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English; German Pages [690] Year 2022
Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort zum »Handbuch zur Septuaginta«
Vorwort
1. Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen
1.1 Die jüdische Bezeugung und Verteidigung des »kanonischen« Wertes der Übersetzung der Thora
1.2 Die Übernahme der Entstehungsgeschichte im ältesten Christentum bis Augustin
2. Termini, Themen und Texte der Septuaginta
2.1 Termini und Themen der Septuaginta
2.1.1 Gottesbezeichnungen
2.1.2 Attribute Gottes
2.1.3 Präexistenz des himmlischen Heiligtums
2.1.4 Schöpfung
2.1.5 Exodus
2.1.6 Götterbild
2.1.7 Konversion
2.1.8 God as Pedagogue
2.1.9 Kultterminologie
2.1.10 Halacha
2.1.11 Gottesschau
2.1.12 Messianic Texts
2.1.13 Hoffnung
2.2 Texte der Septuaginta
2.2.1 Pentateuch
2.2.2 Geschichtsbücher
2.2.3 Psalmen und Weisheitsliteratur
2.2.4 Propheten
3. Rezeptions- und Auslegungsgeschichte der Septuaginta
3.1 Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur
3.1.1 Die Literatur des Zweiten Tempels
3.1.2 Der Aristeasbrief
3.1.3 Philon von Alexandria
3.1.4 Josephus
3.1.5 Jüdisch-griechische Inschriften
3.1.6 Tannaitisches Schrifttum
3.1.7 Byzantine Judaism
3.2 Die Septuaginta im Neuen Testament
3.2.1 Synoptische Evangelien und Apostelgeschichte
3.2.2 Johannesevangelium
3.2.3 Corpus Paulinum
3.2.4 Hebräerbrief
3.2.5 Catholic Epistles
3.2.6 Johannesapokalypse
3.3 Die Septuaginta in den neutestamentlichen Apokryphen, in den Kirchenordnungen sowie bei den Apostolischen Vätern und Apologeten
3.3.1 Christian Apocryphal literature (including Gnostic literature)
3.3.2 Church Orders
3.3.3 Apostolische Väter und Apologeten
3.4 Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.)
3.4.1 Irenaeus
3.4.2 Hippolyt
3.4.3 Origenes
3.4.4 Eusebius von Caesarea
3.4.5 Théodoret de Cyr
3.4.6 Hieronymus
3.4.7 Lateinische christliche Autoren vor und neben Hieronymus
3.5 Die Septuaginta in den orthodoxen Kirchen
3.5.1 Die Septuaginta als Quelle der griechisch-orthodoxen Hymnographie am Beispiel des byzantinischen Kanons
3.5.2 The Septuagint in Russia
3.6 The Septuagint in Pagan Greek Texts
Die Autorinnen und Autoren
Register
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HANDBUCH ZUR SEPTUAGINTA HANDBOOK OF THE SEPTUAGINT
LXX.H Herausgegeben von Martin Karrer, Wolfgang Kraus und Siegfried Kreuzer
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gtvh 08105 / p. 3 / 31.3.2022
HANDBUCH ZUR SEPTUAGINTA HANDBOOK OF THE SEPTUAGINT
LXX.H
BAND VOLUME
6
Martin Meiser / Florian Wilk (Hg./eds.)
Die Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte der Septuaginta The History of the Septuagint’s Impact and Reception Gütersloher Verlagshaus
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1. Auflage Copyright © 2023 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München ISBN 978-3-641-31096-7 www.gtvh.de
gtvh 08105 / p. 5 / 31.3.2022
Inhaltsverzeichnis Vorwort zum Handbuch der Septuaginta / Handbook of the Septuagint . . . Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.
2.
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Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Die jüdische Bezeugung und Verteidigung des »kanonischen« Wertes der Übersetzung der Thora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mogens Müller 1.2 Die Übernahme der Entstehungsgeschichte im ältesten Christentum bis Augustin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mogens Müller Termini, Themen und Texte der Septuaginta . 2.1 Termini und Themen der Septuaginta . . . . . . 2.1.1 Gottesbezeichnungen . . . . . . . . . . Martin Meiser 2.1.2 Attribute Gottes . . . . . . . . . . . . . Antonella Bellantuono 2.1.3 Präexistenz des himmlischen Heiligtums Michael Bachmann 2.1.4 Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . Eberhard Bons 2.1.5 Exodus . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anna Mambelli 2.1.6 Götterbild . . . . . . . . . . . . . . . . Stefanie Peintner 2.1.7 Konversion . . . . . . . . . . . . . . . . Daniela Scialabba 2.1.8 God as Pedagogue . . . . . . . . . . . . Jason M. Zurawski 2.1.9 Kultterminologie . . . . . . . . . . . . . Martin Vahrenhorst 2.1.10 Halacha . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian A. Eberhart 2.1.11 Gottesschau . . . . . . . . . . . . . . . Christian A. Eberhart / Martin Meiser 2.1.12 Messianic Texts . . . . . . . . . . . . . Arie van der Kooij 2.1.13 Hoffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . Cristina Buffa / Martin Meiser
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Inhaltsverzeichnis
2.2 Texte der Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Pentateuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.1-4 Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri . . . . . . . . . . . Martin Meiser 2.2.1.5 Deutéronome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cécile Dogniez 2.2.2 Geschichtsbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.1 Joshua . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michaël N. van der Meer 2.2.2.2 Richter – 2. Königtümer . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Meiser 2.2.2.3 3.-4. Königtümer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Benedikt Collinet 2.2.2.4 Chronicles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ma Victoria Spottorno 2.2.2.5 Esther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marie-Theres Wacker 2.2.2.6 Tobit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beate Ego 2.2.2.7 Reports about the Maccabean Martyrs in Jewish and Christian Reception . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Willem van Henten 2.2.3 Psalmen und Weisheitsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3.1 Psalmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Brucker 2.2.3.2 Proverbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Susan Docherty 2.2.3.3 Ecclésiaste / Kohelet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Françoise Vinel 2.2.3.4 Cantique des cantiques . . . . . . . . . . . . . . . . . Jean-Marie Auwers 2.2.3.5 Ijob . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Witte 2.2.3.6 Weisheit Salomos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mareike Blischke 2.2.3.7 Jesus Sirach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Ueberschaer 2.2.4 Propheten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4.1 Dodekapropheton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gert J. Steyn / Martin Meiser 2.2.4.2 Jesaja. Die Septuaginta-Version des Jesaja-Buches in der Patristik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias Skeb 2.2.4.3 Jeremia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Meiser
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Inhaltsverzeichnis
2.2.4.4 Zur Rezeption von Baruch 3,38 . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Kraus / Christian Lustig 2.2.4.5 Ezechiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Konkel 2.2.4.6 Daniel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Olariu / Michael Segal 3.
Rezeptions- und Auslegungsgeschichte der Septuaginta . . . . . . 3.1 Die Septuaginta in antiker jüdischer Literatur . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Die Literatur des Zweiten Tempels . . . . . . . . . . . . . . Jan Dochhorn 3.1.2 Der Aristeasbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mogens Müller 3.1.3 Philon von Alexandria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jutta Leonhardt-Balzer 3.1.4 Josephus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Avioz 3.1.5 Jüdisch-griechische Inschriften . . . . . . . . . . . . . . . . Walter Ameling 3.1.6 Tannaitisches Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elisabeth Bittner 3.1.7 Byzantine Judaism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicholas de Lange 3.2 Die Septuaginta im Neuen Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Synoptische Evangelien und Apostelgeschichte . . . . . . . . Mogens Müller 3.2.2 Johannesevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Labahn 3.2.3 Corpus Paulinum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Wilk 3.2.4 Hebräerbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Karrer 3.2.5 Catholic Epistles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steve Moyise 3.2.6 Johannesapokalypse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Karrer 3.3 Die Septuaginta in den neutestamentlichen Apokryphen, bei den Apostolischen Vätern und Apologeten . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Christian Apocryphal literature (including Gnostic literature) Rémi Gounelle 3.3.2 Church Orders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jonathan A. Draper 3.3.3 Apostolische Väter und Apologeten . . . . . . . . . . . . . . Martin Meiser
373 381 396
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Inhaltsverzeichnis
3.4 Die Septuaginta bei den Kirchenvätern (2.–5. Jh.) . . . . . . . . . . 3.4.1 Irenaeus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephen O. Presley 3.4.2 Hippolyt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katharina Bracht 3.4.3 Origenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Metzler 3.4.4 Eusebius von Caesarea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Xaver Risch 3.4.5 Théodoret de Cyr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jean-Noël Guinot 3.4.6 Hieronymus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Schulz-Flügel 3.4.7 Lateinische christliche Autoren vor und neben Hieronymus Martin Meiser 3.5 Die Septuaginta in den orthodoxen Kirchen . . . . . . . . . . . . 3.5.1 Die Septuaginta als Quelle der griechisch-orthodoxen Hymnographie am Beispiel des byzantinischen Kanons . . Konstantin Nikolakopoulos 3.5.2 The Septuagint in Russia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anatoly A. Alexeev 3.6 The Septuagint in Pagan Greek Texts . . . . . . . . . . . . . . . . John Granger Cook Die Autorinnen und Autoren
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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aquila, Symmachus, Theodotion . . . . . . 3. Antike und mittelalterliche jüdische Literatur 4. Griechisch-römische Autoren . . . . . . . . 5. Neues Testament . . . . . . . . . . . . . . . 6. Antike christliche Texte . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort zum »Handbuch zur Septuaginta« Das Handbuch zur Septuaginta, dessen Band zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte hier vorliegt, will eine umfassende Darstellung der derzeitigen Forschungen zur Septuaginta und ihrem Umfeld geben. Es ist damit Hinführung zu den vielfältigen Fragen und Ergebnissen der Septuagintaforschung, Bilanz des aktuellen Standes und Grundlage für die weitere Forschung. Bereits erschienen sind die Bände zur Einleitung, zur Sprache und zur Theologie der Septuaginta. Vorgesehen sind Bände zur Textgeschichte, zum historischen Kontext und zur historischen Geographie. Die Planungen für das Handbuch entstanden auf dem Hintergrund von »Septuaginta-Deutsch«. Schon die Übersetzung Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung (hg. von Wolfgang Kraus und Martin Karrer, 2009; 22010) und die damit verbundenen Bände Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare (hg. Martin Karrer und Wolfgang Kraus, 2011) waren international orientiert. In den Bänden des Handbuches spiegelt sich dieses Anliegen in der internationalen und interdisziplinären Zusammensetzung des Herausgeberkreises und auch der Autorenschaft. Die Septuagintaforschung erlebt in jüngster Zeit eine eindrucksvolle Blüte. Ein Ausdruck dafür sind die zahlreichen Übersetzungsprojekte. Während zuvor nur zwei schon ältere englische Übersetzungen existierten, gibt es nun bzw. sind in Bearbeitung eine neue Übersetzung in Englische, eine französische Übersetzung, die erwähnte deutsche Übersetzung, aber auch Übersetzungen ins Rumänische, Spanische, Italienische, Serbische, Neugriechische, Japanische, Koreanische und Ungarische. Die Übersetzungen erleichtern den Zugang zur Septuaginta und fördern ihre Wahrnehmung nicht nur im Bereich der Theologie, sondern auch in anderen Fachgebieten wie etwa der Geschichte, der Sprachwissenschaft oder der Übersetzungs- und der Editionswissenschaft. Zugleich ergeben sich immer wieder neue Fragestellungen als Herausforderung an die Septuagintawissenschaft. Die verschiedenen Teilbände des Handbuchs zur Septuaginta wollen hier die bisherigen Forschungen bündeln, neue Fragestellungen aufnehmen und sowohl Basis als auch Impuls für die weitere Forschung geben. Die Hauptherausgeber danken den Herausgebern der Bände und den zahlreichen Autorinnen und Autoren für ihre engagierte Arbeit und dem Gütersloher Verlagshaus für den Mut, dieses große Projekt auf den Weg zu bringen und zu realisieren. Siegfried Kreuzer, Wolfgang Kraus und Martin Karrer
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Vorwort Der vorliegende Band zum Handbuch zur Septuaginta ist einem außerordentlich breiten Thema gewidmet. Die Wirkungsgeschichte der Septuaginta setzt im Grunde bereits kurz nach Abfassung der ersten Übersetzung eines biblischen Buches, der Genesis, ins Griechische ein, insofern diese – wie dann auch die Übersetzung des Pentateuchs im Ganzen – die später entstandenen griechischen Fassungen anderer biblischer Bücher mehr oder weniger stark geprägt hat. Die Wirkungsgeschichte der Septuaginta vollzieht sich in vielen verschiedenen Lebensbereichen: in der Philosophie, der Liturgie, der Literatur, der Kunst, um nur vier zu nennen. Und sie erstreckt sich in etlichen dieser Bereiche bis in die Gegenwart hinein. Dieses weite Feld an Wirkungen kann im vorliegenden Band selbstverständlich nicht umfassend oder auch nur in repräsentativer Auswahl dargestellt werden. Einem solchen Ansinnen stünde nicht nur der vorgesehene Umfang des Bandes entgegen, sondern auch der fragmentarische Stand der entsprechenden Forschungsarbeit. Andererseits soll der Band auch nicht eine zufällige Zusammenstellung exemplarischer Einblicke in jenes Feld an Wirkungen bieten. In seiner Anlage folgt er deshalb folgenden Überlegungen und Grundentscheidungen: 1. Die Schriftensammlung »Septuaginta« ist in einem längeren Prozess entstanden, bildet in sich – etwa in konzeptioneller Hinsicht – kein geschlossenes Ganzes und ist oftmals nur partiell gelesen und verwendet worden. Als Ausgangspunkt der Wirkungsgeschichte kommt daher nicht nur das Gesamtgefüge der Septuaginta in den Blick; vielmehr sind auch einzelne Begriffe, Themen, Bücher und Partien dieses Textgefüges hinsichtlich ihrer jeweiligen Wirkungen zu bedenken. Dabei werden gegebenenfalls auch innerhalb dieser Schriftensammlung erfolgte Wirkungen berücksichtigt. 2. Eine »Wirkung« der Septuaginta im Ganzen oder eines einzelnen ihrer Elemente liegt dort vor, wo dieses oder jenes in späterer Zeit benutzt wird und dabei in seiner besonderen, septuagintaspezifischen Eigenart auf neue Weise Sinn generiert. Mit Blick auf die Eindeutigkeit derartiger Zusammenhänge beschränkt sich die Darstellung weithin auf textuell dokumentierte Rezeptionsvorgänge. Nur in besonders begründeten Einzelfällen werden auch andere prägnante Verwendungsweisen einbezogen. 3. Im Zuge einer Nutzung fungieren sowohl der Text der Septuaginta als auch die jeweiligen Rezipienten als Produzenten von Sinn; ein neuer Sinn entsteht jeweils im Zusammenspiel zwischen dem Text und denen, die ihn interpretierend verwenden. Demgemäß ist die Wirkungsgeschichte in zwei Hinsichten darzustellen: zum einen ausgehend von bestimmten Begriffen, Themen und Textabschnitten der Septuaginta, zum andern für bestimmte Autoren, Gruppen, Schriften und Textkorpora aus späterer Zeit. Sachliche Überschneidungen zwischen einzelnen Beiträgen werden dabei nicht nur in Kauf genommen, sondern als vertiefte Wahrnehmungen der betreffenden Zusammenhänge begrüßt. 4. Selbst in der Eingrenzung auf textuell dokumentierte Rezeptionsvorgänge ist die Wirkungsgeschichte der Septuaginta unüberschaubar vielfältig. Die Darstellung konzentriert sich deshalb auf die Antike als Wirkungsraum und nimmt nur dort, wo es sachlich geboten erscheint, weitere Zeiträume in den Blick. Eine Konzentration auf die 11
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Inhaltsverzeichnis
Rezeption der Septuaginta in Texten jüdischer und christlicher Provenienz ergibt sich dabei von selbst. Darüberhinausgehende Wirkungen sind jedoch an mancher Stelle durchaus im Blick. Dass in den einzelnen Beiträgen individuelle Schwerpunktsetzungen vorgenommen werden, ist unvermeidlich. Auf die Vorgabe eines abzuarbeitenden Programms wurde seitens der Herausgeber bewusst verzichtet. Eine irgendwie geartete Vollständigkeit wäre ohnehin keinesfalls zu erreichen. Aus diesen Überlegungen ergibt sich der im Inhaltsverzeichnis detailliert dokumentierte Aufbau des Bandes. Der erste Hauptteil ist den antik-jüdischen und -christlichen Versionen der Entstehungsgeschichte der Septuaginta gewidmet. Im zweiten Hauptteil werden die Wirkungen und Auslegungsprozesse behandelt, die einerseits wichtige Begriffe und Themen, andererseits markante Texte und Bücher der Septuaginta ausgelöst haben. Der dritte Hauptteil geht vor allem der Verwendung und Deutung von Septuagintatexten in Schriften des antiken Judentums sowie des antiken Christentums nach; Ausblicke auf die Fortwirkungen der Septuaginta einerseits in zwei Bereichen des orthodoxen Christentums, andererseits in antik-paganen Schriften runden den Hauptteil ab. Die Tochterübersetzungen werden in dem Band zur Textgeschichte gebührend berücksichtigt werden. Die Vergabe der Artikel war infolge der Komplexität der Aufgabe nicht immer einfach; für manche Themen musste der Erstunterzeichnete entgegen der ursprünglichen Planung schließlich selbst die Verantwortung übernehmen. Die Herausgeber danken den Autorinnen und Autoren für ihre sorgfältige Arbeit an den Beiträgen und ihre Geduld im langen Redaktionsprozess. Dessen Durchführung wurde durch Herrn PD Dr. Andreas Klingenberg (Köln), Frau Nora Hempel und Frau Kerstin Kirsch (beide Saarbrücken) sowie Herrn Benjamin Blum (Wuppertal) und Herrn Niklas Henning (Göttingen) wesentlich gefördert; für die Drucklegung zeichnen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gütersloher Verlagshauses in gewohnt zuverlässiger Weise verantwortlich. Auch Ihnen gilt unser Dank. Saarbrücken und Göttingen, im Juli 2021
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Martin Meiser Florian Wilk
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1. Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen
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1.1 Die jüdische Bezeugung und Verteidigung des »kanonischen« Wertes der Übersetzung der Thora Mogens Müller Literatur Editionen und Übersetzungen Lettre d’Aristée a Philocrate, ed. André Pelletier, SC 89, Paris 1962 – Aristeas: Der König und die Bibel. Griechisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Kai Brodersen, Reclams Universalbibliothek Nr. 18576, Stuttgart 2008 – Meisner, Norbert: Aristeasbrief, JSHRZ II, Gütersloh 1973, 35-87 – Sauer, Georg, Jesus Sirach, JSHRZ III 5, Gütersloh 1981 – Walter, Nikolaus, Fragmente jüdisch-hellenistischer Exegeten: Aristobulos, Demetrios, Aristeas, JSHRZ III 2, Gütersloh 1975 – Die Werke Philos von Alexandrien in deutscher Übersetzung, ed. Leopold Cohn, I,1, Breslau 1909 – Philo of Alexandria, with an English Translation by Francis H. Colson, Vol. VI, LCL, London/Cambridge [MA] 1935 – Des Flavius Josephus Jüdische Altertümer. Übersetzt und mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Heinrich Clementz, Bd. I–II, 8. Aufl. Wiesbaden 1989 – Flavius Josephus. Kleinere Schriften: Selbstbiographie, Gegen Apion, Über die Makkabäer, übersetzt und mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Heinrich Clementz, 2. Aufl. Wiesbaden 1995. Clemens Alex.: Stromata I-VI, ed. Otto Stählin / Ludwig Früchtel, 4. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 52, Berlin 1985 – Eusebius Caes.: Commentaria in Psalmos, PG 23, 66-1396; PG 24, 9-76 – Eusebius Caes.: Praeparatio evangelica, 1. Teil: Einleitung, Die Bücher 1-10, ed. Karl Mras, GCS 43/1, Berlin 1954, 2. Aufl., ed. Karl Mras / Édouard des Places 1970; Bd. 2, ed. Karl Mras, GCS 43/2, Berlin 1956, 2. Aufl., ed. Karl Mras / Édouard des Places, Berlin 1970.
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Die jüdische Bezeugung und Verteidigung des »kanonischen« Wertes der Übersetzung der Thora
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Die Übersetzer der Thora ins Griechische haben keine Auskunft über sich selbst gegeben. In der Folgezeit entsteht jedoch eine Erzählung, die erklären – und vielleicht auch verteidigen – will, wie und warum es zu diesem Projekt kam. So existieren aus der Zeit des 2. Jh. vor und dem 1. Jh. n. Chr. vier jüdischen Quellen, die von der Entstehung der griechischen Übersetzung der Thora erzählen. 1
1. Aristobulos Der älteste Zeuge scheint der jüdische Philosoph Aristobulos 2 zu sein, der während der Regierungszeit des Ptolemäus VI. Philometor (181-145 v. Chr.) in Alexandria wirkte. 3 Bei ihm finden sich einige Elemente der später stark entwickelten Entstehungslegende, obwohl sein Hauptinteresse die Bestätigung dessen war, dass Teile der Thora auch vor Ptolemäus II. Philadelphos in griechischer Übersetzung vorlagen. In einem Fragment, das in Eusebius von Caesareas Praeparatio evangelica erhalten geblieben ist, erklärt Aristobulos seinem König: Es ist offenbar, daß Platon sich an das bei uns geltende Gesetz angeschlossen hat, und er hat sich offensichtlich um jede Einzelheit in ihm sorgfältig bemüht. Denn schon vor Demetrios von Phaleron, schon vor der Einnahme (Ägyptens) durch Alexander, ja vor der durch die Perser, ist von anderen die Erzählung vom Auszug der Hebräer, unserer Landsleute, aus Ägypten und die anschauliche Schilderung aller ihnen widerfahrenen Ereignisse sowie die Inbesitznahme des Landes und die ausführliche Darstellung der ganzen Gesetzgebung in Übersetzung zugänglich gemacht worden, so daß deutlich ist, daß der eben genannte Philosoph vieles daraus entlehnt hat – er war nämlich vielseitig gebildet –, wie auch Pythagoras vieles den bei uns (geläufigen Anschauungen) entnommen und in sein 1. 2. 3.
Zu mehr übergreifenden Darstellungen der Geschichte der Entstehungserzählung in jüdischen Quellen vgl. z. B. Müller: The First Bible, 46-67; Wasserstein / Wasserstein: Legend, 19-50. Siehe hierzu Müller: Motive der Septuaginta bei Aristobul, passim. Früher wurde die Authentizität der Aristobulosfragmente bei Clemens von Alexandrien und Euseb von Cäsarea oft in Zweifel gezogen. Heute ist Aristobulos aber allgemein »rehabilitiert«, nicht zuletzt durch Walter: Der Thoraausleger Aristobulos. Siehe auch Schürer: The History of the Jewish People, III, 1, 579-587, und, mit ausführlicher Forschungsgeschichte, Holladay: Fragments from Hellenistic Authors, III, Aristobul. Nicht überzeugt von der Existenz eines historischen Aristobulos sind jedoch Wasserstein / Wasserstein: Legend, 27-35. Sowohl Clemens als auch Euseb identifizieren diesen Aristobulos mit dem gleichnamigen in 2Makk 1,10, der als der Lehrer des späteren König Ptolemäus Philometor genannt wird.
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eigenes Lehrsystem eingebaut hat. Die vollständige Übersetzung aller Stücke im Gesetz jedoch (geschah) unter dem König mit den Beinamen Philadelphos, deinem Vorfahren, der (diesem Vorhaben) ganz besondere Aufmerksamkeit zuwendete, während Demetrios von Phaleron (alles) dafür (Nötige) ins Werk setzte … 4
Aristobulos berichtet hier als von etwas allgemein Bekanntem und baut im gegebenen Fall auf vorliegenden Überlieferungen auf. Es geht ihm offensichtlich nicht um die Korrektheit der Übersetzung, sondern vorerst um die Feststellung, dass das, was unter Ptolemäus II. Philadelphos geschah, allein die Vollendung einer lange zuvor angefangenen Arbeit war. Auch lange zuvor lagen große Teile der Thora in griechischer Sprache vor. Denn das Hauptanliegen des Aristobulos ist die Feststellung, dass auch Philosophen wie Platon und Pythagoras, die im 4., beziehungsweise 6. Jh. v. Chr. wirkten, Gedanken aus der Thora entlehnt hatten. So ist Aristobulos der älteste bekannte Zeuge der Vorstellung von dem »Diebstahl der Hellenen«, die später sowohl im Judentum wie im Christentum in der Apologetik eine große Rolle spielte. Besondere Schwierigkeiten bereitet jedoch seine Auskunft über Demetrios von Phaleron als den, der für alles Praktische in Verbindung mit dem Übersetzungswerk sorgte. Denn obwohl dieses Detail im Aristeasbrief und danach von Josephus und einigen christlichen Autoren in die Entstehungslegende übernommen wird, scheint eine Verbindung zwischen ihm und der Übersetzung während Philadelphos historisch unmöglich zu sein. 5 Dass hier Demetrios von Aristobulos eingeführt wird, erklärt sich aus seinem apologetischen Interesse, einen solchen berühmten Staatsmann als Garant des Projektes zu haben. Von der Rezeption dieser Übersetzung bei den Juden sagt das Fragment nichts.
2. Aristeasbrief Das Zeugnis des Aristobulos ist mit einiger Sicherheit rund hundert Jahre nach dem Ereignis zu datieren. Die »Hauptquelle« der Entstehungsgeschichte, der Aristeasbrief, ist zeitlich etwas später anzusetzen. Denn obwohl diese Erzählung – Brief ist eigentlich eine irreführende Bezeichnung; selbst nennt es sich »Bericht (διήγησις)« (Arist 1, 8 und 322) – vorgibt, gleichzeitig mit dem Übersetzungsunternehmen geschrieben zu sein, herrscht in der Forschung seit langem Einigkeit darüber, dass dies nicht der Fall ist. Der Aristeasbrief ist eher als ein pseudepigraphischer hellenistischer Roman zu 4.
5.
Euseb. Caes.: Praep. ev. XIII, 12,1 f., GCS 43/2, 190 f.; Übersetzung nach Walter: JSHRZ III, 2, S. 273 f. Teile dieses Fragments befinden sich auch in Clemens von Alexandria: Strom. I, 148,1; 150,1-3, GCS 52, 92 f. Siehe die Diskussion bei Bickerman: Septuagint, überarbeitete Ausgabe, 168 f. Wahrscheinlich wurde Demetrios 282 nach dem Tod von Ptolemäus I. Soter verbannt. Collins: 281 BCE, behauptet, ausgehend von patristischen Quellen (z. B. Irenaeus: Adversus haereses III, 21,2 FC 8/3, 254-256), dass die Initiative zur Übersetzung deshalb bereits während der Lebenszeit von Ptolemäus I. Lagos, also vor der Verbannung des Demetrios ergriffen wurde. Überhaupt setzt Nina Collins ein überraschendes Vertrauen in Quellen, die ihre Ansichten unterstützen. Früher hat auch Gilles Dorival Ptolemäus I. die Initiative der Übersetzungsarbeit zugeschrieben; vgl. Harl / Dorival / Munnich: La Bible greque, 76 f., während Orth: Ptolemaios II., insb. 108-110, die Nennung des Demetrios als einen Anachronismus betrachtet.
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charakterisieren, 6 der wahrscheinlich in den letzten Jahrzehnten des 2. Jh. v. Chr. entstanden ist. 7 Seine eventuellen Quellen kennen wir nicht. Dass jedoch der Verfasser die Auskunft über die Beteiligung des Demetrios von Phaleron einarbeitet, obwohl er aus dem Staatsmann einen Bibliothekar macht, macht es glaubhaft, dass er das Werk des Aristobulos gekannt hat. 8 Aristeas’ Erzählung hatte ihre Anziehungskraft in erster Linie dank ihrer Geschichte der Entstehung der griechischen Übersetzung der Thora. Das ist schon an der abkürzenden Wiedergabe bei Josephus zu erkennen. Diese Entstehungsgeschichte ist aber eigentlich eine Rahmenerzählung der stark apologetischen Beschreibung der Begegnung des Königs mit den Übersetzern, die eine Gelegenheit bietet, ihn von der Überlegenheit des Inhaltes der Thora zu überzeugen. 9 Der pseudonyme Verfasser verbirgt sich hier hinter einem Aristeas, der angeblich wie sein Gefährte Andreas ein hohes Amt am Hof des Ptolemäus innehat, und ist an den gleicherweise vornehmen Philokrates adressiert. Der Verlauf der Ereignisse ist nach Aristeas folgender: Der Oberbibliothekar der königlichen Bibliothek, der also mit Demetrios von Phaleron identifiziert wird, erzählt dem König, dass eine Abschrift des heiligen Gesetzes (νόμιμα) der Juden ein desideratum ist. Von dem König gefragt, was eine Beschaffung dessen verhindert, gibt er als Antwort: »Sie bedürfen einer Übersetzung. In Judäa gebraucht man nämlich eigene Buchstaben, die wie die ägyptischen gesetzt werden, dementsprechend haben sie auch ihre eigene Sprache« (11). 10 Der König befiehlt dann, dass man den Hohepriester der Juden anschreiben soll, um das Projekt auszuführen. Dies wird nun von Aristeas ge6. Der pseudepigraphe Charakter dieser Schrift wurde bereits im 16. Jh. entdeckt. Siehe zum Beispiel Hanhart: Tradition, in ders.: Studien, 235, der Juan Luis Vives (1492-1540), Joseph Justus Scaliger (1540-1609) und Humphrey Hoodys (1659-1707) als die ersten Vertreter dieser Anschauung nennt. Für eine mehr nuancierte Diskussion siehe Rajak: Translation, 38-43. 7. Schürer: History III, 677-680, der es wahrscheinlich findet, dass Aristobulos den Aristeasbrief gekannt hat, argumentiert jedoch für eine Ansetzung am Anfang des 2. Jh. v. Chr., während Honigman: Septuagint, die Entstehungszeit kurz vor 145 v. Chr. ansetzt (sie meint übrigens, dass die Übersetzung sich am besten in die Zeit des Ersten Syrischen Krieges (274-271) unterbringen lässt), plädieren Wasserstein / Wasserstein: Legend, 20, für eine Zeit um 200 v. Chr. Durch Vergleich mit Titeln und ptolemäischen Dokumenten sowie der politischen Situation datiert Meisner: Untersuchungen, den Aristeasbrief auf die Zeit um 125 v. Chr. 8. So auch mit einigen Vorbehalten Walter: Der Thoraausleger Aristobulos, 88-103, insb. 102 f. 9. Im Anschluss an den Gedanken, dass Aristeas geschrieben ist, um eine bestimmte Übersetzung der Thora zu verteidigen, nämlich eine alexandrinische, gegenüber einer alternativen aus dem Tempel in Leontopolis (so z. B. Jellicoe: Occasion), hat Rösel: Aristeas, passim, einen neuen Vorschlag zur Diskussion gestellt: Weil Aristeas in einer Zeit entstanden ist, wo auch griechische Übersetzungen der Mehrheit der übrigen später biblischen Bücher vorlagen (vgl. den Prolog zum Jesus Sirach), lässt es sich vielleicht besser als eine priesterlich-sadduzäische Verteidigung des Tempels Jerusalems als des einzig legitimen und der Bücher Mose als allein »kanonisch« verstehen, wo die Leute in Leontopolis vielleicht einen umfangreicheren »Kanon« vertraten. Stimmt das, geht es also allererst um den Umfang des »Kanons« und erst an zweiter Stelle um den Wortlaut. Auch bei Philo ist ja nur der Pentateuch heilige Schrift. 10. Übersetzung nach Meisner: JSHRZ II,1. Griechischer Text nach Pelletier: Lettre d’Aristée à Philocrate. Neuere deutsche Übersetzung in Brodersen: Aristeas. Der König und die Bibel, passim.
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schickt mit der Freilassung von jüdischen Kriegsgefangenen in Verbindung gebracht. Denn Worte und Handlungen sollten übereinstimmen. »Da nämlich das Gesetz, das wir nicht nur abzuschreiben, sondern auch zu übersetzen beabsichtigen, für alle Juden gilt, welche Berechtigung werden wir zu einer Gesandtschaft haben, wenn noch so große Massen (von Juden) sich in deinem Reich in Sklaverei befinden?« (15) Der König erlässt sofort ein großzügiges Edikt über den Freikauf und befiehlt Demetrios ein Memorandum bezüglich einer Abschreibung der jüdischen Bücher (περὶ τῆς τὼν Ἰουδαϊκῶν βιβλίων ἀντιγραφῆς) (28) anzufertigen. Es lautet: Neben gewissen anderen fehlen die Bücher des Gesetzes der Juden; sie sind nämlich in hebräischer Sprache verfaßt und unsorgfältig und nicht wie es sich gehört geschrieben (ἀμελέστερον δὲ, καὶ οὐχ ὡς ὑπάρχει, σεσήμανται), 11 wie die Sachverständigen berichten; ihnen fehlte es nämlich an königlicher Fürsorge. Es ist aber notwendig, dass sich nach einer Verbesserung auch diese in deiner Bibliothek befinden, da dies eine philosophische und reine, weil göttliche Gesetzgebung ist (30 f.).
Wenn die Schriftsteller, Dichter und all die Historiker diese »Bücher und die Männer, die ihnen gemäß lebten und noch leben« nicht erwähnen, ist es, »weil sich in ihnen eine heilige und reine Anschauung findet, wie Hekataios von Abdera sagt« (31). 12 Deshalb fordert er nun den König auf, dem Hohepriester in Jerusalem zu schreiben, »er möge Greise mit besonders guten Lebenswandel herschicken, die sich in ihren Gesetz auskennen, und zwar von jedem Stamm sechs, damit wir den Text, in welchem die Mehrheit übereinstimmt, prüfen und eine genaue Übersetzung erhalten (τὸ κατὰ τὴν ἑρμηνείαν ἀκριβές)« (32; wie in 39 referiert, wird im Brief hinzugefügt: »ist doch die Angelegenheit von höchster Wichtigkeit«). Zusammen mit dem Brief, der von zwei Obersten der Leibgarde, Andreas und Aristeas, überbracht wird, folgen köstliche Weihgeschenke für den Tempel. Der Hohepriester namens Eleazar antwortet neben einem sehr entgegenkommenden Brief mit einer Übersendung von 72 Übersetzern, deren Namen aufgelistet werden, zusammen mit einem Exemplar des Gesetzes (46), das erst sehr viel später (176) zusammen mit den von dem Hohepriester übersandten Gaben beschrieben wird als »den verschiedenen Pergamenten, auf denen das Gesetz geschrieben stand. Es war aber mit goldener Schrift in jüdischen Buchstaben geschrie-
11. Früher wurde σεσήμανται in der Bedeutung »übersetzt« genommen – so zum Beispiel Kahle: Cairo Geniza, 212-214, und Johannes Munck in der dänischen Übersetzung des Aristeas, 402. Seit Zuntz: Aristeas Studies, 116-118, wird das Verbum jedoch allgemein in der Bedeutung »geschrieben« verstanden. So auch die neueren Übersetzungen. Niehoff: Jewish Exegesis, 3035, hat inzwischen dafür argumentiert, dass u. a. die Wortwahl in Arist 30 mit οὐχ ὡς ὑπάρχει (nicht wie gegeben/vorhanden) und σεσήμανται (geschrieben/gedeutet/übersetzt) auf Polemik gegen zeitgenössische jüdische Exegeten wegen eines Umgangs mit der Schrift wie der des Aristarchos und seiner Schule zielte, wo verschiedene Zeichen signalisierten, was ursprünglich und was später hinzugekommen war. Die Worte betreffen also den griechischen Text. Niehoffs Konklusion lautet (34): »It is thus the original pre-critical stage of the biblical text which Aristeas hopes to recover through the notion of a new translation from the Hebrew original.« 12. Für eine Diskussion, wie diese Nennung von Hekataios von Abdera (ca. 350-290 v. Chr.) zu verstehen ist, siehe Schaller: Hekataios von Abdera. Schaller kommt zu einem negativen Urteil in der Frage der Echtheit.
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ben; das Pergament war wunderbar gearbeitet, und die Verbindung zwischen den einzelnen Pergamenten konnte man nicht erkennen.« 13 Vorher kommt dennoch eine ausführliche Beschreibung der königlichen Geschenke an den Hohepriester, der Sendung selbst und die Einführung derselben in die Weisheit des Gesetzes der Juden (47-171; s. u.). Die Beschreibung der Pergamente in Verbindung mit dem Überreichen umfasst auch die Reaktion des Königs: »Als sie die Rollen aus den Futteralen geholt und die Blätter entrollt hatten, verharrte er lange Zeit davor; und nachdem er sich etwa siebenmal (vor ihnen) verneigt hatte, sprach er: ›Männer, ich danke euch, mehr noch dem, der euch gesandt hat, am meisten aber dem Gott, dessen Sprüche dies sind‹« (177). Nachdem der König nun in sieben Tagen jeden der 72 befragt und ihre weisen Antworten bewundert hat (182-300), werden sie nach weiteren drei Tagen von Demetrios auf die Insel Pharos gebracht, wo sie denn die Übersetzungsarbeit folgendermaßen vollbrachten: (zunächst) brachten sie die einzelnen (Übersetzungen) durch Vergleich in Übereinstimmung; worin sie nun übereingekommen waren, das schrieb Demetrios in diesem Wortlaut ordentlich nieder. Und die Sitzungen dauerten bis zur neunten Stunde; danach gingen sie auseinander, um sich um ihr leibliches Wohl zu kümmern, wobei für alles, was sie wünschten, verschwenderisch gesorgt war (302).
Nach königlichem Befehl bekamen sie hier dasselbe Essen wie der König und machten jeden Tag auch frühmorgens dem König ihre Aufwartung, um dann zu ihrem Versammlungsort zurückzukehren. »Wie es aber bei allen Juden Brauch ist, wuschen sie sich die Hände im Meer und wandten sich, sobald sie zu Gott gebetet hatten, der Lektüre und Interpretation (διασάφησις) der einzelnen Stellen zu« (305). Es kommt hier auch zu einer Erklärung dieses Händewaschens, nämlich dass sie damit »bezeugten, nichts Schlechtes getan zu haben – denn jede Tätigkeit geschieht vermittels der Hände –, indem sie in schöner und frommer Weise alles auf Gerechtigkeit und Wahrheit bezogen« (306). Von dem Ergebnis heißt es: »Es ergab sich aber, daß die Übersetzung in 72 Tagen fertiggestellt wurde, als ob dies absichtlich so geschehen wäre« (307). Die Übersetzung wird danach für die örtliche jüdische Bevölkerung – die übrigens zuvor mit keinem einzigen Wort genannt wurde – öffentlich vorgelesen, die Übersetzer finden großen Beifall und Demetrios wird gebeten, eine Abschrift des ganzen Gesetzes zu geben. Als die Rollen verlesen waren, traten die Priester, die Ältesten der Übersetzer, Vertreter der (jüdischen) Gemeinde zusammen und sprachen: »Da diese Übersetzung gut, fromm und völlig genau ist (καλῶς καὶ ὁσίως διηρμήνευται καὶ κατὰ πᾶν ἀκριβωμένως), ist es recht, daß sie so erhalten bleibt und keine Überarbeitung (διασκευή) stattfindet.« Da 13. Überhaupt überrascht die Gleichstellung von König und Hohepriester, die Aristeas wie auch später Philo und Josephus ohne weiteres voraussetzen. In ihren Briefen behandeln König und Hohepriester einander als ihresgleichen. Man bekommt überhaupt keinen Eindruck von der historischen Realität, nämlich, dass Ptolemäus die politische Oberherrschaft über Judäa innehatte. Judäa war ja Teil des ptolemäischen Reiches geworden, als Ptolemäus I. Soter das Gebiet nach der Schlacht bei Ipsos 301 v. Chr. eroberte, und war es bis zur Schlacht bei Paneas im Jahre 198 v. Chr., als die Seleukiden unter Antiochus III. dem Großen es wiedereroberten.
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nun alle diesen Worten zustimmten, ließen sie, wie es bei ihnen Sitte ist, den verfluchen, der durch Zusätze, Umstellungen oder Auslassungen (die Übersetzung) überarbeiten (διασκευάσει) würde. Das taten sie zu Recht, damit sie für alle Zukunft stets unverändert erhalten bleibt (310 f.). 14
Erst nach dieser »Kanonisierungszeremonie« wird auch dem König die Übersetzung vorgelesen. Seine Bewunderung des Gedankenganges des Gesetzgebers (τὴν τοῦ νομοθέτου διάνοιαν) ruft die Frage an Demetrios hervor, warum kein Historiker oder Dichter »ein so bedeutendes Werk erwähnt hat« (312), und die Antwort lautet: »Weil die Gesetzgebung heilig ist und von Gott stammt«, so dass die, die es früher tatsächlich versucht haben, von Gott geschlagen wurden und deshalb ihr Vorhaben aufgegeben haben (313). Als Beispiele führt Demetrios dann Theopomp (von Chios, 377-300 v. Chr.) an, der mehr als 30 Tagen von Sinnen war, weil er Stücke aus dem Gesetz, »was schon früher, aber ungenau übersetzt (τινὰ τῶν προηρμηνευμένων ἐπισφαλέστερον)« worden war, in seiner Geschichte verwenden wollte, und Theodektes (von Phaselis, 377-336 v. Chr.), der erblindete, als er etwas aus dem Buch in einem Drama verwenden wollte (314-316). »Als der König wie berichtet von Demetrios Auskünfte darüber eingeholt hatte, verneigte er sich und befahl, die Bücher mit großer Sorgfalt zu behandeln und sie heilig zu halten« (317). Danach wird davon berichtet, dass der König die Verbindung mit den Übersetzern zu bewahren wünscht und dass er ihnen reiche Geschenke gibt. Hiermit schließt Aristeas seinen Bericht an Philokrates. Es fällt bei dieser Erzählung von dem Zustandekommen der Übersetzung des Gesetzes ins Auge, dass sie keinerlei Motive einer göttlichen Eingebung aufzeigt. 15 Nur dass alles innerhalb von 72 Tagen vollendet wird, bekommt den Zusatz οἱονεὶ κατὰ πρόθεσίν τινα (gleichsam wie mit einer bestimmten Absicht; 307). Sonst wird die Qualität der Übersetzung vorerst mit den guten Absichten des Hohepriesters Eleazar und mit den hervorragenden Eigenschaften der 72 Übersetzer garantiert. 16 So wird der Hohepriester bereits am Anfang (3) in der Begründung des Aristeas, warum er an der Gesandtschaft nach Jerusalem teilzunehmen wünschte, als »ein durch Tugend (καλοκἀγαθίᾳ) und Rang von seinen Bürgern und (allen) anderen Menschen hochge-
14. Vgl. für ähnliche Sicherheitsvorkehrungen bezüglich des Gesetzes Moses, Dtn 4,2; 12,32. Eine Darstellung der Züge im Aristeasbrief, die den »kanonischen« Charakter der griechischen Übersetzung untermauern sollen, gibt Orlinsky: Septuagint, 94-97, wo es unter anderem heißt, dass »the biblical expression for »to canonize« [das ist: »to read aloud to the people«] is precisely the phrase employed in the Letter to indicate that the Septuagint, exactly as the Hebrew Torah, was canonized« (95). »It was, simply put, no less divinely inspired than the Hebrew original of Moses« (97). 15. Hanhart: Fragen um die Entstehung der LXX, 17, sieht diesen Zug als eine Folge der Vorstellung von der Abwesenheit des prophetischen Geistes in Israel, nachdem die Zeit der »richtigen« Propheten vorbei war: »Unter dieser Voraussetzung aber erscheinen die Aussagen des Aristeasbriefes über die Stellung der Judenschaft zur LXX in einem anderen Licht: Sie sind das bestmögliche Zeugnis, die dieser Übersetzung im Lichte dieses Geschichtsbildes überhaupt ausgestellt werden konnte« (Hervorhebung von Hanhart). 16. Dieser Hohepriester Eleazar scheint eine fiktive Person zu sein, obwohl Josephus ihn später mehrmals als eine historische Person in seine Darstellung einbezieht. Siehe dazu zum Beispiel Müller: Josephus und die Septuaginta, insb. 642.
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achteter Mann beschrieben, der auch die »für seine Bürger, die heimischen 17 und die in der Diaspora«, wichtigsten Eigenschaften mit Hinblick auf die Übersetzung des »göttlichen Gesetzes« besitzt, denn es befindet sich »bei ihnen auf Pergament in hebräischen Buchstaben (geschrieben)«. Schon zu Beginn werden also die Juden als die wichtigsten Adressaten der Übersetzung vorgestellt. Dass zudem die höchste Expertise an dem Projekt in diesen Auftrag eingebunden wurde, geht später aus der Beschreibung der 72 hervor. Denn nachdem sie in § 46 als »edle Greise« beschrieben sind, wird ihre Wahl in § 121 f. ausführlich dargestellt: Eleazar wählte ausgezeichnete Männer aus, die, weil vornehmer Abkunft, auch eine hervorragende Bildung besaßen und nicht nur die jüdische Sprache beherrschten, sondern auch eifrig die griechische studiert hatten. Deswegen waren sie auch für die Gesandtschaften gut geeignet und erfüllten, wenn nötig, diese Aufgabe, auch waren sie zu Gesprächen und Diskussionen über das Gesetz sehr begabt, wobei sie sich einer mittleren Haltung – diese ist ja die schönste – befleißigten: Grobheit und Unkultur hatten sie abgelegt, gleichermaßen aber auch Selbstgefälligkeit und das sich anderen überlegen Dünken überwunden. Im Gespräch ließen sie sowohl die Fähigkeit zum Zuhören als auch die, stets eine Antwort parat zu haben, erkennen, und alle pflegten diese (Fähigkeiten) und wollten – würdig ihres Leiters und seiner Tugend – besonders darin einander übertreffen.
Diese Charakteristik der von dem Hohepriester ausgewählten Übersetzer scheint ein implizites Urteil über andere Teile des Judentums zu enthalten, die nicht diese Qualitäten besaßen oder hochschätzten, indirekt auch eine Kritik eines Pentateuchtextes, der nicht diesen Standards entsprach. Denn eine »Kulturkluft« wird in der Antwort, die Aristeas dem aufgeklärten Hohepriester in dem Mund legt, sichtbar, wenn er von den ägyptischen Gesandten während ihres Aufenthaltes in Jerusalem nach dem Sinn der jüdischen Speisevorschriften gefragt wird (siehe 128-171). 18 Denn hier wird diese ganze Gesetzgebung einer allegorischen Interpretation unterworfen, die zum Beispiel die tiefere Bedeutung (παράσημον) der Rede von unreinen Tieren aufdeckt (147), nämlich »dass diejenigen, denen das Gesetz auferlegt ist, in ihrer Seele Gerechtigkeit üben und niemanden im Vertrauen auf die eigene Kraft unterdrücken und auch nichts wegnehmen, sondern ihr Leben in Gerechtigkeit führen sollen.« So wird ja auch weiter den Fragenden erklärt (161 f.): Der überaus tiefe Sinn der Rede über Unterscheidung und Erinnerung – wie wir Zweihufigkeit und Wiederkäuen auslegen –, ist dir gerade aufgewiesen worden. Die Gesetze sind nämlich nicht unüberlegt und aus plötzlicher Eingebung formuliert worden, sondern wegen der Wahrheit und um auf die richtige Einstellung hinzuweisen. Da er nämlich auch, was Essen, Trinken und Berühren anbetrifft, alles festgesetzt hat, befiehlt er, nichts aufs Geratewohl zu tun und zu hören und sich auch nicht durch Missbrauch der Redegewalt dem Unrecht zuzuwenden.
17. Die Nennung auch der einheimischen Bürger scheint indizieren zu wollen, dass der Hohepriester überhaupt den Schlüssel zu dem rechten Schriftverständnis besitzt. 18. Siehe Siegert: Interpretation, insb. 144-154, wo es (150) heißt: »Sect. 128-171 are one of the earliest hermeneutic programmes known from ancient literature.«
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Schließlich heißt es (169): »Auch bezüglich der Speisen und der unreinen Schlangen und Tiere zielt jedes Wort auf die Gerechtigkeit und das gerechte Zusammenleben der Menschen.« Die »mittlere Haltung« (τὸ μέσον κατάστημα), die außer in der Beschreibung der Übersetzer später auch in § 223 und 256 hervorgehoben wird, ist ein Topos der Populärphilosophie und die ist es, die in dem besonderen Wortlaut der Übersetzung zum Ausdruck kommt. Mit anderen Worten: Übersetzung wird auch als inhaltliche Vermittlung verstanden. Dieser Vermittlungscharakter ist es aber wahrscheinlich auch, der bereits im 2. Jh. v. Chr. in gewissen Kreisen, in oder vielleicht eher aus Palästina, die Übersetzung verdächtig gemacht hat. Jedenfalls gibt es bereits in vorchristlicher Zeit ein Beispiel (8ḤevXIIGr, in Palästina gefunden) einer Revision, die eine griechische Übersetzung in größere Übereinstimmung mit einem hebräischen Text zu bringen versucht. 19 Eine solche »Reaktion« könnte zusammen mit den Flüchtlingen, die Palästina in Verbindung mit der Erhebung gegen die Seleukiden verließen, nach Ägypten gekommen sein. Eine andere Frage ist, ob sich das zu der Theorie eines Kreises um den exilierten Hohepriester in Leontopolis konkretisieren lässt, der von dem ägyptischen König die Erlaubnis bekam, auf den Ruinen eines heidnischen Tempels einen jüdischen zu errichten. 20 Das erledigt auch die früher oft verhandelte Frage, ob die starke Versicherung, dass aus der von Ptolemäus befohlenen Übersetzung eine für alle Zukunft endgültige griechische Ausgabe der Thora resultierte, gegen frühere Übersetzungen gerichtet ist. Obwohl, wie in dem Aristobulosfragment, inzwischen von früheren Übersetzungsversuchen gesprochen wird, redet Aristeas von dem Produkt der 72 als der ersten vollständigen und also zudem allein korrekten Wiedergabe des Originals. Das bedeutet auch, dass der Aristeasbrief nicht als eine Verteidigung einer griechischen Übersetzung des Pentateuch als solches zu verstehen ist, 21 sondern dass dieser Roman den unantastbaren Charakter einer alten und etablierten griechischen Aus19. Auch deshalb könnte es dem Verfasser des Aristeasbriefes wichtig sein, dass die hebräische Grundlage der Übersetzung mit der höchsten Autorität ausgestattet wurde. So auch Gooding: Aristeas, 378, der konkludiert, dass es für Juden in Alexandria keinen besonderen Propagandawert besaß, dass 72 Juden aus Jerusalem so vertraut mit dem Griechischen waren, dass sie imstande waren, vom Hebräischen ins Griechische zu übersetzen. »But to have a translation that must be right, and must represent exactly what the Law meant, because it was made by seventy-two experts in interpretation of the Law, straight from Jerusalem and with the confidence of the High Priest, would be a great comfort for Jews who were disturbed by rumors and reports that not all Hebrew MSS agreed.« 20. Die Gründung dieses Tempels ist bezeugt in Josephus: Antiquitates XIII, 64-73, wo der exilierte Hohepriester als Onias III., hingegen im Bericht von der Zerstörung desselben Tempels in Bellum VII, 420-432 als des Onias Sohn Onias IV. identifiziert wird. Vgl. Schürer: History III, 47-48 und 145-147. 21. Zeugnisse einer Verdächtigung des Übersetzungsprojektes stammen erst aus einer sehr viel späteren Zeit, wo sowohl Christen als auch Juden, zwar mit sehr verschiedenen Gründen, Vorbehalte gegenüber der Septuaginta äußerten. Für die jüdische Rezeption siehe Müller: Nachrichten, passim; Veltri: Tora, passim; Wasserstein / Wasserstein: Legend, 51-94. Rajak: Translation, 87, warnt: »It is a modern fallacy – and still something of a scholarly obsession – to see ›Hellenism‹ as a threat to them [die Juden in der Diaspora] rather than as an opportunity for them to embrace.«
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gabe des Gesetzes begründen will. Offenbar auch, weil diese Übersetzung zugleich als auf der Höhe mit dem Besten im Judentum, das heißt, im gemäßigten Grad auch als eine notwendige Interpretation erlebt wurde. Denn obwohl sich der Aristeasbrief als apologetische Schrift eher an Juden richtet, die von der Überlegenheit ihrer eigenen religiösen Tradition überzeugt werden sollen, gehört offenbar auch eine Anerkennung seitens der tonangebenden Kreise der heidnischen Umwelt dazu. 22 Insbesondere fällt in diesem Zusammenhang die mehrmals erwähnte Bewunderung der Weisheit, ja Göttlichkeit der jüdischen Gesetzgebung durch den König auf, die ja überraschenderweise nicht wie selbstverständlich zu einer Bekehrung zum Judentum führt. 23 Jedoch gewinnt die Anschauung wieder Anhänger, dass der Aristeasbrief der Wahrheit nahekommt, wenn er die Übersetzung mit einer Initiative der königlichen Administration in Verbindung bringt. Denn der König konnte tatsächlich ein Interesse haben, angeblich alte Schriften wie die jüdische Gesetzgebung, die aus seinem Herrschaftsgebiet kam, in einer griechischen Ausgabe in seiner Bibliothek zu haben. 24 In dem Prolog zur Übersetzung des Jesus Sirach, die in zeitlicher Nähe zu Aristeas geschrieben ist, erklärt der Enkel nicht nur: »Denn nicht hat etwas die gleiche Bedeutung, was ursprünglich auf Hebräisch gesagt wurde und danach übersetzt wird in eine andere Sprache« (21 f.). 25 Er redet auch davon (29), dass er während seines Aufenthaltes in Ägypten »ein Bemühen um eine nicht geringe Bildung (οὐ μικρὰς παιδείας ἀφόμοιον)« fand, was ihn dazu drängte, »auch selbst nun einen gewissen Eifer und
22. Schenker: Tora, passim, sieht in der Rede von der zukünftigen Bewunderung der jüdischen Gesetzgebung und des jüdischen Gottesglaubens durch die Völker in Dtn 4,6-8 eine mögliche Ursache des Übersetzungsprojektes. Auch hier wird die Bewunderung ohne eine damit zusammenhängende Bekehrung vorgestellt. 23. Wasserstein / Wasserstein: Legend, 25, sehen das Hauptanliegen des Schreibens darin, »to show the pagan reader how well regarded the Jews were at the Ptolemaic court; how highly their Law was esteemed there, how persuasive their High Priest was in expounding the underlying principles of their law and how learned their Elders in translating and thus explicating its text.« 24. Honigman: Septuagint, 38-41 argumentiert in ihrer sehr profunden Untersuchung, der Aristeasbrief repräsentiere »the transfiguration of history into charter myth«, wo »[m]yth appeals to the emotions in order to create adherence, and in order to shape an attitude, engender pride and a correct stance.« Außerdem setzt Honigman: Septuagint, 37-63 das Übersetzungsunternehmen mit den philologischen Bestrebungen in Alexandria, Originaltexte zu klassischen Werken zu etablieren, in Verbindung. Deshalb findet sie eine königliche Initiative wahrscheinlich. Auch Rajak: Translation, 64-91, schließt sich der Ansicht an, dass Ptolemäus wirklich involviert war. Etwas vorsichtiger ist Kreuzer: Entstehung und Publikation, der auf die durch die Bibliothek geschaffene kulturpolitische Situation rekurriert. Diese forderte, analog zur Präsentation der ägyptischen Geschichte durch Manetho und der mesopotamischen Geschichte durch Berosses, dazu heraus, auch die eigene, jüdische Geschichte zu präsentieren. Demzufolge wäre zwar die Septuaginta zunächst innerjüdischen Bedürfnissen entsprungen, man hätte sich aber dann auch von jüdischer Seite gezielt präsentiert, vielleicht insbesondere durch das Buch Genesis, das einerseits kosmologische Interessen anspricht und andererseits mit Joseph, einem Juden als zweiten Mann nach dem Pharao, endet. 25. Barr: Typology, 317-318 (= ders: Typologie, 43-44), zufolge bringt der Übersetzer eine Unzufriedenheit »with the performance of Greek translations from Hebrew which was to lead to the movement for increasing literalism« zum Ausdruck.
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Fleiß darauf zu verwenden, dieses Buch zu verdolmetschen (μεθερμηνεύσαι)« (30). 26 Es forderte offensichtlich Mühe zu zeigen, dass das Judentum insgesamt die überlegene Religion war. Wo aber der Enkel als etwas Selbstverständliches auch von Übersetzungen anderer Teile der jüdischen Bibel redet, steht es mit Aristobulos und Aristeas fest, dass das ursprüngliche, königlich veranstaltete und bewunderte Übersetzungsprojekt allein dem Pentateuch galt. Erst die christliche Rezeption der Legende lässt es auch die übrigen heiligen Bücher umfassen.
3. Philo Erst lange nach der Abfassung des Aristeasbriefes taucht wieder eine Erzählung über die Entstehung der griechischen Übersetzung des Pentateuch auf. Es geschieht im zweiten Buch der Schrift De vita Mosis von Philo von Alexandrien (ca. 20 v. Chr. – ca. 50 n. Chr.). Wenn er Aristeas gekannt hat, so verrät er es nicht, so wie er überhaupt keine Quelle für seine Berichte anführt. 27 Dennoch enthält seine Ausgabe viele ähnliche Züge wie Aristeas, und vielleicht ist die Anonymisierung seiner Quelle dadurch bedingt, dass Philo die Geschichte als allgemein bekannt darzustellen wünscht. Das Ziel der Einbeziehung der Legende von dem hellenistisch-jüdische Philosophen ist auch eine weitere Akzentuierung des autoritativen Charakters der Übersetzung. 28 Die Entstehungsgeschichte wird in De vita Mosis II, 25-44 referiert, motiviert durch eine Bemerkung darüber, dass dem heiligen Charakter der Gesetzgebung Moses »nicht bei den Juden allein, sondern auch bei allen anderen Völkern volle Bewunderung gezollt wird« (25). 29 So »hielten es manche für einen Übelstand, dass die Gesetze bei der Hälfte des Menschengeschlechts, bei den nichtgriechischen, allein sich finden« (27). Eine solche hohe und gemeinnützige Aufgabe war aber nicht Privatleuten oder Beamten, sondern »Königen, und zwar dem angesehensten Könige vorbehalten« (28). Nach einem hochstrebenden Lob der Ptolemäer im allgemeinen und des Ptolemäus Philadelphos im Besonderen (er wurde, »wie im Tiere das leitende Organ der Kopf ist, gewissermaßen das Haupt der Könige« [30]) wird sein Interesse und sein Verlangen nach unserer Gesetzgebung genannt, ebenso sein Entschluss, sie von chaldäisch in die hellenistische Sprache übertragen zu bekommen. Der Verwaltungsapparat, der in Aristeas sowohl die Aufmerksamkeit des Königs auf das Gesetz richtet wie auch die Ausführung seiner Befehle veranstaltet, wird hier nicht erwähnt. Der König 26. Übersetzung nach Georg Sauer: JSHRZ III,5. 27. Daher meint auf der einen Seite zum Beispiel Jellicoe: The Septuagint and Modern Study, 38 f., dass er eine zielgerichtete, abgekürzte Ausgabe von Aristeas bietet, während Munck: Aristeas, 390, zu der These neigt, dass Philo eine selbständige Ausgabe derselben Legende bringt. 28. So auch Leonhardt-Balzer: Philo und die Septuaginta, insb. 623 f. und 635-637. Hauptanliegen dieses Aufsatzes ist jedoch Philos Einbeziehung von Septuagintazitaten außerhalb des Pentateuchs, in Auseinandersetzung mit und Weiterführung von Cohen: Philo’s Scriptures. 29. Übersetzung nach: Die Werke Philos von Alexandrien in deutscher Übersetzung, ed. Leopold Cohn. Griechischer Text nach The Loeb Classical Library, Philo VI, ed. Francis H. Colson, London 1935.
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schickt eine Botschaft zu dem Hohepriester und König in Jerusalem – sie werden als ein und derselbe Person vorgestellt 30 –, um mit seiner Hilfe Übersetzer des Gesetzes (τοὺς τὸν νόμον διερμηνεύσοντας) ausgewählt zu bekommen. Der Hohepriester seinerseits, weil überzeugt, »dass nicht ohne den göttlichen Willen der König sich für ein solches Werk interessiere«, »sucht die angesehensten seiner Hebräer aus, die neben der einheimischen auch hellenische Bildung besaßen«, und sendet sie dahin (32). Nachdem der König sich durch Gespräche mit ihnen im Hinblick auf die Erfüllung ihrer ehrenvollen Gesandtschaft ihrer Weisheit vergewissert hat, wird die Aufgabe beschrieben als die, das »durch göttliche Verkündigung offenbarte Gesetz zu übertragen (διερμηνεύειν), wobei man weder etwas hinwegnehmen noch hinzufügen oder ändern kann, sondern ihren ursprünglichen Gedanken und ihren Charakter beibehalten muss (τὴν ἐξ ἀρχῆς ἰδέαν καὶ τὸν τύπον αὐτῶν διαφυλάττοντας)« (34). Um nicht zu riskieren, in der Großstadt Alexandria krank und kultisch unrein zu werden, entscheiden die Übersetzer, mit Hinblick auf ruhige und stille Arbeit, ihren Aufenthalt auf der Insel Pharos zu nehmen, »in der die Seele sich ungestört dem Verkehr mit den Gesetzen ganz hingeben könnte (καὶ μονῇ τῇ ψυχῇ πρὸς μόνους ὁμιλῆσαι τοὺς νόμους)« (36). Weiter heißt es: Sie nehmen die heiligen Bücher (τὰς ἱερὰς βιβλίους) und erheben zugleich mit ihnen die Hände zum Himmel empor und bitten Gott, dass sie in ihrem Vorhaben nicht fehlgehen mögen. Und Gott erhört (ἐπινεύει) ihre Gebete, damit der grösste Teil der Menschen oder vielleicht die ganze Menschheit davon Nutzen habe, indem sie zum Zwecke guter Lebensführung die weisen und herrlichen Gebote beobachte (36).
In ihrer Isolation auf Pharos sind sie dann alleine mit den Elementen der Natur: Erde, Wasser, Luft und Himmel, dessen Schöpfung sie ja auch als das allererste offenbaren (ἱεροφαντήσειν) sollten, weil die Gesetze mit der Schöpfung der Welt anfangen. Das Resultat ihrer Übersetzungsarbeit wird nun nicht als das einer Kommission, bei der man miteinander konferiert, geschildert, sondern sie verdolmetschten »wie unter göttlicher Eingebung (καθάπερ ἐνθουσιῶντες) nicht jeder in anderen, sondern alle in den gleichen Ausdrücken für Begriffe und Handlungen, als ob jedem von ihnen unsichtbar ein Lehrer diktierte (ὥσπερ ὑποβολέως ἑκάστοις ἀοράτως ἐνηχοῦντος)« (37). Selbst wenn die griechische Sprache überaus reich an verschiedenen Ausdrucksformen ist, so dass man immer dasselbe auch mit anderen Worten ausdrücken kann, war dies mit der Übersetzung des Gesetzes nicht der Fall. Hier wurde der griechische Text in dem Maß in Einklang mit dem hebräischen/chaldäischen gebracht, »dass alles in den zutreffenden Ausdrücken wiedergegeben (κυρία κυρίοις ὀνόμασι) wurde und die Worte den bezeichneten Dingen vollständig entsprachen«. Dieses Ergebnis der Übersetzungsarbeit beschreibt Philo weiter ausführlich so: 30. Von einem König in Jerusalem zu dieser Zeit erzählen weder Aristobulos noch Aristeas. Aber beide Ämter wurden ja vereinigt, nachdem der Makkabäer Jonathan im 152 v. Chr. sich auch als Hohepriester hatte ausrufen lassen, und diese (Un)ordnung wurde ja fortgesetzt bis zu der Machtübernahme von Königin Salome Alexandra (76-67 v. Chr.) um dann wiederaufgenommen zu werden von dem letzten Repräsentanten der Hasmonäer, Antigonos (40-37 v. Chr.). Vielleicht trifft es jedoch zu, wenn Wasserstein / Wasserstein: Legend, 40, in der Vereinigung der Ämter nicht eine historische Anspielung auf den Makkabäer, sondern im Hintergrund Philos Bild von Moses als Hohepriester-König sehen.
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Wie nämlich meiner Meinung nach in der Geometrie und in der Logik die einmal gewählte Bezeichnung eine Verschiedenheit der Übertragung (ποικιλίαν ἑρμηνείας) nicht zulässt, sondern die von Anfang an für sie gebrauchte unverändert bleiben muss, so haben wahrscheinlich auch die Übersetzer die mit den Dingen sich deckenden Ausdrücke aufgefunden, die allein oder am deutlichsten die dargelegten Gedanken wiedergeben konnten. Der klarste Beweis dafür ist folgender Umstand. Wenn Chaldäer die hellenische Sprache oder Hellenen die chaldäische erlernt haben und beide Schriften, die chaldäische und ihre Übersetzung (ἑρμηνευθείσῃ) lesen, so erkennen sie mit Bewunderung und Ehrfurcht, dass sie wie Schwesterschriften oder vielmehr gleichsam eine und dieselbe sind in den Dingen und den Ausdrücken dafür, so dass sie jene Männer nicht Übersetzer (ἑρμηνέας), sondern Oberpriester und Propheten nennen, denen es gelungen sei, durch sonnenklares Denken mit Moses’ reinem Geisteshauche gleichen Schritt zu halten (οἷς ἐξεγένετο συνδραμεῖν λογισμοῖς τῷ Μωυσέως καθαρωτάτῳ πνεύματι) (39 f.).
Dieser Hinweis auf die Übereinstimmung mit dem Geist Moses zeigt, dass die transzendente Wirklichkeit tertium comparationis ist. Beide Versionen der Tora, sowohl die hebräische als auch die griechische, spiegeln zur Vollkommenheit die himmlische Welt, das heißt, dass beide die rettende Offenbarung vermitteln. 31 Philo schließt (41-44) seine Version der Entstehungsgeschichte des griechischen Pentateuch, in der er an keiner Stelle die Zahl der beteiligten Übersetzer nennt, mit einer Beschreibung einer Feier, die noch in seiner Zeit jährlich und nicht nur von Juden, sondern auch von anderen auf der Insel Pharos gehalten wird zum Andenken sowohl der Stelle, wo das Licht dieser Übersetzung zum ersten Male erstrahlte, als auch, »um der Gottheit den Dank für die alte, stets jung bleibende Wohltat darzubringen.« Er bemerkt auch, dass die Gesetze in dieser Weise sowohl bei gewöhnlichen Leuten als auch bei Vornehmen als begehrenswert und geschätzt erlebt werden, obwohl die Juden lange Zeit nicht in blühenden Verhältnissen gelebt haben, was sonst gerne Schatten werfen konnte. Sollte eine Entwicklung hin auf hellere Zeiten eintreffen, wie groß würde da wohl erst der Zuwachs sein? Die andern würden wohl alle, meine ich, ihre eigenen Sitten aufgeben und den väterlichen Gebräuchen von Herzen absagen und sich schließlich zur Wertschätzung dieser Gesetze bekehren. Denn mit dem Glücke des Volkes werden gleichzeitig seine Gesetze durch ihren Glanz die andern, wie die Sonne bei ihrem Aufgange die Sterne, verdunkeln (44). 32
Wenn Philo mit Revisionen der griechischen Übersetzung des Pentateuchs überhaupt bekannt ist, gibt seine Ausgabe der Entstehungsgeschichte jedenfalls keinen Raum für
31. Vgl. 48, wo Philo, nachdem er die Identität des Vaters und Schöpfers der Welt und des wahrhaften Gesetzgebers festgestellt hat, erklärt, dass »wer nach diesen Gesetzen leben will, freudig nach Übereinstimmung mit der Natur streben und dem Gesetze des Alls gemäß in vollen Einklang seiner Worte mit seinen Handlungen und der Handlungen mit seinen Worten leben wird.« 32. Wasserstein / Wasserstein: Legend 39, behaupten, dass Philo »is concerned to argue that the religion and the scriptures of the Jews have a potentially universal application, and beyond that he is interested … in the possibilities of proselytism created and enhanced by the availability of a translation of the Jewish scriptures in the Greek tongue.«
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Unsicherheit, was die Arbeit der Übersetzer zur Zeit des Ptolemäus Philadelphos betrifft. Sie war prophetisch inspiriert und vollgültiger Ausdruck der Thora.
4. Josephus Am Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts bringt Josephus 33 in seinem Werk Die Jüdischen Altertümer (Antiquitates Judaicae) im zwölften Buch § 12-118/12,1-15 eine auf ungefähr zwei Fünftel verkürzende Paraphrase des Aristeas. 34 Ab Buch 11 § 297 fehlen Josephus biblische Quellen. Den unmittelbaren Hintergrund der Schilderung der Entstehung der griechischen Übersetzung der Thora bildet nach Josephus ein Streit zwischen jüdischen und samaritanischen Nachkommen darüber, ob Opfergaben nach Jerusalem oder zum Garizim geschickt werden sollten. Die Überschrift der Paraphrase des Aristeas bildet in Ant. XII, 11 / 2,1 eine chronologische Auskunft: Als Alexander zwölf Jahre regiert hatte und nach ihm Ptolemäus Soter 41 Jahre, übernahm Ptolemäus Philadelphos die Regierungsgewalt, die er in den folgenden 39 Jahren innehatte. Danach heißt es: »Er ließ die Gesetze der Juden ins Griechische übertragen und setzte die in ägyptischer Knechtschaft schmachtenden Jerusalemer, hundertzwanzigtausend an der Zahl, in Freiheit, und zwar aus folgender Veranlassung. …« Wie auch sonst hat er seine Quellenbenutzung nicht dargelegt. Der nicht-wissende Leser entdeckt nicht, dass Josephus tatsächlich ein vorliegendes Buch reproduziert, sondern bekommt den Eindruck, dass er selbst der Verfasser ist. Wenn er im Verlauf seiner Darstellung einmal ausdrücklich auf das Büchlein von Aristeas (XII, 100 / 2,12: τὸ Ἀρισταίου βιβλίον, ὃ συνέγραψε διὰ τοῦτο; vgl. auch XII, 57 / 2,7) hinweist, begründet er es nicht damit, dass er etwas von des Aristeas Bericht ausgelassen hat, sondern empfiehlt es nur für weitere Auskunft. Seine Paraphrase enthält jedoch eine Reihe von in unserem Zusammenhang interessanten Änderungen, so dass sie zu einem gewissen Grad ganz wie die Wiedergabe der biblischen Bücher als ein »rewriting« hervortritt. So wird die Charakteristik des Hohepriesters in Arist 3 ausgelassen, und in dem Gespräch mit dem König sagt Demetrios (Ant. XII, 14 / 12,1): Er habe ja auch in Erfahrung gebracht, dass es bei den Juden viele Bücher über deren Gebräuche gebe, die des Studiums wert seien und einen Platz in der königlichen Bibliothek verdienten, die aber, da sie in hebräischer Sprache und hebräischen Buchstaben geschrieben seien, der Übersetzung ins Griechische viele Schwierigkeiten bereiten würden. 33. Siehe zu diesem Abschnitt Müller: Josephus, passim. Zu der in diesem Aufsatz benutzten Literatur ist hinzufügen: Krieger: Funktionen der Septuaginta-Legende, passim. Aus älterer Zeit stammt der Beitrag von Stählin: Josephus. 34. Griechischer Text nach Loebs Ausgabe, besorgt von Ralph Marcus. Deutsche Übersetzung nach Des Flavius Josephus Jüdische Altertümer. Übersetzt und mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Heinrich Clementz I–II. Die Einteilung hierin variiert von der in Loeb. Im Folgenden werden beide Zählungssysteme benutzt, Loebs mit Buch und Paragraph, Clementz’ mit Buch, Kapitel und Abschnitt (z. B. 12,2,1). Letztgenannte Übersetzung wird hier nicht konsequent benutzt. Grundlegend ist die sorgfältige komparative Studie von André Pelletier: Flavius Josèphe adapteur, die auch eine sehr nützliche Synopse Aristée Joséphe enthält (307-327); vgl. außerdem ders.: Josephus, the Letter of Aristeas, and the Septuagint, passim.
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Als erklärender Vermerk wird in XII, 15 / 2,1 die Bemerkung des Demetrios ergänzt: »Obgleich nämlich die Schrift der Juden der syrischen ganz ähnlich sei und auch ihre Sprache sich nicht viel von der syrischen unterscheide, seien doch Sprache wie Schrift durchaus eigenartig.« In Anbetracht des überaus positiven Verhältnisses zum Judentum, das Aristeas zugeschrieben wird, versteht man gut, dass Josephus über seine Vorlage hinaus sich genötigt sieht, in XII, 23 / 2,2 Aristeas selbst beteuern zu lassen, dass er kein Jude ist; sein alleiniger Beweggrund ist, dass »wir alle Geschöpfe Gottes sind, und weil ich weiß, dass er an wohltätigen Menschen seine Freude hat.« Die Ungenauigkeit, die laut Arist 30 an den hebräischen Handschriften in Alexandria haftete, lässt Josephus den Bibliothekar so erklären (XII, 36 f. / 2,4) … dass unter anderem auch die Bücher mit der Gesetzgebung der Juden uns fehlen. Denn diese sind, weil in hebräischer Schrift und landeseigener Sprache geschrieben, für uns unverständlich. Und so ist es geschehen, dass sie weniger genau abgeschrieben sind, als es sich gehört (… τὰ τῆς Ἰουδαίων νομοθεσίας βιβλία λείπειν ἡμῖν σὺν ἑτέροις. χαρακτῆρσι γὰρ Ἑβραϊκοὶς γεγραμμένα καὶ φωνῇ τῇ ἐθνικῇ ἐστιν ὑμῖν ἀσαφῆ. συμβέβηκε δ’αὐτὰ καὶ ἀμελέστερον ἠ ἔδει σεσημάνθαι), weil sie noch nicht königliche Fürsorge erfahren haben. 35 Indessen ist es notwendig, dass du deine Aufmerksamkeit auch ihnen zuwendest. Denn diese Gesetzsammlung (τὴν νομοθεσίαν) ist so beschaffen, dass sie von höchster Weisheit und unbeflecktester Sittenreinheit Zeugnis ablegt, als käme sie von Gott selbst her.
Hier wird also das Verständnis ausgeschlossen, dass es um bereits existierende Übersetzungen geht. 36 Auch die Charakteristik der gewünschten Übersetzer in Demetrios’ Memorandum in Arist 32 wird in XII, 39 / 12,4 umformuliert, so dass hier nicht mehr von einem besonders guten Lebenswandel der sechs Ältesten aus jedem Stamme, 37 noch davon, was eine Mehrheit dieser Ältesten meint, gesprochen wird. In der Antwort des Hohepriesters wird übrigens nicht nur darum gebeten, dass der König die 72 Ältesten zurückreisen lässt (Arist 46), sondern auch darum, dass er nach Fertigstellung der Übersetzung auch die Manuskripte wieder zurückschickt (XII, 56 / 2,7). Das hebt ihren Charakter als Originale hervor. Die erste große Auslassung in Josephus’ Wiedergabe betrifft den Bericht der Sendung der zwei Beamten nach Jerusalem (Arist 83-171). Mehrere Gründe können dafür namhaft gemacht werden. Teils ist es vielleicht zu offensichtlich gewesen, dass die Schilderung nicht von einem Augenzeugen herrühren konnte, teils hat Josephus kaum die moralisierende allegorische Auslegung der jüdischen Reinheitsgesetze gebilligt, die der Hohepriester seinen Gästen mitteilte. Nicht umsonst war Josephus Pharisäer – das kann zudem begründen, dass er die moralisierende Erklärung von Arist 306 ausgelas35. Hier weicht die Übersetzung aber beträchtlich von der des Heinrich Clementz ab. 36. So gibt Josephus auch Arist 314 wieder, dass das Verbum προερμηνεύειν nicht vorkommt. 37. Später »vergisst« Josephus diese Zahl und spricht von dem Siebzig; siehe Ant. XII, 57.86 / 2,7.11. Pelletier: Josephus, the Letter of Aristeas, and the Septuagint, 98, behauptet, dass die Gewohnheit, die Übersetzung nach den Siebzig zu benennen, bereits im »mainstream Judaism« im ersten Jh. n. Chr. in Gebrauch war. Pelletier lässt übrigens Euseb von Caesarea den Ersten sein, der die Bezeichnung auf den Text selbst und nicht auf die Übersetzer bezog (Eusebius Caes.: In Psalmos, ad Ps 2; PG 23, 81 D).
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sen hat, warum die Übersetzer ihre Hände vor der Arbeit wuschen. 38 Durch diese und die andere große Auslassung, die die Wiedergabe der Gespräche des Königs mit den Übersetzern betrifft (Arist 187-292), 39 ist bei Josephus alles entfernt, was unmittelbar das Bild des Judentums als Religion zeichnen könnte. Außerdem hat Josephus ja selbst am Anfang seines Werkes seine Fassung des Inhaltes der Thora gegeben. So sind bei Josephus in dieser Weise die ersten Schritte in die Richtung getan, den Aristeasbrief zunächst als eine Legitimierung der griechischen Übersetzung der Thora aufzufassen. In der Beschreibung der Übersetzungsarbeit sind die Worte, dass die Übersetzungen durch Vergleich in Übereinstimmung gebracht wurde (Arist 302), ersetzt durch die Aussage, dass die Ältesten sich mit größtem Fleiße darangaben, eine genaue Übersetzung anzufertigen (XII, 104 / 2,13). So lässt Josephus auch die Bemerkung in Arist 307 von der Fertigstellung der Übersetzung in 72 Tagen (»als ob dies absichtlich so geschehen wäre«) aus. Auch in Josephus’ Wiedergabe wird die Übersetzung erst den Juden des Ortes vorgelesen, und die Übersetzer und Demetrios werden gelobt. Nach der Feststellung, dass die Übersetzung, »weil sie so gut ausgefallen sei, nun auch unverändert bleiben soll (μὴ μετακινείν)«, folgt nicht wie im Arist 311 eine Verfluchung über die, die irgendwie die Übersetzung überarbeiten würden. Stattdessen legt Josephus der Versammlung eine Anweisung für den Fall in den Mund, dass jemand Veränderungen im Text entdeckt: [W]enn jemand bemerke, dass etwas Überflüssiges sich in den Text eingeschlichen habe oder etwas weggelassen worden sei, [dass] er sich nochmals gründlich davon überzeugen und dann auf Verbesserung bedacht sein solle. Daran taten sie klug; denn nachdem die Übersetzung einmal als richtig befunden war, sollte sie es auch bleiben (εἴ τις ἢ περισσόν τι προσγεγραμμένον ὁρᾶ τῷ νόμῳ ἢ λεῖπον, πάλιν ἐπισκοποῦντα τοῦτο καὶ ποιοῦντα φανερὸν διορθοῦν, σωφρόνως τοῦτο πράττοντες, ἵνα τὸ κριθὲν ἅπαξ ἔχειν καλῶς εἰς ἀεὶ διαμένῃ (XII, 109 / 2,13).
Diese Formulierung enthält zwar eine gewisse Doppeldeutigkeit. Für sich selbst genommen, könnte es als eine Aufforderung aussehen, die Übersetzung im Verhältnis zu dem hebräischen Text zu kontrollieren, der Kontext auf beiden Seiten scheint jedoch ein solches Verständnis zu verbieten. Offenbar wünscht Josephus die Tür für Benutzung beider Traditionen offen zu halten. 40 38. Weitere Beispiele bei Pelletier: Flavius Josèphe adapteur, 199-202; vgl. außerdem 271-272. 39. Wenn Josephus doch im Begriff war abzukürzen, kann jedenfalls ein moderner Leser sich darüber wundern, dass er die umständliche Beschreibung der Geschenke des Ptolemäus, vor allem eines Schaubrottisches von massivem Gold (Arist 51-82; Ant. XII, 64-84 / 2,7) nicht ausgelassen hat. Hier findet sich übrigens ein Beispiel für den Einfluss von ExLXX 25,23-30; 37,10-16, wo der Schaubrottisch, der im hebräischen Text ausdrücklich aus Akazienholz angefertigt und nur an der Oberfläche mit Gold belegt ist, nunmehr insgesamt als aus massivem Gold bestehend beschrieben wird. Josephus scheint selbst bemerkt zu haben, dass die genaue Beschreibung des Schaubrottisches in seinem Kontext überflüssig wirkt, denn er bringt (Ant. XII, 59 / 2,7) geradezu eine Begründung für die Aufnahme der Schilderung in seine »Geschichte«, nämlich dass die Vornehmheit des Geschenkes »einen Begriff von dem Schönheitssinne und der Hochherzigkeit des Königs geben kann.« Unter den Zufügungen befindet sich Ant. XII, 43 f. / 2,5 eine Darlegung des Platzes Eleazars in der Liste der Hohenpriester. 40. Brock: To Revise ot not to Revise, 309, meint, dass diese Doppeldeutigkeit vielleicht beabsichtigt ist, weil es klare Zeichen gibt, dass Josephus inzwischen einen »revidierten« Septuaginta-
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Die jüdische Bezeugung und Verteidigung des »kanonischen« Wertes der Übersetzung der Thora
In seinem letzten bekannten Werk, Contra Apionem, bringt Josephus im Buch II, § 45-47 nochmals die Entstehungsgeschichte des griechischen Pentateuchs in Erinnerung. Es geschieht in einer Kurzform, denn das apologetische Anliegen ist allein, den Wert der jüdischen Gesetzgebung durch Ptolemäus’ aktives Interesse hervorzuheben. Denn nicht nur ließ dieser König die jüdischen Kriegsgefangen in seinem Reich los und schenkte ihnen mehrmals Geld, er verlangte auch unsere Gesetze kennen zu lernen und unsere heiligen Bücher zu lesen. … Zu diesem Zweck beschied er Männer zu sich, die ihm das Gesetz verdolmetschen sollten, und damit ein vortreffliches Schriftstück zustande käme, übertrug er die Vorbereitungen nicht etwa dem ersten besten, sondern betraute damit den Demetrios Phalereus, der unter seinen Zeitgenossen durch Bildung hervorragte, sowie Andreas und Aristeas, denen die Bewachung der Person des Königs oblag. Er wäre doch wohl kaum so begierig gewesen, unsere Gesetze und die bei uns einheimische Weisheit kennen zu lernen, wenn er von den Männern, die damit vertraut waren, geringschätzig gedacht und nicht vielmehr seine ganze Bewunderung ihnen gezollt hätte. 41
Die Diskussion des Übersetzungscharakters von Josephus’ »rewriting« der biblischen Geschichte gehört nicht hierher. 42 Dass er sein Projekt auch durch die Sanktionierung einer griechischen Ausgabe der biblischen Traditionen durch Eleazar legitimiert sah, geht aus dem diesbezüglichen Hinweis am Anfang seines Werkes (Ant. I, 10-12) hervor. Keiner der vier Zeugen der Entstehungsgeschichte des griechischen Pentateuch nimmt irgendeine Reserve gegenüber diesen Bibeltexten ein. Dass alle diese Geschichten allein die Übersetzung dieses Teils der jüdischen Bibel umfassen, obwohl jedenfalls Aristeas, Philo und Josephus auch von Übersetzungen von Schriften aus den zwei anderen Teilen des späteren jüdischen Kanons wissen – siehe zum Beispiel Josephus’ Übersicht über die heiligen Bücher des Judentums in Contra Apionem I, 37-41, sowie seine Vertext benutzt. (Diese Annahme steht allerdings auf dem Hintergrund der Meinung von Brock, dass der Text des Kodex Vaticanus der älteste ist, während der sog. lukianische bzw antiochenische Text, mit dem Josephus in den Geschichtsbüchern weithin übereinstimmt, jünger sei (wenn auch notwendiger Weise proto-lukianisch). Dagegen wurde durch die Qumranfunde (insbesondere 1QSama) und die Arbeiten von Dominique Barthélemy (Les Devanciers d’Aquila, VTS 10, Leiden 1963) sowie Siegfried Kreuzer (siehe: Origin and Transmission, 25-31.38-41), deutlich, dass der Josephustext (abgesehen von einzelne Textverderbnissen) die alte Septuaginta repräsentiert. Siehe dazu auch die Referenzen auf Josephus im Apparat der Edition Natalio Fernández Marcos/José Ramon Busto Saiz: Il texto Antioqueno, I 12 Samuel. II 1-2 Reyes (TECC 50, 53), Madrid 1989, 1992. 41. Übersetzung nach Clementz (ed.): Flavius Josephus. Kleinere Schriften, 151 f. 42. Siehe dazu Müller: Josephus und die Septuaginta, 644 f. Vgl. auch Feldman: Josephus’s Interpretation, 14: »The most obvious model for Josephus was the Septuagint, which is, indeed, on the borderline between a translation and a close paraphrase of Scripture, but with modifications in varying amounts from biblical book to book.« Dennoch ist Josephus dabei anders verfahren, indem »in retelling the biblical narrative, he applied the critical method he had learned from the Greek historians, notably Thucydides« (23). Beide Zitate stammen aus Kap. 2: Josephus as Rewriter of the Bible, einer stark überarbeiteten Ausgabe des Beitrages Use, Authority and Exegesis of Mikra, 455-518.
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wendung der Samuel- und Königebücher für die Antiquitates – hat zwei Ursachen. Einerseits lag die Entstehungsgeschichte in dieser Hinsicht fest; anderseits legte es sich nicht nahe, dem König auch ein Interesse an »religiöser« jüdischer Literatur jenseits der jüdischen Gesetzgebung zuzumuten.
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1.2 Die Übernahme der Entstehungsgeschichte im ältesten Christentum bis Augustin Mogens Müller Literatur Editionen und Übersetzungen Aristeas: Ad Philocratem epistvla cvm ceteris de origine versionis LXX interpretum testimoniis, ed. Paul Wendland, Leipzig 1900 – Aristeas: Der König und die Bibel. Griechisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Kai Brodersen, Reclams Universalbibliothek Nr. 18576, Stuttgart 2008. Augustinus: De civitate Dei, ed. Emanuel Hoffmann, Bd. 1: Bücher 1-13, CSEL 40/1, Prag / Wien / Leipzig 1899; Bd. 2: Bücher 14-22, CSEL 40/2, Prag / Wien / Leipzig 1900 – Augustinus: De doctrina christiana, rec. William M. Green, CSEL 80, Wien 1963 – Aurelius Augustinus: Der Gottesstaat. De civitate Dei, Zweiter Band Buch XV-XXII. In deutscher Sprache von Carl Johann Perl, Paderborn / München / Wien / Zürich 1979 – Clemens Alex.: Stromata I-VI, ed. Otto Stählin / Ludwig Früchtel, 4. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 52, Berlin 1985 – Cyrillus Hieros.: Opera quae supersunt omnia Bd. 1, ed. Wilhelm Karl Reischl, München 1848 = Hildesheim 1967; Bd. 2, ed. Josef Rupp, München 1860 = Hildesheim 1967 – Epiphanius Salam.: De mensuris et ponderibus: James Elmer Dean, Epiphanius’ Treatise on Weights and Measures: The Syriac Version, Chicago 1935 – Eusebius Caes.: Die Kirchengeschichte, ed. Eduard Schwartz / Theodor Mommsen Bd. 1: Bücher I bis V, GCS 9/1, Leipzig 1903; Bd. 2: Bücher VI bis X, GCS 9/2, Leipzig 1908; Bd. 3: Einleitungen, Übersichten und Register, Leipzig 1909 – Eusebius Caes.: Praeparatio evangelica, 1. Teil: Einleitung, Die Bücher 1-10, ed. Karl Mras, GCS 43/1, Berlin 1954, 2. Aufl., ed. Karl Mras / Édouard des Places 1970; Bd. 2, ed. Karl Mras, GCS 43/2, Berlin 1956, 2. Aufl., ed. Karl Mras / Édouard des Places 1970 – Hieronymus: Commentariorum in Hiezechielem Libri 14, ed. François Glorie, CC.SL 75, Turnhout 1964 – Hieronymus: Quaestiones hebraicae in Genesim, ed. Paul de Lagarde, CC.SL 72, Turnhout 1959, 1-56 – Hilarius Pict.: Tractatus super Psalmos, ed. Anton Zingerle, CSEL 22, Prag / Wien / Leipzig 1891 – Irenaeus von Lyon, Adversus haereses. Gegen die Häresien III, ed. Norbert Brox, FC 8.3/4, Freiburg im Breisgau 1995/1997 – Johannes Chrysostomos: In Genesim homiliae, PG 53, 21-54, 580 – Marcellos Anc.: Ps.-Justin (Markell von Ankyra?), Ad Graecos de vera religione (bisher Cohortatio ad Graecos). Einleitung und Kommentar I-II ed. Christoph Riedweg, Basel 1994 – Justinus Martyr: Apologie pour les Chrétiens, ed. Charles Munier, SC 507, Paris 2006 – Justinus Martyr: Dialogue avec Tryphon. Édition critique, traduction, commentaire, ed. Philippe Bobichon, Par. 47/1-2, Fribourg 2003 – Origenes: Matthäuserklärung, Bd. I, ed. Erich Klostermann, GCS 40, Berlin 1935 – Origenes: Epistula ad Africanum, ed. Nicholas de Lange, SC 302, Paris 1983, 522-573 – Tertullian: Apologeticum, ed. Eligius Dekkers, CC.SL 1, Turnhout 1954, 77-171 – Tertullian: De cultu feminarum, ed. Aemilius Kroymann, CC.SL 1, Turnhout 1954, 341-370.
Weitere Literatur Altaner, Berthold / Stuiber, Alfred: Patrologie, Freiburg / Basel / Wien 71966 – Döpp, Siegmar / Gerlings, Wilhelm, ed.: Lexikon der Antiken Christlichen Literatur, Freiburg et al., 3. Aufl. 2002 – Hengel, Martin: Die Septuaginta als von den Christen beanspruchte Schriftensammlung bei Justin und den Vätern vor Origenes, in: James D. G. Dunn (ed.), Jews and Chris-
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tians. The Parting of the Ways A.D. 70 to 135, WUNT 66, Tübingen 1992, 39-84 – Hengel, Martin: Die Septuaginta als »christliche Schriftensammlung«, ihre Vorgeschichte und das Problem ihres Kanons, unter Mitarbeit von Roland Deines, in: Martin Hengel / Anna Maria Schwemer (ed.), Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum, WUNT 72, Tübingen 1994, 182-284 – Hennings, Ralph: Der Briefwechsel zwischen Augustinus und Hieronymus und ihr Streit um den Kanon des Alten Testaments und die Auslegung von Gal. 2,11-14, SVigChr 21, Leiden 1994 – Kranz, Dirk Kurt: Ist die griechische Übersetzung der heiligen Schrift der LXX inspiriert? Eine Antwort nach den Zeugnissen der Kirchenväter (2.–4. Jh.) vor dem Aufkommen der Diskussion um die »hebraica veritas«, Studi e ricerche 3, Rom 2005 – Markschies, Christoph: Hieronymus und die »Hebraica veritas«. Ein Beitrag zur Archäologie des protestantischen Schriftverständnisses, in: Martin Hengel / Anna Maria Schwemer (ed.), Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum, WUNT 72, Tübingen 1994, 131-181 – Müller, Mogens: Die Septuaginta als Bibeltext der ältesten Kirche. Graeca veritas contra Hebraica veritas, in: Wolfgang Kraus / Siegfried Kreuzer (ed.), Die Septuaginta: Entstehung, Sprache, Geschichte, WUNT 325, Tübingen 2014, 613-636 – Müller, Mogens: Die Septuaginta als Teil des christlichen Kanons, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten, WUNT 219, Tübingen 2008, 708-727 – Müller, Mogens: Josephus und die Septuaginta, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Die Septuaginta – Texte, Theologien, Geschichte, WUNT 252, Tübingen 2010, 638-654 – Müller, Mogens: Justin und die Septuaginta. Benutzung und Bedeutung«, in: Eberhard Bons u. a. (ed.), Die Septuaginta. Themen – Manuskripte – Wirkungen, WUNT 444, Tübingen 2020, 740-752 – Müller, Mogens: The First Bible of the Church. A Plea for the Septuagint, JSOTS 206 (= CIS 1), Sheffield 1996 – Schulz-Flügel, Eva: The Latin Old Testament Tradition, in: Magne Sæbø (ed.), Hebrew Bible/ Old Testament I/1, Göttingen 1996, 642-662 – Schulz-Flügel, Eva: Hieronymus – Gottes Wort: Septuaginta oder hebraica Veritas, in Wolfgang Kraus / Siegfried Kreuzer (ed.), Die Septuaginta: Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 746-758 – Seibt, Klaus: Art. Marcel von Ancyra, TRE 22, 1992, 83-89 – Wasserstein, Abraham / Wasserstein, David J.: The Legend of the Septuagint. From Classical Antiquity to Today, Cambridge 2006.
Eine Folge dessen, dass die Verfasser der Schriften, die später das Neue Testament wurden, sich der Septuaginta bedienten, war die Übernahme einiger Stellen, wo die alte griechische Übersetzung sich deutlich von dem geltenden hebräischen Text unterschied. 1 Ob es eine bewusste Wahl war, mag dahingestellt sein. Jedenfalls bedeutete die zunehmende Autorität dieser Schriften in der Praxis eine »Kanonisierung« des Wortlautes der griechischen Wiedergabe. 2 1.
2.
Die inzwischen, nicht zuletzt durch die Qumran-Schriften, entdeckte Pluriformität jedenfalls von Teilen der hebräischen Textüberlieferung in den Jahrhunderten um den Anfang unserer Zeitrechnung spiegelt sich in der aufkommenden Debatte nur in vereinzelten Beschuldigungen gegen die Juden, dass sie den hebräischen Wortlaut geändert haben, um den Gebrauch ihrer heiligen Schriften seitens der Christen unmöglich zu machen. Das Folgende reproduziert teilweise die Darstellung in Müller: The First Bible of the Church, Kap. 4: The Reception of the Septuagint Legend into the Church up to and Including Augustine. Siehe aber auch ders.: Die Septuaginta als Bibeltext der ältesten Kirche. Ein nützliches Kompendium der meisten relevanten Texte sowohl auf Griechisch / Latein als auch auf Deutsch, teils aufgrund der neuesten Übersetzungen, teils vom Verfasser selbst, befindet sich in Kranz: Übersetzung. Im Folgenden wird, wenn nicht Anderes vermerkt ist, die Übersetzungen von Kranz benutzt. Eine mehr selektive Auswahl findet sich in Brodersen (ed.): Aristeas. Der König und die Bibel, wovon Teile auch im Anhang zur Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, 1503-1507, aufgenommen sind. Eine
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1. Justinus Martyr Der älteste uns bekannte christliche Schriftsteller, der mit dieser Problematik konfrontiert wurde, war Justinus Martyr (* um 100, † um 165). 3 In seinen Apologie(n), wohl um 150 abgefasst, bringt er die Existenz der Weissagungen über Christus vor seiner Ankunft zur Sprache und sagt, dass sie in ihrer ursprünglichen, hebräischen Gestalt von den verschiedenen jüdischen Königen aufbewahrt wurde. 4 Dass sie dennoch auch auf Griechisch vorliegen, erklärt er als ein Ergebnis dessen, dass der ägyptische König Ptolemäus diese »prophetischen Bücher« in seiner neu eingerichteten Bibliothek zu besitzen wünschte. Nach Justin bat er König Herodes (sic!), sie zu schicken. Als er aber entdeckte, dass sie in hebräischer Sprache geschrieben waren, schickte er nochmals Gesandte mit der Bitte, Leute, die übersetzen können, zu bekommen. Dies geschah, und seither befinden sich diese Bücher in griechischer Sprache überall bei den Juden, die sie dennoch nicht verstehen, sondern die Christen, die sie verstehen, als Feinde betrachten. Es handelt sich hier also zuerst um eine Erklärung dafür, dass die heiligen Schriften der Juden in griechischer Sprache vorlagen. Justin nennt keine Quelle für diese Geschichte und lässt auch nicht erkennen, ob er weiß, dass die Geschichte, auf die er hinweist, ursprünglich nur von der Übersetzung des Pentateuchs handelt. Außerdem weiß er augenscheinlich (noch) nicht von einer bestimmten Anzahl der Übersetzer und bemerkt auch nichts über eine eventuelle Inspiration oder andere wundersame Züge. Stillschweigend – vielleicht auch unbewusst – hat er zudem die Entstehungsgeschichte auf alle heiligen Schriften des Judentums ausgedehnt, die er als »die Bücher der Propheten (αἱ βιβλοὶ τῶν προφητῶν)« zusammenfasst. Mit dieser Bezeichnung lag es ja nicht nahe, den Pentateuch auszusondern, und vielleicht reflektiert Justins Ausdehnung, dass er wusste, dass sie alle auf Griechisch vorlagen. Unter den vielen Schriftzitaten in der Apologie befindet sich auch die zentrale Stelle im nur wenig später bezeugten Streit über die Verlässlichkeit der griechischen Wiedergabe, Jes 7,14. Obwohl Justin sie ausführlich in seine Darlegung einbezieht, bekommt der Leser keinen Hinweis auf diese Problematik. Es wäre wohl auch nicht förderlich gewesen, auf eine solche Unsicherheit in einer Verteidigungsschrift hinzuweisen. Hier sieht es in der weit umfangreicheren Schrift Dialog mit dem Juden Tryphon anders aus, die ungefähr 10 Jahre später um 160 entstand. Hier wird die Entstehungsgeschichte zum ersten Mal als Argument für die Zuverlässigkeit der griechischen Bibelübersetzung herangezogen und tritt im Dialog zudem durchgehend, obwohl mit Variationen, als die Version von den siebzig Ältesten auf, die bei Ptolemäus waren, dem König der Ägypter. 5 Auch hier liegt eine Herkunft der Überlieferung außerhalb von Justins Gesichtskreis.
3. 4. 5.
ältere Sammlung der »Testimonia« liegt vor in Wendland (ed.): Aristeae ad Philocratem epistvla, Leipzig 1900. Neuere Darstellungen der Geschichte liegen vor in: Hengel: Die Septuaginta als von den Christen beanspruchte Schriftensammlung, 39-84 (gekürzter Ausgabe in: Hengel: Die Septuaginta als »christliche Schriftensammlung«, 187-203; Wasserstein / Wasserstein: The Legend of the Septuagint, Kap. 5 (95-131) »The Church Fathers and the Translation of the Septuagint«. Siehe hierzu auch: Müller: Justin und die Septuaginta. Justinus: 1.Apol. 31,2-5, SC 507, 210. Siehe Justinus: Dial. 68,7; 71,1, Bobichon I, 372.378; Dial. 84,3, Bobichon I 414 [ohne Zahl-
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Nachdem Justinus bereits in Dial. 43,5-6 Jes 7,14 zitiert hat, zusammen mit einer Anklage der jüdischen Lehrer, die sich erkühnen zu behaupten, dass diese Stelle nicht von einer Jungfrau, sondern von einer jungen Frau (νεᾶνις) spricht (43,8) 6, redet er zum ersten Mal in Dial. 68,7-8 von der griechischen Übersetzung, und zwar in Verbindung mit der Erwähnung des Streites über den wahren Inhalt von Jes 7,14. In 67,1, beginnt eine längere Diskussion über den rechten Wortlaut der Jesaja-Stelle, wo Justinus in Dial. 68,7-8 fragt, ob er, wenn er nachweisen kann, dass die Weissagung Christus – und nicht wie die Juden meinen, dem späteren König Ezekias – gilt, nicht seine Gesprächspartner veranlassen solle, sich von ihren Lehrern abzuwenden, die behaupten, dass »die »Übersetzung der siebzig Ältesten« unglaubwürdig sei, und erklären, dass das, was über Jesus Christus prophezeit wurde, nicht auf ihn hin, sondern über eine ihnen erwünschte Person gesagt wurde – so wie sie es hinsichtlich Jes 7,14 getan haben. 7 Zum letzten Mal kehrt Justinus in Dial. 71,1-2 resümierend zum Thema zurück, diesmal mit einer Anklage gegen die jüdischen Lehrer, die nicht nur nicht die alte bei dem König Ptolemäus gefertigte Übersetzung anerkennen, sondern sogar eine eigene versuchen, worin sie »viele Schriftstellen vollständig entfernt haben, in denen klar bewiesen wird, daß von unserem gekreuzigten Jesus verkündet war, er sei Gott und Mensch, er werde gekreuzigt und sterbe.« 8 Noch einmal nennt Justinus hier Jes 7,14 (später ein letztes Mal in Dial. 84,1-3 9), und, von Tryphon gefragt, welche Schriftworte es seien, die entfernt worden sind, listet er in Dial. 72-73 vier Stellen auf, darunter sowohl bekannte als unbekannte Aussagen, zum Beispiel die berühmte Wendung »vom Holze her« (ἀπὸ τοῦ ξύλου) in Ps 95,10, das schon in Apol 41 mitzitiert wurde, aber in allen frühen Bibelhandschriften fehlt. In Dial. 74,3 wird merkwürdigerweise Ps 95,10 ohne diese Worte angeführt. Keine der vier Stellen ist überzeugend. 10 Justinus’ Einbeziehung der Entstehungsgeschichte ist aber zu entnehmen, dass er neue jüdische Übersetzungen wie z. B. die von Aquila am Anfang des 2. Jhs. als gegen die christliche Benutzung der Schrift gerichtet sieht, das heißt, als darauf zielend, die Christen ihres Schriftbeweises zu berauben. Ohne es ausdrücklich zu sagen, setzt Justinus in seiner Argumentation voraus, dass die Septuaginta den rechten Sinn des hebräischen Originals ausdrückt, während die neue Übersetzung die Wahrheit unterdrückt. Es kommt jedoch nicht dazu, dass Justinus behauptet, die Juden hätten den hebräischen Originaltext verderbt.
6. 7. 8. 9. 10.
angabe]; Dial. 120,4; 131,1; 137,3 (bis), Bobichon I, 506.534.552 (nur mit Zahlangabe: οἱ ἑβδομήκοντα) und 124,3, Bobichon I, 518 (einzige Stelle bei Justinus mit der Genitivverbindung, »der Siebzig«: ἐν δὲ τῇ τῶν ἑβδομήκοντα ἐξηγήσει, die sehr nahe an die Bezeichnung »Septuaginta« kommt). Während Philo in seiner Wiedergabe der Entstehungsgeschichte nie die Zahl der Übersetzer nennt, übernimmt Josephus sie vom Aristeasbrief, obwohl er sie auch mehrmals zu »siebzig« abrundet; siehe Müller: Josephus und die Septuaginta, 641, 643. Dial. 43,5-8, Bobichon I, 290-292. Dial. 68,7 f., Bobichon I, 372. Dial. 71,1 f., Bobichon I, 378. Dial. 84,1-3, Bobichon I, 414. Justinus: 1.Apol 41,4, SC 507, 238; Dial. 72-73, Bobichon I, 380-384. Siehe Martin Hengel, Die Septuaginta als von den Christen beanspruchte Schriftensammlung, 56-60.
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2. Irenaeus Der nächste Zeuge für die Einbeziehung der Entstehungsgeschichte ist Irenaeus (* 135; † um 202 als Bischof in Lugdunum/Lyon). In seinem Adversus haereses III 21,1-4 weist er, ebenfalls in Verbindung mit der Interpretation von Jes 7,14, als Auftakt die neuen Übersetzungen der jüdischen Proselyten Theodotion und Aquila ab, wo die Jungfrau zur jungen Frau geworden ist. Dies sei eine grobe Geringschätzung des prophetischen Wortes aus einer Zeit vor der babylonischen Gefangenschaft, das von den Juden selbst lange Zeit vor der Ankunft des Herrn mit Jungfrau übersetzt wurde; diese frühe Entstehung der Übersetzung sollte ja den Verdacht ausschließen, dass die Juden es um der Christen willen getan hätten. Hätten sie das gewusst, hätten sie zweifelsohne alle Schriften verbrannt, die verkündigen, dass auch die übrigen Völker Anteil am Heil haben sollten, und dass die, die sich rühmen, Jakobs Haus und Israels Volk zu sein, von dem Erbe der Gnade Gottes ausgeschlossen sind. In diesem Zusammenhang bringt Irenaeus seine Version der Entstehungsgeschichte, die nun wie Philos, aber im Unterschied zu Justins Version, mit übernatürlichen Zügen ausgestattet ist. Irenaeus nennt als die jüdischen Empfänger der königlichen Bitte die Einwohner Jerusalems und bemerkt auch, dass sie damals noch unter makedonischer (das heißt wohl »ptolemäischer«) Herrschaft waren. Sie schicken dem König siebzig Älteste, »ihre besten Kenner der Schriften und beider Sprachen«, um seinen Wunsch zu erfüllen. Irenaeus erwähnt auch als erster, dass der König die Sicherheitsmaßnahme traf, die Übersetzer voneinander abzusondern, aus Furcht davor, dass sie sonst untereinander verabreden würden, die Wahrheit in den Schriften durch die Übersetzung zu verbergen. Deshalb ließ der König sie auch alle die gesamten biblischen Bücher übersetzen. Irenaeus schließt dann seine Erzählung (III 21,2): 11 Als sie dann bei Ptolemaios zusammenkamen und ihre Übersetzungen verglichen, da bedeutete das Ruhm für Gott und Bestätigung der Schriften in ihrem wahrhaft göttlichen Charakter. Alle (siebzig) hatten dieselben (Texte) von Anfang bis zum Ende mit denselben Ausdrücken und Wörtern wiedergegeben, so daß sogar die Heiden, die dabei waren, erkannten, daß die Bücher unter der Inspiration Gottes (per aspirationem Dei) übersetzt worden waren.
In Irenaeus’ Ausgabe spürt man einen judenfeindlichen Ton, der bei den späteren Nacherzählern der Geschichte jedoch in der Regel verstummt. Auffallend ist, dass die göttliche Inspiration der – hebräischen – Schriften durch die Übereinstimmung der Übersetzungen festgestellt wird. Dazu vergleicht er in der Folge die Übersetzungstat mit der Nachschaffung der heiligen Schriften durch Esra, nachdem sie bei Nebukadnezars Zerstörung des Tempels völlig verlorengegangen waren: Als Artaxerxes den Juden erlaubte heimzukehren, inspirierte (ἐπέπνευσεν) Gott den Priester Esra aus dem Stamm Levi, so dass er alle Worte der früheren Propheten niederschreiben und die ganze Gesetzgebung des Moses wiederaufrichten konnte; diese Legende ist auch aus 4 Esra 14,37-48 bekannt. Irenaeus bemerkt weiter, dass die Übersetzung lange vor dem Herabkommen des Herrn auf die Erde zustande kam – »denn unser Herr ist ja erst ungefähr im einundvierzigsten Jahr der Regierungszeit des Augustus geboren, viel 11. Irenaeus: Haer. III, 21,2, FC 8/3, 256 f.
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früher hat aber Ptolemaios gelebt«. 12 Deshalb ist sie als die allein wahre zu betrachten. Dazu kommt noch ein entscheidendes Argument dagegen, den neueren Übersetzungen Aufmerksamkeit zu schenken: Die Apostel, die ja älter sind als alle diese Leute, stimmen mit der beschriebenen Übersetzung überein, und die Übersetzung stimmt mit der Tradition der Apostel überein. Petrus, Johannes, Matthäus und Paulus und die übrigen Apostel und deren Anhänger haben alle Prophetenworte in der Version verkündet, in der sie die Übersetzung der (siebzig) Ältesten enthält. Ein und derselbe Geist Gottes hat nämlich durch die Propheten die Ankunft des Herrn und deren nähere Umstände ausgesagt und durch die (siebzig) Ältesten richtig übersetzen lassen, was richtig prophezeit worden war, und er hat auch durch die Apostel verkündet, … 13
Irenaeus nennt keine Quelle für seine Entstehungsgeschichte, ist aber offenbar besser unterrichtet als Justinus. Er verrät jedoch weder Wissen über einen Hohenpriester in Jerusalem noch über die ursprüngliche Zahl 72. Mit einer Interpretationsstrategie, die auch in vielen Beispielen von »umgeschriebener Bibel« (»rewritten Bible«) auftritt, erzählt er die Entstehungsgeschichte der Septuaginta in einer Weise nach, die seinen theologischen Bedürfnissen entspricht. Außer den judenfeindlichen Zügen fällt die starke und im Vergleich zu Justin neue Unterstreichung der Benutzung der Apostel und des Mitwirkens des Geistes auf. Mit der Behauptung der Inspiration der Übersetzung entfällt jede Notwendigkeit der Nachprüfung ihrer Übereinstimmung mit dem hebräischen »Grundtext«.
3. Klemens von Alexandrien Klemens von Alexandrien (* um 140; † um 215) ist der erste uns bekannte christliche Verfasser, der eine jüdische Quelle (nämlich Aristobulos) in Verbindung mit seiner Ausgabe der Entstehungsgeschichte der Septuaginta erwähnt. Nach einer längeren Darstellung der chronologischen Argumente dafür, dass die jüdischen Institutionen und Gesetzte viel älter als die griechische Philosophie sind 14, schreibt er, dass erzählt wird, dass sowohl das Gesetz als auch die Propheten unter Ptolemaios ins Griechische übersetzt wurden. 15 In diesem Zusammenhang nennt er neben Aristobulos, Aristeas und Josephus auch Demetrios von Phaleron als den Vollführer dieser Aufgabe, was aber aus chronologischen Gründen nicht wahrscheinlich ist. Klemens folgt Irenaeus darin, dass der König mit den Einwohnern Jerusalems verhandelt, fügt aber – in teilweiser Übereinstimmung mit Aristeas – hinzu, dass die siebzig Ältesten die göttlichen Bücher – also nicht nur die Mosebücher – mitbrachten. Auch bei Klemens arbeiten die Siebzig separat und kommen zu identischen Resultaten. Nachdem er erklärt hat, dass es dem Entschluss Gottes entsprach, dass die Schriften auch den Griechen zu Gehör kamen, setzt er fort: »Jedenfalls war es nichts Ungewöhnliches, dass unter der Inspira12. 13. 14. 15.
Irenaeus: Haer. III, 21,3, FC 8/3, 258 f. Irenaeus: Haer. III, 21,3 f., FC 8/3, 260 f. Clemens Alex.: Strom. I 21/101,1-147,6, GCS 52, 64-92. Clemens Alex.: Strom. I, 22/148,1-149,3, GCS 52, 92.
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tion Gottes (ἐπιπνοίᾳ θεοῦ), der die Prophetien gegeben hat, auch die Übersetzung gewissermaßen als eine griechische Prophetie zustande käme«, wonach er wie Irenaeus auf die Geschichte von Esras Nachschaffen der biblischen Schriften nach deren Zerstörung durch Nebukadnezar hinweist. In einem expliziten Zitat aus dem ersten Buch des Aristobulos, das [Ptolemaios] Philometer gewidmet war, heißt es, dass Platon genaue Kenntnis der jüdischen Gesetzgebung besaß, weil schon vor Demetrios, vor der Einnahme (Ägyptens) durch Alexander, ja vor der durch die Perser, die Erzählungen vom Auszug der Hebräer aus Ägypten und der Inbesitznahme des Landes samt der ganzen Gesetzgebung in Übersetzung vorlagen. Auch Pythagoras hat davon profitiert 16, und Klemens zitiert hier die berühmten Worte des pythagoräischen Philosophen Numenios (2. Hälfte des 2. Jhs. v. Chr.): »Was ist Platon denn sonst als ein griechisch schreibender Moses? (τί γάρ ἐστι Πλάτων ἢ Μωυσῆς ἀττικίζων;)«. 17 Zum Schluss schreibt Klemens, dass »dieser Moses, Gotteskenner (θεολόγος) und Prophet, war, wie einige meinen, Interpret der heiligen Gesetzgebung (νόμων ἱερῶν ἑρμηνεύς)«. 18 Die Schriften selbst, denen höchste Glaubwürdigkeit zukommt, verkünden seinen Ursprung, seine Leistungen und seinen Lebenswandel, was dann in den nächsten Kapiteln untersucht wird. Diese letzten Bemerkungen über Moses deuten einen tieferen Sinn der Gesetzgebung an, dessen Inhalt sich aber nicht explizit in den Schriften selbst befinde. 19 Überhaupt fällt es auf, dass Klemens ausdrücklich von dem Gesetz spricht, und dass er Jes 7,14 und das Problem der Jungfrauengeburt nicht nennt. Wenn er Irenaeus’ Ausführungen gekannt hat, so hat er jedenfalls die judenfeindlichen Maßnahmen des Königs nicht übernommen. Obwohl er die Inspiration erwähnt, ist sein Interesse vor allem der durch die Übersetzung ermöglichte Zugang der Griechen zu den heiligen Schriften. Seine Einbeziehung der früheren Übersetzungen, ohne die »neue« Übersetzung der siebzig Ältesten hervorzuheben, dient natürlich – apologetisch – dazu, den »Diebstahl der Hellenen« zu ermöglichen.
4. Tertullian Als erster uns bekannter christlicher Schriftsteller nennt der nordafrikanische Theologe Tertullian († nach 220) ausdrücklich Aristeas als seine Quelle und die »richtige« Zahl der Übersetzer. Offensichtlich hat er, wenn nicht direkten, so doch indirekten Zugang dazu gehabt. Die Entstehungsgeschichte taucht in Tertullians aus dem Jahre 197 stammenden Apologeticum auf 20, in Verbindung mit einer Erklärung dafür, wie Gott als Mittel, seine Ratschlüsse und Absichten für die Menschen bekannt zu machen, auch »das Werkzeug des geschriebenen Wortes beigegeben« hat. In »der Schatz16. Dieses Fragment des Werkes des Aristobulos befindet sich in einer etwas längeren Form auch in Eusebius Caes.: Praep. ev. XIII, 12, 1-2, GS 43/2, 190 f. 17. Clemens Alex.: Strom. I, 22/150,4, GCS 52, 93. 18. Clemens Alex.: Strom. I, 22/150,4, GCS 52, 93. 19. Der Gedanke, dass es so einen »Sinn« der Gesetzgebung außerhalb des Pentateuchs gibt, wird später von Hilarius von Poitiers verwertet. Siehe unten. 20. Tertullian: Apol. 18,5-8, CC.SL 1, 118 f.
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kammer der Schriftwerke«, die nicht verborgen sind, leben sowohl die Voraussagungen der Propheten als »ihre Wundertaten, die sie zum Beweis ihres göttlichen Auftrags verrichteten, fort«. Von Aristeas wird gesagt, dass er »die in griechischer Sprache zugänglich gemachten Dokumente (excerpta monumenta) hinterlassen« hat. Die hebräischen Originale sind noch im Serapeum in Ptolemaios’ Bibliothek zu sehen, und die Juden verlesen sie – wohl auch in der griechischen Übersetzung – öffentlich. »Wer zuhört, wird Gott finden, wer sich obendrein bemüht, ihn zu erkennen, wird gezwungen sein, auch an ihn zu glauben.« 21
5. Origenes Seine umfassende Inanspruchnahme der Septuaginta hätte erwarten lassen, dass Origenes (* um 185; † um 254) Interesse an deren Entstehungsgeschichte zeigte, aber das tut er in den überlieferten Werken nicht. Sein Vertrauen auf die Septuaginta beruht nicht auf deren wundersamer Entstehung, sondern auf der Tradition, die er freilich der Vorsehung zuschreibt. Sein Anliegen ist die größtmögliche Übereinstimmung dieser Übersetzung mit dem hebräischen Original, wobei er meint, dass die nicht übersehbaren Unterschiede zwei Ursachen haben. Teils seien sie auf Unachtsamkeit oder Kühnheit der Abschreiber zurückzuführen 22, teils könnten sie aber auch daher rühren, dass die Gelehrten unter den Juden dem gemeinen Volk das in den Schriften verbergen, was Anklagen gegen die Ältesten, Führer und Richter des Volkes enthält. Einiges davon hat gerade in den Apokryphen überlebt. 23 Mit anderen Worten: Die Septuaginta spiegelt die hebräische Bibel, wie sie ursprünglich aussah.
6. Eusebius von Caesarea Eusebius von Caesarea (* um 263; † 339) bringt in seiner 312-322 verfassten Praeparatio evangelica Auszüge des Aristeasbriefes, die ungefähr ein Viertel dieses Textes enthalten. 24 Der Kirchengeschichtsschreiber sieht Aristeas als einen Augenzeugen an und geht – wie auch Klemens von Alexandrien – auf die heilsgeschichtliche Bedeutung der Übersetzung als Vorbereitung des Evangeliums ein. So stellt er in seiner Einleitung der Auszüge fest, dass, als sich die Zeit der Heilspredigt vom Heiland näherte, das Alte Testament der Juden, das so lange in ihrer Landessprache verhüllt war, nun endlich auch für die übrigen Völker zugänglich gemacht wurde, damit sie an Gottes Segnun21. Auch Tertullian weist auf die Geschichte der Nachschöpfung der biblischen Bücher durch Esra hin. Dies erfolgt aber nicht in diesem Zusammenhang, sondern in De cultu feminarum I, 3,1-3 CC.SL 1, 346 f. in Verbindung mit der Neuschreibung des (ersten) Henochbuches, das er augenscheinlich zu den übersetzten Büchern zählt. 22. Siehe die Beschreibung der Textsituation in Origenes: In Matthaeum XV, 14, GCS 40, 387 f. 23. Siehe die Ausführungen bei Origenes: Ep. ad. Africanum, wo er in Kap. 4/8 (SC 302, 532) sein Zutrauen in die Septuaginta als die durch die Vorsehung Gottes bestimmte Bibel der Kirche ausdrückt, und Kap. 9/13 f. eine Reihe an Beispielen von Aussagen gibt, die in der hebräischen Bibel gestrichen sind (SC 302, 542. 546). 24. Eusebius Caes.: Praep. ev. VIII, 2,1-5,10; 9,1-37, GCS 43/1, 421-427.444-451.
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gen teilhaben konnten. Deshalb gab Gott es in das Herz des Ptolemäus ein, eine Übersetzung erstellen zu lassen. Begnügt sich Eusebius in Praeparatio evangelica damit, dem Aristeasbrief einen christlichen, heilsgeschichtlichen Rahmen zu geben, ohne die Entstehungsgeschichte mit weiteren Zügen zu versehen, bringt er in seiner wenige Jahre später verfassten Historia ecclesiastica die christlich verarbeitete Ausgabe in Gestalt eines Irenaeus-Zitates. 25
7. Marcellos von Ankyra Die Weitläufigkeit in der Entstehungsgeschichte der Septuaginta, zu der Irenaeus Anlauf nahm, entfaltet sich frei bei Marcellos von Ankyra (* um 280; † um 374), wenn die nun vorgeschlagene Zuschreibung der Cohortatio ad gentiles oder ad Graecos an ihn korrekt ist. 26 Gegebenenfalls ist es eine Jugendschrift aus der Zeit zwischen 311 und 324, wo die »Tatsachen« aus den Bedürfnissen des Verfassers entstehen, eine wasserdichte Legitimierung des göttlichen Ursprungs der Septuaginta vorzulegen. Nachdem er in Cohortatio 12 festgestellt hat, dass die hebräischen Schriften die ältesten sind, weil Griechisch erst später erfunden wurde, nennt er in Kap. 13 die griechische Übersetzung als ein Ergebnis davon, dass der König Ptolemäus, »von der Existenz altehrwürdiger in hebräischer Schrift verfasster Geschichtsbücher« benachrichtigt, ihren Inhalt kennenzulernen wünschte. Marcellos erweitert hier die auch von Irenaeus erwähnten Maßnahmen, indem er – hier wohl auch von Philo inspiriert – erzählt, dass der König, damit die Übersetzer von jeder Störung verschont wurden und so auch schneller arbeiten konnten, anordnete, dass jedem eine kleine Hütte gebaut werden sollte dort, wo sich auch der Leuchtturm befindet, alles aber in der Absicht, dass jeder für sich allein die Übersetzung anfertigen sollte. Diener wurden bestellt, um ihnen jede Form der Aufwartung zu leisten, sie aber auch »an gegenseitigem Umgang zu hindern, damit die Sorgfältigkeit der Übersetzung auch an der Übereinstimmung der einzelnen Übersetzungsarbeiten erkannt würde.« 27 Als er also gewahr wurde, dass die siebzig Weisen nicht nur denselben Inhalt erarbeitet, sondern auch denselben Wortlaut gebraucht hatten, ja dass sie nicht einmal in einem einzigen Wortlaut, was die Übereinstimmung untereinander betrifft, voneinander abwichen, sondern dasselbe hinsichtlich desselben geschrieben hatten, war er ganz bestürzt und glaubte daran, dass die Übersetzungsarbeit mit göttlicher Vollmacht (θεὶᾳ δυνάμει) vonstatten gegangen war. … Die Bücher aber, deren göttlichen Ursprung (ἐκθειάσας) er erklärte – wie es billig war –, ließ er in seiner Bibliothek aufbewahren. 28
25. Eusebius Caes.: H.e. V, 8, 11-15, GCS 9/1, 448-450, mit Aufnahme von Irenaeus: Haer. III, 21,2. 26. Noch nicht bezweifelt in Altaner / Stuiber: Patrologie (auch die Neubearbeitung von Altaner / Stuiber: Döpp / Gerlings: Lexikon der Antiken Christlichen Literatur, enthält noch keinen Hinweis) und Seibt: Marcel von Ancyra, TRE 22, 83-89. Siehe aber Christian Riedweg: Ps.-Justin (Markell von Ankyra?), Ad Graecos de vera religione. 27. Marcellus Anc.: Coh. 13,2, Riedweg II, 548. 28. Text: Marcellus Anc.: Coh. 13,3, Riedweg II, 548.
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Die letzte Auskunft gilt wohl den hebräischen Originalen, die auch von Tertullian genannt wurden. Marcellos weist auch als mögliche weitere Literatur unter anderem auf Philo und Josephus hin, die »weisen und anerkannten Männern, die das diesbezügliche aufgeschrieben haben«. 29 Er geht zuletzt auch auf die Frage ein, ob diese Bücher dennoch nicht jüdische Positionen vermitteln, was er mit einem klaren Nein beantwortet. Wenn sie sich auch bei den Juden befinden, sind sie »ein Werk der göttlichen Vorsehung (θείας προνοίας) unseretwegen«. 30 Denn das schließt jeden Betrug auf Seiten der Christen aus: Jeder kann ja in die Synagoge gehen und sich vergewissern, dass der Inhalt dieser Schriften tatsächlich auf Christus zielt.
8. Cyrill von Jerusalem Cyrill von Jerusalem († 386) kommt in der vierten seiner insgesamt 24 Katechesen bei der Behandlung der inspirierten Schriften des Alten und Neuen Testaments auch auf die Septuaginta zu sprechen. So warnt er vor der Lektüre apokrypher Schriften und empfiehlt, dass man nur die von den 72 übersetzten 22 Bücher des Alten Testaments liest (33) – Cyrill setzt also hier den Umfang des »hebräischen Kanons« und nicht die Septuaginta einschließlich der Apokryphen als das Alte Testament voraus. 31 In Kap. 34 geht er dann auf die Initiative des König Ptolemaios ein und erwähnt dabei, dass er es für würdiger hielt, die Schriften nicht mit Zwang und gegen den Willen der Juden in Besitz zu nehmen, sondern ihnen freundlich zu begegnen und großzügige Gaben für den Tempel an den Hohenpriester Eleazar zu schicken. »Er wusste nämlich, dass Zwang, der nur widerwillig gibt, häufig Betrug zur Folge hat. Was hingegen freiwillig gegeben wird, wird in aller Aufrichtigkeit geschenkt.« 32 Cyrill berichtet weiter in einer Weise, die die Erzählung von Aristeas, eventuell in der Wiedergabe von Josephus, reflektiert; so kennt er zum Beispiel den Namen des Hohenpriesters und weiß, dass die 72 Übersetzer sechs von jedem der zwölf Stämme Israels umfassten, und nennt endlich auch als erster uns bekannter christlicher Schriftsteller, dass die Übersetzer ihr Werk innerhalb von 72 Tage vollendeten. Darüber hinaus berichtet er, dass der König zu wissen wünschte, »ob die Bücher göttlichen Ursprungs waren oder nicht« – wessen 29. Marcellus Anc.: Coh. 10,1, Riedweg II, 544 f. 30. Marcellus Anc.: Coh. 13,5, Riedweg II, 549. 31. Cyrillus Hieros.: Catech. 4,33, Reischl, 124. Die ältesten Zeugnisse über den Umfang des Alten Testaments wissen davon, dass es bei den Juden nicht die Apokryphen umfasst, so Meliton von Sardes († vor 190) in seinem Brief an Onesimos um 170 (überliefert in Eusebius Caes., H.e. IV, 26, 13 f., GCS 9/1, 386-388), sowie Origenes in einer Aussage, die in demselben Werk, VI, 25,1 f., GCS 9/2, 572-574 zitiert ist. Doch meint Origenes nicht, dass das für die Kirche verpflichtend ist. Anders verhält es sich mit Athanasius (* 295; † 373), der in seinem für die Kanongeschichte bedeutungsvollen 39. Osterbrief aus dem Jahr 367, 3 f., behauptete, dass die Kirche den hebräischen Kanon respektieren und die sogenannten Apokryphen gesondert halten sollte. So auch Gregor von Nazianz (* 329/30; † um 390), Amphilochius von Ikonium († um 394), Cyrill von Jerusalem sowie – wie wir unten sehen werden – Hieronymus, der sich in dieser Frage dennoch nicht durchgesetzt hat. Zur Frage der Stellung der Apokryphen, siehe auch Müller: Die Septuaginta als Teil des christlichen Kanons, 709-712. 32. Text und Übersetzung in Kranz: Übersetzung, 94-97.
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er sich natürlich nur kraft einer Übersetzung vergewissern konnte. Dennoch geht Cyrill deutlich über die jüdischen Entstehungsgeschichten hinaus, wenn er wie seine christlichen Vorgänger zufügt, dass der König »die Vermutung hegte, die übersandten Männer würden miteinander geheime Sache machen«, und sie deshalb gesondert, jeder in seine Hütte beherbergte und verordnete, dass jeder alle Schriften übersetzen sollte. Eine Kontrolle jedoch fand sie nicht nur im Inhalt, sondern auch im Wortlaut übereinstimmend. Was hier zustande gekommen war, war nicht die Frucht von Worterfindungen nach Menschenart listig verworrener Gedankengänge: es war vielmehr vom Heiligen Geist, dass die Übersetzung der vom Heiligen Geist diktierten göttlichen Schriften durchgeführt worden ist. 33
Diese vollkommene Übereinstimmung beweist nicht nur die Inspiration der Übersetzung, sondern offenbar zudem den göttlichen Ursprung der Originale.
9. Hilarius von Poitiers Hilarius von Poitiers († 367) eröffnet in seinem wohl um 365 verfassten Tractatus super Psalmos in subtiler Weise die Möglichkeit, dass die griechische Übersetzung dennoch nicht ganz mit dem hebräischen Original übereinstimmt, sondern tiefere Einsicht in die Wahrheit vermittelt. In Prologus 8 f. geht er auf die Anordnung der Psalmen ein und stellt fest, dass Esra, wenn er sie in einem unordentlichen Zustand fand, sie nur sammelte, ohne sie nach Autor oder Entstehungszeit einzuordnen. Die siebzig Ältesten dagegen, »die nach der Überlieferung des Mose zur Hütung der Gesetzeslehre in der jüdischen Gemeinde verbleiben sollten«, und die von Ptolemaios mit der Übersetzung ins Griechisch beauftragt wurden, hatten »durch geistliches und himmlisches Wissen Kenntnis von der Wirkkraft der Psalmen gewonnen« und konnten sie deshalb in die richtige Reihenfolge bringen. 34 Auch jede Zahl ist ja von Bedeutung. In seiner Auslegung von Psalm 2,2-3 kommt Hilarius wieder auf die Bedeutung der Institution der siebzig Ältesten in jeder jüdischen Gemeinde zurück, die auch den Titel Gelehrte tragen, und sagt, dass Mose ihnen »gesondert insgeheim einige etwas tiefere Geheimnisse des Gesetzes« anvertraute. An dessen Lehre erinnert auch der Herr in den Evangelien, wenn er spricht [Mt 23,3]: »Alles, was sie euch sagen, tut und beachtet, handelt aber nicht nach ihrem Beispiel.« Ganz wie die Zahl der Ältesten wurde in der Folgezeit dieses Geheimwissen bewahrt. Aus diesem Grund haben die Ältesten bei der Übersetzung dieser Bücher, weil sie ja dank der Überlieferung des Mose eine geistliche Kenntnis vom verborgenen Wissen gewonnen hatten, die mehrdeutigen Ausdrücke der hebräischen Sprache und einiges mehr, das sie aus eigenen Antrieb hinzufügten, nach dem jeweiligen Inhalt mit eindeutigen und angebrachten Wortsinn übersetzt und mit Sachverstand Ordnung in die Bedeutungsvielfalt der Ausdrücke gebracht. 35
33. Cyrillus Hieros.: Catech. 4,34, Reischl, 128. 34. Hilarius: Tract. Psalm., prol. 8 f., CSEL 22, 9 f. 35. Hilarius: Tract. Psalm., 2,2, CSEL 22, 38 f.
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Die nachfolgenden jüdischen Übersetzer, die nicht diese Überlieferung kannten, haben große Verwirrung geschaffen, weil sie nach eigenem Gutdünken übersetzten. Daher gibt es laut Hilarius zwei Argumente für die Autorität der Septuaginta, nämlich erstens dass diese Übersetzung lange vor der leiblichen Ankunft des Herrn entstanden ist und daher nicht der Textverfälschung bezichtigt werden kann, zweitens dass »jene Volksführer und Gelehrte aus der Synagoge, außer aufgrund der Kenntnis vom Gesetz, auch aufgrund der von Mose weitergegebenen geheimen Lehre bei der Übersetzung keine verwerflichen Urteile fällten; waren sie doch äußerst sichere und ins Gewicht fallende Gewährsmänner in doktrinellen Fragen.« Diese Konstruktion einer mosaischen Geheimüberlieferung als Ursache faktischer Unterschiede zwischen dem hebräischen und dem griechischen Bibeltext erklärt und beurteilt sie so als etwas Positives zugunsten der Septuaginta.
10. Johannes Chrysostomus Johannes Chrysostomos (* zwischen 344 und 354; † 407) weist in seiner 4. Genesishomilie 36 auf die Entstehung der griechischen Übersetzung der heiligen Schriften hin als Vorsehung Gottes, denn »dieses Werk kam zustande, damit nicht nur die der hebräischen Sprache Kundigen, sondern auch alle Bewohner des Erdkreises aus ihm Nutzen fassen konnten«. Das ist umso verwunderlicher, weil der König Ptolemäus nicht die jüdische Religion befolgte, sondern Götzen anbetete.
11. Epiphanius von Salamis Ein Höhepunkt der Weitläufigkeit in der »Umschreibung« der Entstehungsgeschichte wird erreicht mit Epiphanius von Salamis (* um 315; † 403) und seiner »biblischen Realenzyklopädie« De mensuris et ponderibus aus dem Jahr 392. In Kap. 3-11 bietet der damalige Bischof von Salamis eine sehr erweiterte, detailreiche Ausgabe der christlichen Version der Geschichte von der Entstehung der Septuaginta. 37 Er fängt (3) mit der Feststellung an, dass die Übersetzung der 72 Wörter enthält, die nicht in die Übersetzungen von Aquila und Symmachus verzeichnet sind. Die 72 Übersetzer haben diese Wörter von sich aus hinzugefügt, nicht ohne guten Grund, vielmehr zum Vorteil. Sie haben die Zusätze dort angebracht, wo der Satzbau mangelhaft war, und erleichtern auf diese Weise das Lesen, dass wir annehmen können, dass sie keineswegs von der Wirkung des Heiligen Geistes ausgeschlossen waren. Die Ausdrücke, für die kein Bedarf bestand, haben sie ausgelassen; wo hingegen ein Satz, nach der Übersetzung ins Griechische, unvollkommen war, dort haben sie einen Zusatz vorgenommen.
Nach dieser Öffnung für – prinzipiell mehr stilistische – Unterschiede im Verhältnis zum hebräischen Original, kommt seine Nacherzählung der Geschichte, für die er 36. Johannes Chrysostomus: Hom. Gen. 4,4, PG 53, 42 f. 37. Einen Versuch, die augenscheinlich schlechte Disposition des Stoffes zu erklären, bieten Wasserstein / Wasserstein: The Legend of the Septuagint, 116.
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später (9) ausdrücklich auf Aristeas und sein Werk hinweist. Diese Schrift ist doch offenbar nicht sein alleiniger Ausgangspunkt. So berichtet er von einer Aufteilung der 72 in 36 Paare, die in 36 Häuschen untergebracht werden. 38 Hier arbeiteten sie vom frühen Morgen bis zum Abend, bis sie in 36 kleinen Fährbooten zur Tafel mit König Ptolemaios kamen, die sie auch später zurückbrachten zu ihren 36 Schlafgemächern, »damit sie sich nicht untereinander austauschen konnten, sondern ohne Hinterlist die Übersetzung durchführten«. Ihnen standen auch Tachygraphen (Schnellschreiber) zu Diensten. Um jeden Austausch zu verhindern, waren die Häuschen ohne Fenster gebaut, so dass das Licht nur durch ein Loch im Dach kam. Einem jeden Paar wurde ein Buch nach dem anderen zugeteilt, so dass alle 36 Paare alle Schriften übersetzten. So wurden also die 27 »kanonischen« (ἐνδιάθετοι) Bücher – 22, wenn man nach der Anzahl der Buchstaben des hebräischen Alphabets zählt – übersetzt, und dasselbe gilt überraschender Weise auch für 72 Apokrypha (vgl. 10). Das Resultat wird in Kap. 6 beschrieben: Als alles vollbracht war, setzte sich der König auf seinen hohen Thron, ebenso nahmen 36 Lektoren ein wenig unterhalb Platz; diese hatten 36 Abschriften eines jeden Buches zur Hand, einer hatte auch eine Abschrift des Buches auf Hebräisch. Während nun ein Lektor den Text vorlas, warteten die anderen ab und es fand sich keinerlei Unstimmigkeit (in den Texten). Es erwies sich vielmehr als ein bewundernswertes Werk Gottes, damit man erkenne, dass jene Männer eine Gabe des Heiligen Geistes innehatten, weil sie in ihrem Übersetzungswerk Übereinstimmung erzielt hatten: Wo sie nämlich ein Wort hinzufügten, handelten alle gemeinsam in dieser Weise, wo sie hingegen etwas wegnahmen, verfuhren sie alle ebenso. Der Worte, die sie wegnahmen, bestand kein Bedarf; der Worte hingegen, die sie hinzufügten, bestand wohl Bedarf.
Später erzählt Epiphanius mit einigen Variationen nochmals die Geschichte, zählt sogar die Namen der Übersetzer auf. Hier wird von göttlichen Büchern (βίβλοι θεϊκαί) von Propheten gesprochen, »die von Gott, der Entstehung der Welt und aller möglichen gemeinnützigen Lehre handeln«. Auf des Königs Wunsch, sie zu erwerben, reagieren die Juden so, dass sie unverzüglich die Bücher mit goldenen hebräischen Schriftzeichen kopieren ließen, und zusammen mit den 22 Büchern des Alten Testaments 72 Apokrypha übersandten. 39 Da der König kein Hebräisch beherrschte, mussten nachher auch Übersetzer geschickt werden. Denn, »wenn ein Schatz verborgen liegt und eine Quelle versiegelt ist – welchen Nutzen hat man davon?« [eine Kombination von Sir 20,30 und Hld 4,12 LXX].
38. Die paarweise Aufteilung der 72 scheint die paarweise Sendung der 72 in Lk 10,1 zu spiegeln. 39. Die überraschende Auskunft, dass die Juden dem König auch 72 Apokryphen übersandten, reflektiert offensichtlich 4Esra 14,45 f., wo neben den 24 Büchern, die Esra veröffentlichen darf, auch 70 genannt werden, die er verwahren soll, »um sie den Weisen aus deinem Volk zu übergeben« (Übersetzung von Josef Schreiner in JSHRZ V 4). Auch hier hat Epiphanius dann die Anzahl korrigiert, so dass sie zu den 72 Übersetzern passt. Obwohl eine Anzahl von Apokryphen tatsächlich in den großen Septuaginta-Handschriften auftreten, und obwohl Epiphanius klar zwischen den 22 Büchern des Alten Testaments und den Apokryphen unterscheidet, berichtet er dennoch im Folgenden auch von der Übersetzung dieser 72 »nichtkanonischen« Bücher.
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Obwohl Epiphanius also die Unterschiede zwischen der hebräischen und der griechischen Bibel vor allem als stilistische Verbesserungen zugunsten der Leser erscheinen lässt, ermöglicht seine Nacherzählung dennoch den Gedanken, dass die griechische Fassung nicht mit der hebräischen identisch, sondern sogar besser als diese ist. So sind in der christlichen Nacherzählung der Entstehungsgeschichte der Septuaginta zwei Tendenzen zu erkennen. Die eine besteht in der Behauptung, dass die griechische Übersetzung das hebräische Original bzw. dessen wahren Sinn treu wiedergibt, wenn sie nicht sogar die ursprüngliche Fassung dieses Textes widerspiegelt. Die andere geht von einer Verbesserung oder Vertiefung des hebräischen Textes aus, so oder so von Gottes Geist inspiriert und mit heilsgeschichtlicher Adresse an die Heidenwelt.
12. Augustinus Am vorläufigen Ende dieser Entwicklung stehen die zwei theologiegeschichtlich bedeutungsvollsten Gestalten der Jahrzehnte um 400 mit je ihrer Ansicht, nämlich Augustinus und Hieronymus. 40 Obwohl er kein Griechisch beherrschte, war Augustinus (* 354; † 430) fest davon überzeugt, dass die Septuaginta die wahre Gestalt des Alten Testaments der Kirche repräsentierte. Seine Ansicht kommt zum Ausdruck teils in einem Briefwechsel mit Hieronymus, teils in seinen Schriften De doctrina Christiana aus 396 und im 18. Buch des Hauptwerkes De civitate Dei aus dem Jahr 424 oder 425. Hier kann nur eine Zusammenfassung gegeben werden. Augustinus führt unter anderem seinen Briefwechsel mit Hieronymus, weil er erfahren hat, dass dieser nicht mehr bereit ist, die Septuaginta zu übersetzen, sondern den hebräischen Text des Alten Testaments übersetzen will. Die Septuaginta habe ja aufgrund einer divina dispensatio (De doctrina II, 15) 41 die heiligen Schriften auch den Heiden zugänglich gemacht, die durch den Herrn zum Glauben kommen sollten. Deshalb muss – so argumentiert Augustinus in De civitate Dei XVIII, 43 – jeder treue Übersetzer des Alten Testaments z. B. ins Lateinische in Übereinstimmung mit der Septuaginta sein, denn in dieser ist die rechte prophetische Tiefe zu finden (altitudo ibi prophetica esse credenda est). Augustinus schreibt: 42 Der nämliche Geist, der in den Propheten war, als sie sprachen, war auch bei den Siebzig Männern, als sie es übersetzten. Und dieser Geist konnte wahrlich mit göttlicher Autorität (profecto auctoritate divina) auch etwas anders sagen, so wie auch der Prophet beides hätte sagen können, weil beides derselbe Geist sagen konnte; sowohl ein und dasselbe anders, wobei ohne die gleichen Worte doch der gleiche Sinn für den richtig Verstehenden klar wurde, als auch, indem hier etwas ausgelassen, dort etwas hinzugefügt wurde, damit auch dadurch gezeigt würde, dass in jener Arbeit nicht menschliche Unterwürfig-
40. Für eine ausführlichere Darstellung der Kontroverse zwischen Augustinus und Hieronymus, siehe Müller: The First Bible of the Church, 83-94. Vgl. auch die monographische Behandlung in Hennings: Briefwechsel. 41. Augustinus: Doctr. II, 15/22, CC.SL 32, 48. 42. Augustinus: Civ. XVIII, 43, CSEL 40/2, 337. Deutsche Übersetzung zitiert nach Aurelius Augustinus, Der Gottesstaat, Zweiter Band.
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keit war, die den Übersetzer zum Knecht der Wörter macht, sondern vielmehr göttliche Macht den Geist des Übersetzers erfüllte und leitete.
Gewiss haben einige gemeint, dass die griechischen Bibelhandschriften nach den hebräischen korrigiert werden sollten, und während niemand es gewagt hat, das, was in dem hebräischen Text fehlt, zu entfernen, hat man jedoch das eingeführt, was der hebräische Text mehr als der griechische hatte, und das, was dem hebräischen Text fehlt im Verhältnis zu dem griechischen, zu erkennen gegeben. Unmöglich ist es jedoch gewesen, alle die Stellen zu markieren, wo nichts zugefügt oder entfernt ist, sondern wo eine andere Ausdrucksweise vorliegt. Augustinus schlussfolgert: Wir haben daher in all den Schriften nichts anderes zu berücksichtigen, als was Gottes Geist durch Menschen gesprochen hat. Was nun etwa in den hebräischen Texten steht und nicht auch bei den Siebzig, das wollte eben Gottes Geist nicht durch sie, sondern durch jene Propheten sagen. Was sich hingegen in der Septuaginta findet und bei den Hebräern nicht, das wollte derselbe Geist lieber durch sie als durch jene sagen, um damit zu zeigen, dass eben beide Propheten waren. In dieser Weise hat er ja auch das eine durch Isaias, das andere durch Jeremias und wieder andres durch einen anderen Propheten oder auf andre Art dasselbe durch den oder jenen gesagt, wie er wollte. Was schließlich bei beiden gemeinsam gefunden wird, wollte ein und derselbe Geist durch beide sagen, aber so, dass die einen mit ihren Prophezeiungen früher hervortraten, die anderen mit prophetischer Übersetzung (prophetice illos interpretando) ihnen folgten, weil in den einen, die das Wahre und Übereinstimmende sagten, derselbe Geist des Friedens wohnte, wie er sich auch in den anderen, die sich nicht miteinander besprochen hatten und doch wie aus einem Munde das Ganze übersetzt haben, als der eine Geist kundgab.
13. Hieronymus Wo Augustinus die Septuaginta als einen selbständigen Offenbarungszeugen wertet und zwar als die Ausgabe des Alten Testaments, die Gott in seiner Vorsehung für die christliche Kirche bestimmt hat, kehrt sein Gegner in dieser Frage, Hieronymus (* um 347; † 419/20), im Laufe seiner Bestrebungen einen neuen lateinischen Bibeltext zustande zu bringen, um 390 zum hebräischen »Grundtext« zurück. 43 In seinem Vorwort zu Quaestiones hebraicae in Genesim spricht er von der Hebraica veritas und begründet seine Neigung zum hebräischen Text auch damit, dass die Siebzig in ihrer Übersetzung aus Rücksicht auf König Ptolemäus die Geheimnisse (mystica) der Schrift unterdrückten, insbesondere ihre Prophezeiung der Ankunft Christi, damit der König nicht den Eindruck bekommen sollte, dass die Juden, die er gerade wegen ihres Monotheismus bewunderte, tatsächlich noch einen Gott verehrten. Dazu kommt, dass laut Hieronymus die Evangelien, der Herr selbst und auch der Apostel Paulus vieles anführten, als ob es aus dem Alten Testament stamme, was sich aber in den Exemplaren der Kirche nicht finden lasse (multa quasi de ueteri testamento proferunt, quae in nos43. Eine Analyse von Hieronymus’ Weg von der Graeca veritas zur Hebraica veritas gibt Markschies: Hieronymus und die »Hebraica veritas«. Siehe aber auch Schulz-Flügel: The Latin Old Testament Tradition, 657-662; und: Hieronymus – Gottes Wort: Septuaginta oder hebraica Veritas, passim.
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Die Geschichte der Entstehung der LXX in jüdischen und christlichen Darstellungen
tris codicibus non habentur). 44 Anders ausgedrückt, für Hieronymus ist der hebräische Text der vollständige. Außerdem konnte er auf die Unordnung der Textüberlieferung der Septuaginta hinweisen, wogegen er offenbar den hebräischen Text als sicher überliefert ansah. Er meinte zudem in Übereinstimmung mit Origenes zu sein, der durch den Vergleich der verschiedenen griechischen Übersetzungen ihr Verhältnis zum hebräischen Original zu bestimmen versuchte. Deshalb sei es auch näherliegend, direkt zum hebräischen Text zurück zu gehen als Rücksicht zu nehmen auf die neueren Übersetzungen von einem Juden wie Aquila und judenchristlichen Ketzern wie Symmachus und Theodotion (sic!), die viele von den Geheimnissen des Heilands durch trügerische Übersetzungen verbergen (qui multa mysteria Salvatoris subdola interpretatione celarunt). Die Annahme der Hebraica veritas bedeutete für Hieronymus nun auch eine Annahme des hebräischen Kanons, das heißt, den Ausschluss der Apokryphen. Deshalb besteht das Alte Testament laut Hieronymus aus 22 – oder mit einer alternativen Zählung 24 – Büchern, ganz wie es 24 Älteste um den Thron des Lammes in Apk 4,4-10 gibt. Unter Druck hat er dennoch auch einige der Apokryphen, von denen er die Existenz eines chaldäischen Textes behauptet, übersetzt. Und letztendlich ist es ihm nicht gelungen, die Apokryphen außerhalb des Kanons der Kirche zu halten. Im Prinzip bedeutet das Festhalten an der Hebraica veritas, dass der hebräische Text zum »Grundtext« für die Kirchen im lateinischen Sprachgebiet wurde, was einen Abschied von der Septuaginta in denselben Kirchen zur Folge hatte. Deshalb weist er auch die mit wunderhaften Zügen ausgestattete Entstehungsgeschichte der Septuaginta ab. So schreibt Hieronymus in Prologus in Pentateucho, dass er nicht weiß, wer als der erste mit seiner Lüge die siebzig Hütten in Alexandria errichtet hat, worin sie jeder für sich dasselbe geschrieben haben, wenn Aristeas, ein Protegé (υπερασπιστης) derselben Ptolemäus, und lange danach Josephus nicht solches erzählen, sondern, dass sie in einer Basilika (sic!) versammelt geschrieben, nicht prophezeit haben. Denn eines ist, Prophet zu sein, etwas anderes Übersetzer (Aliud est enim vatem, aliud esse interpretem); der eine sagt unter Beistand des Geistes voraus, der andere übersetzt, was er mit Gelehrtheit und Fleiß bei den Worten erfasst hat. 45
Hieronymus verneint also, dass die Septuaginta unter göttlicher Inspiration übersetzt ist, und auch die christliche Rezeption der Entstehungsgeschichte dieser Übersetzung zählt für ihn in diesem Zusammenhang nicht. Er kann zudem darauf aufmerksam machen, dass die Entstehungsgeschichte ursprünglich nur von der Übersetzung des Pentateuchs berichtete. 46 Es liegt nahe zu denken, dass der Umstand, dass Hieronymus in eine dritte Sprache übersetzen sollte, dazu beigetragen hat, dass er sich dem hebräischen Text zuwandte und sich nicht damit genügte, eine Übersetzung zu übersetzen. 44. Dieselben Gründe werden auch in Hieronymus: Prologus in Pentateucho (hier nach Biblia Sacra iuxta Vulgata versionem, Stuttgart 1969, 3) genannt; als Beispiele werden Mt 2,15.23; Joh 19,37; 7,38; 1 Kor 2,9 angegeben. Die zwei letztgenannten stimmen dennoch auch nicht ganz mit dem hebräischen Text zu Sach 12,10 und Jes 64,4 überein. 45. Hieronymus: Prologus in Pentateucho (hier nach Biblia Sacra iuxta Vulgata versionem, Stuttgart 1969, 3). 46. Siehe Hieronymus: Qu. Hebr. Gen, prol., CC.SL 72, 2, aber auch seinen Ezekiel-Kommentar (II, 5,12, CC.SL 75, 60).
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Die Übernahme der Entstehungsgeschichte im ältesten Christentum bis Augustin
Als erster bekannter christlicher Schriftsteller schiebt er dann ohne weiteres die ganze wundersame Entstehungsgeschichte der Septuaginta zur Seite als das, was sie historisch betrachtet ist: Ein Versuch, durch fiktive Erzählung die göttliche Autorität der griechischen Übersetzung des Alten Testaments zu bekräftigen. Wenn nicht mehr nötig, wird dieser Versuch einer Legitimierung aufgegeben. Das Bewusstsein, dass die Entstehungsgeschichte das fromme Produkt kirchlich-theologischer Bedürfnisse ist, lag offenbar nicht fern, und die kreativen Nacherzählungen wurden nicht notwendig als eigentliche Geschichte aufgefasst. Für die allmählich lateinsprachige Kirche im Westen verlor die Septuaginta in den folgenden Jahrhunderten ihre Bedeutung. Sie überlebte aber insoweit, als die lateinische Bibel ihre Anordnung der Bücher und die Inklusion (eines Teiles) der Apokryphen bewahrte – in dieser letzten Frage konnte Hieronymus sich also nicht durchsetzen. Seine Übersetzungen und Revisionen, die im Mittelalter den Namen Vulgata erhielten, sind dennoch nicht immer in ihrem Wortlaut ganz in Übereinstimmung mit der Hebraica veritas. Nicht zuletzt die Rezeption der Septuaginta in alttestamentlichen Zitaten im Neuen Testament hat dazu geführt, dass die lateinische Übersetzung an einer Reihe von Stellen stillschweigend den Wortlaut der Septuaginta reproduziert, zum Beispiel Jes 7,14 und 40,3; dies ist, trotz ihrer Forderung, den hebräischen Bibeltext wiederzugeben, auch bei den reformatorischen Übersetzungen der Fall.
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2. Termini, Themen und Texte der Septuaginta
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2.1 Termini und Themen der Septuaginta 2.1.1 Gottesbezeichnungen Martin Meiser Literatur Philo: Opera quae supersunt, ed. Leopold Cohn / Paul Wendland, 7 Bände, Berlin 1896-1930 – Josephus: Opera, ed. Benedikt Niese, 7 Bände, Berlin 1955 (*1887-1895) Anastasius Sinaita: Viae Dux, ed. Karl-Heinz Uthemann, CC.SG 8, Turnhout 1981 – Andreas Caes.: Commentarius in Apocalypsin, PG 106, 207 A-486 A – Ps.-Athanasius: Disputatio contra Arium in Concilio Nicaeno 37, PG 28, 439 A-602 A – Basilius Caes.: Lettres, ed. Yves Courtonne, Tome 2, Paris 1961 – Clemens Alex.: Stromata I-VI, ed. Otto Stählin /Ludwig Früchtel, 4. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 52, Berlin 1985 – Cyrillus Alex: Commentarius in Prophetas Minoras, PG 71; PG 72, 9 A-364 D – Cyrillus Alex.: Glaphyra, PG 69, 9 A-678 C – Cyrillus Alex.: Eplanatio in Isaiam, PG 70, 9 A-1450 C – Cyrillus Hieros.: Opera quae supersunt omnia Bd. 1, ed. Wilhelm Reischl, München 1848 = Hildesheim 1967; Bd. 2, ed. Joseph Rupp, München 1860 = Hildesheim 1967 – Didascalia et Constitutiones Apostolorum, ed. Franz Xaver von Funk, Paderborn 1905 = Turin 1961 – Didymus Alex.: Sur la Genèse, ed. Pierre Nautin, Bd. 1, SC 233, Paris 1976, Bd. 2, SC 244, Paris 1978 – Eusebius Caes.: Der Jesajakommmentar, ed. Joseph Ziegler, GCS 57, Berlin 1975 – Eusebius Caes.: Praeparatio evangelica, ed. Karl Mras, GCS 43/1, Berlin 1954, 2. Aufl. ed. Édouard des Places, Berlin 1982 – Gregorius Magnus: Moralia in Job, ed. Marc Adriaen, CC.SL 143/143 A, Turnhout 1979 – Gregorius Naz.: Discours 4-5 contre Julien, ed. Jean Bernardi, SC 309, Paris 1983; Discours 6-12, ed. Marie-Ange Calvet-Sebasti, SC 405, Paris 1995; Discours 27-31, ed. Paul Gallay, SC 250, Paris 1978 – Gregorius Nyss.: Contra Eunomium 1-2, ed. Werner Jaeger, GNO 1, Leiden 1960 – Hieronymus: Commentarii in Prophetas minores, ed. Marc Adriaen, CCL 76 / 76 A, Turnhout 1969 – Irenaeus: Adversus Haereses. Gegen die Häresien, ed. et trad. Norbert Brox, Bd. 4, FC 8/4, Freiburg u. a. 1997 – Johannes Chrysostomus: Homiliae in Genesim, PG 53, 21 – 54, 580 – Johannes Chrysostomus: Homiliae in Epistulam ad Romanos, PG 60, 291-682 – Johannes Damasc, Expositio Fidei, ed. Bonifatius Kotter, PTS 12, Berlin / New York 1973 – Johannes Damasc.: Expositio in epistulam ad Romanos, PG 95, 441 A-570 B – Julian Aecl.: Tractatus prophetarum Osee Iohel etAmos, ed. Lucas De Coninck, CC.SL 88, Turnhout 1977 – Justin: Dialogue avec Tryphon, ed. Philippe Bobichon, Par. 47/1-2, Fribourg 2003 – Olympiodor Alex.: Kommentar zur Hiob, ed. Ursula Hagedorn / Dieter Hagedorn, PTS 24, Berlin / New York 1984 – Origenes: Contra Celsum, ed. Marcel Borret, Tome 2, SC 136, Paris 1968, Tome 3, SC 147, Paris 1969 – Origenes: Die Schrift vom Martyrium, ed. Paul Koetschau, GCS 2, Leipzig 1899, 1-47 – Ps.-Basilius: Enarratio in Esaiam Prophetam, PG 30, 117 A-668 C – Ps.-Dionysius Areopagita: De divinis nominibus, ed. Beate Regina Suchla, PTS 33, Berlin / New York 1990; PG 3, 585 A-996 B – Theodoret: Quaestiones in Octateuchum, ed. John F. Petruccione, Vol 1, OECT 1, Oxford 2007 – Theodoret: Interpretatio epistolae ad Romanos, PG 82, 44 C-226 C – Theophilos Ant.: Ad Autolycon, ed. Miroslav Marcovich, PTS 44, Berlin / New York 1995 – Theodoret: In divini Jeremiae Prophetiam interpretatio, PG 81, 495 A-760 B.
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Gottesbezeichnungen
Weitere Literatur Albrecht, Felix: Dominus Deus, Pater Omnipotens. Die göttlichen Verheißungen von 2Kor 6,16-18, in: ders. / Reinhard Feldmeier (ed.), The Divine Father. Religious and Philosophical Concepts of Divine Parenthood in Antiquity, Themes in Biblical Narrative 18, Leiden / Boston 2014, 277-292 – Dogniez, Cécile: Le Dieu des armées dans le Dodecapropheton: quelques remarques sur une initiative de traduction, in: Bernard A. Taylor (ed.), IX Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, SCS 45, Atlanta 1997, 19-36 – Feldmeier, Reinhard: »Der Höchste«. Das Gottesprädikat Hypsistos in der paganen Religiosität, in der Septuaginta und im lukanischen Doppelwerk, in: Wolfgang Kraus / Siegfried Kreuzer (ed.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 544-558 – Schaller, Bernd: Paralipomena Jeremiou, JSHRZ I 8, Gütersloh 1998 – Schmitz, Barbara: »… using different names, as Zeus and Dis« (Arist 16). Concepts of »God« in the Letter of Aristeas, in: Siegfried Kreuzer u. a. (ed.), Die Septuaginta – Orte und Intentionen, WUNT 361, Tübingen 2016, 703-716 – Witte, Markus: Theologien im Buch Jesu Sirach, in: ders., Texte und Kontexte des Sirachbuchs. Gesammelte Studien zu Ben Sira und zur frühjüdischen Weisheit, FAT 98, Tübingen 2015, 59-82.
1. Bezeichnungen des wahren Gottes Dieser Artikel bietet zu den Bezeichnungen des Gottes Israels einige Passagen, in denen Bezeichnungen philologisch oder theologisch kommentiert werden. θεός: Zu diesem Begriff 1 gibt es in griechischer Philosophie die Ableitung von τίθημι, (»setzen, festsetzen« 2), θέω (»laufen«), was sich auf den Lauf der Gestirne bezieht 3, und von θεωρέω (»betrachten«). 4 Erstgenannte Ableitung wiederholt sich bei Philo von Alexandria. 5 Im Bereich der christlichen Antike wiederholen sich faktisch die Interpretationen dieser Bezeichnung. So finden sich Ableitungen von τίθημι und von θέω 6, von θεάομαι (»schauen, betrachten«) 7, von τίθημι 8, dann auch, neben alternativen Vorschlägen, von αἴθω (»brennen«), aufgrund von Dtn 4,24; Hebr 12,29. 9 Gelegentlich werden auch alternative Deutungen nebeneinander gestellt, so die Ableitung von τίθημι und θέω 10, von θέω und αἴθω 11, von θεωρέω, θέω und αἴθω 12, von θέω, αἴθω und θεάομαι 13. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
Vgl. Lampe: A Patristic Greek Lexicon, 632 s. v. θεός A. in gen. 1 derivations. Herodot: Hist. II, 52. Platon: Kratylos, bei Eusebius Caes.: Praep. ev. I, 9,12, GCS 43/1, 37. Eusebius Caes.: Praep. ev. V, 3,2, GCS 43/1, 225, ohne Namensnennung. Philo: Abr. 121. Theophilos: Autol., I, 4,1, PTS 44, 19 (die hier genannten Ausführungen zu θέειν beziehen sich auf das göttliche Schöpfungs- wie Erhaltungshandeln); Clemens Alex.: Strom. IV, 23, GCS 52, 31. Irenaeus: Haer. IV, 38,3, FC 8/4, 338; Eusebius Caes.: Praep. ev. V, 3,2, GCS 43/1, 225; Gregorius Nyss.: Eun. II, 149, GNO 1, 268 f. Clemens: Strom. I, 29, GCS 52, 112. Gregorius Naz.: Or. 30,18, SC 250, 262-264. Theophilos: Autol. I, 4,1, PTS 44, 19. Gregorius Naz.: Or. 30,18, SC 250, 262-264. Anastasius Sinaita: Viae Dux II, 8, CC.SG 8, 71 Johannes Damasc.: Expos. fid. 9/I, 9, PTS 12, 31 f.
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Termini und Themen der Septuaginta
ἱκανός (»Genügend«): Die Bezeichnung ἱκανός 14 (bei Aquila, Symmachus und Theodotion geläufig, in der Septuaginta nur in hexaplarisch ergänzten Stellen, z. B. Hi 21,15; 31,2, oder in revidierten Fassungen, z. B. Ruth 1,20 f.) ist im Testament Hiobs nicht als Gottesbezeichnung verwendet, dafür in ParIer 6,3. Bei Philo begegnet ἱκανός zur näheren Charakterisierung Gottes in Mut.Nom. 27.46 (Gott war sich vor der Schöpfung selbst genug und blieb das auch nach der Schöpfung unverändert); Leg.All. I 44; Cher. 46 (ἱκανός γὰρ μόνος καὶ αὐταρκέστατος ἑαυτῷ [»Der Genügende«]). In Mut.Num. 27 kann um des willen die Anrede an Abraham »Ich bin dein Gott« (Gen 17,1) sogar als καταχρηστικῶς, οὐ κυρίως (»im uneigentlichen Gebrauch, nicht im eigentlichen Sinne«) erfolgt bezeichnet werden. Die Bezeichnung ist »sachlich in der philosophischen Religiosität der hellenistischen Welt mit ihrer Vorstellung von der Autarkie Gottes verankert.« 15 Sie wird in antiker christlicher Literatur recht selten kommentiert. Bei Olympiodor wird zu Hi 21,15 der Begriff mit ἰσχύω umschrieben 16; zu Hi 31,2 heißt es nur ὁ δύνατος καὶ ὕψιστος θεός 17. Ps.-Johannes Chrysostomus in seinem fragmentarisch überlieferten Hiobkommentar und Julian von Aeclanum bieten keine Ausführungen zur Sache. κύριος (»Herr«): Philo, Abr. 121, halt die Bezeichnung aufgrund der Herrschaftsstellung Gottes über seine Geschöpfe für legitim. Philo ordnet hier wie auch in Somn I, 163 die Eigenschaften der Gnade und der Güte der Bezeichnung θεός, die Eigenschaften der Herrschaft und Strafgewalt dem Titel κύριος zu. Er verfährt hierin umgekehrt wie der Midrasch. Der Übersetzer von de Abrahamo, Joseph Kohn, z.St., begründet das mit der mangelnden Hebräischkenntnis Philos. In christlicher Literatur wird κύριος ebenfalls naheliegenderweise mit κυριεύειν … τῶν ὅλων zusammengebracht. 18 παντοκράτωρ (»Allherrscher«): Der Begriff παντοκράτωρ findet sich konzentriert in einzelnen Büchern der Geschichtsschreibung (2 Makk/3 Makk) und der Weisheitsliteratur 19 und steht für die Herrschermacht Gottes »in seinem Wirken als Schöpfer 20, Richter und kriegerischer Schutzherr« 21, dem am Ende die nichtisraelitischen Völker huldigen werden. 22 In EpArist 185 steht er dafür, dass der Gott Israels die salus privata der nichtisraelitischen königlichen Familie garantiert, stellt somit die Anschlussfähigkeit jüdischer Theologie unter Beweis. 23 In der Gebetsanrede Bar 3,1.4 begegnen »Pantokrator« und »Gott Israels« zusammen: »Gott Israels« steht für das Verpflichtende, an dem Israel schuldig wurde; »Pantokrator« steht für die Geschichtsmacht, mit der Gott sein Volk ins Exil geführt hat, es aber auch wieder herausführen kann. In 2Kor 6,18 und Apk 1,8; 4,8 etc. ist der Begriff auch im Neuen Testament als Gottesbezeichnung greifbar. In antiker christlicher Literatur wird die Tatsache, dass
14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23.
Vgl. dazu Schaller: Paralipomena Jeremiou, 730 Anm. i. Schaller: Paralipomena Jeremiou, 730 Anm. i. Olympiodor: In Job, PTS 24, 185. Olympiodor: In Job, PTS 24, 258. Theophilos: Autol. I,4,2, PTS 44, 19. dogniez: Le Dieu des armées, 28 f. Sir 42,17; vgl. dazu Albrecht: Dominus Deus, 288. Witte: Theologien im Buch Jesu Sirach, 66 mit Anm. 36 (Belege). OrMan 1; EpArist 185; 3Bar 1,3; ParJer 1,5;9,6; TestAbr A 8,3; 15,12. Schmitz: »… using different names«, 713.
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Gottesbezeichnungen
die Bezeichnung in Hi 5,8.17; 8,5 für »( שדיAllmächtiger«) steht, in Hos 12,5(6); Am 3,13; 4,13; etc. für [( צבאותHerr der] »Heerscharen«), nicht kommentiert. Ausführungen beziehen sich auf die Deutung wie auf die Einordnung dieser Bezeichnung in ein System der Gottesbezeichnungen. Die Ableitung von κρατέω ist natürlich bewusst. 24 Julian von Aeclanum umschreibt die Bezeichnung einmal mit propugnator (»oberster Kämpfer«) 25; ein anderes Mal hält er fest: Die Engel dienen Gott auf seinen Wink und bekennen ihn als König. 26 Für Kyrill von Alexandria ist παντοκράτωρ mit der Wendung ὁ τῶν ὅλων θεός (»der Gott des Alls«) umschrieben. 27 Bei Theodoret fasst der Titel Pantokrator sowohl das Wirken Gottes als des Schöpfers aller Dinge in Worte als auch die Geistmitteilung an die Heiden; πάντων in der Auflösung πάντων θεός für παντοκράτωρ wird dabei zunächst als Neutrum, dann als Maskulinum verstanden. 28 Andreas von Caesarea verbindet das Moment des Herrschens mit dem der Ewigkeit: Gott (Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist) hat keinen Anfang und kein Ende. 29 Das Attribut πατήρ (»Vater«) wird mit dem Moment der Vorzeitigkeit erklärt. 30 Zur Einordnung in ein System von Gottesbezeichnungen finden sich Äußerungen bei Gregor von Nazianz und Ps.-Dionysios Areopagita. Nach Gregor von Nazianz gehören Namen wie βασιλεύς (»König«) und παντοκράτωρ zu den Namen, die sich nicht auf die οίκονομία (»Heilsveranstaltung«; dahin gehören etwa Redewendungen »Gott des Friedens«, »Gott der Gerechtigkeit«, »Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs«), sondern auf die ἐξουσία beziehen. 31 Ps.-Dionysios Areopagita bemerkt: Die Namen βασιλεύς, ποιήτης (»Schöpfer«) und παντοκράτωρ beziehen sich auf die Akte der πρόνοιαι τῶν προνοουμένων (»Akte der Vorsehung und ihrer Objekte«). 32 Σαβαώθ: Mehrfach wird das Nebeneinander der verschiedenen Übersetzungen von ( צבאותZebaoth), nämlich die Transkription Σαβαώθ und die Wiedergabe als παντοκράτωρ (»Allherrscher«) und κύριος (ὁ θεός) τῶν δυνάμεων (»Gott/Herr der Mächte«), benannt, aber nicht kommentiert. 33 ὕψιστος (»der Höchste«): Das Gottesprädikat veranlasst Philo von Alexandria zu der Verwahrung dagegen, dass es noch einen anderen Nicht-Höchsten geben könne, denn, so der Alexandriner, Gott ist einzig und es gibt keinen außer ihn. 34 Andere Autoren sowohl im griechischen als auch im aramäischen Traditionsbereich sind weniger zurückhaltend. 35 Die »Verwendung des Namensäquivalents ὕψιστος als Genitivattri24. Theophilos: Autol. I, 4,2 PTS 44,19; Ps.-Athanasius: Disputatio contra Arium in Concilio Nicaeno 37, PG 28, 488 C; Andreas Caes.: in Apocalypsin, PG 106, 225 CD. 25. Julian Aecl.: In Oseam, CC.SL 88, 210. 26. Julian Aecl.: In Amos, CC.SL 88, 285. 27. Cyrillus Alex.: In Amos, PG 71, 489 A. 28. Theodoret: In Jer., PG 81, 523 B (zu Jer 3,19). 29. Andreas Caes.: In Apocalypsin, PG 106, 225 CD. 30. Theophilos: Autol. I,4,2, PTS 44, 19. 31. Gregorius Naz.: Or. 30,19, SC 250, 264. 32. Ps.-Dionysios Areopagita (Paraphrasis Pachymerae): Div. Nom. I 8, PG 3, 633 A (in PTS 33, 120 f. nicht enthalten). 33. Origenes: Cels. V, 45, SC 147, 132; Hieronymus: In Zach. I, 1,3, CC.SL 76 A, 751; Gregorius Naz.: Or. 30,19, SC 250, 264. 34. Philo: Leg.All. III, 82; dazu Feldmeier: »Der Höchste«, 551. 35. Feldmeier: »Der Höchste«, 550f, verweist auf Joseph und Aseneth, das Testament Abrahams,
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Termini und Themen der Septuaginta
but für Menschen oder Menschengruppen« 36 bezeichnet bestimmte Menschen im Gegensatz zu anderen als Verehrer des unvergleichlichen Gottes Israels, hat also apologetische bzw. selbstvergewissernde Funktion. Die Gottesbezeichnung ist auch im Neuen Testament und dann auch in christlicher Antiker Literatur gebräuchlich. Theophilos von Antiochia gibt die Begründung, warum Gott so tituliert wird: Er steht über allem. 37 ὁ ὤν (»der Seiende«): Bei Philo, Vit.Mos. I, 75, finden sich drei Gedanken: 1. Es ist Gott, der über den Unterschied zwischen Seiendem und Nichtseienden belehrt; 2. nur Gott allein kommt das Sein zu; 3. Es gibt keinen Namen, der sein Wesen treffend erfasst. Um der Akkomodation an die schwache Fassungskraft willen nennt sich Gott jedoch zusätzlich »Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs«, also Gott der drei Männer, die die Tugend bedeuten. 38 In christlicher Tradition finden sich u. a. die Deutungen τὸ εἶναι καθ’ ἑαυτὸ (»das Sein gemäß seiner Selbst«) und ἄναρχος καὶ ἀτελεύτητος (»ohne Anfang und ohne Ende«). 39 Johannes von Damaskus bezeichnet den Namen als den treffendsten Namen für Gott, weil er das ganze Sein in sich zusammenfasst. 40 Gregor d. Gr. sieht in Ex 3,14 die Unveränderlichkeit Gottes betont. 41
2. Bezeichnungen für nichtisraelitische Gottheiten Die Erwähnung der γίγαντες (»Giganten«) u. a. in Gen 6,4 und Jes 13,3; 14,9 hat gelegentlich die Frage nach der Vergleichbarkeit biblischer mit griechischer Mythologie evoziert. Philo von Alexandria zufolge haben die γίγαντες mit den griechischen Giganten nichts zu tun 42; nach Josephus hingegen sind beide hinsichtlich ihrer Schlechtigkeit durchaus vergleichbar. 43 Im Bereich antiker christlicher Exegese und Theologie findet man gelegentlich Referenzen von Jes 13,3 auf Gen 6,4 44 oder auf die bösen Engel von Ps 77[78],49 45, Bezugnahmen auf griechische Mythologie recht selten. 46 Bei Orige-
36. 37. 38.
39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46.
die Testamente der Zwölf Patriarchen, aber auch auf die aramäischen Texte von Qumran und das Vierte Esrabuch (Altissimus). Feldmeier: »Der Höchste«, 552, mit Verweis u. a. auf JosAs 16,14; 21,4; 22,13; vgl. 8,2, wo Joseph der durch den höchsten Gott Gesegnete genannt wird. Theophilos: Autol. I, 4,2, PTS 44, 19. Philo: Vit.Mos. I, 76. Es folgt die bei Philo häufig wiederkehrende Symbolik der Patriarchen anhand der Frage, wie sie sich Tugend erworben haben, durch Belehrung (Abraham), Naturbegabung (Isaak) oder Übung (Jakob). Gregorius Naz.: Or. 30,18, SC 250, 264, letzteres auch Ps.-Dionysios Areopagita (Paraphrasis Pachymerae): Div. Nom. I 1, PG 3, 613 B (in PTS 33, 109 f. nicht enthalten). Johannes Damacs.: Expos. fid. 9/I, 9, PTS 12, 31. Gregorius Magnus: Mor. in Job V, 34/63, CC.SL 143, 263; ähnlich Gregorius Magnus: Mor. in Job XVIII 50/82, CC.SL 143 A, 945 f., wo er auf die sachliche Parallele Ps 101,27 f. verweist. Philo: Gig. 58. Josephus: Ant. I, 73. Eusebius Caes.: Jes., GCS 60, 95; Johannes Chrysostomus: Hom. Gen. 22,5, PG 53, 191. Ps.-Basilius: In Isaiam 258, PG 30, 572 D-573 A. Sie fehlen bei Cyrillus Hieros.: Catech. 2,8, Reischl, 48; Origenes: Mart 18, GCS 2, 17; Eusebius Caes.: Jes., GCS 57, 102-104.
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Gottesbezeichnungen
nes 47 ist das lange Zitat von Homer, Il. II, 308-321, wo die Verwandlung des Drachens in einen Stein durch den Sohn des Kronos erzählt wird, nur Beiwerk zum kritisch behandelten Thema de divinatione (»Über die Wahrsagung«): Die in Gen 6,4 genannten Wesen treiben in wilden Tieren ihr Unwesen; man erfährt aber von ihnen keine Auskunft über die Zukunft. Didymus von Alexandria behauptet mit Verweis auf Jes 3,2; Dtn 1,28; Num 13,33, der Bezug auf die griechischen Giganten sei ein Eintrag von Ungläubigen in die Interpretation des Bibeltextes; die Bibel gebrauche γίγαντες als Bezeichnung von Menschen mit besonders großer körperlicher Kraft. 48 Die feminine Lesart Dat. Sg. τῇ Βααλ (»die Baal«, der weibliche Artikel ist aber wahrscheinlich nicht als Hinweis auf eine Göttin zu verstehen, sondern als Lesehinweis, dass an Stelle von Baal αἰσχύνη [»Schande«] gelesen werden soll; vgl. 3Kgt 18,19) in 3Kgt 19,18 wird gelegentlich weitergetragen, aber nicht kommentiert. 49 Das gilt auch von der Aufnahme dieser Lesart in Röm 11,4. 50 Bei den in Jes 65,11 genannten Gottheiten δαίμων (»Daimon«) und τύχη (»Glück«) werden Beziehungen zu nichtjüdischer Mythologie in der Auslegung kaum gezogen; die dort Angeredeten werden zumeist nur allgemein der Teilhabe am Götzendienst bezichtigt. 51 In der Martyriumsparänese kann eine Anspielung auf Jes 65,11 das Fehlverhalten derer bezeichnen, die sich vor dem Martyrium scheuen. 52
47. Origenes: Cels. IV, 91, SC 136, 410-414. 48. Didymus Alex.: In Gen., SC 244, 36. Zur Deutung auf die Körperkraft vgl. auch Johannes Chrysostomus: Hom. Gen. 22,5, PG 53, 191; Cyrillus Alex.: Glaph. Gen. II, PG 69, 56 AB; ders.: In Is. II, PG 70, 373 AB; Theodoret: Qu. Gen. 48, OECT 1, 102-104. 49. Justin: Dial 39,1; 46,6 Bobichon I 280.298 im Zitat; Dial. 136,3, Bobichon I 550 im Fließtext; Basilius: Ep. 156,3, Courtonne 84; Gregorius Naz.: Or. 4,65, SC 309, 172; Or. 11, 5, SC 405, 338, jeweils in Form einer Anspielung, sowie in den Apostolischen Konstitutionen VIII 1,15, von Funk, 466. 50. Johannes Chrysostomus: Hom. in Rom. 18,4 PG 60, 577 f.; Theodoret: In Rom., PG 82, 172 BC; Johannes Damasc.: In Rom, PG 95, 529 C. 51. Eusebius Caes.: Jes, GCS 60, 394 f. 52. Origenes: Mart. 40, GCS 2, 37 f.
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2.1.2 Attribute Gottes Antonella Bellantuono Literatur Textausgaben Delatte, Louis (ed.): Les traités de la Royauté d’Ecphante, Diotogène et Sthénidas, Liège / Paris 1942 – Diels, Hermann (ed.): Doxographi Graeci, Berlin 1879 – Hense, Otto (ed.): Ioannis Stobaei Anthologium, 5 Bände, Berlin 1884-1912 – Squilloni, Antonella (ed.): Il concetto di regno nel pensiero dello Ps. Ecfanto Le fonti e i trattati Peri basileias, Florenz 1991 – Thom, Johan C. (ed.): Cleanthes’ »Hymn to Zeus«. Text, translation, and commentary, Tübingen 2005.
Literatur Bellantuono, Antonella: The Biblical God in His Greek Shape, Turnhout 2022 – Bertram, Georg: εὐεργετέω, εὐεργέτης, εὐεργέσια, ThWNT II, 1935, 651-653 – Gilbert, Maurice: La Sagesse de Salomon. Recueil d’études, Rom 2011 – Harnack, Adolf von: Lehrbuch der Dogmengeschichte, Darmstadt 1964 – Lévy, Carlos: Les philosophies hellénistiques, Paris 1997 – Luck, Ulrich: φιλανθρωπία, φιλάνθρωπως, in: ThWNT IX (1973), 106-111 – Muccioli, Federicomaria: Gli epiteti ufficiali dei re ellenistici, Historia Einzelschriften 224, Stuttgart 2013 – Passoni Dell’Acqua, Anna: Euergetes, Aegyptus 61 (1976), 177-191 – Passoni Dell’Acqua, Anna: Innovazioni lessicali e attributi divini: una caratteristica del giudaismo alessandrino?, in: Rinaldo Fabris (ed.), La parola di Dio cresceva (At 12,24). Scritti in onore di Carlo Maria Martini per il suo 70° compleanno, Bologna 1998, 87-108 – Preisker, Herbert: ἐπιείκεια, ἐπιεικής, ThWNT II (1935), 585-587 – Scarpat, Giuseppe: Libro della Sapienza, 3 Bände, Brescia 1989-1999 – Schubart, Wilhelm: Das hellenistische Königsideal nach Inschriften und Papyri, in: Archiv für Papyrusforschung 12 (1936-37), 1-26 – Spicq, Ceslas: Lexique théologique du Nouveau Testament, Fribourg / Paris 1991.
Einleitung Die Literatur der griechischsprachigen jüdischen Diaspora kennt eine Anzahl von neuen göttlichen Attributen zur Beschreibung des Gottes Israels, die als solche kein Vorbild in den hebräischen oder aramäischen Texten des Alten Testaments haben. Die Deutung einiger hebräischer Gottestitel stößt bekanntlich auf Schwierigkeiten, da ihre ursprüngliche oder im Laufe der Zeit entwickelte Bedeutung kaum noch zu ermitteln ist, z. B. Ṣebaʾôt, wörtlich »der [himmlischen] Armeen« oder Šadday, was häufig im Sinne von »allmächtig« verstanden wird. Wie auch immer die hellenistisch gebildeten jüdischen Übersetzer und Autoren mit diesen Titeln umgingen, etwa indem sie sie ins Griechische zu übersetzen suchten, so steht fest, dass sie andere göttliche Attribute ihrer griechisch und später römisch geprägten Umwelt entnahmen. Dabei wählten sie Begriffe, die in den unterschiedlichsten philosophischen, literarischen oder historischen Zusammenhängen beheimatet waren. So wurden dem hellenistischen kulturellen und politischen Kontext positive Eigenschaften sowie Tugenden entlehnt, 58
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Attribute Gottes
mit denen allgemein bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sowie zivile Autoritäten charakterisiert wurden, um auf diese Weise den Gott Israels zu beschreiben. Von diesem wollte man mit einer »moderneren«, verständlicheren Begrifflichkeit sprechen, mit Termini also, die den unter der Herrschaft Alexanders des Großen vereinten Völkern des Mittelmeerraums und des Vorderen Orients hinreichend bekannt waren. Zu solchen neuen Attributen gehören die φιλανθρωπία, »Menschenfreundlichkeit«, die ἐπιείκεια, »Milde«, sowie die εὐεργεσία, »gute Behandlungsweise«, »Wohltätigkeit«. Diese Eigenschaften, von denen Texte aus Theater und Philosophie seit dem fünften Jh. v. Chr. sprechen, wurden in der klassischen Epoche prominenten Persönlichkeiten zugeschrieben. Dies gilt etwa von den Proxenoi, die für ihre εὐεργεσία gerühmt wurden, aber auch von solchen Richtern und Magistraten, die sich bei der Urteilsfindung nicht nur auf die νόμοι, die geschriebenen Gesetze, beriefen, sondern imstande waren, aufgrund der φιλανθρωπία die unterschiedlichen Situationen im Leben mit anderen Kriterien zu bewerten, und zwar mit der aequitas, »Billigkeit«, und der ἐπιείκεια, der Milde. 1 Nach dem Tod Alexanders des Großen gingen diese Begriffe jedoch in das Lexikon der offiziellen Propaganda der Diadochen ein, ja sie prägten die Sprache, mit der für die Herrscher geworben wurde, nicht nur in hellenistischer Zeit, sondern auch dort, wo sich später hellenistischer Einfluss zeigen sollte. Die zitierten Begriffe finden sich in der Tat auf Münzen, Inschriften und Papyri 2 und wurden in einigen Fällen – etwa bei εὐεργέτης – Bestandteil der offiziellen Titulatur von Herrschern. Für ihre Verbreitung sorgte vor allem die Stoa, die sich die Frage nach dem Wesen der Monarchie sowie nach den Eigenschaften stellt, die ein gerechtes Staatsoberhaupt besitzen sollte. 3 Die drei zitierten Begriffe haben keine genaue Entsprechung in der hebräischen Sprache und erscheinen nur selten in den übersetzten Texten der Septuaginta. 4 Häufig werden sie dagegen in den ursprünglich auf Griechisch geschriebenen Büchern gebraucht – und zwar zusammen mit den entsprechenden Adjektiven und Verben –, ebenso in der jüdisch-hellenistischen Literatur, wenn es darum geht, vom Gott Israels mit griechischen Attributen zu sprechen. Dabei nehmen diese Attribute bestimmte theologische Ideen vorweg, die sich später im Neuen Testament und der frühchristlichen Literatur finden. In diesem Artikel wird zunächst der Gebrauch der Substantive ἐπιείκεια, εὐεργεσία und φιλανθρωπία sowie der verwandten Termini in der Septuaginta untersucht (1), sodann ihre Verbreitung in der hellenistisch-jüdischen Literatur (2), im Neuen Testament (3) und schließlich bei den Kirchenvätern (4).
1.
2. 3.
4.
Vgl. Plato: Def. 412b8: Ἐπιείκεια δικαίων καὶ συμφερόντων ἐλάττωσις· μετριότης ἐν συμβολαίοις· εὐταξία ψυχῆς λογιστικῆς πρὸς τὰ καλὰ καὶ αἰσχρά. Vgl. ferner Aristoteles: Rhet. 1374a-1375b. Vgl. Schubart: Das hellenistische Königsideal, 1-26. Nur wenige Werke sind erhalten geblieben. Hinzuweisen ist auf die Traktate Περὶ βασιλείας, die von Ekphantus, Diotogenes und Sthenidas verfasst und deren Fragmente von Stobaeus überliefert worden sind; vgl. Hense (ed.): Ioannis Stobaei Anthologium; Delatte (ed.): Les traités de la Royauté; Squilloni: Il concetto. Zu weiteren Details zum stoischen Denken vgl. Lévy: Les philosophies hellénistiques, 161-166. Vgl. Passoni Dell’Acqua: Innovazioni lessicali, 87-108.
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Termini und Themen der Septuaginta
1. Die Septuaginta 1.1 Die Milde Gottes (ἐπιείκεια) Die Wortfamilie von ἐπιείκεια 5 kommt in der Septuaginta 16-mal vor, und zwar bis auf wenige Ausnahmen – besonders Ps 85[86],5; 2Esdr 9:8LXX [Esra 9,8MT]; 1Kgt[1Sam] 12,22; 4Kgt[2Kön] 6,3; Dan 4,24 – in den nicht übersetzten Schriften. Tatsächlich gibt es keine genaue Entsprechung des Begriffs ἐπιείκεια in der Hebräischen Bibel, ja die Vorstellung scheint der hebräischen Sprache – als Begriff – fremd zu sein. Die hebräischen Äquivalente sind dementsprechend verschieden, beschränken sich aber auf die Wurzeln slḥ, »vergeben« (in Ps 86,5), ḥnn »wohlwollend sein« (Esra 9,8) und yʾ l (hiph.), »zustimmen« (1Sam 12,22; 2Kön 6,3). 6 In den meisten Fällen beschreibt die griechische Terminologie das Handeln Gottes, der gegenüber den Menschen wie ein wohlwollender Herrscher agiert, in einigen Fällen jedoch auch das positive Verhalten von Menschen, auch von Königen, so die Sanftmut des Gerechten in Weish 2,19, die Entscheidung des Artaxerxes in Esth 3,13b sowie das Handeln des Ptolemäus Philopator in 3Makk 3,15. Gerade diese Verwendung der Terminologie hat Adolf von Harnack zu der Behauptung veranlasst, der Begriff ἐπιείκεια werde in der Septuaginta verwendet, um die Art und Weise zu bezeichnen, wie Gott als absoluter, gleichzeitig aber zur Vergebung und Toleranz bereiter König handelt. 7 In den übersetzten Texten gilt der Gott Israels als ἐπιεικής, da er seinem Volk Barmherzigkeit und Gunst erweist (1Kgt[1Sam] 12,22; 2Esdr 9:8). Außerdem wird die Terminologie in Gebetstexten verwendet, um damit auf eine Eigenschaft Gottes hinzuweisen, mit der er gewissermaßen identifiziert werden soll, so in Ps 85[86],5; vgl. auch 2Makk 10,4. Die ἐπιείκεια Gottes wird nämlich als ein Verhalten angesehen, das die Gläubigen zur Abkehr von ihren Sünden bewegen soll. Darum findet sich das Wort auch in Parallele mit anderen Eigenschaften Gottes wie ἔλεος, »Erbarmen« (Dan 3,42) und οἰκτιρμός, »Mitleid« (Bar 2,27), Eigenschaften, die traditionell Gott zugeschrieben werden (vgl. Ex 34,6 in der Septuaginta-Fassung). Dieser Befund lässt sich nicht in dem Sinne interpretieren, dass man die überkommene Art der Beschreibung YHWHs verworfen hätte; vielmehr wird diese angereichert durch neue, der griechischen Umwelt und insbesondere der zeitgenössischen offiziellen Proagandaliteratur entlehnten Begriffen. So wird in Weish 12,18 Gott wohl absichtlich wie ein Monarch dargestellt: σὺ δὲ δεσπόζων ἰσχύος ἐν ἐπιεικείᾳ κρίνεις, »du aber, der du über Kraft gebietest, richtest [uns] mit Milde«.
1.2 Die Menschenfreundlichkeit Gottes (φιλανθρωπία) Im Unterschied zur ἐπιείκεια wird das Substantiv φιλανθρωπία 8 in der Septuaginta überwiegend als Attribut von Menschen verwendet, meist um die wohlwollende Haltung eines Herrschers oder von Personen in einer übergeordneten Position zu be5. 6. 7. 8.
Vgl. hierzu auch Spicq: Lexique théologique, 544-548. Im aramäischen Text von Dan 4,24 findet sich kein Äquivalent von ἐπιείκεια. Von Harnack: Lehrbuch, 111-126 s. v. Vgl. hierzu auch Spicq: Lexique théologique, 1582-1587.
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Attribute Gottes
schreiben (Antiochus III. in 2Makk 4,11; 13,23; Artaxerxes in 1Esdr 8,10; Ptolemäus IV. in 3Makk 3,15-18; Alkimus in 2Makk 14,9). 9 In der Weisheit Salomos erscheint das Adjektiv φιλάνθρωπος (»menschenfreundlich«) dreimal, wobei nur hier in der Septuaginta die φιλανθρωπία direkt oder indirekt als eine Eigenschaft des Gottes Israels angesehen wird. 10 Schon im ersten Kapitel des Buches (Weish 1,6) wird die σοφία (»Weisheit«), die als Emanation Gottes aufgefasst wird, als πνεῦμα φιλάνθρωπον (»menschenfreundlicher Geist«) bezeichnet. Als solche leitet sie das sittliche Leben eines Menschen; jedoch kann die Weisheit keinesfalls Zugang zu einem Menschen haben, der Böses sinnt, oder in einem Körper wohnen, der der Sünde ergeben ist (Weish 1,4). Der Ausdruck πνεῦμα φιλάνθρωπον lässt sofort an Vorstellungen denken, die dem Milieu der Stoa entstammen. So war die Idee des πνεῦμα in der Schule Zenons sehr präsent. Der Begriff bezeichnet in der Sprache der Philosophie einen aus Luft und Feuer zusammengesetzten Geist, der die Welt durchdringt und sie regiert. Sein Wirken war jedoch nicht mit demjenigen Gottes vergleichbar, wie es eine monotheistische Theologie auffasst. Das πνεῦμα griff weder in die menschlichen Angelegenheiten ein noch sollte es den Menschen belehren oder erziehen, sondern beschränkte sich darauf, das ordnungsgemäße Funktionieren der συμπάθεια, der Harmonie der verschiedenen Elemente des Kosmos, zu gewährleisten, die durch den λόγος geordnet werden. Dieser wird in vielen Fällen als »menschenfreundlich« bezeichnet. 11 In Weish 7,22-23 wird die Weisheit mit einer Serie von 21 Adjektiven und Epitheta beschrieben, darunter auch φιλάνθρωπος. Eine solche Aufzählung von Titeln erinnert an Ex 34,6, wo YHWH mit 13 Attributen gepriesen wird, die seine »Eigenschaften« ausdrücken sollen. Doch finden sich derartige Aufzählungen von Attributen nicht nur in der Bibel, sondern auch in außerbiblischen Aretalogien sowie in der magischen und religiösen Literatur. Der Zeus-Hymnus des Stoikers Kleanthes 12 zum Bei-
9. Die Thematik der φιλανθρωπία erscheint mit weniger deutlichen politischen Konnotationen in Est 8,13, wo die Aufnahme, die Haman, Berater des Königs und Gegner der Juden, vom persischen Hof bereitet wurde, obwohl er Makedonier war, und die Freundlichkeit (φιλανθρωπία), die ihm entgegengebracht wurde, hervorgehoben werden. Das Substantiv kommt auch vor in 2Makk 6,22, im Zusammenhang mit der Tötung Eleasars, eines Juden und Schriftgelehrten, des ersten Märtyrers in der Verfolgung durch Antiochus IV. Eleasar weigerte sich, Schweinefleisch zu essen, und starb. In 2Makk 6,22 schlugen ihm die für die Folter verantwortlichen Bediensteten des Königs vor, das Schweinefleisch gegen das Fleisch eines anderen Tieres auszutauschen, um damit vorzutäuschen, dass er die Mahlzeit isst, ohne sich schuldig zu machen. In diesem Fall erfahre er die φιλανθρωπία. In 4Makk 5,12 ist es Antiochus selbst, der spricht: Der Herrscher ruft Eleasar dazu auf, auf seine wohlwollenden Worte einzugehen (προσκυνήσας μου τὴν φιλάνθρωπον παρηγορίαν) und sich so vor der todbringenden Folter zu retten. In adverbialer Form taucht die Begrifflichkeit wieder in dem Brief auf, den Antiochus IV. kurz vor seinem Tod den Juden schreibt. Diesen kündigt er an, dass er seinen Sohn zum König bestimmt habet, und sichert ihnen gleichzeitig zu, dass er sich ἐπιεικῶς και φιλανθρώπως, »wohlwollend und milde«, verhalten werde (2Makk 9, 27). 10. Vgl. zum Folgenden auch die neueren Kommentare und Studien zur Weisheit Salomos, z. B. Scarpat: Libro della Sapienza; Gilbert: La Sagesse de Salomon. 11. Diels: Doxographi Graeci, 29. 12. Vgl. hierzu Thom (ed.): Cleanthes’ »Hymn to Zeus«.
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Termini und Themen der Septuaginta
spiel kennt 26 Attribute des Gottes, und die Göttin Isis wird oft als Göttin μυριώνυμος, »mit zahlreichen Namen«, bezeichnet. 13 In den zitierten Passagen der Weisheit Salomos wird somit die Weisheit personifiziert. Sie besitzt ein πνεῦμα, einen dem Wesen nach dynamischen Geist, in dem sich ihre Identität verkörpert. Der Autor des Buches will so die transzendente Natur dieses Geistes hervorheben und sucht ihn so detailliert wie möglich zu beschreiben. Dabei ist es wichtig, die Wortwahl in Weish 7,22-23 genau zu beachten: Die σοφία wird unter anderem definiert als φιλάγαθος, »Freund des Guten«, εὐεργετικός, »wohltätig«, φιλάνθρωπος, »menschenfreundlich«, also mit Epitheta, die in hellenistischer Zeit in offiziellen Texten als Eigenschaften der Herrscher belegt sind. 14 Dabei ist die verwendete literarische Technik typisch für die griechische philosophische Rhetorik. Die Reihenfolge der Attribute scheint zwar keiner Logik zu unterliegen, aber in Wirklichkeit ist eine gewisse Steigerung feststellbar, so auch in Weish 7,22-23. In Weish 12,19 schließlich ist der Gerechte menschenfreundlich, insofern als er dem Beispiel Gottes folgt. Denn Gottes eigenes Verhalten hat den Menschen das richtige Verhalten gelehrt. Anscheinend bedarf es keiner besonderen Gaben, um dies zu verstehen. Es genügt, sich am Beispiel Gottes zu orientieren und für seine Lehre empfänglich zu sein. Jeder Gläubige kann diese innere Entwicklung selbst vollziehen; jeder Mensch hat in sich selbst die Möglichkeit, Gott zu begegnen, ohne dass es eines Mittlers bedarf. Die φιλανθρωπία ist somit gleichzeitig menschliches und göttliches Attribut. Sie ist eine Eigenschaft, die von Gott auf den Menschen übergehen kann. Nicht ohne Grund ermahnt der Verfasser der Weisheit Salomos in Weish 1,1 die Herrscher der Erde, dem Beispiel des letztlich menschenfreundlichen Gottes zu folgen.
1.3 Die Wohltätigkeit Gottes (εὐεργεσία) Was die Vorstellung der εὐεργεσία, wörtlich »Wohltat«, betrifft, so wird man sicherlich behaupten können, dass sie der Hebräischen Bibel durchaus nicht fremd ist. Denn mehr als einmal erweist Gott sich als wohltätig oder fürsorglich gegenüber seinem Volk Israel. Allerdings findet sich an den in Frage kommenden Stellen der Septuaginta die Terminologie der εὐεργεσία nur selten. 15 In der hebräischen Sprache gibt es anscheinend keinen Begriff, der in seiner Morphologie dem Wort εὐεργεσία entspricht, wahrscheinlich weil es sich um ein zusammengesetztes Wort handelt, das als solches den semitischen Sprachen nicht bekannt ist. 16 Im Hebräischen wird die Vorstellung gewöhnlich mit der Wurzel טובausgedrückt, vor allem mit dem Verb יטבhiphʿ il ()היטב, das soviel bedeutet wie »Gutes tun«. In der Septuaginta findet sich dafür die Wurzel ἀγαθ- (»gut«, z. B. Rut 3,10) oder die Wortverbindung εὖ ποιέω (wörtlich »gut tun«, z. B. Gen 32,10; Ex 1,20). Eine andere hebräische Wurzel, mit der die erwähnte Vorstellung ausgedrückt wird, ist das Verb גמל, das jedoch oft im Sinne eines Vergel-
13. 14. 15. 16.
Plutarch: Is. Os. 372e 8. Vgl. P. Enteux. 6, 7, 60, 74; P. Genova 3.111; P. Cair. Zen. 3.59341. Häufig ist die Terminologie hingegen bei Symmachus; vgl. Ps 118,65; 141,8; Spr 11,17; Jes 63,7. Vgl. Passoni Dell’Acqua: Euergetes, 177-191.
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Attribute Gottes
tungshandelns verwendet wird; dementsprechend lautet die griechische Übersetzung oft ἀνταποδίδωμι, »vergelten« (z. B. Gen 50,15). 17 In den übersetzten Texten der Septuaginta sind die einzigen Belege von εὐεργεσία (»Wohltat«) und εὐεργετέω (»Wohltaten erweisen«) im Psalter zu finden. Dort kommt das Verb εὐεργετέω dreimal vor, und zwar in Ps 12[13]6; 56[57],3; 114[116],7, jeweils als Wiedergabe des hebräischen Verbs גמל, und einmal das Substantiv εὐεργεσία in Ps 77[78],11 als Übersetzung von »( עלילהTat«, »Handlung«). In allen Fällen ist Gott das explizite oder angenommene Subjekt des mit εὐεργεσία und εὐεργετέω ausgedrückten Handelns. Dabei wird gerade das Verb in Zusammenhängen gebraucht, in denen der Psalmsprecher mit Hinweis auf die von Gott kommenden Wohltaten um dessen Gunst wirbt. Man kann mit guten Gründen behaupten, dass die Einführung dieser Idee in die griechischen Psalmen auf die Übersetzer zurückgeht. Diese waren ihrerseits durch das alexandrinische Milieu geprägt, insbesondere durch den Sprachgebrauch der an die Herrscher gerichteten Petitionen. 18 Da mit den griechischen Wörtern εὐεργεσία und εὐεργετέω verschiedene hebräische Termini wiedergegeben werden, darf man wohl folgern, dass die Übersetzer mit der Wahl gerade dieser Äquivalente dem griechischen Psalter einen neuen Akzent verleihen wollten. Man wollte offenbar bei den Lesern eine bestimmte Assoziation hervorrufen, nämlich diejenige des Wohlwollens, dessen einziger wirklicher Garant Gott selbst ist. Allerdings muss man betonen, dass das einzige Element der Wortfamilie von εὐεργεσία, das nicht auf Gott bezogen wird, das Nomen εὐεργέτης, »Wohltäter«, ist. Wahrscheinlich wurde es vermieden, da es sich um einen offiziellen Titel des Ptolemaios III. und des Ptolemaios VIII. handelte, man also keine direkte Entsprechung zwischen Gott und dem Herrscher herstellen wollte. Die Wortfamilie von εὐεργεσία ist zwar in den übersetzten Büchern der Septuaginta wenig bezeugt; in den nur in griechischer Sprache vorliegenden Texten ist sie jedoch umso häufiger belegt, und zwar in Bezug auf Herrscher oder Menschen ganz allgemein (2Makk 9,26; 3Makk 3,19; 6,24; 4Makk 8,6, 17; Est 8,12c; Weish 19,14). Im Zweiten Makkabäerbuch und in der Weisheit Salomos erscheint die Terminologie außerdem im Zusammenhang von Gottes Fürsorge gegenüber seinem Volk (2Makk 10,38; Weish 11,5, 13; 16,2) oder allgemein von Gottes segensreichem Handeln (Weish 3,5; 16,11.24). Das Epitheton ἐυεργέτης wurde dagegen auch hier nicht als göttliches Epitheton verwendet, vermutlich da es – wie schon gesagt – der offizielle Titel divinisierter Herrscher war. So wurde also auch weiterhin eine Überschneidung der Bezeichnungen für hellenistische Könige und denen des Gottes Israels vermieden.
17. Vgl. Passoni Dell’Acqua: Euergetes, 184-185. 18. Vgl. Spicq: Lexique théologique, 618-624; Muccioli: Gli epiteti ufficiali, 178-192.
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2. Die jüdisch-hellenistische Literatur 2.1 Die Milde Gottes (ἐπιείκεια) Dass Gott die Eigenschaft der ἐπιείκεια besitzt, ist auch der hellenistisch-jüdischen Literatur bekannt. Dabei behält das Wort nach wie vor die Bedeutung von »Milde« und »Nachsicht«. Folgende Beispiele seien genannt: In der Gastmahlszene des Aristeasbriefes raten die Übersetzer König Ptolemaios Philadelphos dazu, sich die ἐπιείκεια Gottes zum Vorbild zu nehmen, um ein vollkommener Herrscher zu werden (Arist. 188; 192 sowie in Verbindung mit φιλανθρωπία in Arist. 290). Im Roman Joseph und Aseneth wird die Eigenschaft der ἐπιείκεια in einem Fall einem Menschen zugeschrieben, nämlich dem Patriarchen Joseph (JosAs 1.3); einmal wird sie auf ein Substantiv im Femininum, die μετάνοια, »Bekehrung« (JosAs 15.8), bezogen, zweimal jedoch auf Gott selbst. In diesen Fällen erhält die ἐπιείκεια die Bedeutung von »Milde«, die sie auch schon in der Septuaginta hatte. Dabei erscheint die Terminologie – ähnlich wie in Ps 85,5LXX – gerade im Gebet Aseneths. Diese bereut in JosAs 11.8-9 ihre Sünden – vor allem die Verehrung der Götterbilder – und ruft in JosAs 11.10 den Gott Josephs an als einen zur Vergebung bereiten und barmherzigen Gott. Die von Aseneth gewählte Formulierung ἐλεήμων καὶ οἰκτίρμων καὶ μακρόθυμος καὶ πολυέλεος καὶ ἐπιεικής (»barmherzig, mitleidig, langmütig, voller Erbarmen und milde«) erinnert dabei an Ex 34,6-7 in der griechischen Fassung. Im weiteren Verlauf des Gebetes, in JosAs. 12.14, wendet die junge Frau sich erneut an Gott, indem sie Gott für diese Eigenschaft lobt und damit zugleich die Bitte verbindet, von diesem nicht abgewiesen zu werden und Vergebung zu erlangen. In den Psalmen Salomos begegnet die Terminologie einmal in PsSal 5,12. Der Beter vertraut darauf, dass Gott die Bedürfnisse seiner Gläubigen wahrnimmt und sie versteht, und gerade auf diese Weise beweist Gott ihnen gegenüber seine ἐπιείκεια: καὶ σὺ ἐπακούσῃ, ὅτι τίς χρηστὸς καὶ ἐπιεικὴς ἀλλ᾽ ἢ σὺ εὐφρᾶναι ψυχὴν ταπεινοῦ ἐν τῷ ἀνοῖξαι χεῖρά σου ἐν ἐλέει; »und du wirst erhören, denn wer ist gnädig und milde außer dir, der du die Seele der Elenden erfreust, indem du deine Hand in Barmherzigkeit auftust?«. Weiterhin begegnet das Substantiv ἐπιείκεια in der griechischen Version des Ersten Henochbuches (1Hen 3.6). Das Wort erscheint in den einleitenden Kapiteln, in denen die von Gott gewollte Ordnung des Kosmos und die daraus resultierende Strafe für diejenigen, die diese Harmonie stören, beschrieben werden. Im Gegensatz dazu werden diejenigen, die nicht sündigen, von Übeln verschont, vielmehr dürfen sie Barmherzigkeit, Frieden und ἐπιείκεια erwarten. Im Gegensatz zu Flavius Josephus, der die ἐπιείκεια in der Regel als eine menschliche Eigenschaft ansieht (z. B. Ant. XII, 122; XV, 165; Ausnahme: Ant. VI, 92), kommt die Wortfamilie von ἐπιείκεια bei Philo 38-mal, auch zur Charakterisierung Gottes, vor, so in Vit.Mos. I, 198 zusammen mit φιλανθρωπία.
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Attribute Gottes
2.2 Die Menschenfreundlichkeit Gottes (φιλανθρωπία) Die φιλανθρωπία wird in der jüdisch-hellenistischen Literatur weiterhin als Attribut des Königs angesehen. Nach einem Zitat in Flavius Josephus’ Contra Apionem (I, 186) rühmt Hekataeus die φιλανθρωπία Ptolemaios’ I. (vgl. Arist. 36, wo sie ebenfalls ein Attribut des Königs ist). Als göttliche Eigenschaft begegnet die φιλανθρωπία jedoch in anderen Kontexten, so in Gebeten, etwa in JosAs 13.1. Zusammen mit der ἐπιείκεια wird sie im Aristeasbrief erwähnt (Arist. 290), und zwar als Eigenschaft des Königs, die er aber letztlich Gott verdankt. In den Werken Philos findet sich die Wortfamilie von φιλανθρωπία rund 90-mal. Dabei bewegt sich der jüdische Philosoph im Fahrwasser zeitgenössischer hellenistischer Vorstellungen. In den meisten seiner Traktate schreibt er nämlich die φιλανθρωπία Gott zu, wobei er die bereits in der Septuaginta bezeugte Bedeutung des Wortes übernimmt. Er vergleicht den Gott Israels mit einem Herrscher, der das Wohl seiner Untertanen anstrebt; denn es geht ihm um das Wohlergehen und die Bewahrung seiner Gläubigen, von denen ihrerseits erwartet wird, dass sie sich am göttlichen Verhalten orientieren (vgl. Plant. 92). In der Abhandlung De philanthropia (= Virt. 51174) hingegen arbeitet er eine Theologie des Begriffs aus, indem er untersucht, wie Gott seine Liebe zum Menschen ausdrückt und ihnen ein Gesetz gibt, das sie zur Menschenfreundlichkeit anleitet (vgl. Virt. 121); ähnliche Konzepte finden sich auch in Cher. 99. Somn I, 147. Diese Menschenfreundlichkeit Gottes zeigt sich auch in der Schöpfung (Opif. 81) und in der Geschichte Israels (Vit.Mos. 1.198). In einigen Schriften Philos wird dagegen die menschliche φιλανθρωπία nicht als direkt abhängig von derjenigen Gottes betrachtet. Der Autor versteht sich in diesen Abhandlungen als Verteidiger des jüdischen Gesetzes und bezieht die φιλανθρωπία auf die Bewahrung der mosaischen Gebote, die letztlich auf dem Ideal der Menschenfreundlichkeit beruhen und zu dieser aufrufen (vgl. Spec.Leg. 4.72). Als eine »Zwillingsschwester« der εὐσέβεια (Virt. 51) erstreckt sich die φιλανθρωπία auf die Liebe zum Bruder (Virt. 82), weiterhin zu den Feinden (Virt. 109-118), zu den Sklaven (Virt. 121-124), ja sogar zu den Pflanzen (148-160). Flavius Josephus schreibt die φιλανθρωπία insbesondere bestimmten Königen zu, sowohl solchen aus Israel (Ant. VIII, 385) als auch fremden Herrschern, die sich den Juden gegenüber wohlwollend verhielten (z. B. Xerxes in Ant. XI, 123), ebenso den Römern (Bell. IV, 96). Flavius Josephus spricht aber auch von Gottes φιλανθρωπία sowie von seiner μεγαλειότης (»Größe«, Majestät«, Ant. I, 24), wohl um dem Vorwurf der Menschenfeindlichkeit zu begegnen, dem die Juden ausgesetzt waren. Diese Eigenschaften Gottes spiegeln sich – so argumentiert Flavius Josephus – nicht zuletzt auch im jüdischen Gesetz wider, dessen Vorschriften keinesfalls als menschenfeindlich angesehen werden können, vielmehr zielen sie auf die Herstellung von Gerechtigkeit ab (Ap. II, 291; Ant. XVI, 42).
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Termini und Themen der Septuaginta
2.3 Die Wohltätigkeit Gottes (εὐεργεσία) Die εὐεργεσία ist die menschliche Tugend, Gutes zu tun, in Test. Hiob 16.6; 44.2; Test. Jos. 20.6. Als göttliche Eigenschaft gilt sie stattdessen in Arist. 190 und 210, wo Gottes Fürsorge gegenüber dem Menschengeschlecht erwähnt wird. Flavius Josephus verwendet die Wortfamilie von εὐεργεσία nur sporadisch mit Bezug auf Gott, etwa wenn er von den Wohltaten spricht, die Gott seinem Volk gewährt hat (Ant. III, 312; IV, 213; V, 115; vgl. Ps 77[78],11). Diese letztere Verwendung findet sich auch bei Philo, wenn er von der Fürsorge Gottes für die Menschen allgemein (Leg.All. I, 95; III, 78. 215; Cher. 99) oder für einzelne Menschen spricht (Migr. 30). Philo verwendet somit die Begrifflichkeit in Anlehnung an griechisch-hellenistischen Sprachgebrauch. Außerdem bezieht er zum ersten Mail den Terminus εὐεργέτης als Epitheton auf Gott (Leg.All. I, 96).
3. Neues Testament Die zuvor behandelten Terminologien finden sich auch im Neuen Testament wieder. In 2Kor 10,1 verweist der Apostel Paulus auf die ἐπιείκεια τοῦ Χριστοῦ (»Milde Christi«), an der sich auch sein eigenes demütiges Verhalten gegenüber der Gemeinde orientiert. In Analogie zum Aristeasbrief (s. o.) ist die ἐπιείκεια also eine nachahmenswerte Eigenschaft, hier Jesu Christi, die sich der Apostel ebenfalls zu eigen macht und die ihn zur Sanftmut veranlasst. Doch die ἐπιείκεια soll nicht nur Paulus’ Handeln leiten, sondern, wie aus Phil 4,5, hervorgeht, sie soll das Verhalten der Gläubigen bestimmen, die die frohe Botschaft empfangen haben und in der Erwartung des nahen Heils so leben sollen, dass ihre Milde allen Menschen bekannt werde (vgl. auch Tit 3,2). Wie in hellenistischer Zeit ist die ἐπιείκεια außerdem eine menschliche Eigenschaft, die den mit der Herrschaft betrauten Persönlichkeiten zugeschrieben wird (Apg 24,4), weiterhin den Herren von Sklaven (1Petr 2,18) sowie – im Kontext christlicher Gemeinden – dem ἐπίσκοπος (1Tim 3,3). In Jak 3,17 schließlich wird die Weisheit als ein himmlisches Wesen beschrieben, das mit allen Tugenden eines Herrschers einschließlich der ἐπιείκεια ausgestattet ist. Die Eigenschaft der φιλανθρωπία hingegen wird im Neuen Testament nur dreimal erwähnt. Dabei wird sie zweimal Menschen zugeschrieben. In Apg 27,3 wird gesagt, Julius, ein hochrangiger römischer Offizier, habe sich »menschenfreundlich« verhalten, indem er Paulus erlaubte, einige seiner Freunde in Sidon zu besuchen. In Apg 28,2, nach dem Schiffbruch vor Malta, bewiesen die Einheimischen φιλανθρωπία gegenüber den Schiffbrüchigen, hier verstanden als Hilfe und Gastfreundschaft. Aus theologischer Sicht ist dagegen Tit 3,4 bedeutsam, wo im Anschluss an hellenistischen Sprachgebrauch χρηστότης und φιλανθρωπία, also »Güte« und »Menschenfreundlichkeit«, in Parallele stehen. In diesem Fall beziehen sich die Termini auf das Ereignis des Kommens Christi, das als eine Epiphanie der χρηστότης und der göttlichen φιλανθρωπία interpretiert wird, die den Menschen rettet durch das »Bad der Wiedergeburt und die Erneuerung, die der Geist bewirkt« (Tit 3,4). Die Wortfamilie von εὐεργεσία ist im Neuen Testament viermal belegt. So wird in Apg 4,9-10 die Heilung des Lahmen (vgl. Apg 3,2-8) als eine durch die Apostel ver66
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Attribute Gottes
mittelte, aber letztlich von Gott bewirkte Wohltat angesehen. Ähnlich werden in Apg 10,38 die Taten Jesu als Wohltaten an den Menschen bezeichnet, zu denen Jesus durch Gott befähigt wurde. Auch dieser Sprachgebrauch ist durch hellenistische Vorbilder zu erklären (s. o.). Dasselbe gilt weiterhin von Lk 22,25, wo der Titel εὐεργέτης vorkommt, allerdings abwertend, und der lukanische Jesus darauf hinweist, dass das Attribut ironischerweise denjenigen verliehen wird, die die Völker beherrschen. Schließlich ist in 1Tim 6,2 die εὐεργεσία Bestandteil des gegenseitigen Verhältnisses von Dienst und Respekt zwischen christlichen Herren und Sklaven.
4. Frühchristliche Literatur Die Termini der Wortfamilie von ἐπιείκεια dienen mehrfach zur Charakterisierung des Wesens Gottes, so in 1Clem 29,1; IgnPhld 1,2, jedoch soll sie auch zum Merkmal des Verhaltens der Gläubigen werden, z. B. 1Clem 13,1 (Jesus hat ἐπιείκεια und μακροθυμία gelehrt); 30,8; 56,1; 62,2. Weiterhin dient auch die φιλανθρωπία dazu, Gottes Handeln zu beschreiben (vgl. Tit 3,4), wobei φιλανθρωπία als Fürsorge und Zuwendung des Herrn zu den Menschen verstanden wird. 19 Schließlich drückt die Wortfamilie von εὐεργέσια die bereits der Septuaginta und dem Neuen Testament bekannte Vorstellung der göttlichen Wohltätigkeit aus (z. B. 1Clem 19,2; 20,11; 21,1; 38,3; Diogn. 8,11), ja in 1Clem 23,1 wird Gott geradezu als εὐεργετικὸς πατήρ (»wohltätiger Vater«) bezeichnet.
19. Z. B. Diogn. 8,7; 9,2; Justinus: Dial 47,5, Bobichon I, 302.
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2.1.3 Präexistenz des himmlischen Heiligtums Michael Bachmann Bibliographie Die Tempel-Artikel der theologischen Lexika, insbesondere von TRE und WiBiLex. Bachmann, Michael: Das Freiburger Münster und seine Juden. Historische, ikonographische und hermeneutische Beobachtungen, Regensburg 2017 – Bachmann, Michael: Himmlisches Jerusalem und himmlischer Tempel: Biblische Motive und ihre Rezeption, Symb. NF 22 (im Erscheinen) – Bachmann, Michael: Von Paulus zur Apokalypse – und weiter. Exegetische und rezeptionsgeschichtliche Studien zum Neuen Testament (samt englischsprachigen summaries), NTOA/StUNT 91, Göttingen/Oakville 2011, bes. 299-316 (Die Stephanusepisode (Apg 6,18,3). Ihre Bedeutung für die lukanische Sicht des jerusalemischem Tempels und des Judentums [zuerst: 1999]), 397-404 (Himmlisch: Der ›Tempel Gottes‹ von Apk 11,1 [zuerst: 1994]) und 427446 (Ausmessung von Tempel und Stadt. Apk 11,1f und 21,15 ff. auf dem Hintergrund des Buches Ezechiel [zuerst: 2006]) – Böcher, Otto: Johannesoffenbarung und Kirchenbau. Das Gotteshaus als Himmelsstadt, Neukirchen-Vluyn/Ostfildern 2010 – Deutsch, Celia: Transformation of Symbols: The New Jerusalem in Rv 211-225 ZNW 78 (1987), 106-126 – Bühner, Jan-A.: Jesus und die himmlische Welt. Das Motiv der kultischen Mittlung zwischen Himmel und Erde im frühen Judentum und in der von Jesus ausgehenden Christologie, TANZ 65, Tübingen 2020 – Ego, Beate: Im Himmel wie auf Erden. Studien zum Verhältnis von himmlischer und irdischer Welt im rabbinischen Judentum, WUNT II/34, Tübingen 1989 – Ego, Beate / Lange, Armin / Pillhofer, Peter (ed. [in Zusammenarbeit mit Kathrin Ehlers]): Gemeinde ohne Tempel / Community without Temple. Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum, WUNT 118, Tübingen 1999 – Faßbeck, Gabriele: Der Tempel der Christen. Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur Aufnahme des Tempelkonzepts im frühen Christentum, TANZ 33, Tübingen 2000 – Hengel, Martin / Schwemer, Anna Maria (ed.): Königsherrschaft Gottes und himmlischer Kult im Judentum, Urchristentum und der hellenistischen Welt, WUNT 55, Tübingen 1991 – Häfner, Gerd / Schreiber, Stefan: Pastoralbriefe und Johannesoffenbarung. Kontroverse Einstellungen zu Staat und Gesellschaft, in: Martin Ebner / Gerd Häfner / Konrad Huber (ed.): Kontroverse Stimmen im Kanon, QD 279, Freiburg / Basel / Wien 2016, 10-63 (bes.: 31-33 [St. Schreiber]) – Horbury, William (ed.): Templum Amicitiae. Essays on the Second Temple – presented to Ernst Bammel, JSNT.SS 48, Sheffield 1991 – Keel, Othmar / Zenger, Erich (ed.): Gottesstadt und Gottesgarten. Zur Geschichte und Theologie des Jerusalemer Tempels, QD 191, Freiburg / Basel / Wien 2002 – Köhnlein, Manfred: Weltbild und Gottesverständnis im württembergischen Pietismus des 19. Jahrhunderts – Zur erwecklichen Predigt des Bildes »Der breite und der schmale Weg«, in: Gerhard Büttner / Jörg Thierfelder (ed.): Religionspädagogische Grenzgänge. Für Erich Bochinger und Martin Widmann […], AzP 26, Stuttgart 1988, 127-149 – Koester, Craig R.: The Dwelling of God. The Tabernacle in the Old Testament, Intertestamental Jewish Literature and the New Testament, CBQ.MS 22, Washington 1989 – Moss, Candida R. / Feldman, Liane M.: The New Jerusalem: Wealth, Ancient Building Projects and Revelation 21-22, NTS 66 (2020), 351-366 – Müller, Christoph Gregor: Gottes Pflanzung – Gottes Bau – Gottes Tempel. Die metaphorische Dimension paulinischer Gemeindetheologie in 1 Kor 3,5-17, FuSt 5, Frankfurt am Main 1995 – von Naredi-Rainer, Paul: Salomos Tempel und das Abendland. Monumentale Folgen historischer Irrtümer (Mit einem Beitrag
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Präexistenz des himmlischen Heiligtums
von Cornelia Limpricht), Köln 1994 – Tóth, Franz: Der himmlische Kult. Wirklichkeitskonstruktion und Sinnbildung in der Johannesoffenbarung, ABG 22, Leipzig 2006.
Bei der Beschreibung der Einweihung des salomonischen Tempels in 1Kön 8 wird der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass Gott »im Himmel« die Gebete von Menschen »hören möge« (V. 34.36.39.43.45.49), und es wird (in V. 30) sogar davon gesprochen, dass dort, eben »im Himmel«, die »Stätte« zu finden sei, »an der du«, Gott, »thronst«. Dem auf Veranlassung Salomos nun errichteten jerusalemischen Tempel wird indes immerhin der »Name« Gottes zugeordnet (V. 18.29.44; vgl. V. 33.35.41 f.). Noch ein wenig betonter als in 1Kön 8 (und als dort zumal in V. 27 [»Sollte Gott wirklich auf der Erde wohnen? Siehe, selbst der Himmel und die Himmel der Himmel fassen dich«, Gott, »nicht, wieviel weniger dieses (Tempel-)Haus«]) wird die Vorstellung von einem irdischen Tempel als »Haus«, »Stätte meines«, Gottes, »Wohnens« in Jes 66,1 (vgl. z. B. 1Kön 8,12 f.; Ps 22,4, ferner 1Chron 28,2 f.) durch den Verweis auf den »Himmel« kritisiert: »So spricht der Herr: Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel für meine Füße. Was wäre das für ein Haus, das ihr mir bauen könntet, und welches wäre die Stätte meines Wohnens?« Dass damit auch hier der jerusalemische Tempel nicht etwa einfach verworfen wird, lässt der Kontext freilich deutlich erkennen (s. bes. V. 6.8.13.20). Er bietet im Übrigen auch das Motiv eines von Gott geschaffenen »neuen Himmels« und einer »neuen Erde« (V. 22). Während Jes 66 und 1Kön 8 lediglich vom himmlischen Thronen Gottes sprechen, wird in 3Reg 8 die himmlische »Verortung« Gottes entschieden nachdrücklicher als im hebräischen Text akzentuiert. In V. 30 wird der jerusalemische Tempel als »dieser Ort« ausdrücklich von dem »Ort deines [d. h.: Gottes] Wohnens im Himmel« unterschieden, und beide Male wird derselbe Terminus, nämlich τόπος, verwandt. Die somit zumindest nahegelegte Korrespondenz kann man als dadurch charakterisiert begreifen, dass das Flehen hin in Richtung auf den irdischen »Ort« eigentlich am himmlischen »Ort« (»gnädig«) »gehört« bzw. »erhört« (V. 29 f.) werde bzw., wie es mehrfach (nämlich in V. 32.34.39.43.45.49; vgl. V. 52) heißt, »aus dem Himmel heraus«. Damit verbunden ist in V. (38–)43 (vgl. noch V. 53) bemerkenswerterweise die Einbeziehung des »Fremdlings« und der »Völker« in den Kreis der den göttlichen Namen »fürchtenden« (und sich an die entsprechende Gottheit wendenden) Personen (dem natürlich zuvörderst Gottes Volk, »Israel«, zugerechnet wird). Die derart betonte Idee von einer Präsenz Gottes im Himmel wird im griechischen Text noch insofern präzisiert, als – der Rede von einem irdischen »Haus Gottes« (o. ä.) (V. 1.53.63 f.; vgl. V. 64 f. [»vor dem Herrn« bzw. »vor dem Herrn, unserem Gott«], ferner V. 13 v. l.) bzw. vom »Haus für den Namen des Herrn« (o. ä.) (V. 17 f.19 f.27) immerhin vergleichbar – vom himmlischen »Wohnort« bzw. von der »Wohnstätte« Gottes gesprochen wird (V. 39.43.49: »deine [nämlich: Gottes] Wohnstätte«). Im Blick auf die Rezeption ist dabei wichtig, dass es hier jeweils (also: dreimal) von der »bereiteten Wohnstätte« heißt. Inhalt einer anderen Textpassage, des Liedes des Mose und der Israeliten in Ex 15,121, ist die Rettung der Israeliten (s. V. 1), des von Gott »erworbenen« »Volks« (s. V. 16), das eben der »Herr« (s. lediglich V. 1.18) – gemäß diesem Hymnus – am sog. Schilfmeer vor den ägyptischen »Widersachern« (s. bes. V. 4-6) gerettet und insofern »erlöst« hatte (s. bes. V. 13). Obwohl dieser Retter-Gott hier mit einer Fülle von Prädikaten versehen wird und auch den Vergleich mit anderen Göttern offenkundig 69
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Termini und Themen der Septuaginta
gerade nicht zu scheuen braucht (s. bes. V. 11), hat es dieser Gesang nicht eigentlich mit einem himmlischen Ort des so Gepriesenen zu tun, und das auch nicht in V. 13.17, wo von einer »Wohnstätte« dieses Gottes gesprochen wird, die freilich nicht für ihn da sei, vielmehr ihm gehöre und dem »Volk« zugutekommen, von ihm als Wohngebiet genutzt werden solle. Die LXX, die dabei in Ex 15,13 von einer Einladung in eine »(heilige) Herberge« spricht, verwendet dann in V. 17 eine Ausdrucksweise, die zwar völlig mit der Terminologie von 3Reg 8,39.43.49 übereinstimmt, nämlich: »deine bereitete Wohnstätte« (ἕτοιμον κατοικτήριόν σου), in diesem »Schilfmeerlied«, aber etwas anderes, etwas Irdisches meint. Es heißt (in Ex 15,17) ja genauer folgendermaßen: »Bring sie [d. h. die Angehörigen des Gottesvolks] hin und pflanze sie auf den Berg deines Erbes, an deiner bereiteten Wohnstätte, die du errichtet hast, Herr, dem Heiligtum (ἁγίασμα), Herr, das deine Hände bereitet haben.« Versuchte man, die in 3Reg 8 angedeutete Korrespondenz zwischen dem jerusalemischen Tempel und der im Himmel »bereiteten Wohnstätte« Gottes mit den Formulierungen von Ex 15, bes. von V. 17, über das irdische »Heiligtum« der Israeliten zusammenzunehmen, so ergäbe sich, dass der irdischen »bereiteten Wohnstätte« eine himmlische (»bereitete Wohnstätte«) entsprechen könnte, und auch bei der »oberen Lokalität« ließe sich dann an ein »Heiligtum« denken, ja, an einen »bereiteten«, »präexistenten« Tempel. Die Rezeptionsgeschichte weist denn auch in der Tat eine Fülle entsprechender Aussagen auf, übrigens nicht nur im Einflussbereich der LXX, sondern auch auf hebräisch- und auf aramäischsprachigem Gebiet. Dabei spielt das Ezechielbuch eine erhebliche Rolle. Denn in Ez 8-11 wird im Rahmen einer Visionserzählung nicht nur so etwas wie ein Gericht über die Stadt Jerusalem und über den dortigen Tempel zum Ausdruck gebracht (s. lediglich 9,4-7), sondern es ist da auch davon die Rede, dass »die Herrlichkeit des Herrn« sich »erhob« und außerhalb der Stadt einen erhöhten Platz einnahm (s. 11,23), zudem davon, dass Gott selbst den in die Verbannung Zerstreuten so etwas wie ein »Heiligtum« (LXX: »ein kleines Heiligtum« [ἁγίασμα μικρόν]) geworden sei bzw. sein wolle (11,16). Die damit (wie in Ez 43,3 expliziert wird:) zu verbindenden Kapitel Ez 40-48 haben es mit »Gottesgesichten« zu tun, bei denen der sich auf »einen sehr hohen Berg« im »Land Israel« »geführte« Visionär »etwas wie den Bau einer Stadt« sieht (40,2) – und in ihr kommt einem Tempelareal ein besonders prominenter Platz zu. Sie soll erst noch errichtet werden, und ein, wie man vielleicht formulieren darf, einigermaßen »himmlisch« präsentiertes »Modell« ist zuvor erst einmal zu betrachten und zu vermessen (s. lediglich 40,3-5; 42,15-20; 48,30-35). In der griechischsprachigen Sapientia Salomonis findet sich etwas wie ein Resultat der traditionsgeschichtlichen Vorgaben. Salomo beruft sich, wie es in Weish 9,8 heißt, darauf, Gott habe »gesagt, ich [also: Salomo] solle einen Tempel [ναός] auf deinem [nämlich: Gottes] heiligen [bzw. heiligem] Berg bauen und in der Stadt deines Wohnens [κατασκηνώσεώς σου] einen Altar [θυσιαστήριον], eine Kopie [μίμημα] des heiligen Zeltes, das du von Anfang an vorbereitet hast.« Die Entsprechung der zwei hier angesprochenen Tempelanlagen wird dabei mit dem Ausdruck »Kopie« (μίμημα) zum Ausdruck gebracht, und der jedenfalls zeitliche Vorrang des »Modells« wird durch die Redeweise von einer Vorbereitung (d. h. durch die Verwendung des Kompositums προετοιμάζω anstelle von ἑτοιμάζω [»bereiten«] bzw. von ἕτοιμος [»bereit«]) akzentuiert. 70
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Präexistenz des himmlischen Heiligtums
Immerhin erwähnt sei, dass sich ähnliche Vorstellungen auch in den sog. Qumranschriften finden, ferner in der rabbinischen Literatur. Was die Funde vom Toten Meer angeht, ist zumal auf die sog. Sabbatopferlieder zu verweisen, gerade auch auf das dreizehnte (s. bes. 11Q17 10,5-9). Der »Midrasch zur Eschatologie« (4QMidrEsch [d. h. 4Q174 und 4Q177]) nimmt in dem betreffenden Passus (4QMidrEsch 3,1-9) sogar eben auf Ex 15,17 f. Bezug (Z. 2 f.), und dabei ist hier nun an einen eschatologischen Tempel gedacht, der mit den »Heiligen« in Zusammenhang gebracht wird (Z. 4) und der, anders als das »Heiligtum Israels« (Z. [5–]6), dauerhaft existieren soll (wie das wohl auch für die [in Z. 6] als »Menschen-Heiligtum« benannte Größe anzunehmen sein wird), sofern es heißt: »Und nicht werden Fremde es zerstören, wie sie es vordem zerstört haben« (Z. 5). Das hinsichtlich »der rabbinischen Exegese des Verses« Ex 15,17 zu Beobachtende lässt sich (mit Ego: Im Himmel wie auf Erden, 96) folgendermaßen zusammenfassen: Es sei da »eine systematische Entfaltung der beiden Aspekte« auszumachen. Genauer gelte (sofern nämlich die »Wohnstätte« dieses Verses [mittels einer Verdoppelung des vorletzten Buchstabens des hier verwendeten hebräischen Worts, d. h. von ]מכוןdurch ein »gegenüber« [ ]מכווןinterpretiert werde): »Der himmlische Tempel liegt genau gegenüber dem irdischen Tempel.« Ähnliche Vorstellungen begegnen verschiedentlich auch (sonst) im frühjüdischen Schrifttum (s. äthHen 25,5-7; vgl. JosAs 8,9; 20,1, zudem Josephus, Ant III, 137, überdies 4Esr 13,35), ferner im Neuen Testament. Darin sind hier vor allem die Johannesoffenbarung, der Hebräerbrief und das lukanische Werk von Interesse. Außerdem verdient der einzige protopaulinische Beleg für das Verb προετοιμάζω Erwähnung, Röm 9,23 (vgl. noch Eph 2,10), sofern die Formulierung, Gott werde »den Reichtum seiner Herrlichkeit an den Gefäßen des Erbarmens erweisen, die er zur Herrlichkeit vorherbestimmt« habe, jedenfalls mit den Termini »Herrlichkeit« und »Gefäße (n)« an so etwas wie alttestamentliche Kultbegrifflichkeit (vgl. nur Ez 10,4 und Num 4,26) anknüpfen wird (vgl. [indes auch] 2Tim 2,21). Ähnlich dürfte es sich bei Mt 25,34 (»nehmt das Reich in Besitz, das euch bereitet ist seit der Erschaffung der Welt« [vgl. dazu V. 31: »Thron der Herrlichkeit«]) verhalten (vgl. ferner Mk 10,40 par. Mt 20,23) und auch bei Joh 14,2 (»euch einen Ort [τόπος] zu bereiten«, und zwar »im Haus meines Vaters« [d. h.: des Vaters Jesu]; vgl. 2Kor 5,1 [dann werden wir »haben einen Bau, von Gott gebaut, ein nicht mit Händen gemachtes ewiges Haus in den Himmeln«]). Was nun das lukanische Werk anbetrifft, so fallen bei unserer Thematik zunächst zwei Tempelszenen des dritten Evangeliums ins Auge, die dort gegen Beginn ihren Platz haben, nämlich Lk 1,5-25 und Lk 2,21-39, und zwar schon deshalb, weil diese Erzählungen im wesentlichen im jerusalemischen Tempelareal situiert sind, es indes gerade dort nicht zuletzt mit einigermaßen eschatologischen Fragen zu tun haben. Es geht nämlich u. a. darum, »dem Herrn ein wohlgerüstetes Volk zu bereiten« (1,17) und Gottes »Heil« wahrzunehmen, das er »im Angesicht aller Völker bereitet« habe (2,31 [vgl. Jes 52,10]). Dabei wird, obwohl es sich doch um den irdischen Tempel handelt, davon gesprochen, dass Jesus hier »dem Herrn [also: Gott] darzustellen« ist (2,22) und dass Priester wie Zacharias, der Vater Johannes des Täufers, ihren Dienst »vor Gott« verrichten (1,8). Der Konnex mit Gottes originärem Ort wird in dieser einleitenden Erzählung nicht zuletzt durch den »Engel« »Gabriel« angedeutet – an der irdischen Stätte »zur Rechten des Räucheraltars stehend« (1,11), obwohl er eigentlich »vor Gott steht« und von dort her »gesandt« worden ist (1,19). 71
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Termini und Themen der Septuaginta
Solche Beobachtungen passen gut zur »Stephanusepisode« (Act 6,1-8,3). Die Stephanus gegenüber erhobenen Vorhaltungen (s. 6,11.13 f.) werden durch seine Apologie (7,2-53) und die sich anschließende Martyriumsszene (7,54-60) zurückgewiesen (s. bes. 7,4b.38c.44.53.55 f.59). Hinsichtlich der Anschuldigung, dass er »gegen diesen heiligen [Tempel-]Ort« (V. 13) polemisiere (und insofern gegen »Gott« [V. 11]), ist sehr bemerkenswert, dass dieser Tempel-Vorwurf offenkundig den Aufbau der Verteidigungsrede bestimmt (s. nur: 7,9-29; 7,30-44; 7,45-50). Darüber hinaus ist zweierlei von erheblicher Relevanz: Zum einen geht dem Blick auf den – mit Anspielungen auf 3Reg 8 und auf Ps 131(132),5 und mit einer Jes 66,1-2a zitierenden Sentenz beleuchteten – Salomo-Bau (s. Act 7,47-50; vgl. V. 46: »ein Zelt für das Haus Jakob«) eine ausdrückliche Bemerkung dazu voraus, dass zumindest (und bereits) dessen Vorgängereinrichtung, »das Zelt des Zeugnisses«, dem himmlischen »Modell« (τύπος) entsprochen habe, welches Mose »gesehen hatte« (s. V. 44). Für die sog. Stephanusvision (V. 55 f. [vgl. V. 59]), bei welcher der Angeklagte »zum Himmel blickte und die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen sah«, scheint, zum anderen, angesichts eben dieser Ausdrucksweise, auch wegen der inhaltlichen Nähe zu Lk 1,11.19, »der Schluß unumgänglich« zu sein: »Lukas will in Apg 7,54 ff. tatsächlich von einem Blick ins himmlische Heiligtum und von Jesus als Priester bzw. Hohempriester reden« (Bachmann: Stephanusepisode, 314), womit dem »präexistenten« Tempel hier zugleich in die Zukunft weisende Aufgaben zukommen (s. dazu bes. V. 60b). Den Hebräerbrief beschäftigt die Thematik eines »präexistenten Tempels« und der anzustrebenden »zukünftigen Stadt« (s. Hebr 13,14), die zugleich das erwartete Heil symbolisiert, noch intensiver (s. bes. 8,1-10,18; 13,10-16). In 11,16 ist davon die Rede, Gott habe den zuvor aufgeführten Glaubensvorbildern, die durch die Erwartung »einer besseren Heimat, nämlich der himmlischen«, bestimmt gewesen seien, eben »eine [solche] Stadt vorbereitet« (vgl. V. 10, ferner 12,22). Dem gegenüber wird das – zur Abfassungszeit der Schrift wohl bereits zerstörte – »mit Händen gemachte« irdische »Heiligtum« (9,24) deutlich abgewertet (vgl. 8,5: »Abbild und Schatten«). Christus sei »in ein Abbild [ἀντίτυπον] des wahren [Heiligtums], […] den Himmel selbst eingegangen, um jetzt für uns vor dem Angesicht Gottes zu erscheinen« und so »durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben« – auch als Fürbitter (s. 7,25; vgl. 9,24) –, und das ein für alle Mal (9,24-28; vgl. 10,12). Insofern kann Christus in diesem »Brief« auch als »Hoherpriester« bezeichnet werden (s. 8,1; vgl. V. 2: »Diener [λειτουργός] am Heiligtum«), und sein (hier nun) in majestätischer (Sitz-)Haltung eingenommener Platz ist »zur Rechten des Thrones der Majestät im Himmel« (8,1; vgl. 10,12; 12,2), und zwar gemäß Ps 109(110),4 f. (vgl. lediglich 5,6.10; 7,17; vgl. z. B. 4Q401 Frgm. 11,3). Die komplizierte Terminologie im Blick auf den irdischen und den himmlischen Tempel (u. a. [»erstes« und »zweites«] »Zelt« [s. nur 8,2; 9,2 f.]; [»das«] »Heiligtum« [s. etwa 8,2; 9,24]) und auch die genauen »räumlichen« Vorstellungen nachzuzeichnen, dürfte hier wohl zu weit führen. Die Entsprechung zwischen einem himmlischen Modell und einem irdischen Abbild spricht jedoch gegen eine Interpretation von 9,8-12, nach welcher der (oder die) Himmel (vgl. z. B. 9,24 [bzw. 4,14]) als das »Allerheiligste« des Tempels zu begreifen wäre(n) und diese Welt als Hauptraum, als »Heiliges«. Vielmehr ist mit jener Korrespondenz in diesem Schreiben fraglos ein betontes Gegenüber verknüpft: Die Geretteten sind nämlich, wie es in 12,18-29 heißt, »nicht zu etwas Berührbarem gekommen« (V. 18), »sondern […] zu dem Berg Zion und zu der Stadt des 72
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Präexistenz des himmlischen Heiligtums
lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu Myriaden von Engeln, zur Festversammlung und zur Gemeinschaft der Erstgeborenen […] und zu dem Mittler des neuen Bundes, Jesus« (V. 22-24a). Die Johannesoffenbarung, die wie Act 7,44 und immerhin ähnlich wie der Hebräerbrief (s. bes. Hebr 9,2 f.; 13,10) im Blick auf so etwas wie den Tempel vom »Zelt des Zeugnisses« (Apk 15,5) – und einfach vom »Zelt« (13,16; 21,3; das betreffende Verb »zelten«: 7,15; 12,12; 13,6; 21,3) – sprechen kann, verwendet noch häufiger (nämlich: 16 mal) den Ausdruck ναός, der das zentrale »Gebäude« einer solchen Anlage meint. Dieses »Tempelhaus« (und das »Zelt« [s. 13,6; 21,3]) wird mehrfach mit dem Genitiv als »Tempel(haus) Gottes« (s. z. B. 3,12 [»meines Gottes«]; 11,1; vgl. etwa 11,19) gekennzeichnet und (dabei) verschiedentlich eigens »im Himmel« (11,19; 14,17; 15,5; vgl. 12,12; 13,6) situiert. Himmlisches wird in dieser – wahrscheinlich ebenfalls in die Zeit nach der Tempelzerstörung zu datierenden – Apokalypse-Schrift wohl auch der Beleg 11,1 (Vermessung in Bezug auf »den Tempel Gottes und diejenigen, die in ihm anbeten«) meinen (vgl. bes. 21,15-17, ferner Ez 40,3), während beim »äußeren Vorhof«, der »den Völkern/ Nicht-Juden preisgegeben« wird, an Irdisches zu denken ist. Auch das mit »Tempelhaus« und »Altar« (»Brandopfer-« und »Räucheraltar« [Apk 6,9; 8,3a.5; 14,28; 16,7 und 8,3b; 9,13]; vgl. 11,19: »Bundeslade«) verknüpfte Motiv vom göttlichen »Thron« (s. bes. 8,3; 16,17) und vom durch Engel gebildeten Tempel- und Kultpersonal (s. bes. 7,15; 14,15-19; 15,5-16,1; vgl. z. B. 5,11, ferner nochmals 11Q17 10,5-9) unterstreicht die Konzentration (ausschließlich) auf den himmlischen, den »präexistenten« Tempel. Er wird hier zugleich als ein in endzeitlichen Gefährdungen wichtiger Hoffnungsort begriffen (s. bes. 3,12; vgl. 5,6-14; 11,15-19), und dazu fügt sich das Schlussbild 21,1-22,5. Der Blick auf »neuen Himmel und neue Erde« (21,1; vgl. nochmals Jes 66,22) und auf »die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommend« – ein kubisch geformtes Gebilde von riesigen Ausmaßen (s. bes. 21,15-17) – hat es, obwohl die Tore auf die »zwölf Stämme der Söhne Israels« (21,12) bezogen werden (während die zwölf »Grundsteine« die »zwölf Namen der zwölf Apostel des Lammes« tragen [21,14]), zum einen in der Tat mit Rettung, mit die »Völker« einbeziehender Rettung zu tun (s. bes. 21,24.26; 22,3; vgl. 21,3-7; 22,3-5), und das auch insofern, als die Stadt sogleich als Frau, als »Braut« Christi, des »Lammes« verstanden wird (s. bes. 19,7-9; 21,2; vgl. Josephus, Bell. VI, 301). Zum anderen wird dieser Ort trotz der in 21,22a begegnenden Wendung (»einen Tempel sah ich nicht in ihr [d. h.: der Stadt]«) sehr wohl im Sinne der endzeitlichen Präsenz des »präexistenten Heiligtums« zu begreifen sein. Inhaltlich trägt nämlich in 21,22 (nicht anders als in 21,23) der zweite Versteil das Gewicht, also die Aussage, »ihr [d. h.: der Stadt] Tempel« sei »der Herr, der Gott, der Pantokrator […] und das Lamm« – was im Übrigen durch den Chiasmus in 21,1-5a bestätigt wird, der ja Stadt- (V. 1 f.) und Zelt-Motive (V. 3-5a) miteinander verknüpft. Schon gegen Beginn der Vision heißt es denn ja auch hinsichtlich des »neuen Jerusalem«, es handle sich um »das Zelt Gottes bei den Menschen« (21,3; vgl. z. B. Ez 30,27), und beides steht zudem mit seinem »Thron« (und zugleich mit dem des »Lammes«) in Verbindung (s. Apk 21,3.5; 22,1.3). Die überaus reiche Wirkungsgeschichte dieser Aussagen kann hier allenfalls angedeutet werden. Z. B. wird die Motivik in den Ignatianen aufgegriffen, so in IgnEph 9,1 (wo die Adressaten als »Steine des Tempels des Vaters, bereitet zum Bau Gottes des Vaters« angesprochen werden) und in IgnRöm 2,2 (hier nun im Blick auf den Verfasser 73
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Termini und Themen der Septuaginta
selbst). Einflussreich sind die zahlreichen Apokalypse-Ausgaben und -Kommentare, angefangen mit der Auslegung dieser Schrift durch Victorinus von Pettau († 304), nicht selten (und jedenfalls spätestens seit der sog. Trierer Apokalypse [wohl: erstes Viertel des 9. Jahrhunderts]) begleitet durch Illustrationszyklen. Dementsprechend ist es dann bei den gedruckten Bibeln im Bereich des Neuen Testaments zunächst die Johannesoffenbarung, die ziemlich durchgehend bebildert wird (etwa auch in Martin Luthers Septembertestament). An Visualisierungen des himmlischen Altars und der Tempel-Stadt von Apk 21 f. fehlte es also nicht. Die in der konstantinischen Zeit beginnende »christliche« Bautätigkeit in Jerusalem (nicht zuletzt: die Grabeskirche) und die späteren (muslimischen) Gebäude auf dem Tempelberg (zumal: der Felsendom [bzw.: templum domini]) beeinflussten (vor allem seit der Kreuzzugszeit) die europäische (und die muslimische) Architektur (wobei auf islamischer Seite auch die sog. Himmelfahrt des Propheten eine Rolle spielte) und führten da zu »vielfältigen Nachwirkungen des Tempels von Jerusalem« (von Naredi-Rainer: Salomos Tempel, 7). Erwähnt seien (teils in zwölf Sektoren aufgeteilte) Radleuchter sowie Rundfenster und auch verschiedentlich in Gestalt eines regelmäßigen Zwölfecks errichtete Zentralbauten (z. B. Vera Cruz, geweiht im Jahr 1208). Romanische und gotische Kirchen wurden in der Entstehungszeit ohnehin im Sinne eines Hinweises auf das himmlische Jerusalem verstanden und (jedenfalls seit dem 10. Jh. nicht zuletzt mit dem Gesang des Hymnus »Urbs beata Hierusalem«) ihrer Bestimmung übergeben. Auch danach gab es eine breite Weiterführung des Motivbündels, so in Dantes »Divina Commedia« (ca. 13071321 entstanden), deren dritter Teil, Paradiso, gerade auch auf die Johannesoffenbarung zurückgreift (und das Moment der Regelmäßigkeit des himmlisch-endzeitlichen »Baus« etwa mit der Betonung der Kreis-Form aufgreift). Ähnliches kann man in protestantischen Milieus beobachten, wo etwa John Bunyans Schriften »The Pilgrim’s Progress« (1678 veröffentlicht) – vor allem die (beiden) Schlusspassagen (von »The First« und »The Second Part«) – und »Salomo’s Temple Spiritualized« (vorgelegt 1688) Beachtung verdienen. In Württemberg erschien im Jahr 1866 eine von der Diakonisse Charlotte Reihlen (1805-1868) entworfene Lithographie unter dem Titel »Der breite und der schmale Weg«. Sie hing in dieser oder auch in einer der anderen Versionen in vielen (schwäbischen) Haushalten, und rechts oben ist die himmlische Stadt bzw. das »präexistente Heiligtum« dargestellt, gelegentlich als Kubus mit zwölf Toren. Überdies: Selbst der nicht zuletzt für das nationalsozialistische Regime wichtige Begriff »Drittes Reich« versucht wohl, Vorstellungen aus Apk (20–)21 f. aufzugreifen (wie das in einigermaßen vergleichbarer Weise Jahrhunderte zuvor bereits beim Bau des Schlosses Chambord [unter Franz I.] der Fall gewesen sein wird).
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2.1.4 Schöpfung Eberhard Bons Literatur Textausgaben: Joseph und Aseneth, ed. Christoph Burchard u. a., Leiden 2003. Origenis Hexaplorum quae supersunt sive veterum interpretum graecorum in totum Vetus Testamentum fragmenta, ed. Frederick Field, Tomus 1, Oxford 1875 – Hieronymus: Commentariorum in epistulam ad Ephesios libri tres, PL 26, 439 A-554 D. – Theodoret: Interpretatio in Psalmos, PG 80, 857 A-1998 B – Vetus Latina. Die Reste der altlateinischen Bibel 25: Epistulae ad Thessalonicenses, Timotheum, Titum, Philemonem, Hebraeos, 7. Lieferung Hebr 7,10-9,12, ed. Hermann Josef Frede, Freiburg im Breisgau 1990.
Weitere Literatur: Bellantuono, Antonella: The Biblical God in His Greek Shape, Turnhout 2022 – Blischke, Mareike V.: Zur Theologie der Sapientia Salomonis, in: Karl-Wilhelm Niebuhr (ed.), Sapientia Salomonis (Weisheit Salomos), SAPERE 27, Tübingen 2015, 155-173 – Bons, Eberhard: Le verbe κτίζω comme terme technique de la création dans la Septante et dans le Nouveau Testament, in: Jan Joosten / Peter J. Tomson (ed.), Voces Biblicae. Septuagint Greek and its Significance for the New Testament, CBET 49, Leuven 2007, 1-15 – Bons, Eberhard: Beobachtungen zu den Schöpfungskonzepten der griechischen Bibel und zu ihrem Einfluss auf das Neue Testament und die Schriften des Urchristentums, in: Thomas S. Caulley / Hermann Lichtenberger (ed.), Die Septuaginta und das frühe Christentum, WUNT 277, Tübingen 2011, 205-216 – Bons, Eberhard / Passoni Dell’Acqua, Anna: A Sample Article: κτίζω – κτίσις – κτίσμα – κτίστης, in: Eberhard Bons / Jan Joosten (ed.), Septuagint Vocabulary. Pre-History, Usage, Reception, SCS 58, Atlanta 2011, 173-187 – Bons, Eberhard: Psalter Terminology in Joseph and Aseneth, in: Wolfgang Kraus / Siegfried Kreuzer (ed.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 430-443 – Bons, Eberhard: Der Einfluss des Septuaginta-Psalters auf die jüdisch-hellenistische Gebetssprache – Beispiele aus der Septuaginta und der zwischentestamentlichen Literatur, in: Florian Wilk (ed.), Identität und Sprache. Prozesse jüdischer und christlicher Identitätsbildung im Rahmen der Antike, BThSt 174, Göttingen 2017, 113-137 – Borbone, Pier Giorgio: Il Libro del Profeta Osea. Edizione critica del testo ebraico, Quaderni di Henoch 2, Turin 1990 – Breytenbach, Cilliers: Art. Schöpfung III. Neues Testament, TRE 30 (1999), 283-292 – Bussino, Severino: Creation and Humanity in the Book of Ben Sira, in: Michael W. Duggan / Renate Egger-Wenzel / Stefan C. Reif (ed.), Cosmos and Creation. Second Temple Perspectives, Berlin 2020, 149-178 – Casevitz, Michel: Le vocabulaire de la colonisation en grec ancien. Étude lexicologique: les familles de κτίζω et de οἰκέω – οἰκίζω, Études et commentaires 97, Paris 1985 – Dorival, Gilles / Harl, Marguerite / Munnich, Olivier: La Bible grecque des Septante. Du judaïsme hellenistique au christianisme ancien, Paris 21994 – Gera, Deborah Levine: Judith, CEJL, Berlin 2014 – Gerber, Christine: Blickwechsel. Joseph und Aseneth und das Neue Testament, in: Eckart Reinmuth (ed.), Joseph und Aseneth, SAPERE 15, Tübingen 2009, 203-217 – Hanges, James Constantine: The Greek Foundation Legend: Its Form and Relation to History, SBL.SP 131 (1995), 494-520 – Hanges, James Constantine: Paul, Founder of Churches. A Study in Light of the Evidence for the Role of »Founder-Figures« in the Hellenistic-Roman Period, WUNT 292, Tübingen 2012 – Koole,
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Termini und Themen der Septuaginta
Jan L.: Isaiah Part 3. Volume 2: Isaiah 49-55, HCOT, Leuven 1998 – Kratz, Reinhard G. / Spieckermann, Hermann: Art. Schöpfung II. Altes Testament, TRE 30 (1999), 258-283 – Leschhorn, Wolfgang: »Gründer der Stadt«. Studien zu einem politisch-religiösen Phänomen der griechischen Geschichte, Palingenesia 20, Wiesbaden 1984 – Lona, Horacio E.: An Diognet. Übersetzt und erklärt, KfA 8, Freiburg im Breisgau, 2001 – Luz, Ulrich: Das Evangelium nach Matthäus. 3. Teilband: Mt 18-25, Zürich / Neukirchen-Vluyn 1997 – Morla Asensio, Víctor: Los manuscritos hebreos de Ben Sira. Traducción y notas, Estella (Navarra) 2012 – Oberlinner, Lorenz: Die Pastoralbriefe. Erste Folge: Kommentar zum 1. Timotheusbrief, HThNT XI/2, Freiburg im Breisgau 1994 – O’Connor, Micheal: The Language of Creation in Ben Sira: = חלק κτίζω, in: Jeremy Corley / Vincent Skemp (ed.), Studies in the Greek Bible. Essays in Honor of Francis T. Gignac, S.J., CBQ.MS 44, Washington 2008, 217-228 – Olofsson, Staffan: God is My Rock, A Study of Translation Technique and Theological Exegesis in the Septuagint, CB.OT 31, Stockholm 1990 – Passoni Dell’Acqua, Anna: La metafora biblica di Dio come roccia e la sua soppressione nelle antiche versioni, Ephemerides liturgicae 91 (1977), 417-453 – Pouchelle, Patrick: Les astres errants. L’utilisation des Écritures dans la finale du dernier Psaume de Salomon (Ps.Sal. 18,10-12), in: Eibert Tigchelaar (ed.), Old Testament Pseudepigrapha and the Scriptures, BETL 270, Leuven 2014, 157-172 – Rösel, Martin: Übersetzung als Vollendung der Auslegung. Studien zur Genesis-Septuaginta, BZAW 223, Berlin / New York 1994 – Scarpat, Giuseppe: Libro della Sapienza. Testo, traduzione, introduzione e commento. Volume primo, Brescia 1989 – Schmitz, Barbara: Gedeutete Geschichte. Die Funktion der Reden und Gebete im Buch Judit, HBS 40, Freiburg im Breisgau 2004 – Schmitz, Barbara: Does κτίστης Mean »Creator«? The Lexeme κτι- and Its Implications in the Greek-Hellenistic Context, in: Michael W. Duggan / Renate Egger-Wenzel / Stefan C. Reif (ed.), Cosmos and Creation. Second Temple Perspectives, Berlin 2020, 35-52 – Schmitz, Barbara/Engel, Helmut, Judit, HThKAT, Freiburg im Breisgau, 2014 – Scialabba, Daniela: Creation and Salvation. Models of Relationship Between the God of Israel and the Nations in the Book of Jonah, in Psalm 33 (MT and LXX) and in the Novel »Joseph and Aseneth«, FAT II/106, Tübingen 2019 – Tate, Marvin E.: Psalms 51-100, WBC 20, Dallas 1990 – Zimmermann, Christiane: Die Namen des Vaters. Studien zu ausgewählten Gottesbezeichnungen vor ihrem frühjüdischen und paganen Sprachhorizont, AJEC 69, Leiden 2007.
1. Einleitung Der erste Satz des Buches Genesis lautet in der Septuaginta wie folgt: ἐν ἀρχῇ ἐποίησεν ὁ θεὸς τὸν οὐρανὸν καὶ τὴν γῆν, »am Anfang machte Gott den Himmel und die Erde«. Der Übersetzer wählt also anscheinend kein spezifisches griechisches Verb, um damit Gottes Schöpfungstätigkeit auszudrücken und das hebräische Wort bārāʾ wiederzugeben, sondern verwendet hier das »Allerweltswort« ποιέω, »machen«. 1 Nicht anders verhält sich um die Zeitenwende der jüdische Philosoph Philo von Alexandrien, der in seinen Werken mehrmals dieselbe Formulierung für die Wiedergabe von Gen 1,1 verwendet, so auch die Verbform ἐποίησεν (vgl. Opif. 26; 27; Aet. 19). Einige Jahrzehnte später jedoch ersetzt Flavius Josephus in seinen Antiquitates ἐποίησεν durch ein anderes Wort, ἔκτισεν: Ἐν ἀρχῇ ἔκτισεν ὁ θεὸς τὸν οὐρανὸν καὶ τὴν γῆν (Ant. I, 27). Denselben Weg geht auch Aquila in seiner Bibelübersetzung. Er zieht zwar dem Ausdruck ἐν ἀρχῇ einen anderen, geradezu gleichbedeutenden vor, ἐν 1.
Vgl. dazu Rösel: Übersetzung, 29: »Es erstaunt, daß der Übersetzer kein Äquivalent für ברא eingeführt hat, das der besonderen Bedeutung dieses Wortes gerecht wird …«
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Schöpfung
κεφαλαίῳ, wörtlich »am Haupt«, womit das hebräische בראשׁית, »am Anfang« wiedergegeben werden soll, das wiederum mit dem Wort ֵראשׁ, »Kopf, Haupt« etymologisch verwandt ist; das Verb ἔκτισεν behält Aquila jedoch bei. 2 Beide Autoren verwenden somit eine Form von κτίζω, also eines Verbs, das, aus der Perspektive des nichtbiblischen Griechisch betrachtet, soviel wie »gründen« bedeutet, z. B. einer Stadt oder eines Bauwerks. Doch weder Flavius Josephus noch Aquila haben diesen Wortgebrauch im Zusammenhang der Rede von der Schöpfung erfunden. Vielmehr ist er bereits der Septuaginta bekannt. Er kommt zwar noch nicht in den beiden Schöpfungsberichten am Anfang der Genesis vor, findet sich jedoch in Gen 14,19.22 und vermehrt in denjenigen Texten der Septuaginta, die in einer zweiten Phase übersetzt wurden, also nach dem Pentateuch und vermutlich in der Zeit vom 2. Jh. v. Chr. an. 3 Dies gilt vor allem für die Psalmen, die Propheten (besonders Jesaja), ferner für die deuterokanonischen Schriften, so für das Buch Jesus Sirach und die Weisheit Salomos, schließlich für verschiedene Werke der jüdisch-hellenistischen Literatur in griechischer Sprache. Wie in diesem Artikel gezeigt werden soll, hat die Septuaginta eine Schöpfungsterminologie geschaffen, die ohne Zweifel die weitere Geschichte der jüdischen und später der christlichen Theologie beeinflusst hat. Diese Terminologie umfasst nicht nur das Verb κτίζω, sondern auch das Substantiv κτίστης, »Schöpfer« – ein Begriff, der zum Gottestitel wird – sowie die zwei Termini, die mit unterschiedlichen Nuancen die Schöpfung bezeichnen können: κτίσις und κτίσμα. Das bedeutet keineswegs, dass letztere Begriffe in der griechischen Sprache vorher nicht bekannt gewesen wären. Sie unterliegen jedoch einer Umdeutung, insofern sie sich nicht mehr auf den Gründer einer Stadt oder eines Bauwerks sowie auf die Gründung als solche beziehen. Doch damit nicht genug: Mit dieser Umdeutung sind auch bestimmte theologische Implikationen verbunden, die in den jeweiligen Kontexten entweder unausgesprochen bleiben oder aber breiter entfaltet werden können. Im folgenden Abschnitt soll kurz der Befund der Septuaginta skizziert werden. 4 Dabei stellen sich vor allem folgende Fragen: – Welche Gründe könnten die Übersetzer dazu veranlasst haben, das Verb κτίζω zu wählen, und welche Konnotationen sind mit diesem Wort in den griechischen Bibeltext eingeführt werden? – Welche Elemente der Schöpfungsvorstellungen, die in späterer jüdischer und christlicher Literatur begegnen, haben möglicherweise ihren Ursprung in der Septuaginta? In den weiteren Abschnitten wird anhand von ausgewählten Beispielen entfaltet, wie bestimmte schöpfungstheologische Motive oder Gedanken, die in der Septuaginta ihren Ursprung haben, in den jüdisch-hellenistischen Schriften, im Neuen Testament und in der frühchristlichen Literatur aufgenommen und weiterentwickelt werden. Ab-
2. 3. 4.
Nachweise bei Field: Origenis Hexaplorum quae supersunt, 7. Zur relativen Chronologie der einzelnen Bücher der Septuaginta vgl. Harl / Dorival / Munnich: La Bible grecque, 93-97. In den folgenden Abschnitten wird auf die Ergebnisse einiger früherer Publikationen zurückgegriffen, vor allem Bons: Beobachtungen; ders.: Le verbe κτίζω, und Bons / Passoni Dell’Acqua: Sample Article.
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Termini und Themen der Septuaginta
geschlossen wird der Artikel mit einigen Beobachtungen zum lateinischen Substantiv creatio in der Bedeutung »Schöpfung«.
2. Die schöpfungstheologische Terminologie der Septuaginta und ihre Konnotationen In der Septuaginta bedeutet das Verb κτίζω nur noch gelegentlich »gründen« 5, wobei die Objekte verschiedenartiger Natur sind: Ägypten (Ex 9,18), das Zelt des Zeugnisses (Lev 16,16), der Jerusalemer Tempel (Hag 2,9 [Zusatz in der LXX]), die Stadt Jerusalem selbst (1 Esdras 4,53). Während in diesen Versen ein menschliches Subjekt des Gründens ausdrücklich genannt oder wenigstens vorausgesetzt wird, ist an allen anderen Stellen Gott das grammatische oder logische Subjekt des Verbs. Dieses begegnet in den verschiedensten Zusammenhängen und Textgattungen. Objekte des göttlichen Wirkens, das mit κτίζω ausgedrückt wird, sind z. B. »Himmel und Erde« (Gen 14,19.22; Dan 4,37LXX), die Erde und das »Heer des Himmels« (Hos 13,4 [Zusatz]), Lebewesen allgemein (Ps 103,27LXX), die Menschen insgesamt oder das einzelne Individuum (Ps 32,9; 88,48; 148,5LXX; Koh 12,1). Dazu passt weiterhin, dass mit dem Substantiv κτίστης Gott selbst bezeichnet wird (2 Kgt [2 Sam] 22,32), während die Hebräische Bibel an dieser Stelle צור, »Fels«, liest. Wie im Psalter vermeidet es also die Septuaginta, Gott mit einem Felsen zu assoziieren. 6 Einen menschlichen κτίστης, also einen Gründer z. B. einer Stadt oder eines Bauwerks, kennt die Septuaginta jedoch nicht. Somit bleibt als Zwischenergebnis festzuhalten, dass das Verb κτίζω keineswegs auf ein bestimmtes Buch der Septuaginta beschränkt ist, sondern ausgehend vom Pentateuch seinen Weg in die anderen übersetzten Texte findet und geradezu zu einem terminus technicus wird, mit dem das göttliche Schöpfungshandeln ausgedrückt wird. Wie aber ist dieser spezifische Gebrauch des Verbs κτίζω zu erklären? Zunächst gibt der Befund zu der Vermutung Anlass, dass die jüdischen Übersetzer, denen die ältesten Bücher der Septuaginta zu verdanken sind, auf der Suche nach einem geeigneten griechischen Vokabular waren, um die Texte, die Gott als Schöpfer darstellen, adäquat zu übertragen. Das Verb κτίζω besaß jedoch keineswegs diesen spezifischen Sinn im nichtbiblischen Griechisch, weder in der klassischen noch in der hellenistischen Literatur, erst recht nicht in den überlieferten Papyri. Dass die Übersetzer dennoch das Verb κτίζω wählten, also nicht am Gebrauch von ποιέω festhielten, ist wohl so zu erklären, dass sie – möglicherweise intuitiv – im faktischen Gebrauch von κτίζω Konnotationen erkannten, die einer Bedeutungserweiterung zumindest nicht entgegenstanden. Dies hat zur Folge, dass die im griechischen Sprachgebrauch vorhandenen Konnotationen von κτίζω nicht zugunsten einer neuen, spezifisch biblischen Bedeutung des Verbs zurücktreten, sobald Gott zum grammatischen oder logischen Subjekt des Verbs wird. Vielmehr ist von der Annahme auszugehen, 5. 6.
Vgl. zum Septuaginta-Befund Bons / Passoni Dell’Acqua: Sample Article, 175-177. Vgl. hierzu die Untersuchungen von Passoni Dell’Acqua: Metafora, und Olofsson: God is My Rock. Anders Zimmermann: Namen des Vaters, 349. Ein analoges Phänomen liegt auch in Sir 4,6 vor, wo Ms. A צורו, »sein Fels«, liest, die Septuaginta jedoch ὁ ποιήσας αὐτόν, »der ihn gemacht hat«.
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dass beide »Ingredienzien« – die biblischen und die griechischen – eine Synthese bilden, so dass die biblischen Schöpfungsvorstellungen mit der Übersetzung ins Griechische eine mehr oder weniger stark ausgeprägte interpretatio graeca erfahren. Welche spezifischen Konnotationen von κτίζω konnten aber für die Wahl dieses Verbs sprechen? Ohne hier die Bedeutungsentwicklung des Wortes von seinen frühesten Bezeugungen an nachzuzeichnen 7, sei festgehalten, dass die Gründung einer Stadt in der Regel als ein in einer fernen Vergangenheit zurückliegendes Ereignis betrachtet wird. 8 Besonders die manchmal sehr legendär wirkenden Begleitumstände verdienen dabei Beachtung, wie dies an zahlreichen Gründungserzählungen illustriert werden kann. Zitiert sei hier nur ein später Text, die Biographie Alexanders des Großen von Plutarch. Dort führt Plutarch aus (Alex. 26.4-10), dass Alexander nach der Eroberung Ägyptens vorhatte, dort eine große Stadt für eine griechische Bevölkerung zu gründen. Diese Stadt sollte seinen Namen tragen. Deren genaue Lage – die Insel Pharos – war dem König aber noch nicht bekannt, wird ihm aber in einer Vision offenbart. Für die Umsetzung des Plans bedarf es nun der Expertise von Fachleuten verschiedenster Art. Diese sehen die Lage der zukünftigen Stadt am Meer als geeignet an, da sie vor allem die Anlage eines Hafens ermöglicht, was eine Voraussetzung für florierenden Handel bedeutet. Zudem bietet sie mit ihrem Hinterland den Bewohnern genügend Nahrung, was ein weiteres wichtiges Kriterium für die Gründung ist. Diese Details mögen genügen. Sie zeigen, dass die Gründung einer Stadt ein sehr planvolles Vorgehen ist, bei dem ganz verschiedene Kriterien berücksichtigt werden müssen, damit das Projekt sich nicht nur als zweckmäßig erweist und gelingen soll, sondern auch dauerhaft ist. Die Gründung einer Stadt zielt somit auf die Herstellung einer Realität ab, die die Eigenschaften des Neuartigen, Unvergleichlichen und Permanenten besitzt. Zugleich dient sie einem Kollektivum, nicht allein den Einzelinteressen einer Person, und erfordert sowohl eine gründliche Planung als auch eine sorgfältige Organisation der vielfältigen finanziellen, handwerklichen und technischen Maßnahmen. Das Verb κτίζω bezeichnet somit eine Tätigkeit, deren materielle, konzeptionelle und organisatorische Aspekte die Dimension der alltäglichen Arbeit des Handwerkers übersteigen. Darin liegt möglicherweise der Grund dafür, dass die jüdischen Übersetzer nicht etwa das Verb δημιουργέω, »(handwerklich) schaffen, verfertigen«, wählten, sondern κτίζω. 9 Gott hätte also – so könnte man folgern – mit den Gründern von Städten gemeinsam, dass er nicht nur den Anstoß zur Entstehung seiner Werke gibt und als ihr Urheber gelten kann, sondern dass er seinen Plan mit Sorgfalt und Autorität ausführt und jedem seiner Werke seinen Platz und seine Funktion in der Schöpfung zuweist. Gerade letzteres geht ja aus Texten wie Gen 1,28-30 deutlich hervor. Die Wahl von κτίζω ist keineswegs ein isoliertes Phänomen in der Septuaginta. Man ersetzte nicht lediglich ein geläufiges Wort, etwa ποιέω, durch ein anderes, das man aus irgendeinem Grund als geeigneter ansah. Möglicherweise hat die Vorstellung des absichtsvollen und umsichtigen Schaffens dazu veranlasst, verschiedene Gedanken 7. 8. 9.
Vgl. ausführlich hierzu Casevitz: Vocabulaire, 15-72. Vgl. hierzu die Untersuchungen von Hanges: Foundation Legend, und ders.: Paul, Founder of Churches, bes. Kapitel 2; Leschhorn: »Gründer der Stadt«, passim. Vgl. Bons / Passoni Dell’Acqua: Sample Article, 177.
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Termini und Themen der Septuaginta
und Argumentationsfiguren zu entwickeln, die in dieser Form der Hebräischen Bibel weitgehend unbekannt sind. So hat nach Hos 13,4, einem Zusatz in der Septuaginta, Gott die Sterne nicht zu dem Zweck geschaffen, dass die Israeliten sie verehren sollen (vgl. Dtn 4,19). Gerade dieses Element fehlt im hebräischen Text, wobei fraglich ist, in welcher Phase der Textgeschichte es in den Bibeltext hineingelangt ist. 10 Wie auch immer, die Septuaginta formuliert hier den Gedanken, dass die Kreaturen einem bestimmten Zweck dienen, der gleichsam von Anfang an von Gott so definiert wurde. Weiterhin erfährt der hebräische Text von Jes 54,16-17 in der Septuaginta eine bemerkenswerte Neuinterpretation. Der hebräische Text besagt, dass Gott den Schmied und den Verderber geschaffen hat, beides Figuren, die anscheinend Babylon repräsentieren. Doch erlaubt Gott es nicht, dass deren Wirken gegen Israel zum Erfolg führt. 11 Die Septuaginta hat mit diesen Aussagen wenig gemeinsam 12: Nicht den Schmied hat Gott erschaffen, sondern er erschafft Jerusalem, aber nicht wie ein Schmied. Der Verderber kommt im griechischen Text nicht mehr vor. Stattdessen lässt die Septuaginta Gott erklären, dass er Jerusalem nicht zum Verderben erschaffen habe, um es zu vernichten (οὐκ εἰς ἀπώλειαν φθεῖραι). Gott handelt also offenbar anders als der Töpfer in Jer 18,1-10, der durchaus bereit ist, ein misslungenes Werkstück wieder zu zerstören. Dass Gott nicht ohne Grund schafft, erhellt schließlich aus der rhetorischen Frage, die der Beter von Ps 88,48bLXX an Gott richtet: μὴ γὰρ ματαίως ἔκτισας πάντας τοὺς υἱοὺς τῶν ἀνθρώπων, »hast du denn alle Menschenkinder vergeblich geschaffen?« Das vom Übersetzer ergänzte einleitende μή legt eine negative Antwort auf die gestellte Frage nahe. 13 Gott soll antworten – so wird erwartet –, dass er die Menschen nicht ohne Grund geschaffen hat und – so müsste man folgern – daher an ihrem Schicksal Anteil nimmt. 14 Nach dem hebräischen Text hingegen erinnert der Beter Gott daran, wie vergänglich er die Menschen geschaffen hat, was wesentlich resignativer klingt. 15 Einige der in der Septuaginta grundgelegten Gedanken werden in den deuterokanonischen Büchern sowie in der übrigen jüdisch-hellenistischen Literatur aufgenommen und entfaltet, vor allem die Vorstellung, dass Gott jedem Schöpfungswerk eine bestimmte Funktion zuschreibt. Außerdem ist auf ein weiteres Phänomen aufmerksam zu machen, und zwar auf den verstärkten Gebrauch der in der Einleitung erwähnten Substantive κτίστης, κτίσις und κτίσμα. Mit Ausnahme des Buches Jesus Sirach sind diese Begriffe denjenigen Büchern der Septuaginta weitgehend fremd, die aus dem Hebräischen oder Aramäischen übersetzt worden sind; sie begegnen aber vermehrt in der jüdisch-hellenistischen Literatur. Im folgenden Abschnitt 10. Borbone: Profeta Osea, 179, vermutet, dass der Zusatz nicht vom Propheten Hosea selbst stammt, dennoch aber in der Vorlage der Septuaginta enthalten war und folglich auch ins Griechische übersetzt wurde. 11. Vgl. die Kommentare, z. B. Koole: Isaiah III, 396. 12. Vgl. hierzu ausführlich Bons: Le verbe κτίζω, 8-10. 13. Vgl. BDR § 427,2; Tate: Psalms 51-100, 412. 14. Vgl. schon die antiken Kommentare zu dieser Stelle, etwa Theodoret von Cyrus, der wie folgt formuliert (Interpretatio in Psalmos, PG 80, 1596 C): Οὐκ εἰκῆ, οὐδὲ μάτην τοὺς ἀνθρώπους διέπλασας, ἀλλ’ ἀγαθότης τῆς δημιουργίας ἡγήσατο, »nicht aufs Geratewohl, nicht umsonst hast du die Menschen gestaltet, sondern Güte hat [dein] Schaffen geleitet.« 15. Vgl. Tate: Psalms 51-100, 428: »frailty and finitude of all humankind«.
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Schöpfung
werden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einige Beispiele ausgewählt, an denen sich illustrieren lässt, wie die auf die Septuaginta zurückgehende Terminologie weiterentwickelt wurde, aber auch die damit verbundenen Vorstellungen.
3. Schöpfungstheologische Motive in den deuterokanonischen Büchern und in der übrigen jüdisch-hellenistischen Literatur 3.1 Die mit der Schöpfung verbundenen Absichten Gottes Der Gedanke, dass Gott nicht planlos erschafft, sondern dass alle Schöpfungswerke ihren Zweck und Nutzen haben, wird an manchen Stellen der Schriften aus den letzten beiden vorchristlichen Jahrhunderten entfaltet, entweder anhand von bestimmten Beispielen oder in eher systematischer Form. Diese Argumentationsfigur, die auch noch christlichen Texten bekannt ist (s. u.), begegnet in verschiedenen Kontexten, wie die folgenden Beispiele zeigen. Wozu die Sterne geschaffen sind, präzisiert ein Text wie PsSal 18,10-12: Sie sind von Gott dazu Gott dazu bestimmt, von ihrer Erschaffung an bis in alle Ewigkeit in der Furcht vor ihrem Schöpfer ihre Bahn zu ziehen (V. 11: ἐν φόβῳ θεοῦ ἡ ὁδὸς αὐτῶν καθ᾽ ἑκάστην ἡμέραν ἀφ᾽ ἧς ἡμέρας ἔκτισεν αὐτοὺς ὁ θεὸς καὶ ἕως αἰῶνος). Was die ihnen auferlegte Aufgabe anbetrifft, sollen sie den Menschen dazu dienen, die Zeit zu messen (V. 10: εἰς καιροὺς ὡρῶν). 16 Im Sirachbuch wird κτίζω zu einem geläufigen Verb, das Gottes schöpferisches Handeln als solches ausdrückt. 17 Dies wird schon aus Stellen wie Sir 17,1 deutlich, wo die Aussage von Gen 3,19 leicht verändert und Ursprung und Ziel des menschlichen Lebens wie folgt formuliert wird: κύριος ἔκτισεν ἐκ γῆς ἄνθρωπον καὶ πάλιν ἀπέστρεψεν αὐτὸν εἰς αὐτήν, »der Herr schuf aus Erde den Menschen und ließ ihn wieder zu ihr zurückkehren« (ein hebräischer Text ist nicht erhalten). Ebenso wird in Sir 18,1 ausgesagt, dass Gott alle Dinge insgesamt erschaffen hat (ἔκτισεν τὰ πάντα κοινῇ). Die Kapitel 38-40 widmen sodann einige systematische Überlegungen der Idee des Nutzens der einzelnen Schöpfungswerke; die Thematik wird aber auch anderswo im Buch behandelt. Nur einige ausgewählte Aussagen seien zitiert. 18 So hebt Sir 39,21 folgendes Prinzip hervor, das man nicht in Zweifel ziehen soll: οὐκ ἔστιν εἰπεῖν· τί τοῦτο; εἰς τί τοῦτο; πάντα γὰρ εἰς χρείας αὐτῶν ἔκτισται, »man soll nicht sagen: Was ist dies? Wozu ist es da? Denn alle Dinge sind zu ihrem Nutzen erschaffen worden« (Sir 39,21; Ms. B ʾ yn lʾ mr zh lmh zh ky hkl lṣrkw nbḥr »nicht soll man sagen: Was ist dies? Wozu ist dies? Alles ist zu seiner Bestimmung ausgewählt worden«). 19 Wenig später wird in Sir 39,25 zwischen zwei Kategorien unterschieden: ἀγαθὰ τοῖς ἀγα16. Zur Auslegung des Abschnitts vgl. ausführlich und mit zahlreichen außerbiblischen Parallelen Pouchelle: Les astres errants. 17. Vgl. auch die statistischen Beobachtungen bei Bussini: Creation and Humanity, 150-152. 18. Einen systematischen Überblick über die einzelnen Aussagen zum Thema der Schöpfung im Sirachbuch liefert Bussini: Creation and Humanity, 153-162; vgl. auch die kurze Synthese der Schöpfungstheologie im Sirachbuch bei Kratz / Spieckermann: Schöpfung II, 277. 19. Zum Vergleich der verschiedenen Textüberlieferungen der Stelle vgl. Morla Asensio: Los manuscritos hebreos, 231-232.
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θοῖς ἔκτισται ἀπ᾽ ἀρχῆς, οὕτως τοῖς ἁμαρτωλοῖς κακά, »Gutes ist für die Rechtschaffenen von Anfang an geschaffen worden, genauso Schlechtes für die Sünder«. In diesem Fall ist das Äquivalent zu ἔκτισται im nur fragmentarisch erhaltenen hebräischen Text (Ms. B) ḥlq, »er hat erschaffen« 20. Doch es bleibt nicht bei den grundsätzlichen Aussagen. Vielmehr finden sich im Sirachbuch Vorstellungen über den Zweck und Nutzen der einzelnen Schöpfungswerke, wobei anscheinend die Vorstellung der creatio continua vorausgesetzt ist. Dass dabei immer wieder ein Bezug zwischen Schöpfungswerken und Mensch hergestellt wird, ist unverkennbar. 21 So ist beispielsweise der Wein dazu geschaffen, den Menschen Freude zu verschaffen (Sir 31,27: ἔκτισται εἰς εὐφροσύνην ἀνθρώποις). Im nur lückenhaft erhaltenen hebräischen Text (Ms. B) steht hier das Verb nwṣr, »wurde gebildet/geschaffen«. Ähnlich hat Gott Heilmittel geschaffen, vermutlich Pflanzen, die aus der Erde hervorkommen (Sir 38,4: Κύριος ἔκτισεν ἐκ γῆς φάρμακα), damit der Mensch von Schmerzen befreit werde (Sir 38,7). Das hebräische Verb lautet in Sir 38,4 (Ms. B) mwṣyʾ, wörtlich »lässt herauskommen« im Sinne von »bringt hervor«. Dagegen dienen andere Schöpfungswerke zur Bestrafung der Sünder, wie Sir 39,29 betont: πῦρ καὶ χάλαζα καὶ λιμὸς καὶ θάνατος πάντα ταῦτα εἰς ἐκδίκησιν ἔκτισται, »Feuer, Hagel, Hungersnot und [wohl vorzeitiger] Tod, all diese Dinge sind zur Bestrafung geschaffen« (Sir 39,29), wobei hier in den vorhandenen hebräischen Handschriften (Ms. B und M) kein Äquivalent von ἔκτισται erhalten ist. Diese Beobachtungen führen zu dem Ergebnis, dass der Übersetzer des Sirachbuches – offenbar der Enkel des Verfassers, der sich im Prolog als solcher zu erkennen gibt – das griechische Verb κτίζω als ein Standardverb verwendet, wenn es um das göttliche Schöpfungshandeln geht. Dabei wird Gott nicht nur als Schöpfer des gesamten Schöpfungswerks dargestellt, sondern auch als derjenige der einzelnen Kreaturen, deren Zweck und Nutzen den Menschen zu erkennen aufgetragen ist. Eine noch allgemeinere Färbung erfährt der mit dem Verb κτίζω ausgedrückte Schöpfungsgedanke in der Sapientia Salomonis. Dieser kann hier nur kurz skizziert werden. 22 Die erste wichtige Aussage findet sich in Weish 1,14: ἔκτισεν γὰρ εἰς τὸ εἶναι τὰ πάντα καὶ σωτήριοι αἱ γενέσεις τοῦ κόσμου, »denn er hat alle Dinge zum Sein geschaffen, und heilbringend sind die Geschöpfe des Kosmos«. Im ersten Satz wird sicherlich an die Aussage von Gen 1,1 angespielt, wonach Gott Himmel und Erde erschuf. Diese beiden Substantive werden aber durch τὰ πάντα, »alle Dinge«, ersetzt, und das hier verwendete Verb ist ἔκτισεν, »er hat geschaffen«. Wie in einigen Stellen des Sirachbuches regiert das Verb die Präposition εἰς, hier allerdings gefolgt von der abstrakten Formulierung τὸ εἶναι: Gott hat die Geschöpfe ins Dasein gebracht. 23 Dass die Schöpfungswerke »heilbringend« sind, wie der zweite Satz aussagt, ist möglicherweise eine Umdeutung der Aussage des ersten Schöpfungsberichts, wonach Gott die gesamte Schöpfung als gut ansah (Gen 1,31). Die Schöpfungswerke sind aber insofern segensreich, als sie – wie Weish 16,24 entfaltet – Gott dazu dienen, die 20. Zu diesem Verb, seiner Bedeutung »erschaffen« sowie seinem griechischen Äquivalent κτίζω vgl. O’Connor: Language of Creation, 220-225. 21. Vgl. Bussini: Creation and Humanity, 175. 22. Vgl. neben den Kommentaren u. a. Blischke: Theologie, 171-173. 23. Vgl. hierzu und zum Folgenden Mazzinghi: Weisheit, 71.
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Schöpfung
Ungerechten zu bestrafen, umgekehrt aber denjenigen zur Wohltat (εὐεργεσία) werden können, die auf ihn vertrauen. Wenn auch der Verfasser der Weisheit Salomos sich eines anderen Vokabulars bedient als das Sirachbuch, so entfernt er sich kaum von dem Gedanken, der schon in Sir 39,25 zum Ausdruck kam (s. o.): In der Hand ihres Schöpfers wird die Schöpfung selbst zum Instrument, mit dem Gott an den Menschen handelt. 24 Dass schließlich die Erschaffung des Menschen ebenfalls von einem göttlichen Heilswillen geleitet ist, erhellt aus Weish 2,23, einem Vers, der wiederum den ersten Schöpfungsbericht des Buches Genesis voraussetzt: ὅτι ὁ θεὸς ἔκτισεν τὸν ἄνθρωπον ἐπ᾽ ἀφθαρσίᾳ καὶ εἰκόνα τῆς ἰδίας ἰδιότητος 25 ἐποίησεν αὐτόν, »denn Gott hat den Menschen zur Unverderblichkeit 26 geschaffen, und als Bild seines eigenen Wesens hat er ihn gemacht.« Das bedeutet: Da nach Gen 1,26 der Mensch Bild Gottes ist, ist ihm eine grundsätzliche ἀφθαρσία (»Unverderblichkeit«) verliehen. Diese geht ihm nicht prinzipiell verlustig, auch nicht angesichts des sicheren Todes 27, wie man aus Weish 3,1-6 folgern kann, ist also nicht mit der Idee der Unsterblichkeit zu verwechseln. Somit entfaltet der Verfasser der Weisheit Salomos in Weish 2,23 einen Gedanken, der sich in älteren Texten der Septuaginta wie Jes 54,16 wenigstens im Keim findet (s. o.) 28: Gott hat den Menschen nicht dazu geschaffen, dass er vernichtet wird, sondern als Bild Gottes ist ihm die Unverderblichkeit verliehen, die ihm über den Tod hinaus erhalten bleibt.
3.2 Die Begriffe κτίστης, κτίσις und κτίσμα: Schöpfung in der Geschichte In ihrer neuen Bedeutung, die für die theologische Sprache des hellenistischen Judentums spezifisch ist, kommen alle drei Begriffe κτίστης, κτίσις und κτίσμα erst vermehrt in den Schriften der Septuaginta vor, die nicht aus dem Hebräischen oder Aramäischen übersetzt worden sind. 29 Dort beziehen sie sich jeweils auf den Schöpfer sowie auf die Schöpfung. Wie bereits erwähnt wurde, ist die einzige Ausnahme, die ein Äquivalent in der Hebräischen Bibel hat, das Substantiv κτίστης, das als Gottestitel in 2 Kgt [2 Sam] 22,32 erscheint (s. o.). Alle drei Termini begegnen aber schon – und dies ist die zweite Ausnahme – im Sirachbuch. Dieser Befund lässt darauf schließen, dass die Wahl des Verbs κτίζω für das göttliche schöpferische Handeln nicht ohne Wirkung geblieben war, sondern die theologische Sprache prägen sollte. Denn offenbar gab die neue, für die Sprache der Septuaginta charakteristische Verwendung von κτίζω dazu Anlass, das Vokabular der Schöpfung um die drei genannten Termini zu ergänzen. Sie wurden ebenfalls einer entsprechenden Umdeutung unterzogen. Statt sich auf die Gründung einer Stadt, eines Bauwerks oder dergleichen oder auf den 24. Zum Begriff der εὐεργεσία in der Weisheit Salomos vgl. den dritten Teil der Monographie von Bellantuono: The Biblical God. 25. Für diese Lesart optiert u. a. Ziegler in der Göttinger textkritischen Ausgabe der Weisheit Salomos. Zum textkritischen Problem vgl. die Kommentare, so u. a. Scarpat: Libro, 198; Mazzinghi: Weisheit, 97. 26. Die Präposition ἐπί mit Dativ hat finale Bedeutung, vgl. Scarpat: Libro, 198 27. Ausführlich hierzu Blischke: Theologie, 164-165. 28. Vgl. Mazzinghi: Weisheit, 101. 29. Nachweise bei Bons / Passoni Dell’Acqua: Sample Article, 179.182-183.185.
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Termini und Themen der Septuaginta
Gründer selbst zu beziehen 30, ist der κτίστης nun niemand anders als Gott selbst, während die beiden anderen Substantive die Schöpfung bezeichnen. Dass diese neue Terminologie schnell Verbreitung fand, zeigt ihr Gebrauch in den verschiedensten Kontexten, und zwar sowohl in der argumentativen Sprache wie auch in Gebeten. Nur zwei Beispiele aus der Gebetsliteratur seien ausgewählt, das Gebet der Judit in Jdt 9 sowie das Gebet der Aseneth in JosAs 12. Im Gebet der Judit in Jdt 9,2-14 redet die Protagonistin der Erzählung Gott mit verschiedenen Titeln an, von denen einige (besonders diejenigen von Vers 11) der Sprache des Septuaginta-Psalters entlehnt sind. 31 Die Aufzählung dieser Titel endet in Vers 12 mit folgenden Worten, für die man kaum Parallelen in der Septuaginta finden kann 32: δέσποτα τῶν οὐρανῶν καὶ τῆς γῆς, κτίστα τῶν ὑδάτων, βασιλεῦ πάσης κτίσεώς σου, »Herrscher über die Himmel und die Erde, Schöpfer der Wassermassen, König deiner gesamten Schöpfung« 33. Hierzu zwei Beobachtungen: – Die drei Elemente dieser Anrede sind auf zweifache Weise miteinander verbunden. Zunächst wird in einer parallelen Formulierung die Macht Gottes über die Himmel und die Wassermassen betont. Diese stellen aber anscheinend nicht die gesamte Schöpfung dar, so dass abschließend die Souveränität Gottes über diese, die κτίσις, unterstrichen wird. Dabei werden das zweite und das dritte Element der Anrede Gottes mit den beiden Termini κτίστης und κτίσις gerahmt. – Diese drei Anreden Gottes bilden nicht ohne Grund den Abschluss einer Serie von Gottestiteln. Im vorhergehenden Vers 11 hatte Judit sich mit insgesamt fünf Anreden an Gott gewandt, und zwar als den Beschützer der Bedrängten und Hilflosen, also von Individuen, die nicht näher spezifiziert werden. Sodann wird Gott als der Gott seines Erbbesitzes Israel bezeichnet; es wird also eine Beziehung zu seinem Volk hergestellt. Den Abschluss bilden dann die zitierten Anreden von Vers 12, die Gottes Macht über den gesamten Kosmos betonen. Diese Anreden widersprechen sich keineswegs, sondern ergänzen sich: Gott ist der Beschützer der Bedrängten und Hilflosen, der Gott, der den Anspruch auf sein Volk Israel nicht aufgibt und schließlich 30. Nachweise bei Casevitz: Vocabulaire, 54-55. 58.69-70. 31. Vgl. hierzu und sowie zu den folgenden Ausführungen Bons: Einfluss, 124-128. 32. Vgl. die einschlägigen Untersuchungen und Kommentare, z. B. Schmitz: Gedeutete Geschichte, 308; Gera: Judith, 323. 33. Schmitz: Does κτίστης Mean »Creator«?, 43-44, zieht die Übersetzung »Schöpfer« für κτίστης und »Schöpfung« für κτίσις in Zweifel; denn der griechisch-hellenistische Hintergrund dieser Begrifflichkeit – ein κτίστης ist sehr häufig der reale oder legendäre Gründer einer Stadt – lasse nur eine solche Übersetzung für die biblische Terminologie zu, nicht zuletzt wegen der hellenistischen Einflüsse auf das Juditbuch. Daher übersetzt sie die Gottesanreden in Jdt 9,12 wie folgt (ebd., 43): »Founder of the waters, King of all your foundation.« Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass das Buch Judit zahlreiche Hebraismen oder Septuagintismen kennt, die die Diskussion über eine mögliche hebräische Vorlage bis heute nicht hat verstummen lassen. Wer also in einem hellenistischen Kontext die übrigen Bücher der Septuaginta kannte, konnte im Buch Judit durchaus vertraute biblischen Sprachkonventionen finden, also auch die Schöpfungsterminologie. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Bedeutung von Begriffen nicht zuletzt auch durch den Kontext und nicht durch ein für alle Verwendungen identisches Signifikat determiniert wird. Schließlich: Was hätten zeitgenössische jüdische Leserinnen und Leser denn unter einem »Gründer der Wassermassen« und einem »König von deiner ganzen Gründung« verstehen können?
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Schöpfung
der Herrscher über den Kosmos, der als solcher sich auch um die Geschehnisse in Welt und Geschichte kümmert. Daher nimmt er auch die hilflose Lage der belagerten Stadt wahr, in der Judit lebt. Der Gedanke wird schon in Jdt 8,14 vorbereitet 34, wo Judit zwei Vorstellungen miteinander in Verbindung bringt: die Schöpfermacht Gottes, der alle Dinge geschaffen hat (ὃς ἐποίησεν πάντα), und seine verborgenen Gedanken angesichts der verzweifelten Lage der Stadt, die zuvor in Jdt 7,19-22 anschaulich beschrieben wurde. Eine ähnliche Kombination beider Motive wird auch in Jdt 13,18 – nach Judits erfolgreichem Anschlag auf Holofernes – dem Ältesten Usija in den Mund gelegt: Der Gott, der die Himmel und die Erde erschaffen hat (ὁ θεός ὃς ἔκτισεν τοὺς οὐρανοὺς καὶ τὴν γῆν), hat Judits verwegenes Vorhaben gelingen lassen. Eine derartige Verknüpfung von göttlicher Schöpfermacht und Wirken in der Geschichte ist aber nicht nur dem Buch Judit bekannt. Wie Philo von Alexandrien in einem argumentativen Kontext ausführt, nämlich in seiner Deutung von Ex 22,26, erweist sich Gott – und zwar als der Schöpfer aller Dinge (ὁ τῶν ὅλων κτίστης) – als barmherzig selbst in scheinbar unbedeutenden Angelegenheiten, hier gegenüber dem Schuldner, dessen Mantel vom Gläubiger als Pfand einbehalten wurde (Somn. I, 93). Somit wird deutlich, dass der Titel κτίστης zwar auf ein urzeitliches göttliches Wirken Bezug zu nehmen scheint, dieses aber in die Geschichte hinein ausgedehnt und verlängert wird. Es ist daher nicht notwendig, in den Anreden κτίστα τῶν ὑδάτων und βασιλεῦ πάσης κτίσεώς σου Anspielungen auf die in der Erzählung beschriebene Situation zu suchen, etwa den Wassermangel der belagerten Stadt (vgl. Jdt 7,20-22) 35; vielmehr werden die Anreden – genauso wie diejenigen in Vers 11 – gleichsam unabhängig vom erzählten Kontext, in den sie eingebettet sind, verwendet. Als Herr der gesamten Schöpfung nimmt Gott auch die Situation der von einem übermächtigen Feind belagerten Stadt Betulia wahr und lässt Judits Vorhaben gelingen. Das zweite Beispiel aus der Gebetsliteratur ist der fiktiven Erzählung Joseph und Aseneth entnommen, die von der Bekehrung der Ägypterin Aseneth zum Gott des Patriarchen Joseph handelt. Als ob Aseneth mit den biblischen Traditionen in griechischer Sprache und ihrem Vokabular vertraut wäre, formuliert sie in JosAs 12 ein Gebet, das vor allem dem Septuaginta-Psalter, aber auch anderen biblischen Texten sprachliches Material entlehnt. 36 Und dennoch finden sich neue Motive in diesem Gebet. Bevor Aseneth ihrer Zuflucht zu Gott Ausdruck gibt und ihn um Vergebung ihrer Sünden bittet, insbesondere ihrer Verehrung fremder Gottheiten (JosAs 12,2-6), wendet sie sich in einer langen invocatio an den Schöpfergott (JosAs 12,1). Dies bedeutet letztendlich, dass sie sich ebenfalls als Kreatur des biblischen Gottes begreift und als solche ihre Bitte um Vergebung und Schutz legitimiert. 37 Folgende Gedanken seien hervorgehoben 38:
Vgl. Zimmermann: Die Namen des Vaters, 351. So etwa Gera: Judith, 323; Schmitz / Engel: Judit, 301. Nachweise bei Bons: Psalter Terminology, 432-442. Vgl. Scialabba: Creation and Salvation, 259; ebd., 255-274 eine sehr detaillierte Analyse des Gebets. 38. Zitiert wird der Text nach der kritischen Ausgabe von Burchard: Joseph and Aseneth.
34. 35. 36. 37.
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Für Aseneth ist Gott der Schöpfer aller Dinge, der ihnen Leben verleiht: ὁ κτίσας τὰ πάντα καὶ ζωοποιήσας, ὁ δοὺς πνοὴν ζωῆς πάσῃ τῇ κτίσει σου, »der alles geschaffen und lebendig gemacht hat, der Lebensatem all seiner Schöpfung gibt«. Dies bedeutet, dass auch Aseneths Leben von diesem Schöpfergott abhängig ist, ja dass auch ihre Bekehrung zu ihm ebenso unter dem Schutz dieses lebensspendenden Gottes steht, der ihr, der Einsamen und von den Menschen wie von den Göttern Verlassenen (vgl. JosAs 12,12-13), neues Leben schenkt. 39 In einer weiteren Aussage (JosAs 12,2) bezeichnet Aseneth Gott als denjenigen, der das Seiende und das Sichtbare aus dem Unsichtbaren und dem Nichtseienden schafft (ὁ ποιήσας τὰ ὄντα καὶ τὰ φαινόμενα ἐκ τῶν ἀφανῶν καὶ μὴ ὄντων), wobei die Formulierung ἐκ … μὴ ὄντων an Texte wie 2 Makk 7,28 erinnert. Damit ist nicht notwendigerweise an die Idee der creatio ex nihilo angespielt. Vielmehr wird das Schöpfungshandeln Gottes keineswegs nur als ein urzeitliches Geschehen verstanden, sondern als in die Geschichte hinausgreifend, insofern als Gott immer wieder neu an seiner Schöpfung handelt. Anders als in den vorhin zitierten Passagen des Buches Judit gilt dieses Handeln Gottes einem konkreten Menschen, Aseneth. In seinem Gebet hatte Joseph, der Aseneth zuvor kennengelernt hatte, an Gott die Bitte gerichtet: ἀνάπλασον αὐτὴν […] καὶ ἀναζωοποίησον αὐτήν τῇ ζωῇ σου […] καὶ ζησάτω ἐν τῇ ζωῇ σου εἰς τὸν αἰῶνα χρόνον, »und forme sie wieder neu […] und mache sie wieder lebendig mit deinem Leben […], und sie soll leben in deinem Leben für immer«. Aseneth drückt in ihrem Gebet ebenfalls das Vertrauen darauf aus, dass auf Gottes Wort hin alles ins Leben gezeugt wurde (JosAs 12,2: ὅτι σύ, κύριε, ἐλάλησας καὶ πάντα ἐζωογονήθησαν), ja dass alle Geschöpfe – und hier fällt der Ausdruck κτίσματα – sich seinem Wort verdanken (JosAs 12,2: ὁ λόγος σου, κύριε, ζωή ἐστι πάντων τῶν κτισμάτων σου) – wobei impliziert ist, dass sie selbst auf dieses neue Leben in Gott hofft. Da Gott also Neues schaffen kann, auch aus »Unsichtbarem« und »Nichtseiendem«, kann sie sich ihm anvertrauen und ihn um Schutz und Hilfe bitten. Zumindest in seiner Grundstruktur hat dieser Gedanke Ähnlichkeiten mit der Vorstellung der καινὴ κτίσις (2Kor 5,17; Gal 6,15) des Apostels Paulus, wiewohl die Unterschiede unverkennbar sind: Das Leben in Christus bedeutet eine »neue Schöpfung«, mit der das Alte vergangen und Neues entstanden ist. 40
4. Schöpfungstheologische Argumente im Neuen Testament und in der frühchristlichen Literatur: Drei Beispiele Das Neue Testament und die frühchristliche Literatur kennen ebenfalls die Schöpfungsterminologie, die auf die Septuaginta und die übrigen jüdisch-hellenistischen Schriften in griechischer Sprache zurückgeht. Im Kontext dieses Artikels seien nur drei Texte zitiert, ohne alle für die Exegese wichtigen Gesichtspunkte zu behandeln. Auf dem Hintergrund der vorhin beschriebenen Konnotationen der jüdisch-hellenis-
39. Vgl. auch Zimmermann: Namen des Vaters, 352. 40. Zur Fragestellung vgl. u. a. Gerber: Blickwechsel, 213-214.
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tischen Schöpfungsvorstellungen ist es jedoch möglich, der spezifischen Aussage dieser drei Stellen noch präzisere Konturen zu verleihen. – In der von Mk 10,2-9 und Mt 19,3-8 überlieferten Perikope zur Frage der Erlaubtheit der Entlassung der Ehefrau aus der Ehe ist auffällig, dass trotz aller Unterschiede im Detail beide Evangelisten die Thematik der Schöpfung erwähnen. Um sein Verbot der Verstoßung zu begründen, zitiert Jesus nicht nur die Stellen Gen 1,27 und 2,24, sondern erwähnt explizit die Thematik der Schöpfung. Das Motiv wird in Mt 19,4 und Mk 10,6 verschieden mit dem unmittelbaren Kontext verknüpft. In Mk 10,6 folgt das Schriftzitat aus Gen 1,27, ἄρσεν καὶ θῆλυ ἐποίησεν αὐτούς, »männlich und weiblich erschuf er sie«, dem Ausdruck ἀπὸ δὲ ἀρχῆς κτίσεως, »vom Anfang der Schöpfung«. Dagegen kennt Mt 19,4 nicht diesen Zusatz, sondern versieht das Zitat aus Gen 1,27 mit dem Subjekt ὁ κτίσας, »der Schöpfer«: Der Schöpfer hat die Menschen vom Beginn der Schöpfung an als männlich und weiblich erschaffen. In der Septuaginta-Version des ersten Schöpfungsberichts begegnet keine der beiden Formulierungen. Wie dem auch sei, beide Evangelisten verstehen das Zitat aus Gen 1,27 mit dem Hinweis entweder auf den Anfang der Schöpfung oder auf den Schöpfer selbst. Damit betonen sie, dass es dem Schöpferwillen entspricht, dass Mann und Frau miteinander verbunden sind, ja nur in ihrer Verbundenheit »den Menschen im Vollsinn des Wortes bilden« 41. Die Ehe wird somit ausdrücklich als eine Institution verstanden, die auf Gottes Schöpferwillen zurückgeht. Mose dagegen, den die Pharisäer als Gesetzgeber zitieren, habe den Vorfahren Zugeständnisse gemacht, und zwar aufgrund ihrer σκληροκαρδία, »Hartherzigkeit« (Mk 10,5 par Mt 19,8). 42 Somit wird in den beiden Evangelien nicht eine bestimmte Kreatur, die vom Menschen verschieden ist, mit dem Schöpferwillen Gottes in Verbindung gebracht, sondern der Mensch selbst in seiner Polarität von Mann und Frau. – Der Verfasser des Ersten Timotheusbriefs greift auf die Argumentationsfigur zurück, wonach Gott seine Kreaturen zu einem bestimmten Zweck geschaffen habe, und weiß sie für seine spezifischen Intentionen zu nutzen. In 1Tim 4,1-5 wendet er sich gegen diejenigen, die dazu auffordern, sich von Speisen fernzuhalten, die Gott geschaffen habe. Diese Speisen seien aber dazu da – so der Verfasser des Briefes –, dass die Gläubigen und diejenigen, die die Wahrheit erkennen, sie mit Danksagung empfangen: ἃ ὁ θεὸς ἔκτισεν εἰς μετάλημψιν μετὰ εὐχαριστίας τοῖς πιστοῖς καὶ ἐπεγνωκόσι τὴν ἀλήθειαν (1Tim 4,3). Denn, so wird im folgenden Vers hervorgehoben, alles, was Gott geschaffen hat, ist gut: ὅτι πᾶν κτίσμα θεοῦ καλόν. Dieses Argument erinnert an die Aussage von Gen 1,31, wo die Gesamtheit der geschaffenen Werke als καλὰ λίαν, »sehr gut«, bezeichnet wird (vgl. auch Sir 39,16). Wie die Kontrahenten auch immer ihre Ablehnung von Speisen begründen mögen – das einzige und letztlich entscheidende Gegenargument 43 des Verfassers des Briefs ist schöpfungstheologischer Natur. Wenn Gottes Schöpfung als ganze gut ist – so legt die 41. So Luz: Evangelium nach Matthäus, III 93. 42. Vgl. hierzu auch Breytenbach: Schöpfung III, 287: »Was am Anfang war, soll als Orientierung gelten; darum kritisiert Jesus nach der von Markus ausgehenden Überlieferung die jüdische Ehescheidungspraxis anhand der ursprünglichen Institution der Ehe, die Gott ihr bei der Schöpfung zudachte.« 43. Vgl. Oberlinner: 1. Timotheusbrief, 181
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Termini und Themen der Septuaginta
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Argumentation von 1Tim 4,3-4 nahe –, dann kann die Ablehnung bestimmter Speisen letztlich nicht als vereinbar mit dem Willen des Schöpfers gelten. Insofern folgt der Verfasser des Briefes einer Argumentationslinie, die man in Texten wie Sir 39,16 findet, freilich dort in einem anderen Kontext. Zuletzt sei mit dem Brief an Diognet ein Text aus der frühchristlichen Literatur zitiert, der ebenfalls die Unterscheidung von Schöpfungswerken kritisiert. In Diogn 4,1-2 wendet sich der Verfasser anscheinend gegen jüdische Speisegesetze 44: τό τε γὰρ τῶν ὑπὸ τοῦ θεοῦ κτισθέντων εἰς χρῆσιν ἀνθρώπων ἃ μὲν ὡς καλῶς κτισθέντα παραδέχεσθαι, ἃ δ᾽ ὡς ἄχρηστα καὶ περισσὰ παραιτεῖσθαι, πῶς οὐκ θέμις ἐστί; »von dem nämlich, was von Gott geschaffen worden ist zum Gebrauch durch die Menschen, das eine als gut geschaffen zu empfangen, das andere aber als unbrauchbar und überflüssig zu verschmähen, was ist daran gebührlich?« Wie auch immer die genaue Stoßrichtung des Briefes an Diognet zu bestimmen ist, man fühlt sich an das Argument erinnert, das schon das griechische Sirachbuch vorbrachte (Sir 39,21): Alle Kreaturen hat Gott zu einem bestimmten Zweck erschaffen. Damit untersteht die Schöpfung als ganze der Autorität Gottes. Der Mensch ist nicht dazu berechtigt, die Pläne Gottes zu unterlaufen, indem er gegen dessen Schöpferwillen verstößt – genauso wenig ist es ihm erlaubt, den Sinn und Nutzen der Schöpfungswerke in Zweifel zu ziehen.
5. Epilog: creatio, die Umdeutung eines lateinischen Substantivs Im Englischen sowie in den romanischen Sprachen sind die Substantive, die »Schöpfung« bedeuten, aus dem lateinischen creatio abgeleitet: creation, création, creación, creazione, criação. Dem klassischen Latein war diese Bedeutung nicht bekannt. Bei Cicero etwa bezeichnet creatio die Bestellung von Amtsträgern (De legibus 3.10), und procreatio liberorum die Zeugung von Kindern (Tusc. 1.14). Zwar kennt die Vetus Latina, wenigstens in einigen Handschriften, die Übersetzung creatio für das griechische κτίσις in Hebr 9,11 45. Und dennoch war die Verwendung von creatio für die Schöpfung als ganze oder wenigstens für den Vorgang der Schöpfung nicht selbstverständlich. Dies zeigt eine Überlegung zu Eph 4,24 aus der Feder des Hieronymus, der als Übersetzer und Kommentator der Bibel Diskrepanzen zwischen zwei Termini verschiedener Sprachen leicht wahrnahm. Der Vers Eph 4,24 beginnt im Griechischen wie folgt: καὶ ἐνδύσασθαι τὸν καινὸν ἄνθρωπον, τὸν κατὰ θεὸν κτισθέντα, »und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen worden ist.« Im Lateinischen klingt dies so: et induite novum hominem, qui secundum deum creatus est. Beide Formulierungen scheinen dasselbe auszusagen. Doch gerade die Übersetzung und Interpretation des Relativsatzes qui secundum deum creatus est veranlasst Hieronymus zu folgender Überlegung: qui secundum deum creatus est, non idipsum sonat in latino sermone quod graeco. creatio quippe apud nos, generatio, vel nativitas dicitur: apud graecos vero sub nomine creationis, verbum facturae et conditionis accipitur 46, »der 44. Vgl. hierzu die Exegese von Lona: An Diognet, 129-130. 45. Frede: Vetus Latina, 1393. 46. Hieronymus: In Eph., PL 26, 509 A.
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gemäß Gott geschaffen worden ist: In der lateinischen Sprache klingt dies nicht genauso wie im Griechischen. Creatio wird ja bei uns die Zeugung oder die Geburt genannt. Bei den Griechen jedoch wird mit dem Wort creatio [d. h. κτίσις] die Bedeutung ›Herstellung‹ oder ›Gründung‹ verstanden.« Das bedeutet: creatio scheint für Hieronymus wohl noch nicht das geeignete Wort zu sein, um von der Schöpfung zu sprechen. Doch seine Bedenken weisen darauf hin, dass sich in seiner Zeit schon eine weitere Umdeutung eines Wortes angebahnt hatte. Genauso wie κτίσις im hellenistischbiblischen Kontext nicht mehr »Gründung«, sondern »Schöpfung« bedeutete, genauso erhielt im spätantiken christlichen Kontext das lateinische Substantiv creatio einen neuen Sinn – nicht mehr »Zeugung«, sondern »Schöpfung« – und mit dieser Bedeutung sollte es Jahrhunderte später Eingang in die europäischen Sprachen finden.
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2.1.5 Exodus Anna Mambelli Literatur Editionen und Übersetzungen Philo: Opera quae supersunt, ed. Leopold Cohn / Paul Wendland, 7 Bände, Berlin 1896-1930 – Josephus: Opera, ed. Benedikt Niese, 7 Bände, Berlin 1955 (*1887-1895) – Testamentum Iob, ed. Sebastian P. Brock, PVTG 2, Leiden 1967 – The Testaments of the Twelve Patriarchs, ed. Marinus De Jonge, PVTG 1/2, Leiden 1978. Clemens Alex.: Stromata I-VI, ed. Otto Stählin / Ludwig Früchtel, 4. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 52, Berlin 1985 – Epiphanius: Panarion haer. 1-33, ed. Karl Holl, GCS 25, Leipzig 1915, 151-464 – Eusebius Caes.: Die Kirchengeschichte, ed. Eduard Schwartz / Theodor Mommsen, Bd. 1: Bücher I bis V, GCS 9/1, Leipzig 1903; Bd. 2: Bücher VI bis X, GCS 9/2, Leipzig 1908; Bd. 3: Einleitungen, Übersichten und Register, Leipzig 1909 – Eusebius: Praeparatio evangelica, ed. Karl Mras, GCS 43/1, Berlin 1954, 2. Aufl. ed. Édouard des Places, Berlin 1982 – Hieronymus: Epistulae, ed. Isidor Hilberg, CSEL 54-56, Wien 2996 – Justin: Dialogue avec Tryphon, ed. Philippe Bobichon, Par. 47/1-2, Fribourg 2003 – Origenes: Contre Celse, Tome 2: Livres 3-4, ed. Marcel Borret, SC 136, Paris 1968 – Origenes: Homélies sur Jérémie, Bd. 1: Homélies I-XI, ed. Pierre Husson / Pierre Nautin, SC 232, Paris 1976.
Weitere Literatur Bons, Eberhard / Mambelli, Anna / Scialabba, Daniela (ed.): Exodos. Storia di un vocabolo, Bologna 2019 – Bons, Eberhard: Beobachtungen zum anthropologischen Vokabular von Weish 7,1-6 (θνητὸς ἄνθρωπος, εἴσοδος und ἔξοδος), in: Siegfried Kreuzer / Martin Meiser / Marcus Sigismund (ed.), Die Septuaginta – Entstehung, Sprache, Geschichte, WUNT 286, Tübingen 2012, 144-154 – Borgen, Peder / Fuglseth, Kare / Skarsten, Roald: The Philo Index. A Complete Greek Word Index to the Writings of Philo of Alexandria, Grand Rapids / Leiden 2000 – Denis, Albert-Marie: Introduction à la littérature religieuse judéo-hellénistique, 2 Bände, Turnhout 2000 – Lampe, Geoffrey William Hugo, A Patristic Greek Lexicon, Oxford 1961 – Michaelis, Wilhelm: εἴσοδος, ἔξοδος, διέξοδος, ThWNT V (1954), 108-113 – Peppermüller, Rolf: ἔξοδος, EDNT II (1991), 8 – Rengstorf, Karl Heinrich (ed.), A Complete Concordance to Flavius Josephus, 2 Bände, Leiden 22002 – Schulz-Flügel, Eva: Hieronymus, Feind und Überwinder der Septuaginta? Untersuchungen anhand der Arbeiten an den Psalmen, in: Anneli Aejmelaeus / Udo Quast (ed.), Der Septuaginta-Psalter und seine Tochterübersetzungen, Göttingen 2000, 33-50 – Seiler, Stefan: Psalm 113[114; 115], in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, 2 Bände, II, Psalmen bis Daniel, Stuttgart 2011, 1819-1822.
1. Einleitung Die Septuaginta hat einen wesentlichen Einfluss auf die jüdisch-hellenistische Literatur ausgeübt, so auf Philo von Alexandrien und Flavius Josephus, später auf die Verfasser der neutestamentlichen Schriften sowie noch später auf die griechischsprachi90
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gen Kirchenväter. Diese kannten oft nur die Septuaginta als ihren einzigen Bibeltext, vielleicht auch deren Revisionen durch Aquila, Symmachus und Theodotion. Der Einfluss der Septuaginta auf jüngere jüdische und christliche Literatur macht sich nicht nur in Anspielungen und Zitaten geltend, die in einen jeweils neuen Kontext eingefügt werden, sondern auch im Vokabular. Dies betrifft nicht nur solche Wörter, die anscheinend zum ersten Mal in der Septuaginta verstärkt auftreten und von späteren jüdischen und christlichen Autoren übernommen worden sind, z. B. ἀλλογενής, wörtlich »andersstämmig«. Es ist auch auf solche Termini hinzuweisen, die sicherlich nicht für die Septuaginta erfunden worden sind, deren spezifischer Gebrauch aber auf sie zurückgeht. Der vorliegende Artikel soll einen bestimmten dieser Termini behandeln, der Geschichte gemacht hat, und zwar das Substantiv ἔξοδος, nach dem bekanntlich auch das zweite Buch der Bibel bezeichnet wird. Wie in den folgenden Abschnitten gezeigt werden soll, ist auch dieses Substantiv der nichtbiblischen griechischen Sprache völlig geläufig. Die verschiedenen Bedeutungen des Wortes finden sich auch noch in der Septuaginta. Jedoch bahnt sich in der Septuaginta ein Sprachgebrauch an, der die modernen Sprachen bis heute beeinflusst: Während die Hebräische Bibel kein Substantiv für den Auszug der Israeliten aus Ägypten hat, nimmt in der Septuaginta das Wort ἔξοδος eine solche Bedeutung an. 1
2. Die vielen Bedeutungen des Substantivs ἔξοδος in der griechischen Literatur und in der Septuaginta Das Nomen ἔξοδος setzt sich bekanntlich aus der Präposition ἐκ (»aus«) und dem gebräuchlichen Substantiv ὁδός (»Straße«, »Weg«) zusammen. Es spezifiziert damit die Bedeutung von ὁδός, indem es den Akzent auf den Ausgangspunkt eines Weges legt. Seine Grundbedeutung ist somit »Ausgang«, »Weggang«. Das Substantiv ist erstmals in der attischen Tragödie des Aischylos: Sept. (467 v. Chr.), bezeugt, wo es im Plural verwendet wird, um die »Ausgänge« der Stadt zu bezeichnen, d. h. die berühmten sieben Tore Thebens (V. 33, 58 und 284). Im klassischen Theater bezieht sich ἔξοδος oft auch auf die konkret im Theater vorhandene Tür; ferner bezeichnet es das Erscheinen eines Schauspielers auf der Bühne oder sein Abtreten von dieser (z. B. Sophokles: Ant. 1184; Euripides: Ion 515; Aristophanes: Lys. 16). Gerade wegen dieser Verwendung wird das Wort später von Aristoteles als Fachbegriff gewählt, um den letzten Teil der Tragödie zu bezeichnen, also den Moment, in dem sich der Chor von der Bühne zurückzieht (Poet. 1452b, Kap. 12,1-9). Außerhalb der Sprache des Theaters wird ἔξοδος in der klassischen und hellenistischen griechischen Literatur in den unterschiedlichsten Kontexten verwendet, mit teilweise alltäglichen und konkreten Bedeutungen, z. B. »Expedition« oder »Feldzug« bei Thukydides: Hist. III 5,2, und bei Lysias: Mant. 18, oder »Ausfluss« von Körperflüs-
1.
Der vorliegende Artikel setzt einige wichtige Untersuchungen voraus, die in den Sammelband Bons / Mambelli / Scialabba: Exodos, eingeflossen sind. Für zahlreiche weitere Details sei auf die dort publizierten Artikel verwiesen.
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sigkeiten bei Aristoteles: Part. anim. 693b. Bei Platon bedeutet ἔξοδος z. B. das Ergebnis einer Argumentation (Prot. 361a) oder – geradezu bildlich – das Vergessen als ein Verschwinden des Wissens (Symp. 208a: λήθη γὰρ ἐπιστήμης ἔξοδος). Mehrere konkrete Bedeutungen finden sich auch in Papyri und Inschriften, z. B. im Zusammenhang der Abgrenzung eines Grundstücks in P. Enteux. 66 (218 v. Chr., Magdola), im Sinne von finanziellen Ausgaben in IG XIV 426 (Taormina, Sizilien), von »Feldzug« in IG II2 1006 (122-121 v. Chr., Attika) oder sogar von »Scheidung« in BGU 4.1105 (11-10 v. Chr., Alexandria). Diese Vielfalt von Bedeutungen des Begriffs ἔξοδος kennzeichnet auch die Septuaginta, ja sie kennt sogar einige Bedeutungen, die sonst nicht belegt sind. Nur die wichtigsten seien hier genannt. So bezeichnet das Substantiv das »Hinausgehen« von Personen (z. B. Num 35,26; Ri 5,4; 3Kgt 2,37; 1Chr 20,1; Ez 47,3; Jdt 1,4; 13,3; 3Makk 5,26.27; Sir 50,5). Häufig ist auch die Verwendung von ἔξοδος in Kombination mit seinem Gegenteil εἴσοδος, um die Bewegung von »Eingang« und »Ausgang« zu bezeichnen. Eine solche Kombination beider Substantive kann sowohl wörtliche (1Kgt 29,6; 4Kgt 19,27; 2Chr 16,1; Ps 120[121],8; Jes 37,28) als auch übertragene Bedeutungen haben, z. B. 3Kgt 3,7: »Ich kenne meinen Ausgang und meinen Eingang nicht«, was bedeutet: »Ich weiß nicht, welche Richtung ich einschlagen soll«. Manchmal wird das Substantiv in Zusammenhängen verwendet, die für die Septuaginta charakteristisch sind, insofern als sie wörtliche Übersetzungen der hebräischen Vorlage darstellen. So bezeichnet ἔξοδος das Aufgehen der Sonne in Ri 5,31; Ps 18[19],7; Sir 43,2. In 2Esra 4,15 (MT Esra-Neh 4,15) bezieht sich das Wort auf das Erscheinen der Sterne, in Ijob 38,27 auf das Sprießen des Grases. In Spr 25,26 findet sich die Periphrase ὕδατος ἔξοδος (»Sprudeln des Wassers«, im Sinne von »Wasserquelle«), mit der das einzelne hebräische Wort ָמקוֹר, »Quelle«, nicht wörtlich übersetzt wird, wahrscheinlich um die Wiederholung des vom Übersetzer bereits im ersten Teil des Verses verwendeten Substantivs πηγή, »Quelle«, zu vermeiden. Es ist wahrscheinlich, dass auch in Spr 25,13 der Ausdruck ὥσπερ ἔξοδος χιόνος (»wie das Ausgehen / Fallen von Schnee«) vom Übersetzer aus Gründen der Klarheit und des Stils gewählt wurde, während der hebräische Text ְכִּצ ַנּת־ֶשֶׁלג, »wie die Frische von Schnee«, liest. Wie in der klassischen griechischen Literatur bezeichnet ἔξοδος in der Septuaginta nicht nur den Akt des Weggehens, sondern auch den »Ausgang«, verstanden als den physischen Ort, durch den man einen anderen verlässt. Ein solcher Gebrauch findet sich nur im Buch des Propheten Ezechiel, und zwar in Ez 42,11; 43,11; 44,5. Weiterhin bezeichnet ἔξοδος die Stellen, die aus einer bestimmten Perspektive als »außerhalb« gelten, so je nach Kontext die Straße (2Kgt 1,20; 22,43; 3Kgt 21[20],34; Spr 1,20; Jes 51,20; Jer 11,13; Klgl 2,19.21; 4,1.5.8.14) oder das Land oder die Landschaft außerhalb einer Stadt (Ps 143[144],13). Schließlich bezieht sich in einigen Texten ἔξοδος auf den Ausgangspunkt einer Bewegung und meint somit den Ursprung oder die Herkunft: 3Kgt 10,28; 2Chr 1,16; 9,28 (ἡ ἔξοδος τῶν ἵππων, »die Herkunft der Pferde« Salomos); 3Kgt 10:29 (die Herkunft der Wagen und Pferde aus Ägypten); Mich 5,1 (αἱ ἔξοδοι αὐτοῦ ἀπ᾽ ἀρχῆς, »seine [scil. des neuen Herrschers von Israel] Ursprünge liegen in der Vorzeit«). Zuletzt ist noch auf einen bestimmten katachrestischen Gebrauch von ἔξοδος aufmerksam zu machen. Entsprechend der ursprünglichen Bedeutung »Ausgang« kann sich das Wort auch auf das »Ende« im zeitlichen Sinne beziehen, z. B. in Ex 23,16 (ἐπ᾽ 92
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ἐξόδου τοῦ ἐνιαυτοῦ, »am Ende des Jahres«), 2Chr 23,8 (ἕως ἐξόδου τοῦ σαββάτου, »bis zum Ende des Sabbats«), schließlich »Ende des Lebens«, »Tod« in Weish 3,2; 7,6. Gerade letzterer Gebrauch begegnet u. a. noch mehrfach in antiker jüdischer Literatur. 2 Da dieser Gebrauch von ἔξοδος in der nichtbiblischen griechischen Literatur nicht bezeugt ist, mag man erwägen, ob er nicht in spezifisch jüdischen Kontexten beheimatet ist. 3 Auch dem Neuen Testament ist übrigens ein solcher Gebrauch von ἔξοδος noch bekannt (vgl. Lk 9,31; 2Petr 1,15), später auch der antiken christlichen Literatur. 4 Um zur Septuaginta zurückzukehren, ist es bemerkenswert, dass in Sir 38,23 der Ausdruck ἔξοδος πνεύματος zwar wörtlich »Ausgang des Geistes« zu bedeuten scheint, jedoch auf jemanden bezogen wird, der bereits verstorben ist. Umgekehrt wird in Sir 40,1 das Substantiv ἔξοδος in Bezug auf die Geburt verwendet, die als »Ausgang aus dem Mutterschoß« (ἔξοδος ἐκ γαστρὸς μητρός) bezeichnet wird. Die zuvor gesammelten Beobachtungen führen nicht nur zu dem Ergebnis, dass die Septuaginta das Wort ἔξοδος in sehr verschiedenartigen Zusammenhängen und mit den unterschiedlichsten Bedeutungen verwendet, sondern dass die Übersetzer und Autoren der jeweiligen Texte dem Substantiv mehrere neue Bedeutungen verleihen. Dies gilt auch für die vielleicht bekannteste Bedeutung des Wortes, von dem die beiden folgenden Abschnitte handeln.
3. Die spezifische Verwendung von ἔξοδος in der Septuaginta – Ἔξοδος als Bezeichnung des Auszugs Israels aus Ägypten Die bekannteste und zugleich sehr spezifische Bedeutung des Substantivs ἔξοδος im Sinne vom »Auszug« der Israeliten aus dem Land Ägypten hat die die modernen Sprachen bis zum heutigen Tag beeinflusst. Diese verwenden den Ausdruck »Exodus« ja häufig im Zusammenhang von der Not geschuldeten und unter problematischen Umständen verlaufenden Migrationen. Ein solcher Sprachgebrauch bahnt sich in der Septuaginta an, wiewohl das Wort noch nicht auf diese Bedeutung festgelegt ist, wie vorhin gezeigt wurde. In der Tat findet sich das Wort zur Bezeichnung des Gründungsereignisses der Geschichte Israels nur an einigen verstreuten Stellen: Ex 19,1; Num 33,38; 3Kgt 6,1; Ps 104[105],38; 113 [114],1. In allen fünf Passagen verwenden die Übersetzer das Substantiv ἔξοδος zur Wiedergabe des infinitivus constructus des Verbs ָיָצא, »hinausgehen«. Der hebräische Bibeltext spricht also verbal vom »Hinausgehen« der Israeliten, kennt aber kein entsprechendes Substantiv.
2. 3. 4.
Philo: Virt. 77; Test. Iob 47.11 (Mss. S und V); Josephus. Ant. IV. 189 (ἐπ’ ἐξόδου τοῦ ζῆν, »am Ende des Lebens [des Moses]«). Vgl. auch Bons: Beobachtungen, 152. Vgl. Justin: Dial. 105,3.5, Bobichon I, 468; Clemens Alex.: Strom. III, 9,65 und IV, 4,14, GCS 52, 226.254; Origenes: Hom. Jer. 7.1.30, SC 232,342; Eusebius Caes.: H.e. V, 1,36.55 und V, 2,3, GCS 9/1, 416.424.428. Zu den verschiedenen Bedeutungen von ἔξοδος und Beispielen in der antiken christlichen Literatur vgl. vor allem Lampe: Lexicon, 498.
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Dass das Wort ἔξοδος erst allmählich zu einem terminus technicus wird, zeigt folgende Beobachtung: Wo es sich auf den »Auszug« des Volkes Israel aus Ägypten bezieht, begegnet ἔξοδος meist in festen Wendungen, die das Subjekt dieses Auszugs im Genitiv ausdrücken und den Ort des Auszugs durch die Präposition ἐκ einleiten. In Ex 19,1 und Num 33,38 wird wie folgt formuliert: τῶν υἱῶν Ισραηλ ἐκ γῆς Αἰγύπτου ([Auszug] »der Kinder Israels aus dem Land Ägypten«). In 3Kgt 6,1 variiert die Formulierung nur geringfügig: υἱῶν Ισραηλ ἐξ Αἰγύπτου ([Auszug] »der Kinder Israel aus Ägypten«). In Ps 113[114],1 dagegen wird die Formulierung durch weitere Elemente angereichert: Ισραηλ ἐξ Αἰγύπτου οἴκου Ιακωβ ἐκ λαοῦ βαρβάρου ([Auszug] »Israels aus Ägypten, des Hauses Jakob, aus einem fremden Volk«). Das bedeutet, dass das Substantiv ἔξοδος mit weiteren Elementen versehen werden muss, damit es eindeutig den Auszug Israels aus Ägypten bezeichnen kann. 5 Anders stellt sich die Situation jedoch in Ps 104[105],38 dar, wo der Terminus ἔξοδος gleichsam absolut gebraucht wird, und zwar in der Formulierung ἐν τῇ ἐξόδῳ αὐτῶν, »im [Augenblick] ihres [d. h. der Israeliten] Auszugs«. Drei zusätzliche Beobachtungen verdienen hier weitere Aufmerksamkeit: a) In den drei Belegen Ex 19,1; Num 33,38 und 3Kgt 6,1 wird der Exodus zu einer Art »Jahr Null«, das einen Wendepunkt in der Geschichte Israels darstellt. Dieser Wendepunkt ermöglicht es, ein »Vorher« und ein »Nachher« in Israels Geschichte als Volk des Bundes zu definieren. Bezeichnend ist in dieser Hinsicht vor allem 3Kgt 6,1. Dort wird ein Ereignis erwähnt, das in eine Epoche eingeordnet wird, die vom Auszug Israels aus Ägypten zeitlich weit entfernt ist, und zwar die Anlage der Fundamente des ersten Jerusalemer Tempels. Letztlich bleibt aber auch hier der Exodus der zeitliche Bezugspunkt, von dem aus gerechnet wird. Viele Jahrhunderte später wird eine ähnliche Unterscheidung mit den Begriffen »vor Christus« und »nach Christus« getroffen werden. b) Bemerkenswert ist, dass in der klassischen griechischen Literatur die Verwendung von ἔξοδος im Sinne von »Migration« von Gruppen oder Völkern sehr selten ist. Besonders signifikant sind in dieser Hinsicht zwei Passagen aus Herodots Historiae (I, 94 und IV, 11). Dort bezieht der Begriff sich auf den Wegzug eines großen Teils der Einwohnerschaft aus dem Gebiet der betreffenden Stadt (ἔξοδος ἐκ τῆς χώρης). Aufgrund äußerer Umstände wird ein solcher ἔξοδος als unvermeidlich angesehen, aber in Erwartung einer besseren Zukunft für die Bevölkerung dennoch unternommen. In diesen Texten mag man eine gewisse Parallele zu der Situation zu erkennen, die am Anfang des Buches Exodus anklingt, so in Ex 2,23, wo von der Not der zur mühseligen Arbeit verpflichteten Israeliten die Rede ist. Auch in diesem Falle bedeutet der ἔξοδος den Aufbruch in eine bessere Zukunft. Man wird nicht ausschließen können, dass den alexandrinischen Übersetzern der Bibel ein solcher Gebrauch des Wortes ἔξοδος bekannt war. c) In der Vulgata verwendet Hieronymus an den drei Stellen Ex 19,1, Num 33,38 und 3Kgt 6,1 eine fast identische Formel: egressio Israhel / filiorum Israhel de terra Aegypti / ex Aegypto. Was seine Übersetzung von Ps 104[105],38 und 113[114],1 betrifft, so bevorzugt Hieronymus im Psalterium Gallicanum (= Psalterium iuxta LXX) die 5.
Zum Unterschied zwischen der Septuaginta und dem Masoretentext des Verses vgl. Seiler: Psalm 113[114; 115], 1819-1822, bes. 1819.
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Exodus
Verwendung von Substantiven (profectio und exitus) in Übereinstimmung mit dem griechischen Text der beiden Psalmen. Im Falle des Psalterium iuxta Hebraeos dagegen wird ein Verb (egredior) eingesetzt, in Übereinstimmung mit dem hebräischen Text der beiden Passagen. 6 Das bedeutet, dass in der lateinischen Terminologie zunächst noch nicht das Lehnwort exodus verwendet wird, um den Auszug der Israeliten aus Ägypten zu bezeichnen.
4. Ἔξοδος als Bezeichnung des Auszugs Israels aus Ägypten in jüdisch-hellenistischen Schriften, im Neuen Testament und in der frühen christlichen Literatur Die spezifische Verwendung von ἔξοδος als Termins zur Bezeichnung von Israels Auszug aus Ägypten hat zwar seine Ursprünge in der Septuaginta-Übersetzung des Pentateuchs, insbesondere in Ex 19,1 und Num 33,38, setzt sich aber erst in späterer Zeit allmählich durch. Es findet sich noch innerhalb stereotyper Formeln in den Testamenta XII Patriarcharum, wenn von einem Zeitraum bis zum Auszug aus Ägypten die Rede ist, so im Testamentum Symeon 9.1 (ἕως ἡμέρας ἐξόδου αὐτῶν ἀπ᾽ Αἰγύπτου, »bis zum Tag ihres Auszugs aus Ägypten«) und im Testamentum Beniamin 12.4 (ἕως ἡμέρας ἐξόδου αὐτῶν ἐκ γῆς Αἰγύπτου, »bis zum Tag ihres Auszugs aus dem Land Ägypten«). Außerdem findet sich eine entsprechende Formulierung im späten, wahrscheinlich aus dem zweiten oder dritten Jh. n. Chr. stammenden Testamentum Salomonis 25.5 7 (ἐν τῇ ἐξόδου τῶν υἱῶν Ἰσραήλ, »beim Auszug der Kinder Israels«). Das Substantiv ἔξοδος erscheint weiterhin mindestens einmal in der Tragödie ’Εξαγωγή, die einem gewissen Ezechiel, »Ezechiel dem Tragiker« (spätes 2. Jh. v. Chr.), zugeschrieben wird. Dieser sonst unbekannte Autor, der dem jüdisch-hellenistischen Kulturraum entstammt und wahrscheinlich in Alexandria wirkte, greift die in Ex 1-15 dargestellten Begebenheiten auf. 8 Dabei verwendet er das Substantiv ἔξοδος ohne weitere Angaben, um das spezifische Ereignis des Exodus zu bezeichnen (V. 191): καὶ τοῦδε μηνὸς ἔξοδον διδοῖ θεός, »und Gott gibt den Exodus in diesem Monat« 9. Dabei ist auffällig, dass gemäß dem folgenden V. 192 dieses Ereignis als Anfang der Zählung von Monaten und Zeiten dienen soll (ἀρχὴ δὲ μηνῶν καὶ χρόνων οὗτος πέλει). Der unbekannte Autor setzt damit eine Tradition fort, die in der Septuaginta ihren Anfang nahm und wonach der Auszug Israels aus Ägypten gleichsam den Nullpunkt in der Geschichte Israels darstellt (s. o.). Auch der jüdische Philosoph Philo von Alexandrien verwendet das Substantiv ἔξοδος ohne weitere erklärende Elemente, etwa »Ägypten«, so in seinem Werk De Migratione Abrahami 15. Bevor dort Mose das Volk Israel zur Befreiung führt, hat Gott es über seinen Auszug (τὰ περὶ τὴν ἔξοδον) unterrichtet. Dabei wird das Heilsereignis des Exodus allegorisch als Befreiung der Seele aus der Herrschaft des Körpers, sym6. 7. 8. 9.
Zu den von Hieronymus angefertigten Psalmenübersetzungen vgl. z. B. Schulz-Flügel: Hieronymus, 33-50. Vgl. Denis: Introduction, I, 536-539, bes. 538. Vgl. Denis: Introduction, II, 1201-1216. V. 191 bei Eusebius Caes.: Praep. ev. IX, 29, 13, GCS 43/1,534. Vgl. die Parallele in Ex 12,17.
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Termini und Themen der Septuaginta
bolisiert durch Ägypten, gedeutet. In Philos Werk De vita Mosis erscheint an zwei Stellen (1.105 und 1.122) die Konstruktion von ἐπιτρέπω (im Sinne von »gewähren«) mit dem Akkusativ τὴν ἔξοδον sowie dem Dativ, der die Personen bezeichnet, denen der Auszug gewährt wird (ähnlich 2.248). Dabei ist es völlig eindeutig, dass es sich um den Auszug Israels aus Ägypten handelt. 10 Vor allem ab dem 1. Jh. n. Chr. scheint sich ἔξοδος als Terminus für den Auszug Israels aus Ägypten zu etablieren, wie seine häufige Verwendung mit dieser Bedeutung bei Flavius Josephus zeigt (z. B. Ant. II, 271.309.312; III, 61; V, 261; VIII, 61). Gerade in Ant. VIII, 61 wird auf 3Kgt 6,1 Bezug genommen und das beschriebene Ereignis – der Beginn des Tempelbaus – anhand des Auszugs der Israeliten aus Ägypten datiert, hier allerdings mit einer anderen Zahl als im biblischen Text. In seinem apologetischen Werk Contra Apionem (Ap. II, 17), geht es Flavius Josephus um die exakte Datierung des Auszugs der Israeliten aus Ägypten, wobei hier das Substantiv ἔξοδος ohne weitere Angaben steht. Wenn auch aus dem Kontext eindeutig hervorgeht, welches Ereignis gemeint ist, dürfte spätestens an dieser Stelle deutlich werden, dass das Substantiv zum terminus technicus geworden ist. 11 Im Neuen Testament wird zwar das Exodus-Ereignis selbst erwähnt, etwa in der Stephanus-Rede in der Apostelgeschichte (Apg 7,20-36), aber das Substantiv ἔξοδος begegnet dort nicht. Mit Bezug auf den Auszug Israels aus Ägypten kommt es nur einmal vor, und zwar in Hebr 11,22 (περὶ τῆς ἐξόδου τῶν υἱῶν Ἰσραήλ ἐμνημόνευσεν [»er erinnerte sich an den Auszug der Söhne Israels«]). Dieser spezifische Gebrauch verbreitet sich in der christlichen Literatur der ersten Jahrhunderte. 12
5. Die griechische und lateinische Bezeichnung des zweiten Buchs der Bibel Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass das zweite Buch der Bibel im Hebräischen bekanntlich mit dem Titel ְשׁמוֹת, wörtlich »Namen«, bezeichnet wird, gemäß dem ersten Substantiv des Textes: »Dies sind die Namen der Israeliten«. In der christlichen Literatur griechischer Sprache wird dagegen Ἔξοδος auch bald zum Titel des zweiten Buches des Pentateuchs. Man wählte also das Wort, das das zentrale Ereignis bezeichnet, das in diesem Buch beschrieben wird. Jedoch ist der Titel nur in christlichen Quellen bezeugt. Die ersten Belege finden sich bei Justin. 13 Nach dem Zeugnis des Eusebius von Cäsarea kennt auch Origenes die Bezeichnung Ἔξοδος für das zweite Buch der
10. Vgl. auch die Konkordanz von Borgen / Fuglseth / Skarsten: The Philo Index, 134. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass Philo nicht nur den Terminus ἔξοδος verwendet, wenn er vom Auszug der Israeliten aus Ägypten spricht, sondern auch das Substantiv ἀποικία, eigentlich »Kolonie«, z. B. in Vit.Mos. I, 71. 11. Zu anderen Belegen von ἔξοδος bei Flavius Josephus vgl. Rengstorf: Concordance, I, 669670. 12. Z. B. Clemens Alex.: Strom. I, 21/136, GCS 52, 84; Origenes: Cels. IV, 47, 25-26, SC 136, 306; Epiphanius: Haer. VIII, 5,3; IX, 2,1, GCS 25, 190.198. 13. Justin: Dial. 59.1.2; 75.1; 126.2; 128.1, Bobichon I, 342.390.524.528.
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Exodus
Bibel. 14 In latinisierter Form Exodus dringt der Titel auch in die christliche Literatur lateinischer Sprache ein, so bei Hieronymus 15, und wird somit – wiewohl griechischen Ursprungs – zur üblichen Bezeichnung des biblischen Buches auch im Bereich der westlichen Kirchen.
14. Eusebius Caes.: H.e. VI, 25,2, GCS 9/2, 572. 15. Hieronymus: Ep. 53,8,1, CSEL 54, 454.
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2.1.6 Götterbild Stefanie Peintner Literatur Textausgaben und Übersetzungen Becker, Jürgen: Die Testamente der zwölf Patriarchen, JSHRZ III/1, Gütersloh 1980 – van Henten, Jan Willem: Flavius Josephus. Translation and Commentary, Vol. 7B, Judean Antiquities 15, Leiden/Boston 2014. Athenagoras: Legatio pro Christianis, ed. Miroslav Marcovich, PTS 31, Berlin / New York 1990 – Justinus Martyr: Apologie pour les Chrétiens, ed. Charles Munier, SC 507, Paris 2006.
Weitere Literatur Fischer, Moshe / Jackson-Tal, Ruth E.: A Glass Pendant in the Shape of Harpokrates from Yavneh-Yam, Israel, Journal of Glass Studies 35 (2003), 35-40 – Griffith, Terry: ΕΙΔΩΛΟΝ as ›Idol‹ in Non-Jewish and Non-Christian Greek, JThS 53 (2002), 95-101 – Griffith, Terry: Keep Yourselves from Idols: A New Look at 1 John, JSNT.S 233, London / New York 2002 – Grimm, Jacob / Grimm, Wilhelm: Deutsches Wörterbuch (Glibber-Gräzist, Bd. 8), München: Nachdruck 1984 – Haacker, Klaus: Die Apostelgeschichte, ThKNT 5, Stuttgart 2019 – Harl, Marguerite / Casevitz, Michel: ἄγαλμα, in: Eberhard Bons (ed.), Historical and Theological Lexicon of the Septuagint. Bd. 1: Alpha – Gamma, Tübingen 2020, 13-24 – Lust, Johan: Idols? גלוליםand εἴδωλα in Ezekiel, in: Hans Ausloos / Bénédicte Lemmelijn / Marc Vervenne (ed.), Florilegium Lovaniense. Studies in Septuagint and Textual Criticism in Honor of Florentino García Martínez, BEThL 224, Leuven 2008, 317-333 – Peintner, Stefanie: »Aber nicht wie die Ägypter formierte er seine Kunstwerke aus Backstein und Granit …« Bild-Gottheiten in der Septuaginta, in: Johann Cook / Martin Rösel (ed.), Toward a Theology of the Septuagint. Stellenbosch Congress on the Septuagint 2018, SCS 74, Atlanta 2020, 142-146 – Plangger, Stefanie: Gott im Bild. Eidôlon – Studien zur Herkunft und Verwendung des Septuagintabegriffes für das Götterbild, Diss. theol., Universität Straßburg 2018 – Rösel, Martin: »Du sollst die Götter nicht schmähen!« (LXX Ex 22,28[27]). Die Übersetzung Gottes und der Götter in der Septuaginta, in: Melanie Lange / Martin Rösel (ed.), Der übersetzte Gott, Leipzig 2015, 5468 – Scheer, Tanja Susanne: Die Gottheit und ihr Bild. Untersuchungen zur Funktion griechischer Kultbilder in Religion und Politik, Zetemata 105, München 2000 – Seeligmann, Isac Leo: The Septuagint Version of Isaiah and Cognate Studies, FAT 40, Tübingen 2004 – Vernant, Jean-Pierre: Figuration et image, Métis 5 (1990), 225-238 – Vogel, Manuel: Einführung, in: Eckart Reinmuth (ed.), Joseph und Aseneth, SAPERE XV, Tübingen 2009, 3-31 – Woyke, Johannes: Götter, ›Götzen‹, Götterbilder. Aspekte einer paulinischen ›Theologie der Religionen‹, BZNW 132, Berlin 2005.
1. Einleitung In den modernen Sprachen bezeichnet »idol« (Englisch) und »idole« (Französisch) bis in die Gegenwart ein »Götterbild«. Beide Begriffe gehen zurück auf latinisierte Formen (idolum) des griechischen Begriffs εἴδωλον, der in der Septuaginta zu einem terminus 98
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Götterbild
technicus für das Götterbild wird. 1 In der deutschen Sprache versteht man unter »Idol« in erster Linie eine Person, die einen »Personenkult« genießt, wobei Spuren des antiken Wortsinnes erhalten bleiben. Der Idolbegriff betont stärker als der Ausdruck Ikone (εἰκών) das Moment der Verehrung, und genau darin liegt die Krux: die Kombination aus Adoration und Bildhaftigkeit steht im Widerspruch mit der alttestamentlichen Theologie der bildlosen Alleinverehrung JHWHs. Als Standardäquivalent in der deutschen Sprache hat sich durch Martin Luthers Bibelübersetzung die Wortschöpfung »Götze« bzw. »Götzenbild« eingebürgert. Die stark pejorative Konnotation des Begriffes »Götzen« 2 als Übersetzung für die biblischen Termini, die Fremdgötter und deren bildliche Darstellungen bezeichnen, ist jedoch als problematisch zu bewerten.
2. Der Terminus εἴδωλον in nichtjüdischen Quellen In der Septuaginta dient der Terminus εἴδωλον als Bezeichnung für Fremdgottheiten, wobei das Hauptaugenmerk auf deren sichtbarer Erscheinungsform liegt. Im Unterschied zu θέος »Gott« sind damit eindeutig andere Gottheiten gemeint. Der Begriff εἴδωλον bringt dabei die Verschmelzung von Gottheit und Bild zum Ausdruck: Das Substantiv kann nämlich sowohl fremde Götter als auch deren Kultbilder benennen. Die Verbindung bzw. das Ineinanderfließen von Gottheit und Bild zeichnet den Begriff εἴδωλον in dieser Hinsicht besonders aus. Unabhängig vom Kontext kann die »sichtbare Erscheinungsform«, die dem Begriff zugrunde liegt (»[er]scheinen«, »gleichen«) 3, als gemeinsamer Nenner der verschiedenen Erwähnungen eines εἴδωλον betrachtet werden. Der Ausdruck kann alle Formen von handwerklich hergestellten Bilddarstellungen bezeichnen, aber auch »mentale Bilder«. 4 In der griechischen Literatur wird εἴδωλον mit einer Vielfalt von konkreten Bedeutungen verwendet, so die sichtbare Existenzweise eines Verstorbenen im Hades als »Schatten-« oder »Spiegelbild« (Od. 11.476, 601-602; 24.14; Il. 23,72) 5 bei Homer oder bei Platon im Kontext der schöpferischen Tätigkeit Gottes die Unterscheidung von »nachahmenden Abbildern« und der Wirklichkeit selbst (Soph. 265b-266d), schließ-
1. 2.
3.
4. 5.
Vgl. Rösel: »Du sollst die Götter nicht schmähen!«, 62 (mit Hinweis auf Seeligmann: The Septuagint Version of Isaiah, 263). Nach dem Grimm’schen Wörterbuch lauten die Grundbedeutungen von Götze »Dummkopf«, »Bildwerk«, »Abgott«, vgl. Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 8, 431. Als alternative Übersetzungen wären »Bild-Gottheiten« (in Kontexten, in denen Fremdgottheiten selbst im Vordergrund stehen) oder »Götter(bilder)« (primär Bilddarstellungen von fremden Göttern) zu bevorzugen. Vgl. T. Griffith: ΕΙΔΩΛΟΝ as ›Idol‹, 99. Nach Vernant: Figuration, 233, drückt der Terminus εἴδωλον drei Arten von Phänomenen aus: « l’apparition surnaturelle, phasma, le songe, oneiros (onar), l’âme-fantôme des défunts, psuché. » Siehe Vernant: Figuration, 228. Vgl. dazu Plangger: Gott im Bild, 24-25. Vgl. zur Verwendung von εἴδωλον in der griechischen Literatur auch Woyke: Götter, ›Götzen‹, Götterbilder.
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lich als »Spiegelbilder« der Menschen (vgl. das Höhlengleichnis in Resp. 532b). 6 Die Epikureer verwenden den Ausdruck zur Erklärung des Sehvorgangs. 7 Lange galt der kultische Kontext als Charakteristikum jüdisch-christlicher Texte, wofür insbesondere das griechische Alte Testament eine entscheidende Rolle spielte. Wenngleich der kultische Gebrauch von εἴδωλον in der klassischen griechischen Literatur eher selten vorkommt, ist er dennoch nicht unbekannt. 8 Ein standardisierter Ausdruck für das Götterbild existierte nämlich offenbar gar nicht. Welcher Begriff jeweils verwendet wurde, hing stattdessen stark von den Vorlieben des einzelnen Autors ab. 9 Erwähnenswert sind zuletzt die Belege von εἴδωλον in Texten, die die Kultbildtheologie Ägyptens betreffen. Danach ist die Gottheit im Bild präsent, dem sie gleichsam einwohnt. 10
3. Der Begriff εἴδωλον in der Septuaginta Die Wahl von εἴδωλον durch die Übersetzer ist wahrscheinlich theologisch begründet, da mit diesem Ausdruck alle wesentlichen Elemente der Fremdgötterthematik abgedeckt sind: Die Zugehörigkeit zum Fremdartigen, die Bildhaftigkeit und eine Nähe zur Divination sind die wesentlichen Konnotationen, die den Gebrauch des Wortes εἴδωλον prägen, das häufig im kultischen Kontext begegnet. 11
3.1 Die hebräischen Äquivalente von εἴδωλον Die Vielzahl von hebräischen Äquivalenten lässt auf Seiten der Übersetzer eine starke Tendenz erkennen, die Terminologie zu vereinheitlichen. Mit nur einem einzigen Begriff können anscheinend wesentliche Aspekte der »anderen« Götter erfasst werden. Die zahlreichen hebräischen Entsprechungen lassen sich grob in drei Wortfelder einordnen. Das erste betrifft die bildlichen Repräsentationen und umfasst Termini wie עצב »Götterbild«, und פסל, »Kultbild«, »behauene oder geschnitzte, teilweise mit Metall überzogene Götterskulptur«, weiterhin צלם, »Statue« oder גלולים, »Götterbilder« wie auch künstlich gebildeter Spottname: »Mistdinger«. Außerdem fungiert εἴδωλον als Vgl. Plangger: Gott im Bild, 28. Plangger: Gott im Bild, 28. So überzeugend Griffith: ΕΙΔΩΛΟΝ, 95-101. Das Fehlen eines allgemeinen Kultbildbegriffes lag möglicherweise am Mangel eines verbindlichen Buches als Zentrum der Religiosität, vgl. Scheer: Gottheit, 33-34. Die Annahme, ein neutraler allgemeiner Götterbildbegriff wie ἄγαλμα »Schmuckstück«, »Götterbild«, »Statue«, sei in der LXX bewusst vermieden worden, lässt sich nicht halten. Siehe ausführlich dazu Peintner: »Aber nicht wie die Ägypter«, 142-146. Weitere griechische Wörter für das Götterbild oder die Götterplastik sind ξόανον »Schnitzbild« und εἰκών »Abbild«, auch ἵδρυμα »Geweihtes«, vgl. ausführlich Scheer: Gottheit, 19. 10. In den Papyri ist εἴδωλον als Götter(bild)bezeichnung bezeugt, und Kultstatuen werden darin mit Gottheiten identifiziert, vgl. P.Strasb. 2.91; P.Worp 7; PSI 8.901. Vgl. dazu Peintner: »Aber nicht wie die Ägypter«, 144; Plangger: Gott im Bild, 40-51. 11. Möglicherweise ist εἴδωλον Teil eines jüdischen Soziolekts, vgl. dazu LXX.H 3, Septuagint Greek and the Jewish Sociolect in Egypt, 246-256. 6. 7. 8. 9.
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Äquivalent für Götterbezeichnungen, z. B. als Wiedergabe für אלהים, »Gott«, »göttliches Wesen«, בעל, »Baal« (im Plural als Zusammenfassung für Fremdgottheiten) oder אליל, »Göttlein«, »nichtige Götter« mit einer abwertenden Konnotation. Stark pejorativ ist der Ausdruck שׁקץmit der Grundbedeutung »abscheulich, verabscheuen« (»Scheusale«). Das dritte Wortfeld umfasst schließlich das Kultvokabular wie etwa במה, »kleine Erhebung zu kultischem Gebrauch«, »Kultstätte«, oder חמן, »Kultgegenstand«, »Kultgebäude« (im Kontext eines Höhenheiligtums). Im Unterschied dazu hat der teilweise synonym zu εἴδωλον verwendete Terminus εἰκών »Bild«, »Abbild« nur hebräische Äquivalente, die den bildlichen Repräsentationen zuzuordnen sind, und zwar vor allem צלם, so in Gen 1,26.27 und häufig im Buch Daniel. 12
3.2 Die Vielfalt an Bedeutungen und Kontexten von εἴδωλον innerhalb der Septuaginta Das wesentliche Kennzeichen von εἴδωλον ist seine hohe Affinität gegenüber dem »Fremdartigen«, präziser den »Fremdgottheiten«. Ein εἴδωλον ist stets ein Fremdkörper für Israel. So sind zum Beispiel in Gen 31,18.34.35 εἴδωλα im Besitz von Laban, dem Aramäer. Ein Charakteristikum des Ausdrucks, das auch an dieser Stelle anklingt, ist der Zusammenhang mit dem Phänomen der Divination (in Genesis 31 besonders durch das Äquivalent [» תרפיםmenschliche] Statuetten« 13). Im Buch Numeri (Num 25,1-3) werden die εἴδωλα den Moabiterinnen zugeordnet: Es kommt dabei zu einem zweifachen »Fremdgehen«, einerseits durch den Verkehr mit den Moabiterinnen und andererseits gegenüber Gott, von dem die Israeliten zugunsten Baal-Peors abfallen. Die Thematik des drohenden, möglichen oder erfolgten Abfalls zu den εἴδωλα anderer Völker begegnet auch in anderen Texten, vgl. 3 Kgt 11,2; Jer 9,13; Dan 3,12LXX; Ps 151,6LXX [Bild-Gottheiten Goliats]). Zur Gestalt der εἴδωλα sagen diese Texte jedoch wenig aus. Aus 2 Makk 12,40 kann man allerdings folgern, dass man unter εἴδωλα auch »Götterminiaturen« auf Amuletten verstehen konnte 14; in anderen Fällen dürfte man mit Statuen rechnen. Das Lexem εἴδωλον lässt sich weiterhin auch in autoritativen Texten wie dem zweiten Dekaloggebot in Ex 20,4 und Dtn 5,8 beobachten. Eigentlich würde man anstelle von εἴδωλον die wörtliche Übersetzung von פסל, »etwas Behauenes oder Geschnitztes«, mit γλυπτόν erwarten. Die Wahl von εἴδωλον erlaubt es aber, sowohl die Konnotationen des Fremden wie des Bildhaften herzustellen. Dass die εἴδωλα als »Nichtgott« (οὐ θεός) näher charakterisiert werden können, geht aus dem Moselied (Dtn 32,21) hervor, wo gesagt wird, dass Israel JHWH mit ihnen »eifersüchtig« gemacht hat. 12. Für die griechische Sprache weist Vernant: Figuration, 225-238, auf die Gemeinsamkeiten zwischen εἴδωλον und εἰκών hin. Die Ausdrücke εἰκών »Bild« oder ἄγαλμα »Statue« können daher nicht generell als positiv konnotiert im Gegensatz zu εἴδωλον gelten. Ausführlicher zu den hebräischen Äquivalenten siehe Plangger: Gott im Bild, 52-69. 13. Der Diebstahl Rachels ist rabbinischen Texten zufolge ein bewusster Akt, damit Laban keine Orakelbefragung über Jakobs Fluchtort machen kann. Auch der Kontext spricht für diese Deutung, vgl. ausführlich mit weiteren Beispielen Peintner: »Aber nicht wie die Ägypter«, 150. 14. Zum archäologischen Befund vgl. Fischer / Jackson-Tal: A Glass Pendant, 35-36.
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Das Buch Ezechiel stützt das Verständnis von εἴδωλον als Kultbegriff. In unterschiedlichen Textpassagen, die ein kultischer Kontext alle miteinander verbindet, ist es die bevorzugte Wiedergabe für den hebräischen Begriff גלולים. 15 In Ez 6,4-6 sind die εἴδωλα als materielle, konkrete Objekte wesentlicher Bestandteil eines Höhenheiligtums, das neben einem Kultinventar aus Altären und heiligen Bezirken besteht. Die Herstellung und Verehrung von Kultbildern ist auch ein Zuwiderhandeln gegen den Schöpfergott, wie man aus Hosea 13 folgern kann. In diesem Text wird vermutlich eine unangemessene imitatio Dei kritisiert. Die Anspielung auf den Schöpfungsakt Gottes wird in der Septuaginta durch die Wendung κατ᾽ εἰκόνα ausgedrückt: (Hos 13,2). Die εἴδωλα stehen sozusagen als Prototyp bzw. Modell für konkrete »Gussbilder« oder »Schnitzbilder« (γλυπτά); auf Gottes schöpferisches Wirken wird dagegen in dem schöpfungstheologischen Septuaginta-Zusatz in Hos 13,4 Bezug genommen. 16 Zusammenfassend kann man feststellen, dass die feinen Nuancen der hebräischen Götter(bild)terminologie in der Septuaginta allesamt im griechischen Begriff εἴδωλον zusammenfließen. Wie ein roter Faden zieht sich durch die Belege durch, dass zwischen der Gottheit selbst und ihrer sichtbaren Erscheinungsform eine unauflösliche Verbindung besteht. 17
4. Der Begriff εἴδωλον im hellenistischen Judentum 4.1 Joseph und Aseneth In Joseph und Aseneth 18 ist die Rede von der Abkehr Aseneths, einer ägyptischen Priestertochter, von der Idolatrie hin zur Bekehrung zum wahren Gott, dem »Gott der Hebräer«. In der Darstellung von Aseneths Konversion vom Polytheismus zum Monotheismus lässt sich ein synonymer Gebrauch zwischen den θεοί, den Göttern, und den εἴδωλα Ägyptens beobachten. In Aseneths Gemach befanden sich an den Wänden οἱ θεοὶ τῶν Αἰγυπτίων, »die Götter der Ägypter« (unzählbar und aus den Materialien »Silber und Gold«, χρυσοῖ καὶ ἀργυροῖ). Aseneth verehrte sie und brachten ihnen Opfer dar. Es handelte sich bei den εἴδωλα offenbar um Statuetten, die die betreffenden Gottheiten repräsentierten. In JosAs 10,12 bekehrt Aseneth sich in einem Akt des »Bildersturmes«: Sie warf »all die Götter(bilder) der Ägypter« (πάντα
15. Vgl. Lust: Idols?, 324. 16. Zur engen Verflechtung von bundestheologischer und schöpfungstheologischer Argumentation gegen Fremdgottheiten, siehe Peintner: »Aber nicht wie die Ägypter«, 156-159. Weitere Kategorien zum Bedeutungsverständnis von εἴδωλον, ebd., 146-159; ausführlicher in Plangger: Gott im Bild, 268-280. 17. Die Begriffswahl in der LXX kann als theologisch und kulturell bedingte Übertragung betrachtet werden, vgl. ausführlicher Peintner: »Aber nicht wie die Ägypter«, 153-154; Plangger: Gott im Bild, 149-156. 18. Zur Diskussion über die Datierung siehe Vogel: Einführung, 13-15. Dieser grenzt mit »Vorsicht« den »Entstehungszeitraum von JosAs auf die 2. Hälfte des 1. Jh. n. Chr. und die ersten Jahre des 2. Jh. …« ein (15).
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τὰ εἴδωλα τῶν Αἰγυπτίων) zusammen mit »allen goldenen und silbernen Göttern« (πάντας τοὺς θεοὺς αὐτῆς […] τοὺς χρυσοῦς καὶ ἀργυροῦς) aus dem Fenster. Ein weiteres Element ihrer Götterverehrung lässt sich in JosAs 3,6 anhand der Beschreibung von Aseneths Schmuck beobachten: Die Namen der ägyptischen Götter waren darauf eingraviert und stellten die »Angesichter aller Götterbilder« (εἴδωλα) dar (vgl. dazu die Götterminiaturen in 2 Makk 12,40). Eindeutig ist an dieser Stelle der Repräsentationscharakter der εἴδωλα für die betreffenden Fremdgottheiten bezeugt. In der Erzählung Joseph und Aseneth wird somit das Charakteristikum der Bildhaftigkeit der Fremdgötter, wie es in der Septuaginta erkennbar ist, bestätigt. Zugleich zeigt sich einmal mehr die »Komplexität« der εἴδωλα, insofern in ihnen eine Verschmelzung von Gottheit und Bild stattfindet. Doch gerade diese Verschmelzung wird von der einschlägigen Kritik an den εἴδωλα, wie sie auch diese Erzählung kennt, bestritten. Denn Aseneth kommt zur Einsicht, dass die εἴδωλα nur vermeintliche Götter sind, εἴδωλα κωφὰ καὶ νεκρά, »stumme und tote Götter(bilder)« (JosAs 13,11), unfähig zur Kommunikation im Unterschied zum lebendigen Schöpfergott. Die Argumente, die in anderen Texten in hymnischer oder eher abstrakter Diktion ausgedrückt wird (vgl. Ps 113,12-15LXX; 134,15-17LXX; Weish 15,15), werden somit in der Erzählung der konversionswilligen Ägypterin in den Mund gelegt. 19
4.2 Die Testamente der Zwölf Patriarchen Die Textsammlung, die in einem semitisierenden Griechisch verfasst wurde, stammt ursprünglich aus dem 2. Jh. v. Chr. (»nach 200 und vor 174 v. Chr.«) und enthält christliche Bearbeitungen. 20 Im Testament Josephs will Potiphars Frau durch ihr Versprechen, die εἴδωλα zu verlassen, Joseph zum Ehebruch verleiten (TestJos 4,5). Der Text erinnert an das Fremdgehen Israels mit den Moabiterinnen in Num 25,1-3 in der Septuaginta-Fassung. Hier wie dort geht es um unerlaubte sexuelle Beziehungen mit Fremden. Im Unterschied zu Num 25,1 ist in TestJos 4,5 jedoch von der Abkehr von den εἴδωλα die Rede. Die Zusicherung, von diesen abzulassen und allein dem Gott Josephs zu dienen, wird allerdings unglaubwürdig, wenn sie an die Verführung Josephs gebunden ist (vgl. TestJos 6,5). Das Problem unerlaubter sexueller Beziehungen spielt auch eine Rolle im Testament Rubens. In TestRub 4,6 wird wiederum ein Zusammenhang zwischen einer unerlaubten sexuellen Beziehung (πορνεία) und der Verehrung der εἴδωλα hergestellt, insofern als beide den Menschen von Gott entfernen. Zuvor, in TestRub 3,10-15, hatte Ruben vom unerlaubten Verkehr mit Bilha, der Nebenfrau seines Vaters Jakob, berichtet (vgl. Gen 35,22). In TestJud 19,1 schließlich wird die Geldgier (φιλαργυρία) verantwortlich gemacht für die Hinwendung zu den εἴδωλα.
19. Vgl. dazu Woyke: Götter, 91-92; zu den Belegen von εἴδωλον in den Sybillinischen Orakeln, siehe ebd. 93-94. 20. Vgl. Becker: Testamente, 25.
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4.3 Philo von Alexandrien Im Werk des jüdischen Philosophen Philo von Alexandrien kommen Gottheiten und Götterbilder in unterschiedlichen Zusammenhängen vor sowie mit einem breit gefächerten Vokabular. In Schriftzitaten folgt er der Septuaginta-Terminologie, wie etwa aus Spec.leg. I, 25 hervorgeht, wo Lev 19,4 zitiert wird: »Folgt nicht den εἴδωλα, und stellt keine gegossenen Götter her« (θεοὶ χωνευτοί, s. o.). In Leg.All. II, 46 deutet Philo die Erzählung von Rachels Diebstahl der εἴδωλα, also der »Figurinen«, die sich im Besitz Labans befanden (vgl. Gen 31,19.34.35). Philo lässt in die biblische Erzählung auch seine allegorische Auslegung einfließen: Die sich auf die εἴδωλα niederlassende Rachel verkörpert die »Sinnlichkeit« (αἴσθησις), die den Geist (νοῦς) und nicht Gott als Urheber der Bewegungen betrachtet. 21 In Conf. 74, wo Philo auf Gen 35,2.4 Bezug nimmt, stehen die »anderen Götter« (θεοὶ ἀλλότριοι) in Form der εἴδωλα im Gegensatz zu allem »wahrhaft Existierenden« (ὄντως ὑπαρκτά). Weiterhin kennt Philo auch die Bedeutung von εἴδωλον im Sinne von »Trugbild« und »unwirkliche Vorstellung«, so in Spec.Leg. I, 26. Dort bezeichnet er die εἴδωλα als »den Schatten und Phantomen Ähnliches« (σκιαῖς ἐοικότα καὶ φάσμασιν); vgl. auch Spec.Leg. I, 28, für die Assoziation von εἴδωλα und »Schatten«. Philo benutzt als Bezeichnung für das Götterbild auch das griechische Lexem ἄγαλμα, »Schmuckstück«, »Götterbild«, das oft in Verbindung mit ξόανον, »geschnitztes Bild« vorkommt. 22 In Decal. 7 werden jedoch die religiös verehrten ἀγάλματα und andere als heilig angesehene Gegenstände als »leblose Dinge« (ἄψυχα) abgewertet. Dabei ist besonders die Stelle Decal. 66 erwähnenswert, weil danach die Verehrer der Gestirne weniger verwerflich handeln als diejenigen, die sich aus unterschiedlichen Materialien Guss- und Schnitzwerke und somit von Menschenhand gefertigte Götterbilder herstellen; vgl. auch Weish 13,10 für ein ähnliches Argument. Wo Philo Septuaginta-Passagen nicht zitiert, sondern deutet, vermeidet er den Begriff εἴδωλον. So erwähnt er in Virt. 221 den Ort der Herkunft Tamars, dem in Gen 38 keine weitere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Demnach ist Tamar in einer Stadt und in einem Haus aufgewachsen, wo mehrere Götter verehrt wurden und zahlreiche Götterbilder vorhanden waren (ἐν οἰκίᾳ καὶ πόλει τραφὲν πολυθέῳ γεμούσῃ ξοάνων καὶ ἀγαλμάτων καὶ συνόλως ἀφιδρυμάτων). Nachdem sie einen »kleinen Schein der Wahrheit« (βραχεῖαν αὐγὴν ἀληθείας) gesehen hat, gelangt sie zur »Verehrung und Anbetung des Einen, des Urgrundes« (τὴν θεραπείαν καὶ ἱκεσίαν τοῦ ἑνὸς αἰτίου).
21. Vgl. dazu Woyke: Götter, 95. 22. Vgl. Ebr. 109; Vit.Mos. I, 298; II, 205. Philo verwendet den Ausdruck auch abseits polemischer Kritik am Bilderkult. Er beschreibt den symbolischen Wert von Statuen in philosophischen Kontexten, in Orientierung an Platon. Außerdem erklärt er mit ἄγαλμα den biblischen Begriff ἐικών (Ausdruck für »Bild Gottes« in Genesis 1), siehe dazu und mit weiteren Informationen Harl / Casevitz: ἄγαλμα, 23.
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Götterbild
4.4 Josephus Flavius Der jüdische Historiker Josephus Flavius erzählt in den Jüdischen Altertümern (Antiquitates Judaicae) die Geschichte von der Erschaffung des ersten Menschen bis zu seiner Zeit, dem 12. Regierungsjahr Neros, nach. Grundsätzlich steht die Anbetung der fremden Götter der Verehrung des »eigenen« (ἴδιος) und »heimischen« (πάτριος) Gottes 23 diametral gegenüber; vgl. etwa Ant. V, 107; VIII, 194; X, 50. So wie Philo thematisiert auch Josephus den Diebstahl der Hausgötter Labans durch Rachel (Genesis 31), jedoch bezeichnet er die Götterfigurinen als τύποι (»Bilder«, »Nachbildungen«) τῶν θεῶν in Ant. I, 311. Gemeinsam mit ἄγαλμα kommt der Begriff auch in Ant. XV, 329 vor. In diesem Kontext sind mit den Statuen und Skulpturen, die Herodes aufstellen ließ, offenbar gegossene Artefakte gemeint, und zwar, wie Josephus noch hinzufügt, »nach Art und Weise der Griechen« (πρὸς τὸν Ἑλληνικὸν τρόπον). Darunter ist vermutlich die griechische Praxis zu verstehen, Skulpturen und Reliefs außerhalb des Tempels aufzustellen, die Gottheiten, aber auch Menschen und mythologische Kreaturen repräsentieren. 24 Josephus weist aber zugleich darauf hin, dass diese Maßnahmen außerhalb des Gebietes der Juden stattfanden, denn Statuen seien den Juden verboten. In diesen Zusammenhang gehört auch die Erklärung, dass der Jerusalemer Tempel über kein ἄγαλμα verfüge (Ap. I, 199). Im Kontext der Verfehlungen der Könige Israels und Judas findet auch das Substantiv εἴδωλον Verwendung. In Ant. IX, 98-99 wird König Joram vorgeworfen, das Volk zu zwingen, »fremden Göttern« (ἀλλότριοι θεοί) Ehrerbietung zu erweisen, ja ebenfalls den Stamm Juda und die Einwohner Jerusalems dazu zu nötigen, die Verehrung des »einheimischen« Gottes aufzugeben und Götterbilder zu verehren (σέβειν τὰ εἴδωλα). Ähnlich äußert sich Josephus in Bezug auf die Idolatrie späterer Könige; vgl. Ant. IX, 205.243. Die Kultreform unter König Hiskija bestand für Josephus im Wesentlichen in einer Reinigung des Landes »von aller Verunreinigung durch Idole« (Ant. IX, 273; παντός […] μιάσματος εἰδώλων); vgl. 2 Chr 31,1). Auch König Joschija (vgl. 2 Kön/ 4 Kgt 23) veranlasste nach Josephus, Ant. X, 50, das Volk dazu, sich von seiner (falschen) »Ansicht« (δόξα) über seine εἴδωλα abzuwenden, weil sie nämlich keine Götter seien (ὡς οὐχὶ θεῶν ὄντων). Das Volk sollte stattdessen den einheimischen Gott (πάτριος θεός) verehren. Sichtbar wird an dieser Stelle, dass die Götterbilder – zumindest von ihren Verehrern – für Gottheiten gehalten wurden. Somit liegt der Gegensatz einerseits zwischen der von den einen angenommenen, von den anderen bestrittenen göttlichen Natur der εἴδωλα, andererseits zwischen dem einheimischen Gott (πάτριος θεός) und den fremden Gottheiten (θεοὶ ξενικοί), mit denen die εἴδωλα im Kontext der von Joschija angeordneten Tempelreinigung zusammen erwähnt werden (Ant. X, 65; vgl. auch X, 69). Somit bleibt festzuhalten, dass für Josephus die Verehrung der εἴδωλα die zentrale Sünde darstellt, deren sich die Israeliten und ihre Könige schuldig gemacht haben.
23. Weitere Gottesattribute lauten ἐγχώριος »einheimischer« und ἐπιχώριος »landesüblicher«, vgl. Woyke: Götter, 99. 24. Siehe Van Henten: Flavius Josephus, 238 zu Abschnitt 329 sowie Fußnoten 2218-2219.
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Erwähnenswert ist auch die Bezeichnung Dagons, des Gottes der Philister, einerseits als »Gott« (θεός) in Ant. VI, 1-2, andererseits als τὸ ξόανον, »das Götterbild«, in Bell. V, 384. Dieses Beispiel zeigt, dass die Termini für Kultbilder keine feste Bedeutung hatten und mit einer gewissen Beliebigkeit verwendet werden konnten, wobei Josephus wenigstens gelegentlich zwischen »Gott« und »Götterbild« wechseln kann. 25 Dass das Substantiv εἴδωλον auch bei Josephus nicht völlig auf die Bedeutung »Götterbild« festgelegt ist, zeigen zwei Stellen in seinem Werk Der Jüdische Krieg. Dort lässt sich nämlich auch eine Verwendungsweise von εἴδωλον beobachten, die dem klassisch-griechischen Gebrauch entspricht: In Bell. V, 513 bedeutet der Ausdruck so etwas wie »Schatten«. Vom Hunger in der belagerten Stadt Jerusalem geplagt, streifen Kinder und auch junge Männer um die Marktplätze umher wie εἴδωλα, »Schatten«, »Phantome«. Josephus berichtet schließlich von der Krankheit des Catullus in Bell. VII, 452, dessen seelische Qualen im Sehen von Erscheinungen (εἴδωλα) seiner ermordeten Opfer bestanden.
5. Neues Testament In der Apostelgeschichte finden sich neben den Paulusbriefen aufschlussreiche Belege zum Thema der Fremdgötter und der Götterbilder. Allerdings fehlen im Neuen Testament die Termini, die noch Philo verwendete, insbesondere ἄγαλμα und ξόανον. In der Rede des Stephanus’ wird auf die Herstellung des Goldenen Kalbes (vgl. Ex 32,1-6) Bezug genommen (Apg 7,39-41). Das »Kalb« wird dabei explizit mit einem εἴδωλον identifiziert, dem ein Opfer dargebracht wird. Der Terminus fehlt hingegen in der Septuaginta-Fassung des Berichts. Wie auch immer, die Formulierung in der Apostelgeschichte bestätigt die enge Verbindung, die man zwischen den Göttern und ihren Kultbildern herstellte, sowie deren gängige Abwertung als menschliche Erzeugnisse (V. 41: καὶ ἐμοσχοποίησαν ἐν ταῖς ἡμέραις ἐκείναις καὶ ἀνήγαγον θυσίαν τῷ εἰδώλῳ, καὶ εὐφραίνοντο ἐν τοῖς ἔργοις τῶν χειρῶν αὐτῶν, »sie machten in jenen Tagen ein Kalb und brachten dem Götterbild Opfer dar und erfreuten sich an den Werken ihrer Hände.« Im Bericht über das sogenannte Apostelkonzil in Apg 15 nennt Jakobus drei wesentliche Pflichten, die den Bekehrten aus den Nationen aufzuerlegen seien (Apg 15,20; vgl. auch V. 29), nämlich die Enthaltung von der »Verunreinigung« bzw. »Befleckung« 26 durch die εἴδωλα und der »Unzucht« (πορνεία) sowie »vom Erstickten und vom Blut« (τοῦ πνικτοῦ καὶ τοῦ αἵματος). Alle drei Vergehen beziehen sich auf die kultische Unreinheit, die aus dem Fremdgötterkult (vgl. die Belege von εἴδωλον bei Ezechiel), aus dem Ehebruch, aus dem verbotenen Blutgenuss (vgl. Lev 17,11.13 und Dtn 12,23-24) und dem Essen von nicht geschächteten Tieren hervorgeht. 27 25. Vgl. dazu Woyke: Götter, 99-100. 26. Siehe Haacker: Apostelgeschichte, 262. 27. Haacker: Apostelgeschichte, 262. Kritisch ist die Übersetzung von εἴδωλα mit »Phantome« zu sehen. Hier ist ein eindeutiger kultischer Kontext gegeben, der für die Wiedergabe mit »Kultbilder« oder die Transliteration »Idole« spricht. Es spiegelt sich hier vermutlich sowohl die unglückliche Bedeutungsreihung im Wörterbuch von Liddell/Scott als auch die Unkennt-
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Die Gefahr der εἴδωλα wird möglicherweise am Ende des 1. Johannesbriefes thematisiert: »Hütet euch vor den εἴδωλα!« (5,21). Im Buch der Weisheit werden die Idole als σκάνδαλον, »Falle« (metaphorisch: Ursache des Verderbens) für die Seele genannt (Weish 14,11). 28 Möglicherweise klingt eine solche Thematik auch in 1 Joh 5,21 an, wo die Verehrung der εἴδωλα dem Sein im wahren Gott gegenübergestellt wird (V. 20). In den paulinischen Belegen kommt die Problematik des εἰδωλόθυτον, des »Opferfleischs für die Götterbilder«, wieder zur Sprache, wovon auch in Apg 15,20.29 die Rede war. In 1 Kor 8 bildet diese Thematik, die untrennbar verknüpft ist mit dem Status der εἴδωλα, einen Schwerpunkt. Die Existenz anderer Götter wird von Paulus bestritten, da es nur einen Gott gebe, wie er in V. 4 ausführt: οἴδαμεν ὅτι οὐδὲν εἴδωλον ἐν κόσμῳ, καὶ ὅτι οὐδεὶς θεὸς εἰ μὴ εἷς, »wir wissen, dass es in der Welt keinen fremden Gott gibt und dass kein anderer Gott ist außer dem einen«. Mit den εἴδωλα sind an dieser Stelle wohl kultisch verehrte Gottheiten gemeint und nicht nur deren bildliche Darstellungen. 29 Paulus stellt in 1 Kor 8,7 noch einmal das »Opferfleisch« (εἰδωλόθυτον) in Beziehung zum εἴδωλον, das offenbar auch nach der Bekehrung einiger weiter als Götzenopferfleisch verzehrt wurde. 30 In 1 Kor 12,2 werden die εἴδωλα der Nationen als ἄφωνα, »stumm«, abgewertet. Es ist die einzige Stelle bei Paulus, an der εἴδωλον ein Attribut enthält. Zwar hat dieses Adjektiv kein Vorbild in der Polemik gegen die Götterbilder in der Septuaginta, aber dass sie »stumm« sind, wird mehrfach betont (Ps 113,13; 134,16LXX; Hab 2,18). Aussageabsicht ist vermutlich, dass in den Götterbildern kein πνεῦμα vorhanden ist 31. Im Proömium des Ersten Thessalonicherbriefs wird die Bekehrung der Thessalonicher (ἐπεστρέψατε, »ihr habt euch bekehrt«) von den εἴδωλα hin zum »wahren und lebendigen Gott«, θεὸς ζῶν, lobend hervorgehoben (1 Thess 1,9). Der Gegensatz zwischen »lebendig« und »nicht lebendig« ist auch schon anderen Texten zu eigen. So werden im Buch der Weisheit die εἴδωλα als ἄψυχα, »leblos«, bezeichnet (Weish 14,29), und in Dan 5,23LXX wird dem König Belschazzar vorgeworfen, nicht den lebendigen Gott gepriesen zu haben. Ähnlich wendet Aseneth sich an den θεὸς ζῶν, den »lebendigen Gott« (Jos.As. 11,10). In 1 Thess 1,10 gewinnt diese Aussage aber eine völlig neue Kontur, insofern als Gottes Fähigkeit, Leben zu spenden, in der Auferweckung Jesu eine neue Dimension erhält. 32
28.
29. 30. 31. 32.
nis von εἴδωλον in kultischen Zusammenhängen wider, ausführlicher dazu in Plangger: Gott im Bild, 28. Griffith: Keep Yourselves, 207, beschäftigt sich in einer umfassenden Studie mit der Auslegung des Schlussverses. Seiner Ansicht nach richtet sich der Vers gegen das Judentum von einer christlichen Perspektive aus: »I have argued that the standard Jewish polemic that sets the true God against idols has been inverted and applied to Judaism from a Christian perspective. … The ending of 1 John therefore provides a powerful reminder of the consequences of denying that the Messiah is Jesus. John’s strategy is to highlight the limits of the community and to strengthen its boundaries.« Vgl. Woyke: Götter, 189 Woyke: Götter, 206. Siehe ausführlicher mit Berücksichtigung des alttestamentlich-frühjüdischen Hintergrunds, Woyke: Götter, 264-267. Vgl. Woyke: Götter, 133.155-157.
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6. Frühes Christentum In der Didache ist die Idolatrie (εἰδωλολατρία) auf einer Liste der Verhaltensweisen angeführt, die man meiden soll (Did. 3.4). Besonders erwähnenswert sind die hier angeführten Ursachen; magische (οἰωνοσκόπος »Vogelschauer«, ἐπαοιδός »Zauberer) und astrologische (μαθηματικός »Sterndeuter«) Praktiken führen zur Idolatrie. Der enge Zusammenhang zwischen divinatorischen Handlungen und der Idolatrie ist sowohl in außerbiblischen Quellen als auch im Alten Testament belegt. Im Barnabasbrief beziehen sich die εἴδωλα wie schon in der Apostelgeschichte (s. o.) auf die Verehrung des Goldenen Kalbs, wobei in Barn 4,8 das Thema des Bundes Israels betont wird: Die Hinwendung zu den Götterbildern (Plural!) führte zum Verlust des Bundes (ἐπιστραφέντες ἐπὶ τὰ εἴδωλα ἀπώλεσαν αὐτήν [= τὴν διαθήκην]). Im 2. Clemensbrief besteht wiederum ein Zusammenhang zwischen der Idolatrie und der Konversion, die die Errettung des Menschen vor der Dunkelheit und dem Tod zur Folge hat; denn die Neubekehrten hatten zuvor lediglich Werke von Menschen verehrt (2Clem 1.6). Die Neubekehrten haben aber, so führt 2Clem 17,1 aus, auch Gebote erhalten, so dass sie Menschen von den Götterbildern losreißen (ἀπὸ τῶν εἰδώλων ἀποσπᾶν) und sie unterweisen sollen (vgl. auch Justinus Martyr, 1.Apol. 49, 5.7, SC 507, 256. 258). Athenagoras verwendet den Begriff εἴδωλον in einem anderen Kontext, und zwar in einer Diskussion über die Entstehung von Reliefkunst. Das Bild der Artemis bezeichnet er als τὸ εἴδωλον. 33 Bei ihm lässt sich auch die semantische Weite des Begriffes beobachten, da er ebenso Bilder, die aus der Seele hervorgehen, mit diesem Terminus beschreibt. Diese εἴδωλα führen dann zu »einer rasenden Begeisterung für Idole« (εἴδωλομανεῖς). 34 Die Abkehr von den in Kultbildern verehrten Fremdgottheiten ist nicht nur für Juden, sondern auch für Christen ein wesentliches Identitätsmerkmal und offenbar entscheidend bei einem Bekehrungsprozess. Die Verehrung der εἴδωλα schließt den Glauben an den »einen und wahren Gott« aus. Dies wird auf der Grundlage der hebräischen Bibel und der Septuaginta sowohl im jüdisch-hellenistischen Kontext als auch am Beginn des Christentums weiter entfaltet. 35
33. Athenagoras: Leg. 17,3, PTS 31, 54. 34. Athenagoras: Leg. 27,2, PTS 31, 89; vgl. Griffith: Idols, 56. Für weitere Beispiele bei Athenagoras siehe Woyke: Götter, 101-102. 35. Ich möchte mich bei Eberhard Bons für die wertvollen Hinweise und die Unterstützung bei der Entstehung dieses Artikels bedanken.
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2.1.7 Konversion Daniela Scialabba Literatur Textausgaben Joseph und Aseneth. Kritisch herausgegeben von Christoph Burchard mit Unterstützung von Carsten Burfeind und Uta Barbara Fink, Leiden 2003 La Lettera di Clemente ai Corinzi, ed. Emanuela Prinzivalli, in: dies. / Simonetti, Manlio, Seguendo Gesù. Testi cristiani delle origini. Vol. I, Mailand 2010, 77-275.449-571 – Augustinus: De civitate Dei, ed. Emanuel Hoffmann, 2 Bände, CSEL 40/1-2, Prag / Wien / Leipzig 1899-1900 – Clemens Alex.: Stromata I-VI, ed. Otto Stählin / Ludwig Früchtel, 4. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 52, Berlin 1985 – Origenes: Contra Celsum, ed. Marcel Borret, Tome 2, SC 136, paris 1968 – Tertullian: De carne Christi, ed. Aemilius Kroymann, CC.SL 2, Turnhout 1954, 871-917.
Weitere Literatur Aslanoff, Cyril: Les notions de retour à Dieu et de repentir dans la Septante, in: Annick Charles-Saget (ed.), Retour, repentir et constitution de soi, Paris 1998, 50-63 – Aubin, Pierre: Le problème de la »conversion«. Étude sur un terme commun à l’Hellénisme et au christianisme des trois premiers siècles, Paris 1963 – Bouffartigue, Jean: Par quels mots le grec ancien pouvait-il désigner le passage d’une religion à une autre ?, in: Hervé Inglebert / Sylvain Destephen / Bruno Dumézil (ed.), Le problème de la christianisation du monde antique. Textes, Images et Monuments de l’Antiquité au haut Moyen Age, TIMA, Paris, 2010, 19-31 – Cohen, Shaye J. D.: Crossing the Boundary and Becoming a Jew, HTR 82 (1989), 13-33 – Gerlitz, Peter / Signer, Michael A. / Kollar, René / Brenner Beatus: Konversion, TRE 19 (2000), 559578 – Hallermayer, Michaela: Text und Überlieferung des Buches Tobit, DCLS 3, Berlin / New York 2007 – Helbing, Robert: Die Kasussyntax der Verba bei den Septuaginta. Ein Beitrag zur Hebraismenfrage und zur Syntax der Κοινή, Göttingen 1928 – Judge, Edwin Arthur: Conversion in the Ancient World, in: ders., Jerusalem and Athens. Cultural Transformation in Late Antiquity. Essays Selected and Edited by Alanna Nobbs, Tübingen 2010 – Légasse, Simon: ἐπιστρέφω / ἐπιστροφή, EDNT II (1991), 40 f. – Marböck, Johannes: Jesus Sirach 1-23. Übersetzt und ausgelegt, HThKAT, Freiburg im Breisgau 2010 – Mohr, Hubert: Art. Konversion / Apostasie, in: Hubert Cancik / Burkhard Gladigow / Karl-Heinz Kohl (ed.): Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Bd. 3: Gesetz – Kult, Stuttgart 1993, 436-445 – Morla Asensio, Víctor: Los manuscritos hebreos de Ben Sira. Traducción y notas, Estella (Navarra) 2012 – Muraoka, Takamitsu: A Greek-English Lexicon of the Septuagint, Leuven 2009 – Nock, Arthur Darby: Conversion – The Old and the New in Religion from Alexander the Great to Augustine of Hippo, Oxford 1988 (11933) – Plummer, Alfred: A Critical and Exegetical Commentary to the Gospel according to S Luke, Edinburgh 61960 – Scialabba, Daniela: The Vocabulary of Conversion in Joseph and Aseneth and in the Acts of the Apostles, in: Wolfgang Kraus / Siegfried Kreuzer (ed.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 501-514 – Dies.: Creation and Salvation. Models of Relationship Between the God of Israel and the Nations in the Book of Jonah, in Psalm 33 (MT and LXX) and in the Novel »Joseph and Aseneth«, FAT II / 106, Tübingen 2019 – Smith, John E.: The Concept of Conversion, in: Walter E. Conn (ed.), Conversion – Perspectives on Personal and Social Transforma-
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tion, New York 1978, 51-61 – Spittler, Janet E.: Conversion, I. New Testament, II. GraecoRoman Antiquity, EBR 5 (2012), 708-711 – Thackeray, Henry St. John: A Grammar of the Old Testament in Greek, Hildesheim 2003 (= Cambridge 31909) – Waschke, Ernst-Joachim: Bekehrung / Konversion III.1 Altes Testament, RGG I (1998), 1230-1231.
1. Einleitung Wer heute von »Konversion« spricht, versteht darunter häufig ein Phänomen, das religiöse Überzeugungen und Praktiken betrifft, in der Regel den Übergang von einer Religion zu einer anderen, wobei die eine zugunsten der anderen aufgegeben wird. 1 In der gegenwärtigen religionswissenschaftlichen Diskussion herrscht keine Einigkeit darüber, welche Phänomene vor allem inhaltlicher, psychologischer, sozialer, administrativer, politscher, kultischer und ethischer Natur der Begriff im Detail bezeichnet und inwiefern die alltägliche Lebenspraxis des Individuums oder des Kollektivs von einer »Konversion« beeinflusst wird. 2 Wie auch immer man das Phänomen der Konversion definieren mag, es steht fest, dass der Begriff in seinen verschiedenen Formen vielen modernen Sprachen bekannt ist: »conversion« im Englischen und Französischen 3, »conversione« im Italienischen, »conversión« im Spanischen, um nur einige zu nennen. Die Etymologie des Begriffs ist eindeutig, insofern er vom lateinischen Substantiv conversio abgeleitet ist, das seinerseits vom Verb converto abstammt. Allerdings haben im klassischen Latein weder das Verb noch das Substantiv die erwähnte Bedeutung, die es in den modernen Sprachen hat. So bezieht sich das Substantiv bei Cicero beispielsweise auf die Bewegungen der Gestirne (Rep. I, 22) oder im Zusammenhang der Rhetorik auf die Wiederholung ein und desselben Wortes (Orator III, 206-207). In den biblischen Schriften ist der locus classicus für die religiöse Verwendung des Substantivs conversio eine Stelle in der Apostelgeschichte. Nachdem bereits der römische Hauptmann Cornelius mit seiner Familie getauft worden ist (Apg 10), berichtet Apg 15,3 von der Bekehrung von Nicht-Israeliten. Die Vulgata-Übersetzung des Verses lautet wie folgt: illi igitur deducti ab ecclesia pertransiebant Foenicen et Samariam narrantes conversionem gentium et faciebant gaudium magnum omnibus fratribus, »von der Gemeinde begleitet, zogen jene durch Phönizien und Samaria und berichteten von der Bekehrung derer aus den Völkern, und sie machten allen Brüdern eine große Freude«.
1. 2.
3.
Zur Definition des Begriffs vgl. u. a. Gerlitz / Signer / Kollar / Brenner: Art. Konversion, 559; Mohr: Art. »Konversion / Apostasie«, 436-437. Vgl. etwa die ältere Definition durch Nock: Conversion, 7: »By conversion we mean the reorientation of the soul of an individual, his deliberate turning from indifference or from an earlier form of piety to another, a turning which implies a consciousness that a great change is involved, that the old was wrong and the new is right. It is seen at its fullest in the positive response of a man to the choice set before him by the prophetie religions.« Dass die Begriffe in den modernen Sprachen jedoch nicht nur die Konversion im religiösen Sinn beschreiben, heben verschiedene Autoren hervor, z. B. Aubin: Problème, 17-18; Smith: Concept, 51-56.
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Dieser Gebrauch des Wortes conversio ist den christlichen Autoren lateinischer Sprache keineswegs fremd. So spricht Tertullian († um 230 n. Chr.) von der conversio hominum ad culturam veri dei, wörtlich von der »Hinwendung der Menschen zur Verehrung des wahren Gottes«. 4 Rund 200 Jahre später verwendet Augustinus den Begriff conversio wie selbstverständlich, wenn er die ad unum verum deum sanctumque conversio, die »Bekehrung zum einen, wahren und heiligen Gott« erwähnt. 5 In diesem Artikel soll gezeigt werden, dass der Gebrauch von conversio im Sinne von »Bekehrung« letztlich seine Wurzeln in der Terminologie der Septuaginta hat. Das lateinische Substantiv kann nämlich als eine geradezu wörtliche Übersetzung von ἐπιστροφή gelten. Dieser Begriff begegnet seinerseits im griechischen Text von Apg 15,3, wo die Bekehrung der Menschen aus anderen Völkern als ἡ ἐπιστροφὴ τῶν ἐθνῶν bezeichnet wird. Die folgenden Abschnitte widmen sich dem sprachlichen Hintergrund des Begriffes conversio in der Septuaginta, vor allem dem Gebrauch von ἐπιστροφή und dem Verb ἐπιστρέφω. In einem weiteren Schritt sollen dann kurz die Zitate aus der jüdisch-hellenistischen Literatur, dem Neuen Testament und den Apostolischen Vätern vorgestellt werden, in denen sich ein religiöser Gebrauch der Terminologie anbahnt. Einige weiterführende Überlegungen schließen den Artikel ab.
2. Der religiöse Gebrauch von conversio / converto und seine sprachlichen Wurzeln in der Terminologie der Septuaginta Weder die Hebräische Bibel noch die Septuaginta haben einen terminus technicus für die Bekehrung von Nicht-Israeliten zum Gott Israels. 6 Überdies ist es zweifelhaft, ob im nichtbiblischen Griechisch ein Begriff für den Vorgang existierte, den man traditionell mit »Konversion« bezeichnet. 7 Wie in Apg 15,3 begegnet das Substantiv ἐπιστροφή, wörtlich »Herumdrehen«, in späterer christlicher Literatur im Sinne der Bekehrung von Menschen aus fremden Völkern. 8 Jedoch stellt sich die Frage, in welcher Bedeutung das Wort in der Septuaginta belegt ist.
2.1 Was bedeutet ἐπιστροφή in der Septuaginta? In der Septuaginta bezieht sich das Substantiv ἐπιστροφή an keiner Stelle auf einen Sachverhalt, den man mit »Konversion« im modernen Sinne bezeichnen könnte. Sofern ἐπιστροφή nicht wörtlich im Sinne von »Rückkehr« gebraucht wird – wörtlich in RiB 8,9, metaphorisch in Sir 40,11 –, verwendet die Septuaginta das Substantiv hier und
4. 5. 6. 7. 8.
Tertullian: Carn. Chr. 4,6, CC.SL 2, 879. Augustinus: Civ. VIII, 24,2, CSEL 40/1, 398. Zur Hebräischen Bibel vgl. Waschke: »Bekehrung / Konversion« III.1, 1230. Vgl. Bouffartigue: Par quels mots, 25. So z. B. bei Clemens Alex.: Strom. VI, 45,5, GCS 52, 454: die Jünger Jesu führen die Völker zur Bekehrung (τὰ ἔθνη εἰς ἐπιστροφήν); Origenes: Cels. III, 29, SC 136, 70: das Evangelium dient auf der ganzen Welt zur Umkehr und Besserung der Menschen (ὑπὲρ τῆς τῶν ἀνθρώπων ἐπιστροφῆς καὶ διορθώσεως).
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dort im Sinne von »Umkehr zu Gott«, z. B. in Sir 18,21 9: πρὶν ἀρρωστῆσαί σε ταπεινώθητι καὶ ἐν καιρῷ ἁμαρτημάτων δεῖξον ἐπιστροφήν, »bevor du erkrankst, demütige dich und in der Zeit der Sünden [d. h. wenn du gesündigt hast], zeige [deine] Umkehr«. Gemeint ist, dass der Kranke sich vor Gott demütigen und zu ihm umkehren soll, da die Krankheit wohl als Folge der Sünde angesehen wird. 10 Ähnlich formuliert PsSal 16,11: γογγυσμὸν καὶ ὀλιγοψυχίαν ἐν θλίψει μάκρυνον ἀπ᾽ ἐμοῦ, ἐὰν ἁμαρτήσω ἐν τῷ σε παιδεύειν εἰς ἐπιστροφήν, »Murren und Mutlosigkeit in Bedrängnis halte fern von mir, wenn ich sündige [und] du mich erziehst, dass ich umkehre [wörtlich: zur Umkehr]«. Auch hier bezeichnet das Substantiv ἐπιστροφή die Umkehr hin zu Gott, offenbar aber von solchen, die schon an ihn glauben. Zwar bezieht sich das Substantiv ἐπιστροφή an keiner Stelle der Septuaginta auf irgendeine Art der Annäherung von Nicht-Israeliten an den Gott Israels. Dennoch hat die spezifische Verwendung des Begriffs in diesem Sinne ihre Vorbilder in der Septuaginta, und zwar im Gebrauch des Verbs ἐπιστρέφω, von dem das Substantiv abgeleitet ist. Allerdings wird das Verb nicht von vornherein zum einem terminus technicus, sondern entwickelt sich erst dazu und wird häufig parallel mit μετανοέω verwendet. Doch bedeuten beide Verben nicht dasselbe. Das erste bewahrt die räumliche Konnotation in dem Sinne, dass das Ziel des Vorgangs die Hinwendung zum Gott Israels ist. Das zweite dagegen betont einen inneren Vorgang, der einerseits Bedauern und Reue impliziert, andererseits eine neue Phase im Leben des Menschen einleitet, der sich von ihren früheren Leben distanziert. 11
2.2 Wie wird die Annäherung von Nicht-Israeliten an den Gott Israels ausgedrückt? In den wenigen Fällen, in denen die Septuaginta eine Annäherung von Nicht-Israeliten an den Gott Israels 12 erwähnt, ist die Terminologie keineswegs einheitlich. Drei Beispiele mögen genügen. 13 Im Falle der Fremden, die nach Jes 56,3-6 den Sabbat beachten und an Gottes Bund festhalten, wird das griechische Verb πρόσκειμαι, wohl im Sinne von »sich anschließen«, »ergeben sein« (MT: לוהniph., »sich anschließen«). Die Moabiterin Ruth hingegen »vertraut« unter den Flügeln Gottes, wie Boas feststellt (Ruth 2,12: πρὸς ὃν ἦλθες πεποιθέναι ὑπὸ τὰς πτέρυγας αὐτοῦ, »zu dem du gekommen bist, um unter seinen Flügeln zu vertrauen«; MT: חסה, »Zuflucht suchen«). In der Gesetzesvorschrift Dtn 23,2-9 schließlich geht es um die verschiedenen Kategorien von Personen, die nicht zur Versammlung des Herrn zugelassen sind. In all diesen Fällen ist das entsprechende Verb εἰσέρχομαι, wörtlich »hineingehen« (MT: בוא, »hineingehen«). Den betreffenden Personen ist somit der »Eintritt« in die Gemeinschaft Israels untersagt. 9. Ein hebräischer Text dieses Verses ist in den bisher bekannten Handschriften des Sirachbuches nicht enthalten; vgl. Morla Asensio: Los manuscritos hebreos, 20-21. 10. Vgl. Marböck: Jesus Sirach, 228. 11. Vgl. Scialabba: Vocabulary, 509. 12. Ich verwende absichtlich diese offene Formulierung, da sowohl die Hebräische Bibel wie auch die jüngere Literatur jüdischen Ursprungs verschiedene Möglichkeiten des »crossing the boundary« bezeugt, d. h. die »Grenze« zum Judentum zu überschreiten; vgl. Cohen: Crossing, 14. 13. Ausführlich hierzu Scialabba: Vocabulary, 502-506.
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2.3 Was bedeutet ἐπιστρέφω in der Septuaginta? Was das Verb ἐπιστρέφω im Sinne von »sich [zu Gott] hinwenden« angeht, handelt es sich um eine Metapher, die im Laufe der Zeit so geläufig wird, dass sie in die theologische Terminologie in griechischer Sprache eindringt. Wie im nichtbiblischen Griechisch bedeutet das Verb nämlich in der Septuaginta in der Regel »sich umwenden«, »zurückkehren«, wenn es intransitiv gebraucht wird. 14 So kehrt Mose nach Ägypten zurück, nachdem er von Gott erfahren hat, dass dort niemand mehr nach seinem Leben trachtet (Ex 4,19-20). In wenigen anderen Fällen jedoch sind der Gott Israels oder andere Götter das Ziel der mit ἐπιστρέφω ausgedrückten Bewegung. Dies trifft für einige Stellen im Buch Deuteronomium zu. Nach Dtn 4,30 kehren die Israeliten nach einer Zeit der Untreue gegenüber Gott und der folgenden Bestrafung zu diesem zurück (καὶ ἐπιστραφήσῃ πρὸς κύριον τὸν θεόν σου, »und du [= das Volk Israel] wirst zum Herrn, deinem Gott, zurückkehren«; ähnlich Dtn 30,10). Die Untreue gegenüber Gott wird jedoch mit der Formulierung ausgedrückt, dass die Israeliten sich zu fremden Göttern hingewendet haben, so in Dtn 31,18: ἐπέστρεψαν ἐπὶ θεοὺς ἀλλοτρίους (ähnlich in Dtn 31,20, dort im Futur). Dass umgekehrt Fremde sich zum Gott Israels hinwenden, wird nur in ganz wenigen Texten der Septuaginta mit dem Verb ἐπιστρέφω beschrieben. So wird im Schlussteil des Psalms 21[22] angekündigt, dass »die Enden der Erde sich zum Herrn hinwenden und alle Stämme der Völker vor ihm niederfallen werden« (V. 28: ἐπιστραφήσονται πρὸς κύριον πάντα τὰ πέρατα τῆς γῆς, καὶ προσκυνήσουσιν ἐνώπιόν αὐτοῦ 15 πᾶσαι αἱ πατριαὶ τῶν ἐθνῶν). Dass die Hinwendung zu Gott mit der Abwendung von den Fremdgöttern verbunden ist, also exklusiver Art ist, kommt eindeutig in TobBA 14,6 zum Ausdruck: πάντα τὰ ἔθνη ἐπιστρέψουσιν ἀληθινῶς φοβεῖσθαι κύριον τὸν θεὸν, καὶ κατορύξουσιν τὰ εἴδωλα αὐτῶν, »alle Völker werden umkehren, um in Wahrheit Gott, den Herrn, zu fürchten, und sie werden ihre Götterbilder vergraben«. Zwar kann man im Fall der Verwendung von ἐπιστρέφω mit folgendem Infinitiv erwägen, ob das Verb als Hilfsverb im Sinne von »wieder etwas tun« 16 verwendet wird; doch eine solche Deutung wird vom Kontext nicht gestützt. Dementsprechend formuliert TobS 14,6 wie folgt: ἐπιστρέψουσιν καὶ φοβηθήσονται τὸν θεὸν ἀληθινῶς, »sie werden umkehren und in Wahrheit Gott fürchten«, was mit der Aufgabe der Fremdgötterkultes verbunden ist: καὶ ἀφήσουσιν πάντες τὰ εἴδωλα αὐτῶν, »und sie alle werden ihre Götterbilder verlassen«. Es ist sicherlich nicht auszuschließen, dass die Wahl von ἐπιστρέφω durch den hebräischen Bibeltext bedingt ist, der das Verb שׁובliest, so im Fall von Ps 21,28LXX. Es würde sich also um eine Standardübersetzung handeln wie schon in Ex 4,20, wo sich dasselbe hebräische Verb שׁובfindet. Im Fall von Tob 14,6 ist der aramäische Text in
14. Zahlreiche Details und Beispiele aus der klassischen und nachklassischen griechischen Literatur bei Aubin: Problème, 19-22; vgl. außerdem Muraoka: Lexicon, 282. Zu den verschiedenen Verwendungen von ἐπιστρέφω / ἐπιστρέφομαι in der Septuaginta sowie zu den Präpositionen, die das Verb regiert, vgl. Helbing: Kasussyntax, 284-285. 15. Die Codices B, S und A lesen αὐτοῦ, Rahlfs hingegen σου, was dem MT entspricht. 16. Vgl. Thackeray: Grammar, 53.
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4Q198 nur teilweise erhalten, so dass ein Äquivalent von ἐπιστρέψουσιν fehlt 17, mit dem man die beiden griechischen Versionen des Verses vergleichen könnte. Wie auch immer, es fällt auf, dass das Verb sowohl in den Formen des Aktivs wie des Passivs 18 in Zusammenhängen verwendet wird, die von der Hinwendung von Fremden zum Gott Israels handeln.
2.4 Beobachtungen zum Gebrauch von ἐπιστρέφω in der jüdisch-hellenistischen Literatur, im Neuen Testament und im frühen Christentum Selbst in Texten, die keine hebräische Vorlage kennen, begegnet das Verb ἐπιστρέφω in Zusammenhängen, wie sie vorhin beschrieben worden sind. Dies gilt für den jüdisch-hellenistischen Roman Joseph und Aseneth, dessen Protagonistin, die ägyptische Priestertochter Aseneth, sich in ihrem Selbstgespräch entscheidet, die Nähe und den Schutz des Gottes des Patriarchen Joseph zu suchen, den sie zuvor kennengelernt hatte (Jos.As. 11,11): ὅθεν τολμήσω κἀγὼ καὶ ἐπιστρέψω πρὸς αὐτὸν καὶ καταφεύξομαι ἐπ᾽ αὐτὸν καὶ ἐξομολογήσομαι αὐτῷ πάσας τὰς ἁμαρτίας μου καὶ ἐκχέω τὴν δέησίν μου ἐνώπιόν αὐτοῦ 19, »daher werde auch ich es wagen und werde mich zu ihm hinwenden, bei ihm Zuflucht suchen, ihm all meine Sünden bekennen und mein Gebet vor ihm ausschütten«. Wie aus dem Kontext hervorgeht, versteht Aseneth unter ihrer Sünde insbesondere die Verehrung der Götterbilder, von denen sie sich zuvor abgekehrt hatte, ja die sie buchstäblich aus dem Fenster geworfen hatte (Jos.As. 9,2; 10,12). 20 Mutatis mutandis findet sich der Gebrauch von ἐπιστρέφω im Sinne der Hinwendung zu Gott auch in der Apostelgeschichte, gerade wenn von der Bekehrung von anonymen Personen die Rede ist, oft Nicht-Israeliten, z. B. in Apg 9,35 die Bewohner von Lydda und vom Scharon, οἵτινες ἐπέστρεψαν ἐπὶ τὸν κύριον, »die sich zum Herrn bekehrten«; Apg 11,21: πολύς τε ἀριθμὸς πιστεύσας ἐπέστρεψεν ἐπὶ τὸν κύριον, »eine große Menge fand zum Glauben und bekehrte sich zum Herrn«; ähnlich Apg 14,15; 15.19; 26,20. Man mag diese wiederkehrende Verwendung des Verbs ἐπιστρέφω in der Apostelgeschichte vielleicht damit erklären, dass der Verfasser des lukanischen Doppelwerks eine große Vertrautheit mit dem Sprachgebrauch der Septuaginta hatte. 21 Doch ist auffällig, dass auch Paulus diesen Gebrauch von ἐπιστρέφω kennt. Im Ersten Thessalonicherbrief weiß der Apostel von anderen, die davon erzählen, dass sich seine Adressaten von den Götterbildern weg zu Gott »hingewandt« haben, um ihm als dem lebendigen und wahren Gott zu dienen (1Thess 1,9: πῶς ἐπεστρέψατε πρὸς τὸν θεὸν ἀπὸ τῶν εἰδώλων δουλεύειν θεῷ ζῶντι καὶ ἀληθινῷ).
Vgl. die sorgfältige Analyse von 4Q198 bei Hallermayer: Text und Überlieferung, 129-133. Vgl. Aslanoff: Les notions, 54. Zitiert nach Burchard: Joseph und Aseneth, 148. Zu den Details des Selbstgesprächs und der Abkehr von den Göttern vgl. Scialabba: Creation, 247-251. 21. Vgl. schon Plummer: Luke, xlix, sowie die Listen ebd., lii-liii; Légasse, Art. ἐπιστρέφω / ἐπιστροφή, 40.
17. 18. 19. 20.
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Weiterhin findet sich dieser spezifische Gebrauch von ἐπιστρέφω in der frühchristlichen Literatur. 22 So erinnert der Erste Clemensbrief daran, dass Gott von Generation zu Generation denjenigen eine Gelegenheit zur Umkehr gegeben hat, die sich zu ihm bekehren wollten (1Clem 7,5: ὅτι ἐν γενεᾷ καὶ γενεᾷ μετανοίας τόπον ἔδωκεν ὁ δεσπότης τοῖς βουλομένοις ἐπιστραφῆναι ἐπ᾽ αὐτόν); dabei führt er als Beispiele Noach 23 und den Propheten Jona an (1Clem 7,6-7) und hebt hervor, dass doch gerade die Niniviten Gott fremd waren (ἀλλότριοι τοῦ θεοῦ ὄντες, 1Clem 7,7). Im Zweiten Clemensbrief werden die Angeredeten aufgerufen, zu dem Gott, der sie gerufen hat, sich hinzuwenden, da sie keine unbedeutende Gelegenheit erhalten haben und nun für sie der Zeitpunkt zur Umkehr gekommen ist (2Clem 16,1: ἀφορμὴν λαβόντες οὐ μικρὰν εἰς τὸ μετανοῆσαι καιρὸν ἔχοντες ἐπιστρέψωμεν ἐπὶ τὸν καλέσαντα ἡμᾶς θεόν) 24.
3. Abschließende Bemerkungen Man könnte die Belege von ἐπιστρέφω und ἐπιστροφή in der frühchristlichen Literatur leicht durch andere Beispiele ergänzen. Dennoch erlauben die vorhin gemachten Beobachtungen drei weiterführende Überlegungen, die hier nur kurz skizziert werden: a) In der lateinischen Terminologie der Alten Kirche wird conversio zusammen mit dem Verb converto zu einem Begriff, der die Hinwendung von Menschen, die nicht dem Judentum entstammen, zum einen Gott ausdrückt. Dabei kann conversio als eine Art etymologisierende Übersetzung von ἐπιστροφή gelten, die sich später in der Vulgata-Übersetzung von Apg 15,3 zeigt. Ebenso ist zu beobachten, dass in der Vulgata von Ps 21,28 die entscheidende Stelle lautet: convertentur ad Dominum (»sie werden sich zum Herrn bekehren«). Schließlich begegnet das Verb auch in 1Thess 1,9: quomodo conversi estis ad Deum a simulacris servire Deo vivo et vero, »wie ihr euch zu Gott gewandt hat weg von den Götterbildern, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen«. Trotzdem geht auch in der Vulgata die räumliche Konnotation von conversio nicht völlig verloren, wie ein Text wie Sir 38,22 zeigt: noli oblivisci neque enim est conversio et huic nihil proderis et te ipsum pessimabis, »vergiss nicht, denn es gibt keine Rückkehr [d. h. für den Toten, der ins Leben zurückkehren würde], und du nützest ihm nicht und schadest dir selbst«. b) In vielen Texten lässt sich der parallele Gebrauch von ἐπιστρέφω und μετανοέω beobachten, so auch im Neuen Testament, wenn von der Bekehrung der NichtIsraeliten die Rede ist. Letztlich beziehen sich beide Termini auf denselben Vorgang, wobei der erste das Ziel der »Umkehr« betont 25, der zweite dagegen die damit verbundenen inneren und äußeren Prozesse. Dies zeigt besonders Apg 26,20, wo Paulus gegenüber dem König Agrippa behauptet, dass er den Heiden verkündet habe, umzukehren, sich zu Gott zu wenden und Werke zu tun, die der Umkehr würdig sind: 22. Für weitere Beispiele vgl. Aubin: Problème, 77-92. 23. Zur nichtbiblischen Tradition von Noach als Umkehrprediger vgl. Prinzivalli: Lettera di Clemente, 470-471, Fußnote 72. 24. Vgl. zu diesem Zitat auch Aubin: Problème, 84. 25. Vgl. auch Spittler: Conversion, 708.
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καὶ τοῖς ἔθνεσιν, ἀπήγγελλον μετανοεῖν, καὶ ἐπιστρέφειν ἐπὶ τὸν θεόν, ἄξια τῆς μετανοίας ἔργα πράσσοντας. Die Vulgata gibt dies wie folgt wieder und übersetzt dabei das Verb ἐπιστρέφω mit convertor, μετανοέω dagegen mit paenitentiam ago: adnuntiabam ut paenitentiam agerent et converterentur ad Deum digna paenitentiae opera facientes (»ich verkündete, dass sie Buße tun und sich zu Gott bekehren sollten, indem sie Taten vollbringen, die der Buße würdig sind«). c) Die Septuaginta spricht niemals von einer μετάνοια von Nicht-Israeliten, die sich dem Gott Israels annähern wollen, sondern höchstens von einem »Sich-Hinwenden« (ἐπιστρέφω) zu diesem. Es ist daher vielleicht nicht zufällig, dass der Verfasser des lukanischen Doppelwerks den Terminus ἐπιστροφή in Apg 15,3 wählt, wenn er von den Menschen »aus den Völkern« (τῶν ἐθνῶν) spricht. Wie schon anfangs gesagt, wird daraus im Lateinischen conversio gentium. Insofern reflektiert der moderne Sprachgebrauch von »Konversion« letztlich eine Tradition, die in der Apostelgeschichte begründet ist, jedoch in der Septuaginta ihre Wurzeln hat.
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2.1.8 God as Pedagogue Jason M. Zurawski Literature Adam, James: “Ancient Greek Views of Suffering and Evil,” in: id., The Vitality of Platonism and other Essays, ed. by Adele Marion Adam, Cambridge 1911, 190-212 – Beck, Frederick A. G.: Greek Education 450-350 B.C., London 1964 – Bertram, Georg: “Der Begriff der Erziehung in der griechischen Bibel,” in: Heinrich Bornkamm (ed.), Imago Dei. Beiträge zur theologischen Anthropologie. Gustav Krüger zum siebzigsten Geburtstag am 29. Juni 1932 dargebracht, Gießen 1932, 33-51 – Bertram, Georg: “παιδεύω,” TDNT 5:596-625 – Bonner, Stanley F.: Education in Ancient Rome: From the Elder Cato to the Younger Pliny, Berkeley 1977 – Cribiore, Raffaella: Gymnastics of the Mind: Greek Education in Hellenistic and Roman Egypt, Princeton 2001 – deSilva, David: 4 Maccabees. Introduction and Commentary on the Greek Text in Codex Sinaiticus, Septuagint Commentary Series, Leiden 2006 – Gerleman, Gillis: Studies in the Septuagint. III. Proverbs, Acta Universitatis Lundensis Nova Series, Lunds Universistets Årsskrift Ny Följd Första Avedelningen I 52/3, Lund 1956 – Johnson, Brian E.: The Role Ethics of Epictetus: Stoicism in Ordinary Life, Plymouth 2014 – Kraus Reggiani, Clara: 4 Maccabei, CSANT Supplementi 1, Genova 1992 – Long, Anthony A.: The harmonics of Stoic virtue, in id., Stoic Studies, Berkeley 1996, 202-223 – Marrou, Henri Irénée: Histoire de l’éducation dans l’antiquité (Paris 1948), translated into English as A History of Education in Antiquity, New York 1956 – Morgan, Teresa: Literate Education in the Hellenistic and Roman Worlds, Cambridge 1998 – Nickelsburg, George W. E.: Resurrection, Immortality, and Eternal Life in Intertestamental Judaism, Cambridge 1972 – Pfitzner, Victor C.: Paul and the Agon Motif: Traditional Athletic Imagery in the Pauline Literature, NovTSup 16, Leiden 1967 – Schwartz, Daniel R.: 2 Maccabees, CEJL, Berlin 2008 – Winston, David: The Wisdom of Solomon, AB 43, Garden City 1979 – Zurawski, Jason M.: Mosaic Paideia: The Law of Moses within Philo of Alexandria’s Model of Jewish Education, JSJ, 2017, 480-505 – Zurawski, Jason M.: Paideia: A Multifarious and Unifying Concept in the Wisdom of Solomon, in: Karina Martin Hogan / Matthew Goff / Emma Wassermann (eds.), Pedagogy in Early Judaism and Christianity, Atlanta 2017, 195-214.
1. Introduction. From Musar to Paideia. The Hebrew term musar is translated almost universally with the Greek παιδεία throughout the Septuagint texts, as is the cognate verb ysr with the Greek παιδεύω. 1 While there would have been closer Greek matches for the Hebrew, the two are not entirely dissimilar in their respective ranges of meaning, the primary locus of each being the general realm of instruction and pedagogy. Yet, the differences in how each would have been natively understood and utilized are significant. Musar most often referred to the process of instruction, the pedagogy itself, while παιδεία more naturally referred to the content of the instruction and the result. Further, the form musar
1.
Rare exceptions are found, e. g., in Job 4:3 (νουθετέω for )יסרor 5:17 (νουθέτημα for )מוָּסר.
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pedagogy would typically take—verbal rebukes and physical, violent discipline—finds no parallel in the usage of παιδεία prior to the Septuagint translations. This is not to say that the education of children did not involve beatings, but rather that other Greek terminology was used to refer to such measures. This is, in part, due to the very early idealization of the Greek concept in philosophical and rhetorical circles, another distinction from the Hebrew term. Παιδεία would be linked directly to an individual’s virtue, culture, and citizenship, becoming, ultimately, a universalizing force. Isocrates’s claim that being Greek was a matter of shared παιδεία rather than shared bloodline or kinship (Panegyr. 50), which would be taken up vigorously in the Hellenistic and Roman periods, is not an idea attached to the understanding of musar in the Hebrew Bible, but it would have a profound influence on the reception of the Septuagint in later Jewish and Christian communities. Within the Greek translations, we can identify two distinct strategies for dealing with these differences, particularly when musar was connected to disciplinary violence or punishment. First, the translators could strive to maintain the native understanding of the Greek term, to the point of distancing the term from notions of violent discipline in their translations. We find examples of this throughout the books of Proverbs and Job. For example, while in Proverbs musar and παιδεία are associated in some fashion to tochaḥath and ἔλεγχος, “rebuke” or “reprimand,” when the Hebrew parallelism puts the two into an interwoven, inter-dependent pair, the Greek translator breaks the connection and distances παιδεία from ἔλεγχος (10:17; 13:18; 15:10). While it is true that a breaking of the Hebrew parallelism in LXX Proverbs is not uncommon, 2 the important point is that the resultant text—i. e. the received text—exhibits a greater distance between παιδεία and ἔλεγχος. 3 Similarly, in Greek Job the translator eliminates the idea that Job’s afflictions are somehow meant to be God’s pedagogical discipline, as suggested by Job’s misguided friends in the Hebrew (5:17; 33:16; 36:10). A different type of strategy to the translation of musar with παιδεία can be found in the Pentateuch, the prophetic literature, and the Psalms. The close translations found in many passages leaves us with a sense of παιδεία largely foreign to the classical Greek range of meaning. Παιδεία in these texts could take on notions of divine disciplinary action, including physical and mental violence designed to either punish the people for their sins, instruct the people to uphold their covenant promises, or both. In these texts, we might say that Hebrew notions of musar have been overlaid onto the Greek term. An extreme example of this is found in the Holiness Code, where God “educates” (the verb παιδεύω translating ysr) the people through things such as terror, wild animals, and a hunger so strong it forces them to eat their own children (Lev 26:16-29). In LXX Isaiah, this type of divine disciplinary παιδεία is viewed as but
2. 3.
Gerleman: Studies, 18. Note too that the Greek ἔλεγχος refers more to verbal rebuke and does not have the strong sense of physical punishment or threat often integral to the Hebrew תּו ַֹכ ַחת. At its worst, ἔλεγχος could indicate ridicule and shame (Xenophon, Memorabilia 1.7.2; Homer, Odyssey 21.424; Iliad 9.522). In addition, ἔλεγχος would come to play an integral role in παιδεία within the realm of philosophical dialectic, where it described the philosopher’s controverting of arguments. See Plato, Sophist 229c-230d, 470e-471a; Aristotle, De sophisticis elenchis.
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God as Pedagogue
a small affliction compared to the great benefits conferred (26:16; 28:16; 53:5). This idea will prove hugely influential. The translation of musar with παιδεία had two significant impacts in how the texts were received and utilized in later Jewish and Christian communities. First, a discourse of παιδεία within their sacred scriptures allowed later Jews to enter into conversation with the wider Greek and Roman philosophical world of thought on this central topic and, from that, to develop their own unique notions of ideal Jewish education which could incorporate both Greek intellectual culture and their ancestral traditions. The Septuagint (at least the Pentateuch) would become their own divinely received textbook, God’s means of educating the people. Second, the assumption of disciplinary violence in the Pentateuch and Prophets resulted in a potential expanded semantic range for παιδεία. I do not suggest that this led to a fundamental conceptual shift in the term, 4 but rather that it opened up new possibilities which would have been unlikely without the Greek translations. The notion of God as the pedagogue of the people is a direct result of these effects, the first leading to the idea of God educating via the law, the second to the idea of God educating through violent discipline and tests, specifically depicted as παιδεία, and thus integral to (some) overall educational models.
2. God as Disciplinarian The image of God instructing through violence becomes a popular motif among later Jewish and Christian authors, who draw heavily on four related ideas found throughout the Septuagint. First is the idea that God educates his people as a father does his son, found most notably in Deut 8:5 and Prov 3:11-12. Second, a father’s education (and thus God’s) naturally involves beatings and the ῥάβδος, the rod so popular with pedagogues for beating misbehaving children who forget to do their homework (2 Sam 7:14; Ps 88:33; 117:18). Third, this discipline, despite the pain, torment, and humiliation, is actually a good thing (Ps 93:12; Job 5:17-18). This is because, finally, God’s discipline is but a small inconvenience compared to the ultimate benefits received (Isa 26:16-17; 28:26-27; 53:5). The confluence of these four ideas would be determinative in later concepts of suffering as divine discipline. While it is true that ancient Greek education of children often involved corporal punishment, 5 and suffering at the hands of the gods too could be seen as a means of attaining wisdom, 6 the punishment itself was neither termed nor a defining element of παιδεία. The Greek translations would provide the justification necessary to bring divine discipline into the realm of Jewish παιδεία.
4. 5.
6.
As suggested by Bertram: “παιδεύω,” TDNT 5:596-625; and “Begriff,” passim. Aristophanes: Clouds 962-976; Plato: Laws 808c-e. See Marrou: History of Education, 158-159; Beck: Greek Education 450-350 B.C., 104-109, 215-218; Bonner: Education, 115-145; Cribiore: Gymnastics of the Mind, 65-73. There was, however, a strong philosophical debate about the value of corporal punishment in education. See Pseudo-Plutarch: Lib. Educ. 5c-e; Marrou: History of Education, 272-273; Morgan: Literate Education, 132. Aeschylus: Ag. 176-183; Plato: Rep. 380b; Laws 854d, 862e, 934a, 944d. See Adam: Ancient Greek Views of Suffering and Evil, passim.
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Some would view God’s discipline as necessary for the correction of erroneous behavior, not simply punishment for sins but a tool designed to educate and prevent future mistakes. This concept is most fully developed in the Wisdom of Solomon, 7 where God (or Wisdom) is depicted as humankind’s educator, who’s παιδεία could involve violent disciplinary tests. We find the idea particularly in the final third of the text, which has long been given the unfortunate title, the “Book of History,” where the author transforms the unique history of Israel into a universal didactic tale designed to highlight the differences between the righteous and the impious. Here, God’s discipline is specifically tailored to educate and correct unique deficiencies: “Therefore, you correct little by little those who trespass, and you remind them of the things through which they sin, in order that they may be delivered from their wickedness and come to believe in you, Lord” (12:2). All are disciplined and tested by God, but while the righteous learn from their corrective education, the impious do not and instead continue to sin. In chapter eleven, the author references the story of Moses striking the rock at Horeb, providing miraculous water for the people to drink (Ex 17:6; Deut 8:15). Here, God or Sophia provides the righteous with water from the flinty rock (11:4). The impious, instead, receive a river defiled with blood (11:6). These actions were intended to educate and correct both the righteous and the impious. First, the righteous learn the consequences of impiety and the rewards for enduring God’s trials: “You revealed, by the thirst [of the righteous], how you punished their antagonists. For when the righteous were tested, though disciplined in mercy (καίπερ ἐν ἐλέει παιδευόμενοι), they came to know how the impious were tormented when judged with anger” (11:8-9). The righteous endure God’s test in the wilderness and are rewarded with miraculous water, learning that God’s pedagogy leads to rewards and that a failure to do so leads to even greater testing. The impious, too, are taught these lessons (11:12-14), but unlike the righteous, they immediately forget their teaching and continue in their iniquity and ignorance. 8 Punishments and rewards in the Wisdom of Solomon are based not on some notion of ethnic particularism but rather on the diligence of the students. Even something as horrific as a martyr’s torture and death could be viewed as God’s necessary παιδεία for the people. In 2 Maccabees, where the vividly described martyrdoms are explicitly understood as just punishment for the collective sin of the nation (7:32), the suffering death of the martyrs is still meant to educate and discipline: “Therefore, I urge those who read this book not to be depressed by the misfortunes, but to consider that these punishments were designed not for the destruction of our people but for their education (μὴ πρὸς ὄλεθρον ἀλλὰ πρὸς παιδείαν)” (6:12). This seems like a very odd education until we realize that its intent is to reconcile the people with their God and allow them to go on to enjoy the future immortal life: “And if, through his reproof and discipline (ἐπιπλήξεως καὶ παιδείας), our living Lord has become briefly (βραχέως) angry, he will again be reconciled (καταλλαγήσεται) to
7. 8.
See Zurawski: Paideia: A Multifarious and Unifying Concept in the Wisdom of Solomon, passim. Cf. 12:18-27 and 16:4-9 for similar didactic tests of the righteous and the impious.
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God as Pedagogue
his own servants” (7:33). 9 Thus, this brief suffering is a great benefit and kindness shown to God’s people, as opposed to their enemies who are allowed to continue in sin without correction and thus receive the full measure of punishment without hope for reconciliation (6:13-14; 7:36). If we go back to the Wisdom of Solomon, now to the first section of the text, the so-called “Book of Eschatology,” we also see torture and murder at the hands of the impious depicted as God’s παιδεία, but here, in contrast to the martyrdoms in 2 Maccabees, the victim is wholly righteous and the suffering is, thus, decidedly not punitive. In chapter two, we find a group of impious men who have rejected their own παιδεία and are ignorant about the true nature of life and death (2:1-5, 12). They decide to test, torture, and murder an innocent individual because his righteousness highlights their own iniquity (2:12-20). At the start of chapter three, however, we learn just how ignorant the impious are and the degree to which even righteous suffering could be construed as divine παιδεία: 1
The souls of the righteous are in the hand of God, and no torment will ever touch them. 2 In the eyes of the foolish they seem to have died, and their departure was considered a misfortune, 3 and their going away from us their destruction, but they are at peace. 4 For though in the sight of mortals they were punished, their hope is full of immortality. 5 And, having been educated a little (ὀλίγα παιδευθέντες), they will receive great good, because God has tested (ἐπείρασεν) them and found them worthy of himself. (3:1-5)
The reliance on Greek Isaiah is essential, 10 as it was with 2 Maccabees. Even death itself —i. e. the death of the body—becomes insignificant compared to the immense reward earned by the good student who passes God’s test, the immortal life of the soul in nearness to the divine. Corporeal existence in the Wisdom of Solomon becomes a divine contest, an ἀγών, where God educates, tests, and disciplines humanity to determine their worthiness for the true psychic existence. 11 This confluence of ideas from the Septuagint translations is found also in the texts of the New Testament and in early Christian literature to describe God as humankind’s disciplinary pedagogue. Paul understands the discipline of the Lord as necessary and beneficial as it prevents future sin and condemnation (1 Cor 11:32). In encouraging his readers to endure struggle and suffering, the author of the Letter to the Hebrews quotes Prov 3:11-12, comparing the members of the community to children in need of their father’s παιδεία, combined with the idea from Isaiah that this παιδεία might be 9. Cf. 2 Macc 7:9, 11, 14, 23, 29, 36; 12:43-44; 14:46. On the text’s notion of martyrdom as reconciliation, see Schwartz: 2 Maccabees, 272-273, 299. 10. On the Wisdom of Solomon’s reliance on LXX Isaiah, see Winston: Wisdom of Solomon, 2021. On the connection specifically to the fourth servant song, see Nickelsburg: Resurrection, 58-92. 11. Cf. Wisd 4:2 and 10:12. On the Hellenistic agōn motif in the Wisdom of Solomon, see Pfitzner: Paul and the Agon Motif, 54-57.
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Termini und Themen der Septuaginta
unpleasant but well worth enduring for the benefits conferred (Heb 12:5-11). The connection between Jesus and Isaiah’s fourth servant song would become an early and powerful image for many Christian communities. Clement’s First Epistle to the Corinthians contains one of the earliest unambiguous references, where Jesus takes on God’s παιδεία of peace on behalf of the world’s sins (1 Clem. 16:5). He then goes on to directly quote Ps 117:18; Prov 3:11-12; Ps 140:5; and Job 5:17 to encourage the community to welcome the παιδεία of the Lord—and of the presbyters (56:1-57:1). The next logical step would be to understand Jesus, as the Word or Wisdom of God, explicitly as the pedagogue of the world, such as we find in Clement of Alexandria (Paedagogus) and Origen (De principiis).
3. God as (non-violent) Educator God as the pedagogue of humanity who instructs through violent reproofs, punishment, and discipline was a concept supported by certain Septuagint translations and the resultant expanded range of meaning attached to the Greek term παιδεία. As mentioned above, this was not a universal conceptual shift, but rather an opening of new possibilities. And, not all Jews during the Second Temple period agreed with the idea of suffering as God’s pedagogical discipline. In the version of the Maccabean martyrs as told in 4 Maccabees, the gruesome torture and murders are linked to God’s παιδεία, but not in the way 2 Maccabees described them. While 2 Maccabees saw martyrdom as just punishment for the collective guilt of the people and an atoning sacrifice which brought about the needed reconciliation between God and his people, 4 Maccabees reinterprets the idea of martyrdom in a distinctly non-punitive manner. 12 The martyrs are able to endure their unjust suffering thanks to the παιδεία they have received through God’s law, their educator (παιδευτής) which taught them that reason (λογισμός) rules over emotions (πάθη) (1:13-19; 5:22-24, 34; 13:22-24). The author of 4 Maccabees will thus echo the sentiment found in 2 Maccabees that the martyrs, though suffering now, will be far better off than their tormenters in the end, but he ingeniously shifts the idea that their suffering is God’s παιδεία to the notion that they are able to endure due to God’s παιδεία: “We, most blood-soaked tyrant, suffer these things on account of the education and virtue of God (διὰ παιδείαν καὶ ἀρετὴν θεου), but you will undergo endless torments on account of your impiety and bloodthirstiness” (10:10-11). Philo of Alexandria also understood παιδεία as the tool necessary to beat back the problematic emotions which would plague the soul and lead to its destruction. To do this, Philo symbolizes παιδεία as the ῥάβδος, the pedagogue’s rod, and in so doing directly takes on the idea of corporal punishment in education and παιδεία as divine discipline. For Philo, the rod becomes the symbol for mental discipline not physical punishment. 13 12. See Kraus Reggiani: 4 Maccabei, 54; deSilva: 4 Maccabees, 185. 13. Leg.All. 2:88-92; Mut.Nom. 135; Cong. 94; Sacr. 63. The rod of παιδεία is often linked to Jacob, the symbol of the mind which improves to virtue through training and the model athlete which serves as a paradigm for chastening the irrationality of the soul. See Det. 3; Agr. 41-43.
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God as Pedagogue
The ultimate transcendence of the deity in his philosophy means that Philo typically does not portray God as directly teaching the people, but instead educating through intermediaries. One of the most common of God’s instructors is Moses who teaches via the law. Moses was taught directly by God and initiated into the divine will (Vit.Mos. 1:77-80; 2:71; Her. 17), which led to his becoming a teacher of divine things (Gig. 54; Virt. 178). Moses would pass on his education through the written law and its proper interpretation. 14 In his treatise De ebrietate, Philo describes two other surrogate teachers: the unwritten, universal law of nature and encyclical παιδεία. God and Wisdom may properly be understood as the parents of the cosmos (Ebr. 30-31), but because mortals would be unable to endure their rewards and punishments, they have as parents and instructors the cosmic parents’ own pupils: “Therefore we say that the father is masculine and perfect right reason (ὀρθὸν λόγον), 15 and the mother is the middle and encyclical course of study and education (τὴν μέσην καὶ ἐγκύκλιον χορείαν τε καὶ παιδείαν)” (Ebr. 33). The best children and students are those who attend to the lessons of both parents (Ebr. 35, 80-92), those related to nature and truth from the father, and those concerning the particular customs and laws of the state from the mother (Ebr. 34, 64-65, 68, 77).
4. Conclusions Jewish thinkers during the Hellenistic and early Roman periods would develop new and unique models of education which could incorporate the best of both their ancestral traditions and their contemporary intellectual surroundings. The influence of this educational discourse is profound. One need only look at the monumental impact the incorporation of Greek παιδεία into late antique Christian education had on the history of the early Church and of Western education as a whole to appreciate the influence of the diverse theories of Jewish paideia during the Second Temple period. The confluence of Jewish thought and Greek philosophy was, of course, determinative, and it was the Jewish scriptures in Greek which acted as the necessary means for engaging with the common world of thought on the value and role of παιδεία as well as the precedent for those points which may have come in conflict with traditional Greek or Roman views. The idea of God as the pedagogue of the people is but one example.
In addition, humankind has internal helpers in the fight against the passions, most notably ὀρθὸς λόγος and conscience, both of which work in concert with παιδεία to control irrationality. On ὀρθὸς λόγος here, see Post. 68; Leg.All. 3:80, 118, 128, 222-223; Sacr. 51. On conscience (συνειδός), see Imm. 100, 126, 128. 14. See Zurawski: Mosaic Paideia, passim. 15. Ὀρθὸς λόγος is the term used by early Stoics to describe the unwritten order of the universe and is regularly used by Philo as equivalent to νόμος φύσεως. See, e. g., Diogenes Laertius 7: 1.87-88; Philo: Opif. 143; Prob. 45-46; Plant. 121. On the Stoics and ὀρθὸς λόγος, see Long: The harmonics of Stoic virtue, 202-223; and Johnson: Role Ethics, 72-76.
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2.1.9 Kultterminologie Martin Vahrenhorst Literatur Textausgaben und Übersetzungen Philo: Opera quae supersunt, ed. Leopold Cohn / Paul Wendland, 7 Bände, Berlin 1896-1930 – Philo: Quod omnis Probus liber sit, übs. v. Francis Henry Colson, in: Philo. Works. Greek and English Translation, ed. by Francis Henry Colson / George Herbert Whitaker (Hrsg.): Philo. In Ten Volumes, Vol. IX, LCL 363, Cambridge 1941, 11-101 – Philo von Alexandria, Ueber das Leben Mosis, übersetzt von B. Badt, in: Leopold Cohn u. a. (ed.), Philo von Alexandrien. Die Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 1, Breslau 1909 = Berlin 21962, 215-365 – Josephus: Opera, ed. Benedikt Niese, 7 Bände, Berlin 1955 (*1887-1895). Origines: In Leviticum Homiliae, ed. Wilhelm Adolf Baehrens, GCS 29, Leipzig 21920, 280507 – Procopius Gaz.: Commentarii in Exodum, in Leviticum, in Numeros, in Deuteronomium, in librum Josue, in Judices, in libros Regum, in Paralipomena, PG 87/1, 511-1201 – Cyrillus Alex.: Glaphyra in Pentateuchum, PG 69, 9-678 C – Theodoret: Quaestiones in Octateuchum, ed. John F. Petruccione, Vol 1, OECT 1, Oxford 2007.
Weitere Literatur Rösel, Martin / Schlund, Christine: Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Stuttgart 2011 Septuaginta Deutsch (LXX.D), 431-522 – Martin Vahrenhorst: Exkurs: »Hinweise zur Opferterminologie im LXX Pentateuch«, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Stuttgart 2011 Septuaginta Deutsch (LXX.D), 335-346 – Vahrenhorst, Martin: der Kult, in: Eberhard Bons / Jan Joosten (ed.), Die Sprache der Septuaginta, LXX.H 3, Gütersloh 2016, 329-334 (dort Literatur) – Vahrenhorst, Martin: Die Übersetzung kultischer Begriffe am Beispiel der תנופה, in: Siegfried Kreuzer / Martin Meiser / Marcus Sigismund (ed.), Die Septuaginta – Entstehung, Sprache, Geschichte, WUNT 286, Tübingen 2012, 203-212 – Wevers, John William: Notes on the Greek Text of Leviticus, SCS 30, Atlanta 1997.
Bei der Übersetzung der heiligen Schriften Israels aus dem Hebräischen ins Griechische entstanden neue Texte, die Assoziationen wachriefen und zu Deutungen einluden, die in der Ausgangssprache nicht angelegt waren. Dieser Beitrag untersucht exemplarisch Termini aus der Welt des Kultes, auf die diese Beobachtung zutrifft. Der Fokus liegt dabei nicht auf dem Vorgang des Übersetzens selbst. 1 Es geht vielmehr um die Auslegungen, die das Ergebnis des Übersetzungsvorgangs erfuhr, und zwar speziell um solche Auslegungen, die sich vom hebräischen Text her nicht nahegelegt hätten. Dabei soll zunächst die Rezeption kultischer Begriffe bei Philon von Alexandrien untersucht werden. In einem zweiten Schritt geraten Auslegungen der Kirchenväter in den Blick. 1.
Vgl. Vahrenhorst: Der Kult, LXX.H 3, 329-334 (dort Literatur).
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Kultterminologie
1. Philon von Alexandrien 1.1 Das erste Opfer, das nach der Sintflut dargebracht wird, ist eine ( עולהGen 8,20). Der Name dieses Opfers leitet sich von der Wurzel »( עלהaufsteigen«) ab. Martin Buber und Franz Rosenzweig übersetzten es mit »Darhöhung«. Dabei handelt es sich um ein Opfer, das in seiner Gesamtheit Gott übereignet wird, an dem Menschen also keinen Anteil haben. Die griechischen Übersetzer prägten dafür Worte wie ὁλοκαύτωμα (»Ganzbrandopfer« [LXX.D]). 2 Damit wird einerseits betont, dass das Opfer durch den Akt der Verbrennung zu Gott transferiert wird. Die Vorsilbe ὁλο lässt zudem deutlich werden, dass das Opfer vollständig verbrannt wird. Diese Vorsilbe inspiriert Philon. Zu Lev 9,14 schreibt er: »Der Weise opfert seine ganze Seele (ὅλην γὰρ τὴν ψυχὴν) als das, was Gott darzubringen würdig ist …« (Leg.All. III, 141). Ähnlich verfährt Philon in Sacr. 139: Die Teile, die die Seele als ganze (ψυχὴν ὁλόκληρον) repräsentieren, sollen als Ganzbrandopfer dargebracht werden. Als Abraham sich anschickte, seinen Sohn als ὁλοκάρπωσις 3 zu opfern (Abr. 198), widmete er Gott seine ganze Seele (ὅλην τὴν ψυχὴν). 4 Alle diese Deutungen hätten sich von der Etymologie von עולהher nicht entwickeln lassen. Sie verdanken sich der Entscheidung der Übersetzung des Pentateuch, den hebr. Namen des Opfers so wiederzugeben, dass dabei deutlich wird, was mit ihm geschieht: es wird ganz verbrannt. 5 1.2 Der Pentateuch kennt auch Opfer, bei denen bestimmte Opferteile von Gott den Opfernden zum Verzehr überlassen werden. Auf Hebräisch heißen sie זבח שלמים (»Schlacht- bzw. Friedensopfer«). In der griechischen Übersetzung findet sich für שלמים6 in der Regel ein Element von σωτηρία (»Rettung«). 7 Auch dieser Übersetzung verdankten sich besondere Akzente in der Auslegung. Nach Lev 23,19 sollen am Wochenfest u. a. zwei Lämmer als »Rettungsopfer« (θυσίαν σωτηρίου) dargebracht werden. Ihr Fleisch ist von den Priestern zu essen. Philon schreibt dazu: »diese werden Rettungsopfer genannt, weil Nahrung für die Menschen aus vielen und unterschiedlichen Umständen hindurchgerettet (διασεσῶσθαι) wird« (Spec.Leg. I, 184). Ähnlich lesen wir in Spec.Leg. I, 197: »Die Rettungsopfer (werden) wegen der Rettung und der Verbesserung menschlicher Angelegenheiten (dargebracht)«. 8 1.3 Eine Untergattung dieses Opfers stellt nach Spec.Leg. I, 224 das Lobopfer (τῆς αἰνέσεως) dar. Im hebr. Text heißt es »( זבח תודהDankopfer«, z. B. Lev 7,11f). Dahinter steht die Wurzel ידה, die sowohl mit danken als auch mit loben wiedergegeben werden kann. Nach Philon ist dieses Opfer von jemandem zu bringen, dem es in seinem Leben immer nur gut ergangen ist. Er soll Gott mit Hymnen, Glücksbezeugungen, Gebeten und Opfern dankend seinen Dank erweisen. Philon ist sich durchaus bewusst, dass all diese aus geschuldeter Dankbarkeit entspringen, aber seine Zuspitzung auf Hymnen etc. verdankt sich der Präzisierung, die die LXX Übersetzer vorgenommen haben. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Vgl. Vahrenhorst: Exkurs: »Hinweise zur Opferterminologie, 336 Dies ist ebenfalls eine Übersetzung von עולה. Vgl. dazu Vahrenhorst: Exkurs, 337 Vgl. Abr. 198. Die gleiche Ableitung findet sich auch in Spec.Leg. I, 196. Die Übersetzung ist nach Gesenius / Donner: Wörterbuch, 1369, umstritten. Vorgeschlagen werden: Gemeinschafts-Schlachtopfer, Heilsopfer oder Schlussopfer. Vgl. Vahrenhorst: Exkurs, 339. Ähnlich Spec.Leg. I, 239; 1,252f
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Termini und Themen der Septuaginta
1.4 Im hebr. Text von Num 28,2 werden die Israeliten angewiesen Gott die festgesetzten Gaben zur rechten Zeit darzubringen. Im Folgenden wird das näher ausgeführt. Objekt der Darbringung ist nach dem hebr. Text: »( קרבני לחמי לאשיmein Opfer, meine Speise als Feueropfer« [Zürcher Bibel]). Die LXX macht daraus eine Trias: »Τὰ δῶρά μου δόματά μου καρπώματά μου« (»meine Gaben, meine Geschenke, meine Ertragsopfer«). Auffällig dabei ist die Wiedergabe von לחםmit δόμα (»Geschenk«). »Seit Lev 21,6 wird die wörtl. Übersetzung ›Brot‹ für לחםvermieden«. 9 Diese Übersetzungsentscheidung ermöglicht es Philon in Leg.All III, 196 zwischen Gaben und Geschenken zu unterscheiden. Erstere seien höherwertig und würden von Gott nur den Vollkommenen verliehen, letztere hingegen seien geringer und kämen denen zu, die sich um Vollkommenheit bemühen. 10 1.5 In Prob. 69 bietet Philon eine Auslegung des seltenen Opfernamens ὁλοκάρπωμα (»Ganzfeueropfer« [LXX.D]). 11 Er weise darauf hin, dass im Unterschied zum natürlichen Wachstum, bei dem die Frucht 12 erst am Ende des Wachstumsprozesses steht, bei der Ausprägung der Tugenden bereits alles Frucht sei. 13 Die hebr. Vorlage עולהhätte diesen Auslegungsweg nicht gewiesen. 1.6 Zur Weihe der Priester gehört ein bestimmtes Opfer, das Einsetzungsopfer (Ex 29,22). [» ִמֻלִּ֖איםHandfüllung, d. h. Ordination der Priester« 14]). Die LXX übersetzt es sachgemäß mit τελείωσις (»Weihe«). Philo entdeckt darin folgenden Gedanken: »Den andern Widder verlangte er, um die Priester durch heiligende Läuterung zu weihen, weshalb er ihn auch treffend den Widder der ›Weihe‹ nannte […], da sie durch ihn in die für Diener Gottes und Vollzieher heiliger Handlungen passenden Weihen eingeführt werden sollten« (Vit.Mos. II, 149). 15 1.7 Nach Lev 16,10 hat der Hohepriester über dem für Asasel bestimmten Bock Sühne zu schaffen. Die LXX gibt כפרmit ἐξιλάσκομαι (»Sühne schaffen« [LXX.D]) wieder. Dieses Kompositum verwendet Philon nur im Zitat von Lev 16,10 (Post. 70 und 72), geläufiger ist ihm ἱλάσκομαι. In Post. 72 scheint er der Vorsilbe ἐκ besonderes Gewicht beizumessen. 16 Seiner Lektüre nach sei in Lev 16,10 gemeint, dass der Mensch bekennt, dass in ihm Leidenschaften und Begierden wohnen, dass er ihnen aber nicht nachgeben wolle, sondern gegen sie streiten wolle (ἀπομαχόμεθα) bis er sie gänzlich beseitigt habe (ἀποδιοπομπησώμεθα). In beiden Fällen entspricht der Vorsilbe ἐκ (heraus) in Philons Paraphrase die Vorsilbe ἀπό (ab), und in beiden Fällen geht es um ein gänzliches Beseitigen. 1.8 Philon beobachtet, dass der Altar (gr. βωμός) im Pentateuch einen eigenen Namen erhält, so es sich dann um einen Altar für den einen Gott handelt: θυσιαστήριον (Opferstätte). Philon leitet den zweiten Bestandteil dieses Wortes vom Verb τηρέω (behüten / erhalten) ab und kommt so in Vit.Mos. II, 106 zu folgender Auslegung: Rösel / Schlund: Arithmoi / Numeri / Das vierte Buch Mose, 501. Ähnlich Cher 84. Vgl. dazu oben Anm. 3. Philo leitet den Wortteil κάρπωμα von καρπός (»Frucht«) ab. Vgl. Colson (LCL 363), 511 f. Gesenius / Donner: Wörterbuch, 678. Übersetzung nach B. Badt in: Cohn, Leopold (ed.), Philo von Alexandrien. Die Werke in deutscher Übersetzung, Breslau 1909, Bd. 1. 16. Vgl. BdA III, 153.
9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.
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Kultterminologie
Der Altar behütet und bewahrt die Opfer (ὡσανεὶ τηρητικὸν καὶ φυλακτικὸν ὄντα θυσιῶν). 17 1.9 Zur Welt des Kultes gehören auch die priesterlichen Gewänder. Der Hohepriester soll nach Ex 28,15 eine Brusttasche ( )חשןtragen, auf der zwölf Edelsteine appliziert sind, die die zwölf Stämme Israels symbolisieren. In dieser Tasche befinden sich die Losorakel אוריםund ( תומיםmöglicherweise mit Licht und Vollkommenheit zu übersetzen [Ex 28,30]). Die LXX übersetzt חשןmit λογεῖον (»Orakel« [LXX.D]) und die Namen der beiden Lose mit δήλωσις (»Offenbarung«) und ἀλήθεια (»Wahrheit«). Philo setzt in Spec.Leg. I, 87 die Edelsteine mit den Tierkreiszeichen gleich und deutet den Namen λογεῖον im Sinne von Vernunft, weil im Himmel alles nach vernünftigen Regeln geordnet sei (I, 88). Der Name Wahrheit sei angemessen, weil die Lüge in der himmlischen Welt keinen Platz habe, und Offenbarung deute darauf hin, dass die himmlischen Geschöpfe uns offenbaren, was auf Erden geschieht – so könnten wir ohne das Licht der Sonne nichts sehen (I, 89f).
2. Alte Kirche 2.1 Origenes 2.1.1 Origenes (184/85-253/54) lässt sich ähnlich wie Philon von der Übersetzung der זבח שלמיםmit θυσία σωτηρίου (sacrificio salutaris [»Rettungs-/Heilsopfer«]) inspirieren. 18 Nach Lev 3,1 ff. kann dieses Opfer nur von Rindern oder vom Kleinvieh, nicht aber von Vögeln dargebracht werden. Origenes erklärt das wie folgt: »Wer Rettungsopfer opfert, ist sich ohne Zweifel seiner eigenen Rettung bewusst«, daher sei es angemessen große und vollkommene Dinge zu opfern. 19 In Lev.Hom. 5 findet sich ein ähnlicher Gedanke: »Niemand opfert Gott dieses Opfer, er sei denn gesund / heil (salus) und sich seiner Gesundheit / seines Heils bewusst (salutis suae conscius)«. 20 2.1.2 In Lev 5,10 hat Origenes ὁλοκάρπωμα gelesen. 21 Wie Philon vor ihm setzt er diesen Terminus mit καρπός (Frucht) in Beziehung: »es ist alles Frucht, was Gott geopfert wird«. 22 Etwas ausführlicher äußert er sich dazu bei seiner Auslegung von Lev 7,30. Das Opfer sei zu verstehen im Sinn von »jede Frucht« (omnem fructum). Jemand der nicht die Frucht der Gerechtigkeit, der Barmherzigkeit oder des Geistes (vgl. Jak 3,17) habe, könne es nicht bringen. 23 2.1.3 Zwei weitere Opfertermini begegnen in Lev 7,34. Im hebr. Text stehen die Begriffe שוק התרומהund חזה התנופה. 24 Die LXX übersetzt στηθύνιον τοῦ ἐπιθέματος und βραχίονα τοῦ ἀφαιρέματος (»Bruststück der Zugabe« und »Schulterstück der 17. Ähnlich Spec.Leg. I, 290. 18. Die Homilien zum Leviticusbuch sind nur in der lateinischen Übersetzung von Rufin (340/45410) erhalten. 19. Origenes: Lev. Hom. 2,2,6, GCS 29, 292. 20. Origenes: Lev. Hom. 5,12,6, GCS 29, 356. Vgl. auch Origenes: Lev. Hom. 5,12,6, GCS 29, 357. 21. Vgl. den Apparat bei Wevers: Notes on the Greek Text of Leviticus, 76. 22. Origenes: Lev. Hom. 5,2,2, GCS 29, 336. 23. Origenes: Lev. Hom. 5,2,2, GCS 29, 355. 24. Vgl. dazu Vahrenhorst: Übersetzung, 203-212.
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Abhebe« [LXX.D]). Origenes fragt, was einem Bruststück hinzugegeben werden müsse, damit es ein Bruststück der Zugabe (appositionis) werden könne. Er antwortet: Nachdem es gereinigt worden sei, müsse ihm die Gnade des Heiligen Geistes hinzugefügt werden (apponatur ei gratia Spiritus sancti). Entsprechend werde der Arm dessen, der es vermöge, die Werke des Lichts von denen der Finsternis zu unterscheiden, und der entsprechend seine Handlungen von der Finsternis abhebe (separes), zu einem »brachium separationis«. 25 Auch hier ist nicht zu übersehen, dass Origenes die Etymologien der griechischen Opfertermini zum Ausgangspunkt seiner Auslegung macht. 2.1.4 Zuweilen ermöglicht der Wortlaut der LXX eine Verbindung zu einem Text aus dem NT. Dies ist in Lev.Hom 4,10,4 zu beobachten. Dort geht es um das vegetabile Opfer, das Priester darbringen (Lev 6,14). Die LXX nennt es »ein Opfer aus Stücken« – θυσία ἐκ κλασμάτων. Letztere erinnern Origenes an die Speisung der 5000, bei der κλάσματα (»Stücke«) übrig geblieben sind (Mt 14,20). 26 2.1.5 Der oben erwähnte Widder des »(Für-)die-Einweihung« (τῆς τελειώσεως [Lev 8,29]) wird von Origenes offenbar so interpretiert, dass er dahinter – anders als Philon – nicht den terminus technicus für Initiationen wahrnimmt, sondern das Adjektiv vollkommen. Rufin übersetzt »perfectionis«. Aus diesem Grund dürfe niemand von diesem Opfer essen außer Mose allein, der nach Sap 7,27 ein Freund Gottes war. 27 2.1.6 Auch durch die Übersetzung von ( נדרGelübde) mit εὐχή Lev 7,16 werden neue intertextuelle Bezüge möglich. Die zu verzehrenden Bestandteile des Opfers dürfen nicht über den zweiten Tag hinaus gegessen werden. Wer dies dennoch tue, habe seine Sünde zu tragen. Origenes erinnert die Verwandlung des Opfers in eine Sünde an Ps 109,7: »ἡ προσευχὴ αὐτοῦ γενέσθω εἰς ἁμαρτίαν« (»sein Gebet soll zur Sünde werden«). Vom hebr. Text her, in dem sich »( נדרGelübde«) und »( תפילהGebet«) finden, wäre dies kaum möglich gewesen. 28 2.1.7 In Lev 6,18f wird ausgeführt, dass der Priester vom Opfer für die Sünde essen soll. Im Hebr. sind die grammatikalischen Bezüge deutlich: Das Objekt ist in jedem Fall das Sündopfer ()חטאת. In 6,18 übersetzt die LXX das mit einem Neutrum plural »τὰ περὶ τῆς ἁμαρτίας«. Im folgenden Vers übersetzt sie – dem hebr. Text entsprechend – feminin. Der nächstliegende Bezug dazu wäre ἁμαρτία. Origenes deutet dies unter Verweis auf Hos 4,8 so, dass der Priester die Sünde des Volkes isst und sie so beseitigt. 29 Hier ist es eine grammatikalische Zweideutigkeit im Griechischen, die zu einer theologischen Deutung einlädt.
2.2 Weitere Beispiele 2.2.1 Prokopius von Gaza (465-528) unterteilt die Rettungsopfer (σωτηρίαι θυσίαι) in zwei Kategorien: Lobopfer und freiwillige Gaben. Er führt weiterhin aus, dass diese im Vergleich zum Ganzbrandopfer weniger wert seien, weil nur Teile davon dargebracht
25. 26. 27. 28. 29.
Origenes: Lev. Hom. 5,12,6, GCS 29, 357. Origenes: Lev. Hom. 4,10,4, GCS 29, 330 f. Origenes: Lev. Hom. 5,2,1, GCS 29, 335. Origenes: Lev. Hom. 5,9,2, GCS 29, 350. Origenes: Lev. Hom. 5,3,2, GCS 29, 338.
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würden, während letzteres vollständig Gott übereignet würde. 30 Ähnlich deutet er die ὁλοκαύτωσις (»Ganzbrandopfer«). 31 2.2.2 Cyrill von Alexandrien (375/80-444) greift auf den gleichen Gedanken zurück und vergleicht Christus mit dem Ganzbrandopfer: »ganz aus ganzem und nicht teilweise zum Wohlgeruch Gott dargebracht«. 32 2.2.3 Theodoret (393 – ca. 458/466) erörtert die Frage, warum das Opfer, das Priester darbringen, ein Ganzbrandopfer sein müsse. Dies läge daran, dass Priester sich selbst vollkommen und nicht nur teilweise Gott darbringen sollten. 33
30. 31. 32. 33.
Procopius Gaz.: In Lev., PG 87/1, 705 A. Procopius Gaz.: In Lev., PG 87/1, 697 A. Cyrillus Alex.: Glaph. Lev., PG 69, 549 D-552 A. Theodoret: Qu. Lev. 3, OECT 2, 18.
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Halacha
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Termini und Themen der Septuaginta
in: Wolfgang Kraus / Siegfried Kreutzer (ed.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 483-500 – Wevers, John William: Notes on the Greek Text of Leviticus, SCS 44, Atlanta 1997.
1. Einführung Im vorliegenden Beitrag um halachische Differenzen zwischen MT und LXX bezeichnet »MT« als Grundlage der Übersetzung der LXX notgedrungen den Proto-MT. Im weiteren Sinne werden hier Wirkungen der Septuaginta skizziert, wie sie später auch in halachisch orientierten Texten jüdischer Provenienz manifest sind. Der Bereich der Halacha umfasst den rechtlich-normativen Teil der Überlieferung des Judentums. Der Begriff leitet sich vom Verb » הלךgehen, wandeln« ab und ist eigentlich rabbinischen Ursprungs, findet aber allgemein auch auf vor-rabbinische Rechtssysteme Anwendung. Er umfasst u. a. die 613 Gebote (Mizwot), zu deren Observanz ein männlicher Jude verpflichtet war. Von der Halacha unterscheidet sich die Aggada (aramäisch )אגדה, gelegentlich auch »Haggada« (hebräisch )הגדהgenannt; beide Begriffe bedeuten »das Erzählte«. Die Aggada enthält in diesem Sinne frei formulierte und interpretierende, also jedenfalls nicht rechtlich verbindliche Traditionen, deren Sammelbezeichnung »Midrasch Rabba« ist, so z. B. Fabeln, liturgische Texte, Poesie, aber auch Parabeln und Legenden sowie ethische Ermahnungen. 1 Insofern der Charakter der Halacha »die Verbindlichkeit der rabbinischen Normativität im Handeln ausdrückt, muss jede Abweichung von den traditionellen Normen in einer strengen ›logischen‹ Argumentation oder einer sichtbaren Macht von Erlassen legitimiert sein«. 2 Um u. a. solche Normativität zu erreichen und vor allem institutionell zu gewährleisten, entstanden halachische (oder tannaitische) Midraschim, welche die Tora – speziell die Bücher Exodus bis Deuteronomium – auslegen (z. B. Mekhilta de Rabbi Jischmael zu Exodus; Sifra [aram. » ִסְפ ָראdas Buch«] zu Leviticus; Sifre Numeri; Sifre Deuteronomium). 3 Anfang des 3. Jahrhunderts n. Chr. wurde zudem in Galiläa mit dem Werk der Redaktion der Mischna als Corpus religionsgesetzlicher Traditionen für das rabbinisch geprägte Judentum Palästinas und auch Teile der Diaspora begonnen. Später wurde der Talmud zur Grundlage der Halacha, und zwar zunächst der Jeruschalmi, ab Mitte des 8. Jahrhunderts dann zunehmend der Bavli. Die Existenz von halachischen Differenzen war schon im pharisäischen Judentum Palästinas bekannt; allein zwischen den Schulen von Hillel und Schammai bestanden aufgrund von unterschiedlichen Auslegungsmethoden hunderte von Differenzen. Dieser war man sich bewusst – bald wurde von der Gefahr gesprochen, aus der einen
1.
2. 3.
Vgl. Jacobs: Halacha, 384-388; Schiffman: Halakhah, 1 f.; Gray: Halakhah, 7-10. Für die christliche Kirche und Wissenschaft ist der Bereich der Halacha weitgehend fremd und jedenfalls von geringer Relevanz, was daran zu erkennen ist, dass diesbezüglich nur wenig einschlägige Literatur existiert. Für die jüdische Gelehrsamkeit und Frömmigkeit dagegen ist die Halacha von zentraler Bedeutung; sie ist deshalb als »das unterscheidenste Merkmal der jüdischen Religion« bezeichnet worden (Jacobs: Halacha, 385). Agus: Judentum, 18. Vgl. Stemberger: Einleitung, 245-271.
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Tora könnten zwei Torot werden; später befürchtete man, dass aus zwei Torot sogar viele verschiedene werden könnten. 4 Halachische Differenzen zwischen Proto-MT und LXX sind nun allerdings vor den eben angesprochenen im Judentum Palästinas zu datieren. Sie lassen sich u. a. in ethisch-kasuistischen sowie kultischen bzw. kultisch relevanten Themenbereichen beobachten. Als Gründe für die Textdifferenzen zum MT lassen sich oft die veränderten Lebensumstände speziell in der jüdischen Diasporagemeinde Ägyptens, wo viele Bücher der LXX übersetzt worden sind, anführen. Generell sind Vorschriften zudem aktualisiert, präzisiert und/oder verschärft worden. Selten verallgemeinert die LXX demgegenüber Aussagen des Proto-MT. Gelegentlich erlauben Beobachtungen zu halachischen Differenzen schließlich Rückschlüsse insbesondere auf theologische Unterschiede zwischen dem palästinischen und dem unterägyptischen Umfeld.
2. Veränderte Lebensumstände in der jüdischen Diasporagemeinde Ägyptens Die jüngere Forschung zur LXX hat plausibel machen können, dass die einzelnen Schriften von unterschiedlichen Übersetzern verantwortet wurden, die allerdings mehrheitlich in die jüdische Diasporagemeinde Unterägyptens in und um Alexandria zu verorten sind. Solche einleitungswissenschaftlichen Erwägungen haben vor allem für halachische Texte – und hier vor allem für die vielfältigen zwischen Vorlage und Übersetzung zu konstatierenden Differenzen – weitreichende Konsequenzen, bieten aber gleichzeitig mit Blick auf die veränderten Lebensumstände und religiös-kulturelle Verhältnisse einen Interpretationsrahmen. Zu fragen ist nämlich jeweils, ob den Übersetzern überhaupt an einer präzisen Wiedergabe des (Proto-)MT gelegen war, oder ob sie vielmehr eine zeitgenössische Anpassung und Aktualisierung des Textes an die halachische Praxis in und um Alexandria anstrebten, um eine bleibende Relevanz der LXX und eine einheitliche rechtliche Basis zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund können sowohl geringfügige als auch weitreichende Änderungen erklärt werden, so beispielsweise die LXX-Lesart in den Rechtsbestimmungen für Sklaven, zu denen Ex 12,44 gehört. Hier findet sich anstelle von » ֶעֶבדSklave« der Terminus οἰκέτης »Haushaltssklave«; anzunehmen ist, dass es im Gegensatz zu Palästina in der ägyptischen Diasporagemeinde verschiedene Arten von Sklaven gab. 5 Auch in den Bestimmungen zur Auslösung der Erstgeburt nach Ex 13,13 und 34,20 fällt auf, dass textliche oder übersetzungstechnische Erwägungen nicht zu erklären vermögen, warum ֹ» ַוֲע ַרְפתּוso breche er sein Genick« mit λυτρώσῃ αὐτό »du sollst es auslösen« 6 wiedergegeben wird. 4. 5. 6.
Vgl. Jacobs: Development, 1162.1165 f. Vgl. Schaper: Exodos, 290. Deutsche Übersetzungen aller LXX-Passagen in diesem Beitrag orientieren sich an: Kraus / Karrer (ed.), Septuaginta Deutsch. Dabei sind in längeren Textpassagen Worte der LXX, die vom MT abweichen, kursiv gesetzt; fehlen in der LXX Worte oder Textpassagen des MT, erscheint in der deutschen Übersetzung das Zeichen + (vgl. dazu Kraus / Karrer, Septuaginta Deutsch, XXI). Von mir als notwendig erachtete Korrekturen der deutschen Übersetzung werden jeweils mit eckigen Klammern [ ] kenntlich gemacht und in Fußnoten kommentiert. Deutsche Übersetzungen sämtlicher MT-Passagen habe ich ansonsten selbst vorgenommen.
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Hier schlägt Joachim Schaper im Anschluss an Zacharias Frankel vor, den Übersetzern sei nicht an einer präzisen Wiedergabe des (Proto-)MT gelegen. »Sie strebten vielmehr eine Angleichung des Textes an die halachische Praxis im Alexandria ihrer eigenen Zeit an«. 7 Ähnlich verhält es sich mit der Präposition πρό »vor«, die in Ex 13,16 zur Wiedergabe von » ֵבּיןzwischen« gewählt wurde. Vergleichbare Äquivalente sind später in Mekhilta und Bavli (Meg 24; Men 37) belegt, denen zufolge das »Anlegen zwischen« als illegitim gilt. 8 Auf einen speziellen Aspekt der ägyptischen Antike nimmt eine andere Passage Bezug. Im 3. und 2. Jh. v. Chr. wurde das Land zunehmend durch den ptolemäischen Herrscherkult geprägt (s. Dekret von Kanopos). 9 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass sich in Ex 22,27bMT statt » ְו ָנִשׂיא ְבַעְמָּך ל ֹא ָתאֹרund einem Obersten in deinem Volk sollst du nicht fluchen« in Ex 22,28bLXX vielmehr καὶ ἄρχοντας τοῦ λαοῦ σου οὐ κακῶς ἐρεῖς »und von den Anführern deines Volkes sollst du nicht übel reden« findet, also die Aussage des hebräischen Textes verschärft wurde. Er ist Ausdruck der auch in anderen zeitgenössischen Texten reichlich bezeugten Loyalität von Juden gegenüber dem ägyptischen Herrscherhaus. 10
3. Ethisch-kasuistische Themenbereiche Vielfältig und vielgestaltig sind die Differenzen zwischen dem Buch Exodus und der wohl im 3. Jh. v. Chr. »für Juden im nichtjüdischen Ägypten« 11 entstandenen griechischen Übersetzung, die u. a. eine vom MT abweichende hebräische Vorlage plausibel erscheinen lassen. Dabei ist die Unabhängigkeit am größten im Bundesbuch (Ex 21-23), dessen Material Joachim Schaper zufolge »nach halachischer Aktualisierung nur so schrie«, 12 finden sich hier doch »Rechtssätze« (21,1), also verbindliche Gesetze, die es mit der geltenden Rechtspraxis in Deckung zu bringen galt. Zu vermuten ist, dass solche Fälle von halachischer Aktualisierung wegbereitend für spätere jüdische Traditionen waren. So weisen die Rechtssätze zur Körperverletzung Zahlungen für »Arbeitsunfähigkeit (ἀργία) und die Heilungskosten« an (Ex 21,19LXX). Führt die fahrlässige Verletzung einer schwangeren Frau zu einer Fehlgeburt, dann werden gleichfalls Ersatzzahlungen fällig. Bei der Beschreibung des Unfalls liest Ex 21,22MT undifferenziert » ְו ָיְצאוּ ְיָל ֶדיָהund ihr Kind fährt aus«, während Ex 21,22LXX auf Basis griechischer Philosophie und hellenistischer Naturphilosophie präzisiert: καὶ ἐξέλθῃ τὸ παιδίον αὐτῆς μὴ ἐξεικονισμένον »und dabei ihr noch nicht ebenbildliches Kind abgeht«, womit ein im frühen Entwicklungsstadium befindlicher Fötus gemeint ist, der nach Ansicht des Diaspora-Judentums unter Heranziehung von Gen 1,26 f. noch 7. Schaper: Exodos, 291, mit Verweis auf Frankel: Einfluss, 98 f. 8. Vgl. Schaper: Exodos, 292. 9. Alexander dem Großen wurden zu Lebzeiten göttliche Ehren von Athen und Sparta zuteil. Aus dieser Praxis entwickelte sich nach seinem Tod allmählich die Huldigung lebender Herrscher (vgl. Herklotz: Prinzeps, 36 f.; Pfeiffer: Herrscher- und Dynastiekulte, 77). 10. Vgl. Schaper: Exodos, 308. 11. Schwagmeier: Exodos, 132. 12. Schaper: Exodos, 269.
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keine Gottesebenbildlichkeit hat. 13 Dieser Gedanke wird anschließend in Ex 21,23LXX – gegen MT – fortgeführt, wo nun auch die Fehlgeburt eines Kindes, »wenn es aber [ebenbildlich] 14 (ἐξεικονισμένον) ist«, thematisiert wird; dieser Fall wiegt schwerer, weshalb das Talionsrecht zur Anwendung kommt. Diese differenzierte Vorstellung findet sich ebenfalls bei Philo von Alexandria (Spec.Leg. III, 108) und hat Einzug in den Bavli (b.Nid 24b) gehalten. In ähnlicher Weise präzisiert im Rahmen der Gesetze zu Eigentumsvergehen Ex LXX 22,8 , dass im ungeklärten Fall des Verlustes einer Verwahrsache der Hausherr, auf den der Verdacht fällt, nicht nur »vor Gott treten« muss – Ex 22,7MT belässt es dabei –, sondern außerdem einen Schwur zu leisten hat. Dieselbe Empfehlung spricht später die Mekhilta aus. 15 Auch die im Anschluss aufgezählten allgemeinen Fälle, so etwa κατὰ πᾶν ῥητὸν ἀδίκημα »bei jedem angeführten Vergehen«, oder wenn es um πάσης ἀπωλείας τῆς ἐγκαλουμένης, ὅ τι οὖν ἂν ἦ »irgendein beanspruchtes Verlorenes geht, was immer es auch sei« (Ex 22,9LXX), gehen wahrscheinlich auf verschiedene halachische Praktiken zurück, Fundsachen auszurufen und demjenigen zu überlassen, der ihre charakteristischen Eigenschaften benennen konnte. 16 Derartige Beobachtungen sind keineswegs auf das Bundesbuch oder auf ExLXX beschränkt. Das Buch Deuteronomium, ins Griechische übersetzt im 3. Jh. v. Chr. in Ägypten, 17 enthält ebenfalls umfangreiche Gesetzessammlungen, so z. B. in den Kapiteln 12-26. Hier ist eine minimale Differenz im Gesetz über die Schwagerehe zu diskutieren, denn Dtn 25,5MT zufolge hat der Bruder eines Ehemannes, der ohne Söhne (ֹ )וֵּבן ֵאין־לוstirbt, die Pflicht zur Heirat der Witwe; nicht angesprochen ist der Fall, dass ggf. eine Tochter vorhanden ist. Nach Dtn 25,5LXX wird die Schwagerehe hingegen angeordnet, wenn er überhaupt keinen Nachkommen hat (σπέρμα δὲ μὴ ἦ αὐτῷ), also auch keine Tochter. Insofern wird die potentielle Ambivalenz des MT eliminiert. Martin Vahrenhorst merkt an, diese Präzisierung entspreche »der tannaitischen Diskussion in Sifre Devarim § 388«. 18 Im Heiligkeitsgesetz (Lev 17-26) wird schließlich in den Verboten geschlechtlicher Beziehungen die Wendung » ְל ַגלּוֹת ֶע ְר ָוהum ihre Scham zu entblößen« (Lev 18,6MT) in der LXX mit ἀποκαλύψαι ἀσχημοσύνην »um eine Unschicklichkeit aufzudecken« übersetzt, womit Geschlechtsverkehr gemeint ist. Die nachfolgenden Bestimmungen zur Tabuisierung inzestuöser Beziehungen sind nach unterschiedlichen Verwandtschaftsgraden strukturiert. Allgemein fallen in der LXX z. B. diverse Textzusätze auf (Lev 18,11.14.17.23 u. ö.), die in der Regel der Präzisierung und Verdeutlichung dienen, da diese Inzestvorschriften (sowie diejenigen aus Lev 20) im Judentum weiterhin nor-
13. Vgl. Köckert / Köckert: Ungeborenes Leben, 71-73; Schaper: Exodos, 303. 14. LXX.D übersetzt ἐξεικονισμένον mit »ausgebildet« (s. ad loc.). Da Ex 21,23 aber den Gedanken von V. 22 fortführt und dazu auch denselben Begriff ἐξεικονισμένον erneut verwendet, ist es nicht sinnvoll, diesen in beiden Sätzen unterschiedlich zu übersetzen. Deshalb habe ich als Wiedergabe auch in V. 23 »ebenbildlich« gewählt. 15. Vgl. Vahrenhorst: Alexandria, 495 f.; Schaper: Exodos, 304. 16. Vgl. Schaper: Exodos, 305 f. 17. Vgl. den Hertog / Labahn / Pola: Deuteronomion, 529; Peters: Deuteronomion, 169. 18. Vahrenhorst: Alexandria, 493.
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mativ geblieben sind (s. m.Yevamot 1,1; m.Sanhedrin 7,4; Jub 33,7-13; Jos.Ant. 3,274; Spec.Leg. 3,21; Sib 5,387-391). 19
4. Kultische bzw. kultisch relevante Themenbereiche Die Verhältnisse Unterägyptens kommen auch bei kultischen bzw. kultisch relevanten Themen zum Tragen. Einer dieser Bereiche ist das Passafest, dessen Zugehörigkeit zu den kultischen Opferfeiern fortwährend in Frage stand. Dem MT zufolge hat das in Ex 12 erzählte Passaritual noch den Charakter eines privaten Familienfestes, das vom Pater Familias am eigenen Haus zu zelebrieren ist; dennoch wird das Passalamm in V. 5 mit der für kultische Opfer üblichen Terminologie als »fehlerlos ()ָתִּמים, männlich, ein Jahr alt« beschrieben. In den Opfergesetzen ist Standardäquivalent der LXX für ָתִּמים das Wort ἄμωμος (Lev 1,3.10; ferner 3,1.6 u. ö.). Insofern fällt in Ex 12,5LXX die alternative Wortwahl πρόβατον τέλειον »ein vollkommenes Schaf« auf. Dieses Attribut ist »im Rahmen der LXX nicht in der Opfersprache etabliert, und das Pesachtier ist auf diese Weise aus dem Kontext der üblichen Opfertiere herausgehoben«. 20 Das Passa war evtl. gerade in Ägypten ein vornehmlich dem Privatbereich zugeordnetes traditionelles Fest. Außerdem ist auch auf die nicht einheitliche Übersetzung des zentralen Verbums » פסחüberspringen, übergehen« hinzuweisen: In Ex 12,13 wird es mit σκεπάζω »schützen«, in 12,23 dagegen mit παρέρχομαι »vorbeigehen« wiedergegeben. Diese Option findet sich ebenfalls in Jub 49,3, jene dagegen in den Targumim und in der Mekhilta. 21 Schließlich ist halachische Exegese bei der griechischen Übersetzung von Ex 12 vermutet worden. Frankel sieht sowohl in Ex 12,15 ἀπὸ δὲ τῆς ἡμέρας τῆς πρώτης »vom ersten Tag an« als auch in 12,18 ἐναρχομένου τῇ τεσσαρεσκαιδεκάτῃ ἡμέρᾳ τοῦ μηνὸς τοῦ πρώτου ἀφ’ ἑσπέρας »beginnend mit dem vierzehnten Tag des ersten Monats vom Abend« Hinweise auf die damalige örtliche Praxis. 22 Weiterhin ist halachische Exegese bei der Übersetzung der Kultgesetzgebung selbst zu vermuten. Angesichts neuerer Erkenntnisse der Einleitungswissenschaften, denen zufolge die Übersetzung der LXX in der jüdischen Diasporagemeinde Unterägyptens erfolgte, ist auf die Existenz eines jüdischen Tempels in der Militärkolonie in Leontopolis 190 km südöstlich von Alexandria hinzuweisen. Dieser bestand zwischen ca. 160 v. Chr. und 73 n. Chr., 23 war also während der frühen Phase des Übersetzungsprojekts der LXX in Betrieb. Folglich können die Übersetzer der in diesem Zeitraum entstandenen Bücher den dortigen Tempel und Opferkult vor Augen gehabt haben, möglicherweise aber auch früher entstandene Übersetzungen auf Grundlage dortiger Praktiken redigiert und aktualisiert haben. In diesem Sinne sei z. B. auf Unterschiede in der Beschreibung von Opferritualen hingewiesen, so etwa beim Gestus der Handaufstemmung. Dieser ist dem Gesetz des 19. 20. 21. 22. 23.
Vgl. Eberhart: Blutschande, § 2.1.; Vahrenhorst: Levitikon, 389 f. Schlund: Knochen, 19. Vgl. Schlund: Knochen, 20; Schaper: Exodos, 290 f. Vgl. Frankel: Einfluss, 89; ähnlich Schaper: Exodos, 290. Zum Tempel in Leontopolis vgl. z. B. Ameling: Leontopolis, 117-121; Collins: Between Athens, 68-73 u. ö.; Steyn: Heliopolis, 158-160; Capponi: Il tempio, 39-89.
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(Ganz-) Brandopfers zufolge einhändig auszuführen (Lev 1,4); beim » ֶזַבח ְשָׁלִמיםGemeinschafts-Schlachtopfer« / θυσία σωτηρίου »Rettungsopfer« ist nach dem vokalisierten MT ebenfalls ֹ » ָידוseine Hand« aufzustemmen, nach LXX dagegen τὰς χεῖρας »die Hände« (Lev 3,2.8.13). Die Übersetzer hätten den noch unvokalisierten Text ידוim Proto-MT demnach als Dual gelesen. 24 Interessant ist nun, dass auch Philo in seiner Darstellung des Opferkults eine zweihändige Handaufstemmung kennt (Spec.Leg. I, 198), Mischna, Tosefta und Talmud später ebenso (mMen 9,8; tMen 10,12; bJom 36a). 25 Im Bereich der Tempeltheologie ist wenig überraschend, dass die Übersetzer der LXX das in hellenistischer Religiosität vorgefundene Vokabular zum Teil übernehmen (z. B. θυσία »Opfer«, δῶρον »Gabe«, ἐσχάρα »Feuergestell«). Allerdings entwickeln sie aus dem Bestreben der Abgrenzung auch Neologismen (z. B. θυσιαστήριον »Opferstätte«, ὁλοκαύτωμα »Ganzbrandopfer«). 26 Zudem ist eine gewisse Aversion gegen anthropomorphe Attribute Gottes (Wiedergabe von » ֵרי ַח ִניחֹו ַחWohl-/ Beruhigungsgeruch« mit ὀσμὴν εὐωδίας »Duft von Wohlgeruch«; von » ֶלֶחםBrot, Speise« als Oberbegriff für Opfer mit δῶρον »Geschenk, Gabe«, usw.) sowie gegen dessen Sichtbarkeit (Ex 24,10 f.) zu beobachten, die auch in den Targumim sowie in frühchristlichen Texten (Joh 1,18) Spuren hinterlassen hat. 27 Da der Opferkult in den Gesetzen der Tora geregelt war, stellt sich die Frage, wie das konkurrierende Heiligtum in der jüdischen Diasporagemeinde Unterägyptens und der dortige Kult in halachischer Sicht bewertet wurden. Gemäß bMen 109a und tMen. 13,12-14 gab es weder eine ablehnende noch eine zustimmende Haltung; Juden in Ägypten durften in Leontopolis opfern, sollten aber gleichzeitig die Abgaben an Jerusalem leisten. 28 Signifikant ist angesichts der Existenz eines Lokalheiligtums in Unterägypten auch folgender Textüberschuss in Lev 17,4aLXX: »… und (sc. das Opfertier) nicht zur Tür des Zeltes des Zeugnisses bringt, um es zu einem für den Herrn annehmbaren Ganzbrandopfer oder Rettungsopfer zu machen, zu einem Duft von Wohlgeruch, und wer immer außerhalb schlachtet und es nicht zur Tür des Zeltes des Zeugnisses bringt, um (es) dem Herrn vor dem Zelt des Herrn als Gabe darzubringen, …«. Er ist gegenüber MT als lectio difficilior zu bevorzugen und wird durch den Samaritanischen Pentateuch und 4QLevd bestätigt; die Auslassung im MT erklärt sich John William Wevers zufolge als »parablepsis due to homoiarchon«. 29 Das Insistieren, kultische Opfer zum Heiligtum zu bringen, führt letztlich zu einer Verschärfung der Vorschrift gegenüber MT. Diese kann von Bedeutung gewesen sein, weil aufgrund der Vorrangstellung und Autorität 24. Vgl. Calabro: Reexamination, 107 f. Vgl. auch Vahrenhorst: Levitikon, 351. 25. Vgl. Calabro: Reexamination, 109 f. Damit wird insgesamt fraglich, ob die Handaufstemmung bei Opferritualen je einhändig ausgeführt worden ist. Da dem Übersetzer der LXX bekanntlich nur der Konsonantentext vorlag, hätte er ggf. in Lev 1,4.10 mit τὴν χεῖρα eine zwar philologisch mögliche, in der Praxis aber nicht belegte, in 3,2 usw. dagegen mit τὰς χεῖρας eine der kultischen Praxis entsprechende (und damit korrekte) Übersetzung präsentiert (vgl. ebd., 111-116). 26. Vgl. Usener: Griechisches, 91; Siegert: Bibel, 229; Vahrenhorst: Kult, 330 f. 27. Vgl. Joosten: To See God, 295-299; Eberhart: Beobachtungen, 298-306. 28. Vgl. Egger-Wenzel: Schlachtopfer, 261 f. 29. Wevers: Text of Leviticus, 261. Vgl. ferner Vahrenhorst, Levitikon, 386; Eberhart, Beobachtungen, 309 f. Auch in Dtn 12,4-7 wird betont, kultische Opfer am legitimen Heiligtum darzubringen und nur dort den Gottesnamen anzurufen.
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des Jerusalemer Tempels derjenige in Leontopolis samt seinem Opferkult eventuell umstritten war, auch wenn er nicht als schismatisch einzuschätzen ist. 30 Von kultischer Relevanz sind zudem die für das frühe und rabbinische Judentum so wichtigen Reinheitsgebote, denn der Zustand persönlicher Reinheit war Voraussetzung für den Zugang zum Heiligtum. Bekanntlich erlaubt das Deuteronomium unter bestimmten Voraussetzungen Fleischverzehr ohne ein damit verbundenes Opferritual (Dtn 12,20-22). In der LXX findet sich hier die Ergänzung ὁ ἀκάθαρτος ἐν σοὶ καὶ ὁ καθαρὸς ὡσαύτως ἔδεται »der Unreine unter dir und der Reine dürfen es in gleicher Weise essen« (Dtn 12,22), die auf halachische Auslegung schließen lässt, um den Sinn der Vorschrift klar zu vermitteln. Ähnliche Erweiterungen sind auch im Samaritanischen Pentateuch und in der Tempelrolle (11QT 53,7 f.) belegt. 31 In den Gesetzen zur Heiligung des täglichen Lebens können im übrigen auch theologische Begründungen bzw. deren Erklärungen geändert werden. Dabei zeigt sich einmal mehr eine besondere Vorliebe für Reinheitskonzepte, wenn in Dtn 30,6MT die Formulierung » וָּמל ְיה ָוה ֱאל ֶֹהיָך ֶאת־ְלָבְבָך ְואת־ְלַבב ַז ְרֶעָךUnd Jhwh, dein Gott, wird dein Herz beschneiden und das Herz deiner Nachkommen« folgendermaßen in Dtn 30,6LXX wiedergegeben wird: καὶ περικαθαριεῖ κύριος τὴν καρδίαν σου καὶ τὴν καρδίαν τοῦ σπέρματός σου »Und der Herr + wird dein Herz und das Herz deiner Nachkommen rein machen«. Zu vermuten ist, dass eine vergleichbare Änderung in Lev 19,23, wo die LXX erneut das Motiv der Beschneidung durch Reinheitsterminologie ersetzt, von Dtn 30,6LXX beeinflusst ist, und dass es sich ferner um einen erklärenden Eingriff handelt. 32 Die Verwandtschaft von Beschneidung und Reinheit ist wohl schon aus der Tradition vorgegeben und findet sich bereits in Jes 52,1, wo beide Begriffe parallel stehen und sich wechselseitig deuten. Allerdings kommt es in der LXX zu einer interessanten konzeptionellen Verschiebung speziell beim Verständnis der Kategorie der Unreinheit. Im MT ist ָטהֹרder Begriff für »rein«; alles was nicht ָטהֹרist, wird als ָטֵמאbezeichnet. Zu fragen ist, wie letzterer Terminus angemessen zu übersetzen und verstehen ist. Die konventionelle Wiedergabe von ָטֵמאist »unrein«, jedoch orientiert sie sich eher an dem Begriffspaar καθαρός und ἀκάθαρτος in der LXX, wobei jenes »rein« bedeutet, dieses aber als Alpha-privativum-Bildung das exakte Gegenteil vermittelt, nämlich »unrein«. Das Problem ist nun, dass die Begriffe ָטהֹרund ָטֵמאgerade nicht in solch einem gegenteiligen Verhältnis zueinander stehen. Wenn » ָטהֹרrein« bedeutet, ist ָטֵמאnicht unbedingt »unrein«, da es von einer anderen Wurzel gebildet wird. Dorothea Erbele-Küster versteht beide Begriffe speziell in Lev 11-15 als »relationale Begriffe mit Blick auf den Kult« 33 und gibt deshalb im Anschluss an Mary Douglas ָטֵמאz. B. mit »kultabstinent« wieder; damit wird ein positiveres Assoziationsspektrum evoziert als bei »unrein«. 34 In den Vorschriften für die Wöchnerin, die Lev 12,4MT zufolge » ִבּ ְדֵמי ָטֳה ָרהmit / im Reinigungsblut« zu Hause bleiben muss, fällt in der LXX außerdem die Wiedergabe ἐν αἵματι ἀκαθάρτῳ αὐτῆς »in ihrem unreinen Blut« auf (s. a. V. 5). Damit ist die Aus30. 31. 32. 33. 34.
Vgl. Collins: Between Athens, 71 f. Vgl. Schiffman: Temple Scroll, 280 f. Vgl. Vahrenhorst: Levitikon, 394; den Hertog / Labahn / Pola: Deuteronomion, 590. Erbele-Küster: Körper, 154; vgl. auch dies.: Ritual Dynamics, 68. Vgl. Erbele-Küster: Körper, 157, mit Bezug auf Douglas: Leviticus, 151.
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sage des MT ins Gegenteil verkehrt, wodurch weibliches Blut nicht mehr als rein, sondern als unrein gilt. Klar ist, dass eine solche Dis-Qualifizierung weitreichende Konsequenzen für den Status von Frauen hat und eindeutig auf das zeitgenössische gesellschaftliche Patriarchat zurückzuführen ist. Die Qumrangemeinde nimmt bei der Auslegung von Lev 12,4 die Position der LXX auf, während die rabbinische Exegese am Sinn des im MT vorzufindenden »Reinigungsblutes« der Wöchnerin festhält. Letzteres wird allerdings von gewöhnlichen Regelblutungen unterschieden. 35 Lev 15,19MT zufolge ist eine Frau in dieser Zeit sieben Tage lang » ְבּ ִנ ָדָּתהּin ihrer Unreinheit«; LXX wählt hier das Äquivalent ἐν τῇ ἀφέδρῳ αὐτῆς »in ihrer Menstruation«. Im Rahmen der halachischen Rezeption wurden die Vorschriften allmählich verschärft. Nach dem Bavli darf eine Frau während der Menstruation – mit Ausnahme einiger weniger Tätigkeiten – noch ihren Aufgaben im Haushalt nachkommen (bKetubbot 61a); nach Josephus müssen Frauen dann vorübergehend abseits vom ehelichen Haus wohnen (Ant. III, 261). 36 »In talmudischer Zeit erfolgt auch eine gravierende Veränderung in der halachischen Fassung des Umgangs mit der Menstruation durch die Hinzufügung von sieben ›reinen‹ oder ›weißen‹ Tagen; in der Mitte der amoräischen Epoche galt es bereits als axiomatisch, dass sieben ›weiße‹ Tage nach der Menstruation zu zählen seien (bNidda 66a), d. h. nach dem letzten Tag, an dem die Frau an sich Menstruationsblut feststellt, müssen sieben Tage ohne Blutung folgen«. 37
5. Halachische Differenzen von besonderer theologischer Relevanz Eingriffe der Übersetzer in kommunikative und liturgische Vorschriften lassen wichtige Entwicklungen in der frühjüdischen Theologie greifbar werden. So ist Lev 24,16MT zufolge die Lästerung ( )נקבdes Gottesnamens mit der Todesstrafe durch Steinigung zu ahnden; nach Lev 24,16LXX steht aber schon die bloße Nennung (ὀνομάζων … τὸ ὄνομα) desselben unter Strafe. Hier manifest sich also bereits der für das spätere Judentum charakteristische Brauch der Vermeidung des Gottesnamens. Dem entspricht die Verwendung einer Reihe von Ersatzlesungen für das Tetragramm יהוה, allen voran das von »( אָדֹוןHerr«) her gebildete, mit dem Suffix 1. Sg. com. versehene Qere Perpetuum » ֲאדֹו ָניmein Herr«, das in der LXX meist durch κύριος »Herr« (ohne Possessivpronomen und Artikel) wiedergegeben wird. Die Praxis der Vermeidung des Gottesnamens findet sich auch in den Handschriften von Qumran, wo als Ersatz allerdings primär » אלGott« verwendet wird. In der LXX lässt sich – und zwar teilweise gegen die Vorlage im MT (Num 23,8) – eine Tendenz beobachten, allgemein κύριος in Assoziation mit dem barmherzigen, Israel freundlich zugeneigten Gott zu verwenden (Ri 1,2; 1 Sam 1,11), θεός dagegen für den allgewaltigen bzw. strafenden Gott (Dtn 2,15). 38 Dem entspricht auch die Neigung, Gott als nicht-gewalttätig darzustellen; so ist in Ex 15,3LXX der Herr – gegen MT – einer, »der die Kriege zerschlägt« (κύριος συντρίβων πολέμους; s. a. Jes 42,13; Jdt 9,7; Od 1,3; 16,2). Solche Eingriffe werden auf die spezifische 35. 36. 37. 38.
Vgl. De Troyer: Origins, 277 f.; Vahrenhorst: Levitikon, 375. Vgl. Milgrom; Leviticus, 949; Hieke: Leviticus, 551. Hieke: Leviticus, 551. Vgl. Kreuzer: Entstehung, 21; Rösel: Übersetzung, 413 f.
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Theologie des hellenistischen Judentums in und um Alexandria zurückgeführt, die ein transzendenteres Gottesbild als der MT propagiert. 39
6. Schlussfolgerungen Halachische Differenzen sind im tannaitischen Judentum wohlbekannt (speziell Differenzen zwischen den Schulen von Hillel und Schammai). Diejenigen zwischen MT und LXX sind in veränderten Lebensumständen sowie theologischen Unterschieden speziell der jüdischen Diasporagemeinde Unterägyptens begründet. Zwar lag den griechischen Übersetzern an einer möglichst genauen Wiedergabe des Proto-MT; ihnen war es aber auch wichtig, in Anbetracht jüdischer Sitten und Gebräuche in Alexandria durch Anpassung und Aktualisierung einen Text zu schaffen, der weitmöglichst der zeitgenössischen Praxis entsprach und / oder als gesetzliche Grundlage tauglich war. Halachische Differenzen zwischen MT und LXX lassen sich grob in ethisch-kasuistische und kultisch relevante Themenbereiche einteilen. Zu beobachten sind dabei: a) Tendenzen zur notwendigen Erklärung oder fortgesetzten Präzisierung von Vorschriften (Ex 21,22-25; 22,8[7]; 22,19[18]; Lev 1,10; 17,4a; 18,5.11.14.17.23; Dtn 12,22; 25,5); b) Tendenz zur Verschärfung von Vorschriften (Ex 12,15.18; Lev 17,4a; 24,16). c) selten auch Tendenzen zur Verallgemeinerung von Aussagen (Ex 22,8[7]). Zu fragen wäre schließlich noch nach möglichen Erklärungen der Ähnlichkeiten zwischen den textlichen Differenzen in der LXX und rabbinischen halachischen Traditionen. Erwogen wurden Einflüsse in beide Richtungen, zudem auch, dass die Änderungen der LXX auf älteren jüdischen Traditionen in Palästina beruhen, die ebenfalls den rabbinischen zugrunde liegen. 40
39. Vgl. Schaper: Exodos, 292 f. 40. Vgl. Vahrenhorst: Alexandria, 498 f.
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2.1.11 Gottesschau Christian A. Eberhart Bibliographie Texte und Editionen Le Boulluec, Alain / Sandevoir, Pierre: La Bible d’Alexandrie. L’Exode, BdA 2, Paris 1989 – Flavius Josephus, De bello Judaico. Der Jüdische Krieg. Griechisch und Deutsch, Bd. 1, ed. Otto Michel / Otto Bauernfeind, Darmstadt 31982 – Eusebius Caes., Kirchengeschichte, ed. Heinrich Kraft, Darmstadt 1984 – Eusebius Caes.: Preaparatio evangelica, ed. Karl Mras / Édouard des places, GCS 43/1-2, Berlin 21982-1983.
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Gottesschau
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Das Thema Gottesschau (visio dei) ist auf fast allen Rezeptionsstufen des AT theologisch zentral und brisant. Es erlaubt zunächst, spezifische theologische Gesichtspunkte der Übersetzungspraxis der LXX zu eruieren und auf diesem Wege Charakteristika der alexandrinischen Diasporasituation zu erfassen, die dann die Rezeption der LXX in sonstigen literarischen Werken des Frühjudentums, im Neuen Testament sowie in patristischen Texten geprägt haben. Auf allen Stufen dieses Überlieferungsprozesses ist dabei zum einen die intensive geistige Auseinandersetzung mit (spät-)antiken Entwürfen platonischer und aristotelischer Philosophie greifbar, zum anderen können Einflüsse lokaler Kulte Ägyptens vermutet werden. Aufgrund dieser Ambivalenz sind unterschiedliche Reaktionen auf die Anthropomorphismen des MT in Bezug auf Gott zu konstatieren, und zwar speziell beim Thema des Sehens.
1. Die visio dei zwischen MT und LXX Was ist besonders am Thema Gottesschau (visio dei) im AT? Dort wird bekanntlich mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass es fatale Konsequenzen für Menschen hat, Israels Gott zu sehen (Ex 19,21; 33,20; Ri 13,22; Jes 6,2). 1 Am Großen Versöhnungstag 1.
Vgl. Joosten: To See God, 288 f.; Rösel: Gott, 166; s. dazu auch unten. Angesichts des begrenzten Umfangs dieses Beitrages kann das kontrovers diskutierte Thema der Existenz materieller
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Termini und Themen der Septuaginta
muss der Hohepriester deswegen den Ort der Präsenz Gottes über der sog. Bundeslade durch eine »Wolke vom Räucherwerk« verbergen (Lev 16,12 f.). Im MT sind die Gründe für das Verbot der Gottesschau auf verschiedenen Ebenen zu lokalisieren. So wird auf die Bestimmung Gottes als Schöpfer und der daraus resultierenden grundsätzlichen Unterschiedenheit von der Welt, aber auch auf allgemeine menschliche Ehrfurcht gegenüber dem Heiligen hingewiesen. 2 Beide Fälle gehen von einer ontologischen Kluft zwischen menschlicher und göttlicher Sphäre aus, obwohl letztere gewissermaßen »begehbar« und visuell zugänglich sein kann (Ex 24,9-11; 33,12-23). Transzendent ist Israels Gott solchen Traditionen zufolge nicht; vielmehr residiert er wenigstens zeitweise auf einem Berg oder im Heiligtum. 3 Hinsichtlich der Umgangsweisen der griechischen Übersetzer mit dem Thema Gottesschau (und ebenso mit anthropomorphen Attributen Gottes) sind gegenläufige Tendenzen zu konstatieren. So wurden einige Passagen, die von einer Gottesschau berichten, von den griechischen Übersetzern geglättet. Dem stehen andere Passagen gegenüber, in denen MT keine Gottesschau kennt, während LXX ein solches Ereignis einträgt; wieder andere Textstellen zur visio dei wurden ohne Modifikation übernommen. Dieser komplexe Befund ist das Resultat eines lange andauernden und vielschichtigen religionsphilosophischen Vermittlungsprozesses aus der Begegnung des ägyptischen Diaspora-Judentums einerseits mit dem Hellenismus und seinen geistesgeschichtlichen Grundlagen, andererseits aber auch mit lokalen religiösen Kulten Ägyptens, die sich nicht zuletzt aufgrund ihrer visuellen Ästhetik einer großen Popularität in der breiten Bevölkerung erfreuten. 4
1.1 LXX eliminiert Erwähnung einer visio dei im MT Im MT werden Menschen verschiedentlich vor der direkten Begegnung und dem unmittelbaren Sehen Gottes gewarnt; auffallend sind angesichts dessen aber einige Ausnahmen. So steigen nach dem Vollzug des Sinaibundes Mose, Aaron und siebzig Älteste Israels auf den Gottesberg, wo sie vor Gott essen und trinken (Ex 24,9-11). Dieses Ereignis kulminiert abschließend – wenigstens nach MT – in einer visio dei,
2. 3.
4.
Kultbilder im Jhwh-Kult, ob anthropomorph oder theriomorph, sowie des generellen Bilderverbotes (Ex 20,3-5; Dtn 5,7-9 usw.) hier nicht behandelt werden. Zur Begriffsklärung sei lediglich darauf hingewiesen, dass der Problemkreis eines ikonischen oder anikonischen Kultes unterschieden ist von demjenigen der geistigen Vorgestellung eines visuellen Zugangs zu Gott und einem damit evtl. verbundenen Anthropomorphismus (vgl. dazu z. B. Mettinger: Statue, 487). Vgl. Hendel: Aniconism, 205-228; vgl. zum Thema auch allgemein Keller: Untersuchungen, 22-58. An die umfassende Frage nach der Transzendenz Gottes schließt sich diejenige nach der Wesenhaftigkeit an. Das Problem des Themas »Gottesschau« ist letztlich, ob Gott körperlich vorgestellt ist oder nicht. Neben dem hier behandelten Thema der Gottesschau gehört dazu u. a. der Bereich der Emotionen und der Beschreibung von Bewegungen Gottes, dann auch die göttliche Einstellung zu Gewalt (Gott tötet nicht mehr selbst, sondern delegiert gemäß Ex 4,24LXX an einen Engel) und Krieg (so dass aus dem » ְיה ָוה ִאישׁ ִמְלָחָמהJhwh ist ein Kriegsmann« nach Ex 15,3MT nun κύριος συντρίβων πολέμους »Der Herr [ist jemand], der die Kriege zerschlägt« in Ex 15,3LXX wird; s. a. Jdt. 9,7; 16,2; vgl. dazu z. B. Schaper: Exodos, 292-294; Ausloos / Lemmelijn: Theology, 26).
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Gottesschau
die gleich zweimal Erwähnung findet. Zunächst heißt es: » ַו ִיּ ְראוּ ֵאת ֱאל ֵֹהי ִיְשׂ ָרֵאלund sie (sc. Mose und die Ältesten Israels) sahen den Gott Israels« (V. 10a); dann in ähnlicher Weise: » ַו ֶיֱּחזוּ ֶאת־ָהֱאל ִֹהיםund sie (sc. Mose und die Ältesten Israels) schauten Gott« (V. 11b). Demgegenüber ändert LXX beide Passagen so entscheidend, dass die Gottesschau unterbleibt. 5 Das erreicht sie in V. 10a durch Einfügung mehrerer Worte: καὶ εἶδον τὸν τόπον, οὗ εἱστήκει ἐκεῖ ὁ θεὸς τοῦ Ισραηλ »und sie sahen den Ort, wo der Gott Israels sich hingestellt hatte«. 6 In V. 11bα wählt LXX dann neben einer Erweiterung noch eine passivische Formulierung: καὶ ὤφθησαν ἐν τῷ τόπῳ τοῦ θεοῦ »und sie erschienen an dem Ort Gottes«. Als Motiv für diese Änderung sind dogmatische Gründe veranschlagt worden. 7 Damit ist weiterhin zu fragen, wie LXX mit der Bemerkung umgeht, dass nach Ex 24,11aMT die absehbare fatale Konsequenz ausbleibt, denn Gott »streckte seine Hand nicht gegen die Edlen Israels aus (ְוֶאל־ֲאִציֵלי ְבּ ֵני ִיְשׂ ָרֵאל «)ל ֹא ָשַׁלח ָידֹו. Da jedoch nach LXX die Gottesschau nicht stattgefunden hat, ist diese Bemerkung, weil irrelevant, wie folgt modifiziert worden: καὶ τῶν ἐπιλέκτων τοῦ Ισραηλ οὐ διεφώνησεν οὐδὲ εἷς »und von den Ausgewählten + Israels fehlte auch nicht einer« (Ex 24,11aLXX). Diese Tendenz der LXX, die Gottesschau aus der Erzählung vom Sinaibund zu eliminieren, lebt in der Rezeptionsgeschichte fort. So wählen z. B. die Targumim zu Ex 24,10a ihrerseits Einfügungen, nämlich das Wort איקר/ » יקרHerrlichkeit«, teils auch in Verbindung mit » שכינתהPräsenz«: » וחזו ית יקר אלהא דישראלUnd sie schauten die Herrlichkeit des Gottes Israels« (Tg. Onkelos); » וחמון ית איקר שכינתה דיײUnd sie sahen die Herrlichkeit der Präsenz von JJ« (Tg. Neophyti). Beide Begriffe ermöglichten wohl den aramäischen Übersetzern, von Gott in indirekter Weise zu reden, wobei gleichzeitig die göttliche Transzendenz gewahrt blieb. 8 Interessant ist, sich im Zuge solcher rezeptionsgeschichtlichen Beobachtungen die alternative Überlieferung der Gesetzesoffenbarung nach Dtn 4-5 zu vergegenwärtigen. 5.
6.
7. 8.
Bei der Suche nach Gründen für diese textliche Modifikation wird u. a. erwogen, dass die griechischen Übersetzer bereits eine veränderte hebräische Vorlage hatten (vgl. Hanson: Treatment, 559; ferner grundsätzlich Law: When God Spoke Greek, 20-32 u. ö.). Wahrscheinlicher ist aber, dass es sich um einen bewussten interpretierenden Eingriff der Übersetzer handelt (vgl. Wevers: Notes, 384-386; Rösel: Gott, 167). Differenzen zwischen MT und LXX sind in der deutschen Übersetzung, die aus LXX.D übernommen ist, jeweils durch Kursivschreibung kenntlich gemacht. Das Zeichen + deutet an, dass MT mehr Text bietet, in LXX also eine Wortauslassung vorliegt. Vgl. dazu Schaper: Exodos, 308; Le Boulluec / Sandevoir: L’Exode, 246 f. Gelegentlich wird hier sogar von »zensieren« gesprochen; vgl. Propp: Exodus 19-40, 140: »LXX bowdlerizes«. Vgl. Legrand: Le Dieu unique, passim. Anzumerken ist außerdem, dass die Passage der Gottesschau beim Sinaibund nach MT eine rege und kontroverse Diskussion unter den Rabbinern ausgelöst hat. Nach Raschi haben die Israeliten durchaus die Todesstrafe verdient, aber Gott habe die Freude über den Erhalt der Tora nicht trüben wollen. Gebührlich bestraft wurden die Israeliten für die visio dei später aber dennoch; Nadab und Abihu wurden nach der Errichtung des Zeltheiligtums getötet (Lev 10,2), die anderen Israeliten nach ihren Klagen (Num 11,1). Raschbam meint demgegenüber, die Israeliten hätten in Einklang mit Gen 33,23 lediglich Gottes Rücken geschaut. Ibn Esra ist der Auffassung, hier hätte es sich nicht um direktes Sehen, sondern ähnlich wie in Jes 6,1 um prophetische Vision gehandelt. Dem widerspricht Nachmanides, da die Israeliten eben den »Gott Israels« gesehen hätten, was impliziert, dass sie Gunst aufgrund des Verdienstes ihres Vorvaters Israel hatten.
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Im Rahmen der Rede des Mose spricht hier Gott das Volk Israel an; das allerdings geschieht, mit Reminiszenz an die Theophanie im brennenden Busch (Ex 3,2-4), nun »mitten aus dem Feuer« (ִמתּו ְֹך ָהֵאשׁ, Dtn 4,12). Die anschließende Notiz »seine (sc. Gottes) Worte hörtet ihr, aber ihr saht keine Gestalt, nur eine Stimme war da« macht deutlich, dass Gott anders als in Ex 24,9-11 nun nicht mehr sichtbar ist. (Bezeichnenderweise gibt LXX diese Passage wortgetreu wieder. 9) Es handelt sich in Dtn 4,12-15 um keine transzendente Wirklichkeit Gottes; gesehen zu werden ist gleichwohl eine Disposition des Immanenten, die schlechterdings mit der Vorstellung von Israels Gott nicht kompatibel ist. Ähnliche Tendenzen, Aussagen im MT über eine visio dei zu glätten (s. dazu ferner Num 12,8), sind auch im Psalter zu beobachten. Exemplarisch sei auf die abschließende Aussage des unschuldigen Beters in Ps 17 verwiesen: ֲא ִני ְבֶּצ ֶדק ֶאֱח ֶזה ָפ ֶניָך ֶאְׂשְבָּעה ְבָהִקיץ » ְתּמוּ ָנֶתָךIch aber will in Gerechtigkeit dein (sc. Gottes) Angesicht schauen, möge ich mich doch beim Erwachen an deiner Gestalt sättigen« (V. 15). 10 LXX gibt diese Passage folgendermaßen wieder: ἐγὼ δὲ ἐν δικαιοσύνῃ ὀφθήσομαι τῷ προσώπῳ σου, χορτασθήσομαι ἐν τῷ ὀφθῆναι τὴν δόξαν σου »Ich aber werde in Gerechtigkeit von deinem (sc. Gottes) Angesicht geschaut werden; ich werde gesättigt werden beim Erscheinen deiner Herrlichkeit« (Ps 16,15LXX). Ergo wird die Gottesschau durch Invertierung der Richtung des Sehens eliminiert: der Mensch sieht nicht mehr Gott, sondern Gott sieht den Menschen. 11 Ferner liegen entsprechende Tendenzen u. a. in Ps 84,8 vor, wo nach MT das Ziel von Wallfahrten ist, »den Gott der Götter in Zion« zu schauen, während Gott nach LXX dort erscheinen wird (s. a. Ps 42,3; 63,3). Derartige Eingriffe sind manchmal als »Eigenart des theologischen Profils nicht nur des griechischen Psalters, sondern der gesamten Septuaginta« bezeichnet worden. 12 Sie werden in der Frage von Sir 43,31 problematisiert: τίς ἑόρακεν αὐτὸν καὶ ἐκδιηγήσεται; »Wer hat ihn gesehen und wird es berichten?« Hier kommt eine Zurückhaltung gegenüber anthropomorphen Attributen Gottes zum Ausdruck, die nicht erst in der LXX, sondern bereits Jahrhunderte zuvor in der griechischen Kultur anzutreffen war. 13
9. Vgl. Rösel: Gott, 169. 10. Gelegentlich wird dieser Wunsch des Beters auf eine jenseitige Gottesschau bezogen (vgl. Dahood: Psalms I: 1-50, 99). Allerdings ist eine solche Interpretation im Text nicht zwingend angelegt und angesichts frühjüdischer theologischer und eschatologischer Erwartungen wohl sogar fraglich. Eine alternative Deutung schlagen Hossfeld / Zenger: Psalmen I, 118, vor, die eine »sichtbare, konturierte Erscheinung« vor dem Hintergrund der morgendlichen »Epiphanie des Sonnengottes« erkennen. 11. Vgl. dazu ausführlich Gzella: Lebenszeit, 231-243. 12. Ibid., 244. Vgl. dazu ferner Bons: Septuaginta-Psalter, passim; ders.: Die Septuaginta in der neueren Exegese, 37 f.; Brucker: Psalmen, 112. 13. Hermann Spieckermann zufolge hat im 7. und 6. Jh. v. Chr. u. a. der griechische Philosoph Thales von Milet die Entpersonalisierung der Kosmologie und ihrer göttlichen Repräsentanten vorangetrieben (vgl. Spieckermann: Heart, 253).
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Gottesschau
1.2 LXX übernimmt MT-Passagen zur visio dei ohne inhaltliche Änderung Allerdings lässt die LXX auch vielfältige Tendenzen erkennen, Passagen einer visio dei im MT wiederzugeben. Kurz ist deshalb zu erwähnen, dass die griechischen Übersetzer dieses Moment durchaus häufig wortgetreu, also ohne Modifizierung übernommen haben. Jan Joosten zufolge ist das in folgenden Passagen der Fall: Gen 12,7; 17,1; 18,1; 22,14; 26,2.24; 35,1.9; 48,3; Ex 3,16; 4,1.5; 6,3; Lev 9,4; 16,2; Num 14,14. 14 Joosten merkt an, dass die Targumim bei diesen Passagen jedoch das Moment der Gottesschau gleichwohl oft glätten oder völlig unterbinden. 15 Anzumerken ist, dass die Bitten des Mose, Gott möge ihm seine Wege offenbaren, auch nach Ex 33,12-23LXX dieser inhaltlichen Rubrik zuzurechnen ist. LXX.D übersetzt ἐμφάνισόν μοι σεαυτόν, γνωστῶς ἴδω σε in Ex 33,13 zwar als »zeige dich mir! Deutlich will ich von dir erkennen«, sodass die indirektere Formulierung im MT הֹו ִדֵע ִני ָנא » ֶאת־ ְדּ ָרֶכָך ְוֵא ָדֲעָךso lass mich deine Wege wissen, damit ich dich erkenne« überboten zu sein scheint. Allerdings ist mit Joachim Schaper zu fragen, ob die griechischen Worte nicht besser als »erscheine mir selbst/du selbst offenbare dich mir« wiederzugeben sind. Schaper weist mit Blick auf den weiteren Textverlauf auch nach LXX darauf hin, dass die Sichtbarkeit Gottes für Mose ausgeschlossen bleibt, es also lediglich um die Offenbarung des Namens nach 33,19 geht. 16
1.3 LXX führt visio dei gegen MT ein Die zwei soweit dokumentierten Tendenzen in der Übersetzungspraxis der LXX sind schließlich durch eine dritte zu ergänzen. Erst jüngst machte Robert Hayward darauf aufmerksam, dass LXX das brisante Moment der Gottesschau gelegentlich auch dort einführt, wo MT nicht davon handelt; Jan Joosten hat diese Beobachtungen aufgenommen und weiterentwickelt. 17 Diese Tendenz manifestiert sich z. B. in Gen 31,13; MT liest in der Erzählung über Jakobs Flucht: » אָנ ִֹכי ָהֵאל ֵבּית־ֵאלIch bin der Gott von Bethel«, während LXX folgendermaßen erweitert: ἐγώ εἰμι ὁ θεὸς ὁ ὀφθείς σοι ἐν 14. Joosten: To See God, 291 f. Lediglich geringfügige Modifikationen sind ggf. bei einigen dieser Belegstellen festzustellen. So wird aus Lev 9,4MT » ִכּי ַהיּוֹם ְיה ָוה ִנ ְראָה ֲאֵליֶכםdenn heute wird euch Jhwh erscheinen« in Lev 9,4LXX ὅτι σήμερον κύριος ὀφθήσεται ἐν ὑμῖν »denn heute wird der Herr unter euch erscheinen«. Hier und in Lev 9,6LXX ist eine Abmilderung des möglichen Anthropomorphismus der Aussage zu erkennen (vgl. Vahrenhorst: Levitikon, 363). 15. Ibid., 292. Ähnliche Tendenzen lassen sich bei Philo (s. dazu unten) und in der späteren rabbinischen Exegese konstatieren. Ibn Esra beispielsweise bemerkt zur Aussage in Gen 12,7, dass Gott dem Abram lediglich »prophetisch« erschienen sei. Nachmanides setzt sich kritisch mit dem Kommentar des Maimonides auseinander, die Erscheinung Gottes in Form der drei Männer (18,1f; hier mit Wiederholung von »und er sah …« und insgesamt drei Belegen von )ראהsei lediglich eine Vision gewesen. Vielmehr handele es sich beim Besuch Gottes um eine Belohnung für die kurz vorher durchgeführte Beschneidung. Freilich war für Maimonides die Unkörperlichkeit Gottes ein Glaubensaxiom; er hatte einen entsprechenden Satz als dritte Aussage in sein Glaubensbekenntnis aufgenommen (s. a. den sephardischen und aschkenasischen Jigdal-Hymnus). 16. Vgl. Schaper: Exodos, 318 f.; zustimmend Rösel: Gott, 168 f. Zur Rezeption durch Philo s. u. 17. Hayward: Understanding, passim; Joosten: To See God, 292-295.
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τόπῳ θεοῦ »Ich bin der Gott, der sich dir am Gottesort zeigte«. Das Partizip Aorist Passiv von ὁράω assoziiert in der Tat das Moment der Gottesschau. 18 Hier lässt sich der Versuch der Übersetzer erkennen, eine Verbindung zur vorhergehenden Erzählung von Jakobs Traum (Gen 28,10-22) herzustellen, der zufolge Jakob eine bis in den Himmel reichende Leiter sieht. Da Gott auf dieser steht und ihn anspricht (V. 13), ist der Gedanke einer Gottesschau nicht ausgeschlossen. 19 Ähnliche Divergenzen zwischen MT und LXX liegen oft in weiteren Passagen vor, die von Heiligtümern, Orten von Theophanien u. ä. handeln (Gen 16,13; Ex 25,8; Dtn 33,16; usw.). 20 Zu fragen ist allgemein, wie sich diese spezielle Tendenz in der Übersetzungspraxis der LXX erklären lässt. Hayward führt sie auf intertextuelle Exegese zurück, die sich an Gen 12,7 und Ex 3,16 orientiert. 21 Joosten begründet diese Tendenz demgegenüber durch den alexandrinischen Hintergrund der LXX, da im ägyptischen Kult der hellenistischen Zeit das öffentliche Zurschaustellen von Gottheiten ein wesentlicher Aspekt war. 22 Tatsächlich war die ägyptische Religion in ihren verschiedenen Ausformungen kultisch orientiert, weshalb der Sakralarchitektur und den gottesdienstlichen Ritualen hohe Bedeutung zukam. Dazu gehörte »eine besondere Bildtheol.[ogie], derzufolge der Kult die himmlischen Götter in ihre irdischen Bilder herabzwingt … Die Bilder werden zu Garanten der Gottesnähe …«. 23 Diese Bildtheologie manifestierte sich u. a. im Reinigen, Bekleiden, Salben und Schminken der Kultbilder; all das diente der Vorbereitung des öffentlichen Zurschaustellens der Kultbilder, in denen sich nun der Gott oder die Göttin befand. Ägyptische Priester, die ihrerseits jeweils ihre spezielle Befugnis zu versichern hatten, die Gottheit schauen zu dürfen, führten sodann Prozessionen durch und positionierten die Kultbilder u. a. auf den Dächern von Heiligtümern, um sie weithin sichtbar zu machen. 24 Mit solchen kultischen Gegebenheiten setzten sich die Übersetzer der LXX teils kritisch auseinander, teils rezipierten sie diese positiv. Das hat wohl
18. Dementsprechend bietet Joosten als Übersetzungsalternative: »I am the God who appeared (lit.: was seen) to you in the place of God« (ibid., 292). 19. Vgl. Prestel / Schorch: Genesis 212. 20. Im Abschnitt Ex 25,1-9 über die Gaben zum Bau des Zeltheiligtums Israels wird die Aussage in V. 8MT » ְוָעשׂוּ ִלי ִמְק ָדּשׁ ְוָשַׁכ ְנִתּי ְבּתו ָֹכםUnd sie sollen mir ein Heiligtum machen, dass ich unter ihnen wohne« im korrespondierenden Vers Ex 25,7LXX wie folgt modifiziert: καὶ ποιήσεις μοι ἁγίασμα, καὶ ὀφθήσομαι ἐν ὑμῖν »Und du sollst mir ein Heiligtum errichten und ich werde unter euch erscheinen«. Nach Joachim Schaper sollte mit dieser Wiedergabe, ähnlich wie in Ex 29,45 f., der Anthropomorphismus der Vorstellung des Wohnens im Heiligtum vermieden werden (Schaper: Exodos, 310). Allerdings ist Anthropomorphismus auch in der modifizierten Aussage der griechischen Übersetzung enthalten. Ähnliches gilt für Dtn 33,16, wo das »Wohnen« Gottes im Dornbusch nach LXX ein »Erscheinen« ist (vgl. den Hertog / Labahn / Pola: Deuteronomion, 600). Auch die spätere rabbinische Exegese spricht vorzugsweise vom »Erscheinen« Gottes im Dornbusch (so z. B. Raschi). Ibn Esra bietet eine weitere Deutungsvariante, indem er das Wort ְס ֶנהmit »Himmel« übersetzt, wo ihm zufolge Gott sehr wohl »wohnt«. 21. Hayward: Understanding, 386 f. 22. Joosten: To See God, 295-299. Vgl. dazu auch Bons: Septuaginta, 35; kritisch Rösel: Gott, 169173. 23. Assmann: Ägypten III., 210. 24. Vgl. Erman: Religion, 175; Frankfurter: Egyptian Religion, 83.
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Gottesschau
auch mit der Popularität eines derart visuell vermittelten Kultes bei der breiten Bevölkerung zu tun.
2. Wirkungsgeschichte 2.1 Rezeption in frühjüdischen Texten Das theologisch zentrale und brisante Thema der Gottesschau hat bei den griechischen Übersetzern der LXX also gegensätzliche Reaktionen hervorgerufen. Drei Tendenzen sind beobachtet worden: zum Teil ist das Moment der Gottesschau abgeschwächt oder getilgt worden, zum Teil sind solche Texte wörtlich bzw. getreu übersetzt worden, und schließlich gibt es auch Fälle, in denen LXX dieses Moment gegen MT eingetragen hat. Dieser Befund dokumentiert die Vielstimmigkeit der LXX, deren mehrerer Jahrhunderte währender Übersetzungsprozess bereits vermuten lässt, dass sich bisweilen gegensätzliche Tendenzen ausgeprägt haben. Die Texte der LXX zum Thema Gottesschau haben ihrerseits eine vielfältige Wirkungsgeschichte in hellenistisch geprägten frühjüdischen Texten. Exemplarisch sollen hier religionsphilosophische bzw. historische Schriften von Aristobulus, Philo und Josephus untersucht werden, in denen sich weiterführende Hinweise zum Thema finden. Aristobulos und Philo sind Vertreter einer hellenistisch geprägten jüdischen Religionsphilosophie alexandrinischer Provenienz. Beide versuchten, jüdische Traditionen einem hellenistischen Publikum zugänglich zu machen und u. a. die Kompatibilität und Affinität mit griechischer Philosophie darzustellen. Aristobulos 25 lebte in der Mitte des 2. Jh. v. Chr. in Alexandrien; sein mehrbändiges, auf Griechisch verfasstes Werk ist heute nur noch fragmentarisch in Zitaten der patristischen Literatur (Clemens von Alexandria, Eusebius von Caesarea, Anatolius von Laodikeia) erhalten. Jedoch lässt sich daraus noch immer schließen, dass er als erster die allegorische Auslegungsweise biblischer Texte (und zwar primär der Bücher Genesis, Exodus und Deuteronomium) verwendete und deshalb als Wegbereiter Philos zu gelten hat. 26 Aristobulos ist als gebildeter Leser der LXX vor allem interessant, da seine Lebensdaten in den Zeitraum der Übersetzung der ersten Bücher des LXX-Unternehmens fallen. 27 Zudem wohnte und wirkte er am Ort dieses Projektes, damals einem Zentrum hellenistischer Philosophie. 28 Entsprechend solcher zeitgenössischen gedanklich-philosophischen Voraussetzungen betrieb er eine Form der Exegese, deren platonische und 25. Die Bezeichnung »Aristobulos von Paneas« ist irreführend und deshalb zu vermeiden. 26. Vgl. Stählin: ThWNT 4, 797; Koester: History, 271; Müller: Motive, 719 f. 27. Aristobulos lebte wohl einige Jahrzehnte nach der Übersetzung von GenLXX und ExLXX. Als erstes Buch des LXX-Projekts wurde Genesis wahrscheinlich zwischen dem Beginn des 3. Jahrhunderts und der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. in Alexandrien übersetzt (vgl. z. B. Kepper: Genesis, 111-113; Prestel / Schorch: Genesis 150); die Übersetzung von Exodus wird allgemein in das 3. Jh. v. Chr. datiert (vgl. Schwagmeier: Exodos, 132). 28. Daran mag es liegen, dass Aristobulos in der Kirchengeschichte des Eusebius von Caesarea fälschlich zum Kreis der 70 jüdischen Gelehrten gezählt wird, die die Übersetzung der LXX besorgt hätte (H.e. VII, 32,16, GCS 9/2, 722-724). Vgl. Müller: Motive, 718.
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Termini und Themen der Septuaginta
aristotelische Prägung sich auch in anderen deuterokanonischen Büchern der hellenistisch-jüdischen Epoche manifestierte (Sapientia Salomonis, Jesus Sirach, PseudoPhokylides, 4. Makkabäer). Zu deren Programm gehörte u. a. die Vermeidung von Anthropomorphismen in Bezug auf Gott; primär zu diesem Zweck verwendete Aristobulos die allegorische Exegese. Im übrigen gab er vor, eine griechischsprachige Version des Pentateuchs habe schon vor dem Übersetzungsprojekt der LXX den großen Philosophen Pythagoras, Sokrates und Plato zur Verfügung gestanden und sei Grundlage mancher theologischer Einsichten in ihren literarischen Werken. 29 Philosophisch motivierte Interpretation ist bei Aristobulos in seinem Umgang mit Anthropomorphismen in der Erzählung von Israels Ankunft am Sinai nach Ex 19 zu beobachten. 30 Hier liegt bereits in der LXX eine Korrektur im Bereich der visio dei vor. Gemäß Ex 19,20 f.MT kam ( )ירדJhwh auf den Gipfel des Berges Sinai hinunter, rief Mose zu sich hinauf und sagte zu ihm: ֵרד ָהֵעד ָבָּעם ֶפּן־ ֶיֶה ְרסוּ ֶאל־ ְיה ָוה ִל ְראוֹת ְו ָנַפל ִמֶמּנּוּ » ָרבSteig hinab und verwarne das Volk, dass sie nicht durchbrechen zu Jhwh, um ihn zu sehen, und viele von ihnen fallen« (19,21). In Ex 19,20 f.LXX findet sich demgegenüber nach dem Hinabstieg (καταβαίνω) Gottes folgender modifizierter Text: … μήποτε ἐγγίσωσιν πρὸς τὸν θεὸν κατανοῆσαι »… dass sie sich Gott nicht nähern, um (ihn) wahrzunehmen«. 31 Damit betrifft die Warnung an Israel schon nicht mehr das direkte Sehen Gottes, sondern nur noch die indirekte Wahrnehmung, die allerdings weiterhin verboten ist. 32 Aristobulos geht es in seiner Lektüre von Ex 19LXX demgemäß eher um das »Hinabsteigen« Gottes auf die Bergspitze. Dieser Aspekt widerspricht einerseits der aristotelisch-peripatetischen Vorstellung von Gott als dem unbewegten Beweger, der unveränderlich und über allem ist, andererseits auch derjenigen, dass die transzendent-himmlische Sphäre von der materiell-irdischen kategorisch getrennt ist. Deshalb legt Aristobulos in Fragm. 2 33 dar, dass die Israeliten anstelle des Wesens Gottes die »von Gott herrührende Energie« (2,15), die sich durchaus überall in der Welt manifestiert, gesehen haben. Diese Energie sei weiterhin bei der göttlichen Gesetzgebung im Einsatz gewesen. Aristobulos hat mit solchen interpretierenden Ansätzen bleibenden Einfluss gehabt, der Jahrzehnte später vor allem im Werk des Philo zur Entfaltung kam. In ähnlicher Weise deutet auch die rabbinische Exegese Ex 19,20 f.MT. Raschi fragt, ob es wirklich Gott war, der auf den Berg hinunterkam, und erklärt, wie Gott dazu den oberen und unteren Himmel gebogen hätte. Ibn Esra stellt ähnlich wie Aristobulos klar, dass der Geist, da er kein Körper sei, weder hinab- noch hinaufsteigen kann; anhand einer a minore ad maius ()קל וחומר-Argumentation schließt er dann, dass auch Gott, der Herr der Geister des Fleisches, dieses nicht könne. Vielmehr gehe es
29. Aristobulos Frgm. 3 bei Eusebius Caes., Praep. ev. XIII, 12,1-2, GCS 43/2, 190 f. Zum Leben und literarischen Werk des Aristobulos vgl. Walter: Thoraausleger; Koester: History, 271; Holladay: Aristobulus, passim; Gutmann: Aristobulus, passim; Schaper: Exodos, 271 f.; Müller: Motive, passim. 30. Vgl. dazu Matusova: »Seeing« God, 63-66; Müller: Motive, 725 f. 31. In LXX.D sind die hier durch Kursivschreibweise als Differenz zwischen MT und LXX kenntlich gemachten Worte »(ihn) wahrzunehmen« nicht kursiv gesetzt. 32. Vgl. Joosten: To See God, 288 f.; Rösel: Gott, 166. 33. Aristobulos Frgm. 2,12-17 bei Eusebius Caes., Praep. ev. VII, 10,12-17, GCS 43/1, 453 f.
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Gottesschau
in diesem Text um Gottes Präsenz in der Schechina. Nachmanides spricht von vornherein nur vom Hinuntersteigen des »Namens Gottes«. Die Lebensdaten des Philo von Alexandrien (20/10 v. Chr. – ca. 45 n. Chr.) fallen in die Endphase des LXX-Übersetzungsprojektes. Philo entstammte einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie, hatte eine gründliche griechische Bildung genossen und in Alexandriens Synagogengemeinden im Laufe der Zeit eine hohe Position erlangt, weshalb er ca. 39/40 n. Chr. an einer Gesandtschaft von deren Vertretern nach Rom teilnahm, was vielleicht auch darauf zurückzuführen war, dass er sich bereits als sachverständiger und eloquenter Vermittler jüdischer Religion und Kultur ausgezeichnet hatte. Letzteres mag ebenfalls mit seiner eventuellen Lehrfunktion an den Synagogen Alexandriens in Verbindung gestanden haben. In Philos Schriften sind vielfältige Spuren der Modifikationen der LXX-Texte festzustellen, und zwar auch speziell zum Thema Gottesschau. Außerdem ist von seiner intensiven Rezeption des literarischen Werkes des Aristobulos auszugehen, waren doch beide in derselben Stadt ansässig. Der Großteil von Philos umfangreichem Schrifttum, das den Höhe- und Endpunkt hellenistischjüdischer Philosophie markiert, 34 bezieht sich ebenfalls auf den Pentateuch; dem Buch Exodos widmet er gar ein eigenes Werk. 35 Da Philo trotz seines hohen Bildungsniveaus das Hebräische wohl kaum beherrschte, 36 kann die Rezeption des LXX-Textes (oder dazugehöriger Varianten), deren Übersetzung er nach Vit.Mos. II, 26-44 als göttlich inspiriert sah, als gesichert gelten. 37 Wie Aristobulos geht Philo von der absoluten Transzendenz Gottes aus, weshalb nur das Sein Gottes als solches vom Menschen bestimmt werden kann, nicht aber, was oder wie Gott ist (Vit.Mos. I, 14). 38 In der Welt ist nicht Gott selbst; vielmehr sind dort Mittlerwesen aktiv, allen voran der Logos, der im irdischen Kontext wirkt und auch die Schöpfung vollbracht hat (Opif. 19-20; 29-31; 78). Ein solcher Ansatz steht eindeutig mit Heiligtumskonzeptionen des Frühjudentums und der ägyptischen Religion im Widerspruch. Auch wenn sich aufgrund der spezifisch anikonischen Prägung der frühjüdischen Jhwh-Religion das Problem der Gottesschau im Gegensatz zum ägyptischen Kult nicht stellte, so galt doch hier wie dort ein Tempel als »Wohnung« ()ִמְשָׁכּן oder »Haus« ( )ַבּ ִיתGottes, womit durchaus immanente Vorstellungen einhergehen. Demgegenüber ist bei Philo im Sinne von für den mittleren Platonismus charakteristischen Urbild-Abbild-Konzeptionen der wahre Tempel transzendent; der »von Hän-
34. Vgl. Koester: History, 274. 35. S. Philos Quaestiones et solutiones in Exodum. Vgl. Schaper: Exodos, 271; Veltri: RGG 6, 1287. 36. Vgl. dazu z. B. Mach: TRE 26, 524, der Philo u. a. »absolute Unkenntnis des Hebräischen« attestiert. 37. Zu Philos Leben und literarischem Schaffen vgl. Koester: History, 273-280; Borgen: Philo, 108-117; Mach: TRE 26, passim; Veltri: RGG 6, passim; Schaper: Exodos, 271-272; SimonShoshan: Tasks of the Translators, 7-10. Die allgemein positive Haltung Philos zur LXX geht auch aus seiner Bemerkung hervor, die jüdischen Bewohner Alexandriens hätten jährlich ein Septuagintafest auf der Insel Pharos gefeiert, zu dem nichtjüdische Personen gleichfalls eingeladen wurden (Vit.Mos. II, 41 f.; vgl. Kreuzer: Entstehung, 14). 38. Vgl. Veltri: RGG 6, 1287.
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den gemachte« (χειρόκμητος) Tempel auf Erden genügt allein menschlichen Bedürfnissen (Spec.Leg. I, 66-67). 39 Exemplarisch sei an einigen Aussagen aus Philos literarischem Werk seine Auseinandersetzung mit dem Thema der Gottesschau beschrieben. Von den verschiedenen griechischen Verben für »sehen« verwendet er vor allem ὁράω, etwas seltener βλέπω, θεάομαι und θεωρέω. Die monotheistische Selbstaussage Gottes im Lied des Mose nach Dtn 32,39LXX lautet: ἴδετε ἴδετε ὅτι ἐγώ εἰμι, καὶ οὐκ ἔστιν θεὸς πλὴν ἐμοῦ »Seht, seht, + dass ich + es bin, und es gibt keinen Gott außer mir«. Philo zitiert diese Passage zwar in Post. 167-168 wortgetreu, erläutert aber, es gehe um intuitive Wahrnehmung und nicht um Gotteserkenntnis aufgrund von logischer Argumentation (τοῦ ὄντως ὄντος ἐναργείᾳ μᾶλλον [ἀντι]καταλαμβανομένου ἢ λόγων ἀποδείξει συνισταμένου). Auch fügt er sofort hinzu, die Rede von Gottes Sichtbarkeit sei nicht wörtlich gemeint (τὸ δ’ ὁρατὸν εἶναι τὸ ὂν οὐ κυριολογεῖται, κατάχρησις δ’ ἐστὶν ἐφ’ ἑκάστην αὐτοῦ τῶν δυνάμεων ἀναφερομένου). Der Grund dafür ist nämlich, dass (gemäß der philosophischen Überzeugung Platos) geschöpfliche Wesen Gott nicht sehen können (ἀμήχανον γὰρ τὸν κατὰ τὸ εἶναι θεὸν ὑπὸ γενέσεως τὸ παράπαν κατανοηθῆναι). Hier ist ferner auf die Bitten des Mose nach Offenbarung der göttlichen Wege einzugehen. Erwähnt wurde schon (s. o.), dass nach dem modifizierten Wortlaut von Ex 33,12-23LXX ἐμφάνισόν μοι σεαυτόν »zeige dich mir« weniger an die Sichtbarkeit Gottes und eher an die Offenbarung des Namens zu denken ist. Philo notiert nun erstens in Spec.Leg. I, 41, damit sei auf die Sehnsucht nach Bildung angespielt, und zweitens in I, 45, dass Mose selbst Gott gegenüber eingesteht: … οὐκ ἂν ἴσχυσα δέξασθαι τὸ τῆς σῆς φαντασίας ἐναργὲς εἶδος »… ich hätte niemals eine von dir klar manifeste Vision empfangen können«. Damit ist die grundsätzliche Unergründbarkeit und Unerreichbarkeit Gottes ausgesagt. 40 Mose beschwichtigt dann, eigentlich habe er lediglich Gottes »Herrlichkeit« (δόξα) sehen wollen. Die Aussage in Ex 33,13LXX ist für Philo derartig wichtig, dass er sie abgesehen von Spec.Leg. I, 41 auch in Mut.Nom. 8, Leg.All. III, 101 und Post. 16 zitiert, und zwar jeweils zur Vermittlung vergleichbarer Inhalte. 41 Im übrigen verneint Philo schließlich generell, dass Gott jemals den göttlichen Namen geoffenbart habe; in Ex 3,14 gehe es vielmehr um die Offenbarung der allgemeinen Existenz Gottes (Mut.Nom. 11; Somn. II, 230 f.). 42 39. Dem entspricht, dass Philo auch den Zweck bzw. die Funktion des am Heiligtum durchgeführten Opferkultes primär auf Seiten der Menschen bestimmt, die Segen und Befreiung vom Bösen erfahren, insofern sie denn Gott mit ihren Opfern aufrichtig ehren (Spec.Leg. I, 195, vgl. dazu u. a. Gilders: Jewish Sacrifice, 96). 40. Vgl. Wyrwa: Begegnung, 44 f. 41. Zur Rezeption von Ex 33,13 bei Philo vgl. Wyrwa: Begegnung, 45; Matusova: »Seeing« God, 74; Steyn: »Show me yourself«, passim. Raschi erklärt zu Ex 33,13LXX, dass es Mose nicht um Kenntnis von Gottes Wegen geht, sondern darum, welche Belohnung für diejenigen zu erwarten ist, die Gottes Gunst gefunden haben. Ibn Esra zufolge wird eine Person, die Gottes Wege kennt, engelgleich. 42. Jhwh offenbart Mose nach Ex 3,14MT den göttlichen Namen als » ֶאְה ֶיה ֲאֶשׁר ֶאְה ֶיהich werde sein, der ich sein werde« bzw. verkürzt » ֶאְה ֶיהich werde sein« und suggeriert damit – ggf. volksetymologisch motiviert – eine Ableitung vom Verb » היהsein/da sein«. Sie hat sicherlich auch eine relationale Dimension, um Mose in einer Situation existentieller Herausforderung – er
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In ähnlicher Weise merkt Philo in Abr. 80 zu Gen 12,7LXX an, das kausative Passiv von ὤφθη »zeigte sich« für die Epiphanie eines Gottes weise auf die Unmöglichkeit der Menschen hin, das wahre göttliche Sein ohne Offenbarung zu sehen. 43 Vergleichbare Bemerkungen Philos sind u. a. auch in Conf. 96 belegt, denen zufolge das »Sehen« (θεάομαι) des »Wortes« (λόγος) den Dienern Gottes möglich ist. Angesichts der hier dargestellten Grundzüge von Philos religionsphilosophischem Ansatz mag es nicht überraschen, dass sich in seinem literarischen Werk über 100 Belege von ἀόρατος »unsichtbar« finden. 44 Damit ist ein wichtiger Unterschied in der grundsätzlichen Vorstellung Gottes und den daraus resultierenden Konsequenzen benannt. Aus dem generellen Verbot der Gottesschau nach MT, die in der Regel tödliche Folgen hat, wird im Prozess der Rezeption bis zu Philo allmählich die Unmöglichkeit der Gottesschau. Von hier aus gewinnt die Beobachtung neue Plausibilität, dass in Ex 24,11aLXX die Aussage des MT, Gott habe seine Hand im Anschluss an die visio dei nicht gegen die Israeliten erhoben, einfach ausgelassen wird (s. o.). Was Menschen unmöglich ist, braucht und kann nicht bestraft werden. Auch Emotionen, Bewegung, Wesenswandel usw. sprach Philo in seinen Schriften Gott ab; Gott ist unwandelbar und unveränderlich (Mut.Nom. 57; Somn. II, 237). Kritisiert wurde der alexandrinische Philosoph deshalb, er habe unter dem Einfluss einer Weltanschauung platonischer und aristotelischer Prägung den jüdischen Gott entpersonalisiert. 45 Es gelang ihm aber gleichwohl, gemeinsam mit den Übersetzern der LXX die Relevanz der frühjüdischen Religion einem neuen, breiten und internationalen Publikum zu vermitteln. 46
43. 44. 45.
46.
hatte den göttlichen Auftrag, Israel aus Ägypten herauszuführen, immerhin fünfmal hinterfragt – Mut zuzusprechen, und sagt das göttliche »Mit-Sein« auch für die Zukunft zu (Rendtorff: Theologie, 37). Nach Susanne Scholz evoziert die Formulierung ֶאְה ֶיה ֲאֶשׁר ֶאְה ֶיהzudem »an image of God beyond androcentrism … Moreover, the explanation does not presuppose the divine as fixed and unchangeable. On the contrary, the image is dynamic and flexible« (Scholz: Complexities, 29). Die Übersetzer der LXX deuten diese Formulierung in ontologischer Hinsicht aus: Ἐγώ εἰμι ὁ ὤν »Ich bin der Seiende« bzw. Ὁ ὢν »Der Seiende« (vgl. Schaper: Exodos, 281). Philo knüpft seinerseits an diese Interpretation an und gibt sich als Zeuge des sog. Mittelplatonismus zu erkennen (vgl. Borgen: Philo, 147 f.; Wyrwa: Begegnung, 40). Konkret ist er der Meinung, im brennenden Dornenbusch sei nicht Gott selbst, sondern der Logos erschienen (Vit.Mos. I, 66; Quaest.Ex. II, 47; Som. I, 69). Vgl. dazu auch Prestel / Schorch: Genesis, 180. Vgl. Michaelis: ThWNT 5, 369. Vgl. Werblowsky: EJ 2, 189: »The consistent avoidance of any personification of God led Philo of Alexandria to the concept of a Deity who neither acts nor creates, who is without attributes or qualities and hence no kind of positive relationship to this world could be attributed to him«. Vgl. dazu Wyrwa: Begegnung, 39 (mit Bezug auf Ex 3,14): »Als Jahwe seinen Namen offenbarte, sagte er seine Gegenwart zu und behauptete gleichzeitig seine Freiheit. An eine philosophische Seinsaussage war nicht zu denken. Aber der alttestamentliche Gott, dessen Eigentümlichkeit es ist, sich nach und nach alle Bereiche unterwürfig zu machen, der mit der Seßhaftwerdung Israels durch die Berührung mit der kanaanäischen Kulturwelt Züge des über einem Pantheon thronenden Himmelsgottes auf nahm, der in der Jerusalemer Kulttradition die altorientalische Gott-Königsideologie absorbierte, der sich aus ursprünglich polytheistischem Hintergrund heraushob, die Götter der Völker abdrängte und seinen Herrschaftsbereich über alle Nationen ausdehnte, bis er bei Deuterojesaja der einzige universale Gott ist — dieser Gott reklamiert
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Der jüdisch-hellenistische Historiker Josephus (37/38-100 n. Chr.) war seinerseits nachhaltig von der LXX beeinflusst. Josephus hatte ein bewegtes Leben; als junger Priester aus Jerusalem geriet er im Jüdischen Krieg in römische Gefangenschaft, wurde jedoch von Vespasians Sohn Titus freigelassen und durfte sich, mit kaiserlicher Pension ausgestattet, der literarischen Tätigkeit hingeben. Aufgrund seiner Herkunft hatte er eine andere Bildung als die beiden alexandrinischen Philosophen genossen; Josephus berichtet über sich selbst, dass er schon als Jugendlicher für seine Liebe zu den jüdischen Schriften bekannt war und diesbezüglich von Priestern und anderen führenden Persönlichkeiten Jerusalems konsultiert wurde. 47 Josephus bezieht sich, wie vor ihm schon Aristobulos und Philo, auf die LXX und macht dazu explizite Angaben (Ant. I, 10-12). 48 An einigen Passagen aus dem literarischen Werk des Josephus, das beispielsweise über weite Teile der Antiquitates Judaicae als eher sinngemäße, auf Belehrung und Unterhaltung der Leserschaft angelegte Nacherzählung mit manchmal Aggada-artigen Erweiterungen zu verstehen ist, 49 sei nun sein Umgang mit dem Thema der Gottesschau skizziert. Wie adaptierte Josephus etwa die Erzählung der Theophanie im Dornbusch? Die Aussage in Ex 3,6MT, Mose habe sein Angesicht aus Furcht vor dem sich im brennenden Dornbusch offenbarenden Gott verhüllt ()סתר, wird in Ex 3,6LXX dahingehend verstärkt, dass Mose sein Angesicht »abwandte« (ἀποστρέφω). Zudem ergänzt LXX den anschließenden Satz folgendermaßen: εὐλαβεῖτο γὰρ κατεμβλέψαι ἐνώπιον τοῦ θεοῦ »Er scheute sich nämlich, in der Gegenwart Gottes niederzublicken«. Damit wird diese Aussage theologisch verschärft: »Nicht nur das Anschauen Gottes ist nicht gestattet (so auch der MT), sondern auch das ehrfürchtige Senken des Blicks in der Gegenwart Gottes. Der Blick muss sich völlig von Gott abwenden«. 50 Josephus führt in seiner eigenen Nacherzählung der Textpassage diese Tendenz weiter, indem er in Ant. II, 264-267 jeglichen Aspekt einer möglichen visio dei eliminiert. Zwar verwendet er das Wort ὄψις »Anblick«, dieses bezieht sich aber lediglich auf die Kenntnisnahme des stark lodernden Feuers im Busch. Der dort anwesende Gott wurde von Mose jedoch nur gehört. Dem entspricht, dass Josephus später in seiner Version der Besteigung des Sinai-Berges nicht davon spricht, Mose habe Gott gesehen; vielmehr wurde Mose nur von Gott empfangen (Ant. III, 75-88). 51 Hinter solchen Modifikationen stehen religionsphilosophische Konzeptionen platonisch-aristotelischer Prägung, nach denen der unbewegte, unveränderliche und un-
47.
48.
49. 50. 51.
nun auf dem Wege der Übersetzung der normativen Glaubenszeugnisse Israels den metaphysischen Bereich, das absolute, rein geistige Sein für sich«. Vgl. Mayer: TRE 17, 258. Zu Philos Leben und literarischem Schaffen vgl. Koester: History, 398-402; Feldman: Josephus, passim; Michel / Bauernfeind: Bello Judaico, XI-XVIII; Mayer: TRE 17, 258, passim; Schalit: EJ 11, 435 f. Vgl. dazu präzisierend nun Rodgers: EBR 14, 736: »Evidence suggests his use of different versions of the LXX (B and L). Many stylistic and linguistic differences may reflect Josephus’ wish to remove semitisms and offer improvements to the LXX«. Etwas anders hatte noch Günter Mayer (TRE 17, 261 f.) geurteilt, der meint, es sei »die Benutzung einer LXX-Rezension anzunehmen, die einer hebräischen Überlieferung nahestand«. Vgl. Mayer: TRE 17, 261; Schalit: EJ 11, 438. Schaper: Exodos, 280. Vgl. Michaelis: ThWNT 5, 338.
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sichtbare Gott aufgrund der ontologischen Kluft nicht auf der Welt der Menschen wohnhaft sein kann. Angesichts dessen stellt sich nicht nur die Frage nach dem frühjüdischen Tempel als »Haus« Gottes neu, sondern auch diejenige nach der »Lade Jhwhs« (1Sam 4-6; 2Sam 6,9 u. ö.) bzw. »Lade Gottes« (1Sam 3,3; 4,18; 2Sam 6,2-7; 7,2), die sich aufgrund solcher Bezeichnungen als Ort der Präsenz Gottes ausweist, denn Jhwh »thront über den Cherubim« (1Sam 4,4; 2Sam 6,2 u. ö.). Interessant ist in diesem Zusammenhang die lakonische Auskunft des Josephus über den »innersten Raum«, nämlich das Allerheiligste im Jerusalemer Tempel: ἔκειτο δὲ οὐδὲν ὅλως ἐν αὐτῷ »In ihm befand sich überhaupt nichts« (Bell. V, 219). Josephus spielt damit auf den Verlust der Lade im Zuge der Plünderung des Jerusalemer Tempels durch Nebukadnezar II. an. Er implizit durchaus, dass Gott in diesem Heiligtum dann auch nicht residiert. Die Leere des Heiligtums, für manche sicherlich eine tragische historische Tatsache, 52 passt für Josephus gut mit hellenistisch geprägten Gottesvorstellungen zusammen. Abseits solcher Nacherzählungen biblischer Bücher finden sich gelegentlich ebenfalls Angaben zu religionsphilosophischen Grundsatzfragen, so etwa in De Bello Judaico. Im Rahmen der Rede des Eleazar, deren Ziel die Ermutigung zum kollektiven Selbstmord angesichts der drohenden Niederlage im Kampf gegen die römische Armee ist, wird auf Grundlage der Überzeugung eines Lebens nach dem Tode eine Seelenlehre entfaltet, der zufolge der Tod die menschliche Seele (ψυχή) befreit und ihr so Zugang zu heimatlichen Gefilden verleiht (Bell. VII, 344). Die Seele habe nach dem Tod glückselige Kraft und ungehinderte Macht; auch ist sie ἀόρατος μένουσα τοῖς ἀνθρωπίνοις ὄμμασιν ὥσπερ αὐτὸς ὁ θεός »unsichtbar für die menschlichen Augen wie Gott selbst« (VII, 346). Damit ist der Tod des Menschen der Einstieg in eine reale und bessere, wenn auch unsichtbare Welt.
2.2 Rezeption im Neuen Testament Die drei verschiedenartigen Tendenzen der LXX haben ihrerseits über die frühjüdische Rezeption die Theologie und Christologie neutestamentlicher Schriften geprägt. 53 Auf die Eliminierung der Gottesschau in der LXX mag evtl. zurückzuführen sein, dass in Joh 1,18 kategorisch formuliert wird: Θεὸν οὐδεὶς ἑώρακεν πώποτε »Niemand hat Gott je gesehen« (s. a. 6,46). Die visio dei etwa beim Sinaibund – nach MT – ist hier unbekannt. 54 Zudem wurde das Attribut ἀόρατος (»unsichtbar«), in LXX noch »äußerst selten«, 55 charakteristisch für das frühchristliche Gottesverständ52. So ist die Legende in 2Makk 2,5-7 zu erklären, der Prophet Jeremia habe die Bundeslade in einer Höhle am Berg Nebo versteckt, welche die Hoffnung vermittelt, sie werde eines Tages wiedergefunden und könne dann erneut ihren traditionellen kultischen Funktionen dienen. 53. Vgl. dazu Bons: Septuaginta, 40: »In vielfacher Hinsicht ist die Septuaginta die Heilige Schrift, auf die die Texte des Neuen Testaments zurückgreifen, ja sie bilden den terminologischen und konzeptionellen Hintergrund, auf dem viele Aussagen des Neuen Testaments erst verstehbar sind …«. 54. Im Hintergrund steht evtl. die Bitte des Mose nach Ex 33,12-23, Gott möge sich ihm zeigen (vgl. Schnackenburg: Johannesevangelium, 253). 55. Vgl. Michaelis: ThWNT 5, 369; Wilson: Imaging, 357. Die Belege sind Gen 1,2; Isa 45,3; 2Makk 9,5.
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nis. So ist im Hebräerbrief Mose ein positives Beispiel für den Glauben, denn er hielt sich beim Exodus mutig »an den, den er nicht sah, als sähe er ihn« (τὸν γὰρ ἀόρατον ὡς ὁρῶν ἐκαρτέρησεν, Hebr 11,27; s. a. Röm 1,20; Kol 1,15 f.; 1Tim 1,17). 56 Das bedeutet jedoch nicht, dass in frühchristlicher Vorstellung Gott unsichtbar geblieben wäre. Vielmehr konnte einerseits Jesus im JohEv sagen: ὁ ἑωρακὼς ἐμὲ ἑώρακεν τὸν πατέρα »Wer mich sieht, der sieht den Vater« (Joh 14,9; s. a. 6,46; 12,45); eine solche Selbstaussage ist als Anspielung auf die Inkarnation zu werten (Joh 1,14; Phil 2,1-11). 57 Dass Jesus in diesem Evangelium zudem als λόγος »Wort« der bei Gott befindliche, an der Wortschöpfung beteiligte, als Licht leuchtende, von Gott ausgehende und auf die Welt hinabsteigende Mittler ist, kann nur als Aufnahme philonischhellenistischer Vorstellungen gewertet werden. 58 Entsprechend kann Jesus in anderen ntl. Texten z. B. als ἀπαύγασμα τῆς δόξης καὶ χαρακτὴρ τῆς ὑποστάσεως αὐτοῦ »Abglanz seiner Herrlichkeit und Ebenbild seines Wesens« (Hebr 1,3) bzw. als εἰκὼν τοῦ θεοῦ τοῦ ἀοράτου »Ebenbild des unsichtbaren Gottes« (Kol 1,15) bezeichnet werden, womit Terminologie und Motivik eines Lobes der Weisheit nach Sapientia Salomonis rezipiert wurde: ἀπαύγασμα γάρ ἐστιν φωτὸς ἀιδίου καὶ ἔσοπτρον ἀκηλίδωτον τῆς τοῦ θεοῦ ἐνεργείας καὶ εἰκὼν τῆς ἀγαθότητος αὐτοῦ »Denn sie ist ein Abglanz des ewigen Lichts und ein fleckenloser Spiegel des göttlichen Wirkens und ein Bild seiner Güte« (Weish 7,26). Der nach wie vor unsichtbare Gott ist in Jesus Christus gleichwohl sichtbar geworden. 59 Andererseits hat Jesus den Gott, den kein Mensch je gesehen hat (Joh 1,18), als »Vater« gesehen (6,46). 60 Im NT wird aber Gottesschau nicht nur mit Blick auf Jesus, sondern auch auf Gott selbst thematisiert. Zuversichtlich ist etwa die Zusage Jesu in den Seligpreisungen der Bergpredigt, auch wenn hier offenbleibt, ob sie sich auf eine präsentische oder zukünftig-eschatologische visio dei bezieht: »Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen (ὅτι αὐτοὶ τὸν θεὸν ὄψονται)« (Mt 5,8). Diskutiert wird, ob hier Anspielungen an die Tempeltor-Liturgie auf Ps 24 vorliegen, sodass sich das Sehen Gottes auf die Pilgerreise zum Heiligtum beziehen würde. 61 Die Verbindung zwischen Heiligung (ἁγιασμός) und Gottesschau wird ähnlich in Hebr 12,14 hergestellt. Für Paulus ist die Gottesschau ebenfalls eschatologisches Verheißungsgut, wenn er 56. Die Flucht des Mose und der Exodus werden auch von Philo, Leg.All. III, 12 f. und Josephus, Ant. II, 256 f. als vorbildliche Handlungsmuster herangezogen (vgl. Koester: Hebrews, 509). Nach Heinrich Schlier ist die Formulierung in Röm 1,20, Gottes unsichtbares Wesen könne gesehen werden, »ein Oxymoron« (Schlier: Römerbrief, 52). Vgl. ferner Merklein: Bild Gottes, passim. 57. Vgl. Michaelis: ThWNT 5, 365. 58. Dieses umfangreiche Thema kann hier nicht weiterverfolgt werden; vgl. dazu nur Kleinknecht: ThWNT 4, 79-89; Theobald: Fleischwerdung. 59. Vgl. Karrer: Brief, 120-122; Beavis / Kim-Cragg: Hebrews, 4f: »Jesus was often interpreted as a prophet or embodiment of Sophia by early christians (sic). But Hebrews submerges the origins of this christological language in the Wisdom tradition by never explicitly referring to Woman Wisdom/Sophia«. 60. Vgl. Theobald: Fleischwerdung, 362-368; Zimmermann: Christologie, 432 f. 61. Vgl. z. B. Gnilka: Matthäusevangelium, 125; Brucker: Psalm, 416. Für diese Annahme spricht, dass das stärker traditionell-jüdisch geprägte Mt-Ev durchaus weniger hellenistischen Einfluss erkennen lässt als das Joh-Ev.
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schreibt: βλέπομεν γὰρ ἄρτι δι’ ἐσόπτρου ἐν αἰνίγματι, τότε δὲ πρόσωπον πρὸς πρόσωπον »Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht« (1Kor 13,12). Eine solche beata visio ist evtl. in der Vorstellung begründet, nach dem Tode sei die im Paradies gegebene Nähe zu Gott erneut verfügbar (s. ferner 1Joh 3,2-3; Offb 22,4). Sie rezipiert das eben angesprochene Motive des »fleckenlosen Spiegels« nach Weish 7,26. 62 Jenseits vom visuellen Zugang zu Gott sind im NT auch andere sinnfällige Vorstellungen belegt, so etwa die enigmatischen Formulierungen des Paulus, dass Gott »den Geruch seiner Erkenntnis« (τὴν ὀσμὴν τῆς γνώσεως αὐτοῦ) offenbart und gerettete Menschen dementsprechend »ein Wohlgeruch Christi« (Χριστοῦ εὐωδία) für Gott sind (2Kor 2,14 f.). 63
2.3 Rezeption in patristischer Literatur (Martin Meiser) Literatur Texte und Editionen Ambrosiaster: Quaestiones Veteris et Novi Testamenti, ed. Alexander Souter, CSEL 50, Wien / Leipzig 1908, 1-416 – Athanasius: Expositiones in Psalmos, PG 27, 9 B-590 A – Augustinus: De beata vita, ed. Pius Knöll, CSEL 63, Wien / Leipzig 1922, 87-116 – Augustinus: De civitate Dei, ed. Emanuel Hoffmann, CSEL 40/1-2, Prag / Wien / Leipzig 1899-1900 – Augustinus: De Trinitate, ed. William J. Mountain / François Glorie, CC.SL 50, Turnhout 1968 – Augustinus: Epistulae III (no. 124-184a), ed. Alois Goldbacher, CSEL 44 Prag / Wien / Leipzig 1904 – Augustinus: Quaestiones in Heptateuchum, ed. Jean Fraipont, CC.SL 33, Turnhout 1958, 1-377 – Basilius Caes.: De Spiritu Sancto, ed. Hermann-Josef Sieben, FC 12, Freiburg 1993 – Ps.-Basilius Caes.: Commentaria in Isaiam, PG 30, 117 A-668 C – Beda Venerabilis: Expositio in Evangelium Iohannis, PL 92, 635 B-938 A – Clemens Alex.: Paedagogus, ed. Otto Stählin, 3. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 12, Berlin 1972, 87-292 – Clemens Alex.: Stromata VII, ed. Otto Stählin, 2. Aufl. ed. Ludwig Früchtel, GCS 17, Leipzig 1909, 21970 – Cyrillus Alex.: Commentarium in Evangelium Iohannis, PG 73 – Diodor Tars.: Commentarii in Psalmos, Vol. I, Commentarii in Psalmos I–L, ed. Jean-Marie Olivier, CC.SG 6, Turnhout 980 – Ps.-Dionysius Areopagita, De divinis nominibus, PG 3, 585 A-996 B – Eusebius Caes.: Commentaria in Isaiam, PG 24, 77 B526 A – Gregorius Naz.: Orationes Theologicae / Theologische Reden, ed. Hermann Josef Sieben, FC 22, Freiburg 1966 – Gregorius Nyss.: De beatitudibus ed. Johannes F. Callahan, GNO 7/2, Leiden 1992, 75-170 – Gregorius Nyss.: De vita Mosis, ed. Herbert Musurillo, GNO 7,1, Leiden 1964 – Hieronymus: Commentariorum in Esaiam libri XVIII, ed. Marcus Adriaen, 2 Bde. CC.SL 73/73A, Turnhout 1963 – Gregor Palamas: De Hesychastis, PG 150, 1101 A-1108 A – Irenaeus Lugd.: Adversus haereses. Gegen die Häresien, ed. Norbert Brox, Vol. 3, FC 8/3, Freiburg 1995; Vol. 4, FC 8/4, Freiburg 1997; Vol. 5, FC 8/5, Freiburg 2001 – Johannes Chrysosto-
62. In Kontinuität zu solchen ntl. Vorstellung gilt im Mönchtum der orthodoxen Kirchen die Gottesschau als ultimatives Ziel asketischer Übungen. 63. Vgl. dazu Kurek-Chomycz: Sweet Scent, passim. Dass der Geruch von rituell dargebrachten Opfern die Präsenz Gottes im jüdischen Tempelkult vermittelt, geht u. a. aus dem Altargesetz in Ex 20,22-26 und Ritualtexten wie Lev 1-3 oder Num 28-29 hervor.
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mus: De incomprehensibili Dei natura homiliae 5, PG 48, 701-748 – Johannes Chrysostomus: Homiliae in Genesim, PG 53, 21-54, 580 – Johannes Chrysostomus: Interpretatio in Isaiam prophetam, ed. Jean Dumortier / Arthur Liefooghe, SC 304, Paris 1983 – Justinus Martyr: Apologie pour les Chrétiens, ed. Charles Munier, SC 507, Paris 2006 – Justinus Martyr: Dialogue avec Tryphon, ed. Philippe Bobichon, Par. 47/1-2, Fribourg 2003 – Manuel Kalekas: De fide deque principiis fidei catholicae, PG 152, 429 A-662 B – Maximus Confessor, Capita de charitate, PG 90, 959 A-1080 D – Novatian: De Trinitate, ed. Gerard F. Diercks, CC.SL 4, Turnhout 1972, 1-78 – Origenes: Commmentarius in Iohannem, ed. Erwin Preuschen, GCS 10, Leipzig 1903 – Origenes: De principiis, ed. Herwig Goergemanns / Heinrich Karpp, TzF 24, Darmstadt 1976 – Origenes: Die Homilien zum Buch Jesaja, ed. Alfons Fürst / Christian Hengstermann, OW 10, Berlin / Freiburg 2009 – Procopius Gaz., Eclogarum in liberos historicos Veteris Testamenti epitome, Teil 1: Der Genesiskommentar, ed. Karin Metzler, GCS NF 22, Berlin / Boston 2015 – Syméon le Nouveau Theologién: Hymnes 16-40, ed. Johannes Koder / Louis Neyrand, SC 174, Paris 1971 – Tertullian: adversus Praxean, ed. Aemilius Kroymann / Ernest Evans, CC. SL 2, Turnhout 1954, 1157-1205 – Tertullian: De anima, ed. Jan Hendrik Waszink, CC.SL 2, Turnhout 1954, 779-869 – Theodor Mopsuest.: Commentary on Psalms 1-81, ed. Robert C. Hill, Writings from the Greco-Roman World 5, Atlanta 2006 – Theodoret: Interpretatio in Psalmos, PG 80, 857 A-1997 B – Theodoret: Quaestiones in Octateuchum, ed. John F. Petruccione, Vol 1, OECT 1, Oxford 2007 – Walafrid Strabo: Glossa ordinaria, PL 113.
Sammlungen: Reuss, Joseph (ed.), Matthäus-Kommentare aus der griechischen Kirche aus Katenenhandschriften gesammelt und herausgegeben (TU 61, Berlin 1957).
Weitere Literatur Armstrong, A. Hilary: Art. Gottesschau, RAC 12 (1983), 1-19 – de Noronha Galvão, Henrique: Art. Beatitudo, AugL 1 (1986-1994), 624-638 – Fürst, Alfons: Hieronymus gegen Origenes. Die Vision Jesajas im ersten Origenismusstreit, REAug 53 (2007), 199-233 – Fürst, Alfons: Origenes, Theologie der Freiheit, in: ders., Von Origenes und Hieronymus zu Augustinus. Studien zur antiken Theologiegeschichte, AKG 115, Berlin / Boston 2011, 3-24 – Kirchner, Andreas: Dem Göttlichen ganz nah: »Muße« und Theoria in der spätantiken Philosophie und Theologie, Tübingen 2018 – Markschies, Christoph: Origenes – Leben – Werk – Theologie – Wirkung, in: ders., Origenes und sein Erbe. Gesammelte Studien, TU 160, Berlin 2007, 1-13 – Martzelos, Georgios D.: Die Gottesschau des Jesaja in der Orthodoxen Überlieferung, Orthodoxes Forum 22 (2008), 73-87 – Wyrwa, Dietmar: Die christliche Platonaneignung in den Stromateis des Clemens von Alexandrien, AKG 53, Berlin 1983.
Das Thema »Gottesschau« in der Patristik lässt ebenso nach der Nähe der einzelnen Konzeptionen zu zeitgleichen Entwicklungen in (spät-)antiker Philosophie 64 wie nach dem Ausgleich einiger scheinbar einander widerstreitender biblischer Texte fragen; auf letzteres wird in diesem Artikel der Schwerpunkt gelegt. Es geht immer um den Ausgleich zwischen Ex 33,20; Joh 1,18; 2Kor 12,4 und Kol 1,15 einerseits, Gen 12,7; 16,13; 28,13; Ex 3,1-21; 33,20; Jes 6,1; Ez 1,26-28; Am 9,1 andererseits; Ex 24,8-11 wird aufgrund der Formulierungen der Septuaginta nicht mehr bedacht. Sachlich stellen sich folgende Fragen: Wer bzw. was wird in der Gottesschau sichtbar? Wie verhält sich die Vorstellung einer Gottesschau in diesem Leben zu der einer eschatologischen Gottesschau? Wodurch und womit wird die Gottesschau ermöglicht? Was ist für die Gottes64. Dazu grundlegend Armstrong: Art. Gottesschau, passim; Fürst: Origenes, passim.
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Gottesschau
schau vorausgesetzt? Da die Antworten der antiken christlichen Theologen ineinandergreifen, wird in diesem Artikel eine chronologische Gliederung vorgenommen. Für die frühe Patristik zieht die zeitgenössische pagan-philosophische Vorstellung, dass (der höchste) Gott nicht auf Erden erscheint, in Verbindung mit den genannten biblischen Aussagen die These nach sich, dass nicht Gott (Vater), sondern der Logos in den alttestamentlichen Theophanien 65, etwa bei Gen 28,13 66 und Ex 3 67 erschienen sei. Joh 12,41 mag diese Sicht begünstigt haben; auf die Stelle wird jedoch nicht immer verwiesen. 68 Mt 5,8 und 1Kor 13,12 legen den eschatologischen Zeitpunkt der vollkommenen Gottesschau fest. Irenaeus entwickelt seine Ideen zum Thema Gottesschau im Rahmen seiner Abgrenzung gegen eine Zweigötterlehre. 69 Der Vater, so Irenaeus ist unfassbar, lässt sich aber in seiner Liebe und Freundlichkeit von Menschen sehen, wenn er es will. Irenaeus entwirft eine Geschichte der Gottesschau in drei Phasen: Anfangs haben die Propheten Gott durch den Geist geschaut (das rechtfertigt Irenaeus später mit Dtn 5,24; Hos 12,10; Jes 6,5), aber nur in seinen Anordnungen; für die jetzige Zeit gilt die Schau durch den Sohn, d. h. die Wahrnehmung dessen, was Christus von Gott verkündigt (Joh 1,18); die unmittelbare vollkommene Gottesschau steht erst am Ende, wenn das tausendjährige Reich anbricht und jeder nach dem Maß seiner Verdienste zuteil (Irenaeus vereist im Folgenden auf die 30-, 60- und 100-fache Frucht nach Mt 13,8) in eine der verschiedenen himmlischen Wohnungen (Joh 14,2) kommt. 70 Clemens von Alexandria charakterisiert die Gottesschau als intellektuelle Schau und bezeichnet sie als das höchste, wozu die Seele gelangen kann, wenn sie vollkommen rein ist 71 und so »von Angesicht zu Angesicht« erkennen und dem ihr Verwandten begegnen kann und auf die von Gott verheißene »Ruhe« wartet. 72 Diese Schau ist in ihrer Fülle nur nach dem Tod erreichbar, jetzt nur bruchstückhaft 73, und sie ist nur wenigen möglich. 74 Anders als in mancher griechischen Tradition führt nicht die Bin65. Irenaeus: Haer. V, 1,2, FC 8/5, 26 und Justin: Dial. 60; 61, Bobichon I, 344-348. Irenaeus: Haer. IV, 6,6, FC 8/4, 50: »Invisibile etenim Filii Pater, visibile autem Patris Filius«. Seit Irenaeus: Haer. IV, 10,1, FC 8/4, 76, gilt häufig die These, dass auch bei den anderen Gottesbegegnungen nicht Gott Vater, sondern der Logos erscheint. 66. Tertullian: Adv. Prax. 14,2.7 f., CC.SL 2, 1176.1177 f., mit Verweis auf Ex 33,20. U. a. dies dient ihm gegen Praxeas als Argument dafür, dass man zwischen Gott Vater und Christus unterscheiden muss. Gen 28,13 wird auch sonst als Christusvision verstanden (Irenaeus: Haer. IV, 10,1, FC 8/4, 76). 67. Justin: 1.Apol. 62,3, SC 507, 294 (gegen die Juden); Irenaeus: Haer. III, 6,2, FC 8/3, 54 (gegen Gnostiker). Zur philosophischen Begründung vgl. Justin: Dial. 60,2, Bobichon I, 344. 68. Ein Verweis findet sich bei Ambrosiaster: Qu.V.N.T. 88, CSEL 50, 148. 69. Irenaeus: Haer. IV, 20,5, FC 8/4, 160-162, aufgrund der Analogie zwischen alttestamentlichen Ankündigungen der Gottesschau und Mt 5,8. 70. Irenaeus: Haer. V, 32,1, FC 8/5, 236-238 mit Verweis auf Röm 8,19-21. Auch Tertullian: An. 55,35, CC.SL 2, 862 f., hält ohne Annäherung an den Chiliasmus fest: Die Gottesschau erfolgt erst am Ende der Tage, nur die Märtyrer kommen sofort ins Paradies. 71. Zu dieser nach Mt 5,8 formulierten Voraussetzung schon Clemens Alex.: Strom. VII, 56,5, GCS 17, 41. 72. Clemens Alex.: Strom. VII, 68,4, GCS 17, 49. 73. Clemens Alex.: Paed. I, 36,5 f., GCS 12, 111 f., mit Verweis auf 1Kor 13,12. 74. Wyrwa: Platonaneignung, 277, mit Verweis auf Strom. V, 78,1-3, GCS 52, 377 f., zeigt, wie Cle-
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dung an die Leiblichkeit, sondern die Einschränkung des vernünftigen Vermögens dazu, dass die Gotteserkenntnis vor der eschatologischen Vollendung unzureichend ist – damit sie wenigstens bruchstückhaft möglich wird, ist das Herabkommen des göttlichen Lehrers notwendig. 75 Origenes zufolge ereignet sich die Gottesschau »durch die geistige Ankunft Christi im Innern der Seele, durch die diese von ihrer geistigen Blindheit gereinigt wird und im Wort den trinitarischen Gott schaut.« 76 Sie, ist, so Origenes in großer Nähe zum »unmittelbar vorplotinischen Platonismus« 77, eine Schau des Vaters. 78 Die endgültige Vergöttlichung erfolgt am Ende der Tage, wenn »Gott alles in allem ist« (1Kor 15,28b) und durch die Wiederbringung aller der ursprüngliche heilvolle Weltzustand wieder hergestellt ist. 79 In nachnizänischer Zeit werden Aussagen zur Gottesschau auch den jeweiligen dogmatischen Konzepten dienstbar gemacht; gleichzeitig werden die Fragen nach der Reichweite, dem Ermöglichungsgrund und den Voraussetzungen der Gottesschau vertieft. Unter diesen Vorzeichen weitergeführt werden die klassischen christologischen Deutungen von Gen 12,7 80; 28,13 81; Ex 3,2 82; Jes 6,1 83; Ps 35[36],10 84; Ps 83[84],8 85 etc.
75. 76. 77. 78. 79. 80. 81. 82.
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84.
mens Platon, Ep. VII, 341 und Platon, Tim 28c ausgleicht und in eine Deutung von Ex 19,19 f. integriert. Die Gottesschau, die Mose widerfährt, erweist die absolute Transzendenz Gottes; dass Mose die Menge unten im Tal zurücklässt, »zeigt, dass der Menge der Ungläubigen die Gotteserkenntnis verwehrt ist.« Wyrwa: Platonaneignung, 259 f., der 269 auf die Parallele zur Vorstellung des unaussprechlichen Gottes mit zeitgenössischen Mittelplatonismus verweist. Fürst: Origenes, 19. Armstrong: Art. Gottesschau, 11. Origenes: Ioh.comm. XIX, 36,8, GCS 10, 305. Origenes: Princ. III, 6,3, Goergemanns / Karpp, 648-652. Zu dieser Geschichtsschau vgl. Markschies: Origenes, 11. Novatian: Trin. 18,1-3, CC.SL 4, 44. Walafrid Strabo: Glossa ordinaria, PL 113, 154 CD. In Ex 3,2 ist Christus derjenige, der zu Mose spricht – Gott Vater kann nicht der Vater eines ἄγγελος sein; Christus hingegen ist ἄγγελος für seine Jünger (Theodoret: Qu.Ex. 5, OECT 1, 226). Augustinus: Qu.Ex. 3, CC.SL 33, 71, rechtfertigt die Erwägung, mit dem angelus sei Christus gemeint, mit Jes 9,6, worin er die Wendung magni consilii angelus ebenfalls auf Christus deutet. Vgl. Hieronymus: In Is. III, 6,1, CC.SL 73, 84 f. Dass der Prophet den erhöhten Christus sieht, wird an dem Textdetail festgemacht, dass der Prophet nicht absolut vom »Herrn«, sondern vom »Herrn der Heerscharen« spricht; so ist auch kein Widerspruch zu Joh 1,18a; Ex 33,20 gegeben. Doch auch die Göttlichkeit Christi und des Heiligen Geistes können wir nicht mit körperlichen Augen sehen. Die nach Mt 5,8 geforderte Herzensreinheit bezeichnet nicht nur Vorbedingung, sondern die Eigenart dieser Schau. Abraham (Gen 12,7), Jakob (Gen 32,30) und Ezechiel (Ez 1,26-28) erschien Gott in Menschengestalt. – Origenes hatte die Seraphim als Christus und den Heiligen Geist identifiziert (Origenes: Hom. Jes., 1,2, OW 10 [Fürst / Hengstermann, 198]). Nachnizänisch ist letzteres nicht mehr tragbar, weil es den Gedanken der Konsubstantialität des Sohnes und des Heiligen Geistes verletzt (Hieronymus: In Is. III, 6,2, CC.SL 73, 87; s. Fürst: Hieronymus, 210 f.). Athanasius erklärt nur kurz, Christus sei die Quelle des Lebens und Licht vom Licht (Athanasius: In Psalm., PG 27, 176 C). Theodoret: In Psalm., PG 80, 1124 CD deutet die »Quelle des Lebens« auf den Sohn (aus Jer 2,13, ad vocem πήγη ζωῆς mit Ps 35,10 wird geschlossen, dass
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Gottesschau
Augustinus integriert die Vorstellung der endzeitlichen Gottesschau in seine Aufnahme (so die Frühschrift De beata vita) und kritische Würdigung (so die Ausführungen in Civ. XIX, 1-4) antiker Philosophie in der Frage nach der εὐδαιμονία des Menschen. 86 Das höchste Gut ist nach Augustinus das ewige Leben nach christlichem Verständnis; 87 so ergibt sich: quisquis igitur ad summum modum per ueritatem uenerit, beatus est. hoc est animis deum habere, id est deo perfrui. (»Wer also zum höchsten Modus [scil. der Seele] durch die Wahrheit gekommen ist, ist selig. Das ist für die Seelen, Gott zu haben, das heißt, Gott zu genießen«). 88 Letzterer Begriff impliziert die Unterscheidung zwischen frui, dem Genießen einer Sache um ihrer selbst willen, und uti, dem Gebrauch einer Sache 89 um eines höheren Zieles willen. In der Gottesschau kommt das unendliche Glückstreben des Menschen zur Ruhe. Als Antwort auf den Rationalismus eines Aëtius und Eunomius von Cicykus verstärkt sich im 4. Jhdt. die Tendenz zur apophatischen Theologie. 90 Als unerkennbar gilt die φύσις (»Natur«) 91 bzw. die οὐσία (»Wesen«) Gottes. 92 Das wird schon durch die Differenzen des in Gen 12,7; 18,1 etc. Berichteten, aber auch durch Ex 33,20 nahegelegt. 93 Für Gregor von Nyssa »ist die eschatologische Vereinigung mit Gott ein end-
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86. 87. 88.
89. 90. 91.
92.
93.
die eigentliche Quelle des Lebens »bei« Gott ist, aber nicht mit ihm, Gott Vater identisch, weswegen Theodoret Joh 14,10 anführt), die Wendung »in deinem Licht« auf den Heiligen Geist, aufgrund von 1Kor 12,3, und »das Licht« auf Gott Vater – so sind zugleich Wesenseinheit und verschiedene Wirkweisen der drei göttlichen Personen bezeugt. Eine trinitätstheologische Deutung der Stelle zitiert auch Theodor von Mopsuestia: »Bei Dir (Gott Vater) ist die Quelle des Lebens, und in deinem Licht (in dem Lichte des Sohnes) sehen wir das Licht (den Heiligen Geist).« Theodor bestreitet zunächst, dass sich der Vers auf die Gottesschau bezieht. Es geht darum, dass uns nur durch das Schöpfungslicht die Wahrnehmung irdischer Dinge möglich ist (Theodor Mopsuest.: In Psalm. 36[35],10 [Hill 404]). Zu Ps 83[84],8 differenziert Theodoret: In Psalm PG 80, 1544 A, offenbarungsgeschichtlich: Der Logos bewirkte erst die οἰκεία ἐπιφάνεια am Zion, dann erschien er als menschgewordener Logos. Biblische Probleme werden vor allem in Ep. 147, CSEL 44, 274-331 bearbeitet. Eine subtile Darstellung der Thematik bei Augustinus bietet Kirchner: Dem Göttlichen ganz nah, 306-323. So auch später, Augustinus: Civ. XIX, 4, CSEL 40/2, 373. Augustinus: De beata vita 34, CSEL 63, 114 f. Mit dem »höchsten Zustand« der Seele ist gemeint, dass sie an nichts Irdisches mehr sich binden lässt. Die Wahl des Begriffs »Seele« in unserer Übersetzung für animus resultiert aus dem Umstand, dass der deutsche Plural »Geister« missverständliche Assoziationen an Wesenheiten außerhalb des Menschlichen hervorruft, während es um den Menschen als Geistwesen geht. Das schließt selbst die »Ausübung der Tugend im Hier und Jetzt« (de Noronha Galvão: Art. Beatitudo, 633) ein. Armstrong: Art. Gottesschau, 11. Gregorius Naz.: Or. 28,19, FC 22, 134, mit Bezug auf die Gottesschau des Jesaja und des Ezechiel. Bei Ps.-Basilius Caes.: In Is., PG 30, 425 C-446 B, werden solche Überlegungen nicht expliziert. Johannes Chrysostomus: Hom. Gen. 32,2, PG 53, 294. So kann Augustinus: Ep. 147,16, CSEL 44, 288, auch zwischen Joh 1,18 und Joh 14,9 ausgleichen: gemeint ist an letzterer Stelle die Wesensgleichheit zwischen Vater und Sohn. Eusebius Caes.: In Jes, PG 24, 124 BC. Die Verschiedenheit der Gottesvisionen kann mit Hos 12,10[11] (ἐγὼ ὁράσεις ἐπλήθυνα καὶ ἐν χειρὶ προφητῶν ὡμοιώθην) begründet werden (Johannes Chrysostomus: Hom. Gen. 32,2, PG 53, 294).
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loses Streben: immer zu Gott gelangend, aber nie ein volles Erkennen erreichend, da das endliche, geschaffene Seiende das Wesen Gottes nicht erfassen kann, weil dieses eben unendlich ist«. 94 Ein wirklicher Widerspruch zwischen Mt 5,8 und Joh 1,18a besteht nicht: Gott ist sichtbar in seinen Werken 95 und durch die Bibel. 96 Umgekehrt fragt Johannes Chrysostomus nach der Rechtfertigung von Joh 1,18 angesichts von Jes 6,1; Dan 7,9; 3Reg 22,19; Am 9,1 und antwortet: Die Verschiedenheit der jeweiligen, durch die göttliche συγκατάβασις (»Herablassung«) gewährten Schau der σχήματα (»Gestalten«) zeigt, dass die Propheten nicht die οὐσία (das »Wesen«) Gottes geschaut, keine genaue Kenntnis hatten; ὁ γὰρ θεὸς ἁπλοῦς καὶ ἀσύνθετος καὶ ἀσχημάτιστος (»denn Gott ist einfach, nicht zusammengesetzt und ohne Gestalt«). 97 Kyrill von Alexandria findet den Ausgleich zwischen Joh 1,18 und Jes 6,1-3; Ez 1,26-28 über Ex 33,20; Joh 6,46; entscheidend ist die präzise Formulierung in Ez 1,28 (αὕτη ἡ ὅρασις ὁμοιώματος δόξης κυρίου [»dies ist die Schau des Gleichbildes der Herrlichkeit des Herrn«]), d. h. Joh 1,18 betrifft nur die ungetrübte und genaue Gotteserkenntnis. Die Schönheit der Schöpfung lässt auf den Schöpfer zurückschließen, wie auch Ps 18[19],2 bezeugt. 98 Die Gedanken des Augustinus sind in Kürze in einem Zitat aus Ep. 147 zusammengefasst (angeredet ist die Adressatin des Briefes): Si enim quaeris, utrum possit deus uideri, respondeo: potest. si quaeris, unde sciam, respondeo: qnia in veracissima scriptura legitur: Beati mundo corde, quoniam ipsi deum uidebunt, et cetera talia. si quaeris, quo modo dictus sit inuisibilis, si uideri potest, respondeo invisibilem esse natura, videri autem, cum vult, sicut vult; plurimis enim visus est, non sicuti est, sed quali specie illi placuit apparere. Wenn du nämlich fragst, ob Gott gesehen werden kann, antworte ich: Er kann gesehen werden. Wenn du fragst, woher ich das weiß, antworte ich: weil es in der die Wahrheit in höchstem Maße enthaltenden Schrift gelesen wird: »Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen« (Mt 5,8), und ähnliche Stellen. Wenn du fragst, inwiefern er unsichtbar genannt wird, wenn er gesehen werden kann, antworte ich: Er ist unsichtbar hinsichtlich seiner Natur, kann aber gesehen werden, wenn er will, wie er es will; den meisten ist er nämlich erschienen, nicht wie er ist, sondern in gewisser Art, wie es ihm zu erscheinen gefiel. 99
Die Tendenz zur apophatischen Theologie verstärkt auch die Rückfrage nach dem Ermöglichungsgrund der Gottesschau. Eusebius von Caesarea betont die Herablassung Christi aus seiner Majestät, aufgrund deren z. B. dem Propheten Jesaja die Schau Christi überhaupt möglich war. 100 Johannes Chrysostomus erklärt: Die Schau des Pro94. Armstrong: Art. Gottesschau, 13, in der Wiedergabe von Gregorius Nyss.: Vit.Mos II, GNO 7/1, 114-121. Armstrong betont die Nähe zu Plotin. 95. Gregorius Nyss.: Beat. 6,2, GNO 7/2, 141. 96. Apollinaris Laodic.: In Mt., Frgm. 13, Reuss, 5. 97. Johannes Chrysostomus: Incomprehens. 4,3, PG 48, 730. 98. Cyrillus Alex.: In Ioh., PG 73, 176 C-177 D. 99. Augustin: Ep. 147,37, CSEL 44, 310. 100. Eusebius Caes.: In Jes, PG 24, 121 C. Dass die Seraphim ihr Angesicht bedeckten, wird mit Mt 11,27 begründet. Auch Gregorius Naz. sagt, dass Gott wahrscheinlich sogar den Engeln nicht völlig erkennbar sei (Or. 28,4, FC 22, 100); Johannes Chrysostomus betont gegen die Anhomöer, dass Gott den Engeln gänzlich unerkennbar bleibe (Incomprehens. 3,1, PG 48, 720; erkennbar ist Gott Vater nur für den Sohn und den Heiligen Geist). Die Engel bedeckten ihr
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Gottesschau
pheten nach Jes 6,1 ist nicht die Schau des Wesens Gottes. Er sieht, wie der Begriff καθήμενον (»sitzend«) anzeigt, Gott gestalthaft (σχηματισθέντα); dass der Prophet in dieser Weise Gott schauen durfte, ist Resultat der göttlichen συγκατάβασις. Gott stieg bei seiner Herablassung in der Vision des Jesaja so tief herab, wie es dem Propheten auf Grund seiner menschlichen Schwäche möglich war, geistig heraufzusteigen, damit die Begegnung mit Gott gelingen konnte. 101 Notwendig ist, wie aus Ps 35[36],10 geschlossen wird, die Erleuchtung durch Gott selbst. 102 Augustinus betont, dass bei der Erscheinung Gottes vor Abraham nach Gen 18 die Initiative bei Gott lag. 103 Dass man mit dem νοῦς (»Verstand«) 104, mit der durch den Heiligen Geist erleuchteten διάνοια (»Denkkraft«) 105, mit den Augen des Herzens sieht 106, steht fest. 107 Als Voraussetzungen werden die Herzensreinheit 108 und die Frömmigkeit 109 genannt, ebenso die heilvolle Christuserkenntnis im Rahmen der Erkenntnis der wesenseinen Heiligen Dreieinigkeit. 110 Als Zeitpunkt der vollkommenen Gottesschau gilt aufgrund des Futurs in Mt 5,8 sowie aufgrund von Joh 17,3; 1Tim 6,16; Ex 33,20 die Zeit nach dem Jüngsten Gericht. 111 Dass wir nur die göttlichen Kräfte, aber nicht sein Wesen erkennen 112, wird während der Diskussion um den Hesychiasmus von Bedeutung. Symeon der Neue Theologe behauptet, dass eine Schau der göttlichen Kräfte während des irdischen Lebens
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108. 109. 110. 111. 112.
Angesicht, weil sie den Lichtglanz Gottes nicht aushalten konnten (Incomprehens. 3,1, PG 48, 721 f.). Johannes Chrysostomus: In Is. 6, 1, SC 304, 256. Basilius Caes.: Spir. 47, FC 12, 214. Die Wendung »in deinem Licht« wird auf den heiligen Geist bezogen, der als Quelle der Erkenntnis auch in 1Kor 12,3 genannt ist; »das Licht« ist nach Joh 1,9 der Sohn als Ebenbild des unsichtbaren Vaters (Kol 1,15). Augustinus: Ep. 147,18, CSEL 44, 289. Ps.-Basilius Caes.: In Is. 13, 254, PG 30, 565 C (zu Jes 13,1). Didymus (bei Procopius Gaz.: Comm. Gen, GCS NF 22, 238) lässt auch die biblischen Begründungen dessen erkennen (Röm 1,20: νοοῦμενα καθορᾶται; Ex 33,13: γνωστῶς ἴδω σε). Eusebius Caes.: In Jes, PG 24, 124 D. Augustinus: Ep. 147,37, CSEL 44, 311, mit Verweis auf Eph 1,18; Ps 12,4. Mit dieser Art der Erkenntnis ist es wie mit der Liebe, die ja auch nicht mit körperlichen Augen und an einem äußerlichen Ort befindlich geschaut wird (Augustinus: Ep. 147,44, CSEL 44, 318). Für die Gegenwart gilt das aufgrund von Joh 1,18b (Augustinus: Ep. 147,18, CSEL 44, 290). Für die Endzeit wird bei Augustinus offenbar modifiziert: In der Ewigkeit werden diejenigen, die auf Erden recte gelebt haben, Gott schauen, auch in ihrer verklärten Leiblichkeit (Augustinus: Civ. XXII, 29, CSEL 40/2, 661). Augustinus legt zunächst Wert darauf, dass es in Hi 19,26 heißt »in meinem Fleisch (in carne mea)«, nicht »mit meinem Fleisch« (per carnem meam). Die später (CSEL 40/2, 664) begegnende Wendung per corpora in omni corpore ist dazu kein Widerspruch, denn sie wird mit Hilfe von 1Kor 4,5 auf die am Ende offenbar werdenden Gedanken des Herzens ausgelegt. Vgl. Hieronymus: In Is. III, 6,1, CC.SL 73, 84; Augustinus: Ep. 147,18, CSEL 44, 290. Diodor Tars.: In Psalm 35[36], CC.SG 6, 213 (εὐσέβεια). Augustinus: Trin. I, 21, CC.SL 50, 57 f.; Beda Venerabilis: In Ioh., PL 92, 645 A-646 B. Vgl. z. B. Augustinus: Ep. 147,13, CSEL 44, 285 f.; Beda Venerabilis: In Ioh., PL 92, 645 A-646 B. Manchmal dient auch 1Kor 15,28a zur Terminierung (Augustinus: Trin. I, 21, CC.SL 50, 57). Ps.-Dionysius Areopagita: Div. nom. II, 7, PG 3, 645 A, sowie Maximus Confessor: Cap. char. I, 100, PG 90, 981 D-984 A. Den gegenteiligen Gedanken, dass wir in der Endzeit aufgrund der durch Lk 20,36 feststehenden Gleichartigkeit mit der Natur der Engel nach 2Kor 3,18 mit dem
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Termini und Themen der Septuaginta
möglich ist 113, Gregor Palamas nannte u. a. auf der Basis von 2Kor 4,6 f. als Ort dieser Erkenntnis das Herzensgebet. 114 Diese These wurde von anderen mit Hinweis auf das Futur in Mt 5,8 zurückgewiesen 115, doch hat sich der Palamismus in der Orthodoxie durchgesetzt.
Licht unseres Verstandes auch die natura Gottes erkennen, äußert Augustinus: Ep. 148,2.7f, CSEL 44, 338. 113. Symeon: Hymn. 17, 514-537, SC 174, 48-50. 114. Gregor Palamas: De Hesychiastis, PG 150, 1105 B. 115. Manuel Kalekas: De fide deque principiis fidei catholicae, PG 152, 653 BC; er betont den Charakter von Mt 5,8 als Verheißung.
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Messianic Texts
1. Introduction The aim of this contribution is to show how certain “messianic” passages in the Septuagint (LXX) have been received and interpreted in sources dating to antiquity. As far as Early Judaism is concerned, scholars have pointed out that the designation “messianic” refers to a leading figure – basically a king or a priest – in the past, the present, or expected in the near future (“eschatology”). 1 To be more specific, the term “messiah” is related to concepts or models of leadership in Early Judaism – that of kingship, or high priesthood, the model of dual leadership (two messiahs: high priest and king, or the other way around), or of single leadership (a leader being priest and king). 2 The passages in the LXX dealt with in what follows, are a selection of well-known cases being marked by specific modifications in comparison to MT: Genesis 49:10; Numbers 24:17; Isaiah 7:14, and 9:5. These texts are commonly considered “messianic”, although opinions vary as to the question which model of messianic leadership may apply. First of all, specific features as well as the meaning of each of these passages in the LXX shall be discussed briefly. As to the reception history, the main focus concerns the way these texts have been quoted and interpreted in a number of Jewish and Christian sources dating to the 1st –4th century. Particular attention will be paid to those scholars (Church Fathers), who were involved in polemics between Christian and Jewish scholars of their time.
2. Passages 2.1 Genesis 49:10 LXX οὐκ ἐκλείψει ἄρχων ἐξ Ιουδα καὶ ἡγούμενος ἐκ τῶν μηρῶν αὐτοῦ, ἕως ἂν ἔλθῃ τὰ ἀποκείμενα αὐτῷ, καὶ αὐτὸς προσδοκία ἐθνῶν. A ruler shall not be wanting from Ioudas and a leader from his thighs until the things stored up for him come, and he is the expectation of nations. (NETS) MT (tr.) The sceptre shall not depart from Judah, nor the ruler’s staff from between his feet, until comes Shiloh ()שילה, and to him shall be the obedience of the peoples
2.1.1 LXX Specific renderings are: τὰ ἀποκείμενα αὐτῷ for Hebrew shiloh; and προσδοκία for ( יקהתvia )קוה. V. 10b is about “things that are stored up to him”, alluding to the expectation that at a certain moment in history (“in the last days”, cf. v. 1), “Judah”, i. e., one of his sons, will bring liberation from enemies, the result being peace (cf. vv. 11-12). “Expectation of nations” may be interpreted as referring to a ruler expected by the
1. 2.
See e. g. Collins: Scepter and Star. See e. g. Goodblatt: Monarchic Principle.
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people of Israel (“nations” in the sense of Israel rather than nations in general). The passage has a ruler (ἄρχων) in mind rather than a king, in line with LXX Deut 17:14.15 (ἄρχων), hence is strictly speaking not messianic. 3
2.1.2 Reception Gen 49:10 is one of the passages, which play an important role in the writings of Justin Martyr (Apology; Dialogue) as references to demonstrate, against Jewish scholars (Trypho), that the messiah is Jesus Christ. In some cases, the text of Gen 49:10 is quoted in line with the Old Greek, but as to the phrase τὰ ἀποκείμενα αὐτῷ 4 he also offers an alternative version, namely, the reading ᾧ ἀπόκειται (“for whom it is reserved”). 5 As scholars have suggested, the latter reading makes Gen 49:10 “more suited as a Christological testimony”. 6 This seems likely indeed but it is also clear that this reading was not introduced by Justin himself because in Dial 120 he asserts that it is in line with the way the Seventy had explained the text. It is interesting in this regard to quote the critical statement of the emperor Julian, in his writing Against the Galilaeans, on this (second) reading: “you (i. e., the Christians) have wrongly interpreted it ‘until he comes for whom it is reserved’”. 7 So in his view Christians were to blame for the alternative reading. Regarding the text, “until the one for whom it lies in store”, “it” is explained as “royal power” ([τὸ βασίλειον]), an interpretation, which is also found in TgOnk (“until the Messiah shall come, whose is the kingdom”). 8 As to v. 10a, “a ruler shall not fail”, Justin argues that the Jews had their own ruler and king until the coming of Christ because after the crucifixion of the latter, the Jewish land was given to the Romans. 9 The latter part of the verse, “He shall be the one awaited by the nations”, is said to refer to the second coming of Christ (“people from all nations [Christians] will await him, Jesus Christ, who is to come again”). 10 Origen as a Christian scholar also argues for a Christian reading of Gen 49:10. 11 He does so against a particular interpretation on the Jewish side. As he tells his readers, there were Jews who explained the prophecy as referring to the patriarch or ethnarch, who “claimed descent from Judah, asserting that his line would never fail until the advent of the Messiah”. 12 He is referring here to a Jewish understanding of our text in the sense of a ‘teacher-messiah’ rather than that of a king-messiah, the latter of which
3. For a more detailed discussion of the verse, see van der Kooij: The Septuagint of Gen 49,10. 4. Justin: Dial. 52,2, Bobichon I, 314. 5. Justin: 1.Apol. 32,1 SC 507, 212; Justin: Dial. 120,3 f., Bobichon I, 506 For the full evidence, see Skarsaune: Proof, 26. 6. Skarsaune: Proof, 27. 7. See The Works of the Emperor Julian, Vol. III, 395. 8. Justin: 1.Apol. 32,2, SC 507, 214. Cf. Irenaeus: Dem 57, SC 406, 166: “kingship in heaven”. 9. Justin: 1.Apol. 32,2 SC 507, 212-214; On the more nuanced position of Justin in Dial 52 regarding the argument that the Jews had their own ruler and king until the coming of Christ, see Skarsaune: Proof, 143, 195 f. 10. Justin: 1.Apol. 32,4, SC 507, 214. 11. Origenes: Princ IV, 1,3, GCS 22, 296; Origenes: Cels I, 53, GCS 2, 104. 12. De Lange: Origen, 97; cf. Origenes: Princ IV, 1,3, GCS 22, 297.
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is typical of the Targums. 13 Origen’s response runs as follows: Gen 49:10 is about a ruler and king who will never fail till the advent (second coming) of the messiah, so Jesus Christ obviously is the messiah. The text does not refer, in his view, to a ruler long after the destruction of the temple in 70 as is clear from LXX Hosea 3:4, according to which there will be no king or ruler since the destruction of the temple. Hence the prophecy of Gen 49:10a does not fit the situation after 70 as is claimed by the Jews. 14 The interpretation of Gen 49:10 was not only a matter of dispute between Jews and Christians because the Christian view was also strongly criticized, in the fourth century, by the pagan emperor Julian, in his Against the Galilaeans: “it is very clear that not one of these sayings (i. e., the two readings of Gen 49:10b in Greek, referred to above) relates to Jesus; for he is not even from Judah”. 15
2.2 Numbers 24:17 LXX […] ἀνατελεῖ ἄστρον ἐξ Ιακωβ, καὶ ἀναστήσεται ἄνθρωπος ἐξ Ισραηλ καὶ θραύσει τοὺς ἀρχηγοὺς Μωαβ καὶ προνομεύσει πάντας υἱοὺς Σηθ. […] A star shall dawn out of Jacob, and a man shall rise up out of Israel; and shall crush the princes of Moab, and shall take as spoils all the sons of Seth. MT (tr.) […] a star shall come forth out of Jacob and a sceptre shall rise out of Israel; it shall crush the forehead of Moab, and break down all the sons of Seth.
2.2.1 LXX Compared to MT the Greek version is marked by the use of Greek ἄνθρωπος (“human being”) for “sceptre”, which is also found in v. 7 (for MT “water”, taken in the sense of “seed”): ἐξελεύσεται ἄνθρωπος ἐκ τοῦ σπέρματος αὐτοῦ καὶ κυριεύσει ἐθνῶν πολλῶν, καὶ ὑψωθήσεται ἢ Γωγ βασιλεία αὐτοῦ, καὶ αὐξηθήσεται ἡ βασιλεία αὐτοῦ. (“A man will come forth from his seed and he shall rule over many nations; his reign / kingship shall be exalted more than Gog, and his kingship shall be increased”; MT [tr.]: “Water shall flow from his buckets and his seed shall be in many waters; his king shall be higher than Agag, and his kingdom shall be exalted”).
While it seems clear that the vocabulary of MT (“star” and “sceptre”) alludes to a king, this is not that certain for ἄνθρωπος in LXX. According to Wevers, by substituting ἄνθρωπος for “sceptre” the translator “avoids the notion that the person is a royal 13. On this distinction, see van der Kooij: Symmachus. For the type of “teacher-messiah”, see also van der Kooij: Textzeugen: 153 f. 14. Origenes: Princ. IV, 1,3, GCS 22, 296. 15. The Works of the Emperor Julian, Vol. III, 395.
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figure, a king”. 16 Furthermore, as has been pointed out by Lust, ἄνθρωπος is never used, in LXX, as a messianic title. 17 On the other hand, though, since it is employed in v. 7 together with the verb κυριεύω and the noun βασιλεία it obviously refers to a ruler, a royal character. 18 If not a king, then one might think of a priestly ruler who was considered to have royal standing. If so, the passage in Greek can be regarded messianic.
2.2.2 Reception First of all, I would like to draw the attention to an issue regarding the oracle of Num 24:17 in an early Jewish source – the War of Josephus. 19 I have in mind the famous passage in War VI, 312-313 about “an ambiguous oracle (χρησμὸς ἀμφίβολος) […] in the sacred scriptures”, which he paraphrases as follows: “one from their country would become ruler of the world (ἀπὸ τῆς χώρας αὐτῶν τις ἄρξει τῆς οἰκουμένης)”. Josephus then continues: “This they (i. e., the Jews in Jerusalem) understood to mean someone of their own race, and ‘many of their wise men’ (πολλοὶ τῶν σοφῶν) went astray in their interpretation of it. The oracle (τὸ λόγιον) however in reality signified the sovereignty of Vespasian, who was proclaimed Emperor on Jewish soil”. The Jews fighting against the Romans and defending the city and temple were convinced that the alleged oracle was to be understood as promising a ruler of their own race. Hence, as Josephus notes, this oracle “incited them to the war” (311). Scholars have argued that Num 24:17 would be the most likely candidate for the prophecy referred to by Josephus. 20 The notion of “ambiguous” may fit MT (“a sceptre shall rise out of Israel”) but seems more appropriate in the case of the Old Greek text because of ἄνθρωπος if taken in the sense of τις. 21 Targ Onk Num 24:17 (second century), on the other hand, offers an explanation which is far from ambiguous: “a king will rise from Jacob and the messiah will be installed (anointed) from Israel; he will slay the leaders of Moab and he will rule over all men”. This explanation of the oracle is actually in line with the way it was understood by the “wise men” as noted by Josephus, namely, as a prophecy about “someone of their own race”. 22 16. Numbers, 413. Compare Rösel in LXX.E I, 491 (on v. 7): “die endzeitliche Königsherrschaft, die von einem Menschen gebracht wird”. 17. Lust: The Greek Version, 250 (emphasis mine). Cf. Dorival: Nombres, 139 f. (“un hommeseigneur”). 18. Collins: Messianic and Exegetical Tradition, 144: “a royal character” because of the term “kingdom” in v. 7. 19. Philo quotes Num 24:7 in Vit.Mos. I, 290, but without any exegesis. Part of this text (“there shall come forth a man”) is cited in De Praemiis et Poenis, 95, the “man” being understood here as follows, “leading his host to war he will subdue great and populous nations” (cf. shall rule over many nations in Num 24:7). 20. See the discussion by Michel and Bauernfeind: De Bello Judaico II, 2, 190-192; Rajak: Josephus, 192; Schreckenberg: Josephus, 35, and McNamara: Early Exegesis, 55. Others think of Gen 49:10; see e. g. Aberbach / Grossfeld: Targum Onqelos, 14. 21. In Ant. 4:114-117 Josephus provides a summarizing version of the oracles of Balaam but without making any reference to Num 24:7, 17. 22. On the relationship between Josephus’ writings and the official targums (TgOnk and TgJon), see van der Kooij: Josephus, Onkelos, and Jonathan.
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2.2.3 Early Christian exegesis Among the early Christian scholars Justin Martyr was the first who explicitly dealt with the prophecy of Num 24:17 as a passage, which was believed to refer to Jesus Christ. As far as the wording of the text is concerned, he sometimes quotes the passage in a version slightly different from the LXX, being marked by the use of ἡγούμενος (“the leading one”) instead of ἄνθρωπος. 23 It is likely that this variant was due to influence from Gen 49:10. 24 Interestingly, in 1 Apol 32 a quotation, being ascribed to the prophet Isaiah, is given in which part of Num 24:17 is combined with elements from LXX Isa 11,1 and 51,11: “A star shall rise out of Jacob, and a flower shall spring from the root of Jesse, and in his arm shall the nations hope”. 25 Justin: “a star of light has arisen, and a flower has sprung from the root of Jesse – this is Christ”. 26 As to the “star” in Num 24:17, in his Contra Celsum I, 59-60 Origen states, that “the man foretold as coming with the star” is Jesus. 27 Elsewhere in his writings the “star” is said to be the star of the magi symbolizing the divinity of Jesus while the term “man” applies to his human nature. 28 2.2.4 The Interpretation of Gen 49:10 f. and Num 24:17 and the Bar Kochba Revolt As is well known, on the Jewish side the prophecy about the “star” in Num 24:17 was applied, in the first half of the second century CE, to Bar Kochba, the leader of the Jewish revolt, in the years 132-135. His real name was Simon ben Kosiba 29 but in order to make clear that he was the messiah he was called Bar Kochba, Son of the Star, on the basis of Num 24:17. 30 It has been suggested that Justin’s exegesis of this text as well as of Gen 49:10 f. was affected in one way or another by the way these texts were interpreted by Jews at that time. Skarsaune is of the opinion that this might well be the case. He points first of all to the fact that the writings of Justin “show reflexes of the Bar Kochba revolt and its consequences (the Hadrianic decree)”. 31 He further notes that this revolt “must have been a startling experience to Christians”, especially to Jewish Christians, because it “seemed the Jews had got a Messiah corresponding to their expectations, a Messiah doing what Jesus had not done” (ibid.). It is arguable indeed that Justin’s exegesis mirrors, in a polemical way, the Bar Kochba episode. First, it is worthwhile to note that his exegesis of Gen 49:10 f. as well as of Num 24:17 in 1 Apol 32 is preceded, in ch. 31, by an explicit reference to this episode: “[…] in the Jewish war which lately raged, Barchochebas, the leader of the revolt of the Jews, gave orders that Christians alone should be led to cruel punishSo e. g. Dial. 106,4, Bobichon I, 470-472. Skarsaune: Proof, 50. For this variant, see also Irenaeus: Dem 58. Cf. Skarsaune: Proof, 50-51. Justin: 1.Apol. 32,13, SC 507, 316. Origenes: Cels. I, 59 f. GCS 2, 110 f. Origenes: Hom. Num. 18,4,2, SC 442, 330-332. Cf. Schürer: History Vol. I, 543. On Bar Kochba as messiah, see Jaffé: Croyances, 184-197 (“un roi Messie politique et national” [191]). 31. Skarsaune: Proof, 272. A reference to this decree is found in Dial 16 (Skarsaune: Proof, 160 f.). 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30.
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ments, unless they would deny Jesus (to be) the Christ and utter blasphemy”. 32 Furthermore, as Skarsaune observed, the two passages in the Pentateuch just mentioned are also the only texts in TgOnk, which received a messianic interpretation. 33 There is more to it because in both cases – Justin and TgOnk – the exegesis is linked up with that of Isa 11. As we have seen, Justin combined Num 24:17 with Isa 11,1. Notably, TgOnk is marked by a similar exegetical link between the Law and the Prophets, because part of its rendering of Gen 49,11 (“the righteous shall be round about him”) is based on TgJon Isa 11,5. 34 According to TgOnk and TgJon the messiah is a royal figure, a king from the house of David, who is not only the supreme judge and teacher of the Law but also a warrior who will be successful and victorious. As has been argued by scholars, both targums reflect a portrait that goes back to the 70-135 period in Palestine. They testify to a picture of the messiah, 35 which would fit the figure of Bar Kochba. There is some evidence that both targums, at least the main body of them, have been produced to serve the interests of Bar Kochba and its movement. 36 A most interesting piece of evidence in this regard is to be found in TgJon Isa 25:2 – “the temple of the nations shall never be built in Jerusalem” –, a passage that alludes to plans of the emperor Hadrian, in 130 C.E., to build a temple for Jupiter Capitolinus in Jerusalem. For Bar Kochba and his movement this was one of the major reasons to revolt against Rome. 37 The period of Bar Kochba was a big challenge to (Jewish) Christians in Palestine, as indicated by Justin, due to the great difference between the messianic views on both sides. It therefore would make perfect sense to assume that on the Christian side passages like Gen 49:10 and Num 24:17 – in Greek – became part of their apologetics in order to make clear that these prophecies should be understood as referring to Jesus as the Christ. 38
2.3 Isaiah 7:14 LXX διὰ τοῦτο δώσει κύριος αὐτὸς ὑμῖν σημεῖον· ἰδοὺ ἡ παρθένος ἐν γαστρὶ ἕξει καὶ τέξεται υἱόν, καὶ καλέσεις τὸ ὄνομα αὐτοῦ Εμμανουηλ· Therefore the Lord himself will give you a sign, ‘Look, the virgin shall be with child and bear a son, and you shall name him Emmanouel’ (NETS).
32. Justin: 1.Apol. 31,6, SC 507, 210. Cf. Eusebius, H.e. IV, 8,4, GCS 9/1, 316. 33. Skarsaune: Proof, 265. 34. Compare also TgOnk Gen 49,10 (“and him shall the nations obey”) and TgJon Isa 11,10 (“and him shall kingdoms obey”). 35. This picture is to be distinguished from rabbinic messianism; see Alexander: The Rabbis. 36. This applies in particular to the messianic interpretation of TgJon Isa 53. See Churgin: Targum Jonathan, 26; Levey: The Messiah, 67; Chilton: Glory, 95; van der Kooij: Symmachus. 37. Cf. Schürer: History, Vol. I, 542. On the group of Bar Kochba as to be distinguished from other groups among the Jews such as the rabbinic movement, see the illuminating comments made by Schäfer: Hadrian’s Policy, 296 f. 38. As to Justin’s phrase, “a star of light” (see above), one may compare Eusebius: H.e. IV, 6,2, GCS 9/1, 306 (Bar Kochba [“star”] considered by Jews as a light from heaven having come down).
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MT (tr.) Therefore the Lord himself will give you a sign, Behold, a young woman is with child and shall bear a son, and shall call his name Immanuel
2.3.1 LXX The Old Greek version of Isa 7:14 is marked by the choice of ἡ παρθένος for Hebrew “( העלמהyoung woman”), the Greek term conveying the meaning of “maiden, unmarried woman, virgin”. 39 In the LXX it is the standard equivalent of Hebrew בתולה, except for two instances, Gen 24:43 and Isa 7:14, where it is a rendering of העלמה. So its use in Isa 7:14, although being uncommon, cannot be regarded a unique case. 40 In Gen 24 though this choice is due to a harmonization to v. 16. 41 This also makes sense for LXX Isaiah, which as a translation is characterized by harmonisations between passages within the book as a whole. 42 In this instance one might think in particular of Isa 37,22 (παρθένος θυγάτηρ Σιων [“virgin daughter Sion”]) and 47,1 (παρθένος θυγάτηρ Βαβυλωνος [“virgin daughter of Babylon”]). In light of these passages, the term is best understood as reference to the female figure of Sion. Hence, the oracle is not about a real birth of a son, but is clothed in figurative language pertaining to the installation of a new king (cf. Ps 2,7!), possibly Hezekiah, son and successor of Ahaz. Another difference between LXX and MT concerns the one who will call the name of the child: “she” in MT and “you” in LXX. As to the latter, the most important mss (A, B) attest the reading καλεσεις, while other mss offer the plural καλεσετε (mainly so the Lucianic mss), presumably an assimilation to υμιν in v. 14a; the variant καλεσουσιν on the other hand seems to be due to Mt 1,23. 2.3.2 Reception In this instance the reception history starts early – in the New Testament. The text is cited in Matthew 1,23, and interpreted to the effect that ἡ παρθένος is taken as referring to a real mother who, being still a virgin, will give birth to a (divine) son. It is not Mary, but Joseph who is said to call the name of the newborn child (cf. vv. 21, 25). This may explain the variant καλεσουσιν in the quotation of Isa 7:14, because “you” (sg.) would not fit the context. Justin Martyr: In his Dialogue with Trypho the Greek of Isa 7:14 plays an important role. 43 The rendering παρθένος for עלמהturns out to be a matter of debate because according to Trypho, the Jewish discussion partner, this rendering is mistaken: “the passage is not ‘Behold the virgin (παρθένος) shall conceive and bear a son’, but ‘Behold the young woman (νεᾶνις) shall conceive and bear a son’, and so on as you said. Further, the whole prophecy stands spoken of Hezekiah with respect to whom events [of his reign] are proved to have taken place in accordance with this prophecy”. 44 Thus, the virgin birth was not acceptable to Trypho, not only because of the 39. 40. 41. 42. 43. 44.
For a recent discussion of the term in Classical Greek and in the LXX, see Rico: La mère, 23-35. Cf. De Sousa: Eschatology, 75. The same is true of the Vulgate (virgo in both verses). Cf. Van der Vorm-Croughs: The Old Greek of Isaiah, 299-356. See esp. Dial. 43,5. 8; 67,1, and 71,3, Bobichon I, 290.292.364.380. Justin: Dial. 67,1, Bobichon I, 364. See also Horner: Listening, 159.
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disputed translation of the Hebrew עלמהin Isa 7:14, but also because this prophecy should be taken as referring to Hezekiah. He therefore asserts that one should rather say that Jesus was “a man of human origin” who can only be regarded the messiah if it could be proven from the Scriptures “that because of his perfect life under the Law he was deemed worthy to be chosen to be Christ”. 45 As to the variant reading νεᾶνις scholars have suggested that it might reflect the version of Aquila. 46 This may be so, but it is to be noted that this reading is also found in a Greek version prior to Aquila, namely, the Kaige/Theodotion recension. The second point put forward by Trypho has to do with what can be called the Jesus-versusHezekiah polemics between Jews and Christians. Skarsaune refers in this regard to rabbinic sources (NumR 14:2; ExR 18,5), which contain evidence that Isa 7:14 was considered a prophecy about Hezekiah. 47 These sources are of course quite late, but, as the Dialogue indicates, the Hezekiah interpretation among Jews goes back, at least, to the second century CE. In this regard, one might also refer to TgJon Isaiah which attests the following rendering of Isa 7:14 – ‘Behold, the young woman is pregnant, etc’, thus mirroring an understanding of the text pertaining to a son of Achaz. Justin responded to the Jewish objection regarding Isa 7:14 by saying that Jewish scribes are known to have altered the readings of “the Seventy” in more places than this. 48 He seems not to be aware of other Greek versions of the Hebrew Bible, at that time (Kaige/Theodotion, and Aquila), having νεᾶνις in Isa 7:14. Origen, on the other hand, employed a philological argument in order to respond to the Jewish criticism. In Contra Celsum I, 34 he states: first, “we should say […] that the word Alma […] also occurs, so to say, in Deuteronomy applied to a virgin”. 49 The passage he has in mind is Deut 22,23-24 (in Greek): “If a girl that is a virgin betrothed to a man, and a man find her in a city and lie with her, you shall bring both out to the gate […], the young woman because […]”. The Greek of this passage contains both renderings – παρθένος and νεᾶνις – which would allow for the argument, put forward by many Christian scholars in antiquity, in support of the claim that both words could be synonymous. 50 However, by saying that the Hebrew almah is used for a virgin in Deut 22,23 (see also v. 28), Origen is mistaken because the Hebrew words used are betulah and naʾarah, not almah. 51 The contribution of Jerome to the debate is more sophisticated. 52 In his Commentary on Isaiah, ad Isa 7:14, his argument runs as follows: it is true, he admits, that the correct term for “virgin” is betulah, and not almah. However, the meaning of almah “apud eos verbum ambiguum est; dicitur enim et adolescentula et abscondita, id est ἀπόκρυφος” (“among them almah is an ambiguous term, for it is said to mean both young girl and hidden, i. e., kept out of sight”). In this connexion he refers to Aquila’s rendering of almah in Gen 24:43 – “non adolescentulam, nec puellam sed abscondi45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52.
Justin: Dial. 67,2, Bobichon I, 364. See Skarsaune: Proof, 34. Skarsaune: Proof, 380. Justin: Dial. 71-73, Bobichon I, 378-384. Cf. Skarsaune: Justin Martyr, 405. Origenes: Cels. I, 34, GCS 2, 85. See Kamesar: Virgin, 51-58. Cf. De Lange: Origen, 99; Kamesar: Virgin, 58. For a more detailed presentation of Jerome’s arguments, see Kamesar: Virgin, 62-71.
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tam” (“not young girl nor girl but a hidden one”). Thus, almah does not only mean puella or virgo, but also virgo abscondita being a young woman who was kept hidden in the house of her parents, hence a virgin. He also notes that in the Punic language the term almah also carries the meaning of “virgin”. In addition to the philological argument, he also claims that the word almah is used only of virgins in the Hebrew Bible. 53 The main point of Jerome’s argument concerns a rendering of almah by Aquila, which actually was part of a Jewish interpretive tradition – almah being understood in the sense of someone being hidden (via עלםI, “to hide”). 54 Seen from this perspective his argument can be seen as an appropriate one within the frame of the ChristianJewish polemics of the time. The issue of the meaning of a Hebrew word was not the only thing to be considered, because as the Christian scholars were well aware of, also the whole passage in Isa 7 should be explored, in particular the question of which kind of sign was given to Ahaz. For example Origen: “What sort of sign would it be if a young woman not a virgin bore a son? And which would be more appropriate as the mother of Emmanuel, that is ‘God with us’, a woman who had had intercourse with a man and conceived by female passion, or a woman who was still chaste and pure and a virgin? It is surely fitting that the latter should give birth to a child at whose birth it is said ‘God with us’”. 55 At an earlier date Justin Martyr argued in a similar vein: the sign of Isa 7:14 would be meaningless unless it predicts something wonderful. 56
2.4. Isaiah 9:6 (5) LXX (v. 6) ὅτι παιδίον ἐγεννήθη ἡμῖν, υἱὸς καὶ ἐδόθη ἡμῖν, οὗ ἡ ἀρχὴ ἐγενήθη ἐπὶ τοῦ ὤμου αὐτοῦ, καὶ καλεῖται τὸ ὄνομα αὐτοῦ Μεγάλης βουλῆς ἄγγελος· ἐγὼ γὰρ ἄξω εἰρήνην ἐπὶ τοὺς ἄρχοντας, εἰρήνην καὶ ὑγίειαν αὐτῷ. For a child was born to us, a son was even given to us, whose sovereignty was (put) upon his shoulder; and his name is called, ‘Messenger of great counsel’. For I will bring peace upon the rulers, peace and health to him. MT (v. 5, tr.) For a child was born to us, a son was given to us; and the government came upon his shoulder, and his name was called, ‘Counsellor of wonderful things, mighty god, everlasting father, prince of peace’.
2.4.1 LXX The Greek text differs markedly from MT, in particular as far as the name of the new ruler is concerned. Compared to MT the name is quite short: “Messenger of great 53. 54. 55. 56.
Jerome: In Jes., CC.SL 73, 103 f. See Kamesar: Virgin, 71. Cf. Rico: La mère, 59-63 (with examples); Kamesar: Virgin, 64 f. Origenes: Cels. I, 35, GCS 2, 86. Justin: Dial. 84,1, Bobichon I, 414; cf. Skarsaune: Proof, 201; id.: Justin Martyr, 405.
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counsel”. The underlying phrase in MT (“counsellor of wonderful things”) has not been taken as a reference to the ruler/king (so MT), but rather to God as the one who is counselling wonderful things (cf. Isa 25,1). The rest of the verse – “for I will bring peace upon the rulers, peace and health to him” – presupposes a specific understanding of the Hebrew. Different from MT the corresponding words have not been interpreted as part of the name of the new ruler, but as a clause about what God is going to do according to his “great counsel”. The Greek ἄξω is based on “( אביfather”) which has been read as “( אביאI shall bring”, hifil of the root )בוא, whereas the phrase “upon the rulers” reflects the words עד שר, the second of which has been taken in a collective sense. Furthermore, the fact that “peace” occurs twice is due to a double translation of שלום. According to LXX, there will be peace upon “the rulers”, and peace and health (yet another double rendering of shalom) “to him”. 57 As I have argued elsewhere, the Greek version of Isa 9:5 represents a messianic passage, which alludes to a priestly leader vested with royal power and glory. In the light of what we know about the constitution of the Jews the reference to “the rulers” makes good sense if considered a reference to the leading priests, i. e., the colleagues of the high priest (cf. Josephus, Ap. II, 194). 58
2.4.2 Reception Christian scholars read the Greek of Isa 9:6 as a prophecy about Jesus as the son of God. Justin Martyr: “And when Isaiah calls him ‘the angel of great counsel’, did he not foretell him to be the teacher of those truths, which he did teach when he came [to earth]? For he alone taught openly those great counsels which the Father designed both for all those who have been and shall be pleasing to him”. 59 Justin quotes the name of the messiah in agreement with the original LXX. 60 Greek ἄγγελος is understood by him as “angel” rather than “messenger”, 61 and the phrase “great counsel” is regarded proof of the divine origin of Jesus. Origen too quoted the short name of the messiah, as is at least the case in Contra Celsum V, 53 and VIII, 27. 62 His interpretation is similar to the one offered by Justin. The work of Jesus, he claims, was not merely of an angel (against Celsus) for “he proclaimed to men the great counsel of the God and Father of the universe concerning them, that those who yield to a life of pure religion ascend to God by their great actions, and that those who did not believe alienate themselves from God and are on the road to destruction through unbelief about God” (V, 53). So, here again, Jesus is seen as the angel of the great counsel of God, his father. It is interesting to note however that in quoting Isa 9:6 some other scholars added readings, which were based on the rendering of the Three, more in particular the text of Kaige/Theodotion.
57. 58. 59. 60. 61. 62.
For a more detailed discussion of the differences, see van der Kooij: Isaiah 9:6-7. Van der Kooij: Isaiah 9:6-7, 343 f. Justin: Dial. 76,3, Bobichon I, 394. So also in Dial. 126,1, Bobichon I, 522. Cf. Trigg: Angel of Great Counsel. Origen: Cels. V, 53; VIII, 27, GCS 3, 57. 243. The passage is not cited in De Principiis.
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Irenaeus who at one place cites our text fully in line with the original Greek version (Dem 56), 63 offers at two other places in the same writing (Dem 40; 54; 55) the following reading: “wonderful counsellor and mighty God”. 64 This variant reading strikes one as it is close to the Hebrew text (“counsellor of wonderful things, mighty god”) but as we will see is based on the Three. As to its meaning Irenaeus notes that Jesus is the “wonderful counsellor” of God, his father. Clement of Alexandria is the next scholar who is of interest in this regard. In Paedagogus I 24,2, he first quotes the original LXX up to and including ἄγγελος which then is continued by the following long plus: θαυμαστὸς σύμβουλος θεὸς δυναστής πατὴρ αἰώνιος ἄρχων εἰρήνης (“wonderful counselor, powerful God, everlasting father, prince of peace”). 65 As a matter of fact, this long plus, the first part of which equals the reading of Irenaeus, agrees with the reading of Kaige/Theodotion, except for σύμβουλος, which corresponds to the rendering of Aquila, 66 and for θεός. Kaige/ Theodotion as well as Aquila have ἰσχυρός (“strong”), and not θεός, for Hebrew אל. The reading “God” seems to be due to influence from the text of Irenaeus. Whatever the background of this variant, the issue at stake is the divinity of Jesus: he is not only an angel; he is also “God”. Eusebius’ writings are even more interesting regarding the way Isa 9:6 was cited. In his Commentary on Isaiah he quotes the original Greek version, arguing that our Saviour is not only human but also of an angelic nature, being the one who knows the great counsel of God, his father. However, our Saviour, he goes on, is more than just an angel because ἀρχή (“the arche on his shoulder”) points to his divinity (θεότης). Eusebius then notes that, according to the Hebrew text, the messiah is considered to be greater (μειζόνως) than an angel. In order to make this clear he quotes the translations of the verse by the Three – Symmachus, Aquila and Theodotion –, taking these versions not as an alternative to LXX, but as a supplement to it. In the ensuing discussion first he dwells on the issue of ( אלηλ) in the Hebrew text, arguing that this should be rendered “God” instead of “strong” (cf. the Three). He then goes on to explain the phrase “father of the age to come” (πατὴρ τοῦ μέλλοντος αἰῶνος), which however is not found in the versions of the Three. So one wonders where this phrase might come from. For this question we need to turn to another work of Eusebius, which he produced some time before the Commentary on Isaiah – Demonstratio evangelica (DE). In DE VII 1,135 Eusebius tells the reader that according to the LXX the name is called, μεγάλης βουλῆς ἄγγελος, and that according to one of the copies (of the Greek text) the passage has also the following additional text: θαυμαστὸς σύμβουλος θεός ἰσχυρὸς ἐξουσιαστής ἄρχων εἰρήνης πατὴρ τοῦ μέλλοντος αἰῶνος (“wonderful counselor, strong God, mighty one, prince of peace, father of the age to come”). 67 Here we touch on a Greek version of Isa 9:6 which includes the phrase “father of the age to come”. 63. 64. 65. 66. 67.
Irenaeus: Dem. 56, SC 406, 162-164. Irenaeus: Dem. 40, 54, 55, SC 406, 138.160-162. See also Skarsaune: Proof, 390. Clement: Paed. I, 24,2, GCS 12, 104. Kaige/Theodotion: βουλεύων, Aquila: σύμβουλος. Eusebius: Dem. VII, 1, 135, GCS 23, 323-324; cf. Eusebius: Dem. V, 10, 6; VII, 1, 134, 138, GCS 23, 233.323.324.
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Like in the case of Clement this whole passage too is based on the Three, but differs in some respects from the Three as well as from the text of Clement. θεός is also found here, but different from Clement, the reading of the Three (“strong”) has been retained. The reading “God” thus is a plus within the plus. Instead of the expression ἰσχυρὸς δυνάστης (Kaige/Theodotion), or ἰσχυρὸς δυνατός (Aquila and Symmachus), the text of Eusebius reads ἰσχυρὸς ἐξουσιαστής. Regarding the final part of the long plus (ἄρχων εἰρήνης πατὴρ τοῦ μέλλοντος αἰῶνος), it is of note that the word order differs from the corresponding texts of the Three, which correspond to the word order of MT (“everlasting father, prince of peace”). As noted above, the phrase “father of the age to come” is not attested by the Three. In my view, it is best understood as a modification or explicitation of Symmachus’ rendering: πατήρ αἰῶνος, “father of the age”. 68 This would fit in with the fact that Eusebius highly valued Symmachus’ translation of the Hebrew Bible, more so than the versions of Theodotion and Aquila. 69 So one could imagine that Eusebius himself introduced the phrase “father of the age to come”, but this is not certain. 70 As we know from his Commentary on Isaiah the phrase is interpreted in light of a passage in the New Testament – 1 Cor 15,22-23: “For as in Adam all die, so also in Christ shall all be made alive. But each in this own order: Christ the first fruits, then at his coming those who belong to Christ”. According to Eusebius, Adam is the father of “the present age” (for this expression, see Gal 1,4), and Christ the father of “the coming age”. 71 In sum, the writings of Irenaeus, Clement of Alexandria, and of Eusebius testify to a tendency to add to the original Greek version of Isa 9:6 a plus based on Hexaplaric readings (esp. Kaige/Theodotion). This plus was not meant, it seems, to be a replacement of the final part of the original Greek (ἐγὼ γὰρ ἄξω εἰρήνην etc.) because Eusebius at least does also quote this part of the text in his Commentary on Isaiah. The expansion of the text of Isa 9:6 aimed, likely so, at enhancing the Christological reading of the prophecy. Finally, it may be useful to note the long plus attested in some MSS dating after Eusebius: MS A (5th century) – θαυμαστος συμβουλος ισχυρος εξουσιαστης αρχων ειρηνης πηρ (= πατηρ) του μελλοντος αιωνος (= Eusebius, without θεος!); Lucianic MSS – θαυμαστος συμβουλος θεος ισχυρος εξουσιαστης αρχων ειρηνης πατηρ του μελλοντος αιωνος (= Eusebius). 72
68. Kaige/Theodotion: πατὴρ αἰώνιος, Aquila: πατὴρ ἔτι. 69. This may also explain the reading ἐξουσιαστής (see above) because, among the Three, this word only occurs in Symmachus (Isa 25,7; Jer 28(51), 46 [bis]). 70. At the expert meeting in Göttingen (24-25 February 2014), prof. Annette von Stockhausen suggested that the phrase might well go back to Origen’s (lost) Commentary on Isaiah. 71. The idea of the (royal) messiah in the age or world to come is also found in TgJon Prophets (see e. g. 2 Sam 7,19). 72. The reading “father of the age to come” is also attested by some manuscripts of Peshitta Isaiah (it is found in the text of the MSS 7a1 and 8a1, and in the margin of the MSS 6h5 and 9a1); see The Old Testament in Syriac according to the Peshitta Version. Part III, 1, 16.
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3. Concluding remarks In the above I have dealt with some passages in the LXX – Gen 49:10; Num 24:17; Isa 7:14, and Isa 9:6(5) – in order to show how they were received, both textually and exegetically, in sources dating to antiquity. All these passages, except possibly Gen 49:10, can be said to be “messianic”, and this is even more true if one turns to the way these texts have been read and understood by scholars in antiquity, both Christian and Jewish. Obviously, Christian scholars interpreted these and other passages from their Christian perspective. Evidence of Jewish exegesis of the texts of the LXX is of course limited (mainly Philo, as far as the Pentateuch is concerned), but regarding the passages dealt with in this contribution, first there is reason to believe that Josephus provides a specific interpretation of Num 24:17, and secondly, the Dialogue of Justin Martyr may reflect exegesis on the Jewish side (Trypho) as far as Isa 7:14 in Greek is concerned. Apart from a Christian reading of the passages, in some cases there is evidence of modifications of the original Greek text. A most interesting case in this regard is Isa 9:6, the Greek text of which was expanded, in the second and third century (Irenaeus, Clement of Alexandria, Eusebius) by adding Hexaplaric readings, including a few modifications of the latter (“God”; “father of the age to come”). Finally, an interesting aspect concerns the issue of the polemical setting, which may have triggered scholars to pay particular attention to certain passages. In the cases discussed above, the focus has been on polemics between Christians and Jews, not between Christians and pagan scholars like Celsus (with the exception of the reference to the emperor Julian, in the case of Gen 49:10). The following settings, pertaining to the second (Justin Martyr), and early third century (Origen), seem to be of note: regarding Gen 49:10 and Num 24:17 – Justin Martyr and the Jews (cf. TgOnk), against the backdrop of the Bar Kochba period; regarding Gen 49:10 – Origen and the Jews, the latter applying the prophecy to their Ethnarch; and regarding Isa 7:14 – Justin and Trypho; Origen, Jerome, and the Jews, concerning the interpretation of Hebrew ʿ almah. If based on the Greek, Josephus’ exegesis of Num 24:17 is another case because, as he tells us himself, his interpretation differs markedly from that of the “wise men”, thus reflecting a controversy among Jewish intellectuals, in the first century C.E.
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2.1.13 Hoffnung Cristina Buffa / Martin Meiser 1 Literatur Textausgaben und Übersetzungen Philo von Alexandria: Die Werke in deutscher Übersetzung, Band VII, in: Leopold Cohn / Isaak Heinemann / Maximilian Adler / Willy Theiler (ed.), Berlin 1964 – Philo von Alexandria: Legatio ad Gaium, edited with an Introduction, Translation and Commentary by E. Mary Smallwood, Leiden 1961 – Capelli, Piero: Testamento di Giobbe (introduzione, traduzione e commento), in: Paolo Sacchi (ed.), Apocrifi dell’Antico Testamento IV, Brescia 2000 – Spittler, Russell Paul: Testament of Job, in: James Hamilton Charlesworth (ed.), The Old Testament Pseudepigrapha, Apocalyptic Literature and Testament, Vol. 1, Garden City 829868 – Clément de Rome: L’Épître aux Corinthiens, ed. Annie Jaubert, SC 167, Paris 1971 – Barnabé: L’Épître de Barnabé, ed. Pierre Prigent / Robert Kraft, SC 172, Paris 1971 – Origène, Contre Celse, ed. Marcel Borret, Tome 3, SC 147, Paris 1969.
Sekundärliteratur Aejmelaeus, Anneli: A Lexical and Syntactical Study of the Semantic Field of Hope in the Greek Psalter, in: Peter W. Flint / Emanuel Tov / James C. Vanderkam (eds.), Studies in the Hebrew Bible, Qumran, and the Septuagint presented to Eugene Ulrich, VT.S 101, Leiden / Boston, Brill, 2006, 360-376 – Barth, Chistoph: ָי ַחל, ThWAT 3 (1982), 603-610 – de Boer, Martinus C: Galatians.A Commentary, NTL, Louisville 2011 – Bons, Eberhard: Die Septuaginta-Version von Psalm 22, in: ders, Textkritik und Textgeschichte. Studien zur Septuaginta und zum hebräischen Alten Testament, FAT 93, Tübingen 2014, 81-96 – Bons, Eberhard / Brucker, Ralph / Bauks, Michaela / Kraus, Thomas J. / Seiler, Stefan / Siffer-Wiederhold, Nathalie: Psalmoi. Das Buch der Psalmen, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Band II, Psalmen bis Daniel, Stuttgart 2011, 1479-1885 – Bormann, Lukas: Der Brief des Paulus an die Kolosser, ThHK 10/I, Leipzig 2012 – Brox, Norbert: Der erste Petrusbrief, EKK 21, Zürich / Neukirchen 1979 – Bultmann, Rudolf: ἐλπίς, ThWNT 2 (1935), 515-520, 525-531 – Felle, Antonio Enrico: Expressions of Hope Quoted from Biblical Texts in Christian Funerary Inscriptions (3rd-7th cent. C.E.), in: Wolfgang Kraus u. a. (ed.), Die Septuaginta – Text, Wirkung, Rezeption, WUNT 325, Tübingen 2014, 775-824 – Fitzmyer, Joseph: First Corinthians. A New Translation with Introduction and Commentary, The Anchor Yale Bible 32, New Haven / London 2008 – Focant, Camille: De l’art de digresser pour donner au sujet une profondeur radicale (1 Corinthiens 13), in: Daniel Gerber / Pierre Keith (ed.), Les hymnes du Nouveau Testament et leurs fonctions. XXIIe congrès de l’Association catholique française pour l’étude de la Bible (Strasbourg, 2007), LeDiv 225, Paris 2009, 99-118 – Gourgues, Michel: Les deux lettres à Timothée. La lettre à Tite, CbNT 14, Paris, Cerf, 2009 – Grässer, Erich: Der zweite Brief an die Korinther, Kapitel 1,1-7,16, ÖTK 8,1, GTB 513, Gütersloh / Würzburg 2002 – Haacker, Klaus: Der Brief des Paulus an die Römer, ThHK 6, Leipzig 1999 – Hübner, Hans: An Philemon, An die Kolosser. An die Epheser, HNT 12, Tübingen 1997 – Karrer, Martin: Der Brief an die 1.
Die Ausführungen zu Josephus wurden vollständig, die Ausführungen zu Paulus und den frühen Deuteropaulinen wesentlich von Martin Meiser nachergänzt.
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Hoffnung
Hebräer, ÖTK 20/1-2, Gütersloh / Würzburg, 2002 / 2008 – Keener, Craig S.: Galatians, Grand Rapids 2019 – Kremer, jacob: Der Erste Brief an die Korinther, RNT, Regensburg 1997 – Matera, Frank J.: Galatians, Sacra Pagina series 9, Collegeville 1992 – Pokorný, Petr: Der Brief des Paulus an die Epheser, ThHK 10/2, Leipzig 1992 – Quesnel, Michel: La première épître aux Corinthiens, CbNT 7, Paris 2018 – Schmeller, Thomas: Der zweite Brief an die Korinther (2Kor 1,1-7,4), EKK 8/1, Neukirchen / Ostfildern 2010 – Sellin, Gerhard: Der Brief an die Epheser, KEK 8, Göttingen 2008 – Steins, Georg: Psalmoi Salomontos / Die Psalmen Salomon, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Band II, Psalmen bis Daniel, Stuttgart 2011, 19001940 – Van Menxel, François: Ἐλπίς. Espoir. Espérance: études sémantiques et théologiques du vocabulaire de l’espérance dans l’Hellénisme et le Judaïsme avant le Nouveau Testament, Publications Universitaires Européennes, XXIII / 213, Frankfurt am Main 1983 – Waschke, Ernst Joachim: קוה, ThWAT 6 (1989), 1225-1234 – Weiss, Hans-Friedrich: Der Brief an die Hebräer, KEK 13, Göttingen 1991 – Wolter, Michael: Der Brief an die Kolosser. Der Brief an Philemon, ÖTK 12, GTB 519, Gütersloh / Würzburg 1993 – Wolter, Michael: Der Brief an die Römer, Teilband 1: Röm 1-8, EKK 6/1, Neukirchen / Ostfildern 2014, Teilband 2: Röm 9-16, Ostfildern / Göttingen 2019 – Woschitz, Karl Matthäus: Elpis, Hoffnung, Geschichte, Philosophie, Exegese, Theologie eines Schlüsselbegriffs, Wien / Freiburg / Basel, Herder, 1979 – Wright, Robert: Psalms of Solomon. A New Translation and Introduction, in: James Hamilton Charlesworth (ed.), The Old Testament Pseudepigrapha, Expansions of the »Old Testament« and Legends, Wisdom and Philosophical Literature, Prayers, Psalms, and Odes, Fragments of Lost Judeo-Hellenistic Works, Vol. 2, Garden City 1985, 639-670.
1. Einleitung In diesem Artikel werden wir einige Beispiele für das Wort ἐλπίς (»Hoffnung«) und das Verb ἐλπίζω (»hoffen«) in der LXX, in den pseudepigraphischen Texten des Alten Testaments und in der jüdisch-hellenistischen Literatur, und schließlich im NT und bei den Apostolischen Vätern analysieren. Unsere Absicht besteht darin, zu zeigen, dass der Begriff »Hoffnung«, der in der LXX benutzt wird, einen besonderen Einfluss auf die spätere jüdische und christl. Literatur gehabt hatte. 2
2. Die Interpretation des Begriffs »Hoffnung« nach der LXX In der LXX tauchen die Termini ἐλπίς / ἐλπίζω besonders oft auf und übersetzen verschiedene hebräische Wurzeln, unter anderem »( שברwarten«), »( בתחvertrauen«), »( יחלerwarten«), »( קוהhoffen / warten«) und »( חסהZuflucht suchen«). 3 Im Gegensatz zur griech. Welt, in der das Wortfeld eine Vielfalt von Bedeutungen abdeckt, wird dieses Wortfeld in der LXX enger und genauer. 4 Die LXX-Übersetzer führen einen 2.
3. 4.
Auch wenn die Sprache der Psalmen die christlichen Grabinschriften des 3. Jh. bis ins 7. Jh. n. Chr. beeinflußt hat, wird es in diesem Zusammenhang nicht in Betracht gezogen. Näheres bei Felle: Expressions of Hope, 775-824. Vgl. dazu die Beiträge von Woschitz: Elpis, 221-230; Van Menxel: Ἐλπίς. Espoir., 162-172. Bultmann bemerkt, dass die Hoffnung im AT zu einem Erwarten des Guten wird und mit dem Vertrauen verwandt ist. Vgl. Bultmann: ἐλπίς, 518.
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Begriff der Hoffnung ein, der eine klare religiöse Konnotation hat. Dieser Begriff wird hauptsächlich auf drei Arten ausgedrückt: a) »die auf Gott gesetzte Hoffnung«: Substantiv ἐλπίς + Präp. ἐπί + Akk. oder Dat. eines Nomens oder eines Pronoms, der sich auf Gott bezieht. b) »auf Gott hoffen«: Verb ἐλπίζω + die Präp. ἐπί + Akk. oder Dat. eines Nomens oder eines Pronoms, der sich ebenfalls auf Gott bezieht. c) »Gott als Hoffnung« des Gläubigen: Substantiv ἐλπίς »Hoffnung« als Gottesepitheton. Ein gutes Beispiel für den ersten Ausdruck ist Ps 145,5LXX. In diesem Fall wird die Hoffnung (ἡ ἐλπίς), im hebr. ִֹֹשְברו, von »( שברwarten«), auf Gott gesetzt (ἐπὶ κύριον τὸν θεὸν αὐτοῦ). Der zweite Ausdruck findet man in 1Chr 5,20, wo erzählt wird, dass Rubens Söhne sich an Gott wenden, um die Agaräer zu besiegen, und dass sie erhört werden, weil sie auf ihn gehofft haben (ὅτι ἤλπισαν ἐπ᾽ αὐτόν); Gott ist das Fundament ihrer Hoffnung. Die entsprechende hebr. Wendung ֹ ִכּי־ָבְטחוּ בוstammt von der Wurzel »( בטחvertrauen«). Im Ps 32,22LXX bittet der Psalmist in der Wir-Form den Herrn, dass sein Erbarmen über die Betenden kommen möge, da sie auf ihn ihre Hoffnung gesetzt haben (ἠλπίσαμεν ἐπὶ σέ). ἠλπίσαμεν steht hier für MT ִי ַחְלנוּ, dessen hebr. Wurzel » יחלerwarten« ist. 5 Wie in den vorherigen Beispielen, wird das Verb ἐλπίζω oft mit einer Präp. verwendet. 6 Der Sinn »auf Gott hoffen« tritt auch in Jes 25,9 auf, wo gesagt wird, dass man nicht nur auf Gott hoffen kann, sondern dass man durch diese Hoffnung gerettet werden kann. Die »Hoffnung« hat in diesem Fall eine rettende überirdische Dimension. Die hebr. Form von ἠλπίζομεν ist hier ִק ִוּינוּ, dessen hebr. Wurzel » קוהhoffen / warten« bedeutet. 7 Das Substantiv ἐλπίς »Hoffnung« als Gottesepitheton »Gott als Hoffnung« taucht im Ps 21,10LXX auf. Der griech. Psalmist behauptet, dass Gott schon seine Hoffnung war, als seine Mutter ihn stillte. Dieser Beleg ist aus verschiedenen Gründen interessant. Vor allem übs. die LXX die Form =( ַמְבִטיִחיPtz. hiph. mit Suff. 1. sg. von )בטח »[du bist der,] der mich [den Brüsten der Mutter] anvertraut« mit dem Subst ἡ ἐλπίς ου. 8 Hier hat die LXX vielleicht das Substantiv *» ִמְבָטִחיmein Vertrauen« mit ἐλπίς ου übs. 9 Auf diese Weise wird Gott der Gegenstand der Hoffnung, 10 derjenige, der die Hoffnung garantiert, eine Hoffnung, die nicht enttäuscht. In diesem Zusammenhang ist ἐλπίς »Hoffnung« ein Synonym für eine gute Hoffnung. In der griech. Literatur ist ἐλπίς eine vox media, die positiv oder negativ bewertet werden kann, je nach den Adj., die sie bestimmen. Dagegen scheint ἐλπίς im Ps 21,10LXX eine gute ἐλπίς zu sein, die durch eine semantische Entwicklung gekennzeichnet wird, und zugleich eine engere Bedeutung hat als in der griech. Welt.
5. Die griech. Bibel übs. יחלmeistens mit ἐλπίζω (13-mal). Vgl. Barth: 604 , ָי ַחל. 6. Die meist benutzte Präp. in den griech. Psalmen ist ἐπί + Dat. oder Akk.; vgl. Aejmelaeus: Study, 371. 7. Als Verb ist die Wurzel קוהim qal und piel belegt. So Waschke: 1226 ,קוה. 8. Vgl. Bons: Septuaginta-Version, hier 94. 9. Vgl. dazu Bons et al.: Psalmoi, 1555, Notiz 10; Bons: Septuaginta-Version, 94. 10. Van Menxel: Ἐλπίς, 238, schreibt: »Dieu est l’objet de la confiance de l’homme pieux de la Diaspora juive depuis la naissance«.
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3. Der Einfluss des LXX-Begriffs »Hoffnung« auf die pseudepigraphischen Texte des Alten Testaments und auf die jüdisch-hellenistische Literatur Die in der LXX vorhandenen Wendungen »die auf Gott gesetzte Hoffnung« und »auf Gott hoffen« sind vielfach auch in den pseudepigraphischen Texten des Alten Testaments und in der jüdisch-hellenistischen Literatur zu finden. 11 Im PsSal 8,31 12 wendet sich der Psalmist direkt an Gott und bittet ihn in der 1. Pers. des Pl. um Hilfe; er beteuert, dass Gott von Anfang an (ἀπ᾽ ἀρχῆς) ihr Gott ist (ὁ θεὸς ἡμῶν) und dass ihre Hoffnung (ἐλπίς ἡμῶν 13) in ihm (ἐπὶ σέ) ist. In anderen Worten hebt der Psalmist hervor, dass Gott der Gott Israels ist, und dass er seine Hoffnung in ihn setzt. In diesem Fall wird das Wort ἐλπίς, wie im Ps 145,5LXX, mit der Präp. ἐπί + Akk. gebildet. Des weiteren taucht der Sinn »Gott als Hoffnung« im PsSal 5,11 14 wieder auf. In diesem Zusammenhang meint der Psalmist, dass Gott die Könige, die Herrscher und die Völker ernährt, und fragt sich zugleich, wer die Hoffnung (ἡ ἐλπίς) des Armen und des Bedürftigen (καὶ πτωχοῦ καὶ πένητος) ist, wenn nicht der Herr selbst (εἰ μὴ σύ κύριε). Die Wendung »auf Gott hoffen« befindet sich in TestHiob 37,5. Baldad versucht zu verstehen, in welcher Verfassung sich Hiob befindet. Deshalb stellt er Fragen. Unter anderem: εἰ τῷ θεῷ ἐλπίζεις 15 (»und Du, hoffst Du auf Gott?«). So möchte er wissen, bis zu welchem Grad Hiob auf Gott vertraut, auch wenn er sich in einer schwierigen Lage befindet. Hiob antwortet, dass sein Verstand noch unangetastet ist, und dass sein Vertrauen auf Gott nie geschwächt wurde. An dieser Stelle wird das Verb ἐλπίζω nicht mit einer Präp., sondern mit einem Dat. gebildet und bedeutet dann »seine Hoffnung auf Gott setzen«. Nach 2Makk 2,18 richtet sich die Hoffnung Israels auf das Erbarmen Gottes und die Heimholung der Diaspora, nach 2Makk 7,14 ist für den sterbenden Märtyrer die Hoffnung auf die Auferweckung sein Trost, nach 2Makk 7,20 für seine Mutter die Hilfe, das Schicksal der Hinrichtung ihrer sieben Söhne zu ertragen. Bei Philo von Alexandria bekundet sich das Bestreben, mit Hilfe eklektisch angeeigneter griechisch-philosophischer Tradition die Heilige Schrift Israels zu erklären, auch in seinem Umgang mit der Wortfamilie ἐλπίς. Anthropologisch gelten ἐλπίς und προσδοκία (»Erwartung«) als Tätigkeiten nicht der Sinnlichkeit (αἴσθησις), sondern des Geistes (νοῦς). 16 In ethischen Kontexten benennt die Wortfamilie die
11. Daneben findet sich auch die weisheitliche Einsicht in die Vergeblichkeit mancher trügerischen Hoffnung (Sir 31[34],1). Das kann allerdings auch kritisch gegen Nichtjuden gewendet werden (Weis 3,11). 12. Für eine mögliche Datierung des PsSal 8, s. Van Menxel: Ἐλπίς, 401. 13. Wright: Psalms of Solomon, 660, übs. die Wendung καὶ ἐπὶ σὲ ἡ ἐλπὶς ἡμῶν κύριε mit »and on you we have hoped, Lord«. 14. Dieser Psalm ist ein »Bekenntnis des Vertrauens auf den gütigen, barmherzigen und gerechten Gott«. Vgl. Steins: Psalmoi Salomontos, 1920. 15. Spittler übs. die Frage εἰ τῷ θεῷ ἐλπίζεις mit »do you hope upon God?«, während Capelli sie mit »E tu confidi in Dio?« wiedergibt. Vgl. Spittler: Testament of Job, 857, und Capelli: Testamento di Giobbe, 166. 16. Philo: Leg.All. II, 43, neben προσδοκία (In Abr. 14 ist die ἐλπίς schlicht die προσδοκία ἀγαθῶν). Die Gegenüberstellung zwischen αἴσθησις und νοῦς greift in die philosophische De-
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uns aktivierende Hoffnung auf Selbstvervollkommnung (τελείωσις) 17, aber auch die Voraussetzung für die Freude als seelisches Hochgefühl, die, als eigenständiges wie mit anderem verbundenes Gut uns nicht erst dann belebt, wenn der Gegenstand der Freude realisiert ist, sondern auch in Form der Vorfreude. 18 Die von der Septuaginta überkommene generelle positive Bestimmung von ἐλπίς und ihr religiöser Zusammenhang zeigt sich bei Philo da, wo er, durch den Zusammenhang von Gen 4,26; 5,1 bedingt, die Hoffnung auf den wahrhaft seienden Gott als den Geber aller Güter als ein Kennzeichen des Menschlichen benennt. 19 Die Harmonisierung griechischer und biblischer Ethik wird sichtbar, wenn die geforderte Orientierung der ἐλπίς hin auf Gott der gegebenen Orientierung der ἐπιθυμία (»Begierde«) auf das σῶμα (den »Leib«) kontrastiert wird. 20 Die religiöse Nuance ist erkennbar in Leg.Gai. 21 196, wo Philo sich auf die Errichtung der Statue des Imperators im Tempel zu Jerusalem bezieht 22 und sagt, dass die Heimsuchung eine Prüfung für die heutige Generation sein könnte. Da jede Hoffnung auf eine menschliche Hilfe verschwunden ist, ermutigt er seine Leser, mit einer unzerstörbaren Hoffnung (ἀκαθαίρετος ἡ … ἐλπίς) auf Gott, den Heiland (ἐπὶ τὸν σωτῆρα θεόν) zu harren. Bei Josephus findet sich neben dem positiven 23 und dem neutralen 24 auch der negative Begriffsgebrauch, 25 manchmal durch ein Attribut markiert 26, wie solche Markierung gelegentlich auch bei positivem Begriffsgebrauch nicht fehlt. 27 Für die Antiquitates ist dies unabhängig davon feststellbar, ob Josephus biblische Vorlagen paraphrasiert oder frei formuliert. Dass die Wortfamilie in der in Contra Apionem II, 144 beginnenden Selbstdarstellung des Judentums für Nichtjuden fehlt, mag darin begrün-
17. 18. 19.
20. 21.
22. 23.
24. 25. 26. 27.
batte ein, ob man Erkenntnis nur durch das eine oder das andere erlangt bzw. wie die Zuordnung von αἴσθησις und νοῦς zun rechten Erkenntnisgewinn auszusehen hat. Philo: Her. 310 f. für das aktivierende Moment steht ἐπισπεύδειν. Philo: Leg.All. III, 86; Mut.Nom. 161-165. Philo: Det. 138 f. Die religiöse Konnotation zeigt sich bei Philo auch in Leg.All. III, 164, wo Hoffnungslosigkeit als Haltung beschrieben wird, dass man mit der Gabe des Guten nur jetzt und nicht auch später zu rechnen bereit ist. Hier stehen δύσελπις, ἄπιστος und ἄνους nebeneinander. Philo: Post. 26. Im Jahre 40 n. Chr. war Philo als Botschafter einer jüdischen Gesandtschaft aus Alexandria nach Rom gegangen, um beim Kaiser Gaius Caligula eine Versöhnung zwischen den Juden und den Römern in Sachen Religionsfreiheit, Bürgerrechte der Juden und ihrer Lage in Alexandria zu erlangen. S. Philo von Alexandria: Legatio ad Gaium, 24-25. LegGai ist ein Bericht der Judenverfolgung in Alexandria unter Gaius Caligula. Weiteres bei Philo von Alexandria: Werke, 166-170. Als Philo in Puteoli ankam, erfuhr er, dass Gaius befohlen hatte, eine Statue seiner selbst in Gestalt des Jupiters im Tempel zu Jerusalem aufstellen zu lassen (Leg.Gai. 185-188). Für das Syntagma ἐλπὶς βοηθείας vgl. Bell. V, 11; für ἐλπὶς σωτηρίας vgl. etwa Bell. VII, 331; Ant. I, 327; VI, 24; VII, 158; XIII, 399; XV, 153; XVI, 238, für das Syntagma ἐλπὶς πλεονεξίας vgl. etwa Ant XV, 79, für das Syntagma ἐλπὶς νίκης vgl. Bell. VII, 369; Ant. VI, 26; VIII, 406 (dasselbe mit εἰς τὸ νικᾶν in Ant XV 130), für das Syntagma ἐλπὶς κέρδους vgl. Bell. II, 587. Zumeist in der Formulierung παρ’ ἐλπίδα: Bell. I, 34.123; Ant. XVIII, 239. Ant. V, 40; XV, 196.261; Vita 380. Ant. XVIII, 277. Ant. II, 332; V, 222; VI, 275; VIII, 214.
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det sein, dass Josephus hierin keinen wirklichen Unterschied zwischen der Religion Israels und nichtjüdischer Religiosität erkennen konnte; den Gedanken, die Hoffnung auf Gott zu setzen, kennt er sehr wohl. 28
4. Die Entwicklung des LXX-Begriffs »Hoffnung« im NT und bei den Apostolischen Vätern Bei Paulus kommt die ἐλπίς in 1Kor 13, was oft als eine Hymne und eine Lobrede an die Liebe betrachtet wird 29, neben dem Glauben (πίστις 30) und der Liebe (ἀγάπη) als eine der drei grundsätzlichen Tugenden zu stehen 31, die im Leben eines Christen bleiben (νυνὶ δὲ μένει). 32 Die Wortfamilie ἐλπίς kann bei Paulus sowohl von innergeschichtlicher als auch von eschatologischer Hoffnung verwendet werden. 33 Als auf Gott gerichtete innergeschichtliche Hoffnung ist ἐλπίς Hoffnung gegen das normalerweise zu Erwartende (Röm 4,18), radikales Vertrauen auf Rettung in einer ausweglosen Situation (2Kor 1,8-10) 34, Modus christlicher Lebenshaltung in Freude (Röm 12,12). 35 Ihr eignet das Moment der unbedingten Gewissheit 36, basierend auf dem Gedanken der Geschichtsmacht Gottes, der sich als Helfer auch in Sachen der salus privata (»der privaten Wohlfahrt«) erweist. 37 Die eschatologische Hoffnung wird in 1Thess 4,13 als Charakteristikum für die Lebenshaltung der Christusgläubigen im Unterschied zu den Nichtchristen aus griechisch-römischem Kulturkreis benannt. 38 In Gal 5,5 erscheint 28. Ant. VIII, 282; XII, 300, mit ἐλπίζω Ant. X, 258. 29. Weiteres bei Focant: De l’art, 99-118. 30. Nach Quesnel hat πίστις hier nicht die Bedeutung »foi permettant des miracles«, sondern eher »foi-fidélité«. Vgl. Quesnel: La première épître, 323. 31. Die Triade »Glaube«, »Hoffnung«, »Liebe« findet man auch z. B. in Gal 5,5-6; Röm 5,l-5; Hebr 10,22-24; 1Petr 1,21-24 sowie in 1Thess 1,3 (Kremer: Der Erste Brief, 291). 32. Dabei ist das Größte (μείζων δὲ τούτων) die Liebe, die über das Leben hinaus besteht. Vgl. Fitzmyer: First Corinthians, 502. 33. Für ersteres vgl. u. a. 1Kor 16,7; Phlm 22, für letzteres vgl. 1Thess 1,3; 5,8; 1Kor 13,13; 15,19. Im ersteren Falle wird ἐλπίς oft auf einen Zustand oder ein Verhalten (häufig das des Gegenübers z. B. 2Kor 1,13; 5,11; 10,15; 13,6) hin konkretisiert. 34. Die Situation wird in der Sprache der Psalmen beschrieben, vgl. Ps 33,19; 5,4 f.; 56,15 etc. Woran Paulus denkt (Gefangenschaft in Ephesus; Kränkung in Korinth, Krankheit), bleibt offen (Grässer: Der zweite Brief an die Korinther I, 64). 35. Der Dativ τῇ ἐλπίδι gibt nicht den Gegenstand oder den Grund der Freude an, sondern den Modus (Wolter: Römer II, 287, Anm. 41) 36. Schmeller: Der zweite Brief an die Korinther I, 73: Die Hinzufügung von ἠλπίκαμεν bezeichnet keine Einschränkung der Rettungserwartung. 37. Die Vorstellung war auch für Angehörige des griechisch-römischen Kulturkreises verständlich, wie Plinius, Ep. I, 22,11 erweist. Auffällig ist allerdings, daß die Gottesprädikation ἐπήκοος – der Gott, der erhört –, im Neuen Testament nur in 2 Kor 6,2, in einem Zitat aus Jes 49,8 LXX begegnet. 38. In 1Thess 4,13-18 setzt sich Paulus nicht mit griechisch-römischen Unsterblichkeitsvorstellungen auseinander. Allerdings ist auch auf die begrenzte Verbreitung dieser Unsterblichkeitsvorstellungen zu verweisen. Anders wäre der Spott über christliche Auferstehungsvorstellungen nicht erklärbar, von dem christliche Apologeten berichten (u. a. Justin: 1. Apol. 8,5, SC 507, 146; Tertullian: Apol. 47,12-14, CC.SL 1, 164 f.; Origenes: Cels V, 14, SC 147, 48-50).
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die δικαιοσύνη (»Gerechtigkeit«) als Gegenstand der ἐλπίς, was die Wiedergabe mit »erhoffte Gerechtigkeit« nahelegt. 39 Dies mag auf den ersten Blick irritieren 40, doch ist traditionsgeschichtlich die bei Paulus auch in 1Thess 1,9 f. bezeugte Vorstellung der eschatologischen Rettung im antiken Judentum breit verankert. 41 In Röm 5,2 greift Paulus mit der Wendung »Herrlichkeit Gottes«, auf die sich die Hoffnung richtet, auf Röm 3,23 zurück, wo er »den Verlust dieser Herrlichkeit als Unheilsfolge der menschlichen Sünde festgestellt hatte … Die Erfüllung der Hoffnung auf den Wiedergewinn der Herrlichkeit Gottes ist Paulus so gewiss, dass er schon die Hoffnung auf sie als ein Heilsgut darstellen kann, dessen sich die Glaubenden ›rühmen‹ können.« 42 Die Hoffnung der Glaubenden ist der Modus, »in dem das von der Zukunft erwartete eschatische Heil … bereits in der Gegenwart präsent ist.« 43 Bei Röm 8,24 sind zum Begriffsgebrauch Aspekte zu beobachten, die schon bei der innergeschichtlichen Hoffnung zu beachten waren: »Das dankbare Bekenntnis ›gerettet‹ ist immer noch ein Bekenntnis der Zuversicht und nicht die Feststellung einer abgeschlossenen Handlung. Es enthält das Wagnis des Widerspruchs gegen den Augenschein und stellt vor die Aufgabe der Ausdauer.« 44 In den Deuteropaulinen ist eine Verschiebung gegenüber Paulus im Begriffsgebrauch festzustellen. Die Wortfamilie ἐλπίς wird ihres anthropologischen Gehaltes entkleidet 45 und bezeichnet in Kol 1,4 wie Eph 1,18 nur noch das jenseitige Hoffnungsgut. Dabei wird auf eine apokalyptische Tradition zurückgegriffen, dergemäß »zukünftiges Heil und Unheil schon immer in Gottes himmlischer Jenseitigkeit bereitliegen, bevor sie in eine allgemein wahrnehmbare Realität überführt werden«. 46 In Eph 1,18 ist das Syntagma ἐλπὶς τῆς κλήσεως (»Hoffnung der Berufung«) wohl gen. qualitatis 47; ἐν τοῖς ἁγίοις (»unter den Heiligen«) kann sich auf gegenwärtige lebende wie auf
39. In der Wendung ἐλπίδα δικαιοσύνης in Gal 5,5 ist wie bei den Wendungen καινότητι πνεύματος und παλαιότητι γράμματος in Röm 7,6 in Analogie zu Grundregeln der hebr. Grammatik die doppelte Determination vermieden. Der Gen. δικαιοσύνης bezeichnet dann nicht die Quelle der Hoffnung und ist wohl auch nicht als genitivus epexegeticus aufzufassen (so aber Matera: Galatians, 182). Nach ἀπεκδέχομαι wie nach ἐλπίδα erwartet man die Angabe eines konkreten Objektes. Dass es um eschatologische Hoffnung geht, ist dadurch nahegelegt, dass Paulus den Begriff ἀπεκδέχομαι grundsätzlich in eschatologischen Zusammenhängen verwendet (1Kor 1,7; Phil 3,20; Gal 5,5; Röm 8,19.23.25. Er bezeichnet weniger die ungewisse Hoffnung als die gewisse Erwartung (Keener: Galatians, 458). 40. Vielleicht kommt es bei der ἔλπις in Gal 5,5 überhaupt weniger auf die Zukünftigkeit der erhofften δικαοισύνη denn vielmehr auf Gott als den Urheber der δικαοισύνη an (de Boer: Galatians, 316). 41. Vgl. 1QS IV17-20; äthHen 5,8 f.; 10,16; PsSal 17,32. 42. Wolter: Römer I, 322 (Hervorhebungen Wolter). 43. Wolter: Römer I, 322 f.; ähnlich ebd. 520, zu Röm 8,24 f. 44. Haacker: Römer, 166. 45. Bormann: Kolosser, 63, der allerdings betont, dass der Hoffnung ein dynamischer Aspekt innewohnt, da sie Glaube und Liebe bewirkt. In Kol 1,27 ist ἡ ἐλπὶς τῆς δόχης Näherbestimmung zu Χριστὸς ἐν ὑμῖν (Hübner: Kolosser, 71), die Zukunftsbezug und Relevanz der Christusbindung gleichermaßen herausstellt. 46. Wolter: Kolosser, 52, mit Verweis auf 4Esr 7,14.77; äthHen 11,1; 25,7; syr Bar 4,3.7 u. a. 47. Sellin: Epheser, 130.
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Hoffnung
vollendete Christen bzw. die Engel beziehen. 48 Die Gewissheit der Hoffnung ist begründet in Gott als demjenigen, der in die eine Kirche hinein beruft (Eph 4,4); das soll aber auch zu einem entsprechenden Lebenswandel motivieren (Eph 4,1). Im Hebräerbrief ist die Wortfamilie ἐλπίς mit zentralen Anliegen und unverwechselbaren Characteristica des Schreibens verknüpft, nämlich mit der Hohepriesterchristologie. Hoffnung »bietet Orientierung über die vorfindliche Lebenswelt hinaus« 49, ist die Verankerung der Gemeindeglieder im himmlischen Raum 50, »Zuflucht, die die vorfindliche Welt überschreitet«. 51 Der Begriff ἐλπίς meint in Hebr 6,18 »das gleichsam objektive Hoffnungsgut, die ›res sperata‹, die zwar gegenwärtig noch ›vor‹ (προ-) den Christen liegt, gerade so aber – wie dann sogleich V. 19 zeigt (ἣν … ἔχομεν) – zugleich einen Grund hat, der schon gelegt ist.« 52 Hebr 10,19-25 benennt, als summierender Rückblick auf Hebr 7,1-10,18 den Grund der Hoffnung in dem hohenpriesterlichen Wirken Christi und verweist in V. 23b nochmals auf die Treue Gottes 53, die solche Hoffnung unbedingt gewiss macht. Der Hinweis auf den in der Heiligen Schrift (Gen 22,16 f.) bezeugten Eid Gottes soll die Unverbrüchlichkeit seiner Verheißung unterstreichen; diese soll die Adressaten zum Festhalten an der zukünftigen Hoffnung motivieren. 54 Auch im Ersten Petrusbrief bezeichnet die Wortfamilie ἐλπίς die in der Gegenwart begründete Zukunftsdimension christlicher Existenz 55, über deren Grund man gegenüber Nichtglaubenden Rechenschaft ablegen können muss (1Pt 3,15). 56 Die Wendungen »die auf Gott gesetzte Hoffnung« und »auf Gott hoffen«, die schon in der LXX vorkommen, wie auch in den pseudepigraphischen Texten des Alten Testaments und in der jüdisch-hellenistischen Literatur, tauchen sowohl in den Spätschriften des Neuen Testaments als auch bei den Apostolischen Vätern auf. In 1Tim 4,10 ermahnt der Verfasser den Adressaten, ein guter Diener Jesu Christi zu sein und fromm zu leben. 57 Er erinnert ihn an die Grundlagen ihrer Hoffnung, die auf den 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54.
55. 56.
57.
Sellin: Epheser, 131. An die vollendeten Christen denkt Pokorný: Epheser, 80. Karrer: Hebräer I, 199, mit Verweis auf Röm 5,2: Kol 1,23, ähnlich ders.: Hebräer II, 221. Karrer: Hebräer II, 48. Karrer: Hebräer II, 52. καταφεύγω (Hebr 6,18) ist Terminus der Asylsuche. Weiss: Hebräer, 365. Zur Wendung καύχημα τῆς ἐλπίδος (Hebr. 3,6) verweist Karrer: Hebräer I, 198 f., auf das Motiv »Gott als Israels Ruhm« in Dtn 10,21 LXX. Daß Gott nicht lügen kann, ist biblischer (vgl. 1 Sam 15,29MT; Num 23,19) und frühjüdischer (vgl. Philo: Vit.Mos. I, 283, zu Num 23,19) Grundsatz, der aber auch einem Angehörigen des griechisch-römischen Kulturkreises einleuchtet. Die Lebendigkeit der Hoffnung (1Pt 1,3) meint wohl deren Gewissheit (Brox: Der Erste Petrusbrief, 61). Gemeint sind kritiche Rückfragen von Nichtglaubenden, die sich im sozialen Miteinander von Glaubenden und Nichtglaubenden ergeben; gemeint sind nicht speziell Christenprozesse (Brox: Der Erste Petrusbrief, 139 f.). Tit 2,13; 3,7 stellen klar, dass die Hoffnung auf die Parusie Christi und auf das ewige Leben den lebensbegleitenden, zu ethischem Handeln motivierenden Horizont darstellen, wie dies auch sonst im Neuen Testament häufig begegnet. Wird in 1Tim 6,17 die Hoffnung auf Gott der verfehlten Hoffnung auf den unsicheren Reichtum entgegengesetzt, so wirkt auch hier die alttestamentliche wie paulinische Konzeption der in Gott als gegenüber verbürgten unbedingten Gewissheit der Hoffnung nach.
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Termini und Themen der Septuaginta
lebendigen Gott gesetzt ist (ἠλπίκαμεν ἐπὶ θεῷ ζῶντι), auf den Gott, der der Retter eines jeden Menschen (ὅς ἐστιν σωτὴρ πάντων ἀνθρώπων), insbesondere der Gläubigen (μάλιστα πιστῶν 58) ist. In diesem Vers wird das Verb ἐλπίζω mit der Präp. ἐπί + Dat. gebildet, und dieser Ausdruck heißt »auf Gott hoffen«. Dieses Verb hat auch diese Bedeutung in Barn 19,7c. 59 Im Kap. 18-20 fordert der Autor den Leser dazu auf, einer Liste der Gebote zu folgen. Er schreibt z. B. im Kap. 19, dass man gegen seinen Diener oder seine Magd, die auf denselben Gott hoffen (τοῖς ἐπὶ τὸν αὐτὸν θεὸν ἐλπίζουσιν), nicht zu hart sein soll. Im Unterschied zu dem vorhin erwähnten Beispiel (1Tim 4,10) wird das Verb ἐλπίζω mit der Präp. ἐπί + Akk. gebildet. Dasselbe gilt für 1Clem 11,1. Klemens von Rom nimmt Gen 19 wieder auf, und er betont, dass Lot durch seine Gastfreundlichkeit und seine Frömmigkeit aus Sodoma gerettet wurde. 60 Er fügt hinzu, dass der Herr diejenigen, die auf ihn hoffen (τοὺς ἐλπίζοντας ἐπ᾽ αὐτόν), nicht im Stich lässt, aber dass er die Widerspenstigen in Strafe und Qual stürzt. Daneben kann ἐλπίς in 1Clem 27.1 inhaltlich gefüllt werden als Hoffnung auf die Auferweckung von den Toten, wie sie in Ps 3,6; Hi 19,26 als bezeugt gilt. Eine ähnliche Bedeutung wie »Gott als die Hoffnung« ist bei Ignatius, IgnTrall 2,2 zu finden. In diesem Brief ermuntert Ignatius von Antiochia die Gemeinde von Tralles, vor den Falschlehren zu fliehen, und er ermutigt sie, unter der Obhut des Bischofs Polybius vereint im Gebet zu bleiben. Im 2. Kap. des Briefes wiederholt er die Notwendigkeit, nicht ohne die Zustimmung des Bischofs zu handeln, und den Aposteln zu gehorchen. Er betont, dass die Apostel »die Apostel Jesu Christi, unserer Hoffnung« sind (ἀπόστολοι Ἰησοῦ Χριστοῦ τῆς ἐλπίδος ἡμῶν). In diesem Fall ist das Wort ἐλπίς in Kontinuität zu Ps 21,10LXX zu verstehen. Wenn Ignatius Jesus Christus als »unsere Hoffnung« kennzeichnet, ist es, als ob er sagen würde, dass Gott »unsere Hoffnung« ist, weil er an Jesu Christi Göttlichkeit glaubt. 61
5. Abschließende Bemerkung Nach dieser Analyse mancher Belege des Substantivs ἐλπίς »Hoffnung« und des Verbes ἐλπίζω »hoffen« in der LXX wird klar, dass der Begriff »Hoffnung«, der der LXX eigen ist, eine religiöse und existentielle Bedeutung in Bezug auf das menschliche
58. Der Ausdruck ὅς ἐστιν σωτὴρ πάντων ἀνθρώπων μάλιστα πιστῶν wurde verschieden interpretiert. Näheres bei Gourgues: Les deux lettres à Timothée, 164-169. Gourgues liest 1Tim 4,10 angesichts Tit 3,4, und er betrachtet den Glauben in Christus als der privilegierte Zugang zu Gott, vgl. Gourgues: Les deux lettres à Timothée, 166. 59. Der Barnabasbrief ist eine Abhandlung in der Form eines Briefes. Vgl. Barnabé: L’Épître de Barnabé, 9. 60. Die Tatsache, dass der Autor in 1Clem 10,7-12,6 die Tugend der Gastfreundlichkeit von Abraam, Lot und Rachab betont, sollte eine Lehre für die Korinther, eine Anspielung auf ihre mangelnde Gastfreundlichkeit sein. Vgl. Clément de Rome: L’Épître, 117. 61. Ignatius definiert Jesus Christus ausdrücklich als Gott (θεοῦ Ἰησοῦ Χριστου) z. B. in IgnTrall 7,1. Daneben kennt der Autor auch den normalen Gebrauch im Sinne einer konkreten positiven Zukunftserwartung (IgnEph 10,1) und den Gebrauch im Sinne der Jenseitshoffnung (IgnTrall prooem.).
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Hoffnung
Schicksal bekommt. Die drei Ausdrücke (»die auf Gott gesetzte Hoffnung«, »auf Gott hoffen« und »Gott als Hoffnung« des Gläubigen) haben eine starke Auswirkung auf die spätere jüdische und christl. Literatur gehabt.
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2.2 Texte der Septuaginta 2.2.1 Pentateuch 2.2.1.1-4 Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri Martin Meiser
1. Texte aus Genesis Literatur Texte, Editionen, Übersetzungen Genesis, ed. Bonifatius Fischer, Vetus Latina 2, Freiburg 1951-1954. Ambrosiaster: Quaestiones Veteris et Novi Testamenti, ed. Alexander Souter, CSEL 50, Prag / Wien / Leipzig 1908, 1-416 – Ambrosius: Exaemeron, ed. Carl Schenkl, CSEL 32/1, Prag / Wien / Leipzig 1896, 1-261 – Anastasius Sinaita: Anagogicarum contemplationum in Hexaemeron ad Theophilum libri duodecim, PG 89, 851 A-1078 – Anastasius Sinaita: Quaestiones et Responsiones, PG 89, 311 A-824 C – Anastasius Sinaita: Quaestiones et responsiones, ed. Marcel Richard / Joseph A. Munitiz, CC.SG 59, Turnhout 2006 – Augustinus: De Genesi ad litteram libri duodecim, ed. Joseph Zycha, CSEL 28/1, Prag / Wien / Leipzig 1889, 1-456 – Augustinus: De Genesi ad litteram liber imperfectus, ed. Joseph Zycha, CSEL 28/1, Prag / Wien / Leipzig 1889, 457-503 – Augustinus: De Genesi contra Manichaeos, ed. Dorothea Weber, Wien 1998 – Augustinus: Quaestionum in Heptateuchum libri VII, ed. Jean Fraipont, CC.SL 33, Turnhout 1958, 1-377 – Augustinus: Sermones de Vetere Testamentum, ed. Cyril Lambot, CC.SL 41, Turnhout 1961 – Basilius Caes.: Sur l’origin de l’Homme, ed. Alex Smets / Michel van Esbroeck, SC 160, Paris 1970 – Basilius Caes.: Homélies sur l’hexaéméron, ed. Stanislas Giet, SC 26, Paris 21968 – Basilius Caes.: Homilien zum Hexaemeron, ed. Emmanuel Amand de Mendieta / Stig Y. Rudberg, GCS NF 2, Berlin / New York 1997 – La Chaîne sur la Genèse. Édition intégrale, Vol. I, Chapitres 1 à 3, texte établi par Françoise Petit, TEG 1, Leuven 1992, Vol. II, Chapitres 4 à 11, texte établi par Françoise Petit, TEG 2, Leuven 1993 – Clemens Alex.: Excerpta ex Theodoto, ed. Otto Stählin, GCS 17, Leipzig 1909, 103-133 – Clemens Alex.: Protrepticus, hg. Otto Stählin, 3. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 12, Berlin 1972, 1-86 – Collectio Coisliana in Genesim, ed. Françoise Petit, CC.SG 15, Turnhout 1986 – Cyprianus Gallus: Heptateuchus, ed. Rudolf Peiper, CSEL 23, Prag / Wien / Leipzig 1891 – Cyrillus Alex.: Gegen Julian, ed. Christoph Riedweg, 2 Bde., GCS NF 20/21, Berlin / Boston 2016-2017 – Cyrillus Alex.: Glaphyra, PG 69, 9 A678 C – Didymus Alex.: Sur la Genèse, texte inédit d’après un papyrus de Toura, ed. Pierre Nautin, Bd. 1, SC 233, Paris 1976, Bd. 2, SC 244, Paris 1978 – Eusebius Emes.: Commentaire de la Genèse. Texte arménien de l’édition de Venise (21980). Fragments grecs et syriaques. Avec traductions par Françoise Petit / Lucas van Rompay / Jos. J. S. Weitenberg, TEG 15, Leuven / Walpole 2011 – Filastrius: Diversarum haereseon liber, ed. Friedrich Marx, CSEL 38, Prag / Wien / Leipzig 1898 – Gregorius Nys.: In hexaemeron, ed. Hubert R. Drobner, GNO IV/1, Leiden 2009 – Hippolytus Rom.: Refutatio omnium haeresium, ed. Paul Wendland, GCS 26, Leipzig 1916 – Johannes Chrysostomus: Homiliae in Gen., PG 53, 21-54, 580 – Johannes Chrysos-
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Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri
tomus: Sermons sur la Genèse, ed. Laurence Brottier, SC 433, Paris 1998 – Johannes Philoponos: De opificio mundi / Über die Erschaffung der Welt, ed. Clemens Scholten, FC 23,1-3, Freiburg 1997 – Justinus Martyr: Apologie pour les Chrétiens, ed. Charles Munier, SC 507, Paris 2006 – Origenes: Die Homilien zu Genesis (Homiliae in Genesim), ed. Peter Habermehl, Origenes Werke VI/1, Homilien zum Hexateuch in Rufins Übersetzung, GCS NF 17, Berlin / Boston 2012 – Origenes: Die neuen Psalmenhomilien. Eine kritische Edition des Codex Monacensis Graecus 314, ed. Lorenzo Perrone u. a., GCS NF 19, Berlin / München / Boston 2015 – Procopius Gaz.: Eclogarum in libros historicos Veteris Testamenti epitome, Teil 1: Der Genesiskommentar, ed. Karin Metzler, GCS NF 22, Berlin / München / Boston 2015 – Ps.-Athanasius: Quaestiones in Scripturam, PG 28, 711 A-774 A – Tertullian: Adversus Hermogenem, ed. Aemilius Kroymann, CC.SL 1, Turnhout 1954, 395-435 – Theodoret: Quaestiones in Octateuchum, ed. John F. Petruccione, Vol 1, OECT 1, Oxford 2007 – Vicebodus: Quaestiones in Genesim, PL 96, 1101 C-1168 B.
Weitere Literatur Amirav, Hagit: Rhetoric and Tradition. John Chrysostom on Noah and the Flood, TEG 12, Leuven 2003 – Alexander, Monique: L’exégèse de Gen 1,1-2a dans l’Hexaemeron de Grégoire de Nysse: deux approches du problème de la matière, in: Heinrich Dörrie / Margarete Altenburger / Uta Schramm (ed.), Gregor von Nyssa und die Philosophie. Zweites internationales Kolloquium über Gregor von Nyssa, Leiden 1976, 159-192 – Blowers, Paul M.: From Nonbeing to Eternal Well-Being: Creatio ex nihilo in the Cosmology and Soteriology of Maximus the Confessor, in: Geert Roskam / Joseph Verheyden (ed.), Light on Creation, STAC 104, Tübingen 2017, 169-185 – Henke, Rainer: Basilius und Ambrosius über das Sechstagewerk. Eine vergleichende Studie, Chrêsis 7, Basel 2000 – Jervell, Jacob: Imago Dei. Gen 1,26 f. im Spätjudentum, in der Gnosis und in den paulinischen Briefen, FRLANT 76, Göttingen 1960 – Köckert, Charlotte: Christliche Kosmologie und kaiserzeitliche Philosophie. Die Auslegung des Schöpfungsberichtes bei Origenes, Basilius und Gregor von Nyssa vor dem Hintergrund kaiserzeitlicher Timaeus-Interpretationen, STAC 56, Tübingen 2009 – May, Gerhard: Schöpfung aus dem Nichts. Die Entstehung der Lehre von der creatio ex nihilo, AKG 48, Berlin / New York 1978 – Rösel, Martin: Übersetzung als Vollendung der Auslegung. Studien zur Genesis-Septuaginta, BZNW 223, Berlin / New York 1994 – van der Horst, Pieter Willem: Was the Earth »Invisible«? A Note on ἀόρατος in Genesis 1:2 LXX, JSCS 48 (2015), 5-7.
1.1 Gen 1,2 Die Wiedergabe von »( ובהו תהוwüst und leer«) durch ἀόρατος καὶ ἀκατασκεύαστος (»unsichtbar und ungestaltet«) in Gen 1,2a, aber auch das Imperfekt ἦν, wirft zu beiden Begriffen Fragen des Verstehens und der Wertung auf. 1 Philon von Alexandria hat ἀόρατος mit Hilfe der platonischen Ideenlehre gedeutet 2 – Die Unsichtbarkeit kommt der Ewigkeit zu (Opf. 9), die nur für die Ideen 1.
2.
Allerdings ist mindestens die christliche Rezeption der Stelle her auch von der Diskussion um die Begriffe ἄβυσσος und πνεῦμα bestimmt. Das πνεῦμα wurde zunächst auf den Heiligen Geist bezogen (Origenes: Hom. 2 in Ps. 36, GCS NF 19, 549; Basilius Caes.: Hex. 2,6, GCS NF 2, 31; Gregorius Nyss.: Hex., GNO IV/1, 31; Augustinus: Qu. Gen. 134, CC.SL 33, 51), dann als belebende Kraft (Johannes Chrysostomus: Hom. Gen. 3,1, PG 53,33), dann als Wind gedeutet (Severianus Gabal.: Creat. 1,4, PG 56, 434; Theodoret: Qu. Gen. 8 [Fernández Marcos / Sáenz Badillos 12 f.]), schließlich als Feuersphäre (Johannes Philoponos: Opf. II, 2, FC 23/1, 188). Philo: Opf. 29. Allerdings lässt sich, so Rösel: Übersetzung, 32, das folgende ἀκατασκεύα-
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Pentateuch
im Sinne Platons, aber nicht für die sichtbare Welt gegeben ist – und damit der Aussage eine positive Richtung gegeben. Umstritten ist Philons Position in der Frage der Ewigkeit der ungestalteten Materie; die folgenden, unvollständigen Ausführungen können das Problem nur andeuten. Einerseits kann er den κόσμος als γενητὸν καὶ ἄφθαρτον bezeichnen 3, andererseits findet sich als Beweis der Übereinstimmung Platons mit Mose die These, Wasser, Finsternis und Chaos seien schon vor der Welt vorhanden gewesen. 4 Der Begriff ἀκατασκεύαστος aus Gen 1,2a wird bei Philo nicht näher interpretiert. Josephus zufolge ist die Erde nicht sichtbar wegen der vor der Erschaffung des Lichtes herrschenden generellen Finsternis. 5 Da wo Gen 1,2a nicht im Sinne der platonischen Ideenlehre gedeutet wird, ist für die Begriffe ἀόρατος und ἀκατασκεύαστος eine Auslegung im Sinne des Defizitären gegeben. Schon in gnostischer Exegese kann mit beiden Begriffen der ungeordnete Zustand der Materie beschrieben sein. 6 Für den Begriff ἀόρατος finden sich in großkirchlicher Exegese kontextbasierte Auslegungen von Gen 1,3 und von Gen 1,6 oder von Gen 1,26 her: Die Erde ist nicht sichtbar wegen der vor der Erschaffung des Lichtes herrschenden generellen Finsternis 7 oder wegen der noch nicht erfolgten Teilung der Wassermassen, so dass sie unter dem Wasser unsichtbar war 8 oder weil noch kein Mensch da war, der sie hätte anschauen können. 9 Eine andere Deutung besagt, die Erde sei ungeordnet gewesen 10 und sei es damals noch nicht wert gewesen, dass man sie ansieht.
3.
4. 5. 6. 7.
8.
9.
10.
στος unter dieser Prämisse nicht recht erklären. Philo spielt aber nicht auf Platon, Timaios 51a an, wo die Begriffe ἀνόρατον εἷδός τε καὶ ἄμορφον begegnen. Philo: Aet. 19, mit Verweis auf Gen 1,1 f., ohne dass Gen 1,2 näher ausgelegt wird. Die Schrift ist m. E. vor allem als Stellungnahme gegen die stoische Theorie von einem (zyklischen) Weltende durch Weltenbrand zu lesen. Philo: Prov. I, 22. Josephus: Ant. I, 27. Zu christlichen Analogien s. u. Tertullian: Adv. Hermog. 23,1, CC.SL 1, 416. Origenes: Hom. Gen. 1,1, GCS NF 17, 2; Acacius Caes.: In Collectio Coisliana in Genesim, CC. SG 15, 18; Ambrosius: Exaemeron I, 7/26, CSEL 32/1, 25; Johannes Philoponos: Opf. IV, 1, FC 23/ 2, 372. Tertullian: Adv. Hermog. 29,4, CC.SL 1, 421; Basilius Caes.: Hex. 2,2, SC 26, 156; Basilius Caes. in: La Chaîne sur la Genèse, TEG 1, 9; Johannes Chrysostomus: Hom. Gen. 3,2, PG 53, 34; Ps.Athanasius: Qu. Script. 47, PG 28, 729 C; Eusebius Emes.: In Gen. 3, TEG 15, 28; Theodoret: Qu. Gen. 5, OECT 1, 18; Cyprianus Gallus: Heptateuchus, 2, CSEL 23,1; Severianus Gabal. bei Procopius Gaz.: In Gen., GCS NF 22, 14; Johannes Philoponos: Opf. II, 2, FC 23/1, 184; IV, 1, FC 23/ 2, 372; Ambrosiaster: Qu. 106,6, CSEL 50, 238. Severianus kommt auch auf die Übersetzung κένη bei Aquila zu sprechen, die er als Alternative zu ἀόρατος, nicht zu ἀκατασκεύαστος auffasst und mit ἀκόσμητος inhaltlich erklärt, dieses wiederum mit Verweis auf die noch nicht erfolgte äußere Gestaltung der Landschaft (Gen 2,5 f.) näher umschreibt. Basilius, in: Collectio Coisliana in Genesim, CC.SG 15, 21. Acacius von Caesarea antwortet, dass die Erde, auch wenn schon ein Mensch vorhanden gewesen wäre, sie zu betrachten, aufgrund der sie bedeckenden Wassermassen unsichtbar blieb. Dass sie für Gott nicht sichtbar gewesen sein sollte, dürfe man nicht sagen (Acacius Caes., in: Collectio Coisliana in Genesim, CC.SG 15, 19). Ambrosius zufolge hatte Gott auf die Erde noch nicht sein Augenmerk gerichtet, »denn um des Menschen willen ist die Erde erschaffen, und ihm gilt das eigentliche Interesse Gottes« (Henke: Ambrosius und Basilius, 188). Severianus Gabal., in: La Chaîne sur la Genèse. Édition intégrale, Vol. I, Frgm. 14, TEG 1, 9.
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Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri
Der Begriff ἀκατασκεύαστος verweist in gnostischer Exegese auf die formlose und ungeordnete Masse, die die Sophia hervorbringt. 11 Die Ewigkeit der Materie hat Hermogenes wie dann später Julian Apostata und die bei Augustinus genannten »Häretiker« speziell aus dem Imperfekt ἦν in Gen 1,2 abgeleitet. 12 Auch Justin der Märtyrer versteht Gen 1,2 als Aussage über die ungeordnete präexistente Materie, ohne dass der Gedanke, sie sei von Gott erschaffen, expliziert würde. 13 Nach den uns vorliegenden Quellen war sein Schüler Tatian der erste, der, vermutlich in Auseinandersetzung mit Markioniten, die Annahme zurückgewiesen hat, dass die Materie ein ungewordenes Prinzip sei. Für Theophilos von Antiochia beschreibt Gen 1,2a ebenfalls, platonisierender Tradition folgend, den Zustand der Materie vor ihrer Gestaltung. doch gilt die Materie als von Gott erschaffen. 14 Origenes hält, anders als es die mögliche Anlehnung an Platon, Timaios 51a in Gen 1,2 nahelegen könnte, unter Verweis auf 2Makk 7,28 die Materie nicht für ewig, sondern für geschaffen. 15 Basilius von Caesarea grenzte sich von der seit Philon und Origenes bezeugten, dann bei Ambrosius wiederholten Identifizierung der Erde mit der Hyle ab. 16 Gregor von Nyssa fragt, wie durch den immateriellen Gott die Materie geschaffen sein kann und verweist aus das Zusammenwirken von Gottes Weisheit und Gottes Schöpferkraft – das Wollen kommt bei ihm uneingeschränkt zur Verwirklichung. Der Begriff ἀκατασκεύαστος bezieht sich darauf, dass die körperliche Realität nur in der Verbindung von Qualitäten (kalt / warm, hart / weich) existiert, die ihrerseits nichts anderes als ἔννοιαι sind. 17 In seiner zweiten Auslegung zu Gen 1,2a innerhalb von In hexaemeron betont er unter Verweis auf die Übersetzungen bei Symmachus, Theodotion und Aquila gut aristotelisch, dass die Erde in der Möglichkeit (δύναμις), aber noch nicht in der Wirklichkeit (ἐνέργεια) als Erde vorhanden war. 18 Gegen die Behauptung der Ewigkeit der Materie hält Augustinus fest, dass sich die Begriffe invisibilis et inconparata auf die auf die Ungeformtheit der körperlichen Ma-
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13. 14. 15. 16. 17. 18.
Van der Horst: Earth, 7, greift diese Deutung als vom Übersetzer der Septuaginta intendiert wieder auf. Hippolyt: Ref. VI, 30,9, GCS 26, 158. Clemens Alex.: Excerpta ex Theodoto 47,4, GCS 17, 122, spiegelt eine Auffassung wider, dergemäß ἀόρατον i. S. von ἀσώματον zu verstehen sei und sich auf die Körperlosigkeit und Gestaltlosigkeit der hylischen im Unterschied zur psychischen Substanz bezieht (May: Schöpfung, 107 mit Anm. 218). Traditionsgeschichtlicher Hintergrund dürfte Sap 11,17 (in der Anrede an Gott: ἡ … σου χεὶρ … κτίσασα τὸν κόσμον ἐξ ἀμόρφου ὕλης) sein (May: Schöpfung, 108). Tertullian: Adv. Hermog. 23,1, CC.SL 1, 416; Cyrillus Alex.: C. Iul. II, 19, GCS NF 20, 112; Augustinus: Gen Litt. Imp. 4, CSEL 28/1, 465. Zu den mittelplatonischen Parallelen vgl. May: Schöpfung, 145 f. Auch Clemens Alex., Strom. V, 90,1, GCS 52, 385 hat Gen 1,2a auf die ungeordnete Materie bezogen. May: Schöpfung, 124, in Interpretation von Justinus Martyr: 1.Apol. 59,1-5, SC 507, 282-284. May: Schöpfung, 153 f. 165 f. Origenes: Princ. IV, 4,6-8, GCS 22, 357. Henke: Basilius und Ambrosius, 109. Gregorius Nyss.: Hex. 7, GNO IV/1, 15 f. Gregorius Nyss.: Hex. 17, GNO IV/1, 28. Zu dieser Passage vgl. Alexander: L’exégèse de Gen 1,1-2a, 169 f.
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Pentateuch
terie beziehen, 19 die aber, so Gen 1,1, ebenfalls von Gott geschaffen sei. 20 Aus Gen 1,1 f. lässt sich, so Augustinus schon zuvor gegen die Manichäer, die Ablehnung des alttestamentlichen Gottes als einer Potenz, die in ihrem Schöpfungshandeln von der Existenz der Materie abhängig sei, nicht belegen. 21 Mit Hilfe von Jes 45,9 v. l. (Ποιῶν βέλτιον κατεσκεύασα σε ὡς πηλὸν κεράμεως 22) lässt sich ἀκατασκεύατος als ἀκόσμητος präziser fassen: So wie der ungeformte Ton durch den Töpfer zu seinem brauchbaren Gefäß wird, so wie er es haben will, so impliziert das Schöpfungshandeln Gottes eine Wendung zum Besseren. 23 Nach Johannes Chrysostomus zielt der mit dem Begriff angezeigte defizitäre, aber dann von Gott geänderte Zustand auf das Staunen über den Schöpfer 24, nach Ambrosius wehrt er der Vorstellung der Ewigkeit der Materie. 25 Naturwissenschaftlich steht für Johannes Philoponos fest, dass der Begriff den Zustand bezeichnet, bevor das Trockene sichtbar, das eigentlich charakteristische der Erde und ihre zeugende Potenz (γεννητική … δύναμις). 26
1.2 Gen 1,26 Von Bedeutung für die Rezeptionsgeschichte war nicht nur der Begriff εἰκών, sondern auch, dass das Stichwort ὁμοίωσις in Gen 1,26 eine Erinnerung u. a. an Platons Formel ὁμοίωσις τῷ θεῷ κατὰ δύνατον evozieren konnte. Platon hatte diese Worte u. a. mit der Wendung δίκαιον καὶ ὅσιον μετὰ φρονήσεως γενέσθαι umschrieben. 27 Die ethische Deutung von Gen 1,26 f. mit Hilfe des Begriffes ὁμοίωσις führt in der Frühzeit in der valentinianischen Gnosis sowie bei den pseudoclementinischen Homilien gelegentlich zu einer Überordnung der ὁμοίωσις über die εἰκών, – εἰκών ist der choische, ὁμοίωσις der psychische Mensch – während bei Satornil das umgekehrte Verhältnis vorliegt. 28 Clemens knüpft explizit an Platon an 29, bezieht daneben aber auch Dtn 13,4 ein, dessen Anfangsworte ὀπίσω κυρίου τοῦ θεοῦ ὑμῶν πορεύεσθε er mit dem Begriff ἀκολουθία systematisiert und von da aus auf Lk 6,36 30 sowie auf die stoische Telosformel in der Formulierung bei Chrysipp verweist (ἀκολούθως τῇ 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26.
27. 28. 29. 30.
Augustinus: Gen. Litt. I, 1, CSEL 28/1, 5; ähnlich Ambrosiaster: Qu. 106,6, CSEL 50, 238. Augustinus: Gen. Litt. Imp. 4, CSEL 28/1, 465. Augustinus: Gen. Man. 1,5, CSEL 91, 71. Diese Variante bietet zwei Besonderheiten, auf denen ihre Exegese beruht: ποιῶν statt ποῖον und die Einführung des σε. Procopius Gaz.: In Gen., GCS NF 22, 14 f. Johannes Chrysostomus: Serm. in Gen. 1,3, SC 433, 168, aufgenommen auch bei Procopius Gaz.: In Gen., GCS NF 22, 15. Ambrosius: Exaemeron I, 7/27, CSEL 32/1, 25. Johannes Philoponos: Opf. IV, 1,10, FC 23/2, 372. 406, an letzterer Stelle in den Zusammenhang der u. a. von Aristoteles: Metaph. 2,4, 360a22-25 dargestellten Lehre von den vier Urelementen Feuer, Wasser, Luft und Erde eingestellt. Platon: Theaetet 176b. Belege bei Jervell: Imago Dei, 166 f. Clemens Alex.: Protr. 122,4, GCS 12, 86. Ähnlich ein nicht identifizierbarer Autor bei Procopius Gaz.: In Gen, GCS NF 22, 69, der zusätzlich auf Gal 4,19 verweist. Eine ethische Deutung ohne expliziten Bezug auf Platon an dieser Stelle vertreten auch Johannes Chrysostomus: Serm. Gen 3,1, SC 433, 204, mit Deutung auf
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Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri
φύσει ζῆν). 31 Darüber hinaus verweist er auf eine bestimmte Interpretation von Gen 1,26 f., der gemäß der Mensch bei der Schöpfung die Ebenbildlichkeit empfangen habe, die Ähnlichkeit aber erst später bei der Endvollendung empfangen werde. 32 Später, bei Origenes, liegt diese Deutung tatsächlich vor, und sie lässt als ihren Hintergrund eine exegetische Beobachtung erkennen: In der Ankündigung der Menschenschöpfung Gen 1,26 ist von der εἰκών und von der ὁμοίωσις, in der Ausführung Gen 1,27 aber nur mehr von der εἰκών die Rede, so dass die Erschaffung der ὁμοίωσις eben noch aussteht. 33 Basilius von Caesarea führt die Deutung ethisch mit Hilfe von Mt 5,48; Kol 3,12; Gal 3,27 weiter: Die ὁμοίωσις erwerben wir mit Hilfe unseres sittlichen Strebens, mit Hilfe unserer auf Gott gerichteten προαίρεσις, die uns aufgrund der Gottebenbildlichkeit gegeben ist. 34 In der späteren Handschriftentradition zu Anastasius Sinaita wird auf Theodoret von Kyros die einfache Definition zurückgeführt: τὸ δὲ καθ’ ὁμοίωσιν ἡ τῆς ἀρετῆς κατὰ τὸ δύνατον ὁμοίωσις (»die Wendung καθ’ ὁμοίωσιν bezieht sich auf die Verähnlichung hinsichtlich der Tugend, soweit es dem Menschen möglich ist«). 35 Isidor von Sevilla unterscheidet die imago als die Ewigkeit und Unsterblichkeit und die similitudo als den Verstand, mit dem sich der Mensch vom Tier unterscheidet. 36 In antiker christlicher Exegese führt der Terminus ὁμοίωσις gelegentlich dazu, dass nach dem Ausgleich zu dem anthropologisch verstandenen Frage Ps 82[83],2 (ὁ θεός, τίς ὁμοιωθήσεταί σοι) gesucht wird. Augustinus löst die Frage mit dem Verweis darauf, dass Gott selbst in uns abtötet, was ihm nicht ähnlich ist. 37
1.3 Gen 4,26 Die Textdifferenz οὗτος (= Ενως) ἤλπισεν (= )החל זהvs. הוחל אזin dem Satz οὗτος ἤλπισεν ἐπικαλεῖσθαι τὸ ὄνομα κυρίου τοῦ θεοῦ ermöglicht bei passivischer Deutung des Indikativs ἐπικαλεῖσθαι 38 eine Interpretation der sperrigen Wendung υἱοὶ
31.
32. 33. 34. 35.
36. 37. 38.
die Demut; Ps.-Athanasius: Interpretationes ex V.T. 55, PG 28, 733C, und Anastasius Sinaita: Hex. VI, 6,5, OCA 278, 198 (Tugend der Liebe). Clemens Alex.: Strom. II, 100,3 f., GCS 52, 167 f.; ähnlich Strom. V, 94,6, GCS 52, 388. Zur Zuweisung der Formel ἀκολούθως (τῇ φύσει) ζῆν an Chrysipp vgl. Diogenes Laertios VII, 89 u. ö. Clemens Alex.: Strom. II, 131,6, GCS 52, 185. Origenes: Princ. III, 6,1, GCS 22, 280, der zusätzlich auf 1 Joh 3,2 verweist (ὁμοίοι αὐτῷ ἐσόμεθα). Basilius d. Gr.: Creat. I, 16 f., SC 160, 206-212. Auch Johannes Philoponos: Opif. VI, 7, FC 23/3, 522, bringt den Begriff der προαίρεσις ein. (Ps.-)Anastasius Sinaita: Qu., PG 89, 545 B (in CC.SG 59 nicht mehr enthalten); ähnlich Gregorius Nyss.: In La Chaîne sur la Genèse. Édition intégrale, Vol. I, Frgm. 133, TEG 1 :103; Filastrius, Haer. 109/137,2, CSEL 38, 107. Augustinus: Serm. V.T. 24,2-4, CC.SL 41, 326-328. bei Wicbodus: Liber quaestionum super librum Genesis, PL 96, 1133 A. Diese passive Interpretation des Infinitives begegnet etwa bei Didymus Alex.: In Gen., SC 233, 332; Cyrillus Alex.: Glaph. Gen II, 1,4, PG 69, 64; Theodoret: Qu. Gen. 47.2, OECT 1, 98 (er führt sie auf Aquila zurück) sowie in der Chaîne sur la Genèse Frgm. 577, TEG 2, 53, dort dem Eusebius von Emesa zugeschrieben. In der Chaîne sur la Genèse. Édition intégrale, Vol. I, Frgm. 617, TEG 1, 76 (ein fassbarer Autor wird hier nicht eindeutig genannt), wird auf die
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θεοῦ von Gen 6,2 als Nachkommen des Ενως. Zugleich wird damit das Problem beseitigt, wie sich eigentlich außermenschliche Wesen mit menschlichen Frauen vermischen können. 39
1.2 Gen 6,4 Die Übersetzung γίγαντες für גבריםin Gen 6,4LXX provoziert die Frage nach dem Vergleich mit den Giganten der griechischen Mythologie. Hierin sind antike jüdische Kommentatoren gespalten; Philo von Alexandria zufolge haben die γίγαντες mit den griechischen Giganten nichts zu tun; nach Josephus hingegen sind beide hinsichtlich ihrer Schlechtigkeit durchaus vergleichbar. 40 Ähnlich wie Philo, aber ohne auf ihn zu verweisen, behauptet Didymus von Alexandria, der Verweis auf die griechischen Giganten sei ein Eintrag von Ungläubigen in die Interpretation des Bibeltextes; die Bibel gebrauche γίγαντες als Umschreibung für kräftige Menschen. 41 Ohne Bezugnahme auf griechische Mythologie und ohne den Vorwurf einer Fehlinterpretation begegnet diese Deutung noch öfters. 42
2. Texte aus Exodus Literatur Editionen, Übersetzungen Flavius Josephus: Über die Ursprünglichkeit des Judentums (Contra Apionem), Band 2: Beigaben, Anmerkungen, griechischer Text, in Zusammenarbeit mit dem Josephus-Arbeitskreis des Institutum Judaicum Delitzschianum Münster, ed. Folker Siegert, Göttingen 2008. Ambrosius: De fide, ed. Otto Faller, CSEL 78, Wien 1962 – Ambrosius: Expositio Evangelii secundum Lucam, cura et studio Marcus Adriaen, CC.SL 14, Turnhout 1957, 1-400 – Andronicus Comnenus: Dialogus contra Iudaeos, PG 133, 797 A-922 C – Athanasius: De decretis Nicae-
39.
40. 41. 42.
passivische Deutung von Gen 4,26 explizit Bezug genommen. In der Vulgata begegnet die aktive Deutung invocare. Die Vetus Latina bietet durchgehend das Aktiv invocare (Fischer [ed.]: Genesis, 92 f.). Der Grundsatz θεὸς δὲ ἄνθρώπῳ οὐ μίγνυται begegnet bei Platon, Symp. 203 a, im Rahmen dessen, dass alles Dämonische zwischen Göttern und Menschen vermittelt, also den Göttern überbringt, was von Menschen kommt, und umgekehrt. Der Grundsatz ist aber verallgemeinerbar. Insgesamt vgl. Amirav: Rhetoric and Tradition, 84-94. Das Problem stellt sich für die alexandrinischen Exegeten, die häufig der Lesart ἄγγελοι θεοῦ in Gen 6,2 folgen, meist deshalb nicht, weil sie die »Engel« sehr stark mit der menschlichen Seele in Verbindung bringen (Amirav: Rhetoric and Tradition, 90). Philo: Gig. 58; Josephus: Ant. I, 73. Zu Philos Rezeption der Stelle s. den Beitrag von Jutta Leonhardt-Balzer in diesem Band (S. 470-473). Didymus Alex.: In Gen., SC 244, 36, mit Verweis auf Jes 3,2; Dtn 1,28; Num 13,33. Die Deutung auf die Körperkraft (und -größe) begegnet auch bei Kyrill: Glaph. Gen. II, PG 69, 56 A-B. Johannes Chrysostomus: Hom. Gen. 22,4, PG 53, 191; Theodoret: Qu. Gen. 48, OECT 1:102-104; La Chaîne sur la Genèse, Frgm. 616 (mit unterschiedlichen Zuweisungen), TEG 2, 75 f.
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nae synodi 22,3, AW 2, Berlin 2006, 1-45 – Athanasius: De synodis, AW 2, Berlin 2006, 231-278 – Augustinus: Contra Maximinum episcopum Arianum, PL 42, 743-814 – Augustinus: De civitate Dei, ed. Bernhard Dombard / Alfons Kalb, CC.SL 47, Turnhout 1955 / CC.SL 48, Turnhout 1955 – Augustinus: De Trinitate libri XV, ed. William John Mountain / François Glorie, CC. SL 50 / 50 A, Turnhout 1968 – Augustinus: De vera religione, ed. William M. Green, CSEL 77, Wien 1961 – Augustinus: Enarrationes in Psalmos, ed. D. Eligius Dekkers / Jean Fraipont, Bd. 1: Ps. 1-50, CC.SL 38, Turnhout 1956 = 1990; Bd. 2: Ps. 51-100, CC.SL 39, Turnhout 1956 = 1990; Bd. 3: Ps. 101-150, CC.SL 40, Turnhout 1956 = 1990 – Augustinus: Quaestionum in Heptateuchum Libri VII, ed. Jean Fraipont, CC.SL 33, Turnhout 1958, 1-377 – Augustinus: Sermones in Vetus Testamentum, ed. Cyrille Lambot, CC.SL 41, Turnhout 1961 – Augustinus: Tractatus in evangelium Iohannis, ed. D. Radbodus Willems, CC.SL 36, Turnhout 1954 – Cassiodorus: Expositio psalmorum, ed. Marcus Adriaen, Bd. 1: Expositio psalmorum I–LXX, CC.SL 97, Turnhout 1953; Bd. 2: Expositio psalmorum LXXI-CL, CC.SL 98, Turnhout 1953 – La Chaîne sur l’Exode I, Fragments de Sévère d’Antioche, ed. Françoise Petit / Lucas van Rompay, TEG 9, Leuven 1999 – Chromatius Aquil.: Sermones, ed. Raymond Etaix / Joseph Lemarie, CC.SL 9 A, Turnhout 1974, 1-182 – Chromatius Aquil.: Tractatus in Matthaeum, in: Chromatii Aquileiensis opera, ed. Raymond Étaix / Joseph Lemarié, CC.SL 9 A, Turnhout 1974, 183-498 – Filastrius: Diversarum haereseon liber, ed. Friedrich Marx, CSEL 38, Prag / Wien / Leipzig 1898 – Fulgentius Rusp.: Ad Trasamundum, in: Sancti Fulgentii Episcopi Ruspensis Opera, cura et stuio Jean Fraipont, CC.SL 91/91 A, Turnhout 1968, 95-185 – Hieronymus: In Ezechielem, cura et studio Frans Glorie, CC.SL 75, Turnhout 1964 – Hilarius Pict.: De Trinitate libri XII, cura et studio Pieter Frans Smulders, CC.SL 62 / 62 A, Turnhout 1979-1980 – Irenaeus: Adversus haereses. Gegen die Häresien, ed. Norbert Brox, Bd. 1, FC 8/1, Freiburg u. a. 1993; Bd. 2, FC 8/2, Freiburg u. a. 1993; Bd. 3, FC 8/3, Freiburg u. a. 1995; Bd. 4, FC 8/4, Freiburg u. a. 1997; Bd. 5, FC 8/5, Freiburg u. a. 2001 – Justinus Martyr: Apologie pour les Chrétiens, ed. Charles Munier, SC 507, Paris 2006 – Novatianus: De Trinitate libri XII, in: Novatiani Opera quae supersunt, ed. Gerard F. Diercks, CC.SL IV, Turnhout 1972, 1-85 – Origenes, Contra Celsum, ed. Marcel Borret, Tome 2, SC 132, Paris 1968, Tome 4, SC 150, Paris 1969 – Origenes: De Principiis, ed. Paul Koetschau, GCS 22, Leipzig 1913 – Primasius Hadrum.: Commentarius in Apocalypsin, ed. Arthur White Adams, CC.SL 92, Turnhout 1985 – Prosper Aquit.: Expositio Psalmorum (100-150), ed. Piet Callens / M. Gastaldo, CC.SL 68A, Turnhout 1972, 1-211 – Ps.-Didymus: De Trinitate, Buch 1, ed. Jürgen Hönscheid, BKP 44, Meisenheim 1975 – Theodor Mopsuest.: Katechetische Homilien, ed. Peter Bruns, FC 17/1-2, Freiburg 1994-1995 – Theodoret: Quaestiones in Octateuchum, ed. John F. Petruccione, Vol 1, OECT 1, Oxford 2007.
Weitere Literatur Cook, John Granger: The Interpretation of the Old Testament in Greco-Roman Paganism, STAC 23, Tübingen 2004 – Feldman, Louis H.: Judean Antiquities 1-4. Translation and Commentary, Flavius Josephus. Translation and Commentary, ed. Steven Mason, Vol. 3, Leiden 2000 – Karrer, Martin: Septuaginta und Philosophie, in: Siegfried Kreuzer / Martin Meiser / Marcus Sigismund (ed.), Die Septuaginta – Orte und Intentionen, WUNT 361, Tübingen 2016, 3-35 – Schwartz, Daniel R.: Reading the first Century. On Reading Josephus and Studying Jewish History of the First Century, WUNT 300, Tübingen 2013 – Wevers, John William: Notes on the Greek Text of Exodus, SCS 30, Atlanta 1990.
2.1 Ex 3,14 Zacharias Frankel, der Ahnherr der Septuagintaforschung in der Mitte des 19. Jahrhunderts, kommentiert: »Diese Uebersetzung ist eine der vortrefflichsten: Gott ist der Seiende, die Bedingung des Seins liegt in ihm selbst, das Sein selbst eine innere Noth197
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wendigkeit.« 43 Die Deutung betont die Konvergenz zwischen biblischer Theologie und den höchsten Gedanken griechischer Philosophie. Während man zu Ex 3,14LXX selbst noch diskutieren kann, ob der Übersetzer platonisch denkt oder nicht 44, deutet Philon von Alexandria Ex 3,14 unter Einfluss des platonischen Gegensatzes zwischen wirklichem und scheinbar Seiendem 45; vgl. etwa Det. 160: ὡς τῶν μετ’ αὐτὸν οὐκ ὄντων κατὰ τὸ εἶναι, δόξῃ δὲ μόνον ὑφεστάναι νομιζομένων (»da das, was nach ihm kommt, nicht nach der Kategorie des Seins existiert, vielmehr nur dem Anschein nach für wirklich gehalten wird«). 46 In Vit.Mos I 75 verbindet sich damit der andere Gedanke, dass es eigentlich für Gott überhaupt keinen passenden Namen gibt 47; der Name »Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs« ist Anpassung an die Fassungskraft der Schwachen und bezeichnet Gott als den Gott der drei Männer, die die Tugend symbolisieren; Abraham erwirbt sie durch Belehrung, Isaak durch die natürliche Begabung, Jakob durch die praktische Übung. 48 Ex 3,14 hat zusammen mit Ex 20,5, auch als jüdisches Argument gegen die Trinitätslehre gedient. 49 Die christliche Wirkungsgeschichte von Ex 3,14 umschließt Rezeptionen zum Gottesbegriff im Allgemeinen wie speziell in antipaganer Frontstellung 50, dann aber auch trinitätstheologische und christologische Debatten. Exegetisch bedarf das Nebeneinander der Engelserscheinung und der Gottesstimme der Klärung. Ex 3,14 ist eine der Kardinalstellen auch für die christliche Gottesvorstellung. Schon Origenes hielt die Ewigkeit der göttlichen ὑπόστασις des Vaters in einem metaphysischen Sinne durch Ex 3,14 für bewiesen. 51 Augustinus zufolge benennt Ex 3,14 die Ewigkeit in Gott, die keine Veränderung 52 und keine Akzedentien kennt 53; er be43. Frankel: Einfluss, 82. 44. Karrer: Septuaginta und antike Philosophie, 27. 45. Auch Numenius von Apameia soll die Selbstvorstellung Gottes nach Ex 3,14 mit Hilfe das platonischen τὸ ὄν (»das Seiende«) verstanden haben (Cook: Interpretation of the Old Testament, 37). 46. Vgl. auch Philo: Opif. 172: εἷς ὁ ὤν ὄντως ἐστί (»Der eine, der ist, ist in Wahrheit«). 47. So auch Philo: Somn. I 231. Bei Philo: Abr 121, kann es heißen: κυρίῳ ὀνόματι καλεῖται ὁ ὤν (»Mit zutreffenden Namen wird er ›der Seiende‹ genannt«). 48. Philo: Vit.Mos I, 76; ähnlich Philo: Mut. 11 f. 49. Andronicus Comnenus: Dialogus contra Iudaeos, PG 133, 800 B. 50. Von der Erinnerung an die im 4. Jh. immer wieder nochmals aufflackernde Dominanz nichtchristlicher Religiosität ist die Rezeption von Ex 3,14 bei Chromatius: Serm. 33,1, CC.SL 9 A, 150, bestimmt: Ex 3,14 benennt den wahren Gott im Gegensatz zu den nichtchristlichen Göttern. Die nichtchristlichen Götter werden mit Jer 10,11 und Ps 95,5 gekennzeichnet. 51. Origenes: Princ. I, 3, 6, GCS 22, 57. Der Rahmen, in den Ex 3,14 hier hineingestellt ist, ist die subordinatianische Trinitätslehre des Alexandriners. Ex 3,14 beweist, dass es das Gott Vater eigentümliche Werk ist, allem, was ist, Gerechten wie Sündern, vernunftbegabten wie vernunftlosen Wesen, Anteil an seinem Sein zu geben, das Werk des Sohnes hingegen, an den vernunftbegabten Wesen zu wirken, während der Heilige Geist nur kraft der Vermittlung des Sohnes in den Frommen wirkt. 52. Augustinus: De vera religione 273, CSEL 77, 70; Augustinus: Serm. V.T. 7,7, CC.SL 41, 75. Ähnlich Cassiodorus: Expos. Ps. 49,6, CC.SL 97, 444; Expos. Ps. 89,2, CC.SL 98, 822, zuvor schon Novatianus: Trin. IV 5 f., CC.SL 4, 17; Ambrosius: In Lc. X, 81, CC.SL 14, 369. Zu den Worten ego sum heißt es bei Ambrosius illius est enim esse qui semper est (« dem kommt das Sein [scil.
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nennt Gott als die summa essentia … et ideo immutabilis (»die höchste Wesenheit … und folglich unveränderlich«). 54 Ex 3,14 bezeichnet, was nur Gott zukommt, nicht irgendeiner Kreatur 55, der das Sein nicht im selben Maße zugesprochen werden kann. 56 Ex 3,14 lässt neben Gen 1,1 am ehesten die Möglichkeit als denkbar erscheinen, dass Platon die heiligen Schriften gekannt hat, obwohl er lange Zeit nach den Propheten, aber noch vor der Zeit der Septuaginta-Übersetzung gelebt hat. 57 Für Ps.-Hilarius von Poitiers enthält Ex 3,14 die absolute, die Unerkennbarkeit der göttlichen Natur für die menschliche Fähigkeit des Verstehens am ehesten geeignete Gottesbezeichnung. 58 Dass Gott sich mit den Worten von Ex 3,14 vorstellt, soll den Zweifel daran zerstreuen, ob in dem brennenden Dornbusch wirklich Gott gesprochen habe. 59 In den trinitätstheologischen Streitigkeiten musste Gregor von Nyssa sicherstellen, dass Ex 3,14 nicht in der Nachfolge des Origenes als Argument zugunsten einer subordinatianischen Trinitätslehre eingebracht werde 60; andererseits ist Ex 3,14 (über Joh 1,1) als Hilfsargument für die ewige Gottheit des Sohnes verwendet worden. 61 Auch der Sinn des Nebeneinanders der Namensformen Ex 3,14 und Ex 3,15 (Gott Abrahams, Isaaks, Jakobs) ist immer wieder bedacht worden. Augustinus zufolge benennt Ex 3,14 den Namen Gottes »bei« ihm (apud), Ex 3,15 den Namen Gottes »wegen« der Menschen (propter) 62; der Name in Ex 3,15 will uns trösten angesichts unserer Endlichkeit und Begrenztheit. 63 Letztlich soll man sich an den inkarnierten Christus hal-
53. 54.
55. 56. 57. 58. 59. 60. 61.
62. 63.
im eigentlichen Sinne] zu, der immer ist »), bei Ambrosius: De fide V, 1,26, CSEL 78, 225: qui … est, semper est. Bei Ps.-Hilarius: Trin. IV, 8, CC.SL 62, 109, der auch auf Jer 1,6 LXX verweist, heißt es dazu: hunc quoque solum manentem innascibilem (»diesen, der als einziger im Status des nicht geboren werden Könnens verbleibt«). Von daher ergibt sich auch, dass dem christologisch gedeuteten hodie (»heute« [scil. habe ich dich gezeugt]) von Ps 2,7 keine Zeitvorstellung im menschlichen Sinne zugrunde liegt (Cassiodor: Expos. Ps. 2,8, CC.SL 97, 44). Augustinus: Trin. V, 3, CC.SL 50, 207 f. Augustinus: Civ. XII, 2, CC.SL 48, 357; ähnlich Augustinus: Tract. Ev. Io. 39,8, CC.SL 36, 349. Auch bei Cassiodorus: Expos. Ps. 76,15. CC.SL 98, 705, heißt es: esse enim ipsi proprie convenit, qui ut sit, nullius adiutorio continetur; sed naturae suae potentia semper magnus, semper excelsus, semper incommutabilis perseverat (»ihm kommt im eigentlichen Sinne das Sein zu, der, damit er sei, nicht durch die Hilfe eines anderen gestützt werden muss; vielmehr bleibt er durch die Macht seiner Natur immer und fortwährend groß, immer erhaben, immer unveränderlich«). Augustinus: Trin. I, 1, CC.SL 50, 29. Augustinus: En. Ps. 134,4, CC.SL 40, 1940. Augustinus: Civ. VIII, 11, CC.SL 47, 227 f. Ps.-Hilarius: Trin. I, 5, CC.SL 62, 5. Ps.-Hilarius: Trin. V, 22, CC.SL 62, 173. Gregorius Nyss.: C. Eun. III, 6,3, GNO 2, 186. Ambrosius: De fide I, 13,8, CSEL 78, 36; Ps.-Didymus: Trin. I, 15.6, Hönscheid, 46; Athanasius: Decr. 22,3, AW 2, 18; Athanasius: Syn. 35,2, AW 2, 262; Theodor Mopsuest.: Hom. cat. 2.9, FC 17/1, 95 f. Andreas Caes.: In Apc, PG 106 221 D-224 A, und Arethas: In Apc., PG 106, 504 D505 A, verknüpfen Ex 3,14 mit Apk 1,4, das trinitarisch ausgelegt wird: Die Bezeichnung ὤν (»der da ist«) verweist auf den Vater nach Ex 3,14, die Bezeichnung ἦν (»der da war«) auf den Sohn nach Joh 1,1 und 1Joh 1,1, die Bezeichnung ἐρχόμενος (»der da kommt«) auf den Heiligen Geist. Augustinus: En. Ps. 101, s. II 12, CC.SL 40, 1445. Augustinus: En. Ps. 101, s. II 14, CC.SL 40, 1449; Augustinus: Serm. V.T. 6,5, CC.SL 41, 64.
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ten. 64 Prosper von Aquitanien stellt fest, es sei nur wenigen möglich, Gott in seinem Wesen zu ergründen; wohl aber ist es allen möglich, die Gegenwart Gottes in dem Handeln mit den Vätern zu erfassen. 65 Severus von Antiochia deutet das ὤν in Ex 3,14 auf die Einheit der göttlichen οὐσία (des göttlichen Wesens), die dreifach gegliederte Benennung in Gen 3,15 auf die Dreiheit der Hypostasen, ohne eine Einzelzuordnung der Elemente in Gen 3,15 vorzunehmen. 66 Exegetisch werden die Selbstoffenbarungen Jesu in Mt 14,27 67, Joh 8,24 68 und Joh 69 18,6 als Wiederaufnahme von Ex 3,14 gedeutet. Der Sohn hat an der durch Ex 3,14 bezeichneten Unveränderlichkeit des Vaters teil, wie 2Kor 1,19 und Hebr 1,12 belegen. 70 Gelegentlich wird Ex 3,14 auch zur Klärung exegetischer Fragen zu anderen Stellen herangezogen, etwa zu der Frage, warum es in Apk 3,14 qui est Amen heißt. Primasius antwortet mit Verweis auf Ex 3,14 und erklärt: Ipse enim vere est qui semper idem est. (»Derjenige ist nämlich in Wahrheit, der immer ist«). 71 Die Zweiheit zwischen Engelserscheinung (Ex 3,2) und Gottesrede (Ex 3,4) bedurfte eigener Klärung. Einerseits steht es christlicher Theologie seit alters fest, dass nicht Gott Vater auf der Erde erscheint, sondern »nur« sein Logos. 72 Dass ein Engel im Dornbusch erschienen ist, sagt Apg 7,30 73; jedoch wohnt Gott ein. Denn von der Stimme gilt: habitatoris vox est, non templi (»Es ist die Stimme dessen, der da einwohnt, nicht die Stimme des Tempels«). 74 Nach Theodoret war es nicht ein Engel, der Mose erschien, denn Gott kann nicht der Vater eines Engels sein; der ἄγγελος ist vielmehr Jesus Christus, von dem gilt, dass er alles verkündet, was er vom Vater gehört hat (Joh 15,15), und der insofern zum ἄγγελος für seine Jünger geworden ist. Die Reden offenbaren insofern die Göttlichkeit Christi. 75
2.2 Ex 22,27[28] Bei Ex 22,27[28] hat vor allem die pluralische Wiedergabe von אלהיםeine eigene Wirkungsgeschichte entfaltet 76, die im Judentum und im Christentum allerdings unterschiedlich akzentuiert ist. Bei Philo von Alexandria sind Vit.Mos. II 205; Spec. Leg I 43 und qu. Ex. 2,5 zu bedenken. Nach Vit. Mos. II 205 mahnt Ex 22,27 dazu, sich der Beschimpfung heid64. 65. 66. 67. 68. 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76.
Augustinus: En. Ps. 121,5, CC.SL 40, 1805. Prosper Aquit.: Expos. Ps. 104,6, CC.SL 68 A, 30. La Chaîne sur l’Exode 103, TEG 9, 14. Chromatius: Tract. in Matthaeum 52,3, CC.SL 9 A, 455. Augustinus: Tract. ev. Io. 40,3, CC.SL 36, 351. Hieronymus: In Ez. I, 2,2, CC.SL 75, 26. Fulgentius: Ad Trasamundum III, 11,1, CC.SL 91, 156. Den Gedanken kennt auch Augustinus: Contra Maximinum episcopum Arianum II, 14, PL 42, 814. Primasius: In Apc. I, 3, CC.SL 92, 42. Justinus Martyr: 1.Apol. 62,3, SC 507, 294; Irenaeus: Haer. III, 6, 2, FC 8/3, 54. Augustinus: Serm. V.T. 6,2, CC.SL 41, 63. Augustinus: Serm. V.T. 7,7, CC.SL 41, 74. Theodoret: Qu. Ex. 5, OECT 1, 226. In der Septuaginta-Handschrift 106 ist θεούς durch κρίτην ersetzt. Das hat seine Parallelen in den Targumim und in der Peschitta, Wevers: Notes on the Greek Text of Exodus, 355.
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nischer Götter bzw. ihrer Bilder zu enthalten, »damit niemand der Jünger des Moses sich daran gewöhnt, überhaupt die Bezeichnung ›Gott‹ geringzuachten.« In Spec. Leg I 53 steht die Außenwirkung im Vordergrund: Man solle diejenigen nicht schmähen, die andere Wesenheiten als den Gott Israels für Götter halten, damit nicht auch die Nichtjuden zu Lästerungen gegenüber dem wahren Gott angestachelt werden. Erfahrungen der Auseinandersetzung in der Diaspora 77 prägen diese Rezeption; Philo will erreichen, dass Juden nicht von sich aus Konflikte mit Nichtjuden provozieren. 78 Philos Erklärung in qu. Ex 2,5 ist dreigeteilt: Den Gutwilligen unter den Nichtjuden sichert Philo jüdische Toleranz gegenüber fremder Religiosität zu; zugleich distanziert er das Judentum von allem gewaltbereitem Fundamentalismus; schließlich erwartet er, dass der eigene respektvolle Umgang mit dem heiligen Gottesnamen auch Nichtjuden dazu veranlasst, auf Lästerungen des Gottes Israels zu verzichten. Josephus gibt Ex 22,27[28] in seiner Thora-Paraphrase in Ant IV 207 in eigentümlicher Erweiterung wieder: Niemand soll die Götter schmähen, an die fremde Völker glauben; auch ist die Beraubung fremder Heiligtümer und die Wegnahme von Weihegeschenken irgendeines Götzenbildes verboten. Der Sinn der Erweiterung um das Motiv des Tempelraubes ist klar: Was bei Nichtjuden als schwer verpönt gilt, sollen auch die Juden beachten, damit sie nicht von sich aus Anlass zu Konflikten geben – umgekehrt sollten auch Nichtjuden wissen, dass sich Juden diesem Verbot verpflichtet wissen. Zu den Vorwürfen des Tempelraubes vgl. Josephus, Ap. I 249 sowie das in Ap. I 310 wiedergegebene antijüdische Stereotyp: Lysimachos nennt Jerusalem Ἱερόσυλα und führt den Namen auf das »typische Verhalten« (διάθεσις) der Juden zurück, die τὰ ἱερὰ συλῶντες seien (»die Heiligtümer berauben«). Den Ausgleich zu Ant IV 191, wo Dtn 7,1-5 zugrunde liegt, hat man wohl in einer Beschränkung der dort vorgesehenen Maßnahmen auf »Feinde« Israels zu erblicken, d. h. in der Einschränkung auf Konflikt- und Kriegsfälle. 79 Der Kontext der Rezeption von Ex 22,27[28] in Ap II 237 ist die bei Lysimachos und Molon greifbare antijüdische Verleumdung, die Juden seien die schlechtesten aller Erdenbewohner. Eigentlich, so Josephus, ist es nicht seine Absicht, die Einrichtungen fremder Völker einer Prüfung zu unterziehen; »denn wir pflegen wohl das Eigene treu zu bewahren, nicht aber gegen Fremdes anzugehen. Hat doch der Gesetzgeber schon mit Rücksicht auf den Namen ›Gott‹ uns streng untersagt, die Götter, an welche andere Nationen glauben, zu verspotten oder zu lästern.« 80 Aber weil die Ankläger des Judentums die Vorzüge ihrer Völker herausstreichen, will Josephus nicht schweigen – es folgt die schon in griechischer Philosophie und dann wieder im Judentum bekannte Kritik an griechischer Mythologie. Auch bei Josephus sind das Motiv des ge77. »Indeed, it was essential for the safety of the Diaspora communities that they should be restrained from expressing their scorn for paganism by attacks on the cults of the gentiles among whom they lived« (Schwartz: Reading the first Century, 169). 78. In der angespannten Situation des Judenpogroms in Alexandria betont Philo die Loyalität zum Kaiserhaus, um die Judenverfolgung als ungerechtfertigt zu erweisen, Philo: Flacc. 49 f. 94. 98. 99. 101. 103, dort aber ohne Zitat von Ex 22,27[28]. 79. In den Antiquitates tilgt Josephus mehrfach die Hinweise auf Intoleranz seitens von Juden, z. B. in Ri 6,25-31; 1Kön 15,12; 2Ch 17,6; 1Kön 10,27; vgl. Feldman: Judaean Antiquities, 396 n. 561. 80. Übersetzung Siegert: Flavius Josephus, Über die Ursprünglichkeit, 183.
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botenen Respektes gegenüber dem Gottesnamen und die Warnung vor konfliktträchtigem Verhalten leitend. Die christliche Wirkungsgeschichte von Ex 22,27[28] beginnt im Neuen Testament, in Apg 23,5, wonach sich Paulus mit dem Zitat der zweiten Hälfte nach einem verbalen Ausfall gegen den Hohenpriester, den er nicht als solchen erkannt hatte, zu entschuldigen versucht. 81 Lukas verfolgt damit einen apologetischen und zugleich paränetischen Zweck: Die Aussage soll Paulus als thora-treu erweisen und die Christen dazu ermahnen, dass sie nicht von sich aus unnötig für Konflikte sorgen. Das war wichtig in einer Zeit zunehmenden gesellschaftlichen Misstrauens gegen diese neue Gruppe, die man nicht recht einzuordnen wusste, um deren jüdisch begründeten Monotheismus man wusste, die aber ethnisch nicht auf das Judentum begrenzt (vgl. Apk 7,9) und damit in der Reichweite ihrer als problematisch empfundenen Ausstrahlung nicht eingegrenzt war. In den antiken schulmäßigen Auslegungen von Apg 23,5 wird das Zitat aus Ex 22,27[28]b nicht eigens bedacht; der Gehorsam des Apostels gegenüber dem biblischen Wort galt als selbstverständlich. Nachneutestamentlich hat Ex 22,27[28] Nichtchristen zur Verteidigung des nichtchristlichen Polytheismus gedient 82; Christen haben das Wort als Verteidigung gegen den Vorwurf provokanten Verhaltens 83 ebenso wie als allgemeine Verhaltensanweisung 84 oder als Mahnung zum Gehorsam gegenüber kirchlichen 85 und staatlichen Autoritäten aufgefasst. 86 Innerhalb spezieller exegetischer Literatur ließ der Plural Ausschau halten nach anderen Stellen, wo in der Bibel trotz des feststehenden Monotheismus jenseits der Verbote der Fremdgötterverehrung noch von »Göttern« gesprochen und was damit bezeichnet wird. 87 Bezugnahmen auf Ex 22,27[28] haben sich deshalb – mit unter81. Textkritisch ist zu bemerken: Die Septuagintatradition schwankt zwischen dem Plural ἄρχοντας und dem Singular ἄρχοντα; im Lukastext begegnet in der griechischen Tradition unangefochten der Singular ἄρχοντα (in der lateinischen Texttradition begegnet gelegentlich auch der Plural; so https://download.uni-mainz.de/fb07-klassphil-nttf/Apostelgeschichte/Act %2023/Act%2023_05.pdf, abgerufen am 25. 09. 19), nur in den griechischen Apg-Handschriften 181 und 1875 durch ἄρχοντι ersetzt. Des Weiteren heißt es im Septuagintatext (außer Cod. A) am Ende κακῶς ἐρεῖς, im Lukastext ἐρεῖς κακῶς (wie in Ex 22,27[28]LXX.A), letzteres wiederum unangefochten. 82. Vgl. Ps.Clem.: Hom. 16, 6.4; 16, 8.1, GCS 42, 220.222; Makarios Magnes: Apocr. IV, 23,1-3, TU 169, 402; Cyrillus Alex.: C. Iul. VII, 28, GCS NF 21, 508. 83. Origenes: Cels. VIII, 38, SC 150, 256-258, wendet sich gegen den Vorwurf, die Christen würden durch ein öffentlichkeitswirksames Schmähen von Götterbildern von sich aus Konflikte anheizen. Christliche Maximen gegen ein solches Verhalten sind ihm außerdem Röm 12,14; 1 Kor 6,10. Anders Origenes: Hom. Num. 27,12, GCS 30, 278: Dtn 4,19; Ex 22,27[28] benennen die Gefahr des Abfalls vom Glauben, die, so der Apostel, der »Gott dieser Weltzeit« (2Kor 4,4) bewirkt und vor der auch der Gläubige auf dem Weg zur spirituellen Vollkommenheit nicht gesichert ist. 84. Cyprianus: Testim. III, 14, CC.SL 3, 104 mit der Textform Non maledices neque principi populi tui detraxeris. Als analoge Texte nennt er Ps 33,13 f.; Lev 14,13 f.; Eph 4,29; Röm 12,14; Mt 5,22. 85. Const. Ap. II, 26,4; 31,1, von Funk, 105.112; Gregor d. Gr., ep. 14,17, PL 77, 1325 A-B. 86. Procopius Gaz.: Catena in Exodum, PG 87/1, 621. 87. Gelegentlich begegnen sogar von Gen 6,2 her Verweise auf Ex 22,27[28], so bei Theodoret: Qu. Gen. 47, OECT 1, 100.
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schiedlichen Ausdeutungen der in der zweiten Vershälfte 88 genannten ἄρχοντες – in Auslegungen zu Ex 7,1; Dtn 10,17; Ps 49[50],1 und Ps. 81[82],1.6 gefunden. Da wo die ἄρχοντες auf die Richter gedeutet werden 89, setzt sich die konkrete Angabe in Ps 81 [82],1.6 gegenüber der allgemeinen Angabe ἄρχοντες durch. Ähnlich werden die in Ps 49[50],1 Genannten aufgrund der Konkretionen in Ps 81[82],1.6 und Ex 22,27[28] als Richter und Herrscher bezeichnet. 90 Ps 81[82],1.6 wird manchmal aber auch auf Priester bezogen 91 oder auf Freunde der Tugend 92 oder auf Pharisäer und Schriftgelehrte. 93 Für Augustin führt Ex 7,1 auf die Deutung des Begriffes Deos auf die Richter, was durch die Fortsetzung in Ex 22,27[28]b bestätigt werde; alternativ erwägt er die Deutung auf die »so genannten Götter« (1Kor 8,5), die man nicht schmähen, aber auch nicht verehren soll. 94 Gregor d. Gr. nennt den Sprachgebrauch von Ex 7,1; Ex 22,27[28] nuncupative (»übertragen«; im Gegensatz zu essentialiter [»wesensgemäß«]) und identifiziert die an diesen Stellen Gemeinten mit Predigern oder allgemein mit weisen Menschen. 95 Das hinsichtlich seines historischen Informationswertes fragwürdige Buch de haereseon des Filastrius von Brescia lässt bei aller Zweifelhaftigkeit seiner Information das Wissen um innerbiblische Spannungen erkennen. Er charakterisiert eine Gruppe von »Häretikern«, die er ansonsten doxographisch nicht näher beschreibt, mit Bezug auf ihr Verständnis von Ex 22,27[28]: Sie verstünden Ex 22,27[28]a (Diis alienis 96 non maledicetis) fälschlich so, als sei es von der vanitas paganorum (»Nichtigkeit der Heiden«) gesagt, im Widerspruch zu Ex 34,15; Ri 6,28; Ps 114,8. Gemeint sind die Heiligen, die man nicht schmähen soll, wie ja auch Barnabas und Paulus Götter genannt wurden (Apg 14,11), ebenso Mose für den Pharao (Ex 7,1). 97
88. Dabei wird das einleitende καί stets als epexegetisches καί gelesen, so dass der Satz keinen synthetischen, sondern einen weiterführenden parallelismus membroum bildet; es sind nicht zwei verschiedene Wesenheiten angesprochen sind, sondern nur eine. 89. Origenes: Cels. IV, 31, SC 136, 262; Theodoret: In Ps., PG 80, 1229 B-C; Procopius Gaz.: Catena in Exodum, PG 87/1, 621. 90. Eusebius Caes.: In Ps., PG 23, 433 D. Diodor: In Ps., CC.SG 6, 301, legt die Psalmstelle ähnlich aus, aber ohne biblische Referenzen. Johannes Chrysostomus: In Ps., PG 55, 240 f., bezieht Ps 49[50] aufgrund von Ex 22,27[28] auf die Herrschenden. 91. Cyrillus Alex.: In Ps., PG 69, 1204 A-B; Hieronymus, In Hos. I, 3,4-5, CC.SL 76, 37. 92. Photius Const.: Qu. 89, PG 101/1, 564 B, unter Zitat von Gen 6,2; Ps 81[82],6; Ex 22,27[28]; Ex 7,1. 93. Nikephoros Blemmyda: In Ps., PG 142, 1525 D-1526 A. 94. Augustinus: Qu. Ex. 86, CC.SL 33, 113. 95. Ersteres Gregor d. Gr.: In 1Reg I, 44; V, 99, CC.SL 144, 78.480, letzteres Gregor d. Gr.: In 1Reg III, 100, CC.SL 144, 255. 96. Der Zusatz ἀλλοτρίους begegnet auch in den Septuaginta-Handschrift 58 und 72, der Zusatz alienis, ähnlich wie der Plural maledicetis, auch in der Vetus-Latina-Handschrift 103. 97. Filastrius: Haer. 119/147, CSEL 38, 116-118.
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3. Texte aus Leviticus Literatur Editionen Lettre d’Aristée a Philocrate, ed. André Pelletier, SC 89, Paris 1962 – Philo: Opera quae supersunt, ed. Leopold Cohn / Paul Wendland, 7 Bde., Berlin 1896-1930 – The Testaments of the Twelve Patriarchs, ed. Marinus de Jonge, PVTG 1/2, Leiden 1978. Hesychius Hieros.: Commentarii in Leviticum, PG 93, 787 A-1180 A – Julianus Tolet.: ἀντικειμέωνν libri, PL 96, 595 A-704 C – Maximus Confessor: Quaestiones ad Thalassium, Vol. I: Quaestiones I–LV, una cum Latina interpretatione Ioannis Scotti Eriugenae iuxta posita ed. Carl Laga et Carlos Steel, CC.SG 7, Turnhout 1980; Vol. II: Quaestiones LVI–LXV una cum Latina interpretatione Ioannis Scotti Eriugenae iuxta posita ed. Carl Laga / Carlos Steel, CC. SG 22, Turnhout 1990 – Prokopius Gaz.: Commentarii in Leviticum, PG 87/1, 691 B-794 B – Theodoret: Quaestiones in Octateuchum, ed. John F. Petruccione, Vol 2, OECT 2, Oxford 2007.
Weitere Literatur Akiyama, Kengo: The Love of Neighbour in Ancient Judaism. The Reception of Leviticus 19:18 in the Hebrew Bible, the Septuagint, the Book of Jubilees, the Dead Sea Scrolls, and the New Testament, AJEC 105, Leiden / Boston 2018.
3.1 Lev 19,18 Lev 19,18 ist bekanntlich nicht erst im Christentum zu einem der zentralen ethischen Sätze geworden. In EpArist 229 gilt die Liebe als zentrale Leittugend, das Verhältnis zum nächsten betreffend. Im antiken Judentum begegnet, das sei in Hinsicht auf Mk 12,31 vorausgenommen, mehrfach die Zusammenstellung von Frömmigkeit und Menschenliebe als Hauptgebote 98 und wesentliche Lebensgrundsätze 99; nur derjenige, der in sich Gottesfurcht und Liebe zu den Menschen vereint, verwirklicht die Tugend in ihrer Vollkommenheit. 100 Die christliche Wirkungsgeschichte beginnt mit dem Einbezug bei Paulus (Gal 5,14; Röm 13,9) wie in der synoptischen Tradition (Mk 12,31 par. Mt 22,39 par. Lk 10,27, dort jeweils mit Dtn 6,[4].5 kombiniert) und im Jakobusbrief (Jak 2,8). 101 Tertullian
98. Philo: SpecLeg II 63. Vgl. TestIss 5,2: Liebt den Herrn und den Nächsten, erbarmt euch der Armen und Schwachen. TestIss 7,6: … Den Herrn liebte ich mit meiner ganzen Kraft und jeden Menschen liebte ich gleichermaßen wie meine Kinder. 99. Jub 36,7 f.; TestBenj 3,3-5 (wer das verwirklicht, den werden die Geister Beliars nicht bedrängen); TestDan 5,3. 100. Philo: Decal. 110. 101. Zu den unterschiedlichen Akzentsetzungen in der Rezeption vgl. Akiyama: Love, 207 f.: In Gal 5,14; Röm 13,9 zeigt Paulus, wie auch Nichtjuden das Wesentliche der Thora erfüllen; in Jak 2,8 kommt es darauf an, dass die geforderte Liebe nicht nur Emotion bleibt, sondern sichtbar wird, nämlich in der Tat. Mk 12,32 f. verbindet das Liebesgebot mit Kultrelativierung; Mt 22,39 benennt es als hermeneutischen Schlüssel biblischer Ethik. In Lk 10 wird die Frage »Wer ist mein Nächster?« verwandelt in die Frage »Wem muss ich jetzt zum Nächsten werden?«.
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macht diesen Einbezug gegen Markion geltend 102, ebenso, wie er in ähnlicher Abgrenzungssituation auf die Konvergenz von Gal 5,6 und Lev 19,18 verweist. 103 Theodoret und Beda Venerabilis empfinden keinen Klärungsbedarf und behandeln die Stelle nicht. 104 Hesychius von Jerusalem bemerkt die Differenz zwischen »Freund« und dem in der Septuaginta gebrauchten Ausdruck »Nächster«, kommentiert sie aber nicht näher, sondern verweist auf die Aufnahme von Lev 19,18 in Röm 13,8-10. Die Wendung »wie dich selbst« verweist auf die Mitfreude mit dem Nächsten und warnt vor Neid in weltlichen wie geistlichen Belangen. Wir sollen Christus nachahmen, der den Gläubigen größere Werke als sich selbst zugestanden (Joh 141,12) und sein Leben für die Seinen dahingegeben hat (Joh 15,13). 105 Procopius von Gaza. betont die Übereinstimmung mit natürlicher Überlegung (φυσικός … λογισμός), auf die hin Christus auf die Goldene Regel Mt 7,12 formuliert habe. 106 Augustin zufolge ist nach Röm 13,8 und Lev 19,18 auch das Alte Testament Gesetz Christi (Gal 6,2), das durch die Liebe zu erfüllen er gekommen ist (vgl. Mt 5,17). 107 Julian von Toledo fragt, wie das Gebot, den Nächsten zu lieben und den Feind zu hassen, mit Jesu Gebot der Feindesliebe zu vereinbaren ist. Man soll die Ungerechtigkeit in ihm hassen, jedoch ihn dessentwegen lieben, was in ihm an Gutem zu finden ist. 108
3.2 Lev 24,16 Hesychius von Jerusalem erörtert das Problem, warum man »Gott« nicht lästern darf und dafür Strafe bekommt (Lev 24,15), jedoch am Leben bleibt, aber bei Todesstrafe den Namen des Herrn nicht nennen darf. Dass »Gott« und »der Herr« dieselbe Referenz haben, beweist er mit Dtn 6,4. Den möglichen Widerspruch zu Ex 34,5 und Jes 26,13 (τὸ ὄνομά σου ὀνομάζομεν) löst er so, dass er Lev 24,15 auf die unwissentliche, Lev 24,16 auf die wissentliche Lästerung des Namens bezieht, die auch in Mt 12,32 f. verboten ist. Wer aber Gotteserkenntnis erlangt hat, nennt Gottes Namen in angemessener Weise, wie auch 1Kor 12,3 bezeugt. Aquila habe allerdings die bessere Übersetzung geboten, mit der die Parallelität von Lev 24,16 zu Lev 24,15 zum Ausdruck kommt. 109 Bei Procopius findet sich die Gleichsetzung »nennen« = »verfluchen« (καταρᾶσθαι), er weiß aber auch von der Deutung einiger, man dürfe im Judentum den Inhalt des Tetragramms nicht kundtun. 110
102. Tertullian: Adv. Marc. I 23,4, CC.SL 1, 465, sowie ironisch in adv. Marc. II 17,4, CC.SL 1, 495: »das (scil. das Gebot der Nächstenliebe) musste mein Schöpfer nicht von deinem Gott lernen«. 103. Tertullian: Adv. Marc. V 4,11, CC.SL 1, 674. 104. Zu erwarten wäre eine Äußerung bei Theodoret nach Qu. Lev. 26, OETC 2:62, bei Beda Venerabilis in seinen Commentarii in Pentateuchum, PL 91, 352 B. 105. Hesychius Hieros.: In Lev., PG 93, 1029 B. 106. Procopius Gaz.: In Leviticum, PG 87/1, 757 C-D. 107. Augustinus: Exp. Gal. 58,2f, CSEL 84, 134. 108. Julianus Tolet.: ἀντικειμέωνν libri, PL 96, 611 A-B. 109. Hesychius Hieros.: In Lev., PG 93, 1106 A-11007 B. 110. Procopius Gaz.: In Lev., PG 87/1, 781 B.
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4. Texte aus Numeri Editionen und Übersetzungen Ambrosiaster: Quaestiones Veteris et Novi Testamenti, ed. Alexander Souter, CSEL 50, Prag / Wien / Leipzig 1908, 1-416 – Ambrosius: De officiis libri tres, PL 16,23 A-184 B – Clemens Alex.: Paedagogus, ed. Otto Stählin, 3. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 12, Berlin 1972, 87-292 – Cyprian: Testimoniorum libri tres ad Quirinum, ed. Robert Weber, CC.SL 3, Turnhout 1972, 3-179 – Gregorius Naz.: Discours 4-5, ed. Jean Bernardi, SC 309, Paris 1983 – Irenaeus: Adversus haereses / Gegen die Häresien, ed. Norbert Brox, Bd. 1, FC 8/1, Freiburg u. a. 1993; Bd. 2, FC 8/2, Freiburg u. a. 1993; Bd. 3, FC 8/3, Freiburg u. a. 1995; Bd. 4, FC 8/4, Freiburg u. a. 1997; Bd. 5, FC 8/5, Freiburg u. a. 2001 – Johannes Chrysostomus: Homiliae in Primam Epistulam ad Corinthienses, PG 61, 9-382 – Johannes Chrysostomus: Homiliae in Secundam Epistulam ad Timotheum, PG 62, 599-662 – Johannes Chrysostomus: Homiliae in Matthaeum, hom. 1-44, PG 57, hom. 45-90, PG 58 – Justinus Martyr: Apologie pour les Chrétiens, ed. Charles Munier, SC 507, Paris 2006 – Leo I. Rom.: Tractatus, ed. Antoine Chavasse, CC.SL 138/138 A, Turnhout 1973 – Origenes: Contra Celsum, ed. Marcel Borret, Tome 1, SC 132, Paris 1967 – Petrus Chrysologus: Collectio Sermonum a Felice episcopo parata sermonibus extravagantibus adiectis, ed. Alexandre Olivar, CC.SL 24, Turnhout 1975; Pars II, CC.SL 24 A, Turnhout 1981; Pars III, CC.SL 24 B, Turnhout 1982 – Theodoret: Histoire des Moines de Syrie, ed. Pierre Canivet / Alice LeroyMolinghen, T. 1, SC 234, Paris 1977.
Num 24 Balaam Das negative Balaam-Bild der Septuaginta speist sich daraus, dass Num 31,8.16 rückwirkend nahelegt, dass die Verführung der Israeliten nach Num 25 auf Anstiftung Balaams erfolgte. Dementsprechend kehrt das negative Balaam-Bild mit direktem Bezug auf Num 25 auch in Jud 11 und Apk 2,14 wieder; in Jud 11 wird mit πλάνη die Terminologie der Debatte um falsche Prophetie eingespielt (Dtn 13,6), in Apk 2,14 unmittelbar auf Num 25 Bezug genommen. An Beispiel Balaams wird in späterer antiker christlicher Literatur vor Habsucht 111 und Verschlagenheit 112 gewarnt; sein gewaltsames Ende warnt vor Zügellosigkeit 113 und dient dazu, den Tod kirchenpolitischer Gegner zu stilisieren. 114 Andererseits wird die Prophetie Num 24,17 seit Justin als Weissagung auf Christus hin verstanden 115; ihre Erfüllung wird in Mt 2 gefunden 116, nicht selten
111. Ambrosius: De officiis II, 26/130, PL 16, 138 A-B: Balak meinte, Bileam lasse sich aus Habsucht für Weissagungen gegen Israel gewinnen. Ambrosius will u. a. an diesem Beispiel und an dem Beispiel des Diebstahls Achans (Jos 7) vor Habsucht warnen. 112. Petrus Chrysologus: Serm. 27,3, CC.SL 24: 156. Die Verschlagenheit des Balaam liegt darin, dass er die Israeliten nicht mit Waffengewalt niederringen, sondern durch Mädchen verführen lassen will. 113. Clemens Alex., Paed. III, 45,1, GCS 12, 262, in Aufnahme von Jud. 11. 114. Theodoret: H.rel. II, 22, SC 234, 242-244, zu dem Anhomöer Asterius. 115. Justinus Martyr: 1.Apol 32,12, SC 507, 216; Num 24,17 wird mit Jes 11,1.10 kombiniert. Genaueres s. Arie van der Kooij, Messianic Texts, in diesem Band S. 169-172. 116. Irenaeus: Haer. III, 9,2, FC 8/3, 76 (in antihäretischer Zielsetzung: Es ist ein- und derselbe Gott, der von den Propheten verkündet und in den Evangelien gepredigt wurde); Origenes:
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mit der historisierenden Vermutung, die Magier hätten diese Prophezeiung gekannt. 117 Dass Bileam trotz seiner Unwürdigkeit die Prophetengabe besaß, kann einerseits zur Warnung dienen, dass auch der Besitz von Geistesgaben nicht vor einem negativen Schicksal im Jüngsten Gericht bewahrt 118, andererseits als Bestätigung dessen, dass Gott auch durch unwürdige Menschen, auch durch unwürdige Priester 119, Gutes bewirken kann. Die Wahrheit offenbart sich auch durch ihre Feinde. 120 Der in Num 24,7.17 jeweils gegen die Vorlage neu gesetzte Begriff ἄνθρωπος fordert im Rahmen einer allgemeinen christologischen Interpretation diese Weissagungen heraus. Nach Cyprian erweist er die wahre Menschheit Christi. 121
117. 118. 119. 120.
121.
Cels. I, 59, SC 132, 238 (in Auseinandersetzung mit jüdischer Bestreitung des Christentums), der damit auch die erzählerische Lücke gefüllt sieht, warum sich die in Mt 2 genannten Magier überhaupt auf den Weg gemacht haben. Dass auch die griechischen Magier diese Weissagung Balaams kannten, gilt Origenes: Cels. I, 60, SC 132, 238-240, als Beweis für die Bedeutsamkeit Christi. Ambrosiaster: Qu. 63, CSEL 50, 111 f.; Leo I. Rom.: Tract. 34,2, CC.SL 138 A, in einer Predigt zur Epiphanie. Johannes Chrysostomus: Hom. Mt. 24, 2, PG 57, 324, in der Auslegung zu Mt 7,21-23. Ersteres Johannes Chrysostomus: Hom. 1Cor 8, 1, PG 61, 69, letzteres Johannes Chrysostomus: Hom. 2Tim 2,3, PG 62, 610. Gregorius Naz.: Or. IV, 54, SC 309, 158 mit zusätzlichem Verweis auf die Beschwörung Samuels durch die Bauchrednerin in Endor und die unfreiwillige Anerkennung Jesu durch die Dämonen. Cyprianus: Testim. II, 10, CC.SL 3, 42.
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2.2.1.5 Deutéronome Cécile Dogniez Bibliographie Éditions Dogniez, Cécile / Harl, Marguerite: Le Deutéronome, La Bible d’Alexandrie 5, Paris 1992. Lettre d’Aristée à Philocrate, ed. André Pelletier, SC 89, Paris 1962 – Philo: Opera quae supersunt, ed. Leopold Cohn / Paul Wendland, 7 T., Berlin 1896-1930 – Josephus: Opera, ed. Benedikt Niese, 7 T., Berlin 1955 (*1887-1895) – Flavius Josèphe, Les Antiquités juives I, Livres I-III, ed. Étienne Nodet, Paris 1990. Clemens Alex: Paedagogus, ed. Otto Stählin, 3. édition ed. Ursula Treu, GCS 12, Berlin 1972, 87-292 – Clemens Alex.: Stromata I-VI, ed. Otto Stählin / Ludwig Früchtel, 4. édition ed. Ursula Treu, GCS 15, Berlin 1985 – Cyrillus Alex.: Glaphyra, PG 69, 9 A-678 C – Eusebius Caes.: Demonstratio evangelica, ed. Ivar A. Heikel, GCS 23, Leipzig 1913 – Irenaeus Lugd.: Contre les hérésies, livre IV, ed. Adelin Rousseau / Louis Doutreleau / Charles Mercier, T. II, SC 100, Paris 1969; livre V, ed. Adelin Rousseau / Bertrand Hemmerdinger / Louis Doutreleau / Charles Mercier, SC 153, Paris 1969 – Irenaeus Lugd. : Démonstration de la prédication apostolique, ed. Adelin Rousseau, SC 406, Paris 1995 – Justinus Martyr: Dialogue avec Tryphon, ed. Philippe Bobichon, Par. 47/1-2, Fribourg 2003 – Melito Sard.: Sur la Pâque, ed. Othmar Perler, SC 123, Paris 1966, 1-213 – Origenes: Contra Celsum, ed. Marcel Borret, Tome 1, SC 132, Paris 1967, Tome 2, SC 136, Paris 1968, Tome 3, SC 147, Paris 1969 – Origenes: Homélies sur le Lévitique, T. 1: Homélies I-VII, ed. Marcel Borret, SC 286, Paris 1981 – Origenes: In Isaiam Homiliae, ed. Willem A. Baehrens, GCS 33, Leipzig 1925, 242-289 – Origenes: Commentaire sur saint Jean, ed. Cécile Blanc, T. 1, SC 120, Paris 1966; T. 2, SC 157. Paris 1970 – Origenes: Matthäuserklärung, T. 1: Die griechisch erhaltenen Tomoi, ed. Erich Klostermann, GCS 40, Leipzig 1935, ed. Ursula Treu, Berlin 21968 – Origenes: Commentarii in epistulam ad Romanos / Römerbrief, ed. Theresia Heither, T. 1, FC 2/1, Freiburg 1990; T. 2, FC 2/2, Freiburg 1992; T. 3, FC 2/3, Freiburg 1993; T. 4, FC 2/4, Freiburg 1994, T. 5, FC 2/5, Freiburg 1999.
Littérature secondaire Berthelot, Katell: Philanthrôpia Judaica. Le débat autour de la « misanthropie » des lois juives dans l’Antiquité, JSJSup 76, Leiden 2003 – Boulnois, Marie-Odile: Un Dieux jaloux qui fait des émules. Interprétations patristiques d’Ex 20, 5, Nb 25, 11 et Dt 32-21, dans: Hedwige Rouillard-Bonraisin (ed.): Jalousie des dieux, jalousie des hommes. Actes du colloque international organisé à Paris les 28-29 novembre 2008, Turnhout 2011, 249-276 – Boulnois, Marie-Odile: La diversité des nations et l’élection d’Israël. Y a-t-il une influence du Contre Celse d’Origène sur le Contre les Galiléens de Julien ? dans: Sylwia Kaczmarek / Henryk Pietras (ed.): Origeniana Decima; Origen as Writer. Papers of the 10th International Origen Congress, University School of Philosophy and Education « Ignatium », Krakow, Poland, 31 August – 4 September 2009, Leuven 2011, 803-830 – Daniélou, Jean: La Vie suspendue au bois (Deut. 28, 66), dans: Études d’Exégèse judéo-chrétienne, Théologie historique 5, Paris 1966, 53-75 – Daniélou, Jean: Les sources juives de la doctrine des anges des nations chez Origène, Recherches de Science Religieuse 38 (1951), 132-137 – Daniélou, Jean: Les Anges et leur mission d’après les Pères de l’Eglise, Chevetogne 1952, rep. Desclée 1990 – Feldman, Louis H.: Josephus’s Interpretation of the Bible, Berkeley 1998 – Freund, Richard A.: The Decalogue in Early Judaism and Christianity, dans:
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Craig A. Evans / James A. Sanders (ed.), The Function of Scripture in Early Jewish and Christian Tradition, JSNTSup 154, Sheffield 1998, 124-141 – Gerhardsson, Birger: Du judéo-christianisme à Jésus par le shema, dans: Joseph Moingt (ed.), Judéo-Christianisme (FS Jean Daniélou), RSR 60, 1972, 24-36 – Gounelle, Rémi / Prieur, Jean-Marc (ed.): Le décalogue au miroir des Pères, Cahiers de Biblia Patristica 9, Turnhout 2008 – de Lubac, Henri: Exégèse médiévale. Les quatre sens de l’Ecriture, t. I, Paris 1959 – Mason, Steve / Kraft, Robert A.: Josephus on Canon and Scriptures, dans: Magne Saebø (ed.), Hebrew Bible, Old Testament: The History of its Reception, Göttingen 1996, 217-236 – Noël, Filip: The Double Commandment of Love in Lk 10,27. A Deuteronomistic Pillar or Lukan Redaction of Mk 12,29-33? dans: Christopher M. Tuckett (ed.), The Scriptures in the Gospels, BEThL 131, Leuven 1997, 559-570 – Waters, Guy P.: The End of Deuteronomy in the Epistles of Paul, WUNT 221, Tübingen 2006 – Wilcox, Max: ‹ Upon the Tree ›—Deut 21:22-23 in the New Testament, JBL 96 (1977), 85-99.
Après la génération du monde et des patriarches (Genèse), après la libération des Hébreux hors d’Egypte (Exode), l’enseignement rituel de la tribu de Levi (Lévitique) et la préparation en vue de la conquête de la terre promise (Nombres), le cinquième et dernier livre de la Torah, le Deutéronome – très différent des autres livres en ce qu’il est constitué de discours prononcés par Moïse avant la traversée du Jourdain – est un livre clé des écritures juives. Au fondement de la religion juive dans sa version hébraïque, le Deutéronome, dans sa version grecque des LXX, n’en occupe pas moins une place spécifique tant dans la réception juive que chrétienne des écrits bibliques 1.
1. Judaïsme Au sein du judaïsme, la Lettre d’Aristée, au début de 2e siècle avant notre ère, est le document juif le plus ancien que nous possédons qui témoigne de cette lecture du Deutéronome en grec. Par exemple l’expression « avoir un pied fourchu » pour les animaux purs de Dt 14, 6 reçoit une interprétation allégorique, celle du discernement en vue de la justice (§ 150-151). La mention des « ruminants » dans ce même verset, associée à la citation de Dt 7, 18 elle-même combinée à Dt 10, 21 (« Tu te souviendras du Seigneur après les grandes merveilles qu’il a faites en toi »), est à l’origine d’un long développement allégorique sur la mémoire qui inclut les signes que sont les phylactères et les mezuzot de Dt 6, 8-9 et Dt 11, 18.20, puisque les paroles que ces écrins contiennent sont « une occasion de nous souvenir de Dieu » (§ 153-160). Philon d’Alexandrie, un exégète juif de la première moitié du 1er siècle après notre ère qui lit la Bible non en hébreu mais en grec, offre dans les quatre livres de son traité sur les Lois spéciales un commentaire des lois du code deutéronomique, classées selon les thèmes des dix commandements. Philon donne une exacte description des lois écrites, mais aussi, pour atteindre le sens caché de l’Ecriture, la signification allégorique de la totalité ou au moins de la majeure partie de cette législation mosaïque. Il découvre en particulier dans la loi de Moïse la philanthropie (De virtutibus 51-174), cette vertu de Moïse et de Dieu qui sert de modèle pour les hommes dans leurs devoirs
1.
On se reportera, d’une manière générale, à Dogniez / Harl: Le Deutéronome, 68-73 et notes aux versets.
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Pentateuch
de modération et de bonté à l’égard des autres 2. Mais certains autres versets du Deutéronome, cités dans les autres traités, reçoivent une lecture religieuse spécifique : Philon s’appuie par exemple sur Dt 1, 17 pour affirmer que le jugement de Dieu prime sur celui de l’homme même parfaitement vertueux (De Somniis II, 24), de même qu’il cite plusieurs fois Dt 8, 18 pour affirmer que l’homme ne doit rien à sa propre force mais que « c’est Dieu qui donne la force d’acquérir la puissance » (De agricultura 172 ; De sacrificiis 56 ; De virtutibus 165). En outre Philon met en œuvre dans son commentaire de la loi les notions philosophiques grecques de son temps, non pour exposer une doctrine philosophique, mais pour apercevoir le sens profond de la Bible : par exemple Philon légitime l’unicité du lieu de culte qui est ordonnée en Dt 12, 2-5 parce que le Temple est à l’image du monde qui est lui-même, à côté de l’âme rationnelle, le véritable Temple de la divinité (De somniis I, 62). Enfin, la piété juive de Philon nourrit l’exégèse qu’il fait de certains passages du Deutéronome : le grand cantique de Dt 32 est un acte d’« action de grâces » pour les bienfaits reçus mais aussi un exemple de la bienveillance de Moïse pour son peuple (De virtutibus 72-75), tandis que la conversion d’Israël annoncée en Dt 30, 2-3 est interprétée au cours d’un long développement comme une petite étincelle lors de la conversion finale (De praemiis 162-172). Dans le judaïsme ancien, Flavius Josèphe est un autre témoin privilégié dans l’étude des Ecritures 3. Dans la paraphrase des écrits bibliques que constituent Les Antiquités juives, Josèphe se réfère souvent aux lois du Deutéronome mais il y fait davantage œuvre d’historien que d’exégète : il donne des informations sur l’actualisation de telle ou telle loi ou explique certaines coutumes. Il ne cite pas à proprement parler le Deutéronome mais offre un classement par matières et par sujets des différentes lois de Moïse (AJ IV, 176-331). Et on retrouve à la fin du Contre Apion (II, 190-219) ce même classement thématique des prescriptions et des défenses de la loi juive. Même si Josèphe interprète la Bible conformément au contexte historique dans lequel il vit et même si parfois sa lecture s’accorde avec celle de la LXX, il est néanmoins à peu près certain que Josèphe n’avait pas sous les yeux le texte grec de la LXX 4.
2. Christianisme Dans la tradition chrétienne le Deutéronome occupe également une place de premier plan. Après les livres d’Isaïe et des Psaumes, c’est le livre le plus cité dans le Nouveau Testament, en particulier les passages clés relatifs au décalogue (Dt 5) 5, au Shema (Dt 6) 6 et au cantique de Moïse (Dt 32). Fidèle à la Vorlage hébraïque, le texte grec du
2. 3. 4. 5. 6.
Voir par exemple le chapitre « La défense de la philanthrôpia chez Philon d’Alexandrie » in Berthelot: Philanthrôpia Judaica, 233-321. Voir par exemple Mason / Kraft: Josephus on Canon and Scriptures, 217-236 et l’abondante bibliographie p. 217-218. Voir par exemple l’introduction de Nodet: Josèphe, Les Antiquités juives I, XXVIII; Feldman: Josephus’s Interpretation of the Bible, 1998, 26-27. Voir par exemple Freund: The Decalogue in Early Judaism and Christianity, 124-141; Gounelle / Prieur (eds.): Le décalogue au miroir des Pères, 2008. Voir par exemple Gerhardsson: Du judéo-christianisme à Jésus par le shema, passim.
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Deutéronome que lisent les auteurs du Nouveau Testament est à peu près identique à la traduction originale, malgré les diverses révisions qui eurent lieu au tournant de l’ère. Ainsi, dans certains manuscrits d’Ac 13, 18, Dt 1,31 est attesté avec la forme τροποφορεῖν, « s’adapter à », et non τροφοφορεῖν, « apporter de la nourriture à », qui dans la LXX conférait à Dieu le rôle d’un père nourricier. La célèbre expression deutéronomique de l’amour d’Israël pour le Seigneur de Dt 6, 5 est également citée de façon variée dans les trois synoptiques (Mc 12, 30 ; Lc 10, 27 ; Mt 22, 37): tous ont, comme la LXX, « Tu aimeras le Seigneur ton Dieu de tout ton cœur (καρδία) et de toute ton âme (ψυχή) » mais aucun n’a δύναμις « de tout ton pouvoir » ; ils ont en plus « de tout ton esprit » (διάνοια) et Marc ajoute « de toute ta force » (ἰσχύς), tandis que Luc insère ἰσχύς entre ψυχή et διάνοια 7. En revanche l’hébraïsme dans le grec de Dt 19, 15 « sur la bouche de », ἐπὶ στόματος, est conservé dans le rappel de la règle du témoin en Mt 18, 16 et 2 Co 13, 1, alors que He 10, 28 emploie simplement ἐπί. La seconde partie de Dt 8, 3 concernant la mise à l’épreuve d’Israël au désert est citée dans les mêmes termes que ceux de la LXX en Mt 4, 4, comme une parole de Jésus adressée au diable qui lui demande de transformer les pierres en pains. En Gal 3, 10, dans sa fameuse argumentation sur la foi et la loi, Paul cite Dt 27, 26, mais en des termes qui sont plutôt ceux de la LXX de Dt 29, 20 : « Maudit soit quiconque ne s’attache pas à tout ce qui est écrit dans le livre de la loi » Ἐπικατάρατος πᾶς ὃς οὐκ ἐμμένει πᾶσιν τοῖς γεγραμμένοις ἐν τῷ βιβλίῳ τοῦ νόμου (dans la LXX de Dt 27, 26 il est en effet question de « toutes les paroles de cette loi », ἐν πᾶσιν τοῖς λόγοις τοῦ νόμου τούτου). Et c’est de cette malédiction de la loi que le Christ a racheté les hommes, poursuit Paul en Gal 3, 13, en citant cette fois d’une façon assez fidèle une partie du texte grec de Dt 21, 23 8 ; la malédiction du condamné, « maudit quiconque est suspendu au bois », Ἐπικατάρατος (et non κεκατηραμένος comme dans la LXX) πᾶς ὁ κρεμάμενος ἐπὶ ξύλου, est de fait appliquée de façon analogique au Christ crucifié qui s’est fait solidaire de cette malédiction 9. Le sens littéral du participe κρεμάμενος, « suspendu », ici en Dt 21, 23 comme en Dt 28, 66, permet l’évocation du Christ suspendu sur la croix, par exemple en Ac 5, 30. Considéré comme une prédiction scripturaire de la passion du Christ, Dt 28, 66, avec d’autres versets bibliques, fait partie des Testimonia 10. Enfin Paul, en Rom 10, 19, cite la menace de Dieu prononcée dans le chant de Moïse en Dt 32, 21 « et moi, je les rendrai jaloux avec ce qui n’est pas une nation, avec une nation insensée, je les irriterai », κἀγὼ παραζηλώσω αὐτοὺς ἐπ᾽ οὐκ ἔθνει, ἐπ᾽ ἔθνει ἀσυνέτῳ παροργιῶ αὐτούς, et comprend que le « non-peuple », c’est-à-dire les croyants issus des nations, remplace le premier peuple élu de Dieu, Israël. En dépit d’une perspective salvatrice pour les Juifs finalement convertis par cette jalousie, de cette interprétation paulinienne procédera une lecture polémique contre les Juifs qui
7. Sur la citation de Dt 6, 5 en Luc 10, 27, voir par exemple Noël: Double Commandement, passim. 8. Wilcox: ‹ Upon the Tree ›, passim. 9. Sur la lecture de ces chapitres du Deutéronome en Galates, voir également Waters: The End of Deuteronomy, le chapitre 3, Deut 27-30 in Galatians (and 1 Corinthians ?), 79-130. 10. Sur le dossier des Testimonia, voir par exemple Daniélou: La Vie suspendue, 53-75.
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sera elle-même au fondement de la théologie du remplacement des Juifs par les chrétiens comme « peuple » de Dieu. Chez les premiers exégètes chrétiens, le Deutéronome, en général, n’a pas retenu l’attention pour lui-même mais un certain nombre de versets, cités ponctuellement, ont abondamment nourri leur pensée. C’est le cas, par exemple, de Dt 4, 19 sur le culte des astres donnés en partage aux nations. Justin lit le verset avec le verbe συγχορεῖν, « concéder », et non pas comme dans la LXX avec ἀπονέμειν, « donner en partage » ; Justin comprend que Dieu a concédé les astres aux nations pour qu’elles les adorent comme des dieux. 11 Le culte des astres est ainsi un moindre mal pour les païens. Clément d’Alexandrie voit même dans cette concession un moyen d’accéder à la vérité. 12 Eusèbe reprendra ce thème de la valeur relative du culte des astres par rapport à l’idolâtrie. 13 Origène considère que les astres « donnés en partage à ceux qui n’étaient pas dignes de prendre pour leur Dieu le dieu des dieux » constituent « un égarement bien préférable et supérieur à celui des gens qui appellent dieu l’ouvrage des mains des hommes ». 14 Dans quelques autres versets du Deutéronome, les lecteurs chrétiens lisent une annonce de Jésus sauveur. Par exemple, des Pères grecs comme Clément d’Alexandrie, Origène ou Eusèbe de Césarée, voient dans l’annonce de la venue d’un prophète de Dt 18, 15-19 un témoignage préfigurant Jésus. 15 Ces exégètes s’inscrivent en réalité dans la lignée de l’exégèse typologique telle qu’on la trouve dans le Nouveau Testament, dès Actes 3, 22-23 : dans cette interprétation probablement influencée par l’ambivalence sémantique du verbe ἀνίστημι, signifiant « faire lever » mais relevant également pour les chrétiens du vocabulaire résurrectionnel, Jésus y est en effet identifié au prophète promis par le Seigneur. D’autres versets encore reçoivent une signification christologique, par exemple Dt 21, 23 : contre l’emploi polémique de ce verset chez les Juifs, Justin répond que la « croix » est au contraire le symbole du salut et de la victoire. 16 Ce verset est généralement associé à Dt 28, 66 dans le dossier des témoignages prophétiques de la passion et de la mort du Christ sur la croix. Alors que le texte grec de Dt 28, 66 parle de l’incertitude de la vie des Juifs, ce verset prend un tout autre sens, par exemple chez Méliton de Sardes 17: il s’agit de la vie, présentée aux Juifs dans le Christ crucifié et à laquelle ils ne croiront pas. Irénée comprend également Dt 28, 66 en ce sens et il le rapproche du thème de l’arbre de vie. 18 Sans le citer, Clément d’Alexandrie fait allusion à notre verset et l’associe de même à l’arbre de vie. 19 Origène, enfin, dans un contexte de polémique
11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19.
Justin Martyr: Dial. 55,1; 121,2, Bobichon I, 320-322. 508. Clément: Strom. VI, 110, 3, GCS 52, 487. Eusèbe: Dem. IV, 7-8, GCS 23, 160-162. Origène: Comm. Ioh. II, 24-27, SC 120, 222-224. Clément: Paed I, 60,3, GCS 12, 125 f.; Origène: Comm. Ioh. VI, 45.90, SC 157, 162.194-196; Eusèbe: Dem. IX, 11, 8-9, GCS 23, 429. Justin Martyr: Dial. 32,1; 89, 2; 90,1, Bobichon I, 260. 430. Meliton: Pasch. 61/444-446, SC 123, 84. Irénée: Dem. 79, SC 406, 192; Haer IV, 10, 2, SC 100, 496; Haer V, 18, 3, SC 153, 244. Clément: Strom. V, 72,2, GCS 52, 374 f.
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anti-juive, cite ce verset comme prophétie de l’incrédulité des Juifs 20 mais aussi en un sens christologique lorsqu’il le met en rapport, comme Clément, avec l’arbre de vie. 21 Pour d’autres passages du Deutéronome, les Pères sont tributaires de cette même interprétation qui, de façon tendancieuse, remplace les Juifs comme peuple élu par les chrétiens. Par exemple, le fameux passage sur la belle captive de Dt 21, 10-14, qu’Origène 22 et à sa suite Jérome ont lu comme une allégorie sur les richesses littéraires du paganisme 23, est compris par Cyrille d’Alexandrie dans un tout autre sens, éloigné de sa signification originelle : la femme, dont on enlève les vêtements de captivité, est une figure de la synagogue, belle de la gloire de ses pères mais finalement rejetée au profit de l’Eglise des nations. 24 Origène lui-même opérera un changement complet du sens des versets concernant le peuple de Dieu et lira ainsi Dt 33, 29 pour l’appliquer aux Chrétiens : le bonheur promis aux Juifs est désormais passé aux disciples de Jésus. 25 On ne saurait, pour terminer, omettre de signaler l’importance du cantique de Moïse de Dt 32 dans l’exégèse chrétienne, particulièrement soucieuse de montrer en chacun de ses versets à la fois l’œuvre du Christ et le salut du nouveau peuple qu’est l’Eglise. Nous ne retiendrons que quelques versets. Ainsi, sur les deux versets de Dt 32, 8-9 reposera la doctrine chrétienne, d’origine juive 26, des « anges » qui gouvernent les nations, développée en particulier chez Clément d’Alexandrie 27 puis chez Origène 28, à partir de la lecture majoritaire de la LXX « il fixa les frontières des nations selon le nombre des anges de Dieu » (TM : « fils d’Israël ; autres manuscrits grecs « fils de Dieu »). Le verset de Dt 32, 21 recevra chez Origène la même interprétation qu’en Rom 10, 19 : Dieu rend jaloux ceux qui l’ont rendu jaloux pour les punir, mais en réalité, la conversion des nations contribuera, par émulation, à la conversion et à la foi des Juifs. 29 Clément d’Alexandrie glosera de même ce verset qu’il cite en Stromata II, 43, 4 30.
20. Origène: Cels. II, 75, SC 132, 460-462. 21. Origène: Comm. Matt. XII, 33, GCS 40, 139 f. Sur l’importance de Dt 28, 66 dans la catéchèse ancienne, voir Daniélou: La Vie suspendue, 53-75. 22. Origène: Hom. Lev. 7, 6, SC 296, 346-348. 23. Sur l’exégèse de ce thème de la « belle captive », voir par exemple dé Lubac: Exégèse médiévale, 290-304. 24. Cyril d’Alexandrie : Glaphyra in Pentateuchum, PG 69, 649-657. 25. Origène: Commentarii in Romanos, PG 14, 1,8, 853; Homiliae in Isaiam. 26. Voir Daniélou: Les sources juives, 132-137 et Les Anges. 27. Clément: Strom. VI, 157,4-5, GCS 52, 513. 28. Origène: Cels. IV, 8; V, 29.32, SC 136, 204; SC 147, 86.94-96. Sur ces textes, voir par exemple Boulnois: La diversité des nations, 811-819. 29. Origène: Comm. Rom., FC 2/4, 266. 30. Clément: Strom. II, 43,4, GCS 52, 135 f. Sur ce passage, voir Boulnois: Un Dieux jaloux, 249276.
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2.2.2 Geschichtsbücher 2.2.2.1 Joshua Michaël N. van der Meer Literature Editions and Translations The Assumption of Moses, ed. Johannes Tromp, SVTP 10, Leiden 1993 – Philo: De virtutibus. ed. Leopold Cohn, Philonis Alexandrini Opera quae supersunt, ed. Leopold Cohn / Paul Wendland, Vol. 5, Berlin 1906, 266-335 – Flavius Josephus: Judean Antiquities 5-7, ed. and trans. Christopher T. Begg, FJTC 4, Leiden 2005 – Pseudo-Philo: Liber Antiquitatum Biblicarum, ed. Guido Kisch, Publications in Mediaeval Studies 10, Notre Dame 1949 – Holladay, Carl R. (ed.): Fragments from Hellenistic Jewish Authors 3. Aristobulus, SBLTT 39, Pseudepigrapha series 13, Atlanta 1995. Clemens Alex.: Stromata I-VI, ed. Otto Stählin / Ludwig Früchtel, 4. edition ed. Ursula Treu, GCS 52, Berlin 1985 – Eusebius Caes.: Praeparatio evangelica, ed. Karl Mras, GCS 43/1, Berlin 1954 – Justinus Martyr: Dialogus cum Tryphone Iudaeo, ed. Philippe Bobichon, 2 Vol., Par. 47/1+2, Fribourg 2003 – Origenes: Homélies sur Josué, ed. Annie Jaubert, SC 71, Paris 1960 – Origenes: Homilies on Joshua, trans. Barbara J. Bruce / Cynthia White, FaCh, Washington 2002 – Theodoret: The Questions on the Octateuch 1-2, ed. John F. Petruccione / Robert C. Hill, The Library of Early Christianity 1-2, Washington 2007.
Secondary Literature Bertholet, Katell: The Biblical Conquest of the Promised Land and the Hasmonean Wars according to 1 and 2 Maccabees, in: Geza Xeravits / József Zsengellér (eds.), The Books of Maccabees, JSJSup 118, Leiden 2007, 45-60 – Collins, Adele Yabro: Aristobulus, OTP 2:831-842 – Elssner, Thomas R. / Heither, Theresia: Die Homilien des Origenes zum Buch Josua. Die Kriege Josuas als Heilswirken Jesu, Beiträge zur Friedensethik 38, Stuttgart 2006 – Elssner, Thomas: Josua und seine Kriege in jüdischer und christlicher Rezeptionsgeschichte, Theologie und Frieden 37, Stuttgart 2008 – Farber, Zev: Images of Joshua in the Bible and their Reception, BZAW 457, Berlin 2016 – Feldman, Ariel: The Rewritten Joshua Scrolls from Qumran, BZAW 438, Berlin 2014 – Feldman, Louis H.: “Josephus’s Portrait of Joshua,” HTR 82 (1989), 351-376; repr. in: Josephus’s Interpretation of the Bible, Hellenistic Culture and Society 27, Berkeley 1998, 443-460 – Feldman, Louis H.: Philo’s Interpretation of Joshua, JSP 12 (2001), 105-114 – Greenspoon, Leonard J.: Textual Studies in the Book of Joshua, HSM 28, Chico 1983 – Hengel, Martin: Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jh.s v. Chr., 2nd ed. Tübingen 1973 – Hertog, Cornelis G. den: “Erwägungen zur Territorialgeschichte Koilesyriens in frühhellenistischer Zeit,” ZDPV 111 (1995), 168-183 – Hertog, Cornelis G. den: Studien zur griechischen Übersetzung des Buches Josua, Ph.D. diss., Justus-Liebig-Universität Gießen: Kohler, 1996 – Hofmann, Norbert J.: Die Assumptio Mosis, JSJSup 67, Leiden 2000 – Jacobson, Howard: A Commentary on PseudoPhilo’s Liber Antiquitatum Biblicarum, AGJU 31, Leiden 1996 – Koch, Stefan: “Mose sagt zu ‘Jesus’” – Zur Wahrnehmung von Josua im Neuen Testament, in: Ed Noort (ed.), The Book of Joshua, BEThL 250, Leuven 2012, 541-554 – Meer, Michaël van der: ‘Sound the Trumpet!’
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Joshua
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1. Introduction Compared to the pervasive influence the Old Greek versions of the Pentateuch, Prophets and Psalter had on Hellenistic Jewish and Early Christian writings, the reception history of the Old Greek version of Joshua is comparatively modest. 1 Quotations from or allusions to the book of Joshua in these writings are sparse and when they occur, it is usually to the Hebrew text, rather than the Old Greek translation. 2 This may have to do with the circumstance that much of the more original function of the book with its spectacular stories of conquest and violent extermination of the territories west of the
1.
2.
See the overviews of the reception history of the book of Joshua during the Hellenistic and Roman periods by Noort: “Joshua. The History of Reception and Hermeneutics,” 199-215; Elssner: Josua und seine Kriege; Farber: Images of Joshua; and van der Meer: The Reception History of Joshua in the Septuagint and Contemporary Documents. See e. g. van der Meer: Joshua, in: The T &âT Clark Companion to the Septuagint, esp. 98.
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Geschichtsbücher
Jordan (Josh 1-12) as well as the detailed description of that region, had lost its significance during the Hellenistic, Roman and Byzantine periods, when the land of Israel formed part of a larger empire that wanted to maintain peace in that region.
2. Hellenistic Period The Old Greek translation of the book of Joshua itself may have been produced in period when knowledge about earlier conquest and division of Palestine did play a role in world history, i. e. the time of the Syrian wars between the Ptolemaic and Seleucid empires. Particularly the period between the fourth (219-217 BCE) and fifth (202-195 BCE) Syrian wars witnessed a dramatic shift in supremacy over this land from Ptolemy IV Philopator during the battle of Raphia (217 BCE) to Antiochus III the Great (198 BCE). It is perhaps in these decades that the Old Greek version of Joshua was produced, possibly by an educated Jewish high official such as Dositheos, son of Drimylos, in order to strengthen within the Ptolemaic court the cultural position of the Jews as well as the illustrious history of the conquest of their homeland. 3 The rich Greek vocabulary for military terms, 4 as well as internal evidence posed by a number of Greek toponyms may support this original setting. 5 A first echo of the Greek translation of Joshua may perhaps be found in the work of the Jewish philosopher Aristobulus (first half of the second century BCE). 6 In a fragment (nr. 3) of his largely lost commentary on the Pentateuch (Ἐξήγησεις τῆς Μωυσέως γραφῆς) Aristobulus claims that already Plato and Pythagoras had borrowed from the Greek translation of the events of the Jewish people from their exodus from Egypt (τά τε κατὰ τὴν ἐξ Αἰγύπτου ἐξαγωγὴν τῶν Ἑβραίων τῶν ἡμετέρων πολιτῶν) up until the conquest of the land (καὶ ἡ γεγονότων ἁπάντων αὐτοῖς ἐπιφάνεια καὶ ἡ κράτησις τῆς χώρας καὶ τῆς ὅλης νομοθεσίας ἐπεξήγησις). 7 The Greek formulation for “gaining control over a specific country,” κράτησις, parallels the unusual Greek rendering in Josh 18:1 for Hebrew ( כבשׁelsewhere κατακυριεύω). Writings from the middle of the second to the middle of the first century BCE place Joshua in a tradition culminating either in the tradition of high-priests (thus Ben Sira 46:1-5 where Joshua is characterized as Moses’s successor in prophecy משרת
3. 4. 5.
6.
7.
van der Meer: Provenance, Profile, and Purpose of the Greek Joshua, 55-80. See Moatti-Fine: Jésus (Josué), 53-66. den Hertog: Erwägungen zur Territorialgeschichte Koilesyreiens; idem, Studien zur griechischen Übersetzung des Buches Josua, 110-44; Van der Meer: Provenance, Profile, and Purpose of the Greek Joshua, 61-74. See e. g. Holladay: Fragments from Hellenistic Jewish Authors 3. Aristobulus. Holladay (7475) dates the work to 176-170 BCE, see also Hengel: Judentum und Hellenismus, 295-97, and others. Adele Yabro Collins: “Aristobulus,” OTP 2, 832-33, finds a date between 155-145 BCE more likely. I follow the higher datation. Fragm. 3 apud Clement of Alexandria, Strom. 1.22.150.2, GCS 52, 93, and Eusebius of Caesarea, Praep. Ev. 9.6.7, GCS 43/1, 493.
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Joshua
– משה בנבואהδιάδοχος Μωυσῆ ἐν προφητείαις, cf. Philo, Virt. 56-65; 8 As.Mos. 9) or the Davidic dynasty (Eupolemos fragm. 2, 10, 1 Macc 2:55 cf. 4Q522 fragm. 9 col. ii 11). 1 Macc 2:64 takes up the specific Septuagintal language for encouragement of a successor (ἴσχυε καὶ ἀνδρίζου cf Josh 1:6, 7, 9, 18; 10:25; Deut 31:6, 7, 23; cf. Philo, Virt. 70), but does not show echoes of the Greek translation of Joshua. This also applies to 2 Maccabees 12:15 where the conquest of Kaspin is compared to that of Jericho (Josh 6). Although one might expect the Hasmoneans to extol the former conquest of the territory they aimed to regain as narrated in the book of Joshua, 12 they were much better served by presenting themselves as the rightful autochthonous rulers of the land and successors of the great kings David and Solomon (see e. g. the works of the Jewish ambassador Eupolemos). 13 Jewish fractions during the Second Temple Period were more interested in matters of cultic calendar (4QApocrJoshb), polemics with the Hasmoneans (4QTestimonia) or faithful observance to the Torah (1QWords of Moses), than the accomplishments of an Israelite general a millennium earlier.
3. Roman Period After the fall of Jerusalem and the destruction of the temple (70 CE) the surviving Jewish elite had to reconsider Jewish identity and the relation to foreigners. New Testament writers paid more attention to a benevolent foreigner like Rahab than to a military leader such as Joshua (see Matt 1:5; Heb 11:30; Jas 2:25; 1 Clem 12:1-8). For them the identical names in Greek of Joshua (Greek Ἰησοῦς) and Jesus of Nazareth did not play a role. 14 A completely different attitude is found in the book of biblical antiquities, erroneously ascribed to Philo (Liber Antiquitatum Biblicarum), where the expulsion of foreign occupiers from ancestral property as told in the stories of the Judges receives full attention. 15 Although it is generally assumed that the Latin text of the sole extant manuscript of this composition 16 ultimately derives from a Hebrew original via a 8. See e. g. Moatti-Fine: Jésus (Josué), 27; Elssner: Josua und seine Kriege, 105-114; Feldman: Philo’s Interpretation of Joshua, 105-114; Farber: Images of Joshua, 153-161. 9. See Tromp: The Assumption of Moses; Hofmann: Die Assumptio Mosis; Farber: Images of Joshua, 161-175. 10. Eupolemos, fragm. 2 apud Eusebius, Praep. ev. 9.30.1-2, GCS 43/1, 538. 11. For the thesis of a single composition, Rewritten book of Joshua, behind 4Q378 (ApocrJosha), 4Q379 (ApocrJoshb), 4Q522 (ApocrJoshc), 5Q9, Mas 1039-211, see Tov: The Rewritten Book of Joshua as Found in Qumran and Masada; Feldman: The Rewritten Joshua Scrolls from Qumran; Farber: Images of Joshua, 195-199. 12. See e. g. Bertholet: The Biblical Conquest of the Promised Land, 45-60; Schnocks: Die Rezeption des Josuabuches in den Makkabäerbüchern, 511-21. See further Elssner: Josua und seine Kriege, 56-71; Farber: Images of Joshua, 149-150. 13. Van der Meer: Reception History, 441-444. 14. Elssner: Josua und seine Kriege, 82-104; de Vos: Josua und Jesus im Neuen Testament, 523540; Koch: “Mose sagt zu ‘Jesus’”, 541-554. 15. See e. g. Jacobson: A Commentary on Pseudo-Philo’s Liber Antiquitatum Biblicarum; Reinmuth: Zwischen Investitur und Testamen, 24-43; Farber: Images of Joshua, 176-195; Van der Meer: Reception History of Joshua, 455-461. 16. Kisch: Pseudo-Philo’s Liber Antiquitatum Biblicarum.
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Greek translation, it is noteworthy that in the retelling of Joshua 24 in LAB 23 Joshua gathers all Israel in Shiloh rather than Shechem, which corresponds the Greek alteration of ( ֶשֶׁכםmt-Josh 24:1, 25) into Σηλω (lxx). Only in the works of Flavius Josephus do the stories of Joshua receive full attention, yet here too, there are only few echoes of the Old Greek version. For Josephus Joshua is the ideal στρατηγὸς Ἑβραίων, a portrait that derives from Thucydides’s description of Pericles rather than the Old Greek of Joshua, where this expression does not occur. 17 Josephus shares with the Old Greek version of Joshua an interest in military affairs and vocabulary, but hardly adopts the formulations or alterations introduced by the Greek translator. In this respect the work of this Jewish Greek author differs from the Greek revisers of the Septuagint, who were among the last Jewish authors in Antiquity to deal with the Bible in Greek. Theodotion (first century BCE) supplemented the sections in the Old Greek of Joshua where the translator had abbreviated his Hebrew text (e.g Josh 2:4b, 9b, 12b, 15b, 21b; 5:4-5, 10-12a; 6:3-4, 6b, 20b; 8:12-18) 18 or followed a shorter Vorlage (Josh 20:4-5, 6b). 19 Aquila (beginning of the second century CE) transformed the Greek text of the Bible into an idiosyncratic composition in which every detail of the proto-Masoretic text is mimicked in Greek. Symmachus, by contrast, tried to present a comprehensible Greek version of the book of Joshua, while maintaining loyal to the proto-Masoretic text and the work of his predecessors. 20 His own adaptation of the Old Greek of Joshua is mostly found in the second half of the book, where the numerous toponyms had confused both the original Greek translator as well as later copyists. Symmachus also seems to have recast the story of Israel’s potential apostasy in Josh 22 into an inner-Jewish halakhic polemic. Whereas the few Jewish interpreters of the Old Greek version of Joshua seemed to have had special interest in inner-worldly themes such as law, land and leadership, Christian interpreters read the book in an allegorical way. 21 For them the Joshua stories were only accessible through the Old Greek version. Elements that lent themselves for typological exegesis were the conversion of Rahab and her family as prototype for all the heathen proselytes entering the new faith, the scarlet cord (τὸ σπαρτίον τὸ κόκκινον Josh 2:18) she left as sign (σημεῖον) for the newcomers, the passage through the Jordan as typology for baptism, entrance into the Promised Land, a second circumcision, the conquest of Jericho, the divine gift of rest (κατάπαυσις cf. καταπαύω Josh 1:15; 22:4) in that new land. 22 A full-fledged application of these themes to almost the 17. Feldman: Josephus’s Portrait of Joshua; see further Moatti-Fine: Jésus (Josué), 27; Elssner: Josua und seine Kriege, 114-26; Farber: Images of Joshua, 200-220; Begg: Flavius Josephus. Judean Antiquities 5-7, with references to his earlier publications on Joshua according to Josephus. 18. See the discussion of these passages in my work “Formation and Reformulation”, 249-478; and my essays “‘Sound the Trumpet!’ Redaction and Reception of Joshua 6:2-25,” and “Literary and Textual History of Joshua 2”. 19. See the discussion of all the readings attributed to Theodotion for the book of Joshua by. Greenspoon: Textual Studies in the Book of Joshua. 20. See my essay “Symmachus’s Version of Joshua”. 21. Elssner: Josua und seine Kriege, 198-225: “Frühchristliche Literatur.” 22. 1 Clem 12; Barn 6, 12; Justinus Martyr: Dial. 62.5, Bobichon I 350-352.
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Joshua
whole of the book (Josh 1-22) is found in the 26 Homilies on Joshua by Origen of Alexandria / Caesarea (c. 185-254 CE), 23 preserved only in the Latin translation by Rufin of Aquileia (c. 345-410 CE). Origen makes full use of the identity in names between Joshua (Greek Ἰησοῦς) and Jesus of Nazareth and explains the book entirely in a spiritual way. 24 In this way Origen is able to justify the extermination of a city like Ai (Josh 8:22-24) by bloodthirsty Jews (humanum sanguinem sitiunt) 25 as a just struggle against demons and bad habits. Later Church Fathers paid only little attention to the book of Joshua. Theodoret of Cyrrhus formulated and answered some twenty questions on the book of Joshua, 26 Here too, an allegorical exegesis of the book prevails, but paired with Antiochene precision for certain details such as toponyms (Hill of Foreskins, Gilgal, Hebron, Jebus).
23. Jaubert: Origène. Homélies sur Josué; Bruce / White: Origen. Homilies on Joshua; Elssner / Heither: Die Homilien des Origenes zum Buch Josua; Elssner: Josua und seine Kriege, 226254. 24. Origen: Hom. Jos. XV.1, SC 71, 330: Nisi bella ista carnalia figuram bellorum spiritualium gererent, numquam, opinor, Iudaicarum historiarum libri discipulis Christi, qui venit pacem docere, legendi in ecclesiis fuissent ab Apostolis traditi, “Unless those physical wars bore the figure of spiritual wars, I do not think the books of Jewish history would ever have been handed down by the apostles to the disciples of Christ, who came to teach peace, so that they could be read in the churches.” 25. Origen: Hom. Jos. VIII.7, SC 71, 234. 26. Petruccione / Hill: Theodoret of Cyrus. The Questions on the Octateuch 1-2. The number of 20 questions and answers on Joshua is modest compared to the 112 questions and answers for Genesis, 72 for Exodus, 38 for Leviticus, 51 for Numbers, 46 for Deuteronomy and 28 for Judges.
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2.2.2.2 Richter – 2. Königtümer Martin Meiser
1. Texte aus dem Richterbuch Literatur Editionen Augustinus: Quaestiones in Heptateuchum, ed. Jean Fraipont, CC.SL 33, Turnhout 1958, 1-377 – Theodoret: Quaestiones in Octateuchum, ed. John F. Petruccione, Vol 2, OECT 2, Oxford 2007.
Für das Richterbuch sind nur wenige Septuaginta-spezifische Nachwirkungen festzustellen. Gideons Ephod (Ri 8,27), im Kontext mit einem illegitimen Kult verbunden (Ri 8,28), stellt für Augustinus wie für Theodoret ein exegetisches Problem dar, hat doch Hanna, so Augustinus, ebenfalls für Samuel ein Ephod angefertigt, und wollte doch Gideon, so Theodoret, keineswegs zur Gottlosigkeit verführen. Das Widergesetzliche dieses σκάνδαλον (Ri 8,27A) liegt nach Augustin an der Missachtung dessen, dass der Kult des wahren Gottes nur im Zelt der Begegnung vollzogen werden durfte, nach Theodoret darin, dass Gideon als Nicht-Priester ein Ephod gar nicht benutzen durfte. 1 In Ri 17,7A ergibt die Formulierung παιδάριον … ἐκ τῆς συγγενείας Ιουδα, καὶ αὐτὸς Λευίτης (»ein junger Mann … aus der Sippe Juda, und er war ein Levit«) die Frage, wie ein Levit zugleich ein Angehöriger des Stammes Juda sein kann. Theodoret erwägt, der Betreffende sei Levit gewesen, habe aber auf dem Gebiet des Stammes Juda gewohnt, oder er stamme von einem Leviten und einer Angehörigen des Stammes Juda ab. 2 Ri 18,30A hält fest, dass Jonathan, der für den Stamm Dan als Priester gewirkt habe, ein Nachkomme des Gesetzgebers Mose gewesen sei. 3 Theodoret stellt diesbezüglich ein doppeltes Fehlverhalten fest: 1. Jonathan hat illegitimen Kult betrieben (das γλυπτόν [»Skulptur«] gilt ihm als εἴδωλον [»Götzenbild«]); 2. Jonathan ist Levit und darf eigentlich keinen Priesterdienst ausüben. Da Mose eine ausländische Frau geheiratet hatte, wurden deren Nachkommen zu den Leviten gezählt, nicht zu den Priestern, um die priesterliche Würde unangetastet zu belassen. 4
1. 2. 3. 4.
Augustinus: Qu. Iud. 41,2, CC.SL 33, 353; Theodoret: Qu. Iud. 17, OECT 2:338. Augustin deutet Gideons Ephod als Gewand, Theodoret als Kultgegenstand zur Gottesbefragung. Theodoret: Qu. Iud. 25, OECT 2,352-354. – Augustinus: Qu. Iud. endet mit Ri 15,12. MT und Cod. B ändern ab zu »Manasse.« Theodoret: Qu. Iud. 26, OECT 2, 354-356.
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Richter – 2. Königtümer
2. Texte aus dem Ersten Samuelbuch Literatur Editionen Ambrosiaster: Quaestiones Veteris et Novi Testament, ed. Alexander Souter, CSEL 50, Wien / Leipzig 1908, 1-416 – Augustinus: De civitate Dei, ed. Emanuel Hoffmann, Vol. 1: Bücher 1-13, CSEL 40/1; Vol. 2: Bücher 14-22, CSEL 40/2, Prag / Wien / Leipzig 1899-1900 – Basilius Caes.: Homilia de ieiunio 2, PG 31, 185 A-198 C – Beda Venerabilis: In 1 Samuhelem, ed. David Hurst, CC.SL 119, Turnhout 1962, 1-272 – Beda Venerabilis: In Regum Librum XXX quaestiones, ed. David Hurst, CC.SL 119, Turnhout 1962, 289-322 – Les constitutions apostoliques, Tome III, Livres VII et VIII, ed. Marcel Metzger, SC 336, Paris 1987 – Cyprian: Epistularium, ed. Gerard F. Diercks, CC.SL 3 B, Turnhout 1994 – Gregorius I. Rom.: Expositio in Librum primum Regum, ed. Patrick Verbraken, CC.SL 144, Turnhout 1963, 47-614 – Gregorius Naz.: Discours 1-3, ed. Jean Bernardi, SC 247, Paris 1978 – Origenes: Die Leviticushomilien, ed. Willem A. Baehrens, GCS 29, Leipzig 1920, 280-507 – Tertullian: De ieiunio adversus Psychicos, ed. August Reifferscheid / Georg Wissowa, CC.SL 2, Turnhout 1954, 1255-1277 – Theodoret: Quaestiones in Octateuchum, PG 80, 76 A-528 A – Theodoret: Quaestiones in librum I Regnorum, PG 80, 527 B-596 B – Zeno Veron., Tractatus, ed. Bengt Löfstedt, CC.SL 22, Turnhout 1971.
Hanna wird aufgrund der Voraussage des/der »Gesalbten des Herrn« (1Sam/Kgt 2,10) in jüdischer wie christlicher Tradition als Prophetin verstanden. 5 Samuel wird in der Septuaginta des Ersten Samuelbuches deutlicher als in der hebräischen Vorlage einem Priester angenähert (1Kgt 2,18; 7,16), und in 1Kgt 1,11 wird die Weihe Samuels durch den Vermerk, dass er keinen Wein trinken werde, noch deutlicher als in der hebräischen Vorlage vollständig den Bestimmungen für das Nasiräat angepasst. In antiker jüdischer Tradition wird die Kennzeichnung Samuels als eines Nasiräers auch bei Philo von Alexandria und bei Josephus weitergetragen. 6 In der patristischen Tradition ist etwas häufiger die Vorstellung belegt, dass Samuel Priester war 7 (gelegentlich wird er sogar als ἀρχιερεύς, als Hoherpriester bezeichnet 8), während auf den Weinverzicht nur Tertullian und Basilius von Caesarea zu sprechen kommen, um den Nutzen des Fastens zu unterstreichen. 9 Für Origenes wie für Theodoret gilt Samuel in der Tat als Nasiräer. 10 5. Philo: Somn. I, 254; Augustin: Civ. XVII, 4, CSEL 40/2, 212. 6. Philo: Ebr. 143; Somn. I, 253 f.; Josephus: Ant V, 47. Josephus: Ant V 48 übernimmt die Vorstellung, dass Elkana und Anna die Zehntfrüchte geopfert haben und somit als vorbildliche Fromme erscheinen. 7. Cyprian: Ep. 3,2, CC.SL 3 B, 11; Const. Apost. VIII, 5,4, SC 336, 146; Augustin: Civ. XVII, 4, CSEL 40/2, 210; Zeno: Tract. I, 2,4/8, CC.SL 22, 17; kritisch dazu Ambrosiaster: Qu.V.N.T. 46, CSEL 50, 83-90. Für Theodoret: Qu. 1Reg 1, PG 80, 529D – 530A hingegen gilt Samuel als Levit, vermutlich unter Einfluss von 1Chr 6,18-23. Beda: Qu. 1Reg 1, CC.SL 119, 296, muss die Tatsache, dass Samuel Levit war (1Chr 6,18-23), ausgleichen mit 1Reg 2,35 f., wo die Erweckung eines neuen Priesters statt der Söhne Elis angekündigt wird. Er verweist darauf, dass Christus auch nicht aus dem Stamme Levi stammt; das maßgebliche Urteil Gottes über 1Kgt 8,3 sei durch Samuels Lebensführung bestätigt. 8. Const. Apost. VIII, 46,7, SC 336, 268. 9. Tertullian: De ieiunio 9,9, CC.SL 2,1266 f.; Basilius: Ieiun. 2,6, PG 31, 193 B. 10. Origenes: Hom. Lev. 8,11; 11,1, GCS 29, 413.449; Theodoret: Qu. 1Reg 6, PG 80, 536A. Für Theo-
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Die Lesart ἑνιαυτοῦ im Antiochenischen Text von 1Kgt 13,1, das Alter Sauls bei seinem Herrschaftsantritt betreffend, ist gelegentlich auf die Bescheidenheit Sauls während seines ersten Regierungsjahrs gedeutet worden 11, häufiger aber allegorisch ausgelegt worden, auf die Einfalt der Seele 12, wie auf die kindliche Unschuld 13 oder auf die Einmütigkeit der Orientierung auf das Reich des Glaubens im Gottesvolk sive in sinagoga sive in ecclesia (»sei es in der Synagoge, sei es in der Kirche«). 14
3. Das Zweite Buch Samuel Manche Texte aus dem Zweiten Buch Samuel sind später von Bedeutung gewesen (z. B. 2Kgt 7,12.14; 11,1-12,15). Septuaginta-Spezifisches hat aber keine eigene Rezeptionsgeschichte nach sich gezogen.
11. 12. 13. 14.
doret rechtfertigt das auch, warum Samuel den Ephod tragen durfte, obwohl er nicht Priester war, sondern Levit. Beda Venerabilis: In 1Sam I 2,18, CC.SL 119, 27 setzt voraus, dass auch die Leviten den Ephod trugen. Beda Venerabilis: In 1Sam I 13,1, CC.SL 119, 102. Theodoret: Qu. 1Reg 26, PG 80, 553C. Weil Saul aber diese Einfalt nicht lange beibehalten habe, habe er nur zwei Jahre regiert Gregor d. Gr.: in 1Reg V, 45, CC.SL 144, 446 f. Beda Venerabilis: In 1Sam I 13,1, CC.SL 119, 102.
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3.-4. Königtümer
2.2.2.3 3.-4. Königtümer Benedikt Collinet Literatur Editionen Clemens Alex.: Stromata I-VI, ed. Otto Stählin / Ludwig Früchtel, 4. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 52, Berlin 1985, Stromata VII-VIII, ed. Otto Stählin, 3. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 17, Berlin 1970, 3-102 – Origenes: Die Homilien zum Buch Jeremia, ed. Alfons Fürst / Horacio E. Lona, OW 11, Berlin 2018 – Severus Antioch.: Fragments grecs tirés des chaînes sur les derniers livres de l’octateuque et sur les règnes. Texte grec établi et traduit par Françoise Petit, TEG 14, Leuven 2006 – Theodoret: Quaestiones in Reges et Paralipomena, ed. Natalio Fernández Marcos / José Ramon Busto Saíz, TECC 32, Madrid 1984.
Weitere Literatur Karrer, Martin / Kraus, Wolfgang (ed.): Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Bd. I. Genesis bis Makkabäer, Stuttgart 2011 – Siquans, Agnethe: Der Deuteronomiumkommentar des Theodoret von Kyros, ÖBS 19, Wien 2002.
Vom Gesamtumfang unterscheiden sich 3/4Kgt im griechischen Text nicht signifikant vom MT, mit Ausnahme der größeren und sinnändernden Einschübe in 3Kgt 12,24a-z und 14, die die Reichsteilung nach Salomo in ein anderes Licht rücken wollen. 1 Auffällig im Bereich der Septuaginta sind eher die Abweichungen zwischen Ant bzw. kaige und OG, als der Vergleich zwischen den hebräischen und griechischen Lesarten. 2 Eine Ausnahme bilden die Notarika, z. B. wird der Name des ammonitischen Gottes Milkom, in 3Kgt 11,5.33 in mlk m* (»ihr König«) aufgeteilt, um Rang und Namen des Idols als Verherrlichung eines Menschen darzustellen. 3 Ein immer wieder anzutreffendes Phänomen sowohl in der jüdischen (z. B. Josephus Flavius) als auch christlichen Rezeption (z. B. Eusebius von Caesarea) ist das unkommentierte Ineinanderlesen von 3/4Kgt mit 1/2Chr, was dazu führt, dass Kommentare, Homilien, Geschichtsschreibungen und Traktate zu allen vier Büchern für die Wirkungsgeschichte einbezogen werden müssten. 4
1.
2.
3. 4.
Ebenso wie in 1/2 Chr zeigt sich auch in der Lxx eine Tendenz Salomo zu verherrlichen (vgl. Septuaginta Deutsch. Erläuterungen I, 724) und deswegen zu entschuldigen. Eine solche Tendenz könnte auch Grundlage des Nachtrags und der anderen Ergänzungen sein. Vgl. Septuaginta Deutsch. Erläuterungen I, 716-719. Auch die Tatsache, dass immer wieder Änderungen in der Reihenfolge vorgenommen werden, z. B. 3Kgt 7 oder die Vertauschung von 3Kgt 20 und 21 ist signifikant. In der Wirkungsgeschichte der Lxx lässt sich diese Tatsache aber nicht als relevanter Unterschied zum MT ausmachen. In 3Kgt 11,7 wird der Name ganz ausgelöscht. In der Einspielung dieser Stelle in 4Kgt 23,13 dagegen, wird er als Name, MolochAnt bzw. MolcholRA-Text, wiedergegeben. Für die Wirkungsgeschichte von 1/2 Chr sei auf den entsprechenden Beitrag in diesem Band verwiesen.
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Eine weitere Schwierigkeit ist das Fehlen vollständiger Kommentare zu 3/4Kgt, da die später dominierende allegorische Auslegung des Christentums sich stärker auf Pentateuch, Heptateuch oder auch Oktateuch sowie Hintere Prophetie konzentriert, das Judentum, sofern es sich überhaupt auf die Lxx bezieht, Tora, Hintere Propheten und besonders die Weisheitsschriften vorzieht. Die wenigen Werke, die es gab, scheinen daher kaum kopiert worden zu sein, was einen Mangel an Handschriften zur Folge hatte. Es bleiben in der Regel nur Fragmente, bspw. der Antiochenischen Schule. Außerdem gibt es Namen und Daten von Königen, die zu chronistischen Zwecken verwendet werden (Clemens v. Alexandrien, Eusebius u. a.), die teils stark veränderte Nacherzählung in den Antiquitates Judaicae des Josephus Flavius (bes. Bücher VIII-X) sowie Zitate innerhalb von Traktaten, die aus dem biblischen Text herausgelöst wurden, um eigene theologische Ausführungen zu untermauern oder zu verdeutlichen. 5 Das hellenistische Judentum befasst sich zwar mit den Erzählungen der getrennten Reiche, aber weder in den Fragmenten der Geschichtsschreiber, noch in den knapp zehn – und in ihrer Zuordnung teils umstrittenen – Zitaten bei Philo von Alexandrien lässt sich eine Besonderheit des Lxx-Textes gegenüber der MT-Version feststellen. Der Philo zugeschriebene Liber Antiquitatum Biblicarum umfasst bei seiner Erzählung nur die Zeit von Adam bis David und verweist nur an zwei Stellen auf die nachfolgende Königsgeschichte bzw. Zerstörung und Untergang des Südreiches Juda (XXVI,13; LVI,3). Spätestens zur Zeit des Targum Jonatan über die Vorderen Propheten (entstanden zwischen 200 und 400 n. Chr.) endet die griechisch-sprachige Rezeption von 3/4Kgt im Judentum. Es ergeben sich daraus zwei Konsequenzen. Zum einen ist das Fehlen dieser Bücher bei Philo geradezu programmatisch für die christlich-alexandrinische Schule, aber auch die allegorische Auslegung im Allgemeinen, d. h. 3/4Kgt werden so gut wie gar nicht berücksichtigt. Andererseits bleibt aus Sicht des Judentums Josephus als Hauptquelle der Wirkungsgeschichte, dessen eigensinnige Rezeption sowohl in der freien Nacherzählung der Antiquitates als auch in den wenigen Verweisen in Contra Apionem eher apologetische Züge trägt als den Willen zu einer textnahen Überlieferung. Auf christlicher Seite finden sich hauptsächlich Anspielungen an 3/4Kgt, die sich nicht auf die Auslegung größerer Textpassagen im Zusammenhang konzentrieren, sondern den Text als argumentative Stütze verwenden. Im Neuen Testament finden sich wenige Anspielungen auf die Königsbücher; eher ist es eine Einspielung von Namen, z. B. prominent in Mt 1,1-13 oder der Salomokritik in Mt 6,29par; 12,42par. Bei Clemens Alexandrinus finden sich die meisten Zitate in seinem geschichtlichen Durchgang zu den Königen Israels (Str. I, 110-124) 6, wobei es in erster Linie um eine Zusammenfassung der Erzählungen geht. 5.
6.
All diesen Zitate, Allusionen und Fragmenten ist gemeinsam, dass es ihnen nicht um eine Kommentierung von 3/4Kgt selbst geht, sondern um andere Ziele. In der Konsequenz handelt es sich daher selten um Vollzitate von Bibelstellen, sodass eine wirkungsgeschichtliche Entfaltung eher auf der Inhalts- als auf der Wortebene erfolgen müsste – eine Leistung, die ein so kurzer Artikel gar nicht leisten kann und will. Clemens Alex: Strom. I, 110,1-124,4, GCS 52, 70-78.
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3.-4. Königtümer
Origenes hat innerhalb seines umfangreichen Werkes keine Hinweise auf Homilien oder einen Kommentar hinterlassen. Die vorhandenen Informationen zu den Königsbüchern sind breit gestreut und können in der Regel nur aus Rückübersetzungen aus dem Lateinischen erschlossen werden. 7 Sein exegetisches Interesse liegt in anderen Schriften. Daher sind die annähernd 500 Zitate 8 zu den Königsbüchern zwar beeindruckend, müssen aber je einzeln nachverfolgt und aus ihrem Kontext heraus verstanden werden. Sie dienen, wie schon bei Philo und Clemens, als Autoritäten, werden aber selber kaum ausgelegt oder direkt zitiert. Die Exegeten-Schule der Antiochener dagegen schenkte den Geschichtsbüchern mehr Aufmerksamkeit. Ihre Werke sind jedoch größtenteils fragmentarisch erhalten. Das gilt im Fall von 3/4Kgt ebenso von Theodor von Mopsuestia, wie von den späten Antiochenern Procopius von Gaza (465-528) und Severus von Antiochien (456-538). Ersterer gibt 4Kgt 24,18 indirekt wieder, letzterer endet mit seinem Kommentar bei 4Kgt 23,17 f. 9 Die einzige Ausnahme bildet Theodoret von Cyrus mit seinem weitgehend erhaltenen bzw. rekonstruierbaren Werk De quaestionibus ambiguis in Libros Regnorum et Paralipomenon. Genau genommen handelt es sich hierbei um die Gattung Quaestiones et solutiones, d. h. es wird von einem Direktzitat ausgegangen, um eine Frage zu beantworten. 10 Eusebius von Caesarea zitiert immer wieder 3/4Kgt in seinen geschichtlichen Passagen. Da er sich häufig auf Josephus als Quelle bezieht, auch was die Schriftzitate angeht, ist seine Rezeption bereits aus zweiter Hand und 3/4Kgt wird von ihm als geschichtlich wahr vorausgesetzt, d. h. die indirekten Zitate und Paraphrasen stehen axiomatisch und deshalb in der Regel unkommentiert. Die Kappadokier schließlich verwenden 3/4Kgt sehr breit gestreut, mit je einer Auffälligkeit. Gregor von Nazianz nimmt gerne in seinen Orationes auf sie Bezug, wobei es sich meist um Allusionen handelt. In den Enarrationes in Esaiam des Basilius, deren Autorschaft allerdings umstritten ist, liegt der Schwerpunkt auf Parallelstellen, die die Kommentierung des Buches Jesaja unterstützen, d. h. auch hier geht es eher um Anspielungen und Autorität als um den Text selber. Bei Gregor von Nyssa schließlich finden sich die meisten Zitate bzw. Anspielungen in seinen Hohelied-Homilien. Diese wiederum sind stark von Origenes beeinflusst, sodass auch hier eher eine Bezugnahme aus zweiter Hand zu vermuten wäre, nämlich nicht aus den Hexapla, sondern aus dem Hoheliedkommentar bzw. den -Homilien. Ein kurzes Beispiel für die Wirkungsgeschichte der Lxx muss an dieser Stelle genügen: die Namensgleichheit der Könige Jojakim (4Kgt 23,36) und Jojachin (4Kgt 24,8) als »Joakim« findet sich nur in der OG Überlieferung. Einige antike Exegeten versuchen dies zu erklären, indem sie von dieser Gleichheit Rückschlüsse auf den Untergang Judas (4Kgt 25) ziehen. 7. 8. 9. 10.
Aus diesem Grund fällt Origenes als Beispiel aus. Vgl. Biblia Patristica 3. Origène, Paris 1980, 112-116. Sévère d’Antioche: Fragments grecs tirés, 97; 119. Vgl. ACCS xviiif. Die folgenden Ausführungen basieren auf dem Text der kritischen Edition von Fernández Marcos / Busto Saiz: Theodoreti Cyrensis Quaestiones in Reges et Paralipomena.
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Geschichtsbücher
Während sich bei Josephus oder auch im Ant keine Hinweise auf eine Namensgleichheit finden, sondern zwischen den beiden Königen unterschieden wird, finden sich in der christlichen Rezeption einige Spuren, die auf den Ra-Text hinweisen. Clemens von Alexandrien führt in den Stromateis die letzten Könige von Juda in für seine Zeit bemerkenswert unpolemischer Form auf. Ausgehend vom Ra-Text schließt er auf eine Verbindung von Königtum und Prophetie. Die Propheten scheinen ihm dabei wichtiger zu sein als die Könige, denn er zählt an einer Stelle nur erstere als relevant für ihre Zeit auf. 11 An anderer Stelle deutet er an, dass die Könige selbst Teil der Propheten sein könnten, was sie zu Typoi für Christus machen würde. 12 Die Namensgleichheit übernimmt Clemens dabei und glaubt, dass es um Blickwinkel der Herrschaft eines Königs zu verschiedenen Zeitpunkten seiner Herrschaft gehe, die jeweils eigene Aspekte des göttlich-prophetischen Königtums eröffnen. Origenes’ einzige Kommentierung zu 2 Kön 23-25 findet sich in einer JeremiaKatene: Unter Verweis auf Josephus, Ant. X, 97 deutet er Jer 22,24 auf Joakim als begnadigten König hin (4Kgt 25,27-30). Joakim habe seine Sünden bereut und sei dadurch teilweise gerechtfertigt worden. Das ganze Heil bleibe ihm allerdings verwehrt, denn sonst hätte er nach Jerusalem zurückkehren dürfen. 13 Auch bei Origenes zeigt sich die Kenntnis der Namensgleichheit. Er rezipiert sie ebenfalls unhinterfragt bzw. unkommentiert. Nach diesen beiden geistigen Auslegungen erstarkt in den folgenden Dekaden Antiochenische Exegese. Von Theodor von Mopsuestia (350-429) sind nur noch Fragmente erhalten. 14 4Kgt 25,3f findet sich als Einspielung ohne Auslegung in Fragment 15. 15 Theodoret von Cyrus nimmt in den Quaestiones in Reges 5’ und 57’ auf 4Kgt 23f Bezug. Bei der Frage nach der unklaren Bedeutung des Namens Ahasjas verweist Theodoret auf 4Kgt 24,17, wo Mattanja den Thronnamen Zidkijahu verliehen bekommt. 16 Theodoret möchte damit wohl die Benennungsprobleme in der Septuaginta literal auflösen, um nicht – wie Clemens von Alexandrien – auf eine geistig-moralische Antwort ausweichen zu müssen. In Quaestio 57, die zugleich die letzte der Königsbücher ist, zitiert Theodoret die Begnadigung Jojachins (4Kgt 25,27) wörtlich. Kontext sind die prophetischen Vorhersagen des Jeremia und das Eintreten von göttlicher Strafe und Gnade. 17 Auch diese ist für Theodoret plausibel, ohne einen geistigen Schriftsinn hinzuziehen zu müssen. Er hat bei seinen Ausführungen Jojachin namentlich von Jojakim unterschieden, d. h. er scheint wie Josephus, und damit im Gegensatz zu den Alexandrinern, Ant als Quelle
11. Clemens Alex.: Strom. I, 122,1-4, GCS 52, 76 f. 12. Ersteres Clemens Alex.: Strom. I, 121,1-4, GCS 52, 76, letzteres Clemens Alex.: Strom. I, 127, 1-2, GCS 52, 79. 13. Origenes: In Ier., Frgm. 14(89), Fürst / Lona, 549. 14. Grund dafür ist wohl das aufkommende Interesse an der Allegorie im Mittelalter. Origenes und Philo werden wichtig für die Sammler und Kopisten, während die Antiochenische Schule aus dem Blick gerät und ihre Handschriften verloren gehen (vgl. auch Siquans: Deuteronomiumkommentar, 33). 15. Sévère d’Antioche: Fragments, 176. 16. Fernández Marcos / Busto Saíz: Theodoreti Cyrensis Quaestiones, 196. 17. Vgl. ebd.: 241-243.
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3.-4. Königtümer
verwendet zu haben. An diesem Beispiel zeigt sich, dass die von Hieronymus angenommene Teilung der Bibelversionen in eine westlich-alexandrinische und eine östlich-antiochenische Version für 3/4Kgt durchaus plausibel ist.
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2.2.2.4 Chronicles Ma Victoria Spottorno Bibliography Editions and Translations Septuaginta: Paralipomenon liber II, ed. Robert Hanhart, Septuaginta Vetus Testamentum Graecum, Göttingen 2014 – Fernández Marcos, Natalio / Busto Saiz, José Ramon (eds.): El texto antioqueno, III, 1-2 Crónicas. TECC 60, Madrid 1996 – Cañas Reíllo, José Manuel: Paraleipómena, in Natalio Fernández Marcos / María Victoria Spottorno Díaz-Caro (eds.): La Biblia griega. Septuaginta. II: Libros históricos. Salamanca: Ed. Sígueme, 22018, 429554 – Sabatier, Petrus (ed.): Bibliorum sacrorum latinae versiones antiquae seu Vetus Italica et caeterae quaecumque in codicibus manuscripti et antiquorum libris reperiri potuerunt, Reims: 1743 – Eusebius Caes.: Praeparatio evangelica, ed. Karl Mras, GCS 43/1, Berlin 1954, 2nd edition ed. Édouard des Places, Berlin 1982 – Johannes Chrysostomus: Homélies sur Ozias (In illud, Vidi Dominum), ed. Jean Dumortier, SC 277, Paris 1981 – Theodorus Mopsuest.: Le Commentaire de Théodore de Mopsueste sur les Psaumes, ed. Robert Devresse, Studi e Testi 93, Vaticano 1939 – Theodorus Mopsuest.: Commentarius in XII Prophetas, ed. Hans Norbert Sprenger, Wiesbaden 1977 – Theodoret: Quaestiones in Reges et Paralipomena, ed. Natalio Fernández Marcos / José Ramon Busto Saíz, TECC 32, Madrid 1984.
Secondary Literature Allen, Leslie, C.: The Greek Chronicles. The Relation of the Septuagint of I and II Chronicles to the Masoretic Text. Part I: The translator’s Craft, VTSup 25, Part II: Textual Criticism. VTSup 27, Leiden 1974 – Barthélemy, Dominique: Les devanciers d’Aquila, VT.S 10, Leiden 1963 – Carmignac, Jean: Les devanciers de S. Jérôme. Une traduction latine de la recension kaige dans le second livre des Chroniques, in: Pierre Casetti / Othmar Keel / Adrian Schenker (eds.), Mélanges Dominique Barthélemy, OBO 55/1, Fribourg / Göttingen 1981, 31-50 – Devresse, Robert: Essai sur Théodore de Mopsueste. Vaticano: Studi e Testi 141, 1948 – Fernández Marcos, Natalio: La edición de las Quaestiones in Reges et Paralipomena de Teodoreto, Sefarad 40 (1980), 235-255 – Fernández Marcos, Natalio: Scribes and Translators. Septuagint and Old Latin in the Books of Kings. Leiden: VTS 54, 1994 – Fernández Marcos, Natalio: The Antiochian Text in I-II Chronicles, in: Claude E. Cox (ed.), VII Congress of the IOSCS. Atlanta, Georgia: SBLSCS 31, 1991, 301-311 – Gerleman, Gillis: Studies in the Septuagint. II Chronicles, Lund 1946 – Spottorno Díaz Caro, Maria Victoria: The Books of Chronicles in Josephus’ Jewish Antiquities, in: Bernard A. Taylor (ed.), IX Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Cambridge, 1995, SBLSCS 45, Atlanta1997, 381-390 – Weber, Robert: Les anciennes versions latines du deuxième livre des Paralipomènes. Roma 1945.
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Chronicles
1. The Septuagint of Chronicles The reception history of the books of Chronicles does not come isolated from other books of the Bible; nonetheless, due to their particular contents, they give a blurry sketch of their presence in the subsequent transmission. The books of Chronicles (Paraleipomena in LXX) are considered as a possible duplicate or a complement of the history of the kings related in the four books of Kingdoms. They are placed inmediately after the books of Kingdoms in the Greek Bible, offering a second version of those books. The narrative of the history of Israel is completed in the two books of Esdras. With certain caution, it is possible to draw the links among them about the date and the impact of these eight historical books of the Septuagint; nevertheless, each book, even in the duplicate accounts, has its own character sometimes supported by the literal approach between the LXX translation of Chronicles and the MT. 1 In the first decades of the 20th century a deep discussion about the origin of the Greek translation of the Paraleipomena took place among Biblical scholars. The question was taken in connection with 1-2 Esdras. It was assumed that 1 Esdras, followed by Josephus, is a Septuagintal translation, 2 Esdras is a later translation, and the Paraleipomena is a version from one of the Three, most probably Theodothion, bearing parallel resemblance to the book of Daniel. This theory, initiated by H. Howorth, was followed by C. C. Torrey, and after him by G. F. Moore, W. A. L. Elmslie, B. J. Roberts, S. Jellicoe (Ur-Theodotion in the 1st century BC). R. H. Pfeiffer admits a later date (1st–2nd cent. AD) for the translation, but not made by Theodotion. Some scholars (H. St. J. Thackeray, A. Rahlfs, A. T. Olmstead, B. Walde, M. Rehm and G. Gerleman) were against Torrey’s theory. The disagreements began by observing the Egyptian Ptolemaic traits of Pararaleipomena, 2 and afterwards other reasons were taking place in favour of rejecting a Theodotionic authorship. 3 The arguments inclined the scientific community to admit that the text of Paraleipomena were part of the LXX and were translated around the first half of the 2nd century BCE. The first citation of the Greek translation of the books of Paraleipomena was quoted by Eusebius of Cesarea in the 3rd–4th century. In his Praeparatio evangelica IX 34 it is said that Eupolemus, the hellenistic jewish historian, quoted the LXX with the word κώδωνας (2 Par 4:13), unusual for רמונים, normally translated by ῥοάς. 4 Eupolemus probably was one of the ambassadors sent by Judas Maccabee to negotiate the peace with the Romans (1 Mac 8:17-22 and 2 Mac 4:11) This fact might take place between 161-157 BCE, dating the composition of the books of Paraleipomena not after the first half of the 2nd century BCE. These texts were transmitted together with other historical books, but, by their own character – giving duplicity of the main narrative – they did not have a wide reception in commentaries and quotations. Nonetheless the traces of their textual evolution can be found through the subsequent literature. Although the καίγε revision was not active in the books of Paraleipomena, some features of that revision are found 1. 2. 3. 4.
Allen: The Greek Chronicles I, 38-64. Allen: The Greek Chronicles I, 21-23. Allen: The Greek Chronicles I, 13-15. Eusebius Caes.: Praep. ev. IX, 34,11, GCS 43/1, 543; Allen: The Greek Chronicles I, 11-12.
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Geschichtsbücher
in different groups of manuscripts. 5 The Antiochene or Lucianic group is representative of the evolution that took place in the first centuries of the Christian era over the old LXX, bringing as a result an homogeneous text clearly connected with the indirect witnesses of Qumran, Josephus and the Antiochene Fathers. The manuscripts concerning the Antiochene recension in the Books of Kingdoms have been reduced in the Paraleipomena to three or four manuscripts (19, 108, 93, and 121 in the first 11 chapters of 1 Par). This little group is the most significant receiver of the LXX text. Thus, the text of Par stands out in the quotations of Josephus, as the main witness for the proto-lucian trend, of the Antiochene Fathers (Theodoretus Cyrensis 393-465, John Chrysostom ca. 349-407, Eustathius of Antioch ca. 270–ca. 360, Theodor of Mopsuestia ca. 350-428), of the Vetus Latina (Old Latin Version) with the Latin Fathers (Lucifer of Cagliari ?–370/371), the marginal glosses of the Spanish Vulgata Bibles and the Alcalá Polyglot Bible, with the support of the Armenian version shared with hexaplaric manuscripts. They offer, within the Septuagintal tradition, a text closely representative of the original Paraleipomena. 6
2. The witness of Josephus Although Josephus’ techniques in adapting the Biblical text constitutes a handicap to find out his real sources, it is clear that he knew the Greek books of Chronicles. Some examples illustrate this assertion: 2 Par 26:21 ἀπεσχίσθη (ἐξώσθη Ant, “he was retired”) ἀπὸ οἴκου Κυρίου (“from the house of the Lord”); JA 9:226 καὶ ἐκέλευον ἐξιέναι τῆς πόλεως (“and they asked [him] to leave the city”) TM “( נזר מבית יהוהhe was excluded from the house of the Lord”); this is a sentence that Josephus most probably took from Paraleipomena, because it is absent in the parallel text of the book of Kings (4 Kgs 15:5). In the next case Josephus changes the word according to his most consistent technique of hiding his sources: 2 Par 11:22 διενοεῖτο (“he had in mind”); JA 8:250 ἐπίστευσεν; (“he believed”) TM > Armenian posuerunt in mente sua (“they put in his mind”). If we dismiss the readings derived from the parallel text of the four books of Kingdoms, 7 the other readings indicating clear contacts become of great value. Josephus shows in about thirty cases 8 of these books not specifically supported by the MT. Josephus’ quotations that are unambiguously present in the Antiochene prove that the text received by the Antiochene is in line with the old LXX.
5. 6. 7. 8.
Barthélemy: devanciers, 41-43, 48-67. Fernández Marcos: The Antiochian Text in I-II Chronicles, 301-311. Allen: The Greek Chronicles 175-218. Spottorno: Books of Chronicles, 386-387.
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3. The witness of Christian authors and texts 3.1 Eustathius of Antioch There is one clear quotation of 2 Par 35:19a in Eustathius’ Homily upon the Witch of Endor, but it does not reflect either text, the LXX or the Antiochene. 9 The word καρσαείν Eust, καρασίμ LXX, and καρεσείμ Ant, seems to be a transcription of a term derived from a wrongly read Hebrew word “( קדשbeing sacred”), corrupted in the manuscripts ( רfor )ד. 10
3.2 Diodorus Tarsensis Allusions and indirect quotations of our books can be found in Diodorus’ Commentaries on Psalms, and do not appear in the catenae manuscripts. 11 The identification of the text quoted by Diodorus with the text of 2 Par chapters 32 and 36 present greater difficulties due to the parallel passages in 4 Kgms 18-20 and Isaiah 36-38. Among the possible connections, one of them reproduces unequivocally an Antiochene reading: 2 Par 32:15, where ῥύσεται (“shall rescue”) agrees with the Antiochene against σώσει (“shall save”) of the rest of the LXX. 12
3.3 John Chrysostom Some of the scarce quotations of Paraleipomena in John Chrysostom’s homilies are coincident with the text of both, the LXX and the Antiochene, e. g. 2 Par 26:19, 13 but in the cases where those texts disagree he quotes the Antiochene (2 Par 26:4,16,18). They all belong to Homilies on Ozias. 14 In the extensive writing of Chrysostom, Paraleipomena have not been the subject of any of his works, only allusions can be found through his homilies or commentaries on other books of the Bible.
3.4 Theodore of Mopsuestia Only one quotation of Paraleipomena, 1 Par 16:22 15: μὴ ἅπτεσθε τῶν χριστῶν μου καὶ ἐν τοῖς προφήταις μου μὴ πονηρεύσθε (“Do not touch my anointed ones, and among my prophets do no harm”), 16 coincident with the Antiochene in the present form ἅπτεσθε (“touch”), discrepant with the LXX middle subjunctive aorist ἅψησθε (“may touch”); the quotation is found in his Commentary on the twelve Prophets. 17
9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.
Fernández Marcos / Busto Saíz (ed.): El texto antioqueno, XXXIII. Cañas Reíllo, note a.l. Devreesse: Commentaire 155-167. Fernández Marcos / Busto Saíz (ed.): El texto antioqueno, XXXII-XXXIII. Dumortier: Jean Chrisostome: Homélies sur Ozias, 192. Dumortier: Jean Chrisostome: Homélies sur Ozias, 110, 130, 166. Fernández Marcos / Busto Saíz (ed.): El texto antioqueno, XXXIII. Th 129,25 and 278,1. Sprenger: Commentarius, 1977.
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Theodore’s Commentary on the Psalms, preserved in Latin up to Psalm 31, 18 bears five allusions and a quotation in Latin (2 Par 32:26): Sicut in Paralipomenis scriptum est, “et corruit Ezechias ab exaltatione cordis sui” (“As it is written in the Paraleipomena, ‘and Hezekias was brought low from the exaltation of his heart’”), where the Antiochene text and the LXX agree.
3.5 Theodoretus Cyrensis The commentary of Theodoretus Quaestiones in Reges et Paraleipomena is the main witness for the text of Paraleipomena. He is the only Father of the Greek Church who wrote about these books, as if no other writer was interested in commentating the books of Chronicles. Theodoretus himself made the difference, and while the Quaestiones about the four books of Kingdoms are 119, only two Quaestiones, one for each book, fill the commentary of Chronicles. The manuscripts and their groups are described in the Introduction of the late edition, 19 as well as a sound study of the text. The quotations mostly coincide with the Antiochene text as a witness closer to the original LXX than the texts corrected to approach the Hebrew.
3.6 The Vetus Latina (The Old Latin Version) Although the VL manuscripts are akin to the Antiochene text, the evidence coincident with the mayority or with part of the LXX is not lacking. R. Weber edited the Old Latin text as it is preserved in Cardinal Cisneros’ Complutensian Biblia Polyglotta, and he collected some of the evidence of the Latin Fathers. The text of the Complutensian goes back to the 4th century, quoted by Lucifer of Cagliari, and it is mostly present in the Antiochene text of 2 Par. Since this is a revised text of the original LXX, Lucifer’ quotations are also representative of the majority LXX, his text being probably derived from a mixed Greek text of the Old LXX and the Antiochene, as it occurs in the Complutensis manuscript and in the marginal notes of Codex Legionensis, 20 although the VL marginal notes found in the Spanish Vulgata Bibles, are mostly coincident with the Antiochene recension. The patristic witnesses of the VL in 1 Par have been collected by P. Sabatier. These readings come from Augustin’s De gratia et libero arbitrio, from Opus imperfectum in Mattaeum by an unknown author, from the Codex Corbeiensis 1, from Facundus of Hermiane (6th cent.). Other quotations come from the Quaestiones in I et II Paralipomena (ca. 800) that were falsely attibuted to Jerome in the middle ages. 21
18. 19. 20. 21.
Devresse: Commentaire, 186-201. Fernández Marcos / Busto Saíz (ed.): El texto antioqueno. Carmignac: devanciers, 33-34. For these and other witness, see Fernández Marcos / Busto Saíz (ed.): El texto antioqueno III, XLIV-XLVIII.
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2.2.2.5 Esther Marie-Theres Wacker Literatur Texte und Editionen Cavalier, Claudine: Esther. La Bible d’Alexandrie 12, Paris 2012 – De Troyer, Kristin / Wacker, Marie-Theres: Esther (Das Buch Esther), in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, Stuttgart 2009, 593-618 Börner-Klein, Dagmar / Hollender, Elisabeth: Rabbinische Kommentare zum Buch Esther, 2 Bde. Leiden u. a. 2000 – Börner-Klein, Dagmar / Zuber, Beat: Josippon, Jüdische Geschichte vom Anfang der Welt bis zum Ende des Aufstands gegen Rom. Hebräisch-Deutsche Textausgabe. Wiesbaden 2010 – Ego, Beate: Targum Scheni zu Esther, TSAJ 54, Tübingen 1996 – Grossfeld, Bernard: The First Targum to Esther, New York 1983 – Grossfeld, Bernard: The Two Targums of Esther. The Aramaic Bible 18, Edinburgh 1991 – Grossfeld, Bernard: The Targum Sheni to the Book of Esther, New York 1994 – Hüttenmeister, Frowald G.: Megilla. Schriftrolle. Übersetzung des Talmud Yerushalmi 2,10, Tübingen 1987 – Niese, Benedikt (ed.), Flavii Iosephi Opera. 7 Bde., Berlin 1885-1895 – Rosenberg, Avraham Yosef: מגלת אסתר – גדולות מקראותThe Book of Esther. A New English Translation of the Text, Rashi, and a Commentary digest, Judaica Books of the Hagiographa – The Holy Writings, New York 1992 – Rottzoll, Dirk U.: Abraham Ibn Esras Kommentar zu den Büchern Qohelet, Esther und Rut, Studia Judaica 12, Berlin 1999 – Samuelsson, Gunnar: Crucifixion in Antiquity. An Inquiry into the Background and Significance of the New Testament Terminology of Crucifixion, WUNT II 310, 2. Aufl. Tübingen 2013 – Tilly, Michael (ed.): Flavius Josephus: Jüdische Altertümer. Wiesbaden 2011 – Wechsler, Michael G.: The Book of Conviviality in Exile (Kitāb al-īnās bi-’l-jalwa): The Judaeo-Arabic Translation and Commentary of Saadia Gaon on the book of Esther, Leiden 2015. Ambrosius: De Helia et Ieiunio, in: ders., Opera 2, ed. Carl Schenkl, CSEL 32/2, Prag / Wien 1897, 409-465 – Ambrosius: Epistulae et acta, ed. Michaela Zelzer, CSEL 82/3, Wien 1982 – Ambrosius: De officiis, ed. Maurice Testard, CC.SL 15, Turnhout 2000 – Aphrahat: Unterweisungen. 2 Teilbände, ed. Peter Bruns, FC 5/1+2, Freiburg u. a. 1991 – Athanasius: Epistolae heortasticae, PG 26, 1339-1444 – Cassianus: Collationes XXII, ed. Michael Petschenig / Gottfried Kreuz, CSEL 13 ed. altera, Wien 2004 – Clemens Alex.: Stromata IV, ed. Annewies van den Hoek, SC 463, Paris 2001 – Clemens Rom.: Epistola ad Corinthios. Brief an die Korinther, ed. Gerhard Schneider, FC 15, Freiburg u. a. 1994 – Gregorius Naz.: Gegen die Putzsucht der Frauen, ed. Andreas Knecht, Heidelberg 1972 – Hieronymus: Dialogus adversus Pelagianos, ed. Claudio Moreschini, CC.SL 80, Turnhout 1990 – Methodius, ed. Nathanael Bonwetsch, GCS 27, Leipzig 1917 – Origenes: Über das Gebet, ed. Maria Barbara von Stritzky, Werke mit deutscher Übersetzung 21, Berlin / Boston und Freiburg 2014 – Quodvultdeus: De promissionibus et preadictionibus Dei Bd. 2, ed. René Braun, SC 102, Paris 1964 – Rabanus Maurus, Expositio in librum Esther, PL 109, 635 C-670 D – Rupert von Deutz, De Victoria Verbi Dei libri XIII, PL 169, 1215 A-1500 B – Sulpicius Severus: Chronicorum libri duo, ed. Ghislaine Senneville-Grave, SC 441, Paris 1999 – Walafrid Strabo, Glossa ordinaria in Librum Esther, PL 113, 739 C-748 C.
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Geschichtsbücher
Weitere Literatur Conti, Marco: Esther, in: ders. (ed.), 1-2 Kings, 1-2 Chronicles, Ezra, Nehemiah, Esther. Ancient Christian Commentary on Scripture OT Bd. 5, Downers Grove, IL 2008, 374-399 – De Troyer, Kristin: The End of the Alpha-Text of Esther: Translation and Narrative Technique in MT 8:1-17, LXX 8:1-17, and AT 7:14-41, Atlanta 2000 – De Troyer, Kristin / Wacker, MarieTheres: Das Buch Esther, in: Martin Karrer / Wolfgang Kraus (ed.), Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare Bd. I, Stuttgart 2011, 1253-1296 – Dönitz, Saskia: Überlieferung und Rezeption des Sefer Yosippon, TSAJ 29, Tübingen 2013 – Ebach, Jürgen: »fast von nahe«. Beobachtungen und Erwägungen zu Rainer Maria Rilkes Esther-Gedicht, in: Stephanie Feder / Aurika Nutt (ed.), Esthers unbekannte Seiten. Theologische Perspektiven auf ein vergessenes biblisches Buch, Ostfildern 2012, 24-40 – Franke, Birgit: Assuerus und Esther am Burgunderhof. Zur Rezeption des Buches Esther in den Niederlanden (1400-1530), Berlin 1998 – Ilan, Tal: Flavius Josephus und die Frauen der Bibel, in: Eileen Schuller / Marie-Theres Wacker (ed.), Frühjüdische Schriften. Die Bibel und die Frauen 3.1, Stuttgart 2017, 143-156 – Limardo Daturi, Elisabetta: Représentations d’Esther entre écritures et images, Bern 2004 – Paul, Jürgen / Busch, Werner: »Mardochäus«, in: Lexikon der christlichen Ikonographie Bd. 3 (1971, repr. 1994), 153 f. – Romano, Eileen (ed.): Artemisia Gentileschi (mit Beiträgen von Pietrangelo Buttafuoco und Maurizia Tazartes), Mailand 2016 – Siquans, Agnethe: Esther in der Interpretation der Kirchenväter: Königin, Vorbild der Tapferkeit oder Typos der Kirche?, ZAC 12 (2009), 414-432 – Steward, Anne / Wechsler, Michael G. u. a.: Esther (Book and Person), EBR 8 (2014), 10-54 – Wacker, Marie-Theres: Ester im Bild, in: Klara Butting / Geraard Minnaard / Marie-Theres Wacker (ed.), Die Bibel erzählt … Ester, Wittingen 2005, 78-87 – Wacker, Marie-Theres: Das biblische Estherbuch zwischen Palästina und Israel. Zum Film ›Esther‹ von Amos Gitai (1985) und seiner Kontextualisierung, in: Reinhold Zwick (ed.), Religion und Gewalt im Bibelfilm. Film und Theologie 20, Marburg 2012, 39-59 – Walfish, Barry Dov: Esther in Medieval Garb. Jewish Interpretation of the Book of Esther in the Middle Ages, Albany, NY 1993 – Washof, Wolfram: Die Bibel auf der Bühne. Exempelfiguren und protestantische Theologie im lateinischen und deutschen Bibeldrama der Reformationszeit, Münster 2007 – Weber, Ingrid: »Esther«, in: Lexikon der christlichen Ikonographie Bd. 1 (1968; repr. 1994), 684-687.
Das septuagintagriechische Estherbuch (EstLXX) gilt i. a. als Übersetzung einer hebräischen Vorlage, die in ihrem »Kerntext« dem des MT recht ähnlich war, aber durch sechs sog. Zusätze erweitert wurde und eine Reihe weiterer kleinerer und größerer Modifikationen enthält. Für die Nachzeichnung einer Rezeption von EstLXX empfiehlt es sich deshalb, auf diese Unterschiede zwischen EstMT und EstLXX zu achten. 1 Inhaltlich bzw. motivlich geht es dabei, was die Zusätze betrifft, um einen Traum des Mordechai (Zus. A) und die Deutung des Traumes am Schluss des Buches (Zus. F), um das Vernichtungsedikt des Haman (Zus. B) und das Gegenedikt aus jüdischer Feder (Zus. E), um die Gebete des Mordechai und der Esther (Zus. C) und um den Gang Esthers zum König (Zus. D). Dazu kommen als signifikante Unterschiede zwischen MT und LXX im »Kerntext« die zweimal erzählte Komplottszene (Est 2,21-23 + A 1517, in deren erster (Zus. A) Haman bereits als Widersacher Mordechais eingeführt wird, die (geplante) Ehe Mordechais mit Esther (Est 2,7LXX), die Klage Mordechais nach Bekanntwerden des Vernichtungsediktes (4,1LXX) und die vom König angeordnete »Kreuzigung« Hamans (Est 7,9LXX; Zus. E,18). 1.
De Troyer / Wacker: Esther (LXX.D) haben sie in ihrer Übersetzung minutiös nachgezeichnet.
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Wahrscheinlich im 1. Jh. n. Chr. 2 entstand eine zweite griechische Version des Estherbuches, der sog. Alfatext oder A-Text. Er setzt die Kenntnis der LXX-Fassung des Estherbuches voraus und benutzt ihren Wortlaut auf breiter Basis (weswegen ein detaillierter Vergleich hier nicht möglich ist 3), scheint aber auch andere, dem MT näherstehende Traditionen gekannt zu haben und geht für den Schlussteil des Buches (Est 810) eigene Wege. Die Vetus Latina des Estherbuches geht ihrerseits auf eine griechische Textform zurück, die der der LXX nahesteht. Auch hier sollen Details nicht nachvollzogen werden, zumal die Frage nach der Priorität (LXX oder griech. Vorlage der VL) umstritten ist. 4 Der Kirchenvater Hieronymus hat das Estherbuch in der Ordnung (und im Wesentlichen auch im Wortlaut) des Masoretentextes übersetzt und die sechs LXX-Zusätze (in der Reihenfolge F; A – E) an den Schluss gestellt. In dieser Form wurde das Esterbuch für die lateinische Christenheit der Bezugstext. In seinen »Antiquitates Iudaicae« bietet der jüdisch-römische Historiker Flavius Josephus eine Nacherzählung des Estherstoffes, deren offensichtliche Bezüge auf die LXX im Folgenden in einem ersten Abschnitt zusammengestellt werden. Ein zweiter Abschnitt widmet sich der Mischna sowie dem Traktat Megilla im babylonischen und Jerusalemer Talmud, ein dritter Abschnitt den Targumim zu Esther; ein vierter Abschnitt behandelt die zahlreichen Esther-Midraschim, ein fünfter Abschnitt die ersten jüdischen Esther-Kommentare von Saadja Gaon und Raschi sowie den Kommentar von Ibn Esra. Die älteste bildliche Darstellung von Szenen aus dem Estherbuch, wie sie in der Synagoge von Dura Europos (3. Jh. n. Chr.) identifiziert wurden, bleibt unberücksichtigt, da ein Bezug auf EstLXX nicht gegeben zu sein scheint. Die Abschnitte sechs und sieben verfolgen Spuren der Rezeption von EstLXX in der patristischen bzw. spätantiken christl. Literatur bis zu den ersten Estherkommentaren christlicher Herkunft von Rabanus Maurus und Walafrid Strabo sowie den Schriften Ruperts von Deutz. Ein achter Abschnitt betrifft den Zeitraum vom Mittelalter bis in die Neuzeit, wobei aus Kunst und Literatur sujetorientiert jeweils nur einzelne Verweise gegeben werden können. Abschnitt neun bespricht ausgewählte Filme auf Bezüge zu EstLXX hin.
1. Die Esthererzählung bei Flavius Josephus (Ant. XI, 6,1-13) Die Nacherzählung der Esthergeschichte bei Flavius Josephus 5 folgt der Erzählchronologie des dem MT und der LXX gemeinsamen Stoffes. Josephus kennt offensichtlich die Gebete Mordechais und Esthers (Zus. C), die er zusammenfassend referiert. Der 2. 3. 4. 5.
Für dieses Datum tritt de Troyer: The End of the Alpha-Text, ein, gefolgt von Cavalier: Esther. Für einen detaillierten Vergleich zwischen EstLXX und EstAt vgl. De Troyer / Wacker: Das Buch Esther (LXX.D). Vgl. Cavalier: Esther, 31 zur Diskussion und a. a. O., 243-266 für eine französische Übersetzung der VL. Textedition: Niese: Opera Bd. 3 (gr.); Tilly: Flavius Josephus (dt.).
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hochtheologische Duktus von Esthers Gebet geht dabei allerdings fast gänzlich verloren. An den erzählchronologisch jeweils passenden Stellen bringt er eine Paraphrase auch der beiden Edikte (Zus. B und E), wobei er das Gegenedikt Esther allein zuzuschreiben scheint (Est 8,11LXX bietet die singularische Verbform ἐπέταξεν / »er [oder sie] ordnete an«, die Josephus vielleicht auf Esther bezogen hat). Ebenfalls findet sich bei ihm Zus. D mit der ausgeführten Schilderung von Esthers Gang zum König. Aber auch der kleine Zusatz in Est 4,1LXX, wonach Mordechai in Sack und Asche durch die Stadt läuft und dabei ausruft »Ein unschuldiges Volk wird getötet« ist von Josephus aufgenommen (XI,6,7). An kleineren Erzählzügen finden sich aus der LXX die Namen des Berater-Fürsten Muchaios (MT: Memuchan) und des Eunuchen der Esther als Achrataios (MT: Hatach), der zwölfte Monat als Monat der Hochzeit zwischen Ahasveros und Esther (2,16LXX, während EstMT nur vom 10. Monat als dem Monat der ersten Begegnung spricht), und die Bezeichnung des Purimfestes als »phruräische Tage« (XI, 6,13, § 295; vgl. Est 9,26.28LXX). Das Verb ἀνασταυρόω / wörtl. »an einem Pfahl emporheben«, bei dem man im römischen Kontext an eine Kreuzigung denken konnte, hat Josephus über EstLXX 7,9; Zus E,18 hinaus (hier steht in der LXX bereits dieses Verb in der Form σταυρόω) eingetragen, wo es um Hinrichtungen geht: die beiden Eunuchen werden »gekreuzigt« (Ant XI, 6,4, § 208; anders Est 2,23), Hamans Frau schlägt vor, Mordechai »kreuzigen« zu lassen (Ant XI, 6,10, § 246; anders Est 6,13), und schließlich fordert Esther die »Kreuzigung« auch der zehn Kinder Hamans (Ant XI, 6,13, § 289; anders Est 9,13), nachdem bereits Haman an jenes »Kreuz« gehängt worden war (σταυρός / »Pfahl« oder »Kreuz« mit dem Verb κρεμάννυμι / »hängen«), an dem er Mordechai sehen wollte (Ant XI, 6,11, § 267) 6. Von den LXX-Zusätzen A und F und damit dem neuen narrativen Rahmen der LXX findet sich bei Josephus keine Spur (was wiederum nicht bedeuten muss, dass er sie nicht kannte). Seine Fassung ist eine Mixtur aus MT und LXX mit Spuren auch des A-Textes und weiteren Elementen, die man in keiner dieser drei Versionen finden kann. Folgt man der Mahnung von Tal Ilan 7, so sollte man dafür nicht zu schnell des Josephus eigene Hand behaupten, sondern die Möglichkeit offen halten, dass Josephus Quellen verarbeitet hat, die wir nicht (mehr) identifizieren können.
2. Mischna; babylonischer und Jerusalemer Talmud Der Traktat Megilla des babylonischen Talmud 8 setzt die Existenz nichthebräischer Esther-Versionen voraus, wenn er bMeg 18a (so auch bereits in der Mischna [mMeg II,1]) vorschreibt, dass es erlaubt sei, die Estherrolle Fremdsprachigen in ihrer Sprache vorzulesen. Einen Bezug auf die griechische Texttradition hält Dagmar Börner-Klein mit dem Ausdruck למפרעin mMeg II,1 für möglich, der auf eine »falsche Reihenfolge« des Textes verweisen und damit die LXX-Fassung des Estherbuches im Blick haben 6. 7. 8.
Zu den komplexen sprachlichen und sachlichen Problemen um die Rede von (ἀνα)σταυρόω bzw. σταυρός vgl. Samuelsson: Crucifixion. Ilan: Flavius Josephus. Dt. Text: Börner-Klein / Hollender: Rabbinische Kommentare, Bd. 1.
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könnte. 9 Gefragt werden kann auch, ob die Position eines »Lehrers im Namen Rabi Meirs« in bMeg 13a, wonach in Est 2,7 nicht zu lesen sei, dass Mordechai sich Esther »zur Tochter« genommen habe ()לבת, sondern »zum (Bau eines) Haus(es)«, d. h. »zur Frau« ()לבית, im Blick auf 2,7LXX entwickelt worden sein mag. Diese Stelle bliebe jedoch eine punktuelle Bezugnahme in bMeg auf EstLXX. Auch im Traktat Megilla des Jerusalemer Talmud 10 werden Esther-Übersetzungen vorausgesetzt und wird die »verkehrte Ordnung« des Lesens der Estherrolle kritisiert (jMeg 73a). 11 Insgesamt steht jMeg einer Übersetzung der Bibel ins Griechische positiv gegenüber (vgl. jMeg 71c 12; auch 71b 13). Eine Bezugnahme auf EstLXX ist jedoch nicht erkennbar.
3. Esthertargume Der sog. Erste Targum zum Estherbuch (TargEst I) 14 kennt offenbar für Est 2,7 die Lesart לביתneben der Lesart לבת, denn er übersetzt beide Varianten (»and Mordecai took her to himself to his house and called her daughter« 15), ohne dass hier allerdings eine Beziehung zur LXX erkennbar wäre. Für Est 2,10 scheint der Targum der LXX näher zu stehen als dem MT, wenn er מולדתübersetzt mit »birthplace« ( ולדותתא בית16; vgl. in der LXX τὴν πατρίδα / »Herkunft«, aber auch »Vaterland«). Den Vers 2,20, dem gemäß Esther auch nach ihrer Hochzeit mit dem persischen König ihre Herkunft nicht preisgibt, füllt TargEst I auf mit Angaben zu Esthers toragemäßer Lebensweise am Hof 17 und erinnert darin, wenn auch nicht wörtlich, an Esthers Gebet (Zus. C, 28). Zu Est 3,4 erläutert der Targum, Haman habe ein Götzenbild auf seiner Brust anbringen lassen, und Mordechai habe sich nicht vor ihm niedergeworfen, weil ihm Götzendienst verboten sei 18. Eine ähnliche Begründung führt Mordechai in seinem Gebet zu Gott an (LXX; Zus. C, 7). TargEst I kennt ein Gebet Esthers unmittelbar vor der Begegnung mit dem König, das aber motivlich ganz andere Wege geht als das Gebet der Esther in der LXX. Der Targum bringt auch eine ausführlichere Fassung der Rede Hamans vor dem König, in die Vorwürfe gegen das jüdische Volk eingebettet sind, kennt aber kein eigentliches Vernichtungsedikt, ebensowenig wie ein Gegenedikt, das mit Zus. E vergleichbar wäre. Der Schlaf des Königs (Est 6,1) wird durch einen Engel Gottes weggenommen, nicht durch Gott selbst, wie in der LXX, aber bleibt auch nicht 9. Börner-Klein / Hollender: Rabbinische Kommentare, Bd. 1, 25. 67. A. a. O. 217, Anm. 3 weisen die Autorinnen darauf hin, dass die Gemara für den Ausdruck offensichtlich eine andere Bedeutung annimmt und ihn auf ein falsches Datum der Verlesung bezieht. 10. Dt. Text: Hüttenmeister: Megilla. 11. Hüttenmeister: Megilla, hier 90. 12. Hüttenmeister: Megilla, 44 f. 13. Hüttenmeister: Megilla, 41. 14. Vgl. Grossfeld: The First Targum; ders., 1991, bes. 27-93. 15. Grossfeld: The First Targum, 46; vgl. 11 für den aramäischen Wortlaut. 16. Grossfeld: The First Targum, 46; vgl. 11f für den aram. Wortlaut. 17. Grossfeld: The First Targum, 48; vgl. 13 für den aram. Wortlaut. 18. Grossfeld: The First Targum, 49; vgl. 14 für den aram. Wortlaut; vgl. auch zu Est 2,5 (a. a. O., 52 bzw. 16). und zu Est 4,7 (a. a. O., 59).
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unerklärt wie im MT. Insgesamt wird man nicht davon ausgehen, dass dieser Targum EstLXX rezipiert hat. Michael Wechsler ist jedoch Recht zu geben, dass die Technik des Targums, »Leerstellen« eines vorgegebenen Estherbuches zu füllen und damit die implizite Theologie der Erzählung herauszuarbeiten, der Technik von EstLXX ähnlich ist, so dass umgekehrt EstLXX als »essentially an early form of targumic-midrashic elucidation« 19 betrachtet werden kann. Diese Einschätzung lässt sich am Zweiten Esther-Targum bestätigen, den Beate Ego in ihrer Habilitationsschrift übersetzt und ausführlich kommentiert hat 20. Sie macht auf einige strukturelle Übereinstimmungen zwischen diesem Targumtext und der septuagintagriechischen Fassung aufmerksam, so etwa die Einfügung eines ausführlichen Vernichtungsediktes oder auch von mehreren Gebeten Esthers. Im jeweiligen Wortlaut aber sind dies Textschöpfungen, die eher eigene Wege gehen. Anders allerdings die (im Übrigen in der gesamten rabbinischen Literatur nur hier begegnende) Einfügung des Gegenediktes, das im Namen des Königs das Edikt Hamans außer Kraft setzt. Hier erscheinen Motive des septuagintagriechischen Ediktes (Zus. E) fast wörtlich wieder (vgl. E,2-3 und E,10-12) 21, so dass die Kenntnis dieses Textstückes angenommen werden kann. Vorstellbar ist deshalb, dass die Zusätze, die in der LXX an bestimmten Textstellen erscheinen, als flexible »Bausteine« betrachtet wurden, die man je nach Bedarf aufgreifen konnte, wie dies auch für bestimmte Textelemente der Targumim, die in den Midraschim wieder erscheinen, gelten dürfte. 22
4. Midraschim zu Esther Die hohe Zahl der Midraschim zum Estherbuch 23 zeigt die Verbreitung und Beliebtheit dieser Erzählung im Judentum der Spätantike und im Mittelalter. Dagmar Börner-Klein und Elisabeth Hollender gehen davon aus, dass eine genaue Datierung bzw. Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte in den meisten Fällen nicht möglich ist. Sie geben grundsätzlich zu bedenken, ob diese Fragestellung Sinn macht angesichts einer Überlieferungssituation, die besser mit dem Konzept eines »offenen Textes« beschrieben werden kann 24: die Auslegung der Esthererzählung wird in den Midraschim nicht linear weiterentwickelt, sondern je und je aus Überlieferungsstücken neu kompiliert. 19. Wechsler in Steward / Wechsler: Esther (Book and Person), 14. 20. Ego: Targum Scheni; vgl. auch Grossfeld: The Two Targums, bes. 95-198, und Grossfeld: The Targum Sheni (aram. Text). 21. Vgl. die Gegenüberstellung der Texte bei Cavalier: Esther, 41 und den Kommentar bei Ego: Targum Scheni, 322-23. 22. Vgl. die folgenden Bemerkungen zu den Midraschim; vgl. auch die Überlegungen bei Cavalier: Esther, 32-33 zur Analogie mit »Mythenbildung«. 23. Börner-Klein / Hollender: Rabbinische Kommentare, Bd. 2 (im Folgenden nur noch BKl-H Bd. 2) bieten die Übersetzung von Midrasch Abba Gurion (ca. 10. Jh.), Panim Acherim A (12. Jh.?) und B (11. Jh.?), Midrasch Megillat Ester (ed. Jellinek; 11. Jh.?), Ester Rabba I (ca. 500) und II (11. Jh.?), Midrasch Megilla (ed. Gaster; 10. Jh.?), Pirqe de Rabbi Eliezer Kap. 49-50 (8./9. Jh.), Sefer Josippon Kap. 9 (10. Jh.), Midrasch zu Ps 22, Midrasch Megillat Ester (ed Horowitz; 13. Jh.?), Leqach Tov zu Ester (um 1100) und Jalkut Schimoni zu Ester (13. Jh.). 24. Vgl. Börner-Klein / Hollender: Rabbinische Kommentare, Bd. 2, 15 f.
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Auch bei der Betrachtung der Midraschim ist es sinnvoll, zwischen strukturellen Parallelen, motivlichen Ähnlichkeiten und inhaltlichen Parallelen zu EstLXX zu unterscheiden. Als strukturelle Parallele wäre zum einen das ausgeführte Vernichtungsedikt Hamans (vgl. Zus. B) zu nennen, das in einigen Midraschim erscheint, aber anders gefüllt wird. Ester Rabba II und der Midrasch Megilla (ed. Horowitz), Abba Gurion sowie der Jalkut Schimoni führen zahlreiche Beispiele dafür an, dass die Juden immer schon andere Völker übervorteilt haben. 25 Auch der Midrasch Leqach tov bietet einen Text des Vernichtungsediktes, das in seinen Anfangszeilen dem in Abba Gurion ähnelt, aber sehr viel knapper gehalten ist. 26 Panim Acherim A geht eigene Wege und entwickelt im Zentrum des Vernichtungsedikts das Bild eines starken Adlers, der die Welt beherrschen will und vernichtet werden muss. 27 Eine strukturelle Parallele stellt zum anderen auch das Gebet der Ester im Midrasch zu Ps 22 dar, die hier sogar in inhaltliche Ähnlichkeiten hineinspielt, insofern Esters Gebet aus Elementen von Ps 22 besteht, in denen wiederum Motive aus Zus. C anklingen. Man könnte geradezu behaupten, dass der Midrasch eine Intertextualität in Zus. C deutlich macht, die womöglich bereits dort im Blick war. Motivliche Ähnlichkeiten betreffen Erzählzüge, die in der LXX abweichend vom MT ausgestaltet sind und vergleichbar in Midraschim erscheinen, ohne dass Abhängigkeit von der LXX (oder der Vulgata) angenommen werden muss – in vielen Fällen wird die Traditionskette innerhalb der rabbinisch-midraschischen Überlieferung selbst anzunehmen sein. Dazu gehört die bereits in bMeg 13a belegte Diskussion darüber, ob Ester von Mordechai als Tochter erzogen wurde (vgl. Est 2,7MT; )לבתoder er sie zu seiner Frau machen wollte bzw. bereits gemacht hat (vgl. Est 2,7LXX; )לבית. Sie findet sich im Midrasch Megillah ed. Gaster und ed. Horowitz, in Leqach tov und im Jalkut. 28 Dazu gehört auch das vielleicht aus Est 2,9f herausgesponnene und an C,28 erinnernde Motiv der speziellen Speisen, die Ester mit ihren Dienerinnen im Frauenhaus des Königs genießt (Panim Acherim B; Leqach tov; Jalkut 29) bzw. der Sorge Mordechais, Ester könne sich an Speisen verunreinigen (MMegHorowitz 30). Vielfach erscheint als Begründung für Hamans Proskyneseverweigerung, dass Haman ein Götzenbild auf der Brust trägt (Panim Acherim A und B; EstR I und II; MMegHorowitz; MMegGaster; Pirqe de Rabbi Eliezer 31; vgl. schon den Ersten Targum zu Est 3,4) oder sich selbst
25. EstR II zu Est 3,9; BKl-H Bd. 2, 237-39; MMegHorowitz zu Est 3,11; BKl-H Bd. 2, 340-41; Abba Gurion zu Est 3,12; BKl-H Bd. 2, 50-52; Jalkut zu Est 3,12; BKl-H Bd. 2, 477-78. 26. Leqach tov zu Est 3,11; BKl-H Bd. 2, 394 – BKl-H Bd. 2, 352 denken an Abhängigkeit von Abba Gurion. 27. PanAchA zu Est 3,12; BKl-H Bd. 2, 70. 28. MMegGaster zu Est 2,7; BKl-H Bd. 2, 272; MMegHorowitz zu Est 2,7; BKl-H Bd. 2, 332; Leqach tov zu 2,7; BKl-H Bd. 2, 379; Jalkut zu Est 2,7; BKl-H Bd. 2, 457. 29. PanAchB zu Est 2,15 (allerdings mit Verweis auf die drei Jünglinge aus dem Danielbuch); BKlH Bd. 2, 101; Leqach tov zu 2,9 und ähnlich 2,10; BKl-H Bd. 2, 380; Jalkut zu Est 2,9; BKl-H Bd. 2, 458. 30. MMegHorowitz zu Est 2,21; BKl-H Bd. 2, 333. 31. PanAch A zu Est 3,6; BKl-H Bd. 2, 68; PanAchB zu Est 2,5; BKl-H Bd. 2, 141; EstR I zu Est 2,5; BKl-H Bd. 2, 217; EstR II zu Est 3,1; BKl-H Bd. 2, 226; MMegHorowitz zu Est 3,1; BKl-H Bd. 2,
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zum Götzen gemacht hat (EstR II; Leqach tov; Jalkut 32), eine Begründung, die der Mordechais in seinem Gebet (C,7) entspricht. Ester, die ihre Asche abschüttelt und sich das Bußgewand ausziehen lässt (Panim Acherim B und Jalkut 33), wird der Ester in C,13 bzw. D,1 vergleichbar. Der Midrasch zu Ps 22 weiß, dass der König sieben Speisezimmer hatte, durch die Ester hindurchschreiten musste 34 – dies erinnert an »alle Türen« (D,6), die Esther hinter sich ließ auf ihrem Weg zum König. Der Schlaf des Königs wird nach dem Midrasch Leqach tov und dem Jalkut, wie auch im Ersten Targum, zwar nicht von Gott (so Est 6,1LXX und im Midrasch Panim Acherim B 35), aber durch einen Engel genommen. 36 Breit belegt ist auch das Motiv der »Kreuzigung« (hebr. )צלב37, sei es bereits in Verbindung mit dem Holz für die beiden Eunuchen (Jalkut 38), sei es in Bezug auf das Holz, das Haman für Mordechai errichtet hat (Abba Gurion; Panim Acherim B; Jalkut 39) oder auch für das Kreuz, an dem Haman (mit seinen Söhnen) endet (EstR I 40). Der Midrasch Panim Acherim B betont Hamans Absicht, Mordechai kreuzigen zu lassen, aber auch die Grube, die er sich selbst damit gräbt, besonders stark 41 (vgl. JosAnt XI, 6,11, § 267 f.!). Dagmar Börner-Klein vermutet bewusst antichristl. Polemik, wenn von Haman gesagt wird, er habe den Kreuzestod für Mordechai geplant, weil davon noch niemand errettet worden sei. 42 Dieses Motiv begegnet auch im Midrasch Abba Gurion, hier im Mund Sereschs, Hamans Frau. 43 Inhaltliche Parallelen zu EstLXX sind im Midrasch Ester Rabba II die beiden Gebete Mordechais und Esters (Zus. C), letzteres in sehr verknappter Form. 44 Dazu tritt der Gang Esters zum König (Zus. D) und der Traum Mordechais in Anlehnung an Zus. A, allerdings, wie auch im Jalkut Schimoni, im Erzählverlauf erst nach Bekanntwerden des Vernichtungsediktes platziert. 45 Vom Traum Mordechais ist auch im Midrasch Megilla ed. Horowitz die Rede, hier im Zusammenhang mit Mordechais Gebet. Ein-
32. 33. 34. 35. 36. 37.
38. 39. 40. 41. 42.
43. 44. 45.
334; MMegGaster zu Est 2,5 und 3,1; BKl-H Bd. 2, 270 und 273; Pirqe zu Est 2,5; BKl-H Bd. 2, 285. EstR II zu Est 3,4; BKl-H Bd. 2, 228; auch zu Est 8,15; BKl-H Bd. 2, 263; Leqach tov zu 3,2; BKl-H Bd. 2, 386; Jalkut zu Est 9,22; BKl-H Bd. 2, 515. PanAchB zu Est 5,1; BKl-H Bd. 2, 114; Jalkut zu Est 5,1; BKl-H Bd. 2, 486. MidrPs 22, § 24 zu Ps 22,12; BKl-H Bd. 2, 318. PanAch B zu Est 6,1; BKl-H Bd. 2, 119. Leqach tov zu 6,1; BKl-H Bd. 2, 408. Von צלבim Sinne von »Kreuzigen« sprechen BKl-H durchgehend und implizieren damit eine Bedeutungskontinuität zum griechischen σταυρόω und zur Kreuzigung Christi, lassen aber die komplexe Frage, welche Hinrichtungsform genau jeweils gemeint ist, offen. Jalkut zu Est 3,1; BKl-H Bd. 2, 466. Abba Gurion zu Est 5,14; BKl-H Bd. 2, 57; PanAchB zu Est 5,9; BKl-H Bd. 2, 115; Jalqut zu Est 2,5; BKl-H Bd. 2, 453. EstR I zu Est 1,12; BKl-H Bd. 2, 202. Vgl. PanAchB zu Est 5,9; BKl-H Bd. 2, 115-16; vgl. auch zu Est 5,10 und 5,12; BKl-H Bd. 2, 116 und zu Est 5,14; BKl-H Bd. 2, 118. Börner-Klein / Hollender: Rabbinische Kommentare, Bd. 2, 84 (allerdings ist es in PanAchB Est 5,9 nicht Seresch, die diese Überlegung ausspricht, sondern sie wird Haman in den Mund gelegt). Abba Gurion zu Est 5,14; BKl-H Bd. 2, 57. EstR II zu Est 4,17; BKl-H Bd. 2, 250-51. Traum: EstR zu Est 4,7; BKl-H Bd. 2, 248-49; Jalkut zu 4,1; BKl-H Bd. 2, 481.
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zelmotive (Finsternis; Licht) erinnern an Zus. A, ansonsten geht es aber um den Angriff einer großen Schlange, die schließlich von einem mächtigen Wind besiegt wird. 46 Die Zusätze A, C und D finden sich auch im Sefer Josippon, dessen Abschnitt zur Estererzählung sich insgesamt vor allem an diesen Textstücken zu orientieren scheint und sie fast wörtlich reproduziert. 47 Dazu kommen eingangs die Motive von Hamans Hass gegen Mordechai, weil dieser die beiden Eunuchen angezeigt hatte (vgl. A,17), und von Haman, der den persischen Thron den Makedonen ausliefern will (vgl. Zus. E,10-14). Der Midrasch Leqach Tov bezieht sich explizit auf den Sefer Josippon und referiert daraus Esters Ohnmacht (Zus. D) 48, steht aber auch anderswo Josippon nahe. »Das byzantinische Umfeld mit der Septuaginta als kanonischen Bibeltext, die normannische Bedrohung des byzantinischen Westerns sowie die zeitgenössische Judenverfolgung von 1096 könnten Faktoren sein, die zur Rezeption des Abschnitts aus dem SY (Kap. 9) geführt haben«. 49 Mit dem Sefer Josippon sind wichtige Partien von EstLXX (vermittelt über den im Christentum verbreiteten Flavius Josephus bzw. dessen lateinische Bearbeitung durch Hegesipp sowie über die Vulgata 50) ins Judentum gleichsam zurückgekehrt. Für die weitere jüdische Rezeption ist daher im Einzelnen zu prüfen, ob die LXX-Anklänge über jüdische Quellen wie Sefer Josippon 51 oder über christl. Quellen wie die Vulgata oder direkt über die LXX vermittelt sind. Umgekehrt nennt Saskia Dönitz vereinzelte Spuren wie den Pijutdichter Eleazar bi-Rabbi Qallir aus dem Palästina des 6./7. Jh., 52 die darauf hinweisen, dass die Zusätze zum Esterbuch, insbesondere der Traum des Mordechai und die Gebete Mordechais und Esters, auch schon vorher und über Flavius Josephus hinaus im Judentum bekannt waren bzw. blieben.
5. (Früh)mittelalterliche jüdische Kommentare Barry Dov Walfish zählt eine große Zahl von (früh)mittelalterlichen Kommentaren zum Buch Esther auf. 53 An vereinzelt zu findenden Ähnlichkeiten zu LXX-Formulierungen verweist er nur auf die Motivation der Eunuchen für das Mordkomplott gegen 46. MMegHorowitz zu Est 4,1; BKl-H Bd. 2, 338. 47. Textedition (Hebr.-dt.): Börner-Klein/Zuber: Josippon. A. a. O. 17 wird für möglich gehalten, dass die Esterabschnitte dem Sefer Josippon erst im 12. Jh. hinzugefügt wurden. Dönitz: Überlieferung, 201 dagegen geht davon aus, dass auch die Esterabschnitte zum ursprünglichen Buch und damit ins 10. Jh. gehören. 48. Leqach tov zu 5,1; BKl-H Bd. 2, 402 49. Dönitz: Überlieferung, 169-170 (SY = Sefer Josippon). Vgl. auch a. a. O. 170-172 die Analysen zu Immanuel Ben Salomo aus Rom (1260-1330). 50. Vgl. BKl-H Bd. 2, 293; Börner-Klein und Zuber: Josippon, 13-16; Dönitz: Überlieferung, 410.197 mit Hinweis darauf, dass auch für das Danielbuch und die Makkabäerbücher die Vulgata die Quelle gewesen sei. 51. Vgl. Dönitz: Überlieferung, 173f, die die innerjüdische Tradition über den Sefer Josippon nachzeichnet. 52. Dönitz: Überlieferung, 193-94. 53. Walfish in Steward / Wechsler: Esther (Book and Person), 21-24; vgl. auch Walfish: Esther in Medieval Garb.
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den König (Est 2,21LXX) und die im Hebräischen mehrdeutige Formulierung in Est 7,8, die die LXX im Sinne eines Fassungsverlustes Hamans deutet. 54 Im Folgenden seien die Kommentare von Saadja Gaon und Raschi sowie Ibn Esra exemplarisch gesichtet. Das »Buch des Zusammenlebens in der Galut«, das Saadja Gaon (882-942) verfasst hat, gilt als der erste namentlich zuweisbare jüdische Estherkommentar. 55 Ein Motiv, das an EstLXX erinnert, wird bei ihm breit diskutiert: er unterscheidet die (erlaubte) Prostration vor einem Menschen zum Erweis von Respekt von einer Proskynese als Zeichen der Anbetung und bezieht den »Fall Haman« darauf (zu Est 3,1-5 56; vgl. das Gebet Morchechais C,7). Ein anderes Motiv wird nur kurz eingespielt: Als Grund der Schlaflosigkeit des Königs hält er das Eingreifen Gottes für möglich (vgl. Est 6,1LXX). 57 Der recht knappe Estherkommentar von Raschi (1040-1105) 58 enthält, soweit mir ersichtlich, keine Motive, die an EstLXX erinnern. Bestenfalls wäre seine Überlegung zu nennen, dass Mordechai Esther zur Frau nehmen wollte (zu Est 2,7; vgl. Est 2,7LXX), eine Überlegung, die er aber sicher aus bMeg kannte und weiterentwickelte (vgl. zu 4,16). Ibn Esras Esther-Kommentar (ca. Mitte 12. Jh.) 59, der grammatisch-semantische Erklärungen mit Erklärungen von Sachverhalten verbindet, weist mehrere Motive auf, die an EstLXX anklingen. Auch er bringt die Überlegung, dass Mordechai Esther heiraten wollte (zu Est 2,7; vgl. Est 2,7LXX); er hält es für möglich, dass Mordechai Esther verbot über ihre Herkunft zu berichten, weil er sicherstellen wollte, dass sie die Gebote der Tora, insbesondere die Speisegebote, im Geheimen einhalten konnte (zu Est 2,10; vgl. Est 2,10LXX und C,28), dass Mordechai sich nicht vor Haman niederwarf, weil dieser auf seiner Brust ein Götzenbild trug (zu Est 3,2; vgl. C,7), und dass es Gott war, der dem König den Schlaf nahm (zu Est 6,1; vgl. 6,1LXX). Aber auch für Ibn Esra gilt, dass diese Motive bereits in der einen oder anderen Form in rabbinischen Quellen zu finden sind, so dass keine direkte Kenntnis der LXX-Fassung angenommen werden muss.
6. Kirchenväter Die nicht sehr zahlreichen und wenig ausführlichen Bezüge auf das Estherbuch bzw. auf die Figur der Esther bei christlichen Schriftstellern der patristischen Zeit haben Agnethe Siquans und Marco Conti zusammengestellt. 60 Es ist davon auszugehen, dass die genannten christlichen Autoren das Estherbuch im Umfang der LXX-Fassung kannten, wenn auch nicht immer eine direkte Bezugnahme auf die LXX-Version an-
Walfish: Esther in Medieval Garb, 177 zu Est 2,12; a. a. O. 23 und 244 Anm. 56 zu Est 7,8. Vgl. Wechsler: Book of Conviviality, 3 f. Wechsler: Book of Conviviality, 217; vgl. auch a. a. O. 302f zu Est 5,9. Wechsler: Book of Conviviality, 314. Textaugabe (hebr.-engl.) z. B.: Rosenberg, Book of Esther. Vgl. Rottzoll: Abraham Ibn Esras Kommentar, 257-371 (dt. Übersetzung und Kommentierung). 60. Siquans: Esther, ordnet thematisch; Conti: Esther, geht dem Text des Estherbuches entlang. Vgl. auch Cavalier: Esther, 126-128. 54. 55. 56. 57. 58. 59.
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genommen werden kann. Ein durchlaufender Kommentar oder eigener Traktat zum Estherbuch aus einer christlichen Perspektive ist vor dem 9. Jh. (s. u. 7.) nicht nachgewiesen. Die Esthererzählung interessiert als Material, aus dem Motive zur Ermahnung, Erbauung oder Belehrung zu gewinnen sind. Clemens von Rom zählt in seinem 1. Brief an die Korinther Frauen auf, die »manch männliche Tat vollbracht« hätten, darunter Judith und neben ihr auch die »glaubensstarke Esther«, die sich einer »großen Gefahr« (κίνδυνος) ausgesetzt habe, um ihr Volk zu »retten« (ῥύομαι), und die den »allsehenden« (παντεπόπτης) Gott durch Fasten und »Verdemütigung« (ταπείνωσις) um Hilfe angefleht habe (vgl. 1Clem 55,3-6). 61 Clemens bezieht sich deutlich erkennbar auf das Gebet der Esther in Zus. CLXX und den Hinweis auf ein weiteres Gebet zum »allsehenden Gott« (τὸν πάντων ἐπόπτην θεὸν) in Zus. D,1LXX. Die »im Glauben vollkommene Esther« lobt auch Clemens von Alexandrien im IV. Buch seiner Stromata und betont, dass sie, »eine Frau allein, aufgerieben durch Fasten«, aber unter Einsatz ihres Gebetes, den Plan Hamans vereitelte. 62 Alle drei Motive dürften durch EstLXX inspiriert sein, rekurriert Clemens doch (auch hier) auf Esthers Gebet, in dem sie Gott darlegt, dass sie allein sei und deshalb der Hilfe des Alleinigen bedürfe (C,14), und kann ihre Ohnmacht vor dem König durchaus als Folge ihres Geschwächtseins durch das dreitägige Fasten gedeutet werden (vgl. D,7.15). In seinem Paidagogos mahnt Clemens zum Verzicht auf Reichtum bzw. Prachtentfaltung und rechtfertigt Esthers Prachtentfaltung vor dem König damit, dass dies geschah, um ihr Volk zu retten. 63 Hier dürfte Clemens ebenfalls Zus. DLXX vor Augen gestanden haben. Auch Gregor von Nazianz kommt darauf zu sprechen, dass Esther sich herausgeputzt hat. In seinem Traktat »Gegen die Putzsucht der Frauen« 64 darf Esther aber nur als Ausnahme gelten, die ihr liebreizendes Äußeres (auch hier ist die Anspielung auf Zus. D,1-5 zu hören) zur Rettung ihres Volkes eingesetzt hat. Mehrere Erwähnungen findet das »richtige«, da mit Fasten verbundene Gebet des Mordechai bzw. der Esther, womit Zus. CLXX in beiden Komponenten, der des Fastens und der des Gebets, zusammengefasst ist. Auf Gebet und Fasten bezieht sich Origenes, Über das Gebet 65 und Athanasius in seinem 4. Festbrief. 66 Methodius von Olymp stellt in seiner Schrift über die Unterscheidung der Speisen 67 den Aspekt der Selbstminderungsriten Esthers bei ihrem Gebet in den Vordergrund (vgl. Zus. C,13); Ambrosius glaubt, dass Esther durch ihr Fasten schöner wurde 68, scheint also Zus. C und D zusammenzusehen. In einem seiner Briefe stellt er erneut das Fasten Esthers (und Judiths
61. Schneider: Clemens von Rom, 199; Siquans: Esther, 424f; Conti: Esther, 384. 62. Clemens Alex.: Strom. IV,19/118 f., GCS 52, 300 f.; vgl. Siquans: Esther, 426; van den Hoek: Clemens, 252-254. 63. Clemens Alex.: Paed. III, 2/12,5, GCS 12, 243. Vgl. Siquans: Esther 420 f. 64. Siquans: Esther, 421; Knecht: Gregor von Nazianz, 35 (griech. Text 34). 65. Origenes: Or. 13,2, GCS 3, 326, zitiert bei Conti: Esther, 384; von Stritzky, Origenes, 146 f. 66. Zitiert bei Conti: Esther, 397; vgl. PG 26, 1139-1444 (lat. Text in Ermangelung einer gr. Überlieferung). 67. Methodius: De cibis 14,7, GCS 1, 447; vgl. Siquans: Esther, 417. 68. Ambrosius: De Helia et ieunio 9,30 f., CSEL 32/2, 428 f., zitiert auch bei Siquans: Esther, 419.
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maßvolles Genießen von Speisen) als Grund ihres Erfolgs bei ihrem Bittgang zum persischen König heraus. 69 Mehrere Autoren gehen auch dem Motiv der Schlaflosigkeit des Königs (Est 6,1) nach. Nach Hieronymus (Gegen die Pelagianer 3,10) 70 hätte Gott, durch die Gebete Mordechais und Esthers bewegt, der natürlichen Schläfrigkeit des Königs Einhalt geboten. Bei Johannes Cassianus liegt die Pointe darin, dass Gott den König durch Schlafentzug straft und ihn dadurch auf den guten Gedanken bringt, Mordechai zu ehren. 71 Der unter dem Namen Quodvultdeus bekannte Autor bezieht sich in seinem Liber promissionum sogar direkt auf den biblischen Text, wenn er formuliert »Als der empörte König sie sah und jene in Angst dahinschmolz, ›kehrte Gott‹, so wird gesagt, ›sein Herz in Milde‹« 72 (vgl. D,8). Bei ihm ist diese Beobachtung eingebettet in eine kurze Zusammenfassung des gesamten Estherbuches, wobei er Esther als Typos der Kirche herausarbeitet. In diesem Sinne schreibt er es auch der Esther zu, dass Haman schließlich an eben jenem Holz »gekreuzigt (crucifigi)« wurde, an das er seinen Gegner Mordechai bringen wollte. Auch Ambrosius kennzeichnet das Ende Hamans als Kreuzestod 73, und zwar im Rahmen einer Kurzwiedergabe des Estherbuches, die deutlich aus Zus. E schöpft, wenn Haman als vermeintlicher Freund des Königs und Zweiter im Rang gezeichnet wird, der seinen Gönner jedoch durch falsche Ratschläge entehrte (vgl. E,10-13). Eine recht ausführliche Nacherzählung der Estergeschichte bietet Sulpicius Severus in seinen »Chronica«. 74 Nach einleitenden Überlegungen zur Datierung der Geschehnisse (II, 12,1) folgt er dem Erzählverlauf im Wesentlichen nach dem hebräischen Estherbuch, mit Einzelmotiven, die sich in der LXX finden, so z. B. die Aufnahme der Klage Mordechais, dass ein unschuldiges Volk getötet werde (Est 4,1LXX; vgl. Chron II, 12,2) oder die befohlene und vollzogene Kreuzigung Hamans (cruci affigitur / »er wurde ans Kreuz geheftet«, ebd.). Eine kleine Nebenbemerkung weist darauf hin, dass Sulpicius Severus auch das Gebet der Esther wohl gekannt haben muss: »Inuocato prius Deo aulam regis ingreditur« / »Nachdem sie zuvor Gott angerufen hatte, betrat sie den Hof des Königs«. 75 Die Nacherzählung schließt mit der Übergabe von Hamans Besitz an Mordechai und der Bemerkung »iudaeique sunt absoluti« / »und die Juden sind befreit worden«, also unter Übergehung von Kap. 8-10. Eine Sonderstellung nimmt der syrische Kirchenlehrer Aphrahat ein, der sich in seinen »Unterweisungen« auch mehrmals auf das Estherbuch bezieht. Ein erster Abschnitt findet sich in seinen Darlegungen über das Fasten (3,10-13). 76 Hier stellt er das Fasten Mordechais und Esthers als »Schild« gegen die Vernichtungspläne des Haman vor. 77 Haman wird ausführlich als Amalekiter gekennzeichnet, der die Juden aus Rache für die Vernichtung seines Volkes zur Zeit des Mose und des Josua und dann 69. 70. 71. 72. 73. 74. 75. 76. 77.
Ambrosius: Ep. 63, 29, CSEL 82/3, 250 f., auch zitiert bei Siquans: Esther, 418. Hieronymus, Adv. Pelag. 3,10, CC.SL 80, 110 f., zitiert bei Conti: Esther, 388 f. Cassian: Collationes Patrum I, 19,1, CSEL 13, 28, zitiert bei Conti: Esther, 389. Quodvultdeus: Lib. prom. II, 38/86, SC 102, 486; Text identisch bei Siquans: Esther, 430. Ambrosius: De officiis III, 21/124, CC.SL 15, 140, zitiert bei Conti: Esther, 123-24. Sulpicius Severus: Chron. II, 12 f., SC 441, 251-257. Sulpicius Severus: Chron. II 13,3, SC 441, 254. Aphrahat: Dem. 3,10-13, FC 5/1, 127-132. Aphrahat: Dem. 3,10, FC 5/1, 127.
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Sauls auslöschen will (ein Motiv, das nicht in der LXX, aber in rabbinischen Quellen erscheint). 78 Überhaupt interessiert sich Aphrahat vor allem für die Figur Mordechais als Antagonisten Hamans 79, welcher schließlich den Kreuzestod fand (9,3; 14,10). 80 Dieses Motiv kann Aphrahat auch über jüdisch-rabbinische Quellen bekannt geworden sein. In Abschnitt 21 »Über die Verfolgung« findet sich eine breit durchgeführte Mordechai-Christus-Typologie 81, in der das Motiv des Gebets Mordechais an Zus. C in EstLXX erinnert, aber auch in diesem Fall aus rabbinischen Quellen stammen kann. Gleichzeitig zeichnet Aphrahat eine klare Trennlinie hin zum »törichten Volk« (der Juden), das durch Waschti repräsentiert wird und das in der Figur des Haman sein Blut über sein eigenes Haupt herabruft.
7. Die ersten christlichen Esther-Kommentare Der Benediktinerabt Rabanus Maurus hält im Vorwort zu seinem Estherkommentar 82, dem ersten christlichen Kommentar zum Buch Esther überhaupt (836), fest, dass er nur den hebräischen Text übersetzt habe und kommentiere. Trotzdem kann er nicht umhin, auf Esthers und Mordechais Gebet zu verweisen. 83 Insgesamt deutet Rabanus den Esther-Text gezielt typologisch auf christliche Figuren und Lehren hin, einschließlich der substitutionstheologischen Gegenüberstellung von Esther=Kirche und Waschti=Synagoge. Elisabetta Limardo Daturi 84 macht auf einen weiteren Estherkommentar des 9. Jh. s aufmerksam, den von (Ps.-)Walafried Strabo 85, der in den Spuren von Rabanus Maurus das Estherbuch ebenfalls allegorisch-typologisch auslegt. Zudem nennt sie Rupert von Deutz († 1129), der sich in mehreren Schriften auf das Estherbuch bezieht und in Buch VIII seiner Schrift »De victoria Verbi Dei« 86 auch den Traum des Mordechai bespricht (vgl. Zus. A+FLXX).
8. Kunst und Literatur vom christlichen Mittelalter bis in die Neuzeit Geht man davon aus, dass das Estherbuch in den christlichen Kirchen des Westens bis zur Reformationszeit über die Vulgata vermittelt war und damit auch die sog. Zusätze enthielt, die schon in der LXX die Estherfassung gegenüber dem MT erweitern, so kann man alle bildlichen und literarischen Rezeptionen des Estherstoffes im Christen78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86.
Aphrahat: Dem. 3,11, FC 5/1, 128 f. Aphrahat: Dem. 5,3, FC 5/1, 159. Aphrahat: Dem. 9,3, FC 5/1, 258; Aphrahat: Dem. 14,10, FC 5/2, 339. Siquans: Esther, 427f kritisiert zu Recht die Tendenz, die Bedeutung Esthers für das im Estherbuch geschilderte Geschehen völlig auszublenden. Rabanus Maurus, Expositio in librum Esther. Rabanus Maurus, Expositio in librum Esther 7, PL 109, 635 A. Limardo Daturi: Réprésentations, Kap. 3: »Le livre d’Esther dans l’exégèse chrétienne« (5364). Walafrid Strabo: Glossa ordinaria, PL 113, 739 C-748 C (Ausgabe ist ungenügend). Rupert von Deutz: De Victoria Verbi Dei VIII, 26, PL 169, 1396 A-C.
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tum bis zur Reformationszeit auch mit der LXX-Fassung verbinden. Will man spezifischer den Besonderheiten der LXX gegenüber dem MT nachgehen, so bieten sich auch hier die Motive an, die aus den größeren und kleineren Zusätzen stammen. Darunter ist in der christlichen Kunst 87 (Gemälde; Fresken; auch Kirchenfenster) besonders beliebt das Motiv der Begegnung Esthers mit dem König, wobei der LXX-Bezug in der Gestalt der beiden Esther begleitenden Zofen (D,2-4) sehr häufig gegeben ist. Die Szene verbindet sich seit dem Mittelalter mit dem Motiv der Krönung Esthers und kann typologisch der Krönung Mariens an die Seite gestellt werden. Sie wird aber auch gestaltet als Fürbittszene und ist dann Typos Mariens als Fürbitterin (so z. B. in der Marienbasilika des Wallfahrtsortes Kevelaer am Niederrhein noch zu Beginn des 20. Jh.s). 88 Esthermotive erscheinen seit der frühen Neuzeit auch in Kontexten (z. B. Rathäusern oder fürstlichen Sammlungen) oder auf Medien (z. B. Wandteppichen 89, aber auch z. B. Hochzeitstruhen), die keinen spezifisch religiösen Gebrauch mehr anzeigen. Als Beispiel sei das Ölgemälde der römischen Malerin Artemisia Gentileschi (entstanden 1626-29 wohl in Venedig) 90 genannt, das Esthers Ohnmacht und die erschrocken-interessierte Geste des Aufspringens von Seiten des Königs aufnimmt (Zus. D), aber so inszeniert, dass diese Szene auch als Angriff/Übergriff des Königs auf Ester gedeutet werden kann. Ein anderes Motiv, das LXX-Einfluss zeigen könnte, ist das der Kreuzigung Hamans, die etwa Michelangelo in einem der Zwickel des Deckenfreskos in der Sixtinischen Kapelle ins Bild gebracht hat. Vereinzelt begegnet auch das Motiv von Mordechais Traum. 91 Der Estherstoff hat sich auf christlicher Seite, ähnlich wie in den jüdischen Purimspielen, in Form von Estherspielen niedergeschlagen, die sich im Zeitalter der Reformation besonderer Beliebtheit erfreuten. 92 Septuagintaanleihen findet man etwa bei der Zeichnung Esthers bzw. Mordechais als Betenden. 93 Immer wieder wurde die Esthergeschichte auch in Dramen, Romanen, Erzählungen oder in lyrischen Formen aufgegriffen. In seinem Überblick nennt Anthony Swindell auch einzelne Stücke, in denen ein Bezug zur LXX erkennbar ist. 94 Als Beispiel für eine lyrische Interpretation von Esthers Gang zum König (D,1-5) sei das Gedicht »Esther« von Rainer Maria Rilke genannt. 95
87. 88. 89. 90. 91. 92. 93. 94. 95.
Einen Überblick gibt Weber: »Esther«. Wacker: Ester im Bild, 80 f. Fanke: Assuerus. Tazartes in Romano (ed.): Artemisia Gentileschi, 46 f.53.126 f. Paul / Busch: »Mardochäus«, 154 verweisen auf die Rodabibel (11. Jh.) und weitere illustrierte mittelalterliche Bibelmanuskripte. Washof: Die Bibel auf der Bühne. Washof: Die Bibel auf der Bühne, 131-139. Swindell in Steward / Wechsler: Esther (Book and Person), 39-42. Ebach: Beobachtungen.
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9. Filme Einen Überblick zu Estherfilmen seit der Stummfilmzeit stellt Rhonda BurnetteBletsch zusammen. 96 Auch in diesem Medium werden Septuagintamotive aufgegriffen, um den Stoff auszugestalten. Dies gilt beispielsweise für den Fernsehfilm »Esther« aus der Reihe »Die Bibel im Film« (Regie: Raffaele Mertes, 1999), in dem Mordechai und Esther im Gebet vorgestellt werden und damit Zus. C zur Geltung kommt. Mehrere Filme (z. B. »Das Schwert von Persien« [Regie: Raoul Walsh, 1960] und »Eine Nacht mit dem König« (Regie: Michael D. Sajbel, 2006) knüpfen (ob über LXX oder rabbinische Traditionen vermittelt) an das Hochzeitsmotiv an: Zwar wird Esther nicht als Frau Mordechais eingeführt, aber als Jüdin mit jüdischem Liebhaber bzw. Verlobten, womit Esthers Wegführung an den Hof und ihre Verheiratung mit dem König eine Komplikation darstellt, die in EstMT fehlt. Der Film »Esther« des israelischen Regisseurs Amos Gitai (1986) 97 hält sich in großen Partien an den hebräischen Esthertext, inszeniert ihn jedoch nach Art eines Purimspiels, das vor der Kulisse des Wadi Salib in Haifa stattfindet und Erzählmotive und Gegenwartbezüge ineinanderfließen lässt. Als das Vernichtungsedikt des Haman überall im Land verlesen wird, sieht man Mordechai – der von einem palästinensischen Schauspieler verkörpert wird – durch die Gassen springen und schreien: Hier wird ein unschuldiges Volk getötet (vgl. Est 4,1LXX ≠ MT, aber auch Flavius Josephus). Auch bei Gitai hatte Mordechais Begründung für seine Proskyneseverweigerung gelautet »Ich bin Jude« (vgl. D,7; hier aber auch eine breite Motiventfaltung in den Midraschim). Das Vernichtungsedikt Hamans steht im Zentrum einer ganzen Szenenfolge und wird in Anlehnung an die Langform in Zus. B zitiert (die aber auch Flavius Josephus kennt). An der Stelle, da EstLXX das Gebet der Esther hat, wird Esther in Seitenund Nahansicht gezeigt, während eine Frauenstimme auf Arabisch ein Lied singt, mit dem die Ich-Stimme des Liedes der Mutter drohendes Leid und Unheil erzählt. Gitai scheint Anlehnungen an die LXX-Fassung (wohl vermittelt über innerjüdische Traditionen) demnach insbesondere dazu zu nutzen, Gefährdung und Unterdrückung in ihrer aktuellen Komplexität zu unterstreichen.
96. Burnette-Bletsch, in: Steward / Wechsler: Esther (Book and Person), 50-54. 97. Dazu vgl. Wacker: Estherbuch.
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2.2.2.6 Tobit Beate Ego Literatur Texte und Editionen Fitzmyer, Joseph A.: Tobit, in: Magen Broshi u. a. (Eds.), Qumran Cave 4: XIV: Parabiblical Texts 2 (DJD 19), Oxford 1995, 1-76. Tafeln I-X – Gaster, Moses: Two Unknown Hebrew Versions of Tobit. Published for the First Time, with Introduction and Translation, London 1897 – Hanhart, Robert (ed.): Tobit (Septuaginta: Vetus Testamentum Graecum: Auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis editum 8/5), Göttingen 1983 – Neubauer, Adolf (ed.): The Book of Tobit. A Chaldee Text from a Unique Ms. in the Bodleian Library, with Other Rabbinical Texts, English Translations and the Itala, Oxford 1878 – Wagner, Christian: Polyglotte TobitSynopse. Griechisch – Lateinisch – Syrisch – Hebräisch – Aramäisch. Mit einem Index zu den Tobit-Fragmenten vom Toten Meer, Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse Dritte Folge, Bd. 258, Mitteilungen des Septuaginta-Unternehmens (MSU) XXVIII, Göttingen 2003 – Weeks, Stuart / Gathercole, Simon / Stuckenbruck, Loren: The Book of Tobit. Texts from the Principal Ancient and Medieval Traditions with Synopsis, Concordance, and Annotated Texts in Aramaic, Hebrew, Greek, Latin and Syriac, FoSub 3, Berlin 2004. Athanasius: Apologia contra Arianos, PG 25, 248 A-349 C – Origenes: Epistola Origenis ad Africanum, ed. Nicholas de Lange, SC 302, Paris 1983, 522-573 – Clemens Alex.: Stromata I-VI, ed. Otto Stählin / Ludwig Früchtel, 4. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 52, Berlin 1985, Stromata VII-VIII, ed. Otto Stählin, 3. Aufl. ed. Ursula Treu, GCS 17, Berlin 1970, 3-102 – Eusebius Caes., Die Kirchengeschichte, ed. Eduard Schwartz / Theodor Mommsen, Vol. 1, GCS 9/1, Leipzig 1903; Vol. 2, GCS 9/2, Leipzig 1908 – Origenes: De oratione, ed. Paul Koetschau, GCS 3 (Origenes 2), 295-403 – Origenes: Homilia in Numeros, ed. Wilhelm Adolf Baehrens, GCS 30 (Origenes 7), 1-285.
Übersetzungen Ilgen, Karl David: Die Geschichte Tobi’s nach drey verschiedenen Originalen, dem Griechischen, dem Lateinischen des Hieronymus und einem Syrischen übersetzt und mit Anmerkungen exegetischen und kritischen Inhalts, auch einer Einleitung versehen, Jena 1800 – Stuckenbruck, Loren T.: The »Fagius« Hebrew Version of Tobit: An English Translation Based on the Constantinople Text of 1519, in: Géza G. Xeravits / József Zsengellér (eds.), The Book of Tobit. Text, Tradition, Theology. Papers of the First International Conference on the Deuterocanonical Books, Pápa, Hungary, 20-21 May 2004, JSJ.S 98, Leiden et al. 2005, 189-219.
Weitere Literatur Bhayro, Siam: A Leaf from a Medieval Hebrew Book of Tobit: Jacques Mosseri Genizah Collection at Cambridge University Library, Mosseri I.38 (with a Note on the Dating of T-S A45.25), in: Károly Dániel Dobos / Miklós Kőszeghy (ed.), With Wisdom as a Robe: Qumran and Other Jewish Studies in Honour of Ida Fröhlich, Sheffield 2009, 163-173 – Busch, Peter: Das Testament Salomos. Die älteste christliche Dämonologie, kommentiert in deutscher Erstübersetzung, Berlin u. a. 2006 – Docherty, Susan E.: The Reception of Tobit in the New Testament and Early Christian Literature, with Special Reference to Luke-Acts, in: Joseph Verheyden /
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Bart J. Koet, / Steve Moyise (ed.), The Scriptures of Israel in Jewish and Christian Tradition. Essays in Honour of Maarten J. J. Menken, NT.S 148, Leiden 2013, 81-94 – Dyma, Oliver: Die Wallfahrt zum Zweiten Tempel. Untersuchungen zur Entwicklung der Wallfahrtsfeste in vorhasmonäischer Zeit, FAT II/40, Tübingen 2009 – Ego, Beate: Die Mehrfachüberlieferung des griechischen Tobitbuches, in: Wolfgang Kraus / Oliver Munnich (ed.), La Septante en Allemagne et en France. Septuaginta Deutsch und La Bible d’Alexandrie, OBO 238, Freiburg/ Schweiz / Göttingen 2009, 100-117 – Fitzmyer, Joseph A.: Tobit, CEJL, Berlin / New York 2003 – Gamberoni, Johann: Die Auslegung des Buches Tobias in der griechisch-lateinischen Kirche der Antike und der Christenheit des Westens bis 1600, StANT 21, München 1969 – Hallermayer, Michaela: Text und Überlieferung des Buches Tobit, DCLS 3, Berlin / New York 2008 – Hanhart, Robert (ed.): Text und Textgeschichte des Buches Tobit, MSU 17, Göttingen 1984 – Nöldeke, Theodor: Die Texte des Buches Tobit, in: Monatsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Sitzung der phil.-hist. Klasse vom 20. Januar 1879, Berlin 1880, 45-69 – Schöpflin, Karin: Die Hellenisierung der jüdischen Gottesbezeichnung. Ein Versuch anhand von Beobachtungen am spätbiblischen Buch Tobit, in: Tobias Georges / Felix Albrecht / Reinhard Feldmeier unter Mitarbeit von Manuel Kaden und Christoph Martsch (ed.), Alexandria, Tübingen 2013, 313-340 – Schumpp, Meinrad M.: Das Buch Tobias, Exegetisches Handbuch zum Alten Testament 11, Münster 1933 – Skemp, Vincent: Avenues of Intertextuality between Tobit and the New Testament, in: Jeremy Corley / Vincent Skemp (ed.), Intertextual Studies in Ben Sira and Tobit. Essays in Honor of Alexander A. Di Lella, O.F.M., CBQ.MS 38, Washington 2005, 43-70 – Skemp, Vincent: The Vulgate of Tobit Compared with Other Ancient Witnesses, SBL.DS 180, Atlanta 2000 – Weeks, Stuart: Restoring the Greek Tobit, in: JSJ 44 (2013), 1-15 – Weskott, Hanne: Die Darstellung der Tobiasgeschichte in der bildenden Kunst West-Europas (Von den Anfängen bis zum 19. Jahrhundert). Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zu München, 1974.
1. Einleitung Die Wirkungsgeschichte der Tobiterzählung erschließt sich über deren komplexe Textgeschichte. In ihrer ältesten Textgestalt liegt die Tobiterzählung heute nur in vier aramäischen Handschriften bzw. einem hebräischen Manuskript aus Qumran vor, die nur fragmentarisch erhalten sind. 1 Der älteste vollständige Text des gesamten Buches ist in Griechisch überliefert, wobei sich hier drei verschiedene Textformen unterscheiden lassen, nämlich G I – repräsentiert durch den Codex Vaticanus (IV. Jh.), den Codex Alexandrinus (V. Jh.) und den Codex Venetus (VIII. Jh.) sowie durch eine Anzahl von Minuskelhandschriften; G II – repräsentiert durch den Codex Sinaiticus (IV. Jh.; es fehlt Tob 4,7-19b und 13,6i–10b) sowie die Minuskelhandschrift 319 (3,66,16); G III ist auf 6,9-12,22 begrenzt und wird durch die Handschriften 106 und 107 repräsentiert. 2 Zu den älteren Übersetzungen gehören – neben einer syrischen, sahi1.
2.
Cf. die Erstedition Fitzmyer: Tobit (DJD XIX), 176, sowie die neueren Publikationen von Hallermayer: Text und Überlieferung, 13-19; Weeks / Gathercole / Stuckenbruck: Book of Tobit, 29-31 (alle mit weiterführenden Literaturhinweisen). S. die Einleitung zu der kritischen Ausgabe von Hanhart: Tobit, 7-10 (»Die lateinischen Übersetzungen«); 31-36 (zur Gruppierung der Textzeugen); Hanhart: Text und Textgeschichte, 2272; sehr hilfreich ist auch Wagner: Polyglotte Tobit-Synopse, xiii-xvi.
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dischen, äthiopischen und armenischen Version – auch zwei lateinische Fassungen, die Vetus Latina und die Vulgata des Hieronymus, die ebenfalls beträchtliche Unterschiede zueinander aufweisen. 3 Schließlich ist noch auf die sechs späten nachantiken Versionen zu verweisen, von denen fünf in Hebräisch und eine in Aramäisch überliefert sind. Innerhalb dieses Rahmens lassen sich die Linien der Wirkungsgeschichte entfalten.
1. Die Wirkungsgeschichte innerhalb der Tobitüberlieferung selbst An erster Stelle ist die Wirkungsgeschichte der Septuaginta ein Prozess, der bereits innerhalb der griechischen Überlieferung einsetzt, insofern die kürzere Textform G I als eine bewusste Bearbeitung der des Langtextes G II anzusehen ist, die G II glättet und paraphrasiert, aber auch inhaltliche Akzente setzt. 4 Hier ist zunächst auf einen veränderten Umgang mit den Gottesnamen zu verweisen. Die Verbindung von »Herr« (κύριος) und »Gott« (θεός) erscheint im älteren Langtext G II nur zweimal (4,21; 14,15), wohingegen G I diese Gottesbezeichnung insgesamt sieben Mal verwendet (3,11; 4,5.19; 13,13; 14,2.6-7). Sie kann Gott zudem auch häufiger als den »Heiligen« (12,12.15) oder den »Höchsten« (ὕψιστος; 1,4) bezeichnen. 5 Weitere wichtige Unterschiede beziehen sich u. a. auf die Angelologie (Fokussierung auf die Gebetsmittlerschaft des Engels; s. Tob 3,16 f. G I; 12,12-15 hat in beiden Textformen das Motiv), die Beschreibung des Abfalls der Naftaliten (anstelle der Verletzung der Kultzentralisation geht es in G I um Fremdgötterdienst; s. Tob 1,5) sowie die Universalisierung des Achikarstoffes durch die Nennung Hamans als Gegenspieler Achikars (s. Tob 14,10 f. G I). 6 Schließlich tritt in G I auch die Israelbegrifflichkeit 7 sowie der Verweis auf verwandtschaftliche Verhältnisse 8 zurück.
2. Die Rezeption des Tobit-Buches im Neuen Testament Für die neutestamentliche Überlieferung liegen insgesamt nur wenige explizite Bezugspunkte zur Tobit-Septuaginta vor. An erster Stelle ist die Beschreibung des Neuen Jerusalem in Apk 21,10-21 zu nennen, die mit der Motivik der Lichtherrlichkeit der
3. 4.
5.
6. 7. 8.
Zu den Übersetzungen s. Hanhart: Tobit, 11-23; insbesondere zur Vulgata s. Skemp: Vulgate. Die Frage nach dem Abhängigkeitsverhältnis von G I und G II wurde lange diskutiert; v. a. vor dem Hintergrund der Qumran-Funde, die in der Regel G II unterstützen, hat sich die Priorität von G II in der neueren Forschung immer mehr durchgesetzt; vgl. hierzu jetzt Weeks: Restoring the Greek Tobit, 1-5. Zur unterschiedlichen Verwendung der Gottesnamen s. die instruktive Untersuchung von Schöpflin: Die Hellenisierung der jüdischen Gottesbezeichnung, 326-339, mit weiteren Belegen; zu den unterschiedlichen Gottesnamen s. a. Ego: Mehrfachüberlieferung, 110-112. Zu diesen Motiven ausführlicher Ego: Mehrfachüberlieferung, 108-110.113-115. S. Tob 1,5.8.18; 5,5.9; 13,18; 14,4 [2 �].5.7), jeweils in G I; s. Dyma: Wallfahrt, 224, Anm. 617. S. hierzu Skemp: Vulgate, 468 mit Verweis auf u. a. Tob 1,5; 5,7.10; 7,1; 10,6 (2 �).
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künftigen Stadt deutliche Ankläge an Tob 13,16b-17 aufweist. Die Trias der guten Werke »Almosen«, »Beten« und »Fasten« erscheint auch in Mt 6,1-18, und Mt 7,12 / Lk 6,31 enthält zudem auch die Goldene Regel (cf. Tob 4,15; allerdings in positiver Fassung). Ein direkter Kontakt mit der griechischen Tobitüberlieferung ist hier aber nur schwerlich festzumachen, insofern solche Aussagen – wie auch die gemeinsamen angelologischen und dämonologischen Vorstellungen – integraler Bestandteil eines gemeinsamen religiösen Symbolsystems sind. 9 Didache zitiert zumindest sinngemäß die Goldene Regel. 10
3. Die Rezeption des Tobit-Buches im Christentum 1. Aus der Aussage des Origenes, wonach das Buch Tobit nicht von den Juden gelesen würde und diese es auch nicht in hebräischen Sprache besäßen, kann geschlossen werden, dass das Buch Tobit im Judentum seiner Zeit keine wesentliche Rolle spielte. 11 Ein Nachhall auf die Tobiterzählung findet sich allerdings in der christlich-gnostischen Schrift »Testament Salomos« (3./4. Jh.), in der von der Bindung des Dämons Asmodäus durch den König Salomo erzählt wird (TSal 5). Die Darstellung des Dämons als Wesen, das sich jungen Frauen gegenüber aggressiv verhält, dessen Gegenspieler der Engel Rafael ist und der durch Räucherwerk von Leber und Fischgalle vertrieben werden kann, verweist eindeutig auf die Tobiterzählung. 12 Für die Literatur der Kirchenväter ist festzuhalten, dass die griechische Welt die Kurzform der Erzählung belegt. 13 Im Vordergrund steht die Rezeption der weisheitlich-moralischen Aussagen wie der Goldenen Regel als Formulierung der Nächstenliebe oder die Sentenzen von den Heilswirkungen von Almosen, Fasten und Gebet. 14 Aber auch die Wunder und das Wirken des Engels können thematisiert werden. 15 2. Die westliche Welt bediente sich zunächst der Tradition der Vetus Latina. Insofern diese eine wörtliche Übersetzung von G II darstellt 16, liegt an dieser Stelle zumindest eine indirekte Wirkung der Septuagintatradition vor. Nun soll auch eine allegori9. Zum Ganzen s. Skemp: Avenues of Intertextuality, 43-70; s. a. Docherty: Reception of Tobit, 81-94, insbes. 92; sowie Schumpp: Tobias, lxi. 10. Gamberoni: Auslegung des Buches Tobit, 19. 11. Origenes: Ep. ad Africanum 13/19, SC 302, 562. S. hierzu Gamberoni: Auslegung des Buches Tobit, 31-34. Vgl. hierzu auch die Aussage des Hieronymus, wonach das Buch nicht zum jüdischen Kanon gehört und er mit seiner Übersetzung befürchtet, dem Urteil der Pharisäer zu missfallen; ausführlich hierzu Skemp: Vulgate, 15-21; cf. Gamberoni: Auslegung, 74. 12. Busch: Testament Salomos, 115-129; zum direkten Bezug des Textes zur Tobiterzählung ibid. 119. 13. Sehr instruktive sind die Belege bei Schumpp: Tobias, LXIIf., der direkt auf die ausgelegten Passagen verweist; s. a. Docherty: Reception of Tobit, 81. 14. Cf. Clemens Alex., Strom. VI, 102,1-2, GCS 52, 483; Dionysius Alex. bei Euseb. H.e. VII, 11, 2, GCS 9/2, 654 (Tob 12,7), ebenso Athanasius: Apol. c. Arian 11, PG 25, 268 A. 15. So Origenes, Hom. Num. 14,2, GCS 30, 125,2-6; De oratione 14,4, GCS 3, 331,27-232,17. S. die Zusammenstellung bei Gamberoni: Auslegung, 19-40. Allerdings unterscheidet Gamberoni bei der Nennung der Belege nicht explizit zwischen den östlichen und westlichen Auslegern. 16. Hanhart: Tobit, 13.
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sche Exegese, die den Fisch und das Wasser als Heilszeichen deutet, in das Blickfeld gelangen (cf. Optatus von Mileve). 17 Des Weiteren ist hier auch auf die Vulgata zu verweisen: Diese soll nach dem Bericht des Hieronymus zwar von einer chaldäischen Vorlage übersetzt worden sein (deren Gestalt bis heute allerdings nicht bekannt ist), 18 de facto basiert diese aber auf der Vetus Latina, 19 sodass hier zumindest von einer indirekten Wirkung der Septuaginta gesprochen werden kann. 20 Die Vulgata enthält aber auch Sondergut (so z. B. die explizite Angleichung des Leidens Tobits an Hiob und seine Glaubenstreue in Vg. 2,12-18 oder die Tradition vom dreitägigen Gebet vor der Hochzeitsnacht in Vg. 6,16-22), die wohl direkt auf den Kirchenvater Hieronymus zurückzuführen sind. 21 3. Die Fassung der Vulgata war es dann auch, die für die abendländisch-christliche Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte bedeutsam wurde. 22 Neben den Auslegungen und Kommentaren 23 ist an dieser Stelle die reiche Tradition in der bildenden Kunst zu nennen, die u. a. Motive wie das Begraben der Toten, den Streit der Eheleute, den Fischfang, die gemeinsame Wanderung von Tobias und dem Reisebegleiter mit dem Schutzengelmotiv, die Vertreibung des Dämons, die Heilung des alten Tobit und die Rückkehr des Engels in die himmlische Welt zum Gegenstand hat. 24 Der Einfluss der Vulgata (und eben nicht der Septuagintaversion) zeigt sich eindeutig an der Darstellung der Heilungsszene der Vulgata, die den Vater sitzend darstellt, während ihm sein Sohn Tobias die Salbe auf die Augen streicht (Vg. 11,11-15); nach der griechischen Tradition findet die Heilung statt, während Vater und Sohn außerhalb des Hauses aufeinander zugehen (cf. Tob 11,10 f.). 4. Spuren der Wirkungsgeschichte werden im späten Mittelalter und im Humanismus in der jüdischen Tradition und bei den christlichen Hebraisten sichtbar. Fünf der insgesamt sechs nachantiken Versionen stehen in einer Beziehung zum griechischen Text. 25 Ein direkter Bezug ist eindeutig für die aramäische Fassung (Ar) anzunehmen, die durch Ms. 2339 der Bodleian Library belegt ist (datiert auf das 15. Jh. oder das späte 14. Jh., in orientalischer, sephardischer Schrift geschrieben und ara-
17. Zur Auslegung im Westen s. Schumpp: Tobias, LXIVf.; speziell zur allegorischen Auslegung Gamberoni: Auslegung, 36 f. 18. Zur Übersetzung des Hieronymus von einer chaldäischen Vorlage s. Gamberoni: Auslegung, 75; Skemp: Vulgate, 19 f. 19. Skemp: Vulgate, 455-457 und passim bei den einzelnen Kommentierungen. 20. Cf. Skemp: Vulgate, 467: Die Entsprechungen zwischen Vg und G II sind in der Regel über die Vetus Latina vermittelt; eine Ausnahme bilden 9,8 und 13,6. 21. Zu den für die Vulgata typischen Traditionen s. Gamberoni: Auslegung, 86-97; Skemp: Vulgate, 463-465. 22. Cf. Gamberoni: Auslegung, 83: »Die Übersetzung des Hieronymus beherrscht das Mittelalter«. 23. Ausführlich hierzu die Darstellung von Gamberoni: Auslegung, 103-196 (»Von Beda bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts«). 24. Zu den Einzelszenen und ihrer Entwicklung s. Weskott: Darstellung der Tobiasgeschichte, 63123. 25. Zu diesen Texten insgesamt s. die 2004 erschienene Edition von Weeks / Gathercole / Stuckenbruck, die die Texte kurz einführt und synoptisch darstellt (abgekürzt als WGS); s. a. Loren T. Stuckenbruck / Stuart Weeks: Medieval Hebrew and Aramaic Texts, 71-86.
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bischer Provenienz). 26 Die Version orientiert sich im Wesentlichen am Langtext, und die Verwendung zahlreicher gräzisierender Begriffe belegt eine direkte griechische Vorlage. 27 Eng verwandt mit Ar ist Hebraeus Münster (1516 in Konstantinopel gedruckt, wobei ältere Genizahandschriften für einen Teil der Überlieferung vorliegen; der Druck von Sebastian Münster erschien mit zahlreichen Abweichungen von der Vorlage erstmals im Jahre 1542) 28 sowie Hebraeus Gaster (von Moses Gaster nach einer inzwischen verlorenen Handschrift aus dem 15. Jh. kopiert) 29. Auch bei diesen Texten ist die Orientierung an der Langform offensichtlich, wobei angenommen wurde, dass Ar die direkte Quelle darstellt. 30 Ebenso orientiert sich die unter dem Namen »Hebraeus Fagius« bekannte Version der Tobiterzählung, die im Jahre 1519 erstmals in Konstantinopel gedruckt und im Jahre 1542 von dem Reformator und Hebraisten Paul Fagius veröffentlicht wurde 31 (Handschriftenfragmente aus der Geniza aus dem 13. Jh.) 32, an der griechischen Überlieferung, wobei es sowohl Berührungen mit dem Kurztext als auch mit dem Langtext gibt. Ein direkter griechischer Einfluss wurde bereits 1800 von Ilgen postuliert 33 und nun auch von Fitzmyer formuliert. 34 Eine Mischung der beiden Texttypen belegt schließlich die recht kurze Version der Tobiterzählung »Ozar ha-Qodesh« (Druck Lemberg 1851, Datierung sehr schwierig, da Unklarheit über Quelle). 35 Bei all diesen Texten handelt es sich allerdings nicht um wörtliche 26. Erstmals publiziert (mit einer englischen Übersetzung) durch Neubauer: The Book of Tobit. A Chaldee Text (1878). Eine erneute Publikation erfolgte unter der Bezeichnung A 7 in WGS 62-333 (Text); 336-413 (Anmerkungen). Zur Handschrift Neubauer: Book of Tobit, viif.; WGS 44 f. 27. So bereits Nöldeke: Texte des Buches Tobit (1880), 50-59; s. hierzu auch die Belege bei Fitzmyer: Tobit, 13. Neubauer dagegen wollte von einer semitischsprachigen Vorlage des Ar ausgehen; s. Neubauer, Chaldee Text, vii. 28. Die Tobitversion »Hebraeus Münster« wurde auch in der Waltonschen Polyglotte, Vol. 4 (1657), 35-63 abgedruckt; Neubauer hat das zugrundeliegende Manuskript Konstantinopel 1516 unter Heranziehung weiterer Mss. zusammen mit einer englischen Übersetzung in seinem Band »The Book of Tobit. A Chaldee Text« ediert. Eine neue Ausgabe findet sich in WGS 62333 (Text); 336-413 (Anmerkungen) unter dem Label »H 3«. Zu den Mss. s. Neubauer: Chaldee Text, xii; WGS 32-35. 29. Eine erste Edition mit englischer Übersetzung erfolgte durch Moses Gaster in »Two Unknown Hebrew Versions of Tobit« im Jahre 1897; eine neue Edition wurde in WGS 62-333 (Text); 336-413 (Anmerkungen) unter der Bezeichnung »H 5« vorgelegt. Zum Manuskript Gaster, ibid., 12-14; WGS 39 f. 30. So Gaster: Two Unknown Versions, 12 f. Weitaus zurückhaltender ist WGS 46. 31. Isny 1542. Auch dieser Text wurde in der Waltonsche Polyglotte Vol. 4 (1657) abgedruckt; eine Neuedition findet sich in WGS unter der Bezeichnung »H 4«; s. a. Stuckenbruck: Fagius, mit einer englischen Übersetzung. 32. So Stuckenbruck: Fagius, 191, und WGS 36; vgl. dagegen Bhayro: Leaf, der das Manuskript auf der Basis des Wasserzeichens auf das Ende des 15. Jh. bzw. den Anfang des 16. Jhs. datiert und den westlichen Mittelmeerraum als Herkunftsort benennt. 33. Bereits Ilgen (1800) nimmt auf Hebraeus Fagius Bezug und notierte wichtige sprachliche und inhaltliche Merkmale sowie dessen enge Beziehung zum griechischen Text; s. Ilgen: Geschichte Tobi’s, CXXXVIII-CXLIV. 34. Auch Fitzmyer: Tobit, 14 scheint sich für eine griechische Vorlage von Hebraeus Fagius, konkret Cod. Vaticanus, auszuprechen. 35. »Ozar ha-Qodesh« wurde zunächst von Gaster: Two Unknown Hebrew Versions, 14 erwähnt,
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Übersetzungen, sondern um Versionen, die ihre Vorlage einerseits mehr oder weniger abkürzen können (z. B. für den Erzählverlauf, aber auch in der Betonung des eschatologischen Momentes, cf. Tob 13) und andererseits aber auch um weiteres Material ergänzen (z. B. Gebete, Betonung der Almosen, Dämonologie; Schriftbelege). Eine umfangreiche Untersuchung der Texte, die Klarheit über die jeweilige direkte Textvorlage verschaffen könnte, ist ein Forschungsdesiderat. Nichtsdestotrotz wird deutlich, dass die Wirkungsgeschichte der griechischen Tobitüberlieferung, wie sie in der Septuaginta vorliegt, mit der Übersetzung ins Lateinische und der Verbreitung der Vulgata nicht beendet war. Im Zeitalter des Humanismus findet dann auch christlicherseits wieder eine Zuwendung zum Tobit-Text der Septuaginta statt, die sowohl in Übersetzungen als auch Kommentierungen zum Ausdruck kommt. 36
dann aber erstmals in WGS publiziert; zur Quellenlage s. WGS 42-44; eine Übersetzung in eine moderne Sprache liegt bislang nicht vor. 36. Ausführlich hierzu Gamberoni: Auslegung, 227-239.
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2.2.2.7 Reports about the Maccabean Martyrs in Jewish and Christian Reception Jan Willem van Henten Literature Editions, Translations Börner-Klein Dagmar / Zuber, Beat: Josippon: Jüdische Geschichte vom Anfang der Welt bis zum Ende des Aufstands gegen Rom. Hebräisch-Deutsche Textausgabe, Wiesbaden 2010 – Dupont-Sommer, André: Le quatrième livre des Maccabées: Introduction, traduction et notes, Paris 1939. Augustinus: Sermones 300. 301, PL 38:1376-1385; English transl: The Works of St. Augustine: Sermons on the Saints, Translation and Notes by E. Hill (New York 1994, Vol. III/8) – Clemens Alex.: Stromata I-VI, ed. Otto Stählin / Ludwig Früchtel, 4. edition ed. Ursula Treu, GCS 52, Berlin 1985, Stromata VII-VIII, ed. Otto Stählin, 3. edition ed. Ursula Treu, GCS 17, Berlin 1970, 3-102 – Cyprian: Ad Quirinium testimoniorum libri tres, ed. Robert Weber, CC.SL 3, Turnhout 1972, 1-179 – Cyprian: Ad Fortunatum, ed. Robert Weber, CC.SL 3, Turnhout 1972, 181-216 – Eusebius Caes., Die Kirchengeschichte, ed. Eduard Schwartz / Theodor Mommsen, Vol. 1, GCS 9/1, Leipzig 1903; Vol. 2, GCS 9/2, Leipzig 1908 – Gregorius Naz.: Oratio 15 in Machabaeorum laudem, PG 35:915-933 – Hippolytus Rom.: Commentaire sur Daniel, ed. Gustave Bardy / Maurice Levefre, SC 14, Paris 1947 – John Chrysostom: Homilia 1 in sanctos Maccabeos et in matrem eorum, PG 60:617-624 – John Chrysostom: Homilia 2 in sanctos Maccabeos, PG 50:623-626 – John Chrysostom: Homilia de Eleazaro et de septem pueris, PG 63:523-530 – John Chrysostom: Homilia 3 in sanctos Maccabeos, PG 50:625-628 – John Malalas: Chronographia PG 97:65a-718a – Origenes: Werke I, Die Schrift vom Martyrium. Buch I–IV gegen Celsus, ed. Paul Koetschau, GCS 2, Leipzig 1899 – Severus Antioch.: Les Homiliae Cathedrales, ed. Rubens Duval, PO 4, Paris 1908. Musurillo, Herbert A.: The Acts of the Christian Martyrs, Oxford 1972 – Nau, François: Un martyrologe et douze ménologes syriaques: Edités et traduits (Martyrologes et ménologes orientaux; Patrologia orientalis 10.1; Paris: 1912 repr. Turnhout 1993.
Secondary Literature Augustyn, Wolfgang: Der Lateinische Hamilton-Psalter im Berliner Kupferstichkabinett (Hs. 78 A 5) (Diss. LMU München, 1987; s.i.; s.n.: 1995) – Bammel, Ernst: Zum jüdischen Märtyrerkult, ThLZ 78 (1953), 119-126; reprinted in Idem, Judaica. Kleine Schriften I, WUNT 37, Tübingen 1986, 79-85 – Beckwith, Roger T.: The Old Testament Canon of the New Testament Church and its Background in Judaism, London 1985 – Berger, Albrecht: The Cult of the Maccabees in the Eastern Orthodox Church, in: Gabriela Signori (ed.), Dying for the Faith, Killing for the Faith: Old-Testament Faith-Warriors (Maccabees 1 and 2) in Historical Perspective, Leiden 2012, 105-123 – Bickerman, Elias: The Maccabees of Malalas, in: id., Studies in Jewish and Christian History: A New Edition in English including the God of the Maccabees, Leiden 2007, Vol. 1, 465482 (473-480) [transl. of French original published in 1951] – Bright, Pamela: Origenian Understanding of Martyrdom and its Biblical Framework, in: Charles Kannengiesser / William Lawrence Petersen (eds.), Origen of Alexandria: His Work and His Legacy, Notre Dame IN 1988, 180-199 – Brown-Tkacz, Catherine: The Seven Maccabees, Three Hebrews and a Newly Discovered Sermon of St. Augustine (Mayence 50), REA 41 (1995), 59-78 – Burkhart, Peter:
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1. Introduction The “Maccabean martyrs” were a group of Jews who were tortured to death during the persecution by the Seleucid King Antiochus IV Epiphanes (175-164 bce), preceding the Maccabean Revolt in 168/7-164 bce. The description of Antiochus IV’s persecution in the Second Book of Maccabees (late second century bce, provenance Judea or a Diaspora city) 1 includes a report about these martyrs (2 Macc 6:18-7:42), relating how the ninety-year-old scribe Eleazar and an anonymous mother with her seven sons refused to participate in a ritual meal during which they were forced to eat a piece of pork (2 Macc 6:18, 6:21, 7:1, 7:42). The martyrs refused to do this because they preferred death to violating God’s laws, which functioned as the ancestral laws of the Jewish people (2 Macc 6:28, 7:2, 7:9, 7:11, 7:23, 7:30, 7:37). The martyrdom narratives hardly provide information about the setting, arrest, and juridical procedure that precedes the execution. Second Maccabees 7 is a power game between the martyrs and the king, which highlights the final words of the martyrs and climaxes with the clash between the king and the youngest son (2 Macc 7:24-40; cf. 4 Macc 12). The mother dies last, 1.
Nicklas: Makkabaion II/Das Zweite Buch der Makkabäer, 1376-1416.
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after having seen her sons being tortured and executed one by one (2 Macc 7:41; cf. 4 Macc 17:1). By their faithfulness to the Jewish practices in the conflict with King Antiochus the martyrs exemplify the Jewish way of life and their willingness to sacrifice themselves for these practices as exemplary figures (2 Macc 6:28, 6:31) reflects the special character of the Jewish people. Second Maccabees also implies that the martyrs and the freedom fighter Judas the Maccabee fought for the same cause and that the martyrdoms were a decisive step towards the restoration of an independent Jewish state. 2
2. Jewish reception The Maccabean martyrdoms are much elaborated in the Fourth Book of Maccabees (date debated, first century ce or even later; provenance Antioch in Syria or Asia Minor), 3 which is a combination of a philosophical treatise about the autonomy of devout reason, a report of the martyrdoms and praise for the martyrs. The anonymous author builds on Second Maccabees (esp. 2 Macc 3:1-7:42) by expanding the torture scenes and praising the martyrs in line with epideictic rhetoric, and he demonstrates in this way that the book’s philosophical proposition is right. In comparison to Second Maccabees, Fourth Maccabees pays much more attention to the role of the mother (4 Macc 14:11-17:1) by elaborating the motif of maternal love. The author highlights that the mother totally disregarded her love for her sons, which demonstrates the truth of the philosophical argument that pious reason masters all emotions (4 Macc 14:11-12; cf. 15:11, 23). Her behaviour during the executions of her sons expresses the attitude of the ideal philosopher. She exemplifies ἀνδρεία (“courage,” “manliness”), one of the cardinal virtues. Another prominent motif in Four Maccabees, only hinted at in Second Maccabees, concerns the presentation of the martyrdoms as a contest between king and martyrs. Athletic vocabulary highlights this contest, which results in the defeat of the king, as the elaborate athletic metaphor in Four Maccabees 17:11-16 implies (see also 1:11; 17:15; 18:4-5). The martyrdom of the mother and her sons has been radically re-interpreted in three rabbinic passages, all put in the setting of a Roman persecution: Midrash Lamentations Rabbah 1:16, Pesiqta Rabbati 43 (ed. Friedmann fol. 180b), and Babylonian Talmud Gittin 57b. 4 In the first two passages the mother is named Miriam bat Tanḥum or Miriam bat Naḥum, in the third one she is anonymous. Lamentations Rabbah 1:16 concludes the martyrdom with the Holy Spirit quoting from Lamentations 1:16 (“For these I weep”). The context of Babylonian Talmud Gittin 57b is a quotation of Psalm 44:23: “For Your sake we are slain all day long.” The emperor forces the martyrs to prostrate themselves before a statue of a deity, similar to Nebuchadnezzar’s order in Dan 3. The youngest son is duped by being asked to pick up a signet ring in front of the statue. The interrogations of the first six brothers by the emperor (sometimes identi2. 3. 4.
Further discussion: van Henten: The Maccabean Martyrs as Saviours. Klauck: Makkabaion IV/Das Vierte Buch der Makkabäer”, 1445-1475. Doran: The Martyr, passim; Cohen: Hannah, passim; Hasan-Rokem: Web of Life, 114-125; Himmelfarb: The Mother of the Seven Sons, passim. See also Sefer Eliyahu Rabbah 28 (ed. Friedmann, 151-153).
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fied as Hadrian) are described in a stereotypical way. The brothers emphasize their faithfulness to the God of Israel by quoting relevant passages from the Torah. The lengthy dialogue between the emperor and the seventh brother is the climax. It is a midrash on Ps 115:5-7 that highlights the contrast between idols with their anthropomorphic form and God. The mother plays a central role in this passage, by nursing her son and asking the emperor to be executed together with him. She is compared with Abraham (cf. 4 Macc 14:20; 15:28; 17:6; 18:20), and even claims to have surpassed him, stating: “I built seven altars and sacrificed my sons on them” (LamR 1:16). Pesiqta Rabbati 43 differs from the other two rabbinic versions of the story about the mother and her seven sons. It is much shorter and lacks the scriptural proof supporting the argument of the brothers. The seventh son does not engage in a debate with the emperor, but consults his mother as to whether he should prostrate himself before the image of the emperor. In the end the mother commits suicide, and God vindicates her by promising her bliss in the future world, citing Psalm 113:9: “He gives the barren woman a home.” Josippon, the 10th-century Southern Italian chronicle of the confrontation between Israel and Rome in the ancient period considers the Maccabean martyrs “holy,” as in the Christian tradition. 5 Later editions of this work call the mother Hannah, which name derives from 1 Sam 2:5, where the biblical Hannah says: “The barren one has borne seven.” 6 The chronicles that commemorate martyrdoms during the crusaders’ massacres of German Jews in 1096 also allude to the story of Hannah and her sons. The conclusion of the Mainz Anonymous chronicle compares Rachel of Mainz, who slew her own children in order to prevent them from being baptized, with Hannah. It indicates that each died righteously and as “a happy mother of children” (Ps 113:9). The chronicle invokes the memory of Hannah, but its content contrasts the two women, because Hannah and her sons take pride in their martyrdom, but Rachel bewails her fate and kills her children against their will. 7 The story of Hannah and her sons is incorporated in liturgical poems (piyyutim) that are part of the liturgy of the Sabbath of Hanukkah and of the Ninth of Av, when the destruction of the Temple is commemorated. 8
3. Christian Reception Both Second and Fourth Maccabees have been recycled many times in Christian contexts. 9 The books were incorporated in some of the early codices of the Septuagint as well as later versions of the Christian Bible. 10 The stories about the martyrs were included in 5. Josippon 14-15 (ed. Flusser 1.68-75) offers a paraphrase of the Maccabean martyrdoms based on a Latin version of 2 Macc. 6:18-7:42, Cohen: Hannah, 51. “The youngest son hopes that God will be merciful again to his people, but the intercessory prayer is absent in his statement.” 6. Cohen: Hannah, 51-54; Cohen: Sanctifying the Name of God, 117-118; Dönitz: Überlieferung, 184-185. 7. Cohen: Sanctifying, 106-29; Shepkaru: Jewish Martyrs, 180-182. 8. References: Cohen, Hannah”, 54-55. 9. Joslyn-Siemiatkoski: Christian Memories of the Maccabean Martyrs. 10. Beckwith: Old Testament Canon, 74; 186; 196; 225; 427 n. 219; 482; 484-485; 493; Hengel: Septuagint, passim; Fabry: Der Beitrag der Septuaginta-Codizes zur Kanonfrage, passim. Con-
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Christian collections of martyrdoms and calendars of Christian martyrs (martyrologia), in the West as well as the East. The stories were also depicted in art, including reliefs on reliquaries and illustrated manuscripts of the Bible and other writings. 11 The Christian reception of 2 Maccabees 6:18-7:42 starts with the New Testament Letter to the Hebrews, 12 which alludes a few times to the Maccabean martyrdoms in its list of witnesses of trust (πίστις). The author catalogues a series of anonymous models of trust, arguing that his community can find encouragement in them (Hebr 11:32-38). The author discusses heroes known from Scripture who suffered because of their trust and also alludes to the Maccabean martyrs in this context, writing: “Women received their dead [sons] by resurrection. Others were tortured, refusing to accept release, in order to obtain a better resurrection.” (Hebr 11:35). The phrase “Others suffered mocking and flogging …” in Hebrews 11:36 may also allude to the story of 2 Maccabees 7. The first allusion combines the martyrdom of the old scribe Eleazar with that of the mother and her seven sons, paraphrasing both, starting with the mother and focusing upon the resurrection of the martyrs. The second allusion highlights the scourging and mocking of the martyrs. 13 The Martyrdom of Lyon and Vienne, usually dated in 177 ce and transmitted by Eusebius in his History of the Church, may hint at the Maccabean mother as a model for the Christian martyr Blandina. 14 Both women encourage their fellow martyrs to remain steadfast. Blandina dies last, as Hannah does. Both women are presented as exemplary mothers, but in very different ways. Hannah is a hero, because she disregarded her deep maternal love for her sons out of faithfulness to God. 15 She exemplifies Abraham’s attitude, who was willing to sacrifice his own son (4 Macc 15:28; 16:20) and is called a “mother of the nation” (4 Macc 15:29). Blandina functions as a spiritual mother 16 and she may be connected with the symbolism of the Church as a virgin-mother who rejoices in the martyrdoms because they inspire others to confess Jesus Christ. 17 From the end of the second century ce onward explicit references to the Maccabean martyrs are found in Christian literature. Christian authors re-interpret the martyrs as models for Christians in the context of sermons, homilies, and panegyric discourses. The Passion of Montanus and Lucius compares the mother of the martyr Flavianus with the mother of the Maccabean martyrs. 18 Flavianus’ mother is called a “Maccabean mother” (Machabaeica mater) as well as a “daughter of Abraham” (Abra-
11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18.
trary to Second Maccabees, Four Maccabees is not part of the Vetus Latina and the Vulgate, but it is sometimes included in Bible translations. van Henten and Mulders: Hannah and her Seven Sons: II Visual Art, passim. Beckwith: Old Testament Canon, 199; 389; 426-427; 430. Van Henten: The Reception of Daniel 3 and 6, passim. Frend: Martyrdom, 18-19; Guillaumin: Une jeune fille, passim; Saxer: Morts. Martyrs. Reliques, 260; den Boeft and Bremmer: Notiunculae martyrologicae, 115-116. 2 Macc 7:20, 27; 4 Macc 14:11-17:1. Eusebius Caes.: H.e. 5.1.41, GCS 9/1:418. Eusebius Caes.: H.e. 5.1.45-46, GCS 9/1:420; Cf. cf. 4 Macc 18:7; Augustine: Sermo 301.1, PL 38: 1376-1377. The date of the martyrdoms according to tradition is spring 259 ce (Musurillo: Acts, xxxvxxxvi with references).
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hae filia). 19 These titles construct an analogy between the mothers and focus on their ideal attitude of being prepared to sacrifice a child for a higher cause. The text highlights that the number of sons – the Maccabean mother had seven – did not play a role: “no matter the number of her sons, for in like manner she too [i. e., the mother of Flavian] offered all her love to her Lord in this her only one”. 20 The same motif is found in the conclusion of the Passion of Marian and James, where the mother of Marian rejoices after her son’s martyrdom and compares herself with the Maccabean mother. 21 Origen (ca. 185-254 CE) builds extensively on the Maccabean martyrdoms in his Exhortation to Martyrdom, 22 by quoting and paraphrasing sections from 2 Maccabees 6:18-7:42 23, which he considers to be Scripture. 24 Origen’s father died a martyr’s death when Origen was about seventeen years old (ca. 203 ce), which implied that martyrdom was the ultimate goal of a Christian life for him. He wrote his Exhortation to Martyrdom in Caesarea in 235 ce, during the persecution of Christian leaders by the Roman emperor Maximinus Thrax (235-238 CE). 25 His primary addressees were two local Christian leaders and Origen exhorts them to submit themselves to martyrdom. He propagates a strict view of martyrdom, implying that Christians should refuse to deny Christianity during trial and refuse to swear by the “good fortune” (fortuna) of the emperor at all cost, 26 and thus “bear their cross” like Jesus Christ did. 27 Origen’s elaborate section about the Maccabean Martyrs (Exh. 22-27) emphasizes specific points and omits other issues. 28 He leaves out factual information about the martyrs and omits almost all references to their Jewish identity. A striking reinterpretation of the Maccabean martyrdoms concerns the brutal scalping of one of the seven brothers. Origen associates the scalping of the first brother in an intriguing way with circumcision: “And he [i. e. the first of the seven brothers] endured the scalping in the Scythian way (τὸν περισκυθισμόν; transl. adapted) as others undergo the circumcision appointed by God’s law, believing that even in this way he was fulfilling the in-
19. Pas. Mont. 16.4, Musurillo, 230; Pas. Mont. 16.3, Musurillo 230. 20. Pas. Mont. 16.5: nihil enim interest de numero filiorum, cum perinde et haec in unico pignore totos affectus suos domino manciparit, Musurillo, 230; Trans. Musurillo, 231. 21. Pas. Mar. 13: “When this was all over, Marian’s mother, now sure of her son once his passion was finished, rejoiced like the mother of the Maccabees (Machabaico gaudio), congratulating not only Marian but also herself that she had borne such a son” (trans. Musurillo, 213). 22. GCS 2:1-47; Hartmann: Origène et la théologie du martyre, passim; Bright: Origenian Understanding of Martyrdom, passim. Origen also used Fourth Maccabees: DeSilva: Example, passim; van Henten: Christianization, 340-343. 23. Origen: Exh. Mart. 23-27, GCS 2:20-24. 24. Origen: Exh. Mart. 27, GCS 2:23; similarly: Clement of Alexandria: Strom. 1.21/123.2; 5.14/97.7, GCS 52:77, 390. 25. Eusebius Caes.: H.e. 6.28, GCS 9/2, 582. 26. Origen: Exh. Mart. 6-7, GCS 2:7-8. 27. Origen: Exh. Mart. 12, GCS 2:11. 28. Origen: Exh. Mart. 22-27, GCS 2:19-24; Cf. also the paraphrases of 2 Macc. 7 in Hippolytus of Rome: In Dan. 2.20f; 2.35, SC 14:154-157; 184-187; Cyprian, Ad Fortunatam 11, CC.SL 3:205-210; Déléani: Une typologie du martyre chrétien, passim.
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tention of the covenant of God.” 29 Scalping was a Scythian punishment for defeated enemies, and the Scythians were famous for their cruelty. 30 Origen’s association of the Scythian way of scalping (περισκυθίζω; also 2 Macc 7:4) with circumcision (περιτομή) may have been triggered by the assumption of some similarity of practice, i. e. the all-round taking away of human skin–note the περί- in both words. However, there may also be a theological motivation for this association. Origen’s passage suggests that there is an analogy between martyrdom and baptism, implying that martyrdom is a second baptism, this time by blood, which would be an entry ritual as the actual circumcision is an entry ritual for Jewish males. 31 Obviously this alternative way of circumcision implies that the actual circumcision is relativized. In Origen’s reinterpretation the martyrs do not sacrifice their lives for the ancestral laws, instead they die for proper worship (εὐσέβεια) 32 and the love of God (τὸ πρὸς θεὸν φίλτρον), 33 both interpreted from a Christian perspective. 34 Origen’s consistent de-Judaization of the Maccabean martyrs was necessary to turn them into proper models for Christian martyrs. Two biblical quotations round off the section concerning the Maccabean martyrs and highlight Jesus Christ’s support of the martyrs. Origen quotes Psalm 117:14 in the Septuagint version: “The Lord is my strength and my song”; the context implies that Jesus is the Lord. Another quotation combines Philippians 4:13 and 1 Timothy 1:12: “I can do all things through Christ Jesus our Lord who strengthens me.” 35 In the context of the Exhortation the quotations focus upon Jesus Christ as the one who supports and strengthens the Maccabean martyrs in their situation of extreme suffering. From the second half of the fourth century ce onward panegyrical discourses have been transmitted, which are interconnected with festivities for the martyrs that were part of a martyr cult, which seems to have originated in the second half of the fourth century in Antioch, the former capital of the Seleucid Empire. Several Christian writings assume that the Maccabean martyrs were tortured to death in Antioch. 36 Unfortunately, there is no material evidence for a cult of the Maccabean martyrs in Antioch. 37 The epitaph for the Maccabean martyrs quoted in 4 Maccabees 17:8-10 is fictitious. 38 The Antiochene origin of the cult may derive from a literal reading of 29. 30. 31. 32.
33. 34. 35. 36. 37. 38.
Origen: Exh. Mart. 23, GCS 2:21. Herodotus 4.64-65. See also 2 Macc 4:47. Oulton / Chadwick: Alexandrian Christianity, 408 n. 13. Origen: Exh. 22-23; 25; 27; 29, 42, 47, GCS 2:19-20, 22, 23, 26, 39, 43. See already Exh. 5, GCS 2:6. Eusebeia is a central virtue in Fourth Maccabees, Metcalfe: Origen’s Exhortation, 268-69; DeSilva: Example, 345. Origen: Exh. 27, GCS 2:23; cf. Exh. 2-3; 7; 10-11; 25; 37-8, GCS 2:3, 4, 9, 10-11, 22, 34-36; den Boeft and J. N. Bremmer: Notiunculae, 121 n 33; Ziadé: Les martyrs Maccabées, 98-99. Cf. Origen: Exh. 5, 12, 18, 29, GCS 2:6, 11-12, 16-18, 25. For the motif of Jesus Christ supporting martyrs, see also Eusebius: Hist. eccl. 5.1.22-24, 27-28, 56, GCS 9/1:410, 412, 424. Cf. Pas. Perp. 4.6; Origen: Exh. 4, GCS 2:5-6. E. g. John Malalas: Chronographia 8, PG 97:321, 324. Rutgers: Importance of Scripture, 289-291, 298-303; Triebel: Synagoge, 471. van Henten: A Jewish Epitaph in a Literary Text, passim; Triebel: Synagoge, 471-472. Differently: Dupont-Sommer: Le quatrième livre des Maccabées, 67-68; Nodet: La Dédicace, 326 n. 11; Ziadé: Les martyrs Maccabées, 55. See also Knust: ‘Who Were the Maccabees?’.
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2 Maccabees 5-7: chapter 7 presupposes that King Antiochus IV was present during the martyrdom, while 2 Macc. 5:21 reports that he had returned to Antioch, which implies that Antioch was the setting of the martyrdom. 39 Several scholars argue that the Christian cult for the Maccabean martyrs at Antioch was the follow-up of a local Jewish cult at or near a synagogue in Antioch or the nearby town of Daphne, which might be connected with the festival of Hanukkah. 40 The relevant sources for this reading include the sixth century chronicler John Malalas and an eleventh century Judea-Arabic chronicle by Nissim Ibn Shahin, which are relatively late. More importantly, the veneration of bodily remains goes against Jewish purity laws. Therefore it is more probable that Christians have founded the cult of the Maccabean martyrs. 41 The Martyrologium of Edessa (411-412 ce) refers to the Christian celebration of a festival in commemoration of the death of the mother and her sons on August 1 in Antioch and it also mentions that the martyrs (“the sons of Shamuni”) were buried in the district of the Kerateion in Antioch. 42 Raphaëlle Ziadé argues that the Greek original of this Syriac martyrologium dates from 362, which implies that Christians celebrated the “birthday” of the martyrs in the east in about the same period when the Church Fathers John Chrysostom and Gregory of Nazianzen composed writings devoted to them. Discourse 15 (PG 35:912-933) by Gregory of Nazianzen (bishop of Nazianzen, Cappadocia, born in 329/330) was in Ziadé’s view composed for the celebration of this festival on August 1 in 362 ce at Nazianzen. 43 A few decades later the Councils of Hippo and Carthage (393 and 397 ce) allowed for the liturgical reading of martyrdoms at the occasion of the celebration of the day of the martyrs’ death. The Antiochene priest John Chrysostom (born between 344 and 354, archbishop of Constantinople from 398 CE onward) wrote two Homilies on the Maccabees between 386 and 397 CE and another Homily on Eleazar and the seven infants in circa 398 ce. 44 The beginning of John Chrysostom’s first Homily on the Maccabees opens with an ode to the bones of the martyrs, which renders it plausible that it was presented at the
39. Van Henten: Maccabean Martyrs, 79-80. 40. E. g. Rampolla da Tindaro: Del luogo del martirio, passim; Martyre et sépulture des Machabées, passim; Bickerman: The Maccabees of Malalas, 473-80; Bammel: Zum jüdischen Märtyrerkult, passim; Jeremias: Heiligengräber, 18-23; Schatkin: The Maccabean Martyrs, passim; Nodet: La Dédicace, 374; Vinson: Gregory of Nazianzen’s Homily 15, 183-184; Ziadé: Les martyrs Maccabées, 55-65. Further references: Triebel: Synagoge, 488-491. John Malalas: Chronographia 8 (PG 97 321:324) reports that the martyrs were buried in Antioch’s district of the Kerateion and adds that there was a synagogue at this place. 41. With Rutgers: Importance of Scripture, 290-291; 298-300; Triebel: Synagoge; Rutgers: Making Myths, 19-48; Rouwhorst: The Cult of the Seven Maccabean Brothers, 184-193. 42. Nau: Un martyrologe et douze ménologes syriaques, no. 19 lines 6-7. Cf. John Chrysostom: Hom. 1, PG 50:617; Augustin: Sermo 300. For the history of the cult of the Maccabean martyrs, see Rouwhorst: “Cult”; Rouwhorst: Emergence, passim; Berger: The Cult of the Maccabees in the Eastern Orthodox Church, passim. 43. Gregorius Naz., Or. 15,1, PG 35:912a; cf. Ziadé: Les martyrs Maccabées, 136-154. See also Vinson: Gregory of Nazianzen’s Homily 15. 44. PG 50:616-626; PG 63.523-530. A third Homily on the Maccabees by John Chrysostom, PG 50:625-628, is probably inauthentic. See also Severus of Antioch’s Homily on the Maccabees (Hom. 52, early 6th century), Duval: Les Homiliae Cathedrales, col. 7-23.
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Geschichtsbücher
martyrs’ tomb in Antioch, possibly at the Church of the Maccabees in the Kerateion, mentioned in the Martyrologium of Edessa. The remaining part of the homily focuses on the mother of the seven brothers (below). The second homily concerns the youngest of the seven sons and praises his exceptional courage, which is presented as a model to the audience. Both homilies were probably delivered on August 1 and 2 respectively. 45 Building on 4 Maccabees (4 Macc. 14:11-15:32), John embellishes the martyrdom of the mother by expanding the motif of maternal love that is already prominent in 4 Maccabees. 46 4 Maccabees compares the mother with birds and bees who protect their young from intruders (14:14-20) 47 and praises her extensively because she fully controlled her motherly feelings for her children for the higher cause of the Jewish laws and religion. John Chrysostom further elaborates this motif and presents the mother’s martyrdom as a triumph of spiritual fire over actual fire (Homily 2). 48 The mother presents her sons as a second delivery to God, which allows them access into a world that concerns “real life”. The epilogue of Gregory’s Discourse 15 presents the martyrdom of the mother and her sons as the accomplishment of the mother’s motherhood, which leads up to the educational exhortation at the end: the imitation of the seven brothers’ sacrifice for Christ. 49 Greek and Latin Bible manuscripts often include illustrations of the martyrs, sometimes in connection with the beginning of Ps. 79 (Vg. 78). 50 A historiated initial depicting the scene of the execution of the martyrs in front of a city can be found in the Stuttgart Psalter, which originated in Saint-Germain-des-Prés (Paris) and dates from ca. 820/830. 51 The initial preludes Ps. 79:2-3 (“They have given the bodies of your servants to the birds of the air for food, the flesh of your faithful [LXX and Vg. “holy ones”] to the wild animals of the earth”). The association of the martyrdom of the mother and her sons with Ps. 79 developed into an established tradition. The Hamilton Psalter, from the Byzantine Cypriot School (late 13th- early 14th c.), also depicts the martyrdom next to the first three verses of Ps. 78 (Vg.). 52 King Antiochus IV is seated on a cushioned bench with a footstool. He wears a crown and commands the execution of the martyrs; one is kneeling and going to be beheaded with the sword, while the sons who were already decapitated are depicted to the right. The story of 2 Maccabees 7 is illustrated in a Bible commissioned by Stephen Harding, abbot of Cîteaux, which dates from 1109-1111. 53 The text opens with a historiated initial that depicts Antiochus IV, wearing headgear and sitting on a folding stool, while three executioners are
Rouwhorst: Emergence, 87. Cf. Origen: Exh. 27, GCS 2:23-24. Cf. Gregory of Nazianzen: Discourse 15,8, PG 35:925a-b,14-21. PG 50:625.32-46. PG 35:929.20-21; 932.36-39. See also Augustine: Sermo 300.7, PL 38; 301.1. Hirner: Der Makkabäerschrein, 57-67. De Wald: The Stuttgart Psalter; Burkhart: Kunsthistorische Einführung. Berlin, Kupferstichkabinett MS 78.A.9, fol. 154r. Augustyn: Der Lateinische Hamilton-Psalter; Havice: Marginal Miniatures, passim. 53. Dijon, Bibliothèque Municipale MS 12-15, MS 14, fol. 191r. Sheppard: Romanesque Display Bibles, 401-402. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52.
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mutilating the seven sons in several ways; the mother exhorts her youngest son, whose hands are bound. 54 The Christian reception of the Maccabean martyrdoms reflects a particular way of the Christian negotiation of its relationship with Judaism. It shows how Christians asserted their own identity by finding a source of inspiration and legitimation in martyrdom traditions that have a Jewish pre-Christian origin. They simply turned the Maccabean martyrs into Christian heroes and erased most if not all traces of their Jewish origin, as passages by Origen and John Chrysostom show. It is remarkable that John Chrysostom not even mentions the martyrs in his famous eight homilies against Judaizers in the Antiochene community. One of the few authors who reflect upon the Jewish identity of the martyrs is Augustine. In one of his sermons about the Maccabean martyrs 55 Augustine notes that the martyrdoms occurred before the passion of Jesus Christ and that they belonged to “that first people, which produced the prophets who foretold these present realities”. 56 It is significant that Augustine does not use the name “Jews” here, which he explains a few lines further: God’s people before the coming of Christ was Christian too. The Maccabean martyrs suffered for the Law of Moses by way of anticipation of the later martyrs, who suffered for the name of Christ. 57 To a hypothetical Jewish opponent who points out that the Maccabean martyrs cannot be martyrs of the Christian people because they died for the Law, Augustine responds that this person has to convert to Christianity because only then will be the Old Testament unveiled by the New Testament and will it be clear that the martyrs confessed Christ in a concealed way. 58 This implies that even Augustine, who is aware of the Jewish origin and pre-Christian context of the martyrdoms, re-interprets the martyrs in a Christian framework of anticipation or prefiguration of Christian martyrdom because of ultimate faithfulness to the name of Jesus Christ.
54. Other examples can be found in the St. Gumbertus Bible (end of the 12th c., Erlangen UB MS 121, fol. 310) and the Ripoll Bible (ca. 1015-1020, BAV MS Vat lat. 5729, fol. 352). The beginning of the Book of Second Maccabees in an early 14th century Bible (now in New York, Pierpont Morgan Library MS M. 215, fol. 358v) has a historiated initial showing the portraits of the seven brothers. 55. Augustine’s Sermons 300 (date unclear) and 301 (dated in 417 ce, Kunzelmann: zeitliche Festlegung, 11; 54) are devoted to the Maccabean martyrs (PL 38:1376-1385; English translation in Hill: Works of St. Augustine Vol. III/8). Sermon 300.1, PL 38:1376-1377 and Sermon 301A.7, PL 38:1383, also refer to the commemoration of the Maccabean martyrs on August 1. In Sermo 301.2, PL 38:1381 and a newly discovered sermon Augustine compares the Maccabean martyrs with Daniel’s three companions, see Brown-Tkacz: The Seven Maccabees, passim. 56. Augustine: Sermo 300.1, PL 38:1376-1377. Cf. Gregory of Nazianzen, Or. 15.1, PG 35:912a; Rutgers: Importance of Scripture, 295-296. 57. Augustine: Sermon 300.1-2, PL 38:1377. 58. Augustine: Sermon 300.3, 5-6, PL 38:1377-1378, 1379.
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2.2.3 Psalmen und Weisheitsliteratur 2.2.3.1 Psalmen Ralph Brucker Literatur Textausgabe Psalmi cum Odis, ed. Alfred Rahlfs (Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum, Auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis editum, Vol. X), Göttingen 1931 (= 31979).
Altkirchliche Kommentare Griechisch Apollinaris Laodic.: Fragmenta in Psalmos, ed. Ekkehard Mühlenberg, Psalmenkommentare aus der Katenenüberlieferung, Bd. 1, PTS 15, Berlin / New York 1975 – Asterios Antioch.: Asterii sophistae commentariorum in Psalmos quae supersunt, ed. Marcel Richard, SO.S 16, Oslo 1956 (Übersetzung: Wolfram Kinzig: Asterius, Psalmenhomilien, BGL 56/57, Stuttgart 2002) – Athanasius: Epistola ad Marcellinum in: interpretationem Psalmorum, PG 27, 11-46 (Übersetzungen: Hermann Josef Sieben: Brief an Marcellinus, in: ders.: Ausgestreckt nach dem, was vor mir ist. Geistliche Texte von Origenes bis Johannes Climacus, Sophia 30, Trier 1998, 143-179 – Everett Ferguson: Athanasius’ ›Epistola ad Marcellinum in interpretationem Psalmorum‹, EkklPh 60, 1978, 378-403 – Robert C. Gregg: Athanasius: The Life of Antony and the Letter to Marcellinus, Classics of Western Spirituality, New York 1980) – Athanasius: Expositiones in Psalmos, PG 27, 60-545. 548-589 (Syrische [+ englische] Übersetzung: Athanasiana Syriaca 4: Expositio in Psalmos, ed. Robert W. Thomson, CSCO 386/387, Leuven 1977) – Basilius Caes.: Homiliae super Psalmos, PG 29, 209-494 – Didymos Alex.: Fragmenta in Psalmos, ed. Ekkehard Mühlenberg, Psalmenkommentare aus der Katenenüberlieferung, PTS 15/16, 1975/1977 – Didymos Alex.: Psalmenkommentar (Tura-Papyrus), ed. Michael Gronewald, PTA 4-8, Bonn 1968-1970; Nachträge: Michael Gronewald: Didymos der Blinde, Psalmenkommentar (Nachtrag der Seiten 248/49 des Tura-Papyrus), ZPE 46 (1982), 98-110 (Kommentar zu Ps 36,1519) – Thomas W. MacKay: Didymos the Blind on Psalm 28 (LXX). Text from Unpublished Leaves of the Tura Commentary, StPatr 20 (1989), 40-49 – Didymos Alex.: Didymus the Blind’s Commentary on Psalms 26:10-29:2 and 36:1-3, ed. Lincoln H. Blumell, P.BYU 1, Turnhout 2019 (Übersetzungen: Emanuela Prinzivalli: Didimo il Cieco, Lezioni sui Salmi. Il Commento ai Salmi scoperto a Tura, LCPM 37, Mailand 2005; Albert-Kees Geljon: Didymos the Blind: Commentary on Psalm 24 (23 LXX), VigChr 65 (2011), 50-73) – Diodorus Tars.: Commentarii in Psalmos, I: Commentarii in Psalmos I-L, ed. Jean-Marie Olivier, CC.SG 6, Turnhout 1980 (Übersetzung: Robert Charles Hill: Diodore of Tarsus, Commentary on Psalms 1-51, SBL. WGRW 9, Atlanta/GA 2005) – Eusebius Caes.: Commentaria in Psalmos, PG 23, 66-1396; PG 24, 9-76 (Übersetzung: Maria Benedetta Artioli: Eusebio di Cesarea, Commento ai Salmi, CTePa 176/177, Rom 2004) – Eustathios Antioch.: Oratio in inscriptione psalmorum graduum (Frg.); Commentarius in Psalmum 92 (Frg.); Commentarius in Psalmum 15 (Frg.), in: Michel Spanneut: Recherches sur les écrits d’Eustathe d’Antioche avec une édition nouvelle des fragments dogmatiques et exégétiques, Lille 1948 – Gregorius Nyss.: In inscriptiones Psalmorum, ed. James McDonough: GNO 5, Leiden 1962, 24-175 (Übersetzungen: Jean Reynard: Grégoire de Nysse, Sur les titres des psaumes, SC 466, Paris 2002; Ronald E. Heine: Gregory of Nyssa’s
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Psalmen
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Psalmen und Weisheitsliteratur
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Sonstige antike Literatur
Acta Pauli: Πράξεις Παύλου / Acta Pauli, nach dem Papyrus der Hamburger Staats- und Universitäts-Bibliothek, ed. Carl Schmidt unter Mitarbeit v. Wilhelm Schubart, Glückstadt / Hamburg 1936 – Cicero: Tusculanae disputationes, ed. Max Pohlenz, Leipzig 1918 – Clemens Alex.: Paedagogus, in: Clemens Alexandrinus, Bd. 1, ed. Otto Stählin, GCS 15, Leipzig 1905 – Cyprian: Epistola ad Donatum, ed. Manlio Simonetti, in: Cyprianus: Opera, Bd. 2, ed. Manlio Simonetti/Claudio Moreschini, CC.SL 3A, Turnhout 1976 – Didascalia: Didascalia et Constitutiones Apostolorum, ed. Franz Xaver Funk, 2 Bde., Paderborn 1905 (Syrisch: Die syrische Didaskalia, übs. u. erkl. v. Hans Achelis u. Johannes Flemming, TU 10/2, Leipzig 1904) – Eusebius Caes.: Historia ecclesiastica / Kirchengeschichte, ed. Eduard Schwarz, GCS 9/1-2, 2 Bde., Leipzig 1903-1909 – [Ps.-]Hippolyt: Traditio Apostolica, in: Didache / Zwölf-ApostelLehre – Traditio Apostolica / Apostolische Überlieferung, hg. u. übs. v. Wilhelm Geerlings, FC 1, Freiburg u. a. 1991 – Josephus: Opera, ed. Benedikt Niese, 7 Bde., Berlin 1885-1895 – Justinus Martyr: Apologia – Appendix – Dialogus, in: Die ältesten Apologeten, ed. Edgar J. Goodspeed, Göttingen 1914 (= 1984) – Philon von Alexandria: Opera quae supersunt, edd. Leopold Cohn/Paul Wendland/Siegfried Reiter, 7 Bde., Berlin 1896-1930 – Seneca: Epistulae morales ad Lucilium [ed. François Préchac], in: Seneca: Philosophische Schriften, hg. u. übs. v. Manfred Rosenbach, durchges. Sonderausg., 5 Bde., Darmstadt 1995, Bd. 3-4 – Synode von Laodicea (Concilium Laodicenum), Canon 59, in: Acta et symbola conciliorum quae saeculo quarto habita sunt, ed. Engbert Jan Jonkers, Textus Minores 19, Leiden 1954, 21974 – Tertullian: Adversus Iudaeos / Gegen die Juden [ed. Hermann Tränkle], hg. u. übs. v. Regina Hauses, FC 75, Turnhout 2007 – Tertullian: Adversus Marcionem, hg. u. übs. v. René Braun/Claudio Moreschini, SC 365, 368, 399, 456, 483, 5 Bde., Paris 1990-2004 – Tertullian: Apologeticum / Verteidigung des Christentums, hg. u. übs. v. Carl Becker, München 1952 – Tertullian: De anima, hg. u. komm. v. Jan Hendrik Waszink, SVigChr 100, Leiden/Boston 2010 [zuerst 1947] – Tertullian: De carne Christi, hg. u. übs. v. Jean-Pierre Mahé, SC 216, Paris 1975.
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Psalmen
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Psalmen und Weisheitsliteratur
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Psalmen
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1. Vorbemerkungen Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über die Wirkungsgeschichte der LXXPsalmen vom antiken Judentum über das Neue Testament bis ins frühe Christentum. 1 Neben der literarischen Adaption in Zitaten und Anspielungen sollen auch die Verwendung des griechischen Psalters in Liturgie und privater Frömmigkeit sowie seine kunstgeschichtliche Rezeption in byzantinischer Zeit in den Blick kommen. 2 Die Stellenangaben folgen der LXX-Zählung; lediglich in einigen Fällen ist zur Verdeutlichung die Zählung des MT in eckigen Klammern hinzugefügt. Grundlage für die Zitierung der Psalmen sowie des textkritischen Befundes ist die Göttinger Ausgabe von Alfred Rahlfs 3.
2. Antikes Judentum Das wohl um 100 v. Chr. entstandene 1. Makkabäerbuch in der uns vorliegenden griechischen Fassung ist nach allgemeinem Forschungskonsens nur die Übersetzung eines
1.
2.
3.
Vgl. hierzu durchgängig Brucker: La Wirkungsgeschichte de la Septante des Psaumes; ders.: Observations on the Wirkungsgeschichte of the Septuagint-Psalms; dort werden einige Details ausführlicher entfaltet, andere Aspekte fehlen hingegen. Für ein anderes Vorgehen, nämlich die exemplarische Verfolgung der Wirkungsgeschichte eines einzelnen Psalms, vgl. z. B. T. J. Kraus: »Außertextliche« Rezeption von LXX-Psalm 90; Brucker: »Wer ist der König der Herrlichkeit?« (zu Psalm 23[24]). Psalmi cum Odis. – Zu den Verdiensten und Grenzen dieser Ausgabe siehe Brucker, Textgeschichtliche Probleme.
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Psalmen und Weisheitsliteratur
verlorengegangenen hebräischen oder aramäischen Originals. 4 Einige Forscher vertreten die Meinung, dem Übersetzer habe bereits die griechische Version der Psalmen vorgelegen 5; wenn das zuträfe, dann könnte der Beginn der Wirkungsgeschichte des LXX-Psalters noch innerhalb der Griechischen Bibel anzusetzen sein. Arie van der Kooij weist auf die Anführung von Ps 78,2-3 in 1Makk 7,17 hin, die als leicht modifiziertes wörtliches Zitat angesehen werden kann, und auf die Anspielung auf Ps 109,4 in 1Makk 14,41 mit der auffälligen Wendung »Hohepriester bis in Ewigkeit« (ἀρχιερέα εἰς τὸν αἰῶνα). Der zweite Fall ist allerdings weniger überzeugend, denn Ps 109,4 spricht von einem »Priester bis in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks« (Σὺ εἶ ἱερεὺς εἰς τὸν αἰῶνα κατὰ τὴν τάξιν Μελχισεδεκ). Sieht man sich noch ein weiteres (bei van der Kooij nicht berücksichtigtes) Psalmzitat näher an, verliert die These, der LXX-Psalter hätte dem Übersetzer vorgelegen, zusätzlich an Wahrscheinlichkeit: Beim Bericht über den Triumphzug der Juden nach dem Sieg über Gorgias unter Judas Makkabäus in 1Makk 4,24 steht die Wendung ὅτι καλόν, ὅτι εἰς τὸν αἰῶνα τὸ ἔλεος αὐτοῦ »denn es ist gut, denn (bis) in Ewigkeit währt sein Erbarmen«. Dies ist ein in mehreren Psalmen anzutreffender Kehrvers, dem üblicherweise die Aufforderung ἐξομολογεῖσθε τῷ κυρίῳ »Preist den Herrn« vorausgeht. Er findet sich jedoch auch in den späteren Geschichtsbüchern, und zwar mit einem bemerkenswerten Unterschied: Heißt es in den Psalmen »Preist den Herrn, denn er ist gut/gütig (ὅτι ἀγαθός/χρηστός) …« 6, so bieten die Chronikbücher und 2. Esdras »Preist den Herrn, denn es ist gut (ὅτι ἀγαθόν) …«. 7 Das Neutrum ὅτι καλόν »denn es ist gut« in 1Makk 4,24 steht also der letzteren Version näher, was – wenn es denn die ursprüngliche Lesart darstellt 8 – eher gegen eine Benutzung der griechischen Psalmenübersetzung spricht. Philon von Alexandria, der in seiner Bibelauslegung die LXX-Fassung zugrundelegt, zitiert auch einige Verse aus den Psalmen. 9 Seine Standard-Einleitung ἐν ὕμνοις 4. 5. 6. 7.
8.
9.
Vgl. z. B. Schunck: 1. Makkabäerbuch, 289-292; Tilly: 1 Makkabäer, 43-50 (vgl. ders.: LXX.H 1, 301 f.). van der Kooij: The Septuagint of Psalms and the First Book of Maccabees; dieser Ansicht schließt sich Williams: Towards a Date for the Old Greek Psalter, 270-272, an. Ps 99,5; 105,1; 106,1; 135,1 und passim (ὅτι χρηστός); Ps 117,1.2.3.4.29 (ὅτι ἀγαθός). Die erste Variante findet sich auch Jer 40,11 und Dan 3,89 f. 1Chr 16,34 (vgl. 16,41); 2Chr 5,13; 7,3 (vgl. 7,6; 20,21); 2Esdr 3,11. – Die zugrundeliegende hebräische Wendung כי טובkann in der Tat sowohl maskulinisch als auch neutrisch verstanden werden; zum letzteren vgl. Ps 146[147],1 (ähnlich Ps 91[92],2). Da die Aufforderung »Preist den Herrn« fehlt, kann diese nicht der Bezug für das καλόν sein, somit bleibt im Kontext nur τὸ ἔλεος αὐτοῦ »sein Erbarmen« als Bezugswort, was zu einer seltsamen Aussage führt (»gut ist sein Erbarmen …«). Die Textvarianten ἀγαθός (55, 58) und ἀγαθόν (534) anstatt καλόν sind als Erleichterungen zu werten, ebenso das Weglassen des zweiten ὅτι (A). Gleichwohl bevorzugen viele moderne Übersetzungen die Wiedergabe nach dem Muster der Psalmenstellen »denn er ist gut/gütig« (mit Begründung Abel: Les livres des Maccabées, 78; Dommershausen: 1 Makkabäer / 2 Makkabäer, 36). Wahrscheinlich liegt tatsächlich ein Versehen des Übersetzers vor (so Grimm: Das erste Buch der Maccabäer, 70; Kautzsch: APAT 1, 44 Anm. c; Schunck: 1. Makkabäerbuch: 315, Anm. 24; vgl. auch LXX.E 1, 1359 = Tilly: 1 Makkabäer, 128). Ps 22,1 (Mut. 115; Agr. 50); 26,1 (Somn. 1,75); 30,19 (Conf. 39); 36,4 (Plant. 39; Somn. 2,242); 41,4 (Migr. 157); 45,5 (Somn. 2,246); 61,12 (Deus 82); 64,10 (Somn. 2,245); 74,9 (Deus 77); 77,49 (Gig.
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Psalmen
»in den Hymnen« 10 legt eine Kenntnis des ganzen Psalters als Sammlung nahe, wenngleich die später gängigen Bezeichnungen ψαλμοί (Cod. B) und ψαλτήριον (Cod. A u. a.) in seinen Werken nicht zu finden sind. 11 Die häufig verwendete Einführungsformel γέγραπται »es steht geschrieben« bezieht sich stets auf Zitate aus dem Pentateuch, der für Philon die Hauptquelle seiner allegorischen Schriftinterpretation darstellt (von 1161 Bibelzitaten stammen nur 41 nicht aus dem Pentateuch). 12 Die wichtigsten biblischen Lieder sind für Philon daher auch die des Mose in Ex 15 und Dtn 32 (der Terminus ᾠδή bezieht sich bei ihm fast immer auf einen dieser beiden Texte). 13 Auf dieser Linie liegt auch seine Wahrnehmung der Psalmen: Sie werden an keiner Stelle namentlich mit David in Verbindung gebracht, der ja in den Büchern der Königtümer als Psalmensänger erscheint und in der Tradition als Verfasser zahlreicher Psalmen gilt 14, und wenn überhaupt eine Zuschreibung erfolgt, dann an Freunde und Gefährten des Mose 15. Josephus zitiert die Psalmen nicht, bringt sie aber mit David als Erfinder diverser Musikinstrumente in Verbindung (Ant. 7,305 f.); in diesem Zusammenhang findet sich die kuriose Mitteilung, David habe seine »Lieder und Hymnen auf Gott« in verschiedenen Metren verfertigt – teils Trimeter, teils Pentameter (305). Diese Angabe dient,
10.
11. 12.
13. 14.
15.
17); 79,6 (Migr. 157); 79,7 (Conf. 52); 83,11 (Her. 290); 93,9 (Plant. 29); 100,1 (Deus 74); 113,25 (Fug. 59). Von diesen ist die Bezugnahme auf Ps 83,11 in Her. 290 trotz der Zitationsformel eher als Anspielung anzusehen. Daneben gibt es noch freie Anspielungen auf Ps 90,11-12 (Deus 182) und Ps 113,13-15 (Decal. 74) mit paraphrasierender Wiedergabe in Philons eigenen Worten. – Zu Philons Gebrauch der LXX-Psalmen siehe ausführlicher Runia: Philo’s Reading of the Psalms. Die Wendung ἐν ὕμνοις kommt im LXX-Psalter in den Überschriften von sechs Psalmen vor, die allerdings nicht von Philon zitiert werden (Ps 6,1; 53,1; 54,1; 60,1; 66,1; 75,1, immer als Übersetzung von )בנגינות. Dort scheint sich die Bezeichnung jedoch auf eine Teilsammlung innerhalb des Psalters zu beziehen, während Philon den Ausdruck »Hymnen« für alle Psalmen verwenden kann. Zwar kommt das Wort ψαλτήριον zweimal vor (Post. 103, 111), es bezeichnet hier aber (wie auch stets in der LXX) ein Musikinstrument (»Psalter« oder »Harfe«). Zur Statistik vgl. Runia: Philo’s Reading of the Psalms, 102; ferner Burkhardt: Inspiration, 134 (beide folgen dem Index von Leisegang). In der Aufstellung der Biblia Patristica, Supplément: Philon d’Alexandrie, nimmt der Pentateuch 123 Spalten ein (S. 27-88), die übrigen Schriften 5 ½ Spalten (S. 88-91), von denen die Psalmen fast eine ganze Spalte in Anspruch nehmen (50 Einträge, S. 89 f.). Die Bezeichnung ᾠδή für die Lieder des Mose findet sich bereits in der LXX (Ex 15,1; Dtn 31,19.21.22.30; 32,44; vgl. die Überschriften von Od 1 und Od 2). Die einzige Erwähnung Davids bei Philon zeigt allerdings seine Vertrautheit mit dieser Tradition: Conf. 149 bezeichnet er die Könige Israels als »Söhne Davids, der Gott (in Hymnen) gepriesen hat« (υἱοὶ τοῦ τὸν θεὸν ὑμνήσαντος Δαβίδ). Von daher könnte hinter den Verfasserbezeichnungen ὁ ὑμνῳδός (Deus 74), ὁ τὰς ὑμνῳδίας ἀναγράψας (Agr. 50) und παρὰ τῷ ὑμνογράφῳ (Gig. 17) David vermutet werden; die Weglassung des Namens bleibt jedoch auffällig. Insgesamt bevorzugt Philon das anonym-passivische »es heißt« (ᾄδεται, εἴρηται, λέγεται, λέλεκται, λεχθέν; zu dieser Bedeutung von ᾄδεται s. Brucker: ›Sitz im Leben‹, 572 f.). So Conf. 39; Plant. 39; Somn. 2,245. In diese Gruppe würden auch die anonymen Bezeichnungen ὁ θεσπέσιος ἀνήρ (Plant. 29) und τις προφητικὸς ἀνήρ (Her. 290) passen, wenngleich auch sie auf David bezogen werden könnten.
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ebenso wie die analoge Behauptung, Ex 15 und Dtn 32 hätten den Hexameter als Versmaß (Ant. 2,346; 4,303), dem apologetischen Interesse, die Erwartungshaltung der hellenistischen Leserschaft zu befriedigen. Die angeblichen Metren der »biblischen Poesie« finden sich dann später bei christlichen Autoren wie Origenes, Eusebius, Hieronymus und Augustin wieder. 16
Exkurs: Die Rezeption eines Psalmverses in der griechisch-römischen Philosophie Im fünften Buch von Ciceros »Gesprächen in Tusculum« (entstanden 45 v. Chr.) gibt es einen berühmten Abschnitt, der zu Recht als »Gebetshymnus an die Philosophie« bezeichnet worden ist (Tusc. 5,5-6). 17 Die hochfeierliche Passage, die mit der Anrede O vitae Philosophia dux (»O Lebensführerin Philosophie!«), beginnt, spricht Ciceros persönliche ›Gottheit‹ im Stil griechisch-römischer Gebete und Hymnen an. 18 Ausgerechnet hier findet sich wohl der Reflex eines Psalmverses 19: Der rhetorisch kunstvoll gestaltete Gebetshymnus kulminiert in einer Sentenz: est autem unus dies bene et ex praeceptis tuis actus peccanti immortalitati anteponendus (»Es ist aber ein einziger Tag, der gut und nach deinen Vorschriften verbracht worden ist, einer Unsterblichkeit vorzuziehen, die sich versündigt«). Der Kontrast zwischen einem einzigen Tag und einer langen Zeitdauer sowie der zwischen einem Leben im Einklang mit dem Göttlichen und einem Leben in Sünde erinnern stark an einen Psalmvers, nämlich Ps 83 [84],11: »Denn besser ist ein einziger Tag in deinen Vorhöfen als (sonst) Tausende; ich wählte mir aus, beiseitegeworfen zu werden im Haus Gottes, lieber als zu wohnen in den Zelten der Sünder.« 20 Sollte Cicero etwa den LXX-Psalter gekannt haben? Das ist unwahrscheinlich, zumal er die Sentenz offenbar seinem stoischen Lehrer Poseidonios (aus Apameia in Syrien) verdankt, von dem Seneca, Epistulae morales 78,28, einen entsprechenden Satz überliefert: nam ut Posidonius ait, unus dies hominum eruditorum plus patet quam imperitis longissima aetas (»Denn, wie Poseidonios sagt: Ein einziger Tag der gebildeten Menschen bedeutet mehr als den Ungebildeten das längste Leben«). Aber auch Poseidonios hat den Gedanken wohl nicht aus der eigenen Lektüre der LXX-Psalmen gewonnen, sondern eher als weisheitliche Maxime aus mündli-
16. Siehe dazu ausführlich Kugel: The Idea of Biblical Poetry, 135-170. 17. So Hommel: Ciceros Gebetshymnus an die Philosophie, der auch eine eingehende Analyse des Textes bietet. Vgl. knapp, aber prägnant bereits Weinreich: Ciceros Gebet an die Philosophie; ferner Schmid: Ein Tag und der Aion. 18. Zu Hymnen, Lobreden und lobenden Passagen in der antiken Literatur (Theorie und Praxis) siehe Brucker: ›Christushymnen‹, passim; speziell zu Cicero ebd. 211-218. 19. Vgl. bes. Weinreich: Ciceros Hymnus an die Philosophie und ein Psalmenvers. Die Nähe ist jedoch, wie schon 1922 ders.: Ciceros Gebet an die Philosophie, 505, feststellt, »längst bemerkt« worden. 20. LXX: ὅτι κρείσσων ἡμέρα μία ἐν ταῖς αὐλαῖς σου ὑπὲρ χιλιάδας· ἐξελεξάμην παραρριπτεῖσθαι ἐν τῷ οἴκῳ τοῦ θεοῦ μᾶλλον ἢ οἰκεῖν ἐν σκηνώμασιν ἁμαρτωλῶν. Vgl. auch die lateinische Version im Psalterium Gallicanum: quia melior est dies una in atriis tuis super milia; elegi abiectus esse in domo Dei mei magis quam habitare in tabernaculis peccatorum.
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Psalmen
cher Überlieferung empfangen. Bei ihm wie auch bei Cicero erfährt er dann eine Umdeutung von jüdischer Theologie zu hellenistischer Philosophie. 21
3. Neues Testament Im NT spielen die Psalmen eine herausragende Rolle. 22 Lukas kennt die ψαλμοί (»Psalmen«) als Buch (Lk 20,42; 24,44; Apg 1,20; 13,33) und verwendet in diesem Zusammenhang die singuläre Formulierung »das Gesetz des Mose und die Propheten und die Psalmen« (Lk 24,44). Diese wird in der Forschung oft im Sinne der dreiteiligen Hebräischen Bibel aus »Tora, Propheten und (übrigen) Schriften« (vgl. im griechischen Bereich Sir Prol 1-2.8-10.24-25; Josephus, Ap. 1,39 f.) verstanden, aber da die Nennung der »Psalmen« als pars pro toto für die ganze (überdies noch nicht fest definierte) Gruppe der »Schriften« in der zeitgenössischen jüdischen Literatur nicht belegt ist, dürfte die Aufzählung bei Lukas eher wörtlich zu verstehen sein: Der Pentateuch, die Propheten und die Psalmen haben für seine christologische Schriftrezeption eine besondere Bedeutung. 23 Bei den alttestamentlichen Zitaten und Anspielungen im NT stehen die Psalmen an erster Stelle; dabei heben sich die Psalmen 2; 21[22]; 109[110] und 117[118] noch einmal besonders hervor, deren Rezeption z. T. von wenigen Versen dominiert ist. 24 In den synoptischen Evangelien werden die Psalmzitate den handelnden Personen (v. a. Jesus) in den Mund gelegt. Die meisten von ihnen sind mit Jerusalem verbunden: Ps 117,26 als Ruf der Menge bei Jesu Einzug 25, Ps 117,22 f. und Ps 109,1 in Jesu Verkündigung 26 und schließlich Ps 21,2 als Ausruf des sterbenden Jesus am Kreuz 27. Anspielungen auf Ps 21 durchziehen die ganze Passionserzählung 28; Ps 109,1 klingt beim Verhör vor dem Hohen Rat an 29. Daneben finden sich Anspielungen auf Ps 2,7 in den 21. Eine ähnliche Umdeutung kann man bei Philons sehr freier Anführung des Psalmverses in Her. 290 beobachten: Im Rahmen einer Betrachtung über das »schöne Greisenalter« (καλὸν γῆρας) von Gen 15,15 setzt er einem bloß zeitlich langen Leben ein Leben mit Vernunft entgegen und fügt begründend hinzu: »Hat doch ein prophetischer Mann vernünftig gesagt, er wolle lieber einen einzigen Tag in Tugend leben als zehntausend Jahre im Schatten des Todes, wobei er mit ›Tod‹ anspielt auf das Leben der Bösen« (μίαν γὰρ ἡμέραν ὑγιῶς εἶπέ τις προφητικὸς ἀνὴρ βούλεσθαι βιῶναι μετ’ ἀρετῆς ἢ μυρία ἔτη ἐν σκιᾷ θανάτου, θάνατον μέντοι τῶν φαύλων αἰνιττόμενος βίον). Die Wendung σκιὰ θανάτου »Schatten des Todes« hat Philon aus anderen Psalmen (vgl. Ps 22,4; 43,20; 87,7; 106,10.14) hier eingebracht. – Vgl. zur Abwandlung desselben Grundgedankens bei Philon auch Praem. 112 sowie Quaest. Exod. 2,20. 22. Als Überblick vgl. Löning: Die Funktion des Psalters im Neuen Testament (Passionstradition der Evangelien, Römerbrief und lukanisches Doppelwerk); eine Reihe von Einzelstudien bietet der Sammelband The Psalms in the New Testament (ed. Moyise u. Menken). 23. Vgl. hierzu mit entsprechenden Nachweisen Rusam: Das Alte Testament bei Lukas, 259-262. 24. Siehe dazu den Appendix »Loci citati vel allegati« im Novum Testamentum Graece von Nestle/ Aland (NA26-28); hier nehmen die Psalmen 9 Spalten ein, gefolgt von Jesaja mit 8 Spalten. 25. Mk 11,9; Mt 21,9; Lk 19,38. 26. Mk 12,10 f.; Mt 21,42; Lk 20,17 bzw. Mk 12,36; Mt 22,44; Lk 20,42 f. 27. Mk 15,34; Mt 27,46 (in der Parallelstelle Lk 23,46 durch Ps 30,6 ersetzt). 28. Mk 15,24.29; Mt 27,29.35.39.43; Lk 23,34 f. 29. Mk 14,62; Mt 26,64; Lk 22,69.
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Erzählungen von Jesu Taufe und Verklärung. 30 – Im Johannesevangelium gibt es mehr förmliche Zitate statt Anspielungen, und sie sind gleichmäßiger über das Buch verteilt. 31 Bei Paulus sind Schriftzitate nur in seinen »Hauptbriefen« zu finden 32, Psalmzitate sogar nur in Röm, 1Kor und 2Kor 33. Besonderes Interesse verdient Röm 3,10-18, wo der Zitierung von Ps 13,1-3 einige weitere inhaltlich ähnliche Verse ohne erneute Zitationsformel folgen (Ps 5,10; 139,4; 9,28; Jes 59,7 f.; Ps 35,2; alle leicht verkürzt bzw. modifiziert). Diese Zusammenstellung ist wohl nicht ad hoc entstanden, sondern lag Paulus entweder schon als Florilegium vor 34 oder wurde von ihm selbst vor der Abfassung des Römerbriefes planvoll komponiert 35. Nun findet sich aber genau diese Zitatreihe bei den Hauptzeugen der LXX-Textüberlieferung als »Langtext« von Ps 13,1-3. 36 In der Göttinger Ausgabe von Rahlfs wird die Erweiterung von V. 3 als christliche Interpolation aus Röm 3,13-18 angesehen (und daher in eckige Klammern gesetzt) 37, was in jüngerer Zeit jedoch aus methodischen Bedenken in Zweifel gezogen worden ist 38. Letzten Endes kann nicht mit Sicherheit entschieden werden, ob der »Langtext« von Ps 13,1-3 30. Mk 1,11; 9,7; Mt 3,17; 17,5; Lk 3,22; 9,35. 31. Folgende Psalmverse begegnen im Johannesevangelium als (modifizierte) Zitate: Ps 6,4 f. (Joh 12,27, ohne explizite Zitationsformel); Ps 21,19 (Joh 19,24); Ps 33,21 (Joh 19,36); Ps 34,19/68,5 (Joh 15,25); Ps 40,10 (Joh 13,18); Ps 68,10 (Joh 2,17); Ps 77,24 (Joh 6,31); Ps 81,6 (Joh 10,34); Ps 117,25 f. (Joh 12,13). In Joh 19,28 liegt trotz der Zitationsformel (»damit die Schrift erfüllt würde«) lediglich eine Anspielung vor (auf Ps 68,22; vgl. 62,2). Siehe hierzu monographisch Daly-Denton: David in the Fourth Gospel; als Sammlung wichtiger Aufsätze Menken: Old Testament Quotations in the Fourth Gospel (hier Nr. II, III, VII, VIII, IX). 32. Zum Schriftgebrauch des Paulus generell siehe Koch: Die Schrift als Zeuge des Evangeliums; Stanley: Paul and the Language of Scripture. 33. Gal 2,16 ist eine Anspielung auf Ps 142,2 (vgl. Röm 3,20). – Einen umfassenden Überblick zur Verwendung der Psalmen bei Paulus gibt Silva: The Greek Psalter in Paul’s Letters; vgl. auch Harmon: Aspects of Paul’s Use of the Psalms (Zusammenfassung einer unveröffentlichten Dissertation); Hofius: Der Psalter als Zeuge des Evangeliums (zu Röm 1-4). 34. Das wird – unter Hinweis auf die parallele Zitatreihe bei Justin, Dial. 27,3 – seit Vollmer: Die alttestamentlichen Citate bei Paulus, 40 f., oft angenommen; vgl. in Aufsatzform bes. Keck: The Function of Rom 3:10-18; Rose: »Wie denn geschrieben steht«. 35. Diese Ansicht wird von Koch: Die Schrift als Zeuge des Evangeliums, 179-184, vertreten, nach dessen vergleichender Analyse die Zitatkombination bei Justin nicht aus einer von Paulus unabhängigen Quelle stammt, sondern »ohne Schwierigkeiten als eine Verkürzung von Röm 3,10-18 verständlich [ist]« (182); dem schließt sich Stanley: Paul and the Language of Scripture, 88 f., explizit an. 36. Außer in den Handschriften B, S, R, U, 1219, 1221, 2019 findet er sich in der bohairischen, sahidischen und syrischen Übersetzung sowie in der Vulgata. Er fehlt im Lukianischen Text (inkl. T, Z und Theodoret) sowie in den Handschriften A und 55. In der Hexapla des Origenes (hier bezeugt durch das Psalterium Gallicanum) ist er obelisiert. 37. Vgl. zur Begründung den Apparat z. St. sowie Prolegomena § 4.4, S. 30 f. – In LXX.D erscheinen die betreffenden Zeilen ebenfalls in eckigen Klammern (und kursiv), während sie in NETS, wie alle als sekundär angesehenen Stellen (vgl. Psalms. To the Reader, S. 542), kommentarlos weggelassen sind. Letzteres gilt auch für alle Übersetzungen, die der orthodoxen Tradition (und damit dem Lukianischen Text) verpflichtet sind. 38. Siehe die Diskussionen bei Kraft: Christian Transmission of Greek Jewish Scriptures, 76 f. [220-222]; Rüsen-Weinhold: Der Septuaginta-Psalter im Neuen Testament, 147-153; Karrer /
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eine Erweiterung aufgrund von Röm 3,10-18 darstellt oder ob die Erweiterung auf ein Florilegium zurückgeht, das unabhängig davon auch Paulus vorgelegen hat, oder ob gar der Psalmtext, der Paulus zugänglich war, bereits die Erweiterung enthalten hat – dann wäre statt einer christlichen auch eine jüdische Herkunft des Langtextes denkbar. 39 Aus den übrigen neutestamentlichen Schriften seien folgende Stellen hervorgehoben: Apg 1,20 verbindet den Tod des Judas und die Nachwahl des Matthias explizit mit zwei Zitaten »aus dem Buch der Psalmen« (Ps 68,26 und 108,8). In der Pfingstpredigt des Petrus Apg 2 wird Ps 15,8-11 zitiert (Apg 2,25-28) und als Weissagung Davids auf Jesus (als κύριος und Christus) ausgelegt; ein Satz aus diesem Komplex – Ps 15,10b – wird in Apg 13,35 im Rahmen der ersten Missionsrede des Paulus wiederaufgenommen. In diesen beiden programmatischen Reden werden auch zwei Psalmenstellen zitiert, die bereits für die synoptischen Evangelien wichtig waren: Ps 109,1 in Apg 2,34 f. und Ps 2,7 in Apg 13,33. Der Hebräerbrief hat besonders viele Psalmzitate zu verbuchen. 40 Er beginnt mit einer feierlichen Einleitung (Hebr 1), in der mehrere Psalmverse aufgenommen werden (Ps 2,7; 96,7; 103,4; 44,7 f.; 101,26-28; 109,1). In Hebr 2,6-8 wird Ps 8,5-7 als christologischer Schlüsseltext herangezogen. Einzigartig im NT ist die Zitierung einer Psalmstelle von fünf Versen (Ps 94,7b-11), die anschließend ausgiebig nach Art eines Midrasch ausgelegt wird (Hebr 3,7-4,11). 41 Ein längeres Psalmzitat bietet auch 1Petr 3,10-12, wo Ps 33,13-17a zur Unterstützung der Argumentation dient, aber nicht durch eine Zitationsformel markiert wird. 42 In 2Petr 3,8 wird Ps 89,4 (»tausend Jahre wie ein Tag«) aufgegriffen, um den Einwand der ausbleibenden Parusie zu entkräften; diese Stelle ist später – wohl kaum zu Recht – manchmal als biblischer Beleg für die Erwartung eines tausendjährigen Reiches Christi auf Erden (»Chiliasmus«) gedeutet worden. 43 Insgesamt kann festgestellt werden: Die große Zahl der Psalmenzitate in den Schriften des NT dient vorwiegend dem (christologischen) Schriftbeweis. Eine Unter-
39.
40.
41. 42. 43.
Sigismund / Schmid: Textgeschichtliche Beobachtungen zu den Zusätzen in den SeptuagintaPsalmen, 143-156 (vgl. 160 f.). Dafür können allerdings nicht die in der BHS, Apparat zu Ps 14,3 (c), angeführten »zwei« hebräischen Handschriften als Zeugen verbucht werden, denn von diesen erweist sich bei näherem Hinsehen die zweite (Cod. 694 Kennicott) als sekundäres Zeugnis der ersten (Cod. 649 Kennicott = Ms. Leiden Or. 4725) und diese wiederum als Rückübersetzung aus der lateinischen Vulgata, angefertigt im 12. Jh. von einem christlichen Hebraisten in England; siehe dazu Schorch: »Ihr Rachen ist ein offenes Grab«. Diese sind monographisch bearbeitet von Kistemaker: The Psalm Citations in the Epistle to the Hebrews; als wichtiger Aufsatz ist Müller: Die Funktion der Psalmzitate im Hebräerbrief, zu nennen, als Aufsatzsammlung: Psalms and Hebrews (ed. Human u. Steyn). Umfassend zu den Schriftzitaten: Schröger: Der Verfasser des Hebräerbriefes als Schriftausleger; Rascher: Schriftauslegung und Christologie im Hebräerbrief. Speziell dazu: Enns: Creation and Re-Creation. Zu diesem Zitat siehe (mit weiterer Literatur) Egan: Did Peter Change Scripture? Zu 2Petr 3,8 siehe Schrage: »Ein Tag ist beim Herrn wie tausend Jahre, und tausend Jahre sind wie ein Tag«. Von den Kommentaren geht Bauckham: Jude, 2 Peter, 306-310, besonders ausführlich auf diesen Vers und seine Interpretation ein.
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scheidung der zitierten Psalmenverse als poetische oder gar gesungene Texte im Unterschied zu anderen Schriftzitaten in Prosa findet sich nicht, wohl aber werden sie als göttlich inspirierte Texte angesehen, und so kann auch einmal ein Psalmwort als angebliches Prophetenzitat eingeführt werden. 44 Schließlich ist es auch zur Wirkungsgeschichte der LXX-Psalmen zu rechnen, wenn an einigen Stellen im NT der Stil alttestamentlicher »Hymnen« imitiert wird. Dies gilt vor allem für die »Cantica« in Lk 1-2 und die »Lieder« in der Offenbarung des Johannes. 45 Weitere stilistisch auffällige Passagen dieser Art sind etwa bei Paulus (z. B. Röm 8,31-39; 11,33-36) oder im Epheserbrief (z. B. Eph 1,3-14; 2,14-18) zu finden, wobei durchaus kurze Zitate und Anspielungen als ›Versatzstücke‹ aufgenommen werden können – so spielt Paulus z. B. in Röm 8,31-39 auf verschiedene alttestamentliche Stellen an (darunter Ps 117,6 und Ps 109,1) und zitiert sogar einen Psalmvers (Ps 43,23), schafft damit jedoch eine eigene literarische Komposition in gehobener Prosa.
4. Frühes Christentum Von den Apostolischen Vätern basieren der 1. Clemensbrief und der Barnabasbrief stark auf Schriftzitaten, und so finden sich hier auch viele Psalmstellen. Besondere Erwähnung verdienen die längeren Psalmzitate in 1Clem 18 (Ps 50,3-19); 22 (Ps 33,1218); 35,7-12 (Ps 49,16-23). Unter den frühchristlichen Apologeten sticht Justin heraus, auch was die Zitierung der Psalmen angeht. Insbesondere sein »Dialog mit dem Juden Tryphon« ist voll von Psalmzitaten. Er gibt mehrmals auch die Nummer eines Psalms (nach der LXXZählung) an 46 und ist der erste Autor, der Psalmen in voller Länge zitiert: Ps 23 (Dial. 36,3-4); 44 (Dial. 38,3; vgl. 63,4); 49 (Dial. 22,7); 71 (Dial. 34,3; 64,6); 81 (Dial. 124,2); 95 (Dial. 73-74); 98 (Dial. 37,2; vgl. 64,4); 109 (Dial. 32,6; vgl. 83,2); vgl. auch Ps 21,2-24 (als »ganzen Psalm« in Dial. 98 zitiert und anschließend ausgelegt) sowie die Zitierungen von Ps 1 und 2 in Apol. 40 und großer Teile von Ps 95 in Apol. 41. Das interessanteste Zitat ist wohl das von Ps 95 in Dial. 73-74 (vgl. Apol. 41): Justins Text hat in V. 10 einen Zusatz gegenüber dem seines jüdischen Gesprächspartners, und zwar folgt auf die Worte Ὁ κύριος ἐβασίλευσεν (»Der Herr ist König geworden«) hier noch ἀπὸ τοῦ ξύλου (»vom Holze her«, d. h. »aufgrund des Kreuzes«). 47 Damit wird die Proklamation des Königtums Gottes auf Christus übertragen. Dies ist ein offensichtlich christlicher Zusatz (überliefert von ganz wenigen griechischen Textzeugen sowie in der bo-
44. So Mt 13,35 (Ps 78,2); weitere Beispiele außerhalb des NT: Barn 9,1; 11,6-8 (Ps 17,45 bzw. Ps 1,3-6, beide wohl aus einer Testimoniensammlung übernommen). 45. Zu Lk 1-2 siehe etwa Lohfink: Psalmen im Neuen Testament. – Zur Offb siehe Delling: Zum gottesdienstlichen Stil der Johannesapokalypse; Deichgräber: Gotteshymnus und Christushymnus, 44-59; Jörns: Das hymnische Evangelium. 46. Dial. 22,7 (Ps 49); 37,1 (Ps 46); 37,2 (Ps 98); 38,3 (Ps 44); 73,1 (Ps 95); 97,3 (Ps 21). 47. Die neutestamentliche Verwendung von ξύλον (»Holz, Baum«) für das Kreuz in Apg 5,30; 10,39; 13,29; Gal 3,13; 1Petr 2,24 ist in der LXX vorgeprägt (vgl. bes. Dtn 21,22 f.; daneben Gen 40,19; Jos 10,26 f.; Esth 5,14; 6,4; 7,9 f.; 8,7 [hier regelrecht als »Galgen«]). Siehe dazu Schneider: Art. ξύλον, ThWNT 5, 38 f.; Bauer: Wörterbuch, s. v. ξύλον.
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hairischen, sahidischen und altlateinischen Übersetzung) 48 – Justin jedoch ist von seiner Ursprünglichkeit felsenfest überzeugt und behauptet, die jüdischen Lehrer hätten die auf den gekreuzigten Jesus verweisenden Worte aus ihrem Text gestrichen. 49 Bei den Kirchenvätern 50 werden die Psalmen zumeist in allegorischer Weise auf Jesus Christus hin gedeutet. Eine Ausnahme bildet allerdings die sog. »antiochenische Schule« (Diodor von Tarsus; Theodor von Mopsuestia; Theodoret von Cyrus): Diese Autoren versuchen grundsätzlich, die Psalmen historisch zu interpretieren und sie mit Situationen in der Geschichte Israels in Verbindung zu bringen; gleichwohl finden sich aber auch bei ihnen christologische Psalmendeutungen. Abgesehen von unzähligen Einzelzitationen von Psalmversen im Rahmen von Schriftbeweisen in den Werken der Kirchenväter sind v. a. die fortlaufenden Auslegungen in exegetischen Kommentaren oder Homilien hervorzuheben. 51 Für eine liturgische Verwendung der (LXX-)Psalmen im jüdischen Synagogengottesdienst wie auch im frühesten Christentum gibt es keine sicheren Belege; daher wird heute vielfach mit einer ursprünglichen Verwendung des Psalters als Gebets- und Erbauungsbuch gerechnet. 52 Unter Verweis auf die LXX-Psalmenüberschriften, die den jeweiligen Psalm – über den MT hinaus – einem bestimmten Wochentag zuordnen (Ps 23; 47; 91; 92; 93; vgl. Ps 80), wird von einigen Forschern jedoch auch die liturgische Verwendung der betreffenden Psalmen postuliert 53; dies ist freilich nicht unwidersprochen geblieben 54. Unsicher ist auch, ob sich das Stichwort ψαλμός an NT-Stellen wie 1Kor 14,26 und Kol 3,16 = Eph 5,19 auf LXX-Psalmen bezieht und somit für deren li48. Die Codices B, S und A sowie die mit den Namen Origenes und Lukian verbundenen Rezensionen (von Origenes abhängig auch die beiden Übersetzungen des Hieronymus: Psalterium Gallicanum und Vulgata) haben den Zusatz nicht; hingegen wird er von Tertullian (Adv. Iud. 10,11-12, CC.SL 2, 1379; Adv. Marc. III, 19,1, CC.SL 1, 533), Augustin (En. Ps. 95,11, CC.SL 39, 1350 [zu V. 10]) und einigen weiteren lateinischen Kirchenvätern bezeugt sowie vielleicht von Barn 8,5 (ὅτι ἡ βασιλεία Ἰησοῦ ἐπὶ ξύλου) bestätigt. 49. Vgl. § 4.4 der Prolegomena in der Göttinger Ausgabe von Rahlfs, S. 31, sowie ausführlicher und neueren Datums Derrett: Ὁ κύριος ἐβασίλευσεν ἀπὸ τοῦ ξύλου. – Der Bezug auf das Kreuz und damit der christliche Ursprung des Zusatzes wird bestritten von Brinktrine: »Dominus regnavit a ligno«, der das ἀπό als sklavische Wiedergabe eines מןcomparativum (»mehr als«) verstehen und ξύλον auf hölzerne Götzenbilder (vgl. Jes 45,20; Jer 2,26; Ez 20,32) beziehen will; für eine komparativische Verwendung von ἀπό wie auch für einen entsprechenden hebräischen Zusatz zum Psalm fehlen jedoch die Belege. – Als Beispiel für die »Widerstandskraft des LXX-Septuagintatextes gegen Sekundäreinflüsse« wird der Zusatz von Karrer / Sigismund / Schmid: Textgeschichtliche Beobachtungen zu den Zusätzen in den Septuaginta-Psalmen, 157-160, besprochen. 50. Einen hilfreichen Einstieg bieten Reemts: Schriftauslegung, sowie besonders die beiden Bände zu den Psalmen in der Reihe Ancient Christian Commentary on Scripture, Old Testament, Vol. 7-8 (s. Literatur: Altkirchliche Kommentare – Sammlungen). 51. Siehe dazu die Aufstellung unter Literatur: Altkirchliche Kommentare. 52. Vgl. bes. Maier: Zur Verwendung der Psalmen in der synagogalen Liturgie; Füglister: Die Verwendung und das Verständnis der Psalmen und des Psalters um die Zeitenwende; ders.: Die Verwendung des Psalters zur Zeit Jesu. 53. So van der Kooij: Place of Origin, 71-74; Schaper: Septuaginta-Psalter, 177-179. 54. Vgl. z. B. Pietersma: Critical Text, 29 f.; ders.: Superscriptions, 129-137; Dorival: Autour des titres des Psaumes, 166-168; Rösel: Psalmüberschriften, 143-145; Brucker: ›Sitz im Leben‹, 569-571 (vgl. auch ebd. 571-576 zu Philon als angeblichem Zeugen für den liturgischen Ge-
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turgische Verwendung ins Feld geführt werden kann (der Kontext deutet eher auf inspirierte christliche Schöpfungen). 55 Die Heranziehung der LXX-Psalmen zur schriftgelehrten Argumentation seit dem NT (wie auch schon bei Philon) ist hingegen unstrittig. Gegen Ende des 2. Jh. ist die Verwendung alttestamentlicher Psalmen in der christlichen Liturgie erstmals eindeutig belegt; im 4. Jh. wurde der Psalter zum offiziellen Gesang- und Gebetbuch der Kirche. 56 Daneben ist die Verwendung von LXXPsalmversen in der privaten Frömmigkeit (Grabinschriften, Schutzamulette) hervorzuheben. 57 Kunstgeschichtlich bedeutend sind die illuminierten Psalterien, vor allem ab dem 9. Jh – nach der Überwindung des Bildersturmes (843). Die älteste bekannte Handschrift dieser Art ist der sog. Chludov-Psalter aus dem 9. Jh. (= Ra 1101). Dieser befand sich bis 1847 auf dem Berg Athos, gelangte dann nach Moskau in den Besitz des Kaufmanns Alexei Ivanovič Chludov und befindet sich seit 1917 im Staatlichen Historischen Museum in Moskau (Ms. Gr. 129d). Die über 200 Bilder, auf die meistens durch kleine Pfeile aus dem Text heraus verwiesen wird, beziehen sich sowohl auf alttestamentliche als auch auf neutestamentliche Szenen und sogar auf historische Personen der Zeit des Byzantinischen Bilderstreits, wobei die Ikonoklasten durch karikaturhafte Darstellung polemisch verzerrt werden. Metaphorische Ausdrücke der Psalmen werden in teils grotesker Weise ›beim Wort genommen‹. 58 Der Textwert des Psalters ist allerdings eher gering, da im 12. Jh. die ursprünglichen Unzialen des 9. Jh. weitgehend getilgt und durch Minuskeln mit dem byzantinischen Text ersetzt wurden. Ein Palimpsest ist auch die etwa gleich alte Athos-Handschrift Pantokrator 61 (= Ra 1032), deren Unzialen aus dem 9. Jh. im 13. Jh. überschrieben wurden; die ca. 100 erhaltenen Bilder stammen aus der ursprünglichen Entstehungszeit. Von den übrigen meist nur fragmentarisch erhaltenen illuminierten griechischen Psalterien ist vor allem noch der Pariser Psalter (Bibliothèque nationale, Ms. Gr. 139 = Ra 1133) aus dem 10. Jh. zu nen-
55. 56.
57.
58.
brauch der LXX-Psalmen, in Auseinandersetzung mit Leonhardt-Balzer: Philo und die Septuaginta, 632-634). Vgl. Brucker: ›Sitz im Leben‹, 575-576. Vgl. Brucker: ›Sitz im Leben‹, 577-579. Ob es sich bei der liturgischen Verwendung freilich um Gesang oder Lesung bzw. Rezitation handelt, ist in den ohnehin spärlichen Quellen nicht immer deutlich, zumal einige von ihnen offenbar noch nicht einmal die griechische, sondern eine lateinische Fassung der Psalmen voraussetzen (vgl. Acta Pauli 9 [P.Hamb.bil.1, p. 7]; Tertullian: Apol. 39,18, CC.SL 1, 152 f.; Tertullian: De anima 9,4, CC.SL 2, 792; [Ps.-]Hippolyt, Traditio Apostolica 25, FC 1, 276; Athanasius, Epistola ad Marcellinum 27, PG 27, 37 D-40 A; Synode von Laodicea, Canon 59; gar nicht auf den Gottesdienst bezogen sind wohl Clemens von Alexandria, Paedagogus II, 4,43,1-44,5, GCS 12, 183 f. [vgl. 40]; Tertullian: De carne Christi 20,3, CC.SL 2, 909; Cyprian: Epistola ad Donatum 16, CC.SL 3A, 13; Didascalia I, 6,5, ed. Funk, 15). Dazu siehe Brucker: Textgeschichtliche Probleme, 79 f. mit Anm. 2-7, sowie Rebiger: Die magische Verwendung von Psalmen im Judentum; Felle: Expressions of Hope; T. J. Kraus: »Außertextliche« Rezeption von LXX-Psalm 90 (jeweils mit weiterer Literatur). Als ein Beispiel sei hier die Illustration zu Ps 72,9 (ἔθεντο εἰς οὐρανὸν τὸ στόμα αὐτῶν, καὶ ἡ γλῶσσα αὐτῶν διῆλθεν ἐπὶ τῆς γῆς »Sie haben ihren Mund gegen den Himmel gesetzt, und ihre Zunge ist auf der Erde einhergegangen«) auf Folio 70v genannt, wo die weit aufgerissenen Münder der Gesetzlosen fast den Himmel berühren (der als Halbkugel, die mit einem Kreuz gekrönt ist, vor ihren Gesichtern hängt) und zugleich ihre lang herabhängenden Zungen an die Erde reichen.
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nen, eine Prachthandschrift in der Tradition hellenistischer Kunst, in der besonders die vielen allegorischen Figuren (personifizierende Darstellung der Melodie, der Kraft, der Sanftmut usw.) hervorstechen; der in Minuskeln geschriebene Text bietet auch Auslegungen griechischer Kirchenväter als Katenen. 59
59. Zu diesem Feld siehe Tikkanen: Psalterillustration; Dufrenne: L’illustration des psautiers grecs du Moyen-âge; den Sammelband The Illuminated Psalter (ed. Büttner); ferner Bader: Psalterspiel, 168-218 (= § 5). Hier werden auch die lateinischen und kirchenslavischen illuminierten Psalterien behandelt.
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2.2.3.2 Proverbs Susan Docherty Literature Editions Ps.-Basilius: Adversus Eunomium, Libri IV et V, PG 29, 671 A-774 A – Faustinus: De Trinitate, ed. Manlio Simonetti, CC.SL 69, Turnhout 1967, 289-353 – Hieronymus: Epistulae, ed. Isidor Hilberg, Vol. 1, Epistulae 1-70, CSEL 54, Wien / Leipzig 1910 – Hilarius Pict.: Liber de synodis seu fide orientalium, PL 10, 471 B-546 B. Lindemann, Andreas / Paulsen, Henning: Die Apostolischen Väter. Griechisch-deutsche Parallelausgabe auf der Grundlage der Ausgaben von Franz Xaver Funk/Karl Bihlmeyer und Molly Whittaker mit Übersetzungen von Martin Dibelius und Dietrich-Alex Koch neu übersetzt und hg., Tübingen 1992.
Secondary Literature Barr, J.: “ba-arets – ΜΟΛΙΣ Prov. XI.31, 1 Pet. IV, 18.” JSS 20 (1975), 149-164 – Brooke, George J.: “Biblical Interpretation in the Wisdom Texts From Qumran,” in: Charlotte Hempel / Armin Lange / Hermann Lichtenberger (eds.), The Wisdom Texts From Qumran and the Development of Sapiential Thought, Leuven 2002, 201-220 – Burkett, Delbert Royce: The Son of Man in the Gospel of John, Sheffield 1991 – Croy, N. Clayton: Endurance in Suffering: Hebrews 12.1-13 in its Rhetorical, Religious, and Philosophical Context, SNTSMS 98, Cambridge 1998 – Dick, Michael Brennan: “The Ethics of the Old Greek Book of Proverbs,” in: David T. Runia (ed.), The Studia Philonica Annual: Studies in Hellenistic Judaism. Vol II, Atlanta 1990, 20-50 – Durst, Michael: Studien zum “Liber de Synodis” des Hilarius von Poitiers, Band I, Einleitung, Text und die Apologetica Responsa, Habil. Masch. Bonn 1993 – Evans, Craig A.: Word and Glory: On the Exegetical and Theological Background of John’s Prologue, Sheffield 1993 – Harrington, Daniel J.: Wisdom Texts From Qumran. London / New York 1996 – Mack, Burton L.: Logos und Sophia: Untersuchungen zur Weisheitstheologie im hellenistischen Judentum, Göttingen 1973 – Ulrich, Jörg: Die Anfänge der abendländischen Rezeption des Nizänums, PTS 39, Berlin / New York 1994 – Wilson, Walter T.: The Sentences of Pseudo-Phocylides, Berlin 2005 – Xeravits, Géza G. (ed.): Dualism in Qumran, London 2010.
1. Introduction The Wirkungsgeschichte of LXX Proverbs has not been extensively studied, perhaps because this book has generally been regarded as peripheral to the development of Jewish and Christian theology. This survey of its interpretation in later literature may, therefore, highlight some previously overlooked aspects of its reception and significance.
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2. A Developing Tradition: The Personification of Wisdom Writings now included within the Apocrypha, such as Sirach and the Wisdom of Solomon, together with the sapiential works discovered at Qumran, attest to the endurance and creativity of the wisdom tradition in early Judaism, both in Palestine and in the Diaspora. Connections between Proverbs and Sirach are especially evident, in content and literary form. The ‘fear of the Lord’ is introduced as the ‘beginning of wisdom’ in both texts (Prov 1:7; Sir 1:14), for instance, and many of the same virtues are stressed, including humility (e. g. Prov 3:34; 11:2; 18:12; Sir 3:18; 13:20) and concern for the poor (e. g. Prov 3:27-28; 17:5; Sir 4:1-6; 7:32-35). In LXX Proverbs wisdom appears as a personification of that attribute of God, but this presentation is significantly enhanced in subsequent interpretation, so that the figure of wisdom becomes an independent and quasi-divine being who has been active throughout Israel’s history (Wisd 10) and is worthy of great praise (Sir 24). Philo likewise combines scriptural exegesis with Hellenistic philosophical thought to claim for this personified wisdom mediatorial functions and an involvement in creation (Mack 1973), citing Prov 8:22-23LXX specifically (Ebr. 31). These ideas were taken up in early Christianity as Jesus came to be identified with this divine wisdom (Evans 1993). A Hebrew text from Qumran, 4Q184 illustrates a related development of Proverbs 1-9 by portraying foolishness, wisdom’s antithesis, as a wicked woman eager to seduce the righteous (Harrington 1996). Wisdom also became equated with the torah in later sapiential works (e. g. Sir 24:1-29; Bar 4:1-4). The Greek translation of Proverbs possibly contributed to this move, since the Hebrew term torah, or instruction, is frequently (although not exclusively) rendered into Greek as νόμος, increasing the association between ‘law’ and the search for wisdom.
3. The Use of LXX Proverbs in the New Testament The association of Jesus with the figure of wisdom is not a prominent theme in the NT, although the influence of Prov 8 is evident in the prologue to the Fourth Gospel and in other occasional references to his closeness to God and involvement in creation (Col 1:17; Rev 3:14). In addition, Matthew’s Parable of the Wedding Feast recalls the description of wisdom sending out her servants to summon people to a banquet (Matt 22:1-14; Prov 9:2-6), and the ‘Bread of Life’ discourse in John 6:47-51 may be indebted to Prov 9:5 (as well as to the Pentateuchal narratives of the giving of the manna), since there wisdom calls, ‘Come, eat of my bread …’ The language of seeking for Christ or the kingdom as for a valuable treasure may also echo the injunctions in Proverbs to diligently search out wisdom. 1 It is not always possible to be certain, though, whether the NT authors are alluding specifically to LXX Proverbs in these cases, or drawing on a broader wisdom tradition. The explicit appeal to LXX Proverbs within the NT is, however, greater than is often recognised. There are five definite citations of it (Prov 3:11-12 at Heb 12:5-6; Prov 3:34 at Jas 4:6 and 1Pet 5:5; Prov 11:31 at 1Pet 4:18; Prov 25:21-22 at Rom 12:20); two further possible quotations (at Matt 16:27 and Rom 2:6; cf. Prov 24:12 and the virtually 1.
E. g. Matt 7:8; 13:44-46; Jn 7:34; Jas 1:5; cf. Prov 1:28; 2:3-6; 8:17-19.
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identical Ps 61:13LXX); three instances where it is either partially cited or clearly alluded to 2; and a significant number of other more minor allusions (e. g. Prov 22:8a at 2Cor 9:7 ‘God loves a cheerful giver …’). Proverbs is, therefore, quoted by the NT authors considerably more often than the other ‘writings’ (excluding Psalms), more frequently than the majority of the Minor Prophets, and approximately the same number of times as Numbers, Ezekiel and Daniel. Almost every NT work shows a familiarity with its language and teaching; the exceptions are Mark’s Gospel and seven of the shorter letters (2 Thess, 1 Tim, Tit, Phm, 2 Pet, 2 Jn, 3 Jn). There are also dozens of references to themes found in this work but widespread elsewhere in scripture and Second Temple Jewish literature, for which, therefore, Proverbs may not be the direct source. Examples of these include assurances that God hears the prayers of the righteous (Jn 9:31; Prov 15:8; cf. CD 11:20-21); exhortations to keep walking in a straight path 3; or warnings that people can expect to reap as they sow. 4 Commentators have not always been sufficiently alert to this range of NT allusions to Proverbs. The reference at Jn 3:13 to the son of man ascending and descending into heaven, for instance, probably draws on Prov 30:4, as this is the only scriptural verse which speaks of both ascent into and descent from heaven (Burkett 1991). However, the influence of LXX Proverbs here is often downplayed in favour of other possible parallels with texts such as Dan 7:13. The use of LXX Proverbs in the NT is characterised by two features in particular. First, it is generally employed to support instruction about the correct way to live as a follower of Jesus, and, second, it frequently receives an eschatological interpretation. The NT authors read Proverbs as applying directly to their communities in the present, then. In Heb 12:5-6, for example, each member of the epistle’s audience has become the ‘son’ who is personally addressed by the exhortation of Prov 3:11-12. Likewise in Rom 12:20, Paul urges his hearers to follow the teaching of Prov 25:21-22 to give food and drink even to an enemy. His commitment to the continuing relevance of the ethics of Proverbs is further demonstrated throughout this chapter: the warning against pride (Rom 12:16), for instance, echoes Prov 3:7, although this is a fairly common scriptural motif. The injunction to ‘take thought for what is noble in the sight of all’ (Rom 12:17; cf. 2Cor 8:21), however, does appear to be a stronger allusion to Prov 3:4. All the undisputed citations of Proverbs in the NT occur in the letters, highlighting its perceived value for addressing pastoral and ethical issues. The solid and more significant allusions are also clustered in three texts which strike a particularly didactic or exhortatory note, namely James, 1 Peter and Matthew. James, for example, reflects the teaching of Proverbs in its key warnings against anger and an unbridled tongue 5, and in its reminder that we do not know what tomorrow will bring. 6 The attitude to the poor enjoined by these three writers is also similar to that found in Proverbs, although a call to generosity in almsgiving is hardly unique to Proverbs within scripture. Nevertheless, the specific language of LXX Proverbs seems to be picked up in Jas 2:6 ‘But you 2. 3. 4. 5. 6.
Prov 10:12 at Jas 5:20 and 1Pet 4:8; Prov 26:11 at 2 Pet 2:22. Acts 13:10; Heb 12:13; Prov 3:6; 4:26; 21:16; cf. e. g. Ps 5:8. 2Cor 9:6; Gal. 6:7; Prov 11:24; 22:8; cf. Test. Levi 13:6. Jas 1:19-20; 3:6; Prov 15:1; 16:27; cf. Matt 5:22. Jas 4:14; cf. 1:5; 3:13-18; Prov 27:1; 30:8; cf. Lk 12:16-20.
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have dishonoured the poor man …’ (cf. Prov 14:21; 17:5; cf. Matt 5:7). In addition, Proverbs directly equates having compassion on the needy with helping God, a concept graphically illustrated in Matthew’s Parable of the Sheep and Goats (Matt 25:31-46; Prov 19:17; cf. 2 En. 44:1-2). The Proverbial instruction clearly continued to be highly valued in some early Jewish and early Christian circles, then, and these links between it and the ethical guidance given in the NT merit further investigation. The teaching of Proverbs was perhaps regarded as especially applicable in the endtimes, the period in which the followers of Jesus understood themselves to be living. The firm expectation that ‘… the end of all things is at hand …’ (1Pet 4:7, 17), for instance, is the motivation for holding fast to the love which ‘covers all offences’ (1Pet 4:8; cf. Jas 5:20; cf. Prov 10:12). The early Christians may have understood Proverbs, therefore, like other sections of the scriptures such as the prophetic literature and the Psalms, as being ‘fulfilled’ in the coming of Jesus and their own experiences (see e. g. 2Cor 10:4, echoing Prov 21:22). The second century work the Martyrdom and Ascension of Isaiah (4:21) does specifically describe both Proverbs and Psalms as containing scriptural predictions of future events. Sometimes the NT authors produce an eschatological interpretation of a Proverbs text by combining it with another scriptural verse, as in Rom 12:19-20, which juxtaposes citations from Deut 32:35 ‘Vengeance is mine, I will repay …’ and Prov 25:21-22. At other places, their reading is specifically prompted by the Greek translation. As part of a whole chapter dealing with the coming judgment, for example, 2 Pet 2:22 applies Prov 26:11 to his opponents. The expansion of this verse in the LXX, contrasting the shame that brings about sin with that which leads to glory and grace, supports its exegesis in the letter. This saying may have circulated in a popular form, since the second clause quoted here, about a sow wallowing in mire, has no obvious scriptural source, but is found also in the Syriac version of The Words of Ahiqar (8:18). Similarly, in the citation of Prov 11:31 at 1Pet 4:18, the LXX text used by the author differs considerably from the MT: μόλις has replaced the Hebrew baarets, and yeshallem (‘is requited’) is rendered as σώζεται (Barr 1975). This translation enables the author of 1 Peter to exhort his audience to endure their present sufferings in the hope of receiving ‘salvation’ in the future. Some early Jewish sources show affinities with this eschatological interpretation of Proverbs. In 4Q184, for instance, future rewards and punishments are linked with right behaviour in the present (Brooke 2002), and the Psalms of Solomon combines an apocalyptic expectation with a commitment to the ethical teaching and general outlook of Proverbs.
4. The Significance of the Greek Translation for Interpretation and Theology The possibility that Greek translations of Proverbs contributed to the identification of torah and wisdom has already been noted above, as have some examples of the significance of the differences between the MT and LXX versions of specific texts for their interpretation in the NT. There are two further ways in which the LXX form of Proverbs may have contributed to later theological developments. First, a stronger distinction is created in Greek between the wise/righteous and the foolish/wicked by the repeated translation of various Hebrew terms meaning ‘fools’ as ἀσεβής, ‘wicked’ or 285
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‘godless’ (Dick 1990). However, this division of humanity into two distinct groups is present to some extent within MT Proverbs, and is not confined to Hellenistic Jewish sources: dualism is a marked feature of a number of Qumran compositions, for example (Xeravits 2010). Second, the key Hebrew wisdom term musar (instruction) is regularly rendered into Greek as παιδεία, a translation which helped to establish an important bridge between the moral teaching of Jewish sapiential literature and Hellenistic philosophical and educational traditions. Some commentators argue that this has resulted in a subtle shift of meaning, because παιδεία bears a greater sense of educative rather than correctional ‘discipline’ (Croy 1998). According to this view, then, the citation in Heb 12:5-6 (Prov 3:11-12) is employed to emphasise God’s desire to strengthen those who are enduring difficulties rather than to punish the community through their suffering. This fits with Philo’s use of the same Proverbs text to argue that life’s difficulties can prove a blessing and lead to greater intimacy with God (Prelim. Studies 175-177). This understanding of the Hebrews passage is by no means certain, however, since the need for God to correct the audience clearly emerges elsewhere in the letter (e. g. Heb 5:116:8), and a sense that παιδεία can entail divine chastisement is not lost in early Christian tradition more widely: a citation of Prov 3:12 in 1 Clem 56:4 and an allusion to it in Rev 3:19, for instance, both carry clear overtones of reproof and the need to repent.
5. Other Uses of Proverbs in Early Jewish and Early Christian Literature Outside of the wisdom literature, an investigation of the extant writings from the late Second Temple period yields only a very short list of possible references to Proverbs, even in texts which include considerable ethical content. Any allusions which can be identified are minor and rather general. Joseph and Aseneth, for example, mentions the repayment of people according to their deeds, a concept which is not unique to Proverbs (Jos. Asen. 28:3; for other possible allusions to Proverbs, see also 6:3; 12:1). The giving of a loaf of bread to satan disguised as a beggar in the Testament of Job may be intended to show Job as dutifully following the exhortation of Proverbs to give bread even to one’s enemy (Test. Job 7:11; Prov 25:21; cf. Rom 12:20). The clearest parallels with its language and thought are to be found in a Hellenistic Jewish work of uncertain date known as Pseudo-Phocylides (Wilson 2005), which gives prominence to Proverbial themes such as self-control, generosity to the poor, wise speech and the value of hard work. Very occasionally a verse from Proverbs is seen as exemplified in a specific person or event, as in some NT uses (e. g. Heb 12:5-6; 2Pet 2:22). In 4 Maccabees 18:16, for instance, the mother of the martyrs applies to her sons the words of Prov 3:18: ‘He is a tree of life to those who do his will.’ The apostolic fathers make only limited use of Proverbs, although they refer to it more often than to other scriptural wisdom books. Direct citations from Proverbs are found in Ignatius’ Letter to the Magnesians 12:1 (Prov 18:17) and the Epistle of Barnabas 5:4 (Prov 1:17). On the whole, however, the appeal to Proverbs in these texts depends on the quotations within the NT rather than on the LXX directly. Allusions are found, 286
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for example, to the love which ‘covers all offences’ 7; to the warning against pride 8; and to the search for what is noble in the sight of God and other people. 9 By this time, then, Proverbs, like the rest of the Jewish scriptures, is beginning to be read through the prism of the NT. The identification of Jesus as Logos with divine wisdom, however, meant that the interpretation of Prov 8:22-31 became critical for the Trinitarian debates of the fourth century CE (Ulrich 1994). The Greek translation of Prov 8:22 (κύριος ἔκτισέν με) was widely used to support claims that the son was subordinate to the ‘Lord’ who ‘created’ him in time. 10 Opponents of this position, therefore, argued that the underlying Hebrew verb qanah is better translated as ‘possess’ 11 and so does imply the son’s co-eternality and unique relationship with the Father. They also pointed to Prov 8:25 as attesting more clearly to his existence with God before creation (Durst 1993) 12, and it was this view that ultimately triumphed at the Councils of Nicaea and Constantinople.
7. 8. 9. 10. 11. 12.
1 Clem. 49:5; 2 Clem. 16:4, cf. Jas 5:20; 1Pet 4:8; Prov 10.12. 1 Clem. 30:2; Ign. Eph. 5:3; cf. Jas 4:6; 1Pet 5:5; Prov 3:34. Polyc., Phil. 6:1; cf. Cor 8:21; Rom 12:17; Prov 3:4. E. g. Ps.-Basilius: Adv. Eun. 4, PG 29, 704c; Hilarius Pict.: De synodis 17, PL 10, 493 B. E. g. Jerome: Ep. 140.6, CSEL 54:275. E. g. Faustinus: De Trinitate 2, CC.SL 69:345.
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2.2.3.3 Ecclésiaste / Kohelet Françoise Vinel Literature Éditions Swete: OT II, 1896 – RaHa 1935/2006 – Biblia Sacra iuxta vulgatam versionem, rec. R. Weber, 1969/19944 emendavit Roger Gryson – Gentry, Peter: Ecclesiastes, Septuaginta. Vetus Testamentum Graecum, Auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis editum 11/2, Göttingen 2019.
Traductions Backhaus, Franz Josef: Ekklesiastes / Kohelet / Der Prediger Salomos, LXX.D, Stuttgart 2009, 20102, 987-997 – Gentry, Peter: Ecclesiast, NETS, Oxford / New York 2007, 20092, 648-656 – Vinel, Françoise: L’Ecclésiaste, BdA 18, Paris 2002.
Commentaires anciens Kohelet Rabbah, dans: Midrash Rabbah, Vol. VIII, traduction anglaise de Harry Freedman / Maurice Simon, Londres 19613 – Mopsik, Charles: L’Ecclésiaste et son double araméen. Qohélet et son Targum, Lagrasse 1990 – Taradach Madeleine / Ferrer, Joan (ed.): Un Targum de Qohéleth. Editio Princeps du LMS. M–2 de Salamanca. Texte araméen, traduction et commentaire critique, Genève 1998. Anonymus in Ecclesiasten: Commentarius qui dicitur Catena Trium Patrum, ed. Santo Lucà, CC.SG 11, Turnhout 1983 – Catena Hauniensis: In Ecclesiasten in qua saepe exegesis servatur Dionysii Alexandrini, ed. Antonio Labate, CC.SG 24, Turnhout 1992 – Didymus Alex.: Commentarius in Ecclesiasten (Tura Papyrus), 6 Vol., ed. Gerhard Binder, Leo Liesenborghs et al., Bonn 1969-1979 – Evagrius Ponticus: Scholia in Ecclesiasten, ed. Paul Géhin, SC 397, Paris 1993 – Gregorius Nyss.: In Ecclesiasten Homiliae, ed. Jacob McDonough / Paulus Alexander, GNO 5, Leiden 1986 – Gregoriius Nyss.: Omelie sull’Ecclesiaste. Traduzione, introduzione e note a cura di Sandro Leanza, collana di testi patristici, Roma 1990 – Gregorius Nyss.: Homilies on Ecclesiastes, translated by Stuart E. Hall and Rachel Moriarty, dans: Stuart G. Hall (ed.), Gregory of Nyssa, Homilies on Ecclesiastes. An English Version with Supporting Studies, Berlin 1993 – Gregorius Nyss.: Homélies sur l’Ecclésiaste, texte grec de Paul Alexander, Introduction, traduction, notes et index de Françoise Vinel, SC 416, Paris 1996 – Jérôme: Commentarius in Ecclesiasten, ed. Marcus Adriaen, CC.SL 72, Turnhout 1959, 248-361 – Jérôme: Commentaire de l’Ecclésiaste, traduction, introduction et notes de Gérard Fry, Pères dans la foi 79-80, Paris 2001 – Procopius Gaz.: Catena in Ecclesiasten, ed. Sandro Leanza, CC.SG 4, Turnhout 1978.
Études récentes Backhaus, Franz Josef: Ekklesiastes / Kohelet / Der Prediger Salomos, LXX.E, Stuttgart 2011, 2001-2028 – Barthélemy, Dominique: Les Devanciers d’Aquila, VT.S 10, Leiden 1963 – Bertram, Georg: Hebraïscher und grieschischer Kohelet, ZAW 64 (1952), 26-49 – Canellis, Aline: Le Commentaire de l’Ecclésiaste de saint Jérôme, dans: Laurence Mellerin (ed.), La réception du livre de Qohélet. Ier-XIIIe siècle, Paris 2016, 205-227 – Bons, Eberhard: Le livre de Qohéleth: les paradigmes de l’histoire de son interprétation chrétienne, Revue de Théologie et de Philosophie, 49 (1999), 199-215 – Cannon, W. W.: Jerome and Symmachus. Some points in the Vulgate
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Ecclésiaste / Kohelet
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1. De Qohélet à l’Ecclésiaste 1.1 De l’hébreu au grec : une traduction littérale Écrit tardif, sans doute du début de la période hellénistique, à un moment où, selon M. Hengel, la religion juive connaît une crise, Qohélet a pu apparaître comme un écrit sceptique, marqué par différentes tendances de la pensée grecque, sinon sans Dieu. Cela explique les discussions sur sa canonicité (Dorival, 2014). Il es finalement entré dans le canon au bénéfice de la pseudépigraphie salomonienne, puis, plus tard, il a été inséré dans les Megilloth, et relié à la fête des Tentes. La langue de Qohélet est difficile, 289
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tant au point de vue lexical, avec de nombreux indices d’une langue tardive, qu’au point de vue syntaxique (Schoors, Ecclesiastes, 2013). Pour la transmission du texte hébraïque, voir Gentry, 2. Témoin de l’entrecroisement de l’hébreu et du grec, des fragments de Qohélet trouvés dans la Genizah du Caire présentent un texte grec transcrit en lettres hébraïques, qui ne correspond exactement à aucune des versions connues du livre (De Lange, 1996). La traduction grecque intégrée à la LXX présente les caractéristiques d’une des révisions juives de la LXX, celle d’Aquila (Barthélemy, Les Devanciers d’Aquila). La version d’Aquila peut être datée de la toute fin du 1er siècle de notre ère, soit un des derniers livres traduits de l’hébreu. D. Barthélemy puis O. Munnich (« Les révisions juives de la Septante : modalités et fonctions de leur transmission ; enjeux éditoriaux contemporains ») ont défini les traits littéralistes des traductions d’Aquila. Dans les Hexaples d’Origène, la version d’Aquila pour Qohélet a pris place dans la colonne « LXX » ; la question demeure de l’origine de ce qui figure dans la colonne Aquila. Signe du respect scrupuleux du texte hébraïque, la version grecque ne présente ni additions ni « moins » par rapport à celui-ci et respecte le plus souvent l’ordre des mots. Au plan syntaxique, principalement, le processus quasi mécanique de traduction trahit les usages grecs : emploi récurrent de καί γε, « vraiment », (hébreu גם, « aussi »), caractéristique d’une des recensions de la LXX (Barthélemy, Munnich); emploi de la préposition σύν, « avec », suivie du datif, pour rendre la particule אתintroduisant en hébreu le complément direct ; la particule conjonctive כי, « car » est uniformément rendue par ὅτι, « parce que », avec un enchaînement peu clair de propositions (par ex. Eccl 8, 6-7; Vinel, 1995). Plus complexe est le passage de l’hébreu au grec pour le système verbal (voir Gentry, p. 394), le traducteur marquant cependant une préférence pour le futur comme expression de l’inaccompli, ce qui renforce la question de l’audelà et du jugement. Ces différents traits sont symptomatiques d’une traduction littérale qui produit des effets de sens. À rebours de ces originalités, Grégoire le Thaumaturge (4ème s.) procède dans sa Metaphrasis in Ecclesiasten à une totale reformulation du texte biblique, à peine plus longue que celui-ci, il gomme toutes les difficultés syntaxiques et, selon les règles de cet exercice littéraire, s’astreint le plus souvent à choisir des équivalents lexicaux, éloignant ainsi toutes les singularités de l’Ecclésiaste.
1.2 Des choix lexicaux riches de sens L’effet produit par le lexique d’Ecclésiaste LXX est paradoxal: résultat d’un parti pris de littéralisme, il est néanmoins bien attesté dans la langue grecque et, dans ce livre traduit si tardivement, il porte la possibilité d’un intertexte élargi à l’ensemble la LXX, mais surtout aux livres sapientiaux. Contemporain de la rédaction du Nouveau Testament, l’Ecclésiaste est aussi le témoin d’un état de la langue grecque : plusieurs mots qui apparaissent comme des mots très rares, voire des hapax de la LXX (mais sont attestés dans la langue profane de la même période) entrent dans le lexique du NT : ainsi de περισσεία, « avantage » et περίσσευμα, « excès », ou encore de συνείδησις, « conscience » (Eccl 10, 20; traduit par cogitatio dans la Vulgate) appelé à devenir un des termes-clés du lexique anthropologique chrétien (plus de 20 emplois dans le NT) – de même pour ἐξουσιάζειν, « avoir de l’autorité » (10 emplois dans Eccl, et 7 dans tous les autres livres pour rendre l’hébreu shālaṭ, « avoir l’autorité », « dominer »,), signifiant 290
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Kohelet
la puissance et la liberté d’action du roi, et pour προαίρεσις πνεύματος, « choix de vent » (10 emplois, 5 dans tous les autres livres) qui, loin du sens de l’hébreu רוח רעיון raʿ yōn, « poursuite de vent », fait écho au lexique philosophique grec et conduit Grégoire de Nysse à une réflexion sur la responsabilité humaine dans le choix du bien ou du mal. Un même déplacement s’opère avec le choix du substantif θέλημα, « vouloir » en 5,3 (hébreu חפץḥēpèç, « faveur ») : TM : il n’y a pas de faveur pour les insensés / LXX : il n’y a pas de vouloir chez les insensés. Le choix du terme ἐκκλησιάστης, « ecclésiaste » repose sur une analyse étymologique de son correspondant hébraïque qohèlèt mais, du fait de son lien avec ἐκκλησία, « assemblée », ἐκκλησιάζω, « assembler, réunir », attestés dans la LXX, il suggère un double enracinement, dans le monde gréco-romain (une institution politique où l’art du discours a un rôle éminent) et dans le contexte des premières communautés chrétiennes. Il en est de même pour συκοφαντία, « oppression », et συκοφαντεῖν, « opprimer », traduisant עשׁקʿ āshaq, « opprimer » (un choix privilégié par Aquila dans les autres livres, là où les LXX utilisent ἀδικεῖν, « commettre une injustice »), au sens d’oppression ou de calomnie : ces termes sont conservés par Grégoire le Thaumaturge dans sa Metaphrasis in Ecclesiasten mais ils renvoient aussi aux dénonciations d’Amos (2,8) et à un des interdits du Lévitique (19,11). Enfin, la présence du verbe ἀνίστημι, « relever » facilite l’interprétation de versets énigmatiques: Didyme lit en 12, 4 l’appel du sauveur, dont le « moineau » (στρουθίον) est la métaphore, à la résurrection; et la Catena Hauniensis explique en 4, 15 l’opposition entre « le jeune homme » et « le deuxième » comme une allusion à la résurrection d’Adam accomplie par le Christ.
2. Réception dans les premiers siècles L’usage pseudépigraphique du nom de Salomon assure à l’Ecclésiaste une réception importante jusqu’au Moyen-Âge (Lobrichon, 2016) mais la place faite alors à l’interprétation historique tend à rapprocher certaines interprétations médiévales chrétiennes de la tradition juive du Targum et du Midrash (Dahan, 2016), qui recherchent dans Qohélet / Ecclésiaste les allusions à des épisodes et personnages des livres historiques de l’AT. Jamais cité dans le NT et ayant très peu de place dans la liturgie, l’Ecclésiaste est progressivement réduit au leit-motiv « Vanité des vanités, tout est vanité », volontiers utilisé dans la prédication. L’exégèse moderne ne reconnaissant plus à Salomon la paternité du livre, il se fond dans le groupe des sapientiaux – avec une confusion fréquente entre Ecclesiastes et Ecclesiasticus (Siracide).
2.1 Les versions latines, Vetus Latina et Vulgate Comme pour d’autres livres bibliques, la connaissance des différentes versions de la Vetus Latina, traduction de la LXX, n’est accessible qu’à travers les citations (peu nombreuses sauf chez Ambroise et Augustin) faites par les Pères latins avant Jérôme. Et ce dernier lui-même a laissé trois versions de sa traduction de l’Ecclésiaste à partir de l’hébreu (voir Leanza, 1987), y compris celle utilisée pour son commentaire suivi, le premier dans la littérature latine chrétienne, écrit vers 388. Signalons pour la Vetus 291
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Latina la leçon vanitas vanitantium citée plusieurs fois par Ambroise et Augustin. Et la comparaison entre les versets connus pour la Vetus Latina et les traductions de Jérôme montre comment il passe d’une révision de la Vetus Latina, souvent avec l’appui de Symmaque, à une traduction faite sur l’hébreu: Eccl 3, 21: VL (Augustin) spiritus hominis / Jérôme CommentEccl: spiritus filiorum hominum / Vulgate: spiritus filiorum Adam. Eccl 10, 17: VL (Augustin) in fortitudine et non in confusione / Jérôme, CommentEccl: in fortitudine et non in confusione / Vulgate: ad reficiendum et non ad luxuriam. Dédié à ses amies Paula et Eustochium, qui choisissent de mener une vie ascétique, le commentaire de Jérôme fait de l’Ecclésiaste, comme des autres livres sapientiaux, l’instrument d’une éducation morale nécessaire à la préparation au salut.
2.2 L’Ecclésiaste et les livres de Salomon Deux traits majeurs caractérisent l’interprétation de l’Ecclésiaste dans les premiers siècles chrétiens, de Denys d’Alexandrie (fragments dans la Chaîne de Procope sur l’Ecclésiaste) jusqu’à Maxime le Confesseur (fragments dans la Chaîne des Trois Pères) : une lecture typologique qui voit dans l’ecclésiaste une figure du Christ, qui s’adresse à l’Église dont il est la tête (Eph 5, 23 est la référence récurrente pour l’interprétation d’Eccl 2, 14 : « les yeux du sage sont sur sa tête »); et dans la perspective éducative des livres sapientiaux, l’Ecclésiaste est inséré dans la trilogie salomonienne (Proverbes, Ecclésiaste, Cantique, selon l’ordre propre à la LXX). Cette succession est assimilée aux parties de la philosophie dans le monde gréco-romain (éthique, physique et logique ou époptique) et elle est comprise comme une progression dans la connaissance. L’Ecclésiaste, livre de la « physique », fait comprendre les limites de la création (en ce sens, ce monde est ματαιότης, « vanité, folie ») et oriente vers une quête du Créateur lui-même. Le commentaire théologique de Grégoire de Nysse (portant sur Eccl 1-3,13) montre le passage de la prise de conscience de la « vanité » à l’aspiration à ce qui se joue dans le Cantique des Cantiques, l’union mystique de l’Époux et de l’Épouse. Cette ligne interprétative se retrouve jusqu’au Moyen-Âge. Dans un contexte plus spécifiquement monastique, les Scholies d’Évagre préparent le lecteur de l’Ecclésiaste à la parfaite « connaissance » (γνῶσις) de lui-même et de Dieu. En dehors des commentaires du livre, le livre est peu cité par les Pères, à l’exception du verset-refrain « Vanité des vanités, tout est vanités » dès qu’il s’agit d’inviter au renoncement et au mépris du monde (thème du contemptus mundi).
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2.2.3.4 Cantique des cantiques Jean-Marie Auwers Littérature Principaux commentaires patristiques grecs du Cantique des cantiques Gregorius Nyss.: In Canticum Canticorum (in Ct 1,1-6,9), ed. Hartmut Langerbeck, GNO 6, Leiden 1960 – Homélies sur le Cantique des Cantiques, éd. partielle [jusque Ct 2,17] avec trad. fr. par Mariette Canévet et Françoise Vinel, SC 613, Paris, 2021; les volumes suivants sont en préparation (Trad. ital. par Claudio Moreschini, Collana di testi patristici 12, Roma, 1988; trad. allemande par Franz Dünzl, FC 16, Freiburg, 1994; trad. fr. par Adelin Rousseau, Bruxelles, 2008; trad. angl. par Richard A. Norris, Atlanta, 2012) – Hippolytus : Commentarius in Canticum (in Ct 1,1-3,8) = Traités d’Hippolyte sur David et Goliath, sur le Cantique des cantiques et sur l’Antéchrist. Version géorgienne éditée par Gérard Garitte, CSCO 263, Leuven 1965, 32-70 (Trad. latine par Gérard Garitte, CSCO 264, Leuven 1965, 23-53) – Nilus Ancyr. In Canticum Canticorum = Nilus von Ancyra: Schriften. Band 1. Kommentar zum Hohelied, Bearbeitet von Hans-Udo Rosenbaum, PTS 57, Berlin 2004 – Nil d’Ancyre: Commentaire sur le Cantique des Cantiques, édition partielle [jusque Ct 4,1] avec trad. fr. par Marie-Gabrielle Guérard, SC 403, Paris 1994, le volume suivant est en préparation) – Origenes: Homiliae in Canticum, ed. Wilhelm Adolf Baehrens, GCS 33, Leipzig 1925, 27-60 (Origène: Homélies sur le Cantique des Cantiques (sur Ct 1,1-2,14), trad. fr. par Olivier Rousseau, SC 37bis, Paris 1966; trad. ital. par Maria Ignazia Danieli, Collana di testi patristici 83, Roma 1990; trad. ital. par Manlio Simonetti, Milano, 1998; trad. allemande par Alfons Fürst et Holger Strutwolf, Origenes Werke mit deutscher Übersetzung 9/2, Berlin 2016) – Origene: Commentarius in Canticum (in Ct 1,1-2,15) = Origenes: Homilien zu Samuel I …, GCS 33, Leipzig 1925, 61-241 (Trad. angl. par Ruth Penelope Lawson, ACW 26, 1957; trad. ital. par Manlio Simonetti, Collana di testi patristici 1, Roma 1976; trad. fr. par Luc Brésard et Henri Crouzel, SC 375-376, Paris 1991-1992) – Origene: Commentario al Cantico dei cantici. Testi in lingua greca, ed. Maria Antonietta Barbàra, Biblioteca Patristica 42, Bologna, 2005 (édition des scholies des chaînes, avec trad. italienne) – Philo Carp., Commentarius in Canticum, ed. Michael Angelus Giacomelli, PG 40, 28-153. Adaptation latine par Épiphane le scholastique, ed. Aldo Ceresa-Gastaldo, Corona Patrum 6, Turin 1979 (avec trad. ital.) – Procopius Gaz. Epitome in Canticum canticorum, ed. par Jean-Marie Auwers, CC.SG 67, Turnhout, 2011 (Trad. fr. en préparation) – Theodoretus Cyrrh.: Commentarius in Canticum (ed. Johann Ludwig Schulze), PG 81, 28-213 (Trad. angl. par Robert C. Hill, Brisbane, 2001).
Autres textes patristiques cités dans cette contribution Augustinus: Enarrationes in Psalmos I-L, ed. Eligius Dekkers / Jean Fraipont, CC.SL 38, Turnhout 1956 – Gregorius Magnus: Moralia in Iob Libri I-X, ed. Marcus Adriaen, CC.SL 143, Turnhout 1979 – Origène, Contre Celse, ed. Marcel Borret, Tome 3, SC 147, Paris 1969.
Littérature secondaire Auwers, Jean-Marie: « Le Cantique des cantiques, matrice de la spiritualité chrétienne », in: « Canterò in eterno le misericordie del Signore (Sal 89:2) », Festschrift Gianni Barbiero, AnBib, Rome 2015, 347-358 – Auwers, Jean-Marie: Le Cantique des cantiques, La Bible d’Alexandrie 19,
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Paris 2019, 127-158 et passim – Cabassut, André: « Blessure d’amour », Dictionnaire de spiritualité 1 (1937), 1724-1729 – Cabassut, André: « Une dévotion médiévale peu connue : la dévotion à « Jésus notre mère » », Revue d’ascétique et de mystique 25 (1949), 234-245 – Chrétien, JeanLouis: Symbolique du corps. La tradition chrétienne du Cantique des cantiques, Paris 2005 – Courcelle, Pierre: Connais-toi toi-même, de Socrate à saint Bernard, 3 Vol., Collection des Études Augustiniennes, Série Antiquité, 58-60, Paris 1974-1975 – Crouzel, Henri: « Origines patristiques d’un thème mystique : le trait et la blessure d’amour chez Origène », dans: Patrick Granfield / Josef Andreas Jungmann (éds), Kyriakon. Festschrift Johannes Quasten, Vol. 1, Münster 1970, 309-319 – Doignon, Jean: « « Blessure d’affliction » et « blessure d’amour » (Moralia 6, 25, 42): une jonction de thèmes de la spiritualité patristique de Cyprien à Augustin », dans: Jacques Fontaine / Robert Gillet / Stan M. Pellistrandi (éds), Grégoire le Grand, Colloques internationaux du CNRS, Paris 1986, 297-303 – Frank, Karl Suso: « Geordnete Liebe. Cant 2,4b in der patristischen Auslegung », Wissenschaft und Weisheit 49 (1986), 15-30 – Pétré, Hélène: « Ordinata caritas. Un enseignement d’Origène sur la charité », RSR 42 (1954), 40-57 – Simke, Heinz: « Cant. I, 7 f. in altchristlicher Auslegung », ThZ 18 (1962), 256-267.
1. Remarques préliminaires Le Cantique des cantiques est la matrice biblique de la spiritualité chrétienne. Il a fourni aux chrétiens les mots dont ils avaient besoin pour dire la plus haute expérience mystique, celle de l’union de l’être humain avec son Dieu, mais la plupart des thèmes qui ont marqué la spiritualité chrétienne proviennent d’options prises par le traducteur grec. 1
2. L’histoire de la réception des particularités de la Septante En Ct 1,2b, la bien-aimée réclame les baisers de son amoureux, en lui disant : « tes caresses sont meilleures que le vin » (TM). La LXX lui fait dire : « tes seins (μαστοί σου) sont meilleurs que le vin ». De même, en 1,4d, au lieu de « nous célébrerons tes caresses plus que le vin » (TM), le grec traduit: « nous aimerons tes seins (μαστούς σου) plus que le vin ». La traduction grecque suppose la lecture ַדּ ֶדּיָךau lieu de דֹּ ֶדיָך. Même option dans la Vulgate (ubera). Dans la lecture allégorique qu’ils ont faite du Cantique, les lecteurs chrétiens ont interprété les seins du bien-aimé comme la source de l’enseignement du Verbe divin. Déjà Hippolyte identifie les deux seins avec l’Ancien et le Nouveau Testament 2, tandis que pour Origène la doctrine évangélique, issue de la poitrine du Sauveur, surpasse de beaucoup le vin des enseignements prophétiques. 3 On est ici au point de départ du thème des seins nourriciers du Verbe, source de sa doctrine, thème que les commentateurs vont traiter dans toute sa diversité 4 : ils surpassent tantôt le vin de la Loi et la doctrine prophétique (comme chez Origène), tantôt
1. 2. 3. 4.
Auwers: « Le Cantique des cantiques, matrice de la spiritualité chrétienne », passim. Hippolyte: ComCt, CSCO 263, 26. Origène: ComCt, I, 2, 8-9, GCS 33, 94. Cf. Chrétien: Symbolique du corps, 201-223.
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« le lait de la sagesse des Grecs, qui paraît avoir le goût du vin ». 5 Si les seins sont souvent identifiés à la doctrine du Verbe, ils peuvent être aussi « les généreuses interventions de la puissance divine en notre faveur, par lesquelles Dieu allaite la vie de chacun, accordant à chacun de ceux qui la reçoivent la nourriture qui leur convient ». 6 Ce thème aboutira, dans l’Occident médiéval, à la dévotion à Jésus-notre-mère (sous l’influence de saint Anselme, 11e s.) 7. En Ct 1,7, la bien-aimée demande au bien-aimé de lui indiquer où il fait paître son troupeau. Il lui est répondu : « Si tu ne (le) sais pas toi-même (litt. : « pour toi », )ָלְך, belle entre les femmes, sors sur les traces des brebis … » (TM). La LXX propose : « Si tu ne te connais pas toi-même … » (ἐὰν μὴ γνῷς σεαυτὴν), c.-à-d. que le traducteur grec a interprété le dativus commodi «( ָלְךpour toi ») comme le complément d’objet direct. Jérôme, dans sa traduction d’après l’hébreu, a pris la même option : Si ignoras te. C’est donc un contresens qui est à l’origine d’une riche tradition interprétative, chez Philon d’Alexandrie et dans la patristique tant grecque que latine, sur la nécessité de se connaître soi-même 8. Origène, qui a repéré ici la présence du précepte delphique « Connais-toi toi-même », a réinterprété celui-ci à la lumière de la révélation biblique : se connaître, c’est découvrir l’empreinte divine que chacun porte en soi, et plus précisément se reconnaître créé à l’image de Dieu (Gn 1,26-27), et donc reconnaître que la beauté originelle de l’âme tient à l’image de Dieu qui est en elle. 9 Origène a investi ce précepte d’un sens fondé sur la tradition judéo-chrétienne. En 2,4, la bien-aimée constate: « Il m’a fait entrer dans la maison du vin; son étendard au-dessus de moi, c’est Amour » (TM). La LXX traduit le v. 4b par : τάξατε ἐπ’ ἐμὲ ἀγάπην, c.-à-d. que le traducteur a lu une forme verbale ( ִדּ ְגלוּou ) ַדּ ְגּלוּau lieu du substantif ֺ «( ִדּ ְגלוson étendard »). Le sens voulu par le traducteur grec est probablement : « déployez contre moi l’amour » (sens militaire de τάσσειν) 10. Mais le verbe τάσσειν (« placer, mettre ») est trop général en grec pour sauver l’image militaire auprès des lecteurs qui n’avaient pas accès au modèle hébreu. L’image est déjà perdue dans la traduction vieille-latine : constituite in me caritatem, « établissez en moi l’amour ». Les chrétiens ont vu ici une invitation à « ordonner » la charité, à y mettre bon ordre. De « ranger en ordre de bataille », on est passé à l’idée d’« arranger, mettre en ordre ». D’où le thème patristique de la charité bien ordonnée, qui apparaît dès Origène 11 et qui sera traité tout au long de l’époque patristique 12. En Ct 2,5, la bien-aimée demande à être ranimée avec des pommes, car, dit-elle selon le TM, « je suis malade d’amour ». Le grec ne parle pas de maladie, mais de blessure : τετρωμένη ἀγάπης ἐγώ « je suis blessée d’amour ». D’où le thème mystique du
5. 6. 7. 8.
Nil d’Ancyre: ComCt, PTS 57, 10. Grégoire de Nysse: HomCt, 1, GNO 6, 33. Cf. Cabassut: « Une dévotion médiévale peu connue », passim. Cf. Simke: « Cant. I, 7 f. in altchristlicher Auslegung », passim; Courcelle: Connais-toi toimême, Vol. 1, Paris 1974. 9. Origène: ComCt, II, 5, GCS 33, 141-142. 10. Cf. Auwers: Le Cantique des cantiques, 216-217. 11. Origène: HomCt, II, 8, GCS 33, 52-53 ; ComCt, III, 7, GCS 33, 186-191. 12. Cf. Pétré: « Ordinata caritas. Un enseignement d’Origène sur la charité », passim ; Frank: « Geordnete Liebe. Cant 2,4b in der patristischen Auslegung », passim.
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trait et de la blessure d’amour, qui apparaît chez Origène. 13 Pour Origène, l’archer est soit le Père (selon Is 49,2), soit le Christ lui-même dans sa beauté d’image du Père ; la flèche est le Verbe, ou bien la plaie qui se forme dans l’âme 14; l’épouse que blesse le trait n’est jamais l’Église, mais toujours l’âme fidèle 15. Ce thème sera abondamment traité dans la littérature mystique, à l’époque patristique 16 et bien au-delà 17. En Ct 2,7, les filles de Jérusalem sont adjurées de ne pas réveiller l’amour avant son bon vouloir : « si vous éveillez, si vous réveillez l’amour avant qu’il ne le veuille, … » (sous-entendu : « malheur à vous »). Le traducteur grec a rendu la phrase mot pour mot, en décalquant la tournure hébraïque d’adjuration, mais, comme la proposition conditionnelle n’est pas attestée en grec avec cette valeur, les lecteurs anciens ont compris que le texte invitait à réveiller l’amour endormi, « au point où il le veut » ou « jusqu’à cela qu’il veut ». Le verset a donc été lu à contresens de l’hébreu, comme une invitation à réveiller l’amour de charité qui dort au fond de nous, et cela dès Origène. 18 En 4,8, au lieu de « tu quitteras le sommet de l’Amanah » (TM), la LXX propose : « Tu parviendras depuis la début de la foi », ce que Grégoire de Nysse identifie au « sacrement de la naissance d’en-haut ». 19 Tous ces développements auraient été impossibles à partir de la Bible des Massorètes.
13. 14. 15. 16.
Origène : HomCt, II, 8, GCS 33, 53-54 ; ComCt, Prol., 2,36 et III, 8, 13-15, GCS 33, 67 et 194-195. Origène: Contre Celse, VI, 9, SC 147, 200. Cf. Crouzel: « Origines patristiques d’un thème mystique », passim. Grégoire de Nysse : HomCt, 4, GNO 6, 127-129; Augustin : En. Ps., 37, 5, CCSL 38, 385-386; Grégoire le Grand : Moralia in Job VI, 25, 42, CC.SL 143, 315. Cf. Doignon: « « Blessure d’affliction » et « blessure d’amour » », passim. 17. Cabassut: « Blessure d’amour », passim. 18. Origène: HomCt, II, 9, GCS 33, 55; ComCt, III, 10, GCS 33, 197-199. 19. Grégoire de Nysse: HomCt, 8, GNO 6, 250.
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