System des transzendentalen Idealismus [2 ed.] 9783787332823, 9783787314652

In dieser Schrift begründet Schelling 1800 in methodischer Strenge das Programm seiner Philosophie, d. h. die Notwendigk

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System des transzendentalen Idealismus [2 ed.]
 9783787332823, 9783787314652

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FRIEDRICH WILHELM JOSEPH SCHELLING

System des transzendentalen Idealismus Mit einer Einleitung von Walter Schulz und Ergänzenden Bemerkungen von Walter E. Ehrhardt Herausgegeben von Horst D. Brandt und Peter Müller

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Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet abrufbar über ‹http://portal.dnb.de›. ISBN: 978-3-7873-1465-2 ISBN eBook: 978-3-7873-3282-3

2., durchgesehene Auflage. Mit ergänzenden Bemerkungen von Walter E. Ehrhardt.

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2000. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. www.meiner.de

INHALT

Einleitung. Von Walter Schulz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Ergänzende Bemerkungen. Von Walter E. Ehrhardt XLV Zur Textgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LI

F. W

J.

SCHELLING System des transzendentalen Idealismus Vorrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

Einleitung ............................................... .

9

§ 1. Begriff der Transzendental-Philosophie § 2. Folgesätze . . . . . . . § 3. Vorläufige Einteilung der TranszendentalPhilosophie

9 12 15

§ 4. Organ der Transzendental-Philosophie . . . . . . . . . . . 19 Erster Hauptabschnitt. Vom Prinzip des transzendentalen ........................ Idealismus

23

Erster Abschnitt. Von der Notwendigkeit und Beschaffenheit eines höchsten Prinzips des Wissens 23 Zweiter Abschnitt. Deduktion des Prinzips selbst

31

Erläuterungen ..

34

Allgemeine Anmerkungen

43

Zweiter Hauptabschnitt. Allgemeine Deduktion des transzendentalen Idealismus - Vorerinnerung

47

A. Das Ich ist als Ich unbegrenzt, nur indem es begrenzt wird. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

VI

Inhalt B. Das Ich ist begrenzt nur dadurch, daß es unbegrenzt ~ ................................................. .

53

Dritter Hauptabschnitt. System der theoretischen Philosophie nach Grundsätzen des transzendentalen Idealismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

Vorerinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

[Erster Abschnitt.} Deduktion der absoluten im Akt

des Selbstbewußtseins enthaltenen Synthesis . . . . . . . . . . . .

58

[Zweiter Abschnitt.] Deduktion der Mittelglieder der

absoluten Synthesis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

Vorerinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

Erste Epoche. Von der ursprünglichen Empfindung bis zur produktiven Anschauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

A. Aufgabe: zu erklären, wie das Ich dazu komme, sich als begrenzt anzuschauen . . . . . . . . . . . . . . . Auflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68 68 74

B. Aufgabe: zu erklären, wie das Ich sich selbst als empfindend anschaue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auflösung 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Auflösung) II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80 81 86

C. Theorie der produktiven Anschauung . . . . . . . . . . . . 96 Vorerinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 [Auflösung) 1. Deduktion der produktiven Anschauung ........................................ 101 [Auflösung] II. Deduktion der Materie . . . . . . . . . . . . . . 109 Folgesätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Allgemeine Anmerkung zur ersten Epoche . . . . . . . . . . . . . 119 Zweite Epoche. Von der produktiven Anschauung bis zur Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Vorerinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

Inhalt

VII

D. Aufgabe: zu erklären, wie das Ich dazu komme, sich selbst als produktiv anzuschauen ............... . Auflösung I .. [Auflösung] II ........ . [Auflösung] III .. [Auflösung] IV .......... . [Auflösung] V

125 125 131 136 158 170

Allgemeine Anmerkung zur zweiten Epoche ........ .

172

Dritte Epoche. Von der Reflexion bis zum absoluten Willensakt ............. . ........ .

174

[Teil] (Teil] [Teil] [Teil]

I ........... . II ........ . III ............. . IV ........... .

Allgemeine Anmerkung zur dritten Epoche

Vierter Hauptabschnitt. System der praktischen Philosophie nach Grundsätzen des transzendentalen Idealismus . .

174 181 . ... 186 193 197

202

Erster Satz: Die absolute Abstraktion, d. h. der Anfang des Bewußtseins ist nur erklärbar aus einem Selbstbestimmen, oder einem Handeln der Intelligenz aus sich selbst. . . . . . . . . . . . . . . ........ . 202 Folgesätze .....

203

Zweiter Satz: Der Akt der Selbstbestimmung, oder das freie Handeln der Intelligenz auf sich selbst ist nur erklärbar aus dem bestimmten Handeln einer Intelligenz außer ihr. 210 Zusätze ........... .

222

E. Aufgabe: zu erklären, wodurch dem Ich das Wollen wieder objektiv werde . . . . . . . . . . . . . . . . . Auflösung I . . .......... ... ..

227 227

Dritter Satz: Das Wollen richtet sich ursprünglich notwendig auf ein äußeres Objekt. ............

227

VIII

Inhalt

[Auflösung] II Zusätze [Auflösung] III

240 251 258

F. Aufgabe: zu erklären, wie das Ich selbst der ursprünglichen Harmonie zwischen Subjektivem und Objektivem bewußt werden könne. 275 Auflösung I 275 Fünfter Hauptabschnitt. Hauptsätze der Teleologie nach Grundsätzen des transzendentalen Idealismus 278 [Auflösung] II [der Aufgabe F]

281

Sechster Hauptabschnitt. Deduktion des allgemeinen Organs der Philosophie, oder: Hauptsätze der Philosophie der Kunst nach Grundsätzen des transzendentalen Idealismus 283

§ 1. Deduktion des Kunstprodukts überhaupt § 2. Charakter des Kunstprodukts § 3. Folgesätze

283 290 295

Allgemeine Anmerkung zu dem ganzen System

301

Literaturverzeichnis .....

307

EINLEITUNG

Schelling hat die Arbeit am »System des transcendentalen Idealismus« in den ersten Monaten des Jahres 1800 abgeschlossen. Die Vorrede ist auf »Ende März 1800« datiert. Das Werk erschien im gleichen Jahre in Tübingen bei der 1. G. Cotta'schen Buchhandlung. Schelling, der im Sommer 1798 einen Ruf als Professor nach Jena erhalten hatte, brachte in seiner Jenenser Zeit ein Werk nach dem anderen.heraus. 1799 erschien der »Erste Entwurf eines Systems der Naturphilosophie«, im selben Jahr die »Einleitung« zu diesem Entwurf, 1800 die »Allgemeine Deduktion des dynamischen Processes«, 1801 die Schrift »Über den wahren Begriff der Naturphilosophie und die richtige Art ihre Probleme aufzulösen«. Schelling hat sich also, als er das »System des transcendentalen Idealismus« abfaßte, vorwiegend mit naturphilosophischen Themen abgegeben. Von seiner Arbeitsweise in diesen Jahren können wir uns ein ziemlich deutliches Bild machen, wenn wir die Jenenser Vorlesungsverzeichnisse heranziehen: Schelling las über dieselben Gegenstände, die er in seinen Büchern behandelte. Vorlesungen und Bücher ergänzten und befruchteten sich gegenseitig 1• Bereits 1801 aber tritt die Fragestellung, die die naturphilosophischen Schriften und das »System des transcendentalen Idealismus« beherrscht hatte, wesentlich zurück. Schelling beginnt eine neue Periode seines Philosophierens, die »Identitätsphilosophie«, und legt im

1 Winter 1798/99: Naturphilosophie und Einleitung in den transcendentalcn Idealismus. - Sommer 1799: das ganze System des transc. Idealismus und Naturphilosophie. - Winter 1799/1800: organische Physik nach den Principien der Naturphilosophie und über die Grundsätze der Kunstphilosophie. Winter 1800/1801: Kunstphilosophie, Naturphilosophie und transc. Idealismus. - Sommer 1801: Philosophische Propädeutik nach seinem »System des transc. Idealismus« und über das System der gesamten Philosophie.

Walter Schulz

X

selben Jahr deren Grundansatz in der »Darstellung meines Systems der Philosophie« der Öffentlichkeit vor. Das »System des transcendentalen Idealismus« gilt inhaltlich und formal als eine der vollendetsten Schriften Schellings. Gleichwohl bietet sein Studium nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Sie ein wenig zu beheben, ist das Anliegen der hier vorliegenden Einleitung. Wir versuchen daher im Folgenden zuerst die philosophische Entwicklung Schellings bis zu der Abfassung des »System des transcendentalen Idealismus« dazulegen und geben sodann eine Analyse des Gedankenganges dieses Werkes. I. Schellings Philosophie hat sich in den fünfzigJahren seines geistigen Schaffens wesentlich gewandelt, und insbesondere die erste Periode seiner Entwicklung, die mit der Abfassung des «System des transcendentalen Idealismus« abgeschlossen wird, zeigt eine fast verwirrende Vielfalt. Die Grundfrage dieser Epoche von 1794-1800 ist das Verhältnis Schellings zu Fichte, dem eigentlichen Inaugurator des Deutschen Idealismus. Bereits während seiner Tübinger Zeit hatte Schelling Kant und Fichte studiert. 1794 veröffentlichte er mit 19 Jahren seine erste philosophische Schrift »Über die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt«, die ganz im Geist des frühen Fichte verfaßt ist 2 , und alle nun folgenden Werke zeigen deutlich den Einfluß Fichtes - insbesondere das »System des transcendentalen Idealismus«, von dem R. Kroner erklärt, daß dieses Werk streckenweise geradezu als Kommentar der Wissenschaftslehre Fichtes von 1794 betrachtet werden könne 3 . Gleichwohl wäre es abwegig, den frühen Schelling einfach als einen schülerhaften Anhänger Fichtes zu bezeichnen. Schellings eigener philosophischer Ursprung unterscheidet sich wesentlich von dem Fichtes, und diese Verschiedenheit der Ansätze beider Denker wirkt sich bereits in der Frühperiode Schelling hat diese Schrift mit einem Brief an Fichte am 26. September 1794 gesandt, cf Fichtcs und Schellings philosophischer Briefwechsel. Stuttgart 1856. S. 1 f 3 R. Kroner, Von Kant bis Hegel. 2. Band. Tübingen 1924. S. 84 Anm. 2

Einleitung

XI

Schellings aus. Fichte ist ganz bestimmt von der Philosophie Kants. Er sieht in Kants Ansatz bei der »transcendentalen Apperzeption« - dem »Ich denke«, das alle meine Vorstellungen begleiten muß (cf. Kr. d. r. V. B 131 ff.) - die Möglichkeit gegeben, das Ich zum eigentlichen Prinzip aller Philosophie zu erheben und von ihm aus das Ganze alles Wissens in einsichtigen Schritten reflexiv zu begründen. Dies Ich muß als Möglichkeitsgrund des Wissens dem endlichen Bewußtsein vorausgesetzt werden, aber es bleibt immer auf dieses bezogen. Der junge Schelling geht nicht von einer solchen kritisch über die Möglichkeit des Wissens reflektierenden Philosophie aus. Auch er drängt auf eine letzte Einheit hin, in der als dem Ganzen alles beschlossen ist. Diese Tendenz zu einem umfassenden Ureinen wurde dem jungen Schelling wesentlich vermittelt durch Spinoza, auf den damals der Philosoph Jacobi mit seiner Schrift »Über die Lehre des Spinoza in Briefen an Moses Mendelssohn« erneut den Blick gelenkt hatte. In Spinoza meinte Schelling den Denker gefunden zu haben, der sich entschlossen zu einem Unbedingten bekannte, das nicht als für sich seiende Person über der Welt steht, sondern nichts anderes als das All in seiner Ganzheit ist. Die Formel für dieses Eine: f!v xal nav wurde zum Losungswort der drei Tübinger Freunde - Hölderlin, Hegel und Schelling. Hölderlin schrieb dieses Wort Hegel ins Stammbuch, und in den Frühschriften Schellings begegnet es uns wiederholt. Von diesem Ansatz ist der junge Schelling bestimmt, und ihn sucht er nun, mit Fichtes Philosophie zu verbinden. Fichtes Reflexionen über das Ich als Prinzip des Wissens führen Schelling zu der Einsicht, daß das Unbedingte nicht in der Sphäre des dinglich-vorhandenen Seienden gesucht werden darf. Ein Ding kann nicht das Höchste sein, weil es notwendig vom Ich übergriffen wird. Das wissende Ich kann als wissendes alle Dinge zu gewußten Objekten machen. So erklärt Schelling, im Anschluß an Fichte und im Gegensatz zu Spinoza, dem diese Einsicht noch verschlossen war, daß das Unbedingte nie und nimmer in dem liegen darf, was bedingt (gewußt) werden kann, sondern nur in dem, was immer nur bedingend ist. Ein solches wesen-

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haft nur Bedingendes aber ist einzig und allein das albsolute Ich als Prinzip alles Wissens 4 • Dieser Übergang von Spinoza zu Fichte bringt nun aber schwerwiegende Probleme mit sich. Das absolute Ich als das unbedingte Prinzip erscheint Schelling nicht wie Fichte als die reflexiv erschlossene Grundlage des endlichen Bewußtseins. Schelling will das absolute Ich als ein letztes noch über jede Scheidung hinausliegendes Ureines verstehen - in dieser Hinsicht bleibt er Spinozist. Indem Schelling so das absolute Ich in Gegensatz zu der Sphäre der endlichen Bestimmtheit bringt, ergeben sich aber für ihn nun zwei Fragen: wie kann dies Unbedingte an ihm selbst erfaßt werden von uns, die wir doch in der bedingten Welt sind? und: wie kann man von ihm als dem reinen Sein aus die Welt begreifen, die doch durch Unterschiede bedingt ist? Die Antworten, die der junge Schelling auf diese Fragen zu geben versucht, verdeutlichen wir uns durch eine kurze Analyse der Schriften, die er zwischen 1794 und 1800 verfaßt hat. Wir müssen diese Schriften je gesondert für sich betrachten, weil Schelling in jeder von ihnen neu ansetzt, um die ihn bedrängenden Probleme zu lösen. 1795 erschien Schellings Schrift »Vom Ich als Prinzip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen«. Schelling setzt sich hier in echt idealistischer Weise zur Aufgabe, das Prinzip alles Wissens herauszuarbeiten. Die Argumentation ist folgende: Jedes Wissen ist Wissen von etwas, sonst wäre es kein Wissen von Realem. Aber es muß in ihm ein »Urgrund aller Realität herrschen«. Dieser kann nur ein Unbedingtes sein, d. h. Ein deutliches Zeugnis für diese wesentliche Modifizierung des spinozistischen Ansatzes beim Unbedingten durch den Einfluß der Reflexionen Fichtes über das Ich findet sich in dem BriefSchellings an Hegel vom 4. Febr. 1795. Schelling erklärt dort, er sei Spinozist geworden, fügt aber gleich hinzu: Spinoza war die Welt Alles, mir ist es das Ich. Spinoza, so führt er weiter aus, tat zwar daran recht, daß er vom Unbedingten auszugehen suchte, denn von diesem muß alle Philosophie ausgehen, aber er begriff nicht, daß dies Unbedingte niemals ein welthaftes Objekt sein kann, sondern nur das Ich als absolute Freiheit (Aus Schcllings Leben. In Briefen. Leipzig 1869. 1. Band, S. 76). 4

Einleitung

XIII

das, «das nur durch sich selbst, d. h. durch sein Seyn denkbar ist, das nur insofern gedacht wird, als es ist, kurz, bei dem das Prinzip des Seyns und des Denkens zusammenfällt». Das solchermaßen durch sich selbst Seiende aber ist das absolute Ich: »Ich bin! Mein Ich enthält ein Seyn, das allem Denken und Vorstellen vorhergeht. Es ist, indem es gedacht wird, und es wird gedacht, weil es ist; deswegen, weil es nur insofern ist und nur insofern gedacht wird, als es sich selbst denkt. Es ist also, weil es nur selbst sich denkt, und es denkt sich nur selbst, weil es ist« (1 167). Den Hauptinhalt der auf diese Herausarbeitung des Ansatzes nun folgenden Analysen bildet die Deduktion der Bestimmungen dieses absoluten Ich. Es ist seinen Urformen nach reine Identität und absolute Freiheit. Bestimmt man es im Hinblick auf seine untergeordneten Formen, die Schelling im Anschluß an die kantische Kategorientafel darlegt, so zeigt sich, daß das absolute Ich der Quantität nach absolute Einheit ist, der Qualität nach absolute Realität, der Relation nach absolute Substantialität und Kausalität und der Modalität nach reines, absolutes Sein (cf. die »Übersicht« 1 160f.). Überblickt man diese Analysen, so sieht man sofort: Schelling gibt im Gegensatz zu Fichtes reflexiver Ableitung des absoluten Ich eine ontologische Beschreibung dieses Ich im Hinblick auf die Bestimmungen, die seine Absolutheit ausmachen und es über die endliche Sphäre erheben. Und fragt man nun, wie dieses absolute Ich an ihm selbst zu erfassen ist, so erhält man zur Anwort, daß das absolute Ich über dem seiner selbst bewußten Ich stehe. »Selbstbewusstseyn«, so erklärt Schelling, »setzt die Gefahr voraus, das Ich zu verlieren«, und er richtet an seine Leser die Frage: »Bedenkt ihr überhaupt, daß das Ich, insofern es im Bewusstseyn vorkommt, nicht mehr reines absolutes Ich ist, daß es für das absolute Ich überall kein Objekt geben, und daß es also noch viel weniger selbst Objekt werden kann?« (I 180). Das absolute Ich an ihm selbst kann nicht im gegenstandsbezogenen Bewußtsein vorkommen, sondern nur erfaßt werden in einer unmittelbaren Weise. Das einzig unmittelbare Erfassen aber ist die Anschauung. Die Anschauung des Absoluten aber kann natürlich keine sinnliche sein, sondern nur eine

XIV

Walter Schulz

intellektuale. Jede sinnliche Anschauung, so führt Schelling aus, ist wesenhaft von ihrem gegenständlichen Objekt getrennt, die intellektuale Anschauung aber schließt in sich eine unmittelbare Einheit von Anschauendem und Angeschautem ein: »Wo Objekt ist, da ist sinnliche Anschauung, und umgekehrt. Wo also kein Objekt ist, d. h. im absoluten Ich, da ist keine sinnliche Anschauung, also entweder gar keine oder intellektuale Anschauung. Das Ich also ist für sich selbst als bloßes Ich in intellektualer Anschauung bestimmt« (1 181). Erfahrt die Frage nach der Erfassung des absoluten Ich in der Schrift »Vom Ich« also eine Antwort, so bleibt die zweite Frage nach dem Verhältnis dieses Ich zur Welt hier im Hintergrund. Gerade aber dieses Problem nimmt Schelling in seinem nächsten Werk, den im selben Jahre - 1795 - erscheinenden «Philosophischen Briefen über Dogmatismus und Kriticismus« auf. Schelling behauptet zunächst, es gäbe in der Philosophie nur eine strittige Frage: »Wie komme ich überhaupt dazu, aus dem Absoluten heraus 11nd auf ein Entgegengesetztes zu gehen?« (1294). Und er erklärt weiterhin, diese Frage sei gleichbedeutend mit dem kantischen Problem: »Wie kommen wir iiberhaupt dazu, synthetisch zu urteilen?« 5 Aus diesem Zusammenhang wird klar, warum Schelling die erkenntnistheoretische Grundfrage der »Kritik der reinen Vernunft« so spekulativ versteht. Er ist der Ansicht, daß es über das Absolute als solches keinen Streit geben kann, weil dieses als Identität über jeden Gegensatz erhaben ist. Erst wenn man von ihm als dem Einen und Unendlichen zur entgegengesetzten Sphäre der endlichen Vielheit weiterschreitet, entsteht die Frage nach dem Zusammenhang und d. h. nach der Synthesis beider Sphären. «Synthesis nämlich entsteht überhaupt nur durch den Widerstreit der Vielheit gegen die ursprüngliche Einheit« (1 294). Die Antwort, die Schelling auf diese Frage gibt, lautet: theoretisch ist das Problem des Übergangs unlösbar. Zunächst muß s Gerade diese Frage hatte Schclling in der Schrift »Vom Ich« mit denselben Worten formuliert (1 175). Auch damals hatte er also schon um die Dringlichkeit dieses Problems gewußt, aber er verschob eine Klärung des ganzen Fragenkomplexes auf ein späteres Werk.

Einleitung

XV

man sich vergegenwärtigen, daß der einzige Zugang zum Absoluten, die intellektuale Anschauung, keine inhaltlich bestimmte Erkenntnis des Absoluten gibt. Das Absolute steht ja an ihm selbst über jedem Gegensatz, und der es intellektual Anschauende wird in der unmittelbaren Einigung seinerseits über die Gegensätze herausgehoben - in der unmittelbaren Schau ist er wie im »Zustand des Todes« (cf. 1325). Auch die Reflexion auf diese Schau, die sich notwendig einstellt als »abgenöthigte Rückkehr zu uns selbst«, gibt hier keine Antwort. Diese Reflexion, so erklärt Schelling zunächst, vermag die Schau, in der die Gegensätze von Anschauendem und Angeschautem aufgehoben sind, doppelt auszulegen, entweder spinozistisch als Aufhebung aller Ichheit in ein absolutes Objekt oder idealistisch als Aufhebung aller Objektivität in ein absolutes Ich. Allein diese zweite Auslegung ist richtig, denn das Ich ist überall das bedingend Unbedingte: Schelling greift hier zum Beweis auf die jederzeit durchführbare Reflexion zurück, »daß wir unsers eigenen Ichs nie los werden können« - selbst wenn wir unser Nichtdasein denken wollen, müssen wir uns als existierend denken (cf. 1320 Anm.). Das Absolute -dies zeigt diese Reflexion - muß also notwendig als absolutes Ich bestimmt werden. Die Reflexion auf die unmittelbare Schau vermag also den Ichcharakter des Absoluten zu erweisen, aber sie vermag nicht den Übergang vom gegenstandslosen Ich zum endlichen Ich, das als seiner selbst bewußtes Subjekt sich Objekte gegenüber hat, aufzuzeigen, denn die Reflexion ist ja als solche immer nachträglich. Sie ist schon immer herausgetreten aus dem Absoluten selbst in die durch den Gegensatz bestimmte Sphäre. Der Übergang vom Unendlichen zum Endlichen läßt sich theoretisch nicht einsichtig machen. Trotzdem zeigt sich nach Schelling eine Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Unendlichem und Endlichem. Schelling erklärt: »Die Philosophie kann zwar vom Unendlichen nicht zum Endlichen, aber umgekehrt vom Endlichen zum Unendlichen übergehen. Das Streben, keinen Übergang vom Unendlichen zum Endlichen zuzulassen, wird eben dadurch zum verbindenden Mittelglied beider, auch für die menschliche Erkenntnis. Damit es keinen

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Walter Schulz

Übergang vom Unendlichen zum Endlichen gebe, soll dem Endlichen selbst die Tendenz zum Unendlichen beiwohnen, das ewige Streben, im Unendlichen sich zu verlieren« (I 324f.). Das Streben vom Endlichen zum Unendlichen ist die eigentliche Vermittlung beider, und diese »praktische Lösung«, so sagt Schelling, ist jeder theoretischen überlegen. Das Absolute wird nun gar nicht mehr als Objekt des Wissens angesetzt; es hört überhaupt auf, für mich Objekt zu sein, denn das Streben zum Absoluten, so erklärt Schelling, ist gar nichts anderes als meine Bemühung, das Absolute in mir selbst durch unbeschränkte Aktivität zu realisieren! Hier erst wird der innere Widerstreit der Reflexion über die Auslegung des Absoluten, der zwischen Dogmatismus und Idealismus besteht, geschlichtet. Der Dogmatismus, der das Absolute als absolutes Objekt, und der Idealismus, der es als absolutes Ich bestimmt, sind zwar im Ziel beide einig, denn beide wollen die Aufhebung des Gegensatzes von Unendlichem und Endlichem. Aber der Dogmatismus meint dies Ziel theoretisch erreichen zu können. Indem er das Absolute als wißbares Objekt ansetzt, muß er es notwendig als eine außer mir vorhandene und mich als freies Wesen bedingende Größe verstehen. Im Gegensatz dazu begreift der Idealismus, daß das Absolute überhaupt nicht als für sich vorkommendes wißbares Objekt angesetzt werden darf, sondern nur als die mich leitende Bestimmung, nach unveränderlicher Selbstheit, unbedingter Freiheit und uneingeschränkter Tätigkeit zu streben. Blickt man von dieser praktischen Lösung auf den Anfang der Schrift zurück, an dem von der intellektualen Anschauung die Rede war, so zeigt sich die innere Geschlossenheit des hier durchgeführten Ansatzes: daß die intellektuale Anschauung keine Erkenntnis des Absoluten vermittelt, gründet darin, daß das Absolute kein für sich seiender Gegenstand ist. Deswegen kann das Absolute nie in Besitz genommen werden wie Dinge. Und eben weil das Absolute das nie und nimmer zu Besitzende ist, wird der endliche Mensch, der aus dem Zustand der unmittelbaren Schau durch die Reflexion zu sich selbst und in die Sphäre der Gegensätze zurückkehren muß, auf den Weg des

Einleitung

XVII

Strebens verwiesen. Allein indem er das Absolute in sich realisiert, ergreift er es. »Nur der immanente Gebrauch, den wir vom Princip des Absoluten in der praktischen Philosophie für die Erkenntniss unsrer Bestimmung machen, berechtigt uns, bis zum Absoluten fortzugehen« (1332(). Schelling hat den in den »Briefen« dargelegten Ansatz bereits in der nächstfolgenden Schrift, den 1796/W geschriebenen »Abhandlungen zur Erläuterung des Idealismus der Wissenscheftslehre« wesentlich modifiziert. Diese Arbeit zeigt, daß Schelling nun weit gründlicher als in den vorausgegangenen Schriften in die konkreten Deduktionen der Wissenschaftslehre Fichtes eingedrungen ist. Aber die Schelling eigentümliche Fragestellung bleibt auch in dieser Schrift zentral. Schelling erklärt - im Rückgriff auf die »Briefe« -: »Vom Unendlichen zum Endlichen - kein Übergang!« (1367). Aber er will sich mit dieser Auskunft, die ein Satz der ältesten Philosophie sei, nicht ohne weiteres identisch erklären. Er sieht vielmehr eine ursprüngliche Vereinigung von Unendlichem und Endlichem gegeben im Wesen der Ichheit und zwar der lchheit, insofern sie selbstbewußter Geist ist. Seiner selbst bewußt werden aber heißt: sich objektiv werden, und dies bedeutet wiederum: endlich werden. Der Geist ist nur insofern Geist, »als er für sich selbst Objekt, d. h. insofern er endlich wird. Also ist er weder unendlich ohne endlich zu werden, noch kann er endlich werden (für sich selbst) ohne unendlich zu seyn. Er ist also keines von beiden, weder unendlich noch endlich, allein, sondern in ihm ist die ursprünglichste Vereinigung von Unendlichkeit und Endlichkeit« (1 367). Auch hier hält Schelling noch daran fest, daß die Philosophie von einem »unbestimmten absoluten Zustand« des Geistes ausgehen müsse, aber er erklärt sofort, daß der Geist aus diesem unbestimmten Zustand fortgeschritten sei zur Bestimmtheit, indem er sich selbst bestimmt. Der Geist ist ursprünglicher Wille zur Selbstbestimmung und wird sich seiner im Akt des Wollens unmittelbar inne. »Der Akt des Wolle11S überhaupt ist die höchste Bedingung des Selbstbew1-!ßtsey11s« (1 395). Schelling sieht also im Sich-wollen das ursprunghafte Wesen des ichhaften Geistes, und dieser Ansatz führt nun zu einer

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neuen Bestimmung der intellektualen Anschauung. Diese wird nicht mehr wie in den vorausgehenden Schriften als Sich-aufgeben des selbstbewußten Ich in ein gegensatzloses Ich gefaßt. Das Angeschaute der inellektualen Anschauung ist gar nichts anderes als dieses Handeln auf sich selbst. Schelling erklärt, daß der Geist sich im absoluten Handeln auch sich anschaue, und daß «diese Anschauung die Handlung ist, wodurch ein reines Selbstbewußtseyn entsteht« (I 420). Fragt man nach dem Verhältnis der »Abhandlungen« zu den früheren Schriften, so zeigt sich, daß die Idee des Absoluten, das unterschiedslose Einheit ist, zwar nicht aufgehoben, aber doch in den Hintergrund getreten ist. Schelling ist nun der Meinung, daß das Absolute eigentlich erst wirklich ist im Geist, der sich auf Grund seines Sich-wollens selbst bestimmt. Die Idee der Selbstbestimmung tritt in den »Abhandlungen« ganz in den Vordergrund. Schelling redet von einer Geschichte des Selbstbewußtseins oder einer Geschichte des Geistes als der »Geschichte der verschiedenen Zustände, durch welche hindurch er allmählich zur Anschauung seiner selbst, zum reinen Selbstbewußtseyn, gelangt« (I 382). Die Idee einer Entwicklungsgeschichte des Geistes, die Fichte bereits konzipierte'' und die Hegel dann allseitig in seinem System durchführte, ist auch für Schelling und zwar erstmalig in den »Abhandlungen« - zentral geworden. Überblickt man die philosophische Entwicklung Schellings in den Jahren von 1794 bis 1797, so zeigt sich, daß der rote Faden dieser Entwicklung die Frage nach dem Absoluten und nach seinem Verhältnis zur Welt ist. Die Antworten, die Schelling auf diese Frage gibt, unterscheiden sich. Wird am Anfang - in der Schrift »Vom Ich« - das Absolute als unterschiedslose Einheit proklamiert und in Gegensatz zur endlichen Sphäre gesetzt, so versucht Schelling bereits in den »Briefen« die aufgerissene

6 Cf. Fichtes Erklärungen in der Wissenschaftslehre von 1794: »Die Wissenschaftslehre soll sein eine pragmatische Geschichte des menschlichen Geistes« (Fichte SW 1 222).

Einleitung

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Kluft zu überbrücken durch die Auskunft, daß das Absolute nur »immanent-praktisch« zu »gebrauchen« sei als die uns leitende Bestimmung zu unbeschränkter Freiheit und Selbständigkeit. Und die »Abhandlungen« erweitern modifizierend diese Idee des praktischen Gebrauchs zur Konzeption des sich bestimmenden Geistes, dessen Wesen die stufenweise Entwicklung zum reinen Selbstbewußtsein ist. Diese Konzeption einer Geschichte des Selbstbewußtseins bleibt von nun an im Werk Schellings bestimmend - wir werden ihr wieder bei der Analyse des »System des transcendentalen Idealismus« begegnen. In dieser Hinsicht bringen die »Abhandlungen« nicht nur eine vorübergehende Lösung. Gleichwohl gibt diese Schrift noch nicht eine letzte und vollgültige Antwort auf die Fragen nach dem Wesen des Absoluten und nach seinem Bezug zur endlichen Sphäre. Im »System des transcendentalen Idealismus« und insbesondere in der unmittelbar anschließenden »Identitätsphilosophie« tritt das Absolute als übergreifende Einheit wieder in den Vordergrund. Schelling sucht hier mit diesem Absoluten die Idee der Selbstbestimmung zu verbinden, aus der Erkenntnis heraus, daß die Geschichte des Geistes als Weg zum Selbstbewußtsein ihrerseits nur möglich ist, wenn sie getragen und durchwaltet wird von einer unbedingten Einheit, die diesen Weg im vorhinein in sich einbegreift. Um aber diese Konzeption einer Verbindung von Absolutem und Selbstbestimmung ganz zu verstehen, ist es nötig, das zweite Element, das die erste Periode der philosophischen Entwicklung Schellings bestimmt, kurz zu kennzeichnen: die Naturphilosophie. Bereits vor seiner Berufung nach Jena hat sich Schelling sehr intensiv dem Studium der Natur hingegeben. Er hat während seines Aufenthaltes in Leipzig - Schelling war von 1796 bis 1798 dort als Hofineister tätig - mathematische, physikalische und medizinische Vorlesungen gehört. Diese Wendung zur Natur scheint schwer vereinbar mit der Schelling in diesen Jahren eigentümlichen Frage nach dem Absoluten und seinem Verhältnis zur Welt, und man hat in der Schellingforschung zum Teil gemeint, Schelling hätte sich zeitweise, müde der

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Spekulation, einem Positivismus ergeben 7 . Dies ist durchaus nicht der Fall. Schelling hat sich vielmehr von Anfang an um eine innere Verbindung dieser naturwissenschaftlichen Studien mit seiner philosophischen Fragestellung bemüht. Er intendiert eine philosophische Begründung der Naturwissenschaft. Diese Begründung ist Aufgabe der »Naturphilosophie« oder der »höheren Physik«. Die Naturphilosophie aber ist ein Teil der theoretischen Philosophie. Bereits in seiner ersten naturphilosophischen Schrift, den »Ideen zu einer Philosophie der Natur« (1797), unterscheidet Schelling innerhalb der theoretischen Philosophie die rein theoretische Philosophie, die sich nur mit der Realität des Wissens überhaupt befaßt, von der angewandten theoretischen Philosophie, die - auf die Physik zurückgreifend - das System der gesamten Erfahrung aus den Prinzipien ableitet. Wie sich Schelling diese Einordnung der Naturbetrachtung in die theoretische Philosophie in concreto denkt, zeigt sich sehr deutlich in den aus demselben Jahr stammenden »Abhandlungen«; auf sie muß man zurückgreifen, um die ursprüngliche Bedeutung der Naturphilosophie Schellings im Ganzen des Systems zu verstehen. Schelling zeigt dort - in den einzelnen Deduktionen sich weitgehend auf Fichtes Wissenschaftslehre stützend-, wie die Seele sich stufenweise zum selbstbewußten Geist entwickelt. Auf den untersten Stufen dieser Entwicklung vermag die Seele sich noch nicht als bestimmende und organisierende Kraft in sich selbst zu erfassen, sondern schaut sich als organisierende Kraft - nur äußerlich in einem naturhaften Objekt an, »in welchem produzirende Kraft ist«. Jede Organisation in der Natur, so sagt Schelling, symbolisiert den Geist: »Daher ist in jeder Organisation etwas Symbolisches, und jede Pflanze ist, so zu sagen, der verschlrmgene Zug der Seele« (I 386). In diesem Zusammenhang heißt es nun: »Da in unserem Geist ein unendliches Bestreben ist sich selbst zu organisiren, so muß auch in der äußeren Welt eine allgemeine Tendenz zur Cf W. Metzger. Die Epochen der Schcllingschcn Philosophie von 1795 bis 1802. Heidelberg 1911. S. 42ff 7

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Organisation sich offenbaren« (I 386). Die Organisation der Natur und die Organisation des Geistes sind aber nicht zwei Organisationen, die von einander unabhängig und getrennt abliefen, sondern die Organisation der Natur ist nur das Bild der zu sich kommenden Seele. Schelling erklärt ausdrücklich: »Was aber die Seele anschaut, ist immer ihre eigne, sich entwickelnde Natur ... So bezeichnet sie durch ihre eignen Produkte, für gemeine Augen unmerklich, für den Philosophen deutlich und bestimmt, den Weg, auf welchem sie allmählich zum Selbstbewußtseyn gelangt. Die äußere Welt liegt vor uns aufgeschlagen, um in ihr die Geschichte unseres Geistes wieder zu finden« (I 383). Die frühe Naturphilosophie Schellings ist also der Transzendentalphilosophie eingeordnet. Die Natur ist und erscheint nur als Symbol des Geistes, der sich im Äußeren anschaut. Aber man muß die Dialektik dieser Einordnung der Natur- in die Transzendentalphilosophie begreifen: ist die Natur hier »nur« als anschauliches Bild des zu sich kommenden Geistes bestimmt, so gilt doch zugleich, daß der Geist sich in den verschiedenen Zuständen seiner Entwicklung »nur« erfassen kann, indem er sich in und als Natur anschaulich vor sich bringt. Die Natur ist das notwendige Medium, in dem allein der Geist sich zu erfassen vermag in der objektiven Weise der Sichtbarkeit. Diese Dialektik der Naturbetrachtung - Natur ist bloßes Medium für die Erfassung der Entwicklung des Geistes, aber gerade als solches zeigt sie auf objektive Weise sein Werden an - hat Schelling nun dazu geführt, die Naturphilosophie nicht mehr der Transzendentalphilosophie einfach einzuordnen, sondern beide Philosophien als gleichberechtigt nebeneinander zu stellen. Die Schelling leitende Überlegung ist folgende: Natur repräsentiert das Zu-sich-kommen des Geistes. Das bedeutet aber: Natur ist, wenn man sie an sich selbst betrachtet, unbewußter Geist. Nun aber, so argumentiert Schelling weiter, zeigt doch die Entwicklung des Geistes gerade, daß er sich selbst erst aus einem noch unbegriffenen Zustand hervorarbeitet zum Selbstbewußtsein, und eben dieser unbegriffene\_zustand ist, an sich selbst betrachtet, gar nichts anderes als »die Natur«. Also -

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dies ist der Schluß der Überlegung - muß die Entwicklung der Natur dem Geist vorgeordnet werden, wenn man den objektiven Weg begreifen will. Das Selbstbewußtsein ist objektiv betrachtet - ja erst ein spätes Produkt, das auf die Entwicklung der Natur folgt. Geht man von der objektiven Betrachtung aus, dann muß man also die Naturphilosophie der Transzendentalphilosophie vorausschicken: indem die Naturphilosophie das Werden zum Geist objektiv aufweist, bereitet sie die Transzendentalphilosophie vor. Erst wenn man den »Ürt« des Geistes innerhalb der Gesamtentwicklung aufgewiesen hat, kann nun von diesem Ort des Geistes aus Transzendentalphilosophie getrieben werden, d. h. gezeigt werden, wie der Geist sich zur Vorstellung einer äußeren Natur bestimmt. Erst mit der Bestimmung der Naturphilosopie als einer objektiven selbständigen Betrachtungsweise löst sich Schelling von Fichte, der die Transzendentalphilosophie als einzig berechtigtes philosophisches System deklariert hatte, ab und kehrt zum ursprünglichen Ansatz seines eigenen Philosophierens zurück: zu der Idee des Absoluten, das als Ureines aller Vielfalt vorausgeht. Wir hatten gesehen, daß diese Idee des Absoluten, die den Ansatz der Schrift »Vom Ich« kennzeichnete, in den folgenden Werken in den Hintergrund getreten war - in den »Briefen« wollte Schelling vom Absoluten nur einen »immanent-praktischen Gebrauch« machen, und in den »Abhandlungen« richtete er sein Augenmerk primär auf die Geschichte des Selbstbewußtseins. Gleichwohl hatte Schelling auch in diesen Schriften die Idee eines gegensatzlosen Absoluten nie aufgegeben - so sprachen die »Abhandlungen« von einem »unbestimmten absoluten Zustand«, der dem Selbstbewußtsein vorausgehe. Jetzt rückt Schelling den Gedanken eines Absoluten wieder ins Zentrum, und zwar in der Weise, daß er erklärt, daß das Absolute die noch ungeschiedenen Gegensätze von objektiver Natur und subjektivem Geist in sich umfasse, und daß es dies könne, weil es an ihm selbst die Identität von beiden sei. Der Rückgriff auf dieses Absolute ist nun von Schelling durch eine echt idealistische Argumentation begründet worden. Schelling hält daran fest, daß ich als Philosoph ja selbstbewußtes,

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geisthaftes Ichwesen und als solches gerade nicht das Absolute bin. Ich als selbstbewußtes Wesen bin »subjektives SubjektObjekt«, und d. h. ich bin vermitteltes Subjekt, das erst nach der Entwicklung des »objektiven Subjekt-Objekts«, der Natur, »zu Stande kommt«. Um zu dem wahren Anfang zu gelangen, muß ich mich » depotenzieren«, d. h. mich herabsetzen zum Anfang beim Absoluten, und ich kann dies, weil ich ja eine bestimmte »Potenz« dieses absoluten Subjekts bin, nämlich dieses Subjekt in der Gestalt der sich besitzenden Subjektivität = Ich. Durch diese Depotenzierung versetze ich mich zurück und vermag nun, »aus dem reinen Subjekt-Objekt das Subjekt-Objekt des Bewusstseyns entstehen zu lassen«. Dieser Ansatz ist erst in der »Identitätsphilosophie« ausführlich dargelegt worden8 . Gleichwohl bestimmt er bereits von 1797 an das Ganze der Philosophie Schellings, und nur wenn man sich diese Wirksamkeit vergegenwärtigt, versteht man die eigentümliche Doppelbetrachtung, das Nebeneinander von Natur- und Transzendentalphilosophie, das Schellings Denken in den Jahren von 1797 bis 1800 kennzeichnet. Schelling widmet sich einerseits der Naturphilosophie, d. h. er zeigt, wie die Natur sich entwickelt bis zum sich begreifenden Ich, und er führt andrerseits das System des transzendentalen Idealismus aus, d. h. er zeigt, wie der Geist dazu kommt, sich eine Natur vorzustellen. Beide Philosophien stehen nicht äußerlich nebeneinander, sondern gehören dialektisch zusammen. Der Naturphilosoph kann den objektiven Weg der Natur zum Ich nur aufzeigen, wenn und insofern er sich als philosophierendes Ich zurückversetzt zum reinen Subjekt-Objekt, und der Transzendentalphilosoph kann die Natur als subjektiv vorgestellte nur aus dem Geist ableiten, wenn und insofern er sieht, daß er als Geist selbst aus der Naturentwicklung als die höchste Potenz des allgemeinen Subjekt-Objekts hervorgegangen ist. Beide

instruktivstcn fi.ir das VcrstJndnis von Natur- und Transzendentalphilosophie ist Schellings Schrift von 1801: Ȇber den wahren Begriff der 8 A111

Naturphilosophie und die richtige Art ihre Probleme aufzulösen« (IV 79ff.).

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Betrachtungen verweisen auf den einen Ursprung, das Absolute, das als Absolutes das umfassende Subjekt-Objekt ist. Wir verdeutlichen diese Doppelbetrachtung durch einen kurzen Hinweis auf den Anfang der 1799 erschienenen »Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie«. Schelling erklärt zuerst, daß die Intelligenz auf doppelte Weise produktiv sei, entweder blind und bewußtlos- als Natur, oder frei und mit Bewußtsein produktiv - als Geist. Im ersten Fall handelt es sich um das bewußtlose zur Anschauung Kommen einer äußeren Welt, im zweiten um das bewußte Erschaffen einer ideellen Welt. Der Philosoph, so fahrt Schelling fort, hebt diesen Gegensatz auf, denn er weiß, daß bewußte und bewußtlose Tätigkeit ursprünglich identisch und aus einer Wurzel entsprossen sind. Und Schelling erklärt nun: »Da die Philosophie die bewußtlose, oder, wie sie auch genannt werden kann, reelle Thätigkeit als identisch setzt mit der bewußten oder ideellen, so wird ihre Tendenz ursprünglich darauf gehen, das Reelle überall auf das Ideelle zurückzuführen, wodurch das entsteht, was man Transcendentalphilosophie nennt« (III 271). Für die Transzendentalphilosophie, so führt Schelling ganz in Übereinstimmung mit den »Abhandlungen« aus, ist die Natur nur der Reflex unserer Tätigkeit und der »sichtbare Organismus unseres Verstandes«. Die Naturphilosophie dagegen geht umgekehrt vor, insofern sie das Ideelle aus dem Reellen zu erklären sucht. Sie setzt die Natur als das Selbständige an, das, in sich selbst tätig, zugleich Produzierendes und Produkt ist. Transzendentalphilosophie und Naturphilosophie, so erklärt Schelling abschließend, haben es beide mit Subjektivem und Objektivem zu tun. Nur ordnet die Transzendentalphilosophie das Reelle dem Ideellen unter und läßt vom Subjektiven aus das Objektive entstehen, während die Naturphilosophie beim Reellen ihren Ausgangspunkt nimmt und zeigt, wie aus dem Objektiven das Subjektive hervorgeht. Die Entwicklung der Naturphilosophie - so fassen wir zusammen - verläuft in der ersten Periode des Schellingschen Philosophierens also in zwei Phasen. Zunächst wird die Naturphilosophie eingeordnet in die Geschichte des Geistes, der sich

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in seinem Zu-sich-kommen nur auf äußerliche Weise in und als Natur anschauen kann. Gerade aber durch diesen Ansatz wird eine selbständige Betrachtung der Natur vorbereitet, die nun den objektiven Prozeß vom Bewußtlosen zum Bewußten aufzeigt9 • Beide Betrachtungen gehören jedoch zusammen, weil sie auf das eine absolute Subjekt-Objekt hinweisen, das als die Identität von Bewußtlosem und Bewußtem die innere Voraussetzung der Natur- und der Transzendentalphilosophie ist. überblickt man von hier aus noch einmal den Weg, den Schelling von 1794 an zurückgelegt hat, so zeigt sich die innere Konsequenz, die diese erste Periode durchherrscht. Am Ende dieser Periode nimmt Schelling den Gedanken eines Absoluten wieder auf, das über allem Gegensatz ist. Und von diesem Absoluten aus wird nun die Frage des Zusammenhanges der unendlichen und der endlichen Sphäre neu gedeutet: das Allumfassende entwickelt sich als objektives Subjekt-Objekt, d. h. als Natur, bis zum Geist, dem subjektiven Subjekt-Objekt, so daß dieser nun die Natur in sich selbst zu konstruieren vermag. Schelling hat in der Zeit des »Identitätssystems«, also in den Jahren von 1801 bis 1806, diesen Ansatz näher ausgeführt, und zwar unter der Fragestellung, wie das Absolute sich zu dieser Bewegung verhalte, und das Ergebnis dieser Besinnung ist die Einsicht, daß das Absolute an ihm selbst als »Identität« oder »Indifferenz« von Subjektivem und Objektivem über jede Entwicklung erhaben ist. II. In dieser Epoche des Nebeneinander von Natur- und Transzendentalphilosophie hat Schelling das »System des transcendentalen Idealismus» verfaßt, und unsere Aufgabe ist es nun, die Bedeutung und die Gliederung dieses Werkes darzulegen. Schelling selbst hat sich in späteren Jahren zweimal ausführlicher über das Anliegen geäußert, das ihn zu der Abfassung die9 Die Einzelanalysen in Schellings Naturphilosophie, in denen er diese Entwicklung der Natur darzulegen sucht, müssen wir hier übergehen. Obwohl sich Schelling auf die Naturwissenschaft seiner Zeit stützt, erscheinen seine Konstruktionen sehr spekulativ, aber es bleibt beachtenswert, daß Schelling eine organisch-dynamische Naturbetrachtung weitgehend gefördert hat.

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ses Werkes bestimmt habe. Zuerst in den »Vorlesungen zur Geschichte der neueren Philosophie« - in den SW ist aus dem handschriftlichen Nachlaß das Manuskript von 1827 abgedruckt -, und sodann in der »Einleitung in die Philosophie der Mythologie«, die Schelling in der Zeit vom 1840 bis zu seinem Tode (1854) mehrfach vorgetragen hat. An der ers(f!enannten Stelle sucht Schelling den Anfang seines eigenen Philosophierens gegen Fichte abzugrenzen. Fichte, so führt er aus, habe zwar das Ich in das Zentrum der Philosophie gestellt, aber er habe nicht gezeigt, worauf es gründe, daß das wirkliche Bewußtsein sich die Natur als von ihm unabhängige Außenwelt vorstellen müsse. Demgegenüber habe er - Schelling - den Nachweis erbracht, daß das gegenwärtige wirkliche Ich sich diesen Zusammenhang von Außenwelt und Ich nicht anders erklären könne als durch die Setzung einer dem jetzigen Bewußtsein vorausgehenden »Transscendentalen Vergangenheit«. In dieser habe das Ich diese Welt notwendig produziert. Nachdem es sich aber zum wirklichen Bewußtsein emporgearbeitet habe, trete ihm das ursprünglich von ihm Gesetzte nun als selbständig gewordenes äußeres Produkt entgegen. »Ich suchte also«, so sagt Schelling, »mit Einern Wort den unzerreißbaren Zusammenhang des Ich mit einer von ihm nothwendig vorgestellten Außenwelt durch eine dem wirklichen oder empirischen Bewußtseyn vorausgehende transscendentale Vergangenheit dieses Ich zu erklären, eine Erklärung, die sonach auf eine transcendentale Geschichte des Ichs führte« (X 93f.). Was Schelling an dieser Herausstellung der transzendentalen Geschichte wesentlich erscheint, ist ein Doppeltes. Zunächst die Wendung zum Geschichtlichen als solche. Schelling fahrt nach dem soeben zitierten Satz fort: »Und so verrieth sich schon durch meine ersten Schritte in der Philosophie die Tendenz zum Geschichtlichen wenigstens in der Form des sich selbst bewußten, zu sich selbst gekommenen Ich.« Das Zweite, was Schelling an der Konzeption einer transzendentalen Geschichte als bedeutsam heraushebt, ist das Wie des Zu-sich-kommens. Schelling führt aus, daß er - und zwar als erster - entdeckt habe, daß das Ich wesenhaft Subjekt und Objekt zugleich sei.

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Als solcher Widerspruch trage es aber notwendig die Tendenz in sich, sich zu erfassen in einem Prozeß, der als solcher begriffen werden mußte als »ein völlig immanenter, in welchem das Ich nur mit sich selbst, mit dem eignen, in sich gesetzten Widerspruch, zugleich Subjekt und Objekt, endlich und unendlich zu seyn, beschäftigt war« (X 97). Das Ich macht sich selbst zum Objekt. Und eben in dieser Objektivation seiner selbst will es sich als Subjekt begreifen. Dieses Sich-erfassen-wollen als Subjekt treibt das Ich zu immer höheren Objektivationen seiner selbst voran. Aber, so stellt nun Schelling fest, das Ich ist in diesem Prozeß gleichsam befangen, es vollzieht ihn nur objektiv und durchschaut sich selbst in seinem Tun noch nicht. Das vermag allein der Philosoph, der diesen Weg zum Selbstbewußtsein ja kennt. Gerade auf Grund seines Durchschauens vermag er dem »objektiven Ich« Hilfestellung zu leisten. »Zwischen dem objektiven Ich und dem philosophirenden bestand ohngefahr das Verhältnis wie in den Sokratischen Gesprächen zwischen dem Schüler und dem Meister. In dem objektiven Ich war jederzeit eingewickelter Weise mehr gesetzt, als es selbst wußte; die Thätigkeit des subjektiven, des philosphirenden Ich bestand nun darin, dem objektiven Ich selbst zu der Erkenntnis und dem Bewußtseyn des in ihm Gesetzten zu verhelfen, und es so endlich zur völligen Selbsterkenntnis zu bringen« (X 98). Es ist nun interessant, daß Schelling diese Methode des Zusich-kommens des Ich als das eigentliche Neue ansieht, was c. selbst in die Philosophie gebracht habe. Seine Absicht, so erklärt er, sei es gewesen, Fichtes System »auszuführen«, aber dabei habe er seine eigene Methode entwickelt: »Diese Ausführung des Fichteschen Idealismus ist enthalten in meinem anno 1800 erschienenen System des transcendentalen Idealismus. Ist einer unter Ihnen, der jetzt oder in der Zukunft den allmählichen Entwicklungsgang der neueren Philosophie genau und urkundlich kennen lernen will, so kann ich nicht anders als ihm dieses System des transcendentalen Idealismus zum Studium empfehlen; er wird darin unter der Hülle des Fichteschen Gedankens schon das neue System erkennen, das früher oder später diese Hülle durchbrechen mußte, er wird in diesem

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Werk schon jene Methode in voller Anwendung finden, die später nur in größerem Umfang gebraucht wurde; indem er diese Methode, welche nachher die Seele des von Fichte unabhängigen Systems geworden ist, hier schon findet, wird er sich überzeugen, daß diese gerade das mir Eigenthümliche, ja dergestalt Natürliche war, daß ich mich derselben fast nicht als einer Erfindung rühmen kann, aber eben darum kann ich sie auch am wenigsten mir rauben lassen, oder zugeben, daß ein anderer sich rühme sie erfunden zu haben« (X 96). Der Schluß dieser Zeilen ist offensichtlich gegen Hegel gerichtet: Schelling betrachtet die Konzeption einer dialektischen Entwicklung des Geistes als sein und nicht Hegels Verdienst, und wenn man die Frühgeschichte Schellings überblickt, wird man ihm recht geben müssen, denn bereits in den »Abhandlungen« hatte Schelling den Gedanken einer »Geschichte des Selbstbewußtseins« ins Zentrum gestellt, um ihn dann in der Naturphilosophie zur Idee einer objektiven Entwicklung vom Unbewußten zum Bewußten zu erweitern. Auch die zweite Stelle, an der Schelling auf das »System des transcendentalen Idealismus« hinweist, beginnt mit einer Kritik an Fichte. »Fichte übersah«, so erklärt Schelling, »das mittels der Bestimmung als Subjekt-Objekt ins Ich gelegte innerlich bewegende Princip, das er zu einer völlig objektiven Darstellung benutzen konnte, wie diess nach ihm ein anderer gethan 1« (XI 370). Die Anmerkung zu diesem Satz - cf. das Verweisungszeichen nach »gethan« - verweist auf das »System des transcendentalen Idealismus«. Sie lautet: »Im System des transcendentalen Idealismus (1800), das übrigens selbst wieder nur als Übergang und Vorübung diente.« Die letzten Worte dieser Anmerkung deuten daraufhin, daß die Methode der Selbstbestimmung, die Schelling im »System des transcendentalen Idealismus« durchgeführt hatte, dann in der Identitätsphilosophie in einer neuen und erweiterten Form zur Wirkung kam. Schelling erklärt in diesem Zusan1menhang, daß er in der Folgezeit das bewegende Prinzip nicht mehr »Ich« genannt habe, da dieses Prinzip ja nicht nur die geistige, sondern auch die natürliche Welt konstituiere; an die Stelle des »Ich«, so sagt er,

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sei die Bestimmung »Indifferenz des Subjektiven und des Objektiven« getreten, »womit sich der Sinn verband, daß in Einern und demselben mit völlig gleicher Möglichkeit das Objekt (die äußere Welt des materiellen Seyns) und das Subjekt als solches (die innere, bis zum bleibenden Subjekt, zu Gott führende Welt) gesetzt und begriffen sey« (XI 371). Schelling weist also darauf hin, daß im »System des transcendentalen Idealismus« - eben auf Grund der Einsicht in die Notwendigkeit eines umfassenden Entwicklungsprinzips - auf die Idee eines absoluten, Natur und Geist umgreifenden Subjekt-Objekts vorgedeutet war. Wir müssen in dieser Einleitung die Frage, ob Schelling Fichte hier mit Recht kritisiert, beiseite lassen. Auch unabhängig von einer Antwort auf diese Frage bleibt bestehen, daß Schelling in beiden Hinweisen den eigentlichen Sinn des »System des transcendentalen Idealismus« getroffen hat. Dies Werk gibt eine Entwicklungsgeschichte des Geistes, und zwar unter der Fragestellung, wie das Ich zum Bewi!fJtsein einer von ihm unabhängigen Außenwelt (»Natur«) komme. Schelling erklärt in der »Einleitung«, die Transzendentalphilosophie, die das Subjektive zum Ersten mache, habe die Aufgabe zu zeigen, »wie ein Objektives hinz11komme, das mit ihm iibereinstimmt«. Die umgekehrte Fragestellung kennzeichne die Naturphilosophie, in der das Objektive zum Ersten gemacht und nun gefragt wird, »wie ein Subjektives zu ihm hinzukomme, das mit ihm übereinstimmt«. Beide Philosophien gehören aber zusammen, denn beide verweisen auf die Identität der bewußten und bewußtlosen Tätigkeit 10 • Die beiden folgenden Abschnitte (I und Il 11 ) geben die Einfiihrung des Ichs als Prinzip des Wissens. Sie gehören zum Lichtvollsten, was über den Ansatz der idealistischen Transzendentalphilosophie überhaupt geschrieben wurde. ?chelling erklärt 10 Die ))Einleitung« in das ))Sy"ten1 de.;; transzendentalen Idealisn1us« ent-

spricht aufs genaueste dem oben (cf S. XXIVff.) bereits erwähnten § 1 der »Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphitosophie«. 11

»Erster Hauptabschnitt.

V0111

Prinzip des transzendentalen Idealisn1usabsoluten Ichs< amelden kann« 5 • Auch die Annahme einer primären Nähe zu Spinoza, bei der allzu oft die Ironie in Schellings 1795 an Hegel gerichteter Formulierung »Ich bin indessen Spinozist geworden!« übersehen wurde, gibt einer Interpretationstradition noch zuviel Raum, die Erklärungen für die Ausbildung der Philosophie Schellings im Konstatieren von Abhängigkeiten suchte. Diese Methode kann heute nicht mehr überzeugen. Die Enge der Frage nach Prioritäten hat sich erweitert zur Erforschung von Konstellationen. Die bereits gewonnenen Einblicke in die frühen Entwürfe aus Schellings Studienzeit zeigen deutlich genug, wie entschieden von eigenem Wollen geleitet Schelling von Anfang an seine Wurzeln in die Literatur treibt. M. Franz konnte z.B. so3 F. W. J. Schelling: Urfassung der Philosophie der Offenbarung. Hrsg. v. WE. Ehrhardt, Hamburg 1992, S.79. (zitiert: UPhO). 4 F. W J. Schelling: »Timaeus« (1794). Hrsg. v. H. Buchner, Stuttgart-Bad Cannstatt 1994. s Michael Franz: Schellings Tübinger Platon-Studien, Göttingen 1996, S. 262.

Ergänzende Bemerkungen

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gar schon in Schellings Magister-Dissertation aus dem Jahr 1792 in der Forderung der Ausrichtung auf Wahrheit eine grundsätzliche Differenz zu der von Spinoza vertretenen hermeneutischen Methode nachweisen (vgl. a.o.O. 168). Das darf vielleicht hervorgehoben werden, weil das EV xal Jtav, das von Jacobi Lessing in den Mund gelegt und als Indiz für pantheistische Vorstellungen gewertet wurde, von Schelling gebunden wird an Spinozas Satz: veritas norma sui et falsi est. (Vgl. AA I,2, 111; SW I, 185) Ergiebiger als das traditionelle Interpretationsraster Spinoza-Fichte scheint nach heutiger Quellenlage der Hinblick auf Platon und Kant zu sein, da vor allem die Rettung der »Thatsache der menschlichen Freiheit« 6 vor dem Abgrund der Antinomien durch die »Kritik der praktischen Vernunft« und die Lehre vom radikalen Bösen Schellings Generalthese fundiert, daß der Anfang und das Ende aller Philosophie Freiheit ist. Freiheit soll sein, - überall. Die Philosophie soll daher jeden Gegenstand, dem sie sich zuwendet, als eine Wirklichkeit der Freiheit darstellen, - als »schlechthin unbedingt« ansehen. Dies fand bei den Versuchen, Schellings Veröffentlichungen als eine Entwicklung zu beschreiben, oft zu wenig Beachtung, so daß ein Anschein von unterschiedlich betonten, hierarchischen Verhältnissen zwischen Naturphilosophie und transzendentalem Idealismus, Kunst-, Rechts-, Staats- oder Religionsphilosophie usw. verblieb. Mit Recht bezweifelte daher schon Wolfgang Wieland7 die Annahme, daß Schelling zunächst die Naturphilosophie »der Transzendentalphilosophie eingeordnet« (XXI) habe. Eine solche Deutung konnte dem »System des transzendentalen Idealismus« eine Zentralstellung geben, die das Mißverständnis begünstigte, in dieser Schrift sei >das
zweite< Erwähnung des Buches nicht, wie S. XXVI angegeben wird, aus Vorlesungen, die Schelling »mehrfach vorgetragen hat«, sondern nach des Herausgebers, K. F. A. Schelling, Vorwort gehört sie zu dem »Jüngsten«, was Schelling geschrieben, was »ihn im Alter zu dem System seiner Jugend zurückgeführt hat, zu dem System, das in seinen Augen zu keiner Zeit abgethan« (SW XI, vr) war, - aber Datierungen von K. F. A. müssen nicht mehr als sicher gelten, da sich inzwischen viele Anlässe zu Zweifeln ergeben haben; z.B. gibt es heute übergenug Belege dafür, sogar das wichtige Gespräch »Clara oder über den Zusammenhang der Natur mit der Geisterwelt« nicht mehr auf 1810, sondern bereits auf den Herbst 1803 zu datieren. Die genaue Datierung der genannten >zweiten< Erwähnung des »System des transzendentalen Idealismus« in den »Sämmtlichen Werken« scheint mir aber eines besonderen Hinweises wert, weil im Kontext dort Fichte »nicht wissenschaftlicher aber factischer Atheismus« vorgeworfen wird, - eine Unterscheidung, die an Schellings Hinweis erinnern läßt, daß bei Vgl. Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.): F. W. 1998, S. 85. 8

J. Schelling, Stuttgart-Weimar

Ergänzende Bemerkungen

XLIX

»den älteren Theologen, die sich durch Kenntnisse ausgezeichnet haben, . . . Theismus soviel als Atheismus« war. (UPhO 110) In diesem Problemfeld waren Fichtes und Schellings Wege wohl von Anfang an nicht auf dem gleichen Niveau. Obwohl Walter Schulz in der Darstellung des Schelling'schen Weges noch stark auf das früher übliche Bild eines Übergangs von Spinoza zu Fichte Rücksicht nimmt, ist seine Einleitung doch angelegt auf eine richtungweisende Betonung der Eigenständigkeit Schellings in der Forderung »der Einheit von subjektiver und objektiver, bewußter und unbewußter, freier und notwendiger Tätigkeit« (XLI). Fichtes Verharren bei dem absoluten Primat des Praktischen verschließt diesem nicht nur den Sinn für das lebendige und zweckmäßige Geschehen in der Natur, sondern auch für die Identität der bewußten und bewußtlosen Produktion und deren Bewußtsein in der Anschauung des Kunstwerks. Mit der Feststellung »Schellings System endet nicht mit einem absoluten Primat des Praktischen, wie ihn Fichte lehrte« (XLII) leitet Walter Schulz über zu der viel rezipierten These Schellings, daß die Kunst »das einzige wahre und ewige Organon zugleich und Dokument der Philosophie« sei und zu erwarten wäre, daß die vollendeten Wissenschaften »in den allgemeinen Ozean der Poesie zurückfließen, von welchem sie ausgegangen waren« (XLIV). Weniger beachtet blieb und soll daher hier ergänzend hervorgehoben werden: das »System des transzendentalen Idealismus« endet nicht bei dem Ausblick auf den Ozean der Poesie, - das System endet bei der Forderung einer neuen Mythologie! (Vgl. OA 478) Die Frage, wie der Inhalt einer neuen Mythologie beschaffen sein wird, hat Schelling an die künftigen Schicksale der Welt verwiesen, nur ihre bleibende Funktion wurde vorgängig sehr genau bestimmt: »Mythologie ist die nothwendige Bedingung und der erste Stoff aller Kunst .... Sie (die Mythologie) ist die Welt und gleichsam der Boden, worin allein die Gewächse der Kunst aufblühen und bestehen können.« (SW V, 405/6) So kann gefragt werden, ist es vielleicht die Wissenschaft selbst, die der Kunst den neuen Stoff zu schaffen hat? Wo sonst wäre

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Ergänzende Bemerkungen

heute Schellings Bedingung für die Entstehung einer »neuen Mythologie« erfüllt, daß die »Erfindung des Einzelnen« gleichsam wie die des ganzen Menschengeschlechts angesehen werden kann? Zeigt sich in unserer Epoche der Forscher als Einzelner in seinem Erfolg nicht viel deutlicher wie »gleichsam das Geschlecht vorstellend« als der heutige Dichter? Der Hinweis auf die »neue Mythologie« legt so gedeutet nahe, auch die Worte von der Kunst als Organon und Dokument der Philosophie nicht zu eng beschränkt auf die Anschaulichkeit der Gegenstände traditioneller Ästhetik zu lesen. Schelling selbst sah durchaus sein System gern »als die höchste Poesie des menschlichen Geistes anerkannt« 9 , ohne je, wie dank und seit Walter Schulz immer klarer wurde, den einheitlich leitenden Anspruch rationaler Wissenschaftlichkeit preiszugeben. Wenn in den »künftigen Schicksalen der Welt« der Wissenschaftler selbst die »Erfindung« des ersten Stoffs aller Kunst leisten soll, kann das am Ende des »System des transzendentalen Idealismus« mit der Erwartung einer »neuen Mythologie« ausgesprochene Ziel durchaus im Einklang gesehen werden mit dem, was Schelling in seinem letzten Lebensjahr, am 17. 12. 1853, für seinen besten Schüler formuliert hat: »Es muß also, auch auf Erden noch, dazu kommen, daß der Inhalt der göttlichen Offenbarung ein allgemein Begriffener werde; - es bleibt gar nichts anderes übrig, die göttliche Wahrheit muß zu allgemeiner Erkenntnis herausgearbeitet, zur Grundlage der erst wahrhaft allgemeinen, weil freien Kirche werden, an welcher der Staat erst hätte, was ihn für immer beruhigt, das Höhere, dessen Träger zu sein er bestimmt ist.« 111 Walter E. Ehrhardt

Schellingiana rariora. Gesammelt und eingeleitet v. L. Pareyson, Torino s. 597. 111 Walter E. Ehrhardt: Schelling Leonbergensis und Maximilian II. von Bayern: Lehrstunden der Philosophie, Stuttgart-Bad Cannstatt 1989, S. 114. '!

1977,

ZUR TEXTGESTALTUNG

Die vorliegende Ausgabe der von F. W. J. Schelling auf Ende März 1800 datierten Schrift System des transzendentalen Idealismus folgt der 1957 erstmals aufgelegten und seither mehrfach nachgedruckten PhB-Ausgabe von Ruth-Eva Schulz, bietet jedoch einen durchgängig neu bearbeiteten Text unter Beibehaltung der systematischen Einleitung von Walter Schulz. Ebenso wie Ruth-Eva Schulz legt auch diese Neubearbeitung die Originalausgabe der Schrift von 1800 als die maßgebliche Textfassung zugrunde. Neben der Angleichung von Orthographie und Interpunktion des Schelling-Textes an die heutigen Normen (die unter Heranziehung der Ausgabe Schulz, aber auch der Ausgabe Seidel/Kleine neu vorgenommen wird) dient auch die gegenüber der Originalausgabe strengere, einheitlichere typographische Wiedergabe der den Text aufgliedernden Überschriften und Kennungen (= Abschnittszählungen nach Ziffern oder Buchstaben) dem Zweck, den systematischen Aufbau der Schrift und den methodischen Fortgang der Schellingschen Gedankenführung klar und übersichtlich hervortreten zu lassen. Veraltete Schreibungen einzelner Wörter sind durchgängig ohne Nachweis korrigiert; der in Schellings Text schwankende Gebrauch von Groß- und Kleinschreibung nach einem Doppelpunkt wird jedoch in der Regel beibehalten, ebenso die Getrenntschreibung von Worten, die heute nach Duden zusammengezogen werden (z. B. »unter einander« statt »untereinander«). Die Interpunktion Schellings wird grundsätzlich beibehalten, jedoch dort stillschweigend geändert, wo offensichtliche Irrtümer vorliegen oder die Beibehaltung von Schelling gesetzter Kommata oder anderer Interpunktionszeichen derart gravierend mit den heute gültigen Regeln kollidiert, daß die korrekte syntaktische Gliederung des jeweils gegebenen

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Zur Textgestaltung

Satzgefüges ohne die angebrachte Korrektur für den heutigen Leser nicht mehr erkennbar ist. - Zusätze des Bearbeiters stehen in eckigen Klammern; Abweichungen von der Originalausgabe, die sich aus der Neugestaltung der typographischen Wiedergabe von Zwischenüberschriften und Kennungen ergeben (s.o.), sind nicht eigens kenntlich gemacht. Der Seitenumbruch der Originalausgabe von 1800 (OA) wird im fortlaufenden Text durch einen Teilungsstrich [ angezeigt, die entsprechende Seitenzählung der OA wird in der Kolumne dieser Ausgabe jeweils innenstehend angegeben. Die Zusätze bzw. Korrekturen aus Schellings Handexemplar, die Schellings Sohn in Band III der >Sämmtlichen Werke< von 1858 teils in den Text eingeschoben, teils unter den Seiten mitgeteilt hat, sind in der vorliegenden Ausgabe durchgängig und einheitlich unter den jeweiligen Seiten als Varianten angegeben (ab Seite 275); nicht mitgeteilt werden jedoch die denselben Textabschnitt betreffenden Abweichungen zwischen der OA von 1800 und Band III der >Sämmtlichen Werke< von 1858 bezüglich der Sperrungen bzw. Hervorhebungen einzelner Wörter, da nicht geklärt ist, ob auch diese Abweichungen auf entsprechende Anzeichnungen in Schellings Handexemplar zurückgeführt werden können. Die Herausgeber

FRIEDRICH WILHELM JOSEPH SCHELLING System des transzendentalen Idealismus

System aea transCcendentalen

Idealismus von

Friedr. Wilh.

Jofeph Schelling.

Tübingen, in ehr J. G. Cotta'Cchen Buchhancllung 1

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VORREDE

Daß ein System, welches die ganze, nicht bloß im gemeinen Leben, sondern selbst in dem größten Teil der Wissenschaft herrschende Ansicht der Dinge völlig verändert und sogar umkehrt, wenn schon seine Prinzipien auf das strengste bewiesen sind, einen fortdauernden Widerspruch selbst bei solchen finde, welche die Evidenz seiner Beweise zu führen oder wirklich einzusehen imstande sind, kann seinen 1 Grund allein in dem Unvermögen haben, von der Menge einzelner Probleme zu abstrahieren, welche unmittelbar mit einer solchen veränderten Ansicht die geschäftige Einbildungskraft aus dem ganzen Reichtum der Erfahrung herbeiführt und dadurch das Urteil verwirrt und beunruhigt. Man kann die Kraft der Beweise nicht leugnen, auch weiß man nichts, was gewiß und evident wäre, an die Stelle jener Prinzipien zu setzen, aber man fürchtet sich vor den als ungeheuer vorgespiegelten Konsequenzen, die man aus denselben zum voraus hervorgehen sieht, und verzweifelt, alle jene Schwierigkeiten zu lösen, welche die Prinzipien in ihrer Anwendung unfehlbar finden müssen. Da man aber von jedem, welcher an philosophischen Untersuchungen überhaupt Anteil nimmt, mit Recht verlangen kann, daß er jeder Abstraktion fähig sei, und die Prinzipien in der höchsten Allgemeinheit auflzufassen wisse, in welcher das Einzelne völlig verschwindet, und in der, wenn sie nur die höchste ist, sicher auch die Auflösung für alle möglichen Aufgaben zum voraus enthalten ist, so ist es natürlich, daß bei der ersten Errichtung des Systems alle ins Einzelne herabsteigenden Untersuchungen entfernt, und nur das Erste, was nötig ist, die Prinzipien ins Reine gebracht und außer allen Zweifel gesetzt werden. Indes findet doch ein jedes System den sichersten Probierstein seiner Wahrheit darin, daß es nicht nur zuvor unauflösliche Probleme mit Leichtigkeit auflöst, sondern selbst ganz neue bisher nicht

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Vorrede

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gedachte hervorruft, und aus einer allgemeinen Erschütterung des für wahr Angenommenen eine neue Art der Wahrheit hervorgehen läßt. Es ist dies aber eben das Eigentümliche des transzendentalen Idealismus, daß er, sobald er einmal zugestanden ist, in die Notwendigkeit setzt, alles Wissen von vorne gleichsam entstehen zu lassen, was schon 1 längst für ausgemachte Wahrheit gegolten hat, aufs neue unter die Prüfung zu nehmen, und gesetzt auch, daß es die Prüfung bestehe, wenigstens unter ganz neuer Form und Gestalt aus derselben hervorgehen zu lassen. Der Zweck des gegenwärtigen Werkes ist nun eben dieser, den transzendentalen Idealismus zu dem zu erweitern, was er wirklich sein soll, nämlich zu einem System des gesamten Wissens, also den Beweis jenes Systems nicht bloß im allgemeinen, sondern durch die Tat selbst zu führen, d. h. durch die wirkliche Ausdehnung seiner Prinzipien auf alle möglichen Probleme in Ansehung der Hauptgegenstände des Wissens, welche entweder schon vorher aufgeworfen aber nicht aufgelöst waren, oder aber erst durch das System selbst möglich gemacht worden und neu entstanden sind. Es folgt daraus von selbst, daß diese Schrift Fragen und Gegenstände bejrühren muß, welche bei sehr vielen von solchen, die sich jetzt wohl in philosophischen Dingen ein Urteil herausnehmen, noch gar nicht in Anregung oder zur Sprache gekommen sind, indem sie noch an den ersten Anfangsgründen des Systems hangen, über welche sie, sei es aus ursprünglicher Untüchtigkeit auch nur zu begreifen, was mit ersten Prinzipien alles Wissens verlangt wird, oder aus Vorurteil, oder aus was immer für anderen Gründen, nicht hinwegkommen können. Auch ist für diese Klasse, obgleich die Untersuchung, wie sich versteht, bis auf die ersten Grundsätze zurückgeht, doch von dieser Schrift wenig zu erwarten, da in Ansehung der ersten Untersuchungen in derselben nichts vorkommen kann, was nicht entweder in den Schriften des Erfinders der Wissenschaftslehre, oder in denen des Verfassers schon längst gesagt wäre, nur daß in der gegenwärtigen Bearbeitung die Darstellung in Ansehung einiger Punkte eine größere 1 Deutlichkeit erlangt haben mag, als sie zuvor gehabt hat, durch

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welche aber doch ein ursprünglicher Mangel des Sinnes wenigstens nimmermehr ersetzt werden kann. Das Mittel übrigens, wodurch der Verfasser seinen Zweck, den Idealismus in der ganzen Ausdehnung darzustellen, zu erreichen versucht hat, ist, daß er alle Teile der Philosophie in einer Kontinuität und die gesamte Philosophie als das, was sie ist, nämlich als fortgehende Geschichte des Selbstbewußtseins, für welche das in der Erfahrung Niedergelegte nur gleichsam als Denkmal und Dokument dient, vorgetragen hat. Es kam, um diese Geschichte genau und vollständig zu entwerfen, hauptsächlich darauf an, die einzelnen Epochen derselben und in denselben wiederum die einzelnen Momente nicht nur genau zu sondern, sondern auch in einer Aufeinanderfolge vorzustellen, bei der man durch die Methode selbst, mittelst welcher sie gefunden wird, gewiß sein kann, daß 1 kein notwendiges Mittelglied übersprungen sei, und so dem Ganzen einen inneren Zusammenhang zu geben, an welchen keine Zeit rühren könne und der für alle fernere Bearbeitung gleichsam als das unveränderliche Gerüst dastehe, auf welches alles aufgetragen werden muß. Was den Verfasser hauptsächlich angetrieben hat, auf die Darstellung jenes Zusammenhangs, welcher eigentlich eine Stufenfolge von Anschauungen ist, durch welche das Ich bis zum Bewußtsein in der höchsten Potenz sich erhebt, besonderen Fleiß zu wenden, war der Parallelismus der Natur mit dem Intelligenten, auf welchen er schon längst geführt worden ist, und welchen vollständig darzustellen weder der Transzendental- noch der Natur-Philosophie allein, sondern nur beiden Wissenscheften möglich ist, welche eben deswegen die beiden ewig entgegengesetzten sein müssen, die niemals in eins übergehen können. Der überzeugende Beweis der ganz 1 gleichen Realität beider Wissenschaften in theoretischer Rücksicht, welche der Verfasser bis dahin nur behauptet hat, ist daher in der Transzendental-Philosophie und insbesondere in derjenigen Darstellung davon zu suchen, welche das gegenwärtige Werk enthält, welches darum als ein notwendiges Gegenstück zu seinen Schriften über die Natur-Philosophie zu betrachten ist. Denn es wird eben durch dasselbe offenbar, daß dieselben Potenzen der Anschauung, welche in dem Ich sind,

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bis zu einer gewissen Grenze auch in der Natur aufgezeigt werden können und, da jene Grenze eben die der theoretischen und praktischen Philosophie ist, daß es sonach für die bloß theoretische Betrachtung gleich gültig ist, das Objektive oder das Subjektive zum Ersten zu machen, indem für das Letztere nur die praktische Philosophie (welche aber in jener Betrachtung gar keine Stimme hat) entscheiden kann, daß also auch der Idealismus kein rein theoretisches Fundament 1 hat, insofern also, wenn man nur theoretische Evidenz zugibt, niemals die Evidenz haben kann, welcher die Naturwissenschaft fahig ist, deren Fundament sowohl als Beweise ganz und durchaus theoretisch sind. Es werden eben aus diesen Erklärungen auch diejenigen Leser, welche mit der Natur-Philosophie bekannt sind, den Schluß ziehen, daß es einen in der Sache selbst, ziemlich tief, liegenden Grund hat, warum der Verfasser diese Wissenschaft der Transzendental-Philosophie entgegensetzt und von ihr völlig abgesondert hat, indem zuverlässig, wenn unsere ganze Aufgabe bloß die wäre, die Natur zu erklären, wir niemals auf den Idealismus wären getrieben worden. Was nun aber die Deduktion anbelangt, welche von den Hauptgegenständen der Natur, der Materie überhaupt und ihren allgemeinen Funktionen, dem Organismus usw. in dem vorliegenden Werk geführt worden sind, so sind es zwar idealistische, deswegen aber doch nicht (was viele als gleichbedeutend ansehen) teleologische Ableitungen, welche im Idealismus ebensowenig als in irgend einem anderen System befriedigend sein können. Denn wenn ich z. B. auch beweise, daß es zum Behuf der Freiheit oder der praktischen Zwecke notwendig ist, daß es Materie mit diesen oder jenen Bestimmungen gebe, oder daß die Intelligenz ihr Handeln auf die Außenwelt als durch einen Organismus vermittelt anschaue, so läßt mir doch dieser Beweis noch immer die Frage unbeantwortet, wie und durch welchen Mecha11ismlls denn die Intelligenz gerade eben das anschaue, was zu jenem Behuf notwendig ist. Vielmehr müssen alle Beweise, welche der Idealist für das Dasein bestimmter Außendinge führt, aus dem ursprünglichen Mechanismus des Anschauens selbst, d. h. durch eine wirkliche Ko11str11ktio11 der 1

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Objekte geführt werden. Die bloß teleologische Wendung der 1 Beweise würde darum, weil die Beweise idealistisch sind, doch das eigentliche Wissen um keinen Schritt weiter bringen, da bekanntlich die teleologische Erklärung eines Objekts mich schlechterdings nichts über seinen wirklichen Ursprung lehren kann. Die Wahrheiten der praktischen Philosophie können in einem System des transzendentalen Idealismus selbst nur als Mittelglieder vorkommen, und was eigentlich von der praktischen Philosophie demselben anheimfällt, ist nur das Objektive in ihr, welches in seiner größten Allgemeinheit die Geschichte ist, welche in einem System des Idealismus ebensogut transzendental deduziert zu werden verlangt, als das Objektive der ersten Ordnung oder die Natur. Diese Deduktion der Geschichte führt zugleich auf den Beweis, daß das, was wir als den letzten Grund der Harmolnie zwischen dem Subjektiven und Objektiven des Handelns anzusehen haben, zwar als ein absolut Identisches gedacht werden muß, welches aber als substantielles oder als persönliches Wesen vorzustellen um nichts besser wäre, als es in ein bloßes Abstraktum zu setzen, welche Meinung man dem Idealismus nur durch das gröbste Mißverständnis aufbürden konnte. Was die Grundsätze der Teleologie betrifft, so wird der Leser ohne Zweifel von selbst einsehen, daß sie den einzigen Weg anzeigen, die Koexistenz des Mechanismus mit der Zweckmäßigkeit in der Natur auf eine begreifliche Weise zu erklären. Endlich wegen der Lehrsätze über die Philosophie der Kunst, durch welche das Ganze geschlossen wird, bittet der Verfasser diejenigen, welche für dieselben etwa ein besonderes Interesse haben mögen, 1 zu bedenken, daß die ganze Untersuchung, welche an sich betrachtet eine unendliche ist, hier bloß in der Beziehung auf das System der Philosophie angestellt wird, durch welche eine Menge Seiten dieses großen Gegenstandes zum voraus von der Betrachtung ausgeschlossen werden mußten. Schließlich bemerkt der Verfasser, daß es ein Nebenzweck gewesen sei, eine soviel [als] möglich allgemein lesbare und ver-

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ständliche Darstellung des transzendentalen Idealismus zu geben, und daß ihm dies schon durch die Methode, welche er gewählt hat, einigermaßen gelungen sein könne, davon hat ihn eine zweimalige Erfahrung bei dem öffentlichen Vortrag des Systems überzeugt. Diese kurze Vorrede aber wird hinreichend sein, in denjenigen, welche mit dem Verfasser auf demselben Punkt stehen und an der Auflösung derselben Aufgaben mit ihm arbeiten, einiges Interesse für dieses Werk zu erwecken, die nach Unterricht und Auskunft Begierigen einzuladen, diejenigen aber, welche weder des ersteren sich bewußt sind, noch das andere aufrichtig verlangen, zum voraus davor zurückschrecken, wodurch denn auch alle ihre Zwecke erreicht sind. 1

Jena, Ende März 1800.

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EINLEITUNG

§ 1. Begriff der Transzendental-Philosophie 1. Alles Wissen beruht auf der Übereinstimmung eines Objektiven mit einem Subjektiven. - Denn man weiß nur das

Wahre; die Wahrheit aber wird allgemein in die Übereinstimmung der Vorstellungen mit ihren Gegenständen gesetzt. 2. Wir können den Inbegriff alles bloß Objektiven in unserem Wissen Natur nennen; der Inbegriff alles Subjektiven dagegen heiße das Ich, oder die Intelligenz. Beide Begriffe sind sich entgegengesetzt. Die Intelligenz wird ursprünglich gedacht als das bloß Vorstellende, die Natur als das bloß Vorstellbare, jene als das Bewußte, diese als das Bewußtlose. Nun ist aber injedem 1 Wissen ein wechselseitiges Zusammentreffen beider (des Bewußten und des an sich Bewußtlosen) notwendig; die Aufgabe ist: dieses Zusammentreffen zu erklären. 3. Im Wissen selbst - indem ich weiß - ist Objektives und Subjektives so vereinigt, daß man nicht sagen kann, welchem von beiden die Priorität zukomme. Es ist hier kein Erstes und kein Zweites, beide sind gleichzeitig und eins. - Indem ich diese Identität erklären will, muß ich sie schon aufgehoben haben. Um sie zu erklären, muß ich, da mir außer jenen beiden Faktoren des Wissens (als Erklärungsprinzip) sonst nichts gegeben ist, notwendig den einen dem anderen vorsetzen, von dem einen ausgehen, um von ihm auf den anderen zu kommen; von welchem von beiden ich ausgehe, ist durch die Aufgabe nicht bestimmt. 4. Es sind also nur zwei Fälle möglich. a) Entweder wird das Objektive zum Ersten gemacht, und gefragt: wie ein Subjektives zu ihm hinzukomme, das mit ihm übereinstimmt. Der Begriff des Subjektiven ist nicht enthalten im Begriff des

Objektiven, vielmehr schließen sich beide gegenseitig aus. Das

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Einleitung

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Subjektive muß also zum Objektiven hinzukommen. - Im Begriff der Natur liegt es nicht, daß auch ein Intelligentes sei, was sie vorstellt. Die Natur, so scheint es, würde sein, wenn auch nichts wäre, was sie vorstellte. Die Aufgabe kann also auch so ausgedrückt werden: Wie kommt zu der Natur das Intelligente hinzu, oder wie kommt die Natur dazu, vorgestellt zu werden? Die Aufgabe nimmt die Natur oder das Objektive als Erstes an. Sie ist also ohne Zweifel Aufgabe der Naturwissenschaft, die dasselbe tut. - Daß die Naturwissenschaft der Auflösung jener Aufgabe wirklich - und ohne es zu wissen - wenigstens sich nähere, kann hier nur kurz gezeigt werden. Wenn alles Wissen gleichsam zwei Pole hat, die sich wechselseitig voraussetzen und fordern, so müssen sie in allen Wissenschaften sich suchen; es muß daher notwendig zwei Grundwissenschaften geben, und es muß unmöglich sein, von dem einen Pol auszugehen, ohne auf den anderen getrieben zu werden. Die notwendige Tendenz aller Naturwissenschaft ist also, von der Natur aufs Intelligente zu kommen. Dies und nichts anderes liegt dem Bestreben zugrunde, in die Naturerscheinungen Theorie zu bringen. - Die höchste Vervollkommnung der Naturwissenschaft wäre die vollkommene Vergeistigung aller Nalturgesetze zu Gesetzen des Anschauens und des Denkens. Die Phänomene (das Materielle) müssen völlig verschwinden, und nur die Gesetze (das Formelle) bleiben. Daher kommt es, daß je mehr in der Natur selbst das Gesetzmäßige hervorbricht, desto mehr die Hülle verschwindet, die Phänomene selbst geistiger werden und zuletzt völlig aufhören. Die optischen Phänomene sind nichts anderes als eine Geometrie, deren Linien durch das Licht gezogen werden, und dieses Licht selbst ist schon von zweideutiger Materialität. In den Erscheinungen des Magnetismus verschwindet schon alle materielle Spur, und von den Phänomenen der Gravitation, welche selbst Naturforscher nur als unmittelbar geistige Einwirkung begreifen zu können glaubten, bleibt nichts zurück als ihr Gesetz, dessen Ausführung im Großen der Mechanismus der Himmelsbewegungen ist. Die vollendete Theorie der Natur würde diejenige sein, kraft 1

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§ 1. Begriff der Transzendental-Philosophie

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welcher die ganze Natur sich in eine Intelligenz auflöste. - Die toten und bewußtlosen Produkte der Natur sind nur mißlungene Versuche der Natur sich selbst zu reflektieren, die sogenannte tote Natur aber überhaupt eine unreife Intelligenz, daher in ihren Phänomenen noch bewußtlos schon der intelligente Charakter durchblickt. - Das höchste Ziel, sich selbst ganz Objekt zu werden, erreicht die Natur erst durch die höchste und letzte Reflexion, welche nichts anderes als der Mensch, oder allgemeiner, das ist, was wir Vernunft nennen, 1 durch welche zuerst die Natur vollständig in sich selbst zurückkehrt, und wodurch offenbar wird, daß die Natur ursprünglich identisch ist mit dem, was in uns als Intelligentes und Bewußtes erkannt wird. Dies mag hinreichend sein, zu beweisen, daß die Naturwissenschaft die notwendige Tendenz hat, die Natur intelligent zu machen; eben durch diese Tendenz wird sie zur Natur-Philosohie, welche die eine notwendige Grundwissenschaft der Philosophie ist*. b) Oder das Subjektive wird zum Ersten J?ernacht, und die Aiifgabe ist die: wie ein Objektives hinzukomme, das mit ihm iibereinstimmt. Wenn alles Wissen auf der Übereinstimmung dieser beiden beruht (1), so ist die Aufgabe, diese Übereinstimmung zu erklären, ohne Zweifel 1 die höchste für alles Wissen, und wenn, wie allgemein zugestanden wird, die Philosophie die höchste und oberste aller Wissenschaften ist, ohne Zweifel die Hauptaiifgabe der Philosophie. Aber die Aufgabe fordert nur Erklärung jenes Zusammentreffens überhaupt, und läßt völlig unbestimmt, wovon die Erklärung ausgehe, was sie zum Ersten und was sie zum Zweiten machen soll. - Da auch beide Entgegengesetzte sich wechselseitig notwendig sind, so muß das Resultat der Operation dasselbe sein, von welchem Punkte man ausgeht.

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Die weitere Ausführung des BegritE einer Natur-Philosophie und ihrer notwendigen Tendenz ist in den Schriften des Verfassers: E11tw11~f ei11cs Systcl/ls der Nat11r-Philosophic, verbunden mit der Ei11/cit1111g zu diesem Entwurf, und den Erläuterungen, welche das e1'tc Heft der Zcitschr!ft für spekulative Physik enthalten wird, zu suchen.

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Einleitung

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Das Objektive zum Ersten zu machen und das Subjektive daraus abzuleiten, ist, wie soeben gezeigt worden, Aufgabe der Natur-Philosophie. Wenn es also eine Transzendental-Philosophie gibt, so bleibt ihr nur die entgegengesetzte Richtung übrig, vom Subjektiven als vom Ersten und Absoluten auszugehen und das Objektive aus ihm entstehen zu lassen. In die beiden möglichen Richtungen der Philosophie haben sich also Natur- und Transzendental-Philosophie geteilt, und wenn alle Philosophie darauf ausgehen muß, entweder aus der Natur eine Intelligenz, oder aus der Intelligenz eine Natur zu machen, so ist die Transzendental-Philosophie, welche diese letztere Aufgabe hat, 1 die andere notwendige Grundwissenschaft der Philosophie.

§ 2. Folgesätze Wir haben durch das Bisherige nicht nur den Begriff der Transzendental-Philosophie deduziert, sondern dem Leser zugleich einen Blick in das ganze System der Philosophie verschafft, das, wie man sieht, durch zwei Grundwissenschaften vollendet wird, die, einander entgegengesetzt im Prinzip und der Richtung, sich wechselseitig suchen und ergänzen. Nicht das ganze System der Philosophie, sondern nur die eine Grundwissenschaft desselben soll hier aufgestellt und dem abgeleiteten Begriff zufolge vorerst genauer charakterisiert werden*. 1. Wenn der Transzendental-Philosophie das Subjektive das Erste, und einziger Grund aller Realität, einziges Erklärungsprinzip alles anlderen ist (§ 1), so beginnt sie notwendig mit dem allgemeinen Zweifel an der Realität des Objektiven. Wie der nur aufs Objektive gerichtete Natur-Philosoph nichts so sehr zu verhindern sucht als Einmischung des Subjek-

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Erst durch die Vollendung des Systems der Transzendental-Philosophie wird man der Notwendigkeit einer Natur-Philosophie, als ergänzender Wissenschaft, inne werden, und dann auch aufüören, an jene Forderungen zu machen, welche nur eine Natur-Philosophie erfüllen kann.

§ 2. Folgesätze

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tiven in sein Wissen, so umgekehrt der Transzendental-Philosoph nichts so sehr als Einmischung des Objektiven in das rein subjektive Prinzip des Wissens. - Das Ausscheidungsmittel ist der absolute Skeptizismus - nicht der halbe, nur gegen die gemeinen Vorurteile der Menschen gerichtete, der doch nie auf den Grund sieht, sondern der durchgreifende Skeptizismus, der nicht gegen einzelne Vorurteile, sondern gegen das Grundvorurteil sich richtet, mit welchem alle anderen von selbst fallen müssen. Denn außer den künstlichen, in den Menschen hineingebrachten Vorurteilen gibt es weit ursprünglichere, nicht durch Unterricht oder Kunst, sondern durch die Natur selbst in ihn gelegte, die, außer dem Philosophen, allen übrigen statt der Prinzipien alles Wissens, und dem bloßen Selbstdenker sogar als Probierstein aller Wahrheit gelten. Das eine Grundvorurteil, auf welches alle anderen sich reduzieren, ist kein anderes, als daß es Di11ge ar!fier uns gebe; ein Fürwahrhalten, das, weil es nicht auf Gründen noch auf Schlüssen beruht (denn es gibt keinen einzigen probehaltigen Beweis dafür) und doch durch keinen entgegenigesetzten Beweis sich ausrotten läßt (naturamfurca expellas, ta111en 11sq11e redibit), Ansprüche macht auf unmittelbare Gewißheit, da es sich doch auf etwas von uns ganz Verschiedenes, ja uns Entgegengesetztes bezieht, von dem man gar nicht einsieht, wie es in das unmittelbare Bewußtsein komme, - für nichts mehr als für ein Vorurteil zwar für ein angeborenes und ursprüngliches - aber deswegen nicht minder für ein Vorurteil geachtet werden kann. Den Widerspruch, daß ein Satz, der seiner Natur nach nicht unmittelbar gewiß sein kann, doch ebenso bildlings und ohne Gründe wie ein solcher angenommen wird, weiß der Transzendental-Philosoph nicht zu lösen, als durch die Voraussetzung, daß jener Satz versteckterweise und ohne daß man es bis jetzt einsieht - nicht zusammenhänge, sondern identisch und eins und dasselbe sei mit einem unmittelbar Gewissen; 11nd diese Identität aufzuzeigen, wird eigentlich das Geschäft der Transzendental-Philosophie sein. 2. Nun gibt es aber selbst für den gemeinen Vernunftgebrauch nichts unmittelbar Gewisses außer dem Satz: Ich bin; der,

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weil er außerhalb des unmittelbaren Bewußtseins selbst die Bedeutung verliert, die individuellste aller Wahrheiten und das absolute Vorurteil ist, das zuerst angenommen werden muß, wenn irgend etwas anideres gewiß sein soll. - Der Satz: Es gibt Dinge außer uns, wird also für den Transzendental-Philosophen auch nur gewiß sein durch seine Identität mit dem Satze: Ich bin, und seine Gewißheit wird auch nur gleich sein der Gewißheit des Satzes, von welchem er die seinige entlehnt. Das transzendentale Wissen würde sich demnach vom gemeinen durch zwei Punkte unterscheiden. Erstens, daß ihm die Gewißheit vom Dasein der Außendinge ein bloßes Vorurteil ist, über das es hinausgeht, um seine Gründe aufzusuchen. (Es kann dem Transzendental-Philosophen nie darum zu tun sein, das Dasein der Dinge an sich zu beweisen, sondern nur, daß es ein natürliches und notwendiges Vorurteil ist, äußere Gegenstände als wirklich anzunehmen.) Zweitens, daß es die beiden Sätze: Ich bin und Es sind Dinge außer mir, die im gemeinen Bewußtsein zusammenfließen, trennt (den einen dem anderen vorsetzt), eben um ihre Identität beweisen und den unmittelbaren Zusammenhang, der injenem nur gefühlt wird, wirklich aufzeigen zu können. Durch den Akt dieser Trennung selbst, wenn er vollständig ist, versetzt er sich in die transzendentale Betrachtungsart, welche keineswegs eine natürliche, sondern eine künstliche ist. 3. Wenn dem Transzendental-Philosophen nur das Subjektive ursprüngliche Realität hat, so wird er auch nur das Subjektive im Wissen sich unmittelbar zum Objekt machen: das Objektive wird ihm nur indirekt zum Objekt werden, und anstatt daß im gemeinen Wissen das Wissen selbst (der Akt des Wissens) über dem Objekt verschwindet, wird im transzendentalen umgekehrt über dem Akt des Wissens das Objekt als solches verschwinden. Das transzendentale Wissen ist also ein Wissen des Wissens, insofern es rein subjektiv ist. So gelangt z. B. von der Anschauung nur das Objektive zum gemeinen Bewußtsein, das Anschauen selbst verliert sich im Gegenstand; indes die transzendentale Betrachtungsart vielmehr nur durch den Akt des Anschauens hindurch das Ange1

§ 3. Einteilung der Transzendental-Philosophie

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schaute erblickt. - So ist das gemeine Denken ein Mechanismus, in welchem Begriffe herrschen, aber ohne als Begriffe unterschieden zu werden; indes das transzendentale Denken jenen Mechanismus unterbricht, und, indem es des Begriffs als Akts sich bewußt wird, zum Begriff des Begriffs sich erhebt. - Im gemeinen Handeln wird über dem Objekt der Handlung das Handeln selbst vergessen; das Philosophieren ist auch ein Handeln, aber nicht ein Handeln nur, sondern zugleich ein beständiges Selbstanschauen in diesem Handeln. 1 Die Natur der transzendentalen Betrachtungsart muß also überhaupt darin bestehen, d Was ist ... und umgekehrt] Jenes produktive Vermögen, wodurch das Objekt entsteht, ist dasselbe, aus welchem auch der Kunst ihr Gegenstand entspringt, nur daß jene Tätigkeit dort .~ctriibt - begrenzt - hier rein und unbegrenzt ist. Das Dichtungsvcnnögcn in seiner ersten Potenz angeschaut ist das erste Produktionsvermögen der Seele, sofern es in endlichen und wirklichen Dingen sich ausspricht, und tnngckchrt 43

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Hauptsätze der Philosophie der Kunst

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Produkte einer und derselben Tätigkeit, was uns jenseits des Bewußtseins als wirkliche, diesseits des Bewußtseins als idealische, oder als Kunstwelt erscheint. Aber eben dies, daß, bei sonst ganz gleichen Bedingungen des Entstehens, der Ursprung der einen jenseits, der andern diesseits des Bewußtseins liegt, macht den ewigen und nie aufzuhebenden Unterschied zwischen beiden. Denn obgleich die wirkliche Welt ganz aus demselben ursprünglichen Gegensatz hervorgeht, aus welchem auch die Kunstwelt, welche gleichfalls als ein großes Ganzes gedacht werden muß, und in allen ihren einzelnen Produkten nur das eine Unendliche darstellt, hervorgehen muß, so ist doch 1 jener Gegensatz jenseits des Bewußtseins nur insoweit unendlich, daß durch die objektive Welt als Ganzes, niemals aber durch das einzelne Objekt ein Unendliches dargestellt wird, anstatt daß jener Gegensatz für die Kunst ein unendlicher ist in Ansehungjedes einzelnen Objekts, und jedes einzelne Produkt derselben die Unendlichkeit darstellt. Denn wenn die ästhetische Produktion von Freiheit ausgeht, und wenn eben für die Freiheit jener Gegensatz der bewußten und der unbewußten Tätigkeit ein absoluter ist, so gibt es eigentlich auch nur ein absolutes Kunstwerk, welches zwar in ganz verschiedenen Exemplaren existieren kann, aber doch nur eines ist, wenn es gleich in der ursprünglichen Gestalt noch nicht existieren sollte. Es kann gegen diese Ansicht kein Vorwurf sein, daß mit derselben die große Freigebigkeit, welche mit dem Prädikat des Kunstwerks getrieben wird, nicht bestehen kann. Es ist nichts ein Kunstwerk, was nicht ein Unendliches unmittelbar oder wenigstens im Reflex darstellt. Werden wir z. B. auch solche Gedichte Kunstwerke nennen, welche ihrer Natur nach nur das Einzelne und Subjektive darstellen? Dann werden wir auch jedes Epigramm, das nur eine augenblickliche Empfindung, einen gegenwärtigen Eindruck aufbewahrt, mit diesem Namen belegen müssen, da doch die großen Meister, die sich in solchen Dichtungsarten geübt, die Objektivität selbst nur durch das Ga11ze ihrer Dichtungen hervorzulbringen suchten, und sie nur als Mittel gebrauchten, ein ganzes unendliches Leben

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§ 3. Folgesätze

darzustellen und durch vervielfaltigte Spiegel zurückzustrahlen. 2. Wenn die ästhetische Anschauung nur die objektiv gewordene transzendentale.\'' ist, so versteht sich von selbst, daß die Kunst das einzige wahre und ewige Organon zugleich und Dokument der Philosophie sei, welches immer und fortwährend aufs neue beurkundet, was die Philosophie äußerlich nicht darstellen kann, nämlich das Bewußtlose im Handeln und Produzieren, und seine ursprüngliche Identität mit dem Bewußten. Die Kunst ist eben deswegen dem Philosophen das Höchste, weil sie ihm das Allerheiligste gleichsam öffnet, wo in ewiger und ursprünglicher Vereinigung gleichsam in einer Flamme brennt, was in der Natur und Geschichte gesondert ist, und was im Leben und Handeln, ebenso wie im Denken, ewig sich fliehen muß. Die Ansicht, welche der Philosoph von der Natur künstlich sich macht, ist für die Kunst die ursprüngliche und natürliche. Was wir Natur nennen, ist ein Gedicht, das in geheimer wunderbarer Schrift verschlossen liegt. Doch könnte das Rätsel sich enthüllen, würden wir die Odyssee des Geistes darin erkennen, der wunderbar getäuscht sich selber suchend, sich selber flieht; denn durch die Sinnenwelt blickt nur wie durch Worte der Sinn, nur wie durch halbdurchsichtigen Nebel das Land der Phantasie, nach dem 1 wir trachten. Jedes herrliche Gemälde entsteht dadurch gleichsam, daß die unsichtbare Scheidewand aufgehoben wird, welche die wirkliche und idealische Welt trennt, und ist nur die Öffnung, durch welche jene Gestalten und Gegenden der Phantasiewelt, welche durch die wirkliche nur unvollkommen hindurchschimmert, völlig hervortreten. Die Natur ist dem Künstler nicht mehr, als sie dem Philosophen ist, nämlich nur die unter beständigen Einschränkungen erscheinende idealische Welt, oder nur der unvollkommene Widerschein einer Welt, die nicht außer ihm, sondern in ihm existiert. Woher denn nun aber dieser Verwandtschaft der Philosophie und der Kunst unerachtet des Gegensatzes beider komme, diese ·-Hi

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korr~System des transzendentalen Idealismus