22-25 und dazu Wilk: De migratione, 235-239. 37. Vgl. dazu z. B. Schaller: 1 Kor 10,1-10(13), 186-190; Dochhorn: Nichtigkeit, 68-77.

533

gtvh 08105 / p. 534 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

1.4 Die Prägung der Paulusbriefe durch die Septuaginta Die in den Paulusbriefen dokumentierte Nutzung, Verwendung und Deutung von Worten und Passagen der LXX sind der deutlich sichtbare Ausdruck einer viel umfassenderen Prägung der brieflichen Ausführungen und der hinter ihnen stehenden Theologiebildung des Apostels durch die LXX. Diese Prägung lässt sich auf vielen Ebenen nachweisen: Erstens spiegelt sich, wie bereits notiert, der Kontext eines von Paulus zitierten Schriftwortes regelmäßig im literarischen Umfeld des Zitats wider. 38 Nicht selten wird erst von solchen Anklängen her die Zitation in ihrem Anlass, ihrem Sinngehalt und ihrem Zweck in Gänze verständlich. 39 Dass aber besagte Kontexte im Zusammenhang mit der Anführung von Zitaten nicht nur von Paulus interpretiert werden, sondern zugleich, ja, zuerst auf ihn einwirken, tritt gerade in seinem spezifischen Sprachgebrauch, der das Umfeld jener Zitate jeweils durchzieht, zutage. 40 Zweitens sind etliche Ausführungen in den Paulusbriefen auch jenseits von Zitaten durch bestimmte Passagen der LXX geprägt. 41 Drittens haben zentrale Konzepte und tragende Begriffe der brieflich kommunizierten Theologie des Paulus eine wesentliche Wurzel in bestimmten Büchern der LXX. 42 Und selbst wenn manche Begriffe eher ihrer pagan-griechischen Wortbedeutung nach verwendet werden, so ist ihr Gebrauch im Kontext menschlicher Gottesbeziehung doch wesentlich durch die in der LXX mit ihnen verbundenen Vorstellungen beeinflusst. 43 Viertens werden etliche grundlegende Fragen zum Charakter des paulinischen Apostolats in intensiver Orientierung an der »Schrift« erörtert und von aus ihr gewonnenen Impulsen her jeweils einer Antwort zugeführt. 44 Fünftens schließlich prägt die bei aller Binnendifferenzierung doch oft

38. Siehe o. bei Anm. 11 und vgl. z. B. die diversen Anklänge an Jes 8,13-22 in Röm 9,29-10,8 (als Umfeld des Mischzitats aus Jes 28,16 und 8,14 in Röm 9,33); vgl. dazu Wilk: Bedeutung, 209 f.220-224. 39. Vgl. etwa die Einwirkungen von Ps 114-115[116] auf 2Kor 4,11-15, die erhellen, wie das Zitat in 4,13 zu verstehen ist: als öffentlicher Ausdruck des in der Jesusbeziehung gründenden Gottvertrauens der Briefautoren, aus dem Tod gerettet zu werden (vgl. Wilk: Alles, 54-56). 40. Vgl. etwa die Prägung der Rede von »Ausharren«, »Zuspruch« und »Hoffnung« in Röm 15,4-6 durch den Kontext des Zitats in 15,3 – Ps 68[69] – und verwandte LXX-Texte (und dazu Wilk: Belehrung, 572-576). 41. Vgl. etwa die durchgehende Prägung der Darstellung des Werdegangs des Paulus als Apostel in Gal 1,10-2,8 durch Jes 49,1-8 sowie 42,1-10 (und dazu Wilk: Bedeutung, 292-297). 42. Das gilt etwa für das Konzept »Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes« in Röm 1,16 f. (es basiert v. a. auf Ps 97[98],2-4 und Jes 56,1-3, Texten, die es erlauben, zwei grundlegende Anfragen an das paulinische Evangelium – bezüglich seines Verhältnisses zur verheißenen Treue Gottes gegenüber Israel sowie seiner Eignung als Fundament einer Ethik [vgl. Röm 3,1-8] – im Einklang mit der »Schrift« zurückzuweisen) sowie für den Begriff »Evangelium« (der nicht nur an die »Evangelien« im Kontext römischer Kaiserverehrung erinnert, sondern auch und gerade an das »Evangelisieren« der Boten Gottes nach JesLXX 40,9 f.; 52,7-10; 60,5 f.; 61,1-3). 43. Vgl. etwa Schumacher: Entstehung, 471, für Wörter des Stammes πιστ-. 44. Vgl. über mehrere Briefe hinweg etwa die Prägung des paulinischen Selbstverständnisses durch die LXX-Version des Jesajabuches (und dazu Wilk: Paulus, 109-113), für einzelne Briefe etwa die schriftbasierte Klärung des Verhältnisses zwischen Evangelium und Weisheit in 1Kor 1-4

534

gtvh 08105 / p. 535 / 31.3.2022

Corpus Paulinum

eigentümliche Sprache der LXX 45 auf vielfältige Weise die Sprache der Paulusbriefe: (a) im Vokabular, (b) in Eigentümlichkeiten der Grammatik, (c) in besonderen Formulierungen oder auch (d) in bestimmten Stilmitteln. 46 So kann man Adolf Deichmanns Kennzeichnung des Paulus als »Septuaginta-Jude« 47, der auch als Apostel sein Denken und Schreiben auf die LXX gründete, nur zustimmen. Anhang: Verzeichnis der sachlich relevanten LXX-Bezüge in den echten Paulusbriefen Z(itate), G(ottes-/Gerechtigkeitsworte), P(araphrasen), z(itatähnliche) F(ormulierungen), A(nspielungen): Röm 1,17 (Z: Hab 2,4); 1,23 (A: Ps 105[106],20); 2,6 (zF: Ps 61[62],13 / Spr 24,12d) 2,24 (Z: Jes 52,5 f.); 3,4 (Z: Ps 50[51],6b); 3,10-18 (Z: Koh 7,20; Ps 13[14],1-3); 3,20 (A: Ps 142[143],2b; Gen 6,12); 4,3 (Z: Gen 15,6); 4,7 f. (Z: Ps 31[32]1 f.); 4,9-11 (P: Gen 15,6; 17,10-14); 4,17 (Z: Gen 17,5c); 4,18(-21) (Z: Gen 15,5d; A: Gen 15,6; 17,17; 18,19); 4,22.23 (Z: Gen 15,6b; A: Gen 15,6); 4,25 (A: Jes 53,12d); 5,12 (P: Gen 3,17-19, vgl. 2,17); 7,7 (Z: Dtn 5,21a / Ex 20,17a); 8,32a (A: Jes 53,6c); 8,33b-34a (A: Jes 50,8-9b); 8,36 (Z: Ps 43[44],23); 9,6a (A: Jes 40,7b-8); 9,7 (Z: Gen 21,12 f.); 9,9 (Z: Gen 18,14b-c.10); 9,10-12 (A: Gen 25,21 f.; Z: Gen 25,23e); 9,13 (Z: Mal 1,2f-3a); 9,15 (Z: Ex 33,19c); 9,17 (Z: Ex 9,16); 9,20c-d (zF: Jes 29,16b-c; 45,9c-d); 9,25 f. (Z: Hos 2,23[25]; 1,10 [2,1]); 9,27 f. (Z: Jes 10,22 f.); 9,29 (Z: Jes 1,9); 9,30b.31 (A: Jes 51,1b); 9,33 (Z: Jes 28,16; 8,14); 10,5 (Z: Lev 18,5b); 10,6 (G: Dtn 30,12a-b, vgl. 8,17; 9,4); 10,7 (G: Dtn 30,13a-b; Ps 106[107],26); 10,8 (G: Dtn 30,14); 10,11 (Z: Jes 28,16c); 10,13 (zF: Joel 2,23[3,5]a-c); 10,15 (Z: Jes 52,7a-c); 10,16 (Z: Jes 53,1a-b); 10,18d (zF: Ps 18[19],5a); 10,19b (zF: Jes 1,3b); 10,19c-e (Z: Dtn 32,21c-d); 10,20 (Z: Jes 65,1a-b); 10,21 (Z: Jes 65,2a); 11,2a (zF: Ps 93[94],14a / 1Kgt [1Sam] 12,22a); 11,3 (Z: 3Kgt [1Kön] 19,10.14); 11,4 (Z: 3Kgt [1Kön] 19,18); 11,8 (Z: Dtn 29,3; Jes 29,10); 11,9 f. (Z: Ps 68 [69],23 f.); 11,16a-b (A: Num 15,20 f.); 11,26a (A: Jes 45,17a.25); 11,26b-27 (Z: Jes 59,20 f.; 27,9); 11,34 f. (zF: Jes 40,13a-b; Hi 41,3a); 12,16c (A: Spr 3,7a); 12,17b (A: Spr 3,4); 12,19 (Z: Dtn 32,35a); 12,20 (zF: Spr 25,21-22a); 13,9a-d (Z: Dtn 5,17-19.21a); 13,9g (Z: Lev 19,18b); 13,11c (A: Jes 56,1d); 14,11 (Z: Jes 45,23c [+ 49,18]); 15,3 (Z: Ps 68[69],10b); 15,9 (Z: Ps 17[18],50); 15,10 (Z: Dtn 32,43c[a]); 15,11 (Z: Ps 116[117],1); 15,12 (Z: Jes 11,10a-b); 15,21 (Z: Jes 52,15c-f). 1Kor 1,2d (A: Joel 2,23[3,5]a-b); 1,17a (A: Jes 61,1); 1,19 (Z: Jes 29,14b [+ Ps 32{33},10]); 1,20 (A: Jes 19,12a; 33,18b-d; 44,25); 1,31 (Z: Jer 9,24[23]); 2,9 (Z: Jes 64,4[3] [+ Sir 1,10]); 2,16a-b (zF: Jes 40,13a.c); 3,17c (A: Ps 64[65],5d); 3,19 (Z: Hi 5,13a); 3,20 (Z: Ps 93[94],11); 4,4a (A: Hi (und dazu Wilk: Bezüge, 160-164; Schriftauslegung, 89-102) sowie zwischen dem Evangelium und der Erwählung Israels in Röm 9-11 (und dazu Wilk: Verblendet, 207-214). 45. Vgl. dazu umfassend Bons/Joosten: Sprache. 46. An Beispielen sei Folgendes genannt: (a) Nach 1Kor 5,9-11 haben die Korinther bei der Mahnung des Paulus, sich nicht mit Sexualsündern zu »mischen« (συναναμίγνυμι), das Verb im pagan-griechischen Sinn von »Umgang haben« oder »zusammenkommen mit« aufgefasst; Paulus hingegen gebrauchte es ursprünglich offenbar der LXX und weiterem hell.-jüd. Schrifttum gemäß in der Bedeutung »sich gemein machen« oder »sich vermischen mit« (vgl. Ez 20,18; Philo, Mos. I,278). (b) Der Gebrauch bestimmter Artikel bei Nomina mit folgendem Genitiv und der mancher Präpositionen entspricht dem in der LXX (vgl. Blass / Debrunner / Rehkopf: Grammatik, § 259 und 214. 217. 219). (c) Neben den in der Einleitung genannten Reminiszenzen vgl. als weiteres Beispiel die Formulierung »nicht auf … vertrauend sein, sondern auf Gott« aus Jes 10,20 in 2Kor 1,9. (d) Die rhythmische Stilisierung herausgehobener, oft »hymnisch« genannter Passagen wie Röm 8,31-39 oder 11,33-36 ist erkennbar durch die LXXPsalmen inspiriert (vgl. Brucker: Sprache, 469). 47. Deissmann: Paulus, 79.

535

gtvh 08105 / p. 536 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

27,6b); 5,13b (zF: Dtn 22,22c u. ö.); 6,16 (Z: Gen 2,24b); 8,3a.4b.6 (A: Dtn 6,4e-5a + Ex 20,3); 9,7b (A: Dtn 20,6a-b); 9,9a-b (Z: Dtn 25,4); 9,13a (A: Num 18,8.31 / Dtn 18,1-3); 10,1-4 (P: Ex 13,21 f.; 14,22.29 und Ex 16; Ps 77[78],24 f.; Ex 17,5 f.; Num 20,7-11); 10,5 (A: Num 14,16); 10,6 (P: Num 11,4.34); 10,7 (Z: Ex 32,6b); 10,8 (P: Num 25,1.9; 26,62); 10,9 (P: Num 21,5 f.; Ex 17,2); 10,10 (P: Num 14,2.12.34; Ex 16,2 f.); 10,18 (P: Ex 32,5 f.); 10,20a-b (A: Dtn 32,17a); 10,22a (A: Dtn 32,21); 10,26 (zF: Ps 23[24],1c); 11,7a (A: Gen 1,27a-b); 11,8-12 (P: Gen 2,18.21-23); 14,21 (Z: Jes 28,11 f.); 14,25 (A: Dan 2,46 f.; zF: Jes 45,14d-f); 15,21 (P: Gen 3,1719, vgl. 2,17); 15,25 (A: Ps 109[110],1d); 15,27a (zF: Ps 8,7b); 15,32d-e (zF: Jes 22,13b-c); 15,38-41 (P: Gen 1,11-27); 15,45 (Z: Gen 2,7b); 15,47a (A: Gen 2,7init.); 15,54 f. (Z: Jes 25,8a; Hos 13,14be); 16,13c-d (A: Ps 30[31],25a-b). 2Kor 1,10 (A: Ps 32[33],19a.21b u. ö.); 3,3 (A: Ex 31,18; Dtn 5,22.26 u. ö.; Ez 36,36 f. / 11,19 f.); 3,6 (A: Ex 34,27 f.; Jer 38[31],31-33); 3,7(-11) (P: Ex 34,29 f.); 3,13 (P: Ex 34,33-35); 3,16 (Z: Ex 34,34a-b); 4,6 (G: Gen 1,3; Jes 9,1), 4,11a (A: Jes 53,12b); 4,13 (Z: Ps 115,1[116,10]a-b); 5,16.17cd (A: Jes 43,18 f.;42,9; 48,6 f.); 6,2 (Z: Jes 49,8b); 6,16 (G: Lev 26,11 f. [vgl. Jub 1,17]); 6,17 f. (G: Jes 52,11b-d; 43,5c.6c; 2Kgt[Sam] 7,14a-b.8); 7,6 (A: Jes 49,13e); 8,15 (Z: Ex 16,18a-b); 8,21 (zF: Spr 3,4); 9,7c (A: Spr 22,8A); 9,9 (Z: Ps 111[112],9a-c); 9,10 (Jes 55,10c; Hos 10,12a.d); 10,17 (zF: Jer 9,24[23]); 11,3 (P: Gen 3,1-6.13); 13,1b (zF: Dtn 19,15c). Gal 1,15 (A: Jes 49,1.5; 42,6); 1,16a-b (A: Jes 52,10a); 2,6c (A: Dtn 10,17c [Sir 32{35},16]); 2,16d (A: Ps 142[143],2b; Gen 6,12); 3,6 (Z: Gen 15,6); 3,8 (Z: Gen 12,3c; 18,18); 3,10 (Z: Dtn 27,26ab; 30,10); 3,11b (zF: Hab 2,4c); 3,12 (Z: Lev 18,5b); 3,13 (Z: Dtn 21,23c); 3,17b (A: Ex 12,40.43 u. ö.); 4,22 f. (P: Gen 16; 17,16; 21,1 f.); 4,27 (Z: Jes 54,1a-e); 4,29 (P: Gen 21,9); 4,30 (Z: Gen 21,10); 5,14 (Z: Lev 19,18b). Phil 1,19 (A: Hi 13,16a); 2,10 f. (A: Jes 45,23c); 2,16c (A: Jes 49,4b); 3,5a (A: Gen 17,10-14). 1Thess 1,10c (A: Jes 59,19b-20); 4,(7.)8fin. (A: Ez 36,25-27 / 11,19 f.); 4,16c (zF: Jes 26,19a); 5,3a-b (A: Jer 6,14a-b); 5,8 (A: Jes 59,17); 5,22 (A: Hi 1g.8d).

2. Die Septuaginta in den deuteropaulinischen Briefen Die wahrscheinlich von späteren Schülern des Paulus verfassten Briefe weisen im Verhältnis zur LXX jeweils ein eigenes Profil auf; sie werden daher im Folgenden je für sich behandelt.

2.1 Die Septuaginta im zweiten Thessalonicherbrief Der 2Thess lehnt sich in seinem Aufbau und seinen Formulierungen eng an den 1Thess an, hebt sich von diesem aber im Stil ebenso deutlich ab wie im theologischen Grundgedanken: der Verknüpfung »der Parusie unseres Herrn Jesus Christus« (2,1) mit der vorangehenden, jetzt aber noch aufgehaltenen Offenbarung des »Menschen der Gesetzlosigkeit« (2,3) und dessen verderblichem Wirken. Die »Verschiebungen … in der Verwendungsweise paulinischer Anschauungen und Begriffe« 48 betreffen auch das Verhältnis zur LXX.

48. Trilling: Brief, 22.

536

gtvh 08105 / p. 537 / 31.3.2022

Corpus Paulinum

Diesbezüglich fällt erstens auf, dass die klar erkennbaren Schriftbezüge 49 thematisch ganz der bei Paulus nicht bezeugten Antithese zwischen Christus und jenem Menschen sowie, im Konnex damit, der Antithese zwischen den Adressaten und ihren »Bedrängern« (1,6) zugeordnet sind – auch wenn dies natürlich dem Zweck des Briefs entspricht. Demgemäß sind die Schriftbezüge, zweitens, in einer für Paulus untypischen Konsequenz ›christologisiert‹ : Ausgehend von der an sich durchaus paulinischen Ausrichtung auf den »Tag des Herrn« (2,2, vgl. 1Thess 5,2 u. ö.) werden alle Aussagen der Schrift über das gegenwärtig-bewahrende (2Thess 1,12 [Jes 66,5]; 2,13 [Dtn 33,12]; 3,2 [Jes 25,4 / Ps 139{140},2]; 3,5 [1Chr 29,18]; 3,16 [Num 6,26]) und das künftigrichtende Handeln (2Thess 1,6.8 [Jes 66,4.6.15]; 1,9 [Jes 2,10.19.21]; 1,10 [Ps 88{89},8; 67 {68},36; Jes 2,11.17]) Gottes auf den »Herrn Jesus« (2Thess 1,7) bezogen. Überdies wird dieser unter Aufnahme von Jes 11,4b als strafender Richter charakterisiert (2Thess 2,8), während seinem Antipoden diverse Attribute der Schrift für Feinde Gottes beigelegt werden: in 2,3 neben »Mensch der Gesetzlosigkeit« (vgl. Jes 57,3; Ps 88[89],23) noch »Sohn des Verderbens« (vgl. Jes 57,4), in 2Thess 2,4 »Widersacher« (vgl. Jes 66,6) und »Sich-über-jeden-…-Gott-Erhebender« (vgl. Dan 11,36), in 2Thess 2,8 »Gesetzloser« (Jes 66,3). Demgemäß bewegen sich die Schriftbezüge, drittens, formal auf der Grenze zwischen Anspielungen und Reminiszenzen: Formulierungen aus der »Schrift« sind in z. T. beachtlichem Umfang aufgenommen, in ihrem Sachbezug aber ganz durch die Übertragung auf den Herrn Jesus Christus bestimmt. Eine Wechselbeziehung zwischen Evangelium und »Schrift«, in der Letztere Ersteres nicht nur zu versprachlichen, sondern auch, ja, allererst in seinem Sinngehalt zu verstehen hilft, ist – anders als in den echten Paulusbriefen – im 2Thess allem Anschein nach nicht gegeben.

2.2 Die Septuaginta im Kolosserbrief Der Kolosserbrief weist die Adressaten in einen Lebenswandel ein, der sich, indem er auf der »Erkenntnis« Gottes und des göttlichen Willens gründet, auf eine »des Herrn würdige« Art vollzieht (1,9 f., vgl. 4,5). Dabei hat der Brief gegenüber den echten Paulusbriefen ein eigenes Profil: Die Unterweisung erfolgt in einem völlig anderen Sprachstil, im Horizont eines zugespitzten Apostelbildes sowie auf der Basis einer eigenständigen, kosmisch gefassten Christologie und Ekklesiologie. 50 Dieses besondere Profil zeigt sich auch im Schriftgebrauch. Es fehlen nicht nur – wie etwa im Philipperbrief – explizit markierte Schriftbezüge; der Kolosserbrief entbehrt im Grunde auch jeder Anspielung im paulinischen Sinne. Sieht man von der – theologisch natürlich bedeutsamen – Verarbeitung begrifflich verankerter Konzepte wie Gottebenbildlichkeit (1,15), Schöpfungsmittlerschaft (1,16) oder Geheimnis (2,2; 4,3) ab, erfolgen die sachbezogenen Bezugnahmen auf bestimmte Schriftpassagen durchweg in der Weise, dass ein Ensemble von Stichwörtern aufgegriffen und neu in einen eigenen Aussagezusammenhang integriert wird (vgl. 1,26 f. [Dan 2,19-22]; 2,2 f. [Spr 2,2-6]; 3,1 (Ps 109[110],1); 3,9 f. [Gen 1,26 f.]). Daneben wird nur in 2,22 die markante Wendung aus Jes 29,13fin. so rezipiert, dass der ursprüng49. Vgl. die – im Einzelnen etwas anders akzentuierte – Übersicht bei Weima: Thessalonians, 883888. 50. Vgl. Luz: Brief, 186 f.

537

gtvh 08105 / p. 538 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

liche Verwendungszusammenhang wenigstens anklingt. Die weiteren in der Forschung diskutierten Bezüge 51 sind, soweit überhaupt ein sprachlicher Konnex plausibel erscheint, als Reminiszenzen einzustufen 52. Im Kontext des theologischen Programms dieses Briefes wird die »Schrift« weniger in Form von Aussagen und Formulierungen als vielmehr mittels Begriffen und Anschauungen beigezogen, um zu explizieren, in welchem kosmischen Gefüge die Adressaten sich zu verorten haben.

2.3 Die Septuaginta im Epheserbrief Der Epheserbrief dient der Festigung und Stärkung der Identität der Adressaten als Glieder der im Christusgeschehen verankerten, als kosmische Größe gedachten »Kirche« (1,22), die sich nach innen durch Einheit (2,14 u. ö.), nach außen durch Abgrenzung von »heidnischer« Lebensweise (4,17) auszeichnet und so ihrer Bestimmung zum Lob der Herrlichkeit Gottes entspricht (1,6.12.14). Er verfolgt diesen Zweck in enger Anlehnung an Aufbau und Wortlaut des Kol sowie in Verarbeitung mancher Passagen der echten Paulusbriefe, weist dabei aber in Stil und Theologie ein eigenes Gepräge auf, 53 das auch im Schriftgebrauch zutage tritt 54. Im Verhältnis zum Kolosserbrief fällt schon die, auch in Relation zur Brieflänge, 55 höhere Zahl an sachlich relevanten LXX-Bezügen auf – vor allem aber der Umstand, dass diese zumeist ganze Sätze oder doch wenigstens Formulierungen umfassen. Dabei sind einige Bezüge aus dem Kol übernommen, freilich so, dass der Sachzusammenhang mit der »Schrift« inhaltlich ausgeweitet (vgl. 1,20 f. mit Kol 3,1b [Ps 109{110},1] und Eph 5,16 mit Kol 4,5fin. [Dan 2,8]) oder anders akzentuiert ist (vgl. Eph 3,4-6 mit Kol 1,26 f. [Dan 2,19-21.30]); andere im Kol vorhandene Schriftbezüge hingegen werden ausgeblendet 56. Deutliche Verschiebungen gibt es auch bei denjenigen zitatähnlichen Formulierungen und Anspielungen, die Parallelen in den echten Paulusbriefen haben. Hier wird der Bezug teils um weitere Quelltexte erweitert, teils sachlich anders ausgerichtet. Ersteres geschieht in Eph 6,14-17, wo zu dem Rekurs auf Jes 59,17 (vgl. 1Thess 5,8) Anspielungen auf Jes 11,5; 52,7 und 11,4 hinzutreten; Letzteres in Eph 1,22, wo der Satz aus Ps 8,7 (vgl. 1Kor 15,27) die Gegenwart der Kirche kennzeichnet. Für die Anspielung auf Jes 52,7 in Eph 2,17 gilt beides: Als – dominierender, schon ab 2,13 den Gedankengang prägender – Bezugstext tritt Jes 57,19 hinzu, und zugleich wird die Aussage auf Christus statt auf die Apostel gedeutet. In besonders deutlicher Weise zeigt sich das Phänomen bei der Anführung von Gen 2,24 in Eph 5,31: Sie fällt dort nicht nur viel umfangreicher aus, sondern wird auch völlig anders ausgewertet als die partielle Zitation in 1Kor 6,16. Natürlich werden auch innerhalb der echten Paulusbriefe einige Quelltexte Vgl. etwa die weitreichenden Vorschläge von Beale: Colossians. Letzteres gilt für Kol 1,9 f. (Gen 31,3); 1,19 (Ps 67[68],17); 4,5 (Dan 2,8). Vgl. Sellin: Brief, 54-64. Vgl. Bormann: Schriftgebrauch, 224 f. Der Umfang des Kol macht – gemessen in Textzeilen des NT Graece28 – etwa zwei Drittel des Umfangs des Eph aus (194 gegenüber 293 Zeilen). 56. Das gilt zumal für Spr 2,2-6 in Kol 2,2 f. und die Reminiszenz an Gen 31,3 in Kol 1,9 f. Die Schriftbezüge in 1,19 und 2,22 fehlen, da der Eph die zugehörigen Sachaussagen des Kol insgesamt übergeht oder umgestaltet. 51. 52. 53. 54. 55.

538

gtvh 08105 / p. 539 / 31.3.2022

Corpus Paulinum

mehrfach in je anderer Zuspitzung angeführt. 57 Im Eph liegen jedoch z. T. regelrechte Umdeutungen vor, die in ihrer Massivität keine paulinische Analogie haben. Alle weiteren, jeweils einzigartigen Schriftbezüge des Eph konzentrieren sich in Eph 4-6. Zu nennen sind das ausführlich ausgelegte Zitat aus Ps 67[68],19 in 4,8(-11), 58 die Kette von zitatähnlichen Formulierungen und Anspielungen in Eph 4,25 f. (Sach 8,16; Ps 4,5; Dtn 24,15), die Anspielungen in Eph 4,30a (Jes 63,10) und Eph 5,18 (Spr 23,31) sowie die zitatähnliche, durch eine interpretierende Zwischenbemerkung unterbrochene Anführung von Ex 20,12 bzw. Dtn 5,16 in Eph 6,2 f. Die Zuordnung dieser Schriftbezüge unterstreicht, dass der Brief die LXX insgesamt vor allem zur Deutung des eschatologischen Status der Kirche (vgl. 1,20.22; 2,17; 3,4-6; 4,8-11) sowie zur Orientierung des ihm entsprechenden Lebenswandels (4,25 f.30; 5,16.18; 6,2 f.14-17) heranzieht – wobei der Brief beide Aspekte gemäß 5,30-32 eng miteinander verbunden sieht. Im Kontext der Fundierung der Paränese kann allerdings eine frühchristliche Tradition mehr oder weniger gleichberechtigt neben die »Schrift« treten; dies zeigt der Einsatz der – im NT sonst nur Jak 4,6; Hebr 10,5 belegten – Zitationsformel »deshalb heißt es / sagt er« in Eph 4,8 (beim Psalmzitat) und 5,14 (bei Traditionsgut). 59 Doch ist dieser Befund nur ein weiteres Indiz dafür, dass die »Schrift« – gelesen in der Fassung der LXX vor dem Hintergrund jüdischer Auslegungstraditionen – dem Eph zufolge ganz und gar vom Christusgeschehen her und auf die Existenz der Kirche hin ausgelegt werden muss.

2.4 Die Septuaginta in den Pastoralbriefen (1-2Tim, Tit) Die Briefe an Timotheus und Titus bilden ein Corpus, das, verfasst als editorischer Abschluss einer zuvor bereits bestehenden Paulusbriefsammlung, ein bestimmtes Paulusbild als für die frühe Kirche überall und jederzeit maßgebliche Autorität zu etablieren sucht. Indem es zwei fiktive Momentaufnahmen – je eine zur Anfangszeit der paulinischen Mission (Tit) und zu deren gegenwärtiger Situation (1Tim) – mit einem testamentarischen Ausblick (2Tim) vereint, stellt es Paulus als den einen Urheber und seine Mitarbeiter als die zuverlässigen Tradenten der »gesunden Lehre« (1Tim 1,10 u. ö.) dar, die angesichts äußerer Gefährdungen und innerer Zerwürfnisse durch ein gut strukturiertes Ensemble von Amtsträgern, die an klare ethische Standards gebunden sind, gegen Fehlinterpretationen geschützt werde. 60 Dieser spezifische Charakter der Pastoralbriefe prägt auch ihr Verhältnis zu und ihren Umgang mit der – erkennbar in der Version der LXX wahrgenommenen – »Schrift«. Grundsätzlich ist Letztere, wie 2Tim 3,13-17 deutlich macht, dem »Menschen Gottes«, also dem Gemeindeleiter (vgl. 1Tim 6,11) anvertraut; ihm helfe sie, die rechte Lehre innerhalb der paulinischen Traditionskette so zu präsentieren, dass »Irreführer«

57. Siehe o. bei Anm. 29. 58. Zur traditionsbasierten Wortlautänderung »er gab« vgl. Sellin: Brief, 331-333; gegen Thielmann: Ephesians, 821-824, der die Änderung allein auf die Zitierabsicht des Verfassers zurückführt. 59. Vgl. Bormann: Schriftgebrauch, 222.224. 60. Vgl. zum Ganzen Janssen: Corpus, passim, v. a. 455-458.538-558.

539

gtvh 08105 / p. 540 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

widerlegt, die ihm anvertrauten Menschen jedoch zum »Heil durch den Glauben, der in Christus Jesus (gründet)« geführt und »in Gerechtigkeit erzogen« werden. 61 Diese unterstützende Funktion tritt durch alle Briefe hindurch zunächst darin zutage, dass diverse Begriffe aus der gesamten LXX – einschließlich der jüngeren Bücher jenseits des hebräischen Kanons 62 – in die Darlegungen einfließen, etwa »Mensch Gottes« (s. o., vgl. 1Kgt [1Sam] 2,27 u. ö.), »anerkanntermaßen ist …« (1Tim 3,16, vgl. 4Makk 6,31 u. ö.) oder »Menschenfreundlichkeit« im Bezug auf Gott (Tit 3,4, vgl. Sap 1,6 u. ö.). Hinzu kommen zahlreiche Motive wie z. B. »niemand kann Gott sehen« in 1Tim 6,16 (vgl. Ex 33,20), »Gott gibt Einsicht« in 2Tim 2,7 (vgl. Spr 2,6; 1Chr 22,12 u. ö.) oder »abscheulich … [mangels] jeder guten Tat« in Tit 1,16 (vgl. Ps 13[14],1); dabei erfolgt der Anschluss an die Sprache der LXX freilich oft in recht lockerer Form. Von diesem Befund heben sich die sachlich relevanten Schriftbezüge deutlich ab: Sie sind relativ spärlich; sie greifen in der Regel Aussagen oder Formulierungen aus den Paulusbriefen oder auch den Deuteropaulinen auf, allerdings mit klaren Akzentverschiebungen in der Sache; und sie ordnen sich erkennbar dem jeweiligen Zweck der einzelnen Briefe zu. So enthält der auf die Anfänge zurückblickende Tit zwei kombinierte Anspielungen im Zuge formelhaft-rhythmisch geprägter Sätze zum Rettungshandeln Gottes – dass nämlich einerseits Christus die Gläubigen »aus der Gesetzlosigkeit erlöst« und zu »einem Eigentumsvolk gereinigt« habe, das nach guten Werken strebe (2,14), 63 andererseits Gott sie nicht aufgrund ihrer eigenen »Werke in Gerechtigkeit … gerettet« habe, sondern »seinem Erbarmen gemäß«, durch eine »Erneuerung« kraft des über sie ausgegossenen »heiligen Geistes« (3,5 f.) 64. Im gegenwartsorientierten 1Tim hingegen finden sich sämtliche Schriftbezüge innerhalb der Amtsparänese: Zwei Paraphrasen zur Urgeschichte erfolgen im Zuge von Ausführungen zum Ausschluss der Frau von der Lehre (2,12-15) 65 sowie zur Abwehr asketisch geprägter Irrlehre (4,3 f.) 66; in 5,17-19 wird der Appell zur Ehrung der als Vorsteher agierenden Ältesten durch ein Zitat aus Dtn 25,4 sowie eine Anspielung auf Dtn 19,15; 17,6 gestützt 67 – wobei die Kette der Belege charakteristischerweise um ein Zitat aus der Jesusüberlieferung (Lk 10,7b) ergänzt wird. In ihrer Autorität steht Letztere also der »Schrift« nicht nach. 68 Der testamentarisch geprägte 2Tim wiederum führt Schriftworte konsequent im Zuge der Kritik des Abfallens von Paulus und der paulinischen Lehre an: Das durch solches Abfallen verlassene, von Gott gelegte »Fundament« der »Wahrheit« trägt nach 2,18 f. zwei Aufschriften, die in Anlehnung (a) an Num 16,5 sowie (b) an Sir 17,26 u. ö.

61. Vgl. Weiser: Brief, 276-284. 62. Zum paulinischen Rekurs auf die Bücher des späteren hebräischen Kanons s. o. nach Anm. 12. 63. Vgl. Ez 37,23 samt Ps 129[130],8; Ex 19,5 u. ö. sowie Röm 6,19; 1Kor 1,30, 2Kor 6,14-16; Kol 1,10 u. ö. 64. Vgl. Dan 9,18 samt Ez 36,26 f.; Joel 3,1 f. sowie Gal 3,2.5; Röm 11,6; 12,2; 5,5 u. ö. 65. Vgl. Gen 2,7.22; 3,6.13.16 sowie 1Kor 11,8 f.; 14,33-35; 2Kor 11,3. 66. Vgl. Gen 1,29.31; 9,3 sowie Röm 14,14a; 1Kor 10,30 f. 67. Aus den Paulusbriefen vgl. dazu einerseits 1Kor 9,9, andererseits 2Kor 13,1. 68. Dazu passt, dass 1Tim 5,19 eine enge Parallele in Mt 18,16 hat. Der Befund ähnelt dem zum Verhältnis von Schrift und frühchristlicher Tradition im Eph; s. o. bei Anm. 59.

540

gtvh 08105 / p. 541 / 31.3.2022

Corpus Paulinum

samt Jes 26,13 u. ö. formuliert sind; 69 der damit vollzogene Widerstand gegen die Wahrheit ist nach 2Tim 3,8 f. ebenso verwerflich und erfolglos wie einst der von »Jannes und Jambres« gegen Mose (vgl. Ex 7 samt antik-jüdischer Auslegungstradition, z. B. CD 5,18 f.; Tg PsJ zu Ex 1,15 u. ö.); 70 für die Gegner wird in 2Tim 4,14 gemäß Ps 61[62],13 und Spr 24,12 eine »Vergeltung nach ihren Werken« erwartet; 71 und das Geschick des Paulus wird mit 2Tim 4,16-18 in Aufnahme der Wendung »aus dem Maul des Löwen retten« sowie weiterer Ausdrücke aus Ps 21[22] beschrieben 72. Somit stehen die klar erkennbaren Schriftbezüge in den Pastoralbriefen durchweg, wenn auch in jedem Brief auf eigene Weise, im Dienst der Stärkung der eigentlich entscheidenden Autorität: der des Paulus und der paulinischen »Lehre«. 73

2.5 Schlussbemerkung Die besprochenen Briefe stehen mit ihrem jeweiligen Gebrauch der LXX durchaus in der Tradition der Paulusbriefe, setzen dabei aber deutlich andere Akzente. Während hier wie dort die »Schrift« von Christus her und auf das Dasein der Christusgläubigen hin gelesen wird, steigern die Autoren der Deuteropaulinen gegenüber Paulus das Ausmaß, in dem sie sich – offenbar im Zuge des fortschreitenden Heraustretens aus einem jüdischen Kontext und der wachsenden Distanz zu jüdischen Gemeinden – die »Schrift« aneignen: Sie dient ihnen weiterhin als Zeuge, aber kaum noch als eigenständiges Interpretament des Evangeliums. Dem entsprechen auf inhaltlicher Ebene eine vermehrte Deutung von Schriftworten auf Christus und die Kirche, auf formaler Ebene das Zurücktreten von Zitaten, die Zunahme von Reminiszenzen sowie die intensivierte Verschmelzung von Schriftworten mit Elementen der frühchristlichen Tradition.

69. 70. 71. 72.

Vgl. dazu (a) die Rezeption von Num 16 in 1Kor 10,10 sowie (b) die Analogie zu Lk 13,27. Zum Motiv des Widerstands gegen die Wahrheit vgl. bei Paulus 2Kor 13,8; Gal 2,5.14 u. ö. Vgl. dazu Röm 2,6. Vgl. Ps 21[22],21 f. (samt Dan 6,21; 1Makk 2,60), ferner Ps 21[22],2.12b.20.26.28 f.32 und 108 [109],31 – sowie Phil 2,21; 4,13; Röm 15,19; 1,5; 2Kor 1,10 u. ö. Zum primären Bezug auf Ps 21[22] an dieser Stelle vgl. Towner: Timothy, 910-912. 73. Vgl. Lang: Nützlich, 245-247.

541

gtvh 08105 / p. 542 / 31.3.2022

3.2.4 Hebräerbrief Martin Karrer Literatur Albl, Martin C.: »And Scripture Cannot be Broken«. The Form and Function of the Early Christian Testimonia Collections, NT.S 96, Leiden 1999 – Backhaus, Knut: Der sprechende Gott. Gesammelte Studien zum Hebräerbrief, WUNT 240, Tübingen 2009 – Cadwallader, Alan H.: The Correction of the Text of Hebrews Towards the LXX, NT 34 (1992), 257-292 – Compton, Jared: Psalm 110 and the Logic of Hebrews, LNTS 537, London 2015 – Crüsemann, Frank: Das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen. Die neue Sicht der christlichen Bibel, Gütersloh 2011 – Docherty, Susan: The Use of the Old Testament in Hebrews. A Case Study in Early Jewish Bible Interpretation, WUNT II 260, Tübingen 2009 – Docherty, Susan: The Text Form of the OT Citations in Hebrews Chapter 1 and the Implications for the Study of the Septuagint, NTS 55 (2009), 355-365 – Fitzmyer, Joseph A.: Melchizedek in the MT, LXX, and the NT, Bib. 81 (2000), 63-69 – Frevel, Christian: How to understand Ps 95 within and without Hebrews? In Dirk J. Human / Gert J. Steyn (ed.), Psalms and Hebrews: Studies in Reception, LBS 527, New York/London 2010, 2010, 167-193 – Fuhrmann, Sebastian: Vergeben und Vergessen. Christologie und Neuer Bund im Hebräerbrief, WMANT 113, Neukirchen-Vluyn 2007 – Gheorghita, Radu: The Role of the Septuagint in Hebrews. An Investigation of its Influence with Special Consideration to the Use of Hab 2:3-4 in Heb 10:37-38, WUNT II 160, Tübingen 2003 – Granerød, Gard: Abraham and Melchizedek. Scribal Activity of Second Temple Times in Genesis 14 and Psalm 110, BZAW 406, Berlin/New York 2010 – Gruber, Christian-Jürgen: The Lexical Constancy and Changes in Heb. 7:1-3 Compared to Gen. 14:17-20, in: Peter ArztGrabner / Christina M. Kreinecker (ed.), Light from the East. Papyrologische Kommentare zum Neuen Testament, Philippika 39, Wiesbaden 2010, 127-138 – Holtz, Gudrun: Pentateuchrezeption im Hebräerbrief, in: Thomas S. Caulley / Hermann Lichtenberger (ed.), Die Septuaginta und das frühe Christentum, WUNT 277, Tübingen 2011, 359-381 – Human, Dirk J. / Steyn, Gert J. (ed.): Psalms and Hebrews. Studies in Reception, LBS 527, New York/London 2010 – Karrer, Martin: Der Brief an die Hebräer II, ÖTBK 20/2, Gütersloh 2008 – Karrer, Martin: Die Schriften Israels im Hebräerbrief, ThLZ (2013), 1181-1196 – Karrer, Martin: Die Väter in der Wüste: Text und Rezeption von LXX Ps 94 in Hebr 3, in: Thomas Wagner / Jonathan M. Robker / Frank Ueberschaer (ed.), Text – Textgeschichte – Textwirkung. FS Siegfried Kreuzer, AOAT 419, Münster 2014, 427-458 – Karrer, Martin, Textgeschichte und Theologie des Hebräerbriefs, wird erscheinen in Régis Burnet (ed.), The Letter to the Hebrews. Colloquium Biblicum Lovaniense LXX, 2021, Leuven 2022 – Karrer, Martin / de Vries, Johannes: Der Septuagintatext in den neutestamentlichen Schriften und der Codex Ambrosianus, in: Wolfgang Kraus / Siegfried Kreuzer (ed.), Die Septuaginta: Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 124-153 – Kowalski, Beate: Die Rezeption alttestamentlicher Theologie im Hebräerbrief, in: Rainer Kampling (ed.), Ausharren in der Verheißung. Studien zum Hebräerbrief, SBS 204, Stuttgart 2005, 35-62 – Kraus, Wolfgang: Hebrews 3:7-4:11 as a Midrash on Psalm 94 (LXX), in: Hans Ausloos u. a. (ed.), Florilegium Lovaniense. Studies in Septuagint and Textual Criticism in Honour of Florentino García Martínez, BEThL 224, Leuven 2008, 275290 – Kraus, Wolfgang: »Wen der Herr liebhat, den züchtigt er« (Prov 3,11f; Hebr 12,5f). Hebr 12,4-11 auf dem Hintergrund antiker Paideia-Vorstellung, in: Manfred Oeming (ed.), Ahavah – Die Liebe Gottes im Alten Testament, ABIG 55, Leipzig 2018, 425-443 – Kraus, Wolfgang: Zur Aufnahme von Ps 102 (101 LXX) und seiner Bedeutung für die Eschatologie des Hebräerbriefs,

542

gtvh 08105 / p. 543 / 31.3.2022

Hebräerbrief

in: Thomas Wagner / Jonathan M. Robker / Frank Ueberschaer (ed.), Theologie und Textgeschichte: Septuaginta und Masoretischer Text als Äußerungen theologischer Reflexion, WUNT 407, Tübingen 2018, 239-258 – Kreuzer, Siegfried: New Testament Quotations and the Textual History of the Septuagint, in: Jesper Høgenhaven / Jesper Tang Nielsen / Heike Omerzu (ed.), Rewriting and Reception in and of the Bible (FS Mogens Müller), WUNT 396, Tübingen 2018, 65-82 – Siegfried Kreuzer / Marcus Sigismund (ed.): Die Schriftzitate im Hebräerbrief als Zeugen für die Überlieferung der Septuaginta, WUNT II, Tübingen 2022 (im Erscheinen) – Moyise, Steve: The Later New Testament Writings and Scripture. The Old Testament in Acts, Hebrews, the Catholic Epistles and Revelation, Grand Rapids 2012, 81-110 – Rahlfs, Alfred (ed.): Psalmi cum Odis, LXX 10, Göttingen 1931 – Rüsen-Weinhold, Ulrich: Der Septuagintapsalter im Neuen Testament. Eine textgeschichtliche Untersuchung, Neukirchen-Vluyn 2004, 169-206 – Schenker, Adrian: Das Neue am neuen Bund und das Alte am alten. Jer 31 in der hebräischen und griechischen Bibel, FRLANT 212, Göttingen 2006 – Schröger, Friedrich: Der Verfasser des Hebräerbriefes als Schriftausleger, BU 4, Regensburg 1968 – Steyn, Gert J.: A Quest for the Assumed LXX Vorlage of the Explicit Quotations in Hebrews, FRLANT 235, Göttingen 2011 – Steyn, Gert J.: The Reception of Psalm 94(95):7-11 in Hebr 3-4, in: Dirk J. Human / Gert Jacobus Steyn (ed.), Psalms and Hebrews. Studies in Reception, LBS 527, New York/London 2010, 165-193.194-228 – Steyn, Gert J.: Torah Quotations Common to Philo, Hebrews, Clemens Romanus and Justin Martyr. What is the Common Denominator?, in: Cilliers Breytenbach (ed.), The New Testament Interpreted (FS Bernard C. Lategan), NT.S 124, Leiden 2006, 135-151 – Stipp, Hermann-Josef: Die Perikope vom »neuen Bund« (Jer 31:3134) im Masoretischen und Alexandrinischen Jeremiabuch. Zu Adrian Schenkers These von der »Theologie der drei Bundesschlüsse«, JNWSL 35 (2009), 1-25 – de Vries, Johannes: Codex Ambrosianus and the New Testament. Considerations Concerning the Textual History of the Pentateuch, in: Johannes de Vries / Martin Karrer (ed.), Textgeschichte und Schriftrezeption im frühen Christentum / Textual History and the Reception of Scripture in Early Christianity, SCS 60, Atlanta 2013, 63-78 – Walser, Georg: Old Testament Quotations in Hebrews, Studies in their Textual and Contextual Background, Tübingen 2013.

Der Hebr entstand in den frühen 90er Jahren des 1. Jh. oder (weniger wahrscheinlich) schon vor der Zerstörung des Jerusalemer Tempels (d. h. vor 70). Er enthält circa 35, ohne Mehrfachnennungen 29 Schriftzitate (erkennbar in der Regel durch Einleitungsformeln), darunter das längste Schriftzitat des NT (LXX Jer 38,31-34 in Hebr 8,8-12). 1 Sämtliche Zitate entnimmt der Autor der griechischen Übersetzung der Schriften Israels. Das gibt dem Hebr einen herausragenden Rang in der ntl. Rezeption der LXX.

1. Die zitierten Schriften Schon die Auswahl der zitierten Schriften ist signifikant. Denn trotz seiner Vorliebe für die griechische Sprache 2 orientiert sich der Autor des Hebr an den Schriften Israels, die ursprünglich auf Hebräisch geschrieben waren und allmählich zum Tanach, der Sammlung aus Tora, Nebiim (Propheten) und Ketubim (anderen Schriften, bes. Psalmen und Weisheitstexten) werden. Keine der im hellenistischen Judentum neu

1. 2.

Die Zählungen der Zitate schwanken in der Literatur zwischen 30 und 36. Der Hebr enthält kein hebräisches Lehnwort. Daher ist nicht nachweisbar, dass der Autor neben dem Griechischen auch Hebräisch konnte; möglich bleibt es.

543

gtvh 08105 / p. 544 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

verfassten Schriften, die später in die Sammlung der LXX eingehen (von Tob bis SapSal oder 2 und 4Makk), würdigt der Autor eines Zitats, und das ist sicher kein Zufall. Die Makkabäerbücher fehlen nämlich, obwohl Hebr 11 die Reihe der Glaubenszeugen aus Israel bis in die Makkabäerzeit reichen lässt. 3 Außerdem fehlt ein Zitat aus dem Estherbuch, das sich hebräisch bis zum Ende des 1. Jh. noch nicht überall im Judentum durchgesetzt hatte. Zu vergleichen sind jüdische Quellen über den Umfang der heiligen Schriften aus dem späten 1. Jh. Josephus zählte 22 heilige Schriften Israels und schloss die jüngeren Schriften Israels aus der maßgeblichen Literatur Israels aus (Ap. I,8), 4Esr 14,45 zählte 24 Bücher. Diese Zählungen gewinnen Plausibilität vor dem Hintergrund der ursprünglich hebräischen Leitschriften Israels. 4 D. h. die zusätzlichen jüdisch-griechischen Schriften sind nach einer verbreiteten Auffassung des späten 1. Jh. bedeutend und doch anderen Ranges. Der Hebr nimmt an dieser Tendenz teil und wird dadurch zum Exponenten eines jüdisch-griechischen Christentums, das sich an den griechischen Schriften Israels orientiert und doch um deren Entstehung aus einem Übersetzungsprozess weiß. Würden wir dem Autor des Hebr folgen, wäre die Sammlung (und Edition) der Septuaginta zu begrenzen. Die umfangreichere Septuagintasammlung, die neue jüdisch-griechische Schriften aufnimmt, entsteht erst in den Jahrhunderten nach ihm bis zu den großen Codices des 4./5. Jh. Das Corpus der Schriften bestand aus Teilsammlungen. Der Hauptstrom des Judentums zur Zeit des Hebr gab der Tora, griechisch übersetzt dem Nomos (Gen bis Dtn) den Vorrang vor allen anderen Texten. 5 Philo von Alexandria, mit dessen Reflexionskraft die komplexen Gedankengänge des Hebr gern verglichen werden, etwa kommentierte nur die Bücher des Gesetzes und zitierte andere Schriften (Psalmen etc.) lediglich, um die Deutung des Gesetzes zu vertiefen. Der Hebr verändert die Gewichte. Er bevorzugt die Psalmen (14 �) neben und ein wenig vor dem Pentateuch (13 �). Diese Verschiebung wird noch deutlicher, wenn wir beachten, dass ein wichtiges Kapitel des Pentateuchs, das Lied des Mose in Dtn 32, auch unabhängig als Lied überliefert wurde; der Hebr zitiert es näher zu dieser Drittüberlieferung (Ode 2) als zu Dtn 32 LXX (προσκυνησάτωσαν αὐτῷ πάντες [οἱ] ἄγγελοι θεοῦ [»Es sollen vor ihm alle Engel Gottes niederfallen«]; Hebr 1,6/Od 2,43). Überschätzen wir die Gewichtverschiebung nicht. Die Würdigung der vorderen und hinteren Propheten (heute Geschichtsbücher und Schriftpropheten) hält sich im üblichen Umfang der Zeit (1 � vordere Propheten [2Sam 7,14 6], 5 � sog. große Propheten, 2 � Dodekapropheton), und die Weisheitsliteratur fällt wie im zeitgenössischen Judentum an Bedeutung ab (Zitat lediglich aus Prov 3,11 f. in Hebr 12,5 f.). An einer Schlüsselstelle des Hebr findet sich zudem die im 1. Jh. naheliegende Argumen-

3. 4.

5. 6.

Hebr 11,35 spielt auf 2Makk 6,18-7,42 an. Vergleichen wir die Zahl bei Josephus und in 4Esr, verstand Josephus am wahrscheinlichsten Ruth und Threni nicht als eigene Schriften, oder er zählte Prediger und Hoheslied nicht dazu. Interessanterweise zitiert der Hebr auch diese vier Schriften nicht. Er hält sich an die engsten in seiner Zeit ziehbaren Grenzen der hebräischen heiligen Schriften. Auf sie allein bezog sich die Legende von 70 bzw. 72 Übersetzern, die der Septuaginta den Namen gab. Bzw. 1Chr 17,13.

544

gtvh 08105 / p. 545 / 31.3.2022

Hebräerbrief

tation zuerst mit der Tora, dann mit einem Psalm: Kap. 7 führt das Priestertum Melchisedeks nach Gen 14,17-20 ein und argumentiert innerhalb des Gesetzes mit dem Zehnten, den nach Num 18,21 die Söhne Levis erhalten, den aber Abraham dem Melchisedek gibt, so dass nach einer Argumentation mit der Tora Melchisedek größer ist als Levi (Hebr 7,1-10), bevor ein Psalm (Ps 109,4 LXX/110 MT) Jesus das Priestertum nach der Ordnung Melchisedeks zuspricht (Hebr 7,11-24). 7 Das Interesse des Hebr am Tanach ist deshalb gewichtiger als die Gewichtsverlagerung innerhalb des Tanach. 8 Die Forschung übersah dies lange aufgrund der Gesetzeskritik in Hebr 10,1. Doch ist die dortige Aussage schon textkritisch umstritten. Der wichtige p46 schreibt, das Gesetz enthalte Schatten und Bild; die abwertende Negation οὐκ (der zufolge das Gesetz das Bild »nicht« enthält) fehlt im Papyrus. Der Schatten lässt sich zudem vor dem Hintergrund der Septuaginta positiv (und nicht abwertend wie im platonischen Höhlengleichnis) verstehen; die Bundeslade ist nach Ex 38,8 LXX von den Cheruben beschattet. 9 Vor dem Hintergrund der Septuaginta gelesen, vertritt der Hebr also eine ungewöhnliche und eigenwillige Reflexion. Indes löst der Autor sich seinem Selbstverständnis nach nicht aus dem griechischsprachigen Judentum seiner Zeit, sondern entwickelt seine Theologie samt der Christologie als Liebhaber von Gesetz, Psalmen, Propheten und weiteren Schriften Israels. Er verwendet folgerichtig weder eine Sonderbezeichnung für das Christentum noch würdigt er irgendeine nichtjüdische Quelle des Zitats. Selbst wenn er das »parting of the ways« von Judentum und Christentum vorbereitet, gehört er noch in die Ära der überwiegenden Gemeinsamkeiten. 10

2. Die Vorlagen des Hebr und ihre Textformen Der Hebr benützt die LXX in Textfassungen, die in seiner Zeit zugänglich waren. 1. Vielfach entsprechen die Zitate dem kritisch rekonstruierten Ausgangstext der LXX-Überlieferung, ein wichtiges Indiz dafür, wie verbreitet diese Textform, das sog. Old Greek, im späten 1. Jh. noch war. In jüngster Zeit wächst angesichts dessen das Zutrauen, den Hebr auch an bislang umstrittenen Stellen als Zeugen des Old Greek 7. Allerdings ist der Psalmvers schon in Hebr 5,6 eingeführt. Der Autor des Hebr kennt und benützt also das argumentative Gewicht des Gesetzes, denkt aber in der Sache ebenso vom Psalm aus (in unserem Falle LXX Ps 109). 8. Die Gewichtsverlagerung, die sich im Christentum auch sonst findet, wirkt sich nicht auf die Textanordnung der großen altkirchlichen Codices aus; ‫א‬, A und B beginnen die Septuaginta mit dem Pentateuch und stellen die Psalmen an den Anfang der Ketubim. 9. Zur Diskussion vgl. die Kommentare zu Hebr 8,5 und 10,1, z. B. Karrer: Hebräer II, 110 f.186189. Der positive Klang von σκιάζειν (»beschatten«) ergibt sich nicht aus dem MT, sondern erst aus der Septuaginta (vgl. noch Num 9,18.22; Dtn 33,12). Wohl deshalb wurde er lange von der Forschung übersehen. 10. Sehr pointiert vertritt dies Docherty: The Use of the Old Testament, 1; vgl. auch Karrer: Textgeschichte passim. Ein problematischeres Bild ergibt sich, wenn man die Beanspruchung der Schriften Israels durch den Autor des Hebr als Vorbereitung für die israelkritische Zitation der LXX im Barn betrachtet; vgl. dazu die Erörterungen bei Backhaus: Der sprechende Gott, 164-170 u. ö.

545

gtvh 08105 / p. 546 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

zu benützen. Bes. wichtig ist dies bei den Psalmen, deren Überlieferung trotz ihrer Bedeutung relativ spät einsetzt. Denn Rahlfs war bei seiner Edition PBod 24 noch nicht bekannt, der diese Lücke ein wenig füllt. An zwei Stellen stimmen der Hebr und dieser Papyrus nun aber gegen Rahlfs’ kritische Ps-Edition überein: In Ps 39,7 LXX bieten sie σῶμα (»Leib«) statt der Lesart ὠτία (»Ohren«), die Rahlfs mit dem MT gegen alle Haupthandschriften der Septuaginta als Ausgangstext wählte (Hebr 10,5). 11 In Ps 103,4 LXX stützt PBod 24 wie Hebr 1,7 die Variante πυρὸς φλόγα (»Feuerflamme«) aus zahlreichen Handschriften des lukianischen Textes. 12 An ersterer Stelle verlangt inzwischen ein großer Teil der Forschung die Korrektur der kritischen Edition zu σῶμα (»Leib«). 13 An letzterer Stelle ist eine solche Korrektur zu erwägen; der Sachverhalt ist allerdings weniger eindeutig, da die Haupthandschriften die von Rahlfs gewählte Wendung πῦρ φλέγον (»flammendes Feuer«) stützen. 14 Die vom Hebr benützten Varianten sind in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen bieten sie eine gute zielsprachliche Übersetzung, in Ps 39,7 LXX ein rhetorisches »totum pro parte« (»Leib« statt »Ohren«) und in Ps 103,4 LXX eine schöne nominale Wendung. Der von Rahlfs bevorzugte Text bildet dagegen den hebräischen Text genau ab (MT Ps 40,7 ‫אָ ְז ַנ ִים‬, »Ohren«; Ps 104,4 die Partizipialkonstruktion ‫ֵאשׁ ל ֵֹהט‬, »brennendes Feuer«). Böte der Hebr das Old Greek, wüchsen mithin die Belege dafür, dass die Ausgangsübersetzung des Psalters zielsprachlich verfuhr; die Anpassungen an die hebräische Textoberfläche dagegen würden sich gut in die Revisionen zum Hebräischen einfügen, die im kaige-Umfeld ab dem 1. Jh. v. Chr. entstehen. Zum zweiten sind beide Varianten des Hebr im sog. lukianischen Text bewahrt geblieben; die Variante des Ps 103,4 sogar ausschließlich dort. Der lukianische Text des Psalters reicht somit in jedem Fall ins 1. Jh. zurück; 15 Rahlfs überschätzte den Umfang der von ihm angenommenen späten Rezension am Ende des 3. Jh. 16 2. Neben dem Old Greek und dem sog. lukianisch-antiochenischen Text, der derzeit neu untersucht wird, 17 begegnen aber auch andere Textformen. Besondere Aufmerksamkeit fanden Übereinstimmungen mit dem Schrifttext, den Philo benützte (vgl. etwa das Mischzitat aus Dtn 31,6.8, Gen 28,15 und Jos 1,5 in Hebr 13,5 mit Philo, conf. 166 und Prov 3,11 f. in Hebr 12,5b-6 mit Philo, congr. 177), sowie mit Schriften, die nachweislich in Rom bekannt waren: Hebr 10,30 benutzt wie Röm 12,19 eine dem späteren Symmachus nahe Textform von Dtn 32,35 f., und 1Clem 36 bietet eine zu Hebr Rahlfs: Psalmi, 143 hielt σῶμα (»Leib«) für einen Sekundäreinfluss des Hebr. Rahlfs: Psalmi, 258 vermutete auch hier einen Sekundäreinfluss des Hebr. Nachweise bei Walser: Quotations, 91-96. Vor allem Cadwallader: Correction, erwägt, auch hier den heutigen LXX-Haupttext zu korrigieren. 15. Hebr 1 bietet dafür noch ein weiteres Beispiel: ἑλίξεις (»du wirst aufrollen« Hebr 1,12) statt ἀλλάξεις (»du wirst austauschen«) in Ps 101,27 LXX; Nachweis für L in Rahlfs, Psalmi, 255 z. St. Auch das berühmte Zitat aus Ps 109,4 LXX korrespondiert übrigens zu der sog. lukianischen Überlieferung: Hebr 5,6 schreibt kurz σὺ ἱερεύς (»du Priester«) ohne εἶ (»bist«; diese Kopula kann griechisch fehlen); abweichend nur p46 und wenige Hss. 16. Rahlfs: Psalmi, 60. 17. Dem widmet sich ein Forschungsprojekt in Wuppertal, geleitet von Siegfried Kreuzer (New Testament Quotations); vgl. M. Sigismund (https://www.isbtf.de/, abgerufen am 23. 8. 2020). 11. 12. 13. 14.

546

gtvh 08105 / p. 547 / 31.3.2022

Hebräerbrief

1,5-14 verwandte Stellenkatene, 18 in ihr zudem Ps 103,4 LXX wieder mit πυρὸς φλόγα [»Flamme von Feuer«]. Sie veranlassten die Überlegung, der Hebr sei aufgrund der Nähe zu Philo in Alexandria geschrieben und vor allem in Rom rezipiert worden. 19 Ebenso plausibel ist allerdings eine Abfassung in Rom und die Überlegung, dass Philo, Röm, Hebr und 1Clem bezeugen, wie weit sich einzelne LXX-Varianten im Mittelmeerraum verbreiteten – wenn wir πυρὸς φλόγα (»Feuerflamme«) in 1Clem 36,3 nicht sogar als zusätzliches Indiz dafür werten wollen, diese Variante sei Old Greek. Das längste Zitat des Hebr, Jer 38,31-34 LXX bietet sowohl eine Vorbereitung für Symmachus (συντελέσω [»ich werde bestätigen«] Jer 38,31 LXX/Hebr 8,8) als auch stilistische Varianten, in der Textüberlieferung zudem eine sekundäre Anpassung ans Hebräische (Hebr 8,11 P etc. πλησίον [»Nächster«] statt πολίτης [»Bürger«]; vgl. zahlreiche Hss. von Jer 38,34 LXX). Somit liegt eine zeitgenössische Weiterentwicklung des Jer-Textes vor. Jünger als das Old Greek sind auch andere stilistische Fortschreibungen des Hebr 20 und einige Varianten des Pentateuchs, die mit der Textform des Codex Ambrosianus (LXX-Codex F) übereinstimmen. 21 Beachten wir dies, wird der Hebr an einigen Stellen zu einem wertvollen Zeugen des Old Greek, an anderen Stellen ebenso zu einem Zeugen für die lebendige Vielfalt der Septuaginta-Überlieferung, die im 1. Jh. von Juden und Christen wie von Philo und dem Hebr ohne Trennungslinien gemeinsam benützt wurde. 3. Gleichwohl wäre es falsch, den Autor des Hebr nur als Bewahrer der von ihm benützten Schrifttexte zu verstehen. Um der Einbettung in seinen eigenen Text willen passt er die Syntax der Zitate an. In Zitatwiederholungen liebt er die rhetorische Variation, weshalb Jer 38,33 f. LXX in Hebr 10,16 f. etwas anders klingt als in Hebr 8,10.12. Gelegentlich lässt der Autor zudem wohl aus inhaltlichen Gründen eine Zeile aus; das Fehlen der Zeile 7a im ansonsten wörtlich mit dem Old Greek übereinstimmenden Zitat von Ps 8,5-7 in Hebr 2,6b-8a ist kaum anders zu erklären, da dieses Fehlen der gesamten LXX-Überlieferung widerspricht. 22 Jedes der Zitate ist also einzeln zu prüfen.

3. Inhaltliche Akzente Die Schriftzitate bilden das inhaltliche Rückgrat des Hebr, sodass wenigstens einige Gesichtspunkte zur Interpretation genannt seien: 1. G. J. Steyn beobachtete, dass viele der Zitate schon vor ihrer Aufnahme in den Hebr in der jüdischen Literatur eine Rolle spielen, wie erwähnt bei Philo, gelegentlich 18. Vgl. Albl: »And Scripture Cannot be Broken« u. a. 19. Vgl. Steyn: Torah Quotations; vorsichtiger aber Steyn: Quest, 410. 20. So ὑποστρέφειν in Hebr 7,1 und zahlreichen LXX-Handschriften statt ἀναστρέφειν in Gen 14,17 Old Greek (beides ist deutsch mit »zurückkehren« zu übersetzen); dazu Gruber, The Lexical Constancy, passim. 21. Vgl. besonders ἢ τρισίν (»oder drei«) in Dtn 17,6 F und Hebr 10,28, ῥίζα πικρίας (»Wurzel von Bitterkeit«) in Dtn 29,(17)18 F sowie A und Hebr 12,15, φύουσα ἐνοχλῇ (»wachsend beschwerlich falle«) Dtn 29,17 (18) F, A sowie B und Hebr 12,15, πάντες ἄγγελοι θεοῦ (»alle Engel Gottes«) in Dtn 32,43 Z. 2 F sowie anderen Zeugen und Hebr 1,6; vgl. de Vries: Ambrosianus. 22. Steyn: Quest, 132-135.

547

gtvh 08105 / p. 548 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

aber auch in Qumran (MidrEschat), zudem im frühen Christentum ab Paulus. Es bildete sich demnach um die Zeitenwende eine Vorliebe für bestimmte Schlüsseltexte wie Ps 2 und 2Sam 7,14/1Chr 17,13 23 aus, die nicht an die griechische Sprache gebunden war. Bekannte Zitate bevorzugt der Autor des Hebr daraufhin am Anfang von Textreihen und gibt sie knapp wieder (z. B. Ps 2,7 und 2Sam 7,14/1Chr 17,13 LXX in Hebr 1,5). Weniger bekannte Texte dagegen präsentiert er umfangreich, sodass Leserinnen und Leser den Gang des Textes nachvollziehen können. Die bes. umfangreichen Zitate von Ps 39 LXX (Hebr 10), 94 LXX (Hebr 3) und 101 LXX (Hebr 1,10-12) sowie Jer 38 LXX (Hebr 8) sind somit nicht nur ein Indiz für die Bedeutung dieser Texte, sondern auch für die kommunikative Rücksichtnahme des Hebr-Autors. 24 2. Auch wenn die Vorliebe für manche Zitate den hebräischen und griechischen Sprachraum übergreift, sind für den Hebr die Eigenheiten des griechischen Textes maßgeblich. Manchmal klären diese eine Vieldeutigkeit der hebräischen Vorlage. So ließe sich der hebräische Ps 110,4 auch mit »You are a priest forever. For my sake my king is loyal« übersetzen, wenn der Versschluss unvokalisiert in zwei Worte getrennt wird: ‫( מלכי צדק‬in etwa »mein König [ist] gerecht«). 25 Erst die LXX entscheidet, es gehe hier um den Namen Melchisedek, und deutet, ‫ על־דברתי‬meine »nach der Ordnung«. Ohne die LXX könnte der Hebr die Pointe seiner Christologie – Christus löse durch sein Hohepriestertum nach der Ordnung Melchisedeks das Priestertum Aaron-Levis ab – nicht entfalten. 26 Ein zweites Beispiel bietet Ps 44,7 LXX in Hebr 1,8. Der hebräische Psalm (45,7) ließe sich gegebenenfalls übersetzen: »dein [des Königs] Thron (ist) Gott bis in Ewigkeit« Die Septuaginta aber bezieht die Anrede »Gott« nach dem Text der kritischen Ausgabe auf den König: »Dein Thron, ›Gott‹, ist bis in Ewigkeit«. Der Thron des angeredeten Königs wird zum Thron Gottes. An diese Interpunktion schließt sich die christologische Adaption des Hebr an: Christus wird von Gott als »Gott« angeredet. Manchmal erweiterte die Septuaginta den Text in für den Hebr grundlegender Weise. So enthält nur LXX Ps 101,26, nicht die hebräische Parallele (Ps 102,26 MT), die Anrede (»Herr«) an Gott (κύριε), die Hebr 1,10 als Anrede Gottes an Christus versteht. Nur über die LXX kann der Hebr daher die Verleihung des Prädikats »Herr« (κύριος, eigentlich des Gottesnamens) an den Sohn formulieren. Dieser Sachverhalt besitzt übrigens noch eine Nebenpointe. Denn so sehr der Hebr Ps 109 LXX liebt, zitiert er die Zeile »es sprach der Herr zu meinem Herrn« aus dessen Vers 1 (Ps 110,1 MT) nicht. Dies bedeutet, dass LXX Ps 101,26 nach Ansicht unseres Autors prägnanter als der sonst im ntl. Christentum bevorzugte Ps 109,1 LXX (Mk 12,36 etc.) die Auszeichnung Jesu mit dem Prädikat »Herr« begründet. Trotzdem setzte sich der Hebr nicht breit durch; LXX Ps 101,26 beheimatete sich anders als LXX 23. Vgl. z. B. 2Sam 7,10-14 in MidrEschat I 1-7, Ps 2,1-2 in MidrEschat I 18 f. 24. Steyn: Quest, zusammenfassend 410 f. Nach seiner Untersuchung sind die genannten Texte vor dem Hebr noch nicht in Zitationen belegt, Jer 31 (38 LXX) aber immerhin in wichtigen Anspielungen (CD VI 19; VIII 21; XX 12 und 1Kor 11,25; 2Kor 3,1-6). 25. Granerød: Abraham and Melchizedek, 213. 26. Aus der umfangreichen Diskussion seien noch Compton: Psalm 110 und Fitzmyer: Melchizedek genannt; zu Hebr 7 vgl. z. B. Gruber: Heb. 7:1-3.

548

gtvh 08105 / p. 549 / 31.3.2022

Hebräerbrief

Ps 109,1 nicht in der christologischen Argumentation der Kirche. Die Differenz zum hebräischen Psalmtext, der die Beweisführung des Hebr nicht erlauben würde, behinderte offenkundig die Wirkung des Hebr. Manchmal erlauben die Eigenheiten des griechischen Textes auch ohne Texteingriff eine für den Hebr wesentliche Pointe. So übersetzt die LXX in Ps 94,7/95,7 MT korrekt ‫ ַהיּוֹם‬mit σήμερον, »heute«, und in Vers 11 ‫ ְמנוָּחה‬mit κατάπαυσις, »Ruhe«. Doch die Interpretation der Ruhe dieses Psalms auf die Ruhe Gottes nach Gen 2,2 ist erst im Griechischen möglich, da nur LXX in Gen 2,2 das Verb καταπαύω (»ruhen«) setzt (Hebr 4,3 f.). 27 Diese Beispiele bestätigen: Das große Anliegen des Hebr, seine Leserinnen und Leser »jetzt« zum Aufbruch in die »Ruhe« Gottes zu bewegen, zu der Christus, der Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks, ihnen den Zugang eröffnet, fußt maßgeblich auf der LXX. 28 3. Die frühere Forschung interpretierte das beschriebene Gefälle als Kontrast zu Israel mit Gipfel in einer Theologie des neuen Bundes nach Hebr 8. Die Erkenntnis, dass der Hebr sich vor dem »parting of the ways« ansiedelt, zwingt daher auch zu einer Prüfung des Jer-Zitats in diesem Kap. Wieder hilft die LXX. Sie nämlich sieht nach der gewichtigen Auslegung durch A. Schenker einen tiefen Bruch in der Bundesgeschichte: Nach Jer 38,32 LXX verließen die Väter den Bund und vernachlässigte Gott diesen. Die Sicht des Hebr, nach der Gottes erster Bund alt wird, knüpft daran an. Der Hebr entwirft sein Bild der Bundesgeschichte also angelehnt an Israels Schrift, nicht als Kritik an Israel von außen. Allerdings bewahrt ihn dies nicht vor der Gefahr, israelkritisch missbraucht zu werden. Deshalb entbrannte um diese Stelle eine heftige Diskussion, die manchmal die Relevanz der Septuaginta überhaupt in Frage stellt. 29 4. Das wirft eine letzte Frage auf: Sind die für den Hebr wichtigen Besonderheiten der LXX nicht doch schon in der hebräischen Schriftüberlieferung vorbereitet, sei es durch eine mögliche Deutungsvielfalt beim unvokalisierten Text (z. B. Ps 45,7; 110,4), sei es durch Varianten, die uns verloren gingen (im Fall von Ps 102,26 eine hebräische Erweiterung, bei ἀμελέω, »sich nicht kümmern um«, Jer 38[31],32 eine abweichende Vorlage)? Aufgrund des Variantenreichtums der biblischen Handschriften vom Toten Meer ist diese Möglichkeit offen zu halten, auch wenn der Nachweis für die genannten Beispiele bislang nicht möglich ist. Jüngst etabliert sich eine Forschungsrichtung, die sogar literarische Spuren unterschiedlicher Interpretationen sucht, die sich aus den Varianten ergäben, mithin einen alten Zusammenhang von Text- und Interpretationsgeschichte. 30 Angesichts der wenigen auslegungsgeschichtlichen Quellen aus vorntl. Zeit hat dieser Versuch Grenzen. Trotzdem ist er reizvoll, allemal, wenn ein Text sehr

27. Ansonsten gibt es einige Besonderheiten in der Ps-Rezeption von Hebr 3: s. Kraus: Hebrews 3:7-4:11 as a Midrash; Karrer: Väter; Frevel: How to Understand; Steyn: Reception. 28. Für weitere Aspekte s. die in der Bibliographie angegebene Literatur (z. B. zur Paideia Kraus: Hebr 12,5 f.). 29. S. in der Diskussion einerseits Schenker: Bund, andererseits Stipp: Bund und Crüsemann: Das Alte Testament als Wahrheitsraum des Neuen, 171-179. Vgl. auch Fuhrmann: Vergeben und Vergessen, 150-158. 30. Docherty: Case Study, passim; dies., Text Form, passim.

549

gtvh 08105 / p. 550 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

unterschiedliche Interpretationen erlaubt wie Gen 47,31; das dortige ‫מטה‬, zu ‫ ִמָטּה‬vokalisiert, ergibt »Bett« (MT und meiste jüdische Rezeptionen), als ‫ ַמֶטּה‬dagegen »Stab« (LXX; Hebr 11,21 und vielleicht einige Spuren in rabbinischer Zeit). 31 Die Forschung zum Hebr verspricht noch manche Entdeckungen.

31. Walser: Quotations, 146-148.157-163.

550

gtvh 08105 / p. 551 / 31.3.2022

3.2.5 Catholic Epistles Steve Moyise Literature Achtemeier, Paul J.: 1 Peter: A Commentary on First Peter, Hermeneia, Minneapolis 1996 – Albl, Martin C.: ‘And Scripture Cannot be Broken’ : The Form and Function of the Early Christian Testimonia Collections, NovTSup, 96. Leiden: Brill 1999 – Jobes, Karen H.: 1 Peter, BECNT, Grand Rapids 2005.

There are around 16-17 quotations of the LXX in the Catholic epistles. The longest is Ps 33:12-16 in 1 Pet 3:10-12, where the second person imperatives (παῦσον, ἔκκλινον, ποίησον [“cease, turn away, do”]) have been changed to the third person, though it is not entirely clear why (the quotation is preceded by “you were called”). Next in length comes Isa 40:6-8 in 1 Pet 1:24-25, which confirms that the ‘breath of the Lord’ clause found in v. 7 of the MT was absent from the LXX. However, 1 Peter does not follow the LXX’s δόξα ἀνθρώπου (“glory of man”), preferring a simple pronoun (δόξα αὐτῆς [“her glory”]; cf. MT ‫)חסדו‬. The quotation of Isa 53:9 (ἀνομίαν οὐκ ἐποίησεν οὐδὲ εὑρέθη δόλος ἐν τῷ στόματι αὐτοῦ [“he committed no lawlessness, nor was deceit found in his mouth”]) in 1 Pet 2:22 is interesting in that it is part of a general appropriation of Isa 53:4-12 in 1 Pet 2:22-25. Thus when Jesus was abused, he did not return abuse (1 Pet 2:23; Isa 53:7a); he bore our sins (1 Pet 2:24a; Isa 53:4, 12); and by his wounds (μώλωπι) we are healed (1 Pet 2:24b; Isa 53:5). This is the only occurrence of μώλωψ in the NT. Perhaps of most interest is the collection of “stone” passages found in 1 Pet 2:6-8. In Isa 28:16, the Hebrew ends with the rather abrupt promise that the one who trusts (‫)המאמין‬ will not panic/make haste (‫)יחיש‬. The major LXX witnesses add ἐπ᾽ αὐτῷ, perhaps as a simple reference back to the stone (λίθος) but possibly with messianic connotations (“in him”). The text is quoted in 1 Pet 2:6, where the context makes it clear that the ἐπ᾽ αὐτῷ refers to Jesus, “a living stone, though rejected by mortals yet chosen and precious in God’s sight” (1 Pet 2:4). It is also of interest that Isa 8:14 (“He will become a sanctuary, a stone one strikes against”) has gained the phrase, “And if you trust in him” (καὶ ἐὰν ἐπ᾽ αὐτῷ πεποιθὼς ᾖς), which shows that the two texts were linked before New Testament times. The LXX also introduces a contrast, so that the one who trusts in him will not come against him as a stumbling stone (καὶ οὐχ ὡς λίθου προσκόμματι). This helps the author of 1 Peter make the contrast he wishes to make: “To you then who believe, he is precious; but for those who do not believe …” (1 Pet 2:7). The fact that both Rom 9:33 and 1 Pet 2:6, 8 use τίθημι instead of ἐμβάλλω (Isa 28:16) and πρόσκομμα instead of πτῶμα (Isa 8:14) suggests some sort of “testimony” source rather than the use of an actual Isaiah scroll (Albl 1999). Prov 3:34 (κύριος ὑπερηφάνοις ἀντιτάσσεται ταπεινοῖς δὲ δίδωσιν χάριν [“The Lord opposes the proud but he gives grace to the humble”]) is quoted in both 551

gtvh 08105 / p. 552 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

Jas 4:6 and 1 Pet 5:5. The MT uses a wordplay (“Toward the scorners he is scornful”) but the LXX uses ὑπερήφανος (“proud, arrogant”) and ἀντιτάσσω (“oppose”). Both are followed by James and 1 Peter, though they use θεός rather than κύριος. It is unclear if Prov 11:31 (“If the righteous are repaid on earth, how much more the wicked and the sinner”) is referring to judgement in both cases or intends a contrast. The LXX introduces the word μόλις (possibly as a misreading of ‫ )בארץ‬in the first phrase (“If the righteous are scarcely saved”) and φαίνω in the second (“where shall the ungodly and sinner appear?”). Both differences occur in the quotation of 1 Pet 4:17 to support the statement: “For the time has come for judgment to begin with the household of God; if it begins with us, what will be the end for those who do not obey the gospel of God?”

552

gtvh 08105 / p. 553 / 31.3.2022

3.2.6 Johannesapokalypse Martin Karrer Literatur Alkier, Stefan / Paulsen, Thomas (ed.), Der Seher und seine Septuaginta. Studien zur Intertextualität der Johannesapokalypse, Leipzig 2020 – Beale, Gregory K.: John’s Use of the Old Testament in Revelation, JSNT.S 166, Sheffield 1998 – Beale, Gregory K. / McDonough, Sean M.: Revelation, in: Gregory K. Beale / Donald A. Carson (ed.), Commentary on the New Testament Use of the Old Testament, Grand Rapids 2007, 1081-1161 – Charles, Robert H.: A critical and exegetical commentary on the Revelation of St. John, Bd. 1, Edinburgh 1920 – Charles, Robert H.: Studies in the Apocalypse. Being Lectures delivered before the University of London, Edinburgh 1913, ND Eugene 1997 – Cimosa, Mario: L’autore dell’Apocalisse ha usato la Bibbia greca?, in: E. Bosetti / A. Colacrai (ed.), Apokalypsis. Percorsi nell’Apocalisse in onore di Ugo Vanni, Commenti e studi biblici. Sezione Studi Biblici, Assisi 2005, 63-92 – Hernández, Juan: Recensional Activity and the Transmission of the Septuagint in John’s Apocalypse. Codex Sinaiticus and other Witnesses, in: Michael Labahn / Martin Karrer (ed.), Die Johannesoffenbarung. Ihr Text und ihre Auslegung, ABG 38, Leipzig 2012, 83-98 – Karrer, Martin: Zur Rezeption des Jesajabuches in der Johannesoffenbarung, in: Florian Wilk / Peter Gemeinhardt (ed.), Überlieferung und Auslegung des Jesajabuches in intra- und interreligiösen Spannungsfeldern / Transmission and Interpretation of the Book of Isaiah in the Context of Intra- and Interreligious Debates, BEThL 280, Leuven u. a. 2016, 331-358 – Karrer, Martin: Reception and Rewriting: Beobachtungen zu Schriftreferenzen und Textgeschichte der Apokalypse, in: Jesper Høgenhaven / Jesper Tang Nielsen / Heike Omerzu (ed.), Rewriting and Reception in and of the Bible (FS Mogens Müller), WUNT 396, Tübingen 2018, 207-234 – Labahn, Michael / Karrer, Martin (ed.): Die Johannesoffenbarung. Ihr Text und ihre Auslegung, ABG 38, Leipzig 2012 – Kreuzer, Siegfried, Ursprüngliche Septuaginta (Old Greek) und hebraisierende Bearbeitung: Die Entwicklung der Septuaginta in ihrer Bedeutung für die Zitate und Anspielungen im Neuen Testament, untersucht anhand der Zitate aus dem Dodekapropheton, in: Julian Elschenbroich / Johannes de Vries (Hg.), Worte der Weissagung. Studien zu Septuaginta und Johannesoffenbarung, ABG 47, Leipzig 2014, 17-55, hier 49-52. – Labahn, Michael: Die Septuaginta und die Johannesapokalypse. Möglichkeiten und Grenzen einer Verhältnisbestimmung im Spiegel von kreativer Intertextualität und Textentwicklungen, in: Jörg Frey u. a. (ed.), Die Johannesapokalypse. Kontexte – Konzepte – Rezeption, WUNT 287, Tübingen 2012, 149-190 – Lohmeyer, Ernst: Die Offenbarung des Johannes. Erklärt, HNT 16, Tübingen 21953 – Menéndez-Antuña, Luis: Thinking Sex with the Great Whore: Deviant Sexualities and Empire in the Book of Revelation, London / New York 2018 – Moyise, Steve: The Old Testament in the Book of Revelation, JSNT.S 115, Sheffield 1995 – Moyise, Steve: The Language of the Old Testament in the Apocalypse, JSNT 76 (1999), 97-113 – Moyise, Steve: The Psalms in the Book of Revelation, in: Steve Moyise / Maarten J. J. Menken (ed.), The Psalms in the New Testament, The New Testament and the Scriptures of Israel, London u. a. 2004, 231246 – Moyise, Steve: The Later New Testament Writings and scripture. The Old Testament in Acts, Hebrews, the Catholic Epistles and Revelation, Grand Rapids 2012, 111-144 – Schmidt, Daryl D.: Semitisms and Septuagintalisms in the Book of Revelation, NTS 37, 1991, 592-603. – Sommer, Michael: Der Tag der Plagen. Studien zur der Rezeption von Ex 7-11 in den Posaunenund Schalenvisionen der Johannesoffenbarung und der Tag des Herrn Tradition, WUNT II 387, Tübingen 2015 – Swete, Henry B.: Commentary on Revelation, Grand Rapids 1977 (= 31911) –

553

gtvh 08105 / p. 554 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

Tilly, Michael: Textsicherung und Prophetie. Beobachtungen zur Septuaginta-Rezeption in Apk 22,18f, in: Friedrich Wilhelm Horn / Michael Wolter (ed.), Studien zur Johannesoffenbarung (FS Otto Böcher), Neukirchen-Vluyn 2005, 232-247 – de Vries, Johannes: Ps 86MT/Ps 85LXX in Offb 15,4bβ. Anmerkungen zum Text von Psalter und Johannesoffenbarung, in: Martin Karrer u. a. (ed.), Von der Septuaginta zum Neuen Testament. Textgeschichtliche Erörterungen, ANTF 43, Berlin/New York 2010, 417-422 – de Vries, Johannes/ Karrer, Martin (ed.): Textual History and the Reception of Scripture in Early Christianity. Textgeschichte und Schriftrezeption im frühen Christentum, SBL.SCS 60, Atlanta 2013 – Witetschek, Stephan: Der Lieblingspsalm des Sehers. Die Verwendung von Ps 2 in der Johannesapokalypse, in: Michael A. Knibb (ed.), The Septuagint and Messianism, BEThL 195, Leuven 2006, 487-502.

Die Apk spielt in größerem Umfang als alle anderen ntl. Bücher auf Israels Schriften an. Sie bietet aber kein einziges durch eine Einleitungsformel markiertes Zitat. Zudem aktualisiert und variiert sie die Sprache der Anspielungen. Daher war die Forschung lange uneins, ob sie vor allem die hebr. Texte oder griech. Schriftformen benützte. Ersteres vertrat am wirksamsten R. H. Charles, 1 letzteres weichenstellend der bedeutende LXX- und Apk-Forscher H. B. Swete. 2 Gelegentliche Lehnworte aus dem Hebräischen stützten erstere Position (Apk 19,1.3.4.6 führt das »Halleluja« der Psalmen neu ins frühchristliche Griechisch ein). Doch stimmten die Übertragungen der Apk wiederholt so auffällig mit der LXX überein (z. B. das Trishagion 4,8 mit Jes 6,3 LXX 3), dass auch Charles konzedieren musste, der Seher habe sich bei seinen Übersetzungen aus dem Hebr. von umlaufenden griech. Versionen beeinflussen lassen. 4 Lohmeyer begründete eine Art mittlerer Linie; nach ihm zog der Seher oft griechische Textfassungen bei, die sich neben dem alten Septuagintatext verbreiteten, und übersetzte noch öfter selbst eine hebräische Textvorlage. 5 Als durch die Forschungen zu »kaige« (einer Überarbeitung der LXX auf den hebräischen Text hin ab dem 1. Jh. v. Chr.) bekannt wurde, dass auch Hebraismen in die Revision der LXX gehören, reduzierte sich die Notwendigkeit der Eigenübersetzung aus einer hebräischen Vorlage; denn Abweichungen vom Old Greek der Septuaginta erklären sich nun ebenso gut durch die innere Entwicklung des LXX-Textes. Daher neigt sich die Waage in den letzten Jahrzehnten zur Priorität griech. Vorlagen. 6 Unumstritten ist, dass der Autor bei seinen Leser*innen keine Hebräischkenntnisse voraussetzt, da er nicht nur das Halleluja (αἰνεῖτε τῷ θεῷ [»lobt Gott«] Apk 19,5), sondern auch das noch bekanntere Amen übersetzt (ναί [»ja«] Apk 1,7). Allerdings lässt sich nach wie vor ebenso vertreten, der Apk-Autor sei mit den Schriften Israels auf Hebräisch und Griechisch vertraut. 7 Im Griechischen ist die Viel1. 2. 3. 4. 5. 6.

7.

Charles: Studies, 88. Swete: Revelation, clv. Die jüd. Rezeptionsliteratur kennt ebensowenig wie die Überlieferung der Apk eine sprachliche Variante zu ἅγιος, »heilig« (z. B. ὅσιος). Charles: Revelation, lxvi. Lohmeyer: Offenbarung 195. So Beobachtungen eines Wuppertaler Forschungsprojektes 2007-2012 (vgl. de Vries / Karrer: Textual History, 21-24); Moyise: Psalms, 245; Tilly: Textsicherung, 232 f.; Witetschek: Lieblingspsalm, 502; Alkier / Paulsen: Seher u. a. G. K. Beale/S. M. McDonough: Revelation, 1083.

554

gtvh 08105 / p. 555 / 31.3.2022

Johannesapokalypse

falt der Überlieferung zu beachten; zu alten Textfassungen (Old Greek) kommen jüngere Nebenformen und Fortschreibungen der LXX bis hin zu den sog. neuen Übersetzungen (Theodotion, Aquila, Symmachus) hinzu. 8 Daher darf die Rezeption der Septuaginta (Old Greek) in der theologischen Interpretation der Apk nicht einseitig herausgestellt werden. Der Autor ist überzeugt, dass die griechische Fassung der Schriften, die er benützt, die Aussage des Prätextes grundsätzlich spiegelt, heute würden wir sagen, eine Kontinuität von hebräischer bzw. aramäischer und griechischer Pointe herstellt. Die Interpretation der Apk bleibt also auch bei Priorisierung der Septuaginta-Bezüge komplex. 9 Umgekehrt erhält die Apk durch ihre Besonderheit erhebliche Bedeutung für die LXX-Forschung dort, wo Spannungen in der alttestamentlichen Überlieferung vorliegen. Nennen wir dafür drei Beispiele: – Das Dan-Buch verbreitete sich in der LXX-Fassung weniger als in der dem hebr.aram. Text näheren ϑ’-Fassung. Die Apk aber verrät Berührungen mit beidem; Apk 1,7 erinnert an Dan 7,13 ϑ’ (Präposition μετά, »mit«), die Identifizierung des Menschensohnähnlichen mit der alten Gestalt von Dan 7 in Apk 1,14 an LXX (s. z. B. ἔριον λευκόν [»weiße Wolle«] Dan 7,9 LXX). – Das Ez-Buch lief griech. nicht nur in der heute vertrauten Abfolge der Kap. 37-39 um, die die Auferstehung Israels vor Gog und Magog berichtete (B- und A-Text; entsprechend Proto-MT), sondern auch in einer Umstellung der Kap. (Auferstehung nach Gog/Magog; p967), und die Apk scheint beides zu kennen: Das Schreckensmahl nach Ez 39 in 19,17 f.21 steht vor den Auferstehungsansagen in Apk 20,4; Gog/Magog aber begegnen nochmals danach in 20,8 f. – Ps 86,9 schließlich wird in LXX wörtlich übertragen (MT ‫ָכּל־גּוֹ ִים ֲאֶשׁר ָעִשׂיָת ָיבוֹאוּ‬ ‫ ְו ִיְשַׁתֲּחווּ ְלָפ ֶניָך‬entspricht LXX πάντα τὰ ἔθνη ὅσα ἐποίησας ἥξουσιν καὶ προσκυνήσουσιν ἐνώπιόν σου; »alle Völker, die du gemacht hast, werden kommen und vor dir verehrend niederfallen«), doch die Forschung erwägt seit langem, ‫»( ֲאשר ָעִשׂיָת‬die du gemacht hast«) könne ein relativ junger Zusatz sein. 10 Apk 15,4 nun bietet den Text ohne die umstrittene Wendung (πάντα τὰ ἔθνη ἥξουσιν καὶ προσκυνήσουσιν ἐνώπιόν σου, »alle Völker werden kommen und vor dir verehrend niederfallen«); womöglich benützte der Autor eine in seiner Zeit noch vorhandene kürzere Fassung. 11 Die Beispiele ließen sich vermehren. 12 Freilich enthält die Auswertung aufgrund der Freiheiten der Apk in ihrer Schriftrezeption stets ein spekulatives Moment. 13 8. Vgl. z. B. Offb 1,7 mit Sach 12,10 ff. ϑ und α; Offb 11,11 mit Ez 37,10 A-Text (πνεῦμα ζωῆς, »Geist des Lebens« etc.); Offb 21,3 mit Jer 7,23 α; ὁδηγήσει αὐτούς (»er wird sie führen«) Offb 7,17b mit Jes 49,10 ϑ; Offb 7,17c mit Jes 25,8 σ. 9. Das berücksichtigen neuere Untersuchungen wie Sommer: Plagen. 10. Seit Gunkel, Hermann: Die Psalmen, HK II/2, Göttingen 41926, 376 f. 11. Vgl. de Vries: Ps 86MT, 417-422. 12. Hernández vermutet, Apk 15,3 könne der älteste Zeuge für die griech. Überlieferung von Jer 10,7 sein, denn die Stelle fehlt in LXX-Jer noch, ist aber in ϑ ähnlich zu Apk 15,3 belegt (Hernández: Recensional Activity, 95-97). 13. Z. B. könnte ᾠδὴ Μωϋσέως (»Lied des Mose«) in Apk 15,3 wegen der Reminiszenz an Dtn 32,44 (ἔγραψεν Μωυσῆς τὴν ᾠδὴν ταύτην, »es schrieb Mose dieses Lied«) das Moselied von Dtn 32 oder wegen derjenigen an Ex 15,1 (ᾖσεν Μωυσῆς […] τὴν ᾠδὴν ταύτην, »es sang

555

gtvh 08105 / p. 556 / 31.3.2022

Die Septuaginta im Neuen Testament

Die Möglichkeit, hebräische und griechische Vorlage zu korrelieren, hilft, die große Wirkung der Apk zu verstehen. Die Apk beförderte die Rezeption von griechischen Fassungen der Schriften Israels erheblich; bedeutende Beispiele bilden das Trishagion (Apk 4,8), das in der christlichen Liturgie den hebräischen Textklang von Jes 6,3 ersetzen wird, und das theologische Prädikat des Pantokrators, das sie bes. dem Dodekapropheton entnimmt (Apk 1,8 usw.; jenseits der Apk im NT nur in 2Kor 6,18). Interessanterweise wurde diese Wirkung begleitet von Sekundäreinflüssen der Schriften Israels auf die Überlieferung der Apk. 14

Mose […] dieses Lied«) das Moselied in Ex 15 meinen; vgl. auch die Überschriften in Od 1 und 2. Das Lied des Mose und das Lied des Lammes in Apk 15,3 wären dann entsprechend dem zweimaligen Wort ᾠδή (»Lied«) zwei Lieder, doch nur das Lied des Lammes ist in 15,3 f. wörtlich wiedergegeben. Viele Ausleger denken dennoch an ein neues, gemeinsames Lied des Mose und des Lammes. 14. Diese Sekundäreinflüsse begannen früh: s. die Einfügung von τέταρτον in Apk 11,7 A (»viertes« Tier gemäß Dan 7,7).

556

gtvh 08105 / p. 557 / 31.3.2022

3.3 Die Septuaginta in den neutestamentlichen Apokryphen, in den Kirchenordnungen sowie bei den Apostolischen Vätern und Apologeten 3.3.1 Christian Apocryphal literature (including Gnostic literature) Rémi Gounelle 1 Literature Texts and Editions Bovon, François / Geoltrain, Pierre (ed.): Ecrits apocryphes chrétiens, I, Bibliothèque de La Pléiade, Paris 1997 – Geoltrain, Pierre / Kaestli, Jean-Daniel (ed.): Ecrits apocryphes chrétiens, II, Bibliothèque de La Pléiade, Paris 2005 – Junod, Éric / Kaestli, Jean-Daniel: Acta Iohannis, II: Textus alii, Commentarius, Indices, CC.SA, 2, Turnhout 1983 – Lipsius, Richard Adelbert / Bonnet, Max: Acta Apostolorum Apocrypha, 3 Vol., Leipzig 1891-1903 – Painchaud, Louis: L’Ecrit sans Titre. Traité sur l’origine du monde (NH XII, 5 et XIII, 2 et Brit. Lib. Or. 4926 [1]), BCNH, Textes section, 21, Québec / Louvain 1995 – Prieur, Jean-Marc: Acta Andreae, CC.SA, 6, II, Turnhout 1989 – Schenke, Hans-Martin / Bethge, Hans-Gebhard / Kaiser, Ursula Ulrike: Nag Hammadi Deutsch, I-II, GCS NF 8, 12, Berlin / New York, 2001-2003 – Sevrin, Jean-Marie: L’exégèse de l’âme (NH II, 6), BCNH, Textes section, 9, Québec 1983 – De Strycker, Emile: La forme la plus ancienne du Protévangile de Jacques. Recherches sur le Papyrus Bodmer 5 avec une édition critique du texte grec et une traduction annotée, SubsHag, 33, Bruxelles 1967.

Secondary Literature Aragione, Gabriella: Le bon larron et le vol de la Loi dans la Déclaration de Joseph d’Arimathée, in: Rémi Gounelle / Benoît Mounier (ed.), La littérature apocryphe chrétienne et les Ecritures juives (Publications de l’Institut Romand des Sciences Bibliques, 8), Prahins (CH), 2013, 229-245 – Barc, Bernard: Seth et sa race dans la Bible et dans le Livre des secrets de Jean, in: Jean-Pierre Mahé / Paul-Hubert Poirier / Magdalena Scopello (ed.), Les textes de Nag Hammadi. Histoire des religions et approche contemporaine. Actes du colloque international réuni les 11 et 12 décembre 2008 à la fondation Simone et Cino del Duca et à l’Académie des Inscriptions et Belles Lettres (Palais de l’Institut de France), Paris 2010, 155-176 – Bauckham, Richard: A Quotation from 4Q Second Ezekiel in the Apocalypse of Peter, Revue de Qumran 59 (1992), 437-446, repr. in Id.: The Fate of the Dead. Studies on the Jewish and Christian Apocalypses (Supplements to Novum Testamentum, 93), Leiden / Boston / New York 1998, 259-268 – DiTommaso, Lorenzo: The Book of Daniel and the Apocryphal Daniel Literature (Studia in Veteris Testamenti Pseudepigrapha, 20), Leiden / Boston 2005 – Dorival, Gilles / Munnich, Olivier: Κατὰ τοὺς Ο’. Selon les Septante. Trentes études sur la Bible grecque des Septante. En hommage à Marguerite Harl, Paris 1995, 441-461 – Dunn, Peter: L’Ancien Testament dans les 1.

Transl. E. Shuali.

557

gtvh 08105 / p. 558 / 31.3.2022

Apokryphen, Kirchenordnungen, Apostolische Väter, Apologeten

Actes de Paul, in: Rémi Gounelle / Benoît Mounier (ed.): La littérature apocryphe chrétienne et les Ecritures juives, 303-311 – Evans, Craig A. / Webb, Robert L. / Wiebe, Richard A.: Nag Hammadi and the Bible. A Synopsis and Index, Leiden 1993 – Filoramo, Giovanni / Gianotto, Claudio: L’interpretazione gnostica dell’Antico Testamento: Posizioni ermeneutiche e techniche esegetiche, Augustinianum 22 (1982), 53-74 – Gilhus, Ingvild Sælid: The Nature of the Archons. A Study in the Soteriology of a Gnostic Treatise from Nag Hammadi (CGC II, 4) (Studies in Oriental Religions, 12), Wiesbaden 1985 – Giversen, Søren: The apocryphon of John and Genesis, Studia Theologica 16 (1962), 60-76 – Gounelle, Rémi / Mounier, Benoît(ed.): La littérature apocryphe chrétienne et les Ecritures juives (Publications de l’Institut Romand des Sciences Bibliques, 8), Prahins (CH), 2013 – Gounelle, Rémi: Un nouvel évangile judéo-chrétien ? les Actes de Pilate, in: Jens Schröter (ed.), The Apocryphal Gospels within the Context of Early Christian Theology (BEThL 260), Leuven u. a. 2013, 357-401 – Guillaumont, Antoine: Une citation de l’apocryphe d’Ezéchiel dans l’Exégèse au sujet de l’âme (Nag Hammadi, II, 6), in: Martin Krause (ed.), Essays on the Nag Hammadi Texts. In Honour of Pahor Labib (NHS 6), Leiden 1975, 35-39 – Himbaza, Innocent: L’utilisation des traditions juives dans les Vies des prophètes, in: Rémi Gounelle / Benoît Mounier (ed.), La littérature apocryphe chrétienne et les Ecritures juives, 45-61 – Joosten, Jan: Le texte biblique cité dans les Actes de Pilate, in: Rémi Gounelle / Benoît Mounier (ed.), La littérature apocryphe chrétienne et les Ecritures juives 2013, 181-192 – Kaestli, Jean-Daniel / Cherix, Pierre: L’évangile selon Barthélemy d’après deux textes apocryphes (Apocryphes), Turnhout 1993 – Kaestli, Jean-Daniel: Le mythe de la chute de Satan et la question du milieu d’origine de la Vie d’Adam et Eve, in: David H. Warren / Ann Graham Brock / David W. Pao (ed.), Early Christian Voices. In Texts, Traditions, and Symbols. Essays in Honor of François Bovon (BI.S 66), Boston / Leiden 2003, 342-354 – Kaestli, Jean-Daniel: Se nourrir après l’expulsion du paradis. De la Bible hébraïque à la Vie d’Adam et Eve, in: Rémi Gounelle / Benoît Mounier (ed.), La littérature apocryphe chrétienne et les Ecritures juives, 27-43 – Karasszon, Istvan: Old Testament Quotations in the Acts of Andrew and John, in: Jan N. Bremmer (ed.), The Apocryphal Acts of John (Studies on the Apocryphal Acts of the Apostles, 1), Kampen 1995, 57-71 – Kasser, Rudolphe: Citations des grands prophètes bibliques dans les textes gnostiques coptes, in: Martin Krause (ed.), Essays on the Nag Hammadi Texts. In Honour of Pahor Labib (NHS 6), Leiden 1975, 56-64 – Lalleman, Peter J.: The Acts of John. A Two-Stage Initiation into Johannine Gnosticism (Studies on the Apocryphal Acts of the Apostles, 4), Leuven 1998 – Le Boulluec, Alain: Les citations de la Septante dans l’homélie XVI pseudo-clémentine. Une critique implicite de la typologie?, in: Gilles Dorival / Olivier Munnich, Κατὰ τοὺς Ο’. Selon les Septante. Trentes études sur la Bible grecque des Septante. En hommage à Marguerite Harl, Paris 1995, 441-461 – Leloir, Louis: Review of Jean-Marc Prieur, Acta Andreae, Revue d’Histoire Ecclésiastique 85 (1990), 359-362 – Luttikhuizen, Gerard P.: Gnostic Revisions of Genesis Stories and Early Jesus Traditions (Nag Hammadi and Manichaean Studies, 58), Leiden / Boston 2006 – Nagel, Peter: Die Auslegung der Paradieserzählung in der Gnosis, in: Karl-Wolfgang Tröger (ed.), Altes Testament – Frühjudentum – Gnosis. Neue Studien zu Gnosis und Bibel, Berlin 1980, 4970 – Nagel, Peter: Die Septuaginta in den Nag Hammadi Teksten, in: Søren Giversen / Tage Petersen / Jørgen Podemann Sørensen (ed.), The Nag Hammadi Texts in the History of Religions. Proceedings of the International Conference at the Royal Academy of Sciences and Letters in Copenhagen, September 19-24, 1995, on the Occasion of the 50th Anniversary of the Nag Hammadi Discovery (Historisk-filosofiske Skrifter, 26), Copenhagen 2002, 164-182– Nagel, Peter: Die Septuagintazitate in der koptisch-gnostischen ‘Exegese über die Seele’ (Nag Hammadi (Codex II), Archiv für Papyrusforschung, 22-23 (1974), 249-269 – Norelli, Enrico: Les formes les plus anciennes des énoncés sur la naissance de Jésus par une vierge, in: Jean Longère (ed.), Marie et la Sainte Famille. Les récits apocryphes chrétiens, II: Communications présentées à la 62e session de la Société Française d’Etudes Mariales, Espace Bernadette Soubirous, Nevers, septembre 2005 (Etudes Mariales. Bulletin de la Société Française d’Etudes Mariales), Paris 2006,

558

gtvh 08105 / p. 559 / 31.3.2022

Christian Apocryphal literature (including Gnostic literature)

25-44 – Norelli, Enrico: Marie des apocryphes. Enquête sur la mère de Jésus dans le christianisme antique (Christianismes antiques), Genève 2009 – Québec / Louvain 1995 – Pearson, Birger A.: Gnostic Interpretation of the Old Testament in the ‘Testimony of Truth’ (NHC IX, 3), HThR 73 (1980), 311-319 – Pearson, Birger A.: The Figure of Seth in Gnostic Literature, in: Bentley Layton (ed.), The Rediscovery of Gnosticism. Proceedings of the International Conference on Gnosticism at Yale, New Haven, Connecticut, March 28-31, 1978, II: Sethian Gnosticism (Studies in the history of religions, Supplements to Numen, 41), Leiden 1981, 472514 – Pearson, Birger A.: Use, Authority and Exegesis of Mikra in Gnostic Literature, in: Martin J. Mulder (ed.), Mikra. Text, Translation, Reading and Interpretation of the Hebrew Bible in Ancient Judaism and Early Christianity (CRINT II/1), Assen / Philadelphia 1988, 635-652 – Peretto, Licinio M.: Testi sacri nel Protovangelo gi Giacomo, Rivista biblica 3 (1955), 174-178, 253-256 – Ruani, Flavia: Peut-on parler de testimonia dans l’Histoire de l’apôtre Philippe syriaque?, in: Rémi Gounelle / Benoît Mounier (ed.), La littérature apocryphe chrétienne et les Ecritures juives, 341-356 – van Ruiten, Jacques: The Old Testament Quotations in the Apocalypse of Peter, in: Jan Bremmer / István Czachesz (ed.), The Apocalypse of Peter (Studies on the Early Christian Apocrypha, 7), Leuven 2003, 158-173 – Scopello, Maddalena: Les ‘testimonia’ dans le traité de L’‘Exégèse de l’âme’ (Nag Hammadi, II, 6), Revue de l’Histoire des Religions 191-192 (1977), 159-171 – Strecker, Georg: Das Judenchristentum in den Pseudoklementinen (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur, 70/2), 2. bearb. und erweiterte Auflage, Berlin 1981, 117-136, Nachträge, 272-274 – Stroumsa, Gedaliahu A. G.: Another Seed. Studies in Gnostic Mythology (NHS 24), Leiden 1984 – De Strycker, Emile: La forme la plus ancienne du Protévangile de Jacques. Recherches sur le Papyrus Bodmer 5 avec une édition critique du texte grec et une traduction annotée (Subsidia Hagiographica, 33), Bruxelles 1967, 424-425 – Turner, John Douglas: Sethian Gnosticism and the Platonic Tradition (Bibliothèque Copte de Nag Hammadi, Etudes” section, 6), Québec / Louvain / Paris 2001 – Villey, Émilie: Les Ecritures juives dans la version syriaque des Actes de Philippe” in: Rémi Gounelle / Benoît Mounier (ed.), La littérature apocryphe chrétienne et les Ecritures juives (Publications de l’Institut Romand des Sciences Bibliques, 8), Prahins (CH) 2013, 325-339 – Vinel, Françoise: Les allusions et citations vétérotestamentaires dans les Actes d’André et Matthias et les Actes de Pierre et André, in: Rémi Gounelle / Benoît Mounier (ed.), La littérature apocryphe chrétienne et les Ecritures juives, 357-369 – Williams, Jacqueline Ann: Biblical Interpretation in the Gnostic Gospel of Truth from Nag Hammadi (SBL.DS 79), Atlanta, Georgia 1988 – Wilson, Robert Mc L.: The Gnostics and the Old Testament, in: Proceedings of the International Colloquium on Gnosticism. Stockholm, August 20-25 1973 (Filologisk-filosofiska serien, 17), Stockholm / Leiden 1977, 164-168 – Wintermute, Orval: Gnostic exegesis of the Old Testament, in: James M. Efird (ed.), The Use of the Old Testament in the New and Others Essays. Studies in Honor of William Franklin Stinespring, Burham (N.C.) 1972, 241-270.

1. Questions of Method Due to their literary genre, often narrative or poetry, Apocryphal and Gnostic texts include only few explicit quotes from the Bible, and even fewer comparisons between different forms of the biblical text. The influence of the Septuagint on this literature can thus be measured only after a thorough examination of a handful of Biblical quotes and allusions found in each piece. Such an endeavor could only be valid if performed on the basis of reliable critical editions. However, a considerable number of Apocryphal texts are accessible only in editions that do not meet current standards of textual criticism, either because they are 559

gtvh 08105 / p. 560 / 31.3.2022

Apokryphen, Kirchenordnungen, Apostolische Väter, Apologeten

based on an insufficient number of manuscripts, because they do not take into consideration the Oriental witnesses (which are often valuable), or because they reconstruct an Urtext with excessive eclecticism. The fact that many texts have not been preserved in their original language does not, naturally, make the task any easier. Nevertheless, in the case of the Nag Hammadi writings, a comparison between the preserved Coptic texts and the Coptic translations of the Old Testament has allowed to establish that the translators and scribes have in general not conformed the quotes in the original (Greek) texts to the Coptic translations of the Old Testament. 2 While these texts provide important material for the study of the reception of the Septuagint, they have not yet been systematically made use of. 3 Where high quality critical editions are available, the study of the Biblical substrate of the Apocryphal and Gnostic texts must often resort to methods developed for the study of intertextuality. This is particularly essential for texts that are prior to the third century, in which explicit citations of the Biblical text are rather uncommon. 4 As useful as such investigations may be, they have difficulties achieving clear results. Thus, the parallels noted by several scholars between the Acts of John and various passages of the Old Testament (3 Kgdms 18, Daniel in Greek, Wis.) are too tenuous to allow us to conclude that the author of this work was familiar with these texts. 5 This kind of investigation must also take into account that certain quotes of the Old Testament have been used through the filter of the New Testament or of collections of testimonia, from which they have not emerged unscathed. Thus, the quote of Isa 29:13 LXX (with its introduction) in the fragment preserved in the Egerton Papyrus 2 is so close to Matt 15:7-9 and to Mark 7:6-7, that it is likely that it has not been taken directly from the Septuagint. Furthermore, Testimonia and Scriptures have been used jointly by certain authors. Thus, the author of the Protoevangelium of James quoted quite a few books of the Old Testament. 6 However, when describing the virgin birth of Jesus, he has made use of a set of testimonia that are extracted to a large extent from the book of Isaiah LXX and can also be found in the Acts of Peter 7 and in the Ascension of Isaiah. Thus, certain quotes in the Protoevangelium of James are directly derived from the Septuagint, whereas others are not.

2. 3. 4.

5. 6. 7.

Nagel: Die Septuaginta in den Nag Hammadi Teksten, 164-182. Nagel has already made this observation in 1980 in his “Die Auslegung der Paradieserzählung”, 49-70. The situation has not evolved since. In certain Gnostic texts, the Biblical reference can consist of only one significant word, as has been noticed by Giversen: The apocryphon of John and Genesis, 64-65 concerning the citation of Gen 1:2 LXX in the Apocryphon of John. Convincing as the above example may be, one should note that author of this treatise has subsequently made an effort to make explicit the origin of ἐπιφέρεσθαι and this can attest that the exegesis underlying the use of this verb might not have been so self-evident for its intended readers. In other words, one might hesitate before deducing from this specific example a hermeneutical method that enables to make associations with the Biblical text on the basis of only one word. Junod / Kaestli: Acta Iohannis, II, 504-506; Lalleman: The Acts of John, 142-144. Cf. Peretto: Testi sacri nel Protovangelo gi Giacomo, 174-178, 253-256; Strycker: La forme la plus ancienne du Protévangile de Jacques, 424-425. Cf. Norelli: Les formes les plus anciennes, 25-44; and id., Marie des apocryphes, 55-58, 80-83.

560

gtvh 08105 / p. 561 / 31.3.2022

Christian Apocryphal literature (including Gnostic literature)

The authors of Apocryphal and Gnostic texts were likewise often familiar with and made use of Jewish exegetical traditions, parallels of which are found in the literature of the Second Temple period or in rabbinic literature. This is, for instance, the case in The Lives of the Prophets 8 or in The Life of Adam and Eve 9 – both of which may have been written by Christians – as well as in many Gnostic texts. 10 Thus, the author of the On the Origin of the World, who quotes notably Isa LXX, also makes use of the Enochic literature, to which he seems to confer a status equal to that of Genesis. 11 Consequently, the examination of the scriptural sources of these texts cannot be conducted simply by way of comparison with the Biblical text, but must take into consideration the traditions in circulation, which are known to us only partially. In this context, variants closer to the Hebrew text than to the Septuagint that are attested in certain texts should be interpreted with caution. Thus, the Testimony of Truth (NH IX.3, 50, 5-7), which clearly makes use of the Septuagint, quotes nevertheless the first part of Gen 5:1 with the name “Adam”, though it is absent from the Septuagint which replaces it with the plural “men”. 12 Likewise, The Holy Book of the Great Invisible Spirit (or The Gospel of the Egyptians) seems to make use of the chronology found in the Hebrew text of Genesis in order to position Adam and Seth with regard to one another, whereas The Apocalypse of Adam presents a Septuagintal type of count. 13 It is difficult to conclude on the basis of such variants that the authors of these texts have read the Bible in Hebrew; it is more likely that they were familiar with Jewish interpretations based on the Hebrew form of the Biblical text 14. Moreover, we cannot preclude, in a case of a variant such as that of Gen 5:1, that the text of the Septuagint had been modified by the author due to its immediate context – in this case, the following verses. An overall study of these phenomena is unfortunately lacking. These methodological difficulties account for the little progress research has made so far regarding these questions. There is indeed no repertoire of Biblical quotes in Christian Apocryphal literature, except with respect to a part of the Gnostic literature, 15 and detailed studies of the Biblical background of Apocryphal and Gnostic texts

8. Himbaza: L’utilisation des traditions juives, 45-61. 9. Kaestli: Le mythe de la chute de Satan, 342-354 and id., Se nourrir après l’expulsion du paradis, 27-43. 10. The borrowing of interpretative traditions of Jewish origins in Gnosticism is debated but is considered more and more as clear. Cf. the brief synthesis by Pearson: “Use, Authority and Exegesis of Mikra in Gnostic Literature,” 637-638. 11. Cf. Painchaud: L’Ecrit sans Titre, 271 f. for an example of quotes drawn from the Septuagint, and pp. 96-97 regarding the influence of Enochic literature. 12. Cf. Pearson: Gnostic Interpretation of the Old Testament in the ‘Testimony of Truth’, 314. 13. Cf. Stroumsa: Another Seed., 82 n. 5. Cf. also Luttikhuizen: Gnostic Revisions. 14. Bernard Barc has suggested that some of the Gnostics speculations have their direct source in a literal interpretation of the Hebrew Bible, but to adhere to this lone thesis, one has to accept Barc’s particular hemeneutics. See Barc: “Seth et sa race dans la Bible et dans le Livre des secrets de Jean,” 155-176. 15. Cf. Evans / Webb / Wiebe: Nag Hammadi and the Bible. The very complete indexes of Ecrits apocryphes chrétiens, allow to make up for this shortcoming.

561

gtvh 08105 / p. 562 / 31.3.2022

Apokryphen, Kirchenordnungen, Apostolische Väter, Apologeten

are scarce. 16 The present contribution will hence only be able to sketch a general picture, with no pretence to exhaustiveness. The use of the Septuagint in these writings would indeed deserve further study.

2. Usage of the Septuagint The landscape in the second century is one of contrast. Many authors of Apocryphal and Gnostic texts demonstrate good knowledge of the Septuagint, 17 often mediated by collections of testimonia. That is, for instance, the case of the Protoevangelium of James and the Acts of Peter mentioned above, but also of many Gnostic texts. Especially worth noting is the treatise The Exegesis on the Soul (NH II, 6), which includes a considerable number of quotes from the Old Testament, drawn from several books (Isaiah, Jeremiah, Ezekiel, Hosea, Psalms and also Genesis); these quotes, which seem to originate in an early state of the Septuagint, 18 appear to have been compiled into groups of testimonia, perhaps by the author himself or in a milieu close to him. 19 Although the Septuagint is used in many Apocryphal and Gnostic texts from the second and third centuries, several writings from the second century attest to only a very superficial knowledge of the Old Testament. Thus, the authors of the Acts of John, 20 the Acts of Andrew, 21 the Acts of Paul 22 or the Gospel of Mary seem to have known at best only certain names; no specific point of contact with the Septuagint can be identified, as the few parallels in vocabulary do not seem to constitute proof. 23 This lack of knowledge of the Old Testament could imply that these texts have been written in a polemical context, by recently converted Christians, 24 or in a specific theological context 25 – not to mention the fragmentary character of some of these 16. Exceptions are: Williams, Biblical Interpretation in the Gnostic Gospel of Truth from Nag Hammadi, and the works on the Acts of Pilate cited below. 17. This knowledge is not limited to the book of Genesis, as is often incorrectly claimed regarding Gnostic texts, even though this book does occupy a considerable place in these writings; cf. Filoramo / Gianotto: L’interpretazione gnostica, 53-74 and Kasser, Citations des grands prophètes, 56-64. The indexes of Ecrits apocryphes chrétiens, allow to make the same observation with respect to Apocryphal texts. 18. Cf. Nagel: Die Septuagintazitate in der koptisch-gnostischen ‘Exegese über die Seele’, 249-269. Certain variants differing from the Septuagint can be accounted for by errors in copying the Greek; such is the reading ἀποτεκνώσω or ἀ(πο)τεκνῶ instead of ἀποκτενῶ in the citation of Hos 2:5 in the Exegesis on the Soul 129, 31-32. Guillaumont : Une citation de l’apocryphe d’Ezéchiel, 36, and Sevrin: L’exégèse de l’âme, 94, remarks that this variant is consistent with the context; J.-M. Sevrin attributes it to the author of the text, but this inversion of consonants could also be an unintentional variant. 19. Cf. Scopello: Les ‘testimonia’ dans le traité de L’‘Exégèse de l’âme’, 159-171. 20. Cf. n. 4. 21. Prieur: Acta Andreae, 404-405. See also Leloir’s review of this book. 22. Dunn: L’Ancien Testament dans les Actes de Paul, 303-311. 23. Cf. notably Lalleman: The Acts of John, 142-144. 24. Cf. Junod / Kaestli: Acta Iohannis, 686. 25. Cf. Karasszon: Old Testament Quotations, 57-71; Wilson, The Gnostics and the Old Testament, 166.

562

gtvh 08105 / p. 563 / 31.3.2022

Christian Apocryphal literature (including Gnostic literature)

writings. Such hypotheses cannot be ruled out, but it is striking that such a lack of knowledge of the Old Testament is only found in texts that are notably ancient; it is therefore likely that it is primarily due to the limited number of copies of the Septuagint that were available in the Christian communities of the second century. From the end of the third century onwards, the Biblical quotes become more explicit and more frequent. The authors of Apocryphal texts often have recourse to and make use of the Septuagint, not without modifying it when necessary; that is, for instance, the case in the Acts of Andrew and Matthias and in the Acts of Peter and Andrew, 26 or in the Pseudo-Clementine romance. 27 However, texts with ample quotations of the Septuagint are not common – in this regard, the First Apocalypse of John is exceptional. 28 Sporadically, certain Apocryphal texts attest to the use of other forms of the Old Testament text. Thus, the author of the Apocalypse of Peter (2nd century) appears to have had access to a state of the book of Ezekiel which is close in certain aspects to the Septuagint, although not identical to it; R. Bauckham has attempted to show that the author of this apocalypse has used 4Q385, 29 but this identification has recently been put into question. 30 The author of the Acts of Pilate, probably written in the course of the fourth century, perhaps in a Jewish-Christian milieu, 31 has, for his part, used a text belonging to the καί γε – Theodotion – Aquila family. 32 The nature of the Biblical text used in the History of Philip, written in Greek and preserved in Syriac, should also deserve special attention on the part of specialists of the Septuagint; two recent studies have indeed demonstrated that the Biblical substrate of this narrative shows several significant divergences from the Septuagint that find parallels in quotes preserved in texts of Antiochian origin. 33 The use of non-Septuagintal text in some Apocryphal texts should be interpreted with caution. This could surely be due to a rejection of or a polemical detachment from this translation, but it is also possible that the milieus that have produced these texts emerged from marginal milieus or from rather closed circles that were using texts other than the Septuagint. 34 However, the use of a different translation of the Old Testament does not seem to have been a major obstacle to the diffusion of these writings, although later copyists did not hesitate to conform such quotes to the text of the Septuagint. The examination of quotes in their primitive form in these texts thus becomes even more complicated.

26. Cf. Vinel: Les allusions et citations vétérotestamentaires, 357-369. 27. Cf. Strecker: Judenchristentum, 117-136, Nachträge 272-274. On the use of the Septuagint by the author of the Pseudo-Clementine Homilies, cf. Le Boulluec: Les citations de la Septante, 441-461. 28. Cf. the introduction by Kaestli / Picard, in Geoltrain / Kaestli (ed.): Ecrits apocryphes chrétiens, II, 985-986. 29. Bauckham: Quotation, 259-268. 30. van Ruiten: The Old Testament Quotations, 158-173. 31. Cf. Gounelle: Un nouvel évangile judéo-chrétien ?, 357-401. 32. Cf. Joosten: Le texte biblique, 181-192. 33. Cf. Villey: Les Ecritures juives, and Ruani: Peut-on parler de testimonia, 341-356. 34. As rightly noted by Joosten: Le texte biblique, 192.

563

gtvh 08105 / p. 564 / 31.3.2022

Apokryphen, Kirchenordnungen, Apostolische Väter, Apologeten

3. Uses of the Septuagint The Christian vocabulary originating in the Septuagint is found in Apocryphal and Gnostic texts, which demonstrate no difference, regarding these aspects, from the Patristic literature of their time. Thus, one finds in the Acts of John a significant portion of the liturgical vocabulary inherited from the Septuagint; in the Apocryphon of John, the words κατακλυσμός and κιβωτός denote the Flood and the Ark; 35 in the main Apocryphal Acts of the Apostles, the word κτίσις denotes solely Creation, παρανομία transgression of the law of God, 36 ταπεινοτής is used in a positive sense in the Acts of Thomas 121 etc. Certain words have however received specific shading in Gnosticism, for instance “semen” (σπέρμα) which is used regarding Seth in Gen 4:25, and has played an important part in texts appraising this figure, such as the Apocryphon of John or Zostrianos. 37 But the Septuagint has also played an important role in the actual composition of certain narratives. Thus, several features of the Questions of Bartholomew can be understood in the light of the Septuagintal text of Exod 16:13-14; 40:35; Ps 18(17) or Job 4041. 38 In the Hypostasis of the Archons, the bewilderment into which Adam falls before Eve is formed of him is drawn from Gen 2:21 LXX; 39 furthermore, the omission of the indication “again” in Gen 4:25 has probably promoted the distinction between various Adams; 40 the fact that Eve conceives from Adam “by virtue of” or “through God” (Hypostasis of the Archons, 91, 30-33) is most likely due to the Septuagintal text of Gen 4:1b. 41 Likewise, the fact that in the Septuagint Eve is called Life (ζωή, Gen 3:20) at first, and then called by her name, has probably promoted the distinction between the two characters – Life becoming the spiritual Eve – as is the case in the long version of the Apocryphon of John (NH II, 1 29, 15). Several passages from Deutero-Isaiah, read in the light of other texts of the Old and New Testaments, have, for their part, seemingly been the basis of the motive of the Archon’s blasphemy, which is frequent in Gnostic texts. 42 The books and episodes specific to the Septuagint have been used in Apocryphal texts – for instance, the author of the Narratio Iosephi clearly draws inspiration from

35. Luttikhuizen: Gnostic Revisions, 97-107. 36. At least according to the index of Greek words by Lipsius / Bonnet: Acta Apostolorum Apocrypha. 37. Cf. Pearson: The Figure of Seth in Gnostic Literature, 472-514. Turner: Sethian Gnosticism, 230-238, deals with Biblical interpretation in writings belonging, according to him, to Sethian Christianity, but he does not accord much attention to the form of the text used by their authors. 38. Cf. Kaestli / Cherix: L’évangile selon Barthélemy, 62, 72-75, 85. 39. Cf. Gilhus: The Nature of the Archons, 58. The introduction of this book offers a detailed comparison between the narrative of the Hypostasis of the Archons and Genesis. 40. Cf. Gilhus: The Nature of the Archons, 24. Stroumsa: Another Seed, 77, suggests that the idea of “avatars” of Seth could have been implied by the use of the verb ἐξανίστημι in Gen 4:25. 41. Cf. Stroumsa: Another Seed, 52. 42. Cf. especially Wintermute: Gnostic exegesis of the Old Testament, 257-258; Painchaud: The Use of Scripture in Gnostic Literature, 141-144.

564

gtvh 08105 / p. 565 / 31.3.2022

Christian Apocryphal literature (including Gnostic literature)

the book of Tobit 43 – but they have probably also been at the source of the production of new writings, classified by scholars as Apocryphal texts. That is, at least, what is suggested by the fact that the figures of Daniel and Esdras have had much posterity in Apocryphal literature. Moreover, it should be noted that the author of one of the prologues to the Praedictiones Danielis dates the Greek translation of this composition under the rule of Ptolemy Philadelphus, associating it in this manner to the translation of the Septuagint. 44 However, the fact remains that the exact part played by the text of the Septuagint in the complex development of these Apocryphal texts is yet to be determined.

43. Aragione : “Le bon larron et le vol de la Loi dans la Déclaration de Joseph d’Arimathée,” 239-245. 44. The Greek text of this prologue is given in DiTommaso: The Book of Daniel, 281.

565

gtvh 08105 / p. 566 / 31.3.2022

3.3.2 Church Orders Jonathan A. Draper Literature Texts and Editions Connolly, R. Hugh: Didascalia Apostolorum, Oxford 1929 – de Lagarde, Paul: Didascalia Apostolorum Syriace, Osnabrück / Wiesbaden 1967 – Metzger, Marcel: Les Constitutions Apostoliques I-III, SC 320, 329, 336, Paris 1985-1987 – Tidner, Erik: Didascaliae Apostolorum, Canonum Ecclesiasticorum, versiones Latinae (TU, 75), Berlin 1963.

Secondary Literature Botte, Bernard: La Tradition Apostolique de Saint Hippolyte: Essai de Reconstitution, Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen, Münster (Westphalia) 1963 – Bradshaw, Paul F.: The Search for the Origins of Christian Worship: Sources and Methods for the Study of Early Liturgy [Revised Ed.] London 2002 – Gordon, Robert P.: “Targumic Parallels to Acts XIII 18 and Didache XIV 3”, Novum Testamentum 16 (1974), 285-289 – Pardee, Nancy: The Genre and Development of the Didache. A Text-Linguistic Analysis WUNT II 339, Tübingen 2012 – Steimer, Bruno: Vertex Traditionis: Die Gattung der altchristlichen Kirchenordnungen, BZNW 63, Berlin 1992 – Steyn, Gert J.: “Comparing Manuscripts with Manuscripts: Thoughts on the Compilation of a Synopsis of Textual Variants in the Old Testament Quotations in the New Testament” in: Martin Karrer / Siegfried Kreuzer / Marcus Sigismund (ed.), Von der Septuaginta zum Neuen Testament. Textgeschichtliche Erörterungen, ANTT 43, Berlin 2010, 211226.

Although scholars have battled to define the Church Order genre, 1 it is characteristically directed towards community rules and rituals in the early Christian communities. While the dates and places of origin continue to be disputed, a plausible schema for the relationship between the texts can be drawn. 2:The earliest Church Orders appear to represent two different locations and trajectories: Firstly the Didache (end 1st or beginning 2nd century, Syria) provides a source for the Didascalia (c. 230, Syria) and the Apostolic Church Order (c. 300, Egypt). Secondly, the Apostolic Tradition (early 3rd century, Rome) provides a source for the Canon of Hippolytus (336-340, Egypt), and the Testamentum Domini (probably 5th century., Syria). Thirdly the Apostolic Constitutions (c. 380, Syria) combines the material of the Didache, Didascalia, and the Apostolic Tradition in a compendium of sources. Finally an Epitome provides a synthesis of material from the Apostolic Constitutions VIII and the Apostolic Tradition. It is characteristic of the earliest sources (Didache and Apostolic Constitutions) that they do not seek to ground their instructions on the Scriptures. Although they occasionally cite texts as Scripture with a citation formula they do not specify where they come from. Instead they seem to develop their rules independently. Hence they pro1. 2.

See Steimer: Vertex Taditionis; Pardee: Genre. See Bradshaw: Search for Origins.

566

gtvh 08105 / p. 567 / 31.3.2022

Church Orders

vide little evidence for Septuagintal studies. The Didache does not follow the Septuagint verbatim, whether because it was cited from memory or because it reflects independent use of the Hebrew text, but it can provide interesting comparative material. E. g. in Didache 14:3 a citation formula introduces a partial verbatim quotation of Malachi 1:11 and 14 αὕτη γάρ ἐστιν ἡ ῥηθεῖσα ὑπὸ κυρίου (‘for this is what was spoken by the Lord’). However, while Didache follows the MT, ‫ בכל מקום‬and the translation of the LXX, ἐν παντὶ τόπῳ, it adds the reading of the Targum ‫‘( עדן ובכל‬and in every time’), combining both to read ἐν παντὶ τόπῳ καὶ χρόνῳ (‘in every place and time’). 3 The reconstructed Apostolic Tradition 4 provides only echoes of the Scriptures and is of little assistance for reconstructing the text or history of the LXX. The Didascalia (probably first half of 3rd century C.E.) also survives only in Syriac and (partial) Latin versions, but the original Greek text was incorporated into Books IVI of the Greek Apostolic Constitutions, so that its text can be more securely reconstructed than that of the Apostolic Tradition (c. 350-380 C.E.). 5 What is of particular interest to LXX scholars is that it explicitly cites blocks of text. The editor of the AC does not do this elsewhere but prefers catena of shorter LXX citations (e.g in his redaction of Didache in Book VII), so that the block texts derive from the earlier Didascalia. Hence, it is possible to reconstruct sections of the text of particular books from the LXX corpus, which may provide significant evidence for the text from the third or fourth century C.E. The text of Didascalia with variants from the AC can be tabulated witnesses to LXX. A critical text of the entire AC provided by Marcel Metzger 6 can provide the basis for such a study, which can be cross-checked against the Syriac 7 and Latin 8 texts to verify the contents of Didascalia in AC. A particular problem for such an enterprise is that scholars mostly work from composite texts of both the LXX (with critical variants) and the AC (with critical variants) in footnotes. This can distort the evidence since manuscripts should ideally only be compared with manuscripts. 9 Preliminary examination of the Didascalia as incorporated by the AC, utilizing the critical apparatus of both texts suggests that the author did not have one Uncial of the LXX corpus but multiple manuscripts of particular Scriptures. For instance, the text of Ezekiel 18 and 33-34 cited or paraphrased out of order and partially in blocks in the version of Didascalia are presented by AC II.6:7-10; 12:1-20; 18:8-20:9. The LXX text of Ezekiel 10 shows multiple variants and seems at times to favour variants found also in Codex Alexandrinus. The blocks of text of Proverbs, on the other hand, do not.

3. See Gordon: Targumic Parallels, passim. 4. The Greek text is lost except for fragments and survives only in Latin, Coptic, Arabic and Ethiopic versions, but has been reconstructed by various scholars. However, it is taken up in heavily redacted form in the Apostolic Constitutions VIII.3-46. For a critical text and discussion see Botte, La Tradition Apostolique de Saint Hippolyte. 5. See Connolly: Didascalia Apostolorum. 6. Metzger: Les Constitutions Apostoliques I-III. 7. de Lagarde: Didascalia Apostolorum Syriace. 8. Tidner: Didascaliae Apostolorum, Canonum Ecclesiasticorum, versiones Latinae. 9. Steyn: Comparing Manuscripts with Manuscripts, passim. 10. Ezekiel is something of a favourite text: other sections include 14:13-14; 16:47, 52-53; 8:16-18 and 37:1-14.

567

gtvh 08105 / p. 568 / 31.3.2022

Apokryphen, Kirchenordnungen, Apostolische Väter, Apologeten

Among other major blocks, AC II.22-23 provides extensive LXX text of II Kings 21 and II Chronicles 26:16-21 and 33:11-24, incorporating the Prayer of Manasseh. AC itself cites and quotes LXX consistently in its vast collection and redaction of tradition, tailored to context. An examination of the form and usage of LXX by the author over the whole corpus, as opposed to the text taken over from its sources, presents a monumental task. Among other later Church Orders, the Testamentum Domini survives only in Syriac of little value for LXX studies. Since all of the Church Orders relate to liturgical practice in the early Christian communities, a significant question is whether their continued oral usage and paraphrase of the LXX influenced the transmission of key texts or whether they reflect variants of the text itself.

568

gtvh 08105 / p. 569 / 31.3.2022

3.3.3 Apostolische Väter und Apologeten Martin Meiser

1. Apostolische Väter Bei den Apostolischen Vätern kann sich die Darstellung auf die Clemensbriefe sowie den Barnabasbrief beschränken.

1.1 Erster und Zweiter Clemensbrief Literatur Editionen und Übersetzungen Lindemann, Andreas / Paulsen, Henning (ed.): Die Apostolischen Väter. Griechisch-deutsche Parallelausgabe auf der Grundlage der Ausgaben von Franz Xaver Funk / Karl Bihlmeyer und Molly Whittaker mit Übersetzungen von Martin Dibelius und Dietrich-Alex Koch neu übersetzt und hg., Tübingen 1992, 77-151 (1Clem), 152-175 (2Clem) – Schneider, Gerhard: Clemens von Rom / Epistola ad Corinthios, FC 15, Freiburg 1994.

Weitere Literatur Derrett, J. Duncam M.: Scripture and norms in the Apostolic Fathers, in: ANRW II 27,1, Berlin 1993, 649-699 – Hagner, Donald Alfred: The Use of the Old and New Testaments in Clement of Rome, NT.S 34, Leiden 1973 – Lindemann, Andreas: Die Clemensbriefe, HNT 17, Tübingen 1992 – Lona, Horacio E.: Der erste Clemensbrief übersetzt und erklärt, KAV 2, Göttingen 1998 – Pratscher Willi: Der zweite Clemensbrief übersetzt und erklärt, KAV 3, Göttingen 2006 – Steyn, Gert Jacobus: Torah Quotations Common to Philo, Hebrews, Clemens Romanus and Justin Martyr: What is the common denominator?, in: Johan Carl Thom et al. (ed.), The New Testament Interpreted: Essays in Honour of Bernard C. Lategan, Leiden 2007, 135-151.

Der sog. Erste Clemensbrief, konsequent als Brief der Gemeinde zu Rom an die Gemeinde zu Korinth gestaltet, versucht diejenigen, die sich gegen die Presbyter in Korinth aufgelehnt und ihre Absetzung betrieben haben, zur freiwilligen Auswanderung, die Gemeinde zur freiwilligen Selbstunterwerfung unter die Presbyter zu bewegen, die wieder in ihr Amt eingesetzt und als Autoritäten anerkannt werden sollen. Er ist geprägt von dem pagan-antiken Ideal der ὁμόνοια (»Eintracht«, 1Clem 20,11; 21,1; 30,3; 34,7), stellt das Geschehen in Korinth aber schon eingangs in das Licht von Dtn 32,15; die Analogie zu dem Brudermord nach Gen 4 soll den Adressaten den Schweregrad ihres Vergehens vor Augen führen. Auch im weiteren wird gelegentlich der durch die Septuaginta 1 grundgelegte christliche Sprachgebrauch leitend 2; vor allem aber argu-

1.

Hebräische oder aramäische Sprachkenntnisse sind nicht erkennbar (Hagner: Use, 80). Wenig überzeugend Schneider: Clemens, 93, zur Wiedergabe von Jos 2,9 in 1Clm 12,5, aufgrund

569

gtvh 08105 / p. 570 / 31.3.2022

Apokryphen, Kirchenordnungen, Apostolische Väter, Apologeten

mentiert er mit biblischen (positiven und negativen) Vorbildern und Texten 3, die er allen Teilen des biblischen Kanons entnimmt. 4 Eine große Zahl der Zitate wird in wörtlicher Übereinstimmung mit der Septuaginta wiedergegeben; nur selten wird die Nähe zu distinkten Texttraditionen erkennbar. 5 Bei den Abweichungen handelt es sich nicht selten um stilistische Verbesserungen. 6 Allerdings begegnet auch das Phänomen, dass er eine stark hebraisierende griechische Lesart beibehält, die er gewiss nicht selb-

2.

3.

4.

5.

6.

der Worte »Furcht und Schrecken vor euch befiel seine Bewohner« in 1Clem 12,5: hier habe dem 1Clem der hebr. Text vorgelegen. Das gilt für die Verwendung von ἔθνος zur Bezeichnung des Nichtjüdischen in 1 Clem 55,1; 59,3 f. für die Verwendung von δόξα i. S. v. »Ehre« (1Clem 3,1; 65,2) und »Herrlichkeit« (1Clem 17,2), für die Verwendung von καρδία als Sitz des Begehrens (1Clem 3,4) und für die positive Nuancierung der Wortfamilie τάπεινος (»demütig«, 1Clem 2,1; 13,1; 16,1; 19,1 u. ö.), aber auch für die hebraisierende Wendung ἐκλογῆς μέρος (»teil der Auserwählung«, statt μέρος ἐκλεκτόν, »auserwählter Teil«) in 1Clem 29,1 (Lindemann: Clemensbriefe, 95). Gott wird meist als δεσπότης (»Gebieter«), gelegentlich als παντοράτωρ (»Allherrscher«) bezeichnet (1Clem 2,3; 62,2). Auch seine Bezeichnung als δεσπότης πνευμάτων καὶ κύριος πάσης σαρκός (»Gebieter der Geister und Herr allen Fleisches«, 1Clem 64,1) gehört hier her. Gelegentlich wird der Verfasser selbst sprachschöpferisch innerhalb biblischer Terminologie, vgl. die Aufforderung »Beugt die Knie des Herzens« in 1 Clem 57,1. Er zitiert die Heilige Schrift niemals als νόμος (»Gesetz«; der Begriff fehlt bei ihm überhaupt) oder ἐντολή (»Gebot«); letzteres begegnet nur in 1Clem 13,3 mit Bezug auf eine Weisung Jesu (Lindemann: Clemensbriefe, 18). Die Heilige Schrift wird in aller Regel wörtlich ausgelegt (Ausnahme ist nur 1Clem 12,7). Auffällig im Vergleich z. B. zu Lk 24,44 – neben den Psalmen ist bei Lukas in der Tat keine andere Schrift der sog. Weisheitsliteratur als Heilige Schrift zitiert – ist die breite Bezugnahme auf Hiob und auf die Proverbien. Kohelet oder das Hohelied zu zitieren, bestand kein Anlass. Bei manchem, was er als Schriftzitat benennt, ist die Herkunft ungewiss, nämlich bei 1Clem 8,3; 23,3 f.1; 26,2a; 46,2. Die Redeeinleitung λέγει … που (sie begegnet in 1Clem 15,2; 21,2; 26,2; 28,2; 42,5) könnte in 1Clem 26,2; 42,5 signalisieren, dass der Verfasser offenbar nur eine ungenaue Erinnerung hatte. In der Wiedergabe von Ps 36,36 in 1Clem 14,3 besteht eine gewisse Nähe zur Hs. 2013 in der Wendung καὶ ἐζήτησα τὸν τόπον αὐτοῦ, καὶ οὐχ εὗρον (2013 εὑρέθη [»ich suchte seinen Ort, und ich fand ihn nicht«]) statt καὶ ἐζήτησα αὐτόν, καὶ οὐχ εὑρέθη ὁ τόπος αὐτοῦ (»ich suchte ihn, und sein Ort wurde nicht gefunden«). Dass in 1Clem 13,1 statt ἀλλ’ ἢ (Jer 9,23[24]) nur ἀλλ’ steht, hat Clemens mit Q-V-26-86'-130198-410-534-544-613 88-233 62 gemeinsam; auch dies dürfte sich dem Streben nach stilistischer Verbesserung verdanken; allerdings begegnet ἀλλ’ ἢ bald anschließend in der Wiedergabe von Jes 66,2b in 1Clem 13,4. In der Wiedergabe von Hi 38,11 findet sich in 1Clem 20,7 ἕως ὧδε (»bis hierher« statt μέχρι τούτου [»bis zu dieser Stelle«]), was auch bei Symmachus begegnet. Allerdings kann der Autor auch aus dem Gedächtnis zitiert haben (so jedenfalls Lona: Der erste Clemensbrief, 261). In 1Clem 35,1 entsprechen die Worte ὡς λέων (»wie ein Löwe«) dem Zusatz in der Textüberlieferung von Ps 49,22 in R'ʾ . Sie mögen auch aus Ps 7,3LXX eingedrungen sein (Lindemann: Clemensbriefe, 110). Darunter fallen m. E. der Ersatz von καὶ μή durch μηδέ in 1Clem 13,1 (Jer 9,22 f. / 1Sam 2,10), die Voranstellung des attributiven μου in 1Clem 13,4 (Jes 66,2b), das Fehlen des ἐν vor einem dativus instrumentalis in 1Clem 15,4 (Ps 77,36a), die Änderung des εἰς zu πρός in 1Clem 22,6 (Ps. 33,16), die Auslassung des καί nach ἤ in 1Clem 30,4 (Hi 11,2), der Ersatz von διά durch ἐπί in 1Clem 35,7 (Ps 49,16, doch vde. Hagner: Use, 45 f.) sowie den Ersatz von ἤ durch καί bei der Wiedergabe von Prov 1,27a in 1Clem 57,4.

570

gtvh 08105 / p. 571 / 31.3.2022

Apostolische Väter und Apologeten

ständig formuliert hätte. 7 Selten begegnen kontextbedingte Paraphrasierungen 8, noch seltener argumentationsbezogene Veränderungen. 9 Immer wieder begegnen Gedächtniszitate 10; in manchen Fällen lässt sich auch (alternativ) eine Übernahme aus einer Vorlage denken. 11 Auch ist mit Quereinflüssen anderer alttestamentlicher Bibelstellen 12 oder des Hebräerbriefs zu rechnen. 13

7. Das betrifft zum einen die Wiedergabe von Jos 2,9 (Γινώσκουσα γινώσκω [ἐγώ]) in 1Clem 12,5. Zum anderen bietet 1Clem 56,8 ἐξελεῖταί σε, wo LXX die Inversion enthält. In 1Clem 13,4 wird Jes 66,2b aufgenommen, ταπεινόν (»niedrig) durch πραΰν (»demütig«) ersetzt (das muss sich einer Gedächtnisleistung oder einer tatsächlich vorhandenen Variante verdanken, denn der Autor gebraucht die Wortfamilie ταπεινός durchaus). 8. Ex 3,11 und Ex 4,10 sind in 1Clem 17,5 verbunden; die Worte ὅτι με πέμπεις (»dass du mich sendest«) in 1Clem 17,5 sind paraphrasierende Wiedergabe des Sendungsauftrages, den Mose erhält. In 1Clem 33,5 wird Gen 1,26 f. verkürzt wiedergegeben, weil es dem Autor nur um den Menschen »als Abbild seines (scil. Gottes) Ebenbilds« (τῆς ἑαυτοῦ εἰκόνος χαρακτῆρα) geht. In 1Clem 57,7 ist ein zusätzliches πεποιθώς (»vertrauend«) eingefügt – ist das der Fortsetzung geschuldet, die πεποιθότες enthält (als Erwägung Lindemann: Clemensbriefe, 161)? 9. In der Wiedergabe von Jer 9,23 in 1Clem 13,1 wird die zitierte Stelle in der Weise mit Elementen aus 1Sam 2,10LXX (diff. MT) verbunden, dass es nicht um das Tun Gottes, sondern um das geforderte Tun des Menschen geht, den Herrn zu suchen (dabei steht ἐκζητεῖν [»suchen«] anstelle von συνίειν [»verstehen«] und γινώσκειν [»erkennen«]) und Recht und Gerechtigkeit zu tun. Im unmittelbaren situativen Kontext des Briefes meint das die Unterordnung unter die Presbyter und die Verwirklichung der ὁμόνοια. Bei dem Ersatz von κύριος durch θεός in 1Clem 30,2 (Prov 3,34) vermutet Lindemann: Clemensbriefe, 96, dass der Verfasser κύριος wegen christologischer Assoziationen vermeiden wollte. Jes 60,17 wird in 1Clem 42,5 der vom Verfasser propagierten Ämterstruktur angepasst (ἐπισκόπους und διακόνους [»Aufseher/Bischöfe und Diakone«] statt ἄρχοντας und ἐπισκόπους [»Herrscher und Aufseher«]). 10. Gedächtniszitate sind wohl 1Clem 17,3 (Hi 1,1); 29,7 (Hi 38,11); 26,4 (Hi 9,26) 28,3 (Ps 138,7-10); 50,4 (Jes 26,20 / Ez 37,12). Allerdings bedeutet die Konzentration der Gedächtniszitate auf das Buch Hiob nicht, dass der Autor von dem Buch keine schriftliche Vorlage hatte; vgl. das lange Zitat von Hi 5,17-26 in 1Clem 56,6-15. In 1Clem 21,2 ist der Einbezug der Worte Πνεῦμα κυρίου wohl weniger Gedächtniszitat, sondern bewusster Einbezug auf der Grundlage von 1Kor 2,10a (Lona: Der erste Clemensbrief, 276). Für die Wiedergabe von Jes 13,22b und Mal 3,1 in 1Clem 23,5 rechnen Lindemann: Clemensbriefe, 84, und Lona: Der erste Clemensbrief, 293, nicht mit einem Gedächtniszitat, sondern mit Tradition. 11. Die Übernahme aus einer Vorlage wird erwogen u. a. für 1Clem 16,3 (Aufnahme von Jes 53,3) wegen des zusätzlichen πόνῳ (»geplagt«, Lona: Der erste Clemensbrief, 232) und für 1Clem 28,3 (Lindemann: Clemensbriefe, 94), wegen des von Ps 138,9 f. abweichenden Wortlauts. Auch in 1Clem 17,4 hat der Autor vielleicht, so Lona: Der erste Clemensbrief, 239, eine Sondertradition aufgenommen. 12. Für das zusätzliche Genitivattribut ζώντων (»der Lebenden«) bei βίβλος (»Buch«) in der Paraphrase von Ex 32,31 f. in 1Clem 53,4 erwägt Lindemann: Clemensbriefe, 151 einen Einfluss von Ps 68,29LXX. 13. Bei der Wiedergabe von Num 12,7 in 1Clem 17,5 wird πιστός zur stilistischen Einpassung nach vorne genommen. Die Voranstellung begegnet auch in Hebr 3,5. Aus diesem und aus anderen Gründen erwägt u. a. Steyn: Torah Quotations, 149, dass der Verfasser des Ersten Clemensbriefes den Hebräerbrief kannte. Auch hätte Num 12,8 f., so Lindemann: Clemensbriefe, 65, besser zur Argumentation gepasst.

571

gtvh 08105 / p. 572 / 31.3.2022

Apokryphen, Kirchenordnungen, Apostolische Väter, Apologeten

Im sog. Zweiten Clemensbrief werden alttestamentliche Zitate mit einer Ausnahme 14 der prophetischen Literatur entnommen 15, vor allem Jesaja. Den Jesaja-Text hatte der Verfasser wohl schriftlich vor sich liegen. 16 Abweichungen von LXX lassen sich dadurch erklären, dass Vf. auswendig zitiert. 17

1.2 Barnabasbrief Literatur Editionen und Übersetzungen Andreas Lindemann / Henning Paulsen (ed.): Die Apostolischen Väter. Griechisch-deutsche Parallelausgabe auf der Grundlage der Ausgaben von F. X. Funk/K. Bihlmeyer und M. Whittaker mit Übersetzungen von M. Dibelius und D.-A. Koch neu übersetzt und hg., Tübingen 1992, 23-75 – Pierre Prigent / Robert A. Kraft: Épître de Barnabé, SC 172, Paris 1971.

Weitere Literatur Hvalvik, Reidar: The Struggle for Scripture and Covenant. The Purpose of the Epistle of Barnabas and Jewish-Christian Competition in the Second Century, Tübingen 1996 – Paget, James Carleton: Barnabas and the outsiders: Jews and Their World in the Epistle of Barnabas, in: Mark Grundeken / Joseph Verheyden (ed.), Early Christian Communities between Ideal and Reality, WUNT 342, Tübingen 2015, 177-202 – Paget, James Carleton: The Epistle of Barnabas: Outlook and Background, WUNT II 64, Tübingen 1994 – Prostmeier, Ferdinand R., Der Barnabasbrief, KAV 8, Göttingen 1999 – Rhodes, James N.: The Epistle of Barnabas and the Deuteronomic Tradition. Polemics, Paraenesis, and the Legacy of the Golden-Calf Incident, WUNT II 188, Tübingen 2004 – Schreckenberg, Heinz: Die christlichen Adversus-JudaeosTexte und ihr literarisches und historisches Umfeld, Bd. 1., 1.–11. Jh., EHS XXIII 172, Frankfurt (Main) 1990 – Wengst, Klaus: Tradition und Theologie des Barnabasbriefes, AKG 42, Berlin / New York 1971.

14. Gen 1,27 wird in 2Clem 14,2 aufgenommen und ekklesiologisch gedeutet. 15. Ez 14,14-20 wird paraphrasiert in 2Clem 6,8 mit der Einführung: »Es sagt aber auch die Schrift bei Ezechiel«. Jer 7,11 wird eingeführt mit »dass wir aus der Schrift sind, die da sagt …« in 2Clem 14,1. 16. Unverändert entnommen sind Jes 54,1 in 2Clem 2,1, Jes 66,24b in 2Clem 7,6 und 2Clem 17,5, Jes 58,8 in 2Clem 15,3. 17. Lindemann: Clemensbriefe, 193. Als alternative kann man mit Pratscher: Der zweite Clemensbrief, 29, aufgrund der wiederholten Nähe zu anderen frühchristlichen Zitaten derselben Stellen die Verwendung einer Zitatenkollektion erwähnen. Als Abweichungen sind zu benennen: In der Wiedergabe von Jes 29,13 in 2Clem 3,5 wird in der ersten Hälfte ἐγγίζειν (»sich nahen«) ausgelassen; der Sg. bleibt für die erste Hälfe des Zitates auch beim Verbum erhalten (wie in der LXX-Hs.46); das Akkusativobjekt ist dem Verbum vorangestellt (wie in LXX-Hs 37). In der Wiedergabe von Jes 52,5 in 2Clem 13,2 ist das Wort πάσιν Zusatz, der in der Texttradition von Jes 52,5LXX offenbar keine Parallele hat. In die Wiedergabe von Jes 66,18 in 2Clem 17,4 ist, vgl. die Reihung »Völker, Stämme, Sprachen«, wohl Dan 3,7 eingedrungen. Bei den mit κύριος eingeleiteten Zitaten von Jes 52,5 und Jes 66,18 kann man mit Lindemann: Clemensbriefe, 238, 252, und Pratscher: Der zweite Clemensbrief, 29. 171, überlegen, ob der Verfasser die Stellen für Jesuslogien hät und ob sie in dem in 2Clem 8,5 genannte »Evangelium« vorlagen.

572

gtvh 08105 / p. 573 / 31.3.2022

Apostolische Väter und Apologeten

Der Verfasser hat durchgehend griechische Textvorlagen vor Augen. 18 Die Frage nach dem Texttyp, dem er folgt, lässt sich aufgrund seines Zitierverhaltens kaum beantworten. 19 Dieses ist ganz dem Zweck des Schreibens zugeordnet, den Rezipientinnen und Rezipienten auf der Basis der Abrogation der Kult-Thora 20 eine strikte Dissoziierung von den nicht an Jesus glaubenden Juden nahezulegen 21, deren Bekehrung er nicht mehr erwartet 22, deren Position aber s. E. eine Verunsicherung für die Adressatinnen und Adressaten darstellen könnte. 23 Der Verfasser verfolgt eine mehrfache Strategie in 18. »… ein Rückgriff auf einen hebräischen Text der Schrift ist nicht zu erweisen.« (Prostmeier: Barnabasbrief, 94). Allerdings ist es im Allgemeinen keineswegs so, dass nur die griechische Textfassung die Verwendung im Barnabasbrief ermöglicht. Der Autor betrachtet auch das sog. äthiopische Henochbuch (oder mindestens die Teile davon, die ihm bekannt sind) als »Schrift« (vgl. das Zitat von äthHen 89,56.66 f. in Barn 16,5). Die Wortverbindung »Heilige Schrift« verwendet er nirgends (Hvalvik: Struggle, 103). 19. Die gelegentliche Nähe zu L'-93 in Barn 2,5 (Umstellung μου τὴν αὐλήν gegenüber der Vorlage Jes 1,12) oder zu 49ʾ 36; Mt 26,31 diff. Mk 14,27 in dem Zusatz τῆς ποίμνης in Barn 5,12 oder zu A-26 88 538 in der Wiedergabe von Jes 33,18 in Barn 11,5 (Zusatz κυρίου nach φόβου) oder zu BS* in Barn 6,2 (Jes 50,9LXX, ohne das zweite ὡς) oder zu 26-86txt in der Wiedergabe von Jes 66,1 in Barn 162 (τίς statt ποῖος) ist nicht aussagekräftig. Man kann vielleicht im Falle einer Analogie zwischen dem Barnabasbrief und der lateinischen Irenaeustradition (Barn 6,1 f. in der Aufnahme von Jes 50,8 f.) nach tatsächlich vorhandenen Lesarten fragen: Das einleitende ουαι (»Wehe«) in Barn 6,2 ist laut Gö zu Jes 50,9b nicht bezeugt. Setzt Barn (wie Irlat) eine Texttradition voraus, in der das zweite ‫ הן‬zu ‫» הוי‬Wehe« verschrieben wurde? Die Wendung τῷ παιδὶ κυρίου ([»dem Knecht des Herrn«], statt Jes 50,8 μοι [»mir«]) in Barn 6,1 ließe sich christologisch erklären, aber auch hier lässt die lateinische Irenaeustradition nach einer anderen Textvorlage fragen. Nur christlich belegt ist in der Wiedergabe von Jes 45,1 die Variante κυρίῳ ([»dem Herrn«] statt Κύρῳ) [»dem Kyros«, scil. dem Perserkönig]), die dann christologisch ausgelegt wird. Barn 12,11a und Justin: Dial. 127,5 sind die ältesten Zeugnisse dieses »innergriechischen Textverderbnisses« (Prostmeier: Barnabasbrief, 446 Anm 70, der ebd. auch auf dessen innerchristliche Wirkungsgeschichte und auf die Korrektur durch Hieronymus verweist). Prigent / Kraft: Barnabé, 173 halten die Kombination von Ps 109,1 und Jes 45,1 für bereits traditionell. 20. Barn 2,5-8. In der Einleitung Barn 2,4 verwendet der Autor bewusst den allgemeinen Begriff προσφορά, der jede kultische Annäherung an Gott bezeichnen kann, um seine generelle Abgrenzung von dem Kult Israels zu unterstreichen (Prostmeier: Barnabasbrief, 177). 21. Sie gelten als generell im Irrtum befindlich (Barn 2,9; 16,1) und unverständig (Barn 8,7; 10,9), als vollständig sündig (Barn 8,1) und von einem bösen Engel beeinflusst, der ihnen die wörtliche Befolgung des Beschneidungsgebotes suggeriert habe (Barn 9,4; dort wird nicht der Ursprung, sondern das recht Verständnis des Beschneidungsgebotes diskutiert, vgl. Hvalvik: Struggle, 125). Ihr Kult kommt beinahe dem der Nichtjuden gleich (Barn 16,2). Paget: Epistle of Barnabas, 56 f., erweist daran, dass die Bestimmung des Briefes als anti-kultisch ein unzulässiges Ausweichen vor dem Problem des Antijudaismus dieses Textes darstellt. Der Zusammenhang von Schuldvorwurf wegen der Kreuzigung Jesu (Barn 5,12) und dem Geschick Jerusalems in den Jahren 70 und 132-135 (Barn 11,3) gehört auch später zum polemischen Arsenal antijüdischer Polemik. 22. Paget: Barnabas and the Outsiders, 197. 23. Das gilt auch dann, wenn die Auffassung von Klaus Wengst richtig sein sollte, dass »die Frontstellung des Barnabasbriefes gegenüber dem Judentum theoretischer Art« (Wengst: Tradition, 102), sein sollte. Anders (und m. E. richtig) Hvalvik: Struggle, 164, unter Verweis auf Barn 3,6.

573

gtvh 08105 / p. 574 / 31.3.2022

Apokryphen, Kirchenordnungen, Apostolische Väter, Apologeten

der Textbehandlung. Zu nennen sind die Strategien der Tilgung und Umdeutung, der distributiven Verteilung von Schriftzitaten 24 und der nicht markierten Veränderung. 1. Da Israel den Bund aufgrund eigener Unwürdigkeit nie empfangen hat (Barn 14,1), werden Elemente einer positiven Verbundenheit des Gottes Israels mit seinem Volk getilgt. 25 Mehrere alttestamentliche Weisungen über die Einsetzung bestimmter Rituale, die dazu gedacht waren, zwischen Gott und seinem Volk Israel wieder eine heilvolle Beziehung zu ermöglichen, werden auf der Basis des Motives des »Schlachtens« als Vorausdarstellung des schuldhaften Verhaltens der Juden in Form der Kreuzigung Jesu umgedeutet. 26 Hier und andernorts begegnen auch nicht markierte Textänderungen, die, wenn es sich nicht nur um stilistische Anpassungen handelt 27, weniger einem fehlerhaften Gedächtnis als vielmehr gezielter Polemik geschuldet sind. 28 24. Eine distributive Verteilung von Schriftzitaten begegnet erstmals in Röm 10,20.21 (Prostmeier: Barnabasbrief, 176 Anm. 22 [177]). Doch nur im Barnabasbrief trägt dieses Prinzip die gesamte Konstruktion (Hvalvik: Struggle, 114). 25. In Barn 2,7 wird im Zitat von Jer 7,22 f. LXX nicht mehr festgehalten, dass Gott es war, der die Väter aus Ägypten geführt hat; statt ἀνήγαγον αὐτούς (»als ich sie hinaufgeführt habe«. nach Ziegler, Jer., 187, unangefochten bezeugt) steht ἐκπορευομένοις (»als sie auszogen«) mit den Vätern als Subjekt. Das positive Band der Geschichte Gottes mit seinem Volk ist zerschnitten. In der Wiedergabe von Jer 7,23 wird die Bundesformel ebenfalls nicht aufgenommen, der Gedankengang vielmehr mit einem Mischzitat aus Sach 7,10; 8,17 weiterführt. In der Wiedergabe von Jes 45,2 f. in Barn 11,4 ist entfallen »der deinen Namen ruft, der Gott Israels«. In Barn 13,2 wird der Gedanke, dass Gott Rebekka erhört hat (Gen 25,21), nicht rezipiert. διασαλήσονται aus Gen 25,23LXX wird nicht aufgenommen: Israel und die Christenheit werden sich nicht voneinander scheiden, da sie nie zusammen waren. Barn 13,5 legt die in sich allerdings uneinheitliche Geschichte Gen 48 einseitig zuungunsten von Manasse aus (so auch Schreckenberg: Adversus-Judaeos-Texte, 177): Dass Jakob auch ihn segnete (Gen 48,15a), entfällt (Israel ist in Wahrheit von Gott nie gesegnet gewesen); der entscheidende Schluss-Satz in Barn 13,5 (δουλεύσει τῷ ἐλάσσονι καὶ οὗτος δὲ εὐλογηθήσεται [»er wird dem Jüngeren dienen, dieser aber wird gesegnet werden«]) nimmt in seiner ersten Hälfte eine Sinnlinie von Gen 48 auf (Überlegenheit des Jüngeren gegenüber dem Älteren), ist aber frei formuliert. 26. Rhodes: Epistle of Barnabas, 57, zu der Behandlung von Lev 16 in Barn 7 und von Num 19 in Barn 8. 27. Barn 3,2 nutzt in der Wiedergabe von Jes 58,5 die Tatsache aus, dass die Septuaginta, anders als der MT, eine direkte anrede in 2. Sg. formuliert (κάμψῃς). Der von Barn 3,2 gebotene Plural κάμψητε ist stilistische Anpassung, ermöglicht durch Jes 58,4, das ebenfalls im Plural gehalten ist, und ermöglicht, den Vers als unmittelbare Anrede an Israel zu verwenden. 28. Der in der Wiedergabe von Ex 29,32 f. in Barn 7,4 begegnende Begriff ἔντερον (Eingeweide) ist in der Septuaginta, die Halacha betreffend, nicht belegt, auch nicht bei Aquila und Symmachus. Der halachisch ebenfalls nicht vorgesehene Essig (ὄξος), der aber in der Erzählung von der Tränkung Jesu Mt 27,48 begegnet, gibt einen Fingerzeig, dass der Begriff ἔντερον hier nur deshalb eingeführt wurde, »weil die symbolische Handlung der Priester nur dann auf die Tränkung des Gekreuzigten (v 3a) vorausweist (Vv 3b.5a), wenn ihre Speise neben Essig qua ungewaschenem Gedärm auch Galle enthalten konnte.« (Prostmeier: Barnabasbrief, 295). Die Lesart ἐπικατάρατος statt ἀποπομπαῖος in der Wiedergabe von Lev 16 in Barn 7,7 ist nicht als Variante in der Textüberlieferung von Lev 16 belegt, sondern als Eintrag von Dtn 21,23 her zu beurteilen (so auch Prigent / Kraft: Barnabé, 133), der wiederum auf Christus vorausweisen soll. In Barn 14,3 vermittelt πάλιν, ohne Anhalt in den Vorlagen Ex 32,7-19 und Dtn 9,12-17, den Eindruck, Israel habe auch während der ersten Zeit der Wüstenwanderung schon

574

gtvh 08105 / p. 575 / 31.3.2022

Apostolische Väter und Apologeten

2. Alttestamentliche Unheilsankündigungen werden grundsätzlich als gegen die nicht an Jesus glaubenden Juden gerichtet verstanden, auch dann, wenn diese im Prätext anders adressiert 29 oder allgemein gehalten waren. Elemente, die solcher Applikation hinderlich sind, werden ausgelassen. 30 Auch kann eine Textvorlage so verändert werden, dass sie nicht als Strafankündigung, sondern als Schuldaufweis fungiert. 31 Gelegentlich kann eine Prophetenaussage nur aufgrund der Textform der Septuaginta als Schuldaufweis verwendet werden. 32 3. Alttestamentliche Heilsankündigungen gelten grundsätzlich allein für diejenigen, die an Jesus Christus glauben, der seinerseits durch veränderte Zitate aus Num 19 33, Gen 17,23.27 34 und Ex 17,14 35 als der erwartete Heilsbringer ausgewiesen

29. 30. 31.

32.

33.

34.

35.

von jeher fremden Gottheiten gedient. Dass Ez 20,5-26 oder Dtn 32,15 f.im Hintergrund steht, ist möglich, aber nicht zu erweisen. Jes 16,2 war einst an die »Tochter Moab« gerichtet, was in Barn 11,3 nicht mehr sichtbar wird. Jes 33,17b entfällt in Barn 11,5, damit man der Stelle nicht eine irdisch zu verstehende Heilsweissagung entnehmen kann. Sach 13,7LXX wird in Barn 5,12 durch die 3. Pl. πατάξωσιν (statt πατάξω oder πατάξατε), durch das einleitende Ὅταν, durch die Ergänzung ἑαυτῶν und durch das Verbum ἀπολεῖται zu einem Schuldaufweis umfunktioniert; die genannten Elemente haben in der in sich durchaus divergierenden Texttradition von Sach 13,7 keine Entsprechung (Die 3. Ps. Pl. ist in der Texttradition von Sach 13,7 nicht belegt, lässt sich aber redaktionelle Umwandlung des im Hauptstrom der Textüberlieferung bezeugten Imp. 2. Pl. erklären). Juden erscheinen somit als Subjekt der Kreuzigung Jesu; der Untergang Jerusalems gilt dem Autor als die Strafe dafür. Mitbedingt sein kann diese Exegese durch Sach 13,6 fine, wo von dem »Haus meines Geliebten« die Rede ist. Gewaltsame Exegese ist es ebenfalls, wenn Barnabas in der Einleitung von Barn 5,12 sagt, dass die Verwundung seines Fleisches von ihnen stammt (ἐξ αὐτῶν betont am Schluss!). Barn 6,7 zitiert Jes 3,9 f.LXX ohne Veränderungen. Innerhalb der Textüberlieferung von Jes 3,10 ist δήσωμεν in LXX Veränderung gegenüber MT, setzt wahrscheinlich ‫ אסרו‬statt des in MT durch Hapaxlegomenon entfallenen ‫( אשׁרי‬glücklich, selig) voraus. Vor allem deshalb wird die Stelle für Barnabas als Voraussage des Leidens Christi brauchbar (ebenso dann u. a. auch bei Justin, dial. 133,2 Bobichon I, 542). Die δάμαλις (»Kuh«) von Barn 8,1 wird in Barn 8,2 zum μόσχος (»Ochs«, der Begriff fehlt in Num 19 völlig); die Männer mit den vollkommenen Sünden sind in Num 19 nicht benannt, vielmehr wird aus einer allgemeinen anthropologischen Erwägung über die Sündhaftigkeit aller Menschen die Sündhaftigkeit speziell derer, die sich an Jesus vergangen haben. Für den Eintrag des erwägen Prigent / Kraft: Barnabé, 138, die Bnutzung einer um diesen Begriff gebildeten Testimoniensammlung. In Barn 8,1.3 werden παιδία eingeführt, die in Num 19 nicht vorgesehen sind. Die besprengenden Kinder stehen für die zwölf Apostel; die später in die Darstellung eingeführte Dreizahl der Kinder steht als Zeugnis für Abraham, Isaak und Jakob. In Barn 9,8 ist die Zahlenangabe 318 aus Gen 14,14 (Zahl der Hausgenossen Abrahams) in die Wiedergabe von Gen 17,23.27 mit hineingenommen (das hat keine Vorlage in LXX), sie ermöglicht in typologischer Auslegung den Bezug zum Kreuz Jesu (ausgehend vom Zahlenwert: Ι = 10; Η = 8; Τ = 300; Ι und Η stehen für Jesus, das Τ steht für das Kreuz). In die ohnehin recht freie Wiedergabe von Ex 17,14 in Barn 12,9 wird die Wendung υἱὸν θεοῦ eingetragen, um den zu bezeichnen, der »am Ende der Tage« (das hat kein Vorbild in Ex 17,14) das ganze Haus Amaleks vernichten wird. Der Autor nutzt aus, dass der Name Josua in der Septuaginta mit Ἰησοῦς wiedergegeben wird.

575

gtvh 08105 / p. 576 / 31.3.2022

Apokryphen, Kirchenordnungen, Apostolische Väter, Apologeten

wird. »Zitate« werden nicht selten durch Auslassungen 36, Ergänzungen 37 und Veränderungen 38 an diesen neuen Verwendungszweck angeglichen.

2. Apologeten Literatur Editionen und Übersetzungen The Acts of the Christian Martyrs. Introduction, Texts, and Translations, ed. Herbert Musurillo, Oxford Early Christian Texts, Oxford 1972 – Athenagoras: Legatio pro Christianis, ed. Miroslav Marcovich, PTS 31, Berlin / New York 1990 – Firmicus Maternus: De errore religionum profanarum, ed. Konrat Ziegler, Leipzig 1907 – Justinus: Apologie pour les Chrétiens, ed. Charles Munier, SC 507, Paris 2006 – Justinus Martyr: Apologiae pro Christianis, ed. Miroslav Marcovich, PTS 38, Berlin / New York 1994 – Justinus Martyr: Dialogus, ed. Philippe Bobichon, Par. 47/1-2, Fribourg 2003 – Justinus: Dialogus, ed. Miroslav Marcovich, PTS 47, Berlin / New York 1997 – Ps.-Iustinus: Cohortatio ad Graecos; de monarchia; oratio ad Graecos, ed. Miroslav Marcovich, PTS 32, Berlin / New York 1990 – Theophilus Antioch.: Ad Autolycum, ed. Miroslav Marcovich, PTS 44, Berlin / New Yok 1995.

Weitere Literatur Albl, Martin C.: And Scripture cannot be Broken: The Form and Function of the Early Christian Testimonia Collections, NT.S 96, Leiden 1999 – Brucker, Ralph: Psalm 23[24] – Text, Wirkung, Rezeption, in: Wolfgang Kraus / Siegfried Kreuzer (ed.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 405-429 – Derrett, John Duncan Martin: Ο ΚΥΡΙΟΣ ΕΒΑΣΙΛΕΥΣΕΝ ΑΠΟ ΤΟΥ ΞΥΛΟΥ, VigChr 43 (1989), 378-392 – Gallagher, Edmon L., Hebrew Scripture in Patristic Biblical Theory. Canon, Language, Text. VC.S 114, Leiden 2012 – Hengel, Martin: Die Septuaginta als ›christliche Schriftensammlung‹, ihre Vorgeschichte und das Problem ihres Kanons, in: Martin Hengel / Anna Maria Schwemer (ed.), Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum, WUNT 72, Tübingen 1994, 182-284 – Kar36. In der Wiedergabe von Jes 33,16 in Barn 11,5 wird 33,16bα ausgelassen, damit die Stelle auf das Taufwasser gedeutet werden kann. 37. Bei der Wiedergabe von Num 21,8 f. in Barn 12,7 ist das Element ξύλον (»Holz) statt σημεῖον (»Zeichen«) vom Autor des Barnabasbriefes eingetragen, um die Deutung auf das Kreuz Christi zu ermöglichen. Sein Wirken wird ohnehin mit dem Schluss (ὅτι αὐτὸς ὤν νεκρὸς δύναται ζωοποιῆσαι [»denn sie [scil. die eherne Schlange] kann, obwohl sie tot ist, lebendig machen«]) extra gewürdigt. Bei der Wiedergabe von Gen 17,4 f. in Barn 13,7 wird das Element (ἐθνῶν) τῶν πιστεύοντων δι’ ἀκροβυστίας τῷ θεῷ (»der [Völker], die in Unbeschnittenheit an Gott glauben«) hinzugefügt, um Abraham speziell als Vater der Nichtjuden in Beschlag zu nehmen und den Juden zu entwinden. 38. Barn 6,16 ist Mischzitat aus Ps 21[22],23 und Ps 107[108], 4. Aus Ps 107 kommen die Verben, aus Ps 21 die Angabe »meinen Brüdern« und »Gemeinde«. Barn ändert hierin gegenüber LXX und MT ab (Barn 11,6: »Gemeinde der Heiligen«; Ps 21[22],23: Gemeinde), um die Christliche Gemeinde zu kennzeichnen. Barn 11,4 zitiert Jes 45,2 f., ändert aber zum Schluss, um die Heilsweissagung von Israel auf die Kirche zu verschieben. In Jes 45,3 LXX heißt es: ἀνοίξω σοι, ἵνα γνῷς (»ich will dir eröffnen, dass du erkennst«), in Barn 11,4 ist die Wendung ἀνοίξω σοι entfallen, und i. f. heißt es pluralisch ἵνα γνῶσιν (damit sie erkennen«), um die Christenheit als das erkennende Subjekt einzuführen. Entfallen ist die Wendung »der deinen Namen ruft, der Gott Israels«.

576

gtvh 08105 / p. 577 / 31.3.2022

Apostolische Väter und Apologeten

rer, Martin / Sigismund, Marcus / Schmid, Ulrich: Textgeschichtliche Beobachtungen zu den Zusätzen in den Septuaginta-Psalmen, in: Wolfgang Kraus / Martin Karrer (ed.), Die Septuaginta. Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 140-161 – Kreuzer, Siegfried: Übersetzung – Revision – Überlieferung. Probleme und Aufgaben in den Geschichtsbüchern, in: Wolfgang Kraus / Martin Karrer (ed.), Die Septuaginta. Texte, Theologien, Einflüsse, WUNT 252, Tübingen 2010, 101-116. – Meiser, Martin: Die Septuaginta-Zitate des Neuen Testaments bei Justin, in: Johannes de Vries / Martin Karrer (ed.), Textual History and the Reception of Scripture in Early Christianity / Textgeschichte und Schriftrezeption im frühen Christentum, SCS 60, Atlanta 2013, 323-348. – Müller, Mogens: Die Septuaginta als Bibeltext in der ältesten Kirche, in: Wolfgang Kraus / Siegfried Kreuzer (ed.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 613-636. – Prostmeier, Ferdinand Rupert: Gen 1-3 in Theophilos von Antiochia ›An Autolykos‹. Beobachtungen zu Text und Textgeschichte der Septuagintagenesis, in: Johannes de Vries / Martin Karrer (ed.), Textgeschichte und Schriftrezeption im frühen Christentum / Textual History and the Reception of Scripture in Early Christianity, SCS 60, Atlanta 2013, 359-393. – Rogers, Rick: Theophilus of Antioch: The Life and Thought of a Second-century Bishop, Lanham 2000. – Smit Sibinga, Joost: The O.T. Text of Justin the Martyr. Vol. I, The Pentateuch, Leiden 1963. – Skarsaune, Oskar: Proof from Prophecy. A Study in Justin Martyr’s Proof-Text Tradition: Text-Type, Provenance, Theological Profile, NT.S 56, Leiden 1987 – Steyn, Gert J.: Torah Quotations common to Philo, Hebrews, Clemens Romanus and Justin Martyr: What is the common denominator?, in: Cilliers Breytenbach / Johan G. Thom / Jeremy Punt (ed.), The New Testament Interpreted. FS Bernard C. Lategan, NT.S 124, Leiden 2006, 135-151.

Die Frage nach der Wirkung Septuaginta-spezifischer Aussagen bei den Apologeten kann sich i. W. auf Justin, Ps.-Justin, Athenagoras und Theophilos von Antiochia beschränken; bei Tatian, Minucius Felix sowie im Diognetbrief finden sich keine Septuaginta-Zitate. Die meisten Themen, in denen sich die Apologeten auf Septuaginta-Spezifisches beziehen, sind auch durch die Rezeption alttestamentlicher Texte berührt, bei denen keine Differenz zwischen Septuaginta und Masoretischem Text vorliegt. Natürlich kann nicht die Rezeption des Alten Testamentes bei den Apologeten insgesamt dargestellt werden. Aber auch Septuaginta-spezifische Lesarten werden hier nur vorgeführt, wenn die Apologeten in kommentierenden Äußerungen speziell auf sie Bezug nehmen.

2.1 Justin Dass bei Justin 39 aus dem sog. Alten Testament i. W. Stellen aus den Büchern Genesis, Psalmen und Jesaja in Septuaginta-spezifischer Fassung 40 von Bedeutung werden, ist wenig erstaunlich. Alttestamentliche Texte dienen bei Justin generell einem dreifachen 39. Im Falle Justins muss man sich die Überlieferungsbedingungen vor Augen halten, die nicht immer ein zweifelsfreies Urteil darüber zulassen, was Justin wirklich gelesen hat (vgl. insgesamt Meiser: Septuaginta-Zitate, 323-327). Allerdings lässt sich, so zu Recht Skarsaune: Proof, 17-20; Albl: Scripture, 103 Anm. 27, nicht nachweisen, dass im Lauf der Textüberlieferung der Werke Justins die Bibelzitate grundsätzlich an den Text der Septuaginta angeglichen wurden. Smit Sibinga: Old Testament Text, 149 f., zufolge spiegeln die alttestamentlichen Zitate bei Justin nicht selten einen Stand der Textentwicklung noch vor den großen SeptuagintaCodices. Im Falle von Divergenzen zwischen den Editoren Marcovich und Bobichon bzw. Munier ist grundsätzlich eher dem zurückhaltenden Urteil der Letztgenannten zu folgen.

577

gtvh 08105 / p. 578 / 31.3.2022

Apokryphen, Kirchenordnungen, Apostolische Väter, Apologeten

Nachweis: 1. Jesus ist der von Gott angekündigte Messias, dessen Weg auch im Detail in der Heiligen Schrift vorabgebildet ist. 2. Gottes heilvolle Zuwendung an Israel erging noch vor der Übermittlung von Beschneidungsgeboten, Sabbat und Opfergesetzen, die dem Volk nur wegen seiner Sündhaftigkeit gegeben wurden. 3. Gott hat auch die Heiden in das Heil einbezogen. Gen 1,2 verbürgt ad vocem ἀκατασκεύαστος (»ungestaltet«) die Konvergenz zwischen biblischer Schöpfungsvorstellung und platonischer Kosmogonie, derzufolge die Welt aus ungeordneter Materie heraus entstanden ist. 41 Aus Gen 49,10 dient der Anfang mit dem nur bei Justin gebotenen ἔσται 42, aber auch der Schluss in der Lesart ἕως ἂν ἔλθῃ ᾧ ἀπόκειται (»bis der kommt, dem es vorbehalten ist«) 43 für Justin als Vorverweis auf Christus. 44 Lev 26,41LXX (»im Land der Feinde vernichten« diff. MT: »ins Land der Feinde bringen«) wird zur Begründung des Strafgerichtes Gottes, kulminierend in den Katastrophen von 70 n. Chr. und 135 n. Chr., herangezogen. 45 Ps 3,6 dient aufgrund des ἐξεγέρθην (»ich wachte auf«) als Vorverweis auf die Auferstehung Jesu. 46 Ps 13,2 f. in seiner Erweiterung 47 ist in dial. 27,3 einer der Belege dafür, warum Gott speziell den Juden die Sabbatgesetze gegeben hat. 48 Aus Ps 23 [24],7.9LXX ermöglicht das neu eingeführte Stichwort ἄρχοντες (eigentlich: »Herrscher«), bei Justin auf die himmlischen Torwächter gedeutet 49, den Psalm insgesamt auf die Himmelfahrt Jesu zu beziehen. 50

40.

41. 42. 43. 44.

45. 46. 47.

48. 49. 50.

Nur aus praktischen Gründen werden hier die Seitenzahlen sowohl nach Marcovich als auch nach Bobichon bzw. Munier wiedergegeben. Zu »Justin und die Septuaginta« vgl. insgesamt Hengel: Septuaginta, 188-198; Müller: Septuaginta als Bibeltext, 613-617. – Manchmal erklärt Justin selbst eine Differenz zwischen Septuaginta und Masoretischem Text als für seine Argumentation bedeutungslos, so etwa in Dial. 124,4; 131,1, PTS 47, 285; 296 // Bobichon I, 518-520; 534. 1.Apol. 59,3, PTS 38, 115 // SC 507, 284. Dazu vgl. Smit Sibinga: Old Testament Text, 34-36. Diese Lesart begegnet auch in 1.Apol. 32,1; 54,5, PTS 38, 78; 108// SC 507, 212; 272. Zur Textkritik dieser Zitate bei Justin vgl. Smit Sibinga: Old Testament Text, 76. 1.Apol. 32,1, PTS 38, 78// SC 507, 212; Dial. 120,4, PTS 38, 277 // Bobichon I, 506. In Dial. 120,4 – schon in Dial. 120,3 ist ᾧ ἀπόκειται zu lesen (Bobichon II, 875 Anm. 8) – polemisiert Justin gegen die Lesart ἕως ἂν ἔλθῃ τὰ ἀποκείμενα αὐτῷ (»bis das kommt, was für ihn aufbewahrt ist«), der er andernorts ohne weitere Bemerkungen folgt (Dial. 52,2, PTS 47, 155 // Bobichon I, 314. Dial. 16,1 f., PTS 47,96 // Bobichon I, 222. Dial. 97,1, PTS 47, 236// Bobichon I, 448. In 1. Apol. 38,5 enthält cod. Parisinus 450 die Variante ἀνέστην, PTS 38, 86), die Munier, SC 507, 228, in den Haupttext übernimmt. Zur kaum lösbaren textgeschichtlichen Problematik von Ps 13LXX vgl. Karrer / Sigismund / Schmid: Beobachtungen, 143-156. Auch Bobichon II, 658 legt sich nicht fest, ob bei Justin ein freies Zitat aus Paulus oder ein Zitat aus einer Testimoniensammlung vorliegt. Dial. 27,3, PTS 47, 113 // Bobichon I, 248. Dial. 36,3-6, PTS 47, 130 f. // Bobichon I, 274. Brucker: Ps 23[24], 419 f. Für die Wiederholung in Dial. 85,1, Bobichon I, 416, rechnet Skarsaune: Proof, 84, mit einer Textform, die aus einer der von ihm vermuteten Testimoniensammlungen stammt, dasselbe für 1.Apol. 51,7 (Skarsaune: Proof, 156), wo das Stichwort ἄρχοντες in Justins Text nicht auftaucht.

578

gtvh 08105 / p. 579 / 31.3.2022

Apostolische Väter und Apologeten

In Justins Rezeption von Ps 95[96],10 51 gilt der Zusatz ἀπὸ τοῦ ξύλου (»vom Holz her«) im Allgemeinen als additamentum Christianum. 52 Justin ist fest davon überzeugt, dass Juden diese Worte gestrichen hätten, um den Verweis auf Jesu Kreuz unmöglich zu machen. 53 Oskar Skarsaune hält den in 1.Apol. 16,1-4 gebotenen Text für ein Zitat aus einer Testimoniensammlung 54, für die 1Chr 16, 23-31 der eigentliche Bezugstext war, und vermutet, dass Justin in Dial. 73,3 f. den erwähnten Zusatz nicht gelesen hat; erst die modernen Herausgeber hätten ihn eingefügt. 55 Duncan Derrett zufolge hat Justin eine Psalmenhandschrift benützt, in der auf der Grundlage von 1Chr 16,32 die Worte enthalten waren – der Abschreiber verstand die Präposition ἀπό in dem Zusatz in Ps 95 aber nicht als lokale, sondern als temporale oder kausative Angabe. 56 Jes 3,10 dient, was nur von der Septuagintafassung aus möglich ist, als Vorverweis auf die Hinrichtung Jesu 57, Jes 7,14 mit der Lesart παρθένος als Vorankündigung der Geburt Jesu durch eine Jungfrau 58; die Lesart νεᾶνις hält Justin für eine antichristliche Änderung. 59 Er lässt auch ein nach ihm öfters wiederholtes Argument erkennen, warum s. E. nur die Lesart παρθένος sinnvoll ist: Der Hinweis auf das bloße Lebensalter hätte die Bezeichnung als σημεῖον nicht gerechtfertigt. 60 Jes 9,6LXX fungiert aufgrund der Wendung (ἄγγελος) μεγάλης βουλῆς für Justin als Vorverweis auf das Hinzutreten von Nichtjuden in die Gemeinde. 61 Jes 53,9bLXX (καὶ δώσω … τοὺς πλουσίους ἀντὶ τοῦ θανάτου αὐτοῦ [»und ich werde … die Reichen anstelle seines Todes geben«]) dient als Voraussage der Auferstehung Christi. 62 Im Anschluss an ein Zitat von Jes 55,3 63 wird in dial. 12,2 der von Gott angekündigte neue Bund 64 aufgrund von Jes

51. 1.Apol. 41,4, PTS 38, 90 // SC 507, 238; Dial. 73,3 f., PTS 47, 196 // Bobichon I, 382. 52. Die Worte fehlen in den Codices B, S und A. Barn 8,5 (ὅτι ἡ βασιλεία Ἰησοῦ ἐπὶ ξύλῳ) könnte bestätigen, dass der Zusatz schon vor Justin bekannt war. 53. Dial. 73,1, PTS 47, 195 // Bobichon I, 382. 54. Unter Heranziehung anderer Texte (Gen 21,12; 22,16 f.; 28,15; Num 12,7) hat Steyn: Torah Quotations, passim, sich insgesamt septisch zur Benutzung einer Testimoniensammlung durch Justin ausgesprochen. 55. Skarsaune: Proof, 37-39. Auch Bobichon I, 382 Anm 10 lässt das erkennen. 56. Duncan: ΚΥΡΙΟΣ, 384 f. 57. Justin: Dial. 133,2; 136,2; 137,3, PTS 47, 300; 306; 307 // Bobichon I, 540; 550; 552; ähnlich auch in M.Apol. 39 (Musurillo, 100). Zu Einzelheiten des Umgangs Justins mit den variierenden Lesarten ἄρωμεν/δήσωμεν vgl. Meiser: Septuaginta-Zitate, 328 f. 58. In 1.Apol. 33,1, PTS 38, 80 // SC 507, 216; Dial. 43,5.7; 66,2.4; 84,1, PTS 47, 141; 184; 215 // Bobichon I, 290; 292; 362; 364; 414 u. ö. 59. Dial. 71,3; 84,3, PTS 47, 193; 215 // Bobichon I, 380; 414. Justins These von der jüdischen Textverfälschung geht von der Prämisse aus, dass die Septuaginta dem hebr. Original erheblich näher komme als die neueren jüdischen Texte (Gallgher: Scripture, 176). 60. Justin: Dial. 84,1, PTS 47, 215 // Bobichon I, 414; ebenso später Irenaeus: Haer. III, 19,3; 21,6, FC 8/3, 242.266; Origenes, Cels. I, 35, GCS 2, 86, u. a. 61. Dial. 76,3 f., PTS 47, 201// Bobichon I, 394. 62. Dial. 97,2, PTS 47, 237// Bobichon I, 448. 63. Zu den Textdifferenzen zu Dial. 14,4, PTS 47, 94 // Bobichon I, 218, vgl. Skarsaune: Proof, 64. 64. In Dial. 11,3, PTS 47, 88// Bobichon I, 210, wird Jer 38,21 zitiert, nicht hingegen Jer 38,22 mit seinen Eigenheiten des Septuaginta-Textes.

579

gtvh 08105 / p. 580 / 31.3.2022

Apokryphen, Kirchenordnungen, Apostolische Väter, Apologeten

55,3LXX (ὅσια diff. MT ‫חסדי‬, »zuverlässig«) als »heilig« qualifiziert 65, was die von Justin den nicht an Jesus glaubenden Juden unterstellte Ablehnung des Bundes Gottes umso unbegreiflicher macht. Jes 57,2LXX dient wiederum als Beweis für die Auferweckung Christi. 66

2.2 Pseudo-Justin und Athenagoras Ps.-Justin 67 entnimmt aus Gen 3,5 die Hinwendung der Menschen zum Polytheismus, dem sich die Menschen nach Verlassen des Paradieses zugewandt hätten. 68 Ex 3,14 bietet ihm sowohl die Lehre, dass Gott keinen Namen habe (ähnlich bereits Philo, VitMos. I 14), als auch die Abgrenzung gegen den Polytheismus. 69 Platon habe seine in Tim 27c geäußerten theologischen Anschauungen aus Mose entlehnt; Ps.-Justinus erklärt die Differenz zwischen ὁ ὤν (»Der Seiende«, Ex 3,14) und τὸ ὄν (»Das Seiende«, Platon) ausdrücklich für bedeutungslos. 70 Athenagoras entnimmt Prov 8,22 LXX den Gedanken der Schöpfungsmittlerschaft des Sohnes. 71

2.3 Theophilos von Antiochia Auch bei Theophilos von Antiochia 72 impliziert Gen 1,2 ad vocem ἀκατασκεύαστος die Konvergenz zwischen biblischer Schöpfungsvorstellung und platonischer Kosmogonie, derzufolge die Welt aus ungeordneter Materie heraus entstanden ist. 73 Aus der Septuaginta-spezifischen Wiederholung des Wortes ἔθετο erschließt Theophilos, dass in Gen 2,8 von der ersten, in Gen 2,15 von der eschatologischen Versetzung Adams ins Paradies geredet sei. 74 In III 24 folgt Theophilos in den chronologischen Angaben von Gen 5 der Lesart der Septuaginta. 75 Nicht die griechischen Schriftsteller, sondern die Heiligen Schriften haben über das Alter der Welt also das Wahre gesagt.

2.4 Firmicus Maternus Bei Firmicus Maternus dienen die »Hörner« nach Hab 3,4 cod. Barberini als Vorverweis auf das Kreuz Christi 76, Ps 23,7 (der lateinische Text »Tore eures Fürsten« setzt die 65. Dial. 12,2, PTS 47, 89 // Bobichon I, 212. 66. 1.Apol. 48,6, PTS 38, 99 // SC 507, 254; Dial. 97,2; 118,1, PTS 47, 237; 273 // Bobichon I, 448; 500. 67. Zu seiner Fassung der Entstehungslegende der Septuaginta in Cohortatio ad Graecos 13,1-3, PTS 32, 40 f., vgl. in diesem Band Mogens Müller, 41-42 (Marcellos von Ancyra). 68. Ps.-Justin: Cohortatio ad Graecos 21,2, PTS 32, 51. 69. Ps.-Justin: Cohortatio ad Graecos 21, 2-4, PTS 32, 51 f. 70. Ps.-Justin: Cohortatio ad Graecos 22,1 f., PTS 32, 53. 71. Athenagoras: Suppl. 10,4, PTS 31,41. 72. Auf die Bedeutung der Theophilos-Zitate von Gen 1-3 für die Textgeschichte dieser Kapitel kann nur verwiesen werden, vgl. Prostmeier: Gen 1-3, 364; 387f, wo er eine besondere Nähe zu dem Text der Handschriften 75 und 508 feststellt. 73. Theophilos: Autol. II, 10,9, PTS 44, 54. 74. Theophilos: Autol. II, 26,2, PTS 44, 76. Dazu Rogers: Theophilus, 47. 75. Theophilos: Autol. III, 24,1-4, PTS 44, 127 f. 76. Firmicus Maternus: Err. 21,4, Ziegler 56.

580

gtvh 08105 / p. 581 / 31.3.2022

Apostolische Väter und Apologeten

Verschreibung des Nom. Pl. ἄρχοντες zum Gen. Sg. ἄρχοντος voraus) als Vorverweis auf die Himmelfahrt Christi 77, die pluralische Lesart ἔσεσθε ὡς θεοί (»ihr werdet sein wie Götter«) in Gen 3,5 als Vorverweis dafür, dass der Teufel die Menschen zur Verehrung fremder Götter geführt habe (26,1). 78

77. Firmicus Maternus: Err. 24,4, Ziegler, 62. 78. Firmicus Maternus: Err. 26,1, Ziegler, 67.

581

gtvh 08105 / p. 582 / 31.3.2022

3.4 Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.) 3.4.1 Irenaeus Stephen O. Presley Literature Texts and Editions Irénée de Lyon: La Démonstration de la Prédication Apostolique, ed. Adelin Rousseau, SC 406, Paris 1995 – Irénée de Lyon, Contre les hérésies, Livre I-V, ed. Adelin Rousseau et al., SC 100.12, 152-153, 210-111, 263-264, 293-294, Paris 1965-1982.

Secondary Literature Benoît, André: Saint Irénée: Introduction à l’étude de sa théologie; Paris 1960, 81-86 – Chapman, John: Did the Translator of St Irenaeus use a Latin New Testament?, Revue Bénédictine 36 (1924), 34-51 – Gallagher, Edmon L.: Hebrew Scripture in Patristic Biblical Theory: Canon, Language, Text, Leiden 2012 – Kauhanen, Tuukka: Irenaeus and the Text of 1 Samuel, VT 59 (2009), 415-428 – Lundström, Sven: Studien zur lateinischen Irenäusübersetzung, Lund 1943 – Presley, Stephen O.: The Intertextual Reception of Genesis 1-3 in Irenaeus of Lyons, Leiden 2015 – Souter, Alexander: The Date and Place of the Latin Translator of Irenaeus, in: William Sanday / Cuthbert Hamilton Turner (ed.), Novum Testamentum Sancti Irenaei Episcopi Lugdunensis, Oxford 1923, lxv-cvi – Starratt, Alfred B.: The Use of the Septuagint in the Five Books Against Heresies by Irenaeus of Lyons, Ph.D. diss., Harvard University 1952 – Wasserstein Abraham / Wasserstein, David J.: The Legend of the Septuagint: From Classical Antiquity to Today, Cambridge, MA 2005.

Irenaeus is one of the earliest and most important witnesses to the Christian adoption of the Septuagint. He was from Smyrna and had some interaction with Polycarp, but eventually settled down in Lyons where he became bishop in the late second century. His principle work was a five-volume refutation of Gnosticism commonly known as Against Heresies. In the early twentieth century a manuscript and several fragments of another short work entitled On the Apostolic Preaching was discovered in Armenia. Below I discuss several facets of the use of the Septuagint in Irenaeus’ works including his apology for the translation, the manuscript tradition of his writings, and the general interpretation and function of the Septuagint in his works. First, like others before him, Irenaeus defends the Septuagint with one of the earliest Christian accounts of the translation of the seventy derived from the Letter of Aristeas and others (Haer 3.21.1-4). At one point in his polemic, his apology for the Christian interpretation of Isa 7:14 leads to a defense of the translation of the Septuagint altogether. He questions the newer translation of the passage in Aquila and Theodotian that changes the wording of the text from παρθένος to νεανις and argues that 582

gtvh 08105 / p. 583 / 31.3.2022

Irenaeus

this alteration was influenced by an ideological agenda that denies the incarnation. In this sense, Irenaeus’ argument for the authority of the Septuagint begins with a theological claim based upon the apostolic interpretation of the fulfillment of Isa 7:14 (c.f. Matt 1:22-23). He believes the Hebrew and Septuagint are a unified witness so that the denial of the fulfillment of the prophecy is a denial of the right reading of the Hebrew passage. He supported these views with four subsequent arguments detailed in Haer 3.21.11 3. First, the Jews made the translation, so there was no possibility of Christian influence. 2 Second, the translation preceded the coming of Christ, so Christians were not conforming the text to fit their messianic claims. 3 Third, the legend of the supernatural agreement of the seventy translators confirms, for Irenaeus, the inspiration and authority of the translation. 4 Finally, and most importantly, the apostles use the Septuagint and referred to the prophetic texts “just as the interpretation of the elders contains them.” 5 From Irenaeus’ perspective, both Jews and Gentiles perceived that “the Scriptures have been interpreted by the inspiration of God”. 6 His version of the legend of the translation, which borrows from Philo, is among the first in the early church to describe how the king, fearing that some might try to conceal the truth, separated translators. Then the individual translations were compared together in the presence of the king and found to be in complete agreement. 7 In Irenaeus’ view, this legend of the supernatural work of translating is not entirely unique. He points to the earlier example of the post-exilic reproduction of the Jewish Scriptures under Ezra (c.f. 4 Ezra 14.37-48). Second, turning to the rest of Irenaeus’ works, the analysis of his use of the Septuagint is complicated by the fact that no complete Greek translation of his works survives. Portions of Haer 1 were preserved in Greek by church fathers such as Hippolytus, Epiphanies, Eusebius, Theodoret of Cyrus, and John of Damascus, but most of Haer 1 contains descriptions of the assorted schools of Gnosticism and their interpretations of scripture. There is a complete Latin translation of Haer 1-5, an Armenian translation of Haer 4-5, and some sections in Syriac. The Latin translation was made some time during the third or fourth century since Augustine had a copy in the early fifth century. 8 Studies continue to show that the Latin translator, more or less, followed the Greek slavishly and translated the Greek text word-for word. 9 It does not appear that the Latin translator consulted other Latin translations in order to amend Irenaeus’ text or alter his use of scripture. This suggests that Irenaeus’ text, while in Latin, is still a reliable source for studying his use of the Septuagint. The critical edition of Against Heresies in Sources Chrétiennes provides a retroversion in Greek alongside 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

Gallagher: Hebrew Scripture in Patristic Biblical Theory, 176-177. Haer. 3.21.1, SC 211, 398-408. Haer. 3.21.1, SC 211, 400. Haer. 3.21.2, SC 211, 402-404. Haer. 3.21.3, SC 211, 408. Haer. 3.21.2, SC 211, 404. Wasserstein / Wasserstein: Legend, 101 f. Souter: Date and Place, lxvii. See also Chapman: Did the Translator of St Irenaeus use, passim. Kauhanen: Irenaeus. See also Lundström: Studien, 15.

583

gtvh 08105 / p. 584 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

the Latin text. 10 The text of On the Apostolic Preaching, on the other hand, survives only in an Armenian manuscript, but in Sources Chrétiennes there is a literal Latin translation of the Armenian and extensive notes and discussions of the original Greek. Like Against Heresies it appears that it was translated word-for-word from the Greek text. 11 Therefore, in spite of not possessing any extant copies of the original Greek, it is still possible to analyze Irenaeus’ use of the Septuagint with the various translations of his texts. Third, Irenaeus believes the Old Testament, in general, serves two main purposes: to bring the people into service of God and to foreshadow the coming of the Messiah (Haer 4.32.2). 12 This two-fold perspective shapes the way Irenaeus approaches the Septuagint and there is regular interplay between the literal and spiritual, or figurative, readings. He encourages the faithful to search the Old Testament scriptures to find Christ there like a treasure hidden in the field 13 because all the prophets prefigured his coming. 14 Given this exegetical attention to the figurative aspect of the Septuagint, Irenaeus is naturally drawn to certain books that are important sources for his theological perspectives. One study of the Septuagint in Against Heresies observed 610 allusions and citations. 15 The following is a list from that study of the most frequently cited books followed by the number of allusions and citations: Isaiah, 137; Psalms, 111; Genesis, 103; Exodus, 59; Jeremiah, 38; Deuteronomy, 32; 1-2 Kings, 25; Daniel, 23; and Numbers, 11. These references constitute almost 90 percent of the total allusions and citations of the Septuagint in Against Heresies and every other book referenced (Leviticus, Joshua, Judges, Ezra, Job, Proverbs, Ezekiel, Lamentations, Hosea, Joel, Amos, Jonah, Micah, Habakkuk, Zechariah, and Malachi) has less than ten allusions and citations. It is also worth noting that of the 343 direct citations of the Septuagint in Against Heresies, only 19 are derived from narrative, the other 324 contain direct discourse attributed to God, the prophets, or the various characters imbedded within the narratives. 16 This attention to dialogue, and especially divine speech, is further evidence of Irenaeus’ view of the inspiration of the Septuagint. The references to the texts of the Septuagint in On the Apostolic Preaching follow roughly the same trend. 17 There are just over two hundred allusions and citations and the most frequently cited books include: Genesis, 59; Isaiah, 46; Psalms, 38; Exodus, 20; Numbers, 11; Deuteronomy, 7; and Jeremiah, 5. Every other book cited (Leviticus, 2 Samuel, Lamentations, Ezekiel, Hosea, Joel, Amos, Micah, Habakkuk, and Zechariah) appears fewer than five times. Finally, regarding his use of specific texts, there are a number of studies that discuss Irenaeus’ faithfulness to the language of the Septuagint. On many occasions Irenaeus’ citations and allusions deviate from the wording of the Septuagint with omis10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.

Irénée de Lyon: Contre les hérésies, Livre I-V, ed. Rousseau (et al.). Irénée de Lyon: Démonstration de la Prédication Apostolique, ed. Rousseau, 19-21. Haer. 4.32.2, SC 100, 800. Haer. 4.26.1, SC 100, 712. Haer. 4.33.10, SC 100, 822-824. Starratt: The Use of the Septuagint, 87. Starratt: The Use of the Septuagint, 99. Irénée de Lyon: Démonstration, 393-396.

584

gtvh 08105 / p. 585 / 31.3.2022

Irenaeus

sions and variations. 18 Scholars continue to debate the contents of his scripture texts and his dependence upon earlier testimony sources. At this stage, the study of Irenaeus’ use of the Septuagint is an underdeveloped area of research. While there are numerous studies of Irenaeus’ use of the Greek New Testament, there few monographs dedicated to the analysis of specific Septuagintal books in His works. 19 Much more work is needed to recover Irenaeus’ contribution in the early Christian reception of the Septuagint.

18. Benoît: Saint Irénée, 81-86. 19. Presley: The Intertextual Reception of Genesis 1-3, 27-32.

585

gtvh 08105 / p. 586 / 31.3.2022

3.4.2 Hippolyt Katharina Bracht Literatur Texte und Editionen Clemens Alex.: Protrepticus, ed. Otto Stählin, 3. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 12, Berlin 1972, 1-86 – Clemens Alex.: Stromata I–VI, ed. Otto Stählin / Ludwig Früchtel, 4. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 15, Berlin 1985; Stromata VII-VIII, ed. Otto Stählin, 3. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 17, Berlin 1972, 3-102 – Hippolytus Rom.: Kommentar zu Daniel, ed. Gottlieb Nathanael Bonwetsch, 2., vollständig veränderte Auflage von Marcel Richard, GCS.NF 7, Berlin 2000 – Irenaeus: Epideixis (Demonstratio). Darlegung der apostolischen Verkündigung, ed. Norbert Brox, FC 8/1, Freiburg 1993, 32-97 – Irenaeus: Adversus Haereses 4, ed. Norbert Brox, FC 8/4, Freiburg 1997 – Methodius von Olympius: De resurrectione, ed. Gottlieb Nathanael Bonwetsch, GCS 27, Leipzig 1917, 217-424 – Origenes: Commentarii in Iohannem, Vol. XIII, ed. Cécile Blanc, SC 222, 1975.

Weitere Literatur Bracht, Katharina: Hippolyt von Rom. Danielkommentar. Eingeleitet, übersetzt und kommentiert, BGL 80, Stuttgart 2016 – Bracht, Katharina: Hippolyts Schrift In Danielem. Kommunikative Strategien eines frühchristlichen Kommentars, STAC 85, Tübingen 2014 – Bracht, Katharina: Logos parainetikos: Der Danielkommentar des Hippolyt, in: dies. / David S. du Toit (ed.), Die Geschichte der Daniel-Auslegung in Judentum, Christentum und Islam. Studien zur Kommentierung des Danielbuches in Literatur und Kunst, BZAW 371, Berlin u. a. 2007, 7997 – Chappuzeau, Gertrud: Die Auslegung des Hohenliedes durch Hippolyt von Rom, JAC 19 (1976), 45-81 – Clavis Patrum Graecorum, Bd. 1: Patres Antenicaeni, ed. Mauritius Geerard, CChr, Turnhout 1983 – Döllinger, Johann Joseph Ignaz von: Hippolytus und Kallistus oder Die römische Kirche in der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts. Mit Rücksicht auf die Schriften und Abhandlungen der Herren Bunsen, Wordsworth, Baur und Gieseler, Regensburg 1853 – Garucci, Raffaele: Storia della arte christiana nei primi otto secoli della chiesa, Vol. 2, Prato 1872 – Kannengiesser, Charles: Hippolytus of Rome, in: ders., Handbook of Patristic Exegesis: The Bible in Ancient Christianity 1, Leiden 2004, 528-535 – Markschies, Christoph: Neue Forschungen zur sogenannten »Traditio Apostolica«, in: Robert F. Taft / Gabriele Winkler (ed.), Acts of the International Congress Comparative Liturgy Fifty Years After Anton Baumstark, OCA 265, Rom 2001, 583-598 – Markschies, Christoph: Wer schrieb die sogenannte »Traditio Apostolica«?, in: Wolfram Kinzig / Christoph Markschies / Markus Vinzent, Tauffragen und Bekenntnis. Studien zur sog. Traditio Apostolica, zu den Interrogationes de fide und zum Römischen Glaubensbekenntnis, AKG 74, Berlin u. a. 1998, 1-74 – Sörries, Reiner: Daniel in der Löwengrube. Zur Gesetzmäßigkeit frühchristlicher Ikonographie, Wiesbaden 2005 – Tuckett, Christopher M.: »Nomina sacra«: Yes and No?, in: Jean-Marie Auwers / Henk Jan de Jonge (ed.), The Biblical Canons, BEThL 163, Leuven 2003, 431-458 – Ulrich, Jörg: Innovative Apologetik. Beobachtungen zur Originalität Justins am Beispiel der Lehre vom Logos spermatikos und anderer Befunde, ThLZ 130 (2005), 3-16 – Ziegler, Joseph: Der Bibeltext im Daniel-Kommentar des Hippolyt von Rom, in: NAWG, 1952, 163-199.

586

gtvh 08105 / p. 587 / 31.3.2022

Hippolyt

1. Autor und Quellenlage Aufgrund der bis heute nicht abschließend geklärten so genannten »Hippolyt-Frage«, unter der verschiedene Forschungshypothesen zu dem Autor oder den Autoren eines nicht präzise zu fassenden Schriftenkorpus zusammengefasst sind, muss jede Äußerung zum Thema »Hippolyt« zunächst Rechenschaft über die zugrunde liegende Arbeitshypothese geben. 1 Dieser Artikel geht davon aus, dass ein römischer Autor namens Hippolyt, der vor der Wende vom zweiten zum dritten Jh. möglicherweise aus Kleinasien nach Rom eingewandert war, nicht nur die Traktate De Christo et antichristo (ca. 202 n. Chr.; CPG 1872) und Contra Noëtum (vor 213 n. Chr.; CPG 1902) sowie eine Weltchronik (CPG 1896) und eine Ostertafel (CPG 1895) verfasste, sondern vor allem zahlreiche Kommentare zu alttestamentlichen und einige Kommentare zu neutestamentlichen Schriften. Die seit Ignaz Döllinger mit dem Namen Hippolyt verbundene Schrift Refutatio omnium haeresium 2 hingegen ist wahrscheinlich einem anderen Verfasser zuzuschreiben; die in der älteren Forschung Hippolyt zugeschriebene Traditio apostolica schließlich weist eine so komplizierte Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte auf, dass kein spezifischer Autor mehr auszumachen ist. 3 Hippolyt darf als einer der frühesten christlichen Autoren gelten, die Kommentierungen biblischer Schriften in großer Zahl vorgelegt haben, und wird daher zu Recht als »a truly creative pioneer in the field of Christian exegesis« bezeichnet. 4 Kommentierungen folgender alttestamentlicher Schriften sind im ursprünglichen Griechisch oder in antiken Übersetzungen wie z. B. Georgisch, Armenisch, Syrisch, Altslavisch, Arabisch, Koptisch oder Äthiopisch erhalten (in der Reihenfolge des LXX-Kanons): Fragmenta in Genesim (CPG 1880,1-4), De benedictionibus Isaaci et Jacobi (zu Gen 27 and 49; CPG 1874), De benedictione Balaam (zu Num 22-24; CPG 1880,5), In canticum Moysis (zu Deut 32; CPG 1880,4), De benedictionibus Moysis (zu Deut 33; CPG 1875), weitere vermischte Pentateuch-Fragmente (CPG 1880,4), Fragmenta in Iudices (zu Ri 6:11.27; 15; CPG 1880,7), Fragmenta in Ruth (zu Ruth 2; 9; 14; CPG 1880,8), De David et Goliath (zu 1Kgt 17; CPG 1876), Fragmenta in Samuelis (zu 1Kgt 1; 2Kgt 5,14 und 13,21; CPG 1881), Fragmenta in Psalmos (Psalmenhomilie und zu Pss 2,7; 3,8; 22,1; 23,7; CPG 1882), Fragmenta in Proverbia (CPG 1883), Fragmenta in Ecclesiasten (CPG 1884), Fragmenta in Canticum canticorum (CPG 1871), Fragmentum in initium Isaiae (CPG 1885), Fragmentum in Ezechielem (CPG 1886) sowie Commentarium in Danielem bzw. Danielkommentar (CPG 1873). Daneben sind Kommentarfragmente zum Matthäusevangelium (CPG 1887-88), Johannesevangelium (CPG 1889) sowie zur Apokalypse (CPG 1890) erhalten. Methodisch wären für die Frage nach der LXX- bzw. Th-(= Theodotion-)Rezeption Hippolyts zunächst die alttestamentlichen Kommentare auf die Gestalt des zugrunde liegenden biblischen Prätextes, mögliche Unterschiede zur hebräischen Bibel und die Kommentierung durch Hippolyt zu befragen. Ebenso müssten die anderen 1. 2. 3. 4.

Einen knappen Überblick über die komplizierte Forschungsgeschichte bietet Bracht: Hippolyt von Rom. Danielkommentar, VII-XI. Döllinger: Hippolytus. Markschies: Wer schrieb, 56; ders.: Neuere Forschungen, 597 f. Kannengießer: Hippolytus, 529.

587

gtvh 08105 / p. 588 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

Schriften Hippolyts, die zwar nicht biblische Schriften als solche zum Thema haben, aber doch alttestamentliche Schriftbelege verwenden, unter dieser Frage ausgewertet werden. Doch stößt dieser methodische Zugang aus zwei Gründen schnell an seine Grenzen: Zum einen ist von den 17 bekannten alttestamentlichen Kommentaren nur ein einziger, nämlich der Danielkommentar, in hinreichendem Umfang im Griechischen erhalten und kritisch ediert, um überhaupt präzise Textuntersuchungen zu ermöglichen, zum anderen fehlen bisher wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema. Daher beschränkt sich dieser Artikel darauf, Hippolyts Kanon des Alten Testaments festzustellen und am Beispiel des Danielkommentars seine Th-Rezeption zu erläutern.

2. Hippolyts Kanon des Alten Testaments Hippolyt kennt und verwendet die Schriften des Alten Testaments in der Regel in der LXX-Fassung. Eine Ausnahme bildet das biblische Danielbuch, für das er im Danielkommentar den Th-Text in Lemmata ausschreibt. Dadurch trug Hippolyt in einer Situation, in der in Rom nachweislich verschiedene konkurrierende griechische Daniel-Fassungen im Umlauf waren, maßgeblich zur Kanonisierung von DanTh im Christentum bei. 5 Von den insgesamt 53 LXX-Schriften des heutigen Kanons verwendet Hippolyt nachweislich 43 Schriften. Bisher hat die patristische Forschung keine Bezüge auf oder Zitation von Stellen aus dem Buch der Oden, den Psalmen Salomos, der Weisheit Salomos, den Propheten Joel, Abdiu (Obadja), Naum (Nahum), Sophonias (Zefanja) und Aggaios (Haggai) sowie aus den Klageliedern (Threnoi) und dem Brief Jeremias (Epistole Jeremiu) nachgewiesen. Nur in Bezug auf die Weisheit Salomos und die Psalmen Salomos ist mit gutem Grund anzunehmen, dass Hippolyt sie nicht zum Bibelkanon zählte, denn in Cant. 1,2 schreibt er Salomo die Verfasserschaft von nur drei Büchern zu, die in ihrer Dreiheit die Dreieinigkeit verkündigen würden: der Sprüche, des Predigers und des Hohenlieds (Cant. 1,4-5). 6 Im Hinblick auf die anderen acht von Hippolyt nicht verwendeten Schriften lassen sich keine Gründe für ihre Nicht-Rezeption ausmachen.

3. Hippolyts Th- und LXX-Rezeption im Danielkommentar Von besonderem Interesse für die Rezeptionsgeschichte des Alten Testaments ist Hippolyts Danielkommentar auf Grundlage von DanTh, weil dieser früheste vollständig überlieferte Bibelkommentar aus christlicher Feder vollständig im Griechischen erhalten ist und daher ausreichend Textumfang bietet, damit die Patristikerin oder der Patristiker sich ein Bild von Hippolyts Schriftgebrauch und -exegese machen kann. Über

5. 6.

Bracht: Hippolyts Schrift, 42-50, da 49. Chappuzeau: Auslegung, 46 f. mit Anm. 15: Dieser Gedanke finde sich bei keinem anderen westlichen Exegeten.

588

gtvh 08105 / p. 589 / 31.3.2022

Hippolyt

den Bibeltext, den Hippolyt seiner Kommentierung zugrunde legte, gibt Joseph Ziegler (1952) grundlegend Auskunft. Hippolyt liegen die Stücke des Danielbuches offenbar in der Reihenfolge SusTh – DanTh 1-12 vor, denn er kommentiert sie in dieser Reihenfolge und bemüht sich zu erklären, weshalb die literarische Abfolge von SusTh und DanTh 1 der chronologischen Abfolge des Erzählten zuwider läuft: Der Autor habe sie dem Heilsplan des Heiligen Geistes folgend so angeordnet, damit der Teufel das Geschriebene nicht verstehe. 7 BelDrTh wird von Hippolyt hinzugezogen 8, aber wohl nicht als kanonisch angesehen, da er den Text weder mit dem entsprechenden terminus technicus γραφή bezeichnet, noch ihn dem kursorischen Lemmakommentar zugrunde legt. Hippolyt geht im Rahmen seiner historisch-paradigmatischen Schriftauslegung davon aus, dass es sich bei den in im biblischen Danielbuch berichteten Ereignissen um historische Fakten handelt, denn die Personen des Danielbuches sollen seiner Leserschaft als Vorbild dienen. Um die historischen Ereignisse zur Lebenszeit Daniels zu rekonstruieren, schöpft er hauptsächlich, wenn auch nicht ausschließlich, aus biblischen Quellen: 4Kgt 22-25; 2ChrLXX 34-36; 1Esdr 1 und JerLXX 52, SusTh und DanTh. Das Problem der in diesen Passagen vorkommenden Parallelüberlieferungen, die zudem zahlreiche Varianten aufweisen, löst er, indem er in einem in sich konsistenten Text die variierenden Überlieferungen miteinander harmonisiert und in das entstehende Bild die Erzählungen von Susanna und Daniel einzeichnet. 9 Die Susanna-Erzählung ist für Hippolyt nicht nur Teil seines Bibelkanons, sondern von besonderer Bedeutung, weil er mit Hilfe einer geschickten Kombination von Schriftstellen zeigen kann, dass Susanna eine Vorfahrin Jesu sei, obwohl sie in Mt 1,1-17 und Lk 3,23-38 nicht genannt ist. 10 Im Rahmen seiner historisch-paradigmatischen Schriftauslegung stellt er Susanna seinen Leserinnen als historisches Vorbild für Treue zu Gott, Reinheit und Heiligkeit vor Augen 11; analog dazu sollen seine Leser sich an Josef ein Beispiel nehmen 12, der der Nötigung durch die Frau Petephres’ standhält und von Gott aus dem Gefängnis gerettet wird (GenLXX 39,1-23). Hippolyt bietet als erster in der Auslegungsgeschichte eine ekklesiologische Interpretation der Susanna-Erzählung (Hipp. Dan. I), indem er in der von Religionskonflikten geprägten historischen Situation eine Strukturanalogie zwischen Susanna und der Kirche herstellt: Analog zu Susanna, die nach SusTh von zwei Ältesten zur Untreue ihrem Ehemann Joakim gegenüber versucht wird, werde die Kirche von zwei Gegnern, nämlich dem römischen Staat und dem zeitgenössischen Judentum, zur Untreue gegenüber Christus versucht. 13 In Auslegung von SusTh 22 (»Eng [ist es] mir von allen Seiten …«; einer Formulierung, die in SusLXX fehlt) erkennt Hippolyt innerchristliche Irrlehrer, vermutlich Gnostiker, als weitere Gegner der Kirche. 14 Neben dieser Struk7. Hippolyt: Dan. I, 5,2-4, GCS NF 7, 12. 8. Hippolyt: Dan. II, 26,1, GCS NF 7, 106: BelDr 4 f., Dan. II, 26,3, 35,1, GCS NF 7, 106.124: BelDr 31; Dan. II, 26,3; 35,1 GCS NF 7, 106.124: BelDr 40 f. 9. Bracht: Hippolyt von Rom. Danielkommentar, XXVII-XXXII. 10. Bracht: Hippolyt von Rom. Danielkommentar, XXXIf. 11. Hippolyt: Dan. I, 23,1 f., GCS NF 7, 52, 12. Hippolyt: Dan. I, 23,3, GCS NF 7, 52. 13. Hippolyt: Dan. I, 16,1-5, GCS NF 7, 36-38; Bracht: Hippolyts Schrift, 166-186. 14. Bracht: Hippolyts Schrift, 186-192.

589

gtvh 08105 / p. 590 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

turanalogie interpretiert er Susanna (SusTh 1 f.7) als typologische Vorausdeutung auf die Kirche, die ihrem Mann Christus die Treue halten müsse, und folglich interpretiert er Susannas Mann Joakeim als typologische Vorausdeutung auf Christus. 15 Hippolyt versteht das gesamte biblische Danielbuch als Voraussage der Wiederkunft Christi. 16 Von dem spezifischen Wortlaut von DanTh 3 ausgehend entwickelt er drei christologische Typologien: i. Das goldene Standbild, das König Nebukadnezzar nach DanTh 3,1 im 18. Jahr seiner Herrschaft zur Verehrung aufstellt, versteht Hippolyt über den Bibeltext hinausgehend als ein Bildnis Nebukadnezzars (εἰκὼν τοῦ Ναβοχοδονόσορ), das typologisch auf das Bild Gottes (GenLXX 1,26 f.), sc. Jesus Christus 17 vorausdeute. Diese Typologie wird von der Zeitangabe »im 18. Jahr« angeregt, die DanTh wie DanLXX über DanAram 3,1 hinausgehend bietet, denn das griechische Zahlzeichen für 18 besteht aus den Buchstaben ιη mit einem Strich darüber und ist so als Abkürzung des Namens »Jesus« deutbar, die sich bereits in Manuskripten des 2. Jahrhunderts nachweisen lässt. 18 ii. Hippolyt misst der Figur des vierten Mannes im Ofen (DanTh 3,91 f.) höchste Bedeutung zu, indem er ihn als den präexistenten Logos bzw. den noch nicht inkarnierten Gottessohn interpretiert 19, der – als Schöpfungsmittler – durch den Mund der Jünglinge Gott mit dem Schöpfungshymnus (DanTh 3,52-90) gepriesen habe. 20 Hippolyt modifiziert in seiner Interpretation von DanTh 3 das Konzept des präexistenten Logos spermatikos, das der ebenfalls römische Kirchenschriftsteller Justin (gest. 165 n. Chr.) wenige Jahre zuvor ausgearbeitet hatte, 21 zur Vorstellung eines uneingeschränkten Wirkens des vollkommenen Logos asarkos in der gesamten Zeit seit der Weltschöpfung bis unmittelbar vor der Inkarnation 22, um die Kontinuität des christlichen Glaubens zum Alten Testament herauszuarbeiten. iii. An späterer Stelle im Danielkommentar versteht Hippolyt die Angabe in ExLXX 25,10, die Bundeslade bestehe aus nicht-verrottendem, also unvergänglichem Holz (ἐκ ξύλων ἀσήπτων als Übersetzung von hebr. ‫ ֲעֵצי ִשִׁטּים‬aus Akazienholz), als typologische Vorausdeutung auf Christi Leib (Dan. IV, 24,1-5) 23, den er offenbar aufgrund seiner Auferstehung von den Toten als unverweslich ansieht. Den eigentlich auffälligen Wechsel der Namen der drei Jünglinge zwischen DanTh 3,23.93 (Sedrach, Misach und Abdenago) und dem in den Textbestand des aramäischhebräischen Danielbuches eingeschobenen Teil DanTh 3,24-91a (da 3,88 die Namen Ananias, Azarias und Misael) thematisiert Hippolyt nicht.

15. Hippolyt: Dan. I, 15,5, GCS NF 7, 36. 16. Hippolyt: Dan. I, 1,1; II, 33,5; IV, 37,3 f.; 39,4-6, GCS NF 7, 2.122.282.284-286. 17. Vgl. Irenaeus: Dem. 22, FC 8/1, 47; Haer. IV, 33,4, FC 8/4, 260; Clemens Alex.: Prot. 5,4; 98,3, GCS 12, 6.71; Strom. V, 94,5, GCS 52, 388; VII, 16,6, GCS 17, 12; sowie nach Hippolyt Origenes: Comm. Joh. XIII, 35,234, SC 22, 156-158; Methodius: res. I, 34,1; 35,2, GCS 27, 271.273 f. 18. Papyrus Egerton 2 und P45, s. Tuckett: »Nomina Sacra«, 431-458. Vgl. die Deutung dieses Zahlzeichens auf Jesus bereits in Barn 9,8. S. Bracht: Hippolyts Schrift, 240 f. 19. Hippolyt: Dan. II, 33,4-34,2, GCS NF 7, 122. 20. Hippolyt: Dan. II, 30,1-4, GCS NF 7, 114-116. 21. Ulrich: Innovative Apologetik. 22. Hippolyt: Dan. II, 33,5, GCS NF 7, 122, cf. Hippolyt: Noët 15,6 f. 23. Hippolyt: Dan. IV, 24,1-5, GCS NF 7, 24-248.

590

gtvh 08105 / p. 591 / 31.3.2022

Hippolyt

Obwohl die Figur Daniels in Dan 3 nicht vorkommt, fügt Hippolyt ihn gewissermaßen in die Erzählung ein, indem er schildert, wie Daniel »von fern (dabei) stand und schwieg« und den Jünglingen im Feuerofen zulächelte. 24 Möglicherweise ist eine Beziehung zwischen dieser Passage und der Freskendarstellung dieses Motivs in der Priszilla-Katakombe in Rom anzunehmen. 25 In ähnlicher Weise nimmt Hippolyt in Dan. III, 29,3.5 26 eine Interpolation in den Handlungsverlauf von DanTh 6,21 f. vor, indem er die Szene »Daniel in der Löwengrube« mit der Schilderung ausschmückt, wie die Löwen in der Grube Daniel schwanzwedelnd begrüßen und ihm als Zeichen ihrer Unterordnung die Füße lecken. 27 Auch dieses Motiv hat möglicherweise Einfluss auf die Daniel-Ikonografie ausgeübt, in der das Motiv seit dem 4. Jh. nachzuweisen ist. 28 In seinen Ausführungen zu den Endzeitereignissen in Dan. IV spricht Hippolyt von zwei Gräueln, die Daniel vorhergesagt habe, nämlich einerseits dem Gräuel der Vernichtung (βδέλυγμα ἀφανισμοῦ), das er als Antiochos IV. Epiphanes deutet, und andererseits dem Gräuel der Verwüstung (βδέλυγμα ἐρημώσεως), das er als das Kommen des Antichrist interpretiert. 29 Die Annahme zweier unterschiedlicher Gräuel scheint zunächst weder von dem DanTh-Text noch von dem DanLXX-Text, wie er in den Editionen von Rahlfs und dem Göttinger Septuaginta-Unternehmen angegeben ist, gedeckt zu sein: DanTh/LXX 9,27; DanLXX 11,31; DanTh/LXX 12,11 bieten βδέλυγμα ἐρημώσεως, nur DanTh 11,31 das ähnliche βδέλυγμα ἠφανισμένον (zerstörtes Gräuel). Möglicherweise lag Hippolyt eine varia lectio zu DanTh 11,31 mit dem Wortlaut βδέλυγμα ἀφανισμοῦ vor, oder er wollte den ihm vorliegenden Text korrigieren.

24. 25. 26. 27.

Hippolyt: Dan. II, 18,2, GCS NF 7, 94-96. Garucci: Storia della arte christiana Vol. 2/1, 87; s. Bracht: Logos parainetikos, 79 f. Hippolyt: Dan. III, 29,3.5, GCS NF 7, 186. Als Beleg für die Plausibilität dieses Wunders bezieht Hippolyt sich auf die vergleichbare Erfahrung des Paulus, s. 1Kor 15,32; 2Tim 17 in Verbindung mit Acta Theclae 28.33; Acta Pauli 7, PH p. 4-5. 28. S. Sörries: Daniel in der Löwengrube, 156. 29. Hippolyt: Dan. IV, 53,1, GCS NF 7, 318.

591

gtvh 08105 / p. 592 / 31.3.2022

3.4.3 Origenes Karin Metzler Literatur Texte und Editionen Bandt, Cordula / Risch, Franz Xaver / Villani, Barbara (ed.): Die Prologtexte zu den Psalmen von Origenes und Eusebius, TU 183, Berlin/Boston 2018, 10-26 – Blanc, Cécile (ed.): Origène, Commentaire sur Saint Jean. Tome II: Livres VI et X. Texte grec, avant-propos, traduction et notes, SC 157, Paris 1970 – Borret, Marcel (ed.): Origène, Contre Celse. Introduction, texte critique, traduction et notes, SC 132.136.147.150, Paris 1961-1971 – Gregg, John Allen Fitzgerald (ed.): Documents: The commentary of Origen upon the epistle to the Ephesians, JThS 3 (1902), 233-244; 398-420; 554-576 – Guéraud, Octave / Nautin, Pierre (ed.): Origène, Sur la Pâque. Traité inédit publié d’après un papyrus de Toura, CAnt 2, Paris 1979 – Harl, Marguerite (ed.): Origène, Sur les écritures in: Nicholas Robert Michael de Lange (ed.), Lettre à Africanus sur l’histoire de Suzanne, SC 302, Paris 1983, 469-578 – Klostermann, Erich / Nautin, Pierre (ed.): Origenes, Werke. 3. Bd.: Jeremiahomilien. Klageliederkommentar. Erklärung der Samuel- und Königsbücher, GCS 6, Berlin 21983 – Klostermann, Erich / Benz, Ernst (ed.): Origenes, Werke. 10. Bd.: Matthäuserklärung. 1. Die griechisch erhaltenen Tomoi, GCS 40, Leipzig / Berlin 1935 – Metzler, Karin: Die Kommentierung des Buches Genesis. Eingeleitet, übersetzt und erläutert, Origenes, Werke mit deutscher Übersetzung 1/1, Berlin/New York 2010 – Origenes: Enarrationes in Job, PG 17, 57 D-105 B – Origenes: Selecta in Ezechielem, PG 13, 768 D-825 A – Perrone, Lorenzo / Prinzivalli, Emanuela / Cacciari, Antonio (ed.): Origenes, Werke. 13. Bd. Die neuen Psalmenhomilien. Eine kritische Edition des Codex Monacensis Graecus 314, in Zusammenarbeit mit Marina Molin Pradel, GCS NF 19, Berlin / München / Boston 2015 – Petit, Françoise (ed.): La Chaîne sur la Genèse. Édition intégrale, Bd. I: Chapitres 1 à 3, Bd. II: Chapitres 4 à 11, Bd. III: Chapitres 12 à 28, Bd. IV: Chapitres 29 à 50, TEG 1-4, Leuven 1991-1996 – Petit, Françoise (ed.): La Chaîne sur l’Exode. Édition intégrale. II. Collectio Coisliniana. III: Fonds caténique ancien (Exode 1,1-15,21), TEG 10, Leuven / Paris / Sterling (VA) 2000, 45-322 – Petit, Françoise (ed.): La Chaîne sur l’Exode. Édition intégrale IV: Fonds caténique ancien (Exode 15,22-40,32), TEG 11, Leuven / Paris / Sterling 2001 – Preuschen, Erwin (ed.): Origenes, Werke. 4.: Der Johanneskommentar, GCS 10, Leipzig 1903 – Ramsbotham, Alexander (ed.): Documents: The commentary of Origen on the epistle to the Romans, JThS 13 (1912), 210-224, 357-368; 14 (1912), 10-22 – Schwartz, Eduard / Mommsen, Theodor: Eusebius, Werke 2/1: Die Kirchengeschichte. 2., unveränderte Auflage besorgt von Friedhelm Winkelmann, GCS NF 6, Berlin 1999.

Weitere Literatur Bammel, Caroline Penrose Hammond: Die Hexapla des Origenes: Die Hebraica ueritas im Streit der Meinungen, Aug. 28 (1988), 125-149 – Ceulemans, Reinhart: Greek Christian access to ›the Three‹, 250-600 CE in: Timothy Michael Law / Alison G. Salvesen (ed.), Greek Scripture and the Rabbis, CBET 66, Leuven 2012, 165-191 – de Lange, Nicholas Robert Michael: Origen and the Jews. Studies in Jewish-Christian Relations in Third-Century Palestine, UCOP 25, Cambridge 1976 – de Lange, Nicholas Robert Michael: The Letter to Africanus: Origen’s Recantation?, in: Elizabeth A. Livingstone (ed.), Studia Patristica Vol. XVI. Papers Presented to the Seventh International Conference on Patristic Studies, TU 129, Berlin 1985, 242-247 – Graf-

592

gtvh 08105 / p. 593 / 31.3.2022

Origenes

ton, Anthony / Williams, Megan: Christianity and the Transformation of the Book. Origen, Eusebius, and the Library of Caesarea, Cambridge (MA) / London 2006 – Hanhart, Robert: Textgeschichtliche Probleme der LXX von ihrer Entstehung bis Origenes, in: Martin Hengel / Anna Maria Schwemer (ed.), Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum, WUNT 72, Tübingen 1994, 1-19 – Jenkins, Robert Geoffrey: The First Column of the Hexapla: The Evidence of the Milan Codex (Rahlfs 1098) and the Cairo Genizah Fragment (Rahlfs 2005), in: Alison Salvesen (ed.), Origen’s Hexapla and Fragments. Papers presented at the Rich Seminar on the Hexapla, Oxford Centre for Hebrew and Jewish Studies, 25th July-8th August 1994, TSAJ 58, Tübingen 1998, 88-102 – Kreuzer, Siegfried: Entstehung und Überlieferung der Septuaginta, in: Siegfried Kreuzer (ed.), Handbuch zur Septuaginta / Handbook of the Septuagint. LXX. H Band / volume 1: Einleitung in die Septuaginta, Gütersloh 2016, 29-94 – Law, Timothy Michael: Origen’s Parallel Bible: Textual Criticism, Apologetics, or Exegesis?, JThS NS 59,1 (2008), 1-21 – Schaper, Joachim: The Origin and Purpose of the Fifth Column of the Hexapla, in: Alison Salvesen (ed.), Origen’s Hexapla and Fragments. Papers presented at the Rich Seminar on the Hexapla, Oxford Centre for Hebrew and Jewish Studies, 25th July-8th August 1994, TSAJ 58, Tübingen 1998, 3-15 – Tilly, Michael: Einführung in die Septuaginta, Darmstadt 2005 – Ulrich, Eugen: Origen’s Old Testament Text: The Transmission of the Septuagint to the Third Century C.E., in: Charles Kannengiesser / William L. Petersen (ed.), Origen of Alexandria: His World and His Legacy, CJAn 1, Notre Dame 1986, 3-33 – Wright, John: Origen in the scholar’s den: A rationale for the Hexapla, in: Charles Kannengiesser / William L. Petersen (ed.), Origen of Alexandria: His World and His Legacy, CJAn 1, Notre Dame 1986, 48-62.

Origenes spielte eine große Rolle sowohl für die Überlieferungs- wie für die Auslegungsgeschichte der Septuaginta: für die Überlieferung mit seiner Anlage der Hexapla (daneben durch die Form der Bibelzitate in seinen Werken, die für die Gottingensis ausgewertet wurden), für die Auslegung in seinen umfangreichen Werken nicht nur zur Exegese alttestamentlicher Bücher, sondern auch in anderen exegetischen und systematischen Werken. Durch all diese Werke ist er einer der wichtigsten Vertreter der alexandrinischen Auslegungsmethode; sie wird in einem zweiten Teil dieses Abschnitts in einigen wichtigen Merkmalen vorgestellt.

1. Origenes und die Hexapla Die Hexapla 1 ist uns nur in Fragmenten erhalten; aus verschiedenen Zeugnissen 2 wissen wir jedoch, dass sie in sechs Kolumnen (daher der Name) den Text des christlichen Alten Testaments aufführte; der Text war so aufgeteilt, dass in jeder Zeile ein einzelnes Wort oder ein Satzteil 3 stand, zu dem die Entsprechungen in den Kolumnen aufgeführt waren. Jeweils eine eigene Spalte enthielt den hebräischen Text (Kolumne 1), seine Umschrift in griechischen Buchstaben (Kolumne 2), die jüngeren Übersetzun1.

2. 3.

Es gibt viele orientierende Darstellungen, z. B. Kreuzer: Entstehung, 66-68; Tilly: Einführung, 84-92; Siegert, II 365-368. Dort wird näher auf die historischen Eckpunkte eingegangen, etwa auf den Umfang des Gesamtwerks (etwa Anzahl der Bände oder Anzahl der aufgenommenen biblischen Bücher) oder die biographische Verteilung der Arbeit auf Alexandria und Caesarea Maritima. Überblick: Grafton / Williams: Christianity, 86-95. Z. B. Eusebius von Caesarea: H.e. VI, 16,4, GCS NF 6, 554.

593

gtvh 08105 / p. 594 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

gen neben der Septuaginta 4 (Kolumne 3 Aquila, Kolumne 4 Symmachus, Kolumne 6 Theodotion) und die Septuaginta selbst (Kolumne 5), diese in einer eigens hierfür erarbeiteten Rezension, hexaplarische Rezension genannt. Es ist bezeugt, dass Origenes für bestimmte biblische Bücher (etwa die Psalmen) noch weitere Übersetzungen kannte, die als fünfte, sechste und siebente Übersetzung in eigenen Kolumnen aufgeführt wurden; 5 bei Origenes selbst wird allerdings nur »die Fünfte« (πέμπτη [ἔκδοσις], auch als Quinta bezeichnet) erwähnt. 6 Diese Anlage ist durch wenige Reste der direkten Überlieferung bekannt, die allerdings nicht alle sechs Spalten zeigen; 7 der Inhalt ist ebenfalls fragmentarisch überliefert, doch finden sich zahlreiche Nachrichten über Einzellesarten sowohl in Septuaginta-Handschriften als auch in exegetischen Schriften verschiedener patristischer Autoren. Origenes hatte einen gewissen Einblick in den Charakter der Übersetzungen, ihm war z. B. klar, dass Aquila sich ganz nahe an den hebräischen Wortlaut hielt, so dass Juden, die nicht Hebräisch konnten, sich an Aquila orientierten. 8 Die erhaltenen Zeugnisse geben nur unvollständig Auskunft, welche Handschriften Origenes zur Verfügung hatte, um die Spalten der Hexapla zu füllen. Er muss bereits in Alexandria Handschriften der Septuaginta und der jüngeren Übersetzungen gesammelt haben; 9 da Vollbibeln zu seiner Zeit nicht selbstverständlich waren, dürften darunter Handschriften mit nur einer biblischen Schrift oder Schriftengruppe gewesen sein. Für folgende Bücher bezeugt Origenes ausdrücklich, dass er eine oder mehrere Septuaginta-Handschriften zur Verfügung hatte: Ex 10, Est 11, Ps 12, Spr 13, Ijob 14, Sach 15, Klgl 16, Ez 17, Jer 18, Dan 19. Umgekehrt hatte er den Text der jüngeren Übersetzungen in solchem Umfang, dass er z. B. feststellen konnte, es gebe von Aquila und Theodotion keine Übersetzung des Buches Lamentationes, von Symmachos und

4. Von diesen Übersetzungen (»Recentiores«) wurde lange angenommen, dass sie von jüdischer Seite erstellt wurden, als die Septuaginta für die christliche Seite vereinnahmt wurde; jetzt nimmt man jedoch an, dass die Revisionsversuche schon in vorchristlicher Zeit begannen, s. Kreuzer: Entstehung, 62. 5. Eusebius von Caesarea: H.e. VI, 16,3, GCS NF 6, 554,9-11; Hieronymus: Comm. Tit., PL 26, 630 D7-11; vgl. Siegert, II 368. 6. Z. B. Origenes: Comm. Mt. XVI, 16, GCS 40, 531,17 f. 7. So Jenkins: Column, und Flint: Columns. 8. Origenes: Ep. 1,4,20-30, SC 302, 526. Vgl. Siegert, II 368. 9. Vgl. Law: Bible, 4. 10. Z. B. Origenes: Cels. V, 48,15, SC 147, 138). 11. Z. B. Origenes: Jo. II, 13,95, GCS 10 Origenes 4, 69. 12. Z. B. Origenes: Hom. 3,1 in Ps. 73, GCS NF 19, 253,6. 13. Z. B. Origenes: Hom. 1,10 in Ps. 67, GCS NF 19, 198,7. 14. Z. B. Origenes: Hom. 8,1 in Jer., GCS 6, 55,16-20. 15. Z. B. Origenes: Comm. Mt. XVI, 16, GCS 40, 531,7. 16. Z. B. Origenes: Fr. 3,14 f. in Lam., GCS 6, 236. 17. Z. B. Origenes: Sel. in Ez., PG 13, 801 B5. 18. Z. B. Origenes: Hom. 15,5 in Jer., GCS 6, 129,11 f.; Hom. 14,3 in Jer., GCS 6, 107,23-108,20. 19. Z. B. Origenes: Ep. 1,2,2 f., SC 302, 522); 1,4,24, SC 302, 526; Origenes: Comm. in Mt. XIII 2, GCS 40, 178,27 f.

594

gtvh 08105 / p. 595 / 31.3.2022

Origenes

einem weiteren Übersetzer aber wohl. 20 Für die Herkunft der Spalten mit dem hebräischen Text und seiner Umschrift 21 kann man nur an die jüdische Gemeinde in Alexandrien denken; es ist bezeugt, dass Origenes dorthin persönliche Kontakte hatte und sie auch für die Klärung der Deutung und die Nachricht von rabbinischen Traditionen neben der biblischen Darstellung nutzte. Auf jeden Fall sind Origenes’ handschriftliche Grundlagen der Hexapla ein Problem 22 innerhalb der generellen Probleme der Textüberlieferung dieser Werke. 23 Außer den Textvarianten sind die textkritischen Zeichen 24 bezeugt, mit denen Origenes einzelne Lesarten versah (wenn auch vereinzelt bestritten wird, dass sie in der Septuaginta-Kolumne der Hexapla angewendet wurden 25): der Obelos (⸓) für alle Textteile, die in der Septuaginta, aber nicht im hebräischen Text belegt waren; der Asteriskos (*) für diejenigen Textteile, die in der Septuaginta fehlten, die Origenes aber nach dem hebräischen Text (bzw. griechischen Übersetzungen, die ihm entsprachen) ergänzte; 26 bei beiden wurde das Ende des betroffenen Textabschnitts mit dem Metobelos (※) markiert. 27 Origenes spricht davon, wieviel Mühe er aufgewandt hat, um den hebräischen Text und die verschiedenen Übersetzungen zu vergleichen; 28 zu welchem Zweck er sich dieser Mühe unterzog, kann nur aus indirekten Zeugnissen erschlossen werden, die im Blickwinkel anderer Fragestellungen stehen. Sie weisen in verschiedene Richtungen: Die Hexapla könnte den apologetischen Zweck verfolgen, dass sich Christen in Disputationen mit Juden 29 nicht in Widersprüche verwickelten oder Texte ansprachen, die im Hebräischen gar nicht existierten, 30 oder den textkritischen Zweck, den Text der Septuaginta zu korrigieren, 31 oder einen übergeordneten theologischen Zweck, der noch zu bestimmen wäre.

20. Z. B. Origenes: fr. 3 in Lam., GCS 6, 236, 14 f. 21. Diese war jüdischer Herkunft, s. Siegert, II 367. 22. Schon Euseb war es rätselhaft, wie Origenes an Handschriften der anderen Übersetzungen gekommen war: Eusebius von Caesarea, H.e. VI, 16,1-4, GCS NF 6, 552-554. 23. Z. B. soll Aquila in jüdischen Gemeinden verbreitet gewesen sein (Tilly: Einführung, 88), aber bald nach Erstellung der Hexapla waren die jüngeren Übersetzungen für Juden wie Christen neben ihr nicht mehr greifbar (Ceulemans: Three). Es fragt sich also, wie weit Aquila je verbreitet war. 24. Zur Herkunft der (»aristarchischen«) Zeichen aus der alexandrinischen Philologie s. Tilly: Einführung, 89. 25. Grafton / Williams: Christianity, 96 f. bezweifeln, dass die Hexapla textkritische Zeichen enthielt. 26. Der Unterschied der beiden Zeichen nach Origenes’ eigener Definition: Origenes: Ep. 1,7,6-10, SC 302, 530-532. 27. Zur Erklärung der Zeichen s. Siegert, II 366. 28. Vergleich der Septuaginta mit dem hebräischen Text: Origenes: Ep. 1,6 (3),25-28, SC 302, 530; Vergleich der Übersetzungen: Origenes: Ep. 1,8, SC 302, 534,5-7; alle: Origenes: Hom. 1,1 in Ps. 72, GCS NF 19, 351,24-352,2. 29. Origenes: Cels. I, 45,1 f., SC 132, 192 und I, 55,1 f., SC 132, 224; vgl. de Lange: Origen, 21. 30. Hauptbeleg: Origenes: Ep. 1,9,11-19, SC 302, 534, dazu Law: Bible, 13 f.; de Lange: Origen, 21. 31. So führt die Übereinstimmung der Namensform im hebräischen Text und den jüngeren Übersetzungen zur Korrektur der Septuaginta: Origenes: Jo. VI 6,40, SC 157, 158.

595

gtvh 08105 / p. 596 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

Die Hexapla konnte zuallererst genutzt werden, um den umlaufenden Text der Septuaginta zu bereinigen und den Sinn schwieriger Stellen zu erhellen, 32 zumal verschiedene Septuaginta-Handschriften immer wieder divergenten Text boten; zwischen solchen Lesarten konnte entschieden werden, wenn man den Sinn der anderen Überlieferungen verglich: Die Lesart mit der größten Nähe entsprach wahrscheinlich der ursprünglichen Übersetzung; 33 eine verdächtige Lesung der Septuaginta konnte durch die jüngeren Übersetzungen gestützt werden; 34 ebenso wurde der Sinn einer Stelle, etwa eines Wortes in ungewöhnlicher Verwendung, durch die in den anderen Übersetzungen gebrauchten Synonyme erhellt. 35 Insbesondere ließ sich der Textbestand klären: Es gab Verse und Wörter, die in der Septuaginta, aber nicht im hebräischen Text überliefert waren, und umgekehrt; solche Plus- und Minustexte der Septuaginta wurden mit den oben beschriebenen textkritischen Zeichen markiert; 36 dies schuf in der Disputation mit Juden die gesicherte Textgrundlage. Dazu kam das alte Problem der Abweichung neutestamentlicher Zitate aus dem Alten Testament gegenüber ihrer Vorlage. 37 Stellen mit Obelos wurden zwar nicht gänzlich getilgt (athetiert), 38 konnten aber aus der Exegese ausgeklammert oder in ihrer Bedeutung herabgestuft werden, 39 solche mit Asteriskos konnten in sie einbezogen werden. 40 Entscheidend ist, dass Origenes mit solchen Befunden nicht schematisch umging: Er konnte verschiedene Lesarten nebeneinander stehen lassen und alle Bedeutungsaspekte zu einem Gesamtsinn harmonisieren. 41 Die Hexapla entsprach hier einem Werkzeug, einer Materialsammlung, wie sie auch heute für textkritische Arbeit notwendig ist, allerdings mit einem gewichtigen Unterschied in der Bewertung der Textzeugen. Auch heutzutage würde man abweichende Lesarten festhalten, darunter Plus- und Minustexte wie die in der biblischen Überlieferung auftauchende Abweichung von zusätzlichen und fehlenden Halbversen, und, von diesem Material ausgehend, Veränderungen am Septuaginta-Text erwägen. Differenzen in der Wortstellung werden ebenfalls einbezogen (sie wurden in der Hexapla nicht erfasst, von Origenes in der Auslegung aber auch beachtet). 42 Die heutige Methode würde sich allerdings von der des Origenes unterscheiden: Um einen gültigen Text der Septuaginta herzustellen, würde man dem hebräischen Urtext in der Re32. Z. B. wird Origenes: Schol. in Job, PG 17, 85 C9-14) der Sinn von ἐξηγορίαν in der Septuaginta durch ἐξομολόγησιν in einer anderen Übersetzung geklärt. Oder der Vergleich zeigt den Weg zur allegorischen Deutung des Septuagintawortlauts: Origenes: Hom. 9,6 in Ps. 72, GCS NF 19, 476,1-8. 33. Z. B. Origenes: Comm. Mt. XV 14, GCS 40, 388,7-17. 34. Z. B. Origenes: Comm. Eph. fr. 24,32, JThS 3, 559,30-560,2 (Gregg). 35. Z. B. klären Aq, Sym und »der Hebräer« den Sinn von τῶν δέκα ἀμνῶν (Gen 31,7): Catena in Genesim fr. 1608, TEG 4, 63 f. 36. Z. B. Origenes: Ep. 1,5 (3), SC 302, 526-528. 37. Z. B. Origenes: comm. Rom. (in Catenis) fr. 13,19-21, JThS 13, 219 f. (Ramsbotham). 38. Z. B. Origenes: Comm. Mt. XV, 14, GCS 40, 388,7-30; Origenes: Ep. 1,8, SC 302, 532. 39. Z. B. Origenes: Jo. XXVIII, 16,137, GCS 10, 410,14-16. 40. Z. B. Origenes: Comm. Mt. XV 14, GCS 40, 388,20-24. 41. Z. B. Origenes: Comm. Mt. XVI 16, GCS 40, 531,5-27. 42. Z. B. werden Origenes: Comm. Mt. XVI 19, GCS 40, 541,10-542,6 mithilfe einer Übersetzung (der des Aquila) Sinn und Versabteilung des Hebräischen bestimmt.

596

gtvh 08105 / p. 597 / 31.3.2022

Origenes

gel den Vorrang geben, da er die Übersetzung veranlasste. Origenes hingegen maß dem hebräischen Text nicht den höchsten Stellenwert bei; bei Divergenzen war der Sinn des Hebräischen gewichtig, doch hatte das Zeugnis der anderen griechischen Übersetzungen mehr Gewicht. 43 Origenes strebte nicht, wie nach ihm Hieronymus, eine Übersetzung als Äquivalent des hebräischen Textes an, sondern schrieb der Septuaginta eine eigene Gültigkeit und Unabhängigkeit als christliche Bibel zu. 44 Der Vergleich mit dem hebräischen Text und den anderen griechischen Übersetzungen sollte dazu dienen, sie als in sich schlüssigen Text zu etablieren. Origenes war der Überzeugung, dass Gottes πρόνοια und οἰκονομία (Fürsorge und Heilsplan) sich für die Kirche in der Septuaginta manifestierte, 45 trotz der vorhandenen Korruptelen durch Schreiberfehler. 46 Implizit schloss er sich damit der Lehre von der Inspiriertheit der Septuaginta an. John Wright sieht Origenes in einer Zwitterstellung: Er gelangte nicht zur Erkenntnis des Vorrangs der hebräischen Bibel, bereitete jedoch im Gebrauch der textkritischen Zeichen Hieronymus den Weg. 47 Auch mit der Dokumentation der vorhexaplarischen Septuaginta ist man heutzutage nicht glücklich: Zwar konnte man der fünften Spalte in der originalen Hexapla sowohl den überlieferten Text als auch die Textfassung entnehmen, die Origenes hergestellt hatte; beide waren durch die textkritischen Zeichen unterscheidbar, diese wurden aber in den Abschriften immer fragmentarischer überliefert. Daher ist uns die Scheidung der Textfassungen kaum mehr möglich; dafür ist jedoch nicht die Anlage verantwortlich zu machen. 48 Angesichts dieser Anlage und Verwendung klärt sich die Zielsetzung des Origenes. Über den apologetischen Zweck kann nicht viel Dissens herrschen: Die Hexapla bot ein wichtiges Hilfsmittel dazu, aber für die vereinzelten Disputationen allein wäre der Aufwand bei Weitem zu hoch gewesen. Im Zentrum muss die Bereinigung des Textes gestanden haben, die sich nicht nur in Disputationen, sondern v. a. in der Exegese anwenden ließ. Ganz konsequent in seiner Auslegungsmethode blieb Origenes dabei nicht (man denke an das in Anm. 46 angeführte Beispiel, dass Origenes einmal die Septuaginta nach dem Zeugnis der anderen korrigiert, ein andermal darauf besteht, 43. Vgl. Schaper: Origin 15: »we have demonstrated that Origen did not accept the Hebrew scriptures as supremely anthoritative, but centered his attention on the Septuagint and the minor versions«. Vgl. Hanhart: Probleme, 11. 44. So Law: Bible, 11. 45. Origenes: Ep. 1,8, SC 302, 532,6-11. Vgl. Schaper: Origin 15. 46. Z. B. beruht ein Widerspruch zwischen Act und Ps nach Origenes auf einem Abschreibefehler (ἁμάρτημα γραφικόν): Origenes: Hom. 2,7 in Ps. 15, GCS NF 19, 103,19-104,6; entsprechend Hom. 1,1 in Ps. 72, GCS NF 19, 352,3-13. – Die Übereinstimmung des hebräischen Textes und der Recentiores gegen die Septuaginta beweist deren Fehler: Origenes: Hom. 5,3 in Ps. 72, GCS NF 19, 412,1-4 und Origenes: Hom. 8,9 in Ps. 72, GCS NF 19, 462,28-463,2; dagegen kann auch der Wortlaut der Septuaginta gegen das Zeugnis der Übersetzungen verteidigt werden: Origenes: Hom. 7,4 in Ps. 72, GCS NF 19, 442,18 – 443,12. Vgl. Law: Bible, 18. 47. So Wright: Origen, 62. Ähnlich sieht Schaper: Origin, 15 eine Zwischenstellung des Origenes zwischen wissenschaftlicher und apologetischer Ausrichtung. Origenes’ Stellung im Vergleich zu anderen patristischen Autoren: Bammel: Hexapla. 48. So Kreuzer: Entstehung 68; die Gegenposition wird von Siegert vertreten; für ihn ist die hexaplarische LXX-Rezension »der Schrecken der modernen Textkritiker« (I 87) oder ein »größter anzunehmender Unfall« (II 369).

597

gtvh 08105 / p. 598 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

ihren abweichenden Wortlaut auszulegen); es ist wichtig, sich klar zu machen, dass für ihn auch andere Ziele als die Konstitution des korrekten Bibeltextes wichtig waren, etwa durch die alexandrinische Auslegungsmethode eine Vielzahl von Sinnbezügen herzustellen und die Ergebnisse der jüdischen Exegese einzubeziehen. Eugen Ulrich sieht das Verdienst der hexaplarischen Rezension darin, dass diese Textform durch die Korrektur das Gespräch mit Juden erlaubte und gleichzeitig den Christen das Vertrauen in die Richtigkeit ihrer Bibel gab. 49 Dennoch bleibt das Bild widersprüchlich, vielleicht weil Origenes die Möglichkeiten, das Verständnis durch textkritische Mittel zu verbessern, als relativ ansah; er bittet immer wieder Gott um das rechte Verständnis einer Bibelstelle. 50 Hier muss man den theologischen Rahmen näher in den Blick nehmen.

Die Septuaginta in der Auslegung des Origenes Hier ist nicht der Ort, die Rezeption des Alten Testamentes durch Origenes insgesamt zu behandeln, es soll aber doch versucht werden, einige Schlaglichter darauf zu werfen, wie er auf die Septuaginta Bezug nimmt, insbesondere wenn der Wortlaut des Septuaginta-Textes zu einer neuartigen Interpretation führt. Origenes unterrichtete »Grammatik«, so, wie der Begriff in der Spätantike verstanden wurde, dadurch war er mit der philologischen Kommentierung eines als kanonisch geltenden Textes vertraut. Er teilte den Ehrgeiz der Philologen, den Text von möglichst vielen Seiten zu beleuchten, wofür unterschiedliche Auslegungsmethoden eingesetzt wurden; 51 es sind die in der Spätantike üblichen, für die die Homerphilologie den Standard darstellte; darin waren auch stilistische und literarische Kategorien enthalten, ein Blickwinkel, der besonders in der Rhetorik der hellenistischen Zeit entwickelt wurde. Dadurch spielen verschiedene Kategorien eine Rolle (etwa auf der sprachlichen Ebene grammatische, auf der Handlungsebene psychologische), auch Auslegungen verschiedener Herkunft, u. a. die jüdische Exegese. 52 Grundlegend ist, dass die Bibel als ein literarisches Werk aufgefasst wird, unbeschadet ihrer göttlichen Herkunft, vielmehr wegen der Autorschaft Gottes. Unter der Voraussetzung, dass der Heilige Geist mit dem Gesamtwerk von Septuaginta und Neuem Testament dem Menschen eine Mitteilung machen will, ist der Text bis zum einzelnen Wort befragbar. Daher wird etwa der Gebrauch desselben Wortstamms in verschiedenen Zusammenhängen als sinnerschließende Verbindung angesehen, 53 daher lässt sich eine Auslegung darauf stützen, dass bestimmte Formulierungen gerade nicht verwendet werden (Origenes arbeitet die semantische Nuance manchmal dadurch her49. So Ulrich: Testament, 32 f. 50. Z. B. Origenes: Hom. 1,1 in Ps. 72, GCS NF 19, 353,3; vgl. die Formel θεοῦ διδόντος, »wenn Gott es gewährt«, z. B. Origenes: Hom. 7,7 in Ps. 77, GCS NF 19, 448,1 f. 51. Vgl. Law: Bible, 16. Law: Bible, 17 spricht im Anschluss an Kamesar von einem ›exegetical maximalism‹. 52. Z. B. Collectio Coisliniana in Genesim fr. 160, CC.SG 15, 156-158. Vgl. Law: Bible, 15 f. mit Anm. 58 mit Verweis auf Lange: Jews. 53. Z. B. die Ableitungen von μάρτυς, »Zeuge«: Origenes: Hom. 2,2 in Ps. 80, GCS NF 19, 498,1-17.

598

gtvh 08105 / p. 599 / 31.3.2022

Origenes

aus, dass er vergleicht, welches Synonym gerade nicht in der Bibel steht 54). Die Aussagekraft des einzelnen Wortes führt dazu, dass es ein besonderes Gewicht hat, wenn ein Wort zum ersten Mal in der Bibel gebraucht wird 55 oder bestimmte Wörter nur auf gute oder nur auf schlechte Menschen angewendet werden. 56 Origenes setzt voraus, dass die Bibel Handlungsschritte übergeht, die später implizit deutlich werden. 57 Da die Literarizität der Bibel vorausgesetzt wird, können rhetorisch-literarische Kategorien angewendet werden, z. B. der emphatische Wortgebrauch. 58 Vorausgesetzt wird auch, dass Einzelabschnitte literarischen Gattungen zuzuordnen sind; diese Bestimmung kann der Einzelanalyse zugrunde gelegt werden. 59 Die Psychologie des biblischen Geschehens wird dadurch verständlich gemacht, dass die biblisch nicht dargelegten Beweggründe expliziert werden; 60 dabei ist Origenes bestrebt, die positiven Figuren moralisch zu entlasten, etwa indem Äußerungen als Position der Sprechenden, nicht der Bibel aufgefasst werden. 61 Bisher wurden Eigentümlichkeiten des Umgangs des Origenes mit dem Septuagintatext skizziert, die sich in den Rahmen antiker Homerphilologie und rhetorischer Literaturwahrnehmung fügen; sie beziehen sich alle auf den (modern gesprochen) immanenten Sinn des Bibeltexts bzw. (im Sinne der spätantiken Methodik der Bibeldeutung) auf seine literale, »buchstäbliche« Bedeutung. So differenziert das Deutungssystem auch ist, ist für Origenes doch eine andere Deutung zentral: die allegorische. Origenes vertrat noch nicht die spätere Lehre vom vierfachen Schriftsinn, sondern versammelte verschiedene Deutungen unter Bezeichnungen wie ἀλληγορία, τροπολογία. 62 Er sieht sein Ziel darin, die jüdische Bibel für die christliche Theologie sprechend und für das christliche Leben fruchtbar zu machen, so dass die allegorische Deutung eines im Bibeltext benannten Gegenstandes 63, einer Zahl 64, eines Wortes oder

54. Z. B. der Unterschied zwischen παροικῶ und κατοικῶ, »weilen« und »wohnen«: Catena in Genesim 2049, TEG 4, 307. 55. Z. B. werden nach Catena in Genesim 1077, TEG 3, 121, Abraham und Sara als Erste »älter« genannt. 56. Z. B. feiern nur Schlechte ihren Geburtstag: Catena in Genesim 1898, TEG 4, 234; nur bei Gerechten wird das Abstillen erwähnt: Catena in Genesim 1205, TEG 3, 190, Origenes zugeschrieben (Metzler: Kommentierung, 234 mit Anm. 345). 57. Z. B. Catena in Genesim fr. 1608,11-13, TEG 4, 63 f. 58. Z. B. Catena in Genesim 1183, TEG 3, 179. 59. Z. B. durch die Unterscheidung von Psalmen, Lieder, Liedpsalmen und Psalmlieder: Origenes: Cath. Ps. 7, TU 183, 24-26. 60. Z. B. das Verhalten Potifars gegen Josef (unter der Voraussetzung, dass Potifar mit Josefs Schwiegervater identisch ist): Catena in Genesim fr. 1940, TEG 4, 255 f. 61. Z. B. wird die Zurücksetzung Leas lediglich auf ihre eigene Wahrnehmung zurückgeführt; Jakob »hasst« sie nicht, sondern liebt Rahel mehr: Catena in Genesim 1557, TEG 4, 26. 62. Origenes verteidigt sich oft gegen die Kritik an dieser Methode, z. B. Origenes: Hom. 1,4 in Ps. 80, GCS NF. 19, 485,11-17. 63. Z. B. werden der Türsturz und die beiden Türpfosten aus Ex 12,22 in Catena in Exodum fr. 357, TEG 11, 255, als Allegorien der Seelenteile nach der Einteilung der paganen Philosophie gedeutet, der Türsturz als der vernünftige und die Türpfosten als der muthafte und der begehrende Seelenteil. 64. Z. B. Catena in Genesim 1294, TEG 3, 246.

599

gtvh 08105 / p. 600 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

Satzes 65 zur Erschließung der literalen Bedeutung hinzutritt oder diese möglicherweise sogar ersetzt. Hierbei wird vielfach ein Sinn geschaffen, der wohl kaum die Intention des (hebräischen wie griechischen) Bibeltexts war. Origenes argumentiert öfters sogar, eine Stelle könne gar nicht wörtlich verstanden werden, weil ihr literaler Sinn absurd sei; 66 er kann den wörtlich verstandenen Bibeltext als unwahr (ψευδές) bezeichnen. 67 Durch eine allegorische Auslegung kann die Methode des Allegorisierens selbst gerechtfertigt werden. 68 In christlicher Theologie gibt es verschiedene Zielbereiche der Auslegung. Ein wichtiger Bereich ist die ethische Paränese, oft so eingekleidet, dass betont in der »Ich«- und »Wir«-Perspektive gesprochen wird. 69 Origenes unterscheidet zwischen Deutungen für die einfacheren und die fortgeschrittenen Gläubigen. 70 Ein anderer Kernbereich ist die christologische Deutung; für sie ist typisch, dass Geschehnisse, Gestalten und Gebote des Alten Testaments als typologische Vorausdeutung Christi begriffen werden, sei es auf das Leben des Inkarnierten oder sein eschatologisches Wirken; 71 z. B. wird Christus als der Sprecher bestimmter Verse gedeutet, besonders von Psalmversen. 72 Als Exeget hatte Origenes eine lange Wirkungsgeschichte, auch über seine dogmatische Verurteilung 553 hinaus. Die allegorische Auslegung wurde Kern der alexandrinischen Auslegungsmethode.

65. Z. B. Origenes: Hom. 2,7 in Ps. 73, GCS NF 19, 249,19-250,6. 66. Z. B. wird Catena in Exodum fr. 677 und 678, TEG 11, 127-129, die literale Auffassung der nach Ex 23,14-16 gebotenen drei Feste ad absurdum geführt: Legt man den Monat des Neujahrsfestes zugrunde, sind in den angegebenen Monaten keine Früchte reif, um die geforderten Ernteopfer darzubringen. 67. Collectio Coisliniana in Genesim fr. 121,23-29, CC.SG 15, 125. 68. So bedeutet es nach Catena in Exodum fr. 312, TEG 10, 299 f., wenn man Fleisch nach Ex 12,9 f. »roh« isst, dass man den Wortlaut nach seiner bloßen Bedeutung versteht. 69. »Ich« z. B. Catena in Genesim fr. 1451, TEG 3, 339 f. »Wir« z. B. Catena in Genesim 1321, TEG 4, 262 f. 70. Z. B. Origenes: Hom. 18,4 in Jer., GCS 6, 154,22-26. 71. Z. B. Jakob als Typos Christi beim Sammeln der Steine zum Hausbau Catena in Genesim fr. 1633, TEG 4, 79. 72. Genauer: Christus spricht die Verse Ps 15,8-10 ἐκ προσώπου, »aus der Perspektive«, Davids (vgl. Act 2,25-27): Origenes: Hom. 2,1 in Ps. 15, GCS NF 19, 91,9-92,4.

600

gtvh 08105 / p. 601 / 31.3.2022

3.4.4 Eusebius von Caesarea Franz Xaver Risch Literatur Texte und Editionen Hanhart, Robert: Esther (Septuaginta VIII 3). Göttingen 1966 – Kappler, Werner: Maccabaeorum liber I (Septuaginta IX 1), Göttingen 21967 – Rahlfs, Alfred: Psalmi cum Odis (Septuaginta X). Göttingen 21967 – Ziegler, Joseph: Duodecim prophetae (Septuaginta XIII), Göttingen 21967 – Ziegler, Joseph: Isaias (Septuaginta XIV), Göttingen 21967 – Ziegler, Joseph: Ieremias (Septuaginta XV), Göttingen 1957 – Ziegler, Joseph: Ezechiel (Septuaginta XVI 1), Göttingen 1952 – Robert Weber/Roger Gryson: Biblia Sacra iuxta Vulgatam Versionem, Stuttgart 41994. Eusebius Caes.: Argumenta in Psalmos, PG 23, 68 A-72 C – Eusebius Caes.: Argumenta Psalmorum qui Asaphi inscribuntur, PG 23, 821 D-836 A – Eusebius Caes.: Commentaria in Psalmos, PG 23, 66 A-1396 A – Eusebius Caes.: Commentariorum in Psalmos supplementum, PG 24, 9 A76 C – Eusebius Caes.: Demonstratio euangelica, ed. Ivar A. Heikel, GCS 23, Leipzig 1913 – Eusebius Caes.: Historia ecclesiastica libri I – V, ed. Eduard Schwartz / Theodor Mommsen, GCS 9/1, Leipzig 1903 – Eusebius Caes.: Onomasticon, ed. Erich Klostermann, GCS 11/1, Leipzig 1904 – Eusebius Caes.: Praeparatio euangelica libri I – X, ed. Karl Mras, GCS 43/1, Berlin 1954 – Eusebius Caes.: Commentarius in Isaiam, ed. Joseph Ziegler, GCS (o. Nr.), Berlin 1975 – Eusebius Caes.: Über das Leben Constantins, ed. Ivar A. Heikel, GCS 7, Leipzig 1902, 1-148 – Bandt, Cordula / Risch, Franz Xaver: Das Hypomnema des Origenes zu den Psalmen – eine unerkannte Schrift des Eusebius, Adamantius 19 (2013), 395-436.

Weitere Literatur Barthélemy, Dominique: Eusèbe, la Septante et »les autres«, in: La Bible et les Pères. Colloque de Strasbourg 1969, Paris 1971, 51-65; Barthélemy, Dominique: Études d’Histoire du Texte de l’Ancien Testament, OBO 21, Fribourg 1978, 179-193 – Curti, Carmelo: Eusebiana I (Saggi e testi 1), Catania 1989 – Grafton, Anthony / Williams, Megan: Christianity and the Transformation of the Book, Cambridge Mass 2006 – Hollerich, Michael J.: Eusebius of Caesarea’s Commentary on Isaiah. Christian Exegesis in the Age of Constantine, Oxford 1999 – Hollerich, Michael J.: Eusebius, in: James Carleton Paget / Joachim Schaper (ed.), The New Cambridge History of the Bible Vol. 1 From the Beginnings to 600, Cambridge 2013, 629-652 – Hollerich, Michael J.: Eusebius’ Commentary on the Psalms and Its Place in the Origins of Christian Biblical Scholarship, in: Aaron Johnson / Jeremy Schott (ed.), Eusebius of Caesarea. Tradition and Innovations (Hellenic Studies 60), Cambridge Mass 2013, 151-167 – Klostermann, Erich: Eusebius Schrift περὶ τῶν τοπικῶν ὀνομάτων TU N.F. VIII 2b, Leipzig 1902 – Morlet, Sébastien: La Démonstration Évangélique d’Eusèbe de Césarée. Étude sur l’apologétique chrétienne à l’époque de Constantin (Collection des Études Augustiniennes. Série Antiquité 187), Paris 2009 – Rahlfs, Alfred: Nachwirkungen der Chronik des Eusebius in Septuaginta-Handschriften, in: ZAW 28 (1908) 60-62 – Timm, Stefan: Eusebius und die Heilige Schrift. Die Schriftvorlagen des Onomastikons der biblischen Ortsnamen, TU 166, Berlin 2010 – Ulrich, Eugene E.: The Old Testament Text of Eusebius: The Heritage of Origen, in: Harold W. Attridge / Gohei Hata (ed.), Eusebius, Christianity and Judaism (Studia PostBiblica 42), Leiden 1992 – Ulrich, Jörg: Euseb von Caesarea und die Juden (PTS 49), Berlin

601

gtvh 08105 / p. 602 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

1999 – Wallraff, Martin: The Canon Tables of the Psalms, in: Dumbarton Oaks Papers 67 (2013), 1-14 – Winkelmann, Friedhelm: Euseb von Kaisareia, Berlin 1991.

1. Grundhaltung gegenüber der Septuaginta Eusebius von Cäsarea (etwa 260-340) hielt die Septuaginta für ein Werkzeug der göttlichen Ökonomie. 1 Der von ihm aus Irenaeus mitgeteilten philonischen Version der Aristeas-Legende 2, daß alle siebzig Übersetzer die gesamte Textmasse wortgleich übersetzt hätten, wodurch sich die Inspiration erwies 3, hat er nicht widersprochen, sie aber in seiner exegetischen Arbeit ignoriert. Während Irenaeus den jüngeren Übersetzern noch vorgeworfen hatte, sie wollten die göttliche Ökonomie zerstören, 4 gliedert Eusebius sie in das Instrumentarium des göttlichen Heilsplans ein, indem er häufig ihren Versionen folgt. Die christliche Septuaginta verliert dadurch de facto den von den älteren Kirchenvätern behaupteten Vorrang gegenüber der jüdischen Septuaginta und ihren jüdischen Revisionen. 5 Das kann zur Folge haben, daß Eusebius nicht nur den Septuaginta-Text und eine der jüngeren Revisionen gleichermaßen auslegt oder den Septuaginta-Text diesen unterordnet, sondern sogar den Septuaginta-Text ganz beiseite läßt und beispielsweise nur Symmachus berücksichtigt. 6 Damit ist der Übergang gemacht von einem göttlich diktierten einzigen Offenbarungstext zu einer komponierten Textgrundlage der Offenbarungsinterpretation.

2. Formen des Septuaginta-Studiums Eusebius erstellte keine Rezension des Septuaginta-Textes, beschäftigte sich aber mit ihm intensiv und in unterschiedlichen Arbeitsbereichen. Die Ergebnisse sind bekannt: Die editorische Arbeit unter der Leitung von Pamphilus ist bis zu dessen Tod bezeugt. Aus den Kolophonen der Bibel-Codices Q und S geht hervor, daß er an der Arbeit an den Prophetenbüchern beteiligt war, nicht aber an den Geschichtsbüchern von I Könige bis Esther. 7 Spätestens in seinen letzten Jahren avancierte er zum Verleger und leitete ein großes Skriptorium, wie der bekannte Regierungsauftrag zur Herstellung von fünfzig Bibeln voraussetzt. 8 Die exegetische Arbeit ist vorrangig ideologisch und soll die Heilsgeschichte beweisen. Sie schlägt sich in großen apologetischen Werken nieder, in erster Linie der Demonstratio euangelica (CPG 3487), in Werken, in denen ausgewählte Stellen besprochen werden, den Quaestiones euangelicae (CPG 3470) und den Eclogae propheticae (CPG 3475), und in zwei systematisch durchgeführten Kom-

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Eusebius Caes.: Praep. ev. VIII, 1,6 f., GCS 43/1, 420,7-23. Vgl. Philon von Alexandria: De vita Moysis II, 37. Eusebius Caes.: H.e. V, 8, 14, GCS 9/1, 448,17-22. Vgl. Morlet: La Démonstration 521369. Vgl. Morlet: La Démonstration 520. Vgl. Hollerich: Commentary on Isaiah 77-78; Eusebius 647. Vgl. den Kolophon im Sinaiticus bei Hanhart: Esther 60. Eusebius Caes.: Vit. Const. IV, 36, GCS 7, 131 f.

602

gtvh 08105 / p. 603 / 31.3.2022

Eusebius von Caesarea

mentaren: In Isaiam (CPG 3468) und In Psalmos (CPG 3467). Daneben entstehen eine Reihe von listenartigen oder wenig diskursiven Arbeitsinstrumenten zum Studium der Bibel: die berühmten Canones zum Neuen Testament (CPG 3465), die weniger bekannten zu den Psalmen 9, die Hypotheses zu den Psalmen (PG 23, 68-72), das Onomasticon (CPG 3466), das Chronicon (CPG 3494). Zwischenglieder von Kommentar und Liste sind das sogenannte Hypomnema des Origenes 10 sowie die Einleitungen zu den Asaph-Psalmen (PG 23, 821-836) und den Gradualpsalmen 11.

3. Materielle Kenntnis der Septuaginta Für seine unterschiedlichen Arbeitsziele wertet Eusebius größtenteils, nicht ausschließlich das von Origenes bereitgestellte Material aus und benutzt grundsätzlich die hexaplarische Septuaginta, zuweilen mit Angabe der Asterisierung und Obelisierung. »Unter den Vätern« ist er der »treueste Begleiter« der Origenes-Rezension, wie Ziegler für den Jeremias-Text bemerkt; 12 für Rahlfs war er selbstverständlich ein Zeuge des hexaplarischen Psalmentextes 13 und Timm resümiert, daß Eusebius im Onomasticon »fast immer« der Texttradition des Origenes folgt. 14 Keine der Septuaginta-Abschriften, die Eusebius las oder lesen konnte, ist heute erhalten, 15 es sei denn, man teilt die jüngst erneuerte, wenig wahrscheinliche Vermutung, die Codices Vaticanus und Sinaiticus stammten, trotz ihrer Zugehörigkeit zur alexandrinischen Rezension, aus Eusebius Skriptorium 16. Bei der Abfassung des Onomasticon war Eusebius die im Vaticanus repräsentierte Textform vermutlich unbekannt, jedenfalls im Hinblick auf das Richterbuch 17 und auf I-II Samuel, 18 ebenso die des Alexandrinus, 19 wenngleich es in den Toponymen aus I-II Samuel Berührungen mit der alexandrinischen und auch antiochenischen Tradition gibt. 20 Eusebius selbst deutet mehrfach an, daß ihm mehrere Abschriften zur Verfügung standen. Bei Formulierungen wie »Abschriften, die es bei uns gibt« (Hypomnema 14) oder »unsere Abschriften« ist anzunehmen, daß es sich in erster Linie, aber nicht ausschließlich um Exemplare der origeneischen Rezension handelt, oder um die viel zitierten, von Hieronymus so genannten »palästinischen Codices« im Gegensatz zu der alexandrinisch-ägyptischen und konstantinopolitanisch-antiochenischen Überliefe-

9. Vgl. Wallraff: Canon Tables. 10. Eingeleitet und ediert von Cordula Bandt / Franz Xaver Risch: Hypomnema. 11. Ediert von Giovanni Mercati, Alcune note di letteratura patristica, in: Studi e testi 77 (1937), 61-66. 12. Ziegler: Ieremias 127. 13. Vgl. Rahlfs: Psalmi 60. 14. Timm: Eusebius 532. 15. Timm: Eusebius 4. 16. Vgl. den Bericht bei Grafton / Williams: Christianity, 217-221. 17. Vgl. Timm: Eusebius 224-235. 18. Vgl. ebd. 333. 19. Vgl. ebd. 235-238. 20. Vgl. ebd. zusammenfassend 333.

603

gtvh 08105 / p. 604 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

rung. 21 Der Gebrauch des Plurals ist sicher nicht rhetorisch übertrieben. Schon die Mitarbeit an den pamphilischen Editionen setzt die Benutzung mehrerer Abschriften der origeneischen Rezension voraus. Aber auch für das Onomasticon hatte er des öfteren zwei und sogar unterschiedliche Manuskripte dieser Rezension vor sich, so das Ergebnis von Timm in seinen ausgedehnten Untersuchungen. 22 Klostermann nahm für das Onomasticon Kenntnisse der alten Septuaginta an. 23 Auf ein oder mehrere Exemplare einer vor- oder außerhexaplarischen Fassung scheint auch Eusebius selbst zu verweisen, wenn er gewisse Abschriften für ungenau hält und ihnen »genaue Abschriften der Septuaginta« 24 entgegensetzt. Mit diesen meint er, wie der Kontext zeigt, die durch asterisci markierte hexaplarische Version. Und im Psalmenkommentar setzt er sich bewußt von einigen Abschriften ab, die in der Gliederung des Textes von Ps 113-116 nicht mit der Hexapla und dem Hebräischen übereinstimmen 25, weiß somit von einer Psalmzählung in uns unbekannter griechischer Überlieferung; jedenfalls belegt Rahlfs die Abweichung nur mit der sahidischen Übersetzung. Eine Benutzung nicht-hexaplarischer Versionen kann aus seinen Schriften durchaus bewiesen werden, doch ist dabei große Vorsicht geboten. Denn wo die Handschriften seiner Werke suggerieren, daß er den antiochenischen Text gekannt habe, ist dies oftmals auf die Bibelkenntnis der Schreiber und Tradenten zurückzuführen. Leicht verständlich ist dies bei rubrizierten, also nachgetragenen Lemmata. Beispielsweise bieten die Hauptzeugen der Palästinischen Katene das Lemma Ps 120,1c nach dem antiochenischen Text als behauptenden Relativsatz (ὅθεν ἥξει). Eusebs Auslegung dagegen zeigt, daß er einen Fragesatz (πόθεν ἥξει) vor sich hat. 26 Aber auch innerhalb der Ausführungen von Eusebius kann man auf dieselbe Diskrepanz zwischen zitiertem und ausgelegtem Wortlaut stoßen: In der Hypothesis zu den Gradualpsalmen ist Ps 120,1c ebenso als Relativsatz zitiert, von Eusebius aber wiederum als Fragesatz gelesen worden. 27 Dies bedeutet, daß Septuaginta-Zitate auch innerhalb von Eusebius Kommentartext, so wie er jetzt in den Handschriften vorliegt, nicht unbesehen als der Bibeltext aufgefaßt werden können, den er selbst gelesen hat. 28 Sicher sind die in seinen Schriften überlieferten Lesarten nur dann, wenn er sie auch auslegt; beispielsweise liest er in Ps 107,10, nicht an der Parallel-Stelle Ps 59,10, laut Rahlfs ein »lukianisches«, das heißt wohl vorhexaplarisches ἐπιβαλῶ, eine Lesart, die er in seinem kommentierenden Argument wiederholt und die er selbst – oder nun vom Schreiber überformt? – im Kommentar zu Ps 59,3-6 29 zitiert und somit bestätigt.

21. Vgl. Hieronymus: Prologus in libro Paralipomenon, in: Robert Weber / Roger Gryson (ed.), Biblia Sacra iuxta Vulgatam Versionem, 546 Zeile 9-12. 22. S. Timm: Eusebius: in Bezug auf Gen 36 (Eusebius 102), auf Numeri (188), auf Josua (36-40), auf das Richterbuch (267), I-II Samuel (331-333; 486218), auf Isaias (463), I-II Könige (418), möglicherweise in Bezug auf Exodus (137) und Jeremias (486). 23. Klostermann: Eusebius 11. 24. Eusebius Caes.: Dem. ev. VIII, 2,12; X, 5,2, GCS 23, 369,8. 467,3 f. 25. Eusebius Caes.: In Ps., PG 23, 1357, A 3-13. 26. Ambrosianus 126 fol. 290r; Patmiacus 215 fol. 253v. 27. Vgl. Einleitung zu den Gradualpsalmen 61,20-21 Mercati. 28. Vgl. Ziegler: Isaias 82 f. Zum Psalmentext bei Eusebius vgl. Curti: Eusebiana, 153-168. 29. Eusebius Caes.: In Ps., PG 23, 557 C1-5.

604

gtvh 08105 / p. 605 / 31.3.2022

Eusebius von Caesarea

Eusebius unterscheidet im übrigen »unsere Abschriften« 30 von den »Abschriften der Juden« 31, womit die Versionen von Aquila, Symmachus und Theodotion, gemeint sind. 32 Vermutlich zählt er sie zu den griechischen Handschriften, ἑλληνικὰ ἀντίγραφα, die insgesamt im Gegensatz zum Hebräischen Text stehen. 33 Diesen ursprünglich hebräischen Text bezeichnet er meist als ἑβραϊκὴ ἀνάγνωσις (λέξις, φωνή, auch γραφή, γλῶττα) oder τὸ ἑβραϊκόν. Die Texte der jüngeren Übersetzer dürfte er allein aus der Hexapla gekannt haben, denn er zitiert nur jeweils eine einzige Fassung, deren Wortlaut er nicht diskutiert. Den hebräischen Text konnte er ebenfalls der Hexapla entnehmen, und sei es in nur transliterierter Form. Er besaß aber auch eine hebräische Bibel, 34 zumindest aber eine Abschrift des hebräischen Psalters. 35 Sein Zugang zum hebräischen Text läßt sich gleichwohl nur problematisch erkennen, da unklar bleibt, was genau mit jenen Bezeichnungen gemeint ist und inwieweit Eusebius des Hebräischen mächtig war. Erschwert wird die Antwort dadurch, daß er in seiner Exegese kein primär philologisches Interesse verfolgt.

4. Das Verhältnis von hebräischem und griechischem Text Das zurückhaltende Urteil der älteren Forschung über Eusebius Kenntnis der hebräischen Sprache muß wohl beibehalten werden. Winkelmann attestiert ihm nur die Möglichkeit »irgendwelcher Fähigkeiten auf diesem Gebiet«. 36 Eusebius selbst teilt allerdings mit, daß er aus dem Syrischen übersetzt habe, 37 also aus einer nah verwandten Sprache. In seinen Schriften weist er häufig auf hebräischen Wortlaut hin, ohne ihn freilich als solchen darzulegen, ist aber auch zu kleinen semantischen Abhandlungen fähig, wenn er den Buchstaben des hebräischen Alphabets im einzelnen eine inhaltliche Bedeutung zuweist 38 oder wie ein Sprachlehrer hebräischer Lexik auftritt, um in Konkurrenz zum platonischen Kratylos den »physischen« Charakter der hebräischen Wörter zu beweisen. 39 Dennoch lassen sich die für eine Übersetzung aus dem Alt-Hebräischen erforderlichen Fertigkeiten nicht nachweisen. Im Gegenteil hat es den Anschein, daß die Kenntnisse des hebräischen Bibeltextes entweder aus den jüngeren Revisionen der jüdischen Septuaginta erschlossen sind oder auf phänomenologischen Beobachtungen mit teils eklatanten Fehlern beruhen. Denn viele Stellen, an denen Eusebius den hebräischen Wortlaut in Umschrift bietet, setzen für sich genommen keine eigentliche 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36.

Eusebius Caes.: Dem.ev. VII, 1,31, GCS 23, 303,30. Eusebius Caes.: Dem.ev. VII, 1,32, GCS 23, 304,5. Eusebius Caes.: Dem.ev. VII, 1,32.33, GCS 23, 304,6.11. Eusebius Caes.: Dem.ev. IV, 17,23, GCS 23, 200,5. Eusebius Caes.: In Ps., PG 23,1357 A3-4. Vgl. Eusebius Caes.: In Ps., PG 23,1360 B5. Winkelmann: Euseb, 33; vgl. Hollerich: Eusebius, 648: »rudimentary knowledge cannot be excluded.« Vgl. hierzu Ulrich: Euseb, 192 f. 37. Eusebius Caes.: H.e. I, 13,5, GCS 9/1, 84,22-86,2; H.e. I, 13,22, GCS 9/1, 96,9 f. 38. Eusebius Caes.: Praep. ev. X, 5,1-12, GCS 43/1, 574 f. 39. Eusebius Caes.: Praep. ev. XI, 6,1-41, GCS 43/2, 13-20.

605

gtvh 08105 / p. 606 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

Kenntnis des Hebräischen voraus, selbst dort nicht, wo er sich ausdrücklich an Kenner des Hebräischen wendet. 40 Der in der Hexapla transliterierte Text konnte ihm genügen für quantitative Vergleiche mit dem Wortbestand im Griechischen, wofür er sich lediglich an den asterisci und obeli zu orientieren brauchte, genügen aber auch für phänomenologische Beobachtungen wie voneinander abweichende Transliterationen oder vom Übersetzer nicht beachtete Wortgleichheit oder für die Feststellung abweichender Zählung der Psalmen. Meist gibt Eusebius den hebräischen Text mit den griechischen Worten eines Übersetzers wieder. Auch dabei scheint er das Griechische nicht selbständig aus dem Hebräischen zu beurteilen, vielmehr das Hebräische aus dem Griechischen zu erschließen. Wenn er in den jüngeren Übersetzern das Hebräische besser repräsentiert findet, 41 seltener in der Septuaginta, oder wenn er auf die Genauigkeit der hebräischen Lexis verweist, 42 bedurfte er dazu nicht notwendig eigener Hebräisch-Kenntnisse. Dem steht allerdings die Tatsache entgegen, daß er an einigen Stellen auch mit Informationen Kritik übt, die weder der Septuaginta noch den jüngeren Übersetzern entnommen sein können. Wenn er im Onomasticon 43 oder in einem Kommentar 44 das Hebräische dem Griechischen und den drei Jüngeren entgegenstellt, kann die Information, insonderheit wenn es sich um ein Toponym handelt, noch aus der Transliterierung in der Hexapla gewonnen sein. Aber hie und da betreibt Eusebius, wie es scheint, selbständige Transliterierungskritik, und er betreibt auch Übersetzungskritik an den sonst häufig gelobten jüngeren Übersetzern, zum Beispiel an Symmachus, wenn dieser einen Ausdruck ausläßt. 45 Hier und an manch anderer Stelle verläßt er das Gebiet der Textphänomenologie und nimmt eine semantische Analyse vor. Zwei Beispiele: a) Im Kommentar zu Ps 46,10 46 deutet er an, daß der gleiche Konsonantenbestand von ‫ ִעם‬und ‫ ַעם‬zu unterschiedlicher Übersetzung geführt hat, die aus der äquivoken Transliterierung αμ nicht mehr erkennbar ist. Der Septuaginta-Text hatte die Präposition gelesen, während Theodotion und Symmachos das Nomen erkannten. b) Im Kommentar zu Is 21,8 verwirft er richtig das οὐρίαν der Septuaginta, die das Wort für Löwe ‫( אַ ְר ֵיה‬Is 21,8) mit dem Namen des Priesters ‫( אוּ ִר ָיּה‬Is 8,2; vgl. IV Kgt 16,10.11.15.16) verwechselte. Er verweist darauf, daß keiner der jüngeren Übersetzer wie die Septuaginta übersetzt, weil auch das Hebräische nicht die Person Ouria meine, und hält der Septuaginta vor, daß sie den Unterschied in Buchstabenbestand (στοιχεῖα) und Vokalisierung (φωνή) nicht bemerkt habe. Aquila und Symmachus übersetzen richtig »Löwe« oder auch »Löwin«, Theodotion transkribiert zu »Ariel«. Eusebius kann nur die Übersetzung der beiden ersteren mit dem Hebräischen begründen. Das »Ariel« akzeptiert er gleichwohl, weil er diesen Namen etymologisch mit »Löwe« verbinden und im weiteren für seine Exegese sinnvoll verwenden kann. 47 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47.

Eusebius Caes.: Dem.ev. IV, 15, 60, GCS 23, 183,6. Eusebius Caes.: Dem.ev. VII, 1,136, GCS 23, 324,8. Eusebius Caes.: In Is. 19,19, GCS 57, 133,8. Eusebius Caes.: Onom., GCS 11/1, 176,8. Z. B. Eusebius Caes.: In Is. 28,1, GCS 57, 179,6-9. Eusebius Caes.: In Ps. 146, PG 24, 65A-B. Eusebius Caes.: In Ps. 46,10, PG 23,417 A13-B5. Vgl. Hollerich: Commentary on Isaiah 72 f.

606

gtvh 08105 / p. 607 / 31.3.2022

Eusebius von Caesarea

Auffälligerweise irritieren aber seine Informationen über das Hebräische besonders dann, wenn sie auf eigenem Wissen zu beruhen scheinen. Im Kommentar zu Psalm 126,2c 48 übersetzt er ein Wort mit ἀσεβεῖν, das sich im hebräischen Text nicht aufspüren läßt – oder kannte er einen anderen hebräischen Text? Eine berechtigte Transliterierungskritik an Aquila und Symmachus, die eine Autopsie des hebräischen Textes voraussetzt, findet sich im Kommentar zu Ps 71,10b; 49 hier scheint er die Sibilanten zu verwechseln: er nennt σέν und σάδη, das entspricht ‫ שׁ‬und ‫צ‬, zu erwarten wäre jedoch σέν und σάμχ (für ‫)ס‬. Wenn er die Übereinstimmung aller griechischen Versionen mit dem Hebräischen konstatiert, 50 oder die Übereinstimmung des Hebräischen mit Aquila und Symmachus, nicht umgekehrt, behauptet 51 oder von einer Tatsache im hebräischen Text ausgeht und daraus die Übersetzung der jüdischen Revisionen erklärt 52 oder feststellt, daß die Übersetzer dem Hebräischen folgen, 53 dann gibt er zumindest vor, das Hebräische nicht zu erschließen. In manchen Fällen rekurriert er auf den hebräischen Text, ohne ihn transliteriert zu bieten oder zu erschließen, um aus ihm seine Auslegung zu begründen, z. B. zu Ps 1,1, wo er mit dem richtigen Argument, die hebräische φωνή habe zu »Mann« den Artikel hinzugesetzt, die Auffassung begründet, daß ein einzelner Mann, nämlich Christus, gemeint sei. Dafür hätte er auch auf den Artikel im Griechischen (ὁ ἀνήρ) verweisen können – oder las er ihn nicht? Meines Erachtens war Eusebius wohl nicht auf einen hebräischen Dolmetscher angewiesen. Der Lehrer der Juden, auf den er sich im Isaiaskommentar beruft, 54 vermittelt ihm eine inhaltliche Interpretation und erteilt ihm nicht Sprachunterricht, 55 wie auch der Hebräer im Psalmenkommentar inhaltliche Deutungen, die der christlichen Position schmeicheln, von sich gibt. 56 Es ist deshalb von selbständigen, wenn auch nicht sehr tiefen oder von ihm nur mühsam zu aktivierenden Hebräischkenntnissen auszugehen. 57 Seine lexikalische Kenntnis ist sicher geringer als die der jüngeren jüdischen Übersetzer. Wo diese das hebräische Wort nicht deuten konnten und in Transliterierung beließen, weiß auch er keine Lösung. 58 In seinem onomastisch geprägten Sprachinteresse bespricht Eusebius hebräische Wörter vorzugsweise dann, wenn er ein Substantiv als Eigennamen deuten kann. Immer wieder bezieht er das hebräische nomen für Rettung (‫)ישׁע‬, ob die LXX nun bereits eine Personalisierung zu σωτήρ vorgenommen (wie bei Is 17,10) oder ein abstraktes σωτηρία (Is 52,7) oder σωτήριον (Ps 50,14) belassen hatte, auf den Erretter Jesus (‫)ישׁוע‬, weil das nomen proprium denselben Konsonantenbestand aufweise. Im »Oliven-Tal« (‫ )גיא־שׁמנים‬aus Is 28,1 erkennt er mit der Transliterierung γεθσημανι den 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58.

Eusebius Caes.: In Ps. 126,2c, PG 24, 20 C. Eusebius Caes.: In Ps. 71,10b, PG 23,808 B4-13. Eusebius Caes.: In Is. 42,8, GCS 57, 271,12-14. Eusebius Caes.: In Ps. 71,10b, PG 23,808 B6. Eusebius Caes.: In Is. 29,1, GCS 57, 188,21-22. Eusebius Caes.: In Ps. 89,2a, PG 23,1125 B. Eusebius Caes.: In Is. 391-2, GCS 57, 245, 30. Gegen Winkelmann: Euseb, 32. Eusebius Caes.: In Ps., PG 23, 1332 B26. Zurückhaltend positiv urteilt auch Ulrich: Euseb, 192-201. Eusebius Caes.: In Is. 31,21-22, GCS 57, 100,20-25.

607

gtvh 08105 / p. 608 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

gleichnamigen Garten Gethsemani aus Mt 26,36par, 59 und der Name der Gottesgebärerin Μαρία, so referiert er einen anonymen Ausleger, sei im Ausdruck »aus dem Mutterleib«, hebräisch ‫מרחם‬, transliteriert zu μαριάμ, erwähnt. 60 Eusebius verfolgt nur oberflächlich das Interesse an einer philologischen hebraica veritas. Nicht einmal die Übersetzungskritik ergibt sich notwendig aus sprachlichen Erwägungen. Hält er eine auffällige Version der jüdischen Septuaginta für ungenügend, zum Beispiel den Ausdruck »Bote des großen Rates«, argumentiert er inhaltlich oder psychologisch. 61 Er will seinem Leser den griechischen Text nicht als Übersetzung nahebringen, sondern als religiöses, in christliches Bewußtsein zu überführendes inspiriertes Buch. Zu diesem Zweck sucht er in den Versionen nicht den ursprünglichen Wortlaut, sondern die Formulierung, in der die göttliche Ökonomie, das heißt das prophezeite Christentum, am deutlichsten hervortritt.

5. Wirkung auf die Septuaginta-Tradition Die editorische Arbeit beschränkte sich, den Kolophonen in S und Q zufolge, auf drei Schritte: Vergleichen (ἀντιβάλλειν), verbessern (διορθοῦν) und mit Anmerkungen versehen (σχολιογράφειν, σχόλια παρατιθέναι). 62 Vergleichstext der Editionsarbeit war das Original der Hexapla oder der Tetrapla. Um textkritische Vergleiche mit außerhexaplarischen Textformen war es demnach nicht zu tun. Das erklärt, daß die eusebisch-pamphilische Ausgabe von der Origenes-Rezension in der Regel nicht unterscheidbar ist. 63 Nur wenige nachweisbare Spuren belegen, daß Eusebius editorische Arbeit in die Tradition des Septuaginta-Textes eingegangen ist. Beim tetraplarischen Text des Zwölfprophetenbuches, dessen pamphilisch-eusebische Kritik über eine damit verglichene Abschrift in die Syrohexapla gelangte, wird wenigstens an vier Stellen explizit auf Eusebius verwiesen. 64 Ob die in Katenenhandschriften überlieferten Auslassungen von obelisierten Stellen im Zwölfprophetenbuch – Origenes tilgte für gewöhnlich die obelisierten Stellen nicht – auf die Edition von Pamphilus und Eusebius zurückgehen, muß offen bleiben. 65 Korrekturen hatten Pamphilus und Eusebius auch am tetraplarischen EzechielText des Origenes vorgenommen, die in den Codex Q eingegangen sind. Laut dessen Unterschrift hatte Eusebius außerdem für die Edition Scholien zum Ezechiel-Text notiert, wie zuvor schon Origenes. Ziegler traut der Echtheit nicht, bringt aber selbst ein Beispiel für ein Scholion, das »wohl von Eusebius stammt« 66, eine Notiz zu einer Obelisierung an Ez 32,17, mit der aus dem Ezechielkommentar des Origenes die Auslassung des obelisierten Textes begründet wird. 59. 60. 61. 62. 63. 64. 65. 66.

Eusebius Caes.: In Is. 28,1, GCS 57, 179,6-12; vgl. dazu Hollerich: Commentary of Isaiah, 83. Eusebius Caes.: In Ps. 109,3c, PG 23, 1344 A 7-11. Vgl. Eusebius Caes.: In Is. 9,6, GCS 57, 66,21-67,1. Vgl. die Kolophone bei Ziegler: Duodecim prophetae 53; Isaias 50f; Ezechiel 32; Hanhart: Esther 60. So in Hinblick auf den Isaias-Text Ziegler: Isaias 361. Vgl. Ziegler: Duodecim prophetae 54-56. Vgl. Ziegler: ebd. 69-70. Ziegler: Ezechiel, 33.

608

gtvh 08105 / p. 609 / 31.3.2022

Eusebius von Caesarea

Die Textform, die der Exeget Eusebius an manchen Stellen der Septuaginta nach seinen Grundsätzen für die bessere und richtige halten mußte, ist nicht in den textus receptus eingedrungen. Er wollte anscheinend seine exegetischen Ergebnisse nicht editorisch verwenden, was bei paraphrasierenden Verdeutlichungen der unterstellten Aussageabsicht verständlich ist, 67 aber bei klugen Konjekturen wie an Hab 3,2, wo er ζωῶν gegen das überlieferte ζώων setzt, 68 sinnvoll gewesen wäre. Erklärende Eingriffe, für die heute weder Vorgänger noch Nachfolger in Bibelhandschriften bekannt sind, bezeugen nicht notwendig eine unbekannte Überlieferung, auch wenn sie »lukianische« Manier aufweisen, wie zum Beispiel τὸν λόγον ἀσάφ in 1 Macc 7,16. 69 Hingegen haben spätere Herausgeber Randnoten in seiner »Rezension« des IsaiasTextes und Bemerkungen in seinem Isaias-Kommentar für Scholien genutzt, so in der alexandrinischen Rezension Q und in Syh. 70 In einigen Septuaginta-Handschriften begegnen mitunter chronologische Angaben aus Euseb ohne eigentliche Traditionsbildung. 71

67. Vgl. z. B. die Behandlung von Is 23,18 im Isaiaskommentar, GCS 57, 153,15-18. 68. Eusebius Caes.: Dem. ev. VI, 15,3-4, GCS 23, 270,3-9. 69. Eusebius Caes.: Dem. ev. X, 1,12, GCS 23, 448,20. Vgl. hierzu Kappler: Maccabaeorum liber I 38-39. 70. Vgl. Ziegler: Isaias 48-52. 71. Vgl. Rahlfs: Nachwirkungen.

609

gtvh 08105 / p. 610 / 31.3.2022

3.4.5 Théodoret de Cyr Jean-Noël Guinot

Textes et éditions Diodor: Commentarii in Psalmos, Vol. I, Commentarii in Psalmos I–L, ed. Jean-Marie Olivier, CC.SG 6, Turnhout 1980 – Theodoret: Commentarius in Isaiam, ed. Jean-Noël Guinot, SC 276, Paris 1980, SC 295, Paris 1982, SC 315, Paris 1984 – Theodoret: Correspondance, ed. Yvan Azéma, SC 40, Paris 1955, SC 98, Paris 1964, SC 111, Paris 1965, SC 429, Paris 1998 – Theodoret: Interpretatio XIV epistolarum Sancti Pauli apostoli, PG 82, 36 A-877 D – Theodoret: Quaestiones in Octateuchum, ed. Natalio Fernández Marcos / Angel Sáenz-Badillos, TECC 17, Madrid 1979 – Theodoret: Quaestiones in Reges et Paralipomena, ed. Natalio Fernández Marcos / José Ramon Busto Saíz, TECC 32, Madrid 1984.

Littérature secondaire Mariès, Louis: Études préliminaires à l’édition du commentaire de Diodore de Tarse sur les Psaumes, Paris 1933.

Dernier en date des exégètes antiochiens, l’évêque de Cyr a expliqué, sous la forme de commentaires suivis et de Quaestiones, une grande partie de l’Ancien Testament. Après le Cantique des Cantiques, son premier ouvrage d’exégèse, il déclare avoir successivement commenté les prophéties de Daniel, d’Ézéchiel et des douze petits prophètes, puis le livre des psaumes et celui d’Isaïe, et terminé cette série de commentaires des prophètes par celui de Jérémie. Plus tard, après le concile de Chalcédoine, il achève cette entreprise exégétique par une série de Quaestiones sur l’Octateuque, puis sur les livres des Règnes et des Paralipomènes 1. Entre-temps – l’ouvrage était achevé en 448 –, il avait également commenté la totalité du corpus paulinien. Contrairement à la plupart des commentaires vétérotestamentaires de ses devanciers antiochiens ou alexandrins, les siens nous sont tous parvenus, en tradition directe ou par les chaînes. Avec une certaine marge d’incertitude, car on ne dispose pas pour chacun d’eux d’une édition critique, ils permettent néanmoins de se faire une idée assez précise du regard qu’il porte sur la Septante, dont il confronte les leçons non seulement avec celles d’autres traductions grecques, mais aussi avec la version syriaque (Peshitta) et l’original hébreu. Théodoret, à l’instar des autres Pères, tient la traduction des Septante pour inspirée au même titre que l’original. Il importe de le souligner, car cela a une incidence sur son recours au texte hébreu. Il considère en outre que les livres de la Bible bénéficient 1.

Pour éviter de multiplier les références, nous renvoyons seulement d’ordinaire au chapitre et au verset biblique commenté par Théodoret. On se reportera donc pour Isaïe à notre édition, SC 276, 295 et 315), pour les autres prophètes à PG 81, pour les Quaest. in Octateuch. à l’édition de Fernández Marcos / Sáenz-Badillos, et pour les Quaest. in Reg. et Paralipom. à celle de Fernández Marcos / Busto Saíz, et, pour sa correspondance, à SC 111.

610

gtvh 08105 / p. 611 / 31.3.2022

Théodoret de Cyr

tous d’une égale inspiration, puisque tous procèdent d’un même et unique auteur, l’Esprit saint. Enfin, à la différence des traductions grecques postérieures faites sur l’hébreu, celle des Septante mérite à ses yeux une totale confiance, car lorsque les savants juifs ont réalisé leur traduction, à l’époque de Ptolémée, ils n’avaient quant à eux nulle raison de falsifier le texte de la Bible. D’une telle conception découlent plusieurs présupposés de lecture : l’Écriture ne saurait être mensongère, puisqu’un Esprit de vérité l’inspire tout entière, ni davantage se contredire. Tout y est porteur de sens et rien n’y est superflu. D’où l’attention portée par l’exégète à la lettre du texte, un simple article ou la moindre particule pouvant y avoir son importance. D’où aussi sa volonté de souligner la cohérence et l’unité du message biblique en multipliant les citations à l’appui du passage commenté, ou pour en éclairer le sens, empruntées aux différents livres de la Bible. Bible Septante et Bible hébraïque.– On ne s’étonnera guère de ce que Théodoret, au ve siècle, n’éprouve ni le besoin de préciser son « canon » ni de dresser, comme Origène, la liste des livres retenus par la Septante mais absents de la Bible hébraïque. On admettra donc que sa Septante ne diffère pas de celle alors en usage dans les différentes Églises d’Orient, même si, en dehors des livres qu’il commente ou dont il cite explicitement le titre, il y a ceux dont il ne fait jamais mention (Esther, Judith, Tobie, Sagesse, Siracide). On ne saurait en conclure, en effet, qu’il les méconnaît ou leur accorde peu d’intérêt. Ainsi, alors qu’il renvoie à plusieurs reprises à Maccabées I et II, en évoquant la lutte héroïque des frères Maccabées contre Antiochos Épiphane, les figures de Mattathias, des sept jeunes gens et de leur mère ou celle du prêtre Éléazar, il ne fait qu’une seule fois référence à Maccabées III (Dn 11, 7). Dans le résumé fidèle qu’il donne de la venue de Ptolémée Philopator à Jérusalem après sa victoire sur Antiochus le Grand et du châtiment divin qu’il subit pour avoir voulu pénétrer dans le Saint des Saints (3 M 1-2), rien ne laisse supposer qu’il reconnaît à ce livre un statut différent de celui des deux précédents. En revanche, il ne fait jamais état de Maccabées IV. On peut s’interroger également sur le statut qu’il reconnaît à l’histoire de Suzanne ou à celle de Bel et le Dragon, dont son Commentaire sur Daniel ne fait pas état. Aucun doute pourtant qu’il les connaisse. Cela est certain pour l’histoire de Suzanne, à laquelle il fait référence dans son In Psal. (Ps 90, 3) et à laquelle il emprunte, dans sa correspondance (ep. 110, 1-6), une brève citation (Suz. 22 : Théodotion) pour l’appliquer à sa situation personnelle. Est-ce parce que ces textes ne figurent pas dans la Bible hébraïque qu’il s’abstient de les commenter dans l’In Daniel ? Mais il y commente bien le Cantique d’Azarias et celui des trois jeunes gens dans la fournaise, pourtant conservés seulement en grec et en syriaque. On aurait attendu au moins une remarque de sa part sur cette différence de traitement. D’autant que, dans sa préface, ses attaques polémiques contre les Juifs, qui dénient à Daniel la qualité de prophète, tiennent probablement en partie au fait que ce livre est rangé, dans la Bible hébraïque, parmi les « Écrits » et non avec les prophètes. Mais cela n’est pas dit. Il ne semble donc pas que Théodoret manifeste un grand intérêt pour les différences entre le canon de la Septante et celui de la Bible hébraïque. La Septante et la Bible hébraïque. – Il porte en revanche une attention plus grande à celles qui existent entre les deux textes. S’il tient la Septante pour inspirée au même titre que l’hébreu, conscient toutefois qu’il s’agit d’une traduction, il ne juge pas super611

gtvh 08105 / p. 612 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

flu, à la différence d’un Théodore de Mopsueste, le recours à l’original. Cette pratique reste pourtant chez lui limitée et varie fortement d’un commentaire à l’autre, ce qui pose la question de savoir comment, et dans quelle mesure, il a accès au texte hébreu. La question se pose du reste pour l’ensemble de la critique textuelle dont témoignent ses commentaires. Son recours à l’hébreu s’opère surtout dans son commentaire du Psautier (30 fois). Moins fréquent, mais bien attesté, dans l’In Isaiam, l’In Ezechielem et l’In Ieremiam, il n’intervient qu’une seule fois dans l’In XII prophetas (Jon 3, 4) et trois fois seulement dans les Quaestiones in Reges et Paralipomena. C’est donc peu au regard de la masse que représente son œuvre exégétique et des nombreux autres éléments de critique textuelle qu’offrent ses commentaires. Le mode de référence au texte hébraïque n’est pas uniforme. Par ordre de fréquence, on relève les expressions suivantes : ὁ Ἑβραῖος (παρὰ τῷ Ἑβραίῳ, παρ’ Ἑβραίοις), τὸ Ἑβραϊκόν, ἡ Ἑβραϊκὴ γραφή [« l’Hébreux [chez l’Hébreu / chez les Hébreux] / le [texte] hébreu, la Bible hébraïque »]. Dans la presque totalité des cas, s’agissant de l’In Psal., les formules παρὰ τῷ Ἑβραίῳ, παρ’ Ἑβραίοις et τὸ Ἑβραϊκόν [chez l’Hébreu / chez les Hébreux / le [texte] hébreu] ont pour rôle de signaler, dans son texte-LXX ou dans certains exemplaires qu’il a pu consulter, la présence d’une addition par rapport au texte hébreu 2. Additions de la Septante. – Il s’agit presque exclusivement, pour le Psautier, d’additions dans les titres des psaumes. Sa position à l’égard de ces titres diffère de celle de Diodore de Tarse, qui les tient erronés pour la plupart et décide à partir du Ps 72 de ne plus s’en occuper 3. En raison du caractère inspiré de la Septante, Théodoret juge pour sa part téméraire de les ignorer et, à plus forte raison, de les rejeter en bloc. Ce qui ne l’empêche pas de s’interroger sur la pertinence d’additions à ces titres que sont seules à présenter « certaines copies » (ἀντίγραφα) de la Septante. A leur égard son attitude n’a rien de systématique. Il lui arrive de considérer ces additions en accord avec le sens du psaume (Ps 30 ; 69), voire d’en reconnaître la véracité (Ps 142) ou l’exactitude au moins partielle (Ps 95). Dans d’autres cas, il se contente de les signaler sans exprimer de jugement sur leur validité (Ps 65 ; 100 ; 143 ; Ps 145). Dans d’autres cas enfin, il les juge fautives ou infondées (Ps 64 ; 70 ; 136 ; 138). Trouve-t-il dans la Septante, en tête d’un psaume, la mention « anépigraphe chez les Hébreux », elle est pour lui l’occasion de souligner l’honnêteté des traducteurs, qui ne se sont pas cru autorisés à ajouter quoi que ce fût au texte inspiré (Ps 1 et 2 ; Ps 31), et, inversement, une manière de valider les titres qu’ils ont conservés. Voilà pourquoi il rejette comme fautives les additions d’auteurs anonymes (τις, ἄλλος τις, αὐτὸς ὁ τὴν ἐπιγραφὴν ποιησάμενος [« quelqu’un, quelqu’un d’autre, l’auteur du titre »]) qui, ingénument, signalent leur intervention en notant que le psaume est « anépigraphe chez les Hébreux » et avouent par là-même l’avoir entendu à leur convenance (τις ὡς ἠβουλήθη νενοηκὼς τὸν ψαλμόν [« quelqu’un qui a entendu le psaume à sa guise »]).

2.

3.

Une autre différence notée par Théodoret est la division du Ps 9 en deux psaumes dans la Bible hébraïque et sa réunion en un seul psaume des Ps 114 et 115 de la Septante, si bien que le nombre total des psaumes demeure inchangé (PG 80, 1801 A). Diodore de Tarse, Commentaire sur les Psaumes, Prologue, CC.SG 6, p. 6, 120-122 (cf. Introduction, ibid., LXXXVII) ; voir aussi Mariès, Études préliminaires, 79-97 [89].

612

gtvh 08105 / p. 613 / 31.3.2022

Théodoret de Cyr

En dehors de ces additions relevées dans les titres de psaumes, Théodoret ne signale que quatre autres cas où son exemplaire de la Septante est excédentaire par rapport à l’hébreu. Ainsi note-t-il en Ps 40, 2, dans quelques exemplaires, l’addition καὶ πένητα ([Heureux qui se soucie de l’indigent] « et du pauvre »), sans la commenter, probablement parce que le mot lui paraît faire double emploi avec le terme πτωχόν [« indigent »] qui précède. De même, en Ps 71, 17, il signale l’addition du participe εὐλογημένον (τὸ ὄνομα αὐτοῦ [« béni (sera son nom »]), sans davantage la commenter, bien qu’elle conforte en réalité son interprétation du psaume, rapporté tout entier au Christ. Les deux autres additions concernent son texte d’Isaïe. En Is 42, 1, il note celle des noms « Jacob » et « Israël », absents à la fois de l’hébreu et de la citation du verset par Matthieu (Mt 12, 18-21), ce qui en facilite du reste l’application au Christ ; mais dans ce cas, il commente cette addition en rapportant ces noms, et celui de « serviteur », à l’humanité du Christ. En Is 60, 8, il souligne que son exemplaire est seul à présenter l’addition « C’est Sion » : il la retient pourtant, non seulement par respect pour son texte, mais aussi sans doute parce qu’elle permet d’appliquer plus facilement la prophétie à « l’Église de Dieu » et à « la cité céleste » 4. Variantes de la Septante par rapport à l’hébreu. – Sensiblement dans la même proportion, Théodoret renvoie à l’hébreu, non plus pour noter un excédent dans la Septante, mais un certain nombre d’écarts entre la traduction et le texte original. Le plus souvent, il s’agit de variantes portant sur un seul mot. Toutes n’ont pas la même importance, et le traitement que leur réserve l’exégète varie selon les cas. Ainsi se borne-til parfois à signaler la variante sans choisir entre les deux formes textuelles, qu’il s’agisse d’une différence de datation comme en Ez 29, 17-18 (LXX = 10e année ; Hébr. = 12e année) ou de mesure comme en Ez 41, 3-4 (LXX = 40 coudées ; Hébr. = 20 coudées), ou encore d’une traduction qui rend de façon inexacte le terme hébreu comme en Jr 1, 11 (LXX = ῥάβδον καρυΐνην [« branche de noyer »]; Hébr. = ῥ. ἀμυγδαλίνην [« branche d’amandier »]) ou en Ps 67, 3 (LXX = ἁμαρτωλοί [« pécheurs »]; Hébr. = ἀσεβεῖς [« impies »]), voire d’une différence textuelle qui nous paraîtrait mériter au moins un bref commentaire comme en Ez 43, 2 (LXX = ὡς φωνὴ διπλασιαζόντων πολλῶν [« pareil à une voix d’échos nombreux »] ; Hébr. = ὡς φωνὴ ὑδάτων πολλῶν 5 [« pareil à une voix d’eaux nombreuses »]). Dans la plupart des cas, en présence de leçons divergentes, Théodoret s’efforce de montrer l’existence d’un accord au moins pour le sens entre la traduction et son modèle. Ainsi en Ez 27, 8 (LXX = ἄρχοντές σου [« tes chefs »] ; Hébr. = γείτονές σου [« tes voisins »]), Jr 38, 2 (LXX = θερμόν [« chaleur »] ; Hébr. = οἰκτιρμόν [« miséricorde »]), Ba 1, 15 (LXX = καιρόν [« moment »] ; Hébr. = συμφοράν [« malheur »]), Ps 73, 15 (LXX = πηγάς [« les sources »] ; Hébr. = πηγήν [« la source »]), Ps 91, 12 (LXX = ἐπεῖδε ; Hébr. = ἐπόψεται [mon oeil] a observé ; observera]). Cette volonté de montrer que, de manière différente et avec d’autres mots, 4.

5.

Théodoret ne lisait probablement pas, au Ps 14, 3, dans son texte-LXX, la longue addition qui figure dans le codex Vaticanus, mais curieusement lorsque, dans son commentaire de Rm 3, 1318, il note l’emprunt de la citation paulinienne à ce psaume, il ne fait aucune remarque concernant cette addition (PG 82, 81 A). La traduction de διπλασιαζόντων est difficile: j’ai finalement retenu le terme d’« échos », qui me semble exprimer l'idée de sons redoublés, comme cela arrive dans les montagnes, de vallée en vallée.

613

gtvh 08105 / p. 614 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

le sens général du texte reste le même, se constate pareillement chez lui quand il confronte la traduction des Septante à celle des autres traducteurs grecs. Il est des cas pourtant où l’écart entre la Septante et l’hébreu est tel que l’exégète doit déployer des trésors d’ingéniosité pour ramener à une unité de sens les deux leçons. Ainsi en Ps 103, 16 (LXX = τὰ ξύλα τοῦ πεδίου [« les arbres de la plaine »] ; Hébr. = τὰ ξύλα τοῦ κυρίου [« les arbres du Seigneur »]) ou en Ez 43, 3 (LXX = εἰσεπορευόμην τοῦ χρίσαι τὴν πόλιν [« je m’avançais pour oindre la ville »] ; Hébr. = εἰσῆλθον ἀπολέσαι τὴν πόλιν [« je suis venu détruire la ville »]). Dans d’autres cas, après avoir signalé une divergence d’avec l’hébreu, sans écarter ouvertement la leçon des LXX, il ne paraît tenir compte dans son commentaire que du texte hébreu, ainsi en Ez 44, 20 (LXX = τὰς κόμας αὐτῶν οὐ ψιλώσουσιν [« ils n’épileront pas leurs chevelures »] ; Hébr. peutêtre = τὰς κόμας αὐτῶν οὐ θρέψουσιν [« ils ne nourriront pas leurs chevelures »]) ou en Ps 118, 59 (LXX = τὰς ὁδούς σου [« tes voies »] ; Hébr. = τὰς ὁδούς μου [« mes voies »]), d’autant qu’ici la Septante hexaplaire s’accorde avec l’hébreu. Il est exceptionnel toutefois que Théodoret juge erroné le texte de la Septante. Cela se produit pourtant en Jon 3, 4 (LXX = τρεῖς ἡμέραι [« trois jours »] ; Hébr. = τεσσαράκοντα ἡμέραι [« quarante jours »]), mais il refuse d’imputer l’erreur aux LXX : elle serait celle des copistes qui, à l’origine, ont transcrit le texte. Peut-être faut-il y ajouter une traduction des Septante, jugée par lui bien « euphémique » (ἄρχοντι [« chef / prince »]), en Lv 18, 21, quand l’hébreu parle du dieu Moloch auquel on sacrifie des enfants. Parfois le recours à l’hébreu a moins pour objet de noter un écart de la traduction des LXX par rapport au texte original que de la clarifier. Ainsi en Ez 44, 25 où l’hébreu (ἐπὶ νεκρῷ [[ils n’approcheront pas] « d’un mort »]) précise le sens de l’expression utilisée par la Septante (ἐπὶ ψυχὴν ἀνθρώπου [[ils n’approcheront pas] « de l’âme d’un homme »]). De même, en Ps 112, 1, l’ambiguïté du terme grec παῖδες – « jeunes enfants » ou « esclaves » – est levée par l’hébreu ἀβδή (« serviteurs »). C’est un des cas, peu fréquents, où Théodoret a recours à la translittération en caractères grecs d’un terme hébreu, sa pratique habituelle étant d’en donner une traduction grecque. Ailleurs, la translittération d’un terme hébreu en grec a pour objet de conforter la traduction de la Septante, par exemple en 3 R 18, 32 (LXX : δοχεῖον [« rigole »]; Hébr. : θααλά [« fossé »]), ou d’en montrer l’exactitude, comme en Is 9, 5 où la traduction de l’hébreu ἠλγιβώρ [El Gibôr] par θεὸς ἰσχυρός [« Dieu-Fort »] est justifiée grâce à l’étymologie du nom « Emmanuel » (Is 8, 8), ce qui permet d’écarter la traduction partisane des autres traducteurs grecs (ἰσχυρὸς δυνατός [« Fort Puissant »]). C’est encore le cas en Is 8, 21, où la variante τὰ πάταχρα (« idoles ») présentée par « certains exemplaires » – le texte de Théodoret porte τὰ πάτρια [« les hdieuxi ancestraux »] – est corroborée à la fois par le syriaque et par l’hébreu βελοαῦ, désignant les faux dieux et les pratiques idolâtriques du peuple juif. Les hébraïsmes de la Septante. – En dehors de noms propres transcrits de l’hébreu, avec parfois de légères différences, par exemple en Jr 32, 11 (LXX : Ζαμβρή ; Hébr. : Ζαμβρά) et Jr 48, 5 (LXX : Σαλήμ ; Hébr. : Σιλώμ), la Septante de Théodoret présente assez peu de termes hébreux translittérés 6. Elle a néanmoins le plus souvent conservé 6.

Le cas de « Tharsis », sur lequel Théodoret revient à de multiples reprises (Jon 1, 3 ; Is 23, 1, Ez 27, 12 ; Ps 71, 10 ; etc.) est particulier, car la Septante le conserve tantôt sous sa forme hébraïque, et tantôt le traduit par « Carthage » (Καρχηδών).

614

gtvh 08105 / p. 615 / 31.3.2022

Théodoret de Cyr

dans les psaumes le terme ἀλληλούϊα [« αllèlouia »], dont l’exégète donne à intervalles réguliers la traduction (αἰνεῖτε τὸν κύριον) [« Louez le Seigneur »], en rendant compte une fois, en Ps 110, 1, des deux parties constitutives du mot (σημαίνει γὰρ τὸ ἀλληλοὺ « αἰνεῖτε », τὸ δὲ ἴα « κύριον » ἢ « τὸν ὄντα » [En effet, Allèlou signifie « louez », et ia signifie « seigneur » ou « celui qui est »]). Dans les psaumes encore, après d’autres exégètes, Théodoret se doit de s’interroger sur le sens du mot διάψαλμα [diapsalma], « même si seul le connaît avec exactitude celui qui l’y a placé » ! Il est plus assuré, en Dn 8, 13, du sens du mot φελμουνί (« quelqu’un »), grâce à sa connaissance du syriaque, dont il note ici la proximité avec l’hébreu. Par ailleurs, il est capable de reconnaître que la Septante rend de deux manières différentes – par σύστρεμμα [« troupe »] en 1R 30, 15 et par πειρατήριον [« ailleurs »] en 4R 5,2 le même mot hébreu (γαδδούρ/gaddour). 7 De même, en Ps 117, 25, il note que le σῶσον δή [« sauve-moi »] de la Septante traduit le ὡσαννά [hosanna] de l’hébreu ou encore, en Ps 105, 48, que l’optatif γένοιτο, γένοιτο [« Qu’il en soit ainsi, qu’il en soit ainsi ! »] rend le double « Amen » de l’hébreu, en soulignant la similitude entre cette approbation donnée par le peuple aux paroles du psalmiste et l’Amen de l’assemblée chrétienne qui conclut les différentes doxologies. Enfin, malgré leur rareté, ses remarques sur le style ou le vocabulaire de la Septante font parfois référence à l’hébreu. L’obscurité de la version grecque tiendrait, selon lui, à la volonté de littéralisme des traducteurs, pouvant aller jusqu’au décalque de l’hébreu. D’où la notation fréquente dans ses commentaires de ce qu’il considère comme des idiomata. Il précise rarement, en réalité, en quoi ces idiomata constituent des hébraïsmes. Il le fait pour l’« énallage » des temps verbaux en Is 9, 20, pour le redoublement d’un même verbe, dont il fournit plusieurs exemples en Dn 11, 13 et en Ez 33, 11, ou pour des expressions comme « les fils des prophètes », « les fils des hommes » (Dn 11, 10 ; 4R 2, 3), « la fille de Sion » (Ps 72, 28 ; Is 1, 8), « un fils de cent ans » (Is 65, 20) qui signifient seulement : les prophètes, les hommes, Sion ou cent ans. Le terme d’idioma, appliqué à la traduction de la Septante, ne peut guère, en d’autres cas, être imputé à une dépendance de l’hébreu : ainsi la valeur reconnue aux conjonctions ἕως [« jusqu’à ce que »] (Ps 109, 1), ἱνατί [« pourquoi »] (Ps 42, 2), ou ὅπως [« afin que »] (Ps 50, 6), paraît relever surtout chez Théodoret de motivations doctrinales ou morales. Il attribue pourtant à un décalque maladroit de l’hébreu – le mot « mer » y étant masculin, comme en syriaque –, l’utilisation par les Septante du pronom de rappel masculin (αὐτῷ) (« Ce dragon que tu formas pour qu’il s’ébatte en lui [la mer] ») en Ps 103, 26, quand on attendrait le féminin (αὐτῇ τῇ θαλάσσῃ [« en elle, la mer »]). 8 De même, il explique à deux reprises – en Ps 148, 4 et en Gn 1, 1 –, en recourant à l’analogie fournie par les noms d’Athènes, de Thèbes ou de Delphes, l’emploi du pluriel οὐρανοί par la Septante sous l’influence de l’hébreu, bien qu’il n’y ait qu’un seul « ciel » ; mais ici la remarque grammaticale s’explique d’abord pour des raisons théologiques. 7.

8.

Théodoret ne précise pas davantage ; la traduction par πειρατήριον se rencontre Gn 49, 19; Jb 19, 12; Ps 17, 30. Sur la question, voir M. Lestienne, Premier Livre des Règnes, in La Bible d’Alexandrie 9. 1, Paris 1997, 405-406. La Septante ici n’est pas en cause, mais Théodoret, qui entend le verbe ἐμπαίζειν au sens propre, alors que le verset se comprend aisément, si on le prend au sens figuré qui est bien attesté : « Ce dragon que tu formas pour te jouer de lui (αὐτῷ). »

615

gtvh 08105 / p. 616 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

Ces quelques hébraïsmes relevés dans la Septante ne doivent pas faire illusion sur la capacité réelle de Théodoret à confronter son texte à l’original hébreu. La plupart de ces notations se trouvent déjà, et en plus grand nombre, chez Diodore de Tarse ou Théodore de Mopsueste qui, dans la préface, hélas perdue, de son commentaire du Psautier, avait rassemblé toute une série de particularités de la langue des Septante héritées de l’hébreu. Cela invite donc à s’interroger sur la manière dont Théodoret a accès au texte hébreu (et, plus largement, sur les sources.) de sa critique textuelle. Les sources de la critique textuelle de Théodoret.– On notera que ses références au texte hébreu, qu’il s’agisse de signaler une addition ou une variante textuelle, ne sont jamais autonomes. Elles s’accompagnent toujours d’une référence aux trois traductions grecques (Aquila, Symmaque, Théodotion), à plusieurs reprises aussi à la Septante hexaplaire ou à la vieille traduction syriaque (Peshitta). Toutes ont pour but de conforter la leçon de l’hébreu, presque toujours cité en tête dans l’énumération des témoins, devant les « autres traducteurs » et la Septante hexaplaire. Quant à la référence au texte syriaque, elle est le plus souvent seule à accompagner une référence à l’hébreu, notamment dans ses commentaires In Ezechiel. et In Ierem. Elle constitue un cas particulier par rapport au reste de sa critique textuelle, car en raison de ses origines Théodoret avait directement accès à la Peshitta. Rien n’autorise à croire, en revanche, qu’il ait un jour consulté les Hexaples d’Origène à Césarée de Palestine. Sa référence aux « Septante dans l’Hexaple » conduirait à penser qu’il dispose, au moins pour certains livres – Isaïe et les psaumes en particulier –, sinon d’une copie de la cinquième colonne hexaplaire, du moins d’un exemplaire glosé de la Septante, auquel il devrait l’essentiel de son information. Il doit également sans aucun doute aux commentaires de ses devanciers une part importante de sa critique textuelle, comme tendrait à le prouver la comparaison des leçons qu’il emprunte aux « autres traducteurs » avec celles signalées par Eusèbe de Césarée ou Théodore de Mopsueste. Pour une large part sa critique textuelle serait donc probablement de seconde main, et plus ou moins tributaire du travail d’Origène, comme chez d’autres Pères qui ont manifesté leur intérêt pour la question. Rôle des variantes dans l’interprétation du texte-LXX. – Elle n’en demeure pas moins un élément important de son exégèse. Les variantes empruntées aux versions d’Aquila, Symmaque et Théodotion, beaucoup plus souvent encore que les références à l’hébreu, sont destinées à faciliter la compréhension du texte de la Septante. Elles jouent, dans bien des cas, un rôle voisin de la paraphrase du texte biblique à laquelle se livre régulièrement l’exégète pour traduire avec d’autres mots ce qu’ont dit les Septante et que les autres traducteurs, en particulier Symmaque, ont pu exprimer plus clairement (σαφέστερον). Quand le texte des autres traducteurs diffère de celui de la Septante, non plus seulement d’un point de vue lexical, mais pour le sens, Théodoret le cite, sans toujours le commenter, comme une forme textuelle concurrente, allant parfois jusqu’à affirmer que « les deux traductions sont vraies ». Néanmoins, exception faite des rares cas où il accuse les « trois traducteurs » juifs d’avoir falsifié le texte hébreu par esprit de parti (Is 7, 14 ; 9, 5), il s’applique plutôt d’ordinaire à montrer l’accord de leurs traductions avec celle des Septante. Si bien que son interprétation tend le plus souvent à « amalgamer » ces différentes traductions, comme pour ne rien perdre de la richesse du texte biblique original. Qu’il s’agisse d’un titre de psaume, celui du Ps 8 par exemple, où le εἰς τέλος [« pour la fin »] de la Septante ne semble pas immédia616

gtvh 08105 / p. 617 / 31.3.2022

Théodoret de Cyr

tement s’accorder avec la traduction d’Aquila et de Théodotion (τῷ νικοποιῷ) [« pour l’auteur de la victoire »] ou celle de Symmaque (ἐπινίκιον) [« chant > triomphal »], ou bien d’un verset d’Isaïe (Is 60, 18), où la similitude entre le γλύμματα [« ciselures »] de la Septante et les traductions d’Aquila (ὕμνησιν) [« célébration dans des hymnes »], de Théodotion (καύχημα) « sujet de gloire »] et de Symmaque (αἴνεσιν) [« louange »] n’est pas manifeste, pour nous limiter à ces deux exemples, on voit bien que cette manière de procéder est un trait de sa méthode exégétique. Nulle traduction ne peut véritablement entrer en contradiction avec celle des Septante, bien que l’apport des autres versions ne se réduise pas pour autant à un rôle de faire-valoir. S’il arrive, en effet, qu’une variante puisse faciliter l’application du texte de la Septante au Christ ou à une réalité néotestamentaire, ce n’est pas le cas le plus fréquent. On voit même l’exégète refuser d’exploiter les leçons facilitantes des trois traducteurs pour s’en tenir à son texte-LXX, en Ps 21, 2b (μακρὰν ἀπὸ τῆς σωτηρίας μου οἱ λόγοι τῶν παραπτωμάτων μου [« Loin de mon salut, les paroles de mes défaillances »]), et justifier son application au Christ aux yeux de ceux qui la rejettent sous prétexte que le Christ ne saurait parler de « ses fautes ». Ici, comme ailleurs, c’est en relisant son texte à la lumière des Évangiles et des Épîtres pauliniennes que l’exégète y découvre des prophéties ou des « figures », auxquelles les traducteurs de la Bible hébraïque étaient loin naturellement de songer ! A l’époque de Théodoret, la plupart de ces interprétations sont déjà depuis longtemps répertoriées par les lecteurs chrétiens de la Septante : il lui suffit donc de puiser dans une tradition bien établie. Il le fait avec circonspection, mais d’une manière moins restrictive que les Antiochiens de la génération qui le précède. Comme eux il se montre attentif à respecter le caractère historique du texte et à le lire dans le cadre de l’histoire du peuple juif. Il hésite pourtant beaucoup moins qu’un Diodore de Tarse ou un Théodore de Mopsueste à dépasser ce cadre, au nom même de la vérité historique, en recourant notamment à l’explication typologique, mais aussi en s’appuyant sur la lettre du texte, qui se trouve alors chargée d’un sens nouveau. Les exemples sont nombreux, et il est inutile de les multiplier ici. Trouve-t-il dans le titre du Ps 8 la mention « pour la fin, sur les pressoirs » (εἰς τὸ τέλος ὑπὲρ τῶν ληνῶν), il l’interprète des Églises répandues à travers le monde, où est offert le sacrifice de Celui qui s’est appelé lui-même « la vraie vigne » (Jn 15, 1), et de la cessation des sacrifices juifs que la Loi imposait d’offrir en un seul lieu, le Temple. Cette explication est reprise en Ps 83, 1 et en Is 5, 2, où le terme προλήνιον [« réservoir devant le pressoir »] dessine par avance la réalité à venir, autrement dit la « vérité » qui accomplit la « figure ». Ou encore, alors que le Ps 9 a pour titre dans la Septante « pour la fin, sur les choses cachées du fils » (εἰς τὸ τέλος ὑπὲρ τῶν κρυφίων τοῦ υἱοῦ), et que Symmaque (ἐπινίκιον περὶ τοῦ θανάτου τοῦ υἱοῦ [« chant triomphal sur la mort du fils »]), Aquila (τῷ νικοποιῷ νεανεότητος τοῦ υἱοῦ [« pour l’auteur de la victoire de la jeunesse du fils »]) et Théodotion (ὑπὲρ ἀκμῆς τοῦ υἱοῦ [sur la fleur de l’âge du fils]) proposent un titre, dont le seul point commun avec celui de la Septante est la mention du « fils », Théodoret, fort de leurs leçons, entend le psaume de la victoire du Christ sur la mort, et voit prophétisée la réalité du « mystère caché » dont parle l’évangéliste Luc (Lc 18, 31-34) et l’apôtre Paul (1 Co 2, 7-8 ; Col 1, 26). De nombreux termes se trouvent ainsi chargés pour l’exégète chrétien d’un sens que ne pouvaient soupçonner les traducteurs de la Septante. Ainsi les mots « il m’a revêtu du manteau du salut » en Is 61, 10 sont-ils interprétés par Théodoret comme une annonce du baptême 617

gtvh 08105 / p. 618 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

en référence aux déclarations de Paul (Ga 3, 27), d’autant plus facilement que le texte hébreu permet d’assimiler ce « vêtement du salut » au Christ lui-même (ἰεσῶα/Jésus). Ailleurs le terme « vêtement » (στολή) fait entendre l’humanité revêtue par le Verbe, et le texte de la Septante se trouve alors convoqué à des fins doctrinales pour servir de fondement à une christologie dualiste. Ainsi par exemple en Is 63, 1, où la référence à Ct 5, 10 et à la « double nature » du Christ, soutient l’interprétation christologique donnée des termes « Édom » et « Bosor ». On ne saurait donc s’étonner de ce que la lecture de la Septante par Théodoret soit une lecture chrétienne et christique, ni davantage exiger de lui qu’il tente de se placer dans la perspective des traducteurs de l’époque ptolémaïque. S’il montre de l’intérêt, plus que d’autres Pères, à l’exception d’Origène, d’Eusèbe et de Jérôme, pour la critique textuelle, et contrôle, dans la mesure où il le peut, cette traduction sur l’hébreu, sur les autres traductions grecques ou sur la Peshitta, s’il fait appel aussi à Flavius Josèphe ou à un Glossaire de noms hébreux (ἡ ἑρμηνεία τῶν Ἑβραϊκῶν ὀνομάτων) pour expliquer un certain nombre de termes techniques ou de mots translittérés en grec, son but est toujours de faciliter la compréhension du texte de la Septante, jamais de l’amender ou de le conformer à une hebraica veritas. Le dernier mot revient toujours à la Septante, au point que, même si son exemplaire est seul à avoir conservé une leçon (Is 60, 8), il ne se sent pas autorisé à l’écarter. Ce serait faire preuve, à l’égard du texte inspiré, d’une outrecuidance comparable à celle de ceux qui rejettent les titres des psaumes en les jugeant mensongers.

618

gtvh 08105 / p. 619 / 31.3.2022

3.4.6 Hieronymus Eva Schulz-Flügel Literatur Texte und Editionen Epistulae Catholicae, ed. Walter Thiele, VL 26/1, Freiburg 1965 – Biblia sacra iuxta Vulgatam versionem, ed. Robert Weber / Roger Gryson, Stuttgart 41994. Eusebius Caes., Die Chronik des Hieronymus, ed. Rudolf Helm, GCS 24, Leipzig 1913 – Hieronymus: Commentarius in Ecclesiasten, ed. Marcus Adriaen, CC.SL 72, Turnhout 1959, 245-361 – Hieronymus: Commentarii in prophetas minores, ed. Marcus Adriaen, CCL 76 / 76 A, Turnhout 1969 – Hieronymus: Contra Rufinum, ed. Pierre Lardet, CC.SL 79, Turnhout 1982 – Hieronymus: De viris inlustribus, ed. Aldo Ceresa-Gastaldo, Firenze 1988 – Hieronymus: Epistulae, ed. Isidor Hilberg, Bd. 1, CSEL 54, Wien 21996; Bd. 2, CSEL 55, Wien 21996; Bd. 3, CSEL 56, Wien 21996 – Hieronymus: Hebraicae Quaestiones in libro Geneseos, ed. Paul de Lagarde, CC.SL 72, Turnhout 1959, 1-56 – Hieronymus: Liber Interpretationis Hebraicarum Nominum, ed. Paul de Lagarde, CC.SL 72, 57-161 – Caspari, Carl Paul: Das Buch Hiob (1,1-38,16) in Hieronymus’s Übersetzung aus der alexandrinischen Version nach einer St. Gallener Handschrift, saec. VIII, Christiania 1893 – Philo Carp., Commentarius in Canticum = Filone di Carpasia, Commento al ›Cantico di Cantici‹ nell’antica versione latina de Epifanio Scolastico, ed. Aldo Ceresa-Gastaldo, Torino 1979.

Weitere Literatur Bardy, Gustave: Saint Jérome et ses maîtres hébreux, Revue Bénédictine 46 (1934), 145-164 – Bruns, Peter: Art. Aristeasbrief, in: Siegmar Döpp / Wilhelm Geerlings (Hg), Lexikon der antiken christlichen Literatur, Freiburg 32002, 60 – Fischer, Bonifatius: Das Neue Testament in lateinischer Sprache, in: Kurt Aland (ed.), Die alten Übersetzungen des Neuen Testaments, die Kirchenväterzitate und Lektionare: der gegenwärtige Stand ihrer Erforschung und ihre Bedeutung für die griechische Textgeschichte. Berlin 1972, 1-92 – Fürst, Alfons: Hieronymus. Askese und Wissenschaft in der Spätantike, Freiburg 2016 – Gryson, Roger: Saint Jérôme traducteur d’Isaïe. Réflexions sur le texte d’Isaïe 14, 18-21 dans la Vulgate et dans »In Esaiam«, Le Muséon 104 (1991), 57-72 – Jacobs, Martin: Art. Aqiva (Aqiba) ben Joseph, in: RGG4 Bd. 1, 664 f. – Markschies, Christoph: Hieronymus und die »Hebraica Veritas«. Ein Beitrag zur Archäologie des protestantischen Schriftverständnisses?, in: Martin Hengel / Anna Maria Schwemer (ed.), Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum, WUNT 72, Tübingen 1994, 131-181 – Marti, Heinrich: Übersetzer der Augustin-Zeit. Interpretation von Selbstzeugnissen, München 1974 – Miehe, Renate: Art. Hieronymus, in: Wolfgang Braunfels (ed.), Lexikon der christlichen Ikonographie VI, Rom / Freiburg 1974, Sp. 519-529 – Rebenich, Stefan: Hieronymus und sein Kreis. prosopographische und sozialgeschichtliche Untersuchungen, Stuttgart 1992 – Rebenich, Stefan: Jerome: The »Vir Trilinguis« and the »Hebraica Veritas«, VigChr 47 (1993), 50-77 – Schildenberger, Johannes: Die altlateinischen Texte des Proverbienbuches, Beuron 1941 – Schulz-Flügel, Eva: Der lateinische Bibeltext im 4. Jahrhundert, in: Volker Henning Drecoll (ed.), Augustin Handbuch, Tübingen 2007, 109-114 – Schulz-Flügel, Eva: Hieronymus – Septuaginta oder Hebraica Veritas, in: Wolfgang Kraus / Siegfried Kreuzer (ed.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption (WUNT 325), Tübingen 2014, 746-758.

619

gtvh 08105 / p. 620 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

Ebensowenig wie der »Büßende Asket« oder »Hieronymus im Gehäus« Leistung und Persönlichkeit dieses Mannes umfassend abbilden 1, erschöpft sich seine Bedeutung für den Bibeltext des Westens nicht mit der Rolle eines angeblichen Vaters der Vulgata. 2 Vielmehr verdankt ihm das westliche Christentum einen genaueren Blick auf die Problematik des Bibeltextes im Allgemeinen und die der Übersetzung im Besonderen. Dies wäre nicht möglich gewesen ohne die Aufenthalte des Hieronymus im Osten und seine dort erworbenen Kenntnisse und Einsichten. Hier ist an erster Stelle Origenes zu nennen, auf den er sich mit Bewunderung auch ausdrücklich beruft. 3 Diese Bewunderung bezog sich sowohl auf das wissenschaftliche Werk der Hexapla als auch auf die exegetischen Arbeiten. 4 Ursprünglich waren die Motive des Hieronymus für seine Reise in den Osten (ca. 372/3) 5 andere als Arbeiten am Bibeltext; am Anfang standen asketische Pläne, dann zunehmend Interesse an kirchenpolitischen Themen. 6 Erst die wenigen Jahre in Rom (382-386) unter dem Patronat 7 des römischen Bischofs Damasus gaben den Anstoß zu der Bearbeiter- bzw. Übersetzertätigkeit an der Heiligen Schrift, die zu seiner Lebensaufgabe werden sollte. Die rezensierte Fassung der Evangelien – die auch die Bearbeitung der übrigen neutestamentlichen Bücher nach sich zog 8 –, die Rezension eines vermutlich großen Teils des Alten Testaments mit der Hexapla, von der der Psalter in die Vulgata aufgenommen wurde, die Übersetzung fast aller alttestamentlicher Bücher aus dem hebräischen und Kommentare zu allen Prophetentexten sowie zum Predigerbuch sind das Ergebnis dieser Tätigkeit. 9

1. 2. 3.

4. 5. 6.

7.

8.

9.

Zu den verschiedenen Darstellungstypen cf. Miehe: Hieronymus. Die später so genannte Bibelausgabe, die auf Alcuin zurückgeht, enthält nicht nur Übersetzungen des Hieronymus. Cf. dazu auch Anm. 56. Das Verhältnis zu Origenes ist zweigeteilt: Während er ihn in dogmatischen Fragen sogar als hereticus bezeichnet (Ep. 61,2, CSEL 54, 577), bewundert er ihn als Wissenschaftler und post apostolos ecclesiarum magistrum (Liber interpretationis Hebraicorum nominum, prologus), den er in dieser Eigenschaft sein Vorbild nennt. Vor den Arbeiten am Bibeltext tat sich Hieronymus als Übersetzer der Werke des Origenes hervor. Zu dem Aufenthalt im Osten cf. Rebenich: Kreis, 76-139. Nach einer klassischen Peregrinatio und dem von ihm selbst stilisierten »Wüstenaufenthalt« (cf. dazu Rebenich: Kreis, 86-98) folgt eine Reihe von kirchenpolitischen Aktionen (a. a. O., 108 ff.). Das oft genannte Amt eines Sekretärs des Bischofs von Rom ist so nicht belegt; Hieronymus selbst sagt: cum in chartis ecclesiasticis iuvarem Damasum (Ep. 123,9,1, CSEL 56, 82). Rebenich: Kreis, 144-148, spricht von einem klassisch römischen Patronatsverhältnis. Der Autor der übrigen neutestamentlichen Bücher ist unbekannt. Möglicherweise hat Rufin der Syrer, Freund und Schüler des Hieronymus, sie nach dessen Vorbild, aber deutlich anders bearbeitet. Hieronymus äußert sich nicht zu dieser Frage, benutzt aber offenbar diese Texte (cf. Thiele: Epistulae Catholicae VL 26/1, 100*f.). Zu den einzelnen Schaffensperioden cf. die Abschnitte Die hexaplarische Rezension und Die Hebraica veritas.

620

gtvh 08105 / p. 621 / 31.3.2022

Hieronymus

1. Der Übersetzer Das Handwerkszeug für die Übertragung einer Sprache in eine andere hatte Hieronymus zumindest rudimentär schon in seiner Studienzeit in Rom kennengelernt. In der Praefatio zur Übersetzung des Eusebianischen Chronikons 10 im Jahr 381 kommt er darauf zu sprechen. Im Mittelpunkt steht die Unmöglichkeit einer wortwörtlichen Wiedergabe und die angemessene Wahrung der Eigenheiten der Zielsprache. Noch im Brief 57, bekannt unter dem Titel Liber de optima genere interpretandi, aus dem Jahr 396 bekennt sich Hieronymus zu der in der Antike üblichen Methode sensus de sensu, besteht aber darauf, dass im Fall der Heiligen Schrift die Ausnahme gilt, nämlich die Beachtung und Wiedergabe jedes einzelnen Elements der Vorlage, da sie alle Bedeutungsträger seien 11. Er hatte inzwischen die Theorien eines Aqiba und Aquila kennengelernt 12 und eigene Sprachphilosophie entwickelt 13. Dass für den an Stil und Rhetorik geübten Gelehrten diese Forderung in der Praxis häufig zum Problem wurde, liegt auf der Hand 14. Das zweite Handwerkszeug des Übersetzers, die Kenntnis der betreffenden Sprachen, beherrschte Hieronymus – gemessen an den Gegebenheiten seiner Zeit, in außergewöhnlichem Maß. Während seines ersten Aufenthalts im Osten hatte er seine Griechischkenntnisse vervollständigt und wohl auch genügend Syrischkenntnisse erworben 15. Über das Ausmaß seiner Hebräischkenntnisse ist viel diskutiert worden. Seine Arbeiten auf diesem Gebiet zeigen, dass er einerseits von Irrtümern und Fehlern nicht frei übersetzte, dass er andererseits mit der Hilfe der Werke des Origenes, mit den Versionen der sog. »Jüngeren Übersetzer« 16 und vielleicht auch denjenigen jüdischer Kollegen die Texte des Alten Testaments verstand und auch übersetzen konnte 17.

10. Difficile est enim alienas lienas insequentem non alicubi excedere arduum, ut quae in alia lingua bene dicta sunt, eundem decorum in translatione conservent … Si ad verbum interpretor, absurde resonat; si ob necessitatem aliquid in ordine, in sermone mutavero, ab interpretis videbor officio recessisse (GCS 24, 1 f.). 11. Ego enim non solum fateor, sed libera voce profiteor me in interpretatione Graecorum absque scripturis sanctis, ubi et verborum ordo mysterium est, non verbum a verbo, sed sensum exprimere de sensu (Ep. 57,5,2, CSEL 54, 508). 12. Cf. Jacobs: Art. Aquiva (Aqiba). Zu Aquila cf. Anm. 42 und 43. 13. Hieronymus folgt der Theorie zur Entstehung der Sprache κατὰ φύσιν und der daraus folgenden Bedeutung des Einzelwortes und dessen Etymologie. Cf. dazu Schulz-Flügel: Hieronymus, 753-757. 14. Die Entscheidung zwischen ad verbum und ad sensum (cf. Anm. 10) fällt häufig eher zugunsten des Letzteren aus, besonders in den erzählenden Partien. In der sog. Hexaplarischen Rezension ist dagegen ein Bemühen um Wortwörtlichkeit zu beobachten. 15. Zu den Syrischkenntnissen cf. Rebenich: Kreis, 93. 16. Cf. Bardy: Maîtres; Rebenich: Vir trilinguis; Gryson: Traducteur. 17. Besonders darf man nicht vergessen, dass Hieronymus einen unpunktierten hebräischen Text vor sich hatte.

621

gtvh 08105 / p. 622 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

2. Die Rezension der Evangelien Im Jahr 383 erarbeitete Hieronymus im Rahmen der Pläne des Damasus, Rom kirchenpolitisch mehr Gewicht zu verschaffen 18, eine Fassung der Evangelien, die die herrschende Vielfalt der Texte beseitigen sollte. Um die Hörer und Leser nicht zu verstören, behielt er den wohl damals im Rom benutzten Text bei 19 und verbesserte (emendierte) ihn auf der Grundlage »alter« griechischer Kodizes 20. Trotz dieser eher behutsamen Behandlung des Materials wurde die neue Fassung anfangs heftig kritisiert, setzte sich aber allmählich durch. 21

3. Hieronymus und die Septuaginta Dadurch dass der »Vir trilinguis« sich dem hebräischen Original des Alten Testaments zuwandte und seine Übersetzung aus der »Hebraica veritas« schließlich in die sog. Vulgata aufgenommen wurde, galt er bei vielen seiner Zeitgenossen und auch bis in die jüngste Vergangenheit als Feind und Verächter der Septuaginta. Allerdings wandelt sich im Laufe der Arbeit an den Bibeltexten das Urteil des Hieronymus über die Septuaginta, besonders bezüglich ihrer legendären Entstehungsgeschichte 22, ihrem Anspruch als inspirierter Text und alleinige kirchliche Autorität und teilweise auch der Qualität der Übersetzung als solcher 23. War ihm ursprünglich der Text der Zweiundsiebzig selbstverständliche Autorität als Normtext in Liturgie und Exegese, musste die Kenntnis der Werke des Origenes und ganz besonders der Hexapla diese selbstverständliche Autorität infragestellen. Es sind besonders folgende Fakten zu hinterfragen: der Septuagintatext weicht im Umfang, d. h. durch Zusätze und Auslassungen, von der hebräischen Vorlage ab; es gibt – wie in der lateinischen Überlieferung – eine varietas, unter denen die »echte« Septuaginta erst gesucht werden muss; die verschiedenen Fassungen sind überdies durch Nachlässigkeit und Unkenntnis der Abschreiber fehlerhaft; die Ausgaben eines Lukian und Hesych sind sogar durch Hinzufügungen verfälscht; die in der Hexapla aufgeführten Varianten Aquilas, Symmachus, Theo18. Cf. Rebenich: Kreis, 141 f.; 151. Die Liturgiesprache in Rom war bis zu dieser Zeit Griechisch. Um hier die lateinische Sprache durchzusetzen, konnte eine einheitliche Gestalt des Bibeltextes hilfreich sein. 19. Quae (sc. Evangelia) ne multum a lectionis latinae consuetudine discreparent, ita calamo imperavimus ut his tantum, quae sensum videbantur mutare, correctis reliqua manere pateremur ut fuerant (Praefatio … in Evangelio). Der ›gewohnte lateinische‹ Text, den Hieronymus zugrundelegte, war vermutlich ein der Handschrift 4(b), Verona Bibl. Capit. VI nahestehender (cf. Fischer: Testament, 203). 20. Welche ›alten‹ Kodizes hier gemeint sind, ist nicht sicher. 21. Im Jahr 384 schreibt er an Marcella, dass man ihn ›eifrig schmäht‹ (studiose detrahere, cur adversus auctoritatem veterum et totius mundi opinionem aliqua in evangeliis emendare temptaverim [Ep. 27,1, CSEL 54, 224]). 22. Dass nämlich die zweiundsiebzig Übersetzer, inspiriert vom heiligen Geist, unabhängig voneinander eine identische Übersetzung geschaffen hätten (cf Bruns: Art. Aristeasbrief). 23. Zur allmählich wachsenden Kritik an der Septuaginta cf. Schulz-Flügel: Hieronymus, 747752.

622

gtvh 08105 / p. 623 / 31.3.2022

Hieronymus

dotions und anderer deuten auf eventuelle Übersetzungsirrtümer im LXX-Text, und sogar die absoluten Gewährsmänner für den Wortlaut der Heiligen Schrift, die Evangelisten und Apostel, zitieren Stellen des Alten Testaments, die sich in der Septuaginta nicht finden 24. Trotz dieser Erkenntnisse hält Hieronymus daran fest, dass die gewohnte lateinische Übersetzung nach der Septuaginta der Normtext der Kirche bleiben muss: hoc enim quod Septuaginta transtulerunt propter vetustatem in ecclesiis decantandum est 25. Dieses Urteil begründet er so: et tamen iure LXX editio obtinuit in ecclesiis, vel quia prima est et ante Christi fertur adventum, vel quia ab apostolis, in quibus tamen ab hebraico non discrepat, usurpata. 26 Es ist also die Tradition, die dem Text der Siebzig die Rolle als Normtext der Kirche garantiert. Hieronymus selbst weist darauf hin, dass er im Gottesdienst den gewohnten Text benutzt 27, und in seinen Werk folgt er auch hier dem Vorbild Origenes: in den wissenschaftlichen Arbeiten bedient er sich des hebräischen Originals, in allen übrigen der Septuaginta 28. Die Verehrung des Origenes als Wissenschaftler 29 zeigt sich auch darin, dass Hieronymus den Text, den jener in der Hexapla als die Übersetzung der Siebzig anführt, als die ursprüngliche Form anerkennt 30, eine Entscheidung, die heutigen Kenntnissen nicht mehr entspricht, Der Plan, für die lateinische Welt einen Text herzustellen, der die Ergebnisse der Hexapla zugänglich macht 31, führte zu einer Rezension alttestamentlicher lateinischer Bibeltexte mit hexaplarischem Material 32. Bereits im Zusammenhang mit der Bearbeitung der Evangelien in Rom hat Hieronymus auch die Psalmen »nach der Septuaginta korrigiert«, allerdings wurde dieser Text offenbar schnell wieder fehlerhaft 33. Nach dem Tod des Damasus im Jahr 385 war der Vertraute des römischen Bischofs in den Osten zurückgekehrt und hatte sich in Bethlehem niedergelassen und wandte sich der genannten Rezensionsarbeit zu. 24. 25. 26. 27. 28.

29. 30. 31.

32. 33.

Cf. besonders Ep. 57,7-9, CSEL 54, 512-520. Ep. 106,46, CSEL 55, 270. Ep. 57,11, CSEL 54, 523. … nec inimicum debere aestimari eorum, quos in convento fratrum semper edissero (Prologus in libro Paralipomenon, Weber/Gryson 547). … cum in homiliis suis, quas ad vulgum loquitur, communem editionem (sc. LXX) sequitur, in tomis, id est in disputatione maiori, hebraica veritate superatus et suorum circumdatus agminibus, interdum linguae peregrinae quaerit auxilia (Hebraicae quaestiones in Genesim, praefatio, CC.SL 72, 2). Cf. Anm. 3. … aliam (sc. editionem) septuaginta interpretum, quae et in ἑξαπλοῖς codicibus repperitur … et Hierosolymae atque in orientis ecclesiis decantatur (Ep. 106,2, CSEL 55, 248). So auch noch im Zusammenhang mit der Übersetzung der Hebraica veritas: … pro virili parte offerre linguae meae hominibus …, ut pro Graecorum ἑξαπλοῖς … editionem nostram habeant (Praefatio … in libro Iosue, Weber / Gryson, 285). Das heißt mit dem von Origenes als Septuaginta bezeichneten Text und den Varianten der ›jüngeren Übersetzer‹. In der Praefatio … in libro psalmorum (sc. dem sog. Psalterium Gallicanum, das in die Vulgata aufgenommen wurde) berichtet Hieronymus, dass er in Rom (383?) den Psalter ›emendiert‹ und nach der Septuaginta ›korrigiert‹ habe. Dieser Text sei bald darauf fehlerhaft geworden und müsse nun (387?) ›vom Unkraut gesäubert‹ werden.

623

gtvh 08105 / p. 624 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

4. Die hexaplarische Rezension Über den Umfang und die Reihenfolge der Bearbeitungen besteht Unklarheit 34. Erhalten sind folgende biblische Bücher: Psalter, Hiob und Hoheslied 35, dazu der Prolog zu allen drei Salomonischen Büchern und Spuren aus den Sprichwörtern und Prediger 36, ebenso der Prolog zu den Chronikbüchern 37. Diese Bücher erwähnt Hieronymus auch selbst ausdrücklich 38. Vermutlich enthalten auch die Prophetenkommentare, in denen hebräischer und griechischer Text verglichen werden, die hexaplarische Rezension 39. Allerdings waren die Prophetentexte in dieser Gestalt nicht öffentlich herausgegeben worden 40. Eine umfassende Untersuchung dieser Rezension, besonders der Arbeitsweise und des daraus folgenden Charakters steht noch aus. Erkennbar ist der große Wert, den der Bearbeiter auf die penible Kennzeichnung der fehlenden bzw. überschießenden Teile gegenüber dem hebräischen Text legte 41. Außerdem beachtete Hieronymus die Varianten der »Jüngeren Übersetzer« und übernahm teilweise auch ihre Lesarten 42. Dabei bevorzugte er häufig Symmachus, benutzte aber auch die strikt wortwörtliche Übersetzung Aquilas für ein genaueres Verständnis. Obwohl er – und offenbar die Gemeinden allgemein – dessen spröden Stil als nicht akzeptiert für den kirchlichen Gebrauch ablehnte 43, lobt er Aquila als besonders sorgfältigen und genauen Übersetzer 44. Deutlich wird aber, dass Hieronymus auch bei dieser Arbeit Wert darauf 34. In der Liste der eigenen Werke (vir. ill. 135,2-6, Ceresa-Gastaldo, 230-232, Anno 393) erscheint die hexaplarische Rezension nicht. 35. Der Psalmentext steht als Psalterium Gallicanum in der Vulgata. Der Text des Hohenlieds entspricht dem Lemmatext des Canticum-Kommentars, den Epiphanius Scholasticus aus dem griechischen des Philo von Karpasia übersetzt (cf. die Edition von Filone di Carpasia durch Aldo Ceresa-Gastaldo, 1979). Der Hiobtext wurde ediert von Caspari, Das Buch Hiob (1,1-38,18), 1893. 36. Exzerpte aus den drei »Salomonischen Büchern« enthält die Hs St. Gallen, Stiftsbibl. 160; Spuren der Texte bei lateinischen christlichen Autoren, umfangreiche Sammlung bei Schildenberger: Die altlateinischen Proverbien (der Teil zur hexaplarischen Rezension blieb ungedruckt). 37. Die Prologe zu Ps, Jb, Par, Sal finden sich gemeinsam mit den entsprechenden zur Vulgata in der Römischen Ausgabe. 38. In den Prologen zum Vulgatatext von Ps, Jb, Par, Sal erwähnt Hieronymus seine nach der Hexapla emendierten Fassungen, bezeichnenderweise nur diese. 39. So vermutete bereits Schildenberger, ebenso Gryson in seiner Vetus Latina-Edition des Jesajabuches. 40. Zur Herausgabe und Verbreitung der Werke cf. Marti: Übersetzer, 35 f.; Rebenich: Kreis, 194205. 41. Die Kennzeichnung dieser Textteile mit Asteriskos und Obelos, die Hieronymus der Hexapla entnahm, empfahl er der besonderen Sorgfalt der Abschreiber, cf. z. B. Prologus in libro Psalmorum, Weber / Gryson, 767, 6-11. 42. Cf. auch den Prolog zum Kommentar in Ecclesiasten: interdum Aquilae quoque et Symmachi et Theodotionis recordatus sum (CC.SL 72, 249). Der Kommentar entstand 388, die Arbeiten der hexaplarischen Rezension um 386/387. 43. Ep. 57,11,2, CSEL 54, 523 (anno 396): iure proicitur a nobis, d. h. für den kirchlichen Gebrauch. 44. Dagegen schätzt Hieronymus Aquila als Wissenschaftler; cf. Aquila qui verborum Hebreorum diligentissimus explicator est (Ep. 28,2,2, CSEL 54, 228): Aquila namque qui non contentiosius, ut quidem putant, sed studiosius verbum interpretatur ad verbum (Ep. 36,12,1, CSEL54, 278).

624

gtvh 08105 / p. 625 / 31.3.2022

Hieronymus

legt, auf die Gewohnheiten der Gemeinde Rücksicht zu nehmen; so enthalten die Texte noch viel Material aus den Vetus Latina-Versionen 45. Entsprechend bezeichnet er seine Arbeitsweise auch ausdrücklich als emendare und nicht als transferre 46.

5. Die Hebraica veritas Auch die in Jahren 390/92 begonnene Übersetzung aus dem hebräischen Original ist im Zusammenhang mit dem Vorbild Origenes zu sehen. Schon in den Jahren 378/9 übersetzt Hieronymus Homilien dieses Autors zu Jesaia, Jeremia und Ezechiel und lernt seine Art der Exegese kennen. Wenn der frühe Briefwechsel mit Damasus tatsächlich in die römische Zeit gehört 47, zeigt dieser das Interesse und den Umgang mit dem hebräischen Text. Welche Bedeutung dieser für das richtige Verständnis des Gottesworts besitzt, erschloss sich jedoch besonders durch die Entwicklung einer Sprachphilosophie, die dem einzelnen Wort und seiner etymologisch zu ergründenden Bedeutung die Kraft zuspricht, die »Wahrheit« zu vermitteln 48. Diese Bedeutung kann natürlich nur in der Sprache erkannt werden, die der Sprechende – im Fall der Heiligen Schrift Gott – benutzt, für das Alte Testament folglich die hebräische 49. Diese betrachtet Hieronymus als matrix aller anderer Sprachen 50 und damit mit einer bekannten Metapher als »Quelle«, aus der sich die »Bäche« ableiten, wie die opiniones (Meinungen) von der veritas (hier ebenso »Wahrheit« wie »Original«) 51. Trotz dieser hohen Wertschätzung des Originals beabsichtigte Hieronymus nicht, seine neue Übersetzung als Normtext der Kirche durchzusetzen, sondern wollte damit ein Arbeitsinstrument schaffen, das Gotteswort gründlich zu verstehen 52. Wie das in der Praxis aussieht, zeigen die Kom-

45. Diese Rücksicht auf die Hörgewohnheit der Gemeinde bestimmte schon die Bearbeitung der Evangelien, cf. Prologus in Evangelio (Weber / Gryson, 1515 f.): Quae ne multum a lectionibus latinas consuetudine discreparent, ita calamo imperavimus, ut his tantum quae sensum videbantur mutare correctis, reliqua manere pateremur ut fuerant. 46. Cf. z. B. Ceterum memini editionem Septuaginta translatorum olim de graeco emendatum tribuisse me nostris, Prologus in libro Paralipomenon, Stuttgarter Ausgabe 547, 35 f. 47. Zur Diskussion der Spätdatierung durch Nautin cf. Rebenich: Kreis, 145-147 mit Anm. 29-38. 48. Cf. Schulz-Flügel: Hieronymus, 753-757. 49. Hieronymus setzt voraus, dass die Autoren der biblischen Texte inspiriert sind, also den Wortlaut Gottes wiedergeben. Cf. dazu den Prolog zum Amos-Kommentar. 50. Comm. in Sophoniam 3,14,18: nosse possimus linguam hebraicam omnium linguarum esse matricem. (CC.SL 76, 708). Zum Begriff matrix cf. ThLL 8,481 ff. matrix = locus conceptionis sive unde fons oritur. 51. Die Gleichsetzung fons/rivuli – veritas/opiniones ist bereits klassisch, cf. dazu Marti: Übersetzer, 157 oben. 52. Zur Beurteilung von LXX und hebräischem Text cf. Schulz-Flügel: Hieronymus. Dass das Ziel die Verdrängung der LXX auch für den Gottesdienst gewesen sei, vertrat noch Markschies: Hebraica veritas, 1994, und zuletzt Fürst: Hieronymus, 2016, 115-117.

625

gtvh 08105 / p. 626 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

mentare zu den Propheten 53, in denen – auch hier nach dem Vorbild des Origenes – hebräischer und griechischer Wortlaut gegeneinander abgewogen werden 54. Die Ziele der Version ex Hebraica veritate und ihr Hintergrund wurden von einigen Zeitgenossen missverstanden und folglich heftig bekämpft. Neben Rufinus 55 ist hier besonders Augustinus zu nennen, der einerseits Gefahren der Spaltung in der Kirche befürchtete, aber auch der Bedeutung von Sprache an sich weniger Wert zumaß und die Wahrheit des Gotteswortes auf einem anderen Weg zu gewinnen suchte 56. Dass letztendlich die Hebraica veritas in der Bibel des westlichen Christentums gegen die Absicht des Hieronymus den Septuagintatext ablöste, ist Alkuin geschuldet, der sie in seine Ausgabe aufnahm 57, von dort nahm sie ihren Weg in die später so genannte Vulgata des Trientiner Konzils 58.

53. Bei der Gegenüberstellung von LXX und hebräischem Text gibt Hieronymus bald diesem, bald jenem den Vorzug; es ist jedoch nicht zu übersehen, dass er letzterem mehr Gewicht zumisst. 54. Cf. z. B. Hieronymus: Apologia contra Rufinum II, 34, CC.SL 79, 71: Origenes noster – nostrum voco ob eruditionem ingenii, non ob dogmatum veritatem – in omnibus libris suis post Septuaginta interpretes Iudaeorum translationes explanat et edisserit, d. h. die sog. »Jüngeren Übersetzer«. Zur Methode des Origenes, die Hebraica veritas zu benutzen, cf. oben Anm. 27. 55. Cf. Rufinus: Apologia contra Hieronymum. 56. Augustinus’ Bewertung von Sprache beruht auf gänzlich anderen Voraussetzungen. Innerhalb seiner Theorie von den res et signa gehört Sprache in den Bereich nur der Zeichen und hat so keinen Wert an sich. Cf. Schulz-Flügel: Bibeltext. 57. Zur Entstehung und Wirkung der Alkuin-Bibel cf. Fischer: Bibeltext, 201-403, besonders 201250. 58. Im Tridentinum anno 1546 wurde die auf Alkuins Ausgabe beruhende Bibel zum »authentischen« Text erklärt.

626

gtvh 08105 / p. 627 / 31.3.2022

3.4.7 Lateinische christliche Autoren vor und neben Hieronymus Martin Meiser

Die Themenstellung hat mehrere Dimensionen. Textgeschichtlich ist zu fragen, welche griechischen Textvorlagen den lateinischen Bibelhandschriften zugrunde lagen, die die lateinischen Autoren benutzten, und ob für einzelne Autoren einer der vielen Ströme der Vetus Latina 1 als dezisiv ausgemacht werden kann. Wirkungsgeschichtlich sind, der Zielsetzung dieses Bandes gemäß, Septuaginta-spezifische Lesarten in ihrer Rezeption vorzuführen. Bei Augustinus stellt sich zusätzlich im Hinblick auf die Hermeneutik die Frage nach der theologischen Wertigkeit der Übersetzung als Übersetzung.

1. Tertullian Literatur Text und Edition Tertullian: Adversus Iudaeos ed. Aemilius Kroymann, CC.SL 2, Turnhout 1954, 1339-1396 – Tertullian: Adversus Marcionem, ed. Aemilius Kroymann, CC.SL 1, Turnhout 1954, 437-726 – Tertullian: Adversus Praxean, ed. Aemilius Kroymann / Ernest Evans, CC.SL 2, Turnhout 1954, 1159-1205.

Weitere Literatur Bartelink, Gerard J. M.: Frühe Bibelübersetzung: Von der Vetus Latina zur Vulgata des Hieronymus, in Übersetzung – Translation – Traduction. Ein internationales Handbuch zur Übersetzungsforschung, ed. Harald Kittel u. a., Bd. 3, Berlin/Boston 2011, 2355-2362 – O’Malley, Thomas P.: Tertullian and the Bible. Language, Imagery, Exegesis, 1967 – Skarsaune, Oskar: The Development of Scriptural Interpretation in the Second and Third Centuries – except Clement and Origen, in: Magne Sæbø (ed.), Hebrew Bible/Old Testament. The History of Its Interpretation I/1: Antiquity, Göttingen 1996, 373-442 – Speigl, Jakob: Tertullian als Exeget, in: Georg Schöllgen / Clemens Scholten (ed.), Stimuli: Exegese und ihre Hermeneutik in Antike und Christentum: Festschrift für Ernst Dassmann. JAC.E 23, Münster 1996, 161-176.

Die Frage nach dem vorausgesetzten oder dem von Tertullian (ca. 160-220) selbst gefertigten lateinischen Bibeltext ist nach wie vor nicht geklärt. Tertullian wird Teile der Bibel bereits in Übersetzung vorgefunden, anderes selbst übersetzt haben. 2 Tertullian war Mitglied einer christlichen Gemeinde in Karthago, die schon vor seinem Eintritt 1. 2.

Zur Vielzahl der lateinischen Textfassungen vgl. bereits Augustinus: Ep. 71,6, FC 41/1, 166, sowie Augustinus: Doctr. II, 16, CC.SL 32, 42. Bartelink: Bibelübersetzung, 2356.

627

gtvh 08105 / p. 628 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

lateinisch sprach und eine lateinische Bibel besaß 3 (oder zumindest Teile der Bibel in Latein). Die genannte Frage ist nicht im Sinne einer ausschließenden Alternative zu entscheiden. Tertullian hat wohl den Barnabasbrief wie die Werke des Justin und des Irenaeus gekannt. 4 Jes 7,14 zeigt für Tertullian 5 gegen Markion, dass manche Aussagen wörtlich zu verstehen sind (die Jungfrauengeburt, die als »Zeichen« angekündigt wird), manche hingegen übertragen verstanden werden müssen, weil sie auf literaler Ebene unrealistisch sind (die Eroberung der Reichtümer von Damaskus nach Jes 8,4). Die Lesart in medio duorum animalium cognosceris (»inmitten zweier Lebewesen wirst du erkannt werden«) in Hab 3,2 ermöglicht Tertullian die Deutung der Stelle auf die Verklärung Christi. 6

2. Cyprian Literatur Texte und Editionen Esaias. Vetus Latina 12, ed. Roger Gryson, Freiburg 1987-1993 – Canticum Canticorum, Vetus Latina 10/3, ed. Eva Schulz-Flügel, Freiburg 1992. Barnabae Epistula: Lindemann, Andreas / Paulsen, Henning, Die Apostolischen Väter. Griechisch-deutsche Parallelausgabe auf der Grundlage der Ausgaben von Franz Xaver Funk / Karl Bihlmeyer u. Molly Whittaker, mit Übersetzungen von Martin Dibelius und Dietrich-Alex Koch neu übersetzt, Tübingen 1992, 23-75 – Cyprian: Ad Quirinium testimoniorum libri tres, ed. Robert Weber, CC.SL 3, Turnhout 1972, 1-179 – Cyprian: Ad Fortunatum, ed. Robert Weber, CC.SL 3, Turnhout 1972, 181-216 – Novatian: De Trinitate, ed. Gerard F. Diercks, CC.SL 4, Turnhout 1972, 1-78.

Weitere Literatur Bartelink, Gerard J. M.: Frühe Bibelübersetzung: Von der Vetus Latina zur Vulgata des Hieronymus, in: Harald Kittel u. a. (ed.), Übersetzung – Translation – Traduction. Ein internationales Handbuch zur Übersetzungsforschung, Bd. 3, Berlin / Boston 2011, 2355-2362 – Bauer, Thomas Johann: Das Evangelium des Markion und die Vetus Latina, ZAC 21 (2017), 73-89 – Fahey, Michael Andrew: Cyprian and the Bible, BGBH 9, Tübingen 1971 – Smither, Edward L.: Mission in the Early Church: Themes and Reflections, Eugene 2014.

Cyprians († 258) hier einschlägige Werke Ad Quirinium und Ad Fortunatum setzen möglicherweise griechische oder lateinische Testimoniensammlungen voraus. In der Textüberlieferung beider Werke ist an den jeweils zeitgenössisch und regional verbreiteten lateinischen Bibeltext angeknüpft worden. 7 Dabei fällt der Jesajatext, den 3. 4. 5. 6. 7.

So jedenfalls Speigl: Tertullian, 164. Skarsaune: Development, 430. Tertullian: Adv. Marc. III, 13,2, CC.SL 1, 524; vgl. dazu Skarsaune: Development, 432. Tertullian: Adv. Marc. IV, 22,12, CC.SL 1, 603. Weber (ed.): Cypriani Opera I, liv; Smither: Mission, 96, mit Verweis auf Differenzen zwischen dem afrikanischen, dem italischen und dem gallischen Vetus-Latina-Text; Bartelink: Frühe Bibelübersetzung, 2357: Die Vetus Latina des Heptateuch, Weisheit, Sirach, 1./2. Makk.

628

gtvh 08105 / p. 629 / 31.3.2022

Lateinische christliche Autoren vor und neben Hieronymus

Cyprian verwendet hat, durch seine streng wörtliche Übersetzung in der Manier Aquilas auf. 8 Die wenigen Texte, die Cyprian dem Canticum entnommen hat, lassen kaum eine Entscheidung zu, ob sie einen eigenen Traditionsstrom innerhalb des K-Textes repräsentieren. 9 Ex 22,27[28] ist unter die Rubrik non maledicendum (»man soll nicht schmähen«) eingereiht. 10 Num 24,7.17 erweist dank des zusätzlich eingefügten ἄνθρωπος nach Cyprian die wahre Menschheit Christi. 11 Ps 15,10 gilt aufgrund der schon in Apg 2,27; 13,35 bezeugten Interpretation von διαφθορά als »Todesverderben« neben Ps 29,4; 3,6 bei Cyprian 12 als Beweis dafür, dass Christus nicht im Tode geblieben ist. Jes 45,1 dient in der nur im Griechischen möglichen v. l. κυρίῳ statt Κύρῳ ([dem Perserkönig] »Kyros«) zum Erweis dessen, dass die Nichtjuden auf Christus hören werden. 13

3. Lucifer von Cagliari Literatur Texte und Editionen Genesis, Vetus Latina 2, ed. Bonifatius Fischer, Freiburg 1951. Lucifer: De non parcendo in deum delinquentibus, ed. Gerard F. Diercks, CC.SL 8, Turnhout 1978, 193-262 – Lucifer: De regibus apostaticis, in: Luciferi Calaritani opera, ed. Gerard F. Diercks, CC.SL 8, Turnhout 1978, 133-162 – Lucifer: Quia absentem nemo debet iudicare nec damnare siue de Athanasio, ed. Gerard F. Diercks, CC.SL 8, Turnhout 1978, 1-132.

8. 9. 10.

11. 12. 13.

gehen alle auf eine einzige Übersetzung aus dem Griech. zurück. Cypriantexte enthalten den in der Kirche Karthagos in der Mitte des dritten Jahrhunderts üblichen Bibeltext. Wir haben eine Entwicklung vom afrikanischen zum europäischen Texttyp festzustellen, die durch das Streben nach Verbesserung des sprachlichen Ausdrucks, nach präziserer Wiedergabe der jeweils für maßgeblich gehaltenen griechischen Textfassung und nach dem Austausch veralteten Vokabulars gekennzeichnet ist. Ältere Forschung zum Bibeltext Cyprians ist verzeichnet bei Weber (ed.): Cypriani Opera I, CC.SL 3, xxxif. Auch der Bibeltext des Novatian bezeugt keine Vetus Romana, sondern steht dem Codex Vercellensis (a/3) nahe, dessen Text auf eine frühe afrikanische Übersetzung zurückgeht (Bauer: Evangelium des Markion, 78, anders zuvor Bartelink: Bibelübersetzung, 2356, demzufolge Novatians Bibeltext als der in rom im 2. Jhdt. anerkannte Bibeltext gelten kann). Gryson: Esaias, 17. Schulz-Flügel: Canticum Canticorum, 14. Cyprian: Test. III, 13, CC.SL 3, 104, in der Textform Non maledicos neque principi populi tui detraxeris. Es ist schwer zu entscheiden, ob der Verzicht auf das anfängliche Deos dem Charakter der verallgemeinernden Rezeption geschuldet ist oder nicht. Cyprian: Test. II, 10, CC.SL 3, 42. Cyprian: Test. II, 24, CC.SL 3, 62. Cyprian: Test. I, 21, CC.SL 3, 23. Die v. l. κυρίῳ statt Κύρῳ in Jes 45,1 diente ansonsten mehreren antiken christlichen Schriftstellern (Barn 12,11; Tertullian: Adv. Iud. 7,2, CC.SL 2, 1354; Adv. Prax. 11,8, CC.SL 2, 1172) als weitere biblische Bezeugung der Trinität (zu ergänzen ist: durch den Propheten Jesaja spricht der Heilige Geist) oder der Unterscheidung zwischen Christus und dem Vater (Novatian: Trin. 26, 7, CC.SL 4, 62).

629

gtvh 08105 / p. 630 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

Weitere Literatur Allgemeier, Artur: Der Text einiger kleiner Propheten bei Lucifer, StAns 27/28 (1951), 286-300 (non vidi) – Doignon, Jean: Lucifer von Cagliari, in: Reinhart Herzog / Peter Leberecht Schmidt (ed.), Handbuch der lateinischen Literatur der Antike, Bd. 5: Restauration und Erneuerung, 284-374 n. Chr. (= HAW 8/5), München 1989, 486-491 – Hanhart, Robert: Text und Textgeschichte des 2. Esrabuches, Göttingen 2003 – Kauhanen, Tuukka: Lucifer of Cagliari and the Text of 1-2 Kings, SCS 68, Atlanta 2018 – Opelt, Ilona: Formen der Polemik bei Lucifer von Calaris, VigChr 26 (1972), 200-226 – Rahlfs, Alfred: Der Text des Septuaginta-Psalters, Septuaginta-Studien II [= ders., Septuaginta-Studien I–III, Göttingen 1965, 104-358].

Über den von Lucifer von Cagliari († 370) benutzten Bibeltext 14 lässt sich Folgendes sagen: der Genesis-Text des Lucifer steht dem Texttypus I der Vetus Latina nahe. 15 Der Text von Exodus, Josua und Richter sei mit dem eines Lyoner Manuskriptes verwandt, das in seiner Terminologie reichlich uneinheitlich sei 16; der Text der Königsbücher kommen dem Lukianischen Text recht nahe 17, der Chroniktext der Fassung des Theodotion, der Text zu 2Esdr dessen lukianischer Fassung. 18 Der Text der Sapientia entspricht, so Jean Doignon, dem Sapientiatext bei Cyprian, der Text des Dodekapropheton dem ersten Übersetzer der Konstanzer und St. Gallener Fragmente. 19 Neben einer textgeschichtlich zu notierenden Einzelheit zum Dekalog 20 sind bei Lucifer drei polemische Septuaginta-Rezeptionen zu erwähnen, die sich in das Bild des auch ansonsten durch Polemik auffallenden Theologen fügen 21: 1Sam 12,24a dient Lucifer dazu, den homöisch gesonnenen Constantius II. in eine Reihe u. a. mit dem abtrünnigen Roboam (Rehabeam), dem Sohn Salomos, zu stellen 22; mit Hilfe von 1 Makk 1,41-2,28 ordnet Lucifer Constantius II. dem Verfolger Antiochus IV. Epiphanes parallel 23, während der Bischof sich und seine Gesinnungsgenossen mit den um das Gesetz eifernden Matthatias (1Makk 2,49-68) identifiziert. 24

14. Einen zusammenfassenden Überblick gibt Doignon: Lucifer, 491. Zu seiner Bibelbenutzung vgl. Diercks: Luciferi opera, cv–cxiii, Zu den unterschiedlichen Texttypen, die er benutzt, vgl. Diercks: Luciferi opera, cviif. 15. Fischer: Genesis, Freiburg 1951, 18*. 16. Diercks: Luciferi opera, cviif. 17. Rahlfs: Septuaginta-Studien III, 143-154. Vgl. ferner Kauhanen: Lucifer: Der Text von 3-4 Reg kommt dem Old Greek insgesamt gesehen recht nahe. Ob es eine einzige altlateinische Übersetzung der Königsbücher gegeben habe, die den lateinischen Zitaten zugrunde liege, muss zweifelhaft bleiben. Manchmal bietet Lucifer Lesarten, die anderweitig nicht bezeugt sind, aber auch nicht als Ergebnis eigener Redaktion gelten können, sondern auf verloren gegangene Lesarten innerhalb der Textüberlieferung verweisen. 18. Hanhart: Text und Textgeschichte des 2. Esrabuches, 109-111. 19. Doignon: Lucifer, 491. 20. Lucifer: Athan. I, 3, CC.SL 8, 6, bezeugt die Voranstellung des Ehebruchsverbotes vor dem Mordverbot. 21. Vgl. allgemein Opelt: Formen der Polemik; zu den Beispielen der abtrünnigen Könige ebd. 208 f. 22. Lucifer: Reg. apost. 3, CC. SL 8, 141. 23. Lucifer: Non par. 12, CC.SL 8, 217-219. 24. Lucifer: Non parc. 15, CC.SL 8, 223 f.

630

gtvh 08105 / p. 631 / 31.3.2022

Lateinische christliche Autoren vor und neben Hieronymus

4. Hilarius von Poitiers Literatur Texte und Editionen Hilarius Pict.: Tractatus super Psalmos, ed. Anton Zingerle, CSEL 22, Prag / Wien / Leipzig 1891 – Hilarius Pict.: Commentarius super Psalmum 118, ed. Marc Milhau, SC 344 / 347, Paris 1988 – Hilarius Pict.: Commentarii in Psalmos, Tome I (Psaumes 1-14), ed. Patrick Descourtrieux, SC 515, Paris 2008, Tome II (Psaumes 51-61), ed. Patrick Descourtrieux, SC 554, Paris 2014 – Hieronymus: De viris inlustribus, ed. Aldo Ceresa-Gastaldo, Biblioteca Patristica 12, Bologna 2008.

Weitere Literatur Doignon, Jean: Hilarius von Poitiers: Handbuch der lateinischen Literatur der Antike, Ed. Reinhart Herzog und Peter Leberecht Schmidt, Bd. 5: Restauration und Erneuerung, 284374 n. Chr. (= HAW 8/5), Ed. Reinhart Herzog, München 1989, 447-480 – Doignon, Jean: Hilarius, RAC 15, 1991, 139-167 – Goffinet, Émile: L’utilisation d’Origène dans le commentaire des Psaumes de Saint Hilaire de Poitiers, Studia Hellenistica 14, Leuven 1965 – Kamesar, Adam: Hilary of Poitiers, Judeo-Christianity and the Origins of the Septuagint, VC 59 (2005), 264-285 – Markschies, Christoph: Die Septuaginta als Bibel der Kirche? Beobachtungen aus Vergangenheit und Gegenwart, in: Reinhard G. Kratz u. a. (ed.), Die Göttinger Septuaginta. Ein editorisches Jahrhundertprojekt (MSU 30), Berlin 2013, 135-154 – Rahlfs, Alfred: Der Text des Septuaginta-Psalters, Septuaginta-Studien II [= ders., Septuaginta-Studien I–III, Göttingen 1965, 104-358].

Ein einheitlicher altlateinischer Texttyp ist bei Hilarius (ca. 315-367/68) nicht nachweisbar. 25 Er hat erst eine nicht-hexaplarische Rezension der Septuaginta benutzt, dann den lateinischen Psaltertext anhand einer hexaplarischen Rezension verbessert. 26 Wo Hilarius explizit lateinische Übersetzungen benennt, äußert er mehrmals den Gedanken, der semantische Gehalt mancher griechischer termini ließe sich nicht adäquat wiedergeben. 27 Die semantische Differenz zwischen in aeternum und εἰς τὸν αἰῶνα 28 führt über die philologische Ebene hinaus zu der Frage des theologischen Ausgleichs zwischen Ps 118[119],89 und Mt 24,35 (»Himmel und Erde werden vergehen, aber mei25. Rahlfs: Der Text des Septuaginta-Psalters, Septuaginta-Studien II, 75 = Septuaginta-Studien I-III, 179. Weitere Literaturangaben bei Doignon: Hilarius, 458. 26. Rahlfs: Der Text des Septuaginta-Psalters, Septuaginta-Studien II, 77 = Septuaginta-Studien I-III, 181. Nach Kamesar: Hilary, hat Hilarius den Psalmenkommentar des Origenes benutzt und dabei auch dessen Theorie einer Kontrolle der Übersetzung an der mündlichen Thora übernommen. 27. Hilarius Pict.: Tractatus in Psalmum 118 He 1, SC 344, 196, zu Ps 118[119],33: die uirtus sowohl des hebräischen als auch des griechischen Wortes kann aufgrund der Verfasstheit der lateinischen Sprache nicht völlig entsprechend ausgedrückt werden. Νομοθέτησον ist etwas anderes als legem statue. Vgl. ders.: Tractatus in Psalmum 138,32, CSEL 22, 766 f., zu Ps 138[139] 15 v. l. τὸ ἀκατέργαστόν σου: das ἀκατέργαστον ist etwas anderes als das lat. imperfectum, bezeichnet nämlich id quod sine operatione manet, während imperfectum das Unvollendete bezeichnet. Vgl. ferner Tract. in Psalm 138,38, CSEL 22, 771), zu Ps 138,15 (σφόδρα = var. lect.? λίαν, lat. nimis). 28. In aeternum impliziert, dass es kein zeitliches Ende gibt, im Gegensatz zu εἰς τὸν αἰῶνα.

631

gtvh 08105 / p. 632 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

ne Worte werden nicht vergehen«). Der Ausgleich erfolgt über den Gedanken, dass bei der Neuschöpfung das Wort, das der Schöpfung Gehorsam abverlangt, nicht mehr notwendig sein wird. 29 Hilarius von Poitiers kommt in seinem um 365 entstandenen Psalmenkommentar auf die Septuaginta-Legende anlässlich des Problems zu sprechen, dass Ps 2 in Apg 13,33 (D Or) als erster Psalm gezählt wird. 30 Die Überlegenheit der Septuaginta gegenüber Aquila, Symmachus und Theodotion 31 begründet Hilarius zum einen traditionell mit der Entstehungszeit vor dem irdischen Kommen Jesu, die jeden Gedanken einer (antichristlichen) Textverfälschung ausschließt, zum anderen mit der Kenntnis der mosaischen Geheimlehren – gemeint ist die mündliche Thora 32 –, die ihnen in semantischen Zweifelsfällen zur klaren Entscheidung verholfen hätte. 33 Hingegen sei den späteren Übersetzern diese Geheimlehre nicht bekannt gewesen 34, sie hätten secundum litteram (»gemäß dem Buchstaben«) geschrieben, ihnen sei die spiritalis intelligentia (»geistige Einsicht«) nicht zu eigen gewesen. 35 So kann Hilarius schreiben: sicuti oportet, sequimur septuaginta interpretum religiosam et antiquam auctoritatem (»wie es sich gehört, folgen wir der verpflichtenden und alten Autorität der 70 Übersetzer«) 36; diese auctoritas sei ad ecclesiae doctrinam consignata. 37 An anderer Stelle gilt die Orientierung an der Septuaginta als tutum (»sicher«). 38 Dieser Grundsatz, stets der Septuaginta zu folgen 39, gilt auch dann, wenn die Übersetzung der drei Späteren ebenfalls eine sinnvolle Deutung ermöglicht 40 oder wenn zur Septuaginta selbst der sekundäre Eintrag von Textbestandteilen diskutiert wird. 41 Hilarius bemüht sich gelegentlich, auch den sachlichen Vorzug der Septua29. Hilarius Pict.: Tract. Ps 118, Lamed 3 f., SC 347, 75 f., zu Ps 118[119],89. Auf die Abhängigkeit von Origenes auch hierin verweist Goffinet: L’utilisation, 125. 30. Hilarius Pict.: In Psalm 2,1, SC 515, 214. Auch Origenes hatte das Problem benannt; seine Lösung ist aber nicht erhalten geblieben (Goffinet: L’utilisation, 53 f.). 31. Aquila, Symmachus und Theodotion werden gelegentlich als noui interpretes charakterisiert (Hilarius Pict.: Tractatus in Psalmum 133,4, CSEL 22, 692). 32. Markschies: Septuaginta, 146. Hilarius hat diese Theorie wohl von Origenes übernommen. Auf übernommene exegetische Tradition verweist Hilarius in seinem Tractatus in Psalmum 142, 1, CSEL 22, 805. 33. Hilarius Pict.: In Psalm 2,3, SC 515, 218-220. 34. Hilarius Pict.: In Psalm 2,2, SC 515, 216-218. 35. Hilarius Pict.: In Psalm 59,1, CSEL 22, 192. Nur gelegentlich wird ihnen zugebilligt, die Übersetzung an die Fassungskraft der Leser angepasst zu haben (In Psalm 118 He 13, SC 344, 214216). 36. Hilarius Pict.: In Psalm 118 He 13, SC 344, 214. 37. Hilarius Pict.: In Psalm 131,24, CSEL 22, 680. 38. Hilarius Pict.: In Psalm 118 Daleth 6,28, SC 344, 184. 39. Hilarius Pict.: In Psalm 118,28, SC 344, 184; In Psalm 133, 4, CSEL 22, 692. Hilarius ist deshalb ähnlich wie Ambrosius als Zeuge für die Vetus Latina »nur mit Einschränkung zu gebrauchen« (Rahlfs: Septuaginta-Studien II, 77 f.). Aber auch der Septuaginta-Text ist uneinheitlich aufgrund der Divergenz ihrer Vorlagen. 40. Dies gilt etwa für die Übersetzung in captionem (statt »iduam« für χῆραν) in Ps 131,15S.A, die sich als Vorverweis auf das »Menschenfischen« der Jünger und Apostel deuten ließe (Hilarius Pict.: In Psalm 131,24, CSEL 22, 680). 41. Hilarius Pict.: In Psalm 133,4, CSEL 22, 692, zu Ps 131,1bβ, wo er weiß, dass einige für die Worte

632

gtvh 08105 / p. 633 / 31.3.2022

Lateinische christliche Autoren vor und neben Hieronymus

ginta-Übersetzung aufzuweisen. 42 Auch in der Kanonfrage hat die Stellungnahme des Hilarius zugunsten der Septuaginta die weitere lateinische Tradition beeinflusst. 43 Auch die Titel der Psalmen wecken die Aufmerksamkeit des Autors. Hilarius erörtert den Titel zu Ps 9 (In finem pro occultis filii, Psalmus David [»Auf das Ende hin. Über die verborgenen Dinge des Sohnes. Ein Psalm Davids/bezogen auf David«] und interpretiert in finem in dem Sinne, dass der Psalm nicht die Dinge der gegenwärtigen Realität anspricht, sondern der zukünftigen. 44 Die Worte qui inmutabuntur (»die verändert werden sollen«) aus dem titulus von Ps 59[60],1 benennen die Abkehr von einem sündigen Leben und den Übergang von den Sünden der Synagoge zur Gnade der Kirche. 45 Die Lesart Judas in Ps 59[60],9 wird über Gen 49,10 auf Christus bezogen. 46 Zu Ps 136[137],1 kennt Hilarius die Theorie, der Psalm stamme von Jeremia 47, weiß aber, dass der Psalm ursprünglich keine Überschrift hatte. 48 Bei Ps 142,1 und Ps 143,1 vermerkt Hilarius die sekundäre Herkunft des titulus in der Septuaginta im Vergleich zum hebräischen Text und den übrigen griechischen Übersetzungen. 49 Zu dem Septuaginta-Zusatz »von Haggai und Sacharja« in Ps 145[146] meint Hilarius, die Übersetzer hätten den Verweis auf Haggai und Sacharja ergänzt, damit wir erkennen, dass der Psalm, verfasst von den beiden Propheten, unter deren Ägide der irdischen Tempel in Jerusalem wieder aufgebaut wurde, prophetisch auf das ewige Jerusalem vorausblickt. 50 Nur selten reflektiert Hilarius auf Übersetzungsfragen. 51

42.

43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51.

ἐν αὐλαῖς οἴκου θεοῦ ἡμῶν bei der hebräischen Vorlage einen Ausfall durch einen Fehler der Abschreiber vermuten. Die Übersetzung avaritiam in Ps 118[119],36 sei gegenüber der Alternative utilitatem aber auch sachlich überlegen: Was der weltliche Mensch als utilitas bezeichnet, z. B. Geld, Silber, Gold, gehört eigentlich in den Bereich der avaritia (Hilarius Pict.: Tractatus in Psalmum 118 He 13, SC 344, 214-216). Hennings: Briefwechsel, 186. Hilarius Pict.: In Psalm, SC 515, 298-300. Hilarius Pict.: In Psalm. 59,2, CSEL 22, 193. Hilarius Pict.: In Psalm. 95,10 f., CSEL 22, 199 f., ebenso bei Augustinus: En. Ps. 59,10, CC.SL 39, 761: Er liest Iuda, versteht das Wort aber trotzdem als Personennamen. So auch u. a. Lb Sa-2009-2017 Bo, mit Untervarianten. Hilarius Pict.: In Psalm, CSEL 22, 724. Hilarius Pict.: In Psalm, CSEL 22, 805; 813. Hilarius Pict.: In Psalm, CSEL 22, 840. Hilarius Pict.: In Psalm 2,38, SC 515, 276, zu Ps 2,9b; In Psalm 118,32, SC 344, 192.

633

gtvh 08105 / p. 634 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

5. Ambrosius Literatur Texte und Editionen Genesis. Vetus Latina 2, ed. Bonifatius Fischer, Freiburg 1951-1954 – Canticum Canticorum, Vetus Latina 10/3, ed. Eva Schulz-Flügel, Freiburg 1992. Ambrosius: De Apologia prophetae David ad Theodosium augustum, ed. Carl Schenkl, CSEL 32/2, Prag / Wien / Leipzig 1897, 297-355 – Ambrosius: Explanatio Psalmorum XII, ed. Michael Petschenig, CSEL 64, Wien / Leipzig 1919 – Evagrius: Altercatio Legis inter Simonem Iudaeum et Theophilum Christianum, ed. Eduard Bratke, CSEL 45, Wien / Leipzig 1904.

Weitere Literatur Dassmann, Ernst: Art. Ambrosius, TRE 2 (1978), 362-386 – Dorival, Gilles: Der Beitrag der Kirchenväter zum Verständnis der Psalmenüberschriften aus philologischer Perspektive, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 471-486 – Henke, Rainer: Basilius und Ambrosius über das Sechstagewerk. Eine vergleichende Studie, Chrêsis 7, Basel 2000 – Rahlfs, Alfred: Der Text des Septuaginta-Psalters, Septuaginta-Studien II [= ders., Septuaginta-Studien I-III, Göttingen 1965, 104-358] – Runia, David: Philo in Early Christian Literature, Assen 1993 – Schermann, Theodor: Die griechischen Quellen des hl. Ambrosius, Münster 1902 – Schmalzgruber, Hedwig: Beobachtungen zu Form und Funktion alttestamentlicher Bibelzitate in Ambrosius’ Exameron, in: Martin Meiser u. a. (ed.), Die Septuaginta – Geschichte, Wirkung, Relevanz, WUNT 405, Tübingen 2018, 852-863 – Schubert, Christoph: Spuren (un?)mittelbarer Rezeption des LXXTextes bei Ambrosius von Mailand, in: Wolfgang Kraus u. a. (ed.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 728-745.

Auch bei Ambrosius (340-397) ist kein durchgehend einheitlicher altlateinischer Texttypus nachweisbar. 52 Der Genesistext kommt der europäischen Textform E und innerhalb ihrer der italienischen Textform I, gelegentlich aber auch der spanischen Rezension S der Vetus Latina nahe. 53 Für den Psalter zog er hauptsächlich eine zeitgenössische Rezension heran, »die sich als oberitalienischer Regionaltext charakterisieren lässt und die dem codex Veronensis nahesteht«. 54 Für weite Teile des Hoheliedes ist Ambrosius »der einzige Zeuge eines altlateinischen Textes vor der hexaplarischen Rezension« 55 – genauer ist es der in Italien verbreitete D-Text. 56 Dank seiner hervorragenden Griechischkenntnisse können zitierte Bibeltexte, die der Vetus Latina zu entstammen scheinen, auch anhand einer Septuaginta-Ausgabe korrigiert oder überhaupt einer solchen entnommen worden sein, so dass Ambrosius als Vetus-Latina-Zeuge nur 52. Rahlfs: Der Text des Septuaginta-Psalters, Septuaginta-Studien II, 75 = Septuaginta-Studien I-III, 179. 53. Schubert: Spuren, 731. 54. Schubert: Spuren, 730. 55. Schulz-Flügel: Canticum Canticorum, 13. Das ist darin begründet, dass die Auslegung des Hohenliedes von Gregor von Elvira bei Hld 3,4, die Übersetzung des Kommentars des Origenes durch Rufinus bereits bei Hld 2,15 endet. Für die Canticum-Erklärung des Ambrosius sind seine Schrift De Isaac und seine Auslegung zu Ps 118 einschlägig (Schulz-Flügel: Canticum Canticorum, 70). 56. Schulz-Flügel: Canticum Canticorum, 14.

634

gtvh 08105 / p. 635 / 31.3.2022

Lateinische christliche Autoren vor und neben Hieronymus

mit gewisser Vorsicht zu gebrauchen ist. 57 Zusätzlich wird man die häufig gegebene Abhängigkeit des Ambrosius von Philon von Alexandria zu bedenken haben 58, die gelegentlich dazu führt, dass Ambrosius mit Philon gegen eine dem Basilius von Caesarea unterstellte Lehre polemisieren kann 59 oder sogar, wenn auch in unwichtigen Details, vom Bibeltext abweicht. 60 Unsicher ist es auch, ob er unmittelbar aufgrund der Benutzung auch von hexaplarischen Handschriften oder nur dank der Vermittlung durch Kenntnis des Origenes hexaplarische Lesarten kannte. 61 Deutlich ist, dass der griechische Text wie selbstverständlich der Referenztext ist. 62 Ausschlaggebend dafür ist der kirchliche Gebrauch der Septuaginta, deren Text auch keine Anstößigkeiten bereitet. 63 Gelegentlich verteidigt Ambrosius Zusätze der Septuaginta mit exegetischen Argumenten. 64 Die Auslegung des Mailänder Bischofs zu Texten aus Genesis und Exodus mit Septuaginta-spezifischem Profil werden an anderer Stelle dieses Bandes gesammelt. Statt dessen soll hier exemplarisch auf Septuaginta-spezifische Psalmeninterpretationen Bezug genommen werden. 65 Die Wendung in finem (»auf das Ende hin«) wird auf Christus gedeutet. 66 Ps 1,5 wird ad vocem οὐκ ἀναστήσονται auf die Auferstehung der Toten bezogen 67, Ps 15,10 aufgrund von διαφθορά (»Verwesung«) auf die Auferweckung Christi. 68 Die Nummerierung des Psalms 40[41] verweist auf die 40 Tage des Fastens Jesu. 69 Der spiritus principalis (für πνεῦμα ἡγεμονικόν [»leitender Geist«]) nach Ps 50[51],14 veranlasst zur Deutung auf die stete Hinwendung zu Christus oder auf den Heiligen Geist in uns; an das stoische Konzept des ἡγεμονικόν als des leitenden Seelenteils knüpft Ambrosius nicht erkennbar an. 70 Auch die meisten 57. Fischer: Genesis, 18*; Schubert: Spuren, 735-737; Schmalzgruber: Beobachtungen, 853. 58. Dassmann: Ambrosius, 373. 59. Henke: Basilius und Ambrosius, 108 f. Die unterstellte Lehre ist die einer ungeschaffenen Ideenwelt als eines vom Schöpfergott getrennten Prinzips. Ferner identifiziert Ambrosius ähnlich wie Philo die Erde mit der Hyle, wovon sich Basilius deutlich abgrenzt. 60. Schubert: Spuren, 735, mit Verweis auf Ambrosius, Ios. 3,14 f., CSEL 32/2, 82. 61. Rahlfs: Der Text des Septuaginta-Psalters, Septuaginta-Studien II, 77 Anm. 1 = SeptuagintaStudien I-III, 181 Anm. 1. 62. Vgl. Ambrosius: Expl. Ps. 36,4, CSEL 64, 72: primum discamus quid sit aemulari licet minor vis sermonis huius sit in Latino quam in Graeco … 63. Vgl. Ambrosius: Expos. Ps. 118, 9, 13, CSEL 62, 196: sed quia Septuaginta virorum sententias magis sequitur ecclesia et hic sensus est planior et nihil offensionis admittit, quod possit aliquibus scrupulum commovere, ideo ita accipiamus, ut humiliarer sit dictum, eo quod peccato videator humiliatus. 64. Henke: Basilius und Ambrosius, 371-374 verweist als Beispiel auf Ambrosius: Exam. 3,20 (73,113). 65. Die in CSEL 64 edierte Psalmenauslegung des Ambrosius umfasst die Psalmen 1; 35-40; 43; 45; 47; 48; 61. 66. Ambrosius: Expl. Ps. 40[41],1, CSEL 64, 230. In finem wird auf Christus bezogen. 67. Ambrosius: Expl. Ps. 1, CSEL 64, 43. 68. Ambrosius: Expl. Ps. 47[48],21, CSEL 64, 374; ebenso Evagrius: Altercatio Legis, CSEL 45, 37; vgl. schon Apg 2,27. Der Begriff διαφθορά lässt die Möglichkeit der Auferstehung eher zu als das hebr. ‫( שׁחת‬Grab). 69. Ambrosius: Expl. Ps. 40[41],1, CSEL 64, 230. 70. Ambrosius: Apol. David, CSEL 32/2, 347 f. Letzteres gilt auch für Cassiodor: Expos. Ps. 50,14, CC.SL 97, 463-465.

635

gtvh 08105 / p. 636 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

Psalmtitel werden erklärt. Septuaginta-Spezifisches umfassen die Überschriften zu Ps 37[38] 71; 38[39] 72; 43[44] 73; 45[46] 74; 47[48]. 75 Ambrosius lässt an diesen Stellen ein Wissen um Differenzen zwischen griechischem und hebräischem Textbestand nicht erkennen. 76

6. Ambrosiaster Literatur Text und Edition Ambrosiaster: Quaestiones Veteris et Novi Testamenti, ed. Alexander Souter, CSEL 50, Wien / Leipzig 1908, 1-416.

Weitere Literatur Geerlings, Wilhelm: Zur exegetischen Methode des Ambrosiaster, in: Georg Schöllgen / Clemens Scholten (Hgg.), Stimuli: Exegese und ihre Hermeneutik in Antike und Christentum: Festschrift für Ernst Dassmann. JAC.E 23, Münster 1996, 444-449 – Hunter, David G.: The Significance of Ambrosiaster, JECS 17 (2009), 1-26.

Wie der neutestamentliche Text für die Pauluskommentare des sog. Ambrosiaster (Ende 4. Jhdt.) 77 ein prähieronymianischer Text war 78, so ist auch die Septuaginta 71. Ambrosius: Expl. Ps. 37[38],2, CSEL 64, 137. »über den Sabbat« ist, so Ambrosius, Zusatz in der LXX, der aber sonst in der LXX keine Parallele hat; vgl. Bons, Ps. 37[38], LXX.E, 1604-1607, hier 1604. Cassiodor kommentiert als Titel tatsächlich nur Psalmus David in commemoratione (Cassiodor: Expos. Ps. 37,1, CC,SL 97, 342). 72. Ambrosius: Expl. Ps. 38[39],1, CSEL 64, 183. »Iduthun« wird in der Septuaginta wie bei Ambrosius als Personenname verstanden (wohl auf 2Chr 5,12 bezogen; vgl. Bons, Ps. 38[39], LXX.E, 1607-1610, hier 1607). Iduthun gilt für Ambrosius als Sänger, aber nicht als Verfasser des Psalms. 73. Ambrosius: Expl. Ps. 43[44],1, CSEL 64, 258; intellectus steht für εἰς σύνεσιν (dieses für ‫ )משכיל‬und wird bei Ambrosius auf die Einsicht in die Notwendigkeit des Bemühens um ein ethisch einwandfreies Leben nach erfolgter Sündenvergebung sola gratia bezogen. Dorival: Beitrag, 486, verweist auf die grundlegenden Differenzen der patristischen Auslegung der Wendung εἰς σύνεσιν, die auch gegenüber heutigen allzu eindeutigen Festlegungen vorsichtig machen sollte. 74. Ambrosius: Expl. Ps. 45[46],1, CSEL 64, 329: das »Verborgene« ist das Verborgene der Weisheit Gottes nach Ps 50[51],8 und Mt 11,25; vgl. Brucker, Ps. LXX.E 1626-1629 (1626). 75. Ambrosius: Expl. Ps. 47[48],1, CSEL 64, 346 f. Die secunda sabbati, der zweite Tag der Woche, wird auf den Sonntag gedeutet, der dem – nach der Ablösung des Gesetzes durch Christus (Röm 10,4) hinfällig gewordenen – Sabbat folgt. 76. Dorival: Beitrag, 474, weist darauf hin, dass sich ein kritisches Bewusstsein hinsichtlich der Psalmenüberschriften erst im 4. Jhdt. ausbildete und vornehmlich bei Diodor von Tarsus und Theodor von Mopsuestia zu finden ist. Insofern ist das Schweigen des Ambrosius über die Probleme nicht verwunderlich. 77. Der unbekannte Autor wollte seine Identität wohl bewusst geheimhalten (Hunter: Significance, 6). 78. Geerlings: Methode, 444.

636

gtvh 08105 / p. 637 / 31.3.2022

Lateinische christliche Autoren vor und neben Hieronymus

unhinterfragt Referenztext für alttestamentliche Auslegungen. Deshalb wird die Epistula Ieremiae fraglos als von Jeremia stammend vorausgesetzt 79, wird in Gen 5,24 eine Form von transferre (»versetzen«) gelesen 80, Ps 1,5 auf die Auferweckung bezogen 81, Ps 50[51],14 (Spiritus principalis) auf den Heiligen Geist. 82 Dass Davids Sündenbekenntnis nach der Versündigung an Bathseba und Uria den 50. der Psalmen bildet, wird mit u. a. Hilfe einer typologischen Auslegung von Lev 25,10 (das 50. Jahr ist das Erlassjahr) gerechtfertigt 83, ferner mit der Gabe des Gesetzes am 50. Tag nach dem Auszug aus Ägypten. 84 Bei dem Titel huic David, prima sabbati (»[von] diesem David; am ersten Tag der Woche«) von Ps 23[24] bezieht sich huic David darauf, dass David die imago (das »Ebenbild«) Christi ist; prima sabbati bezeichnet den Tag seiner Auferstehung. 85

7. Augustinus Literatur Texte und Editionen Genesis. Vetus Latina 2, ed. Bonifatius Fischer, Freiburg 1951-1954 –Esaias. Vetus Latina 12, ed. Roger Gryson, Freiburg 1987-1983. Augustinus – Hieronymus: Epistulae mutuae / Briefwechsel, ed. et trad. Alfons Fürst, 2 Bde., FC 41/1-2, Turnhout 2002 – Augustinus: Contra Faustum Manichaeum, ed. Joseph Zycha, CSEL 25/1, Prag / Wien / Leipzig 1919, 251-797 – Augustinus: De civitate Dei, ed. Emanuel Hoffmann, Vol. 2: Bücher 14-22, CSEL 40/2, Prag / Wien / Leipzig 1900 – Augustinus: De doctrina christiana, ed. Joseph Martin, CC.SL 32, Turnhout 1962, 1-167 – Augustinus: De Genesi contra Manichaeos, ed. Dorothea Weber, CSEL 91, Wien 1998 – De Genesi ad Litteram Imperfectus Liber, ed. Joseph Zycha, CSEL 28/1, Prag / Wien / Leipzig 1899, 459-503 – Augustinus: De moribus ecclesiae catholicae, ed. Elke Rutzenhöfer, Augustinus Opera/Werke 25, Paderborn 2004 – Augustinus: Enarrationes in Psalmos, ed. D. Eligius Dekkers / Jean Fraipont, Vol. 1: Ps. 150, CC.SL 38, Turnhout 1956=1990; Vol. 2: Ps. 51-100, CC.SL 39, Turnhout 1956=1990; Vol. 3: Ps. 101-150, CC.SL 40, Turnhout 1956=1990 – Augustinus: Locutionum in Heptateuchum libri septem, ed. Jean Fraipont, CC.SL 33, Turnhout 1958, 381-465.

Weitere Literatur La Bonnardière, Anne Marie: Saint Augustin et la Bible, Paris 1986 – Fiedrowicz, Michael: Psalmus vox totius Christi. Studien zu Augustins »Enarrationes in Psalmos«, Freiburg 1997 – 79. Ambrosiaster: Qu.V.N.T. 59,4, CSEL 50, 107. 80. Ambrosiaster: Qu.V.N.T. 44,6, CSEL 50, 75; transferretur; Qu.V.N.T. 109, 16, CSEL 50, 265: translatum. Die Vetus Latina bietet bis zur Zeit Ambrosiasters und darüber hinaus grundsätzlich das Compositum transferre in Aktiv- oder Passivformen, während die Vulgata das Verbum simplex enthält. 81. Ambrosaster: Qu.V.N.T. 110,16, CSEL 50, 275: resurgit. 82. Ambrosiaster: Qu.V.N.T. 112,19, CSEL 50, 295. 83. Geerlings: Methode, 449 mit Anm. 75 zufolge kennt und benützt Ambrosiaster die typologische Auslegung, während er die Allegorese ähnlich wie die Antiochener ablehnt. 84. Ambrosiaster: Qu.V.N.T. 112,1, CSEL 50, 286 f. 85. Ambrosiaster, Qu.V.N.T. 111,1, CSEL 50, 277 f. Huic David setzt wohl τούτῳ Δαυιδ voraus statt des gewöhnlichen τῷ Δαωιδ (»dem/von David«).

637

gtvh 08105 / p. 638 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

Fuhrer, Therese: Augustinus. Klassische Philologie kompakt. Darmstadt 2004 – Hennings, Ralph: Der Briefwechsel zwischen Augustinus und Hieronymus und ihr Streit um den Kanon des Alten Testaments und die Auslegung von Gal 2,11-14, VC.S 21. Leiden / New York / Köln: Brill 1994 – Pollmann, Karla: Doctrina Christiana (De -), Augustinus-Lexikon II (1996-2002), 551-575 – Rahlfs, Alfred: Der Text des Septuaginta-Psalters, Septuaginta-Studien II [= ders., Septuaginta-Studien I-III, Göttingen 1965, 104-358] – Rüting, Wilhelm: Untersuchungen über Augustins quaestiones und locutiones, Paderborn 1916 – Schirner, Rebekka S.: Inspice diligenter Codices. Philologische Studien zu Augustins Umgang mit Bibelhandschriften und -übersetzungen, Millenium-Studien 49, Berlin / New York 2015 – Schulz-Flügel, Eva: Der lateinische Bibeltext im 4. Jahrhundert, in: Volker Henning Drecoll (ed.), Augustinus Handbuch, Tübingen 2007, 109-114 – Schulz-Flügel, Eva: Augustins textkritische Beschäftigung mit dem Bibeltext, in: Volker Henning Drecoll (ed.), Augustinus Handbuch, Tübingen 2007, 237-241 – Strauss, Gerhard: Schriftgebrauch, Schriftauslegung und Schriftbeweis bei Augustin, Beiträge zur Geschichte der biblischen Hermeneutik 1, Tübingen 1959 – Toom, Tarmo: Scripture in Augustine’s De doctrina christiana, in: Jonathan Yates / Anthony Dupont (ed.), The Bible in Christian North Africa, Part I: Commencement to the Confessiones of Augustine (ca. 180 to 400 CE). Berlin / New York 2020, 321-342.

7.1 Hermeneutik Erste maßgebliche Äußerungen Augustins (354-430) zur Septuaginta finden sich 394 und 396/97. 86 Für den Kirchenlehrer ist aber zeitlebens ein bestimmtes Detail der Septuagintalegende maßgebend, das Detail der Übereinstimmung der Übersetzer in Wortwahl und Wortfolge. In Ep. 28,2 – der Brief wurde 394 geschrieben, aber erst 403 abgeschickt 87 – verweist Augustinus auf diese Einmütigkeit anlässlich der Feststellung der Divergenzen zwischen einer nichthexaplarischen Septuaginta-Ausgabe und der auf einer hexaplarischen Septuaginta-Ausgabe basierenden Hiob-Übersetzung des Hieronymus. Diese falsch beurteilten Differenzen sowie die Differenzen von Aquila, Symmachus und Theodotion untereinander und zur Septuaginta veranlassen Augustinus zu dem Urteil, es gebe offensichtlich noch genügend unklare Stellen – in deren Erklärung aber auch Hieronymus irren könne, während bei den klaren Stellen jeder Irrtum der Septuaginta-Übersetzer ausgeschlossen sei. 88

86. In der um 388 geschriebenen antimanichäischen Schrift De moribus ecclesiae catholicae (genauer zur Datierung Rutzenhöfer: Augustinus, de moribus ecclesiae catholicae, 8 f.) äußert er sich in 1,12-16, Rutzenhöfer 60-66, zur Autorität des Alten Testaments, aber nicht zur Septuaginta. 87. Vgl. zu der Geschichte der Korrespondenz zwischen Augustinus und Hieronymus in dieser Phase insgesamt Fürst: Augustinus – Hieronymus: Briefwechsel, 16-21. 88. Augustinus: Ep. 28,2, FC 41/1, 100-102. Augustinus verstand die asterisci in der HieronymusÜbersetzung fälschlich als Eintrag des Hieronymus, da ihm die Geschichte des griechischen Bibeltextes zu dieser Zeit nicht bekannt war. Diese Unkenntnis der Textgeschichte hält ihm Hieronymus: Ep. 112,19, FC 41/1, 216 vor (vgl. dazu Fürst: Augustinus – Hieronymus: Briefwechsel, 54-56). Hieronymus, Ep. 112,20, FC 41/1, 218-222, wendet Augustins Syllogismus, dass im Falle unklarer Stellen auch Hieronymus sich irren könnte, bei klaren Stellen hingegen eine weitere Auslegung nicht vonnöten sei, gegen Augustinus selbst: Unter dieser Voraussetzung ist Augustins Psalmenauslegung insgesamt überflüssig.

638

gtvh 08105 / p. 639 / 31.3.2022

Lateinische christliche Autoren vor und neben Hieronymus

In De doctrina Christiana, deren erste drei Bücher 396/397 entstanden sind 89, kommt er auf die Septuaginta-Thematik in seinen Ausführungen über die Interpretation unbekannter oder zweideutige signa (Zeichen) der Heiligen Schrift zu sprechen. Nur die Kenntnis der hebräischen und der griechischen Sprache ermögliche die Beurteilung der vielfältigen lateinischen Übersetzungen. Differenzen zwischen der hebräischen und der griechischen Version können sich der göttlichen dispensatio verdanken 90, bringen andererseits verschiedene Aspekte der einen Wahrheit zum Ausdruck. 91 Wenn eine Übersetzung jedoch falsch ist, solle man die Handschrift verbessern 92, nämlich anhand der Septuaginta. Deren Autorität sei durch die Übereinstimmung im Detail garantiert; sie sei sogar über diejenige des hebräischen Textes zu stellen. 93 Als Zweck der Übersetzung benennt Augustinus ein Motiv, das nur innerhalb einer christlichen Geschichtsschau möglich ist: Die Nichtjuden, die dereinst »durch den Herrn zum Glauben gelangen sollten«, sollten schon vorher Kenntnis der Heiligen Schriften besitzen, die das jüdische Volk »aus religiöser Scheu oder aus Neid den übrigen Völkern vorenthalten wollte«. 94 In Ep. 71, geschrieben im Jahre 403, ist Augustins Ausgangspunkt, dass er von der zweiten Hiob-Übersetzung des Hieronymus erfährt, die nunmehr auf dem hebräischen Text basiert, die aber, anders als die erste, auf der hexaplarischen Septuaginta basierende Übersetzung, keine asterisci mehr enthält. 95 Augustinus sähe es lieber, Hieronymus würde zukünftig die griechische statt der hebräischen Fassung als Grundlage seiner Übersetzungsarbeit nehmen. 96 Leitend sind hier Bedenken wegen der Einheit der Kirche, des wissenschaftlichen Konsenses und der Kontrollierbarkeit der zu erzielenden Ergebnisse. Augustinus sieht die Gefahr der Auseinanderentwicklung der griechischen und der lateinischen Kirchen, warnt vor der Missachtung vieler griechischer und lateinischer Autoritäten und benennt das Problem mangelnder Kontrollierbarkeit, da im Westen kaum hebräische Codices vorhanden sind. Konsultierte man Hebräischkenner, könnte man von ihnen verschiedene Auskünfte bekommen (oder aber 89. Zur Interpretation von Augustinus: Doctr. II, 11/16-15/22 insgesamt vgl. Schirner: Inspice, 2445. 90. Strauss: Schriftgebrauch, 57. 91. Augustinus: Doctr. II, 12/17, CC.SL 32, 43. Das am Literalsinn des Bibeltextes und an der Hebraica Veritas orientierte Programm des Hieronymus wird damit integriert und zugleich relativiert (Pollmann: Doctrina, 559). 92. Augustinus: Doctr. II, 12/18, CC.SL 32, 44. 93. Augustinus: Doctr. II, 15/22, CC.SL 32, 58. – Augustins Bewertung von Sprache beruht auf gänzlich anderen Voraussetzungen als die Bewertung seitens des Hieronymus. Innerhalb seiner Theorie von den res et signa gehört Sprache in den Bereich nur der Zeichen und hat so keinen Wert an sich, »weil für ihn das letztendlich gültige Verständnis der heiligen Schriften nicht unmittelbar und ausschließlich von der sprachlichen Gestalt abhängig ist, sondern vom direkten Eingreifen Gottes in den individuellen Verstehensprozeß« (Schulz-Flügel: Bibeltext, 241). Hieronymus ging es um einen historisch-philologisch zuverlässigen Text, Augustin um die Stabilisierung der kirchlichen Praxis (Hennings: Briefwechsel, 217). Auf das Nachwirken sprachsekptischer Äußerungen in De Magistro macht Fuhrer: Augustinus, 151, aufmerksam. 94. Augustinus: Doctr. II, 15/22, CC.SL 32, 48. 95. Nach wie vor ist Augustinus im Irrtum hinsichtlich der Bedeutung der asterisci. 96. Augustinus: Ep. 71,4, FC 41/1, 162.

639

gtvh 08105 / p. 640 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

Auskünfte, die das Problem faktisch als nichtexistent abtun 97); Hieronymus wäre der einzige, der ihnen überhaupt entgegentreten könnte 98 – doch auch er könnte sich irren. 99 In Ep. 82 aus dem Jahr 405 lobt Augustinus Hieronymus’ Bibelausgabe, die zutage fördern sollte, »was von den Juden unterdrückt oder verfälscht worden« sein soll; man könne sie durchaus für apologetische und antijüdische Zwecke brauchen. 100 Allerdings stellt Augustinus klar, dass das Motiv der bewussten Textverfälschung den ursprünglichen Übersetzern, die ja vor der Zeit Christi gelebt haben, nicht zuzuschreiben ist. 101 Bibelauslegung führe im Übrigen, auch wenn alle Beteiligten den rechten Glauben teilen, wegen der Unklarheit vieler Stellen »unausweichlich zu vielfältigen Erklärungen. Doch bedeutet Vielfalt an sich keineswegs eine Abspaltung von der Einheit des gemeinsamen Glaubens. So kann sogar ein und derselbe Exeget im Rahmen des gemeinsamen Glaubens ein und dieselbe Stelle immer wieder anders auslegen; ihre Unklarheit lässt das zu.« 102 Augustinus wollte die Übersetzung des Hieronymus nicht für die gottesdienstliche Lesung benutzen, damit nicht durch eine Neuerung mit einem Skandal die Gemeinden Christi verwirrt würden, die an die von den Aposteln gebilligte Übersetzung gewohnt sei. 103 In aller Kürze fügt Augustinus noch ein philologisches Argument hinsichtlich Jona 4,6 bei: Die Siebzig hatten den Kürbis als Übersetzung gewählt »aufgrund der Ähnlichkeit« – das bezieht sich vermutlich auf die äußere Beschreibung der Pflanze, die einem sitzenden Menschen Schatten spenden soll. 104 Auch in De civitate Dei war 425 105 für Augustins Urteil das genannte Detail der Septuaginta-Legende bestimmend. Die Septuaginta kam den später zum Glauben kommenden Nichtjuden zugute, was in Augustins Gegenwart zutagetrat. 106 Die griechischen Kirchen benutzen die Septuaginta, während die Übersetzungen von Aquila, Symmachus und Theodotion ihnen zumeist unbekannt sind, aber auch die Bibeltexte der lateinischen Kirchen basieren auf der Septuaginta. Die Übersetzungsleistung des 97. Das ist der Sinn des bei Augustinus: Ep. 71,5, FC 41/1, 164, eingebrachten berühmt-berüchtigten Streites um Jona 4,6 (Efeu vs. Kürbis) in Oea, de fast zur Absetzung des dortigen Bischofs geführt hätte. Hieronymus bezeichnet die Diskussion um Jona 4,6 letztlich als lächerlich (Hieronymus: Ep. 115, FC 41/1, 258); Augustinus solle sie nicht mehr aufgreifen. Der Bischof von Hippo hält sich aber nicht daran (Ep. 82, 35, FC 41/2, 332). 98. Augustinus: Ep. 71,4, FC 41/1, 162-164. 99. Augustinus: Ep. 71,5, FC 41/1, 164 (wie schon Ep. 28,2, FC 41/1, 102). Hieronymus sollte die Konsequenzen bei Texten bedenken, die nicht durch Vergleich der in gängigen Sprachen abgefassten Versionen ausgebessert werden können. 100. Hieronymus: Ep. 112,20, FC 41/1, 222; Augustinus: Ep. 82,34, FC 41/2, 330. Augustinus hat sie, so sein Selbstzeugnis von 426/427 tatsächlich dafür benutzt, vgl. Augustinus: Doctr. IV, 15-21, CC.SL 32, 127-131. 101. Vgl. Augustinus: Ep. 82,34, FC 41/2, 330. Auskünfte von Juden hingegen, die nach der Zeit Christi gelebt haben, hielt Augustinus nicht für vertrauenswürdig (ebd.). 102. Ep. 82,34, FC 41/2, 330 (Übersetzung Fürst, 331). 103. Ep. 82,35, FC 41/2, 332. 104. Auch später (419) kann Augustinus die Autorität der Septuaginta betonen, selbst das, wo die Aussage im Griechischen absurde klingt (Augustinus: Loc. Ex. 25, CC.SL 33, 407). 105. Die Entstehung des Gesamtwerkes zog sich von 412 bis 426 hin. Das 15. Buch ist auf 420, das 18. Buch auf 425 zu datieren (Fürst: Augustinus – Hieronymus: Briefwechsel, 55). 106. Augustinus: Civ. XVIII, 42, CSEL 40/2, 335 f.

640

gtvh 08105 / p. 641 / 31.3.2022

Lateinische christliche Autoren vor und neben Hieronymus

Hieronymus ist zu würdigen, wie sie auch von den Juden anerkannt wird, die bei der Septuaginta viele Fehler konstatieren 107, allerdings kann die Kirche Jesus Christi über die durch die Übereinstimmung im Detail beglaubigte Autorität der 70 Übersetzer nicht die Autorität eines einzelnen stellen. 108 Auch wenn man das Alte Testament in eine andere Sprache übersetzt, wird man die Übereinstimmung mit der Septuaginta feststellen; im Falle der Abweichung hingegen muss man bei der Septuaginta einen tieferen prophetischen Sinn anerkennen. 109 Denn ein und derselbe Geist war in den Propheten und in den siebzig Übersetzern wirksam. Auch das Problem der asterisci und der obelisci entschärft Augustinus theologisch: Das eine wollte Gott durch die Propheten, das andere durch die Übersetzer mitteilen. 110 Mit dieser Konstruktion beantwortet Augustinus auch den Einwand, der Prophet Jona könne doch nicht den Untergang Ninives zugleich nach drei und nach vierzig Tagen verkündigt haben. 111 Augustinus will sich auch an die Apostel halten, die sich aus beidem bedient hätten, der hebräischen Bibel und der Septuaginta. Die Septuaginta ist deshalb für Augustinus nicht nur ein gleichwertiges, sondern zugleich ein selbständiges Offenbarungszeugnis. Es zeigt sich insgesamt, dass er sich von Hieronymus theologisch nicht hat beeindrucken lassen, so richtig es ist, dass er gelegentlich auf die Übersetzungen des Stridoniers verweist. 112 Doch zieht er Lesarten der Vulgata, die von der Septuaginta abweichen, nirgends in dogmatischen Zusammenhängen heran. 113

7.2 Texttypen Im generellen lässt sich kaum feststellen, was Augustinus jeweils als Bibeltext vor sich hatte 114, zumal er nicht selten nach dem Gedächtnis zitiert. Auch können die vielfach abgeschriebenen Werke Augustins von den Abschreibern nach ihrer eigenen Kenntnis 107. Augustinus: Civ. XVIII, 43, CSEL 40/2, 336. 108. Mit dem einzelnen ist natürlich Hieronymus gemeint, dessen Irrtumsfähigkeit Augustinus schon zuvor statuiert hatte. – Gelegentlich vermerkt Augustinus, dass der Kanon der Juden gegenüber den Widersachern die größere Beweiskraft hat (Civ. XVII, 20, CSEL 40/2, 259). Augustinus kennt auch Differenzen zwischen dem jüdischen und dem griechischen Kanon; z. B. weiß er, dass das Buch Judit nicht im jüdischen Kanon enthalten ist (Civ. XVIII, 26, CSEL 40/2, 302). In den apokryphen Schriften ist dem Wahren viel Falsches beigemischt; auch ist die Authentizität z. B. bei den Henoch-Schriften nicht gesichert (Civ. XV, 23, CSEL 40/2, 113). Die »Weisheit Salomos« beurteilt er als nicht authentisch, gleichwohl als kanonisch (Civ. XVII, 20, CSEL 40/2, 258). 109. Nur selten gesteht Augustinus einen möglichen Fehler eines Abschreibers – error ist im Übrigen kein mendacium, keine Lüge – als Ursache nicht auszugleichender Veränderungen zu; die Mehrzahl der Abweichungen sieht er in prophetischer Freiheit der Übersetzer begründet (Augustinus: Civ. XV, 14, CSEL 40/2, 88; dazu s. Strauss: Schriftgebrauch, 58). 110. Augustinus: Civ. XVIII, 43, CSEL 40/2, 337. 111. Augustinus: Civ. XVIII, 44, CSEL 40/2, 340. Diese Konstruktion bleibt bei Augustinus nicht nur theoretischer Grundsatz, sondern ermöglicht eine zweifache typologische Auslegung von Jona 3,4: Die Zahl drei bildet die Auferweckung Christi ab, die Zahl 40 seine Himmelfahrt. 112. Für Beispiele vgl. Schirner: Inspice, 313-315; Toom: Scripture, 329. 113. Rüting: Untersuchungen, 106, bestätigt durch Schirner: Inspice, 316. 114. Vgl. die Beschreiung bei Gryson: Esaias, 18, wie Augustins Text inmitten und zwischen den bekannten Textversionen steht.

641

gtvh 08105 / p. 642 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

des Bibeltextes verbessert worden sein. 115 Die verwendete Version hängt wohl auch von der literarischen Gattung und den Adressaten ab. 116 Unklar ist, was Augustinus mit der Itala meint, die er unter allen lateinischen Übersetzungen bevorzuge. 117 Vielleicht ist doch der oberitalienische Texttyp gemeint. 118 Schon in De Genesi contra Manichaeos is die lateinische Textgrundlage im einzelnen nicht klar. 119 In den Quaestiones in Heptateuchum wird das Verhältnis zwischen Augustins Bibeltext und dem Codex Lugduniensis schon seit langem kontrovers beurteilt. 120 Bei den Locutiones in Genesim ist nicht immer sicher, ob Augustinus »einen lateinischen Text zitiert oder nur lateinisch die Lesarten seiner griechischen Bibel-Hs wiedergibt oder seinen lateinischen Bibeltext nach dem Griechischen korrigiert oder korrigieren will.« 121 Für die Psalmen stellte Rahlfs fest, dass Augustinus dem Texttypus folgt, der in R »noch merkwürdig rein erhalten« ist. 122 Seit 415 macht sich in den edierten Enarrationes mehr und mehr der Einfluss des von Hieronymus erstellten Psalterium Gallicanum geltend. 123

7.3 Septuagintaspezifische Lesarten bei Augustinus Augustinus bezieht die Wendung pro occultis filii (»für die verborgenen Dinge des Sohnes«) in Ps 9,1 124 auf Christus und deutet sie von der semantischen Opposition manifesta (»offenbar«) her auf die erste Ankunft Christi, deren Sinn den Juden verborgen geblieben war, und auf das schon gegenwärtig geschehende Gericht über die Sünde im Sinne von Joh 5,24. 125 Die Interpretation von Ps 15,2 (quoniam bonorum meorum non eges [»denn du bedarfst nicht dessen, was an mir gut ist«] 126) mit dem Satz quoniam bonis meis non exspectas tu fieri beatus [»denn du erwartest nicht, dass du durch das, was an mir gut ist, selig wirst«] ist nur scheinbar eine Tautologie – bei Augustinus steht hinter dieser Aussage die Konzeption von dem unveränderlichen Sein Gottes, das natürlich die Seligkeit mit einschließt. 127 Die Wendung quae commu-

115. Toom: Scripture, 328. 116. Schulz-Flügel: Augustins textkritische Beschäftigung mit dem Bibeltext, 241. 117. Für die Diskussion vgl. Schirner: Inspice: 46-53. Zum Abschluss dieses Exkurses verweist sie auf Walter Thieles Deutung auf den europäischen Texttyp 118. Schulz-Flügel: Augustins textkritische Beschäftigung mit dem Bibeltext, 241. 119. Weber (ed.): Augustinus: De Genesi contra Manichaeos, 18. 120. Rüting: Untersuchungen, 366-371. 121. Fischer: Genesis, 18*. 122. Rahlfs: Der Text des Septuaginta-Psalters, Septuaginta-Studien II, 81 = Septuaginta-Studien I-III, 185. Der Texttypus von R entspringt nicht der Revisionstätigkeit des Augustinus (Rahlfs: Der Text des Septuaginta-Psalters, Septuaginta-Studien II, 90 = Septuaginta-Studien I-III, 194). 123. Rahlfs: Der Text des Septuaginta-Psalters, Septuaginta-Studien II, 83 = Septuaginta-Studien I-III, 187; Fiedrowicz: Psalmus, 26. 124. MT bietet ‫לבן עלמות‬, was die Septuaginta wohl als Form von ‫( עלם‬verbergen) verstanden hat. 125. Augustinus: En. Ps. 9,1, CC.SL 38, 58. 126. MT: ‫»( בל־עליך טובתי‬Mein Glück steht allein bei dir«). 127. Augustinus: En. Ps. 15,2, CC.SL 38, 90.

642

gtvh 08105 / p. 643 / 31.3.2022

Lateinische christliche Autoren vor und neben Hieronymus

tabuntur [»die verändert werden sollen«] 128 in Ps 44,1 bezeichnet sowohl den sichtbaren Rückgang griechisch-römischer Götterverehrung in Augustins Gegenwart als auch die Wendung in jedem einzelnen Christen vom alten zum neuen Menschen. 129 Bei der Überschrift von Ps 59[60],1 verbindet Augustinus anders als Hilarius qui inmutabuntur [»die verändert werden werden«] mit dem folgenden in tituli inscriptionem ipsi David in doctrinam; den titulus deutet er auf den Kreuzestitulus, David als typologisches Vorbild Christi, die Worte auf unseren Übergang von einem sündigen Leben für uns selbst zu einem Leben für den, der für uns gestorben und auferstanden ist. 130 Bei Ps 65[66],1 deutet Augustinus die Worte In finem (»auf das Ende hin«) auf der Grundlage von Röm 10,4 auf Christus; die »Auferstehung« bezeichnet sowohl die Auferstehung als auch die Auferstehung der gläubigen; sie sind ja als der Leib mit Christus, ihrem Haupt, verbunden. 131 In Ps 76,19 wird das »Rad« (rota) auf den Erdkreis bezogen, wohl auf die weitreichende Wirksamkeit Jesu und der christlichen Missionare. 132 Ps 83[84]12 wird bei Augustinus mit 1Tim 1,13.16 näher illustriert. 133 Ps 104 [105],15 bezieht den Begriff »Gesalbte« (Plural) auf die Könige Israels und Judas, die mit der Salbung als Typen Christi anzusprechen sind. 134 Jes 7,9LXX (»Glaubet ihr nicht, so werdet ihr nicht verstehen«) bestätigt für Augustinus, dass man die Heilige Schrift nur dann versteht, wenn man den Glauben der katholischen Kirche teilt. 135 Jer 17,9 (»ein Mensch ist er. Wer kann ihn verstehen?«) wird für Augustinus zum Schriftbeweis sowohl für die Inkarnation Christi als auch für den Unglauben der Juden. 136

128. MT bietet ‫על־שׁשׁנים‬, was in der Septuaginta offenbar auf ‫ שׁנה‬I pi. »ändern« zurückgeführt wird. 129. Augustinus: En. Ps. 44,1, CC.SL 38, 494. Erstes ist auch Augustins Deutung der Worte Subiecit plebes nobis et gentes sub pedibus nostris [»er hat uns Völker unterworfen, Nationen unter unsere Füße«] aus Ps 46,5 (Augustinus: En. Ps. 46,5, CC.SL 38, 531). 130. Augustinus: En. Ps. 59,2, CC.SL 39, 755. 131. Augustinus: En. Ps. 65,1, CC.SL 39, 838 (ἀναστάσεως wird häufig als christlicher Zusatz beurteilt). Den Verweis auf Röm 10,4 bietet auch Cassiodor: Expos. Ps. 59,19, CC.SL 97, 571. 132. Augustinus: En. Ps. 76, 19, CC.SL 39, 1064, aufgrund der Worte praeceptis tonuerunt, miraculis coruscaverunt und der folgenden unmarkierten Einspielung von Ps 18[19],5. Der Bezug auf die christlichen Missionare findet sich auch bei Cassiodor: Expos. Ps., 76,19, CC.SL 98, 707. 133. Augustinus: En. Ps. 83,16, CC.SL 39, 1160; ähnlich Cassiodor: Expos. Ps., 83,12, CC.SL 98, 772, der auf 1Tim 1,13 und 2Tim 4,7 f. verweist. 134. Augustinus: En. Ps. 104,10, CC.SL 40, 1541. 135. Augustinus: C. Faust 4,2, CSEL 25/1, 270. 136. Augustinus: C. Faust 13,11; 22,40, CSEL 25/1, 391. 633 f.; ders.: Civ. XVIII, 33, CSEL 40/2, 318.

643

gtvh 08105 / p. 644 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

8. Cyprianus Gallus Literatur Text und Edition Cyprianus Gallus: Heptateuchus, ed. Rudolf Peiper, CSEL 23, Prag / Wien / Leipzig 1891.

Weitere Literatur Krestan, L.: Cyprianus III (gallischer Dichter), RAC 3 (1957), 477-481 – Lubian, Francesco: La macchina del parafraste: l’esempio di Sansone (Iud. 13:1-15:20) nel poema dell’Heptateuchos (Iud. 482-641), Il calamo della memoria 6 (2014), 219-281 – Pollmann, Karla: Der sogenannte Heptateuchdichter und die Alethia des Claudius Marius Victorinus. Anmerkungen zur Datierungsfrage und zur Imitationsforschung, Hermes 120 (1992), 490-501 – Schmalzgruber, Hedwig: Studien zum Bibelepos des sogenannten Cyprianus Gallus. Mit einem Kommentar zu gen. 1-362, Palingenesia 106, Stuttgart 2006.

Der Bibeltext des sog. Cyprianus Gallus (Anfang 5. Jhdt.), des namentlich nicht bekannten Heptateuchdichters 137, ist eine wichtige Quelle der Itala. 138 Der Text steht dem Codex Lugdunensis (Bibliothèque de la Ville, 403 [329] + 1964 [1840], paraphiert als Zeuge 100 von B. Fischer) besonders nahe. 139 Der Autor hat häufig Ambrosius als Quelle genutzt. 140

9. Apponius Literatur Text und Edition Apponius: In canticum canticorum expositio, ed. Bernard de Vregille / Louis Neyrand, CC.SL 19, Turnhout 1986.

Apponius (6. Jhdt.) zitiert den Text des Canticum i. W. nach der Vulgata, wobei immer noch Vetus-Latina-Lesarten einfließen; der von ihm benutzte Text der Psalmen gleicht in vielen Fällen dem »Römischen Psalter«; die Leserarten, die Apponius mit dem von Hieronymus stammenden gallikanischen Psalter gemeinsam hat, finden sich auch in anderen Psalter-Traditionen. 141

137. Man hat den unbekannten Autor wohl bald mit Cyprian von Karthago identifiziert (Pollmann: Heptateuchdichter, 491). 138. Krestan: Cyprianus III, 480. 139. Lubian: La macchina del parafraste, 224 f. 140. Schubert: Spuren, 742. 141. de Vregille / Neyrand: ed. Apponii in canticum canticorum expositionem: lxxvii-lxxxi. Den Mischcharakter des Textes betont auch Schulz-Flügel: Canticum Canticorum, 76.

644

gtvh 08105 / p. 645 / 31.3.2022

Lateinische christliche Autoren vor und neben Hieronymus

10. Cassiodor Literatur Text und Edition Canticum Canticorum, ed. Eva Schulz-Fügel, Vetus Latina 10/3, Freiburg 1992. Cassiodor: Expositio psalmorum, ed. Marcus Adriaen, Vol. 1: Expositio psalmorum I–LXX, CC.SL 97, Turnhout 1953; Vol. 2: Expositio psalmorum LXXI–CL, CC.SL 98, Turnhout 1953.

Weitere Literatur Daley, Brian: Finding the Right Key. The Aims and Strategies of the Early Christian Interpretation of Psalms, in: Harold W. Attridge / Margot Elisabeth Fassler (ed.), Psalms in Community: Jewish and Christian Textual, Liturgical and Artistic Traditions, SBL.SP 25, Atlanta 2004, 189-205 – Heydemann, Gerda: The Orator as Exegete: Cassiodorus as a Reader of the Psalms, in: Janet Nelsen / Damien Kempf (ed.), Reading the Bible in the Middle Ages, Studies in Early Medieval History, London 2015, 19-55.178-199 – Kraus, Thomas J.: »Außertextliche« Rezeption von LXX-Psalm 90 – »Lebensgeschichte« und Lebendigkeit eines Psalms, in: Wolfgang Kraus / Siegfried Kreuzer / Martin Meiser (ed.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325; Tübingen 2014, 825-838 – Olsen, Derek A.: The Honey of Souls. Cassiodorus and the Interpretation of the Psalms in the Early Medieval West, Collegeville 2017 – Schlieben, Reinhard, Christliche Theologie und Philologie in der Spätantike. Die schulwissenschaftlichen Methoden der Psalmenexegese Cassiodors, AKG 46, Berlin 1974.

Cassiodor (ca. 485-580) hat zumeist das Psalterium Romanum benutzt, gelegentlich aber nach Hieronymus korrigiert. 142 Auch gilt er als einer der Zeugen für die Relevanz des Septuagintatextes von Ecclesiastes im Westen 143, wie er auch mit antiochenischer Exegese vertraut ist. 144 Die Nummerierung der Psalmen nach der Septuaginta wird von Cassiodor gelegentlich als bedeutungsvoll vermerkt. 145 Schließlich ist er auch um ein genaues Verständnis des Septuaginta-spezifischen in finem bemüht. 146 Cassiodor hat Ps 1,5 auf die endzeitliche Auferweckung bezogen und den Widerspruch zu der christlichen Lehre, dass auch die Ungerechten auferstehen werden, dadurch zu beseitigen gesucht, dass die Ungerechten tatsächlich nicht »zum Gericht« auferstehen werden: Sie werden auferweckt, aber sofort ihrer Strafe zugeführt. 147 Er kennt die in einigen Handschriften von Apg 13,33 begegnende Tradition, dass Ps 2 als Ps 1 gezählt wird, und behilft sich mit dem Argument, Ps 2 sei der erste Psalm, der eine 142. Rahlfs: Der Text des Septuaginta-Psalters, Septuaginta-Studien II, 87 = Septuaginta-Studien I-III, 191. 143. Gentry: Ecclesiastes, 14. 144. Er bezieht Ps 78 ähnlich wie Theodor von Mopsuestia auf die Ereignisse um 167 v. Chr. (zum aktuellen Bezug dieser Exegese vgl. Heydemann: Orator, 29). 145. Cassiodor: Expos. Ps., praef. 16, CC.SL 97, 21 und dazu Daley: Finding, 199; zur Abhängigkeit Cassiodors von der grammatischen Exegese vgl. Daley: Finding, 198. Die Nummerierung des bekannten Bußpsalms Ps 50 erinnert an Pfingsten: So wie der Heilige Geist nach 50 Tagen kam, so werden wir, wenn wir den Bußpsalm reinen Herzens sprechen, als rein wiedergeboren (Cassiodor: Expos. Ps. 50,21, CC.SL 97, 470 f.). 146. Cassiodor: Expos. Ps., praef. 3, CC.SL 97, 11, und dazu Olsen: Honey, 95 f. 147. Cassiodor: Expos. Ps. 1,5, CC.SL 97, 36 f.

645

gtvh 08105 / p. 646 / 31.3.2022

Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)

Überschrift hat. 148 Die occulta filii in Ps 9,1 deutet er auf die Inkarnation, ebenso in finem aus Ps 12,1 auf die Erkenntnis der zukünftigen Inkarnation, die David im Geist als Prophet vorausgesehen habe und womit die Klage des Gläubigen (usquequo, Domine, oblivisceris me [wie lange, Herr, willst du mich vergessen]?) ihr Ende finde. 149 Ps 15,2 widerlegt die den Pelagianern zugeschriebene Meinung, der Mensch könne von sich aus den von Gott empfangenen Heilsgütern noch etwas dazusetzen; Ps 15,10 wird auf die Auferweckung Jesu bezogen; die Rede von der anima (»Seele«) Christi wird gegen die Anhänger des Apollinaris von Laodicea angeführt, die das Dasein einer rationalen Seele in Christus leugnen. 150 Die Wendung qui commutabuntur in Ps 44,1 bezeichnet diejenigen, die als Söhne der Kirche von der Traurigkeit dieser Welt in die ewige Freude übergehen. 151 In Ps 46,9 wird regnavit ingressiv verstanden und auf den sichtbaren Herrschaftsantritt Gottes in seinen Gläubigen in der Ewigkeit bezogen. 152 Die Wendung qui immutabuntur in Ps 59,1 zeigt die Lebenswende nach Eph 5,8 an. 153 »Erbarmen und Wahrheit liebt der Herr« (Ps 83,12) nennt den Grund für die in Ps 83,11 geforderte Haltung. 154 Ps 90 dient als dämomenabwehrend. 155 Das Stichwort christos in Ps 104,15 bezieht Cassiodor auf die Patriarchen Abraham und Isaak, denen der Pharao bzw. Abimelech nicht schaden konnten (Gen 12,10-20; 26,6-11). Von ihnen wird zwar keine Salbung berichtet; dadurch jedoch, dass sie »im Geiste Christen waren und dem Glauben an ihn ergeben waren« (Joh 8,56), werden die Patriarchen zu Recht »Gesalbte« genannt. 156

148. 149. 150. 151.

152. 153. 154. 155. 156.

Cassiodor: Expos. Ps. 2,1, CC.SL 97, 39. Cassiodor: Expos. Ps. 9,1, CC.SL 97, 96; Expos. Ps. 12,1, CC.SL 97, 123. Cassiodor: Expos. Ps. 15,2.10, CC.SL 97, 137 f. 141. Cassiodor: Expos. Ps. 44,1, CC.SL 97, 402. Cassiodor lässt offen, ob der Anschluss an die Wahrheit in diesem irdischen Leben oder die postmortale Seligkeit gemeint sein soll. Zu den Voraussetzungen solcher prosopographischen Exegese bei Cassiodor s. Schlieben: Theologie, 25.28-33. Cassiodor: Expos. Ps. 46,9, CC.SL 97, 423. Cassiodor: Expos. Ps. 59,1, CC.SL 97, 529. Cassiodor: Expos. Ps. 83,12, CC.SL 98, 772. Cassiodor: Expos. Ps. 90,1, CC.SL 98, 829. Auf die Praxis, den Psalmtext auf Amulette zu schreiben, verweist Kraus: Rezeption, passim. Cassiodor: Expos. Ps. 104,15, CC.SL 98, 946 f.

646

gtvh 08105 / p. 647 / 31.3.2022

3.5 Die Septuaginta in den orthodoxen Kirchen 3.5.1 Die Septuaginta als Quelle der griechisch-orthodoxen Hymnographie am Beispiel des byzantinischen Kanons Konstantin Nikolakopoulos Literatur Texte und Editionen

Apostolike Diakonia tes Ekklesias tes Hellados (ed.): Μηναῖον τοῦ Σεπτεμβρίου, Athen 1993 – Apostolike Diakonia tes Ekklesias tes Hellados (ed.): Μηναῖον τοῦ Δεκεμβρίου, Athen 1994 – Apostolike Diakonia tes Ekklesias tes Hellados (ed.): Πεντηκοστάριον Χαρμόσυνον, Athen 1994 – Apostolike Diakonia tes Ekklesias tes Hellados (ed.): Τριώδιον, Athen 1994.

Weitere Literatur

Agouridis, Savas Chr.: Ἡ ἑρμηνεία τῶν Ἁγίων Γραφῶν καί ἡ νεοελληνική θεολογική πραγματικότητα, in: Theologia 56 (1985), 510 – Bekatoros, Georgios G.: Κανών, in: ThEE Θρησκευτικὴ καὶ Ἠθικὴ Ἐγκυκλοπαιδεία, Bd. 7, Athen 1965, Sp. 317-320 – Christou, Panagiotis K.: Ὁ μέγας Κανών Ἀνδρέου τοῦ Κρήτης, Thessaloniki 1952 – Christou, Panagiotis K.: Ἑλληνικὴ Πατρολογία, Bd. 5: Γραμματεία τῆς πρωτοβυζαντινῆς περιόδου. ΣΤ’-Θ’ αἰῶνες, Thessaloniki 1992 – Gratseas, Georgios: Ὠδαί, in: Θρησκευτικὴ καὶ Ἠθικὴ Ἐγκυκλοπαιδεία, (ThEE), Bd. 12, Athen 1968, Sp. 539-561 – Hagiorites, Nikodemos: Ἑορτοδρόμιον, Venedig 1836 – Kranz, Dirk Kurt: Die theologischen Argumente der Kirchenväter (2.–4. Jh.) zugunsten der Inspiration der griechischen Übersetzung der Septuaginta (LXX), in: Alpha Omega 8 (2005), 231-262 – Kranz, Dirk Kurt: Ist die griechische Übersetzung der Heiligen Schrift der LXX inspiriert? Eine Antwort nach den Zeugnissen der Kirchenväter (2.–4. Jh.) vor dem Aufkommen der Diskussion um die »hebraica veritas«, Rom 2005 – Krumbacher, Karl: Geschichte der byzantinischen Literatur, München 21897 – Mitsakis, Kariophilis: The Hymnography of the Greek Church in the Early Christian Centuries, in: Jahrbuch der Österreichischen Byzantinistik 20 (1971), 31-49 – Nikolakopoulos, Konstantin: Orthodoxe Hymnographie. Lexikon der orthodoxen hymnologisch-musikalischen Terminologie, Liturgische Texte und Studien 2, Schliern b. Köniz 1999 – Nikolakopoulos, Konstatin: Das Neue Testament als hymnologische Quelle in der Orthodoxen Kirche, Theologia 61 (1990), 161-186 – Nikolakopoulos, Konstatin: Die »unbekannten« Hymnen des Neuen Testaments. Die orthodoxe Hermeneutik und die historisch-kritische Methode, Aachen 2000 – Onasch, Konrad: Kunst und Liturgie der Ostkirche in Stichworten unter Berücksichtigung der Alten Kirche, Wien u. a. 1981 – Papadopoulos, Stylianos G.: Πατρολογία, Bd. II, ὁ τέταρτος αἰώνας, Ἀνατολή καί Δύση, Athen 1990 – Schütz, Dorothea: Psalter. Aus dem Griechischen übersetzt, München 1999 – Schulz, Hans-Joachim: Die byzantinische Liturgie. Glaubenszeugnis und Symbolgestalt, Trier 32000 – Tomadakis, Nikolaos.: Ἡ Βυζαντινὴ Ὑμνογραφία καὶ ποίησις ἤτοι Εἰσαγωγὴ εἰς τὴν Βυζαντινὴν Φιλολογίαν, Bd. 2, Thessaloniki 31993 – Tyciak, Julius: Theologie in Hymnen. Theologische Perspektiven der byzantinischen Liturgie, Trier 1972 – von

647

gtvh 08105 / p. 648 / 31.3.2022

Die Septuaginta in den orthodoxen Kirchen

Maltzew, Alexios: Die ostkirchlichen liturgischen Texte, Bd. III: Andachtsbuch, Berlin 1895 (ND Aschaffenburg 2005), Bd. VII: Fasten- und Blumentriodion, Berlin 1899 (ND Aschaffenburg 2005) – Xydis, Theodoros: Βυζαντινὴ Ὑμνογραφία, Athen 1978.

1. Allgemeine Einführung: Der biblische Charakter der griechisch-orthodoxen Hymnographie Die Feier der vielfältigen und zahlreichen Gottesdienste spiegelt das Wesen des orthodoxen Glaubens in seinem stärksten Ausdruck wieder. Diese Gottesdienste, welche unmittelbar aus dem authentischen Erbe der urchristlichen und frühpatristischen Zeit fließen, 1 stellen das theologisch-theoretische, aber auch das liturgisch-praktische Zentrum des liturgischen Lebens der Orthodoxie dar. Bei der Entstehung und Entfaltung der verschiedenen liturgischen Formulare haben bereits in der Alten Kirche zwei Faktoren eine entscheidende Rolle gespielt: die Hymnographie und die Musik. Als biblischem Theologen, aber auch als Hymnographie- und Musikforscher und dazu intensiv tätigem Kirchenkantor lag mir die Auseinandersetzung mit diesen beiden Größen, also dem poetisch-theologischen Wort und seiner musikalischen Bekleidung, stets am Herzen. In diesem Aufsatz will ich mich mit dem »Wort«, also der ursprünglich auf Griechisch verfassten Hymnographie der Ostkirche befassen und den alttestamentlichen Hintergrund einer der zahlreichen poetischen Formen und lyrischen Errungenschaften dieser Kultdichtung 2, nämlich des »Kanons« zu beleuchten versuchen. Im Gegensatz zu manchen Byzantinisten, die sogar bis zu den Anfängen des 20. Jahrhunderts behaupteten, die byzantinische Hymnographie fing angeblich mit Romanos dem Meloden an, bin ich immer von der eindeutigen biblischen Verwurzelung der ur-, altkirchlichen und konsequenterweise auch der orthodoxen Hymnographie ausgegangen. 3 Trotz der schwerwiegenden Bedeutung eines Romanos Melode oder eines Johannes Damaskenos oder eines Andreas von Kreta führen die Anfänge der liturgischen Texte zweifellos auf die apostolische Zeit zurück und zeigen einen eindeutigen biblischen Hintergrund auf. »So sehr auch andere Faktoren Einfluss auf die Entfaltung des christlichen Kultus ausgeübt haben mögen, hat die Bibel, Altes und Neues Testament, wohl den Kult gestaltet und ihn mit ihren Inhalten und ihrer Sprache durchtränkt.« 4 Insbesondere lässt sich die bemerkenswerte Verbindung zwischen den christlichen Hymnen und dem Alten Testament dadurch veranschaulichen, wenn man einen ersten fundamentalen Faktor des jüdischen Charakterzuges bedenkt, dass nämlich die Israeliten ein Volk des dauerhaften Gebetes und der ununterbrochenen Zuwendung zu Gott gewesen sind. Deswegen begegnet uns im Alten Testament das 1. 2.

3. 4.

Schulz: Die byzantinische Liturgie, 5 ff. Zu den vielen dichterischen Formen und Normen der griechisch-orthodoxen Hymnographie s. Mitsakis: The Hymnography of the Greek Church; Tomadakis: Ἡ Βυζαντινὴ Ὑμνογραφία καὶ ποίησις ἤτοι Εἰσαγωγὴ εἰς τὴν Βυζαντινὴν Φιλολογίαν, Bd. 2; Nikolakopoulos: Orthodoxe Hymnographie; Xydis: Βυζαντινὴ Ὑμνογραφία. Mehr dazu s. bei Krumbacher: Geschichte der byzantinischen Literatur; Nikolakopoulos: Das Neue Testament als hymnologische Quelle, 161 f. Agouridis: Ἡ ἑρμηνεία τῶν Ἁγίων Γραφῶν, 510.

648

gtvh 08105 / p. 649 / 31.3.2022

Die Septuaginta als Quelle der griechisch-orthodoxen Hymnographie

interessante Phänomen, dass der Semit von der Prosa sehr glatt zum poetischen Still umgeleitet wird. 5 Ebenso erschienen dem Urchristen, der über das griechisch übersetzte Alte Testament (Septuaginta) als seine ausschließliche Bibel verfügte, oder auch dem frommen Menschen der ersten christlichen Jahrhunderte das unaufhörliche Lobpreisen und Verehren seines Gottes und Schöpfers als eine Selbstverständlichkeit. Im Rahmen der Entstehung der Hymnographie und der Etablierung des gottesdienstlichen Lebens in der Ostkirche verlor der Alte Bund zwischen Gott und dem israelitischen Volk, obwohl jetzt nun ergänzt und umgedeutet, auch in der christlichen Zeit seine Aktualität nicht. Sogar die Septuaginta-Version des Alten Testaments gewann nicht nur in den Kreisen Jesu und seiner Jünger, sondern darüber hinaus in der Urkirche und seit den ersten Jahrhunderten auch unter den Kirchenvätern stets an steigender Inspirationswürde und hohem Ansehen. 6 Viele alttestamentliche Kultlieder, unter denen die davidischen Psalmen als Vorreiter dienen, wurden in die christlichen kultischen Formulare unverändert aufgenommen. Andere poetisch strukturierte Texte des Alten Bundes, die keinen bloßen literarischen, sondern einst hauptsächlich einen gewichtigen liturgischen Platz in den jüdischen Synagogen einnahmen, verhalfen zur Inspirierung und Entstehung neuer christlicher Hymnen. Die Lieder des ins Griechische übersetzten Alten Testaments fungierten als direkte Inspirationsquellen und Muster für die neuen christlichen Gesänge. 7 »Mit Sicherheit dienten in den ersten christlichen Gemeinden ganze Psalmen oder auch Auszüge davon und andere alttestamentliche Lieder als Quellen für die neuen Psalmen und Hymnen.« 8

2. Die Septuaginta als inhaltliche Quelle des hymnographischen »Kanon« 9 Beim »Kanon« handelt es sich um eine der wichtigsten und bis heute noch gültigen Hochformen der byzantinischen Kirchendichtungen. Der Kanon (Κανών 10), der ab dem 8. Jh. n. Chr. das »Kontakion«, eine ältere, ebenso hochentwickelte liturgische Kirchendichtung radikal zu verdrängen begann, besteht aus einer Hymnenreihe, die in 9 Gruppen, die sogenannten »Oden«, eingeteilt ist. 11 Jede dieser im orthodoxen Kultus fest etablierten Oden besteht in der Regel aus 3 bis 8 Einzelhymnen, die in jeder Ode die gleiche Silbenzahl, Betonung und Melodie aufzeigen. Innerhalb jeder Ode nannten die Hymnographen den ersten Lobgesang »Heirmos«, also Leitstrophe, und 5. Mehr zu den kultischen Gewohnheiten der Israeliten vgl. bei Gratseas: Ὠδαί, Sp. 539. 6. Zum vieldiskutierten Thema, inwieweit die Septuaginta in der Alten Kirche für inspiriert gehalten wurde, vgl. Kranz: Ist die griechische Übersetzung der Heiligen Schrift der LXX inspiriert?; ders: Argumente, 231-262. 7. Vgl. dazu mehr bei Papadopoulos: Πατρολογία, Bd. II, 169. 8. Nikolakopoulos: Die »unbekannten« Hymnen, 115. 9. Die Aufzählung der verschiedenen Teile des byzantinischen Kanons, die Oden heißen, wird in diesem Aufsatz mit arabischen Ziffern wiedergegeben, während die Nummerierung ihrer Vorbilder, nämlich der biblischen Oden des Septuaginta-Textes in ausgeschriebenen Wörtern erfolgt. 10. Grundlegende Informationen dazu s. in Nikolakopoulos: Orthodoxe Hymnographie, 46 f. 11. Hinsichtlich der Geschichte und der philologischen Struktur dieser byzantinischen Kultgattung vgl. Christou: Ἑλληνικὴ Πατρολογία, Bd. 5, 591 ff.

649

gtvh 08105 / p. 650 / 31.3.2022

Die Septuaginta in den orthodoxen Kirchen

die übrigen (2 bis 8) Hymnen Troparia. Der Heirmos, als Motivgesang der Oden, gibt jeweils eine »heilsgeschichtliche oder theologische Sinnrichtung an, unter welcher die Kanones und Oden vorgetragen werden« 12. Am Rande sei angemerkt, dass die 2. hymnographische Ode wegen des thematisch traurigen Charakters der zweiten biblischen Ode nur in den Kanones der Großen Fastenzeit zu finden ist. 13 Der byzantinische Kanon erweist einen eindeutigen biblischen Hintergrund, weil sein Konstrukt mit den 9 Hymnengruppen die neun biblischen Oden des liturgischen Psalters als Vorbild hat. Hierbei sollte man die Tatsache hervorheben, dass diese neun biblischen Oden oder Cantica genannt im liturgischen Gebrauch in Verbindung mit konkreten alttestamentlichen Psalmen gesungen wurden und selbst eine Art »Kanon« bildeten. 14 Da die Meloden der Kanones, deren wichtigste Vertreter Andreas von Kreta, Johannes Damaskenos oder Kosmas von Majum sind, die Kontinuität zwischen Altem und Neuem Testament sichern wollten, ließen sie hauptsächlich die Thematik der neun biblischen Oden in den neuen christlichen Kirchenliedern fortbestehen. Da bemerkenswerterweise die ersten acht von den insgesamt neun biblischen Oden dem Alten Testament zu entnehmen sind, 15 ließen sich die großen Hymnendichter von Byzanz bei der Verfassung ihrer berühmten Festkanones für die Oden 1-8 von der Septuaginta-Version dieser Cantica inspirieren. Konsequenterweise machen sich in den ursprünglich auf Griechisch verfassten Hymnen direkte Zitate bzw. identische oder annähernde Formulierungen aus den biblischen Oden sehr oft bemerkbar. In diesem Zusammenhang könnte man zweifellos von einer besonderen Wirkungsgeschichte des Septuaginta-Textes sprechen, der in den jeweiligen Anfangsstrophen der christlichen Kanones inhaltlich omnipräsent ist und dabei auf poetische Weise theologisch-christlich-messianisch aus- und dargelegt wird. 16 Im Folgenden wird anhand der einschlägigen ersten Strophen verschiedener byzantinischer Festkanones die inhaltliche Verbindung dieser Kulthymnen mit den acht aus dem Alten Testament herrührenden biblischen Cantica aufgezeigt. Dabei werden als Beispiele hymnologische Heirmoi-Texte aus den Oden 1-8 ausgewählter Kanones des orthodoxen Kirchenjahres herangezogen. Erste biblische Ode: Das Siegeslied von Moses (Ex 15,1-18). Dieser Text gehört zu den schönsten poetischen Texten der jüdischen Literatur und besingt Jahwe als mächtigsten Sieger und Bestrafer des Pharao. Er wurde sehr früh in die christliche Literatur übernommen und von zahlreichen christlichen Dichtern als Inspirationsquelle benutzt. Wie sich dieses Siegeslied im byzantinischen Kanon widerspiegelt, können wir beispielsweise am Heirmos (Leitstrophe) der 1. Ode des berühmten »Großen BußKanons« von Andreas von Kreta († um 740) 17 feststellen. Dabei übernimmt Andreas eindrucksvoll den Vers des Liedes Ex 15,2 aus der Septuaginta wortwörtlich, im Gegen12. Vgl. Tyciak: Theologie in Hymnen, 67. 13. Zu dieser Ausnahmeregelung vgl. weitere Informationen bei Tomadakis: Ἡ Βυζαντινὴ Ὑμνογραφία, 60 und Hagiorites: Ἑορτοδρόμιον, κα’. 14. Vgl. dazu Tomadakis: Ἡ Βυζαντινὴ Ὑμνογραφία, 64. 15. Die neunte biblische Ode kommt im Neuen Testament vor. Es handelt sich dabei um das Loblied Marias bei Elisabeth (Lk 1,46b-55) und das Loblied von Zacharias (Lk 1,68-79). 16. Mehr zur »liturgischen Auslegung« der biblischen Texte aus orthodoxer Sicht siehe bei Nikolakopoulos: Die »unbekannten« Hymnen, 16 f. 17. Vgl. auch Christou: Ὁ μέγας Κανών Ἀνδρέου τοῦ Κρήτης.

650

gtvh 08105 / p. 651 / 31.3.2022

Die Septuaginta als Quelle der griechisch-orthodoxen Hymnographie

satz zu anderen Hymnographen, welche den Originaltext so umformen, dass er inhaltlich mit dem Thema des jeweiligen Festes verbunden wird. Der 1. Heirmos des »Großen Kanons« lautet folgendermaßen: »Helfer und Schutz ist er mir geworden zur Rettung. Dieser ist mein Gott, und ich will ihn preisen, der Gott meines Vaters, und ich will ihn erhöhen. Denn herrlich ward er verherrlicht!« 18 Zweite biblische Ode: Das Todeslied von Moses (Dtn 32,1-43). Dabei handelt es sich um den sog. »Schwanengesang« von Moses, der wegen der in ihm enthaltenen Bitterkeit für das inkonsequente israelitische Volk stilistisch den Klagepsalmen ähnelt. 19 Aufgrund ihres traurigen Charakters wird dieses biblische Canticum niemals in den orthodoxen Gottesdiensten gelesen außer in der vorösterlichen Großen Fastenzeit an jedem Dienstag. 20 Konsequenterweise findet sich in den Festkanones der Ostkirche keine 2. Ode, außer in manchen Kanones an den Wochentagen der Großen Fastenzeit. Zumindest der Anfangsvers des Septuaginta-Textes wird beispielsweise in der 2. Ode des Triodion 21 von Andreas von Kreta, das beim Komplett (Ἀπόδειπνον) des Heiligen und Großen (Kar-)Montags gesungen wird, fast identisch wiedergegeben: »Höre, Himmel, und ich will reden und besingen Christus, welcher aus der Jungfrau im Fleische gekommen ist!« 22 Dritte biblische Ode: Das Loblied der Prophetin Anna (1 Kön 2,1-10). Der gnadenhafte Lobpreis von Anna, der Mutter des letzten Richters von Israel, Samuel, zeichnet sich durch die poetischen Antithesen des wunderbaren Eingriffes Gottes an sie (Kinderlosigkeit-Kindesempfängnis) und den eindeutigen geistlichen und zugleich sozialen Charakter des Inhaltes aus. Da der Text in der christlichen Auslegung klare messianische Züge aufweist, wird diese biblische Ode in vielen ostkirchlichen Hymnen heilsgeschichtlich umschrieben bzw. angepasst. Charakteristisch dafür ist die Leitstrophe (Heirmos) der 3. Ode vom zweiten (jambischen) Kanon zum Pfingstfest, der dem fast unbekannten Hymnographen Mönch Ioannes Arklas (Erste Hälfte 9. Jh.) zugeschrieben wird: »Es sprengte die Fesseln des Schoßes, der kinderlos war, den zügellosen Übermut jener, die reich war an Kindern, einst ein einziges Flehen der Seherin Anna, da sie mit zerknirschtem Geiste zum Herrn ging, zu der Erkenntnisse Gott.« 23 Vierte biblische Ode: Das Gebet des Propheten Habakuk (Hab 3,1-19). In einem ekstatischen Zustand wendet sich Habakuk in einem besonders persönlichen Ton an Gott und preist ihn für seinen Schutz. Die in diesem prophetischen Gebet enthaltenen eindeutigen messianischen und eschatologischen Charakterzüge haben viele byzantinische Hymnographen tief inspiriert. Ein wunderbares Beispiel typologischer Interpretation des prophetischen Septuaginta-Textes stellt die Musterstrophe (Heirmos) der 4. Ode vom zweiten jambischen Kanon zum Fest der Geburt unseres Herrn dar, von Maltzew: Die ostkirchlichen liturgischen Texte, Bd. III: Andachtsbuch, 176. Vgl. Gratseas: Ὠδαί, 543 f. Vgl. Schütz: Psalter, 308. Obwohl die meisten Kanones im liturgischen Kirchenkalender – wegen des Fehlens der zweiten Ode – nur über acht Oden verfügen, gibt es ausnahmsweise weitere Kanones, die entweder nur zwei (Diodia) oder drei (Triodia) oder sogar nur vier Oden (Tetraodia) besitzen. Mehr dazu siehe bei Bekatoros: Κανών, Sp. 317-320 und Onasch: Kunst und Liturgie der Ostkirche. 22. Apostolike Diakonia tes Ekklesias tes Hellados (ed.): Τριώδιον, Athen 1994, 841. 23. Apostolike Diakonia tes Ekklesias tes Hellados (ed.): Πεντηκοστάριον Χαρμόσυνον, 497.

18. 19. 20. 21.

651

gtvh 08105 / p. 652 / 31.3.2022

Die Septuaginta in den orthodoxen Kirchen

der dem berühmten Johannes Damaskenos († vor 754) zugeschrieben wird: »Des menschlichen Geschlechtes Wiederherstellung besang weissagend Habakuk einst, der Prophet, dem vorbildlich das hohe Wunder ward gezeigt! Denn aus der Jungfrau Berge ging ein Kind hervor zu der gesamten Menschheit Neuschöpfung – das Wort!« 24 Fünfte biblische Ode: Das Gebet des Propheten Jesaja (Jes 26,1-21). Dieser Text, der sich durch seinen poetischen Duktus und seine intensive prophetische Färbung auszeichnet, zeigt durch die lebendige Abwechslung der Bilder seinen deutlichen messianischen Charakter wie wenige andere alttestamentliche Perikopen auf. 25 Genau dieses letzte Element hat diese biblische Ode zu einer beliebten Inspirationsquelle für die ostkirchlichen Hymnographen erhoben. Im nächsten Kirchenlied offenbaren sich die starke Inspirationskraft des im Vers Jes 26,19 vorkommenden Bildes über die Auferstehung der Toten und dessen typologische Ausdeutung beim Anfangshymnus (Heirmos) der 5. Ode des Kanons vom Karsamstag. Alle wunderschönen Leitstrophen dieses Kanons werden der byzantinischen Schriftstellerin und Kirchendichterin Kassia († um 865) zugeschrieben: »Deiner für uns aus Mitleid geschehenen Gotteserscheinung abendloses Licht schauend, rief Jesaja, aus der Nacht erwachend: Auferstehen werden die Toten und erweckt werden, die in den Gräbern, und alle Erdgeborenen werden sich freuen!« 26 Sechste biblische Ode: Das Gebet des Propheten Jona (Jona 2,3-10). Es handelt sich im Grunde um ein Psalmgebet im Rahmen einer retrospektiv erzählten Szene, die in ein insgesamt hervorragendes poetisches Kunstwerk narrativer Theologie eingebettet ist. Bei der Jona-Erzählung macht sich die wirkmächtige und langanhaltende Konsequenz der bereits mit der Septuaginta einsetzenden Tendenz bemerkbar, die poetischen Erzählungen der Bibel im historischen Sinn als Tatsachenberichte zu verstehen. Darüber hinaus stellt die Jona-Geschichte einen derjenigen Septuaginta-Texte dar, die in der orthodoxen Hymnographie typologisch auf den dreitägigen Abstieg Christi in den Hades und seine Auferstehung hingedeutet wurden. In überraschender Weise wird par Exempel in der Leitstrophe (Heirmos) der 6. Ode des oben erwähnten Kanons vom Karsamstag sogar die Methode der typologischen Exegese veranschaulicht: »Umfangen, aber nicht festgehalten ward Jona in dem Innern des Seeungetüms; denn deinen Typos darstellend (sc.: dich vorbildend), den Leidenden und dem Begräbnis Übergebenen, sprang er wie aus einem Gemache aus dem Tier hervor und rief der Wache zu: Die ihr bewahret Nichtiges und Falsches, die Gnade selbst habt ihr fahren lassen!« 27 Siebte biblische Ode: Das Loblied der drei in den Feuerofen geworfenen Jungen, besonders von Asarja (Dan 3,26-45). Diese Perikope, wie auch die achte biblische Ode, entstammt dem nur auf Griechisch überlieferten Fragment des Buches Daniel. Sowohl die Danksagung Asarjas als auch der Lobpreis der Großherzigkeit und majestätischen Gerechtigkeit Gottes an das israelitische Volk werden in den ostkirchlichen Kultdichtungen typologisch bzw. allegorisch projiziert. Ein typisches Beispiel dafür wäre die Musterstrophe (Heirmos) der 7. Ode vom Kanon zum Fest der Kreuzerhöhung (14. September), der dem Meloden Kosmas von Majum († um 750) zugeschrieben 24. 25. 26. 27.

Apostolike Diakonia tes Ekklesias tes Hellados (ed.): Μηναῖον τοῦ Δεκεμβρίου, 509. Gratseas: Ὠδαί, Sp. 549. von Maltzew: Die ostkirchlichen liturgischen Texte, Bd. VII, 620. von Maltzew: Die ostkirchlichen liturgischen Texte, Bd. VII, 621 f.

652

gtvh 08105 / p. 653 / 31.3.2022

Die Septuaginta als Quelle der griechisch-orthodoxen Hymnographie

wird: »Der unsinnige Befehl des gottlosen Tyrannen, der Drohungen und grobe Flüche ausstieß, bezwang die Völker, aber die drei Jünglinge schreckte weder die bestialische Wut noch das verschlingende Feuer, sondern durch den taubringenden Wind sangen sie im Feuer: Unser und unserer Väter vielbesungener Gott, sei gepriesen!« 28 Achte biblische Ode: Der Lobgesang der drei Jungen Männer (Dan 3,51-90). Dieser hymnische Abschnitt gehört zur selben thematischen Einheit mit dem siebten biblischen Canticum. Dieser Lobgesang weist allerdings die Besonderheit auf, dass sich jedem lobpreisenden Vers derselbe Refrain (Ἐφύμνιον) anschließt: »Preiset und erhebet ihn (den Herrn) hoch in die Äonen!« Wie sich das Theologische (typologische Auslegung) in Verbindung mit dem Doxologischen dieses Lobgesangs in den byzantinischen Hymnen am deutlichsten niederschlägt, lässt sich beispielsweise in der Leitstrophe (Heirmos) der 8. Ode vom ersten Kanon zum Fest der Geburt unseres Herrn zeigen, der wiederum dem Meloden Kosmas von Majum zugeschrieben wird: »Typos (= Vorbild) des übernatürlichen Wunders ward der Flammenofen. Denn nicht verbrannte er die Jünglinge, welche er empfing: so auch nicht das Feuer der Gottheit der Jungfrau Schoß, in den es einging. Deshalb wollen wir lobpreisend singen: Es lobe die ganze Schöpfung den Herrn und erhebe Ihn in alle Ewigkeit!« 29 Die Dichtung des Kanons deckt einen ziemlich breiten Bereich der orthodoxen Hymnographie ab. Es gibt Tausende von Kanones, von denen nur ein Teil in die liturgischen Bücher aufgenommen wurde. Allen Tagen des Kirchenjahres, an denen das Gedächtnis eines oder mehrerer Heiligen begangen wird, wird im einschlägigen orthodoxen Morgengottesdienst (Orthros) zumindest ein byzantinischer Kanon zugewiesen. Konsequenterweise ist somit an jedem Tag des liturgischen Jahres die Septuaginta mit ihren wichtigsten Themeneinheiten auch präsent.

28. Apostolike Diakonia tes Ekklesias tes Hellados (ed.): Μηναῖον τοῦ Σεπτεμβρίου, 241. 29. Apostolike Diakonia tes Ekklesias tes Hellados (ed.): Μηναῖον τοῦ Δεκεμβρίου, 514.

653

gtvh 08105 / p. 654 / 31.3.2022

3.5.2 The Septuagint in Russia Anatoly A. Alexeev Literature Alexeev Anatoly A.: Textual Criticism of the Slavonic Bible [in Russian: Textologija Slavjanskoj Biblii], St. Petersburg 1999 – Odell, Margaret S.: Ezekiel. Smyth & Helwys Bible Commentary, Macon 2005 – Rahlfs Alfred: Studie über den griechischen Text des Buches Ruth, in: Nachrichten von den Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen (aus dem Jahre 1922). Philologisch-historische Klasse. Berlin 1923, 47-188 – Romodanoskaja, V.: The Russian Bible codex of the 15th century and its Latin original, in: Acta Linguistica Petropolitana. Vol. 7, St. Petersburg 2011, 632-642 – Smalley Beryl: The Study of the Bible in the Middle Ages. University of Notre Dame Press, 1964 – Smencovskij, M: Bratja Lichudy, St. Petersburg 1899 – ̌ Thomson Francis J.: The Slavonic Translation of the Old Testament, in: Joze Krašovec (ed.), Interpretation of the Bible: The International Symposium in Slovenia, JSOT.S 289, Sheffield 1998, 605-920.

Rus’ was baptized in 988. Together with Christianity, the books required for liturgical praxis arrived from the Balkans; they were 1) Gospel Lectionary, 2) Apostle Lectionary, 3) liturgical Psalter with the Odes, 4) Prophetologion, as well as number of liturgical miscellanies, such as Triodion, Hermologion, etc. All these books are known today in MSS from the 11-13th centuries. The OT texts of the continuous type also came to Rus’ from the Balkans but are witnessed only by MSS of the 14-16th centuries. They are 1) Octateuch; 2) 1-4 Kings; 3) Psalter with a commentary by Athanasius or Hesychius of Alexandria; 4) collection of Wisdom books, including Parables, Ecclesiastes, Song of Songs, and Ecclesiasticus (Syrach); 5) Job with catenae; 6) Revelation with a commentary by Andreas of Caesarea; 7) Later Prophets 4 + 12; 8) Later Prophets 4 + 12 with a commentary by Theodoret of Cyrus. All these books were translated in the 9th and 10th centuries from Greek into Old Slavonic by Cyril and Methodius and their pupils. Most of them reflect R redaction of LXX that was the most widespread Bible text in Byzantium at the time of composing catenae in the 6th and 7th centuries 1. The turbulent history of the Balkans was not conducive to the presevation of cultural objects, that is why we have to rely on East Slavonic data in order to reconstruct the history of origination and circulation of Slavonic Christian written documents during the Middle Ages. The Octateuch was translated as undivided text corpus, while its integral part in the Greek MS tradition, the Letter of Aristeas, was missing. However, the 70 translators of the Hebrew Scripture are mentioned for the first time in the 10th century apologia for the Slavonic alphabet by a certain Bulgarian monk Chrabr; later this information was many times repeated by some other sources. A short exposition of the Letter with adding names of Aquila, Symmach, Theodotion and mentioning Origen’s Hexapla, with references to Philo and Justin Martyr, was known through the Church Sla1.

Rahlfs: Studie über den griechischen Text des Buches Ruth, 47-188.

654

gtvh 08105 / p. 655 / 31.3.2022

The Septuagint in Russia

vonic translation of a short contribution of Nicetas of Heraklea († after 1117) in his proem to Cyril of Alexandria’s commentary on Psalms (PG 69, 697-714). The Church Slavonic text is presented by some MSS of 14-16h centuries (RGB Fond 173.1 n 18, fol. 12v; RNB Sof. 1464, fol. 201-203v). The same data are imparted in the commentary to Psalms of Bruno of Würzburg († 1045) and translated from Latin in Novgorod at the beginning of the 16th century (MS evidences: RGB Tr 87 (834), fol. 442-443v; RNB Sof 1255, fol. 602-605v, Solov 1039, fol. 786-788v). Besides, some brief mentions of 72 translators can be found in numerous East Slavonic chronographic compilations. Despite of their laconism and abruptness, these passages stress historical and theological significance of the work produced at the remote times of Ptolemeus Philadelphus, king of Egypt. In the 13th century among the Eastern Slavs Octateuch was used as a base for the so-called Exegetical Palea. The second part of the title is borrowed from the Greek term for the Old Testament – παλαιὰ διαθήκη. The exegetic ingredients consist of three categories: 1) Biblical apocrypha (some of them translated from Hebrew), 2) Patristic and historic sources, 3) anti-Judaic invectives composed ad hoc by the writers and copyists. The general character of the composition by its direct metaphrastic exegesis is close to that of glossae ordinaria. Probably, some baptized Jews had an impact on the interpretation, like in Europe of the same historic epoch in case of St. Victor abbey 2. Besides, one more variation of the Exegetical Bible came into existence among the East Slavs in the 14th century, namely, the Chronographic Palea. The distinctive feature of the latter is some additional data – the chronology since the Creation, the personages and episodes of the sacred history borrowed from Chronographs of John Malalah, George Hamartolos and Jewish War by Josephus, all these were translated into Church Slavonic in the 10th-13th centuries. As distinct from Europe of the 12th-14th centuries, where universities made necessary copying and reading the Bible (Vulgate), the existence of Exegetical and Chronographic Paleas resulted in abandoning the continuous Bible texts altogether. There were no copyists to work for the book market in the Old Rus’ and no book market either. The first Russian cloisters arose very soon after the Conversion of Rus’, but it was not until the 14th century that monasteries of cenobitic rule came into existence. These had library stacks and became the first institutions where reading and writing was practiced. About 150 Biblical MSS of continuous text are dated by the 15th and 16th centuries. In this period the Song of Songs and Esther were translated from Hebrew into Church Slavonic for synagogue use, as well as a set of Ketuvim books; this followed the migration of the Ashkenazic Jews from Germany in the Eastern direction. At the end of the 15th century Gennady, the archbishop of Novgorod, made attempt to print the Bible in the Church Slavonic language. Novgorod had the best collections of Church Slavonic MSS and an educated staff of copyists at the Archbishop’s scriptorium. Three editions of the printed Latin Bible were used as a pattern: one of Johann Amerbach (Basel, 1479) and two of Anton Koberger (Biblia cum postillis Nicolai de Lyra. Nürnberg, 1485 and 1487) 3. The list of books and their sequence is the

2. 3.

Smalley: The Study of the Bible in the Middle Ages. University of Notre Dame Press, 1964. Romodanoskaja: The Russian Bible codex of the 15th century, 632-642.

655

gtvh 08105 / p. 656 / 31.3.2022

Die Septuaginta in den orthodoxen Kirchen

same as in the Latin volumes. The books known in Novgorod in their exegetical version (Song of Songs and Later Prophets) were made free of commentaries, probably, not very carefully. The books missing in Church Slavonic were translated anew, viz. 1-2 Chronicles (Paralipomenon) with the Prayer of Manasseh, 1-3 Esdras, Nehemiah, Tobit, Judith, Wisdom of Solomon, 1-2 Maccabean, Esther chapters 10-16 (chapters 1-9 having been translated earlier from Hebrew) and Jeremiah, chapters 1-25, 45-51 (lost in the whole manuscript tradition). Jerome’s prologues to some of the books were also translated, while the whole text, including the New Testament, was divided into chapters according to the Latin use. It was the time of cultural isolation of the Moscovite Rus’. Contacts with Europe were maintained by Novgorod only with the help of LatinRussian translators. However, the Latin books for the Gennadian Bible were translated by a stranger – a Dominican Benjamen, Croat by origin. After the name of the archbishop this manuscript codex is known as the Gennadian Bible. In the Russian scholarship of the 19th century the Gennadian Bible was treated as a sign of confessional triumph of Catholicism over Orthodoxy. It was an anachronistic view. The Paris Vulgate was the only Bible till the end of the 15th century and only common-Christian Bible in opposite to printed at that period Hebrew one and vernacular translations into German, French, Spanish, Czech, Italian. For all of them the Latin Bible served as a pattern. The expected printed publication was not accomplished for an unknown cause. Indeed, the book industry as well as the book trade were entirely strange to the country and could be treated as unwanted and even peccant. The first book publisher, Ivan Fedorov (1520-1583), who effectively began his work in Moscow in 1565, met insurmountable obstacles and left the country for liberal Poland. And there he was to bring the Novgorodian project to a close. By the end of the 1570th in the town of Ostrog (now Ostrih in Ukraine) an Academy was established with the aim of printing the Church Slavonic Bible; it was a foundation, similar to the Trilingual College (collegium trilinguae) of San Idelfonso, where Biblia Complutensis was published some decades earlier. The efforts to collect required Church Slavonic Bible MSS were successful only in part, however, the editors did well out of getting a copy of the Gennadian Bible from Novgorod through diplomatic channels. For this once, they had a copy of Greek Biblia Aldina (Venice, 1518), and two educated Greeks took part in the project: Eustathius Nathaniel († before 1583) and Dionisius Rhalles Palaeologus (later metropolitan of Suchava and Moldova, † after 1617). However, the work was limited to a rather perfunctory revision of both parts of the Novgorodian collection – one translated from Greek in ancient times and another translated from Latin some decades earlier. A new translation of Esther from Greek prepared earlier in Moscow by the well-known Greek erudite Maximus Triboles (1470-1555) supplanted the previous version translated from Hebrew and Latin. Besides, 3 Maccabean was added in translation from Greek with some Czech linguistic features being taken after the Bible (Prague, 1459) of the Czech humanist Jiří Melantrich (1511-1580). The slipshod manner of editing work is accounted for by the lack of experience in this new for the East Slavdom task of reconstructing textual archetype, as well as the absence of a clear understanding of the nature of the different textual layers of the Novgorod miscellany. In the preface to the Bible it is stated that the Novgorodian Bible corpus was homogeneous and composed ‘under the Prince Vladimir’ at the time of the Conversion of Rus’. 656

gtvh 08105 / p. 657 / 31.3.2022

The Septuagint in Russia

However, the Ostrog Bible was a product of a different epoch as compared to the Gennadian Bible. In the interval between the two Bibles, Luther’s ‘Biblia Deutsch’ (1534, 1545) was published based on the Old Testament section of the Hebrew Masoretic Text. The revolt against the Church authority and the heritage of the Fathers (Biblia Patristica) called into being the canonization of Vulgate by the Council of Trent in 1546. The Roman Catholic Church realized that it was an error to ignore the importance of printing for a whole century. In its turn, the Orthodoxy was busy with selfdetermination after the failure of the Florentine Union of 1349 and readily acknowledged the authority of Septuagint as a suitable means. The new situation is reflected in the preface to the Ostrog Bible and even in the title itself: « The Bible, that is the Books of Old and New Testaments in the Church Slavonic Language, with utmost care and diligence with God’s help following the version translated from Hebrew into the Hellenic Language by 72 godly wise metaphrasts, according to the will and desire of Ptolemy Philadelphus, the king of Egypt, in the 350th year before our Lord God and the Savior Jesus Crist’s Incarnation, accomplished in the year 1581 of our Lord God Jesus Christ’ Incarnation ». Thus, for the first time in the history of Russian Orthodoxy the dogmatization of Septuagint took place through the appeal to Aristeas’ letter, while Christianity lost at that historic moment an only and unifying Bible 4. The title of the Ostrog volume describes not the result of the enterprise but the editors’ intentions to produce a monoconfessional Bible edition. Since all the printed publications of Old Testament had been produced by that moment by non-Orthodox editors, the Ostrog Bible became the first Orthodox edition of the Bible. Then and during the entire 17th century Protestantism was treated as a heresy that did not support the Masoretic Text’ authority but contributed to exaltation of both versions – Greek Septuagint and Latin Vulgate 5. The Ostrog Bible was printed in quantity of 1000 to 1500 copies, it is an enormous figure against 150 Old Testament Church Slavonic MSS we have today from that epoch (apart from 4000 Psalters used then for everyday liturgical praxis). The Ostrog Bible was reprinted in Moscow in 1663 (so-called “The Proto-Printed Bible”) in quantity of 2400 copies with the same title and without any textual changes. The short synopses of the Bible books were added to the volume, which means the enterprise also pursued educational goals. The Church Council of 1674 in Moscow ordered a new and careful revision to be made according to the Greek texts only. At that moment, after the unification of Ukraine and Russia in 1651, some learned men, educated in philology and theology, came to Moscow from Kievan academy of Petr Mohila, and in 1687 the Slavonic-Greek-Latin Academy was established here. In its title the first Bible language, 4.

5.

I do not completely agree with Francis Thomson on his appraisal of the Ostrog Bible as “the fruit of oecumenical undertaking” (Thomson: Slavonic Translation, 674). The diversity of sources for establishing the text (recensio) by itself means nothing at the moment of a very rough understanding of the situation and in transition from the epoch of a single Bible to that of Biblical diversity and rivalry. Cyrill Loukaris, patriarch of Alexandria (1602-1621) and Constantinople (1612, 1620-1638) and for two years rector of the Ostrog academy (1594-96), enthusiastically admired The King James Version and therefore presented Codex Alexandrinus to the King. Alongside the Ostrog Bible, KJV combined the both main translations, LXX and Vulgate, and besides follows Masoretic Canon. It was much better than a new schism.

657

gtvh 08105 / p. 658 / 31.3.2022

Die Septuaginta in den orthodoxen Kirchen

Hebrew, was replaced by the national and likewise dead one – Church Slavonic. Over the following decades, scholarly commissions succeeded each other, a new translation of the New Testament into Church Slavonic was produced and passed into oblivion, but revision of the Old Testament made no progress, instead, some treatises with apologia of LXX were produced. Their main idea was that LXX appeared long before Christianity, when the Hebrew text was not corrupted by rabbis who produced the depravity later to leave in the dark Christ’s glory 6. Apologia of LXX was accompanied by that of the Church Slavonic language and disapproval of any Bible translations into vernaculars. In 1746 in Moscow two more scholars came from Kiev – Varlaamy Laschevsky and Gedeon Slonimsky who in five years produced a new accurate edition of the whole Church Slavonic Bible. It was printed in 1751 and is known as The Elisazabethan Bible after the name of the Empress of that time. Parts of the Bible text used in liturgy entered the Bible with no or minimal editorial changes. It made permissible to appraise the whole as a literary monument and national legacy. However, this triumph of Septuagint was not irreversible and not even long. In the middle of the 18th century the Russian vernacular assumed all the functions of the national standard language, and at the beginning of the 19th century some of the Church leaders were to support a new translation of the Bible into Russian. It took five decades to prepare the so-called Synodal Bible in Modern Russian, where the Old Testament is translated from Hebrew. It became evident that lexical semantics of Septuagint could not be treated as comprehensive and self-sufficing. However, in a few cases LXX leaves its marks on the modern Russian translation through the archaic Church Slavonic counterpart. Thus, in Gen 1.6 Hebrew raqia (‫‘ )רקיע‬arch’ is rendered by Church Slavonic that corresponds to Greek στερέωμα and Lat. firmamentum; the same in Dan 12.3 and Ps 19.2. Meanwhile, in Ezek 1.22 raqia is rendered by Russian svod, and this breaks the sophiological ties between the sky chariot (merkabah) and the Creation 7. When we want to hear and perceive the word of God we are to read Hebrew.

6. 7.

Сменцовский М. Братья Лихуды. СПб., 1899 (= M. Smencovskij. Bratja Lichudy. St. Petersburg, 1899). Some dictionaries distribute these two cases between two meanings, which is quite needless (see Odell: Ezekiel, 29) and hard to justify.

658

gtvh 08105 / p. 659 / 31.3.2022

3.6 The Septuagint in Pagan Greek Texts John Granger Cook Literature Texts and Editions Holladay, Carl R. (ed.): Fragments from Hellenistic Jewish Authors. Volume I. Historians, SBLTT 20, Pseudepigrapha Series 10, Chico 1983. Cyrillus Alex.: Gegen Julian: Teil 1: Buch 1-5, ed. Christoph Riedweg, introd. Christoph Riedweg and Wolfram Kinzig, GCS NF 20, Berlin 2016; Teil 2: Buch 6-10 und Fragmente, ed. Wolfram Kinzig / Thomas Brüggemann / Hubert Kaufhold, GCS NF 21, Berlin 2017 – Julianus Imperator: Giuliano Imperator: Contra Galilaeos. Introduzione, testo critico e traduzione, ed. and trans. Emanuela Masaracchia, Testi e Commenti 9, Roma 1990 – The Works of the Emperor Julian, ed. and trans. W. Cave Wright, 3 vols., LCL, London/New York, 1913-23 – Jerome: Commentariorum in Hiezechielem Libri 14, cura et studio François Glorie, CC.SL 75, Turnhout 1964 – Macarios de Magnésie: Le Monogénès: Édition critique et traduction française, Tome I Introduction générale. Tome II Édition critique, traduction et commentaire, ed. and trans. Richard Goulet, Textes et traditions 7, Paris 2003 – Μιχαὴλ τοῦ Γλυκᾶ: Εἰς τὰς ἀπορίας τῆς Θείας Γραφῆς κεφάλαια, t. II, ed. Sophronios Eustratiades, Alexandria 1912 – Numenius: Fragments, ed. and trans. Édouard des Places, CUFr, Paris 1973 – Ocellus Lucanus, ed. Richard Harder, Neue philologische Untersuchungen 1, Berlin 1926 – Origenes: Contra Celsum, ed. Marcel Borret, 5 vols., SC 132, 136, 147, 150, 227, Paris 1967-76 – Porphyrius: L’antre des nymphes dans l’Odyssée, ed. Tiziano Dorandi et al., Paris 2019 – Porphyrius: ‘Gegen die Christen’, 15 Bücher. Zeugnisse, Fragmente und Referate, APAW.PH 1, ed. Adolf von Harnack, Berlin 1916 – Porphyrios: Contra Christianos: Neue Sammlung der Fragmente, Testimonien und Dubia mit Einleitung, Übersetzung und Anmerkungen, ed. Matthias Becker, Berlin 2016.

Secondary Literature Cook, John Granger: The Interpretation of the New Testament in Greco-Roman Paganism, STAC 3, Tübingen 2000 – Cook, John Granger: The Interpretation of the Old Testament in Greco Roman Paganism, STAC 23, Tübingen 2005 – Giancarlo Rinaldi, Biblia Gentium: A First Contribution Towards an Index of Biblical Quotations, References and Allusions Made by Greek and Latin Heathen Writers of the Roman Imperial Times, Roma 1989.

References to the LXX in pagan authors who wrote before the rise of Christianity are quite sparse. 1 Ocellus Lucanus (II B.C.E.) in his On the Nature of the Universe discusses the purpose of human sexuality and notes that it is necessary that “most of the earth’s area be filled.” 2 This may be a reference to Gen 1:28 (Αὐξάνεσθε καὶ πληθύνεσθε καὶ πληρώσατε τὴν γῆν) “be fruitful and multiply and fill the earth.” Alexander Polyhistor (ca 105-35 B.C.E.) probably knew at least a few LXX passages. His work On the Jews preserves fragments of a number of Hellenistic Jewish authors. Demetrius the 1. 2.

Cf. Cook: Old Testament, 1-54. τὸν πλείονα τῆς γῆς τόπον πληροῦσθαι (Ocellus Lucanus: De universi natura 4.4, Harder, 22).

659

gtvh 08105 / p. 660 / 31.3.2022

The Septuagint in Pagan Greek Texts

Chronographer (end of III B.C.E.), for example, was one of the Greek-writing Jewish authors evaluated by Polyhistor: “with respect to his slaying of the Egyptian and his disagreement with the informant about the dead man (Exod 2:11-14), Demetrius’s account agrees with that of the writer of the Sacred Book (Δημήτριος δὲ περὶ τῆς ἀναιρέσεως τοῦ Αἰγυπτίου καὶ τῆς διαφορᾶς τῆς πρὸς τὸν μηνύσαντα τὸν τελευτήσαντα ὁμοίως τῷ τὴν ἱερὰν βίβλον γράψαντι ἱστόρησε· ). 3 Polyhistor would not have been able to evaluate the accuracy of Demetrius’s tradition if he had not had access to a LXX in Rome, probably through contact with the Jewish community there. Nicolaus of Damascus (ca 64 B.C.E. to I C.E.), the friend of Herod, knew of the LXX and was aware of some of the traditions in it. He mentions a man transported in an ark during the flood who might be the same individual about whom “Moses the legislator of the Jews wrote”. 4 Because of his relationship with Herod, it is not difficult to believe that Nicolaus had access to a LXX. Ps. Longinus, who probably lived in I C.E., quotes Gen 1:3 and Gen 1:9-10: God said — what? “Let there be light. And there was. Let there be earth. And there was.” 5 He identified the text as that of the lawmaker of the Jews (ὁ τῶν Ἰουδαίων θεσμοθέτης) who wrote the text quoted above “in the beginning of the laws” (ἐν τῇ εἰσβολῇ γράψας τῶν νόμων). The anonymous author is probably a Hellene who was interested in Judaism, and he clearly was aware of the LXX. The existent evidence does not permit one to conclude that the Jews forbade their Gentile neighbors to read the LXX, but it also does not encourage one to believe that there was a great deal of encounter with the LXX on the part of pagan intellectuals before the rise of Christianity. There are occasional texts such as Philo’s comment about an annual feast and festival on Pharos where Jews and a multitude of others (παμπληθεῖς ἕτεροι) come to celebrate the LXX (Mos. 2.41). It is curious that these “multitudes” left little record of their response to the LXX, and it is perhaps somewhat ironic that there is no existent evidence that any pagan author ever read any of Philo’s voluminous writings. The situation with regard to the LXX in pagan texts changes with the advent of Christianity. One of the first pagan Greek authors to write extensively against Christianity was the middle Platonist Celsus who probably wrote his Ἀληθὴς λόγος (True Discourse) during the imperium of Marcus Aurelius. He knew Genesis well along with other traditions in the LXX. There may be a hint of a particular textual tradition in the LXX that Celsus used. In an argument against the uniqueness of Jesus, in which Celsus compares him to angels, Celsus mentions Enoch’s tradition (1 Enoch 6-10, 67-69) of seventy angels that were punished for their evil and whose tears cause hot springs. 6 Celsus assumes Jesus was an angel. He continues by enumerating other angels in the LXX and NT. Consequently if Christians assume that Jesus is unique, then they contradict themselves. Origen accuses Celsus of not noticing Gen 6:2 (C. Cels. 5.55) and its 3. 4. 5. 6.

Eusebius: P.E. 9.29.1, GCS 43/1, 528, trans. of Holladay (ed.), Fragments from Hellenistic Jewish Authors 1.74,7-10. ὅντινα καὶ Μωυσῆς ἀνέγραψεν ὁ Ἰουδαίων νομοθέτης (Josephus, A. J. 95-96). “εἶπεν ὁ Θεός”, φησί, — τί; “γενέσθω φῶς, καὶ ἐγένετο· γενέσθω γῆ, καὶ ἐγένετο” (De sublimitate 9.10). Cf. Rinaldi: Biblia Gentium, 199-200. Origen, Cels. 5.52, SC 147 (vol. 3), 146; 1 Enoch 67:11 (although the hot springs are to punish the angels and are not their tears).

660

gtvh 08105 / p. 661 / 31.3.2022

The Septuagint in Pagan Greek Texts

statement that the “sons of God saw that the daughters of men were beautiful” (ἰδόντες δὲ οἱ υἱοὶ τοῦ θεοῦ τὰς θυγατέρας τῶν ἀνθρώπων ὅτι καλαί εἰσιν). He also notes that Celsus has somehow heard about the tradition in Enoch of the sixty of seventy angels 7 punished under the earth in chains and quotes from it concerning the hot springs. Celsus probably had a LXX, however, that read (Gen 6:2) οἵ ἄγγελοι τοῦ θεοῦ (the angels of God), a reading attested in A 8, E 9 and eight minuscules. 10 Otherwise it is curious why he would appeal to a book as obscure as 1 Enoch in his critique of traditions from the LXX and NT. The majority of MSS have the reading “angels of God,” although the modern editions do not adopt it for Gen 6:2. Celsus only quotes the LXX one time in the texts preserved by Origen: 11 By far the most stupid thing is to divide the creation of the world into several days, before there were days; for heaven was not yet made, nor was the earth yet made firm, nor was the sun being revolved around it — how could days exist? [For how do these words differ from:] Again referring to the matter discussed above let us examine how it would not be absurd for the first and greatest God to command, “let this be, and this other, or that,” and to make just so much on the first day, and again on the second day something more, and on the third and fourth and fifth and sixth [Gen 1:3-31]? Μακρῷ δ’ εὐηθέστερον τὸ καὶ ἡμέρας τινὰς ἐπιδιανεῖμαι τῇ κοσμογονίᾳ, πρὶν εἶναι ἡμέρας· οὐρανοῦ γὰρ οὔπω γεγονότος οὐδὲ γῆς πω ἐρηρεισμένης οὐδ’ ἡλίου πω τῇδε φερομένου, πῶς ἡμέραι ἦσαν; Τί γὰρ διαφέρει ταῦτα τοῦ Ἔτι δ’ ἄνωθεν λαβόντες ἐπισκεψώμεθα, πῶς οὐκ ἂν ἄτοπος εἴη θεὸς ὁ πρῶτος καὶ ὁ μέγιστος κελεύων· γενέσθω τόδε καὶ ἕτερον τόδε ἢ τόδε, καὶ μιᾷ μὲν ἡμέρᾳ τοσόνδε τεκταινόμενος τῇ δευτέρᾳ δ’ αὖθις τοσῷδε πλέον καὶ τρίτῃ καὶ τετάρτῃ καὶ πέμπτῃ καὶ ἕκτῃ;

Instead of Celsus’s γενέσθω the LXX has Γενηθήτω. The entire narrative of creation in Gen 1 is simply absurd for Celsus. His is a philosophical critique of the text of Genesis. This text provides an example of the sort of objections Celsus had to the LXX — asking the writers questions based on philosophical arguments. It also indicates that Celsus had done some fairly close reading of the LXX. Celsus believed the universe was uncreated and indestructible (C. Cels. 4.79), 12 and this informs his critique of Genesis. He takes a different tack in his argument against the flood narrative, “Then — counterfeiting and making a fraud of the story of Deukalion — they speak of some flood (κατακλυσμόν [Gen 6:17]) and a strange ark (κιβωτόν [Gen 6:14]) holding all things inside of it with a dove (περιστεράν [Gen 8:8]) and a crow as messengers (Gen 8:7-8). For I do not think that they believed that these things would come to light, but simply told the myths to little babes.” 13 Celsus apparently believed that a “demytholo7. 1 Enoch 89:59 (“seventy” is the number of the heavenly shepherds, not fallen angels; in 6:5 the number of rebellious heavenly watchers is 200), Origen: Cels. 5.54-55, SC 147 (vol. 3), 150-154. 8. Codex Alexandrinus, V C.E. 9. Codex Bodleianus, IX-X C.E., part of MS 509. 10. 72, 56*, 75, 55*, 121, 458*, 71*(vid), 392* (all from X C.E. or later). 11. Origen: Cels. 6.60, SC 147 (vol. 3), 326-328, trans. from Cook: Old Testament, 66. Cf. Rinaldi: Biblia Gentium, 192-193. 12. Origen: Cels. 4.79, SC 136 (vol. 2), 382. 13. Origen: C.Cels. 4.41, SC 136 (vol. 2), 290; trans. of Cook: Old Testament, 92 f.

661

gtvh 08105 / p. 662 / 31.3.2022

The Septuagint in Pagan Greek Texts

gized” version of the flood story was that told by authors in Greek tradition (i. e., Deukalion). This is a more literary objection than philosophical, since he accepts (at least for the sake of argument) the story of Deukalion. He uses the words of Genesis itself to ridicule the account. Celsus seems to have compared the flood to “the casting down of the tower” (πύργον [Gen 11:5]). Origen notes: “[And he thinks that] Moses, who wrote down the matters concerning the tower [and the confusion of languages] counterfeits the things told about the Aloeids and wrote them concerning the tower (πύργου).” 14 Celsus does use Genesis’ word for “tower,” although in the narrative they cease building the tower, and it is not cast down. As with the flood story, Celsus believes that Moses has counterfeited an account already found in a purer form in Greek culture (that of the Aloeids). Celsus seems to have read at least part of Jonah. He denigrates the passion of Jesus in relation to that of other individuals from Greek tradition who suffered while at the same time offering words of wisdom. “Jonah beside the gourd (κολοκύντῃ Jonah 4:6), or Daniel delivered from the beasts (Dan 6:16-23), or others with even more amazing actions would have been more suitable for you than Jesus.” 15 The word for “gourd” is so close to that of the LXX (κολοκύνθῃ [“gourd”]) that it is apparent he at least knew that text. In conclusion, Celsus is unimpressed by the LXX both from a philosophical and cultural perspective. Greek philosophy and narratives (such as Deukalion) offer a better alternative to Celsus, the Roman conservative. The ablest critic of Christianity and the LXX in antiquity was Porphyry (III C.E.). His fifteen-volume Contra Christianos only survives in fragments, testimonies, and allusions in Greek, Latin, and Syriac. Although he had sympathies for Judaism and respected the God of the Jews in various other compositions (such as De antro nympharum), he attacked Christianity vigorously in the Contra Christianos and included many arguments against LXX texts. In De antro 10 16, for example, he quotes a text of Numenius to support his view of souls “that descend into generation” (τὰς εἰς γένεσιν κατιούσας ψυχάς): “For they [the ancients] believed that the souls stayed on water that divine breath animates, as Numenius says; therefore he adds, the prophet said ‘the breath of God hovered over the waters’” (ἡγοῦντο γὰρ προσιζάνειν τῷ ὕδατι τὰς ψυχὰς θεοπνόῳ ὄντι, ὡς φησὶν ὁ Νουμήνιος, διὰ τοῦτο λέγων καὶ τὸν προφήτην εἰρηκέναι ἐμφέρεσθαι ἐπάνω τοῦ ὕδατος θεοῦ πνεῦμα [Gen 1:2]). Since the context of this work is not an attack on Christianity, Porphyry willingly admires a text of “the prophet”. 17 In the Contra Christianos he expresses no admiration of the LXX. He argued, for example, that Daniel was a forgery from the Maccabean era in the twelfth book of the C.Chr. But we must also know that among other things Porphyry proposes this argument against us in opposition to the books of Daniel, that it is evident that it was fabricated and not to be regarded as one of the Hebrews’ books, but instead is an invention in the Greek language; because in the legend of Susanna, one finds, when Daniel is speaking to 14. Origen: C.Cels. 4.21, SC 136 (vol. 2), 232; Cook: Old Testament, 100. 15. Origen: C.Cels. 7.53, SC 150 (vol. 4), 140; Cook: Old Testament, 138. 16. Porphyre: L’antre des nymphes, 10,155-57 = Numenius frag. 30, ed. des Places, 81 (trans. done with reference to des Places). cf. Rinaldi, Biblia Gentium, 197 and Cook: Old Testament, 167168. 17. cf. Cook: Old Testament, 127-128.

662

gtvh 08105 / p. 663 / 31.3.2022

The Septuagint in Pagan Greek Texts

the elders: ‘from the mastich [schinou] God will split [schisei] you and from the evergreen oak [prinou] God will saw [prisei] you’ – an etymology (or “word play”) that is more appropriate to the Greek language than the Hebrew. Sed et hoc nosse debemus inter cetera Porphyrium in Danielis nobis libros obicere, idcirco illum apparere confictum nec haberi apud Hebraeos sed graeci sermonis esse commentum, quia in Susannae fabula contineatur, dicente Daniele ad presbyteros: ἀπὸ τοῦ σχίνου σχίσει σε ὁ Θεός, καὶ ἀπὸ τοῦ πρίνου πρίσει σε, quam ἐτυμολογίαν magis graeco sermoni conuenire quam hebraeo. 18

Jerome probably knew Porphyry only through the replies made to the Contra Christianos by Apollinarius, Methodius, and Eusebius. 19 Assuming that the Greek text above is from Porphyry himself, it is fairly clear in this case that he was using Theodotion’s tradition (Susanna 55, 59 θ), since Susanna 59 in the Old Greek version has καταπρίσῃ (“saw asunder”) while Theodotion in the same verse has πρίσαι (saw). Glorie’s apparatus ad loc., however, indicates that the Latin scribes had extreme difficulty with the Greek text. Although one cannot argue that Porphyry knew Hebrew, he could clearly see that the pun worked in Greek. He raised an issue, however, that it is still subject to debate among commentators. 20 A text from Severian of Gabala probably ultimately derives from Porphyry’s objection to the Genesis narrative of the Garden of Eden: Many say, and particularly those who follow the God-hated Porphyry who wrote Against the Christians and who drew many away from the divine dogma. They say accordingly: Why did God forbid the knowledge of good and evil? Let it be the case that he forbade the evil. Why then also the good? For when he said, “From the tree of the knowledge of good and evil you shall not eat” he says that he keeps him from the knowledge of evil; why then also the good? (Malice always works against itself and provides holds against itself). Λέγουσι πολλοὶ καὶ μάλιστα οἱ τῷ θεοστυγεῖ Πορφυρίῳ ἀκουλουθήσαντες τῷ κατὰ Χριστιανῶν συγγράψαντι καὶ τοῦ θείου δόγματος πολλοὺς ἀποστήσαντι· λέγουσι τοίνυν· Διὰ τί ὁ θεὸς ἀπηγόρευσε τὴν γνῶσιν τοῦ καλοῦ καὶ πονηροῦ; ἔστω, τὸ πονηρὸν ἀπηγόρευσε· διὰ τί καὶ τὸ καλόν; εἰπὼν γάρ· « Ἀπὸ τοῦ ξύλου τοῦ εἰδέναι καλὸν καὶ πονηρὸν μὴ φάγητε », κωλύει, φησίν, αὐτὸν τοῦ εἰδέναι τὸ κακόν· διὰ τί καὶ τὸ ἀγαθόν [cp. Gen 2:9, 17]; (ἀεὶ ἡ κακία καθ’ ἑαυτῆς τεχνάζεται καὶ τὰς λαβὰς καθ’ ἑαυτῆς δίδωσιν). 21

The text in parentheses may be from Severian or from Porphyry and those who followed him. It is not fully clear that these are Porphyry’s ipsissima verba, but another text from Michael Glycas (XII C.E.) confirms the assumption that Porphyry attacked

18. Jerome: In Dan., prol., CC.SL 75a, 773,45-51 = Porphyry, 14T, TUK 52, 204. Cp. the trans. of Rinaldi: Biblia Gentium, 397-98. 19. cf. Cook: Old Testament, 196-197. 20. Cook: Old Testament, 200-201. 21. Severianus, De mundi creatione orat. 6, PG 56, 487 = Porphyrius ‘Gegen die Christen’, ed. von Harnack, frag. 42 = Porphyrios 47F, TUK 52, 304; cp. similar objections in Julian, C. Gal. frag. 16, ed. Masaracchia = Cyril, Contra Iul. 3.23, GCS NF 20, 195,1-6.

663

gtvh 08105 / p. 664 / 31.3.2022

The Septuagint in Pagan Greek Texts

the narrative. 22 Porphyry combined historical acumen (Daniel) and philosophical argumentation to mount a full scale attack against the LXX in his C.Chr., almost certainly because he knew that it was one of the primary foundations of Christianity. The emperors responded by twice ordering that it be burned. 23 The emperor Julian was a Christian who experienced a conversion to paganism of sorts. In the winter of 362/363 he composed his Contra Galilaeos, which survives for the most part in the response of Cyril of Alexandria composed between 416 and 428. 24 He admired the traditional nature of Judaism with its sacrificial practices and quoted Gen 15:1-6 with slight alterations to prove that “Abraham used to sacrifice as we do,” 25 but found absurdities in many LXX narratives and was disturbed with the interpretive trajectory of the LXX in Christianity. He refers to Moses some fifty three times in his works 26, but does not consider him to be a prophet but a teacher (or philosopher) to be refuted. After mentioning Greek myths such as Kronos swallowing his own children and Zeus’s intercourse with his mother, Julian attacks the Eden narrative: Compare with them [the Greek myths] the Jewish doctrine, how the garden was planted by God and Adam was fashioned by Him, and next, for Adam, how woman came to be. For God said, “It is not good that the man should be alone. Let us make him a help meet like him” (Gen 2:18). Yet so far was she from helping him at all that she deceived him, and was in part the cause of his and her own fall from their life of ease in the garden. These are wholly mythical. For is it probable that God did not know that the being he was creating as a help meet would prove to be not so much a blessing as a misfortune to him who received her? τούτοις παράβαλλε τὴν Ἰουδαϊκὴν διδασκαλίαν καὶ τὸν φυτευόμενον ὑπὸ τοῦ θεοῦ παράδεισον καὶ τὸν ὑπ’ αὐτοῦ πλαττόμενον Ἀδὰμ, εἶτα τὴν γινομένην αὐτῷ γυναῖκα. λέγει γὰρ ὁ θεός « οὐ καλὸν εἶναι τὸν ἄνθρωπον μόνον· ποιήσωμεν αὐτῷ βοηθὸν κατ’ αὐτὸν », πρὸς οὐδὲν μὲν αὐτῷ τῶν ὅλων βοηθήσασαν, ἐξαπατήσασαν δὲ καὶ γενομένην παραίτιον αὐτῷ τε ἐκείνῳ καὶ ἑαυτῇ τοῦ πεσεῖν ἔξω τῆς τοῦ παραδείσου τρυφῆς. ταῦτα γάρ ἐστι μυθώδη παντελῶς. ἐπεὶ πῶς εὔλογον ἀγνοεῖν τὸν θεὸν, ὅτι τὸ γινόμενον ὑπ’ αὐτοῦ πρὸς βοήθειαν οὐ πρὸς καλοῦ μᾶλλον, ἀλλὰ πρὸς κακοῦ τῷ λαβόντι γενήσεται; 27

Although Julian was tolerant of Hellenistic culture, he found the “myths” of the LXX to be fully objectionable. He confines his critique primarily to the Pentateuch, but also attacked the LXX (or the NT using LXX texts) by reference to passages such as 4 Ezra

22. Michel Glycas: Quaestiones in sacram scripturam, chap. 45, Eustratiades, 27,5-14 = Porphyrios 48T, TUK 52, 310. 23. Cook: New Testament, 125. 24. Riedweg/Kinzig, Kyrill, 1.lxviii, cxv. On the conversion, cf. Cook, Old Testament, 249, Cook, New Testament, 277-284. 25. ἔθυε μὲν γὰρ Ἁβραὰμ, ὥσπερ καὶ ἡμεῖς; C. Gal. frag. 87, Masaracchia, 182,1-183,21 = Cyril, Contra Iul. 10.37, GCS NF 21, 735,4-736,25. 26. Cook: Old Testament, 249. 27. Julian: C. Gal. frag. 13, Masaracchia 101,5-102,14 = Cyril, C. Jul. 3.1, GCS NF 20, 164,15-165,24 = The Works of the Emperor Julian, ed. and trans. W. Cave Wright, 3.324. cf. Rinaldi, Biblia Gentium, 213-214, Cook: Old Testament, 259-260.

664

gtvh 08105 / p. 665 / 31.3.2022

The Septuagint in Pagan Greek Texts

14:21-26 28, Isaiah 7:14 29, and Hosea 11:1. 30 In conclusion, Julian was a fierce critic of Christianity and its use of the LXX. Macarius Magnes who probably lived in Asia in the late fourth century composed a fictional dialogue with an anonymous philosopher that comprises many objections to the NT, most of which were probably drawn from Porphyry’s arguments. 31 In one text the philosopher quotes Matt 11:25 and then Deut 29,29[28], which he thinks contradicts Jesus’ teaching: Therefore the things that are written for infants and the unintelligent ought to be clearer and not enigmatic. For if the mysteries have been hidden from the wise and irrationally poured out to infants and those that are being breastfed, it is better to aspire for irrationality and ignorance, and this is the great success of the wisdom of Him who came among us, to hide the rays of knowledge from the wise, and to reveal them to fools and newborns. σαφέστερα οὖν δεῖ εἶναι καὶ οὐκ αἰνιγματώδη τὰ τοῖς νηπίοις καὶ ἀσυνέτοις γραφόμενα· εἰ γὰρ ἀπὸ τῶν σοφῶν κέκρυπται τὰ μυστήρια, νηπίοις δὲ καὶ θηλαζομένοις ἀλόγως ἐκκέχυται, βέλτιον τὴν ἀλογίαν ζηλοῦν καὶ τὴν ἀμαθίαν· καὶ τοῦτο τῆς σοφίας τοῦ ἐπιδημήσαντος τὸ μέγα κατόρθωμα, κρύψαι μὲν τῶν σοφῶν τὴν ἀκτῖνα τῆς γνώσεως, ἄφροσι δὲ ταύτην ἐκκαλύψαι καὶ βρέφεσιν. 32

The philosopher does not make as much use of the LXX as Julian, but this example is typical of his ability to “find” contradictions in scripture. This brief survey illustrates the pagans’ diverse responses to the LXX. Some appear to have been positive (e. g., Alexander Polyhistor, Ps. Longinus, Numenius, Porphyry in writings other than the Contra Christianos, occasionally Julian). Others were almost overwhelmingly negative (Celsus, Porphyry in the Contra Christianos, Julian in most cases, Macarius’s anonymous philosopher). Platonist philosophers such as Porphyry and Julian tended to admire the traditional nature of Judaism but were highly critical of Christianity as a new religion and of its use of the LXX, and this presumably influenced their judgements of LXX texts.

28. 29. 30. 31. 32.

Cyril, C. Jul. 5.23, GCS NF 374,8-375,13 = Julian, C. Gal. frag. 34, Masaracchia, 130,1-5. Julian: C. Gal. frag. 64, Masaracchia, 160,29-43 = Cyril, C. Jul. 8.16, GCS NF 21 551,9-552.24. Julian: C. Gal. frag. 101, Masaracchia, 189,1-6; on all, cf. Cook: Old Testament, 319-327. Macarios de Magnésie : Le Monogénès, ed. and trans. Goulet 1.112-149. Mac.: Monog. 4.9 (2.250,14-23 Goulet).

665

gtvh 08105 / p. 666 / 31.3.2022

gtvh 08105 / p. 667 / 31.3.2022

Die Autorinnen und Autoren Alexeev, Anatoly A. Ameling, Walter Auwers, Jean-Marie Avioz, Michael Bachmann, Michael Bellantuono, Antonella Bittner, Elisabeth Blischke, Mareike

St. Petersburg University Universität zu Köln Université catholique de Louvain Bar-Ilan University, Ramat Gan Universität Siegen Université de Strasbourg Goethe-Universität Frankfurt am Main Pfarrerin im Pfarrbereich Berga-Kelbra, Ev. Kirchenkreis Eisleben-Sömmerda Bons, Eberhard Université de Strasbourg Bracht, Katharina Friedrich-Schiller-Universität Jena Brucker, Ralph Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Buffa, Cristina Université de Strasbourg Collinet, Benedikt Josef Universität Innsbruck Cook, John Granger LaGrange College De Lange, Nicholas University of Cambridge Docherty, Susan Newman University Birmingham Dochhorn, Jan University of Durham Dogniez, Cécile Centre National de la Recherche Scientifique, Paris Draper, Jonathan A. University of KwaZulu-Natal, Durban Eberhart, Christian A. University of Houston Ego, Beate Ruhr-Universität Bochum Gounelle, Rémi Université de Strasbourg Guinot, Jean-Noël Centre National de la Recherche Scientifique, Paris / Institut des Sources Chrétiennes, Lyon Henten, Jan Willem van Universiteit van Amsterdam Karrer, Martin Kirchliche Hochschule Wuppertal Konkel, Michael Theologische Fakultät Paderborn Kooij, Arie van der Universiteit Leiden Kraus, Wolfgang Universität des Saarlandes Labahn, Michael Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Leonhardt-Balzer, Jutta University of Aberdeen / Pfarrerin im Kooperationsraum Wiesbaden West Lustig, Christian Universität des Saarlandes Mambelli, Anna Université de Strasbourg Meer, Michaël N. van der Hermann Wesselink College, Amstelveen / Leiden University Graduate School of Teaching Meiser, Martin Universität des Saarlandes Metzler, Karin Humboldt-Universität zu Berlin Moyise, Steve St. Hild College Müller, Mogens Københavns Universitet Nikolakopoulos, Konstantin Ludwig-Maximilians-Universität München 667

gtvh 08105 / p. 668 / 31.3.2022

Die Autorinnen und Autoren

Olariu, Daniel Peintner, Stefanie Presley, Stephen O. Risch, Franz Xaver Schulz-Flügel, Eva Scialabba, Daniela Segal, Michael Skeb, Matthias Spottorno, Maria Victoria Steyn, Gert J. Ueberschaer, Frank Vahrenhorst, Martin Vinel, Françoise Wacker, Marie-Theres Wilk, Florian Witte, Markus Zurawski, Jason M.

668

Hebrew University of Jerusalem Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Wien The Southern Baptist Theological Seminary, Louisville Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften Eberhard Karls Universität Tübingen Pontificio Istituto Biblico, Rom Ben-Gurion University of the Negev Pontificia Università Gregoriana, Rom Consejo Superior de Investigaciones Científicas, Madrid Theologische Hochschule Ewersbach Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Universität des Saarlandes / Schulreferat des Kirchenkreisverbandes an der Saar Université de Strasbourg Westfälische Wilhelms-Universität Münster Georg-August-Universität Göttingen Humboldt-Universität zu Berlin University of Michigan, Ann Arbor

gtvh 08105 / p. 669 / 31.3.2022

Register Stellenregister 1. Septuaginta Genesis 1,1 615 1,2 191-194, 442, 560, 578, 580, 662 1,3-31 661 1,3 660 1,6 658 1,9-10 660 1,26 134, 194 f., 313, 590 1,27 87 1,28 659 2,2 549 2,4 468 2,8 580 2,11 468 2,15 468, 580 2,16 f. 663 2,18 664 2,19.21.23 468 2,21 564 2,24 538 3,1 430 3,5 580 f. 3,14 430, 468 3,16 468 3,20 564 4,1 564 4,25 564 4,26 195 f. 5 580 5,1 561 6-8 661 6,1-4 470-473 6,2 195 f., 470, 661 6,4 56 f., 196 6,14 661 6,17 661 8,20 125 9,20 f. 467 11,5 662 11,9 469 12,7 147 f. 14,19 78

15,1-6 664 24,43 173 f. 25,1–3 432 28,13 159 31,13 147 31,19 104 f. 35,22 438 36,13.17 445 36,33 303, 445 49,4 438 49,10 167-169, 171 f., 578 49,11 521 49,17 468 Exodus 2,1-10 436 2,3.5 436 2,10 436 2,11-14 660 2,15–21 432 2,22 465 f. 2,23 94 3,2 160 3,6 154 3,14 152-154, 197-200, 580 3,20 436 6 159 7,1 203 12,4 468 12,5 136 12,9 f. 600 12,13.15; 12,23 136 12,18 136 12,22 599 12,44 133 13,13; 34,20 133 13,16 134 15,1-21 69 f., 273, 650 f. 15,1 468 15,3 139 15,17 f. 71, 466 16,4.15 522 17,6 120

19,1 94 f. 19,20 f. 150 19,21 143 20,12 453 21,19 134 21,22 134 f. 22,7-9LXX 135 22,26 85 22,27[28] 134, 200-203 23,14–16 600 23,20 331 24,1.3-7 455 24,8-11 144, 158 24,11 153 25,7 148 25,10 590 25,23–30 30 25,29 452 28-29 453 28,15 127, 478 28,29 f. 478 28,30 127 29,22 126 33,12-23 147, 152 33,13 468 33,20 143, 161 f. 34,6 61 34,7 483 37,10-16 30, 452 38,8 545 Leviticus 1,4 137 3,1-17 127 3,2.8.13 137 5,10 127, 478 6,14 128 6,18 f. 128 7,11 f. 125 7,16 128 7,30 127 7,34 127, 468 8,29 128, 468

669

gtvh 08105 / p. 670 / 31.3.2022

Register Lev 9,14 125 11 453 12,4 138 14,54-57 492 15,19 138 16,10 126 17,4a 137 18,6 135 18,21 614 19,4 104 19,18 204 f. 19,23 138 23,19 125 24,15 205 24,16 139, 205 25,10 637, 645 26,11 f. 385 f., 388 26,16-29 118 26,41 578 Numeri 4,26 71 6,12 468 6,22-27 485 13,8.16 329 15,37-41 453 16,22 484 23,8 139 24 206 24,17 169-172 25 101, 206 27,16 484 28,2 126 33,38 94 f. Deuteronomium 1,17 210 1,31 211 4,2 21 4,1-8 453 4,6-8 24 4,12 146 4,19 212 4,24 53 5,16 453 6,4 f. 486 6,4 205 6,5 211 6,8 f. 209, 453 7,18 209, 452

670

8,3 211 8,5 119 8,15 120 8,18 210 10,21 209, 452 11,18.20 209 12,2-5 210 12,22 138 13,4 194 13,7 453 14 453 14,6 209 17,6 540 17,9 492 17,14 f. 168 17,15 517 18,12 491 18,15-19 212 18,22 371 19,10 484 19,15 211, 517, 540 21,10-14 213 21,23 211 f. 22,21 f. 531 22,23-24 174 25,4 540 25,5 135 27 482 27,26 211 28,22.28 483 28,66 211 f. 29 482 29,20[19] 211 29,29[28] 665 30,2-3 210 30,6 138 31,1-3 486 32,1-43 210, 273, 544, 555, 651 32,8 f. 213 32,21 101, 211, 213 32,32 368 32,35 f. 285, 546 32,39 152 32,44 329 33,16 148 Josua 1,15 218 2,18 218 8,22-24 219

22,4 218 24 218 Richter 1,2 139 8,27 220 13,22 143 17,7 220 18,30 220 1. Königtümer [1. Samuel] 1,11 139 2,1-10 651 2,5 259 2,10 221 2,18 221 2,35 f. 221 7,16 221 13,1 222 25,27.29 484 2. Königtümer [2. Samuel] 5,2 332 f. 7,14 119, 387-390, 548 3. Königtümer [1. Könige] 6,1 94, 96 8,22-53 69, 72 8,32 491 11,5.33 223 12,24a-z 223 14,25 343 18,32 614 4. Königtümer [2. Könige] 2,3 615 5,2 615 23 f. 226 23,36 225 24,8 225 24,17 226 25 225 25,27 226 1. Chronik 6,18-23 221 16,22 231 16,23–31 579 17,13 548

gtvh 08105 / p. 671 / 31.3.2022

1. Septuaginta 2. Chronik 5,15 484 11,22 230 26,19 231 26,16-21 568 26,21 230 32,15 231 32,26 232 33,11-24 568 35,19 231 2. Esdras 19,15 522 Esther 2,7 237, 239, 242 2,9 f. 239 2,10 242 2,20 237 2,21 242 3,1-5 242 3,2 242 3,4 237 3,9-12 239 4,1 236, 244, 247 6,1 240, 242, 244 7,8 242 8,11 236 8,13 61 Zus. A 240 f., 245 Zus. A,17 241 Zus. B 239 Zus. C 239-241, 243, 245 Zus. C,7 237, 240, 242 Zus. C,13 240, 243 Zus. C,14 243 Zus. C,28 237, 239, 242 Zus. D 240 f., 243, 246 Zus. D,1-5 243, 246 Zus. D,1 240, 243 Zus. D,6 240 Zus. D,7.15 247, 243 Zus. D,8 244 Zus. E,2-3 238 Zus. E,10-14 238, 241, 244 Zus. F 245 Judith 9,12-14 84 13,18 85

Tobit 2,12-18 252 4,15 251 6,16-22 252 11-15 252 11,10 f. 252 13,16b-17 250 f. 14,6 113 1. Makkabäer 1,54 413 2,64 217 4,24 272 7,16 609 7,17 272 14,41 272 2. Makkabäer 1,10 433 2,4–7 429 6,12-14 120 f. 6,18-7,42 257 6,22 61 7,32-35 120 f. 12,15 217 12,40 101 4. Makkabäer 10,10 f. 122 14,11-17,1 258 15,28; 16,20 260 18,7 260 18,16 286 Psalmen 1,1 607 1,5 635 2 548 2,1 632, 645 2,7 277 3,6 188, 578 8,1 617 8,5-7 277, 547 8,7 538 9,1 617 13[14],1-3 276, 578 15[16],2 642, 646 15[16],8-11 277 16[17],15 146 18[19],2 658

21[22] 502, 541 21[22],2 275, 617 21[22],19 517 21[22],28 113, 115 23[24],7.9 578 32[33],6 442 33[34],12-16 551 33[34],21 521 34[35],19 516 39[40],7 546 40[41],2 613 40[41],10 518 f. 42[43],2 615 43[44],23 258 44[45],7 548 46[47],10 606 49[50],1 203 50[51],6 615 50[51],14 607, 635, 637 59[60],10 604 61[62],13 541 67[68],3 613 68[69],5 516 68[69],10 517 f., 532 71[72],17 613 72[73],9 280 72[73],28 615 73[74],15 613 77[78],16-20 516 77[78],49 471 f. 78[79],2 f. 264, 272 78[79],24 522 81[82],1 203 81[82],6 203, 517 82[83],2 195 83[84],1 617 83[84],8 146 83[84],11 274 85[86],5 60 85[86],9 555 88[89],23 537 88[89],33 119 88[89],48 80 89[90],4 277 90[91],1 482 91[92],12 613 93[94],12 119 94[95],7 549 95[96],10 36, 278 f., 579 97[98],2–4 534

671

gtvh 08105 / p. 672 / 31.3.2022

Register Ps 101[102],26 548 103[104],4 546 f. 103[104],12 501 103[104],16 614 103[104],26 615 104[105],15 643, 646 104[105],38 94 105[106],48 615 107[108],10 604 109[110],1 275, 277, 548 f., 615 109[110],3 323 109[110],4 f. 72 109[110],4 272, 545, 548 112[113],1 614 112[113],9 259 113[114],1 94 114–115[116] 534, 612 117[118],14 262 117[118],18 119, 122 117[118],25 615 120[121],1 604 126[127],2 607 131[132],5 72 135[136],25 485 140[141],5 122 145[146],5 182 148,4 615 Sprüche 1,17 286 3,4.7 284 3,11 f. 119, 121 f., 283, 286, 546 3,18 286 3,34 551 f. 8,22-31 283, 287, 323, 367, 433, 580 9,2-6 283 10,7 484 10,12 285 10,17 118, 321 11,31 284, 552 13,18 118 15,1 284 15,10 118 17,6 483 18,17 286 19,17 285 22,8 284 24,12 541 25,21-22 284

672

25,21 26,11 27,1 30,4 30,8

286 285 284 284 284

Kohelet 2,14 292 3,21 292 4,15 291 5,3 291 5,5 492 10,17 292 10,20 290 12,4 291 Canticum 1,2 294 1,4 294 1,7 295 2,4 f. 295 2,7 296 4,8 296 4,12 45 5,10 618 Hiob 1,3 447 1,6 302, 306 1,7 444 1,17 444, 447 2,1 446 2,11 308, 446 5,12 f. 304 5,17 f. 118 f., 122 13,16 304 14,4 f. 303, 305 19,26 163, 188, 305 21,15 54 31,2 54 38,17 307 f. 40-41 564 41,3 304 42,10 307 42,17a-e 303, 305, 308, 445 f. Weisheit Salomos 1,5 313 2,23 82, 311, 313 2,24 f. 312

3,1-5 121 7,23 f. 61 f. 7,26 156 f., 313 9,8 70 9,17 313 f. 11 120 11,23 312 12,18 60 12,19 62, 312 14,7 436 16,20 522 Jesus Sirach Prol. 21-30 24 1,14 322 2,1-6 321 4,1 318 4,31 318 5,4 321 5,11 318 7,40 323 8,13 320 10,19 319 11,28 320 12,1 318 15,9 320 15,14.18 323 19,30 320 20,9 319 20,30 45 24,1-29 283, 323 24,3-7 375 24,3 323 27,5 320, 322 28,18 320 28,25 320 32,8 322 38 f. 81 f. 43,30 320 43,31 146 44,16 312 46,1-5 216 f. 50,27 321 f. Hosea 2,1 328 2,5 562 2,25 328 3,4 169 6,6 f. 333

gtvh 08105 / p. 673 / 31.3.2022

1. Septuaginta Hos 9,12 344 10,8 335 10,12 329 11,1 334, 505, 665 13,2 102 13,14 327, 329 Amos 4,13 344 5,25-27 336 9,11 f. 336 f. Micha 5,2-4[1-3] 7,6 332

332 f.

Joel 2,25-28 345 2,32 [3,5] 328, 330 Jona 2,1-7 506 2,1 333 2,3-10 506, 652 3,4 345, 614, 641 4,6 640, 662 Nahum 1,9 345 1,15 330 2,1 328, 330 Habakuk 1,5 338 2,4 329, 338-340 3,1-19 651 3,2 346, 609, 628 Zefanja 3,20 388 Haggai 2,6 340 Sacharia 3,2 442 f. 5,1 483 9,9 334, 521 11,13 334 12,10 519 f., 555

13,7 331, 573, 575 Maleachi 1,2 f. 330 1,11.14 567 3,1 331 4,4[3,23] 331 Jesaja 1,8 615 1,11-13 350 3,10 350, 579 5,2 617 6,1-9 354, 357 f. 6,1-3 160-163 6,2 143 6,3 482, 554, 556 6,9 f. 510, 518 7,14 49, 172-175, 351-353, 505, 579, 582 f., 616, 628, 665 8,13-22 534 8,14 551 8,21 614 9,6[5] 175-178, 579, 614, 616 9,20[19] 615 10,22 328 11,1 171 11,4 537 11,10 506 17,10 607 21,8 606 23,18 609 25,8 329, 555 26,1-21 652 26,16 f. 119 28,1 607 28,16 350, 551 28,26 f. 119 29,13 537, 560, 572 35,4 521 37,22 173 40,3 331, 517 40,6-8 551 40,9 f. 521 40,12 350 40,31 485 42,1–10 534 42,1-4 506 42,1 613 45,1 573, 629

45,23 384 f. 47,1 173 49,1–8 534 49,10 555 50,6-9 350 50,8 f. 573 51,11 171 52,1 138 52,5 531 52,7 328, 330, 538, 607 52,11 388 53,1 517 f. 53,5 119, 350 53,7 350 53,9 579 54,16 f. 80 55,3 579 f. 56,1–3 534 57,2 580 57,3 f. 537 58,5 574 58,7 492 59,17 538 60,8 613 60,18 617 61,10 617 62,11 334 63,1 618 65,11 57 66,1 69 66,1-2a 72 66,3 537 66,22 73 Jeremia 1,5 370 1,18 364 2,21 368 3,4 364 3,14 364 4,4 365 5,21 383 f. 6,11 368 6,13 371 6,16 368 7,22 f. 555, 574 9,22 365 10,16 368 f. 11,19 366 12,15 337

673

gtvh 08105 / p. 674 / 31.3.2022

Register Jer 15,8 369 15,10 364 15,18 369 17,9 366 17,17 369 20,7 369 20,14 370 21,7 370 22,24 226 23,28 f. 371 32,11[25,25] 614 34[27],1 370 35[28],12 371 38[31],2 613 38[31],31-34 365, 371 f., 547, 549 39[32],3 f. 364 39[32],17 371 45[38],4 f. 371 45[38],6-13 364 48[41],5 614 Baruch 1,15 613 3,36-38 366 4,1 375 f. 4,1-4 283 Klagelieder 1,1 365 1,16 258 Brief Jeremias 5-10 367

Ezechiel 1,22 658 1,26-28 162 5,11 384 f. 6,4-6 102 8-11 70 9,4 395 10,4 71 11,20 389 f. 12,2 383 f. 18 567 20,34 388 27,8 613 29,17 f. 613 32,17 608 33 567 33,11 615 33,25-27 393 34,23 391 f. 34,32 391 f. 37,1-14 388-391, 555 37,24 391 f. 37,27 385 f., 388 38; 39 390 f., 555 40,2 70 40,3 73 41,3 f. 613 41,4 394 f. 42,15 393 f. 43,2 613 43,3 395, 614 44,20 614 44,25 614 47,3 394 48,35 395

Daniel 1 409-412 1,3 403 1,5 409 1,8.13.15 f. 409 1,16 410 f. 1,19 403 2 413 3 405 3,26-45 652 f. 3,51-90 590, 653 3,91 f. 590 4-6 400 f., 403 6,16-23 662 7-12 409, 416 7,7 f. 416 7,9 555 7,13 413-415, 555 7,25 f. 416 8,9 412 8,13 615 8,14 416 9,24-27 416 9,27 412 f. 11,10 615 11,13 615 11,30 503 11,36-45 416 11,36 f. 413, 537 12,3 658 Bel und der Drache 35-39 343

2. Aquila, Symmachus, Theodotion Aquila 36, 44, 48, 54, 91, 218, 290 f., 301, 353 f., 356-358, 361, 495-497, 555, 563, 594-596, 605, 607, 616, 621-624, 632, 638, 640, 654 Gen 1,1 76 f. Gen 1,2 192 f. Gen 3,15 430 Gen 4,26 195 f.

674

Gen 6,2 470 Gen 24,43 174 Gen 31,7 596 Lev 24,16 205 Dtn 31,1-3 486 Ps 9,1 617 Ps 71,10 607 Ps 135,25 485 Prov 10,7 484 f. Hi 1,1 301

Hos 11,1 334, 505 f. Sach 5,1 483 Sach 12,10 520 Jes 7,14 137, 74 f., 353, 582 Jes 9,6 177 f. Jes 21,8 606 Jes 40,3 517 Jes 60,18 617 Jer 10,16 369 Ez 47,3 394

gtvh 08105 / p. 675 / 31.3.2022

3. Antike und mittelalterliche jüdische Literatur Symmachus 44, 48, 54, 91, 218, 301, 353 f., 356-358, 361, 486, 555, 594, 602, 605, 616, 622, 624, 632, 638, 640, 654 Gen 1,2 192 Gen 31,7 596 Gen 49,10 169 Dtn 32,35 f. 546 Jos 22 218 Ps 9,1 617 Ps 71,10 607 Ps 118,65 62 Ps 135,25 485 Ps 141,8 62 Spr 11,17 62 Kohelet 292 Hi 38,11 570 Sach 12,10 520 Jes 9,6 177 f. Jes 21,8 606

Jes 25,7 178 Jes 46,10 606 Jes 60,18 617 Jes 63,7 62 Jer 28[51],46 178 Jer 38[31]31-34 547 Ez 47,3 394 Theodotion 44, 48, 54, 91, 301, 353 f., 356-358, 361, 555, 563, 594, 605, 616, 622-624, 632, 638, 640, 654 Gen 1,2 192 Gen 6,2 470 Jos 2,4.9 218 Chronikbücher 229, 630 Ps 9,1 617 Hi 1,1 301 Hos 11,1 334, 505 Sach 5,1 483

Sach 12,10 520 Jes 7,14 37, 174, 353, 582 Jes 9,6 177 f. Jes 21,8 606 Jes 46,10 606 Jes 60,18 617 Jer 10,16 369 Ez 47,3 394 Daniel 399-405, 415, 417, 555, 582, 587-591 Sus 1 f.7 590 Sus 22 589, 611 Sus 59 663 Dan 3,1 590 Dan 3,23.93 590 Dan 3,24–91a 590 Dan 6,21 f. 591 Dan 6,23 417 Dan 7,9-28 417 Dan 11,31 591

3. Antike und mittelalterliche jüdische Literatur Ahiqar 8,18

285

Alexander Polyhistor bei Euseb von Ceasarea (praep. 9,25,1-4) 303, 446 Apocalypsis Mosis 16,5; 26,1 430 Aristeas bei Alexander Polyhistor bei Eusebius: Praep. ev. 9,25,1-4 303 f. Aristobul bei Clemens von Alexandria: Str. 1,150,2 216 bei Eusebius: Praep. ev. 7,10,12-17 150 bei Eusebius: Praep. ev. 8,10,8 436 bei Eusebius: Praep. ev. 13,12,1 f. 16 f., 39, 433

bei Eusebius: Praep. ev. 13,4,6 434 Aristeasbrief 12-27 455 30-32 19 56-71 451 56-58 452 57-82 452 73-76 452 83-120 455 96-99 453 121 f. 22, 454 f. 128-171 22 f. 139 456 144 454 150 f. 209 153-160 209 155 452 158 f. 453 161 f. 22, 456 177 20 185 54 200-202 457

228 f. 453 229 204 90 65 302 20 308-311 453 310-317 20 f. 311 453 317 456 322 450 Assumptio Mosis 10,1

439

Demetrius, Chronograph bei Eusebius, Praep. ev. 9,29,1 32, 660 4. Esra 13,35 71 14,21-26 664 f. 14,37-48 37, 353 Eupolemos bei Eusebius, Praep. ev. 9,30,1 217, 429

675

gtvh 08105 / p. 676 / 31.3.2022

Register Eupolemos, bei Eusebius, Praep. ev. 9,34,11 229 bei Eusebius, Praep. ev. 9,39,5 363, 429 Ezechiel, Tragiker 191 95 äthiopischer Henoch 6,1 471 14,3; 15,9 471 25,5-7 71 Ibn Esra, Kommentar zu Esther zu Est 2,7.10; 3,2; 6,1 242 Inschriften, jüdische CIIP II 1142 485 Felle: Biblia Epigraphica, 618 B 1082 486 Horbury / Noy: Inscriptions 119 484 IG XII, 9, 955 483 IG XII,9, 1179 483 IJudOr I, Ach 70/71 483 f. IJudOr I, Cret 3 484 IJudOr I, Mac 17 485 IJudOr II, 153 485 IjudOr II, 173-4 482 IJudOr II, 175 483 IjudOr II, 186 482 Noy: Inscriptions II, 112 484 Noy: Inscriptions II, 276 484 f. Noy: Inscriptions II, 307 484 f. Noy: Inscriptions II, 588 483 Joseph und Aseneth 3,6 103 8,9 71 11,8 f. 64 11,11 114 12,1-13 85 f. 13,1 65 13,11 103 28,3 286

676

Josephus Antiquitates 1,10-12 476 1,24 65 1,27 76, 192 1,73 56, 196 1,311 105 2,17 96 2,206-3,207 477 f. 2,264-267 154 2,271 96 3,137 71 3,153 478 3,162 477 3,217 478 3,225 f. 478 3,261 139 3,274 136 3,312 66 4,176-331 210 4,207 201 5,47 f. 221 7,305 f. 273 7,343 479 8,61 96 8,250 230 8,345 65 9,98 f. 105 9,226 230 9,273 105 10,50 105 10,186-281 408-412 10,258 185 10,276 413 11,123 65 11,184-296 235 f. 11,267 f. 240 11,337 408 12,12-118 28-30, 42, 451 12,43-44 30 12,100 476 12,122 64 12,322 408 13,64-73 23 14,403 448 De Bello Iudaico 5,219 155 5,384 106 6,311-313 170

7,344-346 155 7,420-432 23 Contra Apionem 1,37-43 451, 477 1,227-253 437 1,249 201 1,288-292.304-411 437 2,17 96 2,45-47 31 2,190-219 210 2,194 176 2,237 201 2,291 65 Jubiläenbuch 2,1 442 5,1; 6,1 471 33,1-9 438 33,7-13 136 49,3 136 Liber Antiquitatum Biblicarum LAB 23 217 f. Midraschim Pesiqta Rabbati 43 258 f. Genesis Rabba 49,1 484 Exodus Rabba 18,5

174

Numeri Rabba 14,2 174 Sifre Devarim § 388 135 Midrasch Abba Gurion zu Est 3,12 239 zu Est 5,14 240 Midrasch Ester Rabba II zu Est 3,9 239 zu Est 4,17 240 Midrasch Jalkut Schimoni zu Est 2,5 240 zu Est 2,9 239 zu Est 3,1 240 zu Est 3,12 239

gtvh 08105 / p. 677 / 31.3.2022

3. Antike und mittelalterliche jüdische Literatur Midrasch Leqach tov zu Est 2,9 239 zu Est 3,11 239 zu Est 5,1 241 Midrasch Megilla ed. Gaster 240 Midrasch Panim Acherim A zu Est 3,12 239 Midrasch Panim Acherim B zu Est 2,15 239 f. zu Est 5,9 240 zu Est 5,31 240 zu Est 6,1 240 Midrasch Tehillim Ps 22 239 f. Midrasch Echa (Klagelieder) Rabbati zu Klgl 1,16 258 f. Mischna mMeg 1,8 489 mMeg 2,1 236 mJeb 1,1 136 mSanh 7,4 136 mMen 9,8 137 Paralipomena Ieremiae 1,2.5 364 3,9 364 6,13 364 8,6 54 Philon von Alexandria De opificio mundi 9 191 19 f. 151 26 f. 76 81 65 Legum allegoriarum libri 1,16.21.53-55 468 1,53.56 467 1,66.74.98 468 1,95 f. 66 1,98 468 2,12.38.42 468

2,43 183 2,46 104 2,88-92 122 2,101 468 3,69 468 3,82 55 3,95 f. 468 3,125-132 468 3,141 125 3,164 184 3,165 468 3,196 126 3,221 468 De Cherubim 49.51 364 74 465 De sacrificiis Abelis et Caini 139 125 Quod deterius potiori insidiari soleat 83 313 138 f. 184 160 198 De posteritate Caini 26 184 70; 72 126 167 f. 152 De gigantibus 6-16 472 16-18 470-473 17 273 58 56, 196 Quod Deus sit immutabilis 74 273 140 f. 474 De agricultura 1 467 50 f. 331 172 210 De plantatione 47 466

De ebrietate 31 283 30-35 123 143 221 De confusione linguarum 1 469 39 273 44 364 74 104 82 465 f. 96 153 149 273 166 546 187-192 469 De Migratione Abrahami 15 95 174 331 Quis rerum divinarum heres sit 81 f. 474 290 275 De congressu eruditionis gratia 175-177 286 177 546 De mutatione nominum 27 54 48 303 De somniis Somn. I 466 1,62 210 1,93 85 1,254 221 2,24 210 De Abrahamo 80 153 121 53 f. 198 125 De Vita Mosis 1,14 151, 580 1,75 56, 198 1,76 56

677

gtvh 08105 / p. 678 / 31.3.2022

Register Vit Mos 1,77-80 123 1,105.122 96 1,198 64 f. 2,25-44 25-27, 41 f., 451, 461 2,106 126 2,149 126 2,205 200 f. De decalogo 134 313 De specialibus legibus 1,26 104 1,41 152 1,53 200 f. 1,87-90 127 1,184.1,197 125 1,198 137 1,224 125 3,21 136 3,108 135 De virtutibus 51-174 65, 210 56-65 217 72-75 210 77 93 203 313 De praemiis et poenis 95 170 162-172 210 Quod omnis probus liber sit 69 126

Quaestiones in Exodum 2,5 200 f. Psalmen Salomos 5,11 183 5,12 64 8,31 183 18,10-12 81 Qumran und judäische Wüste CD 5,18 f. 541 CD 7,14 f. 336 CD 7,16 336 f. CD 19,7-11 331 1QpHab 329, 339 4Q82 334 4Q174 71, 336 f. 4Q177 71 4Q180 Frag. 1,7 471 4Q184 283, 285 4Q385 563 4Q401 Frgm. 11,3 72 4QLevd 137 11Q17 10,5-9 71, 73 11QT19/20 53,7 f. 138 8grXIINaḥal Ḥever 332 f., 339, 430, 464, 520, 527 Raschi, Kommentar zu Esther zu Est 2,7 242 Saadja Gaon, Kommentar zu Esther zu Est 3,1-5; 6,1 242

De aeternitate mundi 19 192

Sefer Josippon 9 241 14 f. 259

Legatio ad Gaium 196 184

Sibyllinische Orakel 5,387–391 136

De providentia 1,22 192

Talmud, Jerusalemer jMeg 71c 489 jMeg 73a 237

Quaestiones in Genesin 2,66 467 4,168 474

678

Talmud, Babylonischer bJom 36a 137 bMeg 13a 237, 239 bMeg 18a 236

bMeg 24 134 bKet 61a 139 bGit 57b 258 bBB 14b-15a 303 bMen 37 134 bMen 45a 392 bMen 109a 137 bNid 24b 135 bNid 66a 139 Targumim Targum Onqelos Gen 49,10 168 Gen 49,11 172 Ex 24,10 145 Num 24,17 170 Targum Pseudo-Jonathan zu Ex 1,15 541 Targum Esther I Est 2,7 237 Est 2,10 237 Est 2,20 237 Est 6,1 237 Targum Esther II

238

Targum Jonathan Jes 11,5 172 Jes 25,2 172 Testament Hiobs 2,1 f. 307 7,11 286 17 444 21-27; 39 f. 306 24-25 444 28,6 446 28,7 446 f. 37,5 183 40,4 307 41,5 307 42,8; 43,1 f.17 307 Testamente der Zwölf Patriarchen Rub 1,6-10 438 Rub 3,11-15 438 Rub 4,6 103

gtvh 08105 / p. 679 / 31.3.2022

4. Griechisch-römische Autoren TestSim 9,1 95 Jud 19,1 103 Levi 1,2; 2,3 439 Benj. 12,4 95

T.Meg 3,21 489 T.Sota 1,4 491 T.Sota 7,2 492 T.Neg. 1,2 492 T.AZ 8, 6 491 T.Men 10,12 137 T.Men. 13,12-14 137

Tosefta T.RH 2,3 492

Vitae prophetarum Jeremia 429 Ezechiel 394

4. Griechisch-römische Autoren Aristophanes, Nub. 962-976 119

9,522 118 Odyssee 21,424 118

Sophistes 229c-230d, 470e-471a

Aristoteles De sophisticis elenchis 118 Pol. VII 3-4 453, 455

Isokrates Panegyricus 50 118

Theaetet 176b 194

Ps.-Longinus De sublimitate 9,10 660

Timaios 27c 580

Okellos De universi natura 4,4

Porphyrios Antrum nympharum 10,155157 662

Ps-Aristoteles, De Mundo 7 434 Cicero, Tusc. 5,5 f.

274 f.

Herodot, Historiae 1,94 94 4,11 94 Homer Ilias 2,308-321

57

Platon Leges 715e-716a 434 808c-e 119 De re publica 380b 119

659

Seneca Ep. 78,28

118

274

Xenophon Memorabilia 1.7.2

118

5. Neues Testament Matthäusevangelium 1,2-17 505 1,23 173, 505 2,6 332 f. 2,15 334, 505 5,8 156, 159 f., 162-164 6,1-18 251 6,29 224 7,12 251 9,13 333 10,35 f. 332 11,10 331 11,25 665 12,7 333

12,18-20 506, 613 12,40 333, 506 12,42 224 14,20 128 16,18 507 17,10 331 18,16 211 19,4 87 21,5 334 22,1-14 283 22,37 211 24,15 412 f. 24,30 414 f. 25,31-46 285

25,34 71 26,31 331 f. 26,36 608 26,64 414 f. 27,9 334 27,51-53 507 Markusevangelium 1,2 f. 331, 502 4,32 502 7,6 f. 502 8,18 383 f. 9,11 331 10,6 87

679

gtvh 08105 / p. 680 / 31.3.2022

Register Mk 10,7 f. 502 10,19 318 12,30 211 12,31 204 13 503 14,27 331 f. 14,62 414 f. Lukasevangelium 1,5-25 71 2,21-39 71 6,31 251 7,26-28 331 9,51-53 509 10,27 211 11,29 f. 345 17,26.28-30 345 19,41 365 23,30 335 24,44 275, 512, 570 Johannesevangelium 1,1 f. 283, 323 1,18 137, 155 f., 158-163 1,23 517 2,17 517 3,13 284 6,31 f. 516, 522 6,47-51 283 6,51 369 7,38 516 8,17 517 10,16 391 f. 10,34 517 12,15 334, 521 12,38 517 f. 12,40 518 12,41 159, 518 13,18 518 f. 14,2 71 15,25 516 19,24 517 19,36 521 19,37 519 f. Apostelgeschichte 1,20 277 2,17-21 335 2,25-28 277

680

5,1-11 371 5,30 211 6,1-8,3 72 7,30 200 7,41 106 9,35 114 13,18 211 13,33 632, 645 13,35 277 13,41 338 15,3 110, 115 15,16 f. 336 f. 15,20 106 23,5 202 28,26 f. 510 Römerbrief 1,16 f. 534 1,17 329 1,20 156 2,24 531 3,10-18 276 f. 4,18 185 5,2 186 5,12-21 312 8,31-39 278 9-11 328, 527 9,13 330 9,23 71 9,25-27 328 10,13 330 10,19 211, 213 11,35 304 12,16 284 12,19 f. 284 f. 14,11 384 f. 15,3–6 534 15,3 f. 532 Erster Korintherbrief 3,16 372 3,19 304 5,9-11 535 5,13 531 6,16 538 8,4 107 9,9 f. 532 10,5–11 532 11,32 121

12,2 13,10 13,12 14,26 15,3 f. 15,49 15,55

107 394 159 279 f. 532 313 329

Zweiter Korintherbrief 1,8-10 185 4,11–15 534 6,16-18 385-388, 556 9,7 284 9,10 329 12,8 370 13,1 211 Galaterbrief 3,10 211 3,11 329 3,13 211 3,27 618 5,5 186 5,6 205 Epheserbrief 1,18 186 f. 1,22 538 2,17 538 4,8 539 4,24 88 5,19 279 f. 5,23 292 5,31 538 6,14–17 538 Philipperbrief 4,13 262 Kolosserbrief 1,4 186 1,15 f. 156 1,17 283 2,22 537 3,10 313 3,16 279 f. Erster Thessalonicherbrief 1,9 f. 107, 114

gtvh 08105 / p. 681 / 31.3.2022

6. Antike christliche Texte Zweiter Thessalonicherbrief 2,1-12 413 2,3.8 537 Erster Timotheusbrief 1,12 262 1,17 156 4,1-5 87 f. 5,17-19 540 6,17 187 Zweiter Timotheusbrief 3,8 f. 541 4,14 541 Titusbrief 2,13 187 Hebräerbrief 1,3 156, 313 1,5-14 547 1,8.10 548 1,10 548 2,6-8 547 2,14 312 4,3 f. 549 6,18 187 7,1-10 545 8,1 72 8,5 72 8,8-13 365, 547, 549 9,8-12 72 10,1 545

10,16 f. 365 10,19-25 187, 547 10,30 546 10,38 338-340 11,16 72 11,21 550 11,22 96 11,27 156 11,32-38 260 12,5-11 121 f. 12,5 f. 283, 286, 546 12,26 340 12,29 53 13,5 546 Jakobusbrief 1,19 f. 284, 318 2,6 284 3,6 284 4,6 552 4,14 284 5,10 f. 304 f. 5,20 285 Erster Petrusbrief 1,24 f. 551 2,6-8 551 3,10-12 551 3,15 187 4,8 285 4,17 285, 552 4,18 284 f.

Zweiter Petrusbrief 2,22 285 3,8 277 Judasbrief 9 442 f. 11 206 Johannesoffenbarung 1,7 415, 555 1,8 556 1,14 555 2,14 206 3,14 283 3,19 286 4,4-10 48 4,8 554, 556 7,17 555 11,11 388 f., 555 15,3 f. 555 15,5 73 19,17 f.21 555 20-22 390 f. 20,1-14 390 f. 20,4 555 20,8 390, 555 21,1-22,5 73 21,3 555 21,7 389 f. 21,10-21 250 f.

6. Antike christliche Texte Ambrosiaster Commentarius in Epistulam ad Romanos 366 Quaestiones Veteris et Novi Testamenti 159, 192, 194, 207, 221, 345, 367, 636 f.

Epistulae 244 Hexaemeron 192, 194 Explanatio Psalmorum XII 635 f. Expositio Evangelii secundum Lucam 198

Aphrahat Demonstrationes, 3,10-13; 5,3 244 f.

Ambrosius De fide 199, 323, 380 De Helia et ieunio 243 De officiis 206, 244 De Spiritu Sancto 344 f.

Anastasios Sinaita Hexaemeron 195 Quaestiones et Responsiones 195 Viae Dux 53

Apponius In canticum canticorum expositio 644

Apostolische Konstitutionen 380, 567 f.

Ascensio Isaiae

285

681

gtvh 08105 / p. 682 / 31.3.2022

Register Athanasios Adversus Arianos 251, 367, 380 Epistula ad Serapionem 344 Athenagoras Legatio 380 Augustinus Contra Faustum Manichaeum 366, 643 De Civitate Dei 18, 43, 46 f., 1661, 199, 221, 342, 345 f., 367, 380, 640 f., 643 De Doctrina Christiana 46, 343, 626 f., 639 f. De Genesi ad litteram liber imperfectus 193 f. De Genesi ad litteram libri duodecim 194 De Genesi contra Manichaeos 194, 642 De moribus ecclesiae catholicae 638 De Trinitate 199 De vera religione 198 Enarrationes in Psalmos 199 f., 279, 296, 380, 633, 642 f. Epistulae 161-163, 380, 627, 638-640 Expositio in Epistulam ad Galatas 205 Locutiones in Heptateuchum 640 Quaestiones in Heptateuchum 160, 191, 203, 220 Sermones 260, 263-265 Sermones in Vetus Testamentum 195, 198-200 Tractatus in Evangelium Iohannis 199 f. Barnabasbrief 108, 188, 218 Basilius von Caesarea De fide 380 De Spiritu Sancto 163, 320 Enarrationes in prophetam Isaiam 161, 163, 225, 356 f.

682

Epistulae 345 Homilia de ieiunio 221 Homiliae de creatione hominis 195 Homiliae in Exaemeron 191 f. Ps.-Basilius: Adversus Eunomium 287

(Ps.-)Cyprian Ad Quirinium 202, 207, 380, 628 f. Cyprianus Gallus In Heptateuchum Didache

Beda Venerabilis In primum Librum Samuhelis 222 In Canticum Abacuc 346 Caesarius von Arles Sermones 346

108, 318, 567

Didymus von Alexandria De Spiritu Sancto 344 Commentarius in Genesim 195 f. Commentarius in Ecclesiasten 291 Commentarius in Job 307

Cassiodor Expositio Psalmorum 198 f., 635 f., 643, 645 f. Institutiones Divinarum et Saecularum Litterarum 320 f.

Ps.-Didymus De Trinitate 199

Chromatius Sermones 198

Diognetbrief 88

Erster Clemensbrief 115, 122, 188, 218, 243, 286, 305, 365, 546 f. Zweiter Clemensbrief 108, 115 Clemens von Alexandria Paedagogus 177, 212, 243 Stromata 28, 159, 212 f., 224, 226, 243 Collectio Coisliniana in Genesim 192, 598, 600 Cosmas Indicopleustes Topographia Christiana

343

Cyprian Ad Fortunatum 261, 628 f. Epistulae 221

192, 644

Diodor von Tarsus Commentarius in Psalmos 203, 231, 279

Dorotheus von Gaza Doctrinae diversae 321 Epiphanius Ancoratus 366 De mensuris et ponderibus 44-46 Panarion adversus haereses 96, 366 Eusebius von Caesarea Commentaria in Psalmos 203, 604-608 Commentarii in Isaiam 56 f., 161, 163, 355 f., 606-609 Demonstratio evangelica 177, 212, 346, 355, 367, 604-606, 609 Eclogae propheticae 355 Historia ecclesiastica 41 f., 93, 96 f., 260 f., 352 f., 435, 593595, 605 Onomasticon 301, 606

gtvh 08105 / p. 683 / 31.3.2022

6. Antike christliche Texte Euseb, Praeparatio evangelica 39 f., 53, 95, 303, 363, 602, 605, 660 Theologia ecclesiastica 344 Vita Constantini 602 Eusebius von Emesa In Genesim 192 Eustathios von Antiochia Homilia de Pythonissa 231 Faustinus von Rom De Trinitate 287 Faustus von Riez De Spiritu Sancto

344

Firmicus Maternus De errore religionum profanarum 367, 580 f. Gregor der Große In primum Librum Samuhelis 203 Gregor von Nazianz Orationes 161 f., 207, 243, 263 f. Gregor von Nyssa Homiliae in Hexaemeron 193 Ad Simplicium de fide 344 f. Contra Eunomium 380 Homiliae in Ecclesiasten 292 Homiliae in Canticum 295 f., 346 (Ps.-)Gregor von Nyssa: Testimonia adversus Iudaeos 366 Hadrian Introductio in Sacram Scripturam 344 Hesychius von Jerusalem Commentarii in Leviticum 205

Fragmenta in XII Prophetas minores 343 Hieronymus Adversus Pelagium 3,10 244 Contra Rufinum 626 De viris illustribus 355 Prologus in Pentateucho 48 Quaestiones hebraicae in Genesim 47 Commentarius in Ecclesiasten 292 Commentarii in Prophetas Minores 55, 203, 342-346, 625 Commentarii in Isaiam 160, 163, 174 f., 353-359 Commentarii in Ieremiam 366-372 Commentariorum in Hiezechielem Libri 14 200, 393395 Commentarii in Danielem 400, 416, 663 Commentarii in Epistulam ad Ephesios 88 Commentarius in Epistulam ad Titum 594 Epistulae 97, 287, 292, 342 f., 353 f., 508, 620, 624, 638-640 Hebraicae Quaestiones in libro Geneseos 48 Praefatio in Evangelio 622 Praefatio in libro Psalmorum 623 f. Prologus in libro Paralipomenon 604 Hilarius von Poitiers Tractatus in Psalmos 43, 631633 Tractatus in Psalmum 118 631-633 De synodis 287 (Ps.-)Hilarius De Trinitate 199, 380 Hippolyt Chronicon

Contra Noëtum 377 f., 380 Commentarius in Canticum 294 Commentarius in Danielem 261, 413, 416, 588-591 (Ps.-)Hippolyt Refutatio 193 Traditio Apostolica 567 f.

280,

Ignatiusbriefe 73, 188 Irenaeus Demonstratio 171, 177, 212, 376 Adversus Haereses 17, 37, 41, 53, 159, 352, 582 f. Johannes Cassian Collationes Patrum 244 De Incarnatione Verbi Contra Nestorium 380 Johannes Chrysostomos Homiliae in Genesim 44, 56 f., 161, 191 f., 194, 196 Sermones in Genesim 194 Homiliae in Usiam 231 Homiliae in sanctos Maccabaeos 263-265 Expositiones in Psalmos 203 Interpretatio in Job 301 Interpretatio in Isaiam prophetam 163, 359 In illud Isaiae, Ego Dominus Deus feci lumen 371 De incomprehensibili Dei natura homiliae 162 Catecheses baptismales 320 Homiliae in Matthaeum 207, 366, 380 In illud Pater, si possibile est (Matt 26,39) 380 Homiliae in Epistulam ad Romanos 57 Homiliae in Primam Epistulam ad Corinthienses 207

342

683

gtvh 08105 / p. 684 / 31.3.2022

Register Johannes Chrysostomos, Homiliae in Epistulam ad Colossenses 370 Homiliae in Secundam Epistulam ad Timotheum 207 Johannes Philoponos De opificio mundi 191 f., 194 f., 322 Johannes von Damaskus Expositio fidei 380 Julian Apostata Contra Galilaeos 663-665 Julian der Arianer In Job 301 f., 307

205

Justin 1. Apologie 35 f., 168, 171, 351, 578 Dialogus 35 f., 57, 67, 93, 96, 168, 171, 173 f., 176, 212, 218, 277 f., 306, 443, 512 Kyrill von Alexandria Contra Iulianum 202, 363365 Glaphyra in Pentateuchum 57, 129, 195 f., 213, 359 Commentarius in Psalmos 203, 655 Commentarius in Prophetas minoras 55, 342-346 Commentarius in Isaiam prophetam 359 f. Commentarium in Evangelium Iohannis 162 Kyrill von Jerusalem Catecheses 42 f., 379 f.

684

Lucifer von Cagliari De Athanasio 630 De non parcendo in deum delinquentibus 630 De regibus apostaticis 630 Makarios Magnes Apocriticus 202 Monogenes 665 Manuel Kalekas De fide 164 Marcellus von Ankyra Cohortatio ad gentiles

Julian von Aeclanum Tractatus prophetarum Osee Iohel et Amos 55, 342-344 Julian von Toledo ἀντικειμένων libri

Lactantius Epitome 366, 380 Institutiones 366, 378, 380

41

Meliton von Sardes De pascha 212 Methodius von Olympus De cibis 243 De resurrectione 590 Michael Glycas Quaestiones in Sacram Scripturam 664 Nag-Hammadi-Codices 564

561-

Nilus von Ankyra Commentarius in Canticum 295 Novatian De Trinitate 4,5 198 Olympiodor Fragmenta in Jeremiam 366372 Origenes Contra Celsum 55, 57, 171, 174-176, 202, 207, 212 f., 296, 319, 660 f.

Epistula ad Africanum 40, 251 Exhortatio ad martyrium 56 f., 261-264 Epistulae 351, 594 f., 597 De oratione 243, 251 De principiis 160, 168 f., 193, 195, 313 f. Catena in Genesim 599 f. Homiliae in Genesim 192 Catena in Exodum 599 f. Homiliae in Leviticum 127129, 213, 221 Homiliae in Numeros 171, 202, 351 Homiliae in Josuam 219 Commentarium in Canticum 294 f., 368 Homiliae in Canticum 295 f. Homiliae in Psalmos 191, 594-598, 600 Scholia in Job 596 Homiliae in Isaiam 353 f. Homiliae in Ieremiam 93, 594, 600 Fragmenta in Jeremiam 226 Fragmenta in Lamentationes 594 f. Selecta in Ezechielem 594 Commentarii in Matthaeum 40, 213, 594, 596 Commentarii in Iohannem 160, 212, 590, 594-596 Commentarii in Epistulam ad Romanos 213, 320, 322, 346, 596 Commentarii in Epistulam ad Ephesios 596 P. Egerton 2

560

Passio Montani 16,4

260

Pelagius Epistula ad Demetriadem 323 Phoebadius Contra Arianos 323

gtvh 08105 / p. 685 / 31.3.2022

Sachregister Polychronios In Jeremiam 366-372 In Job 302, 307

Severianus De mundi creatione 191 f. In Iob 307

Procopius von Gaza Catena in Genesim 163, 194 Catena in Exodum 202 f. Catena in Leviticum 129, 205 Catena in libros Regnorum 225 Catena in Ecclesiasten 292

Sulpicius Severus Chronicorum libri duo, II, 12,13 244

Prosper von Aquitanien Expositio Psalmorum 200 Quodvultdeus Liber promissionum

244

Rabanus Maurus Expositio in Librum Esther 245

Tertullian Adversus Hermogenem 192 f. Adversus Iudaeos 279 Adversus Marcionem 205, 279 Adversus Praxean 159, 377 Apologeticum 39, 280, 353 De cultu feminarum 40 De anima 280 De carne Christi 280 De ieiunio 221 Testament Salomos

Rufinus Expositio Symboli Rupert von Deutz De victoria Verbi Dei

380

245

95, 251

Theodor von Mopsuestia Commentarius in Duodecim Prophetas Minoras 231 f., 344

Eranistes 380 Quaestiones in Octateuchum 57, 129, 160, 191 f., 195 f., 200, 202 f., 219 f. Quaestiones in Reges et Paraleipomena 221 f., 225 f., 232, 614 Interpretatio in Psalmos 80, 161, 203, 276, 279, 613 f., 617 Commentarius in Duodecim Prophetas 342-346 In divini Ezechielis prophetiam interpretatio 394 f., 613, 615 In divini Jeremiae prophetiam interpretatio 55, 366-371 Interpretatio in Isaiam 360 f., 615, 617 Interpretatio in Danielem 399, 416, 615 Theophilos Ad Autolycon 53-56 Thomas von Aquin Summa Theologiae 380 Thomasakten

Theodoret Epistulae 380

564

Thomasevangelium 332

Sachregister Abgrenzung, jüdische, von griechischen Konzepten 63 Abhängigkeitsbeweis 16 f., 39, 216, 434 f., 580 Akkomodationstheorie 198 Allegorische Auslegung 22, 29, 95, 104, 125-129, 149 f., 209, 213, 218 f., 222, 224, 226, 245, 251, 273, 279, 294, 345, 456 f., 469, 599 f. Angelologie 196, 200, 250252, 442, 472 Anthropologie 313 Antianthropomorphismen

126, 137, 146, 148, 150, 153, 259, 301 f., 437 Antichristliche Änderung biblischer Texte 36, 579 Antichristliche Kritik, pagane 168, 659-665 Antichristliche Polemik, jüdische 174, 240, 489 Antijudaismus als Rezeptionshorizont 572-576, 578 Antijudaismus, paganer 201, 437 Antijüdische Polemik, – christliche 74, 211-213, 350, 366, 368, 574 f., 640

– pagane 437 Antipagane Polemik, jüdische 310 Antiochenischer Text 31, 222, 230-232, 328, 359-361, 480, 563 Apologetik – christliche, als Rezeptionshorizont 39, 202, 355, 597, 603 – jüdische, als Rezeptionshorizont 17, 224, 274 Architektur als Rezeptionsvorgang 74

685

gtvh 08105 / p. 686 / 31.3.2022

Register Aristoteles, aristotelisch 91 f., 143, 153 f., 194 f., 435, 453, 455 Astrologie 80, 104, 108, 212 Attizismen 509 Ausgleich von (vermeintlichen) Widersprüchen 202, 631 Autorität der Septuaginta 23, 25, 34, 43 f., 46, 49, 598, 639, 641 Begriffsverschiebungen 88 f., 93 f. Bel und der Drache, Zugehörigkeit zum Kanon 589, 611 Bibelgriechisch als Idiolekt 100, 437 Bibelillustration 74, 246, 260, 264, 280 Bibelrezeption, jüdische, geographische Differenzierung 429 f. Bibeltexte und außerbiblische Texte, Kombination 438 f., 442 Biographische Interessen als Rezeptionshorizont 444 f. Chiliasmus als Rezeptionshorizont 277 Christentumskritik, philosophische 661 Christologie, Entwicklung 199, 361, 379, 439 f. Christologische Interpretation 42, 160, 168, 178, 207, 212 f., 275, 277, 279, 304, 330, 339 f., 369, 376, 379, 416, 515, 517, 537, 548, 551, 573, 578, 584, 590, 600, 607, 617 f., 628 f., 635, 650-652 Chronologie, biblische 303, 343, 432, 435, 447 Dämonologie 196, 251 f., 472 f. Dauer, ewige, des himmlischen Heiligtums 71, 73 f. Divination 57, 100 f.

686

Einleitungsfragen in patristischer Sicht 43, 342 f. Ekklesiologie als Rezeptionshorizont 538 f., 589 f. Engelfall, Mythos vom 470472 Entstehung der Septuaginta, vorchristliche, als apologetisches Argument 583 epideiktische Rhetorik 258 Epikur, epikureisch 100 Erziehung und Gewaltanwendung 108-112 Eschatologie 70 f., 73, 156 f., 159, 161, 185-189, 254, 284 f. Etymologie als Ausgangspunkt einer Auslegung 115, 128, 152, 468 f., 606, 614 Etymologisierende Übersetzung 77, 291 Exegese, halachische 136, 139, 200 f. Exegese, rabbinische 139, 147 f., 150 f., 301, 323, 340, 392, 436, 466, 488-492, 494 f., 533, 550, 561, 595 Film, Rezeption im 247 f. Fremdgötterverehrung 85, 99-108, 113-115, 202, 250, 447, 530, 532, 574 f., 581 – und ethische Verfehlung 101, 103 Gedächtniszitate 338, 567, 527, 570 f., 641 Geist, Heiliger 38, 43-48, 66, 163, 191, 258, 313 f., 343-346, 354, 358, 372, 389, 442, 505 f., 508, 540, 589, 598, 622, 629, 635, 637, 641, 645 f. Geist, antike Konzeptionen 61 f. Gnosis, gnostisch 192-194, 251, 559-565 Gott – Allwissenheit 664 – Gewalt 108-112, 144 – Güte 80, 301, 345, 369 f., 471

– Menschenfreundlichkeit 60-62, 65 – Milde 60, 64 – Teleologie göttlichen Handelns 79-84, 87 f. – Transzendenz 69, 123, 140, 144-146, 150 f., 160, 198-201 – Vermeidung abstrakter Metaphorik 78 – Wohltätigkeit 62 f. Gottebenbildlichkeit des Menschen 83, 134 f., 195 Gottesname (und dessen Vermeidung) 139, 205, 250 Griechisch als Sprache der synagogalen Liturgie 107 Griechische / hebräische Texte nebeneinander als Traditionsgrundlage 439 f., 442 f., 447 Haggada, haggadisch 132, 432, 438 f., 444, 446, 451 Halacha, Angleichung an eigene Praxis 133 f., 136 Handschriften, hebräische, Qualität 29 Hanna als Prophetin 651 Häretikerpolemik als Rezeptionshorizont 540 f. Hebraisierende Rezension 62, 304, 306, 351, 364, 423, 430, 447, 520, 527, 546, 563 Hebraismen in der Septuaginta, 443, 614-616 Hermeneutik 336 f., 342, 349, 357 f., 447, 515, 638-641 Herrscherideologie, hellenistische 58-66 Hexapla, hexaplarisch 179, 308, 353-361, 393, 593-598, 603-606, 608, 614, 616, 620624, 631, 634 f., 638 f., 654 Hieronymus, Hebraica veritas 47, 625 f. Hilfsmittel des Bibelstudiums als Rezeptionsform 496 Hiobbuch, Anordnung im Kanon 303

gtvh 08105 / p. 687 / 31.3.2022

Sachregister Höllenvorstellungen, Bezeugung 426 Homerphilologie, antike 24, 456, 598 Idiomatik, hebräische, in der Septuaginta 615 Imitatio Dei 62, 65, 194 f. Inspiration der Septuaginta 35, 37-39, 43, 48, 353, 461, 465, 598, 602, 608, 610-612, 618, 622, 625, 649 Intertextualität 128, 148, 239, 290, 441 Jesus Sirach, Stellung im Kanon 318-321 Juden, Leben unter nichtjüdischer Regierung 201 Judentum – als Philosophie 22 f., 258, 457 – hellenistisches, Legitimation 451 – literarische Selbststilisierung 273 f. – Selbstbewusstsein 24 f., 376, 452, 454, 456 f. – Selbstdistanzierung von Nichtjuden 26 Kaige-Rezension 174, 176178, 223, 329, 334, 464, 504, 554, 563 Kanon, Kanonfrage 18, 31 f., 42, 45, 48, 251, 289, 477, 528, 543 f., 561, 573, 633, 641 Katachrestischer Begriffsgebrauch 54, 92 Kirchenordnung als Rezeptionshorizont 540 f. Kirchenrecht als Rezeptionshorizont 345 Kohelet, Zugehörigkeit zum Kanon 289 Kombination biblischer Texte als Rezeptionsvorgang 45, 102, 171 f., 209, 260, 262, 285, 336, 436, 438, 472 f., 518, 521 f., 531, 551, 564

Konfliktsituation als Rezeptionshorizont 201 f., 241 Kontext, Relevanz 527, 534 Konversion 102 f., 108, 109116, 307 Kosmogonie 191-194, 578, 661 Kunstgeschichte 74, 245 f., 308 f., 591 Legitimität fremdsprachlicher Übersetzungen 236 f. Leiden als Teil göttlicher Erziehung 119-122 Lemmata biblischer Texte, Differenz zum eigentlich gelesenen Text 604 Leontopolis, Tempel 18, 23, 137 Literarisches Textverständnis, theologische Problematik 600 Liturgie als Rezeptionshorizont 259, 263, 279 f., 338, 497, 623, 649 Loyalität gegenüber Fremdherrschaft 134, 201 Lukianischer Text 173, 178, 230, 276, 478, 546 Magie, magisch 108, 207, 280, 486 Markion, Markioniten 193, 366, 512, 628 Martyrium und göttliche Erziehung 120-122, 258 f. Messias – königlicher 170, 172, 178, 340 – lehrender 168 – priesterlicher 176 Midraschim, halachische 132 Misogyne Exegese 438 Mittelplatonismus als Rezeptionshorizont 193 Mythologie, griechische 56 f., 196, 201, 302

Nachahmung Gottes 62, 65 Naḥal-Ḥever-Prophetenrolle 332, 339, 464, 520, 527 Nasiräer 221 Neues Testament, Einfluss auf die Textgestalt der Septuaginta-Rezeption 560 Parabiblische Literatur 425428 Paränese als Rezeptionshorizont 194 f., 202, 284-286, 304 f., 437 f., 532, 539, 588 f., 600 Parting of the ways 545, 549 Pescher-Kommentare 504, 508, 532 Peschitta 303, 308, 394 f., 443, 616 Philologie – als Argument in der Kontroverse 174 f. Philosophie – als Hilfe zum Verständnis der Thora 198, 210, 283 – griechische, Einfluss auf jüdisch-christliche Tradition 53 f., 59, 75, 291, 472 – griechische, Konvergenz zur biblischen Schöpfungsvorstellung 79, 192, 580 Philosophische Stilisierung der Übersetzer 23 Platon, platonisch 16 f., 39, 53, 92, 99, 100, 104, 143, 149154, 159 f., 191-194, 196, 198 f., 472, 580, 605, 660, 665 Polemik, antihäretische, als Rezeptionshorizont 630 Polyglotte Bibeln 220, 232, 253 Probleme, exegetische, Behandlung 195 f., 200, 205, 220, 226, 424, 548, 564, 579, 631 f. protolukianisch 31, 230 Psalmen Salomos, Kanonizität 588 Psalmen – Anordnung 43

687

gtvh 08105 / p. 688 / 31.3.2022

Register Psalmen – liturgische Verwendung im Christentum 649 – Nummerierung – Titel 613, 633, 636, 637, 643, 646 Psalterium Gallicanum 94, 623 f., 642 Quaestiones et Responsiones als Gattung 225 Quereinfluss anderer biblischer Texte 522, 531, 556, 571 Quereinfluss jüdischer exegetischer Tradition 561 Reinheitskonzepte 138 f., 453 f. Rewritten Bible 505 Rezeptionsmarkierungen 320, 516 Rezeptionsverhalten 584 – neutestamentlicher Autoren 547–548 – von Autoren der Folgetexte 572, 576 Samaritaner, samaritanisch 28, 429, 485 Samaritanischer Pentateuch 137 f., 491 Schöpfungs- und Geschichtshandeln Gottes 85 f. Schriftbeweis 508 Schriftgelehrsamkeit – antike jüdische 430 f., 439, 443, 445, 504, 531, 533 – polyglott, im antiken Judentum 430 f., 439, 442 f. 445, 448 Schriftlichkeit der Thora als Problem 489 Sekundäreinflüsse, textkritische 556 Semantik, christliche, Prägung durch die Septuaginta 106 f., 114, 116, 185, 212, 312 f., 502, 534, 540, 564, 569 f.

688

Septuaginta – Autorität → Autorität der Septuaginta – ihre inhaltliche Zuverlässigkeit 35 f., 40, 44 f., 555, 583 – literarische Qualität 512 – Verfügbarkeit von Schriftrollen 562 f. – Verweis auf vorchristlichen Ursprung als apologetisches Argument 658 Septuaginta-Legende 14-48, 351, 353, 451, 461, 473, 476, 489 f., 583, 602, 622, 631, 640, 654, 657 Septuaginta-Stil in späteren Werken 502, 509-511 Septuaginta-Übersetzung, moderne Datierung 432 f. Sprachgestalt als Rezeptionsform 502, 512 Sprachphilosophie 625 f., 639 Stadt, ideale, griechische Vorstellung 453, 455 Stilisierung idealer Personen 218, 258, 261, 457, 599 Stoa, stoisch 59, 61, 192, 194, 274, 469 Substitutionstheorie 245 Susanna, Zugehörigkeit zum Kanon 611 Testimoniensammlung 276278, 337-339, 350, 365, 518, 560, 562, 572, 575, 578 f., 628 f. Tetrapla 355 f., 608 Teufelsvorstellungen 312, 371, 441-444, 447 Textänderungen durch den Autor des Folgetextes 517520, 563 Textdifferenzen, theologische Akzeptanz 639 Textformen, Divergenzen – griechisch/hebräisch 502, 605, 611-614, 622-625 – innergriechisch 465-467, 473, 504, 526, 553-555

– lateinisch/griechisch 639 – innerlateinisch 628-631, 634, 644 Textform, Divergenzen, Bezeugung – in den jüdischen Parabiblica 430 – bei Philon von Alexandria 464-468 – bei Josephus 477-479 – in den Tosefta-Handschriften 492 f. – im Hebräerbrief 545-547 – im Ersten Clemensbrief 570 – in der apokryph gewordenen Literatur 563 – bei Eusebius von Caesarea 604 Textgeschichte, antike christliche Sicht 598, 622, 638 Textkritik der Septuaginta, modern 83, 202, 335, 355, 399, 405 f., 467, 470, 545 f., 579 Textkritik, antike 19, 22, 355 f., 360 f., 366 f., 393, 474, 595, 598 f., 606, 608, 612, 616, 636 Textkritische Zeichen 308, 361, 595 f., 604, 606, 624, 638, 641 Textvarianten als Rezeptionssteuerung 171, 194 Thora – Erfüllung griechischer Ideale 65, 149, 376, 456 f. – Identifizierung mit der Weisheit 285 – Instrument göttlicher Erziehung 119, 122 f. – mündliche 489, 631 f. – Qualitätsausweis des Judentums gegenüber griechischer Geistigkeit 24, 376 Thorakonformität als Maßgabe der Neuschreibung 432

gtvh 08105 / p. 689 / 31.3.2022

Sachregister Thoraobservanz als Kennzeichen jüdischer Existenz 217, 237, 242, 257, 259-262, 283, 285, 374-376, 457, 474 Thoraverschärfung 133 f., 137, 154 Tosefta 137, 490-493 Transliterationen 477 f., 606 f., 614, 618 Trinitätslehre 55, 161, 198 f., 287, 323, 344-346, 354, 358, 379, 629 Typologische Exegese 129, 212, 218, 245 f., 292, 304, 345, 360 f., 580, 590, 600, 617, 637, 641, 643, 651-653

Übersetzbarkeit der Tora 489 Übersetzung, Kriterien 40 Übersetzungskonzeption, antike 621 Verteidigung, christliche, des Stellenwertes der Septuaginta 583 Vetus Latina 88, 196, 203, 230, 232, 235, 250-252, 260, 291 f., 295, 308, 322 f., 359, 365, 370, 393, 480, 627-630, 642, 644 vorhexaplarisch 301, 382 Vorsehung, göttliche 40, 42 Vulgata 49, 94, 110, 115 f., 196,

230, 232, 241, 245, 250, 252, 254, 276 f., 279, 291 f., 316, 322, 344, 401, 620, 622-626, 637, 641, 644, 655, 657 Weisheit Salomos, Zugehörigkeit zum Kanon 311, 588, 641 Zeichen, textkritische 595 f., 604, 606, 624, 638, 641 Zeitgeschichte als Rezeptionshintergrund 170-172, 333, 536 f. Zitateinführungsformeln 320, 516

689

gtvh 08105 / p. 690 / 31.3.2022