Totalität und Dialektik: Johann Gottlieb Fichtes späte Wissenschaftslehre oder die lebendige Existenz des Absoluten als sich selbst bildendes Bild [1 ed.] 9783428549870, 9783428149872

In der Arbeit wird untersucht, wie sich der Begriff des Bildes in der $aWissenschaftslehre$z von Johann Gottlieb Fichte

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Totalität und Dialektik: Johann Gottlieb Fichtes späte Wissenschaftslehre oder die lebendige Existenz des Absoluten als sich selbst bildendes Bild [1 ed.]
 9783428549870, 9783428149872

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B EGRIFF UND K ONKRETION Beiträge zur Gegenwart der klassischen deutschen Philosophie

Band 6

Totalität und Dialektik Johann Gottlieb Fichtes späte Wissenschaftslehre oder die lebendige Existenz des Absoluten als sich selbst bildendes Bild

Von

Patrick Tschirner

Duncker & Humblot · Berlin

PATRICK TSCHIRNER

Totalität und Dialektik

Begriff und Konkretion Beiträge zur Gegenwart der klassischen deutschen Philosophie

Herausgegeben von Thomas Sören Hoffmann, Hagen Martín Zubiria, Mendoza Wissenschaftlicher Beirat: Mario Jorge de Carvalho (Lissabon), Héctor Alberto Ferreiro (Buenos Aires), Lore Hühn (Freiburg i.Br.), Marco Ivaldo (Neapel), Walter Jaeschke (Bochum), Wolfgang Kersting (Kiel), Jean-François Kervégan (Paris), Hiroshi Kimura (Kobe), Theodoros Penolidis (Thessaloniki), Violetta L. Waibel (Wien)

Band 6

Totalität und Dialektik Johann Gottlieb Fichtes späte Wissenschaftslehre oder die lebendige Existenz des Absoluten als sich selbst bildendes Bild

Von

Patrick Tschirner

Duncker & Humblot  ·  Berlin

Die Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften der FernUniversität in Hagen hat diese Arbeit im Fach Philosophie unter der Betreuung von Prof. Dr. Thomas Sören Hoffmann im Jahre 2015 als Dissertation angenommen.

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 2198-8099 ISBN 978-3-428-14987-2 (Print) ISBN 978-3-428-54987-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-84987-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Familie und meinen Freunden gewidmet

Vorwort Die vorliegende Studie ist eine leicht überarbeitete Dissertationsschrift, die an der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften der FernUniversität in Hagen im Jahr 2015 angenommen wurde. An dieser Stelle möchte ich mich bei all denjenigen bedanken, die mich auf meinem bisherigen Weg und besonders in der Phase meines Forschungsprojekts unterstützt haben. An erster Stelle möchte ich mich bei meinen Eltern Martina Haan, Klaus Tschirner, Andreas Voigt und meinen Großeltern Helga und Helmut Tschirner sowie bei meiner ganzen Familie bedanken, die mich während meines gesamten Studiums und meiner Promotionszeit in jeglicher Hinsicht unterstützt haben. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Thomas Sören Hoffmann für die intensive Betreuung, die umfassende wissenschaftliche Förderung sowie die Ermutigung bereits erreichte Grenzen zu überschreiten und philosophische Probleme historisch und systematisch und in einem ganzheitlichen Sinne zu begreifen. In diesem Zusammenhang möchte ich mich auch bei Herrn Prof. Dr. Martín Zubiria für die Erstellung des Zweitgutachtens und die kritische Begleitung bedanken. Darüber hinaus möchte ich mich auch bei Herrn Prof. Dr. Alexander Haardt und Herrn Prof. Dr. Hubertus Busche bedanken, die mir vor allem in der Anfangsphase des Promotionsprojekts die Möglichkeit zur wissenschaftlichen Weiterentwicklung geboten haben. Großer Dank gebührt auch der Fichte-Lektüregruppe, namentlich Dr. Jens Lemanski und Dr. Valentin Pluder, in der wir erstmals den späten Fichte gemeinsam erschlossen haben. Ich danke euch für diese gemeinsame Zeit und für die konstruktive Kritik an meiner Arbeit. An dieser Stelle möchte ich mich auch bei meinen Lehrern Jürgen Krass, Dr. Matthias Everding, Peter Budde, Ulf Krumme und Michael Kuhnholdt bedanken, die mich in entscheidenden Phasen meines Lebens begleitet haben und mich darin bestärkt haben, eigene Wege zu gehen und in unkonventionellen Lösungen zu denken. Für die umfassenden Korrekturarbeiten möchte ich mich ebenfalls bei Dr. Christian Kurrat und Tattus Stotz bedanken. Weiterhin möchte ich mich bei ein paar Menschen bedanken, die mir (neben den bereits genannten) das Leben leichter und schöner gemacht haben:Niko und Marko Bartulac, Tobias Christ, David Döhrer, Julia Hoffmann, Juliane Keßler, Julian und Annika Kruse, Melanie Mägdefrau, Hannah Neumann, Steffi Straub, Karin Taghawinejad, Ingrid Thaler und Marny Vokuhl. Abschließend möchte ich mich bei der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften für den großzügigen Druckkostenzuschuß sowie bei der FernUniversität in Hagen für das Abschlußstipendium im Rahmen des internen Nachwuchsförderprogramms bedanken. Dortmund, im Januar 2017

Patrick Tschirner

Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung  ................................................................................................................... 11 I. Exposition der Fragestellung, des Ziels, der Methode und des Aufbaus der Arbeit  ............................................................................................................. 20 II. Die späte Wissenschaftslehre als neuplatonische Philosophie, Negative Theologie, Mystik oder Metaphysik?  ................................................. 26 III. Die Wissenschaftslehre als transzendentalphilosophische Totalitätswissenschaft  ......................................................................................... 35 IV. Die Wissenschaftslehre als dialektische Beziehungswissenschaft  .................... 43 Teil 1

Vom transzendentalen Subjektivismus zur transzendentalphilosophischen Totalitätswissenschaft  51

§ 2 Die Theorie der fundamentalen Handlungen des menschlichen Geistes in den Jahren 1794/95  ................................................................................................ 51 I. Fichtes Anknüpfung an Kant und Reinhold  ....................................................... 52 II. Das Programm der frühen Wissenschaftslehre  .................................................. 63 III. Die Probleme der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre von 1794/95  74 § 3 Die Zurückführung alles Mannigfaltigen auf absolute Einheitin den Jahren 1804/05 und 1812  ..................................................................................................................... 96 I. Die systematische Positionierung der späten Wissenschaftslehre  ..................... 101 II. Die Wissenschaftslehre im problemgeschichtlichen Zusammenhang  ............... 115 III. Die Probleme in der Erforschung der späten Wissenschaftslehre  ..................... 133 Teil 2

Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion  146

§ 4 Dialektik und Logizität der Bildlichkeit  ..................................................................... 147 I. Das reine Bilden als absolute Beziehung  ............................................................ 149 II. Das Wesen der Bildlichkeit  ................................................................................. 161 III. Die Weiterentwicklung des Bildens im Jahr 1812  .............................................. 181 § 5 Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens  ................................................ 209 I. Das Absolute als lebendiger Vollzug oder Gott in uns  ...................................... 209 II. Die Notwendigkeit der absoluten Erscheinung  .................................................. 226 III. Die Selbstentfaltung des Wissens  ....................................................................... 252 § 6 Fazit  ............................................................................................................................ 274

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Inhaltsverzeichnis

Literaturverzeichnis  ....................................................................................................... 281 Personenverzeichnis  ........................................................................................................ 302 Sachwortverzeichnis  ....................................................................................................... 307

§ 1  Einleitung1 § 1 Einleitung

In dem Werk De la recherche de la vérité von Nicolas de Malebranche (1638 – 1715) findet sich ein Gedanke, der von Walter Benjamin (1892 – 1940) im Kafka-Essay und erneut von Paul Celan (1920 – 1970) in der Meridian-Rede aufgegriffen und in folgender Weise paraphrasiert wird: „Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele“2. Neben diesen drei geistesgeschichtlichen Größen des 18. und 20. Jahrhunderts gibt es einen Philosophen des 19. Jahrhunderts, der diesen Gedanken philosophisch aufgegriffen und mit aller Konsequenz umgesetzt hat: Johann Gottlieb Fichte (1762 – 1814). In seiner späten philosophia prima, die er Wissenschaftslehre (WL) nennt, wird die Aufmerksamkeit nicht nur ins Höchste gesteigert, sondern ist das billet d’entrée zu seiner Gedankenwelt überhaupt. In seiner Wirkung einem intensiven Gebet oder einer Meditation durchaus vergleichbar leitet Fichte durch die Arbeit des Begriffs zur innersten Einkehr des Geistes in sich selbst an, der sich aber am tiefsten Punkt seiner Durchdringung selbst übersteigt. Fichte spricht weniger von der Seele, sondern vielmehr von der Vernunft, die sich als Moment einer unerzeugbaren und nicht herstellbaren Einheit, als Bild und Erscheinung des Absoluten begreifen und verstehen soll.

1  Der Untertitel der Arbeit spielt auf zwei Äußerungen Fichtes aus der Phase von 1804/05 an: In der WL 1804-I bezeichnet Fichte das absolute Wissen bzw. die Vernunft als „die lebendige Existenz des Absoluten d.h. Gottes, denn das absolut in sich lebendige ist Gott, und es hat nie einen andern wirklichen Begriff von Gott gegeben“ (Johann Gottlieb Fichte: Vorlesung der W.L. im Winter 1804, in: ders.: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hg. v. Reinhard Lauth, Hans Jacob, Hans Gliwitzky, Erich Fuchs, Peter K. Schneider und Günter Zöller, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 – 2012, im folgenden abgekürzt mit GA unter Angabe der Abteilung, des Bandes und der Seitenzahl, hier: WL 1804-I – GA II/7, 176). In der WL 1805 bezeichnet Fichte die Vernunft als „[a]bsolut unmittelbar sich selbst bildendes Bild“, das mit dem „Bilden des Ich“ zusammentrifft (Fichte: 4ter Vortrag der Wissenschaftslehre –. Erlangen im Sommer 1805, in: GA II/9, 192, im folgenden: WL 1805 – GA II/9). 2  Paul Celan: „Der Meridian. Rede anläßlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises, Darmstadt, am 22. Oktober 1960“, in: ders.: Gesammelte Werke in sieben Bänden, hg. von Beda Allemann und Stefan Reichert unter Mitwirkung von Rolf Bücher, Bd. 3: Gedichte III, Prosa, Reden, Frankfurt a. M. 2000, 187 – 202, hier: 198. Vgl. dazu auch: Nicolas de Malebranche: De la recherche de la vérité (1674/75), in: ders.: Œuvres, édition établie par Geneviève Rodis-Lewis avec la collaboration de Germain Malbreil, Tome I, Paris 1979 ff., 1 – 1126, hier: 770; Walter Benjamin: „Franz Kafka. Zur Wiederkehr seines zehnten Todestags“, in: ders.: Gesammelte Schriften, unter Mitwirkung von Theodor W. Adorno und Gershom Scholem, hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Bd. II/2, Frankfurt a. M. 1977, 409 – 438, hier: 432.

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§ 1 Einleitung

Im fünften Vortrag des zweiten Vorlesungszyklus der Wissenschaftslehre von 1804 (WL 1804-II) kommt Fichte auf das „Talent der vollen ganzen Aufmerksamkeit“ zu sprechen. Es sei „das untrügliche und unfehlbare Mittel, die W.-L. richtig zu fassen“ und „daß man diese Aufmerksamkeit besitze, ist für das Verständniß dieser Vorträge [a]lles gelegen“. Im Unterschied zur zerstreuten oder halben Aufmerksamkeit, die „mit halben Ohren hört“, „mit halber Denkkraft denkt“ und „unendlicher Grade fähig ist“, hat die volle Aufmerksamkeit „keine Grade“: „Sie füllt den Geist ganz, die unvollständige Aufmerksamkeit aber füllt ihn nicht ganz.“ Die volle Aufmerksamkeit wirft „sich selbst mit allem ihrem geistigen Vermögen in das vorliegende Objekt“ und geht vollkommen darin auf. Lediglich der Mangel an Aufmerksamkeit sowie Zerstreutheit bringen Unwahrheit und Schein hervor. Und so wenig wir die Wahrheit selbst machen, „sondern die Wahrheit […] sich selber durch eigene Kraft [macht]“, so läßt sich eine wahre Einsicht nicht herstellen, sondern erzeugt sich „von selber“. Erst durch die volle und ganze Aufmerksamkeit, haben wir nicht nur die Einsicht in einen konkreten Sachverhalt, sondern wir sind „selbst zu dieser Einsicht geworden und in ihr aufgegangen“3. Fichte wurde nicht müde, seine Zuhörer zu scharfem, energischem und strengem Denken aufzufordern. Dieses energische Denken – und dies bedeutet letztlich immer vernünftig zu denken – „kostet Anstrengung, Selbstverläugnung, Mühe, u[nd] diese thut wehe dem verzärtelten Fleische“, so Fichte bereits in der Darstellung der Wissenschaftslehre von 1801/024. Und Karl Wilhelm Ferdinand Solger (1780 – 1819), ein Hörer der Vorlesungen Fichtes in den Jahren 1804/05, schildert seine Eindrücke mit den Worten: „Wer zusammengenommen, geschult und rastlos durchgearbeitet werden will, der gehe zu ihm. […] Ich bewundere seinen streng philosophischen Vortrag, und bedaure fast ihn nicht früher kennen gelernt zu haben. Kein anderer reißt so mit Gewalt den Zuhörer an sich, keiner bringt ihn so ohne alle Schonung in die schärfste Schule des Nachdenkens.“5

3  WL 1804-II – StA, 42 – 46 – GA II/8, 66 – 70. Vom zweiten Vorlesungszyklus der WL im Jahr 1804 existieren drei Texte: Der erste wurde 1834/35 von Immanuel Hermann Fichte in Band 2 der Nachgelassenen Werke veröffentlicht: Johann Gottlieb Fichtes nachgelassene Werke, hg. von Immanuel Herrmann Fichte, Bd. 2, Bonn 1834/35, 87 – 314. Der zweite Text ist eine Abschrift von Fichtes Manuskript und wird als Copia bezeichnet. Der Text der Nachgelassenen Werke ist insgesamt präziser, allerdings enthält die Copia zusätzliche Ergänzungen, die im Text von 1834/35 fehlen. Beide Texte sind im Paralleldruck in Band II/8 der Gesamtausgabe (= GA) veröffentlicht. Die geraden Seitenzahlen geben den Text von 1834/35, die ungeraden den Text der Copia an. Der dritte Text ist eine Zusammenführung des Textes von 1834/35 und der Copia, der als Studienausgabe (StA) 1975 erstmals veröffentlicht wurde: J.G. Fichte: Die Wissenschaftslehre. Zweiter Vortrag im Jahr 1804 vom 16. April bis 8. Juni, gereinigte Fassung hg. v. R. Lauth u. J. Widmann, unter Mitarbeit von P. Schneider, Hamburg 1975, ²1986 im folgenden daher abgekürzt: WL 1804-II – StA – GA II/8. 4 Fichte: Darstellung der Wissenschaftslehre (1801/02), in: GA II/6, 133. 5  Karl Wilhelm Ferdinand Solger: „Brief an Friedrich Solger vom 1. Dezember 1804“, in: J. G. Fichte im Gespräch. Berichte der Zeitgenossen, hg. v. Erich Fuchs, in Zusammen-

§ 1  Einleitung

13

Dies ist kein hohles oder leeres Pathos. Fichte ging es nicht darum, seine Zuhörer unnötig zu traktieren und den Eingang in seine Philosophie absichtlich schwerer zu machen, als dieser eigentlich ist. Fichte hatte vielmehr zwei Aspekte vor Augen, einen theoretischen und einen praktischen, die eng miteinander zusammenhängen. Fichte war der Überzeugung, daß man nicht von Verstehen im eigentlichen Sinne sprechen kann, wenn das Eingesehene nicht selbst nacherzeugt und frei reproduziert werden kann. Fichte wollte nicht, daß bestimmte philosophische Lehrgehalte auswendig gelernt werden, die man bei Bedarf aufsagen und vorweisen kann. Fichte wollte in seinen Vorlesungen keine Adepten und Nachbeter seiner Philosophie ausbilden, sondern eine bestimmte Sichtweise einüben und dem Sehen ein Auge einsetzen, oder wie es im Diarium II (1813) ganz präzise heißt: „Das Sehen sey ein sich sehendes Auge.“6 Die Wissenschaftslehre ist keine Ansammlung von festen Dogmen und unverrückbaren Tatsachen, sie ist vor allem eine Hinführung zum Sich-Verstehen des Sehens, eine Hilfestellung zum Sichbegreifen des Wissens, sie ist eine „Leiter“, die das Sich-Verstehen, das Sehen des Sehens und das vollkommene Aufgehen in der Einsicht zum Ziel hat7. Auch wenn Fichte seiner Schrift Sonnenklarer Bericht von 1801 den Untertitel hinzusetzte „Ein Versuch, die Leser zum Verstehen zu zwingen“8, so wußte auch er, daß dies letztlich nicht möglich ist. Das Denken kann von niemand anderem für einen selbst übernommen werden und eine Schrift kann an sich keine Einsicht hervorbringen, sondern nur die Mittel für eine Einsicht bereitstellen. Die volle Aufmerksamkeit – oder wie es in jenem Sonnenklaren Bericht heißt: die „Besinnung auf sich selbst“ – sei „für die Wissenschaftslehre selbst gearbeit mit Reinhard Lauth und Walter Schieche, Bd. 3: 1801 – 1806, Stuttgart-Bad Cannstatt 1981, 282. 6  Das vollständige Zitat lautet: „In einem Traume schien mir eine Aufgabe sehr leuchtend hervor. Das Sehen sey ein sich sehendes Auge. […] sich sehendes Auge = Reflexion eines Lebens, eines sich selbst offenbarens, das eben in sich selbst u. seiner Faktizität bleibt. […] Im Traum. Durch das Ich werde ihm erst ein Auge eingesezt“ (Fichte: [Diarium II] den 18. August. In den Ferien, in: GA II/16, 209). Karen Gloy hat im Eröffnungsband der Fichte-Studien alle Vorformen und Variationen dieser Metapher von 1798 bis 1812 zusammengetragen (vgl. Karen Gloy: „Selbstbewußtsein als Prinzip des neuzeitlichen Selbstverständnisses. Seine Grundstruktur und seine Schwierigkeiten“, in: Fichte-Studien 1 (1990) 41 – 72, hier: 64). Zur Analyse der Tagebücher vgl. auch: Günter Zöller: „Leben und Wissen. Der Stand der Wissenschaftslehre beim letzten Fichte“, in: Der transzendentalphilosophische Zugang zur Wirklichkeit. Beiträge aus der aktuellen Fichte-Forschung, hg. v. Erich Fuchs, Marco Ivaldo und Giovanni Moretto, Stuttgart-Bad Cannstatt 2001, 307 – 330, hier: 321. 7  Im fünfundzwanzigsten Vortrag der WL 1804-II sagt Fichte, daß nur das absolute Wissen Wert habe und alles übrige ohne Wert sei: „Ich habe mit Bedacht gesagt im absoluten Wissen, keinesweges in der W.-L. in specie, denn auch sie ist nur der Weg, und hat nur den Werth des Weges, keinesweges einen Werth an sich. Wer heraufgekommen ist, der kümmert sich nicht weiter um die Leiter“ (WL 1804-II – StA, 254 – GA II/8, 378). 8 Fichte: Sonnenklarer Bericht an das größere Publikum über das eigentliche Wesen der neuesten Philosophie. Ein Versuch, die Leser zum Verstehen zu zwingen (1801), in: GA I/7, 183.

§ 1 Einleitung

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halten“ worden, so Fichte. Weiter heißt es jedoch: „Dann wäre nichts kürzer abgethan, und nichts leichter als diese Wissenschaft. Aber sie ist mehr; und jene Besinnung ist sie nicht selbst, sondern bloß die erste, und einfachste, aber ausschließende Bedingung ihres Verständnisses.“9 In Fichtes Vernunftsystem wird „die Besinnung zu einer Kunst nach Regeln“, wie es in der WL 1813 zwölf Jahre später heißt10. Fichte sah sehr deutlich, daß man sich um Erkenntnis und Einsicht immer nur bemühen kann, daß sie zugleich aber auch etwas Unverfügbares ist und nichts, was sich automatisch einstellt, denn sie kann auch ausbleiben. Die Einsicht ist daher das Unerzeugbare im Sichverstehen der Vernunft, die aber die Selbstbesinnung als aktives Moment im Erkenntnisprozeß voraussetzt. Fichte geht es aber nicht allein um diesen rein theoretischen Aspekt der Aufmerksamkeit, sondern auch um die praktischen Folgen in einem ganz existentiellen Sinne: Philosophie ist für Fichte kein rein intellektuelles „Glasperlenspiel“11! Im letzten Vortrag der Transscendentalen Logik II von 1812 heißt es: „Die Philosophie ist nicht trokne Spekulation, und Kramen in leeren Formeln […], sondern sie ist eine Umschaffung, Wiedergeburt u. Erneurung des Geistes in seiner tiefsten Wurzel: die Einsetzung eines neuen Organs, und mit ihm einer neuen Welt in die Zeit. […] Wem selbst jenes Licht aufgegangen ist, der kann nicht mehr anders.“12

Das Licht bringt nicht nur evidente „Blitze“ hervor, sondern „soll der innere Tag unsers Leben werden“13; der „Durchbruch“, der zur „Wiedergeburt“ führt, besteht in der Einsicht, daß „[s]ein Leben“ – das Leben des Wissens – „identisch mit jenem“ Leben des Absoluten ist14; es geht deshalb darum, „nicht Ph[ilosophie zu] besitzen, sondern [diese zu] seyn“15: Der Mensch hat nicht nur bestimmtes Wissen, sondern ist qua Vernunft immer schon existierendes Wissen. Fichte wußte jedoch auch, daß 9 

Ebd., GA I/7, 251, Kursivierung von mir, P.T. Die Wissenschaftslehre [vom Februar 1813], in: GA II/15, 133, Hervorhebung von mir, P.T. Im folgenden: WL 1813. 11 Thomas Sören Hoffmann: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Eine Propädeutik, 2., durchgesehene und aktualisierte Auflage, Wiesbaden 2012, 19 in bezug auf Hegel: „Philosophie ist kein akademisches Glasperlenspiel und wäre, als solches betrieben, schon mißverstanden“. 12 Fichte: Vom Unterschiede zwischen der Logik und der Philosophie selbst, als Grundriss der Logik und Einleitung in die Philosophie (1812), in: GA II/14. Im Jahr 1834/35 von Immanuel Hermann Fichte veröffentlicht unter dem Titel: Ueber das Verhältniß der Logik zur Philosophie oder Transscendentale Logik, unter demselben Titel als Studienausgabe (StA) hg. sowie mit Vorwort und Anmerkungen versehen von Reinhard Lauth und Peter K. Schneider unter Mitarbeit von Kurt Hiller, Hamburg 1982, im folgenden abgekürzt: Transscendentale Logik II (1812) – StA, 260 – GA II/14, 399; vgl. auch: Transscendentale Logik II (1812) – StA, 253 – GA II/14, 394 sowie Fichte: Einleitung in die Wissenschaftslehre (1813), in: GA II/17, 235. 13  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 21 – GA II/14, 206. 14  WL 1804-I – GA II/7, 74. 15  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 24 – GA II/14, 208, Kursivierung und Einfügung von mir, P.T. 10 Fichte:

§ 1  Einleitung

15

„zu einem neuen Leben […] sich nicht leicht jemand“ entschließt16, denn die „Ergreifung des Absoluten“ setzt das spekulative Denken voraus17. Man ist an dieser Stelle schon fast versucht zu sagen, daß nach der ersten, physischen Geburt nunmehr durch die Wissenschaftslehre die zweite, logisch-spekulative Wieder­geburt des Menschen erfolgt18, wobei die zweite die wesentlichere ist, da es erst durch sie zu einer Wiedererinnerung und Erkenntnis dessen kommt, was der Mensch in seinem wahren Wesen tatsächlich ist: er ist Bild und Erscheinung des Absoluten. Diese Einlassungen Fichtes erinnern aber auch an eine Äußerung Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770 – 1831), die jener in einem Brief vom 27. Mai 1810 tätigte: „Ich kenne aus eigner Erfahrung diese Stimmung des Gemüts oder vielmehr der Vernunft, wenn sie sich einmal mit Interesse und ihren Ahnungen in ein Chaos der Erscheinungen hineingemacht hat und wenn [sie], des Ziels innerlich gewiß, noch nicht hindurch, noch nicht zur Klarheit und Detaillierung des Ganzen gekommen ist. […] ­jeder Mensch hat wohl überhaupt einen solchen Wendepunkt im Leben, den nächtlichen Punkt der Kontraktion seines Wesens, durch dessen Enge er hindurchgezwängt und zur Sicherheit seiner selbst befestigt und vergewissert wird, zur Sicherung des gewöhnlichen Alltagslebens, und wenn er sich bereits unfähig gemacht hat, von demselben ausgefüllt zu werden, zur Sicherheit einer innern edlern Existenz.“19

Neben den nicht zu leugnenden, psychologischen Implikationen kommt bei beiden Denkern eine Haltung zum Ausdruck, die wahrscheinlich zu allen Zeiten unzeitgemäß war und ist: das vollständige Sich-Einlassen auf die Vernunft! Erst durch das vollständige Sich-Einlassen und Bestimmtwerden durch die absolute Vernunft erfolgt die existentielle Umschaffung des Menschen in seinem inner­sten Wesen. Für Fichte wird das wahre Selbst und echte Individualität nicht in der sich von allen anderen unterscheidenden Originalität sichtbar, sondern erst, wenn sich diese auf das Ganze und auf die Vernunft bezieht20. Es geht nicht darum, sich etwas Beliebiges auszudenken und dies als Philosophie auszugeben, sondern sich selbst vollständig zum Werkzeug der Vernunft zu machen und sein ganzes Denken und Handeln von ihr bestimmen zu lassen. So ist es nicht verwunderlich, daß ein postmoderner Philosoph wie Peter Sloterdijk (*1947) am existentiellen Sich-Umwendenlassen durch die Vernunft Anstoß nimmt. Er spricht von einer „Kultur der 16 Fichte:

II/7.

17 

3ter Cours der W.L. 1804, in: GA II/7, 311, im folgenden: WL 1804-III – GA

WL 1804-I – GA II/7, 78. Trotz eines anderen Argumentationszusammenhangs findet sich bei Wilhelm Metz in bezug auf die frühe WL ebenfalls schon die Idee einer zweiten Geburt (vgl. ders.: Kategoriendeduktion und produktive Einbildungskraft in der theoretischen Philosophie Kants und Fichtes, Stuttgart-Bad Cannstatt 1991, 386). 19  Georg Wilhelm Friedrich Hegel: „Brief an Windischmann vom 27. Mai 1810“, in: Briefe von und an Hegel. Vier Bände, hg. v. Johannes Hoffmeister, Bd. I: 1785 – 1812, Hamburg ³1969, 313 – 315, hier: 314; Hervorhebung von mir, P.T. 20  Zur Stellung des Individuums in bezug auf die theoretische Philosophie vgl. Rebecca Paimann: „Beim Wissen ist jeder der Erste. Zur Stellung der Individualität in der späten Wissenschaftslehre Fichtes“, in: Perspektiven der Philosophie 37 (2011) 147 – 180. 18 

16

§ 1 Einleitung

expliziten Subjektivitätsbetonung“ und es sei der „Deutsche[] Idealismus“ gewesen, „der das Kunststück fertigbrachte, das Seiende im ganzen durch das Nadelöhr der reflexiven und präreflexiven Subjektivität hindurchzupressen“. Spöttisch fragt er, wobei er „Fichtes Bannflüche“ aus der Anweisung zum seligen Leben (1806) vor Augen hat: „[W]as ist über den Anti-Egoismus der Idealisten zu sagen, die das empirische Ich prügeln, um das transzendentale oder das absolute exaltieren zu können?“21 Möglicherweise hätte sich Fichte über einen spöttischen Kommentar wie denjenigen Sloterdijks gefreut, weil er ja immerhin auf eine richtige Unterscheidung aufmerksam macht, diejenige zwischen Individuum und Vernunft, zwischen empirischem und absolutem Ich. Denn so wie durch die vollständige Aufmerksamkeit die Wiedergeburt des Menschen und die Einsicht in die absolute Wahrheit erfolgen kann, so ist die halbe Aufmerksamkeit für Fichte die Quelle für Unwahrheit und Schein. Fichte mußte sich Zeit seines Lebens mit Mißverständnissen über seinen philosophischen Ansatz auseinandersetzen. Zwei grundlegende Mißverständnisse sollen bereits an dieser Stelle ausgeräumt werden:

In der ersten Version seines Systems der Vernunft, die unter dem Titel ­Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (GWL) in den Jahren 1794/95 veröffentlicht wurde, geht Fichte vom absoluten Ich als höchstem Prinzip aus; zusätzliche Irritationen riefen auch noch die termini technici des Setzens, des Sich-Setzens und der Tathandlung hervor. Das absolute Ich wurde als Individuum fehlgedeutet und das Setzen als „Produktion der gesammten materiellen Welt“ interpretiert, so Fichte in der Berliner Vorlesung Die Thatsachen des Bewußtseyns von 1810/11, wo er immer noch um Richtigstellungen bemüht war22. Das absolute Ich wurde aber auch als 21  Peter Sloterdijk: „Luhmann, Anwalt des Teufels. Von der Erbsünde, dem Egoismus der Systeme und den neuen Ironien“, in: ders.: Nicht gerettet. Versuche nach Heidegger, Frankfurt a. M. 2001, 82 – 141, hier: 110. 22 Fichte: Die Thatsachen des Bewußtseyns (1810/11), in: GA II/12, 71. Die Annahme, daß das absolute Ich das Individuum oder empirische Ich und eben nicht die Vernunft sein soll, hält sich bis heute. Joseph Ratzinger diskutiert in einer Abhandlung die These, ob das Gewissen unfehlbar sei, und sieht ihren Ursprung bei Fichte, den Ratzinger in folgender Weise zitiert: „Das Gewissen irrt nie und kann nie irren“, denn es ist „selbst Richter aller Überzeugung“, der „keinen höheren Richter über sich selbst anerkennt. Es entscheidet in der letzten Instanz und ist selbst inappellabel“. In den anschließenden Ausführungen Ratzingers wird dann aber auch deutlich, daß er und Fichte unter Gewissen und Subjekt nicht dasselbe verstehen: Die „Wahrheit des Subjekts“ und seine „Gewissenssprüche“ seien „nur Reflexe sozialer Vorgegebenheiten“ (Joseph Ratzinger: „‚Wenn du Frieden willst…‘ – Gewissen und Wahrheit“, in: ders.: Werte in Zeiten des Umbruchs. Die Herausforderungen der Zukunft bestehen, Freiburg 2005, 100 – 122, hier: 100 f., Anm. 1). Hansjürgen Verweyen kritisiert, daß Ratzinger Fichte „völlig verzerrt wiedergibt“: „Ratzingers Zitat zufolge hält Fichte das individuelle Ich für den obersten Richter. In Wirklichkeit spricht Fichte hier von dem reinen ursprünglichen Ich, das sich im Gewissen zu Bewußtsein bringt“ (Hansjürgen Verweyen: Joseph Ratzinger – Benedikt XVI. Eine Entwicklung seines Denkens, Darmstadt 2007, 111 und 159, Anm. 118).

§ 1  Einleitung

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Synonym für Gott verstanden, wie man Jean Pauls (1763 – 1825) Clavis Fichtiana entnehmen kann 23. Tatsächlich ist das absolute Ich nichts anderes als das autonom tätige „Vermögen radikal spontaner Vernunft“24, wie der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre von 1794/95, der Grundlage des Naturrechts von 1796/97 und dem System der Sittenlehre von 1798 zu entnehmen ist, wo Fichte absolutes Ich und Vernunft synonym verwendet25. Und in der Wissenschaftslehre nova methodo (1796 – 1799) heißt es ganz ausdrücklich: „In der gedrukten Wissenschaftslehre ist das reine Ich zu verstehen als Vernunft überhaupt, die von der persönlichen Ichheit ganz verschieden ist.“26 Mit dem Begriff des Sich-Setzens des absoluten Ich ist nicht etwa das sich Niederlassen auf einem Stuhl gemeint, wie Arthur Schopenhauer (1788 – 1860) meinte27, sondern in erster Linie die unbedingte Sich-Erzeugung der Vernunft, die Fichte in der Spätphilosophie ab 1804 in Beziehung zu einem Unerzeugbaren setzte. Alles weitere, bestimmte Setzen eines Gegenstandes war nie als Herstellung, Produktion oder Schöpfung aus dem Ich gemeint, so als ob Kraft der Vorstellung die Natur erzeugt werden könnte oder die Natur nur in der Vorstellung des Ich existiere, sondern ist als das Setzen einer Tatsache des Bewußtseins zu verstehen, die das Sich-Setzen der Vernunft voraussetzt. Nur wenige erkannten, worum es eigentlich ging. So schreibt Hegel in der zweiten Auflage der Wissenschaft der Logik (1831/32), daß „diß reine Ich das wesentliche reine Wissen seyn muß, und das reine Wissen aber nur durch den absoluten Akt der Selbsterhebung im individuellen Bewußtseyn gesetzt wird, und nicht unmittelbar in ihm vorhanden ist“. Aber auch er spricht von „greller[] Verwirrung“, „gänzliche[r] Desorientirung“, „gröbsten Misverständnisse[n] und dem „Nachtheil der Täuschung […], daß von etwas Bekanntem, dem Ich des empirischen Selbst23  Vgl. Jean Paul [Johann Paul Friedrich Richter]: „Clavis Fichtiana seu Leibgeberiana“ (1800), § 6, in: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe, hg. v. Eduard Berend, Bd. I/9, Weimar/Berlin 1933, 457 – 501, hier: 479; vgl. dazu auch: Aus der Frühzeit des deutschen Idealismus. Texte zur Wissenschaftslehre Fichtes 1794 – 1804, hg. und eingeleitet v. Martin Oesch, Würzburg 1987. 24  Günter Zöller: „‚On revient toujour…‘: Die transzendentale Theorie des Wissens beim letzten Fichte“, in: Fichte-Studien 20 (2003) 253 – 266, hier: 260. 25  Vgl. Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre als Handschrift für seine Zuhörer (1794/95), in: GA I/2, 259, 427 und 373 f., im folgenden: GWL 1794/95; ders.: Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre (1796/97), in: GA I/3, 313 und 358; sowie ders.: Das System der Sittenlehre nach den Principien der Wissenschaftslehre (1798), in: GA I/5, 21. 26 Fichte: Wissenschaftslehre nova methodo (1796/97), in: GA IV/2, 240. 27  Vgl. Arthur Hübscher: „Schopenhauer und das Buch“, in: Jahrbuch der Schopenhauer-Gesellschaft 37 (1956) 89 – 102, hier: 96, sowie später in: Arthur Schopenhauer: Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden, hg. von Arthur Hübscher, Bd. 5: Randschriften zu den Büchern, Frankfurt a. M. 1966 – 75, ND München 1985, VII-XXXVIII, hier: XVII; siehe darin auch Schopenhauers Randglossen zu Fichtes Werken, 45 – 58.

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bewußtseyns die Rede seyn solle […]. Die Bestimmung des reinen Wissens als Ich, führt die fortdauernde Rückerinnerung an das subjektive Ich mit sich, dessen Schranken vergessen werden sollen“28. Neben der Terminologie kommt aber noch ein weiterer Umstand hinzu, der die Rezeption zusätzlich erschwerte und eine breitere Wirkung geradezu verhinderte, und dem auch durch eine verstärkte Aufmerksamkeit nicht abgeholfen werden konnte: die Art und Weise der Verbreitung seiner philosophischen Gedanken. Denn Fichte trug alle Versionen der Wissenschaftslehre nach 1795 nur noch mündlich vor und gab nach 1800 fast ausschließlich nur noch populäre Schriften in den Druck. Fichte trug von 1794 bis zu seinem Tod im Jahr 1814 sechzehn Versionen der Wissenschaftslehre vor29. Hinzu kommen zahlreiche Schriften wie die Thatsachen des Bewußtseyn oder die Transscendentale Logik, in denen nahezu ausschließlich Fragen der Wissenschaftslehre behandelt werden. Von diesen zahlreichen Schriften erschienen zu Lebzeiten Fichtes lediglich die Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre in den Jahren 1794/95 – deren Wiederauflage im Jahr 1802 erfolgte –, der Fragment gebliebene Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre von 1797/98 sowie der Schlußvortrag der Wissenschaftslehre von 181030. Von den theoretischen Schriften zur späten Wissenschaftslehre erschienen posthum als erstes die Thatsachen des Bewußtseyns im Jahr 1817, und erst zwanzig Jahre nach seinem Tod wurden in den Jahren 1834/35 wichtige Schriften wie der zweite Vorlesungszyklus der Wissenschaftslehre von 1804, die Version von 1812 und die Einleitungsvorlesung von 1813 in der Edition Nachgelassene Werke der breiteren Öffentlichkeit überhaupt erst zugänglich gemacht31. Manche Texte können erst seit der Veröffentlichung in der historisch-kritische Gesamtausgabe wissenschaftlich erforscht werden; so zum Beispiel seit 1994 die Wissenschaftslehre von 1807, die Fichte in der Geburtsstadt Kants vortrug, oder 28 Hegel: Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Sein (1832), in: ders.: Gesammelte Werke, in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hg. v. der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 21, Hamburg 1968 ff., 63 f., im folgenden abgekürzt: GW. 29  Die sechzehn Versionen sind in meiner Zählung die GWL von 1794/95, die drei Fassungen der WL nova methodo (1796 – 1799), die Darstellung von 1801/02, die drei Fassungen von 1804, die Principien-Vorlesung und die WL von 1805 sowie die Texte von 1807 und von 1810 bis 1814. Trotz anderer Zählung, erweiterter und veränderter Textgrundlage kommt Hans Gliwitzky ebenfalls auf sechzehn Versionen (vgl. Hans Gliwitzky: „Einleitung“, in: Johann Gottlieb Fichte: Wissenschaftslehre 1805 (18. Juni bis 03. September), aus dem Nachlaß hg. v. Hans Gliwitzky, mit einem Sachregister von Erich J. Ruff und einem Beitrag „Zu Fichtes Tätigkeit in Erlangen“ von Erich Fuchs, Hamburg 1984, LXXI – LXXII). 30  Vgl. GWL 1794/95 – GA I/2, 173 – 463; ders.: Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre (1797/98), in: GA I/4, 167 – 281; ders.: Die Wissenschaftslehre, in ihrem allgemeinen Umrisse (1810), in: GA I/10, 321 – 345. 31  Johann Gottlieb Fichtes nachgelassene Werke, hg. von Immanuel Herrmann Fichte, 3 Bände, Bonn 1834 f.; Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke, hg. von Immanuel Herrmann Fichte, 8 Bände, Berlin 1845 f.

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seit 1999 die Berliner Version von 1811. Das eigentliche Kernproblem, worauf an dieser Stelle in erster Linie hingewiesen werden soll, ist: Fichte hinterließ keine endgültige Darstellung der Wissenschaftslehre. Trotz der licht- und gehaltvollen Einsichten der Versionen von 1804/05 und 1812 hält Fichte in einer Tagebuchnotiz vom 13. Januar 1814, also zwei Wochen vor seinem Tod, fest, „daß es [ihm] nie gelungen ist, die Absolutheit der Erscheinung ganz verständlich zu machen“32. Diese Selbsteinschätzung nach zwanzigjähriger Arbeit und sechzehn Entwürfen eines Systems der Vernunft wirkt nicht nur extrem ernüchternd, da sie den Beigeschmack des Scheiterns des Projekts Wissenschaftslehre in sich trägt, sondern Fichte konnte und wollte zum Ende seines Lebens keine Fassung als letztverbindlich bezeichnen. Fichtes Entscheidung, seine wichtigsten theoretischen Werke nur mündlich vorzutragen und im Gegenzug dazu fast nur populäre Schriften wie die Anweisung zum seligen Leben (1806) oder die Reden an die deutsche Nation (1808) zu veröffentlichen, trug entscheidend zu einem völligen Zerrbild seiner Philosophie bei und begünstigte Urteile, wie dasjenige Hegels, daß beim späten Fichte „nichts Spekulatives“ mehr, sondern nur noch „Ergreifendes, Erbauliches“ zu finden sei33. Daß das vollkommene Gegenteil der Fall war, konnte Hegel nicht wissen. Fichtes philosophische Schriften und erst recht seine spekulativen Beiträge ab 1804 gerieten nach seinem Tod im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts in Vergessenheit. Daran änderte auch die Nachlaßpublikation der theoretischen Schriften nichts mehr. Hegels Feststellung in bezug auf die populären Schriften Fichtes, daß diese „in der Geschichte der Philosophie nicht beachtet werden“ können, weil der Inhalt trotz des „größten Wert[es]“ nicht „spekulativ entwickelt“ wurde34, wirkt schon fast wie ein Bannfluch, der sich auch auf alle esoterischen Schriften der WL ausgeweitet hat, in welchen eben diese Inhalte spekulativ entfaltet wurden. Dies läßt sich schon anhand der Auflagenzahlen ermitteln: Laut der J.G. Fichte – Bibliographie von Wilhelm G. Jacobs und Hans Michael Baumgartner erschienen nach Fichtes Tod bis 1968 in deutscher Sprache lediglich vier weitere Auflagen der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794/95, während im gleichen Zeitraum die Reden an die deutsche Nation (1808) vierundvierzigmal aufgelegt wurden35. Auf der Basis eben dieser Bibliographie kann von einer umfangreichen philosophischen Erforschung der Fichteschen Wissenschaftslehre tatsächlich erst im 20. Jahrhundert die Rede sein. Eine erste Phase reicht von der Zeit unmittelbar vor 32 Fichte: [Diarium III]. Neues Diarium v. 25. Oktober an. 1813, in: GA II/17, 186. Einführung von mir, P. T. 33 Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, in: ders.: Werke in zwanzig Bänden, hg. v. Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Bd. 20, Frankfurt a. M. 1969 – 1971, 414 und 388. 34 Ebd. 35 Vgl. J.G. Fichte – Bibliographie, hg. v. Hans Michael Baumgarten und Wilhelm G. Jacobs, Stuttgart-Bad Cannstatt 1968, 18 f. und 28 ff.

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Ausbruch des Ersten Weltkriegs bis Mitte der 1930er Jahre36. Eine zweite Welle der Erforschung setzte Mitte der 1960er Jahre ein, die sich seitdem bis heute immer weiter verstärkt hat. Dieses Urteil ist deshalb berechtigt, da die Anzahl der allein die Wissenschaftslehre betreffenden Forschungsbeiträge, die in den knapp dreißig Jahren von 1965 bis 1993 entstanden sind, insgesamt doppelt so hoch ist wie in den vorangegangen einhundertsiebzig Jahren von 1795 bis 196537. Die vorliegende Arbeit steht im Kontext dieser sich verändernden und vertiefenden Forschungslage und versucht, neue Perspektiven zum Fichteschen Spätwerk zu eröffnen. Im folgenden werden zunächst die genaue Fragestellung, die Ziele, das methodische Vorgehen sowie der Aufbau der Arbeit erläutert, um zu zeigen, wie in der vorliegenden Arbeit das Spekulative in Fichtes später Wissenschaftslehre herausgearbeitet wird (§ 1, I.). Daran anschließend werden ideengeschichtliche Strömungen der Philosophiegeschichte besprochen, denen Fichtes Philosophie ausdrücklich nicht zuzuordnen ist (§ 1, II.), danach wird gezeigt, warum die späte Wissenschaftslehre vielmehr als transzendentalphilosophische Totalitätswissenschaft (§ 1, III.) und dialektische Beziehungswissenschaft (§ 1, IV.) zu verstehen ist. Auf diese Weise werden der programmatische Deutungshorizont der Arbeit in groben Zügen umrissen und die Grundidee der späten WL vermittelt, was in den anschließenden zwei Hauptteilen argumentativ eingeholt wird.

I.  Exposition der Fragestellung, des Ziels, der Methode und des Aufbaus der Arbeit (1) In der Arbeit wird der Frage nachgegangen, wie sich der Begriff des dialektischen Bildens in Johann Gottlieb Fichtes Wissenschaftslehre in den Versionen von 1794/95, 1804/05 und 1812 entwicklungsgeschichtlich und historisch herausgebildet hat und wie dieser in diesen Schriften systematisch begründet und entfaltet wird. Mit dieser Fragestellung sollen folgende Ziele erreicht werden: Im ersten – historisch-systematischen – Hauptteil soll gezeigt werden, wie sich die WL von einer subjektivistischen Transzendentalphilosophie zu einer transzen36  Vgl. Max Wundt: Johann Gottlieb Fichte, Stuttgart 1927, ND Stuttgart-Bad Cannstatt 1976; ders.: Fichte-Forschungen, Stuttgart 1929, ND Stuttgart-Bad Cannstatt 1976; Jakob Barion: Die intellektuelle Anschauung bei J.G. Fichte und Schelling und ihre religionsphilosophische Bedeutung, Würzburg 1929; Martial Guéroult: L’évolution et la structure de la Doctrine de la Science chez Fichte, 2 Bde., Paris 1930. Die Arbeiten von Johann Heinrich Loewe: Die Philosophie Fichtes nach dem Gesammtergebnisse ihrer Entwicklung und in ihrem Verhältnisse zu Kant und Spinoza, Stuttgart 1862, ND Hildesheim/New York 1976 oder später von Julius Drechsler: Fichtes Lehre vom Bild, Stuttgart 1955 bilden in ihrer Zeit eher die Ausnahme. 37 Vgl. J.G. Fichte – Bibliographie, hg. v. Hans Michael Baumgarten und Wilhelm G. Jacobs, Stuttgart-Bad Cannstatt 1968, 109 – 115; J.G. Fichte – Bibliographie (1968 – 1992/3), hg. v. Sabine Doyé, Amsterdam/Atlanta 1993, 117 – 143. Diese Tendenz scheint sich seit den 1990er Jahren und noch einmal seit dem Abschluß der Edition der Fichte-Gesamtausgabe im Jahr 2012 zu verstärken.

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dentalphilosophischen Totalitätswissenschaft weiterentwickelt hat. Unter entwicklungsgeschichtlichen und historischen Gesichtspunkten soll herausgearbeitet werden, wie Fichte im Ausgang von Kant die Idee eines transzendentalen Subjekts mit Spinozas Idee eines Absoluten, das Fichte als lebendige Totalität verstand, verbinden konnte. Von einem systematischen Standpunkt aus soll gezeigt werden, daß die Synthesis von transzendentalen Subjekt und absoluter Substanz bzw. Transzendentalismus und Totalität mit einem veränderten Verständnis des Verhältnisses von Einheit und Differenz einhergeht: Ist das absolute Ich der ersten WL von 1794/95 eine in sich geschlossene Einheit, so ist das Bilden ab 1804 eine in sich differenzierte und sich selbst differenzierende Einheit, die in einem Verhältnis zu einer in sich geschlossenen Einheit – dem Absoluten – steht. Der späte Fichte begreift, daß Negativität nicht der Einheit entgegengesetzt ist, sondern ein Moment der Einheit ist. In demselben Maße wie sich die WL von einem subjektivistischen Vernunftsy­stem zu einer Totalitätswissenschaft weiterentwickelt hat, verliert die späte Wissenschaftslehre ihren Unmittelbarkeitscharakter und weist tendenziell den Charakter einer sich selbst vermittelnden Vermittlung auf, wobei die „absolute[] Selbstvermittlung“ nicht erreicht wird und sich die Unmittelbarkeitsmomente als ebenso konstitutiv für den ganzen Ansatz erweisen38. Es soll gezeigt werden, daß die Synthesis von Transzendentalismus und Totalität auf der einen Seite und die Neubestimmung des Verhältnisses von Negativität und Einheit sowie von Unmittelbarkeit und Vermittlung auf der anderen Seite ihren Grund darin haben, daß Fichte nicht mehr von den absoluten Handlungen des menschlichen Geistes ausgeht, sondern den absoluten Begriff – das dialektische Bilden – in den Mittelpunkt stellt. Im zweiten – rein systematischen – Hauptteil soll dieser Bildbegriff analysiert und entfaltet werden, um zu zeigen, warum die späte WL insgesamt als dialek­ tische Beziehungswissenschaft zu verstehen ist. Das Bilden als synthetisch-analytisches Prinzip des absoluten Wissens und damit der WL ist das entscheidende Schlüsseltheorem zum Verständnis der Gesamtentwicklung der Fichteschen Philosophie. Indem das Bilden als die neue Zentralkategorie an die Stelle des absoluten Ich der frühen WL tritt, etabliert Fichte nicht nur einen eigenständigen Ansatz innerhalb der Problemgeschichte der Dialektik, in der der Gedanke der Beziehung von entscheidender Bedeutung ist, sondern leistet durch die Verschmelzung von Logik und Vernunftwissenschaft auch einen eigenständigen Beitrag innerhalb des problemgeschichtlichen Zusammenhangs der Klassischen Deutschen Philosophie: Fichte entwickelt aus den drei Hauptmomenten des absoluten Begriffs in den Jahren 1804/05 eine spekulative Urteils- und ab dem Jahr 1812 eine spekulative Schlußlehre, was nicht zuletzt durch das Sich-Verstehen und die Selbstbezüglichkeit des Bildens ermöglicht wird. Darüber hinaus vertieft Fichte sein logisches Dialektikkonzept dahingehend, daß sich am tiefsten Punkt der Selbstdurchdrin38 Lore Hühn: Fichte und Schelling. Oder: Über die Grenze menschlichen Wissens, Stuttgart/Weimar 1994, 132; vgl. auch Jürgen Mittelstraß: „Fichte und das absolute Wissen“, in: Fichtes Wissenschaftslehre 1794. Philosophische Resonanzen, hg. v. Wolfgang Hogrebe, Frankfurt a. M. 1995, 141 – 161, hier: 142 f.

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gung des absoluten Begriffs von diesem selbst her zeigt, daß immer schon etwas – über die Logizität hinaus – Unbegreifliches und Unerzeugbares vorausgesetzt wird, was der Begriff selbst nicht hervorbringen kann: den unmittelbaren und lebendigen Vollzug oder das esse in mero actu. Diese wechselseitige Bedingtheit von dialektischem Begriff auf der einen Seite und absolutem Leben auf der anderen wird sich als dialektische Identität in der Nichtidentität und Nichtidentität in der Identität bzw. Einheit in der Zweiheit erweisen. Das Unbedingte – das lebendige Absolute – manifestiert sich aber nicht nur als unmittelbares Leben, sondern es erscheint auch im Wissen als Licht und Gesetz. Als Gesetz bestimmt das Absolute die Form des Wissens, was zur Folge hat, daß Fichte den Transzendentalismus seines Ansatzes zumindest partiell überschreitet. Abschließend wird herausgearbeitet, daß Fichte bereits schon in den Jahren 1804/05 und nicht erst ab 1809 erneut Theorieelemente der Jenaer Periode aufgreift und aus der Dialektik des Bildens heraus entfaltet. Nicht erst in der zweiten Berliner Periode (1809 – 1814) erfolgt eine Restituierung von Themen der GWL von 1794/95, sondern bereits in der WL 1804-III werden diese erneut unter veränderten Vorzeichen aufgegriffen. Fichte hatte von Anfang an die Idee einer konkreten und umfassenden Darstellung des absoluten Wissens, in der ein weiter Bogen vom Begriff der WL zur Bildlehre über die Phänomenologie bis hin zum freien Willen geschlagen wird. Die Wiederaufnahme von Theoremen der frühen Jenaer Periode ist somit kein Rückfall, sondern eine Vertiefung des Ansatzes der Bildtheorie. Neben diesen zentralen Zielen sollen durchgehend thematische und terminologische Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen der frühen WL von 1794/95 und der WL ab 1804/05 sowie der WL 1812 herausgearbeitet werden, mit dem Ziel, die Weiterentwicklungen und Vertiefungen, die sich eben auch in der Terminologie niederschlagen, nachvollziehbarer zu machen. Ebenso sollen an verschiedenen Stellen einige Probleme und Schwierigkeiten sowohl beim Früh- als auch beim Spätwerk aus einer immanenten Perspektive, sowie von anderen, philosophischen Standpunkten aus kenntlich gemacht werden. (2) In der Beantwortung der Fragestellung der Arbeit wird von der reinen Exegese eines Textes abgesehen, statt dessen werden die unterschiedlichen Theorieelemente aus verschiedenen Versionen der Wissenschaftslehre durch ein synoptisches Verfahren zusammengeführt. Angewandt wird diese Methode zum erstenmal in Wolfgang Jankes Werk Die dreifache Vollendung des Deutschen Idealismus. Schelling, Hegel und Fichtes ungeschriebene Lehre aus dem Jahr 2009. Janke ist nicht nur durch die historisch-systematische Kommentierung der WL 1805, die bis zum Jahr 1999 in der Forschung nur wenig beachtet wurde, ein Pionier, weil er damit die bis dahin dominierende Rolle der WL 1804-II für die Erschließung des Fichteschen Spätwerks zumindest relativierte39, sondern er ist auch der erste, der durch sein 39  Vgl. Wolfgang Janke: Johann Gottlieb Fichtes ‚Wissenschaftslehre 1805‘, Darmstadt 1999. Seit dem Jahr 1999 mehrt sich zunehmend die Anzahl detaillierter Einzelkommentare zu bekannten und unbekannten Versionen der Wissenschaftslehre; neben der bekannteren Version von 1794/95 liegen diese für die Fassungen aus den Jahren 1798/99, 1805, 1807, 1810

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Werk aus dem Jahr 2009 methodisch einen entscheidenden Schritt weitergeht. Er beansprucht, in diesem Werk eine „Nachkonstruktion der ungeschriebenen Lehre“ und damit des „vollendete[n] System[s] der Wissenschaftslehre“ zu liefern, die sich in „Einleitung, Grundlegung und Ausfaltung“ untergliedert, da sich diese „Dreiteilung […] in allen Perioden der Systemdarstellung durchgehalten“ habe40. Daß eine Rekonstruktion überhaupt notwendig ist, hat mit dem Fehlen einer „verbindliche[n] Darstellung“ zu tun, auch wenn die WL 1804-II als solche angesehen wird41. So attraktiv und in der Geschichte der Philosophie wohl einmalig es ist, gleich sechzehn verschiedene Versionen ein und desselben philosophischen Lehrgebäudes zu besitzen, so schwierig ist es, von der Einen Wissenschaftslehre zu sprechen. Die teilweise starken Abweichungen beim Aufbau der verschiedenen Versionen, aber auch die fehlenden Gliederungshinweise in einzelnen Versionen führten in der Vergangenheit zu Versuchen, die WL 1804-I, 1804-II und 1805 nach dem ‚Gesetz der Fünffachheit‘ mit ‚fünfundzwanzig synthetischen Perioden‘ zu gliedern oder auch die WL 1807 dem Aufbau der Grundlage von 1794/95 zu unterwerfen42. Diese und 1811 vor: Katja V. Taver: J.G. Fichtes Wissenschaftslehre von 1810. Versuch einer Exegese, Amsterdam/New York 1999; Wolfgang Class/Alois K. Soller: Kommentar zu Fichtes ‚Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre‘, Amsterdam/New York 2004; Matteo Vincenzo d’Alfonso: Vom Wissen zur Weisheit. Fichtes Wissenschaftslehre 1811, Amsterdam/ New York 2005; Rainer Schäfer: Johann Gottlieb Fichtes ‚Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre‘ von 1794, Darmstadt 2006; Die Wissenschaftslehre von 1807. ‚Die Königsberger‘ von Johann Gottlieb Fichte. Eine kooperative Interpretation, hg. v. Helmut Girndt/ Jacinto Rivera de Rosales, Amsterdam/New York 2006 [erschienen als Fichte-Studien 26 (2006)]; Ulrich Schwabe: Individuelles und Transindividuelles Ich. Die Selbstindividuation reiner Subjektivität und Fichtes Wissenschaftslehre. Mit einem durchlaufenden Kommentar zur Wissenschaftslehre nova methodo, Paderborn 2007. 40  Wolfgang Janke: Die dreifache Vollendung des Deutschen Idealismus. Schelling, Hegel und Fichtes ungeschriebene Lehre, Amsterdam/New York 2009, 229 – 337, hier: 229 ff. 41  Siehe Klappentext zu: Fichte: Die Wissenschaftslehre. Zweiter Vortrag im Jahr 1804 vom 16. April bis 8. Juni, gereinigte Fassung hg. v. R. Lauth u. J. Widmann, unter Mitarbeit von P. Schneider, Hamburg 1975, ²1986. 42  Vgl. Martial Gueroult: L’évolution et la structure de la doctrine de la science chez Fichte, Tome II, Paris 1930, ND Hildesheim/Zürich/New York 1982, 136 f.; Joachim Widmann: „Zum Strukturverhältnis der W.L. 18041 und 1804²“, in: Fichte: Erste Wissenschaftslehre von 1804, aus dem Nachlaß hg. v. Hans Gliwitzky mit einem Strukturvergleich zwischen der W.L. 18041 und der W.L. 1804² v. Joachim Widmann, Stuttgart/Berlin/Köln/ Mainz 1969, XXXI-LI; ders.: Die Grundstruktur des transzendentalen Wissens nach Joh. Gottl. Fichtes Wissenschaftslehre 1804², Hamburg 1977; Hans Gliwitzky: „Einleitung“, in: Fichte: Wissenschaftslehre 1805, aus dem Nachlaß hg. v. Hans Gliwitzky mit einem Sachregister von Erich J. Ruff und einem Beitrag „Zu Fichtes Tätigkeit in Erlangen“ von Erich Fuchs, Hamburg 1984, LXIV-LXVI; Helmut Girndt: „Vorwort des ersten Herausgebers“, in: Die Wissenschaftslehre von 1807. ‚Die Königsberger‘ von Johann Gottlieb Fichte. Eine kooperative Interpretation, hg. v. Helmut Girndt/Jacinto Rivera de Rosales, Amsterdam/ New York 2006, 4 f.

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Versuche können als Surrogat für die verbindliche Fassung gedeutet werden, sozusagen als methodische Herangehensweisen, die WL von außen her in den Griff zu bekommen. Die verschiedenen Fassungen unterscheiden sich aber nicht nur hinsichtlich des Aufbaus und der Termini, sondern auch hinsichtlich der verhandelten Themen und Theorieelemente. Die Frage, was genuine Bestandteile der WL sind und was lediglich verzichtbare Themen, kann daher nicht ohne weiteres beantwortet werden. Aus diesen Gründen verbietet sich die Verabsolutierung einer Version, insofern das Interesse besteht, von der Wissenschaftslehre zu sprechen. Aber auch die Rekonstruktion einer vermeintlich wahren und vollständigen Wissenschaftslehre auf der Basis aller sechzehn Versionen wird sich nie vollständig vom Vorwurf der Willkür freisprechen können, weil es von seiten Fichtes keine verbindlichen Vorgaben zu Gliederung und auszuformulierenden Theorieelementen gibt. Auch Janke schränkt den Geltungsanspruch seines Unternehmens entsprechend ein: „Diese Restituierung der Gesamtkonzeption von Fichtes ungeschriebener Lehre in ihrer Systemerfüllung kann nicht den Anspruch erheben, der Totalansicht der Fichteschen Philosophie und dem ‚ganzen Fichte‘ voll gerecht zu werden.“43

Auch die vorliegende Arbeit kann ‚dem ganzen Fichte‘ und allen Wissenschaftslehren nicht vollständig gerecht werden, sie erhebt auch nicht den Anspruch einer Nachkonstruktion, trotzdem wird ein methodischer Leitfaden gewählt, der dem Anspruch an Verbindlichkeit und der Tatsache der hohen Variabilität in der Entfaltung der Theorieelemente in den verschiedenen Versionen Rechnung trägt. (3) In der vorliegenden Arbeit wird dieser Anspruch in folgender Weise umgesetzt: In der Arbeit werden sieben der insgesamt sechzehn Versionen herangezogen: die Grundlage von 1794/95, die fünf Fassungen aus den Jahren 1804/05 sowie die Version von 1812. Darüber hinaus werden die Begriffsschrift von 1794, der Grundriß von 1795 und die Transscendentale Logik II von 1812 diskutiert, da in diesen Texten wichtige Themen und Theorieelemente enthalten sind, die für die Beantwortung der Fragestellung der Arbeit wichtig sind. Andere Fassungen, wie die Wissenschaftslehre nova methodo (1796 – 1799) oder die WL 1807, werden, da sie Werke des Übergangs oder inhaltliche Ausnahmeerscheinungen darstellen, nur vereinzelt berücksichtigt44. Der Gesamtaufbau der Arbeit orientiert sich, nachdem in § 2 die Probleme der Grundlage von 1794/95 diskutiert wurden, am Argumentationsverlauf der WL 1804-II, der WL 1804-III und der WL 1812. Dementsprechend wird in § 3 der Begriff der späten WL vorgestellt, dem folgt in § 4 die Grundlegung sowie die Vertiefung und Entfaltung in § 5. Die Auswahl und Anordnung der Theorieelemente ba43  Wolfgang Janke: Die dreifache Vollendung des Deutschen Idealismus. Schelling, Hegel und Fichtes ungeschriebene Lehre, Amsterdam/New York 2009, 229 – 337, hier: 229 ff. 44  Auf die leicht unvollständige WL 1810 (GA II/11, 287 – 392) und die WL 1811 (GA II/12, 137 – 299) kann in der vorliegenden Arbeit deshalb verzichtet werden, weil die Schlußförmigkeit des Sehens, die für das Untersuchungsziel dieser Arbeit so wichtig ist, erst ab 1812 eigens von Fichte thematisiert wird.

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siert jedoch nicht allein auf dem die Äußerlichkeit betreffenden Kriterium, sondern wird durch ein inhaltliches Kriterium ergänzt: den Begriff des Bildens. Es werden daher nur die Theoreme ausgewählt, die sich auf Fichtes neues und erweitertes Dialektikkonzept beziehen lassen. Das synoptische Verfahren im Sinne der Zusammenführungen unterschiedlicher Theorieelemente aus verschiedenen Versionen führt daher zu keiner vollständigen Nachkonstruktion oder Gesamtdarstellung der späten WL, sondern orientiert sich an einer bestimmten Auswahl an Texten, den vorgetragenen Zielen der Arbeit sowie dem Prinzip des Bildens. Dieses methodische Vorgehen wird innerhalb der Arbeit noch einmal in § 3, III. ausführlicher begründet, da dort einige Probleme in der Erforschung der späten WL diskutiert werden und es vor diesem Hintergrund noch plausibler wird, warum ein derartiges, nicht ganz unkompliziertes Verfahren der Synopsis notwendig ist. Die Arbeit ist in folgender Weise aufgebaut: Im ersten Hauptteil wird die Entwicklung der WL von einer subjektivistischen Transzendentalphilosophie zu einer transzendentalphilosophischen Totalitätswissenschaft behandelt. Im einzelnen werden folgende Punkte behandelt: Zunächst geht es um Fichtes Anknüpfung an Kant und Reinhold (§ 2, I.), das Programm der WL, wie es Fichte in der Begriffsschrift von 1794 entwickelt hat (§ 2, II.), und die Schwierigkeiten der Grundlage von 1794/95 (§ 2, III.), um zu zeigen, wie sich vor allem aus der internen Dynamik des Fichteschen Denkens heraus der Ansatz der späten Wissenschaftslehre entwickelt hat. Daran anschließend wird das historisch-systematische Programm der WL diskutiert, wie es Fichte in den Vorlesungen der WL 1804/05 und 1812 entfaltet hat (§ 3, I. und § 3, II.). In diesem Rahmen werden einige Probleme diskutiert, die sich einer intensiven Beschäftigung mit der späten WL entgegenstellen (§ 3, III.). Im zweiten Hauptteil wird der Frage nachgegangen, warum die späte WL als dialektische Beziehungswissenschaft zu verstehen ist. Zunächst wird gezeigt, daß das Bilden als Beziehung überhaupt zu verstehen ist (§ 4, I.), daran anschließend werden die drei Hauptmomente des Bildens in der Phase von 1804/05 herausgearbeitet (§ 4, II.) sowie die Weiterentwicklung der Erscheinungslehre im Jahr 1812 diskutiert (§ 4, III.). Das Dialektikkonzept wird im Anschluß daran dahingehend vertieft, daß die Bedingtheit der Dialektik durch das Absolute als unmittelbar zu vollziehendes Leben problematisiert (§ 5, I.) sowie die Rolle der Gewißheit und des Gesetzes diskutiert wird (§ 5, II.). Zum Schluß wird die materiale Selbstentfaltung des Bildens anhand der Raum-, Zeit- und Willenslehre konkretisiert (§ 5, III.). Nachdem die Fragestellung und Ziele sowie die Methode und der Aufbau erläutert wurden, werden im folgenden einige philosophiegeschichtlichen Einordnungen diskutiert, mit dem Ziel, eine erste Grundidee von Fichtes später Wissenschaftslehre zu vermitteln und damit zugleich einen programmatischen Abriß der Arbeit zu geben.

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II.  Die späte Wissenschaftslehre als neuplatonische Philosophie, Negative Theologie, Mystik oder Metaphysik? In der Fichte-Forschung finden sich einige Vorschläge, welcher geistesgeschichtlichen Strömung die späte Wissenschaftslehre zuzuordnen ist. Im folgenden wird dafür argumentiert, daß die späte Wissenschaftslehre keine Neuauflage des neuplatonischen Denkens im Sinne Plotins (204 – 270 n. Chr.) ist, nicht der Negativen Theologie zugeordnet werden kann, kein Rückfall in die vorkritisch-dogmatische Metaphysik darstellt und auch keine Mystik ist, sondern hinsichtlich des pro­ blemgeschichtlichen Zusammenhangs als nachmetaphysische und nachkantische, transzendentalphilosophische und dialektische Totalitäts- und Beziehungswissenschaft bestimmt werden muß. Damit ist nicht nur der tatsächliche, historische Ort präziser angegeben, sondern im Unterschied zu den oben genannten Vorschlägen ist auch der ideengeschichtliche Kontext genauer umrissen: Das Ziel aller Hauptvertreter der Klassischen Deutschen Philosophie (1785 – 1845) – und das ist neben Fichte und Hegel auch Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775 – 1854) – war die Ausformulierung eines Systems der Vernunft, das auf Totalität hinstrebt und zugleich auf die Form der Subjektivität reflektiert. Alle drei Philosophen sahen sich durchgehend oder vorübergehend zur Bewältigung dieser Aufgabe herausgefordert45. (1) Zunächst zu den Zuordnungen, denen nicht gefolgt wird: In der FichteForschung gab es von Anfang an Versuche, die späte Wissenschaftslehre in Beziehung zum neuplatonischen Denken des 3. bis 6. Jahrhunderts zu setzen, um Übereinstimmungen und Differenzen herauszuarbeiten46. Gemeinsam ist allen diesen 45 Vgl. Walter Jaeschke/Andreas Arndt: Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant. Systeme der reinen Vernunft und ihre Kritik 1785 – 1845, München 2012. Sowohl die Datierung als auch die Bezeichnung dieser geistesgeschichtlichen Epoche sollen hier nicht eigens diskutiert werden. Im Kern geht es um den Zeitraum vom Erscheinen von Kants Kritik der reinen Vernunft im Jahr 1781 bis zu Hegels Tod 1831, die Auseinandersetzung zwischen Alt- und Junghegelianern und Schellings Ableben im Jahr 1854. Jaeschke macht in seiner Studie die Schwierigkeiten der Bezeichnung Deutscher Idealismus deutlich und plädiert aus diesem Grund für den Ausdruck Klassische Deutsche Philosophie. Auf der anderen Seite hat sich der Ausdruck Deutscher Idealismus stark etabliert und kann auch in einem programmatischen und nicht nur historischen Sinne verstanden werden (vgl. Handbuch Deutscher Idealismus, hg. v. Hans Jörg Sandkühler, Stuttgart/Weimar 2005; Wolfgang Janke: Die dreifache Vollendung des Deutschen Idealismus. Schelling, Hegel und Fichtes ungeschriebene Lehre, Amsterdam/New York 2009). 46  Vgl. Max Wundt: Fichte-Forschungen, Stuttgart 1929, ND Stuttgart-Bad Cannstatt 1976, 169 f.; Julius Drechsler: Fichtes Lehre vom Bild, Stuttgart 1955, 121 – 123; Werner Beierwaltes: Platonismus und Idealismus, Frankfurt a. M. 1972, ²2004; Hans Michael Baumgartner: „Die Bestimmung des Absoluten. Ein Strukturvergleich der Reflexionsformen bei J.G. Fichte und Plotin. Reinhard Lauth zum 60. Geburtstag“, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 34 (1980) 321 – 342; Dirk Cürsgen: „Die Unbegreiflichkeit des Absoluten. Zur neuplatonischen Henologie und ihrer Wirksamkeit im Denken Fichtes“, in: Platonismus im Idealismus. Die platonische Tradition in der klassischen deutschen Philosophie, hg. v.

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Beiträgen, die für eine Kontinuität in dieser Richtung plädieren, daß die Übereinstimmungen in erster Linie auf äußeren Entsprechungen beruhen; tatsächlich gibt es hinsichtlich der Wortwahl, der Lichtmetaphorik, der Unbegreiflichkeit des Absoluten und des Aufbaus prima facie scheinbar einige Parallelen. Daß eine solche Herangehensweise allerdings den Zugang zu Fichtes Ansatz eher verstellt als erhellt, kann durch zwei triftige Gegenargumente belegt werden: Alle Interpretationen, die Fichtes späte Wissenschaftslehre als neuplatonisch bezeichnen, beschränken sich aufgrund der Metaphern und des Aufbaus auf die Wissenschaftslehren von 1804/05. Fichte spricht tatsächlich in den beiden ersten Versionen der WL 1804, der Vorlesung Die Principien der Gottes-, Sitten- und Rechtslehre von 1805 und dem 4ten Vortrag der Wissenschaftslehre –. Erlangen im Sommer 1805 von ‚Aufstieg‘ und ‚Abstieg‘47, doch schon für den 3ten Cours der W.L. 1804 gilt dies nur noch eingeschränkt und auf die Versionen ab 1810 kann dieses Schema noch weniger angewendet werden. Aber auch die Tatsache, daß Fichte den ‚Abstieg‘ als „Phänomenologie“ und „Formlehre“ bezeichnet48, weist darauf hin, daß hier nicht vom Absoluten zum Wissen abgestiegen oder letzteres aus ersterem abgeleitet werden soll, sondern daß sich im ‚Abstieg‘ die Form des Wissens weiter durchdringt: Wurde im ‚Aufstieg‘ die Verschiedenheit dahingehend durchdrungen, „um sie auf Einheit zurükzuführen“, so geht es im ‚Abstieg‘ darum, eben diese Verschiedenheit wieder zu erklären49. Im Kern ist dies nichts anderes als das Sichdurchdringen des analytisch-synthetischen Einheits- und Differenzprinzips der Wissenschaftslehre bzw. das Sich-Verstehen des Wissens als Wissen. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, daß der Aufbau der Wissenschaftslehre, der für sich allein genommen kein Schlüssel zum Verständnis der grundlegenden Kernprobleme dieses Vernunftsystems ist, eher variabel ist und die Begriffe ‚Aufstieg‘ und ‚Abstieg‘ etwas anderes beinhalten, als es zunächst den Anschein hat. Burkhard Mojsisch und Orrin F. Summerell, München/Leipzig 2003, 91 – 118; Annette Sell: „Plotin und Fichte – zwei Lebensbegriffe“, in: Platonismus im Idealismus. Die platonische Tradition in der klassischen deutschen Philosophie, hg. v. Burkhard Mojsisch und Orrin F. Summerell, München/Leipzig 2003, 77 – 90; Johannes Brachtendorf: „Zur Logik des Seins in Fichtes Wissenschaftslehre 1812“, in: Fichte-Studien 20 (2003) 239 – 251, besonders: 242 – 244; Hans P. Sturm: „Absolute Grunddisjunktion und Hypostasen. Das Vierphasen-Schema des Wissens bei J. G. Fichte und Plotin“, in: Fichte-Studien 22 (2003) 37 – 47; Johannes Stoffers: Eine lebendige Einheit des Vielen. Das Bemühen Fichtes und Schellings um die Lehre vom Absoluten, Stuttgart-Bad Cannstatt 2013, 169; Jens Lemanski: Summa und System. Historie und Systematik vollendeter bottom-up- und top-down-Theorien, Münster 2013. In der letztgenannten Studie wird anhand der äußeren Merkmale „Aufstieg“ und „Abstieg“ ein Vergleich zwischen Dionysius Areopagita und Fichtes WL 1804-II unternommen, mit dem Ziel, wissenschaftstheoretische Probleme von Induktion und Deduktion zu lösen. 47  Vgl. WL 1804-I – GA II/7, 142, 145 und 211; WL 1804-II – StA, 154 f. und 200 f. – GA II/8, 234 und 300; Fichte: Die Principien der Gottes-, Sitten- und Rechtslehre (1805), in: GA II/7, 407 f., im folgenden: Principien 1805 – GA II/7; WL 1805 – GA II/9, 251. 48  WL 1804-II – StA, 138 und 155 – GA II/8, 206 und 234; WL 1805 – GA II/9, 263. 49  Principien 1805 – GA II/7, 407 f.

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Weitaus triftiger als dieses die Äußerlichkeit betreffende Argument ist das inhaltliche: Auch wenn nicht bekannt ist und sich direkt nachweisen läßt, ob und welche neuplatonischen Texte Fichte gelesen hat50, so war ihm der Begriff und das Konzept der Emanation durchaus bekannt, wie aus der Königsberger Wissenschaftslehre von 1807 und der Hallenser Nachschrift zur Wissenschaftslehre von 1812 hervorgeht51. Die Idee der Emanation, des ‚Hervorgehens‘ oder ‚Überfließens‘, ist kein verzichtbares Theorieelement des neuplatonischen Denkens, sondern es ist Plotins Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Einheit und Differenz. In einem zweistufigen Verfahren „entspringt dem Absoluten eine zweite Einheit […], das Prinzip der Vielheit; in einer zweiten Stufe wird diese unbestimmte Einheit des Sich-Entzweiens […] zur in sich geeinten Zwei-Einheit des Sich-Selbst-Denkens bestimmt“52. Da Plotin einen einheitsmetaphysischen Ansatz konzipierte, der einen Dualismus zu vermeiden sucht, erklärt er den Ursprung des Vielheitsprinzips „aus der absoluten Überfülle des Einen“ und den „Hervorgang […] der Vielheit“ als Überfließen, als Emanation, dessen ‚Wie‘ und ‚Warum‘ „jedoch unbegreiflich“ bleibt53. Die Frage ist, ob die Vermittlung von Einheit und Differenz beim späten Fichte tatsächlich im Sinne eines Überfließens des Absoluten gedeutet werden kann. Laut Julius Drechsler läßt sich in der „mittleren Periode […], also für die Spanne von der Wissenschaftslehre von 1804 bis zur Wissenschaftslehre von 1807 [der] Gedanke[] einer Emanation der Welt aus Gott“ finden. Gleichzeitig schränkt Drechsler diese These dahingehend ein, daß „der Begriff der Emanation im streng Plotinischen Sinne eines wirklichen ‚Ausflusses‘ einer Erscheinungswelt aus dem göttlichen Sein nicht auf Fichte übertragen werden darf. Aber im Sinne einer geistigen, wenn auch nicht körperlichen Emanation ist das Prinzip der Emanation für die zweite Periode der Wissenschaftslehre das tiefwirkendste Prinzip“54. 50  Vgl. Christoph Asmuth: Interpretation – Transformation. Das Platonbild bei Fichte, Schelling, Hegel, Schleiermacher und Schopenhauer und das Legitimationsproblem der Philosophiegeschichte, Göttingen 2006, 27 f., Anm. 11. In seiner Habilitationsschrift distanziert sich Asmuth nicht nur eindeutig vom Neuplatonismus, sondern arbeitet auch heraus, daß Fichte ebensowenig ein Platoniker ist. 51  Vgl. Fichte: Die Wissenschaftslehre. Vorgetragen vom Prof. Fichte. Vom 6ten Jan. 12, bis zum 20ten März 12. [Nachschrift Halle], in: GA IV/4, 266 – 269, im folgenden abgekürzt: WL 1812-Nachschrift – GA IV/4; vgl. Fichte: Wissenschaftslehre, Königsberg (1807), in: GA II/10, 122 – 124. 52  Jens Halfwassen: Plotin und der Neuplatonismus, München 2004, 88. 53  Ebd., 89. Diese Interpretation bezieht nur auf Plotin allein; Halfwassen stellt in seiner Studie einige sehr erhellende Bezüge zu den Vertretern des Deutschen Idealismus her, er behauptet aber nicht, daß Fichte ein Neuplatoniker ist. 54  Julius Drechsler: Fichtes Lehre vom Bild, Stuttgart 1955, 121 f. Vgl. dazu auch: Joseph Ratzinger: Art. „Emanation“, in: Reallexikon für Antike und Christentum. Sachwörterbuch zur Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt, hg. v. Theodor Klauser, Bd. IV: Dogma II-Empore, Stuttgart 1959, Sp. 1219 – 1228; Heinrich Dörrie: „Emanation. Ein unphilosophisches Wort im spätantiken Denken“, in: Parousia. Festgabe für Johannes

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Dieser These ist zunächst entgegenzuhalten, daß bei Fichte das „Seyn außer dem Einen“ nicht die „Welt“, sondern der „Begriff“ ist55, und erst der Begriff „ganz allein der Schöpfer der Welt überhaupt“ ist56. Dieses transzendentalphilosophische Moment – die Reflexion auf den Begriff und das Sich-Verstehen als Begriffsphilosophie – ist aber in einem ganz entscheidenden Maße ein Aspekt der Originalität des Fichteschen Ansatzes. Das Drechsler-Zitat macht aber auch in einem weiteren Sinne deutlich, daß das Problem beim Emanations-Begriff selbst liegt und wie er verstanden wird. Dasjenige, was Fichte in den genannten Textstellen als Emanation bezeichnet, ist vor allem der Abfall vom und die In-sich-Spaltung des Absoluten, also Konzeptionen, die ideengeschichtlich auf Schellings Philosophie und Religion von 1804 und Baruch de Spinozas (1632 – 1677) Ethik von 1675 zurückgehen57. Fichte lehnt diese Formen der Vermittlung von Einheit und Differenz – die „Ausflüsse der Gottheit“, wie es bei Schelling heißt58 – ganz grundlegend ab, weil diese für ihn mit der Gefahr des Prinzipiendualismus verbunden sind. Obwohl Schellings und Spinozas Ansätze von Plotins Emanationsidee sachlich zu unterscheiden sind, bringt Fichte Argumente hervor, die auch gegen diese und somit gegen alle drei Vermittlungsformen sprechen: Gegen die Spaltung des „absolute[n] Seyn[s] in sich selbst“ spricht die Übertragung von Negativität und Differenz in das Absolute als lebendiger Einheit59. Ganz grundsätzlich ist festzuhalten, daß Fichte für sich – im Unterschied zu Plotin, Spinoza und Schelling – in Anspruch nimmt, nicht auf dem Standpunkt des Absoluten zu stehen, sondern auf dem des Wissens. Daraus folgt für Fichte aber zugleich, daß jegliche Formen der Unterscheidung, der Differenz oder des Gegensatzes nicht beim Absoluten, sondern immer nur beim Wissen anzusetzen sind. Das lebendige Absolute ist eine in sich gegensatzlose, in sich geschlossene und keine sich selbst differenzierende Einheit. Für Fichte sind alle Ansätze, die Negativität und Verschiedenheit im Absoluten annehmen, unreflektierte Projektionen. Das absolute Wissen ist bei Fichte hinsichtlich seiner Lebendigkeit auf das Absolute bezogen, genauer: es ist das Absolute, aber hinsichtlich der Selbstbezüglichkeit, der Form Hirschberger, Frankfurt a. M. 1965, 119 – 141, später in: ders.: Platonica Minora, München 1976, 70 – 88; Klaus Kremer: Art. „Emanation“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. von Joachim Ritter, Karlfried Gründer und Gottfried Gabriel, Basel 1971 – 2007, im folgenden abgekürzt: HWPh 2 (1972) Sp. 445 – 448. 55  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 265. 56 Fichte: Die Anweisung zum seeligen Leben, oder auch die Religionslehre (1806), in: GA I/9, 119, im folgenden: Anweisung 1806 – GA I/9. 57  Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Philosophie und Religion (1804), in: Sämmtliche Werke, hg. v. Karl Friedrich August Schelling, I. Abteilung, Bd. 6, Stuttgart 1856 – 61, 11 – 70, im folgenden abgekürzt: SSW I/6. Baruch de Spinoza: Das „unbedingt unendliche[] Seiende“ besteht aus „unendlich vielen Attributen“ (ders.: Ethik in geometrischen Formen dargestellt, I. Teil, Lehrsatz 10, Anmerkung, in: ders.: Sämtliche Werke, neu übersetzt, hg., mit einer Einleitung versehen von Wolfgang Bartuschat, Bd. 2, Hamburg 1999, 21). 58 Schelling: Philosophie und Religion (1804), in: SSW I/6, 35. 59  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 266.

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der Subjektivität, ist es von diesem unterschieden, da für Fichte Selbstbezug immer mit Negativität verbunden ist. Gegen einen Abfall des Wissens vom Absoluten oder ein Hervorgehen des Wissens aus dem Absoluten spricht, daß „ein zweites Leben aus sich heraus“ entstünde, „was ein Dualismus wäre“, aber, so Fichte: „die W.L. ist kein Dualismus“. Fichte kritisiert damit, daß neben dem Absoluten auch die Emanation „durch sich auf sich selbst bestehen [müsse]“, was bedeuten würde, daß die Emanation selbst ein zweites, ebenso absolutes Prinzip wäre60. Er kritisiert aber darin ganz grundsätzlich das dabei gedachte Verhältnis von Absolutem und Emanation: „Ist Gott ganz in sie [die Emanation] übergegangen, so ist er nicht mehr […], wie wohl auch eine solche Verwandlung sich gar nicht denken läßt[;] denn ist er eben ganz, so hat er sich nicht verwandelt; ist er aber nicht ganz, so hat er sich in sich selbst zerrißen: u[nd] ist auch zu Hause nicht mehr ganz“61.

Nach „alter Emanationslehre“, so Fichte, „hat sich das Seyn gespalten in ein vielfaches Seyn“62, aber in der Wissenschaftslehre kann „Einheit in Mannigfaltigkeit […] nur das Leben seyn“63. Für Fichte gibt es keine zwei oder drei Absoluta, keinen Abfall des Wissens vom Absoluten, keine Binnendifferenzierung des Absoluten und kein unbegreifliches Überfließen, dem ein Prinzip der Vielheit entspringt. Es gibt für Fichte keine „zwei Seyn“, sondern nur das Eine lebendige, „absolute[] Seyn“, das in der absoluten Form der Subjektivität und des Wissens erscheint und sich in ein „factisches“, objektives und stehendes Sein verwandelt64. Das Absolute wird nur in der Form des Wissens sichtbar; deshalb spricht Fichte aber immer nur vom Erscheinen des Absoluten und nie davon, wie es ‚an sich‘ ist. Die Form des Wissens kann sich begreifen und vollständig durchdringen, aber die Möglichkeit des Vollzugs, d.i. die reine Lebendigkeit des Wissens, kann nicht aus dem Begriff erzeugt werden. Fichte spricht zwar auch wie Plotin vom Unbegreiflichen; Fichte strebt aber „das Begreifen des […] Unbegreiflichen, als Unbegreiflichen“ an65. Für Plotin ist die ‚Entstehung‘ des Prinzips der Verschiedenheit, der Grund des Überfließens unbegreiflich; für Fichte ist die reine Lebendigkeit des Wissensvollzugs unbegreiflich, aber das absolute Wissen als Prinzip der Einheit und Verschiedenheit kann begrifflich konstruiert werden. Indem die Form des Wissens begriffen werden kann, kann auch das Unbegreifliche in seiner Unbegreiflichkeit auf den Begriff gebracht werden; die Unbegreiflichkeit bezeichnet nur das, was über die Form hinausgeht. Fichtes Philosophie mündet nicht im Schweigen, sondern im Verstehen des Unsagbaren in seiner Unsagbarkeit, oder wie es im IV. Vortrag der WL 1804-II heißt: Wissenschaftslehre, Königsberg (1807), in: GA II/10, 122 f. Ebd., GA II/10, 123; vgl. Christoph Asmuth: Interpretation – Transformation, 28. 62  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 269. 63 Fichte: Wissenschaftslehre, Königsberg (1807), in: GA II/10, 124. 64  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 266. Vgl. dazu auch: Wolfgang Janke: Vom Bilde des Absoluten. Grundzüge der Phänomenologie Fichtes, Berlin/New York 1993, 534 – 537. 65  WL 1804-II – StA, 34 – GA II/8, 54. 60 Fichte: 61 

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„[D]ie Sicherzeugung der Unbegreiflichkeit ist diese lebendige Construction der innern Qualität des Wissens. Nun stammt diese Unbegreiflichkeit selber aus dem Begriffe, und aus der reinen unmittelbaren Evidenz; sonach stammt die ganze Qualität des Absoluten […] aus dem Wissen. Es, das Absolute, ist nicht an sich unbegreiflich: denn dies hat keinen Sinn; es ist nur unbegreiflich, wenn der Begriff an ihm sich versucht, und diese Unbegreiflichkeit ist seine einzige Qualität.“66

(2) Es ist der Primat des Wissens, der aber auch gegen zwei weitere, ideengeschichtliche Zuordnungen spricht: die natürliche Theologie und die Negative Theologie. Die These, die späte Wissenschaftslehre sei „Theologie“67 oder verfahre „nach Art der negativen Theologie“68, erweckt den Eindruck, als ob Gott im Zen­t rum der Wissenschaftslehre stehe. In der Tat finden sich auch im Fichteschen Werk zahlreiche Hinweise, die für eine solche Deutung sprechen könnten, und es ist auch kein Geheimnis, daß Fichte das Absolute auch als Gott oder göttliches Leben bezeichnet. In der Vorlesung Die Principien der Gottes-, Sitten- und Rechtslehre von 1805 heißt es sogar: Die „G[ottes]L[ehre] in gewisser Beziehung = W.L. […] Das Wissen ist da, lediglich darum, weil Gott in ihm seyn, d.h. erkannt werden soll: sonst ist das Wissen zu nichts da, und ist auch nicht an sich: also: das Wissen an sich ist die göttliche Erkenntniß, und alles andere Wissen außer ihr ist nichtig, u. leer“69.

Und an zwei weiteren Stellen in der Principien-Vorlesung sagt Fichte, „daß nur durch absolute Intelligenz sich zur Gottheit erhoben werde, oder vielmehr, daß die absolute Intelligenz selber der absolute Rükblik der Gottheit auf sich selbst“ ist70. Doch was versteht Fichte unter Gott? Die Idee Gottes oder das Göttliche ist für Fichte „nicht an die Personifikation“ gebunden – eine Vorstellung, die er sogar „ganz wegzubringen“ hofft –, sondern Gott ist für Fichte das absolute „Ens a se, per se“, der „Träger […] alles Seyns, u. Lebens“71. Es ist ein Gottesgedanke, bei dem alle endlichen Bestimmungen und Begrenzungen, die bei der Vorstellung eines – im Fichteschen Verständnis – personalen Gottes entstehen können, überwunden sind. Der Transzendentalphilosophie sind dadurch, wie er in der Transscendentalen Logik II (1812) sagt, „sehr viele Nachtheile erwachsen, z. B. die Bezicht[igu] ng des Atheismus: weil sie dem höchsten Wesen alle die im Wesen der Endlichkeit begründeten Resultate absprechen muß.“72 Weiter heißt es: „Gott denkt nicht: weil 66 

WL 1804-II – StA, 36 f. – GA II/8, 58. Peter Rohs: Johann Gottlieb Fichte, München 1991, 154. 68  Christian Iber: Subjektivität, Vernunft und ihre Kritik. Prager Vorlesungen über den Deutschen Idealismus, Frankfurt a. M. 1999, 266; vgl. dazu auch: Lore Hühn: Fichte und Schelling. Oder: Über die Grenze menschlichen Wissens, Stuttgart/Weimar 1994, 107 – 141, hier: 111, 114, 130; Wolfgang Janke: Die dreifache Vollendung des Deutschen Idealismus, 273. 69  Principien 1805 – GA II/7, 381 und 440. 70  Principien 1805 – GA II/7, 432; vgl. auch 436. 71  Principien 1805 – GA II/7, 378. 72  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 237 – GA II/14, 381. 67 

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er über die Sphäre der Bestimmung durch Denken und überhaupt aller faktischen Bestimmung hinaus liegt; […] Gott [ist hingegen], schlechterdings unabh[äng]ig vom Denken, u. Bilde, u. über daßelbe erhaben“73. Fichte war kein Atheist, aber er behauptet auch nicht umgekehrt die umstandslose Möglichkeit der Erkenntnis Gottes, sondern er fragt, was wird „durch das Setzen der Erkenntniß Gottes gesezt“74? Doch was heißt hier „Erkenntniß Gottes“? Es beinhaltet, daß die Wissenschaftslehre als System der Vernunft „die Erkenntniß der Weise der Geseztheit dieser Erkenntniß“75 untersucht und es bedeutet, das „Wissen als Wissen“ zu durchdringen und es „in seinem Wesen“ nachzukonstruieren, „weil nur durch die Erklärung des Bewußtseyns, und durch diese absolut in sich geschloßne Erklärung, es im Wissen zu einem Absoluten, als Absoluten, oder Gotte, kommt“76. In der Tat bilden in der späten Wissenschaftslehre die Idee Gottes und philosophische Wissenschaftlichkeit keine Gegensätze. Sowie er auch in der Wissenschaftslehre von 1805 den Gegensatz zwischen Glauben und Wissen aufzuheben versucht, indem er den Glauben als Moment des Wissens versteht, aber zugleich auf die strukturelle Differenz beider Wissensformen aufmerksam macht77. Selbstverständlich macht sich Fichte mit einer solchen Gottesidee und den eben zitierten Aussagen angreifbar, aber: das bedeutet nicht, daß sein Ansatz in die vorkritisch-dogmatische Metaphysik zurückfällt! Die Idee Gottes beweist nicht die Richtigkeit seines Ansatzes, es ist nicht ein letzter Ankerpunkt, der einem ansonsten wackeligen oder irgendwie zusammengezimmerten System den letzten Halt geben soll und das Wissen soll auch nicht durch den Glauben ersetzt werden, wie Die Bestimmung des Menschen (1800) vermuten läßt. Denn „trotz dieser exponierten Aussagen“ und des Rückgriffs auf „Begriffe der metaphysischen Theologie“ (Ens a se, per se) ist „Fichtes Intention nicht primär auf eine philosophische Theologie gerichtet, sondern eben auf die Wissenschaftslehre – und auf ihren Grundbegriff, den des ‚absoluten Wissens‘“, wie Walter Jaeschke in seinem Werk Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant festhält78. Fichte entwickelt in den Principien der Gottes-, Sitten- und Rechtslehre, auch wenn der Titel dieser speziellen Version der WL etwas anderes vermuten läßt, keine Gotteslehre im Sinne der theologia naturalis und den damit zusammenhängenden Prinzipien oder Erkenntnisobjekte. Die Wissenschaftslehre ist etwas vollkommen anderes als die „natürliche Theologie“, in der gemäß Christi73 Ebd. 74 

Principien 1805 – GA II/7, 487 f.

75 Ebd. 76 

Principien 1805 – GA II/7, 439 und 417. Wolfgang Janke: Johann Gottlieb Fichtes ‚Wissenschaftslehre 1805‘. Methodisch-systematischer und philosophiegeschichtlicher Kommentar, Darmstadt 1999, 49 – 60 und 174 – 178. 78 Jaeschke/Arndt: Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant, 450. 77 Vgl.

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an Wolff (1679 – 1754) „von der Existenz, den Attributen und den Werken Gottes gehandelt“ wird79. Sie ist aber auch keine Negative Theologie, wo der Versuch unternommen wird, Gott via negationis Attribute abzusprechen und auf diese Weise sein Wesen zu bestimmen. Die einzige ‚Qualität‘ Gottes, die ihm innerhalb der Wissenschaftslehre zugesprochen wird, – die Unbegreiflichkeit – hat ihren Ursprung nicht in ihm, sondern im Wissen80. Allein die Tatsache, daß Fichte vom Unbegreiflichen spricht, ist noch kein ausreichendes Indiz dafür, daß Fichte Negative Theologie betreibt81. Gott oder das Absolute ist die reine Lebendigkeit, die über die selbstbezügliche Form hinausweist. Alle Momente des absoluten Wissens können beschrieben und nachkonstruiert werden, aber die lebendige Einheit der Momente, die sich immer nur im lebendigen Vollzug des Denkens zeigt und aktualisiert, entzieht sich jeder Beschreibung. (3) Alle bisherigen Ausführungen widersprechen aber auch einer weiteren Zuordnung, nämlich derjenigen zur Mystik82. Wie bei allen vorherigen geistes­ 79 Christian Wolff: Einleitende Abhandlung über Philosophie im allgemeinen, § 96, übers., eingel. und hg. v. Günter Gawlick und Lothar Kreimendahl, Stuttgart-Bad Cannstatt 2006, 56. 80  Vgl. WL 1804-II – StA, 36 f. – GA II/8, 58. 81  Walter Jaeschke ist zwar der Auffassung, daß Fichtes späte WL keine „natürliche Theologie“ sei, ordnet sie aber in einer früheren Abhandlung der „negativen Theologie“ zu und stützt sich hier v.a. auf die Unbegreiflichkeit des Absoluten, wenngleich er darin festhält, daß das Absolute zwar den Begriff übersteigt, aber die begreifende Erkenntnis im Zentrum der WL steht (Walter Jaeschke: „Negative Theologie und philosophische Theologie“, in: Archivio di filosofia 70 (2002) 303 – 314, hier: 313 f.). 82  Wolfgang Janke stellt in seiner ersten großen Fichte-Studie Sein und Reflexion von 1970 die These auf, daß der erste Teil der WL 1804-II seinem Resultat nach Mystik sei, weil das Wissen in seinen „unvordenklichen Ursprung“ einkehre und dies zur „Selbstvernichtung des Ich“ führe. Die „unio mystica“ sei nicht „durch irrationale Aufschwünge“ zu realisieren, sondern verlange die „disziplinierte Selbstbesinnung des Begriffes“ (Janke: Fichte. Sein und Reflexion – Grundlagen der kritischen Vernunft, Berlin 1970, 301 – 305). In seiner zweiten, umfangreichen Arbeit über Fichte, mit dem Titel Vom Bilde des Absoluten aus dem Jahr 1993, distanziert sich Janke sehr deutlich von der Mystik-These. An prägnanter Stelle heißt es: „Für die Erläuterung des Ursprungsverhältnisses [von lebendigem Licht und absolutem Durcheinander] ist es aber wissenschaftlich nicht mit mystiknahen, neuplatonischen Sinnbildern wie ‚Aus- und Überfließen‘ (der Einheit in das Viele) oder ‚Erleuchtung‘ (der in der unio mystica ins Eine versinkenden Seele) getan“ (338). Hinsichtlich der „Gretchen“-Frage nach dem Absoluten und seiner Erscheinung, bleibt die Wissenschaftslehre Transzendentalphilosophie, weil sie nicht die „Einsicht in das Wesensgesetz“ verspricht, „wie und wodurch sich das Absolute äußert“ (339) (Janke: Vom Bilde des Absoluten, 65, 162, 338 f. und 534 f.). Seit 2009 versteht Janke Fichtes Ansatz als negative Theologie (vgl. Wolfgang Janke: Die dreifache Vollendung des Deutschen Idealismus, 273). Für Hans Heinz Holz ist die Licht- und Augenmetaphorik der WL 1805 ausreichend, um sie dem „Traditionsstrom gnostisch-neuplatonischer Mystik“ zuzuordnen, die schließlich in „religiöse[r] Schwärmerei“ endet (Hans Heinz Holz: Einheit und Widerspruch. Problemgeschichte der Neuzeit, Band II: Pluralität und Einheit, Stuttgart/Weimar 1998, 302 – 310).

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geschichtlichen Etiketten, so gilt auch hier, daß es immer fraglich ist, welche Autoren tatsächlich wahre Mystiker sind, und es wird auch immer umstritten sein, welche bestimmten Strukturmerkmale der Mystik eigen sind. Aber so wie die Idee der Emanation für den Neuplatonismus wesentlich ist, so geht es in der Mystik im Kern um die „Erfahrung eines unmittelbaren, intuitiven Kontaktes mit dem Absoluten, dem Unbedingten, ‚Gott‘.“ Dies wird als Entgrenzung oder Heraustreten aus dem individuellen Ich-Bewußtsein beschrieben und in diesem „rauschhaften Außersichsein“ kommt es zu einer „mystischen Vereinigung mit dem Absoluten“83. Diese Beschreibung macht sehr deutlich, worum es bei Fichte nicht geht: Fichte strebt nicht nach einer rauschhaften Vereinigung mit dem Absoluten. Seine Ausführungen zur ungeteilten Aufmerksamkeit und vollen Konzentration des Geistes widersprechen einem (bewußtlosen) Rauschzustand; auch ist die Notwendigkeit einer Vereinigung fraglich, da die Trennung von Absolutem und absolutem Wissen nicht so radikal ist. Viel entscheidender ist jedoch: Fichte widerspricht einem unmittelbaren und intuitiven Zugang. Denken ist bei ihm immer ein begrifflich vermitteltes und kein unmittelbares Vermögen: „Für uns ist es [das Absolute] im Begriffe, und ist darum lebendig, und darum ist für uns in der Intuition Nichts, weil im Begriffe Alles ist. Dies ist nun der allerschärfste Unterscheidungspunkt der W.-L. von allen möglichen Standpunkten des Wissens, die es nicht sind. Sie begreift das Ansich: jede andere Denkart begreift es nicht, sondern schaut es nur an, und tödtet es in sofern gewissermaßen.“84

Die späte Wissenschaftslehre ist eine Begriffsphilosophie, da sie „ihr Wesen im Begriffe“ hat und vor allem deshalb keine Mystik ist85. Das Erscheinen des Absoluten ist bei Fichte kein unmittelbares Sich-Zeigen, sondern ein Unmittelbares, das begrifflich vermittelt ist. Selbstverständlich gibt es Berührungspunkte mit allen angesprochenen Strömungen, aber bei genauerem Hinsehen werden mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten deutlich, so daß es fraglich ist, ob die Bezeichnungen Negative Theologie, Mystik oder Neuplatonismus tatsächlich einen Zuwachs an Erkenntnis bedeuten und den Ansatz erhellen, oder ob nicht vielmehr durch solche Beschreibungen gerade dasjenige verstellt, verzerrt und verborgen wird, was den späten Fichteschen Ansatzes auszeichnet und von anderen Philosophien abhebt. 83  Gerhard Wehr: Europäische Mystik. Eine Einführung, Hamburg 1995, 9 f. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß diese vereinfachende Definition von Wehr in der Mystik-Forschung auch differenzierter betrachtet wird, so unterscheidet Lemanski zwischen einer transformativen, deskriptiven und exegetischen Mystik (vgl. Lemanski: Summa und System, 21 – 38). 84  WL 1804-II – StA, 126 – GA II/8, 188. 85  WL 1804-II – StA, 96 – GA II/8, 146. Besonders kritisch setzt sich Christoph Asmuth mit dem Mystik-Begriff von Edith Düsing auseinander (vgl. Christoph Asmuth: „Wissenschaft und Religion. Perspektivität und Absolutes in der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes“, in: Fichte-Studien 8 (1995) 1 – 19, hier: 17, Fußn. 70).

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In den zwei anschließenden Unterkapiteln werden zwei alternative Zuordnungen vorgestellt, die in den beiden Hauptteilen der Arbeit ausführlicher behandelt werden. Im folgenden wird – in programmatischer Absicht – skizziert, warum sich die späte WL historisch als transzendentalphilosophische Totalitätswissenschaft und systematisch als dialektische Beziehungswissenschaft interpretieren läßt.

III. Die Wissenschaftslehre als transzendentalphilosophische Totalitätswissenschaft Die späte WL kann von einer von größeren, philosophiegeschichtlichen Perspektive aus als Beitrag zur Aristotelischen Idee eines sich selbst denkenden Denkens im Kontext des problemgeschichtlichen Zusammenhangs der Klassischen Deutschen Philosophie interpretiert werden. So heißt es im XII. Buch der Metaphysik von Aristoteles: „Das Denken (nóēsis) an sich aber geht auf das an sich Beste, das höchste Denken auf das Höchste. Sich selbst denkt die Vernunft (noûs) in Ergreifung des Denkbaren; denn denkbar wird sie selbst, den Gegenstand berührend und denkend, so daß Vernunft und Gedachtes (noētón) dasselbe ist. Denn die Vernunft ist das aufnehmende Vermögen für das Denkbare und die Wesenheit. Sie ist in wirklicher Tätigkeit, indem sie das Gedachte hat. Also ist jenes, das Gedachte, noch in vollerem Sinn göttlich als das, was die Vernunft Göttliches zu enthalten scheint, und die Spekulation (theōría) ist das Angenehmste und Beste. […] Sich selbst also denkt die Vernunft, insofern sie ja das Vorzüglichste ist, und das Denken ist Denken des Denkens (nóēsis noḗseōs).“86

Aristoteles’ Ausführungen, die von Hegel am Ende der Enzyklopädie (1830) zitiert werden87, erscheinen schon fast als eine Antizipation dessen, was in der Klassischen Deutschen Philosophie umgesetzt und als System der Vernunft ausgeführt wurde. Fichtes späte WL steht – wie Hegels Philosophie – in systematischer Hinsicht in dieser Tradition und kann als nachmetaphysischer Versuch einer vollständigen Darstellung eines sichverstehenden Denkens gedeutet werden, in dem einerseits das Wesen des absoluten Begriffs durchdrungen und andererseits zugleich auf das Ganze gezielt wird. (1) Doch was heißt es, nachmetaphysisch zu denken? Das Stichwort Metaphysik ist bereits schon in bezug auf die natürliche Theologie gefallen, als eine von drei Disziplinen der speziellen Metaphysik. Bis hin zu Kant wurde zwischen der allgemeinen und der speziellen Metaphysik differenziert: Die allgemeine Metaphysik, die ihren Namen dem gleichnamigen Werk des Aristoteles verdankt, war und ist die ‚Lehre vom Sein bzw. vom Seienden‘ oder auch die Ontologie88. Die spezielle 86 Aristoteles: Metaphysik, XII 7 1072 b 18 – 25 und XII 9 1074 b 34 f., übersetzt von Hermann Bonitz, auf der Grundlage der Bearbeitung von Héctor Carvallo und Ernesto Grassi neu hg. v. Ursula Wolf, Reinbek bei Hamburg ²1999, 319 und 325. 87  Vgl. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830), in: GW 20, 572. 88  So schreibt Aristoteles in der Metaphysik: „Es gibt eine Wissenschaft (epistḗmé), welche das Seiende als Seiendes (tò òn hê ón) untersucht und das demselben an sich Zukommen-

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Metaphysik zerfiel entsprechend den drei Gegenständen – Seele, Welt, Gott – in die drei Disziplinen: rationale Psychologie, Kosmologie und natürliche Theologie. Neben den Disziplinen hat der Begriff Metaphysik aber auch eine historische Bedeutung und bezeichnet in erster Linie die vorkritisch-dogmatische und rationalistische (Schul-)Philosophie des 18. Jahrhunderts, namentlich diejenige Christian Wolffs und Alexander Gottlieb Baumgartens89. Mit dem Erscheinen der Kritik der reinen Vernunft (1781/1787) entzog Kant den speziellen Formen der Metaphysik die Grundlage und setzte an die Stelle der früheren, allgemeinen Metaphysik die Transzendentale Logik als „legitime Nachfolgedisziplin“90. Fichte knüpfte unter anderem auch in diesem Sinne an Kants Programm an und verstand die Wissenschaftslehre als Fortsetzung des Projekts einer Transzendentalen Logik. Mit dem Begriff Metaphysik ist somit nicht der weitverbreitete Kampfbegriff 91, sondern eine Form von Philosophie gemeint, die historisch ihren Platz hat und von der Hegel in der „Vorrede zur ersten Ausgabe“ der Wissenschaft der Logik (1812) sagt, daß sie „mit Stumpf und Styl ausgerottet worden, und aus der Reihe der Wissenschaften verschwunden“ sei. An den früheren Untersuchungen dieser „vormaligen Metaphysik“ sei das Interesse sowohl am Inhalt als auch an der Form vollständig verlorengegangen und die „Beispiel[e] über die Immaterialität der Seele“ oder „die sonstigen Beweise vom Daseyn Gottes werden nur [noch] historisch […] angeführt“92. Nachmetaphysisch bedeutet daher, daß der späte Fichte nicht hinter Kant zurückfällt und von einem unmittelbaren Bezug zu den Gegenständen der Erkenntnis ausgeht und die absolute Form der Subjektivität einfach überspringt, sondern auf de“ (ders.: Metaphysik, IV 1, 1003 a 21 f., übersetzt von Hermann Bonitz, auf der Grundlage der Bearbeitung von Héctor Carvallo und Ernesto Grassi neu hg. v. Ursula Wolf, Reinbek bei Hamburg ²1999, 97). 89 Vgl. dazu Dirk Effertz: „Einleitung“, in: Christian Wolff: Erste Philosophie oder Ontologie. Nach wissenschaftlicher Methode behandelt, in der die Prinzipien der gesamten menschlichen Erkenntnis enthalten sind, §§ 1 – 78, übers. u. hg. v. Dirk Effertz, Lateinisch-Deutsch, Hamburg 2005, XI – XXXI, bes. XI – XII. 90  Walter Jaeschke: Hegel-Handbuch. Leben – Werk – Schule, Stuttgart/Weimar 2003, 223; vgl. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, Riga 1781 (= A), ²1787 (= B), B 79 – 82, in: Gesammelte Schriften, hg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften/Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin/Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Berlin/New York 1900 ff., im folgenden mit KrV, B und AA abgekürzt und mit Band­ angabe in lateinischen Ziffern, hier: AA III, 77 f. 91  Vgl. exemplarisch Christoph Asmuth: „Transzendentalphilosophie oder absolute Metaphysik? Grundsätzliche Fragen an Fichtes Spätphilosophie“, in: Fichte-Studien 31 (2007) 45 – 58. Asmuths historisch-systematische Analyse ist in bezug auf Fichte zutreffend, allerdings wird die Behauptung, Hegel habe sich für eine „absolute Metaphysik“ entschieden (58), argumentativ nicht eingeholt und paßt auch nicht zum zuvor historisch eingeführten Metaphysik-Begriff. In der vorliegenden Arbeit wird die These vertreten, daß Hegel und Fichte trotz unterschiedlicher Grundkonzeptionen eine vergleichbare Metaphysikkritik formulierten. 92 Hegel: Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Sein (1832), in: GW 21, 5.

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das Vermögen letzterer reflektiert; daß er nicht die Grenzen des Denkens überschreitet, sondern dessen „Möglichkeiten ausschöpft“ und die absolute Vernunft zum Ausgangspunkt wählt93; daß er nicht Gegensätze wie ‚Denken – Sein‘ oder ‚Endliches – Unendliches‘ auf verstandesmäßige Weise zu fixieren versucht, sondern auf spekulativ-vernünftige Weise vermitteln will, und daß er schließlich nicht die Gegenstände der speziellen Metaphysik – Seele, Welt, Gott – einfach wieder aufgreift, sondern sie entweder in ihrer Bedeutung und ihrem Ursprung neu bestimmt – wie den Begriff der Welt94 – oder vollkommen verwirft – wie den Begriff der Seele95. Die Frage, ob ein philosophischer Ansatz ein nachmetaphysischer in der Tradition Kants ist, hängt aber nicht nur davon ab, wie die Gegenständen Seele, Welt und Gott behandelt werden, sondern wie die Seinsfrage beantwortet wird, d.h., wie sich ein philosophischer Entwurf zur allgemeinen Metaphysik oder zur Ontologie verhält? Die Auflösung von Seinsbestimmungen in Denkbestimmungen und damit die Ent-Ontologisierung der philosophia prima wurde bereits von Kant eingeleitet96: Realität ist für Kant eine Verstandeskategorie und „Sein ist offenbar kein reales Prädicat, d. i. ein Begriff von irgend etwas, was zu dem Begriffe eines Dings hinzukommen könne.“97 Laut Kant muß zwischen realen Prädikaten und dem logischen Prädikat (Sein, „ist“) differenziert werden: Wenn behauptet wird, so Kant, „Gott ist, oder es ist ein Gott, so setze ich kein neues Prädicat zum Begriffe von Gott, sondern nur das Subject an sich selbst mit allen seinen Prädicaten, und zwar den Gegenstand in Beziehung auf meinen Begriff “98. In der Transscendentalen Logik II (1812) Fichtes heißt es entsprechend: „Das Seyn ist keine Beschaffenheit, sondern nur dasjenige, wovon alle Beschaffenheiten ausgesagt werden.“ Es komme dadurch zu einer „völlige[n] Veränderung der Ansicht des Seyns“. Das Sein der Vorstellung oder des Aussagesatzes sei „ein Produkt des Denkens“. Jedes besondere Sein werde erst „durch die Subsumtion unter das absolut angeschaute rein formale Seyn zu einem Seyn“99. Weiter heißt es: „[…] ein übersinnliches kann ich denken, ohne meines Denkens mir bewußt zu werden: Gott ist, die Welt ist – sagen die meisten, u. es kostet in der That Mühe sie zu der Reflexion zu bringen, daß das Seyn dieses Gottes, u. dieser Welt für sie, in der That ihr Gedanke, Produkt ihres Denkens ist“100. 93  Walter Jaeschke: „Wer denkt metaphysisch? oder: Über das doppelte Ende der Metaphysik“, in: Johann Kreuzer (Hg.): Hegels Aktualität. Über die Wirklichkeit der Vernunft in postmetaphysischer Zeit, München 2010, 151 – 191, hier: 152. 94  Vgl. § 3, II. (Anweisung 1806 – GA I/9, 97). 95  Vgl. § 5, II. (WL 1804-II – StA, 90 – GA II/8, 134). 96  „Die kritische Philosophie machte […] bereits die Metaphysik zur Logik“, so Hegel (ders.: Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Sein (1832), in: GW 21, 35). 97  Kant: KrV, B 626, in: AA III, 401. 98  Ebd., B 627, in: AA III, 401. 99  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 32 f. – GA II/14, 215 f. 100  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 215 – GA II/14, 363.

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Fichte teilt im wesentlichen die Ausführungen Kants: Auch die Wissenschaftslehre ist keine „Seynslehre“101, wie es in der Fassung von 1813 heißt, sondern eine Erscheinungslehre, die vom Bild des Seins spricht. So wie für Kant das Sein kein reales Prädikat ist, so ist auch für Fichte „Bild-Sein […] kein reales Prädikat“102. In der Bewältigung der Aufgabe der WL, „das Eine allgemeine absolute [Wissen] in seiner Entstehung [zu] sehen“103, will Fichte den Ursprung des Seins freilegen, indem er den Begriff des Bildes ins Zentrum stellt und in diesem Sinne das Kantische Programm erweitert. Fichte ist daher ein nachmetaphysischer Denker, weil er sich nicht mit den Attributen und der Existenz Gottes beschäftigt, nicht die Unsterblichkeit der Seele postuliert, sich nicht in die Probleme der vorkritischen Kosmologie verstrickt und keine Seinslehre entwirft, sondern sich allenfalls „in der Schulsprache der tiefsten Metaphysik und Ontologie“ ausdrückt104. (2) Die späte WL ist aber nicht nur ein nachmetaphysischer, sondern zugleich auch ein nachkantischer Ansatz, weil Fichte ab 1804 über Kant hinausgeht. Nachkantisch bedeutet, daß der späte Fichte zwar in der transzendentalphilosophischen Tradition Kants steht, er aber den Subjektivismus des Transzendentalismus Kants als auch seines eigenen, früheren Ansatzes zu überwinden versucht. Die Freilegung der „gemeinschaftlichen, aber uns unbekannten Wurzel“ von Sinnlichkeit und Verstand105, wie es bei Kant heißt, ist eine Aufgabe, die sich schon der frühe Fichte in seinem ersten Systematisierungsversuch von 1794/95 vorgenommen hat, neu und anders ist aber ab 1804, daß er dieses Problem durch den Bezug auf Totalität lösen will. Es geht ab 1804 nicht mehr nur um den Zusammenhang von Sinnlichkeit und Verstand oder von Dingen an sich und Erscheinung, sondern es geht um die Frage nach dem Verhältnis von Einheit und Differenz. In den drei Versionen der WL von 1804 heißt es entsprechend, daß das „Wesen der Philosophie“ darin bestehe, „[a]lles Mannigfaltige auf absolute Einheit zurükzuführen“106, in der Vorlesung Die Principien der Gottes-, Sitten- und Rechtslehre von 1805 charakterisiert er genau dieses Programm mit etwas anderen Worten: „Die Aufgabe ist […,] die Einheit, u[nd] die Verschiedenheit Gottes u. der Welt einzusehen, welche, unsers Erachtens, durch keine bisherige Philosophie gelöst ist.“107 Zu beantworten sei die Frage, wie es in der Principien-Vorlesung weiter heißt: „wie dieses Wesen durchaus in sich geschloßen, und vollendet, scheinbar aus sich heraus gehen, u. Ursache einer Welt seyn könne, und wie diese Welt in gewisser Rüksicht als 101 

WL 1813 – GA II/15, 133. Wolfgang Janke: Vom Bilde des Absoluten, 230. 103  WL 1813 – GA II/15, 133. 104  Anweisung 1806 – GA I/9, 67. 105  Kant: KrV, B 29, in: AA III, 46. 106  WL 1804-I – GA II/7, 68. Vgl. auch: WL 1804-II – StA, 7 – GA II/8, 8; sowie WL 1804-III – GA II/7, 303. 107  Principien 1805 – GA II/7, 394, Hervorhebung von mir, P.T. 102 

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ausser Gott, und er ausser ihr erscheine, die denn doch in andrer Rüksicht der That, u. Wahrheit nach mit Gott ganz dasselbe seyn muß“108.

Wenn Fichte in diesem Vorlesungszyklus von der „Hauptschwierigkeit“, dem „Hauptproblem“ oder dem „Hauptgegensatz“ spricht, in dessen „Mittelpunkt“ er einzutreten versuche, um „so Gott, u. Welt absolut [zu] verknüpfen“109, dann geht es Fichte hier nicht um ein Spezialthema der WL, sondern um die Lösung der Einheits-Vielheits-Problematik vor dem Hintergrund seines eigenen Ansatzes. Fichte will die Frage des Verhältnisses von Denken und Sein sowie von Sinnlichem und Übersinnlichem auf einer grundlegenderen und fundamentaleren Ebene lösen und zugleich einen Prinzipiendualismus vermeiden110. Die Attraktivität der Fichteschen Spätphilosophie besteht darin, daß das transzendentale Anliegen Kants – die Reflexion auf die erkennende Subjektivität – mit dem metaphysischen Anspruch, Totalität zu erkennen, verbunden wird, um so die Gefahren beider Ansätze zu umgehen: die Versubjektivierung des Wissens auf der einen Seite und die Überschreitung des Erkenntnisvermögens auf der anderen. Fichte knüpft einerseits an das Erbe der Metaphysik an – der Ausformulierung eines ganzheitlichen Ansatzes und der Lösung der Einheits-Vielheits-Problematik – und andererseits wird die Einordnung in diese große Traditionslinie in spezifischer Weise transzendentalphilosophisch gebrochen, denn „Bewußtes = Seyn“111, wie Fichte in der WL 1813 festhält und dadurch die Absage an jede Form von Ontologie unterstreicht. (3) Es ist der Vorwurf der fehlenden Reflexion auf den Begriff, der aus Fichtescher Perspektive auf sämtliche, vorkritischen Ansätze zutrifft und hier nicht zuletzt auf denjenigen Spinozas, gegen den sich Fichte in seiner expliziten Kritik an der vorkritischen Metaphysik vor allem wendet. Fichte setzt sich von Anfang mit Spinoza auseinander und bemängelt bereits in der GWL die fehlende Besinnung auf das erkennende Subjekt. Aber ab 1804 differenziert Fichte genauer: Er glaubt sich in Übereinstimmung mit Spinoza hinsichtlich der Auffassung des Absoluten als Ens a se, differenziert aber zwischen absolutem Sein und dem Begriff des absoluten Seins – eine Unterscheidung, die Fichte bei Spinoza so nicht finden kann. Für Fichte ist das Wissen das Einheits- und Differenzprinzip, wohingegen bei Spinoza aufgrund der fehlenden Differenz zwischen absolutem Sein und absolutem Begriff das Absolute selbst dieses Prinzip ist. Fichte geht es im Spätwerk darum, den Anspruch auf Totalität und die Reflexion auf den Begriff, d.h. Spinozas Absolutes und Kants transzendentales Subjekt zu verbinden. Neben der transzendentalen Besinnung auf das Wesen des Begriffs ist es der Begriff des Lebens ab dem Jahr 1804, der als Antwort auf Spinoza zu verstehen ist; dessen Ansatz sei „todt innerlich in der Wurzel“, wohingegen Fichte „das Leben 108 

Principien 1805 – GA II/7, 378, Kursivierung von mir, P.T. Principien 1805 – GA II/7, 378 und 433. 110  Vgl. WL 1804-II – StA, 20 – GA II/8, 30 ff. 111  WL 1813 – GA II/15, 133. 109 

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selbst zu seiner Wurzel aufgenommen“ habe112. In bezug auf Spinozas Absolutes hält Fichte in der WL 1804-II fest: „Nur tödtete er dieses sein Absolutes oder seinen Gott. Substanz-Sein ohne Leben, weil er eben seines eigenen Einsehens sich nicht bewußt wurde: dieses Leben, in welches die W.-L. als Transscendental-Philosophie hineinführt.“113

Das absolute Leben im Sinne der reinen Vollziehung oder des reinen Aktes (actus purus114) ist dasjenige, was Fichtes Philosophie vor dem Subjektivismus bewahrt. Ist beim frühen Fichte das Ich noch das „Princip des Lebens“115, so ist beim späten Fichte die erkennende Subjektivität durch das absolute Leben bedingt. Genauer heißt es dazu bei Thomas Sören Hoffmann: „Das transzendentale oder absolute Leben ist mit dem ‚Seyn‘ der Subjektivität als unmittelbarem Vollzug, wenn auch nicht mit deren bestimmter Form, identisch. […] Das Leben, auf das Fichte hier zeigt, meint eben vielmehr einen von der Wissenschaftslehre qua erweiterter Transzendentalphilosophie zu verantwortenden Abschlußbegriff, mit dem auf eine prinzipientheoretisch absolute Einheit gezielt ist, die gerade auch insofern absolute Einheit ist, als sie zum einen die Subjektivität, die sie als solche vollzieht, nicht ausschließt, sondern sich gerade in ihren Selbstvollzug hinein öffnet, während sie zum anderen auch das Ansich der Subjektivität oder ihre absolute Voraussetzung ist.“116

Das absolute Sein ist nicht „das ganze substantive Sein“ im Sinne der „Objektivität“, wie Spinozas „Substanz-Sein ohne Leben“, wo aus Fichtescher Perspek­ tive „Substantialität und Objektivität“ zusammenfallen. Fichte meint vielmehr „ein verbales Sein“, ein „esse in mero actu“, ein Sein als reinen Vollzug, wo eben im Unterschied zu Spinoza „Sein und Leben“ zusammenfallen „und Leben und Sein durchaus […] dasselbe“ sind und jedes objektive Sein und damit jede Form von ­Objektivität als aus dem ursprünglich lebendigen Seinsvollzug abgeleitet verstanden werden kann117. 112  WL 1804-II – StA, 76 und 96 – GA II/8, 116 und 144. Vgl. Wolfgang H. Schrader: Empirisches und absolutes Ich. Zur Geschichte des Begriffs des Lebens in der Philosophie J. G. Fichtes, Stuttgart-Bad Cannstatt 1972, hier besonders: 155 – 175; Annette Sell: „Aspekte des Lebens. Fichtes Wissenschaftslehre von 1804 und Hegels Phänomenologie des Geistes von 1807“, in: Sein – Reflexion – Freiheit. Aspekte der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes, hg. Christoph Asmuth, Amsterdam/Philadelphia 1997, 79 – 94. 113  WL 1804-II – StA, 76 – GA II/8, 116. 114  Vgl. Thomas von Aquin: De ente et essentia – Über Seiendes und Wesenheit (1254/56), in: Editio Leonina: Sancti Thomae Aquinatis doctoris angelici Opera omnia, iussu Leonis XIII. P.M. edita, cura et studio fratrum praedicatorum, Tomus XLIII, Rom 1882 ff., 376. 115  GWL 1794/95 – GA I/2, 410. 116  Thomas Sören Hoffmann: „‚Leben‘ als Chiffre der Totalität. Der Lebensbegriff des transzendentalen und dialektischen Idealismus und seine Relevanz im ‚Jahrhundert der Lebenswissenschaften‘“, in: Deutsches Jahrbuch Philosophie, hg. im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Philosophie, Band 2: Lebenswelt und Wissenschaft, Hamburg 2011, 909 – 923, hier: 915 f. 117  WL 1804-II – StA, 76 und 151 f. – GA II/8, 116 und 228 f.

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Ebensowenig wie bei Hegel ist auch bei Fichte das Absolute nicht außerhalb des Erkennens zu suchen118. Für Hegel ist der absolute Begriff nichts, was an das Absolute äußerlich herangetragen wird, wohingegen Fichte die Dialektik des Begriffs oder die absolute Form des Wissens vom Absoluten unterscheidet, trotzdem liegt das Absolute nicht jenseits des Wissensvollzugs, denn: „Wir leben, eben unmittelbar im Lebensakte selber; wir sind daher das Eine ungetheilte Sein selber, in sich, von sich, durch sich, das schlechthin nicht herausgehen kann zur Zweiheit.“119

Das Absolute als reine Lebendigkeit – „Gott, in uns“, wie es in der Principien-Vorlesung von 1805 heißt120 – erscheint in spezifischer Weise im absoluten Wissen. Das absolute Wissen kann sich als Dasein und alleinige Existenzform des Absoluten begreifen, weil das Absolute als erscheinendes Absolutes im Wissen selbst erscheint, genauer: es manifestiert sich in der lebendigen Dialektik des absoluten Begriffs. (4) Das Programm einer Verbindung von Kant und Spinoza und die Fokussierung auf die Dialektik des Begriffs ist in vergleichbarer und zugleich unterschiedener Weise in Hegels Phänomenologie des Geistes (1807) und Wissenschaft der Logik (1812 – 1816) zu finden. Für Hegel ist „das Wahre nicht als Substanz, sondern ebensosehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken“. Daß „die Substanz wesentlich Subjekt ist“, wie es bei Hegel weiter heißt, „ist in der Vorstellung ausgedrückt, welche das Absolute als Geist ausspricht“121. Das Absolute als Geist versammelt alle entscheidenden „Momente von Subjektivität“: „Tätigkeit, Werden, Selbstbeziehung, Wissen und – als höchste Form – wissende Selbstbeziehung“122. Hegels Lösung für Spinozas in sich toter Substanz besteht darin, daß er die Negativität als Moment des Absoluten versteht. Hegels Idee der Einheit von Lebendigkeit und Negativität, die Einheit von absolutem Begriff, Subjektivität und Absolutem als Geist sowie die Annahme, daß die „lebendige Substanz […] die Reflexion im Anderssein in sich selbst“ ist, wird aber von Fichte in dieser Weise nicht geteilt123. Für Fichte sind Negativität und Selbstbezüglichkeit keine Momente des Absoluten, sondern er versteht das Absolute – die Substanz – als reine Lebendigkeit. Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes (1807), in: GW 9, 54. WL 1804-II – StA, 152 – GA II/8, 230. 120  Principien 1805 – GA II/7, 403. 121 Hegel: Phänomenologie des Geistes (1807), in: GW 9, 18 und 22, Hervorhebung von mir, P.T. 122  Walter Jaeschke: Hegel-Handbuch. Leben – Werk – Schule, Stuttgart/Weimar 2003, 183. 123 Hegel: Phänomenologie des Geistes (1807), in: GW 9, 18. Daß Hegel am Programm der Verbindung von Substantialität und Subjektivität, von Spinoza und Kant bis zu seinem Tod durchgehend festhält, zeigt sich u.a. in den späten religionsphilosophischen Vorlesungen (vgl. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Teil 1: Einleitung in die Philosophie der Religion. Der Begriff der Religion, in: ders.: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, hg. v. Walter Jaeschke, Bd. 3, Hamburg 1983, 269). 118 

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Negativität, Selbstbezüglichkeit und alle Vermittlungsformen des dialektisch-­ begrifflichen Denkens sind für ihn Momente der „Form der Subjektivität“124. Das Absolute als reine Lebendigkeit ermöglicht die Einheit des synthetisch-analytischen Wissensvollzugs und ist der durch das Wissen selbst nicht erzeugbare und nicht vollständig einholbare, lebendige Zusammenhang aller Momente der absoluten Form des Wissens. Das Leben ist somit eine „Chiffre der Totalität“ und zugleich Ausdruck für die Aktuosität des Vollzugs125. Das Verhältnis von Sub­ stanz – Absolutem – und Subjekt – absolutem Wissen – wird von Fichte als „Identität […] in der NichtIdentität, u[nd] NichtIdentität [in] der Identität, in absoluter, u[nd] unabtrennbarer Vereinigung“ beschrieben126. Genau diese Formel der WL 1805, die schon fast zwingend an Hegels Formel von der „Identität der Identität und Nichtidentität“ erinnert127, macht eine der Hauptdifferenzen zwischen beiden Philosophen und die Besonderheit des Fichteschen Ansatzes deutlich: die strikte Trennung von Subjektivität und Absolutem auf der einen Seite und die Vermittlung beider auf der anderen Seite. Die Verbindung und Unterscheidung von Totalität und Subjektivität – was die eigentliche, inhaltliche Bestimmung der späten Wissenschaftslehre als transzendentalphilosophische Totalitätswissenschaft ist – erfolgt bei Fichte trotz einer programmatischen Nähe zu Hegel auf eine spezifisch eigenständige Weise. Diese grundsätzliche Differenz zu Hegel kann auch in folgender Weise ausgedrückt werden: Die Fichtesche Unterscheidung zwischen Subjektivität und Totalität ist auch die Differenz zwischen absoluter Form und absolutem Gehalt, sie ist aber vor allem der Gegensatz zwischen Dialektik und Leben. Wenn in diesem Sinne Fichtes späte WL als transzendentalphilosophische Totalitätswissenschaft bezeichnet wird, beinhaltet dies zum einen, daß sowohl auf die absolute Form der erkennenden Subjektivität reflektiert wird als auch das Problem 124 

WL 1805 – GA II/9, 182. Thomas Sören Hoffmann: „‚Leben‘ als Chiffre der Totalität“, 909 – 923. 126  WL 1805 – GA II/9, 257. Fichte operiert an verschiedenen Stellen in der WL 1804II mit dem Substanzbegriff, an dem sich die Verlebendigung des begrifflichen Denkens deutlich ablesen läßt. Im III. Vortrag wird noch gesagt, daß das Wissen „eine rein für sich bestehende Substanz“ sei (WL 1804-II – StA, 23 – GA II/8, 36). Im V. Vortrag wird schon zwischen der Substanz als reinem Licht und der „Einsicht (Subjektivität)“ (WL 1804-II – StA, 54 – GA II/8, 81) differenziert. Die Substanz als reines Licht bzw. reine Gewißheit ist letztlich die reine Tätigkeit, die das absolute Wissen wesentlich ausmacht und zunächst im und als Wissen erscheint, aber im Sichdurchdringen des Wissens als das Unerzeugbare im reinen Sicherzeugen, als das eigentliche Sein und Wesen des absoluten Wissens sichtbar wird, so daß sich Substanz und Subjekt bei Fichte durchdringen, aber die lebendige Substanz nicht vollständig im Wissen aufgeht. (Vgl. dazu auch: Wilhelm G. Jacobs: „Einzelkommentar zu: Die Wissenschaftslehre. Vorgetragen im Jahr 1804“, in: Johann Gottlieb Fichte: Werke I: Schriften zur Wissenschaftslehre, hg. v. Wilhelm G. Jacobs, Frankfurt a. M. 1997, 849 – 889, hier: 853). 127 Hegel: Differenz des Fichte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie (1801), in: GW 4, 64 sowie Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Sein (1832), in: GW 21, 60. 125 

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des Subjektivismus umgangen werden soll, und zum anderen, daß Fichte in einer mit Hegel – zumindest programmatisch – vergleichbaren Weise versucht, absolute Substanz und transzendentales Subjekt – Absolutes und Wissen – zu verbinden. Aus diesem Grunde ist die späte WL als System der Vernunft als eine eigenständige Gestalt des spätidealistischen Denkens neben Hegels System ab 1807 und Schellings Spätwerk ab 1827 zu verstehen, die sich nicht mehr in das alte Schema Richard Kroners einer Entwicklung von Fichtes subjektiven über Schellings objektiven zu Hegels absoluten Idealismus einordnen läßt128. Die späte WL ist aber nicht nur historisch als transzendentalphilosophische Totalitätswissenschaft, sondern auch systematisch als dialektische Beziehungswissenschaft zu verstehen, was im folgenden kurz skizziert werden soll.

IV. Die Wissenschaftslehre als dialektische Beziehungswissenschaft Das logische Zentrum der späten Wissenschaftslehre ist das dialektische Bilden. Es ist das synthetisch-analytische und diskursiv-intuitive Einheits- und Differenzprinzip, das sich in sich selbst als Begriff des Bildens unterscheidet und in dieser Sichunterscheidung als Verstehen des Begriffs des Bildens auf sich selbst bezieht. Fichte spricht nicht nur vom „Bilden“, sondern auch von der „absolute[n] Beziehung“ und vom „absoluten Durcheinander“; das absolute Durcheinander oder – wie Fichte es durch die Substantivierung der Präposition abkürzt – das „Durch“ ist das „innere[] Wesen des Wissens“; es ist der „Urbegriff“, die „Vernunft“ und diejenige absolute Form, als die das absolute Leben erscheint129. Indem Fichte ab 1804/05 den Gedanken der Beziehung und ab 1812 die Selbstbeziehung in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt, leistet Fichte nicht nur historisch einen Beitrag zur Ausformulierung eines Systems der Vernunft innerhalb der Klassischen Deutschen Philosophie, sondern ebenso systematisch einen eigenständigen Ansatz innerhalb der Problemgeschichte der Dialektik. (1) Peter Baumanns behauptet am Ende seiner Kritischen Gesamtdarstellung, daß Fichtes Ansatz explizit den „Verzicht auf Dialektik“ beinhalte. „Von einer dialektischen Gegensatzentfaltung als Gegensatzvermittlung hält sich die späte Wissenschaftslehre Fichtes sogar bewußt fern“, so Baumanns weiter130. Es ist sicherlich Vgl. Richard Kroner: Von Kant bis Hegel, 2 Bde., Tübingen 1921 ff. 1804-II – StA, 85 f., 92, 103, 252 – GA II/8, 128, 138, 154, 374 f. Die „Beziehungsfunktion des Bildes“ wird bereits schon von Julius Drechsler herausgearbeitet (vgl. ders.: Fichtes Lehre vom Bild, 289 – 292). Vgl. zum Wesen des Durch: Christoph Asmuth: „‚Horizontale Reihe‘ – ‚Perpendikuläre Reihe‘. Die 11. Vorlesung der Wissenschaftslehre 1804/II und die beiden Denkfiguren der Fichteschen Wissenschaftslehre“ in: Jean-Chri­ stophe Goddard/Alexander Schnell (Hg.): L’être et le phénomène. La Doctrine de la Science de 1804 de J.G. Fichte – Sein und Erscheinung. Die Wissenschaftslehre 1804 J.G. Fichtes, Paris 2009, 53 – 71, hier: 60. 130  Peter Baumanns: J.G. Fichte. Kritische Gesamtdarstellung seiner Philosophie, Freiburg/München 1990, 385. 128 

129  WL

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richtig, daß Fichtes Ansatz nicht in einer absoluten Selbstvermittlung aufgeht131, denn die Unmittelbarkeit des Vollzugs und die unmittelbare Faktizität des absoluten Wissens ist konstitutiv für den gesamten Ansatz, aber gerade der Begriff des Durch zeigt ganz deutlich an, daß Fichte sich nicht nur hinsichtlich der Einheits-Vielheits-Thematik in die lange Tradition der großen Philosophien einordnen läßt, sondern auch hinsichtlich des Wie der Vermittlung beider Seiten. Fichte entwickelt ein eigenständiges Dialektikkonzept, das so selbständig ist wie dasjenige Platons, Cusanus’ oder Hegels. Der aus dem Griechischen stammende Begriff Dialektik enthält zwei Silben, die auf die ursprüngliche Bedeutung dieses schillernden und von Anfang an uneinheitlich verwendeten Wortes verweisen: das Präfix dia und den Ausdruck Logos. Dia bedeutet gerade nicht „Zwei“, sondern „Durch“, und die griechischen Grundbedeutungen von Logos sind neben „Rede“, „Wort“ und „Vernunft“ auch „Verhältnis“ und „sammeln“. Es ist sicher kein Zufall, daß Fichtes absolutes Durch etwas ausdrückt, was auf den griechischen Ursprung der europäischen Philosophie zurückverweist. Was in der direkten Übersetzung des Wortes Dialog überdeutlich wird, steckt auch im Begriff Dialektik: es geht „durch das Verhältnis“132. Fichte verwendet den Begriff Dialektik nur ganz selten in seinem gesamten Werk133, aber im IX. Vortrag der Transscendentalen Logik II von 1812 sagt er explizit, daß in der WL nach der „Dialektische[n] Kunst der Entwiklung“ verfahren werde: „Dies ist nicht die Dialektik des Aus- und Erdenkens, sondern das Denken macht sich uns selbst, die Evidenz ergreift uns. Durch Genie nur plötzliche Evidenz, die wieder 131  Vgl. Lore Hühn: Fichte und Schelling. Oder: Über die Grenze menschlichen Wissens, Stuttgart/Weimar 1994, 132 ff. 132 Thomas Sören Hoffmann: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Eine Propädeutik, Wiesbaden ²2012, 33 – 41; Wilhelm Risse/Armin Müller/Ludger Oeing-Hanhoff/Kurt Röttgers/u.a.: Art. „Dialektik“, in: HWPh 2 (1972) Sp. 164 – 226; Theo Kobusch: Art. „Abstraktion II“, in: HWPh 1 (1971) Sp. 44 – 47, hier: 46. Besonders maßgebend sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen von Wolfgang Schadewaldt über Heraklit. Bereits bei diesem Philosophen sei der „Begriff des Logos“ als das „große[] Gesamt der Verhältnisse und Bezüge“ zu verstehen (Wolfgang Schadewaldt: Die Anfänge der Philosophie bei den Griechen. Die Vorsokratiker und ihre Voraussetzungen, Frankfurt a. M. 1978, 366 – 382, hier: 376). Daß es sich hierbei um eine lange Tradition im Verständnis des Logos-Begriffs handelt, macht auch Theodoros Penolidis beim frühen Hegel deutlich. In seinem Aufsatz „Hegels Begriff der Sprache in den Jenaer Systementwürfen von 1805/1806“, in: HegelJahrbuch 19 (2013) 203 – 215, heißt es: „Wenn der eigentliche Bereich des Logos qua intelligibles Selbstverhältnis in der Ähnlichkeit zwischen den Dingen liegt und ihre gegenseitigen Beziehungen regelt, so ist dieses ‚zwischen‘ (Medialität) der eigentliche Ort der Intelligenz, aber von Anfang an zugleich ist es unmittelbares Anwesen (paradeixis) von absoluter Relationalität.“ 133  Vgl. Fichte: Institutiones omnis philosophiae – Logik. Erlangen, 1805, in: GA II/9, 80.

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verschwinden kann; wahre Dialektik [ist] aber die gesetzmäßige Methode, zu dieser Evidenz zu kommen.“134

Fichte meint in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Konstruktion des Begriffs, die in seinem Verständnis zwar immer nur eine Nachkonstruktion ist, die aber in Wahrheit und ab einem bestimmten Punkt der Reflexion eine sich als solche zu erkennen gebende Selbstkonstruktion ist – ein Sich-selbst-Machen und das heißt hier ein dialektisches Sich-selbst-Machen des absoluten Begriffs. Diese Konstruktion des Begriffs erfolgt nach dem „Gesetze des Durch“ oder „Gesetz des Bildens“135. Die termini technici Durch und Bilden, die Fichte am häufigsten verwendet, drücken das aus, was im Fichteschen Sinne mit Dialektik gemeint ist. Es beinhaltet zunächst dasjenige, was nach aller Abstraktion von jeglichem konkreten Inhalt und von aller Negativität des begrifflich-anschaulichen Denkens übrigbleibt: es ist das „Uebergehen von Einem zum Andern“136. Das Durch oder Bilden ist aber nicht einfach nur die Vollziehung des Wissens, sondern gleichursprünglich erfolgt die Darstellung des Vollzugs, d.h. es setzt aus sich heraus ein Bild seiner selbst, es zeigt sich in seiner Bildlichkeit und gibt sich als Bild zu erkennen. Das „Bilden […] bildet oder projicirt sich, eben als das, was es selber innerlich ist, als Bild“, so Fichte137. In den Worten des XXVIII. Vortrags der WL 1804-II, die aber dasselbe beinhalten, ist die Vernunft „ein absolutes unmittelbares sich Machen“, aber dieses radikal spontane Sichsetzen, die reine Aktuosität, zerfällt zugleich in eben diese „absolute Urthätigkeit“ und das „Nachmachen dieser Urthätigkeit, als ihr Bild“ und weiter sagt Fichte, daß „diese Disjunktion […] die absolut ursprüngliche“ ist138. Die Vernunft oder das Bilden ist ein absolutes und ursprüngliches Sicherzeugen, das zugleich immer schon als Sicherzeugen erscheint. Oder anders gesagt: Die Erscheinung gibt sich als Erscheinung zu erkennen, d.h. man kann die Erscheinung und den erscheinenden Gehalt, der nur in der Form der Erscheinung erscheint, immer voneinander unterscheiden. Dies ist aber nur möglich, weil sie immer schon ein Bild von sich als Erscheinung bei sich führt. Dieses zweite Moment des absoluten Begriffs bezeichnet Fichte im Unterschied zum Durch in der substantivierten Form des Als. Die Vernunft ist also das Einheitsprinzip im Sinne der Beziehung und zugleich das Differenzprinzip im Sinne des Sich-von-sich-selbst-Unterscheidens, denn das Bild kommt nicht von außen hinzu, sondern es selbst, das Bilden, erzeugt aus sich heraus ein Bild seiner selbst. Die Vernunft fixiert sich selbst, und setzt, indem sie sich im Bild des Bildens verdoppelt, zugleich ihr Gegenteil, denn das Bilden ist die reine Vollziehung und das Bild die Darstellung des aktuosen Vollzugs. Diese ursprüngliche Verdopplung zwischen der Vernunft als reinem Bilden und dem Bild 134 

Transscendentale Logik II (1812) – StA, 74 und 78 – GA II/14, 249 und 251. WL 1804-II – StA, 103 und 252 – GA II/8, 156 und 374 f. 136  WL 1804-II – StA, 106 – GA II/8, 160. 137  WL 1804-II – StA, 251 – GA II/8, 374. 138  WL 1804-II – StA, 277 f. – GA II/8, 410 ff. 135 

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der Vernunft, die zuvor als Differenz zwischen Absolutem und der Form der Subjektivität, zwischen Leben und Begriff erschien, ist zugleich auch die Differenz zwischen Vollzug und Darstellung. Obwohl für Fichtes Begriff des Begriffs noch ein weiteres Moment entscheidend ist, können drei grundlegende Gegensätze entfaltet und erklärt werden, die auf das synthetische Durch und das trennende Als zurückgehen. Es ist erstens „mit einem Worte die Vernunft in Duplicität, als Subjekt und als Objekt“, es ist zweitens „grade dieses lebendige Durch[, das] als Einheit des Durch sich spaltet in Denken und Sein, d.h. in sich selber, und in den Urquell seines Lebens“, und drittens wird „nicht nur zwischen Sein und Denken überhaupt [unterschieden], sondern auch zwischen sinnlichem und übersinnlichem Sein und Denken“139. Fichtes absolutes Durch oder reines Bilden ist in diesem Sinne das „Totalverhältnis“140, da es das allgemeinste Verhältnis ist, aus dem heraus erst alle anderen konkreten und bestimmten Verhältnisse und Beziehungen überhaupt verständlich werden. Das Bilden ist die „Verhältnismacht“141, weil es das reine Beziehen auf anderes ist und aus sich heraus dieses Andere überhaupt entfaltet – das fixierte Bild seines Bildens –, also eine sich selbst differenzierende Einheit ist. Das Bilden ist Ausdruck der Totalität aller Beziehungen, es ist die Manifestation des lebendigen Logos, „der sammelnden Beziehung“, des „sich in sich gründende[n] Verhältnis[ses]“ und die sich selbst vermittelnde und zugleich Unmittelbarkeit bewahrenden Vermittlung142. Mit anderen Worten: Das absolute Durch ist nicht nur das Grundwort der Spätphilosophie Fichtes, sondern auch der gesamten europäischen Philosophie bis in ihre Anfänge hinein – es ist Fichtes Antwort auf das Verhältnis von Einheit und Vielheit. Dialektik ist in diesem Sinne keine Schablone, die die Gegensätze quasi von außen her vereinheitlicht, sondern das Gegensatzverhältnis ist von seiner internen Logik her hinsichtlich der Unterschiedenheit, Bezogenheit und des Zusammenhangs als dialektisch zu verstehen. Dialektik ist – mit einem Wort von Friedrich Engels – die „Wissenschaft des Gesamtzusammenhangs“143 139  WL 1804-II – StA, 276, 103 und 59 – GA II/8, 410, 156 und 90, Kursivierung bis auf das zweite Zitat von mir, P.T. 140  Julius Drechsler: Fichtes Lehre vom Bild, 221. 141 Thomas Sören Hoffmann: „Zur Einführung“, in: Hegel als Schlüsseldenker der modernen Welt. Beiträge zur Deutung der ‚Phänomenologie des Geistes‘ aus Anlaß ihres 200-Jahr-Jubiläums, hg. v. Thomas Sören Hoffmann, Hamburg 2009, 13 f. (= Reihe: Hegel-Studien-Beiheft 50). Hoffmann spricht in diesem Zusammenhang nicht von Fichtes Durch, sondern bezeichnet Hegels Geist-Begriff als „Verhältnismacht“. 142  Thomas Sören Hoffmann: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Eine Propädeutik, Wiesbaden ²2012, 22. 143  Friedrich Engels: Dialektik der Natur (1873 – 1883), in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, hg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Bd. 20, Berlin 1975, 307. Das Konzept einer dialektischen Totalitätswissenschaft zieht sich bis in die Gegenwart; ein prominentes Beispiel ist hier der Ansatz von Hans Heinz Holz. Er versucht das marxistisch-leninistische Dialektikverständnis, das Widerspiegelungstheorem und die sog. materialistische Hegel-Deutung der Moskauer und Berliner Schule mit Leibniz’ Konzept

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und Philosophie überhaupt ist die fundamentale und sich selbst begründende Beziehungswissenschaft144. (2) Aber so wie es Themen mit Ewigkeitscharakter gibt, gibt es auch Themen, die als spezifisch neuzeitlich und modern gelten – dies gilt in ausgezeichneter Weise für die Frage nach dem Wesen von Subjektivität145. Fichte entwickelt in der späten Wissenschaftslehre ein neues Verständnis von Subjektivität, das zwischen den Extremen der Überhöhung des Subjekts und der Verherrlichung der Individualität auf der einen Seite und dem „Tod […] des Subjekts“ auf der anderen Seite anzusiedeln ist146. Fichte ging als der Philosoph in die Geschichte ein, der das Ich auf eine unüberbietbare Spitze gestellt habe. Auch wenn dies nie Fichtes Position war, da er mit dem absoluten Ich die radikal spontane, sicherzeugende Vernunft vor Augen hatte, veränderte sich sein Verständnis von Subjektivität in der späten Wissenschaftslehre ab 1804 noch einmal ganz grundlegend. Das Prinzip der Subjektivität steht nicht – wie noch 1794/95 – an der Spitze des Fichteschen Vernunftsystems, aus dem heraus alle Beziehungen und Momente des Wissens entwickelt werden, sondern das Ich ist ab 1804 selbst ein Moment des Wissens. Subjektivität, die sich selbst zu erkennen versucht, sich selbst transparent wird und bis zu Ende reflektiert, muß erkennen – so der späte Fichte –, daß sie nicht unmittelbar das höchste Prinzip sein kann. Das Bilden ist somit nicht nur intuitiv und diskursiv, sondern auch reflexiv. Das Bilden setzt sich als Bild des Bildens und bezieht sich dadurch auf sich selbst. Die Beziehung des Bildens auf sich ist das Sich-Verstehen des Begriffs des Bildens und genau an diesem Punkt setzt Fichtes neue Lehre der Subjektivität an. Das Ich ist der Monade als Spiegel der ganzen Welt zu verbinden (vgl. Hans Heinz Holz: Einheit und Widerspruch. Problemgeschichte der Dialektik der Neuzeit, Bd. I: Die Signatur der Neuzeit, Einleitung: Dialektik – was ist das überhaupt?, Stuttgart/Weimar 1997, 1 – 38). 144 Vgl. Willi Lautemann: „Wissenschaftslehre und genetisches Prinzip. Prinzip und Aporie in der Spätphilosophie Fichtes“, in: Philosophie als Beziehungswissenschaft. Festschrift für Julius Schaaf, hg. v. Wilhelm Friedrich Niebel und Dieter Leisegang, Frankfurt a. M. 1974, XIX/3 – 49. In diesem Zusammenhang sagt Thomas Sören Hoffmann zu Hegels Geschichtsphilosophie: „Tatsächlich ist der Schlüssel zur Geschichte der Philosophie als einer Geschichte der Vernunft nicht die Konstatierung der Verschiedenheit, sondern der Aufweis der weiterführenden Beziehung, die insbesondere in den begrifflichen Gegensätzen liegt, in denen Philosophie auftritt. Philosophie ist Beziehungswissenschaft, so wie Erkennen Zu-sich-selbst-Kommen im Differieren ist“ (Hoffmann: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Eine Propädeutik, Wiesbaden ²2012, 496, Hervorhebung von mir, P.T.). 145  Vgl. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Teil 1: Einleitung, in: ders.: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Bd. 6, hg. von Pierre Garniron und Walter Jaeschke, Hamburg 1994, 41. 146  Josef Simon: „Intersubjektivität bei Kant und Hegel?“, in: Hegels Theorie des subjektiven Geistes in der ‚Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse‘, hg. v. Lothar Eley, Stuttgart-Bad Cannstatt 1990, 313 – 338; vgl. dazu: Wolfgang Hübener: „Der dreifache Tod des modernen Subjekts“, in: Die Frage nach dem Subjekt, hg. v. Manfred Frank/Gérard Raulet/Willem van Reijen, Frankfurt a. M. 1988, 101 – 127.

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für Fichte kein Effekt der Sprache, nicht die Summe sozialer Ereignisse147, kein spezielles Areal im menschlichen Gehirn oder ein Konstrukt desselben148, sondern das Ich ist das Sich des lebendigen Bildens oder ein „Bild des Lebens“, wie es in der WL 1804-I heißt149. Wurde zuvor das Fichtesche Programm der WL als ein „Sehen“ bezeichnet, das „ein sich sehendes Auge“ sei, so kann jetzt präzisiert werden: „Durch das Ich werde ihm erst ein Auge eingesezt“150. Das Ich oder Sich folgt aus der Verdopplung, es folgt – logisch, nicht zeitlich – aus dem Als, denn indem das Bilden ein Bild von sich setzt, bezieht es sich auf sich selbst. Also vermittelt durch die Differenz – dem fixierten Bild im Gegensatz zum lebendigen Bilden – kann es sich auf sich selbst beziehen. Und es ist dieses Sich, die Selbstbezüglichkeit des Bildens, was das Ich der späten WL ist. In der Transscendentalen Logik II von 1812 heißt es entsprechend: „Es ist die Hauptsache[,] ein Ich an sich wegzubringen: u. das Ich späterhin im Bild­ wesen, u. aus der sich Bildung jenes einfachen Princips zu erklären: es entstehen zu lassen im Wissen selbst, nicht außerhalb desselben, worauf eben alles ankommt.“151

Subjektivität steht in Fichtes Spätphilosophie in einem Zusammenhang zwischen lebendiger Einheit, Differenz und dem Selbstbezug des Wissens und ist nur aus diesem Zusammenhang heraus zu begreifen. Indem Fichte in den Jahren 1804/05 vom reinen Bilden im Sinne der absoluten Beziehung ausgeht, entwickelt er einen eigenen dialektischen Ansatz, in dem der absolute Begriff im Zentrum steht und das Ich nur noch ein Moment in der Selbstbewegung des Begriffs ist. Das Ich ist aber nicht nur die reine Beziehung des Wissens auf sich selbst, als Ausdruck einer einfachen Reflexivität, sondern es bezieht sich auf sich selbst, weil es sich als Wissen versteht. Es ist dieser Zusammenhang von Selbstbezug und Verstehen, der das eigentliche Wesen des Ich der späten WL und das dritte Moment von Fichtes absolutem Begriff ausmacht: Es ist das reflexive Sich, das zusammen mit dem syn147  Vgl. Valentin N. Vološinov: Marxismus und Sprachphilosophie. Grundlegende Probleme in der Sprachwissenschaft, hg. und eingel. von Samuel M. Weber, Frankfurt a. M. 1975. 148  Vgl. Gerhard Roth: Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen, Frankfurt a. M. 42000, 328 – 331. 149  WL 1804-I – GA II/7, 211 – 214. 150 Fichte: [Diarium II] den 18. August. In den Ferien, in: GA II/16, 209. In der Wissenschaftslehre nova methodo heißt es zum Verhältnis von Ich und Auge: „Das Ich der bisherigen Philosophien ist ein Spiegel, nun aber sieht der Spiegel nicht, darum wird bei ihnen das Anschauen, das Sehen nicht erklärt, es wird bei ihnen nur der Begriff des Abspiegelns gesezt. […] Das Ich der WißenschaftsLehre ist kein Spiegel, es ist ein Auge. […] Wer das Ich nicht kennt[,] weiß auch nicht[,] was ein Auge ist. In der gewöhnlichen Ansicht soll das Auge nicht [sich] sehen, [sondern nur] etwas[;] doch das Auge ist ein sich selbst abspiegelnder Spiegel, das Wesen des Auges ist: ein Bild für sich sein, und ein Bild für sich sein ist das Wesen der Intelligenz“ (Fichte: Wissenschaftslehre nova methodo [Nachschrift Krause] (1798/99), in: GA IV/3, 365 f.). 151  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 28 – GA II/14, 212, Kursivierung von mir, P.T.

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thetischen Durch und dem trennenden Als die drei Hauptmomente seiner Theorie der Bildlichkeit und damit seiner Theorie des Wissens ausmacht – das Bilden, der Begriff des Bildens und das Verstehen des Begriffs des Bildens. Das Ziel der Wissenschaftslehre besteht aber nicht einfach nur im unmittelbaren Verstehen, sondern im Verstehen des Verstehens, d.h. im Verstehen der Erscheinung als Erscheinung. Die späte WL ist somit ein sich auf sich selbst beziehendes und sich selbst verstehendes Denken, ein Wissen des Wissens und das Sehen des sich sehenden Auges. Es geht Fichte nicht um die reine Selbstbezüglichkeit und damit um die einfache Reflexion, sondern um die in sich reflektierte Reflexion. Aus diesem Grunde ist die Behauptung unrichtig, „daß die W.L. in der Subjektivität, u. auf einem ReflektirPunkte stehe“, wie Fichte in der Erlanger Version von 1805 festhält152. In der Spätphilosophie kommt die Reflexion insofern zu ihrem Recht, als sie auf ihr Eigentliches zurückgeführt wird. Indem sich die Reflexion in ihrer Reflexivität durchdringt, wird klar, daß sie einerseits ein notwendiges Moment im Wissensvollzug und andererseits nicht der höchste Punkt des Wissens ist. Die Reflexion, die sich selbst als Reflexion begreift, ist dann aber auch keine einfache Reflexion mehr, sondern bereits Spekulation. Die späte WL ab 1804 ist aus diesem Grunde keine Reflexionsphilosophie, sondern eine vollständig sich einholende und in allen Momenten sich auf sich selbst beziehende Vernunftwissenschaft. Subjektivität ist beim späten Fichte somit nicht einfach nur die Lehre vom Ich, sondern als Verstehen des Verstehens ist sie die Einsicht in die Gesetzmäßigkeit des Bildens. Das absolute Gesetz bestimmt die Form des Bildens und ist das Prinzip der Dialektik. So wie das Bilden sich auf sich selbst bezieht, weil es ein Verstehen ist und dieses auf gesetzmäßige Weise erfolgt, so wiederholt sich dies auf der Ebene der WL als Verstehen des Verstehens, nur mit dem Unterschied, daß es um die Gesetzmäßigkeit des Bildens weiß. Hinsichtlich des Sich und des Verstehens kommt es ab 1812 zu einer Vertiefung des Ansatzes der WL. Fichte entwickelt zwar keine vollkommen neue Theorie, aber er vertieft seine Überlegungen zum dritten Moment der Bildlichkeit – dem Sich-Verstehen. Im Unterschied zu 1804/05 stellt Fichte nicht mehr die reine Beziehung überhaupt, sondern die Beziehung auf sich selbst ins Zentrum, wodurch es ihm gelingt, sowohl das Wesen des Ich als Sich-Verstehen zu vertiefen, als auch die Logizität der absoluten Erscheinung überhaupt herauszuarbeiten. Geht es 1804/05 vor allem um das Bilden, so steht 1812 das Sich des Bildens im Fokus. Die Weiterentwicklung besteht vor allem in der Beantwortung der Frage, was es überhaupt heißt, daß sich die Erscheinung als Erscheinung verstehen kann, d.h. was das Sich-Verstehen als Erscheinung überhaupt ist. Fichte wird im Zuge dessen seinen Begriff des Begriffs noch einmal modifizieren; er arbeitet heraus, daß das Sich-Verstehen des Bildens in seiner Gesetzmäßigkeit zugleich auch ein Schließen ist und das Ich in Wahrheit ein schließendes Ich ist. Auf dieser Höhe der Selbstdurchdringung des Wissens erweisen sich die drei beschriebenen Momente des 152 

WL 1805 – GA II/9, 183.

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§ 1 Einleitung

Fichteschen Begriff des Begriffs – Bilden, Begriff des Bildens und Sich-Verstehen des Begriffs des Bildens – als Voraussetzung für eine spekulative Begriffs-, ­Urteils- und Schlußlehre. Der späte Fichte von 1812 wird den Zusammenhang von Subjektivität und Logik aufzeigen und auf diesem Wege eine eigenständige Form der Verschmelzung von Logik und Vernunftwissenschaft vollziehen – eine Idee, die so noch nicht von Kant angestrebt wurde und eine starke Ähnlichkeit zum ­Hegelschen Projekt aufweist. Nachdem das methodische Vorgehen erörtert, die historisch-systematische Einordnungen diskutiert und der programmatische Horizont der Arbeit kurz angerissen wurde, wird im folgenden dargelegt, wie Fichte an Kant und Reinhold angeknüpft, wie er seinen ursprünglichen Ansatz konzipiert und wie er diesen in den Jahren 1794/95 realisiert hat.

Teil 1

Vom transzendentalen Subjektivismus zur transzendentalphilosophischen Totalitätswissenschaft Teil 1: Vom transzendentalen Subjektivismus zur Totalitätswissenschaft

§ 2  Die Theorie der fundamentalen Handlungen des menschlichen Geistesin den Jahren 1794/95 In diesem Kapitel geht es darum, zum einen die Ursprünge der WL freizulegen und zum anderen Fichtes ersten Versuch eines Systems der Vernunft einer kritischen Analyse zu unterziehen. Im ersten Schritt wird das ursprüngliche, systematische Interesse Fichtes im Ausgang von Kant und Reinhold rekonstruiert (§ 2, I.), im zweiten Schritt wird gezeigt, welches Programm Fichte daraus entwickelt hat (§ 2, II.) und schließlich welche Probleme in der Durchführung der ersten WL zu finden sind (§ 2, III.). In allen drei Unterkapiteln wird vom Standpunkt des Spätwerks ausgegangen, mit dem Ziel, durch einige Vor- und Rückblicke Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der frühen und der späten WL sichtbar zu machen. Die frühe WL stand noch ganz unter der Zielvorgabe einer Systematisierung der Kantischen Transzendentalphilosophie aus einem Prinzip heraus, d.h. der Schlüssel zum Verständnis des Projekts des frühen Fichte ist die Idee einer Verbindung des transzendentalen Gedankens von Immanuel Kant (1724 – 1804) mit der Grundsatzphilosophie Karl Leonhard Reinholds (1758 – 1823). Kant hat in den Jahren 1781 bis 1790 – den drei Vermögen der Vernunft entsprechend – die drei Grundlagenwerke der Transzendentalphilosophie verfaßt, die unter den Titeln Kritik der reinen Vernunft (1781/1787), Kritik der praktischen Vernunft (1788) und Kritik der Urteilskraft (1790) erschienen sind. Was nach der Einschätzung vieler Philosophen seiner Zeit jedoch fehlte, war das einigende Prinzip und die vollständige Ableitung in einer systematischen Form. Besonders deutlich wird dies in einem Brief des 19jährigen Schelling an Hegel vom 6. Januar 1795: „Die Philos[ophie] ist noch nicht am Ende. Kant hat die Resultate gegeben: die Prämißen fehlen noch. Und wer kann Resultate verstehen, ohne Prämißen?“1 Daß es sich hierbei nicht um einen von außen herangetragenen Anspruch an Kant, sondern um ein genuin Kantisches Anliegen handelt, geht aus zahlreichen 1  Schelling: „Brief an G.W.F. Hegel vom 6. Januar 1795“, in: ders.: Historisch-Kritische Ausgabe, im Auftrag der Schelling-Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hg. v. Hans Michael Baumgarten, Wilhelm G. Jacobs, Jörg Jantzen und Hermann Krings, Bd. III/1, Stuttgart 1976 ff, 15 – 17, hier: 16, abgekürzt: SHKA.

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Teil 1: Vom transzendentalen Subjektivismus zur Totalitätswissenschaft

Äußerungen der Kritik der reinen Vernunft hervor: Auch wenn derselbe Kant genau dieses Systematisierungsbedürfnis einige Jahre später in einer öffentlichen Stellungnahme gegen Fichte im Jahr 1799 vehement bestritten hat und behauptete, daß die drei Kritiken selbst das vollendete System seien2, so läßt sich aus diesen Werken eine ganz andere Schlußfolgerung ziehen. In der Kritik der reinen Vernunft heißt es, daß sie als „Traktat von der Methode“ oder „Idee einer Wissenschaft“ und somit „als die Propädeutik zum System der reinen Vernunft anzusehen“ ist3. Daß Kant zwischen der Kritik als Propädeutik und einem vollständigen, noch zu entfaltenden System der Vernunft unterscheidet, geht ebenso aus weiteren zahlreichen Stellen der Kritik der reinen Vernunft hervor4. Im folgenden sollen diejenigen Aspekte der Kritik der reinen Vernunft genannt werden, die aus Fichtescher Perspektive – sowohl vom Standpunkt der frühen als auch der späten WL – kritikwürdig waren und die er in seinem Sinne produktiv weiterentwickelte. Daß viele entscheidende Theorieelemente aus Kantischer Sicht anders konzipiert waren und von ihm anders verstanden werden sollten, darüber ist sich Fichte im klaren. So macht Fichte in der Transscendentalen Logik II von 1812 deutlich, daß er in vielen Punkten über Kant hinausgeht. Darin heißt es: Es „[i]st nun ohne Zweifel ganz etwas andres, denn das von K[an]t gesagte, er hat es wohl auch nicht gewusst“5. Für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit ist es wichtig zu sehen, an welchen Punkten genau, auch aus der Retrospektive, Fichte angesetzt hat.

I.  Fichtes Anknüpfung an Kant und Reinhold Doch in welcher Form hat Fichte an Kants Philosophie angeknüpft und wie hat er diese mit Reinholds Idee eines Grundsatzes verbunden? Welche systematischen Schwierigkeiten sah Fichte im einzelnen, die eine Weiterentwicklung des Kantischen Ansatzes überhaupt notwendig machten? (1) Der erste, wichtigste und auch entscheidende Punkt ist die Anknüpfung an Kants Lehre vom Ich, wie diese in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft von 1787 entfaltet wird6. Noch im Spätwerk, und hier nicht zuletzt in der Transscendentalen Logik II, macht Fichte auf dieses entscheidende Gelenkstück sowohl hinsichtlich der Verbundenheit mit Kant als auch hinsichtlich der Unterschiedenheit von ihm aufmerksam. Die Lehre vom Ich – oder wie es bei Kant 2  Vgl. Immanuel Kant: „Erklärung in Beziehung auf Fichtes Wissenschaftslehre vom 7. August 1799“, in: AA XII, 370 f. 3  Kant: KrV, B XXII, B 25 und B 27, in: AA III, 14, 43 und 44. 4  Vgl. Kant: KrV, B XXII, B 25 ff., B 673 – 676, B 841, B 860 f., B 868 f., in: AA III, 14, 43 f., 428 ff., 527 f., 538 f., 543 f. 5  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 69 – GA II/14, 244. 6  Vgl. dazu besonders Peter Baumanns: Kants Philosophie der Erkenntnis. Durchgehender Kommentar zu den Hauptkapiteln der ‚Kritik der reinen Vernunft‘, Würzburg 1997, 390 – 522; Otfried Höffe: Kants Kritik der reinen Vernunft. Die Grundlegung der modernen Philosophie, München 2011, besonders: 137 – 142.

§ 2  Die Theorie der fundamentalen Handlungen des menschlichen Geistes

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richtiger heißt: die Lehre von der Apperzeption – steht nicht am Anfang seiner Philosophie, wie beim frühen Fichte, aber sie ist auch nicht irgend ein nebensächliches Theorieelement, sondern sie ist „der höchste Punkt“ der Transzendentalphilosophie7. Der Begriff „Selbstbewußtsein“ – von dem hier die Rede ist – wird erstmalig von Kant in die deutschsprachige Philosophie eingeführt und er macht diesen zugleich „zum zentralen Begriff seiner Erkenntnislehre“8. Im Unterschied zu Kant spricht Fichte nicht von der „synthetische[n] Einheit der Apperception“9, sondern von der analytischen Einheit als höchstem Punkt. Die Auffassungen könnten in dieser Frage nicht gegensätzlicher sein, so heißt es bei Kant: „[…] nur vermöge einer vorausgedachten möglichen synthetischen Einheit kann ich mir die analytische vorstellen“10. Wohingegen bei Fichte „die synthetische Einheit der Apperception bloß Nachbild der analytischen“ ist, d.h. Fichte kehrt das Verhältnis beider vollständig um11. Die grundsätzliche Differenz in dieser Frage ist nicht nur in einer unterschied­ lichen Auffassung hinsichtlich des sachlich-logischen Primats von Einheit und Synthesis und des Verhältnisses beider begründet, sondern ihr liegen tiefere konzeptionelle und den Grundansatz betreffende Fragen zugrunde, die sich sowohl in der Bedingtheit des „Ich denke“ durch ein Objektbewußtsein als auch im Verständnis der Apperzeption als einer formalen im Unterschied zu einer materialen Einheit – von der eben Fichte ausgeht – zeigen. Im Detail geht es um folgendes: Alles Mannigfaltige kommt, laut Kant, nur durch die Sinne in uns, einzig die Verbindung des Mannigfaltigen zu einer Einheit bzw. einem einheitlichen Objekt kann durch das Subjekt selbst erfolgen. Die Verbindung oder Synthesis ist somit ein nicht durch die Rezeptivität in der Anschauung Gegebenes, sondern „eine Verstandeshandlung“ bzw. „ein Actus der Spontaneität der Vorstellungskraft“12. Hinsichtlich des Verhältnisses von Synthesis und Einheit hält Kant fest: 7 

Kant: KrV, B 134 Anm., in: AA III, 109. Jaeschke: Art. „Selbstbewußtsein II“, in: HWPh 9 (1996) Sp. 352 – 371, hier:

8  Walter

357.

9 

Kant: KrV, B 132, in: AA III, 108. Kant: KrV, B 134 Anm., in: AA III, 109. 11  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 69 – GA II/14, 245. Fichte reformuliert in der TL II 1812 noch einmal die Differenzen zwischen Kant und ihm, die für seinen frühen und späten Ansatz entscheidend sind. Vgl. auch Konrad Cramer: „Kants ‚Ich denke‘ und Fichtes ‚Ich bin‘“, in: Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus 1 (2003) 57 – 92. Cramer rekonstruiert für die WL 1794 sehr präzise die Differenzen zwischen den beiden Ich-Konzeptionen. Cramer führt aus einer Kant-kritischen Perspektive zahlreiche Gründe für Fichtes Weiterführung an, v.a. daß das Ich eben mehr als eine formale Einheit ist. Vgl. auch: Reinhard Lauth: „Kants Kritik der reinen Vernunft und Fichtes ursprüngliche Einsicht“, in: ders.: Transzendentale Entwicklungslinien von Descartes bis zu Marx und Dostojewski, Hamburg 1989, 140 – 154. 12  Kant: KrV, B 130, in: AA III, 107. 10 

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„Verbindung ist Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen. Die Vorstellung dieser Einheit kann also nicht aus der Verbindung entstehen, sie macht vielmehr dadurch […] den Begriff der Verbindung allererst möglich“13.

Diese Einheit ist der „Quell aller Verbindung“14 und von dem Verstandesbegriff Einheit zu unterscheiden. Kant nennt diese die „ursprünglich-synthetische Einheit der Apperception“ oder „reines Selbstbewußtsein“15. Das reine Selbstbewußtsein, genauer: die transzendentale Einheit des Selbstbewußtseins ist das „Ich denke“, das „alle meine Vorstellungen begleiten können“ muß16. Kant sagt nicht, daß jede Vorstellung schon aktual mit dem Bewußtsein von dieser Vorstellung notwendig begleitet wird – also jede Perzeption notwendig mit Apperzeption verbunden ist –, sondern „daß ich eine [Vorstellung] zu der anderen hinzusetzen [kann] und mir der Synthesis derselben bewußt bin“17. Ohne das reine Selbstbewußtsein als formale Einheit ist keine Verbindung möglich, weshalb die ursprünglich-synthetische Einheit auch die objektive Bedingung aller Erkenntnis ist. Objektive Wahrheiten – und in diesem Punkt sind sich der frühe Fichte und Kant einig – sind von selbstbezüglicher Subjektivität bzw. Reflexivität abhängig18. Die Fragestellung Kants ist aber – und hier trennen sich die Wege –, die „Art [zu erklären], wie sich Begriffe a priori [die Kategorien bzw. die reinen Verstandes­ begriffe] auf Gegenstände beziehen können“19. Es geht nicht darum, die zwölf Verstandeskategorien aus dem Ich abzuleiten, wie die Überschrift des Abschnitts „Von der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe“ in der Kritik der reinen Vernunft vermuten läßt, sondern es geht um die Klärung des Verhältnisses zwischen der Anwendung der Kategorien und der Kontinuität im Verstehensvollzug. Die Kategorien sind die Regeln des Verstandes bzw. Vollzugsformen, das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung zu synthetisieren. „Der Verstand ist selbst nichts weiter, als das Vermögen, a priori zu verbinden und […] unter die Einheit der Appercep­tion zu bringen, welcher Grundsatz der oberste im ganzen menschlichen Erkenntnis ist.“20 Die Synthesis oder das Verbinden des Verstandes ist nichts anderes, „als die Einheit der Handlung“21. Das „Ich denke“ ist zum einen Ausdruck der Kontinuität im Verstehensvollzug bei den wechselnden Vorstellungen und zum anderen der Garant für die Einheit und Identität von Bewußtsein und Gegenstand. So wie das Bewußtsein durch die Apperzeption eine Einheit ist, indem das Mannigfaltige zu einer Einheit verbunden wird, wird diese Einheit in der Einheit des empirischen 13 

Kant: KrV, B 130 f., in: AA III, 108. Kant: KrV, B 154, in: AA III, 121. 15  Kant: KrV, B 132, in: AA III, 108. 16  Kant: KrV, B 131, in: AA III, 108. 17  Kant: KrV, B 133, in: AA III, 109. 18  Vgl. Kant: KrV, B 137, in: AA III, 111. 19  Kant: KrV, B 117, in: AA III, 100. 20  Kant: KrV, B 135, in: AA III, 110. 21  Kant: KrV, B 153, in: AA III, 121. 14 

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Gegenstandes abgebildet, d.h. von der Einheit eines Gegenstandes kann erst aufgrund der Einheit des Bewußtseins gesprochen werden. Entscheidend ist an dieser Stelle, daß Kant in erster Linie nach den Bedingungen der Anwendung der Kategorien fragt und es aus diesem Grund zu einem Primat der Synthesis kommt. Kant schlußfolgert nämlich weiter, „nur dadurch, daß ich ein Mannigfaltiges gegebener Vorstellungen in einem Bewußtsein verbinden kann, ist es möglich, daß ich mir die Identität des Bewußtseins in diesen Vorstellungen selbst vorstelle, d.i. die analytische Einheit der Apperception ist nur unter der Bedingung irgend einer synthetischen möglich“22.

Die synthetische Einheit ist der Grund für die Identität der Apperzeption, d.h. ohne die Synthesis kann die Identität des Selbstbewußtseins nicht gedacht werden. Genau an dieser Stelle entsteht aber eine Spannung in der Bestimmung des Verhältnisses von Synthesis und Einheit. Behauptete Kant zuvor, daß die Einheit nicht aus der Verbindung folgt, sondern umgekehrt die Vorstellung der Einheit die Verbindung überhaupt erst ermöglicht, so wird in der eben zitierten Passage der Eindruck erweckt, daß doch die Synthesis zur Einheit führt: Einerseits ist das „Ich denke“ die Einheit, die jede Form von Synthesis überhaupt ermöglicht, andererseits kann das Ich sich immer nur auf sich selbst beziehen, wenn Mannigfaltiges bereits verbunden wurde. Der Primat der synthetischen gegenüber der analytischen Einheit ist aus Kantischer Perspektive und von seinem Ansatz her verständlich. Das „Ich denke“ ist für ihn eine rein formale Einheit; es ist das einigende Band in der durch die Kategorien erfolgenden Synthesis, was aber selbst nicht noch einmal näher bestimmt werden kann, d.h. „ich habe also demnach keine Erkenntnis von mir wie ich bin, sondern bloß wie ich mir selbst erscheine“23. Bei Kant kann von Erkenntnis nur gesprochen werden, wenn sinnliche Anschauung und kategorial-verstandesmäßiges Denken verbunden werden, genau das ist beim Ich aber nicht möglich. Eine begrifflich-­ anschauliche Selbsterkenntnis oder intellektuelle Anschauung ist vom Kantischen Ansatz her ausgeschlossen. Ich bin mir, heißt es bei Kant, „meiner selbst in der transzendentalen Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellung überhaupt […] bewußt, nicht wie ich mir erscheine, noch wie ich an mir selbst bin, sondern nur daß ich bin. Diese Vorstellung ist ein Denken, nicht ein Anschauen“24.

Vom Kantischen Standpunkt aus kann vom Ich nicht mehr gesagt werden, als daß es ein formales Prinzip ist, das sich immer nur in der kategorialen Synthesis aktualisiert und sich erst in der Synthesis des Mannigfaltigen auf sich selbst beziehen kann. Aus Kantischer Perspektive scheint es sich eher um eine „Gleich­ ursprünglichkeit“ von Einheit und Synthesis zu handeln, aus Fichtescher Perspektive ist das Verhältnis zwischen Einheit und Synthesis aber weniger überzeugend

22 

Kant: KrV, B 133, in: AA III, 109. Kant: KrV, B 158, in: AA III, 123. 24  Kant: KrV, B 157, in: AA III, 123. 23 

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gelöst25. Daß das Ich sich nur vermittels und über den Umweg seiner synthetischen Leistungen auf sich selbst beziehen kann, ist von Fichtes Standpunkt aus nicht plausibel26. Fichte wird daraus die Konsequenz ziehen, daß das Ich, insofern es sich auf sich selbst beziehen kann, eine unbedingte, sich selbst erzeugende Einheit sein muß. Bei Fichte ist die Synthesis ein Moment der Einheit, und es ist die Einheit, bei der auch der logische Primat liegt: „Es ist aber von ihr [der synthetischen Einheit Kants] uns wenigstens klar, daß sie nicht eine Einheit schaf[f]t: sondern nur eine nachbildet, die schon ist“27. Die grundsätzliche Differenz zwischen Kant und Fichte besteht darin, daß sich nach Fichte der „Quell aller Verbindung“28 sehr wohl inhaltlich bestimmen läßt, daß das Ich mehr als ein formales Prinzip ist und daß das tiefere Problem hinsichtlich des Verhältnisses von Synthesis und Einheit in der Beziehung von Kategorien und Selbstbewußtsein im Kantischen Ansatz begründet ist. Die Unterscheidung von synthetischer und analytischer Einheit hat ihren Ursprung darin, daß Kant Selbstbewußtsein und Kategorien im Kern äußerlich zueinander in Beziehung setzt. Kant versteht die Kategorien nicht als Momente der Selbst­entfaltung des Ich, sondern er findet diese Kategorien vor, genauer: er gewinnt sie über den Umweg der Urteilstafeln und fragt, durch welches höhere Einheitsprinzip diese „fundamentalen Vollzugsformen“29 verbunden sind. Wenn O ­ tfried Höffe festhält, daß die Aufgabe des Apperzeptionskapitels in dem Nachweis besteht, „daß der Ursprung aller Einheitsstiftung im transzendentalen Selbstbewußtsein liegt, das zu seiner Bestimmtheit die Kategorien gebraucht“30, dann zeigt sich darin, daß Kategorien und „Ich denke“ einander zwar nicht absolut entgegengesetzt, sondern durcheinander bedingt sind, daß aber diese Bezie25  Wilhelm Metz spricht – wohl mehr im Sinne Kants – von einer „Gleichursprünglichkeit“ von Einheit und Synthesis, beide „ermöglichen sich gegenseitig“ (ders.: Kategoriendeduktion und produktive Einbildungskraft in der theoretischen Philosophie Kants und Fichtes, Stuttgart-Bad Cannstatt 1991, 13 – 198, hier: 65). Fichte teilt aber diese Auffassung Kants nicht. 26  Vgl. Transscendentale Logik II (1812) – StA, 69 – GA II/14, 244: „Kant [sagt, die Apperception sei eine] – synthetische Einheit: durch Verbindung eines Mannigfaltigen: eben des[selben] – zum α. also auch Produkt einer solchen Synthesis, ein genetisches –. Wie habe ich sie soeben beschrieben? offenbar als eine analytische Einheit. α) sie ist[,] wird nicht. β. sie wird nicht gesehen durch das mannigfaltige hindurch, sondern dieses durch sie hindurch: sie entsteht nicht durch Verbindung des Mannigfaltigen, sondern das mannigfaltige entsteht durch die Zerstreuung, Verbreitung u. Zertheilung des Einen über ein Mannigfaltiges durch die Form eines Werdens“. 27  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 69 – GA II/14, 245. 28  Kant: KrV, B 154, in: AA III, 121. 29  Thomas Sören Hoffmann: „Kants transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe – ein Buch mit sieben Siegeln?“, in: Die Aktualität der Philosophie Kants. Bochumer Ringvorlesung 2004, hg. v. Kirsten Schmidt, u.a., Amsterdam/Philadelphia 2005, 58 – 78, hier: 70. 30  Otfried Höffe: Immanuel Kant, München 62004, 96.

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hung letztlich äußerlich vermittelt ist. Zum einen ist die Einheit des Bewußtseins überhaupt die Grundlage für alle Synthesisleistungen und zum anderen bedarf die konkrete Synthesis des Verstandes der Kategorien als Regeln. Nach Kants eigenen Äußerungen kann hinter die unmittelbare Tatsache, „daß ich bin“, nicht weiter zurückgegangen werden31. Mit anderen Worten: Das faktische Daß hinsichtlich der Gegebenheit der Kategorien und des Ich spiegelt sich auch im Verhältnis beider zueinander wider: Es kommt nicht zu einem genetischen Wie und es ist auch vom Kantischen Standpunkt nicht ersichtlich, wie es zu einem solchen in sich vermittelten Verhältnis kommen soll. Fichte löst dieses Problem, indem er die Kategorien als Momente der dialektischen Sich-Entfaltung des Ich versteht und beantwortet damit zugleich die Frage, wie sich Kategorien und die transzendentale Einheit des Selbstbewußtseins zueinander verhalten. Allein schon deshalb kann das Ich kein rein formales, sondern muß ein materiales Einheitsprinzip sein. In einem Schlag löst er damit aber zugleich ein weiteres Problem – die Frage nach der Vollständigkeit der Kategorien. Kant kann keinen Grund angeben, warum der Verstand „nur vermittelst der Kategorien und nur gerade durch diese Art und Zahl“ verbinden kann, ebenso unerklärlich bleibt, „warum Zeit und Raum die einzigen Formen unserer möglichen Anschauung sind“32. Kant kann also selbst keine faktische oder genetische Gewißheit für die Vollständigkeit der menschlichen Erkenntnisart liefern, was den Charakter der Notwendigkeit derselben einschränkt und die Gefahr der Zufälligkeit nicht bannt. Indem Fichte die Kategorien aus dem Ich selbst entwickelt, liefert er nicht nur eine systematische Ableitung im Unterschied zum bloßen Auffinden, sondern zugleich den Garanten für die Vollständigkeit, denn in der gesamten Darstellung des sich aus sich selbst entwickelnden Ich werden – so zumindest der Anspruch – alle kategorialen Beziehungen sichtbar. Auf diese Weise kann dann auch ein weiteres Problem gelöst werden: die Bedingtheit durch das Objektbewußtsein in Kants Konzeption. Das Selbstbewußtsein gibt es „erst zusammen mit der Aktualisierung von konkretem Objekt­ bewußtsein“, d.h. das Selbstbewußtsein ist bei Kant an das Objektbewußtsein gebunden und umgekehrt33. Vom Kantischen Ansatz her ist dies unproblematisch, da es nicht anders als durch ein konkretes und bestimmtes Bewußtsein erscheinen kann, vom Fichteschen Standpunkt stellt sich aber die Frage nach der Selbständigkeit des reinen Selbstbewußtseins als Einheitsprinzip und Quell aller Verbindung und Erkenntnis. (2) Die Frage nach der Unbedingtheit ist auch die entscheidende Trennungslinie zwischen Reinhold und Fichte. Fichte knüpft mit seiner WL an Kants Apperzeptionslehre an und folgt damit nicht Reinhold, der bei der Vorstellung ansetzt. 31 

Kant: KrV, B 157, in: AA III, 123, Hervorhebung von mir, P.T. Kant: KrV, B 145 f., in: AA III, 116. 33  Thomas Sören Hoffmann: „Kants transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe“, 65. 32 

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Reinhold wird an dieser Stelle deshalb erwähnt, um deutlich zu machen, daß sich Fichte zwar von der Idee eines Grundsatzes leiten läßt, aber in entscheidenden Punkten von ihm unterscheidet. Da Kant von Erkenntnis immer nur in bezug auf konkrete Erfahrungen spricht, glaubt Reinhold durch die Unterscheidung von Erkenntnis und Vorstellung die oben genannten Probleme umgehen zu können. Die Vorstellung soll nach Reinhold die Grundlage für die Erkenntnis sein, da die Vorstellung etwas rein Intelligibles ist und daher unabhängig von einem bestimmten, empirischen Objekt thematisiert und aus sich selbst heraus verstanden und entfaltet werden kann. Die Elementarphilosophie von 179134, wie Reinhold seinen Systematisierungsversuch genannt hat, ist daher die „Wissenschaft des gesammten Vorstellungsvermögens als eines solchen“35; erst dadurch soll die Philosophie zur Wissenschaft erhoben werden können. Der erste, allgemeingültige Grundsatz wird bei Reinhold durch den Satz vom Bewußtsein ausgedrückt: „Die Vorstellung ist dasjenige, was im Bewußtseyn durch das Subjekt vom Objekte und Subjekte unterschieden, und auf beyde bezogen wird.“36

Der Begriff der Vorstellung sei „unmittelbar [durch bloße Reflexion] aus dem Bewußtseyn geschöpft“, und als einfache „Thatsache des Bewußtseyns […] das Fundament der Elementarphilosophie“37. Diese Tatsache des Bewußtseins und seine Explikation seien durch keine Begründung näher zu erläutern, sie seien keine Definition, sondern überhaupt erst die Grundlage und Ermöglichung jeder bestimmten Definition und Erläuterung. Der allgemeine Grundsatz leuchte unmittelbar durch sich selber ein, d.h., es sei ein einfacher, evidenter, durch sich selbst bestimmter, apodiktisch gewisser und zu keiner Zergliederung fähiger Grundsatz. Der Begriff der Vorstellung gehe daher dem Bewußtsein voraus und bilde dessen Grundlage38. Doch dieser hohe, programmatische Anspruch Reinholds erweist sich in der Durchführung als gar nicht so unbedingt, wie es den Anschein hat: Es war vor allem die Abhandlung Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn 34  Karl Leonhard Reinhold: Ueber das Fundament des philosophischen Wissens (1791), mit einer Einleitung hg. v. Wolfgang H. Schrader, Hamburg 1978, 70 f. und 77 f., im folgenden abgekürzt: Fundament. 35  Fundament, 71. 36  Fundament, 81. 37  Fundament, 78. 38  Vgl. dazu Günther Baum: „K.L. Reinholds Elementarphilosophie und die Idee des transzendentalen Idealismus“, in: Philosophie aus einem Prinzip – Karl Leonhard Reinhold. Sieben Beiträge nebst einem Briefekatalog aus Anlaß seines 150. Todestages, hg. v. Reinhard Lauth, Bonn 1974, 86 – 107; Reinhard Lauth: „Die Entstehung von Fichtes Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre nach den Eignen Meditationen über Elementarphilosophie“, in: ders.: Transzendentale Entwicklungslinien von Descartes bis zu Marx und Dostojewski, Hamburg 1989, 155 – 179; Jaeschke/Arndt: Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant, 38 – 47.

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Prof. Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie von Gottlob Ernst Schulze (1761 – 1833) aus dem Jahr 1792, der durch dieses Werk als Aenesidemus-Schulze in die Philosophiegeschichte einging, und durch den Fichte auf die Mängel der Elementarphilosophie, aber auch einige Schwierigkeiten der kritischen Transzendentalphilosophie aufmerksam gemacht wurde. Fichte wurde zwar durch Kants praktische Philosophie aus seinem dogmatisch-deterministischen Schlummer geweckt, aber es waren in erster Linie die Fragen und Probleme hinsichtlich der Sy­stematisierung der Kantischen Einsichten aus einem Prinzip heraus, die Fichte zum absoluten Ich führten39. Daß Fichte nicht von Reinholds Vorstellung, sondern von Kants Apperzeption ausgeht, ist darin begründet, daß Reinhold auf der Ebene der faktisch vorhandenen Subjekt-Objekt-Spaltung des Bewußtseins ansetzt. Das Problem ist nicht nur, daß die unmittelbare, vorgefundene und scheinbar nicht weiter erklärungsfähige Differenz zwischen Subjekt und Objekt als Ausgangspunkt gewählt wird, d.h. es wird durch den Grundsatz nicht erklärt, wie es zu dieser Unterscheidung kommt, sondern daß aus dem Grundsatz selbst ersichtlich wird, daß dieser nicht das höchste Prinzip sein kann: Es ist nicht nur von Subjekt und Objekt die Rede, sondern beide werden voneinander unterschieden und aufeinander bezogen. Der Satz des Bewußtseins erklärt aber nicht, wie sich Subjekt und Objekt aufeinander beziehen, sondern nur daß sie es tun. Damit ist klar, daß Synthesis und Analysis, Beziehung und Unterscheidung bereits vorausgesetzt werden, d.h. dem unbedingten, die obersten Tatsachen ausdrückenden Grundsatz liegen fundamentalere Tathandlungen zugrunde, die diese Tatsachen überhaupt erst ermöglichen. Fichte stellt daher fest: „Das Vorstellen ist die höchste und absolut-erste Handlung des Philosophen, als solchen; die absolut erste Handlung des menschlichen Geistes könnte wohl eine andere seyn.“40 Dieses Zitat macht deutlich, daß Fichte Reinholds Konzept der Vorstellung nicht vollständig verwirft, ihr aber in seiner WL einen neuen systematischen Ort einräumt. In der Begriffsschrift von 1794 macht Fichte deutlich, daß es einen Unterschied macht, wie ich mir einen Gegenstand der Erkenntnis vergegenwärtige – also in Form der Vorstellung – und was dieser Gegenstand an sich ist. Alles, was die WL behandle, kann nur „in Form der Vorstellung […] zum Bewußtseyn gelangen […]; daraus aber folgt gar nicht, daß alles, worüber reflektirt wird, auch nur ein Vorstellen seyn werde. In der Wissen39  Vgl. Fichte: Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie, als Einladungsschrift zu seinen Vorlesungen über diese Wissenschaft (1794), in: GA I/2, 112, im folgenden abgekürzt: BWL 1794 – GA I/2. Das entsprechende Werk wurde von Gottlob Ernst Schulze anonym, ohne Angabe des Ortes und des Verlages im Jahr 1792 unter dem vollständigen Titel Aenesidemus, oder über die Fundamente der von dem Herrn Prof. Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie. Nebst einer Vertheidigung des Skepticismus gegen die Anmaaßungen der Vernunftkritik veröffentlicht. Dieses Werk wurde dann von Fichte rezensiert (vgl. GA I/2, 31 – 68). 40  BWL 1794 – GA I/2, 149.

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schaftslehre wird das Ich vorgestellt; es folgt aber nicht, daß es bloß als vorstellend, bloß als Intelligenz, vorgestellt werde“41.

Daß Fichte die genetische Tathandlung als grundlegenderes Prinzip gegenüber der faktischen Tatsache auszeichnet, hat aber noch einen anderen Grund: Der Anspruch, ein System der Vernunft im Anschluß an Kant zu formulieren, ging davon aus, alle drei Kritiken aus einem Prinzip heraus zu erfassen, d.h. es ging nicht nur um das theoretische Vermögen, sondern auch um das praktische: Bei Reinholds Grundsatz ist aber nicht einmal ansatzweise erkennbar, wie ein Übergang zur Praxis – und damit ist hier der Wille gemeint42 – überhaupt möglich sein soll43. Der frühe Fichte wird aus den damit verbundenen Problemen die Konsequenz ziehen, daß er zwar die Idee eines obersten Grundsatzes übernimmt, aber eben nicht von der unmittelbar faktischen Differenz des Bewußtseins ausgeht, sondern von der unmittelbaren Einheit des absoluten Ich, dessen praktische Seite der reine Wille ist. Der späte Fichte wird noch einen Schritt weitergehen und nicht mehr von einem unmittelbaren Einheitsprinzip ausgehen, sondern ein Einheitsprinzip entfalten, das zugleich auch ein Differenzprinzip ist, d.h., er wird von einer in sich differenzierten Einheit ausgehen. (3) Die Verbindung von Kants Apperzeptionslehre mit Reinholds Idee eines unbedingten Grundsatzes in der Auseinandersetzung mit der Frage nach einem ersten Prinzip der Philosophie und den damit verbundenen Problemen war nicht das einzige Motiv, die Kantische Philosophie weiterzuentwickeln. Vom Standpunkt des frühen und des späten Fichte aus sind vor allem zwei weitere Aspekte zu nennen: Ebenso diffizil wie das Verhältnis von Selbstbewußtsein und Kategorien – das ja zunächst vor allem die Seite des Denkens betrifft – ist auch das grundsätzliche Verhältnis von Denken und Anschauung überhaupt. Durch die Lehre von der „Synthesis der Apprehension“ zeigt Kant zwar, daß nicht nur die empirische Erkenntnis, sondern bereits auch schon die Wahrnehmung durch die Kategorien bestimmt wird, dennoch spricht er hinsichtlich der Rezeptivität und Spontaneität von einer „gemeinschaftlichen, uns aber unbekannten Wurzel“44. Die Apprehensionslehre beinhaltet, daß auch diese Form der Synthesis die Einheit des Bewußtseins, d.h. 41 

BWL 1794 – GA I/2, 149. Vgl. Fichte: „Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 28. April 1795“, in: GA III/2, 314. Daß sich die Vorstellung auf das theoretische Vermögen des Menschen beschränkt, wird auch in Kants Definition des Begehrungsvermögens deutlich. Kant unterscheidet zwischen niederem und höherem Begehrungsvermögen, d.h. zwischen Willkür und Wollen. Entscheidet ist in diesem Zusammenhang, daß die Vorstellung allein noch nicht zur praktischen Realisierung führt, d.h. das Wollen nicht unter die theoretische Vorstellung subsumiert werden kann: „Das Begehrungsvermögen ist das Vermögen desselben, durch seine Vorstellungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstände dieser Vorstellung zu sein“ (Kant: Kritik der praktischen Vernunft, Riga 1788, A 16 Anm., in: AA V, 9). 43  Zur Kritik Fichtes an Reinhold vgl. auch: Jaeschke/Arndt: Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant, 52 f. 44  Kant: KrV, B 29, in: AA III, 45 f. 42 

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das reine Selbstbewußtsein „a priori als Bedingung der Synthesis aller Apprehension“ zur Voraussetzung hat45. „Diese synthetische Einheit“, so Kant, „kann keine andere sein, als die der Verbindung des Mannigfaltigen einer gegebenen Anschauung überhaupt in einem ursprünglichen Bewußtsein, den Kategorien gemäß, nur auf unsere sinnliche Anschauung angewandt“46. Das bedeutet, daß das Verhältnis von Anschauung und Denken bei Kant nicht völlig unbestimmt ist, sondern alle Synthesisformen unter den Kategorien stehen und es bei ihm, trotz aller wechselseitiger Bedingtheit von Begriff und Anschauung, einen logisch-kategorialen Primat des Denkens gibt, dennoch sieht sich Kant außerstande, beide Stämme der Erkenntnis aus einem Prinzip zu erklären – eine Aufgabe, die für Fichte von Anfang an leitend und auch in den späten Versionen der WL ab 1804 zu finden ist: Mit einem Schlag und „aus Einem Princip“ heraus sollen alle drei Vermögen der Vernunft und zugleich Sinnliches und Übersinnliches abgeleitet werden47. Neben der Frage des Zusammenspiels von Sinnlichkeit und Verstand, gibt es einen noch grundsätzlicheren Umstand, von dem Kant nicht abstrahieren konnte: „[D]aß das Mannigfaltige […] noch vor der Synthesis des Verstandes, und unabhängig von ihr, gegeben sein müsse; wie aber, bleibt hier unbestimmt“48. Es geht hier um die Fragen, wie es überhaupt zu bestimmten Inhalten von Vorstellungen kommen kann und wie das Verhältnis von Dingen an sich und Erscheinung zu verstehen ist. Der transzendentale Gedanke beinhaltet, daß es ohne die aktiven, erfahrungsunabhängigen Konstitutionsleistungen des transzendentalen Subjekts keine Objektivität überhaupt geben kann, daß man es ohne dieses Strukturprinzip nur mit einem unbestimmten Etwas zu tun hat, und daß ohne diese Form des Erkenntnisvollzugs keine Einheit und Bestimmtheit in der Welt vorhanden ist. Kants Unterscheidung zwischen Dingen an sich und Erscheinung beinhaltet nicht, daß es zwei Welten gibt, sondern nur, daß es unmöglich ist, von den „Dingen an sich selbst“ zu sprechen49. Die transzendentale Einsicht besteht darin, daß wir es immer nur mit Erscheinungen bzw. Vorstellungen zu tun haben. Ein unmittelbarer, ‚unverfälschter‘ Bezug zur Wirklichkeit ist nicht nur nicht möglich, sondern erst durch die konstitutiven Leistungen der Subjektivität kann erst von Objektivität überhaupt gesprochen werden. Bloße Vorstellungen „stehen […] unter gar keinem Gesetze der Verknüpfung, als demjenigen, welches das verknüpfende Vermögen [des Subjekts] vorschreibt“50. Trotzdem bleibt die Frage offen, wie der „Zusammenhang unsrer Erkenntniß mit einem Dinge an sich sey“51 zu verstehen ist, da „die Annahme von

45 

Kant: KrV, B 161, in: AA III, 125. Kant: KrV, B 161, in: AA III, 125. 47  WL 1804-II – StA, 19 f. und 28 f. – GA II/8, 26 – 32 und 44 ff. 48  Kant: KrV, B 145, in: AA III, 116. 49  Kant: KrV, B 164, in: AA III, 126 f. 50  Kant: KrV, B 164, in: AA III, 126 f. 51  BWL 1794 – GA I/2, 109 Anm. 46 

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uns kausal affizierenden Dingen an sich mit Kants eigener Theorie […] nicht zu vereinbaren“ ist52. Darüber hinaus birgt die Unterscheidung von Dingen an sich und Erscheinung zumindest die Gefahr des Subjektivismus. Kants Idee, daß die Konstitutionsleistungen der erkennenden Subjektivität die Bedingungen für Objektivität, objektive Erkenntnis und objektive Wirklichkeit sind, steht immer in der Gefahr, in das Gegenteil umzuschlagen, wenn angenommen wird, daß es etwas außerhalb der Erkenntnis gibt. Fichte wird versuchen, beides zusammenzubringen: die Idee, daß wir es immer nur mit Erscheinungen zu tun haben, und den Versuch, die Dinge an sich als ein Außerhalb der Erkenntnis aufzuheben, um so die Gefahr des Subjektivismus zu bannen. Im ersten Anlauf von 1794/95 wird der Versuch Fichtes, die Dinge an sich aufzuheben, nur eingeschränkt umgesetzt. Der unbegreifliche Anstoß, d.h. die Hemmung der Tätigkeit des Ich, wird die systematische Funktion der Dinge an sich übernehmen – auch deshalb ist die frühe WL als subjektivistischer Ansatz zu bezeichnen. Wesentlich komplizierter ist die Sachlage ab 1804: Auch hier haben wir es, laut Fichte, immer nur mit Erscheinungen und Bildern zu tun, auch hier gibt es etwas Unbegreifliches – das Absolute –, trotzdem soll es sich dabei – gemäß Fichtes Anspruch – um keinen subjektivistischen Ansatz handeln. Das Absolute übernimmt zwar in der späten WL in gewisser Hinsicht die systematische Funktion der Dinge an sich und des unbegreiflichen Anstoßes, aber eben nicht umstandslos. Ging es bei Kant um die empirische Erkenntnis und das Verhältnis von Gegenständen und Abbildern, oder beim frühen Fichte um das Verhältnis von absolutem Ich und empirischem Bewußtsein, so geht es ab 1804 nicht mehr um ein Abbildungsverhältnis, sondern um das Wesen der Erscheinung selbst. Das absolute Wissen als absolute Erscheinung versteht sich zwar als Bild eines unbegreiflichen Absoluten, aber dieses Unbegreifliche ist nicht außerhalb des Wissens, sondern bringt sich im Wissen als Absolutes zur Erscheinung. Es ist eine Transzendenz in der Immanenz des Wissens, es ist das Andere des Wissens, weil es nicht in der selbstbezüglichen Form aufgeht, trotzdem ist es nicht das ganz Andere, weil beide Seiten in der reinen Vollziehung zusammenfallen – als esse in mero actu! Da das Absolute aber nicht vollständig mit dem absoluten Begriff zusammenfällt, sondern diesen bedingt und ermöglicht, hält Fichte an der Differenz zwischen Erscheinung und Unbegreiflichem fest und versteht seinen Ansatz auch noch im Jahr 1812 als „Transscendentalphilosophie“53. Wie der erste Ansatz von Fichtes Transzendentalphilosophie auf programmatischer Ebene aussah, soll im folgenden behandelt werde. Peter Rohs: Johann Gottlieb Fichte, München 1991, 34. Logik II (1812) – StA, 156 – GA II/14, 314. Die Idee einer „Verwandtschaft“ zwischen Kants ‚Dingen an sich‘ und Fichtes Absoluten ist bereits bei Chri­ stoph Asmuth: „Fichte und das Absolute. Ein grundlegendes Missverständnis der späten Wissenschaftslehre J.G. Fichtes“, in: Die Begründung der Philosophie im Deutschen Idealismus, hg. v. Elena Ficara, Würzburg 2011, 315 – 327, hier: 316 – 320 zu finden. Allerdings verkürzt Asmuth dadurch das Absolute auf seine erkenntnistheoretische Bedeutung, denn 52 

53  Transscendentale

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II.  Das Programm der frühen Wissenschaftslehre Der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre als einziger zu Lebzeiten Fichtes vollständig publizierter Version ging im April/Mai 1794 die Abhandlung Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie, als Einladungsschrift zu seinen Vorlesungen über diese Wissenschaft voraus54. Dieser Text enthält die wichtigsten programmatischen Eckpunkte und methodischen Reflexionen zur frühen Wissenschaftslehre, die in dieser Deutlichkeit und Klarheit in der Grundlage selbst nicht zu finden sind. Dieser Text enthält aber bereits auch schon wichtige Ideen und Themen, die in veränderter Form in der späten WL erneut aufgegriffen und deshalb im folgenden vorgestellt werden sollen55. Zunächst werden Fichtes Reflexionen behandelt, die die äußere Darstellung der WL betreffen, danach werden der oberste Grundsatz sowie die eigentliche Fragestellung der frühen WL diskutiert. (1) In dem bereits zitierten Brief des 19jährigen Schelling vom 6. Januar 1795, in dem er die fehlenden Prämissen bei Kant bemängelte, heißt es weiter: „Fichte wird die Philosophie auf eine Höhe heben, vor der selbst [die] meisten der bisherigen Kantianer schwindeln werden“56. Diese Einschätzung Schellings entspricht auch Fichtes eigenem Selbstverständnis, wie aus einem Brief an Heinrich Stephani vom Dezember 1793 hervorgeht: „Kant hat überhaupt die richtige Philosophie; aber nur in ihren Resultaten, nicht nach ihren Gründen. […] ich glaube, er hat einen Genius, der ihm die Wahrheit offenbart, ohne ihm die Gründe derselben zu zeigen! Kurz, wir werden, wie ich glaube, in ein paar Jahren eine Philosophie haben, die es der Geometrie an Evidenz gleich thut. Was meinen Sie, daß daraus für die Menschheit folgen werde?“57 das lebendige Absolute übernimmt nicht nur die erkenntnistheoretische Funktion der ‚Dinge an sich‘, sondern auch die prinzipientheoretische Funktion des absoluten Ich der frühen WL. Das absolute Ich der ersten WL ist eine in sich geschlossene, in sich differenzlose Einheit, genau wie das lebendige Absolute ab 1804. Das absolute Wissen, das ab 1804 an die Stelle des absoluten Ich tritt, ist eine in sich differenzierte Einheit, die in Beziehung zum Absoluten als differenzloser Einheit steht. 54  BWL 1794 – GA I/2, 99 ff. 55  Vgl. dazu: Edmund Braun: „Einleitung des Herausgebers“, in: Fichte: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie, mit einer Einleitung hg. v. Edmund Braun, Stuttgart 1972, 3 – 23; Jürgen Stahl: „System und Methode – Zur methodologischen Begründung transzendentalen Philosophierens in Fichtes ‚Begriffsschrift‘“, in: Fichte-Studien 10 (1997) 99 – 113; Christoph Asmuth: Das Begreifen des Unbegreiflichen. Philosophie und Religion bei Johann Gottlieb Fichte 1800 – 1806, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999, 170 – 173; Rebecca Paimann: Die Logik und das Absolute. Fichtes Wissenschaftslehre zwischen Wort, Begriff und Unbegreiflichkeit, Würzburg 2006, 17 – 30; Rainer Schäfer: Johann Gottlieb Fichtes ‚Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre‘ von 1794, Darmstadt 2006, 19 – 29; Jaeschke/Arndt: Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant, 59 – 64. 56  Schelling: „Brief an G.W.F. Hegel vom 6. Januar 1795“, in: SHKA III/1, 17 57  Fichte: „Brief an Heinrich Stephani vom Dezember 1793“, in: GA III/2, 27 – 29, hier: 28, Hervorhebung von mir, P.T.

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Fichte und Schelling stimmen also nicht nur hinsichtlich der fehlenden Begründungen bei Kant überein, sondern Fichte beansprucht auch, daß die systematische Entfaltung seines Ansatzes mit einer der Mathematik vergleichbaren Gewißheit erfolgen soll – ein Anspruch, der auch in der späten WL ab 1804 aufrechterhalten wird58. In der „Vorrede zur zweiten Ausgabe“ der Begriffsschrift von 1798 gibt Fichte selbst noch einen weiteren, wichtigen Hinweis, in welchem Verhältnis Kants Grundlagenwerk und die Begriffsschrift zur eigentlichen Wissenschaftslehre stehen: Beide seien ihrem „Wesen“ nach als Kritik zu verstehen, „als Theil der Kritik der Wissenschaftslehre, keinesweges aber die Wissenschaftslehre selbst“, denn die „Kritik ist nicht selbst die Metaphysik“. Erst die „Metaphysik“ – freilich Sinne eines transzendentalphilosophischen Vernunftsystems – leiste „eine genetische Ableitung dessen, was in unserm Bewußtseyn vorkommt“59. Fichte versteht die Wissenschaftslehre als Wissenschaft vom Wissen und sie ist in dieser Grundlegungsfunktion die „Wissenschaft von der Wissenschaft überhaupt“60. Von der ersten bis zur letzten Version ist der Inhalt und Gegenstand der Wissenschaftslehre „das System des menschlichen Wissens überhaupt“, als dessen „Darstellung“ die WL zu verstehen ist61, aber in den Jahren 1794/95 versteht Fichte diese Darstellung als „eine pragmatische Geschichte des menschlichen Geistes“62. Laut der Begriffsschrift sind Fichte und die die WL nachvollziehenden Philosophen „nicht Gesetzgeber des menschlichen Geistes, sondern seine Historiographen; freilich nicht Zeitungsschreiber, sondern pragmatische Geschichtsschreiber“63. Die pragmatische Geschichtsschreibung64 hat keine historischen Tatsachen zum Ge58  Vgl. Fichte: „Ankündigungen zu den Vorlesungen aus Berliner Zeitungen (1804 – 06)“, in: GA I/8, 13 – 22. Eine grundlegende, ideengeschichtliche Zäsur hinsichtlich der Orientierung der Philosophie an der Mathematik und speziell an der euklidischen Geometrie findet sich in Hegels „Vorrede“ zur Phänomenologie des Geistes. Das mathematische Verfahren sei, so Hegel, „ein der Sache äußerliches Tun“. „Das Prinzip der Größe, des begrifflosen Unterschiedes, und das Prinzip der Gleichheit, der abstrakten unlebendigen Einheit“ seien ganz grundsätzlich von der „Selbstbewegung“ des Begriffs und der Sache, der „reinen Unruhe des Lebens“ und „Negativität“ zu unterscheiden, mit der es die Philosophie zu tun habe (Hegel: Phänomenologie des Geistes (1807), in: GW 9, 31 – 34). Fichte hingegen orientiert sich, zumindest auf der programmatischen Ebene, durchgehend am Gewißheitsanspruch der Mathematik. 59  BWL 1794 – GA I/2, 159 f. 60  BWL 1794 – GA I/2, 117 f. 61  BWL 1794 – GA I/2, 120 und 140. 62  GWL 1794/95 – GA I/2, 365. 63  BWL 1794 – GA I/2, 147. 64 „Im Unterschied zu rein erzählender Geschichte hat die pragmatische Geschichte einen lehrhaften Charakter“, so Manfred Hahn zur Geschichte dieses Begriffs (ders.: Art. „Geschichte, pragmatische“, in: HWPh 3 (1974) Sp. 401 f.). Neben dieser inhaltlichen Bestimmung könnte Fichte auch an die weitreichende Bedeutung des griechischen Wortes prâgma gedacht haben. Dieses wird zwar in erster Linie im Gegensatz zu lógos gebracht und mit dem lateinischen Wort res (Ding, Sache, Sache, Sachverhalt) übersetzt (Jean-François

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genstand, sondern ist eine freie Rekonstruktion der notwendigen Handlungen des menschlichen Geistes. Es sollen logisch-notwendige Zusammenhänge beschrieben werden, die bereits an sich bestehen, d.h., das Apriori im Fichteschen Sinne besteht auch unabhängig von der Rekonstruktion. Darüber hinaus ist diese Historie des Geistes das Produkt freier Handlungen, d.h. die pragmatische Geschichtsschreibung ist ein reflektiertes, sich auf sich selbst beziehendes Handeln, das nicht einfach eine reine Darstellung von Tatsachen im Sinne der Historie ist, sondern durch die Rekonstruktion werden „die nothwendige[n] Handlung[en] des menschlichen Geistes […] in eine neue Form die Form des Wissens […] aufgenommen“65. Dieses Wissen des Wissens und damit die Wissenschaftslehre als systematische Darstellung ist „nicht etwas, das unabhängig von uns, das ohne unser Zuthun existiere, sondern das erst durch die Freiheit unsers nach einer bestimmten Richtung hin wirkenden Geistes hervorgebracht werden soll“66. Die Rekonstruktion der notwendigen Handlungen erfolgt daher „nicht durch Introspektion“, sondern durch zwei „Handlung[en] der Freiheit“: die „transzendentale Reflexion“ und die „Abstraktion von allem Gehalt“. Beide Handlungen bedingen sich wechselseitig, denn: „Keine Abstraktion ist ohne Reflexion; und keine Reflexion ist ohne Abstraktion möglich“ – beide sind die entscheidenden Momente der Methode der frühen WL67. Die Idee der Rekonstruktion enthält zwei weitere, ganz wesentliche Aspekte, die für das gesamte Denken Fichtes von Bedeutung und unmittelbar aufeinander bezogen sind: die Reflexion auf die Darstellung und das damit zusammenhängende Verständnis von Sprache68. Für Fichte ist die Frage nach der Möglichkeit der Darstellung zugleich immer die Frage nach dem Wesen der Sprache. In der Courtine: Art. „Res“, in: HWPh 8 (1992) Sp. 892 – 900), in anderen Zusammenhängen wird prâgma auch mit Handlung oder adjektivisch mit praxisorientiert übersetzt (Hermann Weidemann: Art. „Prädikation I“, in: HWPh 7 (1989) Sp. 1194 – 1208, hier: 1195, sowie: Gudrun Kühne-Bertram: Art. „Pragmatisch“, in: HWPh 7 (1989) Sp. 1241 – 1244). In diesem Sinne ist die WL dann eben nicht nur lehrhaft, sondern selbst ein Handeln. 65  BWL 1794 – GA I/2, 142. 66  BWL 1794 – GA I/2, 119. Für Fichte ist der Begriff der Freiheit nicht nur in der praktischen Philosophie im Sinne der äußeren Freiheit innerhalb einer Rechtsordnung oder der inneren Freiheit im Rahmen der Moralität entscheidend, sondern Freiheit ist auch für die theoretische Philosophie konstitutiv, wie aus den Überlegungen zur Rekonstruktion in der Begriffsschrift deutlich hervorgeht: Die WL ist ein Produkt freier Akte des menschlichen Geistes und setzt freie geistige Handlungen voraus. 67  BWL 1794 – GA I/2, 138 und Jaeschke/Arndt: Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant, 62. Vgl. auch BWL 1794 – GA I/2, 119, 141 – 144. 68  Vgl. dazu: Thomas Sören Hoffmann: „Die Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre und das Problem der Sprache bei Fichte“, in: Fichte-Studien 10 (1997) 17 – 33; ders.: „Ersprochene Freiheit. Über sprachtheoretische und sprachpragmatische Dimensionen von Fichtes Reden an die deutsche Nation“, in: ФИЛОСОФСКАЯ МЬІСЛЬ И ФИЛОСОФИЯ ЯЭЬІКА В ИСТОРИИ И СОВРЕМЕННОСТИ. Сборниқ наүчныҳ статей, Ufa 2008, 145 – 158.

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Begriffsschrift spricht Fichte von der grundlegenden Differenz zwischen Darstellung und Dargestelltem: „Das Dargestellte und die Darstellung sind zwei verschiedene Reihen“69. So wie die WL als systematische Darstellung vom dargestellten Apriori unterschieden ist, so differenziert Fichte zwischen der geistigen Handlung und dem Grundsatz, der diese Handlung in sprachlicher Form ausdrückt. Es ist im Kern die Differenz zwischen Geist und Buchstabe70, auf die Fichte hier aufmerksam machen will: „[D]as, was die Wissenschaftslehre aufstellt, ist ein gedachter und in Worte gefaßter Satz; dasjenige im menschlichen Geiste, welchem dieser Satz korrespondirt, ist irgend eine Handlung desselben, die an sich gar nicht nothwendig gedacht werden müßte.“71

Es ist die sprachliche Darstellung einer ihrem Wesen nach nicht-sprachlichen Handlung, es ist, wie es in einem Brief an Reinhold heißt: „die gesammte Thätigkeit des menschlichen Geistes, die keinen Namen hat, […] die unbegreiflich ist“72. Daß das Unbedingte keinen Namen hat, ruft freilich Assoziationen hinsichtlich des Gottesverständnis Israels hervor73, Fichte setzt jedoch nicht das absolute Ich an die Stelle Gottes74, sondern es geht ihm hier um die Differenz zwischen dem begrifflichen Ausdruck ‚absolutes Ich‘ und der begrifflich nicht einhol- und darstellbaren Vollziehung des Wissens. Die sprachskeptische Haltung Fichtes findet sich auch in der WL 1804-II wieder, wo Fichte festhält, daß „die erste Grundwendung aller Sprache, die Objektivität“ sei und in Wahrheit die „Vernunft selbst unmittelbar […] die Rede anheben [müßte]“75. Trotzdem sind in der Spätphilosophie Geist und Buchstabe nicht mehr so stark voneinander entfernt wie 1794, genauer gesagt: Fichte will ab 1804 zum einen zeigen, daß sich die begrifflich-sprachliche Nachkonstruktion nach den Gesetzen der sicherzeugenden Vernunft vollzieht, und zum anderen, daß das Moment der Objektivierung, das der Sprache wesentlich ist, ihren Ursprung in der Vernunft hat (vgl. § 5, II.). Auch wenn sich das Spannungsverhältnis zwischen Sprache und Vernunft auch in der späten WL nicht vollständig auflösen läßt, ist aber festzuhalten, daß der Gegensatz zwischen Darstellung und Dargestellten, wie er 1794 artikuliert wird, zu einer in seiner Gegensätzlichkeit für den Ansatz der Spätphilosophie geradezu konstitutiven D ­ ialektik zwischen sprachlicher Darstellung und unmittelbarem Vollzug weiterentwickelt wird. 69 

BWL 1794 – GA I/2, 149. Vgl. dazu Fichtes gleichnamige Schrift: Ueber Geist und Buchstab in der Philosophie. In einer Reihe von Briefen (1800), in: GA I/6, 313 – 361. 71  BWL 1794 – GA I/2, 148 f. 72  Fichte: „Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 2. Juli 1795“, in: GA III/2, 344, Hervorhebung teilweise von mir, P.T. 73  Als Mose durch Gott dazu berufen wurde, das Volk Israel aus Ägypten zu befreien, fragte er ihn nach seinem Namen: „Gott sprach zu Mose: Ich bin, der ich bin“ bzw. „Ich werde sein, der ich sein werde“ (AT, 2. Mose 3,14). 74  Vgl. GWL 1794/95 – GA I/2, 398 und 407. 75  WL 1804-II – StA, 150 und 272 – GA II/8, 228 und 402. 70 

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Aufgrund der in der Phase von 1794 noch viel stärkeren Trennung zwischen geistiger Handlung und Sprache zieht Fichte die Schlußfolgerung, daß die „höchste[] Einheit des Systems […] nie streng erwiesen, sondern nur als wahrscheinlich angenommen werden kann“ und „nie wird Gewißheit, was bloße Wahrscheinlichkeit war“76. Fichte spricht ahnungsvoll von der „fortdauernden Perfektibilität“ der Wissenschaftslehre und geradezu wie eine selbsterfüllende Prophezeiung mutet es an77, wenn Fichte an Reinhold schreibt: „Die Darstellung der W.L. erfordert, wie ich die Sache erblike, allein ein ganzes Leben“78. Daß aber das dargestellte System der Vernunft nur den Charakter der Wahrscheinlichkeit in sich trägt, steht im Gegensatz zur absoluten Gewißheit des obersten Grundsatzes, der ja ebenfalls nur eine sprachliche Darstellung ist. Auch wenn Fichte die Brücke in dem Sinne zu schlagen versucht, daß alle Sätze der WL „nicht anders verbunden werden, als durch die Eine und gleiche Gewißheit“ des einen Grundsatzes79. Für die „systematische Form des Ganzen“, die aus der Verbindung aller Sätze hervorgeht, bedeutet dies im Jahr 1794/95 folgendes80: Wissen und Wissenschaftslehre sind nicht vollkommen deckungsgleich, sondern die Wissenschaftslehre als Wissen des Wissens ist die Darstellung der bereits schon existierenden, vorbewußten und apriorischen Form des menschlichen Wissens81. Nach Fichtes Ansicht muß „im menschlichen Wissen wirklich ein System sey“, damit aber die WL als Darstellung alle Handlungen des menschlichen Geistes enthält, ist eine systematische Form der Darstellung erforderlich82. Allein die systematische Form garantiert die Vollständigkeit aller Handlungen, allein deshalb kann „bloß die Wissenschaftslehre absolute Totalität haben […]. Die Wissenschaftslehre enthält bloß das Nothwendige“83. Die „Vollendung“ und Geschlossenheit dieser logischen Grammatik – wie man dieses System der Vernunft mit einem Hegelschen Ausdruck auch bezeichnen kann84 – erfolgt dadurch, daß sie „wieder in ihren Grundsatz zurück[läuft]“85. Bei Fichte begründen sich daher Systemform und Grundsatz wechselseitig. Ganz unumwunden spricht Fichte von einem „Zirkel, aus dem der menschliche Geist nie herausgehen kann“. Über diesen Zirkel habe man nicht „betreten zu seyn“ oder „in Verlegenheit [zu] gerathe[n]“, denn ohne diesen Zirkel auszukommen, „heißt verlangen, daß das menschliche Wissen völlig grundlos sei, daß es gar nichts schlechthin gewisses geben, sondern daß alles menschliche Wissen nur 76 

BWL 1794 – GA I/2, 145. BWL 1794 – GA I/2, 147; vgl. ebd., 137. 78  Fichte: „Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 2. Juli 1795“, in: GA III/2, 347. 79  BWL 1794 – GA I/2, 115. 80  BWL 1794 – GA I/2, 115. 81  Vgl. BWL 1794 – GA I/2, 122 und 146. 82  BWL 1794 – GA I/2, 124 und 134. 83  BWL 1794 – GA I/2, 136, Hervorhebung von mir, P.T. 84  Vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Sein (1832), in: GW 21, 41 ff. 85  BWL 1794 – GA I/2, 131. 77 

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bedingt seyn […] solle“86. Fichte faßt die zirkelhafte Begründung von Grundsatz und System in folgender Weise zusammen: „Wenn der Satz X erster höchster und absoluter Grundsatz des menschlichen Wissens ist, so ist im menschlichen Wissen ein einiges System: denn das letztere folgt aus dem Satze X. Da nun im menschlichen Wissen ein einiges System sein soll, so ist der Satz X, der wirklich […] ein System begründet, Grundsatz des menschlichen Wissens überhaupt, und das auf ihn gegründete System, ist jenes einige System des menschlichen Wissens.“87

Damit hängt zusammen, daß in der Rekonstruktion alle im Vernunftsystem gemachten Voraussetzungen, allen voran die „Regeln“ und „Gesetze“, durch die das Vernunftsystem selbst rekonstruiert wird, d.h. die Gesetze der Reflexion und Ab­straktion, „[e]rst tiefer unten […] von dem Grundsatz […] abgeleitet“ werden88. Auch hier spricht Fichte von einem „unvermeintliche[n] Zirkel“89, dies sei aber kein fehlerhafter Zirkel, „sondern wir schließen“, so Fichte weiter, „aus der Uebereinstimmung“ zwischen Reflexionsgesetzen und Grundsatz „auf die Richtigkeit des Systems“90. Diese Zirkelstruktur ist in der späten WL so nicht mehr auszumachen. Im XVII. Vortrag der WL 1804-II heißt es: „[E]s ist daher hier im Gange des äussern Vortrages ein unvermeidlicher Zirkel, der erst durch seine eigene Vollendung aufzuheben ist“91. Fichte geht zwar 1804 und 1812 vom Bewußtsein – und damit von der Subjekt-Objekt-Spaltung – aus, und kehrt auch am Ende zu diesem zurück, aber es ist kein Rückgang in einen Grundsatz wie 1794/95. Die formale Geschlossenheit, die auch für das späte System entscheidend ist, wird nicht von Anfang an behauptet, sondern manifestiert sich durch die Einsicht in die Gesetzmäßigkeit des Bildens. Die Geschlossenheit erfolgt nicht durch wechselseitige Begründung von Grundsatz und System und auch nicht durch die Ableitung von Reflexion und Abstraktion aus dem höchsten Grundsatz, sondern sie zeigt sich im Gesetz des Bildens, das letztlich die Zirkelstruktur aufhebt, da es das kategorische Moment in der scheinbar problematisch-willkürlichen Nachkonstruktion der Vernunft ist92 (vgl. § 5, II.). 86 

BWL 1794 – GA I/2, 133. BWL 1794 – GA I/2, 133. 88  GWL 1794/95 – GA I/2, 255. 89  GWL 1794/95 – GA I/2, 256. 90  BWL 1794 – GA I/2, 144; vgl. ebenfalls 141. 91  WL 1804-II – StA, 170 – GA II/8, 256. Daß die später WL keine zirkuläre Struktur mehr aufweist, sondern vielmehr ermöglicht, „den Zirkel als Zirkel [… zu] denken“, arbeitet Monika Betzler auf der Grundlage der Transscendentalen Logik II heraus (dies.: Ich-Bilder und Bilderwelt. Überlegungen zu einer Kritik des darstellenden Verstehens in Auseinandersetzung mit Fichte, Dilthey und zeitgenössischen Subjekttheorien, München 1994, 163, 188 und 217). 92  Der Begriff des Gesetzes taucht bereits in der Begriffsschrift und der Grundlage auf. Darin heißt es: „[J]ede Handlung geschieht auf eine bestimmte Art nach einem Gesetze, und dieses Gesetz bestimmt die Handlung“ (BWL 1794 – GA I/2, 141). Im weiteren Verlauf zeigt sich aber deutlicher in welchem Zusammenhang der Gesetzesbegriff in der Frühphase 87 

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(2) Nachdem bereits schon mehrfach vom obersten Grundsatz die Rede war, soll dieser nun eingehender diskutiert werden. Der Grundsatz der GWL von 1794 kann aufgrund seiner Absolutheit nicht konstruiert, erfunden, abgeleitet, bewiesen oder bestimmt werden, sondern er ist „aufzusuchen“93. Die Idee, die WL als reine Nachkonstruktion zu konzipieren, ermöglicht es Fichte, die Idee eines Grundsatzes von Reinhold noch einmal neu zu bestimmen. Der Grundsatz im Fichteschen Sinne ist nicht selbst das Höchste, sondern selbst nur Ausdruck, Darstellung oder Abbild des Höchsten. So wie aber die WL insgesamt die Darstellung des Systems des Wissens ist, so ist der Grundsatz die „Darstellung [der] Tathandlung[,] die unter den empirischen Bestimmungen unsers Bewustseyns nicht vorkommt“, d.h., auch durch Reflexion und Abstraktion als den beiden Hauptmomenten der Methode der WL wird der Grundsatz nicht bewiesen, sondern „durch sie [wird] erkannt, daß man jene Thathandlung, als Grundlage alles Bewustseyns, nothwendig denken müsse“94. In einem Brief an Reinhold heiß es: „Das, was ich mittheilen will, ist etwas, das gar nicht gesagt, noch begriffen, sondern nur angeschaut werden kann: was ich sage, soll nichts weiter thun, als den Leser so leiten, daß die begehrte Anschauung sich in ihm bilde.“95

Dieses begrifflich-anschauliche Denken – oder wie es später heißt: die intellektuelle Anschauung – ist also nicht die Tathandlung selbst, denn diese ist „kein Denken, kein Anschauen, kein Empfinden, kein Begehren, kein Fühlen u.s.f.“96. Es ist die Bestimmbarkeit im Sinne eines reinen Vermögens, im Unterschied zur konkreten Bestimmtheit. Das höchste Prinzip in Fichtes Philosophie ist keine Tatsache, nicht der Begriff oder die Anschauung, sondern „das schlechthin unbegreifliche“97. Jenes „höhere[] Einige[] Princip“, so Fichte in einem anderen Brief an Reinhold, „ist mir die Subjektivität als solche überhaupt“98. Dieses „Princip der Subjektivität überhaupt“99, der absolut höchste, schlechthin gewisse Grundsatz der frühen WL, der alles Wissen begleitet, und „die Seele [s]eines Systems ist der Saz: Das Ich sezt schlechthin sich selbst“100. Diese nicht sofort einsichtigen Begriffe des Sichsetzens oder der Tathandlung als „höchster entscheidend ist: es ist die gesetzmäßige und regelhafte Vollziehung der Reflexion (vgl. GWL 1794/95 – GA I/2, 255). „[I]n so fern sie [die Reflexion] nach Gesetzen vorgenommen wird, [… und] auch zu den nothwendigen Handlungen des menschlichen Geistes gehört, so müssen die Gesetze derselben im System des menschlichen Geistes überhaupt vorkommen“ (BWL 1794 – GA I/2, 144). 93  GWL 1794/95 – GA I/2, 255; vgl. BWL 1794 – GA I/2, 120. 94  GWL 1794/95 – GA I/2, 255. 95  Fichte: „Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 2. Juli 1795“, in: GA III/2, 344. 96 Ebd. 97 Ebd. 98  Fichte: „Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 28. April 1795“, in: GA III/2, 309. 99  Ebd., 314 f. 100  Fichte: „Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 2. Juli 1795“, in: GA III/2, 344.

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Handlung des menschlichen Geistes“ beinhalten nicht mehr und nicht weniger als „seine eigene Existenz zu setzen“101. Fichte gewinnt diesen Grundsatz, indem er vom Gedanken der Identität ausgeht: Wenn von einer jeden konkreten Bestimmtheit eines Gedankens abstrahiert wird, bleibt als Gemeinsames übrig, daß jedes Gedachte mit sich identisch sein muß, d.h., jedes im Bewußtsein Gesetzte muß zunächst als mit sich identisch gesetzt werden, was Fichte im Satz „A = A“102 ausgedrückt findet. Dieser Satz der Identität ist, wie auch mathematische Wahrheiten103, faktisch gewiß und er kann auch nur faktische Gewißheit haben, weil er lediglich eine Tatsache des Bewußtseins ist. Mathematisch-faktische Gewißheiten sind aber nach Fichtescher Auffassung nicht der höchste Gipfel des Wißbaren, da ihnen das selbsterklärende Moment der Einsicht fehlt. Die selbsterklärende Evidenz nennt Fichte im Unterschied zur faktischen die genetische Gewißheit, weil sie zugleich das Wie und Warum der Einsicht im Unterschied zum faktischen Daß der Klarheit des jeweils Eingesehenen beinhaltet. Der Übergang zur genetischen Gewißheit ist deshalb notwendig, weil sich bei genauerer Betrachtung das faktisch Gewisse, wie etwa „A = A“, als weniger unmittelbar, unbedingt und voraussetzungslos erweist, wie es zunächst erscheint. Neben den zwei Momenten des Identitätsgedankens, dem Subjekt-A und Objekt-A, gibt es ein drittes Moment: den Zusammenhang zwischen beiden. Der Zusammenhang zwischen „A“ und „A“ im Gedanken der Identität verweist auf eine höhere, verbindende Einheit, da diese Verbindung aus den Relationsgliedern selbst nicht hervorgeht und daher immer schon vorausgesetzt wird. Diese Voraussetzung des Identitätsgedankens ist das „Ich = Ich“ oder das „Ich bin Ich“104. Nur weil in jedem Akt des Wissens sich das Ich als absolute Einheit selbst gesetzt hat, kann jeder bestimmte Gedanke als mit sich identisch gedacht werden. Im Unterschied zu „A = A“, das keine Existenzaussage ist, wird in der Formel „Ich = Ich“ dasjenige, was 101  BWL 1794 – GA I/2, 141. Der Begriff der Existenz ist ebenfalls geeignet die Weiterentwicklung der späte WL deutlich zu machen. In der WL 1805 bedient sich Fichte einer anderen Terminologie als in den Versionen von 1804. Er unterscheidet darin nicht nur zwischen Absolutem und absolutem Wissen, sondern auch zwischen Leben und Existenz. „Das Wissen ist an sich […] des Absoluten Existenz“ (WL 1805 – GA II/9, 185), d.h. das Absolute erscheint nur in der „Form der Subjektivität“ (WL 1805 – GA II/9, 182). Da sich die Form klar durchdringen lasse und sich in der Sichdurchdringung zeigt, daß die selbstbezügliche Form immer schon das Leben voraussetzt, ist im Rückblick auf die GWL festzuhalten, daß die Setzung der Existenz eben nicht der höchste Punkt der WL ist. 102  GWL 1794/95 – I/2, 256. 103  In der Darstellung der Wissenschaftslehre (1801/02) geht Fichte von der evidenten Winkelsumme in der Konstruktion von Dreiecken aus (vgl. GA II/6, 135 – 138). Entscheidend sind weniger die Beispiele, sondern daß Fichte von einer bestimmten faktischen Gewißheit oder Evidenz ausgeht, um zur genetischen Gewißheit überzuleiten. Überhaupt gibt es außerhalb der WL nur faktische Gewißheiten, von genetischer Gewißheit kann nur innerhalb der WL die Rede sein, da sich da das Wissen auf sich selbst bezieht und das Warum einer klaren Einsicht behandelt wird. 104  GWL 1794/95 – GA I/2, 257.

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ausgesprochen wird, zugleich hervorgebracht und ins Dasein gesetzt – „es sezt sein Seyn“105. Das „Ich bin Ich“ begründet als materiale Einheit deshalb nicht nur die formale Einheit des Identitätsgedankens, sondern es beinhaltet das selbsterklärende Moment, das der genetischen Gewißheit wesentlich ist: Wurde im Identitäts­ gedanken zwischen den Relationsgliedern, Subjekt-A und Objekt-A, und der Relation, der Beziehung oder dem Zusammenhang notwendig unterschieden, so sind in der Formel „Ich bin Ich“ Relationsglieder und Relation identisch, wie Rainer Schäfer darlegt106. „Ich“ und „Ich“ sind identisch und drücken einen notwendigen Beziehungszusammenhang aus, weil das Ich sich auf sich selbst bezieht. Konnte in der faktischen Evidenz des Identitätssatzes nicht erklärt werden, warum und wie „A“ und „A“ identisch sind, so kann in der genetischen, sich selbst plausibilisierenden Evidenz des „Ich bin Ich“ die Identität durch die „Selbstbezüglichkeit“ erklärt werden107. Jede Annahme einer Selbstidentität einer bestimmten Vorstellung oder von Gegenständen in der äußeren Welt ist nur möglich, weil das absolute Subjekt eine sich auf sich selbst beziehende Einheit ist. Der grundlegende Unterschied gegenüber Kants Verständnis vom Ich als formaler Einheit und Reinholds Begriff der Vorstellung ist, daß bei Fichte die Handlungen des Geistes und damit der Vollzug des Wissens ins Zentrum seiner Philosophie gestellt werden108. Das absolute Ich der Tathandlung ist nichts anderes als die reine Tätigkeit, die eben zugleich die Setzung seiner eigenen Existenz ist. Fichtes vorbewußtes ‚Ich bin‘ ist im Unterschied zu Kants ‚Ich denke‘ keine Tatsache des Bewußtseins, sondern als reine Vollziehung zu verstehen und die Grundlage dafür, daß das Ich im Bewußtsein erscheinen kann. So wie in Kants Deduktion die Einheit des Bewußtseins auf den Gegenstand übertragen wurde, so ist in Fichtes Ansatz das Ich qua Selbstsetzung mit sich identisch; erst vermittels der Selbst­setzung kann es zu einer Einheit des Bewußtseins kommen, die auf den Gegenstand übertragen werden kann. Fichte versucht also Kants Ansatz nicht nur auf einer grundlegenderen Ebene zu erweitern, sondern diese Erweiterung ist zugleich auch eine Radikalisierung: Nach Kant ist dasjenige, was er als das Apriori der Erkenntnis bezeichnet, nicht als eine „eingepflanzte Anlage[] zum Denken“ im Sinne „eine[r] 105 

GWL 1794/95 – GA I/2, 259. Einheit von Relation und Relationsgliedern und der spezifischen Form der Selbstbezüglichkeit des absoluten Ich als Selbstgleichheit vgl. Rainer Schäfer: Johann Gottlieb Fichtes ‚Grundlage‘, 30 f., 34 und 92. 107  Ebd., 31. 108  Wie bereits erwähnt (vgl. § 2, I.), gebraucht bereits schon Kant den Begriff „Verstandeshandlung“ (KrV, B 130, in: AA III, 107) und es ist die damit verbundene der Idee der „Spontaneität“ (ebd.), die Fichte zur Tathandlung weiterentwickelt. Reinhardt Brandt zeigt in Die Urteilstafel. Kritik der reinen Vernunft A 67 – 76; B 92 – 101, Hamburg 1991, 53 ff. auf, daß Kant mit dem Begriff der Verstandeshandlung an den Begriff der „operationes mentis“ der Logik von Port Royal aus dem Jahr 1662 anschließt, in der vier Verstandeshandlungen – „die Begriffe, Urteile, Schlüsse und die Methode“ (53) – unterschieden werden. Brandt macht deutlich, daß der Leser der KrV aus dem Jahr 1781 weiß, daß Kant den Begriff „Verstandeshandlung“ im Sinne dieser Logiktradition verwendet. 106 Zur

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Art von Präformationssystem der reinen Vernunft“ zu verstehen, sondern es ist die Form des Erkenntnisvollzugs109. Die Radikalisierung von Kants Idee durch Fichte besteht vor allem in der Radikalisierung des Vollzugsgedankens, dessen reinste Form die Sichsetzung oder Sicherzeugung des Ich ist. In der späten WL kommt es zu einer abermaligen Vertiefung des Vollzugsgedankens, und hier nicht zuletzt durch die Unterscheidung von reinem Vollzug und Selbstbezüglichkeit – von lebendigem Absoluten und dem Ich als Form. Fichte geht es also darum, daß diese im obersten Grundsatz ausgedrückte Handlung des sich setzenden Ich als unmittelbar gewiß eingesehen werde. Diese Gewißheit des Grundsatzes von 1794/95 geht letztlich auf die Sichselbstgleichheit und die Identität des absoluten Ich zurück: Er ist schlechthin absolut und „unmittelbar gewiß“, weil er aus sich heraus gewiß ist und nicht aus einer Verbindung oder Vergleichung hervorgeht110. „Dieser Satz ist schlechthin gewiß, d.h. er ist gewiß, weil er gewiß“, genauer: „weil er sich selbst gleich ist“111. Er ist der Grund aller Gewißheit, der Grund allen Wissens, die „Grundlage alles Bewußtseyns“112 und er „begleitet alles Wissen, ist in allem Wissen enthalten und alles Wissen setzt ihn voraus“113. Alle weiteren Sätze der WL, so Fichte, haben nur eine von ihm abgeleitete Gewißheit114. Die Gewißheit oder Evidenz ist auch im Spätwerk das Prinzip der Wahrheit. Fichtes späte Wissenschaftslehre ist ebensosehr ein gewißheitstheoretischer Wahrheitsansatz, der aber die Gefahren des Subjektivismus überwunden hat, indem Fichte die reine Gewißheit und das selbstbezügliche Wissen voneinander unterscheidet. Fichte diskutiert ab 1804 nicht mehr die Gewißheit des obersten Grundsatzes des sich-setzenden Ich, die er als eine bestimmte Form der Gewißheit begreift, sondern die reine Gewißheit oder das reine Licht ist die Erscheinungsform des Absoluten im Ich. Indem Fichte das Wesen der Gewißheit neu faßt, löst er aber auch ein anderes Problem: die Differenz zwischen Darstellung und Vollzug. Indem Fichte in der WL 1804-II zeigen kann, daß das „Wesen der Gewißheit“ und die begriffliche Beschreibung derselben vollkommen zusammenfallen, d.h. „Tun“ und „Sagen“ identisch sind, ist die WL nicht mehr eine wahrscheinliche Darstellung, sondern sie ist trotz der Differenz zwischen Darstellung und Vollzug Ausdruck der absoluten Gesetzmäßigkeit115 (vgl. § 5, II.). 109 

Kant: KrV, B 167, in: AA III, 128. BWL 1794 – GA I/2, 114, 120 – 123. 111  BWL 1794 – GA I/2, 120 f. 112  BWL 1794 – GA I/2, 121 und GWL 1794/95 – GA I/2, 255. 113  BWL 1794 – GA I/2, 121. 114  BWL 1794 – GA I/2, 115. 115  Die wichtigsten Analysen befinden sich in den Vorträgen XXIII, XXVI und XXVII der WL 1804-II, die in der vorliegenden Arbeit in § 5, II. vertieft werden. Im Kern geht es darum, daß die „Beschreibung der Gewißheit“ ergibt, daß die Gewißheit selbst – wie das absolute Sein – eine „Geschlossenheit in sich selber“ ist (WL 1804-II – StA, 266 – GA II/8, 36) und daß die Nachkonstruktion „das ursprüngliche Beschreiben, d.i. 110 

§ 2  Die Theorie der fundamentalen Handlungen des menschlichen Geistes

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(3) Fichte setzt seine Idee eines Systems der Vernunft aber nicht nur durch das Konzept eines sich absolut gewissen und sich selbst setzenden Ich um, sondern auch durch eine tiefergehende Fragestellung: Ging es Kant in der Kritik der reinen Vernunft um die Beantwortung der Frage, „wie […] synthetische Urteile a priori möglich“ sein sollen116, so formuliert Fichte die fundamentalere Fragestellung der Wissenschaftslehre in folgender Weise: „Wenn das Ich ursprünglich nur sich selbst sezt, wie kommt es denn dazu, noch etwas anderes zu setzen, als ihm entgegengesezt?“117

Aus der Perspektive Fichtes ist der Akt der Synthesis, auf den Kant abhebt, nur ein Moment im Vollzug des Wissens, der sich immer nur zugleich mit antithetisch-analytischen Handlungen aktualisiert, ein Umstand, den Reinhold bereits schon im Grundsatz der Elementarphilosophie einzuholen versucht hat. Fichte geht noch einen Schritt weiter, indem er fragt: „[W]ie ist Antithesis möglich“118? Es ist also die Frage nach dem Ursprung von Negativität und wie sich diese zur Einheit überhaupt verhält. Fichtes Ansatz ist also bereits von Anfang an nicht nur darauf aus, allein spezielle Probleme bei Kant zu lösen, sondern im Versuch, Kants Einsichten zu systematisieren, manifestiert sich bereits eine Form von Eigenständigkeit, die bereits in dieser Phase auf die Einheits-Vielheits-Problematik hindeutet und die auf Ganzheit hin angelegt ist: „Die Wissenschaftslehre hat also absolute Totalität. In ihr führt Eins zu Allem, und Alles zu Einem.“119 Doch in welcher Hinsicht wird an dieser Stelle von Totalität gesprochen? Wenn Fichte in der frühen Phase nach dem grundlegenden Verhältnis von Einheit und Differenz fragt, dann will er zunächst eine Antwort auf die Frage geben, was es heißt, von einem sich-setzenden, absoluten Ich als höchstem Prinzip auszugehen, und weiterhin erklären, wie die ursprüngliche Gegebenheit von Mannigfaltigkeit begründet werden kann, ein Aspekt, zu deren Beantwortung sich Kant außerstande sah120, und schließlich will er zeigen, wie sich diese beiden Seiten vermitteln lassen. Im Unterschied zu 1804 geht es also noch nicht um das Verhältnis von Gott und Welt, in dessen Mitte und Zentrum der absolute Begriff steht, sondern in den Jahren 1794/95 glaubt Fichte, alle Fragen der Philosophie durch die Erschöp-

authentische[] Vollziehen der Einen Gewißheit oder des Wissens“ ist (WL 1804-II – StA, 265 – GA II/8, 393), d.h. das sprachlich Dargestellte wird durch die Darstellung zugleich auch vollzogen. 116  Kant: KrV, B 19, in: AA III, 39. 117  Fichte: „Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 2. Juli 1795“, in: GA III/2, 344. 118  Ebd., 345. 119  BWL 1794 – GA I/2, 131 Anm., Hervorhebung von mir, P.T.; vgl. auch: BWL 1794 – GA I/2, 136. 120  Vgl. Kant: KrV, B 145, in: AA III, 116. Fichte schreibt in bezug darauf an Reinhold: „es giebt keinen ersten Moment, keinen Anfang des Bewußtseyns. Dies giebt den Beweiß für die von K[ant] vorausgesezte nothwendige Mannigfaltigkeit des Nicht-Ich“ (Fichte: „Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 2. Juli 1795“, in: GA III/2, 346).

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fung aller notwendigen und freien, bedingten und unbedingten „Handlungen des menschlichen Geistes“ beantworten zu können121. Ab 1804 spricht Fichte nicht mehr von Handlungen des menschlichen Gei­stes, sondern stellt die Selbstbewegung und Dialektik des Begriffs ins Zentrum. Die späte WL geht damit nicht vom Grundsatz ‚Das Ich setzt sich selbst‘ aus und verabschiedet sich insgesamt von der Idee einer Grundsatzphilosophie. Zwar bezeichnet Fichte die Einsicht des XV. Vortrags der WL 1804-II, daß das Absolute ein in sich geschlossenes, lebendiges Seyn sei, „das nie aus sich heraus kann“, als „Grundsatz“, allerdings erschöpft sich die WL nicht in dieser These122. Die eigentliche Kernfrage der späten Wissenschaftslehre ist, wie das lebendige Absolute als Inkludenz verstanden werden und zugleich als Absolutes erscheinen kann? Bei genauerem Hinsehen zeigt sich nämlich, daß der Grundsatz der WL 1804-II seinem eigenen Inhalt widerspricht: Denn indem im Grundsatz ausgesagt wird, daß das Absolute in sich geschlossen sei, beweist es durch eben diese sprachliche Darstellung das Gegenteil: Das Absolute ist eben nicht nur in sich geschlossen und außerhalb des Begriffs, sondern kann als Absolutes auch begrifflich nachkonstruiert werden. Die eigentliche Aufgabe der WL endet nicht mit dem XV. Vortrag der WL 1804-II, sondern die eigentliche Vermittlungsleistung besteht in der Zusammenführung von lebendigem, in sich geschlossenem und nur zu vollziehendem Absoluten auf der einen Seite und erscheinendem, sich-darstellenden Absolutem als Begriff und Grundsatz auf der anderen. Bevor aber diese Fragen diskutiert werden, soll im folgenden Unterkapitel aus einer kritischen Perspektive die Realisierung des Programms der frühen WL besprochen werden.

III.  Die Probleme der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre von 1794/95 Fichtes erste Version der Wissenschaftslehre wurde in den Jahren 1794/95 unter dem Titel Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (GWL) veröffentlicht. Fichte selbst beabsichtigte zunächst gar nicht, die erste Fassung der Wissenschaftslehre der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sondern konzipierte sie „als Handschrift für seine Zuhörer“123, die er bogenweise vom 14. Juni 1794 bis Ende Juli/Anfang August 1795 an die Vorlesungsteilnehmer verteilte, um ihnen das „gedankenlose Nachschreiben“ zu ersparen124. Im Kern ist die GWL eine esoterische Schrift, die im mündlichen Vortrag, der am 26. Mai 1794 begann, erläutert wurde, und ist – wie alle anderen fünfzehn Versionen – eigentlich keine exoterische Ab121 

BWL 1794 – GA I/2, 134. WL 1804-II – StA, 150 und 160 – GA II/8, 229 und 242. 123  GWL 1794/95 – GA I/2, 173. 124  Reinhard Lauth/Hans Jacob/Hans Michael Baumgartner/Wilhelm G. Jacobs: „Vorwort der Herausgeber zur Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre (1794/95)“, in: GA I/2, 175 – 247, hier: 180. 122 

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handlung. Die von Fichte beklagte Mangelhaftigkeit der GWL ist wohl in erster Linie darauf zurückzuführen, daß sie parallel zur laufenden Vorlesung verfaßt wurde125. Ebenso gibt Fichte gegenüber Reinhold ganz offen zu: „[D]ie W.L. hat überhaupt einen innern Grund der Dunkelheit, und sogar der Unverständlichkeit […] in sich selbst“126. Diese innere Dunkelheit, aber auch die Tatsache, daß es die erste und zugleich einzige zu Lebzeiten Fichtes publizierte Version seines Hauptwerk ist, ist der Grund dafür, daß dieser Text zu den bis heute am meisten rezipierten und am stärksten erforschten Fassungen der WL gehört127. In diesem Unterkapitel soll die GWL aus zwei Perspektiven kritisch analysiert werden: Zum einen geht es darum, das Programm der Begriffsschrift mit der Umsetzung in Form der Grundlage zu konfrontieren. Zum anderen soll, wie in den vorherigen Unterkapiteln, vom Standpunkt des Spätwerks auf die Grundlage geschaut werden, d.h., es werden vor allem diejenigen Aspekte behandelt, die Fichte selbst explizit in der WL 1804-II kritisiert, als auch diejenigen, die für die späte Wissenschaftslehre noch relevant sind. Hinsichtlich der Positionierung Fichtes zur frühen WL sind aber – und dies wird im Übergang zu § 3 noch einmal genauer the125 

Vgl. GWL 1794/95 – GA I/2, 251 f. Fichte: „Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 28. April 1795“, in: GA III/2, 315. 127  Aufgrund der zahlreichen Abhandlungen zur GWL seien an dieser Stelle lediglich die besonders einschlägigen bzw. aktuellen Monographien genannt. Besonders hervorzuheben sind hier aber die beiden in jüngerer Zeit erschienenen umfänglicheren Arbeiten von Wolfgang Class/Alois K. Soller: Kommentar zu Fichtes ‚Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre‘, Amsterdam/New York 2004 und Rainer Schäfer: Johann Gottlieb Fichtes ‚Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre‘ von 1794, Darmstadt 2006. Class und Soller bieten auf über 500 Seiten einen detaillierten Stellenkommentar unter Einbezug aller bisherigen Ergebnisse der Forschung. Schäfer bietet eine neue Gesamtinterpretation, die ebenfalls nahezu vollständig den gesamten Forschungsstand mit einbezieht und die GWL als vollendeten und in sich konsistenten Ansatz auslegt. Vgl. zur GWL ebenfalls: Wilhelm G. Jacobs: „Einleitung“, in: Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre als Handschrift für seine Zuhörer (1794), Einleitung und Register von Wilhelm G. Jacobs, Hamburg 1970, 41997, VII – XXVI; Wolfgang Janke: Fichte. Sein und Reflexion. Grundlagen der kritischen Vernunft, Berlin 1970, 67 – 204; Peter Baumanns: Fichtes ursprüngliches System. Sein Standort zwischen Kant und Hegel, Stuttgart-Bad Cannstatt 1972, 15 – 140; Wolfgang H. Schrader: Empirisches und absolutes Ich. Zur Geschichte des Begriffs Leben in der Philosophie J.G. Fichtes, Stuttgart-Bad Cannstatt 1972, 50 – 85; Peter Baumanns: Fichtes Wissenschaftslehre. Probleme ihres Anfangs mit einem Kommentar zu § 1 der ‚Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre‘, Bonn 1974; ders.: J. G. Fichte. Kritische Gesamtdarstellung seiner Philosophie, Freiburg/München 1990, 56 – 115; Wilhelm Metz: Kategoriendeduktion und produktive Einbildungskraft in der theoretischen Philosophie Kants und Fichtes, Stuttgart-Bad Cannstatt 1991, 201 – 386; Christian Hanewald: Apperzeption und Einbildungskraft. Die Auseinandersetzung mit der theoretischen Philosophie Kants in Fichtes früher Wissenschaftslehre, Berlin/New York 2001; Rebecca Paimann: Die Logik und das Absolute. Fichtes Wissenschaftslehre zwischen Wort, Begriff und Unbegreiflichkeit, Würzburg 2006, 31 – 132; Valentin Pluder: Die Vermittlung von Idealismus und Realismus in der Klassischen Deutschen Philosophie. Eine Studie zu Jacobi, Kant, Fichte, Schelling und Hegel, Stuttgart-Bad Cannstatt 2013, 167 – 242. 126 

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matisiert – zwei Ebenen zu unterscheiden: Fichtes sachlich-thematische Selbstkritik und Fichtes Selbsteinschätzung zu seinen vorherigen Positionen. Fichte spricht in der WL 1804-II explizit vom Vorwurf des Dualismus und der „Leerheit“ und diskutiert im XIII. Vortrag die Position des „höheren Idealismus“, den Fichte in allen seinen Momenten sehr scharf kritisiert und als „Subjektivismus“ bezeichnet128. Zugleich behauptet er aber, daß „die W.-L. von ihrer ersten Entstehung an über den beschriebenen Idealismus hinausgewesen“ ist129. Fichte sagt zwar, daß die erste WL von den Problemen des Dualismus, der Leerheit und des Subjektivismus nicht betroffen sei, dennoch läßt sich zeigen, daß in der GWL vergleichbare Probleme enthalten sind, wie sie Fichte in der WL 1804-II beschreibt. Im folgenden sollen sowohl problematische als auch positive Aspekte der ersten WL hinsichtlich der Frage des höchsten Prinzips, des Problems der Triplizität, der Kategoriendeduktion, der Anstoßlehre sowie des scheinbaren Konzeptionswechsels innerhalb der GWL behandelt werden. (1) Der höhere Idealismus, von dem im XIII. Vortrag der WL 1804-II die Rede ist, wird von Fichte in folgender Weise charakterisiert: Dieses „idealistische Sy­ stem“, wofür die WL von „Freund und Feind […] gehalten worden“ sei, habe das „absolute Ich, als Absolutes“ gesetzt „und aus ihm ableitend alles Uebrige“. Dieses so verstandene Ich sei „das absolute Bewußtsein, als Einheit alles möglichen andern Bewußtseins, als Selbstbewußtsein, in der Reflexion“. Fichte sei aber nie von dem faktischen Ich als „Thatsache des Bewußtseins“ ausgegangen, habe nie „das Bewußtsein selber“ und dementsprechend auch nicht „das Absolute [als] Thatsache“ verstanden. Fichte habe statt dessen immer von der „Thathandlung“ gesprochen, die er in der WL 1804-II „mit dem griechischen Worte […] Genesis“ bezeichnet130. An entscheidender Stelle heißt es dann: Die Wissenschaftslehre „hat nie zugegeben, daß dieses [Ich] als gefunden und wahrgenommen, ihr Princip sei; – als gefunden, ist es nie reines Ich, sondern es ist immer die individuelle Person eines Jeden […] – sondern die W.-L. hat stets bezeugt, daß nur als erzeugt sie das Ich für rein anerkenne, und es an die Spitze ihrer Deduktionen, nicht etwa ihrer selbst, als Wissenschaft, stelle, indem ja doch die Erzeugung höher liegen wird, als das Erzeugte. Diese Erzeugung eben des Ich […] ist jetzt [in der WL 1804-II] unsere Aufgabe.“131

Zu dieser Selbstauslegung ist folgendes zu sagen: Es ist richtig, daß das reine Ich der GWL keine Tatsache, sondern eine Tathandlung ist. In der ersten Version der WL heißt es zwar, daß der Grundsatz als „Darstellung dieser Thathandlung […] aufzusuchen“ sei, weil er nicht abgeleitet, bestimmt oder bewiesen werden kann132, was aber nicht heißt, daß das absolute Ich, welches der Grundsatz in seinem Wesen ausdrückt, lediglich ein gefundenes oder wahrgenommenes sei. Das absolute Ich 128 

WL 1804-II – StA, 96 und 140 – GA II/8, 144 ff. und 215. WL 1804-II – StA, 136 – GA II/8, 202. 130  WL 1804-II – StA, 134 ff. – GA II/8, 200 ff. 131  WL 1804-II – StA, 136 – GA II/8, 202 ff., Einfügung von mir, P. T. 132  GWL 1794/95 – GA I/2, 255. 129 

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als gefundenes aufzufassen, würde bedeuten, es als Tatsache des Bewußtseins fehl zu deuten. Fichte will in der GWL darauf hinaus, daß das Ich als Tatsache des Bewußtseins das absolute Ich der Tathandlung zur Voraussetzung hat. Demgegenüber ist aber festzuhalten, daß Fichte im Jahr 1794 das absolute Ich sehr wohl als Absolutes und – im ursprünglichen Sinne des Wortes – Unbedingtes verstanden hat. In der Grundlage sagt Fichte eindeutig: „Darin besteht nun das Wesen der kritischen Philosophie, daß ein absolutes Ich als schlechthin unbedingt und durch nichts höheres bestimmbar aufgestellt werde und wenn diese Philosophie aus diesem Grundsatze konsequent folgert, so wird sie Wissenschaftslehre.“133

Das absolute Ich ist nicht nur „die Seele [des] Systems“134, sondern „die Grundsätze, auf welchen dieses ganze System ruht, [sind] unumstößlich“, so Fichte135. Daß das Ich nur ein erzeugtes Produkt und von einer höher liegenden Erzeugung zu unterscheiden sei, ist zwar Fichtes Position in der späten WL ab 1804, aber nicht die ursprüngliche von 1794/95. Das reine Ich der GWL war nicht nur ein „Vernunft-Effekt“, also das „Resultat des sich Machens der Vernunft“136, sondern es war beides zugleich: Produzierendes und Produziertes. Das absolute Ich ist 1794/95 das absolute Subjekt-Objekt, da der „Produzent der Handlung […] gleichermaßen das Produkt der Handlung“ und umgekehrt „das Produkt der Handlung […] auch deren Produzent [ist], d.h. zwischen dem Setzenden und dem Gesetzten gibt es keinen Unterschied“137. Fichtes Wahl des Begriffs der Tathandlung beinhaltete nicht 133 

GWL 1794/95 – GA I/2, 279. Fichte: „Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 2. Juli 1795“, in: GA III/2, 344. 135  GWL 1794/95 – GA I/2, 254, Hervorhebung von mir, P.T. 136  WL 1804-II – StA, 280 – GA II/8, 414. 137  Rainer Schäfer: Johann Gottlieb Fichtes ‚Grundlage‘, 34. Schäfer schließt sich hier im wesentlichen an die Deutung Karen Gloys an, die zwischen dem Reflexions- und Produktionsmodell des Ich unterscheidet (K.G.: „Selbstbewußtsein als Prinzip des neuzeitlichen Selbstverständnisses. Seine Grundstrukturen und seine Schwierigkeiten“, in: ­FichteStudien 1 (1990) 41 – 72). Das Problem des Reflexionsmodells bestehe darin, so Schäfer Gloys These zusammenfassend, daß das Ich – nur als subjektives, sich vorstellendes verstanden – im Versuch, auf seinen eigenen Grund zurückzugehen, in einem unendlichen Regreß ende, da das Vorgestellte zugleich immer das Vorstellende sei und das Ich als Objekt nie erreicht werde. Das Produktionsmodell, was Gloy bei Fichte wieder zu finden glaubt, versuche diese Probleme zu vermeiden. Schäfer bezieht sich auch auf Wilhelm Metz, der Gloys These vom Produktionsmodell kritisiert, da die „Reflexion selbst produktiv und Produktion selbst reflexiv“ sei (Schäfer, 247). Schäfer teilt die Position, „dass das Phänomen reflexiven Selbstbewusstseins nicht mit der Form von Selbstbezüglichkeit und Selbstidentität des absoluten Ich gleichgesetzt werden darf; dennoch“, so wendet er kritisch gegen Metz ein, „tauchen beim absoluten Ich – wie Gloy zeigt – ähnliche Schwierigkeiten auf“ (Schäfer, 247; vgl. Wilhelm Metz: „Die produktive Reflexion als Prinzip des wirklichen Bewußtseins“, in: Fichte-Studien 20 (2003) 69 – 99). In der Tat scheint in dem letztgenannten Punkt das Kernproblem hinsichtlich dieser Frage zu liegen. Fichtes Verständnis des reinen Ich als unbedingtes Tätigsein unterscheidet sich vom faktischen Ich der Reflexion, und er versucht auch das Problem des unendlichen Regresses dadurch zu beheben. Trotzdem tauchen hier 134 

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nur eine Abgrenzung von der Tatsache, sondern durch den Begriff der Tathandlung soll zugleich zum Ausdruck gebracht werden, daß Handlung und Handlungsresultat bzw. Produzieren, Produzierendes und Produkt im Akt der Selbstsetzung des absoluten Ich zusammenfallen und identisch sind138. Fichtes Behauptung, daß er in der ersten Version von 1794/95 das reine Ich nicht „an die Spitze“ der WL selbst gestellt habe, sondern lediglich „an die Spitze ihrer Deduktionen“, d.h. als Abzuleitendes und Erzeugtes gedacht war, das von einer höher liegenden „Erzeugung“ zu unterscheiden sei, kann so nicht bestätigt werden139. (2) In diesen Zusammenhang gehört der Vorwurf, „daß in [der] Wurzel [seines Systems] noch Zweiheit sei“140. Fichte läßt im X. Vortrag der WL 1804-II offen, ob dieser Vorwurf gegen die veröffentlichte Version der WL berechtigt ist oder nicht. Allerdings findet sich in den kritischen Analysen zum höheren Idealismus eine kurze Passage, in der Fichte sehr präzise ausführt, was damit eigentlich gemeint ist: Das Prinzip des höheren Idealismus – das absolute Ich – ist zu „keiner innern Disjunktion fähig“, was demzufolge ein zweites, negierendes Prinzip notwendig macht: „ein besonderes Disjunktionsprincip [müßte dafür erst] nachgewiesen werden“141. „Das hier [im höheren Idealismus] vorkommende Selbst oder Ich ist mithin das reine, sich selber ewig gleiche, unveränderliche – nicht das Absolute, wie bald sich näher finden wird, aber das absolute Ich. […] Es kann sehr wohl sein und wird sich finden, daß wir sogar dieses Disjunktionsprincip niemals rechtlich genetischen auffinden, sondern es faktisch würden erschleichen müssen, falls wir in diesem absoluten Ich befangen bleiben, und nicht über dasselbe uns erhöben.“142

Sowohl beim hier beschriebenen höheren Idealismus, als auch in der GWL von 1794/95 wird nicht zwischen Absolutem und absolutem Ich unterschieden, eine Erhebung über den Standpunkt des absoluten Ich ist in der frühen WL daher noch nicht auszumachen. In der Tat ist aber die sich daraus ergebende Schwierigkeit der Erklärung des Ursprungs des Disjunktionsprinzips das Kernproblem der Grundlage. Was Fichte in der WL 1804-II als Disjunktion bezeichnet, ist in der GWL die Entgegensetzung des Nicht-Ich oder die absolute Negativität als das zweite Moment des Wissens. So wie Fichte Identität und Einheit auf das Sich-Setzen des vergleichbare Probleme auf. In einer bereits zitierten Passage aus Hegels Logik spricht er vom „Nachtheil der Täuschung“, daß vom Ich des empirischen Selbstbewußtseins die Rede sei. „Die Bestimmung des reinen Wissens als Ich, führt die fortdauernde Rückerinnerung an das subjektive Ich mit sich“ (Hegel: Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Sein (1832), in: GW 21, 63 f.). Es sind aber genau diese, in Hegels Worten angesprochenen Probleme des Reflexionsmodells, die Fichte in der späten WL dazu veranlaßten, so die These meiner Arbeit, Leben und Form der Subjektivität, reinen Vollzug und Selbstbezüglichkeit, reine Gewißheit und Ich-Form voneinander zu unterscheiden. 138  Vgl. Rainer Schäfer: Johann Gottlieb Fichtes ‚Grundlage‘, 34. 139  WL 1804-II – StA, 136 – GA II/8, 202 ff. 140  WL 1804-II – StA, 96 – GA II/8, 146., Einfügung von mir, P. T. 141  WL 1804-II – StA, 134 – GA II/8, 200. 142  WL 1804-II – StA, 134 f. – GA II/8, 200, Kursivierung teilweise von mir, P.T.

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absoluten Ich zurückführt, so gehen Differenz und Negation aus der Entgegensetzung des Nicht-Ich hervor. Das Entgegensetzen ist die zweite, absolute und unbedingte Handlung des menschlichen Geistes. Entscheidend ist nun, daß diese entgegengesetzte Handlung nicht aus dem absoluten Ich hervorgeht. Das absolute Ich der GWL von 1794 ist wie das Prinzip des höheren Idealismus von 1804 zu „keiner innern Disjunktion fähig“ – es ist keine in sich differenzierte, sondern in sich geschlossene Einheit143. Die Entgegensetzung ist zwar durch das Sichsetzen des Ich bedingt, d.h. es ist eine dem Gehalt nach bedingte, aber der Form nach „unter gar keiner Bedingung stehende, und durch keinen höhern Grund begründete Handlung“144. Zu diesem gleichsam unbegreiflichen Akt des Wissens schreibt Fichte an Reinhold: „Es ist gar kein Grund, warum das Ich Ich, und das Ding nicht Ich sei, sondern diese Entgegensetzung geschieht absolut“145. Dieser zweite, – mit den Worten der WL 1804-II – erschlichene Anfang der Grundlage ist Fichtes vorläufige Antwort auf die Kernfrage der ersten WL, wie Antithesis möglich ist146: Negativität ist erst unter dem logischen Primat der ­Realität und der Einheit des Ich möglich, d.h., – in den Worten der GWL – „der Uebergang vom Setzen zum Entgegensetzen [ist] nur durch die Identität des Ich möglich“147. Der Primat der Realität gegenüber der Negation ist bereits den Kantischen Qualitätskategorien zu entnehmen: Die Verstandeskategorie Negation setzt die Realität voraus, deren Synthesis die Limitation ist. Die Anordnung innerhalb der „Tafel der Kategorien“ unterliegt keiner Willkür, sondern ihr liegt eine interne, logisch-dialektische Struktur zugrunde148. Die Frage nach der Rolle und Funktion der Negation – und damit zugleich die Frage nach einem plausiblen Anfang der Ersten Philosophie – läßt sich auch anhand der Metaphysica von Alexander Gottlieb Baumgartens (1714 – 1762) illustrieren, die erstmals 1739 und bis 1779 in sechs weiteren Auflagen erschienen ist149. 143 

WL 1804-II – StA, 134 – GA II/8, 200. GWL 1794/95 – GA I/2, 265. 145  Fichte: „Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 2. Juli 1795“, in: GA III/2, 344, Kursivierung von mir, P.T. 146  Vgl. ebd., 345. 147  GWL 1794/95 – GA I/2, 265. 148  Kant: KrV, B 106, in: AA III, 93. Innerhalb der Quantitätskategorien setzt die Verschiedenheit die Einheit voraus, deren Synthesis die Totalität oder Allheit ist; vgl. dazu: Wolfgang Röd: Dialektische Philosophie der Neuzeit, 2., völlig neubearbeitete Auflage, München 1986, 48 – 52. 149 Vgl. Günter Gawlick/Lothar Kreimendahl: „Einleitung“, in: Alexander Gottlieb Baumgarten: Metaphysica/Metaphysik, Historisch-kritische Ausgabe, übersetzt, eingeleitet und hg. v. Günter Gawlick und Lothar Kreimendahl, Stuttgart-Bad Cannstatt 2011, LXXXIV, im folgenden abgekürzt: Metaphysica, unter Angabe der §§ im Text; vgl. dazu auch: Francesco Piselli: „Ästhetik und Metaphysik Alexander Gottlieb Baumgarten“, in: Aufklärung 20: Alexander Gottlieb Baumgarten. Sinnliche Erkenntnis in der Philosophie des Rationalismus, hg. v. Alexander Aichele u. Dagmar Mirbach, Hamburg 2008, 101 – 116, hier: 102 – 104. 144 

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Baumgarten bestimmt die Metaphysik insgesamt, d.h. die allgemeine Metaphysik sowie die speziellen Disziplinen Kosmologie, Psychologie und Natürliche Theologie, als „die Wissenschaft von den ersten Prinzipien der menschlichen Erkenntnis“ (§ 1); die Ontologie sei die „Wissenschaft von den allgemeineren Prädikaten des Dings“ (§ 4). Die „allgemeineren Prädikate des Seienden“ sind für Baumgarten – und diese Identifizierung ist für seinen Ansatz entscheidend – zugleich „die ersten Prinzipien der menschlichen Erkenntnis“ (§ 5)150. Baumgartens „System der Philosophie“, so Alexander Aichele, ist der „Versuch, die Einheit des denkunabhängigen Seiendem im Ganzen zu denken“151. In der Entfaltung dieser grundlegenden Prinzipien geht Baumgarten vom Begriff des „nihil negativum“ aus und fragt zunächst nach der Möglichkeit des Seins des Seienden (possibile). Baumgarten steht damit systematisch in einer längeren Traditionslinie, in der im Ausgang vom Begriff des „Nichts“, die Bedingungen von Möglichkeit und Wirklichkeit diskutiert werden152. Laut Alexander Aichele läßt sich im Sinne Baumgartens153 zwischen dem bloß logisch möglichen, nominalen Sein auf der einen Seite und dem wirklichen, existierenden und realen Seienden auf der anderen Seite differenzieren. Das erstere ist durch das Prinzip des zu vermeidenden Widerspruchs, der Identität und des ausgeschlossenen Dritten bedingt und das zweite durch das Prinzip des Grundes154. Hinsichtlich der Anfangsfrage nach einem logisch möglichen Sein lassen sich bei Baumgarten drei Kategorien differenzieren: das „nihil negativum“ im Sinne des unmöglichen Nichts (§ 7), das „non ens privativum“ im Sinne des „bloss mögliche[n] Nichts“ (§ 54)155 bzw. Nicht-Seins und das mögliche Sein. Ein (denkbares, noch nicht notwendig existierendes) mögliches Sein (ens) – und im Sinne Baumgartens ein „Etwas“ (aliquid) – ist dasjenige, „was keinen Widerspruch einschließt“ (§ 8), weshalb das „Prinzip des Widerspruchs […] das absolut erste Prinzip“ ist (§ 7)156. Entscheidend ist aber, wie Baumgarten dieses voraussetzungslose und absolut unbedingte Prinzip entwickelt: durch die Darlegung der Widersprüchlichkeit des Begriffs „nihil negativum“. Das „nihil negativum“ oder unmögliche Nichts157 ist in sich widersprüchlich, weil es zugleich „A“ und „non-A“ ist, oder wie Baumgarten auch sagt: „Nichts 150 

Metaphysica, 52 – 55. Aichele: „Wahrheit – Gewißheit – Wirklichkeit. Die systematische Ausrichtung von A. G. Baumgartens Philosophie“, in: Aufklärung 20 (2008) 13 – 36, hier besonders: 14. 152  Vgl. Theo Kobusch: Art. „Nichts, Nichtseiendes“, in: HWPh 6 (1984) Sp. 805 – 836, hier: 815 f. 153  Vgl. Metaphysica, Praefatio II, 11. 154  Vgl. Alexander Aichele: „Wahrheit – Gewißheit – Wirklichkeit“, in: Aufklärung 20 (2008) 13 – 36, hier: 18 – 24. 155  Metaphysica, 56 f. und 72 f. 156  Metaphysica, 56 f. 157  Eine alternative Interpretation findet sich bei Francesco Piselli: Ihm zufolge ist das „nihil negativum“ ein absoluter (kein bestimmter) Mangel an Sein, „ein unvorstellbares 151  Alexander

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ist und ist nicht“ („nihil est, et non est“ (§ 7)). Das „nihil negativum“ ist, weil es zugleich existiert und nicht existiert, kein mögliches Etwas und nichts Vorstellbares. Hinzu kommt: „[E]in Subjekt, das einen Widerspruch einschließt, hat keine Prädikate“ (§ 9). D.h., weil das „nihil negativum“ beides zugleich ist, läßt es sich nicht weiter prädizieren. Jedes mögliche Etwas muß entweder existieren oder nicht existieren, „[w]as aber keines von beiden ist, ist nichts, weil es beides wäre“ (§10): „Was ist und nicht ist, ist nichts, A + non-A = 0“ (§ 9)158. Aus Fichtescher Perspektive lassen sich drei Voraussetzungen dieses vorkritisch-metaphysischen Ansatzes problematisieren: Zum einen werden ontologische und epistemische Prinzipien unmittelbar miteinander identifiziert – d.i. die Existenzmöglichkeit und die Vorstellbarkeit –, ohne daß näher erläutert wird, warum dies möglich ist. Fichte würde an dieser Stelle die fehlende Reflexion auf die konstitutiven Erkenntnisleistungen der erkennenden Subjektivität geltend machen. Zum anderen wird die Ontologie von vornherein als Prädikationstheorie bestimmt. Dies ist insofern ein entscheidender Punkt, da in Baumgartens Ansatz Widerspruchsprinzip und Prädikation wechselseitig aufeinander verweisen: Nur ein mögliches Etwas, das entweder ist oder nicht ist und keinen Widerspruch einschließt, hat Prädikate. Demgegenüber entwickelt Fichte sowohl in der GWL als auch in den Fassungen von 1804/05 die Möglichkeit der Prädikation durch eine spekulative Urteilslehre aus den Grundprinzipien der WL heraus159. Das dritte und in bezug auf den zweiten Grundsatz der GWL entscheidende Problem des Baumgartenschen Ansatzes ist jedoch die Funktion der Negation und damit die Frage des Übergangs vom „nihil negativum“ zu einem möglichen Etwas. Die Möglichkeit der Negation wird nicht eigens thematisiert, und es bleibt unbeantwortet, wie ein solcher Übergang letztlich möglich ist160. Bereits der junge Johann Gottfried Herder (1744 – 1803) sah in Baumgartens Ansatz den Versuch, „dieses Nichts als Sein verstohlnerweise zu behandeln“ und bezeichnet diesen als einen „Fehltritt a priori der a posteriori lachen macht“161. Indem das Nichts negiert wird, wird dieses Unmögliches“, im Unterschied zu einem vorstellbaren Möglichen, welches ein Etwas ist (Francesco Piselli: „Ästhetik und Metaphysik Alexander Gottlieb Baumgarten“, in: Aufklärung 20 (2008) 112 f.). 158  Metaphysica, 57. 159  Zur Metaphysikkritik Hegels als Kritik der Prädikation vgl. Thomas Sören Hoffmann: „Totalität und Prädikation. Zur ersten ‚Stellung des Gedankens zur Objektivität‘ im enzyklopädischen „Vorbegriff“ der spekulativen Logik“, in: Georg Wilhelm Friedrich ­Hegel: Der „Vorbegriff“ zur „Wissenschaft der Logik“ in der Enzyklopädie von 1830, hg. v. Alfred Denker, Annette Sell und Holger Zaborowski, Freiburg/München 2010, 114 – 143. 160  Bei Francesco Piselli heißt es: „Durch zunehmende Bestimmtheit geht das Nur-Mögliche über in ein Seiendes, vom Sein als Nur-Möglichem und vom Sein als nur bedingt Möglichem zum Sein als durchgängig bestimmten Seiendem“ (ders.: „Ästhetik und Metaphysik Alexander Gottlieb Baumgarten“, in: Aufklärung 20 (2008) 106). Offen bleibt aber der Übergang vom unmöglichen Nichts zum möglichen Sein. 161  Johann Gottfried Herder: Versuch über das Sein (1763), in: ders.: Werke in zehn Bänden, hg. v. Martin Bollacher/Jürgen Brummack/Ulrich Gaier/u.a., Band I: Frühe Schriften

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durch den Akt der Negation als ein unbestimmtes Etwas gesetzt, das negiert werden kann. Herder macht in seiner kritischen Replik darauf aufmerksam, daß jede Negation eine Position bzw. Realität voraussetzt162. Oder um es in Fichtes Worten auszudrücken: Jeder Akt der Entgegensetzung setzt den Akt der Setzung voraus. Daß Fichtes WL ein nachmetaphysischer Ansatz ist, zeigt sich also bereits in der Frage nach einem plausiblen Anfang der Ersten Philosophie. Daß bei Fichte die absolute Negation als das logische Zweite bestimmt wird, beinhaltet, daß eine Negation – auch die absolute des zweiten Grundsatzes – sich immer nur auf etwas beziehen und immer etwas zu Negierendes voraussetzen muß, d.h. Verschiedenheit, Differenz und Entgegensetzung setzen „die Einheit des Wissens voraus“163. Auch Hegel problematisiert in seiner Seinslogik – ohne sich explizit auf Baumgarten zu beziehen –, daß das „Nichts […] dem Etwas entgegengesetzt zu werden [pflegt]; Etwas aber […] schon ein bestimmtes Seyendes [ist und] das dem Etwas entgegengesetzte Nichts […] ein bestimmtes Nichts“ ist164. Hegel setzt deshalb dem reinen Sein das reine Nichts entgegen und zeigt, daß beide ebensosehr ununterschieden und „absolut unterschieden“ sind und ihre Wahrheit die „Bewegung des unmittelbaren Verschwindens des einen in dem anderen“ ist165. Entscheidend ist, daß im Hegelschen Ansatz im Unterschied zu Baumgarten trotz aller Wesensgleichheit von Nichts und Sein das reine, unbestimmte Sein dem Nichts logisch vorausgeht166. Unter konzeptionellen Gesichtspunkten ist das Problem des Anfangs damit aber noch nicht behoben, da eine dritte, absolute Handlung und damit ein dritter Grundsatz notwendig sind. Die absolute Negativität gehört zum Begriff des Ich, d.h. das Nicht-Ich ist ein Moment des reinen Wissens, sie geht aber nicht aus dem absoluten Ich hervor, so daß die (logische) Gefahr der Auflösung der Einheit des Wissens 1764 – 1772, Frankfurt a. M. 1985, 9 – 21, hier: 14. Dieser äußerst bemerkenswerte Text ist in der Studienzeit Herders entstanden und seinem Lehrer Immanuel Kant gewidmet und wurde wohl auch deshalb in dessen Akademieausgabe abgedruckt (AA XXVIII, 947 – 961). Herder diskutiert in dieser Abhandlung viele Fragen einer nachmetaphysischen philosophia prima. 162  Hinsichtlich der Auseinandersetzung Herders mit Baumgarten kommt Marion Heinz zu folgendem Ergebnis: „Wenn also das logische Nichts das Etwas bereits voraussetzt und dieses nicht aus der Negation seines Gegenteils herzuleiten ist, vielmehr zur Bedingung irgend etwas Existierenden hat, dann ist erwiesen, daß der Begriff des Etwas den Begriff des Seins und nicht den Begriff des Nichts zur Voraussetzung hat“ (dies.: Sensualistischer Idealismus. Untersuchungen zur Erkenntnistheorie und Metaphysik des jungen Herder (1763 – 1778), Hamburg 1994, 1 – 25, hier: 19). 163  Wilhelm G. Jacobs: „Einleitung“, in: Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre als Handschrift für seine Zuhörer (1794), Einleitung und Register von Wilhelm G. Jacobs, Hamburg 1970, 41997, X. 164 Hegel: Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Sein (1832), in: GW 21, 70. 165  Ebd., 69. 166  Daß Baumgarten nicht nur historisch, sondern auch systematisch eine Zwischenposition zwischen Leibniz und Kant einnimmt, arbeitet Klaus Erich Kaehler: „Baumgartens Metaphysik der Erkenntnis zwischen Leibniz und Kant“, in: Aufklärung 20 (2008) 117 – 136 heraus.

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und der „Identität des Bewußtseyns“167 besteht, da die absolute Negation die absolute Setzung des Ich aufhebt. Dieses logische Problem läßt sich ebenfalls anhand einer konkreten Gestalt der Philosophiegeschichte illustrieren: Parmenides war der Ansicht, daß es überhaupt nur „Sein gibt“ und „Nichtseiendes“ oder „Nichts“ überhaupt nicht existieren. Der Hintergrund für diese Annahme ist, daß es für ihn nur absolute Gegensätze gibt: Sein und Nichts negieren sich gegenseitig und heben sich vollständig auf. Laut Parmenides kann es nur eines von beiden geben, da „es notwendig [ist], entweder ganz und gar zu sein oder nicht“. Da das „Nichtseiende […] weder sagbar nicht erkennbar“ sei, stellt er die These auf, daß es kein Nichts, kein „Werden“ und kein Vergehen, sondern überhaupt nur Seiendes geben kann, d.h. „Seiendes stößt an Seiendes“168. Mit anderen Worten: Parmenides geht im Kern von absoluten und nicht von bestimmten Negationen aus und genau dieses Problem manifestiert sich bei der absoluten Setzung und der absoluten Entgegensetzung in der Fichteschen Grundsatzlehre. Die Lösung dieses absoluten Gegensatzes erfolgt durch einen ebenfalls unableitbaren, absoluten und „unbedingten Machtspruch der Vernunft“: die gegenseitige Einschränkung der Geltung von Ich und Nicht-Ich169. Etwas „einschränken“ bedeutet für Fichte: „die Realität deßelben durch Negation nicht gänzlich, sondern zum Theil aufheben. Mithin liegt im Begriffe der Schranken außer dem der Realität und der Negation noch der der Theilbarkeit“170. Die Möglichkeit der Negation im Sinne der Fragestellung der GWL ist tatsächlich erst durch den dritten Grundsatz erklärt. Der zweite und dritte Grundsatz bedingen sich gegenseitig, beide sind wiederum hinsichtlich der Form bzw. des Gehalts vom ersten Grundsatz bedingt und unterscheiden sich noch einmal ganz grundlegend von diesem. Der Gegensatz zwischen Ich und Nicht-Ich verwandelt sich dadurch in den Gegensatz zwischen absolutem Ich auf der einen Seite und teilbarem Ich und Nicht-Ich auf der anderen, mit anderen Worten: es entsteht der Gegensatz zwischen unendlichem und endlichem Ich. Die Gesamtformel aller drei Grundsätze lautet: „Ich setze im Ich dem theilbaren Ich ein theilbares Nicht-Ich entgegen“171. In der Formel kommen die drei absoluten, fundamentalen, vorbewußten Handlungen des menschlichen Geistes zum Ausdruck: das Sich-Setzen des absoluten Subjekts, die Entgegensetzung des NichtIch und die Einschränkung des Geltungsbereiches beider durch die Handlung der Teilbarkeit, die Fichte auch als „Quantitätsfähigkeit überhaupt“, „gegenseitige Einschränkung“, „Begrenzung“ oder – mit einem Begriff der WL 1804-II – als „Quan167 

GWL 1794/95 – GA I/2, 269. Die Fragmente, B 6, 7 und 8, Griechisch-Deutsch, hg., übersetzt und erläutert von Ernst Heitsch, 3., abermals durgesehene und ergänzte Auflage, Zürich 1995, 23 – 29. 169  GWL 1794/95 – GA I/2, 268. 170  GWL 1794/95 – GA I/2, 270. 171  GWL 1794/95 – GA I/2, 272 168 Parmenides:

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titabilität“ bezeichnet172. Mit dieser Handlung erfolgt eine „Vereinigung der Gegensätze mittels Quantifizierung der Totalität“173. Durch diese ist nicht nur die Einheit des Wissens möglich, sondern es ist die Bedingung der Möglichkeit einer jeden konkreten Bestimmtheit, die Voraussetzung für jedes bestimmte Etwas, was auch Baumgarten zu erklären versuchte. Es ist die Bestimmbarkeit oder Bestimmung im Unterschied zur Bestimmtheit, denn „ein Setzen der Quantität überhaupt, sey es nun Quantität der Realität, oder der Negation, heißt Bestimmung“, so Fichte174. Trotz der positiven Aspekte der Grundsatzlehre von 1794 ist aber festzuhalten, daß Fichte dem programmatischen Anspruch einer Grundsatzphilosophie nicht gerecht wird. Statt eines Grundsatzes entfaltet Fichte eine Triplizität von Prinzipien. Letztlich wird nicht nur ein Grundsatz aufgesucht, aus dem alle anderen abgeleitet werden, sondern es müssen alle drei Handlungen aufgesucht werden. Zwar sind die zweite und dritte Handlung durch das Sich-Setzen des Ich bedingt, aber sie sind ebenso absolut und unmittelbar. Mit anderen Worten: Der Vorwurf des Dualismus, den Fichte in der WL 1804-II aufgreift, aber hinsichtlich seiner Richtigkeit offenläßt, erweist sich als berechtigt. Positiv hervorzuheben ist, daß Fichte Subjektivität von Anfang an und ihrem Wesen nach als dialektisch verfaßt versteht, was für das gesamte erste System bestimmend bleibt. Das „Princip der Subjektivität überhaupt“175 ist nichts Starres oder Festes, sondern etwas rein Lebendiges, dessen Vollzugs- und Darstellungsform dialektisch ist, und die – und dies ist ganz entscheidend – von Anfang an logisch verfaßt ist, d.h. Fichte artikuliert im ersten Teil der GWL Wahrheiten, die logisch richtig sind und unausgesprochen auf eine längere Auseinandersetzung in der Philosophiegeschichte verweisen. Gleichwohl gilt, daß „die Explikation von Fichtes Dialektik von einem externen Standpunkt aus erfolgt“, wie Karen Gloy festhält176. Die dialektischen Momente werden nacheinander, separiert und schon 172  GWL 1794/95 – GA I/2, 270; Fichte: „Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 2. Juli 1795“, in: GA III/2, 344; WL 1804-II – StA, 104 – GA II/8, 156. 173  Klaus Hammacher: „Problemgeschichtliche und systematische Analyse von Fichtes Dialektik“, in: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes, hg. v. Klaus Hammacher, Hamburg 1981, 388 – 406, hier: 394, Kursivierung von mir, P.T. 174  GWL 1794/95 – GA I/2, 282. 175  Fichte: „Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 28. April 1795“, in: GA III/2, 314 f. 176  Karen Gloy: „Fichtes Dialektiktypen“, in: Fichte-Studien 17 (2000) 103 – 124, hier: 108. Zur Erforschung von Fichtes Dialektikkonzeption vgl. weiterhin: Hans Rademacher: „Fichte und das Problem der Dialektik“, in: Studium Generale 21 (1968) 475 – 502; Wolfgang Janke: Historische Dialektik. Destruktion dialektischer Grundformen von Kant bis Marx, Berlin/New York 1977, 1 – 34 und 100 – 209; Joachim Widmann: Die Grundstruktur des transzendentalen Wissens nach Joh. Gottl. Fichtes Wissenschaftslehre 1804², Hamburg 1977, 72 – 77; ders.: „Dialektik more geometrico. Fichtes Prinzip der Systemgenesis“, in: Kant oder Hegel? Über Formen der Begründung in der Philosophie, hg. v. Dieter Henrich, Stuttgart 1983, 186 – 194; Klaus Hammacher: „Fichtes transzendentale Dialektik und Hegels phänomenologische Dialektik. Eine transzendentallogische Rekonstruktion“, in: Annalen

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fast isoliert behandelt, obwohl sie eigentlich eine organische Einheit und einen lebendigen Zusammenhang bilden sollen. Es ist letztlich der Gegensatz zwischen der lebendigen Vollziehung des Denkens und der schematischen Nachkonstruktion, die auch das restliche System prägen, weshalb Gloy von einer „Gegensatzdialektik“ im Unterschied zu einer „Prozeßdialektik“ spricht177. (3) Obwohl die frühe Dialektikkonzeption als etwas der Sache Äußerliches erscheint, gelingt es Fichte jedoch, sowohl in der Grundsatzlehre als auch im weiteren Verlauf der GWL die Verstandeskategorien auf dialektische Weise zu entfalten – ein Aspekt, der die frühe WL von den späteren Fassungen positiv abhebt, da diese Frage nur noch eine untergeordnete Rolle spielen wird. Hegel hält in bezug auf die erste WL fest: „Der Fichte’schen Philosophie bleibt das tiefe Verdienst, daran erinnert zu haben, daß die Denkbestimmungen in ihrer Notwendigkeit aufzuzeigen, daß sie wesentlich abzuleiten seyen“178. Fichte habe, so Hegel an anderer Stelle, „die Ableitung, Konstruktion der Denkbestimmungen aus dem Ich“ auch „zum Teil“ geleistet179. Fichte hat dies nicht nur zum Teil, sondern vom Kantischen Standpunkt aus sogar vollständig erbracht. Rekonstruierte Kant die Kategorien über den Umweg der Urteilsformen180, so versucht Fichte die Qualitätskategorien Realität, Negation und Limitation aus dem Setzen, Entgegensetzen und Teilen abder internationalen Gesellschaft für dialektische Philosophie. Societas Hegeliana, Bd. III, Köln 1986, 194 – 207; ders.: „Zur Transzendentallogischen Begründung der Dialektik bei Fichte“, in: Kant-Studien 79.4 (1988) 467 – 475; Reinhard Lauth: „Der Ursprung der Dialektik in Fichtes Philosophie“, in: ders.: Transzendentale Entwicklungslinien von Descartes bis zu Marx und Dostojewski, Hamburg 1989, 209 – 226; Klaus Hammacher: „Fichtes Praxologische Dialektik“, in: Fichte-Studien 1 (1990) 25 – 40; Wolfgang Janke: „Limitative Dialektik. Überlegungen im Anschluß an die Methodenreflexion in Fichtes Grundlage 1794/95 § 4 (GA I/2, 283 – 285)“, in: Fichte-Studien 1 (1990) 9 – 24; Wolfgang Janke: Vom Bilde des Absoluten. Grundzüge der Phänomenologie Fichtes, Berlin/New York 1993, 187 – 249; Andreas Arndt: Dialektik und Reflexion. Zur Rekonstruktion des Vernunftbegriffs, Hamburg 1994, 59 – 96; Klaus Hammacher: „Die Dialektik im Übergang von Kant zu Fichte“, in: ders.: Transzendentale Theorie und Praxis. Zugänge zu Fichte, Amsterdam/Atlanta 1996, 29 – 47. 177  Karen Gloy: „Fichtes Dialektiktypen“, in: Fichte-Studien 17 (2000) 103 – 124, hier: 109 und 113. 178 Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), §42, in: GW 20, 80. 179 Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Teil 4: Philosophie des Mittelalters und der neueren Zeit, in: ders.: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, hg. v. Pierre Garniron und Walter Jaeschke, Bd. 9, Hamburg 1986, 157. In der historisch-kritisch nicht gesicherten Vorlesung sagt Hegel, daß die frühe WL das „Wissen des Wissens erst zum Bewußtsein gebracht“ habe und bezeichnet sie als Darstellung der „absolute[n] Form“ (Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, in: ders.: Werke in zwanzig Bänden, hg. v. Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Bd. 20, Frankfurt a. M. 1969 – 1971, 388 und 393). Von „absolute[r] Form“ spricht Hegel sonst nur in bezug auf seine Wissenschaft der Logik als „System der reinen Vernunft“ (Hegel: Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Sein (1832), in: GW 21, 34). 180  Vgl. Kant: KrV, B 95 – 116, in: AA III, 86 – 99.

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zuleiten181. In diesen sind die Quantitätskategorien – wie Karen Gloy und Rainer Schäfer überzeugend zeigen – Einheit, Vielheit und Allheit enthalten182. Aus dem Gegensatz zwischen teilbarem Ich und teilbarem Nicht-Ich leitet Fichte im weiteren Argumentationsverlauf des theoretischen Teils der GWL in den Abschnitten Synthesis B bis D die Relationskategorien Wechselbestimmung, Kausalität sowie Substantialität und Akzidentalität und im Abschnitt Synthesis E die Kategorien der Modalität Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit ab183. Diese notwendige und zusammenhängende Deduktion bezieht sich nicht nur auf die Kategorien, sondern auf das gesamte theoretische Vorstellungsvermögen, das Fichte im zweiten Teil der GWL behandelt. Fichte zeigt, wie die kategorialen Beziehungen die produktive und reproduktive Einbildungskraft als unabhängige Tätigkeit immer schon voraussetzen, daß Verstand, Urteilskraft und Vernunft keine getrennten Vermögen sind, sondern der Verstand die durch die Vernunft fixierte Einbildungskraft oder die durch Einbildungskraft mit Objekten versehene Vernunft ist, und daß sich Verstand und Urteilskraft gegenseitig fordern184. Auch die Formen der Anschauung, Zeit und Raum, werden letztlich aus dem Vermögen der Einbildungskraft abgeleitet, was im Grundriß von 1795 genauer herausgearbeitet wird185 (vgl. § 5, III.). In diesem zweiten, theoretischen Teil der GWL wird an 181 

GWL 1794/95 – GA I/2, 261, 267, 282. Karen Gloy: „Fichtes Dialektiktypen“, in: Fichte-Studien 17 (2000) 103 – 124, hier: 117. Rainer Schäfer in bezug auf den dritten Grundsatz: „Daher impliziert die Kategorie der Limitation die Kategorien der Quantität (Einheit, Vielheit, Allheit). Da die Limi­ tation, die Bestimmung, nicht ohne Teilbarkeit möglich ist, und die Teilbarkeit nicht ohne Quantität, sind die Kategorien der Quantität zugleich mit der Notwendigkeit der Limitation abgeleitet“ (Schäfer: Johann Gottlieb Fichtes ‚Grundlage‘, 104). Sowie zur Substanzialität: „Daran wird deutlich, dass implizit in den Kategorien der Qualität (Realität, Negation, Limitation) und Quantität überhaupt die spezifischeren Quantitätskategorien (Einheit, Vielheit, Allheit) mitenthalten sein müssen; obgleich Fichte dies nicht ausführt. Die Einheit ist beim absoluten Ich zu verorten, die Vielheit die dem limitierten Ich und dem limitierten Nicht-Ich und die Allheit bei dem sich als Substanz setzenden Ich“ (118 f.). 183  Vgl. GWL 1794/95 – GA I/2, 287 – 301 und 378 f. 184  Vgl. GWL 1794/95 – GA I/2, 373 f. 185  Vgl. GWL 1794/95 – GA I/2, 350 und 371; Fichte: Grundriß des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre (1795), in: GA I/3, 129 – 208. In dieser Ergänzungsschrift zur GWL werden nicht nur die Anschauungsformen Raum und Zeit explizit abgeleitet, die in der GWL nur kurz erwähnt werden, sondern es wird auch eine Deduktion der Empfindung geleistet. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß Fichte hier auf die Tätigkeit des Bildens und das Bild als Produkt der Einbildungskraft zu sprechen kommt. Im Unterschied zur späteren Bildlehre, in der das rein verbaliter zu verstehende Bilden das aktive Zentrum des Wissens ist, versteht er das Bild insofern als Bild, als es sich auf ein Abgebildetes bezieht, d.h. das Bilden ist in der frühen WL in erster Linie ein Nachbilden. Das Abgebildete ist das wirkliche Ding, „nach welchem das bildende Ich in Entwerfung seines Bildes sich richtet“, und insofern das Bild auf das Ding bezogen wird, „ist es völlig bestimmt“ (GA I/3, 179 – 183). Dieses Verständnis von Bildlichkeit findet sich auch noch in der Wissenschaftslehre nova methodo: „Aber ein Bild bezieht sich auf ein Objekt; wo ein Bild ist, muß etwas sein, das 182  Vgl.

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einigen Stellen zwar der Eindruck erweckt, als ob die Einbildungskraft das höhere, geistige Vermögen sei, das noch über dem absoluten Ich stehe186. Dies hängt vor allem damit zusammen, daß die produktive Einbildungskraft als reines Übergehen nicht nur das teilbare Ich und teilbare Nicht-Ich synthetisiert, sich also nur auf der Ebene der Endlichkeit bewegt, sondern sie ist, so Fichte in der Grundlage, „ein Vermögen, das zwischen Bestimmung, und Nicht-Bestimmung, zwischen Endlichem, und Unendlichem in der Mitte schwebt“187. Sie schwebt zwischen absolutem und endlichem Ich, zwischen unendlicher und begrenzt-bestimmter Tätigkeit. Das Vermögen der Einbildungskraft wird im praktischen Teil aber „auf ein noch höheres […] zurükgeführt“, das in der Spontaneität des absoluten Ich begründet ist188. Im theoretischen Teil der GWL kann Fichte durch das Vermögen der Einbildungskraft erklären, wie es zu Vorstellungen kommt, was aber unbegreiflich bleibt, ist die Frage, warum es überhaupt zu Vorstellungen und einem Objektbewußtsein kommt. Diese Frage glaubt Fichte in der ersten WL durch die Lehre vom Anstoß lösen zu können. Die Lehre vom Anstoß aus dem Jahr 1794/95 hängt unmittelbar mit dem „Vorwurf der Leerheit“ zusammen, mit dem sich Fichte in der WL 1804II auseinandersetzt und gegen den er sein spätes System „gesichert“ sieht, „weil es das Leben selbst zu seiner Wurzel aufgenommen“ hat189. Ob der Vorwurf der Leerheit gegenüber der frühen WL berechtigt ist oder nicht, läßt Fichte, wie in bezug auf den Vorwurf des Dualismus, ebenfalls offen. (4) In der Anstoßlehre wiederholt sich der Gegensatz zwischen Ich und NichtIch der Grundsatzlehre, nur noch einmal auf einer anderen Ebene; die Frage des Dualismus und das Problem der Leerheit hängen also unmittelbar miteinander zusammen. Durch die Anstoßlehre soll ein Problem gelöst werden, das sich seit dem dritten Grundsatz stellt und im zweiten Teil immer wieder andiskutiert, aber nicht erklärt werden konnte: das Problem der Wirklichkeit der Vorstellung190. Der Gegensatz zwischen Ich und Nicht-Ich konnte in der Grundsatzlehre und im theoretischen Teil durch eine Quantifizierung der Tätigkeit gelöst werden, d.h., dem Nicht-Ich abgebildet wird. So ist auch die ideale Tätigkeit geschildert worden, als ein Nachmachen, als Nachbilden“ (Fichte: Wissenschaftslehre nova methodo [Nachschrift Krause] (1798/99), in: GA IV/3, 366). Vgl. dazu Julius Drechsler: Fichtes Lehre vom Bild, 73 – 86; Eva Schürmann: Sehen als Praxis. Ethisch-ästhetische Studien zum Verhältnis von Sicht und Einsicht, Frankfurt a. M. 2008, 156 – 161. 186  Vgl. Hegel: Differenz des Fichte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie (1801), in: GW 4, 1 – 92, hier besonders: 38 ff. 187  GWL 1794/95 – GA I/2, 360, Kursivierung von mir, P.T. 188  GWL 1794/95 – GA I/2, 361. 189  WL 1804-II – StA, 96 – GA II/8, 144. 190  Zur Anstoßlehre in der GWL vgl. Alois K. Soller: „Fichtes Lehre vom Anstoß, NichtIch und Ding an sich in der GWL“, in: Fichte-Studien 10 (1997) 175 – 189. Soller macht in seiner sehr kritischen, aber zugleich sehr treffenden Analyse deutlich, daß Fichte „den Gedanken eines Ding an sich […] nicht verabschiedet hat“ (182) und viele Theorieelemente des praktischen Teils wie „das Streben des Ich, das Nicht-Ich zu verichlichen, […] im Dunkeln“ bleiben (189).

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kam insofern Realität zu, als es als tätiges gesetzt wurde. In der Analyse des Wesens der Einbildungskraft zeigte sich, daß Realität und Tätigkeit auf das Nicht-Ich nur übertragen werden können, weil dieses Nicht-Ich ein rein vorgestelltes NichtIch und somit ein Produkt der Einbildungskraft ist. Fichte konnte daher erklären, wie Realität auf das Nicht-Ich übertragen wird, was jedoch „in der theoretischen Wissenschaftslehre […] unbegreiflich ist“191, ist die Frage, warum überhaupt Tätigkeit auf das Nicht-Ich übertragen wird. Diese Problemstellung faßt Fichte im dritten, praktischen Teil der GWL sehr pointiert zusammen: Das „Princip des Lebens und Bewußtseyns, der Grund seiner Möglichkeit, [ist] im [absoluten] Ich enthalten, aber dadurch entsteht noch kein wirkliches Leben, kein empirisches Leben in der Zeit; und ein anderes ist für uns schlechterdings undenkbar. Soll ein solches wirkliches Leben möglich sein, bedarf es dazu noch eines besonderen Anstoßes auf das Ich durch ein Nicht-Ich.“192

Fichte unterscheidet in der GWL von 1794/95 zwischen der Spontaneität der Vernunft als Prinzip des Lebens und dem Leben selbst. Das Leben ist in der GWL als empirisches, endliches und der Kontingenz verhaftetes Leben zu verstehen. Das in diesem Sinne wirkliche Leben ist immer der Zeit unterworfen, und Zeitlichkeit – dies gilt für den frühen wie für den späten Fichte193 – steht immer im Zusammenhang mit der Struktur der Endlichkeit und des endlichen Bewußtseins, d.h. mit der Subjekt-Objekt-Spaltung. An dieser Stelle wird deutlich, daß sich der Begriff des Lebens der Grundlage deutlich von demjenigen der WL ab 1804 unterscheidet. Im Unterschied zur frühen WL liegt das reine Leben der späten WL im Sinne des esse in mero actu und absoluten Seins vor aller Zeitlichkeit, vor aller Empirie und vor dem trennenden Bewußtsein. Im Unterschied zur frühen WL fallen in den späten Fassungen Spontaneität der Vernunft und absolutes Leben zusammen, zumindest vom Standpunkt des Vollzugs aus. Das absolute Leben der späten WL weist nur in dem Sinne über die Vernunft ‚hinaus‘, weil das Leben der Vernunft nicht vollständig mit der Selbstbezüglichkeit der absoluten Form des Wissens zusammenfällt. Im Kern wird in der WL ab 1804 – im Unterschied zur GWL – das Verhältnis von Leben und Ich umgekehrt: Das Ich ist nicht mehr Prinzip des Lebens, sondern am tiefsten Punkt seiner Sichdurchdringung verweist die Spontaneität und Sicherzeugung des Ich auf ein unerzeugbares und immer schon vorausgesetztes Leben. Der „Vorwurf der Leerheit“, dem sich Fichte in der späten WL durch den veränderten Lebensbegriff entzogen glaubt, hat in der GWL seinen tieferen und systematischen Grund: es ist die Differenz zwischen der Möglichkeit und der Wirklichkeit der Vorstellungen. Fichtes These, daß „[a]lles, was im Ich gesezt ist, […] Realität [ist] und alle Realität […] im Ich gesezt“ ist194, beinhaltet ja gerade, daß 191 

GWL 1794/95 – GA I/2, 328. GWL 1794/95 – GA I/2, 410 f. 193  Vgl. Fichte: Grundriß des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre (1795), in: GA I/3, 206 ff.; Principien 1805 – GA II/7, 468 f. und 485 ff. 194  GWL 1794/95 – GA I/2, 296. 192 

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nicht alles im Ich Gesetzte auch wirklich und in diesem Sinne empirische Wirklichkeit ist195. Trotzdem bedeutet dies aber umgekehrt, daß alle Spekulationen innerhalb der ersten WL ohne einen Anstoß im Modus der Möglichkeit und damit der Problematizität bleiben. Ohne einen unbegreiflichen „Anstoß auf das Ich durch ein Nicht-Ich“ kann es nicht zum „wirklichen Leben“ und der Wirklichkeit der Vorstellung kommen196. Oder noch einmal mit anderen Worten: „daß aber überhaupt das Ich vorstellend sey, ist nicht allerdings durch das Ich, sondern durch etwas ausser dem Ich bestimmt“197. Die „Frage, […] wodurch der für die Erklärung der Vorstellung anzunehmende Anstoß auf das Ich geschehe“198, wird von Fichte in folgender Weise beantwortet: Das Ich setzt einen Gegenstand, d.h. „ein gegenstehendes, entgegengesetztes Nicht-Ich“ nur, „insofern einer Thätigkeit des Ich widerstanden wird“. Fichte zieht daraus den Schluß: „keine solche Thätigkeit des Ich, kein Gegenstand“199. Weiterhin schlußfolgert er, daß ein Objekt nur gesetzt wird, insofern Tätigkeit und Gegenstand aufeinander bezogen werden, „und inwiefern sie nicht bezogen werden, wird kein Objekt gesezt“. „Von dieser Beziehung“, so heißt es weiter, „hängt gleichfalls das Setzen eines Objekts überhaupt ab“200. Die ursprünglichste aller Beziehungen im Horizont der frühen WL – und zugleich die Möglichkeit eines Anstoßes – ist diejenige zwischen absolutem Ich und Nicht-Ich. So wie im ersten und zweiten Grundsatz Ich und Nicht-Ich schlechthin, absolut und ohne äußeren Grund gesetzt werden, „so geschieht auch die Beziehung schlechthin und ohne allen Grund“201. Der Gegensatz zwischen Ich und Nicht-Ich, der die frühe Wissenschaftslehre in ihrer gesamten Dynamik bestimmt, wird erst im praktischen Teil in seinem tieferen Wesen durchdrungen: „[E]rst jezt ist völlig erklärt, inwiefern das Setzen eines Nicht-Ich absolut sey: es ist absolut, inwiefern es sich auf jene lediglich vom Ich abhängende Beziehung gründet. Sie werden schlechthin bezogen, heißt, sie werden schlechthin gleichgesetzt. Da sie aber, so gewiß ein Objekt gesezt werden soll, nicht gleich sind, so läßt sich nur sagen, ihre Gleichheit werde schlechthin gefordert: sie sollen schlechthin gleich seyn“202.

Das absolute Ich ist nicht einfach nur das Sichsetzen im Sinne des Sicherzeugens, sondern der tiefere Grund und Wesenszug der Tathandlung ist die Beziehung zum Nicht-Ich – das absolute Ich ist damit bereits schon in der ersten WL die Beziehungs- und Verhältnismacht. Die „reine Thätigkeit ist in dieser Rüksicht Bedingung des Beziehens, ohne welches kein Setzen des Objekts möglich ist“203. In dieser 195 

Vgl. GWL 1794/95 – GA I/2, 410. GWL 1794/95 – GA I/2, 410 f. 197  GWL 1794/95 – GA I/2, 386. 198  GWL 1794/95 – GA I/2, 361. 199  GWL 1794/95 – GA I/2, 394 f. 200  Ebd., Kursivierung von mir, P.T. 201  GWL 1794/95 – GA I/2, 396, Kursivierung von mir, P.T. 202  GWL 1794/95 – GA I/2, 396, Kursivierung von mir, P.T. 203  GWL 1794/95 – GA I/2, 398. 196 

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Teil 1: Vom transzendentalen Subjektivismus zur Totalitätswissenschaft

Antizipation eines der Kerngedanken der Spätphilosophie zeigt sich zugleich aber auch die Differenz: die Beziehung, d.h. die „Uebereinstimmung des Objekts mit dem Ich“, wird nicht realisiert, sondern lediglich „gefordert“204. Der „Beziehungsgrund“ zwischen Ich und Nicht-Ich liegt „in der Forderung, daß alle Thätigkeit der des Ich gleich seyn soll, und diese Forderung ist im absoluten Seyn des Ich gegründet“205. Diese Forderung bleibt aber nur ein „Ideal“. Fichte sagt selbst, daß das Ich mit dem Nicht-Ich „nicht übereinstimmen“ kann, es zu einer „wirklichen Gleichheit“ also niemals kommen kann. Die Forderung nach Gleichheit von Ich und Nicht-Ich ist daher „gar kein Bestimmen […], sondern es ist bloß eine Tendenz, ein Streben zur Bestimmung, das […] durch das absolute Setzen des Ich gesezt“ ist206. Die erste und grundsätzliche Bedingung faßt Fichte in folgender Weise zusammen: „[D]ie reine in sich selbst zurükgehende Thätigkeit des Ich ist in Beziehung auf ein mögliches Objekt […] ein unendliches Streben. Dieses unendliche Streben ist […] die Bedingung der Möglichkeit alles Objektes […]. Kein unendliches Streben des Ich, kein endliches Objekt im Ich“207. Die Möglichkeit eines Anstoßes ist aber noch an eine zweite Bedingung geknüpft: die Notwendigkeit der Reflexion oder – was gleichbedeutend ist – das Sichsetzen des Ich als sich setzend 208. Das unendliche Streben soll „in irgend einem 204  GWL 1794/95 – GA I/2, 396. Das absolute Ich der GWL ist lediglich die Bedingung des Beziehens, wohingegen das absolute Wissen der WL ab 1804 das Beziehen selbst ist. Die Grundbewegung in der späten WL ist nicht, daß das Nicht-Ich unter dem Primat der Identität und Einheit mit dem Ich gleichgesetzt werden soll, sondern die Einheit des absoluten Wissens differenziert sich selbst und bezieht sich durch die Differenz hindurch auf sich selbst. 205  GWL 1794/95 – GA I/2, 396 f. 206  GWL 1794/95 – GA I/2, 397. 207  GWL 1794/95 – GA I/2, 397 und 401. 208  Die Formel „Das Ich setzt sich schlechthin als sich setzend“ hat in der Forschung immer wieder für Diskussionen gesorgt (vgl. Wolfgang Class/Alois K. Soller: Kommentar zu Fichtes ‚Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre‘, Amsterdam/New York 2004, 399 – 412). Dies hängt vor allem damit zusammen, daß Dieter Henrich in seiner am stärksten rezipierten Fichte-Studie Fichtes ursprüngliche Einsicht, Frankfurt a. M. 1967 eine Drei-Stadien-Theorie entwickelt hat, in der sich jede Entwicklungsstufe auf eine Formel bringen lasse. Die erste Phase von 1794/95 lasse sich auf die Formel bringen: „Das Ich setzt schlechthin sich selbst“ (Henrich, 17), die Formel der zweiten Phase von 1797 laute: „Das Ich setzt sich schlechthin als sich setzend“ (Henrich, 21) und die dritte Phase – in der Datierung Henrichs von 1801 bis 1812 – beinhalte, daß das Selbstbewußtsein eine Tätigkeit sei, der ein Auge eingesetzt ist (vgl. Henrich, 25). Bereits Wolfgang Janke widerspricht dieser Drei-Stadien-Theorie ganz fundamental. Janke hält die Formeln für inadäquat und macht deutlich, daß es zwischen 1801 und 1804 noch einmal eine grundlegende Zäsur gibt. Die Formel für die erste Phase von 1794/95, so Janke, laute: „Das Ich setzt sich schlechthin als sich setzend“, für die zweite Phase von 1801: „Das Wissen erblickt sich in intellektueller Anschauung als absolutes Wissen“ und für die dritte Phase: „Das Wissen versteht sich als Bild des Absoluten“ (Wolfgang Janke: Fichte. Sein und Reflexion, 416). Unabhängig vom Fehlen der Wissenschaftslehre nova methodo und der zweiten Berliner Phase von 1809 bis 1814 in Jankes Schema und der mangelnden Differenzierung der Wissenschaftslehre nach 1801 bei

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Punkte anstoßen, und in sich selbst zurückgetrieben werden“209. Die erste und ursprüngliche Form des Zurückgetriebenwerdens und Einschränkens ist die Reflexion auf sich selbst. Das Ich muß, „so gewiß es ein Ich ist, unbedingt, und ohne allen Grund das Princip in sich haben über sich selbst zu reflektiren“210. An entscheidender Stelle der Grundlage heißt es im praktischen Teil: „Das Ich sezt sich selbst schlechthin, und dadurch ist es in sich selbst vollkommen, und allem äussern Eindrucke verschlossen. Aber es muß auch, wenn es ein Ich seyn soll, sich setzen, als durch sich selbst gesezt; und durch dieses neue, auf ein ursprüngliches Setzen sich beziehende Setzen öfnet es sich, daß ich so sage, der Einwirkung von aussen; es sezt lediglich durch diese Wiederholung des Setzens die Möglichkeit, daß auch etwas in ihm seyn könne, was nicht durch dasselbe selbst gesetzt sey. Beide Arten des Setzens sind die Bedingung einer Einwirkung des Nicht-Ich; ohne die erstere würde keine Thätigkeit des Ich vorhanden seyn, welche eingeschränkt werden könnte; ohne die zweite würde diese Thätigkeit nicht für das Ich eingeschränkt seyn; das Ich würde sich nicht setzen können, als eingeschränkt. So steht das Ich, als Ich, ursprünglich in Wechselwirkung mit sich selbst, und dadurch erst wird ein Einfluss von aussen in dasselbe möglich.“211

Fichte bezeichnet dies als „den gesuchten Vereinigungspunkt zwischen dem absoluten, praktischen, und intelligenten Wesen des Ich“ und glaubt damit den „Grund der Möglichkeit eines Einflusses des Nicht-Ich auf das Ich im Ich selbst“ gefunden zu haben 212. Die Notwendigkeit der Reflexion und damit die Wieder­holung des Setzens sowie die Forderung der Gleichheit von Ich und Nicht-Ich glaubt Fichte aus dem Sichsetzen des absoluten Ich ableiten zu können: „[J]ene nothwendige Reflexion des Ich auf sich selbst ist der Grund alles Herausgehens aus sich selbst, und die Forderung, daß es die Unendlichkeit ausfülle, der Grund des Strebens nach Kausalität überhaupt; und beide sind lediglich in dem absoluten Seyn des Ich begründet.“213 Henrich setzen beide Forscher unterschiedliche Akzente. Für Henrich ist die WL vor allem eine Theorie des Selbstbewußtseins und für Janke ist sie in erster Linie eine Theorie des Wissens, das sich als Bild des Absoluten versteht. Fichtes späte Wissenschaftslehre erschöpft sich nicht in der Frage, was das Ich seinem Wesen nach ist, sondern sie ist als Theorie des Wissens eine Totalitätswissenschaft, die einen Beitrag zur Einheits-Vielheits-Problematik leistet, also im Kontext der gesamten Philosophiegeschichte steht und nicht nur demjenigen der Neuzeit. Henrich versteht die Weiterentwicklungen der WL als ständige Revision der vorherigen Position. Für Janke ist Fichtes Fortschreiten keine Dementierung der vorherigen Position, sondern eine „stetige Vertiefung“. In der Tat ist es aber beides: es ist Revision und Vertiefung zugleich. Zum Verständnis der Formel „Das Ich setzt sich schlechthin als sich setzend“ ist aber entscheidend, daß Fichte diese tatsächlich bereits in der GWL von 1794/95 vorträgt, er sie aber weniger für eine Theorie des Selbstbewußtseins verwendet, sondern für die Anstoßlehre. Durch die zweite, wiederholende Setzung öffnet sich das Ich der Einwirkung von außen (vgl. Rainer Schäfer: Johann Gottlieb Fichtes ‚Grundlage‘, 202 f.). 209  GWL 1794/95 – GA I/2, 408. 210  GWL 1794/95 – GA I/2, 407. 211  GWL 1794/95 – GA I/2, 409. 212  GWL 1794/95 – GA I/2, 408 f. 213  GWL 1794/95 – GA I/2, 408.

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Durch die Notwendigkeit der Reflexion und das unendliche Streben öffnet sich das Ich einer Einwirkung von außen, d.h. die Möglichkeit eines Anstoßes durch ein Nicht-Ich kann erklärt werden, ohne daß die Stellung des absoluten Ich als ersten Prinzips aufgeben werden muß. Im Gegenteil: eine Einwirkung von außen kann auf das reine Sich-Setzen des absoluten Ich zurückgeführt werden, so daß Fichte die Wirklichkeit von Vorstellungen erklären kann. Trotzdem muß festgehalten werden, daß ein Anstoß zwar erst durch die Wechselwirkung des Ich mit sich möglich ist, dieser aber letztlich unbegreiflich bleibt und aus dem Ich selbst nicht hervorgeht, d.h., das Ich ist durch den Anstoß bedingt und die Vernunft bleibt ohne diesen Anstoß des Nicht-Ich im Modus der Möglichkeit. Das Ich schafft zwar die Bedingungen für die Wirklichkeit der Vorstellung, es ist die Bedingung für den Übergang vom unendlich-reinen zum endlich-empirischen Ich und damit für den Übergang von der reinen Vernunft zum empirischen Bewußtsein, aber es vollzieht ihn nicht, sondern strebt die Realisierung als Ideal an. Der Vorwurf der Leerheit, den Fichte in der WL 1804-II thematisiert, meint letztlich die Bedingtheit des gesamten ersten Vernunftsystems durch einen notwendigen, aber zugleich unbegreiflichen Anstoß. Die Grundlage von 1794/95 wirft sowohl vom Standpunkt der späten als auch der frühen WL im wesentlichen drei Probleme auf: 1) Fichte kehrt nicht zum Ausgangspunkt zurück, sondern die Rückkehr zum Grundsatz bleibt eine Forderung. Statt vom „Ich = Ich“ ist im praktischen Teil nur noch davon die Rede, daß Ich und Nicht-Ich „schlechthin gleich seyn [sollen]“214. Die Rückkehr in den Grundsatz und damit zur Einheit ist am Ende der GWL nur ein Postulat, genauer gesagt: eine gesollte Einheit. Die Kreisstruktur, die Fichte als Garant für die Vollendung und Geschlossenheit seines Vernunftsystems ansieht, kann von ihm nicht vollständig umgesetzt werden. 2) Mit der Anstoßlehre hängen gleich zwei Aspekte zusammen, die Fichte an Kant bemängelte: die Lehre von den Dingen an sich und die Bedingtheit der Apperzeption durch das Objektbewußtsein. Fichtes Anspruch war es, die Vorstellung von den Dingen an sich vollständig aufzuheben, so daß es kein Außerhalb des Wissens und damit kein Außerhalb mehr von Begriff und Anschauung gibt. Der Anstoß ist zwar durch die reine Tätigkeit bedingt und steht insofern unter dem Primat des absoluten Ich, trotzdem gelingt es Fichte nicht, auf ein Moment außerhalb des Wissens zu verzichten. Die Vorstellungen sind zwar keine leeren Spiegelungen des Wissens, die keinen Bezug zur Wirklichkeit haben, sondern Fichte kann zeigen, daß diesen Vorstellungen empirische Wirklichkeit zukommt, aber – und dies ist ganz entscheidend – sie haben trotzdem nur den Charakter von subjektiven Vorstellungen. Fichtes Anstoßlehre ist keine Aufhebung, sondern eine Modifikation der Lehre von den Dingen an sich, das Problem des Subjektivismus ist damit auch noch nicht gelöst, sondern stellt sich vor diesem Hintergrund erneut215. 214 

GWL 1794/95 – GA I/2, 257 und 396. Die These einer Modifikation der Lehre vom Ding an sich ist weitgehender Konsens in der Fichte-Forschung und wird zuletzt auch von Rainer Schäfer vertreten: „Das Ding an sich wird von Fichte also nicht aus der kritischen Philosophie eliminiert, sondern – ganz im 215 

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3) Fichtes Äußerungen in der Transscendentalen Logik II von 1812 – und damit das zweite Problem in bezug auf die Anstoßlehre – ließen darauf schließen, daß er die Bedingtheit der Apperzeption durch ein Objektbewußtsein in Kants Lehre vom Ich ebenso aufheben wollte216. Das absolute Ich ist zwar qua Selbstsetzung vollständig unbedingt, aber die Genese des endlichen Ich oder – was gleichbedeutend ist – der „Intelligenz überhaupt“217 ist durch den Anstoß eines Nicht-Ich bedingt, d.h., die unbedingte und unendliche Vernunft ist das Prinzip des Bewußtseins und nicht von einem bestimmten Objektbewußtsein abhängig, aber der Übergang vom absoluten Ich zum Bewußtsein und damit zum endlichen Ich ist durch den Anstoß des Nicht-Ich bedingt. Bei Fichte heißt es dazu: „Mithin ist das absolute Ich, und das intelligente […] nicht Eins und eben dasselbe, sondern sie sind einander entgegengesetzt“218. Der Gegensatz zwischen Ich und Nicht-Ich in der Grundsatzlehre verwandelt sich im praktischen Teil in einen Gegensatz von absolutem und endlichem Ich. Es ist letztlich dieser Dualismus, durch den der Vorwurf der Leerheit – und das bedeutet in Wahrheit die Bedingtheit durch die Empirie – hervorgerufen wird. Mit der Idee einer Wiederholung der Setzung zeigt Fichte, daß bereits sein erster Ansatz immer schon die Position einer einfachen Reflexionsphilosophie überwunden hat219. Indem das absolute Ich das Prinzip des Lebens, des Bewußtseins und der Reflexion ist, kann das reflektierende Ich nicht ins Unendliche fortschreiten, sondern muß auf das Prinzip der Reflexion – das absolute Ich – zurückgehen. Trotzdem treten aber in Fichtes GWL Probleme auf, die auch der Reflexionsphilosophie eigen sind 220, d.h. die Gefahr des Subjektivismus, die letztlich auf den Dualismus von Ich und Nicht-Ich zurückgeht. Der spekulative Ansatz Fichtes ab 1804 versucht die Gegensätze zu vermitteln und den Subjektivismus zu vermeiden. Um den Zusammenhang zwischen Subjektivismus und Dualismus deutlicher zu fassen, soll abschließend eine Randbemerkung Fichtes innerhalb der GWL aufgegriffen werSinne Kants – als ein Grenzbegriff bestimmt“ (ders.: Johann Gottlieb Fichtes ‚Grundlage‘, 209). Demgegenüber behauptet Edith Düsing, die „Aufhebung des Dinges an sich“ (vgl. dies.: Intersubjektivität und Selbstbewußtsein. Behavioristische, phänomenologische und idealistische Begründungstheorie bei Mead, Schütz, Fichte und Hegel, Köln 1986, 191 – 199, hier: 191), eine These, die Schäfer für „offensichtlich falsch[]“ hält (Schäfer, 261), da mit der Beseitigung des Dings an sich das Ich seine eigene Endlichkeit sowie den Grundansatz der GWL aufheben würde. 216  Vgl. Transscendentale Logik II (1812) – StA, 69 – GA II/14, 244 f. 217  GWL 1794/95 – GA I/2, 387. 218  GWL 1794/95 – GA I/2, 387. 219  Daß die frühe WL keine einfache Reflexionsphilosophie ist, wird bereits schon von Nikolai Hartmann herausgearbeitet, allerdings wendet er sich zugleich gegen die Bezeichnung des „subjektiven Idealismus“. Diese treffe „schon auf die Darstellung von 1794 nicht zu“, sie versage aber „erst recht an der späteren und definitiven Form der Wissenschaftslehre“, mit der Begründung, daß diese „in den absoluten Realismus der lebendigen, subjektlosen Gottheit umschlägt“ (Hartmann: Die Philosophie des Deutschen Idealismus, Berlin 1923/29, ²1960, 40 – 106, hier: 79 f.). 220  Vgl. Schäfer: Johann Gottlieb Fichtes ‚Grundlage‘, 247.

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den, die dem Grundansatz der ersten WL zwar widerspricht, aber zugleich auf die Lösung der späten WL vorausdeutet. (5) Das Kernproblem der GWL, so die abschließende These, besteht darin, daß Negativität zwar ein Moment des Begriffs des Ich, aber kein Moment der Einheit bzw. des absoluten Ich und folglich keine in sich differenzierte Einheit ist. Fichte bezeichnet in der WL 1804-II den höheren Idealismus nicht ohne Grund auch als „Subjektivismus“. Sowohl das absolute Ich des höheren Idealismus in der WL 1804-II, als auch dasjenige der Grundlage von 1794/95 sind nicht in sich differenziert, sondern in sich geschlossen. Wie bereits erwähnt, ist das „absolute Ich“ des höheren Idealismus zu „keiner innern Disjunktion fähig“, es ist in „sich selber ewig gleich[]“ und das „Disjunktionsprincip“ wird sich „niemals rechtlich genetisch auffinden“ lassen 221. Ebenso ist das absolute Ich des ersten Grundsatzes der GWL „in sich selbst vollkommen, und […] verschlossen“222. Da die Negativität nicht als etwas der absoluten Tathandlung Immanentes verstanden wird, gibt es nicht nur zwei Prinzipien, sondern es kommt gleichursprünglich zu einem Subjektivismus, genauer gesagt: zu einer Verabsolutierung der endlichen Subjektivität. Die erkennende Subjektivität steht der Empirie gegenüber, die sie nicht vollständig einzuholen vermag, die zwar mit dem Ich übereinstimmen soll, aber nicht kann – und dies nicht zuletzt deshalb, weil sich die Angleichung lediglich auf die Form, aber nicht auf den Gehalt des Nicht-Ich bezieht223. Das Apriori, die Form des Erkenntnisvollzugs, bleibt daher etwas vom bestimmten Erkenntnisgehalt Unterschiedenes und insofern Äußerliches. Die frühe WL ist zwar keine einfache Reflexionsphilosophie, aber sie fixiert letztlich den Gegensatz zwischen Ich und Nicht-Ich, Subjekt und Objekt. Um so bemerkenswerter ist es, daß Fichte im praktischen Teil der GWL eher beiläufig eine Formulierung wählt, die über den Grundansatz der ersten WL ­hinausweist und bereits von Rainer Schäfer problematisiert wird224: Fichte spricht im Zusammenhang mit der Anstoßlehre von einer „Verschiedenheit im absoluten Ich“225. Dazu heißt es: „Demnach müßte schon ursprünglich im Ich selbst eine 221 

WL 1804-II – StA, 134 f. – GA II/8, 200. GWL 1794/95 – GA I/2, 409. 223  Vgl. GWL 1794/95 – GA I/2, 397; vgl. Schäfer: Johann Gottlieb Fichtes ‚Grundlage‘, 196. 224  Rainer Schäfer schreibt dazu: „Mit dieser Annahme einer Verschiedenheit im absoluten Ich selbst widerspricht Fichte seinen eigenen Grundvoraussetzungen, insbesondere denjenigen aus dem ersten Grundsatz. […] Die Verschiedenheit im absoluten Ich, von der Fichte hier spricht, besteht zwar nicht darin, daß schon im absoluten Ich des ersten Grundsatzes das Nicht-Ich integriert werde, sondern diese Verschiedenheit, die sich bereits im absoluten Ich findet, ist als das Sich-offen-Halten für eine Fremdeinwirkung eine bloße Möglichkeit, eine Virtualität. Nach Fichtes eigener Konzeption ist das Ich im ersten Grundsatz aber ausschließlich für sich selbst offen, nicht für eine Fremdeinwirkung“ (ders.: Johann Gottlieb Fichtes ‚Grundlage‘, 201). 225  GWL 1794/95 – GA I/2, 405, Kursivierung von mir, P.T. 222 

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Verschiedenheit seyn, wenn jemals eine darein kommen sollte“226. Die Idee einer Gegensätzlichkeit im absoluten Ich ist vor dem Hintergrund aller bisherigen Ausführungen mit der Grundkonzeption der GWL und dem bisherigen Verständnis des absoluten Ich nicht vereinbar. Fichte wird diesen „Widerspruch“, wie bereits dargestellt, durch die „Wiederholung des Setzens“ und die ursprüngliche „Wechselwirkung mit sich selbst“ lösen, so daß von einem tatsächlichen Konzeptionswechsel innerhalb der GWL nicht gesprochen werden kann 227. Trotzdem bleibt festzuhalten, daß sich bereits hier eine Lösung ankündigt, die Fichte zehn Jahre später ausbuchstabiert: Das Bilden, das ab 1804 an die Stelle des absoluten Ich tritt, ist nicht nur das Einheits-, sondern auch das Differenzprinzip, da Negativität als immanentes Moment der Einheit des Wissens verstanden wird. Negativität ist kein unbegreifliches Moment, sondern hat ihren Ursprung in der Selbstunterscheidung des Bildens, da es aus sich heraus sein eigenes Gegenteil – das fixierte Bild im Gegensatz zum lebendigen Bilden – erzeugt, d.h., Negativität wird aus der Einheit des lebendigen Bildens heraus gesetzt. Das Bilden ist damit – im Unterschied zum absoluten Ich von 1794/95 als unmittelbarer Einheit – eine in sich differenzierte und sich selbst differenzierende Einheit. Um es noch einmal auf andere Weise auszudrücken: Vom Standpunkt des Spätwerks aus besteht ein notwendiger Zusammenhang zwischen Selbstbeziehung, Selbstunterscheidung und Negativität. Die reine, radikal spontan verstandene, sich erzeugende und autonome Vernunft ist per se und immer schon selbstbezüglich. Fichte verwendete in der GWL wohl auch deshalb den Begriff „reines oder absolutes Ich“, um dieses Moment der reinen Selbstbezüglichkeit adäquat zum Ausdruck bringen zu können. Aber – und diese Position teilte Fichte 1794/95 noch nicht – der Selbstbezug ist nur zu verstehen und kann auch nur vollzogen werden, wenn es etwas gibt, wovon sich das Ich unterscheidet. Mit anderen Worten: Das Ich ist in ein und derselben Bewegung des Begriffs immer schon auf das Nicht-Ich bezogen und zugleich von ihm unterschieden. Für den frühen Fichte war Negativität etwas, was erst mit dem zweiten Grundsatz eingeführt wurde; der frühe Fichte geht also davon aus, daß sich eine reine Einheit ohne jegliche Beziehung zu Differenz und Negation denken lasse. Tatsächlich läßt sich aber ein Ich im Sinne einer reinen Einheit nur denken, begreifen und verstehen, wenn es auf das Nicht-Ich und damit auf die Differenz bezogen ist. Fichtes Konzept des absoluten Ich barg nicht nur die Möglichkeit, es als empirisches Selbstbewußtsein fehl zu deuten, obwohl vom reinen Wissen die Rede war, sondern es beinhaltet auch grundlegende Schwierigkeiten hinsichtlich des Verhältnisses von Einheit und Differenz. Der Hauptunterschied im Ansatz des frühen und späten Fichte besteht – neben der Annahme eines absoluten Lebens – zwischen dem absoluten Ich als unmittelbarer Einheit einerseits und dem absoluten Bilden als sich selbst differenzierende Einheit andererseits. Die Verschiedenheit zwischen dem frühen und dem späten 226  227 

GWL 1794/95 – GA I/2, 405. GWL 1794/95 – GA I/2, 409.

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Teil 1: Vom transzendentalen Subjektivismus zur Totalitätswissenschaft

Fichte kann philosophiehistorisch mit der Differenz zwischen Parmenides und Platon verglichen werden: Mit der bestimmten Negation, die in Parmenides’ Ansatz fehlt, entwickelte Platon zugleich – als Lösung des Einheits-Differenz-Pro­ blems – das Konzept einer in sich differenzierten Einheit228. Im engeren, ideengeschichtlichen Kontext der Klassischen Deutschen Philosophie markiert genau dies den Übergang von der Reflexionsphilosophie zur Spekulation, wie Hegel in der Rechtsphilosophie festhält: Das „Ich […] im ersten Satze der Fichteschen Wissenschaftslehre“ sei „nur als Positives genommen […], so daß dieses abstrakte Ich für sich das Wahre sein soll“ und „das Negative überhaupt […] im zweiten Satze […] hinzukommt“229. Und weiter heißt es: „Die im Allgemeinen oder Identischen, wie im Ich, immanente Negativität aufzufassen, war der weitere Schritt, den die spekulative Philosophie zu machen hatte, – ein Bedürfniß, von welchem diejenigen nichts ahnen, welche den Dualismus der Unendlichkeit und Endlichkeit nicht einmal in der Immanenz und Abstraktion, wie Fichte, auffassen.“230

Daß dieses Urteil nur auf den frühen Fichte zutrifft und der späte Fichte – mit Hegel vergleichbar – die Negativität als Moment der Einheit begreift, und er vor allem deshalb die Wissenschaftslehre ab 1804 zu einer Totalitätswissenschaft weiterentwickeln kann, die spekulativ vorgeht und die Probleme der Reflexionsphilosophie endgültig hinter sich lassen kann, wird sich im folgenden zeigen.

§ 3  Die Zurückführung alles Mannigfaltigen auf absolute Einheitin den Jahren 1804/05 und 1812 Bevor in § 4 das Bilden als Beziehungsmacht analysiert wird, geht es im folgenden um den Begriff der späten Wissenschaftslehre. Durch einige Vor- und Rückblicke konnte bereits in § 2 die Annahme Günter Zöllers bekräftigt werden, daß „die Ausbildung der Wissenschaftslehre Reifeprozessen unterliegt“, die „als sukzessive und variative Ausformung und Ausarbeitung gewisser Grundeinsichten verstanden werden“ können 231. Auf der anderen Seite wurde aber ebenso deutlich, daß es ab 1804 zu fundamentalen Veränderungen kommt. Dies gilt nicht nur für die Rolle des absoluten Ich, sondern auch für das grundlegende Verhältnis von Einheit und 228  Vgl. Platon: Parmenides, 143a-144e, in: ders.: Sämtliche Werke in zehn Bänden, Griechisch und Deutsch, nach der Übersetzung Friedrich Schleiermachers, ergänzt durch Übersetzungen von Franz Susemihl und anderen, hg. v. Karlheinz Hülser, Bd. VII: Parmenides – Sophistes – Politikos, Frankfurt a. M. 1991, 61 – 65. Zur These der in sich differenzierten Einheit bei Platon vgl. Theodoros Penolidis: „Zu Liebrucks’ Interpretation des späten Platon“, in: Die drei Revolution der Denkart. Systematische Beiträge zum Denken von Bruno Liebrucks, hg. v. Max Gottschlich, Freiburg/München 2013, 13 – 41. 229 Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse, in: GW 14.1, 37 f. 230 Ebd., Hervorhebung teilweise von mir, P.T. 231 Günter Zöller: „‚On revient toujour…‘: Die transzendentale Theorie des Wissens beim letzten Fichte“, in: Fichte-Studien 20 (2003) 253 – 266, hier: 259 f.

§ 3  Die Zurückführung alles Mannigfaltigen auf absolute Einheit

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Differenz. Fichte bewegte diese Frage bereits in seinen philosophischen Anfängen, allerdings kommt es ab 1804 dahingehend zu einer Vertiefung, daß das Ziel nicht mehr in der vollständigen Darstellung aller Handlungen des menschlichen Geistes besteht, sondern Fichte beantwortet das Verhältnis von Einheit und Differenz vor dem Hintergrund eines neuen Dialektik- und Totalitätsverständnisses. Die Fragen zur Einheit, Negativität und Selbstbezüglichkeit werden erst zehn Jahre nach dem Erscheinen der ersten Wissenschaftslehre in ihrer ganzen Tiefe erschlossen. Im folgenden werden zunächst die neuen Fragestellungen von 1804/05 und 1812 in rein systematischer Weise behandelt (§ 3, I.). Daran anschließend werden von einem historischen Standpunkt aus die ideengeschichtlichen Einflüsse auf Fichtes Denken besprochen (§ 3, II.) und abschließend werden die zahlreichen Schwierigkeiten, die sich der Erforschung der späten WL entgegenstellen, diskutiert (§ 3, III.). Daß Fichte ein ziemlich klares und scharfes Problembewußtsein für die sachlichen Schwierigkeiten seiner ersten Wissenschaftslehre hatte, konnte am Beispiel der WL 1804-II dokumentiert werden. Was dem aber gegenübersteht, sind die zahlreichen Varianten, wie Fichte seinen eigenen Denkweg selbst eingeschätzt und bewertet hat, sei es in publizierten Schriften, Vorlesungen, Briefen oder mündlichen Überlieferungen. Fichtes Äußerungen reichen von der vollständigen Kontinuität und Unverändertheit seiner WL bis zur totalen Revision seiner Lehre und methodischen Vorgehensweise. Die zahlreichen Äußerungen Fichtes seien daher dem Begriff der späten WL vorangestellt: In den Jahren 1794/95 ist Fichte noch fest davon überzeugt, daß die Einsichten der ersten Wissenschaftslehre, trotz einer gewissen Dunkelheit, nicht nur unumstößlich sind, sondern daß die drei Grundsätze den höchsten Punkt des Wissens darstellen: „Ich setze im Ich dem theilbaren Ich ein theilbares Nicht-Ich entgegen. Ueber diese Erkenntnis hinaus geht keine Philosophie“232. Einen deutlich anderen Ton schlägt Fichte in der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Begriffsschrift zur Michaelismesse 1798 an: „Für die Vollendung des Systems ist noch unbeschreiblich viel zu thun. Es ist jetzt kaum der Grund gelegt, kaum ein Anfang des Baues gemacht; und der Verf[asser] will alle seine bisherigen Arbeiten nur für vorläufig gehalten wissen.“233

Eine erste, umfassende Revision der Einsichten der Grundlage findet sich bereits in der Wissenschaftslehre nova methodo (1796 – 99) in den §§ 2, 6 sowie 15 bis 17, speziell zum Verständnis des Nicht-Ich und zur Modifikation der Anstoßlehre. Im Unterschied zur GWL ist in der Wissenschaftslehre nova methodo „das NichtIch nicht unmittelbar[,] sondern mittelbar postulirt worden“, d.h., Ich und Nicht-Ich werden trotz der absoluten Entgegengesetztheit wesentlich vermittelt aufgefaßt234. Die Lehre vom Anstoß wird dahingehend modifiziert, daß die Hemmung und Be232 

GWL 1794/95 – GA I/2, 272. BWL 1794 – GA I/2, 162. 234 Fichte: Wissenschaftslehre nova methodo [Nachschrift Krause] (1798/99), in: GA IV/3, 307 – 535, hier: 358. 233 

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schränkung der Tätigkeit des Ich nur durch „eine[] Vernunft auser uns“ erfolgen kann. Die Beschränkung ist die „Aufforderung zu einer freien Thaetigkeit“, die nicht aus mir selbst, sondern nur durch die Wahrnehmung des fremden Leibes außer mir erfolgen kann235. Fichte spricht hier „von [der] Würkung des Freien auf das Freie“236. Die Idee der Wechselwirkung des Ich mit sich selbst wird zugunsten einer Interpersonalitätstheorie aufgegeben. Die Ausführungen in der Wissenschaftslehre nova methodo zeigen, daß in der GWL nicht nur Probleme hinsichtlich der äußeren Darstellung, sondern auch inhaltliche Schwierigkeiten auftreten, derer sich Fichte offenbar bewußt wurde und die er ab 1796 zu lösen versuchte237. In einem Brief an Schelling vom 31. Mai 1801 geht Fichte aber noch weiter: „Es fehlt der Wissenschaftslehre durchaus nicht in den Principien; wohl aber fehlt es ihr an Vollendung; die höchste Synthesis nemlich ist noch nicht gemacht, die Synthesis der GeisterWelt.“238

Fichte will zu diesem Zeitpunkt „die Prinzipien der Ichheit vollenden, und zwar über die Synthesis von Ich und Nicht-Ich durch das Streben der praktischen Vernunft hinaus zur Synthesis eines interpersonalen Wir im Glauben an die unbegreifliche Lebensordnung der intelligiblen Welt“, wie Wolfgang Janke sehr pointiert festhält239. Aber nur wenige Monate später, im August 1801, heißt es im Vorbericht zur zweiten Auflage der Grundlage, daß die „erste Darstellung“ noch keineswegs „überflüssig“ und „entbehrlich“ sei, denn in ihr seien „mehrere Hauptpunkte mit einer Ausführlichkeit, und einer Klarheit vorgestellt, welche je zu übertreffen der Verfasser keine Hoffnung hat“. Fichte verspricht zwar eine „neue[] Darstellung der Wissenschaftslehre“, aber in ihr könne man nur „denselben Inhalt in zwei sehr verschiedenen Formen […] finden“240. Daß Fichte über einen längeren Zeitraum hinweg zu unterschiedlichen Einschätzungen kommt, ist nachvollziehbar; daß diese aber auch innerhalb so kurzer Zeitabstände derart stark variieren, ist schon sehr bemerkenswert. Daß Fichte die Einsichten und Ergebnisse der GWL unterschiedlich bewertet, geht auch aus der Erlanger Version der WL von 1805 hervor. Im 1. Vortrag heißt es darin zur Grundlage: „Die W.L. aber ist keinesweges ein gedruktes Buch: sondern sie ist ein lebendiger, ewig neu, u. frisch zu producirender Gedanke, der unter jeder andern Bedingung der Zeit, u. der Mittheilung sich anders ausspricht; u. unter andern auch, unter längst vergangenen Wissenschaftslehre nova methodo (1798/99) – GA IV/3, 469. Wissenschaftslehre nova methodo (1798/99) – GA IV/3, 464. 237  Vgl. dazu auch: Jacinto Rivera de Rosales: „Die Begrenzung. Vom Anstoß zur Aufforderung“, in: Fichte-Studien 16 (1999) 167 – 190. 238  Fichte: „Brief an Friedrich Wilhelm Joseph Schelling vom 31. Mai 1801“, in: GA III/5, 43 – 53, hier: 45. 239  Wolfgang Janke: „Johann Gottlieb Fichte. Die Bestimmung des Menschen nach Prinzipien der Vernunftwissenschaft“, in: Philosophen des 19. Jahrhunderts. Eine Einführung, hg. v. Margot Fleischer und Jochem Hennigfeld, Darmstadt 1998, 35 – 54, hier: 41. 240  GWL 1794/95 – GA I/2, 461. 235 Fichte:

236 Fichte:

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Bedingungen sich in einem gedrukten Buche ausgesprochen hat, dessen derjenige, dem eine unmittelbare neue, u frische Mittheilung zugänglich ist, nicht weiter bedarf.“241

Im 5. Vortrag der WL 1805 fügt Fichte ergänzend hinzu, daß ein Vergleich mit dem „geschriebne[n] Buch […] sehr interessant u. belehrend seyn“ könnte, weil „in einer ganz andern Art u. Gestalt dort dasselbe wieder zu finden“ sei, auch wenn „es dem nicht sehr geübten vor der Hand schwer fallen“ dürfte242. Aber im 27. Vortrag heißt es, daß die späte WL ab 1804 „ausser der Vollendung der Form, auch noch einen ganz neuen Charakter tragen [dürfte], in Absicht der Ansicht der Realität“243. Unterschied Fichte in der GWL noch zwischen Realität und empirischer Wirklichkeit, so unterscheidet Fichte „12 Jahre[]“ danach zwischen dem absolut-lebendigen Sein als Realität und „absolute[r] Wirklichkeit“ auf der einen Seite und dem „stehende[n] Seyn überhaupt“ im Sinne der „Empirie“ auf der anderen, in deren Mitte das vermittelnde Bilden und Durch oder – wie es in der WL 1805 heißt – die „Existenz“ und das Dasein stehen244. Es ist der veränderte Begriff von Realität, den Fichte hier explizit ausspricht und auf den es neben dem Bilden ab 1804 ankommt: Realität wird nicht mehr auf das Sich-Setzen des absoluten Ich zurückgeführt, sondern Realität ist ab diesem Zeitpunkt das reine Leben, absolute Sein oder esse in mero actu. Die Differenz zwischen der frühen und späten WL erschöpft sich somit nicht nur in Fragen der äußerlichen Form oder sprachlichen Darstellung. Fichte geht mit diesem neuen Verständnis von einer lebendigen, nur zu vollziehenden Realität auch über die Idee an eine nur zu glaubende, höhere Realität von 1801 hinaus245. Aber nur ein Jahr später, in der Anweisung zum seeligen Leben von 1806, sagt Fichte in der Vorrede, daß die „fortgesetzte Selbstbildung an derjenigen philoso241 

WL 1805 – GA II/9, 181. WL 1805 – GA II/9, 199. 243  WL 1805 – GA II/9, 301. 244  WL 1805 – GA II/9, 301 und 206 f. Im Zusammenhang mit der Abgrenzung von absoluter Wirklichkeit und Empirie kommt Fichte im 6. Vortrag der WL 1805 noch einmal auf die GWL zu sprechen: „Bemerkung: bei uns: Ich bin, u. damit kurz u. gut: ist empirische Auffassung, innere Verwachsenheit, u. Unklarheit. Hätte nun die W.L. ihr Ich bin also gemeint, so hätte sie unrecht. Im ersten, dem theoretischen Theile meint sie es freilich so […]. Wer aber nur den ersten kennt, der muß […] sie für Subjektivismus, u. ein ReflektirSystem ausgeben“. Fichte argumentiert, daß er im praktischen Teil der GWL die Bedeutung des Ich bin „berichtigt, u. beschränkt“ habe (WL 1805 – GA II/9, 207). Daß Fichtes GWL keine einfache Reflexionsphilosophie war, konnte in § 2 herausgearbeitet werden, daß aber vergleichbare Probleme auftauchen und sich der Eindruck des Subjektivismus durch den Empirismus, d.h. durch die Anstoßlehre, im praktischen Teil verstärkt, wurde ebenso deutlich. 245  Daß Fichte Realität und absolutes Leben miteinander identifiziert, geht auch aus dem X. Vortrag der WL 1804-II hervor: Er habe das Absolute „immer nur betrachtet als Leben; aber es ist nicht bloß dies, sondern unzertrennlich mit dem Leben ist vereinigt, was wir durch den bloß als absolute Realität, aber, da es im Durch ist, eben nur im Durch, und als Durch. Nun überlege man, was daraus folgt, wenn die Eine, absolute, nur unmittelbar zu lebende Realität in die Form des absoluten Durch eintritt“ (WL 1804-II – StA, 104 – GA II/8, 156 f.). 242 

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phischen Ansicht“, die ihm „schon vor dreizehn Jahren zu Theil wurde, […] manches an [ihm] geändert haben dürfte, dennoch sich selbst seit dieser Zeit in keinem Stücke geändert hat“246. Auch in der Nachschrift der WL 1812 behauptet Fichte, daß sich seine Ich-Lehre nicht geändert, sondern er diese „nur anders ausgesprochen“ habe. Das absolute Ich der Grundlage sei als „ein objectives an sich bestehendes Ich [missverstanden worden]. Wir verstehen darunter die reflective, in sich zurückgehende Form der Erscheinung. Nur diese in sich Reflexion der Erscheinung ist es[,] wovon wir reden“247. Alle Äußerungen Fichtes lassen sich für die verschiedensten Interpretationen heranziehen. Sowohl die Thesen, daß es gar keine Veränderung gegeben, als auch, daß sich lediglich die Form oder der sprachliche Ausdruck geändert habe bzw. der Gehalt erweitert worden sei, lassen sich mit Zitaten von Fichte belegen. Eine weitere Variante ist durch den Fichte-Schüler August Detlev Christian Twesten (1789 – 1876) in einem Brief vom 30. März 1811 überliefert, die sich so interpretieren läßt, als ob Fichte von Anfang an von einem über dem absoluten Ich stehenden Absoluten ausgegangen sei und er dies nur später ausgeführt habe: „Heute war ich bey Fichte, um mir auch von ihm ein Zeugniß einzuholen. Wir sprachen vom Verhältniß seiner alten Wissenschaftslehre zu seiner neuen. Dies ist folgendes. In der alten Wissenschaftslehre geht er vom reinen Ich aus, welches vorausgesetzt und aus welchem alles Uebrige deducirt wird. Jetzt aber geht er höher, und deducirt dies reine Ich selbst wieder als nothwendige Form der Erscheinung Gottes. Ob dies im Wesen der Wissenschaftslehre liegt, wie Fichte zu behaupten schien, indem er sagte, man habe ihn früher nur niemals weiter kommen lassen, […] will ich nicht entscheiden […]. Künftigen Winter wird er wieder über die Wissenschaftslehre lesen und seine Vorlesung drucken lassen; bis dahin will ich meine Urtheile noch verschieben; dann wird man etwas festes vor sich haben, worauf man fußen kann, u. nicht mehr bloß verhallende Worte.“248

Daß es bei den „verhallenden Worten“ bleibt, da Fichtes Wissenschaftslehre von 1812 – von der hier die Rede ist – erst zwanzig Jahre nach seinem Tod erschienen ist, und sich auch diese Variante der Selbstinterpretation mit Fichtes eigenen Aussagen von 1794/95 entkräften läßt249, macht einmal mehr deutlich, daß Fichtes eigene Aussagen ein sehr schillerndes Bild seiner eigenen intellektuellen Entwicklung liefern und die Herausbildung zahlreicher Interpretationslinien begünstigt haben 250. 246 

Anweisung 1806 – GA I/9, 47. WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 278. 248  August Detlev Christian Twesten: „Brief an Christian August Brandis vom 30. März 1811“, in: J. G. Fichte im Gespräch. Berichte der Zeitgenossen, hg. v. Erich Fuchs in Zusammenarbeit mit Reinhard Lauth und Walter Schieche, Bd. 4: 1806 – 1812, Stuttgart-Bad Cannstatt 1987, 311 f. 249  So heißt es in der Begriffsschrift ganz eindeutig: „Ueber diese drei Absoluten hinaus geht keine Philosophie“ (BWL 1794 – GA I/2, 152). 250 Wolfgang Janke differenziert in seinem letzten großen Werk Die dreifache Vollendung des Deutschen Idealismus. Schelling, Hegel und Fichtes ungeschriebene Lehre, Amsterdam/New York 2009, 174 zwei große Strömungen: Die „Windelband-Rickert-Schule“ sei der Auffassung gewesen, daß Fichte seine Weltanschauung geändert habe, aber die 247 

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Die Frage nach der Kontinuität und Diskontinuität seiner Lehre ist zu komplex und zu kompliziert, als daß sie sich auf eine einfache Formel bringen ließe, wie diejenige zu Form und Gehalt oder der Rolle des Ich. Fichtes eigene Äußerungen sind in jedem Fall wenig geeignet und kein verläßlicher Garant dafür, eine bestimmte Interpretation(srichtung) zu untermauern oder auch zu widerlegen. Im folgenden soll zunächst gezeigt werden, wie sich auf programmatischer Ebene in den Jahren 1804/05 und 1812 Fichtes Fragestellung in systematischer Hinsicht gewandelt hat.

I.  Die systematische Positionierung der späten Wissenschaftslehre Am 3. Januar 1804 schrieb Fichte an das Königliche Kabinett in Berlin, unter der Überschrift Pro memoria, daß die Wissenschaftslehre in ihrer „äußern Form vollendet, […] in sich selber rein abgeschlossen, unveränderlich, und unmittelbar evident“ sei251, und versprach in einer weiteren Ankündigung die „vollständige[] Lösung des Räthsels der Welt und des Bewußtseyns mit mathematischer Evidenz“252. Fichte legte in diesem und im darauffolgenden Jahr insgesamt fünf Vorlesungszyklen der bis dahin am höchsten entwickelten Darstellungen der Wissenschaftslehre vor. Vier davon hielt er in Berlin vom 17. Januar bis 29. März, vom 26. April bis 8. Juni, vom 5. November bis 31. Dezember 1804 sowie vom 6. Februar bis 30. März 1805, im Umfang von je 30, 28, 24 und 23 Vorträgen. Die Erlanger Fassung von 1805 wurde vom 18. Juni bis 3. September gehalten und umfaßt 29 Vortragsstunden. In allen fünf Vorlesungstexten werden die zentralen Gedanken der WL behandelt, dennoch sind die jeweiligen Fassungen hinsichtlich der Zielrichtung, Terminologie und des Aufbaus teilweise sehr unterschiedlich. Die WL 1804-I, 1804-II und die Erlanger Fassung von 1805 sind sich hinsichtlich der äußeren Struktur relativ ähnlich, jedoch ist die Differenz hinsichtlich der verwendeten Terminologie sowie des anspruchsvolleren Niveaus der Erlanger Fassung noch einmal größer als Methode gleich bleibe, d.h. die Form der WL bleibe unverändert. Die „Fischer-Wundt-Schule“ habe die Position vertreten, daß Fichte lediglich einen Methodenwechsel vorgenommen habe, aber der Inhalt unverändert bleibe. Janke selbst bezieht sich auf den bereits zitierten Brief an Schelling vom 31. Mai 1801 und korrigiert ihn dahingehend, daß Fichte „nicht nur den prinzipiellen Gehalt der Wissenschaftslehre ausgedehnt, sondern auch die methodische Form erweitert“ habe (174). Dieser Position Jankes wird in dieser Arbeit, bei aller notwendigen Differenzierung in den Einzelfragen, im wesentlichen gefolgt. Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, daß sich noch eine weitere Strömung herausgebildet hat, die von der Einheit der Wissenschaftslehre ausgeht und der Auffassung ist, daß nur geringfügige Veränderungen und Modifikationen vorgenommen worden seien (vgl. exemplarisch: Peter L. Oesterreich/Hartmut Traub: Der ganze Fichte. Die populäre, wissenschaftliche und metaphilosophische Erschließung der Welt, Stuttgart 2006). 251  Fichte: „Pro memoria an das Königliche Kabinett in Berlin vom 3. Januar 1804“, in: GA III/5, 222 – 224. 252  Fichte: „Ankündigungen zu den Vorlesungen aus Berliner Zeitungen (1804 – 06)“, in: GA I/8, 13 – 22.

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zwischen den beiden ersten Versionen von 1804253. Die WL 1804-III und die daran anschließende Vorlesung von 1805 mit dem Titel Principien der Gottes-, Sittenund Rechtslehre fallen im Vergleich zu diesen drei Texten etwas aus dem Rahmen: Die WL 1804-III ist zum einen unvollständig, da die Manuskripte der Vorlesungen 12 bis 15 verlorengegangen sind, zum anderen beginnt Fichte hier erstmals mit der Entfaltung des absoluten Wissens und kommt teilweise ausführlich, teilweise eher knapp auf Raum, Zeit, Trieb und Wille zu sprechen 254. Die Principien-Vorlesung hebt sich nicht nur aufgrund des Titels von den vier anderen Versionen ab, sondern Fichte versucht darin, über die Entfaltung der Haupteinsichten hinaus eine Applikationslehre zu entwickeln, um so den Übergang und die Vermittlung zwischen der WL als philosophia prima und den materiellen Disziplinen seiner Philosophie – der Religions-, Moral- und Rechtsphilosophie – herzustellen. (1) In allen drei Fassungen der WL von 1804 beschreibt Fichte die Aufgabe seines nunmehr überarbeiteten Systems der Vernunft als „Zurückführung der Mannigfaltigkeit auf absolute Einheit“255. Zugleich muß aber umgekehrt das absolute Wissen „in seinem Wesen, seiner Einen absoluten Qualität durchdrungen, und so durchdrungen werden, daß die Wandelbarkeit als aus derselben nothwendig hervorgehend, also vermittelst derselben nur mittelbar erblickt würde“256, d.h. „Mannigfaltigkeit“ und alle Formen der „Wandelbarkeit“257, jede „Veränderlichkeit“258, die reine „Folge“259, „die Form des Werdens [und] der unmittelbaren Genesis“ sind nicht einfach nur zu überwinden 260, um zur absoluten Einheit aufzusteigen, sondern sie sollen in ihrer Entstehung genetisch eingesehen werden. „Jene Einheit“, 253 

Vgl. dazu: Joachim Widmann: „Zum Strukturverhältnis der W. L. 18041 und 1804²“, in: Fichte: Erste Wissenschaftslehre von 1804, aus dem Nachlaß hg. v. Hans Gliwitzky, mit einem Strukturvergleich zwischen der W.L. 18041 und der W.L. 1804² von Joachim Widmann, Stuttgart 1969, XXXI – LI; Hans Gliwitzky: „Einleitung“, in: Johann Gottlieb Fichte: Wissenschaftslehre 1805 (18. Juni bis 03. September), aus dem Nachlaß hg. v. Hans Gliwitzky, mit einem Sachregister von Erich J. Ruff und einem Beitrag „Zu Fichtes Tätigkeit in Erlangen“ von Erich Fuchs, Hamburg 1984, LXIV – LXVI. 254  Vgl. WL 1804-III – GA II/7, 294. In diesem Zusammenhang sei auch eine höchst bemerkenswerte Anmerkung Fichtes zur „Hauptverschiedenheit“ der WL 1804-I und II auf der einen und der WL 1804-III auf der anderen Seite hingewiesen. Fichte schreibt: „Dort den Haupt u. GrundGedanken erst allmählich zusammengesezt, u. zu ihm von anderm Denken erhoben. Hier sogleich, u. unmittelbarer von ihm ausgegangen. Dort synthetisch (in Beziehung auf äussere Form denn was das innerl. anbelangt pp.) hier späterhin, u bald analytisch. Dort mehr das Gedächtniß, hier Verstand, u Scharfsinn in Anspruch genommen. Von fornherein schwerer“ (WL 1804-III – GA II/7, 316 f.). 255  WL 1804-II – StA, 14 – GA II/8, 20; vgl. auch WL 1804-I – GA II/7, 68 und WL 1804-III – GA II/7, 303. 256  WL 1804-II – StA, 27 – GA II/8, 42. 257  WL 1804-II – StA, 9 und 27– GA II/8, 10 und 42. 258  WL 1804-III – GA II/7, 308. 259  WL 1805 – GA II/9, 205; vgl. auch WL 1804-III – GA II/7, 310. 260  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 58 – GA II/14, 235.

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so Fichte, „können wir auch das Absolute nennen“ und in einem Brief an Paul Joseph Appia vom 23. Juni 1804 heißt es weiter: „Ich nenne diese Einheit Vernunft, ὁ λογος, ut in Evangelio Joannis, Wissen“261, d.h., die WL ist sowohl „Darstellung des Absoluten“ als auch „Theorie des Wissens“262. In dem Versuch eines systematischen Sich-Verstehens des Wissens als Wissen müssen allerdings zwei Ebenen ganz grundsätzlich voneinander unterschieden werden: Es geht zum einen um das Verhältnis von Absolutem und absolutem Wissen und zum anderen um die Doppeldisjunktion in Sein und Denken sowie in Sinnliches und Übersinnliches, die aus der Einheit des Wissens heraus erklärt werden soll. Das Ziel ist, zu zeigen, daß die Differenz zwischen Sein und Denken auf die Grunddifferenz zwischen Absolutem und absolutem Wissen zurückgeführt werden kann, d.h., daß sich auf der Ebene der Spaltung von Sein und Denken die Differenz zwischen Absolutem und absolutem Wissen noch einmal wiederholt. Wie in der WL 1804-III deutlich hervorgehoben wird, soll letztlich dadurch das Verhältnis von Einheit und Differenz gelöst werden: „Die Disjunktion […] ist daher gänzlich in Einem Schlage, Spaltung in Seyn u. Begriff, u. in Einheit u. Mannigfaltigkeit, in der das Seyn zugleich als Einheit, u. das Denken zugleich die Mannigfaltigkeit wird“263.

Die Kerndifferenz zwischen Absolutem und absolutem Wissen ist letztlich eine Differenz zwischen Gehalt und Form. Es gibt für Fichte nur Ein Prinzip, nur Ein Absolutes oder besser: nur Eine absolute Vernunft, aber: Fichte unterscheidet zwischen dem Leben der Vernunft und der Ich-Form der Vernunft. Das Leben der Vernunft oder das esse in mero actu ist das lebendige Absolute und das für das Wissen selbst Unbegreifliche, das nur als Unbegreifliches begriffen werden kann; es ist die andere Seite oder das absolute Sein des Wissens. Es ist die Differenz zwischen dem Absoluten, dem reinen Licht, dem Leben, „esse in mero actu“ und dem „in sich geschlossene[n] Singulum unmittelbaren lebendigen Seins“ auf der einen Seite264, und dem absoluten Wissen, dem Dasein, dem Bild oder der Erscheinung des lebendigen Absoluten auf der anderen Seite – oder wie es in der WL 1805 heißt: es ist die „Unterscheidung des Seyns, u. der Existenz“265. Das „Wissen ist an sich […] des Absoluten Existenz“ und „[d]ie Existenz […] ist Umfassung, Umgebung, Aeusseres Seyn (= Daseyn) des Seyns“. Die „Form der Existenz“ ist ein „absolutes Durch, reine Mittelbarkeit der Qualität des Bildes“ und daher ein „[a]bsolut unmittelbar sich selbst bildendes Bild“266. Auch in der Principien-Vorlesung spricht Fichte vom Wissen als dem „Daseyn des Absoluten“, und da „das 261  WL 1804-III – GA II/7, 304 und Fichte: „Brief an Paul Joseph Appia vom 23. Juni 1804“, in: GA III/5, 244 – 248, hier: 247. 262  WL 1804-II – StA, 8 – GA II/8, 10 und WL 1805 – GA II/9, 180. 263  WL 1804-III – GA II/7, 314. 264  WL 1804-II – StA, 151 und 160 – GA II/8, 228 und 242. 265  WL 1805 – GA II/9, 187. 266  WL 1805 – GA II/9, 185, 189 und 192.

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Absolute = Gott“ sei, sei auch „das Wissen = Daseyn Gottes“267. Das Wissen sei das „Aussen des Absoluten“, dieses „Aussen aber ist Bild“; es sei „ein Aeussern, das, der Form nach sich selbst macht“268. Das Wissen ist also ein Sich-Bilden, d.h. das „Aussen äussert sich“; es ist daher zum einen „Daseyn des absoluten, wie es in sich selber ist“ – Fichte spricht ja explizit von „Gott, in uns“ – und zum anderen „bleibt eben der hiatus zwischen Gott, u. Wissen“269. Trotz des Hiats zwischen Wissen und lebendigem Absolutem bzw. Form und Gehalt ist folgendes festzuhalten: Im aktual-lebendigen Vollzug des Wissens fallen beide Momente zusammen und sind identisch, erst in der Reflexion des Wissens auf sich selbst, d.h., wenn das Wissen sich selbst verstehen und begreifen will, fallen beide Seiten – Form und Gehalt – auseinander. Beide Momente fallen aber nicht zusammenhangslos auseinander, sondern beide erweisen sich als wechselseitig durcheinander bedingt: das Absolute kann nur in der Form erscheinen und die Form wäre ohne die lebendige Vollziehung eine tote Form. Der Vollzug selbst bleibt unbegreiflich. Was allein begreiflich und nachkonstruierbar ist, ist die selbstbezügliche Form des Wissens, die „Form der Subjektivität“270. Die Aufgabe der Wissenschaftslehre besteht, so Fichte, „in der analytisch-synthetischen Erschöpfung dieser Form“ des Wissens; auf diese Weise ließe sich ermitteln, was bloße Form sei, und es würde sich „erhellen, was an uns als reines und absolutes Leben […] übrig bleibe“271. In der WL 1804-III heißt es: Das Absolute ist nicht „an sich […], sondern im Wissen“, und es kommt darauf an, „daß alles rein abgeleitet sey aus der reinen Form, u. Qualität des Wissens selber, ohne irgend einen Beisatz des occulten. Auch die Unbegreiflichkeit ist, als Unbegreiflichkeit […] begriffen – u. als Princip begriffen“272. Die Unbegreiflichkeit bleibt also, wie schon im Ansatz von 1794/95, ein Moment in der Entfaltung des Wissens, d.h. der Grundsatz „Jedes begreifliche sezt eine höhere Sphäre voraus, in der es begriffen ist, und ist daher, gerade darum nicht das höchste, weil es begreiflich ist“ gilt auch für die späte 267 

Principien 1805 – GA II/7, 380. Principien 1805 – GA II/7, 384, 391 und 386. 269  Principien 1805 – GA II/7, 384 f. und 403. Die Differenz zwischen früher und später WL läßt sich auch am Begriffspaar Sein und Dasein verdeutlichen. In der GWL heißt es: „Die Wissenschaftslehre unterscheidet sorgfältig absolutes Seyn, und wirkliches Daseyn, und legt das erste bloß zum Grunde, um das leztere erklären zu können“ (GWL 1794/95 – GA I/2, 410). Das absolute Sein ist hier das absolute Ich des obersten Grundsatzes, das wirkliche Dasein ist das „empirische[] Daseyn“ (411), „unsre Endlichkeit“ (410), die „Intelligenz“ (410) oder das endliche Ich, d.h. in der GWL ist der Gegensatz zwischen absolutem Sein und Dasein der Gegensatz zwischen absolutem und endlichen Ich, zwischen Unendlichkeit und Endlichkeit. In den späten Versionen ab 1804 ist das absolute Sein das reine Leben, das esse in mero actu, das Absolute oder Gott. Das Dasein oder die Existenz ist das absolute Wissen, das Bilden oder der absolute Begriff als Erscheinung des absoluten Seins. 270  WL 1805 – GA II/9, 182. 271 Fichte: Bericht über den Begriff der Wissenschaftslehre und die bisherigen Schicksale derselben (1806), in: GA II/10, 29 ff. 272  WL 1804-III – GA II/7, 320 f. 268 

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WL273. Der Unterschied zum frühen Ansatz besteht aber darin, daß das schlechthin Unbegreifliche nicht mehr der „Eingang in [s]eine Philosophie“ ist274, sondern daß sich im vollständigen Sichbegreifen des Begriffs nicht alles begrifflich auflösen läßt; es ist aber dieses Unbegreifliche, das der Begriff immer schon voraussetzt. Das Absolute soll trotz aller Unbegreiflichkeit als „Träger aller Realität im Wissen“ und als „Princip der absoluten Erzeugung“ eingesehen werden 275. Davon zu unterscheiden ist die Doppeldisjunktion in Sein und Denken sowie in Sinnliches und Übersinnliches. Laut Fichte hatte alle Philosophie „bis auf Kant […] zu ihrem Gegenstande das Seyn (objectum, ens)“, d.h. „das todte Ding“. „Der Zweck dieser Philosophie war, den Zusammenhang der mannigfaltigen Bestimmungen dieses Seyns zu begreifen. […] Alle übersahen, […] daß kein Seyn, außer in einem Bewußtseyn, und umgekehrt, kein Bewußtseyn, außer an einem Seyn, vorkomme“276. Ein Denken, das sich auf seine absolute Form besinnt, kann nicht mehr unmittelbar bei den Dingen anfangen, sondern muß begreifen, daß die vormaligen Bestimmungen des Seins in Wahrheit Bestimmungen des Denkens sind. Fichte erklärt damit ausdrücklich und unumwunden das Ende der metaphysica generalis und läßt die Funktion der Ontologie vollständig in der Wissenschaftslehre aufgehen. Fichte stellt sich hier ausdrücklich in die Nachfolge des „Stifter[s] der Transscendental-Philosophie“, denn die „W.-L. ist Transscendental-Philosophie, so wie die Kantische“277. Gleichzeitig verwahrt sich Fichte gegen die Annahme, daß die WL statt „der einen Hälfte, das Seyn“, nunmehr die „zweite Hälfte“, das subjektive Wissen, Denken oder Bewußtsein, verabsolutiere278. Die Alternative zum ontologischen Denken sei nicht ein subjektiver „Idealismus“, sondern die absolute „Einheit [sei] weder in die Eine, noch die andere Hälfte, sondern in das absolute Band beider zu setzen […], = reines Wissen an und für sich“279. Durch die In-sichSpaltung der absoluten Vernunft als lebendiger Einheit erscheint das absolute Sein des Wissens oder der Gehalt als stehendes, objektives Sein und das absolute Wissen oder die absolute Form als subjektives Denken. In der WL 1804-I bezeichnet Fichte eben diese als „die ursprünglichste Spaltung […] in Welt, u. Bewußtseyn. (Objekt u. Subjekt) welche sie durchaus als Eins, u. ebendasselbe, nur in verschiedenen, durch das Wissen an sich nothwendigen Ansichten […] nachweiset. […] Daher [sei es die] Lösung des Räthels der Welt, u. des Bewußtseyns“280. Die verschiedenen 273 

Fichte: „Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 2. Juli 1795“, in: GA III/2, 344 f.

274 Ebd. 275 

WL 1804-II – StA, 37 und 53 – GA II/8, 58 und 80. Fichte: „Brief an Paul Joseph Appia vom 23. Juni 1804“, in: GA III/5, 246; WL 1804II – StA, 10 – GA II/8, 10. In der WL 1805 nennt Fichte neben Kant noch einen weiteren Philosophen, ohne dies jedoch näher auszuführen: „Am nächsten war, so viel wir das beur­ theilen können, Plato“ (WL 1805 – GA II/9, 181). 277  WL 1804-II – StA, 11 – GA II/8, 14. 278  WL 1804-II – StA, 11 – GA II/8, 16. 279  WL 1804-II – StA, 14 – GA II/8, 20. 280  WL 1804-I – GA II/7, 70. 276 

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Teil 1: Vom transzendentalen Subjektivismus zur Totalitätswissenschaft

„Spaltungen des Wissens“ in Gott und Welt281, in Welt und Bewußtsein und in Objekt und Subjekt sind aber zugleich auch die Erklärung für die Einheit und Differenz von Anschauung und Begriff bzw. Intuition und Intelligenz; so heißt es in der WL 1804-II, daß das absolute Wissen „nicht nur seinem Sein nach angeschaut […], sondern […] in seinem Wesen, seiner Einen absoluten Qualität durchdrungen“ und d.h. begriffen werden muß282; beide entspringen aber einer gemeinsamen Wurzel: der Einen absoluten Vernunft. In der WL 1805 heißt es genauer: „Die Existenz ist beides, Intelligenz, u. Intuition“. […] Die Existenz (welches Wort für gleichbedeutend mit Wissen an sich zu nehmen [)] – ist die organische Einheit der Intelligenz, u. Intuition“283.

In den drei Fassungen der WL von 1804 spricht Fichte aber nicht nur von der Spaltung in Sein und Denken, sondern auch von der zugleich erfolgenden Disjunktion in Sinnliches und Übersinnliches284. In der WL 1804-II bezieht Fichte diese Spaltung auch auf Kant, genauer: auf Kants drei Kritiken. In der Kritik der reinen Vernunft (1781/87) sei die „sinnliche Erfahrung das Absolute (x)“ gewesen, in der Kritik der praktischen Vernunft (1788) sei „das zweite Absolute, eine moralische Welt = z“ und in der „Einleitung“ zur Kritik der Urteilskraft (1790) finde sich „das Bekenntniß, daß die übersinnliche und sinnliche Welt denn doch in einer gemeinschaftlichen, aber völlig unerforschlichen Wurzel, zusammenhängen müßten, welche Wurzel nun das dritte Absolute = y wäre“285. Das Wesen der WL besteht 281 

WL 1804-I – GA II/7, 70; vgl. Principien 1805 – GA II/7, 394. WL 1804-II – StA, 27 – GA II/8, 42, Kursivierung von mir, P.T. 283  WL 1805 – GA II/9, 192 f. Die Intuition sei „blosse Projektion oder […] Anschauung“ und zur Intelligenz heißt es „fassend Vstd, u. Vft.“. Aus diesem Grund ist verständlich, warum Fichte zuvor sagt, daß das „unmittelbar sich selbst bildende[] Bild = Vft. Existenz (unter anderm) = Vft.“ ist (WL 1805 – GA II/9, 192 f.). Die Existenz ist das absolute Wissen, welches sich in zwei Hauptmomente spaltet: die Anschauung und die Intelligenz. Die Anschauung ist zugleich Projektion und Rezeptivität; die Intelligenz umfaßt Vernunft und Verstand, d.h. die synthetische und analytische Seite des Denkens. Für Fichte sind Vernunft und absolutes Wissen letztlich ein und dasselbe, am häufigsten werden allerdings das „absolute Durch“, die „Vernunft“ und das „Bilden“ miteinander identifiziert (WL 1804-II – StA, 103 – GA II/8, 154), dem das trennende Als, das Bild oder der Verstand gegenüberstehen. In der WL 1805 fügt Fichte noch eine weitere interessante Anmerkung hinzu: „Absolute Vft = Ich bin, und Ich bin Ich. Dieses Ich bin Ich: die absolute Existenz. Keinesweges das erbärmlich relative der werthen Person. VerstandesIch. Vft.Ich“ (WL 1805 – GA II/9, 192 f.). Fichte bezieht sich hier zweifellos auf die GWL von 1794/95, was für eine starke Kontinuität der beiden Werke sprechen würde. Trotzdem bleibt festzuhalten, auch wenn Fichte die absolute Existenz mit dem Ich bin Ich identifiziert, findet sich in der GWL keine Differenzierung zwischen absolutem Sein und Existenz. Dasein und Existenz verwendet Fichte in der GWL nur in bezug auf die Empirie, in der späten WL ist es der Unterschied zwischen dem Leben der Vernunft und der Form der Subjektivität. Dies sind nicht nur graduelle und nebensächliche, sondern qualitative Unterschiede im Kernansatz des Systems. 284  Vgl. WL 1804-I – GA II/7, 74; WL 1804-II – StA, 18 – 22 – GA II/8, 26 – 34; WL 1804-III – GA II/7, 303 – 309. 285  WL 1804-II – StA, 19 f. – GA II/8, 26 – 30. 282 

§ 3  Die Zurückführung alles Mannigfaltigen auf absolute Einheit

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„in der Erforschung der für Kant unerforschlichen Wurzel, in welcher die sinnliche und die übersinnliche Welt zusammenhängt, dann in der wirklichen und begreiflichen Ableitung beider Welten aus Einem Princip“286.

Kants offene Frage zur „gemeinschaftlichen, uns aber unbekannten Wurzel [von] Sinnlichkeit und Verstand“, wie es am Anfang der Kritik der reinen Vernunft ganz offen heißt287, und zur „unübersehbaren Kluft zwischen […] dem Sinnlichen, und dem […] Übersinnlichen“, wie es in der „Einleitung“ zur Kritik der Urteilskraft lautet288, wird von Fichte ab 1804 allerdings auf einer fundamentaleren Ebene beantwortet als in seiner früheren Schaffensperiode. Glaubte Fichte in der Zeit von 1794/95 noch, diese offenen Fragen durch die Ableitung des theoretischen, praktischen und urteilenden Vermögens der Vernunft aus dem „Princip der Subjektivität überhaupt“ beantworten zu können 289, so erweitert und modifiziert Fichte diesen ursprünglichen Anspruch in der späten WL dergestalt, daß nicht drei Vermögen der Vernunft freigelegt werden sollen, sondern sich aus der Doppeldisjunktion „vier, und wenn Sie das vereinigende Princip wiederum dazu nehmen, fünf Grundmomente [und] ursprüngliche Grundbestimmungen des Wissens“ ergeben 290. Fichte spricht hinsichtlich der absoluten, sich selbst differenzierenden Einheit in Sein und Denken von einer „Drei-“ und unter Einbezug von Sinnlichem und Übersinnlichen von einer „Fünffachheit der Synthesis“ des Wissens291. In dem bereits erwähnten Brief an Appia heißt es dazu ausführlich: Das Wissen „spaltet sich zuförderst in ein sinnliches und übersinnliches Bewußtseyn, was auf das Seyn angewendet, ein sinnliches und übersinnliches Seyn geben muß. Das Übersinnliche spaltet sich hinwiederum […] in religiöses, und moralisches Bewußtseyn, was auf das Seyn angewendet, einen Gott giebt, und ein sittliches Gesetz; das Sinnliche spaltet sich wiederum in ein Sociales, und in ein Natur-Bewußtseyn, was auf das Seyn angewendet, ein Rechtsgesetz, und eine Natur giebt“292.

Fichtes Modifikation seines Ansatzes durch die Doppeldisjunktion in Sein und Denken sowie in Sinnliches und Übersinnliches, die zu einer Erweiterung von drei Vernunftvermögen zu fünf Formen des Wissens führt, beinhaltet zugleich einen Anspruch, der sich von Anfang an bei ihm findet: der Anspruch auf eine genetische Einsicht in das Wie der Doppelspaltung, die über das bloße, rein faktische Postulat der Einheit aller Spaltungsmomente des Wissens hinausweist: „Die ­Kantische Spekulation endet auf ihrer höchsten Spitze damit, daß der sinnlichen und übersinnlichen Welt doch ein Princip ihres Zusammenhangs […] zu Grunde

286 

WL 1804-II – StA, 20 – GA II/8, 32. Kant: KrV, B 29, in: AA III, 45 f. 288 Kant: Kritik der Urteilskraft (1790), B XIXf., in: AA V, 175 f. 289  Fichte: „Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 28. April 1795“, in: GA III/2, 314 f.; vgl. Fichte: „Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 2. Juli 1795“, in: GA III/2, 346. 290  WL 1804-II – StA, 283 – GA II/8, 418. 291  WL 1804-II – StA, 41 – GA II/8, 64. 292  Fichte: „Brief an Paul Joseph Appia vom 23. Juni 1804“, in: GA III/5, 247. 287 

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Teil 1: Vom transzendentalen Subjektivismus zur Totalitätswissenschaft

liegt“; Kants „höchstes Princip ist eine Synthesis post factum“, dem Fichte eine höhere „Synthesis a priori“ gegenüberstellt, „die zugleich Analysis ist“293. Fichte führt damit eine Unterscheidung weiter, die er schon 1794/95 eingeführt hat: die Unterscheidung zwischen Tatsache und Tathandlung, die er ab 1804 überwiegend als Differenz zwischen Faktizität und Genesis bezeichnet294. Besonders bemerkenswert ist allerdings, daß Fichte diese Unterscheidung in der späten WL mit seinen Überlegungen zu Unmittelbarkeit und Vermittlung sowie Vollzug und Darstellung verbindet. Die genetische Einsicht und Evidenz ist etwas, was die WL von allen anderen Wissenschaften, aber auch – in Fichtes Selbstverständnis – von allen anderen Entwürfen der Philosophiegeschichte unterscheidet, „ausser in der W.-L. [ist] gar keine andere Evidenz anzutreffen, als die faktische“295. Für Fichte ist die WL damit zugleich die Erste Grundlagendisziplin, da sie alle anderen angewandten Wissenschaften überhaupt erst fundiert und begründet, denn „die Principien ihrer eigenen Möglichkeit [liegen] in einer anderen, höheren Wissenschaft“, nämlich der Wissenschaftslehre296. Eine faktische Evidenz, wie ‚A = A‘ oder ‚2 + 3 = 5‘ tritt in der unmittelbaren Vollziehung des Wissens ein, „ohne Zweifel geleitet durch ein mechanisch in uns thätiges Vernunftgesetz“. Von genetischer Evidenz ist dann die Rede, wenn „wir […] das Gesetz, welches eben in diesem ersten Vollziehen uns mechanisch leitete, selber erforschen und aufdecken; also das vorher unmittelbar Eingesehene, mittelbar einsehen aus dem Princip und Grunde seines Soseins“297. Es ist die Antwort auf das Warum und Wie des faktischen Daß – eine Antwort, die sich in der Erforschung der inneren Qualität – des Was – und der Gesetzmäßigkeit des Wissens einstellt. Dieses „[Eine] Vernunftgesetz“, das unmittelbar-faktisch vollzogen und mittelbar-genetisch eingesehen werden kann, ist Ausdruck der Notwendigkeit und der Garant für die Wissenschaftlichkeit der WL298. In der WL 1804-I heißt es dazu ganz deutlich: Der „Ausdruk des Gesetzes, oder selber lebendiges Gesez seiner, u. alles dessen, was in ihm je eintreten soll, ist nun das Wissen an sich“299 (vgl. § 5, II.). Fichtes Ziel ist die „absolute[] Genesis“, d.i. die „Genesis der W.-L.“ selbst300. Die Selbstableitung der Wissenschaftslehre ist insofern möglich, als sie „ein a ­priori bestimmter, u. absoluter Ausdruk, Theil, u Aeusserung des Wissens selber“ ist, wie es in der WL 1804-III heißt, d.h., „die Theorie des ganzen Wissens […]

293 

WL 1804-II – StA, 28 f. – GA II/8, 44. Vgl. WL 1804-II – StA, 134 ff. – GA II/8, 200 ff. 295  WL 1804-II – StA, 30 – GA II/8, 46 ff. 296 Ebd. 297  WL 1804-II – StA, 49 f. – GA II/8, 76. 298  WL 1804-II – StA, 51 – GA II/8, 76. 299  WL 1804-I – GA II/7, 87. 300  WL 1804-II – StA, 50 – GA II/8, 76. 294 

§ 3  Die Zurückführung alles Mannigfaltigen auf absolute Einheit

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führt zugleich die Theorie seiner eigenen Theorie bei sich“301. Es ist diese Möglichkeit der Selbstbegründung der WL und des In-sich-Zurückgehens, wodurch sie sich von allen anderen Wissenschaften unterscheidet und aufgrund derer sie absolut selbständig und in sich geschlossen ist. Auch in der späten WL sind die Kreisstruktur und der Rückgang in sich selbst der Garant für die Vollständigkeit und Geschlossenheit. Als Theorie des ganzen Wissens und „Ausdruk des Gesamtbewußtseyns“ ist die WL daher eine Nachkonstruktion der absoluten Form des Wissens302. Wenn wir das Wissen „wirklich unmittelbar vollziehen“, so ist dies für Fichte ein unmittelbares Sichmachen und Sichkonstruieren des Wissens, aber: „diese Realisation […] kann in [ihrer] Unmittelbarkeit nicht ausgesprochen oder nachconstruirt werden; denn alles Aussprechen oder Nachconstruiren = Begreifen, ist in sich mittelbar“303. Im Gegensatz zur frühen WL spricht Fichte aber nicht mehr von bloßer Wahrscheinlichkeit, sondern es sei „nur ein Unterschied in der Sprache“. Aufgrund der gesetzmäßig verfahrenden und sich in dieser Gesetzmäßigkeit zeigenden, begrifflichen Nachkonstruktion des Wissens sind „die W.-L. und das sich selber in seiner wesentlichen Einheit darstellende Wissen ganz und gar dasselbe“304. Fichte hält zwar an der Unterscheidung zwischen der Vollziehung des Wissens und der begrifflichen Darstellung in Form der WL fest, d.h., „Begreifen [ist] nach Con­ struktion einer Vorkonstruktion“305, er zeigt aber ebensosehr die Einheit beider Momente, denn in Wahrheit ist das Wissen reine Sichkonstruktion. So heißt es in der WL 1804-III genauer: „Das Wissen construirt daher schlechthin ein x [ein bestimmtes Etwas] an sich weder Vor, noch Nach, sondern [ist] absolute aus sich Construktion, die erst durch die Form sich spaltet in V[orkonstruktion] u[nd] N[achkonstruktion …]. Da in dieser Construktion das absolute Wissen besteht, so ist sie selber nothwendig bewußtlos“306.

Erst im Sich-Verstehen des Wissens spaltet sich die ursprüngliche Sichkon­ struktion des Wissens; es ist die bereits erwähnte Reflexion des Wissens auf sich selbst – und damit die Unterscheidung in Reflexion und Vollzug –, die zur Spaltung in Vor- und Nachkonstruktion führt. An dieser Stelle wird der systematische Ort der WL noch einmal deutlicher umrissen: Die späte WL befindet sich nicht auf der Ebene der Vorkonstruktion, aber auch nicht auf der Ebene der Nachkonstruktion, sondern zwischen beiden, sie steht nicht auf dem Standpunkt des Absoluten, aber auch nicht allein auf der Ebene der absoluten Erscheinung, sondern zwischen Absolutem und absolutem Wissen, zwischen Einheit und Differenz, zwischen Unerzeugbarem und Sicherzeugung, zwi301 

WL 1804-III – GA II/7, 311. WL 1804-I – GA II/7, 77. 303  WL 1804-II – StA, 32 f. – GA II/8, 52 ff., Kursivierung von mir, P.T. 304  WL 1804-II – StA, 27 – GA II/8, 42. 305  WL 1804-III – GA II/7, 317, Einfügung von mir, P.T. 306  Ebd., Einfügungen von mir, P.T. 302 

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Teil 1: Vom transzendentalen Subjektivismus zur Totalitätswissenschaft

schen Unmittelbarkeit und Vermittlung. Oder wie es in der WL 1804-III heißt: Es ist der „Mittelstandpunkt zwischen Leben, u. W.L.“307. Und weiter heißt es in jener Version dazu: „wo steht der Philosoph: in der Unwandelbarkeit, nicht eigentlich, denn darin geht er; sondern in der Folge, im lebendigen Durch“308. Die Komplexität der späten WL läßt sich also schon allein bei der einfachen Frage zur Stellung der WL verdeutlichen: Fichte sieht die Aufgabe der WL darin, alles Mannigfaltige auf Einheit zurückzuführen, mit dem Ziel, die Mannigfaltigkeit, den Wandel und die Folge aus der Einheit heraus zu erklären. Die besondere Schwierigkeit besteht aber darin, daß wir nicht auf dem Standpunkt der Einheit stehen und von diesem aus die Spaltung erklären können, sondern vom Standpunkt der Differenz aus soll die Differenz auf die Einheit zurückgeführt und zugleich aus ihr erklärt werden und sich die WL als in diesem Sinne zwischen beiden liegend begreifen. Das absolute Sehen, die reine Sichkonstruktion des Wissens, das absolute Durch und das reine Bilden werden nicht unmittelbar, sondern nur vermittelt, in der In-sich-Spaltung und ihren Produkten, in Denken und Sein sowie Übersinnliches und Sinnliches, d.h. auf der Ebene der Differenz, sichtbar. Es ist ein Sich-sichtbar-Machen, das sich in der Form der Sichtbarkeit – der Form des Wissens – wiederum selbst entzieht. Die WL ist ein Sehen des Sehens, da sie versucht, das absolute, unsichtbare und an sich unbegreifliche Sehen sichtbar zu machen, indem sie durch die Differenz hindurch, also vermittelt, auf das unmittelbare Sehen verweist. Ein tatsächlicher ‚Aufstieg‘ zum Absoluten oder zu Gott findet bei Fichte daher gar nicht statt, da die Ebene der Differenz nie verlassen wird und nicht verlassen werden kann. Im IV. Vortrag der WL 1804-II heißt es dazu ganz präzise: „Aus diesem Princip der Sonderung [– dem Prinzip der Differenz –] kommen wir nun innerlich und faktisch, d.h. nach dem, was wir thun und treiben, selber als W.-L. nie heraus; wohl aber kommen wir intelligibel, in Rücksicht dessen, was an sich gültig ist, in welcher Rücksicht eben das Princip der Sonderung sich selber aufgiebt und vernichtet.“309

Dementsprechend „muß der Begriff vernichtet, und damit er vernichtet werden könne, gesetzt werden“310. Entscheidend ist die Doppelbewegung von gleichzeitiger Setzung und Vernichtung. Der Begriff ist die verfehlte Form, da immer nur der Begriff des Absoluten, aber eben nie das Absolute selbst erreicht und Gegenstand des Wissens werden kann. Das Absolute bleibt undarstellbar und unbestimmbar; es kann nur angedeutet werden, daß es der tragende Grund des jeweils konkreten und begrifflich Bestimmten ist. Die „Form der Subjektivität […] müste annihilirt werden können“, weil sie das Wesentliche verstellt311. Tatsächlich ist diese Form „faktisch nie wegzubringen[]“ und „unaustilgbar“ und Fichte geht es auch nicht um die Auslöschung des begrifflichen Denkens, sondern „in dieser seiner Absolutheit, was die an sich Gültigkeit betrifft, [ist der Begriff] vernichtet“; daß Subjektivi307 

WL 1804-III – GA II/7, 312; vgl. auch: 307. WL 1804-III – GA II/7, 310, Kursivierung von mir, P.T. 309  WL 1804-II – StA, 35 – GA II/8, 56. 310  WL 1804-II – StA, 36 – GA II/8, 56, Kursivierung von mir, P.T. 311  WL 1805 – GA II/9, 182. 308 

§ 3  Die Zurückführung alles Mannigfaltigen auf absolute Einheit

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tät „in der That, u. Wahrheit gar nichts bedeute“, beinhaltet nur, daß sie „auf das Wesen an sich gar keinen Einfluß habe, noch zu ihm gehöre“312. Die intelligible Vernichtung des Differenzprinzips und damit des Begriffs beinhaltet unausgesprochen aber auch ihr eigenes Gegenteil: die permanente Zurückgeworfenheit und Unüberwindbarkeit der Differenzebene und das ständige Sich-Wiederherstellen und Selbstbehaupten des Begriffs, der vor jeder Vernichtung, d.h. Einschränkung der Ansichgültigkeit, gesetzt werden muß. Das „Princip der Sonderung = Princip der Construction, also des Begriffs“ ist zugleich das „Princip der Einheit“313; es ist also nicht mehr die unmittelbare, in sich differenzlose Einheit des absoluten Ich, sondern es ist der Eine absolute Begriff als in sich selbst differenzierte und sich selbst differenzierende Einheit, oder wie es in der WL 1804-I heißt: Es ist „[e]ine Einheit, [die] in sich selbst das Princip […] einer Mannigfaltigkeit überhaupt“ enthält, d.h., diese Einheit, das „Wissen an sich“, ist – wiederum in den Worten der WL 1804-II – „synthetisch und analytisch zugleich, d.h. wahrhaft lebendig genetisch“314. An die Stelle der Handlungen des menschlichen Geistes, aus denen „alle[] Antithesis und Synthesis [als Methode der WL erst] abgeleitet“ werden315, tritt der Eine absolute Begriff als das „analytisch-synthetische […] Einheits- [und] Disjunktions-Princip“, oder anders gesagt: als das „Princip der Einheit und Mannigfaltigkeit zugleich“316. Die WL hat „ihr Wesen im Begriffe“ und das „innere durchaus unveränderliche Wesen des Begriffs [ist das] Durch“ oder Bilden und es ist „dieses Durch, was […] doch die Hauptsache abgiebt in unserer ganzen Untersuchung“317. Also auch wenn Fichte in seinem Vernunftsystem von einem „absolut unbegreiflich[en]“ Absoluten oder Gott ausgeht und er von der ‚intelligiblen Vernichtung‘ des Begriffs spricht, so beinhaltet dies trotzdem den Primat des Begriffs, denn die späte WL ist ein Sich-Begreifen des Begriffs und zugleich ein „Begreifen des […] Unbegreiflichen, als Unbegreiflichen“ – und letzteres ist „also doch begreifen“ und keine Flucht aus dem Begriff 318. Trotz oder gerade aufgrund des Primats des Begriffs bleibt der Unterschied zwischen Absolutem und absolutem Wissen als Gegensatz und wechselseitige Bedingtheit von Form und Gehalt bestehen; dies impliziert zwar keinen Dualismus, weil es sich nicht um zwei Formen des Seins handelt; es beinhaltet aber einen Gegensatz zwischen der lebendigen Vollziehung des Wissens und dem Begreifen – einen Unterschied, den es beispielsweise bei Hegel so nicht gibt, und der auch von seinem Standpunkt aus 312 

WL 1804-II – StA, 52 – GA II/8, 79 und WL 1805 – GA II/9, 182. WL 1804-II – StA, 52 und 56 – GA II/8, 78 und 86. 314  WL 1804-I – GA II/7, 69 und WL 1804-II – StA, 88 – GA II/8, 132. 315  GWL 1794/95 – GA I/2, 274. 316  WL 1804-II – StA, 163 und 57 – GA II/8, 246 und 86 ff. 317  WL 1804-II – StA, 96, 102 und 105 – GA II/8, 146, 154 und 160; vgl. WL 1804-II – StA, 155 – GA II/8, 234. 318  WL 1804-II – StA, 21 und 34 – GA II/8, 32 und 54. 313 

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Teil 1: Vom transzendentalen Subjektivismus zur Totalitätswissenschaft

insofern kritisch betrachtet werden kann, als ein Vollziehen des Wissens (auch bei Fichte) immer nur in und durch den absoluten Begriff erfolgen und aus dem er „nie heraus“ kann319 (vgl. § 5, I.). Fichte wird die Differenz zwischen Form und Gehalt, die im Kern der Gegensatz zwischen Dialektik und Leben ist, allerdings dahingehend vermitteln, daß das Absolute nicht nur hinsichtlich der Lebendigkeit den absoluten Begriff bedingt, sondern als Gesetz auch die Form bestimmt (vgl. § 5, II.). (2) Fichte fällt hinter das Konzept einer Begriffsphilosophie und die Einsichten der ersten Berliner Periode von 1804/05 nicht mehr zurück, wohl aber erfolgt in der zweiten Berliner Periode von 1809 bis 1814 eine erneute Verschiebung seiner Perspektive, deren Höhepunkt die WL 1812 bildet – und dies nicht zuletzt, weil sie die letzte vollständige Darstellung der WL ist, die Fichte vom 6. Januar bis zum 20. März in 50 Vorlesungsstunden vortrug und deren historisch-systematische Einleitung die ersten 10 Vorträge umfaßt320. Fragte Fichte in den Jahren 1794/95 noch, wie Antithesis überhaupt möglich ist, und bestimmte er die Aufgabe der späten WL ab 1804/05 als Rückführung des Mannigfaltigen auf absolute Einheit, so ist im Jahr 1812 die „Analyse […] des SichErscheinens der Erscheinung […] nun die eigentliche Aufgabe der W.L.“321, d.h. die neue „Frage der Wissenschaftslehre ist: wie erscheint die Erscheinung sich selbst, was folgt aus dem Sicherscheinen oder, auf alte Weise, was folgt aus der Ichform der Erscheinung“322? Trotz der spezielleren Fragestellung im Jahr 1812 versteht Fichte unter seiner „Theorie des Wissens überhaupt“ nicht etwas vollkommen anderes323. In der WL 1804-I heißt es bereits: „Das Wissen, so gewiß es sich darstellt […], wie es in sich, u. an sich ist, stellt sich dar als sich darstellend […]. Als sich darstellend, sage ich […]: dieses Sich […] als Ich“. Fichte versteht das Wissen sowohl 1804 als auch 1812 als die „Erscheinung des [A]bsoluten, als Ich“324, d.h. in diesem Zeitraum kommt es nicht zu einer so starken Veränderung wie zwischen 1794 und 1804, gleichwohl handelt es sich um eine Vertiefung seines Ansatzes. Fichte verstand das Bilden immer schon als ein Sich-Bilden, aber ab 1809 steht das Sich des Bildens im Zentrum seiner Betrachtung325. Fichte geht in der WL 1812 von der reinen Selbst319 

WL 1804-II – StA, 35 – GA II/8, 56. Erich Fuchs: „Vorwort der Herausgeber“, in: GA II/13, 37 – 42 und GA IV/4, 241 – 244. 321 Fichte: Die Wissenschaftslehre [aus dem Jahr 1812], in: GA II/13, 62, im folgenden abgekürzt: WL 1812 – GA II/13. 322  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 279. 323  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 249. 324  WL 1804-I – GA II/7, 171 und 76. In der Nachschrift der WL 1812 heißt es: „In dem Sichdarstellen des Wissens aber liegt das Sichdarstellen als Schema, als Bild, nicht als Realität. […] Nun wird von dem Wissen aus der Wissenschaftslehre so viel klar erkannt, daß in ihr das Wissen sich verwandle in ein Bild, als Schema ohne Realität“ (WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 259). 325  Vgl. WL 1812 – GA II/13, 80. 320  Vgl.

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bezüglichkeit des Durch oder Bildens aus und dies ist bei Fichte immer auch das Verstehen des Bildens, d.h., Fichte nimmt nun dasjenige Moment des Einen absoluten Begriffs zum Ausgangspunkt, das er in den Versionen von 1804/05 erst am Ende entwickelt hat. Bildete in der ersten Hälfte der WL 1804-I und -II das Durch, genauer: der Versuch einer sukzessiven Plausibilisierung des absoluten Begriffs als analytisches und synthetisches Prinzip, das Gliederungsprinzip, so werden in der ersten Hälfte der WL 1812 die „Grundbegriffe“ vor dem Hintergrund des Sich herausgearbeitet326. Sprach Fichte 1804/05 noch vom Durch und Bilden, so geht es ihm sieben Jahre später um das verbal und nicht substantial zu verstehende Erscheinen der Erscheinung. In der WL 1812 heißt es: „Das [absolute] Bild […,] das Urschema, Schema I. bildet sich“327. Das Urschema, Urbild oder die reine Bildlichkeit gibt sich aber gleichursprünglich in ihrer Bildlichkeit zu erkennen, d.h. die Erscheinung erscheint sich selbst. Dasjenige Moment, das 1804/05 der Begriff des Bildens oder das „Bild des Bildens“ ist, bezeichnete Fichte 1812 auch als Sich-Erscheinung der Erscheinung oder als „Schema II“328. In der WL soll nun – in dritter Potenz – dieses unmittelbare Sich-Erscheinen der Erscheinung vermittelt und gesetzmäßig eingesehen werden, d.h. so wie sich auf der Ebene des faktischen Wissens oder des gewöhnlichen Bewußtseins die Erscheinung selbst erscheint, so „erscheint sich“ im transzendentalen Wissen oder der WL „die Erscheinung als Erscheinung“; „in der Wissenschaftslehre“, so Fichte weiter, „wird sie [die Sicherscheinung] aufgenommen in das als“329. Mit anderen Worten: „In der Wissenschaftslehre erscheint sich selbst und spricht sich selbst aus das Gesetz der Sicherscheinung der Erscheinung“330. Die WL selbst ist „das Sich darstellende Gesetz der Erscheinung“, „Bild vom Bilde des Bildes“ oder „Schema III“331 (vgl. § 4, III.) Es kommt daher in der WL 1812 zu einer Identifizierung des Sich im Sinne des Sich-Verstehens und der WL: „Das Wissen […] bilde eben sich selbst, erscheine 326 

WL 1812 – GA II/13, 69. WL 1812 – GA II/13, 62. 328  WL 1812 – GA II/13, 69 f. 329  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 282. 330  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 282. 331  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 281 und 311. Der Vollständigkeit halber sei auf zwei Umstände hingewiesen. Im Manuskript der WL 1812 spricht Fichte lediglich von Schema I bis III in dem hier vorgestellten Sinne. In der Nachschrift spricht er aber auch von einem vierten Schema: „Also das das Gesetz würde Schema III, das Prinzip Schema IV“ (WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 318). Etwas genauer und zugleich komplizierter geht dies auch aus der Version von 1811 hervor, die die einzige ist, wo Fichte in bezug auf die Reflexibilität – die Möglichkeit der Reflexion – von Schema IV und auch noch von einem weiteren Schema V spricht: der Anschauung der Reflexibilität (vgl. Fichte: Wissenschaftslehre 1811, in: GA II/12, 285). In allen anderen Versionen spricht Fichte von Schema I bis Schema III, das heißt von den drei Hauptmomenten seiner Theorie der Bildlichkeit: dem Bilden, dem Begriff des Bildens und dem Verstehen des Begriffs des Bildens. 327 

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sich, u. diese SichErscheinung sey die W.L.“332. Die WL als Sich-Verstehen des Begriffs des Bildens ist ein Produkt der Freiheit und kein natürliches Wissen; daß aber dieses Sehen des Sehens, Wissen des Wissens oder sich sehende Auge nichts der Sache Äußerliches, sondern im Wesen des Wissens selbst begründet ist, liegt vor allem daran, daß das absolute Wissen, dessen Darstellung die WL ist, eben nicht nur ein reines Sich und reines Sich-auf-sich-Beziehen, sondern ebenso gleich­ ursprünglich ein Sich-Verstehen als Wissen ist. Es ist das Sich, die Selbstbezüglichkeit oder die „Ichform“333, die im Kern die Differenz zwischen Absolutem und absolutem Wissen ausmacht, denn sie ist es, die das Moment der Negativität und der Entgegensetzung bei sich führt. In der Nachschrift der WL 1812 heißt es dazu ausführlich: „Im Begriff, welcher uns war Repräsentant der Erscheinung, erscheint das Absolute und das Absolute erscheint als solches. Aber es könnte als eins das schlechthin ist durch sich nicht erscheinen, außer an einem Gegensatze und vermittelst eines Gegensatzes. Also der Begriff des Absoluten ist ein Entgegensetzendes. […] Also das Erscheinen selbst ist, im Begriff gesetzt, der Gegensatz und so bekommt der Begriff sein Begriffenes. […] so folgt daß im Begriff als dem Gegensatz erscheinen müsse das nicht Absolute. Dieß ist die Erscheinung selbst. [I]m Begriff als der Erscheinung muß erscheinen die Erscheinung. [E]s muß im Begriff schon ausgedrückt seyn das Sich, die in sich zurückgehende Form. […] Das Absolute erscheint nur im Gegensatze, und dieser Gegensatz ist der Begriff selbst.“334

Es ist dieser Zusammenhang zwischen reiner Selbstbezüglichkeit und bestimmter Negativität, der in der WL 1812 deutlicher als je zuvor ausgesprochen wird und über die Einsichten von 1794/95 hinausweist. Zwar hätte Fichte auch in Jena gesagt, daß „eine Erscheinung […] gar nicht ohne diese Form der Sichheit oder Ichheit“ ist335, daß aber die Sich-Erscheinung der Erscheinung und die Negativität zwei Seiten ein und derselben Medaille sind, unterscheidet beide Ansätze wesentlich. Fichte kommt in der WL 1812 bereits in der Einleitung auf ein weiteres Theorem zu sprechen, das er in den Versionen von 1804/05 erst am Ende behandelt: den doppelten Schluß von der Wirklichkeit auf die Notwendigkeit der Erscheinung und von der Notwendigkeit auf die Wirklichkeit des Absoluten, genauer: einem „vermittelte[n] Schluß, ruhend auf dem Faktum“336 (vgl. § 5, II.). In der Nachschrift zur WL heißt es: „Wenn das Absolute erscheint, so erscheint’s nothwendig, und so findet sich die Erscheinung auch als nothwendig, nachdem sie als wirklich gefunden ist, also durch den Schluß aus dem wirklichen auf Nothwendige, da bei dem Absoluten aus dem nothwendigen Seyn auf das wirkliche geschlossen wird.“337 332 

WL 1812 – GA II/13, 64. WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 283. 334  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 286, Kursivierung von mir, P.T. 335  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 287. 336  WL 1812 – GA II/13, 66. 337  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 271. 333 

§ 3  Die Zurückführung alles Mannigfaltigen auf absolute Einheit

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In dem Maße, wie Fichte es gelingt, den Status der WL als Darstellung des absoluten Wissens von der Problematizität in die Kategorizität zu überführen338, kann er umgekehrt zeigen, daß das Absolute kein bloß Gesolltes, keine leere Idee oder ein allein notwendig zu denkender Gedanke, sondern eine zu lebende und vollziehende Wirklichkeit ist, deren Manifestation die gesetzmäßig verfaßte Erscheinung ist. So lautet es im Manuskript: „Sie [die Erscheinung] wird als nothwendig erkannt, zufolge ihrer Wirklichkeit: dagegen wird das absolute als wirklich seyend erkannt zufolge seiner Nothwendigkeit.“339 Mit anderen Worten: In der Notwendigkeit des Sehens – die Fichte als Gesetzmäßigkeit des Bildens bezeichnet – manifestiert sich die Wirklichkeit des Absoluten. Das Absolute ist nicht einfach nur ein Grenzbegriff, über den sich aufgrund transzendentaler Besinnung nichts sagen läßt, sondern die „Erscheinung […] ist […] gegründet im Absoluten selbst“340. Nicht nur das Sich der Erscheinung läßt sich aus der Form der Erscheinung notwendig ableiten, sondern die Notwendigkeit der Erscheinung überhaupt soll letztlich als eine aus dem Absoluten abgeleitete Notwendigkeit eingesehen werden341. Mit der Plausibilität und Überzeugungskraft dieses Schlusses von der Notwendigkeit des Wissens und der sich darin zugleich manifestierenden Wirklichkeit des Absoluten auf der einen Seite und der wechselseitigen Bedingtheit von Form und Gehalt bzw. Subjektivität und Absoluten in der Reflexion des Wissens auf sich selbst auf der anderen Seite hängt letztlich die Konsistenz und Tragfähigkeit der WL als System der Vernunft ab (vgl. § 5, II.). Die bisherigen Ausführungen haben deutlich gemacht, wie sich der späte Ansatz vom frühen unterscheidet, aber auch, welche Kontinuitäten in systematisch-programmatischer Hinsicht festzuhalten sind; die Einlösung dieses Programms wird im zweiten Hauptteil diskutiert. Im folgenden Unterkapitel soll gezeigt werden, wie die Wissenschaftslehre – in Fichtes historischem Selbstverständnis – als Antwort auf die ideengeschichtlichen Herausforderungen seiner Zeit und hier nicht zuletzt als Alternative zu Spinoza verstanden werden kann.

II. Die Wissenschaftslehre im problemgeschichtlichen Zusammenhang Neben den systematischen Erwägungen zur Konzeption und Weiterentwicklung der WL sind es vor allem auch ideengeschichtliche Auseinandersetzungen, die den Inhalt und die Gestalt der Spätphilosophie Fichtes beeinflußt haben. Bevor Fichtes Auseinandersetzung mit Spinoza eingehender analysiert wird, sollen vorab noch vier weitere, entscheidende Einflüsse herausgearbeitet werden.

338 

Vgl. WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 282 und WL 1812 – GA II/13, 65. WL 1812 – GA II/13, 57 f. 340  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 284. 341  Vgl. WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 284 und 286. 339 

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(1) Als erstes ist an dieser Stelle Hegels Kritik an Fichte zu nennen. Obwohl es keine direkten Zeugnisse dafür gibt, daß Fichte die gegen ihn vorgetragenen Kritik­punkte, die Hegel in den Schriften Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie (1801) und Glauben und Wissen (1802) diskutierte342, zur Kenntnis genommen hat, ist eine direkte Einflußnahme insofern wahrscheinlich, als Hegels Kritik mit Fichtes Selbstkritik in der WL 1804-II zusammenfällt, was inhaltlich und terminologisch in den nachfolgenden Ausführungen deutlich wird 343. Für Hegel ist Fichtes frühe WL eine „Reflexionsphilosophie der Subjectivität“, weil letztlich – und in diesem Punkt kulminieren alle Probleme und Vorwürfe – die Differenz zwischen absolutem Ich und endlichem Ich und Nicht-Ich als „absolute[s] Entgegengesetztseyn des Unendlichen und Endlichen“ nicht vermittelt werden kann, sondern immer wieder nur neu fixiert wird344. Aus Hegels Sicht versucht Fichte, spekulativ-vernünftige Gehalte auf verstandesmäßige Weise zu entfalten. Die WL sei, so Hegel, eine „leere[] Verstandesphilosophie“345, da der „absolute[] Dualismus […] Fichtesches Prinzip“ ist; es „bleibt in diese[r] Philosophie[] das Absolutsein des Endlichen und der empirischen Realität […]. [Es] bleibt über dieser

342  Vgl. Hegel: Differenz des Fichte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie (1801), in: GW 4, 1 – 92, hier besonders: 5 – 62; ders.: Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjektivität, in der Vollständigkeit ihrer Formen, als Kantische, Jacobische, und Fichtesche Philosophie (1802), in: GW 4, 313 – 414, hier besonders: 315 – 324 und 387 – 412, im folgenden abgekürzt: Differenz (1801), in: GW 4; Glauben und Wissen (1802), in: GW 4. 343  Diese Position wird von Ludwig Siep in seiner Dissertation Hegels Fichtekritik und die Wissenschaftslehre von 1804, Freiburg/München 1970 vertreten. Siep leistet in dieser verdienstvollen und stark rezipierten Arbeit mehrere Beiträge zur Forschung. Siep erbringt darin den Nachweis einer grundlegenden Kontinuität der Fichtekritik in allen Werken Hegels von 1801 bis 1831 und arbeitet heraus, daß Hegels Kritik und Fichtes Selbstkritik in der WL 1804-II zusammenfallen und damit die späte WL der Hegelschen Kritik enthoben ist. Was Siep in seiner Arbeit allerdings explizit offen läßt, ist die Frage nach der Richtigkeit der Hegelschen Kritik am frühen Fichte (vgl. Siep, 15). Eher implizit und aufgrund der Zielstellung seiner Arbeit läßt sich die Schlußfolgerung ziehen, daß Siep Hegels Position teilt. Auch wenn Siep diese Frage nicht explizit beantwortet, wird der Gesamtthese seiner Arbeit gefolgt – eine These, der sich auch Wolfgang Janke in seiner letzten großen Fichte-Studie anschließt (ders.: Die dreifache Vollendung des Deutschen Idealismus. Schelling, Hegel und Fichtes ungeschriebene Lehre, Amsterdam/New York 2009, 258 f.; zur Auseinandersetzung und Kritik an Sieps Arbeit vgl. Johannes Heinrichs: „Fichte, Hegel und der Dialog. Ein Bericht in systematischer Absicht“, in: Theologie und Philosophie. Vierteljahres für Philosophie und Theologie 47 (1972) 90 – 131 und Walther Zimmerli: „Fichte contra Hegel. Umwertungsversuche in der Philosophiegeschichte“, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 27 (1973) 600 – 606). 344  Glauben und Wissen (1802), in: GW 4, 315 und 320. 345 Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830), § 573 Anm., in: GW 20, 557.

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absoluten Endlichkeit und absoluten Unendlichkeit das Absolute als eine Leerheit der Vernunft und der fixen Unbegreiflichkeit“346. Es ist dieser unvermittelte Gegensatz, durch den sich Fichte den Vorwurf des Subjektivismus und Empirismus einhandelt347. Das absolute Ich der GWL ist für Hegel nur ein „subjektive[s] Subjektobjekt“, „es ist die Vernunft in einer beschränkten Form gesetzt“, weil das absolut Andere des Ich ein unbegreiflicher Anstoß ist und außerhalb des Wissens bleibt348. Zugleich ist das Ich bzw. der Übergang vom absoluten zum endlichen Ich durch diese vom Wissen nicht vollständig einholbare Hemmung der Tätigkeit bedingt. Das scheinbar absolut unbedingte Prinzip des Wissens erweist sich als ein durch die Empirie „[B]edingtes, d.h. daß das Absolute des Systems nicht absolut sey“349. „Auf diese Weise ist im Fichteschen Idealismus das System des Wissens ein Wissen von einem ganz leeren Wissen, welchem eine empirische Realität, [und] von der Einheit, welcher die Mannichfaltigkeit absolut entgegengesetzt ist“350. Für Hegel ist Fichtes absolutes Ich aufgrund dieser „Leerheit des Wissens“ – eine Formulierung, die Hegel fast dreißigmal wiederholt – nur noch „ein bloß formales Princip“351. Der fixierte Gegensatz ist aber auch der Grund dafür, warum aus Hegels Per­ spektive keine Rückkehr zum Grundsatz und Prinzip der frühen WL erfolgt. Indem das ‚Ich = Ich‘ zum „Ich soll gleich Nicht-Ich sein“ umgewandelt wird352, erfolgt keine Realisierung einer in sich vermittelten Einheit, sondern die Synthesis von Ich und Nicht-Ich bleibt nur Forderung und Aufgabe; in diesem „unendliche[n] Progreß“ kommt es nur zu einer gesollten Vernunfteinheit – der Schlußstein der frühen WL ist daher lediglich ein Postulat353. Noch in der Wissenschaft der Logik (1831) heißt es zu diesem Aspekt: „Die […] Fichtesche Philosophie gibt als den höchsten Punkt der Auflösung der Widersprüche der Vernunft das Sollen an, was aber vielmehr nur der Standpunkt des Beharrens in der Endlichkeit und damit im Widerspruche, ist.“354

346 

Glauben und Wissen (1802), in: GW 4, 399 und 320. Vgl. Glauben und Wissen (1802), in: GW 4, 393. 348  Differenz (1801), in: GW 4, 63 f. 349  Glauben und Wissen (1802), in: GW 4, 390. 350  Ebd., 396. 351  Ebd., 391; Differenz (1801), in: GW 4, 66. Der Vorwurf der Leerheit wird in der Schrift Glauben und Wissen laut den Editoren der Akademieausgabe der WL 1804-II „allein im Fichte-Kapitel fast 30 Mal gegen die Wissenschaftslehre erhoben“ (WL 1804-II – GA II/8, 144, Fußn. 2). 352  Glauben und Wissen (1802), in: GW 4, 394. 353  Differenz (1801), in: GW 4, 46. Hegel kritisiert in der Differenzschrift auch, daß der oberste Grundsatz eben nicht unmittelbar gefunden wurde, sondern vielmehr das Resultat von Reflexion und Abstraktion sei (vgl. Differenz (1801), in: GW 4, 23 – 27). 354 Hegel: Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Sein (1832), in: GW 21, 123. 347 

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Spricht Hegel in der Logik in milderer Form von einer „schlechte[n] Unendlichkeit des Progresses“355, so sieht er in der Differenzschrift in der bloßen Forderung nach Einheit „eine sich selbst zerstörende Foderung“356. Die ganze Dynamik der frühen Wissenschaftslehre beruht auf dem Gegensatz zwischen Ich und Nicht-Ich, wäre aber eine Synthesis zwischen Ich und Nicht-Ich tatsächlich möglich, würde die ganze Dynamik der ersten WL zusammenbrechen. Die erste WL wird im Kern vom Gegensatz von Ich und Nicht-Ich, von Unendlichkeit und Endlichkeit getragen, auch deshalb bleibt eine reale Synthesis zwischen Ich und Nicht-Ich am Ende der GWL aus und die Synthesis erfolgt nur durch ein Sollen. Fichtes Schritt von einer nur zu postulierenden und nicht zu realisierenden Einheit hin zu einer rein geglaubten Einheit in der Bestimmung des Menschen (1800) ist für Hegel geradezu konsequent. Fichte versteht in dieser Schrift das Wissen als „ein leeres Bilden“ und seine Produkte „als leere Bilder“. Es sei allein „der nothwendige Glaube an unsere Freiheit, und […] unser wirkliches Handeln, […] welcher alles Bewußtseyn einer außer uns vorhandenen Realität gründet. […] Wir sind genöthigt anzunehmen, dass wir überhaupt handeln“, deshalb sei es zwar „nur ein Glaube“, „aber ein aus jenem nothwendig erfolgender Glaube“357. Daß Fichte in der Bestimmung des Menschen das Wissen dem Glauben subordiniere und „zum Glauben flüchten“ müsse, ist daher keine Fehlinterpretation Hegels358. 355 

Ebd., 244. Differenz (1801), in: GW 4, 46. 357 Fichte: Die Bestimmung des Menschen (1800), in: GA I/6, 264. 358  Glauben und Wissen (1802), in: GW 4, 316. Die Frage nach der Richtigkeit von Hegels Kritik ist in der Fichte-Forschung umstritten und ihr stehen einige Umwertungsversuche entgegen. Eine sehr gelungene und kritische Analyse dieser gegen Hegel gerichteten Unternehmungen bis zum Jahr 1992 findet sich bei Hans-Christian Lucas: „Fichte versus Hegel oder Hegel und das Erdmandel-Argument“, in: Hegel-Studien 27 (1992) 131 – 151. Lucas macht darauf aufmerksam, daß die These der Richtigkeit von Hegels Kritik am frühen Fichte auf eine längere Interpretationstradition zurückgeht, so vor allem auf Richard Kroners Werk Von Kant bis Hegel, 2 Bde., Tübingen 1921 ff. Helmut Girndt unternehme als erster in seiner Dissertation Die Differenz des Fichteschen und Hegelschen Systems in der Hegelschen Differenzschrift, Bonn 1965, den Versuch, Hegels Kritik am frühen Fichte zurückzuweisen. Girndt greife hier aber zur Bekräftigung seiner Thesen auf die späte WL zurück, so Lucas (vgl. Lucas, 138). Auch der Versuch Reinhard Lauths in der Schrift Hegel vor der Wissenschaftslehre, Mainz 1987, gegen den sich Lucas besonders wendet, in dem es darum geht, Hegels Argumente der Differenzschrift sowie aus Glauben und Wissen zu widerlegen und „als wissenschaftlich unhaltbar“ auszuweisen (Lauth, 9), kommt nicht ohne einen Rückgriff auf die späten Wissenschaftslehren von 1801/02 bis 1805 aus (vgl. Lauth, 135 – 174). Ein anderer, methodisch davon zu unterscheidender und von Lucas nicht behandelter Versuch findet sich in der Habilitationsschrift von Peter Baumanns: Fichtes ursprüngliches System. Sein Standort zwischen Kant und Hegel, Stuttgart-Bad Cannstatt 1972, 20 – 24 und 48 – 87. Er geht dabei allein vom Frühwerk aus und ohne dabei auf das Spätwerk zurückgreifen zu müssen. Baumanns versucht darin zu zeigen, „daß die ursprüngliche Begründung der Wissenschaftslehre der Hegelschen Kritik standhält“ (Baumanns, 86), einschränkend 356 

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Dieser Übergang vom Sollen zum Glauben ist aber nicht nur eine Konsequenz aus den systematischen Überlegungen der GWL, sondern hängt auch mit dem zweiten ideengeschichtlich-historischen Aspekt zusammen – dem Vorwurf des Atheismus in den Jahren 1798/99. Dieser hatte nicht nur Fichtes Entlassung als Ordinarius und hält er dabei fest: „Um so größeres Recht aber fällt Hegels Kritik zu, wenn er sich in Glauben und Wissen gegen den ethikotheologischen Glauben der Bestimmung des Menschen wendet“ (Baumanns, 66). Gegen Hegels Vorwurf der „Entzweiung“ und damit der Reflexionsphilosophie hält Baumanns fest: „Fichte will nicht ‚das Absolute‘ in seiner Selbstkon­ struktion darstellen; er will zeigen, wie sich die Wesensbestimmungen der Absolutheit und Endlichkeit trotz ihres bleibenden Gegensatzes in der endlichen Vernunft vereinigen. Nicht das Absolute wird hier [in der GWL] reflektiert, sondern Absolutheit und Endlichkeit des Menschen“ (Baumanns, 63). Dem ist entgegenzuhalten, daß das Festhalten am Gegensatz von Unendlichem und Endlichem, wofür ja auch Baumanns offensichtlich eintritt, aus Hegels Perspektive bedeutet, daß das Unendliche selbst „ein verendlichtes Unendliches“ wird (Hegel: Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Sein (1832), in: GW 21, 132). D.h., man hat es dann immer nur mit Endlichem zu tun – es ist fraglich, ob dies wirklich Fichtes letztes Ziel war. An andere Stelle unterstellt Baumanns Hegel eine Verwechslung des Substanz-Ich mit dem absoluten Ich: „So bedeutet die Auslegung des absoluten Ich als Totalität der ­Realität eine Verwechslung der ursprünglichen Tathandlung, des reinen Sich-selbst-setzens, mit dem im dritten Grundsatz ausgesprochenen […] Sich-Selbst-Quantitierens“ (Baumanns, 74). Dem ist wiederum eine Bemerkung Fichtes entgegenzuhalten: „Das Ich sezt schlechthin, ohne irgend einen Grund, und unter keiner möglichen Bedingung absolute Totalität der Realität […]. Alles, was im Ich gesezt ist, ist Realität: und alle Realität, welche ist, ist im Ich gesezt“ (GWL 1794/95 – GA I/2, 296). D.h., auch hier kann nicht von einer Fehlinterpretation Hegels gesprochen werden. Da sich Baumanns weitere Widerlegungen der Hegelkritik in vergleichbarer Weise entkräften lassen und der Nachweis der inhaltlich-terminologischen Übereinstimmung zwischen Hegels Kritik und Fichtes Selbstkritik erbracht wurde, wird Baumanns Position nicht geteilt. Ein jüngerer Versuch der Zurückweisung der Hegelschen Kritik findet sich in dem Kommentar von Rainer Schäfer: Johann Gottlieb Fichtes ‚Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre‘ von 1794, Darmstadt 2006. Schäfer stellt darin die These auf, daß die GWL ein in sich vollendeter, konsistenter und geschlossener Ansatz sei (vgl. Schäfer, 51, 86 – 91, 100, 103), der zugleich Hegels Deutung widerspreche (vgl. Schäfer, 143, 194, 260). Der Versuch Schäfers, Hegels Kritik an Fichtes GWL zu entkräften, scheitert aber daran, daß er zwar Hegels Kritik explizit zurückweist, dieser aber implizit wieder Geltung verschafft. Die „geendete Annäherung [des endlichen Ich] zum Unendlichen“ (GA I/2, 276, 278) ist, laut Schäfer, nicht als „unendlicher, unbestimmter Progress“, sondern ein „approximativer Prozess“, der zwar in inhaltlicher Hinsicht unendlich, aber „in formaler, d.h. regelhafter Hinsicht […] sehr wohl abgeschlossen“ ist. „Es handelt sich daher nicht um einen schlechten unendlichen Progress, der in das Unbestimmte geht, sondern um eine in sich selbst bestimmte, sich selbst weiter differenzierende Unendlichkeit“. Fichte erreiche in der GWL zwar keine „unmittelbare absolute Einheit“, aber doch „eine vermittelte absolute Einheit“, so daß auch die Gefahr des „Dualismus“ gebannt sei (Schäfer, 90). Im Kern wird der Gegensatz zwischen Ich und Nicht-Ich, Unendlichem und Endlichem aber auch in Schäfers Deutung nicht vermittelt und aufgehoben. Hegels Kritik an der ‚schlechten Unendlichkeit‘ beinhaltete aber genau diese ausbleibende Vermittlung, die letztlich ihren Grund darin hat, daß das absolute Ich eben keine in sich differenzierte Einheit ist (vgl. dazu ausführlicher meine kritische Rezension zu Schäfers Werk in: Fichte-Studien 39 (2012) 323 – 338).

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den Weggang aus Jena zur Folge, sondern brachte neben der Bestimmung des Menschen auch die Schrift Ueber den Grund unsers Glaubens an eine göttliche Weltregierung (1798) hervor. Beide Schriften hängen eng miteinander zusammen. So wie Fichte das Verhältnis von Glauben und Wissen vorübergehend so bestimmt, daß das Wissen in den Glauben übergehen muß, so identifiziert er in der Schrift ­Ueber den Grund unsers Glaubens Gott mit der moralischen Weltordnung. Bei Fichte heißt es konkret: „Jene lebendige und wirkende moralische Ordnung ist selbst Gott; wir bedürfen keines andern Gottes, und können keinen anderen fassen“359. In ganz anderer Absicht interpretiert Christoph Asmuth Hegels Fichtekritik in seinem Aufsatz „‚Reflexionsaberglaube‘. Hegels Kritik an der Transzendentalphilosophie Fichtes“, in: Hegel-Jahrbuch 2005, 228 – 233. Darin heißt es: „Hegels Grundsatzkritik ist daher auch für den späteren Fichte zutreffend: Es erhält sich bei ihm ein prinzipieller Dualismus“ (Asmuth, 231). Dies hänge vor allem damit zusammen, daß Hegel die „Perspektive […] einer Totalen“ einnehme, d.h. vom Absoluten ausgehe, wohingegen Fichte Transzendentalphilosoph bleibe und auf dem Standpunkt der „Endlichkeit des Subjekts“ stehe (Asmuth, 231 und 229). Diese Deutung wird in der vorliegenden Arbeit nicht geteilt, da es Fichtes erklärtes Ziel ist, den Dualismus der GWL zu überwinden und er trotz transzendentaler Besinnung die Totalität in den Blick nimmt. (Zur aktuellen Debatte vgl. auch Giovanni Cogliandro: „Die zweite Kehre der Transzendentalphilosophie“, in: Hegel-Jahrbuch 2005, 234 – 240; Klaus Erich Kaehler: „Die Negativität des Ich. Hegels Reflexionslogische Kritik des Fichteschen Prinzips“, in: ebd., 241 – 246). Abschließend ist folgendes festzuhalten: Auch wenn in der vorliegenden Arbeit die Positionen Sieps und Lucas‘ geteilt werden und die Kritik Hegels am frühen Fichte als insgesamt zutreffend verstanden wird, ist deutlich zwischen zwei Aspekten zu differenzieren: einerseits zwischen der sachlichen Zurückweisung der bis dahin als unangefochten gegoltenen Hegelschen Kritik durch Baumanns, Girndt und Lauth und andererseits zwischen der dahinter stehenden Interpretationsabsicht, das historische Schema Richard Kroners eines subjektiven (Fichte), objektiven (Schelling) und absoluten (Hegel) Idealismus zu unterlaufen, da dieses Schema die Spätwerke Fichtes und Schellings nicht angemessen berücksichtigt. Walter Schulz versuchte mit seinem Werk Die Vollendung des Deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings, Pfullingen 1955 eine Alternative zu Kroner anzubieten, wie auch Wolfgang Janke mit der Studie Die dreifache Vollendung des Deutschen Idealismus. Schelling, Hegel und Fichtes ungeschriebene Lehre, Amsterdam/New York 2009 den Vorrang von Fichtes später Wissenschaftslehre herauszuarbeiten versuchte. Trotz unterschiedlicher Interpretationsabsichten ist Kroner, Schulz und Janke gemeinsam, in der Entwicklung des Deutschen Idealismus eine Finalstruktur erkennen zu wollen, in der ein Ansatz die konkurrierenden Systeme überbietet. Dies führt aber aufgrund der Ungleichheit der drei großen Systeme, aber auch aufgrund der historischen Differenziertheit und Komplexität der Probleme diese Epoche nicht sehr weit (vgl. Walter Jaeschke/Andreas Arndt: Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant. Systeme der reinen Vernunft und ihre Kritik 1785 – 1845, München 2012, 17 – 19). In der vorliegenden Arbeit wird zwar die Interpretationsabsicht geteilt, den Spätwerken Fichtes und Schellings mehr Eigenständigkeit und Wichtigkeit zukommen zu lassen, nicht jedoch die Revision der Hegelschen Fichtekritik, da sich diese als sachlich nicht haltbar (Baumanns, Schäfer) oder nicht ohne einen Rückgriff auf das Spätwerk auskommen kann (Girndt, Lauth). 359 Fichte: Ueber den Grund unsers Glaubens an eine göttliche Weltregierung (1798), in: GA I/5, 356.

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Fichte überwindet aber beide Positionen in der Zeit von 1804/05 und kehrt das Verhältnis zwischen Wissen und Glauben dahingehend um, daß er den Glauben als Moment des Wissens bestimmt360. Nach Fichtes eigener Aussage ist es im Jahr 1800 ideengeschichtlich und systematisch der Glaube, „durch welchen allein die W.L. zum Absoluten kommt, u. selber wird“, und der es Fichte ermöglichte, den Standpunkt des subjektivistischen Idealismus von 1794/95 zu überwinden; daß Fichte diese Position fünf Jahre später erneut revidiert, wird in dieser Deutlichkeit nur den Hörern der Erlanger Version der Wissenschaftslehre von 1805 mitgeteilt361 (vgl. § 3, III.). Der Einbruch des Totalitätsgedankens vollzieht sich nicht nur in dieser Hinsicht, sondern auch in der Auseinandersetzung mit Schellings Identitätsphilosophie (1801 – 1803), die Fichte mit der Schwierigkeit konfrontierte, das Ganze denken zu wollen und zugleich die Grenzen des Begriffs nicht zu überschreiten. Der Hauptvorwurf Fichtes ist im wesentlichen, daß Schelling das Moment der Reflexion überspringt und glaubt, mit der intellektuellen Anschauung das Absolute unmittelbar anschauen zu können, anstatt eben – im Fichteschen Sinne – das absolute Wissen selbst zum Gegenstand dieser Anschauung zu machen. Mit anderen Worten: Das Hauptproblem Schellings ist die unzureichende Angabe des Ursprungs von Negativität, d.h. die letztgültige Erklärung des Verhältnisses von Einheit und Differenz. Für Schelling gibt es zu diesem Zeitpunkt seines Schaffens nur „quantitative Differenzen“, d.h. jedes bestimmte Etwas ist das Absolute – oder wie es bei Schelling richtiger heißt: die „absolute Identität“ – nur eben in verschiedenen Formen362. Aber auch wenn man bereit wäre, anzunehmen, daß keine qualitativen Differenzen existieren, so bleibt in der Darstellung von 1801 offen, wie es überhaupt zu Negativität 360  Der von Hegel beklagte „unverrückte[] Gegensatz zwischen Erkennen und Glauben“ in der „Fichtesche[n] Philosophie“ wird so überwunden (Glauben und Wissen (1802), in: GW 4, 377). 361  WL 1805 – GA II/9, 238. 362 Schelling: Darstellung meines Systems der Philosophie (1801), § 23 in: SHKA I/10, 107 – 211, hier: 125 f. Vgl. dazu auch: Bruno oder über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge. Ein Gespräch (1802), in: SSW I/4, 213 – 332. Fichtes Kritik an Schellings Positionen gehen besonders deutlich aus den Notizen [Zu Schellings „Darstellung meines Systems der Philosophie“ (1801)], in: GA II/5, 475 – 508, der unveröffentlicht gebliebenen Schrift Bericht über den Begriff der Wissenschaftslehre und die bisherigen Schicksale derselben (1806), in: GA II/10, 11 – 65 und dem Briefwechsel zwischen beiden hervor (vgl. Schelling/ Fichte: Briefwechsel, kommentiert und hg. v. Hartmut Traub, Neuried 2001). Hartmut Traub rekonstruiert in diesem Band sehr umfassend die gesamte Auseinandersetzung zwischen Fichte und Schelling und er ist auch derjenige, der den Einfluß Schellings auf die WL 1804II besonders stark hervorhebt (vgl. Hartmut Traub: „Schellings Einfluß auf die Wissenschaftslehre 1804. Oder: ‚Manche Bücher sind nur zu lang geratene Briefe‘“, in: Schelling. Zwischen Fichte und Hegel, hg. v. Christoph Asmuth, u.a. Amsterdam/Philadelphia 2000, 77 – 92; vgl. dazu auch: Jochem Hennigfeld: „Schellings Identitätssystem von 1801 und Fichtes Wissenschaftslehre“, in: Fichte-Studien 12 (1997) 235 – 246 sowie Valentin Pluder: Die Vermittlung von Idealismus und Realismus in der Klassischen Deutschen Philosophie. Eine Studie zu Jacobi, Kant, Fichte, Schelling und Hegel, Stuttgart-Bad Cannstatt 2013, 384).

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kommt. Fichte trennt zwischen dem Absoluten und der selbstbezüglich-negativen Form des Wissens, da vom Absoluten jede Form von Differenz fernzuhalten sei. Aus Fichtes Perspektive versucht Schelling in der Phase der Identitätsphilosophie, die Formen des Wissens in das Absolute hineinzuprojizieren. Es ist aber nicht zuletzt die Beschäftigung mit den Positionen Friedrich Heinrich Jacobis (1743 – 1819), die Fichte nachhaltig beeinflußten und zu denen er sich am umfassendsten und in ganz konzentrierter Weise im Schlußteil des XVIII. Vortrags der WL 1804-II äußerte, wo er Jacobis Position in syllogistischer Form zusammenfaßt363. Nach Jacobi – so laut Fichte die erste Prämisse – können wir „das ursprünglich Seiende […] nur nachconstruiren“, gleichzeitig soll die Philosophie – so die zweite Prämisse – das Ens a se, per se „offenbaren und entdecken“. Jacobi, so Fichte, ziehe aus diesen beiden Prämissen die Schlußfolgerung: „Darum können Wir nicht philosophiren, und es kann keine Philosophie geben.“ Fichte teilt im wesentlichen beide Prämissen, zieht aber eine ganz andere Schlußfolgerung: Jede systematische und auf Wahrheit zielende Philosophie gehe auf eine „wahre ursprüngliche Construction“, die Philosophie sei aber „in Beziehung auf den wahrhaft ursprünglichen Inhalt nur Nachconstruction“. Fichte glaubt aber, zwischen dem Absoluten und der Nachkonstruktion desselben durch das Ich oder Wir vermitteln zu können, da der Begriff als ein durch das absolute Leben Bedingtes und als ein durch das absolute Gesetz Bestimmtes zu verstehen ist, denn: „Vom Wir oder Ich aus giebt’s keine Philosophie; es giebt nur eine über dem Ich. Demzufolge hängt die Frage über die Möglichkeit der Philosophie davon ab, ob das Ich zu Grunde gehen“ bzw. „in wiefern das Wir mit all seinem Nachconstruiren zu Grunde geht, und sodann die reine Vernunft, rein und allein hervortritt“. In einem Brief Fichtes an Jacobi vom 8. Mai 1806 heißt es: „Wir, eben als Wir, sind in der Form gefesselt; wo ein Ich ist, ist sie schon und braucht sich, und kann in diesem Gebrauche nicht auch nicht seyn und so, über sich selber ­h inaus, sich erklären. Der Begriff begreift schlechthin Alles, nur nicht sich selbst; denn sodann wäre er eben nicht und nicht absoluter. Daß sich dies nun also, wie ich eben sagte, verhalte, und warum sich’s also verhalte, läßt sich begreifen, und ist in diesem Augenblicke begriffen, und so ist dann das Unbegreifliche, als Unbegreifliches, begriffen.“364

Fichtes ‚dritter Weg‘ besteht darin, daß er zwischen dem Absoluten als Vorkonstruktion und der Philosophie als Nachkonstruktion dahingehend vermittelt, daß beide in ihrem Wahrheitsanspruch ernstgenommen und zugleich aufgrund ihrer Einseitigkeit überwunden werden. Für Fichte setzt der „Begriff des Nachconstruirens […] ein Ursprüngliches, schlechthin von aller Construction Unabhängiges“ voraus. „Dieses Ursprüngliche nun zu fassen, und aus ihm das Nachconstruiren

363  Alle nachfolgenden Zitate sind zu finden in: WL 1804-II – StA, 188 – 190 – GA II/8, 282 – 286, Kursivierungen von mir, P.T. 364  Fichte: „Brief an Friedrich Heinrich Jacobi vom 8. Mai 1806“, in: GA III/5, 354 – 356, hier: 356.

§ 3  Die Zurückführung alles Mannigfaltigen auf absolute Einheit

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[…] als absolut wesentliches Gesetz des Wir, als solchem, abzuleiten, dies ist die Aufgabe eines philosophischen Systems“365. Es wäre sicherlich falsch, das Wesen der späten Wissenschaftslehre auf eine Einflußnahme zu reduzieren und diese zu verabsolutieren, sondern neben den sy­ stematischen Fragen, die Fichte sich selbst stellte oder von Hegel gestellt wurden, sind es die Fragen des Glaubens im weitesten Sinne, das Verhältnis von Negativität und Absolutheit sowie von Vorkonstruktion und Nachkonstruktion, die alle gleichsam relevant und unverzichtbar sind, aber eben nicht für sich alleine genommen den Schlüssel zum Gesamtverständnis hinsichtlich der Weiterentwicklung bieten. Dennoch ist in diesem Zusammenhang ein fünfter historischer Bezugspunkt wichtig: die Auseinandersetzung mit Baruch de Spinoza (1632 – 1677). (2) Es war zwar Kant, der Fichte aus seinem deterministischen Schlummer weckte, aber es waren Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 – 1716) und die Lektüre von Spinozas Ethik (1675), die Fichte überhaupt zur Philosophie geführt haben366. In dem bereits zitierten Brief an Reinhold vom 2. Juli 1795 sagt Fichte, daß ihm das „Hinsehen auf Spinoza“ besonders wichtig sei, da „aus deßen System das meinige am füglichsten erläutert werden kann“367. In der Grundlage wird näher ausgeführt, 365  Jacobis Positionen, auf die sich Fichte bezieht, sind vor allem in der Schrift Jacobi an Fichte (1799), in: Friedrich Heinrich Jacobi: Werke, hg. v. Klaus Hammacher und Walter Jaeschke, Bd. 2.1: Schriften zum transzendentalen Idealismus, Hamburg 1998 ff., 187 – 258 (im folgenden JWA abgekürzt) zu finden. Aber auch in der berühmten Abhandlung Über die Lehre des Spinoza in den Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn (1785), in: JWA 1.1: Schriften zum Spinozastreit. Zu Fichtes Jacobi-Kritik in der WL 1804-II vgl. Hartmut Traub: „Über die Grenzen der Vernunft. Das Problem der Irrationalität bei Jacobi und Fichte“, in: Fichte-Studien 14 (1998) 87 – 106. Traub identifiziert in seinem Aufsatz den Standpunkt des höheren Realismus, der im XIV. Vortrag behandelt wird, mit dem Standpunkt Jacobis (vgl. 97). Dies ist insofern wenig überzeugend, als der höhere Realismus ein wesentlich vermittelter Ansatz ist und bei Jacobi das Moment der Unmittelbarkeit und damit zusammenhängend das Gefühl eine wesentlich stärkere Rolle spielt. Darüber hinaus identifiziert Fichte den „Objektivismus“, wie er den höheren Realismus auch nennt, mit Schellings Identitätsphilosophie (WL 1804-II – StA, 140 – GA II/8, 215) und schließlich erfolgt die explizite Auseinandersetzung mit Jacobi im XVIII. Vortrag der WL 1804-II. Besonders einschlägig zum Verhältnis Jacobis und Fichtes, v.a. zum Verständnis von Glauben und Wissen und den bisherigen gesamten Ergebnissen der Forschung: Marco Ivaldo: „Wissen und Leben. Vergewisserungen Fichtes im Anschluß an Jacobi“, in: Friedrich Heinrich Jacobi. Ein Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit, hg. v. Walter Jaeschke und Birgit Sandkaulen, Hamburg 2004, 53 – 71; ders.: „Wissen und Leben in Hinblick auf die Frage des ‚Systems‘. Jacobi und Fichte“, in: Die Begründung der Philosophie im Deutschen Idealismus, hg. v. Elena Ficara, Würzburg 2011, 65 – 73. 366 Vgl. Manfred Kühn: Johann Gottlieb Fichte. Ein deutscher Philosoph, München 2012, 63 – 84; Edmund Braun: „Einleitung des Herausgebers“, in: Fichte: Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie, mit einer Einleitung hg. v. Edmund Braun, Stuttgart 1972, 3 – 23, hier: 3. 367  Fichte: „Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 2. Juli 1795“, in: GA III/2, 348. Wie wichtig die Ethik von Spinoza auch ein Jahrhundert nach ihrer Veröffentlichung und wie stark ihr Vorbildcharakter hinsichtlich der systematischen Form – gerade im Unterschied

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Teil 1: Vom transzendentalen Subjektivismus zur Totalitätswissenschaft

was Fichte damit eigentlich meint: Es beinhaltet die vollständige Abgrenzung vom Spinozismus. Fichte will deutlich machen, „daß es nur zwei völlig consequente Systeme giebt; das Kritische, welches diese Grenze [der endlichen Subjektivität] anerkennt, und das Spinozische, welches sie überspringt“368. Vor dem Hintergrund der Fragestellung der ersten WL und der Unterscheidung zwischen reinem und empirischem Ich will Fichte vor allem eins deutlich machen: „Er [Spinoza] trennt das reine, und das empirische Bewußtseyn. Das erstere sezt er in Gott, der seiner sich nie bewußt wird, da das reine Bewußtseyn nie zum Bewußtseyn gelangt; das lezte in die besondern Mocificationen der Gottheit.“369

Für Fichte ist in der GWL von 1794/95 die Unterscheidung von Gottes Verstand und menschlichem Intellekt in Wahrheit die Verschiedenheit von reinem Ich und empirischem Bewußtsein; für die veränderte Position des späten Fichte zu Spinoza und seinem Verständnis der WL als Totalitätswissenschaft ist folgende Schlußanmerkung in der Grundlage entscheidend: „Ich bemerke noch, daß man, wenn man das Ich bin überschreitet, nothwendig auf den Spinozismus kommen muß!“370

Diese absolute Entgegensetzung von Transzendentalismus und Spinozismus wird von Fichte ab 1804 nicht mehr aufrechterhalten. Fichte versucht sich zwar weiterhin von Spinoza abzugrenzen, bezieht sich zugleich aber auch positiv auf ihn. Fichte versucht in der zweiten Hälfte seines philosophischen Schaffens den Totalitätsanspruch mit den transzendentalen Einsichten zu verbinden, um nicht in die vorkritische Metaphysik zurückzufallen und sich zugleich der Gefahr des Subjektivismus zu entziehen. In einem programmatischen, auf Spinoza gemünzten Ausspruch in der WL 1804-II wird dies besonders deutlich: „Dieß war eben die Schwierigkeit aller Philosophie, die nicht Dualismus sein wollte, sondern mit dem Suchen der Einheit Ernst machte, daß entweder wir zu Grunde gehen mußten, oder Gott. Wir wollten nicht, Gott sollte nicht!“371

War es 1794 die Totalität der Handlungen des menschlichen Geistes, so geht es ab 1804 um die Totalität als Beziehungsverhältnis von Gott und Welt, deren Vermittlung durch das Bilden erfolgt. Ging es Fichte in der ersten WL vor allem um eine plausiblere Erklärung von Spinozas Einsichten durch den Rückgang auf das absolute Ich, so versteht und kritisiert Fichte dessen Ansatz in der späten WL auf einer viel fundamentaleren und grundsätzlicheren Ebene: Es ist Spinoza, zu Kants Kritik – war, wird in dem bereits zitierten Brief Schellings vom 6. Januar 1795 deutlich: „Nun arbeit‘ ich an einer Ethik à la Spinoza – sie soll die höchsten Principien aller Philosophie aufstellen, in denen sich die theoretische u. praktische Vernunft vereinigt“ (Schelling: „Brief an G.W.F. Hegel vom 6. Januar 1795“, in: SHKA III/1, 17). 368  GWL 1794/95 – GA I/2, 264. 369  GWL 1794/95 – GA I/2, 263. Vgl. Spinoza: Ethik in geometrischen Formen dargestellt, I. Teil, Lehrsatz 17, Anmerkung, in: Sämtliche Werke, neu übersetzt, hg., mit einer Einleitung versehen von Wolfgang Bartuschat, Bd. 2, Hamburg 1999, 49. 370  GWL 1794/95 – GA I/2, 264. 371  WL 1804-II – StA, 76 – GA II/8, 116.

§ 3  Die Zurückführung alles Mannigfaltigen auf absolute Einheit

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„der auch absolute Einheit will, von ihr aber keine Brücke zu schlagen weiß zu dem Mannigfaltigen; und wiederum, wenn er das Mannigfaltige hat, aus demselben nicht zur Einheit kommen kann“372.

Die späte WL übersteigt in der Tat das Ich bin, aber sie überspringt es auch nicht. Trotzdem bleibt die Frage, warum dieses späte Vernunftsystem selbst kein „Spinozismus“ ist, wie es Fichte 1794/95 jeder Philosophie bescheinigte, die die Grenze der endlichen Subjektivität überschreitet. Fichtes Antwort auf diese Frage, mit der er zugleich beantwortet, warum die WL kein „Atheismus“ ist und in seinem Ansatz Gott und Ich zusammen bestehen können, ist: „weil es das Leben selbst zu seiner Wurzel aufgenommen“ hat373. Es ist das esse in mero actu, die reine Vollziehung und die aktuose Lebendigkeit, die Fichtes WL im Kern von Spinoza unterscheidet. Spinozas Gott sei eine „Substanz […] ohne Leben“ und die „W.-L. könnte des Atheismus nur der beschuldigen […], welcher einen todten Gott will“374; denn trotz der Differenz hinsichtlich der selbstbezüglichen Form sind Gott und Ich im Vollzug des Wissens ein- und dasselbe. (3) In der zweiten Hälfte der Einleitung zur WL 1812 setzt sich Fichte in den Vorlesungen V bis IX, die er vom 10. bis 16. Januar 1812 hielt, noch einmal intensiv und differenziert mit Spinoza auseinander. Die Kerndifferenz zwischen beiden besteht laut Fichte darin, daß für Spinoza „das Eine[, das auch das Alles ist,] das absolute Seyn selbst [ist]; bei der Wissenschaftslehre [ist es] schlechthin nicht das absolute Seyn; sondern nur seine Erscheinung“375. Und weiter heißt es: „Das ἓν καὶ πᾶν ist“ nicht das Absolute, sondern „die Erscheinung des Absoluten. […] Aus dieser können wir nie herauskommen“376. Fichte teilt zwar Spinozas Auffassung vom 372 

WL 1804-II – StA, 34 – GA II/8, 54. WL 1804-II – StA, 96 – GA II/8, 144. 374  WL 1804-II – StA, 76 – GA II/8, 116. 375 WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 274. Vgl. Wolfgang Janke: Die dreifache Vollendung des Deutschen Idealismus. Schelling, Hegel und Fichtes ungeschriebene Lehre, Amsterdam/New York 2009, 247 – 256. 376  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 275, Kursivierung von mir, P.T.; vgl. auch WL 1812 – GA II/13, 60 und Principien 1805 – GA II/7, 437. Der Ausdruck Ἓν καὶ πᾶν („Alles in dem Einen, alles Eins“ (WL 1812 – GA II/13, 60)), der ursprünglich auf Heraklit zurückgeht (vgl. Frgm. 10, in: Die vorsokratische Philosophie. Einführung, Texte und Kommentare, hg. Geoffrey S. Kirk/John E. Raven/Malcom Schofield, ins Deutsche übers. v. Karlheinz Hülser, Stuttgart/Weimar 2001, 208) wurde von Jacobi in die philosophische Diskussion des 18. und 19. Jh. eingeführt und mit der Philosophie des Spinoza identifiziert (vgl. Über die Lehre des Spinoza in den Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn (1785), in: JWA 1.1, 16). Für Fichte und seine Zeitgenossen stand diese Formel für das philosophische System Spinozas insgesamt. Ob diese Formel tatsächlich so auf Spinoza angewendet werden kann, ist eine andere Frage (vgl. Max L. Baeumer: „Hölderlin und das Hen kai pan“, in: Monatshefte 59.2 (1967) 131 – 147), daß diese aber in aller Munde war, geht beispielsweise auch aus Schellings Ich-Schrift von 1795 hervor, die er in Anlehnung an Fichtes erste WL verfaßte: „Alles ist nur im Ich und für das Ich. Im Ich hat die Philosophie ihr Ἓν καὶ πᾶν gefunden“ (Schelling: Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen (1795), in: SHKA I/2, 1 – 175, hier: 119). 373 

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Teil 1: Vom transzendentalen Subjektivismus zur Totalitätswissenschaft

Absoluten – „So Spinoza, so wir“ –, im Unterschied zu ihm differenziert Fichte aber zwischen dem Absoluten und dem Begriff des Absoluten, der die Erscheinung des Absoluten ist – „So wir[,] Anders Spinoza“377. Die WL, so Fichte, „geht innerhalb der Erscheinung ganz so zu Werke, wie Sp[inoza] innerhalb des Seyns“378. Fichtes „Anknüpfungspunkt“ an „das System des Spinoza“ ist im wesentlichen dessen Verständnis vom „absoluten Seyn“379, aus welchem er drei Momente hervorhebt: die Wandellosigkeit, die Inkludenz und die Notwendigkeit des Seins. Das erste Moment – die „Wandellosigkeit“ – umfaßt im wesentlichen zwei Aspekte: die „absolute Selbstständigkeit“ und die „absolute Negation des Werdens“380. Das absolute Sein sei „schlechtweg von sich, durch sich, aus sich“, unterliege keiner Veränderung, sei kein Werdendes, negiere jede Form von Genesis und sei gleichsam „Prinzip […] und […] Prinzipiat seiner selbst“381. Mit anderen Worten: Das Absolute ist das schlechthin Unbedingte. Für Fichte folgt aus dieser „Hauptbestimmung des Seyns“ – dem „Nichtwerden[]“ – die In-sich-Geschlossenheit des Absoluten382. Zum zweiten Moment der absolut-notwendigen Realität – der Inkludenz – heißt es im Manuskript der WL 1812: „Eins ist, und ausser diesem Einen ist schlechthin nichts“383. In diesem einfachen Satz liegt der größte Widerspruch und zugleich das zu lösende Hauptproblem der WL, denn: „Indem gesagt wird; es sey nichts ausser ihm, ist etwas, eben dieses Sagen, ausser ihm“384. Jede Form der begrifflichen Bestimmung des Absoluten gibt per se zu erkennen, daß sie nicht das von Fichte so bestimmte Absolute selbst ist, weil jede Bestimmung sich auf ihr Gegenteil bezieht und sich deshalb in einer Relation zu diesem befindet. So gibt der Begriff des Un-Bedingten durch die immanente Negation zu erkennen, wovon er sich unterscheidet – dem Bedingten; der Begriff des Absoluten unterscheidet sich vom Relativen usw. In dieser zweiten Hauptbestimmung des Absoluten wird also ein Widerspruch explizit gemacht, der bereits im ersten Moment enthalten ist: Indem das Wesen des Absoluten als die Negation allen Werdens bestimmt wird, wird im begrifflichen Vollzug de facto das Gegenteil gemacht, d.h. das Wesen des Absoluten kann immer nur auf negative, Wandel und Genesis einschließende Weise bestimmt werden. Vom Absoluten kann immer nur auf nicht-absolute Weise gesprochen werden, d.h., es bleibt immer eine Differenz zwischen Darstellung und Vollzug, zwischen Sagen und Tun, zwischen dem inhaltlich Ausgesagten und der Form des Aussagens385. Dies bein377 

WL 1812 – GA II/13, 51 f. WL 1812 – GA II/13, 59. 379  WL 1812 – GA II/13, 51 und 53. 380  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 262 und WL 1812 – GA II/13, 51. 381  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 262. 382  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 263. 383  WL 1812 – GA II/13, 56. 384  WL 1812 – GA II/13, 52. 385  Etwa komplizierter ist das Verhältnis von Absolutem und Sprache bei Hegel: Hegel hebt einerseits die „Zweideutigkeit des griechischen Worts“ λογος hervor, denn es bedeute 378 

§ 3  Die Zurückführung alles Mannigfaltigen auf absolute Einheit

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haltet aber umgekehrt, daß es immer schon auch etwas außerhalb des Absoluten geben muß: „Außer dem Seyn ist nichts, und doch ist der Begriff außer dem Seyn, das Sagen von dem Seyn und das Sagen, daß nichts ist außer dem Seyn, ist ja außer den Seyn“386. Die Aufgabe der WL besteht darin, diesen Widerspruch – die Inkludenz des Absoluten und dessen Manifestation im absoluten Begriff – zu lösen. In bezug auf Spinoza heißt es: „Wir beide haben ein Seyn außer dem Einen; wir den Begriff, er die Welt [überhaupt]“387. Fichte will damit auf drei weitere Aspekte dieses zweiten Hauptmoments hinweisen, die eng miteinander zusammenhängen: Er will in der WL insgesamt zunächst zeigen, daß der Begriff die einzige und notwendige Erscheinung des Absoluten ist; er will darüber hinaus herausarbeiten, daß „außer dem Begriff […] die Welt des Spinoza“ ist388, was schließlich auf die Unterscheidung von absolutem und faktischem Sein zurückgeht. Zur Unterscheidung von absolutem und faktischem Sein heißt es bei Fichte: „Spinoza findet auch ein factisches Seyn: die Welt als ein Ausgedehntes und das Denken. Also ein Dualismus auch für Spinoza. Das absolute Seyn und ein Seyn außer dem absoluten Seyn“389. Fichte kritisiert hier zweierlei: Zum einen könne kein Grund angegeben werden, „warum das Absolute sich gerade in zwei Formen […] spalte und nicht in unendliche“, genauer: „das Absolute [habe] unendliche Modificationen, da er [Spinoza] einmal dem Absoluten Modification beilegt“390; allerdings können nur zwei Modifikationen – res cogitans und res extensa – erkannt werden391. Zum anderen lehnt Fichte die „Theilung und „Vernunft und zugleich Sprache“, und bezeichnet die Sprache aufgrund dieses engen Verhältnisses zur Vernunft als „die reine Existenz des Geistes“ (ders.: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, in: ders.: Werke in zwanzig Bänden, hg. v. Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Bd. 20, Frankfurt a. M. 1969 – 1971, 106 f.); andererseits werden reine Vernunft und objektive Sprache voneinander unterschieden, denn die Logik stellt „die Selbstbewegung der absoluten Idee nur als das ursprüngliche Wort dar, das eine Aeusserung ist, aber eine solch, die als Aeusseres unmittelbar wieder verschwunden ist, indem sie ist“ (Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Begriff (1816), in: GW 12, 237). Eine absolute Sprache, die vom Fichteschen Standpunkt aus ausgeschlossen ist, ist nur als reines Selbstverhältnis des absoluten Geistes bzw. der absoluten Idee möglich, worin das Moment der Äußerlichkeit und Objektivität der Sprache gleich wieder aufgehoben wird: „[D]ie Idee ist also nur in dieser Selbstbestimmung, sich zu vernehmen, sie ist in dem reinen Gedanken, worin der Unterschied noch kein Andersseyn, sondern sich vollkommen durchsichtig ist und bleibt“ (ebd.). Die entsprechenden Hinweise entnahm ich: Thomas Sören Hoffmann: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Eine Propädeutik, 2., durchgesehene und aktualisierte Auflage, Wiesbaden 2012, 515 Anm. 63 und 522 Anm. 204. 386  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 263. 387  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 265 und WL 1812 – GA II/13, 53. 388  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 273. 389  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 264. 390  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 268. 391  Bei aller Notwendigkeit der Differenzierung zwischen dem Interpretationsschema zu Spinoza, das sich in der Klassischen Deutschen Philosophie herausgebildet hat, und dem, was Spinoza tatsächlich gesagt hat, trifft Fichte an dieser Stelle einen wahren Punkt. Gott – die absolute Substanz – hat laut Spinoza unendlich viele Attribute, es können aber durch

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Teil 1: Vom transzendentalen Subjektivismus zur Totalitätswissenschaft

Spaltung des Einen […] nach alter Emanationslehre […] in ein vielfaches Seyn“ als Vermittlung zwischen absolutem und faktischen Sein ab392. Nach Fichte ist das einzige ‚Außerhalb‘ des Absoluten allein der Begriff, dem in diesem Sinne keine Realität und kein wahrhaftes Sein zukommt, weil dieser eben nur die Erscheinung des Absoluten ist: der absolute Begriff ist nicht wie das Absolute, sondern er ist nur die Daseinsform des Absoluten. Der Begriff als Erscheinung des Absoluten ist „ein beschränktes und bestimmtes Seyn, ein nicht in sich lebendiges, sondern todtes Seyn, Abbild eines andern“393. Für Fichte ist aber der Begriff der eigentliche Ursprung für das faktische Sein und damit für dasjenige, was als Welt bezeichnet wird394. Fichte leitet somit die Welt Spinozas nicht als Modifikation den endlichen Verstand nur zwei Attribute erkannt werden: Denken und Sein bzw. Geist und Körper. Jedes Attribut drückt Gottes unendliches Wesen aus, d.h. „Gott ist“ für Spinoza „ein denkendes Ding [bzw.] ein ausgedehntes Ding“, aber Gott geht nicht vollständig in den Attributen auf (Spinoza: Ethik in geometrischen Formen dargestellt, II. Teil, Lehrsatz 1 und 2, in: Sämtliche Werke, Bd. 2, Hamburg 1999, 103 ff.). Aber warum nur diese beiden Attribute erkannt werden können, wie Körper und Geist einerseits unendlich verschieden und zugleich nur unterschiedliche Aspekte sind, wie unter diesen Vorzeichen das Verhältnis zwischen Veränderungen und Identität und „es überhaupt eine Vielheit endlicher Dinge gibt“, bleibt ungeklärt (Wolfgang Bartuschat: Baruch de Spinoza, München 1996, 69 – 74). Vgl. auch: WL 1812 – GA II/13, 55. 392  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 267 und 269. Fichte kommt in diesem Zusammenhang auf die Gefahr des Dualismus bei Spinoza zu sprechen (vgl. WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 264). Es gäbe aufgrund der Unbegreiflichkeit des Übergangs zur Mannigfaltigkeit zwei Absoluta: Ein Absolutes, das das Gesetz der Spaltung bestimmt – ein bestimmendes Sein –, und ein Gesetz, das das Absolute bestimmt – ein bestimmtes Sein (vgl. WL 1812 – GA II/13, 55). Beides könne aber nicht zugleich wahr sein. Dahinter steht auch – trotz vermeintlicher Übereinstimmung – eine wesentliche Differenz im Verständnis des Absoluten: Denn nicht „wir sind in Gott, unser Leben in ihm, u. dergl.“, wovon Spinoza ausgeht, sondern umgekehrt ist Gott als in sich geschlossenes Singulum in uns (WL 1812 – GA II/13, 56). 393  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 277. 394  Daß Fichte einen nachmetaphysischen, rein intelligiblen und eben nicht im Sinne der res extensa zu verstehenden Begriff von Welt hat, läßt sich auch anhand von Christian Wolf illustrieren: In den §§ 551, 556 und 557 der Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt (1720), der so genannten Deutschen Metaphysik, bestimmt Christian Wolff die Welt in folgender Weise: Die Welt ist kein „einfaches“, sondern ein „zusammengesetztes Ding“ und nur ‚zusammengesetzte‘ oder ‚teilbare‘ Dinge können entstehen und vergehen; wohingegen „einfache Dinge“ wie die „Seele“ keinen Anfang und kein Ende haben. Die Welt ist für Wolff „ein Uhrwerck“ bzw. „eine Maschine“ (in: ders.: Gesammelte Werke, Bd. I/2, 333 – 337), wohingegen für Fichte die Welt ein Vernunftbegriff ist. In der Anweisung zum seeligen Leben von 1806 heißt es: „Jenes stehende Vorhandensein ist der Charakter desjenigen, was wir die Welt nennen; der Begriff daher ist der eigentliche Weltschöpfer vermittelst der aus seinem innern Charakter erfolgenden Verwandlung des göttlichen Lebens in ein stehendes Sein, und nur für den Begriff und im Begriffe ist eine Welt als die notwendige Erscheinung des Lebens im Begriffe; jenseits des Begriffs aber, d.h. wahrhaftig und an sich, ist nichts und wird in alle Ewigkeit nichts denn der lebendige Gott in seiner Lebendigkeit“ (Anweisung

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aus dem Absoluten, sondern aus dem Begriff ab. Der Begriff ist das Prisma, in dem sich das absolute Sein bricht und in ein stehendes, faktisches Sein verwandelt wird, weshalb Fichte auch sagen kann: „Das Seyn ist in einer Beziehung absolut und in einer andern factisch. Nicht sinds zwei Seyn; das logische Subject beider Sätze ist dasselbe eine Seyn“395. Das faktische Sein als abgeleitetes Phänomen ist insofern etwas Bedingtes, das absolute Sein ist ein notwendiges, d.h., das absolute Sein kann nicht nicht-sein – womit der dritte Anknüpfungspunkt benannt wäre. Es handelt sich dabei um ein Moment, das bereits im vorherigen Unterkapitel angesprochen wurde: die Notwendigkeit des absoluten Seins und die dadurch bedingte Notwendigkeit des Sehens! Das Absolute ist kein Gewordenes und beinhaltet kein Werden, es hat nicht das Moment der Negativität in sich und ist dasjenige, was schlechthin notwendig Ist. In ein und demselben Schlag, wie von der Notwendigkeit auf die Wirklichkeit des Absoluten geschlossen werden soll, geht es umgekehrt darum, nachzuweisen, daß der absolute Begriff ebenso notwendig ist, genauer, daß ihm abgeleitete Notwendigkeit zukommt; darüber hinaus soll gezeigt werden, daß der absolute Begriff die einzige Erscheinungsform des Absoluten ist. So wie das absolute Sein nicht nicht-sein kann 396, so ist das Wissen, das Sehen oder Begreifen nicht nur wirklich, sondern auch notwendig. Im Unterschied zu Spinoza, der mit res extensa und res cogitans von zwei der unendlich möglichen Erscheinungsweisen des Absoluten ausgeht, geht es Fichte darum, „[d]aß die Erscheinung […] das einzig mögliche Daseyn außer Gott“ sei, was „durch einen Beweis im Denken, durch einen Begriff“ erbracht werden soll397 (vgl. § 5, II.). Fichte übernimmt daher von Spinoza den Gedanken der Nicht-Zufälligkeit, d.h. der Notwendigkeit des absoluten Seins, modifiziert ihn aber dahingehend, daß in dieser nur eine und einzige Form der Erscheinung begründet ist: „Da 1806 – GA I/9, 97; vgl. auch 119). Es ist der Begriff, der das Absolute in ein objektives, vorhandenes Sein verwandelt, was zugleich den Grundcharakter der Welt bildet; das verobjektivierte, stehende und vorhandene Sein ist somit das Resultat der Selbstunterscheidung des absoluten Begriffs und des verstandesmäßigen Fixierens, entsprechend heißt es im 3ten Cours der W.L. 1804: „[F]ür die Bestimmung der Welt [bedarf es] durchaus keines andern Princips […], als des Verstandes“ (GA II/7, 339). Die Welt ist für Fichte also nicht die Empirie (vgl. § 5, III.), sondern etwas rein Intelligibles. Die Welt ist eine „rein geistige Welt“, denn nur das Übersinnliche sei das „wahrhafte Seyn“; wohingegen „alle Materialität“, „das körperliche“, das „sinnliche[] u. faktische[]“ ein „blosser bildlicher Reflex“ ist, also „nur Bild des ersten“ ist, wie es im letzten Vortrag der Transscendentalen Logik II von 1812 heißt (StA, 257 f. – GA II/14, 397 f.). In der Principien-Vorlesung differenziert Fichte darüber hinaus zwischen drei konkreten Welten – der „sittliche[n], rechtliche[n], u. sinnliche[n]“ auf der einen Seite und der „Welt, schlechthin, u. ohne Beinamen“ auf der anderen (Principien 1805 – GA II/7, 438). Fichte verwirft also nicht einfach den Begriff der Welt, aber er umgeht die Fragen der vorkritischen Kosmologie, wie zum Beispiel, ob die Welt einen Anfang oder ein Ende hat. 395  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 266. 396  Vgl. WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 265. 397  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 273.

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Teil 1: Vom transzendentalen Subjektivismus zur Totalitätswissenschaft

Gott erscheint, so kann er nicht nicht erscheinen. Er erscheint durch absolutes, nicht durch zufälliges Seyn“398. Es sind diese drei Hauptbestimmungen des absoluten Seins, durch die sich Fichte in Übereinstimmung mit Spinoza zu befinden glaubt. Was aber beide Denker – ­neben der Auffassung Gottes als lebendiges Sein, im Unterschied zur toten Substanz – fundamental voneinander unterscheidet und wo sich der transzendentale Gedanke Bahn bricht, ist die Reflexion des Denkens auf sich selbst. Während Spinoza „eigentlich das Seyn selbst unmittelbar zu haben glaubt“399, hebt Fichte hervor, daß das absolute Sein „nur der Gedanke, ein bloßer Schatten, nicht das wirkliche Seyn sey“: „Spinoza sagt: so ist Sein; ich sage dasselbe, nur: so denken wir Seyn“400. Es handelt sich dabei nicht bloß um eine Differenz zwischen zwei Denkern, sondern um eine ideengeschichtliche Zäsur: Es ist die Reflexion auf die Darstellung, die Form der Subjektivität und das Bewußtsein der begrifflichen Vermitteltheit alles Gedachten, das jeden unmittelbaren Zugang als Schein entlarvt. Es ist das Sich-transparent-Machen der Vernunft, die in jeder Form des Denkens zu finden ist und worauf Fichte – und vor ihm Kant – aufmerksam machen will und um so stärker am Werke ist, je mehr man sich bei den „Sachen selbst“ glaubt401. Mit anderen Worten: Der bereits gegen Schelling erhobene Vorwurf, die Reflexion zu überspringen, trifft auch Spinoza; ein Vorwurf, der – im Verständnis Fichtes – auf die ganze vorkritische Ontologie zutrifft402. Im Manuskript zur WL 1812 heißt es weiter: „Man muß drum eben reflektiren bis zu Ende. Die Reflexion[,] als vernichtend die Realität, trägt in sich selbst ihr Heilmittel. Die Realität des Wissens eben selbst.“403 Die Reflexion, die bis zu Ende reflektiert, erkennt, daß sie selbst nicht das Höchste ist, sondern immer schon eine absolute Realität voraussetzt, die sie selbst nicht einholen kann. Es ist diese transzendentale „Besinnung“404, die Fichtes späte WL als nachmetaphysischen Ansatz auszeichnet, weil alles Gedachte auf das Erkenntnisvermögen rückbezogen ist; es ist aber die absolute Realität – und dies ist ganz entscheidend –, die seinen Ansatz vor den Gefahren des frühidealistischen Subjektivismus bewahrt: Die Reflexion – und damit das subjektive Denken überhaupt – trägt insofern ihr Heilmittel in sich selbst, als sie selbst es ist, die sich als mögliches Absolutes absetzt, sich aber zugleich dadurch Geltung verschafft, indem sie sich als durch ein höheres Begründetes ausweist. Es ist die absolute Realität, aufgrund derer das Wissen keine reine Produktion von leeren Bildern ist. 398 

WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 284. WL 1812 – GA II/13, 52, Kursivierung von mir, P.T. 400  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 262 f. 401  Vollständig heißt es bei Husserl: „Wir wollen auf die ‚Sachen selbst‘ zurückgehen“ (Edmund Husserl: Logische Untersuchung. Zweiter Band. Erster Teil: Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis (1901), in: Husserliana. Edmund Husserl: Gesammelte Werke, hg. v. Ursula Panzer, Bd. XIX/1, Den Haag 1984, 10). 402  Vgl. WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 264 und WL 1812 – GA II/13, 56. 403  WL 1812 – GA II/13, 51. 404  WL 1812 – GA II/13, 53. 399 

§ 3  Die Zurückführung alles Mannigfaltigen auf absolute Einheit

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Es ist daher folgendes festzuhalten: Die späte Wissenschaftslehre ab 1804 ist eine Reaktion auf den Atheismus-Streit und damit zugleich eine Neupositionierung nach der Bestimmung des Menschen von 1800, sie ist ein Gegenentwurf zu Schellings Identitätsphilosophie von 1801 und sie ist eine Alternative zu den Schlußfolgerungen Jacobis. Die späte WL ist (und bleibt) weiterhin eine Antwort auf Kant, sowie auf seinen eigenen, frühidealistischen Entwurf und damit eine Konsequenz aus der Kritik Hegels. Sie ist aber auch eine neue Antwort auf Spinoza405, indem 405  Nahezu alle Beiträge der Forschung arbeiten die Differenzen zwischen Fichte und Spinoza heraus. Eine besondere Ausnahme bildet hier Birgit Sandkaulen: „Spinoza zur Einführung. Fichtes Wissenschaftslehre von 1812“, in: Fichte-Studien 30 (2006) 71 – 84. Sandkaulen interpretiert die späte WL von 1812 als „Wieder-Holung Spinozas“, in der sich Fichte aber auf ein einziges Attribut, „die Form des Denkens“, beschränke (84) und das Absolute lediglich ein notwendig zu denkender Gedanke sei (vgl. 77 f.), d.h. insgesamt könne die Kritik Jacobis an Fichte in der WL 1812 nicht entkräftet werden, so der leitende Gedanke Sandkaulens. Dem ist folgendes entgegenzuhalten: 1) In der These, daß Fichtes Ansatz ab 1804 nur eine beschränkte Wiederholung Spinozas sei, werden alle Vermittlungsleistungen zwischen dem Absolutem und dem absoluten Wissen, die Fichte erarbeitet und bei Spinoza nicht einmal ansatzweise zu finden sind, vollständig ausgeblendet. 2) Fichtes Kerneinsicht und Haupteinwand gegen Spinoza ist gerade die Differenz zwischen dem Gedanken des Absoluten und dem Absolutem selbst. Die WL hat es immer nur mit dem Begriff bzw. dem Gedanken des Absoluten zu tun hat, und es geht gerade darum, daß wir es immer nur mit Erscheinungen zu tun haben, aber: das Absolute ist mehr als ein Gedanke, es ist die lebendige Realität des absoluten Begriffs und das „Seyn der Erscheinung“ (Transscendentale Logik II (1812) – StA, 257 – GA II/14, 397). Das Absolute ist dasjenige, was das Wissen qua Vollzug immer schon voraussetzt, es ist dasjenige, was im Wissen (begrifflich) als faktisches Sein erscheint und es ist dasjenige, was die Notwendigkeit des Sehens garantiert. Es ist Fichtes Idee, einerseits die Notwendigkeit des Gedankens des Absoluten als Wirklichkeit und andererseits die Wirklichkeit des Wissens oder Sehens als notwendiges zu erweisen. Neben der Differenz zwischen Begriff und absolutem Sein, ist es der Nachweis der Notwendigkeit des Sehens, der Nachweis der Wirklichkeit des Absoluten und die Einsicht, daß das Wissen deshalb die einzig mögliche Erscheinung des Absoluten ist, die Fichtes Ansatz von Spinoza so stark unterscheidet. Zur These, daß das Absolute nur ein Gedanke ist vgl. auch Christoph Asmuth: „Transzendentalphilosophie oder absolute Metaphysik? Grundsätzliche Fragen an Fichtes Spätphilosophie“, in: Fichte-Studien 31 (2007) 45 – 58; ders.: „Fichte und das Absolute. Ein grundlegendes Missverständnis der späten Wissenschaftslehre J.G. Fichtes“, in: Die Begründung der Philosophie im Deutschen Idealismus, hg. v. Elena Ficara, Würzburg 2011, 315 – 327. Zu Fichtes Spinoza-Rezeption vgl. weiterhin: Johann Heinrich Loewe: Die Philosophie Fichtes nach dem Gesammtergebnisse ihrer Entwicklung und in ihrem Verhältnisse zu Kant und Spinoza, Stuttgart 1862, ND Hildesheim/New York 1976, 247 – 261; Reinhard Lauth: „Fichtes Sicht der Philosophie Spinozas“, in: ders.: Transzendentale Entwicklungslinien von Descartes bis zu Marx und Dostojewski, Hamburg 1989, 24 – 43; Klaus Hammacher: „Fichte und Spinoza“, in: Spinoza und der deutsche Idealismus, hg. v. Manfred Walther, Würzburg 1992, 81 – 99; Marco Ivaldo: „Transzendentalphilosophie und ‚realistische‘ Metaphysik. Das Fichtesche Spinoza-Verständnis“, in: Spinoza und der deutsche Idealismus, 59 – 80; Stefan Büttner: „Spinozas präsentationstheoretische Konzeption als Vorläuferin der Fichteschen Bildtheorie“, in: Fichte-Studien 22 (2003) 49 – 57; Günter Zöller: „Fichte als Spinoza, Spinoza als Fichte. Jacobi über den Spinozismus der Wissenschaftslehre“, in: Friedrich Heinrich Jacobi. Ein Wendepunkt der geistigen Bildung

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Teil 1: Vom transzendentalen Subjektivismus zur Totalitätswissenschaft

Fichte den Transzendentalismus mit dem erweitert verstandenen Totalitätsanspruch verbindet und eben nicht mehr – wie noch 1794/95 – Kritische Philosophie und Spinozismus gegenüberstellt406. Fichte glaubt 1812 nicht mehr Spinozas Ansatz durch den Rückgang auf die Unterscheidung von reinem und empirischem Ich erklären zu können, sondern Fichte knüpft explizit an Spinozas Begriff des Absoluten an. Es ist dieser Begriff des Absoluten, der ihn 1804/05 und 1812 zwar von Kant weiter entfernt, es ist aber die transzendentale Grenzziehung, die ihn weiterhin mit Kants Grundgedanken verbindet und zugleich von Spinoza unterscheidet407. Es ist die transzendentale Unterscheidung zwischen absolutem Sein und dessen Erscheinung, die es Fichte ermöglicht, zwischen der in sich geschlossenen, Negativität ausschließenden Einheit auf der einen Seite und der in sich differenzierten Einheit – dem absoluten Wissen als wahrem ἓν καὶ πᾶν – auf der anderen Seite zu unterscheiden. Fichte umgeht damit Spinozas Position der In-sich-Spaltung des Absoluten, was aber zugleich eine wesentlich anspruchsvollere Vermittlungslei­ stung zwischen beiden Seiten erforderlich macht.

der Zeit, Hamburg 2004, 37 – 52; Johannes Brachtendorf: „Substanz, Subjekt, Sein – die Spinoza-Rezeption der frühen und späten Wissenschaftslehre“, in: Fichte-Studien 30 (2006) 57 – 70; Anton A. Ivanenko: „Der zweideutige Begriff des Seins im Vortrag der Wissenschaftslehre 1812“, in: Fichte-Studien 28 (2006) 153 – 160; Johannes Stoffers: Eine lebendige Einheit des Vielen. Das Bemühen Fichtes und Schellings um die Lehre vom Absoluten, Stuttgart-Bad Cannstatt 2013, 126 – 130. 406  Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß sich Fichte in der späten WL auch von Reinhold abhebt, den er in der WL 1804-II vor allem mit Bardili in Verbindung bringt (WL 1804-II – StA, 132 – GA II/8, 196 ff.) und vor allem im Hinblick auf das Idealismus-Realismus-Problem diskutiert. Entscheidend in bezug auf Reinhold ist, daß Fichte sich in der Spätphilosophie von der Idee einer Grundsatzphilosophie verabschiedet hat. Dies mag insofern paradox anmuten, als Fichte selbst in der WL 1804-II von einem Grundsatz spricht und einen solchen auch formuliert (vgl. WL 1804-II – StA, 160 – GA II/8, 242). Der Charakter dieses Grundsatzes ist jedoch grundlegend verschieden. Er ist nicht mehr unmittelbar evident und steht nicht am Anfang, sondern geht aus der begrifflichen Vermittlung hervor, d.h. die Dialektik des absoluten Begriffs tritt an die Stelle eines unmittelbar gewissen Grundsatzes. Vgl. zu Bardili: Rebecca Paimann: Das Denken als Denken. Die Philosophie des Christoph Gottfried Bardili, Stuttgart-Bad Cannstatt 2009 sowie Christoph Gottfried Bardili: Kleine Schriften zur Logik, mit Einleitung und ausführlichem textkritischem Kommentar hg. v. Rebecca Paimann, Stuttgart-Bad Cannstatt 2012). 407  Günter Zöller geht in seinem Aufsatz „Fichte in Berlin in München“, in: Fichte-Studien 28 (2006) 1 – 15 für die Periode der Spätphilosophie (1809 – 1814) von einer Rückkehr Fichtes zu Kant aus und dementsprechend von der Restituierung von bestimmten Theoremen wie Apperzeption, Anschauungsformen usw. Zöller interpretiert die Periode von 1804/05 eher als Ausnahme. Dem wird in dieser Arbeit die alternative Deutung gegenübergestellt, daß es bei Fichte durchgehend ein ‚Zurück zu Kant‘ und zugleich ein ‚Über Kant hinaus‘ gibt. Gerade die WL 1804-III dokumentiert überdeutlich, daß Fichte immer schon, und d.h. auch in der Phase von 1804/05, Theorieelemente der Jenaer Zeit einfügen wollte (vgl. § 5, III.).

§ 3  Die Zurückführung alles Mannigfaltigen auf absolute Einheit

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III.  Die Probleme in der Erforschung der späten Wissenschaftslehre Bevor im zweiten Hauptteil die späte WL genauer analysiert wird, sollen vorab einige grundsätzliche Probleme aufgezeigt werden, die sich der Erschließung des Spätwerks entgegenstellen. Es soll dabei herausgestellt werden, welche Probleme aufgrund der hohen Variabilität im Aufbau, der Theorieelemente, der Themen sowie der Terminologie entstehen. Anhand exemplarischer Beispiele sollen einige Fragen in der Deutung und Auslegung der Texte besprochen werden. Auf diese Weise soll auch noch einmal das methodische Vorgehen in der Arbeit gerechtfertigt werden (vgl. § 1, I.). Zwei Aspekte können dabei aber vorab ausgenommen werden: einerseits die grundlegenden Kerneinsichten der WL und andererseits die Probleme, die mit Blick auf das Gesamtwerk gelöst werden können. Zum ersten Aspekt: Die Frage nach der Einen Wissenschaftslehre geht nicht soweit, daß generell fraglich ist, was die wichtigsten Einsichten sind. So ist die Differenz zwischen Sichtbarem und Sichtbarkeit konstitutiv für den gesamten Ansatz: „Darin besteht eben das Wesen der W.L., daß […] die natürliche Concrescenz des sichtbaren (realen) u. seiner Sichtbarkeit, rein [aufgelöst wird …]; […] Alle andere Ph[ilosophie] ohne Ausnahme sizt in jener Koncrescenz“408.

Fichtes Ziel ist das transzendentale Sich-Verstehen des Wissens, dessen logisches Zentrum das Bilden ist, aus dem heraus alle Theoreme entfaltet werden. Die Frage nach der Einen Wissenschaftslehre setzt eher auf der Ebene darunter an; es ist die Frage, welche der aus dem Bilden entfalteten Themen und Theorieelemente notwendig und welche verzichtbar sind. Zum zweiten Aspekt: Es gehört zu den schwierigen, aber zu lösenden Fragen, was in der Wissenschaftslehre in bezug auf das Gesamtwerk wichtiger ist: die Anschauung oder der Begriff ? So heißt es beispielsweise in der Ankündigung einer neuen Darstellung von 1801, in der Fichte sein Konzept einer „intellektuelle[n] Anschauung“ verteidigt, „daß daher, wenn nun an die Erkenntniß der Vernunft selbst durch sich selbst allein Philosophie heissen soll, die Philosophie keinesweges eine Erkenntniß aus Begriffen, sondern aus Anschauung seyn müsse. [Und] der Grund der unmittelbaren Evidenz, Noth­wendigkleit und Allgemeingültigkeit nie im Begriffe, sondern in der Anschauung des Begreifens selbst liege“409.

Nur drei Jahre später heißt es in der WL 1804-II, daß sie „ihr Wesen im Begriffe“410 hat, was die Vermutung der Überwindung des Konzepts einer unmittelbaren, intellektuellen Anschauung nahe legt, da „für uns in der Intuition Nichts, weil im 408 

WL 1812 – GA II/13, 137 f. Seit sechs Jahren – [Ankündigung einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre] (1801), in: GA I/7, 158. 410  WL 1804-II – StA, 96 – GA II/8, 146. 409 Fichte:

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Teil 1: Vom transzendentalen Subjektivismus zur Totalitätswissenschaft

Begriffe Alles ist“411, aber bereits schon in der WL 1804-III ist von der „eigentliche[n] intellektuelle[n] Anschauung“ die Rede, im Sinne einer „Anschauung seines eigenen Nichts, u. Einkehren des absoluten, als absoluten in sich selber“, die die „Vernichtung des Ich“ zur Folge hat412. Erst in der WL 1812 wird unmißverständlich ausgesprochen, was Fichte unter seinem absoluten Begriff versteht: „kein Begriff, ohne Anschauung, u.v.v. Die Sich-Erscheinung ist durchaus die synthetische Vereinigung beider“413! Die WL ist, so wie Fichte sie ab 1804 entwickelt hat, eine begriffslogische Philosophie, in der sich aber der Begriff selbst anschaulich macht, d.h., die WL hat ihr Zentrum weder in dem einen noch in dem anderen, sondern das Bilden ist zugleich begrifflich und anschaulich. Im folgenden geht es daher nicht um die bereits erarbeiteten Kontinuitäten und Diskontinuitäten zwischen dem Früh- und Spätwerk, sondern um die offenen Probleme der Versionen der WL ab 1804. Im wesentlichen werden in diesem Unterkapitel zwei Untersuchungsziele verfolgt: Es soll zunächst herausgearbeitet werden, daß die Verabsolutierung einer einzigen Version – unabhängig davon, für welche man sich entscheidet – einige Probleme mit sich bringt. Aufgrund des Aufbaus der WL 1804-III und WL 1812 ist zwar zu vermuten, daß Fichte möglicherweise die Idee einer vollständig entfalteten Wissenschaftslehre vor Augen hatte, trotzdem ist aber festzuhalten, daß dieses Ideal in keiner konkreten Version vollständig ausgeführt wurde. Es soll weiterhin gezeigt werden, daß eine vollständige Rekonstruktion dieser idealen Wissenschaftslehre nur schwer möglich ist und jede nachträgliche Zusammenführung von unterschiedlichen Theorieelementen aus verschiedenen Versionen der WL sich in einem Spannungsverhältnis zwischen Variabilität und Verbindlichkeit befindet, das sich letztlich nicht vollkommen auflösen läßt. Zunächst wird die Möglichkeit der Periodisierung und die Schwierigkeit einer Schematisierung der gesamten Denkentwicklung bzw. einer einzelnen Periode aufgrund der Heterogenität von Fichtes Schrifttum diskutiert (1), daran anschließend werden zwei spezielle Theorieelemente behandelt, die die Frage nach den genuinen Theoremen der WL besonders augenscheinlich aufwerfen ((2) und (3)), abschließend werden Schwierigkeiten der Fichteschen Terminologie analysiert (4). (1) Fichte hat sechzehn Versionen der Wissenschaftslehre hinterlassen, die in unterschiedliche Phasen unterteilt werden können. Die zwei Hauptphasen reichen von 1794 bis 1799 und von 1800 bis 1814. Die erste Hauptphase läßt sich noch einmal in die Phase der Grundlage und des Grundrißes von 1794/95 und die Phase der Wissenschaftslehre nova methodo von 1796 bis 1799 differenzieren, die in drei Versionen vorliegt. In der zweiten Hauptphase können drei weitere Perioden unterteilt werden: die Zeit des Übergangs und der Klärung von 1800 bis 1803, die Phase des Durchbruchs von 1804 bis 1807 sowie eine Periode der weiteren Vertie411 

WL 1804-II – StA, 126 – GA II/8, 188. WL 1804-III – GA II/7, 367 f. 413  WL 1812 – GA II/13, 77. 412 

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fung von 1809 bis 1814, so daß im wesentlichen fünf Schaffensphasen voneinander unterschieden werden können414. Dies bedeutet jedoch nicht, daß diese Perioden jeweils für sich genommen homogen sind, sondern sich auch hier weiter differenzieren lassen. So zeigt Claudio Cesa, daß die Versionen der Wissenschaftslehre nova methodo (1796/99) eben nicht völlig identisch sind, sondern in entscheidenden Fragen „signifikant voneinander ab[weichen]“, wie beispielsweise hinsichtlich der Interpersonalitäts- und Aufforderungslehre415. Auch die Vorlesungstätigkeit von 1809 bis 1814 läßt alles andere als die Ausarbeitung eines einheitlichen Systems und die geplante Umsetzung einer „Gesamtidee“ vermuten416. Vor der ersten Vorlesung der Wissenschaftslehre von 1810 gibt Fichte nur eine ganz knappe Einleitung, mit dem Titel Anleitung zum Philosophieren; eine Einführungsvorlesung, die Fichte von da an zu Beginn eines jeden Semesters halten wird. Bereits den Wissenschaftslehren von 1811 und 1812 werden die umfangreichen Einleitungsvorlesungen mit dem Titel Thatsachen des Bewußtseyns vorangestellt. Im WS 1812/13 wird dieses Programm noch einmal erweitert: So hält Fichte vom 22. Oktober bis zum 18. Dezember 1812 eine Logik-Vorlesung, die sogenannte Transscendentale Logik II, die er aber explizit als Einleitung verstanden wissen will417; dieser folgen vom 4. Januar bis zum 4. Februar 1813 die Thatsachen des Bewußtseyns und erst am 8. Februar 1813 beginnt Fichte mit der Vorlesung zur eigentlichen Wissenschaftslehre, die er vorzeitig am 18. Februar 1813 abbricht. Aber schon im WS 1813/14 wird dieses Modell eines sich wiederholenden und scheinbar sich immer stärker ausweitenden Vorlesungszyklus verworfen: So hält Fichte vom 4. November bis zum 24. Dezember 1813 eine fünfundzwanzig Vorlesungen umfassende Einleitung in die Wissenschaftslehre, der am 10. Januar 1814 die Eröffnung der letzten, ebenfalls unvollständig gebliebenen eigentlichen Wissenschaftslehre folgt. Offen bleibt aber, ob die Logik- und Tatsachen-des-Bewußtseins-Vorlesungen damit ihren systematischen Status verloren haben oder nicht. Der Versuch, sämtliche Vorlesungen Fichtes von 1794 bis 1814 nach einem Gesamtplan zu schematisieren oder dies für einzelne Perioden zu unternehmen bzw. einzelne Versionen einer äußeren Struktur zu unterwerfen (wie in § 1, I. bereits 414  Ein komplexeres Verständnis in der Periodisierung des Fichteschen Schaffens gegenüber früheren Einteilungen in zwei (1794 – 1799 und 1800 – 1814) oder drei (1794 – 1798, 1800 – 1808 und 1810 – 1814) Perioden (vgl. Julius Drechsler: Fichtes Lehre vom Bild, Stuttgart/Köln 1955, 33 – 25) in nunmehr fünf Phasen ist in erster Linie durch die Edition bislang nicht zugänglicher Texte in der Gesamtausgabe gerechtfertigt. 415 Claudio Cesa: „Zur Interpretation von Fichtes Theorie der Intersubjektivität“, in: Fichtes Lehre vom Rechtsverhältnis. Die Deduktion der §§ 1 – 4 der „Grundlage des Naturrechts“ und ihre Stellung in der Rechtsphilosophie, hg. v. Michael Kahlo, Ernst A. Wolff und Rainer Zaczyk, Frankfurt a. M. 1992, 53 – 70, hier: 63 ff. 416  Reinhard Lauth: „J. G. Fichtes Gesamtidee der Philosophie“, in: ders.: Zur Idee der Transzendentalphilosophie, München/Salzburg 1965, 73 – 123, hier: 73. 417  Vgl. Transscendentale Logik I (1812) – GA II/14, 1 und Transscendentale Logik II (1812) – GA II/14, 181.

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angesprochen), ist sicherlich legitim, um verborgene Zusammenhänge sichtbar zu machen, trotzdem handelt es sich dabei um Zusammenstellungen, die – wie in der zweiten Berliner Periode von 1809 bis 1814 sichtbar – mit der tatsächlichen Vorlesungswirklichkeit nur schwer in Einklang zu bringen sind und eher den Charakter einer nachträglichen Idealisierung haben418. Hinzu kommt, daß die Inhalte der Vorlesungen trotz gleicher Titel sehr verschieden sein können, so weichen die Thatsachen des Bewußtseyns von 1810 und von 1813 sehr stark voneinander ab. Der fehlenden Kontinuität der Inhalte in den Thatsachen-Vorlesungen entspricht auch insgesamt eine hohe Variabilität der Theo­rieelemente in den Fassungen der Wissenschaftslehre von 1804 bis 1814419. Die Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, sind: Was sind genuine und wesentliche Theorieelemente der Wissenschaftslehre und was sind unwesentliche, wenn nicht gar verzichtbare Themen? Eine mögliche Erklärung für die hohe Variabilität findet sich in der Principien-Vorlesung von 1805: „Das Wissen ist da, lediglich darum, weil Gott in ihm da seyn, d. h. erkannt werden soll: sonst ist das Wissen zu nichts da, und ist auch nicht an sich: also: das Wissen an sich ist die göttliche Erkenntniß, und alles andere Wissen außer ihr ist nichtig, u. leer“420.

Würde man dieses Zitat zum Ausgang nehmen, so bestünde das Ziel der WL nicht in der vollständigen Entfaltung des absoluten Wissens, sondern ausschließ418  Reinhard Lauth versucht einen Bogen vom Leben, zur Bestimmung des Menschen und des Gelehrten zum Begriff und zur Grundlage der WL, der Lehre vom Absoluten, den materialen Disziplinen (Natur, Recht, Religion, Moral) bis hin zur Pädagogik und Vernunftkunst zurück zum Leben zu schlagen. Er gibt aber selbst zu, daß „nur die aus der Systematik sich ergebende Grundstruktur der Philosophie nach Fichte in ihrer idealtypischen Gestalt aufgezeigt werden“ konnte, und es somit eine Differenz zwischen der idealtypischen Gestalt und der Vorlesungswirklichkeit gibt (Reinhard Lauth: „J. G. Fichtes Gesamtidee der Philosophie“, in: ders.: Zur Idee der Transzendentalphilosophie, München/Salzburg 1965, 73 – 123, hier: 122, Kursivierung von mir, P.T.). In der Einleitung zur Studienausgabe der späten Vorlesungen Fichtes in Berlin von 1809 bis 1814 versucht Lauth diese Periode nach dem Schema Einleitung, Thatsachen, Logik, Wissenschaftslehre, vier Disziplinen usw. zu unterwerfen und mit seiner Idee der Gesamtidee zu verbinden (vgl. Reinhard Lauth: „Einleitung“, in: Fichte: Die späten wissenschaftlichen Vorlesungen II, hg. v. Hans Georg von Manz, Erich Fuchs, Reinhard Lauth und Ives Radrizzani, Stuttgart-Bad Cannstatt 2003, XV – LXIV). Peter Baumanns versucht die Periode von 1794 bis 1798 auf der Basis der gedruckten Schriften mit der Grundlage von 1794/95, dem Naturrecht von 1796/97 und der Sittenlehre von 1798 als „ursprüngliches System“ zu interpretieren. Die Wissenschaftslehre nova methodo wird darin nur geringfügig berücksichtigt. Die Krause-Nachschrift wurde zwar erst erstmal 1982 veröffentlicht, also zehn Jahre nach Baumanns’ Habilitationsschrift veröffentlicht, aber die sogenannte Hallesche Nachschrift ist schon 1937 publiziert worden (Peter Baumanns: Fichtes ursprüngliches System. Sein Standort zwischen Kant und Hegel, Stuttgart-Bad Cannstatt 1972). 419  Dies gilt auch für Einsichten und Inhalte der Logik-Vorlesungen von 1812. In der Logik-I fehlt eine Schlußlehre, die in der Logik-II nachgeliefert wird (vgl. § 4, III.). 420  Principien 1805 – GA II/7, 440.

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lich in der Einsicht, daß das Wissen die Erscheinung des Absoluten ist. Dies bietet aber keine Erklärung dafür, warum sich Fichte beispielsweise in der WL 1804-III oder der Principien-Vorlesung selbst so viel Mühe in der Ausarbeitung der Details gegeben hat. Für das Gesamtbild der Entwicklung der WL sind solche Aussagen Fichtes trotzdem nicht zu unterschätzen: Fichte scheint ab 1804 selbst zwischen den beiden Extremen einer reinen Darstellung des Absoluten und einer ausführlichen Theorie des Wissens häufiger hin und her geschwankt zu sein. Eine Lösung hinsichtlich der Frage nach der Revision, dem Ausschluß oder der Überbewertung bestimmter Theoreme bietet dieses Zitat jedoch nicht. Daß es sich hierbei um ein ernsthaftes Problem handelt, wird bereits in der am stärksten rezipierten Fassung des Spätwerks deutlich – der WL 1804-II: In keiner Fassung nimmt die Frage zum Idealismus und Realismus einen so großen Umfang ein und in keiner anderen Fassung wird dieses Thema noch einmal so ausführlich behandelt, wie in diesem Text421. Würde man allein die WL 1804-II als Grundlagentext für den späten Fichte verwenden, wäre zwangsläufig zu vermuten, daß Idealismus und Realismus ganz entscheidende Themen sind, vielleicht sogar unverzichtbare Theorieelemente der späten WL – das ist aber mit Blick auf die nachfolgenden Fassungen nicht der Fall. In weitaus stärkerem Maße gilt dies jedoch für die Frage nach dem Trieb im Absoluten in der WL 1807 und nach der Funktion des Glaubens in der WL 1805, die nun kritisch diskutiert werden sollen. (2) Bereits in der WL 1804-II wird der Frage nachgegangen, ob das Absolute nicht nur als Inkludenz – als „eine lebendige in sich Geschlossenheit“ des absoluten Seins und Lebens –, sondern ebensosehr als „ein Princip des Herausgehens aus sich selber“ zu verstehen sei und „dieses Princip vielmehr ein Trieb zu nennen ist“, d.h. ein Prinzip des Sich-Zeigens und Sich-zur-Erscheinung-Bringens im Absoluten422. In dieser Version der WL wird dieses Thema nur beiläufig erwähnt und scheint nicht der Hauptgegenstand der WL im ganzen zu sein423, zumal sich auch indirekt andeutet, daß es das absolute Wissen ist, das als Trieb und Sich-zur-Erscheinung-Bringen zu verstehen ist und nicht das Absolute. Ganz anders verhält es sich in der WL 1807, die Fichte drei Jahre später in Königsberg vortrug: Vom XIX. Vortrag an bis zum Ende der Vorlesung, d.h. in mehr als einem Drittel der gesamten Vorlesung, geht Fichte der Frage nach, ob ein „Trieb in Gott“ sei, genauer: „es sey in diesem in sich selber lebenden Gotte ein Trieb, sich außer sich selbst darzustellen, wie er ist in ihm selber; gleichsam, sich außer der Einheit seines Seyns zu wiederholen“424. Bei den 421  422 

Vgl. WL 1804-II – StA, 105 – 150 – GA II/8, 160 – 227. WL 1804-II – StA, 261 – GA II/8, 388; vgl. auch WL 1804-II – StA, 263 f. – GA II/8,

390 ff. 423  Vgl. Matteo Vincenzo d’Alfonso: „Der Trieb des Seins in der Wissenschaftslehre 1804“, in: Jean-Christophe Goddard/Alexander Schnell (Hg.): L’être et le phénomène. La Doctrine de la Science de 1804 de J.G. Fichte – Sein und Erscheinung. Die Wissenschaftslehre 1804 J.G. Fichtes, Paris 2009, 185 – 192. 424 Fichte: Wissenschaftslehre, Königsberg (1807), in: GA II/10, 165 – 202, hier: 166. Fichte versucht zwar durchgehend den Gedanken des Triebes an das Sehen und damit an

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Königsberger Hörern mußte zwangsläufig der Eindruck entstehen, als ob der Trieb im Absoluten eines der Haupttheoreme der späten WL ist – ein Eindruck, der mit Blick auf die anderen fünfzehn Versionen der WL nicht bestätigt werden kann, und noch dazu als Rückfall hinter Kant erscheinen mußte. Es ist in der Tat eine gewisse Ironie, daß Fichte gerade an dem Ort die Transzendentalität seines Ansatzes überschritt, an dem die Selbstbegrenzung des Denkens ihren Anfang nahm. War der Begriff des Lebens ein „von der Wissenschaftslehre qua erweiterter Transzendentalphilosophie zu verantwortende[r]“, prinzipientheoretischer „Abschlußbegriff“425, so versucht Fichte in dieser Version das erstemal darüber hinauszugehen426. Da Fichte aber bereits in der Principien-Vorlesung von 1805 die Frage des Triebes als Prinzip des Herausgehens im Kern dahingehend beantwortet hat, daß „dieses Wesen [Gott als Ens a se, per se und Träger alles Seyns, u. Lebens] durchaus in sich geschloßen, und vollendet, scheinbar aus sich heraus gehen, u. Ursache einer Welt seyn könne“427 und in der WL 1812 wieder vom „Trieb des Ich“ die Rede ist und im Zusammenhang von Willensakten verwendet wird428, soll dieses Theorem nicht weiter behandelt werden. Statt dessen soll noch ein zweites Theorieelement analysiert werden, das bereits schon erwähnt und ebenfalls nur in einer Version der WL zu finden ist – der Glaube. (3) In der Bestimmung des Menschen sah Fichte den Glauben als dasjenige an, was über dem Wissen steht, da das Wissen – als reine Reflexion verstanden – keine reale Grundlage und Verankerung habe, eine reine Selbstbespiegelung des Denkens sei und nur leere Bilder hervorbringe429. Für Hegel war dieser Schritt, wie bereits erwähnt, durchaus konsequent, denn von der gesollten Einheit der GWL von 1794/95 zur geglaubten Einheit in der Bestimmung des Menschen von 1800 war das Ich transzendental zurückzubinden und mehr im Sinne eines Vermögens (vgl. GA II/10, 193) zu deuten: Das „lebendige[] Princip außer dem göttlichen Seyn“ sei das „Princip des Schematismus, eine absolute Schöpferkraft von bloßen Schemata“ oder eben das Bilden, aber: dies ist nur da, „weil der Trieb in Gott ist“ (GA II/10, 199). Von einer Überschreitung der transzendentalen Grenze kann also zumindest in bezug auf diese Version der WL gesprochen werden. 425  Thomas Sören Hoffmann: „‚Leben‘ als Chiffre der Totalität. Der Lebensbegriff des transzendentalen und dialektischen Idealismus und seine Relevanz im ‚Jahrhundert der Lebenswissenschaften‘“, in: Deutsches Jahrbuch Philosophie, hg. im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Philosophie, Band 2: Lebenswelt und Wissenschaft, Hamburg 2011, 909 – 923, hier: 915 f. 426  Zum Trieb-Begriff in der WL 1807 ist vor allem der dritte Teil des Kommentars Die Wissenschaftslehre von 1807. ‚Die Königsberger‘ von Johann Gottlieb Fichte. Eine kooperative Interpretation, hg. von Helmut Girndt und Jacinto Rivera de Rosales entscheidend, der in den Fichte-Studien 26 (2006) 113 – 144 erschienen ist. Vgl. auch Johannes Stoffers: Eine lebendige Einheit des Vielen. Das Bemühen Fichtes und Schellings um die Lehre vom Absoluten, Stuttgart-Bad Cannstatt 2013, 47 – 66. 427  Principien 1805 – GA II/7, 378, Kursivierung von mir, P.T. 428  WL 1812 – GA II/13, 166 und 174 f. 429  Vgl. J.G. Fichte: Die Bestimmung des Menschen (1800), in: GA I/6, 145 – 311.

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es aus seiner Sicht ein nicht mehr so großer Sprung. Allerdings – und dies konnte Hegel nicht wissen – blieb es nicht dabei! In der Phase von 1804/05 wird das Verhältnis von Glauben und Wissen umgekehrt und es ist die Erlanger Fassung der WL von 1805, in der Fichte den Glauben systematisch als Form des Wissens entfaltet430. Der Glaube wird nicht ausgeschlossen, sondern als Form des Wissens hinsichtlich seiner Geltung und seines systematischen Status beleuchtet. Es geht hier zum einen um die systematische Funktion des Glaubens im Sich-Verstehen des Wissens als Bild des Absoluten und zum anderen um das Wesen des Glaubens selbst. Der Glaube ist in diesem Zusammenhang zunächst noch nicht der religiöse Glaube an Gott, sondern das schlichte Fürwahrhalten einer Position. Fichte differenziert zwischen einem klaren, wahren und reflektierten Glauben, der sich als Glauben begreift, und einem blinden und unreflektierten Glauben, der sich selbst „für Wissen hält“. Der blinde Glaube bricht willkürlich die Reflexion ab und setzt das Absolute da, „wo man das Absolute gern hin hätte“. Der reflektierte Glaube nimmt eine Zwischenposition ein: er setzt die „absolute Reflektirbarkeit“, er leug-

430  Fichtes Verständnis des Glaubens als Form des Wissens kann auch als Alternative zu zwei zeitgenössische Position gedeutet werden. Im „Vierten Hauptabschnitt“ über die Grundsätze der Praktischen Philosophie des Systems des transzendentalen Idealismus (1800) bezeichnet Schelling das „Absolute“ – „jenes absolut-Identische“, wie es bereits 1800 und nicht erst 1801 heißt, – als den „eigentliche[n] Grund der Harmonie zwischen dem Objectiven und dem Subjectiven im freyen Handeln“ sowohl „des Individuums“ als auch „in der Geschichte“, die sich in der „Gesetzmäßigkeit“ letzterer manifestiere. Das Absolute kann aber „nie Object des Wissens, sondern nur […] des Glaubens“ sein, als „ewige ­Voraussetz[ung] im Handeln“ und damit als Bedingung der Möglichkeit des Willens (SHKA I/9.1, 299 ff.). Auch Jacobi setzt das vernünftige, rational begründete und begrifflich vermittelte Wissen dem unmittelbaren, die Vernunft begründenden Glauben entgegen: Für ihn ist das „Element aller menschlichen Erkenntniß und Würksamkeit […] Glaube“ (125). Der Glaube ist eine „unmittelbare[] Gewißheit, welche […] keiner Gründe bedarf, sondern […] alle Gründe ausschließt“ (115), und die letztlich ein unmittelbares „[F]ühlen“ ist (114). Entscheidend ist, daß „jedes für Wahr halten […] Glaube ist“ (116) und dieser unmittelbare, mit dem Gefühl gleichzusetzende Glaube die Vernunft begründet, da „die Überzeugung aus Vernunftgründen selbst aus dem Glauben kommen, und ihre Kraft von ihm allein empfangen [muß]“ (116) (Jacobi: Über die Lehre des Spinoza in den Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn (1785), in: JWA 1.1, 115 f. und 125). Stefan Schick arbeitet in Vermittelte Unmittelbarkeit. Jacobis ‚Salto mortale‘ als Konzept zur Aufhebung des Gegensatzes von Glaube und Spekulation in der intellektuellen Anschauung der Vernunft, Würzburg 2006 heraus, daß unvermittelter Glaube und Gefühl letztlich zusammenfallen (vgl. 66). Gegenüber der gängigen Jacobi-Interpretation, die von einem Gegensatz von unmittelbarem und unvermitteltem Glauben auf der einen Seite und vermitteltem Wissen auf der anderen ausgehe (vgl. 56), wird der Begriff des Glaubens von Schick genauer differenziert: Jacobi kenne nicht nur den sinnlich-unvermittelt-instinktiven, sondern auch den religiös-reflektierten Glauben (vgl. 75), der ein bewußter und frei gewählter sein. Der religiöse Glaube beruhe zwar auf dem Moment der Unmittelbarkeit, sei aber durch die Reflexion hindurchgegangen (vgl. 56) und sei ein „vermittelt unmittelbare[r] Glaube“ (76).

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net aber den Schein, den sie erzeugt431. Die „absolute Reflektirbarkeit“ ist „das Wir, oder Ich“ oder die „Sprache“432. Fichte hat hier etwas im Blick, das er in der WL 1804-II als die „Grundwendung aller Sprache“ bezeichnete: die Objektivität433; es ist diese Objektivität, die er hier als notwendigen und zugleich falschen Schein der Reflexion und Sprache bezeichnet. Es geht um dasjenige Moment im Vollzug des Wissens, das von Fichte als faktisches Sein oder Welt bezeichnet wird. Die Sprache hypostasiert und verobjektiviert die Gegenstände der Erkenntnis und sie erzeugt dadurch den Schein eines selbständigen Seins dieser Objekte und der fixierten Gegensätze, die eigentlich keine sind. Verobjektivierung, Fixierung und der Schein des „faktischen Seyns“ sind für Fichte abgeleitete Phänomene. Der wahre Glaube „ist Unglaube an die absolute Reflektirbarkeit“, genauer: er glaubt nicht „an das Produkt dieser Form“434. Genau das ist der Unterschied zwischen dem blinden und dem wahren Glauben: Der blinde und unreflektierte Glaube hält sich für Wissen und reflektiert nicht auf sich als Form. Der wahre Glaube ist ein reflektierter Glaube, der auf die Form – „das Wir, oder Ich“ – reflektiert und diese für unwahr hält, gleichwohl glaubt er an ein absolutes Objekt – Gott. Fichte korrigiert damit gleich zwei Ansichten des Alltagsbewußtseins: Zum einen hebt er damit den geläufigen Gegensatz zwischen rationalem Wissen und irrationalem Glauben auf. Zum anderen ist der Glaube entgegen der geläufigen Auffassung nichts rein Subjektives, das einen Gegenstand setzt, sondern es ist genau umgekehrt: „Der Glaube erschafft nicht das Absolute […], sondern ihm, als dem lezten u. absoluten Fakto giebt sich das Absolute.“435 Der Glaube ist das subjektive Moment eines Bewußtseins, dem als objektives Moment das absolute Objekt – das Absolute oder Gott – entspricht. Auch das absolute Objekt bringt nicht den Glauben hervor, sondern es sind zwei wechselseitig einander bedingende Momente eines Verhältnisses: „Er [der Glaube] hebt in sich an vom Unglauben an sich selber“, vom „Unglaube[n] an die absolute Reflektirbarkeit“, d.h. vom Unglauben an die „Form der Subjektivität“; „diesem giebt sich das Absolute, u. so erst wird er positiver Glaube.“ Das Absolute als das für den Glauben unerzeugbare, objektive Moment wird so „Grund“ und „Bedingung des Glaubens“436. Unter systematischen Gesichtspunkten bedeutet dies im Hinblick auf die Selbst­ entfaltung einer Theorie des Wissens: „Der Glaube erst, der nur der vollendeten Klarheit möglich ist, unterordnet auf immer, u entschieden die idealistische Ansicht unter die realistische.“437 Entwicklungsgeschichtlich ist es der Glaube, „durch welchen allein die W.L. zum Absoluten kommt, u. selber wird“, und der es Fichte 431 

WL 1805 – GA II/9, 233 – 235. WL 1805 – GA II/9, 242 und 233. 433  WL 1804-II – StA, 282 – GA II/8, 229. 434  WL 1805 – GA II/9, 233 und 241. 435  WL 1805 – GA II/9, 233. 436  WL 1805 – GA II/9, 233 – 235 und 182. 437  WL 1805 – GA II/9, 240. 432 

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ermöglicht, den Standpunkt des subjektivistischen Idealismus von 1794/95 zu überwinden438. Der reflektierte Glaube erkennt das Wesen der Reflexion als „absolut faktisch“, negiert die Ansichgültigkeit der Form und steht somit über der einfachen Reflexion, so auch in der Bestimmung des Menschen, aber – und dies unterscheidet die Positionen von 1800 und 1804/05 – das Wissen als in sich reflektierte Reflexion steht über dem reflektierten Glauben439. So wie der reflektierte Glaube die Form der Reflexion als absolut faktisch begreift, so begreift das Wissen wiederum die Faktizität des Gehalts des Glaubens – den Glauben an das absolute Objekt. Denn es ist diese Faktizität, die die Zufälligkeit des Glaubens ausmacht. Der Glaube selbst vermag die „Einsicht der Nothwendigkeit des Glaubens“ nicht hervorzubringen440. Erst das Wissen überwindet alle Faktizität und versteht sich als Einheit von Faktizität und Genesis441. Die genetische Einsicht erklärt, wie das absolute Objekt, an das sich der Glaube hält, gesetzmäßig entsteht. Durch den „Akt des Glaubens der W.L. selbst“ erhält „sie erst ein reines […] u. selbstständiges Daseyn“442, aber die WL bleibt nicht dabei stehen, sondern geht zum Wissen über443. Vom Standpunkt der WL 1804/05 aus läßt sich sagen, daß man durch die WL zum Glauben und durch diesen hindurch zum wahren Wesen des Wissens gelangt. So plausibel es sein mag, die Theorie zum Trieb des Absoluten der WL 1807 aufgrund der transzendentalen Unbesonnenheit aus dem Kanon der notwendigen Theorieelemente der späten WL auszuschließen, um so schwieriger ist dies beim Glauben der WL 1805 oder der Kontroverse von Idealismus und Realismus in der WL 1804-II, denen eine sozusagen kontinuierliche, systematische und ideengeschichtliche Relevanz zukommen. 438 

WL 1805 – GA II/9, 238. WL 1805 – GA II/9, 233. 440  WL 1805 – GA II/9, 241. 441  Vgl. dazu auch: Urs Richli: „Genetische Evidenz – was ist das eigentlich?“, in: Fichte-Studien 20 (2003) 161 – 166. 442  WL 1805 – GA II/9, 238. 443  Zu diesem Abschnitt vgl. auch: Wolfgang Janke: Johann Gottlieb Fichtes ‚Wissenschaftslehre 1805‘. Methodisch-systematischer und philosophiegeschichtlicher Kommentar, Darmstadt 1999, 49 – 60 und 174 – 178. Daß Fichte die Frage zum Verhältnis von Glauben und Wissen nie völlig losgelassen hat, geht auch aus einem kurzen Text aus dem Jahr 1809 hervor, darin sagt Fichte, daß er „[u]eber diesen Punkt […] noch nie sattsam im reinen gewesen sei“, der „Glaube“ sei aber, „der Materie nach, ohne Zweifel ein Denken (nur die Form ist etwas anderes)“ (273). In diesem Zusammenhang formuliert Fichte eine „[n]och nie dagewesene Definition des Glaubens“: Der Glaube „ist das Principseyn der Erscheinung in der Form des sich sehens, von einem Sehen; deßen Princip es in der Form der Unsichtbarkeit schon gewesen ist“ und er entstehe „aus der dunklen Empfindung, daß das Sehen nicht Princip seiner selbst seyn könne“ (274) (Fichte: Versuch, ob sich für die Vorbereitung aus der Unterscheidung des dunklen Gefühls, u. der klaren Erkenntniß etwas machen lasse (1809), in: GA II/11, 263 – 279). Für den hier angesprochenen Problemzusammenhang ist entscheidend, daß Fichte diese Selbstverständigung zum Glauben nicht für die eigentliche WL formulierte, sondern für seine Einleitungsvorlesung zu derselben. 439 

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Gleichwohl kann sich aber eine jede Interpretation – auch diejenige, die den Schwerpunkt auf den Trieb im Absoluten legt – auf einen Umstand berufen, der nicht geleugnet werden kann: Fichte hat es so geschrieben! Es kann an dieser Stelle auf dieses Problem in der Tat nur hingewiesen werden, nicht zuletzt deshalb, weil es wohl auch grundsätzlich nicht zu lösen ist: Es ist ein Problem, das zwar einerseits eine jede Interpretation davor bewahrt, eine bestimmte Fassung zu verabsolutieren, oder dazu anhält, den Aspekt der Vollständigkeit in der Rekonstruktion auf der Grundlage mehrerer Fassungen bewußt einzuklammern; es ist andererseits zugleich aber das Problem, was es schwierig macht, die Frage zu beantworten, was die Wissenschaftslehre ist? Deshalb wurde zur methodischen Absicherung der vorliegenden Arbeit hinsichtlich der synoptischen Zusammenführung verschiedener Theorieelemente aus unterschiedlichen Versionen die Konsequenz gezogen, daß nicht nur ein bestimmter Textkorpus sowie der Aufbau der drei Versionen von 1804-II, 1804-III und 1812, sondern ein drittes, systematisches Kriterium ausschlaggebend ist, das es erlaubt, bestimmte Theorieelemente heranzuziehen und auf bestimmte zu verzichten: das Bilden (vgl. § 1, I.). Neben den Fragen nach den genuinen Bestandteilen der WL und dem Aufbau sei noch ein vierter Problembereich abschließend behandelt: (4) Weniger gravierend, aber an einigen Stellen zumindest problematisch ist die Frage nach den Gehalten einiger Fachtermini und Wortneuschöpfungen, die Fichte in den verschiedenen Fassungen der WL verwendet. Es gehört sicherlich zu den Alleinstellungsmerkmalen des Fichteschen Philosophierens, „eine feste Terminologie […] zu vermeiden“, wie es schon in der Grundlage von 1794/95 heißt444. Fichtes Sprachskepsis fußt in der bereits erwähnten Auffassung, daß Sprache generell nicht die Lebendigkeit des Denkens ausdrücken kann und diese sogar wesentlich verstellt. So heißt es in einem Brief an Johann Ernst Christian Schmidt vom 16. September 1798: „Der Buchstabe tödtet ganz besonders in der Wissenschaftslehre; welches theils an dem Wesen dieses Systems selbst, theils wohl auch an der bisherigen Beschaffenheit des Buchstabens liegen mag.“445 Fichtes Ablehnung einer festen Terminologie steht im deutlichen Gegensatz zu einer Art des Philosophierens wie derjenigen Arthur Schopenhauers, der sich im Vorwort zur zweiten Auflage seines Hauptwerks darüber freut, daß er „nach fünfundzwanzig Jahren nichts zurückzunehmen finde“ und glaubt, kein Jota ändern zu müssen, weil sich seine „Grundüberzeugungen […] wenigstens bei [ihm] selbst bewährt haben“446. Die Verwendung verschiedener Termini ist insgesamt auch insofern 444  GWL 1794/95 – GA I/2, 252. Vgl. dazu: Thomas Sören Hoffmann: „Die Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre und das Problem der Sprache bei Fichte“, in: Fichte-Studien 10 (1997) 17 – 33. 445  Fichte: „Brief an Johann Ernst Christian Schmidt vom 16. September 1798“, in: GA III/3, 142 f.; Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch eine Äußerung Fichtes, die sich in dem Text Logik. Erlangen 1805 findet: „Freiheit über die Sprache. […] Manche erklären Wörter, nach dem Sprachgebrauche: als ob die Sprache unser Gesetzgeber u. Meister wäre (ders.: Institutiones omnis philosophiae (1805), in: GA I/9, 153).

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unproblematisch, als Fichte an einigen Stellen ‚Übersetzungshilfen‘ gibt, die es ermöglichen, über verschiedene Fassungen hindurch Zusammenhänge und Kontinuitäten zu erkennen. So ersetzt der Begriff der Genesis den früheren Begriff der Tathandlung, und Fichte spricht auch häufiger vom Faktum anstelle von Tatsache und verwendet mehr den Begriff Intuition als denjenigen der Anschauung447. Der Begriff, der sich aber nicht so einfach bestimmen läßt, ist derjenige der Intelligenz oder des Intelligierens. In Band II/7 der Fichte-Gesamtausgabe und in der Studienausgabe der Principien-Vorlesung wird dieser Begriff als „Vernehmen“ bezeichnet448, eine Umschreibung, die in der WL 1804-I so auch zu finden ist: Fichte spricht hier von einem „absolut-innere[n]“ oder auch von der „geistigen Form dieses Vernehmens“ und verwendet ihn als Gegenbegriff zur verobjektivierenden und nach außen projizierenden Intuition449. 446

Ein möglicher Hintergrund für diese Begriffsbestimmung ist das veröffentlichte Sendschreiben Jacobis an Fichte aus dem Jahr 1799. Darin behauptet Jacobi, daß „die Wurzel“ von Vernunft „Vernehmen“ sei, d.h. die „[r]eine Vernunft ist ein Vernehmen, das nur sich selbst vernimmt“450. Laut Klaus-M. Kodalle trete deshalb bei Jacobi das Vernehmen an die Stelle der begrifflichen Konstruktion und das „Finden“ ersetze das „Erklären und Konstruieren“451. Auch wenn sich der Begriff des „Vernehmens“ in diesem Sinne im Fichteschen Werk finden läßt, lassen sich aber noch weitere, teilweise dieser Bestimmung widersprechende Bedeutungen ausmachen. So heißt es in der WL 1804-I: „[…] das Intelligiren des Einen sich selbst gleichen in ihm, das nur nicht darstellbar ist in der Anschauung, sondern lediglich im Begriffe“452. Und an einer weiteren Stelle sagt Fichte sogar ausdrücklich, daß „wir uns zur Einsicht des nothwendigen Zusammenhanges dieses absoluten Intelligirens u. absoluten Anschauens in uns selber, u. dadurch zur intellektuellen Anschauung, als dem eigentlichen innern Standpunkte der WL erheben“453. Setzt man beide Zitate in Zusammenhang, läßt sich festhalten, daß Fichte die intellektuelle Anschauung als begriffliches Anschauen oder anschauliches Begreifen bestimmt und das Intelligieren in diesem Sinne als

446  Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, Erster Band, Vorwort zur zweiten Auflage von 1844, in: ders.: Sämmtliche Werke in sechs Bänden, hg. v. Eduard Grisebach, Bd. I, zweite, mehrfache berichtigte Auflage, Leipzig 1892, 20. 447  Vgl. WL 1804-II – StA, 75 und 136 – GA II/8, 202 und 114. 448 Fichte: Die Principien der Gottes-, Sitten- und Rechtslehre, hg. v. R. Lauth, Hamburg 1986, 139; vgl. GA I/7, 538. 449  WL 1804-I – GA I/7, 120 f. Vgl. auch 116, 138 – 143 und 169. 450 Jacobi: Jacobi an Fichte (1799), in: JWA 2.1, 187 – 225, hier: 201. 451  Klaus-M. Kodalle: „Salto Mortale: Kierkegaard und Jacobi“, in: Friedrich Heinrich Jacobi. Ein Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit, hg. v. Walter Jaeschke und Birgit Sandkaulen, Hamburg 2004, 395 – 421, hier: 415. 452  WL 1804-I – GA I/7, 79. 453  WL 1804-I – GA I/7, 131.

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absolutes Begreifen und nicht als inneres Vernehmen zu verstehen ist454. In der WL 1804-II setzt Fichte im XXVIII. Vortrag in genau diesem Sinne, nur mit anderen Worten, das Sich-selbst-intuirend-Machen der absoluten Vernunft mit dem reinen Intelligieren gleich455 und in der WL 1804-III sagt Fichte in bezug auf die äußere Wahrnehmung, daß dieser eine innere vorausgehen muß: „Es sieht sich = Wahrnehmung: innerlich, im ungetheilten Lichtf[l]us eben, als Ich, a priori. Doppelter Ausdruck des Sehens: Intuition u. Intelligiren: rein u. ungetheilt Eins nicht ohne das andere. Quelle beider Welten [– sinnlicher und übersinnlicher –], die nie von einander getrennt werden können.“456

Aber nicht nur in der WL 1804-III, sondern auch in der Principien-Vorlesung von 1805 finden sich mehr Hinweise, die für die Bedeutung Begreifen und weniger für Vernehmen sprechen. Darin fragt Fichte: „Was ist nun dieses Intelligiren: offenbar das als, das Aeussern, zum absoluten Wissen der Form nach“ und sagt, daß die „Form = Einheit“ und das „Intelligiren [ein] agiles mittelbares Begreifen“ sei457. Fichte wechselt also nicht nur seine Terminologie, sondern verwendet sie je nach Kontext in unterschiedlicher bzw. breiterer Bedeutung – ein Umstand, der die Erschließung des Spätwerks nicht einfacher macht. Nachdem diese vier Problembereiche für das Spätwerk aufgezeigt wurden, soll ein kurzes Fazit für den 1. Teil insgesamt gezogen werden: In der bisherigen Analyse konnte gezeigt werden, wie sich aus systematischen und historischen Gründen heraus die Wissenschaftslehre von einer subjektivistischen Transzendentalphilosophie zu einer in sich vollständig durchreflektierten, transzendentalphilosophischen Totalitätswissenschaft weiterentwickelt und die Probleme des Ansatzes von 1794/95 überwunden hat. Verstand Fichte anfangs unter dem Begriff Totalität die Vollständigkeit der Handlungen des menschlichen Geistes, so geht es ab 1804 um das Totalverhältnis von Einheit und Differenz, d.h. um den ganzheitlichen Zusammenhang von Gott und Welt. Fichtes Weiterentwicklung vom absoluten Ich zum absoluten Begriff, vom „Prinzip der Subjektivität überhaupt“ zum Durch, von der Tathandlung zum Bilden ist in erster Linie die Weiterentwicklung von einer in sich differenzlosen zu einer in sich differenzierten und sich selbst differenzierenden Einheit, die sich tendenziell selbst vermittelt. Es konnte im Ausgang von Kants 454  In der Nachschrift zur Transscendentale Logik I (1812) bestimmt Fichte den Unterschied zwischen Begreifen und Intelligieren als Differenz zwischen begrifflichem Beschreiben bzw. Charakterisieren und Verstehen. D.h., das Intelligieren ist 1812 kein rezeptives Vermögen, sondern es ist als absoluten Begreifen zugleich ein Sich-Verstehen (vgl. Fichte: Vom Verhältniß der Logik zur wirklichen Philosophie [Nachschrift Itzig] (1812), in: GA IV/5, 23). 455  WL 1804-II – StA, 277 – GA II/8, 411. 456  WL 1804-III – GA I/7, 351, Einfügung von mir, P.T. 457  Principien 1805 – GA II/7, 426 f.; vgl. dazu auch 425 – 432. Wolfgang Janke versteht das Intelligieren ebenfalls im Sinne des Begreifens, ein Vorschlag, dem auch in dieser Arbeit gefolgt wird (Wolfgang Janke: „Johann Gottlieb Fichte. Die Bestimmung des Menschen nach Prinzipien der Vernunftwissenschaft“, in: Philosophen des 19. Jahrhunderts. Eine Einführung, hg. v. Margot Fleischer und Jochem Hennigfeld, Darmstadt 1998, 35 – 54, hier: 48).

§ 3  Die Zurückführung alles Mannigfaltigen auf absolute Einheit

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unmittelbarer Einheit des ‚Ich denke‘ und Reinholds unmittelbarer Differenz die Entwicklung von der unmittelbaren Einheit des absoluten Ich beim frühen Fichte zur Unmittelbarkeit und Vermittlung dialektisch vermittelten Einheit beim späten Fichte gezeigt werden. Zugleich wurde aber deutlich, daß sich das Bilden als in sich differenzierte Einheit zugleich auf eine in sich nicht differenzierte, lebendige und unerzeugbare Totalität bezieht und sich damit als absolutes Prinzip depotenziert. Die wechselseitige Beziehung von in sich differenzierter und in sich geschlossener Einheit – also von absolutem Wissen und Absolutem – ist auch der Grund dafür, daß Fichtes Ansatz nicht in der absoluten Selbstvermittlung aufgeht, da das Absolute ein Unmittelbares und Unvermitteltes bleibt, auch wenn die Unmittelbarkeit des Absoluten letztlich doch begrifflich vermittelt ist. Fichte geht es in seinem Spätwerk nicht mehr nur um die Einheit von Subjekt und Objekt, sondern um die Verbindung von Subjekt und Substanz, von Subjektphilosophie und Totalitätswissenschaft, von Transzendentalphilosophie und Metaphysik, von Kants Einsichten mit dem Vollständigkeitsanspruch Spinozas.

Teil 2

Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

Nachdem im ersten Teil historisch und systematisch herausgearbeitet wurde, wie die späte WL als transzendentalphilosophische Totalitätswissenschaft zu verstehen ist, wird im zweiten Teil gezeigt, daß sie eine dialektische, subjektivitätstheo­ retische und gesetzmäßig verfahrende Beziehungswissenschaft ist. Der Schlüssel zu Fichtes Dialektikkonzeption und zugleich das logische Zentrum der späten WL ist das Bilden. Im folgenden wird diese Konzeption auf der Grundlage der Texte von 1804/05 und 1812 behandelt (§ 4, I.–III.). Neben den grundlegenden Theorie­ elementen wird die Logizität des Bildens in der Form einer spekulativen Begriffs-, Urteils- und Schlußlehre herausgearbeitet. Bei Fichtes reinem Bilden handelt es sich um ein limitatives Dialektikkonzept1, da am Ende der begrifflichen Sichdurchdringung des Wissens ein rein Unmittelbares – und zwar ein allein zu vollziehendes Unmittelbares – sichtbar wird, das als lebendige und immanente Aktuosität über den absoluten Begriff und damit über die dialektische Struktur des Wissens hinausweist, aber zugleich an den absoluten Begriff zurückgebunden ist. Dieser reine, unmittelbare Vollzug wird sich als das schlechthin Unbedingte des Wissens zeigen, das im direkten Anschluß an das Dialektikkonzept diskutiert wird (§ 5, I.). Der Gegensatz zwischen Absolutem und absolutem Wissen wird sich als Gegensatz zwischen Gehalt und Form bestätigen, in dem sich aber nicht nur das Absolute als ein unbedingtes Moment des Wissens, sondern auch die selbstbezügliche Form des absoluten Wissens als Ausdruck des Unbedingten erweist. Daran anschließend wird die Frage nach der Notwendigkeit der Erscheinung behandelt. In diesem Theo­ riestück geht es nicht um die Erschließung eines vollkommen neuen Themenkreises, sondern um die Vertiefung des dialektischen Ansatzes. Es wird sich zeigen, daß Gewißheit und Gesetzmäßigkeit ebenso Erscheinungsformen des Unbedingten sind und das absolute Gesetz als „Ersatz“ und „Stellvertreter“ des Absoluten die Form des Wissens bestimmt und damit die „Nothwendigkeit“ des dialektischen Bildens garantiert2 (§ 5, II.). Abgerundet wird der zweite Hauptteil durch die Entfaltung und Konkretion des absoluten Wissens als Raum, Zeit und freier Wille auf der Grundlage des dialektischen Bildens (§ 5, III.). An verschiedenen Stellen werden darüber hinaus einige Grenzen des Fichteschen Transzendentalismus aufge1  Der Ausdruck ‚limitative Dialektik‘ wurde von Wolfgang Janke geprägt (ders.: Historische Dialektik. Destruktion dialektischer Grundformen von Kant bis Marx, Berlin/New York 1977, 100 – 209, v.a. 185 – 209; ders: Vom Bilde des Absoluten, 213 – 223). 2 Fichte: Versuch, ob sich für die Vorbereitung aus der Unterscheidung des dunklen Gefühls, u. der klaren Erkenntniß etwas machen lasse (1809), in: GA II/11, 275.

§ 4 Dialektik und Logizität der Bildlichkeit

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zeigt, aber auch Momente sichtbar gemacht, wo Fichtes Überlegungen, zumindest partiell, über diese Grenzen hinausgehen, ohne dabei die erkennende Subjektivität und den Begriff zu überspringen.

§ 4 Dialektik und Logizität der Bildlichkeit Der Begriff des Bildes wurde nicht erst durch Fichte in die Geschichte der Philosophie eingeführt, sondern ist insgesamt ein sehr alter Begriff, über dessen Bedeutung bis heute lebhaft diskutiert wird3. So zeigt Christoph Asmuth, daß bereits Platon (428/7 – 348/7 v. Chr.) in den Dialogen Sophistes, Politeia und Theaitetos sukzessive eine immer elaboriertere Theorie der Bildlichkeit entwickelte, in der nicht nur die „Relation von Ur- und Abbild“ diskutiert, sondern auch der ontologische Status des Bildes als seiend und nicht-seiend sowie die für die Bildlichkeit konstitutive Funktion der Negativität problematisiert wird4. Mit Augustinus‘ (354 – 430) Schrift De trinitate, Meister Eckharts Abhandlung Expositio Sancti Evanglii Secundum Iohannem, Nikolaus Cusanus‘ (1401 – 1464) Dialog De visione dei oder Edmund Husserls (1859 – 1938) Texten über Phantasie und Bildbewußtsein lassen sich von der Antike über das Mittelalter bis zur Neuzeit immer wieder eigenständige Anläufe zu einer Theorie der Bildlichkeit ausmachen: geht es Augustinus in seiner Bildlehre vor allem um die christliche Trinitätslehre und die Einsicht, daß der menschliche Geist eine ‚imago dei‘ (Bild Gottes), aber zugleich „ungleiche[s] Bild“ ist5, so setzt Meister Eckhart in seiner Deutung des Prologs des Johannes-Evangeliums mehr auf die logische Gleichgewichtung von Urbild und Abbild, so heißt es bei ihm: „[D]as Wort, das Abbild, war im Anfang bei Gott […], so daß man weder das Vorbild ohne das Abbild, noch das 3 Der Spezialisierungsgrad hinsichtlich der wissenschaftlich-philosophischen Erforschung von Bildtheorien ist schon soweit fortgeschritten, was sich u.a. in folgenden Publikation niederschlug: Bildtheorien aus Frankreich. Ein Handbuch, hg. v. Iris Därmann und Kathrin Busch, München 2001 (mit dazugehöriger Anthologie), Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden, hg. v. Klaus Sachs-Hombach, Frankfurt a. M. 2005, Bildtheorien. Anthropologische und kulturelle Grundlagen des Visualistic Turn, hg. v. Klaus Sachs-Hombach, Frankfurt a. M. 2009, Ideengeschichte der Bildwissenschaft. Siebzehn Porträts, hg. v. Jörg Probst und Jost Philipp Klenner, Frankfurt a. M. 2009, Wolfram Pichler/Ralph Ubl: Bildtheorien zur Einführung, Hamburg 2014 und Bild. Ein interdisziplinäres Handbuch, hg. v. Stephan Günzel und Dieter Mersch, Stuttgart/Weimar 2014. 4 Christoph Asmuth: Bilder über Bilder, Bilder ohne Bilder. Eine neue Theorie der Bildlichkeit, Darmstadt 2011, 47 – 55, hier: 55. Wichtige Quellenhinweise zu Augustinus und Eckhart konnte ich ebenso der Textsammlung zum Hauptseminar „Klassische Positionen zum Bildbegriff: systematische Rekonstruktion“, hg. v. Christoph Asmuth, vom WS 2005/06 an der TU Berlin entnehmen (http://www.christoph-asmuth.de/content/allgemein/ studium.htm). 5  Aurelius Augustinus: De trinitate, Liber IX, neu übers. und mit Einleitung hg. v. Johann Kreuzer, Hamburg 2001, 46 – 85, hier: 51 f.

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Abbild ohne das Vorbild denken kann“6. Cusanus hebt wie­derum hervor, daß alles Abbilden eben kein passives, sondern aktives „Sehen“ ist, daß es „ein lebendiger Spiegel“ sei, der als „Grund alles Sichtbaren“ nicht nur den „Grund […] aller Dinge“, sondern auch „sich selbst“ sieht7. Demgegenüber problematisiert Husserl die Rolle des Bildes im Zusammenhang mit der Reproduktion und „verbildlicht[en]“ Repräsentation wahrgenommener Gegenstände: daß „ein Unterscheiden und Beziehen“ vorgenommen werde, sei „nicht ein begriffliches Wissen, […] sondern das Bild fühlt sich unmittelbar als Bild“. Die verbildlichte Wahrnehmungserscheinung, so Husserl, habe „den Charakter der Repräsentation durch Ähnlichkeit, den Charakter des Schauens im Bild“8 . Fichtes Bildtheorie steht einerseits in einem größeren systematischen und – im Unterschied zu Husserl – begriffslogischen Zusammenhang innerhalb der Geschichte der Philosophie, in der die Augustinische Unterschiedenheit von Bild und Abbild, die Eckhartsche Bezogenheit beider und die Cusanische Selbstbezüglichkeit der Bildlichkeit wiederkehren, ohne daß sich eine intensive Aneignung dieser Texte durch Fichte weder eindeutig belegen noch bestreiten läßt; andererseits unterscheidet sich Fichtes Ansatz von allen anderen Entwürfen nicht nur dadurch, daß das aktive, verbal und prozeßhaft zu verstehende Moment der Bildlichkeit – das Bilden im Gegensatz zum fixierten Bild – das eigentliche und logische Zentrum seiner Überlegungen ausmacht, sondern auch dadurch, daß dieses lebendige Bilden in einem ganz spezifischen Sinne zu verstehen ist: Das Bilden im Fichteschen Sinne ist nämlich in erster Linie ein verbal zu verstehendes Beziehen oder ein beziehendes Verhältnis, das aus sich heraus die Beziehungsmomente – Urbild und Abbild – überhaupt erst erzeugt, also eine lebendige Relationalität, die sich selbst fixiert und dadurch die Relationsglieder erzeugt. Das Bilden ist das logisch-dialektische Zentrum der Wissenschaftslehre, oder wie Fichte auch sagt, die „Welt des reinen Begriffs“9. Stellte Fichte das Wesen von Subjektivität in der GWL von 1794/95 in der Form einer Protodialektik dar, so geht es ihm ab 1804 um die dialektische Selbstentfaltung der ursprünglichen BeMeister Eckhart: Expositio Sancti Evanglii Secundum Iohannem, in: ders.: Die deutschen und lateinischen Werke, hg. von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bd. III, Stuttgart/Berlin 1936, 20; vgl. dazu Christoph Asmuth: Bilder über Bilder, Bilder ohne Bilder, 55 – 74. 7  Nikolaus von Kues: De visione dei, in: ders.: Philosophisch-Theologische Schriften, hg. u. eingeführt von Leo Gabriel, übers. u. kommentiert von Dietlind und Wilhelm Dupré, Bd. III, Darmstadt ³2014, 93 – 219, hier: 127; vgl. dazu: Thomas Sören Hoffmann: „Vom Sehen des Sehens im Bild. Hinweise zur cusanischen Ikonologie“, in: Weltbild – Bildwelt. Ergebnisse und Beiträge des Internationalen Symposiums der Hermann und Marianne Straniak Stiftung, Weingarten 2005, Sankt Augustin 2007, 59 – 77 sowie Kurt Flasch: Nikolaus von Kues. Geschichte einer Entwicklung, Frankfurt a. M. ²2001, 383 – 443. 8  Edmund Husserl: „Phantasie und Bildbewußtsein“ (1904/05), in: Husserliana. Edmund Husserl: Gesammelte Werke, hg. v. Eduard Marbach, Bd. XXIII, London 1980, 1 – 108, hier: 26, Kursivierung von mir, P.T. 9  WL 1804-II – StA, 63 – GA II/8, 95. 6 

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ziehung; ging Fichte zunächst vom Ich aus und entfaltete dieses auf dialektische Weise, so ist das Ich im Spätwerk nur noch ein Moment in der dialektischen Selbstbewegung des absoluten Begriffs; kam Fichte in der ersten WL erst im praktischen Teil zu der Einsicht, daß der tiefere Grund und Wesenszug des Sichsetzens oder der Tathandlung die Beziehung zum Nicht-Ich ist10, so stellt Fichte nunmehr das Beziehen selbst in den Vordergrund. Das Bilden in seinen drei Hauptmomenten – Bilden, Begriff des Bildens und Sich-Verstehen des Begriffs des Bildens – ist die reine Beziehungsmacht oder das ursprünglichste Verhältnis, aus dem heraus alle konkreten Beziehungen und Verhältnisse überhaupt entfaltet werden: es ist die gesetzmäßige Struktur und absolute Form des reinen Wissens. Erst ab 1809 und hier vor allem im Jahr 1812 wird sich Fichte darüber im klaren, daß nicht einfach die Beziehung überhaupt, sondern die Beziehung auf sich selbst der noch tiefere Grund allen Beziehens ist. Erst und gerade weil das Bilden ein Sich-Bilden ist, sich also auf sich selbst bezieht, unterscheidet und bezieht es sich auf anderes: Es ist die Selbstbezüglichkeit im Sinne des Sich-Verstehens in seiner Bildlichkeit, durch die sich das Bilden vom lebendigen Absoluten unterscheidet und dadurch um die ursprüngliche Differenz zwischen beiden weiß. Da Fichte in nahezu allen Versionen erst Schritt für Schritt die entscheidenden Theoreme einführt, aber auch weil Fichte verschiedene Termini für ein und denselben Gegenstand verwendet, was zu einigen Konfusionen führen kann, wird zunächst das Kerngerüst von Fichtes Ansatz in seiner Gesamtheit behandelt. Danach wird herausgearbeitet, warum Fichte überhaupt die absolute Beziehung oder das reine Verhältnis ins Zentrum seiner Überlegungen stellt (§ 4, I.). Auf der Basis dieser Einsichten werden das Wesen der Bildlichkeit, die daraus hervorgehenden Hauptspaltungen in Denken und Sein, die spekulative Urteilslehre sowie die Re­ stituierung einiger Momente aus der GWL diskutiert (§ 4, II.). Daran anschließend wird die Weiterentwicklung der Bildtheorie im Jahr 1812, die spekulative Schlußlehre und die damit zusammenhängende intellektuelle Anschauung behandelt (§ 4, III.).

I.  Das reine Bilden als absolute Beziehung (1) Fichte unterscheidet in allen Versionen der WL ab 1804 im Kern drei verschiedene Ebenen: das empirisch-faktische Bewußtsein, das absolute Wissen und das Absolute als Licht, Leben und Gesetz. Die erste Ebene, die Ebene des Bewußtseins oder faktischen Wissens ist wesentlich durch das Moment der Differenz gekennzeichnet: Fichte spricht hier von der „ursprünglichsten Spaltung […] in Welt, u. [subjektives] Bewußtseyn [… bzw. in] Objekt u. Subjekt“11 oder in „Sein und Denken“12 auf der einen Seite und von Anschauung und Begriff oder Intuition 10 

Vgl. § 2, III.; GWL 1794/95 – GA I/2, 394 – 398. WL 1804-I – GA II/7, 70. 12  WL 1804-II – StA, 17 – GA II/8, 24. 11 

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und Intelligenz auf der anderen Seite. Da das Sein immer nur ein gedachtes oder bewußtes Sein ist und das Denken immer nur als inhaltlich bestimmtes Denken erscheint, beide Seiten somit nie für sich allein bestehen können und unabtrennbar voneinander sind, verweisen beide Momente auf eine höhere, beide Seiten synthetisierende und vereinigende Einheit. Diese höhere Einheit und damit die zweite Ebene ist noch nicht das Absolute, sondern das absolute Wissen. Das absolute Wissen ist dasjenige, dem Fichtes Hauptinteresse gilt und dessen Analyse folglich im Zentrum der Wissenschaftslehre steht: es ist die in sich differenzierte und sich selbst differenzierte Einheit, das „analytisch-synthetische Princip […] der erscheinenden Einheit und erscheinenden Disjunktion“13, das „Princip der Erscheinung“14 und des Wissens und damit der Wissenschaftslehre selbst, das sich selbst in Sein und Denken sowie Anschauung und Begriff spaltet. Fichte spricht hier vom „Urbegriff “, vom absoluten Begriff sowie von der „Vernunft“15, aber auch vom „absoluten Sehen“, das „in sich selbst unsichtbar und nur in seinem Produkte […] sich sichtbar mach[t]“16. Letztlich sind dies unterschiedliche Bezeichnungen für ein und dieselbe Ebene: die absolute Form des Wissens oder die Form der Sichtbarkeit17. Der dialektische Urbegriff spaltet sich aber nicht nur „in Denken und Sein“18, sondern er besteht aus drei Momenten – Durch, Als und Sich bzw. Bilden, Begriff des Bildens und Sich-Verstehen des Begriffs des Bildens. Doch bevor die Struktur der Bildlichkeit tiefer gehend besprochen wird, zunächst zum Licht oder zur Einsicht: Daß Denken und Sein nie für sich alleine bestehen können – man könnte auch sagen, daß jede Vorstellung sich in ein Vorstellendes (Subjekt) und in ein Vorgestelltes (Objekt) unterscheidet und beide aufeinander bezogen sind –, ist eine Einsicht in eine höhere Einheit, genauer: es ist eine faktische Einsicht. Faktische Einsichten bringen das bloße Daß einer Einsicht, ohne daß Auskunft über das Wie und Warum dieser Einsicht gegeben werden kann. Fichte denkt hier vor allem an geometrische Evidenzen, wie die Winkelsumme von 180 Grad bei Dreiecken, oder an arithmetische Einsichten, wie z.B. daß die Addition von 3 und 4 im Ergebnis 7 ist. Im Gegensatz zu diesen faktischen Einsichten nennt Fichte die Einsicht in das Wie eines Zusammenhangs genetisch. Tatsächlich ist die genetische Einsicht etwas, wozu einzig und allein die WL fähig ist; alle anderen angewandten Wissenschaften – und nicht nur die Mathematik – sind lediglich zu faktischen Einsichten fähig19. Fichte unterscheidet nicht nur zwischen faktischer und genetischer Einsicht, sondern zwischen Einsicht und Licht, genauer: zwischen der faktischen und genetischen Einsicht als emanenter Daseinsform und „Stellver13 

WL 1804-II – StA, 163 und 56 – GA II/8, 246 f. und 86. WL 1804-II – StA, 220 – GA II/8, 330. 15  WL 1804-II – StA, 264, 69 und 103 – GA II/8, 392, 102 und 154. 16  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 253 – GA II/14, 394. 17  Vgl. Wolfgang Janke: Fichte. Sein und Reflexion, 405. 18  WL 1804-II – StA, 103 – GA II/8, 156. 19  Vgl. WL 1804-II – StA, 30 f. – GA II/8, 48. 14 

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treter“ des Lichtes auf der einen Seite, und dem immanenten, absolut lebendigen Licht auf der anderen Seite20. Das Licht ist nicht das natürliche Licht der Sonne oder eine in irgend einer Form empirisch meßbare Materialität, sondern das Licht ist die „sich selber machende Evidenz“21 und diese „Evidenz [ist] = Gewißheit“22. Fichtes WL bleibt also über alle Versionen hinweg ein gewißheitstheoretischer Wahrheitsansatz, mit dem Unterschied, daß es nicht mehr um die Gewißheit eines Grund­ satzes des sich selbst setzenden Ich geht23, sondern um die reine Gewißheit, d.i. die von den subjektivistischen Formen befreite, absolute und unbedingte Erscheinung des Absoluten im Wissen (vgl. § 2, II. und § 5, II.). Das Ziel der Fichteschen WL besteht nun darin, plausibel zu machen, daß „das inwendige Leben des absoluten Lichtes“24 auch das Leben des Urbegriffs und daher des absoluten Wissens ist. Das unbegreifliche und „der Einsicht unzugängliche […] absolut[] innere[] Leben des Lichtes“ und des absoluten Begriffs ist „das eigentliche wahre Reale im Wissen“25. Es ist das lebendige Absolute, das Fichte als „die Eine, absolute, nur unmittelbar zu lebende Realität“, das „in sich geschlossene[] Singulum unmittelbaren lebendigen Seins“, „Gott“, „göttliches Leben“, absolutes und „verbales Sein“ bezeichnet26; es ist „de[r] inner[e] materiale[] Gehalt[] des Wissens“ und der „Begriff der Realität“, die „von sich, aus sich, durch sich“, d.h. schlechthin unbedingt ist und für sich besteht; es ist die „allerhöchste Position“, die „[wir] in der Wahrheit […] eben auch nicht [begreifen], sondern [die] wir haben […], und sind“27. Indem begriffen und eingesehen wird, daß wir im unmittelbaren Vollzug des Wissens das Absolute selbst sind, erlaubt dies die Schlußfolgerung, daß Absolutes und Vernunft nicht radikal auseinanderfallen, sondern daß das Absolute das „Leben der Vernunft“ ist28. Genauer: „das innere Leben der Vernunft [ist] als ein lebendiges Durch“ zu verstehen, denn dieses Durch oder Bilden ist „die Form, welche das [absolute] Leben annimmt“, „wenn die Eine, absolute, nur unmittelbar zu lebende Realität in die Form des absoluten Durch eintritt“29. Das Bilden ist daher das Absolute, allerdings – und diese Einschränkung ist entscheidend – auf der 20  WL 1804-II – StA, 53 – GA II/8, 80. Vgl. dazu Wolfgang Janke: Fichte. Sein und Reflexion, 330 – 334. 21  WL 1804-II – StA, 81 – GA II/8, 120. 22  WL 1804-II – StA, 271 – GA II/8, 402. 23  Vgl. dazu Rainer Schäfer: „Das holistisch-systemische Wahrheitskonzept im deutschen Idealismus (Fichte – Hegel)“, in: Die Geschichte des philosophischen Begriffs der Wahrheit, hg. v. Markus Enders und Jan Szaif, Berlin/New York 2006, 251 – 273. 24  WL 1804-II – StA, 102 – GA II/8, 154, Kursivierung von mir, P.T. 25  WL 1804-II – StA, 95 – GA II/8, 142. Vgl. dazu Wolfgang Janke: Fichte. Sein und Reflexion, 340 – 347. 26  WL 1804-II – StA, 104, 160, 75, 83, und 152 – GA II/8, 156, 242, 114, 124, und 230. 27  WL 1804-II – StA, 95 und 162 – GA II/8, 142 ff. und 246. 28  WL 1804-II – StA, 109 – GA II/8, 165. 29  WL 1804-II – StA, 109, 106 und 104 – GA II/8, 164, 160 und 157.

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Ebene der Erscheinung, so daß das absolute Leben des Bildens „somit nicht reines, sondern formirtes Leben“ ist30. Es ist eine Identität in der Differenz oder „Einheit in der Zweiheit“31. So wie das absolute Leben immer nur als formiertes Leben erscheint, so kann vom Licht immer nur in bezug auf die Form gesprochen werden: „So gewiß das Licht als solches gesehen wird, wird es nicht überhaupt gesehen, sondern […] als eintretend in die Form der Sichtbarkeit“32. Trotzdem ist für Fichte das Licht bzw. die Gewißheit kein Moment oder „Theil“ des Absoluten, sondern er identifiziert das Licht unmittelbar mit dem lebendigen Absoluten: „Denn dies ist in der That kein Theil, sondern das Eine wahre Wesen.“33 Allerdings ist es sinnvoller zwischen beiden Erscheinungsweisen zu unterscheiden, da die Funktion – das Licht als Gewißheit und das Absolute als unmittelbar zu vollziehendes Leben – jeweils eine andere ist. Das Absolute erscheint aber nicht nur als reines Licht und als Leben der Vernunft, sondern das Absolute nimmt auch die Form des Gesetzes an, genauer: das Durch, Bilden oder Wissen vollzieht sich auf gesetzmäßige Weise – und eben nicht zufällig und regellos. Die Gesetzmäßigkeit im Sinne der Notwendigkeit ist die Erscheinung des Absoluten im Wissen; das Wissen begreift sich daher nicht nur hinsichtlich seiner Lebendigkeit, sondern auch hinsichtlich seiner Gesetzmäßigkeit als ein durch das Absolute Bedingtes. Es wird sich zeigen, daß das Absolute als Gesetz auch die Form des Wissens bestimmt (vgl. § 5, II.). (2) Doch warum stellt Fichte überhaupt das Bilden in das Zentrum seiner Überlegungen und warum ist dieses als Beziehungsmacht zu verstehen34? Ganz allge30 Fichte: Bericht über den Begriff der Wissenschaftslehre und die bisherigen Schicksale derselben (1806), in: GA II/10, 31, Kursivierung von mir, P.T. Oder wie es in der WL 1804-I heißt: „In diesem [dem Bild] erscheint es [das Absolute] uns allerdings als was, nemlich als eine absolute Genesis“ (WL 1804-I – GA II/7, 152). 31  WL 1804-I – GA II/7, 135, siehe auch: 176. In der Transscendentale Logik II (1812) heißt es entsprechend: „Aber die Erscheinung ist schlechthin im Bilde ihrer selbst, was sie ist; sie muß d[a]rum auch seyn jene Zweiheit im Bilde ihrer selbst; und da dies ein Bild ist von ihr, als Einheit, eben Erscheinung, in formeller Einheit des Wesens, in einem vereinigenden, u. die Zweiheit aufhebenden Bilde“ (StA, 97 – GA II/14, 267). Diese These vertritt auch: Willi Lautemann: „Wissenschaftslehre und genetisches Prinzip. Prinzip und Aporie in der Spätphilosophie Fichtes“, in: Philosophie als Beziehungswissenschaft. Festschrift für Julius Schaaf, hg. v. Wilhelm Friedrich Niebel und Dieter Leisegang, Frankfurt a. M. 1974, XIX/3 – 49. 32  WL 1812 – GA II/13, 144. 33  WL 1804-II – StA, 82 – GA II/8, 122. 34  Zur Bildtheorie des späten Fichte vgl. Julius Drechsler: Fichtes Lehre vom Bild, Stuttgart/Köln 1955 (zur Gesamtentwicklung des Bildbegriffs bei Fichte überhaupt); Wolfgang Janke: Fichte. Sein und Reflexion, 330 – 358 (zur Bildlehre der WL 1804-II); Willi Lautemann: „Wissenschaftslehre und genetisches Prinzip …“, XIX/3 – 49. (zur Bildlehre in der Einleitungsvorlesung von 1813); Peter Reisinger: Idealismus als Bildtheorie. Untersuchungen zur Grundlegung einer Zeichenphilosophie, Stuttgart 1979, 146 – 163 (zur Bildtheorie in

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mein kann festgehalten werden, daß sich das Wissen als Bild des Absoluten begreifen soll und deshalb der Begriff des Bildes im Vordergrund steht. In der WL 1812 heißt es entsprechend: „Licht oder Realität in der Form der Sichtbarkeit ist Bild“35, d.h. die Form, die das Leben als Durch annimmt, ist nicht das unmittelbare Leben, sondern das Leben als Leben, oder in den Worten der WL 1804-I: das „Bild des Lebens“36. Fichte liefert in der WL 1812 aber noch eine weitaus tiefergehende Beschreibung desjenigen, was mit Wissen oder Bilden als reinem Beziehen eigentlich gemeint ist: „[D]er höchste Punkt aller Sichtbarkeit ist Einheit […]. Wir reden vom Einen absoluten Sehen […]. [D]ieser absolute Einheitspunkt[,] von dem alle Sichtbarkeit ausgeht, u. in ihm zusammengefaßt ist, […] ist die Beziehung der Sichtbarkeit auf das Licht: Subjekt­ objektivität: Ichform. Diese Beziehung ist nun eben schlechthin, wie überhaupt ist ein Sehen, aber sie ist, als Beziehung, heißt[:] sie ist eben als ein Sehen; u. dieses [S]ehen ist schlechtweg […] das Ich selbst […], denn es ist die absolute Sichtbarkeit: es wird niemals klar, es erhellet niemals, sondern es ist hell, und ist die absolute Helligkeit selbst. […] Es [das Ich] selbst ist für uns die Grundform der Sichtbarkeit des Lichts, die Beziehung desselben auf sich“37. den Texten von 1813); Wolfgang Janke: Vom Bilde des Absoluten. Grundzüge der Phänomenologie Fichtes, Berlin/New York 1993, 114 – 134, 213 – 249 (zur Bildlehre der WL 1804-II); Monika Betzler: Ich-Bilder und Bilderwelt. Überlegungen zu einer Kritik des darstellenden Verstehens in Auseinandersetzung mit Fichte, Dilthey und zeitgenössischen Subjekttheorien, München 1994, 163 – 215 (zur Bildlehre 1810 bis 1814); Christoph Asmuth: „Die Lehre vom Bild in der Wissenstheorie Johann Gottlieb Fichtes“, in: Sein – Reflexion – Freiheit. Aspekte der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes, hg. v. Christoph Asmuth, Amsterdam/Phi­ ladelphia 1997, 269 – 299 (zur Bildtheorie in der WL 1804-I); Christian Danz: „Das Bild als Bild. Aspekte der Phänomenologie Fichtes und ihre religionstheoretischen Konsequenzen“, in: Fichte-Studien 18 (2000) 1 – 17; Marek J. Siemek: „Bild und Bildlichkeit als Hauptbegriffe der transzendentalen Epistemologie Fichtes“, in: Der transzendental-philosophische Zugang zur Wirklichkeit. Beiträge aus der aktuellen Fichte-Forschung, hg. v. Erich Fuchs, Marco Ivaldo und Giovanni Moretto, Stuttgart-Bad Cannstatt 2001, 41 – 63 (zur Bildtheorie in der Transzendentalen Logik II (1812)); Alessandro Giovanni Bertinetto: „‚Seyn außer dem Seyn im Seyn‘: Der Begriff ‚Bild‘ in den Fichte-Studien des Novalis und in der Spätphilosophie J. G. Fichtes“, in: Athenäum – Jahrbuch für Romantik 15 (2005) 153 – 180, hier: 156 – 171; Christoph Asmuth: Bilder über Bilder, Bilder ohne Bilder. Eine neue Theorie der Bildlichkeit, Darmstadt 2011, 72 – 91 (zur Bildtheorie in den Texten von 1804/05); Kon­ stantinos Masmanidis: Fichtes Begriff der politischen Philosophie. Eine Untersuchung der späten politischen Werke im Lichte des Begriffspaares Bild – Bildung, Freiburg/München 2014, 51 – 85 (zur Gesamtentwicklung des Bildbegriffs, die sich sehr stark an Julius Drechsler orientiert). 35  WL 1812 – GA II/13, 146. Die Lösung der „Hauptaufgabe der W.L.“ erfolgt durch das Verstehen des reinen Bildens. In einem ersten Schritt ist „die Sichtbarkeit abzusondern vom Sichtbaren“, aber in einem zweiten Schritt sind „in absoluter Einheit des Gegensatzes beide [zu] erfassen[]“; nur im reinen Bilden oder absoluten Sehen kann die „Ver[eini]gung beider Bestandtheile“ erfolgen (WL 1812 – GA II/13, 145). 36  WL 1804-I – GA II/7, 211. 37  WL 1812 – GA II/13, 145.

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Für Fichte ist alles Wissen seinem Wesen nach ein reines Beziehen und die höchste Form des Wissens ist das Beziehungswissen. Dieses Beziehungswissen hat zwei Dimensionen: Zum einen ist das absolute Wissen seinem Wesen nach absolutes Beziehen, weil das Urverhältnis, auf das alle Verhältnisse zurückgehen, die Beziehung zwischen Absolutem und Wissen bzw. Licht und Sichtbarkeit ist. Zum anderen wird diese Beziehung zwischen Absolutem und Ich durch die Beziehung auf sich selbst realisiert, weil im Selbstbezug zugleich ausgedrückt wird, was das Wissen nicht ist – das Absolute; und dies deshalb, weil jedem Selbstbezug gleichursprünglich Negativität eignet. Daß das Wissen lediglich das Bild des Absoluten und nicht das Absolute selbst ist – und dies vermittels der transzendentalen Reflexion der WL auch weiß und versteht –, hat seinen Ursprung in der Selbstbezüglichkeit. Die Beziehung auf sich selbst oder das Selbstverhältnis des Bildens ist somit der entscheidende Schlüssel zum Verständnis des ganzen Ansatzes der WL. Die Tatsache, daß Fichte die Beziehung schlechthin ins Zentrum stellt, ist darin begründet, daß sich das absolute Wissen gleichursprünglich auf das Absolute und auf sich selbst bezieht38. Ferner, und darauf kommt es an dieser Stelle an: Fichte identifiziert explizit die reine Beziehung mit dem absoluten Durch und Bilden39. In der WL 1805 sagt er, daß das „absolut sich selbst durch sich selbst machende[] Verhältnißbild[] […] mit dem Bilden des Ich“ zusammenfällt40. Sieben Jahre später verbindet Fichte in der WL 1812 Bilden, Beziehen und Schließen und schreibt: „[D]ie Beziehung [ist] eine Identität der Zweiheit, die Vermittlung u. so fort[:] was ist es[?] [E]s ist ein absolutes Durch, die Form des Begriffes, u. Schlusses“41; und daran anschließend heißt es in der Transscendentale Logik II (1812): „Die wahre Erkenntniß muß d[a]rum sich weder versetzen in das Seyn, um zum Bilde fortzugehen, noch in das Bild, um [zum Seyn fortzugehen,] sondern in den Mittelpunkt beider: in den Schluß u. die Verbindung“42. Neben dem noch zu vertiefenden Zusammenhang von Bilden und Logizität – dem vollendeten Durch als selbstbezügliches und schlußförmiges Beziehen – werden in diesen Zitaten brennpunktartig nahezu alle Grundgedanken der WL in der Idee der Beziehung zusammengeführt: Fichte führt das Grundverhältnis von Absolutem und absolutem Wissen, das als Identität in der Nichtidentität und Nichtidentität in der Identität formelhaft ausgedrückt wurde43, auf das Durch als absolute Beziehung zurück; die absolute Beziehung ist das vermittelnde Moment, in dem Unmittelbarkeit und Vermittlung synthetisiert werden. Schließlich wird ebenso deutlich, daß es, laut Fichte, kein Außerhalb der Beziehung, kein Außerhalb des Wissens und deshalb auch kein Außerhalb des Begriffs gibt, so daß in seinem Sy­ stem der Vernunft Beziehungswissenschaft und Begriffsphilosophie zusammenfalVgl. ebenso Julius Drechsler: Fichtes Lehre vom Bild, 290. WL 1804-II – StA, 85 – GA II/8, 128. 40  WL 1805 – GA II/9, 192. 41  Vgl. WL 1812 – GA II/13, 146, Einfügung von mir, P.T. 42  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 52 – GA II/14, 230 f. 43  Vgl. WL 1805 – GA II/9, 257. 38  39 

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len: Auch wenn das Absolute als das über das Wissen Hinausgehende beschrieben wird, kann dies nur innerhalb der Beziehung und durch den absoluten Begriff erfolgen. D.h., das Wissen als Beziehungsmacht kann nicht noch einmal von außen und nicht auf nicht-beziehungsmäßige Weise begriffen werden. Der Primat der Beziehung ist bei Fichte darin begründet, daß das Absolute und das absolute Wissen nur „sichtbar […] in Beziehung auf einander, und nur in dieser Beziehung zu unterscheiden“ sind44. Dies ist eine der Kerneinsichten der Fichteschen Spätphilosophie: Alle Versuche, das Verhältnis von Absolutem und absoluter Erscheinung im Sinne einer Verursachung, eines Abfalls, einer Schöpfung, eines Hervorbringens oder Hervorgehens zu erklären, gehen ganz grundsätzlich an der Sache vorbei. Es sind Versuche, die Dialektik beider Seiten noch einmal auf nicht-dialektische Weise zu begreifen. Für Fichte ist die Identität und Nichtidentität von Absolutem und Erscheinung als Einheit in der Zweiheit nur innerhalb und nur durch die absolute Beziehung zu verstehen. Im Sich-Verstehen des Durch als Durch wird sich zeigen, daß das Durch „auch nur durch ein durch, d.h. sein eigenes Seyn als Durch auch nur ein vermitteltes seyn kann“, daß weiterhin das Verhältnis von Leben und Durch – also Absolutem und absolutem Wissen – aufgrund der „Indifferenz der Consequenz zwischen beiden“ letztlich auch nur ein Durch ist, und daß schließlich dieses Begreifen des Durch immer nur auf vermittelte Weise und nach dem „Gesetze des Durch“ erfolgen kann, oder wie Fichte sagt: „Die Erklärung des Durch ist selber ein Durch.“45 (3) Doch wie macht Fichte den Primat der Beziehung im konkreten Wissensvollzug plausibel? Fichte gelingt dies, indem er sein Verständnis von Wissen als reinem Beziehen mit der transzendentalen Grundeinsicht, daß wir es immer nur mit Erscheinungen zu tun haben, im Begriff des Bildens zusammenführt. Fichtes Bildtheorie ist somit die konsequente Weiterentwicklung des Kantischen Leitgedankens, daß die vermeintlichen Seinsbestimmungen in Wahrheit immer nur Bestimmungen des Denkens sind, d.h. Fichtes Bildtheorie ist ein weiterer, konsequenter Schritt in Richtung Entontologisierung der Wirklichkeit. Wenn Fichte jede Form der Vorstellung, jedes anschauliche Begreifen und jede Form des erscheinenden Wissens unter den Begriff des Bildes subsumiert, hat dies seinen Grund darin, daß allen diesen Formen gemeinsam ist, daß nie ein unmittelbarer Gehalt, sondern immer nur die Vorstellung, der Begriff oder die Erscheinung des Gehalts Gegenstand des Wissens ist46. Vereinfacht gesagt: Jeder Gehalt ist immer durch die Form vermittelt. Dies gilt von der unmittelbaren Wahrnehmung – 44 

WL 1804-II – StA, 106 – GA II/8, 162, Kursivierung von mir, P.T. 1804-II – StA, 102 ff. und 106 – GA II/8, 154 – 158 und 160, Kursivierung von mir, P.T. 46  Fichte unterscheidet nicht scharf zwischen Vorstellung und Begriff, sondern im Begriff des Bildes fällt beides zusammen. Daß für Fichte der Begriff ein Bild des Repräsentierten ist, unterstreicht die Transzendentalität seines Ansatzes. Dem Begriff als Bild oder dem Bild als Begriff kommt im vollen Sinne keine Realität zu. In bezug auf Realität spricht Fichte nur vom Absoluten, das nur im Begriff erscheint. 45  WL

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

in der nicht nur der Gehalt immer nur repräsentiert und durch die Sinnesorgane vermittelt wird, sondern zugleich zwischen wahrgenommenem Objekt und wahrnehmendem Subjekt unterschieden wird – bis hin zum Absoluten, das selbst nur ein Begriff, d.h. ein Bild, und nicht eben dieses selbst ist; es gilt aber auch für das absolut lebendige Bilden, das nie unmittelbar sichtbar ist, sondern sich immer nur in einem Bild des Bildens selbst sichtbar macht. Daß wir es immer nur mit Erscheinungen zu tun haben, ist keine bloße Behauptung, sondern jede Erscheinung – egal in welcher Form – gibt sich immer als Erscheinung zu erkennen. Das bedeutet, daß nicht nur der konkrete, bestimmte und mannigfaltige Vorstellungsinhalt zur Erscheinung gebracht wird und durch die Erscheinung vermittelt ist, sondern es bedeutet auch, daß sich zugleich in jedem Akt des Wissens die Erscheinung selbst als Form der Darstellung zur Erscheinung bringt. Die Erscheinung ist zum einen Sichtbarmachung und Darstellung eines Gehalts – oder in bezug auf die absolute Erscheinung als höchster Form: die Sichtbarmachung des Absoluten – und zum anderen ist sie Sich-Sichtbarmachung und Sich-Darstellung als ‚Medium‘ der Darstellung, d.h., sie ist „absolute Darstellung, als sich absolut darstellend“, wie es in der WL 1804-I heißt47. Diese These beinhaltet, daß wir es nie mit dem unmittelbaren Gegenstand, sondern immer nur mit einem vermittelten Gegenstand zu tun haben, daß der jeweilige Inhalt immer schon geformter Inhalt ist, daß man es aufgrund dieser Vermitteltheit nie nur mit einem, sondern stets mit zwei Momenten zu tun hat, d.h. einer ursprünglichen Duplikation in Abbild und Bild, und es letztendlich diese Form ist, die zur Differenz zwischen Bild und Abbild führt. Die Sich-Darstellung der Erscheinung als Form der Darstellung ist der Ursprung für die Unterscheidung in den Inhalt der Darstellung, d.h. das Objekt, das Vorgestellte, das Abbild oder das Seiende, und die Form selbst, d.h. das Bild oder erscheinende Seiende. Die Differenz zwischen Dargestelltem und Darstellung, zwischen Abbild und Bild ist also im Kern eine Differenz zwischen Gehalt und Form, d.h. eine Wiederholung des ursprünglichen Gegensatzes zwischen Absolutem und absolutem Wissen, der in jedem konkreten Wissen als Differenz zwischen Abbild und Bild reproduziert wird. (4) Diese These, daß sich die Erscheinung immer als Erscheinung zu erkennen gibt, läßt sich in vier Reflexionsschritten – die zugleich Stufen der Abstraktion sind – plausibilisieren. Fichte hat diese Stufen zwar nicht explizit als solche bezeichnet, sie lassen sich aber in seinem Sinne rekonstruieren. Auf diese Weise werden einerseits wesentliche Aspekte des Bildcharakters herausgearbeitet, andererseits kann Fichte so die Erscheinung vom Sinnlichkeitsbezug schrittweise abkoppeln. Es ist diese Erarbeitung der „Autonomie“ der Erscheinung48, die in den Versionen 1804/05 geleistet und in der WL 1812 implizit vorausgesetzt wird. 47 

WL 1804-I – GA II/7, 85. Begriff der Autonomie der Erscheinung in der WL 1812: Thomas Sören Hoffmann: „Warum Fichte? – Ein Plädoyer für das transzendentalphilosophische Denken mit Blick auf die Wissenschaftslehre von 1812“, in: Johann Gottlieb Fichtes Wissenschaftslehre von 1812. Vermächtnis und Herausforderung des transzendentalen Idealismus, hg. v. Tho48  Zum

§ 4 Dialektik und Logizität der Bildlichkeit

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In jedem bestimmten Akt des Wissens kommt es zu einer Verdoppelung des konkreten Gegenstandes des Wissens: Im Bewußtsein wird immer zwischen dem scheinbar realen, an sich seienden Gegenstand, dem Abgebildeten, und der Erscheinung des Gegenstandes, dem Bild, unterschieden. Der Inhalt gibt sich als Sein aus, die Form gibt sich als Bild oder Erscheinung zu erkennen. Bereits auf dieser ersten, unmittelbaren Reflexionsstufe wird mit der Bild-Abbild-Unterscheidung transzendentalphilosophischer Boden betreten und wesentliche Merkmale des Wesens des Bildes können an dieser Stelle ausgemacht werden: Das Bild als Bild von etwas ist selbst nicht das Abgebildete; es ist nicht das Sein oder Seiende und ihm kommt „keine Selbstständigkeit“ zu, weil es immer auf das, was abgebildet wird, verweist49. Auf dieser ersten Reflexionsstufe würde man prima facie das Abgebildete für das Erste und das Bild als dessen Folge für das Zweite halten. Fichte spricht hier von „antecedens“ (Grund) und „consequens“ (Folge)50. Auf der zweiten Reflexionsstufe wird deutlich, daß das Abgebildete aber genauso unselbständig ist wie das Bild und das Verhältnis von Grund und Folge ebensogut umgekehrt werden kann. Denn tatsächlich kann das Abgebildete erst im Bild erscheinen, d.h., das Abgebildete erweist sich als bedingt durch das Bild. Das Bild könnte das Ursprüngliche und das Abgebildete die Folge des Bildes sein, weil das Bild die Bedingung der Möglichkeit des Erscheinen-Könnens des Abgebildeten ist. Ein zunächst asymmetrisch erscheinendes Verhältnis erweist sich bei näherem Hinsehen als vollkommen symmetrisches51: Das Bild setzt das Abgebildete und das Abgebildete setzt das Bild – „beides, als schlechthin durch das Andere gesetzt“52. Das Verhältnis von „antecedens“ und „consequens“ ist nicht – und dies wird erst auf der Ebene der zweiten Reflexionsstufe deutlich – im Sinne einer Kausalbeziehung zu verstehen, sondern als eine wechselseitig sich bedingende, immanente „Korrelationalität“53 und betrifft die Frage, was das logisch Erste und was das logisch Zweite ist. Das Bild scheint der Form nach unbedingt, aber dem Gehalt nach bedingt; das Abgebildete erscheint als seinem Gehalt nach unbedingt, erweist sich aber als bedingt durch die Form. Genau in diesem Sinne ist es zu verstehen, daß beide – Bild und Abgebildetes – jeweils für sich Grund und Folge sein können. mas Sören Hoffmann, Berlin 2016, 9 – 25, hier: 18; zum Wesen der Bildlichkeit vgl. v.a. Christoph Asmuth: „Die Lehre vom Bild in der Wissenstheorie Johann Gottlieb Fichtes“, 288 – 297. 49  WL 1804-II – StA, 66 – 69 – GA II/8, 100 ff. 50  WL 1804-II – StA, 71 f. – GA II/8, 106. 51  Christoph Asmuth hebt in seinem Aufsatz „Die Lehre vom Bild in der Wissenstheorie Johann Gottlieb Fichtes“, 269 – 299 etwas mehr auf die Symmetrie ab, wohingegen Marek J. Siemek in seiner Abhandlung „Bild und Bildlichkeit als Hauptbegriffe der transzendentalen Epistemologie Fichtes“, 41 – 63 etwas mehr die Asymmetrie zwischen Bild und Sein akzentuiert. Tatsächlich sind aber für die Bildstruktur beide Momente konstitutiv. 52  WL 1804-II – StA, 70 – GA II/8, 106. 53  Christoph Asmuth: Bilder über Bilder, Bilder ohne Bilder, 87 – 91, hier: 89; ders.: „Die Lehre vom Bild in der Wissenstheorie Johann Gottlieb Fichtes“, 295.

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

Liegt das Hauptaugenmerk auf der Form, dann ist das Bild der Grund; liegt der Primat beim vorgestellten Inhalt, so ist das Abgebildete der Grund. Bereits auf dieser Reflexionsstufe der Dialektik von Bild und Abbild lassen sich drei Aspekte zum Verhältnis von Einheit und Negativität deutlich machen: Die Beziehung von Bild und Abbild bzw. von Form und Gehalt ist zunächst durch den Gegensatz zwischen beiden und damit durch das Moment der Negativität bestimmt, denn jedes ist die Negation des anderen. Das Bild ist gerade nicht das, was es abbildet, und wesensmäßig davon unterschieden. Die Form der Einsicht, so Fichte, sei so beschaffen, daß die „Einsicht [… das] Gegentheil […] mit [sich] gebracht habe[]“54. Weiterhin besteht zwischen beiden eine Beziehung qua wechselseitiger Bedingtheit und damit ein synthetisches Moment, d.h., beide beziehen sich auf denselben Inhalt, denn in beiden wird dasselbe gedacht. Neben dem inhaltlichen gibt es auch einen formalen Bezug: Beide können nicht für sich selbständig existieren und setzen sich wechselseitig voraus. Beide bestehen folglich nur durcheinander und jedes ist die Bedingung des anderen – beide setzen sich wechselseitig und notwendig voraus. Und schließlich wird der Zusammenhang und die Einheit von Negativität und Synthesis deutlich, genauer: Sowohl der Gegensatz als auch der Bezug sind gleichermaßen konstitutiv für das Bild-Abbild-Verhältnis. Beide existieren nur in diesem und durch dieses Spannungsverhältnis; beide Unterschiedenen setzen sich wechselseitig voraus und werden in einer Einheit zusammengehalten: Beide bestehen also in der Einheit von Identität und Differenz: „ein Abgebildetes […] ist nicht ohne Bild denkbar, und wiederum Bild, als Bild, nicht ohne Abgebildetes“. Die „absolute Einheit“, so Fichte, ist aber „nur in der lebendigen Vollziehung des Denkens“55. Am Bildbegriff wird daher begreiflich, daß Einheit nicht ohne Differenz und Differenz nicht ohne Einheit ist56. In jedem Akt des Wissens wird also dasjenige vollzogen, was formelhaft als Einheit in der Zweiheit ausgedrückt wird. Auf der dritten Stufe der Reflexion wird auf ein gemeinsames Moment von Bild und Abbild hingedeutet und damit letztlich zum eigentlich verbindenden Punkt, der Beziehung zwischen beiden, hingeführt: Der Gegensatz von Bild und Abbild als Form-Gehalt-Gegensatz ist auf der Ebene der Erscheinung bei näherem Hinsehen ein Form-Form-Gegensatz57! Insofern nämlich im erscheinenden Gegenstand und im vermeintlich seienden Gegenstand dasselbe gedacht wird, unterscheidet sich das Abgebildete oder das Sein nur der Form nach vom Bild. Das Abgebildete ist ebensosehr ein Bild, da es nicht außerhalb des Bewußtseins, sondern ein 54 

WL 1804-I – GA II/7, 156. WL 1804-II – StA, 67 f. – GA II/8, 102. 56  Vgl. WL 1804-II – StA, 67 ff. – GA II/8, 100 – 104. 57  Vgl. Peter Reisinger: Idealismus als Bildtheorie, 153 ff. Dies wird in dieser Klarheit erst im Jahr 1813 ausgesprochen (vgl. Fichte: Die Wissenschaftslehre [vom Februar 1813], in: GA II/15, 141 ff.). Da Fichte aber an verschiedenen Stellen deutlich macht, daß das Abbild auch nur ein Bild ist (vgl. WL 1804-I – GA II/7, 151; WL 1804-II – StA, 85 und 1102 – GA II/8, 128 und 154), ist es legitim, den Abbild-Bild-Gegensatz nicht nur als Gehalt-Form-, sondern auch als Form-Form-Gegensatz zu beschreiben. 55 

§ 4 Dialektik und Logizität der Bildlichkeit

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Moment innerhalb des Selbstverhältnisses des Wissens ist. Da die Differenz sich lediglich auf die Form bezieht, läßt sich also hinsichtlich des Abgebildeten von der Seinsform und hinsichtlich des Bildes von der Bildform sprechen. Tatsächlich ist also das Bild-Abbild-Verhältnis kein Verhältnis von Gegenstand und Vorstellung, sondern es ist ein Verhältnis zweier Vorstellungen. Wenn auf der ersten Reflexionsstufe deutlich wurde, daß man es im Sinne Fichtes nie mit dem unmittelbaren Gehalt einer Sache zu tun hat, sondern dieser immer nur durch die Form vermittelt ist, so wird auf der dritten Reflexionsstufe deutlich, daß die Spaltung in Abbild und Bild keine Differenz zwischen Gegenstand und Erscheinung ist, sondern in der absoluten Form der Bildlichkeit des Bildes zu verorten ist. D.h., auch wenn Fichte sagt, daß es „[n]ur durch Leben zum Begriff, und nur durch den Begriff zum Leben“ kommt58, läßt sich der ursprüngliche Form-Gehalt-Gegensatz immer nur als Form-Form-Gegensatz begrifflich nachkonstruieren, da wir es nur mit dem Begriff des Lebens und dem Begriff als Begriff zu tun haben. Bislang konnten drei wichtige Aspekte des Wesens der Bildlichkeit ermittelt werden: 1) Jeder Vorstellungsinhalt zerfällt im Bewußtsein immer in das Bild und das Abgebildete, d.h. in Bild- und Seinsform. 2) Beide Formen stehen in einem symmetrischen, sich wechselseitig bedingenden Verhältnis zueinander. 3) Auch das Abgebildete ist nur ein Bild; die Seinsform gibt sich als etwas anderes aus, als sie tatsächlich ist, nämlich als Sein im Unterschied zum Bild. Die Differenz zwischen Bild und Abgebildeten ist in Wahrheit eine Differenz der Form. Implizit wird in dieser Reflexionsbewegung ein weiteres Moment vorausgesetzt, das die ganze Bewegung trägt und überhaupt erst ermöglicht: das Verstehen der Form der Bildlichkeit! Wenn bisher herausgearbeitet wurde, daß wir es immer nur mit Bildern zu tun haben und die Differenz zwischen Abbild und Bild im Kern eine Differenz der Form ist, beinhaltet dies, daß das Bild aufgrund der Form der Bildlichkeit immer schon als Bild verstanden wurde und das Moment des Verstehens der Form als Form mitvollzogen wurde59 – ein Aspekt, der im anschließenden Kapitel weiter entfaltet wird (vgl. § 4, II.). Fichte geht aber noch einen vierten, entscheidenden Schritt weiter: Die ganze Analyse des Wesens des Bildes zielt vor allem darauf ab, einsichtig zu machen, daß nicht entschieden werden kann, welches von beiden, das Bild oder das Abgebildete, Grund und Folge ist60. Ein Idealist würde der Form und ein Realist würde dem Gehalt den Vorzug geben61. Fichte zufolge kann dies auf dieser Ebene nicht entschieden werden, denn für ihn liegt die Wahrheit zwischen beiden. Insofern von jedem bestimmten Vorstellungsinhalt, der Verschiedenheit der Form (Bild- und Seinsform) und sonstigem anderen Trennenden abstrahiert wird, bleibt ein Moment übrig, von dem nicht abstrahiert werden kann, und das 58 

WL 1804-II – StA, 72 – GA II/8, 109. Vgl. Peter Reisinger: Idealismus als Bildtheorie, 153. 60  WL 1804-II – StA, 71 – GA II/8, 106. 61  Vgl. WL 1804-II – StA, 105 – 150 – GA II/8, 160 – 227. 59 

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

ist der wechselseitige Bezug oder die absolute Relation. Bild und Abbild sind zwei sich unterscheidende Relationsglieder, die aber in der Relation verbunden und aufeinander bezogen sind. Insofern von allem in der Bild-Abbild-Beziehung abstrahiert wird, ist das beiden „Gemeinschaftliche“ und „den ganzen Wandel“ bedingende „das reine Durcheinander, das alle Consequenz […] innerlich erst zusammenhält“; es „läßt sie allseitig frei“ bzw. macht alle „Consequenz“ überhaupt erst möglich62. Erst in der „Construction des Bildes und Abgebildeten“ und der „Indifferenz der Consequenz zwischen beiden“ leuchtet es als „absolute Beziehung“ und „Uebergehen[] von Einem zum Andern zwischen beiden“ ein63. Fichte bezeichnet dieses auch als „Drei- oder Fünffachheit der Synthesis“: Sie sei „schwebend von a zu b“, d.h. vom Bild zum Abbild, „und wiederum von b zu a“, d.h. vom Abbild zum Bild, und als drittes Moment „erschöpfend durchaus beides, also schwebend wiederum zwischen dem zwiefachen Schweben“, was die Synthesis der Synthesis ist64. 62 

WL 1804-II – StA, 71 f. – GA II/8, 106. WL 1804-II – StA, 102, 85 und 105 – GA II/8, 154, 128 und 160 f. 64  WL 1804-II – StA, 41 – GA II/8, 64. Zur Zuordnung von „a“ und „b“ vgl. WL 1804II – StA, 71 – GA II/8, 106. Wolfgang Janke erklärt, wie sich diese triplizitäre Struktur auch als „Fünffachheit explizieren“ läßt: „Schematisch geordnet geht ein Verstehen von Sein 1. von a (Bild und Vorstellung) zu b (Sein an sich [und Abgebildetes, P.T.]), 2. umgekehrt von b (Sein an sich) zu a (Sehen des Seins), 3. hin und her schwebend zwischen a-b und b-a, 4. entschieden von a-b (Sehend-Sein) zu b-a (Sehend-Sein), vermittelnd Bild und Sein vom urrealen, sich selbst konstruierenden Sein aus, 5. entschieden von b-a zu a-b, vermittelnd Bild und Sein vom Begreifen des Anssichseins als Nichtfürunssein aus. Die Fichtesche alternative Formel Dreifachheit oder Fünffachheit zeigt an, daß keine neue Synthesis gewonnen, sondern lediglich die dritte Synthesis durchkonstruiert wird. Offenkundig läßt sich ja die Synthesis der Synthesen – auf der dritten Stufe – von zwei Seiten her durchnehmen“ (Wolfgang Janke: Vom Bilde des Absoluten, 240 f.). Laut Janke läßt sich diese „dialektische Triplizität bzw. Quincuplizität“ in formaler, materialer, historischer und methodologischer Hinsicht verstehen: In formaler Hinsicht entspreche die Fünffachheit der „Disjunktion in Sein (Objekt) und Denken (Subjekt) wie in Wirklichkeit (Sinnenwelt) und Überwirklichkeit (Ideen-, Freiheitswelt)“ und als fünftes der „intellektuelle[n] Selbstanschauung“ (Wolfgang Janke: Vom Bilde des Absoluten, 237 f.). In materialer Hinsicht findet sich die Fünffachheit bei Fichte in der Entfaltung der fünf Vernunftstandpunkte der Natur, des Rechts, der Moral, der Religion und der WL wieder (vgl. WL 1804-II – StA, 281 – 248 – GA II/8, 416 – 420); in historischer Hinsicht ist die Fünffachheit das „Gliederungsschema der Menschheitsgeschichte“ (Wolfgang Janke: Vom Bilde des Absoluten, 237), die in den Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters von 1804/06 entfaltet wird (vgl. GA I/8, 141 – 398). Allen drei Weiterentwicklungen ist gemeinsam, daß diese sich so bei Fichte wiederfinden lassen. Dies gilt jedoch nicht, und an dieser Stelle muß Janke widersprochen werden, für die methodologische Ausdeutung der Fünffachheit, d.h., das Verständnis der dialektischen Quincuplizität als „Konstruktionsprinzip und Methodengang“ für den Aufbau der WL aus der Zeit von 1804/05 ist ein nachträgliches Schema zur Erklärung des Aufbaus der WL, dem in dieser Arbeit ausdrücklich nicht gefolgt wird (Entsprechende Unternehmungen finden sich bei: Martial Gueroult: L’évolution et la structure de la doctrine de la science chez Fichte, Tome II, Paris 1930, ND Hildesheim/Zürich/New York 1982, 136 f.; Günter Meckenstock: Das Schema der Fünffachheit in J.G. Fichtes Schriften der Jahre 1804- 1806, Diss. Göttingen 63 

§ 4 Dialektik und Logizität der Bildlichkeit

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Gab es in der ganzen vorherigen Beschreibung einen Primat der Relationsglieder, so zeigt sich an dieser Stelle der Primat der absoluten Relation, auf den Fichte auch insgesamt hinaus will. Daß Fichte die Relation in den Fokus stellt, läßt sich bestätigen, wenn im Fichteschen Sinne noch einmal tiefer nach dem Verhältnis von Relation und Relationsgliedern gefragt wird. Das Bemerkenswerte ist hier, daß sich an diesem Punkt der Durchdringung des Wesens des Bildes das bereits Erarbeitete wiederholt: Auch Relation und Relationsglieder stehen in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis, d.h., auch die Relation kann sich erst vermittels der Relationsglieder zeigen und die Relationsglieder erweisen sich als bedingt durch die Relation. Relation und Relationsglieder stehen daher im gleichen Verhältnis wie Bild und Abbild. Aber – und diese Einsicht ist für Fichte dann entscheidend – in und durch die wechselseitige Bedingtheit zeigt sich, daß nach Abstraktion von allem Trennenden im Verhältnis von Relation und Relationsgliedern eines allein übrigbleibt: die Relation. Das Durcheinander oder kurz: das Durch ist die reine Beziehung und absolute Relation, die sich als das erste Hauptmoment des Wesens des Wissens manife­ stierte. Im folgenden Unterkapitel wird gezeigt, daß dieses Durch das reine Bilden ist, das sich im Vollzug in Bild und Abgebildetes spaltet. Ging es bisher darum, die Verbindung oder das synthetische Moment des Wissens herauszuarbeiten, um den Gedanken der Beziehung deutlicher hervortreten zu lassen, wird nunmehr der Ursprung der Negativität angegeben, indem das Eingesehene auf sich selbst, d.h. auf das Wesen des Wissens, angewendet wird. In dieser vertieften Bildanalyse wird daher auch der verstellende Schein der Seinsform in seiner Notwendigkeit erklärt.

II.  Das Wesen der Bildlichkeit Das bildende Durch ist das „innere Wesen des Wissens“65 und damit zugleich das „Wesen des Begriffes“66. Im folgenden wird es darum gehen, zum einen das 1973; Joachim Widmann: Die Grundstruktur des transzendentalen Wissens nach Joh. Gottl. Fichtes Wissenschaftslehre 1804², Hamburg 1977). Hans Gliwitzky macht darauf aufmerksam, daß sich die Fünffachheit „beliebig zu einer Sieben- oder Neunfachheit, zu einer Neunoder Elffachheit usw. fortsetzen“ lasse, was einmal mehr verdeutlicht, daß die „Abzählbarkeit“ der Wissensmomente auch überstrapaziert werden kann und an dieser Stelle vor allem daran erinnert werden soll, daß die Drei- oder Fünffachheit in der synthetisch-dialektischen Bewegung des Begriffs ihren Ursprung und vor allem da ihren systematischen Ort hat (Hans Gliwitzky: „Einleitung“, in: Fichte: Wissenschaftslehre 1805, aus dem Nachlaß hg. v. Hans Gliwitzky mit einem Sachregister von Erich J. Ruff und einem Beitrag „Zu Fichtes Tätigkeit in Erlangen“ von Erich Fuchs, Hamburg 1984, XLVII und XLIII). 65  WL 1804-II – StA, 85 f., 92, 103, 252 – GA II/8, 128, 138, 154, 374 f.; vgl. Wolfgang Janke: Fichte. Sein und Reflexion, 348 – 358. 66  WL 1804-II – StA, 102 und 155 – GA II/8, 154 und 234. In diesem Kapitel werden sowohl Texte von 1804/05 als auch von 1812 herangezogen. Allerdings werden nur die Aussagen zum Bildwesen aus dem Jahr 1812 angeführt, wie sie der Grundintention von 1804/05 entsprechen. Die Besonderheiten im Jahr 1812 werden in § 4, III. explizit behandelt.

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Wesen dieses absoluten Begriffs in seiner immanenten „Logizität“67 anhand der drei Hauptmomente – Bilden, Begriff des Bildens und Sich-Verstehen des Begriffs des Bildens – herauszuarbeiten; zum anderen soll die damit zusammenhängende Hauptspaltung in Denken und Sein, die zuvor als Bild- und Seinsform bezeichnet wurde, sowie die spekulative Urteilslehre aus dem Bilden heraus erklärt werden, d.h., nachdem das Gemeinsame aus den Differenzmomenten herausgearbeitet wurde, soll aus der Einheit heraus die Differenz erklärt werden. Im Anschluß daran werden noch einmal die Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen 1794/95 und 1804/05 auf einer nunmehr tieferen Grundlage diskutiert. (1) Was bislang als absolute Relation, Korrelationalität oder Durcheinander bezeichnet wurde, ist nichts anderes als das Bilden, im Sinne der reinen Vollziehung des Wissens. In der Transccendentalen Logik II von 1812 sagt Fichte ausdrücklich, daß das „innerlich lebendige[] Bilden[] ein Durch [sei,]“68. Dieses sich im Vollzug des Wissens als synthetisierende Einheit darstellende Moment wurde von Fichte vor allem deshalb als Durcheinander bezeichnet, um die wechselseitig bedingte Beziehung bzw. den Gedanken der Beziehung überhaupt hervorzuheben. Auch wenn Durch und Bilden verschiedene Bezeichnungen für ein- und dasselbe sind, wird im folgenden vor allem deshalb vom Bilden gesprochen, weil auf diese Weise das analytische Moment des Prinzips des Wissens – das in Wahrheit ein analytisches und zugleich synthetisches Prinzip ist – besser herausgearbeitet werden kann. Das Bilden ist nicht nur einfach ein aktuales Vollziehen, sondern in einem Schlag ein Sich-hin-Bilden, d.h. ein Sich-Sichtbarmachen als Form: es ist ein lebendiges Bilden und zugleich ein sich in seiner Bildlichkeit zeigendes Bilden, d.h., das „Bilden[] setzt[] sich als Bild […] des Bildens“69. In der Transccendentalen Logik II heißt es: „Die Erscheinung äussert sich eben: u. das, so gewiß sie ist, denn sie ist ja durch u. durch Aeusserung; kann nicht nicht sich äussern. […] Sie äussert sich, und da sie durch u. durch Bild ist, nur bildlich; der Inhalt ihrer Aeusserung in die tiefste Wurzel hinein ist Bildlichkeit […]. Diese Aeusserung wird nun durch den Verstand fixirt, als ein Bild, mit seinem abgebildeten. u. so erst wird beides in demselben Schlage.“70

Fichte identifiziert an dieser Stelle nicht nur Erscheinen und Bilden, sondern was im vorherigen Unterkapitel als faktische und scheinbar nicht weiter zu erklärende Duplikation in Abbild und Bild diskutiert wurde, hat ihren genetischen Ursprung im Verhältnis von Bilden und dem Bild des Bildens, das wiederum auf das Verhältnis von absolutem Wissen und Absolutem zurückgeht, genauer: Wir haben es auf der Ebene des Begriffs immer nur mit dem Verhältnis von Bilden und dem Bild des Bildens zu tun, dessen ursprünglichste Form diejenige zwiPeter Reisinger: Idealismus als Bildtheorie, 154. Transscendentale Logik II (1812) – StA, 33 – GA II/14, 216. 69  WL 1804-II – StA, 252 – GA II/8, 374 f. 70  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 52 – GA II/14, 230 f. 67 

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schen Absolutem und Wissen als Gehalt-Form-Gegensatz ist und die in jedem konkreten Abbild-Bild-Verhältnis als Form-Form-Gegensatz reproduziert und wiederholt wird. Anstelle vom Bild des Bildens spricht Fichte auch vom Als. In der WL 1804I heißt es dazu etwas kryptisch: „Als, offenbar nicht unmittelbar, sondern durch einen Stellvertreter“71. Das Bilden setzt sich zwar selbst, aber es wiederholt sich nicht noch einmal unmittelbar als Bilden, sondern auf vermittelte Weise in einem fixierten Bild seiner selbst. D.h., das Bild des Bildens ist einerseits das absolute Gegenteil des Bildens, weil es die durch den Verstand fixierte Erscheinung seiner selbst ist und eben nicht der aktual lebendige Vollzug, andererseits drückt es als Bild das Wesen des Bildens aus, so wie dieses innerlich ist: Es ist reine Bildlichkeit, reines Sich-Zeigen und Äußern und nichts anderes als eben dieses Sich-Äußern. An diesem Sich-Äußern als Bild des Bildens lassen sich zwei Aspekte – die Negativität und die Verobjektivierung – hervorheben: Das Bild ist im Unterschied zum Bilden die reine Fixierung, die Aufhebung jeder Aktuosität. Entscheidend ist, daß es sich um eine Selbstnegation des Bildens handelt, d.h., es ist kein Bestimmt-Werden durch einen äußeren Anstoß, sondern es ist ein Sich-Bestimmen des Bildens zu einem Bild seiner selbst. Es ist der erste Schritt im Übergang von der Bestimmbarkeit zur Bestimmtheit und darin durchaus mit der GWL 1794/95 vergleichbar, in deren Grundsatzlehre durch Position, Negation und Limitation die Voraussetzung für die Bestimmtheit überhaupt erklärt wurde72. Im Unterschied zu dieser ersten Fassung geht Fichte ab 1804 nicht nur von einer in sich differenzierten, sondern von einer – und dies wird an dieser Stelle besonders deutlich – sich selbst differenzierenden Einheit aus. Weiterhin ist das Sich-Äußern und Sich-Zeigen eine Verobjektivierung, genauer: eine Selbstverobjektivierung des Bildens und damit zugleich eine Verstellung seines Wesens. Das Bilden läßt sich eigentlich nicht darstellen, sondern immer nur unmittelbar vollziehen; eine Darstellung kann immer nur auf vermittelte Weise, d.h. vermittelt durch ihr Gegenteil, erfolgen. (2) Fichte spricht nicht nur vom Bilden und dem Bild des Bildens bzw. von Durch und Als, sondern auch vom Verstehen oder vom Sich. Bevor aber dieses dritte Moment des absoluten Begriffs behandelt wird, sollen die Hauptspaltungen des Bildens und die spekulative Urteilslehre diskutiert werden: Was zuvor faktisch als Differenz zwischen Bild und Abbild, d.h. als Subjekt-Objekt-Spaltung des Bewußtseins erschien, kann an dieser Stelle auf genetische Weise durch die Selbstunterscheidung in Bilden und den Begriff des Bildens erklärt werden73. In der genetischen Durchdringung erweisen sich diese zwei Hauptmomente des absoluten Begriffs zugleich als Grund für die Differenz von Sein und Denken. Im X. Vortrag der WL 1804-II heißt es, daß „dieses lebendige Durch […] als Einheit des Durch sich spaltet in Denken und Sein, d.h. in sich selber, und in den Urquell seines 71 

WL 1804-I – GA II/7, 119 f. Vgl. GWL 1794/95 – GA I/2, 282. 73  Vgl. Wolfgang Janke: Vom Bilde des Absoluten, 337 – 345 und 375 – 385. 72 

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

Lebens“74. Tatsächlich kann sich das Durch aber nur spalten, weil und indem das Durch von sich ein Bild setzt, d.h. sich in seiner Bildlichkeit manifestiert. Die faktische Differenz von Sein und Denken hat ihren genetischen Grund in der Selbst­ unterscheidung des Bildens. In der lebendigen Vollziehung des Durch, das sich durch das Bilden und den Begriff des Bildens in Sein und Denken spaltet, zeigt sich aber noch ein weiterer Aspekt: Laut Fichte wird dadurch deutlich, daß das Durch „durch ein fremdes Leben“ lebt75. Dies hat folgende Konsequenzen: Der Gegensatz zwischen Sein und Denken ist zum einen ein Gegensatz zwischen Seins- und Bildform, d.h. ein Form-Form-Gegensatz, zum anderen geht dieser auf einen tieferen Form-Gehalt-Unterschied zurück. Denn, so Fichte weiter: „[I]m Durch liegt bloß die formelle Zweiheit der Glieder; soll es zu einer Vollziehung desselben kommen, so bedarf es eines Uebergehens von Einem zum Andern zwischen beiden, also es bedarf einer lebendigen Einheit zur Zweiheit. Es ist durchaus klar, daß das Leben als Leben nicht im Durch liegen könne, obwohl die Form, welche hier das Leben annimmt, als ein Uebergehen von Einem zum Andern, im Durch liegt“76.

Das Leben des Durch, d.h. das Absolute, erscheint immer nur im Durch und als Durch und nicht noch einmal auf eine andere Weise: Das Leben kann nur als Durch vollzogen werden. Indem das Durch aber ein Sich-selbst-Unterscheiden und Sich-selbst-Differenzieren ist, zeigt sich, daß es eben nicht das Absolute im Fichteschen Sinne ist, d.h., es weist durch die Sichunterscheidung über sich hinaus. Es gibt nicht nur eine wechselseitige Bedingtheit von Form und Gehalt, die für den gesamten Ansatz der WL prägend ist, sondern auch eine Gleichursprünglichkeit und wechselseitige Bedingtheit zwischen der Selbstunterscheidung des Bildens auf der einen Seite und der realen Form-Gehalt-Differenz auf der anderen Seite. Beide Momente – Selbstunterscheidung des Bildens und Bedingtheit des Bildens durch das lebendige Absolute – stehen in einem wechselseitig sich bedingenden Verhältnis, d.h., die Beziehung zwischen beiden ist, wie Fichte sagen würde, ein Durcheinander. Es ist die bereits vorgetragene Einsicht der späten WL, daß der Vollzug des Wissens immer nur in der Weise des sich bildenden Durchs erfolgen kann. Diesen Aspekt faßt Fichte am Ende des X. Vortrags der WL 1804-II auf sehr konzentrierte Weise zusammen: „[W]enn die Eine, absolute, nur unmittelbar zu lebende Realität in die Form des absoluten Durch eintritt“, bedeutet dies, „daß sie [die absolute Realität] nie und an keiner Stelle aufgefaßt werden kann, ohne daß dem Gefaßten entstehe ein antecedens [Grund], durch das es sein soll; und, da es ja selber nur als Durch gefaßt wird, ein consequens [Folge], das durch dasselbe sein soll; […] kurz, daß die bekannte unendliche Theilbarkeit, bei absoluter Continuität, als das Grundphänomen alles unseres Wissens, – mit einem Worte, das, was die W.-L. Quantitabilität nennt, als unabtrennbare Form der Erscheinung der Realität, entstehe.“77 74 

WL 1804-II – StA, 103 – GA II/8, 156. WL 1804-II – StA, 103 – GA II/8, 156. 76  WL 1804-II – StA, 105 f. – GA II/8, 160. 77  WL 1804-II – StA, 104 – GA II/8, 156, Einfügung von mit, P.T. 75 

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Von der einzelnen, konkreten Vorstellung, die immer in eine Bild-Abbild-Struktur zerfällt, über die Hauptspaltung von Denken und Sein bis hin zum Sich-Verstehen des reinen Wissens kann der Vollzug des Wissens immer nur in der absoluten Form des Durch erfolgen. Indem Fichte auf diese Weise den Ursprung der Vermannigfaltigung – oder wie er sagt: der Quantitabilität – angibt, beansprucht Fichte nicht nur das Problem von Sein und Denken sowie von Subjekt und Objekt, sondern auch von Einheit und Vielheit zu lösen78: Wir selbst sind die nur zu lebende Einheit, die auf der Ebene des Wissens als Durch, Bilden oder reine Beziehung erscheint. Das Durch spaltet sich qua Selbstunterscheidung zum einen in das es selbst bedingende Leben und zum anderen in sich selbst, das durch diese Spaltung als objektives Sein und als subjektives Denken erscheint. Genetisch evident wird dies aber erst im Sich-Sehen des Sehens oder Wissen des Wissens; denn in jedem Versuch, das reine, in sich selbst ewig unsichtbare Sehen zu sehen, spaltet es sich in ein subjektives Sehendes und ein objektiv Gesehenes, spaltet sich das Durch in Sein und Denken oder das Bilden in ein Abgebildetes und ein Bild79. Das lebendige Bilden ist das Einheits- und Differenzprinzip sowie der Ursprung der Vermannigfaltigung überhaupt80. Die Spaltung in Sein und Denken ist für Fichte in einem Akt auch die Unterscheidung in Anschauung und Begriff bzw. Intuition und Intelligenz. Um Fichtes Konzeption vollständig zu verstehen, müssen zwei Aspekte berücksichtigt werden: Zum einen sind bei Fichte Anschauung und Begriff keine zwei getrennten Vermögen, sondern der Begriff ist immer anschaulich und die Anschauung ist 78  Fichte kündigte ab 1804 nicht nur an, das Einheits-Vielheits-Problem zu lösen, die Subjekt-Objekt-Spaltung des Bewußtseins und den Ursprung von Sein und Denken zu erklären, sondern ebenso die Teilung von Sinnlichem und Übersinnlichem. Dieses letztgenannte Problem wird aber in keiner Version der Jahre 1804/05 und 1812 explizit gelöst. In der WL 1804-II wird lediglich in Form einer Frage angedeutet, daß die Lösung auch dieses Verhältnis im Durch liegt: „wie wäre es, wenn in dieser Deduktion und Ableitung es sich nun spaltete auf die zweite Weise?“ (WL 1804-II – StA, 103 – GA II/8, 156). Tatsächlich handelt es sich hier um ein offenes Problem, denn alle anderen Hauptspaltungen lassen sich auf das Durch zurückführen. Wenn die Spaltung in Sinnliches und Übersinnliches nicht einfach eine Wiederholung der Spaltung in Sein und Denken sein soll, ist nicht klar, wie Fichte den qualitativen Unterschied einführen will. 79  Im XV. Vortrag der WL 1804-II sagt Fichte, daß die WL eine Antwort darauf geben müsse, wie es zur „Verdopplung“ und „Wiederholung“ des Seins kommen muß. Im Kern ist diese Frage, die ja auch die Frage nach dem Ursprung der „Objektivirung“ ist, bereits schon im Vortrag X beantwortet: Die Verdopplung von absolutem und verobjektivierten Sein hat ihren Ursprung in der Spaltung des Durch. Das Durch spaltet sich in das es tragende Leben (Sein) und in sich selbst als Durch (Denken) (WL 1804-II – StA, 154 f. – GA II/8, 234). 80  Daß sich das Durch aus sich selbst heraus und ohne äußeren Anstoß in Denken und Sein spaltet, ist sowohl eine Antwort auf Spinoza (vgl. Julius Drechsler: Fichtes Lehre vom Bild, 112) als auch auf Parmenides’ Fragment B3: „Denn dasselbe ist Erkennen und Sein.“ (Parmenides: Die Fragmente, griechisch-deutsch, hg., übersetzt und erläutert von E. Heitsch, Zürich ³1995, 17).

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immer schon ein Begreifen81. Zum anderen ist wichtig zu sehen, daß die Spaltung in Anschauung und Begriff nicht die Unterscheidung in Rezeptivität und Spontaneität ist82. Diese Kantische Zuordnung läßt sich auf Fichte nur sehr bedingt übertragen: Indem das Durch sich in sich selbst, d.h. den Begriff oder das Denken, und das wodurch es lebt, spaltet, verwandelt sich das Leben in ein stehendes, verobjektiviertes Sein, d.h., durch das Bild des Bildens verobjektiviert es sich nicht nur selbst, sondern auch das Leben. Dieses verobjektivierte Sein kann nur angeschaut werden. Es kann in der Anschauung aber nur vernommen werden, weil es sein lebendiges Wesen nach außen projiziert und durch die Projektion selbst verobjektiviert83. Die ‚Rezeptivität‘ der Anschauung kann daher bei Fichte auf die ursprüngliche Spontaneität der Projektion zurückgeführt werden. Da Anschauung und Begriff ihren Ursprung im bildenden Durch haben, sind sie auch gleichursprünglich aufeinander bezogen. Die Anschauung ist nicht „die Folge des Begriffs“ und der Begriff nicht Folge der Anschauung84, sondern beide setzen sich gegenseitig. So wie das Bilden seine eigene Lebendigkeit nach außen projiziert und durch die Projektion in ein stehendes Sein verwandelt, das dann angeschaut werden kann, so wiederholt es sich in bezug auf seine Wesensform als Durch, d.h., es setzt sich als Begriff, der als Denken scheinbar unverbunden dem Sein gegenübersteht. In der Anschauung schaut es sein eigenes lebendiges Sein als hypo­stasiertes an und im Denken erscheint sich der Begriff selbst, aber eben nur als reine Form. (3) Auf der Basis der ersten beiden Momente kann aber nicht nur die Spaltung in Sein und Denken erklärt werden, sondern es zeigt sich bereits hier die immanente Logizität der Bildlichkeit. Die Selbstunterscheidung und Selbstverobjektivierung des Bildens ist zugleich eine Selbstprädikation. Im folgenden soll gezeigt werden, warum das Bild des Bildens die Urform des Urteils ist. Für Kant ist „ein Urteil […] ein Verhältnis, das objektiv gültig ist“85 und bereits in der GWL von 1794/95 zeigt Fichte in der Analyse des ursprünglichsten aller Verhältnisse, daß die drei absoluten Handlungen des menschlichen Geistes die Voraussetzung für jedes bestimmte Urteil sind und sich die Inhalte der Grundsatzlehre in der Form des Urteils ausdrücken lassen: „Alle Urtheile [sind …] unter dem Setzen 81  Vgl. WL 1804-I – GA II/7, 177 f.; Transscendentale Logik II (1812) – StA, 24 und 54 – GA II/14, 209 und 232. 82  Vgl. Peter Baumanns: J.G. Fichte. Kritische Gesamtdarstellung seiner Philosophie, Freiburg/München 1990, 309: „Fichte unterläuft die Kantische Disjunktion von Rezeptivität und Spontaneität, indem er die Spontaneitätsleistungen des Kantischen transzendentalen Subjekts der Wissensrezeptivität zuschlägt, um Anschauen und Denken, die festgehaltene Zweiheit der Wissensstämme […] neu zu konzipieren.“ 83  „Sodann habe ich gesagt: Hinschauen aus sich; nicht etwa Empfangen, Receptivität, u. dgl., sondern schlechthin Aussicherzeugen“ (Transscendentale Logik II (1812) – StA, 157 – GA II/14, 315). 84  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 39 – GA II/14, 221. 85  Kant: KrV, B 142, in: AA III, 114.

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des absoluten Ich enthalten“86. Fichte unterscheidet hier zwischen „antithetische[n] oder verneinende[n]“ und „synthetische[n] oder bejahende[n] Urteile[n]“, die im „ursprünglichen höchsten Urtheil […]: Ich bin“ ihren Grund haben87. Fichte spricht auch vom „thetischen Urtheil“, weil es keinen „Beziehungs- oder Unterscheidungsgrund voraussetz[t]“; das „thetischen Urtheilen überhaupt ist auf das Setzen des Ich schlechthin durch sich selbst, gegründet“88. D.h., der Identitätssatz „A = A“ und der oberste Grundsatz der GWL „Ich = Ich“ sind im Verständnis Fichtes Urteile, mit der Besonderheit, daß Subjekt (das erste A oder Ich) und Prädikat (das zweite A oder Ich) identisch sind. „Das urtheilende Ich“, so Fichte, „prädicirt etwas […] von sich selbst“89 – ein Gedanke, der sich auch in der spekulativen Urteilslehre von 1804/05 wiederfindet. Fichte kommt im XXIV. und XXVIII. Vortrag der WL 1804-II sowie der 1. bis 3. sowie 7. Vorlesungsstunde der WL 1805 auf die spekulative Urteilslehre zu sprechen90. Daß Fichte das Durch und Bilden in der WL 1804-II auch als „Urbegriff“ bezeichnet, ist daher so zu verstehen, daß sich das Bilden in das Urteil als Bild des Bildens entläßt, d.h., Begriff und Urteil stehen in keinem äußeren, sondern in einem immanenten Beziehungsverhältnis. In der WL 1804-II heißt es: „Ich kann […] mir Nichts prädiciren, ohne es überhaupt, eben als Subjekt eines Prädikats, unmittelbar zu projiciren und zu objektiviren“91. Fichte sagt hier mit anderen Worten, daß es zum inneren Wesen der Vernunft als Bilden gehört, daß sie sich selbst verobjektiviert, daß sie im Sich-Erzeugen zugleich ein Bild von sich als sich-erzeugend setzt. Fichte verwendet für dieses Sich-selbst-Verobjektivieren und Sich-Äußern der bildenden Vernunft verschiedene Begriffe, wie „principiiren“, „projiciren“, „prädiciren“ oder „objektiviren“. Damit ist gemeint, daß die Vernunft oder das Bilden immer in das Sichmachen und das Bild des Sichmachens, also in das Bilden (Durch) und das Bild des Bildens (Als) zerfällt. Im Kern handelt es sich dabei um die Lösung der Hauptaufgabe der WL, wie Fichte sie im XXVIII. Vortrag der WL 1804-II präsentiert: Das Durch spaltet sich in sich selbst und das wodurch es lebt bzw. das Bilden setzt sich als Bild, weil die Vernunft sich selbst schlechthin

86 

GWL 1794/95 – GA I/2, 277. GWL 1794/95 – GA I/2, 274 und 277. 88  GWL 1794/95 – GA I/2, 277 f. 89  GWL 1794/95 – GA I/2, 259. 90  Erstmals wird die spekulative Urteilslehre der WL 1805 von Christoph Binkelmann in seinem Aufsatz „‚Die absolute Relation ist das Licht‘. Urteil, Licht und Sein in Fichtes Erlanger Wissenschaftslehre“, in: Fichte-Studien 34 (2010) 67 – 87 in aller Ausführlichkeit herausgearbeitet. Er verbindet seine Ausführungen zur Urteilslehre mit Fichtes Gesamtansatz und zeigt, daß Fichtes urteilstheoretischen Überlegungen von 1805 die Schlußform des Wissens durch den Bezug auf das Ich und das Moment der Einsicht antizipieren. Diese These wird in der vorliegenden Arbeit auf der Basis der WL 1812 und der Transscendentale Logik II (1812) ausdrücklich bestätigt. 91  WL 1804-II – StA, 240 – GA II/8, 358, Kursivierung von mir, P.T. 87 

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intuierend macht92: „Ich prädicire [von der Vernunft…] oder, was dasselbe bedeutet, [die Vernunft] prädicirt von sich, heißt: [sie] projicirt sich selber, durch […] stehende Intuition […] – ein[] absolut[es] ursprünglich sich zum Intuiren Machen [der Vernunft]“93. Mit anderen Worten: Die Vernunft macht sich, indem sie sich verobjektiviert, selbst anschaulich und ist ihrem Wesen nach nichts anderes als dieses Sich-Zeigen und Sich-als-Bild-Äußern. Es ist dasjenige, was Fichte später in der WL 1812 als Sich-Erscheinung der Erscheinung (Schema II) bezeichnet. Daß das Sich-selbst-intuierend-Machen als Selbstverobjektivierung die Urstruktur des Urteils „S est P“ ist, geht aus einem Zitat des XVIII. Vortrags hervor: „Dieses ohne Zweifel sehen wir nun ein, selber intuirend und objektivirend die Vernunft – als das logische Subjekt des Satzes, – welche nun nach uns weiter sich selber objektiviren soll – als sein Prädikat. Hier ist die Vernunft zweimal der Zahl nach, einmal in uns, einmal ausser uns. […] Es ist mit einem Worte die Vernunft in Duplicität, als Subjekt und als Objekt; beides absolut“94.

Die Spaltung in Bilden und Bild des Bildens ist die Spaltung in Subjekt und Objekt und zugleich in Subjekt und Prädikat; es ist, in den Worten der WL 1805, „die Quelle, u. de[r] Geburtsort aller Bestimmungen“95. Fichte kann so zeigen, daß „S[ubjekt] u. Pr[ädikat] […] ineinander aufgehen, sich gegenseitig durchaus erschöpfen“. Die Struktur des Urteils besteht aber nicht nur aus Subjekt und Prädikat, sondern auch aus der „logischen Copula“: „das ist“96. Im Ist werden zwei Momente ausgedrückt: zum einen die Einsicht in den Zusammenhang zwischen Subjekt und Prädikat, d.i. das Verstehen der Beziehung beider, zum anderen die Existenzaussage. Zum Verstehen heißt es: „Denn drükt das Prädikat bloß die Klarheit aus, so erzeugt diese ja ohne Zweifel der [U]rtheilende selber. Durch sie aber ist allein die Kopula, u. das Urtheil möglich: das ist ist daher sein Erzeugniß; u. ein solches Urtheil ist gar nicht, ausser für den Erzeugenden.“97 92  „Die Vernunft macht sich selber schlechthin intuirend“ – d.h. sie ist nicht intuierend, sondern macht sich selber objektiv; sie ist ein absolut unmittelbares „Sichmachen“, „inneres Leben“, „ein sich zur Thätigkeit Machen“. „Es entsteht hier zugleich eine absolute Urthätigkeit und Bewegung, als an sich: und ein Machen oder Nachmachen dieser Urthätigkeit, als ihr Bild. […] Es ist dies durchaus ihr eigener unmittelbarer und unabtrennlicher Effekt.“ (WL 1804-II – StA, 276 ff. – GA II/8, 410 ff.) Um dies noch einmal zusammen zu fassen: Die Spaltung in Sein und Denken, Objekt und Subjekt, Leben und Durch, Urtätigkeit und Bild der Urtätigkeit, Urconstruktion und Bilden, hat ihren Ursprung darin, daß sich die Vernunft, das Bilden oder das Durch sich in sich selbst spaltet und verdoppelt, indem sie in ihrem Sich-Erzeugen zugleich ein Bild des Sich-Erzeugens setzt. 93  WL 1804-II – StA, 240 f. – GA II/8, 358. Fichte spricht in diesem Zitat des XXIV. Vortrags nicht von „Vernunft“, sondern vom „Licht“, d.h. der evidenten Gewißheit oder Einsicht; erst im XXVIII. Vortrag zeigt sich, daß es die Vernunft ist. 94  WL 1804-II – StA, 276 – GA II/8, 410. 95  WL 1805 – GA II/9, 181. 96  WL 1805 – GA II/9, 180. 97 Ebd.

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Das bedeutet, das Prädikat oder das Bild des Bildens ermöglicht erst das Ist, da durch dieses erst ein Relationsgefüge eröffnet wird; das Ist ist Ausdruck der „Continuität der Einsicht“98; es ist ein „drittes zwischen zweien“ und daher „Beziehung, oder Relation“. Die „wesentliche[] Einheit“ der „zwei Glieder“, durch die sie „innerlich Eins“ ist, ist dasjenige, was Fichte auch als „Als“ bezeichnet: „sie sind als solche im Verhältniß: Sie[,] die Relation ist sich selber auch nur in dieser Relation, u. als drittes“99. D.h., das Als des zweiten Moments der Bildlichkeit – das Bilden als Bild – wird im Urteil zum Ist. Im Als wird damit zugleich ein drittes Moment antizipiert: das Verstehen der Beziehung zwischen Bilden und Bild bzw. Subjekt und Prädikat. Das trennende Als rekurriert implizit auf das sich auf sich selbst beziehende Verstehen des Bildens. Das spekulative Urteil hebt daher durch den Bezug des Prädikats auf das Subjekt zugleich das trennende Moment seines Wesens auf und antizipiert die Schlußform des Wissens100 (vgl. § 4, III.). Das Ist ist zum zweiten aber auch eine Existenzaussage. Doch um welche Form der Existenz geht es? In jedem Akt des Wissens, so Fichte, wird der begrifflich beschriebene Inhalt des Wissens – sei es ein einfacher „Gegenstand“ oder das absolute „Seyn“ – „hingestellt, projicirt“101. Der „Gegenstand […] ist existent […] in der Existenz. […] Dieses ist daher ist seine Existenz“. Die Existenz ist aber das Wissen selbst, so daß „[d]as Wort ist“ eine „Projektion, äußere Hinstellung“ des Wissens selbst ist102. Fichte faßt daher zusammen: Das „Bild, das sich selbst als Bild sezt oder bildet“ ist das „Wissen, in seiner allgemeinsten Qualität […] u. da dieses Bild = ist, ist aber = Existenz, [so ist] die Existenz das Wissen selbst, und das Wissen die Existenz selbst“103. Und die „Existential Form“, so Fichte in der WL 1804-I, „ist jezt [… das], was wir füglich Subjektivität nennen können“104. Die Selbstunterscheidung des Bildens als Prädikation und die Existenzsetzung des absoluten Wissens werden in einem Akt vollzogen. Das Ist der spekulativen Urteilslehre der 98 Ebd. 99 

WL 1805 – GA II/9, 210. Vgl. Christoph Binkelmann: „‚Die absolute Relation ist das Licht‘“, 77. 101  WL 1805 – GA II/9, 186. 102  WL 1805 – GA II/9, 185. 103  WL 1805 – GA II/9, 186; vgl. Christoph Binkelmann: „‚Die absolute Relation ist das Licht‘“, 72. Das logische oder transzendentale Ist ist daher nicht die Verobjektivierung des absoluten Seins, wie eine Interpretation Wolfgang Jankes nahelegt: „Das Durch lebt, heißt, es spaltet sich und lebt fortwährend in dieser Spaltung. Es spaltet sich zuerst in sich selbst und in das, wodurch es lebt. Das Wodurch seines Lebens erscheint in dieser Spaltung als Sein (das undurchdringliche, einfach Ist)“ (Wolfgang Janke: Fichte. Sein und Reflexion, 355; vgl. auch 403 f. und 406 ff.). In der GWL heißt es zur logischen Kopula: „Ist drükt den Uebergang des Ich vom Setzen zur Reflexion über das gesezte aus“ (GWL 1794/95 – GA I/2, 259). Erst auf dem Reflexionsniveau der WL 1805 wird sich Fichte darüber klar, daß das Ist als transzendentale Kopula die Existenz des Wissens selbst ausdrückt. Zum Ist-Sagen im Jahr 1813 vgl. Johannes Brachtendorf: Fichtes Lehre vom Sein. Eine kritische Darstellung der Wissenschaftslehre 1794, 1798/99 und 1812, Paderborn/München/Wien 1995, 238 – 244. 104  WL 1804-I – GA II/7, 146. 100 

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Jahre 1804/05 ist aus diesen zwei Gründen keine logische Kopula mehr, sondern die „energische[] oder transscendentale[]“105. Das spekulative Urteil ist zum einen die Voraussetzung für jedes konkrete und bestimmte Urteil und zum anderen die Lösung des Prädikationsproblem106. Das Prädikatsproblem besteht darin, daß in jedem konkreten Urteil oder einfachen Aussagesatz, wie „Der Mensch ist sterblich“, ein bestimmtes Merkmal des Satzsubjekts prädiziert wird. In dem Urteil „Der Mensch ist sterblich“ geht es also nicht darum, daß die Sterblichkeit noch einmal unabhängig für sich besteht, sondern ein notwendiges Wesensmerkmal des Menschen ist. Das eigentliche Problem ist aber, daß durch die Form der Prädikation genau dieser Eindruck erweckt wird, als ob die Eigenschaft, in diesem Fall die Sterblichkeit, für sich bestehen könnte, obwohl sie in Wahrheit ein nicht zu isolierender Aspekt einer lebendigen Einheit ist. Es ist diese Form der Verstellung durch die Hypostasierung, gegen die sich die Kritik an der Prädikation wendet, die aber im Bilden selbst ihren Ursprung hat und dadurch genetisch erklärbar wird. So wie beim Menschen ein Merkmal prädiziert wird, so projiziert das Bilden von sich ein Bild nach außen. Da es nichts anderes als eben dieses Bilden ist, projiziert es nichts anderes als diese seine Bildlichkeit. Prädikation und Verobjektivierung werden somit in einem Akt vollzogen. Durch die Selbstprädikation erfolgt zugleich eine Hypostasierung des Bildens selbst, die der Ursprung für die verstellende Form eines jeden bestimmten Urteils ist107. (4) In der spekulativen Urteilslehre wurde deutlich, daß die ersten beiden Hauptmomente des absoluten Wissens bereits ein drittes Moment voraussetzen: das „Verstehen“108. Das Verstehen ist das sich auf sich selbst beziehende Bilden, das sich in seiner Bildlichkeit begreift; es ist das reflektierte Sehen des an sich unsichtbaren Sehens und deshalb das reine Sich-Wissen des Wissens als Wissen. In der WL 1805 spricht Fichte ganz explizit vom „sich verstehen [… der] AlsForm“ als einem „Verstehen des Durch“109. Dieses wurde zum einem im Kern immer schon vorausgesetzt, zum anderen läßt sich das nunmehr genetisch eingesehene Verhältnis von Anschauung und Begriff noch einmal aus einer anderen Perspektive vertiefen. Es geht an dieser Stelle darum, plausibel zu machen, daß die Selbstbezüglichkeit des Bildens zugleich das Verstehen der Bildlichkeit und die Voraussetzung für das 105 

WL 1805 – GA II/9, 180. spekulative Urteilslehre ist mit Hegels Lehre vom spekulativen Satz in der „Vorrede“ zur Phänomenologie des Geistes von 1807 durchaus vergleichbar (vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes (1807), in: GW 9, 42 – 44; vgl. dazu auch: Thomas S. Hoffmann: „Totalität und Prädikation. Zur ersten ‚Stellung des Gedankens zur Objektivität‘ im enzyklopädischen ‚Vorbegriff‘ der spekulativen Logik“, in: Hegel: Der ‚Vorbegriff‘ zur Wissenschaft der Logik in der Enzyklopädie von 1830, hg. v. Alfred Denker, Annette Sell und Holger Zaborowski, Freiburg/München 2010, 114 – 143). 107  So heißt es in bezug auf die WL 1804-II bei Janke: Das „Urteil“ ist „nicht der ausschließliche Ort der Wahrheit“ (Wolfgang Janke: Fichte. Sein und Reflexion, 403). 108  WL 1805 – GA II/9, 192. 109  WL 1805 – GA II/9, 289 und 304. 106  Fichtes

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Erklären der Bildlichkeit ist, d.h., das Sich-Verstehen ist die Bedingung der Möglichkeit der WL110. Im Vollzug des Wissens treten die drei Momente des absoluten Begriffs nicht nacheinander auf, sondern sind immer zugleich, aber in der Nachkonstruktion, d.h. in der Logizität der Darstellung und Selbstexplikation des absoluten Begriffs tritt das Verstehen des Bildens erst als drittes Moment in Erscheinung. Wenn zuvor unterstellt werden könnte, daß das Durch als Durch, das Bilden als Bild gesetzt wird, so kann an dieser Stelle präziser gesagt werden, daß das Durch sich als Durch, das Bilden sich als Bild selbst setzt. Neben Durch und Als ist es das Sich, was das dritte Moment des absoluten Wissens auszeichnet. Indem sich das Erscheinen selbst als Erscheinungsform sichtbar macht, bezieht es sich zugleich auf sich selbst; und es ist diese ursprüngliche Selbstbezüglichkeit der Erscheinung, die im Sich-zur-Erscheinung-Bringen liegt. Im Dialektikkonzept des späten Fichte besteht daher ein gleichursprünglicher Zusammenhang zwischen Selbstbezüglichkeit und Negativität: In der Duplikation des Bildens bzw. der Setzung der Bildlichkeit macht sich das Bilden zum Bild, indem es sich aber von sich selbst unterscheidet, bezieht es sich zugleich auf sich selbst, da das Bilden nicht etwas anderes, sondern sich selbst setzt. Im Verhältnis von Selbstbezüglichkeit und Negativität kann ebensowenig zwischen antecedens und consequens unterschieden werden, sondern beide Momente bedingen sich gegenseitig. Das Bilden kann sich nur auf sich selbst beziehen, wenn es sich von sich selbst unterschieden hat, und es kann sich von sich nur unterscheiden, weil es sich im Sich-Unterscheiden auf sich selbst bezieht. Die Selbstbezüglichkeit steht aber nicht nur in einem Zusammenhang mit der Negativität, sondern ist auch ein Verstehen: Es ist ein Verstehen des Zusammenhangs der beiden ersten Wissensmomente, des Bildens und des Bildes des Bildens. So wie das Bilden als Durch die Beziehung schlechthin ist, so ist das Sich als Sich-Beziehen, in den Worten der Transscendentalen Logik II, „ein vollendetes u. abgeschloßnes Durch[,] eine vollendete Wechselseitigkeit der Einsicht“111. Das Sich ist das potenzierte Durch, weil es das wissende Verstehen des Verhältnisses von Bilden und Bild ist; es ist das „Mittelschweben zwischen zweien“, zwischen Durch und Als, und es ist somit die begreifende „Wechselseitigkeit der Erkenntniß“, weil es den Zusammenhang zwischen beiden herstellt, oder vielmehr: weil das Verstehen der Zusammenhang selbst ist112. Das Durch kommt im Verstehen zu sich selbst und das Verstehen ist als potenziertes Durch das Durch des Durch. So wie das Verstehen sich auf die Negativität als zweites Moment des Wissens bezieht, so ist das Verstehen als Selbstbezug zugleich der potenzierte Ausdruck des ersten Moments Vgl. Christoph Asmuth: Bilder über Bilder, Bilder ohne Bilder, 90 f.; Wolfgang Janke: Vom Bilde des Absoluten, 130 ff. 111  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 33 – GA II/14, 216; vgl. dazu Wolfgang Janke: Vom Bilde des Absoluten, 223 – 233. 112  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 33 – GA II/14, 216. 110 

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als der Beziehung schlechthin. Das Verstehen ist die um ihr Wesen und ihre Form wissende und sich auf sich selbst beziehende Beziehung und ist daher die höchste Form des Beziehungswissens. Das Verstehen realisiert nicht nur die Synthesis vom Bilden und dem Bild des Bildens, sondern auch von Anschauen und Begreifen. Beide entspringen einer gemeinsamen Wurzel, dem Durch, und beide sind immer schon aufeinander bezogen, aber erst im Verstehen wird dies explizit gemacht. In der WL 1804-I heißt es: Es ist der „nothwendige[] Zusammenhang[] dieses absoluten Intelligirens[, d.i. Begreifens] u. absoluten Anschauens in uns selber, u. dadurch [die] intellektuelle[] Anschauung, als dem eigentlichen innern Standpunkte der W.L.“113. Die Synthesis der Synthesis in bezug auf Anschauung und Denken ist die intellektuelle Anschauung, die ein anschauliches Begreifen und begriffliches Anschauen ist. Es kommt an dieser Stelle auf zwei Aspekte an: Fichte korrigiert damit eine frühere Position, wie sie besonders deutlich im Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre von 1797/98 zutage tritt: Fichte bestimmt darin die intellektuelle Anschauung in erster Linie als reine Anschauung, die als „unmittelbares Bewußtsein […] durch nichts vermittelt oder bedingt ist“114. Wenn Fichte demgegenüber im Spätwerk sagt, daß „das [A]bsolute der Philosophie […] doch immer ein Sehen“ [bleibe]“115, dann meint er damit nicht das rein anschaulich zu verstehende „Zurückgehen der Tätigkeit in sich selbst“116, sondern ein anschauliches und begriffliches Vermögen. Zum anderen macht Fichte in der WL 1804-I deutlich, daß die intellektuelle Anschauung als Synthesis der Synthesis von Anschauung und Begriff ein Vermögen ist, das nur auf dem Standpunkt der WL und nur durch sie und in ihr vollzogen werden kann (vgl. § 4, III.). Daß dieses dritte Moment die Voraussetzung für die WL selbst ist, läßt sich auch noch einmal auf andere Weise ausdrücken. Im XXV. Vortrag der WL 1804II werden formelhaft alle drei Momente des Wissens angeführt: „Wir sind hier unmittelbar das absolute Wissen. Dies ist ein Bilden, setzend sich als Bild, setzend zur Erklärung des Bildens ein Gesetz des Bildens.“117 Fichte spricht hier nicht nur 113  WL 1804-I – GA II/7, 131, Einfügung von mir, P.T. In der WL 1805 heißt es: „Die Existenz ist beides, Intelligenz, u. Intuition“ (WL 1805 – GA II/9, 193) und in der WL 1804-I sagt Fichte, „[d]aß Intelligenz, u. Intuition bei ihrer qualitativen Disjunktion, als absolut-inneres Vernehmen, und ausser sich setzen, doch organisch zusammenhängen, u. eins ohne das andere möglich sind“ (WL 1804-I – GA II/7, 121). 114 Fichte: Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre (1797/98), in: GA I/4, 277. Zum Begriff der intellektuellen Anschauung beim frühen Fichte vgl. Jürgen Stolzenberg: Fichtes Begriff der intellektuellen Anschauung. Die Entwicklung in der Wissenschaftslehre von 1793/94 bis 1801/02, Stuttgart 1986; Wolfgang Janke: Vom Bilde des Absoluten, 283 – 289. 115  Fichte: „Brief an Schelling vom 15. Januar 1802“, in: GA III/5, 104 – 113, hier: 112. 116 Fichte: Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre (1797/98), in: GA I/4, 278. 117  WL 1804-II – StA, 252 – GA II/8, 374 f., Kursivierung von mir, P.T. Alle drei Texte der WL 1804-II variieren in dieser Formel an der ein oder anderen Stelle.

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vom „Bilden“, vom „sich“ und vom „Bild“, sondern auch von der „Erklärung des Bildens“. Die WL als Wissenschaft von der absoluten Erscheinung ist diese Erklärung des Bildens; sie kann dies aber nur sein, weil es ein ursprüngliches Verstehen des Bildens gibt, d.h., die Erklärung setzt das Verstehen als drittes Moment des Wissens voraus. Die Erklärung ist ein „künstlich zu Stande gebrachte[s]“ und „frei vollzogen[es]“ Verfahren, das man „auch hätte[] unterlassen können“ – „wie wir es denn ohne Zweifel alle die Tage unseres Lebens, ehe wir an die W.-L. kamen, unterlassen haben“118 –, aber das Wissen des Wissens als Produkt der Freiheit hat das Verstehen als notwendiges Moment des absoluten Wissens zur Voraussetzung. Die WL kann aufgrund des Verstehens auf die Form der Darstellung reflektieren und ist insofern die Darstellung des Darstellens. In der WL 1804-I findet sich noch ein weiterer entscheidender Hinweis zum Sich-Verstehen und zur WL als Ziel der Grundbewegung des absoluten Wissens und eigentlichem Grund der Selbstunterscheidung des Wissens. Darin heißt es: „Das absolut unsichtbare Sehen, welches hier von uns selbst nicht mehr gesehen wird, sondern was wir […] sind, zerspaltet sich eben durch sich selber, u. in sich selber [in Sein und Denken sowie in Anschauung und Begriff] zu einer Anschauung seiner selbst“119. Dies bedeutet: Das Ziel der dialektischen Bewegung – der Einheit, die sich selbst differenziert – ist, daß das Wissen sich als Wissen transparent wird und sich selbst als solches sichtbar macht. Das Ziel des Wissens ist das Sichwissen als Wissen, d.i. die WL als Sehen des an sich unsichtbaren Sehens. Die Sichdarstellung des Wissens als Wissen ist ein Sichzeigen und Sich-Offenbarmachen des Wissens in seinen notwendigen Strukturen. An dieser Stelle kann in bezug auf das dritte Moment der Bildlichkeit festgehalten werden, daß im Verstehen die Selbstbezüglichkeit, das Sich des Bildens, die intellektuelle Anschauung und die WL letztlich in eins zusammenfallen. (5) Auf der Basis des nunmehr erarbeiteten absoluten Begriffs soll noch einmal detailliert herausgearbeitet werden, wie sich dieser von demjenigen der GWL von 1794/95 unterscheidet, um auf diese Weise noch einmal einen erhellenden Blick auf das späte Dialektikkonzept zu werfen. Einerseits handelt es sich um einen radikalen Bruch und andererseits werden einige Theorieelemente der ersten Version in verwandelter Form wieder aufgegriffen. Im folgenden sollen die Themen Ich, Sich-Setzen, Form und Gehalt, Negativität und Selbstbezüglichkeit, sowie die Teilbarkeit behandelt werden. Fichte geht ab 1804 nicht mehr vom absoluten Ich aus, sondern von der Dialektik des absoluten Begriffs und bestimmt von da aus die systematische Stellung des Ich neu. Fichte spricht zwar auch im Spätwerk von „Subjektivität“120, „Subjekt-Objektivität“ oder „Ichform“121, allerdings geht die Vernunft nicht mehr vollständig im 118 

WL 1804-II – StA, 78 – GA II/8, 118. WL 1804-I – GA II/7, 131, Einfügung und Kursivierung von mir, P.T. 120  WL 1805 – GA II/9, 182. 121  WL 1812 – GA II/13, 145. 119 

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Begriff des Ich auf, sondern mit der Ichheit wird nur ein Aspekt dessen bezeichnet, was die Vernunft ihrem Wesen nach ist. Das neue Ich ist das Sich – die reine Selbstbezüglichkeit als drittes Moment des absoluten Begriffs. Im Spätwerk wird das Ich einerseits als „Resultat des sich Machens der Vernunft“122 aus dieser abgeleitet und damit hinsichtlich seiner Ansichgültigkeit eingeschränkt, andererseits ist es zugleich die einzige Form, in der das Absolute erscheinen kann. In der WL 1804-III bezeichnet Fichte sogar das „Daseyn […] des Ich [als] die Bedingung des in sich einkehrens des Absoluten […] als absoluten in sich selber“123. In der WL 1805 heißt es dazu: „Was ist diesem zufolge das Ich, an u. für sich, in seinem innern Wesen? es ist die Rükkehr des göttlichen Existirens in sich selber […]. Vermittelst dieses seines Seyns […] ist es [unmittelbar] das als Gottes, u. seiner Existenz […]: also im eigentlichen Sinne […] die Repräsentation Gottes […], keinesweges aber Gott selbst. […] Es [das Ich] ist der selbstständige Grund der Repräsentation. So ist es an u. für sich in seinem innern Wesen seiner Qualität: u. es ist Qualität, denn es ist selber die Qualität des Existirens. Seinem eignen Seyn nach aber ist es das göttliche Existiren selbst […]: u. es ist in dieser Rüksicht nicht der selbstständige Grund seiner selbst, sondern Gott ist sein Grund: u. es läßt sich drum nun auch sagen; Gott ist in ihm, vermittelst seines Seyns […]: nicht, wie vorher, das Ich repräsentiert ihn, sondern er selber repräsentiert sich im Ich. In Summa: Gott selber unmittelbar ist im Ich; u. er ist das Ich; u. das Ich ist der nur gesuchte unmittelbare Berührungspunkt seiner selbst u. seines Existirens.“124

Das Ich – und damit die Form des Wissens – ist daher in der späten WL zugleich ein Bedingtes und ein Unbedingtes, oder wie es in der WL 1804-I heißt: „ein bedingt nothwendiges“125. Es wird einerseits hinsichtlich seiner Form und „Qualität“ depotenziert und als Absolutes abgesetzt, andererseits ist es hinsichtlich seines „Seyns“ der „Berührungspunkt“ und als existierendes Wissen die Form der Erscheinung des Absoluten. Es ist dieses lebendige Absolute, das unter anderem auch zu einer inhaltlichen Neubestimmung des Begriffs des Setzens führt. Sprach Fichte in der ersten WL vom Setzen, so spricht er ab 1804 vom Bilden. Dieses Bilden ist zugleich aber auch ein Setzen, genauer: Das Bilden ist ein Sichmachen zum Bild und dadurch ein Sichsetzen. „In Wahrheit ist das Sichmachen und Sichsetzen eben ein Sich-zum-Bild-Machen“, so Wolfgang Janke126. Das Sich-Bilden, Sich-Machen und Sich-Setzen ist Ausdruck der radikalen Spontaneität und Sicherzeugung der Vernunft, also demjenigen, was Fichte 1794/95 als Tathandlung 122  WL 1804-II – StA, 280 – GA II/8, 414. Das Ich ist im Kern selbst noch einmal eine Durch, weil es zwischen dem eigentlichen Durch und dem Bild des Durch steht, beide voneinander unterscheidet und sich auf beide bezieht, aber genau deshalb ist es auch ein verstehendes Durch. 123  WL 1804-III – GA II/7, 367. 124  WL 1805 – GA II/9, 249 f., Kursivierung teilweise von mir, P.T. 125  WL 1804-I – GA II/7, 175. 126  Wolfgang Janke: Vom Bilde des Absoluten, 129.

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und ab 1804 als Genesis bezeichnet127. Indem sich das Sich-Bilden als Sich-zumBild-Machen setzt, ist es aber auch das ursprüngliche und reine Beziehen. In der Transscendentalen Logik II wird der Zusammenhang zwischen Bilden, Setzen und Beziehen besonders deutlich ausgesprochen: „[Das] Denken [… ist] ein Bilden, das schlechthin ein Bild seiner selbst sezt“128. Dieses Denken im Sinne des Bildens sei „Verbinden“, „Verbinden [… sei] Synthesis“ und dieses sei letztlich „Beziehung u. Vergleichung [… innerhalb] eines Verhältnisses“129. Das Bilden ist in einem Akt ein Sich-Setzen, ein Sich-zum-Bild-Machen und dadurch ein Sich-in-Beziehung-Setzen. Und so faßt Fichte zusammen: Das „Denken [als lebendiges und in actu zu verstehendes Bilden] = ein Verhältniß fassen: [und der] Begriff = [das fixierte] Bild eines Verhältnisses“130. Die Idee des Sich-Setzens wird ab 1804 als Sich-Erzeugen und Sich-Machen einerseits vertieft und andererseits depotenziert, da es in ein und demselben Akt ein Nacherzeugen und Nachmachen ist: Es ist ein „Sichsetzen und Sichabsetzen“, denn indem das Bilden von sich ein Bild setzt, setzt es sich als „Bild[] des Absoluten“ und unterscheidet sich damit vom Absoluten131; es ist diese Doppelbewegung von Sichsetzen und Sichabsetzen, die präziser zum Ausdruck bringt, was mit der zu „annihilir[enden]“ und zugleich „faktisch […] unaustilgbar[en]“ Ichform, der gleichzeitigen Setzung und „Nichtgültigkeit [… und] Vernichtung des Begriffes“ gemeint ist132: Das Sich-Bilden und Sich-Setzen ist zwar qua Vollzug durch das Absolute bedingt, umgekehrt setzt sich das Absolute erst durch das bildende Durch im Ich und als Ich. Das Absolute ist daher zugleich ein Unmittelbares und zugleich ein sich in der Vermittlung des Begriffs Manifestierendes. Diese Neukonzeption bedeutet jedoch nicht, daß Fichtes Überlegungen aus den ersten drei Grundsätzen von 1794/95 vollständig verschwunden sind, sondern daß sie in verwandelter Form wieder Eingang finden. Zunächst zum Verhältnis von Form und Gehalt: In der Grundlage ging Fichte von einem der Form und dem Gehalt nach ersten, unbedingten Grundsatz aus, dem ein seinem Gehalt nach bedingter, zweiter und ein seiner Form nach bedingter, dritter Grundsatz folgten. Demgegenüber konnte anhand der Dialektik von Bild und Abbild und der Frage nach dem logisch Ersten und logisch Zweiten gezeigt werden, daß sich ab 1804 die Idee einer durchgehend wechselseitigen Bedingtheit von Form und Gehalt Bahn 127  In der WL 1804-I fragt Fichte: „Haben wir etwa unserm Setzen, der Thathandlung, als Thathandlung zugesehen, sie empirisch faktisch beobachtet, u. uns über der That ergriffen“? Und seine Antwort lautet darauf: „Ich hoffe nicht“ (WL 1804-I – GA II/7, 145)! D.h., Genesis und Tathandlung, Genesis und Bilden sind ein absolutes Setzen, das Fichte auch als „reines Werden“ bezeichnet (WL 1804-I – GA II/7, 151; vgl. auch: 147 und 152). 128  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 20 – GA II/14, 206. 129  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 7 und 20 – GA II/14, 195 f. und 206. 130  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 20 – GA II/14, 206, Einfügung und Kursivierung von mir, P.T. 131  Wolfgang Janke: Vom Bilde des Absoluten, 129. 132  WL 1805 – GA II/9, 182 und WL 1804-II – StA, 75 – GA II/8, 114.

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bricht133, in deren Vertiefung, d.h. in der wechselseitigen Bedingtheit von Leben als absolutem Gehalt und dem Begriff als absoluter Form, schließlich auch ein Teil der Lösung für Fichtes Gesamtansatz besteht. Trotzdem kann diese wechselseitige Bedingtheit von Form und Gehalt in der Bild-Abbild-Dialektik bereits als Korrektur der früheren Überlegungen interpretiert werden. Indem Fichte dieses Bilden als Beziehung überhaupt versteht und er die Selbstentfaltung dieser Beziehung zum Gegenstand macht, tritt die Selbstunterscheidung an die Stelle der Entgegensetzung des Nicht-Ich134. In der GWL von 1794 wird das Verhältnis von Position und Negation dahingehend bestimmt, daß die Position der Negation sachlich vorausgeht. Im ersten Teil der Arbeit konnte am Gegenmodell von Baumgarten gezeigt werden, daß diese Einsicht auch in gewisser Hinsicht nicht falsch ist, denn das reine Nichts kann nicht negiert werden. Eine Negation setzt immer etwas voraus, das sie negiert; und selbst wenn sich die Negation auf sich selbst bezieht, muß sich die Negation erst setzen, um negiert werden zu können. Aber ebenso wahr ist und dies wird ab 1804 deutlich, daß die Position im Sinne des Bildens seine eigene Negation, das Bild des Bildens, enthält; daß die Negation der Position somit wesentlich und eben nichts Äußerliches ist. In der Bildtheorie sind nun diese beiden Überlegungen – der Primat der Position und die Inhärenz der Negativität – zusammengefaßt135. Das Wesen der Negativität hat sich aber auch dahingehend verändert, daß die Selbstunterscheidung mit der Selbstbezüglichkeit zusammenhängt und beide einander wechselseitig bedingen: Das Problem der GWL bestand darin, daß Fichte den Versuch unternahm, von der Unbestimmtheit über die Bestimmbarkeit zur Bestimmtheit zu gelangen, obwohl auf der operativen Ebene immer schon von der Bestimmtheit des Begriffs ausgegangen wurde. Eine reine Sichsetzung des Ich, so 133  Mit einigen Abstrichen kann die Weiterentwicklung ab 1804 gegenüber 1794/95 auch so beschrieben werden, daß Fichte die Kategorie der „Wechselbestimmung“ ins Zentrum stellt, die er in der GWL als vierte Kategorie ableitet und die er darin auf Kants Kategorien der „Relation“ im allgemeinen und die „Wechselwirkung“ im besonderen bezieht (GWL 1794/95 – GA I/2, 290). Vgl. dazu: Rainer Schäfer: Johann Gottlieb Fichtes ‚Grundlage‘, 111 f.; Christoph Asmuth: „‚Horizontale Reihe‘ – ‚Perpendikuläre Reihe‘. Die 11. Vorlesung der Wissenschaftslehre 1804/II und die beiden Denkfiguren der Fichteschen Wissenschaftslehre“ in: Jean-Christophe Goddard/Alexander Schnell (Hg.): L’être et le phénomène. La Doctrine de la Science de 1804 de J.G. Fichte – Sein und Erscheinung. Die Wissenschaftslehre 1804 J.G. Fichtes, Paris 2009, 53 – 71. 134  In einer Tagebuchnotiz hält Fichte fest, daß Ich und Nicht-Ich „aus der alten Vorstellung“ – gemeint ist die GWL von 1794/95 – im Begriff des Bildens aufgegangen sind: „Der Gegensatz des NichtIch, u. die Weise dieses Gegensatzes, den ich nachher in dem sich bilden auf Einheit zurükführe, wird es noch klärer machen. NB. Dies eben ist der Grundfehler, daß solche Begriffe – Ich u. NichtIch, feststehen, u. verstanden werden, ohne daß man in die Genesis derselben hineindringt. […] Das NichtIch [ist] im Bilde nur inwiefern seine Thätigkeit des Bildens hinzutritt u. vermittelt“ (Fichte: [Diarium III]. Neues Diarium v. 25. Oktober an. 1813, in: GA II/17, 18). 135  Vgl. Christoph Asmuth: „Die Lehre vom Bild in der Wissenstheorie Johann Gottlieb Fichtes“, 269 – 299.

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läßt sich vom Standpunkt der WL ab 1804 sagen, kann nicht erfolgen, wenn nicht immer schon gleichursprünglich eine Entgegensetzung des Nicht-Ich mitvollzogen wird136, d.h., der Selbstbezug läßt sich nicht ohne Negativität denken und nicht ohne diese begrifflich darstellen. Es ist der Gegensatz zwischen Selbstbezüglichkeit und Negativität, der die erste WL prägte und der das absolute Ich als reine Unbestimmtheit und in sich differenzlose Einheit als Produkt der Abstraktion erscheinen lassen mußte; und es ist die Einsicht in diesen Zusammenhang, der für den späten Ansatz konstitutiv ist. Ein Verständnis von Subjektivität, das Identität, Negativität und Einheit umfaßt, hat das Problem einer nachträglichen Vermittlung durch einen äußeren Anstoß nicht mehr137. Ein System der Vernunft, das sich von vornherein als selbstbezüglich und fremdbezüglich versteht, das sowohl das Leben als auch Negativität in seiner Wurzel aufgenommen hat, sich also als dialektisches System begreift, kann Sichsetzen und Negativität verbinden. Diese Einsicht hat aber für Fichte zur Konsequenz, daß das reine Sichsetzen nicht mehr als unbedingtes Prinzip herhalten kann. Im Bilden sind aber nicht nur das Setzen als Sich-zum-Bild-Machen und Entgegensetzen als Selbstunterscheiden enthalten, sondern auch die Teilbarkeit des dritten Grundsatzes von 1794/95. Auch hier zeigt sich, wie stark die Veränderungen sind: In der Grundlage verstand Fichte Teilbarkeit als Einschränkung der Tätigkeit des Ich und des Nicht-Ich, d.h., Teilbarkeit wurde als Limitation der „Quantität der Realität [des Ich], oder der Negation [des Nicht-Ich]“ verstanden138. Die Idee, Bestimmbarkeit als „Quantitätsfähigkeit überhaupt“ zu deuten139, die die Voraussetzung für die Bestimmtheit des Begriffs sein soll, hat ihren Ursprung darin, daß Fichte das „Handeln des menschlichen Geistes“ als Gegenstand der ersten Fassung der WL bestimmt hat140 und er eine Selbstbeschränkung dieses Handelns erklären können mußte. Indem Fichte aber nicht mehr die Handlungen des menschlichen 136  In der Transscendentalen Logik II heißt es: „[Da ist] kein reines etwa u. abgesondertes Ich, wie wir es etwa früher construirt haben. – Die Anschauung des Ich ist immer mit jenem verbunden, das sich schlechthin anschließt“ (Transscendentale Logik II (1812) – StA, 115 – GA II/14, 281). 137  Die Selbstbezüglichkeit kann in bezug auf die Anstoßlehre und den Abschluß des Systems noch einmal in einer ganz anderen Richtung als Selbstkorrektur verstanden werden: In der GWL bestand der Abschluß des Systems (im Sinne der Rückkehr zum Grundsatz) im unendlichen Streben, Ich und Nicht-Ich zu synthetisieren, d.h. die „zu vollendende[] Unendlichkeit“ blieb lediglich eine „Idee“ (GWL 1794/95 – GA I/2, 403). In der WL ab 1804/05 erfolgt der Abschluß des Systems in struktureller Hinsicht durch die Selbstbezüglichkeit des absoluten Begriffs. Das Ziel besteht nicht mehr in der unmöglich zu realisierenden Aufhebung des Nicht-Ich, sondern darin, daß sich das Durch im Sich-Verstehen noch einmal auf sich bezieht: Das Sich-Verstehen ist ein vollendetes Durch oder ein Durch der Einsicht, weil es die Notwendigkeit des Zusammenhangs, die Notwendigkeit des Und von Bild und Abbild einsieht. 138  GWL 1794/95 – GA I/2, 282. 139  GWL 1794/95 – GA I/2, 270. 140  GWL 1794/95 – GA I/2, 258.

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Geistes, sondern die Dialektik des absoluten Begriffs zum Gegenstand hat, und er die Idee der reinen Tätigkeit auf das Absolute als reines Leben überträgt, braucht Fichte nicht mehr die Möglichkeit einer quantitativen Einschränkung der Tätigkeit zu erklären. Mit anderen Worten: Fichte muß die Frage der Vermannigfaltigung, oder der „Quantitabilität“, nicht mehr quantitativ, sondern kann sie qualitativ auflösen. Die „bekannte unendliche Theilbarkeit“, wie es in der WL 1804-II heißt, wird daher vollkommen neu und anders erklärt: Sie ist das „Grundphänomen alles unseres Wissens“ und die „unabtrennbare Form der Erscheinung der Realität“141. Realität bezeichnet nicht mehr die „Handlungsart des menschlichen Geistes“ des Ich, „ursprünglich schlechthin sein eignes Seyn“ zu setzen142, sondern die „absolute Realität“ ist das absolut innere Leben der Vernunft; sie ist das Absolute, das als Leben „in die Form des absoluten Durch“ bzw. als Licht in die Form der Sichtbarkeit eintritt143. Teilbarkeit ist ab 1804 keine Einschränkung von Tätigkeit mehr, das absolute Leben erweist sich vielmehr als uneinschränkbar und im Kern als nicht negationsfähig. Teilbarkeit ist im Spätwerk die Spaltung in Abbild und Bild, in Seinsform und Bildform, die in jedem Akt des Wissens und in allen seinen Formen entsteht, die aber im Verhältnis von Leben und Durch ihren Ursprung hat. Realität ist in allen Schaffensperioden Fichtes immer im Sinne der Tätigkeit zu deuten, aber ab 1804 ist es nicht mehr die Selbstsetzung des Ich, sondern es ist reine Tätigkeit unabhängig von jeder Form; es ist das reine Sein als Vollzug, durch welches einsichtig wird, daß das „lebendige Durch“ sich als ein „durch ein fremdes Leben“ lebend begreift144. Wenn Fichte nun sagt, daß der Eintritt der „Eine[n], absolute[n], nur unmittelbar zu lebende[n] Realität in die Form des absoluten Durch“, „nie und an keiner Stelle [anders] aufgefaßt werden kann, ohne daß […] entstehe ein antecedens […] und […] ein consequens“, will Fichte sagen, daß die von der Form der Subjektivität unabhängige, absolute Realität trotzdem immer nur in der Form des Durch, d.h. immer nur als Vermitteltes, immer nur in der Duplizität und immer nur in der Form der Teilbarkeit erscheinen kann145. Was 1794/95 noch Handlungsarten des menschlichen Geistes waren, sind ab 1804 (in modifizierter Form) Momente des Begriffs. Dies gilt jedoch nicht nur für die drei Grundsätze und die Kategorien Realität, Negation und Teilbarkeit, sondern auch für die Einbildungskraft: In der GWL war das „Schweben der Einbildungskraft“ als „Wechsel des Ich in und mit sich selbst, da es sich endlich, und unendlich zugleich sezt“, die Erklärung für die Übertragung von Tätigkeit auf das Nicht-Ich und vor allem an die Idee der Quantifizierung gebunden146. In der WL ab 1804 tritt sie nur noch als Schweben „von a zu b“, vom Abbild zum Bild und umgekehrt in Erscheinung147. Dieses Schweben 141 

WL 1804-II – StA, 104 – GA II/8, 156. GWL 1794/95 – GA I/2, 261. 143  WL 1804-II – StA, 104 – GA II/8, 156. 144  WL 1804-II – StA, 103 – GA II/8, 156. 145  WL 1804-II – StA, 104 – GA II/8, 156. 146  GWL 1794/95 – GA I/2, 359 f. 147  WL 1804-II – StA, 41 – GA II/8, 64. 142 

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der Einbildungskraft ist nichts anderes als das „Uebergehen[] von Einem zum Andern“148, und dieses geht im Spätwerk vollständig im Durch auf 149, das im unbedingten Leben seinen Ermöglichungsgrund hat150 (vgl. § 2, III.). An dieser Stelle kann folgendes festgehalten werden: Der absolute Begriff der WL ab 1804 ist in seiner dialektischen Selbstentfaltung als Bilden die absolute Beziehung überhaupt und das synthetische Moment des Wissens; als Sich-zumBild-Machen ist es ein Sich-Setzen, Sich-ins-Verhältnis-Setzen und Sich-von-sichselbst-Unterscheiden, d.h. das Bild des Bildens ist das antithetisch-analytische Moment des Wissens. In der Selbstbezüglichkeit ist der absolute Begriff schließlich ein Verstehen als Durch, d.h. im Verstehen bezieht sich die Beziehung auf sich selbst und ist dadurch selbst die verstehende Relation zwischen Bilden und Bild des Bildens, genauer: es realisiert, was es zugleich einsieht. Neben den beiden ersten Momenten Bilden und Bild des Bildens – Durch und Als – ist das Sich als vollendetes Durch die evidente Einsicht in die Beziehung und Differenz zwischen beiden – es ist die Notwendigkeit des Und im Verhältnis von Bild und Abbild151. Es ist dieses Sich, das den Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung ab 1812 bildet. Bevor die Veränderungen ab 1812 besprochen werden, kann weiterhin festgehalten werden, daß es dieser Gedanke des Beziehens und Selbstbeziehens sowie des lebendigen Realisierens des Ur-Verhältnisses ist, der es erlaubt, Fichtes späte WL nicht nur als Beitrag zur Problemgeschichte des Bildes, sondern zugleich als eigenständigen Beitrag zur Problemgeschichte der Dialektik zu verstehen, da Fichte in der Tradition der großen Dialektiker – und in Anlehnung an die Grundbedeutung des Wortes – durch das Verhältnis denkt: So verschieden die jeweiligen 148 

WL 1804-II – StA, 105 – GA II/8, 160. Vgl. Peter Reisinger: Idealismus als Bildtheorie, 159. 150  Vgl. Wolfgang Janke: Vom Bilde des Absoluten, 324 – 334. An dieser Stelle sei auch darauf hingewiesen, daß die Deduktion von Kategorien, anders als beim frühen Fichte, nicht mehr eines der Hauptanliegen der WL ist, sondern Fichte kommt, wie in der WL 1804-II, eher beiläufig darauf zu sprechen. In der WL 1812 spricht Fichte zwar von der Deduktion von Kategorien (vgl. WL 1812 – GA II/13, 102 ff.), realisiert diese aber nicht explizit. In der Transscendentalen Logik II (1812) spricht Fichte von Urbegriffen im Sinne von Kategorien, die die Formale Logik für die Urteils- und Schlußlehre voraussetze. Fichte nennt hier Materie, Kraft, Pflanze, Tier und Mensch (vgl. Transscendentale Logik II (1812) – StA, 219 – 224 – GA II/14, 366 – 371). Fichte unternimmt zwar keine umfassende Ableitung derselben, aber es wird deutlich, daß für Fichte die Naturlehre in Wahrheit eine Kategorienlehre ist (vgl. Baumanns: J.G. Fichte. Kritische Gesamtdarstellung, 319 – 325). In der Transscendentalen Logik I (1812) heißt es sogar: Die Kategorien sind nichts Subjektives, sondern „die Vftgesetze, die Kategorien [sind], wenn man einmal will, in einem uner[me]ßlich höhern Sinne wirklich […], als die Phänomene: indem die letzteren nur wären die Erscheinung u. Sichtbarkeit der ersten als des wahren Kernes“ (GA II/14, 19). 151  Vgl. Wolfgang Janke: Fichte. Sein und Reflexion, 351; Karen Gloy: Einheit und Mannigfaltigkeit. Eine Strukturanalyse des „und“. Systematische Untersuchungen zum Einheits- und Mannigfaltigkeitsbegriff bei Platon, Fichte, Hegel sowie in der Moderne, Berlin/ New York 1981, 83 – 130. 149 

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Dialektikkonzeptionen in der Philosophiegeschichte insgesamt sind, so ist nahezu allen objektiv-realen und subjektiv-idealen Ansätzen von Platon bis Adorno unter systematischen Gesichtspunkten gemeinsam, die Beziehung von Gegensätzen zu begreifen und damit letztlich immer das Verhältnis von Einheit und Vielheit zu vermitteln152. Dies läßt sich an einem Denker illustrieren, mit dem sich Fichte auch nachweislich beschäftigt hat: Gottfried Wilhelm Leibnizens153 (1646 – 1716) begriffslogische Metaphysik der individuellen Substanz ist ein Versuch, das Verhältnis von Einheit und Vielheit dialektisch zu erklären. Individuelle Substanzen oder Monaden sind rein geistige, unteilbare, geschlossene und – da ihnen ein vollständiger Begriff zugrunde liegt – vollkommene Entitäten154, deren Einheit nicht von außen gesetzt, sondern durch den kontinuierlich-mentalen und „aktiven Vollzug“ realisiert wird155. Jede Monade ist ihrem Gehalt nach ein individueller Spiegel des ganzen Universums bzw. „wie eine ganze Welt“156, da aufgrund ihres vollständigen Begriffs alle Möglichkeiten angelegt sind, aber es ist von der Form abhängig, ob diese Möglichkeiten verwirklicht werden. Die Form wird durch das Prinzip bestimmt, von unvollkommeneren nach vollkommeneren Perzeptionen zu streben, was nach Leibniz aufgrund der Geschlossenheit der Monaden nur ein „innere[s] Prinzip“ sein kann157. Vollkommenheit bedeutet für ihn die größtmögliche Einheit bei größtmöglicher Mannigfaltigkeit158, d.h., eine jede Monade ist nicht nur als „lebendiger Spiegel des Universums“ ein Ausdruck der Totalität159, in deren lebendiger Einheit die Gegensätze von Gehalt und Form sowie von Möglichkeit und Wirklichkeit vereinigt sind, sondern sie ist ebenso ein einmaliges Moment in einem Gesamtsystem mehrerer, individueller Substanzen. So wie jede einzelne Monade die größtmögliche Mannigfaltigkeit in sich faßt, so ist sie im Hinblick auf das Gesamtsystem selbst nur ein Mannigfaltiges, d.h., sie ist sowohl Einheit als Totalität als auch Einzelheit als 152  Vgl. Wilhelm Risse/Armin Müller/Ludger Oeing-Hanhoff/Kurt Röttgers/u.a.: Art. „Dialektik“, in: HWPh 2 (1972) Sp. 164 – 226. 153  Vgl. GWL 1794/95 – GA I/2, 264. Die Metaphysische Abhandlungen wurde zwar erst 1846 veröffentlicht, aber die Monadologie oder die Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade sind seit 1720 bzw. 1718 zugänglich (vgl. Ulrich Johannes Schneider: „Einleitung“, in: Gottfried Wilhelm Leibniz: Monadologie und andere metaphysische Schriften, hg., übers., mit Einl., Anm. und Register versehen von Ulrich Johannes Schneider, Hamburg 2002, VII – XXXVIII). 154  Vgl. Leibniz: Discours de métaphysique – Metaphysische Abhandlungen (1686), § 8, in: ders.: Philosophische Schriften, hg. und übers. v. Hans Heinz Holz, Bd. I: Kleine Schriften zur Metaphysik, Frankfurt a. M. ²2000, 73 – 77; ders.: La monadologie – Monadologie (1714), §§ 1 – 8, in: Philosophische Schriften, 439 – 443. 155  Michael-Thomas Liske: Gottfried Wilhelm Leibniz, München 2000, 85. 156 Leibniz: Metaphysische Abhandlungen, § 9, in: Philosophische Schriften, 77. 157 Leibniz: Monadologie, § 11, in: Philosophische Schriften, 443. 158  Vgl. Liske: Gottfried Wilhelm Leibniz, 211. 159 Leibniz: Monadologie, § 56, in: Philosophische Schriften, 465.

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Moment des Ganzen und sie ist ihrem Wesen nach auch nur in der Synthesis dieses Gegensatzes zu verstehen. Fichtes dialektische Vermittlung von Einheit und Mannigfaltigkeit erfolgt ohne den Rückgriff auf einen Substanzbegriff, was nicht nur, aber vor allem im Verzicht auf einen vorkritischen Begriff von Vollkommenheit im Sinne Leibnizens begründet ist, da es nicht mehr darum geht, alle empirischen Gehalte in ihrem Ursprung zu erklären, sondern durch die Durchdringung der dialektischen Form des Denkens sollen die Bedingungen der Möglichkeit empirischer Inhalte erklärt werden. Es ist diese transzendentale Einsicht Kants, von der sich Fichte leiten läßt und ihn noch einmal als klar nachmetaphysischen Denker ausweist, und die im Spätwerk dahingehend ausreift, daß die Form des Denkens deshalb absolut ist, weil sie an sich selbst ihren Inhalt hat160.

III.  Die Weiterentwicklung des Bildens im Jahr 1812 In den bisherigen Ausführungen ging es vor allem darum, plausibel zu machen, daß das Bilden in der Phase von 1804/05 als absolute Beziehung zu verstehen ist. Im Jahr 1812 kommt es aber dahingehend zu einer Veränderung, daß nicht mehr die Beziehung überhaupt, sondern die Beziehung auf sich selbst im Mittelpunkt steht161, der Zentralbegriff ist nicht mehr das substantivierte Adverb Durch, sondern das substantivierte Reflexivpronomen Sich. Sprach Fichte 1804 noch von der „Erscheinung der Erscheinung“ und der „Erscheinung der Erscheinung von der Erscheinung“162, so spricht er in der WL 1812 von der „SichErscheinung der Erscheinung“ und der „sich Erscheinung der Erscheinung als sich erscheinend[e Erscheinung]“163; sprach Fichte 1804 noch vom „Bilden“, so spricht er 1812 vom „sich bilden“164. Zum Bildcharakter der Erscheinung heißt es in der WL 1812 entsprechend: „Die Erscheinung bildet sich, als sich bildend, als ein sich bildendes u. 160  Vgl. dazu auch: Hegel: Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Sein (1832), in: GW 21, 28. 161  Die „Beziehungsfunktion des Bildes“ und die Fokussierung der Selbstbezüglichkeit des Bildes im Jahr 1812 stellte bereits Julius Drechsler heraus (Julius Drechsler: Fichtes Lehre vom Bild, Stuttgart 1955, 289 – 292). Im Unterschied dazu wählt Johannes Brachtendorf dem Titel seiner Arbeit entsprechend Fichtes Lehre vom Sein in der WL 1812 als Leitfaden und arbeitet – wie schon Peter Baumanns (vgl. ders: J.G. Fichte. Kritische Gesamtdarstellung seiner Philosophie, Freiburg/München 1990, 347) – verschiedene Formen des Seins heraus (vgl. Johannes Brachtendorf: Fichtes Lehre vom Sein. Eine kritische Darstellung der Wissenschaftslehre 1794, 1798/99 und 1812, Paderborn/München/Wien 1995, 233 – 305). 162  WL 1804-II – StA, 65 f. – GA II/8, 99. 163  WL 1812 – GA II/13, 68, 71 und 76. Vgl. Rebecca Paimann: „Von der Selbstsetzung des Ich zur Sicherscheinung der Erscheinung. Die Entwicklung der Gestalt der Fünffachheit in Fichtes Wissenschaftslehre“, in: Ursula Baumann (Hg.): Fichte in Berlin. Spekulative Ansätze zu einer Philosophie der Praxis, Hannover 2005, 125 – 150. 164  WL 1804-II – StA, 252 – GA II/8, 374 und WL 1812 – GA II/13, 80; vgl. Transscendentale Logik II (1812) – StA, 83 – GA II/14, 255.

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erscheinendes Princip.“165 Indem Fichte an diesem Zitat Bilden und Erscheinen miteinander identifiziert, wird einerseits deutlich, daß Fichte im Jahr 1812 nicht von etwas vollkommen anderem spricht, andererseits tritt in dieser Aussage die stärkere Akzentuierung der Selbstbezüglichkeit deutlich hervor. Fichte sagt nicht explizit, daß es einen Bedarf an Weiterentwicklung gibt, er scheint aber nach 1804/05 zu der Einsicht gelangt zu sein, daß das Sich-Verstehen der Erscheinung noch einmal tiefer begründet werden muß. Im folgenden sollen zunächst die Hauptveränderungen diskutiert werden, danach die sich daraus ergebenden Konsequenzen für den absoluten Begriff und die Hauptspaltungen sowie der Begriff der intellektuellen Anschauung, durch die das Konzept des Sich-Verstehens erst richtig klar wird und sich das Ich als ein schließendendes Verstehen des Verstehens erweist166. (1) Doch wie stark ist die Veränderung zwischen 1804/05 und 1812 wirklich? Handelt es sich um eine Modifizierung, Erweiterung, Vertiefung oder lediglich um eine Akzentverschiebung? Diese Frage wird anhand der drei wichtigsten Veränderungen beantwortet: Geht man von der WL 1804-II aus, scheint es so, als ob das Sich und damit das Ich in der WL 1812 stärker im Fokus stehen; geht man dagegen von der WL 1804-I aus, so ist klar, daß das „bilden“ auch in dieser Version immer schon ein „sich bilden“ ist167. Aber, und dies ist ein wesentlicher Unterschied in 165 

WL 1812 – GA II/13, 80. Zur WL 1812 vgl. Julius Drechsler: Fichtes Lehre vom Bild, Stuttgart 1955, 173 – 420; Günther Schulte: Die Wissenschaftslehre des späten Fichte, Frankfurt a. M. 1971, 89 – 189; Michael Brüggen: Fichtes Wissenschaftslehre. Das System in den seit 1801/02 entstandenen Fassungen, Hamburg 1979, 116 – 136; Peter Baumanns: J.G. Fichte. Kritische Gesamtdarstellung seiner Philosophie, Freiburg/München 1990, 344 – 385; Johannes Brachtendorf: Fichtes Lehre vom Sein. Eine kritische Darstellung der Wissenschaftslehre 1794, 1798/99 und 1812, Paderborn/München/Wien 1995, 233 – 305; Johannes Brachtendorf: „Der erscheinende Gott – Zur Logik des Seins in Fichtes Wissenschaftslehre 1812“, in: Fichte-Studien 20 (2003) 239 – 253; Andreas Schmidt: Der Grund des Wissens. Fichtes Wissenschaftslehre in den Versionen 1794/95, 1804/II und 1812, Paderborn/München/Wien 2004, 115 – 164; Benedetta Bisol: „Die Ich-Lehre in der Wissenschaftslehre 1812“, in: Fichte-Studien 28 (2006) 177 – 186; Hans-Peter Falk: „Fichtes späte Wissenschaftslehre“, in: ebd., 129 – 143; Anton A. Ivanenko: „Der zweideutige Begriff des Seins im Vortrag der Wissenschaftslehre vom Jahre 1812“, in: ebd., 153 – 160; Rebecca Paimann: Die Logik und das Absolute. Fichtes Wissenschaftslehre zwischen Wort, Begriff und Unbegreiflichkeit, Würzburg 2006, 444 – 481; Urs Richli: „Die ursprüngliche Konstitution des Wissens in Fichtes später Wissenschaftslehre“, in: Fichte-Studien 28 (2006) 65 – 74; Michael Bastian Weiß: „Das Als und das Nicht-Als, oder: Szenario des Bildens. Zu Fichtes theoretischem Appell zum Praktischen in der Wissenschaftslehre 1812“, in: ebd., 161 – 176; Johannes Brachtendorf: „The Notion of Being in Fichte’s Late Philosophie“, in: After Jena. New Essays on Fichte’s Late Philosophy, hg. Daniel Breazeale/Tom Rockmore, Northwestern University Press 2008, 151 – 161; Wolfgang Janke: Die dreifache Vollendung des Deutschen Idealismus. Schelling, Hegel und Fichtes ungeschriebene Lehre, Amsterdam/New York 2009, 247 – 256. Wesentliche Einsichten zur WL 1812 verdanke ich dem Sammelband Johann Gottlieb Fichtes Wissenschaftslehre von 1812. Vermächtnis und Herausforderung des transzendentalen Idealismus, hg. v. Thomas Sören Hoffmann, Berlin 2016. 167  WL 1804-I – GA II/7, 173. 166 

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der Entfaltung des absoluten Begriffs, Fichte differenziert in den Jahren 1804/05 Bilden und Sich stärker voneinander, so heißt es in der WL 1804-I: „Das Bilden […] bildet […] als Bilden, dieses Sich“ und es ist „als blosses Produkt des Bildens mit dem Bilden zugleich mitbegriffen“168. Trotz der Gleichursprünglichkeit von Sich und Bilden läßt sich 1804/05 der Vorrang des Bildens gegenüber dem Sich ausmachen, den Fichte sogar in einem Konditionalgefüge artikuliert: „soll das Sich seyn, so muß das Bilden seyn“169. In der WL 1812 ist dagegen das Erscheinen immer schon ein Sich-Erscheinen und damit auch ein unmittelbares Verstehen der Erscheinung170. Es konnte bereits gezeigt werden, daß das Sich-Verstehen des Bildens in seiner Bildlichkeit auch 1804/05 von Anfang an und auf der ersten Reflexionsstufe der Abbild-Bild-Dialektik, wenngleich unthematisch, vorausgesetzt wird und vorausgesetzt werden muß, d.h. das Verstehen ist ein gleichursprüngliches Moment im Wissensvollzug. Im Jahr 1812 werden aber das Sich im Sinne der Selbstbezüglichkeit, das Sich-Verstehen und das Ich explizit miteinander identifiziert171. In der Transscendentalen Logik II heißt es: „Wer ist denn nun dieser Ich, der durch dieses Verstehen des Vorstellens erst zum Vorschein kommt; durch dieses sich aber auch unmittelbar einleuchtet, als das, dessen Zustand das Vorstellen ist? Offenbar das Verstehen selbst, das sich versteht, und nur sich versteht, und zwar als sich selbst, das Bild, verstehend.“172 168 

WL 1804-I – GA II/7, 174.

169 Ebd. 170  So heißt es bei Fichte: „[W]as ein Bild sey, wird unmittelbar klar, dadurch indem das Bild ist, das Bild charakterisirt sich selbst, seine Bildlichkeit. Begriff = Erscheinung“ (WL 1812 – GA II/13, 61). „[D]ie Erscheinung erscheint sich […] schlechtweg, u. unmittelbar, nicht […] vermöge des als aufgenommen in ein neues, u. drittes Bild“ (WL 1812 – GA II/13, 65). Die Idee der Unterscheidung zwischen einem unmittelbaren Verstehen der Bildlichkeit und einem durch ein drittes Bild vermittelten Verstehen – d.h. dem Verstehen des Verstehens – ist bei Jacinto Rivera de Rosales: „Die Welt als Bild“, in: Johann Gottlieb Fichtes Wissenschaftslehre von 1812. Vermächtnis und Herausforderung des transzendentalen Idealismus, hg. v. Thomas Sören Hoffmann, Berlin 2016, 97 – 108 zu finden. 171  Daß die „Beziehung eines Bildes auf sich selbst […] in der Form des Sichverstehens [erscheint]“ und daß das Sich-Verstehen das Ich ist, wird bereits von Julius Drechsler herausgearbeitet (ders.: Fichtes Lehre vom Bild, 291; vgl. 289 – 293). 172  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 154 – GA II/14, 313. Auch wenn Fichte in der WL 1804-II das Sich und das Verstehen nicht in der Weise expliziert, wie in der Zeit um 1812, so finden sich auch hier Formulierungen und Gedanken, die in diese Richtung weise: „Die Einsicht vermag sich einzusehen, der Begriff sich zu begreifen […]. Der Begriff […] begreift sich selber als begränzt, und sein vollendetes sich Begreifen ist eben das Begreifen seiner Gränze“ (WL 1804-II – StA, 82 – GA II/8, 124). D.h., das Sich-Verstehen bezieht sich immer schon auf das Bilden, es ist zugleich aber immer schon der Schlüssel zum Überschreiten dieser Form. Joachim Widmann stellt die These auf, daß Fichte erst 1813 zu der Einsicht kommt, „daß das absolute Verstehen der Erscheinung nur so gedacht werden kann, daß es sich immer schon absolut verstanden hat, d.h. gleichursprünglich mit seinem Dasein absoluter Verstand ist und dies nicht erst wird“ (Joachim Widmann: „Dialektik

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

Das neue Ich der WL ist daher nicht nur die Beziehung auf sich selbst, sondern es bezieht sich auf sich selbst, weil es sich in seiner Bildlichkeit versteht. In diesem Sinne ist die Veränderung ab 1812 zum einen eine vor allem in der Terminologie sichtbare Akzentverschiebung und zum anderen eine Vertiefung des Ansatzes der WL. Der Umstand, daß das Sich-Verstehen ins Zentrum der WL rückt, ist der wahre Grund dafür, daß Fichte in der WL 1812 und der Transscendentalen Logik II wieder mehr vom Ich spricht. Vor allem im Vergleich zur WL 1804-II scheint es so, als ob sich Fichte im Jahr 1812 wieder mehr an seinen ursprünglichen Ansatz von 1794/95 annähert; auch die häufigere Erwähnung Kants könnte hier als Indiz gewertet werden173. Tatsächlich handelt es sich aber um keine Annäherung an die more geometrico. Fichtes Prinzip der Systemgenesis“, in: Kant oder Hegel? Über Formen der Begründung in der Philosophie, hg. v. Dieter Henrich, Stuttgart 1983, 186 – 194). Es ist aber sehr fraglich, ob Fichte erst 1813 zu dieser Einsicht kam, da das absolute Sich-Verstehen konstitutiv für den gesamten Ansatz ab 1804 ist. Dies unterstreicht Monika Betzler: Ich-Bilder und Bilderwelt, 163 – 215, die in ihrer Analyse besonders auf das Verstehen, aber auch auf die Schlußform abhebt. Vgl. ebenso: Benedetta Bisol: „Die Ich-Lehre in der Wissenschaftslehre 1812“, in: Fichte-Studien 28 (2006) 177 – 186; Klaus Hammacher: „Die transzendentallogische Funktion des Ich“, in: Fichte-Studien 15 (1999) 31 – 70. 173  Vgl. Günter Zöller: „Leben und Wissen. Der Stand der Wissenschaftslehre beim letzten Fichte“, in: Der transzendentalphilosophische Zugang zur Wirklichkeit. Beiträge aus der aktuellen Fichte-Forschung, hg. v. Erich Fuchs, Marco Ivaldo und Giovanni Moretto, Stuttgart-Bad Cannstatt 2001, 307 – 330; ders.: „‚On revient toujours…‘. Die transzendentale Theorie des Wissens beim letzten Fichte“, in: Fichte-Studien 20 (2003) 253 – 266; ders.: „Fichte in Berlin in München“, in: Fichte-Studien 28 (2006) 1 – 15. Zöller wirbt insgesamt für ein „organische[s] Verständnis von Fichtes philosophischer Entwicklung, bei der die Ausbildung der Wissenschaftslehre Reifeprozessen unterliegt“, die „als sukzessive und variative Ausformung und Ausarbeitung gewisser Grundeinsichten verstanden werden“ können (Zöller: „‚On revient toujours…‘“, 259 f.), eine Sichtweise, die in dieser Arbeit ausdrücklich geteilt wird. Zöller interpretiert das Spätwerk allerdings so, daß sich Fichte – im Unterschied zu 1804/05 – in der Zeit von 1809 bis 1814 wieder „den Darstellungen der Wissenschaftslehre aus der Jenaer Zeit [1794 – 1799] unmittelbar annähert“ (Zöller: „‚On revient toujours…‘“, 263), was er vor allem an der stärkeren „methodischen Funktion des Ich“ und der Wiederaufnahme von „Themen […] der Jenaer Präsentation“ wie „Denken und Anschauung, […] Erkennen und Wollen, […] Natur und Freiheit“ festmacht (Zöller: „Leben und Wissen“, 328 und 309). Zöller stützt sich in seiner Interpretation vor allem auf Fichtes Diarien I bis III von 1813/14 (vgl. exemplarisch: Fichte: [Diarium III]. Neues Diarium v. 25. Oktober an. 1813, in: GA II/17, 1 – 205) und unterstreicht auch, daß Fichte „[k]larer und deutlicher als in den Jenaer Darstellungen und darin an die früheren Berliner Darstellungen [von 1804/05] anschließend […] die Verwiesenheit des Ich an einen unverfügbaren absoluten Grund“ betont (Zöller: „Leben und Wissen“, 328). Ein möglicher Grund für Zöllers Affinität zur Jenaer Periode, die ja insgesamt stärker vom ursprünglichen Transzendentalismus Kants geprägt ist, mag darin bestehen, daß Zöller Fichte insgesamt „von Kant her“ interpretiert (Zöller: Fichte lesen, Stuttgart-Bad Cannstatt 2013, IX). Dem gegenüber wird in der vorliegenden Arbeit die Ansicht vertreten, daß die methodische Funktion des Ich auch in der Periode von 1804/05 nicht verlorengegangen ist, wie den bereits angeführten Zitaten aus der WL 1804-I und WL 1804-III zu entnehmen ist, daß sich diese Funktion aber im

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GWL, sondern um eine Weiterentwicklung der Einsichten von 1804/05, genauer: um eine Vertiefung des Sich-Verstehens als drittes Moment der Bildlichkeit und damit um eine Vertiefung des Verständnisses von Subjektivität. Diese Vertiefung ist auch der Anlaß dafür, daß Fichte die Schlußförmigkeit174 des absoluten Wissens eigens zum Thema der WL macht. Bereits in der Periode von 1804/05 konnte eine gewisse Logikaffinität des Bildens ausgemacht werden, in der sich die Selbstunterscheidung des Bildens zugleich als Urform des Urteils darstellte. Das vollendete Durch als Sich-Verstehen bildet demgegenüber die Urform des Schlusses, in der die Prädikation und der daraus hervorgehende Schein der verobjektivierenden Prädikation wieder aufgehoben werden: Indem das Bild als zweites Moment des absoluten Begriffs wieder auf das Bilden, d.h. das Prädikat auf das Subjekt bezogen und indem das Verhältnis zwischen beiden eingesehen wird, wird die Absolutheit des Differenzmoments in der Selbstunterscheidung relativiert. Bilden und Bild des Bildens sind ursprünglich im Bilden selbst synthetisch vereint, indem aber nach der Selbstunterscheidung beide Momente durch die Selbstbezüglichkeit erneut auf­ ein­ander bezogen werden, kann von einer Synthesis der ursprünglichen Synthesis gesprochen werden. Es deutete sich bereits 1804/05 an, daß Fichte von einer Einheit von Begriff, Urteil und Schluß ausgeht. Sowie sich der Begriff zum Urteil entfaltet und sich darin aufgehoben weiß, haben beide ihr Ziel im Schluß, der beide und letztlich sich selbst vermittelt175. Jahr 1812 durch die Identifizierung von Ich, Selbstbezüglichkeit und Verstehen noch einmal verändert. Was die Restituierung bestimmter Themen der Jenaer Periode angeht, muß allerdings entgegengehalten werden, daß Fichte nach der Klärung des „Verhältnis[ses] zwischen dem Absoluten und dem absoluten Wissen“ (Zöller: „Leben und Wissen“, 309) in der WL 1804-I und -II bereits schon in der WL 1804-III Themen wie Wahrnehmung, Trieb, Natur, Gefühl und die „Freiheit des […] reinen Willen[s]“ systematisch aus der Theorie des Bildens entfaltet (WL 1804-III – GA II/7, 344 – 364, hier: 353 und 364). 174  Die Schlußförmigkeit des Bildens tritt erst ab 1812 richtig deutlich zutage: Hier identifiziert Fichte „vollendetes Durch“ und Schluß miteinander (WL 1812 – GA II/13, 146; Transscendentale Logik II (1812) – StA, 52 – GA II/14, 231) und er leitet erst hier einen Grundsyllogismus ab (vgl. Transscendentale Logik II (1812) – StA, 229 – 251 – GA II/14, 374 – 393). Bis 1805 einschließlich entwickelt Fichte lediglich eine spekulative Urteilslehre (vgl. WL 1804-II – StA, 239 – 247 und 275 – 284 – GA II/8, 358 – 369 und 410 – 421; Chri­ stoph Binkelmann: „‚Die absolute Relation ist das Licht‘. Urteil, Licht und Sein in Fichtes Erlanger Wissenschaftslehre“, in: Fichte-Studien 34 (2010) 67 – 87). Aber bereits in der WL 1804-II versucht Fichte, die Einsicht über das Verhältnis von Durch und Leben in der Form eines Syllogismus zu verdeutlichen: „[D]as Durch selber [würde aus dem Lichte] ableitbar […] durch den Syllogismus: [1. Prämisse:] soll es zu einer Aeusserung – äussern Existenz, des immanenten Lebens, als immanenten Leben je kommen, so ist dies nur an einem absolut existenten Durch möglich. [2. Prämisse:] Es muß aber zu einer solchen Aeusserung kommen sollen; denn das absolute Durch, d.h. der ursprüngliche Begriff, oder die Vernunft exitirt absolut […]. [D]ieses lebendige Durch (lebend freilich durch ein fremdes Leben, aber doch lebend) […] spaltet [sich …] in sich selber, und in den Urquell seines Lebens“ (WL 1804-II – StA, 102 f. – GA II/8, 154 f.; vgl. dazu: Wolfgang Janke: Vom Bilde des Absoluten, 337 – 345; Jaeschke/Arndt: Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant, 466). 175  Vgl. Rebecca Paimann: Die Logik und das Absolute, 414.

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In der WL 1812 entwickelt Fichte noch keine detaillierte Syllogismuslehre, sondern erst in der Transscendentalen Logik II, er kommt aber in den Vorträgen 40 bis 43 in programmatischer Hinsicht auf die Schlußförmigkeit des absoluten Begriffs zu sprechen176. Zum absoluten Begriff heißt es: „Der absolute Begriff ist der des Bildes überhaupt; der Sichtbarkeit: sie macht sich selbst sichtbar u. vollzieht so an sich die Ichform. […] Alles andere Sehen, oder Begreifen ist durch dieses alleinige unmittelbare vermittelt. Was da begriffen wird, wird dadurch begriffen, daß es als Bild begriffen wird.“177

Zur Ichform heißt es weiter: „[D]as Ich selbst“, und Fichte spricht hier vom „reinen Ich“ und nicht vom empirischen Selbstbewußtsein, „ist […] die absolute Sichtbarkeit“178, und das „Grundgesez der Sichtbarkeit überhaupt“ ist „dieses Durch“. Das „absolute[] Durch [… ist aber] die Form des Begriffes, u. Schlusses“179, d.h.: „Die Form der Sichtbarkeit besteht in der Schlußform.“180 Das Bilden ist somit nicht nur die reine „Beziehung“ überhaupt, sondern eine schlußförmige „Vermittlung“ oder ein „vermittelter Schluß“181. Das Ich als Sich-Verstehen ist daher die Grundlage und Voraussetzung für die Schlußlehre, d.h. in und durch die WL erfolgt die Begründung der Formalen Logik als Wissenschaft, deren inhaltliches Fundament das Bilden ist, was der Formalen Logik selbst aber verborgen bleibt182. Hieß es in der WL 1804-II noch, daß die „unendliche Teilbarkeit“, d.h. die Zerspaltung in „antecedens“ und „consequens“, „als unabtrennbare Form der Erscheinung der Realität“ entsteht, wenn das Leben in die „Form des absoluten Durch eintritt“183, so wird in der Nachschrift zur WL 1812 die Quantitabilität bzw. Vermannigfaltigung mit der Schlußform verbunden: „[D]as Licht ist in der Form der Sichtbarkeit, ist eingetreten in dieselbe […]. Es heißt in diesem höchsten Sinne: es tritt ein in die Vermittlung, in die Schlußform, in die Form des durch = Form des Ersehens. Das Licht macht sich zu einem lebendigen Uebergehen und Fortgehen vom Grund zur Folge: es wird ersehbar, es tritt in die Schlußform. Also das Licht tritt ein in ein Gesetz der Manichfaltigkeit, das des Grundes und der Folge (Terminus a quo und ad quem) und der Einheit dieser beyden; nicht ist es Grund oder Folge: es selbst wird Uebergang, Mittel- und Schwebepunkt zwischen beiden. Es tritt ein in ein Gesetz der Bestimmtheit […]. Das Wesentliche ist hier das Eintreten in die Schlußform“184. 176 

WL 1812 – GA II/13, 144 – 156. Vgl. auch: WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 400 – 417. WL 1812 – GA II/13, 146 f. 178  WL 1812 – GA II/13, 145. 179  WL 1812 – GA II/13, 146. 180  WL 1812 – GA II/13, 149. 181  WL 1812 – GA II/13, 146 und 66. 182  Die Unmöglichkeit der Selbstbegründung der Logik als Wissenschaft und ihre Bedingtheit durch ein System des Wissens, d.h. der WL, ist eines der Leitthemen bei Rebecca Paimann: Die Logik und das Absolute. Fichtes Wissenschaftslehre zwischen Wort, Begriff und Unbegreiflichkeit, Würzburg 2006. 183  WL 1804-II – StA, 104 – GA II/8, 156. 177 

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Fichte sagt in der WL 1812 aber nicht nur, daß das absolute Wissen schlußförmig ist und das Licht – und damit das Absolute – in die Form des Schlusses eintritt, sondern auch daß jedes konkrete, bestimmte und faktische Wissen ein schlußförmiges Wissen ist. In der WL 1812 heißt es entsprechend: 184

„Alles wirkliche Sehen [d.i. bestimmte Wissen] ist ein Ersehen, in der Form eines Schlusses. […] Das wirkliche Sehen entsteht, indem ein sich aus einem Mannigfaltigen machendes Bild subsumirt wird unter den absolut zu Grunde liegenden Begriff des Bildes überhaupt, auf dieses eben als ein Bild fortgeschlossen wird: in dieser Schlußform, als Bild, wird es […] gesehen“185.

Das absolute Wissen, als dessen Darstellung die WL sich versteht, ist seiner Struktur nach ein Schluß, aber auch jedes konkrete und bestimmte Wissen ist immer schon ein Schließen, da es durch die Form des absoluten Wissens bedingt ist. In diesem Sinne ist „[a]lles Sehen […] ein Schliessen“186. Neben der Identifizierung des Ich mit dem Sich-Verstehen und der damit einhergehenden Logifizierung erfolgt im Jahr 1812 eine Vertiefung des Ansatzes der WL durch ein verändertes Verständnis des Besinnungsvermögens, das Fichte als Reflexibilität bezeichnet. In der Wissenschaftslehre von 1812 behandelt Fichte nicht nur die einfache Reflexion und die in sich reflektierte Reflexion, sondern auch die „absolute Möglichkeit“ zur Reflexion. Er macht also das Vermögen der Reflexion noch einmal zum Gegenstand des Wissens. Die „Besinnbarkeit“ im Unterschied zur konkreten Besinnung ist die Voraussetzung der Möglichkeit des Sich-auf-sichselbst-Beziehens187. Die absolute Erscheinung, so Fichte, „ist Erscheinung Gottes. Was sie als solche ist, ist sie eben durch Gott selbst. […] Es ist das Reale in der Erscheinung“. Sie ist 184  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 405 f. An diesem Zitat wird auch deutlich, daß Fichte durch seine Konzeption der Quantitabilität nicht nur das Verhältnis von Subjekt und Objekt, Begriff und Anschauung sowie Denken und Sein löst, sondern daß in einem Schlag auch das Verhältnis von Einheit und Vielheit erklärt wird. „Das Wesen des Sehens […] ist unwandelbar“ (WL 1804-I – GA II/7, 164), aber es trägt in sich das Prinzip der Wandelbarkeit (vgl. WL 1812 – GA II/13, 102 und 139). 185  WL 1812 – GA II/13, 148 f. 186  WL 1812 – GA II/13, 153, Kursivierung von mir, P.T.; vgl. Willi Lautemann: „Wissenschaftslehre und genetisches Prinzip …“, XIX/24. 187  WL 1812 – GA II/13, 170 und 99. Vgl. Wolfgang Janke: Fichte. Sein und Reflexion, 414; Johannes Brachtendorf: Fichtes Lehre vom Sein, 244 – 247 und 273 – 281; Mário Jorge de Carvalho diskutiert in seinem Aufsatz „Reflexion und Reflexibilität“, in: Fichte-Studien 28 (2006) 187 – 204 den Begriff der Reflexibilität in seiner gesamten Bedeutung für die Phase von 1810 bis 1813. Marco Ivaldo versteht in seiner Abhandlung „Wesen und Grundstruktur der Erscheinung des Absoluten nach der Wissenschaftslehre von 1812“, in: Johann Gottlieb Fichtes Wissenschaftslehre von 1812. Vermächtnis und Herausforderung des transzendentalen Idealismus, hg. v. Thomas Sören Hoffmann, Berlin 2016, 55 – 67 die Reflexibilität im Sinne einer vor-moralischen, transzendentalen Freiheit (vgl. 66), die unter dem Gesetz steht und damit durch das Absolute bedingt ist, aber zugleich unbedingt ist und damit den Grundcharakter der absoluten Erscheinung als zufällig-faktisches und notwendiges zum Ausdruck bringt (vgl. 62).

188

Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

aber als Erscheinung nur die „Erscheinung, nicht Gott selbst“; was sie „dem Realen zu[setzt]“ ist die „Sicherscheinung, somit Reflexibilität“188. Das „Sicherscheinen ist Reflexibilität, Besinnbarkeit der Erscheinung“189. Die Reflexibilität „setzt, oder ist Freiheit der Erscheinung: reale Kraft und Vermögen der weitern Fortbestimmung des, durch ihr bloßes Sein aus Gott in ihr gesetzten Lebens“190. Mit anderen Worten: Die Reflexibilität als Vermögen der Selbstbezüglichkeit ist Ausdruck der Unbedingtheit der Form des Wissens. Wurde bisher stärker hervorgehoben, daß Fichte der Form der Subjektivität keine Ansichgültigkeit zuspricht, weil sie durch das absolute Leben – das Reale und Unbedingte im Wissen – bedingt ist, so erweist sich die Form durch die Möglichkeit der Selbstbeziehung als ein formal Unbedingtes (vgl. § 5, I.). So wie das lebendige Absolute ein Faktum ist, so ist umgekehrt die Form des Wissens ebenso ein Faktum und die Reflexibilität „der absolut faktische Grund [des Sehens]“191. Die Reflexibilität wird in der WL 1812 „als Freiheit, [und] absolute Selbstständigkeit […] der Erscheinung“ bestimmt192. Sie ist als Reflexionsvermögen Ausdruck der freien und unbedingten Spontaneität des Wissens, so daß das „Reflektiren des Reflektirens“ – was „nun eben die W.L.“ ist – die „Freiheit der Freiheit“ ist193. Zur Rolle des Ich, der WL als Sehen des Sehens oder Ichlehre und der Reflexibilität heißt es: „Dieses Ich ist schlechthin nur sichtbar; niemals selbst ein Sehen. Der reale Kern, an dem alles Sehen sich bricht. In ihm werden Gegensätze des Sehens vereint, also beide gesehen: es ist in seinem Sehen Sehen des Sehens. Es das Ich ist also die absolute Reflexibilität.“194

Das Ich der WL 1812 ist das reine – vermittelt durch die Differenz – Sich-aufsich-selbst-Beziehen, es ist das Sich-Verstehen der absoluten Form, das in seiner Schlußförmigkeit begriffen und hinsichtlich seiner absoluten Möglichkeit und Freiheit durchdrungen wird. Die Reflexibilität ist aber nicht absolut frei, sondern wird „durch […] ein Gesez [bestimmt]“195, genauer: „Die Reflexibilität ist aber nicht unbeschränkte, sondern beschränkte Freiheit: zuvörderst nicht des Seins, sondern der Erscheinung überhaupt, also zu erscheinen, zu bilden. Darum nicht qualitative, (ein Sein und Schaffen), sondern formale [Freiheit]. – Sodann insbesondere Freiheit zu reflektiren: ein Bild, das als Sache gesehen wurde, durch Freiheit sich sichtbar zu machen als Bild“196.

188 

WL 1812 – GA II/13, 100. WL 1812 – GA II/13, 99. 190  WL 1812 – GA II/13, 100. 191  WL 1812 – GA II/13, 106. 192  WL 1812 – GA II/13, 97. 193  WL 1812 – GA II/13, 98. 194  WL 1812 – GA II/13, 177. 195  WL 1812 – GA II/13, 107. 196  WL 1812 – GA II/13, 100, Kursivierung von mir, P.T. 189 

§ 4 Dialektik und Logizität der Bildlichkeit

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Die formal-beschränkte Freiheit ist in der Form des Wissens und die material-unbeschränkte oder absolute Freiheit ist im Absoluten begründet (vgl. § 5, III.). Die formale Freiheit zur Reflexion ist letztlich, wie Hegel sagt, der „Entschluß, den man auch für eine Willkühr ansehen kann, nemlich daß man das Denken als solches betrachten wolle“197. Denn, so wiederum Fichte, die „Nachkonstruktion des Wissens in seinem formalen Wesen [… ist] ein Akt der Freiheit, den wir hätten vollziehen können, oder auch nicht“198. Innerhalb der theoretischen Philosophie Fichtes wird Freiheit auf diesen einen Willensakt reduziert, den Blick umzuwenden und das unsichtbare Sehen sichtbar zu machen. „Falls nun das Ich dieser Freiheit sich wirklich bedient, so entsteht innerhalb des Wissens ein neues Wissen“ – das Wissen des Wissens199. Dieses uneinholbare und formal unbedingte Moment unterstreicht, daß die WL als Wissenswissenschaft zum einen ein „Produkt der Freiheit“ ist200, zum anderen daß die Reflexion nicht willkürlich, sondern gesetzmäßig vollzogen wird. Das „Gesez der Reflexibilität, als absolutes Grundgesez des Sehens“ lautet: „soll Sehen überhaupt seyn, so muß seyn Sehen des Sehens“201. An dem Gesetz der Reflexibilität sind zwei Aspekte hervorzuheben: Zum einen ist dieses Gesetz die bereits behandelte Gesetzmäßigkeit, daß sich das Bilden selbst als Bild setzt, daß sich das Erscheinen selbst als Erscheinung erscheint – „[a]lso ein unmittelbar[es] Gesez an das Konstruktionsvermögen sich also zu beschränken“202. Es ist, mit anderen Worten, das Gesetz des bildenden Durcheinanders, das sich qua Selbst-Unterscheidung in Bilden und Bild verdoppelt. Zum anderen steht der ursprüngliche Akt der Selbstunterscheidung des Wissensvollzugs als Bilden oder Erscheinen und der damit einhergehenden Selbstverobjektivierung als „Bild des Bildes“203 in der WL 1812 unter dem Primat der Selbstbezüglichkeit. Hieß es in der WL 1804-I noch, „soll das Sich seyn, so muß das Bilden seyn“204, so würde Fichte jetzt sagen: soll Bilden sein, muß das Sich sein. (2) Trotz der Akzentverschiebung hinsichtlich des Ich als Sich-Verstehen, der Schlußförmigkeit und der Besinnung auf die Möglichkeit der Reflexion ist es die gesetzmäßige Dialektik des Bildens, die auch in der WL 1812 im Zentrum steht und die unter der veränderten Perspektive noch einmal diskutiert werden soll205. Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Sein (1832), in: GW 21, 56. WL 1804-III – GA II/7, 359. 199 Ebd. 200  WL 1812 – GA II/13, 97. 201  WL 1812 – GA II/13, 167. 202  WL 1812 – GA II/13, 167. Zum Zusammentreffen von Gesetzmäßigkeit und Freiheit im Begriff der Reflexibilität vgl. Julius Drechsler: Fichtes Lehre vom Bild, 322 – 325. 203  WL 1812 – GA II/13, 167. 204  WL 1804-I – GA II/7, 174. 205  Vgl. zum absoluten Begriff in der WL 1812 und der Transscendentale Logik II: Julius Drechsler: Fichtes Lehre vom Bild, 281 – 366, besonders: 326 – 348; Marek J. Siemek: „Bild und Bildlichkeit als Hauptbegriffe der transzendentalen Epistemologie Fichtes“, 41 – 63. 197 Hegel: 198 

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

Hierbei sind vorab zwei Aspekte zu erwähnen: Fichte spricht in der WL 1812 weniger vom Bild, sondern vielmehr vom Schema206, allerdings werden in den Wissenschaftslehren von 1810 und 1812 „Bild u. Schema“207 ausdrücklich gleichgesetzt, d.h. Durch, „Schema u. Bild[,] Erscheinung“208 sind letztlich nur unterschiedliche Begriffe für ein und dasselbe – für das rein vollzugsmäßige und in actu zu verstehende Wesen des Wissens: das verbaliter aufzufassende Erscheinen, das sich im Akt des Sich-Zeigens und Sich-Äußerns zugleich selbst als Medium der Darstellung zur Erscheinung bringt. Der zweite bemerkenswerte Aspekt ist, daß Fichte sich beim Aufbau der WL 1812 – nach der historisch-systematischen Einleitung – an der logischen Selbstentfaltung des absoluten Begriffs – zumindest vom ersten Kapitel bis einschließlich des ersten Abschnittes des dritten Kapitels209 – orientiert. Die Komplexität und Schwierigkeit der Versionen der Phase von 1809 bis 1814, und hier vor allem der letzten vollständigen Version von 1812 besteht darin, daß die Überlegungen von 1804/05 eigentlich vorausgesetzt werden, genauer: das Wissen um die Autonomie der bildenden Erscheinung, die 1804/05 anhand der Bild-Abbild-Dialektik eigens erarbeitet wurde, wird implizit vorausgesetzt. Will man die Veränderung in der Darstellung der Grundstruktur der Erscheinung und damit des absoluten Begriffs anhand der Termini von 1804/05 erläutern, so ließe sich sagen, daß Fichte in der WL 1812 nicht mehr nacheinander Durch, Als und Sich, sondern Durch, Sich und Als behandelt, um so der stärkeren Akzentuierung der Selbstbezüglichkeit Rechnung zu tragen 210. 206  Eine weitere Möglichkeit, warum Fichte ab 1809 mehr vom Schema als vom Bild spricht, ist, daß Fichte stärker die ursprüngliche Synthesis von Anschauung und Begriff im Bilden hervorheben will. Kant spricht in der Kritik der reinen Vernunft (1781/87) von einem „transscendentalen Schema“ als einem „Product der Einbildungskraft“ (Kant: KrV, B 177 ff., in: AA III, 134 f.); es ist das dritte Moment, durch das Verstand und Sinnlichkeit, Begriff und Anschauung verbunden werden, genauer: durch das die Verstandesbegriffe auf das sinnlich Angeschaute angewendet werden können. Daß eine Schematismuslehre im Sinne Kants zu keinem Zeitpunkt Gegenstand der WL war, arbeitet Rainer Schäfer: Johann Gottlieb Fichtes ‚Grundlage‘ von 1794, 42 f. heraus. Im Unterschied zum späten Fichte ist laut Kant aber „das Schema doch vom Bilde zu unterscheiden“ (Kant: KrV, B 179, in: AA III, 135). An dieser Stelle sei auch darauf hingewiesen, daß Fichte im Unterschied zu den Wissenschaftslehren von 1810 und 1812 in der Version von 1811 auch noch von Schema IV und Schema V spricht: „Die Reflexibilität war Schema IV. Die Anschauung [derselben] ist offenbar wieder ihr Schema, also Schema V“ (Fichte: Wissenschaftslehre 1811, in: GA II/12, 285). 207  WL 1812 – GA II/13, 58. Vgl. dazu auch: Fichte: Die Wissenschaftslehre, in ihrem allgemeinen Umrisse dargestellt (1810), in: GA I/10, 336. Die Gleichsetzung von Bild und Schema wird auch von Julius Drechsler: Fichtes Lehre vom Bild, 282 bestätigt. Vgl. ebenso Jaeschke/Arndt: Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant, 471. 208  WL 1812 – GA II/13, 57. An andere Stelle heißt es auch: „Begriff = Erscheinung“ (WL 1812 – GA II/13, 61). 209  Vgl. WL 1812 – GA II/13, 69 – 99. Eine sinnvolle Gliederung zur WL 1812 insgesamt anhand des Erscheinungsbegriffs findet sich bei Günther Schulte: Die Wissenschaftslehre des späten Fichte, 144.

§ 4 Dialektik und Logizität der Bildlichkeit

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Das erste Moment des absoluten Begriffs der WL 1812 ist das Schema I, das Fichte auch als „UrBild“ oder „Urschema“ bezeichnet211. Es entspricht dem ersten Moment des absoluten Begriffs der WL 1804-II und ist das reine Bilden, Erscheinen oder Sich-Äußern. In der WL 1812 heißt es: „Das Bild[,] das absolute, das Urschema, Schema I bildet sich. […] Dies ist das reine sich bilden, oder, […] das reine Bildsein von sich“212. In der Bestimmung dieses ersten Moments wird zugleich die Differenz zu 1804/05 sichtbar: Das Bilden ist nicht einfach nur ein Erzeugen, sondern zugleich ein Sich-Erzeugen, d.h., das Erscheinen der Erscheinung ist im ersten Akt seiner Manifestation zugleich Sich-Manifestation – Sich-Zeigen in seiner Bildlichkeit. Dieses erste Moment ist nichts anderes als das absolute Faktum bzw. das faktische Daß des Erscheinens: „Die Erscheinung ist, schlechtweg[,] u. insofern erscheint in ihr das [A]bsolute, wie es in ihm selber ist“, d.h., das Absolute „ist der Grund der Realität der Erscheinung […, unabhängig von aller Form]“, so daß das Erscheinen oder das Urschema ein „abbildendes [und] schematisirendes Leben“ ist213. Die Erscheinung ist aber nicht nur ein vollzugsmäßiges Erscheinen, sondern sie erscheint sich selbst, d.h. „das Bild charakterisirt sich selbst, seine Bildlichkeit“214. Der eigentliche Gegenstand der WL ist aber nicht das Faktum des Erscheinens überhaupt, das seinem Gehalt nach durch das Absolute bedingt ist, sondern die WL abstrahiert von der absoluten Realität. Ihr Gegenstand ist „diese in sich zurükgehende Form der Erscheinung“215; die Erscheinung ist also zugleich Erscheinung des Absoluten und ein Sich-Erscheinen. 210

Das zweite Moment des absoluten Begriffs, das Schema II, ist daher gleichursprünglich mit dem Urschema gesetzt: Es ist das „Bild des [Sich-]Bildens“, die „SichErscheinung“ der Erscheinung oder – was gleichbedeutend ist – der „Begriff seiner selbst“, d.h. die unmittelbare Selbstbezüglichkeit oder das reine Sich216. 210  Obwohl Brachtendorf den Schwerpunkt auf Fichtes Seinslehre legt, hält auch er fest, daß der „Selbstbezug der Erscheinung […] das Fundament der WL 1812 [bildet]“ (ders.: Fichtes Lehre vom Sein, 259 ff.). 211  WL 1812 – GA II/13, 58 und 62. 212  WL 1812 – GA II/13, 62 und 80. 213  WL 1812 – GA II/13, 61, 63 und 62. 214  WL 1812 – GA II/13, 61. 215  WL 1812 – GA II/13, 63. Drechsler vertritt die These, daß es in den Texten von 1813 noch einmal zu einer weiteren Vertiefung der Bildlehre kommt, die im folgenden nicht weiter vertieft, sondern an dieser Stelle nur erwähnt werden soll: Drechsler spricht von einer Lehre des „absoluten Bildes“, die sich auf Schema I oder die Urerscheinung bezieht, wo zwischen „Bild x“ und „Bild y“ unterschieden werde, mit dem Ziel – und dies sei das dritte Moment von Schema I – sich als „Bild Gottes“ zu verstehen (Julius Drechsler: Fichtes Lehre vom Bild, 349 – 366). 216  WL 1812 – GA II/13, 68 und Transscendentale Logik II (1812) – StA, 126 – GA II/14, 290, Kursivierung von mir, P.T. Auch wenn Fichte in der WL 1812 sagt, daß das „Schema 2 [… das] Produkt des sichbildenden Lebens des Urbildes“ sei (WL 1812 – GA II/13, 71, Kursivierung von mir, P.T.) wird in dem Zitat die Gleichursprünglichkeit von Bilden und Sich deutlich. Vgl. auch Günther Schulte: Die Wissenschaftslehre des späten Fichte, 113 ff.

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

„Die Erscheinung muß […] sich erscheinen, daß sie im Begriffe des [A]bsoluten den Gegensatz bilden könne“, d.h. der wechselseitige Zusammenhang zwischen Selbstbezüglichkeit und Negativität, wie er 1804/05 herausgearbeitet wurde, zeigt sich auch hier, nur unter dem Primat der Selbstbeziehung. „Es muß dieser Gegensatz der Erscheinung […] sich erscheinen“, damit das Absolute vom absoluten Wissen unterschieden werden kann, genauer: durch das Sich-Erscheinen unterscheidet es sich selbst vom Absoluten 217. Und noch ein weiterer entscheidender Unterschied zur WL 1804-II läßt sich ausmachen: In der Formel des XXV. Vortrag hob Fichte noch das Nacheinander der Momente des absoluten Wissens hervor. So hieß es: „Dies ist ein Bilden, setzend sich als Bild […]“ usw.218. In der WL 1812 macht Fichte demgegenüber deutlich, daß das Erscheinen immer schon ein Sich-Erscheinen ist: „Die Erscheinung erscheint sich in einem eigenthümlichen wirkl. u. wahrhaften Leben, u. zwar in einem erscheinenden, bildenden, schematisierenden. Das Resultat dieses Lebens ist drum ein neues Bild des ersten […:] ein Bild des Bildes, Schema 2“219. In diesem Sinne ist das Sich im Jahr 1812 kein Produkt des Bildens mehr, sondern es ist als Bild des Bildens ein unmittelbares Sich-auf-sich-selbst-Beziehen. Das Bilden ist 1812 immer schon ein Sich-Bilden und das Erscheinen ein Sich-Erscheinen, d.h. Schema I und Schema II sind unmittelbar in einem Akt220. (3) Auf der Basis dieser beiden Momente kommt Fichte auf die ursprüngliche Spaltung des Wissens zu sprechen 221. Im Unterschied zu 1804/05 ist es aber nicht mehr die Spaltung von Übersinnlichem und Sinnlichem sowie Denken und Sein, sondern von Subjekt und Objekt auf der einen Seite und Begriff und Anschauung auf der anderen Seite. Es ist die Subjekt-Objekt-Spaltung des Bewußtseins und damit die Bedingung der Möglichkeit des faktischen Wissens222. Indem die Erscheinung sich erscheint, verwandelt sich das Erscheinen, d.h. Schema I, in ein Objekt: „Die Beziehung des Subjekts auf das Objekt macht […] ein Erscheinen

217 

WL 1812 – GA II/13, 73. WL 1804-II – StA, 252 – GA II/8, 374 f. 219  WL 1812 – GA II/13, 69. 220  Schema I und Schema II sind auch die Bedingungen für Fichtes veränderte Apperzeptionslehre. Ganz grundsätzlich hält er fest: „Das Ich sezt sich selbst, ist nicht wahr: wahr [ist]: es ist Bild eines sich setzens“ (Transscendentale Logik II (1812) – StA, 103 – GA II/14, 272), denn was sich selbst setzt, ist das Bilden als Sich-zum-Bild-Machen. „Zur Apperception“, so Fichte, gehört „zweierlei“: Das Erscheinen ist die materiale Bedingung für die Apperzeption; Fichte spricht von „ein[em] Seyn, das nur im Bilde seiner selbst“ ist. Die zweite oder formale Bedingung ist das Sich-Erscheinen oder wie es in der Transscendentale Logik II heißt: „dieses Seyn [hat] ein Bild dieses Verhältnisses seines selbst“ (Transscendentale Logik II (1812) – StA, 74 – GA II/14, 249). Das „Bild dieses Verhältnisses der Erscheinung zu sich selbst [… ist das] eigentliche[] Ich, [es ist] ein formales Bild der Erscheinung“ (Transscendentale Logik II (1812) – StA, 77 – GA II/14, 251). 221  Vgl. WL 1812 – GA II/13, 71 – 74. 222  Vgl. WL 1812 – GA II/13, 65. 218 

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[…] zur Erscheinung“223. An dieser Stelle wird plausibel, warum Fichte zwischen Erscheinen und Erscheinung differenziert: die Erscheinung ist bereits das verobjektivierte Erscheinen. Sie ist zu einem faktischen Bild geworden und nicht mehr das genetische Vollziehen. Entscheidend ist, daß durch die unmittelbare Selbstbeziehung das vollzugsmäßige Erscheinen zu einem gesehenen Objekt und das Sich zu einem sehenden Subjekt verwandelt werden: „[D]as gesezte [ist] offenbar die Erscheinung als Objekt[] und [… als] Subjekt […], d.i. das sich, die in sich zurükgehende Form der Erscheinung“. Und Fichte weiter: „Das Seyn, die Existenz in der Erscheinung ist durchaus nur das Verhältniß des Subjekts zum Objekt“224. Fichte sagt damit nicht nur – was schon mehrfach betont wurde –, daß das Erscheinen oder Bilden, kurz: das vollzugsmäßige Wesen des Wissens nie unmittelbar, sondern immer vermittels der Differenz thematisiert werden kann, sondern auch, daß die Subjekt-Objekt-Spaltung ihren Ursprung in der Selbstbezüglichkeit der Erscheinung hat. Die Unterscheidung in Subjekt und Objekt ist für Fichte zugleich auch die Unterscheidung in Anschauung und Begriff. Durch die Sich-Erscheinung der Erscheinung oder Schema II spaltet sich die Erscheinung in Gehalt und Form. Der Gehalt „ist das innere Wesen der Erscheinung […], der qualitative Inhalt“, deren „formales Daseyn aber überhaupt durchaus verborgen bleibt“225, was für Fichte das Wesen der Anschauung ist. Indem das Erscheinen durch das Sich-Erscheinen zur Erscheinung wird, ist es das Objekt der Anschauung. Im Unterschied dazu ist der Begriff „das blosse formale Daseyn, ohne allen Inhalt“226. Die Anschauung bezieht sich daher auf Schema I, das Erscheinen als verwandelter, realer Gehalt, und der Begriff bezieht sich auf Schema II, d.i. die Form der Erscheinung. Und so heißt es bei Fichte: Der „Begriff = SichErscheinung des blossen reinen Seyns […]. Drum das Denken, Begriff, formales Seyn, welches alles hier Eins ist, ist nichts andres, denn die reine SichForm der Erscheinung = die Erscheinung, rein in dieser Form, ohne allen Zusatz“227. Fichte meint hier nichts anderes, als in der WL 1804-II, wo sich das Durch in das, wodurch es lebt, als Sein und zugleich in sich selbst als Denken spaltet. Im Unterschied zu dieser Fassung wird in der WL 1812 der Grund für die In-sich-Spaltung deutlicher herausgearbeitet: Das Bilden spaltet sich in sich selbst, weil es sich auf sich selbst bezieht. Zu Begriff und Anschauung heißt es zusammenfassend:

223  WL 1812 – GA II/13, 71 f. (Zur Unterscheidung von Erscheinen und Erscheinung vgl. Christoph Binkelmann: „Zurück zu Kant? Fichtes späte transzendentale Phänomenologie“, in: Johann Gottlieb Fichtes Wissenschaftslehre von 1812. Vermächtnis und Herausforderung des transzendentalen Idealismus, hg. v. Thomas Sören Hoffmann, Berlin 2016, 41 – 53, hier: 46). 224  WL 1812 – GA II/13, 74. 225  WL 1812 – GA II/13, 73 f. 226  WL 1812 – GA II/13, 74. 227 Ebd.

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

„Das Eine Bild der Begriff, das andere die Anschauung. Beides schlechthin synthetisch vereinigt, hier in der höchsten Potenz, wo der Grundbegriff, und die GrundAnschauung heraustritt, von denen alle andern Begriffe, und Anschauungen doch nur weitere Bestimmungen seyn können. Also – kein Begriff, ohne Anschauung, u. v[ice] v[ersa]. Die SichErscheinung ist durchaus die synthetische Vereinigung beider.“228

Grundbegriff und Grundanschauung, die die Voraussetzung für jeden bestimmten Begriff und jede bestimmte Anschauung sind, werden allerdings noch einmal synthetisch vereint und zwar durch das Als. So wie die Erscheinung erscheint – Schema I – und die Erscheinung sich erscheint – Schema II – so „erscheint sich [die Erscheinung], als sich erscheinend“229, was die Formel für das Schema III ist. „Dieses Als ist der eigentliche synthetische Vereinigungspunkt, das wahrhaft neue Glied des Ganzen.“ Und Fichte weiter: „[D]ieses als [ist] der eigentliche Mittelpunkt der Erscheinung [… und] der Sitz der Sehe“230. Im synthetischen Als der WL 1812 werden Anschauung und Begriff synthetisch vereint231, was zugleich auch das Verstehen der Erscheinung und damit die Bedingung der Möglichkeit der WL ist. Das Als hat in der WL 1812 keine trennende Funktion mehr, wie noch 1804/05, sondern es ist das synthetische Moment. Zur Erläuterung heißt es weiter: „Die Anschauung [ist] ein unbestimmtes u. unverständliches Bild, in dem das, was darin sich bildet schlechthin verborgen ist. Jezt tritt es hinzu durch den Begriff. Der Begriff, ein durchaus leeres Seyn, von Nichts; jezt wird sein Was durch die Anschauung gegeben. Beides muß vereinigt seyn; denn nur auf diese Weise erscheint die Erscheinung sich.“232

Fichte hält sich damit an das Kantische Diktum, daß „Gedanken ohne Inhalt […] leer“ und „Anschauungen ohne Begriff […] blind“ sind233, mit dem wichtigen Unterschied, daß sich bei Fichte Begriff und Anschauung nicht durch ein sinnliches Moment aufeinander beziehen, sondern an sich selbst ihren Inhalt haben: das Was oder der Gehalt ist das Erscheinen selbst, das „durch die Anschauung gegeben“ ist, was sich aber selbst nicht bestimmen kann; ein Bestimmtes wird es erst durch den Begriff als bloße Form, ohne Inhalt234. Grundbegriff und Grundanschauung sind nicht durch die Sinnlichkeit bedingt, was einmal mehr die Autonomie des Fichte228 

WL 1812 – GA II/13, 77. WL 1812 – GA II/13, 75. 230  WL 1812 – GA II/13, 77 f. In diesem Zusammenhang sagt Fichte auch, daß die synthetische Vereinigung von „Begriff, u. Anschauung“ zugleich diejenige von „logische[m] Subjekt, u. Prädikat“ sei (WL 1812 – GA II/13, 78), und somit an die Überlegungen zur spekulativen Urteilslehre anschließt, worauf bereits Christoph Binkelmann hinweist (vgl. ders.: „Zurück zu Kant? Fichtes späte transzendentale Phänomenologie“, 41 – 53, hier: 51). 231  Zum ‚Als‘ als „Synthesis der Synthesis“ und zur Vereinigung von Anschauung und Begriff im ‚Verstehen‘ vgl. Monika Betzler: Ich-Bilder und Bilderwelt, München 1994, 178 und 212. 232  WL 1812 – GA II/13, 75. 233  Kant: KrV, B 75, in: AA III, 75. 234  WL 1812 – GA II/13, 74. 229 

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schen Erscheinungsbegriffs unterstreicht; sie bedingen sich gegenseitig, indem sich beide Momente als Gehalt ohne Form und Form ohne Gehalt aufeinander beziehen. Die Ausführungen zu Schema III reichen aber noch tiefer in das Wesen der Erscheinung: Durch Schema III wird nämlich Schema II überhaupt erst begründet, d.h. die Erscheinung kann sich nicht erscheinen, ohne sich als sicherscheinende Erscheinung zu erscheinen, oder mit anderen Worten: ohne sich als Erscheinung zu verstehen. So wie das Schema II ein unmittelbares Sich-auf-sich-selbst-Beziehen der Erscheinung ist, so ist Schema III das durch das Als vermittelte Sich-Verstehen der Erscheinung. Die Erscheinung kann sich nur auf sich beziehen, weil sie sich als bildende Erscheinung versteht. Noch einmal genauer: In Schema III werden Schema I und Schema II synthetisch aufeinander bezogen: „Die schon früher gefundene Duplizität [in Erscheinen im Sinne des Objekts und Sich-Erscheinung im Sinne des Subjekts] hat in ihr selbst eine neue[,] in der Form des Denkens, u. der des Anschauens[,] gewonnen, und diese Quadruplizität [von Erscheinen als Objekt, Sich-Erscheinung als Subjekt, Anschauung und Begreifen] ist vereinigt durch das neue u. 5te Glied eines Als.“235 Das Als ist das verstehende, dritte Bild, in dem Erscheinen und Sich-Erscheinen verbunden werden. Hatte das Als in der Phase von 1804/05 in erster Linie eine trennende Funktion, die dem Verstand zugeordnet werden konnte, so kommt diesem 1812 eine synthetische Funktion zu, die in der WL 1805 auch in Ansätzen schon angedeutet wurde (vgl. § 4, II.). Indem Fichte nicht mehr Durch, Als und Sich, sondern Durch, Sich und Als nacheinander herausarbeitet, verändert sich zum einen die Bedeutung dieser Termini, zum anderen vertieft Fichte dadurch sein Konzept des Verstehens. Das Sich oder Schema II der WL 1812 kann als unmittelbares Verstehen bezeichnet werden und das synthetische Als oder Schema III als Verstehen des Verstehens236. Hinzu kommt, daß der Standpunkt des faktischen Wissens und damit des Bewußtseins erst durch das Schema III, dem Verstehen des Verstehens, begründet und eingesehen wird. Schema III kann daher auch als genetisches Wissen bezeich235  WL 1812 – GA II/13, 75, Einfügung von mir, P.T. Zur Funktion das Als in der WL 1812 als Synthesis von Objekt und Subjekt auf der einen Seite und von Grundanschauung und Grundbegriff auf der anderen vgl. Christoph Binkelmann: „Zurück zu Kant? Fichtes späte transzendentale Phänomenologie“, in: Johann Gottlieb Fichtes Wissenschaftslehre von 1812. Vermächtnis und Herausforderung des transzendentalen Idealismus, hg. v. Thomas Sören Hoffmann, Berlin 2016, 41 – 53, hier: 52 f.; Mário Jorge de Carvalho: „Die Sicherscheinung der Erscheinung der Erscheinung“, in: ebd., 69 – 96, hier: 91 – 94 sowie Jacinto Rivera de Rosales: „Die Welt als Bild“, in: ebd., 97 – 108, hier: 106 f. Binkelmann arbeitet zudem heraus, daß das Wesen der absoluten Erscheinung im synthetischen Als ausgedrückt wird und der Primat der Relation gegenüber den Relationsgliedern, der die ganzen späten Wissenschaftslehren durchzieht, mit dem synthetischen Als zusammenfällt (vgl. 53). 236  Daß das Ziel der WL 1812 das Verstehen des Verstehens ist, unterstreicht auch Urs Richli: „‚Eine durchaus neue, vorher nie erhörte oder vollzogne Anmuthung‘ – ‚Fichtes ursprüngliche Einsicht‘ im Lichte der Wissenschaftslehre von 1812“, in: Johann Gottlieb Fichtes Wissenschaftslehre von 1812. Vermächtnis und Herausforderung des transzendentalen Idealismus, hg. v. Thomas Sören Hoffmann, Berlin 2016, 121 – 144, hier: 133 und 139.

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net werden, weil das Wie der In-sich-Spaltung der Erscheinung eingesehen werden kann, d.h., Schema III ist als genetisches Wissen mit dem Standpunkt der Wissenschaftslehre identisch; erst die WL ist das Verstehen des Verstehens. (4) Um das Ganze noch einmal mit anderen Worten auf den Punkt zu bringen: Schema III als Verstehen des Verstehens entspricht im Kern demjenigen, was Fichte 1804/05 als „intellektuelle Anschauung“ bezeichnet und sich im Jahr 1812 bei tieferer Durchdringung als Einheit von faktischer und intellektueller Anschauung darstellt237. Doch wie ist dies genau zu verstehen? Der Begriff der intellektuellen Anschauung wird in der WL 1812 nicht verwendet, dafür aber in der WL 1804-I, WL 1804-III und der Transscendentalen Logik II von 1812. An dieser Stelle soll der Begriff der intellektuellen Anschauung noch einmal in seiner ganzen Spannbreite diskutiert werden: Fichte bezeichnet mit dem Begriff der intellektuellen Anschauung zunächst die ganz grundsätzliche Einsicht in die Unterscheidung von Absolutem und absolutem Wissen. Es ist weiterhin die Synthesis von Anschauung und Begriff und schließlich will Fichte darauf hinaus, daß das intellektuelle Anschauen ein Verstehen ist und das Ich als Verstehen des Verstehens ein Schließen ist238. In der Transscendentalen Logik II zeigt sich, daß sich das Schema III und die entsprechende Formel der sicherscheinenden Erscheinung als erscheinende Erscheinung in die faktische Anschauung, die intellektuelle Anschauung und das synthetisierende Verstehen oder den Schluß zergliedern läßt. Die intellektuelle Anschauung erweist sich in der Transscendentalen Logik II als ein durch den Schluß vermitteltes Moment des Wissens. Zunächst zum ersten Punkt: Die intellektuelle Anschauung ist in den Worten der WL 1804-III die „Anschauung seines eigenen Nichts, und Einkehren des absoluten, als absoluten in sich selber“239. Es ist also der „Unterschied zwischen Seyn u. B[ild]“, der Unterschied zwischen Absolutem und Erscheinung, den Fichte auch als „Denkform“ bezeichnet: „Das Bewußtseyn derselben [ist] eine absolut verstehende, intellektuelle Anschauung, Evidenz, Klarheit, u. der Grund alles andern verstehens“240. Die „absolut erkennende[] (intellektuelle) Anschauung“ ist das „absolute[] Bewußtseyn eines Seyns überhaupt […] mit dem Unterschiede vom Bilde“241.

237 

WL 1804-I – GA II/7, 131 und WL 1804-III – GA II/7, 368. Julius Drechsler macht auf die „Umformung“ und „neuen Funktionen“ der intellektuellen Anschauung im Jahr 1812 aufmerksam, die er v.a. in der „Sicherscheinung der Erscheinung“ und dem „Sichverstehen des Ich“ ausmacht (Julius Drechsler: Fichtes Lehre vom Bild, 304); auch Johannes Brachtendorf macht auf den Zusammenhang von intellektueller Anschauung und Sich-Verstehen aufmerksam (vgl. ders: Fichtes Lehre vom Sein, 280). Allerdings verbinden beide diese richtigen Überlegungen nicht mit der spekulativen Schlußlehre. 239  WL 1804-III – GA II/7, 367. 240  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 31 – GA II/14, 214. 241  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 30 – GA II/14, 213. 238  Bereits

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Die intellektuelle Anschauung ist weiterhin auch der „nothwendige[] Zusammenhange dieses absoluten Intelligirens [d.i. Begreifens] u. absoluten Anschauens in uns selber“242, den Fichte in der WL 1804-I als den „eigentlichen innern Standpunkte der W.L.“ beschreibt243. In gleicher Hinsicht ist die bereits diskutierte Synthesis von Begriff und Anschauung durch Schema III der eigentliche Standpunkt der WL: „Nun sind doch ohne Zweifel wir nichts andres, als die sich Erscheinung der Erscheinung der Erscheinung. […] Die bestimmte Formel für die W.L. ist drum: […] in ihr erscheint sich die Erscheinung, als sich erscheinend: dagegen die Formel für das faktische Wissen diese ist: die Erscheinung erscheint sich eben schlechtweg, u. unmittelbar, nicht wie dort, vermöge des als aufgenommen in ein neues, u. drittes Bild.“244

Die Erscheinung erscheint sich, weil sie sich als sich erscheinende Erscheinung versteht: „[D]ie Erscheinung ist schlechthin für sich selbst, sie versteht sich, schaut sich intellectualiter an […]. Die absolute intellectuelle Anschauung“, so Fichte weiter, „kann nur sein ein Verstehen ihrer selbst“245. Daher ist die intellektuelle Anschauung das Verstehen des faktischen Wissens, das durch die Subjekt-Objekt-Spaltung bestimmt ist; im Unterschied zum faktischen Wissen begreift die WL aufgrund des Vermögens der intellektuellen Anschauung diese Spaltung als in Schema I und Schema II begründet, d.h., Schema III ist das Verstehen des Verhältnisses von Erscheinen und Sich-Erscheinung des Erscheinens. Darüber hinaus ist die in diesem Sinne als Verstehen zu begreifende intellektuelle Anschauung nur ein Moment von Schema III und „die Ichform, die offenbar ein Begriff und Verstehen ist“, ist als „Verstehen des Verstehens“246 ein Schließen und geht aus dem Schluß hervor. Es wurde bereits erwähnt, daß mit der stärkeren Akzentuierung des Sich und des Verstehens die Schlußförmigkeit des Wissens in der WL 1812 in programmatischer Hinsicht thematisiert wurde, die Fichte im XX., XXI. und XXV. Vortrag der Transscendentalen Logik II nunmehr entfaltet. Fichte will dabei auf folgendes Erkenntnisziel hinaus: Schema III geht nicht vollkommen im Begriff der intellektuellen Anschauung und dem unmittelbaren Verstehen auf, sondern Schema III ist das „Verstehen des Verstehens“, d.h. es ist die Synthesis von faktischer und intellektueller Anschauung. 242 

WL 1804-I – GA II/7, 131, Einfügung von mir, P.T. WL 1804-I – GA II/7, 131. 244  WL 1812 – GA II/13, 73 und 65, Kursivierung von mir, P.T. Die Formel für das faktische Wissen könnte die Vermutung nahelegen, daß Schema II und faktisches Wissens identisch sind (vgl. Hiroshi Kimura: „Das faktische Wissen und der minor im Syllogismus – Fichtes Einsicht in der ‚transscendentalen Logik‘“, in: Fichte-Studien 36 (2012) 79 – 89; ders.: „Die Wissenschaftslehre von 1812 und das Sehen“, in: Johann Gottlieb Fichtes Wissenschaftslehre von 1812. Vermächtnis und Herausforderung des transzendentalen Idealismus, hg. v. Thomas Sören Hoffmann, Berlin 2016, 109 – 120). Es ist von Fichte aber so gemeint, daß Schema I und Schema II die Voraussetzung für das faktische Wissen sind. 245  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 152 – GA II/14, 312. 246  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 154 ff. – GA II/14, 313 f. 243 

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Die Formel von Schema III besteht aus drei Momenten: (1) Die Erscheinung erscheint sich (2) als (3) sicherscheinende Erscheinung. Das erste Moment der Formel drückt den Inhalt von Schema II aus. Es ist dasjenige, was Fichte in der WL 1812 als faktisches Wissen oder unmittelbares Sich-Erscheinen (ohne Als-Struktur) bezeichnete. In der Transscendentalen Logik II bezeichnet er dies als „faktische Anschauung“ und unmittelbares „Verstehen eines Faktums“247. Das dritte Moment der Formel ist eigentlich nur eine Wiederholung des ersten Moments, indem aber ausgedrückt wird, als was sich die Erscheinung erscheint, nämlich als sie selbst, ist es ein Sich-Verstehen, was Fichte als „intellektuelle Anschauung“ bezeichnet. Beide Momente werden aber durch das zweite Moment – das Als – noch einmal aufeinander bezogen. Dieses synthetische Als wird sich als Schluß und Ich erweisen. Zunächst zur faktischen Anschauung: „Das Verstehen des vorliegenden Faktums, als Vorstellen oder Bild[]“ ist die „faktische Anschauung eines Vorliegenden“. Alles „Denken ist ein Hinschauen eines Vorliegenden“, d.h. „alles Denken, d.i. Urteilen, [ist ein] Verstehen eines vorliegenden Faktums“, „bestimmt durch ein inneres Gesetz“248. Die „Gesetze [treten] nicht in die [faktische] Anschauung ein[], sondern [bestimmen] dieselbe nur“. „Dieses absolute Gesetz ist nun hier: das Bild versteht sich schlechthin selbst“249. Fichte meint an dieser Stelle also nichts anderes, als die unmittelbare Sich-Erscheinung der Erscheinung oder das unmittelbare Bild des Bildens. So wie aber in der WL 1812 das Schema II erst durch das Schema III begründet wird, so sagt Fichte auch in der Transscendentalen Logik II, daß das „Verstehen eines Faktums […] sich auf intellectuelle Anschauung des Gesetzes [gründet]“250. In der intellektuellen Anschauung werden die Gesetzmäßigkeit des Sich-Erscheinens und die Beziehung zwischen Erscheinen und Sich-Erscheinen verstanden. „Mit diesem Gesetze im Blicke wird nun das Verstehen, als Faktum, angesehen“, und wird so zum „Verstehen dieses Verstehens selbst“251. Durch das Verstehen des gesetzmäßig sich vollziehenden, unmittelbaren Verstehens „wird […] gesehen, daß das Verstehende und Verstandene Eins sind; das Sehende […] selbst das Verstehende, es ist darum durch das Verstandene. […] Es kommt darauf an, daß das Ich sich erscheine, als die Identität des Verstehenden und des Verstandenen. Beide sind Bilder, und sind darum identisch ihrem Wesen nach“. Das Ich ist daher „ein durch die Synthesis der Glieder unmittelbar sich Ergebendes, nicht abgesondert, sondern zufolge eines, in dem synthetischen Zusammenhange unmittelbar liegenden Schlusses“252. Das Ich ist somit das Resultat des Schlusses253 und 247 Ebd. 248 

Ebd., Kursivierung von mir, P.T. Ebd., Kursivierung von mir, P.T. 250 Ebd. 251 Ebd. 252 Ebd. 253 Bereits angedeutet bei Christoph Binkelmann: „Zurück zu Kant? Fichtes späte transzendentale Phänomenologie“, 41 – 53, hier: 49. 249 

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zugleich das Schließen selbst. Fichte stellt diese Einsicht, noch einmal in der „Form eines Schlusses“ dar: „maior: Alles Verstehen versteht sich, die Erscheinung versteht sich. minor: Nun ist hier ein Verstehen eines Bildes als Bild. conclusio: Also ist das Verstehen ein Sichverstehen des Bildes als Bild = Ich.“254

Der Major – die intellektuelle Anschauung – ist das Verstehen des Gesetzes, daß das Bilden von sich ein Bild setzt, daß die Erscheinung sich als Erscheinung erscheint; der Minor – die faktische Anschauung – ist das Verstehen des Faktums oder das faktische Sich-Erscheinen der Erscheinung, d.h. es ist das unmittelbare Vollziehen des Gesetzes; das Schluß – das Ich – ist die Einsicht in die Einheit von Verstehen und Vollzug des Gesetzes. Es versteht, daß es selbst die Anwendung und das Begreifen der Gesetzmäßigkeit ist, d.h. als Einsicht realisiert es die Einheit von intellektueller und faktischer Anschauung255. Der oben genannte Syllogismus ist daher eine schlußförmige Darstellung der Formel von Schema III: Der Minor ist das erste Moment der Formel von Schema III und entspricht Schema II, dem Bild des Bildens, dem Standpunkt des faktischen Wissens bzw. der faktischen Anschauung; der Major ist das Verstehen bzw. die intellektuelle Anschauung und entspricht dem dritten Moment von Schema III. Die Conclusio ist das Als, da beide Momente erst durch dieses synthetisiert werden. Erst an dieser Stelle wird klar, warum Fichte das Als als „de[n] eigentlichen Mittelpunkt der Erscheinung [… und] de[n] Sitz der Sehe“256 bezeichnet: Die Synthesis des Als ist eigentlich ein Schließen, d.h., erst der Schluß ist das Verstehen des Verstehens und die wahre Vermittlung. Zugleich tritt damit das wahre Wesen des Ich hervor: es ist ein Schließen. Es selbst realisiert qua Einsicht die Beziehung zwischen beiden Momenten – es ist nichts anderes als das verstehende, synthetisierende und schlußförmige Beziehen und deshalb das Verstehen des Verstehens. Das Als ist der „Sitz der Sehe“, weil es der Standpunkt des Ich und damit der WL ist und sich dadurch das Sehen in der Form des Schlusses selbst ein Auge einsetzt. Die intellektuelle Anschauung ist in der Spätphilosophie zum einen das Verstehen der Differenz zwischen Bild und Sein und sie ist zum anderen vor dem Hintergrund der Transscendentalen Logik II ein Moment von Schema III; sie ist ein 254  Ebd.; zum Zusammenhang von Sich-Verstehen und Schlußförmigkeit vgl. Monika Betzler: Ich-Bilder und Bilderwelt, 173 – 188 und Hiroshi Kimura „Die Wissenschaftslehre von 1812 und das Sehen“, in: Johann Gottlieb Fichtes Wissenschaftslehre von 1812. Vermächtnis und Herausforderung des transzendentalen Idealismus, hg. v. Thomas Sören Hoffmann, Berlin 2016, 109 – 120, hier: 111 und 119 f. Kimura weist auch darauf hin, daß der gesamte Ansatz der WL 1812 in der Form des Schlusses ausgedrückt werden kann (vgl. 110); zur Analyse des Syllogismus in der Transscendentalen Logik II vgl. Hiroshi Kimura: „Das faktische Wissen und der minor im Syllogismus – Fichtes Einsicht in der ‚transscendentalen Logik‘“, in: Fichte-Studien 36 (2012) 79 – 89. 255  Daß diese evidente Einsicht in die Einheit von Verstehen und Anwendung des Gesetzes im Licht als Erscheinung des Absoluten begründet ist und deren bloß logischer Ausdruck der Syllogismus ist, wird sich in § 5, II. zeigen. 256  WL 1812 – GA II/13, 77.

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Moment im Sich-Verstehen des Bildes des Bildens, ein Moment im schlußförmigen Wissensvollzug und damit ein logisch Vermitteltes257. Das Ich der späten WL ist damit nicht nur die reine Selbstbezüglichkeit des Bildens und ein unmittelbares Verstehen, sondern ein intellektuelles, sich in seiner Gesetzmäßigkeit verstehendes Selbst-Anschauen und damit ein Verstehen des Verstehens oder eben ein Schließen. Das Ich ist einerseits das Verstehen im Sinne von Schema III oder der intellektuellen Anschauung, es ist aber im weiteren Sinne das Verstehen des Verstehens als Einheit von faktischer und intellektueller Anschauung, als Einheit vom Verstehen des Gesetzes und dem Vollzug des Gesetzes – es ist das schließende Ich und der Standpunkt der WL selbst. In Fichtes Spätphilosophie von 1812 werden in diesem Sinne Vernunftwissenschaft und Logik zu einer Grundlagenwissenschaft vereinigt. Die „gem[eine] Logik ist durch [… die] tr[anszendentale] Logik ganz u. gar aufgehoben u. vernichtet“, die sich vor diesem Hintergrund lediglich als „Reproduktion des ursprünglichen Denkens“ erweist258. Den Beweis für diese These liefert Fichte im XXV. Vortrag der Transscendentalen Logik II. An keiner Stelle seines gesamten Werkes wird der Zusammenhang zwischen Logizität, intellektueller Anschauung, Sich-Verstehen und Ich-Lehre so konzentriert zusammengefaßt, wie in diesem Vortrag, weshalb dieser etwas ausführlicher wiedergegeben werden soll: „Das Denken ist[,] wie wir gesehen haben, wirklich u. in der That nur als ein Verstehen, u. als ein in sich zurükgehendes, ein Verstehen des Verstehens. Es ist in ihm intellektuelle Anschauung eines Gesetzes, als der major, faktische Anschauung, eines Faktum[s] eben, als der minor, und die absolute Einsicht, daß das Faktum nach dem Gesetze einhergehe, als die Subsumtion. Major u. minor sind ursprünglich nicht ausser der Synthesis beider, sondern in absolut synthetischer, u. organischer Einheit der dreie. Alles wirkl. Denken ist diese synthetische Einheit: ist ein Syllogismus. Es ist kein Begriff ohne Ur­ theil, u. Schluß: denn der Begriff ist nur im Begreifen, drum im Urtheilen, alles Urtheilen aber geht einher nach einem Gesetze, u. ist drum ein Schliessen aus dem Gesetze: ein anwenden desselben auf den vorliegenden Fall. So ist kein Urtheil ohne Begriff, denn es ist ein begreifen, dessen Weise eben Begriff genannt wird. Daß es nicht ohne Schluß ist, ist schon im ersten Gliede gesagt. So ist auch keine intellektuelle Anschauung eines Gesetzes, als das wesentliche des Schlusses, ohne Urteil, u. Begriff: denn, wie gezeigt worden, die intellektuelle Anschauung ist nicht ohne faktische, den minor, nicht ohne, [daß] alle beide synthetisch vereint [sind], in der Subsumtion. Die faktische Anschauung ist eben das Daseyn der intellektuellen für sich selbst […]. Keine Vorstellung irgend eines etwas, ohne die intellektuelle Anschauung des Ich, und die Subsumtion dieser Vorstellung unter die erstere, als Zustand des Ich.“259 257  Björn Pecina arbeitet heraus, daß „noch in der Wissenschaftslehre von 1801/02“ die intellektuelle Anschauung das unmittelbare „Sich-selbst-Erfassen des absoluten Wissens“ beinhaltete, aber ab der „Wissenschaftslehre von 1804 […] von einer solchen unmittelbaren Selbsterfassung des Absoluten nicht mehr die Rede sein“ könne (ders.: Fichtes Gott. Vom Sinn der Freiheit zur Liebe des Seins, Tübingen 2007, 219 f., Kursivierung von mir, P.T.). 258  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 195 f – GA II/14, 346. 259  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 196 – GA II/14, 346 f. In der Nachschrift zur Logik wird noch etwas stärker hervorgehoben, daß die intellektuelle Anschauung nur

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Die gesamte bisherige Entfaltung des Wesens der Bildlichkeit als Durch, Als und Sich bzw. Durch, Sich und Als ist eine logische Selbstentfaltung des absoluten Begriffs als Urteilen und Schließen, die Fichte aber erst 1812 und auch hier erst in der Transscendentalen Logik II in aller Deutlichkeit ausspricht260. Erst hier wird deutlich, warum das „absolute[] Durch […] die Form des Begriffes, u. Schlusses“ ist261 und die „Form der Sichtbarkeit […] in der Schlußform“ besteht262. Die Strukturmomente der Bildlichkeit – Bilden, Begriff des Bildens und Verstehen des Begriffs des Bildens – sind nichts anderes als Begriff, Urteil und Schluß. Das genetische Wissen – das die WL selbst ist – ist daher ein schlußförmiges Wissen. Indem Fichte nicht nur eine spekulative Urteils-, sondern auch eine spekulative Schlußlehre entwickelt, begründet er erst die Formale Logik als Wissenschaft, die im schlußförmigen Bilden ihr Fundament hat. Da Fichte dieses Fundament freilegt, tritt die Transzendentale Logik an die Stelle der Formalen Logik. Bevor die konkrete Schlußlehre der Transscendentalen Logik II diskutiert wird, wird zunächst noch einmal die Rolle der logischen Reflexion und ihr Verhältnis zur WL insgesamt behandelt. (5) Indem es im Jahr 1812 zu einer Verschmelzung der letztlich durch Aristoteles geschiedenen Disziplinen Metaphysik (als Vernunftsystem) und Logik kommt, gehört Fichtes Spätwerk nicht nur in den großen Zusammenhang der Problemgeschichte der Dialektik, sondern in den spezifischen Problemzusammenhang der Klassischen Deutschen Philosophie. Kant unterschied noch zwischen dem System der Vernunft und der Logik, wenngleich die Bemerkung in der im Auftrag Kants von Gottlob Benjamin Jäsche im Jahr 1800 herausgegebenen Logik, daß sie „als Wissenschaft der nothwendigen Gesetze des Denkens […] eine Selbsterkenntniß des Verstandes und der Vernunft“, aber „nicht der bloßen Form, sondern der Materie nach“ sei, eine Verschmelzung beider Disziplinen durchaus nicht ausschließt263. ein Moment des Sich-Wissens ist und daß das Verstehen des Verstehens aus drei Momenten besteht: „es ist im Verstehen des Verstehens als dem wahrhaft seyenden Denken zugleich enthalten die intellektuelle Anschauung eines Gesezes (Major), dann factische Anschauung eines Factums (Minor) und auch die absolute Einsicht, Evidenz, daß das Factum einhergehe nach dem Gesetze (als Subsumtion)“ (Fichte: Vom Unterschiede zwischen der Logik und der Philosophie selbst, als ein Grundriss der Logik und Einleitung in die Philosophie. [Nachschrift Halle/Lisco], in: GA IV/5, 470 f., im folgenden abgekürzt: Transscendentale Logik II (1812)-Nachschrift – GA IV/5). 260  Bereits Christoph Binkelmann deutet die Phänomenologie der WL 1812 als „(logische) Selbstauslegung der [absoluten] Erscheinung“ (ders.: „Zurück zu Kant? Fichtes späte transzendentale Phänomenologie“, 41 – 53, hier: 45 f., Einfügung von mir, P.T.). 261  WL 1812 – GA II/13, 146. 262  WL 1812 – GA II/13, 149. 263 Kant: Logik (1800), in: AA IX, 13 f. (In der Akademieausgabe wird aber auch angemerkt, daß es „nicht der Materie, sondern der bloßen Form nach“ heißen könnte.) In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß Kurt Walter Zeidler in seinem Grundriß der transzendentalen Logik, Cuxhaven 1992 bereits im transzendentalphilosophischen Ansatz von Immanuel Kant den Zusammenhang zwischen der „Selbstbezüglichkeit des Denkens“

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Bei Fichte sind demgegenüber von der ersten Version der WL an Absichten zu erkennen, beide Disziplinen zu verbinden, weshalb er nicht nur ein nachmetaphysischer, sondern auch dezidiert nachkantischer Denker ist. Gleichwohl sind aber im Hinblick auf die Gesamtentwicklung von 1794 bis 1812 zwei gegenläufige Tendenzen auszumachen: einerseits ist eine sich verstärkende Logifizierung der WL auszumachen, die 1812 in der spekulativen Schlußlehre mündet, andererseits wird das Verhältnis von Formaler Logik und WL von Fichte in nahezu jeder Version anders bestimmt264. Ein Grund dafür ist wohl, daß sich auf der einen Seite die und der „Strukturgesetzlichkeit des Schlusses“ (140) herausarbeitet. Der „Schluß“ sei, so Zeidler, „die transzendentallogische Form der ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption“ (155). 264  Eine umfassendere Erforschung des Verhältnisses von Logik und WL (v.a. im Hinblick auf die beiden Vorlesungen zur Transscendentalen Logik von 1812 (= TL)) hat ebenfalls erst im 21. Jahrhundert begonnen. Zur Gesamtentwicklung von 1794 bis 1814 vgl. Rebecca Paimann: Die Logik und das Absolute. Fichtes Wissenschaftslehre zwischen Wort, Begriff und Unbegreiflichkeit, Würzburg 2006, hier besonders: 278 – 339 (TL I) und 340 – 425 (TL II). Paimann arbeitet heraus, daß Fichte das Verhältnis von Logik und WL in nahezu jeder Version der WL anders bestimmt. In der GWL von 1794/95 verstehe Fichte die Logik als Form der WL, deren Gültigkeit erst durch die WL begründet werde (vgl. 31 – 115). In der WL nova methodo von 1798/99 sei die Logik das Methodenprodukt zur Erkenntnis von Bildern, hier aber im Sinne von Abbildern (vgl. 163 ff.). Im Jahr 1801 sei die Logik „die Form der Methode der Wissenschaftslehre“ (192); in der WL 1804-II erweist sich die Logik als ebenso prinzipiell notwendig (vgl. 219 – 239). In der Erlanger Logik von 1805, so Paimann, werde aber wieder stärker der Gegensatz zwischen Logik als bloßer Denkwissenschaft und WL als Wissenswissenschaft betont (vgl. 242 – 278). Ab 1812 kommt es zu einer immer stärkeren Logifizierung der WL, die aber „nicht als Identifizierung von Wissenschaftslehre und Logik“ zu verstehen sei (447); „die Logik ist ein Teil der Wissenschaftslehre, ohne daß die Wissenswissenschaft je im logischen Denken aufginge“ (473). Fichte deutet in der WL 1812 eine Urteils- und Schlußlehre an, die in der TL II (1812) ausformuliert wird (vgl. 475 ff). Erst in der TL II kommt es zu einer Verbindung von Logik, schlußförmigen Wissen und Bildtheorie (vgl. 404 – 425). Zur bisherigen Erforschung der Transscendentalen Logik von 1812 vgl. Gotthard Günther: „Das Problem einer Formalisierung der transzendental-dialektischen Logik“, in: Hegel-Studien-Beiheft 1 (1964) 65 – 123; Peter K. Schneider: Die wissenschaftsbegründende Funktion der Transzendentalphilosophie, Freiburg/München 1965, 105 – 133; Peter Baumanns: J.G. Fichte. Kritische Gesamtdarstellung seiner Philosophie, Freiburg/München 1990, 305 – 329; Reinhard Lauth: „Eine Bezugnahme Fichtes auf Hegels ‚Wissenschaft der Logik‘ im Sommer 1812“, in: Kant-Studien 89 (1998) 456 – 464; Wolfgang Janke: „Der Grund aller Wahrheit. Über zwei Bemerkungen Fichtes zur Logik und Wissenschaftslehre als Wahrheitsbegründungen“, in: Fichte-Studien 15 (1999) 17 – 30; Alessandro Bertinetto: „Die Grundbeziehung von „Leben“ und „Sehen“ in der ersten Transzendentalen Logik Fichtes“, in: Fichte-Studien 20 (2003) 203 – 213; Angelica Nuzzo: „Fichte’s 1812 Transcendental Logic – Between Kant and Hegel“, in: Fichte-Studien 30 (2006) 163 – 172; Alessandro Bertinetto: „Die transzendentale Argumentation in der Transzendentalen Logik Fichtes“, in: Fichte-Studien 31 (2007) 255 – 265; Jacinto Rivera de Rosales: „Die transzendentale Logik (1812). Ihr systematischer Ort und ihre Bedeutung“, in: Fichte-Studien 31 (2007) 245 – 254; Alessandro Bertinetto: „‚Wäre ihm dies klar geworden, so wäre seine Ktk. W.L. geworden‘: Fichtes Auseinandersetzung mit Kant in den Vorlesungen über Transzendentale Logik“, in: Fichte-Studien 33 (2009) 145 – 164; Hiroshi Kimura: „Das faktische Wis-

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Formale Logik, so wie Fichte sie versteht, nicht selbst als Wissenschaft begründen kann, weil sie eine Theorie des absoluten Wissens voraussetzt, und auf der anderen Seite werden in der WL die Gesetze der Formalen Logik verwendet, die doch erst durch die WL abgeleitet werden sollen 265. In der ersten Version der WL entfaltet Fichte die Urform des Urteils im Ausgang vom absoluten Ich; obwohl Fichte damit die spekulativen Voraussetzungen der Formalen Logik, die die Form des Urteils lediglich als nicht weiter zu durchdringendes Faktum betrachtet, andeutet, veranstaltet er durchgehend Vorlesungen über Logik und Metaphysik266. Dies ändert sich auch nicht in der Phase der späten WL ab 1804/05. Fichte entwickelte zwar die bereits behandelte, spekulative Urteilslehre im Ausgang vom Bilden, verfaßte aber trotzdem im Jahr 1805 eine Logik-Vorlesung – die sogenannte Erlanger Logik –, die er im Rahmen der Einleitungsvorlesung zur WL 1805 unter dem Titel Institutiones omnis philosophiae vorgetragen hat. Bemerkenswert an dieser Periode ist, daß Fichte in der Erlanger Logik nicht nur eine formale Begriffs- und Urteils-, sondern auch eine Schlußlehre entfaltet hat, die er aber nicht auf die Momente des Bildens oder das Ich zurückführt267. Fichte hebt allerdings auf die Begründung der Logik durch die WL ab, d.h. die Bedingtheit des rein formalen Wissens der Formalen Logik durch das genetisch-absolute Wissen der WL268. Im Unterschied zu den Logik-Vorlesungen von 1794 und 1805 werden in der Transscendentalen Logik II von 1812 die Begriffs-, Urteils- und Schlußlehre aus den drei Momenten des Bildens entfaltet. Daß Fichte in den Fassungen der WL von 1804/05 lediglich eine spekulative Urteilslehre entwickeln konnte, ist wahrscheinlich darin begründet, daß das Bild des Bildens – das erste und zweite Moment des absoluten Begriffs – in dieser Phase im Vordergrund stand; daß Fichte im Jahr 1812 demgegenüber eine spekulative Schlußlehre entfalten konnte, hat, wie bereits gezeigt, in der veränderten Auffassung des Sich-Verstehens – dem dritten Moment des absoluten Begriffs – seinen Grund. Hatten die Logik-Vorlesungen vor 1812 primär die Funktion einer Einleitung in die WL, so ist die systematische Funktion der Transscendentalen Logik II eher mehrdeutig: Die Transscendentale Logik II ersetzt die Formale Logik, da sie die Grundlage der Logik – das Bilden – freilegt; sie soll weiterhin als Einleitungsschrift verstanden werden, die zur WL hinführen soll, zugleich ist die transzendensen und der minor im Syllogismus – Fichtes Einsicht in der ‚transscendentalen Logik‘“, in: Fichte-Studien 36 (2012) 79 – 89. 265  Vgl. Rebecca Paimann: Die Logik und das Absolute, 27 und 34. 266  Vgl. dazu auch Rainer Schäfer: Johann Gottlieb Fichtes ‚Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre‘ von 1794, Darmstadt 2006, 74 – 95. Schäfer stellt in bezug auf diese Urteilslehre den Zusammenhang zwischen der GWL und der Vorlesung über Logik und Metaphysik (1794 – 1812) her (vgl. Fichte: [Zu Platners „Philosophischen Aphorismen“ – Vorlesung über Logik und Metaphysik] (1794 – 1812), in: GA II/4). 267  Vgl. Fichte: Institutiones omnis philosophiae – Logik. Erlangen, 1805, in: GA II/9, 57 – 153, hier besonders: 65 – 80. 268  Vgl. dazu: Rebecca Paimann: Die Logik und das Absolute, 242 – 278.

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tale Logik aber auch ein Teil der WL269. Hinzu kommt, daß in der Transscendentalen Logik II dasjenige realisiert wird, was in der WL 1812 nur programmatisch angekündigt wird, was insofern eine gewisse Merkwürdigkeit darstellt, als die WL systematisch über der transzendentalen Logik steht. Neben der systematischen Funktion sind es aber auch Fichtes Stellungnahmen, die es schwierig machen, das Verhältnis von WL und Logik insgesamt zu bestimmen. So heißt es in der ersten Fassung der Transscendentalen Logik von 1812: „Die Logik bleibt in der Empirie behangen: sie ist drum durchaus nicht Wissenschaft. […] Sie muß drum als Wissenschaft nicht nur vernachlässigt, sondern positiv bestritten, und ausgetilgt werden“, da die WL „den Inhalt der Logik, nur unter einem anderen Gesichtspunkte, in sich aufgenommen“ habe270 – eine Forderung, die Fichte bereits 1801 öffentlich erhob: „[I]ch verbanne sogar die reine Logik ganz aus dem Umkreise der Philosophie“271. In der Transscendentalen Logik II revidiert Fichte diese Position und spricht nicht mehr vom Ausschluß, sondern von einer „totalen Reform“ der Formalen Logik 272. Trotzdem fällt Fichtes Äußerung in der Transscendentalen Logik I etwas aus dem Rahmen, da diese zwischen der WL 1812 und der Transscendentalen Logik II gehalten wurde. Es zeigt sich, daß die kontinuierliche Logifizierung der WL im Gegensatz zu Fichtes Äußerungen zur systematischen Stellung der Logik stehen. Insgesamt läßt sich also eher von einer immanenten, aber nicht programmatisch intendierten Tendenz zur Logifizierung der WL sprechen. Doch trotz dieser speziellen Problematik behandelt Fichte in der Transscendentalen Logik II die Anwendung des spekulativen Schlusses auf die konkreten Schlußformen, was an dieser Stelle abschließend diskutiert wird. (6) In den Vorträgen XXIX bis XXXI der Transscendentalen Logik II entwickelt Fichte aus dem Grundsyllogismus des absoluten Wissens den faktischen Syllogismus der Formalen Logik 273, durch den die „Lehre von den Urtheilen“ erst richtig abgeleitet, genauer: in dem die wechselseitige Bedingtheit von Urteil und Schluß eingesehen werden könne274. In der Nachschrift zur Transscendentalen Logik II von 1812 heißt es entsprechend: 269 

Vgl. Transscendentale Logik II (1812) – StA, 4 – GA II/14, 194. Vom Verhältniss der Logik zur wirklichen Philosophie, als ein Grundriss der Logik, und eine Einleitung in die Philosophie (1812), in: GA II/14, 7 – 151, hier: 13 und 15, im folgenden abgekürzt: Transscendentale Logik I (1812) – GA II/14; vgl. zum Ausschluß der Logik: Rebecca Paimann: Die Logik und das Absolute, 278 – 339. 271 Fichte: Seit sechs Jahren – [Ankündigung einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre], in: GA I/7, 159. 272  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 229 – GA II/14, 374. 273  Vgl. Transscendentale Logik II (1812) – StA, 229 – 251 – GA II/14, 374 – 393; Transscendentale Logik II (1812)-Nachschrift – GA IV/5, 493 – 507; sowie Rebecca Paimann: Die Logik und das Absolute, 412 – 420. 274  Transscendentale Logik II (1812)-Nachschrift – GA IV/5, 493. Daß der Grundsyllogismus das Urteil begründet bzw. eine Darstellung des spekulativen Urteils ist, ist ein Ansinnen, daß Fichte bereits schon 1804-II verfolgt. Da heißt es im XXIV. Vortrag: „Prädikat 270 Fichte:

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„Die absolute Form des Wissens ist der Schluß, und ohne Schluß kommts zu keinem Wissen; alle diese Bestandtheile sind nur in synthetischer Vereinigung; [der] Begriff nur im Begreifen dh Urteilen [,] und beide sind nur im Schlusse dh. [in] Ansicht und Hinsicht auf ein Gesez.“275

Für Fichte ist der Syllogismus der Formalen Logik, die er etwas abwertend als „Theorie des Also“ bezeichnet276, bloß eine „Reproduktion des ursprünglichen Verfahrens“; er ist eine Nachkonstruktion des ursprünglichen Begreifens, d.h. „eine Freiheit des ursprünglichen Bildens, so oder so setzens, kommt in diesem Zusammenhange garnicht vor“277. Ein Aspekt, der für Fichtes Verständnis des Syllogismus ganz entscheidend ist: Durch den faktischen Syllogismus wird, laut Fichte, kein neues Wissen hervorgebracht, sondern was in syllogistischer Form dargestellt werde, „weiß man schon“278. So wie es für Fichte nur eine Form des Urteils gibt, so geht er nur von einem Syllogismus bzw. zwei Arten desselben aus: einem bejahenden und einem verneinenden279. Der „ursprüngliche Eine Grundsyllogismus, durch den das ursprüngliche Wissen zu Stande kommt“, lautet nach Fichte: „[1.] Anschauung eines Gesetzes: die Erscheinung bringt ihr Bild mit sich: [2.] Faktische intellektuelle Anschauung eines vorhandenen Bildes. [3.] Einsicht, daß es drum sey Accidens der Erscheinung, [und] ihr angehöre.“280

Es handelt sich also um den bereits diskutierten Syllogismus, den Fichte in bezug auf Schema III in intellektuelle Anschauung, faktische Anschauung und die Einsicht in die Einheit von intellektueller und faktischer Anschauung als Verstehen des Verstehens zergliedert hat. Dieser Grundsyllogismus liegt jedem konkreten Syllogismus der Formalen Logik zugrunde und ist „die absolute Form […] aller objek= minor; […] logische[s] Subjekt[] = maior“ (WL 1804-II – StA, 241 – GA II/8, 360). So wie aus dem Subjekt (Mensch) ein notwendiges Merkmal (Sterblichkeit) prädiziert wird, wird im Major (Alle Menschen sind sterblich) ein allgemeines Gesetz ausgesprochen, das im Minor an einem konkreten Beispiel (Sokrates ist ein Mensch) exemplifiziert wird. Jeweils beide Momente werden durch das synthetische Moment der Einsicht vereinigt. 275  Transscendentale Logik II (1812)-Nachschrift – GA IV/5, 493. 276  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 246 – GA II/14, 389. 277  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 230 f. – GA II/14, 375 f. 278 Ebd. 279  Fichte sagt, daß er in den „Vordersätzen des Syllogismus, nur unbedingtgültige kategorische Sätze zulasse, und allen Unterschied der Modalität, oder Quantität […] aufhebe“ (Transscendentale Logik II (1812) – StA, 244 – GA II/14, 387). Fichtes Reform der Logik ist zum einen eine Rückführung der formalen Syllogismen auf den Grundsyllogismus des absoluten Wissens und zum anderen eine Reduktion der Schlüsse auf den Modus Barbara (Alle M sind P. Alle S sind M. Also: Alle S sind P.) und den Modus Celarent (Kein M ist P. Alle S sind M. Also: Kein S ist P). Vgl. dazu Ansgar Beckermann: Einführung in die Logik, 2., neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Berlin/New York 2003, 218; Theodor G. Buchner: Einführung in die angewandte Logik, Berlin/New York 1987, 140 ff. Weitere Schlußformen sind bei Fichte gar nicht vorgesehen und werden dementsprechend nicht eigens entwickelt. 280  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 229 f. – GA II/14, 375.

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tiv faktischen Erkenntniß“281. Fichte spricht hier vom „faktischen Schluß“ und wir befinden uns hier insgesamt auf der Ebene des „faktischen Wissens“. Das heißt, beim faktischen Syllogismus wird bereits ein faktisch Gegebenes, ein fertiges und bestimmtes Bild vorausgesetzt. Fichte betont, daß auch ein faktischer Syllogismus aus drei Momenten besteht: „1) Anschauung eines Gesetzes: 2) faktische Anschauung des Gesezmässigen: 3) Einsicht, daß das letztre durchaus einhergehe nach dem ersten“282. Fichte will zeigen, daß dem Major („Alle Menschen sind sterblich“), dem Minor („Cajus ist ein Mensch“) und der Conclusio („Also ist Cajus sterblich“) der genetische, sich-verstehende Grundsyllogismus des absoluten Wissens zugrunde liegt. Zunächst zur Anschauung des Gesetzes: Der Begriff des Gesetzes beinhaltet hier nicht mehr, daß das Bilden gesetzmäßig erfolgt und die Erscheinung von sich ein Bild setzt, sondern das „Gesez“ ist auf der Ebene des faktischen Wissens eine „organische Einheit einer Mannigfaltigkeit“283, und dies sind Einheits- oder Vernunftbegriffe wie Mensch, Tier oder Pflanze. Von diesem Vernunftbegriff können nur wesentliche Merkmale in der Form des Urteils prädiziert werden. Fichte sagt selbst, daß eine Aussage wie „Der Mensch ißt Brod“ oder der Mensch „trägt verschnittenes Haar“ kein allgemeines und notwendiges Urteil ist284. So wie oben gezeigt wurde, daß auf der Ebene des absoluten Wissens im spekulativen Urteil das Bilden sein Wesen nach außen projiziert und das Bild des Bildens sein Prädikat ist, so können auf der Ebene des faktischen Wissens von einem Vernunftbegriff nur wesentliche Merkmale prädiziert werden. Als Beispiel verwendet Fichte hier: „Der Mensch ist sterblich.“285 Mit anderen Worten: Die „Anschauung des Gesetzes“286 ist das, was dem Obersatz oder dem Major zugrunde liegt. Bereits an dieser Stelle wird deutlich, warum die Formale Logik aus Fichtes Sicht rein analytisch und reproduktiv ist und das Wissen nicht vermehrt: Denn man muß bereits ein Wissen davon haben, was ein Mensch ist, und muß wissen, daß dieser sterblich ist; so wie man weiß, daß Gott oder (in der Antike) Götter unsterblich sind. Auf der formalen Ebene muß man ebenso ein Wissen davon haben, was Subjekt (Mensch) und was Prädikat (Sterblichkeit) ist, da dies aus der Stellung der Satzteile selbst nicht hervorgeht. Bereits beim Major erweist sich die Formale Logik als defiziente Wissenschaft, da sie inhaltliches und formales Wissen voraussetzt. Den Minor beschreibt Fichte als „faktische Anschauung des Gesezmässigen“ und nimmt das Beispiel „Cajus ist ein Mensch“287. Es geht hier um ein individuelles Beispiel, wo das Gesetz konkret wird. Das Subjekt des Majors, also der Mensch, wird im Minor zum Prädikat; anders ließe sich, so Fichte, kein Syllogismus for281 Ebd. 282 Ebd. 283 

Transscendentale Logik II (1812) – StA, 231 – GA II/14, 376. Transscendentale Logik II (1812) – StA, 234 – GA II/14, 378. 285  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 242 – GA II/14, 385. 286  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 238 – GA II/14, 382. 287  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 249 – GA II/14, 391. 284 

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mulieren. Im und durch den Minor wird das konkret Angeschaute oder begrifflich Bestimmte unter das Gesetz subsumiert. So wie Fichte in der Wissenschaftslehre von 1812 sagte, daß das wirkliche Sehen unter das absolute Sehen subsumiert wird, so wird dies auf der Ebene des faktischen Wissens in bezug auf Minor und Major wiederholt. Laut Fichte ist der Minor „die eigentl. Basis, u. [das] Hauptstück des Syllogismus“288, da darin das Faktum der Anschauung (Cajus) mit dem Bild des Gesetzes (Mensch) vereinigt wird. Und im Kern wird die Conclusio, daß Cajus sterblich ist, im Minor vorweggenommen und durch diesen ermöglicht. Fichte schreibt dann zum Verhältnis von Major und Minor: „Das Gesez aber wird in dieser Region anschaubar, nur an seinem Falle, einem ihm entsprechenden Faktum: und das Faktum wird der Anschauung ein solches nur durch die Anschauung des Gesetzes. Es wird darum beides angeschaut durch einander: in einer synthetischen Wechselbestimmung. Die synthetische Wechselbestimmung nun in absoluter Einheit des Bildseyns = der Sehe ist das objektive Wissen selbst.“289

Am Ende der Analyse der faktischen Schlußlehre kommt Fichte erneut auf seinen ursprünglichen Zentralbegriff des dialektischen Bildens zu sprechen, das Durcheinander, das sich an dieser Stelle als vollendetes Durch der Einsicht darstellt. So wie im genetischen Grundsyllogismus das Verstehen des Verstehens die Einsicht in die Einheit von intellektueller und faktischer Anschauung ist, so ist beim faktischen Schluß die Conclusio die Einsicht in die wechselseitige Bestimmung von Gesetz und Faktum. So wie sich die Deutung des Bildens und des Durcheinanders als reine Beziehung für den gesamten Ansatz der späten Wissenschaftslehre als zentraler Schlüssel erweist, so ist das Verhältnis von Major und Minor, Gesetz und Faktum, Mensch und Cajus ebenso eine Beziehung als „synthetische Wechselbestimmung“, die in der Conclusio („Cajus ist sterblich“) als sich-verstehender Einsicht artikuliert wird. Es kann an dieser Stelle folgendes festgehalten werden: Die Deutung des Bildens als Beziehen und die Beschreibung der WL als Beziehungswissenschaft erweist sich insgesamt als zutreffend. Ging es vor dem Hintergrund der Versionen von 1804/05 zunächst darum, das Wesen des Wissens als „absolute Beziehung“ zu begreifen 290, so zeigte sich in der WL 1812, daß das eigentliche telos „der absoluten BildBeziehung“ in der Selbstbezüglichkeit liegt291. Erst in der Transscendentale Logik II wird aber klar, daß die Beziehung auf sich selbst nicht einfach nur ein unmittelbares Verstehen 292, sondern ein schlußförmiges Sich-Verstehen, die „Beziehung […] ein absolutes Durch […] u. [ein] Schluß[]“ ist293. Indem das Verste288  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 241 – GA II/14, 384; vgl. Paimann: Die Logik und das Absolute, 419. 289  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 230 – GA II/14, 375. 290  WL 1804-II – StA, 85 – GA II/8, 128. 291  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 68 – GA II/14, 243. 292  Vgl. Alessandro Giovanni Bertinetto: „‚Seyn außer dem Seyn im Seyn‘“, 153 – 180, hier: 158 f. 293  WL 1812 – GA II/13, 146.

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hen des Verstehens seinem Wesen nach ein synthetisierendes Beziehen ist und es durch die Einsicht den Zusammenhang der Wissensmomente realisiert, geht auch die Subjektivität vollständig im Gedanken der Beziehung auf: Das Ich der späten WL ist als Einheit von Selbstbezüglichkeit und Sich-Verstehen die sich erfüllende Beziehung, es ist ein Schließen und es ist der „unmittelbare Berührungspunkt“, in dem das Absolute in sich selbst einkehrt294. Die WL ist als logisch-dialektische Beziehungswissenschaft eine absolute und tendenziell sich selbst vermittelnde Formwissenschaft, die aufgrund der Selbstbezüglichkeit und Schlußform in sich selbst zurückkehrt. Der Kern der späten WL ist die absolute Beziehung, die in jedem Wissensvollzug unthematisch bleibt, indem sich aber diese Beziehung zugleich auf sich selbst bezieht und als sich-verstehendes und vollendetes Durcheinander in sich selbst zurückkehrt, ist diese Beziehung zugleich eine sich selbst erfüllende. Die Kreisstruktur der WL ist genau in diesem Sinne des Zu-Sich-Kommens der Vernunft zu verstehen295: sie ist ein schließendes Sich-Verstehen der Erscheinung als Beziehung und darin ein sich erfüllendes Erkennen. Die absolute Erscheinung ist die absolute Form und – in Hegels Worten – keine „bloß äusserlich[… bleibende und sich allein rein äußerlich auf den Inhalt beziehende] Form“, sondern hat als „absolute Form“ an sich „ihren eigenthümlichen Inhalt“296. Hinsichtlich der vollständigen Selbstbegründung zeigte sich allerdings an verschiedenen Stellen ein unmittelbares Moment: die reine Vollziehung des Wissens. Der reine Vollzug wurde bisher immer nur als Beziehung thematisiert. In der WL 1804-II sagte Fichte, daß das Leben auf der Ebene der Erscheinung immer nur die Form des Durch, d.h. der Beziehung, annehmen kann. Dies ging zugleich mit der Einsicht einher, daß die absolute Beziehung „ein ursprüngliches, an sich gar nicht [in der Beziehung], sondern durchaus in sich selber begründetes Leben vor­ aus[setzt]“297. Dieses reine Leben, das als Leben des Bildens erscheint, ist das Absolute und ermöglicht jede Form von Beziehung. Im folgenden soll dieses jeden konkreten Wissensvollzug begründende Moment tiefergehend diskutiert werden. Dadurch wird sich zeigen, daß die WL nicht nur „Formlehre“298, sondern zugleich auch „Lebenslehre“ ist299. 294 

WL 1805 – GA II/9, 249 f. Vgl. Jacinto Rivera de Rosales: „Die Welt als Bild“, in: Johann Gottlieb Fichtes Wissenschaftslehre von 1812. Vermächtnis und Herausforderung des transzendentalen Idealismus, hg. v. Thomas Sören Hoffmann, Berlin 2016, 97 – 108, hier: 100. Zum Begriff des Zusich-Kommens der Vernunft vgl. Joseph Ratzinger – Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth. Zweiter Teil: Vom Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung, Freiburg/Basel/Wien 2011, 11, der diesen allerdings in kritischer Absicht verwendet. 296 Hegel: Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Begriff (1816), in: GW 12, 237 und Hegel: Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Sein (1832), in: GW 21, 28. 297  WL 1804-II – StA, 106 – GA II/8, 160, Einfügung von mir, P.T. 298  WL 1805 – GA II/9, 263. 299 Fichte: Bericht über den Begriff der Wissenschaftslehre und die bisherigen Schicksale derselben (1806), in: GA II/10, 31. 295 

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

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§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens Nachdem das Bilden in seinen Grundzügen und seiner Logizität behandelt wurde, soll das Dialektikkonzept in drei Hinsichten weiter vertieft werden. Zunächst wird das die Dialektik des Bildens bedingende Unbedingte, d.i. das Absolute als lebendiger und uneinholbarer Vollzug, diskutiert. Das Absolute wird als lebendiger, immanenter und in sich geschlossener Vollzug verstanden, was zugleich Fichtes Gottesverständnis beinhaltet. Indem das Absolute zunächst in seiner Unmittelbarkeit gefaßt wird, tritt der die späte WL bestimmende Gegensatz von Gehalt und Form deutlicher als Entgegensetzung von Leben und Dialektik zutage (§ 5, I.). Fichte versteht das Absolute aber nicht nur als unmittelbares Leben, sondern auch als Licht und Gesetz, die er als Erscheinungsformen des Absoluten begreift. Die Funktion dieses Theorieelements besteht in erster Linie darin, durch den Nachweis der Gesetzmäßigkeit des Bildens die Notwendigkeit der absoluten Erscheinung zu beweisen und auf diesem Wege sein System der Vernunft insgesamt abzusichern. In diesem Kontext wird der Zusammenhang der Gewißheit oder des Lichtes mit der Schlußform und dem Sich-Verstehen, die Gesetzmäßigkeit der begrifflichen Nachkonstruktion der Gewißheit und die durch diese Gesetzmäßigkeit bestimmte Selbstverobjektivierung der Vernunft behandelt, um zu zeigen, daß das Absolute auch die Form des Wissens bestimmt und der Gegensatz von Gehalt und Form relativiert wird (§ 5, II.) Abschließend wird herausgearbeitet, welche materiellen Theorieelemente von Fichte in der WL 1804/05 und 1812 auf der Grundlage des Bildens entwickelt wurden; konkret handelt es sich um die Raum-, Zeit- und Willenslehre (§ 5, III.). Darüber hinaus werden an verschiedenen Stellen auch problematische Momente der Spätphilosophie aufgezeigt.

I.  Das Absolute als lebendiger Vollzug oder Gott in uns Nachdem in § 4 das Bilden als Beziehungsmacht entfaltet wurde, soll nun der Vollzugscharakter der späten WL herausgearbeitet werden300. In der Darstellung der dialektischen Struktur des absoluten Wissens und der drei Hauptmomente – Einheit, Negativität und Selbstbezüglichkeit – konnte das Bilden als sich selbst differenzierende und teilweise sich selbst vermittelnde Einheit herausgearbeitet werden; was als Unvermitteltes allerdings nicht noch einmal begrifflich eingeholt werden konnte, war die Lebendigkeit und der Vollzug des absoluten Begriffs. Dieses Unbedingte im Wissen301 oder das Absolute soll nun näher betrachtet werden. Das Problem, wenn man das Absolute selbst zum Gegenstand der Untersuchung machen will, besteht aber darin, daß sich vom Absoluten – als dem schlechthin Unbedingten – immer nur auf bedingte Weise sprechen läßt, es also grundsätzlich immer verfehlt wird. In seinem Brief an Schelling vom 15. Januar 1802 schreibt Fichte deshalb: 300  301 

Vgl. Christoph Asmuth: Bilder über Bilder, Bilder ohne Bilder, 88. Vgl. Willi Lautemann: „Wissenschaftslehre und genetisches Prinzip …“, XIX/8.

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

„Das absolute selbst aber ist kein [objektives] Seyn, noch ist es ein [subjektives] Wissen, noch ist es Identität, oder Indifferenz beider: sondern es ist eben – das [A]bsolute – und jedes zweite Wort ist vom Uebel“302.

Fichte möchte damit nicht willkürlich das Absolute als das Prinzip der WL setzen und „die W.L. als das reine absolute Wissen [… als] Produkt des [A]bsoluten“ postulieren303, um sich jede weitere Nachfrage zu ersparen, sondern er möchte auf ein ganz bestimmtes Problem aufmerksam machen: So natürlich und naheliegend es ist, danach zu fragen, was das Absolute ist, so wird allein schon mit dieser Frage der Blick auf das Absolute verstellt, weil damit unausgesprochen vom Absoluten als einer qualitativen Einheit ausgegangen wird, die bestimmte Prädikate und Attribute habe, die sich in der Form eines Urteils prädizieren ließen. Die Kerneinsicht der WL besteht aber darin, daß das Absolute selbst keine qualitative Einheit, sondern eine unmittelbare und rein zu vollziehende Einheit ist; denn dasjenige, was die höchste qualitative Einheit ist und wovon jegliche Form von Bestimmtheit ausgeht – das ἓν καὶ πᾶν der WL –, ist das bereits behandelte absolute Wissen. Das absolute Wissen ist die qualitative Einheit, d.h. die absolute Form, durch die das lebendige Absolute als der Eine wahre Gehalt zur Erscheinung kommt. Die erste Antwort auf die Frage, was das Absolute sei, besteht in der Einsicht, „daß alle Quantität, u. [qualitativ bestimmte] Relation, durchaus nicht in das Absolute fällt“304. Mit der ersten, negativen Auskunft soll zunächst noch einmal an eine bereits in der Auseinandersetzung mit Spinoza erarbeitete Unterscheidung erinnert werden: die Unterscheidung zwischen dem Begriff des Absoluten und dem Absoluten selbst (vgl. § 3, II.). Dies bedeutet jedoch nicht, daß sich Fichte überhaupt gar nicht zum Absoluten äußert und es nicht doch auf eine indirekte Weise charakterisiert, aber alle im folgenden ausgeführten Bestimmungen des Absoluten sind vor allem Explikationen unseres Begriffs von diesem und damit Negativfolien unseres Denkens; denn in dem Maße, wie wir das Absolute beschreiben, geben wir indirekt Auskunft über die Gesetze unseres Denkens. Indem beispielsweise vom Absoluten gesagt wird, es sei das schlechthin Unbedingte, sagt das Denken über sich, daß es selbst nicht dieses Unbedingte, sondern nur etwas Bedingtes ist, weil sich in dieser (und jeder anderen) Bestimmung des Absoluten unmittelbar ein Relationsgefüge eröffnet, von dem Fichte sagt, daß es mit dem Absoluten selbst nichts zu tun hat, sondern allein dem Denken wesentlich ist. Es geht vor allem um das Moment der Negativität, das z.B. in der Bestimmung des Absoluten als Un-bedingten so augenscheinlich zutage tritt; vom Absoluten kann immer nur gesagt werden, was es ist, indem zugleich gesagt wird, was es nicht ist, oder anders gesagt: Was es ist, kann nie direkt und unmittelbar ausgesagt werden. 302  Fichte: „Brief an Schelling vom 15. Januar 1802“, in: GA III/5, 104 – 113, hier: 113, Einfügung von mir, P.T. Dieses Zitat erinnert zwangsläufig an einen Ausspruch Jesu im Matthäusevangelium: „Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel“ (NT, Mt 5,37). 303  WL 1804-I – GA II/7, 177. 304  Fichte: „Brief an Schelling vom 15. Januar 1802“, in: GA III/5, 111, Einfügung von mir, P.T.

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Trotzdem – und dies ist ganz entscheidend – weisen die Bestimmungen über das Denken selbst hinaus, weil zumindest dasjenige des begrifflich-negativ-selbstbezüglichen Denkens namhaft gemacht wird, was dieses immer schon voraussetzt und voraussetzen muß. Die begriffliche Beschreibung des Absoluten ist zum einen eine Rückspiegelung auf das Denken und zum anderen zugleich auf das, was – bildlich gesprochen – im Akt des Spiegels nicht auf den Begriff gebracht werden kann: der unbedingte Vollzug oder das „esse in mero actu“305. Das sich als Bedingtes ausweisende Denken verweist auf etwas für seine eigene Konstitution notwendig Unbedingtes, was aus der Dialektik des Begriffs selbst nicht erzeugt werden kann: die pure und reine Lebendigkeit und das in diesem rein „verbaliter“ zu verstehenden Sinne absolute Sein306. Das „reine Sein“ ist dasjenige, was nach der „Abstraktion von der Relation“, der Negativität und Selbstbezüglichkeit, kurz: was nach Aufhebung der absoluten und dialektischen Form übrig bleibt307. Das bedeutet, daß es durch den Begriff zu einem vermittelten und indirekten Sich-Zeigen des Absoluten, zu einer „Offenbarung und Aeusserung Gottes“ kommt308. Im folgenden sollen die drei Hauptmomente dieses „actus essendi“309 besprochen werden: die Immanenz, die Unbedingtheit und die Inkludenz. (1) Zunächst zur Immanenz und dem damit verbundenen Gottesverständnis: Wenn Fichte vom Absoluten spricht, dann bezeichnet er es als reines Leben, absolutes Sein, absolute Realität, lebendiges und sich selbst effizierendes Licht oder als unbedingte Liebe; er spricht aber auch vom „göttlichen Leben“310 oder von „Gott“311. Doch was versteht Fichte unter Gott? Es wurde bereits erwähnt, daß für Fichte Gott keine Person ist, da er darin eine verendlichende Form der Vorstellung Gottes zu erkennen glaubt. Laut der Vorlesung Principien der Gottes-, Sitten- und Rechtslehre von 1805 sei „Gott, Göttliches“ nicht mit der Idee der „Personifikation“ in Zusammenhang zu bringen und Fichte glaubt sich mit der Überwindung dieser Vorstellung in Übereinstimmung mit dem „ächten Christentum“312. Aus dieser Grundüberlegung heraus wendet sich Fichte ebenso strikt gegen die christliche Lehre von Gott in drei Personen, obwohl diese im Matthäusevangelium zumindest schon angelegt ist313. In der Vorlesung

305 

WL 1804-II – StA, 151 – GA II/8, 228. WL 1804-II – StA, 151 – GA II/8, 230. 307  WL 1804-II – StA, 151 – GA II/8, 228. 308  WL 1804-II – StA, 172 – GA II/8, 260. 309  WL 1804-II – StA, 151 – GA II/8, 228 310  WL 1804-II – StA, 83 – GA II/8, 124. 311  WL 1804-II – StA, 172 – GA II/8, 260 und WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 269. 312  Principien 1805 – GA II/7, 378. 313  „Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes“ (NT, Mt 28,19; zur Trinitätslehre im Johannesevangelium vgl. NT, Joh 1,49, 4,24, 10,30, 14,26, 17,21). 306 

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

Die Staatslehre oder über das Verhältniß des Urstaates zum Vernunftreiche von 1813 heißt es zur Trinitätslehre: „Bei dem gegenwärtigen Zustande des Christenthums, d.i. nachdem die Einheit Gottes begriffen ist, die Lehre von der Dreieinigkeit, obwohl sie von dem sich offenbarenden Gotte verstanden, dem gebildeten Verstande klar und offenbar ist, zur Bedingung der Seligkeit zu machen, ist durchaus gegen das Christenthum, und führt vom eigentlichen Christenthume ab, ebenso wie das Bestehen auf den Glauben an die Person Jesu.“314

Auch wenn Fichte für seine Philosophie beansprucht, mit dem Christentum „in seinen Quellen […] vollkommen überein[zu]stimmen“ und von der Bibel als der „lauterste[n …] Urkunde“ spricht315, fühlt sich Fichte vollkommen frei in der Auslegung und Auswahl der biblischen Texte, denn, so Fichtes Überzeugung: „An den Buchstaben der Schrift, und das ewige Wiederholen derselben ohne Veränderung ist der Christ nicht gebunden.“316 Dies führt u.a. zum Ausschluß der Schriften des Apostels Paulus, den Fichte für einen Vertreter des „Heidentums“ und den „Urheber des entgegengesetzten christlichen Systems“ hält317, und zu einer Reduzierung des Aussagegehalts des Christentums auf den Anfangsprolog des Johannesevangeliums, denn dieser allein stimme mit der Vernunft vollkommen überein und sei der „reine[] und vollendete[] Ausdruck dieser Vernunft“: „Nur mit Johannes kann der Philosoph zusammenkommen, denn dieser allein hat Achtung für die Vernunft“318. Fichte kommt zu dieser Auffassung, da es im Johannesprolog heißt: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“319; Fichte meint darin seine Unterscheidung zwischen dem lebendigen Absoluten und dem absoluten Wissen wiederfinden zu können, und es sei Jesus gewesen, „auf dessen indivi314 Fichte: [Die Staatslehre oder über das Verhältniß des Urstaates zum Vernunftreiche] (1813), in: GA II/16, 149. 315  WL 1804-II – StA, 255 – GA II/8, 380. 316 Fichte: [Die Staatslehre oder über das Verhältniß des Urstaates zum Vernunftreiche] (1813), in: GA II/16, 147. In den Schlußpartien der Sittenlehre von 1812 (in: GA II/13) kommt Fichte auf das Verhältnis von Heiliger Schrift, kritischer Philosophie und der Auslegung religiöser Texte zu sprechen. Zur Frage der Autorität und Verbindlichkeit von Schrift und Tradition sagt er: „die Wahrheit der vorgetragnen Glaubenslehre muß sich einem jeden innerlich an seinem eignen sittlichen Sinne bestätigen. Ein anderes Mittel der Bewahrheitung und Anknüpfung kennen wir nicht. Wir haben nur den innern Beweiß. Jene wollen den Glauben auf Autorität eines Zeugnisses stützen; und machen den Beweiß äußerlich“. Letzteres bedeute auch die „absolute Unveränderlichkeit des Symbols“ Kirche, was Fichte jedoch strikt ablehnt (385). Weiter heißt es: die Vernunft allein sei „Richterin […] in Glaubenssachen und der Prüfstein der Richtigkeit aller vorgeblichen Offenbarung […]. Enthält die Philosophie die gesamte sittliche Erkenntniß, als den möglichen Inhalt aller Offenbarung, aller Symbole, u. Kirchenglaubens, in organischer Einsicht, in vollendeter Klarheit, so leidet es keinen Zweifel, daß die, die dies nur ist, höchste Richterin ist, und daß alles, was ihr widerspricht, irrig sey, u. durch den Fortschritt allmählich aufgegeben, u. losgelöst werden muß“ (390 f.). 317  Anweisung 1806 – GA I/9, 116. 318  Anweisung 1806 – GA I/9, 116. 319  NT Joh 1,1.

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

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duelle Person der Logos = B[egriff] übertragen wurde“320. Kurz gesagt: Fichte steht sowohl hinsichtlich entscheidender Lehrgehalte als auch hinsichtlich des Kanons der Texte der Heiligen Schrift im Widerspruch zur doktrinalen Ausbildung des römisch-katholischen und protestantischen Christentums und geht an dieser Stelle – aber auch an einigen anderen – ganz eigene Wege321. 320 

WL 1804-I – GA II/7, 82. behauptet nicht nur, daß die WL mit dem Christentum übereinstimme, sondern auch, daß es „dem Wesen nach noch viel älter sein möchte, als wir annehmen“ (WL 1804-II – StA, 255 – GA II/8, 378). Näher ausgeführt wird dieser Gedanke in der WL 1804I, darin sagt Fichte: „Diese Form scheint verlohren [ge]gangen zu seyn, seitdem sie durch Schrift, u. Wort sich verbreiten wollte. In dem Sinne, wie ich das Xstenthum nehme, dürfte es wohl nur vor Jesus existirt haben. Denn seit dieser Zeit findet sich nur noch bei den verschrieenen, aber durchaus bei keinem namhaften Manne eine Spur“ (WL 1804-I – GA II/7, 82). Vollständig aufgeklärt wird dieser Gedanke erst in der „Siebten Vorlesung“ der Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters (1806) und der „Sechsten Vorlesung“ der Anweisung zum seligen Leben (1806): Fichte geht davon aus, daß es in der Religionsgeschichte eine ursprüngliche, echte Lehre gab, die auf Melchisedek zurückgeht. Melchisedek wird in der Bibel in drei wichtigen Zusammenhängen erwähnt: Im ersten Buch Mose wird er als „König von Salem“ und „Priester Gottes des Höchsten“ bezeichnet, der „Brot und Wein“ darbrachte und Abraham segnete; in Psalm 110,4 heißt es mit Bezug auf König David: „Du bist ein Priester ewiglich nach der Weise Melchisedeks“; und im Brief an die Hebräer wird von Jesus gesagt, er sei „ein Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks“ (vgl. AT Gen 14,17 – 19, Ps 110,4; NT Hebr 5,10). Fichte deutet diese Stellen in der Bibel so, daß „Abraham […] in seine Lehre, ohne Zweifel durch Melchisedek, eingeweiht worden“ (Anweisung 1806 – GA I/9, 124) und Jesus somit der „Wiederhersteller der Melchisedek-Religion“ sei. Leider gibt es aber keine konkreten Zeugnisse darüber, was die genaue Lehre Melchisedeks war, für Fichte besteht sie aber „ohne Zweifel ganz in dem Sinne jener Äußerungen Jesu beim Johannes“ (Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters (1806), in: GA I/8, 270). Joseph Ratzinger – Benedikt XVI. macht darauf aufmerksam, daß Philon von Alexandrien (13 v. bis 45/50 n. Chr.) auch diese Zusammenhänge sieht und mit der Verwandlung von Wasser in Wein auf der Kana-Hochzeit verbindet. Philon mache seine „Logos-Theologie heilsgeschichtlich an Melchisedek fest“. „In Melchisedek ist es der Logos, der handelt“ und der „wahre Spender des Weines“ sei der „göttliche Logos“. Ratzinger weiter: „da der mit dem Johannes-Evangelium theologisch verwandte Hebräer-Brief die Melchisedek-Theologie ausdrücklich entfaltet; da Johannes Jesus als den Logos Gottes und Gott selbst vorstellt; da endlich der Herr Brot und Wein als Träger des Neuen Bundes geschenkt hat, ist es gewiß auch nicht verboten, in solchen Zusammenhängen zu denken“ (Joseph Ratzinger – Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth. Erster Teil: Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung, Freiburg/Basel/Wien 2007, 297). Fichte hält weiterhin die „äußere Beweisführung durch Wunder“ (Anweisung 1806 – GA I/9, 116) für vollkommen ausgeschlossen und auch die Erlösungslehre ist für ihn wenig überzeugend, und dies schlicht und ergreifend deswegen, weil „der Mensch […] mit der Gottheit sich nie entzweien [… und] eben darum auch nicht sündigen kann“ (Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters (1806), in: GA I/8, 346). Zu Fichtes Religionsphilosophie vgl. Hansjürgen Verweyen: „Fichtes Religionsphilosophie. Versuch eines Gesamtüberblicks“, in: Fichte-Studien 8 (1995) 193 – 224; ders.: „Einleitung“, in: J.G. Fichte: Versuch einer Kritik aller Offenbarung (1792), hg. und eingel. v. Hansjürgen Verweyen, Hamburg ²1998, VII – LXX; ders.: „Einleitung“, in: J.G. Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben, oder auch die Religionslehre (1806), hg. v. Hansjürgen Verweyen, Hamburg 52001, XIII – LXVI; Walter Jaeschke/Andreas Arndt: Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant, 432 – 453. 321  Fichte

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

Wenn es sich aber nicht um den personalen und dreieinigen Gott des Chri­ stentums handelt, stellt sich die Frage, was Fichte dann unter Gott oder dem Göttlichen versteht? Fichtes geradezu unerhörte Antwort lautet in der WL 1805: „der eigentliche reale Gott ist in uns selber“322, d.h. jeder Mensch ist qua Vernunft ein lebendiges Bild Gottes oder eben Gott selbst. Für Fichte ist Gott nicht außerhalb oder gar jenseits und Gott hat nicht nur einmal in der Form von Jesus Christus menschliche Gestalt angenommen, sondern Gott ist die Eine „absolute Vernunft“, die nur unmittelbar lebendig zu vollziehen ist und sich in jedem Akt des Denkens aktualisiert und manifestiert323. Erst durch die Reflexion und die (im nachfolgenden Unterkapitel zu behandelnde) Selbstverobjektivierung zerfällt die Eine absolute Vernunft in die „objektive Vernunft“ und die subjektive Vernunft, zerfällt die reine Urkonstruktion in eine Vor- und Nachkonstruktion, zerfällt das „absolute[] unmittelbare[] sich Machen“ in das Machen und das Bild des Machens, zerfällt die reine Tätigkeit oder das spontane Urerzeugen in Leben und Begriff, in Vollzug und Darstellung, in das „stehende[] Objekt“ und „stehende[] Subjekt“, in das unmittelbare Bilden und das „Bilden, als Bilden“324. In Fichtes Formel aus der Principien-Vorlesung von 1805 – „Ich = Welt. Vernichtung des Ich = Gott, in uns“325 – kommt nicht nur die Annihilierung der Ansichgültigkeit der Form zum Ausdruck, sondern auch die Idee der Immanenz des Absoluten. Das Absolute ist, wie es in der WL 1804-I heißt, das „Vermögen, oder besser, das absolute substantielle Seyn“, das aber nicht außerhalb des Wissens, Denkens und Begriffs zu suchen ist, „sondern in uns existiert, u. lebt u. handelt das

322 

WL 1805 – GA II/9, 227. WL 1804-II – StA, 279 – GA II/8, 414. Die Deutung des Absoluten als absolute Vernunft ist insofern konsequent, als Fichte zum einen zwischen der selbstbezüglichen Form der Vernunft und dem absoluten Leben der Vernunft unterscheidet und zum anderen auf die „Concrescenz“ – die „absolute Verwachsenheit“ – von Leben und Form der Vernunft aufmerksam macht (WL 1812 – GA II/13, 140): Das Absolute ist mit der Form „schlechthin vereinigt und verwachsen“ (WL 1812 – GA II/13, 142) und die „Unzertrennlichkeit des Seyns u. Bildes ist durch die Ichform gesezt“ (Transscendentale Logik II (1812) – StA, 104 – GA II/14, 272), zugleich aber ist es „nicht in der Form“ (WL 1812 – GA II/13, 142); es ist „weder ausser derselben […] noch in derselben, sondern in der Mitte schwebend“ (WL 1812 – GA II/13, 143). Die Idee der Identifizierung von Gott und Vernunft läßt sich schon beim frühen Fichte ausmachen, so heißt es in der Nachschrift zu den Vorlesungen über Logik und Metaphysik von 1797: „Gott […] ist die Vernunft selbst“ (GA IV/1, 446). Zur Deutung des Absoluten als absolute Vernunft vgl. Wilhelm G. Jacobs: „Einzelkommentar zu: Die Wissenschaftslehre. Vorgetragen im Jahr 1804“, in: Johann Gottlieb Fichte: Werke I: Schriften zur Wissenschaftslehre, hg. v. Wilhelm G. Jacobs, Frankfurt a. M. 1997, 849 – 889, hier: 885 f. [Reihe = Bibliothek der Philosophie/Bibliothek deutscher Klassiker, Bd. 141] und Roderich Barth: Absolute Wahrheit und endliches Wahrheitsbewußtsein. Das Verhältnis von logischem und theologischem Wahrheitsbegriff – Thomas von Aquin, Kant, Fichte und Frege, Tübingen 2004, 257 – 356, hier: 353. 324  WL 1804-II – StA, 277 f. – GA II/8, 412 f. 325  Principien 1805 – GA II/7, 403. 323 

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

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absolute Eine Leben selber“326. Das Konzept der Immanenz des Absoluten beinhaltet also zum einen Fichtes Gottesverständnis und zum anderen die These, „daß das Absolute nicht ausser dem Absoluten gesucht werden müsse; und […], daß wir das Absolute wohl nie erfassen werden, wenn wir es nicht einmal leben und treiben“327. Neben der Immanenz ist es die Bestimmung des Absoluten als des schlechthin Unbedingten, die Fichte immer wieder thematisiert und mit verschiedenen Begriffen umschreibt: „Das Seyn“, so in der WL 1812, „ist […] schlechtweg von sich, durch sich, aus sich; es ist, was es ist, durch sich selbst“328. Diese reine „Unbedingtheit“329, die Fichte auch mit den lateinischen Termini „Ens a se, per se“ auszudrücken versucht330, beinhaltet, daß das absolute Sein selbst nicht noch einmal etwas voraussetzt und deshalb ein „absolutes Vonsich“ und konsequenterweise „nicht von einem 326  WL 1804-I – GA II/7, 78 und 76. In der WL 1812 finden sich zwei Stellen, die als erneute Verschiebung interpretiert werden könnten, die aber konsequent zu Ende gedacht, das Konzept der Immanenz aufheben würden. An einer Stelle heißt es: „ist denn die Erscheinung in der That Princip? – Nein, sondern Sein aus und an Gott“ (Fichte: Wissenschaftslehre 1812, in: Fichtes Werke, hg. v. Immanuel Herrmann Fichte, Bd. X, Bonn/Berlin 1834 – 46, 362, Kursivierung von mir, P.T.). Bei dieser Formulierung handelt es sich aber um eine Ergänzung durch Fichtes Sohn, Immanuel Herrmann Fichte, die in der Gesamtausgabe und damit im Originalmanuskript nicht zu finden ist (vgl. WL 1812 – GA II/13, 81). Von Fichte selbst stammt allerdings die Formulierung: „Die Erscheinung ist drum schlechthin ein freies: durch u. an Gott, ein blosses reines Vermögen“ (WL 1812 – GA II/13, 96, Kursivierung von mir, P.T.). Die Formulierung „an Gott“ anstelle von „Gott in uns“ legt nahe, daß es doch eine Differenz zwischen Absolutem und absolutem Wissen gibt, die tiefer reicht als die bisher vorgeschlagene Unterscheidung zwischen absolutem Gehalt und Ich-Form. Unter diesen Vorzeichen wäre dann aber die Gefahr des Dualismus nicht mehr zu bannen: Wären wir nicht qua Vollzug das absolute Leben selber, d.h. wäre das vollzogene Leben wieder nur die Erscheinung und eben nicht „Gott in uns“, wäre ein viel größerer Hiat zwischen Absolutem und absolutem Wissen. Zudem müßte erklärt werden, wie es zu einem von uns vollziehbaren Bild des Absoluten kommt; zum zweiten wird dem Absoluten eine Erscheinungsstruktur unterstellt. Tatsächlich ist das Absolute in sich geschlossen und nur die Erscheinung setzt noch einmal ein Bild von sich. Aufgrund der mangelnden Plausibilität dieser Überlegungen wird in dieser Arbeit davon ausgegangen, daß Fichte in dieser Frage an den Einsichten von 1804/05 festhält, d.h. daß das Ich hinsichtlich seines Daseins vom Absoluten unterschieden und hinsichtlich seines Seins der „unmittelbare Berührungspunkt“ ist (WL 1805 – GA II/9, 249 f.). Wie bereits an anderer Stelle angemerkt, kritisiert Fichte Spinozas Auffassung, daß „wir […] in Gott [sind], unser Leben in ihm, u. dergl.“ (WL 1812 – GA II/13, 56), so daß die Formulierung „an Gott“ möglicherweise mehr in Abgrenzung zu Spinoza zu verstehen ist. Eine positive Rezeption der Formulierung „an Gott“ findet sich v.a. bei Jacinto Rivera de Rosales: „Die Welt als Bild“, in: Johann Gottlieb Fichtes Wissenschaftslehre von 1812. Vermächtnis und Herausforderung des transzendentalen Idealismus, hg. v. Thomas Sören Hoffmann, Berlin 2016, 97 – 108, hier: 99. 327  WL 1804-II – StA, 272 f. – GA II/8, 404. 328  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 262; vgl. auch WL 1804-II – StA, 151 – GA II/8, 228. 329  WL 1804-II – StA, 241 – GA II/8, 361. 330  Principien 1805 – GA II/7, 378.

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

Andern“ ist331. Fichte greift an dieser Stelle ein Moment des Causa-sui-Gedankens Spinozas auf: Dieser bezeichnet das Absolute als Substanz, die hinsichtlich ihres faktischen Daß-Seins und qualitativen Was-Seins nicht noch einmal durch etwas anderes verursacht oder abgeleitet werden kann, sondern „Ursache seiner selbst“ und daher vollständig „in se […] et per se“ begriffen werden kann332. Die Differenz zwischen beiden Philosophen besteht darin, daß Spinoza der Auffassung ist, daß der Begriff („conceptus“) des Absoluten „nicht des Begriffs eines anderen Dinges bedarf, von dem her er gebildet werden müßte“333; wohingegen Fichte den Gedanken des Von-sich- und Durch-sich-Seins vom Begriff des Absoluten ablöst und rein auf das Absolute selbst bezieht, da jeder Begriff ein bestimmter Begriff ist und sich daher zwangsläufig auf sein Gegenteil bezieht und sich von diesem unterscheidet. Fichtes Konzept vom Absoluten beinhaltet aber noch ein drittes Moment, welches für seinen gesamten Ansatz tragend ist, und zugleich einige Fragen aufwirft: die In-sich-Geschlossenheit oder Inkludenz des Absoluten334. In der Transscendentalen Logik II wird der Gegensatz zwischen Absolutem und Wissen deutlich zum Ausdruck gebracht: „Seyn, absolute Geschlossenheit in sich selber –. Bild, absolute sich Aeusserung, u. Darstellung“335. Dieses Moment besagt, daß das Absolute „nie aus sich heraus kann“336, daß es „kein[en] Wandel“, „keine Veränderung“ und kein Werden umfaßt, denn „was es ist, ist es und kann es nicht werden“337, sowie – ganz im Sinne Spinozas – „keine Verneinung“ („negationem nullam“) in sich schließt338. Aus Fichtescher Perspektive ist die These der Inkludenz in vielfacher Hinsicht konsequent: Das Absolute steht außerhalb jeder Relation; denn wäre es Teil einer Relation, wie eben der Begriff des Absoluten, dann wäre es nicht mehr das schlechthin Unbedingte, sondern qua Relation durch ein anderes bedingt. Das Absolute ist kein Gewordenes, weil das Gewordensein auf ein höheres Prinzip des Werdens verweisen würde, das Auskunft über das Wie und Wodurch des Werdens geben könnte. Daß das Absolute keine Negation in sich einschließt, hat nicht nur etwas mit der Relationslosigkeit zu tun – denn alles sich in einer Relation Befindliche muß ein Unterscheidungsmoment in sich tragen, sonst wäre es mit dem anderen Relatum identisch –, sondern auch damit, daß eine Negation des oder im Absoluten – im Fichteschen Verständnis – eine Negation im Vollzug des Denken bedeuten würde: Ein nicht-denkendes Denken ist aber ein Un-Gedanke, weil das Gegenteil dessen ausgesagt wird, was qua Vollzug realisiert wird, d.h., die Annahme eines 331 

WL 1804-II – StA, 194 f. – GA II/8, 292. Ethik in geometrischen Formen dargestellt, I. Teil, Definition 1 und 3, in: ders.: Sämtliche Werke, Bd. 2, Hamburg 1999, 4 f. 333 Ebd. 334  Auf dieses Moment legt Janke in allen seinen Publikationen großen Wert (vgl. exemplarisch: Wolfgang Janke: Vom Bilde des Absoluten, 114 – 120). 335  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 41 – GA II/14, 222. 336  WL 1804-II – StA, 160 – GA II/8, 242. 337  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 262. 338 Spinoza: Ethik, I. Teil, Definition 6, in: ders.: Sämtliche Werke, Bd. 2, Hamburg 1999, 6 f. 332 Spinoza:

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

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nicht-sehenden Sehens, nicht-wissenden Wissens oder nicht-denkenden Denkens ist insofern widersprüchlich, als das Sehen seinem Wesen nach nichts anderes als Sehen ist und deshalb nicht nicht-sehen kann, d.h. es wäre demnach eine Differenz zwischen ‚Sagen und Tun‘, die sich sogleich wieder aufheben würde. Der Vollzug des Wissens ist dasjenige, hinter dem nicht noch einmal zurückgegangen werden kann und das immer schon vorausgesetzt werden muß. Aus diesem Grund identifiziert Fichte im XV. Vortrag der WL 1804-II absolutes Sein und Leben miteinander, da mit dem Begriff des Lebens noch am adäquatesten ausgedrückt wird, was das Absolute seinem Wesen nach ist, „so daß beides Sein und Leben, und Leben und Sein durchaus sich durchdringen, in einander aufgehen, und dasselbe sind, und dieses dasselbe Innere das Eine und alleinige Sein [ist]. […] Dieses einige Sein und Leben kann nun durchaus nicht ausser ihm selber sein, oder aufgesucht werden, und es kann ausser ihm gar Nichts sein. Kurz, und mit Einem Worte: es findet durchaus und schlechthin nicht Zweiheit oder Vielheit Statt, sondern nur Einheit; denn das Sein eben selber führt durch sich die in sich geschlossene Einheit bei sich, und darin besteht ihr Wesen“339.

Der Begriff des Lebens ist in diesem Zusammenhang nicht das organische Leben im allgemeinen oder das empirische Leben in der Zeit, sondern es ist „unser Leben oder das [intelligible] Leben der Vernunft“340. An dieser Stelle wird deutlich, daß für die Fichtesche Konzeption des Absoluten ganz entscheidend ist, daß sich der Gedanke der Immanenz und das Konzept der In-sich-Geschlossenheit aus dem Begriff des reinen Lebens ergeben: Dasjenige, „was unmittelbar lebt, das ist das esse [in mero actu], denn nur das esse lebt, und da ist es ganz, als eine untheilbare Einheit […]. Wir leben, eben unmittelbar im Lebensakte selber; wir sind daher das Eine ungetheilte Sein, in sich, von sich, durch sich, das schlechthin nicht [ausser sich sein und aus sich selber] herausgehen kann zur Zweiheit“341.

Das Absolute ist unteilbar, weil es lebt, und es kann nicht aus sich heraus, „denn wir sind es“342, d.h., es ist in sich geschlossen, weil wir das Absolute qua Vollzug selber sind: Es sei laut Fichte zu begreifen, „daß das Eine absolute Leben eben das unsrige, und das unsrige das absolute Leben sey, indem es nicht zwei Leben, sondern nur Ein Leben zu geben vermöge, und daß das Absolute auch in uns eben nur unmittelbar lebend, und im Leben, und auf keine andere Weise dazusein vermöge, indem es überhaupt auf keine andere Weise dazusein vermag; […] daß nur in uns das Absolute lebt, nachdem es überhaupt in uns lebt, es aber nicht zweimal zu leben vermag. Inwiefern aber nun ferner angenommen wird, daß wir nicht bloß das Eine Leben, sondern zugleich auch Wir oder Bewußtsein sind, so würde insofern das Eine Leben in die Form des Ich eintreten“343. 339 

WL 1804-II – StA, 151 – GA II/8, 228. WL 1804-II – StA, 273 – GA II/8, 404, Einfügung von mir, P.T. 341  WL 1804-II – StA, 152 – GA II/8, 230. 342  WL 1804-II – StA, 154 – GA II/8, 232. 343 Fichte: Bericht über den Begriff der Wissenschaftslehre und die bisherigen Schicksale derselben (1806), in: GA II/10, 31. 340 

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

Was anfangs als „Gott, in uns“ und absolutes Sein bezeichnet wurde, erweist sich an dieser Stelle als immanentes, unbedingtes, in sich geschlossenes, „unmittelbares“ und „actuelles Leben“ der Vernunft344. Fichte gehört damit ebenfalls zur älteren Tradition der Actus- bzw. Aktualitätsphilosophien, „nach denen das Sein nichts Ruhendes, Festes, sondern lebendiges Geschehen ist“345. So versteht nicht nur Leibniz die individuelle Substanz als lebendige Einheit, sondern bereits Thomas von Aquin (1225 – 1274) bezeichnet in seiner Frühschrift De ente et essentia Gott nicht nur als erstes Prinzip und erste Ursache, sondern auch als „actus primus et purus“346. Es ist diese Tradition der Deutung des Seins als Vollzug, die auch im 20. Jahrhundert unter veränderten Vorzeichen beim späten Heidegger als Geschehnis, Anwesen oder Gabe fortgesetzt wird347. Vergleicht man diese Idee des Absoluten mit der ersten WL zeigen sich entscheidende Unterschiede, aber auch bemerkenswerte Kontinuitäten: Fichte vereinigt im Absoluten der späten WL zwei Motive seines Denkens, die ursprünglich nichts miteinander zu tun hatten: die In-sich-Geschlossenheit und die Unbegreiflichkeit. Hinsichtlich der Unbegreiflichkeit und Unverfügbarkeit übernimmt das Absolute die erkenntnistheoretische Funktion des Anstoßes, aber hinsichtlich der In-sich-Geschlossenheit übernimmt das Absolute die prinzipientheoretische Funktion des absoluten Ich der GWL von 1794/95. Das Absolute übernimmt die Funktion des Anstoßes oder der Dinge an sich nicht nur in bezug auf die Unbegreiflichkeit, sondern auch hinsichtlich der Lebendigkeit; das Leben des Bewußtseins erwies sich in der GWL als durch den Anstoß bedingt, wohingegen in der späten WL diese Lebendigkeit, wenn man so will, nach innen verlegt wird. Das Absolute ist aber trotzdem mehr als nur ein Grenzbegriff, wie derjenige der ‚Dinge an sich‘ bei Kant oder des unbegreiflichen Anstoßes beim frühen Fichte, da das Absolute eine unmittelbar zu vollziehende Einheit ist, auf die ein Begriff immer nur hindeuten kann. Daß Fichte zufolge „die reine Vernunft […] das Sein, oder das Absolute ein in sich selber geschlossenes Ich sei“348, unterstreicht, daß das Absolute eben auch an die Stelle des absoluten Ich der GWL tritt. Allerdings – und dies ist ganz wichtig – nur in bezug auf das Moment der Inkludenz, denn auch das absolute Wissen tritt an die Stelle des absoluten Ich, aber als in sich differenzierte Einheit. Die Identifizierung von Absolutem und Ich im XV. Vortrag der WL 1804-II bezieht sich nur auf den absoluten Gehalt – den lebendigen Vollzug –, nicht jedoch auf die dialektische Form der Subjektivität. 344 

Principien 1805 – GA II/7, 403 und WL 1804-II – StA, 152 – GA II/8, 203. Wörterbuch der philosophischen Begriffe, begründet von Friedrich Kirchner und Carl Michaëlis, fortgesetzt von Johannes Hoffmeister, vollständig neu herausgegeben von Armin Regenbogen und Uwe Meyer, Hamburg 1998, 23. 346  Thomas von Aquin: De ente et essentia – Über Seiendes und Wesenheit (1254/56), in: Editio Leonina: Sancti Thomae Aquinatis doctoris angelici Opera omnia, iussu Leonis XIII. P.M. edita, cura et studio fratrum praedicatorum, Tomus XLIII, Rom 1882 ff., 376. 347  Vgl. Martin Heidegger: „Zeit und Sein“ (1962), in: ders.: Zur Sache des Denkens, Tübingen 2000, 1 – 25. 348  WL 1804-II – StA, 155 – GA II/8, 234, Kursivierung von mir, P.T. 345 

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

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Die Unbegreiflichkeit, Unverfügbarkeit und Lebendigkeit des Absoluten auf der einen Seite und die In-sich-Geschlossenheit desselben auf der anderen Seite verdeutlichen einmal mehr die Schwierigkeit einer glatten Auskunft oder einfachen These zur Kontinuität und Diskontinuität der Fichteschen Wissenschaftslehre. Das Absolute ist nicht einfach das absolute Ich, das Nicht-Ich oder der Anstoß, gleichsam sind aber frühere Motive in diesem transzendentalen Begriff des absoluten Lebens wiederzuerkennen. (2) Fichtes Bestimmung des Absoluten als unteilbares, in sich geschlossenes, unmittelbares, immanentes und unbedingtes Leben unterstreicht die Transzendentalität seines Ansatzes, zugleich werden daran aber auch die Grenzen seines Transzendentalismus sichtbar: Fichte kann vom Absoluten sprechen, ohne in eine vorkritische Metaphysik zurückzufallen, Fichte kann trotz oder gerade aufgrund der Transzendentalität seines Ansatzes Gott wieder auf den Schild der Philosophie heben, indem er Gott nicht ins Jenseits verschiebt oder externalisiert, sondern Gott und absolute Vernunft miteinander identifiziert und das Leben der Vernunft als unmittelbar zu vollziehende, unbegreifliche Einheit bezeichnet. Es ist aber das Moment der Unmittelbarkeit, das zu einem nicht weiter vermittelbaren Hiatus zwischen Absolutem und Erscheinung führt. So wie in der ersten WL das Sich-Setzen des absoluten Ich ein unmittelbares ist, so bleibt nach 1804 ein Moment der Unmittelbarkeit bestehen. Dies ist auch keine Nachlässigkeit oder etwa unbeabsichtigt, sondern geradezu konstitutiv für den gesamten Ansatz: Hinsichtlich der „Gretchenfrage“, so Wolfgang Janke, wie „man es mit dem Übergang vom Absoluten zur Erscheinung [hält]“349, bleibt die Wissenschaftslehre deshalb Transzendentalphilosophie, weil sie die absolute Form des Wissens nicht aus dem Absoluten ableitet und den Standpunkt des lebendigen Absoluten nicht einnimmt. „In Frage steht nicht das Wie, sondern das Daß der Äußerung des Absoluten“350. Fichte gehe es nicht um die „Einsicht in das Wesensgesetz“, wie, warum und wodurch sich das Absolute äußert. Weiter schreibt Janke: „Die Wissenschaftslehre bleibt in der ‚Emanationsfrage‘ bei einem Daß ohne Wie und Warum. Daß es außer dem in sich geschlossenen Absoluten ein reines Wissen davon gibt, ist eine unhintergehbare Letztgegebenheit. Daß das reine, nicht-intentionale Wissen seine urreale Lebendigkeit nicht dem Durchgang der Reflexionsform verdankt, sondern als Dasein des Lichts und Lebens durch ein aus sich selbst lebendes Leben gehalten wird, ist gleichfalls ein nichtgenetisierbares Urfaktum.“351

Das Durch, Bilden, absolute Wissen, synthetisch-analytische Einheits- und Differenzprinzip oder einfach der absolute Begriff als in sich differenzierte Einheit ist hinsichtlich seiner Lebendigkeit durch das esse in mero actu als in sich geschlossene Einheit bedingt. Fichte hat mit dem reinen Sein, das nach aller Abstraktion übrigbleibt, prima facie ein Moment in der Konstitution des Wissens entdeckt, das über den Begriff scheinbar hinausweist. Das Verständnis des Absoluten als rein zu Wolfgang Janke: Vom Bilde des Absoluten, 26. 339. 351  Ebd., 535, Anm. 349 

350  Ebd.,

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

vollziehende Unmittelbarkeit ist vor dem Hintergrund seiner Konzeption des absoluten Begriffs und dem transzendentalen Paradigma konsequent, führt aber letztlich, trotz wechselseitiger Bedingtheit von Absolutem und absolutem Wissen als wechselseitiger Beziehung von Gehalt und Form, zu einem Form-Gehalt-Gegensatz, der sich zumindest an diesem Punkt der Analyse nicht vollständig auflösen läßt. Daß das Verhältnis beider Momente nicht nur eine wechselseitige Bedingtheit ist, sondern auch durch den Gegensatz geprägt ist, zeigte sich besonders in den Ausführungen zur Reflexibilität – dem Vermögen zur freien Tätigkeit des Begriffs. Nicht nur das Absolute erwies sich als unbedingtes Moment im Wissen, sondern auch die formale Freiheit des Wissensvollzugs erwies sich als ein Unbedingtes. Die Differenz zwischen Begriff und Vollzug, wie man den Form-Gehalt-Gegensatz auch bezeichnen kann, ist der Gegensatz zwischen Leben und Dialektik352. Dieser Gegensatz ist aber nicht in jeder Hinsicht plausibel und dies sowohl von einem immanenten als auch von einem externen Standpunkt aus. Zunächst zum immanenten Standpunkt: Nicht nur die Form ist durch das esse bedingt, sondern auch das esse durch die Form – und dies in zweifacher Hinsicht: Das Absolute ist sowohl hinsichtlich seines Sich-Zeigens als auch hinsichtlich des Vollzugs durch den absoluten Begriff bedingt. Da das Absolute als Inkludenz beschrieben wurde, das nie aus sich heraus kann, kann das Absolute nur in und durch den Begriff erscheinen, so daß das Sich-Zeigen des Absoluten beim späten Fichte durch ein dem Absoluten äußerliches Moment bedingt ist. Diese These könnte insofern entschärft werden, als das Absolute und die absolute Form nur in der Reflexion auseinanderfallen, aber auf der Ebene des Vollzugs eins sind. Gleichzeitig ist es aber so, daß sich das Wissen immer nur vermittels und durch den absoluten Begriff vollzieht, d.h. es gibt keinen reinen Vollzug außerhalb des Begriffs, denn nicht nur die begriffliche Beschreibung oder Nachkonstruktion des Absoluten, sondern auch der reine Vollzug des Wissens bleibt an den Begriff zurückgebunden: Das Absolute kann immer nur in der „Form des absoluten Durch“ – dem absoluten Begriff – erscheinen353. Vor diesem Hintergrund wird die These der In-sich-Geschlossenheit fragwürdig. Denn auch wenn das Absolute nicht aus sich heraus kann, weil wir es vollziehen, so vollziehen wir es immer nur innerhalb der scheinbar toten Form. Leben und Begriff verweisen aufeinander und erweisen sich als wechselseitig durcheinander bedingt, und dies sowohl hinsichtlich des Erscheinen-Könnens als auch hinsichtlich des Vollzugs. Das Konzept einer wechselseitigen Bedingtheit von absoluter Form und absolutem Gehalt widerspricht allerdings dem Verständnis des Absoluten als ‚Vonsich‘, ‚Durchsich‘ und ‚Aussich‘. Fichtes Begriff des Lebens, einem Leben, das das Moment der Negativität nicht in sich aufgenommen hat354, erweist sich als ein Abstraktum, weil es die Bedingtheit durch die Form, die NeWolfgang Janke: Fichte. Sein und Reflexion, 417; ders.: Vom Bilde des Absoluten, 246 – 249. 353  WL 1804-II – StA, 104 – GA II/8, 156. 354  Vgl. dagegen Hegels Lebenskonzept bei Annette Sell: Der lebendige Begriff. Leben und Logik bei G. W. F. Hegel, Freiburg/München 2013, hier besonders: 84. 352  Vgl.

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

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gativität und die Erscheinung nur scheinbar hinter sich läßt. Tatsächlich setzt sich der absolute Begriff auf allen Ebenen durch – auch auf der Ebene des Vollzugs – und das scheinbar Unbedingte erweist sich als ein durch den absoluten Begriff Bedingtes. Fichtes Idee einer intelligiblen Abstraktion, die weiß, daß sie nur ideell, aber nicht wirklich von der Negativität und der Form der Subjektivität abstrahieren kann, kann auch als Ausdruck der Unmöglichkeit des Fichteschen Unternehmens gegen seine eigene Intention interpretiert werden. Fichtes späte WL, die als dialektische Begriffsphilosophie von einer Differenz zwischen begrifflichem Denken und Vollzug ausgeht und in einen Gegensatz von Dialektik und Leben mündet, weist an dem Punkt über sich hinaus – und damit auch über die ‚transzendentale Besinnung‘ –, wo es nicht mehr plausibel ist, ein Leben jenseits der Negativität des absoluten Begriffs zu postulieren. (3) Dieser Gedanke läßt sich auch noch einmal von einem externen Standpunkt aus illustrieren – der Hegelschen Begriffsdialektik. An dieser Stelle können damit zugleich die Gemeinsamkeiten und Differenzen von Fichtes und Hegels Vernunftsystem ausführlicher diskutiert werden. Trotz einer programmatischen Nähe zwischen Fichte und Hegel, die sich in der Verbindung von Substanz und Subjekt und der Verschmelzung von Logik und Vernunftwissenschaft ausmachen läßt, behauptet Fichte nicht die vollkommene Identität von Seins- und Denkbestimmungen: Die WL ist ihrem Selbstverständnis nach eine Erscheinungswissenschaft. Die Erscheinung umgreift, trotz ihrer Absolutheit und Selbständigkeit, nicht das Absolute und sie ist nicht selbst das Absolute. Das Absolute bleibt immer noch das Andere des Denkens. Die Erscheinung ist Erscheinung des Absoluten und das Absolute erscheint in der Erscheinung als Absolutes. Hinsichtlich des Gesamtansatzes unterscheiden sich Fichte und Hegel grundlegend in ihrem Verständnis von Negativität und Leben bzw. von Begriff und Absolutem, d.h., bei Hegel fällt letztlich beides zusammen, wohingegen Fichte beide Aspekte strikt voneinander trennt. Diese grundlegende Differenz läßt sich in einem Bild sehr schön verdeutlichen: In der Einleitung zur Phänomenologie des Geistes (1807) spricht Hegel von der Leimrute, durch die das Absolute qua Erkennen eingefangen werden soll. Hegel will darauf hinaus, daß Erkennen und Absolutes nicht getrennt werden können: „denn nicht das Brechen des Strahls, sondern der Strahl selbst, wodurch die Wahrheit uns berührt, ist das Erkennen, und dieses abgezogen, wäre uns nur die reine Richtung, oder der leere Ort bezeichnet worden“355. Der späte Fichte hält dagegen an der Idee der Brechung des Lichtes durch ein Prisma fest. In der Erlanger Logik von 1805 heißt es: „Was daher im wirkl. Wissen vorkomme, wäre nur Zerschlagung u. Spaltung des Einen Wissens durch die Verwirklichung – so die Objekte insgesammt; bloß bestimmt als Objekte durch den Gegensatz gegen alle übrigen, in der Wurzel aber das Eine Wissen jenseits der Verwirklichung. – wie die farbigen Stralen hinter dem Prisma doch nur insgesammt der Eine reine Lichtstral vor dem Prisma sind: lediglich in ihrer Spaltung, nicht 355 Hegel:

Phänomenologie des Geistes (1807), in: GW 9, 54.

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aber an sich also verschieden, u, gefärbt. Die Spaltung [ist] erst [die] Erzeugerin der Farbe, wie dort der Mannigfaltigkeit: dieser Farbe, sowie dort dieser Objekte – welche diese u. verschieden sind, nicht an sich, sondern nur in Beziehung auf einander“356.

Aber sowohl das Prisma als auch das Licht sind wechselseitig durcheinander bedingt: das reine Licht allein ist unsichtbar, es muß gebrochen werden, um in den Bereich der Sichtbarkeit einzutreten; aber das Prisma allein, ohne das Licht, ist ebenso blind und leer. Beide gehören beim späten Fichte zusammen, so daß auch in seinem Vernunftsystem nicht nur Absolutes und Leben, sondern auch Leben und Erkennen nicht zu trennen sind. Beiden Philosophen ist gemeinsam, daß sie den absoluten Begriff ins Zentrum ihrer Überlegungen stellen. So heißt es bereits in der Phänomenologie des Geistes (1807) – die Hegel zu diesem Zeitpunkt als Hinführung zum Standpunkt der reinen Vernunftwissenschaft verstanden und die „die Befreiung von dem Gegensatze des Bewußtseyns“ zum Resultat hat357 –, daß sich dem Denken „der Gegenstand nicht in Vorstellungen, oder Gestalten, sondern in Begriffen“ bewegt. „Das Vorgestellte, Gestaltete, Seyende, als solches, hat die Form, etwas anderes zu seyn, als das Bewußtseyn; ein Begriff aber ist zugleich ein Seyendes“; und die Bewegung in Begriffen ist „eine Bewegung in mir selbst“358. Es gibt keine Differenz zwischen dem Begriff als Gegenstand des Bewußtseins und dem Bewußtsein selber, wie zwischen vorgestelltem Gehalt und vorstellendem Bewußtsein. Die reine Wissenschaft oder das System der reinen Vernunft „darf sich nur durch das eigne Leben des Begriffs organisieren“359. Hegels Wissenschaft der Logik (1812 – 1816/1832) ist diese Darstellung der inneren Notwendigkeit der Selbstbewegung des Begriffes und hat darin ihren Inhalt. Was die „Nothwendigkeit des Zusammenhangs“ herstellt und „wodurch sich der Begriff selbst weiterleitet, ist das […] Negative, das er in sich selbst hat; dies macht das wahrhaft Dialektische aus“; unter spekulativer Dialektik versteht Hegel das „Fassen des Entgegengesetzten in seiner Einheit oder des Positiven im Negativen“360. „Das bewegende Princip des Begriffs“, das „eigne Leben des Begriffs“ und zugleich die Methode der Wissenschaft der Logik ist die „Dialektik“361. „Die Methode“, so Hegel, „ist der reine Begriff, der sich nur zu sich selbst verhält; sie ist daher die […] Beziehung auf sich“; „der sich begreiffende Begriff “ ist „erfülltes Seyn […] als die concrete [… und] intensive Totalität. […] In der Idee des absoluten Erkennens aber ist er zu ihrem Inhalt geworden. Sie ist selbst der reine Begriff, der 356 Fichte: Institutiones omnis philosophiae – Logik. Erlangen, 1805, in: GA II/9, 57 – 153, hier: 62. 357 Hegel: Wissenschaft der Logik. Das Sein (1812), in: GW 11, 21. 358 Hegel: Phänomenologie des Geistes (1807), in: GW 9, 116 f. 359  Ebd., 38. 360 Hegel: Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Sein (1832), in: GW 21, 39 f. 361 Hegel: Phänomenologie des Geistes (1807), in: GW 9, 38 und Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821), § 31 Anm., in: GW 14.1, 47.

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

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sich zum Gegenstand hat“362. Die absolute Negativität als Struktur des absoluten Begriffs und Struktur von Subjektivität ist „der innerste Quell aller Thätigkeit, lebendiger und geistiger Selbstbewegung, die dialektische Seele, die alles Wahre an ihm selbst hat, durch die es allein Wahres ist; denn auf dieser Subjectivität allein ruht das Aufheben des Gegensatzes zwischen Begriff und Realität und die Einheit, welche die Wahrheit ist“363.

Für Hegel ist ein jeder Begriff ein bestimmter Begriff und die „Bestimmtheit überhaupt ist Negation“364. Die allgemeine Bewegungsstruktur des Begriffs besteht darin, daß eine bzw. jede Denkbestimmung in sich ihr eigenes Gegenteil enthält. Die erste Negation hält beide Bestimmungen als Unterschiedene fest; entscheidend ist, daß die Negation nicht von außen an die jeweilige Kategorie herangetragen wird, sondern als Selbstbestimmung des Begriffs zu verstehen ist. Die Form der Unterscheidung enthält in sich aber auch ihr Gegenteil: Beide Unterschiedene stehen nicht nur im Gegensatz zueinander, sondern ihre Wahrheit ist das Verhältnis, das Aufeinanderbezogensein bzw. die Einheit beider. Diese zweite Form der Negation bezieht sich daher auf sich selbst und ist die Negation der Negation. Wesentlich ist für diese zweite Stufe die Herstellung und Realisierung von Einheit durch Selbstbeziehung als Form von Subjektivität. In der Begriffslogik (1816) macht Hegel deutlich, daß im zu sich selbst gekommenen Begriff die Funktion des reinen Selbstbewußtseins, also Kants Apperzeption, aufgegangen ist: Der freie Begriff „ist nichts anderes als Ich oder das reine Selbstbewußtseyn“365. Der gesamte Prozeß der Logik kann daher als Bewegungsform der reinen bzw. absoluten Subjektivität gedeutet werden. Das Wesen des Begriffs als absolute Negativität besteht in der Unterscheidung und der Herstellung der Einheit durch die Selbstbeziehung und ist somit mit Fichtes Urbegriff als Einheits- und Disjunktionsprinzip vergleichbar. Denn trotz der grundsätzlichen Differenzen ist hinsichtlich der Grundbewegung des Begriffs des Begriffs eine gewisse Ähnlichkeit auszumachen: In der religionsphilosophischen Vorlesung von 1827 führt Hegel die Momente des Geistbegriffs an, die letztlich auf die Momente seines Begriffs des Begriffs zurückzuführen sind: allgemeine Einheit, Diremtion und Sich-auf-sich-Beziehen oder „Wissen dieses Wissens“366. Fichte bezeichnet demgegenüber das Durch oder das Bilden als lebendige Einheit, das Sichbesondern als Bild oder Begriff des Bildens und das Sichauf-sich-Beziehen als Sich-Verstehen des Begriffs des Bildens. Der Unterschied Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Begriff (1816), in: GW 12, 252. Ebd., 246. 364 Hegel: Wissenschaft der Logik. Das Sein (1812), in: GW 11, 76. 365 Hegel: Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Begriff (1816), in: GW 12, 17. 366 Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Teil 1: Einleitung in die Philosophie der Religion. Der Begriff der Religion, in: ders.: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, hg. v. Walter Jaeschke, Bd. 3, Hamburg 1983, 265 – 338; vgl. dazu auch: Thomas S. Hoffmann: „‚Absoluter Geist‘: Zur Aktualität eines Hegelschen Theorems“, in: Philotheos – International Journal for Philosophy and Theology 11 (2011) 152 – 161. 362 Hegel: 363 

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

zwischen beiden ist, daß Hegel die absolute, d.h. sich auf sich beziehende und sich selbst vermittelnde Negativität des Begriffs als in sich lebendige Einheit versteht367, wohingegen Fichte für den Ursprung des lebendigen, begrifflichen Vollzugs ein höheres, alles tragendes, lebendiges Absolutes fern jeder Negativität und begrifflichen Unterscheidung annimmt. Fichte geht immer davon aus, daß wir es nur mit Erscheinungen zu tun haben, weshalb er zwischen dem Begriff als Erscheinung und dem lebendigen Absoluten als absoluter Realität unterscheidet; für Hegel ist im Unterschied dazu der absolute Begriff die Realität an und für sich selbst. Hegel geht von einer in sich differenzierten Einheit aus und Fichte von einem Verhältnis zwischen einer in sich differenzierten Einheit, dem Begriff, und einer in sich differenzlosen Einheit, dem lebendigen Absoluten. Für Fichte manifestiert sich das in sich differenzlose Leben in der lebendigen Beziehung zwischen den Begriffen; die absolute Beziehung ist die wahre Einheit zwischen Einheit und Differenz, die aber nur auf der Ebene der absoluten Form, d.h. auf der Ebene der Differenz, erscheinen kann. Fichte will darauf hinaus, daß sich die absolute Beziehung im Unterschiedenen zeigt, aber im Kern über beiden Differenzmomenten steht. Aus Fichtes Perspektive ist die absolute Negativität Hegels eine bloße Form, die nicht in sich lebendig sein kann, sondern in der sich die reine, sich selbst erzeugende Lebendigkeit sichtbar macht. Aus Hegels Perspektive ist das Fichtesche Absolute eine leere Abstraktion, weil sich die Beziehung bzw. das Durch nur in und durch die Differenz manifestiert; das Erscheinen-Können des in sich geschlossenen Absoluten ist an die in sich differenzierte Einheit – den absoluten Begriff – zurückgebunden. Die unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich des Lebens und der Negativität gehen darauf zurück, daß Fichte zwischen Gehalt und Form unterscheidet – eine Unterscheidung, die Hegel in seinem Ansatz überwunden hat und diesen als nicht mehr der Transzendentalphilosophie zugehörig ausweist. Diese grundsätzliche Differenz, wie sie auch im Bild von Licht und Prisma, dem Gegensatz von Leben und Dialektik oder Absolutem und absolutem Wissen illustriert wurde, ist letztlich – trotz einer gewissen Ähnlichkeit in der Grundbewegung – im unterschiedlichen Verständnis des absoluten Begriffs begründet: Für Hegel ist der absolute Begriff das schlechthin Unbedingte, wohingegen sich für Fichte im absoluten Begriff ein unbedingtes Moment manifestiert; für Hegel ist die Dialektik selbst das Prinzip, wohingegen Fichte ein lebendiges Prinzip der Dialektik annimmt. Es ging in diesem Unterkapitel darum, Fichtes Verständnis des Unbedingten als absolutes Leben in seiner Unmittelbarkeit – auch noch einmal im Unterschied zu Hegels Ansatz – begreiflich zu machen. Dadurch wurde das Problem deutlich, daß das Verhältnis von Gehalt und Form zugunsten des Begriffs auch umgekehrt werden kann, da das Absolute als Leben nur durch den Begriff erscheinen kann. Im folgenden Unterkapitel wird gezeigt, daß Fichte das Absolute nicht nur als Leben 367  Vgl. Hegel: Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Begriff (1816), in: GW 12, 247 und Hegel: Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Wesen (1813), in: GW 11, 288.

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

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versteht, sondern daß das Absolute auch als reine Gewißheit und Gesetzmäßigkeit erscheint, wodurch die in diesem Unterkapitel vorgetragenen Probleme gelöst und die Differenz zwischen Absolutem und Begriff vermittelt werden368. 368  Zur historisch-systematischen Erforschung des Verhältnisses von Fichtes später Wissenschaftslehre und Hegels Philosophie ab 1807 siehe: Martial Gueroult: L’évolution et la structure de la doctrine de la science chez Fichte, Band II, Paris 1930, 227 – 242; Felix Heine: Freiheit und Totalität. Zum Verhältnis von Philosophie und Wirklichkeit bei Fichte und Hegel, Bonn 1980; Karen Gloy: „Der Streit um den Zugang zum Absoluten. Fichtes indirekte Hegel-Kritik“, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 36 (1982) 25 – 48; Hans-Peter Falk: Das Wissen in Hegels „Wissenschaft der Logik“, Freiburg/München 1983, 164 – 173; Lore Hühn: „Die Unaussprechlichkeit des Absoluten. Eine Grundfigur der Fichteschen Spätphilosophie im Lichte ihrer Hegelschen Kritik“, in: Erfahrungen der Negativität. Festschrift für Michael Theunissen zum 60. Geburtstag, hg. v. Markus Hattstein/Christian Kupke/u.a., Hildesheim/Zürich/New York 1992, 177 – 201; Wolfgang Janke: Vom Bilde des Absoluten. Grundzüge der Phänomenologie Fichtes, Berlin/New York 1993, 29 – 73; ders.: „Das bloß gesollte Absolute. Zur strittigen Rolle des Sollens in Hegels Logik und Fichtes Phänomenologie ab 1804“, in: Transzendentalphilosophie und Spekulation. Der Streit um die Gestalt einer Ersten Philosophie (1799 – 1807), hg. v. Walter Jaeschke, Hamburg 1993, 177 – 191; Urs Richli: „‚Ich aber fordere Sie auf, absolute Genesis ins Auge zu fassen!‘ Realität und absolute Negativität in Fichtes Wissenschaftslehre von 1804 und Hegels Wissenschaft der Logik“, in: Fichte-Studien 6 (1994) 423 – 433; ders: „Hegels ‚Wissenschaft der Logik‘ im Lichte der Transzendentalphilosophie Fichtes“, in: Aufhebung der Transzendentalphilosophie? Systematische Beiträge zu Würdigung, Fortentwicklung und Kritik des transzendentalen Ansatzes zwischen Kant und Hegel, hg. v. Thomas Sören Hoffmann und Franz Ungler, Würzburg 1994, 79 – 93; Annette Sell: „Aspekte des Lebens. Fichtes Wissenschaftslehre von 1804 und Hegels Phänomenologie des Geistes“, in: Sein – Reflexion – Freiheit. Aspekte der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes, hg. v. Christoph Asmuth, Amsterdam/Philadelphia 1997, 79 – 94; Lu de Vos: „Die Rezeption der Wissenschaftslehre Fichtes in den Versionen der Hegelschen Wissenschaft der Logik“, in: Fichte-Studien 12 (1997) 257 – 271; Urs Richli: „Das Wir in der späten Wissenschaftslehre“, in: Fichte-Studien 12 (1997) 351 – 363; Lu de Vos: „Hegel versus Fichte über das Absolute. Fichtes Spätphase und Hegels Wissenschaft der Logik“, in: Hegel-Jahrbuch 1998, 86 – 90; ders.: „Das Geschehene ungeschehen machen. Über eine Denkfigur bei Fichte und Hegel“, in: Jahrbuch für Hegelforschung, Bd. 4/5 (1998/99) 221 – 231; Christoph Asmuth: „Der Anfang und das Eine. Die Systemgestalt bei Fichte, Schelling und Hegel“, in: Schelling. Zwischen Fichte und Hegel, hg. v. Christoph Asmuth/u.a., Amsterdam/ Philadelphia 2000, 403 – 417; Urs Richli: „Tun und Sagen in der Transzendentalpragmatik und der WL 1804“, in: Fichte-Studien 18 (2000) 205 – 215; Yoichi Kubo: „Transformation der Deduktion der Kategorien. Fichte in Hegel“, in: Fichte-Studien 21 (2003) 73 – 89; Urs Richli: „Ansichsein und Gesetztsein des reinen Wissens in Fichtes Wissenschaftslehre und in Hegels Wissenschaft der Logik“, in: Wiederkehr des Idealismus? Festschrift für W. Lütterfelds zum 60.Geburtstag, hg. v. Thomas Mohrs/Andreas Roser/Djavid Salehi, Frankfurt a. M. 2004, 61 – 74; Rolf Ahlers: „Der späte Fichte und Hegel über das Absolute und Systematizität“, in: Fichte-Studien 30 (2006) 187 – 200; Diogo Ferrer: „Hegels Fichte-Kritik und die späte Wissenschaftslehre“, in: Fichte-Studien 30 (2006) 173 – 185; Urs Richli: „Die ursprüngliche Konstitution des Wissens in Fichtes später Wissenschaftslehre“, in: Fichte-Studien 28 (2006) 65 – 74; Wolfgang Janke: Die dreifache Vollendung des Deutschen Idealismus. Schelling, Hegel und Fichtes ungeschriebene Lehre, Amsterdam/New York 2009 (vgl. dazu meine kritische Rezension zu Jankes Werk in: Hegel-Studien 45 (2010/11) 220 – 226).

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II.  Die Notwendigkeit der absoluten Erscheinung Im folgenden soll es darum gehen, die Notwendigkeit der absoluten Erscheinung durch die Erscheinung des Absoluten im Wissen nachzuweisen. Das Absolute ist nicht nur das unmittelbare und unbedingte Leben des absoluten Begriffs, sondern es erscheint auch als reine Gewißheit und absolute Gesetzmäßigkeit. Fichte hält insgesamt an den bisher gewonnenen Einsichten fest, allerdings kann Fichte den Gegensatz von Absolutem und absolutem Wissen, der bisher als Gegensatz zwischen Gehalt und Form sowie Leben und Dialektik beschrieben wurde, dahingehend vermitteln, daß auf dem höchsten Punkt der Selbstbeschreibung des Wissens Vollzug und Darstellung zusammenfallen. Es wird sich zeigen, daß das Absolute als Gesetzmäßigkeit des Bildens das höhere Prinzip der Dialektik ist, so daß der Gegensatz zwischen Gehalt und Form zwar bestehenbleibt, aber zugleich auch vermittelt wird, da das Absolute als gesetzmäßiges Prinzip die Form des Wissens bestimmt. Hierbei wird in folgender Weise vorgegangen: Zunächst wird die Rolle der Gewißheit bei Fichte im allgemeinen diskutiert, daran anschließend wird der Zusammenhang zwischen der bereits erarbeiteten, spekulativen Schlußlehre und der Gewißheit aufgezeigt, mit dem Ziel, deutlich zu machen, daß das Licht das Prinzip und die Form das Prinzipiat ist. Danach wird das Wesen der Gewißheit im engeren Sinne behandelt. An diesem Punkt der Selbstdurchdringung des Wissens soll im wesentlichen deutlich werden, daß die Form der Beschreibung mit dem beschriebenen Gegenstand strukturell identisch ist. Daran anschließend wird gezeigt, daß dies dadurch möglich ist, weil der beschriebene Gegenstand die Form des Begriffs bestimmt, genauer: indem das Absolute nicht nur als Leben und Gewißheit, sondern auch als unbedingtes, die Form bestimmendes Gesetz erscheint, zeigt sich, daß in der Beschreibung des Absoluten als Gewißheit dieses zugleich auch als Gesetz vollzogen wird. Aus diesem Grund wird sich die dialektische Bewegung des absoluten Begriffs als Ausdruck des absoluten Gesetzes erweisen; der absolute Begriff ist in diesem Sinne das lebendige „Schema Gottes“369. Abschließend wird gezeigt, daß die Verobjektivierung, die durch jede Form der begrifflichen Beschreibung zwangsläufig erfolgt, ihren Ursprung in der Selbstverobjektivierung der absoluten Vernunft hat. Zunächst aber zur Gewißheit im allgemeinen: (1) Fichtes WL gehört mit diesem Theorieelement in die lange Tradition der evidenz- bzw. gewißheitstheoretischen Wahrheitsansätze370. So entwickelt bereits Platon im Liniengleichnis, das im sechsten Buch des Dialogs Politeia behandelt wird, ein ontologisch verfaßtes Gewißheit- und Wahrheitsmodell. Dies beinhaltet, daß der Grad an Gewißheit der jeweiligen vier Erkenntnisweisen – Vernunft, Verstand, Glauben und wahrscheinliches Wissen – dem Grad an Wahrheit der jeweiligen vier Erkenntnisgegenstände – Ideen, mathematisch-geometrische Wahrheiten, sinnliDie Logik und das Absolute, 480. Vgl. Wilhelm Halbfass/Klaus Held: Art. „Evidenz“, in: HWPh 2 (1972) Sp. 829 – 834; Wilhelm Halbfass/Gerhard Rudolph: Art. „Gewißheit“, in: HWPh 3 (1974) Sp. 592 – 597. 369 Paimann: 370 

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che Gegenstände und Bilder sinnlicher Gegenstände – korrespondiert371. Demgegenüber hält mit René Descartes (1596 – 1650) am Beginn der Neuzeit ein Begriff von Gewißheit Einzug, der an den unmittelbaren Vollzug des Denkens und nicht mehr an die Gegenstände gebunden ist. Descartes zeigt, daß zwar alles bezweifelt werden kann, nur eben nicht der Akt des Zweifels selber, so heißt es bei ihm: „Das Denken ist’s, es allein kann von mir nicht getrennt werden. Ich bin, ich existiere, das ist gewiß.“372 Auch der frühe Fichte knüpft mit dem ersten Grundsatz der GWL von 1794/95 an die Cartesische Form der Selbstgewißheit an. Fichte führt darin die faktische Gewißheit des Identitätssatzes, ‚A = A‘, auf die genetische Gewißheit des „Ich bin Ich“ zurück. Es handelt sich hierbei nicht um die faktische Gewißheit des empirischen Selbstbewußtseins oder des ‚Ich denke‘, das alle meine Vorstellungen begleiten können muß, sondern es ist die Gewißheit des absoluten Grundsatzes des sich selbst setzenden Ich, das die Einheit des Bewußtseins überhaupt erst konstituiert und als Idee vorausgesetzt werden muß. Der späte Fichte entwirft demgegenüber ein Konzept von Gewißheit, das – von einem rein systematischen Standpunkt aus – einerseits die Platonische Überlegung eines objektiven Moments der Evidenz aufgreift und damit die rein subjektive Gewißheit übersteigt und andererseits keinen Rückfall zu Platon bedeutet, da Fichte von Descartes die entontologisierte Auffassung von Gewißheit und ihren Zusammenhang mit dem Vollzug des Wissens übernimmt. Kann bei Platon das subjektive Moment – die Gewißheit – zum objektiven Moment – dem Sein – in ein Verhältnis gesetzt werden, so identifiziert Fichte im Unterschied zu Platon Gewißheit, absolutes Sein und absolute Wahrheit vollständig miteinander. Im Unterschied zu 1794/95 spricht Fichte ab 1804 nicht mehr von der Gewißheit des absoluten Ich, sondern er versteht die reine Gewißheit als Erscheinungsform des Absoluten. Obwohl Fichtes WL durchgehend als gewißheitstheoretischer Wahrheitsansatz verstanden werden kann, wird im Spätwerk das Wesen der Gewißheit noch einmal vertieft373. Die Gewißheit wird nicht mehr dem 371  Vgl. Platon: Politeia 509c – 511e, in: ders.: Sämtliche Werke in zehn Bänden, nach der Übersetzung Friedrich Schleiermachers, ergänzt durch Übersetzungen von Franz Susemihl und anderen, hg. v. Karlheinz Hülser, Bd. V: Politeia, Frankfurt a. M. 2006, 501 – 507. 372  René Descartes: Meditationes de prima philosophia, auf Grund der Ausgabe von Artur Buchenau neu hg. v. Lüder Gäbe, durchgesehen von Hans Günter Zekl, mit neuem Register und Auswahlbibliographie versehen von George Heffernan, Hamburg 1992, 47. 373  Roderich Barth weist darauf hin, daß Fichte bereits in der BWL von 1794 unter Gewißheit die Einheit von Form und Gehalt versteht („Man nehme an, gewiß wissen heisse nichts anders, als Einsicht in die Unzertrennlichkeit eines bestimmten Gehalts von einer bestimmten Form haben“ (BWL – GA I/2, 123)). Barth spricht daher von einer „sachliche[n] Kontinuität über die Transformationen der Wissenschaftslehren hinweg“ (ders.: Absolute Wahrheit und endliches Wahrheitsbewußtsein. Das Verhältnis von logischem und theologischem Wahrheitsbegriff – Thomas von Aquin, Kant, Fichte und Frege, Tübingen 2004, 313). Aber ebenso wahr ist auch, daß sich dieses Verständnis von Gewißheit als Einheit von Form und Gehalt in der Phase von 1794/95 lediglich auf den ersten Grundsatz des sich selbst setzenden, absoluten Ich bezieht. Im System der Sittenlehre von 1798 spricht Fichte sogar von

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absoluten Wissen zugeordnet, das in weiten Teilen die Funktion des absoluten Ich übernimmt, sondern dem Absoluten, genauer: Fichte identifiziert die Gewißheit mit dem Absoluten, weil sie „kein Theil, sondern das Eine wahre Wesen“ sei374. D.h., die Gewißheit ist die Erscheinung des Absoluten auf der Ebene des absoluten Wissens. In der späten WL bezeichnet Fichte die Gewißheit auch als Evidenz und ebenso als Licht im Sinne einer absoluten Klarheit einer Einsicht. In der Nachschrift zur WL 1812 heißt es entsprechend: Das „Licht [ist] = absolute Evidenz“375. Das absolute Licht wird – wie das Leben – erst sichtbar, wenn es in die Form der Sichtbarkeit und des Wissens eintritt; die reine Helle des Lichtes zeigt sich erst, wenn es – bildlich gesprochen – durch das Prisma gebrochen wird. Sein Erscheinen-Können ist daher durch die Form der Subjektivität bedingt, zugleich übersteigt es aber diese Form, weil erst durch das Licht die Form als Form sichtbar wird. Beide Seiten – die Gewißheit als Gehalt und die Form als Form – fallen im Vollzug der absoluten Vernunft zusammen; es ist somit nicht der äußere Gegensatz von (subjektiver) Erkenntnisweise und Gewißheit auf der einen Seite und (objektivem) Erkenntnisgegenstand und Wahrheit auf der anderen Seite wie bei Platon, sondern ein immanenter Gegensatz: Die reine Gewißheit ist für den späten Fichte ein objektives Moment, das sich in der subjektiven Einsicht manifestiert, d.h., genetische und faktische Gewißheit sind bestimmte Erscheinungsformen der reinen Gewißheit oder des absolut lebendigen Lichtes. Der Gewißheit und der daraus hervorgehenden Gesetzmäßigkeit kommt insgesamt eine systemtragende Funktion zu, da sie letztlich die Notwendigkeit der absoluten Erscheinung und damit die Notwendigkeit der WL als ihrer Darstellung garantieren. In der begrifflichen Nachkonstruktion der Gewißheit zeigt sich schließlich, daß sie wesensmäßig mit dem lebendigen Absoluten als immanente und unbedingte In-sich-Geschlossenheit zusammenfällt, so daß sich diese als durch das Wissen vermittelte und vom Subjektivismus befreite Form des Absoluten erweist376. Bevor die begriffliche Beschreibung der Gewißheit thematisiert wird, soll der Zusammenhang zwischen der Schlußform des Wissens der „subjectiven Gewißheit“ als einem „unmittelbare[n] Gefühl“ und was die Differenzen zwischen dem frühen und späten Fichte hinsichtlich des Verständnisses von Gewißheit unterstreicht: „Das Gefühl der Gewißheit aber ist stets eine unmittelbare Uebereinstimmung unseres Bewußtseyns mit unserem ursprünglichen Ich […]. Dieses Gefühl täuscht nie, denn es ist […] nur vorhanden, bei völliger Uebereinstimmung unseres empirischen Ich mit dem reinen; und das letztere ist unser einziges wahres Sein und alles mögliche Sein, und alle mögliche Wahrheit“ (Fichte: System der Sittenlehre nach Principien der Wissenschaftslehre (1798), in: GA I/5, 1 – 317, hier: 158. Im folgenden abgekürzt: SSL 1798 – GA I/5. Im Unterschied dazu ist die Gewißheit in der WL 1804 Ausdruck und Manifestation einer höheren Totalität, durch das sich das Ich als durch diese Totalität Getragenes verstehen soll. 374  WL 1804-II – StA, 82 – GA II/8, 122. 375  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 394. 376  Ulrich Schlösser macht deutlich, daß Gewißheit und Selbstbewußtsein nicht miteinander zu identifizieren sind, sondern „Gewißheit und Selbstbewußtsein durchaus verschieden sind“ (ders.: „Entzogenes Sein und unbedingte Evidenz in Fichtes Wissenschaftslehre 1804 (2)“, in: Fichte-Studien 20 (2003) 145 – 159, hier: 153).

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und der Rolle des Lichtes sowie der Primat des reinen Lichtes gegenüber der Form der Sichtbarkeit behandelt werden. (2) Im XXI. Vortrag der Transscendentalen Logik II kommt Fichte noch einmal auf den spekulativen „Syllogismus“ des absoluten Wissens zu sprechen. Im Major wird das Gesetz unmittelbar ausgesprochen und ist daher das „Bild des Gesetzes“. Dieses Gesetz besagt, daß sich die Erscheinung „nothwendig als ein Bildseyn“ versteht, d.h., sie begreift, daß ihr Sein wesentlich Bildsein ist377. Im Unterschied zu dieser verstehenden-intellektuellen Anschauung wird im Minor lediglich das „Bild des Faktum[s]“ ausgedrückt, das lediglich „nach dem Gesetze ist […], ohne auf irgend eine Weise sich zu begreifen, weder in seinem Wesen als Bild, noch als Faktum aus seinem Gesetze“378. D.h., die faktische Anschauung des Bildes „liegt[] in der absoluten Begrifflosigkeit [… und ist] als der zweite Theil des Begreifens des Begreifens […] dasjenige, was in unserm früher aufgestellten Syllogismus der minor war“379. Der Schluß und die Synthesis von intellektueller und faktischer Anschauung erfolgt „mittelst der Subsumtion des Faktum[s] unter das Gesez“. Das Verstehen des Verstehens ist die Einsicht, daß das gesetzmäßige Bild (als Faktum) unter dem Gesetz des Bildens steht. Fichte faßt die Einsicht wie folgt zusammen: „Das Gesez war: Ich bin schlechthin Bild. Nun ist hier ein Bild: ich bin drum dieses Bild. Dies [ist] der Schluß“380. Diese synthetische Einheit der zwei Disjunktionsmomente im spekulativen Schluß verbindet Fichte an dieser Stelle mit seinem Verständnis von Gewißheit oder Evidenz: „[Dies ist] eine Einsicht[,] die sich macht, durch das Zusammenhalten eines Faktums an ein Gesetz, u. durch die in dem Zusammenhalten erfolgte Subsumtion: Einheit des Bildes, aus der Zweiheit. [Das] [n]ennt man Evidenz. Die ursprüngliche Genesis der Einsicht. Im Verstehen des Verstehens. Die absolut ursprüngliche Evidenz“381.

Die Gewißheit ist daher nicht nur ein Moment im konkreten Wissensvollzug, das faktisch als ‚A = A‘ in Erscheinung tritt oder sich einstellt, wenn der Begriff des Absoluten durchdrungen wird und aufgrund der Negativität und Selbstbezüglichkeit sich lediglich als Begriff und nicht als das Absolute selber erweist, sondern die Gewißheit ist konstitutiv mit Fichtes Verständnis von der Schlußförmigkeit des Wissens und dem Konzept des Sich-Verstehens der Erscheinung verbunden. Es ist das entscheidende Gelenkstück, durch das der gesamte Ansatz, der formelhaft als Einheit in der Zweiheit beschrieben wurde, realisiert wird. So wie die Realität in das Durch, d.h. das Leben in den Begriff eintritt, so tritt das Licht in die Form der Sichtbarkeit ein. Es tritt damit „in das Verhältniß des Sich […,] in die Vermittelung, die Schlußform: die Form des Durch“ ein382. Indem 377 

Transscendentale Logik II (1812) – StA, 164 – GA II/14, 321.

378 Ebd. 379 

Transscendentale Logik II (1812) – StA, 165 – GA II/14, 322.

380 Ebd. 381 Ebd. 382 

WL 1812 – GA II/13, 140 und 148.

230

Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

das Absolute als Licht in die Form des Wissens eintritt, macht es nicht nur sich selbst sichtbar, sondern ebenso seine „absolute Verwachsenheit seiner selbst mit der Form seiner Sichtbarkeit“383. Was bislang als wechselseitige Bedingtheit von Leben und Form beschrieben wurde, wird von Fichte in der WL 1812 als „Concrescenz“ bezeichnet384. Im unmittelbaren Vollzug des Wissens, oder wie es in der WL 1812 heißt, im absoluten Sehen „fallen das Licht u. dessen Sichtbarkeit unmittelbar zusammen, und machen nur in dieser organischen Einheit, u. Verschmelzung überhaupt ein Sehen aus“385. In ein und demselben Akt fallen aber beide Momente auseinander, denn das Licht „macht als solches sich sichtbar, nur, inwiefern es die Form der Sichtbarkeit zugleich als solche […] sichtbar macht“386. Das Licht ist einerseits in der Form, „schlechthin vereinigt und verwachsen“, und andererseits „nicht in der Form“387, denn indem es die Form der Sichtbarkeit sichtbar macht, ermöglicht es zugleich das Sich-Sehen des Sehens, d.h. die Reflexion des Wissens auf sich selbst. Das Absolute als Licht ist „weder ausser derselben […] noch in derselben, […] weder sichtbar, noch unsichtbar, sondern in der Mitte schwebend“388. Die Beziehung zwischen Licht und Sichtbarkeit ist eine Doppelbewegung von Sich-Zeigen und Sich-Verbergen zugleich; es ist aber das Licht, das das Ich als Form der Erscheinung des Absoluten überhaupt erst sichtbar macht. Aus diesem Grunde ist für Fichte das Licht das Prinzip der Sichtbarkeit und die Form, trotz ihrer Unableitbarkeit, das Prinzipiat: „Das Licht ist das construirende. Ihm entquillt erst ein Ich, u. sein Konstruiren“389, so daß „das Ich, der Stellvertreter des Lichtes“ ist390. 383 

WL 1812 – 6A II/13, 140. WL 1812 – GA II/13, 140. 385  WL 1812 – GA II/13, 142. 386  Ebd. Fichte sieht die „Hauptaufgabe der W.L.“ darin, „die Sichtbarkeit abzusondern vom Sichtbaren“ sowie „in absoluter Einheit des Gegensatzes beide“ zu erfassen (WL 1812 – GA II/13, 145). Erst durch die richtige Erfassung der Funktion des Lichtes wird dies realisiert. Es ist das Licht, das die Unterscheidung der Sichtbarkeit bzw. der absoluten Form überhaupt erst ermöglicht und auf diese Weise seine prinzipientheoretische Funktion zur Darstellung bringt. Und noch ein weiterer Aspekt kann erwähnt werden: Trotz einer veränderten Terminologie geht es auch 1812 um die gleichen Fragen wie 1804: Neben der Beziehung von Licht und Sichtbarkeit bzw. absoluter Realität und Durch geht es auch um die Frage der Vermannigfaltigung, die Fichte 1804 als Quantitabilität bezeichnete. Denn indem das Licht in die Form des Schlusses eintritt, tritt es zugleich ein „in ein Gesez der Mannigfaltigkeit, Grund u. Folge, der Einheit, denn es ist selber weder Grund noch Folge, sondern Uebergang, der Bestimmtheit, es ist nicht wahrhaftig eingetreten, ohne daß das Verhältniß, u. so der Grund u. die Folge sei ein Bestimmtes“ (WL 1812 – GA II/13, 148). 387  WL 1812 – GA II/13, 142. 388  WL 1812 – GA II/13, 143. 389  WL 1812 – GA II/13, 151. 390  WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 409. Neben Ulrich Schlösser unterstreicht auch Wolfgang Janke, daß mit der reinen Gewißheit nicht die Ich- oder Selbstgewißheit als Form der Gewißheit von etwas gemeint sei und die Gewißheit kein Produkt des Ich, sondern umgekehrt das Ich ein Produkt der Gewißheit sei (vgl. ders.: Die dreifache Vollendung des 384 

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

231

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen können die Kritikpunkte, die sich aus dem Verständnis des Absoluten als Leben ergaben (vgl. § 5, I.), bereits an dieser Stelle relativiert werden: Zwar ist das Absolute als Licht hinsichtlich seines Sich-sichtbar-Machens durch die Form bedingt, so wie der lebendige Vollzug nur als Durch realisiert werden kann, aber – und dies ist der entscheidende Wendepunkt – die Form kann als Form nur durch das Licht sich selbst erscheinen. Das heißt, das Ich ist kein sich selbst effizierendes Licht, sondern die Reflexion des Wissens auf sich – die Sich-Erscheinung der Erscheinung – ist durch das Licht bedingt. Die Selbstbezüglichkeit der Form des absoluten Wissens – das Sich – ist die Bedingung der Möglichkeit, daß das Wissen sich als Wissen und zugleich als vom Absoluten unterschieden verstehen kann, aber die Form als Form wird durch das uneinholbare, sich selbst erzeugende Licht überhaupt erst sichtbar gemacht. Die Sich-Darstellung des Wissens, das Sich-Zeigen, das Sich-Äußern, das Erscheinen der Erscheinung bzw. das Sich-zum-Bild-machende-Bilden ist für Fichte letztlich eine bloße Struktur, die die reine Helle des absoluten Lichtes voraussetzt, weil es dasjenige ist, was die absolute Form überhaupt erst sichtbar macht391. (3) Doch warum soll das Licht überhaupt eine sich selbst erzeugende Evidenz und damit die Erscheinung des Absoluten im Wissen sein? Die Frage ist, warum die Gewißheit nicht ebenso ein Erzeugnis des Ich oder Wissens sein könnte, oder umgekehrt formuliert: Warum ist das Licht ein unerzeugbares Sicherzeugen, das das Ich nicht nur nicht herstellen, sondern durch das es sich als ein durch dieses Bedingtes versteht? Dieser Frage widmet sich Fichte innerhalb der „Phänomenologie“ in den Vorträgen XXIII bis XXV, wie Fichte in der WL 1804-II die „Erscheinungsund Scheinlehre“ nennt392. Fichte sagt selbst, daß es sich hierbei um „das schwerste Deutschen Idealismus. Schelling, Hegel und Fichtes ungeschriebene Lehre, Amsterdam/ New York 2009, 290 – 292). 391  Urs Richli arbeitet heraus, daß mit der Thematisierung der Gewißheit das „Verhältnis von Unmittelbarkeit und Vermittlung“, das in der vorliegenden Arbeit als Gegensatz von Vollzug und Darstellung bezeichnet wurde, neu bestimmt wird (ders.: „‚Ich aber fordere Sie auf, absolute Genesis ins Auge zu fassen!‘ Realität und absolute Negativität in Fichtes Wissenschaftslehre von 1804 und Hegels Wissenschaft der Logik“, in: Fichte-Studien 6 (1994) 423 – 433, hier: 424, 430; ders: „Genetische Evidenz – was ist das eigentlich?“, in: Fichte-Studien 20 (2003) 161 – 166). 392  WL 1804-II – StA, 138 – GA II/8, 206. Es ist bemerkenswert, daß die systemtragende Funktion der Gewißheit in zahlreichen, früheren Forschungsarbeiten zur späten WL eher eine untergeordnete Rolle spielte. So veröffentlichte Wolfgang Janke 1966 eine Studienausgabe der WL 1804-II, die mit dem XV. Vortrag endet (vgl. Fichte: Wissenschaftslehre 1804. Text und Kommentar, hg. v. Wolfgang Janke, Frankfurt a. M. 1966). Durch diese Studienausgabe sowie durch weitere Arbeiten wurde der Eindruck erweckt, als ob Fichtes Einsicht lediglich in dem den Begriff übersteigenden, lebendigen Absoluten bestünde und es keine weitere, Fichtes Argumentation letztlich absichernde Erscheinung des Absoluten im Wissen selbst gäbe (vgl. Julius Drechsler: Fichtes Lehre vom Bild, Stuttgart 1955; Wolfgang Janke: Fichte. Sein und Reflexion – Grundlagen der kritischen Vernunft, Berlin 1970, 299 – 417; Wolfgang H. Schrader: Empirisches und absolutes Ich. Zur Geschichte des Begriffs Leben in der Philosophie J.G. Fichtes, Stuttgart-Bad Cannstatt 1972, 155 – 175;

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

Stück der philosophischen Kunst“ und auch für ihn selbst um eine „dunkle Parthie“ handle393. Die besondere Attraktivität dieses Theorieelements besteht darin, daß Fichte hier einen rationalen Zugang zum Unbedingten, d.h. zu Gott, eröffnet, der sich im begrifflichen Vollzug des Wissens auch hinsichtlich der Form manifestiert und sich auf kein bloßes Postulat, keinen begründeten oder unbegründeten Glauben und kein unmittelbares Gefühl sowie keine eingegebene Intuition stützen muß. Die besondere Schwierigkeit besteht aber darin, daß sich Fichte in diesen Vorträgen wieder einer vollkommen anderen Terminologie bedient – also auch innerhalb der WL 1804-II – und sie in einer Art und Weise verwendet, daß – wie Adorno in bezug auf Hegels Logik festhielt – „man buchstäblich zuweilen nicht weiß und nicht bündig entscheiden kann, wovon überhaupt geredet wird, und […] selbst die Möglichkeit solcher Entscheidung nicht verbrieft ist“394. Im folgenden wird aber versucht, zumindest die zentralen Einsichten herauszuarbeiten. Peter Baumanns: J.G. Fichte. Kritische Gesamtdarstellung seiner Philosophie, Freiburg/ München 1990, 233 – 272; Wolfgang Janke: Vom Bilde des Absoluten. Grundzüge der Phänomenologie Fichtes, Berlin/New York 1993). Erst seit Ende der 1990er Jahre wurde die Gewißheit umfassender erforscht. Ulrich Schlösser liefert in seiner Arbeit Das Erfassen des Einleuchtens. Fichtes Wissenschaftslehre von 1804 als Kritik an der Annahme entzogener Voraussetzungen unseres Wissens und als Philosophie des Gewissseins, Berlin 2001 eine ausführliche Analyse des Wesens der Gewißheit (XXIII. Vortrag der WL 1804-II), die er als „entscheidenden Schlußstein“ versteht (137), allerdings endet damit auch seine Untersuchung und er wendet sich nicht mehr der Frage der Gesetzmäßigkeit des Bildens und nur partiell der Frage der Selbstverobjektivierung der Vernunft zu (XXIV. bis XXVIII. Vortrag der WL 1804-II), die allerdings zur vollständigen Erfassung des Wesens der Gewißheit notwendig sind (vgl. dazu auch Schlösser: „Entzogenes Sein und unbedingte Evidenz in Fichtes Wissenschaftslehre 1804 (2)“, in: Fichte-Studien 20 (2003) 145 – 159). Die bislang luzidesten und überzeugendsten Analysen liefern Wilhelm G. Jacobs: „Einzelkommentar zu: Die Wissenschaftslehre. Vorgetragen im Jahr 1804“, in: Johann Gottlieb Fichte: Werke I: Schriften zur Wissenschaftslehre, hg. v. Wilhelm G. Jacobs, Frankfurt a. M. 1997, 849 – 889, hier: 879 – 887, Roderich Barth: Absolute Wahrheit und endliches Wahrheitsbewußtsein. Das Verhältnis von logischem und theologischem Wahrheitsbegriff – Thomas von Aquin, Kant, Fichte und Frege, Tübingen 2004, 257 – 356 sowie Valentin Pluder: Die Vermittlung von Idealismus und Realismus in der Klassischen Deutschen Philosophie. Eine Studie zu Jacobi, Kant, Fichte, Schelling und Hegel, Stuttgart-Bad Cannstatt 2013, 430 – 461, an deren Einsichten hier im wesentlichen angeknüpft wird. Vgl. zur Gewißheit und zur Notwendigkeit der Erscheinung weiterhin: Christoph Asmuth: Das Begreifen des Unbegreiflichen. Philosophie und Religion bei Johann Gottlieb Fichte 1800 – 1806, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999, 153 – 315; Björn Pecina: Fichtes Gott. Vom Sinn der Freiheit zur Liebe des Seins, Tübingen 2007, 208 – 223; Wolfgang Janke: Die dreifache Vollendung des Deutschen Idealismus. Schelling, Hegel und Fichtes ungeschriebene Lehre, Amsterdam/New York 2009, 290 – 294; Walter Jaeschke/Andreas Arndt: Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant. Systeme der reinen Vernunft und ihre Kritik 1785 – 1845, München 2012, 453 – 469, hier: 465 ff.; Jens Lemanski: Summa und System. Historie und Systematik vollendeter bottom-up- und top-down-Theorien, Münster 2013, 224 – 241. 393  WL 1804-II – StA, 221 und 250 – GA II/8, 332 und 373. 394  Theodor W. Adorno: Drei Studien zu Hegel, in: ders.: Gesammelte Schriften, hg. v. Rolf Tiedemann, Bd. 5, Frankfurt a. M. 1970, 51996, 247 – 381, hier: 326.

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

233

Fichtes leitende Einsicht ist, daß wir uns immer nur auf der Ebene des Begriffs, der Beschreibung und der Nachkonstruktion bewegen. Dies gilt für die Erfassung des Absoluten als Leben und ebenso für die nachfolgende Beschreibung des Absoluten als Licht und Gewißheit. Damit aber die begriffliche Darstellung nicht nur im Modus der Möglichkeit und damit der Problematizität verharrt, muß Fichte ein notwendiges und kategorisches Moment herausarbeiten. Genau dies zeigt sich für Fichte in der Gewißheit. Fichte differenziert im XXIII. Vortrag drei Erscheinungsformen der Gewißheit: zunächst die bestimmte Gewißheit oder die konkrete Gewißheit von etwas, weiterhin die Beschreibung oder den Begriff der reinen Gewißheit, d.h. die verobjektivierte Form der Gewißheit, und schließlich die reine Gewißheit als unbeschreibbaren und unmittelbaren Vollzug. In jeder gewissen Einsicht können zwei Momente unterschieden werden: die konkrete Gewißheit von etwas auf der einen Seite und das unmittelbare Einleuchten der reinen „Gewißheit selbst“395 auf der anderen. D.h., die Gewißheit von etwas realisiert die Einsicht in einen bestimmten Sachverhalt, wie beispielsweise ‚2 + 3 = 5‘; sie vermag dies aber nur, insofern die Gewißheit zugleich sich selbst gewiß ist bzw. die reine Gewißheit sich in ihrem Wesen manifestiert396. Die Gewißheit drückt also sowohl den „absolute[n] Zusammenhang“ der Relationsglieder aus397, d.h. ein Zusammenhang, der nicht gesetzt wird, sondern der sich selbst erzeugt, sowie die Unveränderlichkeit der Einsicht. Mit anderen Worten: Die Synthesis in der Addition von ‚2‘ und ‚3‘ wird immer und unter allen Umständen ‚5‘ ergeben. Fichte geht es nun „nicht [um die] Gewißheit von irgend Etwas […], sondern [um die] Gewißheit rein und an sich, mit aller Abstraktion von Etwas“398. Wird von der konkreten Gewißheit von etwas abstrahiert und die reine Gewißheit zum Gegenstand des Wissens gemacht, kann Fichte zeigen, daß die begriffliche Beschreibung der reinen Gewißheit auf der einen Seite und die reine Gewißheit als beschriebener Gegenstand auf der anderen Seite strukturell zusammenfallen. Doch wie würde man die reine Gewißheit beschreiben? Laut Fichte nicht anders, als ein „unerschütterliches Verbleiben und Beruhen in demselben unwandelbaren Eins […]. Sie können somit die reine Gewißheit nicht anders beschreiben, denn als reine Unveränderlichkeit, und die Unveränderlichkeit nicht anders, denn als bleibende Einheit des Was, oder der Qualität“399.

Indem die Gewißheit als Einheit oder – was in diesem Zusammenhang gleichbedeutend ist – als „absolute Qualität“ beschrieben wird, wird zugleich aber das Gegenteil von Einheit mitgesetzt. Für Fichte ist die qualitative Einheit die „absolute 395 

Schlösser: „Entzogenes Sein und unbedingte Evidenz“, 153. ebd. 397  WL 1804-II – StA, 230 – GA II/8, 344, Kursivierung von mir, P.T.; vgl. Wilhelm G. Jacobs: „Einzelkommentar zu: Die Wissenschaftslehre. Vorgetragen im Jahr 1804“, 879. 398  WL 1804-II – StA, 230 – GA II/8, 344 f. 399  WL 1804-II – StA, 231 f. – GA II/8, 346. 396  Vgl.

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

Negation der Wandelbarkeit und Vermannigfaltigung“; dies bedeutet aber, „daß durch diese Negation zugleich das Negirte, die Wandelbarkeit, […] gleichfalls […] gesetzt wird“400. Die Unwandelbarkeit der qualitativen Einheit kann nur beschrieben werden, wenn – direkt oder indirekt – vom Gegenteil, d.h. von Quantitabilität, Mannigfaltigkeit und Wandelbarkeit, die Rede ist. Fichte fragt nun, ob diese Beschreibung der Gewißheit selbst gewiß und damit wahr ist. Die Wahrheit der Beschreibung drückt sich für ihn dadurch aus, daß die Art und Weise der Beschreibung ebenso unveränderlich ist, wie der beschriebene Gegenstand: „Ich frage, wenn wir dieses Verfahren ins Unendliche wiederholen, […] könnten wir es jemals auf eine andere Weise anstellen? Die Construction des Was [d.i. der Einheit] ist durchaus unveränderlich, und bei allen ihren unendlichen Wiederholungen nur auf die Eine beschriebene Weise durch absolute Negation der Wandelbarkeit möglich: wir erblicken uns daher selber so, wie wir die Gewißheit beschrieben haben, als unveränderlich verharrend in demselben Einen Was der Construction; wir sind, was wir sagen, und sagen, was wir sind“.401

Fichtes Einsicht ist an dieser Stelle, daß Beschreibung und Gegenstand, Nachkonstruktion und Vorkonstruktion strukturell identisch sind. Die Beschreibung der unwandelbaren und unveränderlichen Einheit ist selbst ein unwandelbares Verfahren, d.h. die Form ist ebenso beschaffen wie der Gehalt, so daß zwischen beiden ein tieferer Zusammenhang bestehen muß. Fichte zieht daraus die Schlußfolgerung, daß die reine „Gewißheit […] ursprünglicher in uns in der lebendigen Beschreibung, als sie objektive an und für sich und ohne Beschreibung ist“, und die Beschreibung daher auf einen tieferen Grund ihrer selbst verweist402. Fichte hat damit einen entscheidenden Schritt hinsichtlich der Vermittlung von Absolutem und absolutem Wissen getan: Indem das Verfahren der begrifflichen Beschreibung selbst unveränderlich und auf keine andere Weise möglich ist, ist die immer als Ausdruck der Unwahrheit gekennzeichnete, begriffliche Nachkonstruktion ihrem Wesen nach aber notwendig. In diesem Zusammenhang kommt Fichte auf die „drei Haupt-Modificationen des Urlichtes“ zu sprechen403. Diese Bezeichnung ist etwas unglücklich, da unweigerlich der Eindruck erweckt wird, als ob sich das Absolute in sich selbst differenziert, da Fichte ja Gewißheit und absolutes Sein miteinander identifiziert 400 

WL 1804-II – StA, 232 – GA II/8, 348. 1804-II – StA, 233 – GA II/8, 348, Einfügung von mir, P.T. Fichte relativiert damit bereits an dieser Stelle den Gegensatz zwischen Vollzug und Darstellung, den er im XIX. Vortrag der WL 1804-II als Gegensatz von Tun und Sagen bezeichnet und der für den gesamten Ansatz konstitutiv ist (vgl. WL 1804-II – StA, 191 ff. – GA II/8, 288 ff.). Der Gegensatz wird zwar nicht vollständig aufgehoben, aber vermittelt. Vgl. dazu Urs Richli: „Tun und Sagen in der Transzendentalpragmatik und der WL 1804“, in: Fichte-Studien 18 (2000) 205 – 215. 402  WL 1804-II – StA, 235 f. – GA II/8, 350 f. 403  WL 1804-II – StA, 236 – GA II/8, 352. 401  WL

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

235

hat. Tatsächlich handelt es sich nicht um eine Binnendifferenzierung des Absoluten, sondern es sind die drei Momente des absoluten Begriffs, die auch in der Beschreibung des Lichtes hervortreten. Sprach Fichte in anderen Zusammenhängen vom lebendigen Bilden, dem sich notwendig setzenden Bild des Bildens und dem Sich-Verstehen des Bild des Bildens, so spricht er in diesem Zusammenhang von der lebendigen Gewißheit, dem Bild der Gewißheit und der Anschauung des Bildes der Gewißheit: Zum ersten Moment heißt es: „Gewißheit oder Licht ist unmittelbar lebendiges Princip, also reine absolute Einheit, eben des Lichtes, welche durchaus nicht weiter beschrieben, sondern nur vollzogen werden kann; wollten wir sie beschreiben, so müßten wir sie als qualitative Einheit beschreiben, womit uns hier nicht gedient ist.“404 Die Gewißheit ist „im unmittelbaren Leben zu lebendes Leben“405. So wie das Bilden als reine Vollziehung des Wissens eben nur actualiter vollzogen und eben nicht beschrieben werden kann, kann die absolute Gewißheit auch nur unmittelbar vollzogen werden. Aber so wie das Bilden im Akt der Vollziehung gleichursprünglich ein Bild seines Bildens setzt, so projiziert die reine Gewißheit als lebendiges Prinzip „in diesem innern qualitativen Sichprojiciren […] nothwendig sich, objektiv; […] wie es innerlich ist“406. Das heißt, „das lebendige Wissen [schaut] sich an, schlechthin wie es innerlich ist, eben weil es sich realiter projicirt“; es setzt sich „als sein bloßes Bild“ – als Bild der Gewißheit. Aber auch „diese Anschauung“ – und dies ist das dritte Moment – „muß wieder angeschaut, oder […] projicirt werden“407. So wie das Bilden von sich ein Bild setzt, muß es sich auf sich selbst beziehen und in diesem Sich-Beziehen als Bild des Bildens verstehen. Die drei Hauptmodifikationen des Urlichts sind also im Kern und der Sache nach nichts anderes als die drei Momente des absoluten Begriffs, die an anderer Stelle als Durch, Als und Sich bezeichnet wurden. Die „Grundbestimmungen im Licht“ sind daher die drei Momente des absoluten Begriffs408, so „daß wir aus dem Projiciren und Objektiviren des Wissens doch nicht herauskönnen“409. Die Nachkonstruktion als begriffliche Beschreibung der Gewißheit kann daher immer nur in der Form erfolgen, daß zwischen der reinen Gewißheit als lebendigem Vollzug (erste Hauptmodifikation) und dem Begriff der Gewißheit als Bild (zweite Hauptmodifikation) differenziert und der Zusammenhang zwischen beiden eingesehen wird (dritte Hauptmodifikation). Aber, und dies ist das Entscheidende, indem sich das Verfahren der Beschreibung der Gewißheit als ebenso unveränderlich wie die reine Gewißheit selbst erweist, zeigt sich ein tieferer Zusammenhang zwischen Gegenstand und Beschreibung. (4) Doch wie läßt sich dieser Zusammenhang näher begreifen? Zum besseren Verständnis der nachfolgenden Ausführungen sollen die Kerngedanken vorab kurz 404 

WL 1804-II – StA, 236 – GA II/8, 352, Kursivierung von mir, P.T. WL 1804-II – StA, 236 – GA II/8, 353. 406  WL 1804-II – StA, 236 – GA II/8, 352, Kursivierung von mir, P.T. 407  WL 1804-II – StA, 238 – GA II/8, 354. 408  WL 1804-II – StA, 239 – GA II/8, 358. 409  WL 1804-II – StA, 240 – GA II/8, 359. 405 

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

zusammengefaßt werden: Fichte will zeigen, daß das Wissen nicht nur hinsichtlich seiner Lebendigkeit durch das Absolute bedingt ist, sondern auch die Art und Weise der Vollziehung durch das Absolute bestimmt wird. Der Gegensatz von Gehalt und Form wird dadurch vermittelt, daß sich die absolute Realität auch in der Form ausdrückt410. Die absolute Form des Wissens wurde bisher so bestimmt, daß das Bilden ursprünglich und unmittelbar immer von sich ein Bild setzt bzw. das Erscheinen sich als Erscheinung erscheint. Für jeden konkreten Wissensvollzug bedeutete dies, daß das eine immer nur durch das andere erklärt werden kann, d.h., daß der Begriff des Bildes nur dadurch verständlich wird, wenn er sich auf das Abbild bezieht und zugleich von ihm unterscheidet, der Begriff des Lebens kann nur durch sein Gegenteil – den Tod – erklärt werden, der Begriff der Einheit durch denjenigen der Differenz usw. Aber alle bestimmten Begriffe gehen letztlich auf die logisch erste und ursprüngliche Selbstunterscheidung des absoluten Begriffs zurück – das sich auf sich selbst beziehende Sichsetzen des Bildens als Bild. Fichte geht nun hinter diese Selbstdifferenzierung des Bildens zurück, genauer: er fragt nach dem Gesetz des Bildens. Fichte will zeigen, daß das Bilden durch das Gesetz bestimmt ist und daß dieses Gesetz das Absolute ist, insofern es in die Erscheinung eintritt. Die zentrale Einsicht der späten WL ist: Das Absolute ist nicht nur das Leben der Vernunft, d.h. der reale Gehalt, sondern es bestimmt auch als Gesetz die Form der Vernunft. Das esse in mero actu – die Lebendigkeit des Vollzugs – und die Gesetzmäßigkeit – die Sich-Erscheinung des Erscheinens – sind Manifestationen des Unbedingten, die letztlich nicht begrifflich beschreibbar, sondern immer nur unmittelbar vollzogen werden können. In der WL 1804-I sagt Fichte, daß das „Gesetz [… ein] absolut in sich immanentes Leben [ist]“411, so daß nicht nur Leben und Licht, sondern auch Leben und Gesetz letztlich eins sind. Wie geht Fichte nun en détail vor? Zunächst geht es um die Frage, was Fichte unter Notwendigkeit überhaupt versteht, daran anschließend wird gezeigt, daß das begriffliche Nachkonstruieren „nach dem absoluten Gesetze“, d.h. die Beschreibung mit „unmittelbar faktische[r] Notwendigkeit“ erfolgt412 und abschließend wird plausibel gemacht, daß nicht wir das Gesetz setzen, sondern sich das Gesetz in uns setzt, so daß jede begriffliche Nachkonstruktion und damit der absolute Begriff als gesetzmäßiges Schema des Absoluten begriffen werden kann. Fichte hat ein ganz bestimmtes Verständnis von Notwendigkeit. Anstelle von Notwendigkeit spricht Fichte vom absoluten Gesetz oder von der Gesetzmäßigkeit des Bildens, was im wesentlichen das Moment der Unwandelbarkeit beinhaltet. Notwendig ist für Fichte dasjenige, was unveränderlich ist. Gewißheit und Gesetz sind ihrem Wesen nach unveränderlich; im Unterschied zur beschriebenen Gewißheit ist aber das Gesetz somit keine qualitative, sondern eine absolute Einheit. Die Tatsache, daß das Wesen der Gewißheit nur als Einheit der Qualität und durch 410 

Vgl. WL 1804-II – StA, 244 – GA II/8, 364. WL 1804-I – GA II/7, 210. 412  WL 1804-II – StA, 243 und 239 – GA II/8, 362 und 358. 411 

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

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die Negation der Quantitabilität beschrieben werden konnte, ist das entscheidende Indiz dafür, daß die beschriebene Gewißheit nicht die reine Gewißheit an sich war, sondern nur die „entäusserte, und objektivirte“ Form. Die reine Gewißheit „ist absolut, immanent, in sich selbst geschlossen und kann nie aus sich herausgehen“413. Fichte spricht also der reinen Gewißheit genau die drei Momente zu, die auch dem esse in mero actu zukommen, so daß sich der „Charakter des Lichtes […] als Eins, mit dem oben eingesehenen Sein“ – dem „Sein des Wissens“ oder dem lebendigen Absoluten – erweist414. Zwar ist das Verfahren der Beschreibung der Gewißheit unwandelbar, trotzdem ist es eine Form von Unwandelbarkeit, die nur durch die Negation des Wandels plausibel wird. Fichte will darauf hinaus, daß die Bewegungsform des absoluten Begriffs – die Sichunterscheidung des Bildens und damit die Sich-Erscheinung der Erscheinung – ihrem Wesen nach unveränderlich ist, aber in dem Sinne, daß die Unveränderlichkeit des Gesetzes in keiner Weise auf das Gegenteil – die Veränderlichkeit – bezogen ist. Fichtes These ist, daß die Dialektik des Bildens durch ein höheres, unveränderliches Gesetz bestimmt wird und dieses Gesetz Ausdruck des Absolute ist. Das Absolute erscheint somit nicht nur als Leben und Licht, sondern auch als Gesetz. Wenn Fichte von der Notwendigkeit der Erscheinung spricht, meint er damit, daß die Form des reinen Wissens als absolute Form von einem unveränderlichen, unsichtbaren und lediglich in seinen Resultaten – d.i. in den Momenten des Begriffs – sichtbaren Prinzip bestimmt wird. Fichtes Nachweis der Notwendigkeit der absoluten Erscheinung ist so zu verstehen, daß aufgrund der Unveränderlichkeit des Bildens indirekt auf ein höheres Gesetz als Prinzip des Bildens geschlossen werden kann. Insofern dem Bilden ein höheres Prinzip unterstellt wird, es also als Prinzipiat eines höheren Prinzips eingesehen werden soll, ist das Bilden ein bloßes Faktum, aber ein Faktum, das unter dem Gesetz steht (vgl. § 3, II.). Der spekulative Schluß ist somit nicht nur die Grundlage für die formale Logik, sondern wird auch in bezug auf die Grundfragen der WL selbst angewandt: Die absolute Erscheinung ist ein absolutes Faktum (Minor), das unter dem absoluten Gesetz steht (Major) und in der WL wird eingesehen, daß das Faktum Resultat des Gesetzes ist (Conclusio). Die Wirksamkeit des Gesetzes bzw. die Art und Weise, wie das Gesetz zutage tritt, wird im XXIV. Vortrag von Fichte auf zwei Weisen beschrieben, zum einen als Prädikation: „Ich kann vom Lichte oder mir Nichts prädiciren, ohne es überhaupt, eben als Subjekt eines Prädikats, unmittelbar zu projiciren und zu objektiviren“415 und zum anderen als Durcheinander: „[D]as Wissen selbst aber, sonach auch Alles, was in demselben vorkommen soll, spaltet sich absolut in die Zweiheit, davon Ein Glied das Ursprüngliche, und das andere, die Nachkonstruction des Ursprünglichen sein soll, durchaus ohne alle Verschiedenheit des

413 

WL 1804-II – StA, 233 – GA II/8, 350. WL 1804-II – StA, 231 – GA II/8, 346. 415  WL 1804-II – StA, 240 – GA II/8, 358. 414 

238

Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

Inhalts, also darin wieder absolut Eins; lediglich verschieden in der angegebenen Form, die offenbar eine gegenseitige Beziehung auf einander andeutet“416.

Was bislang als ursprüngliche Selbstbewegung des Begriffs, als Selbstdifferenzierung und Selbstprädikation sowie als Urform des Urteils beschrieben wurde, soll auf dieser Stufe der Selbstdurchdringung des Wissens als Resultat eines absoluten Gesetzes verstanden werden. Im Sinne Fichtes kann keine Vorstellung, keine Kategorie und kein Moment des Wissens anders beschrieben werden, als daß diese in Urbild und Abbild zerfallen. Für Fichte ist entscheidend, daß diese Grundbewegungsform des Denkens unveränderlich, unendlich wiederholbar und diese Gesetzmäßigkeit Ausdruck des Absoluten ist: Es ist keine andere Form der begrifflichen Beschreibung möglich, als durch die Unterscheidung in Urbild und Abbild. Wenn in § 4 der Gedanke der Beziehung ins Zentrum gestellt wurde, so kann an dieser Stelle präzisiert werden: Die Bedingung der Möglichkeit des Bildens als Beziehung ist das Gesetz; es ist das Gesetz, das die Beziehung überhaupt realisiert, weil es neben der Selbstunterscheidung zugleich den Zusammenhang der jeweiligen Relationsglieder ermöglicht. Die absolute Gesetzmäßigkeit ist der tiefere Grund und das tragende Prinzip des Bildens. Im „absolute[n] Beschreiben als Beschreiben“ wird die Gesetzmäßigkeit „sehr sichtbar im Zusammenhange als solchem, der wunderbarer Weise zwischen beide Glieder trat; denn was ist denn der Zusammenhang, als das Beschreiben des Einen aus dem Andern“417. Die Form des Beschreibens „müsse sich also immer und immer wieder erneuern lassen“, so daß die Beschreibung „als Nachconstruction einer ursprünglichen Vorkonstruction, durch das Gesetz eben, erscheinen“ muß418. D.h., die begriffliche Beschreibung als „Nachconstruction“, „als Bild“, „Aussagen, […] Aussprechen oder Ausdrücken […]: mit einem Worte, das ganze bloß Idealische“ ist die Vollzugsform des absoluten Gesetzes419. Zwar hat die „ganze Form der Objektivität oder die Existentialform für sich […] gar keine Beziehung auf die Wahrheit“420, aber zugleich wird durch die verstellende Form des verobjektivierenden Aussprechens eine höhere, unbedingte, in sich unsichtbare, aber in ihren Resultaten sichtbare Totalität realisiert. Aber wie will Fichte plausibel machen, daß das Gesetz nicht einfach nur eine bloße Behauptung ist? Wie will er zeigen, „daß wir es [das absolute Gesetz] nicht construiren können, […, sondern] es das Gesetz selber sey, welches Uns, und sich in Uns setze“421? Das Gesetz – wie im XXV. Vortrag demonstriert wird – bleibt, wie das absolute Leben und die reine Gewißheit, „unsichtbar“ und kann nur voll416 

WL 1804-II – StA, 246 – GA II/8, 366, Kursivierung von mir, P.T. WL 1804-II – StA, 245 – GA II/8, 366. 418  WL 1804-II – StA, 245 – GA II/8, 367. 419  WL 1804-II – StA, 245 – GA II/8, 366. 420  WL 1804-II – StA, 246 – GA II/8, 367. 421  WL 1804-II – StA, 247 – GA II/8, 368 f., Einfügung und Kursivierung teilweise von mir, P.T. 417 

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

239

zogen werden422, es ist aber in seinen Resultaten, den Disjunktionsgliedern Bilden und Bild des Bildens, sichtbar. Der Beweis, daß das Gesetz nicht willkürlich postuliert wird, sondern sich das Gesetz in uns setzt, erfolgt in vergleichbarer Weise wie die Beschreibung der Gewißheit: Ein jeder Begriff ist nie die Sache selbst, sondern es ist immer nur das Bild der Sache und insofern eine Nachkonstruktion. „Aber Bild, als solches, deutet auf Sache, Nachconstruction, auf ursprüngliche“ Vorkonstruktion423. Das Bild ist ein Bild bzw. die Nachkonstruktion ist eine Nachkonstruktion, weil „sie ein höheres Gesetz voraussetzen, und zufolge desselben sind[; … sie] wiesen daher im Bilde, als Bilde, auf das Gesetz, [das] wenigstens virtualiter und in seinem Effekte schon darin [liegt]“424. Für Fichte sei daher bewiesen: „Das Gesetz selber setzt sich in uns selbst. Bild, als Bild ist nervus probandi.“425 Wie ist dieser etwas kryptisch vorgetragene Beweis zu verstehen? Fichte will zunächst zeigen, daß im Begriff des Bildes selbst der Beweis liegt, daß der Vollzug des Wissens durch ein die Form bedingendes, absolutes Gesetz bestimmt wird. Der ‚Inhalt‘ des absoluten Gesetzes ist, daß das Bilden von sich sein Bild setzt, daß das Erscheinen sich als Erscheinung erscheint, daß Schema I zugleich Schema II setzt. Das bedeutet, daß die Urform der Negation und damit die Selbstunterscheidung des Bildens Ausdruck der unveränderlichen Gesetzmäßigkeit ist. Die Gesetzmäßigkeit liegt – wie die reine Gewißheit – ursprünglicher im Wissen als das Verstehen dieser Gesetzmäßigkeit, weil diese immer schon vollzogen wird. Es ist das unbedingte Moment in der Selbstentfaltung der Form des Wissens und insofern das Absolute im Wissen – es ist der eigentliche „Urgrund des Bildes“426. Daß weiterhin mit der Einsicht in die Gesetzmäßigkeit der Selbstunterscheidung des Bildens der höchste Punkt in der Selbstdurchdringung des Wissens erreicht ist und somit die Sich-Erscheinung der Erscheinung unmittelbarer Ausdruck des Absoluten als Gesetz ist, ist wie folgt zu verstehen: Daß das Bilden von sich ein Bild setzt, ist ein absoluter, unveränderlicher, unhintergehbarer und unwandelbarer Effekt. Es handelt sich dabei um einen Ausdruck unbedingter Einheit, weil das Sich-von-sich-Selbstunterscheiden des Bildens ein einheitliches Verfahren ist, das sich nicht auf Wandelbarkeit und Quantitabilität bezieht. Das entscheidende Argument Fichtes lautet: „Qualitative Einheit ist absolute Negation der Veränderung: ist daher nur da anzubringen, wo Veränderlichkeit zu setzen ist. Bild aber als Bild ist in sich unveränderlich, es ist wesentlich Einheit, und wiederum Gesetz eines Bildes ist wesentliche Einheit“427.

422 

WL 1804-II – StA, 248 – GA II/8, 370. WL 1804-II – StA, 249 – GA II/8, 372. 424  WL 1804-II – StA, 249 – GA II/8, 372 f. 425  WL 1804-II – StA, 250 – GA II/8, 372. Vgl. 18. Stunde der Principien-Vorlesung (1805): „Der Mittelpunkt ist das Als“ (GA II/7, 455). 426  WL 1804-II – StA, 250 – GA II/8, 372. 427  WL 1804-II – StA, 251 – GA II/8, 375. 423 

240

Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

Der kryptische Beweis „Bild, als Bild“ beinhaltet, daß der unveränderliche Effekt des Setzens des Bildes des Bildens nicht Ausdruck einer qualitativen Einheit, sondern das Resultat der Vollziehung der unbedingten Einheit als Gesetz ist. Weil die Verdoppelung in Bilden und Bild des Bildens ein unveränderlicher, unbedingter und auf keine andere Weise erfolgender Effekt ist, begreift Fichte das absolute Gesetz des Bildens als Erscheinung des Absoluten. In der Nachschrift der WL 1812 heißt es: „Man müßte nicht sagen: Gott […] ist an sich Gesetz oder Gesetzgeber, sondern Gesetz wird sein Wesen nur in der Synthesis mit der Form“428. Dies bedeutet zum einen, daß das Absolute – wie das Licht – nur dann als Gesetz erscheint, wenn es in die Form eintritt, und zum anderen, daß der Form des Wissens eine aus dem Absoluten abgeleitete Notwendigkeit zukommt. Die begriffliche Beschreibung überhaupt ist vor diesem Hintergrund kein leeres Jonglieren mit Worten, das das Wesen der Sache immer verfehlt, sondern es ist der gesetzmäßige Vollzug des Absoluten. Tatsächlich, so Fichte, „gelangen wir ja nie zu einer Urconstruction und Gesetze, sondern haben, die Sache recht angesehen, nur zwei Nachconstructionen, deren eine sich giebt für das, was sie ist, die andere aber es läugnet“429. Aber im Vollzug – und dies ist entscheidend – sind die Effekte des Gesetzes sichtbar, was letztlich „die Grunddisjunktion im Wissen gab“430, d.h. „Bild, als Bild“ kann als Effekt des Gesetzes und die Negativität des Begriffs als Ausdruck des Absoluten verstanden werden. Es handelt sich an dieser Stelle vor allem deshalb um einen ganz entscheidenden Punkt, weil hier Einheit und Negativität unmittelbar eins sind. Die Selbstunterscheidung des Bildens, die zugleich immer eine Selbstfixierung und Verobjektivierung seiner selbst ist, ist, da dadurch das Gegenteil seiner selbst gesetzt wird, der Ursprung von Negativität überhaupt. Zugleich ist aber die Negativität überhaupt Ausdruck der gesetzmäßigen Einheit. Der Gegensatz von Absolutem und Begriff, Leben und Dialektik wird dadurch relativiert, weil das Absolute als Gesetz die Form des absoluten Begriffs bestimmt und die Negativität als indirekt aus dem Absoluten abgeleitet interpretiert werden kann. An dieser Stelle zeigt sich, „daß daher das Leben mit der WL und dem, was sie erzeugt, untrennbar zusammenhänge“, so daß das Erkennen nicht bloß zum Leben führt, sondern das Erkennen „ist das Leben“431 (vgl. § 5, I.). Genau an dieser Stelle kann gefragt werden, ob Fichte den Transzendentalismus seines Ansatzes nicht ein Stück weit hinter sich läßt? Fichte insistiert auf der programmatischen Ebene durchgehend auf der Unterscheidung von Absolutem und absolutem Wissen; in der Ausgestaltung seines Systems der Vernunft erscheint das Absolute aber nicht nur als das über den Begriff hinausgehende Leben, sondern es bestimmt als Gesetz die Form des Wissens. Fichte überspringt damit 428 

WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 438, Kursivierung von mir, P.T. WL 1804-II – StA, 248 f. – GA II/8, 370. 430  WL 1804-II – StA, 248 – GA II/8, 370. 431  WL 1804-II – StA, 254 f. – GA II/8, 378 ff. 429 

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

241

zwar nicht die Reflexion auf den Begriff, aber er unterläuft die Programmatik seines Ansatzes. Das Absolute ist auch als Gesetz eine in sich geschlossene, rein zu vollziehende, lebendige Einheit, die in ihrer Unveränderlichkeit kein Moment der Negativität aufweist, aber – und darauf kommt es an – die die Negativität und Wandelbarkeit zur Folge hat. Fichtes Dialektikkonzept unterscheidet sich durch die Annahme eines Prinzips der Dialektik von Hegels Begriffsdialektik. Indem aber das Absolute und die Negativität des absoluten Begriffs in Fichtes Ansatz enger zusammenhängen, als es aufgrund der programmatischen Bestimmungen den Anschein hat, ist eine Nähe zwischen beiden Philosophen jenseits der Grenzen des Transzendentalismus nicht vollkommen zu bestreiten. Insgesamt kann an dieser Stelle aber festgehalten werden, daß Fichte, wie in § 3, II. angekündigt, sein eigentliches Beweisziel – den Nachweis der Notwendigkeit der Erscheinung – erreicht hat. Fichte kann von der Wirklichkeit des Wissens auf dessen Notwendigkeit im Sinne der Gesetzmäßigkeit und aus der Gesetzmäßigkeit auf die Wirklichkeit des Absoluten schließen432. (5) Die Analyse der WL ist mit diesem Ergebnis aber noch nicht abgeschlossen, sondern Fichte leistet in den Vorträgen XXVI bis XXVIII die Selbstableitung der WL, was er auch als „WL in specie“ bezeichnet433. Fichte behandelt damit nicht mehr die Erscheinung des Absoluten, sondern die Erscheinung des absoluten Wissens. So wie das absolute Wissen die Erscheinung des Absoluten ist, so ist das transzendentale Wissen, das zwischen dem absoluten und dem faktisch-gewöhnlichen Wissen steht, die Erscheinung der Erscheinung des Absoluten oder das Dasein des absoluten Wissens. Doch warum ist dies überhaupt notwendig? Die WL ist nicht das absolute Wissen, sondern die Darstellung des absoluten Wissens. Indem das absolute Wissen zum Gegenstand des Wissens gemacht wird, wird es aber verobjektiviert. Durch die Verobjektivierung wird das absolute Wissen somit verstellt, da es seinem Wesen nach ein lebendiges Vollziehen ist. Die WL ist, laut Fichte, „ein Bild der Genesis des wirkl[ichen] Wissens, das jedoch das Kriterium in sich hat, daß es ein durchaus getroffenes Bild sey, denn das absolute Wissen bildet sich ab in ihm“434. Die Frage ist aber, wie man wissen kann, daß die WL – trotz der Verobjektivierung – ein adäquates Bild des absoluten Wissens erzeugen kann? Die Frage nach der Möglichkeit des „Erscheinens dieses absoluten 432  Vgl. WL 1812 – GA II/13, 57 f.; Paimann: Die Logik und das Absolute, 448. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß die Einsicht, daß das absolute Wissen Ausdruck einer höheren Gesetzmäßigkeit ist, bereits eine praktische Dimension hat und auf das Sittengesetz (vgl. § 5, III.) vorausdeutet. Bei Michael Brüggen heißt es dazu: „Wenn sich das Ich als wirklich unter diesem Gesetz stehend erblicke, so erblicke es sich als die aufgegebene Ordnung in der Sinnenwelt bewirkend, denn es sei ja […] als Prinzip, als wirkend, gegeben. Es vereinige mit dem höheren Gesetz seine sinnliche Freiheit und mache sie zu dessen Werkzeug in der Sinnenwelt […]. Dies sei das […] Phänomen des Wollens“ (ders.: Fichtes Wissenschaftslehre. Das System in den seit 1801/02 entstandenen Fassungen, Hamburg 1979, 135). 433  WL 1804-II – StA, 254 – GA II/8, 378. 434  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 18 – GA II/14, 204.

242

Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

Wissens in uns“435 ist also zum einen die Frage nach der Möglichkeit des Wissens des Wissens, also die Möglichkeit der WL: Es ist die Frage nach der Möglichkeit der verstehenden Einsicht in das Wesen des Wissens. Es ist zum anderen aber auch die Frage, wie die Verobjektivierung – wenn sie doch das Eigentliche verstellt – in diesem Zusammenhang zu verstehen ist. Es ist der Zusammenhang zwischen der Selbstverobjektivierung des Wissens im Wissensvollzug und der Verobjektivierung des Wissens durch die Einsicht in sein Wesen. Es ist somit die Vermittlung der Differenz von Vollzug und Darstellung bzw. von lebendigem, unmittelbarem, faktischem Vernunftvollzug und mittelbarer, genetischer Vernunfteinsicht. Fichte wird zeigen, daß das Wissen des Wissens als Sichdurchdringung des Wissens zugleich der Existenzbeweis des Wissens ist. Daß sich das Wissen in seinem Wesen selbst durchdringen und begreifen kann, beinhaltet, daß das Wissen wirklich ist und daher auch existiert. Der Gedanke der Existenz beinhaltet nichts anderes als die lebendige Vollziehung des Wissens436. Das Wissen ist aber nicht nur der lebendige Vollzug, sondern auch die Einsicht in sein eigenes Wesen. Durch die Einsicht wird das Wissen allerdings verobjektiviert, was zur Differenz zwischen Wissensvollzug und Darstellung führt. Fichte wird aber zeigen, daß das Verobjektivieren des Wissens auf die Selbstverobjektivierung des Wissens zurückgeht. In der Beantwortung der Frage nach der Möglichkeit der begreifenden Sichdurchdringung des Wissens wird sich zeigen, daß der Vollzug des Wissens und die Verobjektivierung letztlich identisch und im Wesen des Wissens begründet sind. Anstelle vom Wissen oder vom Bilden spricht Fichte in diesen Vorträgen hauptsächlich vom Sehen oder von der Vernunft, was aber, wie bereits an anderer Stelle erwähnt (vgl. § 4, I.), im Kern dasselbe ist. Die Sichdurchdringung des Wissens und der damit verbundene Existenzbeweis des Wissens ist der Argumentationszusammenhang, in dem Fichte auf den ontologischen Gottesbeweis, den „bekannten scholastischen Beweis[] des Daseins Gottes“, zu sprechen kommt437. Diese Ausführungen sind von Peter Baumanns als „Erneuerung des ontologischen Gottesbeweises“ gedeutet worden. Fichte instrumentalisiere diesen, so Baumanns, um die „wesensnotwendige Existenz“ der Vernunft oder Ichheit „aus dem Absolutem […] abzuleiten“438. 435 

WL 1804-II – StA, 253 – GA II/8, 376. dieser Stelle wird damit ein Gedanke der spekulativen Urteilslehre vertieft: Die Kopula ‚ist‘ drückt die Existenz des Wissens aus, wie in § 4, II. ausgeführt; an dieser Stelle wird klar, daß die Existenz nur als lebendige Vollziehung zu verstehen ist. 437  WL 1804-II – StA, 267 – GA II/8, 396. 438  Peter Baumanns: J.G. Fichte. Kritische Gesamtdarstellung seiner Philosophie, Freiburg/München, 248, 254 und 271; vgl. dazu auch: Walter Jaeschke/Andreas Arndt: Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant. Systeme der reinen Vernunft und ihre Kritik 1785 – 1845, München 2012, 467. Peter Baumanns spricht ebenfalls von der „Selbstdurchdringlichkeit des Sehens als Existenzbeweis des Sehens“ und trotzdem bezeichnet er dies als „Erneuerung des ontologischen Gottesbeweises“ (248). Mit dieser Behauptung verzerrt Baumanns allerdings die Originalität von Fichtes Gedanken. Beim ontologischen Gottesbeweis geht man vom Begriff der Vollkommenheit oder des allerrealsten Wesens aus, der den 436  In

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

243

Wenn Fichte vom ontologischen Gottesbeweis spricht, dann meint er damit, „aus dem bloßen Gedachtwerden eines Etwas auf sein Dasein zu folgern“. Der ontologische Gottesbeweis habe dies, laut Fichte, nur „gefordert, aber nicht geleistet“. Der ontologische Gottesbeweis ist für Fichte ein reines Postulat, dessen Realisierung erst durch die WL erfolgen kann. Das Dasein sei „das wahre innerliche Wesen der Existenz“, aber nicht die Existenz Gottes könne, laut Fichte, abgeleitet werden, Gedanken der Realität einschließt. Beim Gottesbeweis geht es letztlich um einen Begriff von Realität, der das Denken übersteigt, wohingegen bei Fichte Realität etwas ist, daß letztlich immer nur lebendig und aktual vollzogen werden kann. Baumanns hat hier aber etwas im Blick, was man als Schluß von der Faktizität auf die Notwendigkeit bezeichnen könnte (vgl. dazu auch: WL 1812 – Nachschrift – GA IV/4, 271). Paimann schreibt dazu, daß Fichtes Konzeption „in eine Wechselbeziehung zwischen Erscheinung und Absoluten mündet, indem die Erscheinung zufolge ihrer Wirklichkeit als notwendig, das Absolute aufgrund seiner Notwendigkeit als wirklich seiend erkannt werden“ (Paimann: Die Logik und das Absolute, 448 f.). Auch Christoph A. Riedel kommt in seiner Dissertation hinsichtlich der Principien-Vorlesung zu dem Ergebnis, daß „das erkenntnisleitende Interesse Fichtes keineswegs in der Entfaltung theologischer oder religionsphilosophischer Themen bestand“; er beabsichtigte damit nicht, „einen Gottesbeweis zu entwickeln oder die Grundlagen für eine Natürliche Theologie zu reformulieren“ (Christoph A. Riedel: Zur Personalisation des Vollzuges der Wissenschaftslehre J. G. Fichtes. Die systematische Funktion des Begriffes „Hiatus irrationalis“ in den Vorlesungen zur Wissenschaftslehre in den Jahren 1804/05, Stuttgart 1999, 175 – 176). In eine vollkommen andere Richtung schlägt in dieser Frage: Mathias Müller: Theologie im Transzensus. Die Wissenschaftslehre als Grundlagentheorie einer transzendentalen Fundamentaltheologie in Johann Gottliebs [sic!] ‚Principien der Gottes-, Sitten- und Rechtslehre‘ von 1805, Amsterdam/New York 2010 (= Reihe Fichte-Studien-Supplementa, Bd. 25). Müller nimmt die bereits zitierten Passagen aus der Principien-Vorlesung als Aufhänger, um eine Fundamentaltheologie zu entwickeln. Er behauptet, daß bei Fichte die Philosophie zur Theologie werde (189). Darüber hinaus sieht Müller in dieser Vorlesung eine Wiederaufnahme des „Postulat[s] der Unsterblichkeit“ der Seele (182) und glaubt dem Absoluten oder Gott „Attribute“ beimessen zu können (171). Daß Fichte in keinerlei Weise die Unsterblichkeit der Seele zum Gegenstand der WL macht, sei auch noch einmal am Beispiel von Christian Wolff illustriert: In der Deutschen Metaphysik kommt Wolff auch auf das „Wesen der Seele“ zu sprechen. Er schließt zunächst vom Selbstbewußtsein auf die Existenz einer Seele und leitet dann über mehrere Zwischenschritte deren Unsterblichkeit ab. In § 192 heißt es: „ich [verstehe] durch die Seele dasjenige Ding […], welches sich seiner und anderer Dinge außer ihm bewußt ist“ (GW I/2, 107). Der zentrale Grundgedanke ist, daß Wolff die Seele als „einfaches Ding“ versteht, das demzufolge immateriell und unteilbar ist, denn nur materielle Dinge sind teilbar und zusammengesetzt (§ 742, in: GW I/2, 463). Es ist das Kontinuität stiftende, bei aller Veränderlichkeit der konkreten Vorstellungen gleichbleibende „Ich denke“, was für Wolff eine Person überhaupt ausmacht und auch „nach dem Tod des Leibes“ deutliche Gedanken hat, und Wolff schlußfolgert daraus für die Seele: „so ist sie unsterblich“ (§§ 924 – 926, in: GW I/2, 463, 570 – 574.). Wie auch immer man die Argumentation von Wolff bewerten mag, so ist Fichte in dieser Frage ganz eindeutig: „[Ü] ber die Unsterblichkeit der Seele kann die W.-L. Nichts statuiren: denn es ist nach ihr keine Seele, und kein Sterben, oder Sterblichkeit, mithin auch keine Unsterblichkeit, sondern es ist nur Leben, und dieses ist ewig in sich selber, und was da ist, ist im Leben, ist so ewig, wie dies“ (WL 1804-II – StA, 90 – GA II/8, 134; zur Seele vgl. auch: Transscendentale Logik II (1812) – StA, 224 f. – GA II/14, 371.)

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

sondern „das einzig unmittelbar ableitbare Dasein [ist] das des Sehens“. Der Satz „Sehen, als Sehen gesetzt, folgt, daß wirklich gesehen werde; oder: das Sehen sieht notwendig“ sei nach Fichte die eigentliche „Vollziehung“ des Gottesbeweises439. In Fichtes Wissenschaftslehre kommt es also nicht zu einer Reformulierung des ontologischen Gottesbeweises, sondern es ist die Vernunft, die „notwendig“ existiert und deren Dasein „positiv gesetzt und ausgesagt“ wird440. „In uns selber daher = in sich selber ist die absolute Vernunft absoluter Grund ihres Daseins, ihrer Exi­ stenz, als solcher“441. Es ist die Vernunft, die sich äußert, die ihr Wesen und damit sich selbst nach außen projiziert. Die Vollziehung des Gottesbeweises ist für Fichte also vielmehr eine Form der Selbstauslegung und Selbsterkenntnis der Vernunft442 . Wenn Fichte an dieser Stelle sagt, daß das Sehen wirklich und daher notwendig sei, so schließt er nicht unmittelbar von der Möglichkeit des Sehens auf seine Notwendigkeit. Fichtes Überlegung ist vielmehr: Wenn es möglich ist, daß sich das Wissen selbst durchdringen kann, so ist dieses Wissen auch wirklich, weil sich das Wissen immer nur auf wissende und nicht noch einmal auf eine andere, nicht-wissende Weise durchdringen kann. Insofern aber das reine Sich-Wissen ein wirkliches Wissen ist, kann es sich nur auf gesetzmäßige Weise vollziehen. Fichte schließt also nicht von der Möglichkeit auf die Notwendigkeit, sondern von der Möglichkeit des Sich-Sehens auf die Wirklichkeit des Sehens und insofern das Sehen wirklich ist, ist es als Ausdruck des Gesetzes auch notwendig. Doch wie zeigt sich im Sichdurchdringen, daß die „Vernunft selber […] der Grund ihres eigenen […] lebendigen […] Daseins“ ist443? Laut Fichte ist „das Sichdurchdringen des Sehens […] ein absolutes Sichvernichten, als selbstständiges, und Sichbeziehen auf ein anderes ausser ihm“, oder wie es an anderer Stelle heißt: ein Sichbeziehen auf „ein absolutes Sein“444. Das „Sichbeziehen auf ein anderes“ ist aber nur scheinbar „ausser ihm“. In Wahrheit ist das absolute Sein das Wesen des Wissens: „Das Sein, vor dem es sich vernichtet, ist gar kein anderes, als sein ei439 

WL 1804-II – StA, 267 – GA II/8, 398. WL 1804-II – StA, 267 – GA II/8, 396 ff. 441  WL 1804-II – StA, 272 – GA II/8, 404. 442  Auch wenn sich beide Ansätze auch in dieser Frage unterscheiden, kann an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß es auf der programmatischen Ebene eine weitere Wesensverwandtschaft zwischen dem späten Fichte und Hegel gibt: Hegel hat im Jahr 1829 seine Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes gehalten. Er macht darin gleich in der „Ersten Vorlesung“ deutlich, daß er hier einen „wissenschaftlichen Gegenstand“ gewählt habe, „welcher mit der andern Vorlesung, die ich halte, über die Logik, in Verbindung stehe und eine Art von Ergänzung zu dieser, nicht dem Inhalte, sondern der Form nach, ausmache, indem derselbe nur eine eigentümliche Gestalt von den Grundbestimmungen der Logik ist“ (Hegel: Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes, in: GW 18, 288; Kursivierung von mir, P.T.). Das heißt, auch für Hegel sind Gottesbeweise eine Form der Selbstauslegung der Vernunft. 443  WL 1804-II – StA, 270 – GA II/8, 400. 444  WL 1804-II – StA, 268 und 266 – GA II/8, 398 und 396. 440 

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

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genes höheres Sein, vor dem das niedere, als Sehen zu objektivirende, vergeht“445. Das Sein des Wissens – das Absolute – ist die unmittelbare, „lebendige[] Vollziehung des Denkens“446. Die Sich-Durchdringung des Wissens als Sich-Vernichtung ist „ein Akt, der nur eben in sich selber, und in seinem unmittelbaren Vollzogenwerden ist, daher nothwendig, unmittelbar, und wirklich“ ist447. Laut Fichte läßt sich „[d]as Sehen […] gar nicht setzen, ausser als unmittelbar lebendig, kräftig und thätig daseiend“448. Das Sich-Durchdringen des Wissens ist daher nichts anderes als das Sich-Verstehen des Wissens als Bild des Absoluten. Es ist die bereits behandelte Doppelbewegung von Sichsetzen und Sichabsetzen, d.h. die Sich-Vernichtung als selbständiges Moment und gleichzeitige Beziehung auf das absolute Sein – beides in ein und demselben, lebendigen Akt (vgl. § 4, II.). Diese Einsicht, daß das Sehen immer nur ein lebendiges Sehen sein, also immer nur vollzogen werden kann, „ist nun die absolute Vernunfteinsicht = absolute Vernunft selber“. Diese Einsicht ist ein „Sehen des Sehens, also Sehen ihrer selbst als seiend“. Die „absolute Vernunfteinsicht führt das absolute Dasein (des Sehens eben) bei sich […]. Anders ausgedrückt: die absolute Vernunft durchdringt sich selber, als Vernunft eben in dem angezeigten Effekte“449. In diesem Sichdurchdringen „zeigt sich nun in uns die Vernunft, als Vernunft der Vernunft, also als absolute Vernunft“, d.h., „[u]nter der Bedingung, daß das Sehen in seinem innern Wesen durchdrungen werde, setzt die Vernunft absolut Dasein, und durchdringt sich, als setzend“450. Die Einsicht in das Wesen des Wissens ist somit nicht die absolute Vernunft in ihrer Unmittelbarkeit, sondern nur die Nachkonstruktion der Vernunft, d.h. die Erscheinungsform der absoluten Vernunft. Die Einsicht besteht darin, daß die Vernunft nur lebendig sein kann, daß darüber hinaus ihr Dasein in dieser Lebendigkeit besteht und daß sie sich schließlich als Vernunft setzt. D.h., in der Einsicht zerfällt die absolute Vernunft in zwei Momente. Sie ist ihrem Wesen nach das absolute Durch oder reine Bilden, das wir aber nie unmittelbar sehen, sondern immer nur unmittelbar vollziehen können; erst in der Einsicht – im Sichdurchdringen des Bildens – zerfällt die absolute, bildende Vernunft in das Bilden und das Bild des Bildens, das Sichmachen und das Bild des Sichmachens, „denn nur in dieser Einsicht wird sie duplicirt, d.i. Vernunft als Vernunft“451. Fichte kennt also kein unmittelbares Sich-Sehen, sondern das Sich-Sehen ist immer durch das Bild – die Negativität überhaupt – vermittelt. In der Sichdurchdringung und der damit einhergehenden Einsicht erscheint die Vernunft nicht unmittelbar, sondern vermittelt als Vernunft, 445 

WL 1804-II – StA, 260 – GA II/8, 386, Kursivierung von mir, P.T. WL 1804-II – StA, 68 – GA II/8, 103. 447  WL 1804-II – StA, 268 – GA II/8, 398. 448  WL 1804-II – StA, 268 – GA II/8, 398. 449  WL 1804-II – StA, 268 f. – GA II/8, 398. 450  WL 1804-II – StA, 269 – GA II/8, 401. 451  WL 1804-II – StA, 274 – GA II/8, 407. 446 

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

die sich als lebendig daseiend setzt und sich in sich selbst und das Bild ihrer selbst spaltet: Die Spaltung in lebendige Urkonstruktion und bildliche Nachkonstruktion, in Durch und Als oder in Bilden und Bild des Bildens hat in der gesetzmäßig vollzogenen und sich-verstehenden Vernunfteinsicht ihren Ursprung. Im Sichdurchdringen des Wissens zeigt sich, daß die Vernunft beides ist, sowohl die lebendige Vollziehung als auch ein Sich-Sehen als Vernunft. Wir haben die Einsicht in das Wesen der Vernunft und wir sind qua Vollziehung die Vernunft selber. Hinsichtlich des Begreifens, Anschauens und Einsehens sind wir immer nur auf der Ebene der Verdoppelung – der Vernunft als Vernunft – und damit auf der Ebene der Differenz, aber durch die lebendige Vollziehung der Einsicht sind wir zugleich die absolute Vernunft selber. Laut Fichte ist der Umstand, daß wir qua Vollzug die Vernunft selber sind, ein absolutes Faktum, aus dem wir nie herauskommen können. Dieses Faktum ist insofern absolut, als dies nicht ableitbar, genetisierbar oder entwickelt werden kann. Aber daß die Vernunft schlechthin ein absolutes Faktum und der Grund ihres Daseins als Vernunft ist, ist sie lediglich in der Einsicht, „die wir erzeugten“452. Wir sind daher qua Vollzug die Eine Vernunft als absolutes Faktum, die sich unmittelbar selbst setzt, die lebendig und der Grund ihrer Existenz ist. Wir sind zugleich aber auch die Vernunfteinsicht, daß die Vernunft immer nur lebendig sein kann. Wir sind daher beides: Einsicht und Faktum. Bislang schien es so, als ob der reine Vollzug des Wissens und der Akt des Verobjektivierens einen Gegensatz bilden und das Verobjektivieren dasjenige ist, das es eigentlich zu überwinden gilt. Es ist letztlich der Gegensatz zwischen Vollzug und Darstellung, der die ganze WL prägt, und der auch entsteht, wenn das Wissen sich selbst durchdringt und damit sich selbst zum Gegenstand des Wissens macht. Im XXVIII. Vortrag der WL 1804-II zeigt Fichte aber, daß die Verobjektivierung nichts der Sache Fremdes, Äußerliches und Unwesentliches ist, sondern daß die Verobjektivierung – das Sichsetzen der Vernunft als Vernunft – der Vernunft wesentlich ist. Die Möglichkeit der Verobjektivierung durch die WL liegt letztlich im innersten Wesen der Vernunft – im sich selber intuierend Machen453. Was ist damit gemeint? Im Kern hat Fichte dies bereits formelhaft im XXV. Vortrag auf den Punkt gebracht: Das absolute Wissen ist „ein Bilden, setzend sich als Bild, setzend zur Erklärung des Bildes ein Gesetz des Bildens“454. Im XXVIII. Vortrag heißt es nun: Die Vernunft „macht sich selber schlechthin intuierend“, d.h. sie ist ein Sichselbstverobjektivieren, das in das Sichmachen und das Bild des Sichmachens zerfällt455. „Intuieren“ bedeutet daher, sich selbst verobjektivieren456. Daß 452 

WL 1804-II – StA, 274 – GA II/8, 407. Vgl. WL 1804-II – StA, 276 – GA II/8, 410. 454  WL 1804-II – StA, 252 – GA II/8, 374. 455  WL 1804-II – StA, 276 – GA II/8, 410. 456  Fichtes Konzeption kann auch als Gegenentwurf zu Emmanuel Lévinas’ (1906 – 1995) Verständnis von Gott gelesen werden. Lévinas geht davon aus, daß Gott vollständig 453 

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

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das verbaliter zu verstehende und rein vollzugsmäßige Objektivieren eigentlich im Mittelpunkt steht und sich aufgrund seines vollzugshaften Wesens immer entziehen muß, spricht Fichte sehr deutlich aus: „Es hat sich jemand an das fortdauernde Objektiviren des Absoluten gestoßen und gemeint, darüber komme es zu keinem Absoluten. Wie denn, wenn grade nicht im objektivirten [Objekt], noch im objektivirenden [Subjekt], sondern im unmittelbaren Objektiviren selber die wahre Absolutheit bestände, wie sich hier findet. Daß das Absolute nicht ausser dem Absoluten gesucht werden müsse, und insbesondere, daß wir das Absolute wohl nie erfassen werden, wenn wir es nicht leben und treiben“457.

Die Vernunft ist ein Sichmachen oder Sicherzeugen und in diesem Sicherzeugen ihrer selbst setzt sie ein Bild: „Dieses Sichmachen ist eben Effektivität, inneres Leben und Thätigkeit; und zwar Thätigkeit des Sichmachens, also ein sich zur Thätigkeit Machen. Es entsteht hier zugleich eine absolute Urthätigkeit und Bewegung, als an sich: und ein […] Nachmachen dieser Urthätigkeit, als ihr Bild.“458

Sichmachen und Urtätigkeit meinen letztlich immer ein- und dasselbe: das Bilden, genauer: das sich-verobjektivierende, sich-vergegenständlichende Bilden. Die Vernunft oder das Bilden projiziert ihr bzw. sein eigenes Wesen in das Bild, das im Sichdurchdringen den Grund seiner Existenz bei sich führt. Mit dem Begriff der „Thätigkeit“ knüpft Fichte an den ursprünglichen Gedanken der GWL von 1794/95 an, daß die Vernunft als Tathandlung zu verstehen sei. Der Begriff der Tathandlung von 1794/95 beinhaltet, daß das absolute Ich in einem Akt reines Produzieren, produzierendes Subjekt und produziertes Objekt ist. Auch im Spätwerk wird die Vernunft als reine Tätigkeit verstanden und mit dem absoluten Sein als reinem Leben identifiziert. Im Unterschied zum Frühwerk durchdringt sich die Vernunft in ihrem Bildwesen, aber dieses Bild ihrer selbst wird als selbständiges vernichtet und auf das absolute Sein bezogen, was das eigene, lebendige Sein der Vernunft als lebendiges Bilden ist459. transzendent ist und höchstens in der Form des Entzugs thematisiert werden kann. So heißt es bei Emmanuel Lévinas: De Dieu qui vient à l’idée – Wenn Gott ins Denken einfällt. Diskurse über die Betroffenheit von Transzendenz (1982), aus dem Französischen übersetzt von Thomas Wiemer, mit einem Vorwort von Bernhard Casper, Freiburg/München 42004, 148: „Transzendenz, die allein möglich ist durch die Nicht-Gewißheit!“ Bezieht man diesen Gedanken auf Fichte, wird deutlicher, daß durch Fichtes Konzept von Gewißheit gerade diese Transzendenz durchbrochen werden soll. Lévinas‘ Ansatz erweist sich aus Fichtescher Per­spektive als problematisch: Auch wenn Gott sich entzieht, ist dies eine Form von Sich-Zeigen und Sich-offenbar-Machen. Über einen vollständig transzendenten Gott ließe sich gar nichts sagen. Fichtes Ansatz macht gerade das Gegenteil stark: Trotz vollständiger Immanenz des Absoluten gibt es das wesentliche Moment des Sich-Zeigens; das Sich-Offenbarmachen ist so dem Gottesgedanken wesentlich. 457  WL 1804-II – StA, 272 f. – GA II/8, 404 f., Einfügung von mir, P.T. 458  WL 1804-II – StA, 277 – GA II/8, 410 f. 459  Wilhelm G. Jacobs stellt in diesem Zusammenhang die These auf, daß „diese Tathandlung […] aus sich selbst Trennung in Tätigkeit und Sein [ist]“ (Wilhelm G. Jacobs:

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

Im XXVIII. Vortrag wird klar, daß die Vernunft beides ist: Sie ist als Bilden der unmittelbare Wissensvollzug und sie erzeugt durch das Bild des Bildens die Voraussetzungen für die vermittelte Sichdurchdringung und Einsicht in ihr Wesen. Dies ist ein ihr wesentlicher, gesetzmäßiger Effekt, der nicht übersprungen werden kann, und der eintritt, sobald die Vernunft etwas Konkretes sieht, der aber auch eintritt, insofern die Vernunft ihr eigenes Wesen begreift. Es ist die Form des Sehens, die dazu führt, daß sich die absolute Vernunft in der Einsicht als Vernunft der Vernunft erscheint. An dieser Stelle erklärt Fichte auch, warum die Beschreibung der Gewißheit im XXIII. Vortrag eine wahre und richtige Beschreibung ist: Die absolute Urtätigkeit „erklärt ursprünglich die sich selbstmachende und ergebende Evidenz, die uns noch in allen Untersuchungen ergriffen hat; das Zweite [das Bild der Urtätigkeit] unsere Nachconstruction derselben, wie es uns auch noch immer erschienen ist“460. Das heißt, die Gewißheit oder das Licht ist das lebendige Sein des Wissens oder das Absolute, so daß die Beschreibung oder unser Bild derselben insofern ein ‚getroffenes Bild‘ ist, als es auf die Selbstverobjektivierung der Vernunft als Urtätigkeit zurückgeht. Da Fichte zeigen kann, daß die reine Vollziehung des Wissens und die Verobjektivierung identisch sind, kann er auch mit allem Recht behaupten, daß die WL als transzendentales Wissen eine adäquate Nachkonstruktion und Darstellung des absoluten Wissens ist. Indem die Vernunft nichts anderes als das Sich-selber-Verobjektivieren ist, ist der Akt des Verobjektivierens – das fixierte Bild des lebendigen Bildens – im Wesen der Vernunft selbst begründet. Das „Erscheinen[] dieses absoluten Wissens in uns“461 als verobjektivierte Darstellung und der reine Vollzug des absoluten Wissens fallen somit zusammen. (6) Fichtes Beweis der Notwendigkeit der Erscheinung ist insgesamt ein äußerst schwieriger Gedankengang. Im Fichteschen Spätwerk ist nicht nur „der Wind des Absoluten in den Segeln des Begriffs“ wahrzunehmen, wie es in einer Notiz Walter Benjamins im Passagen-Werk heißt462, sondern das Absolute erweist sich als ein durch die Vermittlung des Begriffs rein zu vollziehendes Unmittelbares, das zugleich die Form des Begriffs bestimmt. Das Absolute ist nicht nur das Leben der Vernunft, sondern hat als reine Gewißheit und absolutes Gesetz eine tiefere, prinzipientheoretische Funktion. „Einzelkommentar zu: Die Wissenschaftslehre. Vorgetragen im Jahr 1804“, 887). Allerdings werden von Fichte Tätigkeit und absolutes Sein im Sinne des esse in mero actu miteinander identifiziert; was den späten Begriff der Tathandlung von demjenigen des Frühwerks unterscheidet, ist das „absolute[] Sichvernichten, als selbstständiges“ im „Sichdurchdringen des Sehens“ und gleichzeitige „Sichbeziehen auf ein anderes“ – das Sichbeziehen auf das „absolute[] Sein“ (WL 1804-II – StA, 268 und 266 – GA II/8, 398 und 396). Die Tathandlung ab 1804 ist weniger die Trennung von Tätigkeit und Sein, sondern von Urtätigkeit als absoluter Vollzug des Seins und Nachmachen der Urtätigkeit als Bild in der Einsicht. 460  WL 1804-II – StA, 277 – GA II/8, 412, Einfügung von mir, P.T. 461  WL 1804-II – StA, 253 – GA II/8, 376. 462  Walter Benjamin: Das Passagen-Werk, in: Gesammelte Schriften, unter Mitwirkung von Theodor W. Adorno und Gershom Scholem hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Bd. V/1, Frankfurt a. M. 1982, 591.

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

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Die Plausibilität der Analyse beruht letztlich auf Fichtes Verständnis von Unwandelbarkeit und Einheit: Die reine Gewißheit wird zum Gegenstand des Wissens gemacht und als reine Unwandelbarkeit beschrieben; diese Beschreibung ist nur dadurch möglich, indem das Gegenteil – die Wandelbarkeit – negiert wird. Für Fichte ist diese Beschreibung der Gewißheit nur auf eine Art und Weise möglich und unendlich wiederholbar – durch die Negation der Wandelbarkeit. Indem Fichte zeigen kann, daß das Verfahren der begrifflichen Beschreibung der Gewißheit ebenso unwandelbar und unveränderlich ist wie das Wesen der reinen Gewißheit selbst, manifestiert sich ein tieferer Zusammenhang zwischen Beschreibung und beschriebenem Gegenstand. Da die beschriebene Gewißheit lediglich durch die Negation eingesehen werden kann, ist diese Form der Gewißheit nur eine verobjektivierte und qualitative Einheit; von einer reinen Einheit kann also im Fichteschen Sinne nur gesprochen werden, wenn sich die Unwandelbarkeit derart manifestiert, daß sich diese nicht negativ auf ihr Gegenteil – Wandelbarkeit und Quantitabilität – bezieht. Da ein jeder Begriff ein bestimmter Begriff ist und sich immer auf sein Gegenteil bezieht, kann die einzige und im wahrsten Sinne des Wortes unveränderliche Einheit nur das Prinzip des Begriffs sein, das Fichte als Gesetzmäßigkeit des Bildens bezeichnet. Daß das Bilden zugleich ein Bild von sich selbst setzt, ist ein unveränderlicher, sich stets wiederholender Akt, der sich in jedem Akt des Wissens aktualisiert und nicht übersprungen werden kann. Fichte könnte an dieser Stelle entgegengehalten werden, daß es sich hierbei lediglich um die Bewegungsform des absoluten Begriffs handle, die nicht zwangsläufig als Ausdruck des Absoluten verstanden werden muß. Die Selbstunterscheidung in Bilden und Bild des Bildens ist aber ein unwandelbarer, unbedingter, unbegreiflicher, unerzeugbarer und unableitbarer Effekt, der in sich selbst nicht wandelbar, sondern vielmehr der Grund für alle Wandelbarkeit ist. Es ist die einzige, unveränderliche Einheit, die keine beschreibbare, qualitative, sondern rein zu vollziehende Einheit ist, die aus sich selbst heraus auf unveränderliche Weise Negativität erzeugt. Der Vollzug des Gesetzes ist die Einheit, aus der die Differenz hervorgeht. Die eigentliche genetische Einsicht der WL ist die Einsicht in das absolute Gesetz sowie, daß diese Einsicht nur auf gesetzmäßige Weise erfolgen kann und unter dem Gesetz steht. Vor diesem Hintergrund kann die Negativität des Begriffs als Manifestation des Absoluten verstanden werden, da sie ihren Grund letztlich in der Gesetzmäßigkeit hat. Negativität und Selbstbezüglichkeit erschienen bislang als Kennzeichen für die Nicht-Absolutheit des Wissens, aber durch die Gesetzmäßigkeit erweisen sich die Momente des Bildens als Vollzugsformen des Absoluten. Der absolute Begriff ist daher das lebendige Schema des Absoluten, das die Notwendigkeit der absoluten Erscheinung zum Ausdruck bringt. Trotz des Nachweises der Gesetzmäßigkeit der Erscheinung des Absoluten im Wissen, so kann kritisch festgehalten werden, bleibt die Vernunft hinsichtlich ihres Daseins ein unableitbares Faktum463, d.h., der Anspruch auf totale Genesis des 463 

Vgl. Barth: Absolute Wahrheit und endliches Wahrheitsbewußtsein, 355.

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

Wissens kann nicht vollständig umgesetzt werden. Aber – und dies ist entscheidend – Fichte gelingt es, den Gegensatz von Absolutem und absoluter Form des Wissens dahingehend zu vermitteln, daß die Form des Wissens durch die Gesetzmäßigkeit bedingt ist, d.h., die Vernunft ist zwar ein unableitbares Faktum, aber es ist ein Faktum, das unter einem Gesetz steht, und dasjenige ist, was die Form bestimmt464. Indem das Absolute als Gesetz die Vollzugsform des Wissens bestimmt, ist es letztlich der Grund für die Selbstverobjektivierung der Vernunft, die sich unveränderlich in Urtätigkeit, Leben und Licht – als dem Objektivierten – und in Bild, Nachmachen und Einsicht – als dem Objektivierenden –, in Urbild und Abbild, in Sehendes und Gesehenes, in Subjekt und Objekt, in antecedens und consequens, in absolute Vernunft und Vernunft als Vernunft, in das Erscheinen und das Sich-Erscheinen spaltet. Die Vernunft ist ihrem Wesen nach ein Sich-Zeigen, ein Sich-Manifestieren oder Sich-Bilden, genauer: sie ist ein Sich-zum-Bild-Machen oder Objektivieren. 464  An dieser Stelle kann auch eine weitere Behauptung von Peter Baumanns entkräftet werden: Baumanns vertritt in seiner Kritische Gesamtdarstellung die Position, daß das Absolute und das absolute Wissen nicht adäquat mit- und durcheinander vermittelt werden und diagnostiziert „zwei Formen des Seins des Absoluten“ (347). Nach seiner Beurteilung könne Fichtes These von der Form der Subjektivität, die „ohne eigentliche Wahrheit an sich: doch faktisch unaustilgbar“ sei (WL 1804-III – GA II/7, 367), „die Unplausibilität zweier Seinsformen des Absoluten und die Unklarheit ihres Zusammenhängens nicht aufheben“ (Baumanns: J.G. Fichte. Kritische Gesamtdarstellung, 349). Würde man das Absolute nur als unmittelbares Leben deuten – wie in § 5, I. problematisiert –, müßte man Baumanns ­Diagnose bestätigen, allerdings bestimmt das Gesetz als Erscheinung des Absoluten auch die Form des absoluten Wissens, so daß nicht von zwei Formen des Seins gesprochen werden kann, weil dem Absolute hinsichtlich der Lebendigkeit und der Form des Wissens eine prinzipientheoretische Funktion zukommt. Die Form des Wissens als Faktum ist zwar unableitbar, aber sie untersteht hinsichtlich des Vollzugs dem absoluten Gesetz. Auch Karen Gloy argumentiert, daß die späte WL das Dualismusproblem nicht löse: „Die Wissenschaftslehre von 1804 wiederholt die inkrimierten Fehler nur auf anderer Ebene, nicht mehr innerhalb des Selbstbewußtseins zwischen dessen Momenten: der sich gleich bleibenden Einheit und Identität und den Unterschiedenen als solchen, sondern zwischen dem Absoluten und dem Selbstbewußtsein, von den das erste das Prinzip der abstrakten Einheit, das zweite das der Disjunktion bezeichnet (Karen Gloy: Einheit und Mannigfaltigkeit. Eine Strukturanalyse des „und“. Systematische Untersuchung zum Einheits- und Mannigfaltigkeitsbegriff bei Platon, Fichte, Hegel sowie in der Moderne, Berlin/New York 1981, 129 f.). Dieser These vom „negativ dialektischen Umschlag von abstraktem Monismus in Prinzipiendualismus“ ist folgendes entgegenzuhalten (Christian Iber: Subjektivität, Vernunft und ihre Kritik. Prager Vorlesungen über den Deutschen Idealismus, Frankfurt a. M. 1999, 267): Es gibt nicht auf der einen Seite das Einheitsprinzip (das Absolute) und auf der anderen Seite das Differenzprinzip (das Wissen), sondern das Wissen ist zugleich und unabtrennbar Einheits- und Differenzprinzip. Das Absolute ist das Wissen nur von deren Seite betrachtet; es ist der Gehalt ohne die selbstbezügliche Form. Wenn man von einem Dualismus sprechen möchte, dann ist es die Differenz zwischen Gehalt (Absolutes) und Form (Wissen), aber auch hier gilt: es ist die Reflexion, die beide Momente auseinanderreißt, die auf der Ebene des Vollzugs eins sind und es ist der Gehalt als Gesetz, der die Form bestimmt und letztlich beide Seiten vermittelt.

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

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Indem gezeigt wurde, daß der Vollzug des Wissens und das Verobjektivieren im Kern identisch sind und das Verobjektivieren, das sich in jeder begrifflichen Darstellung einstellt, ein verstellender, aber notwendiger Schein ist, wurde deutlich, daß in Fichtes WL an diesem Punkt des Sich-Verstehens des Wissens dasjenige begrifflich realisiert wird, was zugleich auch ausgesagt wird, und beides in seiner Einheit eingesehen wird. Da es Fichte gelingt, den „Widerspruch zwischen […] Thun und […] Sagen“465, zwischen Vollzug und Darstellung in dieser Weise aufzuheben, so daß sich das Erkennen in dieser Hinsicht im Vollzug selbst einholt, kann abschließend festgehalten werden, daß die Bewegung des absoluten Begriffs als einsehender Form mit der gesetzmäßigen Selbstbewegung der Vernunft als eingesehenem Gehalt zusammenfällt. Die Selbsteinholung des Erkennens im Vollzug läßt sich noch einmal am Beispiel von Schellings System des transzendentalen Idealismus (1800) problematisieren466: Auch Schelling geht in dieser Schrift vom Wissen als einer in sich differenzierten Einheit aus, weil das absolute, vorbewußte Selbstbewußtsein als Ich „sich selbst zum Object“ machte467. Dieses „[S]ich-selbst-Objectwerden[]“468 führt zu einer Dialektik von ursprünglich unendlicher und unbegrenzter Tätigkeit auf der einen Seite und in eine begrenzte, sich „in eine endliche verwand[elnde]“ auf der anderen469, was zur Folge hat, daß das „Zusammenwirken beider Tätigkeiten […] die Fichtesche Annahme eines ‚Anstoßes‘ überflüssig [macht]“470. Allerdings ist Schellings Erklärung des Zusammenhangs zwischen der Selbstverobjektivierung der Vernunft und der Verobjektivierung, die durch die philosophische Rekonstruktion erfolgt, etwas problematisch. Schelling bezeichnet die Rekonstruktion als „freye Nachahmung“ des ursprünglichen Aktes des Sich-Selbstobjektivierens des absoluten, vorbewußten Selbstbewußtseins. Die Frage sei aber, wie „jener secundäre, willkührliche Akt identisch sey mit jenem ursprünglichen“, d.h. wie „Original“ und „Copie“ zusammenhängen471. Genau diese für den späten Fichte so entscheidende Frage wird nur unzureichend und durch ein Postulat gelöst: „Was ich bin, bin ich nur durch mein Handeln, (denn ich bin absolut frey), aber durch dieses bestimmte Handeln entsteht mir immer nur das Ich, also muß ich schließen, daß es auch ursprünglich durch dasselbe Handeln entsteht“472. Robert Jan Berg bezeichnet dies – das Kernproblem ausdrückend – als „einen Schluß vom Bewußten auf das Unbewußte“473. Fichtes „WL in specie“ versucht demgegenüber eine 465 

WL 1804-II – StA, 191 – GA II/8, 288. Vgl. dazu: Robert Jan Berg: Objektiver Idealismus und Voluntarismus in der Metaphysik Schellings und Schopenhauers, Würzburg 2003, 83 – 93. 467 Schelling: System des transzendentalen Idealismus (1800), in: SHKA I/9.1, 70. 468  Ebd., SHKA I/9.1, 63. 469  Ebd., SHKA I/9.1, 73. 470 Berg: Objektiver Idealismus, 88. 471 Schelling: System des transzendentalen Idealismus (1800), in: SHKA I/9.1, 88 f. 472  Ebd., SHKA I/9.1, 89. 473 Berg: Objektiver Idealismus, 90. 466 

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

Antwort darauf zu geben, ob und warum die Nachkonstruktion des Philosophen und die Selbstbewegung der Vernunft zusammenfallen. Fichte kann die Kluft dadurch vermitteln, daß in der Nachkonstruktion zugleich die Urkonstruktion vollzogen wird: Das absolute Gesetz des Bildens ist eine unbedingte, nur unmittelbar zu vollziehende Einheit, die in sich unwandelbar ist und sich nicht auf ihr Gegenteil bezieht, sondern aus sich erzeugt. Fichte zeigt auf, daß die lebendige Vollziehung das verbindende Moment zwischen der Nachkonstruktion des Philosophen und der Selbstbewegung der Vernunft ist; es ist ein Unmittelbares, das sich nur und ausschließlich in der lebendigen Vermittlung des Begriffs manifestiert. Es ist die Reflexion auf die Darstellung als Darstellung und die damit verbundene Einsicht in das Wie der Einheit von Darstellung und Vollzug, wodurch der späte Fichte dem transzendentalen Gedanken Rechnung trägt und sich von Schellings Ansatz aus dem Jahr 1800 unterscheidet474.

III.  Die Selbstentfaltung des Wissens In diesem abschließenden Unterkapitel geht es darum, konkrete Anwendungsbereiche in der Selbstentfaltung des Bildens zu diskutieren. Hierbei werden nur die Theorieelemente aufgegriffen, die sowohl in den Versionen der WL von 1804/05 als auch 1812 behandelt werden und die sich aus dem Prinzip des Bildens sowie dem Gegensatz von Absolutem und absolutem Wissen entwickeln lassen. So entwickelt Fichte in der WL 1804-III neben der Raum-, Zeit- und Willenslehre auch die Grundzüge einer Wahrnehmungslehre, die aber in der Periode von 1809 bis 1814 nur noch in den Einleitungsvorlesungen Thatsachen des Bewußtseins behandelt wird475; aus diesem Grund wird die Wahrnehmungslehre im folgenden nur im Zusammenhang mit der Willenslehre thematisiert. 474  Vgl. Thomas Sören Hoffmann: „‚Darstellung des Begriffs‘. Zu einem Grundmotiv neueren Philosophierens im Ausgang von Kant“, in: Kant als Bezugspunkt philosophischen Denkens. Festschrift für Peter Baumanns zum 75. Geburtstag, hg. von Hubertus Busche und Anton Schmitt, Würzburg 2010, 101 – 118. Hoffmann vertritt die These, daß die transzendentale Wende Kants auch „als darstellungsphilosophische Wende der Philosophie“ aufgefaßt werden kann und in deren Paradigma vor allem die Vertreter des Deutschen Idealismus stehen (102). Es geht dabei nicht um ein äußerliches oder didaktisches Problem, sondern um die „Einsicht […] in die Darstellungsgebundenheit bzw. Darstellungspflichtigkeit philosophischer Gedanken“ und die sich darin manifestierende „Reflexivität in der Darstellung, d.h. die jeweils unhintergehbare ‚Selbstdarstellung‘ des Darstellenden in seinen Darstellungshandlungen“ (103 f.). Monika Betzler interpretiert die späte WL insgesamt als „Kritik des darstellenden Verstehens“, deren logisches Zentrum das Sich-Verstehen ist (dies.: Ich-Bilder und Bilderwelt, München 1994, 164 und 215). 475 Vgl. WL 1804-III – GA II/7, 342 – 353; Fichte: Die Thatsachen des Bewußtseyns (1810/11), in: GA II/12, 9 – 135 sowie Thatsachen des Bewußtseyns (1813), in: GA II/15, 82 – 87. Eine Ausnahme in der Beschränkung auf die Versionen der WL im engeren Sinne bilden auch hier wieder die Principien-Vorlesung von 1805 sowie die Transscendentale Logik II von 1812; sie unterscheiden sich zwar vom Titel her von der WL sowie auch von der engeren und spezielleren Thematik und ihrer Funktion im Textkorpus, aber – und dies

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

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Im folgenden wird herausgearbeitet, daß Fichte nicht erst ab 1809 eine materiale Entfaltung seiner Wissenstheorie unternommen hat, sondern bereits nach der Behandlung der Grundlegungsfragen in der ersten und zweiten Fassung der WL 1804 eine Restituierung bestimmter Themen der Jenaer Periode vornahm, die er im 3ten Cours der W.L. 1804 erstmals skizziert und bis zum praktischen Willen entwickelt hat. Dieses Kapitel kann daher als Gegenantwort auf § 3, III. verstanden werden, wo es vor allem darum ging, die Schwierigkeit der Frage, was genuine Bestandteile der WL sind, zu verdeutlichen. Im folgenden werden drei Theorieelemente behandelt: die Raum-, Zeit- und Willenslehre. In den bereits unter anderen Gesichtspunkten behandelten Texten finden sich immer wieder verstreute Aussagen zu diesen drei Themen, die hier zusammengeführt werden. Bereits in der Grundlage von 1794/95 und im Grundriß des Eigentümlichen der Wissenschaftslehre von 1795 kommt Fichte auf Raum und Zeit zu sprechen. Darin heißt es: „Für die bloße reine Vernunft ist alles zugleich; nur für die Einbildungskraft gibt es eine Zeit“476. Das heißt, die Zeit als innere Anschauung und der Raum als „die subjektive Bedingung der Möglichkeit der äußeren Anschauung“477 beziehen sich nicht auf die Ebene des absoluten Ich und damit der reinen Vernunft, sondern auf das endliche Ich und damit das Bewußtsein. Das Bewußtsein, so Fichte, „ist nur möglich unter der Bedingung, daß das Ich ein Nicht-Ich sich entgegensetze“478. In diesem frühen Ansatz setzen sich Raum und Zeit wechselseitig: Man könne das eine nur durch das andere messen, „den Raum durch die Zeit, die man braucht, um ihn zu durchlaufen; die Zeit durch den Raum, den wir, oder irgendein regelmäßig sich fortbewegender Körper […] in ihr durchlaufen kann“479. Auch in der späten WL werden Raum und Zeit nicht dem absoluten Wissen zugeordnet, sondern dem Bewußtsein. So heißt es in dem schon zitierten Brief an ist der sachliche Grund für die Behandlung – beide Texte stehen in einem besonders engen Zusammenhang zu den ihnen vorausgegangen Versionen der WL, d.h. der WL 1804-III und der WL 1812, da in ihnen Gedanken fortgeführt werden, die in der WL 1804-III und der WL 1812 teilweise nur kurz oder nur programmatisch angerissen werden. 476  GWL – GA I/2, 360. 477  Grundriß – GA I/3, 204. 478  Grundriß – GA I/3, 207. 479  Grundriß – GA I/3, 208. Gegen diesen ersten Versuch Fichtes, Raum und Zeit zu erklären, kann kritisch eingewendet werden, daß Fichte im Grundriß nur zwei Formen der Zeit erklären kann: Vergangenheit und Gegenwart. Die zeitliche Dimension der Zukunft wird von Fichte nicht thematisiert. Weiter wird deutlich, daß das verbindende Prinzip von Raum und Zeit eigentlich die Bewegung ist, die Fichte aber nicht eigens in den Fokus stellt (Zur weiteren Kritik vgl. Rainer Schäfer: Johann Gottlieb Fichtes ‚Grundlage‘ von 1794, 157 – 161; aber auch: Wilhelm Metz: „Fichtes genetische Deduktion von Raum und Zeit in Differenz zu Kant“, in: Fichte-Studien 6 (1994) 71 – 94). Unausgesprochen knüpft Fichte hier an die Zeitvorstellung des Aristoteles an. Nachdem ihm ist Zeit etwas an der Bewegung und Veränderung; Zeit ist das an der Bewegung Gezählte (vgl. Aristoteles: Physik, IV, 11, 219a, in: ders.: Philosophische Schriften in sechs Bänden, übers. v. Hans Günter Zekl, Bd. 6, Hamburg 1995, 106).

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

Paul Joseph Appia vom 23. Juni 1804: Als „Resultat der absoluten […] Spaltung im Bewußtseyn“, d.i. die Spaltung in Sein und Denken bzw. Sinnliches und Übersinnliches, wird „das absolut gespaltene [d.i. verobjektivierte] Seyn […] ausgedehnt durch einen unendlichen Raum, das Bewußtseyn ausgedehnt durch eine unendliche Zeit“480. Die bereits hinlänglich diskutierte Sich-Spaltung der Erscheinung in Leben und Durch, die als Spaltung in Sein und Denken erscheint, ist daher auch die Voraussetzung von Raum und Zeit überhaupt. Dies bedeutet, daß Raum und Zeit nicht „an sich, d.h. im reinen Seyn, oder auch in der reinen Vernunft, sondern nur im Bewußtseyn“ zu lokalisieren sind481 – ihre Gültigkeit beschränkt sich auf das Bewußtsein, gleichwohl ist ihre Möglichkeit im absoluten Wissen begründet482. (1) In der WL 1804-III, der WL 1812 und der Transscendentalen Logik II kommt Fichte auf die „Ableitung des Raumes“ zu sprechen483. Dieses Theorem ist vor allem aus zwei Gründen bemerkenswert: Zum einen zeigt Fichte hier die sinn480 

Fichte: „Brief an Paul Joseph Appia vom 23. Juni 1804“, in: GA III/5, 248.

481 Ebd. 482  Für Fichte liegt die Bedingung der Möglichkeit von Zeitlichkeit im absoluten Wissen, das im faktischen Bewußtsein dann auch als bestimmte Zeit erscheint, aber genau aus diesem Grund haben das lebendige Absolute und Zeitlichkeit nichts miteinander zu tun. Genau aus diesem Grund kritisiert auch die Fichte die Schöpfungslehre, weil Gott selbst dann in die Zeit fallen würde. Das Ableugnen der Schöpfungslehre ist für Fichte „das erste Kriterium der Wahrheit“ einer Religionslehre. Gott „schuf […] nicht, und es bedurfte keiner Schöpfung, – sondern es – war schon; es war das Wort – und durch dieses erst sind alle Dinge gemacht“ (Anweisung 1806 – GA I/9, 118). In der WL von 1812 gibt es eine aufschlußreiche Passage, wo Fichte auf die Schöpfungstheorie und damit auch auf die Frage, ob die Welt einen Anfang hat, zu sprechen kommt: „Das Absolute erscheint ist Factum; hinterher kann die Erscheinung sich denken. Die Erscheinung ist Erscheinung des Absoluten; das Seyn des Absoluten ist nicht zufällig; also auch die Erscheinung ist absolut. Sie kann nicht nicht seyn. Diese Einsicht gehet aus von der Einsicht der Facticität: Die Erscheinung ist. […] Diese ganze Bemerkung ist noch in einer andern Rücksicht merkwürdig. Setzt man nehmlich die Erscheinung des Absoluten als ein zufälliges und fügt vielleicht hinzu: Sie sey auch einmal nicht gewesen, sie habe einmal einen Anfang genommen: so setzt man Zeit in die Erscheinung hinein; vor der Erscheinung gehet eine andere Zeit, da Gott allein war. Also Gott in der Zeit. In diese Verwirrung fällt jede Theorie von der Schöpfung, die ja Anfang und Zeit, mit sich führt. Dieß hat keinen Begriff und keinen Verstand und ist noch von niemand verstanden worden. Die Erscheinung ist schlechthin wie Gott ist. Gott fällt nicht in die Zeit: so auch nicht die Erscheinung. Die Erscheinung ist wie Gott. Wir haben auch gesagt: die Erscheinung erscheine sich, spreche aus sich und so spricht sie aus Gott. Die Erscheinung würde auch heißen können das Wort. Also das Wort ist wie Gott und das Wort ist bei Gott und gerade dieß hat der heilige Johannes gedacht, wenn es ihm nicht Jesus vorgedacht, was ich doch nicht behaupten mag“ (WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 285). Vgl. dazu auch: WL 1804-III – GA II/7, 319. 483  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 200 – GA II/14, 350. Vgl. dazu: Drechsler: Fichtes Lehre vom Bild, 386 – 391; Lautemann: „Wissenschaftslehre und genetisches Prinzip …“, XIX/38 – 43; Reinhard Lauth: Die Konstitution der Zeit im Bewußtsein, Hamburg 1981; ders.: Die transzendentale Naturlehre Fichtes nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre, Hamburg 1984; Baumanns: J.G. Fichte. Kritische Gesamtdarstellung, 310 – 312.

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

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lich-anschauliche Dimension seiner Bildlehre und zum anderen begründet er an dieser Stelle die Möglichkeit der Einwirkung von „fremder Inhaltlichkeit“ durch das Sich-Öffnen des Bildens484. „Das Gesez des Bildens überhaupt“, so heißt es in der Transscendentalen Logik II, „ist das Bilden im Raume“485. Im Unterschied zu Kant ist für Fichte die räumliche Anschauung zunächst keine äußere, sondern eine innere Anschauung: „es ist die Anschauung des Bildens selbst: das da aufhört ein Bilden zu seyn, weil es eben eintritt in die Form des festen Bildes“, d.h. der Raum ist für Fichte „das Bild des Bildens“486, d.h., die ursprüngliche Selbstfixierung des Bildens oder Schema II ist die Voraussetzung für den Raum487. Der Raum ist für Fichte ein „in der Mitte liegendes Bild“ zwischen reinem und sinnlichem Denken488. Doch wie kommt Fichte überhaupt dazu, dieses bislang vor allem unter begriffslogischen Vorzeichen betrachtete Sichunterscheiden des Bildens mit der Raumvorstellung zu verbinden? Fichte knüpft hier an die bereits diskutierten Überlegungen zur Selbstfixierung des Bildens und der Vermannigfaltigung an. Im X. Vortrag der WL 1804-II sagt Fichte, wenn das lebendige Absolute in die Form des Wissens eintritt, kann es „nie und an keiner Stelle aufgefaßt werden […], ohne daß dem Gefaßten entstehe ein antecedens [Grund], durch das es sein soll; und […] ein consequens [Folge], das durch dasselbe sein soll; […] kurz […] die bekannte unendliche Theilbarkeit, bei absoluter Continuität […] – mit einem Worte das, was die W.-L. Quantitabilität nennt“489.

In der tieferen Durchdringung des Wesens des Wissens zeigte sich, daß diese Unterscheidung in Grund und Folge auf die Selbstunterscheidung von Bilden und Bild des Bildens zurückgeht, die ihren eigentlichen Grund im absoluten Gesetz hat. In bezug auf die Raumlehre bezeichnet Fichte die Selbstfixierung des lebendigen Wissensvollzugs in diesem Zusammenhang als „Beschränkung des Bildens“ oder als „Begrenzbarkeit“ des „unendliche[n] Vermögen[s] des Bildens“490. In der WL 1812 heißt es: „Nur durch diese Begrenzbarkeit wird Mannigfaltigkeit gebracht in das Bilden“491. Genau dies ist der systematische Ort des Raumes: Das Bild des Bildens als absolute Begrenzbarkeit „ist der Raum, mit seiner unendlichen Theilbarkeit, d.i. der Fähigkeit von Linien, u. Punkten“492. Die unendliche Teilbarkeit beinhaltet also, wie Janke zu Recht sagt, zugleich die „Gesetze der

484 

Lautemann: „Wissenschaftslehre und genetisches Prinzip …“, XIX/38 und 41. Transscendentale Logik II (1812) – StA, 134 – GA II/14, 297. 486  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 129 – GA II/14, 292 f. 487  Vgl. WL 1812 – GA II/13, 158 f. 488  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 202 – GA II/14, 352. 489  WL 1804-II – StA, 104 – GA II/8, 156 f., Einfügung von mir, P.T. 490  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 130 – GA II/14, 294 und WL 1812 – GA II/13, 156. 491  WL 1812 – GA II/13, 157. 492  WL 1812 – GA II/13, 158; vgl. Transscendentale Logik II (1812) – StA, 130 – GA II/14, 293. 485 

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

Separabilität“493. Fichte deutet also an dieser Stelle die begriffslogische Bildtheorie raumtheoretisch um. Fixierte Bilder können im Sinne Fichtes ebenso als Punkte verstanden werden, deren Beziehung durch eine Linie veranschaulicht werden kann. „Das Mannigfaltige sind die Punkte, als die Bilder der möglichen Begrenzungen u. erst zwischen den Punkten […] findet der Fluß, als die Unbegrenztheit des Bildes statt“494. Laut der Transscendentalen Logik II „ist darum ein eigentlicher Fluß, in der Reihe der Abhängigkeit, in der Form eines Linienziehens“495. Der Fluß als Linienziehen zwischen den Punkten ist wiederum nichts anderes als das beziehende Bilden oder Schema I. Fichte bezeichnet die Selbstbegrenzung des Bildens als „Bedingung der Möglichkeit eines Wirklichen in der Anschauung“496, d.h., die Rezeptivität der räumlichen Anschauung hat beim späten Fichte ihren Ursprung in der Spontaneität des Bildens. Eine „Begrenzbarkeit durch das Nicht-Ich“ ist erst durch „eine Begrenzbarkeit durch das Ich selbst“ bzw. „des Bildens überhaupt“ möglich497. Fichte zeigt damit nicht mehr und nicht weniger, als daß sich der absolute Begriff selbst anschaulich macht. Bemerkenswerterweise wird die Möglichkeit eines Einflusses von außen aber in vergleichbarer Weise wie in der GWL von 1794/95 gelöst (vgl. § 2, III.). So wie eine Beschränkung des Ich durch das Nicht-Ich erst dadurch möglich ist, indem das Ich sich selbst beschränkt, so hat ab 1804/05 eine Hemmung der Tätigkeit des Ich ihren Möglichkeitsgrund in der Selbstbeschränkung des Bildens; damit öffnet sich das Bilden einer Fremdeinwirkung von außen. Fichte kehrt damit im Spätwerk wieder an seinen Ursprung zurück: Die ursprüngliche Frage, „wie […] Antithesis möglich“ ist498, wird ab 1804 so beantwortet, daß das absolute Wissen im Unterschied zu 1794/95 eine sich selbst differenzierende Einheit ist und die Antithesis im Sichunterscheiden des Bildens ihren Ursprung hat, allerdings ist ein Einfluß von außen von 1794/95 bis 1812 durchgehend immer nur durch die Selbstbeschränkung des Ich möglich. Mit der Klärung der Frage, wie eine ‚Fremdeinwirkung von außen‘ möglich ist, stellt sich schon von selbst die weiterführende Frage, was das ‚Außerhalb des Bildens‘ ist, genauer: was der späte Fichte unter Empirie versteht? Es wurde bereits verschiedentlich erwähnt, daß durch die Selbstunterscheidung und Selbstverobjektivierung des Bildens das lebendige Absolute in ein stehendes, objektives und

493 Janke: Vom Bilde des Absoluten, 345. Weiter heißt es bei Janke: „[I]nnerhalb einer Anschauungswelt [sind] die Prämissen [darzulegen] für die unendliche Teilbarkeit des Räumlichen als Separabilität eines Punktekontinuums: der ‚Urraum‘ in seiner ewig gleichen Mannigfaltigkeit und das ‚Linienziehen‘ als Nachkonstruktion eines Ausschnitts aus dieser Quantitabilität“. 494  WL 1812 – GA II/13, 157. 495  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 133 – GA II/14, 296. 496  WL 1812 – GA II/13, 157. 497  WL 1812 – GA II/13, 157 f. 498  Fichte: „Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 2. Juli 1795“, in: GA III/2, 345.

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

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faktisches Sein verwandelt wird499 und daß dieses objektive Sein dasjenige ist, was Fichte unter Welt versteht500. Wie in der Anweisung zum seeligen Leben (1806)501 so heißt es in der Transscendentalen Logik II: „Durch den Begriff, in jeder Rüksicht, ist ja die Welt gesezt, und diesen muß sie [die Welt] ausdrüken, ausserdem wäre sie nicht“502. Im Unterschied zur Anweisung differenziert Fichte im Jahr 1812 zwischen den „beiden Bestandtheile[n] des faktischen Seyn[s]“: der Welt und der Empirie. Die Welt wird durch den absoluten Begriff bestimmt und steht unter dem Gesetz des Bildens; sie umfaßt „die gesammte Sinnenwelt: das erscheinende Ich, u. die Welt der Iche, sowie die Welt der Objekte des Be[wu]ßtseyns dieser Iche“. Was aber „durch den Begriff bestimmt ist“, so Fichte weiter, „ist ja nicht das empirische: sondern für das empirische bleibt nur übrig dasjenige, was durchaus nicht durch den Begriff bestimmt ist“. Das Empirische „ist seinem Daseyn nach […] begreiflich“, nicht aber hinsichtlich seiner konkret-inhaltlichen und materialen Bestimmtheit nach. Es gibt lediglich ein „Gesez ihres formalen Seyns“, d.h. in der WL kann lediglich festgestellt werden: „sie ist, keinesweges aber darum ist sie“. Der „Grundbegriff[] der Empirie“ beinhaltet in bezug auf das materiale Sein eine „Unbegreiflichkeit“, die „darum unbegreiflich ist, weil es das absolute Nichts ist“503. In dieser Hinsicht ist die Empirie „ohne alles Gesez, u. da nur das gesezliche Seyn Wahrheit, u. Realität ausdrükt, [ist sie] ohne alle Wahrheit, u. Realität. Sie ist bloß das Materiale zu einem Bilde des Ich, u. zwar zu einem gleichfals bloß leeren Bilde, ohne alle innere Realität. Bloß dazu [ist sie da], daß an ihr der Verstand sich zur Einsicht eines Ich, einer Erscheinung über alle sinnlichen Bildwesen, zur Anschauung der Wahrheit im Verstande erhebe“504.

Nachdem durch die Unterscheidung von formalen und materialen Sein der sy­ stematische Status der Empirie und somit auch der Natur überhaupt bestimmt wurde, vertieft Fichte in der Transscendentalen Logik II die Frage, wie die ursprünglich innere Raumanschauung zu einer äußeren wird. Es geht um die Frage, wie aus dem absoluten Raum als reiner Möglichkeit ein konkreter, bestimmter Raum für das faktische Wissen oder Bewußtsein entsteht. Die äußere Anschauung ist für Fichte deshalb eine abgeleitete Form, weil sie nur „in einer Relation, in einem Gegensatze“ steht, d.h., der konkrete Raum steht in einem Verhältnis zu einem Raumfüllenden – der „Materie“505. Fichte beantwortet die Frage in zwei Schritten: „Der Raum wird Materie durch die Synthesis mit Qualität“506, d.h., der Raum erzeugt aus selbst heraus sein eigenes Gegenteil: die Materie. 499 

Vgl. WL 1812-Nachschrift – GA IV/4, 266. Vgl. Anweisung 1806 – GA I/9, 97. 501  Vgl. Anweisung 1806 – GA I/9, 119. 502  Alle folgenden Zitate finden sich in: Transscendentale Logik II (1812) – StA, 180 f. – GA II/14, 333 ff. 503  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 180 f. – GA II/14, 334. 504  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 180 – GA II/14, 334. 505  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 129 und 136 – GA II/14, 293 und 298. 506  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 136 – GA II/14, 298. 500 

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Der Raum erzeugt das Raumfüllende, indem Raum und empirische Sinnlichkeit miteinander verbunden werden. Indem die Materie gesetzt wird, entsteht aber zugleich der konkrete und bestimmte Raum für das faktische Wissen. Die Frage ist aber – und dies ist der zweite Schritt –, wie überhaupt eine Synthesis von Raum und sinnlich-bestimmter „Qualität, z.B. roth“ möglich sein soll507? Fichtes Antwort lautet: Beide können durch das Sich-Verstehen, das dritte Moment der Bildlichkeit, synthetisch vereinigt werden. Raum und sinnliche Qualität liegen zunächst „neben einander“ und bilden zwei „Glieder des Gegensatzes“, aber „beide sind unzertrennlich vereinigt: in einem dritten Bilde der beiden“508. Raum und Qualität haben eines gemeinsam – sie sind Bilder, wobei das erste seinen Ursprung im Bilden hat und das zweite seinen Ursprung in der Empirie und somit unerzeugbar ist. Die sinnliche Qualität ist ihrem Ursprung nach unbegreiflich, da ein sinnlicher Eindruck, wie die Farbe Rot, nicht aus dem Bilden selbst erzeugt werden kann. Aber beiden ist gemeinsam, daß sie letztlich Bilder sind; beide stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern aufgrund des Bildcharakters in einer wechselseitigen Beziehung. Das eine wird durch das andere erblickt, so daß die synthetische Einheit von Raum und sinnlicher Qualität die Beziehung zwischen beiden ist, die nur möglich ist, weil beide in ihrem Bildcharakter verstanden werden509. Die Möglichkeit der Synthesis von Raum und sinnlicher Qualität und die daraus entstehende Materie läßt sich noch einmal mit anderen Worten beschreiben: In der WL 1804-III spricht Fichte weniger von der Materie, sondern der leere oder absolute Raum wird durch die „Kraft“ zum „gefüllte[n] Raum“. Dies ist jedoch kein Widerspruch zu den bisherigen Ausführungen, denn die Kraft ist für Fichte die „GrundEigenschaft des Objekts“510. In der Transscendentalen Logik II wird von Fichte präziser erläutert, in welchem Verhältnis Materie und Kraft zueinanderstehen: Das Wesen der Materie besteht laut Fichte in der Kraft oder der Anziehung. Die Anziehung sei das einfachste Bild der Kraft und „alle Theile des einzelnen wahrgenommnen Körpers hängen mit der Kraft zusammen. Diese Kraft ist nemlich die der allg[emeinen] Anziehung der Materie in der Natur“. Fichte fragt nun, „[w]odurch aber wird denn dieser […] Raum in der Synthesis mit der Qualität, zu […] dem, was wir Materie nennen“? Es ist die Kraft, so Fichtes Antwort, durch die eine Synthesis möglich ist. Die Kraft ist jedoch in Wahrheit ein Verstehen. Und so heißt es bei Fichte: „So bekommen wir denn hierdurch zwei neue Denkbilder […]: das des Denkens selbst: Naturprodukt[, d.i. Materie]: [und] das seines Verstehens: Naturkraft“511. Wenn Fichte sagt, daß „[a]lles Denken eines 507 

Transscendentale Logik II (1812) – StA, 169 – GA II/14, 325. Transscendentale Logik II (1812) – StA, 139 und 143 – GA II/14, 301 und 304. 509  Und so heißt es in der Transscendentale Logik II: „Bild des Bildes ist die gesammte gegebene Sinnlichkeit, wie sie im innern Sinne liegt: die empirische Welt“ (StA, 204 – GA II/14, 354). 510  WL 1804-III – GA II/7, 343. 511  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 219 – GA II/14, 366 f., Kursivierung von mir, P.T. 508 

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

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Körpers […] Resultat jenes Grundgedankens der Kraft“ ist, so will er damit nichts anderes sagen, als daß die Einheit und Mannigfaltigkeit eines Naturprodukts, das mir als ein geschlossenes Ganzes und zugleich als Träger vieler Eigenschaften erscheint, ihren Ursprung im Verstehen der Beziehung zwischen beiden hat512. Die Naturkraft ist also real und empirisch wirksam, sie ist aber zugleich Ausdruck des verstehenden Denkens. Und so heißt es bei Fichte entsprechend: Die „NaturWissenschaft“ als „besondre Wissenschaft […] ist verstehen des Gesetzes, welches im Phänomen niedergelegt, u. durch die Anschauung, und dessen bilden durch blosse Anschauung = das Phänomen ist; also in der That kein Herausgehen aus dem Phänomen, sondern nur ein sich klar machen dessen, was man eigentlich denkt, wenn man das Phänomen denkt: eine Vergeistigung durch Denken, u. Verallgemeinerung dessen, was im Phänomen ganz u. durchaus liegt. Wenn bei einem Körper überhaupt etwas gedacht wird, wenn er wahrhaft als eine Einheit begriffen wird, so wird Anziehung gedacht, u. wenn diese nicht gedacht wird, so wird überhaupt nichts gedacht“513.

Wenn die Empirie über ihr formales Sein – d.i. ihr Dasein – hinaus unbegreiflich ist, so ist es konsequent, daß die Ausformulierung von Naturgesetzen für Fichte im Kern nichts anderes als die Sich-Darstellung und Selbstauslegung des absoluten Begriffs ist, d.h. auch die empirische Naturwissenschaft ist ein Sich-Verstehen und Sich-Erkennen des Wissens in der Natur. Die Attraktivität der späten Raumlehre besteht darin, daß Fichte die räumliche Anschauung tatsächlich als apriorische Form der Anschauung ableitet und nicht einfach nur als faktisch gegeben postuliert. Weiterhin wird deutlich, daß die Möglichkeit des absoluten Raumes aus dem Bilden selbst hervorgeht und sich das Bilden, indem es sich anschaulich macht, der Einwirkung von außen – durch die Empirie – öffnet. Und schließlich wurde deutlich, daß die Synthesis von Raum und sinnlicher Qualität im dritten Moment des absoluten Begriffs begründet ist. Es ist die Beziehung zwischen beiden, die in der Selbstbezüglichkeit und im Sich-Verste512  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 220 – GA II/14, 367. Auch Hegel trägt im III. Kapitel der Phänomenologie des Geistes (1807) ein ähnliches Verständnis von Naturgesetzen vor (vgl. GW 9, 80 – 102). Das „Reich von Gesetzen“, und vor allem das „Gesetz der Krafft“, ist eine „übersinnliche Welt“, in der ein Allgemeines ausgesprochen wird (91). Gleichwohl differenziert Hegel stärker als Fichte in bezug auf den Geltungsbereich von Gesetzen bei anorganischen und organischer Naturwissenschaften. Das Reich der Gesetze ist „die Wahrheit des Verstandes“, und der an den biologischen Wissenschaften scheitert, weil Gesetze einen nicht sichtbaren Beziehungszusammenhang sichtbar machen, der im biologischen Organismus immer schon vorhanden ist: „Das Gesetz ist im allgemeinen eine Beziehungsform, in der die in ihr vereinten Relata trotzdem außerhalb von einander bleiben, auf eine Weise, auf die die Vereinigung, die das Gesetz erreicht, nur eine gesetzte, aber nicht wirklich erreichte Vereinigung ist“ (Luca Illetterati: „Hegel Kritik der Metaphysik der Naturwissenschaften“, in: Hegel als Schlüsseldenker der modernen Welt. Beiträge zur Deutung der ‚Phänomenologie des Geistes‘ aus Anlaß ihres 200-Jahr-Jubiläums, hg. v. Thomas Sören Hoffmann, Hamburg 2009, 178 – 205, hier: 201). 513  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 221 – GA II/14, 367 f.

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hen des Bildens ihren Grund hat, die die Einheit und Verbindung zwischen beiden realisierte514. Ein Gedanke, der auch in der Zeitlehre zu finden ist. (2) Für Fichte ist „die Zeit […] selbst ein Verstandes[begriff], u. darum absolute tödtender Begriff“, „in Beziehung auf welche das Ich, als frei erscheint, durch ihren absoluten WesensBegriff sich über sie erhebt, u. so sie genetisch“ als „Ausdruke des absoluten Wissens“ ableiten kann515. Der Zeitlehre kommt insgesamt eine Schlüsselfunktion im Übergang zur Praxis zu. Konnte in der Raumlehre gezeigt werden, wie ein Fremdeinfluß durch die empirische Wirklichkeit überhaupt möglich ist, so ist die Zeit das Verbindungsglied zwischen den prinzipientheoretischen Fragen der reinen Vernunft und der Lehre vom freien Willen, der sich in der Zeit manifestiert. Wie in der Raumlehre entwickelt Fichte die zwei ersten wesentlichen Formen der Zeit – Zeitfluß und Zeitmomente – aus dem Bilden und dem Bild des Bildens. In der Vorlesung Die Principien der Gottes-, Sitten- und Rechtslehre von 1805516 514  In der Transscendentale Logik II (1812) findet sich noch eine Bemerkung, in der Fichte andeutet, daß er Selbstbezüglichkeit nicht nur in einem logischen Sinne verstanden wissen will: „Hat diese Beziehung der Erscheinung auf sich selbst, wonach sie Bild ist unmittelbar ihrer völlig grundlosen, rein faktischen Bestimmtheit, einen Namen. Ich sage[:] ja: Diese Beziehung heißt Sinn. (sensus, nicht etwa[:] die Bedeutung, der wahre Verstand u. Begriff; davon ist noch nicht die Rede.) Der Sinn, schlechtweg, noch ohne allen Unterschied des innern, u. äussern, welcher Unterschied ja begründet werden muß, durch einen Gegensatz in Beziehung auf ein gemeinsames Merkmal des Sinnes überhaupt“ (StA, 132 – GA II/14, 295). In der Principien-Vorlesung taucht ebenfalls der Sinn-Begriff auf. In einer Randbemerkung heißt es: „Definition: Licht: der Sinn des Wissens = absolutes Seyn der Existenz“ (Principien 1805 – GA II/7, 471). Nimmt man beide Äußerungen zusammen, ließe sich sagen: Der Sinn von Sein liegt in der Beziehung, d.h. das Absolute realisiert sich erst in der gesetzmäßigen und selbstbezüglichen Beziehung. 515  Principien 1805 – GA II/7, 489 und 432. 516  Die Vorlesung Die Principien der Gottes-, Sitten- und Rechtslehre, die Fichte vom 6. Februar bis 30. März 1805 hielt, hat insgesamt einen nicht eindeutig zu bestimmenden Charakter, da Fichte eben nicht nur, dem Titel gemäß, die Ansätze einer Anwendungslehre entwickelt, sondern auch ganz allgemeine Themen der späten WL aufgreift. Fichte bedient sich in dieser Vorlesung stärker – im Unterschied zu den anderen Fassungen – einer explizit theologischen Terminologie. Hinzu kommt, daß die Frage nach dem Wesen der Zeit im Vergleich zu allen anderen fünfzehn Versionen der WL intensiver diskutiert wird. Wenn die Principien-Vorlesung, gemäß ihrem Titel, stärker als Applikationslehre und nicht einfach nur als weitere Version der WL interpretiert werden kann, dann liegt der Wert und Hauptertrag dieser Vorlesung weniger in den nur ansatzweise entwickelten Anknüpfungspunkten der einzelnen Disziplinen, sondern vielmehr in den Überlegungen zur Zeit. Eine Lehre von der Anwendung der Prinzipien der WL wäre in diesem Sinne vor allem eine Lehre von der Zeitlichkeit. Ein weiterer Grund für die starke Thematisierung der Zeitlichkeit könnte auch in dem ganz einfachen Umstand liegen, daß Fichte in der Zeit von November 1804 bis März 1805 parallel zur Principien-Vorlesung und zur WL 1804-III, die er vom 5. November bis 31. Dezember 1804 vortrug, seine Geschichtsphilosophie in der öffentlichen Vorlesung Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters bekanntmachte, und in der er fünf Hauptepochen der Menschheitsgeschichte entfaltet (vgl. GA I/8, 141 – 397). Daß ein Zusammenhang zwischen der Zeit- und Geschichtsphilosophie besteht, geht aus der WL 1804-III hervor: „Durch die

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entfaltet Fichte allerdings eine sehr spezielle Zeitlehre, in der eine dritte Zeitform eingeführt wird: das freie, sich seiner selbst bewußte und sittliche Handeln, das auf das Sich-Verstehen zurückgeht. In Fichtes Zeitlichkeitslehre sind zwei Ebenen zu differenzieren: die drei Formen der Zeit – Zeitfluß, Zeitmomente und Zeit als selbstbewußte Handlung – sowie die drei Dimensionen der Zeit – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft –, die Fichte als Konkretionen der Zeitmomente begreift. In der Zeitlehre von 1805 stellt Fichte den Zusammenhang zwischen den drei Formen der Zeit, den drei Momenten des absoluten Begriffs sowie den drei materialen Hauptdisziplinen der WL – Religions-, Rechts- und Sittenlehre517 – her und arbeitet darüber hinaus den speziellen Zusammenhang zwischen der Raumlehre, der zweiten Form der Zeit, d.h. den Zeitmomenten, und der Rechtsphilosophie heraus. Zunächst zu den ersten zwei Formen der Zeit, dem Zeitfluß und den Zeitmomenten: In der WL 1812 wird die Zeit nur an einer Stelle thematisiert. Darin heißt es, daß „der reine Fluß, ohne alle Punkte, der äusserlich ein unendlicher ist[, …] das Bild der Zeit“ ist, genauer: es ist „das Element, aus welchem hinterher sich eine Zeit bilden wird“518. Was Fichte hier als Fluß bezeichnet, ist das erste Moment des absoluten Begriffs, das lebendige Bilden, das Fichte in der WL 1804-III auch als „Tendenz zum fliessen ins unendliche“ bezeichnet, dem das „Halten der Tendenz des Verfliessens“, das Bild des Bildens, gegenübersteht519. Es ist das unendliche Bilden, das durch ein endliches Bild fixiert wird. Das Bilden als Fluß ist also innerhalb der Zeitlehre der „abfliessende[] Zeitstrom“, den Fichte auch als „leere[] Zeit“520 sowie als „absolute Zeit, oder Zeitlosigkeit“ 521 bezeichnet. Das Wesen der Zeit besteht aber nicht nur im absolute Existenz spaltet sich dieses in unendliche Potenzen. In jeder dieser Potenzen steht dies Eine einzige Leben, u. sie sind Epochen. Was es nun ist, das es daselbst hält, u. dadurch die Zeit, deren leeres Schema freilich schon in den Potenzen liegt, eine Füllung, u. Inhalte bekomme, werden wir zu seiner Zeit sehen“ (WL 1804-III – GA II/7, 318). Zur Principien-Vorlesung vgl.: Michael Brüggen: Fichtes Wissenschaftslehre. Das System in den seit 1801/02 entstandenen Fassungen, Hamburg 1979, 72 – 93; Reinhard Lauth: „Einleitung“, in: Fichte: Die Principien der Gottes-, Sitten- und Rechtslehre, hrsg. v. Reinhard Lauth, Hamburg 1986, IX – XIX; Christoph A. Riedel: Zur Personalisation des Vollzugs der Wissenschaftslehre Fichtes. Die systematische Funktion des Begriffes „Hiatus irrationalis“ in den Vorlesungen zur Wissenschaftslehre in den Jahren 1804/05, Stuttgart 1999, 156 – 174; Wolfgang Janke: Die dreifache Vollendung des Deutschen Idealismus. Schelling, Hegel und Fichtes ungeschriebene Lehre, Amsterdam/New York 2009, 318 – 337; Mathias Müller: Theologie im Transzensus. Die Wissenschaftslehre als Grundlagentheorie einer transzendentalen Fundamentaltheologie in Johann Gottliebs [sic!] ‚Principien der Gottes-, Sitten- und Rechtslehre‘ von 1805, Amsterdam/New York 2010, 165 – 291. 517  Im XXVIII. Vortrag der WL 1804-II spricht Fichte von vier materialen Disziplinen (Natur, Recht, Moral und Religion); explizit ausgeführt hat Fichte – in Übereinstimmung mit dem Deduktionsplan der Principien-Vorlesung – aber nur die Rechts- (1796/1812), Moral- (1798/1812) und Religionsphilosophie (1806). 518  WL 1812 – GA II/13, 159. 519  WL 1804-III – GA II/7, 335 und 337. 520  WL 1804-III – GA II/7, 335. 521  Principien 1805 – GA II/7, 483.

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unendlichen Fortgehen, sondern mit Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit lassen sich auch verschiedene „ZeitMomente“ unterscheiden, die Fichte als „[g]efüllte Zeit“ bezeichnet522. Das „Schema“ der Tendenz des Fließens „ist eine Linie, = Zeit, u. zwar leere“, aber die gefüllte Zeit ist „als gefüllter Punkt innerhalb einer leeren Zeit“ zu verstehen523. Daß Fichte den Zeitstrom als leere Zeit oder Zeitlosigkeit bezeichnet, ist insofern plausibel, als sich ohne die den Zeitfluß unterbrechenden Momente gar nicht von Zeit sprechen läßt. Tatsächlich besteht das Wesen der Zeit in diesem Doppelcharakter: Zeit ist ebensowenig denkbar ohne ein unendliches Fortfließen wie auch nicht ohne die Zeitmomente. Beide sind notwendig, obwohl beide das Gegenteil voneinander sind. Zeitlichkeit ist immer beides zugleich und die tiefere Wahrheit dieser gegensätzlichen Momente ist die wechselseitige Beziehung beider. Am Wesen der Zeit läßt sich wohl am anschaulichsten demonstrieren, was Fichte an verschiedenen Stellen immer wieder betont hat: Das Wesen des absoluten Wissens besteht weder allein im Bilden noch im Bild des Bildens, weder im Leben noch im Begriff, weder im Gehalt noch in der Form, weder in der Sicherzeugung noch in der Beschreibung, weder in der Sichäußerung (Erscheinung) noch in der Insichgeschlossenheit (absolutes Sein), „[w]eder in der Nachconstruction, als solcher […] noch dem Ursprünglichen […], sondern durchaus in einem Standpunkte zwischen beiden“, also in der Beziehung zwischen beiden524. Das Wissen steht 522 

WL 1804-III – GA II/7, 335. Principien 1805 – GA II/7, 455 f. 524  WL 1804-II – StA, 250 – GA II/8, 372, Kursivierung von mir, P.T.; vgl. Barth: Absolute Wahrheit und endliches Wahrheitsbewußtsein, 328; Jaeschke/Arndt: Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant, 465. Fichte macht an verschiedenen Stellen deutlich, daß sich der Standpunkt der WL weder im Absoluten noch seiner Erscheinung, weder in der Einheit noch in der Mannigfaltigkeit, sondern „zwischen beiden“ befindet (WL 1804-II – StA, 55 – GA II/8, 85). Für Julius Drechsler bedeutet dies: „Es ist der Charakter des ‚Zwischen‘, der sie kennzeichnet“ (Julius Drechsler: Fichtes Lehre vom Bild, 118). Gleichwohl macht er an anderer Stelle deutlich, daß dieses ‚Zwischen‘ eben nicht räumlich zu verstehen ist, sondern damit der „Charakter des ‚Durch‘“ gemeint sei; „das Ganze der Verhältniswirklichkeit“ und der „Gesamtaufbau der Wirklichkeit“ sei „vom Prinzip des ‚Durch‘ aus [zu] betrachten“. Das „Durch“ Fichtes ist sowohl „Erkenntnisprinzip, es ist zugleich aber auch ein umfassendes Seinsprinzip“ (ebd., 375). Der Gedanke des „Zwischen-Seins“ sowohl des Wissens als auch des menschlichen Selbst findet sich ebenfalls bei Wolfgang Janke: Vom Bilde des Absoluten, 324 – 334. Eine besonders interessante ideengeschichtliche Parallele findet sich dazu im posthum veröffentlichten und unvollständig gebliebenen Spätwerk von Maurice Merleau-Ponty (1908 – 1961): Le visible et l’invisible – Das Sichtbare und das Unsichtbare (1964), hg. und mit einem Vor- und Nachwort versehen von Claude Lefort, aus dem Französischen von Regula Giuliani und Bernhard Waldenfels, München ²1994. Merleau-Ponty entwirft darin eine neue Ontologie, eine, wie er sagt, „Intra-Ontologie“ (286), in der auch das nicht räumlich zu verstehende ‚Zwischen‘, die versammelnde Mitte ist, aus der heraus alle Beziehung zu entwickeln und zu begreifen, sowie die Subjekt-Objekt-Spaltung (vgl. 193) und die Probleme einer Reflexionsphilosophie überwunden sind (vgl. 76). Die entsprechenden Hinweise und Zitate dazu fand ich bei: Christian Bermes: Maurice Merleau-Ponty zur Einführung, Hamburg 2004, 145 – 167. 523 

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„ewig im SchwebePunkte“, da „kein halten ohne die Tendenz des fliessens“ und „kein Fliessen, ohne denn doch das halten“ denkbar ist, „weil das Seyn des Wissens selber ja das halten mitbringt“. Das lebendige Bilden ist deshalb ein „abfliessender Zeitstrom, der doch in sich selber Halt hat“525. Zur Erklärung der Zeitmomente bezieht sich Fichte wieder auf das Schema II, d.h. das Bild des Bildens und die damit verbundene unendliche Teilbarkeit. Es ist die „unendliche Quantitabilität“, die die „Zeitfüllung“ überhaupt ermöglicht, so daß das „Princip der Zeitfüllung […] in dem als“ liegt526. Es ist das Bild des Bildens, das die verschiedenen Formen der Zeit bedingt und sie im wahrsten Sinne des Wortes ausfüllt527. Wenn Fichte in der Principien-Vorlesung das „Ich [… als] Princip der Zeitfüllung“ bezeichnet528, ist damit noch nicht das frei handelnde Ich der dritten Zeit, sondern die Als-Struktur des Bildes der zweiten Zeit gemeint, die in Beziehung zur ersten, absoluten Zeit steht. Es ist die „absolute Zeitfüllung in der absolut leeren Zeit“; es ist daher noch „kein Bewußtseyn“ und nicht von einem sich seiner selbst bewußten Ich die Rede, sondern „es ist ein blosses Licht, das nur wir unter der Form des Ich gefaßt haben“529. Das Verhältnis von erster und zweiter Zeit und dem Ich als Prinzip der Zeit ist daher so zu verstehen, daß die „absolute Zeit […] die der Genesis des Ich [ist]: u. das Seyn dieses Ich ist die Füllung dieser Zeit“530. Das Verhältnis von erster und zweiter Zeit ist also im Kern das Verhältnis von „Vorconstruktion“ und „Nachconstruktion“, wie es auf der höchsten Stufe der Sichdurchdringung des Wissens im vorherigen Unterkapitel als Verhältnis von absoluter Vernunft, was „die sich selbstmachende […] Evidenz“ ergab, und Vernunft als Vernunft beschrieben wurde, was die „Nachconstruction […] als […] Bild“ des absoluten Lichtes begründete531. Ausführlicher heißt es dazu: „Drum bringt das absolute Licht in seiner ursprünglichen Erzeugung das Schema der Zeit mit, u. das wirkliche, vom Leben ergriffene Ich wird immer gesezt, als gefüllter Punkt in einer leeren Zeit: Das Ich in specie schreibt sich nur die Nachconstruktion zu, sein ergriffenseyn vom Leben ist die Vorconstruktion. […] Nun ist dieses substantielle eben das substantielle Licht, […] u. so fällt das absolute Ich selbst in die Zeit, u. sein Nachconstruiren ist ein accidentelles Füllen in der leeren Zeit […]: das Ich ist Princip dieser continuirlichen Ausfüllung; es macht daher diese Zeit in der Zeit. Das continuirliche aber, was das Ich als solches macht, heißt Zeit […]. [V]ermittelst der Zeit, die das Ich in der Anschauung (anschaulich) selbst macht, [ist] im Selbstbewußtseyn geschieden, was im absoluten Bewußtseyn oder dem reinen Denken schlechthin Eins ist. Diese Scheidung aber geht an mit dem Ich, als Princip.“532 WL 1804-III – GA II/7, 335; vgl. auch Janke: Vom Bilde des Absoluten, 233. Principien 1805 – GA II/7, 445 und 462. 527  Vgl. Principien 1805 – GA II/7, 430 f. 528  Principien 1805 – GA II/7, 476, Kursivierung von mir, P.T. 529  Principien 1805 – GA II/7, 468. 530  Principien 1805 – GA II/7, 476. 531  WL 1804-II – StA, 277 – GA II/8, 412. 532  Principien 1805 – GA II/7, 456 und 469. 525 

526 

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

Durch die zweite, gefüllte Zeit „entsteht […] der neue Begriff der Zeit, und ihrer Formen, des Vor und Nach, antecedens, u. consequens. Denn andre Formen hat sie nicht“533. Das heißt, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft haben im Als und der Vermannigfaltigung ihren Ursprung, allerdings führt Fichte seine Gedanken zu diesen drei Dimensionen der Zeit nicht weiter aus. Es kann aber festgehalten werden, daß Räumlichkeit und Zeitlichkeit letztlich auf die gleiche Weise erklärt werden, mit dem Unterschied, daß Fichte beim Raum von Schema II und bei der Zeit von Schema I ausgeht. Beide Anschauungsformen weisen ein Moment der reinen Vollziehung und ein Moment der Fixierung auf, die aber gleichermaßen konstitutiv sind. In der Principien-Vorlesung kommt Fichte noch auf eine dritte Form der Zeit zu sprechen. Diese dritte Zeit ist das freie, sich seiner selbst bewußte Handeln534. Fichte will an dieser Stelle zeigen, daß „Zeit, u. Freiheit […] mittelbar […] Wirkungen [… des] Als [und] Bilden[s]“ sind535. Fichte spricht hier auch von der „Deduction des Thuns überhaupt“536, d.h., Fichte kommt hier auf die praktische Seite des Bildens zu sprechen, die er als Tun, Handeln oder Wille bezeichnet. Es handelt sich hierbei durchaus um keinen Sprung in der Argumentation, sondern das Handeln ist insofern ein praktisches Bilden, als das Bilden seinem Wesen nach nichts anderes als ein Sich-Machen und ein Tathandeln ist537. Bevor aber die Willenslehre diskutiert 533 

Transscendentale Logik II (1812) – StA, 209 – GA II/14, 358. der Nachschrift der Thatsachen des Bewußtseyn (1811/12) heißt es: „Die Form des Handelns ist die Zeit. […] Handeln ist einzig möglich unter der absoluten Anschauung des eigenen Seyns. Die Anschauung für das Handeln ist die Zeit, und so [sind] beide durch die Anschauung gegeben. Das Seyn ist in sich verborgen. […] Das Handeln ist nichts als Anschauungsform“ (Fichte: Von den Thatsachen des Bewußtseyn (1811/12) – Hallesche Kollegnachschrift, in: GA IV/4, 125 – 194, hier: 175). Bereits in der Wissenschaftslehre nova methodo (1798/99) gibt es eine vergleichbare Zuordnung zwischen Sinnlichkeit und Raum auf der einen und Intelligiblem und Wollen bzw. Handlungen auf der anderen Seite. In dieser Version der WL werden allerdings beide Seite durch „unser[] Wollen[] in der Zeit“ synthetisiert (Wissenschaftslehre nova methodo [Nachschrift Krause], in: GA IV/3, 434; vgl. dazu Peter Rohs: Johann Gottlieb Fichte, München 1991, 77 ff.). In der späten WL stehen Zeit, frei Handlung und Moral auf der einen Seite dem Raum, der Pluralität der Iche und dem Recht auf der anderen Seite gegenüber. 535  Principien 1805 – GA II/7, 457. 536  Principien 1805 – GA II/7, 473. 537  Daß der Begriff des Bildens auch eine praktische Bedeutung hat, geht auch aus Hegels Phänomenologie des Geistes (1807) hervor. Hegel bezeichnet darin das „Bilden“ als formierende Tätigkeit oder als „Arbeit“ und es ist das „arbeitende Bewußtseyn“, das zur „Anschauung des selbstständigen Seyns, als seiner selbst“ und zum „Wiederfinden seiner durch sich selbst“ kommt (GW 9, 115). Mit Karl Marx läßt sich weiterführen, daß der Mensch sich in der Arbeit „werktätig […] verdoppelt“, sich also vermittels äußere Gegenstände verobjektiviert und vergegenständlicht „und sich selbst daher in einer von ihm geschaffenen Welt anschaut“ (Karl Marx: Ökonomisch-Philosophische Manuskripte (1844), in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, hg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Bd. 40, Berlin 1968, 517, Kursivierung von mir, P.T.). Es handelt sich an dieser 534  In

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

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wird, sollen die äußeren Bedingungen dargelegt werden, wie Fichte diese im Rahmen der Zeitlehre der Principien-Vorlesung behandelt. Wenn die Genesis des Ich in die erste Zeit – die Zeitlosigkeit – fällt und das Ich das Prinzip der zweiten Zeit – der Zeitfüllung – ist, so sagt Fichte damit, daß dem Ich einerseits ein höheres Prinzip zugrunde liegt – das lebendige und sich selbst effizierende Licht – und dieses Ich andererseits das Prinzip der Vermannigfaltigung ist. Die Vermannigfaltigung hat ihren Ursprung im Bild des Bildens, d.h. in der unmittelbaren Beziehung des Bildens auf sich selbst. Neben der unmittelbaren Beziehung kennt Fichte aber noch eine weitere Beziehung auf sich selbst – die reflektierte Beziehung auf sich oder das Sich-Verstehen. So wie es eine mittelbar-in-sich-reflektierte und eine unmittelbar-reflexionslose Beziehung des Bildens gibt, so unterscheidet Fichte zwischen einem Handeln mit und „ohne klare[m] Selbstbewußtseyn“538. Die Unterscheidung zwischen bewußtem und selbstbewußtem Handeln verbindet Fichte mit seinen Überlegungen zur Zeit. Das Handeln ohne klares Selbstbewußtsein sei so zu verstehen, „daß das handeln dann nicht als handeln des Ich, sondern bloß als Begebenheit mit dem Ich, im Bewußtseyn eintritt. […] offenbar fällt das Denken, u. das im Bewußtseyn unklare Handeln, u. Anschauen aus einander: das erste in die zweite Zeit; sonach das zweite in eine dritte [Zeit]“539. Indem Fichte das bewußte und daher sich nicht voll selbstbewußte Handeln der zweiten Zeitform zuordnet, kann der Zusammenhang mit der Rechts- und Raumlehre aufgezeigt werden: Die zweite Zeit ist zum einen der Ort der „Mannigfaltigkeit, u. Zeitfüllung“ und zum anderen der systematische Ort des räumlichen Aus- und Nebeneinander. „Raum u. Materie [… sind die] absolut faktische Zeitfüllung, für die durch das Ich zu durchlaufende Zeit“, weshalb Fichte die gefüllte Zeit auch als „körperliche Linie“ bezeichnet, „in einer Sphäre unendlicher Möglichkeit, d. i. in einem geschloßnen Raum, durch das Objekt“. Das Ich der zweiten, gefüllten bzw. räumlichen Zeit sei „als handelndes […]: nicht als sich selbst bewußtes“ zu verstehen540. Da Fichte das bewußte Handeln, in Abgrenzung zu selbstbewußten Handlungen, dieser Sphäre zuordnet, ist der Raum zugleich der Ort „mehrere[r] Iche“, und damit des Rechts, das die äußerliche Freiheitssphäre regelt. „Die Iche insgesammt, u. jedes als ein sich geschloßnes“ sind Projektionen, die in der Quantitabilität ihren Ursprung haben; „so gewiß Iche projicirt sind“, werden sie „in dem Einen Ich für Stelle um eine interessante Parallele, da sowohl die absolute Vernunft im Sinne des reinen Vollzugs als auch die bildende Tätigkeit im Sinne des Arbeitsprozesses ein Verobjektivieren ist, das in den Resultaten – dem Bild des Bildens und den Arbeitsprodukten – sichtbar wird und, wie Roderich Barth sagt, als „Entfremdung“ erscheint (ders.: Absolute Wahrheit und endliches Wahrheitsbewußtsein, 356). Zugleich ist es aber dieses Moment des scheinbaren, „fremde[n] Sinn[s]“ (GW 9, 115) ein notwendiges, da es ermöglicht, sich selbst anzuschauen, so daß durch das reflexive Moment die Entfremdung wieder aufgehoben wird. 538  Principien 1805 – GA II/7, 478. 539  Principien 1805 – GA II/7, 478 f. 540  Principien 1805 – GA II/7, 480 f.

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

sich, in dem Systeme der Iche, als seyend projiciret“541. Da die Pluralität der Iche auf die absolute Form des Wissens zurückgeht, heißt es bei Fichte weiter: „Es ist daher jene Spaltung in der That keine reelle, sondern nur eine ideale, nichtige; es sind durch dieselbe nicht mehrere Iche, sondern Ein u. eben dasselbe Ich, qualitativ durchaus dasselbe, wird nur numerisch mehremahle gesetzt. […] Wahrhaft giebt es keine Individuen.“542

Die Rechtslehre hat deshalb „gar kein Handeln, sondern ein Seyn, einen stehenden u. festen Zustand zum Objekt […]: nemlich das stehende Verhältniß von mehreren vernünftigen Individuen, als Naturkräften, zu einander“. Und nur in diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn Fichte sagt, daß die „Rechtslehre […] überhaupt nicht SittenPhilosophie, sondern […] NaturPhilosophie“ sei543. 541 

Principien 1805 – GA II/7, 481. Principien 1805 – GA II/7, 481. So heißt es auch in der WL 1804-III: „Es läßt sich daher nicht einmal die Persönlichkeit u. Individualität, in einer VernunftWelt erklären. Dieses Ich bleibt ewig allein“ (GA II/7, 351). An dieser Stelle handelt es sich um einen radikalen Bruch in Fichtes Denken, da Fichte sowohl in der Grundlage des Naturrechts (1796/97) als auch im System der Sittenlehre (1798) die Rolle der Pluralität der Iche und die Stellung der Individualität als zwei Seiten ein und derselben Medaille betrachtete. So heißt es in der Sittenlehre: „Es läßt sich also streng a priori erweisen, daß ein vernünftiges Wesen nicht im isolirten Zustande vernünftig wird, sondern daß wenigstens Ein Individuum außer ihm angenommen werden muß, welches dasselbe zur Freiheit erhebe“ (GA I/5, 201). Bei Janke heißt es in bezug auf den frühen Ansatz treffend: „Kein Individuum existiert für sich isoliert. Es hat den Bezug zum Anderen als notwendige Bedingung seiner Selbst-Werdung an sich. Individualität ist ein Wechselbegriff“ (Janke: Vom Bilde des Absoluten, 366 – 374, hier: 369). Ein möglicher Grund für diesen Bruch kann darin gesehen werden, daß die interpersonale Aufforderungs- und Anerkennungslehre, die Genese des empirischen Selbstbewußtseins und die Deduktion der Leiblichkeit in der WL ab 1804 vollkommen wegfällt, zugunsten der These der Projektion mehrere Iche, die in der unendlichen Teilbarkeit ihren Ursprung hat. Vgl. dazu auch: Rebecca Paimann: „Beim Wissen ist jeder der Erste. Zur Stellung der Individualität in der späten Wissenschaftslehre Fichtes“, in: Perspektiven der Philosophie. Neues Jahrbuch 37 (2011) 147 – 180. 543  Principien 1805 – GA II/7, 379. In der Anweisung zum seeligen Leben (1806) werden die drei Hauptmomente der „Ordnung […] des gleichen Rechts“ benannt: Der erste ist das Gesetz, was aus Fichtes Sicht, „allein wahrhaftig ist, und durch welches alles andere, was da ist, erst da ist“. Das zweite ist die „Freiheit, und das Menschengeschlecht […], weil ein Gesetz an die Freiheit[] nothwendig […] freie Wesen setzt“. Das dritte ist die „Sinnenwelt“ als „Sphäre des freien Handelns der Menschen“, da „ein freies Handeln, Objekt des Handelns nothwendig setzt“ (Anweisung 1806 – GA I/9, 107). In der Rechtslehre von 1812 werden zu diesem ersten Hauptmoment, dem Rechtsgesetz, ebenfalls drei „Bedingungen“ angeführt: „1.) [die] Mehrheit [vernünftiger Wesen]. 2.) Gemeinschaftlichkeit der Sphäre, u. so absolute Möglichkeit der Störung. 3). daß die Störung nicht durch ein andres, u. höhres Gesez aufgehoben seye“. (Fichte: Rechtslehre [18]12, in: GA II/13, 202; vgl. dazu auch Fichte: Wissenschaftslehre nova methodo [Nachschrift Krause], § 13, 18 und 19, in: GA IV/3, 433 – 447 und 499 – 519. Entsprechende Hinweise sind zu finden bei Ives Radrizzani: „Einleitung“, in: Fichte: Die späten wissenschaftlichen Vorlesungen III, hg. v. Hans Georg v. Manz, Ives Radrizzani und Martin Siegel unter Mitarbeit von Erich Fuchs, Stuttgart-Bad Cannstatt 2012, XV – XXXIV, hier: XXII). 542 

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

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So wie die zweite, gefüllte Zeit, der Raum, das bewußte Handeln und das Recht auf der einen Seite in einem Zusammenhang stehen, so bilden auf der anderen Seite die dritte Zeit, das selbstbewußte Handeln und die Moralität eine Einheit. Die „Iche“ und die räumlich zerfallende „Mannigfaltigkeit“ sind „geschieden in der zweiten Zeit“, aber das „Handeln aller fällt in die Eine dritte Zeit“544. Der Gegenstand der „Sittenlehre“, so Fichte, sei daher „ein freies Handeln“545. Das freie, selbstbewußte, man könnte auch sagen, das sittliche Handeln ist im Unterschied zum bewußten Handeln durch das dritte Moment des absoluten Begriffs bedingt: das Sich-Verstehen. So heißt es bei Fichte: „Das Ich ist […], d. h. es schaut schlechthin […] an: [, d.h. es] projicirt [sich]; dadurch zerfällt es; es muß sich zugleich anschauen, als anschauend, […] eben so mit dem Handeln, schaut es dies bloß an, so ist es nicht sein Handeln, drum [muß es sich als handelnd fassen]“546.

So wie das Bild nur eine unmittelbare Anschauung des Bildens ist, ist das unmittelbar angeschaute Handeln nur ein bewußtes und rechtliches, aber eben kein selbstbewußtes und sittliches Handeln. Erst indem ich mich als handelnd anschaue und mich als handelnde Person verstehe, kann ich im vollen Sinne frei und damit sittlich handeln. Erst im Sich-Verstehen ist es „absolutes Selbstbewußtseyn als Selbst“; es muß „schlechthin seiner selbst bewußt seyn; denn daraus erst das [H]andeln […] in der dritten Zeit“547. Erst dadurch ist die „Möglichkeit der Handlungen in dieser Welt“ und damit „der Pflichten“ als Gegenstand der Moralphilosophie gegeben548, so daß der „Inhalt des Sittengesetzes“ in die dritte Zeit fällt549. 544 

Principien 1805 – GA II/7, 483. Principien 1805 – GA II/7, 379. 546  Principien 1805 – GA II/7, 480. Die Ergänzungen dieses ansonsten äußerst unverständlichen Zitats gehen auf die Herausgeber der Studienausgabe zurück. Vgl. Fichte: Die Principien der Gottes-, Sitten- und Rechtslehre, hrsg. v. Reinhard Lauth, Hamburg 1986, 113. 547  Principien 1805 – GA II/7, 480. 548  Principien 1805 – GA II/7, 483. 549  Principien 1805 – GA II/7, 479. Was der tatsächliche Inhalt des Sittengesetzes beim späten Fichte ist, läßt sich nicht vollkommen eindeutig bestimmen. In der Principien-Vorlesung von 1805 ist ausschließlich vom Kategorischen Imperativ im Sinne Kants die Rede, den Fichte aber bereits schon da mit dem lebendigen Absoluten in Beziehung setzt: „Der kategorische Imperativ wäre nicht mehr, wie erst, absolute Bestimmung des reinen Lichts, = Vernunftgesetz; sondern er wäre Gesez, Wille, u. Wort des absoluten, innerhalb des Lichtes, und der Vernunft“ (Principien 1805 – GA II/7, 451). In der Anweisung zum seeligen Leben (1806) wird das Sittlichkeitskonzept dahingehend verändert, daß der vorherige Standpunkt der reinen Legalität zum Standpunkt der niederen Moralität umgewandelt wird, die das Rechts- und das Sittengesetz in der Form des Kategorischen Imperativs beinhaltet. Der Standpunkt der höheren Moralität geht ebenfalls von einem Sittengesetz aus, dessen Ziel es aber ist, „die Menschheit […] in der Wirklichkeit zu dem zu machen, was sie, ihrer Bestimmung nach, ist, […] zum […] Abbilde […] des innern göttlichen Wesens“ (Anweisung 1806 – GA I/9, 109). In der Rechtslehre von 1812 ist dann nur noch von einem Sittengesetz im Sinne der höheren Moralität die Rede, das darin besteht, „das Bild Gottes zu realisiren“ (Fichte: 545 

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

An dieser Stelle kann festgehalten werden: Die drei Formen der Zeit – Zeitlosigkeit, gefüllte Zeit und bewußtes Handeln – entsprechen zum einen den Gegenständen der drei abzuleitenden Disziplinen – Gott, Recht und Moral – und zum anderen der Grundbewegungsform des absoluten Begriffs: Das Bilden, das qua Vollzug mit dem absoluten Sein zusammenfällt, kann nur angeschaut werden; das Bild des Bildens ist der Begriff des Bildens, der nur gedacht werden kann; und da das Bilden sich durch das Bild auf sich bezieht, ist es zum dritten ein sich wissender, sich verstehender und bewußter Begriff des Bildens. Das lebendige Bilden als Zeitstrom fällt außerhalb der Zeit, was auch auf Gott zutrifft. Entsprechend heißt es: Der „Standpunkt der Moral […] bedarf der Zeit […,] dagegen Gott schlechthin ausser aller Zeit liegt“550. Das fixierte Bild des Bildens unterbricht den reinen Zeitfluß und füllt die Zeit mit verschiedenen Zeitmomenten an, was zugleich die Voraussetzung für den Raum und das Recht ist. Insofern das Bilden sich auf sich selbst bezieht, „es […] sich zugleich anschauen [muß], als anschauend“551 und sich dadurch als Bildendes versteht, ist es sich seiner bewußt. So wie der Raum die Voraussetzung für das Recht bildet, so ist die dritte Zeit die Voraussetzung für die Moral und das sittliche Handeln überhaupt. Fichte geht es in seiner Zeittheorie darum, sowohl die drei Dimensionen der Zeit, als auch Zeitlichkeit und Freiheit miteinander zu verbinden. Es ist letztlich der Versuch, eine Brücke vom Bilden, was außerhalb der Zeit liegt, zum selbstbewußten, sittlichen Handeln zu schlagen. Der freie Wille als praktisches Bilden hat seinen Ursprung nicht, wie im folgenden Abschnitt dargelegt wird, in der Zeit, aber er manifestiert sich als Handlung in dieser. Problematisch und insgesamt weniger überzeugend ist Fichtes Unterscheidung zwischen der bewußten Handlung auf der Ebene des Rechts und der zweiten Zeit auf der einen Seite und der selbstbewußt-sittlichen Handlung auf der Ebene der Moralität und der dritten Zeit auf der anderen. Für Fichte sind in der Principien-Vorlesung von 1805 im Kern nur sittliche Handlungen frei; Fichte unterschlägt damit aber, daß die Rechtssphäre ebenso eine Sphäre der Freiheit ist. Diese durch Recht und Staat garantierte, äußere Freiheit wird von Fichte deutlich unterbestimmt, wenn er diese mit der Naturphilosophie gleichsetzt. (3) An dieser Stelle soll abschließend Fichtes Verständnis von Freiheit und die Möglichkeit des Willens diskutiert werden. Eines der wohl am häufigsten bemühten Zitate findet sich in einem Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 8. Januar 1800, wo Fichte sagt: „Mein System ist vom Anfange bis zum Ende nur eine Analyse des Begriffs der Freiheit.“552 Dieser Anspruch gilt, und dies ist ganz entscheidend, Rechtslehre [18]12, in: GA II/13, 201 f.; vgl. dazu meinen Aufsatz „Die problematisch-systematische Stellung des Rechts in der Spätphilosophie Fichtes“, in: Das Recht als „Gemeinschaft freier Wesen als solcher“, hg. v. Thomas Sören Hoffmann, Berlin 2014, 247 – 256). 550  Principien 1805 – GA II/7, 432. 551  Principien 1805 – GA II/7, 480. 552 Fichte: „Brief an Karl Leonhard Reinhold vom 8. Januar 1800“, in: GA III/4, 178 – 184, hier: 182; vgl. dazu auch GWL 1794/95 – GA I/2, 398 und den „Brief an Jens Immanuel Baggesen vom April/Mai 1795“, in: GA III/2, 297 – 299, hier: 298.

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

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sowohl für die theoretischen wie für die praktischen Systemteile seiner Philosophie und er gilt nicht nur für das Früh-, sondern auch für das Spätwerk. Deutlich wird dies in der Grundlage der Wissenschaft des Praktischen von 1794/95, wo es heißt, daß sich „auf ihr absolutes Seyn [die reine Thätigkeit des Ich …] die absolute Spontaneität der Reflexion im Theoretischen, und die des Willens im Praktischen“ gründet553. In der WL 1812 sagt Fichte, daß es die „Hauptfrage für alle Philosophie“ sei, ob „es nun wirklich ausser Gott eine Freiheit, eine Selbstbestimmung aus sich von sich durch sich“ gibt? Die WL, so Fichte, habe diese Frage „klar u. unumwunden mit Ja beantwortet“554 und Fichte versteht die WL auch insgesamt als „Wegbahnung zur Sittlichkeit“555. In der späten WL wird die Möglichkeit der realen Freiheit nicht mehr in der Beziehung zwischen Ich und Nicht-Ich entfaltet, sondern zwischen Absolutem und Ich, genauer: in der späten WL unterscheidet Fichte zwischen der formalen Freiheit des Ich und der materialen Freiheit des Absoluten. Hinzu kommt, daß – wie in der frühen WL – auch in den Versionen ab 1804 zwei Ebenen zu differenzieren sind: die Freiheit der Reflexion innerhalb der WL und die Freiheit des Willens in der sittlichen Handlung. Zunächst zur bereits behandelten Reflexionsfreiheit (vgl. § 4, III.): Wenn Fichte in der WL 1804-III sagt, daß mit der „Vernichtung des Ich […] nun auch alle Freiheit vernichtet“ ist556, bezieht sich dies nicht auf die Freiheit des Willens, sondern auf die freien Akte des Ich innerhalb der WL bis zur absoluten Erscheinung des Absoluten. Es geht Fichte in diesem Zusammenhang um die scheinbare Freiheit, den Zufall und die Willkür in der Entfaltung der WL, die selbst zum absoluten Wissen wird, indem sie es nachkonstruiert. Innerhalb dieser Ausformulierung und Ausgestaltung eines Systems der Vernunft und des Sichbegreifens als absolutes Wissen zeigt sich erst am Ende, vor allem am Wesen der Gewißheit und dem Vollzug der Gesetzmäßigkeit, daß „jede Erhebung durch alle die Stufen“557 nur als freier Akt erscheinen und daß es in Wahrheit das Absolute selber ist, das sich im Ich und durch das Ich selber setzt und erzeugt. Es sind diese scheinbar freien Akte des Setzens und „alle Zufälligkeit, u. Freiheit des Einsehens, und alle Unabhängigkeit von der Wahrheit, [die] ansich ganz u. gar wegfällt“558. Alle Erhebungen des Ich im Vollzug der WL haben ihren Ursprung nicht in der Tätigkeit des Ich, sondern sind „sein [des Absoluten] Werk“559. Die freien Akte des Ich innerhalb der WL sind nicht da, „um zu seyn, sondern um nicht zu seyn, um sich hingebend sich zu vernichten […] in die absolute Erscheinung des [A]bsoluten“560 und die Freiheit der Reflexion 553 

GWL 1794/95 – GA I/2, 398. WL 1812 – GA II/13, 93. 555  WL 1812 – GA II/13, 178. 556  WL 1804-III – GA II/7, 368. 557  WL 1804-III – GA II/7, 368. 558 Fichte: Privatissimum für G. D. Aprill 1803, in: GA II/6, 373. 559  WL 1804-III – GA II/7, 368, Einfügung von mir, P.T. 560 Fichte: Ich wollte da eine logische Untersuchung … (1807), in: GA II/11, 51. 554 

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Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

reduziert sich darauf, die WL „vollziehen [zu] können, oder auch nicht“561. Dieses scheinbar geringe Freiheitsmoment im Theoretischen ist aber insofern ganz entscheidend, als „das Gesez sich nicht durch sich selbst zur Wirklichkeit bringen [kann], sondern die Verwirklichung liegt in der Freiheit“562. Laut Fichte ist „[d]iese Freiheit [der Reflexion] nun nach ihrem Gehalte Reflexibilität“, d.h. die Möglichkeit zur Reflexion, die unter dem Gesetz steht, „u. durch aus nichts weiter“; er setzt aber hinzu, daß dasjenige, „was uns als Freiheit erscheint[,] das sittliche Wirken nemlich, (denn ausserdem sind wir ganz im Irrtume) und das höchste, der Wille,“ in ihrer Möglichkeit nachgewiesen werden müssen563. Die Freiheit des Willens hat Fichte bereits in der WL 1804-III nachgewiesen, aber bereits an dieser Stelle wird deutlich, daß Fichte unter der Freiheit des Willens keine Willkürfreiheit versteht, sondern einzig und allein der sittliche Wille ist im vollen Sinne frei. In den Vorträgen 18 bis 24 des 3ten Cours der W.L. 1804 gibt Fichte eine Antwort darauf, wie die qualifizierte Freiheit des sittlichen Willens möglich ist. Es wird sich zeigen, daß der Wille die praktische Beziehung zwischen lebendigem Gehalt und absoluter Form bzw. zwischen Absolutem und Ich ist. So wie das Wissen die theoretische Beziehung zwischen Urkonstruktion und Nachkonstruktion ist, so 561  WL 1804-III – GA II/7, 359. Es ist wichtig zu sehen, daß sich die angegebenen Zitate aus dem Privatissimum (1803), der WL 1804-III und dem Fragment Ich wollte da eine logische Untersuchung (1807) ausschließlich auf die Freiheit der Reflexion und nicht auf die Freiheit des Willens beziehen. Peter Baumanns bezieht sich in seiner Kritischen Gesamtdarstellung auf die Äußerungen im Privatissimum (1803), wo Fichte mehrfach betont, daß „alle […] Freiheit vernichtet“ sei (GA II/6, 372), und nimmt dies zum Anlaß für die These, „daß in der späteren Philosophie Fichtes das Prinzip der in sich lebendigen Wahrheit oder des sich vollziehenden absoluten Wissens jede reale Freiheit ausschließt“, so daß „von der ausgebildeten Freiheit des individuellen selbstbewußten Sich-Bestimmens keine Spur erhalten“ scheint (Baumanns: J.G. Fichte. Kritische Gesamtdarstellung, 272 und 449). Hartmut Traub vertritt demgegenüber die Auffassung, daß der Freiheitsidee auch im Spätwerk eine bedeutsame Funktion zukomme, sie die „Bedingung der Möglichkeit eines einsichtigen Erscheinen-könnens des Absoluten“ sei und sich auf der Basis dieses Freiheitstheorems individuelle, rechtliche und sittliche Freiheit begründen ließen (Peter L. Oesterreich/ Hartmut Traub: Der ganze Fichte. Die populäre, wissenschaftliche und metaphilosophische Erschließung der Welt, Stuttgart 2006, 118). Aber auch Traub bezieht sich für seine These auf das Fragment Ich wollte da eine logische Untersuchung (1807), wo mehrfach von der Vernichtung der Freiheit bzw. der „Nicht-Freiheit“ die Rede ist (GA II/11, 51). Die Frage, ob die Freiheit des Willens in der Spätphilosophie noch eine Rolle spielt oder nicht, kann nicht auf der Basis dieser Äußerungen getroffen werden, da diese sich ausschließlich auf die freien Akte innerhalb der WL beziehen, sondern kann erst vor dem Hintergrund der Freiheit des Willens entschieden werden, wie sie Fichte in der WL 1804-III entfaltet. Vgl. zur Diskussion zwischen Traub und Baumanns die „Rezension zu Peter Baumanns: J.G. Fichte. Kritische Gesamtdarstellung seiner Philosophie. Freiburg/München 1990“, in: Fichte-Studien 7 (1995) 199 – 212 von Hartmut Traub. 562  WL 1812 – GA II/13, 94. 563  WL 1812 – GA II/13, 94.

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

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ist der Wille das praktische Bilden, das sich – wie es in der WL 1804-III heißt – zwischen absolutem Sein und Prinzipsein konstituiert. Fichte differenziert in den besagten Vorträgen zwischen zwei verschiedenen Formen, wie das Ich Prinzip seiner selbst ist. Es ist einerseits Prinzip seiner selbst, „dem bloß [etwas] erscheint“, und er behandelt innerhalb dieses Kontextes alle wichtigen Theorieelemente von der „Wahrnehmung bis hinauf zum Naturtriebe“. Es ist andererseits Prinzip seiner selbst, das sich selbst als Ich erscheint und auf sich selbst bezieht, d.h. sich „als Princip […] durchdringt“. Innerhalb dieses Zusammenhangs behandelt Fichte den reinen und natürlichen Willen, „u. die Freiheit zwischen beiden“564. Das Ich als Prinzip seiner selbst, so Fichte, sei das Prinzip der Wahrnehmung äußerer Objekte. Die Wahrnehmung äußerer Objekte versteht er aber nicht als bloßes Affiziertwerden, sondern als Wechselbeziehung zwischen dem Ich und dem wahrgenommenen Gegenstand. Diese Wahrnehmung äußerer Objekte durch die fünf äußeren Sinne sei mit der Wahrnehmung meiner selbst notwendig verbunden; Fichte spricht hier von innerem Sinn oder von der „Apperception“565. So heißt es: „Das Ich kann nirgends Princip seyn, ohne sich zugleich, als Princip seyend zu beschreiben“566. Daß das Ich „Princip seiner selbst, durch sich selbst“ sei, bezeichnet Fichte hier als Trieb. Der Trieb sei als „Kausalität, die keine Kausalität ist“, zu verstehen567. Indem das Ich sein Wahrnehmen nachkonstruiert, liegt in dem Wahrnehmen auch „die Wahrnehmung des Triebes“, was Fichte als Gefühl bezeichnet; es ist das „Gefühl eines absoluten Triebes schlechthin“568. „Der Trieb“ oder das Ich „kann […] mittelbar gefühlt werden, denn er ist in uns“569, und „inwiefern er als Trieb ist, ist

564 

WL 1804-III – GA II/7, 366. WL 1804-III – GA II/7, 348, 349, 345 566  WL 1804-III – GA II/7, 348. 567  WL 1804-III – GA II/7, 345. Der Gegensatz zwischen Absolutem und absolutem Wissen, der an verschiedenen Stelle als Differenz zwischen Gehalt und Form beschrieben wurde, kann daher auch als Gegensatz zwischen Inkludenz und Trieb beschrieben werden. In der Transscendentalen Logik II spricht Fichte auf der einen Seite vom „Seyn, absolute Geschlossenheit in sich selber“ und vom „Bild, absolute sich Aeusserung, u. Darstellung“ (Transscendentale Logik II (1812) – StA, 41 – GA II/14, 222). Das Bilden oder Erscheinen ist seinem Wesen nach gleichursprünglich Vollzug und Sich-Darstellung in seinem Wesen. Wenn Fichte also vom „Princip des Herausgehens aus sich selber“ spricht und „dieses Princip […] ein Trieb […] ist“ (WL 1804-II – StA, 261 – 264 – GA II/8, 388 – 392), so ist damit das eigentümliche Wesen der Erscheinung gemeint, das nicht nur etwas, sondern zugleich immer sich selbst mit zur Erscheinung bringt, also ein reines Sich-Zeigen oder pure Manifestation seiner selbst ist. Wenn Fichte den Trieb als „Kausalität die nicht Kausalität ist“ (GA II/7, 443) beschreibt, dann vor allem deshalb, weil das Sich-Darstellen der Erscheinung eben nicht im Sinne einer Verursachung zu verstehen ist, sondern als gesetzmäßiger Effekt, der im Vollzug des Wissens eintritt. 568  Principien 1805 – GA II/7, 446. 569  WL 1804-III – GA II/7, 345 und 352. 565 

272

Teil 2: Die Dialektik des Bildens in ihrer Notwendigkeit und Konkretion

er schon in dem Gefühle der Wahrnehmung“570. So wie es kein Gefühl ohne Trieb und keinen Trieb ohne Gefühl gibt, so gibt es keinen Trieb ohne Apperzeption. Mit anderen Worten: Das Ich kann nur Prinzip seiner selbst und der Erscheinung sein, indem es sich zugleich als Prinzip erscheint. So wie sich Trieb und Gefühl wechselseitig bedingen und voneinander unterschieden, so setzen sich der Trieb als Prinzip und die Sich-Erscheinung des Prinzips als Prinzip wechselseitig voraus. Auf der Grundlage dieser Vorüberlegungen kommt Fichte im zwanzigsten Vortrag der WL 1804-III auf die „Handlung[en] in der Sinnenwelt“ zu sprechen, „deren Vermögen im Triebe liegt“571, d.h. im Ich als Prinzip. Das Ich kann sich willentlich zu nichts bestimmen, wozu es keinen Trieb hat. Das Vermögen von Handlungen in der Sinnenwelt bezeichnet er als „Wollen“ und ist die „absolute Selbstbestimmung zu Realisirung einer Vorstellung“572. Der Wille ist „die höchste, absolut nur vom Ich selber ausgehende […] reale Bestimmung des Ich“. Hinsichtlich des Ursprungs und Grundes dieses Vermögens sagt Fichte, daß dieses Wollen keinesfalls „Schöpfung aus dem Nichts“ sei, denn: „Das Ich ist nicht Princip seines absoluten Seyns, sondern es ist innerhalb seines Seyns, als Princip seiner selbst. Nicht etwa ist sein Seyn abhängig von seinem Principseyn […] indem ja das Principseyn selbst nur eine weitere Bestimmung des Seyns ist […] beides ist durchaus in Einem Schlage unabtrennlich von einander.“573

Das Ich als Trieb oder Prinzip seiner selbst realisiert seine Vorstellungen durch Handlungen in der Sinnenwelt. Die Handlungen im Sinne der absoluten Selbstbestimmung ist im Trieb begründet, denn das Ich kann sich zu keinem Wollen bestimmen, wozu es keinen Trieb hat. Das Vermögen absoluter Selbstbestimmung geht aber nicht auf das Prinzipsein des Ich oder den Trieb zurück, sondern die Möglichkeit dazu ist im absoluten Sein begründet. Der reine Wille ist für Fichte „die absolute Synthesis des Seyns, u. des Principseyns“. Der Wille ist die Selbstbestimmung als solche im „realen Seyn des Ich“ und der Wille ist insofern absolut, als er nicht werden oder entstehen kann und nicht „in der Zeit“ liegt, sich aber in der Zeit realisiert574. Das Wollen ist somit die Verbindung von lebendigem Gehalt und selbstbezüglicher Form – von Absolutem und Ich575. 570 

Principien 1805 – GA II/7, 448. WL 1804-III – GA II/7, 353, Kursivierung von mir, P.T. 572  WL 1804-III – GA II/7, 353. 573  WL 1804-III – GA II/7, 354. 574  WL 1804-III – GA II/7, 354. 575  Davon zu unterscheiden ist der „stehende NaturWille“ oder die „Lust“. Fichte differenziert somit nicht nur zwischen absolutem Sein und Prinzipsein, deren Synthesis der reine Wille ist, sondern auch zwischen reinem Willen und Lust. Es ist die Unterscheidung zwischen reiner Vernunft und dem „natürliche[n] Menschen“: „Der natürliche Mensch ist nicht frei. […] das erscheinende Ich [steht, P.T.] zwischen beiden, in der Erhebung, u. im stehenden SchwebePunkt“ (WL 1804-III – GA II/7, 355). In der Sittenlehre von 1798 differenziert Fichte nicht zwischen der Lust auf der einen Seite und dem Willen als Synthesis von 571 

§ 5  Vollzug, Notwendigkeit und Konkretion des Bildens

273

Der Wille als Synthesis von absolutem Sein und Prinzipsein wird noch einmal mit anderen Worten im letzten Vortrag der WL 1805 diskutiert, wo sich Fichte noch einmal zur Möglichkeit und Wirklichkeit realer Freiheit äußert. Darin heißt es: „[D]as rein übrig bleibende vom Ich ist daher nur dies, daß Freiheit sey, ausser ihm, deswegen, u. damit diese sich verstehe, als Bild Gottes. Wird sie gesezt, so geschieht dies nicht durch Gott, sondern durch sie selbst: daß sie aber realiter, u. vor dem Geseztseyn voraus sich setzen kann, davon liegt der Grund in Gott.“576

Der Ursprung des reinen und absolut freien Willens liegt nicht im Prinzipsein des Ich, sondern in dessen absolutem Sein, also dem Absoluten selber. „Am absoluten ist diese Freiheit das Existieren selber, als Faktum[,] u. der schlechthin in keinem Begriffe eintreten könnende, sondern ihm [des Begriffs] unerforschliche Grund desselben“577. Es ist der unbegreifliche und undurchdringliche Selbstanfang des aus sich lebenden Lebens, der freie Urakt absoluten Seins. Dies schließt gerade nicht aus, sondern ein, daß es zur Verwirklichung und Realisierung der realen Freiheit des Ich bedarf. Die Möglichkeit absoluter Freiheit liegt im Absoluten, die Verwirklichung realer Freiheit im Sinne absoluter Selbstbestimmung ist aber Angelegenheit des Ich. Auch in der Willens- und Freiheitslehre bestätigt sich somit wieder der Primat der Beziehung, das sich als praktisches Bilden zwischen materialer und formaler Freiheit realisiert. Wolfgang Janke faßt die Kernüberlegungen zum Freiheitskonzept in folgender Weise zusammen: „Das Absolute kann in seinem Freiheitswesen nur im Dasein des Wissens existent werden, und umgekehrt kann das Dasein nur als Bild absoluter Freiheit sein. […] Das notwendige Existieren göttlichen Lebens und Seins ist die Basis dafür, daß sich das Dasein in Freiheit setzen kann. Daß Freiheit hier und jetzt wirklich vollzogen wird, ist Sache des Ich in seiner Faktizität und kontingenten Zufälligkeit.“578

Dem freien Willen als „absolute Synthesis des Seyns, u. des Principseyns“, als Vereinigung von Gott und Ich und als Verbindung zwischen dem absoluten Gehalt und der Form der Subjektivität kommt somit eine Schlüsselstellung zu, da es der reale Wille ist, durch den die Einheit realisiert wird. So wie das Wissen qua gesetzmäßigem Vollzug die Einheit von Ur- und Nachkonstruktion realisiert, so ist der reale Wille als Synthesis von Absolutem und Ich-Form die Möglichkeit zur Verwirklichung sittlicher Freiheit – es ist das gelebte und praktische Bilden, das sich als Bild des Absoluten versteht und begreift. Ich-Form und lebendigem Absolute, sondern der „Trieb als Naturwesen“ und die „Tendenz als reiner Geist“ sind beim frühen Fichte nicht „zwei verschiedene Triebe“, sondern „beides ist vom transscendentalen Gesichtspunkte aus ein und derselbe Urtrieb, der mein Wesen constituirt: nur wird er angesehen von zwei verschiedenen Seiten“ (SSL 1798 – GA I/5, 125). „Der sittliche Trieb [ist] deshalb ein aus dem ‚reinen‘ und dem ‚Naturtrieb‘ ‚gemischter Trieb‘“ (Jaeschke/Arndt: Die Klassische Deutsche Philosophie nach Kant, 123). In der frühen WL werden also die beiden gegensätzlichen Tendenzen allein aus dem Ich entwickelt. 576  WL 1805 – GA II/9, 309. 577  WL 1805 – GA II/9, 261. 578 Wolfgang Janke: Johann Gottlieb Fichtes ‚Wissenschaftslehre 1805‘. Methodisch-systematischer und philosophiegeschichtlicher Kommentar, Darmstadt 1999, 139 f.

§ 6  Fazit § 6  Fazit

In der Arbeit konnte ausgehend vom Begriff des Bildens gezeigt werden, daß Fichtes Wissenschaftslehre als transzendentalphilosophische Totalitäts- und dialektische Beziehungswissenschaft zu verstehen ist. Im folgenden werden die wichtig­sten Untersuchungsergebnisse sowie einige kritikwürdige Aspekte zusammengefaßt. (1) Es konnte gezeigt werden, daß die späte WL insgesamt als nachmetaphysischer und nachkantischer Beitrag in der Spätphase der Klassischen Deutschen Philosophie verstanden werden kann, in dem versucht wird, die transzendentalphilosophischen Einsichten mit dem Anspruch auf Totalität zu verbinden. In der späten WL versucht Fichte, das Verhältnis von Absolutem und Begriff zu begreifen, ohne dabei die Grenzen des Wissens zu überspringen, sondern in der Durchdringung des dialektischen Wesens des Begriffs beide Seiten zu vermitteln. Im 1. Teil der Arbeit wurde deutlich, daß sich der späte Fichte am transzendentalen Erbe sowohl des kantischen als auch des eigenen, frühen Ansatzes abgearbeitet hat (§ 2, I. und II.). Das im ersten Entwurf von 1794/95 auftretende Problem des Subjektivismus konnte er dadurch überwinden, daß er in der späten WL nicht mehr die Handlungen des menschlichen Geistes im Ausgang von einem absolut gewissen Grundsatz in ihrer Totalität rekonstruiert hat, sondern die absolute Form des Wissens zu einer sie übergreifenden Totalität in Beziehung setzt. In diesem Zusammenhang zeigte sich, daß vor allem zwei Aspekte für die Weiterentwicklung der WL ganz entscheidend waren: zum einen die Bewältigung der Probleme der ersten WL von 1794/95 und zum anderen Fichtes Neuinterpretation von Spinozas Ethik. Es konnte gezeigt werden, daß Fichtes Charakterisierung des höheren Idealismus in der WL 1804-II in wesentlichen Punkten mit dem Programm und der Realisierung seines ersten Entwurfs von 1794/95 zusammenfällt, was wiederum bedeutet, daß Hegels Fichtekritik und Fichtes Selbstkritik sachlich und terminologisch übereinstimmen und die späte WL der Hegelschen Kritik am frühen Entwurf enthoben ist (§ 2, III.). Der zweite, entscheidende Aspekt ist Fichtes veränderte Auffassung von Spinozas philosophischem Ansatz. Glaubte Fichte in den Jahren 1794/95 noch, Spinozas Überlegungen durch die Unterscheidung von absolutem und endlichem Ich erklären zu können, so nahm er ab 1804 dessen Totalitätsanspruch ernst und hob sich zugleich durch die Unterscheidung von Absolutem und Begriff von diesem ab (§ 3, II.). Es ist vor allem die Differenzierung zwischen absolutem Gehalt und selbstbezüglicher Form, aufgrund derer die WL ein transzendentalphilosophischer Ansatz ist: Die Reflexion auf die Form der Subjektivität sowie die gleichzeitige Orientierung an einer lebendigen und eben nicht als tote Substanz zu verstehenden Totalität, erlauben es, so die These zur engeren, problemgeschichtlichen Verortung, Fichtes transzendentalphilosophische Totalitätswissenschaft als eigenständiges Konzept zu Hegels Verbindung von Substanz und Subjekt zu verstehen.

§ 6  Fazit

275

Fichtes Lösung der Probleme der GWL, so die systematische Hauptthese des 1. Teils, erfolgte durch die Ablösung des absoluten Ich als unmittelbarer Einheit durch das absolute Bilden als sich selbst differenzierender Einheit, die zu einer in sich geschlossenen Einheit – dem Absoluten – in einem Verhältnis steht (§ 3, I.). Der späte Fichte begreift Negativität als Moment der in sich differenzierten Einheit, wodurch es ihm gelingt, das Verhältnis von Einheit und Differenz völlig neu zu bestimmen. Fichtes Verbindung von Kants transzendentalem Subjekt mit Spinozas Totalitätsanspruch und der Übergang von einer unmittelbaren zu einer sich selbst differenzierenden Einheit sind im Kern zwei Seiten ein und derselben Medaille. Der Ansatz der späten WL wurde formelhaft als Identität in der Nichtidentität und Nichtidentität in der Identität sowie Einheit in der Zweiheit beschrieben und die Kerneinsicht der späten WL besteht darin, daß Absolutes und Begriff einerseits unterschieden, aber andererseits als Differenz zwischen Gehalt und Form auch aufeinander bezogen sind, und die WL die Beziehung zwischen Absolutem und Begriff dadurch zu verstehen versucht, daß in ihr der absolute Begriff als reine Beziehung ins Zentrum gestellt wird. Neben der veränderten Auffassung von Einheit und Totalität war es die Deutung des Bildens als dialektisches Beziehen, wodurch neue Perspektiven eröffnet werden konnten. In der vorliegenden Arbeit wurde der Nachweis erbracht, daß der Beziehungsgedanke sich wie ein roter Faden durch alle Versionen zieht und bereits in der GWL von 1794/95 angelegt ist, da der tiefere Grund der Tathandlung in der Beziehung zum Nicht-Ich besteht und bereits das absolute Ich als Beziehungs- und Verhältnismacht gedeutet werden kann (§ 2, III.)1. In der ersten Version der WL bleibt die Beziehung aber lediglich eine Forderung und erst in den Fassungen ab 1804/05 kommt es zu einer Realisierung und Entfaltung des Beziehungsgedankens. In diesem Zusammenhang wurde auch herausgearbeitet, daß die Momente des absoluten Ich in modifizierter Form im absoluten Bilden enthalten sind (§ 4, II.). Das Durch ist die „absolute Beziehung“2 und das Ur-Verhältnis, auf das alle konkreten und bestimmten Beziehungen und Verhältnisse nicht nur zurückgeführt werden können, sondern worin diese ihren eigentlichen Grund und Ursprung haben. Aber erst im Jahr 1812 wird sich Fichte darüber klar, daß nicht einfach die Beziehung überhaupt, sondern die Beziehung auf sich selbst der noch tiefere Grund allen Beziehens ist. Gerade weil das Bilden ein Sich-Bilden ist, sich also auf sich selbst bezieht, unterscheidet und bezieht es sich auf anderes: Es ist die Selbstbezüglichkeit, durch die sich das Bilden vom lebendigen Absoluten unterscheidet und dadurch um die ursprüngliche Differenz zwischen beiden weiß (§ 4, I. und II.). Wenn Heidegger in seinem ersten Hauptwerk Sein und Zeit (1927) behauptet, daß der Sinn von Sein in der Zeit, „der Grund der Existenzialität des Daseins“ in der „Zeitlichkeit“ liegt3, so ließe sich mit Fichte sagen, daß wir den Sinn von Sein immer nur in, durch und aus der ursprünglichsten Beziehung heraus verstehen und 1 

Vgl. GWL 1794/95 – GA I/2, 398. WL 1804-II – StA, 85 – GA II/8, 128. 3  Martin Heidegger: Sein und Zeit (1927), 18. Aufl., Tübingen 2001, 234. 2 

276

§ 6  Fazit

der Mensch als existierendes Wissen die Realisierung des rein lebendigen Beziehens ist. In der Durchdringung der „Form der Sichtbarkeit“4 zeigte sich, daß die absolute Beziehung ein absolutes Bilden ist – „ein absolutes Bild, das sich selbst nicht wieder bildet, und das sichtbar werden könnte nur durch sein Resultat. (Denn auf die absolute Verborgenheit und Unsichtbarkeit dieses Bildes kommt schlechthin Alles an)“5. Es ist ein „absolutes Sehen, das […] ist […] nie gesehenes“6 und „in sich selbst unsichtbar, und nur in seinem Produkte […] sich sichtbar“ macht7. Das Unsichtbare ist das lebendige Absolute, das auf der Ebene des reinen Begriffs – d.h. in der Form der Sichtbarkeit – als lebendige Beziehung erscheint und sich in das Bilden und den Begriff des Bildens selbst unterscheidet. Der wahre, unsichtbare Mittelpunkt ist die Beziehung beider Momente. Indem sich das Bilden in sich selbst unterscheidet, bezieht es sich aber zugleich auf sich selbst und es bezieht sich auf sich selbst, weil es sich als bildende Beziehung versteht. Dieses „unsichtbar bleibende Verstehen […] zeigt sich bloß in seinem Produkte, dem Ich“8. Indem sich die unsichtbare Beziehung selbst fixiert, sich auf sich selbst bezieht und sich dadurch selbst versteht, ist das Ich ein sich als Durch verstehendes Durch, eine sich als Beziehung verstehende Beziehung. Es ist der Ausdruck des in sich reflektierten, durch das Verhältnis denkende Denken und sich in diesem Verhältnis begreifende Beziehungswissen. Es ist aber erst die WL, die als Verstehen des Verstehens die unsichtbaren Momente des absoluten Wissens sichtbar macht und das Ich in seinem Wesen als sich auf sich selbst beziehendes Verstehen begreift (§ 4, III.). Der späte Fichte entfaltet somit seine wesentlichen Thesen und sowie sein spätes Subjektivitätskonzept im Rahmen einer Dialektik von Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit. Im Sich-Zeigen bzw. im Erscheinen der Erscheinung ist etwas Unsichtbares, das sich erst im Entzug des Erscheinens zeigt. Es ist ein Sich-Manifestieren des Unsichtbaren in der Aufhebung der Erscheinung als Form der Sichtbarkeit. Erst in der Annihilierung der Form erscheint das unsichtbare Moment – das reine und absolute Leben, das wir qua Vollzug selbst sind. Das Unsichtbare erweist sich in der Aufhebung der Form der Erscheinung als das eigentlich tragende Moment der Form, da das Unsichtbare die Lebendigkeit der Form bedingt; gleichwohl bedarf das Unsichtbare der Form der Sichtbarkeit, um sich in der Negation der Form manifestieren zu können. Die entscheidende Einsicht der späten WL ist nicht, daß das Unsichtbare die Lebendigkeit der Form bedingt oder die Form der Sichtbarkeit die Erscheinung des Absoluten als reine Beziehung überhaupt erst ermöglicht, sondern es ist zum einen die Einsicht in die dialektisch-notwendige Beziehung von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit und zum anderen die Erkenntnis, daß sich die Einheit von lebendigem Vollzug und begrifflicher Manifestationsform erst im Erscheinen und zugleich im Nichterscheinen der Erscheinung zeigt. 4 

WL 1812 – GA II/13, 144 Transscendentale Logik II (1812) – StA, 151 – GA II/14, 311. 6  WL 1812 – GA II/13, 144. 7  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 253 – GA II/14, 394. 8  Transscendentale Logik II (1812) – StA, 156 – GA II/14, 314. 5 

§ 6  Fazit

277

Auf der Grundlage der beiden ersten Momente des absoluten Begriffs – dem Bilden und dem Begriff des Bildens –, wurde herausgearbeitet, daß Fichte in den Jahren 1804/05 eine spekulative Urteilslehre entfaltet hat und indem er ab 1812 die Beziehung auf sich selbst und das Verstehen des Begriffs des Bildens als drittes Moment ins Zentrum seiner Überlegungen gestellt hat, konnte Fichte zum einen eine spekulative Schlußlehre entwickeln und zum anderen gewann er die Einsicht, daß die drei Momente des Begriffs zugleich die logische Selbstentfaltung des absoluten Begriffs als Urteilen und Schließen ist und damit die Grundlage und Voraussetzung für die Begriffs-, Urteils- und Schlußlehre der Formalen Logik bilden. Auf der programmatisch-rhetorischen Ebene betrachtet Fichte die Formale Logik zwar durchgehend als defiziente Wissenschaft, aber die Eigendynamik seines Denkens führte zu einer immer stärkeren Logifizierung der WL, die letztlich die Verbindung von Logik und Vernunftwissenschaft zur Folge hatte. Hierbei zeigte sich auch der spezifische Zusammenhang von Fichtes veränderter Auffassung von Subjektivität und der Schlußförmigkeit des Denkens. Indem das Ich ab 1804 im wesentlichen zum Sich des Bildens wurde und er ab 1812 diese Selbstbezüglichkeit als absolutes Verstehen der Bildlichkeit ins Zentrum stellte, gelang es ihm, die Schlußform als die eigentliche Form des Denkens zu begreifen und das Ich als Schließen zu verstehen. Hinzu kommt, daß die intellektuelle Anschauung, die beim frühen Fichte noch ein unmittelbares Vermögen ist, im späten Ansatz ein anderer Begriff für das absolute Verstehen ist und damit zugleich ein begrifflich vermitteltes Moment innerhalb der Schlußstruktur des absoluten Wissens ist (§ 4, III.). Im Anschluß an die Analysen der dialektisch-schlußförmigen Form des Wissens konnte gezeigt werden, daß Fichte seinen ursprünglichen Gedanken der Tathandlung derart radikalisiert hat, daß die reine Vollziehung des Wissens sich als das Unbedingte und damit als das Absolute erwiesen hat (§ 5, I.). Da das lebendige und unbedingte Sein als rein zu vollziehende, immanente Göttlichkeit – als Gott in uns – zu verstehen ist, kann Fichte Gott und Vernunft miteinander identifizierte – zumindest hinsichtlich des absoluten Gehalts und nach Abstraktion von der selbstbezüglichen Form. Im Lichte dieser Betrachtung ist das lebendige Absolute die absolute Vernunft und ihre Erscheinungsform ist die Form der Subjektivität. Neben der grundsätzlichen Klärung des Verhältnisses von Absolutem und absoluten Wissen konnte weiterhin gezeigt werden, daß es nicht erst ab 1809, sondern bereits ab 1804/05 zu einer Restituierung von Themen der Jenaer Periode von 1794 bis 1799 kommt (§ 5, III.). Hierbei wurde deutlich, daß Fichte zum einen konsequent aus dem Begriff des Bildens die Anschauungsformen entwickeln konnte und zum anderen, daß sich der absolute Begriff nicht nur als intellektuelle Anschauung, sondern auch in materieller Hinsicht als Raum und Zeit anschaulich macht. Fichte kommt damit einerseits auf seine ursprünglich durch Kant inspirierten Fragen zurück, beantwortet sie aber andererseits vor dem Hintergrund der ab 1804/05 gewonnenen Einsichten vollkommen neu und bietet eine gegenüber dem Jenaer Ansatz insgesamt überzeugendere Lösung zur Entstehung der raumzeitli-

278

§ 6  Fazit

chen Anschauung. Darüber hinaus wurde in den Ausführungen zur Zeit gezeigt, die den Übergang zur Praxis bildet, daß Fichte sowohl die drei Dimensionen der Zeit – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – aus dem Bilden entwickelt, als auch mit den drei speziellen Formen von Zeitlichkeit die Entfaltung der drei materialen Disziplinen – Religions-, Rechts- und Moralphilosophie – verbindet. Dies ist insofern bemerkenswert, als die drei Disziplinen, die aus den Zeitformen hervorgehen, die Fichte erst- und zugleich letztmalig in der Principien-Vorlesung von 1805 behandelte, tatsächlich auch der Vorlesungswirklichkeit entsprechen; Fichtes Vorlesungstätigkeit folgte weniger dem Schema der Fünffachheit, wie er es in der WL 1804-II entwickelte, sondern vielmehr demjenigen, was er in der Principien-Vorlesung vortrug. Daß Fichtes Theorie der Zeitlichkeit aber auch Probleme hinsichtlich der systematischen Stellung des Rechts und der Rolle des Individuums aufwirft, wurde ebenso deutlich gemacht. Schließlich wurde herausgearbeitet, daß das absolute Wissen, wie zuvor das absolute Ich, eine zutiefst praktische Dimension hat: Der freie Wille – und dies bedeutet bei Fichte immer der sittliche Wille – ist die praktische Seite des absoluten Wissens. (2) In der Arbeit wurden aber auch kritikwürdige Aspekte herausgearbeitet. In bezug auf das Spätwerk wurde das Problem der hohen Variabilität der Theorieelemente offen diskutiert und an den Beispielen Trieb und Glauben demonstriert (§ 3, III.). Fichte revidierte zwar seine Annahme eines Triebes im Absoluten, indem er im Jahr 1812 explizit dem Absoluten die Insichgeschlossenheit und der Erscheinung den Trieb zuordnete, trotzdem wurde am Beispiel des Glaubens sichtbar, daß sich nur schwer ein Schlüssel ausmachen läßt, der letztlich alle Theorieelemente miteinander verbindet, obwohl das Theorem des Glaubens in sich eine gewisse Plausibilität besitzt. Es ist letztlich das Problem einer fehlenden, letztverbindlichen Darstellung, das sich nicht endgültig aus dem Weg räumen läßt, sowie der Umstand, daß Fichte eine Vielzahl von Theorieelementen, wie die Zeitformen- oder Schlußlehre, tatsächlich nur einmal entwickelt hat. Insgesamt zeigte sich immer wieder eine Differenz zwischen Fichtes programmatischen Stellungnahmen und der eigentlichen Umsetzung. In bezug auf das Frühwerk konnte gezeigt werden, daß die GWL von 1794/95 vom Standpunkt der Begriffsschrift (1794) sowie der WL 1804-II aus einige Probleme aufwarf, die aber gleichsam als Motor für die Weiterentwicklung des Fichteschen Denkens fungierten. Entgegen der Fichteschen Intention wurde verdeutlicht, daß der von Fichte kritisierte, höhere Idealismus der WL 1804-II und die Grundlage von 1794/95 sachlich weit mehr miteinander zusammenhängen, als Fichte bereit war, dies zuzugeben (§ 2, III.). Aber auch die Selbsteinschätzung seines eigenen Denkweges (§ 3) oder die Beurteilung der Funktion der Logik (§ 4, III.) stimmen nicht immer mit dem überein, was Fichte tatsächlich realisiert hat. In diesem Zusammenhang gehört auch die nicht immer eindeutige Funktion einzelner Texte im Gesamtwerk: Zwar hat Fichte die Transscendentale Logik insgesamt als Einleitung charakterisiert, zugleich realisiert er in ihr das, was in der WL 1812 – einer hinsichtlich der Systematik des Gesamtwerks über der Einleitung stehenden Schrift – angekündigt wurde.

§ 6  Fazit

279

Am stärksten trat die Differenz zwischen Programm und Realisierung in der Behandlung der Frage nach der Notwendigkeit der Erscheinung zutage (§ 5, II.): Da Fichte nicht mehr die Handlungen des menschlichen Geistes, sondern die Momente des absoluten Begriffs dialektisch entfaltet, sich also auf die Selbstbewegung des Begriffs eingelassen hat, wurde deutlich, daß die WL auf der programmatisch-rhetorischen Ebene ein transzendentalphilosophisch verfaßter und in der Durchführung und Realisierung ein partiell darüber hinausweisender Ansatz ist. Fichte hält zwar hinsichtlich der äußerlichen Beschreibung seines Ansatzes an der Unterscheidung zwischen Absolutem und absolutem Wissen fest, der in der vorliegenden Arbeit als Gegensatz von lebendigem Gehalt und selbstbezüglicher Form beschrieben wurde, allerdings kommt dem Absoluten eine weitaus stärkere Funktion zu, als lediglich das über den Begriff hinausgehende und zugleich diesen bedingenden Leben zu sein. Es ist insgesamt richtig und immer weiterführend beim späten Fichte zwischen Vollzug und Vollzugsform zu differenzieren, aber das Absolute ist nicht nur der lebendige Vollzug und damit das absolute Leben, sondern es erscheint auch als Licht und Gesetz. Am Begriff des unmittelbar zu vollziehenden Lebens konnte gezeigt werden, daß das Bedingungsverhältnis von Absolutem und absolutem Wissen auch umgekehrt werden kann, da das Wissen als Form ebenso die Bedingung für das Erscheinenkönnen des Absoluten als Leben ist (§ 5, I.). Der Primat von absolutem Gehalt und selbstbezüglicher Form kann deshalb umgekehrt werden kann, weil ein Vollzug außerhalb der Form schlechthin unmöglich ist. In den Ausführungen zur Gewißheit bzw. Evidenz konnte dieses Problem relativiert werden, da das Absolute eben nicht nur als eine unmittelbar zu vollziehende Einheit ist, sondern auch als Licht und Gesetz erscheint (§ 5, II.). Die sich erzeugende Gewißheit erweist sich im Vollzug des Wissens als Unbedingtes – also als Absolutes –, so daß der prinzipientheoretische Primat beim Absoluten und eben nicht beim absoluten Wissen liegt. Im Unterschied zum unmittelbaren Leben läßt sich beim Licht das Verhältnis von Gehalt und Form nicht einfach umkehren, denn die Sichtbarkeit der Form ist letztlich durch das Licht bedingt. Trotz der Tatsache, daß dem Absoluten als Licht der prinzipientheoretische Primat zukommt, läßt sich auch hier noch von einer wechselseitigen Bedingtheit von Form und Gehalt sprechen, da das Licht als Licht erst in und durch die Form sichtbar werden kann, d.h. außerhalb der Form kann es nicht als Licht erscheinen. Diese Interpretation der wechselseitigen Bedingtheit erledigt sich allerdings mit dem Begriff des Gesetzes, als dritter Erscheinungsform des Absoluten. Fichte bezeichnet die Notwendigkeit der Unterscheidung in Bilden und Bild des Bildens, Sichkonstruktion und Nachkonstruktion als Gesetzmäßigkeit. Das Gesetz an sich bleibt unsichtbar und kann nur vollzogen werden, aber die Produkte des Gesetzes, Abbild und Bild, werden sichtbar. Im Kern bedeutet dies, daß die dialektische Bewegung des absoluten Begriffs, d.h. die Selbstunterscheidung und Selbstfixierung des Bildens, Ausdruck einer höheren, die Dialektik selbst bestimmenden Gesetzmäßigkeit ist. Fichte entfaltet also in der späten Wissenschaftslehre ein Dialektikkonzept, das auf dem höchsten Punkt des Sich-Verstehens auf ein unbedingtes Prinzip verweist, das sich zugleich in der Dialektik des Begriffs manifestiert. Dies hat zur Folge, daß

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§ 6  Fazit

nicht nur der unmittelbare Vollzug, sondern auch die Vollzugsform, die Möglichkeit der Sich-selbst-Differenzierung des absoluten Wissens, auf das Absolute zurückgeführt werden kann. Dies ist insofern eine bemerkenswerte Wendung, als das Gesetz als in der Form erscheinende und zugleich die Form bestimmende Manifestation des Absoluten gedeutet werden kann und die Negativität zwar nicht als Moment, aber zumindest als Resultat und somit als Ausdruck des Absoluten interpretiert werden kann. Indem das Absolute als Gesetz aber zugleich die Form bestimmt, kann das Verhältnis von absolutem Gehalt und absoluter Form nicht mehr als wechselseitige Bedingtheit, wie noch beim Verhältnis von Licht und Sichtbarkeit, gedeutet werden, sondern die Trennung von Gehalt und Form und damit die transzendentalen Besinnung werden in diesem Sinne generell fraglich, denn die Trennung von Absolutem und absolutem Wissen ist vor dem Hintergrund des Gesetzesbegriffs nicht so strikt, wie von Fichte selbst immer behauptet. Genau an diesem Punkt, d.h. in der Realisierung seines Programms, treibt der späte Fichtesche Ansatz über die Grenzen des Transzendentalismus hinaus – und dies nicht erst 1812, sondern bereits schon 1804. Indem sich Fichte auf die Dialektik des Begriffs einläßt, verläßt er, wahrscheinlich mehr als ihm bewußt war, Schritt für Schritt den Boden des Transzendentalismus. Daß Fichte nahezu jedes Jahr eine neue Version der WL vorlegte, bis kurz vor seinem Tode nie zufrieden war und keine der späten Fassungen ab 1804 mehr veröffentlichte, hat vielleicht nicht nur etwas mit seiner Skepsis gegenüber dem fixierenden Charakter der Sprache und der Möglichkeit, mißverstanden zu werden – wie beim Atheismusstreit –, zu tun, sondern kann auch als Ausdruck dessen verstanden werden, daß er sich ab 1804 zwar auf die dialektische Selbstbewegung des Begriffs eingelassen hatte, aber trotzdem nicht bereit war, den Transzendentalismus aufzugeben: Es ist die dialektische Beziehung und die Vermittlungsleistung des Begriffs, die eine dauerhafte Trennung von Form und Gehalt, die in jedem transzendentalen Ansatz von Kant bis Husserl zu finden ist, zumindest fragwürdig machen. Es ist möglicherweise diese Spannung zwischen der Dialektik des Begriffs und den Grenzen des Transzendentalismus, die Fichte davon abgehalten haben, eine späte Fassung der WL zu veröffentlichen. Dieser letztgenannte Punkt macht deutlich, daß es möglich ist, mit Fichte über Fichte hinaus zu denken. Er beinhaltet die Möglichkeit, wie bereits Willi Lautemann anregte, „einen Neuansatz zu versuchen“, der ausgehend vom „absoluten Sichverstehen – dem Durch des sich als Sehen sehenden Sehens – als […] dem Hauptgedanken der späten Ansätze, […] den Sinn der WL gegen den Buchstaben zur Geltung zu bringen [… und] diesen Sinn selbst gegen die […] Konsequenzen seines Selbstverständnisses zu reformulieren“. Es geht darum, die „zentralen Einsichten als Stimuli in sich zur Geltung“ zu bringen „und sie in einer veränderten philosophischen Situation […] der philosophischen Argumentation neu“ zu erschließen9. Mit der Arbeit wurde in diesem Sinne versucht, neue Zugänge zum Spätwerk Fichtes zu eröffnen und eine fundierte Grundlage für eine historisch-sy­ stematische Neuerschließung bereitzustellen. 9 

Willi Lautemann: „Wissenschaftslehre und genetisches Prinzip …“, XIX/46.

Literaturverzeichnis Literaturverzeichnis

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Personenverzeichnis Adorno, Theodor W. 11, 232, 248, 281 Ahlers, Rolf  225, 287 Aichele, Alexander  79 f., 287, 295, 297 d’Alfonso, Matteo Vincenzo  23, 137, 287 Allemann, Beda  11, 281 Appia, Paul Joseph  103, 105, 107, 254, 284 Aristoteles  35 f., 253, 281 Arndt, Andreas  26, 32, 58, 60, 63, 65, 120, 213, 232, 242, 262, 273, 287 Asmuth, Christoph  28, 30, 34, 36, 43, 62f., 120 f., 131, 147f., 153, 157, 171, 176, 209, 225, 232, 287 f., 299 f. Augustinus, Aurelius  147 f., 281 Personenverzeichnis

Baeumer, Max L. 125, 289 Baggesen, Jens Immanuel  268, 283 Bardili, Christoph Gottfried  132, 281 Barion, Jakob  20, 288 Barth, Roderich  214, 227, 232, 249, 262, 265, 288 Bartuschat, Wolfgang  29, 124, 128, 287 f. Baum, Günther  58, 288 Baumanns, Peter  43, 52, 75, 118 f., 136, 166, 179, 181 f., 202, 232, 242 f., 250, 254, 270, 288 Baumgarten, Alexander Gottlieb  36, 79 – 82, 281 Baumgartner, Hans Michael  19 f., 51, 74, 286, 288, 295 Beckermann, Ansgar  205, 289 Beierwaltes, Werner  26, 289 Benjamin, Walter  11, 248, 281 Berg, Robert Jan  251, 289 Bermes, Christian  262, 289 Bertinetto, Alessandro Giovanni  153, 202, 207, 289

Betzler, Monika  68, 153, 184, 194, 199, 252, 289 Binkelmann, Christoph  167, 169, 185, 193 ff., 198, 201, 289 Bisol, Benedetta  182, 184, 289 Bollacher, Martin  81, 285 Bonitz, Hermann  35 f., 281, Brachtendorf, Johannes  27, 132, 169, 181 f., 187, 191, 196, 289 Brandt, Reinhardt  71, 290 Braun, Edmund  63, 123, 290 Breazeale, Daniel  182, 289 Brüggen, Michael  182, 241, 261, 290 Brummack, Jürgen  81, 285 Buchenau, Artur  227, 281 Bücher, Rolf  11, 281 Buchner, Theodor G. 205, 290 Busch, Kathrin  147, 289 Busche, Hubertus  252, 292 Büttner, Stefan  131, 290 Carvalho, Héctor  35 f., 281 Carvalho, Mário Jorge de  187, 195, 290 Celan, Paul  11, 281 Cesa, Claudio  135, 290 Class, Wolfgang  23, 75, 90, 290 Cogliandro, Giovanni  290 Courtine, Jean-François  64 f., 290 Cramer, Konrad  53, 290 Cürsgen, Dirk  26, 290 Cusanus, Nikolaus (siehe Kues) Danz, Christian  153, 290 Därmann, Iris  147, 289 Denker, Alfred  81, 170, 293 Descartes, René  227, 281 Dörrie, Heinrich  28, 290

Personenverzeichnis Doyé, Sabine  20, 295 Drechsler, Julius  20, 26, 28, 43, 46, 86, 135, 152 f., 165, 181 ff., 189 ff., 196, 231, 254, 262, 290 Dupré, Dietlind  148, 286 Dupré, Wilhelm  148, 286 Düsing, Edith  34, 43, 291 Effertz, Dirk  36, 291 Eley, Lothar  47, 299 Enders, Markus  151, 298 Engels, Friedrich  46, 281 Falk, Hans-Peter  182, 225, 291 Ferrer, Diogo  225, 291 Ficara, Elena  123, 131, 288, 294 Fichte, Immanuel Hermann  12, 14, 18, 215 Flasch, Kurt  148, 291 Fleischer, Margot  98, 144, 295 Frank, Manfred  47, 293 Fuchs, Erich  11 f., 18, 100, 112, 153, 161, 282, 291, 299, 301 Gäbe, Lüder  227, 281 Gabriel, Gottfried  29, 290 Gabriel, Leo  148, 286 Gaier, Ulrich  81, 285 Garniron, Pierre  47, 85, 285 Gawlick, Günter  79, 281 Girndt, Helmut  23, 138, 290 f. Gliwitzky, Hans  11, 18, 23, 102, 160, 282, 291 Gloy, Karen  13, 77, 84 ff., 179, 225, 250, 291 Goddard, Jean-Christophe  43, 137, 176, 287 f. Gottschlich, Max  96, 297 Grassi, Ernesto  35 f., 281 Gründer, Karlfried  29, 290 Gueroult, Martial  20, 23, 160, 225, 291 Günther, Gotthard  202, 291 Hahn, Manfred 

64, 291

303

Halbfass, Wilhelm  226, 291 Halfwassen, Jens  28, 291 Hammacher, Klaus  84 f., 123, 131, 184, 285, 291 f. Hanewald, Christian  75, 292 Hartmann, Nikolai  93, 292 Heffernan, George  227, 281 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich  15, 17, 19, 26, 35 ff., 41 – 44, 47, 50, 64, 67, 78, 82, 85, 87, 96, 112, 116 – 121, 123 f., 126 f., 131, 170, 181, 189, 221 – 224, 232, 244, 259, 264 f., 274, 284 Heidegger, Martin  218, 275, 285 Heine, Felix  225, 292 Heinrichs, Johannes  116, 292 Heinz, Marion  82, 292 Held, Klaus  226, 291 Hennigfeld, Jochem  98, 121, 144, 292, 294 Henrich, Dieter  84, 90 f., 184, 292 Heraklit  44, 125 Herder, Johann Gottfried  81 f., 285 Hiller, Kurt  14, 284 Höffe, Otfried  52, 56, 292 Hoffmann, Thomas Sören  14, 40, 42, 46 f., 56 f., 65, 81, 127, 138, 142, 148, 156 f., 182 f., 187, 193, 195, 199, 223, 225, 252, 259, 289 f., 292 ff., 295, 297 f. Hogrebe, Wolfgang  21, 296 Holz, Hans Heinz  46 f., 180, 286, 293 Hübener, Wolfgang  47, 293 Hübscher, Arthur  17, 293 Hühn, Lore  21, 31, 44, 225, 293 Hülser, Karlheinz  96, 125, 227, 281, 286 Husserl, Edmund  130, 147 f., 285 Iber, Christian  31, 250, 293 Illetterati, Luca  259, 293 Ivaldo, Marco  123, 131, 153, 187, 293 f., 299, 301 Ivanenko, Anton A. 132, 182, 294 Jacob, Hans 

11, 74, 282

304

Personenverzeichnis

Jacobi, Friedrich Heinrich  122f., 131, 139, 284 f. Jacobs, Wilhelm G. 19 f., 42, 51, 74 f., 82, 214, 232 f., 247 f., 286, 295 Jaeschke, Walter  26, 32 f., 36 f., 41, 53, 58, 60, 63, 65, 85, 120, 123, 213, 223, 225, 232, 242, 273, 285, 294 f. Janke, Wolfgang  22, 24, 26, 30 – 33, 38, 75, 84 f., 90 f., 98, 101, 116, 120, 125, 141, 144, 146, 150 – 153, 160 f., 163, 169 – 172, 174 f., 179, 182, 185 f., 202, 216, 219 f., 225, 230 ff., 232, 255 f., 261 ff., 266, 270, 294 f. Jantzen, Jörg  51, 286 Jesus  212 ff. Kaehler, Klaus Erich  82, 120, 295 Kahlo, Michael  135, 290 Kant, Immanuel  21, 35 – 39, 50 – 64, 71 – 74, 81, 84 f., 93, 105 ff., 123 f., 130 f., 145, 165 f., 190, 201 f., 255, 267, 274, 285 Kimura, Hiroshi  197, 199, 202, 295 Kirk, Geoffrey S. 125, 281 Klauser, Theodor  28, 297 Klenner, Jost Philipp  147, 293 Kobusch, Theo  80, 295 Kodalle, Klaus-M. 143, 295 Kreimendahl, Lothar  79, 281 Kremer, Klaus  29, 295 Kreuzer, Johann  37, 281 Krings, Hermann  51, 286 Kroner, Richard  43, 118 – 120, 295 Kubo, Yoichi  225, 295 Kues, Nikolaus von  44, 147 f., 286 Kühn, Manfred  123, 295 Kühne-Bertram, Gudrun  65, 295 Lautemann, Willi  47, 152, 187, 209, 254 f., 280, 295 Lauth, Reinhard  11 – 14, 23, 53, 58, 74, 84, 100, 131, 135 f., 202, 254, 261, 267, 282, 284, 286, 288, 295 f. Leibniz, Gottfried Wilhelm  82, 123, 181 f., 286

Leisegang, Dieter  47, 152, 295 Lemanski, Jens  27, 34, 232, 296 Lévinas, Emmanuel  246 f., 286 Liske, Michael-Thomas  180, 296 Loewe, Johann Heinrich  20, 131, 296 Lucas, Hans-Christian  118, 120, 296 Malbeil, Germain  11, 286 Malebranche, Nicolas de  11, 286 Marbach, Eduard  148, 285 Marx, Karl  264 f., 286 Masmanidis, Konstantinos  153, 296 Meckenstock, Günter  160, 296 Meister Eckhart  147 f., 286 Merleau-Ponty, Maurice  262, 286 Metz, Wilhelm  15, 56, 75, 77, 253, 296 Michel, Karl Markus  19, 85, 127, 285 Mirbach, Dagmar  79, 287, 295, 297 Mittelstraß, Jürgen  21, 296 Mojsisch, Burkhard  27, 290, 299 Moldenhauer, Eva  19, 85, 127, 285 Moretto, Giovanni  153, 299, 301 Müller, Armin  44, 180, 298 Müller, Mathias  243, 261, 296 Niebel, Friedrich  47, 152, 295 Nuzzo, Angelica  202, 296 Oeing-Hanhoff, Ludger  44, 180, 298 Oesch, Martin  17, 281 Oesterreich, Peter L. 101, 296 Paimann, Rebecca  15, 63, 75, 132, 181 f., 185 f., 202 ff., 226, 241, 243, 266, 281, 297 Panzer, Ursula  130, 285 Parmenides  83, 96, 165, 286 Paul, Jean [Richter, Johann Paul Friedrich] 17, 286 Paulus  212 Pecina, Björn  200, 232, 297 Penolidis, Theodoros  44, 96, 297 Pichler, Wolfram  147, 297

Personenverzeichnis Piselli, Francesco  79 ff., 297 Platon  44, 96, 105, 147, 226 – 228, 286 Plotin  26, 28, 30 Pluder, Valentin  75, 121, 232, 297 Probst, Jörg  147, 293 Rademacher, Hans  84, 297 Radrizzani, Ives  266, 297 Ratzinger, Joseph – Benedikt XVI. 16, 28, 208, 213, 297 Raulet, Gérard  47, 293 Raven, John E. 125, 281 Reichert, Stefan  11, 281 Reijen, Willem van  47, 293 Reinhold, Karl Leonhard  50 f., 57 – 60, 66f., 69, 71, 73, 75, 77, 79, 83 f., 105, 107, 123, 132, 256, 268, 283 f., 286 Reisinger, Peter  152, 158 f., 162, 179, 297 Richli, Urs  141, 182, 195, 225, 231, 234, 297 f. Riedel, Christoph A. 243, 261, 298 Risse, Wilhelm  44, 180, 298 Ritter, Joachim  29, 290 Rockmore, Tom  182, 289 Röd, Wolfgang  79, 298 Rodis-Lewis, Geneviève  11, 286 Rohs, Peter  31, 62, 264, 298 Rosales, Jacinto Rivera de  23, 98, 138, 182, 195, 202, 208, 215, 290, 298 Roth, Gerhard  48, 298 Röttgers, Kurt  44, 180, 298 Rudolph, Gerhard  226, 291 Ruff, Erich J. 18, 23, 102, 161, 291 Sachs-Hombach, Klaus  147, 289 Sandkaulen, Birgit  123, 131 f., 294 f., 298 Sandkühler, Hans Jörg  26, 292 Schadewaldt, Wolfgang  44, 298 Schäfer, Rainer  23, 63, 71, 75, 77 f., 86, 91 – 94, 119, 151, 176, 190, 203, 253, 298 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph  26, 29, 51, 63 f., 98, 121 f., 131, 139, 172, 210, 284, 286 f.

305

Schick, Stefan  139, 298 Schieche, Walter  13, 100, 287 Schleiermacher, Friedrich  96, 227, 286 Schlösser, Ulrich  228, 230, 232 f., 299 Schmidt, Andreas  182, 299 Schmidt, Johann Ernst Christian  142, 283 Schmitt, Anton  252, 292 Schneider, Peter K. 11 f., 14, 202, 282, 284, 299 Schneider, Ulrich Johannes  180, 299 Schnell, Alexander  43, 137, 176, 287 f. Scholem, Gershom  11, 248, 281 Schopenhauer, Arthur  17, 142, 287 Schrader, Wolfgang H. 40, 58, 231, 299 Schulte, Günther  182, 190 f., 299 Schulz, Walter  120, 299 Schulze, Gottlob Ernst  59 Schürmann, Eva  86 f., 299 Schwabe, Ulrich  23, 299 Schweppenhäuser, Hermann  11, 248, 281 Sell, Annette  27, 40, 81, 170, 220, 225, 292, 299 Siemek, Marek J. 153, 157, 189, 299 Siep, Ludwig  116, 120, 299 Simon, Josef  47, 299 Sloterdijk, Peter  15 f., 299 Solger, Karl Wilhelm Ferdinand  12, 287 Soller, Alois K. 23, 75, 87, 90, 290, 299 Spinoza, Baruch de  21, 29, 39 – 41, 116, 123 – 132, 145, 165, 210, 215 f., 274, 287 Stahl, Jürgen  63, 300 Stephani, Heinrich  63, 283 Stoffers, Johannes  27, 132, 300 Stolzenberg, Jürgen  172, 300 Sturm, Hans P. 27, 300 Summerell, Orrin F. 27, 290, 299 Susemihl, Franz  96, 227, 286 Szaif, Jan  151, 298 Taver, Katja V. 23, 300

306

Personenverzeichnis

Thomas v. Aquin  40, 218, 287 Tiedemann, Rolf  11, 232, 248, 281 Traub, Hartmut  101, 121, 123, 270, 296, 300 Twesten, August Detlev Christian  100, 287 Ubl, Ralph  147, 297 Ungler, Franz  225, 298 Verweyen, Hansjürgen  16, 213, 300 Vološinov, Valentin N. 48, 300 Vos, Lu de  225, 300 Walther, Manfred  131, 293 Weber, Samuel M. 48, 300 Wehr, Gerhard  34, 300 Weidemann, Hermann  65, 300

Weiß, Michael Bastian  182, 300 Widmann, Joachim  12, 23, 84, 102, 161, 183 f., 284, 300 Wolf, Ursula  35 f., 281 Wolff, Christian  33, 36, 128 f., 243, 287, 291 Wolff, Ernst A. 135, 290 Wundt, Max  20, 24, 300 Zaborowski, Holger  81, 170, 293 Zaczyk, Rainer  135, 290 Zeidler, Kurt Walter  201 f., 301 Zekl, Hans Günter  227, 253, 281 Zimmerli, Walther  116, 301 Zöller, Günter  11, 13, 96, 131 f., 184 f., 282, 301

Sachwortverzeichnis A = A, 70 f., 108, 167, 227, 229 Abbild  157 – 161 Abfall  29 f. Absolutes, absolutes Sein  14 f., 21 f., 25, 27 – 34, 39 – 43, 46, 62, 70, 72, 74, 76, 78, 88, 99 – 115, 117, 121 f., 125 – 133, 137 – 140, 150 – 155, 164, 174, 191, 196, 209 – 225, 230f., 235 – 241, 244 – 250, 269 – 273 Abstraktion  65, 68 f., Als  46, 48, 106, 150, 163, 167 f., 190, 194 f., 198 – 201, 263 Anerkennung  266 Anschauung  106, 133 f., 143 f., 165 f., 193  f., 196 – 201, 253 – 268 Anschauungsform  253 – 268 Anstoß  62, 87 – 94, 98 Apperzeption, transzendentale  52 – 57 Apprehension  60 f. Arbeit  264 f. Aufforderung  266 Auge  13, 48 Sachwortverzeichnis

Begriff, absoluter  21 f., 34 f., 39, 41, 43 – 50, 74, 101 – 115, 149 – 208, 219 – 225, 235 – 238, 240 f., 249, 251, 256 f., 259, 261, 268 Begriff des Begriffs siehe Begriff, absoluter Bestimmtheit  56, 69, 81, 84, 163, 176 ff., 186, 210, 223, 230, 236, 238 Bewegung  48, 64, 74, 82, 95, 127, 149, 161, 168, 173, 222 – 225, 226, 247, 249 – 253 Bewußtsein, empirisch-faktisches  17, 53 – 55, 57 – 60, 62, 68 ff., 87 f., 92 f., 105 f., 113, 124, 149 f., 157 ff., 192 f., 195, 253 f., 257 Beziehung  41, 43 – 50, 57, 59, 71, 89 f., 124, 149 – 161, 164 f., 167 f., 171 f.,

175 f., 179 – 183, 186, 188, 192 f., 198 f., 207 f., 222 – 224, 230, 238, 258 ff., 262 f., 265, 275 ff. Bild, Bilden  11, 38, 43 – 50, 86 f., 95 f., 99, 103, 106, 111 – 115, 118, 146 – 208, 214, 216, 219, 223 f., 226 – 252, 255 – 268 Christentum  211 – 214 Concrescenz  133, 214 Darstellung siehe auch Sprache  45 f., 64 – 69, 72, 109, 126, 130, 156, 173, 216, 231, 234, 242, 251 f. Dasein siehe Existenz  41, 99, 103 f., 106, 128, 241 – 250, 273 Denken  35, 43 – 46, 55, 60 f., 69, 71, 103, 105 ff., 110 f., 127 f., 130 f., 149 f., 158, 160, 163 – 166, 172, 175, 184, 187, 189, 192 – 195, 198, 200 f., 210 f., 216, 221 f., 227, 238, 242 f., 245, 254 f., 258, 263, 265, 277 Dialektik  41 – 47, 66, 84 f., 112, 146 – 181, 189 – 196, 220 – 225, 237, 240 f., 251 f., 276, 279 f. Dinge an sich  61 ff., 218 Dualismus  75, 78 f., 87, 96, 111, 123 ff., 128, 250 Durch, Durcheinander  43 – 50, 99 f., 103 f., 106, 109 – 113, 144 f., 150 – 155, 161 – 181, 185 f., 190 f., 194, 201, 207 f., 219, 223 f., 229 f., 235, 245 f., 254, 262, 275 f., 280 Einbildungskraft  86 ff., 178 f., 190, 253 Emanation  28 ff., 128, 219 Empirie  13, 19, 88, 93 f., 99, 117, 256 – 259 Empirismus  117 Entfremdung  265 Erfahrung  34, 106

308

Sachwortverzeichnis

Erkennen, Erkenntnis  32 f., 47, 54 – 62, 72, 80 ff., 97, 121, 140, 208, 221 f., 240, 251 Erscheinung, Sicherscheinung der Erscheinung  112 – 116, 181 – 196 Etwas  61, 79 – 82, 84, 121, 233, 243 Evidenz siehe auch Gewißheit  31, 44 f., 63, 69 – 72, 101, 108 f., 133, 150, 196, 201, 226 – 252 Existenz  11, 70 f., 99, 103 f., 106, 169 f., 174, 193, 242 ff., 246 f., 260 Faktum, Faktizität  114, 143, 188, 191, 198, 203, 207, 229, 237, 246 – 251, 273 Freiheit  65, 114, 118, 173, 187 ff., 266 – 273 Fünffachheit  107, 160 f.

Idealismus  75 – 79, 93 f., 105, 117, 121, 137 Identitätsphilosophie  121 f., 123 Immanenz  62, 137 f., 211 – 215 Individuum  16, 266 Inkludenz  126 f., 216 – 221, 278 Intelligieren  106, 143 f. Interpersonalität  98, 135 Intuieren, Intuition siehe auch Anschauung  106, 133, 143, 149, 165 f., 168, 172, 246 f. Kategorien  54 f., 56 f., 79, 84 ff., 179 Kopula (Copula)  166 – 170, 242 Körper  258 f. Kraft  179, 258 f.

Gefühl  139, 228, 271 ff. Geisterwelt  98 Genesis  76, 103, 108 f., 126 f., 143, 152, 175 f., 229, 241, 249, 263 Geometrie  63 f. Gesetz, Gesetzmäßigkeit  45, 49, 68 f., 108 f., 152, 205 – 207, 236 – 241, 279 Gewißheit  67, 70 ff., 150 ff., 226 – 252, 279 Glaube  118 – 121, 138 – 141 Gott, Gottheit siehe auch Absolutes  17, 32, 37 f., 41, 100, 104, 120, 128 f., 136, 211 – 219, 242 ff., 277 Gottesbeweis  242 ff. Grundsatz  54, 57 – 60, 63, 66 – 74, 76 – 85, 94 ff., 105, 117, 132, 167, 175 ff., 227

Leben, Lebendigkeit  14, 39 – 41, 70, 88 f., 99 f., 103 f., 110, 125, 128, 151 ff., 159, 164 ff., 178 f., 191 f., 208, 211, 214 f., 217 f., 221 – 226, 229, 235 f., 240, 247, 250, 263, 279 Licht siehe Evidenz und Gewißheit Logik  36, 166 – 170, 201 – 208

Handeln, Handlung  54, 59, 64 – 74, 77 f., 82 ff., 97, 111, 177 f., 264 – 269, 272 Hypostasierung  170

Natur  256 – 259 Negativität  29 f., 41 f., 73 f., 78 – 84, 94 ff., 114, 121 f., 132, 158, 163, 171 f., 176 f., 192, 210 f., 221 – 225, 240 f., 245, 249, 275, 280 Neuplatonismus  26 – 31 Nicht-Ich  73 – 98, 116 – 119, 176 ff., 253, 256 Nichts  79 – 83

Ich, Ich-Form  11, 13, 16 ff., 21, 47 – 49, 52 – 96, 100, 103 f., 106, 111 – 114, 116 ff., 124 f., 149, 153 f., 167, 173 – 179, 182 – 189, 196 – 201, 207 f., 214 f., 217 ff., 223, 227 – 231, 241, 253, 256 f., 263, 265 f., 269 f., 271 ff., 275 ff.

Manifestation siehe auch Sich-Zeigen und Sich-Äußerung  46, 115, 127, 191, 228, 236, 249, 271, 276, 280 Materie  257 f., 265 Mathematik  63 f. Metaphysik  35 – 38, 64, 79 – 82, 105, 180 f. Monade  180 Moralität siehe Sittlichkeit Mystik  33 f.

Sachwortverzeichnis Notwendigkeit siehe auch Gesetz  114 f., 129  f., 226 – 252 Objektivieren  167, 241 – 252 Objektivität  40, 61 f., 66, 127, 140, 238 Offenbarkeit siehe Manifestation und Sich-Zeigen  Phänomenologie  226 – 252 Pluralität der Iche  265 f. Prädikation  81, 166 – 170, 185, 237 f. Quantitabilität  83 f., 164, 177 ff., 255 f. Raum  57, 86, 102, 252 – 259 Recht  264 – 268 Reflexion, Reflexibilität  39, 48 f., 65, 77 f., 93, 116, 130 f., 187 – 189, 269 Relation, Korrelationalität  70 f., 157 – 161 Schema  112 – 115, 181 – 208, 255 f., 264 Schlußlehre  49, 114 f., 154, 184 – 187, 196 – 208, 229  f. Schöpfung  254 Seele  36, 243 Sehen  13, 48 f., 110, 113, 129, 137, 141, 148, 150, 153, 165, 170, 172 f., 186 – 189, 199, 207, 216, 230, 242 – 252, 276, 280 Selbstbewußtsein  52 – 61, 76, 90 f., 95, 186, 228, 243, 251 f., 265 – 268 Setzen  17 f., 32, 78 f., 83 – 86, 89 ff., 99, 167, 169, 174 f., 179, 219 Sich siehe auch Ich  47 – 50, 112 – 116, 150, 170 – 174, 181 – 184, 189 – 192, 195, 197, 201, 229 f., 231, 235, 277 Sich-Äußerung  163, 167, 190 f., 231 Sichtbarkeit  110, 133, 152 f., 178 f., 186, 201, 222, 228 ff., 276, 279 Sich-Zeigen  137, 163, 190 f., 211, 220, 230 f., 246 f., 250, 271, 276 Sinnlichkeit  39, 61, 103, 105 ff., 110, 156, 165, 190, 192, 194, 252 – 268 Sittlichkeit  241, 267 f. Sollen  90 – 93, 117 f. Sprache siehe auch Darstellung  65 ff., 109, 126 f., 140

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Streben  87, 90 ff., 98, 177 Subjektivismus  38, 40, 43, 62, 72, 76, 92 ff., 99, 117, 124, 130, 228, 274 Subjektivität  16, 41 f., 47 – 50, 54, 62, 69 f., 78, 81, 84, 94, 104, 106, 110 f., 115, 123, 130, 140, 144 f., 147 f., 169, 173, 177 f., 185 – 189, 208, 218, 223 f., 228, 250, 273 f., 276 f. Subjekt-Objekt-Spaltung  59, 68, 88, 163, 165, 192 f., 197, 262 Substanz  40 ff., 86, 119, 125 – 129, 145, 180, 216, 221 System  51 f., 63 – 74, 80, 87, 115 ff., 123, 154, 177, 201, 209, 222, 251 f., 268 Tathandlung  17 f., 60, 69 ff., 76, 108, 247 f. Tatsache siehe Faktum Teilbarkeit  83 f., 177 ff., 255 f. Theologie  31 – 33 Totalität  35 – 43, 73 f. Transzendentalphilosophie  38 – 43, 51 – 62, 105, 129, 280 Transzendenz  62 Trieb  102, 137 f., 271 ff., 278 Trinität  211 f. Übersinnliches  37, 61, 103, 105 ff., 110, 156, 165, 190, 192, 194 Unbedingtes siehe auch Absolutes und Gott  215 f., 235 – 241 Unbegreiflichkeit  30 f., 62, 104 f., 111, 218 f. Unsichtbarkeit  150, 173, 230, 276 Urbegriff siehe Begriff, absoluter Urteil  166 – 170 Vernehmen  143 f. Vernichtung  110 f., 134, 175, 214, 245, 269 f. Vernunft, absolute  15, 37, 103, 214, 219, 244 – 252, 264 f., 277 Verstand  38, 54 ff., 57, 61, 86, 106 f., 162 f., 183, 190, 195, 226

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Sachwortverzeichnis

Verstehen, Sich-Verstehen  48 f., 109 f., 114, 170 – 173, 181 – 208, 258 f., 264 ff. Vollzug  72, 104, 125, 209, 220 Vorstellung  54 f., 57 – 68 Wahrheit siehe auch Evidenz und Gewißheit  12, 63, 72, 82, 122, 159, 212, 221, 223, 226 – 229, 234, 238, 250, 254, 257, 259, 269 f. Wahrnehmung  271 f. Welt  38, 128 f. Widerspruch  80 f., Wille  102, 268 – 273

Wirklichkeit  61 f., 80, 86, 88 – 93, 99 f., 114 f., 129, 131, 155, 180, 241 – 245, 260, 262, 270, 273 Wissen, absolutes siehe auch Begriff, absoluter und Sehen  11, 13 f., 17 f., 27, 29, 31 f., 34, 38 f., 41 ff., 48 f., 62 f., 70, 90 f., 101 – 115, 131 f., 136 ff., 144 f., 150 f., 153 ff., 161 – 181, 187 – 208, 210, 212, 215 f., 218 – 225, 234, 237 f., 240 ff., 248, 250, 254, 269 ff., 276, 278 ff. Zeit  102, 254, 260 – 268 Zirkel  67 f.