Johann Gottlieb Fichtes Wissenschaftslehre von 1812: Vermächtnis und Herausforderung des transzendentalen Idealismus [1 ed.] 9783428548330, 9783428148332

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Johann Gottlieb Fichtes Wissenschaftslehre von 1812: Vermächtnis und Herausforderung des transzendentalen Idealismus [1 ed.]
 9783428548330, 9783428148332

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B EGRIFF UND K ONKRETION Beiträge zur Gegenwart der klassischen deutschen Philosophie

Band 3

Johann Gottlieb Fichtes Wissenschaftslehre von 1812 Vermächtnis und Herausforderung des transzendentalen Idealismus

Herausgegeben von

Thomas Sören Hoffmann

Duncker & Humblot · Berlin

THOMAS SÖREN HOFFMANN (Hrsg.)

Johann Gottlieb Fichtes Wissenschaftslehre von 1812

Begriff und Konkretion Beiträge zur Gegenwart der klassischen deutschen Philosophie

Herausgegeben von Thomas Sören Hoffmann, Hagen Martín Zubiria, Mendoza Wissenschaftlicher Beirat: Mario Jorge de Carvalho (Lissabon), Héctor Alberto Ferreiro (Buenos Aires), Lore Hühn (Freiburg i.Br.), Marco Ivaldo (Neapel), Walter Jaeschke (Bochum), Wolfgang Kersting (Kiel), Jean-François Kervégan (Paris), Hiroshi Kimura (Nagasaki), Theodoros Penolidis (Thessaloniki), Violetta L. Waibel (Wien)

Band 3

Johann Gottlieb Fichtes Wissenschaftslehre von 1812 Vermächtnis und Herausforderung des transzendentalen Idealismus

Herausgegeben von

Thomas Sören Hoffmann

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Fernuniversität Hagen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Meta Systems GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 2198-8099 ISBN 978-3-428-14833-2 (Print) ISBN 978-3-428-54833-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-84833-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Fichtes Philosophie deckt – bei einem Systematiker nicht eben ungewöhnlich – die verschiedensten Themenbereiche ab. Dennoch ist Fichtes Philosophie in ihrem Zentrum stets nur eines: „Wissenschaftslehre“. Als „Wissenschaftslehre“ ist sie Rückgang auf das ursprünglich Klare, aus dem, in dem, ja das wir sind – insofern wir nämlich sind, was wir „wirklich“ sind, und Vernunftwesen heißen dürfen. Und sie ist Ausmessung der Räume von Klarheit, in denen wir uns logisch, theoretisch, aber auch praktisch je schon bewegen und in denen wir uns als Vernunftwesen „zu Hause“ wissen können. Das ursprünglich Klare mißt hier das nachfolgend Klare. Philosophie ist Mehrung von Klarheit. Von Fichtes „Wissenschaftslehre“ sind – die Zählung schwankt – etwa sechzehn Versionen auf uns gekommen. Die „Wissenschaftslehre“ liefert schon damit ein Beispiel dafür, was es heißt, daß bei Fichte stets Klarheit zu größerer Klarheit drängt. Und sie liefert zugleich ein Beispiel dafür, was, jenseits der Phrase, eigentlich „radikales Philosophieren“ genannt werden darf. „Radikales Philosophieren“ ist nichts anderes als sich seiner selbst bewußter Vollzug von Klarheit, der Intransparenzen, wo immer er ihrer gewahr wird, in Transparenzen zu wandeln versucht. „Radikales Philosophieren“ unterläuft in diesem Sinne je auch die eigene Textgestalt: nicht hier und da, sondern grundsätzlich und immer, insofern nämlich die eigene Textgestalt nur ein „Praeteritum“, jedenfalls aber nur ein „Imperfectum“ des Denkens, in der Sprache von 1812 genauer: des „Sicherscheinens der sich erscheinenden Erscheinung“ zu sein vermag. Sich vollendendes Philosophieren ist – nach Fichte – ein Philosophieren, das keine Endgestalt bzw. seine Vollendungsgestalt nur in der Negation vermeintlicher letzter Gestalten kennt. Die Wissenschaftslehre von 1812, um die es hier geht, stellt Fichtes letzte umfassende Ausarbeitung der „Wissenschaftslehre“ dar. Historisch ist sie insoweit die „Endgestalt“ eines Projekts, das in Zürich und Jena knapp zwanzig Jahre zuvor begonnen worden war. Zugleich ist sie der wohl wichtigste Anwärter auf den Titel der „Vollendungsgestalt“ des Projekts, wird doch gerade in ihr mit äußerstem Nachdruck die Logik der Selbstrücknahme alles „Erscheinenden“ in die tätige Autonomie der sich zur Erscheinung bringenden Klarheit bedacht. Die Autoren des vorliegenden Bandes tragen diesem End- und Vollendungscharakter der „Wissenschaftslehre“ in ihrer Version aus dem Jahre 1812 in verschiedener Hinsicht Rechnung. So knüpfen sie bei der – zumindest scheinbaren – neuen Nähe zu Kant an, um zugleich zu zeigen, worin am Ende der „höhere“ Kantianismus Fichtes besteht (Honrath, Binkelmann). Oder sie buchstabieren den transzendentallogisch so faszinierenden Versuch Fichtes durch, die Erscheinung als absoluten Ort des Wissens zu denken und in ihr (nicht im

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Vorwort

Subjekt, nicht im Objekt) auch den Ort des Wahrheitsentscheids zu finden (Ivaldo, de Carvalho). Auch das große Leitthema der Fichteschen Spätphilosophie – das Bild und die „Sehe“, die ihm entspricht – läßt sich hier intensiv verhandeln (Rivera de Rosales, Kimura), wie ebenso „ältere“ Themen – das „Selbstbewußtsein“ (Richli), die „Reflexion“ (Girndt) oder das Verhältnis Fichtes zu Hegel (Penolidis) – hier in ein neues Licht gerückt werden können: in jedem Fall mit überraschendem Ausgang und jedenfalls so, daß ein weiteres Mal evident wird, daß es als strenges Gebot aller künftigen Fichtedeutung zu gelten hat, Fichte weder auf die Druckschriften noch gar auf die frühe „Wissenschaftslehre“ zu beschränken, sondern ihn eben stets auch im Lichte der inzwischen ja auch philologisch gut erschlossenen späten Versionen der „Wissenschaftslehre“ zu sehen. Daß unter diesen Versionen wiederum die Fassung von 1812 der maßgebliche Text sein dürfte, kann dabei ebenfalls schon geweissagt werden. Der vorliegende Band geht auf eine von der Thyssen-Stiftung geförderte Berliner Tagung zurück, auf der im Jahre 2012 sowohl des 200-Jahr-Jubiläums des hier behandelten Textes wie Fichtes 250. Geburtstags gedacht wurde. Der Herausgeber dankt den Beiträgern, die ihre Vortragstexte für die Publikation – auch in Erinnerung an die intensiven Diskussionen in Berlin – teilweise erneut überarbeitet haben. Den Wunsch, damit die Fackel der „Wissenschaftslehre“ in unsere Zeit hinein weiterzugeben, teilen sie alle. Hagen, im Juni 2015

Thomas Sören Hoffmann

Inhaltsverzeichnis Thomas Sören Hoffmann Warum Fichte? Ein Plädoyer für das transzendentalphilosophische Denken mit Blick auf die Wissenschaftslehre von 1812 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Klaus Honrath Fichtes Lehre vom Wissen als Bild und Kants Kritik der Vernunft . . . . . . . . . . .

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Christoph Binkelmann Zurück zu Kant? Fichtes späte transzendentale Phänomenologie . . . . . . . . . . . .

41

Marco Ivaldo Wesen und Grundstruktur der Erscheinung des Absoluten nach der Wissenschaftslehre von 1812 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

Mário Jorge de Carvalho Die Sicherscheinung der Erscheinung der Erscheinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

Jacinto Rivera de Rosales Die Welt als Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

Hiroshi Kimura Die Wissenschaftslehre von 1812 und das Sehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Urs Richli „Eine durchaus neue, vorher nie erhörte oder vollzogne Anmuthung“. „Fichtes ursprüngliche Einsicht“ im Lichte der Wissenschaftslehre von 1812 . . . . . . . . . . 121 Theodoros Penolidis Reflexion und Erscheinung in Fichtes Wissenschaftslehre von 1812 und Hegels Wesenslogik von 1813 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Helmut Girndt Intuition und Reflexion in der Wissenschaftslehre von 1812 . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Forschungsliteratur zu Fichtes Wissenschaftslehre von 1812 und ihrem Umfeld . . . 173 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

Warum Fichte? Ein Plädoyer für das transzendentalphilosophische Denken mit Blick auf die Wissenschaftslehre von 18121 Thomas Sören Hoffmann Johann Gottlieb Fichte zählt zu den Autoren, die das Bildungswissen zwar immer noch irgendwie nennt, offenbar aber auch zu den Denkern, die der Philosophiebetrieb unserer Tage immer weniger eigentlich kennt. Ganz anders als etwa Kant, als dessen konsequentesten Schüler er sich wußte, ist Fichte im philosophischen Diskurs der Gegenwart in der Tat maximal noch in Spurenelementen vorhanden, und auch das, was man die Reste einer wirklichen „Fichtegemeinde“ nennen mag, macht heutzutage eher den Eindruck von tendenziell esoterischen Spezialistenzirkeln denn den einer machtvollen Denkschule, von der noch immer vitale Impulse ausgingen. Das liegt nun gewiß nicht daran, daß Fichte inzwischen endgültig „ausbuchstabiert“ worden wäre, und am wenigsten daran, daß er uns gar von vornherein nichts zu sagen hätte – eher spielen hier, neben äußeren Gründen (darunter immer auch solchen des Vorurteils), die gewaltigen Hürden für ein angemessenes Verständnis eine Rolle, die insbesondere Fichtes verschiedene Versionen der „Wissenschaftslehre“ (WL), also gerade seine so radikal gedachten Grundlegungen der Philosophie, umgeben. Wer darum dafür plädiert, es mit dem „Ausbuchstabieren“ von Fichte doch noch einmal zu versuchen, muß gute Gründe beibringen, warum man den Aufwand nicht scheuen und die genannten Hürden unbedingt nehmen soll; er muß schon im allgemeinen klar und deutlich sagen, was uns am Ende erwartet, wenn wir in die Fichtesche Denkschule gehen, dazu aber auch im besonderen angeben, warum es sich am Ende sogar lohnen mag, den so verschlungenen Pfad der WL von ihren ersten Auftritten in Zürich und Jena bis hin zu ihren späten Manifestationen in Berlin nachzuverfolgen – in Berlin, wo Fichte im Jahre 1812 auch jene Fassung der WL vortrug, mit der wir uns hier beschäftigen: eine Fassung, der wohl jeder, der sich mit ihr mit Sinn und Verstand etwas näher befaßt, bescheinigen wird, daß sie zu den eindrücklichsten, wenn nicht zu den in der Tat am meisten durchgeklärten gehört, die unser Denker je zu Gehör gebracht hat. In den folgenden Überlegungen, die bei der WL 1812 ansetzen, soll es darum gehen, zu zeigen, inwiefern gerade der für viele so schillernde und schwer zu fassende späte Fichte für sich beanspruchen kann, in direkter Linie der eigentliche Haupt1 Öffentlicher Abendvortrag zum 250. Geburtstag Fichtes und 200-Jahr-Jubiläum der Wissenschaftslehre 1812 in Berlin. Der Vortragsstil wurde im wesentlichen beibehalten.

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erbe des transzendentalen Denkens zu sein, ja dieses in mancher Hinsicht erst zu vollenden. Wir werden uns dabei an exemplarischen Theorieelementen orientieren, die seit Kant zum Grundbestand der transzendentalphilosophischen Reflexion gehören und die Fichte zugleich auf ein solches Niveau gehoben hat, daß zumindest der populärere Teil der Antwort auf die Titelfrage „Warum Fichte?“ lauten mag: „Weil wir mit Fichte auch das, was Kant letztlich wollte, besser verstehen als nur mit Kant!“ Es ist klar, daß eine so formulierte Antwort nicht zuletzt angesichts der bekannten ausdrücklichen Distanzierung des späten Kant von Fichte2 durchaus rechtfertigungsbedürftig ist: dennoch denke ich, daß sich leicht die Hinsichten finden lassen, die sie tatsächlich legitimieren. Das schließt nicht aus, daß ein anderer, noch einmal anspruchsvollerer Teil der Antwort auf die Frage „Warum Fichte?“ lauten mag: „Weil uns Fichte in einen Horizont des Philosophierens stellt, der, mit allem Respekt vor dem Königsberger zu reden, am Ende doch auch ein noch einmal weiterer Horizont als der Kantische ist!“ Ein Satz wie dieser kann im Jahr der 250. Wiederkehr von Fichtes Geburtstag freilich leicht als eine konventionelle Verbeugung erscheinen. Daß er mehr ist als das, wollen wir im folgenden im Durchgang durch vier Gedankengänge zu verstehen versuchen, die (1) den Begriff der Transzendentalphilosophie, (2) das Konzept der SichErscheinung der Erscheinung, (3) das Freiheitsproblem und (4) den „Holismus“ der transzendentalen Rekonstruktion des Wissens betreffen. Als „Reiseführer“ durch alle vier Gedankenkreise nehmen wir eben die WL 1812 in die Hand, auch wenn wir uns dabei gleich klarmachen, daß es ein unmögliches Unterfangen wäre, diesen hochkonzentrierten Text als solchen in einem einzigen, vom Umfang her notwendig beschränkten Durchgang wirklich aus-legen zu wollen. Eher legen wir uns Gesichtspunkte für eine Antwort auf unsere Frage „Warum Fichte?“ vor, die diesem Text entstammen und die zuletzt, wie ich denke, unbedingt dafür sprechen, Fichtes transzen2 Wie man weiß, spricht Kant in seiner Erklärung in Beziehung auf Fichtes Wissenschaftslehre vom 7. August 1799 in aller Deutlichkeit davon, daß er die letztere „für ein gänzlich unhaltbares System“ halte (AA XII, 370). Keine zwei Jahre zuvor hatte der Königsberger Fichte noch brieflich gebeten, ihn mit „Briefen zu beehren und mir literärische Nachrichten zu ertheilen“ (AA XII, 221). Fichte wiederum hat den Brief, der diese Bitte enthielt, zunächst als Beruhigung „wegen der mißbilligenden Urtheile über mein System, welche fast Jeder, der sich zu dem zahlreichen Heere der deutschen Philosophen rechnet, von Ihnen [sc. Kant] in Händen zu haben vorgiebt“, empfunden und dies Kant, der darauf nicht mehr antwortete, am 1. Januar 1798 auch brieflich mitgeteilt (AA XII, 230). Allerdings wies Fichte bei dieser Gelegenheit auch Kants nur wenig verhülltes Ansinnen zurück, zwar sein „treffliches Talent einer lebendigen und mit Popularität verbundenen Darstellung“ zu kultivieren, die „dornichten Pfade der Scholastik“ aber eher zu meiden (AA XII, 222). Fichte teilte Kant nämlich mit, er „denke … doch gar nicht daran, der Scholastik den Abschied zu geben“. Die „Scholastik“ – wir verstehen: die Wissenschaftslehre – „treibe“ er vielmehr „mit Lust und Leichtigkeit, und sie stärkt und erhöht meine Kraft“ (AA XII, 231). An dieser Stelle – in Fichtes erklärtem Willen, die Transzendentalphilosophie „scholastisch“, d. h. doktrinal im Sinne der Wissenschaftslehre weiterzuentwickeln und sich nicht auf „lebendige und mit Popularität verbundene Darstellungen“ derselben zu beschränken, dürfte der eigentliche Grund des Unbehagens auf seiten Kants liegen.

Warum Fichte?

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dentalphilosophischen Entwurf in das Philosophieren auch unserer Tage zurückzuholen. I. Transzendentale Urdisjunktion Beginnen wir zur ersten Orientierung mit einer eher noch einfachen Frage, der Frage nämlich, was „Transzendentalphilosophie“, für die nach Kant dann auch Fichte votiert, eigentlich sei! Wir ersparen uns an dieser Stelle die Rekapitulation des technischen Vokabulars, mit dem man normalerweise den Kantischen Ansatz einführt; wir sprechen jetzt also nicht in extenso von der Reflexion auf die aller aktuellen Erfahrung schon vorausliegenden „Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung“, nicht von „synthetischen Urteilen a priori“ im Unterschied zu „analytischen“ und oder auch „synthetischen Urteilen a posteriori“, auch nicht von den „reinen Formen der Anschauung“ oder den „reinen Verstandesbegriffen“, nicht von der transzendentalen Deduktion der letzteren oder auch der transzendentalen Apperzeption, an welche die reinen Verstandesbegriffe wie ihre Deduktion geknüpft werden können. Das alles darf – wie übrigens auch die Erinnerung an „die Transzendentalphilosophie der Alten“3 – in einem Kant-Seminar nicht fehlen, gehört jedoch eher schon zur ausgearbeiteten transzendentalphilosophischen Theorie als zu jener Grundeinsicht, die schon gewonnen haben muß, wem diese Theorie etwas sagen soll. Worum geht es bei dieser Grundeinsicht? Versuchen wir, die Antwort sogleich in Worten Fichtes zu geben, und zwar in Worten, die wir eben in der WL von 1812 finden und die zugleich ein Beispiel für die immer wieder ganz außergewöhnliche Prägnanz sind, die Fichte in der Klärung der Grundlegungsaufgabe der Philosophie hier erreicht. Diese kaum grundsätzlich genug zu nehmenden Worte lauten: es ist „die Hauptaufgabe der W.L.[,] die Sichtbarkeit abzusondern vom Sichtbaren“ (GA II/13, 145)4. Diese wenigen Worte wirklich verstehen, heißt, wie ich behaupten möchte, verstehen, was „Transzendentalphilosophie“ ist: zielt diese doch immer auf die Thematisierung jenes Sichtbarkeitsraums als solchen unabhängig vom je und je Sichtbaren; auf jenen Klarheitshorizont, in den immer schon eingetreten sein bzw. eintreten muß, was wir uns je und je klarmachen wollen und können. Daß es hier keineswegs um eine Trivialität geht, ergibt sich unmittelbar aus der Frage, was es hieße, die genannte Unterscheidung zwischen dem Sichtbarkeitsraum und dem Sichtbaren nicht zu machen. Kant hat nichts anderes als diese Nichtunterscheidung den Dogmatismus genannt, wobei „Dogmatismus“ das Denken von der ganz und gar ungeprüften Voraussetzung her meint, daß das, was uns klar ist, uns wesentlich deshalb klar sei, weil es doch an sich schon klar ist. Kant ist kritischer Philosoph, weil er genau diese fraglose Unterstellung einer Fundiertheit des Für-uns-Klaren im An-sich-Klaren in Zweifel 3

Kant: Kritik der reinen Vernunft (KdrV) B 113. Einfache Quellenbelege zur WL 1812 werden im folgenden nach der GA unmittelbar im Text gegeben. Maßgeblich auch gegenüber den Nachschriften ist das Nachlaß-Manuskript (GA II/13, 36 – 179). 4

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zieht. Entsprechend fällt der metaphysische Schluß von der Denknotwendigkeit auf die Seinsnotwendigkeit bei Kant dahin5. Die alte Ontologie hatte diesen Schluß auf die gelegentlich sogar explizit gemachte Voraussetzung gegründet, daß das, was ist, kraft seines Seins auch seine Sichtbarkeit einschließt – und handle es sich dabei auch zunächst „nur“ um die Sichtbarkeit für das Auge des Geistes; Platons Begriff der Idee zum Beispiel speist sich zunächst aus nichts anderem als der Gewißheit, daß das, was ist, sich auch zu erkennen gibt und damit von sich aus sichtbar ist. Kants „Revolution der Denkart“ lautet dagegen, daß alle Sichtbarkeit und mit ihr unser epistemischer Zugang zu den Dingen eben nicht ontologisch, sondern erkenntnislogisch, in letzter Instanz nämlich im intelligiblen Selbstverhältnis des Erkenntnissubjekts, fundiert ist. Dieses intelligible Selbstverhältnis, dessen immanente Logik in der Kritik der reinen Vernunft die transzendentale Analytik entfaltet, ist der Sichtbarkeitsraum, in den überhaupt eintreten (können) muß, was Anspruch auf Objektivität (Fichte würde sagen: auf „Ersichtlichkeit“) machen will. In genau diesem Sinne sind dann bei Kant die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung eo ipso auch Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung6. Wie gesagt ging – und geht bis heute – dagegen der Dogmatismus davon aus, daß die Gegenstände der Erfahrung zugleich die Bedingungen der Möglichkeit ihrer Erfahrung garantieren – was im Grunde nichts anderes heißt, als daß die Erfahrung von Gegenständen eben von den Gegenständen der Erfahrung gemacht wird, oder daß in aller Erfahrung die Gegenstände der Erfahrung sich nur selbst reflektieren. Eigentlich kritisches Denken unterscheidet dagegen prinzipiell eben den Sichtbarkeitsraum vom Sichtbaren, wobei dieses Denken auch weiß, daß das, worüber wir uns zunächst alleine mit wissenschaftlicher Strenge verständigen können, die Gesetze der Sichtbarkeit im Sichtbarkeitsraum sind, während das je und je Sichtbare unabhängig von seiner Darstellung im Sichtbarkeitsraum einer eigentlichen Einholung entzogen bleibt7. Transzendentalphilosophisches Denken besteht in dem gleichen Sinne sodann überhaupt darin – wieder in prägnanten Worten Fichtes zu reden –, daß man Bilder vom Sein zu unterscheiden vermag, wie umgekehrt, so ebenfalls Fichte, „aller Irrthum ohne Ausnahme […] darin [besteht], daß man Bilder für ein Seyn hält“ (GA II/13, 83). Man könnte auch hier zunächst eine Trivialität vermuten, denn natürlich gibt es niemanden, der überhaupt bei klarem Bewußtsein ist, der nicht an irgendwelchen Instanzen Bilder 5 Kant hat dies bekanntlich vor allem am ontologischen Gottesbeweis aufgezeigt; das Argument gilt aber keineswegs nur für den theologischen Bereich, sondern für alle Fälle, in denen Denknotwendigkeiten als hinreichender Grund für Seinsthesen angesehen werden sollen. Kant hebt deshalb auch das allgemeine materiale Wahrheitskriterium der cartesianischen Tradition (die Evidenz) auf (cf. KdrV B 82 ff./A 57 ff.). 6 Im Sinne des Kapitels über den „obersten Grundsatz aller synthetischen Urteile“, KdrV B 197/A 158. Die hier zitierte Formel ist selbst nicht der oberste Grundsatz, welcher vielmehr lautet: „ein jeder Gegenstand steht unter den notwendigen Bedingungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung in einer möglichen Erfahrung“ (ibd.). 7 Wenn man so will, iteriert die Unterscheidung zwischen Sichtbarkeitsraum und Sichtbarem zunächst die Differenz zwischen Ding an sich und Erscheinung. Genauer gesagt aber ist diese die Hypostasierung jener.

Warum Fichte?

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vom Sein unterscheiden könnte – wie denn schon Kinder gewöhnlich nicht glauben, gemalte Äpfel verzehren zu können. In der Transzendentalphilosophie geht es jedoch darum, zu bemerken, daß nicht nur dieses und jenes ein Bild und nicht ein unmittelbar Seiendes ist, sondern daß nicht weniger als das Gesamtinventar unseres Sichtbarkeitsraumes eben Bildstatus hat8. Alles, was uns überhaupt in seiner Bestimmtheit klar ist, ist es, insofern ihm diese Klarheit durch das Bewußtsein vermittelt ist; alles, was uns überhaupt klar ist, ist deshalb Moment des Bewußtseins und auf dessen „Handlungen“ bezogen oder eine Erscheinung für es. Bei Kant heißt es eben in Folge davon, daß wir nur von Erscheinungen (also „Bildlichkeiten“), niemals von „Dingen an sich“ (also dem Sein) ein Wissen haben, bei Fichte, daß die WL „eine Analyse des ganzen Bildersystem[s], in seinen Abstufungen u[nd] Verhältnisse[n]“ (GA II/13, 83) sei. Wir können an dieser Stelle nicht zuletzt in systematischer Absicht von der transzendentalphilosophischen Urdisjunktion sprechen – einer Disjunktion, die sich durch den gesamten transzendentalen Ansatz hindurch erhält und die, wiewohl sie gerade nicht auf einen ontologischen Dualismus hinausläuft, doch eine beständige Aufforderung enthält, zwischen der allgemeinen Form der Vermittlung und dem konkret Vermittelten, damit zugleich aber zwischen dem Kontext der Vermittlung überhaupt und dem Nichtvermittelbaren zu unterscheiden9. Allerdings steckt in dem letztgenannten Aspekt der Urdisjunktion auch das Moment, das die Weiterentfaltung des transzendentalen Ansatzes nach Kant provoziert hat. Das aus dem Kreis der Vermittlung Ausgeschlossene, das in Beziehung auf sie schlechthin Unvermittelbare und „Unsichtbare“, ist die Erinnerung daran, daß jedes Vermitteln und Sichtbarmachen auch ein Nichtvermitteln und „Ausblenden“ des Nichtvermittelten ist. Kant hat in diesem Zusammenhang von der regulativen Bedeutung der Idee gesprochen, kraft derer wir zu beständigem Fortschreiten in der Erfahrung aufgefordert sind; Fichte hingegen wird je länger, je deutlicher wahrnehmen, daß es hier um die Frage des Absoluten geht, das zunächst aus der absoluten Differenz der Erscheinung (nicht der nur relativen zwischen Sichtbarkeitsraum und Sichtbarem) zu denken ist. Es ist dabei für das Fichteverständnis von immenser Bedeutung, festzuhalten, daß von den späten „Wissenschaftslehren“ her diese Vermittlung der Disjunktion, dies Absolute im Sinne eines Jenseits eben der transzendentalen Disjunktion gerade nicht das Ich bzw. jener Popanz eines in schlecht-metaphysi-

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Entsprechend ist die transzendentalphilosophische These prinzipiell weitaus radikaler als die heute gängigen Sekundärreflexionen auf die Bildgeleitetheit oder ikonische Induziertheit von Wissen es sind. Aus transzendentalphilosophischer Sicht haben z. B. alle wissenschaftlich vermittelten Objekte Bildstatus; Objektivität und Bildlichkeit schließen einander gerade nicht aus. Um so kurioser ist aus transzendentalphilosophischer Sicht die Meinung des Positivismus, daß z. B. die Objekte der Physik seinshaft gedachte „Gegenstände“ seien, ihre Erkenntnis dagegen im „Abbilden“ dieser Gegenstände bestünde. 9 Auch Kants scharfe Trennung zwischen Anschauung und Begriff, die zunächst seiner eigenen Reduktion von Anschauung und Begriff auf den „Gattungsbegriff“ der Vorstellung zu widerstreiten scheint (cf. KdrV B 376/A 319), spricht auf mittelbare Weise wieder nur die transzendentale Urdisjunktion aus.

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schem Sinne aufgeblasenen „absoluten Ichs“ ist, das viele – auch frühe10 – Fichteleser, die über eine noch dazu eher vordergründig verstandene Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (GWL) niemals hinausgekommen sind, Fichte als vermeintliches Markenzeichen eines sogenannten subjektiven Idealismus angedichtet haben. Fichte denkt in den späten „Wissenschaftslehren“, wie wir gleich noch näher sehen werden, strikt von der Logik der Erscheinung aus, und er stößt dabei, indem er das Erscheinen zur gleichsam absoluten Kategorie des Wissens erhebt, auch zur Frage des Erscheinens oder Nichterscheinens des Absoluten vor. Dieses Absolute hat, wie an dieser Stelle nicht weiter auszuführen ist, außer dem Namen mit dem „Absoluten“ der Identitätsphilosophen, also etwa Spinozas oder Schellings, auf die Fichte in der WL 1812 ausdrücklich zu sprechen kommt, wenig gemein. Um dies zu verstehen, ist es geboten, sich als nächstes die Logik des „absoluten Erscheinens“ näher zu vergegenwärtigen. II. Reflexivwerden der Erscheinung Kommen wir damit zu einer genaueren Analyse der Fichteschen Bild- und Erscheinungslehre! Auch hier können wir uns auf eine prägnante, zusammenfassende Äußerung Fichtes beziehen, die den Kern seiner Erscheinungslehre auch dann ausspricht, wenn sie ebenso kurz wie kryptisch ist. Fichte sagt: „Die Erscheinung erscheint sich“ (GA II/13, 69), und er zerlegt diesen Satz dann sofort in zwei Teilsätze, nämlich einmal: (1) „die Erscheinung erscheint“, zum anderen: (2) „Die Erscheinung erscheint sich“ (GA II/13, 70). Kantleser, die beim Druckwerk des Königsbergers nicht stehengeblieben sind, sind, wenn sie dergleichen hören, vielleicht weniger überrascht als andere, kennen sie doch aus dem Opus postumum nicht etwa nur die „Erscheinung erster und zweiter Ordnung“, nicht nur die „Erscheinung zum Behufe der Erfahrung“ oder die „mittelbare Erscheinung“, sondern auch die „Erscheinung von der Erscheinung“, von der Kant sagen kann, sie sei – der „Erfahrungsgegenstand“11. Das ist erwähnenswert, weil die Parallele zum späten und spätesten Kant systematisch aufschlußreich ist, und zwar um so aufschlußreicher, als Fichte das Opus postumum natürlich nicht kennen konnte, beide Denker also unabhängig voneinander auf das, was wir das Reflexivwerden der Erscheinung nennen können, geführt worden sind. Schauen wir uns die Sache bei Fichte näher an! (1) „Die Erscheinung erscheint“, sagt Fichte, was zunächst nur bedeuten kann: sie tritt ihrerseits überhaupt in die Sichtbarkeit, und zwar als auch ihrer Form nach sicht10 Jean Paul z. B. erhebt das „absolute[] oder reine[] Ich“ der GWL ausdrücklich zum „Synonym[] der Gottheit“, um es dann (parodistisch) sogleich mit dem empirischen Ich, das z. B. ein Fußbad nimmt, zu identifizieren (Jean Paul: Clavis Fichtiana seu Leibgeberiana, § 6 und § 12, in: ders.: Sämtliche Werke, hg. von Norbert Miller, 6. Aufl. München 1999, Bd. I/3, 1033, 1037. 11 Kant: Opus postumum, AA XXII, 364: „Da ist aber die Verknüpfung des Mannigfaltigen der Warnehmung selbst wiederum dem Subject blos Erscheinung dem Objecte nach aber Erscheinung von der Erscheinung und darum der Erfahrungsgegenstand selbst […]“. Einführend zur Gesamtproblematik beim späten Kant ist noch immer lesenswert Vittorio Mathieu: Kants Opus postumum, Frankfurt/Main 1989, bes. 144 – 161.

Warum Fichte?

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bar oder als Erscheinung. Die Erscheinung ist so nicht einfach das unmittelbar Sichtbare, sondern das, wenn man so will: sichtbar Sichtbare, das Sichtbare, das sich in seiner Sichtbarkeit zeigt. Bedenken wir zunächst wieder, was hier das Gegenteil hieße, was also wäre, wenn die Erscheinung nicht erschiene! Es würde bedeuten, daß die Erscheinung als solche unsichtbar bliebe, also zwar etwas erschiene oder sichtbar wäre, aber nichts zugleich in seinem Erscheinen erschiene oder (im Sinne Fichtes: „genetisch“) bewußt würde12. Das könnte einmal heißen, daß wir noch mitten im bereits erwähnten Dogmatismus steckten und so des Glaubens wären, es ohne weiteres mit Dingen auch außerhalb ihres Sichtbarkeitsraumes zu tun haben zu können13. Es könnte aber auch heißen, daß eine bereits antizipierte Erscheinung nicht „erscheint“, d. h. nicht eintritt, weil die Bedingungen ihres Erscheinens nicht erfüllt sind. Ein simples Beispiel wäre hier ein naturwissenschaftlich prognostiziertes Phänomen, das dann, wenn alle Bedingungen, die das „Gesetz der Erscheinung“ angibt, erfüllt sind, tatsächlich in Erscheinung tritt, sonst aber nicht. Das „Gesetz der Erscheinung“, das uns die Prognose gestattet, läßt uns dabei aus der Struktur des Erscheinungsraums insgesamt auf ein konkretes Erscheinen schließen, so daß uns zum Beispiel die Astronomen nicht nur mit äußerster Präzision den Ort und die Zeit des Erscheinens eines Kometen vorhersagen, sondern aus der Spektralanalyse auch die auf einem fernen Stern anzutreffenden Gase angeben können. Daß „die Erscheinung erscheint“, heißt dann, daß sie als Moment des Sichtbarkeitsraumes selbst gesetzt ist und in ihrem Erscheinen indirekt immer auch diesen (den Sichtbarkeitsraum als ihre Vermittlung) aufscheinen läßt14. Insofern die „Erscheinung erscheint“, erscheint hier auch der Grund ihres Erscheinens, oder sie erscheint als Totalität des Erscheinens, wenn auch in einer einzelnen Instanz. Kants Satz, daß wir Objekte nur insofern erkennen können, als wir sie als Erscheinungen begreifen, ist viel weniger paradox, als er zunächst erscheinen kann: denn wenn Erscheinen in unserem Sinne bedeutet, eine Vermittlung aus dem Gesetz der Erscheinung und zugleich aus dem Sichtbarkeitshorizont heraus zu haben, und wenn „Wissen“ immer die bestimmte Darstellung von Etwas aus seiner Vermittlung heraus ist, dann ist in der Tat eben die Erscheinung als Erscheinung das, was wir eigentlich wissen und nicht nur beschreiben oder anschauen können. Im Sinne der Transzendentalphilosophie ist die Lösung einer Forschungsaufgabe immer das bestimmte Erscheinen(-Lassen) einer Erscheinung, das heißt das Einleuchten der Vermittlung einer gegebenen Bestimmtheit mit allem, was uns auch sonst einleuchtet, und insoweit die Schlüssigkeit dieser Bestimmtheit wie zugleich des Gesamthorizonts, in dem sie erscheint. Wir kommen auf das Moment des Erscheinungsschlusses später noch einmal zurück! 12 Man kann in diesem Sinne einerseits im Spiegel einen Menschen sehen, man kann aber auch das Spiegelbild eines Menschen darin sehen: im letzten Fall „erscheint die Erscheinung“. 13 In unserem Bild zu bleiben: der Dogmatismus hält Spiegelbilder ohne weiteres für gleichsam autonome Präsenzen der Sachen selbst, nicht für spezifische Funktionen ihrer Darstellung. 14 Nochmals in unserem Bilde zu sprechen: optische Gesetze der Reflexion erscheinen erst mit der Erscheinung des Spiegelbildes als eines Spiegelbildes.

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Zunächst wenden wir uns aber noch dem zweiten Teilsatz zu, den Fichte ins Zentrum seiner Erscheinungslehre stellt. Dieser Satz war: (2) „Die Erscheinung erscheint sich“. Schon der Satz, daß „die Erscheinung erscheint“, zeigte ja die Erscheinung als überhaupt auf sich bezogen, allerdings dies nur erst in Beziehung auf eine äußere Instanz, ein Etwas, das als Erscheinung erschien. Dagegen ist jetzt die Erscheinung als eine selbst reflexive Instanz, nicht etwa nur als Objekt einer Reflexion gesetzt, die dem Reflektierten äußerlich bliebe. Um zu verstehen, was dies genau bedeutet, unterscheiden wir Fichtes Position von dem sozusagen „klassischen“ Erscheinungsbegriff, den wir bei Kant antreffen, wenn wir von dem bereits erwähnten Sonderfall des Opus postumum absehen. Die Erscheinung beschreibt hier zunächst ein Verhältnis, näher ein dreigliedriges Verhältnis, in welchem Etwas (1) als Etwas (2) für ein Drittes (3) ist bzw. „erscheint“. Das „Dritte“ (3), welchem bei Kant das (1) Etwas (vulgo: das Ding an sich) als (2) Etwas (die bestimmte Erscheinung) erscheint, ist dabei überhaupt das Bewußtsein oder auch das Ich. Die Erscheinungsrelation als solche sagt dabei nichts über den ontologischen Status der drei Glieder aus, die in ihr vermittelt sind; sie kann deshalb immer sowohl phänomenalistisch bzw. rein vorstellungslogisch wie auch metaphysisch oder dingontologisch gedeutet werden. Kant selbst ist in diese Ambivalenz geraten; das bekannteste Beispiel dafür ist bereits die Vexierfrage nach dem ontologischen Status des „Dings an sich“, das für die „ontologische“ KantDeutung irgendwie doch als wohlunterscheidbares „Etwas“ hinter seiner Erscheinung lauern und das Subjekt aus seinem Versteck heraus narren soll. Bei Fichte dagegen ist die entsprechende Gefahr einer dingontologischen Mißdeutung der Erscheinungsrelation im Grunde schon seit der GWL gebannt; es ist schon für den frühen Fichte unmöglich, mit seinem Ansatz ontologische Thesen über das Ich und die „Außenwelt“, über „Subjekt“ und „Objekt“ zu verbinden. Der eigentliche Grund für diese Unmöglichkeit besteht dabei darin, daß Fichte als Transzendentalphilosoph nicht „von außen“ auf die Erscheinungsrelation blickt, sondern von Anfang an aus der Mitte der Logik des Erscheinens heraus denkt. Die „Dreigliedrigkeit“ der Erscheinungsrelation ist bei Fichte keine gegebene oder unmittelbare, sondern eine Gliederung, in die hinein sich das Erscheinen selbst entfaltet; weder das „Ich“ noch das „Nicht-Ich“ noch die bestimmte „Vorstellung“ in der Mitte sind abgesehen von ihrer Verbindung überhaupt denkbar; sie sind keine „Entitäten“, die dann auch zusammenkommen, sondern von vornherein analytische Momente des Selbstsetzungsaktes der Erkenntnissphäre, die als solche bei Fichte zunächst „Ich“ heißt. Auch die Spätphilosophie15 betrachtet diesen Selbstsetzungsakt der Erkenntnissphäre, dies jedoch nicht mehr vom „Ich“ aus, sondern von einem konsequent reflexiven Begriff des Erscheinens her, dem auch das „Ich“ noch eingeschrieben ist. Mit dem Satz „Die Erscheinung erscheint sich“ hat Fichte so zuletzt das Erscheinungsverhältnis von allen äußeren Prämissen befreit 15 Unter Fichtes „Spätphilosophie“ sind hier die Darstellungen der WL von der WL 1804 - 2 an verstanden. Fichte gelingt es jetzt, die Aufgabe der WL aus der Logik der Selbstentfaltung des Wissens als immer auch erscheinenden Wissens heraus zu lösen.

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und z. B. auch „Objekt“ und „Subjekt“ vielmehr als „innere“ Prämissen der Erkenntnissphäre gemacht. Das Erkennen oder das Wissen ist vielmehr das Sich-Erscheinen des Transparenzraumes selbst, oder es ist als rein autonomes (Selbst-)Verhältnis gedacht. Alle Unterschiede, die an diesem Verhältnis auftreten, sind nur Momente seiner Selbstentfaltung und besitzen gegen das Sich-Erscheinen keine vorgängige Selbständigkeit. Die Erscheinung erscheint entsprechend auch ganz in ihrem eigenen Licht, auch wenn dieses Licht zugleich das der Sichtbarkeit überhaupt, das Licht des Sichtbarkeitsraumes als solches ist. Damit verschwindet dann endgültig jene Welt von „Dingen an sich“, die die Ontologie und mit ihr die „ontologische Kant-Deutung“ als den großen Notnagel festhalten wollte, an dem wir unsere Weltbilder in letzter Instanz dann immer aufhängen dürfen. Die Bilder, in denen die autonome, die sich erscheinende Erscheinung konkret wird, hängen jedoch nicht an Nägeln, wie sie ein Vorstellen, das seinen eigenen Sich-Erscheinens-Status nicht eingeholt hat, in einen Horizont schlagen will, den es für einen fixen Rahmen hält. Die Bilder, in denen die sich erscheinende Erscheinung konkret wird, sind autonome Bilder, will sagen: Bilder, die unmittelbar aus dem Leben der Erscheinung selbst stammen und sich deren eigenem Gesetz verdanken; Bilder, die schlechterdings nicht einfach vom Vorbildlichen her zu verstehen sind, sondern deren Verständnis ganz und gar in der Entfaltung ihrer Bildlichkeit, ihrem Sich-Ergeben aus dem Raum der Sichtbarkeit, aufgeht16. Brisanter noch scheint dann zuletzt die „subjektive“ Seite der Sache zu sein, die Rückwirkung auf das Verständnis des (transzendentalen) Ichs, die sich hier ergibt. Der Begriff der Erscheinung als eines Sich-Erscheinens und damit als eines autonomen Verhältnisses setzt wie schon angedeutet immerhin auch das Subjekt, das Ich, zu einem Moment des Erscheinungsverhältnisses herab. Das klingt insbesondere wiederum für all jene überraschend, die Fichte für einen „subjektiven Idealisten“ halten, wofür unter Voraussetzung der bereits erwähnten einseitigen Fokussierung der Frühschriften auch das ein oder andere sprechen kann. In der Tat hat erst der Fichte der späteren „Wissenschaftslehren“ seine Zuhörer damit überrascht, daß er das Ich oder das Subjekt keineswegs einfach den archimedischen Punkt sein ließ, als der es rezeptionsgeschichtlich so gerne verstanden wurde. In der Tat ist das Subjekt bei Fichte vermittelt: natürlich nicht einfach aus der Natur oder der absoluten Idee heraus wie bei Schelling (was nach Fichte die Preisgabe aller kritischen Einsicht der Transzendentalphilosophie in den Unterschied von Sichtbarkeitsraum und dem unmittelbar Sichtbaren voraussetzte), wohl aber aus der Sichtbarkeit selbst und allenfalls ihrer Stellung zu jener Totalität heraus, die in der Urdisjunktion zumindest indirekt ja ebenfalls aufscheint. Um es kurz zu machen: das Ich ist bei Fichte – gesamtsystematisch gesehen – der Ort, an dem nun über das einfach Sichtbare hinaus nicht nur die Sichtbarkeit selbst (die erscheinende Erscheinung), sondern sogar das Sehen (das Sich-Erscheinen der Erscheinung) sichtbar wird; es ist damit der eigentliche Ort des Erscheinens des Sich-Erscheinens der Erscheinung, der „Fokus“ der Erschei16 Cf. dazu auch den Zusammenhang GA II/13, 165 f., wo Fichte fordert, die „Einbildungskraft“ als „rein produktive Konstruktion“, nicht nur in der Weise der „Nachkonstruktion“ (166) zu denken.

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nung, die doch nicht einfach in ihm aufgehen kann. Das heißt zunächst, daß das Ich selbst eine Funktion der epistemischen Relation des Erscheinens ist – was dann immerhin ein Problem enthalten müßte, wenn diese epistemische Relation eine nicht absolute, vielmehr eine an schon vorausgesetzten Objekten spielende wäre. Das ist, wie wir gesehen haben, bei Fichte jedoch gerade nicht der Fall; die Erscheinung ist ein autonomes Verhältnis letztlich des Sichtbarkeitsraumes zu sich, in dem er – dieser „Raum“17 – sich jeweils schlüssig wiedererkennt. Wenn man so will, ist das Ich oder das Subjekt jetzt nichts anderes als die Unmittelbarkeit der Sich-Form der Erscheinung, sie ist deren reine Selbstbezüglichkeit oder ihre innere Autonomie als solche. Insofern das letzte gilt, ist es übrigens auch gar nicht ausgeschlossen, das Ich zugleich als epistemisch Vermitteltes und als Prinzip anzusehen – gewöhnlich ist ja das das Problem, das Prinzipientheorien der Erkenntnis haben, nämlich etwas entweder als Prinzip oder als Funktion dieses Prinzips ansehen zu müssen, während bei Fichte vom Ich jetzt beides gilt: daß es nämlich zum einen eine Funktion der SichErscheinung der Erscheinung und jedenfalls nichts außer dem ist, daß es aber gleichwohl die Autonomie dieser Sich-Erscheinung, ihre sich zu Bewußtsein bringende Prinzipialität ist. Man kann sich die im Kern dialektische Figur, um die es hier geht, annäherungsweise dadurch erläutern, daß man sich erinnert, was es, sagen wir bei Kant, genauer meint, daß wir „Vernunftwesen“ sind. Wir sind Vernunftwesen auf der einen Seite nur als Funktionen einer Vernunft, die uns selbst vorausliegt und die uns deshalb zum Beispiel auch imperativisch anherrschen kann. Auf der anderen Seite ist die Vernunft nicht einfach in abstracto autonom, sondern sie ist es in jenem Akt, in dem das Vernunftwesen wirklich vernünftig und daher autonom ist. Im selben Sinne ist das Licht der Sichtbarkeit überhaupt bei Fichte das, was dem Ich schon vorausliegt; dennoch ist erst das Sich-Sehen des Lichts, das heißt das Ich, jener Punkt, mit dem die Prinzipialität des Lichts gesetzt ist und an dem sie sich als solche auch wirklich vollzieht. Das Sich-Erscheinen der Erscheinung, in dem sich die Erscheinungsrelation vollendet, und das Sich-Erscheinen des Ichs, mit dem sich die Episteme in den Prinzipienrang setzt, sind zwei Seiten ein und derselben Sache. Auf den ersten Blick sehr seltsame Formulierungen lösen sich so auf, etwa eine, in der es heißt: „ohne Zweifel sind wir nichts andres, als die sich Erscheinung der Erscheinung der Erscheinung“ (GA II/13, 73) – was eben nichts anderes meint als dies: Das „sind“ bei den „Wir“, das „bin“ bei dem „Ich“ geht nicht nur nicht einfach nur auf ein Ding, es geht auf den Urort des Erscheinens unter anderem von Dingen, es geht auf die Origo aller Erscheinung, insofern diese sich selbst erscheint. Das Ich ist daher dann auch der Urort der Bilder, das heißt der gesetzten Erscheinung, was jedoch wiederum nicht so zu verstehen ist, daß es ein Ich unabhängig von der Sphäre der sich erzeugenden Bilder gäbe. Ichtätigkeit überhaupt ist jetzt Bildtätigkeit, was Fichte lehren konnte, ohne dafür auf einen „iconic turn“ zu warten. Und Erkennen ist jetzt Leben in einem Bilden von Bildern, die freilich nicht als Willkürprodukte zu 17 „Raum“ ist hier natürlich Metapher und nicht als mit physischen Merkmalen ausgestattet zu denken. „Raum“ im Sinne des „Sichtbarkeitsraums“ steht für die Totalität der epistemischen Verhältnisse, die die WL aufklärt.

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fassen sind, sondern ihr inneres Maß an der Maximierung der Sichtbarkeit haben, um derentwillen alleine wir uns ja auf das Bilden der Bilder einlassen. Wir können auch sagen: alles Erkennen und alles Bilden geschieht um der Sich-Erscheinung der Erscheinung willen, die ebenso uns im Sinne der Transzendentalphilosophie in die Erkennensautorschaft einsetzt wie zugleich eine schlüssige Sichtbarkeit produziert, die wir gewöhnlich „Wissenschaft“ nennen. Wir halten an dieser Stelle als weiteres Zwischenergebnis fest: Fichte, indem er die Logik des Erscheinens zu Ende denkt und dabei zum Konzept der reflexiven Erscheinung gelangt, denkt die Erscheinung eben so als autonomes epistemisches Verhältnis. Er durchbricht damit die Statarik einer (unmittelbaren) Erscheinungsrelation, wie Kant – zumindest der „kanonische“ Kant diesseits des Opus postumum – sie noch angesetzt hatte. Dabei erweist sich das Subjekt als ebenso eine Funktion des Erscheinungsverhältnisses wie als Erscheinungsorigo, in der die Erscheinung sich in ihrer Prinzipialität erscheint. Im Subjekt verdichtet der Sichtbarkeitsraum sich so zu einer lebendigen „Sehe“, von der her Erscheinungen keine „objektiven“ Tatsachen mehr sind, sondern „Gesichter“ der Sichtbarkeit, die sich in ihnen wiederum zu sich selber verhält. Die WL erweist sich hier als potenziert kritische, radikal entontologisierte Prinzipientheorie des Erkennens, die nicht zuletzt auch den Dogmatismus des Subjektiven vermeidet. Man kann getrost behaupten, daß Fichte in dieser Dimension und ihren Implikationen bis heute kaum verstanden wurde. III. Freiheit Fichte hat von den frühen Phasen seines Denkens an immer Wert darauf gelegt, daß der transzendentale Idealismus eine entschiedene Freiheitsphilosophie sei. Wir wissen, daß auch biographisch Kant für Fichte der Freiheitsphilosoph schlechthin gewesen ist – der Denker, der es allererst möglich gemacht hat, das Joch der deterministischen Zumutungen, wie sie in der Neuzeit nicht eben selten aufgetreten sind, zu zerbrechen und uns statt dessen als wirklich freie Ich zu wissen. Die Freiheitsfahne, die Fichte so früh schon ergriffen hat und die er dann nicht nur in der politischen und überhaupt praktischen Philosophie, sondern etwa auch in den Einleitungen in die WL der 90er Jahre geschwungen hat, bleibt für ihn dann auch in der Auseinandersetzung mit Schelling das Banner, unter dem sich seine Polemiken ordnen, ja sie wird ebenso auch in den Wissenschaftslehren immer aufs neue aufgerichtet, die Fassung von 1812 nicht ausgenommen. Wir können für den Zusammenhang, um den es jetzt geht, unmittelbar an das Lehrstück über das Ich als den Urort der Sichtbarkeit anschließen, von dem gerade die Rede war, gehen aber zugleich noch einmal einen Schritt zurück zum Grundbegriff der WL, wie Fichte ihn aufgestellt hat. Die WL ist, wie wir inzwischen wissen, Ausmessung des Raums der Sichtbarkeit, nicht eine Ontologie des Sichtbaren. Wenn sie dabei ein „vollendetes System des Mannigfaltigen“ (GA II/13, 47) bzw. ein vollständiges Bildersystem sein will, dann in dem Sinne, daß sie eben den einen Raum des Wissens, der sich in ihrer Perspektive zuletzt in jedem einzelnen Gewußten zu sich selbst verhält, als einen Einheitsraum darzustellen vermag, der zwar in sich ge-

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gliedert, dennoch aber zu sich in allen seinen internen Differenzierungen kontinuierlich ist. Alles über diesen epistemischen Raum hinausweisende „Sein“ bleibt, wie Fichte auch 1812 festhält, vom Standpunkt der WL aus durchaus „ganz problematisch“ (vgl. GA II/13, 44). Dabei geht es nicht wie bei Husserl um eine „Einklammerung“ der Seinsfrage, sondern um den bewußten Vollzug der transzendentalphilosophischen Unterscheidung von sich selbst vermittelndem Bildraum und genetisch uneingeholter Unmittelbarkeit. Zu der letzteren, also zum „Sein“ im gewöhnlichen Sinne, können wir uns nach Fichte nicht etwa nur auf Grund einer methodologischen Entscheidung nicht ins Verhältnis setzen. Das Andere des Sichtbarkeitsraumes ist vielmehr das jenseits aller Entscheidbarkeit schlechthin Verhältnislose; wir haben es weder in der Anschauung noch im Begriff, die nach Fichte beide Momente des Erscheinens, nicht des Seins sind. Im Sichtbarkeitsraum dagegen ist alles ins Verhältnis gesetzt und als Moment des Sich-Erscheinens der Erscheinung erkannt. Wir wissen bereits, daß das vollendete Bewußtsein des Sich-Erscheinens der Erscheinung das Bewußtsein des Ichs bzw. schlechthin Selbstbewußtsein ist. Die WL lehrt dabei wohlgemerkt nicht, daß jedes Bewußtsein für sich schon (durchgängig) Selbstbewußtsein sei; als nur faktisches Bewußtsein kann es vielmehr jederzeit an die nur faktische Erscheinung hingegeben sein, und zwar so weitgehend, daß ihm noch der Erscheinungsstatus der Erscheinung entgeht, es also einem Schein von Sein verfällt. Die WL lehrt dabei aber sehr wohl, daß sich jedes Bewußtsein jederzeit über den Status, ein nur faktisches Bewußtsein diesseits der Sich-Erscheinung der Erscheinung zu sein, erheben kann. Absolut betrachtet, ist der Grund dafür eben der, daß aller konkreten Erscheinung die Reflexivität der Erscheinung bzw. die Form der Sich-Erscheinung der Erscheinung, vorausliegt. In dieser Form, auf die hin im Grunde jedes Bewußtsein unterwegs ist, liegt auch die Freiheit verborgen, zu der nach Fichte jedes Bewußtsein ein durchaus eigenes und inneres Verhältnis hat. Wie aber verhilft die Philosophie, insbesondere nun die WL, dem Bewußtsein dazu, das mit ihm bereits gegebene Freiheitspotential zu aktualisieren? Wir machen uns für die Antwort folgendes klar: Fichte spricht davon, daß die WL von den „absoluten Formen“ des Erscheinens handele, „unbekümmert was dieselbe[n] im wirkl[ichen] Bewußtsein bedeuten, u[nd] wie sie da erscheinen“ (GA II/13, 113). Die WL thematisiert, wenn man so will, die allgemeine Grammatik des Erscheinens, nicht einfach das, was einem konkreten Bewußtsein jeweils alles erscheint. Das ist möglich, weil es in der WL um einen Raum des Bildens der Bilder im Blick auf die dazugehörigen Bildungsgesetze, jedoch weder um Ontologie noch um Psychologie geht. Ja, wir können auch einen Schritt weitergehen und sagen: Die WL selbst als Ergreifung oder Bewußtmachung der „absoluten Formen“ kann es nur geben, weil der Raum der Sichtbarkeit, den sie ausmißt, nicht unter einem Seinsgesetz, sondern unter Erscheinungsgesetzen, zuletzt unter dem Gesetz der Sich-Erscheinung der Erscheinung, d. h. unter dem Gesetz des Reflexivwerdens aller Erscheinung, steht. An Hand der WL 1812 können wir uns dann weiterhin klarmachen, inwiefern die WL selbst eine Schule der Freiheit bzw. der Weckung des Freiheitsbewußtseins ist.

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Sie ist es in einem doppelten Sinne: zunächst auf einer ersten Stufe, die darin besteht, daß die WL, wie Fichte sagt, eine eigentliche Schule des Wollens ist. Eine solche Schule des Wollens kann die WL deshalb sein, weil sie mit dem Rückgang auf die absoluten Formen des Erscheinens den Unterschied zwischen faktischem (also objektivem) und absolutem (also in die Sich-Form getretenem) Bewußtsein zu machen erlaubt, damit aber eine „Erblickung“ des Ichs als sich selbst begründenden Prinzips gestattet, mit der notwendig ein Ungenügen am faktischen Ich einhergeht. Es gibt jetzt, wie Fichte sagt, überhaupt ein „mannigfaltiges von Bliken“ (GA II/13, 112), von denen der eine, der an der Grammatik des Erscheinens orientierte normative Blick, eben auf den Sollzustand der Erscheinung schaut. Freiheitliche Praxis ist jedoch nichts anderes als genau dies, den Sollzustand der Erscheinung zu fixieren und die faktische Erscheinung in dessen Licht zu betrachten; freiheitliche Praxis besteht darin, das gegebene objektive in sich vollziehendes reflexives Erscheinungswissen zu verwandeln und Selbstbewußtsein an die Stelle von Objektbewußtsein zu setzen. Die WL setzt so schon mit der Erinnerung der formalen als einer normativen Differenz zugleich den Impuls, an die Stelle des zunächst nur Gefundenen ein „Produkt der Freiheit“ (vgl. GA II/13, 115) zu setzen. Die zweite Stufe schließt hier unmittelbar an und führt zur eigentlichen „Selbstergreifung der Freiheit“. Es geht jetzt nicht nur darum, daß ein faktisches Bewußtsein sich faktisch zur Freiheit erheben kann, weil es in der WL faktisch die normative Differenz erkannt und das Wollen gelernt hat. Es geht darum, daß sich die Freiheit selbst in den Prinzipienstand einsetzt, der ihr als selbst einer Weise der Realisierung der Sich-Form der Erscheinung zukommt. Eine Erhebung zur Freiheit kann ja immer nur da und insofern erfolgen, als das Wissen den Schein einer dinggebundenen Objektivität wie zugleich den Schein einer standpunktgebundenen Subjektivität ablegt und subjekt-objektiver Selbstvollzug geworden ist. Fichtes Freiheitsbegriff zielt genau auf die Erreichung dieser Subjekt-Objektivität, die nichts mehr mit bloßer Willkürfreiheit zu tun hat. Er zielt auf eine Freiheit, die die Selbstverwirklichung des Wissens und das Selbstsein des Subjekts zusammennimmt im Begriff eines Ichs, das sich als die Origo des Sich-Erscheinens der konkreten Erscheinungen begreifen kann, ohne damit der faktischen Erscheinung Gewalt anzutun, das heißt ihrer Unmittelbarkeit nur selbst wieder unmittelbare Gewißheit entgegenzusetzen. Daß an diesem Punkt eine der Schwachstellen des Fichteschen Ansatzes liegen könnte, jedenfalls insoweit dieser dazu tendieren mag, die faktische Bestimmtheit der Erscheinung im Vorgriff auf ein frei entworfenes Bild der gesollten Erscheinung nur allzu schnell umzurennen, ist bekannt und muß auch gar nicht bestritten werden. Die hier möglicherweise offene Flanke betrifft freilich am wenigsten das Unternehmen der WL, die sich auch 1812 als Lehre von der Einsetzung der Freiheit in ihre ursprünglichen Rechte erweist. Worum es Fichte hier geht, läßt sich in folgendem weiteren Zwischenergebnis zusammenfassen: Es gibt kein Bewußtsein, es sei denn ein solches, in dem aus seiner eigenen Form heraus die Freiheit schon wirksam ist, und es gibt außerdem kein bewußtes Sein, das heißt: kein Erscheinen, das in seinem Vollzug nicht schon auf das Sich-Erscheinen der Erscheinung in einem Selbstbewußtsein, das

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heißt auf freies Selbst-Sein hin tendierte. Beides, die zunächst formale Freiheit, die in der Form des Bewußtseins als immer die normative Differenz generierend liegt, wie die sich selbst ergreifende Freiheit, in der sich das Bewußtsein als autonome Origo aller sich selbst erscheinenden Bestimmtheit erkennt, sind genuin transzendentalphilosophische Thesen. Von diesen Thesen kann man getrost behaupten, daß sich, wenn sich die Gegenwartsphilosophie erneut auf sie einließe, manche ganz in der Dingontologie stecken bleibende Debatte über Freiheit und Notwendigkeit sehr schnell beenden ließe. Im Grunde reicht hier sogar der schlichte Merksatz: Es gibt kein Bewußtsein, es sei denn unter Voraussetzung der Freiheit – oder, in Fichtes Worten: „[Freiheit] ist der Grund der Wirklichkeit alles Bewußtseins“ (GA II/13, 136). Die Ableitung dieses Satzes hat Fichte in der WL gegeben. IV. Holismus Wenden wir uns damit aber noch kurz einem anderen und letzten Gesichtspunkt zu, der sich aus der zu Ende gedachten Reflexivität der Erscheinung oder ihrer „SichForm“ ergibt! Ich knüpfe dazu bei zwei Punkten an, von denen bereits die Rede war: Erscheinendheit als durchschaute Vermitteltheit und die damit zusammenhängende Konvergenz von Erscheinungsdenken und Wissenschaft – das ist das eine. Die Selbststrukturierung aller Erscheinung auf ihre Reflexivität, auf das Sich-Erscheinen der Erscheinung hin, die zum einen die schlüssige Erscheinung überhaupt, zum anderen im Ich zugleich das Bewußtsein von epistemischer Autonomie erzeugt – das ist das Zweite. In komprimierter Form heißt dies: Was immer erscheint, ist vermittelbar – ja, es ist abschließend vermittelbar, insofern in ihm die epistemische Autonomie des Sichtbarkeitsraumes erscheint. Wir nähern uns diesem Gedanken an, indem wir auf eine hier in der Tat gegebene Parallele bei Kant eingehen! Kants Begriff der Erfahrung ist, was nicht immer die gebührende Beachtung erfährt, ein alles andere als alltäglicher, auch als ein alltäglich-empiristischer Erfahrungsbegriff. Kants Erfahrungsbegriff ist so zum Beispiel von dem Strukturmerkmal eines „Holismus“ her zu verstehen. „Holismus“ bedeutet hier, daß Erfahrung bei Kant nicht etwa ein je und je punktuelles Widerfahrnis meint, so wie das Alltagsbewußtsein beispielsweise sagt, daß es mit einer Person so „seine Erfahrungen“ gemacht habe. Die Erfahrung, von der Kant im ersten Satz der ersten Auflage der KdrV erklärt hatte, sie sei „ohne Zweifel das erste Produkt, welches unser Verstand hervorbringt, indem er den rohen Stoff sinnlicher Empfindungen bearbeitet“18, ist entsprechend auch nur im Singular zu haben, oder man kann sie, um in Worten genau zu sein, auch gar nicht „haben“, sondern nur „machen“19. Wissenschaft, die nach Kant ja nur als Erfahrungswissenschaft Realerkenntnis vermitteln kann, ist 18

Kant: KdrV, A 1. Zum „Machen“, nicht „Haben“ der Erfahrung bei Kant cf. besonders das Opus postumum, z. B. AA XXII, 444: „Ich kan nicht sagen ich habe diese oder jene Erfahrung sondern ich mache sie mir […].“ 19

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dann nichts anderes als der kontinuierliche extensive wie intensive Ausbau des einen Erfahrungsraums durch den Versuch einer fortgesetzten Anreicherung dieses Raums mit immer neuer konkreter Bestimmtheit, die in ihn aufzunehmen ist. Terminologisch konkretisiert sich der Kantische „Holismus“ der Erfahrung in Kants Rede vom „Kontext der Erfahrung“, wie wir sie in der KdrV z. B. an der Stelle A 582/B 610 finden, wo es heißt: „Nun können uns in der That keine andere Gegenstände als die der Sinne und nirgend als in dem Context einer möglichen Erfahrung gegeben werden, folglich ist nichts für uns ein Gegenstand, wenn es nicht den Inbegriff aller empirischen Realität als Bedingung seiner Möglichkeit voraussetzt“.

Die hier ausgesprochene These (immerhin Kants, nicht Fichtes), daß für uns nur ein „Gegenstand der Erfahrung“ sein kann, was „den Inbegriff aller empirischen Realität als Bedingung seiner Möglichkeit voraussetzt“, hängt dabei unmittelbar mit Kants Begriff der „transzendentalen Wahrheit“ zusammen, der als „wahr“ nur zuläßt, was eben über den Kontext der Erfahrung vermittelt und erst insoweit in zureichender Bestimmtheit dargestellt ist. Es kann hier wiederum nicht um Details der Kantischen Theorie gehen; wichtig ist nur, daß eben über die Figur der Reflexion über den Kontext der Erfahrung schon bei Kant ein Moment des Reflexivwerdens zunächst der Erfahrung, mittelbar aber auch der konkreten Erscheinung (als Funktion der Erfahrung) ausgesprochen ist. Dieses Moment verstärkt sich sogar je länger, je mehr; denken wir hier etwa an die Frage der Kritik der Urteilskraft nach der Systemform der Erfahrung, die im Bereich der ästhetischen Erfahrung wie in dem des Naturzwecks zuletzt auf eine Erfahrung der Systemform hin tendiert; wäre die letztere nicht nur in heuristischer Virtualität, sondern tatsächlich möglich, dann wäre damit auch bei Kant die Erscheinung durchgängig reflexiv zu denken und zum Raum der Sich-Erscheinung der Erscheinung, der Realisierung der Subjekt-Objektivität geworden. Der Schritt, den Kant hier in die erklärtermaßen subjekt-objektive Erfahrung hinein nicht tut, obwohl er fast einen mächtigen Anlauf dazu nimmt, ist bei Fichte vollzogen. Auch Fichte ist zunächst erkenntnistheoretischer „Holist“, was primär heißt, daß es auf der Basis der WL keine unabschließbaren, sich selbst mechanisch iterierenden Prozesse des Durchlaufens der Erscheinungen gibt. Fichte betont immer wieder die „organische Einheit der Mannigfaltigkeit“ im sehenden Blick oder in der „Projektion“ (GA II/13, 125), ja er spricht von einem „Gesez der Totalität des Mannigfaltigen“ (GA II/13, 117), durch das der die Bilder ersehende Blick stets an das Ganze der Bildwelt zurückgebunden ist. Wir haben vorhin davon gesprochen, daß das Bildermachen (und damit die „Einbildungskraft“) bei Fichte eben nicht ein freies Phantasieren meint, sondern auf die Maximierung von Sichtbarkeit verpflichtet ist – was nur im Horizont je alles Sichtbaren einen konkreten Sinn ergibt. In diesem Horizont der Sichtbarkeit erscheint aber nur, was nach dem Gesetz der Erscheinung über ihn als ganzen vermittelt ist, so daß in ihm das Sehen sich sieht und insoweit zu sich zurückkehrt. Jede wohlbestimmte Erscheinung ist damit, wenn man so will, ein Schluß, wie überhaupt die Erscheinung, die Kant, wie seine Kategorienlehre zeigt, vom Urteil her konzipiert hatte, bei Fichte vom Schluß her neu gedacht werden

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muß. Ausdrücklich lesen wir in der WL 1812: „Alles wirkl[iche] Sehen ist ein Ersehen, in der Form eines Schlusses“ (GA II/13, 147), und wenig später, im Kontext der Lehre von den „Blicken“ als „organischen Einheiten“, noch einmal: „Alles Sehen ist ein ersehen, ein Schliessen“ (GA II/13, 153). Das bedeutet zum einen, daß das Erscheinungswissen je und je überhaupt abschließbar oder schon abgeschlossen ist, was bei Fichte der These von der „faktische[n] Welt“ als einem „geschloßene[n] Ganze[n]“ (GA II/13, 158) entspricht. Damit ist, wie sich wohl versteht, nicht eine metaphysische These über eine schlechthin gegebene, sozusagen ontische Endlichkeit der Welt aufgestellt; wohl aber ist im Sinne einer transzendentalen Erscheinungslogik gesagt, daß es bestimmtes Wissen nur in Beziehung auf eine wirklich gegebene letzte Einheit der Mannigfaltigkeit geben kann, die ihrerseits als letzter Einheitshorizont alles Erscheinens erscheint. Wir gehen jetzt nicht auf die nächsten Schritte ein, mit denen Fichte eben aus dieser nochmals erscheinenden Einheit der Mannigfaltigkeit die Raumanschauung abzuleiten versucht, während das sich im Bilden der Bilder kontinuierende Sehen – der „reine Fluß“ der Einbildungskraft – in der Zeitanschauung abgebildet erscheint (vgl. GA II/13, 158 f.). Uns interessiert hier nur, daß Fichte – wie gesagt in der Linie des schon bei Kant anzutreffenden transzendentalen Holismus – jedenfalls kein Problem mit der Form der Endlichkeit des jeweiligen Wissens hat, ist diese „Endlichkeit“ doch nicht eine Endlichkeit im Sinne von fehlender Begründung oder von Kontingenz, sondern eine Endlichkeit, in der das Ende im Sinne eines inneren Telos des Erscheinens aufscheint. Dieses Telos aber liegt in der Form der Aufhebung unmittelbarer Mannigfaltigkeit in eine „organische“ Form, in der das Erscheinende immer zugleich als Moment des Sich-Erscheinens gewußt ist. Daß – nach Fichte – „alles Sehen ein Schließen“ ist, bedeutet aber über die Abgeschlossenheit und Abschließbarkeit der Vermittlung der Erscheinung hinaus noch das andere, daß die vollendete Welt der Erscheinung ihrer internen Struktur nach in sich schlußförmig ist. Das vollendete „System der Bilder“, das die WL geben will, würde insoweit in eine Einheit des Mannigfaltigen münden, in der alles aus allem nicht nur faktisch, sondern in evidenten, nachvollziehbaren Schlüssen („genetisch“) folgte. Es kann kein Zweifel bestehen, daß Fichte auch insoweit ein Ideal von apodiktischem Wissen zum Ausdruck bringt, von dem man sich immerhin fragen kann, ob es nicht wiederum allem Treiben von Wissenschaft zumindest als Ideal notwendigerweise zugrunde liegt. Wer sich indes mit dem „Ideal“ nicht begnügen will, der ist statt an die theoretische Erkenntnis des Äußeren der Sinne dann eher an das moralische Verhältnis zu verweisen, in dem Freiheitswesen zueinander stehen. Die eine Freiheit steht neben der anderen Freiheit ja nicht wie ein Ding neben dem anderen im Raume. Freiheiten verhalten sich zueinander auch nicht wie Subjekt und Objekt, so daß der einen eine Kausalität auf die andere, der anderen aber nur eine Rezeptivität für diese Kausalität zukäme. Freiheit verhält sich zu Freiheit vielmehr in der Tat wie ein Schluß, und zwar in dem Sinne, daß sich die Freiheiten wechselseitig als die Prämissen ein und desselben Sich-Erscheinens der Freiheit wissen. Fichtes prominentes Lehrstück von der „Anerkennung“ ist in gewisser Weise nichts anderes als die Lehre

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von der Freiheit als diesem Schluß, in dem jedes Freiheitswesen ebenso sehr Prämisse und damit aufgehobenes Moment wie zugleich die existierende Conclusio einer Wechselvermittlung ist. Wenn Fichte mit der Lehre von der Schlußförmigkeit der Erscheinung darüber hinaus auch auf die theoretische Weltstellung des Freiheitswesens zielt, mag er die Logik des Sich-Erscheinens der Erscheinung in einer Weise überdehnen, die vor allem der Natur als Natur nicht gerecht werden kann. Wiederum aber ist Vorsicht geboten, denn über eine Natur als Natur wissen wir Fichte zufolge nicht eben viel – und können aus transzendentallogischen Gründen darüber auch tatsächlich nicht sehr viel wissen. Natur, sagt Fichte in der WL 1812, ist im besten Fall „in gewisser Weise Darstellung der Sittlichkeit“ (GA II/13, 108) – Bild also des freien Selbstseins. Sie ist in diesem Sinne in den Kreis des schließenden Schlusses der Erscheinung eingeholt, oder sie ist in den Raum der Sichtbarkeit getreten, den die WL als „System der Bilder“ entfaltet. Es geht dann weniger darum, der faktischen Natur eine unmittelbar „schlüssige“ Kontinuität zum freien Selbstbewußtsein nachzusagen, was gerade nach Fichte schlechthin unmöglich ist. Es geht vielmehr um eine Selbstpositionierung des freien Selbstbewußtseins, für die auch die Natur als Medium der Freiheit, darin aber als selbst eine Freiheitsinstanz, ersichtlich ist. In Fichtescher Perspektive wird ein solcher Blick auf die Natur, der seine erste Instanz an unserer eigenen Leiblichkeit hat, nicht ohne Rückgriff auf eine indirekte Sprache der Totalität zu explizieren sein, die in der Thematisierung des Absoluten aus transzendentalphilosophischer Perspektive kulminiert. Erst in der rückkehrenden Reflexion auf das Ganze, das auch die Vermittlung der Sich-Erscheinung der Erscheinung, d. h. der Subjektivität enthält, kann indirekt, von den Grenzen des Sichtbarkeitsraums her, über Natur als selbst Moment eines Schlusses des Selbstseins gesprochen werden20. Das ist an dieser Stelle nun nicht mehr das Thema und muß es auch gar nicht sein. Es genügt hier durchaus, festzuhalten, daß nach Fichte überhaupt ein „schlüssiges“ Wissen zu haben ist, das ebenso theoretische wie praktische Dimensionen besitzt, das in jedem Fall aber ein Wissen des eigentlich freien Selbstbewußtseins, der sich erreichenden Freiheit ist. Eigentlich braucht es nicht mehr als diesen Hinweis, um auf die Frage „Warum Fichte?“ eine Antwort zu geben – eben die Antwort, daß Fichte uns lehrt, alles Wissen auf seine Kulmination in einem freien Selbstbewußtsein hin zu dechiffrieren. „Eigentlich“ heißt aber auch, daß die Arbeit in der Einholung dieses Wissens jederzeit neu zu beginnen hat – im Ausgang von der WL 1812 oder von welcher Seite auch sonst.

20 Cf. dazu Thomas Sören Hoffmann: Philosophische Physiologie. Eine Systematik des Begriffs der Natur im Spiegel der Geschichte der Philosophie, Stuttgart-Bad Cannstatt 2003, 488 – 509.

Fichtes Lehre vom Wissen als Bild und Kants Kritik der Vernunft Klaus Honrath Ich möchte in meinem Beitrag zwei der großen Denker des Deutschen Idealismus, Kant und Fichte, in ihrem Bemühen um erkannte und gelebte Freiheit einander gegenüberstellen. Dabei geht es mir vor allem darum, dieses Gegenüber zugleich als ein Miteinander gegen alle Versuche darzustellen, menschliche – vernünftige – Freiheit in ihrer Wirksamkeit zu relativieren bzw. zu bezweifeln. Fichte, der sich immer als auf den Schultern des Transzendentalphilosophen Kant stehend wußte, kann so auch in seinem Beitrag zur Erhellung des Kantischen Wissenschaftsprojektes der Philosophie gewürdigt werden. Ich möchte bei beiden Philosophen zeigen, daß sie sich nicht nur negativ zueinander verhalten, sondern vor allem auch ergänzen und sich gegenseitig erhellen. Damit sollen nicht die ja auch bekannten gegenseitigen Mißverständnisse und auch wirklichen Unterschiede geleugnet werden. Für den späten Kant war Fichte auf dem Weg des Überschwanges – wie in Kants Erklärung in Beziehung auf Fichtes Wissenschaftslehre vom 7. August 1799 deutlich wird1 –, und für Fichte hatte Kant viele tragende Momente seiner Philosophie noch nicht wirklich begründet und nur genial intuiert oder auch nur behauptet. Auch in der von uns zu betrachtenden Wissenschaftslehre (= WL) von 1812 sind ja diese Stellen deutlich. Aber wir können vielleicht doch in der aufmerksamen Lektüre der Philosophien unserer beiden Denker das Gemeinsame erkennen, und zwar nicht nur von der Intention oder vom Ziel her, sondern auch in der Durchführung der Untersuchung und der Darstellung der die Erkenntnis tragenden Momente. Aus der übergroßen Fülle an ertragreichen Gedanken, die auch die WL 1812 charakterisiert, versuche ich einen, vielleicht auch besonders wichtigen und weiterführenden Gedanken Fichtes herauszugreifen – den Gedanken des Wissens als ein Bild. Indem Fichte in akribischer Begriffsarbeit die Momente, die transzendental zur Erzeugung eines Bildes notwendig sind, herausarbeitet, sind bei ihm theoretisch gegenständliches Denken als schematisierter Reflex und das aktive Bilden als Moment praktischen Denkens oder des Denkens von Praxis als selbstentwerfendem Tätigsein 1

Kant: Erklärung in Beziehung auf Fichtes Wissenschaftslehre vom 7. August 1799, in: ders.: Gesammelte Schriften, hg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften/Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin/Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Berlin/New York 1900 ff. Im folgenden mit AA abgekürzt und mit Bandangabe in lateinischen Ziffern angegeben, hier: AA XII, 370 f.

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immer schon ineinander verwoben. Bei Kant fallen beide Momente auch in ihrem Bezug noch auseinander. Die Kritik der reinen Vernunft (= KrV) behandelt vor allem das Moment gegenständlichen, d. h. schematisierten Denkens, dem das lebendige Ich als Moment der Genesis dieses Denkens gerade abgeblendet bleibt, wo das „Ich denke“ nur als Funktion aufgefaßt wird und so nur als abstrakt-logischer Punkt dieses Denken tragen soll. An diesen Punkt soll bekanntlich die ganze Logik und Transzendentalphilosophie geheftet sein2. Die Kritik der praktischen Vernunft (= KpV) macht ein Ich mit den Momenten Wille und Willkür transparent und erschließt dessen Leben im Horizont von Autonomie und Freiheit. In Kants praktischer Philosophie ist aber gerade die für den theoretischen Vernunftgebrauch herausgestellte verstandesmäßige Trennung von Träger und seinen Vermögen oder Eigenschaften nicht mehr leitend. Für das vernünftige Subjekt sind zu seiner ursprünglichen Konstitution die für das verstehende oder verständige Denken notwendig separierten Momente seiner Wirksamkeit immer schon ineinander verwoben. Der Mensch als Vernunftwesen ist die Wirklichkeit des Willens und der Wille als Ausdruck des Sittengesetzes macht sich im empirischen Bewußtsein wirksam im Bewußtsein des Kategorischen Imperativs. In Kants praktischer Philosophie ist das Ich nicht so zu denken, daß es eine verstandesmäßig gedachte Substanz wäre, der dann auch noch Akzidentien wie z. B. Freiheit zukämen. Das Ich ist das zur Wirklichkeit gewordene Vermögen zur Freiheit. Nun ist es Kants eindringliches Bemühen, das Verhältnis dieser beiden immer schon aufeinander verweisenden Momente des Theoretischen und Praktischen im wirklichen menschlichen Selbstbewußtsein in ihrer Verbundenheit auch transparent zu machen. So ist es ein grobes Mißverständnis in bezug auf Kant, wenn man die KrV als das grundlegende und für alle Erkenntnisgebiete maßgebende Werk Kants ansieht. Vielmehr sollte man mit Kant die KrVals eine Art Propädeutik, als Einführung in die eigentliche Philosophie betrachten, die erst einmal mit grundlegenden Mißverständnissen und Zweideutigkeiten der alten Metaphysik aufräumen sollte3. Ein wirkliches Wissen der lebendigen Subjektivität kann es für Kant nur geben, wenn die Grenzen und das Gebiet des gegenständlichen Denkens, das vor allem ein Denken unter Leitung des Verstandes in seinem berechnenden Sinnlichkeitsbezug ist, deutlich aufgezeigt worden sind. Der letzte Zweck der Philosophie kann aber nur auf die Einsicht in das ursprüngliche Freiheitsvermögen des Menschen gehen, d. h. auf sein Vermögen freien Handelns. Und dieses Vermögen seines freien Handelns zeigt sich nur in dem Bewußtsein seiner Wirklichkeit, die zugleich eine Gesetzgebung der Freiheit bewußt macht. Übrigens ist erst von dieser unmittelbar gewußten Gesetzgebung aus analog eine Gesetzgebung für die Sphäre des Gegenständlichen denkbar. Diese Einsicht in Freiheit ist die ausgezeichnete Antwort auf die Theorie und Praxis zusammenfassende Frage: Was ist der Mensch? 2

Kant: Kritik der reinen Vernunft (= KrV), B 133, in: AA III, 109. Kant: Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnizens und Wolffs Zeiten in Deutschland gemacht hat?, in: AA XX, 260. 3

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Das tätige freie Ich, das wirkliche und wirksame Subjekt kann sich einerseits nur in seiner Negation in bezug auf alle Gegenstände bewußt werden. Dies kann man als die bloß negative Freiheit bezeichnen. Das gegenständliche Denken zeigt so auch immer schon dieses negative Moment an der Freiheit. Daß zuletzt auch aller theoretische Vernunftgebrauch dem praktischen dienen muß, war Kant klar, und er hat dies auch deutlich ausgesprochen4. Hier ist ein großes Verdienst von Fichte zu sehen, daß er dieses Verhältnis selber so herausarbeitet, daß die Freiheit des Ich es selber verlangt, sein Anderes, sein Nicht-Ich als Moment der Darstellung seines freien subjektiven Vermögens aufzufassen. Das Wissen selbst ist nur möglich als Erzeugnis genau dieser Setzung als ein Verhältnis von Ich und Nicht-Ich. Die vernünftige Subjektivität im Bewußtsein ihres freien Vermögens stellt sich ihre Umwelt immer auch in bezug auf ihr Handlungsvermögen vor. Die Umwelt wird zu Gegenständen, Objekten möglichen Handelns, und nur in dieser Beziehung entsteht das Interesse der Vernunft an einer theoretischen Erkenntnis. (Daß dieses theoretische Erkenntnisvermögen im Laufe der Entwicklung wirklicher Wissenschaften eine eigene Dynamik erfährt, braucht uns hier nicht weiter zu beschäftigen.) Nach dieser allgemeinen Einleitung zum Verhältnis theoretischer und praktischer Philosophie bei Kant müssen wir jetzt auf das eigentliche Thema des Vortrages, auf das Bild des Wissens zu sprechen kommen, also zur eigentlichen Frage: Was macht Fichte mit dem Bild des Wissens oder dem Wissen als Bild deutlich? Und zu den Anschluß-Fragen: Wie wird bei Kant diese Fragestellung behandelt? Können wir hier etwas Ähnliches finden? Und wie verhalten sich beide Positionen zueinander? Es kann in diesem kurzen Vortrag nicht darum gehen, die lange Geschichte des Begriffs „Bild“ in der Philosophie nachzuzeichnen. Es sollte aber doch auch bedacht werden, daß sowohl Fichte als auch Kant an diese lange Tradition anknüpfen und ihren durchaus neuen und originellen Beitrag für weitere Einsichten in diesen Begriff in bezug auf Freiheit daran anschließen. Schon in der Bibel z. B. taucht der Begriff des Bildes auf und gibt hier schon Anlaß zu unterschiedlichen Übersetzungen bzw. Interpretationen5. Wichtig für die abendländische Entfaltung der praktischen Philosophie ist die Rede von der imago Dei, weil hier das Dasein, die Gegenwart Gottes in der Lebenswelt des Menschen gedacht wird. Wenn wir vom jüdisch-christlichen Kontext absehen, so wurde auch der Pharao als das Abbild des Sonnengottes angesehen6. Aber diese Gegenwart soll gleichzeitig immer auch mit einem Auftrag, mit einem Handeln verbunden sein. Der Mensch ist Bild des Absoluten (Gott) und hat den Auftrag, die unerschöpfliche Fülle und Macht des Absoluten selbst zu einer gegenständlichen Darstellung zu bringen als weltlicher 4 Vgl. Kant: Logik, in: AA IX, 87; Kritik der praktischen Vernunft (= KpV), in: AAV, 121; interessant ist die Stelle KrV, B 501, in: AA III, 328, wo Kant den Praxisbezug des Empirismus kritisiert. 5 Gen. 1,26. 6 Jacob Jervell: „Bild Gottes I“, in: Theologische Realenzyklopädie, hg. v. Gerhard Krause und Gerhard Müller, Bd. 6, Berlin 1980, 491 – 498, hier: 492.

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Herr über alle Schöpfung7. Das Bild mit seinen Momenten Urbild, Vorbild, Abbild, Nachbild ist so als auch sinnlich aufnehmbare Darstellung von zunächst bloß Intelligiblem, von Gott, dem nous, dem logos, der Gerechtigkeit, der Liebe etc. aufgefaßt. Das Bild sollte die unfaßliche Fülle des Absoluten zu einer endlichen Darstellung bringen und damit auch zu einer Anschauung für endliche Wesen werden. Dieser Hintergrund ist Fichte, wie überhaupt seinen Zeitgenossen, noch präsent. Was ist nun sein Beitrag zu diesem Thema, der ihn für uns heute auch noch so anregend macht? Fichte zeigt, daß das Bildermachen oder das Bilden über diesen angesprochenen Kontext hinaus einen noch viel grundsätzlicheren Charakter für unser Erkenntnisvermögen beinhaltet. Fichte zeigt: Es ist konstitutiv für unser Wissen, daß wir in Bildern denken8. Wenn wir Gott denken, denken wir ein Bild von Gott, oder auch: wir bilden uns Gott ein; aber dies ist mit den als empirisch vorgestellten Gegenständen ebenso: wenn wir einen Stein oder eine Wand denken, machen wir uns ein Bild von diesen. Nun ist diese Einsicht für Philosophen nicht wirklich spektakulär. Nur wenige meinen, wir hätten nicht die Vorstellungen von den Dingen, sondern diese Dinge selber im Kopf. Interessant ist hingegen, was Fichte mit diesem Befund macht. Er holt ins Licht, was im Begriff des Bildes eigentlich alles als konstitutiv verborgen liegt. Es sei hier ein Zitat aus einer anderen Stelle zur Verdeutlichung angeführt: „[D]iese Wand [..] giebt sich also nur für ein äußeres Merkzeichen des selbstständigen Seyns, für ein Bild davon, oder, […] als das unmittelbare, äußere, Daseyn der Wand, und als ihr Seyn außerhalb ihres Seyns.“9

Am Bild als Bild, also wenn wir es theoretisch in seinem Gehalt auffassen wollen, zeigt sich schon ein Unterschied, der über das Bild hinausweist. Das, worauf das Bild hinweist, ist aber das eigentliche Ziel der philosophischen Untersuchung. Fichte spricht vom „überfaktische[n] Wesen“ der WL10. Denn es geht ja nicht um das Bild in seinem bloßen Sosein, sondern um das Bild in seinem Sosein, dem in seinem Sosein sein absoluter Grund seines Soseins transparent wird oder sich transparent macht. Fichte macht an obiger Stelle weiter deutlich: 7

Ebd. Bei Hegel heißt es hingegen: „Der Name ist so die Sache […] ohne Anschauung und Bild.“ „[D]er Name […] ist die bildlose einfache Vorstellung. Es ist in Namen, daß wir denken.“ (Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), §462, in: Gesammelte Werke, in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hg. v. der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Bd. XX, Hamburg 1968 ff., 459 f. 9 Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben oder auch die Religionsphilosophie (1806), in: ders.: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. Reinhard Lauth, Hans Jacob, Hans Gliwitzky, Erich Fuchs und Peter K. Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 – 2012. Im folgenden abgekürzt: GA, mit Angabe der Abteilung, des Bandes und der Seitenzahl, hier: GA I/9, 86 f. 10 Fichte: Die Wissenschaftslehre [aus dem Jahr 1812], in: GA II/13, 99. Im folgenden: WL 1812 – GA II/13. 8

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„Wir haben sonach […] im Denken darzuthun, daß das Bewußtseyn des Seyns, die Einzig mögliche Form und Weise des Daseyns des Seyns, somit selber ganz unmittelbar, schlechthin und absolute, dieses Daseyn des Seyns, sey. Wir leiten Sie zu dieser Einsicht auf folgende Weise: Das Seyn – als Seyn, und bleibend Seyn, keinesweges aber etwa aufgebend seinen absoluten Charakter, und mit dem Daseyn sich Vermengend und Vermischend, soll daseyn. Es muß darum, von dem Daseyn, unterschieden, und demselben entgegengesetzt werden; und zwar, – da außer dem absoluten Seyn schlechthin nichts anderes ist, als sein Daseyn, – diese Unterscheidung, und diese Entgegensetzung muß – In dem Daseyn selber – vorkommen; welches, deutlicher ausgesprochen, folgendes heißen wird: das Daseyn muß Sich selber als bloßes Daseyn fassen, erkennen und bilden, und muß, Sich selber gegenüber, ein absolutes Seyn setzen, und bilden, Dessen bloßes Daseyn eben es selbst sey: es muß, durch Sein Seyn, einem Andern absoluten Daseyn gegenüber, sich vernichten; was eben den Charakter des bloßen Bildes, der Vorstellung, oder des Bewußtseyns des Seyns, giebt […]. Und so leuchtet es denn, falls wir nur die aufgegebenen Gedanken vollzogen haben, ein, daß das – Daseyn des Seyns – nothwendig ein – Selbstbewußtseyn seiner (des Daseyns) selbst, als bloßen Bildes, von dem absolut in sich selber seyenden Seyn, seyn – Müsse, und gar nichts anderes seyn könne.“11

Diese Ausführungen sind schon 1806 veröffentlicht worden, und bereits hier taucht der wichtige Begriff des Sich-Vernichtens des Bildes auf. Wir werden darauf zurückkommen. Was Fichte hier schon deutlich macht, ist, daß das Bild eine Vorstellung des Äußerlichen, Anschaubaren sein muß, die aus sich selbst heraus weiterverweist auf ein X, dessen Bild es eben ist. Wir sind hier mitten in der Dialektik von absoluter Fülle und endlicher Darstellung. Die endliche Darstellung ist die Wirklichkeit des Absoluten – eben als Darstellung, Vorstellung, Bild –; zugleich ist in dieser Darstellung ein nicht darstellbares Moment des Überschusses „vorhanden“. Indem das Bild als Bild gewußt wird, regt sein Ungenügen das Bewußtsein an, über das Bild hinauszukommen. Fichte macht deutlich, daß alles Bemühen in dieser Richtung nur neue Bilder erzeugt und so dem Anspruch gerade kein Genüge tun kann. Die Anstrengung des Subjekts zur Bildung, zum Bilden der Bilder macht das Absolute gerade nicht verfügbar, sondern verstellt vielmehr den Weg der Einsicht. Die Selbstbeschränkung der Freiheit zum Bilden erst eröffnet dem Wissen eine Sphäre der Präsenz des Absoluten, die über den Mangel von feststellender Darstellung hinausgeht. In anderem Zusammenhang hatte Fichte dies als die höhere Erkenntnisstufe des Glaubens gegenüber dem Wissen versucht deutlich zu machen. Für Fichte ist das Absolute ein Moment im Begründungszusammenhang von wirklicher Freiheit und wirklichem Gegenstand-Sein. Das Absolute (z. B. unter dem Namen Sein) ist immer schon in jedem Bild, wenn wir es als Bild verstehen, präsent. Nur diese Präsenz ist nicht bildbar, sondern bleibt Aufgabe für eine andere Form des Denkens, die nicht in Bildern denkt. Hier wird der Weg bereitet für eine Einsicht in das Wissen, die die verstandesmäßige Engführung von Spontaneität des Denkens und Rezeptivität der Anschauung erweitert. Das Bilden zeigt sich selbst noch als eine Vermittlung auf diesem Wege. Das In-Bildern-Denken weist über sich 11

Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben, in: GA I/9, 87 f.

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hinaus. Es macht sich ein Moment des Denkens bewußt, dem seine die Idee verstellende Tätigkeit nun bewußt wird und das im Denken auf ein bzw. sein Sich-selbstAussprechendes warten will und kann. Sind wir hier aber nicht jenseits der kritischen Kantischen Philosophie? An genau dieser Stelle hatte Kant, wir werden gleich darauf zu sprechen kommen, den Überschuß nur auf das reflektierende Subjekt gelegt; bei Fichte ist es aber so gemeint, daß das Absolute selbst sich zeigt. Dies war schon immer ein Grundanliegen Fichtes, und in der WL von 1812 soll ein neuer, nun endlich ganz die Klarheit mit sich bringender Entwurf geliefert werden. Das Ich, das seiner selbst bewußte Subjekt, das SubjektObjekt im Bewußtsein seiner selbst, zeigt sich nur selber als Bild. Es ist Bild seines Vermögens zur Bildung. Das Ich, wie es sich im Wissen weiß, kann selbst immer nur ein Bild seiner selbst sein. Dies ist sein Charakter als Gegenstand des Wissens, als in sich selbst reflektiertes Objekt. Indem das Ich aber im Bewußtsein seiner Objekthaftigkeit sich selbst als Objekt auffaßt, zeigt es sich, daß es über ein bloßes Objektsein hinaus ist, daß es das Moment wirklichen Subjektseins in sich trägt. Hier kommt das Lebendige, Sich-selbst-Bewegende in den Blick. Fichte will damit das lebendige Moment des Wissens im Wissen selber zur Sprache bringen, bzw. es soll dieses – natürlich aus Gott gesetzte – Leben sich selber aussprechen. Es kann sich nur in Bildern aussprechen, wenn es ein Wissen sein soll, aber in den Bildern soll sich zugleich auch immer die Präsenz des Lebens offenbaren. Wie aber kann dieser Nukleus des Lebens sich offenbaren bzw. wie kann er philosophisch zur Sprache gebracht werden? Fichte versucht akribisch alle Momente der Erscheinung dieses Lebens (seiner Bilder) durchzugehen, um in ihrem Verweisungscharakter das aufscheinen, aufleuchten, sich melden zu lassen, was den Bildern Licht gibt. Wir müssen Fichtes Bemühungen dahingehend auffassen, daß er an den Beziehungen der zu Darstellungszwecken separierten Momente das Feststellende, das Mechanische, kurz das Verstandesdenken, das seine Momente für sein Verstehen getrennt halten muß, in Flüssigkeit bringen will. Das Flüssigwerden des Denkens ist aber nicht so zu verstehen, daß jetzt mit dem Relativieren des Verstandesdenkens alles schwankend und dunkel wird, wie ja Schopenhauer beim Vortrag der WL 1812 nicht ein Licht auf-, sondern ausging. Nicht das festgestellte, schematisierte Resultative, sondern die Bewegung seiner Erzeugung selber soll im Wissen hervortreten. Fichte zeigt, daß die apriorisch vorauszusetzenden Momente des Denkens selber in diesem Voraussetzen ein resultatives, festgesetztes Moment enthalten, das noch abgestreift, das heißt zur Erkenntnis gebracht werden muß. Das ist die tiefe Einsicht Fichtes, daß die Genesis der Erkenntnisformen selbst noch einer Einsicht harrt, und er ist es, der sich dieser Aufgabe unterwirft. Wir können hier den Versuch sehen, deutlich zu machen, daß im Vollzug des Selbstbewußtseins sich zugleich neben den Bildern immer auch das bewegende Moment, das bildende Moment an den Bildern mitgibt, das man intuitiv aufnehmen kann und von dem man das Schematisieren abhalten muß. Das Absolute, wenn wir dies

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Selbst-Bewegende, dieses Leben-aus-Sich so nennen wollen, liegt so in der Anschauung immer schon mit vor, ohne daß es als solches zum Bilde gemacht werden kann. Nur als Festgestelltes kann es ja Bild sein, das Absolute selber ist aber nicht feststellbar. Das in der Anschauung seiner selbst sich gebende Absolute macht sich bewußt als Prozeß seiner Genesis. Was sich hier zeigt, soll gerade nicht als Feststellung aufgefaßt werden, es soll gerade kein Urteil sein, sondern es soll in seinem prozessierenden Leben aufgenommen werden. (Wir können hier an Kants reflektierende Urteilskraft im Gegensatz zur bestimmenden Urteilskraft denken.) Das Absolute in seinem Lebensprozeß kann nicht faktisch festgestellt werden. „Das absolute ist kein Faktum“, so Fichte12. Das Absolute ist weder eine auffindbare Tatsache, noch ist es ein Gewordenes. Das Absolute selbst wandelt sich nicht, auch wenn sich an seinen Formen oder Bildern Veränderung zeigt bzw. zeigen muß. An dieser Stelle können wir eine Parallele zu Kant ziehen. Kant spricht ja in der KpV von dem einzigen Faktum der Vernunft: „Dagegen gibt das moralische Gesetz, […] ein schlechterdings aus allen Datis der Sinnenwelt und dem ganzen Umfange unseres theoretischen Vernunftgebrauchs unerklärliches Faktum an die Hand, das auf eine reine Verstandeswelt Anzeige gibt, ja diese so gar positiv bestimmt und uns etwas von ihr, nämlich ein Gesetz, erkennen läßt.“13

Und weiter: „Man kann das Bewußtsein dieses Grundgesetzes ein Faktum der Vernunft nennen, […] weil es sich für sich selbst uns aufdringt als synthetischer Satz a priori, der auf keiner […] Anschauung gegründet ist“14.

Kant kann dieses „sich für sich selbst uns“ Aufdrängende nicht Erscheinung nennen, da dieser Ausdruck für den Sinnlichkeitsbezug reserviert bleiben soll. Aber hier zeigt und offenbart sich etwas: denn das Bewußtsein des Grundgesetzes enthält doch eine ganze Fülle von Bestimmungen und Vermittlungen, die das Freiheitsbewußtsein zu einer Erkenntnis erheben sollen. Die Kantische praktische Philosophie macht ein Bewußtsein deutlich, in dem etwas erscheint, was es einerseits selbst ist, was aber andererseits ein übersubjektives, mit einem Willen ausgestattetes Lebendiges ist. Ein Lebendiges, das sein absolutes Leben an das Leben der Vernunft und das Leben der Sinnlichkeit vermittelt. Es ist die Vernunft selber, die dies will. Denn, wie Kant schreibt: Die reine Vernunft ist reiner Wille15 ; und beide, die „einerlei“ sind, haben objektive Realität16. Ist es aber nicht nur nicht abwegig, sondern hilfreich zum Verständnis der Kantischen Freiheitsphilosophie, wenn wir hier Fichtes Wort: „Die Erscheinung erscheint schlechthin sich“ in diesen Zusammenhang stellen?

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WL 1812 – GA II/13, 54. Kant: KpV, in: AA V, 43. 14 Kant: KpV, in: AA V, 31, Hervorhebung von mir, K.H. 15 Vgl. Kant: KpV, in: AA V, 109; Kant: Die Metaphysik der Sitten, in: AA VI, 213. 16 Kant: KpV, in: AA V, 55.

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Können wir nicht das Bewußtsein des Sittengesetzes insofern als ein Bild auffassen, das „Anzeige“ auf seinen Grund gibt? Ist der „praktische Kant“ nicht der Wegbereiter zum Sich-aufschließen-Lassen des Absoluten? Denn die „Anzeige auf die Verstandeswelt“ ist genau als dieses aufzufassen. Und ist Kant nicht auch zugleich über das Bilden des Bildes hinaus, indem er feststellt, daß sich im Denken ohne Anschauungsbezug ein Wirksames „aufdringt“? Später wird die Anschauung, wie sie in der KrV vorgestellt wurde, bei Kant durch die Arbeit an der Kritik der Urteilskraft noch einmal anders gefaßt: das bloße Stoffmedium für die Aufbereitung durch den Verstand soll nun auch enthalten ein Sich-selbst-Aussprechendes durch Anregung der Vernunftvermögen. Kant führte seinen Kampf gegen eine verknöcherte Metaphysik, die meinte, umstandslos aus dem Denken Gott und die Welt erkennen zu können. Er blieb darauf bedacht, das Andere des Anschauungsbezugs hochzuhalten. Kant hatte vielleicht allzu großen Erfolg damit, indem er zum Gewährsmann für diejenigen wurde, denen das Absolute immer schon lästig fiel. Sein Bemühen, das Absolute in der praktischen Philosophie als Erkenntnis neu zu fassen, konnte bei vielen nicht mehr diese – durch ein falsches Verständnis der Bedeutung der KrV hervorgerufene – Tendenz richtigstellen. Die deutschen Idealisten und gerade auch Fichte aber haben die Kraft der praktischen Philosophie gleich erkannt und sich nutzbar gemacht. So kann Fichte zu einer weiteren Auslegung des tätigen Ich, des unter seinem Gesetz freien Subjekts kommen, das eben gerade nicht das empirische Subjekt ist. Man kann vielleicht sagen, wo Kant sein System in die äußeren Vermittlungen zu vervollständigen versucht, die Aufnahme des politischen Denkens, des Rechtsdenkens, der Pädagogik, der Anthropologie, aber auch des religiösen Bewußtseins, versucht Fichte dies von der Wurzel her. Hier kann man ihm zustimmen: Diese Wurzel der Erkenntnis, die synthetische Einheit der Apperzeption, harrte durchaus noch der genaueren Untersuchung und der Reflexion ihres Lichtes. Was erscheint nun in diesem Lichte? Die Erscheinung als Sicherscheinung ist Erscheinung der Reflexibilität. Das sich selbst als Erscheinung Erscheinende kann sich nur aus einer vorausgesetzten Sache heraus erscheinen. Erscheinung kann sich nur erscheinen, wenn in ihr ein Prinzip liegt. Das Prinzip, der Ursprung oder das Gesetz der Sicherscheinung kann aber nicht an bloße Faktizität gebunden sein, sondern muß zugleich auch die Freiheit in der Gestaltung der Erscheinungen enthalten. Die Synthesis der Mannigfaltigkeit zur Einheit gründet in diesem Gesetz. Indem Reflexibilität erscheint, ist in ihr die Sichtbarkeit der Erscheinung mitenthalten. Die wandelnde Erscheinung macht ihre Wandlungen immer auch sichtbar. Man kann auch sagen, die Erscheinung ist nicht in sich verschlossen, sie hält nichts zurück, sie ist eben – Erscheinung. Das Subjekt-Objekt enthält in sich als Sich-Erscheinung zugleich seine Sichtbarkeit. Es wird sich sichtbar als Erscheinung, seine Sichtbarkeit zeigt dem Subjekt seine objekthafte Seite an, denn im „Als“ liegt die Sichtbarkeit der Einschränkung innerhalb der Sichtbarkeit. Darin liegt aber zugleich, daß im Sehen des Sichtbaren das zur „Einheit einer Lebensbestimmung“ Verschmolzensein aller seiner Momente enthalten ist. Für Fichte ist es gerade die Aufgabe der WL, dieses Ver-

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schmolzene, dem seine „Zusammengesetztheit“, wenn man dies etwas ungenau so bezeichnen darf, im unmittelbaren Bewußtsein gerade abhanden gekommen ist, durch die an ihm hervorzuhebenden Unterscheidungen einer Erkenntnis (Einsicht) zuzuführen. Dabei muß das Sachliche, Reale abgehalten werden, um dem Leben Raum zu geben. Im Selbstbewußtsein, im Bewußtsein des Selbst, in der ursprünglich-synthetischen Einheit der Apperzeption, im Ich selber liegt für Fichte das Moment, aus dem alle von Kant aufgeführten apriorischen Bedingungen der Möglichkeit nicht nur praktischer, sondern auch gegenständlicher Erfahrung wirklich abgeleitet werden können und nicht, wie Kant in der KrV ja getan habe, bloß anderwärts aus der Logik des Urteilens heraus aufgenommen werden müßten. Ob man Kant an dieser Stelle so auffassen muß, wie Fichte es tut, lassen wir dahingestellt. Wichtig ist vielmehr, daß Fichte zugleich den Hinweis Kants auf die ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption als Ausgangspunkt für seine eigene WL ansieht. Fichte kann die eigentliche Intention Kants richtig freilegen, wessen er sich ja auch durchaus bewußt ist, und er macht deutlich, daß mit der Verwendung des Begriffs der Vorstellung Kant nicht präzise genug geworden ist und so auch den Grund für Mißverständnisse gelegt hat. Denn Fichte hebt hervor, daß in der Vorstellung immer schon beide Momente, nämlich das Vorstellende und das Vorgestellte, enthalten sind. Nicht erst verschiedene Vorstellungen müssen synthetisiert werden, sondern jede Vorstellung ist schon Synthese von zwei Momenten. Die Vorstellung des Mannigfaltigen ist nur das Andere zum „Ich denke“ und so in einer notwendigen Beziehung. Nicht nur zur Einheit in einem Bewußtsein ist die Synthesis nötig, sondern das Mannigfaltige als Mannigfaltiges kann ebenfalls nur durch Synthesis so aufgefaßt werden. Das „Ich denke“ als Reflexibilität ist immer schon diese Beziehung oder, anders gesagt: es kann sich selbst nur verstehen als Entwurf dieser Beziehung17. In der Reflexibilität und ihrem Prinzip ist die „Sehe“, wie es Fichte nennt, enthalten. Man hat Kant ja vielfach so verstehen wollen, daß im Gemüte verschiedene Vermögen „verborgen“ sind und auch für die Transzendentalphilosophie verborgen bleiben müssen18. Für Fichte ist es aber von vorneherein klar, daß im Sich-Erscheinen des Selbst als Erscheinung die Sichtbarkeit selber erscheint. Die Sichtbarkeit tritt nicht hinzu. Die Erscheinung ist diese Sichtbarkeit wiederum als sichtbar Gewordenes, als Bild. Auch hier zeigt Fichte den praktischen Kant in einer weiteren Konsequenz. Wenn sich uns das Sittengesetz aufdrängt, dann muß darin enthalten sein, daß es uns seine ganze Fülle zum Bewußtsein bringen will. Was wir noch nicht verstehen wollen, macht sich uns im Gefühl der Achtung wirksam. Auch Kant geht es ja darum, daß man sich von interessierter Seite nicht mit einer angeblichen Verborgenheit, die ein Nicht-Wissen provoziere, herausreden kann. Daß in diesem Bewußtsein nichts verborgen bleibt und daß zugleich ein universell wirksamer Gehalt sich offen17 „Entwurf“ hier auch wieder in dieser Zweiseitigkeit von Tätigkeit und festgestelltem Resultat. 18 Vgl. Kant: KrV, B 180 f., in: AA III, 136.

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bart, wird durch Fichte deutlich ausgesprochen. Vom Kantischen Sittengesetz aus kann man die WL 1812 vielleicht besser verstehen, wie man mit dieser Version der WL auch das Sittengesetz vielleicht besser versteht. Wieder ist aber zu bedenken: Die Sichtbarkeit als Bild ist nicht die Sichtbarkeit selber. So ist das Bild des Bildens des Bildes nicht als das Bilden selber, gerade nicht als ein freies Schaffen zu verstehen – dies kommt ja nur Gott zu –, sondern es ist ein formales Bilden, durchaus im Kantischen Sinne, dem sein Inhalt von anderwärts als gegeben vorgestellt wird. Aber ist es das „Anderwärts“ im Sinne des theoretischen Vernunftgebrauchs? Nein, das Anderwärts ist eben das Nicht-Feststellbare des Grundes des Bildes als eines Sich-Bildens. Das Bilden des Ich als Bild muß als Vollzug transparent werden. Das „Ich denke“ ist nicht Ausgangspunkt, sondern Endpunkt eines Prozesses, dessen Momente die WL hervorheben will. Aber ebenso sind die Momente des Prozesses nicht (verstandesmäßig) selber die Ausgangspunkte des Prozesses, sondern der Prozeß ist vernünftig einzusehen in dem unzeitlichen Verwoben-Sein von Zweck, Mittel und Resultat. Die Synthesis des Mannigfaltigen und die Synthesis der Einheit werden in einer weiteren Synthesis zu einem komplexen Gedanken, und darin sieht Fichte den wichtigen Punkt, den Kant aufgezeigt, aber noch nicht entfaltet hat. Denn die synthetische Einheit der Apperzeption kann so – richtig aufgefaßt – zu einem Prinzip werden, aus dem heraus die Momente und ihr Zusammenwirken im Prozeß zu einer wirklichen Offenlegung dessen, was Wissen ist, hervorgehoben werden können. Der Prozeß wird nur sichtbar als ein Fortschreitendes, Sich-Wandelndes. Wie aber kann das Prinzip unendlichen Wandels sich sichtbar machen? Nur wieder, indem es sich verendlicht, zum Bilde schließt. Die „Grundsehe […] sie ruht auf dem vollendeten Bilde einer vollendeten und geschlossenen Principheit. Auf dem Bilde der Principheit“19. Das Sehen selber als Prinzip verendlicht sich, unterbricht sein Fließen und wird zum Blick. Die in und aus und durch sich unendliche Bewegung des Absoluten wird erblickt, erschaut, aber diese Schau kann nicht dieses prozessierende Absolute ab- oder einbilden, sondern im Erschauen selber liegt das Feststellen zu „einer Anschauung, eines was ist, nicht wird“20. Im Blick wird sich das Sehen seiner Bildhaftigkeit bewußt, indem es sich zur Gesetzgebung bildet. Fichte kann so etwas offenlegen, was Kant – dem es, wie gesagt, zunächst in der KrV darum ging, gegen die alte Gang-und-gäbe-Ansicht der Metaphysik erst einmal überhaupt die unhintergehbare Bezogenheit von Spontaneität des Denkens und Rezeptivität der Sinne unter einer ursprünglich-synthetischen Einheit deutlich zu machen –, was also Kant nie grundsätzlich in einer komplexen Darstellung nochmals neu aufgegriffen hat. Die Kritik der Urteilskraft muß zwar als ein erneutes Ansprechen der Anschauung unter dem erweiterten Gesichtspunkt der praktischen Philosophie der Freiheit aufge19 20

WL 1812 – GA II/13, 105. Ebd.

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faßt werden, aber das „als ob“ verhindert die tiefere Einsicht dessen, was in dieser nicht mehr so verengten Anschauung enthalten ist bzw. sich zeigt. So z. B. das Erhabene: es gefällt, wie Kant sagt, „für sich selbst“. Es setzt voraus, wir können vielleicht sagen: es zeigt sich im „Reflexionsurteil“. An diesem erhabenen „Gegenstand“ wird Unbegrenztheit vorgestellt und doch Totalität hinzugedacht. In dieser Vorstellung zeigt sich „Hemmung“ und „Ergießung“ zugleich, hier scheint „Ernst in der Beschäftigung der Einbildungskraft zu sein“. Das „Wohlgefallen am Erhabenen [enthält] Bewunderung oder Achtung“. Es zeigt sich etwas, das „unangemessen unserem Darstellungsvermögen und gleichsam gewalttätig für die Einbildungskraft“ ist. Der Gegenstand als solcher stellt die Erhabenheit nicht dar, „denn das eigentliche Erhabene kann in keiner sinnlichen Form enthalten sein, sondern trifft nur Ideen der Vernunft, welche, obgleich keine ihnen angemessene Darstellung möglich ist, eben durch diese Unangemessenheit, welche sich sinnlich darstellt, rege gemacht und ins Gemüt gerufen werden.“ In der Anschauung zeigt sich etwas, das „das Gemüt [reizt,] die Sinnlichkeit zu verlassen und sich mit Ideen, die höhere Zweckmäßigkeit enthalten, zu beschäftigen“21. Hier zeigt sich meines Erachtens die Schwierigkeit, mit der Kant zeitlebens ringt, einerseits die Notwendigkeit des gegenständlichen Darstellens nicht aufzugeben, sich aber andererseits auch nicht in der Einseitigkeit des Verstandesgebrauchs zu verstricken und damit das Freiheitspotential zu verspielen. Genau diese Schwierigkeit will Fichte beheben; er weist einen Weg, wie beide Momente vereint gedacht werden können, indem die wirksamen Vermittlungen hervorgehoben und bewußt gemacht werden. Wo Kant hier noch in der Darstellung versucht, das Widersprüchliche auseinanderzuhalten, macht sich doch auch zugleich die Einseitigkeit des Vorbehaltes in der Darstellung selbst schon deutlich bemerkbar. Die Präsenz des Absoluten in der Anschauung, im Bild, kann nicht mehr überzeugend dadurch entschärft werden, daß es bloß auf die Kappe der Subjektivität des Menschen genommen wird. Die letzten Versuche Kants im Opus postumum machen aber deutlich, daß Kant sich immer dieses Moments der Intransparenz in seinem philosophischen System bewußt blieb; daß hier noch etwas der Aufdeckung harrte. Der Schlüssel liegt aber nicht im theoretischen Verstandesgebrauch, sondern im praktischen Vernunftgebrauch. Die Wirksamkeit der Idee, des Willens, der mit Kant ja gerade nicht mit der individuellen Willkür verwechselt werden darf, sondern diese ja erst begründen kann, wird in der praktischen Philosophie Kants in einer Weise zur Sprache gebracht, die die deutschen Idealisten gleich auf die richtige Fährte gesetzt hat. Im Praktischen, in der Sphäre der Freiheit, der Sich-Bestimmung und der Sich-Begrenzung aus dem unbegrenzten Vermögen des Bestimmens und Begrenzens selber heraus, liegt der Weg zum sich aus sich öffnenden Absoluten, das sich im Wissen als Wissen zeigt. Das Wissen, das sich zum Selbstbewußtsein bildet, ist zugleich selbst das Vermögen, sich selbst transparent zu werden, es ist nur dieses Sichtbar-Werden selbst. Es wird sich sichtbar gerade nicht im bloß schematisierten Gegenstand, sondern indem 21

Kant: Kritik der Urteilskraft, in: AA V, 245 f.

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sich am „Gegenstand“ sein nicht-schematisierbares Moment mitteilt. Der Schematismus, die Regel für die Ein-Bildungs-Kraft, die Regel für das Vermögen, Bilder für den weiteren Verstandesgebrauch zu erzeugen, enthält selbst mit seiner Gesetzeskraft einen Hinweis auf seine tiefere Abkunft, die Kant kannte, aber nicht als Erkanntes zur deutlichen Darstellung bringen konnte. In der KrV nennt er den Schematismus „eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten, und sie unverdeckt vor Augen legen werden“22. Aber die KrV als Kritik des theoretischen Vernunftgebrauchs hat ja nicht das letzte Wort. Die Kritik des praktischen Vernunftgebrauchs relativiert den Schematismus entsprechend als ein Moment äußerlichen Denkens23. Für Fichte zeigt sich durch das Gesetz hindurch die Abkunft aus einem absoluten Willen, sich selbst als Moment seines Seins als Dasein zu wissen, d. h. sich zu einem Bild zu machen. Was liegt nun näher, als das, was sich im Bewußtsein der Wirksamkeit des Sittengesetzes als eines im empirischen Vernunftwesen wirksamen Momentes gezeigt hat, aus seiner bloß praktischen Engführung herauszuführen. Das Sittengesetz gibt einen Hinweis auf eine Gesetzgebung, die nicht nur für menschliches Handeln Geltung beansprucht, sondern Ausdruck des Willens des Absoluten zur Darstellung seiner selbst in der Ordnung seiner Freiheit überhaupt ist. Die Wirksamkeit der Idee der Vernunftordnung erstreckt sich auf die Gestaltung der menschlichen Welt, auf die natürliche Umwelt, auf die gesellschaftliche Umwelt und auf die Bildung der Einzelwesen in einem wechselseitigen Gesamtzusammenhang. Die empirischen Vernunftwesen Menschen wissen sich aufgerufen, aus Freiheit die Ordnung als Nachbildung zu bilden. Darin ist von Anfang an die Idee der Bestimmbarkeit der Natur zu dieser Ordnung enthalten, eben weil die Natur selbst ein Moment dieser Vernunft des Absoluten sein muß. Sie muß es sein, nicht weil wir sie uns bloß so denken, sondern weil sie sich so zeigt. Die Natur zeigt sich ja selbst in ihrem bloßen Dasein als eine Natur, als ein intelligibler Zusammenhang, und der Organismus ist ein Bild dieser Wirklichkeit. Die Trennung der Natur von der Vernunft ist selbst ein Bild, das wir uns machen, um Verfügung über sie zu erlangen. Aber dieses Bild ist nicht Bild der Natur als natura naturans, aber auch nicht der natura naturata; denn die Natur wird nicht mehr als selbst lebendige Schöpfung aufgefaßt, sondern sie soll Natur in einer bloß äußerlichen, abstrakten Mechanik dargestellt sein. Mit der Vernunft verschwindet auch das Leben aus der Natur, das Leben wird zum Bilde eines nur etwas komplizierteren Mechanismus. Dieses Bild ist aber gerade nicht das Bild der lebendigen Natur, sondern das Bild einer toten Landschaft. Wie dabei auch das Bild des Menschen alles Menschliche verliert. In der Untersuchung des praktischen Vernunftgebrauchs durch Kant zeigte sich ein Moment der Bewußtwerdung, die er deutlich von der Einbildungskraft unterschied. Das Bewußtsein des Kategorischen Imperativs ist „gewirkt“ durch reine Vernunft und begleitet (ebenso durch diese Wirksamkeit) von einem „Gefühl der Ach22 23

Kant: KrV, B 180 f., in: AA III, 136. Kant: KpV, in: AA V, 68 ff.

Fichtes Lehre des Wissens als Bild und Kants Kritik der Vernunft

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tung“. Das Vermögen der Vernunft, auch Gefühle zu erzeugen, das im Denken Erzeugte sinnlich werden zu lassen, zeigt auch ein Moment der Unverfügbarkeit von Vernunft, die sich eben nicht nur der menschlichen Freiheit darbietet, sondern die seine ganze sinnliche Existenz notwendig durchdringt oder auch schon immer durchdrungen hat. Die Freiheit des Menschen zeigt sich als Moment der ursprünglichen Freiheit der Vernunft, die sich in ihrem Willen ausdrückt, sich als das darzustellen, was sie immer schon war, nämlich das ursprüngliche Vermögen ihrer Selbstdarstellung im Bilde eines Prozesses, der sich seiner Prozeßhaftigkeit unter einer Gesetzgebung auch bewußt ist. Der sich seiner selbst bewußte Mensch ist dieses Bild der sich ihrer selbst bewußten Prozeßhaftigkeit, dem sich im Wissen die Momente dieses Prozesses aufschließen, und damit wird ein Erkennen dieser Totalität ermöglicht. Bei Kant erzeugt die Vernunft ohne Einbildungskraft (denn diese ist auf das sinnlich-feststellende Moment beschränkt) ein Gefühl der Achtung und ein Bewußtsein von unbedingter Verpflichtung und Gesetz. Indem Fichte zeigt, daß in der Einbildungskraft, wie auch auf ihrem Gebiete der Anschaulichkeit, durchaus schon mehr enthalten ist als bloß das Andere der Vernunft, nämlich das der Rezeptivität Korrespondierende, kann er die Kraft zum Bilden, aber auch das Bilden und das Bild selber allgemeiner fassen und für alles Wissen, das praktische und das theoretische, fruchtbar machen. Damit ist auch die Notwendigkeit der unterschiedlichen Sichtweisen oder Standpunkte nicht mehr gegeben. Die Freiheit des Willens (des Absoluten), seine Notwendigkeit darzustellen, ist immer schon in seinem ersten Bilden enthalten. Das Selbstbewußtsein, als Bild aufgefaßt, enthält ursprünglich diese Disjunktion als Einheit und zugleich diese Einheit als Disjunktion. Der Widerspruch ist wirklich und ein Moment des Erkennens, indem hier das Bedürfnis der Überwindung der Statik des Festgestellten entsteht. Das SichZeigen des lebendigen Prozesses ist notwendig ein Bild dieses Absoluten, dessen distanzierende Nähe oder dessen sich nähernde Distanz immer präsent bleibt. Das Wissen der Beschränktheit, das selbst ein Moment wirklichen Wissens ist, ist für Fichte – wie für Kant – nicht mit dem Bedauern zu versehen, daß es eine Wirklichkeit, ein Sein oder wie immer wir unsere Worte wählen wollen, gibt, das sich uns entzieht, sondern das Wissen ist selbst in sich transparent und enthält alle Momente zu seiner Konstitution. Die Freiheit des Menschen besteht gerade darin, seine „schreckliche“ Freiheit24, das Selbst-Zerstörerische an der Freiheit aus freier Einsicht zu beschränken, es unter die Produktivität der positiven Freiheit zu stellen und damit sich einzufügen in die Ordnung der Vernunft, die nicht bloß eine Ordnung für den Menschen ist, sondern die Ordnung schlechthin, auch dies wiederum als ein Bild des Absoluten durchaus wißbar. Indem das Wissen in der Form von Bildern sowohl in bezug auf die Gegenständlichkeit der Natur zur Verfügung des Menschen als auch auf die Freiheitsvermögen des Menschen eine grundlegende und unhintergehbare Bedeutung erhält, zeigt sich 24

Kant: Moral Mrongovius, in: AA XXVII, 2.2, 1409.

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in der Bildhaftigkeit beider Momente zugleich auch eine noch viel stärkere Bezogenheit dieser Momente aufeinander, als sie in der zur damaligen Zeit veröffentlichten Kantischen Philosophie eine Darstellung erfahren konnte. Sie sind in ihrer Wirklichkeit immer schon aufeinander bezogen und durch das Absolute im Bilde vom Ich nicht nur zusammengebracht und zusammengehalten, sondern immer auch schon ursprünglich hervorgebracht. Im Bewußtsein, daß das Ich Bild ist, lassen sich die Momente freien Bildens und notwendigem Bildseins und alle ihre darin weiter enthaltenen Vermittlungsschritte deutlich machen. Fichte gelingt dies. Daß der Mensch als ein Moment dieses Prozesses sich selbst als Bild weiß, eröffnet ihm als Freiheitswesen die Möglichkeit, gerade in der Selbstbeschränkung, in der Vernichtung des Hegemoniestrebens, das Absolute in ihm zu seinem wahren Leben zu erwecken. Die Schau des Absoluten steht so wieder – wie schon bei Platon – nicht am Beginn des Wissens, sondern an seinem Ende. Indem sich das Wissen transparent wird, leuchtet das Licht ungetrübt und der Mensch erfüllt seine Bestimmung. Das Sittengesetz zeigt sich als ein Bild, das Bewußtsein des Kategorischen Imperativs als ein Bild des Bildes, das wiederum das Bild von einer sittlich guten Handlung entwirft. Dem „Herabbilden“ des Absoluten zur sittlichen Tat korrespondiert das „Heraufbilden“ des Bewußtseins zur Selbstvernichtung des Einzelwillens, zur Niederschlagung des Hochmuts, um das allgemeine Gute sich vernehmbar zu machen. Sowohl Kant als auch Fichte sehen darin die Eröffnung der Teilhabe des Menschen in seiner Einzelheit an seinem eigentlichen Selbst, das eben sein allgemeines Gut ist. So steht Fichte nicht etwa im Schatten Kants, sondern er hat seine selbstbewußte Stellung durchaus neben Kant – im gleichen Licht der Vernunft bzw. des Absoluten.

Zurück zu Kant? Fichtes späte transzendentale Phänomenologie Christoph Binkelmann In der Forschungsliteratur zum Spätwerk Johann Gottlieb Fichtes ist es zumindest nicht unüblich, dem späten Fichte eine Rückkehr zu Immanuel Kant zu attestieren1. Wie ein verlorener Sohn kehrt der auf metaphysische Abwege geratene, in Mystik und realistische Lebens- oder Seinsphilosophie verfallene Sohn und Schüler Fichte wieder in die vertrauten Arme der Kantischen Transzendentalphilosophie zurück, der er eigentlich schon immer angehört hat. Ein derartiger Interpret des Fichteschen Denkweges meint es auch gut mit ihm; denn das Attest von Fichtes Rückkehr zu Kant gewährt jenem Einlaß in die Gemeinschaft der für unsere Gegenwart interessanten Autoren: Die Mißachtung, welche die analytische Philosophie auf den deutschen Idealismus immer noch wirft – obzwar in abgemilderter Form und mit generösen Ausnahmen versehen –, trifft Fichte gerade dann am vehementesten, wenn er sich nicht in Reichweite der Kantischen Philosophie aufhält; als dessen Verbesserer und Durchdenker darf er sich hingegen einer gewisser Aufmerksamkeit erfreuen. Dem späten Fichte eine Annäherung an Kant zu bescheinigen, bedeutet daher immer auch – denn selbst philosophische Forschung trennt sich niemals gänzlich von strategischen Überlegungen –, dem späten Fichte eine Daseinsberechtigung im heutigen Forschungszirkus auszustellen. In inhaltlicher sowie formaler (d. h. terminologischer) Art ist Fichtes Rückkehr zu Kant in der Spätphilosophie auch durchaus zu rechtfertigen. Das will ich im folgenden am Beispiel der Wissenschaftslehre von 1812 demonstrieren. Bereits ein erster flüchtiger Blick scheint die Nähe zu Kant zu bestätigen: So steht im Zentrum dieser Vorlesung eine Theorie der Erscheinung, die mittels der Unterscheidung von Anschauung und Begriff, der transzendentalen Apperzeption, einer Urteilslehre etc. illustriert wird. Fichte arbeitet sich darin deutlich und unbestreitbar an Kants Ausführungen aus der Kritik der reinen Vernunft ab. 1812, acht Jahre nach dem Tod des Königsberger Philosophen, an der neugegründeten Berliner Universität mag dieser Anschluß an Kant zwar nicht abwegig sein, aber doch auch nicht auf der Hand liegen. Zumal Fichte selbst im Jahrzehnt zuvor eine eigenständige Terminologie und Theorie entwickelt hatte, womit er seine Rolle als Kant-Exeget, die ihm in Jena noch zugekommen war, eindeutig abgelegt hatte. Dennoch scheint Fichte zurück zu Kant zu 1 Diese Rückkehr zeigt sich in der Anknüpfung an Themen aus Fichtes Jenaer Zeit, die der „frühe späte Fichte“ (ca. 1801 – 1806) nicht in den Fokus seiner Untersuchungen stellt. Vgl. Günter Zöller: „Fichte in Berlin in München“, in: Fichte-Studien 28 (2006) 1 – 15.

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wollen und dies mit einer Vehemenz zu demonstrieren, als handle es sich um das reumütige Eingeständnis, durch fremde Einflüsse, insbesondere an Friedrich Heinrich Jacobi ist hier zu denken, auf Abwege geraten zu sein2. Andererseits bleibt ein dickes Fragezeichen hinter der Formel „Zurück zu Kant“. Und es soll auch am Ende dieses Beitrags stehen bleiben. Ich hoffe, ich habe jetzt nicht die Spannung rausgenommen. Aber zu deutlich sind die Beispiele aus Wissenschaftslehren anderer Zeiten, etwa der mittleren Schaffensperiode Fichtes, die einen engen Kontakt zu Kant nahelegen. Man denke nur an den Anfang in der Wissenschaftslehre von 1804 (zweiter Vortrag), worin Fichte die Dreiteilung von Kants Kritiken inklusive der Zweiteilung in phänomenale und noumenale Perspektive zum Ausgang seiner Suche nach dem Absoluten nimmt. Oder auch weniger beachtet: In der Erlanger Wissenschaftslehre von 1805 koppelt Fichte seine Theorie der Erscheinung (die dort Existenz genannt wird) an eine Verhältnisbestimmung von Anschauung und Begriff, die in eine transzendentale Urteilslehre mündet3. Zudem bleiben die Auseinandersetzung mit dem Absoluten und die Abarbeitung an Jacobis Spinoza- und Nihilismus-Kritik auch in der Wissenschaftslehre von 1812 Thema: Zur Einführung in sein eigenes Denken wählt Fichte Spinozas Theorie des Absoluten, durch deren konstruktive Kritik der Eingang in die Transzendentalphilosophie aufgedeckt wird4. Vielleicht ist es daher auch richtiger zu behaupten, daß Fichte immer schon zurück zu Kant gekehrt ist. Aber eben deshalb verhält es sich wie bei jeder Rückkehr so, daß Fichte auch schon eine längere Zeit im spekulativen Ausland verbracht hat und die Kantische Philosophie wie ein Fremder zu betrachten vermag, oder besser – auch in unserem Bilde gesprochen: wie einer, der nach langer Zeit in seine Heimat zurückkehrt und dort alles anders und doch so vertraut vorfindet. Daher gilt, daß ein „Zurück zu Kant“ immer auch schon von den Jenaer Anfängen bis zum Berliner Ende ein „Über Kant hinaus“ bedeutete – eben ein „Zurück in die Zukunft“. Ich will im folgenden keinen direkten, objektiven (d. h. von außen, über Fichtes Kopf hinweg vorgenommenen) Vergleich zwischen Fichtes und Kants Konzeption anstreben; zuviel ist darüber geschrieben, als daß man ernsthaft seine Stimme zu erheben wagen könnte (zumindest in diesem Rahmen). Vielmehr werde ich versuchen, Fichtes eigenen Versuch zu schildern – und in der Potenzierung des Versuchs potenzieren sich freilich die Ungenauigkeiten –, will ich also schildern, wie Fichte selbst seine Wissenschaftslehre in das Verhältnis zu Kants (theoretischer) Philosophie setzt. 2 Diese mögliche Annäherung Fichtes an Jacobi kann vor allem an der Bestimmung des Menschen (1800) festgemacht werden. Vgl. dazu kritisch: Ives Radrizzani: „Die Bestimmung des Menschen: Der Wendepunkt zur Spätphilosophie?“, in: Fichte-Studien 17 (2000) 19 – 42. Mit dem Verhältnis Fichte – Jacobi befaßt sich auch der Band 14 der Fichte-Studien (1998). 3 Diese überaus originelle und bislang in der Forschung vernachlässigte Urteilstheorie habe ich dargestellt in meinem Beitrag „,Die absolute Relation ist das Licht‘. Urteil, Licht und Sein in Fichtes Erlanger Wissenschaftslehre“, in: Fichte-Studien 34 (2010) 67 – 87. 4 Damit demonstriert Fichte, daß er einerseits Jacobis Kritik an Spinoza teilt, andererseits selbst nicht einem Spinozismus anheimfällt.

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Und womöglich steckt dahinter nichts anderes als ein Bemühen um Resozialisierung eines philosophischen outlaws. In concreto werde ich zunächst die zur Genüge bekannte Vorgeschichte zu Beginn der 90er Jahre des 18. Jahrhunderts erwähnen, um anschließend die Wissenschaftslehre von 1812 an die Thematik anzuschließen. Dies dient dazu, die zeitliche Kluft von der Debatte um Kants Kritik der reinen Vernunft zur späten Philosophie Fichtes in thematischer Hinsicht zu überbrücken. I. Vergangene Vorgeschichte: Erscheinung vs. Ding an sich Bereits die Zentralität des Begriffs der Erscheinung in Fichtes Wissenschaftslehre von 1812 legt die Nähe zu Kant nahe. Denn schließlich waren es just dieser Begriff und seine Verwendungsweise, die nach dem Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft für Aufsehen gesorgt hatten. Dabei wollte Kant kraft dieses Begriffes eine skeptische Beschränkung der Reichweite menschlichen Wissens vornehmen, die insbesondere der dogmatischen Metaphysik zuwiderlaufen und der Humeschen Skepsis nicht anheimfallen wollte. Doch in der Folge traten am wirkmächtigsten Friedrich Heinrich Jacobi und Gottlob Ernst Schulze auf den Plan, um den Fokus von der Erscheinung weg auf ihren Gegenbegriff, das Ding an sich, zu lenken. Sie erweckten damit zweierlei Eindrücke, die bis heute die Forschung über Kant und den deutschen Idealismus prägen: erstens, daß Kants Theorie der Erscheinung auf der These (der Unerkennbarkeit) des Dinges an sich gründet und nicht umgekehrt; zweitens, daß der Streit um das Ding an sich zum eigentlichen Auslöser und fortgeführten Thema des deutschen Idealismus avancierte. Jacobi und Schulze kritisieren bekanntlich unisono an Kants kritischer Philosophie, daß ihre Beschränkung menschlicher Erkenntnis auf die Erscheinung nur mittels der Einführung eines Dinges an sich vollzogen werden könne. Denn in der Erscheinung drückt sich ein Sachverhalt aus, den Heidegger beschreibt als „das Sichmelden von etwas, das sich nicht zeigt, durch etwas, was sich zeigt. Erscheinen ist ein Sich-nicht-zeigen“5. Auf diese Weise thematisiert Kant etwas, nämlich das Ding an sich, das er innerhalb seiner Philosophie nicht thematisieren darf, das er aber thematisieren muß, um auf den Standpunkt seiner Philosophie, der derjenige der Erscheinung ist, zu gelangen: Ohne Ding an sich kommt man nicht in die transzendentale Erscheinungslehre, mit Ding an sich darf man sich darin aber nicht aufhalten. Nun klingt es aus dieser Sicht plausibel, daß angesichts einer Beschränkung des Wissens auf Erscheinung das Ding an sich nicht im Rahmen des kritischen Wissens thematisiert werden könne und dürfe. Kant mache sich deshalb eines Widerspruchs schuldig, der vieles zeigt, aber vor allem, daß er seine kritische Beschränkung selbst nicht einhalte. Kant hält sich nicht an die Erscheinung – das Sich-Halten an die Erscheinung ist ein Schlagwort des antiken Skeptizismus und seiner Kritik am Dogmatismus, in welchen die kritische Philosophie in den Augen vieler letztlich wieder zu5

Martin Heidegger: Sein und Zeit (1927), Tübingen 192006, 29.

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rückfällt6. Schulze wird unter dem Pseudonym des antiken Skeptikers Aenesidemus Kants dogmatische Verfehlungen aufdecken. Neben seiner prominenten Kritik an Kants angeblicher Konzeption des Dinges an sich unterzieht er ebenso das transzendentale Ich (und dessen Kategorienapparat), das er mit Kant unter dem Begriff des Gemüts faßt, einer kritischen Untersuchung: Kant lasse es, so Schulze, letztlich offen, „was dieses Gemüth, das nach ihm als die Quelle gewisser Bestandtheile in unserer Kenntniß zu denken seyn soll, eigentlich sey; und läßt es vielmehr den Lesern seines Werkes frey, darunter ein Ding an sich, oder ein Noumenon, oder eine Idee zu verstehen“7.

Schulze zeigt angesichts der drei Alternativen die Unmöglichkeit, das Ich in Einklang mit den sonstigen Ausführungen der Kritik der reinen Vernunft zu bringen. Das Gemüt kann auf keinen Fall die Erscheinung auf ähnliche Weise bestimmen wie ein Ding an sich. Doch welchen Status besitzen dann die Verstandesbegriffe, die Anschauungsformen, das transzendentale Ich oder überhaupt die Unterscheidung von Anschauung und Verstand? Sie können nicht wie die Empfindungen lediglich vorgefunden werden, sonst wäre ihr Status aposteriorisch. Andererseits kann der kritische Philosoph ebensowenig einen Einblick in sein Ich als Ding an sich beanspruchen, sonst verließe er – diesmal gleichsam durch die Hintertür – die kritische Philosophie. Es ist evident (zumindest unter Fichte-Experten, weshalb ich hier einen shortcut nehme), daß Jacobi wie auch Schulze, verleitet durch ihre „realistische“ Perspektive, dem Kantischen Ich stets eine Psychologisierung aufzwängen, als sei dessen Realität vergleichbar mit der Realität von Dingen. Dies gilt auch schon für das Ding an sich, wie dies Hegel auf seine unnachahmliche Weise in bezug auf Schulze treffend auf den Punkt gebracht hat: „die speculative Philosophie [hier: Kant und Reinhold] wird beständig so vorgestellt, als ob vor ihr unüberwindlich die gemeine Erfahrung in der unverrückbaren Form ihrer gemeinen Wirklichkeit ausgebreitet als ihr eiserner Horizont vorliege, und sie hinter diesem die Dinge an sich ihres Horizonts, als Gebirge von einer ebenso gemeinen Wirklichkeit, die jene andere Wirklichkeit auf ihren Schultern trage, vermuthe und aufsuchen wolle; das Vernünftige, das An sich kann sich Hr. Sch[ulze] gar nicht anders vorstellen, als wie einen Felsen unter Schnee; dem Katholiken wandelt sich die Hostie in ein göttlich-lebendiges; hier geschieht nicht, was der Teufel von Christus begehrte, Stein in Brod zu wandeln, sondern das lebendige Brod der Vernunft verwandelt sich ewig in Stein.“8 6 Vgl. dazu Sextus Empiricus: Grundriß der pyrrhonischen Skepsis, hg. von Malte Hossefelder, Frankfurt a. M. 1985, 99 (I, 23). Das Sich-Halten (prosechein) an die Erscheinung impliziert das Zurück-Halten (epechein) von Urteilen über die verborgenen, d. h. nicht erscheinenden Dinge. 7 Gottlob Ernst Schulze: Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Prof. Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie, ohne Ort 1792, 166. 8 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Verhältniß des Skepticismus zur Philosophie, Darstellung seiner verschiedenen Modificationen, und Vergleichung des neuesten mit dem alten (1802), in: ders.: Gesammelte Werke, in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemein-

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Kurz: das Ding an sich wie auch das Ich werden als Fossil, als Petrefakt vorgestellt: Zu Beginn der Philosophiegeschichte war ein Steinmetz Philosoph, heute sind alle Philosophen Steinmetze. Bereits Salomon Maimon, also der von Kant selbsternannte alleinige Kant-Versteher, hat gegen Schulze weniger polemisch, mehr sachlich eingewendet: „Die Kritik der reinen Vernunft bestimmt das Gemüth nicht als Ding an sich, nicht als Noumenon, und auch nicht als Idee. Das Gemüth bedeutet bei ihr nichts anders als das ganz unbestimmte Subjekt der Vorstellungen, worauf sie sich alle beziehen. Die Bestimmung dieses Subjekts als Ding an sich, als Noumenon oder als Idee würde dasselbe zur Vorstellung seiner selbst machen. Es würde also nicht mehr bloß Subjekt der Vorstellungen seyn. Es muß daher, seinem Begriff gemäß, unbestimmt bleiben. Es wird bloß als das logische Subjekt aber nicht unter der ihm entsprechenden Kathegorie d. h. nicht einmal als Noumenon gedacht.“9

Der Tenor von Maimons Aussage ist klar: Kant oder besser: sämtliche Aussagen aus der Kritik der reinen Vernunft halten sich an die Erscheinung, d. h. sie übersteigen diese nicht in Richtung eines Dings an sich, sei dies als Ding-Ding an sich oder als Ich-Ding an sich zu verstehen. Erst durch die Epoche dieser Fragen nach dem Ding an sich tut sich der eigentliche Horizont der Transzendentalphilosophie auf, nämlich die Erscheinung, die eben nicht ein Verhältnis ist, das aus der (unerklärlichen) Interaktion von Ding an sich und Ich an sich entsteht, sondern das prinzipielle Verhältnis, aus dessen Selbstauslegung (also Selbstverhältnis) alles Weitere zu folgen hat. Die realistische Brille, durch welche Jacobi und Schulze Kant anblicken, geht von einem Primat der Relata aus, die als vorneweg existierende Entitäten – wie Steine – aufgefaßt werden und das Verhältnis der Erscheinung konstituieren, dann aber nicht mehr in diesem Verhältnis thematisiert werden können. Statt dessen erkennt Maimon in Kants Denken einen Primat der Relation: Es ist die Erscheinung, die von Anfang bis zum Ende Thema der kritischen Philosophie ist und aus deren Selbstauslegung sämtliche Aussagen zu folgen haben10. Es ist dieses Verständnis der kritischen Philosophie, das Fichte dazu führt, in Maimon einen „der grösten Denker unsers Zeitalters“ zu sehen11. Denn auch bei Fichte ist Wissenschaftslehre im eigentlichen Sinne Phänomenologie, nämlich (logische) schaft hg. v. der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Bd. IV: Jenaer Kritische Schriften, Hamburg 1968 ff., 201. 9 Salomon Maimon: Gesammelte Werke, Bd. 5, Hildesheim 2000, 413. 10 Diese Umkehrung der Perspektive, also nicht vom Relatum, dem Ding an sich, sondern von der Relation, der Erscheinung, auszugehen, kann als Maimons höchstes Verdient in der Kant-Deutung angesehen werden. Dies kennzeichnet auch Jan Bransen als die herausragende Leistung Maimons in diesem Streit (The Antinomy of Thought. Maimonian Skepticism and the Relation between Thoughts and Objects, Dordrecht/Boston/London 1991, 60). 11 Johann Gottlieb Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794/95), in: ders.: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. Reinhard Lauth, Hans Jacob, Hans Gliwitzky, Erich Fuchs und Peter K. Schneider, Bd. I/2, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 – 2012, 368. Im folgenden abgekürzt: GA, mit Angabe der Abteilung, des Bandes und der Seitenzahl.

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Selbstauslegung der Erscheinung – und eben keine Absolutheits- oder Wahrheitslehre, bzw. ist diese nur als integraler Bestandteil von jener aufzufassen12. Aus diesem Grund sind die zentralen Strukturelemente wie die transzendentale Apperzeption, Anschauung und Begriff, Subjekt und Objekt etc. pp. aus der Erscheinung selbst zu entwickeln, nur so ist der Verbleib innerhalb der Erscheinung garantiert. Und eben das demonstriert Fichte in der Wissenschaftslehre von 1812, zu der wir jetzt endlich übergehen werden. II. Fichtes Wissenschaftslehre als Phänomenologie oder Selbstauslegung der Erscheinung Vor dem eben genannten Hintergrund lassen sich Fichtes Ausführungen in der Wissenschaftslehre von 1812 nicht nur in den Kontext der Kantischen Theorie übersetzen, sondern gewinnen auch eine „antispekulative“ Bodenständigkeit zurück, welche die abstrakten Formulierungen gerne vergessen machen. Eine kurze Reflexion über den Begriff „Erscheinung“, die Fichte auch selbst vornimmt, mag an dieser Stelle hilfreich für das Folgende sein und vor gravierenden Mißdeutungen hüten: „Erscheinung“ entspricht üblicherweise dem griechischen phainomenon, mithin dem Erscheinenden (dem Sich-Zeigenden); doch ebenso kann es den Vorgang der Erscheinung, das Erscheinen, bezeichnen. Fichte selbst unterscheidet deshalb – zumindest an manchen Stellen – explizit zwischen Erscheinen und Erscheinung13. Erscheinen und Erscheinung sind somit jeweils voneinander zu unterscheiden, auch wenn sie mehr als vielleicht prima facie vermutet zusammenhängen. Auf diesen Zusammenhang spielt Fichte an, wenn er – in bewußter Absetzung von Spinoza – von der Vorstellung ausgeht: alles ist Erscheinung. Damit ist zunächst nicht mehr behauptet, als daß wir von allem nur die Erscheinung, d. h. wie es uns erscheint, und niemals das Sein, wie es wirklich an sich ist, zu erlangen vermögen. Eine Bestätigung dieser Kantischen These findet Fichte ex negativo, durch die Widerlegung von Spinozas Ansatz. Dieser geht bekanntlich in seiner Ethik von der (absoluten) Substanz aus, die Fichte durch Jacobi vermittelt mit dem Sein gleichsetzt und damit in die Nähe des Seins nach Parmenides rückt. Außer diesem Sein und seinen Modi, d. h. Zuständen, gibt es für Spinoza nichts: Das Sein ist alles. Fichte wirft nun die Frage auf, wie 12

In der Wissenschaftslehre von 1804 (zweiter Vortrag) unterscheidet Fichte eine Wahrheits- von einer Erscheinungslehre. Über das Verhältnis wird in der Forschung schon lange gestritten. Nach der hier vertretenen Meinung ist die Wahrheitslehre wie auch der Anfang der Wissenschaftslehre von 1812 mit der Erscheinung des Absoluten (und damit die Auseinandersetzung mit Spinoza) Hinführung, Einleitung, noch nicht die eigentliche Wissenschaftslehre. Über die Wissenschaftslehre von 1804 siehe vom Verfasser „Der Weg zum absoluten Wissen. Die Funktion der Prolegomena in der Wissenschaftslehre 1804/II“, in: Jean-Christophe Goddard/Alexander Schnell (Hg.): L’être et le phénomène. La Doctrine de la Science de 1804 de J.G. Fichte, Paris 2009, 99 – 109. 13 Vgl. Johann Gottlieb Fichte: Die Wissenschaftslehre [aus dem Jahr 1812], in: GA II/13, 72 f. Im folgenden abgekürzt: WL 1812 – GA II/13.

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es überhaupt möglich ist, einen Begriff des Seins zu bilden, und ob dieser Begriff nicht qua Bewußtsein, d. h. objektive Gegenüberstellung des Seins, als etwas außer dem Sein gedacht werden müsse: „Indem gesagt wird; es sey nichts ausser ihm, ist etwas, eben dieses Sagen, ausser ihm.“14 Für Spinoza besteht zwischen Sein und Begriff des Seins (dem Sagen) kein Widerspruch, insofern er laut Fichte – und diese Deutung widerfährt Spinoza auch bei Hegel – letztlich auf einen Mystizismus abzielt, in welchem alles Reden über das Sein, mithin alles Wissen in Gott (dem Sein) verschwinden muß15. Man „erkennt“ das Sein nur als solches, wenn man es nicht durch Begreifen zu einem Gegenstand, einem Objekt, macht, da in diesem Falle das Begreifende, das Subjekt, außerhalb des Seins wäre und somit der Begriff vom Sein, als dem einzigen, das ist, selbstwidersprüchlich oder schlichtweg falsch wäre. Strenggenommen kann das Sein daher gar nicht erkannt, sondern höchstens in mystischer Einheitsschau erfahren werden. Damit gelangt Fichte über eine Kritik Spinozas zur Kantischen These von der Unerkennbarkeit des Dings an sich. Denn der begrifflich verfahrenden Philosophie ist es gar nicht möglich, vom Sein auszugehen; vielmehr müsse man den Begriff des Seins zugrunde legen. So geht die Wissenschaftslehre von der Faktizität des Wissens aus, d. h. davon, daß wir über einen Begriff des Seins verfügen; dieser drückt sich in der Kopula des Aussagesatzes, dem „ist“-Sagen, aus. Der Begriff des Seins ist nun aber nichts anderes als das Bewußtsein, d. h. die Erscheinung des Seins. Zu behaupten, daß der Begriff des Seins Erscheinung sei, wird sich daher in der Umformulierung der Prädikation „a ist b“ zu „a erscheint als b“ wiederfinden. Doch dazu später! Fichte bekennt sich folglich zu der These, daß alles, wovon wir reden bzw. einen Begriff haben, nur als Erscheinendes (phainomenon) zu haben ist. Nun scheint sich indes ein ähnlicher Widerspruch wie derjenige zwischen Sein und Begriff des Seins auch bei der These, alles sei Erscheinung, aufzutun. Denn wie verhält sich die Aussage über die Erscheinung, mithin über den Vorgang des Erscheinens, dazu, daß alles Erscheinung, d. h. Erscheinendes, ist? Angenommen, alles für uns wäre nur Erscheinendes, könnten wir dann noch zusätzlich erkennen, daß alles Erscheinung ist, oder bedeutete dies einen unerlaubten Überstieg über das Erscheinende? Just an dieser Stelle könnte man den Streit um das Ding an sich wieder entfachen: Das Wissen um die Erscheinungshaftigkeit setzt ein Wissen um das Ding an sich voraus, verläßt mithin den strengen Rahmen der kritischen Philosophie: so Jacobi und Schulze. Anders Fichte: Das Wissen um die Erscheinungshaftigkeit ist nur dadurch möglich, daß nicht nur Erscheinung sei, sondern zudem die Erscheinung sich erscheine. Wenn man behauptet, daß alles, was der Mensch vor sich hat, nur Erscheinendes ist, dann darf die Aussage über die Erscheinungshaftigkeit (den Vorgang des Erscheinens) nicht jenseits des Erscheinenden liegen, sondern muß darin begründet sein. Im Erscheinenden muß unmittelbar seine Erscheinungshaftigkeit erscheinen, wie Fichte im Folgen-

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WL 1812 – GA II/13, 52. WL 1812 – GA II/13, 54.

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den anhand der Bildhaftigkeit erklärt – den Bildbegriff verwendet er synonym zu demjenigen der Erscheinung: „Was ein Bild sey, erklärt das Bild selbst“16. Fichte demonstriert gewissermaßen die Notwendigkeit des Sich-Erscheinens aus der Erscheinung des Absoluten, den Begriff des Seins: „Die Erscheinung muß also sich erscheinen, daß sie im Begriffe des absoluten den Gegensatz bilden könne, […] denn ausserdem ist gar keine Erscheinung des absoluten; auf deren Voraussetzung allein wir den strengen Beweiß des sich Erscheinens gründen.“17 Ohne Sich-Erscheinen könnte die Erscheinung des Seins gar keine Erscheinung des Seins sein, d. h. die Erscheinung könnte sich gar nicht als solche verstehen, somit wäre die Bezeichnung aber vollkommen sinnlos: Die Erscheinung muß sich einerseits als Erscheinung (und nicht Sein), andererseits als Erscheinung des Seins auffassen können. Konsequenz dieser Ausführungen ist die Sich-Erscheinung der Erscheinung: „Wir haben drum, was wir wollten, eine doppelte Form der Einen u. selbigen Erscheinung. Die Erscheinung ist, schlechtweg […]. Diese eine Erscheinung nun erscheint auch eben so schlechthin als sie ist, sich selbst in sich selbst.“18 Diese beiden Formen der Erscheinung, die Fichte Schema I und Schema II nennt, sind nun nicht chronologisch oder im Bewußtsein voneinander zu scheidende Momente, sondern zwei Aspekte, die Doppelaspektivität der Erscheinung, die zum einen Erscheinung des Seins, zum anderen Sich-Erscheinen ist. Nur wer das erste Moment isoliert und einer eigenständigen Betrachtung unterzieht, könnte in einen Streit mit dem Ding an sich geraten. Im folgenden19 unterzieht Fichte das Sich-Erscheinen der Erscheinung einer Analyse und gelangt auf diesem Wege zu den formal-apriorischen Bestandteilen des Wissens. Mehr noch: „Die Analyse dieser zweiten Form, des SichErscheinens der Erscheinung, ist nun die eigentliche Aufgabe der W.L. – . Was folgt aus dem Sich-Erscheinen? Dies, und durchaus nichts mehr oder anderes ist die einfache Frage[,] die sie zu beantworten hat.“20 Deutlicher hat es Fichte wohl an keiner Stelle seines Werkes ausgesprochen, daß die Wissenschaftslehre die Antwort auf die Frage „Was folgt aus dem Sich-Erscheinen?“ liefert, sie ist mithin Phänomenologie, verstanden als Selbstauslegung der Erscheinung. Diese Tendenz der Wissenschaftslehre, d. h. die Zuwendung zum Sich-Erscheinen, bedeutet zugleich eine Abwendung vom Seinsbezug der (einfachen) Erscheinung: „Die W.L. abstrahirt sonach von der Realität“21 und wendet sich nur der Form, der Bildhaftigkeit des Bildes, der Erscheinungshaftigkeit der Erscheinung zu. Sämtliche Ergebnisse der Wissenschaftslehre betreffen folglich nicht den Seinsbezug, der als sol16 WL 1812 – GA II/13, 57. Die Bildtheorie Fichtes stellt Christoph Asmuth dar in: Bilder über Bilder, Bilder ohne Bilder. Eine neue Theorie der Bildlichkeit, Darmstadt 2011, 72 – 91. 17 WL 1812 – GA II/13, 73. 18 WL 1812 – GA II/13, 61 (letzte Hervorh. von mir). 19 WL 1812 – GA II/13, 62 ff. 20 WL 1812 – GA II/13, 62. 21 WL 1812 – GA II/13, 63.

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cher unerklärlich, eben qua faktisches Wissen (als Begriff des Seins) präsent und unangetastet bleibt. Aus eben diesem Grunde thematisiert die Wissenschaftslehre auch nur die Möglichkeitsbedingungen, nicht die Wirklichkeitsbedingungen von Wissen: „Die Erscheinung ist drum selbst im Bilde, nicht in ihrem wahren Erscheinen, nicht als faktisch seyend, sondern problematisch gesezt“22. In seiner formalen Struktur betrachtet weist das Sich-Erscheinen die Aspekte von Identität und Duplizität auf: „Die Erscheinung erscheint sich“ beinhaltet einen Bezug – A erscheint B –, der zugleich Selbstbezug ist: Die Erscheinung erscheint sich selbst, der Erscheinung: „Beide schlechthin Eins, als dieselbe Erscheinung in der Duplicität der Form. Was im Objekt, im Subjekt, u. v. v.[;] denn es ist die Eine Erscheinung: diese Eine Erscheinung aber kann nur seyn in der Duplicität dieser Form“23. Scheinbar en passant entwickelt Fichte als erstes Analyseergebnis des Sich-Erscheinens die transzendentale Apperzeption Kants, das Ich, aus der Erscheinung selbst: Der formale Selbstbezug der Erscheinung generiert das Ich: „Einfachheit, Klarheit, ist gerühmt worden. Kant, welchen Vortheil es habe, auf eine Frage: – Das ists – Dies nur fest gehalten, u. sich nicht verwirren lassen. Ich in sich zurükgehende Form.“24 Dieser wirr anmutende Kommentar drückt ein Zweifaches aus: Erstens parallelisiert er Fichtes Frage „Was folgt aus dem Sich-Erscheinen?“ mit Kants Frage „Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?“, wie schon aus der Hervorhebung dieser Frage zum eigentlichen Gegenstand der Wissenschaftslehre klar wurde25. Zweitens folgt für beide Denker aus der jeweiligen Frage die Zentralität des Ich, wie aus Fichtes Frage unmittelbar hervorgeht. Und hieraus läßt sich auch der Vorteil der Fichteschen Ausführungen klarmachen: Das grobe Mißverständnis, wonach die Erscheinung aus dem Verhältnis der an sich bestehenden Pole: Ding und Ich entstehe, etwa durch eine Affizierung der Sinnlichkeit des Ich durch das Ding an sich, entlarvt Fichte dadurch, daß er das Ich als Resultat des logisch-formalen Selbstverhältnisses der Erscheinung erweist. Das Ich ist folglich – wie schon für Maimon – kein Noumenon, kein Ding an sich und keine Idee, sondern eine unmittelbare Art und Weise, wie die Erscheinung ist und sein muß. Indem sich die Erscheinung erscheint, erscheint sie sich, nämlich daß sie ist; in diesem Selbstbezug erscheint sie sich als Ich. Mithin folgert Fichte in Abweichung von Kant, daß die transzendentale Apperzeption nicht im 22

WL 1812 – GA II/13, 65. WL 1812 – GA II/13, 71. 24 WL 1812 – GA II/13, 63. 25 Da es den fundamentalen Unterschied beider Konzeptionen deutlich macht, ist der Vergleich mit Schelling an dieser Stelle interessant. Bereits der frühe Schelling geht andere Wege, indem er die Kantische Frage wie folgt umformuliert: „wie kommt das absolute Ich dazu, aus sich selbst herauszugehen und sich ein Nicht-Ich schlechthin entgegenzusezen?“ (Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen (1795), in: ders.: Historisch-Kritische Ausgabe, im Auftrag der Schelling-Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. von Hans Michael Baumgartner, Wilhelm G. Jacobs, Hermann Krings und Hermann Zeltner, Bd. I/ 2, Stuttgart-Bad Cannstatt 1976 ff., 99). 23

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„Ich denke“, sondern im „Ich bin“ ausgedrückt werden müsse: „Das Ich bin muß alle meine Vorstellungen begleiten können.“26 Ein weiterer Analyseschritt des formalen Selbstbezugs der Erscheinung führt Fichte nun zum Begriff des Begriffs; anders formuliert: der gefundene Selbstbezug im Ich ist nichts anderes als der Grundbegriff: Denn was beinhaltet diese Erscheinung des Erscheinens, was sagt sie über das Erscheinen? „Offenbar nicht, wie es ist, sondern daß es nur ist überhaupt nicht ist das absolute. Eine Erscheinung des blossen formalen Seyns; die bloße Position, die reine Negation des Nichtseyns, und nicht mehr.“27 Das erste Erfordernis lautet folglich, daß sich die Erscheinung erfasse als solche, d. h. in ihrer „Selbständigkeit“ ohne jegliche qualitative Bestimmung, was sie sei. Diese Sichselbstgleichheit ist nun für Fichte dasjenige, das das „Ich bin“, das formale Sein des Selbstbezugs, in erster Linie ausdrückt28. Was Fichte hier Begriff nennt, ist noch der Grundbegriff (das Ich). Demnach muß man sich davor hüten, unser Denken in Begriffen damit gleichzusetzen. Dennoch wird es sich daraus ergeben; man kann anstelle der späteren Herleitung diesen Zusammenhang bereits an der allgemeinen Charakterisierung verdeutlichen: Der Begriff kennzeichnet die Selbständigkeit, mithin die Substantialität (von etwas), worin die qualitativen Attribute noch verborgen sind: So ist z. B. im Begriff „Stein“ noch nichts explizit von seinen Eigenschaften gesagt, lediglich, daß etwas ist, aber nicht absolut oder an sich, sondern etwas, das erscheint, das sich uns hinsichtlich seiner Qualitäten zeigt. Der eigentliche Ausdruck eines Begriffs lautet daher „er ist …“ („Der Stein ist …“), worin sich die Offenheit für seine prädikativ-qualitative Erscheinung ebenso offenbart wie seine Existenz, sein formales Sein, nämlich daß er ist: Prädikation und Existenzaussage rekurrieren für Fichte – wie übrigens für den gesamten deutschen Idealismus – nicht auf unterschiedliche Verwendungsweisen von Sein, sondern sind Aspekte ein und derselben, ebenso auch Identität, wie unmittelbar aus der Erklärung des Begriffs aus dem Sich-Erscheinen folgt. Die diskrete Trennung dieser Verwendungsweisen von Sein im 20. Jahrhundert macht es uns Heutigen schwer, zu diesem Verständnis zurückzufinden, oder erlaubt es uns, die alte Verwendungsweise als veraltet, wirr und falsch anzusehen. Der Begriff des Ich, der aus dem Sich-Erscheinen der Erscheinung unmittelbar hervorgeht, wird auch aus diesen Gründen als „Ich bin“ formuliert. Wie schon in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre offenbart sich in dieser Formel ein thetisches Urteil, das als ein prädikatives Radikal „Ich bin …“ aufzufassen ist und die unendliche Selbstbestimmbarkeit des Ich ausdrückt. Im Gegensatz zu einem üblichen Gegenstand wie einem Stein, dessen Prädikate durch die Realität

26

WL 1812 – GA II/13, 77. WL 1812 – GA II/13, 73. 28 Auch hier findet sich die Gemeinsamkeit mit Maimon: Das Ich wird als logisches Subjekt verstanden, ohne prädikativ-qualitative Vergegenständlichung. 27

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festgelegt und durch Anschauung zu erkennen sind, sind die Prädikate des Ich bzw. der Erscheinung offen und durch freie Selbstbestimmung hervorzubringen29. Es ist aus dem Dargelegten klar, daß der Begriff für sich unvollständig ist. Anders gesagt und zur abstrakten Terminologie zurück: Der Begriff allein ist nichts anderes als eine formale Tautologie: Die Erscheinung verstünde zwar sich als Identität von Subjekt und Objekt, aber nicht als Erscheinung, wenn nicht auch im Selbstbezug eine qualitative Bestimmung läge: „die Erscheinung ist nicht Subjekt-Objekt schlechtweg, sondern sie ist, was sie ist als Erscheinung, dieses aber in subjekt-objektiver Form. Dort Objekt, nichts mehr denn dies: hier mehr: d.i. alles was die Erscheinung ist durch sich selbst: u. eben so das Subjekt.“30 Diese Einsicht in dasjenige, was die Erscheinung ist, liefert nach Fichte die Anschauung. Erschiene die Erscheinung nur sich, erschiene sie nicht als Erscheinung. Erst mittels der Anschauung erscheint sich die Erscheinung auch als Erscheinung. Dies führt Fichte zu der komplexeren Struktur des Sich-Erscheinens: „Die Erscheinung erscheint sich als sicherscheinend“. Man kann hierin Anschauung und Begriff voneinander lösen: die Erscheinung erscheint sich (formales Sein = Begriff) als sicherscheinend (qualitatives Sein = Anschauung). Der Begriff ist der formale Träger ohne Inhalt, die Anschauung der Inhalt ohne Träger. Insofern bedingen sich beide gegenseitig und Fichte kann in gut Kantischer Manier formulieren: „kein Begriff, ohne Anschauung, u.v.v. Die Sich-Erscheinung ist durchaus die synthetische Vereinigung beider.“31 Wohlgemerkt, es handelt sich bei Begriff und Anschauung um Bezeichnungen für Aspekte der Sich-Erscheinung, die noch nichts mit empirischen Begriffen oder Anschauungen, aber auch noch nichts mit Verstandeskategorien und Anschauungsformen zu tun haben. Diese werden zwar später daraus abgeleitet (und insofern kann die jetzige Bezeichnung ex post begründet werden), sind dann aber auch sekundäre bzw. niedere Stufen. Es handelt sich hier um den Grundbegriff (= Ich bin) und die Grundanschauung (des Ich), die zusammengenommen das „Ich bin Ich“ ergeben, das ja Fichte seit frühester Zeit in den Zusammenhang zur intellektuellen Anschauung gesetzt hat (als Einheit von Anschauung und Begriff). Zudem verweist die Struktur des Sich-Erscheinens bereits auf die Urteilsstruktur: „Die Erscheinung wird gesehen, als pp. […] Die Erscheinung, als seyend eben, das logische Subjekt: als das, das logische Prädikat: dies ist der GrundInhalt dieser Sehe.“32 Anders gesagt: Die Erscheinung erscheint sich (= Subjekt, Träger) als sicherscheinend (= Objekt bzw. Prädikat, Inhalt)33. Wollte man das Sich-Erscheinen noch weiter analysieren – was Fichte freilich auf den vielen folgenden Seiten der Wissenschaftslehre von 1812 tun wird –, dann müßte 29

Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794/95), in: GA I/2, 277. WL 1812 – GA II/13, 74. 31 WL 1812 – GA II/13, 77. 32 WL 1812 – GA II/13, 78. 33 Übrigens ist auch hier Fichtes Gleichsetzung von Erscheinen und Sehe zu beachten, die bereits in Ciceros Übersetzung des griechischen phainomenon durch visum vorliegt. 30

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man zunächst feststellen, daß die Zweiheit von Subjekt und Objekt in Begriff und Anschauung hinsichtlich des Sich-Erscheinens in eine Vierfachheit zerlegt werden muß. Dies läßt sich schematisch wie folgt darstellen: Die Erscheinung (Objekt) erscheint sich (Subjekt) als sich(Subjekt)erscheinend(Objekt), „und diese Quadruplicität ist vereinigt durch das neue u. 5te Glied eines Als“34. In der höchsten Synthese des Als, der Fünffachheit, findet schließlich die Erscheinung, der Begriff des Seins, den vollkommenen Ausdruck, denn Erscheinung bedeutet ja nichts anderes, als daß etwas als etwas erscheint. Zurückübersetzt in die prädikative Formel steht hinter dem Als die Kopula: „Die Erscheinung erscheint sich als sich erscheinend“ lautet dann: „Die Erscheinung ist die Erscheinung“ oder formal ausgedrückt: „a ist b“. In Opposition zu Spinoza entwickelt Fichte das Sein in der Wissenschaftslehre nicht als ein Unmittelbares und Absolutes, sondern als die höchste Vermittlung, nämlich als Begriff des Seins, der die höchste Synthese und damit die abschließende Antwort auf die Kantisch-Fichtesche Grundfrage der Philosophie – was folgt aus dem Sich-Erscheinen bzw. wie sind synthetische Urteile a priori möglich? darstellt. Daraus folgt indes keineswegs, daß die Philosophie als ganze zum Abschluß gelangt. Die Vierfachheit, die durch das Als zur Synthese kommt, verweist darauf, daß Subjekt und Objekt, damit auch Begriff und Anschauung, in einem zweifachen Verhältnis betrachtet werden müssen: Die Erscheinung erscheint sich (subjektives Subjekt-Objekt) als sicherscheinend (objektives Subjekt-Objekt). Das objektive SubjektObjekt des Sich-Erscheinens ist dasjenige, das in der theoretischen Philosophie mit Vorrang der Anschauung (Prädikatstelle!) dargestellt wird: Alles Erkennen beginnt mit der sinnlichen Anschauung und bezieht sich auf die durch die Anschauung vermittelten Objekte. Andererseits ist das subjektive Subjekt-Objekt des Sich-Erscheinens zu betrachten, das einen Primat des Begriffs aufweist. Danach ist es der Begriff, der die Anschauung bestimmt, wie es sich im praktischen Weltverhältnis des Ich realisiert, indem ein begrifflicher Zweck durch Ausführung der Handlung die Sinnenwelt modifiziert. Ich höre an dieser Stelle auf, ich könnte auch weitermachen. Das ist mit Fichte immer so, denn eigentlich gibt es bei ihm kein Ende, wie es auch keinen Anfang gibt, alles bewegt sich in der Mitte und um die Mitte herum. Das möchte ich im letzten Kapitel zusammenfassen und kurz am Begriff der Erscheinung begründen. III. Konklusionen einer transzendentalen Phänomenologie Was tragen diese Ausführungen Fichtes zum Verständnis einer transzendentalen Phänomenologie bei? Zum einen helfen sie, das Vorurteil zu beseitigen, daß der Erscheinungsbegriff als Grundlage einer Transzendentalphilosophie auf die vorhergehende Annahme eines Dinges an sich und eines Ich angewiesen wäre. Im Gegenteil: 34

WL 1812 – GA II/13, 75.

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Ausgangspunkt ist und bleibt die Erscheinung. Durch Entwicklung ihrer Strukturen entstehen erst die Vorstellungen von Selbständigkeit (fälschlicherweise: Ansichsein), Gegenstand und Ich. Fichte geht daher von der Mitte aus, von der Relation und nicht von den Relata35 ; darin führt er den Kantischen Kampf gegen die Dogmatismen der alten und neuen Metaphysik fort, welche die Relata vor die Relation setzen. Ausdruck findet dieser Primat im eben genannten fünften Glied, dem Als, das die höchste Synthese betrifft und die Erscheinung am besten charakterisiert. Diesen Primat der Relation haben bereits viele Zeitgenossen Kants nicht verstanden und dadurch eine grundfalsche Diskussion initiiert, die bis heute in zahlreichen Mißdeutungen der Transzendentalphilosophie Kants, aber auch Fichtes nachhallt. Auch heute scheint ein Ausgang von den Relata plausibler zu sein, egal ob es sich wie in den dominanten naturalistischen Positionen um einen Ausgang vom Sein (Natur) oder in Bewußtseinstheorien um den Ausgang von Bewußtseinszuständen (anstelle vom Bewußtsein) handelt. Dagegen erlauben es die Fichteschen Ausführungen, eine Theorie zu konzipieren, die auf der Grundlage der Erscheinungshaftigkeit unserer Weltbezüge Anschauung und Denken, das Selbstbewußtsein (Ich) wie auch die unserer Sprache zugrundeliegende Urteilsstruktur zu erklären erlaubt, ohne diese als unterschiedliche, unabhängige Vermögen oder Zustände zu isolieren und petrifizieren. Vielmehr betont Fichte deren innigen Zusammenhang und die dynamische Bestimmung, die durch ihre Fixierung als Zustände oder durch Analyse zu trennende Bestandteile menschlichen Wissens ihre eigentliche Bedeutung verlieren. Gegen eben diese Versteinerung hatte Fichte bereits im Streit um das Ding an sich zu kämpfen; der Kampf geht weiter …

35 Das macht auch einen Nachvollzug seiner Gedanken so schwer, und deshalb halten sich auch viele Interpreten noch an die Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794/95), die ja scheinbar von einem Anfang (Grundsatz) ausgeht und zu einem Ziel fortschreitet. Ebenso schwer ist für Fichte deshalb auch eine Einführung zu gestalten, da sie ja keine Einführung zu einem Anfang sein kann. Daß alles Denken immer in der Mitte anfängt, ist eine Einsicht, die nach Fichte am konsequentesten Friedrich Schlegel ausgesprochen hat: „Daher muß die Philosophie wie das epische Gedicht in der Mitte anfangen, und es ist unmöglich, dieselbe so vorzutragen und Stück für Stück hinzuzuzählen, daß gleich das Erste für sich vollkommen begründet und erklärt wäre. Es ist ein Ganzes, und der Weg es zu erkennen ist also keine gerade Linie, sondern ein Kreis.“ (Friedrich Schlegel: Kritische Ausgabe seiner Werke, hg. v. Ernst Behler, Jean-Jacques Anstatt, Hans Eichner, Bd. XVIII, Berlin 1958 ff., 518).

Wesen und Grundstruktur der Erscheinung des Absoluten nach der Wissenschaftslehre von 18121 Marco Ivaldo I. Die Bestimmung der Wissenschaftslehre Um das Wesen und die Grundstruktur der Erscheinung nach der Wissenschaftslehre von 1812 (= WL 1812) zu rekonstruieren, empfiehlt sich zunächst ein Blick darauf, wie die Aufgabe der Wissenschaftslehre im ersten Teil der „Einleitung“ zu dieser Vorlesung festgelegt wird2. Fichte macht gleich zu Beginn deutlich: Die Wissenschaftslehre ist die „Lehre, Theorie oder Wissenschaft überhaupt“3, welche sich das Wissen zum eigenen Objekt macht. Dem entsprechend ist die Wissenschaftslehre, um ein Wort von Marek Siemek und Reinhard Lauth aufzugreifen, „Epistemologie“4. Und dies bleibt sie auch in der Berliner Spätphase des Fichteschen Philosophierens. Die Wissenschaftslehre ist die selbstkritische Nachkonstruktion der Konstitutionsakte (bzw. der „ursprünglichen Handlungen“) des menschlichen Wissens, als dynamische Erfahrungstotalität in ihrer Einheit und Mannigfaltigkeit erfaßt. Wenn also die Wissenschaftslehre vom Sein spricht, wie dies in der WL 1812 durchgehend der Fall ist, kann das nur als und durch die Durchdringung unseres Wissens bzw. unseres Bewußtseins vom Sein erfolgen, und das heißt: dank einer selbstreflexiven Vermittlung. Eine für die Bestimmung der Wissenschaftslehre grundlegende Unterscheidung ist diejenige zwischen dem „faktischen Wissen“ – in der Vorlesung auch als „wirkliches Wissen“, „Reales“, „gewöhnliches Bewußtseyn“, „Wißthum“ (= das gesamte Wissen) bezeichnet – und dem (transzendentalen) Wissen des Wissens. Die Aufgabe der Wissenschaftslehre ist, so Fichte, „zum Bewußtsein zu erheben, und sichtbar zu machen: was in dem gewöhnl[ichen] B[ewu]ßtseyn durchaus unsichtbar bleiben

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Für seine wertvollen Sprachverbesserungen bin ich Erich Fuchs sehr dankbar. Fichte: Die Wissenschaftslehre [aus dem Jahr 1812], in: ders.: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. Reinhard Lauth, Hans Jacob, Hans Gliwitzky, Erich Fuchs und Peter K. Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 – 2012. Im folgenden abgekürzt: WL 1812, GA, mit Angabe der Abteilung, des Bandes und der Seitenzahl, hier: WL 1812 – GA II/13, 43 – 51. 3 WL 1812 – GA II/13, 43. 4 Vgl. Marek J. Siemek: Die Idee des Transzendentalismus bei Fichte und Kant, Hamburg 1984; Reinhard Lauth: Transzendentale Entwicklungslinien von Descartes bis zu Marx und Dostojewski, Hamburg 1989. 2

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muß: eine Erweiterung der LichtWelt, ein Sehen gegen die Natur“5. Es geht in der Wissenschaftslehre um das Bewußtwerden und Sichtbarmachen jener „Gesetze“ bzw. Konstitutionsakte, die im Zustandekommen des faktischen Wissens – der menschlichen Erfahrung – am Werk sind und es möglich machen, auch wenn sie in ihm unmittelbar unsichtbar bzw. unbewußt bleiben. Das faktische Wissen – die Erfahrung, die wir haben – ist sich von sich aus in seinem Sein als Wissen nicht bewußt. Es ist dem obigen Zitat gemäß „Natur“, d. h. unmittelbar spontanes Wissen. In der Vorlesung wird der entsprechende Sachverhalt folgendermaßen zusammengefaßt: „[D]arin besteht eben das wirkliche Sehen, daß es durchaus in sich versunken sei, aufgegangen und bestimmt durch das Gesetz zu einem solchen Sehen x: [daß es] darin gebunden sei, also nicht darüber hinaus könne. Es sieht auf diese Weise x, aber es sieht sich nicht in x, so gewiß es ist das Sehen x“6.

Das faktische Wissen ist intentionaler – ich würde hinzufügen: direkter – Objektbezug, der sich jedoch dieses seines Welt-Habens nicht bewußt ist. Es hat zwar die Welt (bzw. Objekte), aber es sieht sich in seinem Welt-Haben nicht: „Inwiefern es weiß, weiß es nicht von sich, inwiefern es sieht, sieht es nicht sich.“7 Das Wissen dieses faktischen Wissens, also die transzendentale Theorie, die Wissenschaftslehre, soll diese Wissensfaktizität zum Bewußtsein von sich selbst, d. h. von ihren genetischen Leistungen, erheben. Sie soll zum Sich-Sehen des faktischen Sehens hinführen, was eine Erkenntnis der Gesetze bzw. der konstitutiven Akte, die es bestimmen und ermöglichen, mit enthält und aufschließt. Die transzendentale Theorie – dem obigen Zitat gemäß – erweist sich demnach als ein Sehen „gegen die Natur“, denn sie vollzieht eine Gegenbewegung, das Sich-Sehen (und Sich-Durchsehen) des ,naturhaften‘ faktischen Sehens, die Selbsterkenntnis der spontanen Erkenntnis. Das bringt – wie Fichte es nennt – eine Erweiterung der „LichtWelt“, eine prinzipielle Ausdehnung der Geistes- und Vernunftwelt hervor, welche am faktischen Wissen als solchem noch nicht mit-gegeben bzw. mit-gesehen ist. In bezug auf die Faktizität, die allerdings nach transzendentaler Sicht immer nur Faktizität im Wissen sein könnte, erweist sich die Wissenschaftslehre als ein „Bild“ bzw. als eine „Vorstellung“ des „wirklichen Wissens“: Sie rekonstruiert – „darüberschwebend“, wie Fichte bemerkt – die Konstitutionsakte des Wissens in kritischer Selbstbesinnung: „Nicht daß es [= das faktische Wissen] sei, sondern wie es sei“8, sei Objekt der Wissenschaftslehre. Daß es ein faktisches Wissen, oder eine Erfahrung überhaupt gebe, hängt durchaus nicht von transzendentaler Reflexion ab. Anders ausgedrückt: Das Daß der Erfahrung kommt auf die Erfahrung bzw. auf das Leben selbst an. Sache der Wissenschaftslehre sei, das Wie, d. h. den Grundmodus der Erfahrung aufzuklären. Ihre Aufgabe als 5

WL 1812 – GA II/13, 49. WL 1812 – GA II/13, 44. 7 WL 1812 – GA II/13, 44. 8 WL 1812 – GA II/13, 44. 6

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Wissenswissen ist das Herausstellen und Durchsichtig-Machen jener „Gesetze“ (= Konstitutionsakte), welche letztere überhaupt ermöglichen. Wie Fichte sagt: „Dort [im faktischen Wissen]: Etwas ist, (nach dem Gesetze), das es nicht sieht, das zum Theil ihm als selber unsichtbar bleibt. Hier [in der Wissenschaftslehre] es sieht Alles, was es ist: es [=das Wissen] ist aufgegangen in Durchsichtigkeit und Klarheit. Von der Ersten reden wir, objektiv, schauen darauf hinab: das Letzte sind wir“9.

Es wäre aber irrig, daraus zu folgern – da die Wissenschaftslehre sich für „Bild“ bzw. „Vorstellung“ des faktischen Wissens ausgibt –, daß sie sich zu dieser Faktizität bloß „beobachtend“ verhalte. Wie es z. B. in der Wissenschaftslehre von 1814 zu lesen ist: „In Beziehung auf das [faktische] Wissen […] [verhält sich die Wissenschaftslehre] durchaus nicht beobachtend, das formale, oder qualitative [inhaltliche] Seyn desselben zufolge eines Bildes von ihm setzend, sondern erschauend, was sie als Wissen erschaut, aus einem Prinzip“10.

Nicht beobachtend, sondern aus einem Prinzip erschauend: Wollte man das Wort Phänomenologie (im Sinne von Erscheinungslehre) verwenden, um Gang und Verfahrensweise der Wissenschaftslehre in den letzten Berliner Vorlesungszyklen zu bezeichnen – eine Phänomenologie aber, die nicht ohne Bezug auf die Wahrheitslehre bestehen könnte, wie sich aus der WL 1812 selbst ergibt –, so sollte man unverzüglich präzisieren, daß es sich um keine rein deskriptive, sondern um eine ,genetische Phänomenologie‘ handelt, nämlich um eine Theorie der Genesis der Erscheinung aus ihrem Prinzip. II. Die WL 1812 als höhere Wissenschaftslehre und Erscheinungslehre Diese genetische Theorie der Erscheinung, welche die WL 1812 in den drei Kapiteln entfaltet, nach denen sie gegliedert ist, geht von einer Konzeption des Grundverhältnisses zwischen dem Sein (dem Absoluten) und seiner Erscheinung bzw. seinem Bild aus, welche Fichte im zweiten Teil der „Einleitung“11 darlegt. Dieser Ausgangspunkt soll hier berücksichtigt werden, da er uns einen tiefgehenden Blick auf das Wesen der Erscheinung ermöglicht. Fichtes Vorstellung wird mit Hilfe einer gründlichen Auseinandersetzung mit dem, was er das „System des Spinoza“ nennt, erarbeitet, wobei aber zu bemerken ist, daß sein Interesse nicht so sehr auf eine philosophisch-geschichtliche Rekonstruktion und Auswertung der Philosophie Spinozas geht, sondern eher auf eine prinzipielle Diskussion ihres Ansatzes, wie Fichte ihn von seinem systematischen Gesichtspunkt ausgehend herausstellt. Eines soll festgehalten werden: Die Wissenschaftslehre wird nicht durch die „Widerlegung des Sp[inoza]“, sondern „nur 9

WL 1812 – GA II/13, 45. Fichte: Wissenschaftslehre aus dem Jahre 1814, in: GA II/17, 321. 11 WL 1812 – GA II/13, 51 – 69. 10

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durch unmittelbare Anschauung des Bildes als Bildes“12 begründet – und das bedeutet: durch die Selbstdurchdringung des Wissens, wobei der transzendentale Charakter des ganzen Unternehmens nochmals hervorgehoben wird. Gleich zu Beginn des zweiten Teils der „Einleitung“ wird von Fichte ein Satz bzw. ein „Gedanke“ behandelt, der die ganze Darstellung prägt und über den zwischen ihm und Spinoza Übereinstimmung bestehe. Es heißt: „Seyn: Charakter: absolute Negation des Werdens. In ihm, dem Einen, [ist] alles, in ihm keins [Werden]. – Selbstständigkeit, eine Negation. Wandellosigkeit gleichfal[l]s: hieraus Einheit. u[nd] die andern Sätze“13.

Der anfängliche Gedanke besteht in einer Affirmation des Seins in dessen ursprünglichem Gegensatz zum Werden. Nun kann diese ,ontologische‘ Affirmation am Anfang der WL 1812 in ihrer (transzendentalen) Legitimität nur dann verstanden werden, wenn man bedenkt, daß sie die in den mittleren Darstellungen der Wissenschaftslehre durchgeführte „Wahrheits- und Vernunftlehre“ – nämlich die Einsicht des „in sich geschlossenen Singulum des unmittelbaren lebendigen Seyns“14, um den „Grundsatz“ der WL 1804-II aufzugreifen – prinzipiell und faktisch voraussetzt. Leitgedanke der „Wahrheitslehre“ war, daß sich das Bewußtsein bzw. das Dasein in seinem relationalen Charakter nur aufgrund der Position des in dessen Ursprünglichkeit relationslosen Einen Seins und Lebens erklären läßt. Aufgrund dieser Einsicht konnte dann die Wahrheitslehre als Grundlage der Auslegung des Daseins als Erscheinung (d. h. der Erscheinungslehre) gelten. Nun, der Interpretation von José Manzana folgend15, darf man behaupten, daß der reduktiv-analytische Aufstieg bis zur Einsicht des Einen Seins und Lebens (= die „Wahrheits- und Vernunftlehre“) in der WL 1812 nicht wieder durchgeführt wird, sondern es wird in dessen reifem Ergebnis methodisch und inhaltlich vorausgesetzt und in seinen systematischen Implikationen weiter entwickelt. Dementsprechend beinhaltet die Darstellung des Jahres 1812: 1) das, was Manzana in Anschluß an Lauth die „höhere Wissenschaftslehre“16 nennt, welche den Grundbezug des erscheinenden Realen auf das Sein herauszustellen hat, und 2) die absteigende Deduktion der Erscheinung selber in deren ursprünglichen Gesetzen, was die WL 1804-II als „Phänomenologie, Erscheinungs- und Scheinlehre“17 bezeichnete.

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WL 1812 – GA II/13, 57. WL 1812 – GA II/13, 51. 14 Fichte: Die Wissenschaftslehre. Zweiter Vortrag im Jahr 1804 vom 16. April bis 8. Juni, in: GA II/8, 243. Im folgenden abgekürzt: WL 1804-II – GA II/8. 15 Vgl. José Manzana Martinez de Maranon: „L’absolu et son ,apparition‘ absolue d’après la ,doctrine du Savoir‘ de 1812 de Johann Gottlieb Fichte“, in: Archives de Philosophie XXVIII (1965) 390 – 423. 16 Manzana: „L’absolu et son ,apparition‘ absolue“, 390 f.; vgl. Reinhard Lauth: Transzendentale Entwicklungslinien von Descartes bis zu Marx und Dostojewski, 181 und 195. 17 WL 1804-II – GA II/8, 207. 13

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III. Die Affirmation des Seins Kommen wir zum soeben angegebenen (ersten) Satz zurück. Nach Fichte läßt sich, wie angedeutet, eine Übereinstimmung – ich würde präzisieren: eine (nur) anhebende Übereinstimmung – zwischen ihm und Spinoza bei einer solchen Affirmation des Seins und dessen ontologischen Merkmalen feststellen. Diese Übereinstimmung kann aber einen ersten, gewichtigen Unterschied zwischen ihren Konzeptionen nicht verschleiern, nämlich, daß bei Spinoza die Affirmation des Seins de facto eine bloß ontische (und rein objektive) Behauptung bleibt, während bei Fichte sie von Anfang an eine reflexive ist: „[Spinoza] bleibt in diesem Gedanken [des Seins] stehen, darin verlohren: es ist ein Seyn, das Seyn ist so […]. Wir [Fichte] aber sind gewohnt allenthalben zu reflektieren, auf das was wir treiben. […] ich denke, als den Begriff des Seyns“18. Die gleiche Seins-Affirmation bekommt dementsprechend nach Fichte zwei ganz unterschiedliche Bedeutungen bzw. sie wird in zwei Verständnisformen aufgenommen: Die eine bleibt auf dem Niveau dessen, was früher „faktisches Wissen“ genannt wurde, wohingegen die andere sich auf der Ebene des transzendentalen Wissens bewegt, nach dem nicht nur das Sein einfach affirmiert ist, sondern in eins damit auf den Akt des Affirmierens selbst reflektiert wird. Im transzendentalen Wissen soll die ,ontologische‘ Affirmation von der mitlaufenden Besinnung des Aktes des Affirmierens begleitet werden, eine Besinnung, die sich ihrerseits zur (reflexiven) Selbstbesinnung zu erheben hat. Aus diesem Grund habe ich vorstehend präzisiert: anhebende Übereinstimmung, denn die Wissenschaftslehre hat das (affirmierte) Sein immer nur im Begriff und durch ihn, was bei dem (nach Fichtescher Sicht) eher metaphysisch-ontologischen Verfahren des „Systems des Spinoza“ – aber auch Schellings, der in diesem Zusammenhang nicht zufällig erwähnt wird – nicht der Fall sein könnte. Nun bringt die Affirmation des Seins als einer absoluten Selbstposition („Selbständigkeit“) und Negation des Werdens, welche den zweien Systemen gemeinsam ist, ein grundlegendes Problem mit sich: „Wir beide haben […] – so Fichte – u[nd] geben zu neben dem absoluten Sein noch ein faktisches Seyn: und fallen durch dieses Zugeben beide in den gleichlautenden Widerspruch: Kein Seyn ausser dem Einen absoluten; spricht der Begriff d[es] [Absoluten]: doch aber ist ein faktisches Seyn[,] spricht jenem widersprechend das faktische Bewußtseyn“19.

Die Philosophie, und zwar eine systematische Philosophie, hat den „Widerspruch“ zu beheben, der sich zwischen dem Inhalt des reinen Denkens auf der einen und dem Zeugnis des faktischen Bewußtseins auf der anderen Seite aufschließt. Ersteres behauptet, daß nur das absolute Sein ist (laut dem Grundsatz: „Eins ist, und ausser diesem Einen ist schlechthin nichts“20); letzteres hält dem entgegen, daß es doch ein faktisches Sein (für Spinoza die „Welt“, für Fichte den „Begriff“) gebe. 18

WL 1812 – GA II/13, 52. WL 1812 – GA II/13, 54. 20 WL 1812 – GA II/13, 56. 19

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Nun, wie ist ein solches faktisches Sein in dessen Seins-Qualität zu denken, wenn man an dem soeben angegebenen Grundsatz des reinen Denkens festhält, dem zufolge „Eins ist, und ausser diesem Einen ist schlechthin nichts“ – ein Grundsatz, dem – wie Fichte hervorhebt – „nie irgend ein […] Ausdruck der W.L.“ widersprechen sollte? Ein berühmtes platonisches Bild aufgreifend könnte man hier sagen, Fichte setze sich mit der Aufgabe auseinander, die Phänomene angesichts des Einen Seins zu retten. Es geht nämlich um die prinzipielle Rechtfertigung des Ganzen der Erfahrung in ihrem Sein und Werden, und ihrer Einheit und Mannigfaltigkeit – um eine Rechtfertigung der Erfahrung aber, die mit der Affirmation des Einen Seins vereinbar sein muß. Nun gibt es nach Fichte nur zwei philosophische Wege, um den „Widerspruch“ zwischen dem Ergebnis des reinen Denkens und dem Zeugnis des faktischen Bewußtseins zu beheben. Der eine wird als derjenige der „Mittheilung“ definiert: Ihm zufolge wird der „Grundcharakter“ des absoluten Seins an das faktische Sein mitgeteilt und „beiden gemein“ gemacht. Dieser Weg kennt seinerseits zwei mögliche Varianten: Entweder das absolute Sein wird als sich wiederholend und sich noch einmal ganz setzend gedacht, oder es wird als ein (schon) in sich Mannigfaltiges und insofern Faktisches konzipiert. Die zweite Variante ist nach Fichte diejenige des Spinoza, wie in der Vorlesung ausdrücklich festgehalten wird. Es läßt sich die Hypothese aufstellen, daß Fichte mit der ersten Variante die Freiheitsschrift von Schelling aus dem Jahre 1809 und ihren Gedanken der Existenz (Gottes) aus seinem Grund im Visier hat. Beide Varianten führen Fichte zufolge zu Scheinlösungen und sind abwegig: die Wiederholungstheorie, weil sie „Genesis u[nd] Wandel“ ins Absolute einschiebt, was aber der Affirmation des Seins als Negation des Werdens direkt widerspricht; die Theorie des Absoluten als eines Mannigfaltigen und Faktischen, weil sie der Affirmation der wesensnotwendigen Einheit des Absoluten entgegengesetzt ist und zu einer Identifizierung des Absoluten mit dem Faktischen führt („Das absolute ist [aber] kein Faktum“, heißt es in einer Anmerkung zur Vorlesung21). Beide Varianten zerstören dementsprechend den richtigen Begriff des absoluten Seins und – man darf hinzufügen – verlieren den eigentlichen Sinn des Faktischen, welches nichts Absolutes sein soll. Um den „Widerspruch“ zu beseitigen, bleibt der WL 1812 – und dem ganzen letzten Berliner Zyklus – zufolge nur ein zweiter Weg für den systematischen Gedanken offen, den Fichte folgendermaßen charakterisiert: „Dem faktischen Seyn das eigentl [iche] Seyn, die Art u.[nd] Weise des Seyn des absoluten ganz abzusprechen, und ihm eine andere beyzulegen. – Durchaus andere, jener schlechthin entgegengesetzte Form des Seyns. – So [verfährt] die W.L.“22. Der zweite Weg ist nicht derjenige der ,ontologischen‘ Mitteilung, sondern – könnte man sagen – der ,metaphysischen Differenz‘ – einer Differenz aber, die der Einheit des Seins nicht widersprechen darf, sondern von ihr eher ermöglicht wird. Die andere, dem Sein selbst entgegengesetzte 21 22

WL 1812 – GA II/13, 54. WL 1812 – GA II/13, 56.

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Form des Seins ist das, was Fichte hier „Schema u[nd] Bild, Erscheinung“23 des Seins nennt. Das Bild bzw. die Erscheinung ist das Sein selbst „ausser seinem Sein“ – nicht also das Sein an sich, sondern das Sein als entäußert, das „entäusserte“ Sein. Fichte vertritt hier – und er fordert uns auf, zu denken – den kühnen, paradoxen Gedanken eines Seins, das Nicht-Sein ist, wenn wir dem Sein den Grundcharakter der Selbständigkeit (Brachtendorf spricht von „Aseität“24), der Wandellosigkeit und Einheit zuerkennen, wie es das reine Denken uns zu tun nötigt. Nun kann nach Fichte ein solches ,nicht-seiendes Sein‘ nur ein Seiendes sein, dessen ganzes Wesen in dem BezugSein auf das Sein liegt und in ihm aufgeht. Dieses Bezug-Sein drückt gerade das Wesen des Bildes bzw. der Erscheinung aus: Sie haben wesenskonstitutiv einen medialen Charakter. Das Bild ist nur dann ein Bild, wenn es auf ein Anderes hinweist, das in ihm anwesend und zugleich abwesend ist. Das Sein des Bildes stellt demnach nicht ein zweites Sein dar, was dem Grundsatz der Wissenschaftslehre (= „Eins ist, und ausser diesem Einen ist schlechthin nichts“) diametral widerspräche, sondern es ist das Sein selbst als erscheinend – also: (nur) das entäußerte Sein. Die hier dargestellte Auffassung, welche freilich noch immer frag- und denkwürdig (in eigentlichem Sinne) bleibt, könnte folgendermaßen zusammengefaßt werden: Die zweite Form des Seins ist die erste Form, das Sein selbst, als Bild bzw. als Erscheinung (seiner) – sie ist das Sein in seiner Erscheinung. Das faktische Sein kann demzufolge in dessen unmittelbarem Dasein nur als Erscheinung des Einen Seins gedacht werden, wenn das philosophische Denken am Seins-Prinzip festhält, wie es dies auch zu tun hat. Alles Wirkliche ist das, was es ist, erst in seinem und durch sein Bezogen-Sein auf das Absolute. Alles Wirkliche – ,außer‘ dem Einem Sein – ist Bild und Erscheinung. Daß das Wesen des Bildes in seinem Bezogen-Sein auf das Sein aufgeht, bedeutet aber nicht, daß zwischen beiden eine platte Identifizierung besteht und keine Dialektik stattfindet. Wir lesen: „Das Bild des Seyns ist unabhängig vom Seyn, u[nd] dieses von jenem“25. Das Bild ist Nicht-Sein, das Sein ist Nicht-Bild. Das ist die Grundlage der Fichteschen Dialektik, wie sie bereits von der Wissenschaftslehre von 1801/02 dargestellt worden war. Ihr zufolge läßt sich das Bild nicht direkt, sondern erst durch den Gegensatz zum absoluten Sein denken. Der Grundgedanke des Seins geht, so Fichte, auf „eine Position, die nicht nicht seyn kann, [und] die Genesis ausschließt“, d. h. die Position des Einen Seins. Ihr entgegengesetzt ist „die Erscheinung“, welche „durch ihr unmittelbares Seyn, durch ihren blossen Begriff, das Nichtseyn, u[nd] so die [faktische] Genesis garnicht ausschließt, sondern sezt“26. Vom Standpunkt der Erscheinung – welcher der Standpunkt ist, wo wir (Philosophierende) uns finden – läßt sich die Erscheinung selbst (ihre Wesensstruktur) erst durch Gegen23

WL 1812 – GA II/13, 57. Vgl. Johannes Brachtendorf: Fichtes Lehre vom Sein. Eine kritische Darstellung der Wissenschaftslehren von 1794, 1798/99 und 1812, Paderborn 1995, 248 ff. 25 WL 1812 – GA II/13, 57. 26 Ebd. 24

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satz mit dem Sein durchdenken. Die Position des absoluten Seins ist eine solche, die „nicht nicht sein kann“, wohingegen die Position der Erscheinung eine solche ist, die nicht sein kann. Die Erscheinung, ihr Dasein, muß als „zufällig“27, oder als ,bedingt notwendig‘ angesehen werden. Hierzu tritt der allerwichtigste Gedanke Fichtes auf: Wir verfügen über keinen „realen Begriff“ des Absoluten, zufolge dessen wir aus dem Begriff selbst auf die Notwendigkeit seiner Erscheinung „ganz unabhängig von ihrem faktischen Gegebenseyn“28 schließen könnten. Eine solche Stellungnahme der WL 1812 richtet sich ausdrücklich gegen Spinoza, sie könnte aber auch auf Schellings Freiheitsschrift und auf die darin entfaltete Theorie der Erscheinung des aus seinem „Grund“ existierenden Gottes gemünzt sein. Der Begriff des Absoluten, den wir haben, ist nach Fichte nur „ein Bild seiner Sichtbarkeit“29, und zwar ein formaler Begriff, der nur im konkreten Leben seine inhaltliche Erfüllung erhält. Dem zufolge können wir auf die Notwendigkeit der Erscheinung nur dann schließen, wenn wir – ihr faktisches Dasein voraussetzend – sie an das Absolute anknüpfen, und zwar durch einen „vermittelten Schluß, ruhend auf dem Faktum“30. Erst „hinterher“ – erklärt Fichte –, „nach Anknüpfung der Erscheinung an das absolute findet sich daß auch sie, da sie ist, notwendig ist“31. Die Erscheinung ist also zufällig und notwendig in eins. Einerseits ist sie „durch ein anderes“32 – Brachtendorf erklärt: sie ist ab alio33 –; ihr Wesen fällt mit ihrem Bezogen-Sein auf das Sein völlig zusammen. Andererseits und zugleich muß die Erscheinung, falls sie wirklich ist, als notwendig angesehen werden – deshalb habe ich mit Manzana34 von „bedingter Notwendigkeit“ geredet –, denn ihr Dasein kann nur als auf dem absoluten Sein begründet gedacht werden. Mit Fichtes Ausdrücken: „Nach uns ist die Erscheinung schlechthin bei Gott, u[nd] unabtrennlich von ihm“35. Will man die Erscheinung durch ihren Gegensatz zum absoluten Sein charakterisieren, so kann man folgendes aussagen: „Sie [die Erscheinung] wird als nothwendig erkannt, zufolge ihrer Wirklichkeit: dagegen wird das absolute als wirklich seyend erkannt zufolge seiner Nothwendigkeit“36. Der Erscheinung kommt eine nur bedingte Notwendigkeit zu, wie bereits angedeutet: falls sie da ist, muß sie als notwendig gedeutet werden, und zwar durch Anknüpfung an das Absolute; hingegen muß dem Absoluten unbedingte Notwendigkeit zuerkannt werden; es hat – lieber: 27

WL 1812 – GA II/13, 58. WL 1812 – GA II/13, 67. 29 WL 1812 – GA II/13, 178. 30 WL 1812 – GA II/13, 66. 31 WL 1812 – GA II/13, 57. 32 WL 1812 – GA II/13, 66. 33 Brachtendorf: Fichtes Lehre vom Sein, 255. 34 Vgl. Manzana: „L’absolu et son ,apparition‘ absolue“, 415 ff. 35 WL 1812 – GA II/13, 67. 36 WL 1812 – GA II/13, 57 f. 28

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es ist – ,notwendige Wirklichkeit‘, wobei zu bemerken ist, daß dadurch das Absolute einer ,äußeren, metaphysischen Notwendigkeit‘ überhaupt nicht untergeordnet wird. Das Absolute kann nicht nicht sein, wie wir gesehen haben; das bedeutet: Es setzt sich (Wirklichkeit) und es setzt sich als nicht nicht sein könnend (Notwendigkeit) in einem Schlag. Das Absolute ist das, was es ist, ohne Trennung und Dualität. IV. Erscheinung als Bezug-Sein Der „absolut bejahende Satz“ der Wissenschaftslehre, ihre eigentliche „Seele“ ist somit, daß „ausser dem absoluten“ nur sein Bild – sich als solches verstehend – da ist37. Nun ist das Bild bzw. die Erscheinung überhaupt nicht als ein fertiges Ding zu konzipieren. Ihre innere Struktur resultiert aus deren Qualität (= Wesen), nicht das Sein selbst, sondern Bild des Einen Seins, ,Sein außer dem Sein‘, reines Bezug-Sein zu sein. Die Erscheinung ist als Bezug-Sein auf das lebendige Sein da – sie tritt als „bildendes Leben“38 hervor, welches eine innere, dynamische Gliederung aufweist. Ich möchte im folgenden einige wesentliche Züge dieser Struktur veranschaulichen. Im Hinblick auf sie führt Fichte aus: „In Einer Rüksicht ist das Bild Eins, durchaus sich selbst gleich: in einer andern gespalten, gesondert, ein Mannigfaltiges. – Woher nun diese verschiedene Rüksichten?“39 Die Erscheinung erscheint als Eine Erscheinung, welche jedoch in sich eine unendliche Mannigfaltigkeit und Wandelbarkeit aufzeigt – man könnte sagen: die Erscheinung tritt als eine einheitliche Bild-Welt und zugleich als eine pluralische Bilder-Welt auf. Wie lassen sich nun Einheit und Mannigfaltigkeit der Erscheinung zusammen denken? Fichte begegnet hier, auf der Höhe seiner Erscheinungslehre, der klassischen Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Einen und dem Mannigfaltigen bzw. der Frage, wie „die Einheit und Unveränderlichkeit mit der Mannigfaltigkeit und Wandelbarkeit […] beisammen stehen kann“40. Die Beantwortung dieser Frage kommt dank einer Unterscheidung in der Form selbst der Erscheinung zustande – einer Unterscheidung, die in der Vorlesung in verschiedenen Variationen ausgedrückt wird, welche aber m. E. einen einheitlichen Sinngehalt aufweisen. Fichte grenzt die Erscheinung, insofern sie ist, von der Erscheinung, insofern sie erscheint und sich erscheint, ab. Er argumentiert: Wenn das ursprüngliche Verständnis der Erscheinung als Seins-Bezug zu einer weiteren Reflexionsstufe erhoben wird – wie es eine Transzendentalphilosophie tun soll –, so tritt auf „eine doppelte Form der Einen u[nd] selbigen Erscheinung. Die Erscheinung ist, schlechtweg[,] u[nd] insofern erscheint in ihr das absolute, wie es in ihm selber ist. […] Diese eine Erscheinung nun erscheint auch eben so schlechthin als 37

Vgl. WL 1812 – GA II/13, 58. Vgl. WL 1812 – GA II/13, 69. 39 WL 1812 – GA II/13, 61. 40 WL 1812 – GA II/13, 62. 38

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sie ist, sich selbst in sich selbst“41. In dem ersten Sinne – also in ihrem „ist“ betrachtet – ist die Erscheinung „schlechthin nicht durch sich“ selbst, denn nach dieser ersten Erscheinungsform ist die Erscheinung sowohl in ihrem formalen Sein (= formaliter) als auch im qualitativen Sein (in ihrem Was) nur durch das absolute Erscheinen des Absoluten und seine Bestimmung da. Auf diesem Niveau ist das Sein der Erscheinung „Eins“, es ist „unwandelbar und unveränderlich“ – es ist ihr (= der Erscheinung!) „absolutes Seyn“, welches „nicht durch irgend eine andere Form geändert, oder modificirt werden“42 könnte. Fichte benennt diese erste, ,grund-legende‘ Form der Erscheinung: „Urbild“, „Urschema“, „Schema I“. Nun, wie gesagt, bleibt dieses Sein der Erscheinung – da sie Bild des lebendigen Seins ist – nicht bei sich, sondern es erscheint als solches in einem neuen Bild. Das bedeutet: Das Urbild bildet sich als solches. Diese Erscheinung der Erscheinung wird von der Vorlesung als Schema II bezeichnet. Das erste Schema, das Urschema, ist und bleibt die Grundlage des Zustandekommens des zweiten Schemas bzw. desjenigen, was Fichte hier (vielleicht als Anspielung auf Schelling) „zweite Potenz“ nennt, aber es tritt in dieser nicht als solches auf. Das könnte heißen: Im zweiten Schema begegnet man nicht dem unmittelbaren Bild als solchem, sondern immer nur dem Bild vom Urbilde, oder dem Sein des Bildes in dessen Werden. Denn, wenn im Schema I kein Wandel ist, wie wir bereits gesehen haben, gibt es sich im Schema II, als „neuem Bild von dem dauernden Urbilde, […] ein[en] unendliche[n] Wandel“. Jene Einheit und Mannigfaltigkeit, die wir im faktischen Wissen vorfinden, lassen sich transzendental aufgrund der inneren Struktur der Erscheinung des Absoluten erklären, insofern sie Erscheinung ist, die sich als Erscheinung erscheint. Das reine Sein der Erscheinung mit seinem eigenen „Gesetz“ gewährt und bestimmt die Einheit und die Stabilität der Erscheinung; das Erscheinen der Erscheinung als „schematisierendes Leben“ nach dem Urbilde erschließt andererseits jene Mannigfaltigkeit und Wandelbarkeit, die wir in der Faktizität wahrnehmen. Dadurch wird aber überhaupt nicht gesagt, daß das sich bildende Leben der Erscheinung sich an die Stelle des absoluten Seins und Lebens setzen könne (und dürfe). Nicht zufällig spricht Fichte in diesem Zusammenhang – mit Blick auf die Lebensform der Erscheinung der Erscheinung – von einem (nur) „schematisierenden Leben“, das der Erscheinung eigen ist und erst vom Erscheinen selbst des Absoluten sein „Gesetz“ empfängt (dazu noch unten). Daß die Erscheinung ihre eigene bloß schematische Natur im Reflektieren nicht zur Kenntnis nehme, ist die Quelle alles Scheins und Irrtums. Wir lesen: „Aller Irrthum ohne Ausnahme besteht darin, daß man Bilder für ein Seyn hält“43. Die Reflexion ist somit Voraussetzung und Mittel, damit die erscheinende Wirklichkeit nach ihrem eigentlichen Wesen (= nur als Bild), und nicht als „Sache“, wahrgenommen sei44. Daß man sich aber zu einer solchen Re41

WL 1812 – GA II/13, 61. WL 1812 – GA II/13, 63. 43 WL 1812 – GA II/13, 83. 44 Vgl. WL 1812 – GA II/13, 94. 42

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flexion erhebe, hängt von der Freiheit ab. Die Reflexion – erklärt Fichte – macht sich „nicht von selbst [= sie ist kein mechanisches Vorgehen], sondern [sie macht sich] durch Freiheit“45. Auf die Rolle der Freiheit werde ich unten eingehen. Mit dem doppelten Schematismus ist dennoch die Rekonstruktion der Wesensstruktur der Erscheinung noch nicht zu Ende. Die Vorlesung entfaltet darüber hinaus auch ein weiteres Schema, das als Schema III bezeichnet ist. Es wird folgendermaßen charakterisiert: „Die Erscheinung bildet sich, als sich bildend, als ein sich bildendes u [nd] erscheinendes Princip. Das erste [ist] Schema II. [,] das zweite [ist] Schema III”46. Mit anderen Worten: Das Schema II bringt zum Ausdruck, daß die Erscheinung des Seins (= Schema 1) kein fertiges Ding ist, sondern von einer wesentlichen Selbstbezüglichkeit charakterisiert wird, die sie selbst wahrnehmen (apperzipieren) kann. Die Erscheinung ist Seins-Bezug im Selbstbezug und Selbstbezug im SeinsBezug, der sich als solcher erfassen kann (und gründlicher: erfassen soll). Das Schema III bringt hingegen zum Ausdruck, daß der sich-bildende Selbstbezug, der die Erscheinung in sich ist, ein bildendes Prinzip ist. Die Erscheinung erweist sich in ihrem Erscheinen als ein bildendes Leben bzw. Prinzip, das als solches – also: als bildendes Leben – erscheinen soll. Nun ist das Prinzip-Sein des Bildes nicht etwa ein Bindeglied, welches eine vermeintliche Lücke zwischen dem ersten und dem zweiten Schema auszufüllen hätte. Denn die Erscheinung – erklärt Fichte47 – bringt in ihrem Sein (Schema I) ihr Bild (Schema II) unmittelbar mit sich. Das Prinzip-Sein des Bildes (Schema III) ist unmittelbarer Ausdruck einer solchen komplexen Erscheinungsstruktur. Nicht, daß die Erscheinung zum Prinzip des Seins werde. Ihr Prinzip-Sein betrifft (nur) die Sphäre der Erscheinung der Erscheinung – und überhaupt nicht das Sein: „Sie haben alles gewonnen“ – so spricht Fichte zu seinen Zuhörern – „wenn Sie die absolute Schöpferkraft des Bildes begreifen. Was ist in diesem Bilde [= im Bilde als „Schöpfer“, als Prinzip verstanden] abgebildet [?]: [D]as sich Erscheinen der Erscheinung“48. Das Bild ist Prinzip des sich bildenden Bildens, und insofern ist es Prinzip jener Bilder, welche das Grundgerüst der Wirklichkeit ausmachen. Von diesem Gesichtspunkt kann man sogar eine neue Sicht auf die Aufgabe der Wissenschaftslehre gewinnen. Fichte führt aus: „Die Bilder sind […] von höchst verschiedenen Potenzen; dem Seyn näher liegend, oder entfernter“49. Alles kommt darauf an, jedem Bild „seinen Grad u[nd] seine Potenz anzuweisen“, ohne das Bild und seine jeweilige Potenz mit dem Sein zu verwechseln. Damit wird die Wissenschaftslehre zur „Analyse des ganzen Bildersystem[s]“, sie wird also Untersuchung von dem, was nach dem zweiten Abschnitt des dritten Kapitels der Vorlesung das „gesammte System des Bewußtseins“ genannt werden könnte50. 45

WL 1812 – GA II/13, 95. WL 1812 – GA II/13, 80. 47 Vgl. WL 1812 – GA II/13, 80 ff. 48 WL 1812 – GA II/13, 81 f. 49 WL 1812 – GA II/13, 83. 50 WL 1812 – GA II/13, 99. 46

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V. Die Freiheit als Prinzip der Erscheinung Zum Schluß möchte ich kurz auf einen weiteren, gewichtigen Punkt der Darstellung hinweisen. Es handelt sich um das Thema der Freiheit der Erscheinung und in der Erscheinung. Die These, die Fichte in der Vorlesung vertritt und welche ein Leitmotiv seines ganzen Denkens darstellt, ist, daß die Freiheit, freilich in Verbindung mit dem „Gesetz“, kein bloß regulatives, sondern ein konstitutives Prinzip der erscheinenden Wirklichkeit ist. Die Vorlesung charakterisiert die Freiheit als „Reflexibilität“, oder auch als „Besinnungsvermögen“51. Damit wird m. E. ein vor-moralischer, eher transzendental-ontologischer Freiheitsbegriff zum Ausdruck gebracht, der allerdings die anderen Verständnisformen der Freiheit nicht ausschließt, sondern ermöglicht. Freiheit als Reflexibilität verstanden bedeutet die ursprüngliche Fähigkeit, die die Erscheinung (das absolute Wissen) aufweist, sich mit sich selbst ins Verhältnis zu setzen und in eins damit von der bloßen, sich als ,objektiv‘ ausgebenden Faktizität der Erscheinung selbst Abstand zu nehmen. Reflexibilität kann als die Potenz des ursprünglichen Selbstverhältnisses begriffen werden: Frei-sein heißt dementsprechend, ein Reflex-fähiges (ein ,reflexibles‘) Sein zu sein, ein Sein, das sich als solches ersehen und zu sich selbst Stellung nehmen kann. Es liegt nahe, daß diese Freiheitskonzeption eine Übernahme und Transformation des Kantischen Begriffs der „transzendentalen Freiheit“ darstellt. Fichte zufolge gehört derartige Reflexibilität bzw. Freiheit zum absoluten Sein und Wesen der Erscheinung, so daß die Erscheinung nicht ohne sie sein kann. Das erschließt einen weiteren, tiefgehenden Blick in das Wesen der Erscheinung. Die Erscheinung ist das, was sie ist, „nicht von sich, sondern durch Gott“52 – sie ist ab alio –; in eins damit aber bestimmt die Erscheinung ihr Leben „durch sich“ – sie ist frei. Beide Gedanken – ab alio sein und frei sein – sind Fichte zufolge als vereinbar zu denken, wenn man sich bewußt ist, daß einerseits die Erscheinung als Freiheit „selbstständiger Grund von etwas“ ist, „das ohne sie durchaus nicht ist“; daß andererseits ihr Grundsein Grund von keinem Sein, sondern nur von „Erscheinungen“ (Bilderformen) sein kann. Die Freiheit ist bildendes Prinzip nicht des Seins, sondern der erscheinenden Wirklichkeit. Das Wirkliche, liest man, ist „Produkt der Freiheit“53. Freilich steht die Freiheit in ihrem Grundsein nicht allein da, sondern sie soll – und kann nur, wenn sie keine falsche Freiheit sein will – in Verbindung mit dem, was Fichte „Gesetz“ nennt, handeln. Fichte denkt nicht an eine totale Freiheit; er befürwortet keine absolute Selbstermächtigung des endlichen Daseins. „Die Freiheit“ – so die WL 1812 – „ist […] eine lediglich formale: nicht Grund des Was, denn dieses ist das Gesetz, sondern Grund des Daß. Eine Freiheit des Was qualitativ, ist schlechterdings ungereimt“54. Die formale Freiheit ist aber keine leere, sondern eine für das „Was“ prinzipiell offene Freiheit. Dieses „Was“ der Freiheit wird in 51

Vgl. WL 1812 – GA II/13, 94 ff. WL 1812 – GA II/13, 93. 53 WL 1812 – GA II/13, 97. 54 WL 1812 – GA II/13, 94. 52

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der Vorlesung auch als „das schlechthin unsichtbare, und ideale Seyn“55 bezeichnet, welches allem Wirklichen zugrunde liegt. Daß nun das Unsichtbare überhaupt sei, hängt nicht von der Freiheit der Erscheinung ab. Es kommt aber auf die Freiheit als Vermögen der Besinnung und der Selbstbestimmung an, daß das ideale, geistige Sein in die Erscheinung eintrete und in ihr sichtbar werde – sichtbar nicht in seinem Wesen („wie es ist“), sondern in seinem lebendigen Existieren („daß es ist“). Die Freiheit ist letztlich Prinzip der Erscheinungswelt nach dem „Gesetz“, indem sie das Ideale (schöpferisch) sichtbar macht. Der Darstellung des Jahres 1812 zufolge bleibt daher die Wissenschaftslehre noch immer „System der Freiheit“, oder um ein Spannungsverhältnis zur Sprache zu bringen, das sie innerlich charakterisiert und durch sie hindurchgeht: Sie ist System der Erscheinung des Absoluten als System der Freiheit.

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Die Sicherscheinung der Erscheinung der Erscheinung Mário Jorge de Carvalho I. Einleitung Dieser Beitrag befaßt sich mit der Konstellation der wesentlichen Grundbegriffe1 der Wissenschaftslehre von 1812, die mit der Bestimmung dessen zu tun haben, was ein Bild ausmacht, d. h. also dessen, was Fichte auch „Erscheinung“, „Schema“, „Seyn ausser seinem Seyn“2 oder „Entäussertes“3 im Gegensatz zum absoluten „Seyn“ nennt. Das Hauptaugenmerk liegt bei der Frage, wie die Erscheinung (das Bild) als solche beschaffen ist und auf welche Art und Weise sich die Erscheinung ihrem Wesen nach spaltet, oder wie es in der Wissenschaftslehre von 1812 heißt: „sich bildet“4; ohne diese Spaltung bzw. ohne dieses „bildende“, „abbildende“ oder „schematisierende Leben“5 kann die Erscheinung überhaupt nicht sein. Das sich aus dieser Spaltung ergebende „Bild vom Bilde“6 bzw. das „SichErscheinen der Erscheinung“7 soll Fichte zufolge eine der Erscheinung innewohnende Form der Erscheinung8 darstellen. In der fraglichen Form der Erscheinung – nämlich der „SichErscheinung“ – liegt aber noch eine weitere Bestimmung, die dazu führt, daß Fichte von der „sich Erscheinung der Erscheinung der Erscheinung“9 spricht und darauf hinweist, daß das „unzertrennliche synthetische Ganze”10, welches die Bedingung der Möglichkeit jeder 1 Johann Gottlieb Fichte: Die Wissenschaftslehre [aus dem Jahr 1812], in: ders.: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. Reinhard Lauth, Hans Jacob, Hans Gliwitzky, Erich Fuchs und Peter K. Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 – 2012. Im folgenden abgekürzt: WL 1812, GA, mit Angabe der Abteilung, des Bandes und der Seitenzahl, hier: WL 1812 – GA II/13, 69. 2 WL 1812 – GA II/13, 57. 3 WL 1812 – GA II/13, 70. 4 WL 1812 – GA II/13, 62. 5 WL 1812 – GA II/13, 62, 69, 70, 80. 6 WL 1812 – GA II/13, 62, 70. Fichte spricht auch von „Bild des Bildes” (WL 1812 – GA II/13, 57). 7 WL 1812 – GA II/13, 62, 89. 8 WL 1812 – GA II/13, 62 f.. 9 WL 1812 – GA II/13, 73. 10 WL 1812 – GA II/13, 70.

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Erscheinung als solcher darstellt, jene Komplexität aufweist, ja aufweisen muß, welche die fragliche Formel auf den Punkt bringt. Der vorliegende Beitrag setzt sich die Aufgabe, diesen Fragenkomplex zu untersuchen und den Sinn der genannten Begriffe und Formeln („Bild“, „Bild vom Bilde“, „sich Erscheinung der Erscheinung“, „die Erscheinung erscheint sich“11, „die sich Erscheinung der Erscheinung der Erscheinung“12, „die Erscheinung erscheint sich, als sicherscheinend“13, nicht zuletzt auch „[…] die Erscheinung erscheint sich, – als – sicherscheinend, als sich erscheinend“14 u. dgl.) sowie ihren Zusammenhang zu klären. II. Bild, Schema oder Erscheinung Diese Aufgabe kann aber nicht in Angriff genommen werden ohne ein Mindestmaß eines Verständnisses darüber, worum es überhaupt geht, d. h. man muß sich darüber im klaren sein, in welchem Zusammenhang die fraglichen Begriffe und Formeln vorkommen und mit welchem konkreten Phänomenbereich bzw. mit welcher Fragestellung sie zu tun haben. Soviel ist aber von vornherein klar: Es geht um das Bild, um das Schema bzw. um die Erscheinung. Es geht um die Beschaffenheit des Bildes oder der Erscheinung: um das, was ein Bild oder Schema zu einem solchen macht. Es geht um die wesensmäßige Struktur des Bildes oder der Erscheinung. Was ist aber in diesem Zusammenhang unter Bild, Schema oder Erscheinung – Fichte spricht auch von „Wißthum“15 – zu verstehen? Es ist zunächst einmal im Auge zu behalten, daß es sich nicht um ein Bild, ein Schema oder eine Erscheinung im Gegensatz zu etwas Anderem handelt, nämlich zu etwas über dem Bild, dem Schema oder der Erscheinung Hinausliegendem – als ob wir in Berührung mit etwas Derartigem wären oder Zugang zu etwas Derartigem hätten, und das Bild nur einen Bestandteil unter anderem im Gesamthorizont dessen darstellt, wozu wir Zugang haben und was wir gemeinhin die „Welt“ nennen. Vielmehr ist die Rede von Bild, Schema, Erscheinung, „Wißthum“ u. dgl. im Kontext einer „veränderten Denkart“ zu verstehen, die sich dadurch auszeichnet, daß sie sich der Tatsache voll bewußt ist, daß alles und jedes, womit wir in Berührung stehen oder wozu wir Zugang haben, nichts anderes und nichts mehr als Bild, Schema, Erscheinung u. dgl. ist, so daß das Bild gleichsam den Stoff darstellt, aus dem schlichtweg das Ganze verwoben ist. Denn selbst das, was den Eindruck erweckt, mehr als Bild zu sein, stellt sich bei näherem Hinsehen doch als etwas heraus, was letzten Endes nichts anderes als ein Bild ist (und eben nur als Bild den Anspruch erhebt, mehr als Bild oder Erscheinung zu sein). Mit anderen Worten: Der landläufige Unterschied zwischen dem Bild und demjenigen, was mehr als Bild bzw. Erscheinung ist, stellt sich gleich11

WL 1812 – GA II/13, 61, 69, 70. WL 1812 – GA II/13, 73. 13 WL 1812 – GA II/13, 75. 14 WL 1812 – GA II/13, 76. 15 WL 1812 – GA II/13, 44.

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sam als Bestandteil der Binnenstruktur eines Gesamtphänomens heraus, welches durch und durch den Charakter eines Bildes besitzt. Und der Bildbegriff, von dem in der WL 1812 die Rede ist, zeichnet sich gerade dadurch aus, daß er mit dem „engeren Begriff“ vom Bild (d. h. mit dem Bild als etwas unter anderem, im Gegensatz zu etwas Anderem) nicht das geringste zu tun hat, sondern vielmehr der soeben erwähnten Tatsache Rechnung trägt (ja, die Tatsache in den Mittelpunkt stellt), daß das Ganze nichts denn Bild oder Erscheinung ist: daß wir nichts finden können, was nicht lauter Bild oder Erscheinung, Schema oder „Wißthum“ ist – und daß das Bild somit das Milieu darstellt, in dem wir „leben, weben und sind“16. Zweitens ist in diesem Zusammenhang noch folgendes im Auge zu behalten. Dem Bild in dem hier in Frage stehenden Sinne eignet ein merkwürdiges Verhältnis zum Sein. Zwar ist das Bild bzw. das, worauf der Begriff von Erscheinung hinweist, seinem Wesen nach auf das Sein bezogen, und zwar so, daß das Eine von dem Anderen unzertrennlich ist, und das Bild unweigerlich mit dem Sein zu tun hat und Bild vom Sein bzw. Erscheinung des Seins ist. Dies verhindert es jedoch nicht, daß das Bild, wie Fichte sagt, „eine ganz andere Form des Seyns“17 darstellt – ja „eine ganz andere Form des Seyns“ in dem Sinne, daß sie sich durch ihre vollkommene Heterogenität dem Sein gegenüber auszeichnet, d. h. dadurch, daß in ihr vom Seyn gar nichts zu finden ist: „Bild: formaliter durch und durch: nichts denn Bild u. Schema: also nicht ein minimum von Seyn selbst“18. Mit anderen Worten: In der WL 1812 versucht Fichte die „Seinsweise“ des Bildes herauszuarbeiten – nämlich des Bildes im soeben erwähnten, „erweiterten“ Sinne (d. h. in dem Sinne, in welchem alles und jedes, wozu wir Zugang haben oder womit wir in Berührung kommen, nichts anderes als Bild oder Erscheinung ist). Diese „Seinsweise“ ist Fichte zufolge dadurch gekennzeichnet, daß sie im eigentlichen Sinne keine Seinsweise, sondern die eigentümliche Wesensart von etwas bildet, was in jeder Beziehung vom Sein abweicht oder durch und durch in etwas ganz anderem als Sein besteht. Den eigentümlichen Zusammenhang, der damit zu tun hat, daß das Bild einerseits auf das Sein bezogen und Bild des Seins, andererseits aber so geartet ist, daß es durch und durch Bild ist, nichts als Bild und Erscheinung enthält (dergestalt, daß in diesem Bild oder in dieser Erscheinung „nicht ein minimum von Seyn selbst“ zu finden ist), bringt Fichte dadurch auf den Punkt, daß er vom „Seyn ausser seinem Seyn“ spricht19. Das Bild ist so beschaffen, daß es „ausser seinem Seyn“ d. h. außer dem ihm entsprechenden Sein bleibt bzw. hinter dem ihm entsprechenden Sein zurückbleibt, worauf es seinem Wesen nach bezogen und gerichtet ist. Dieses Außer-seinem-Sein-sein – dieser Seinsmodus des „Entäußerten“ (welcher eben deswegen keinen Seinsmodus im eigentlichen Sinne darstellt) ist es, was die Wesensart des Bildes ausmacht. 16

Vgl. WL 1812 – GA II/13, 60. WL 1812 – GA II/13, 57. Vgl. auch WL 1812 – GA II/13, 56: „Durchaus andere, jener schlechthin entgegengesetzte Form des Seyns“. 18 WL 1812 – GA II/13, 58. 19 WL 1812 – GA II/13, 57. 17

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Das Bild ist durch und durch „Entäussertes“. Denn einerseits ist es durch und durch auf Sein bezogen und besteht in nichts anderem als diesem Bezug zum Sein, andererseits ist es durch und durch so geartet, daß es „ausser seinem Seyn“ bleibt20. Drittens ist in diesem Zusammenhang noch ein Punkt zu erwähnen, den es umso mehr hervorzuheben gilt, als es sich um etwas handelt, was im folgenden außer Betracht bleiben muß. Das Bild, von dem in der WL 1812 die Rede ist, ist das Bild oder die Erscheinung des Absoluten. D. h.: Das Sein, um welches das Bild kreist bzw. auf welches das Bild wesensmäßig bezogen und gerichtet ist, ist nichts Geringeres als das Absolute. Dies bedeutet wohlgemerkt nicht, daß es verschiedene Bilder gibt und unter anderem auch das Bild des Absoluten. Der WL 1812 zufolge verhält es sich vielmehr so, daß das Bild im oben genannten Sinne – ja, das Bild oder die Erscheinung überhaupt – das Bild des Absoluten sein muß, so daß es kein anderes Bild als das Bild des Absoluten gibt. Mehr noch: Das Bild als Bild des Absoluten ist Fichte zufolge das, „was ausser dem Absoluten sein“ kann21. Es ist somit „das einzig mögliche Daseyn“22 bzw. die einzig mögliche Faktizität23, so daß der Satz gilt: „Nichts ausser Gott, denn seine Erscheinung: Alles was ist, ausser [… Gott], ist seine Erscheinung“24. III. Die „Bildlichkeit“ als Form des Bildes oder das „schematisierende Leben“ als „Sichbilden des Bildes“ Von dieser Grundlehre der WL 1812 und von der Art und Weise, wie Fichte diese Grundlehre zu untermauern versucht, wird im folgenden abgesehen. Die Frage ist aber: mit welchem Recht? Ist es nicht so, daß die fragliche These einen Grundpfeiler 20 Davon abgesehen, daß der Kontext ein anderer ist, und daß Fichte höchstwahrscheinlich die einschlägigen Textstellen des corpus platonicum nicht kannte oder sich ihrer Bedeutung nicht bewußt war, ist ein gewisses Maß an Übereinstimmung zwischen der hier in Frage stehenden Charakteristik des Bildes als „Entäusserten“ und Platos Bestimmung der eQj~m bzw. des eUdykom nicht zu übersehen. Vgl. vor allen Dingen Platon: Sophistes 240b12-c2 („{NE.} Oqj cm %qa [oqj] emtyr 1st·m emtyr Dm k]colem eQj|ma; {HEAI.} Jimdume}ei toia}tgm tim± pepk]whai sulpkojµ t¹ lµ cm t` emti, ja· l\ka %topom“) und die Stellen aus dem Phaidon, wo Plato die Wesensart des Bildes dahingehend bestimmt, daß das Bild in einer Art aq]ceshai bzw. bo}keshai eWmai oXom t| X besteht, dergestalt jedoch, daß es „1mde? d³ ja· oq d}matai toioOtom eWmai oXom 1je?mo, !kk’ 5stim vauk|teqom“ und durch das gekennzeichnet ist, was die Wendung „1mdeest]qyr 5weim“ bzw. „1mde]steqom eWmai“ zum Ausdruck bringt (vgl. Platon: Phaidon, 74a5 – 75d5). Es ist zu betonen, daß, wenn die WL 1812 von dem Bild bzw. von der Erscheinung als „Entäussertem“ spricht, dies nicht nur, ja nicht hauptsächlich mit der Art und Weise zu tun hat, wie das Bild zustande kommt, sondern mit der Beschaffenheit des Bildes selbst bzw. mit der Tatsache, daß es – davon abgesehen, wie es zustande gekommen ist – durch und durch in dem Bezug auf etwas besteht, was außer ihm bleibt, und somit die Wesensart eines „Seyns ausser seinem Seyn“ aufweist. 21 WL 1812 – GA II/13, 57. 22 WL 1812 – GA II/13, 59. 23 WL 1812 – GA II/13, 60 f. 24 WL 1812 – GA II/13, 59.

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der gesamten Betrachtung darstellt, die in der WL 1812 zum Ausdruck kommt? Und führt eine derartige Ausblendung nicht unweigerlich zu einer gravierenden Entstellung der Bildlehre, die in der WL 1812 dargelegt wird? So scheint es. Dieser Eindruck erweist sich jedoch als trügerisch. Denn in der WL 1812 spricht Fichte von dem, was er die „zwei Bestandteile“ nennt, die in den Begriff des Bildes des Absoluten eintreten25. Der fragliche Begriff hat einerseits mit dem „inneren Wesen des Absoluten“ zu tun (u. d. h. zugleich mit der Tatsache, daß es sich um das Bild oder die Erscheinung des Absoluten handelt: daß das Bild seinem Wesen nach Bild des Absoluten ist); andererseits hängt er aber auch mit dem zusammen, was Fichte die Bildlichkeit26 als solche bzw. die Form des Bildes nennt – d. h. das Spezifikum des Bildes, das, was ein Bild zu einem solchen macht und dem Bild als solchem unabdingbar innewohnen muß. Dieser zweite Bestandteil ist nicht weniger wichtig als der erste. Er kann und muß für sich selbst betrachtet werden. Mehr noch: Ohne eine solche spezifische Betrachtung der „Bildlichkeit“ oder der „Form des Bildes“ kann auch kein Verständnis der Grundlehre gewonnen werden, der zufolge das Bild wesensmäßig Erscheinung des Absoluten sein muß27. Mit anderen Worten: Davon abgesehen, daß das Bild in dem hier in Frage stehenden weiteren, „umfassenden“ Sinne28 seinem Wesen nach Bild und Erscheinung des Absoluten sein muß, ist das Bild dadurch charakterisiert, daß es eine ihm eigentümliche Wesensart besitzt, die nicht vom Absoluten herrührt, sondern vielmehr dem Bild als solchem – d. h. also dem, was vom Absoluten zu unterscheiden ist und dem Absoluten entgegengesetzt werden kann und muß – wesensmäßig innewohnt. Mit einem Wort, das Bild ist durch ein ihm eigentümliches „Wie“ – durch das „Wie seines Bildseins“ – gekennzeichnet. Und auch in dieser Hinsicht spielt ein unveränderliches (oder, wie Fichte sagt, ein „unverbrüchliches“29) Gesetz eine ausschlaggebende Rolle, nämlich das Gesetz, welches bestimmt, wie das Bild geartet sein muß, wenn anders es Bild sein soll. Oder wie es in der WL 1812 heißt: auch hier spielt ein „Nothwendiges“ eine ausschlaggebende Rolle – nämlich „ein Nothwendiges, wie es“ – nämlich das Bild – „seyn müsse, falls es sey“30. Fichte nennt dies die „Form des Bildes“ bzw. die „Form der Erscheinung“31.

25

WL 1812 – GA II/13, 58. Ebd., 58, 61. 27 Vgl. WL 1812 – GA II/13, 137 f. 28 Von einem weiteren, „umfassenden“ Sinne kann insofern die Rede sein, als alles (nämlich alles, wozu wir Zugang haben) Bild ist und nichts anderes als Bild und Erscheinung. Es handelt sich, wie man nicht oft genug betonen kann, um das Bild oder die Erscheinung in dem spezifischen „umfassenden Sinne“, daß alles, wozu wir Zugang haben, durch und durch Bild und Erscheinung ist. 29 WL 1812 – GA II/13, 43. 30 WL 1812 – GA II/13, 44 f. 31 WL 1812 – GA II/13, 63. Vgl. auch WL 1812 – GA II/13, 70: „Es giebt kein solches erscheinen, […] das nicht habe diese Form: (diese Form tritt nicht erst hinzu.) [u. hinwie26

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Wie noch zu sehen sein wird, ist diese Form des Bildes so geartet, daß sie mit der Spaltung bzw. mit der Komplexität zusammenhängt, die dem Bild insofern innewohnt, als das Bild nicht als etwas Einfaches möglich ist, sondern seinem Wesen nach ein Mannigfaltiges darstellen muß. Ja, das Entscheidende besteht gerade darin, daß es sich um eine ganz eigentümliche, dem Bild wesenseigene Mannigfaltigkeit handelt. Diese eigentümliche Mannigfaltigkeit oder Komplexität, die die Form des Bildes oder der Erscheinung ausmacht, ist es, was Fichte „bildendes“, „abbildendes oder schematisierendes Leben“32 nennt. Um Bild zu sein, muß das Bild die Form eines „bildenden“, „abbildenden oder schematisierenden Lebens“ annehmen. D. h.: Zum einen ist das Bild so geartet, daß ihm „eingenthümliche[s] wirkl. u. wahrhafte[s] Leben“33 oder, wie Fichte auch sagt, eigene Tätigkeit34 innewohnen muß; zum anderen ist das fragliche Leben (oder die fragliche Tätigkeit) dadurch charakterisiert, daß es einen Wesenszug des Bildes darstellt, einen reinen Bildcharakter besitzt, innerhalb des Bildes bleibt oder über seine Grenzen nicht hinausreicht (eben darum spricht Fichte von einem „schematisierenden Leben“, welches ausschließlich in einem „Sichbilden“ des Bildes35 besteht); schließlich hat diese Tätigkeit bzw. dieses bildende oder schematisierende Leben mit dem Wesensgesetz zu tun, daß das Bild „sich bilden“, i. e. in eine Mannigfaltigkeit von Bildern spalten muß – nicht in dem Sinne einer Mannigfaltigkeit verschiedener Bilder von etwas anderem (so daß das Bild nichts Einfaches zum Gegenstand haben kann und seinem Wesen nach Bild von etwas Mannigfaltigem, d. h. Bild von X und Y und Z etc. sein muß), sondern vielmehr in dem Sinne, daß das Bild von X, um ein Bild von X zu sein, kein einfaches Bild von X sein kann, sondern sich gleichsam in eine innere Mannigfaltigkeit von Bildern des Bildes von X spalten, d. h. also dem entsprechen muß, was die Formel „Bild vom Bild“36 auf den Punkt bringen soll. Darum spricht Fichte von einer „in sich zurückgehenden Form der Erscheinung“37 bzw. von einer Art „Reflexion“38 – man könnte auch von einer reflexiven Form der Erscheinung oder von einer das Bild mitbedingenden, ihm unabdingbar innewohnenden reflexiven Form des Bildes, der Erscheinung oder des „Wißthums“ sprechen. Es handelt sich demnach um etwas, was für das Bild überhaupt, für das Bild als solches – oder, wie Fichte auch sagt, für die Erscheinung „welche es auch sey“39 – gilt. Die Analyse dieser Form der Erscheinung bzw. dieser dem Bild als solchem innewohnenden, das „Wie“ des Bildes ausmachenden „Form des Bildes“ und die Erderum:] es giebt keine [Beziehung] der Erscheinung auf sich, ausser in diesem erscheinen […]“. 32 WL 1812 – GA II/13, 62, 70, 80. 33 WL 1812 – GA II/13, 69. 34 WL 1812 – GA II/13, 61. 35 WL 1812 – GA II/13, 62, 21, 80. 36 Ebd., 62, 70. 37 WL 1812 – GA II/13, 63. 38 Ebd. 39 Ebd.

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örterung dessen, „was in dieser Form liege, u. aus ihr erfolge“40, ist Fichte zufolge die eigentliche Aufgabe der WL41. Die WL konzentriert sich ausschließlich auf diese Form. Ja, die WL konzentriert sich dergestalt auf die Form der Erscheinung oder auf das „Wie“ des Bildes, daß sie, indem sie die Form des Bildes oder der Erscheinung erörtert, davon absieht, was das im Bild Erscheinende sei: „Worauf aber sieht die W.L. Daß die Erscheinung (welche es auch sey) sich erscheine: bloß auf diese in sich zurückgehende Form der Erscheinung. –. Was das sich erscheinende an sich sey, davon abstrahiert sie . –. Jenes ist der Grund der Realität der Erscheinung: eben das absolute seyn durch ihr Seyn derselben, unabhängig von aller Form. Die W.L. abstrahiert sonach von der Realität. Diese Form; überhaupt die Form: also sie stellt lediglich dar die Form.“42

Soviel zur Bestimmung und Begrenzung unseres Themas. Es geht nunmehr darum, die fragliche „Bildlichkeit“ – d. h. also die „in sich zurückgehende“ Form des Bildes, das „Wie“ des Bildes: die eigentümliche Spaltung, die Fichte zufolge dem Bild insofern innewohnt, als es diese Spaltung ist, die das Bild ausmacht und zu einem Bild oder zu einer Erscheinung werden läßt – näher zu erörtern. Diese Erörterung soll uns in den Stand setzen, zugleich die Frage zu beantworten, was diese „Bildlichkeit“ oder diese „Form des Bildes und der Erscheinung“ mit einer „sich Erscheinung der Erscheinung der Erscheinung“ zu tun hat bzw. inwiefern die fragliche „Bildlichkeit“ oder „Form“ etwas ist, was durch die fragliche Formel zum Ausdruck gebracht werden kann. IV. Das „SichErscheinen der Erscheinung“. Bild und „Bild vom Bilde“ Fichte weist zunächst einmal darauf hin, daß das Bild „sich selbst, seine Bildlichkeit charakterisiert“43. Dies hängt damit zusammen, „daß die Erscheinung eben sich selbst erscheine; – theils daß sie überhaupt sey formaliter; theils was sie sey qualitativ“44. Daß das Bild sich selbst charakterisiert und sich selbst erscheint (und zwar so, daß es sich sowohl in seinem „Daß“ als in seinem „Was“ erscheint), bedeutet zunächst einmal, daß das Bild nicht etwas ist, was einfach „da ist“, sondern vielmehr das darstellt, was erst das „Da“ überhaupt, das „Da“ als solches45 (nämlich das „Da“ der Erscheinung) zustande bringt – und zwar so, daß dieses „Da“ nur dadurch möglich ist, daß das Bild sich auf sich selbst bezieht, gleichsam mit sich „in Berührung kommt“ und für sich selbst Bild ist. Ja, um Bild zu sein, muß das Bild in zweierlei Hinsicht sich auf sich selbst beziehen bzw. „mit sich selbst in Berührung kommen“ 40

WL 1812 – GA II/13, 61. WL 1812 – GA II/13, 62. 42 WL 1812 – GA II/13, 63. 43 WL 1812 – GA II/13, 61. 44 Ebd. 45 Zum eigentümlichen Begriff des Da, der in der WL 1812 eine wichtige Rolle spielt, vgl. insbesondere WL 1812 – GA II/13, 58. 41

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oder in zweierlei Hinsicht für sich selbst Bild sein: zum einen muß es für sich selbst Bild in dem Sinne sein, daß es mit der Tatsache „in Berührung kommt“, „daß es überhaupt sey formaliter“; zum anderen muß es für sich selbst Bild in dem Sinne sein, daß es mit dem „in Berührung kommt“, „was es sey qualitativ“. Dieses „SichErscheinen der Erscheinung“, dieses „Für sich selbst sein“ des Bildes setzt aber eine Spaltung46 voraus, nämlich die Spaltung, der es zu verdanken ist, daß das Bild nicht einfach Bild, sondern zugleich „Bild vom Bilde“ ist – und mittels dieses ihm innewohnenden Bildes vom Bilde (bzw. mittels dieses ihm innewohnenden Bildes von sich selbst) gleichsam „mit sich selbst in Berührung kommt“ oder sich mit sich selbst „in Verbindung setzt“. So führt das Bild ein Bild seiner selbst „unmittelbar bei sich“. Das „Bild vom Bilde“ stellt ein neues Bild dar47 und hängt also mit einer Spaltung des Bildes zusammen. Die fragliche Spaltung ist jedoch so geartet, daß sie mit einer Trennung bzw. mit einem Auseinandergehen nicht das geringste zu tun hat. Vielmehr ist diese Spaltung des Bildes so beschaffen, daß sie die Bedingung dafür darstellt, daß das Bild mit sich selbst „in Berührung kommt“ oder sich selbst nicht entgeht. Das sich aus dem „Sichbilden“ des Bildes ergebende neue Bild (nämlich das „Bild vom Bilde“) ist es, das das Bild mit sich selbst gleichsam „in Verbindung setzt“ und dadurch erst zu einem wirklichen Bild bzw. zu einer wirklichen Erscheinung werden läßt. Es verhält sich keineswegs so, daß es zunächst einmal ein „einfaches Bild“ oder eine „einfache Erscheinung“ gibt, zu der das neue Bild (das „Bild vom Bilde“) bzw. die „Erscheinung der Erscheinung“ hinzutritt. Das Sich-zu-sichselbst-Verhalten der Erscheinung – und zwar das Sich-zu-sich-selbst-Verhalten nach Art der Erscheinung und des Bildes (i. e., daß die Erscheinung sich zu sich selbst „erscheinungsmäßig“ verhält) – stellt eine Grundbedingung der Erscheinung selbst dar. Oder, wie man auch sagen kann, das Minimum an Bild ist nicht das schlichte Bild (das es somit als solches nicht geben kann), sondern vielmehr das Bild vom Bilde – und das Minimum an Erscheinung ist nicht die einfache Erscheinung (die es demnach als solche nicht geben kann), sondern vielmehr das, was die WL 1812 die „sich Erscheinung der Erscheinung“ nennt48. 46

WL 1812 – GA II/13, 61. WL 1812 – GA II/13, 62, 69. 48 Man kann sich zwar ein „schlichtes Bild“ oder eine „schlichte Erscheinung“ vorstellen, welche einfach da ist, aber eigentlich nur so, daß diese Vorstellung im Rahmen eines sich bereits zu sich selbst verhaltenden Bildes oder einer sich erscheinenden Erscheinung stattfindet. D. h.: Das „Da“, in welchem die so vorgestellte „schlichte Erscheinung“ oder das so vorgestellte „schlichte Bild“ auftritt, besitzt immer schon den Charakter eines sich zu sich selbst verhaltenden Bildes oder einer „sich erscheinenden Erscheinung“. Anders gesagt: man kann sich nur deswegen ein „schlichtes Bild“” oder eine „schlichte Erscheinung“ vorstellen, weil man selbst immer schon ein „Bild vom Bilde“ oder eine „sich erscheinende Erscheinung“ ist. Und die Vorstellung des „schlichten Bildes“ kommt nur dadurch zustande, daß das „sich zu sich selbst verhaltende Bild“ für sich selbst undurchsichtig bleibt und seiner komplexen Natur (bzw. der Tatsache, daß es immer schon die Struktur eines Bildes vom Bilde oder einer Erscheinung der Erscheinung aufweist) nicht innewird. Kurz, ein „schlichtes Bild“ ist nichts anderes als ein Bild vom Bilde, welches von seiner komplexen, das Bild als Bild mitermög47

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Die Rede von einem „neuen Bilden“49, von einem neuen Bild bzw. von einem zweiten Bild – kurz, die Rede vom „Bild vom Bilde“ –, kann indessen zu Mißverständnissen Anlaß geben, die es zu vermeiden gilt. Sie kann nämlich den Eindruck erwecken, als handle es sich um die Setzung eines zweiten Bildes, welches dem ersten seiner Beschaffenheit nach ähnlich sei. Mit anderen Worten: Man könnte meinen, daß das „neue Bilden“, von dem in der WL 1812 die Rede ist, wie Fichte sagt, den Charakter eines „realiter setzenden“ Bildens besitze, welches das fragliche Bild „noch einmal setzt“. Fichte weist aber nachdrücklich darauf hin, daß dem nicht so ist: „[…] nur eben diese [die Gesamtheit und Unwandelbarkeit des ersten Bildes] bildend, keineswegs etwa sie realiter setzend noch einmal“50. Das „neue Bilden“, welches das Bild als solches seinem Wesen nach mit sich führt, zeichnet sich dadurch aus, daß es innerhalb einer einzigen (der einen und selben) realen Setzung stattfindet, so daß das fragliche Bild nicht noch einmal gesetzt wird (und es auch zu keiner anderen realen Setzung eines anderen Bildes kommt). Das Entscheidende besteht gerade darin, daß die reale Setzung eines Bildes nicht ohne dieses „neue Bilden“ (oder wie Fichte auch sagt, ohne dieses Sichbilden) des fraglichen Bildes erfolgen kann – so daß das „neue Bilden“ der einzigen realen Setzung gleichsam als innerer Vorgang innewohnt, ja zum eisernen Bestand der einzigen realen Setzung gehört. Anders gesagt: Das neue Bilden wohnt dem ursprünglichen Bilden als unerläßliche Bedingung inne und zeichnet sich gerade dadurch aus, daß es, wie ausgeführt, mit einer Art „Sich-auf-sich-selbst-Beziehens“, „Sich-zu-sich-selbst-Verhaltens“, „Mit-sichin-Berührung-Kommens“ oder „Mit-sich-in-Verbindung-Setzens“ des fraglichen Bildes (oder der fraglichen Erscheinung) zu tun hat. Das „neue Bilden“ bzw. das sich daraus ergebende „Bild vom Bilde“ weist zwei weitere Züge auf, welche in der soeben angeführten Textstelle hervorgehoben werden. Auch sie sind für das Verständnis des eigentümlichen Charakters des hier in Frage stehenden „Bildes vom Bilde“ von einschneidender Bedeutung. Ein „Bild vom Bilde“ in dem hier zur Erörterung stehenden Sinne ist Fichte zufolge zunächst einmal dadurch gekennzeichnet, daß es sich nicht darauf beschränkt, einen Teil des Bildes abzubilden, von dem es ein Bild ist. Das „Bild vom Bilde“ ist ein Bild „von dem gesamten Bild“: „[…] also sich abbildend in seiner Ganzheit u. Unwandelbarkeit[,] nicht etwa nur einen Theil seines Wesens […]“51. Es geht darum, daß das ganze Bild sich zu sich selbst verhalte, mit sich selbst „in Berührung komme“ oder „sich mit sich selbst in Verbindung setze“. D. h.: Es geht darum, daß die ganze Erscheinung sich selbst nicht entgehe. Und nur ein In-BerührungKommen des ganzen Bildes mit dem ganzen Bild (nur eine die ganze Erscheinung

lichenden Struktur absieht, und eine schlichte Erscheinung ist nichts anderes als eine „Erscheinung der Erscheinung“, der die ihr innewohnende komplexe Struktur entgeht. 49 WL 1812 – GA II/13, 69. 50 Ebd. 51 Ebd.

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umfassende „sich Erscheinung der Erscheinung“) kann dieser unerläßlichen Bedingung des Bildes Genüge tun. Dieser erste Wesenszug des „Bildes vom Bilde“ bzw. der „sich Erscheinung der Erscheinung“ geht aber mit einem zweiten Hand in Hand, nämlich daß das hier in Frage stehende „neue Bilden“ keinen anderen Gegenstand hat als das „ursprüngliche Bild“, dessen realer Setzung es innewohnt. Das „Bild vom Bilde“ ist demnach nur Bild vom Bild – nämlich von dem, was man hier das „ursprüngliche Bild“ nennen kann52 – und von gar nichts anderem. Mehr noch: Fichte weist ausdrücklich darauf hin, daß das „ursprüngliche Bild“ vom „neuen Bilden“ durch nichts anderes als eben durch das Wesen des Bildes (d. h. durch die „in sich zurückgehende Form der Erscheinung“) modifiziert wird: Das ursprüngliche Bild „bildet sich ab, ganz wie es ist. Es ist darum im Sch[ema] 2[, d. h. im „Bild vom Bilde“] ganz wie es zu seyn [vermag] im Bilde, und durch nichts anderes, als eben durch das Wesen des Bildes afficirt“53. Im Ergebnis ist somit festzuhalten, daß das Bild – das Bild, das wir sind (das Bild, das das Ganze ist, zu dem wir uns verhalten) – diese in „in sich zurückgehende Form“ aufweist. Es ist seinem Wesen nach nicht nur Bild oder Erscheinung, sondern „Bild vom Bilde“ und „sich Erscheinung der Erscheinung“ – und zwar so, daß diese „in sich zurückgehende Form“ das Ganze durchpulst und alles gleichsam aus diesem ganz besonderen „Stoff“ verwoben ist. Aus dem Ausgeführten geht hervor, daß es diese das Ganze durchpulsende, das ursprüngliche Bild nur als Form modifizierende „Form des Bildes“ oder „Form der Erscheinung“ (nämlich die „in sich zurückgehende Form“ des Bildes oder der Erscheinung) ist, welche das Bild wirklich zu einem solchen (oder die Erscheinung wirklich zu einer solchen) werden läßt. Kurz: Das Bild muß immer schon „Bild vom Bilde“ und die Erscheinung muß immer schon „Erscheinung der Erscheinung“ bzw. „sich Erscheinung der Erscheinung“ sein.

V. Die Komplexität des „schematisierenden Lebens“ als „SichErscheinung der Erscheinung“ Aber damit noch nicht genug. Denn das Entscheidende besteht gerade darin, daß die dem Bild bzw. der Erscheinung innewohnende Komplexität – die Spaltung des Bildes, ohne welche das Bild nicht sein kann – sich als noch komplexer erweist, und zwar so, daß sie sich keineswegs in der Spaltung zwischen Bild und „Bild vom Bilde“ oder zwischen Erscheinung und „sich Erscheinung der Erscheinung“ erschöpft. Die WL 1812 weist vielmehr darauf hin, daß das „Bild vom Bilde“ bzw. die „sich Erscheinung der Erscheinung“ wiederum nicht als etwas Einfaches (als einfaches „Bild vom Bilde“ oder als einfache „sich Erscheinung der Erscheinung“) mög52

Fichte spricht vom „Schema I“ im Gegensatz zum „Bild vom Bilde“ als „Schema II“ (vgl. WL 1812 – GA II/13, 62, 69 ff.). Er spricht auch vom Gegensatz zwischen dem „Bild vom Bilde“ und dem, was er „das Bild unmittelbar“ nennt (WL 1812 – GA II/13, 62). 53 WL 1812 – GA II/13, 70.

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lich ist, sondern vielmehr sich in eine Mannigfaltigkeit verschiedener Momente spaltet oder eine Mannigfaltigkeit zusammenwirkender „Bilder vom Bilde“54 fordert und voraussetzt, ohne die es – nämlich das „Bild vom Bilde“ (die „sich Erscheinung der Erscheinung“) – nicht zustande kommen kann. Diesbezüglich gilt es verschiedene Punkte hervorzuheben: Erstens ist im Auge zu behalten, daß sämtliche Momente der fraglichen Mannigfaltigkeit der soeben besprochenen formalen Struktur entsprechen und den Charakter eines „Bildes vom Bilde“ aufweisen oder mit der „sich Erscheinung der Erscheinung“ wesentlich zusammenhängen. Es handelt sich um eine Spaltung dessen, was Fichte „Bild vom Bilde“ ( oder „sich Erscheinung der Erscheinung“) nennt, und jedes sich aus dieser Spaltung ergebende Moment stellt seinem Wesen nach eine besondere Modalität vom „Bild vom Bilde“ oder von „sich Erscheinung der Erscheinung“ dar. Mit anderen Worten: Jedes derartige strukturelle Moment bringt es mit sich, daß das Bild sich auf sich selbst bezieht, mit sich in Berührung kommt oder sich zu sich selbst verhält – und zwar so, daß es das „ursprüngliche Bild“ durch nichts anderes als die jeweils in Frage stehende unerläßliche Bedingung des Bildes selbst modifiziert. Zweitens ist aber auch zu betonen, daß die fraglichen „Bilder vom Bilde“ voneinander verschieden und aufeinander unzurückführbar sind. Es geht darum, daß das dem Bild als solchem innewohnende „neue Bilden“ bzw. „schematisierende Leben“ kein einfaches ist, und daß es in diesem Sinne eigentlich kein schlichtes „Bild vom Bilde“, sondern vielmehr eine irreduzibel komplexe Konstellation von „Bildern vom Bilde“ gibt. Mit anderen Worten: Die WL 1812 weist darauf hin, daß das „Sich-auf-sich-selbst-Beziehen“ bzw. das „Sich-zu-sich-selbst-Verhalten“ des Bildes auf verschiedene Art und Weise erfolgen kann – und zwar so, daß jede Modalität des „Sich-auf-sich-selbst-Beziehens“ bzw. jede Modalität des „Bildes vom Bilde“ etwas Eigentümliches ist und von keiner anderen ersetzt werden kann. Drittens darf dabei aber auch nicht aus dem Auge verloren werden, daß diese verschiedenen „Bilder vom Bilde“ nur „mit vereinten Kräften“ die Rolle spielen oder die Funktion ausüben können, die Fichte zufolge dem „Bild vom Bilde“ als unentbehrlichem Bestandteil des Bildes (oder der „sich Erscheinung der Erscheinung“ als unentbehrlichem Bestandteil der Erscheinung) zukommt. D. h.: die verschiedenen „Bilder von Bilde“ sind so geartet, daß sie nur „mit vereinten Kräften“ ein „Bild vom Bilde“ in dem Sinne zustande bringen, von dem soeben die Rede war, so daß nur ihre Zusammenwirkung es mit sich bringt, daß die „Erscheinung sich erscheint“ oder das Bild sich auf sich selbst bezieht. Das ist hier das A und O. Es handelt sich nicht einfach darum, daß es verschiedene Modalitäten von „Bild vom Bilde“ gibt, sondern eher darum, daß die Verbindung dieser verschiedenen Modalitäten eine unerläßliche Bedingung dafür darstellt, daß es überhaupt so etwas wie ein 54 In der WL 1812 spricht Fichte zwar nur vom „Bild vom Bilde“, im Singular. Der Sache nach ist seine Erörterung des „Bildes vom Bilde“ jedoch so geartet, daß sie den irreduzibel komplexen Charakter des „Bildes vom Bilde“ betont, so daß die Rede von „Bildern vom Bilde“ allem Anschein nach zulässig ist.

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„Bild vom Bilde“ gibt und daß das Bild sich selbst nicht entgeht, sondern sich auf sich selbst bezieht. Aber damit noch nicht genug. Denn viertens ist auch hervorzuheben, daß die verschiedenen in Frage stehenden strukturellen Momente des „Bildes vom Bilde“ sich keineswegs darauf beschränken, sich gegenseitig in dem Sinne vorauszusetzen, daß sie nur „mit vereinten Kräften“ die Rolle eines „Bildes vom Bilde“ spielen – und somit das Bild zu einem solchen werden lassen – können. Hinzu kommt, daß die fraglichen strukturellen Momente oder die verschiedenen „Bilder vom Bilde“ so geartet sind, daß jedes von ihnen nicht als etwas Isoliertes, sondern vielmehr nur in Verbindung mit den anderen, genauer: mit allen anderen möglich ist. Mit anderen Worten: Die hier in Frage stehende Spaltung des „Bildes vom Bilde“ oder der „sich Erscheinung der Erscheinung“ teilt mit der ursprünglichen Spaltung, von der sie einen unerläßlichen Bestandteil bildet, den Wesenszug, den Fichte dadurch auf den Punkt bringt, daß er von einem „unzertrennlichen synthetischen Ganzen“ oder von „der einen Lebensform der Erscheinung“ spricht55. Diesen Aspekt gilt es jetzt näher zu beleuchten: Aus dem Ausgeführten geht hervor, daß „Bild“ und „Bild vom Bilde“ („Erscheinung“ und „sich Erscheinung der Erscheinung“) kein compositum reale oder totum syntheticum im Sinne Kants darstellen, d. h. mit einem Ganzen nicht das geringste zu tun haben, „dessen Zusammensetzung sich der möglichkeit nach auf die Teile gründet, die auch ohne […] alle Zusammensetzung sich dencken lassen“56. Vielmehr verhält es sich so, daß das Bild und das „Bild vom Bilde“ (die Erscheinung und die „sich Erscheinung der Erscheinung“) sich derart gegenseitig voraussetzen, daß sie dem entsprechen, was Kant ein compositum ideale oder totum analyticum nennt, „dessen Theile ihrer Möglichkeit nach schon die Zusammensetzung im ganzen voraussetzen“57. 55

WL 1812 – GA II/13, 70. Immanuel Kant: Refl. 3789, in: Gesammelte Schriften, hg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften/Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin/Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Berlin/New York 1900 ff. Im folgenden mit AA abgekürzt und mit Bandangabe in lateinischen Ziffern angegeben, hier: AA XVII, 293. Zum Begriff von compositum reale vgl. etwa Kritik der reinen Vernunft, B 262, B466, Refl. 4049, AA XVII, 398, Refl. 4943, AA XVIII, 36 , Refl. 5299, AA XVIII, 147, Refl. 5301, AA XVIII 148, Refl. 5842, AA XVIII, 367, Refl. 5877, AA XVIII, 375, Metaphysik L2, AA XXVIII, 565, Metaphysik Mrongovius, AA XXIX, 825 ff., Metaphysik Herder, AA XXVIII, 31, Nachträge Herder, AA XXVIII, 847 ff., Metaphysik Volckmann, AA XXVIII, 435 ff., Metaphysik von Schön, AA XXVIII, 517, Metaphysik Dohna, AA XXVIII, 641. Zum gleichbedeutenden Begriff von compositum derivative tale vgl. Refl. 5882, AA XVIII, 375. In diesem Zusammenhang spricht Kant auch einfach von compositum (vgl. etwa KrV., A 438/B466, sowie Refl. 4424, AA XVII, 540, Refl. 5304, AA XVIII, 149, Refl. 5308, WL 1812 – GA II/13, Refl. 5310, AA XVIII, 150, Refl. 5299, AA XVIII, 147 f., Refl. 5833, AAXVIII, 366, Refl. 5834, ebd.). 57 Kant: Refl. 3789, AA XVII, 293. Zum compositum ideale vgl. etwa Refl. 5303, AA XVIII, 148, Refl. 5305, AA XVIII, 149, Refl. 5306, WL 1812 – GA II/13, Refl. 5307, WL 1812 – GA II/13, 5310, AA XVIII 150, Refl. 5316, AA XVIII, 151, Refl. 5869, AA XVIII, 372, Refl. 5885, AA XVIII, 376, und Metaphysik Mrongovius, AA XXIX, 825 f. Zum totum 56

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Die WL 1812 zeigt aber auch, daß das fragliche compositum ideale oder totum analyticum als das „unzertrennliche synthetische Ganze“ des Bildes in der Tat noch komplexer ist. Denn das „Bild vom Bilde“ (die „Erscheinung der Erscheinung“) weist selbst die Struktur eines compositi idealis bzw. eines toti analytici auf. Es zeigt sich nämlich a) daß das „Bild vom Bilde“ nichts Einfaches darstellt, sondern seinem Wesen nach einer Mannigfaltigkeit verschiedener Momente entspricht und ohne eine solche Mannigfaltigkeit nicht möglich ist, und b) daß die verschiedenen Momente der fraglichen Mannigfaltigkeit so geartet sind, daß jedes von ihnen alle anderen voraussetzt und ohne die anderen, d. h., ohne jedes andere, nicht möglich ist. Als Fazit bleibt also folgendes festzuhalten: Die WL 1812 weist darauf hin, daß das Bild eine Art totum analyticum oder ein „unzertrennliches synthetisches Ganzes“ bildet, welches sowohl die „Hauptglieder“ (Bild und „Bild vom Bilde“ bzw. Erscheinung und „sich Erscheinung der Erscheinung“) als auch die Konstellation verschiedener struktureller Momente umfaßt, aus denen das „Bild vom Bilde“ (oder die „Erscheinung der Erscheinung“) nach Art eines compositi idealis oder eines „unzertrennlichen synthetischen Ganzen“ besteht. Was das bedeutet, ist klar: Wenn in der WL 1812 von „Bild“, „Bild vom Bilde“, „Erscheinung“, „Sicherscheinung der Erscheinung“, „Sicherscheinung der Erscheinung der Erscheinung“ u. dgl. die Rede ist, dann hat dies mit einer Mannigfaltigkeit zueinander hinzutretender Elemente, von denen die „einfacheren“ ihre eigene, von allem anderen unabhängige Beschaffenheit besitzen, nicht das geringste zu tun. Natürlich ist es so, daß das „Bild vom Bilde“ etwas anderes als das „Bild“, die „Sicherscheinung der Erscheinung“ etwas anderes als die „Erscheinung“ und die „Sicherscheinung der Erscheinung der Erscheinung“ etwas anderes als die „Sicherscheinung der Erscheinung“ bedeutet, sonst hätte es keinen Sinn, von einer komplexen Struktur (von einer „sich Erscheinung der Erscheinung“, ja von einer „sich Erscheinung der Erscheinung der Erscheinung“) zu sprechen. Das Entscheidende besteht jedoch darin, daß das, was einfacher zu sein scheint, eigentlich nur in der Form des Komplexeren möglich ist. Das „Bild vom Bilde“ stellt insofern die Form des Bildes dar, als das Bild nur in der Form eines „Bildes vom Bilde“ eben das sein kann, was es ist – nämlich Bild. Die „sich Erscheinung der Erscheinung“ stellt insofern die Form der Erscheinung dar, als die Erscheinung nur als eine „sich Erscheinung der Erscheinung“ stattfinden kann. Und Entsprechendes gilt auch für die verschiedenen strukturellen Momente, die zum totum analyticum (zum „unzertrennlichen synthetischen Ganzen“) des „Bildes vom Bilde“ oder der „sich Erscheinung der Erscheinung“ gehören. D. h., Fichte zufolge ist das „Bild vom Bilde“ bzw. die „sich Erscheinung der Erscheinung“ nur in der Form einer „sich Erscheinung der Erscheinung der Erscheinung“ möglich. Kurzum: Die verschiedenen Strukturmomente, von denen in der WL 1812 die Rede ist, setzen sich gegenseitig voraus und stellen die einzige – analyticum vgl. Refl. 3789, AA. XVII, 293. Kant spricht auch von compositum formale (Metaphysik L2, AA XXVIII, 565 f., Refl. 5877, AA XVIII, 375) und von compositum originarie tale (Refl. 5882, AA XVIII, 375).

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komplexe – Art und Weise dar, wie jedes von ihnen möglich ist (und das gilt auch für diejenigen, die den Eindruck erwecken, einfacher zu sein). Die Pointe liegt gerade darin, daß das Bild seinem Wesen nach nicht schlicht sein kann, und daß die Momente, aus welchen sich dieses nicht schlichte Wesen des Bildes zusammensetzt, wiederum nicht schlicht sein können, sondern nur in der Form der anderen auch dazugehörenden Strukturmomente, d. h. letztendlich nur in der Form der gesamten komplexen Struktur: des „unzertrennlichen synthetischen Ganzen“ stattfinden können. VI. Die „sich Erscheinung der Erscheinung“ im engeren Sinne: die Erscheinung des Sich und die damit verbundene Spaltung in „eins, dem erscheint“ und „eins, das erscheint“58 Nachdem der formale Zusammenhang geklärt wurde, der zwischen den verschiedenen strukturellen Momenten des „Bildes vom Bilde“ bzw. der „Erscheinung der Erscheinung“ besteht, gilt es jetzt, die fraglichen konkreten strukturellen Momente einzeln zu betrachten, um die es sich handelt – und vor allen Dingen die, welche in der hier zur Erörterung stehenden Formel der WL 1812 – der „Sicherscheinung der Erscheinung der Erscheinung“ – ihre Widerspiegelung finden. Als erstes ist das strukturelle Moment zu betrachten, welches jener spezifischen Modalität des „Bildes vom Bilde“ entspricht, die mit der Entstehung des „Sich“ als solchen und in diesem Sinne auf ganz besondere Weise mit der Beziehung der Erscheinung auf sich selbst zu tun hat. Oben wurde darauf hingewiesen, daß das „Bild vom Bilde“ – u. d. h. zugleich jede Modalität von „Bild vom Bilde“, jedes strukturelle Moment des „unzertrennlichen synthetischen Ganzen“, welches Fichte zufolge das „Bild vom Bilde“ oder die „in sich zurückgehende Form der Erscheinung“ konstituiert – seinem Wesen nach damit zu tun hat, daß das Bild sich auf sich selbst beziehen muß. Hier geht es aber darum, daß eine derartige Beziehung der Erscheinung auf sich selbst59 wiederum nicht möglich ist, ohne daß das Bild die Form des „Sich“ annimmt und dadurch, wie Fichte sagt, eine „Sehe“ oder einen „Standpunkt“60 bildet und somit der ganzen Erscheinung die von der „Sehe“ ermöglichte Einheit der Beziehung zur „Sehe“ verleiht. Mit einem Wort: Die „Sicherscheinung der Erscheinung“ kann nur dadurch stattfinden, daß sie zu einer „SichErscheinung“ in dem Sinne einer Erscheinung des „Sich“ wird. Wenn vom „Sich“ bzw. von einer Art „Sich-auf-sich-selbst-Beziehens“ die Rede ist, dann ist man geneigt, dies so zu verstehen, daß das „Sich“ in etwas „an sich“ Bestehendem wurzle. D. h.: Das „Sich“ hat zwar mit einem Verhältnis zu tun, dieses Verhältnis setzt aber eine Art „an sich“ (oder „für sich selbst“) bestehende „Selbstheit“ voraus, ohne welche das fragliche Verhältnis nicht möglich wäre. Und die „an 58

Vgl. WL 1812 – GA II/13, 71. Und d. h.: das „Bild vom Bilde“ oder die „Erscheinung der Erscheinung“ überhaupt – und somit das Bild überhaupt oder die Erscheinung überhaupt. 60 WL 1812 – GA II/13, 71. 59

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sich“ bestehende, dem „Sich“ vorhergehende und es ermöglichende „Selbstheit“ ist für das „Sich“ so maßgeblich, daß dies seinem Wesen nach um sie kreist und sich darauf beschränkt, ihre Bestimmung gleichsam widerzuspiegeln, so daß z. B. das Bild des „Sich“ oder die Erscheinung des „Sich“ letzten Endes nichts anderem entspricht als einer Art reiner Durchsichtigkeit gegenüber der „an sich“ bestehenden, der Erscheinung des „Sich“ vorhergehenden „Selbstheit“. Diese Auffassung ist auch dann naheliegend, wenn davon die Rede ist, daß die Erscheinung die Form des „Sich“ annimmt. Fichte zufolge ist eine derartige Auffassung jedoch grundverkehrt. Denn zum einen ist sie sich der Tatsache nicht bewußt, daß sie doch einen „Beobachter“ voraussetzt, welcher von diesem vermeintlich „an sich“ bestehenden „Sich“ bzw. von dieser vermeintlich an sich bestehenden „Selbstheit“ weiß. Mit anderen Worten: Bei näherem Hinsehen stellt sich heraus, daß das vermeintliche „An sich“ doch mit der Erscheinung bzw. mit dem Bild zu tun hat und letzten Endes nichts mehr als ein Bild (ein Bild des vermeintlich an sich bestehenden „Sich“ oder der vermeintlich an sich bestehenden „Selbstheit“) darstellt. Zum anderen vergißt die fragliche Auffassung, daß die Erscheinung bzw. das Bild (d. h. der von ihr, ob bewußt oder unbewußt, vorausgesetzte Beobachter) auch durch eine Art „Sich“ gekennzeichnet, ja ohne ein solches nicht möglich ist, dergestalt jedoch, daß es in diesem Fall um ein ganz besonderes „Sich“ geht – nämlich nicht um das beliebig wiederholbare „Sich“ oder um die beliebig wiederholbare „Selbstheit“ in der dritten Person, sondern um das einzigartige „Sich“ in der ersten Person: das „Sich“ des Bildes oder der Erscheinung. Jeder Versuch, das „Sich“ der Erscheinung bzw. das „Sich“ in der ersten Person als eine „Variante“ des „Sich“ in der dritten Person zu verstehen, verkennt die eigentümliche Verfassung des ersteren und entspricht einer Art Erschleichung oder Subreption, die vom fraglichen „Sich“ dergestalt ablenkt, daß es gleichsam aus den Augen verloren wird61. Hinzu kommt aber noch folgendes: Das „Sich“ des Bildes kann nicht in etwas dem Bild Vorhergehenden und außer dem Bild Bestehenden wurzeln. Es handelt sich um das „Sich“ der Erscheinung und des Bildes selbst, und dieses „Sich“ kann und muß erst in der Erscheinung und durch die Erscheinung zustande kommen. Mit anderen Worten: Das „Sich“ der Erscheinung oder des Bildes muß durch und durch einen er61 Von Erschleichung ist in der WL 1812 zwar nicht die Rede, dieser Begriff bringt aber das hier in Frage stehende Verwechslungsphänomen auf den Punkt. Es ist allerdings anzumerken, daß Erschleichung bzw. Subreption hier nicht im engeren Sinne, nämlich im Sinne eines vitium subreptionis in definiendo oder eines vitium subreptionis in experiundo (und auch nicht im Sinne des spezifischen Erschleichungsbegriffs, der in Kants transzendentaler Lehre bekanntlich eine wichtige Rolle spielt), zu verstehen ist. Vielmehr ist „Erschleichung“ in einem weiteren Sinne zu verstehen, nämlich im Sinne einer unbemerkten Bedeutungsverwechslung – in diesem Fall einer Bedeutungsverwechslung, welche es mit sich bringt, daß die Betrachtung des „Sich“ bzw. des „Selbst“ sich den Blick für ihren Gegenstand verstellt und somit die eigentümliche Beschaffenheit eines Grundbestandteils der Erscheinung verfehlt. Zur terminologischen Verwendung von „subreptio“, „Erschleichung“ u. dgl. und zu ihrer Geschichte s. etwa Hanno Birken-Bertsch: Subreption und Dialektik bei Kant. Der Fehler der Erschleichung in der Philosophie des 18. Jahrhunderts, Stuttgart-Bad Cannstatt 2006.

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scheinungsmäßigen Charakter besitzen. Dies bedeutet aber, daß in diesem Fall das „Sich“ nicht in etwas wurzelt, was dem Bezug zu ihm und insbesondere seinem Erscheinen, seinem Bild vorhergeht, sondern vielmehr etwas darstellen muß, was erst durch diesen Bezug zustande kommt. D. h.: Das „Sich“ der Erscheinung oder des Bildes ist nichts anderes als eine Erscheinung oder ein Bild des „Sich“, ohne welches die Erscheinung oder das Bild überhaupt nicht sein kann – und zwar so, daß es dieses Bild des „Sich“ ist, das der Erscheinung das Gepräge der „ersten Person“ verleiht. Oder wie man auch sagen kann: nicht das „Als-Sich“ ist das „Produkt“ einer ihm vorhergehenden, an sich bestehenden „Selbstheit“, sondern das „Sich“ ist das Produkt eines „Als-Sich“ und besteht in der Tat in nichts anderem. Dieser Punkt wird zwar erst am Anfang des 2. Kapitels hervorgehoben, aber so, daß er Fichte zufolge eine Art Wasserscheide bedeutet und den Schlüssel für das Verständnis der „Sicherscheinung der Erscheinung“ als Erscheinung des Sich liefert: „Zur Probe: der Satz: die Erscheinung erscheint sich, kann haben zwei Bedeutungen u. Ansichten u. aus der Verwechselung dieser, [u. nehmen] in der Einen, der ersten entsteht alles Misverständniß. 1) Die Erscheinung ist, und erscheint – und das sich ist auch: das Erscheinen trifft unter [andern nur] [,] d[as] sich. –; da es ausserdem das nicht-sich hätte treffen können. –. Solche Voraussetzung der Substanzen und b[l]osse Veränderung der Accidenzen ist es, [wie] weit das gewöhnl. [Bemerken] u. Sagen sich erstreket; u. so auch das gewöhnl. Verstehen. unser Leben, u. unser Verkehr erstrekt sich gewöhnlich gar nicht darüber. 2) Die Erscheinung ist A – sie erscheint erst jetzt, u. macht durch dieses Erscheinen das sich [ursprünglich und schöpferisch …].“62

Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber auch ein anderer Punkt. Man könnte meinen, daß die „Sicherscheinung“ im Sinne der Erscheinung des „Sich“ mit der Erscheinung von etwas Besonderem, für sich allein Bestehendem, Isoliertem, ja Abgekapseltem zu tun hat. Dem ist aber nicht so, wie Fichte nachdrücklich betont – und dies gilt es jetzt in aller gebotenen Kürze zu betrachten. Das strukturelle Moment des „Sich“ – und der durch das „Sich“ ins Leben gerufenen spezifischen Form der Beziehung des Bildes oder der Erscheinung auf sich 62

WL 1812 – GA II/13, 72. Dazu ist folgendes anzumerken. Fichte weist zunächst einmal darauf hin, daß die erste von ihm genannte Ansicht sich dadurch auszeichnet, daß ihr zufolge „die Erscheinung ist, und erscheint – und das sich ist auch“. Die Erscheinung und das „Sich“ sind demnach voneinander völlig unabhängig: jedes von ihnen kann für sich allein bestehen. Und diese erste Ansicht beruht auf zwei Grundvoraussetungen: 1. das „Sich“ ist – so daß seine Erscheinung gleichsam zu ihm hinzukommt und einen abgeleiteten Charakter besitzt – und 2. das Erscheinen trifft unter anderem auch das „Sich“ – als ob es auch ohne das „Sich“ stattfinden könnte. Dieses zufällige „Treffen“ von „Erscheinen“ und „Sich“ ist es, worauf die Rede von der „Voraussetzung der Substanzen“ und der „blossen Veränderung der Accidenzen“ letzen Endes hindeutet. Die zweite von Fichte genannte – u. d. h. zugleich die von ihm vertretene – Ansicht hingegen ist dadurch gekennzeichnet, daß sie den Zusammenhang zwischen Erscheinung und „Sich“ ganz anders auffasst. Ihr zufolge verhält es sich so, daß 1. Die Sicherscheinung die Erscheinung mitausmacht und eine unerläßliche Bedingung der Erscheinung selbst darstellt („Die Erscheinung ist A – sie erscheint erst jetzt“) und 2. es die Erscheinung ist, die „das sich [ursprünglich und schöpferisch …]“ macht.

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selbst – ist (wie alles und jedes in dem hier in Frage stehenden „Sichbilden des Bildes“) mit einer Spaltung verbunden. Die fragliche Spaltung ist jedoch so geartet, daß ihr Resultat nichts weniger als völlig auseinandergehenden, voneinander getrennten Elementen, die miteinander nichts zu tun haben, sondern vielmehr Entgegengesetztem entspricht, welches nur im Zusammenhang mit dem ihm Entgegengesetzten besteht, so daß das Resultat der Spaltung den Charakter eines „unzertrennlichen synthetischen Ganzen“ besitzt: „Sich: sie wird drum in dieser Form eine [Erscheinung] der erscheint etwas, sie selbst; und eine [Erscheinung], die erscheint einem, eben sich selbst. Bekommt ein Verhältniß zu sich selber, u. ein solches, wie gesagt. (Subjektiv-objektiv), vereint schlechthin mit einander, indem sie überall nur zusammen, u. in Beziehung auf einander seyn können, vereint durchaus mit dem Erscheinen (Schem[a] II. der Erscheinung); alles ein unzertrennliches synthetisches Ganze, der Einen Lebensform des Erscheinens“63.

Das „Sich“ kommt also nur dadurch zustande, daß die Erscheinung zugleich die Form einer Erscheinung, der etwas erscheint, und die einer Erscheinung annimmt, die der ersteren erscheint. Das „Sich“ ist also im wahrsten Sinne des Wortes ein „Bild vom Bilde“, und zwar ein Bild vom Ganzen – ein Bild vom ganzen Bild (die Erscheinung der gesamten Erscheinung) als „Sich“. Es handelt sich keinesfalls um etwas Abgesondertes, Isoliertes oder Abgekapseltes. Vielmehr verhält es sich so, daß buchstäblich jedem Moment der Erscheinung seinem Wesen nach der strukturelle Bestandteil des „Sich“ innewohnt. Dieses Bild der Erscheinung als „Sich“ zeichnet sich aber wiederum dadurch aus, daß es nicht für sich allein, sondern nur im Gegensatz zu (u. d. h. im Zusammenhang mit) einem anderen „Bild vom Bilde“, und zwar einem anderen „Bild vom ganzen Bild“ (von der gesamten Erscheinung), möglich ist – nämlich dem „Bild vom ganzen Bild“ als „Nichtsich“. Es handelt sich also um eine eigentümliche Konstellation zweier miteinander zusammenhängender, ja nur im Zusammenhang miteinander bestehen könnender „Bilder vom Bilde“. Das ganze Bild spaltet sich in diese Konstellation zweier „Bilder vom Bilde“: das gesamte Bild als Subjekt (dem etwas erscheint bzw. dem die Erscheinung erscheint) und das gesamte Bild als Objekt (welches das ist, was erscheint): das gesamte Bild als „Sich, dem etwas erscheint“ und das gesamte Bild als „Nichtsich, das erscheint“. Die Erscheinung ist ihrem Wesen nach so beschaffen, daß sie stets beides – das „Sich“ und das „Nichtsich“ – umfaßt, und diese strukturellen Momente zeichnen sich wiederum dadurch aus, daß sie sich gegenseitig bedingen, so daß jedes von ihnen nicht ohne sein Gegenstück sein kann64. Diese Spaltung durchpulst das Ganze, und zwar so, daß sie die Art und Weise bestimmt, wie das Bild sich zu sich selbst verhält. Ja, sie stellt eine unerläßliche Bedin63

WL 1812 – GA II/13, 70. Vgl. WL 1812 – GA II/13, 76: „[…] so könnte jemand sagen: die Erscheinung könne allerdings gedacht werden als bloß daseyend, in ihrem reinen Begriffe, und [es könne] ihr weiter kein Prädikat beigelegt werden […] so verdient es recht eingeschärft zu werden […] Kein Bewußtseyn, Bild, usf. ohne Selbstbewußtseyn, d. i. Bewußtseyn des [formalen] Seyns der Erscheinung. Das Ich bin muß alle meine Vorstellungen begleiten können. pp.“ 64

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gung der Erscheinung dessen dar, was im Bild erscheint. Denn damit etwas überhaupt erscheinen kann, muß sich die Erscheinung oder das Bild in ein Subjekt, dem das Erscheinende erscheint, und ein Objekt, welches dem Subjekt erscheint, spalten. Ohne diese Spaltung oder ohne diese innere „Deklination“ der Erscheinung, aus der sich ein struktureller „Wemfall“65 und ein struktureller „Werfall“ (bzw. die irreduzible Komplexität dieser zwei sich gegenseitig voraussetzenden und bedingenden „Deklinationsfälle“ des Erscheinens) ergibt, ist ein Bild einfach nicht möglich. Nur dadurch, daß das Ganze sich in diese zwei Pole spaltet und sich in diesem Sinne verdoppelt, kommt ein Bild zustande. Das Minimum an Erscheinung (das Minimum an Bild) setzt diese Verdoppelung voraus, und das Bild ist wesentlich „gebeugt“ und muß diese „ungeteilte Duplicität“66 aufweisen, wenn anders es Bild oder Erscheinung sein soll. Diese eigentümliche „ungeteilte Duplicität“ oder diese Spaltung der Erscheinung in a) die Erscheinung, welcher die Erscheinung erscheint, und b) die Erscheinung, welche der Erscheinung erscheint, ist andererseits so geartet, daß sie das „ursprüngliche Bild“ nur als Form (als dem Bild unweigerlich innewohnende Form) modifiziert oder, wie Fichte sagt, „durch nichts anderes, als eben durch das Wesen des Bildes afficirt“ ist67. Denn die fragliche „ungeteilte Duplicität“ besteht in nichts anderem als einem Verhältnis des einen und selben Bildes zu sich selbst, und zwar so, daß das, was im Subjekt, und das, was im Objekt ist, „durchaus dasselbe“68 und nur durch die Form des „Sich, dem“ und des „Nicht-Sich, das“ – d. h. nur durch die Form des Verhältnisses oder nur durch die Form dieser „ungetheilten Duplicität“, die lediglich in einem Verhältnis besteht – zu unterscheiden ist: „Aber dieses erscheinen ist ein sich erscheinen, [annehmend] die subjektobjektiv[e] Form: dieses, als dasselbige: also es ist in beiden ganz dasselbe, u. gar kein anderer Unterschied, als der in ihrem eignen Verhältnisse liegt, daß es ist subjektiv das, dem erscheint, und objektiv, das erscheinende. Beide schlechthin Eins, als dieselbe Erscheinung in der Duplicität der Form. Was im Objekt, im Subjekt, u. v. v.; denn es ist die Eine Erscheinung: diese Eine Erscheinung aber kann nur seyn in der Duplicität dieser Form, zufolge des erst aufgestellten Satzes.“69

65 Wohlgemerkt ein eigentümlicher „Wemfall“, der seinem Wesen nach nur in der „ersten Person“ sein muß, ja die „erste Person“ überhaupt zustande bringt und zu einer solchen macht. 66 WL 1812 – GA II/13, 71. Fichte spricht eigentlich nur von Duplicität. Die Formel „ungeteilte Duplicität“ stammt vom Herausgeber des Nachlasses, bringt aber das hier in Frage Stehende kurz und bündig auf den Punkt. (vgl. Fichte: Die Wissenschaftslehre vorgetragen im Jahre 1812, in: ders.: Fichte: Werke, hg. v. Immanuel Herrmann Fichte, 11 Bände, Bonn/ Berlin 1834 ff., ND Berlin 1971, Bd. X, 350. 67 WL 1812 – GA II/13, 70. 68 WL 1812 – GA II/13, 71. 69 Ebd.: „Grade eine Zweiheit, u. eine solche, wie sie ausgestellt ist, dem erscheint, das erscheint, liegt in dem sich erscheinen; und durch diese wird die ganze dieselbe und sich gleich bleibende Erscheinung gesezt in dieses Verhältniß zu sich: Subjekt, Objekt ist durchaus dasselbe, u. nur als Subjekt, Objekt verschieden. Sc 2 j OS. Unzertrennlich, gleich, in dem Einen.

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Soviel zum strukturellen Moment der Sicherscheinung im Sinne der Erscheinung des „Sich“ bzw. der „ungeteilten Duplicität“, ohne welche die Erscheinung des „Sich“ nicht erfolgen kann. VII. Die „Erscheinung der Erscheinung“ im engeren Sinne – die zweite Spaltung: das Bild vom Bilde als Anschauung und das Bild vom Bilde als Begriff Es geht jetzt darum, das andere strukturelle Moment des „Bildes vom Bilde“ oder der „sich Erscheinung der Erscheinung“ im weiteren Sinne zu betrachten, welches auch in der zur Erörterung stehenden Formel der WL 1812 seine Widerspiegelung findet. Oder genauer: Es handelt sich um das, was die fragliche Formel durch die Wendung „Erscheinung der Erscheinung“ zum Ausdruck bringt. Was bedeutet aber „Erscheinung der Erscheinung“ in diesem engeren Sinne? Diese Bezeichnung steht für eine weitere Spaltung des Bildes, welche zwar mit der Spaltung, die soeben erläutert wurde, aufs innigste zusammenhängt, von ihr jedoch streng zu unterscheiden ist. Damit eine Erscheinung mit sich selbst in Berührung komme, sind zwei durchaus verschiedene Bilder der Erscheinung unerläßlich: a) „Eines[,] in welchem ausgedrükt ist das innere Wesen der Erscheinung A, der qualitative Inhalt“, welches so geartet ist, daß in ihm „ihr formales Daseyn aber überhaupt durchaus verborgen bleibt“70, und b) ein anderes, in welchem „ausgedrückt ist das blosse formale Dasein, ohne allen Inhalt“71. Diese „zwei durchaus verschiedenen Bilder“ entsprechen dem, wofür die Begriffe „Anschauung“ und „Begriff“ stehen, und zwar im Sinne dessen, was Kant repraesentationes rerum uti apparent und repraesentationes rerum sicuti sunt nennt72. Kant will diesen Unterschied so verstanden wissen, daß die repraesentationes rerum uti apparent sich darauf beschränken, einen erscheinenden Inhalt vorzustellen oder gegenwärtig zu machen, so daß sie sich in der unmittelbaren Anwesenheit des Erscheinenden erschöpfen, ohne jede Bestimmung dessen, was es ist oder wie es ist. Die reDas Eine nicht ohne sie, sie nicht ohne das Eine. Alle ein Ganzes, denn es ist die sich Erscheinung. u. diese ist Schema 2.“ 70 WL 1812 – GA II/13, 73 f. 71 WL 1812 – GA II/13, 74. 72 Immanuel Kant: De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, in: AA II, 392. Bekanntlich zeichnet sich der Kantische Unterschied zwischen Anschauung und Begriff durch seine Komplexität aus, und zwar so, daß er einer Konstellation verschiedener Gegensätze entspricht, namentlich: a) dem „genetischen“ Unterschied zwischen Rezeptivität und Spontaneität, b) dem Unterschied zwischen „repraesentatio singularis“ und „repraesentatio per notas communes“ c) dem Unterschied zwischen repraesentatio intuitiva und repraesentatio symbolica und d) dem Unterschied zwischen repraesentationes rerum uti apparent und repraesentationes rerum sicuti sunt. Hier geht es in erster Linie um den letzteren Begriffsinhalt.

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praesentationes rerum sicuti sunt zeichnen sich hingegen dadurch aus, daß sie sich auf das Sein des Vorgestellten beziehen, und zwar so, daß sie die Erscheinung als Objekt (als sicuti est) auffassen und repraesentationes rerum sicuti sunt darstellen – nicht unbedingt in dem Sinne, daß die fraglichen Vorstellungen adäquat oder richtig sind (das sicuti est „wiedergeben“), sondern vielmehr in dem Sinne, daß sie den Anspruch erheben, adäquat zu sein, oder noch genauer: in dem Sinne, daß sie die komplexe Struktur aufweisen, welche die Vorstellung des sicuti est und einen Bezug zum sicuti est allererst ermöglicht73, und gerade dadurch auch der Möglichkeit ausgesetzt sind, falsch zu sein74. Dieser kurze Hinweis auf Kant soll uns dazu verhelfen, Fichtes Betrachtungen nachzuvollziehen. Wenden wir uns zunächst einmal der Frage zu, welcher Begriff von Gegenstand oder Objekt – bzw. von Begriff oder Denken im Gegensatz zur Anschauung – hier zugrunde gelegt wird. Fichte weist darauf hin, daß die Erscheinung als Objekt (Denken, Begriff75) in der soeben besprochenen „Subjekt-Objektivität“ wurzelt76, „u. zwar als bloß formales Seyn, in dem die Erscheinung auch durchaus nichts weiter ist, denn sich, Subjekt, Objekt: reines Objekt, reines Subjekt – ohne alle [weitere] Synthesis. Drum das Denken, Begriff, formales Seyn, welches alles hier Eins ist, ist nichts anderes, denn die reine Sichform der Erscheinung = die Erscheinung, rein in dieser Form, ohne allen Zusatz“77. Anders gesagt: Der eine Pol dieser weiteren Spaltung ist nichts anderes als „die reine SichForm“78, das „Subjekt=Objekt schlechtweg“79, indem dieses die Form der Objektivität als solcher einführt und das Erscheinende zum Objekt werden läßt. Und das, was dieser eine Pol der jetzt zur Erörterung stehenden Spaltung in Hinblick auf das Erscheinende setzt, ist nichts anderes als die Objektivität als solche bzw. die reine Form der Objektivität – die besondere Spielart des „Bildes vom Bilde“, die es mit sich bringt, daß ein Objekt überhaupt gesetzt wird und das Bild bzw. die Erscheinung die Form der Objektivität annimmt.

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Von einer komplexen Struktur kann in diesem Zusammenhang insofern die Rede sein, als eine repraesentatio rerum sicut est a) die Vorstellung eines Erscheinenden, b) die Vorstellung des sicuti est, c) die Vorstellung der Vorstellung selbst, d) die Vorstellung des Verhältnisses zwischen der Vorstellung und dem sicuti est bzw. die Vorstellung der Adäquation voraussetzt und ohne diese Konstellation verschiedener, miteinander zusammenhängender Vorstellungen überhaupt nicht möglich ist. 74 So daß die repraesentationes rerum sicuti sunt eigentlich die einzigen sind, die falsch sein können. So befremdend es klingen mag: alle falschen Vorstellungen sind repraesentationes rerum sicuti sunt, und zwar so, daß sie nur dadurch falsch sein können, daß sie als repraesentationes rerum sicuti sunt konstituiert sind. 75 WL 1812 – GA II/13, 74. 76 Ebd. 77 Ebd. 78 Ebd. 79 Ebd.

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Demgegenüber ist der andere Pol der fraglichen Spaltung, nämlich die Anschauung, dadurch gekennzeichnet, daß sie, wie Fichte sagt, „ganz dasselbe nur nicht rein: die Erscheinung ist nicht Subjekt=Objekt schlechtweg, sondern sie ist, was sie ist als Erscheinung, dieses aber in subjekt=objektiver Form. Dort Objekt, nichts mehr denn dies: hier mehr: d.i. alles was die Erscheinung ist durch sich selbst: u. eben so das Subjekt“80. Es ist in diesem Zusammenhang anzumerken, daß Fichte zunächst von der Anschauung als etwas spricht, was „ganz dasselbe“ wie der Begriff“, „nur nicht rein“ ist. Dies scheint zu bedeuten, daß er die Anschauung als etwas verstanden wissen will, was zwar nicht der reinen Form der Objektivität entspricht, aber nichtsdestoweniger von ihr Geformtes darstellt. Die Anschauung scheint dadurch gekennzeichnet zu sein, daß sie auch etwas enthält, was auf die fragliche Form der Objektivität nicht rückführbar und von ihr zu unterscheiden ist. Diese Bestimmung des Anschauungsbegriffs scheint aber nicht sein letztes Wort zu sein. Denn dann spricht Fichte von der Anschauung in einer engeren Bedeutung, nämlich so, daß das Wort einfach das bezeichnet, was auf die Form der Objektivität nicht rückführbar und von ihr zu unterscheiden ist – d. h. also die reine Anwesenheit eines Erscheinenden, ohne jede Bestimmung, ohne jeden Anteil an der Form der Objektivität (oder, um mit Kant zu sprechen, die reine repraesentatio rerum uti apparent). Ja, im Endeffekt stellt sich heraus, daß diese zweite, engere Bedeutung hier die ausschlaggebende Rolle spielt. Und so kommt es, daß Fichte die zweite in Frage stehende Spaltung – nämlich die Spaltung zwischen Begriff und Anschauung – folgendermaßen charakterisiert: „[…] zwei […] Bilder der Erscheinung; die durchaus verschieden sind, und sich gegenseitig ausschliessen. In dem Begriffe, dem Denken oder dem formalen Seyn derselben ist durchaus kein Inhalt gesezt: in der Anschauung des Inhalts ist durchaus kein formales Seyn, kein Träger des Inhalts gesezt“81. Indem er den Unterschied zwischen 80

Ebd. WL 1812 – GA II/13, 75. Es ist in diesem Zusammenhang nachdrücklich zu betonen, daß die zweite Spaltung zwar mit der ersten zusammenhängt, aber doch etwas Neues, Ursprüngliches, auf die erste Spaltung Unzurückführbares bildet. Die zweite Spaltung zeichnet sich dadurch aus, daß sie das komplexe Gebilde der „sich erscheinenden Erscheinung“ (d. h. also das sich aus der ersten Spaltung ergebende Gebilde, welches unzertrennlich aus einem, dem etwas erscheint, und einem, das dem ersteren erscheint, zusammengesetzt ist) etwas Anderem – nämlich dem Objekt als solchem: der reinen Objektivität – entgegensetzt. Diese Entgegensetzung ist so geartet, daß das, welches der Objektivität entgegengesetzt wird (und zwar so, daß diese Entgegensetzung der Objektivität als solcher zugrundeliegt), wiederum durch diesen „neuen“ Gegensatz geprägt wird und somit eine andere, sich daraus ergebende Beschaffenheit annimmt. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, daß beide sich aus dieser weiteren Spaltung ergebenden Bilder so geartet sind, daß jedes von ihnen seinem Wesen nach durch die erste Spaltung geprägt ist und aus einem, dem etwas erscheint, und einem, das dem ersteren erscheint, zusammengesetzt ist. Vgl. WL 1812 – GA II/13, 76: „Die Synthesis liegt absolut in der SichErscheinung u. ist sie. Drum nicht die Glieder getrennt; sie erscheint sich nicht, ist nicht ohne zu erscheinen, als erscheinend, und umgekehrt; sie erscheint nicht qualitativ: ohne dass sie sich erscheine, als eben seyend.“ 81

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diesen zwei Bildern und die Tatsache hervorhebt, daß sie ganz anders geartet sind und zwei ganz verschiedenen Erscheinungen entsprechen, die einander völlig fremd sind, weist er zugleich darauf hin, daß ein Bild „durchaus nicht Ein Bild“ ist „und […] nicht Eins werden“ kann, „wenn nicht beide ihr Wesen verlieren sollen […]“82. D. h.: Erscheinung bzw. Bild kann weder in reiner Anschauung noch im reinen Begriff bestehen, wenn anders es Erscheinung oder Bild sein soll. Weder die Anschauung allein noch der Begriff sind in der Lage, die „Sicherscheinung der Erscheinung“ im weiteren Sinne zustande zu bringen: „Nun aber ist es die Eine u. selbige Erscheinung A, die sich erscheint; und in diesem sich liegt beides unzertrennlich. Es müßten darum doch beide Bilder im Akte oder Zustande der Sicherscheinung Eins, (Ein Akt und Zustand) sein, indem es ausserdem nicht wahr wäre[,] daß die Erscheinung sich erschiene.“83

Als Fazit ist somit folgendes festzuhalten: Auch in dieser Hinsicht setzt das Minimum an Erscheinung (das Minimum an Bild) eine Art „ungeteilter Duplicität“ voraus, nämlich die Duplicität Inhalt/Form des Inhalts – oder genauer: Inhalt/Träger des Inhalts, Inhalt/formales Seyn, Anschauung/Begriff, repraesentatio rerum uti apparent/repraesentatio rerum sicuti sunt. Fichte besteht sowohl darauf, daß die zwei fraglichen Bilder voneinander toto coelo verschieden sind, als darauf, daß das eine blind ist, weil ihm jedes formale Sein verborgen bleibt, mit der Folge, daß es der Aufdeckung harrt und unverständlich ist84, während das andere zwar das „formale Seyn“ und den „Träger des Inhalts“ erscheinen läßt, aber so, daß es jeden Inhalts entbehrt und somit völlig leer ist85. Versuchen wir dies näher zu betrachten. Zwar verhält es sich so, daß – wie Fichte selbst hervorhebt – der Inhalt bzw. sämtliche „Inhalte“ der Erscheinung einzig und allein auf die Anschauung zurückzuführen sind86. Der Begriff (das Denken etc.87) soll vollkommen inhaltsleer sein und sich darauf beschränken, „das blosse formale Dasein, ohne allen Inhalt“88, d. h. die inhaltsleere Form der Objektivität zu setzen. Dies bedeutet aber mitnichten, daß der Begriff keine Rolle zu spielen hat. Denn die inhaltsleere Form ist es, die Fichte zufolge es mit sich bringen kann, daß der „Inhalt“ bzw. die „Inhalte“ eigentlich in Erscheinung treten. Nur indem sie diese Form der Objektivität annehmen, werden sie zu etwas Bestimmtem – gewinnen sie „Konturen“ 82

WL 1812 – GA II/13, 75. Ebd. 84 D. h. sich nicht versteht – ja, nicht einmal dessen gewahr wird, daß es sich nicht versteht, denn letzteres setzt bereits ein Verhältnis zum Verstehen voraus, welches dieser Art von Bild vollkommen abgeht. 85 Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 75. 86 D. h. mit der „Erscheinung“, welche in der gleich zu besprechenden Formel „Erscheinung der Erscheinung“ im Genitiv steht (WL 1812 – GA II/13, 75). 87 D. h. also die „Erscheinung“, welche in der gleich zu besprechenden Formel „Erscheinung der Erscheinung“ im Nominativ steht (WL 1812 – GA II/13, 75). 88 WL 1812 – GA II/13, 74. 83

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und „Relevanz“ etc. Sonst bleiben sie das Korrelat eines vollkommen blinden Verhältnisses zu ihnen – einer blinden „Sehe“, welche insofern keine ist. Kurzum: Der „Inhalt“ oder die „Inhalte“ müssen von der Form der Objektivität gleichsam „angezündet“ werden. Das, was die WL 1812 beschreibt, wenn in ihr von Anschauung und Begriff die Rede ist, entspricht demnach zwei Elementen (zwei Bildern, zwei „Erscheinungen“), von denen sich jedes gleichsam „verflüchtigt“, ohne seine eigene Funktion ausüben zu können und ein Mindestmaß an Erscheinung zustande zu bringen, wenn es nicht mit dem anderen verbunden wird. Diese eigentümliche, mit der ersten innig zusammenhängende zweite Spaltung und die sich daraus ergebende komplexe Struktur ist es nun, wofür die Bezeichnung „Erscheinung der Erscheinung“ steht – und zwar so, daß diese Bezeichnung sowohl den grundsätzlichen Unterschied zwischen den zwei in Frage stehenden Bildern hervorhebt (und darauf hinweist, daß es Erscheinung und Erscheinung – nämlich Erscheinung=Begriff und Erscheinung=Anschauung – gibt), als auch die Tatsache betont, daß Erscheinung weder als einfache Anschauung noch als einfacher Begriff, sondern eigentlich nur in der Form einer „Erscheinung der Erscheinung“ möglich ist89. Begriff und Erscheinung stellen noch kein Bild, sondern gleichsam nur die „zwei Hälften“90 eines Bildes dar, und zwar so, daß jede dieser zwei Hälften das enthält, was der anderen fehlt91. Dies alles bedeutet, daß die „Vereinigung“ und gegenseitige Ergänzung zwischen Anschauung und Begriff eine weitere unerläßliche Grundbedingung der „Sicherscheinung der Erscheinung“ oder des „Bildes vom Bilde“ im weiteren Sinne – und somit der Erscheinung und des Bildes selbst – darstellt. VIII. „Die Erscheinung erscheint sich, als sich erscheinend“. Die „sich Erscheinung der Erscheinung der Erscheinung“ und die fünffache Synthesis Die Frage ist aber, „wie läßt eine solche Vereinigung sich denken?“92 Fichte selbst stellt diese Frage und beeilt sich, eine Antwort zu geben: „Ich behaupte, u. fordere Sie auf, es selbst einzusehen: wenn die Erscheinung (die formaliter seyende, sich erscheint, als sicherscheinend (in der qualitativen Anschauung nemlich). Da89 Die blinde Anschauung muß durch den leeren Begriff, der leere Begriff durch die blinde Anschauung ergänzt werden. Und erst durch eine derartige Ergänzung kann etwas zustande kommen, was weder blind noch leer ist. Dies – diese gegenseitige Transformation von Anschauung und Begriff bzw. vom Leeren und Blinden – ist es, was die Formel „Erscheinung der Erscheinung“ (im engeren Sinne) zum Ausdruck bringen soll. 90 WL 1812 – GA II/13, 75. 91 In diesem Sinne ist der Satz zu verstehen (WL 1812 – GA II/13, 77): „Also – kein Begriff ohne Anschauung, u. v. v. Die SichErscheinung ist durchaus die synthetische Vereinigung beider.“ 92 WL 1812 – GA II/13, 75.

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Mário Jorge de Carvalho durch sind die beiden, die nur als Hälften eines Zustandes erschienen, ergänzt. Die Anschauung für sich ist ein unbestimmtes u. unverständliches Bild, in dem das, was darin sich bildet, schlechthin verborgen ist. Jetzt tritt es hinzu durch den Begriff. Der Begriff ein durchaus leeres Seyn, von Nichts; jetzt wird sein Was durch die Anschauung gegeben. Beides muß vereinigt seyn, denn nur auf diese Weise erscheint die Erscheinung sich. Nur auf diese Weise kann es vereinigt seyn. Es ist drum diese einzig mögliche Weise zu setzen“93.

Der entscheidende Satz lautet: „wenn die Erscheinung (die formaliter seyende, sich erscheint, als sicherscheinend (in der qualitativen Anschauung nemlich)“. Den Schlüssel für das Ganze liefert demnach ein eigentümliches „Bild vom Bilde“ – nämlich das Bild, in welchem oder durch welches der Begriff – d. h. die reine Form der Objektivität – sich erscheint, und zwar so, daß er sich nicht für sich, als etwas Isoliertes, sondern vielmehr sich so erscheint, daß seine Erscheinung zugleich eine Erscheinung der qualitativen Erscheinung – mehr noch: eine Erscheinung ist, in der der Begriff sich in der qualitativen Erscheinung oder als qualitative Erscheinung erscheint, d. h. sich mit der qualitativen Erscheinung verbindet, ja sich selbst mit der qualitativen Erscheinung oder mit der Anschauung gleichsetzt. Dieses eigentümliche „Bild vom Bilde“ – welches im Großen und Ganzen dem entspricht, was Kant die „synthesis speciosa“ bzw. den Schematismus nennt94 –, ist es nun, wofür die Wendung „die Erscheinung erscheint sich, als sich erscheinend“ und der Begriff des Als im engeren Sinne steht: „Und so ist denn der analytische Ausdruck der SichErscheinung […] der: die Erscheinung erscheint sich, als sicherscheinend: in dem hinlänglich erklärten Sinne der beiden, durch das Als verbundenen Sätze. Die schon früher gefundene Duplicität hat in ihr selbst eine neue[,] in der Form des Denkens, und der des Anschauens[,] gewonnen, und diese Quadruplicität ist vereinigt durch das neue u. 5te Glied eines Als.“95

Die Wendung „erscheint, als erscheinend“ bzw. „erscheint sich, als sich erscheinend“ drückt die zweite Spaltung und zugleich die durch das „Als“ ermöglichte Überbrückung dieser zweiten Spaltung aus, ohne welche es zu keinem Bild kommt: „Endlich: die Erscheinung erscheint sich als sich erscheinend. Dieses Als ist der eigent93

Ebd. Vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 151 f., B 179 ff. Kennzeichnend für diese Art von Synthesis ist vor allem a) daß es sich um eine Synthesis von Ungleichartigem handelt, die heterogene Elemente verbindet, b) daß das in Frage stehende Ungleichartige mit dem Unterschied zwischen Begriff und Anschauung (bzw. mit der Tatsache, daß Begriff und Anschauung ihrem Wesen nach ungleichartig sind) zu tun hat, c) daß diese Art von Synthesis die Überbrückung des Gefälles zwischen Begriff und Anschauung bzw. die exhibitio von begrifflichen Vorstellungen ermöglicht, und zwar so, daß d) diese Synthesis von Ungleichartigem (von Begriff und Anschaung) oder diese exhibitio vom Begriff in der Anschauung die Form einer Gleichsetzung besitzt. Oder genauer: diese Synthesis zeichnet sich dadurch aus, daß sie ein ungleichartiges B (eine Anschauung) einem ungleichartigen A (einem Begriff) in dem Sinne gleichsetzt, daß das eine das andere darstellt, als das andere erscheint und für das andere gehalten wird. Mit einem Wort: Es handelt sich um eine eigentümliche Art von Verschmelzung oder Zusammenschluß von Heterogenem, von Begriff und Anschauung, der es zu verdanken ist, daß das „sicuti est“ als „uti apparet“ und das „uti apparet“ als „sicuti est“ erscheint. 95 WL 1812 – GA II/13, 75. 94

Die Sicherscheinung der Erscheinung der Erscheinung

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liche synthetische Vereinigungspunkt, das wahrhaft neue Glied des Ganzen.“96 Und so nimmt es nicht wunder, daß Fichte vom „Als“ als dem „eigentlichen Mittelpunkt der Erscheinung“97 bzw. als dem „Sitz der Sehe“98 spricht. Mit dem Bild – mit der Erscheinung – hat es demnach folgende Bewandtnis: „es erscheint sich als das u. das“99. D. h.: Das Bild ist seinem Wesen nach so geartet, daß alles in ihm aus der Sicht des „5ten Gliedes“ – i. e. der Grundstruktur des „Als“ – erscheint und durch diese Grundstruktur geprägt ist. Anders gesagt: Die Grundstruktur des „Als“ stellt die eigentliche „Form des Bildes“, die „Bildlichkeit“ bzw. die „Form der Erscheinung“ dar. Dieser Punkt wird von Fichte auf das nachdrücklichste betont: „Die seyende Erscheinung erscheint sich als das u. das? Darf ich so sagen, darf ich das letztere unentschieden lassen? Allerdings: Erscheint nur ein bestimmtes als, wie ja vorausgesetzt ist, so ist in diesem als, und durch das Sehen dieses als alles andere gegeben, u. liegt drin. Das Sehen eines solchen als muß freilich absolut gesetzt werden: ist aber dies gesetzt, so ist alles, was in demselben liegt, mit im Sehen gesetzt, weil es das Sehen eines solchen Als ist, und wird durch dasselbe hindurch gesehen. Darum sage ich: das als ist der eigentliche Sitz der Sehe.“100

Es bleibt somit folgendes festzuhalten: In der WL 1812 wird die Grundstruktur des „Als“ als die Form des Bildes bzw. der Erscheinung herausgearbeitet, in der alles andere in nuce vorentschieden ist – und zwar dergestalt, daß alles andere nur eine Spielart und weitere Bestimmung dessen darstellt, was in dieser Form des Bildes vorentschieden ist. Dies setzt uns endlich in den Stand, den Einblick in einen weiteren Punkt zu gewinnen, der hier zwar nicht gebührend erörtert, aber auch nicht mit Stillschweigen übergangen werden kann. Daß das Bild aus der Sicht der besagten Grundstruktur des „Als“ gesehen wird – bzw. sich nur durch den „Filter“ dieser Form der Erscheinung oder der „Bildlichkeit“ erscheint und zu sich selbst Zugang hat –, bedeutet unter anderem auch, daß das Bild keinen direkten Zugang zu sich selbst, sondern vielmehr nur zu einem Bild von sich selbst hat. Deshalb spricht Fichte von einem „Schema“ oder „Stellvertreter“, und zwar so, daß er folgendes hervorhebt: Bei näherem Hinsehen stellt sich heraus, daß das Bild oder die Erscheinung sich gewissermaßen nicht erscheint. Denn das, was für das Erscheinen des Bildes oder der Erscheinung gehalten werden kann, ist in der Tat nur ein Bild ihres Erscheinens(nämlich das durch die Form

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WL 1812 – GA II/13, 77. Ebd. 98 Ebd. 99 Ebd. 100 WL 1812 – GA II/13, 77 f. Und er fährt fort: „Die Erscheinung wird gesehen, als pp[.] Dies der Sitz der absoluten Sehe: Die Erscheinung, als seyend eben, das logische Subjekt: als [das u. das], das logische Prädikat: dies ist der GrundInhalt dieser Sehe.“ 97

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des Bildes – das „Als“ – ermöglichte, vom Bild selbst aber abweichende „Bild des Bildes“)101. IX. Bilanz und Ausblick Wenn man nun die zur Erörterung stehende Formel der „Sicherscheinung der Erscheinung der Erscheinung“ im Lichte des Ausgeführten betrachtet, so läßt sich als Fazit folgendes feststellen: Die „Sicherscheinung der Erscheinung“ bezeichnet zunächst einmal die Grundstruktur, die Fichte zufolge jeder Erscheinung oder jedem Bild innewohnen muß: die Grundstruktur des Bildes vom Bilde, durch die das Bild sich auf sich selbst bezieht. Diese Grundstruktur ist es, um die alles Weitere kreist – und zwar so, daß alles Weitere nichts anderes als die Form darstellt, welche die „Sicherscheinung der Erscheinung“ im weiteren Sinne annehmen muß, wenn anders sie eine „Sicherscheinung der Erscheinung“ sein soll. Alles Weitere hat also mit der inneren Beschaffenheit dieser Grundstruktur zu tun, nämlich: a) mit der „Sicherscheinung der Erscheinung“ im engeren Sinne einer Erscheinung des Sich und der damit zusammenhängenden Subjekt-Objektivität, und b) mit der Erscheinung der Erscheinung im Sinne der Spaltung zwischen Begriff und Anschauung und der Art und Weise, wie Begriff und Anschauung sich gegenseitig ergänzen und erst durch diese Ergänzung in der Lage sind, ein „volles Bild“ zu bilden. Anders gesagt: Die Formel der „Sicherscheinung der Erscheinung der Erscheinung“ drückt die Quadruplicität aus102. Weil aber die Wendung „Erscheinung der Erscheinung“ nicht nur die Spaltung zwischen Anschauung und Begriff, sondern zugleich ihre Verbindung bzw. das bezeichnet, was Fichte das Als bezeichnet, bringt die Formel „Sicherscheinung der Erscheinung der Erscheinung“ nicht nur die Quadruplicität, sondern auch die „Fünffachheit“103 bzw. die fünffache Synthesis zum Ausdruck, von der in der WL 1812 die Rede ist, so daß sie in nuce mit der komplexeren Formel der „sich Erscheinung der Erscheinung der Erscheinung als sich erscheinend“104 gleichbedeutend ist. In dieser Formel stellt das letztgenannte Glied 101 Man könnte vielleicht von einem „Als-Bild des Bildes“ sprechen. Vgl. WL 1812 – GA II/13, 78: „Die Erscheinung, die da ist, u. an der nicht weiter gesehen wird, daß auch dieses seyn nur sey ihr Bild, tritt drum in dieser Sehe in einem als das u. das, also in einem Bilde, Schema[,] Stellvertreter. Dies wäre nun das eigentl. Schema II. das uns hier in die Mitte träte; u. was wir erst als Schema II. dachten, möchte überhaupt nicht in dieser Bedeutung statt finden. Bedenken Sie: ich sage, in diesem Sehen erscheint die Erscheinung als sich erscheinend so – sage ich etwa: sie erscheint sich. Nein, so habe ich gesagt im 1sten Kapitel; habe aber jetzt den Ausdruck [mir] verbessert. Ist also in dieser Sehe ihr Erscheinen: keineswegs, sondern es ist b[l]oß ein Bild ihres Erscheinens. Sie schwebt vor, selbst im Bilde, u. zwar als ein erscheinendes; genau dies, u. nicht mehr [liegt in] der Sehe, die wir jezt über das als befestigt haben.“ 102 WL 1812 – GA II/13, 75. 103 WL 1812 – GA II/13, 76, 102. 104 Ebd. Vgl. dazu auch die rückblickende Zusammenfassung: „Bemerken sie, wie unsere Lehre einfach geblieben ist, als das, als was sie sich angekündigt hat, als Analyse des einfa-

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– „als sich erscheinend“ – kein zusätzliches, nachträgliches Element, sondern vielmehr das dar, was die „sich Erscheinung der Erscheinung der Erscheinung“ ursprünglich zustande bringt und zusammenhält105. chen Sich. – Dieses Sich hat sich freilich getheilt in ein doppeltes sich: im sicherscheinen liegt: daß die Erscheinung sich erscheine, als sich erschei[nend]. Dieses ist geschehen durch das trennende im Bildwesen, indem im Denken das formale, in der Anschauung das qualitative, beides abgesondert heraus tritt. Durch Einsicht in das Bild erhalten wir drum die Einsicht, daß d[enno]ch Eins ist, ein sich erscheinen, was im Bilde heraustritt als ein doppeltes, durch ein neus Mittelglied, das Als [,] vereinigt“ (WL 1812 – GA II/13, 84 f.). 105 In Anlehnung an die herkömmliche Terminologie der Logik, welche das „Als“ als reduplicatio bezeichnete, kann man die Lehre Fichtes folgendermaßen auf den Punkt bringen: Fichte spricht von einer Art ursprünglicher Reduplikation, welche im Mittelpunkt der fünffachen Synthesis steht. Diese ursprüngliche Reduplikation zeichnet sich unter anderem dadurch aus, a) daß sie nichts Abgeleitetem und Nachträglichem entspricht, sondern vielmehr alles andere dergestalt „trägt“, daß es sich ohne sie gleichsam „verflüchtigt“ und b) daß sie nicht die Reduplikation von etwas „Einfachem“, sondern vielmehr die komplexe Reduplikation der Gleichsetzung ist, von der oben die Rede war. Zum Schluß noch ein Wort zum Verhältnis zwischen den bereits besprochenen Formeln und einer anderen, welche mit ihnen aufs engste zusammenhängt. Diese andere Formel zeichnet sich dadurch aus, daß sie noch komplexer ist und rätselhafter wirkt als die anderen. Sie lautet: „[…] die Erscheinung erscheint sich, – als – sicherscheinend, als sich erscheinend“ (WL 1812 – GA II/13, 76). Es ist dies nicht der Ort, diese Formel eingehend zu erörtern. Nur soviel sei gesagt: Diese komplexere Formel soll dazu dienen, das Eigentümliche der WL und ihren Zusammenhang mit dem Gesamtbereich der Erscheinung auszudrücken, wie diese vor der Entwicklung einer WL im Sinne Fichtes sich zu sich selbst verhält und sich selbst versteht. Die Fünffachheit, von der die WL 1812 spricht, ist keineswegs so geartet, daß sie sich ihrer eigenen Beschaffenheit (der fünffachen Synthesis u. dgl.) bewußt sein muß. Gerade das Gegenteil trifft zu. Die „sich erscheinende Erscheinung der Erscheinung“ geht in sich auf (vgl. WL 1812 – GA II/13, 50) und hat als „in sich aufgegangene“ „sich erscheinende Erscheinung der Erscheinung“ von ihrer eigentümlichen Zusammensetzung bzw. von all dem, was diese Formel auf den Punkt bringen soll, so gut wie überhaupt keine Ahnung. Erst die WL – welche aber, wie Fichte betont, eine Art „Sehen gegen die Natur“ (WL 1812 – GA II/13, 49) darstellt – gewinnt einen Einblick in die fünffache Synthesis. Die zusätzliche Komplexität der nunmehr zu besprechenden Formel – das zusätzliche „Als“ (bzw. das zusätzliche „als sich erscheinend“) – drückt die von der Reflexion herbeigeführte Verwandlung und zugleich die Tatsache aus, daß das zusätzliche „Als“ das ursprüngliche „Als“ so zum Gegenstand hat, daß dieses (d. h. also die innere Beschaffenheit der Erscheinung) selbst in Erscheinung tritt. Anders gesagt: Die Aufgabe der WL besteht gerade darin, das, was die Formel „die Erscheinung erscheint sich als sich erscheinend“ ausdrücken soll, in den neuen Zustand zu verwandeln, für den die letztgenannte Formel „die Erscheinung erscheint sich, – als – sicherscheinend, als sich erscheinend“ steht. Kurzum: Die einfachere Formel „gilt […] vom faktischen Wissen, u. als aussprechend dieses“ (WL 1812 – GA II/13, 76), während die komplexere den „charakteristischen Standpunkt“ (ebd.) der WL „ausspricht“. All dies hängt mit der Art und Weise zusammen, wie die WL 1812 die Reduplikation in den Mittelpunkt ihrer philosophischen Betrachtungen stellt. Das Wesentliche besteht nicht nur darin, daß dem Bild, das wir selbst sind, eine ursprüngliche Reduplikation zugrunde liegt, sondern auch darin, daß diese ursprüngliche Reduplikation die Möglichkeit einer weiteren Reduplikation öffnet, welche einen Einblick in die erste gewinnt. Mehr noch: Diese weitere Reduplikation, welche einen Einblick in die erste gewinnt, ist so geartet, daß sie eine Verwandlung des „Als“ selbst – und in diesem radikalen Sinne eine Verwandlung dessen, als was das Bild sich selbst erscheint – mit sich bringen kann. Anders gesagt: Das Eigentümliche der von Fichte dargelegten Lehre liegt nicht nur darin, daß dem „Als“ die oben

besprochene Schlüsselrolle zukommt, sondern auch darin, daß das „Als“ durch seine Komplexität bzw. dadurch gekennzeichnet ist, daß es sich verwandeln kann. Es handelt sich gewissermaßen um ein doppeltes „Als“: 1. das ursprüngliche „Als“, für welches in der fraglichen Formel das erste „als sich erscheinend“ steht – dieses stellt eine unerläßliche Bedingung der „sich Erscheinung der Erscheinung der Erscheinung“ dar; 2. das mit der Reflexion zusammenhängende „Als“, für welches in der fraglichen Formel das zweite „als sich erscheinend“ steht; dieses zeichnet sich dadurch aus, daß es keine unerläßliche Bedingung der „Sicherscheinung der Erscheinung der Erscheinung“, sondern vielmehr nur eine mögliche Entwicklung bildet; wobei anzumerken ist, daß diese mögliche Entwicklung durch das ursprüngliche „Als“ bzw. durch die ihm wesentlich innewohnende Reflexibilität ermöglicht wird (vgl. WL 1812 – GA II/13, 92 ff., 99 ff.). Man kann also von einer komplexen Binnenstruktur des „Als“ sprechen. Und Fichtes „Als“-Begriff steht für ein komplexes Spannungsfeld, welches sich vom Nullgrad der Reflexion (vom völligen „Aufgehen“) über die Reflexibilität zur Reflexion bzw. zum vollkommenen Vollzug der Reflexion in der WL erstreckt.

Die Welt als Bild Jacinto Rivera de Rosales I. Sein und Bild Was ist die Welt? Was sind wir? Wozu sind wir und die Welt da? Welchen Sinn hat die Existenz, was ist der Sinn unseres Daseins? Das sind philosophische Fragen, auf die uns die Wissenschaftslehre von 1812 (= WL 1812) eine Antwort zu geben versucht. Diese lautet: Wir und die Welt sind das Bild oder Schema des absoluten Seins; wir müssen das wissen und im Bewußtsein dessen sollen wir entsprechend handeln, d.i. wir sollen uns an diese göttliche Erscheinung hingeben. Bild und Schema werden als Wissen verstanden. Dieses Wissen ist aber nicht ein durch uns oder durch das reine Ich produziertes Wissen. Wir befinden uns hier auf einem anderen Hintergrund des Denkens als in der Jenaer Zeit Fichtes; hier ist das Ich nicht mehr das erste Prinzip des Wissens und der Philosophie1, sondern ein Bild oder Reflex des Wissens, des Sichwissens, als der Ort, wo die Erscheinung als sich selbst erscheinend erscheint und von sich weiß; alles, was das Ich zu tun hat, ist es, sich an dieses Wissen, an diese Erscheinung, hinzugeben; so erreicht es die Evidenz2 und die Sittlichkeit3. Auf der anderen Seite kann es nicht nur Wissen geben, weil das Wissen eben nur ein Bild ist, sondern auch das Sein als die Realität, von dem das Wissen ein entsprechendes Bild sein soll. Fichte geht davon aus, es gäbe nur diese beiden: das Sein und sein Bild, denn er stellt sich beides als absolut, jedes in seiner Seinsart vor. Das Wissen ist das Licht, in dem das Sein erscheint, sich zu erkennen gibt; es ist seine Manifestation. Dafür soll sich das Wissen als solches vollkommen verwirklichen, d. h. sich als bloßes Wissen verstehen, gerade als Bild oder Erscheinung des absoluten Seins. 1 „Wissenschaftslehre […] oder transscendentaler Idealismus genommen als das System, das innerhalb des Umkreises der Subject-Objectivität des Ich, als endlicher Intelligenz, und einer ursprünglichen Begränzung desselben durch materielles Gefühl und Gewissen sich bewegt, und innerhalb dieses Umkreises die Sinnenwelt durchaus abzuleiten vermag, auf Erklärung jener ursprünglichen Beschränkung selbst aber sich durchaus nicht einläßt“ (Fichte: „Brief an Schelling vom 27. Dezember 1800“, in: GA III/4, 405). 2 Johann Gottlieb Fichte: Die Wissenschaftslehre [aus dem Jahr 1812], in: ders.: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. Reinhard Lauth, Hans Jacob, Hans Gliwitzky, Erich Fuchs und Peter K. Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 – 2012. Im folgenden abgekürzt: WL 1812, GA, mit Angabe der Abteilung, des Bandes und der Seitenzahl, hier: WL 1812 – GA II/13, 46. Vgl. auch Fichte: [Wissenschaftslehre 1810], in: GA II/11, 364. 3 WL 1812 – GA II/13, 178.

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Das „Bild“ ist eine Metapher, eine Analogie, die sagen will: Das Verhältnis von Welt und absolutem Sein verhält sich wie dasjenige zwischen Bild (Gemälde, Spiegel) und Original. Aber hier handelt es sich nicht um ein totes Bild, sondern um ein sich selbst bildendes Bild, um ein Wissen, das auch ein Sichwissen sein soll, um überhaupt Wissen und Bild des lebendigen Absoluten zu sein. Damit will Fichte dreierlei sagen: Erstens, daß jedes Bild und Original sein eigenes Leben lebt und in ihm selbst bleibt. Zweitens, daß trotzdem die Erscheinung kein eigenes Sein besitzt und vollständig abhängig ist, so daß sie kein Seiendes, sondern nur ein bildendes Leben treibt. Und drittens, daß die Welt als Bild der Ort ist, an dem sich das absolute Sein manifestiert und gesehen wird, indem die Erscheinung sich selbst nur als Bild (in der WL, aber auch schon im religiösen Standpunkt) faßt, weil die Erscheinung kein bloßer Spiegel, sondern ein Auge mit eigenem Leben, mit Reflexibilität und Selbstbewußtsein ist. Darin besteht die Realität und der Sinn der Welt und unserer Existenz selbst – die angemessene ,Lichtung‘ und der Berührungspunkt der Offenbarung Gottes oder des absoluten Seins zu sein. Vom religiösen Standpunkt aus spricht man von Gott, aber vom philosophischen aus vom absoluten Sein. Aber von welchem Sein sprechen wir? Bei diesem Sein handelt es sich nicht um eine Person, weil das Absolute keiner Begrenzung unterliegt. Eigentlich handelt es sich um ein absolut Seiendes. In dieser Behauptung eines absoluten Seins als realer Bedingung der Möglichkeit des gesamten Wissens oder der ganzen Erscheinung bestünde der Realismus der WL und die Antwort Fichtes auf den Vorwurf des Nihilismus durch Jacobi. Der späte Fichte hat dieses Sein mehrmals (auch in der WL 1812) dadurch zu erklären versucht, daß er Spinoza als „einen festen Vergleichungspunkt“4 bezeichnete. Spinoza hatte recht, so Fichte, mit seiner Behauptung einer göttlichen unveränderlichen Substanz. Das ist ein „Satz: in welchem wir übereinstimmen. Das Seyn ist schlechthin Eins, von sich, durch sich, aus sich selbst […]. Alle Wandelbarkeit u. Veränderung ist von ihm ausgeschlossen. […] In ihm ist das Seyn alles, u. ausser ihm ist kein Seyn“5. „So Spinoza, so wir“6. Das Sein kann nicht aus etwas anderem stammen und ist auch von nichts abhängig; es ist absolut und kann nicht nicht sein; aus dieser Denknotwendigkeit wird seine Wirklichkeit geschlossen7. Deswegen kann es nur ein Absolutes und nicht zwei Absolute geben. Dieses Sein wird von Fichte auch als Leben bezeichnet, ein inneres in sich geschlossenes Leben: Gott „ist ein durch sich aus sich von sich. ein ewig reges, nie stillstehendes Leben“8. Er ist Leben, aber nicht, weil in ihm Prozeß, Spaltung, organische Einheit, Genesis, Mannigfaltigkeit, Synthesis und Offenheit bestehen, 4

WL 1812 – GA II/13, 53. Fichte: Wissenschaftslehre von 1811, in: GA II/12, 163 f. 6 WL 1812 – GA II/13, 51; auch 54 f. 7 WL 1812 – GA II/13, 53, 57 f. 8 Fichte: Einleitung in der Wissenschaftslehre 1813, in: GA II/17, 269.Vgl. auch Fichte: Ueber das Wesen des Gelehrten (1806), in: GA I/8, 71 f., und Fichte: Die Anweisung zum seeligen Leben, in: GA I/9, 85 f. 5

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Merkmale, mit denen wir und Fichte9 uns das Leben vorstellen, sondern nur, weil das Absolute von sich, aus sich und durch sich ist – es handelt sich also um einen anderen Begriff von Leben. Wir sind aber nicht in diesem Leben des Seins selbst, wir leben nicht in Gott, wie Spinoza glaubt10, sondern nur an Gott11; wir sind nicht Teil der Realität dieses Seins (Seinsmodi), sondern Bild bis auf unser Innerstes, bis auf unsere Wurzel12. Andernfalls würden wir das absolute Sein in die Mannigfaltigkeit und Veränderung, d. h. in die Abhängigkeit hineinziehen, und damit würde es als solches vernichtet, so Fichte. Das Sein oder Gott ist für ihn die absolute Negation des Werdens. Spinoza reflektierte nicht kritisch über sein Wissen, daß er, indem er Gott dachte, nicht Gott selbst, sondern nur einen Begriff von Gott hatte, und deswegen legte er die Welt in Gott13. Aber was für eine Seinsart hat dann die Erscheinung, die Welt und der Begriff, den wir vom (absoluten) Sein haben, wenn es außer dem absoluten Sein kein anderes Sein geben kann? Für Fichte gibt es nur eine Lösung: dem Wissen „das eigentl. Seyn, die Art u. Weise des Seyns des absoluten ganz abzusprechen, u. ihm eine andere beizulegen. – Durchaus andere, jener schlechthin entgegengesezte Form des Seyns“14, nämlich als Bild. Nur so ist der unannehmbare Dualismus zweier absoluter Seinsformen zu vermeiden. „Das Wissen ist eßentialiter in Grund u. Boden, Erscheinung, Bild, Schema: das Seyn komt in demselben nicht vor, sondern dies bleibt rein, u. lauter in Gott“15. Das Wissen wird dann als „ein Accidens Gottes allerdings, wie Spinoza, aber nur Eins“16, nur als cogitatio, verstanden. Während Spinoza aus der Unendlichkeit der einen Substanz auf die Unendlichkeit der Attribute geschlossen hatte17, schließt Fich9 Fichte: Die Wissenschaftslehre (Zweiter Kurs) 1804, in: GA II/8, 52 ff., 114 ff., 118; Fichte: Die Anweisung zum seeligen Leben, in: GA I/9, 56 und 80 f. 10 Spinoza: Ethica I, Lehrsatz XVIII. „Mysticismus: Alles in Gott […] ein andächtiges Schwärmen“ (WL 1812 – GA II/13, 54, auch 56). 11 Fichte: [Wissenschaftslehre 1810], in: GA II/11, 345, 350, 351, 364; Fichte: Wissenschaftslehre von 1811, in: GA II/12, 274; WL 1812 – GA II/13, 96; Fichte: Thatsachen des Bewußtseyns [1813], in: GA II/15, 40, 55, 124. 12 Fichte: [Wissenschaftslehre 1810], in: GA II/11, 310, 322. „Wir aber sind in unserm unaustilgbaren Wesen nur Wissen, Bild, und Vorstellung […] Selbst in diesem unsern Zusammenfallen mit ihm [mit Gott in der Seeligkeit], wird er nicht unser eigenstes Seyn selber, sondern er schwebt uns nur vor, als ein fremdes, und außer uns befindliches, an das wir lediglich uns hingeben, und anschmiegen, in inniger Liebe“ (Fichte: Die Anweisung zum seeligen Leben, in: GA I/9, 103). 13 WL 1812 – GA II/13, 52 f.; Fichte: Wissenschaftslehre von 1811, in: GA II/12, 165. 14 WL 1812 – GA II/13, 56. 15 Fichte: Wissenschaftslehre von 1811, in: GA II/12, 157: „das Seyn ist abgesondert, u. verborgen in Gott“ (ebenda, 170). 16 Fichte: Wissenschaftslehre, Königsberg [1807], in: GA II/10, 169. Fichte kennt die Ethik von Spinoza, und zitiert deren erstes Buch sogar in seinen kritischen Bemerkung über die Darstellung Schellings (Fichte: [Zu Schellings „Darstellung meines Systems der Philosophie“], in: GA II/5, 492 ff.), aber er übersetzt die Attribute als Akzidenzen oder Bestimmungen. 17 Spinoza: Ethica, I, Definition VI und Lehrsatz XI.

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te aus der Einheit des Seins die Einmaligkeit seiner Erscheinung18, und darüber hinaus, daß diese Erscheinung nur das Wissen sein kann19, weil nur das Wissen von sich weiß und als Mittel der Offenbarung dienen kann. Diese Auslegung des Wissens ist die zweite Hauptidee Fichtes neben der des Seins, beides nimmt er als selbstevident und ohne als eines der Möglichkeit fähigen Beweises hin20, oder besser gesagt: die ganze WL ist der Beleg für die Richtigkeit der Prinzipien21. Weil die beiden Hauptideen, die des absoluten Seins und die der bildlichen Erscheinung, als Leitfaden und Kriterium für den ganzen Prozeß dienen, liefern sie selbst ihre Bestätigung, d. h. Fichte geht von der Kreisstruktur des Wissens aus und das Wissen ist in seiner Kreisförmigkeit zu verstehen22. Das Wissen ist das Bild des Absoluten, „das absolute, ganz so wie es in ihm selbst ist, tritt ein im Bilde, wie es im Bilde einzutreten vermag“23. Es kann aus Gottes absolutem Leben nichts Totes hervorgehen, deswegen trägt das Wissen ein eigenes Leben in sich, von sich, durch sich, und ist gerade deswegen ein geeignetes Bild des Absoluten. Aus ihm nun, aus dem lebendigen Wissen, und nicht unmittelbar aus dem absoluten Sein, entsteht die weltliche Mannigfaltigkeit so wie wir selbst. Dieses Wissen ist kein bloß subjektives Wissen, sondern ein kosmogonisches, und durchaus mit der Idee bei Hegel vergleichbar; es ist das eigentliche 2¸ ja· p÷¸ unserer Wirklichkeit. Die ganze Welt ist Wissen, Erscheinung, Bild oder Schema24. In der WL 1812 kommt diese Einsicht sehr deutlich zum Ausdruck: „So er [Spinoza] vom absoluten; ebenso wir von seiner Erscheinung. […] Die wahre Parallele [mit Spinoza]. Eins u. Alles daßelbe. 2¸ jai p÷¸. Alles in dem Einen, alles Eins. – . Allerdings, nemlich in der Einen Erscheinung. – . In ihm [, d. h. in Gott] leben, weben, sind wir: ja, in seiner Erscheinung: nimmer in seinem absoluten Seyn“25. Die Er18

Auch für Kant gibt es nur eine Erfahrung. Gäbe es mehrere, d.i. ohne einen Zusammenhang zwischen diesen, dann wären wir verloren und ohne Orientierung. 19 „Aber es scheint mir an sich klar, daß das Absolute nur eine absolute, d. h. in Beziehung auf Mannigfaltigkeit, durchaus nur Eine, einfache, sich ewig gleiche, Aeusserung haben kann; und diese ist eben das absolute Wissen“ (Fichte: „Brief an Schelling vom 15. 1. 1802“, in: GA III/5, 112 f.). 20 „Was ein Bild sey, wird unmittelbar klar, dadurch indem das Bild ist, das Bild charakterisirt sich selbst, seine Bildlichkeit“ (WL 1812 – GA II/13, 61). 21 „Ich sage: Das Wissen ist an sich die absolute oder was das gleiche bedeutet, wie sich zeigen wird, des Absoluten Existenz. […] Dieser Eine, ganz einfache Gedanke ist’s, den ich – nicht zu beweisen – sondern in Ihnen zur Klarheit zu erheben habe“ (Fichte: 4ter Vortrag der Wissenschaftslehre –. Erlangen im Sommer 1805, in: GA II/9, 185). Alle Beweise und Ableitungen beruhen auf ihm. 22 Fichte: Wissenschaftslehre von 1811, in: GA II/12, 164 f.; WL 1812 – GA II/13, 51 ff.; Fichte: [Die Wissenschaftslehre 1813], in: GA II/15, 133. 23 WL 1812 – GA II/13, 58. 24 Sein Berliner Student Schopenhauer wird es noch schärfer als bloße Vorstellung und Traum auffassen. 25 WL 1812 – GA II/13, 60. „Also – die WL geht innerhalb der Erscheinung ganz so zu Werke, wie Sp[inoza] innerhalb des Seyns“ (o.c., 59). Siehe auch Fichte: Ueber das Wesen des Gelehrten, in: GA I/8, 71 f.

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scheinungslehre, so wie Fichte sie im Jahr 1812 versteht, ist ein vollendet durchgefu¨hrter und kein subjektiver Idealismus26. Noch in Jena hatte Fichte unter Idealismus die Lehre verstanden, die die urspru¨ngliche Realita¨t der Freiheit des Ich gegen den Dogmatismus des transzendenten Materialismus, fu¨r den Freiheit bloße Wirkung war, verteidigte27. Nun bedeutet Idealismus, daß die gesamte Wirklichkeit der Welt so wie unser Selbst nichts anderes als Wissen und Bild, nicht aber Sein ist28. Aber obwohl wir uns, laut Fichte, immer nur innerhalb der Erscheinung bewegen (im Unterschied zu Spinoza), können wir dem absoluten Sein die Realität nicht absprechen, und es letzten Endes (im Gegensatz zum dogmatischen Idealismus) nur als bloße Idee oder Funktion des Wissens verstehen. In der Erscheinung befindet sich freilich nur das Bild des absoluten Seins und niemals das Sein selbst29. Aber der Bildcharakter aller Realität des ganzen Wissens spricht dafür, daß das absolute Sein real ist, und so ist die WL Realismus-Idealismus. Befände sich nicht ein Begriff des Seins im Wissen, so wäre dieses Sein nicht für das Wissen; aber wäre dieses Sein nur ein konkretes Bild des Wissens und nicht real außer seinem Bild, so würde es sich dabei um kein eigentliches Bild handeln, sondern um eine Illusion, und das Wissen wäre kein Wissen, sondern nur eine Täuschung; alles würde auf den Nihilismus hinauslaufen, weil das Ganze ohne letzte Realität wäre. Dies wäre so wie eine Erscheinung ohne die Dinge an sich selbst, freilich auf einer anderen Ebene als im Kantischen Sinne. Dank des Begriffs des absoluten Seins kann sich einerseits die Erscheinung oder die ganze Welt als Bild des Seins begreifen, so wie sich – in einem vergleichbaren Sinne – Descartes als ein endliches Wesen versteht, weil er über die Idee des Unendlichen verfügt30. Andererseits aber, wenn die Erscheinung die eigene Realität des Seins nicht annimmt, faßt sie sich eigentlich noch nicht als Bild auf, und das Sein als solches, als Realität von sich, durch sich, aus sich, hat sich noch nicht gezeigt. Die Erscheinung soll also als ratio cognoscendi negativ und mittelbar, und zwar durch ihren Bildcharakter und ihren Gegensatz zum Absoluten31, die eigene Realität des Seins selbst annehmen, wie dies schon dem religiösen Standpunkt entspricht, und diese Realität als außerhalb von ihr, als kein bloßes Bild des Wissens, als eine reale Bedingung oder ratio essendi desselben behaupten, obwohl die Erscheinung 26 WL 1812 – GA II/13, 127; Fichte: Die Wissenschaftslehre (Zweiter Kurs) 1804, in: GA II/8, 172 und 264. 27 Fichte: Bestimmung des Gelehrten, in: GA I/3, 28. 28 „Es ist ganz klar, daß vor Durchführung des tr. Idealismus d.i. daß das Wissen allein die Realität sey, und in allen seinen Bestimmungen durch sein eignes Leben sich setze“ (Fichte: Logik. Erlangen, 1805, in: GA II/9, 118). Vgl. auch Fichte: [Wissenschaftslehre 1810], in: GA II/11, 332; Fichte: Wissenschaftslehre von 1811, in: GA II/12, 173; WL 1812 – GA II/13, 127. 29 WL 1812 – GA II/13, 58. 30 „Car comment serait-il possible que je pusse connaître que je doute et que je désire, c’est-à-dire qu’il me manque quelque chose et que je ne suis pas tout parfait, si je n’avais en moi aucune idée d’un être plus parfait que le mien, par la comparaison duquel je connaîtrais les défauts de ma nature ?“ (Descartes: Méditations, III, in: Œuvres Philosophiques de Descartes, Bd. II, hg. v. Ferdinand Alquies, Paris 1967, 446). 31 WL 1812 – GA II/13, 68, 73.

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diese Realität nicht als solche erreichen kann, weil sie immer nur im Wissen und Bild verbleibt. Wir müssen diese Spannung aushalten, beide Seiten beizubehalten. Das eine Moment ist das „von sich durch sich aus sich“ seiende absolute Sein, das „schlechthin nicht – nicht seyn“32 kann, das wir „aus dem Gebiete des reinen Denkens“33 behaupten, und deshalb mit dem ontologischen Beweis vergleichbar, aber ohne ein Beweis sein zu wollen.34 Das andere Moment ist die Erscheinung als Bild Gottes, die selbst nicht durch sich, sondern „durch Gott selbst“35 – seine ratio essendi – und an Gott existiert. Weil wir nicht fähig sind, Gott selbst zu durchschauen, wissen wir nicht a priori, ob die Erscheinung sein muß, und wir kennen sie nur durch das unmittelbare Bewußtsein und durch ihre Faktizität36. An dieser Faktizität und am Begriff Gottes setzt die WL an, und am Ende muß die Erscheinung und sogar ihre faktische Welt (das wirkliche Sehen oder Wissen), also auch die vermeintliche, an sich seiende Wirklichkeit der materiellen Welt37, als bloßes Bild des Seins, und nicht als das Sein selbst begriffen werden. „Die faktische Welt ist ein System von Bildern, u. Begriffen, von gewissen Bestimmungen des Sehens, und schlechthin nichts anderes. Dies ist der Idealismus der WL“38. Es kann sich damit nicht anders verhalten, da nach ihm außerhalb des absoluten Seins nur Bilder vorhanden sein können. „Aller Irrthum ohne Ausnahme besteht darin, daß man Bilder für ein Seyn hält. [… Aber die WL] zeigt, daß das Seyn nur in Gott sey, nicht ausser ihm, daß drum alles, was im Wissen [in jedem Wissen, nicht nur im formalen Wissen der

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Fichte: Wissenschaftslehre von 1811, in: GA II/12, 165. WL 1812 – GA II/13, 61. 34 WL 1807 – GA II/10, 165 – 166; 175. 35 WL 1812 – GA II/13, 100, 62, 93. 36 WL 1812 – GA II/13, 52, 54, 56 – 58, 61, 66 f., 100. „Erscheinung das absolute Faktum“ (Fichte: [Wissenschaftslehre 1810], in: GA II/11, 361). Es ist erst ein Faktum, daß es außer dem absoluten Sein noch ein Wissen gibt; die späte WL geht gerade von dieser Faktizität aus, die unmittelbar von uns angeschaut wird. Die Erscheinung ist nicht zufällig, aber wir erkennen ihre Wirklichkeit nicht a priori, sondern nur durch ihre Faktizität, und ihre Notwendigkeit durch einen Schluß: sie kann nur aus dem Sein kommen, im Sein ist aber keine Veränderung möglich; da sie nun einmal da ist, ist sie notwendig und kann nicht nicht sein. Für Fichte in Jena konnten wir behaupten, das absolute Ich solle aus sich herausgehen, um von sich zu wissen und damit Ich zu werden. Aber vom absoluten Sein können wir das nicht wagen; unsere Erkenntnis erreicht sein Inneres nicht, und wir wissen a priori nicht, warum es sich manifestieren sollte. 37 WL 1812 – GA II/13, 95, 97. 38 Ebd., 127. Auf keinen Fall dürfen wir die Position des späten Fichte so auslegen, als wäre das absolute Sein nur eine Idee und das Wissen ein bloßes transzendentales Bild der Realität der Welt, weil die Welt und wir selbst hier durch und durch nur Wissen und Bild sind. Fichte sagt: Es gibt das absolute Sein und das Wissen als seine Erscheinung, aber nirgendwo äußert er: Es gibt das Wissen als Bild und die Welt als das Reale. Nur die erste der fünf Weltansichten setzt nach Fichte wirkliche Realität in die Sinnenwelt (vgl. Fichte: Die Anweisung zum seeligen Leben, in: GA I/9, Fünfte Vorlesung). 33

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WL selbst] vorkomme, eben nur seyn könne Bild“39. Die Bilder aber sind von höchst unterschiedlichen Potenzen, dem Seyn und der Wahrheit näher liegend oder entfernter. Daß wir die Wahrheit wissen wollen, bedeutet nicht, daß wir das Seyn selbst wollen, sondern das dem Seyn am nächsten liegende Bild oder Wissen40, die WL selbst. „Die WL ist drum eine Analyse des ganzen Bildersystems, in seinen Abstufungen u. Verhältnissen“41, dank der Reflexibilität42. Der Grund allen Irrtums besteht also darin, diese Unterscheidung zwischen Sein und Bild aus Mangel an Reflexion nicht durchzuführen, wie etwa Spinoza43; entweder weil das Bild (das Wissen, die Welt) als Sein verstanden wird (wie das sogar bei der Idee der Schöpfung und der Emanation der Fall ist), oder weil das absolute Sein in ein reines Bild umgewandelt wird. Das absolute Ansich ist, aber nicht bloß als Begriff und durch unsere Behauptung, sondern es ist durch sich selbst; das Gegenteil davon anzunehmen, bedeutet für Fichte Nihilismus, und ist der Grundfehler des dogmatischen Idealismus44. Hierin besteht die erste Antwort auf unsere Frage. Die Realität der Welt und von uns selbst ist es, Bild des absoluten Seins zu sein.

II. Das Schema I Außer Gott gibt es nur seine Erscheinung und die weiteren Ausprägungen und Bildungen dieser Einen Erscheinung. Diese Erscheinung müßte sich durch sich selbst als die einzig mögliche darstellen lassen. Anhand der WL soll vollständig nachgewiesen werden, daß alles, was in der Welt existiert, eben nichts ist als die eine und selbige Erscheinung des Absoluten, und daß es kein anderes Dasein als dieses Bild gibt. Darin besteht der Grundcharakter der WL45. Das Wissen aber gliedert sich in drei Hauptmomente, in drei Stufen von Bildern oder Schemata. Was der Begriff des „Bildes“ an sich bedeutet, ist uns nach Fichte unmittelbar im Bewußtsein klar46. Von „Schema“ wird in der Kritik der reinen Vernunft als Produkt der Einbil39 WL 1812 – GA II/13, 83, 94; Fichte: 4ter Vortrag der Wissenschaftslehre –. Erlangen im Sommer 1805, in: GA II/9, 187. 40 WL 1812 – GA II/13, 83. 41 Ebd., 83. 42 Ebd., 98. 43 Ebd., 96. 44 Fichte: Die Wissenschaftslehre (Zweiter Kurs) 1804, in: GA II/8, 184 – 188 und Fichte: 4ter Vortrag der Wissenschaftslehre –. Erlangen im Sommer 1805, in: GA II/9, 187. Für Kant selbst ist die praktische Freiheit weder eine Erscheinung noch eine rein formale Bedingung, sondern eine Realität an sich, die offene Tür ins Metaphysische (Kant: Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik, in: ders.: Gesammelte Schriften, hg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften/Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin/Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Berlin/New York 1900 ff. Im folgenden mit AA abgekürzt und mit Bandangabe in lateinischen Ziffern angegeben, hier: AA XX, 311). 45 WL 1812 – GA II/13, 59. 46 „[…] was ein Bild sey, wird unmittelbar klar, dadurch indem das Bild ist, das Bild charakterisirt sich selbst, seine Bildlichkeit“ (WL 1812 – GA II/13, 61, L. 15 – 16).

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dungskraft gesprochen, und zwar als ein allgemeines „Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen“47, damit also als eine ideelle Tätigkeit, die die Erscheinung möglich macht und sie von der Realität an sich trennt. Hier, in der WL, haben Bild und Schema eine viel weitere Bedeutung und bezeichnen die Seinsart des Wissens, seine ideelle Seinsweise als bildendes Leben im Gegensatz zur realen und seienden Seinsweise des absoluten Seins48, aber eine Seinsweise, die auch die der ganzen Erscheinungssphäre wäre, uns und die Welt vom absoluten Sein trennt, abhängig von Gott und zum geeigneten Mittel seiner Offenbarung macht. Das Absolute tritt als Absolutes ins Bild ein, zuerst als absolutes Bild (A). Dieses Bild ist und wird keineswegs, bleibt ohne Veränderung wie das Absolute selbst, diese Erscheinung (A) ist absolut Eins und sich selbst gleich, in sich verborgen und wahrhaft geistig49, und „insofern erscheint in ihr das Absolute, wie es ist in ihm selber“50, aber im Bilde, in der Existenz: „im Schema 1. ist durchaus nichts von Gottes innerem Seyn, als solchem, sondern dieses bleibt in ihm, sofern es ist ganz aufgelöst im Erscheinen der Form nach“51. Dieses erste Bild, und nicht unmittelbar das absolute Sein selbst, ist die Einheit in aller Mannigfaltigkeit des Wissens, „das Eine fest, das dem Wandel, der sich etwa zeigen möchte, zu Grunde liegt, […] nicht etwa das absolute selbst: ewig in sich verborgen, und ohne alle Berührung mit dem Wandel. Nur sein Bild[, sein] unmittelbares UrBild, durchaus genaues, treues, u. entsprechendes“52, das Schema I oder Urschema53, die Urerscheinung54. Sie wird in der zweiten Hälfte der WL 1812 auch als „reines Licht“ bezeichnet55, und gilt als das letztlich Reale in unserer gesamten Welt56. Die ganze weitere Entwicklung dieser Erscheinung, d.i. „die Genesis ist aus ihrem innern Seyn durchaus heraus zu denken“57; sie ist der Grund unserer Wirklichkeit. Was in dieser Wirklichkeit erscheint, ist nur eine weitere Bestimmung des idealen geistigen Grundlebens dieser Erscheinung58, die den Grund 47

Kant: Kritik der reinen Vernunft, A 140 / B 179 f., in: AA III, 135 f. WL 1812 – GA II/13, 69 f., 96. 49 WL 1812 – GA II/13, 96. 50 WL 1812 – GA II/13, 61; siehe auch Fichte: Wissenschaftslehre von 1811, in: GA II/12, 176, 290. 51 Fichte: Wissenschaftslehre von 1811, in: GA II/12, 184 f. 52 WL 1812 – GA II/13, 58. 53 Ebd., 62. 54 Ebd., 78. 55 Ebd., 139 ff. 56 „Nur das absolute Schema Gottes, so wie es ist, schlechthin durch das bloße Erscheinen Gottes, ist, nach ihr, das Reale in der Erscheinung“ (Fichte: „Brief an Jacobi vom 3. Mai 1810“, in: GA III/6, 329). WL 1812 – GA II/13, 51, 100, 140, 143. 57 WL 1812 – GA II/13, 61. 58 WL 1812 – GA II/13, 96. „Nur Existenz, nicht Seyn, ist alles dasjenige, was ein Resultat der Nothwendigkeit der Existenz an sich trägt: drum unter anderm auch das Ich, u. die ganze Fakticität“ (Fichte: 4ter Vortrag der Wissenschaftslehre –. Erlangen im Sommer 1805, in: GA II/9, 189. 48

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ihrer Realität im absoluten Sein hat. Dieses erste Bild des Absoluten ist noch kein reales Wissen, keine Anschauung und kein Begriff, denn dafür werden andere Bestandteile notwendig, die gerade aus dieser Notwendigkeit abgeleitet werden. Alles ist ein unzertrennliches synthetisches Ganzes. Die WL sieht die absolut Eine Urerscheinung nicht in einer reinen Anschauung – das ist unmöglich –, weil dieser Akt vor aller Anschauung liegt; auf dieser Unmöglichkeit beruht gerade das gesamte faktische Bewußtsein. Die WL sieht sie lediglich in einem Bild, in einem Begriff a priori von ihr, der zeigt, wie diese Erscheinung a priori beschaffen sein muß, falls sie erscheint59, weil sie nur Wissen und Offenbarung sein kann. III. Das Schema II Die absolute Erscheinung des Absoluten soll sich selbst erscheinen, um von sich zu wissen, und sich dadurch als Wissen und Erscheinung des absoluten Seins zu verwirklichen und damit als Offenbarung Gottes ihren Dienst zu leisten60. Dieses absolute Sollen waltet in der ganzen Entwicklung des Wissens, läßt unsere ganze Wirklichkeit entstehen und bezeichnet die eigentliche Seinsart und den Sinn unserer Existenz und der ganzen Welt, die Stelle und die Realität aller61, so wie in der Jenaer Zeit Fichtes die Aufgabe in der moralischen Freiheit des Ich bestand. Dieses absolute Sollen tritt schließlich im moralischen und religiösen Sollen in Erscheinung62, wirkt aber auch im ganzen System und in den drei anderen Standpunkten des Lebens, im Naturtrieb, in der verpflichtenden Legalität und in der Notwendigkeit des philosophischen Denkens. „Die Erscheinung soll sich selbst erscheinen“. Was bedeutet das? Die „Erscheinung“ (A) ist das unmittelbare Bild des Absoluten, das Schema I. Das „Soll“ stellt das Gesetz dar und ist die treibende Kraft bei der ganzen Fortentwicklung der Erscheinung, des Bildes Gottes. Das „Sich“ oder „Sich selbst“ ist die Reflexivität als Grundform des Wissens bzw. der Erscheinung, die ein eigenes bildendes Leben des Wissens ermöglicht, und ist deswegen Bild des Bildes bzw. Schema II. Die Erscheinung als Schema I ist schlechthin nichts durch sich, und in diesem Sinne nicht lebendig, sondern ist durch das absolute Erscheinen Gottes gegeben – doch unwandelbar und unveränderlich, weil eben das absolute Sein so ist63. Aber um vom Sein Kenntnis zu erlangen, muß die Erscheinung sich selbst als Erscheinung erkennen, und so wird sie ein durch sich, von sich, aus sich bildendes, schematisie-

59 60

172). 61

WL 1812 – GA II/13, 65. „[…] das absolute soll erscheinen als solches“ (WL 1812 – GA II/13, 95; siehe auch 131,

WL 1812 – GA II/13, 168; siehe auch 68, 96, 134 f. „Nun ist das Soll selbst das göttliche ursprüngl. Seyn in der Erscheinung“ (Fichte: Wissenschaftslehre von 1811, in: GA II/12, 278; siehe auch 292 – 299). 63 WL 1812 – GA II/13, 62, 89. 62

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rendes erscheinendes Leben, mit Freiheit64, für sich erschaffen (so wie es mit dem Ich in der Jenaer Zeit der Fall war). Hier werden Einheit und Unveränderlichkeit mit Mannigfaltigkeit und Wandelbarkeit vereint. Das Urschema oder Schema I bildet sich ab und tritt selbst, als Bild des Bildes, in die zweite Potenz, und das in einem Schlag und ohne Genesis. Die Erscheinung ist in Schema II ganz, wie sie im Bilde zu sein vermag; dieses zweite Bild ist ein wahres Bild der Erscheinung, so wie das Urbild wahres und zutreffendes Bild des Absoluten ist. Das ist das Schema II, das Sicherscheinen der Erscheinung, die Sich-Form, eine reine Beziehung der Erscheinung zu sich selbst. Jedes Erscheinen bringt ein zweites bestimmtes Bild, eine Duplizität, d. h. Subjekt-Objektivität mit sich, ein Subjekt, dem etwas erscheint, und ein Objekt, das erscheint, unzertrennlich und im selben Akt, der früher als transzendentales Selbstbewußtsein, Tathandlung oder als die synthetische Einheit der Apperzeption65 ausgelegt wurde. Das Sich ist die Grundform der Erscheinung, ohne diese Grundform könnte sie nie Erscheinung werden, kein Wissen sein. Dasjenige, dem etwas erscheint, das Subjekt, ist die Sehe bzw. das Sehen, das aber hier nur sich selbst sieht. Die erste absolute Erscheinung ist ein fließender Akt, das zweite Bild, das „Sich“, ist eine feste, vollendete, durchaus bestimmte Form, die Sichform66. Sie veranlaßt, daß das Erscheinen im Sehen zu einer festen Erscheinung oder einem Objekt verwandelt wird, das als seiend im Sehen gefunden wird. In dieser Duplizität von Subjekt-Objektivität spaltet sich diese SichErscheinung der Erscheinung in zwei unzertrennliche Bilder, in Anschauung und Begriff67. Es handelt sich bei ihnen aber nicht um eine wirkliche Anschauung und keinen bestimmten Begriff, sondern um ihre Möglichkeit. Sie dürfen nur als Grundbegriff und Grundanschauung betrachtet werden, von denen alle andere Begriffe und Anschauungen nur weitere Bestimmungen sind68. In dieser Grundanschauung drückt sich das innere Wesen der Erscheinung A oder Schema I, ihr qualitativer Inhalt aus (was sie ist), und im Grundbegriff ihr selbständiges formales Dasein ohne Inhalt (daß sie ist), aber als „Träger des Inhalts“69, also ihre in sich zurückgehende Sichform – das Verhältnis des Subjekts zum Objekt. Diese selbständige Sichform bleibt in der Grundanschauung durchaus verborgen; in ihr wird die Erscheinung nur als das ruhende Objekt gesehen. Deswegen ist die Anschauung ein unbestimmtes und unverständliches Bild. Diese Sichform wird im Begriff nachgeholt, aber sein Was (das Qualitative) muß durch die Anschauung gegeben werden. Beide Bilder machen die Sich-Erscheinung aus, jeweils als Hälfte eines Zustandes. Alle vier Elemente: Subjekt-Objekt und Anschauung-Begriff, werden synthetisch vereint, sind demnach gleichzeitig verbunden und unterscheiden sich in einem fünften Moment bzw. im fünften, absolut gesetzten 64

WL 1812 – GA II/13, 93 f., 95 f. WL 1812 – GA II/13, 101, 104. 66 WL 1812 – GA II/13, 72. 67 WL 1812 – GA II/13, 73 – 75, 84 – 85. 68 WL 1812 – GA II/13, 77, 125. 69 WL 1812 – GA II/13, 75.

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Akt der Sich-Erscheinung, im Als70, „de[m] Sitz der Sehe“71, der absoluten Form alles Sehens72 (dem eigentlichen Schema II), „[der] Grundanschauung in der alle übrigen enthalten sind“73, dank deren sich die Erscheinung (Anschauung, Subjekt) als Erscheinung (Begriff, Objekt) erscheint. Kein Teil ohne das andere. So läßt sich das Grundphänomen oder die Synthesis, die im Sicherscheinen der Erscheinung bzw. im Schema II begründet ist, ausdrücken: „die Erscheinung erscheint sich seyend, als sich erscheinende. Fünffachheit“74. Diese Fünffachheit wirkt in unserer ganzen Wirklichkeit, weil das Sich ihr Prinzip ist. Weder das absolute Sein noch die Erscheinung A sind Prinzip, weil sie ihr Bild ohne Genesis mit sich bringen. „Wie die Erscheinung ist, so ist [unmittelbar] ihr sich Erscheinen, ihr Bild: denn sie ist schlechthin ein sich Erscheinen [so wie das Selbstbewußtsein] […] so wie Gott in seinem Seyn sein Bild schlechthin bei sich führt. Und so ist denn die Erscheinung in diesem ersten sich bilden durchaus nicht Princip, oder handelnd“ (noch weniger Gott), sondern „das reine Bildsein von sich“75 ohne Wandel und Veränderlichkeit, ohne Vermehrung oder Verminderung. Erst durch das „Sich“, durch das Schema II, erscheint die Erscheinung als sich bildendes Prinzip, als schematisierendes Leben, als ein Bestimmtes, woraus ein bestimmtes Prinzipiat oder eine Äußerung (das Schema III) folgen; „schlechthin sichtbar […] wäre nur die Erscheinung als Prinzip; und alles übrige wäre sichtbar nur in dem Umfange ihrer Principheit“76. Dieses Prinzip ist die unzertrennliche Einheit beider, der Erscheinung und der Sicherscheinung, des Schemas I und des Schemas II. Sein bildendes Leben ist der Zusammenhang und die Zusammenwirkung des fließenden Aktes der Erscheinung A und der bestimmten Form des Sich, dank deren es eine unerschöpfliche Quelle der Gestaltungen wird. Das Prinzip ist kein feststehendes Sein, sondern ein bewegliches fließendes Tun, ein reines Vermögen bzw. ein unendlicher und absoluter Grund des Handelns, der durch kein Handeln erschöpft werden kann77. Es selbst bleibt eins, ist aber Quelle des Prinzipiats, des Mannigfaltigen, der Handlungen, die Bilder eines Bildes von einem Bilde oder Schema III sind, in dem dieses Prinzip selbst erscheint. Das ist auch nötig, weil in Schema II die Urerscheinung sich als seiend, als sich und aus sich erscheinendes subjektives-objektives Prinzip und Leben, „als absolutes und selbständiges Seyn“78, als absolut erstes reales, und nicht als zweites und abhängiges, 70

„Dieses Als ist der eigentliche synthetische Vereinigungspunkt“ (WL 1812 – GA II/13, 77, 19 – 20; auch 85 und 102). 71 WL 1812 – GA II/13, 77. Das Ich wäre der Reflex oder das Bild dieses Als (160; 163). 72 WL 1812 – GA II/13, 102. 73 WL 1812 – GA II/13, 84. 74 WL 1812 – GA II/13, 76. Und jedes Glied wird sich auf dieselbe Weise in fünf Glieder teilen, also Fünffachheit der Fünffachheit, 25 Glieder, aber in einem anderen Sinne ist diese Disjunktion unendlich (85). 75 WL 1812 – GA II/13, 80. 76 WL 1812 – GA II/13, 79. 77 WL 1812 – GA II/13, 84, 86 f., 96, 99. 78 WL 1812 – GA II/13, 88.

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nicht als Erscheinung und Bild des Seins betrachtet. Demnach ist das Schema II noch kein „unmittelbares Bild ihres qualitativen Seyns“79, und in ihm wird der Bildcharakter der Erscheinung noch nicht anerkannt. Das geschieht erst in Schema III, und wird eigentlich am Ende des Prozesses klar, in der wissenschaftlichen Weltansicht, aber auch schon einigermaßen beim wahren religiösen Standpunkt, und anfänglich beim Standpunkt der eigentlichen Sittlichkeit, in der dritten Weltansicht – bis dahin ist es aber noch ein langer Weg. IV. Schema III Das Schema III teilt sich in vielfältige Bilder, die die Mannigfaltigkeit der Welt als Bild zeigen. Seine Entwicklung nimmt das ganze dritte Kapitel der WL 1812, zwei Drittel des ganzen Textes ein80. Es soll das Schema II selbst als Prinzip, aber ebenso sollen auch seine Prinzipiate erscheinen. Dadurch werden zwei Welten geschaffen, „eine freie Welt, [und] eine GesetzesWelt; beides als Bild des Princips“81. In der „Gesetzes-Welt“ erscheint sich die Erscheinung in einer sinnlichen und materiellen Welt, in der freien Welt erscheint sie sich als sich erscheinend in der freien Welt. Hier treten verschiedene Momente der Welt in Erscheinung: die Reflexibilität und das Reflexionsvermögen, die transzendentale bzw. synthetische Einheit der Apperzeption, der Blick und die Wahrnehmung, die Sphäre der Natur, die Ichheit und das Wollen, die Anschauung und der Begriff, der theoretische Bereich und die faktisch sinnliche Welt, der Trieb und das sinnliche Ich, das Vermögen und das Nicht-Ich, das theoretische und das praktische Vermögen, die faktische Welt und die Einbildungskraft, der Raum und die Zeit, das Sollen und das praktische Ich, die Reihe der unendlichen Mannigfaltigkeit und die Individuen, die Gemeinde der Iche und die Fünffachheit der Standpunkte. Das sind die verschiedenen Grundgestalten unserer Welt, die schließlich alle als Bilder anerkannt werden müssen, um auf diesem negativen Weg das absolute Sein a contrario anzuerkennen. Die genaue Darstellung dieses langen Weges der Selbsterkenntnis sollte aber bei anderer Gelegenheit erläutert werden.

79

WL 1812 – GA II/13, 78. WL 1812 – GA II/13, 86 – 179. 81 WL 1812 – GA II/13, 87 – 88.

80

Die Wissenschaftslehre von 1812 und das Sehen Hiroshi Kimura Das Sehen bedeutet, einen Grund zu sehen, von dem das Sehen selbst herkommt. Anders gesagt: Das Sehen ist als solches erst dadurch möglich, daß es von dem Grund geleitet wird. Nach dem eigenen Gesichtspunkt des Sehens sieht die Wissenschaftslehre von 1812 (WL 1812) den absoluten Grund oder das Wahre nicht als das jenseits der Wahrheitssuche liegende Ziel, sondern als die Triebkraft der Wahrheitssuche selbst. Das als Wahrheit Gesuchte, das das Wahrheitssuchen selbst möglich macht, liegt diesem zugrunde. Dieses Verhältnis beleuchtet die Wissenschaftslehre von 1812. Das soeben Erwähnte provoziert freilich die sehr wichtige Aufgabe, daß das Sehen die Einsicht selber erweisen soll, daß das Sehen seinen Grund sieht. Es ist deshalb unverzichtbar, Fichtes Gedanken vom Urbild zu diskutieren. Mit dem Terminus Urbild will Fichte die Beziehung zwischen dem Absoluten und dem absoluten Wissen zum Ausdruck bringen. Er zeigt an, daß das Absolute als das Jenseits, das in die Sphäre des Wissens oder der Wissenschaftslehre nicht eintritt, in dieselbe eintritt1. „Also – ausser dem absoluten ist da, weil es nun einmal da ist, sein Bild. Ist der absolut bejahende Satz der W.L. von dem sie ausgeht: ihre eigentl. Seele“2. Das Dasein außer dem Absoluten ist nichts anderes als das Bild oder Schema, „[d].h. das absolute, ganz so wie es in ihm selbst ist, trit[t] ein im Bilde, wie es im Bilde einzutreten vermag“3. Dieses Bild heißt in der Tat das Urbild, in dem kein Wandel, keine Veränderung und Mannigfaltigkeit ist. Es ist „absolut Eins, u. sich selbst gleich, eben so wie das in ihm abgebildete“4. Indem Fichte das Sein vom Dasein unterscheidet und diesem eine ganz andere Form des Seins, d. h. die Form des Bildes gibt, kontrastiert er die „Position, die die Genesis durchaus ausschließt = absolutes“ und die Po-

1

Vgl. dazu Masao Matsumoto: Das transzendentale Ich im Deutschen Idealismus. Das groß geschriebene Ich, Tokio 2002, 342. 2 Johann Gottlieb Fichte: Die Wissenschaftslehre [aus dem Jahr 1812], in: ders.: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. Reinhard Lauth, Hans Jacob, Hans Gliwitzky, Erich Fuchs und Peter K. Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 – 2012. Im folgenden abgekürzt: WL 1812, GA, mit Angabe der Abteilung, des Bandes und der Seitenzahl, hier: WL 1812 – GA II/13, 58. 3 WL 1812 – GA II/13, 58. 4 Ebd.

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sition, „die mit ihr synthesirt werden kann, und auf einem gewissen Standpunkte [synthesirt werden] muß = faktisches“5. Für das absolute Wissen oder das Urbild ist die Beziehung auf das Absolute unentbehrlich. Wenn man auf diese Beziehung von der Seite des Absoluten aus achtet, kann man die Weise, wie sie bei uns bestätigt wird, auffassen. Fichte wirft in diesem Zusammenhang folgende Frage auf: „ist die Erscheinung an sich zufällig: kann Gott erscheinen, oder auch nicht, u. ist die Erscheinung bloß ein Akt seiner Freiheit; in der niedern Bedeutung des Worts“6. Darauf antwortet Fichte, daß die Erscheinung die Freiheit der niederen Bedeutung, des absolut Gesetzlosen nicht hat. Und er zeigt dies in folgendem Syllogismus: major minor conclusio

„Gott ist, was er ist, schlechthin dadurch daß er ist, durch sein blosses formales Seyn ist sein ganzes Seyn gegeben,“ „nun erscheint er unter anderm[;]“ „so gewiß [er darum erscheint,] ist dies durch sein absolutes Seyn, u. er kann, nachdem er einmal erscheint, nicht nicht erscheinen“7.

In diesem Sinn ist die Erscheinung Gottes zwar absolut faktisch, aber eben nicht zufällig, sondern notwendig. Der Ausgangspunkt der WL 1812 besteht in dem Satz: „Die Erscheinung ist; das absolute Seyn erscheint eben schlechtweg“8. Der soeben angeführte Syllogismus ist „ein vermittelter Schluß, ruhend auf dem Faktum, u. dasselbe voraussetzend“9. Daß die Erscheinung schlechthin faktisch gegeben ist, führt zu folgendem Charakteristikum: Weil die Erscheinung zufällig ist, ist sie durch ein Anderes. In diesem Fall ist dies Andere aber Gott, das Absolute. Dasjenige, was durch dies Andere ist, muß aber auch absolut, und kann nicht nicht sein10. Wenn wir einen realen Begriff vom Absoluten hätten, fänden wir in diesem Begriff die Notwendigkeit der Erscheinung „ganz unabhängig von ihrem faktischen Gegebenseyn“11. Da wir aber keinen solchen Begriff haben, ist nur der auf dem Faktum ruhende Schluß für uns einzig möglich. Das Sehen ist laut Fichte ein Sich-Sehen. Anders gesagt: Das Sehen sieht sich als Bild des absoluten Seins. In der WL 1812 ist es dasjenige Moment des Sehens, welches das Faktische und das Überfaktische überbrückt. Dies Überbrücken wird von der Seite der ursprünglich möglichen Bedingung des empirischen Bewußtseins realisiert. Die eigentliche Aufgabe der Wissenschaftslehre ist die Analyse der Sicherscheinung der Erscheinung. Diese Analyse ist nichts anderes als die in sich zurückgehende Form der Erscheinung. Das In-Sich-Zurückgehen der Erscheinung ist das 5

WL 1812 – GA II/13, 54. WL 1812 – GA II/13, 66. 7 Ebd. 8 Ebd. 9 Ebd. 10 Vgl. ebd. 11 WL 1812 – GA II/13, 67. 6

Die Wissenschaftslehre von 1812 und das Sehen

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Sich-Sehen der Erscheinung. Das Sich-Sehen der Erscheinung ist zugleich das SichVerstehen der Erscheinung. In dieser Beziehung sieht das Sehen die Sichdarstellung der Erscheinung. Die Wissenschaftslehre von 1812 sieht das ganze Bildersystem in seinen Abstufungen und Verhältnissen. Das Bild ist zwar Abbild, es ist also kein Grund, der das Abbilden selbst möglich macht, und insofern ist das Bild Nicht-Sein. Aber es bildet selbst das Überfaktische als solches ab, also ist es Dasein des Seins als des Überfaktischen. „Bild ist, obzwar nicht originales Sein, doch da; ohne Sein wäre das Bild gar nicht da-seiend, so wie das Sein ohne Bild nicht da-seiend wäre“12. I. Das Schema II als das faktische Wissen Gemäß Fichte lautet die bestimmte Formel für das faktische Wissen: „die Erscheinung erscheint sich / eben schlechtweg, u. unmittelbar“13. Diese Formel entspricht derjenigen von Schema II. Zum Schema II heißt es: „Die Erscheinung erscheint sich“14. Für Schema I lautet die Formel: „die Erscheinung erscheint“15. Im Schema II ist die Beziehung der Erscheinung zu sich betont, während sich im Schema I die reine Identität zeigt. Die Erscheinung erscheint sich: „sie wird drum in dieser Form eine der erscheint etwas, sie selbst; und eine die erscheint einem, eben sich selbst“16. Hier zeigt sich eine untrennbare Duplizität von der Erscheinung selbst und der Erscheinung, die sich auf sich selbst bezieht, und zwar durch das Sich-Erscheinen. Dieses Sich-Erscheinen macht das Erscheinen der Erscheinung im Schema I sichtbar. Denn die Duplizität ist nichts anderes als „die subjektobjektiv[e] Form“17. Das Sich-Erscheinen ist subjektiv das, dem etwas erscheint, und objektiv das, was erscheint. Im Sich-Erscheinen liegt eins, dem erscheint, und eins, das erscheint. Dasjenige, dem etwas erscheint, heißt die Subjektivität als Sehen, und das, was erscheint, heißt die Objektivität als Gesehenes. Das erste ist die Erscheinung als Subjektivität, und das zweite ist die Erscheinung als Objektivität. „Subjekt, Objekt durchaus dasselbe, u. nur als Subjekt Objekt verschieden“18. Wie schon gezeigt, ermöglicht das Sich-Erscheinen der Erscheinung im Schema II die subjekt-objektive Form als Sehen-Gesehenes-Verhältnis. Hier muß man allerdings folgendes beachten: Schema II erzeugt durch dasselbe Sich-Erscheinen zwei verschiedene Bilder, nämlich Anschauung und Begriff. Der 12 Wolfgang Janke: Vom Bilde des Absoluten. Grundzüge der Phänomenologie Fichtes, Berlin/New York 1993, 128. 13 WL 1812 – GA II/13, 65. 14 WL 1812 – GA II/13, 70. 15 Ebd. 16 Ebd. 17 WL 1812 – GA II/13, 71. 18 Ebd.

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Begriff ist die Form, d. h. „das blosse formale Daseyn, ohne allen Inhalt“19, und die Anschauung ist das innere Wesen und der qualitative Inhalt von Schema I. Im Schema II steht der Begriff aber im Vordergrund, und die Anschauung bleibt verborgen. Das Schema II stellt die Begriffsform als „die in sich zurückgehende Form der Erscheinung“20 dar, aber der Inhalt, der durch die Anschauung gegeben ist, bleibt verborgen. Hier liegt der Grund, warum der subjekt-objektive Inhalt der Anschauung gegen die subjekt-objektive Form des Begriffs erforderlich ist. Die oben berührte Duplizität des Subjekts und des Objekts verursacht in ihr selbst eine neue Duplizität in der Form von Begriff und Anschauung. Diese doppelte Duplizität, d. h. „Quadruplicität“, muß allerdings vereinigt werden. Hier gibt es den Grund, warum das Schema III gesucht wird. Das heißt, „die Erscheinung erscheint sich, als sich erscheinend“21. Im Schema III wird die formaliter seiende Erscheinung durch die qualitative Anschauung ergänzt. Der subjekt-objektiven Form wird der subjekt-objektive Inhalt durch die Grundanschauung das Als gegeben. Der subjekt-objektive Inhalt und die subjekt-objektive Form desselben Sich-Erscheinens werden durch dieses Als synthetisch vereinigt. In diesem Punkt ist dieses Als „der eigentliche synthetische Vereinigungspunkt“22 der Fünffachheit der Erscheinung. Innerhalb des Schemas II bestehen Einheit und Mannigfaltiges im Verhältnis von Unterschied und Zusammenhang. In demselben Sich-Erscheinen wird die ungeteilte Duplizität des Subjekts und des Objekts einerseits, und die Duplizität des Begriffs und der Anschauung andererseits gezeigt. Diese Quadruplicität wird durch den absoluten Einheitspunkt des Als vereinigt. Auf diese Weise entsteht das Schema III. Das Sicherscheinen der Erscheinung oder das Sichverhältnis der Erscheinung ist schlechthin die Ichform oder Ichheit. Der zu beachtende Punkt des Schemas II „die Erscheinung erscheint sich“ besteht darin: 1) die Erscheinung ist nicht als an sich, sondern in ihrem transzendentalen Grund zu begreifen, 2) dieses Begreifen selbst ist durch die Ichheit als die Subjekt-Objektivität schlechthin ins Klare zu bringen. Die Erscheinung wird durch dieses Ich-Bild gezeigt. Hier muß man auf den Grund achten, warum das Schema II für das faktische Wissen gehalten wird. Nach Fichte besteht das faktische Sehen darin, „daß es durchaus in sich versunken sei, aufgegangen und bestimmt durch das Gesetz zu einem solchen Sehen x: darin gebunden sei, also nicht darüber hinaus könne“23. Das faktische Wissen sieht auf diese Weise x, aber es sieht sich nicht in x. Also zeigt Fichte „das Grundgesetz alles faktischen Wissens“24 folgendermaßen. Das faktische Wissen ist durch irgendein Gesetz bestimmt und in dieser Gesetzmäßigkeit aufgegangen. „Inwiefern 19

WL 1812 – GA II/13, 74. Ebd. 21 WL 1812 – GA II/13, 75. 22 WL 1812 – GA II/13, 77. 23 WL 1812 – GA II/13, 44. 24 Ebd. 20

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es weiß, weiß es nicht von sich, inwiefern es sieht, sieht es nicht sich“25. Aus diesem Grund ist für Fichte die Formel des faktischen Wissens: „die Erscheinung erscheint sich / eben schlechtweg, u. unmittelbar“. Wie Fichte hier das Wort „eben schlechtweg und unmittelbar“ betont, sieht sich das faktische Wissen in dieser Formel nicht, und es reflektiert sich selbst nicht. Dagegen ist die Formel für die Wissenschaftslehre folgende: „die Erscheinung erscheint sich als sich erscheinend“. Diese Formel der Wissenschaftslehre sieht die des faktischen Wissens von einem höheren Reflexionsniveau. Dadurch sieht die Wissenschaftslehre gerade das, was dem faktischen Wissen verborgen bleibt. Obwohl das faktische Wissen seinen Akt, daß es sieht, nicht sieht, ist aber folgender Umstand zu beachten: Alles Wissen geht schlechthin aus von dem absoluten Faktum, daß die Erscheinung sich erscheint: Kein Sich-Erscheinen, kein Sich-Erkennen. Ohne dieses Sichdarstellen des faktischen Wissens ist auch die Wissenschaftslehre unmöglich. Also handelt es sich um den Übergang vom faktischen Wissen zur Wissenschaftslehre. Aber er wird gar nicht durch die empirische Beobachtung gemacht. Dieser Übergang vom Schema II zum Schema III wird dadurch ausgeführt, daß das Wissen selbst sich in einem Begriff abbildet. Die Wissenschaftslehre sieht die Sicherscheinung im Schema II „lediglich in einem Bilde; des seynmüssens u. so seynmüssens, in einem Begriffe a priori“26. Während die Erscheinung wegen der Sichdurchsichtigkeit als des Bildes die Sicherscheinung des Gesetzes ist, wird die Wissenschaftslehre in ihrem Begreifen das erwachte Bild des sicherscheinenden Gesetzes.

II. Der Ort der Realisierung des Sehens In diesem Abschnitt soll der Ort der Realisierung des Sehens genauer behandelt werden, wo es vor allem darum geht, zu fragen, wer die Schemata sieht. Nach der Schema- oder Bildtheorie Fichtes hat das Schema III – „die Erscheinung erscheint sich als sich erscheinend“ – folgende Bedeutung: das Schema I – „die Erscheinung erscheint“ – ist die Grundlage allen Wissens, und das Schema II – „die Erscheinung erscheint sich“ – ist das faktische Wissen, das die subjekt-objektive Form hat. Diese Form der Sicherscheinung wird allein in der Wissenschaftslehre so gesehen und zum Gegenstand der Untersuchung. Nun sind wir in der WL zugleich auch das Wissen. Also unterliegen auch wir derselben Struktur der Sicherscheinung der Erscheinung. Die sehende Erscheinung – die wir sind – und die gesehene Erscheinung – das Wissen als Gegenstand der WL – sind ein und dasselbe Wissen27. In dieser Hinsicht ist der Standpunkt der Wissenschaftslehre derjenige, daß wir das sicherscheinende Wissen 25

Ebd. WL 1812 – GA II/13, 65. 27 Vgl. dazu Kenichiro Fujisawa: „Kommentar zur Wissenschaftslehre von 1812 – Berulin Daigaku Tetsugakukogi I Kaisetsu“, in: Wissenschaftslehre von 1812 – Chishikiguka 1812, Tokio 1995, 593. 26

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als sicherscheinendes Wissen sehen. Die Erscheinung, als die von uns gesehene Erscheinung, erscheint sich. Dieses Sich des Wissens ist zugleich das Wir als wissendes Wissen oder das Wir der WL. Zugleich erscheint sich die Erscheinung als sich erscheinende Erscheinung, und wir, als Philosophierende, sehen in der WL die Sicherscheinung der Erscheinung der Erscheinung. Die vorangegangenen Überlegungen lassen sich auch mit dem Terminus „Potenz“ erklären, auch wenn Fichte selber diesen Ausdruck nicht benutzt hat: Wenn man aber das Schema I („die Erscheinung erscheint“) für die Potenz Null halten würde, dann sähen wir dieses Schema I, indem wir auf der ersten Potenz stehen. Diese Beziehung, daß wir das Schema I sehen, drückt das Schema II („die Erscheinung erscheint sich“) aus. Wir als erste Potenz sehen auf das Schema I als Potenz Null herab. Wir sehen das Schema II, indem wir auf der zweiten Potenz stehen. Diese Beziehung, daß wir das Schema II sehen, drückt das Schema III („die Erscheinung erscheint sich als sich erscheinend“) aus. Wir als zweite Potenz sehen auf das Schema II als erste Potenz herab. Wir sehen das Schema III, indem wir auf der dritten Potenz stehen. Diese Beziehung, daß wir das Schema III sehen, drückt der Satz „die Erscheinung erscheint sich, – als – sicherscheinend, als sich erscheinend“28 aus. Wir als dritte Potenz sehen auf das Schema III als zweite Potenz herab und auf diese Weise sehen wir die Sicherscheinung der Erscheinung der Erscheinung. Dieser gesamte Schematismus ist der Ort, wo das Sehen realisiert wird29. Aber das Sehen setzt diesen Ort nicht als an sich seiend voraus, sondern das Sehen selbst ist dieser Ort und damit der Ursprung der Erkenntnis und der Reflexibilität. III. Die Reflexibilität als die Bedingung der Reflexion Die zentrale Aufgabe des dritten Kapitels der Wissenschaftslehre von 1812 besteht darin, den modifizierten Satz des Schemas III, „die Erscheinung erscheint sich unmittelbar als Princip“, zu analysieren. Das Prinzip ist notwendig unendlich, anders gesagt: Es ist durch kein mögliches Produkt oder Prinzipiat zu erschöpfen. Während das Produkt oder das Prinzipiat nicht ohne das Prinzip sein kann, kann sich das Prinzip äußern oder auch nicht äußern. Wenn das Prinzip also in jeder Äußerung dasselbe bleibt, kommt es auf die Weise der Äußerung an. In diesem Zusammenhang zeigt sich allerdings ein gründlicher Widerspruch, den es zunächst festzustellen gilt. Wie schon gesagt, ist der Satz „die Erscheinung erscheint sich unmittelbar als Princip“ der modifizierte und zugleich verbesserte Satz zum Schema III. Weil das Schema III die Zweiheit der Subjekt-Objektivität im Sicherscheinen der Erscheinung vereinigt, muß dieser Satz gültig sein; aus dieser Einsicht entsteht der folgende Satz: 28

WL 1812 – GA II/13, 76. Vgl. dazu Hiroshi Kimura: „Fichte und Tekirei Edo – Bild und Feld“, in: Fichte-Studien 30 (2006) 233 – 242. 29

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„die Erscheinung kann nur erscheinen, als Princip“30. Dagegen liegt es im Prinzip, „daß es sich äussere, schlechthin aus sich von sich durch sich“31. Wenn die Erscheinung nur als Prinzip erscheinen kann, erscheint sie „als absolutes u. selbstständiges Seyn“32. Aber dann wird der ursprüngliche Unterschied zwischen der Erscheinung und dem Sein, den die Wissenschaftslehre deutlich hervorhebt, vernichtet. Um diesen Unterschied zu erhalten, muß man also den Gegensatz folgendermaßen ausdrücken: „Die Erscheinung kann nicht erscheinen als Princip“33. Beide Aussagen stehen aber in Widerspruch zueinander, d. h. wenn die eine gültig wäre, wäre die andere nicht gültig. Wie kann man diesen Widerspruch lösen? Die Lösung besteht, laut Fichte, im Übergang von der Urerscheinung als Schema I zum Sicherscheinen als Schema II34. Fichte geht davon aus, daß „[d]ie Urerscheinung erscheint“35, d. h. aufgrund ihres Wesens projiziert die Erscheinung ein Bild ihrer selbst = x. Dieses Bild bezeichnet Fichte als „Gesicht“, und es geht aus ihr hervor. Die Erscheinung produziert also das Gesicht, was allerdings zur Folge hat, daß sich die Erscheinung nicht als sie selbst, sondern „als Ding an sich, das da Princip ist“36, erscheint. Man muß den Irrtum vermeiden, daß man das Bild für die Sache hält, und um diesen zu berichtigen, soll dieses ganze Verhältnis als Bild erscheinen. Das Gesicht des Prinzips „soll in einem Bilde, u. schematisch heraustreten“37. Auf diese Weise soll es „sich, in dieser Gestalt[,] objektiv werden, für ein neues subjektive, also für ein neues u. zweites Gesicht“38. Das Gesicht des Prinzips, „selbst subjektivobjektiv, ist nicht mehr unmittelbar; sondern es ist in diesem ganzen Seyn objektiv, für ein n[eue]s subjective“39. Das erste Gesicht wird der Gegenstand des neuen Gesichts. Daraus kann man folgendes schließen: „Die Erscheinung (d[es] Pr[inzips]) ist für ihre Erscheinung Sache, Wesen“40. Dagegen ist sie für die Erscheinung der Erscheinung Bild. Aber das Bild ist vom Wesen abhängig, nicht umgekehrt. Also: in der Disjunktion dieser Standpunkte „ist die Erscheinung des Princips nothwendig vorauszusetzen ihrer Erscheinung, als blossen Bildes“41. Auf diese Weise wird der oben genannte Widerspruch gelöst: Die Erscheinung muß sich als Prinzip und Wesen „in einem faktischen Gesichte“42 erscheinen. Da30

WL 1812 – GA II/13, 88. Ebd. 32 Ebd. 33 Ebd. 34 Vgl. Kenichiro Fujisawa: „Kommentar zur Wissenschaftslehre von 1812“, 609. 35 WL 1812 – GA II/13, 90. 36 Ebd. 37 Ebd. 38 Ebd. 39 Ebd. 40 WL 1812 – GA II/13, 91. 41 Ebd. 42 WL 1812 – GA II/13, 92.

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durch wird auch zugleich der Satz der Reflexibilität zum Ausdruck gebracht. Die Reflexibilität ist die Bedingung, die die Reflexion möglich macht, und das „bestimmende[] Grundgesetz der Reflexion“43. Wenn man nun diesen Satz der Reflexibilität mit dem verbesserten Satz des Schemas III, „die Erscheinung erscheint sich unmittelbar als Princip“, vergleicht, kann man feststellen, daß die Formulierung „erscheint sich unmittelbar“ sich zum Ausdruck „sich erscheinen in einem faktischen Gesichte“ weiterentwickelt hat. Das faktische Gesicht ist das wirkliche und einzelne Gesicht, d. h. – und dies ist ganz entscheidend – Fichte individualisiert das allgemeine Gesetz der Subjekt-Objektivität des Sehens durch die Vermittlung der Reflexibilität. Die wichtige Aufgabe der Wissenschaftslehre von 1812 besteht darin, den Unterschied der Erscheinung und Sache deutlich zu machen. Nach Fichte ist der Grund allen Irrtums, daß das bloße Bild für die Sache gehalten wird44. Um den Unterschied zu sehen, muß man auf denselben reflektieren können. Aber die Möglichkeit dieser Reflexion liegt der Reflexibilität zugrunde, somit ist die Reflexibilität als die Möglichkeit der Reflexion der höchste Einheitspunkt aller Reflexion und Erkenntnis. IV. Das Licht als das Sichtbare Die Wissenschaftslehre ist das „Sehen, u. [die] Lehre von der reinen u. ledigen Sichtbarkeit“45. Fichte unterscheidet scharf die Sichtbarkeit vom Sichtbaren, um „die Sichtbarkeit im ganzen, u. überhaupt in ihrer Genesis, und als Produkt des absoluten anzuschauen“46. Es ist dieser Unterschied, durch den deutlich wird, wie sich das Licht als das Sichtbare sichtbar macht. Der Unterschied zwischen der Sichtbarkeit und dem Sichtbaren beruht auf dem Gesetz der Sichtbarkeit, daß das Niedere eine Bedingung der Sichtbarkeit des Höheren ist. Das absolute Leben = „A. ist nicht sichtbar, ohne ein B. im Gesichte zu setzen“. B. nun ist lediglich die Sichtbarkeit des A., „aber hinwiederum B. ist nicht sichtbar, ohne ein C. zu setzen, das nun lediglich ist die Sichtbarkeit dieses B.[,] welches selbst lediglich die Sichtbarkeit des A.“47. Aber A. allein wird nie selbst die Sichtbarkeit eines Anderen, sondern ist das Höchste. Dieses Sichtbare ist also im wirklichen Wissen „das schlechthin Gesehene, das nie wieder selbst ein Sehen wird“48. Dagegen mag die Sichtbarkeit bald selbst ein Gesehenes eines anderen Sehens sein, bald selbst ein Sehen. Das Sichtbare ist das Licht und das Licht ist die Quelle, aus der alle Sichtbarkeit stammt. Die Genesis der Sichtbarkeit zu sehen, heißt, zu sehen, daß das Licht sich 43

WL 1812 – GA II/13, 106. Vgl. WL 1812 – GA II/13, 94. 45 WL 1812 – GA II/13, 138. 46 WL 1812 – GA II/13, 137. 47 WL 1812 – GA II/13, 130. 48 WL 1812 – GA II/13, 138. 44

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sichtbar macht. Aber es wird nicht „in seiner Reinheit“49 sichtbar, denn es ist in dieser schlechthin unsichtbar. Es wird erst dann sichtbar, wenn es in die Form der Sichtbarkeit, d. h. die „Identität der SubjektivitätObjektivität“50 eintritt. Sichtbar zu werden, das heißt, in die Form der Sichtbarkeit einzutreten. Aber selbst in diesem Fall ist das Gesehene noch nicht das Licht selbst, sondern nur eine „absolute Verwachsenheit seiner selbst mit der Form seiner Sichtbarkeit“51. Nun muß aber das absolute Licht rein und unvermischt gesehen werden. Dabei ist es unentbehrlich, die „von dem Lichte im Sehen einmal nicht abtrennbare Form der Sichtbarkeit“ als solche Form zu sehen52. Um die Form von dem reinen Licht abzuziehen, und das, was nach Abzug dieser Form übrigbleibt, als solches zu erkennen, ist es notwendig, den Vorgang der „Concrescenz“ des Lichts selbst mit der Form seiner Sichtbarkeit zu sehen. Auf diese Weise geschieht den folgenden beiden Forderungen Genüge: „daß das Licht gar nicht sichtbar werden kann, ohne einzutreten in die Form; daß es dennoch sichtbar werden solle in seiner Reinheit, u. ohne alle Form“53. In diesem Fall spielt das zweifache Sehen, d. h. das Sehen und das Sehen des Sehens, die wichtigste Rolle. Um das Licht rein zu sehen, ist es nötig, daß die Sichtbarkeit selbst als solche sichtbar ist. Durch diese Sichtbarkeit der Sichtbarkeit ist es möglich, das Licht selbst von der „Concrescenz“ abzurechnen und in seiner Reinheit zu sehen. Im bloßen Sehen fallen das Licht und dessen Sichtbarkeit unmittelbar zusammen, d. h. im reinen Sehen sind die Sichtbarkeit und das Sichtbare nicht unterschieden. Auf der einen Seite ist das Licht außerhalb der Form der Sichtbarkeit unsichtbar. Auf der anderen Seite ist das reine Licht innerhalb derselben wegen der Concrescenz unsichtbar. Wenn das Licht in die Form der Sichtbarkeit nicht eintritt, bleibt es also unsichtbar. Wenn es in dieselbe eintritt, so ist es zwar sichtbar, aber was da gesehen wird, ist nur die Concrescenz, nicht das unvermischte Licht selbst. Man muß daher folgendes sagen: das Licht macht sich selbst sichtbar „als eintretend in die Form der Sichtbarkeit“54. Der Unterschied zwischen dem reinen Licht und der Sichtbarkeit desselben wird durch ein Gesetz festgemacht: „Das reine Licht macht sich sichtbar als solches“55. Das bedeutet: „es macht die Form seiner Sichtbarkeit[,] in die es einzutreten nicht umhin kann[,] zugleich sichtbar als solche Form; in demselben Einen Akte der sich Sichtbarmachung“56. Daß sich das Licht durch das Eintreten in die Form der Sichtbarkeit sichtbar macht, ist ein „Werden“ und das 49

WL 1812 – GA II/13, 140. Ebd. 51 Ebd. 52 WL 1812 – GA II/13, 141. 53 Ebd. 54 WL 1812 – GA II/13, 144. 55 Ebd. 56 Ebd. 50

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„Seyn eines Flusses“57. Aber das Licht selbst wird gar nicht. Das Licht als Sichtbares ermöglicht die Sichtbarkeit. Das Licht selbst und die Form der Sichtbarkeit, in die es eintritt, ist die Beziehung vom Prinzip zum Principiat. In der Bewältigung der schwierigen Aufgabe, den Unterschied zwischen dem Licht selbst und der Sichtbarkeit desselben durch das die Sichtbarkeit in ihrer Genesis sehende Sehen aufzuklären, gewinnt man eine neue Einsicht. In dieser Genesis wird das Sichtbare „als Prinzip der Sichtbarkeit, diese als sein Principiat“58 gesehen. Das unmittelbare Sehen heißt, das Licht innerhalb der Form der Sichtbarkeit zu sehen, und Sehen des Sehens heißt, das in die Form der Sichtbarkeit eintretende Licht als solches zu sehen. Beides ist in der untrennbaren Einheit das absolute Sehen. V. Das absolute Sehen und das wirkliche Sehen „So gewiß das Licht als solches gesehen wird, wird es nicht nur überhaupt gesehen, sondern zugleich u. in derselben organischen Einheit, als eintretend in die Form der Sichtbarkeit“59. Das absolute Sehen ist nichts anderes als die Einheit des Lichtes selbst und der Form seiner Sichtbarkeit; und deshalb wird in der WL die Struktur des absoluten Sehens analysiert. Hierbei ist es wichtig, die folgende Hauptsache aufzuklären: „Das Licht macht schlechthin sich sichtbar, heißt, es giebt ein solches absolutes Sehen, das, wenigstens in wiefern es das ist, durchaus nicht ist gesehenes“60. Das Sich-sichtbar-Machen des Lichtes ist der höchste Punkt der Sichtbarkeit; er ist die Einheit und „ein festes stehendes, das schlechthin nicht wird, von welchem alle Genesis ausgeschlossen ist“61. Dieser Einheitspunkt ist ein Zusammenfassungspunkt, woher alle Sichtbarkeit kommt und worin sie zusammengefaßt ist. Also ist er die Beziehung der Sichtbarkeit auf das Licht, und das ist die Ichheit als die Form der Subjekt-Objektivität. Der Fokus des absoluten Sehens ist nichts anderes als das reine Ich. Es kommt darauf an, dieses reine Ich durch die Analyse der synthetischen Einheit der Apperzeption zu erklären. Die synthetische Einheit der Apperzeption ist die Vereinigung der zweifachen Synthesis, d. h. „die absolute Vereinigung der Synthesis der Einheiten, und der der Mannigfaltigkeit“62. Nach Fichte ist sie schlechthin die analytische Einheit, d. h. die Einheit wird nicht aus dem Mannigfaltigen zusammengesetzt, sondern das Mannigfaltige entsteht durch die Disjunktion der Einheit. Die Einheit entsteht nicht durch das Mannigfaltige, sondern das Mannigfaltige wird durch die Einheit bestimmt und begriffen. Die Einheit des Mannigfaltigen besteht darin, 57

WL 1812 – GA II/13, 144. WL 1812 – GA II/13, 142. 59 WL 1812 – GA II/13, 144. 60 Ebd. 61 WL 1812 – GA II/13, 145. 62 WL 1812 – GA II/13, 102. 58

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die Einheit, die dasselbe möglich macht, an demselben zu sehen. Die Einheit desselben heißt, in dieser Bedeutung, dasselbe durch die Analyse der Einheit desselben zu vereinheitlichen. Aber diese Einheit ist noch im Werden. Sie muß „in eine stehende Einheit“63 zusammengefaßt werden. Damit muß die Einheit im Werden durch die Analyse der Synthesis der Einheit synthetisiert werden. Dieser synthetischen Einheit liegt erstens der Begriff des Bildes überhaupt, der schlechthin durch sich selbst begriffen wird, d. h. die Ichheit zu Grunde. Durch diese wird das wirkliche Bild, das aus der Einheit des Mannigfaltigen entsteht, begriffen. Durch diese begriffene Einheit wird das Mannigfaltige, das aus der Einheit entsteht, begriffen. Das Wesen der Apperzeption besteht in der Vereinigung der zweifachen Synthesis. Auf diese Weise wird die synthetische Sehe, d. h. das wirkliche Erkennen ermöglicht. Das absolute Sehen ist ein Ersehen oder Begreifen dessen, was es ist. Alle anderen Formen des Sehens werden durch dieses absolute Sehen vermittelt, und dieses Ersehen hat die Form des Schlusses. Die Bestandteile des Schlusses setzen sich aus dem absoluten Sehen, das nie Gesehenes werden kann – oder dem absoluten Subjektiven –, einerseits und dem Licht, das nie Sehen wird – oder dem absoluten Objektiven –, anderseits zusammen. Durch die Vereinigung der beiden Bestandteile entsteht die synthetische Sehe als die Erkenntnis des Gegenstands. Sie ist die Apperzeption des Objektiven als Bild, indem sie das Objektive als wirkliches Bild unter das Subjektive als Begriff des Bildes überhaupt subsumiert. Sie ist also das Ersehen in der Form dieses Schlusses. Allem wirklichen Sehen liegt das absolute Sehen zu Grunde. Das wirkliche Sehen entsteht durch die Disjunktion der reinen Form des absoluten Sehens. Es wird durch die Analyse desselben deduziert. VI. Die Reflexion des sehenden Sehens Das Sehen sieht das im Sehen sich erscheinende Aussprechen des Grundes. Anders gesagt: Es sieht die Sichdarstellung des Grundes, von dem das Sehen herkommt und der das Sehen überhaupt ermöglicht. Das Aussprechen des Grundes zu sehen, heißt im Wortlaut der Wissenschaftslehre von 1812 folgendes: „ich denke, als den Begriff des Seyns: inwiefern es sich ausspricht: sich ausspricht, als sich aussprechend: denn der Begriff giebt sich ja als wahr“64. Das Aussprechen des Seins zu sehen und zu verstehen, das ist das Grundthema der WL 1812. Das Aussprechen des Seins ist das Bild des Seins. Gemäß dem Unterschied zwischen Bild und Sein sieht das Sehen das Sein als das Bild. Anders gesagt: Gemäß der Reflexibilität der Erscheinung reflektiert das Sehen auf sich selbst.

63 64

WL 1812 – GA II/13, 146. WL 1812 – GA II/13, 52.

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Für die vorliegende Abhandlung ist das Sonnengleichnis aus Platons Politeia noch wichtig und soll deshalb noch erwähnt werden65 : Wenn wir die Sonne sehen, vollziehen wir die Handlung, die Sonne zu sehen. Der Baum oder der Stein auf der Straße sehen dabei natürlich nicht die Sonne. Wir sind ein Subjekt der Handlung des Sehens und die Handlung ist unsere. Daraus kann man aber nicht schließen, daß wir der Grund unserer Handlung des Sehens sind, sondern das Licht der Sonne ermöglicht die Handlung, daß wir die Sonne sehen. Wenn wir durch das Licht der Sonne geleitet werden, dann können wir erst die Sonne sehen. Also ist der Grund unserer sehenden Handlung das Licht der Sonne. In diesem Punkt wird unsere Handlung des Sehens beim Aufsteigen zum Grund als an sich gültig vernichtet. Aber nur in unserem Sehen zeigt sich das Licht der Sonne als der Grund unseres Sehens. Ohne daß das Licht der Sonne als der Grund des Sehens gesehen wird, erscheint es sich als solcher nicht. Also wird unsere Handlung des Sehens beim Absteigen vom Grund bejaht. Indem unser Sehen durch die Vermittlung von Auf- und Absteigen in sich zurückkommt, sieht es ein Verhältnis zwischen dem Sehen und dem als der Grund des Sehens Gesehenen. Sehen heißt Verstehen. Das Verstehen sieht sich auch durch die Leistung des sich erscheinenden Grundes. Die sich erscheinende Form ist die Verstehensform, d. h. die subjekt-objektive Form; von außen an den Grund heranzutreten, wird durch den Grund selbst abgelehnt. Vielmehr muß von innen her an ihn herangetreten werden, damit auch er sich selbst zeigen kann. Das Sehen sieht diesen Prozeß im Sehen-Gesehenes-Verhältnis. Aufgrund des Grundes sieht das Sehen das Aussprechen desselben. Ohne das Aussprechen desselben ist das Sehen selbst unmöglich. Ohne das Sehen kann sich das Aussprechen desselben gleichfalls als solches nicht erscheinen. Das Sehen wird durch das Aussprechen des Grundes geleitet, und das Aussprechen desselben erscheint sich im Sehen. Das Sehen, das dieses ganze Verhältnis sieht, ist nichts anderes als das reflektierende Sehen.

65 Vgl. Platon: Politeia 508a–509d; sowie Hiroshi Kimura: „Sehen und Sagen – Das Sehen sieht das Aussagen seines Grundes“, in: Fichte-Studien 20 (2003), 215 – 227, hier: 226 f.

„Eine durchaus neue, vorher nie erhörte oder vollzogne Anmuthung“ „Fichtes ursprüngliche Einsicht“ im Lichte der Wissenschaftslehre von 1812 Urs Richli Ich beginne mit einem Zitat zur WL 1812 aus Peter Baumanns’ Fichte-Buch: „Die letzte vollständige Fassung der WL übertrifft alle vergleichbaren Dokumente des späteren Fichteschen Philosophierens, beginnend mit den Darstellungen des Jahres 1804 an Kühnheit der metaphysischen Spekulation, aber auch durch die gesammelte Kraft der immanenten Strukturerhellung des Wissens, […] große Dunkelheit aber ist diesem System einer […] Reflexionswissenschaft oder ,Transzendentalphilosophie‘ […] trotz und gerade wegen der Ausgereiftheit des Denkens eigen.“1

Der Untertitel bezieht sich auf die bekannte Schrift von Dieter Henrich. Manfred Frank schreibt in seinem Buch Ansichten der Subjektivität: „1966 publizierte Dieter Henrich (1967) in der Festschrift für Wolfgang Cramer einen Aufsatz mit dem unscheinbaren Titel Fichtes ursprüngliche Einsicht. Selten waren in einer so kleinen Nußschale so fruchtbare Denkanstöße enthalten. Sie betrafen einige Besonderheiten der Struktur von Selbstbewußtsein. Die entscheidende präsentiert sich negativ: Selbstbewußtsein läßt sich nicht aus der expliziten Rückwendung auf sich selbst verständlich machen.“2

Ähnliches hat Frank schon in einer früheren Schrift geäußert. Neu ist indessen folgender Satz: „Fichtes Verdienst wäre unbemerkt geblieben, hätte es Henrich nicht an die große Glocke gehängt.“3 Henrich selbst versteht den Gedanken, den er als Fichtes ursprüngliche Einsicht auszeichnet, primär als eine Theorie des Selbstbewußtseins: „Fichtes ursprüngliche Einsicht wird als ein Beitrag zur Theorie des Selbstbewußtseins verstanden und diskutiert. Dabei wird sich zugleich ergeben, daß auch die Entwicklung der Wissenschaftslehre als fortschreitende Analyse eines Begriffs vom Ich gedeutet werden kann und muß.“4 1 Peter Baumanns: J. G. Fichte. Kritische Gesamtdarstellung seiner Philosophie, Freiburg/ München 1990, 344 f. 2 Manfred Frank: Ansichten der Subjektivität, Frankfurt a. M. 2011, 14. 3 Ebd., 15. 4 Dieter Henrich: Fichtes ursprüngliche Einsicht, Frankfurt a. M. 1967, 9.

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Obgleich Henrich keine WL berücksichtigt, die nach der in den Jahren 1801/02 datierten Version erschienen ist, unterstellt er, daß alle Wissenschaftslehren das Problem des Selbstbewußtseins behandeln. Im vorliegenden Beitrag möchte ich zeigen, wie der von Henrich ins Licht gestellte Kerngedanke in der WL 1812 zur Geltung kommt und wie Fichte selbst die wesentliche Aufgabe der WL bestimmt, die wir ebenfalls als grundlegende Einsicht bezeichnen können, insofern diese durch die Aufgabe festgelegt ist. Schon ein flüchtiger Blick in die WL 1812 zeigt, daß Fichte sie nicht als Beitrag zur Theorie des Selbstbewußtseins konzipiert hat. Das fokussierende Thema dieser WL ist die Erscheinung des Absoluten und deren Sicherscheinen. Fichte versteht den Selbstbezug der Erscheinung des Absoluten allerdings als absolutes Ich und dieses als transzendentales Prinzip der endlichen Subjekte. Henrich selbst unterscheidet zwischen dem Ich als Prinzip und dem Selbstbewußtsein eines konkreten Subjekts. Er hält sich an das letztere. Das beeinträchtigt die Möglichkeit eines Vergleichs aber keineswegs. – Der erste Teil des Titels ist ein Zitat aus der WL 1804-I, das sich auf die Formeln beziehen läßt, mit denen Fichte die Aufgabe der WL 1812 bestimmt. Henrich geht davon aus, daß Fichte eine Konzeption des Selbstbewußtseins vorgelegt hat, die sich gegen die von Descartes bis Kant dominierende sog. Reflexionstheorie wendet. Diese Theorie nimmt an, daß das Ich Resultat eines Aktes ist, der sich auf sich selbst bezieht. Nach Henrich verstrickt sie sich in einen Zirkel, weil sie das, was sie als Resultat der Reflexion ausgibt, voraussetzt, und zwar auf der Objekt- und auf der Subjektseite. Den Zirkel auf der Subjektseite beschreibt Henrich folgendermaßen: „Wie aber kann das Selbstbewußtsein wissen, daß es sich selber ergriffen hat, wenn durch eine Reflexion des Ich ein Ich-Objekt zustande gekommen ist? Offensichtlich kann es dies nur, wenn es zuvor schon von sich weiß. Denn nur aus solchem Wissen ist es ihm möglich zu sagen: Was ich erfasse, das bin ich selbst […]. Fichte ist der erste gewesen, der diesen Zirkel erkannt und Konsequenzen aus ihm gezogen hat.“5

Nach Henrich setzt Fichte der Reflexionstheorie eine Produktionstheorie entgegen. Diese exemplifiziert Henrich zunächst an der Formel „das Ich setzt sich selbst“. Man kann die Reflexionstheorie auch als eine solche betrachten, die sich selbst als Produktionstheorie versteht, weil sie nicht sieht, daß sie das Ich bereits als gegeben voraussetzt. Wenn man sie so qualifiziert, ist es sinnvoll, ihr ein Modell entgegenzusetzen, das eine unmittelbare Einheit der Glieder zur Grundlage des Selbstbezugs macht. Fichte, der bereits im Versuch einer neuen Darstellung die These vertrat, daß nur die Annahme einer solchen unmittelbaren Einheit einen unendlichen Regreß vermeiden kann, legt auch in der WL 1812 den Akzent darauf, daß der aktiven Selbstbeziehung eine unmittelbare vorausliegt, die keiner Vermittlung oder, wie er sich ausdrückt, keines Prinzips bedürftig ist. Er bezeichnet die unmittelbare Selbstbeziehung als „reines Bildsein von sich“. Im folgenden Zitat symbolisiert Fichte die Urerschei-

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Henrich: Fichtes ursprüngliche Einsicht, 14.

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nung, die er als Schema I eingeführt hat, mit A und die Erscheinung dieser Erscheinung, das sog. Schema II, mit B: „Es tritt drum zwischen das Seyn der Erscheinung A. u[nd] ihr Bild (Schema II.) durchaus nicht eine Lüke, die erst durch ein Handeln, durch ein Principseyn auszufüllen wäre: sondern die Erscheinung führt in ihrem Seyn ihr Bild schlechthin bei sich; so wie Gott in seinem Seyn sein Bild schlechthin bei sich führt. Und so ist denn die Erscheinung in diesem ersten sich bilden durchaus nicht Princip, oder handelnd, oder des etwas. Dies ist das reine sich bilden, oder, wie es noch mehr dem Misverständnisse vorbeugt; das reine Bildsein von sich“6.

Das Modell Fichtes und das von Henrich scheinen somit entgegengesetzt zu sein, indem jenes auf eine bestehende unmittelbare Einheit abhebt, dieses aber auf Produktion. Das trifft aber nicht zu: Einerseits berücksichtigt Henrich, daß Fichte eine unmittelbare Einheit der Glieder postuliert, andrerseits dynamisiert Fichte sein Modell. In beiden Modellen wird versucht, eine Struktur zu entwickeln, in der die Produktion selbst als unmittelbare Einheit gefaßt werden muß. In der WL 1812 spricht Fichte von einem „lebendigen Zusammensein des Bildenden und Gebildeten“. Ich zitiere die Stelle, in der die präreflexive Form dargestellt wird: „[…] die Erscheinung erscheint sich als Princip. So erscheint sie sich; also sie ist zuvörderst subjektiv-objektiv, beides in Einheit; sich selbst vorschwebend unmittelbar. – […] Form der Selbstanschauung, absolutes Band allen Sehens und Grundform desselben ist eben dieses lebendige Zusammensein in der Bildform“7. Diese lebendige Einheit ist also nicht reines Bildsein, sondern bereits, wenn auch nur minimal, durch das Loch des Sartreschen conscience (de) soi gezeichnet. Fichte faßt den Selbstbezug als Beziehung auf eine projizierte Instanz. In der WL 1804-II hat er den unmittelbaren Status deshalb als „immanente Projektion“ gefaßt: „[…] immanentes Sichprojiciren: […] nicht per hiatum und objektiv, sondern innerlich und wesentlich“8. Henrich stützt seine Interpretation auf das Sich-Setzen des Ich in der WL 1794. Er nimmt an, daß die von Fichte intendierte Unmittelbarkeit durch das Sich-Setzen angemessen zum Ausdruck gebracht wird. Er kann sich dabei auf Fichtes eigene unmißverständliche Auslegung des anfänglichen Sich-Setzens berufen. Man könnte freilich auch sagen, Henrich verstehe unter Unmittelbarkeit etwas anderes als Fichte. Denn während Fichte, jedenfalls in den angeführten Stellen, mit Unmittelbarkeit eine seiende Einheit meint, die von jeder Art von Vermittlung frei ist, faßt Henrich die Unmittelbarkeit als eine Form der Spontaneität, eine Einheit, deren Momente in einem Schlag entstehen: „Wenn

6 Fichte: Die Wissenschaftslehre [aus dem Jahr 1812], in: ders.: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. Reinhard Lauth, Hans Jacob, Hans Gliwitzky, Erich Fuchs und Peter K. Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 – 2012. Im folgenden abgekürzt: WL 1812, GA, mit Angabe der Abteilung, des Bandes und der Seitenzahl, hier: WL 1812 – GA II/13, 80. 7 WL 1812 – GA II/13, 101. 8 Fichte: Die Wissenschaftslehre. Zweiter Vortrag im Jahr 1804 vom 16. April bis 8. Juni, in: GA II/8, 354, im folgenden abgekürzt: WL 1804-II – GA II/8.

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Fichte vom Sich-Setzen des Ich spricht, so meint er damit diese Unmittelbarkeit, in der das ganze Ich in einem hervortritt.“9 Fichte kennt zwar auch Formen der unmittelbaren Projektion, wie etwa das im folgenden angeführte Beispiel aus der Transzendentalen Logik zeigt, aber diese Formen unterscheiden sich ebenfalls von Henrichs Konzeption. Obgleich hier ein relevantes Problem liegt, muß ich auf eine Analyse verzichten. Die Nichtbeachtung der angedeuteten Differenz beeinträchtigt die folgende Darstellung nicht. Henrich unterscheidet in seiner Schrift drei Formeln, in denen Fichte seine ursprüngliche Einsicht ausdrücke. Diesen Formeln entsprechen differente Strukturen einer Grundform. Die unterschiedenen Formeln bzw. die diesen entsprechenden Positionen entnimmt Henrich verschiedenen Fassungen der WL; er geht dabei davon aus, daß die Gliederung der Formen den Denkweg Fichtes widerspiegeln. Die erste Formel ist der erste Grundsatz der WL 1794/95: Das Ich setzt schlechthin sich selbst. Die zweite Formel lautet: Das Ich setzt sich als sich setzend. Sie werde in den unmittelbar an die erste WL anschließenden Darstellungen eingeführt, also insbesondere in dem Versuch einer neuen Darstellung, in der Neuen Bearbeitung und in der WL nova methodo10. Die dritte Formel lautet nach Henrich: Das Selbstbewußtsein ist eine Tätigkeit, der ein Auge eingesetzt ist. Sie wird bekanntlich in der WL 1801/02 eingeführt. Fichte unterscheidet in der WL 1812 ebenfalls drei Grundformen des Selbstbezugs, Stufen, die nicht eine zeitliche Folge bilden, sondern als Momente einer logischen Entwicklung zu verstehen sind. Er unterscheidet bei jeder Position die Ebene des von der WL thematisierten Wissens und die des Wissens der WL. Der logische Fortgang ist derart bestimmt, daß das thematische Wissen auf der jeweils höheren Stufe das Wissen der WL einholt. Auf der ersten Stufe ist der Selbstbezug auf der Objektebene eine unmittelbare Selbstanschauung, auf der zweiten Stufe führt Fichte den Begriff des Erscheinens ein: Das Wissen erscheint sich als sich erscheinend. Auf der dritten Stufe wird die in Stufe 2 eingeführte S-O-Einheit selbst Gegenstand eines höheren Wissens, bzw. wird das Wissen als das Vermögen entwickelt, sich selbst noch einmal zu objektivieren. Die Dreigliederung der WL von 1812 entspricht m. E. genau den drei von Henrich unterschiedenen Formeln bzw. Positionen. Bei der ersten und zweiten Stufe ist diese Entsprechung offensichtlich. Indessen kommt in der WL 1812 die dritte Formel von Henrich nicht vor. Wenn man diese aber so interpretiert wie Henrich, definiert sie m. E. genau die dritte Position in der WL 181211. 9

Dieter Henrich: Fichtes ursprüngliche Einsicht,18. Man hat Henrich vorgeworfen, er habe übersehen, daß Fichte bereits in der WL 1794 die Als-Formel verwendet. Dieser Vorwurf ist ungerechtfertigt. Vgl. Henrich: Fichtes ursprüngliche Einsicht, 22. 11 Die römischen Ziffern, mit denen ich im folgenden die Hauptabschnitte bezeichne, beziehen sich auf die in der Einleitung eingeführte Einteilung der WL Fichtes. Meine Darstel10

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I. Im Kontext der Darstellung des unmittelbaren Selbstbezugs der Erscheinung heißt es im „Zweiten Kapitel“ der WL 1812: „[…] der Satz: die Erscheinung erscheint sich, kann haben zwei Bedeutungen, u. Ansichten / u. aus der Verwechselung dieser, u. nehmen in der Einen[,] der ersten entsteht alles Misverständniß“12.

Fichte hat seine Konzeption des Ich in der ersten WL von einer Auffassung abgehoben, in der das Subjekt sich gewissermaßen aus der Perspektive eines Beobachters als vorhandenes Ding betrachtet oder, wie es in der WL 1794 heißt, „als ein Stück Lava“: „Die meisten Menschen würden leichter dahin zu bringen sein, sich für ein Stück Lava im Monde, als für ein Ich zu halten.“13 In der WL 1805 bestimmt er die vulgäre Sicht nicht weniger plastisch: „Sie nehmen sich selber als ein Faktum, vom reinen Hörensagen ihnen bekannte, u. auf Treue, u. Glauben angenommene Begebenheit.“14 Die Kennzeichnung der falschen Ansicht in dem diesem Zitat aus der WL 1812 folgenden Text zeigt eindeutig, daß Fichte auch in dieser WL die ,Ich-Begaffung‘ im Visier hat. Man muß berücksichtigen, daß es nicht bloß um den Gegensatz von theoretischen Konzeptionen geht, sondern um den von Formen des praktischen Selbstverständnisses. Freilich entspricht dem existentiellen Gegensatz auch einer der theoretischen Ansätze. Die an der vulgären Selbstauffassung orientierte Auslegung fasse das Ich als eine Substanz, welcher der Selbstbezug nur äußerlich zukomme wie eine kontingente Eigenschaft. In der Sicht der WL ist der Selbstbezug ein Wesensimplikat des Ich oder radikaler: er definiert dieses als solches. Scheinbar im Widerspruch zu dieser These steht folgende weitere Bestimmung: „Die Erscheinung ist A./ – sie erscheint erst jezt, u. macht durch dieses Erscheinen das sich ursprünglich u. schöpferisch“15. Das Jetzt darf nicht als zeitlicher Einschnitt verstanden werden. Die Trennung liegt einzig in der Darstellung und hat keine Entsprechung in der Sache. Der Akzent liegt hier darauf, daß der Selbstbezug keine wie ein Ding vorliegende Beziehung ist, sondern ein „fließender Akt“. Verwirrend ist indessen, daß in der Auffassung, die der WL im Gegensatz zur vulgären eignet, der fließende Akt zu einem bestehenden Sich gerinnt, das Fichte als „eine feste und vollendete Form“ bezeichnet. Warum führt Fichte diese defiziente Position als Beispiel der Auffassung der WL an? Entspricht sie nicht eher der vulgären Sicht? Fichte hat immer betont, daß es Aufgabe der WL ist, auch die falschen Einstellungen des Bewußtseins abzuleiten, d. h. deren transzendentale Konstitution in den Blick zu rücken. Das sagt er im vorliegenden Kontext nicht, aber ich meine, daß die angeführte Stelle der Versuch ist, lung hält sich aber nicht genau an diese Einteilung. Im übrigen setze ich die Kenntnis der Formeln, die ich in der Einleitung den Abschnitten zugeordnet habe, voraus. 12 WL 1812 – GA II/13, 72. 13 Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794/95), in: GA I/2, 326. 14 Fichte: 4ter Vortrag der Wissenschaftslehre–. Erlangen im Sommer 1805, in: GA II/9, 192. 15 WL 1812 – GA II/13, 72.

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die zunächst als bloßes Faktum vorgeführte vulgäre Sicht transzendental zu begründen. Dies ist nur möglich, weil vom Standpunkt der WL aus auch die Prozesse bzw. Handlungen sichtbar werden, die hinter dem Rücken des natürlichen Bewußtseins geschehen, wie z. B. das Fließen der Lava. (Die Stelle, in der Fichte den „fließenden Akt“ mit dem faktisch gefundenen Sich konfrontiert, macht auch den zunächst befremdlichen Vergleich mit dem Stück Lava verständlich. Aber warum „im Monde“? Ich vermute, Fichte plaziert das Stück Lava auf dem Mond, weil der Mensch, der sich als solches versteht, nicht bei sich ist und kein eigenes Licht hat.) Offensichtlich gründet die vulgäre Sicht gerade darin, daß ihr die transzendentale Dimension verborgen bleibt. In der Einleitung zur WL 1812 erklärt Fichte, das natürliche Bewußtsein gehe in sich selbst auf, sei in sich verloren, „indem es sich richtet nach einem Gesetze, das ihm verborgen bleibt“; insbesondere sei der Akt des Sicherscheinens, der dem fixen Ich zugrunde liege, verborgen. In der WL 1804-II hat Fichte konzediert, daß auch die Transzendentalphilosophie der Täuschung aufsitzt, fügt aber bei: „[…] ungeachtet sie, nach einem noch nicht erklärten Gesetze, in das Princip eindringt, und ihr genetisch wird, was ausserdem durchaus ein Sein bleibt. Diese ganze Einsicht in das reale Principiiren ist nur Sache der W.-L. – welches das erste Moment“16.

Die vulgäre Auffassung des Selbstbewußtseins, die Fichte in den zitierten Texten kritisiert, deckt sich nicht mit der Auffassung, die Henrich Reflexionstheorie nennt und die er als den Ansatz versteht, gegen den sich Fichtes eigene Konzeption des Selbstbewußtseins richtet. Henrich konzediert indessen, daß die Reflexionstheorie letztlich in einer vulgären Selbstauffassung des Ich gründet: „[Die Reflexionstheorie] unterläßt es also, das Ich-Subjekt an ihm selbst zu denken und sich wirklich in die Perspektive einer wissenden Selbstbeziehung zu versetzen. Vielmehr spricht er über sie aus dem Standpunkt eines Wissens, das sich nie thematisch geworden ist […]. Diese Blindheit ermöglicht erst den Gebrauch des Reflexionsmodells.“17

II. Henrich begründet die Formel II mit dem Argument, das Selbstbewußtsein bestehe nicht nur darin, daß ein Bewußtsein sich faktisch auf sich selbst bezieht, sondern vielmehr gehöre dazu auch das Wissen, daß es sich auf sich selbst bezieht. In der WL 1812 fällt in der Darstellung der ersten Position dieses Wissen in die WL selbst, die über dem thematisierten Wissen steht. Deshalb definiert die Als-Formel zunächst nur das Wissen der WL. Fichte, der den Selbstbezug der Erscheinung als Ich interpretiert, versteht die Bedeutung der Als-Formel ebenso wie Henrich. Für Fichte hat entscheidende Bedeutung die Unterscheidung von Form und Inhalt der Erscheinung. Wenn 16 WL 1804-II – GA II/8, 354. Das reale Prinzipieren ist die immanente Projektion. Real ist diese im Unterschied zu dem uns zugänglichen Bild, dessen Vorstruktur sie ist. 17 Henrich: Fichtes ursprünglich Einsicht, 14.

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man sich mit einer vulgären Auffassung begnügt, kann man diese Unterscheidung am Beispiel eines Bildes erläutern. Wir unterscheiden den Inhalt eines Bildes, der oft auch in der Form der Wirklichkeit vorkommt, von der Bildform. Es leuchtet ein, daß die Erscheinung qua Form dem Absoluten entgegengesetzt ist. Da Fichte den Selbstbezug mit diesem Gegensatz begründet, müßte dieser der Erscheinung erscheinen, tatsächlich erscheint im unmittelbaren Selbstbezug aber nur der Inhalt, wenigstens als unverstandenes und unbestimmtes Bild. Nach Fichte bezieht sich die AlsForm dagegen ausschließlich auf die Form der Erscheinung, während umgekehrt der Inhalt völlig verschwindet. Im übrigen versteht Fichte das Als im Sinne des bekannten Diktums: Die Wunde heilt nur das Schwert, das sie schlug. Das bedeutet: Die AlsForm verbindet nicht nur die Glieder des reinen Bildseins von sich, sondern trennt sie zunächst. Im folgenden Zitat bezeichnet der Begriff Prinzip das Als: „Ist denn die Erscheinung Princip ihres Bildes: so daß zwischen ihr bildloses Seyn, u. ihr Seyn im Bilde etwas in die Mitte träte? Wir haben gesehen[:] nein: ihr Seyn führt das Bild mit sich. – . So sprechen wir, eben auch schon den Hiatus machend zwischen dem Seyn u. Bilde, da dies doch eigentlich ein Sein ist: Wir können es nicht anders denken? Wie? Herabsehen, Drüber schweben, in SubjektObjektivität bringen. Also diese Form, in ihrer Trennung u. Verbindung zugleich ist es, welche dieses mit sich bringt. Princi[p]heit, daß das objektive als Princip, das subjektiv[e] als Principiat angesehen werden, ist eben das BindeMittel der Trennung[,] die nur durch diese Form herbeigebracht wird. Sie ist drum der Schöpfer des bindenden Glieds, weil sie ist der Schöpfer der Trennung.“18

Diese Stelle ist wichtig, weil sie zeigt, daß zwischen Denken und Anschauen ein Gegensatz besteht. Dennoch versucht Fichte, die entgegengesetzten Glieder so zu vermitteln, daß man sagen kann, die Intention der unmittelbaren Beziehung werde in der durch das Als bestimmten Form realisiert. Diese Tendenz kommt aber erst in der WL 1813 voll zur Geltung und führt schließlich dazu, daß in dieser WL die Begriffsform nicht nur mit der Bildform harmoniert, sondern selbst zur Urerscheinung erhoben wird. Ich ergänze die skizzierte Darstellung der Position II durch eine Stelle aus der Transzendentalen Logik, in der Fichte das reine Hinschauen gewissermaßen als Gegenposition zu der Als-Form darstellt, aber gerade dadurch diese noch deutlicher in den Blick rückt: „Die Erscheinung bildet sich, heißt[:] sie bildet ein Bild ihres Bildens; […] sie bildet dieses Bilden eben schlechtweg, schaut es hin; keineswegs etwa: sie bildet sich, als es bildend; hat nicht nur das Bild, sondern zugleich das Bild des Bildens, den Begriff seiner selbst, als Princips. Dies mag wohl in einem andern Zusammenhange der Fall seyn: bei uns, den darüberschwebenden, u. philosophirenden[,] ist es allerdings der Fall, aber dies zweite ist hier nicht gesezt: es ist gesezt, daß es nicht gesezt sey, und muß in der Einbildungskraft sorgfältig abgehalten werden. […] Ich weiß aus Erfahrung, wie sehr es die richtige Einsicht in das Ich erschwert, daß man die Erscheinung nicht eben schlechtweg hinschauen läßt, sondern auch dieses Hinschauen zum Bewußtseyn erhebt, um nur recht bald das formale Ich zu bekom18

WL 1812 – GA II/13, 82.

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men. Alle Misverständnisse der W.L. über diesen Punkt des Ich haben recht eigentlich darin ihren Grund.“19

Diese Passage wirft nicht nur ein Licht auf die Darstellung der Als-Form, sondern wäre auch geeignet, einigen im Sinne Fichtes erblindeten Heidegger-Interpreten den Star zu stechen. Ich will hier aber noch eine Bemerkung zur methodischen Eigentümlichkeit dieser Stelle machen. An einer Stelle der WL 1812 weist Fichte darauf hin, daß ein Werden als stehende Einheit betrachtet werden kann, weil es in einem Horizont der Einheit, der selbst nicht thematisch wurde, erscheint, und fügt bei: „Wir sollen uns selbst einmal weglassen, und was wir soeben waren, objektiv machen.“20 Diese Objektivierung wird, wie schon erwähnt, im Übergang der Stufen ineinander vollzogen und führt schließlich zum absoluten Wissen, das auch den höchsten und umfassendsten Horizont eingeholt hat. In der Betrachtung des unmittelbaren Hinsehens geht es aber nicht um die Objektivierung, sondern umgekehrt darum, die unbewußte Objektivierung des Horizonts „abzuhalten“. Fichte nennt bekanntlich Schelling einen Polyphem ohne Auge, aber Schelling ist auch ein Ödipus, der, nach einem Worte Hölderlins, das allerdings in einem anderen Sinn gemeint ist, als ich es hier verwende, ein Auge zuviel hat21. Es scheint mir sinnvoll, Fichtes Darstellung nach folgendem Modell zu betrachten, einem Modell, welches man sich am besten an den Thatsachen des Bewußtseyns von 1813 erarbeitet, von denen Miklos Vetö mit Recht in seiner Abhandlung „Etre et Apparition selon la Doctrine de la Science de 1812“ erklärt: „Les Tatsachen des Bewusstseins de 1813 présentent selon un autre ordre – et d’une manière bien plus agréable, plus lisible – la plupart des grands thèmes du cours de 1812.“22 Grundlage ist die Beziehung der Erscheinung zu ihrem Bild. Diese wird in zwei Formen dargestellt: als unmittelbare Beziehung und als vermittelte. Den unmittelbaren Bezug bezeichnet Fichte auch als Bilden und ordnet ihn der Anschauung zu, die dem Denken zugeordnete Vermittlung bezeichnet er als Verstehen. Der Gegensatz von Bilden und Verstehen wird auch als der von Werden und Bestehen interpretiert. Die wichtigste Auslegung dieser Glieder ist die als Freiheit und Notwendigkeit. Deren Einheit ist Fichte zufolge die Vollendung der Erscheinung. Die WL 1812 will zeigen, wie das natürliche Bewußtsein zur Einsicht in diese Einheit gelangen kann. Fichte unterscheidet jedenfalls implizit Struktur und Bedeutung und ordnet einer bestimmten Struktur unterschiedliche Bedeutungen zu. In diesem Beitrag kann ich diesem Sachverhalt nicht weiter nachgehen. Ich begnüge mich mit dem Hinweis, daß Fichte selbst seine Auslegung der von ihm eingeführten Strukturen oft nicht zu begründen versucht und sie 19 Fichte: Vom Unterschiede zwischen der Logik und der Philosophie selbst, als Grundriss der Logik und Einleitung in die Philosophie (1812), in: GA II/14, 290. Im folgenden abgekürzt: Transscendentale Logik II (1812) – GA II/14. 20 WL 1812 – GA II/13, 146. 21 Mir ist klar, daß Schelling mit der Polyphem-Metapher eine Unbesonnenheit bezeichnet, die auch den Sachverhalt umfaßt, den ich mit der Ödipus-Metapher ausdrücke. 22 Miklos Vetö: „Etre et Apparition selon la Doctrine de la Science de 1812“, in: FichteStudien 12 (1997) 376.

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als selbstverständlich voraussetzt. Es wäre zweifellos eine wichtige Aufgabe einer Interpretation, die Beziehung der Bedeutungen zur Struktur und den Zusammenhang der Bedeutungen zu klären. III. Ich werde meine Darstellung der Form und Position III vor allem an Fichtes Begriff des Apriori festmachen. Der Begriff des Apriori ist uns bereits einmal als Interpretament des Ich in einem Zitat von Henrich begegnet. Ich werde jedoch das Apriori primär am Selbstbezug von Prinzipien, der insbesondere in der Diskussion um die Letztbegründung thematisch wurde, erörtern. Diese Perspektive ermöglicht mir, die bisher nicht eigens genannte, aber im Titel als „durchaus neue, vorher nie erhörte oder vollzogne Anmuthung“ angekündigte methodische Pointe als Leitfaden zur Geltung zu bringen. Die Beschränkung auf diese Perspektive zwingt mich aber auch, wichtige Aspekte der dritten Position beiseite zu lassen. Überdies blende ich ferner Aspekte der Position III aus, die im Rahmen der angedeuteten Perspektive relevant wären, wie das im Schlußteil der WL 1812 ausführlich behandelte Thema „Bestimmtheit und bestimmte Bestimmtheit“. Auch die in der WL besonders herausgearbeitete Beziehung zur praktischen Philosophie wird nicht berücksichtigt. Der Kern meiner Darstellung der Position III ist eigentlich die Interpretation des Übergangs von Position II zu Position III. Henrich interpretiert diesen Übergang, wie ich schon erwähnt habe, an der Augenformel der WL 1801/02. Ich gehe nicht darauf ein und werde auch nicht auf meine bisher unbegründete These zurückkommen, die dritte Position in der WL 1812 entspreche der dritten Formel Henrichs. Ich erinnere an das angeführte Zitat aus der WL 1804-II: „[…] ungeachtet sie [die WL], […], in das Prinzip eindringt, und ihr genetisch wird, was außerdem durchaus ein Sein bleibt. Diese ganze Einsicht in das reale Principiiren ist nur Sache der W.-L.“23. Die Position III stellt nicht das Eindringen der WL ins Prinzip dar, d. h. in die im natürlichen Bewußtsein verborgene Projektion, sie zeigt aber, daß allen Exemplaren der dargestellten Erscheinung das Vermögen eignet, in das Prinzip einzudringen. Wenn man für die dritte Position eine Formel sucht, die den für die Positionen I und II gewählten Formeln an die Seite gestellt werden kann, wäre m. E. am geeignetsten die Formel „Sichtbarkeit der Sichtbarkeit“, es sei denn, man bevorzugt die von Fichte formulierte zweite Formel der WL24. Wie die erste Definition der WL das Wesen des thematisierten Wissens auf der zweiten Stufe artikuliert, entspricht die zweite Definition des Wissens der WL (Metastufe) der dritten Stufe des thematisierten Wissens (Objektstufe). M. E. entspricht die zweite Definition genau der Formel „Sichtbarkeit der Sichtbarkeit“. Man müßte allerdings berücksichtigen, daß die in den Positionen I und II maßgebende Unterscheidung von Meta- und Objektstufe in der dritten Stufe aufgehoben wird. 23

WL 1804-II – GA II/8, 354. WL 1812 – GA II/13, 76: „[D]ie Erscheinung erscheint sich, – als – sicherscheinend, als sich erscheinend“. Ich komme auf diese Formel später noch einmal zu sprechen. 24

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Ich habe gesagt, ich werde die Darstellung von Position III vor allem am Begriff des Apriori orientieren. Fichte stellt dessen logische Struktur u. a. an folgendem Beispiel dar: „[…] daß wir wissen, vorstellen, u. dergl. wissen wir doch wohl, also wir anerkennen das Wissen. Was aber ein wissen sey, kann man nicht lernen, denn alles lernen sezt das Wissen voraus. Mithin müssen wir es, was Wissen sey, schlechthin wissen. Die guten Leute, die auf ihre Autorität hin behaupten, müssen es nicht weit in der Selbstbesinnung gebracht haben“25.

Nach Fichte sind alle apriorischen Begriffe selbstbezüglich. Es ist klar, daß in dem angeführten Beispiel das Wissen von sich selbst nicht in derselben Weise weiß, wie es von irgendeinem bestimmten Sachverhalt weiß. Die Formulierung „wir wissen schlechthin“ könnte als Bezeichnung einer unmittelbaren Selbstgegebenheit, die der Beziehung von Sein und Bild in Position I entspricht, verstanden werden. Indessen zeigt sich im Begriff des Apriori die Spannung zwischen den Momenten „Unmittelbarkeit“ und „Vermittlung“, auf die wir schon gestoßen sind. Das Apriori ist einerseits „ein Sein, ein festes stehendes, das schlechthin nicht wird, von welchem alle Genesis ausgeschlossen ist“26. Andererseits weisen viele Formulierungen Fichtes darauf hin, daß nach seiner Auffassung eine apriorische Bestimmung sich erst zu dem macht, was sie ist: „sie [sc. die Sichtbarkeit] macht sich selbst sichtbar u. vollzieht so an sich die Ichform“27. Man kann versuchen, die gegensätzliche Kennzeichnung auf differente Positionen zu beziehen, z. B. kann man zwischen der unmittelbaren Sichtbarkeit und der Sichtbarkeit dieser Sichtbarkeit unterscheiden oder zwischen dem Apriori an ihm selbst und dessen Anwendung. Das trifft in einigen Fällen zu. Ich meine aber, daß Fichte auf die Einheit der gegensätzlichen Momente abhebt, also auf eine Synthese der Position I und der Position II. Darauf weist auch eine Stelle aus den Thatsachen des Bewußtseyns hin: „[S]ie giebt zwei GrundAnsichten ihrer selbst, als eines gegebenen vollendeten Seyns, u. eines Principseyns; diese beiden Ansichten sind aber schlechthin Eine“28. Ich muß diese wichtige Form der Einheit, deren Entsprechung mit dem Begriff in Hegels Logik als Einheit von Sein und Reflexion nicht zu übersehen ist, unerörtert liegen lassen29. Der Bezug des Apriori auf sich hat aber auch Aspekte, die im folgen25

WL 1812 – GA II/13, 147. I.H. Fichte schreibt in seiner Ausgabe: „[…] behaupten, es gebe keinen schlechthin apriorischen Begriff […]“ (Fichte: Werke, hg. v. I.H. Fichte, 11 Bände, Bd. X, Berlin 1834 ff., ND Berlin 1971, 448). Vgl. auch den Hinweis in der WL 1794, daß das Nicht-Ich als apriorischer Begriff verstanden werden muß: „Und diese Bemerkung ist so in die Augen springend, daß, wer sie nicht versteht, und von ihr nicht zum transcendentalen Idealismus empor gehoben wird, unstreitig geistig blind seyn muß“ (Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794/95), in: GA I/2, 267, Anm.). 26 WL 1812 – GA II/13, 147. 27 Ebd. 28 Fichte: Thatsachen des Bewußtseyns (1813), in: GA II/15, 92. 29 Vgl. dazu die scharfsinnige und originelle Analyse in dem Buch von Stefan Lang: Spontaneität des Selbst, Göttingen 2010. Lang orientiert sich an frühen Fassungen, die noch

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den noch näher zu betrachten sind. Entscheidend ist, daß das Apriori wesensnotwendig auf sich bezogen ist. Zunächst will ich an einem Text von Dieter Wandschneider zeigen, was ein nicht-wesensnotwendiger Selbstbezug ist. Ich bezeichne den wesensnotwendigen Selbstbezug als inneren, den kontingenten als äußerlichen. In seiner Schrift Grundzüge einer Theorie der Dialektik kennzeichnet Wandschneider die im vorliegenden Kontext auftretende Selbstbezüglichkeit als ontische und bestimmt diese folgendermaßen: „[…] eine Form, die als ontische Reflexivität bezeichnet werden kann und die dann gegeben ist, wenn ein Begriff zugleich selbst die Eigenschaft besitzt, die er bedeutet – z. B. im Fall der Bestimmung „Begriff“, die ja selbst ein Begriff ist“30. Es ist offensichtlich, daß die Bestimmung „Begriff“ erstens nicht als solche notwendig auf sich bezogen ist, denn sie kann ohne Explikation des Selbstbezugs gedacht werden, zweitens bezieht sich die Bedeutung „Begriff“ nicht auf sich als Begriff, sondern auf ihren kategorialen Status. Man könnte auch sagen, der Begriff sei, indem er als Prädikat auf sich bezogen wird, operativ verwendet. Wenn man die Bedeutung als Inhalt bezeichnet, den kategorialen Status als Form, dann kann man auch sagen, daß Form und Inhalt übereinstimmen, insofern der Inhalt seine eigene Form bezeichnet, daß aber diese Übereinstimmung kontingent ist. Fichte selbst bestimmt die Differenz von kontingentem und wesensnotwendigem Selbstbezug des Erscheinens in dem zitierten Text über die zwei Bedeutungen des Satzes „Die Erscheinung erscheint sich“. Dabei geht er davon aus, daß in der bloßen Sich-Anschauung die Beziehung der Erscheinung auf sich nur von der WL gesehen wird, aber nicht von der Erscheinung selbst: „wir sehen, u. denken ja allerdings dieses A. [sc. die Urerscheinung, Schema I, U.R.] u. sein Verhältniß zu Sch.2 [sc. Schema II, U.R.] […]. Nun sind doch ohne Zweifel wir nichts andres, als die sich Erscheinung der Erscheinung der Erscheinung: also muß allerdings auch noch diese Bestimmung in jener GrundForm des sich Erscheinens liegen. Dann würde von dem Faktum ausgegangen, wie in der Einleitung, und etwa späterhin dieses durch Denken in gesezliche Form der Nothwendigkeit erhoben. – So nun wollen wir nicht gehen, sondern rein denkend einherschreiten“31.

Die rein denkend bestimmte Betrachtungsweise, die Fichte dieser Feststellung eines Faktums entgegensetzt, bestünde darin, daß sie sich allein an die Bedeutung der Bestimmung hält, deren Selbstbezug nachgewiesen werden soll und einsichtig macht, daß der Selbstbezug ein Wesensimplikat der betreffenden Bedeutung ist. Fichte begründet die Wesensnotwendigkeit des Selbstbezugs der Erscheinung damit, daß diese den Gegensatz gegen das Absolute in sich selbst abbilden muß. Aus dieser These folgt, daß die Erscheinung als Erscheinung, also wesensnotwendig, sich auf sich bezieht, wenn das Wesen der Erscheinung als das Nicht-Absolute benicht religionsphilosophisch mystifiziert sind, vor allem am Versuch einer neuen Darstellung von 1797/98, und kann deshalb Fichtes Theorie in einer Terminologie wiedergeben, die in aktuellen Theorien verwendet wird. 30 Dieter Wandschneider: Grundzüge einer Theorie der Dialektik, Stuttgart 1995, 41 f. 31 WL 1812 – GA II/13, 73.

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stimmt wird. Es scheint, daß auch die These Wandschneiders, der „Begriff“ sei selbst ein Begriff, sich auf das Faktum stützt, daß wir die Bedeutung „Begriff“ in der Form des Begriffs denken. Man muß sich freilich fragen, ob man nicht auch die Beispiele, die Fichte für den Selbstbezug des Apriori anführt, in diesem Sinne interpretieren kann oder sogar muß. Indessen faßt Fichte den Selbstbezug des Apriori zweifellos als wesensnotwendigen. Wenn man z. B. den Selbstbezug der Form „Sichtbarkeit der Sichtbarkeit“ im Sinne eines kontingenten und somit äußerlichen Bezugs auslegte, müßte man sagen, daß die Sichtbarkeit zunächst als thematischer Begriff eingeführt, aber als operativer auf sich bezogen werde. In diesem Falle muß man die thematische Form auf einer Objektstufe situieren, die operative auf einer Metastufe. Die Form „Meta-Objektstufe“ würde den Selbstbezug auseinanderreißen, dessen Glieder könnten nur noch in einer äußeren Reflexion aufeinander bezogen werden. Eine solche Konzeption des Selbstbezugs entspräche dem Bewußtsein vom eigenen Denken, wie es Fichte in dem Versuch einer neuen Darstellung (1797/98) einführt. Fichte zeigt in dieser Schrift, daß diese Bestimmung des Bewußtseins in einen unendlichen Regreß führt, der nur durch die Annahme einer unmittelbaren Einheit von Subjekt und Objekt vermieden werden kann. Wenn man aber diese unmittelbare Einheit als abstrakte Identität faßt, was Fichte an einigen Stellen unterlaufen ist, verfehlt man den geforderten Selbstbezug wie mit der Trennung von Meta- und Objektstufe. Die Bestimmung des denkenden Einhergehens als Orientierung am Begriff ist unzulänglich, wenn die spezifische Weise der Orientierung nicht angegeben wird. Gewöhnlich stellen wir das Wesen, also auch apriorische Begriffe, die nicht durch Abstraktion gewonnen sind, an Beispielen dar. Wir meinen zwar nicht das Beispiel, sondern abstrahieren von der Bestimmtheit des Beispiels, sodaß die apriorische Form als solche sichtbar wird. Wir meinen nicht das Dreieck, das an die Tafel gezeichnet wird, sondern das Dreieck als solches, indem wir von der Bestimmtheit der Winkel- und Seitengröße abstrahieren. In dieser Weise der Wesensbetrachtung wird aber nur der Reflex des Apriori sichtbar, die ursprüngliche Konstitution wird nicht gesehen, was Fichte in der WL 1812 öfters hervorhebt. Er fordert deshalb, die apriorischen Bestimmungen ohne Beziehung auf eine Instanz zu betrachten, nicht etwa so, „wie sie schon unmittelbar auf Objekte angewendet werden“32. In der WL 1811 kritisiert er Kant, weil dieser die Einsicht, die transzendentale Apperzeption sei eine synthetische Einheit, nicht an der Einheitsform, sondern nur an einzelnen Exemplaren nachgewiesen habe. In der WL 1812 wiederholt er diese Kritik: Kant reproduziere die besagte Einsicht aus den Tatsachen des Bewußtseins, weil er sich nicht zum Mannigfaltigen überhaupt, der Grundmannigfaltigkeit erhoben habe33. In der WL 1805 findet sich

32

201.

Fichte: Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre (1797/98), in: GA I/4,

33 Vgl. meine Aufsätze „Genetische Evidenz – was ist das eigentlich?“, in: Fichte-Studien 20 (2003) 161 – 166, und „Die ursprüngliche Konstitution des Wissens in Fichtes später Wissenschaftslehre“, in: Fichte-Studien 28 (2006) 65 – 74; sowie die früheren Abhandlungen: „Das Wir in der späten Wissenschaftslehre“, in: Fichte-Studien 12 (1997) 351 – 363, und „Tun

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die Stelle, die genau meiner eigenen Darstellung entspricht und die Abhebung des spekulativen Apriori von dem an der Geometrie orientierten Verfahren unmißverständlich ausspricht: Man vermag die erforderliche Einsicht nicht zu vollziehen, „wenn man das Ersehen sich bloß an Beispielen construiren kann. wie z. B. in der Geometrie“34. In der WL 1812 setzt Fichte das Ersehen ausdrücklich vom Sehen ab, in der WL 1805 hat es selbst die Bedeutung von Sehen. Zu der geforderten Abstraktion stellt Fichte auch fest: „Dies hat bisher das teutsche Publikum nicht vermocht: drum hat es freilich zu dem noch viel höhern zweiten Gliede, das wir sogleich nennen werden, auch nicht den Zugang gefunden“35. Dieses zweite Glied ist die Einsicht, daß das Sehen, insofern es an ihm selbst betrachtet wird, selbstbezogen ist. Ich werde die Form der spekulativen Betrachtung im folgenden mit der Hegelschen Wendung „Betrachtung der Denkbestimmungen an ihnen selbst“ bezeichnen. Ich meine, trotz der Differenz der methodischen Ansätze der beiden Denker sei, jedenfalls im Gegensatz zu nicht-spekulativen Theorien, die Übereinstimmung so groß, daß sie die Anwendung eines Grundbegriffs der Hegelschen Philosophie auf Fichtes WL rechtfertigt. Fichtes eigener Ausdruck für die spekulative Betrachtungsweise ist „energisches Denken“. Hegels Gegenbegriff zu diesem Denken ist „Vorstellen“, derjenige Fichtes „flaches Denken“. Ich will versuchen zu erklären, warum Fichte die spekulative Betrachtung des Apriori als energisches Denken bezeichnet. Der Differenz der beiden Weisen, apriorische Begriffe zu denken, entspricht die Differenz von Meinen und Anschauen. Wir können die Bedeutung eines Begriffs verstehen und definieren, auch wenn wir sie bloß meinen. Dennoch empfinden wir unwillkürlich, daß wir nicht zur Sache selbst vorgedrungen sind. Was ist die Sache? Die Sache, die der Bedeutung „Unterschied“ entspricht, ist der wirkliche Unterschied, das Unterscheiden, aber nicht in einem Konkretum, sondern im Modus der Wesensallgemeinheit. Wir erfassen die Sache, wenn wir das zunächst bloß Gemeinte vollziehen. Ich führe ein Beispiel aus der WL 1813 an, in dem Fichte erklärt, was es heißt, die Bedeutung „Verstehen“ energisch zu denken: „Was heißt nun verstehen? D. h. nicht, Sie sollen irgend etwas darüber anführen, einen partiellen Charakter, sondern Sie sollen sich zur Stunde in ein durchaus erschöpfendes Bild des Verstehens verwandeln: was da seyn würde, eben ein Verstehen des Verstehens in seiner reinen absoluten Form, d.i. nicht dieses oder jenes, sondern nur eben Verstehen“36.

In meiner Auslegung des Beispiels von Wandschneider habe ich unterstellt, daß die Beziehung einer Bestimmung auf ihren kategorialen Status als solche Merkmal einer kontingenten Beziehung sei, und habe nicht berücksichtigt, daß diese Bezieund Sagen in der Transzendentalpragmatik und der WL 1804“, in: Fichte-Studien 18 (2000) 205 – 215. 34 Fichte: 4ter Vortrag der Wissenschaftslehre–. Erlangen im Sommer 1805, in: GA II/9, 296. 35 Ebd. 36 Fichte: [Die Wissenschaftslehre 1813], in: GA II/15, 137.

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hung auch eine wesensnotwendige sein kann. Ich ziehe diese These ausdrücklich zurück und gehe davon aus, daß die Beziehung einer Bestimmung auf ihre Seinsweise selbst eine wesensnotwendige sein kann und daß der wesentliche Selbstbezug gerade Ausdruck einer solchen Beziehung ist, weil die Differenz von kategorialem Status (z. B. Form – „Gedanke“) und Inhalt (z. B. „Identität“ ) einer Kategorie im spekulativen Diskurs aufgehoben ist. Die als Wesen thematisierten Kategorien stellen ihren kategorialen Status durch sich selbst dar. Meine Selbstkritik bedeutet selbstverständlich nicht, daß ich meine Kritik an Wandschneider zurücknehme. Sie betrifft nur die Möglichkeit, die Differenz der Ebenen aufzuheben, also eine Operation, die Wandschneider nicht vollzieht. Was diese bedeutet, muß noch genauer bestimmt werden. Es leuchtet ein, daß eine Bestimmung selbstbezogen ist, insofern ihr der kategoriale Status „oberstes Prinzip“ zukommt. Denn als solches Prinzip ist sie auf alles, also auch auf sich bezogen. Wenn diese formale Bestimmung nicht Wesensimplikat ihres Inhalts ist, muß der Selbstbezug als operative Kategorie verstanden werden. Folgendes Beispiel kann verdeutlichen, was ein Selbstbezug ist, der ausschließlich in der thematischen Bedeutung gründet. Wenn man sagt, die Negation (1) sei die Negation (2) der Identität, kann man die Negation (1) als thematische Bestimmung setzen, die Negation (2) als operative. Im spekulativen Diskurs stellt aber die Negation (1) die Beziehung zur Identität selbst her. Daß diese Aufhebung der Differenz von thematischer und operativer Bestimmung voraussetzt, die Negation müsse als Negation ihrer eigenen Identität mit sich verstanden werden, kann hier vernachlässigt werden37. Ich meine, daß die Selbstbezüge der apriorischen Formen, die Fichte anführt, im Sinne dieser Stufen-Aufhebung interpretiert werden müssen. Wenn man den wesensnotwendigen Selbstbezug mit den Begriffen Wandschneiders, nämlich Bedeutung und Sache, definiert, versteht man, daß Fichte diesen Selbstbezug mit dem ontologischen Beweis in Beziehung gebracht hat. In der WL 1804-II erklärt er: „Nämlich, ich sage: Sehen, als Sehen, gesetzt, folgt, daß wirklich gesehen werde; oder: das Sehen sieht nothwendig. […] Offenbar ist dieser Satz die Vollziehung dessen, was in dem Ihnen allen bekannten scholastischen Beweise des Daseyns Gottes, als des entis realissimi gefordert, aber nicht geleistet wird, – aus dem bloßen Gedachtwerden eines Etwas auf sein Daseyn zu folgern.“38

In Bounds of Sense fragt Peter F. Strawson nach dem ontologischen Status der Erscheinung in der Kritik der reinen Vernunft: „We are aware, then, of ourselves in a temporal guise and hence only as we appear of ourselves and not as we are in ourselves. But what sort of a truth about ourselves is it, that we appear to ourselves in a temporal guise? Do we really so appear to ourselves or only appear to ourselves so to appear to ourselves?”39 Welches ist der ontologische Status der Erscheinung in der WL? Wenn man das Theorem der Einheit von Bedeutung und Sache auf die Erschei37 Ich muß hier darauf verzichten, nachzuweisen, daß die Differenz der Negationen und die Differenz „letztes Prinzip und Inhalt“ dieselbe formale Struktur haben. 38 WL 1804-II – GA II/8, 396 f. 39 Peter F. Strawson: The Bounds of Sense, London 1966, 39.

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nung anwendet, muß man folgern, die Erscheinung sei selbst Erscheinung, die Form des Bildes sei selbst Bild. Man kann diesen Selbstbezug negativ fassen in dem Sinne: Die Bildform ist nur Bild. Man kann den Selbstbezug aber auch positiv fassen wie Fichte in der Auslegung des Sehens und der Sichtbarkeit. Dieser positive Selbstbezug bedeutet, daß das Bild seine eigene Bildlichkeit darstellt. Ich könnte auch, wie Fichte in der Darstellung des Apriori formuliert, sagen: Das Bild vollzieht die Ichform an sich. Wenn man das begriffen hat, kann man auch besser verstehen, warum Fichte den Begriff des Bildes gleichsetzt mit der transzendentalen Apperzeption Kants. Ich habe gesagt, es sei meine Absicht, zu zeigen, was Fichte selbst in der WL 1812 als seine ursprüngliche Einsicht versteht, d. h. was er für die Einsicht oder Operation hält, welche die WL von allen anderen Philosophien unterscheidet. Er schreibt: „Darin besteht eben das Wesen der W.L., daß er [der Unterscheidende] die natürliche Concrescenz des sichtbaren (realen) u. seiner Sichtbarkeit, rein auflöset, beide trennt; […] Alle andere Ph[ilosophie] ohne Ausnahme sizt in jener Koncrescenz.“40

An einer anderen Stelle heißt es im selben Sinne: „[…] auf diese Weise macht das Licht sich nicht sichtbar; sondern statt seiner etwas ganz anderes, eine Concrescenz nemlich u. absolute Verwachsenheit seiner selbst mit der Form seiner Sichtbarkeit. (Dies eben ists, was die gewöhnl[ichen] Menschen [nicht wissen, und darum die reine Wahrheit nicht erkennen können])“41.

Die Sichtbarkeit ist die Bedingung der Möglichkeit, daß etwas gesehen wird. Das Sichtbare ist das, was gesehen werden kann. Fichte meint mit dem Sichtbaren meistens das Licht. Das Licht ist nicht das Absolute. In der Halle-Nachschrift heißt es: „Das Licht macht sich sichtbar so und so. Es möchte jemand denken an’s Absolute selbst, an Gott; dies wäre aber vorgegriffen.“42 Fichte versteht unter „Licht“ m. E. das Absolute, das bereits in die Sichtbarkeit eingetreten ist. Das Telos, an dem die WL 1812 sich ausrichtet, ist das Sehen des Lichts als solchen. Das Licht als solches kann nur gesehen werden, wenn es in die Form der Sichtbarkeit eintritt, außerhalb dieser Form ist es unsichtbar. In der Form der Sichtbarkeit ist es aber, wegen seiner Verwachsenheit mit dieser, nicht als solches sichtbar. Die einzige Möglichkeit, es als solches sichtbar zu machen, besteht darin, die Form seiner Sichtbarkeit von ihm abzuziehen. Dies setzt voraus, daß die Form der Sichtbarkeit ihrerseits sichtbar ist. Das Licht macht sich selber sichtbar und im selben Schlag macht es seine Sichtbarkeit sichtbar. Fichte versteht diese Identität als Wechselbedingung. Die Sichtbarkeit der Sichtbarkeit setzt voraus, daß das Licht in die Form der Sichtbarkeit eingetreten ist. Das bedeutet: Der Selbstbezug der Sichtbarkeit, den 40

WL 1812 – GA II/13, 137 f. WL 1812 – GA II/13, 140, ergänzt nach: Fichte: Werke, hg. v. I.H. Fichte, 11 Bände, Bd. X, Berlin 1834 ff., ND Berlin 1971, 440). 42 Fichte: Die Wissenschaftslehre. Vorgetragen vom Prof. Fichte. Vom 6ten Jan. 12, bis zum 20ten März 12. [Nachschrift Halle], in: GA IV/4, 394. Im folgenden abgekürzt: WL 1812Nachschrift – GA IV/4. 41

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Fichte übrigens als Reflexion bezeichnet, setzt die unmittelbare Einheit von Licht und seiner Form voraus, die dem entspricht, was als Einheit von Sein und Bild eingeführt wurde, also der Intuition. Umgekehrt setzt die unmittelbare Beziehung die Genesis voraus, die nach Fichtes Auffassung am Eintreten des Lichts faßbar werden soll – eine interessante These, von deren Explikation ich hier absehen muß: „Sehen: und sehen des Sehens. Intuition u. Reflexion schlechthin vereint: vereint in der absoluten Sichsichtbarmachung oder Erscheinung des Lichts selbst.“43 Ich habe den Zusammenhang meiner Darstellung nur scheinbar unterbrochen durch den Hinweis auf die Unterscheidung von Sichtbarkeit und Sichtbarem. Denn ich meine, daß Fichtes These, alle Philosophie außer der WL bleibe in der „Concrescenz“ von Sichtbarem und Sichtbarkeit stecken, nur dann einleuchtet, wenn man unterstellt, daß die in der „Concrescenz“ befangene Philosophie nicht in der Lage ist, die Sichtbarkeit spekulativ zu thematisieren. Alles kommt darauf an, zunächst wenigstens im groben zu klären, was das eigentlich bedeutet und worin die Täuschung, die durch die Betrachtung der Erscheinung an ihr selbst aufgehoben wird, eigentlich besteht. Ich gehe aus von einer Stelle der WL 1804-I, deren Bedeutung für das Verständnis der WL überhaupt kaum überschätzt werden kann. Die WL 1804-I wird mit einer Formel eröffnet, in der die unmittelbare Beziehung „Sein – Bild“ und die Als-Beziehung ohne weitere Vermittlung zusammengestellt sind: „Absolute Darstellung, als sich absolut darstellend“44. In der WL 1812 werden diese Beziehungen als absolute und relative Sichtbarkeit unterschieden: „Wir bekommen drum in diesem Sinne zwei feste Sichtbarkeiten. 1.) die welche wir nennen möchten die absolute, in der das reine Licht, das reale selbst eintritt. 2.) Die Sichtbarkeit dieser als solcher[,] die relative. Es ist ganz klar, daß[,] da in dieser die blosse Form der Sichtbarkeit, abgezogen vom Lichte, u. realen, eintritt, in ihr durchaus nichts des realen gesehen wird: sie deßelben ganz leer ist.“45

Fichte fordert in der WL 1804-I seine Zuhörer auf, das zweite Glied dieser Formel, das die Form der Darstellung als solcher repräsentiert und das er in dieser WL als „Widerschein“ oder „Wiederschein“ bezeichnet, an ihm selbst zu denken, wobei er das Substrat, von dem abzusehen ist, nicht mit bestimmten Instanzen gleichsetzt, die durch Variable repräsentiert werden, sondern mit einer absoluten Substanz. Da er seine Pappenheimer kennt, erklärt er im selben Atemzug, daß sie das nicht konnten, weil sie die absolut zu denkende Form als Akzidens auf das absolute Sein als Substanz bezogen: „Als das Einige absolute sollten Sie den Wiederschein denken. Dann würde Ihnen unmittelbar einleuchten, denn es ist ja derselbe identische Satz, daß er eben in sich Wiederschein 43

WL 1812 – GA II/13, 141. Fichte: Vorlesung der W.L. im Winter 1804, in: GA II/7, 85. Im folgenden: WL 1804-I – GA II/7. 45 WL 1812 – GA II/13, 143. 44

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sey: nichts denn dies, weil ausser ihm gar kein Seyn ist. Statt dessen hätten Sie ihn accendentaliter gedacht, weil Ihnen dies geläufig, u. gar oft vollzogen: dagegen das erste eine durchaus neue, vorher nie erhörte, oder vollzogne Anmuthung ist.“46

Den in diesem Zitat exponierten Gedanken halte ich für Fichtes ursprüngliche Einsicht. Ich habe gesagt, die zitierte Stelle sei für das Verständnis der WL überhaupt bedeutsam. Ich hatte den Sachverhalt im Auge, daß die WL die Form des Wissens als reine Form betrachtet: „Worauf aber sieht die W.L. Daß die Erscheinung (welche es auch sey) sich erscheine: bloß auf diese in sich zurükgehende Form der Erscheinung […]. Die W.L. abstrahirt sonach von der Realität.[…] also sie stellt lediglich dar die Form.“47

Ich führe Stellen aus der WL 1804-II an, in welchen der in der WL 1804-I als revolutionär deklarierte Gedanke konkretisiert wird: Fichte analysiert die Stelle, in der die Aufhebung des als A symbolisierten Unwandelbaren und des als Punkt symbolisierten Wandels in ihrer organischen Einheit dargestellt wird: „Ich aber will jetzo den Inhalt dieser Einsicht ganz fallen lassen und bloß auf die Form […] reflektiren.“48 An einer späteren Stelle wiederholt er die methodische Reflexion, wobei er zeigt, daß die Aufhebung der „Concrescenz“ des Sichtbaren, das er hier als Begebenheit bezeichnet, und der reinen Form noch nicht vollendet ist: „Was thaten wir denn nun da zuletzt? Ausserdem, daß wir die Bestimmtheit der Disjunktionsglieder A und . , und eben so die Bestimmtheit der Einheit aufgaben, und Disjunktion, so wie für sich bestehende Einheit überhaupt und schlechthin setzten, […] ausser diesem, sage ich, thaten wir in der That nichts Neues, sondern faßten nur historisch auf die Regel der Begebenheit, stets getragen von dieser Begebenheit […]. Daher behielt unsere zweite Einsicht, ungeachtet sie an dem erst bemerkten Ingrediens etwas Genetisches zu haben scheint, doch am zweiten ein bloß faktisches Ingrediens“49.

Diese Defizienz bestimmt auch die zweite Position der WL 1812, sie wird erst in der dritten Position aufgehoben. Ich komme darauf zurück. Hier möchte ich nur festhalten, daß die Kennzeichnung der methodischen Operation, wie sie im Titel meines Aufsatzes angeführt wird, auch heute noch aktuell ist. Hegels Logik beruht auf dieser Einsicht, aber sie ist die einzige Kategorienlehre, von der man sagen kann, sie betrachte die Kategorien an ihnen selbst50. Das, was Fichte in der WL 1804-I das 46

WL 1804-I – GA II/7, 90. WL 1812 – GA II/13, 63. 48 WL 1804-II – GA II/8, 62. 49 WL 1804-II – GA II/8, 146. 50 Vgl. v. Verfasser: „,Ich aber fordere sie auf, absolute Genesis ins Auge zu fassen!‘. Realität und absolute Negativität in Fichtes Wissenschaftslehre von 1804 und Hegels Wissenschaft der Logik“, in: Fichte-Studien 6 (1994) 423 – 433, „,Wissenschaft der Logik im Lichte der Transzendentalphilosophie Fichtes“, in: Aufhebung der Transzendentalphilosophie? Systematische Beiträge zu Würdigung, Fortentwicklung und Kritik des transzendentalen Ansatzes zwischen Kant und Hegel, hg. v. Thomas Sören Hoffmann und Franz Ungler, Würzburg 1994, 79 – 93, sowie „Ansichsein und Gesetztsein des reinen Wissens in Fichtes Wissenschaftslehre und in Hegels Wissenschaft der Logik“, in: Wiederkehr des Idealismus? 47

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„viel höhere zweite Glied“ nennt, ist bei Hegel mit dem ersten Schritt unmittelbar gesetzt. Ob Hegel, der die Fassungen der WL von 1804 nicht kannte, durch bestimmte Formulierungen der frühen Schriften Fichtes in dieser Hinsicht angeregt wurde, will ich hier offenlassen. Die grundlegende Differenz zwischen der späten WL und der Hegelschen Logik ist bekannt: Fichte faßt das absolute Wissen als Erscheinung des Absoluten, Hegel als Absolutes. Nach Fichte hat die sich auf sich beziehende Erscheinung ebenso ein Sein wie Hegels Negativität, aber er unterscheidet das Sein des Wissens vom wahrhaften Sein. Es ist jetzt zu zeigen, daß der Übergang von Stufe II zu Stufe III dem Übergang von der traditionellen Betrachtung des Apriori zur spekulativen entspricht. Zunächst ist festzuhalten, daß der Übergang von Stufe II zu Stufe III in der Aufklärung einer Täuschung besteht. Jeder, der die WL 1812 gelesen hat, weiß, daß die Täuschung darin besteht, daß das Bewußtsein das Sicherscheinen für wirklich hält und sich als Prinzip dieses Sicherscheinens versteht. Die WL-Formel II lautet folgendermaßen: „[D]ie Erscheinung erscheint sich, – als – sicherscheinend, als sich erscheinend“51. Die Interpretation der Formel II macht es nötig, zwei Grundfiguren der WL 1812, die bisher nicht zur Sprache kamen, nachträglich einzuführen. Erstens: Die WL 1812 kennt eine Operation, die ausdrücklich als Reflexion bezeichnet wird. Da sich diese Reflexion auf ein bereits konstituiertes Selbstbewußtsein bezieht, verfällt sie nicht dem Verdikt Henrichs. „Dieses reflektirt sich, d. h. es macht sich, das schon subjektiv-objektiv ist, in einem Bilde seiner selbst nochmals objektiv für ein neues subjektive[s].“52 Und weiter: „Dieses nochmals sich sichtbarmachen in einem neuen Bilde eines solchen, das schon selbst ist ein Gesicht, ist nun ohne Zweifel das, was man meint, oder meinen sollte, wenn man spricht von Reflexion, u. wir kommen nun auf ein bekanntes Wort.“53

Aus dem Kontext wird deutlich, daß die Funktion der Reflexion darin besteht, den verstellten Bildcharakter einer Sache aufzudecken. Zweitens: In der WL 1812 gibt es nicht nur den unmittelbaren Selbstbezug eines Bildes, d. h. der Anschauung, sondern auch eine Form des in sich aufgehenden Verstehens: „[…] sie [s.c. die Erscheinung] hat verstanden sich: keineswegs aber hat sie verstanden ihr Verstehen ihrer selbst. – Sage u. denke sodann: sie versteht ihr Verstehen, so ist sie ein Bild dieses Verstandesbildes ihrer selbst (B3); sie ist drum jetzt im blossen Bilde, was vorher war ihr wahres, u. eigentl. Seyn, (der Fokus in welchem sie aufging) und vorher war sie im eigentl. Seyn, was jezt im Bilde. Sie zerfällt in den beiden Zuständen in entgegengesezte Mo-

Festschrift für W. Lütterfelds zum 60. Geburtstag, hg. v. Thomas Mohrs/Andreas Roser/Djavid Salehi, Frankfurt a.M. 2004, 61 – 74. 51 WL 1812 – GA II/13, 76. 52 WL 1812 – GA II/13, 91. 53 Ebd.

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mente, die sich verhalten, wie absolut formales Seyn (innere Vollendung) und bloßes Bild.“54

Ich führe nochmals die Formel II der WL 1812 an: „[D]ie Erscheinung erscheint sich, – als – sicherscheinend, als sich erscheinend“55. Wir können jetzt diese Formel folgendermaßen auslegen: Das an zweiter Stelle angeführte Als repräsentiert das Verstehen auf der Objektstufe, das an der ersten Stelle eingeführte entspricht dem Verstehen des Verstehens, das die WL vollzieht und das als Reflexion diese Täuschung durchschaut. Die Realisierung der zweiten WL-Formel bedeutet, daß die anfängliche Beschränkung der Methode auf problematische Aussagen überholt ist. Dieser Schritt wird mit folgendem Satz angekündigt: „[U]nser Denken wird darum erst jezt ganz eigentlich eigenthümliches Denken der W.L.“56. Realisiert wird dieser Schritt mit der Einführung des sogenannten Urbegriffs, den Fichte auch als Ursehen oder absolute Sichtbarkeit faßt, eine Identifikation, die wir hier als Zumutung der spekulativen Logik unkommentiert hinnehmen müssen. Der Urbegriff ist die höchste apriorische Form, der schon erwähnte Begriff des Bildes, und wird mit der transzendentalen Apperzeption Kants gleichgesetzt. Fichte hebt hervor, daß wir dieses Ursehen bisher nicht an ihm selbst gedacht, sondern es objektiviert und in Bildern vorgestellt haben. Irgend einmal müßten wir jedoch „das wirkliche Sehen setzen“57. Das Setzen des wirklichen Sehens hat zwei Aspekte, die Fichte zufolge zusammenfallen. Der eine Aspekt ist deutlich in folgender Stelle der Thatsachen des Bewußtseyns ausgedrückt: „Daß ich den innigsten Geist dieses Verfahrens ausspreche. […] er beruht darauf, daß wir Ph [ilosophen] nicht thätig etwas hindenken, u. von dem unsern beitragen, […] sondern, daß wir alles durch die Erscheinung selbst thun lassen, und uns rein leidend, hingegeben der absoluten Evidenz“58.

Man erinnert sich an gleichlautende Aussagen Hegels, am bekanntesten ist vermutlich die Stelle in der Darstellung des absoluten Wissens59. Hegel spricht hier von einer „scheinbaren Untätigkeit des Wissens“. Ich meine, daß diese Kennzeichnung des thematisierenden Wissens als nur scheinbar untätig auch für das Wissen der WL gilt, d. h. daß auch in Fichtes Darstellung des absoluten Wissens nur das ener54 Fichte: Thatsachen des Bewußtseyns (1813), in: GA II/15, 38 f. [Symbol nach Fichte: Werke, hg. v. I.H. Fichte, 11 Bände, Bd. IX, Berlin 1834 ff., ND Berlin 1971, 409]. 55 WL 1812 – GA II/13, 76. 56 WL 1812 – GA II/13, 137. 57 Fichte begründet in der ersten Darstellung der Methode die Problematizität damit, daß die Realität nur im wirklichen Leben eintritt. Es ist aber festzuhalten, daß die methodische Wende nicht bedeutet, die Grenze zum wirklichen Leben werde hier überschritten. Die WL stellt die Erhebung zur höchsten Einheit nur als Bild dar, d. h. nur als Vermögen bzw. als Reflexibilität. 58 Fichte: Thatsachen des Bewußtseyns (1813), in: GA II/15, 104. 59 Vgl. G.W.F. Hegel: Phänomenologie des Geistes, in: Gesammelte Werke, in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hg. v. der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Bd. IX, Hamburg 1968 ff., 431 f.

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gisch gedachte Wissen sich selbst darstellt. Dies kommt im zweiten Aspekt zur Geltung, der darin besteht, daß das absolute Sehen wirklich vollzogen wird. Dies setzt die Identifikation mit dem absoluten Wissen voraus. Damit grenzt sich Fichte von der Darstellung der Methode in der Einleitung deutlich ab. Dort heißt es: „Das Wissen kann sich ferner darin nicht ergreifen auf der That seiner Vollziehung und Wirklichkeit: also ausser und vor der That: ein bloßes Bild ist die W.-L., unabhängig vom Sein, und indem das Sein ganz problematisch bleibt.“60

Und noch deutlicher an einer anderen Stelle: „Nicht[:] so erscheint sich die Erscheinung: denn ich sehe es: sondern; nur so kann sie sich erscheinen, u. so muß sie sich erscheinen, falls sie sich erscheine.“61 In der Halle-Nachschrift heißt es dagegen, ganz im Sinne der methodischen Wende: „Wir ertappen uns auf dem Wissen des Wissens und dieß wissen wir also ursprünglich; haben es nicht gelernt“62. Die Identifikation, die selbstverständlich nicht empirisch verstanden werden darf, impliziert den Übergang in eine kategorische Darstellung. Das Verschwinden der Problematizität gründet in der Aufhebung der Differenz von Form und Inhalt im absoluten Sehen. Man kann diesen Umschlag mit einer analogen Wendung der Darstellung des ersten Grundsatzes in WL 1794 vergleichen. Der Satz der Identität wird zunächst als bloße Form, deren Inhalt durch eine Variable repräsentiert ist, eingeführt. Er muß deshalb als hypothetische Funktion gefaßt werden. Die korrekte Fassung, die Fichte freilich verfehlt, müßte lauten: Wenn ein A gesetzt wird, gilt A=A63. Da im Ich der WL 1794 die Differenz von Form und Inhalt aufgehoben ist, wird mit dessen Einsetzung für die Variable die Problematizität aufgehoben. Das absolute Sehen ist nicht auf Instanzen bezogen, es darf auch nicht als Akzidens einer Substanz vorgestellt werden. Deshalb ist es „das Sehen von nichts“64. In dieser Bestimmung zeigt sich der Charakter der spekulativen Fassung des Apriori. In der verständigen Fassung würde man lediglich festhalten, daß das Wissen als solches keinen bestimmten Inhalt hat, würde ihm aber zugleich einen Inhalt überhaupt, ein „X“, zuordnen. Die Sichtbarkeit, die Fichte mit dem Sehen gleichsetzt, wird zunächst als relatives Prädikat auf verschiedene Instanzen bezogen65. Von dieser relativen Sichtbarkeit gilt, sie sei „bald selbst ein gesehenes seyn eines andern Sehens […] bald selbst sehen“66. Die absolute Sichtbarkeit, die im folgenden eingeführt wird, 60

WL 1812 – GA II/13, 44. WL 1812 – GA II/13, 65. 62 WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 403. 63 Fichte schreibt fälschlicherweise: „man sezt: wenn A sei, so sey A“ (Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794/95), in: GA I/2, 257). 64 WL 1812 – GA II/13, 144. 65 Der Begriff „relativ“ wird hier in einem völlig anderen Sinn verstanden als in der zuvor angeführten Stelle im Vergleich mit der Grundformel der WL 1804-I. Die Bedeutung des Begriffs „absolut“ wird in entsprechender Weise modifiziert. 66 WL 1812 – GA II/13, 138. 61

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kann nicht mehr gesehen werden. Dies gilt wegen der bereits erwähnten Identität von Sichtbarkeit und Sehen auch für das absolute Sehen. Die Absolutheit wird also in beiden Fällen nicht nur durch den Ausschluß einer Beziehung auf eine Objektebene bestimmt, sondern ebenso sehr durch den Ausschluß einer Beziehung auf eine Metaebene. Diesem Ausschluß entspricht die Aufhebung der Differenz einer kategorialen Form wie z. B. Form – „Gedanke“ und des Inhalts dieser Form, die ich schon erwähnt habe. In diesem Zusammenhang kann ich auch an meine Bemerkung erinnern, Schelling sei nicht nur ein Polyphem ohne Auge, sondern auch ein Ödipus, der ein Auge zuviel hat. Bei diesem Hinweis hatte ich folgende Stelle aus der WL 1812 im Blick, in der Fichte fragt, für wen das absolute Sehen sichtbar sei, und antwortet: „Wir haben es[,] nach Weise der Naturphilosophen, unser eignes subjektives, für das es sichtbar seyn könne, das natürlicher Weise stets sich unterschiebt, unterschoben gesehen. Energisch. Es ist in sich und durch sich selbst sichtbar“67.

Die letzte Formulierung weist auf die Figur, die ich als inneren Selbstbezug eingeführt habe. Im Kontext seiner Darstellung des Apriori umkreist Fichte diese Figur von allen Seiten und versucht sie mit immer neuen Wendungen auf den Begriff zu bringen. Ich komme am Ende meines Aufsatzes nochmals auf das Wesen dieser Figur zurück und auch auf deren Beziehung zu der von Henrich als ursprüngliche Einsicht ins Licht gestellten Subjekt-Objekt-Einheit. Ich begnüge mich hier damit, ein Gegenmodell, bzw. eine Verballhornung anzuführen, auf die Fichte selbst hinweist: „Man denkt sich wohl das Wissen als ein solches Hinschauen der Objecte ohngefähr so wie die Sonne bescheint die Wand“68. Wenn man den Schein der Sonne als selbstbezüglich setzt, hat man das Bild eines äußerlichen Selbstbezugs. In meinem Vortrag „Tun und Sagen in der Transzendentalpragmatik und der WL 1804“69 habe ich auf folgende Stelle in dem Aufsatz von Wolfgang Kuhlmann Bemerkungen zum Problem der Letztbegründung hingewiesen: „Warum sollte gelten, dass x nur mit Hilfe von etwas anderem als x selbst aufgedeckt werden kann? Man kann doch das Licht einer Lampe nicht nur dazu in Anspruch nehmen, die Umgebung der Lampe zu untersuchen, sondern auch sie selbst.“70

Ich habe die Behauptung Kuhlmanns in folgender Weise kommentiert: „Was heißt sie selbst? Ist damit das Licht selbst gemeint?“ Ich muß hier diese Frage ihrer eigenen Deliberation überlassen und schließe mit einer Stelle aus der WL 1812, in der Fichte seine eigene Antwort auf diese Frage gibt: 67

WL 1812 – GA II/13, 168. WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 403. 69 Vgl. vom Autor: „Tun und Sagen in der Transzendentalpragmatik und der WL 1804“, in: Fichte-Studien 18 (2000) 205 – 215. 70 Wolfgang Kuhlmann: Reflexive Letztbegründung. Untersuchungen zur Transzendentalpragmatik, Freiburg/München 1985, 94. (Es wäre verfehlt, wenn man das Buch von Kuhlmann im Lichte des angeführten Zitats beurteilen würde. Seine Theorie der sog. strikten Reflexion steht auf einem wesentlich höheren Niveau und hat m. E. auch eine Bedeutung für die Diskussion der Probleme der Fichteschen Philosophie.) 68

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„Endlich dieser absolute Einheitspunkt[,] von dem alle Sichtbarkeit ausgeht, u. in ihm zusammengefaßt ist, ist uns bekannt: es ist die […] Subjekt-Objektivität: Ichform […]. ( Erhellen, u. klar werden kann das Ich als das u. das; aber diese besondere Beileg[ung] setzt voraus, daß es als Ich selbst schon klar sey)“71.

Der absolute Einheitspunkt ist der Urbegriff, den Fichte mit der transzendentalen Apperzeption Kants gleichsetzt, weil er unterstellt, Kant habe diesen Einheitspunkt bereits in den Blick bekommen. Aber Kant hat ihn nicht an ihm selbst betrachtet, wie die WL 1812 ihn ebenfalls zunächst nicht an ihm selbst betrachtet. An dieser nicht vulgären, aber auch nicht spekulativen Betrachtungsweise orientiert sich die erste Darstellung der Methode. Die methodische Wende, der Übergang zur Position III ist der Übergang zur Betrachtung des Wissens an ihm selbst. Die Subjekt-ObjektEinheit ist aber schon auf der vorangehenden Stufe vorhanden, wie das „Als“ in der ersten Position, sie ist das Sein der Erscheinung, das nur von der WL gesehen wird. Ich habe im Titel dieses Aufsatzes zwei Einsichten Fichtes angeführt: erstens diejenige, die Fichte in der WL 1804-I als eine „durchaus neue, vorher nie erhörte oder vollzogne Anmuthung“ auszeichnet, und zweitens diejenige, die Henrich als „ursprüngliche Einsicht“ Fichtes deklariert. Beziehen sich die unterschiedlichen Bestimmungen der Grundeinsicht auf unterschiedliche Sachverhalte? Es scheint zunächst, daß beide Fassungen auf dieselbe Struktur Bezug nehmen. Henrichs Argumentation läßt sich auf Fichtes Konzeption des Apriori anwenden, insofern der Bezug des Apriori auf eine Instanz wie diejenige eines Aktes auf sich einen ursprünglichen Selbstbezug voraussetzt. Natürlich bedeutet der genannte Bezug in beiden Fällen Entgegengesetztes. Im Fall des Apriori ist das Prius der Begriff, im Fall des Selbstbewußtseins das individuelle Ich. Indessen ist festzuhalten, daß Henrich in seiner Darstellung durchaus auch auf die Probleme stößt, die mit der Struktur apriorischer Begriffe verbunden sind. Ich zitiere hier eine Stelle aus dem Aufsatz „Fichtes Ich“ in der Schrift Selbstverhältnisse, der gewissermaßen als Urfassung der Schrift Fichtes ursprüngliche Einsicht angesehen werden kann. Das Zitat bezieht sich auf die WL 1801, die sich, wie erwähnt, an der Formel orientiert: „Tätigkeit, der ein Auge eingesetzt ist“: „Das Auge kann nicht wirklich sich selber sehen, ohne zugleich sich selbst als sich selbst zu erkennen und anzuerkennen. Dann aber muß es von sich in der doppelten Perspektive wissen, in der es seine Form [sc. apriorischer Begriff, U.R.] beschreibt und seine Wirklichkeit gewahrt.“72

Seine Wirklichkeit erfaßt das Ich in der Intuition. Das Subjekt kann sich nur in dem von Fichte genannten Sinne reflektieren, wenn es die in der Intuition erscheinende Subjekt-Objekt-Einheit im Horizont des Apriori erfaßt. Zum Apriori erhebt sich das Subjekt nur, indem es sich von der Intuition losreißt. 71 72

WL 1812 – GA II/13, 145. Dieter Henrich: Selbstverhältnisse, Stuttgart 2001, 77.

„Eine durchaus neue, vorher nie erhörte oder vollzogne Anmuthung“

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Henrich hat also nicht nur den einen Fluchtpunkt im Blick, sondern die Wechselbeziehung beider Fluchtpunkte. Man kann sogar sagen, daß er die von ihm postulierte unmittelbare Einheit mit der von Fichte als Schema III oder B3 chiffrierten Einheit der Glieder dieser Wechselbeziehung identifiziert73. Henrich geht davon aus, daß Fichtes ursprüngliche Einsicht in der Entdeckung eines Problems gründet, das die Reflexionstheorie übersehen hat. Dieses Problem ist der Zirkel, auf den ich schon hingewiesen habe. Kann man das, was Fichte selbst als revolutionäre Einsicht in Anspruch nimmt, ebenfalls als Versuch, ein bestimmtes Problem zu lösen, auffassen? Wenn wir z. B. die Figur „Bild des Bildes“ nehmen, ist zunächst klar, daß es einfach ist, diese Figur als Selbstbezug zu konstruieren, indem man ein Bild in ein Metabild einzeichnet. Das eingezeichnete Bild muß ein konkretes Bild, also ein Beispiel sein. Das Bild als solches läßt sich nicht zeichnen.Wittgenstein hat daraus die Konsequenz gezogen, daß die logische Form sich nicht darstellen lasse, sondern sich nur zeige. Ich gehe von der Annahme aus, der Begriff der logischen Form Wittgensteins lasse sich trotz tiefgehender Differenzen mit dem von Fichte vergleichen, so daß es möglich ist, Fichtes Darstellung der logischen Form in der WL als Antwort auf Wittgensteins These, die logische Form zeige sich nur, sie könne nicht dargestellt werden, zu verstehen. Wittgenstein versteht den Satz als Bild der Wirklichkeit und formuliert die genannte Grundthese u. a. folgendermaßen: „Seine Form der Abbildung aber kann das Bild nicht abbilden; es weist sie auf.“74 Ich versuche, diese These im folgenden durch räumliche Strukturen zu illustrieren: In der Feststellung „x liegt oberhalb von y und y unterhalb von x“ entsprechen „oberhalb“ und „unterhalb“ jeweils dem, was Wittgenstein logische Form nennt. Wenn wir einen absoluten Raum postulieren, sind „oben“ und „unten“ absolute Topoi. Diese können nicht aufeinander bezogen werden, d. h. wir können nicht sagen: „Oben“ liegt oberhalb des „Unten“ und umgekehrt. Bertrand Russell hat im Vorwort zum Tractatus gemeint, mit dem Modell einer unendlichen Hierarchie logischer Stufen sei es möglich, die logische Form darzustellen. Ich hoffe, niemand werde mir widersprechen, wenn ich behaupte, durch seine umwerfende Naivität stelle das von Russell vorgeschlagene Modell sogar die Lampe von Kuhlmann in den Schatten. Man muß freilich zugestehen, daß in dem von mir angeführten Beispiel die Topoi „oben“ und „unten“ selbst in der Ordnung situiert werden können, die sie definieren, wenn man Meta-Räume einführt. Der unvermeidliche unendliche Regreß ist nicht das eigentliche Handicap. Worin besteht denn das Handicap des Russellschen Modells? Der Kern des Problems, mit dem Wittgenstein seine These begründet, liegt darin, daß eine Form durch sich selbst dargestellt werden soll. Es scheint naheliegend, dieses Problem durch das Russellsche 73 3 B wird einerseits als höchste Einheit angeführt und auch in der zitierten Stelle aus den Thatsachen des Bewußtseins über das Verstehen des Verstehens in diesem Sinne verstanden. Andererseits wird B3 in der WL 1812 als Resultat eines Abstiegs, d. h. als einzelnes gefaßt. Diese Erscheinungsformen entsprechen den Gliedern, die in B3 vereinigt sein sollen. 74 Ludwig Wittgenstein: Logisch-philosophische Abhandlung – Tractatus logico-philosophicus, 2.172, Frankfurt a.M. 32003, 15 [An dieser Stelle sei auf die Ausgabe mit der Einleitung Bertrand Russells hingewiesen: Ludwig Wittgenstein: Tractatus Logico-Philosophicus, with an Introduction by Bertrand Russell, 7. Auflage, London 1958].

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Urs Richli

Modell zu lösen, wenn man die Einführung unendlicher Hierarchien von Metastufen für legitim hält. Das Handicap liegt darin, daß auf diese Weise die kategoriale Form als Inhalt genau so dargestellt wird wie eine beliebige Instanz. Dies ist ein Indiz dafür, daß die kategoriale Form gar nicht als solche gesehen wird. Auf den Metastufen wird ja nur die kognitive Einstellung wiederholt, welche die transzendentale Dimension verstellt. Wenn man den Grundgedanken Wittgensteins vergleicht mit der traditionellen aristotelischen These, oberste Evidenzen seien unmittelbar, könnten also nicht bewiesen werden, dann kann man sagen, die WL stelle den Anspruch, auch unmittelbare Evidenzen zu genetisieren. Dies ist nur möglich, wenn das unmittelbare (faktische) Apriori nicht an Instanzen exemplifiziert wird, die durch es bestimmt sind (z. B.: dieses x liegt oberhalb von y), noch durch eine Metalogik vermittelt wird, (z. B.: das Oben 2 liegt oberhalb (3) des Unten 2), sondern wenn das Apriori an ihm selbst betrachtet wird. Dieser Zusammenhang von spekulativer Betrachtung und Genetisierung aller faktischen Evidenzen ist in meinem Beitrag nicht hinreichend geklärt worden75. Ich habe diesen Beitrag mit einer Würdigung Henrichs aus der Feder von Manfred Frank begonnen und schließe ihn mit einer eigenen Würdigung: Nicht nur dem Ich droht die Gefahr, zu einem Stück Lava zu gerinnen, sondern auch bedeutende philosophische Gedanken sind gegen diese nicht gefeit. Henrichs Abhandlung ist geeignet, auch wenn man sie kritisiert, Fichtes Einsicht im Zustande schöpferischen Fließens zu erhalten. Ich meine freilich, daß Manfred Franks Feststellung, Henrich habe Fichtes Entdeckung „an die große Glocke gehängt“, ein Mißgriff ist und nicht zutrifft. Henrich überfordert mit Thesen, die mit fortschreitendem Text immer subtiler werden, das musikalische Empfinden seiner Leser, ähnlich wie Fichte. Ich muß aber gestehen, daß ich in meinem Aufsatz das einsame Niveau von Henrichs Schrift nicht angemessen zur Geltung bringen konnte.

75 Ich verweise auf den Aufsatz „Genetische Evidenz – was ist das eigentlich?“, in: FichteStudien 20 (2003) 161 – 166, in dem der erwähnte Zusammenhang deutlicher dargestellt ist.

Reflexion und Erscheinung in Fichtes Wissenschaftslehre von 1812 und Hegels Wesenslogik von 1813 Theodoros Penolidis I. Am 15. Januar 1802 schreibt Fichte seinen letzten Brief an Schelling. In ihm verweist er kritisch darauf, daß der Gegensatz zwischen dem Sein und dem Wissen von Schelling1 nur relativ aufgefaßt wird: „Es gibt ein relatives Wissen, Nebenglied vom Seyn“2. Insofern ist es nicht gestattet, das dem Wissen entgegengesetzte Sein zu verabsolutieren und als das Höchste und Absolute anzusehen. Andererseits ist die Vereinigung von solchen, die als Entgegengesetzte unmittelbar vorausgesetzt werden, von Anfang an dazu verurteilt, in eine Identität zu führen, der alles Da- bzw. Fürsichsein ermangelt, oder in Fichtes Sprache, in eine Identität, in welcher ein Verhältnis in der Form eines Postulats formuliert wird, das aber das unmittelbare Ergriffensein durch eine Anschauung vermissen läßt. Diese Identität ist dann nur noch negativ, sozusagen eine bloße Nicht-Verschiedenheit von Sein und Wissen. Das beinhaltet nach Fichte in letzter Instanz die Schellingsche Indifferenz. Dagegen bezieht sich die Wissenschaftslehre (= WL) auf ein gesetztes, vollends daseiendes Wissen, „in welchem eben das Seyn und sein Nebenglied Wissen erst, sowohl geschieden, als zusammengesetzt wird. Dieser Punkt ist eben auch ein Wissen (nur nicht von etwas, sondern das absolute) und in diesem hat die WL stets gestanden und ist eben darum transscendentaler Idealismus, und ihn unter anderen durch den Ausdruck des Ich, in welchem erst das Ich – versteht sich das relative – und das NichtIch geschieden wird, angedeutet“3. In der Wissenschaft der Logik (= WdL) wird Hegel später in ähnlichem Geist sagen, daß der spekulative Unterschied ein sich auf sich beziehendes Negativitätsverhältnis, und insofern nur ein durch negative Selbstbeziehung respektive durch sich ausschließende Reflexion entstandener Unterschied ist. Sein Selbstverhältnis drückt sich in Wahrheit in dem „einfache(n) 1 Vgl. Violetta L. Waibel: „Fichtes Kritik an Schelling. ,Alle Wissenschaften sind nur Theil der Wissenschaftslehre‘. Zu Fichtes Briefen an Schelling vom 31. Mai / 7. August 1801 und 15. Januar 1802“, in: Fichte-Studien 25 (2005) 71 – 91, hier: 86 ff. 2 Fichte: „Brief an Schelling vom 15. Januar 1802“, in: ders.: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. Reinhard Lauth, Hans Jacob, Hans Gliwitzky, Erich Fuchs und Peter K. Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 – 2012. Im folgenden abgekürzt: GA, mit Angabe der Abteilung, des Bandes und der Seitenzahl, hier: GA III/5, 111. 3 Ebd., GA III/5, 112.

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Theodoros Penolidis

Nicht“4 aus, etwa in der Formel: A und Nicht-A. Insofern besteht der Unterschied nicht gegenüber der wesenhaften Identität, sondern er ist ein selbsthaftes Ganzes, also er selbst und die Identität und zugleich sein eigenes Moment, also der Unterschied, der sich der Identität entgegensetzt5. In der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre von 1794/95 tritt dieses absolute Wissen in der Form eines ersten absoluten Grundsatzes auf. Acht Jahre später wird Fichte in dem erwähnten Brief an Schelling nicht mehr von einem Grundsatz sprechen, sondern vom Absoluten der Philosophie schlechthin. Wie in den ersten Versionen der WL bleibt jedoch das Absolute auch hier reine Anschauung. „Dies wollte ich auch in einem frühern Briefe zu verstehen geben, in dem ich sagte, das absolute der Philosophie, versteht sich, bleibe doch immer ein Sehen“6. Das Absolute kann demnach nur eine „sich ewig gleiche Äußerung“ haben, „und diese ist eben das absolute Wissen“7. Fichtes Standpunkt geht nur mit dieser Rückwendung des philosophischen Blickes auf die eine intelligierende Einsicht zusammen, in der sich das Gesetz der Genesis der faktischen Differenz zwischen einem Sein und einem Wissen in reiner Theoria, in reiner Sehe zeigt. Darin besteht im Wesentlichen der Fichtesche Idealismus8. Insofern könnte man sagen, daß der Idealismus Fichtes immer nur hinter eine Synthesis post factum drängt, sowie daß er – der Idealismus – in der methodologischen Idee eines Sich-aus-sich-Entwerfens des absoluten Wissens eingelöst wird, welche insofern transzendental ist, als sie – die methodologische Idee – die Aufgabe der Bestimmung der Quelle der gesamten Bewußtseinsdifferenz in der theoretischen Reflexion zu lösen sucht. Im Gegensatz zu Fichte meint Hegel, daß der Anschauungsbegriff seinen dialektischen Widerspruch gleichsam im Rücken trägt und ihn darum weder einsieht noch festhält. Dem Begriff des Sehens hat Hegel deshalb schon sehr früh einen Begriff von Bestimmtheit entgegengesetzt, in dem die methodologischen Grundprinzipien des dialektischen Erkennens, erstens die Voraussetzung der Hypostase des Begriffs, zweitens ihre Konstruktion in wesenhaften Beziehungen und drittens die Integration der durch die Begriffskonstruktion ermöglichten Relativität im logischen Selbst des 4

Hegel: Wissenschaft der Logik, in: ders.: Gesammelte Werke, in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hg. v. der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Bd. XI, Hamburg 1968 ff., 266. Im folgenden abgekürzt: GW. 5 „Der Unterschied ist das Ganze und sein eigenes Moment…Dies ist die wesentliche Natur der Reflexion und als bestimmter Urgrund aller Tätigkeit und Selbstbewegung zu betrachten“ (Hegel: Wissenschaft der Logik, in: GW XI, 266). 6 Fichte: „Brief an Schelling vom 15. Januar 1802“, in: GA III/5, 111. 7 Ebd. Vgl. hierzu Fichte: Darstellung der Wissenschaftslehre 1801/02, in: GA II/6, 140. „Alles Wissen ist nach dem obigen Anschauung. Daher ist das Wissen vom Wissen, inwiefern es selbst ein Wissen ist, Anschauung, und inwiefern es ein Wissen vom Wissen ist, Anschauung aller Anschauung; absolutes Zusammenfassen aller möglichen Anschauung in Eine“. 8 Vgl. hierzu Birgit Sandkaulen: „Was heißt Idealismus? Natur- und Transzendentalphilosophie im Übergang zur Identitätsphilosophie. Schellings Systemskizze vom 19. 11. 1800“, in: Fichte-Studien 25 (2005) 57 – 69, hier: 60 f.

Reflexion und Erscheinung in Fichtes Wissenschaftslehre

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Begriffs zusammengefaßt sind. Insofern können wir gegen den oben zitierten Satz Fichtes mit Hegel sagen: das Absolute sei kein Sehen, sondern vielmehr ein Bestimmtheitsintegral und damit ein differentielles Verhältnis des Logischen zu sich selbst. Gehen wir nun kurz zur Erscheinung in der WL von 1812 über. Bei diesem Begriff wird zunächst von der Frage nach der möglichen Konkretheit der absoluten Einheit ausgegangen: „2m jai pam […] Alles: die Summe des Mannigfaltigen?“.9 Alles Konkrete ist in der absoluten Einheit aufgehoben. „Eine andere Form des Seyns“10 wird nicht bloß ausgedacht; sie findet sich „faktisch“11. Das, was sich da findet, ist der „Begriff“12. Der Begriff ist nicht das Sein, sondern sein „Schema“, „Bild“ und seine „Erscheinung“13. Erscheinung soll hier allgemein ein Außersichgehen, ja ein Manifestieren des Seins indizieren. Aus der postulierten Verbindung der Erscheinung mit dem Absoluten folgt jedoch unmittelbar, daß das Absolute an und für sich in die Erscheinung übergeht, in das Bild eintritt14. Die WL spricht somit den Satz aus: Alles ist Erscheinung, also Manifestation und Bild des Absoluten, „es gibt durchaus kein andres Daseyn“15. Man könnte hier kritisch einwenden, der Begriff der Erscheinung verdoppele nur das empirisch Gegebene; er setzt es nämlich einmal als ein Vorgefundenes voraus und ein zweites Mal deutet er dasselbe als Bild des Absoluten um. Insofern sind hier Begriff, Erscheinung und Bild nur postuliert, nicht aber durch einen Vermittlungsprozeß oder durch das Sich-Bestimmen des absoluten Wissens gewonnen. Die Faktizität des vorgefundenen Unmittelbaren besagt, so Fichte, ein Sich-Zeigen des in sich seienden Absoluten oder Gottes16. Das Absolute aber ist nicht nur in sich selbst. Denn als Selbstbewegung und Leben fällt es mit dem bestimmten Zeigen seiner selbst zusammen. Die Selbstbewegung des Absoluten stellt insofern das Wesen der Erscheinung dar – und das hat die WL wesentlich zu beweisen. In einem darauf folgenden Schritt ergibt sich auch die Bestimmung der Reflexibilität dieser Erscheinung. Sie wird wie folgt bestimmt: „Der Begriff des Absoluten ist“17. Sein ist aber immer schon Bewußtsein, d. h. Sein aufgehoben im Gewußtsein 9 Fichte: Die Wissenschaftslehre [aus dem Jahr 1812], in: GA II/13, 56. Im folgenden abgekürzt: WL 1812 – GA II/13. 10 Ebd. 11 Ebd. 12 WL 1812 – GA II/13, 57. 13 Ebd. 14 Vgl. WL 1812 – GA II/13, 58. 15 WL 1812 – GA II/13, 59. 16 So schreibt Jacinto Rivera de Rosales: „Die transzendentale Logik (1812). Ihr systematischer Ort und ihre Bedeutung“, in: Fichte-Studien 31 (207) 245 – 254, hier: 252 f.: „Gott ist aber für die WL die absolute Voraussetzung ihres ganzen Systems, von welchem aus das Wissen mit all unserer Erfahrung und Tätigkeit als bloßes Bild auszulegen ist“. 17 WL 1812 – GA II/13, 61.

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oder auch Objekt, das in Wahrheit nur ein vorschwebendes Wissen seiner um sich ist. Der Umstand, daß jener Begriff ist, bedeutet daher unmittelbar, daß er als ein gewußter ist. Dieses Gewußtsein ist nun in Zusammenhang mit dem Erscheinen des Absoluten zu bringen. Insofern kann Fichte sagen, daß Begriff und Erscheinung identisch sind. Wenn aber die Erscheinung das Sich-Begreifen des Absoluten selbst besagen soll, so beinhaltet ihre Bestimmung nur ein gesetztes Sich-sich-selbst-Erscheinen, das aber in der Form des bloßen Seins noch nicht erkannt ist. Die Erscheinung ist; als Selbsttätigkeit ist sie indes immer schon der verwirklichte Anspruch auf das Sich-Erscheinen dieses ihres Seins. Anfänglich tritt also die Erscheinung nicht durch sich selbst auf, denn sie ist nur das So-Sein Gottes. Dieses unmittelbare Erscheinen des Absoluten erscheint, wie erwähnt, wieder in einem Bild. Hier wendet Fichte, wie mir scheint, das alte Argument des Sich-auf-sich-richtenden-Sehens an. D. h., das erste ist die Erscheinung durch sich selbst; und in ihrer Analyse besteht „die eigentliche Aufgabe der W.L.“18. Die alte Formel des Ich verflüssigt sich jetzt in einen selbsttätigen Begriff von Sich-Erscheinen. Diese genuine Reflexibilität der Erscheinung, sowie auch das Sich-Gegenwärtig-Halten ihrer selbst, macht in Wahrheit den Gegenstand der Formalanalyse der WL aus. Die Erscheinung ist immer die Erscheinung des Absoluten19. Die WL abstrahiert davon, „was das sich erscheinende an sich sei“20 ; sie sieht nur auf die „in sich zurückgehende Form der Erscheinung“21 und auf das lebendige Prinzip, welches sie regiert. Ausgehend von dem Kantischen Gedanken des Begleitetwerdens aller meiner Vorstellungen durch das „Ich denke“ interpretiert Fichte das Sich-Erscheinen der Erscheinung als ein Getragensein ihrer positiven Qualität vom eigenen Sich-Sehen (Selbstbewußtsein). D. h., die Erscheinung erscheint sich nicht, sieht sich nicht, ohne eine qualitative Gegenwart zu haben, und umgekehrt, sie hat keine qualitative Gegenwart, ohne sich selbst zu sehen. Hier bewegt sich Fichte sehr nah an das Methodenproblem der Gegelschen Logik heran. Denn wenn die Erscheinung in ihrem reinen Begriff als bloß daseiend gesetzt wird, so ist hiermit der „reine Begriff des Seins“22 gesetzt. Im Sein aber geht „verloren“23 „das durch Leben24 zu Subjekt-Objekt sich machen der Erscheinung“25. Hegel wird ähnliches formulieren: In der Unmittelbarkeit des Seins erlöscht das 18

WL 1812 – GA II/13, 62. Zum Erscheinungsbegriff in der Wissenschaftslehre von 1804-II vgl. Ludwig Siep: Hegels Fichtekritik und die Wissenschaftslehre von 1804, Freiburg/München 1970, 71 ff. 20 WL 1812 – GA II/13, 63. 21 Ebd. 22 WL 1812 – GA II/13, 77. 23 Ebd. 24 Vgl. zum Begriff des „Lebens“ bei Fichte: Günter Zöller: „Die transzendentale Theorie des Wissens beim letzten Fichte“, in: Fichte-Studien 20 (2003) 253 – 266, 261 f. 25 WL 1812 – GA II/13, 77. 19

Reflexion und Erscheinung in Fichtes Wissenschaftslehre

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Sich-mit-sich-Vermitteln der logischen Form, so daß die Aufgabe der Methode auf nichts anderes, als auf die Wiederherstellung der Aktualität der Selbstvermittlung in der Unmittelbarkeit des Seins geht. Auch für Fichte gilt, daß die Erscheinung als solche nur im Wissen um das „formale“26 Sein ihrer selbst ihre transzendentale Funktion erfüllen kann. Hierin fällt nun auch, was wichtig ist, der methodologische Anspruch der Vereinigung von Begriff und Anschauung. Der Begriff ist nun das Bild oder das, was oben Bewußtsein genannt wurde. Daß dieses Bild sich selbst sehen muß, oder in Hegels Sprache, daß die Unmittelbarkeit sich als die Totalität der Selbstvermittlung erreichen muß, das ist der Gesichtspunkt der Anschauung, welche in der gesamten Philosophie Fichtes von entscheidender Bedeutung ist. „Der Sitz der Sehe“27, d. h. der Reflexionsgrund des Begriffs wird von Fichte durch das bloße „Als“ angezeigt, so zum Beispiel in der Fügung: „die Erscheinung erscheint sich als sich erscheinend“28. Als Sich-Erscheinung ist die Erscheinung nun der auf das Sein eingehende Akt, daß sie es idealisiert und zugleich seine Konkretheit als einen Akt beibehält. Sie ist die reine Tätigkeit der Bewältigung von Fremdheit bzw. Äußerlichkeit. Dies jedoch nicht als ein Wegdenken von ihr, sozusagen als ein Weltvernichtungsexperiment, sondern als begriffliche Rückkehr zu dem, was als seiende Erscheinung ist. Die Erscheinung ist als Akt der Erzeugung ihrer Gegebenheit immer schon die Reflexion. Damit ist sie aber auch genuin als Sich-Unterscheiden oder einfach als das „Als“ gedacht. Daß diese Reflexivität den logischen Charakter einer in sich gebrochenen Mitte trägt oder daß die bloße Äußerung der Sich-Erscheinung die Wirksamkeit eines Schlusses entfaltet, wird in der Vorlesung vom Oktober bis Dezember 1812 mit dem Titel Vom Unterschiede zwischen der Logik und der Philosophie selbst, als Grundriss der Logik und Einleitung in die Philosophie, die in der Forschung als Transzendentale Logik II bezeichnet wird, hervorgehoben. Im VI. Vortrag der besagten Vorlesung sagt Fichte: „Die wahre Erkenntniß muß drum sich weder versetzen in das Seyn, um zum Bilde fortzugehen, noch in das Bild, um das Seyn zu folgern, sondern in den Mittelpunkt beider: in den Schluß und die Verbindung. Die Erscheinung äussert sich eben: und das, so gewiß sie ist, denn sie ist ja durch und durch Aeusserung, kann nicht nicht sich äussern. Der Tod, in dem wir sie bis jezt hingestellt haben, ist ja bloß in ihrem [falschen] Begriffe. Sie äussert sich, und da sie durch und durch Bild ist, nur bildlich; der Inhalt ihrer Aeusserung in die tiefste Wurzel hinein ist Bildlichkeit … diese Aeusserung wird nun durch den Verstand fixirt, als ein Bild, mit seinem abgebildeten: und so erst wird beides in demselben Schlage“29.

In derselben Vorlesung erklärt Fichte den Terminus „Bild“ wie folgt: „a. das Wissen ist Bild, Setzen eines Seins. – b. Das Denken ist ein Bilden, das schlechthin ein 26

Ebd. Ebd. 28 Ebd. 29 Fichte: Vom Unterschiede zwischen der Logik und der Philosophie selbst, als Grundriss der Logik und Einleitung in die Philosophie (1812), in: GA II/14, 230 f. 27

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Bild seiner selbst setzt. [a. ist da nicht denkbar ohne b. – darin liegt das Wesen; daß es das gar nicht ist, ohne diese Gesetztheit des anderen“30. Das affirmative Moment des Bildes, die Seiendheit seines Scheines, läßt sich in Wahrheit nur als die Selbstbezogenheit einer Tätigkeit begreifen. Allein diese Selbstbezogenheit ist kein Erstes und kein Letztes, kein Ursprüngliches und kein Nachträgliches. Sie ist der Akt der Setzung von Sein in absoluter Tätigkeit. Deshalb ist auch das im Bild internalisierte Denken qua Bilden genuin als der Prozeß des Bildens bestimmt, oder als die in Selbstrelation resultierende Bewegung des Wissens um sich. Aus diesen beiden Momenten konkretisiert sich das „Als“ der Sich-Erscheinung. Seine Differenziertheit bleibt so im Bild selbst. Denn es bildet sich in sich selbst, insofern es qua Selbstbezug die immer schon in sich selbst verlorene Tätigkeit wiedergewinnt oder wiederherstellt. Das Bilden findet also den Zugang zu seinem Selbstbegriff nur im Bild selbst. So ist das Bild umgekehrt unendliche Rückkehr in die Selbstbezüglichkeit des Bildens, also stets das Resultat seiner rückkehrenden Bewegung. Wie bei Hegel das Sein als der Begriff an sich aufgefaßt wird, so indiziert auch bei Fichte die Erscheinung als seiend nur die Bewegung des Wissens. Das als Objekt Erfaßtsein dieses Wissens ist schon das Hervorhegen eines objektiven Faktums aus der Reflexion in sich; Fichte sagt: das „Als“ ist der Grundinhalt der Sehe. Das Selbstbewußtsein erscheint sich niemals unmittelbar, sondern es entfremdet sich im Bild seines Erscheinens. Das Sich-Erscheinen der Sehe nimmt „die subjekt-objektive Form an: und so wird denn eben dieses ihr sich Erscheinen zu dem letzten objektiven, dem Fakto, das da eben ist […]. Ein Bewußtsein, das nur in diesem Standpunkte steht, weiß nichts weiter als daß es so sey […] daß selbst dies wieder das SichErscheinen der Erscheinung überhaupt, nach den notwendigen Gesetzen, die wir in der Form der SichErscheinung gefunden haben, sey, sehen wir ein, die W.L.“31. Das Urbild der Erscheinung ist also nicht bloß ein objektives Sein, sondern ein Bild von ihr als einem bildenden Prinzip; sie bildet sich als sich abbildendes oder sich darstellendes Prinzip. Dieses Prinzip der Selbstdarstellung fällt, so Fichte, mit der „absoluten Form der SichErscheinung“32 zusammen33. Das Sein ist also, um den ganzen Gedanken zu rekapitulieren und zugleich zu vertiefen, die sich in ihrer Absolutheit anerkennende und sich selbst affirmierende SichErscheinung. Diese ist ein Sich-Wissen, insofern es als Selbsterreichung das Fakti30

Ebd., 207 f. WL 1812 – GA II/13, 78. 32 WL 1812 – GA II/13, 79. 33 Vgl. WL 1812 – GA II/13, 84: „1. Analyse des sich überhaupt: die Grundform. Subjekt=Objektivität durchaus in diesem Verhältnisse: eins, dem erscheint: eins das erscheint: beides dasselbe. 2. Bei näherer Überlegung: erscheint sich, als sich erscheinend. Duplicität jener Grundform: in den Formen des Denkens und Anschauens. Erscheint als erscheinendes, sich abbildendes Leben und Prinzip. Als. Dies die Grundanschauung in der alle übrigen enthalten sind“. 31

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sche selbst ist, d. h. insofern es in der Faktizität seines schlechthinnigen Daseins oder seiner Präsenz die lebendige Tätigkeit seines sich selbst gründenden Prinzips vertilgt. Der eigentliche Ausgangspunkt für diese Erfassung des Seins ist diese Faktizität der intelligiblen Freiheit, die eben nicht aus dem Sich-Wissen herausfällt; entsteht sie doch vielmehr in der similitudo oder im eikonizein, d. h. als sich aus sich herauswerfend und in eins damit als mit sich gleichseiend. Diese Dialektik zwischen Sein und Freiheit hat Fichte zum ersten Mal in der WL von 1801/02 vorgetragen. Das SichWissen ist das Insichvollendetsein des Seins. Es ist darum an ihm selbst ewig und jetzt vollbringend, was das Sein nur als Faktizität ist. Diese reine Tätigkeit als faktisches Bestehen, reine Form als Inhalt, reine Wahrheit als sich zeigende Präsenz, reines Sich-Bilden als objektives Bild der Sache ist jetzt die eigentliche Darstellungsmethode einer Geschichte des Geistes34, die im Zeichen des Absoluten steht. II. Der Grundgedanke von Hegels Wissenschaft der Logik liegt in der Produktion der substantiellen Unmittelbarkeit aus dem Selbstverhältnis der Vermittlung mit sich, d. h. aus dem Logischen selbst heraus. Dieser Gedanke entwickelt aus sich selbst drei unterschiedliche Ansätze bzw. Anfänge. Einmal wird das Logische als das Sein, sodann als das Wesen und zuletzt als der Begriff dargestellt. Diese drei Titel stellen drei spezifische Weisen vor, nach denen sich das Logische als die Totalität der Vermittlung mit sich auf sich selbst bezieht. 1) Beim Sein herrscht die Gegenwart der Vermittlung mit sich als das reine SichPräsentieren des Logischen selbst, welches aber für sich selbst undurchsichtig bleibt und damit seine Schöpfungshandlung oder seine Negativität nicht ins Gesicht bekommt, und zwar aus dem Grunde, weil dasjenige, was das Logische in Wahrheit ist, beim Sein nur in der Weise der Unmittelbarkeit verharrt. Die absolute Negativität in der Seinslogik hängt einerseits mit der seienden Negation zusammen und betrifft mithin die Problematik der Bestimmtheit35. Die Negation darf aber nicht so verstanden werden, als enthielte sie die Bestimmtheit unter sich. Eher schon böte es sich an, beide als Wechselbegriffe zu bestimmen. Die Negation ist die ursprünglich genetische Einsicht in Bestimmtheit, die Bestimmtheit aber ist nur als einfache Negation möglich. Andererseits bekommt die Negation in der Seinslogik, und zwar als sich auf sich beziehende Negation36, Prädikate zugesprochen, die den Bestimmtheitsbegriff zu einem selbstbezüglichen Unterschiedsverhältnis umdeuten. Als sich auf sich beziehende ist sie eine in sich reflektierte Bestimmung. Durch ihr „Insichsein“37 aber läßt sie sich schon am Anfang der Logik als bestimmter Begriff von Geist und Sub34

Vgl. Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794/95), in: GA I/2, 365. Vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik, in: GW XXI, 101. 36 Zur „absoluten Negativität“ vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik, in: GW XXI, 103. 37 „Das Negative des Negativen ist als Etwas nur der Anfang des Subjekts; – das Insichsein nur erst ganz unbestimmt” (Hegel: Wissenschaft der Logik, in: GW XXI, 103). 35

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jektivität auslegen. Indessen ist diese Subjektivität nicht das Faktum eines bewußten Ich, auf das sich die hergestellte Bestimmtheit äußerlich bezieht, sondern nach dem bisher Gesagten genau das Gegenteil, nämlich die Gegenwart der absoluten Negativität erklärt sich erst aus dem Fehlen eines derartigen konstanten Ichbegriffs. Dies geht mit dem Umstand zusammen, daß die in sich reflektierte Subjektivität sich erst zu dem macht, was sie immer schon ist38. 2) Das Wesen dagegen definiert sich als das In-sich-Zusammenfallen der Gegenwart des Seins oder als deren wahre Unendlichkeit. Im Wesen wird sonach erkannt, daß die Unmittelbarkeit sich aus der Bewegung der Selbsterhaltung einer schlechthin konstitutiven Vermittlung mit sich erzeugt hat. Die Unmittelbarkeit im Wesen wird dadurch zur Selbständigkeit der eigenen Beziehung auf sich eines Selbstvermittlungsaktes weiterentwickelt. Daß die Unmittelbarkeit aus der Bewegung der Vermittlung mit sich herstammt, das ist ihre Negativität. Die Negativität ist die Negativität des Seins; diese aber ist das Wesen selbst. Das Wesen bestimmt sich sonach genau als diese Negativität der Unmittelbarkeit des Seins. Das Wesen ist aber jene selbstbezügliche Negativität, die in der wiederhergestellten Unmittelbarkeit sich nur als jene blinde Notwendigkeit (Logos als Eimarmene) entfaltet, welche jeden Übergang von Kategorie zu Kategorie verursacht und den jeweiligen Anspruch der Kategorien auf ontologische Selbständigkeit vereitelt. Das Wesen ist jedoch zugleich die fortschreitende Logifizierung jener blinden Notwendigkeit, oder anders gewendet, es ist das Setzen der Idealität des Unmittelbaren oder die Genesis des denkenden Begriffs39 selbst. Was heißt in diesem Zusammenhang Setzen? Im Wesen stößt die Selbstvermittlung des Logischen von sich die Gleichheit mit sich selbst ab. Dadurch wird im Grundsätzlichen die Erkenntnis gewonnen, daß das Sein die eigentümliche Undurchsichtigkeit sich selbst gegenüber der logischen Form 38

„Ob nun wohl der Begriff nicht nur als eine subjektive Voraussetzung, sondern als absolute Grundlage anzusehen ist, so kann er dies doch nicht sein, als insofern er sich zur Grundlage gemacht hat“ (Hegel: Wissenschaft der Logik, in: GW XII, 11). – Dieter Henrich sieht in seinem Aufsatz „Hegels Logik der Reflexion. Neue Fassung“, in: Hegel-Studien, Beiheft 18, Bonn (1978) 203 – 324, in der Verbindung von Sich-zu-sich-Verhalten und SichUnterscheiden den Ausgangspunkt „der idealistischen Philosophie“ überhaupt. „Man kann die Position der idealistischen Philosophie in zwei Sätzen formulieren, welche die Form methodischer Anweisungen haben, – und zwar so, daß sie Fichtes und Hegels System über alle Differenzen gleichermaßen charakterisieren: 1. Die erste Aufgabe der Philosophie, aus der die Lösung aller anderen zu gewinnen sein wird, ist die richtige Auffassung der auch noch im Gedanken der Selbstbeziehung gelegenen Differenz. 2. Es ist nicht zu erwarten, daß eine Selbstbeziehung gedacht werden kann, welche sich über eine einfache Differenz oder gar als Ausschluß aller Differenz herstellt. Denn es gibt keine unmittelbare und doch geschlossene Selbstbeziehung. Wirkliche Selbstbeziehung schließt vielmehr die Entfaltung der in ihr gelegenen Differenz in eine Form ein, die so komplex ist, daß sie vom Ganzen dessen, was überhaupt ist, seiner Form nach nicht mehr unterschieden werden kann. Insofern ist das ,Wahre‘ gleichermaßen ,das Ganze‘ und ,das Subjekt‘“ (307). 39 „Die Bewegung des Wesens ist überhaupt das Werden zum Begriffe“ (Hegel: Wissenschaft der Logik, in: GW XI, 366).

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ist – es ist nur die Sichselbstgleichheit der sich auf sich beziehenden Form, also das, was die Selbstvermittlung des Logischen aus sich als ein Selbständiges herauswirft, von dem ihre Bewegung anfängt. Daß das Selbständige nur diese Negativität ist, d. h. nur ein Bestehen, das sich aus der Rückkehr in sich reell erzeugt, das ist das Wesen. Das Wesen ist somit reine Reflexion, d. h. es ist ein mit sich identisches Bestehen, aber nur als in seiner Negativität bleibend. Weil das Denken hier im Entstehen begriffen wird, können wir nicht voraussetzen, daß die Reflexion die Selbstbeobachtung eines Denkens wäre; sie ist vielmehr die sich mit sich vermittelnde Bewegung, welche dieses Denken erst erzeugt, ähnlich wie in der Jenaer Philosophie des Geistes aus dem Jahre 1805/06 die Einbildungskraft in ihrer genuinen Negativität als eine Vorform des Denkens erfaßt wird40. 3) Daß das Wesen das Logische selbst ist, zeigt sich am klarsten in der Bestimmung des wesentlichen Verhältnisses, welches sich als das Zusammenfallen der Erscheinung mit der Innerlichkeit des Wesens definiert. Wenn sich die Bestimmungswurzel der Reflexion als der Horizont des vollkommen durchsichtigen Unterschieds nunmehr aufdeckt, so ist der Begriff erreicht. Der Begriff ist das Unterschiedsverhältnis, das sich mit sich selbst zusammenschließt; er erkennt somit das Wahre als den freien Akt der Vermittlung seiner eigenen Asymmetrie mit sich selbst; wobei Asymmetrie in diesem Kontext die selbstbezügliche Differenz eigens bezeichnet. Insofern verweist der Begriff auf das Werden des Logischen zu einer Form, die sich nicht als Reflexion erfassen läßt, zu einer Form heißt dies, welche die Reflexion als eine unvollkommene Verwirklichung des Logos hinter sich läßt. Die Philosophie der Reflexion beharrt auf der wesenhaften Auslegung des logischen Erkennens. Indem diese Philosophie den Logos so auslegt, hält sie dafür, daß er das schlechthin Innere ist (Erkennen als Erzeugung von notwendigem bzw. gesetzmäßigem connexus), welches sich von der erscheinenden Welt abhebt. Das begreifende Erkennen ist demgegenüber das Integral der produktiven Vermittlung mit sich, in welches aller Unterschied der erscheinenden Seiten als in das Ganze einer lebendigen Selbstmomentaneität zurückkehrt. Auf die Selbstkonstitution des Logischen kann das Erkennen nicht intendieren, denn das Logische ist das Sein, aufzufassen als sein eigenes, d. h. es ist die Asymmetrie des sich produzierenden Integrals von Sich-mit-sich-Vermitteln, welches das lineare Erkennen immer schon in den Widerspruch hineintreibt. Das Logische ist kein Gegenstand des Erkennens, sondern es entfaltet sich als das Selbst41 der differentiellen Selbstvermittlung oder als die Totalität des Unterschiedsverhältnisses. Am Anfang des zweiten Abschnitts der Wesenslogik, der mit dem Titel „Die Erscheinung“ überschrieben ist, sagt Hegel über den Zusammenhang von Wesen und Erscheinung folgendes: „Die Lehre vom Sein enthält den ersten Satz: Das Sein ist 40

Hegel: Jenaer Systementwürfe III, in: GW VIII, 186 ff. „Als Wissenschaft ist die Wahrheit das reine sich entwickelnde Selbstbewußtseyn, und hat die Gestalt des Selbsts“ (Hegel: Wissenschaft der Logik, in: GW XXI, 33). 41

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Wesen. Der zweite Satz: Das Wesen ist Sein, macht den Inhalt des ersten Abschnittes der Lehre vom Wesen aus. Dieses Sein aber, zu dem das Wesen sich macht, ist das wesentliche Sein, die Existenz; ein Herausgegangensein aus der Negativität und Innerlichkeit. – So erscheint das Wesen. Die Reflexion ist das Scheinen des Wesens in ihm selbst. Die Bestimmungen derselben sind, in die Einheit eingeschlossen, schlechthin nur als gesetzte, aufgehobene; oder sie ist das in seinem Gesetztsein unmittelbar mit sich identische Wesen. Indem dieses aber Grund ist [der Grund nur aufzufassen als das in sich differentielle, also asymmetrische Bestimmungsverhältnis der eigenen Negation des Wesens, d. h. der Grund aufzufassen als das Andere der Reflexion, Zusatz von Th. Penolidis], bestimmt es sich real durch seine sich selbst aufhebende oder in sich zurückkehrende Reflexion; indem weiter diese Bestimmung oder das Anderssein der Grundbeziehung sich in der Reflexion des Grundes aufhebt und Existenz wird, so haben die Formbestimmungen hieran ein Element des selbständigen Bestehens. Ihr Schein vervollständigt sich zur Erscheinung“42. Der Satz „Das Sein ist das Wesen“ bedeutet: Im Sein zeigt sich allmählich die Vollbringungsgewalt des Sich-Beziehens gegenüber der Qualität der bezogenen Glieder. Das Sich-Beziehen absorbiert hernach alles Bestehen und demonstriert von sich aus, daß das Sein nur Sein ist – nur dieser unendliche Mangel an Selbständigkeit und abgetrennter, ontologischer Bestimmtheit. Auf diese Weise wird das Sein an und für sich als das Unwahre, d. h. als das Gesetzte gedacht, wenn doch das Wesen als seine setzende Wahrheit aufgefaßt wird. Das Wesen wird in diesem Kontext jedoch nicht als jenes Wahre erfaßt, das sich äußerlich dem Sein entgegensetzt, sondern es ist mit dem Sein das gleiche, sofern das Sein aus sich selbst die Unwahrheit seiner Unmittelbarkeit hervorkehrt und damit in sein Sich-Beziehen als in sein Erstes, Prinzipielles zurückfällt. Hegel faßt diese spontane Produktion der „Unwahrheit“ des Seins als die Entleerung des Seins von jeder Bestimmtheit auf. Die Selbstaufhebung der ontologischen Bestimmtheit (Anderes gegen Anderes) in der Totalität des SichBeziehens enthält die Merkmale der unendlichen Beziehung auf sich, welche mit der Negativität eins ist. Das Wesen als die Rückkehr des Seins in die Einheit43 des SichBeziehens verliert jede Bestimmtheit und somit jedes Dasein. Also ist das Wesen nicht ein solches, das sich als Beziehung auf sich gegen das Andere seiner selbst bestimmt. Die Differenzproduktion, das eigentliche Thema, das sich im Rahmen des oben erwähnten Differenz- und Bestimmtheitsschwundes nunmehr stellt, fällt hier nicht in die ontologische Bestimmtheit des Anderen gegen sein Anderes. 42

Hegel: Wissenschaft der Logik, in: GW XI, 323. Nach Henrich ist das „Wesen“ „vom Sein auch dauerhaft unterschieden als eine grundsätzliche Alternative zu der Auffassung jener Einheit im Rahmen der seinslogischen Möglichkeiten“ (Henrich: „Hegels Logik der Reflexion“, 233). Doch die wesentliche qua „wahrhaft[e]“ (Hegel: Wissenschaft der Logik, in: GW XXI, 131) Auffassung von Einheit hat Hegel schon im Sein gegen eine verständige abgehoben. Auch im Wesen bleibt die Einheit nicht ohne innere Spannung. Die Einheit der Reflexionsbestimmung z. B. kann in ihrer „unendliche[n] Beziehung auf sich“ (Hegel: Wissenschaft der Logik, in: GW XI, 257) oder bloß in ihrem In-sich-Reflektiertsein das Sein „wieder“ „erwecken“ (Hegel: Wissenschaft der Logik, in: GW XI, 259). 43

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Das Wesen stößt vielmehr sein eigenes Selbst von sich ab. Wie vollzieht sich dieser Abstoß, diese „antitypia“? Die Antwort auf diese Frage lautet: Die Negativität des Wesens bezieht sich auf sich selbst und wird dadurch gleich mit sich selbst. Es ist von Relevanz, diesen Begriff richtig aufzufassen! Denn diese Sichselbstgleichheit ist nicht ein „tauton“ zwischen zwei Quanta (2 = 2), auch ist sie nicht ein „homoion“ zwischen zwei Qualitätsbestimmungen (ein Eichenholz ähnelt einem Eschenholz), sondern sie ist ein sich in das Andere Hineintragendes, ein „emferes“. Das Gleichsein ist in diesem Zusammenhang als ein operativer Begriff aufzufassen, es ist das „emferes“, d. h. das Sich-Selbst-Sein der Leerheit des Sich-Beziehens; es entsteht durch ein Hineintragen der imaginären Unmittelbarkeit in das „Sich“ der Negation, oder anders gewendet, durch ein Hinein-Scheinen von Unmittelbarkeit in das „Sich“ des negativen Sich-auf-sich-Beziehens. Mit diesem Sich-selbst-Gleichsein der Negativität des Wesens eröffnet sich im Wesen ein Innerlichkeitshorizont. Mithin ist hier das Gleichsein im Sinne eines hineinragenden Vorschwebens zu nehmen, eines Imaginierens des ontologischen Selbst, erzeugt aus der selbsthaften Relationalität der Negation heraus. Das ist aber nicht nur die Reflexion als der in sich hineingehende Schein, sondern, wie schon angemerkt, auch die Genesis des Begriffs selbst. Hegel sagt hierzu nicht allzuviel! Obwohl er in der Wissenschaft der Logik die Negativität mit dem freien Sich-Erschaffen der Subjektivität verbindet, erläutert er diesen Zusammenhang nur auf folgende Weise: Die Sichselbstgleichheit des Wesens, sagt er, ist jenes Andere selbst, welches das Wesen von sich selbst abstößt. Dasjenige also, welches die Negativität des Wesens (die Leerheit von seiender Bestimmtheit) von sich abstößt, ist nur die Gleichgültigkeit gegen sich selbst, also jene Relationalität, die einen Rest von seiendem Bestehen wieder in sich einzuschließen scheint. In Wahrheit, und das ist eine grundlegende Erkenntnis der gesamten Wesenslogik, wird diese Gleichgültigkeit gegen sich selbst nur durch die eigene Sichselbstgleichheit des Wesens gestiftet. Das Wesen geht also nicht ins Andere über, zumal weil seine Veränderung innerhalb der Einheit seiner mit sich selbst bleibt. Das Andere hat hier die Bedeutung des Ein-Scheinens von Bestimmtheit und Differenz oder des objektiven Sich-Einbildens von Bestimmtheit in der eigentümlichen „similitudo“ der Wesensdifferenz, d. h. des sich vernichtenden Unterschiedsverhältnisses mit sich selbst. Diese „similitudo“ oder diese „eikon“44, könnte man sagen, von seiender Selbständigkeit ist das SichErscheinen einer Unmittelbarkeit, die jedoch in der Selbstbezüglichkeit der Negativität des Wesens stets aufgehoben bleibt. Die einfache Negativität übernimmt jetzt 44

„Wenn es in der Hegelschen Logik einen Ort des Bildes gibt, dann ist er in der Logik der Reflexion oder auch des Wesens zu finden, jedenfalls insofern das letztere nicht auch schon die Destruktion des Bildes am Absoluten enthält. Die einfache Seinsreduktion, als die sich die Reflexion qua lebendige und „autonome“ Negation ursprünglich immer vollzieht, ist per se auch die ursprüngliche Bildproduktion, die sich in der Autonomie der freigesetzten Negation als einer unmittelbaren ergibt“ (Thomas Sören Hoffmann: „Reflexion, Begriff und spekulative Erkenntnis. Über Weisen des Wissens im Blick auf Hegels Logik“, in: Von der Logik zur Sprache, hg. v. Rüdiger Bubner/Gunnar Hindrichs, Stuttgart 2007, 88 – 108, hier: 98 f.).

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die Setzung der Bestimmtheit. Das Wesen wendet durch sich selbst die äußerliche Negation der ontologischen Bestimmtheit in ein sich negativ auf sich beziehendes Unterschiedsverhältnis um. Das Wesen scheint, d. h. es schlägt von sich seine Gleichheit mit sich ab und erzeugt dadurch im eigenen Selbstverhältnis die determinative Unmittelbarkeit des Anderen. Diese Gleichheit mit sich ist die Wurzel der eigentümlichen Hypostasierung des Wesens; sie wandelt sich, angefangen von der Reflexionsbestimmung einer Identität des Negativen mit sich, zu einem Grund und von dort zu einer aus dem Grund hervorgehenden Sache und Existenz fort. Die Hypostase ist gleichsam hier als der Schatten der logischen Erkenntnishandlung selbst aufzufassen. Am Ende der Wesenslogik wird jedoch die Erkenntnis gewonnen, daß sie das eigene Produkt des Selbstverhältnisses einer wirksamen Vermittlung mit sich, d. h. des Logos ist. Das Ende der Wesensnotwendigkeit ist das absolute Verhältnis. Zunächst aber ist im Wesen die Unmittelbarkeit nichts, als jener Schein, der sich in der unendlichen Bewegung des selbstbezüglichen Sich-Disjungierens selbst hypostasiert und dadurch Bestimmtheitsdifferenz erzeugt. Was heißt in diesem Zusammenhang Schein? Der Schein als das Andere gegenüber dem Wesen ist in der Tat ein durch das Wesen selbst Gesetztes. Er definiert sich als die Unmittelbarkeit des Nicht-Seins, welche durch die Selbstbezüglichkeit der bestimmungslosen Wesensnegativität produziert wird. Das Wesen als Beziehung auf sich ist die Negativität selbst. Diese Negativität äußert sich als die Hypostasierung des Selbst mitten in der negativen Beziehung auf sich. Was bedeutet aber in diesem Zusammenhang das Selbst? Hegels Antwort auf diese Frage lautet: Das Selbst oder das Wesen ist die Gleichheit mit sich der negativen Beziehung auf sich selbst, während das Sein, d. h. die Unmittelbarkeit, sich jetzt im Wesen als diese Gleichheit wiedererzeugt, d. h. als die Unmittelbarkeit der Negativität des Wesens in der eigenen Beziehung auf sich selbst. Insofern indiziert die Reflexion jetzt nur die Innerung der Bestimmtheitsdifferenz, die der Schein ist. In ihrem in sich gekehrten Horizont wird die Bestimmtheitsdifferenz mit einer Bewegung gleichgesetzt, durch welche – wie im Werden – die Differenten in die bestimmungslose Einheit des Wesens einfließen, in ihr schlechthin nur als gesetzte und aufgehobene sind. Reflexion heißt: sich mit sich Vermitteln der Negation, aufzufassen als eine fließende und zugleich rückkehrende Bewegung. In diesem fluxus und refluxus indiziert das Setzen die Bewegung der zu sich selbst zurückkehrenden Selbstbeziehung oder des sich in sich gründenden Zusammengehens der Negation mit sich selbst. Alle Bestimmtheit wird hier immer schon in die Bewegung der Negativität zurückgenommem. Das Voraussetzen dagegen zeichnet sich durch die determinative Äußerlichkeit des Anderen im Vergleich zur Selbstbezüglichkeit des seinsstiftenden Aktes des Negierens aus, im Vergleich also zu dem Aus-sich-selbst-Kommen der Negation. Die Äußerlichkeit45 des Voraussetzens 45 Walter Jaeschke: „Äußerliche Reflexion und immanente Reflexion“, in: Hegel-Studien 13 (1978) 85 – 117, unterscheidet innerhalb der Wissenschaft der Logik die „äußere Reflexion“

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trägt folglich dazu bei, daß die Selbstbezüglichkeit der Nichtigkeit des Wesens ein Fürsichsein gegenüber der zu sich selbst zurückkehrenden Bewegung der Negation gewinnt, um dadurch erst die Andersheit innerhalb der Idealität, der Einheit des Wesens mit sich zu erzeugen. Das wird nicht zuletzt mit der äußeren und der bestimmenden Reflexion bewerkstelligt. Das Ziel besteht darin, aus der Idealität der reflexiven Bewegung ohne Substrate oder aus der idealen Vermittlung mit sich herauszukommen. Erst im Grund als der letzten Reflexionsbestimmung wird die oben genannte ideale Vermittlung nunmehr als realisiert gesetzt. D. h., es wird jetzt aus dem bloßen Logos (:) des Negativen zu des Wesens von einer „äußerlichen Reflexion“. Bei Hegel findet sich allerdings diese scharfe Trennung nicht. Er spricht z. B. auch im Kontext der „äußere[n] Reflexion“ des Wesens von einer „äußerliche[n] Reflexion“ (Hegel: Wissenschaft der Logik, in: GW XI, 253). – Die von Hegel postulierte „Immanenz und Konsistenz der Bewegung der Denkbestimmungen“ (Jaeschke: „Äußerliche Reflexion…“, 86) verbietet nach Jaeschke die Gleichsetzung der „komplexen Struktur“ (88) der äußeren Reflexion in ihrer dialektischen Bestimmung des sich Veräußerns durch die Reflexion-in-sich mit der subjektiv äußerlichen Reflexion, die sich nicht einmal auf einen bestimmten Denkakt einschränken lasse. „Sie ist überhaupt nicht eine eindeutig definierbare Erkenntnisform, sondern dient als Sammelbezeichnung für mentale Akte unterschiedlichster inhaltlicher Bestimmung“ (95). Von diesen „mentalen Akten“ akzentuiert Jaeschke hauptsächlich „die antizipierende Reflexion“ (91) innerhalb der WdL, d. h. Hegels einleitende Vergleichungen bzw. Betrachtungen einer noch nicht gesetzten und als gesetzt ausgeführten Kategorie. Von da aus schließt er dann auch ein Verständnis von äußerlicher Reflexion als der „operativen Verwendung“ des erst im Wesen thematisierten Reflexionsbegriffs aus. „[D]ie Rede von äußerlicher Reflexion verhält sich zum wesenslogischen Kapitel ,äußere Reflexion‘ nicht wie eine operative Verwendung zur inhaltlichen Thematisierung eines Begriffs. Die äußerliche Reflexion ist weder explikativ noch Thema der Logik“ (94 f.). – Trotzdem scheint Jaeschke in diesem Kontext außer acht zu lassen, daß das, was er „äußerliche Reflexion” nennt, keineswegs in den inhaltlichen Vorwegnahmen Hegels aufgeht. Denn dieselbe äußerliche Reflexion erscheint vor der äußeren Reflexion des Wesens als seiende Betrachtung der jeweils als gesetzt erreichten kategorialen Bestimmtheit. Die methodische Unwahrheit jeder daseienden Kategorie in ihrem Selbstbegriff, das Wahre zu sein, ist äußerliche Reflexion. Das Vollbringen dieser Unwahrheit jedoch wird von Hegel als die Bewegung der Sache selbst dargestellt, und von daher wird diese Äußerlichkeit in die methodische Reflexion des Logischen schon aufgenommen. Sie ist deshalb nicht einfach als irgendein mentaler Akt z. B. aus der Daseinslogik auszuschließen, denn seine logische Begründung findet dieser Akt erst in der wesentlichen Äußerlichkeit des reflexiven Bestimmtheitsverhältnisses. So ist der Übergang, welcher in den Bestimmungen des Seins die seiende Beziehung auf Anderes stiftet, vom Wesen her als ein äußerliches Tun demonstriert. Die Äußerlichkeit der seienden, selbständigen Bestimmungen in ihrer Beziehung zueinander läßt sich jedoch nicht von der Logik des Wesens (Reflexion) trennen, da das „Wesen“ das „anundfürsich aufgehobene Sein“ ist. In ihm, d. h. in der Reflexionsbestimmung wird der Charakter dieser Selbständigkeit, die die Äußerlichkeit erzeugt, selbst reflektiert. (Vgl. hierzu Hegels Satz: „[…] sie sind Selbständige, aber damit nur als solche, die in ihrer Einheit miteinander sind“ (Hegel: Wissenschaft der Logik, in: GW XI, 242.) – A. Schubert: Der Strukturgedanke in Hegels „Wissenschaft der Logik“, Königstein 1985, folgt im Prinzip der Unterscheidung Jaeschkes, konstatiert allerdings eine „strukturelle“ Entsprechung zwischen äußerer Reflexion des Wesens und äußerlicher Reflexion, „insofern sie nichts anderes ist als deren Verselbständigung im subjektiven Bewußtsein, welches ihren (bzw. seinen eigenen) Momentcharakter nicht begreift und sich als absolut setzt“ (69 f.).

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sich selbst (a:a) ein Vermittlungsintegral (c) hergestellt, das seiner formalen Bestimmtheit (a/b) als ein Anderes entgegentritt (c = a/b). Erst nachdem dieses Vermittlungsintegral, d. h. das Wesen als eine notwendige Funktion seiner eigenen Form (a/b) bestimmt wird, verliert die Rede von Innerlichkeit und Wesentlichkeit ihre Bedeutung. Die wesenhafte Grundlage ist jetzt die Form selbst, oder es wird nunmehr erkannt, daß das innere Wesen immer schon als das Aus-sich-Hervortretende, SichErscheinende bestimmt war. Im Grund erhält also die Reflexibilität des Wesens eine reale Bestimmung. Die Reflexibilität des Wesens produziert zunächst Bestimmungen, die in der negativen Einheit des Wesens eingeschlossen bleiben. Dadurch treten diese Bestimmungen nur als gesetzte oder nur als scheinende auf. Das Sein der Bestimmungen der Reflexion konstituiert sich nur, wenn die oben definierte Bewegung der Reflexion, der setzende fluxus und refluxus von Bestimmtheit, getilgt oder fixiert wird. Die Reflexion wird aber nicht von einem Äußeren getilgt, sondern sie kehrt in sich selbst zurück und hebt sich dadurch selbst auf. Dies, daß die Reflexion des Wesens in sich zurückgeht, um das Wesen als das reell Andere der eigenen Bewegung zu fixieren, ist die Definition des Grundes. Als Grund wird das Wesen daher real bestimmt gegen seine eigene Reflexionsbewegung; er ist jetzt das Andere dieser Bewegung selbst. Als das Andere der Reflexion ist der Grund das Ende der Reflexionsbestimmungen, aufzufassen im Sinne eines Sich-in-sich-Tilgens der rückkehrenden Bewegung der Negation selbst. Der weitere Schritt besteht nun, wie oben angedeutet, darin, daß gezeigt wird, inwiefern dieses Andere der Reflexion, der Grund, von der Reflexion des Grundes selbst generiert wird. Das Anderssein ist in Wahrheit hier das Sich-Andere des Grundes, sein Sich-Hervorgehen aus dem Anderen seiner selbst oder seine Erscheinung. Erscheinung bedeutet in diesem Kontext: Die Andersheit ist das Produkt des eigenen Sich-in-sich-Tilgens der rückkehrenden Bewegung der Negation und insofern ist sie das Sich-Zeigen dieser rückkehrenden Bewegung als das Andere ihrer selbst. Hier erfüllt sich erst der Satz: das Wesen ist das Sein, und zwar wird dies im Rahmen einer Theorie des Hervorgehens aus dem In-Sein des Scheinens konkret eingelöst, d. h. im Rahmen einer Theorie der Objektivität der logischen Form, welche als das Sich-Äußern der absoluten Vermittlung mit sich konstruiert wird46. Am Anfang des dritten Kapitels, das den Titel „Der Grund“ trägt, ist dies von Hegel mit der größtmöglichen Klarheit ausgesprochen: „Die Reflexion ist die reine Vermittlung überhaupt, der Grund ist die reale Vermittlung des Wesens mit sich. Jene, die Bewegung des Nichts durch Nichts zu sich selbst zurück, ist das Schei46

„Die Vermittlung von Identität und Differenz und die Vermittlung von Reflexion und Unmittelbarkeit kann nur durch ein und dasselbe geschehen, und dieses eine ist der Grund. Daß der Grund aber als Ganzes (obwohl in ihm das Sein wiederhergestellt wird) Form ist, zeigt uns an, daß die Vermittlung von Form und Sein innerhalb der Form geschieht. Hegel spricht von der absoluten Macht des Negativen. In seiner Logik ist diese Macht wahrhaft absolut, – und sie ist die Macht der Form, des Ich“ (Peter Rohs: „Form und Grund. Interpretation eines Kapitels der Hegelschen ,Wissenschaft der Logik‘“, in: Hegel-Studien, Beiheft 6 (1972) 103.

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nen seiner in einem Anderen; aber weil der Gegensatz in dieser Reflexion noch keine Selbständigkeit hat, so ist weder jenes Erste, das Scheinende, ein Positives noch das Andere, in dem es scheint, ein Negatives. Beide sind Substrate, eigentlich nur der Einbildungskraft; sie sind noch nicht sich auf sich selbst Beziehende. Die reine Vermittlung ist nur reine Beziehung, ohne Bezogene. Die bestimmende Reflexion setzt zwar solche, die identisch mit sich, aber zugleich nur bestimmte Beziehungen sind. Der Grund dagegen ist die reale Vermittlung, weil er die Reflexion als aufgehobene Reflexion enthält; er ist das durch sein Nichtsein in sich zurückkehrende und sich setzende Wesen. Nach diesem Momente der aufgehobenen Reflexion erhält das Gesetzte die Bestimmung der Unmittelbarkeit, eines solchen, das außer der Beziehung oder seinem Scheine identisch mit sich ist. Dies Unmittelbare ist das durch das Wesen wiederhergestellte Sein, das Nichtsein der Reflexion, durch das das Wesen sich vermittelt. In sich kehrt das Wesen zurück als negierendes; es gibt sich also in seiner Rückkehr-in-sich die Bestimmtheit, die eben darum das mit sich identische Negative, das aufgehobene Gesetztsein und somit ebensosehr seiendes als die Identität des Wesens mit sich als Grund ist“47.

47

Hegel: Wissenschaft der Logik, in: GW XI, 292.

Intuition und Reflexion in der Wissenschaftslehre von 1812 Helmut Girndt Das Jahr 1812 kann vielleicht als das reichste im Leben Johann Gottlieb Fichtes bezeichnet werden, reich an Ergebnissen philosophischen Denkens. Mehrere bedeutende Werke entstanden in diesem Jahr: 1. die Einleitungsvorlesung zum Sommersemester 1812, 2. zwei Vorlesungen, die als wissenschaftliches Hauptwerk der Spätzeit Fichtes gelten können: Vom Verhältniß der Logik zur wirklichen Philosophie, fortgesetzt im Wintersemester unter dem Titel: Vom Unterschiede zwischen der Logik und der Philosophie selbst, 3. eine weitere Einleitungsvorlesung: Vom Studium der Philosophie überhaupt, zum Wintersemester 1812, 4. eine neue, erheblich veränderte und ergänzte Fassung der Rechtslehre und 5. die Sittenlehre, und schließlich 6. die wohl umfangreichste Fassung der Wissenschaftslehre. Es ist die letzte, die Fichte vollständig vorgetragen hat. In ihr entwickelt er, ausgehend vom sittlichen Wollen als höchstem bestimmten „Blick“, alle Momente des Wissens. Fichtes letzte kreativste Epoche des Jahres 1812 wurde erst mit dem Ausbruch des Krieges, im Frühjahr 1813, abrupt beendet. Die letzte Fassung der Wissenschaftslehre von 1813/14 ist Fragment geblieben. Bevor ich einleitend auf die Wissenschaftslehre von 1812 zu sprechen komme, zunächst einige Bemerkungen zur Rezeption der Philosophie Fichtes während der letzten Jahre seit der Gründung der Fichte-Gesellschaft: Seit Bestehen der Internationalen Johann-Gottlieb-Fichte-Gesellschaft und den von ihr initiierten Tagungen hat das Interesse an der Philosophie Fichtes in bemerkenswerter Weise zugenommen. Außer der Gesellschaft mit inzwischen mehr als dreihundert Mitgliedern bestehen nun eine japanische, eine nordamerikanische, eine spanische und eine lateinamerikanische Gesellschaft. Ihren Gründungen entsprechend wuchs die Zahl der Publikationen über Fichte im In- und Ausland erheblich an. Die von der Internationalen Gesellschaft seit 1990 herausgegebenen FichteStudien umfassen im Fichte-Jahr 2012 40 Bände, und die Anzahl der Parallelreihe Fichte-Studien Supplementa kommt auf 29 Bände. Trotz des erfreulichen Interesses in aller Welt an dem nach Leibniz und Kant bedeutendsten deutschsprachigen Phi-

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losophen ist jedoch festzustellen: Der herrschende Zeitgeist ist gegenwärtig weiter von Fichtes universalem Erkenntnisanliegen entfernt als selbst zu Beginn der Editionsarbeiten seines philosophischen Nachlasses im Jahre 1962. Trotz unvergleichlich größeren gesamtgesellschaftlichen Reichtums, verglichen mit dem des Gründungsjahres der Fichte-Edition durch die Bayerische Akademie der Wissenschaften, wäre die Bereitschaft der öffentlichen Hand zur Finanzierung eines über fünfzig Jahre währenden Editionsunternehmens heute wohl kaum mehr gegeben. Einer unvoreingenommenen Würdigung der Philosophie Fichtes steht nicht nur, wie damals schon, ein mit dem Neo-Empirismus verbündeter Rationalismus entgegen, sondern inzwischen auch die Diktatur einer allbeherrschenden sog. „political correctness“1. Allerdings verstellt der auf die Zeitgeschichte eingeengte Blick den wahren Sachverhalt. Die Weltgeschichte des Geistes ergibt ein anderes Bild von der Bedeutung Fichtes. Seine grundlegende Idee, nicht die Dinge, sondern das Wissen zum Ausgangs- und Zielpunkt philosophischer Erkenntnis zu machen, ist von schlechthin universaler Bedeutung. Und Fichtes Erkenntnismethode ist es ebenfalls, da sie, ohne empirische Zusatzannahmen allein auf selbstreflexiven logischen Argumenten beruht. Damit sprengt Fichtes Denken die heute gewohnte, auf europäisches Denken und seine Geschichte allein bezogene Sicht, wie sie heute an deutschen Universitäten vertreten wird. Mit ihrem über alle geistesgeschichtlichen Traditionen hinausgehenden Anspruch einer universalen Wissenstheorie begegnet Fichtes Denken notwendigerweise dem gleichen Anspruch auf Universalität, wie er sich außerhalb Europas, in den Wissenstheorien des indischen Vedanta und des Buddhismus entwickelt hat, dessen Einfluß über den fernen Osten bis nach Japan reicht. Das trifft auch prinzipiell auf die an Aristoteles orientierten islamischen Philosophen zu. Hinsichtlich ihres Anspruchs auf rationale Methodik und Begründung aller Erkenntnis aus einem universalen Prinzip finden sie sich in wesentlicher Übereinstimmung mit dem Anliegen Fichtes einer von allen weltanschaulichen Ausdeutungen befreiten Lehre. So kann man von Fichtes Denken, was seine Wissenslehre anbetrifft, zu Recht von einer philosophia perennis sprechen. Aufschlußreich ist, was Fichte selbst über die Universalität seiner Lehre zu sagen hat2, die von Anfang an die höchste Einheit Kants als eine synthetische zu Gunsten 1 Das wohl bedeutendste Presseorgan der Republik, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, hat z. B. nie über den Fortgang der kritischen Fichte-Edition und die mit ihr zusammenhängenden Ergebnisse publiziert, mit der einzigen Ausnahme einer Rezension des Bandes: Hans Joachim Becker: Fichtes Idee der Nation und das Judentum, Amsterdam/Atlanta 2000. 2 Das Vorbild des Universalitätsanspruches der Wissenschaftslehre ist die Mathematik gewesen, wie z. B. aus einem Schreiben Fichtes vom November oder Dezember 1793 hervorgeht: „Ich habe mich davon überzeugt, daß nur durch Entwikelung aus einem einzigen Grundsatze Philosophie Wissenschaft werden kann, daß sie aber dann eine Evidenz erhalten muß, wie die Geometrie, die einen solchen Grundsaz giebt, daß er aber als solcher noch nicht aufgestellt ist: ich glaube ihn gefunden zu haben“ (Fichte: „Brief an Johann Friedrich Flatt vom November / Dezember 1793“, in: ders.: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. Reinhard Lauth, Hans Jacob, Hans Gliwitzky, Erich Fuchs und Peter K. Schneider, Bd. III/2, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 – 2012, 18. Im folgenden abgekürzt: GA,

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der präreflexiven Einheit theoretischer und praktischer Philosophie überschritt. Von ihr als absoluter Einheit spricht er in der Grundlage von 1794 als absolutes Ich, in der Wissenschaftslehre von 1804 und 1805 als Licht sich selbst sehenden Sehens, das erst im Scheitern des Begriffs einzuleuchten vermag. In diesem Licht als Äußerung absolut unsichtbaren Seins sinkt alles im Sehen Gesehene zu einem bloßen Bild des Absoluten herab, und Fichtes Lehre selbst zu einem Bild dieses Bildes. Und mit der Einheit des Sehens als sich selbst sehendem Sehen, dem Ich oder Selbst, lehrt Fichte, unangesehen aller gravierenden historischen Differenzen, dieselbe Lehre vom Wissen wie der indische Vedanta und die buddhistische Schule des Wissensweges, der Vijnanavada. Sie alle stimmen überein in der Lehre vom Erscheinungscharakter der Welt und der Abhängigkeit allen Erkennens und Wollens von jenem Licht und seinem lichtlosen Ursprung. Sie alle sind Artikulationen der philosophia perennis. Hören wir, was Fichte selbst zum Thema der Universalität philosophischer Erkenntnis zu sagen hat: „Nicht, als ob unsere Lehre an sich neu wäre, und paradox. Unter den Griechen ist Plato auf diesem Wege. Der Johanneische Christus sagt ganz dasselbe, was wir lehren und beweisen.“3 „Es ist merkwürdig“, bemerkt Fichte weiterhin, nur das „Resultat [der Wissenschaftslehre], nur das rechte Wissen oder die Weisheit habe Werth und alles Übrige ist ohne Werth, gerade [wie] die uralte [… Lehre des Christentums …]. Im Christentum, das seinem Alter nach noch viel älter sein möchte, als wir annehmen, und wovon ich mehrmals geäußert, daß dasselbe in seinen Quellen mit der durchgeführten Philosophie vollkommen übereinstimme […], ist der letzte Zweck der, daß der Mensch zum ewigen Leben, zum Haben dieses Lebens, und seiner Freude und Seligkeit, in sich selber und aus sich selber, komme.“4

Welche Bedeutung könnten die Sätze Fichtes haben, daß das Resultat seiner eigenen Lehre tatsächlich „die uralte Lehre“ des Christentums sei, und darüber hinaus, daß das Christentum „seinem Alter nach sogar noch viel älter sein möchte, als wir annehmen“? – An welche uralte Lehre, älter als die des Christentums, könnte Fichte dabei gedacht haben? In westlicher Tradition lebend meint Fichte mit dieser „uralten Lehre“ zunächst die Gottesoffenbarungen des Alten Testaments, wenn er von Melchisedek5 spricht, von dem Abraham, Urvater der jüdisch-christlichen Tradition, in mit Angabe der Abteilung, des Bandes und der Seitenzahl). Ausführlich zum Thema: David W. Wood: Mathesis of the Mind. A Study of Fichte’s Wissenschaftslehre and Geometry, Amsterdam/New York 2012. 3 Fichte: Die Anweisung zum seeligen Leben, in: GA I/9, 73. 4 Fichte: Die Wissenschaftslehre (Zweiter Kurs) 1804, in: GA II/8, 378 f. 5 Fichte: Die Anweisung zum seeligen Leben, in: GA I/9, 124: „Melchisedek“ bedeutet „gerechter König“, (Psalm 110,1). In Vers 4 des Psalms erklärt Gott dem König: „Du bist ein Priester der Ewigkeit in der Folge Melchisedeks“. Und als König von Salem und Priester des höchsten Gottes segnete Melchisedek Abraham (Gen. 14,18 – 20). In christlicher Tradition aufgewachsen und gebildet, mußte sich Fichte selbstverständlich in erster Linie für seine eigene Tradition interessieren, engagiert tat er es aber nur insofern, als er – insbesondere im

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dessen Lehre eingeweiht worden sei6. Darüber hinaus ist Fichte der Auffassung, daß die vom historischen Jesus verkündete Lehre nach dessen (Jesu) eigenem Verständnis die erste ursprüngliche Religion gewesen sei, die so alt sei wie die Welt7. Andere Weisheitslehren außerhalb der Fichte bekannten europäischen Tradition hätten nach seinem philosophischen Selbstverständnis ebenso Kandidaten jener „uralten Lehre“ sein können, die so alt seien wie die Welt und die deshalb zeitlose Gültigkeit beanspruchen. Hätte man Fichte gefragt, ob er annähme, daß die Lehre vom absoluten Wissen und Leben und Licht prinzipiell auch in anderen als den ihm bekannten Lehren hätten verkündet werden können, hätte er die Frage zweifellos bejaht. Es kann also kein Zweifel bestehen: Fichte selbst hat seine eigene Lehre als eine universale und zu allen Zeiten und vom Beginn der Welt an gültige verstanden. Denn, was die transzendentale Philosophie Fichtes und ihre Ergebnisse von jenen alten Lehren trennt, sind allein ihre zu höchster Virtuosität gesteigerte transzendentale Methodik und die aus ihr erwachsenen philosophischen Erkenntnisse. Sie bilden Fichtes einzigartigen Beitrag zur universal gültigen Selbsterkenntnis des Geistes. Als Konsequenz ergibt sich, daß die Bedeutung der Lehre Fichtes aus historischer Sicht nicht angemessen beurteilt werden kann, schon gar nicht gewinnt man Zugang zu ihrer Bedeutung, wenn man sie als Ausdruck einer Weltanschauung oder Zeitgestalt versteht. Fichtes Wissenschaftslehre im Rahmen eines geschichtlichen Kontextes zu würdigen, mag im Einzelfall höchst sinnvoll, gar unerläßlich sein. Doch der Wahrheitswert seines Werkes kann weder aus zeitgenössischer Perspektive seiner Lebenszeit, noch aus Sicht der Gegenwart angemessen beurteilt werden. Die einzig angemessene und unvoreingenommene Haltung gegenüber seiner Philosophie ist, die Wahrheitsfrage zu stellen und seine Thesen einer durch keine Weltanschauung voreingenommenen Prüfung zu unterziehen. Daß es überhaupt Wissen und Erkenntnis gibt, darüber dürfte als Grundlage jeder kritischen Prüfung universales Einverständnis bestehen. Das Gegenteil zu behaupten, wäre Widerspruch in sich. Aber was das Wissen sei, unangesehen dessen, wovon es etwas weiß, darüber kann sehr wohl philosophischer Dissens bestehen. Und in diesem Sinne bleibt Fichtes Anspruch, die Grundlagen einer wahrhaft universalen Theorie des Wissens gelegt zu haben, eine immerwährende und stets gegenwärtige Herausforderung an das philosophische Denken. Damit komme ich zum Anlaß und Ausgangspunkt meines Beitrags: die Erinnerung an den 19. Mai 1762, den Tag von Fichtes Geburt, sowie die vor 200 Jahren 1812 erschienene Wissenslehre. Sie ist die letzte vollendete und zugleich umfangreichste hochspekulativen Johannesevangelium – völlige Übereinstimmung christlicher Lehren mit den grundlegenden Erkenntnissen seiner Wissenschaftslehre festzustellen glaubte. Typisch für diese Geisteshaltung ist z. B. eine seiner Deutungen der christlichen Lehre: „Dies ist das ewige Leben, heißt es, daß sie Dich, und den Du gesandt hast, d. h. bei uns, das Urgesetz und sein ewiges Bild, erkennen“. 6 Fichte: Die Anweisung zum seeligen Leben, in: GA I/9, 124. 7 Fichte: Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, 7. Vorlesung, in: GA I/8, 269.

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Fassung seines philosophischen Werkes. Dessen einzig angemessene Würdigung kann nur in einer erneuten Aneignung bestehen, die auch der Frage nicht ausweichen sollte, ob und inwieweit Fichte den Erkenntnisanspruch seines letzten großen Werke auch aus heutiger Sicht, umfassend oder nur teilweise, tatsächlich einzulösen vermag. Und so geht es nicht nur darum, Fichtes Lehre erneut zu erschließen, sondern zugleich, soweit wir vermögen, sie auch kritisch auf ihren zeitlosen Wahrheitsanspruch hin zu reflektieren. Fichte selbst wollte und wünschte nichts anderes mit seiner Forderung nach begründeter Erkenntnis, auch wenn sie notwendigerweise aus einsichtigen Gründen über die Möglichkeit eines nur diskursiven Denkens hinausgeht. Und damit komme ich zum eigentlichen Thema, der Wissenschaftslehre von 1812, wenn auch erst nach einem kleinen gedanklichen Zwischenschritt. Zehn Jahre vor dem Vortrag der Wissenschaftslehre von 1812, im Jahre 1801, hatte Fichte seinem Schüler und Freund Schelling einen Brief geschrieben, der beider Korrespondenz leider für immer beendete. Er enthielt einen grundlegenden Hinweis auf das neu gefaßte und bis zum Ende beständige Prinzip der Wissenschaftslehre, was zugleich eine Absage an Schellings eigene Naturphilosophie bedeutete. In Fichtes Schreiben heißt es: „Es kann [in der Philosophie] nicht von einem Seyn, sondern es muß von einem Sehen ausgegangen werden; denn das Seyn ist – sich nicht durchdringendes Sehen. […] In der philosophia prima geht es nicht eigentlich um die Erkenntnis der Objekte, d.i. der Wissensbestimmungen, sondern [um die] absolute Klarheit unseres Auges. Unser Auge wird verändert und vermittelst dieser Veränderung erst die Ansicht der Objekte. Wir sollen ja, von allen Objekten und Disjunktionen frei, hinauskommen zur bloßen inneren Klarheit des absoluten Sehens selber.“8

Fichtes im Jahre 1801 nunmehr endgültig formuliertes Erkenntnisprinzip und das ihm folgende Forschungsprogramm waren allerdings nicht so neu, wie es Fichte damals erschien. Vom Wissen als einem geistigen Sehen hatte schon Platon gesprochen. Wie Fichte hatte er im Höhlengleichnis die empirischen Gegenstände als Projektionen des geistigen Lichts verstanden und das Licht als Äußerung des unsichtbaren Absoluten. Der Leitgedanke transzendentalphilosophischen Denkens, der Fichte im Jahre 1801 so neu erschien, war also schon mehr als zweitausend Jahre zuvor bekannt, wenn auch in bildhafter Weise verschlüsselt. Nach Platons Gleichnis verbringt der gewöhnliche Mensch sein Leben in einer Welt der Schatten, bis er durch Umwendung des geistigen Blicks nach innen ihres lichthaften Ursprungs gewahr wird. Nicht 8 Fichte: „Brief an Schelling vom 31. Mai 1801“, in: GA III/5, 46 ff. Diesen Gedanken noch einmal in anderen Worten, doch inhaltlich unverändert formuliert, schrieb Fichte: Das Sein als ein sich nicht durchdringendes Sehen zu begreifen, bedeutet eine prinzipiell veränderte Sicht der Dinge. Doch der philosophia prima geht es nicht um die im Sehen gesehenen Dinge, sondern darum, sie als Wissensbestimmungen zu begreifen, und darüber hinaus geht es um die absolute Klarheit unseres Auges. Durch die philosophia prima wird unser Auge verändert und vermittels dieser Veränderung erst die Ansicht der Objekte. Denn wir sollen ja, von allen Objekten und Disjunktionen frei, hinauskommen zur bloßen inneren Klarheit des absoluten Sehens selber.

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anders als Platon geht es Fichte um das Innewerden des übersinnlichen Lichts als Ursprung des Sehens und aller Sichtbarkeit. Unangesehen aller methodischen Verfeinerungen bleibt Fichte mit diesen Gedanken also ganz in den Spuren platonischen Denkens. Womit er über die alte Lehre hinausging, war der Gedanke der Freiheit. Platon setzt sie zwar auch voraus, jedoch ohne eigens auf sie zu reflektieren. Nicht also die Freiheit, ohne die es nie zu philosophischer Erkenntnis käme, sondern die Thematisierung der Freiheit bezeichnet die Wende der alten zur neuen Philosophie. Den Blick auf die Freiheit als Bedingung philosophischen Erkennens hat erst die Transzendentalphilosophie entwickelt. In den drei folgenden Kapiteln werden Aspekte besprochen, in denen das gleiche universale Erkenntnisanliegen beider Philosophen besonders deutlich wird – über alle kulturhistorisch bedingten Differenzen der Jahrtausende hinweg: I.

Das Bewußtwerden des Erscheinungscharakters der Wirklichkeit: das Sehen

II. Die Freiheit III. Die Sichtbarkeit des Lichts und sein lichtloser Ursprung

I. Das Bewußtwerden des Erscheinungscharakters der Wirklichkeit: das Sehen 1. Die Reflexibilität des Sehens „Was ist das faktische, als der terminus a quo?“, fragt Fichte in der Wissenschaftslehre von 1812, und seine Antwort lautet: „[Das faktische Sein ist] der allgemeinen Form nach ein vorgefundenes Seyn, das da eben ist, u. damit gut, auf den Kredit seiner Anschauung. u. hangend an dieser Anschauung, wie diese an ihm. Der Uebergang ist ein absolutes Losreissen von diesem Seyn in seiner Totalität und Grundform: zu einem absoluten sich schaffen aus keinem Seyn, sondern durchaus aus nichts“9.

Wie ist ein solches Losreißen vom Vorgefundenen möglich? Das ist die erste Frage, deren Antwort sich Fichte widmet, und es ist dieselbe, die sich auch Platon stellt. Und beider Antwort ist dieselbe: durch die Ab-wendung von der Schattenwelt empirischen Daseins und Hin-wendung zum lichthaften Ursprung des Gesehenen. Im übersinnlichen Sehen oder Wissen gründet die Welt der sinnlichen Anschauung als das „Gesehene“, als Projektum des übersinnlichen „Sehens“10. Wissen oder Sehen als unsichtbares Projizieren muß jedoch reflexibel sein, um als Grund des Gesehenen philosophisch erkannt werden zu können. So muß in der Philosophie zwar vom Wissen oder Sehen als einem Akt geistigen Projizierens ausge9 Fichte: Die Wissenschaftslehre [aus dem Jahr 1812], in: GA II/13, 129, Kursivierung vom Verfasser. Im folgenden abgekürzt: WL 1812 – GA II/13. 10 WL 1812 – GA II/13, 101. So Platon im Höhlengleichnis der Politeia, VII, 514 ff.

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gangen, doch auch die Möglichkeitsbedingung des Gewahrwerdens eines projizierenden Sehens mitbedacht werden. Und das Ergebnis dieses Bedenkens liegt in der einfachen Erkenntnis, das Sehen impliziere die Fähigkeit, als Sehen erkannt werden zu können, d. h. das Wissen sei reflexibel. Sehen und das als Sehen Gesehene sind in der Selbsterkenntnis des Wissens identisch. In Fichtes einfacher Formel für das Sich-sehende-Sehen heißt es: das Sein der Erscheinung ist Subjekt-Objektivität11. 2. Der Blick und die Totalität des Erblickten Das Sehen ist das Prinzip eines unsichtbaren Machens oder Projizierens, wie es bei Fichte heißt, doch wie alle Selbstbeobachtung zeigt, reicht diese Erkenntnis nicht aus, um das im Sehen Gesehene, die Gegenstände des Wissens zu erklären. Denn das Wissen als projizierendes Sehen ist ein Fluß einander ablösender Zustände des Sehens, die un-unterscheidbar ineinander übergehen. Soll es zu einem unterscheidenden Sehen und so zu einem Gesehenen kommen, muß der Fluß des Sehens von einem unbestimmten zu einem bestimmten Sehen, zu einem Blick werden. Doch wie wird das unbestimmte Sehen zu einem bestimmten Blick? – Nur dadurch, daß Sehen in Grenzen gefaßt und so reflektiert werden kann. Nur im reflektierenden Blick auf das Wissen kommt es zu einer Begrenzung im Fluß des Sehens und zu einer geschlossenen Sicht12. Ein geschlossener Blick aber war schon in Platons und Fichtes grundlegender These vom Wissen enthaltend, das Wissen sei als Sehen ein projizierender Akt. Diese These beruht auf der impliziten Erkenntnis, daß projizierende Sehen und von ihm Projiziertes unterschieden sind. Die Platon und Fichte gemeinsame philosophische Erkenntnis, das Wissen sei ein Sehen, ist selbst schon ein bestimmter Blick. Ohne Bestimmtheit des Blickes gäbe es keine Erkenntnis. Statt von einem undifferenzierbaren Fluß des Sehens auszugehen, war mit der Erkenntnis, das Wissens sei ein projizierendes Sehen, schon eine bestimmte Erkenntnis gewonnen. Und sie war nur möglich aufgrund eines im (philosophischen) Blick begrenzten Sehens. Aus der Erkenntnis von Sehen und Blick ergibt sich die Aufgabe, das Gesetz der Unterscheidung und des Zusammenhanges der Blicke ersichtlich zu machen. Und das in zweierlei Hinsicht: von einer Seite geht das Sehen als eine Abfolge gesehener Blicke ins Unendliche fort, von der anderen mündet sie in eine übergeordnete Einheit13, denn die unendlich einander folgenden Blicke werden als solche selbst wieder erblickt in einem neuen und übergeordneten Blick, der alle Blicke vereint. Wie sonst würde die Verschiedenheit einander folgender Blicke erkannt, wenn nicht in der Einheit eines alle Blicke umfassenden Blicks. Nur durch Konsolidierung zur Einheit eines Blicks wird der Fluß des Sehens zur Grundlage philosophischen Erkennens14. 11

Vgl. WL 1812 – GA II/13, 101, 127. WL 1812 – GA II/13, 70. 13 WL 1812 – GA II/13, 105 f. 14 WL 1812 – GA II/13, 104. 12

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Von der Verwandlung des Sehens in eine synthetische Einheit von Blicken und ihnen korrespondierenden Bildern hängt also alles ab, denn erst im Blick scheidet sich das fließende Sehen in weitere Bestimmungen. Und auf diese Weise entsteht die faktische Welt als ein System erblickter Bilder als Bestimmungen des Sehens15. II. Die Freiheit Philosophische Erkenntnis ist nur durch radikale Abwendung vom alltäglich Gesehenen möglich, wie es Platon im Höhlengleichnis beschreibt. Doch nirgends in seinem Gleichnis wird der entscheidende Grund für die Abkehr vom sinnlichen Sehen und Sein zum expliziten Thema gemacht. Nur von passivem Befreitwerden und Zwang ist die Rede. Wenn aber nicht durch einen Akt der Gewalt, wie ist sonst eine Abwendung vom projizierenden Sehen möglich? Für Fichte ist nur eine Antwort möglich: Die Freiheit des Willens ist die wahre Bedingung der Abkehr vom Schattenwesen und der Hinwendung zum Lichte als der Quelle alles Gesehenen. Und Freiheit bestimmt auch den Aufstieg zum alles bestimmenden Ursprung, dem Guten als Ursprung des Lichts. Doch wo ist der Ort der Freiheit? Im Akt des Sehens als solchem liegt sie nicht, denn das Projizieren ist eine bloße Begebenheit, heißt es bei Fichte. Und da sie nicht im Projizieren liegt, kann es nur die Hingabe an den Blick und das in ihm Erblickte sein, in dem die Freiheit zu finden ist. Die Hingabe an das Projizieren ist frei, weil es zwei Weisen des Sehens gibt16 : ein Sehen, das sich im Gesehenen verliert, und eines, das im Sehen seiner selbst bewußt bleibt, d.i. das philosophische Sehen. Und so ist das Sehen Prinzip zweier Arten zu sehen, das der sinnlichen und das der übersinnlichen Welt. Die Alternative liegt in der Freiheit, den Blick entweder auf die eine oder die andere Welt zu richten. Die Welt, die immer nur eine gesehene ist, hängt in ihrem Erscheinen ab von einer durch Freiheit bestimmten Sicht. Mit dieser Erkenntnis haben wir uns in den Zusammenhang beider Welten gestellt, von dem aus die Sicht auf die sinnenhafte sowohl als auf die geistige Welt möglich wird17. Diese Freiheit des Sehens ist jedoch nicht schon reales, sondern zunächst nur ideelles Prinzip verschiedenartigen Sehens. Freiheit ist aber mehr als ideelles Vermögen des Sehens, sie besteht auch darin, ideell Erschautes praktisch zu realisieren. Das im Sehen Gesehene ist nicht nur ideale Vorstellung, sondern auch vorgestellte Realität. Und Realität erhält die Welt der Bilder erst durch praktische Hingabe und Identifikation mit dem im Sehen Gesehenen. Und so ist es nicht die ideelle, sondern die praktische Hingabe an die sinnliche oder übersinnliche Welt, die zum Schöpfer eines wirklichen Seins im Blicke wird.

15

WL 1812 – GA II/13, 127. WL 1812 – GA II/13, 120. 17 WL 1812 – GA II/13, 134. 16

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Mit dieser Überlegung Fichtes zum Punkt des Zusammenhangs beider Welten, der ideellen und reellen, ist auch der höchste Gesichtspunkt der Wissenschaftslehre erreicht, der, in dem sie gründet und aus dem alle ihre Begründungen folgen. Es ist der Standpunkt der Freiheit, der den Zusammenhang beider Welten bildet, entweder frei zu sein oder sich hinzugeben an ein faktisches Gesetz. In der Sittenlehre von 1812 hat Fichte zu Platon folgende interessante Anmerkungen gemacht: „Diese [d.i. die wirkl. Welt ist] im Gesichte [d. h. in der Idee], ehe sie ist in objektiver Anschauung. […] Es ist nur die noch nicht wohl auszumittelnde Frage, ob ihm [Plato] der Unterschied zwischen der praktisch zu erschaffenden Welt, oder der blossen Erscheinung recht klar geworden.“18

Und weiter: „Bei Plato [… sind] die Dinge Abspiegelungen der Ideen, der Gesichte19: – in diesem Gegensatze ist es nun ganz klar. Objektives, und reines. – . Nicht klar ist, ob er die Unterscheidung der beiden objektiven WeltFormen, der als Freiheitsprodukt, u. der schlechthin, ohne alle Beziehung auf Freiheit gegebnen, empirischen, gemacht habe. In der ersten Rücksicht ist es ganz u. gar wahr: wenn man nur die erste Rücksicht durchsezt ganz wahr. In der lezten Beziehung in sehr eingeschränktem Sinne, u. sehr vermittelt: höchstens das ganze zufolge eines Gesichts; nicht das besondere; jedoch dies gehöret nicht hieher.“20

III. Die Sichtbarkeit des Lichts und sein lichtloser Ursprung Platons und Fichtes anfängliches Philosophieren geht also aus von einem in Freiheit gegründeten Sehen. Nicht, daß das alltägliche Sehen unmittelbar etwas mit Freiheit zu tun hätte; aber das, worauf alle Philosophie beruht, liegt in der Kraft, sich loszureißen vom alltäglichen Sehen und seiner Zerstreuung und der Unfähigkeit, zu sich zu finden. Doch was ist der Grund dieser Freiheit des Sehens, und was ist es darüber hinaus, das ein Sehen, ob frei oder nicht, erst möglich macht? Nach Platons und Fichtes gemeinsamer Lehre ist es das Licht. Das projizierende Sehen, mit dessen Thematisierung der Vergleich beider Philosophen begann, setzt als Sehen seine eigene Sichtbarkeit voraus, und diese Sichtbarkeit ist Licht. Licht gibt es nur als Sehen, und das heißt als Sehen, das im Sehen sich selber sieht. Wäre es anders, wäre das Sehen ein lichtloses, bewußtloses Tun, könnte es von den Projektionen des Sehens nicht unterschieden werden. Wissen von etwas bedeutet, Wissen des Wissens von etwas zu haben, sonst wäre das Wissen nicht von dem im Wissen Gewußten unterschieden. Vom Faktum projizierenden Sehens ist die 18

Fichte: Sittenlehre 1812, in: GA II/13, 334 ff. Laut Hinweis der Herausgeber von GA II/13 zu finden bei Platon: Politeia 476 a ff., 507 b ff. 20 Fichte: Sittenlehre 1812, in: GA II/13, 338. 19

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Form der Sichtbarkeit, das Licht, nicht zu trennen21. Als Fluß des Sehens, als reine Sichtbarkeit geht das Licht des Sehens allen bestimmten Blicken voraus. Im Lichte sind Sehen und Sehen des Sehens als Intuition und Reflexion vereint. – Doch was ist die Quelle des Sehens und mit ihm der Freiheit, die sich ohne Licht nicht entfalten könnte? Der Grund der Freiheit und des sie ermöglichenden Lichtes ist die Idee des Guten. Mit ihr gerät die Philosophie allerdings an die Grenze ihrer Erkenntnis. Denn der Ursprung des Lichts ist das schlechthin Unbedingte oder Absolute. Als Quelle des Lichts und Ermöglichung der Freiheit ist es nicht weiter erhellbar, denn von ihm geht alles Erkennen aus. Es gibt keine Erkenntnis, kein Bild, das selber Ursprung des Lichts ist. Die Lehre vom lichtlosen Ursprung des Lichts ist die Lehre vom unerkennbaren Leben, das im Wissen und in der Freiheit in die Erscheinung tritt. Das Leben des Absoluten ist das letzte Thema philosophischen Erkennens, das beide Philosophen, Fichte und Platon, vereint. 1. Die Universalität philosophischer Erkenntnis Platons und Fichtes Theorien der Erkenntnis, die hier nur unvollständig in einigen Zügen entwickelt wurden, weisen trotz des großen historischen Abstands grundlegende Gemeinsamkeiten auf. Diese Einsicht ist nicht neu, wenn auch hinsichtlich der Wissenschaftslehre von 1812 bisher unerörtert. Im Vorausgegangenen ging es jedoch nicht um eine Würdigung historischer Übereinstimmungen – ein vollständiger Vergleich hätte umfassender ausfallen müssen –, sondern allein um den Anspruch Fichtes, es gäbe nur eine universale Philosophie. Darum allein ging es dem skizzenhaften Aufweis grundsätzlicher Übereinstimmungen zwischen Platon, dem Begründer dessen, was er Philosophie nannte, und Fichte, als Vollender des platonischen Projekts, was dieser als Wissenschaftslehre bezeichnete. Fichtes zeit seines Lebens vertretene Theorie der Universalität philosophischer Erkenntnis, die hier an einem entscheidenden Beispiel bestätigt werden sollte, steht im diametralen Gegensatz zum Pluralismus und Postmodernismus der Gegenwart und dem historisierenden Lehrbetrieb an heutigen Universitäten. Der gegenwärtige Philosophiebetrieb widerspricht nicht nur dem genuinen Anspruch auf Universalität antiken und christlichen Philosophierens, auch dem der Aufklärung, Leibnizens und Wolffs Interesse an chinesischem und Schopenhauers an indischem Denken insbesondere. Alles das wird heute nur noch aus historischer Perspektive gewürdigt. Fichte war kein Universalgelehrter wie Leibniz. Sein universalistischer Erkenntnisanspruch hat ihn nicht dazu motiviert, anderen philosophischen Theorien als denen seiner Zeitgenossen Interesse abzugewinnen. Sein Desinteresse an philosophiegeschichtlichem Denken mag auch seiner Unkenntnis geschuldet sein22. 21

WL 1812 – GA II/13, 141. Sie tritt beispielhaft in seiner Äußerung zutage, „alle Philosophie vor Kant hat das Absolute in das Sein gesetzt“ – gemeint war nicht etwa das absolute, sondern das faktische Sein! 22

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Doch, wäre es vorstellbar, daß ein heute lebender Fichte die zu seinen Lebzeiten noch weitgehend unbekannten Wissenstheorien europäischen und außereuropäischen Ursprungs mit ihrem Anspruch auf Universalität, intellektuelle Anschaubarkeit und wenigstens partielle rationale Begründbarkeit ignoriert und nicht wenigstens kritisch zur Kenntnis genommen hätte? – Das ist wenig wahrscheinlich. Um welche Theorien es dabei geht, möchte ich, obgleich zuvor schon angedeutet, durch Auszüge aus einer Textpassage des zeitgenössischen Forschers Lutz Geldsetzer, eines der wenigen universal orientierten Philosophen der Gegenwart, wenigstens andeuten. Zum Thema indischer Philosophie heißt es bei ihm23: „Was als solche gelten könnte, spricht sich in Idealen von einer ,philosophia perennis‘ aus […] als einem immer gleichen und wahren Grundgehalt echten Philosophierens in allen Variationen und Gegensätzen der historisch ausgearbeiteten Positionen.“

Und Geldsetzer fährt fort: „Die indische Philosophie ist idealistisch. […] Ihr idealistischer Grundzug […] entspricht der Rolle der platonischen und neuplatonischen Philosophie im Abendland. Und diese Gemeinsamkeit dürfte zugleich auch das gemeinsame indo-arische Erbe verkörpern und zum Ausdruck bringen. Der indische Idealismus ist zugleich monistisch, indem er alles Verschiedene als Einheit begreift und die Unterscheidung als solche diskriminiert. Dies wird besonders in der Advaita-(nicht-Zweiheit) Philosophie ausgesprochen. […] Der indische Idealismus ist zugleich ein Spiritualismus. Das Eine und Wesen aller Dinge ist das Geistige, und alles Materielle, die sog. Natur ist scheinhafter Abglanz dieses Geistigen. Dies entspricht sehr genau dem neuplatonischen Grundgehalt christlicher Philosophie. […] Der indische Idealismus ist daneben auch ein Pragmatismus. Der Wesenscharakter des Geistigen ist das Handeln. In seinen Handlungen erst tritt er in die Erscheinung, und alle Erscheinung muß daher als ,Wirkung des Geistes‘ erklärt werden. Nicht-Handeln läßt daher auch alle Erscheinung verschwinden. Das entspricht einer alten, undurchschauten abendländischen Auffassung von der ,Wirklichkeit‘, die durch Aristoteles inauguriert wurde […]. Dem Aristoteles war es die göttliche Arché, der christlichen Philosophie und dem Neuplatonismus der Gott. Aber Leibniz hat seine Geist-Monade als Handlungswesen (être capable d’action) definiert und die Welt als Produkt der erkennenden und strebenden Handlungen der Monade ,erscheinen‘ lassen, was ganz analog zum indischen Geiste gedacht war. Schließlich hat Fichte das Geistige und Nicht-Geistige (die Natur) durch die ,Urtathandlung‘ des ,Ich‘ erbaut und wurde so zum Vater des modernen Pragmatismus.“

Besser als mit dieser Behauptung aus dem Jahre 1804 hätte Fichte seine damalige philosophiegeschichtliche Ignoranz nicht dokumentieren könne, die allerdings nicht mit seinen späteren Äußerungen zu Platon aus dem Jahre 1812 zu vereinbaren ist. Dazu vom Verfasser: „Strukturprobleme der Wissenschaftslehre 1804. Das Denken des Absoluten in Asien und Europa. Eine kritische Reflexion auf Fichtes Diktum: „alle Philosophie vor Kant hat das Absolute in das Sein gesetzt“, in: Fichte-Studien 17 (2000) 149 – 161. 23 Lutz Geldsetzer: Die klassische indische Philosophie. Vorlesungen an der HHU Düsseldorf. SS 1982, WS 1993/94, WS 1998/99, auf: https://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/ philo/geldsetzer/indotit.htm, Recherche am: 30. 07. 2014.

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Diesen zusammengefaßten Ausführungen Geldsetzers wäre nur hinzuzufügen, daß das antike Denken auch die Grundlage der islamischen Philosophie bildete. Neben den Wissenstheorien der indischen Lehren des Vedanta und des Buddhismus bildet auch die spekulative islamische Lehre einen aus transzendentaler Sicht bisher unerschlossenen Bereich. Mit diesem historischen Hinweis auf die den Freunden Fichtes anscheinend wenig bekannten orientalischen Theorien komme ich zum Ende. Der zweihundertfünfzigste Geburtstag des großen Philosophen sollte nicht nur Anlaß sein, seine Lehre dem gegenwärtigen Verständnis erneut zu erschließen und auf diese Weise lebendig zu halten, sondern auch, sich im Zeitalter eines ,historisierenden Relativismus‘ der universalistischen Intention der Transzendentalphilosophie bewußt zu sein. Und das bedeutet, der Lehre Fichtes über eine bloß philosophiehistorische Aneignung hinaus kritisch und zugleich konstruktiv zu begegnen, indem sie im Sinne ihres universalistischen Anliegens nachvollzogen und, womöglich, weiter entwickelt wird. Das Plädoyer für eine Kenntnisnahme der Wissenstheorien des Orients in diesem Vortrag wie auch der Aufweis grundlegender Gemeinsamkeiten Platonischen und Fichteschen Denkens wollten nichts anderes sein als Hinweise auf die universale und zeitlos gültige Dimension der Transzendentalphilosophie. Möglicherweise führt der Weg vergleichender Studien orientalischer Wissenstheorien am Ende zu nicht mehr als einer indirekten oder partiellen Bestätigung der Transzendentalphilosophie Fichtes, und vielleicht erweist sich dieser Weg als wenig bereichernd für deren Weiterentwicklung. Doch selbst den Fall eines negativen Ergebnisses gesetzt, er wäre eines Versuches wert. Dem postmodernen Niedergang der Philosophie ließe sich mit einem durch globale Kenntnisse erweiterten philosophischen Bewußtsein überzeugender begegnen.

Forschungsliteratur zu Fichtes Wissenschaftslehre von 1812 und ihrem Umfeld Baumanns, Peter: „Fichtes und Schellings Spätphilosophie“, in: Albert Mues (Hg.): Transzendentalphilosophie als System. Die Auseinandersetzung zwischen 1794 und 1806, Hamburg 1989, 471 – 482. – J.G. Fichte. Kritische Gesamtdarstellung seiner Philosophie, München 1990, 344 – 385. Bertinetto, Alessandro: „Die Grundbeziehung von „Leben“ und „Sehen“ in der ersten Transzendentalen Logik Fichtes“, in: Fichte-Studien 20 (2003) 203 – 213. – „Die transzendentale Argumentation in der Transzendentalen Logik Fichtes“, in: Fichte-Studien 31 (2007) 255 – 265. – „,Wäre ihm dies klar geworden, so wäre seine Ktk. W.L. geworden‘: Fichtes Auseinandersetzung mit Kant in den Vorlesungen über Transzendentale Logik“, in: Fichte-Studien 33 (2009) 145 – 164. Bisol, Benedetta: „Die Ich-Lehre in der Wissenschaftslehre 1812“, in: Fichte-Studien 28 (2006) 177 – 186. Brachtendorf, Johannes: Fichtes Lehre vom Sein. Eine kritische Darstellung der Wissenschaftslehre 1794, 1798/99 und 1812, Paderborn/München/Wien 1995, 233 – 305. – „Der erscheinende Gott – Zur Logik des Seins in Fichtes Wissenschaftslehre 1812“, in: Fichte-Studien 20 (2003) 239 – 253. – „The Notion of Being in Fichte’s Late Philosophy“, in: After Jena. New Essays on Fichte’s Late Philosophy, hg. Daniel Breazeale/Tom Rockmore, Northwestern University Press 2008, 151 – 161. Brüggen, Michael: Fichtes Wissenschaftslehre. Das System in den seit 1801/02 entstandenen Fassungen, Hamburg 1979, 116 – 136. Carvalho, Mário Jorge de: „Reflexion und Reflexibilität“, in: Fichte-Studien 28 (2006) 187 – 204. Drechsler, Julius: Fichtes Lehre vom Bild, Stuttgart 1955, 173 – 420. Falk, Hans-Peter: „Fichtes späte Wissenschaftslehre“, in: Fichte-Studien 28 (2006) 129 – 143. Furlani, Simone: L’ultimo Fichte. Il sistema della Dottrina della scienza negli anni 1810 – 1814, Milano 2004, 91 – 166. Gurwitsch, Georg: Fichtes System der Konkreten Ethik, Tübingen 1924, ND 1984, 56 – 64. Hammacher, Klaus: „Die transzendentallogische Funktion des Ich“, in: Fichte-Studien 15 (1999) 31 – 70. Ivanenko, Anton A.: „Der zweideutige Begriff des Seins im Vortrag der Wissenschaftslehre vom Jahre 1812“, in: Fichte-Studien 28 (2006) 153 – 160.

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Forschungsliteratur

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Personenregister Abraham 163 Aristoteles 144, 162, 171 Asmuth, Chr. 48 (Anm. 16) Baumanns, P. 121, 173 Becker, J. 162 (Anm. 1) Bertinetto, A. 173 Binkelmann, Chr. 5 Birken-Bertsch, H. 83 (Anm. 61) Bisol, B. 173 Brachtendorf, J. 61 f., 173 Bransen, J. 45 (Anm. 10) Brüggen, M. 173 Carvalho, M. J. de 6, 173 Cicero, M. T. 51 (Anm. 33) Cramer, W. 121 Descartes, R. 55 (Anm. 4), 58 (Anm. 16), 101, 122 Dostojewski, F. M. 55 (Anm. 4), 58 (Anm. 16) Drechsler, J. 173 Falk, H.-P. 173 Fichte, I. H. 86 (Anm. 66), 130 (Anm. 25) Frank, M. 121, 144 Fuchs, E. 55 (Anm. 1), 123 (Anm. 6) Fujisawa, K. 113 (Anm. 27) Furlani, S. 173 Geldsetzer, L. 171 f. Girndt, H. 6 Goddard, J.-Chr. 46 (Anm. 12) Gurwitsch, G. 173 Hammacher, K. 173 Hegel, G. W. F. 6, 30 (Anm. 8), 44, 47, 100, 130, 133, 137 ff., 145 – 157, 159 (Anm. 47), 174 Heidegger, M. 43, 128

Henrich, D. 121 – 124, 126, 129, 138, 141 – 144, 152 (Anm. 38), 154 (Anm. 43) Hoffmann, Th. S. 6, 25 (Anm. 20), 137 (Anm. 50), 155 (Anm. 44) Hölderlin, F. 128 Honrath, K. 5 Hossefelder, M. 44 (Anm. 6) Husserl, E. 20 Ivaldo, M. 6 Ivanenko, A. A. 173 Jacobi, F. H. 42 – 47, 98, 104 (Anm. 56) Jaeschke, W. 157 (Anm. 45) Janke, W. 111 (Anm. 12), 174 Jesus Christus 44, 164 Johannes der Evangelist 163 f. Kant, I. 5, 9 – 19, 22 ff., 27 ff., 32 – 47, 49, 51 ff., 55 (Anm. 4), 66, 80 f., 83 (Anm. 61), 87 f., 91 (Anm. 85), 92, 100 (Anm. 18), 101, 103 (Anm. 44), 104 (Anm. 47), 122, 132, 135, 137 (Anm. 50), 139, 142, 148, 161 f., 170 (Anm. 22), 173 f. Kimura, H. 6, 114 (Anm. 29), 120 (Anm. 65), 174 Kuhlmann, W. 141, 143 Lang, St. 130 (Anm. 29) Lauth, R. 55, 58 Leibniz, G. W. 28 (Anm. 3), 161, 170 f. Lütterfelds, W. 138 (Anm. 50) Maesschalck, M. 174 Maimon, S. 45, 49, 50 (Anm. 28) Maranon, J. M. M. de 58 (Anm. 15), 174 Marx, K. 55 (Anm. 4), 58 (Anm. 16) Matsumoto, M. 109 (Anm. 1) Melchisedek 163 Nuzzo, A. 174

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Personenregister

Paimann, R. 174 Parmenides 46 Penolidis, Th. 6, 154 Platon 12, 40, 60, 72 (Anm. 20), 120, 165 – 172 Reinhold, K. L. 44 Richli, U. 6, 174 Richter, J. P. F. (Jean Paul) 14 (Anm. 10) Rohs, P. 158 (Anm. 46) Rosales, J. R. de 6, 147 (Anm. 16), 174 Russell, B. 143 Sandkaulen, B. 146 (Anm. 8), 174 Sartre, J.-P. 123 Schelling, F. W. J. 14, 17, 19, 49 (Anm. 25), 59 f., 62, 64, 97 (Anm. 1), 99 (Anm. 16), 100 (Anm. 19), 128, 141, 145 f., 165, 173 f. Schlegel, F. 53 (Anm. 35) Schmidt, A. 174 Schnell, A. 46 (Anm. 12) Schopenhauer, A. 32, 100 (Anm. 24), 170, 174

Schulte, G. 174 Schulze, G. E. 43 ff., 47 Siemek, M. J. 55 Siep, L. 148 (Anm. 19) Spinoza, B. 14, 42, 46 f., 52, 57 – 60, 62, 98 – 101, 103, 174 Strawson, P. F. 134 Takahashi, Y. 174 Vater, M. G. 174 Vetö, M. 128, 174 Waibel, V. L. 145 (Anm. 1) Wandschneider, D. 131 f., 134 Weiß, M. B. 174 Wittgenstein, L. 143 f. Wolff, Chr. 28 (Anm. 3), 170 Wood, D. W. 163 (Anm. 2) Wundt, M. 174 Zöller, G. 41 (Anm. 1), 148 (Anm. 24)

Sachregister Absolutes 13 f., 25, 29 – 34, 36 – 40, 42, 46 (Anm. 12), 48, 50, 52, 55, 57, 59 – 64, 67, 72 f., 98 – 101, 103 – 106, 109 f., 111 (Anm. 12), 116, 122, 127, 131, 135 f., 138, 145 – 148, 151, 155 (Anm. 44), 163, 165 f., 170, 171 (Anm. 22), 174 – Bild des A. 29, 39, 72 f., 100, 105 f., 147, 163 – Erscheinung des A. 46 (Anm. 12), 48, 55, 64, 67, 72 f., 97, 103, 105, 122, 138, 148 Absolutheit 46, 141, 150 Abstraktion 132 f. Achtung 35, 38 f. Adäquation 88 (Anm. 73) Affirmation 58 ff. Akzidens 28, 84 (Anm. 62), 99, 136, 140 Analogie 98 Analyse 13 f., 48 ff., 53, 65, 74, 94 (Anm. 104), 103, 110, 118 f., 121, 148, 150 (Anm. 33) Analytik 12 – transzendentale A. 12 Anerkennung 24, 130, 150 Anschauung 11, 12 (Anm. 6), 13 (Anm. 9), 20, 24, 30 f., 33 f., 36 f., 41 f., 44, 46, 51 ff., 58, 87 – 92, 94, 95 (Anm. 104), 105 – 108, 111 f., 128, 138, 145 f., 149, 166, 169 – intellektuelle A. 51, 171 Anschauungsform 11, 44, 51 Anthropologie 34 Aposteriori, Aposteriorisches 11, 44 Apperzeption 11, 34 ff., 41, 46, 49, 106, 108, 118 f., 132, 135, 139, 142 – transzendentale A. 11, 41, 46, 49, 132, 135, 139, 142 – synthetische Einheit der A. 34 ff., 106, 108, 118 Apriori, Apriorisches 11, 32 f., 35, 48 f., 52, 102, 105, 113, 129 – 135, 138 – 142, 144 Aseität 61 Attribut 50, 99

Außenwelt 16 Autonomie 5, 18, 22, 28, 155 (Anm. 44) – epistemische A. 22 Begriff 13 (Anm. 9), 20, 41 f., 46 ff., 50 ff., 59 – 62, 71, 73, 85 (Anm. 64), 87 – 92, 94 f., 96 (Anm. 105), 99, 101 – 108, 110 – 113, 119, 121, 124, 127, 129 – 133, 142 f., 146 – 153, 155 f. (Anm. 44), 157 (Anm. 45), 163, 173 f. Beobachter 83, 125 Bestimmtes, Bestimmtheit 13, 15 f., 21 – 24, 33, 90, 93, 106 f., 130, 132, 137, 146 f., 151 f., 154 – 158, 167 f., 170 Bewegung 32, 36, 150, 152 f., 156 – 158 Bewußtsein 12 f., 16, 18, 20 ff., 28, 31 – 35, 38 ff., 47 f., 53, 55 f., 58 ff., 65, 85 (Anm. 64), 97, 102 f., 105, 110, 125 f., 128 f., 132, 138, 147, 149 f., 157 (Anm. 45), 172 – empirisches B. 28, 110 – natürliches B. 126, 128 f. – philosophisches B. 172 – vollendetes B. 20 – B. der Freiheit/des Sittengesetzes 21, 34, 38 f. – Tatsachen des B. 132, 143 (Anm. 73) Bild, Bilden, Bildhaftigkeit, Bildlichkeit 6, 12 ff., 17 – 21, 23 ff., 27, 29 – 40, 48 f., 56 ff., 60 – 66, 69 – 116, 119, 122 f., 126 (Anm. 16), 127 f., 130, 133, 135 f., 138 ff., 143, 147 – 151, 155 (Anm. 44), 163, 164 (Anm. 5), 165, 168, 170, 173 f. Bildung 9, 20, 31 f., 38, 103 Christentum 29, 44, 163 f., 170 f. Dasein 29, 38, 58, 61 f., 66, 87, 90, 97, 103, 106, 109, 111, 151, 154, 157 (Anm. 45), 166 Deduktion 11, 58

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Sachregister

– transzendentale D. 11 Deklination 86 Denken 5, 9 – 12, 27 ff., 30 ff., 34, 36, 38 f., 50, 53, 59 ff., 88 f., 90, 92, 95 (Anm. 104), 102, 105, 127 f., 131 ff., 139, 149 f., 153, 161, 164 f., 172 – gegenständliches D. 27 ff., – reines D. 59 ff., 102 – –transzendentales/transzendentalphilosophisches D. 10, 12, 165 Denknotwendigkeit 12, 98 Determinismus 19 Dialektik 31, 61, 83 (Anm. 61), 131, 151 Ding an sich 12 (Anm. 7), 13, 16 ff., 43 ff., 47 ff., 52 f., 101, 115 Dingontologie 16, 22 Dogmatismus 11 f., 15, 19, 43, 53, 101 Dualismus 13, 99 Dualität 63 Duplizität 49, 86 f., 90, 92, 106, 111 f. Durchsichtigkeit, Sichdurchsichtigkeit 57, 83, 113 Einbildungskraft 17 (Anm. 16), 23 f., 37 ff., 104, 108, 127, 153, 159 Eines 58 – 61, 63 f., 78, 86 ff. (Anm. 69), 95 (Anm. 104), 100, 104, 171 Einfaches, Einfachheit 30 (Anm. 8), 49, 74, 76, 79, 81 f., 91, 94 (Anm. 104, 105), 100 (Anm. 19) Einheit 12 (Anm. 6), 19, 23 f., 34 ff., 39, 47, 51, 55, 58, 60 f., 63 f., 82, 98, 100, 104, 106 ff., 112, 116, 118 f., 122 ff., 128, 130, 132, 134, 136 f., 139 (Anm. 57), 141 ff., 147, 154 ff., 157 (Anm. 45), 158, 162 f., 167 f., 171 – synthetische E. 12 (Anm. 6), 34 ff., 106, 108, 118, 132, 168 Einheitspunkt 112, 116, 118, 142 Einheitsraum, Einheitshorizont 19, 24 Einzelheit, Einzelnes 15, 19, 40, 116, 132, 143 (Anm. 73) Emanation 103 Empfindung 22, 44, Empirismus 22, 29 (Anm. 4) Endliches, Endlichkeit 24, 30 f., 66, 97 (Anm. 1), 101, 122 Episteme, Epistemologie 12, 18 ff., 22, 55

Erfahrung 11 – 14, 22 f., 35, 44, 55 f., 60, 100 (Anm. 18), 147 (Anm. 16) – ästhetische E. 23 Erfahrungsbegriff 22 Erfahrungswissenschaft 22 Erfahrungstotalität 55 Erhabenes 37 Erkenntnis 13 (Anm. 8), 18, 23 f., 27 ff., 31 – 35, 43, 47, 56, 102 (Anm. 36), 114, 116, 119, 149, 152, 155 f., 162 – 168, 170 Erkenntnisanspruch 165, 170 Erkenntnisform, Erkenntnisformen 32, 157 (Anm. 45) Erkenntnishandlung 156 Erkenntnissphäre 16 f. Erkenntnisstufe 31 Erkenntnissubjekt 12 Erkenntnistheorie 23 Erkenntnisvermögen 29 f. Erscheinung 5, 10, 12 (Anm. 7), 13 – 25, 32 – 35, 41 – 53, 55, 57 f., 61 – 67, 69 – 108, 110 – 116, 119, 122 f., 125 – 129, 131 f., 134 – 140, 142, 145, 147 – 151, 153 f., 158, 167, 169 ff., 174 Erscheinungscharakter (der Welt/Wirklichkeit) 163, 166 Erscheinungsform 64, 143 (Anm. 73) Erscheinungslehre 14, 16, 43, 46 (Anm. 12), 57 f., 63 Erscheinungsraum 15 Erscheinungsrelation 16, 18 f. Erscheinungswelt 67 Ersehen 23 f., 66, 119, 133 Ethik 46, 99 (Anm. 16), 173 Existenz 39, 42, 50, 60, 97 f., 100 (Anm. 21), 104 f., 154, 156 – E. Gottes 60 Form 11, 13 f., 14, 18, 20 – 25, 31, 33, 37, 39, 44, 48, 51, 60 – 64, 69, 71, 73 ff., 78, 81 ff., 84 ff., 89 – 94, 99, 104 – 107, 109 – 113, 117 – 120, 123 – 144, 147 – 151, 152 (Anm. 38), 153 f., 158, 169 f. Freiheit 10, 19 – 22, 24 f., 27 ff., 31, 33 f., 36 – 39, 60, 62, 65 ff., 101, 105 f., 110, 128, 166, 168 ff. – intelligible F. 151 – negative F. 29

Sachregister – praktische F. 103 (Anm. 44), Freiheitsbewußtsein 20, 33 Freiheitsphilosophie 19, 33 Freiheitswesen 24 f., 40 Fünffachheit 52, 91, 94 f., 107 f., 112, 174 Geist, Geistiges 12, 56, 67, 139, 151 ff., 162, 164 ff., 168, 171 Gemüt 35, 37, 44 f. Geometrie 133, 162 f. (Anm. 2) Gesetzmäßigkeit 112 Glauben 15, 31, 125 Gott 12 (Anm. 5), 14 (Anm. 10), 29 f., 32, 34, 36, 47, 60, 62, 66, 72, 98 ff., 102 – 105, 107, 110, 123, 134 f., 147 f., 163, 171, 173 Gottesbeweis 12 – ontologischer G. 12 (Anm. 5) Gottesoffenbarung 163 Handeln, Handlung 13, 28 f., 40, 52, 55, 107, 120, 126, 151, 156, 171 f. Hemmung 37 Holismus 10, 22 ff. Hypostase, Hypostasierung 12 (Anm. 7), 146, 156 Ich 13 f., 16 – 22, 28 f., 32, 34 ff., 40, 44 f., 49 – 53, 85 (Anm. 64), 97, 101, 102 (Anm. 36), 105 f., 107 (Anm. 71), 108, 112, 121 – 129, 140, 142, 144 f., 148, 152, 158 (Anm. 46), 163, 171 – absolutes/reines I. 14, 49 (Anm. 25), 97, 102 (Anm. 36), 118, 122, 163 – empirisches I. 14 (Anm. 10) – praktisches I. 108 – transzendentales I. 44, 109 (Anm. 1) Ichbegriff 152 Ichform, Ichheit 108, 112, 118 f., 130, 135, 142 Ichtätigkeit 18 Ideal 24 Ideales, Idealität 152, 157, 171 Idealismus 14, 17, 19, 27, 34, 37, 41, 43, 50, 97 (Anm. 1), 101 ff., 130 (Anm. 25), 138 (Anm. 50), 145 f., 171 – Deutscher I. 27, 34, 37, 41, 43, 50, 109 (Anm. 1), 174 – dogmatischer I. 101, 103

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– subjektiver I. 14, 17, 101 – transzendentaler I. 19, 97 (Anm. 1), 101 (Anm. 28), 130 (Anm. 25), 145 Idee 12 f., 17, 32, 37 f., 44 f., 49, 55 (Anm. 4), 100 f., 102 (Anm. 38), 103, 146, 162, 169 f. – absolute I. 17 Identität 49 ff., 111, 117, 132, 134, 135, 140 f., 145 f., 156, 158 (Anm. 46), 159 Identitätsphilosophie 14, 146 (Anm. 8) Immanenz 157 (Anm. 45) Imperativ 18, 28, 38, 40 – Kategorischer I. 28, 38, 40 Indifferenz 145 Individuum 108, 142 Intelligenz 97 (Anm. 1) Intelligibilität, Intelligibles 12, 30, 38, 87 (Anm. 72), 151 Kantianismus 5 Kausalität 24 Komplexität 70, 74, 78, 86, 87 (Anm. 72), 95 (Anm. 105) Konstruktion 17 (Anm. 16), 146 Kontinuität 25 Kopula 47, 52 Korrelat, Korrelation 91 Kraft, Kräfte 38 f., 65, 79 f., 105, 109, 121, 169 Leben, Lebendiges 17, 18 f., 28, 32 ff., 35, 38 ff., 44, 56, 58, 62 – 67, 69, 71, 72, 74, 78 f., 84, 98 ff., 101 (Anm. 28), 104 – 107, 116, 123, 139 (Anm. 57), 147 f., 150 (Anm. 33), 151, 153, 155 (Anm. 44), 163 ff., 170, 173 – absolutes L. (Gottes) 33, 100, 116 – ewiges L. 163 f. – seliges L. 30 (Anm. 9), 31 (Anm. 11), 98 (Anm. 8), 99 (Anm. 9, 12), 102 (Anm. 38), 163 (Anm. 3, 5), 164 (Anm. 6) Lebensphilosophie 41 Leib, Leiblichkeit 14 (Anm. 10), 25 Leiden 139 Logik 12, 14, 16, 19, 24 f., 28, 29 (Anm. 4), 35, 95 (Anm. 105), 101 (Anm. 28), 124, 127, 128 (Anm. 19), 130, 137 ff., 144, 148 f., 151 f., 154 (Anm. 43), 155

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Sachregister

(Anm. 44), 157 (Anm. 45), 158 (Anm. 46), 161, 173 f. – transzendentale L. 124, 127, 128 (Anm. 19), 147 (Anm. 16), 149, 173 f. – Wissenschaft der L. 137 f. (Anm. 50), 145, 146 (Anm. 4, 5), 151 – 157 Logos 30, 152 f., 156, 157 Mannigfaltiges, Mannigfaltigkeit 12 (Anm. 6), 14 (Anm. 11), 19, 21, 23 f., 34 ff., 55, 60, 63 f., 74, 79, 81, 98 ff., 104, 106 – 109, 112, 118 f., 132, 147 Materialismus 101 Materie, Materielles 97 (Anm. 1), 102, 108, 171 Mathematik 162 (Anm. 2) Mechanik, Mechanisches 23, 32, 38, 65 Mechanismus 38 Mensch 15 (Anm. 12), 28 f., 37 – 40, 42 (Anm. 2), 47, 125 f., 135, 163, 165 Metapher 18 (Anm. 17), 98, 128 (Anm. 21) Metaphysik 28, 34, 36, 43, 53, 80 f. (Anm. 56, 57), 103 (Anm. 44) – M. der Sitten 33 (Anm. 15) Mittelbares, Mittelbarkeit 13 (Anm. 9), 14, 22 f., 101 Modalität 79 f., 82 Mögliches, Möglichkeit 11 f., 12 (Anm. 6), 23, 29, 31, 35, 40, 49, 60, 69, 72, 80 f., 88, 92, 95 (Anm. 105), 98, 100, 103, 106, 110, 116, 114, 135, 146 (Anm. 7), 147, 154 (Anm. 43), 165 ff. Monade 171 Moral, Moralisches 24, 33, 105 Mystik, Mystizismus 41, 47, 99 (Anm. 10) Nachkonstruktion 17 (Anm. 16), 55 Natur 17, 25, 38 f., 53, 56, 64, 95 (Anm. 105), 108, 171 Naturalismus 53 Naturphilosoph, Naturphilosophie 141, 146 (Anm. 8), 165 Naturtrieb 105 Naturwissenschaft 15 Naturzweck 23 Negation 5, 29, 46, 50, 58 ff., 99, 134, 151, 154 – 158

Negativität 137 (Anm. 50), 138, 145, 151 – 157 Neo-Empirismus 162 Neuplatonismus 171 Nicht-Ich 16, 29, 49 (Anm. 25), 108, 130 (Anm. 25), 145 Nichts 92, 158 Nichtsein 50, 61, 111, 156, 159 Nicht-Sich 84 ff. Notwendiges, Notwendigkeit 12, 22, 35, 37, 39 f., 48, 60, 62 f., 98, 102 (Anm. 36), 105, 110, 114, 117, 128, 131 f., 134, 150, 152 f., 156 Noumenon 42, 44 f., 49 Objekt 6, 13 (Anm. 8), 15 – 19, 24, 29, 32, 34, 46 f., 49, 51 f., 55 f., 85 f., 88, 89 (Anm. 81), 106 f., 111 f., 122, 124, 132, 141 f., 148, 150, 165 – intelligibles O. Objektbewußtsein 21 Objektbezug 56 Objektebene 124, 141 Objektives, Objektivität 12, 13 (Anm. 8), 19, 21, 33, 47, 52, 57, 59, 66, 85, 86 ff., 89 (Anm. 81), 90 ff., 108, 111 f., 115 – 120, 123, 127 f., 138, 142, 150 f., 155, 158, 167, 169 Objektivierung 128, 139 Objektstufe 129 f., 132, 139 Offenbarung 98, 100, 104 f., 163 Ontologie 12, 17, 19 f., 22 Organisches 23 f., 98, 118, 137 Organismus 38 Phänomen 15, 57 f., 60, 70 f., 107 Phänomenalismus 16 Phänomenalität 42 Phänomenologie 41, 45 f., 48, 52 f., 57 f., 111 (Anm. 12) – transzendentale Ph. 41, 52 f. – Ph. des Geistes 139 (Anm. 59) Philosophie 5 f., 9 ff., 19 f., 25 (Anm. 20), 27 ff., 32 f., 34, 36 f., 40 – 45, 47, 49 (Anm. 25), 52, 53 (Anm. 35), 57, 59, 83 (Anm. 61), 97, 99 (Anm. 16), 121 (Anm. 1), 128 (Anm. 19), 129, 133, 135 f.,

Sachregister 141 (Anm. 70), 146, 149, 152 (Anm. 38), 153, 161 – 166, 169 – 174 – analytische Ph. 41 – praktische Ph. 19, 28 f., 33 f., 36 f., 129 – theoretische Ph. 42, 52 Physik 13 (Anm. 8) Physiologie 25 (Anm. 20) Positivismus 13 (Anm. 8) Prädikation 47, 50 Prinzip 18, 21, 34 ff., 49 (Anm. 25), 57, 61, 65 ff., 97, 100, 107 f., 114 ff., 118, 122 f., 126 f., 129 f., 134, 138, 146, 148, 150 f., 154, 157 (Anm. 45), 162, 165, 167 f. – transzendentales P. 122 Prinzipialität 18 f. Prinzipiat 107 f., 114, 118, 127 Prinzipientheorie 18 f. Produktionstheorie 122 Projektion 23, 123 f., 126 (Anm. 16), 129, 165, 169 Prozeß, Prozeßhaftigkeit, Prozessualität 23, 33, 36, 39 f., 98, 100, 108, 120, 126, 147, 150 Psychologie 20 Quadruplizität 52, 92, 94, 112 Qualitatives, Qualität 50 f., 57, 60, 63 f., 66, 75 f., 87, 89 (Anm. 81), 92, 95 (Anm. 104), 106, 108, 112, 148, 154 f. Quantum, Quantität 155 Rationalismus 162 Raum 17 – 20, 23 ff., 108, 143 Reales, Reelles 35, 55, 58, 62, 77 f., 80, 98, 101, 102 (Anm. 38), 104, 107, 126 (Anm. 16), 134 f., 136, 153 f., 158 f., 168 f. Realisierung 21, 23, 113 f., 127, 139, 158, 168 Realismus 41, 44 f., 98, 101 Realismus-Idealismus 101 Realität 23, 33, 44, 48, 50, 75, 97 f., 99, 101 – 105, 137, 139 (Anm. 57), 168 Rechtslehre 161 Reduktion 13 (Anm. 9), 155 (Anm. 44) Reduplikation 95 f. (Anm. 105) Reflexibilität 34 f., 66, 96 (Anm. 105), 98, 103, 108, 114, 116, 119 f., 139 (Anm. 57), 147 f., 158, 166, 173

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Reflexion 6, 10 f., 16, 23, 25, 34, 46, 56, 64 f., 74, 95 (Anm. 105), 103, 108, 113 f., 116, 119, 121 f., 126, 130, 132, 136 – 139, 141 (Anm. 70), 143, 145 f., 149 f., 152 (Anm. 38), 153 – 159, 161, 170, 173 – transzendentale, transzendentalphilosophische R. 10, 56 Reflexionsbewegung 158 Reflexionsbestimmung 154 (Anm. 43), 156, 157 (Anm. 45), 158 Reflexionsgrund 149 Reflexionsstufe 63 Reflexionstheorie 122, 126, 143 Reflexionsurteil 37 Relation 18, 42 (Anm. 3), 45, 53, 58, 150 – absolute R. 42 (Anm. 3) Relationalität 155 Relativität 146 Relatum 45, 53 Religion 164 Religionsphilosophie 30, 131 (Anm. 29) Rekonstruktion 10, 57, 65 Rezeptivität 24, 31, 36, 39, 87 (Anm. 72) Schatten 156, 165 Schattenwelt 166 Schattenwesen 168 Schema 48, 61, 64 f., 69 ff., 78 (Anm. 52), 87 (Anm. 69), 93 f., 97, 99 f., 103 – 109, 111 – 116, 123, 131, 143, 147 Schematisiertes, Schematisierung 27 f., 32, 37, 52, 69, 72, 74, 78 f., 105, 107 Schematismus 38, 65, 92, 103, 113 f. Schließen, Schluß 12, 23 ff., 62, 102 (Anm. 36), 110, 149 Schöpfung 30, 38, 103 Schöpfungshandlung 151 Scholastik 10 (Anm. 2), 134 Seele 38, 63, 109 Sehe, Sehen 6, 18 f., 23 f., 34 ff., 51, 56, 82, 91, 93 f., 95 (Anm. 105), 102, 106 f., 109 – 114, 116 – 120, 123, 133 – 136, 139 ff., 146 – 150, 163, 165 – 170, 173 – absolutes Sehen 118 f., 140 – synthetische Sehe 119 – wirkliches Sehen 118 f., 139 Seiendes 13, 61, 98, 102, 104, 106, 108, 111 f., 114, 123, 149 f., 155 ff., 159

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Sachregister

Seiendheit 150 Sein 12 f., 20 ff., 31, 38 f., 42 (Anm. 3), 46 – 53, 55 – 67, 71 f., 88, 90, 97 – 110, 115, 119 f., 126 f., 129 f., 136, 138, 140, 142, 145 ff., 148 – 159, 163, 165 (Anm. 8), 166 ff., 171 (Anm. 22), 173 – absolutes S. 31, 59 f., 64, 66, 97 ff., 101 – 108, 110, 136 – faktisches S. 59 ff., 110, 166, 170 (Anm. 22) – bewußtes S. 21 Seinsart 97, 99, 104 f. Seinsbezug 48, 63, 65 Seinsfrage 20 Seinsgesetz 20 Seinslogik 151 Seinsmodus 71, 99 Seinsnotwendigkeit 12 Seinsphilosophie 41 Seinsweise 71, 104, 134 Sein und Zeit 43 (Anm. 5) Selbständiges, Selbständigkeit 17, 50, 53, 58 ff., 106, 108, 152 ff., 155 f., 159 Selbstbestimmbarkeit, Selbstbestimmung 50 f., 67 Selbstbewußtsein 6, 20 ff., 25, 28, 31 f., 35, 37, 39, 53, 98, 106 f., 121 f., 124, 126, 138, 142, 148, 150 Selbstbezüglichkeit, Selbstbezug 18, 49 ff., 65, 122 – 127, 129 – 132, 134 ff., 138, 141 ff., 150 – 153, 155 ff. Selbsterhaltung 152 Selbstheit 82 ff. Selbstsetzung, Selbstsetzungsakt 16, 174 Selbsttätigkeit 148 Selbstvermittlung 149, 152 ff. Selbstvollzug 21 Sich-Erscheinen 5, 10, 17 ff., 20 ff., 24 f., 34 f., 48 – 52, 69 f., 75 ff., 81 f., . 90 ff., 95 f. (Anm. 104), 106 f., 111 – 115, 122, 126, 129 (Anm. 24), 138 f., 148 f., 150, 155, 158 Sichtbares 11 ff., 15, 17, 19, 24, 34, 116 ff., 135 ff. Sichtbarkeit 11 f., 15, 17 – 20, 23 ff., 34 ff., 62, 116 ff., 129 f., 132, 135 f., 139 – 142, 166, 169 f. Sichtbarkeitsraum 11 ff., 15, 17 – 20, 22, 25

Sinnenwelt 33, 52, 97 (Anm. 1), 102 (Anm. 38) Sinnlichkeit 28, 33, 37, 49 Sittengesetz 28, 34, 35 ff., 38, 40 Sittlichkeit 25, 97, 108 Sollen 105, 108 Spaltung 69, 74 ff., 78 ff., 82, 85 ff., 88 f., 91 ff., 94, 98 Spontaneität 31, 36, 87 (Anm. 72), 123, 131 (Anm. 29) Sprache 53, 155 (Anm. 44) Stoff 22, 34, 70, 78 Subjekt 6, 12, 16 – 19, 21, 24, 28 f 32, 34, 45 ff., 49 – 52, 85 – 89, 93 (Anm. 100), 106 f., 111 f., 120, 125 f., 132, 142, 150 (Anm. 33), 152 (Anm. 37, 38) Subjektives 19, 119 Subjektivität 21, 25, 28 f.,, 37, 111, 117, 121, 152, 155 Subjekt-Objekt 32, 34, 51 f., 106, 148 Subjekt-Objekt-Einheit 141 f. Subjekt-Objektives, Subjekt-Objektivität 21, 23, 51, 88, 94, 106, 111 ff., 114, 116, 118, 120, 142, 150 (Anm. 33), 167 Substantialität 50 Substanz 28, 46, 84 f., 98 f., 125, 136, 140 Synthese, Synthesis 34 ff., 52 f., 88, 89 (Anm. 81), 92 (Anm. 94), 94 f., 98, 107, 110, 118 f., 130, 146 Tätigkeit 32, 35 (Anm. 17), 74, 104, 124, 142, 146 (Anm. 5), 147 (Anm. 16), 149 ff. Täuschung 101, 126, 136, 138 f. Tautologie 51 Tathandlung 106 Totalität 15, 17, 18 (Anm. 17), 23, 25, 37, 39, 55, 149, 151, 153 f., 166 f. Transzendentalphilosophie 10 f., 13, 15, 17, 19, 28, 35, 41 f., 45, 52 f., 63, 121, 126, 137 (Anm. 50), 146 (Anm. 8), 166, 172 f. Transzendentalpragmatik 133 (Anm. 33), 141 Traum 100 (Anm. 24), Trieb, Triebkraft 108 f. Unbedingtes 39, 62, 170 Unbestimmtes 45, 92, 106, 127, 151 (Anm. 37), 167

Sachregister Unendliches, Unendlichkeit 36, 50, 63 f., 99, 101, 107 f., 114, 122, 132, 143 f. 150, 152, 154, 156, 167 Unmittelbares, Unmittelbarkeit 13, 15 – 21, 24 f., 28, 30 f., 35, 47, 49 f., 52, 56, 58, 61, 64 f., 76, 78 (Anm. 52), 87, 100, 102 – 105, 107 f., 111, 113 – 116, 118, 122 – 125, 127 f., 130, 132, 136 ff., 143 ff., 147 – 152, 154 ff., 158 (Anm. 46), 159, 169 Urbegriff 139, 142 Urbild 30, 64, 104, 106, 109 f., 150 Urdisjunktion 11, 13, 17 Urerscheinung 104 f., 107, 115, 127, 131 Urschema 64, 104, 106 Ursehen 139 Urteilskraft 33 – bestimmende U. 33 – reflektierende U. 33 – Kritik der U. 23, 34, 36, 37 (Anm. 21) Veränderung 33, 84 f., 98 f., 102 (Anm. 36), 104, 109, 155, 165 Verdoppelung 86, 147 Vermittlung 13, 15, 24 f., 31, 33 f., 37, 40, 52, 55, 116, 120, 122 f., 128, 130, 136, 147, 151 ff., 156, 157 ff. Vermögen 28 ff., 32, 34 f., 37 ff., 53, 66 f., 107 f., 124, 129, 139 (Anm. 57), 168 Vernunft 18, 27 ff., 33 ff., 37 – 40, 44 f. – Faktum der V. 33 – Kritik der praktischen V. 28, 29 (Anm. 4) – Kritik der reinen V. 11 (Anm. 3), 12, 28, 41, 43 ff., ) 80 (Anm. 56), 90 (Anm. 85), 92 (Anm. 94), 103 f., 134 Vernunftgebrauch 28 f., 33, 36 ff. Vernunftidee 37 Vernunftordnung 38 f. Vernunftwelt 56 Vernunftwesen 5, 18, 28, 38 Verstand 22, 28, 32, 34, 37, 44, 149 Verstandesbegriff 11, 44 Verstandesdenken 32 Verstandesgebrauch 37 f. Verstandeskategorie 51 Verstandeswelt 33 f. Verwirklichung 153 Vorstellung 13 (Anm. 9), 16, 30 f., 35, 37, 45 f., 50, 53, 56 f., 76 f. (Anm. 48), 85

183

(Anm. 64), 88, 92 (Anm. 94), 99 (Anm. 12), 100 (Anm. 24), 148, 168 Wahrheit 12 (Anm. 5), 46, 57 f., 103, 109, 135, 151, 154 f., 164 f., 174 – transzendentale W. 23 Wahrheitslehre 46, 57 f. Wahrheitssuche 109 Wahrnehmung 108 Welt 17, 24, 34, 38, 52 f., 56, 59, 63, 67, 70, 97 – 105, 108, 153, 163 – 166, 168 f., 171 Weltanschauung 164 Weltansicht 102 (Anm. 38), 108 Weltbild 17 Werden 58 ff., 64, 99, 117 ff., 128, 152 (Anm. 39), 153, 156 Wesen 30, 55, 57, 61 – 67, 69, 71 – 74, 77 ff., 81 ff., 85 ff., 90, 92 (Anm. 94), 93, 98 (Anm. 8), 99 (Anm. 12), 100 (Anm. 25), 106, 112, 115 f., 119, 125, 129, 131 f., 134 f., 141, 147, 150 – 159, 171 – endliches W. 30, 101 Wesensallgemeinheit 133 Wesensart 71 ff. Wesensbetrachtung 132 Wesensgesetz 74 Wesensimplikat 125, 131, 134 Wesenslogik, Wesenslogik 145, 153 ff. Wesensnotwendigkeit 60, 131, 156 Wesensstruktur 61, 65 Wesenszug 74, 78, 80 Widerspruch 39, 43, 47, 59 f., 114 ff., 125, 146, 153 Wille, Wollen 21, 28, 33, 37 ff., 108, 161, 163, 168 Willensfreiheit 168 Willkür 21, 28 Wirklichkeit 22, 28, 31, 38 ff., 44, 49, 62 – 66, 98, 100 ff., 104 f., 107, 127, 140, 142 f., 166, 171 Wissen 5, 10, 13 – 17, 20 ff., 24 f., 27 – 32, 36 – 40, 43, 46 (Anm. 12), 47 ff., 53 – 59, 64, 95 (Anm. 105), 97 – 106, 111, 114, 116, 121 f., 124, 126, 129 f., 132 (Anm. 33), 137 – 142, 145 – 151, 155 (Anm. 44), 161 – 170, 174 – absolutes W. 46 (Anm. 12), 66, 100 (Anm. 19), 109 f., 128, 138 ff., 146 f.

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Sachregister

– faktisches W. 55 ff., 59, 95 (Anm. 105), 111 ff., 174 – transzendentales W. 59 Wissen des Wissens, Wissenswissen 55, 57, 140, 146 (Anm. 7), 169 Wissenschaft 19, 22 ff., 55, 162 (Anm. 2) – W. der Logik 137 f. (Anm. 50), 145, 146 (Anm. 4, 5), 151 – 155, 157 (Anm. 45), 158 (Anm. 46), 159 (Anm. 47)

Wissenslehre 162, 164 Wissenstheorie 162, 171 f. Zeit 108 Zeitanschauung 24 Zweck 28, 36, 52, 163