Janusz Korczak Sämtliche Werke: Band 11 König Maciuś der Erste. König Maciuś auf der einsamen Insel 9783641247799

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Janusz Korczak Sämtliche Werke: Band 11 König Maciuś der Erste. König Maciuś auf der einsamen Insel
 9783641247799

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Inhalt
KÖNIG MACIUS DER ERSTE
KÖNIG MACIUS AUF DER EINSAMEN INSEL
Kommentar
Nachwort für junge Leser
Anlagen

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Janusz Korczak Sämtliche Werke Band 11

Janusz Korczak Sämtliche Werke

Ediert von Friedhelm Beiner und Erich Dauzenroth †

Gütersloher Verlagshaus

Janusz Korczak Sämtliche Werke Band 11

KÖNIG MACIUŚ DER ERSTE KÖNIG MACIUŚ AUF DER EINSAMEN INSEL Bearbeitet und kommentiert von Friedhelm Beiner und Silvia Ungermann

Mit einem Nachwort für junge Leser von Igor Newerly

Gütersloher Verlagshaus 2002

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar. Die deutsche Erstauflage der Maciuś-Bände erschien bei Gustav Kiepenheuer Verlag Leipzig und Weimar 1978 unter dem Titel König Maciuś der Erste. Ein Roman in zwei Teilen für Leser jeden Alters von Janusz Korczak. Aus dem Polnischen von Monika Heinker. Für die Ausgabe in Janusz Korczak – Sämtliche Werke bearbeitet von Friedhelm Beiner, Agnes Motz und Silvia Ungermann. Die Bearbeitung erfolgte auf der Grundlage der polnischen Werkausgabe Janusz Korczak: DZIEŁA, Band 8, Verlag Oficyna Wydawnicza , Warschau 1992, bearbeitet von Elżbieta Cichy, Marta Ciesielska und Ryszard Waksmund. Die Sämtlichen Werke (dt.) folgen einem eigenen Editionskonzept; sie sind anders zusammengestellt, selbständig bearbeitet und kommentiert. Die Edition wird von der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit aus Mitteln der Bundesrepublik Deutschland finanziell unterstützt. Edycja wspierana finansowo przez Fundację Współpracy Polsko-Niemieckiej ze środków Republiki Federalnej Niemiec.

Copyright © 2002 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Texterfassung und Satz: Renate Möckershoff, Wuppertal ISBN 978-3-641-24779-9 www.gtvh.de

Inhalt Band rr

KÖNIG MACIUS DER ERSTE 7

KÖNIG MACIUS AUF DER EINSAMEN INSEL 2 35

Kommentar 40I

Nachwort für junge Leser 433

Anlagen 457

KÖNIG MACIUS DER ERSTE

Kinderphoto von Henryk Goldszmit

Also, als ich so aussah wie auf dieser Photographier, wollte ich all das selber machen, was hier beschrieben wird. Aber später habe ich es vergessen, und heute bin ich alt. Und nun habe ich weder die Zeit noch die Kraft, Kriege zu führen und Menschenfresser zu besuchen. Und dieses Photo habe ich darum hier hingesetzt, weil es darauf ankommt, wann ich wirklich König sein wollte, und nicht- wann ich über König Macius geschrieben habe. Und ich denke, daß es überhaupt besser ist, Photos von Königen, Weltreisenden und Schriftstellern zu zeigen, bevor sie erwachsen und alt sind, denn sonst - könnte man denken, sie seien von Anfang an klug, und niemals klein gewesen. Und die Kinder dächten, sie selbst könnten keine Minister, Weltreisenden und Schriftsteller werden, aber das stimmt doch gar nicht. Die Erwachsenen sollten meine Erzählung überhaupt nicht lesen, weil es darin für sie ungeeignete Kapitel gibt; sie würden sie nicht verstehen und nur darüber lachen. Wenn sie es jedoch unbedingt möchten, sollen sie es versuchen. Den Erwachsenen kann man das ja doch nicht verbieten, denn sie würden ohnehin nicht darauf hören- und wer kann daran etwas ändern?

I.

Das hier abgedruckte Photo wurde von Korczak selbst dem Text über den Kinderkönig Macius vorangestellt. Das Bild zeigt den Autor im Alter von etwa neun bis zwölf Jahren und ist die bekannteste Photographie aus Korczaks Kindheit. Der Protagonist der folgenden Erzählung befindet sich ebenfalls in diesem Alter, so daß autobiographische Parallelen assoziiert werden. Tatsächlich lassen sich in dem Roman eine Vielzahl autobiographischer Bezüge nachweisen. Diese zeigen sich nicht nur in biographischen Parallelen zwischen Korczak und Macius, sondern spiegeln sich auch wider in zentralen Charakteren, wie z.B. in dem königlichen Doktor, dem traurigen König und dem Leutnant, der Macius im Krieg unterrichtet. Darüber hinaus weist der Text zahlreiche Motive auf, die sich in Korczaks späterem Wirken und Schaffen wiederfinden.

Es war einmal ... Der Doktor sagte, wenn der König nicht in drei Tagen genese, sei das sehr schlimm. Der Doktor sprach folgendermaßen: »Der König ist sehr krank, und falls er in drei Tagen nicht gesund wird, sieht es schlimm aus.« Alle waren sehr betrübt, und der älteste Minister setzte seine Brille auf und fragte: »Was soll werden, wenn der König nicht gesund wird?« Der Doktor wollte nicht offen sprechen, aber alle verstanden, daß der König sterben würde. Der älteste Minister war sehr traurig und rief alle Minister zu einer Beratung. Die Minister versammelten sich in einem großen Saal und nahmen in bequemen Sesseln rund um einen langen Tisch Platz. Vor jedem Minister lagen ein Bogen Papier und zwei Bleistifte: ein gewöhnlicher und einer, der auf einer Seite blau, auf der anderen rot war. Und vor dem ältesten Minister stand noch eine Glocke. Die Minister hatten die Tür fest verschlossen, damit sie von niemandem gestört werden konnten - sie zündeten die elektrischen Lampen an - und sprachen kein Wort. Dann ließ der älteste Minister die Glocke ertönen und sprach: »Jetzt wollen wir beraten, was zu tun ist. Denn der König ist krank und kann nicht regieren.« »Ich denke«, sagte der Kriegsminister, »wir sollten den Doktor rufen. Er soll uns klar und deutlich sagen, ob er den König heilen kann oder nicht.« Alle fürchteten den Kriegsminister sehr, weil er stets Säbel und Revolver trug; also gehorchten sie ihm. »Gut, rufen wir den Doktor«, sagten die Minister. Sie schickten sofort nach dem Doktor, der aber nicht kommen konnte, da er dem König gerade vierundzwanzig Schröpfköpfe setzte. »Da ist nichts zu machen, wir müssen warten«, sprach der älteste Minister, »aber sagt unterdessen, was zu tun ist, falls der König stirbt.« >>Ich weiß es«, sagte der Justizminister. >>Gemäß den rechtlichen Bestimmungen besteigt nach dem Tod eines Königs sein ältester Sohn den Thron und übt Regierungsgewalt aus. Deshalb nennt man ihn auch Thronfolger. Wenn ein König stirbt, besteigt sein ältester Sohn den Thron.« >>Aber der König hat nur einen Sohn.« >>Mehr sind auch nicht nötig.« >>Nun ja, aber der Sohn des Königs ist dieser kleine Maciu§ -wie könnte der König sein? Maciu§ kann ja noch nicht einmal schreiben.«

I2

König Macius der Erste

>>Das ist schwierigIn unserem Reich hatten wir einen solchen Fall noch nicht, aber in Spanien, in Belgien und auch in anderen Ländern kam es vor, daß der König starb und einen kleinen Sohn hinterließ. Und so mußte dieses kleine Kind König sein.>Ja, jaich habe sogar Briefmarken mit der Photographie solch eines kleinen Königs gesehen.>Aber meine sehr geehrten Herrenes ist doch ein Unding, daß ein König nicht schreiben und rechnen kann, daß er weder Geographie noch Grammatik beherrscht.>Das meine ich auch>Ich weiß nicht, was werden wirdIch weiß aber eines: Das Gesetz verlangt, daß nach dem Tod eines Königs sein Sohn den Thron besteigt.>Aber Maci u§ ist zu klein!>Guten AbendIch bin hier im Namen meines Königs und verlange, daß Macius der Erste König wird, und wenn ihr nicht einwilligt, wird es Krieg geben.>Ich weiß, es ist schön im königlichen Park, aber allein kann man sich selbst im schönsten Park langweilen.>Man muß noch warten«, beschloß Macius. >>Unterdessen werde ich pfeifen lernen.« Pfeifen zu lernen ist keineswegs leicht, wenn niemand da ist, der es einem zeigen kann. Aber Maciu§ hatte einen starken Willen, und so lernte er es. Und er pfiff. Er pfiff nur zur Probe, um sich von seiner Kunst zu überzeugen. Aber wie groß war sein Erstaunen, als einen Augenblick später, gespannt wie eine Saite - Felek in eigener Person vor ihm stand. >>Wie bist du nur hier hergekommen?'' >>Ich bin übers Gitter geklettert.Und wer befiehlt und verbietet Eurer Königlichen Majestät?>Die MinisterJetzt ist es noch hundertmal schlimmer. Es gibt so viele solcher Minister.>Militär oder Zivil?>Nur einer ist beim Militär, der Kriegsminister.>Und die übrigen sind Zivilpersonen?« >>Ich weiß nicht, was das bedeutet, Zivilpersonen.>Zivilpersonen- tragen keine Uniform und keinen Säbel.>Ja, dann sind es Zivilpersonen.>Gibt es im Schloßgarten Kirschen?>Na gut: Wir dürfen uns aber nicht oft sehen, man könnte uns auf die Schliche kommen. Wir werden vorgeben, einander nicht zu kennen. Wir werden uns Briefe schreiben. Die Briefe legen wir auf die Mauer (neben den Briefen könnten ein paar Kirschen liegen). Eure Königliche Majestät müßten dann pfeifen, wenn eine solche geheime Korrespondenz dort liegt - und ich würde alles holen.>Und wenn du mir schreibst, pfeifst duDem König kann ich nicht pfeifenIch werde den Kuckucksruf ertönen lassen. Ich bleibe in größerer Entfernung und werde wie ein Kuckuck rufen.>GutUnd wann kommst du wieder?>Ohne Erlaubnis hierherzukommen ist schwierig. Mein Vater ist Unteroffizier, und er hat sehr gute Augen. Vater erlaubt mir nicht einmal, mich dem Zaun des Schloßgartens allzusehr zu nähern. Oft sagt er mir: >Felek, ich warne dich -laß dir nicht in den Sinn kommen, Kirschen aus dem Schloßgarten zu stehlen- merke dir, so wahr ich dein Vater bin: Sollte ich dich je dabei ertappen, würde ich dir das Fell über die Ohren ziehen, du entkämst mir nicht lebendig.ch sehe beinahe aus wie König Henryk der Aufbrausende.>Ich befehle, den Kriegsminister unverzüglich in den Thronsaal zu rufen.« >>Kriegs« (-minister), Maciu§ sprach das Wort mit solchem Nachdruck aus, daß der Zeremonienmeister sogleich begriff, daß Maciu§ schon alles wußte. >>Der Kriegsminister nimmt an einer Sitzung teil.« >>Dann werde ich auch teilnehmen«, erklärte König Maciu§ und wollte sich zum Sitzungssaal begeben. >>Geruhen Eure Königliche Majestät nur einen Augenblick zu warten. Geruhen Eure Königliche Majestät Erbarmen mit mir zu haben. Ich darf das nicht zulassen. Ich trage die Verantwortung.«

König Macius der Erste

Und der Alte begann laut zu weinen. Macius tat der alte Mann leid, der doch wirklich genau wußte, was ein König tun durfte und was nicht. Oft hatten sie lange Abende gemeinsam am Kamin verbracht, und wie angenehm war es, den interessanten Berichten über den Vater-König und die Mutter-Königin, über höfische Etikette, über Bälle in anderen Ländern, Galatheatervorstellungen, über Kriege und Manöver, an denen der König teilgenommen hatte, zu lauschen. Macius hatte kein reines Gewissen. Der Briefwechsel mit dem Sohn eines Unteroffiziers war ein großes Vergehen; das heimliche Pflücken von Kirschen und Himbeeren für Felek aber quälte Macius am meisten. Zwar gehörte der Garten ihm, und er hatte die Früchte auch nicht für sich selbst gepflückt, sondern sie verschenkt; aber er hatte dies heimlich getan, und wer weiß, damit hatte er sicher die ritterliche Ehre seiner großen Vorfahren befleckt. Übrigens war Macius nicht umsonst der Urenkel von Anna der Frommen. Macius hatte ein gutes Herz; die Tränen des Alten rührten ihn. Und möglicherweise hätte Macius wieder einen Fehler begangen, wenn er seine Rührung gezeigt hätte, aber er besann sich rechtzeitig, runzelte die Stirn noch mehr und erwiderte kalt: »Ich warte zehn Minuten.« Der Zeremonienmeister eilte davon. Das ganze Schloß wurde in Aufregung versetzt. >>Woher weiß Macius das alles?« rief der Innenminister irritiert. >>Was wird dieser Bengel nur tun?>Herr Ministerpräsident, das Gesetz verbietet es, sich auf öffentlichen Versammlungen in dieser Weise über den König zu äußern. Privat mögen Sie sprechen, wie es Ihnen beliebt. Aber unsere Versammlung ist offiziell. Es steht Ihnen lediglich frei- so zu denken, nicht aber- so zu sprechen.>Die Beratung wurde unterbrochenEs wäre Ihre Pflicht gewesen, dies anzukündigen. Sie aber haben es unterlassen.>Ich habe es versäumt, ich bitte um Entschuldigung.Also doch Krieg?>So ist es, Königliche Majestät.« Macius fiel ein Stein vom Herzen: Denn ich muß hinzufügen, auch Macius hatte diese zehn Minuten in großer Unruhe verbracht: Vielleicht hat Felek die Nachricht leichtfertig hingeschrieben? Vielleicht ist sie erlogen? Vielleicht hat er sich einen Scherz erlaubt? Das knappe >>So ist es« hatte allen Zweifel vertrieben. Es war Krieg, und dies war ein großer Krieg. Man wollte ihn ohne Macius führen. Aber auf eine nur ihm selbst bekannte Weise hatte er das Geheimnis entdeckt. Eine Stunde später riefen die Zeitungsjungen aus vollem Halse: >>Extraausgabe! Regierungskrise! « Das bedeutete, die Minister waren zerstritten.

Die Regierungskrise war so entstanden: Der Ministerpräsident gab vor, beleidigt zu sein und war nicht länger mit seinem Amt des ältesten Ministers einverstanden. Der Eisenbahnminister erklärte, er könne die Truppen nicht befördern, da nicht so viele Lokomotiven wie nötig bereitstünden. Der Bildungsminister meinte, da die Lehrer gewiß in den Krieg gingen, würden in den Schulen noch viel mehr Scheiben zerschlagen und Bänke demoliert werden, daher würde auch er zurücktreten. Für vier Uhr wurde eine außerordentliche Versammlung einberufen. König Maciu§ machte sich die allgemeine Verwirrung zunutze, entwischte in den Schloßgarten und pfiff durchdringend, einmal und noch einmal, aber Felek erschien nicht.

König Macius der Erste

Wen nur soll ich um Rat fragen in diesem wichtigen Augenblick? Macius fühlte, daß eine große Verantwortung auf ihm lastete, aber er sah keinen Ausweg: Was war zu tun? Da erinnerte sich Macius, daß man vor der Entscheidung einer jeden wichtigen Frage beten sollte. So hatte es ihn seine gute Mama einst gelehrt. Festen Schrittes ging König Macius tiefer in den Park hinein, wo niemand ihn sehen konnte, und betete inbrünstig zu Gott: >>Ich bin ein kleiner Jungeohne deine Hilfe, Gott, weiß ich keinen Rat. Nach deinem Willen habe ich die Königskrone empfangen, so hilf mir auch, denn ich bin in großer Sorge.>Macius, der Zeremonienmeister übergab dir meine Krone, ich aber gebe dirmeinen Verstand.>modernen Krieg« durch seine Teilnahme am russisch-japanischen Krieg, am Ersten Weltkrieg und am polnisch-sowjetrussischen Krieg kennen. Vgl. dazu den Kommentar aufS. 410.

32

König Macius der Erste

»Die Botschafter der Länder, die uns den Krieg erklärt haben, wollen abreisen.« »Und wohin fahren sie?>Nach Hause.« Es schien Macius merkwürdig, daß man sie so ruhig abreisen ließ; es war ihm jedoch lieber so, als wenn man sie beispielsweise auf einen Pfahl gespießt oder anderen Qualen ausgesetzt hätte. >>Und wozu sind sie hier erschienen?« >>Sich von Eurer Königlichen Majestät zu verabschieden.« >>Muß ich beleidigt sein?« fragte er leise, damit ihn die Diener nicht härten, denn sie würden die Achtung vor ihm verlieren. >>Nein, Eure Königliche Majestät verabschieden sich höflich von ihnen. Übrigens werden auch sie das tun.« Die Gesandten waren weder gefesselt, noch hatten sie Ketten an Händen und Füßen. >>Wir sind gekommen, uns von Eurer Königlichen Majestät zu verabschieden. Dieser Krieg ist uns sehr unangenehm. Wir haben alles getan, ihn zu verhindern. Das war allzu schwierig, es ist nicht gelungen. Wir sind gezwungen, Eurer Königlichen Majestät die hier empfangenen Orden zurückzugeben, da es nicht üblich ist, die Orden eines Staates zu tragen, mit dem unsere Regierungen Krieg führen.« Der Zeremonienmeister nahm ihnen die Orden ab. >>Wir danken Eurer Königlichen Majestät für die Gastfreundschaft in Ihrer schönen Hauptstadt, aus der wir die freundlichsten Erinnerungen mitnehmen. Wir zweifeln nicht, daß dieser unbedeutende Konflikt bald beigelegt sein - und die frühere herzliche Freundschaft unsere Regierungen von neuem verbinden wird.« Macius erhob sich und sprach mit ruhiger Stimme: >>Teilen Sie Ihren Regierungen mit, ich freue mich aufrichtig, daß der Krieg ausgebrochen ist. Ich werde mich bemühen, sie möglichst schnell zu besiegen die Friedensbedingungen werden jedoch milde sein. So haben es schon meine Vorfahren gehalten.« Einer der Gesandten lächelte ein wenig, eine tiefe Verbeugung folgte - und der Zeremonienmeister sagte, während er dreimal mit einem silbernen Stab auf den Boden klopfte: >>Die Audienz ist beendet.« Die Rede König Macius', die in allen Zeitungen abgedruckt wurde, löste Begeisterung aus. Vor dem Königspalast versammelte sich eine riesige Menschenmenge. Die Vivat-Rufe wollten kein Ende nehmen. So verflossen drei Tage. Und König Macius wartete vergeblich, daß man ihn riefe, denn schließlich war der Krieg nicht dazu da, daß die Könige Grammatik lernten, Diktate schrieben und arithmetische Aufgaben lösten.

Felek will an die Front

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Tief betrübt ging Maciu§ durch den Park, als er den wohlbekannten Kuckucksruf vernahm. Einen Augenblick später - hielt er einen wichtigen Brief Feleks in der Hand.

Ich fahre an die Front. Vater hat sich, wie angekündigt, betrunken, aber statt sich schlafen zu legen, begann er, sich für die Reise zu rüsten. Die Feldflasche, das Taschenmesser und den Patronengürtel konnte er nicht finden. Er dachte, ich hätte das alles genommen - und er hat mich ordentlich verdroschen. Heute oder morgennachtlaufe ich von zu Hause weg. Ich war schon auf dem Bahnhof Die Soldaten haben versprochen, mich mitzunehmen. Falls Eure Königliche Majestät mir irgendeinen Auftrag geben wollen, ich warte um sieben Uhr. Für meine Reise könnte ich etwas Wurst, am besten Dauerwurst, brauchen, außerdem eine Flasche Wodka und etwas Tabak. Es ist schlimm, wenn sich ein König heimlich wie ein Dieb aus dem Palast stehlen muß. Noch schlimmer ist es, wenn dem ein heimlicher Gang zum Eßzimmer vorausgeht, von wo augenblicklich eine Flasche Kognak, eine Dose Kaviar und ein riesiges Stück Lachs verschwinden. >>Krieg!>Kognak ist noch besser als Wodka. Und es schadet nichts, daß kein Tabak da ist.« Felek hatte Blätter getrocknet, und später würde er die übliche Soldatenration erhalten. >>Alles in Ordnung. Schade nur, daß der Oberkommandierende - ein Schwachkopf ist.« >>Wieso ein Schwachkopf- wer ist es?« Maciu§ stieg das Blut zu Kopf. Die Minister hatten ihn erneut betrogen. Es stellte sich heraus, daß sich die Truppen schon seit einer Woche auf dem Marsch befanden, daß schon zwei nicht allzu erfolgreiche Schlachten stattgefunden hatten, daß an der Spitze der Truppen ein alter General stand, von dem sogar Feleks Vater, als er ein wenig betrunken war, gesagt hatte, er sei ein »Dummkopf«. Maciu§ würde vielleicht später einmal zu den Truppen fahren, dann aber an einen Ort, wo ihm keine Gefahr drohte. Maciu§ würde lernen, das Volk aber würde ihn verteidigen. Wenn man die Verwundeten in die Hauptstadt brächte, würde Maciu§ sie im Spital besuchen; tötete man einen General, würde Maciu§ auf dessen Begräbnis sein. Wieso das? Nicht ich soll das Volk verteidigen, sondern das Volk mich? Würde dies der königlichen Ehre genügen, was sollte Irenka von ihm denken? War er, König Maciu§, etwa nur König, um Grammatik zu lernen und um den Mädchen Puppen zu schenken, die bis zur Decke reichten? Nein, wenn die Minister so dachten, dann kannten sie Maciu§ nicht. Felek aß eben die fünfte Handvoll Himbeeren, als Maciu§ ihn beim Arm nahm und sagte: >>Felek!«

34

König Macius der Erste

>>Zu Befehl, Eure Königliche Majestät.« >>Willst du mein Freund sein?« >>Zu Befehl, Eure Königliche Majestät.>Felek. Was ich dir jetzt mitteilen werde, ist ein Geheimnis; du darfst mich nicht verraten, denke daran.>Zu Befehl, Eure Königliche Majestät.>Heute nachtgehe ich mit dir an die Front.>Zu Befehl, Eure Königliche Majestät.>Gib mir einen Kuß.>Zu Befehl, Eure Königliche Majestät.>Und sage Du zu mir.>Zu Befehl, Eure Königliche Majestät.>Schon bin ich nicht mehr König. Ich bin- warte einen Moment, wie soll ich denn jetzt heißen? Ich bin Tomcio Däumling'. Ich nenne dich- Felek, und du nennst mich Tomek.>Zu BefehlHöre, Tomek, wenn wir zu zweit sind, brauchen wir mehr Proviant.>Na gut>Ich habe hier auf dich gewartet. Die Unseren sind schon auf dem Bahnhof; in einer Stunde geht der Transport ab. Gehen wir schneller.« >>Noch schneller!« dachte König Maciu§. >>Was für ein Püppchen hast du denn da?« fragte der Bursche und wies auf Maciu§. >>Weißt du, das werde ich dir später erzählen. Es ist eine lange Geschichte; ich mußte ihn mitnehmen.« >>Na, na, das bezweifle ich. Wäre ich nicht gewesen, nähme man dich ganz bestimmt nicht mit. Und da kommst du noch mit so einer Rotznase an.« >>Mach nicht so viel Gerede«, erwiderte Felek zornig. >>Von ihm habe ich eine Flasche Kognak bekommen«, fügte er sehr leise hinzu, damit Maciu§ ihn nicht hörte. >>Laß mich mal probieren.« >>Warte noch.«

r.

Die Figur des jungen Freiwilligen wie auch die des Felek weisen Parallelen auf zu Kriegskindern, deren Schicksale Korczak mehrfach beschreibt. In W Sl6ncu (In der Sonne) z.B. schreibt er 1919 über Franek: »Dreizehn Jahre ist Franek alt, seit vier Jahren im Krieg.>Hör zu, Felek«, ihr Begleiter blieb plötzlich stehen, >>wenn du mir keinen Kognak gibst, dann geh allein. Ich habe dir den Platz besorgt, und du hast versprochen zu gehorchen. Was soll später werden, wenn du dich mir jetzt schon widersetzt?« Der Streit hatte begonnen und sicher wäre es zu einer Rauferei gekommen - wenn nicht plötzlich eine Kiste Raketen in die Luft geflogen wäre, zweifellos verursacht durch irgend jemandes Unvorsichtigkeit. Zwei Pferde der Artillerie scheuten und gingen durch. Es herrschte Verwirrung, ein gellender Schrei war zu hören - ein Augenblick panischen Schreckens -und dann sahen die beiden ihren Begleiter mit zerschmettertem Bein in einer Blutlache liegen. Felek und Macius standen ratlos da. Was tun?- Sie waren auf den Tod, auf Blut und Wunden vorbereitet- aber erst im Kampf im Feld, später. >>Was treiben diese Kinder hier, was ist das für eine Ordnung«, schimpfte jemand, offensichtlich ein Doktor, und stieß sie zur Seite. >>Wie ich vermutete: ein Freiwilliger. Zu Hause solltest du sitzen, die Brust saugen, du Bürschchen«, knurrte der Doktor und schnitt das Hosenbein mit einer Schere auf, die er seinem Rucksack entnommen hatte. >>Tomek, verschwinden wir!« rief Felek plÖtzlich, denn er hatte in der Ferne zwei Feldpolizisten mit einer Trage kommen sehen, auf die die Sanitäter sicherlich den unglücklichen Freiwilligen legen würden. >>Können wir ihn hier so liegenlassen?>Was soll schon sein? Er wird ins Spital gebracht. Für den Krieg taugt er nun nicht mehr.« Sie versteckten sich im Schatten eines Zeltes. Bald danach lag der Platz vollkommen verlassen da, nur ein Stiefel und ein Mantel, von den Sanitätern hingeworfen, als sie den Verwundeten auf die Trage gelegt hatten, war zu sehen, und das Blut im Morast. >>Der Mantel wird uns von Nutzen sein«, sagte Felek. >>Ich gebe ihn zurück, wenn er wieder gesund ist«, fügte er zu seiner Rechtfertigung hinzu. >>Komm, gehen wir zum Bahnhof. Wir haben schon zehn Minuten verloren.« Man überprüfte gerade die Stärke der Abteilung, als sie sich mit großer Mühe bis zum Bahnsteig durchgeschlagen hatten. >>Nicht auseinandergehen «, befahl ein junger Leutnant. >>Ich bin gleich wieder hier.«

König Macius der Erste

Felek berichtete vom Schicksal des Freiwilligen und stellte Macius voller Angst vor. >>Was wird man jetzt sagen?« dachte Macius gespannt. >>Der Leutnant wird ihn· auf der ersten Station aus dem Waggon werfen. Von dir haben wir ihm schon erzählt: und schon da hat er gebrummt.« >>He, Krieger, wie alt bist du denn?>Zehn.>Nein, daraus wird nichts. Wenn du darauf bestehst, magst du ruhig in den Waggon steigen. Aber der Leutnant wird dich bestimmt hinausbefördern- und uns wird er eine Lektion erteilen.>Wenn mich der Leutnant aus dem Waggon wirft, werde ich zu Fuß gehenKöniglicher Kognak, königlicher LachsNa, kleiner Kamerad, nimm auch mal ein Schlückchen; wir wollen sehen, ob du kämpfen kannst.>Nieder mit dem Tran!>He, he-das ist ja ein Revolutionärund wer ist deiner Meinung nach ein Tyrann?' Doch nicht etwa König Macius? Sei nur recht vorsichtig, mein Söhnchen. Für dieses eine Wörtchen >nieder< kann man leicht von einer Kugel getroffen werden.>König Maciu§ ist kein TyrannEr ist noch klein. Man weiß nicht, was aus ihm werden wird.>Ich sage euch, wir gehen zu dritt so dahin, da knallt es auf einmal: Erst dachte ich, ein Flugzeug habe eine Bombe abgeworfen. Aber es

I.

Wortspiel, im Polnischen: »tran«- >>tyranZum Teufel, wozu braucht man in diesem Krieg Raketen?« >>Um den Weg zu beleuchten, wenn es an Scheinwerfern fehlt.« >>Und gleich in der Nähe stand schwere Artillerie. Die Pferde gingen durch und - auf uns zu. Wir beide sprangen zur Seite, ihm aber gelang das nicht mehr.« >>Ist er schwer verwundet?« >>Er hat sehr geblutet. Man hat ihn sofort weggebracht.« >>Üh, der KriegHabt ihr noch ein wenig von dem Kognak? Ist der Zug noch nicht zu sehen?>Noch nicht einsteigen!>Ich fahreAufstehen, ihr Bengel, sonst wird eure Suppe kalt.> Iß, Brüderchen, denn etwas anderes bekommst du nichtMein Kopf tut weh.>Hör zu, nicht auszudenken, wenn du krank würdest, TomekIm Krieg darf man verwundet, niemals aber krank werden.« Plötzlich begann sich Felek zu kratzen. >>Mein Alter hatte recht«, sagte er, >>da sind die Biester schon. Und dich beißen sie nicht?« >>Wer?« fragte Macius. >>Wer? - Die Flöhe. - Oder etwas Schlimmeres. Mein Alter sagte mir, im Krieg sind die Kugeln im Vergleich zu diesen Tierchen die kleinere Plage.« Macius kannte die Geschichte jenes unglücklichen Schloßdienersund dachte: >>Wie mag dieses Ungeziefer wohl aussehen, das den König damals so sehr erzürnt hat?« Aber es war keine Zeit, lange nachzudenken, denn plötzlich rief der Korporal: >>Versteckt euch, der Leutnant kommt!« Man stieß sie in eine Ecke des Waggons und deckte sie zu. Die Soldaten schauten ihre Kleidung durch- und es stellte sich heraus, daß der eine dies, der andere jenes übrig hatte, und im Waggon befand sich auch ein Soldat- ein Schneider, der seinen Beruf sehr liebte, und sich aus Langeweile gern daran machte, für die Freiwilligen Uniformen zu nähen. Schwieriger war es mit den Stiefeln. >>Hört mal, Jungens, wollt ihr tatsächlich kämpfen?« >>Deshalb fahren wir ja mit.« >>So, so- aber die Märsche sind beschwerlich. Die Stiefel sind für die Soldaten nach dem Gewehr- das Wichtigste. Solange du gesunde Füße hast, bist du ein Soldat, aber hast du sie dir aufgerieben, bist du ein Großvater. Ein toter Hund. Dann taugst du zu nichts.« So schwatzend fuhren sie langsam weiter. Unterwegs gab es lange Aufenthalte. Bald hielten sie eine Stunde oder länger auf einer Station, bald rangierte man ihren Zug auf ein Abstellgleis, um wichtigere Züge vorbeizulassen, bald fuhren sie wieder zu Bahnstationen zurück, durch die sie schon einmal gefahren waren, oder sie hielten einige Werst' vor einem Bahnhof, weil andere Züge die Einfahrt versperrten. Die Soldaten sangen, im benachbarten Waggon spielte irgendwer auf der Harmonika. Auf einigen Stationen tanzte man auch. Maciu§ und Felek aber wurde die Zeit recht lang, denn sie durften den Waggon nicht verlassen. >>Lehnt euch nicht hinaus. Der Leutnant könnte euch sehen.« Macius fühlte sich so erschöpft, als hätte er nicht einen, sondern fünf schwere Kämpfe erlebt. Er wollte einschlafen, konnte aber nicht, 1.

Altes russisches Längenmaß; r Werst entspricht ro66,78 m.

Gerüchte über den König

weil ihn das Hautjucken sehr plagte; er wollte hinausgehen- es war nicht erlaubt; und im Waggon war es sehr stickig. »Wißt ihr, warum wir so lange stehen?Möglicherweise hat ein Spion die Lokomotive beschädigt.>Auch das ist nicht wahr. Alle Transporte werden angehalten, weil der Zug des Königs hier durchfahren wird.>Wer, zum Donnerwetter, soll mit dem Zug fahren? Doch nicht etwa König Maciu§? >Aber man braucht ihn dort sehr.>Üb man ihn braucht oder nicht, er ist König- und das genügt.>Könige gehen heute nicht mehr in den Krieg.>Andere mögen vielleicht nicht fahren, Maciu§ aber wird es tunAlle Könige sind gleich. Früher mag das anders gewesen sein.>Was wissen wir schon, wie es früher zuging. Vielleicht lagen die Könige damals genauso unterm Federbett, aber keiner kann sich erinnern, und man lügt uns etwas vor.>Warum sollte man lügen?>Na, sag selbst, wie viele Könige wurden im Krieg getötet und wie viele Soldaten?>Nun, es gibt nur einen König, aber viele Soldaten.>Du möchtest wohl mehr als einen haben? Mit diesem einen haben wir schon genug Unannehmlichkeiten.>Der verstorbene König liebte die Kriege nicht. Er selbst wollte nicht kämpfen und zwang auch das Volk nicht dazu.>Und wahrhaftig- was soll ein König schon im Krieg? Würde er auf der Erde schlafen - holte er sich gleich einen Schnupfen. Und die Flöhe würden ihn nicht schlafen lassen. Vom Geruch der Soldatenmäntel täte ihm der Kopf weh. Er hat doch eine zarte Haut- und eine empfindliche Nase.« Maciu§ war gerecht. Er gab zu, daß dies stimmte. Gestern hatte er auf einer Wiese geschlafen- und wirklich, er hatte einen Schnupfen. Auch der Kopf tat ihm weh - und seine Haut juckte fürchterlich. >>Na, Burschen, gebt Frieden- das alles führt zu nichts. Wollen wir lieber etwas Lustiges singen.« >>Wir fahren!>Auf diese Weise lehrt man uns schon während der Fahrt, nicht herumzutrödeln«, vermutete jemand. Sie erreichten einen größeren Bahnhof. Und hier erwies sich, daß tatsächlich eine hochstehende Persönlichkeit durchreisen würde. Fahnen - eine Ehrenkompanie, weißgekleidete Damen und zwei Kinder mit herrlichen Blumensträußen. >>Der Kriegsminister persönlich fährt mit dem königlichen Zug an die Front.« Wieder stellte man den Zug auf ein Abstellgleis, dort standen sie die ganze Nacht; Maciu§ schlief wie ein Stein. Hungrig, erschöpft und traurig- schlief er traumlos. Mit Tagesanbruch hatte man begonnen, die Waggons zu säubernder Leutnant eilte hin und her und beaufsichtigte alles selbst. >>Wir müssen euch verstecken, Jungens. Sonst gibt es Ärger«, meinte der Korporal. Felek und Maciu§ fanden im ärmlichen Stübchen eines Weichenstellers Unterschlupf. Die gute Frau nahm sich der kleinen Krieger an. Aber auch sie war neugierig, glaubte, von den Jungen viel erfahren zu können. »Ach, Kinder, Kinder«, jammerte sie, »warum tut ihr das? Wäre es nicht besser, zur Schule zu gehen? Seid ihr schon lange Soldaten? Woher kommt ihr - und wohin fahrt ihr?« >>Liebe Frau«, erwiderte Felek düster, >>unser Vater ist Unteroffizier. Und er sagte uns, als er wegfuhr: Ein guter Soldat hat seine Beine zum Marschieren, die Hände fürs Gewehr, die Augen, um zu sehen, die Ohren, um zu hören, den Mund aber dazu, daß er ihn hält, es sei denn,

Der Kriegsminister fährt im königlichen Zug vorbei

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er löffelt seine Suppe. Mit seinem Gewehr verteidigt der Soldat seinen eigenen Kopf. Eine dumme Bemerkung aber kann ihn nicht nur den Kopf kosten, sondern- auch die ganze Abteilung ins Verderben stürzen.- Woher wir kommen und wohin wir fahren- das ist ein militärisches Geheimnis. Wir wissen nichts, und wir sagen nichts.« Der guten Frau blieb vor Staunen der Mund weit offenstehen: »Wer hätte das erwartet. Ist noch so klein und redet daher, als sei er erwachsen. Ihr habt recht: Unter den Soldaten treiben sich viele Spione herum. Sie ziehen einfach eine Uniform an, fragen alle aus, und wissen sie Bescheid, laufen sie zum Feind über.« Und zum Zeichen ihrer Hochachtung bereitete sie ihnen nicht nur Tee, sondern bewirtete sie außerdem mit Wurst. Macius schmeckte dieses Frühstück sehr, auch weil er sich ordentlich gewaschen hatte. »Der königliche Zug, der königliche Zug!« ertönte ein Ruf. Felek und Macius erklommen eine Leiter, die am Stall des Weichenstellers lehnte, und hielten Ausschau. »Da kommt er!« Ein schöner Personenzug mit großen Fenstern fuhr in den Bahnhof ein. Ein Orchester spielte die Nationalhymne. Am Fenster stand der Kriegsminister, Macius wohlbekannt. Für einen Moment trafen sich ihre Augen. Macius erbebte, schnell bückte er sich: Was wäre wohl geschehen, wenn ihn der Minister erkannt hätte? Aber der Minister konnte Macius gar nicht erkennen, erstens, weil er sich in Gedanken mit sehr viel wichtigeren Dingen beschäftigte, und zweitens, weil er sich nach Macius' Flucht, die der Ministerpräsident als erster entdeckt hatte- in der Hauptstadt von einem falschen Macius verabschiedet hatte- doch davon später. Der Außenminister hatte angeordnet, zum Krieg mit einem König zu rüsten, jetzt aber war es notwendig, gleich mit drei Königen Krieg zu führen. Der Kriegsminister dachte bei sich: Geh und kämpfe - das ist leicht gesagt, wenn drei gegen dich sind. Gelänge es auch, einen oder gar zwei Könige zu besiegen, so könnte doch immer noch der dritte die Niederlage herbeiführen. Er verfügte über genügend Soldaten, aber an Gewehren, Kanonen und Uniformen mangelte es. Deshalb hatte er folgenden Plan erdacht: Er wollte den ersten Feind in einem Überraschungsangriff überwältigen- und sich aller seiner Kriegsausrüstungen bemächtigen- dann erst wollte er mit dem zweiten Gegner kämpfen. Es tat Macius wohl ein wenig weh, als er sah, wie die Soldaten Haltung annahmen und wie dem Minister unter den Klängen des Orchesters Blumen überreicht wurden.

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König Macius der Erste

>>Eigentlich ist das alles für mich bestimmt«, dachte er. Da er aber gerecht war, gab er sich sogleich folgende Erklärung: Ja, es ist leicht, so umherzugehen und zu salutieren, der Musik zu lauschen und Blumen entgegenzunehmen. Aber Macius, du hättest doch nicht mal gewußt, wohin die Truppen geschickt werden müßten, da du dich in der Geographie nicht genügend auskennst. Was aber wußte Macius?- Er kannte die Flüsse und Berge ein wenig, die Inseln, er wußte, die Erde ist rund und dreht sich um ihre eigene Achse, aber so ein Minister mußte alle Festungen kennen, alle Straßen und jeden Pfad im Wald. Macius' Urgroßvater hatte eine große Schlacht gewonnen, weil er sich, als der Feind die Truppen gegen ihn führte, im Wald verborgen und so lange gewartet hatte, bis der Feind tief in den Wald eingedrungen war; daraufhin hatte er ihn auf undurchdringlichen Pfaden umgangen und von hinten angegriffen. Der Feind hatte geglaubt, er habe die Truppen des Urgroßvaters vor sich, aber diese schlugen unerwartet von hinten zu und trieben den Feind sogar noch in die Sümpfe. · Und Macius, kannte er denn seine Wälder und Sümpfe? Er würde sie jetzt kennenlernen. Als er in der Hauptstadt lebte, war ihm nur der Schloßgarten vertraut. Jetzt aber- würde er sein ganzes Reich sehen. Recht hatten die Soldaten, wenn sie über Macius lachten. Macius war noch ein sehr kleiner König, der nicht viel gelernt hatte. Es war schlecht, daß der Krieg jetzt so plötzlich ausgebrochen war. Wäre es doch zwei, oder wenigstens ein Jahr später geschehen.

Jetzt aber muß ich berichten, was im Schloß geschah, als man das Verschwinden des Königs bemerkt hatte. Am Morgen betritt der älteste Diener das Schlafzimmer und will seinen Augen nicht trauen: Das Fenster ist geöffnet, das Bett in Unordnung und von Macius fehlt jede Spur. Der königliche Diener war klug: Er schloß das Schlafzimmer ab, eilte zum Zeremonienmeister, der noch schlief- weckte ihn und flüsterte ihm ins Ohr: >>Euer Hochwohlgeborener Zeremonienmeister, der König ist verschwunden.« Der Zeremonienmeister telephonierte heimlich mit dem Ministerpräsidenten. Es waren noch keine zehn Minuten vergangen, als in rasendem Tempo drei Autos vorfuhren: das des Ministerpräsidenten, das des Innenministers, das des Polizeipräfekten.

Im Schloß entdeckt man: Macius ist verschwunden

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>>Man hat den König entführt.« Es war doch klar. Den Feinden mußte sehr dar an gelegen sein, den König zu entführen. Wußten die Soldaten erst, daß der König nicht da war, dann würden sie auch nicht mehr kämpfen wollen- und der Feind könnte die Hauptstadt ohne Kampf einnehmen. >>Wer weiß, daß der König nicht hier ist?>Niemand weiß es.>Das ist gut.>Wir müssen nur herausfinden, ob Macius entführt worden ist, oder ob man ihn getötet hat. Herr Polizeipräfekt, untersuchen Sie das bitte. In einer Stunde erwarte ich Ihren Bericht.>Nun gut, für heute können wir beruhigt seinaber was sollen wir morgen tun?>Ich bin Ministerpräsident, ich habe einen klugen Kopf. Ihr werdet es gleich sehen.>Erinnern Sie sich jener Puppe, die Macius für Irenka kaufen ließ?Sie fahren jetzt gleich zu diesem Fabrikanten und sagen ihm, er möge bis morgen nach der Photographie des Königs eine solche Puppe anfertigen lassen, daß niemand, aber auch niemand auf den Gedanken kommt, dies sei nicht der lebendige Macius.>Sie brauchen sie unbedingt morgen?« >>Morgen früh, neun Uhr.« Der Fabrikant nahm einen Federhalter; er gab vor, etwas auszurechnen- Macius müsse doch aus dem besten Porzellan gefertigt werdener wisse nicht, ob er genug davon vorrätig habe. Ja, das würde sehr viel kosten. Und die Arbeiter müßten Schweigegeld erhalten. Auch sei ihm eine Maschine kaputtgegangen. Es würde viel kosten, sie zu reparieren! Nun - und andere Bestellungen müsse er aufschieben. Lange lange rechnete er. >>Herr Handelsminister, wenn jetzt nicht Krieg wäre- ich verstehe ja, daß Sie jetzt viel für die Soldaten und die Rüstung ausgeben müssen.

Eine Porzellanpuppe soll Macius ersetzen

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Also, wäre kein Krieg, dann müßten Sie zweimal soviel bezahlen. Nun das ist mein endgültiger Preis ... >Aber das ist doch Betrug!>Befehle müssen ohne Aufschub exakt ausgeführt, jede Anweisung muß strengstens befolgt werden.>Wir haben uns tapfer gehaltenWir haben uns tapfer gehaltenWarum?- Wir haben Gräben ausgehoben, den Feind aufgehalten, wir können uns verteidigen.« Wäre Maciu§ Leutnant gewesen, hätte er sicher nicht auf den Befehl gehört. Das alles war doch bestimmt ein Irrtum. Sollte der Oberst doch herkommen und sich ansehen, wie gut sie kämpfen konnten. Bei jenen drüben waren viele getötet worden, bei ihnen aber war nur ein Soldat, den eine feindliche Kugel gestreift hatte, als er aus dem Graben schoß, an der Hand verwundet. Wie konnte der Oberst aus der Ferne beurteilen, was sich hier tat? Maciu§ war nahe dran, laut zu schreien: >>Ich bin König Maciu§. Mag der Oberst befehlen, was er will, aber ich erlaube euch nicht, zurückzugehen. Der König steht über dem Oberst!« Er tat es jedoch nicht, denn er war nicht sicher, ob man ihm glauben oder ihn möglicherweise sogar auslachen würde. Und ein weiteres Mal überzeugte sich Maciu§ davon, daß man beim Militär nicht lange nachdenken darf, sondern die Befehle unverzüglich · ausführen muß. Ärgerlich war es, die mit so großer Mühe angelegten Gräben aufgeben und sogar einen Teil der Vorräte an Brot, Zucker und Speck zurücklassen zu müssen. Auch war es wenig angenehm, wieder durch das Dorf zu marschieren, dessen erstaunte Bewohner fragten: >>Warum lauft ihr weg?« Sie befanden sich schon auf dem Marsch, als sie ein berittener Bote mit einem Brief einholte, in dem stand, daß sie schnell, ohne Rast marschieren sollten. Das war leicht gesagt: Ohne Rast; aber- nachdem sie zwei Nächte lang nicht geschlafen hatten, weil sie in der einen die Gräben ausgehoben und in der anderen gekämpft hatten, war es nicht möglich, ohne Rast zu marschieren. Überdies war nur noch wenig Proviant vorhanden und zudem waren sie verärgert und betrübt. Vorrücken ist viel leichter, man spannt die letzten Kräfte an und stürmt voran, aber man kehrt nicht gerne um - weil dabei die Kräfte schnell nachlassen. Sie marschierten- marschierten- marschierten- marschierten- plötzlich wurde von beiden Seiten, erst von rechts, dann von links, geschossen. >>Nun verstehe ich!>Wir waren zu weit vorgestoßen, der Feind konnte uns umgehen. Recht hatte der Oberst, als er den sofortigen Rückzug befahl. Man hätte uns gefangengenommen. >Eine schöne Geschichte, wir müssen uns durchschlagenÜh Vati, Vatiwie schwer ist's, ein König zu sein, der Kriege führt. Leicht ist es zu sagen: >Ich fürchte mich nichtich werde euch, meinem tapferen Urgroßvater gleich, besiegen.< Worte sind leicht gesprochen, schwerer ist es, Taten zu vollbringen. Ach, welch leichtsinniges Kind war ich damals. Ich habe nur daran gedacht, wie ich die Hauptstadt auf einem Schimmel verlassen würde, während das Volk Blumen auf meinen Weg streut. Und nie habe ich bedacht, wie viele Menschen den Tod finden würden.>Jetzt wird man über uns lachenNun, ihr Burschen, versteht ihr nun, wozu Gräben nötig sind?>Ehre sei euch, daß ihr die Waffen behalten habt. Wahre Helden erkennt man nicht im Erfolg, sondern in der Niederlage.>Schaut, hier sind auch die beiden Kleinen!« rief der Oberst der Pioniere. >>Es leben die tapferen Brüder- Walig6ra und Wyrwidqb!« Von dieser Zeit an war Felek Walig6ra, Macius Wyrwidqb. Und schon wurden sie nicht mehr anders genannt. >>He, Walig6ra, bring Wasser.« >> Wyrwidqb, wirf Holz ins Feuer.« Und die Abteilung gewann die zweiJungen lieb. Hier, während ihrer Ruhepause, erfuhren sie, daß sich der Kriegsminister fürchterlich mit dem Oberbefehlshaber gestritten- und König Macius die beiden eben erst versöhnt habe. Macius wußte nichts von der Puppe, die seinen Platz in der Hauptstadt einnahm, und wunderte sich sehr, daß man so sprach, als ob er zu Hause sei. Macius, der noch ein sehr junger König war, wußte nicht, daß dies Diplomatie ist. Diplomatie aber - bedeutet zu lügen, damit der Feind nichts erfährt. Nun - danach ruhten sie sich aus, aßen sich satt - und gingen in die Gräben. Es begann der sogenannte Stellungskrieg. Das bedeutet, es wurde sowohl von ihrer Seite als auch von der des Feindes geschossen, aber die Kugeln pfiffen über ihre Köpfe hinweg, denn die Soldaten saßen tief in der Erde. Nur von Zeit zu Zeit, wenn sie zu ungeduldig wurden, gingen mal die einen, mal die anderen zum Angriff über- und dabei stießen sie ein paar Werst vor, oder sie wichen zurück. Die Soldaten liefen in den Gräben umher, musizierten, sangen und spielten Karten. Macius aber lernte fleißig. Es unterrichtete ihn ein Leutnant der sich ebenfalls langweilte. Er mußte die Wachen einweisen, die beobachteten, ob der Feind nicht zum Angriff schreite - und dem Stab Meldung erstatten, ob alles in Ordnung sei- daneben hatte er den ganzen Tag über nichts zu tun. Er war gern bereit, den kleinen Wyrwidqb zu unterrichten. Schön waren diese Unterrichtsstunden. Macius sitzt im Graben und lernt Geographie, die Lerchen singen - selten nur fällt ein Schuß. Alles ist still und angenehm. Aber plötzlich ist es, als winselten Hunde. Und es begann von neuem! Es sind Feldhaubitzen. 1,

r. Korczak bezieht sich hier vermutlich auf eine autobiographische Begebenheit vom März 1917. Der Arzt-Offizier Henryk Goldszmit unterrichtet das Kriegswaisenkind Stefan in seiner Freizeit. Vgl. Sämtliche Werke, Bd. 4· Gütersloh 1999, S. 572.

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Und jetzt: Bum- bum- bellt auch eine große Kanone. Und es fängt an. Die Gewehrschüsse quaken wie Frösche- es pfeift- es zischt- es donnert und ein ums andere Mal- peng- bum- buff- buff. Es dauert eine halbe, eine ganze Stunde. Manchmal trifft eine Kanonenkugel den Graben und explodiert- einige Soldaten werden getötet, einige verwundet. Die Kameraden sind es gewohnt und machen sich nichts daraus. >>Es ist schade um ihn, er war ein guter Junge.« >>Ruhe in FriedenSeht, wie ähnlich er König Maciu§ istDas ist wahr! Auch mir kam er irgendwie bekannt vor, aber ich konnte mich nicht genau erinnern.>Um nichts in der Welt.>Aber, du Dummkopf, dein Vater würde sich über ein Photo freuen.>Nein, und nochmals nein!>Laßt ihn in Frieden, wenn er nicht mag. Vielleicht hat er recht. Möglicherweise fühlt sich König Maciu§ beleidigt, oder es ist ihm unangenehm, durch die Hauptstadt spazierenzufahren, während seine Altersgenossen verwundet werden.>Was ist das- zum Donnerwetter- für ein Maciu§, über den man fortwährend spricht?>zum Donnerwetter>Wie schön ist es, daß ich geflohen bin und mich an der Front befinde Felek ist nicht hier.>Ziehst du wohl deinen dummen Kopf ein, wird's bald!>Man wird auf diesen Dummkopf schießen, und dann müssen wir ihn zum Verbinden ins Lazarett bringen. Auch ohne dich habe ich Sorgen genug.>Euer König ist eine RotznaseUnd Eurer ist ein schwachsinniger Großvater.>Ihr seid Großväter. Ihr habt ja durchlöcherte StiefeL>Und ihr seid Hungerleider, ihr trinkt Plörre statt Kaffee.>Komm herüber, probier's.>Wenn wir einen der Euren gefangennehmen, dann ist er hungrig wie ein Wolf.>Und die Euren sind verhungert und zerlumpt.>Ihr seid vor uns geflohen.>Zuletzt aber haben wir euch übel zugerichtet.hr könnt ja nicht einmal schießen. Eure Kugeln treffen nur die Krähen.>Und ihr könnt es?Na, dann schießt doch mal!>Ach, ihr Schützen.>Ich will nicht länger in der Infanterie dienen.>Und wohin gehst du?>Zu den Fliegern.Sie haben sich durch große Tapferkeit ausgezeichnet, meine Herren. Und wie viele Flugzeuge haben wir verloren?>Vierunddreißig Flugzeuge sind zum Angriff geflogen, fünfzehn sind zurückgekehrt.>Wie lange dauerte der Angriff?>Vom Abflug bis zur Rückkehr vierzig Minuten.>Also gutmorgen findet der Generalangriff statt.>Das ist eine Überraschung. Vortrefflich! Noch in der Nacht werden die Soldaten an der ganzen Frontlinie erfahren, daß König Maciu§ lebt, daß er unter ihnen weilt und sie selbst zum Angriff führen wird. Die Jungen werden sehr froh sein und kämpfen wie die Löwen.Verfolgen!« rief der 0 berkommandierende. »Wir waren ihnen gewachsen, als es noch drei waren, um so leichter wird es uns jetzt fallen, den letzten zu schlagen.>Ich meine, wir sollten es nicht tunWir haben schon einmal erfahren, wie falsch es ist, dem Feind ohne jegliche Notwendigkeit so weit zu folgen.>Das war etwas ganz anderesWo befindet sich unser königlicher Gefangener?>Er ist nicht weit von hier.>Führt ihn bitte her.>Nehmt ihm die Fesseln ab!>Besiegter Königich weiß, was Gefangenschaft bedeutet. Ich schenke dir die Freiheit. Du bist besiegt, also bitte ich dich, den Rest deiner Truppen aus meinem Land zu führen.>Ich bin zum Kaffee zu Ihnen gekommen«, sagte Macius lächelnd. Die Weichenstelletin wußte vor Freude nicht, was sie tun sollte. >>Welch ein Glück, welch ein Glück«, sprach sie, und eine Träne nach der anderen kullerte ihre Wangen hinunter. In der Hauptstadt wartete schon ein Auto, aber Macius verlangte einen Schimmel. Der Zeremonienmeister griff sich vor Freude an den Kopf: >>Ach, wie klug ist dieser Macius. Natürlich muß ein König hoch zu Roß aus dem Krieg heimkehren und nicht in einem Auto.> Vivat! Es lebe König Macius! Vivat, vivat, vivat! >Gebt mir, zum Donnerwetter, etwas zu fressen!>Bringt sofortalldiese ausländischen Frikassees weg!>Ich möchte Wurst mit Kohl und Bier.>Ach ihr Muttersöhnchen, Dummköpfe, Stubenhocker, Schoßkinder, ihr Waschlappen, ihr Püppchen, ihr TölpelJetzt werde ich euch aber her annehmen.>Jetzt wird man wissen, daß der wahre König zurückgekehrt ist und man ihm gehorchen muß.>Ein schöner SiegerWarum fordert er keinen Tribut? Es war immer so; wer verloren hat, muß zahlen. Er war edelmütig, gut, jetzt aber, wo die Staatskasse leer ist, mag er allein wirtschaften. Soll er doch die Fabrikanten für die Kanonen, die Schuhmacher für die Stiefel, die übrigen Lieferanten für Hafer, Erbsen und Grütze bezahlen. Solange Krieg war, haben sich alle geduldet, jetzt aber - heißt es zahlen, obwohl kein Geld da ist.>Solange die Welt besteht, ist noch nie ein Frieden ohne Beteiligung des Außenministers geschlossen worden. Bin ich etwa nur eine Strohpuppe? Meine Beamten werden mich auslachen.>Bezahlen Sie endlich die PorzellanpuppeAlba si~ muszq s!uchac, albo- fora ze dwora.«

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König Macius der Erste

Macius aß seine Wurst mit großem Appetit, dann spuckte er auf den Teppich und befahl, ihn mit einem Eimer kalten Wassers zu übergießen. >>Das ist ein SoldatenbadUnd wo sind die übrigen?>Sie wußten nicht, daß sich Eure Königliche Majestät mit ihnen beraten wollen.>Die haben wohl gedacht, daß ich nach meiner Rückkehr aus dem Krieg weiterhin Lektionen bei unserem ausländischen Erzieher nehme? Und sie tun unterdessen, was ihnen beliebt? ... Zum Donnerwetter, da haben sie sich sehr getäuscht ... Herr Minister, die Sitzung findet um zwei Uhr statt. Während wir uns im Saal versammeln, soll im Korridor ein Zug Soldaten in aller Stille Posten beziehen. Der Zugführer soll vor der Türe stehen und lauschen, und wenn ich in die Hände klatsche, sollen er und seine Soldaten den Saal betreten. Ihnen werde ich die Wahrheit anvertrauen: Sollte man versuchen, die alten Zustände, die vor dem Krieg herrschten, wiederherzustellen-befehle ich, zum Donnerwetter noch mal - sie zu verhaften. Aber das ist ein Geheimnis.>Zu Befehl, Eure Königliche MajestätAch wirklichich habe Felek vollkommen vergessen.>Komm her, Felek, fürchte dich nicht. Ich bin jetzt ein wirklicher König, der sich vor niemandem zu verantworten braucht.>Na ja, aber was wird mein Vater sagen?>Sag deinem Vater, du bist der Favorit des Königs, und ich verbiete ihm, dich auch nur anzurühren.>Wären Eure Königliche Majestät so freundlich, das aufzuschreiben?>Sehr gern, komm in mein Arbeitszimmer.>Herr Sekretär, fertigen Sie bitte ein Schreiben aus, daß Felek zu meinem Favoriten ernannt worden ist.>Eure Königliche Majestät, bisher hatte bei Hofe noch niemand solch einen Posten.>Wenn es früher nicht der Fall war, dann ist es von heute an so, denn dies ist mein königlicher Wille.>Wäre es nicht möglich, daß Eure Königliche Majestät die Ausfertigung des Schriftstückes bis zur Sitzung des Ministerrates verschieben?

Felek wird zum königlichen Favoriten ernannt

Die Verzögerung wäre nur geringfügig, aber- immerhin würde man der Form - besser genügen.>Ich verlange die sofortige Ausfertigung dieses Schreibens, zum Donnerwetter!« befahl Macius. Der Sekretär kratzte sich den Kopf und schrieb zwei Dokumente. Im ersten stand geschrieben:

Ich, König Macius, verlange unwiderruflich, daß ohne Verzug ein Dokument über die Ernennung Feleks zum königlichen Hoffavoriten aufgesetzt wird; es ist mir zur Unterschrift vorzulegen, dann mit dem Siege{ zu versehen und mir zu überreichen. Sollte dieser mein Wille nicht sofort erfüllt werden und sollte man meinen kategorischen Befehl nicht sofort befolgen, so wird der des Widerstandes Schuldige strengstens und ohne Nachsicht bestraft werden. Dies gebe ich dem Herrn Hofsekretär hiermit kund und bestätige es durch meine Unterschrift. Der Sekretär erklärte, er sei erst durch diese Unterschrift befugt jenes zweite Papier auszufertigen. König Macius unterschrieb, woraufhin der Sekretär die mit Siegel versehene Urkunde über Feleks Ernennung zum Favoriten herausgab. Als dies geschehen war, begaben sie sich ins königliche Spielzimmer -besahen sich Spielzeug und Bücher, unterhielten sich, erinnerten sich an ihre Kriegsabenteuer; danach nahmen sie gemeinsam ihr Mittagsmahl ein. Auch gingen sie zusammen in den Garten, wo Felek seine Spielgefährten vom Hof herbeirief- und sie vergnügten sich vortrefflich, bis die Versammlung des Ministerrates begann. >>Ich muß gehen«, erklärte Macius traurig. >>Wäre ich König, müßte ich niemals irgend etwas tun.« >>Das verstehst du nicht, mein Felek, auch wir Könige können nicht immer nur tun, was uns gefällt.« Felek zuckte mit den Schultern zum Zeichen, daß er anderer Meinung war - er kehrte ungern nach Hause zurück, obgleich er eine vom König selbst unterzeichnete Urkunde bei sich hatte, denn er wußte, er würde dem strengen Blick des Vaters begegnen müssen und die wohlbekannte Frage hören: >>Wo hast du dich herumgetrieben, du Streuner? Komm her, sag schon!« Was dieser Frage gewöhnlich folgte, wußte Felek; dieses Mal sollte es anders kommen.

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König Macius der Erste

Es begann ein großes Jammern und Wehklagen. Der Finanzminister erklärte, es sei kein Geld da. Der Handelsminister sagte, die Kaufleute hätten durch den Krieg große Verluste erlitten und könnten nun die Steuern nicht zahlen. Der Eisenbahnminister berichtete, die Waggons hätten so vieles zur Front transportiert, daß sie völlig kaputt seien und repariert werden müßten- das würde sehr viel kosten. Der Minister für Bildung klagte, die Kinder seien während des Krieges verwildert, denn ihre Väter waren an die Front gefahren, und ihre Mütter hätten sie nicht zügeln können; deshalb forderten die Lehrer die Erhöhung ihrer Gehälter und Ersatz für die zerbrochenen Fensterscheiben. Während des Krieges waren die Felder nicht bestellt worden, es gäbe nur wenig zu kaufen. Und so ging es eine ganze Stunde lang immer wieder von vorn. Der Ministerpräsident trank ein Glas Wasser, das tat er immer, wenn er viel sprechen mußte. Maciu§ mochte es überhaupt nicht, daß der Ministerpräsident Wasser trank. >>Meine Herren, dies ist eine sonderbare Versammlung. Würde jemand nicht die wirkliche Lage der Dinge kennen und dies alles nur hören, müßte er meinen, der Krieg sei für uns unglücklich ausgegangen und wir seien die Besiegten. Aber wir sind doch die Sieger. Bisher pflegte es so zu sein, daß die Besiegten ihren Tribut entrichteten und daß der, der den Feind geschlagen hatte - Reichtümer anhäufte. Und das war recht und billig. Denn den Krieg gewinnt der Staat, der weder an Kanonen und Pulver noch an Verpflegung für seine Soldaten spart. Wir haben das meiste Geld ausgegeben und gesiegt. Unser heldenhafter König Macius selbst konnte feststellen, daß die Truppen alles hatten, was sie brauchten. Aber warum sollen wir dafür zahlen? Sie haben uns behelligt, sie haben angefangen, wir haben ihnen verziehen- darin liegen unser Edelmut und unsere Güte. Aber aus welchem Grund sollte man uns die Kriegskosten nicht zurückerstatten? Wir wollen nichts, was ihnen gehört, aber gebt uns, was uns zusteht. Unser heldenhafter König Maciu§ wurde von Edelmut getragen und schenkte den Feinden Frieden- das war eine ebenso kluge wie schöne Tat- aber dieser Frieden ohne jegliche Bedingungen brachte unvorstellbare finanzielle Schwierigkeiten. Wir werden sie überwinden, weil es uns nicht an Erfahrung mangelt, weil wir viele kluge Bücher gelesen haben, weil wir vorsichtig sind, weil wir viel können, und wenn König Macius uns mit dem gleichen Vertrauen beehrt, dessen wir uns vor dem Krieg erfreuten -wenn es ihm beliebt, unsere Ratschläge anzunehmen ... >Herr Ministerpräsidentgenug des Geschwätzes. Hier geht es nicht um irgendwelche Ratschläge, sondern darum, daß Sie herrschen wollen und ich nur eine Porzellanpuppe sein soll. Und damit, zum Donnerwetter, hunderttausend Bomben und Kartätschen- bin ich nicht einverstanden.Genug. Ich bin nicht einverstanden und damit basta. Ich bin Königund werde der König bleiben.ch bitte ums WortAuch dafür gibt es ein Gesetz. >Falls der König die in den Paragraphen niedergelegten Gesetze mißachtet ... ''' ''Wollen Sie nun endlich aufhören, Cholera sonst ... >Auch über die Cholera gibt es ein Gesetz. >Im Falle des Ausbruchs einer Epidemie oder der Cholera ···''' Maciu§ verlor die Geduld und klatschte in die Hände. Die Soldaten betraten den Saal. >>Ich lasse Sie verhaften, meine Herren«, schrie Maciu§. >>Man soll Sie ins Gefängnis führen.>Auch hierfür gibt es ein GesetzDas heißt Militärdiktatur. Oh, das ist schon eine gesetzeswidrige Handlung!>Ein wenig gleiche ich Napoleon.« ''Und was nun?« Auf dem Tisch befand sich ein ganzer Stapel Papiere. Sollte er sie unterschreiben, sollte er alle unterschreiben, was mochten sie beinhalten, warum stand auf den einen: ich genehmige, auf den anderen: abgelehnt oder: verboten? 1,

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r. »CholeraDu sagst, er hat dich verdroschen?>Aber ja. >Es ist das Recht des Königsdir seine Gunst zu erweisen, aber mein väterliches Recht ist es, du Hundesohn, dir deine Knochen zurechtzurücken. Im Palast kannst du dem König gehören, zu Hause aber bleibst du der Sohn eines Unteroffiziers. Die Hand des Vaters ist zuverlässiger als königliche Gnade.Hör zu, Felek, wir haben ein bißchen voreilig gehandelt. Erinnerst du dich: Anfangs wollte ich sogar noch etwas warten. Ich muß dir eine Sache erklären.>Auch Könige können nicht alles tun, was sie wollen.>Nun ja. Eure Königliche Majestät ... >Hör zu, Felek, nenne mich weiterhin bei meinem Namen. Wir haben doch zusammen gekämpft, durch dich wurde ich aus der Gefangenschaft befreit.Abgemacht, Wyrwidqb. >Ich werde dir für das Schriftstück ein Paar Schlittschuhe, zwei Kautschukbälle, ein Briefmarkenalbum, ein Brennglas und einen Magneten schenken.>Aber der Alte wird mich wieder schlagen.>Das mag sein, mein Felek, hab nur Geduld, du siehst ja selbst, daß auch Könige nicht alles auf einmal erledigen können. Auch Könige müssen dem Gesetz gehorchen.>Aber was ist das?>Ich weiß es selbst noch nicht genau. Das sind irgendwelche Bücher oder so etwas.>Na jawenn du ständig auf Versammlungen bist, dann wirst du das alles peu a peu lernen, ich aber ... >Sei nicht traurig, mein goldiger Felek, du wirst sehen, es wird alles gut werden. Wenn ich imstande bin, an fünf Millionen Kinder Schokolade zu verteilen, dann kann ich schließlich auch für dich viel Gutes tun. Nur muß dies alles rechtmäßig geschehen. Du weißt überhaupt nicht, wie lange ich abends im Bett nicht einschlafen kann. Ich liege und liege - und denke und denke. Und ich quäle mich, möchte irgend etwas tun, damit alle es gut haben. Jetzt wird das leichter sein, denn was könnte ich mir für die Erwachsenen ausdenken? Ihnen Zigaretten geben- sie haben Geld, um sie sich selbst zu kaufen. Wodka gebensie würden sich nur betrinken- und was hätten sie davon?ch weiß nichtdu denkst gleich an alle. Ich würde mir einfach im Park eine Schaukel aufstellen lassen, ein Karussell mit Musik ... >Schau, Felek, du bist kein König, und deshalb verstehst du das nicht. Gut, es soll ein Karussell dort stehen, aber nicht nur eines. Gleich in der nächsten Sitzung werde ich veranlassen, in allen Schulen Schaukeln und Karussells mit Musik aufzustellen.>Und Kegelbahnen. Und Schießstände.Ich bin ja der Meinung, daß wir von den ausländischen Königen borgen sollten.« Jeder aß vier Stück Cremetorte und trank seinen Kaffee mit Sahne, und sie begaben sich nach Hause. Am nächsten Tag erschien der Ministerpräsident beim König zur Audienz und sagte, man müsse von den reicheren Königen viel Geld leihen. Das sei ein recht schwieriges Unterfangen, denn die Schreiben an die Könige müßten sehr klug abgefaßt werden, und deshalb sei es erforderlich, daß täglich zwei Versammlungen stattfänden. >>Gut«, sagte Maciu§, >>ihr mögt darüber beraten, ich aber werde ab heute mit dem Unterricht bei meinem Hauptmann beginnen.>Sie werden mich alle Fächer außer den Fremdsprachen lehren, diese bleiben dem ausländischen Erzieher überlassen.>Es ist vertane Zeitich langweile mich nur und verstehe nicht viel davon.>Es lebe König Macius! >Das verstehe ich wenigstens. Jetzt erhalten diejenigen eine Belohnung, die sie wirklich verdient haben.>Hör zu, Maciu§. Mein Großvater hat dem Volk die Freiheit gegeben, aber gut war das nicht. Man hat ihn umgebracht, und das Volk war auch weiterhin nicht glücklich. Mein Vater hat ein großes Denkmal der Freiheit errichtet. Du wirst es morgen sehen: Es ist schön, aber was bedeutet das, wenn es weiter Kriege, arme und unglückliche Menschen gibt. Ich habe befohlen, jenes große Parlamentsgebäude zu errichten. Aber nichts tut sich. Es ist immer das gleiche.« Plötzlich hatte es den Anschein, als sei ihm etwas eingefallen.

Macius lernt ein demokratisches Parlament kennen

>>Weißt du, Macius, es ist schon immer falsch gewesen, Reformen für die Erwachsenen verwirklichen zu wollen, versuche es doch einmal mit den Kindern, vielleicht gelingt es dir ... Nun schlaf, liebes Kind. Du bist gekommen, dich zu vergnügen, und ich verdrehe dir mitten in der Nacht den Kopf. Gute Nacht.>Das werden wir nicht zulassen!>Wenn ihr uns nicht anhören wollt, werdet ihr nicht länger Minister sein. Wir brauchen kluge Minister.>Nieder mit der RegierungSchämen Sie sich!>Nieder mit dem König!>Warum haben sie sich gestritten?>Weil es ihnen schlecht geht auf der Welt.>Und was geschähe, setzte man die Minister tatsächlich ab?>Sie würden andere wählen.>Na, und der, der geschrien hat: >Nieder mit dem König!Er schreit immer so.« >>Ist das ein Wahnsinniger?>Nein. Er will nur keinen König.>Und können sie den König hinauswerfen?>Natürlich können sie.>Was würde dann geschehen?>Sie würden einen anderen wählen und ihn anders nennen.>Als ich den Pilz gesehen habe, habe ich gerufen: >Üooh- seht mal!< und habe mit dem Finger auf ihn gezeigt. Da bist du erst angerannt gekommen.Du kannst es, selbstverständlich kannst du das. Ein König vermag vieles. Zum Beispiel jener letzte König, der Geige spielte, hat viele Krankenhäuser und Häuser für Kinder gebaut, bei ihm fahren die meisten Kinder im Sommer aufs Land. Er hat ein Gesetz erlassen, welches besagt, daß jede Stadt Häuser bauen muß, wohin sie schwächliche Kinder für den Sommer verschickt.>Hilfe für WaisenRo:i:yczkaAuch für ihn war es schwer.>Na gut, mag es doch schwer sein, tun werde ich es schließlich doch, auf alle Fälle.>Nun jadieser König ist so gut, warum aber hat dann einer geschrien: >Nieder mit dem König!Unzufriedene werden sich immer finden. Niemand auf der Welt kann allen gefallen, weder ein König noch ein Minister.>Ich muß meine Reformen beginnenIch bin König und darf nicht schlechter sein als andere, die alle Kinder im Sommer aufs Land oder in den Wald schicken.«

Macius kehrte gerade in dem Augenblick in die Hauptstadt zurück, als alle Vorbereitungen zum Abschluß der Geldgeschäfte mit den Königen der drei Länder beendet waren. Nur mußte der König noch unterschreiben, wann und in welcher Weise er die Anleihe zurückerstatten würde. König Maciu§ unterschrieb, und sogleich machte sich der Schatzmeister des Reiches mit Säcken und Kisten auf den Weg, das Gold und Silber aus dem Ausland zu holen.

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König Macius der Erste

Ungeduldig wartete Maciu§ auf das Geld, denn er wollte seine drei Reformen durchführen: r. In allen Wäldern, im Gebirge und am Meer sollten viele Häuser gebaut werden, damit die armen Kinder den Sommer über aufs Land fahren könnten. 2. In allen Schulen sollten Schaukeln und Karussells mit Musik aufgestellt werden. 3. In der Hauptstadt sollte ein großer zoologischer Garten eingerichtet werden, in ihm sollte es viele wilde Tiere geben: Löwen, Bären, Elefanten, Affen, Schlangen und Vögel. Doch Maciu§' Hoffnungen wurden enttäuscht. Als das Geld ankam, zeigte sich, daß die Minister nichts für seine Reformen zur Verfügung stellen konnten, weil schon genau berechnet worden war, wieviel jeder Minister für seine Ausgaben benötigte. Man mußte ja so viel für neue Brücken, Eisenbahnen, den Bau neuer Schulen, für das Begleichen von Kriegsschulden ausgeben. >>Hätten Eure Königliche Majestät früher etwas verlauten lassen, dann hätten wir eine größere Summe geliehenWie gut, daß Maciu§ nicht an den Beratungen teilgenommen hat. Denn soviel Geld, wie für Maciu§ Reformen nötig gewesen wäre, hätten die ausländischen Könige sicher nicht leihen wollen.>Denn wenn wir das Geld nur Maciu§ allein leihen, könnten wir es verlieren, leihen wir es aber dem ganzen Volk, so ist das etwas vollkommen anderes. Nurdie Minister werden gewiß nicht einverstanden sein.>Sie müssen einverstanden seinWas denken sie sich denn? Wenn sie einverstanden waren, daß ich König Reformator wurde- dann bleibt ihnen auch jetzt nichts anderes übrig.>Sollte es nötig sein, irgend etwas zu tun, so werden wir einfach sagen, das ganze Volk wünscht es so, und wir können nichts dagegen machen. Wir müssen nur das tun, was das ganze Volk uns befiehlt. Das ganze Volk aber kann Maciu§ unmöglich ins Gefängnis werfen.« Die Beratungen begannen. Aus allen Städten und Dörfern kamen die klügsten Leute in die Hauptstadt. Und sie berieten, berieten ganze Tage und Nächte. Denn es war sehr schwierig, den Staat so einzurichten, daß das ganze Volk selbst bestimmen konnte, was zu tun sei. In den Zeitungen berichtete man in solcher Ausführlichkeit von diesem Sejm', daß noch nicht einmal Platz für Bilder blieb. Aber Maciu§ konnte jetzt schon so gut lesen, daß ihm die Bilder weniger wichtig waren. Eine andere Versammlung wurde für die Bankiers einberufen, sie errechneten, wieviel Geld benötigt wurde, um auf dem Lande Häuser für Kinder sowie Karussells und Schaukeln zu bauen. Und aus aller Herren Länder kamen viele Kaufleute, um zu erfahren, welche wilden Tiere, welche Vögel und Schlangen für den zoologischen Garten gebraucht würden. Ihre Beratungen waren die interessantesten, und Maciu§ nahm immer daran teil. >>Ich kann vier schöne Löwen verkaufen«, sagte einer. >>Ich habe die wildesten TigerIch habe schöne PapageienAm interessantesten sind SchlangenIch besitze die gefährlichsten Schlangen und Krokodile. Meine Krokodile sind groß und leben lange.ch habe einen dressierten Elefanten. Als er noch jung war, ist er sogar im Zirkus aufgetreten. Er fuhr Rad, tanzte und balancierte über ein Seil. Jetzt ist er schon ein wenig alt, deshalb kann ich ihn billig verkaufen. Und den Kindern wird er große Freude bereiten, denn er kann sie herumtragen; Kinder reiten sehr gerne auf einem Elefanten.>Und vergessen Sie bitte die Bären nichtIch biete vier gewöhnliche und zwei weiße Bären zum Verkauf.>Wir, die Weißen>Also, sprechen Sie bitte«, sagte Macius, als der letzte Junge den Thronsaal verlassen hatte. >>König«, begann der Journalist, >>ich werde nicht viel Zeit beanspruchen. Ich werde mich kurz fassen.« Dochtrotz dieser Ankündigung sprach der Journalist sehr lange über interessante Dinge. Macius hörte aufmerksam zu, endlich aber unterbrach er ihn: >>Ich sehe, es handelt sich um eine wirklich wichtige Angelegenheit. Deshalb bitte ich Sie, mit mir zu Abend zu essen, danach werden wir ins Arbeitszimmer gehen, und Siebeenden ihren Vortrag.« Der Journalist sprach bis elf Uhr abends, Macius aber schritt, die Hände auf dem Rücken, im Arbeitszimmer auf und ab und hörte aufmerksam zu. Macius sah zum ersten Mal einen Menschen, der Zeitungen schrieb- und er mußte bekennen, dies war ein kluger Mensch und, obwohl er erwachsen war, ähnelte er keinem der Minister im entferntesten. >>Schreiben Sie nur, oder zeichnen Sie auch?« >>Nein, in jeder Zeitungsredaktion gibt es jemanden, der schreibt, und andere wiederum zeichnen. Wenn Eure Königliche Majestät unsere Zeitung morgen besichtigen wollten, wären wir sehr glücklich.« Macius hatte den Palast schon lange nicht mehr verlassen, deshalb nahm er die Einladung gern an, und gleich am nächsten Morgen fuhr er mit dem Auto zu jener Zeitung.

König Macius der Erste

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Es war ein großes Haus, und zu Macius' Empfang war es mit Fahnen, Teppichen und Blumen geschmückt worden. Im Parterre befanden sich riesige Maschinen, die die Zeitung druckten. Darüber lag das Kontor, von dem aus die Zeitungen zur Post geschickt und verkauft wurden. Daneben befand sich ein ladenähnlicher Raum, in welchem Anzeigen und Zahlungen entgegengenommen wurden. Weiter oben befand sich die Redaktion, wo an Tischen die Herren saßen, die das schrieben, was unten sofort gedruckt wurde. Hierher wurden Telegramme aus aller Welt gebracht, hier klingelte das Telephon, hier eilten beschmutzte Jungen hin und her, die beschriebenes Papier in die Drukkerei brachten, hier wurde geschrieben, gezeichnet, dort klapperte eine Schreibmaschine. Es war wie im Krieg während eines Angriffs. Auf einem silbernenTablettwurde Macius die neueste Zeitung überreicht, auf der ein Photo zu sehen war, wie er während der Audienz die Kinder empfängt- und es war alles abgedruckt, was die Kinder Macius sagten, und was er ihnen antwortete. Macius verbrachte zwei volle Stunden bei der Zeitung, und es gefiel ihm sehr, daß hier alles so schnell vonstatten ging. Nun verwunderte es ihn nicht mehr, daß in der Zeitung sofort geschrieben stand, wo etwas geschehen war: Welche Brände es gab, welche Diebstähle verübt worden waren, wen man überfahren hatte, und was die Könige und Minister in der ganzen Welt unternahmen. Der Journalist hatte recht; die Zeitungen wissen alles. Wie schnell berichtete man in der Zeitung über Macius, als er bei den ausländischen Königen zu Gast war, wie schnell über den Krieg, und wie schnell wußte man, daß Macius aus dem Land der Menschenfresser zurückkehren würde. >>Aber warum habt ihr damals nicht gewußt, daß ich an die Front geflohen war, und daß es hier an meiner Stelle nur eine Porzellanpuppe gab?>Üh, wir wußten das natürlich, nur schreiben wir nicht alles. In den Zeitungen wird nur berichtet, was notwendig ist, alles andere wissen wir nur so für uns. Nicht das ganze Volk muß über alle Dinge Bescheid wissen, auch gibt es vieles, von dem das Ausland nichts erfahren darf.>Was denkt er sich nur?« sprachen sie. >>Wir regieren schon so lange, und Maciu§ will sofort der Erste unter uns sein. Es ist keine große Kunst, mit fremdem Geld den Wohltäter zu spielen; Burn-Drum hat ihm Gold gegeben, und nun spielt Maciu§ sich auf. Gehört es sich denn, daß ein weißer König mit den Menschenfressern Freundschaft hält?>Was könnte man tun, um einen Krieg zu verhindern?>Die ausländischen Könige müßten sich entzweien, und die mächtigsten müßten sich mit Maciu§ anfreunden.>Ach, das wäre wunderbar. Ich denke, daß jener dritte, der traurige König, der Geige spielt, sich mit uns verbünden würde. Er sagte mir damals, er hätte überhaupt nicht mit mir kämpfen wollen, und ihm haben wir auch den geringsten Schaden zugefügt, denn er stand nur in der Reserve, und er selbst hat mir geraten, eine Reform für die Kinder durchzuführen.>Was Eure Königliche Majestät mir soeben berichteten, ist äußerst wichtigJa, er könnte Freundschaft mit uns schließen, aber jene zwei anderen Könige werden wohl immer unsere Feinde bleiben.Der erste ist zornig, weil bei uns das Volk regieren wird.« >>Aber was geht ihn das an?« >>Es geht ihn sehr viel an: Denn erfährt sein Volk davon, wird es ebenfalls regieren und nicht länger so schlecht dastehen wollen, es wird ihm nicht erlauben, zu tun und zu lassen, was er will. Es wird eine Revolution bei ihm ausbrechen.« >>Nun, und der zweite?« >>Der zweite? Hm, mit ihm könnte man sich verständigen. Er grämt sich nur darüber, daß uns die wilden Könige jetzt mehr mögen als ihn. Früher haben ihm die schwarzen und gelben Könige Geschenke gemacht und jetzt uns. Man könnte mit ihm vereinbaren, daß er die gelben Könige für sich behalten kann und wir mit den schwarzen befreundet bleiben.« >>Also gut, wir müssen es versuchen, denn ich wünsche keinen Krieg«, sagte Macius sehr entschieden. An diesem Abend verfaßte König Macius einen Brief an den traurigen König, der Geige spielte.

Meine Spione haben mir zugetragen, daß mir die ausländischen Könige das Gold, das mir Bum-Drum geschickt hat, neiden und daß sie mich wahrscheinlich wieder überfallen werden. Deshalb bitte ich Eure Majestät, mein Freund zu werden und mit ihnen zu brechen. Macius berichtete viel von seinen Reformen und bat um Rat, was weiter zu tun sei. Er schrieb, wieviel Arbeit er habe, wie schwer es sei, König zu sein. Und er bat den traurigen König, sich nicht zu grämen, wenn irgendwer in seinem Parlament riefe: >>Nieder mit dem König!« Dieser eine hätte sich gewiß nur geärgert, weil der König nicht so handelte, wie er es haben wollte, dafür aber würden die anderen zufrieden sein. Es war spät in der Nacht, als Macius die Feder beiseite legte. Dann trat er hinaus auf den Balkon des königlichen Palastes und schaute auf seine Hauptstadt. In den Straßen brannten die Laternen, die Fenster aber waren dunkel, denn alle schliefen schon. Und Macius dachte: >>Alle Kinder schlafen in Frieden, ich aber wache noch und muß des Nachts Briefe schreiben, damit kein Krieg ausbricht, damit man in Ruhe die Häuser auf dem Lande bauen kann, damit die Kinder im Sommer dorthin fahren können. Jedes Kind denkt nur an seine Schularbeiten und an seine Spiele, aber ich habe noch nicht einmal Zeit, zu lernen oder zu spielen, denn ich muß an alle Kinder meines Landes denken.« Macius ging in das Zimmer, in dem sein Spielzeug aufbewahrt wurde; es lag friedlich, staubbedeckt und unberührt da.

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König Macius der Erste

»Mein liebes HarlekinchenIch habe ihn in den Papierkorb geworfen.>Schöne Zeiten sind das, die königlichen Zähne werden in den Mülleimer geworfen.Ich weiß es noch nicht. Sofort:

Morgen um sechzehn Uhr wird König Macius mit der Eisenbahn eintreffen, um mit dem Flugzeug über die Wüste zu König Bum-Drum zu fliegen. Das Flugzeug kommt ebenfalls mit der Bahn an. Wenn das Flugzeug entladen wird, zerbrecht irgendein Rädchen, damit König Macius nicht fliegen kann. Das ist ein Geheimnis.« »>ch verstehe>Was? Mit dem Flugzeug? Ho, ho, das wird eine schöne Reise. Wie denn - schon morgen? Verbringen Sie doch ein paar Tage bei uns, König, und ruhen Sie sich aus. Kommen Sie zum Frühstück zu uns, meine Herren.>Ich willlieber hierbleiben und mit meinem einen Auge darauf achten, daß niemand am Flugzeug bastelt.>Ich werde schon aufpassenMag der weiße Mann ruhig schlafen, er ist sehr erschöpft von der Reise. Aber auch ihr habt genug gearbeitetnehmt dieses Geld und geht einen Wodka trinken.>Nun, wie sieht es aus?>Alles in OrdnungNun, wir können starten.>Hier fehlt ein Rädchen!>Wer kann es nur abgedreht haben? >Welches Rädchen?>Hier, hier befand sich ein Rädchen. Ohne dieses Rädchen kann man nicht fliegen.>Haben Sie denn kein Ersatzrädchen mitgenommen?>Wozu hätte ich das tun sollen? Bin ich ein Idiot, oder was? Ich habe mitgenommen, was unterwegs zerbrechen oder kaputtgehen kann, dieses Rädchen aber konnte weder kaputtgehen noch zerbrechen.>Vielleicht hat man vergessen, es einzuschrauben.>Wo denken Sie hin! Ich selbst habe es in der Fabrik montiert. Noch gestern, als der Motor aus der Kiste ausgepackt wurde, habe ich es gesehen. Jemand muß es absichtlich abgeschraubt haben.>Wenn dieses Rädchen geglänzt hatkönnten es die Neger weggenommen haben, denn sie mögen glänzende Gegenstände sehr.>Üh, was blitzt denn da? Sehen Sie einmal, meine Herren.>Was ist das für ein Teufelsland!>Die merkwürdigsten Dinge geschehen hier. Solange ich lebe, bin ich noch nie bei der Arbeit eingeschlafen, gestern aber ist es das erste Mal geschehen. Die verschiedensten Teile meiner Flugzeuge sind zerbrochen oder entzweigegangen, aber noch nie ist gerade dieses Rad, das immer sehr fest geschraubt wird, abhanden gekommen. Und wie ist es gerade hierher gelangt?>Nun, beeilen wir unsdenn wir haben schon eine ganze Stunde verloren.>Das ist ein Streich dieser schwarzen Teufel- der NegerSie ist ganz wie ein Vogel. Man sagt, der weiße König soll mit ihr zum Menschenfresser Burn-Drum fliegen.>Was denken sich die Weißen nicht alles aus?>Für michUnd habt ihr nicht bemerkt, daß jener Mechaniker, der keine Beine hat, eingeschlafen ist, nachdem der weiße Gepäckträger ihm eine Zigarre angeboten hatte? Das war ganz sicher eine Schlafzigarre.>Da steckt irgend etwas dahinter.>Üh, dort ist frischer Sand! Da ist etwas vergraben worden. Ich erinnere mich ganz genau, daß der Sand unter der Palme vor der Arbeit unberührt war.>Wie lange können wir uns noch in der Luft halten?>Höchstens noch sechs Stunden. Das Benzin würde vielleicht noch länger reichen, aber der Motor braucht so viel Öl, daß ich mir keinen Rat mehr weiß. Es ist heiß, da will er trinken- das ist kein Wunder. Dieses Bedürfnis zu trinken verstanden sie sehr gut, denn auch sie hatten nur noch einen geringen Wasservorrat. >>Trinken Sie, Eure Königliche Majestätich brauche weniger Wasser, denn meine Beine sind zu Hause geblieben und brauchen kein Wasser mehr. Ach, wird das schwer, nach dem Tod auf allen Vieren nach Hause zurückzukehren, um meine Beine wiederzufinden.>Fünfundvierzig Minuten nach sieben.>Fünfzig Minuten nach sieben.« >>Acht Uhr.« Aber eine Oase war nicht zu sehen. Hätte es wenigstens einen Sturm gegeben oder ein anderes Unglück, dann hätte es ihnen nicht so leid getan, sterben zu müssen. So aber war alles gut gegangen. Zehn Sekunden zu früh hatten sie die erste, vier Sekunden zu spät die zweite Oase überflogen. Noch immer flogen sie mit der gleichen Geschwindigkeit - nun, um fünf Minuten hätten sie sich verspäten können. Aber- um eine ganze Stunde? Fast schon am Ziel, sollte Macius' letzte gefährliche Reise schon heute zu Ende gehen. Alles hing von dieser Reise ab. Was nun? >>Vielleicht können wir den Kurs ändern?>Das ist leicht zu machen. Mein Flugzeug gehorcht mir auf den kleinsten Wink hin. Wie herrlich es fliegt! Es kann ja nichts dafür, was geschehen ist. Sei nicht traurig, mein teures Vögelchen. Den Kurs ändern- aber warum denn- welchen sollte man dann einschlagen? Ich denke, wir sollten weiterfliegen. Vielleicht spielt uns wieder irgend jemand solch einen teuflischen Streich wie den mit dem Rädchen. Auf welche Weise konnte es denn verschwinden, und warum ist es plötzlich wieder aufgetaucht? Schon wieder will der Motor trinken, hier hast du ein Gläschen Öl, du Dummkopf, aber vergiß nicht, übermäßiges Trinken bringt immer Unglück, dir ist ohnehin ein trauriges Los beschieden.« >>Eine Oase!« rief Macius, der ununterbrochen mit dem Fernglas Ausschau gehalten hatte, plötzlich. >>Um so besser«, erwiderte der Pilot, jetzt im Glück ebenso ruhig wie noch vor einem Augenblick im Unglück. >>Ja, eine Oase, das ist eine Oase. Unsere Verspätung beträgt eine Stunde und fünf Minuten. Das ist nicht so schlimm. Wir haben einen Vorrat für weitere drei Stunden, den brauchen wir nun nicht, denn wir haben keinen Gegenwind. Also, trinken wir jetzt zusammen.« Der Pilot goß sich einen Becher Wasser ein und stieß an die Ölkanne: >>Auf dein Wohl, Brüderchen.« Und nachdem er die Maschine reichlich geölt hatte, trank er den ganzen Becher Wasser aus. >>Erlauben Eure Königliche Majestät mir, für einen Augenblick das Fernglas zu benutzen, denn auch ich möchte mit meinem einen Auge dieses Wunder betrachten.« >>Sieh an, Burn-Drum hat schöne Bäumchen. Sind Eure Königliche Majestät denn auch sicher, daß Burn-Drum kein Menschenfresser mehr ist? Aufgegessen zu werden - das ist noch nicht das Schlimmste, wenn man weiß, man wird zumindest gelobt, weil man gut schmeckt. Ich aber bin mit Sicherheit hart und zäh, überdies wiege ich ohne Beine weniger, und eine Fleischbrühe aus gebrochenen Rippen wäre keineswegs nahrhaft.«

König Macius der Erste

Macius konnte sich nicht genug wundern, daß dieser schweigsame Mensch, der während der ganzen Eisenbahnfahrt fast gar nicht gesprochen hatte, plötzlich gesprächig und fröhlich wurde. >>Sind Eure Königliche Majestät auch überzeugt, daß das die richtige Oase ist? Wir könnten von neuem in diesen verfluchten Sand geraten, vielleicht wäre es besser, hier zu landen.>Wir könnten etwas niedriger fliegen, um das Land aus der Nähe zu betrachten.>Nun gutAber was ist das?>Hoch, so schnell wie möglich, hoch!>Bist du auch nicht verwundet?>Kein bißchen. Sie haben uns schön empfangen, diese schwarzen SpitzbubenJetzt bin ich überzeugt, daß es sich hier um die richtige Oase handelt. Die Räuber wagen sich nicht allzu weit in die Wüste, denn dort hätten sie ja nichts zu tun. Sie streichen in der Nähe von Burn-Drums Wäldern umher und lagern in der nächsten Oase.>Sind Eure Königliche Majestät sicher, daß wir nicht mit dem Flugzeug, sondern auf Kamelen zurückkehren werden?>Es ist anzunehmen, daß uns Burn-Drum auf die gleiche Weise wie das erste Mal zurückschicken wird. Übrigens kann man im Lande Burn-Drums zwar Öl bekommen, Benzin aber gibt es da bestimmt nicht.>Wenn das so istdann kann man es riskieren. Ein tüchtiger Lokomotivführer, der sich verspätet hat, beeilt sich, um noch rechtzeitig anzukommen. So werde ich es auch machen: Ich werde alles aus der Maschine herausholen, um genau nach Flugplan zu landen. Vielleicht ist dies der letzte Flug meines Lebens, also möchte ich ihn auch voll genießen.>Und die Pfeile schaden nichts?>Überhaupt nichts: Mögen sie da hängenbleiben. >Ho, ho, mein Pferdchen spürt bereits den StallNun gutaber hoffentlich gibt es in diesem Wald dort eine Lichtung, denn wir wollen doch nicht auf die Bäume herunterfallen. Ich bin zwar schon einmal in einem Wald gelandet, aber eigentlich habe nicht ich das getan, sondern das Flugzeug hat mich gelandet. Dabei habe ich mein Auge verloren. Ich war damals noch sehr jung, und auch die Flugzeuge waren es und gehorchten uns noch nicht.>Ein wenig nach rechtsZu weit, bitte etwas zurück.>Nach links, einen kleineren Kreis. Gut.>Oh, ich sehe, sehe sie. Da ist die Lichtung, aber was ist das?>Hoch!Na gut, aber auf ihren Köpfen können wir nicht landen.>Ja, wir müssen auf- und niedersteigen, bis sie verstehen, daß sie auseinandergehen sollen, sonst werden wir sie erschlagen.>Ach, es ist schadedaß meine Stadt keinen eigenen Hafen und keine Schiffe besitzt.>Ich muß zurückkehrenDas ist ausgezeichnet!>Bum-Drum möge hundert Neger kommen lassen, unsere Schneider werden sie lehren, wie man Kleider näht, unsere Schuster, wie man Schuhe macht und unsere Maurer, wie man Häuser baut. Wir werden ihnen Grammophone schicken, damit sie schöne Melodien kennenlernen, vorerst senden wir ihnen Trompeten, Trommeln und Flöten, danach Geigen und Klaviere. Wir werden sie unsere Tänze lehren- auch Zahnbürsten und Seife werden wir ihnen schicken.« Wenn sie sichdarangewöhnt haben, sind sie vielleicht nicht mehr so schwarz. Obwohl, um die Wahrheit zu sagen, es schadet überhaupt nichts, daß sie anders als wir aussehen. >>Ich weiß, was zu tun ist!« rief Macius plötzlich. >>Ich werde in Burn-Drums Hauptstadt einen schnurlosen Telegraphen einrichten. Dann werden sich alle Geschäfte mit ihnen einfacher erledigen lassen, denn fortwährend so weite Reisen zu unternehmen, das ist beschwerlich.« Und Macius rief die königlichen Handwerker herbei und befahl ihnen, für Burn-Drum zwanzig Anzüge und Mäntel, zwanzig Paar Schuhe und zwanzig Hüte anzufertigen. Der Friseur schnitt ihm die Haare. Burn-Drum ließ alles geschehen. Allerdings wurde ihm übel, als er eine Tube Schuhcreme und ein Stück duftende Seife, das man ihm zum Waschen gegeben hatte, aufgegessen hatte. Von dieser Zeit an achteten stets vier Diener auf Bum-Drum, damit er nicht wieder aus Versehen eine Dummheit beging.

Gleich für den Tag nach Macius' Ankunft hatte der Ministerpräsident eine Beratung einberufen, aber Macius hatte gebeten, sie noch aufzuschieben. Es fiel gerade schöner weißer, feuchter Schnee, und im Schloßpark hatten sich etwa zwanzig Burschen versammelt; unter ihnen waren auch Felek und Stasio; sie vergnügten sich so vortrefflich, daß auch Macius' Herz vom Spiel ergriffen wurde. >>Herr Ministerpräsident«, erklärte Macius, >>erst gestern bin ich von einer beschwerlichen und gefahrvollen Reise zurückgekehrt. Ich habe alles gut zu Ende gebracht. Darf ich mich nicht, wenngleich ich König bin, wohl einmal einen Tag lang etwas erholen? Ich bin doch ein kleiner Junge und spiele gern. Falls nichts außerordentlich Wichtiges vorliegt und man noch einen Tag warten kann, dann soll die Beratung morgen stattfinden, und ich werde heute den ganzen Tag mit den Jungen spielen. So schönerSchnee-sicher schon der letzte in diesem Jahr.«

Schnee - seinem Reiz kann sich kein Kind entziehen

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Ein Gefühl des Bedauerns für Macius stieg im Ministerpräsidenten auf, denn obwohl Macius ihn nicht um Erlaubnis gebeten, sondern nur gefragt hatte, ob die Möglichkeit bestünde, so klang dies doch, als hätte er ihn um Genehmigung für jenes Spiel gebeten. >>Ach, einen Tag kann man wohl warten«, sagte der Ministerpräsident. Und Macius vollführte vor Freude einen Luftsprung. Er zog einen kurzen Pelz an, der ihn beim Spiel nicht stören würde - und schon im nächsten Augenblick formte er Schneebälle und warf sie nach den Jungen. Die unterließen es anfangs, auch nach ihm zu werfen, sie wußten nicht, ob das erlaubt war. Doch als Macius bemerkte, daß niemand auf ihn zielte, rief er: >>Ich spiele nicht mehr mit euch! Hört mal, das ist doch kein Spiel, daß ich nach euch werfe, ihr aber nicht nach mir. Das ist kein Kunststück. Habt keine Angst: Ich bin imstande, mich zu verteidigen. Schneebälle - sind doch keine vergifteten Pfeile.« Also gut. Sie teilten sich jetzt in zwei Parteien. Eine griff an, die andere verteidigte sich. Es gab ein solches Geschrei, daß die Diener herbeikamen, um zu sehen, was da vorging. Und als sie den König sahen, wunderten sie sich zwar ein wenig, sagten jedoch nichts und gingen davon. Niemand hätte den König erkannt, wenn er nicht gewußt hätte, daß er es wirklich war. Er war wie alle anderen voller Schnee, denn er war ein paarmal hingefallen, und so mancher Schneeball hatte ihn an der Schulter, am Kopf und am Ohr getroffen. Er verteidigte sich verbissen. >>Hört mal zu!« rief er plötzlich. >>Wir wollen es so machen, wenn jemand von einem Schneeball getroffen wird, gilt er als erschlagen, er darf nicht länger an der Schlacht teilnehmen. Dann werden wir wenigstens wissen, wer gewonnen hat.« Dieser Vorschlag war nicht gut, denn viel zu schnell waren alle tot. Also vereinbarte man, daß derjenige, der dreimal getroffen war, als erschlagen gelten sollte. Es ist wahr, einige mogelten und blieben auch wenn sie dreimal getroffen waren - im Spiel. Immerhin ging es so besser. Es gab weniger Lärm, die Schneebälle ließen sich besser formen, und man zielte genauer. Als nur noch wenige übrig waren, galt der als erschlagen, der hinfiel. Schön - wunderschön war dieses Spiel. Später bauten sie einen riesigen Schneemann, gaben ihm einen Besen, Augen aus Kohlen und eine Mohrrübennase. Ein ums andere Mal eilte Macius in die Schloßküche. >>Herr Koch, bitte geben Sie mir zwei Stückehen Kohle.« >>Herr Koch, bitte geben Sie mir eine Mohrrübe für die Nase des Schneemanns. « Der Koch wurde ärgerlich, denn hinter Macius kamen alle Jungen hereingestürmt, und weil es in der Küche sehr warm war, taute der Schnee und verschmutzte den Fußboden.

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König Macius der Erste

»Achtundzwanzig Jahre bin ich königlicher Koch, aber ich erinnere mich nicht, daß meine Küche jemals wie ein Schweinestall ausgesehen hat«, brummte der Koch und trieb zornig die Küchenjungen an, den Fußboden aufzuwischen. »Schade, daß es im Lande Burn-Drums keinen Schnee gibt«, dachte Macius. >>Ich würde die Negerkinder lehren, wie man Schneemänner baut!« Als der Schneemann fertig war, schlug Felek vor, Schlitten zu fahren. Es gab vier kleine Schlitten für die Königskinder und vier Ponys. Man spannte sie ein. >>Wir werden selbst kutschieren«, sagte Macius zu den Stallknechten. >>Wir werden im Park um die Wette fahren: Sieger ist, wer als erster fünfmal um den ganzen Park gefahren ist.>GutDer will mich sicher abholenIch bitte um Entschuldigung, ich bitte hundertmal um Entschuldigung, Eure Königliche Majestät. Es tut mir über alle Maßen leid, daß ich Eure Königliche Majestät beim Spiel stören muß.>Das läßt sich nicht ändern. Spielt ohne mich weiterWas ist denn geschehen?>Unser wichtigster Spion ist aus dem Ausland zurückgekehrtEr hat Neuigkeiten mitgebracht, die er nicht brieflich mitteilen konnte, denn er fürchtete, sein Brief könnte in die falschen Hände geraten. Wir müssen sofort eine Beratung durchführen, da er in drei Stunden wieder ins Ausland reisen wird.>Ich bin Chefspion beim ersten ausländischen König>Einen Augenblick, das ist noch nicht alles«, fuhr der Chefspion mit seiner angenehmen, leisen Stimme fort. >>Er hat noch Schlimmeres vor. Er wußte, daß Eure Königliche Majestät beabsichtigen, an die ausländischen Könige anläßlich der feierlichen Eröffnung des Sejms Einladungen zu verschicken, und so bestach er unseren Sekretär, damit dieser anstelle der Einladungen eine gefälschte Kriegserklärung absendet.« >>Ach, so ein Schuft. Als ich dort zu Gast war, habe ich gleich gemerkt, daß er mich nicht ausstehen kann.« »>ch bin noch nicht fertig. Oh, er ist sehr klug, dieser Sohn des alten Königs. Für den Fall, daß es dem Sekretär nicht gelingen sollte, die Briefe hier zu vertauschen, sind zwei gleiche Schriftstücke mit der gefälschten Unterschrift des Königs Maciu§ vorbereitet, welche an den Hof des traurigen König und an den Freund der gelben Könige abgesandt werden sollen. Doch nun gestatten mir Eure Königliche Majestät, ihn ein klein wenig zu verteidigen.>Aber wie können Sie denn solch einen verräterischen Räuber verteidigen?>Es ist nicht so einfach: Er trägt Sorge für sein Land wie wir für das unsere. Wir möchten am mächtigsten sein, und sie wollen es ebenso. Es hat keinen Sinn, darüber zu zürnen, man muß nur auf der Hut sein und zur rechten Zeit Maßnahmen ergreifen.>Was muß ich also tun?>Eure Königliche Majestät sollten sofort die Einladungen an die ausländischen Könige unterschreiben, und ich werde sie heimlich mitnehmen. Auf der morgigen Versammlung werden Sie beraten, wann und auf welche Weise die Könige einzuladen sind, ganz so, als hätte man die Briefe noch nicht abgeschickt. Man muß dem Sekretär Zeit geben, die Schriftstücke auszutauschen, sie buchstäblich im letzten Moment öffnen- um ihn daraufhin zu verhaften.>Nun gut, aber was wird mit der Festung und mit jener Kanonenfabrik geschehen?>Ach, das ist eine KleinigkeitDie Festung und die Fabrik werden in die Luft gesprengt. Eigens in dieser Angelegenheit bin ich hergereist, die Erlaubnis Eurer Königlichen Majestät zu erwirken.>Wie das? Wir haben doch keinen Krieg. Das ist etwas vollkommen anderes, wenn man zu Kriegszeiten die feindlichen Pulvervorräte in die Luft sprengt. Aber jetzt: Soll ich einen Gast einladen und so tun, als wüßte ich von nichts, um ihm dann einen solchen Schaden zuzufügen?>Ich versteheEure Königliche Majestät sind der Meinung, es sei unehrenhaft und nicht schön. Wenn Eure Königliche Majestät die Erlaubnis nicht erteilen, werde ich es unterlassen. Aber das wäre nicht gut: Er verfügt über sechsmal mehr Pulver als wir.>Und wie würden Sie das anstellen?>Der Gehilfe des Chefingenieurs jener Fabrik wurde von uns bestochen. Er weiß genau, wo sich alles befindet. Es gibt da ein kleineres Gebäude, das zur Lagerung von Brettern dient. Niemand wird davon erfahren. Dort liegt viel Sägemehl, das sich entzünden wird, ein Feuer wird ausbrechen.>Nun, man wird den Brand löschen.>Das wird man nicht tunDenn seltsamerweise wird zur gleichen Zeit das Hauptrohr der Wasserleitung platzen, und in der ganzen Fabrik wird es nicht einen Tropfen Wasser geben. Eure Königliche Majestät können ganz beruhigt sein.>Und Arbeiter können dabei nicht getötet werden?>Brände brechen gewöhnlich nachts aus, und so werden nur wenige Arbeiter dabei zu Schaden kommen. Im Fall eines Krieges kämen hundert-, nein tausendmal mehr Menschen um.>Ich weiß, ich weiß,,, erwiderte Maciu§. >>Eure Königliche Majestät, wir müssen es tunIch weiß, wir müssen es tunWarum fragen Sie mich eigentlich um Erlaubnis?>Anders zu handeln, ist uns nicht erlaubt.>Sie müssen es tun. Zünden Sie also die Fabrik an, aber lassen Sie die Festung unbeschädigt.>Jetzt verstehe ich, warum jener traurige König solch wehmütige Melodien auf seiner Geige spielt. Und ich verstehe, warum er damals diesen Krieg gegen mich führen mußte, obwohl er ihn nicht wollte.>Herr Minister>in meinem Arbeitszimmer ist eine Fensterscheibe entzwei, deshalb habe ich mich erkältet.Der Angeklagte möge die Wahrheit sprechen, das kann ihm helfen. Sollte er aber lügen, ist alles verloren.>Ich werde die Wahrheit sagen.>Angeklagter, seit wann sind Sie Spion?>Seit drei Monaten.>Angeklagter, warum wurden Sie Spion?>Ich hatte beim Kartenspiel viel Geld verloren und konnte nicht bezahlen. Dergleichen Schulden muß man aber innerhalb von vierundzwanzig Stunden tilgen. Und so habe ich Staatsgelder entwendet.>Sie haben gestohlen.ch hatte die Absicht, es zurückzugeben, sobald ich das verlorene Geld wiedergewonnen hätte.>Nun, und weiter?>Ich habe wieder Karten gespielt, um es zurückzugewinnen, und dabei noch mehr verloren.>Wann war das?>Vor etwa einem halben Jahr.> Wieviel hat er Ihnen gezahlt?« >>Ganz verschieden: Für wichtige Nachrichten habe ich viel erhalten, für belanglosere wenig. Aber hierfür sollte ich eine sehr große Summe bekommen.« >>Meine Herren Richter-Generäle«, ließ sich der Justizminister vernehmen. >>Dieser Mensch ist für drei Verbrechen verantwortlich: Das erste Verbrechen war, daß er Staatsgelder unterschlagen hat, das zweite, daß er Spion ist. Und das dritte besteht darin, daß er einen Krieg vom Zaune brechen wollte, in welchem wieder viele unschuldige Menschen umgekommen wären. Entsprechend Paragraph 174 fordere ich für ihn die Todesstrafe. Der Angeklagte ist kein Militärangehöriger, deshalb braucht man ihn nicht zu erschießen, es reicht, ihn zu hängen. Was den Staatssekretär anbelangt, so ist dieser auch für seinen Gehilfen verantwortlich. Auch ich gehe gern in den Zirkus, aber er wäre verpflichtet gewesen, auf einer so wichtigen Sitzung persönlich anwesend zu sein, und nicht einen Spion zu schicken. Das ist ein arges Versäumnis, und dafür gebührt ihm ein halbes Jahr Gefängnis.>Warum hat unser Spion berichtet, der Sekretär werde es tun, und nicht sein Gehilfe?« >>Ach, die Nachrichten der Spione können mitunter etwas ungenau sein. Ein Spion darf nicht allzuviel fragen, das würde die Aufmerksamkeit auf ihn lenken: Man würde sich wundern, warum will er alles so genau wissen? Sie müssen sehr vorsichtig sein.« >>Und wie klug war doch sein Rat, ihn nicht gleich zu verhaften, sondern damit bis zur Sitzung zu warten«, sagte Macius erstaunt. >>Ich war fortwährend im Begriff, ihn verhaften zu lassen.« >>Üh nein, so kann man das nicht machen. Am besten ist es, Unkenntnis vorzutäuschen und ihn auf frischer Tat zu ertappen. So ist es ihm nicht mehr möglich, irgendwelche Ausflüchte zu finden.« Der Zeremonienmeister klopfte dreimal mit einem silbernen Stab auf den Tisch, und die Generäle betraten den Saal: >>Das Urteil lautet: Der Staatssekretär wird zu einem Monat Haft verurteilt, sein Gehilfe wird gehängt. « Der Verurteilte begann laut zu weinen und um Gnade zu flehen, so daß Macius Mitleid mit ihm bekam. Außerdem erinnerte sich Macius, wie er selbst vor einem Kriegsgericht gestanden hatte, und daß er nur am Leben geblieben war, weil sich die Richter gestritten hatten, ob sie ihn erschießen oder hängen sollten.

Unpassende Pressemeldungen über Macius und Felek

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>>Eure Königliche Majestät haben das Recht der Begnadigung. Eure Königliche Majestät können die Todesstrafe in lebenslängliche Haft umwandeln.« Maciu§ schrieb auf das Urteil:

Ich wandle es um in lebenslängliche Gefängnisstrafe. Und nun ratet einmal, wann Maciu§ schlafen ging? Um drei Uhr nachts.

Macius hatte sein Frühstück noch nicht beendet, als schon der Journalist erschien: >>Ich wollte der erste sein, der Eurer Königlichen Majestät die heutige Zeitung bringt. Ich denke, Eure Königliche Majestät werden zufrieden sein.>Und was gibt es Neues? >Lesen Sie bitte selbst.>Der größte Wald des ausländischen Königs steht in FlammenDas ist doch sonderbarich begreife, daß im Sommer, wenn der Wald trocken ist, ein Brand entstehen kann; aber jetzt, wo doch noch vor kurzem Schnee gelegen hat? Auch soll es einen Knall gegeben haben. Wenn der Wald brennt, gibt es doch normalerweise keinen Knall.>Wie denken Eure Königliche Majestät darüber?>Diese Feuersbrunst ist doch irgendwie verdächtig.>Man muß vorsichtig sein.>Angeblich ist der Staatssekretär gestern zu einem Monat Haft verurteilt worden? - Ich habe diese Nachricht nicht in unserer Zeitung drucken lassen, weil es die Kinder wenig kümmert, was mit den Erwachsenen geschieht. Wenn in ihrem Ministerium irgendein Durcheinander eingetreten wäre, so wäre das etwas anderes. Eure Königliche Majestät wissen überhaupt nicht, welche glückliche Entscheidung es war, Felek zum Minister zu machen. Die Soldaten freuen sich, daß der Sohn eines Unteroffiziers Minister geworden ist. Die Zeitungsjungen kennen Felek, denn er hat schon vor dem Krieg gelegentlich Zeitungen verkauft. Nun, und auch alle anderen Kinder sind froh. Aber wofür mußte eigentlich dieser arme Staatssekretär ins Gefängnis?>Wegen Unordnung in der KanzleiAch, es scheint mir nur so. Ich bin erschöpft, außerdem habe ich in den letzten Tagen so viel über Spione gehört, daß ich bereit bin, jeden zu verdächtigen.>Stellen Sie sich das vor. Überall in der Stadt waren diese Affen verstreut, und ich hatte achtzugeben, daß nicht irgendein Gassenjunge mit Steinen nach ihnen warf, daß sie nicht überfahren wurden, na - und daß sie niemanden aufaßen, denn das hätte leicht geschehen können.« Macius mußte ihm einen Orden verleihen. Überhaupt verteilte er während der Festlichkeiten die verschiedensten Orden: Die schwarzen Könige befestigten ihre an der Nase, die weißen an der Brust. Und alle waren sehr zufrieden. Noch eines bereitete Macius Sorge. Denn den schwarzen Königen gefiel die Jagd nicht. Und das war nicht verwunderlich: Menschen, die es gewohnt sind, Elefanten, Tiger und Krokodile zu töten, konnte eine Jagd auf Hasen und Rehe keine Freude bereiten. Möglicherweise gefiel auch den weißen Königen das eine mehr, das andere weniger, aber sie hatten eine gute Erziehung genossen und taten so, als seien sie mit allem zufrieden, denn sie wußten, daß sich Macius große Mühe gab. Die wilden Könige aber waren schlecht erzogen und meinten vielleicht sogar, Macius treibe seinen Scherz mit ihnen. Denn sie stimmten ein höllisches Geschrei an und begannen, mit ihren Bogen und Speeren, die ihnen auf dieser unglückseligen Jagd als Waffen dienen sollten, zu drohen, so daß sich die weißen Könige in die Autos setzen und einschließen wollten, aber Burn-Drum lief wie toll herum und winkte mit den Armen, um die Empörten zu beruhigen, was ihm schließlich auch gelang. Die Jagd verlief ohne Abenteuer. Die weißen Könige erlegten sogar zwei Wildschweine und einen Bären - und dachten, die schwarzen Könige müßten schließlich einsehen, daß es auch in Europa gefährliche Tiere gibt. Derjenige, der den Bären getötet hatte, stand bis zum Ende der Jagd bei den Schwarzen, als sei er ihr Freund, und rühmte sich mit Gesten seiner Schießkunst und daß er ein großer Jäger sei. Er besah

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ihre Bogen und Pfeile und bat sogar darum, im Sommerpalast übernachten zu dürfen. Am nächsten Tag beim Frühstück erklärte er, die Schwarzen seien sehr nett, man könne vieles von ihnen lernen - und wer weiß, vielleicht sind die Speisen viel schmackhafter, wenn man sie mit den Fingern ißt, statt mit scharfen und kalten Gabeln.

Etwas Unerhörtes war geschehen: Burn-Drums Tochter, die kleine mutige Klu-Klu, war zusammen mit den Affen in einem Käfig bei Maciu§ angekommen. Und das kam so: Der zoologische Garten war schon fertig. Alle Tiere saßen in ihren Käfigen. Am Mittwoch sollte der Garten feierlich eröffnet und am Donnerstag den Kindern zum Spielen freigegeben werden. Vorher aber sollte noch eine Kiste mit drei seltenen Affen ankommen, die bis jetzt noch kein weißer König in seinem Tiergarten hatte. Man beabsichtigte, diese Kiste während der Festlichkeiten zu öffnen. Die Kiste würde so geöffnet werden, daß die Affen sofort in den Käfig laufen mußten. Alle standen dabei und schauten zu. Kaum hatte man ein Brett gelöst, als schon der erste Affe in den Käfig sprang, gleich darauf folgte der zweite. Aber der dritte fehlte. Als man die Kiste von der Tür des Käfigs zurückschob, sprang die kleine Klu-Klu heraus, warf sich Burn-Drum zu Füßen und redete in der Sprache der Neger auf ihn em. Burn-Drum wurde furchtbar zornig, und obwohl er nicht mehr so wild war wie einst, wollte er der ungehorsamen Klu-Klu einen Fußtritt versetzen, doch Maciu§ nahm sie in Schutz. Klu-Klu hatte schlecht daran getan, von zu Hause auszureißen. KluKlu hatte schlecht daran getan, des Nachts eigenhändig eine Kiste zu öffnen, einen Affen herauszulassen und dessen Platz einzunehmen. Aber Klu-Klu war schon genug bestraft. Denn selbst für ein Negerkind ist es sehr unangenehm- sechs Wochen lang in einer Kiste mit Affen zu reisen. Und schließlich war Klu-Klu kein gewöhnliches Negerkind, sondern eine an Bequemlichkeit gewöhnte Königstochter. Übrigens hatte sie in der Kiste nicht einmal die gleichen Annehmlichkeiten wie die Affen, denn sie konnte nicht zu dem Fensterehen gehen, durch das die Nahrung gereicht wurde, da sie fürchtete, unterwegs entdeckt und nach Hause geschickt zu werden. >>König Bum-Drum, lieber Freund Bum-Drum«, sprach Maciu§ ergriffen, >>du kannst stolz sein auf deine Tochter. Kein weißes Mädchen und kein weißer Junge hätte etwas Ähnliches fertiggebracht.«

Klu-Klu ist außergewöhnlich begabt und lernfähig

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>>Ich kann dir dieses ungehorsame Mädchen, das du so verteidigst, schenken«, erwiderte der aufgebrachte Bum-Drum. >>Gut«, Macius war einverstanden, >>sie soll in meinem Schloß bleiben, sie soll lernen, und wenn sie einst Königin ist, wird sie unter den Schwarzen genauso eine Reformatorin sein, wie ich unter den Weißen der König Reformator bin.« Es war seltsam: Eine Stunde nach diesem Vorfall verhielt sich Klu-Klu bereits so, als lebte sie schon lange hier. Und als der alte Professor, der fünfzig Sprachen kannte, sich in der Sprache der Neger an sie wandte und ihr erklärte, was Macius mit ihr vorhatte- antwortete sie sofort: >>Genauso habe ich es mir gedacht. Mein goldiger, Iöwen- und krokodilähnlicher Professor, beginne nur gleich, mich eure Sprache zu lehren, denn sonst kann ich nicht ausdrücken, was ich denke, aber ich habe wichtige Pläne, und ich warte nicht gern, liebe es nicht, etwas aufzuschieben.>ich muß bekennen, du hast sehr kühn begonnen, deine Reformen sind sehr interessant und wichtig. Vorläufig geht dir alles gut, ja sehr gut von der Hand. Aber denk daran: Reformen kosten harte Arbeit, Tränen und Blut. Du stehst erst am Anfang. Gib dich nicht der Täuschung hin, es müsse immer so sein. Vertrau deiner Kraft nicht allzusehr.« >>Üh, ich weiß«, erwiderte Maciu§, >>es ist schwierig.>Das Schlimmste ist, daß ich keinen eigenen Hafen besitzeUnd man macht mir Schwierigkeiten mit dem Transport des Goldes.>Weißt du, Maciu§, ich denke, der alte König würde dir einen seiner Häfen geben.>Ach, wie könnte er das. Sein Sohn erlaubt es ihm nicht.>Aber ich denke, er wird es erlauben.>Aber er haßt mich doch. Er beneidet, er beargwöhnt mich, er ist beleidigt - und noch vieles mehr.Warum?>Weil er dich fürchtet. Auf meine Freundschaft kann er nicht zählenAber die Schiffe muß Macius bezahlen«, fügte der Sohn schnell hinzu. >>Immerhin hat er viele reiche Freunde.« >>Aber mit dem größten Vergnügen«, Macius freute sich. Sogleich wurden der Außenminister und der Staatssekretär gerufen, man setzte ein entsprechendes Schriftstück auf, das alle Könige unterzeichneten. Der Zeremonienmeister brachte das Kästchen, und Macius drückte mit zitternden Händen sein Siegel auf. Es war höchste Zeit, zu Ende zu kommen, denn soeben hatte man mit dem Feuerwerk begonnen. Viel gab es da zu sehen. Die ganze Stadt war auf der Straße. Der Park war für die Abgeordneten, die Soldaten und Beamten reserviert. Die Journalisten, die aus aller Welt gekommen waren, nahmen gesonderte Plätze ein, um für ihre Zeitungen von diesen Wundern zu berichten. Auf den Balkonen, an den Fenstern und auf der Schloßterrasse hatten sich die Könige versammelt. Ein Teil der wilden Könige war auf das Dach geklettert, um besser sehen zu können. Soeben flammte der Turm auf. Bengalische Feuer, Raketen, grüne und rote Kugeln flogen himmelwärts. Feuerschlangen waren zu sehen. Und Mühlen, die immer wieder andere Farben zeigten. Ein Schrei der Bewunderung entrang sich den Kehlen, als der feurige Wasserfall gezündet wurde. Und alles geschah unter großem Geknall und Gedröhn. >>Mehr, mehr!« schrien die afrikanischen Kömge, die erstaunt und bezaubert waren, und Macius den König des hundertfarbigen Himmels und den Bezwinger des Feuers nannten. Aber man mußte früh schlafen gehen, denn für den Morgen des nächsten Tages war die Abreise der Gäste geplant. Hundert Orchester spielten auf den Straßen, als die königlichen Autos die Gäste zum Bahnhof brachten. Und in zehn königlichen Zügen verließen die weißen, schwarzen und gelben Könige Macius' gastfreundliche Hauptstadt.

König Macius der Erste

>>Wir haben einen großen diplomatischen Sieg errungenWas bedeutet das?>Majestät sind ein GenieEure Königliche Majestät haben, ohne es zu wissen, etwas Großes geleistet. Nicht nur im Krieg kann man einen Sieg erringen: Einer wird geschlagen und muß dafür etwas abtreten. Ein diplomatischer Sieg - das bedeutet, anderen etwas Nützliches abzulisten, ohne darum Krieg führen zu müssen. Wir haben einen Hafen, das ist das wichtigste.>Ich denke: Das war wohl schon lange zu erwarten.>Keiner der erwachsenen Könige arbeitet so viel wie er.>Wie elend er in letzter Zeit aussieht.>Und er hat fast nichts gegessen.>Aber man durfte ihn nicht darauf aufmerksam machen, er wurde gleich böse.>Ja, er war in der letzten Zeit sehr ungeduldig.>Es wäre am besten, nach dem Doktor zu schicken.>Was ist geschehen, wie spät ist es?>Teurer, geliebter Macius, mein liebes Kind, ich kenne dich von der Wiege an. Ich bin alt. Es liegt mir nichts mehr an meinem eigenen Leben. Befiehl, mich zu hängen, zu erschießen, ins Gefängnis zu werfen, es ist mir gleich. Als dein Vater starb, vertraute er dich meiner Obhut an. Ich erlaube dir nicht, das Bett zu verlassen, und basta. Und sollte

Macius ist total erschöpft und braucht Erholung

jemand kommen, dir den Kopf zu verdrehen, so laß ich ihn die Treppe hinunterwerfen. Macius, was andere Könige in zwanzig Jahren tun, willst du in einem Jahr erreichen. Das ist unmöglich. Schau nur, wie du aussiehst. Nicht wie ein König, sondern wie das Kind des letzten Bettlers. Wenn der Polizeipräfekt an Gewicht verliert, so ist das für diesen dicken Menschen sogar gesund. Aber wenn du, Macius, abnimmst, ist das bedenklich, denn du wächst ja noch. Um alle Kinder sorgst du dich. Morgen werden zwanzigtausend Kinder aufs Land fahren. Warum willst du dich zugrunde richten? Na, sieh nur selbst. Es ist eine Schande für mich, eine wirkliche Schande, daß ich alter Schwachkopf ... Du wirst krank werden und sterbenund dein Werk nicht vollenden. Du bist ja schon krank.>Wie gut ist es, daß ich krank bin>Lieber Felek, ich hatte dich doch gebeten, den König nicht zu behelligen.>Erziehungs-ApothekeHerr Doktor, ich bitte Sie, ruhiger mit mir zu sprechen und sich in Ihrer Anrede meines wirklieben Namens zu bedienen. >>Und wie heißt du wirklich?« fragte der Doktor erstaunt. >>Ich bin Baron von Rauch.>Seit wann?« >>Seit dem Augenblick, da Seine Königliche Majestät mir diesen Titel in einem offiziellen Akt gnädigst verliehen haben.« Und Felek wies auf das auf dem Tischehen liegende Schriftstück, auf dem Macius' Unterschrift noch nicht getrocknet war. Der lange Dienst bei Hofe hatte den Doktor Disziplin gelehrt. Also änderte er sogleich seinen Ton und sprach ruhig, aber entschieden: >>Herr Baron von Rauch, Seine Königliche Majestät befinden sich auf Genesungsurlaub, und für den Verlauf der Kur bin ich verantwortlich. Gemäß dieser Verantwortung verlange ich, daß Herr Baron von Rauch unverzüglich dahin fahren mögen, wo der Pfeffer wächst.« >>Dafür werden Sie sich noch zu verantworten haben«, drohte ihm Felek, steckte die Papiere in die Aktentasche und ging beschämt davon. Macius war dem Doktor aufrichtig dankbar, um so mehr, als KluKlu sich ein neues Spiel ausgedacht hatte: Pferde mit einem Lasso fangen. Sie verwendeten ein langes, starkes Seil, an dessen Ende eine Bleikugel befestigt wurde. Die Kinder stellten sich wie Jäger hinter den Bäumen auf. Der Stallknecht ließ zehn Ponys aus dem königlichen Stall. Die Kinder fingen sie mit dem Lasso ein und ritten auf ihnen, ohne sie vorher gesattelt zu haben. Klu-Klu konnte nicht zu Pferde reiten, denn in ihrem Land ritt man auf Kamelen und Elefanten. Aber sie lernte es schnell. Nur liebte sie es nicht, wie eine Dame zu reiten, sie mochte keinen Sattel. >>Ein Sattel ist gut für Greise, die die Bequemlichkeit lieben. Aber wenn ich reite, dann möchte ich auf einem Pferd und nicht auf einem Kissen sitzen. Ein Kissen ist nachts im Bett gut, aber nicht beim Spielen.« Wieviel Freude hatten die Dorfkinder in diesem Sommer. Fast alle Spiele waren Gemeinschaftsspiele. Und sie lernten von Klu-Klu nicht nur neue Spiele, neue Märchen und Lieder, sie unterwies sie nicht nur in der Herstellung von Bogen und Laubhütten, im Flechten von Körben und Hüten und darin, wie man auf neue Art Pilze sammelt und trocknet; Klu-Klu, die doch vor zwei Monaten noch nicht einmal ihre Sprache kannte, wurde nun die Lehrerin der Viehhirten und brachte ihnen das Lesen bei. Von jedem neuen Buchstaben sagte Klu-Klu, er sähe einem Würmchen ähnlich. >>Wie? Ihr kennt die verschiedensten Fliegen, Würmer, Insekten, Kräuter, ihr kennt Hunderte von ihnen, aber diese albernen dreißig

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König Macius der Erste

Buchstaben könnt ihr nicht im Gedächtnis behalten? Ihr könnt das bestimmt, es erscheint euch nur schwer. Genauso ist es, wenn man zum ersten Mal schwimmt oder auf dem Pferd sitzt oder auf dem Eis steht. Es genügt, sich zu sagen: Das ist leicht, und es wird leicht sein.« Und die Hirten sagten sich: Lesen ist leicht! Und sie begannen zu lesen. Ihre Mütter aber klatschten staunend in die Hände. »Dieses schwarze Mädchen ist prächtig- oh ja! Der Lehrer hat sich das ganze Jahr den Mund fusselig geredet, mit dem Lineal geschlagen, an Ohren und Haaren gezogen, ohne Ergebnis, sie saßen da wie Klötze, sie aber sagte nur, die Buchstaben sind Fliegen, und schon hat sie es ihnen beigebracht.>Wie sie die Kuh gemolken hat, das hättet ihr sehen sollen.>Bei mir ist ein Kalb krank geworden. Dieses Kind hat es nur angesehen und gemeint: >Das Kalb wird in drei Tagen sterben.< Ich habe das auch ohne sie gesehen; es wäre nicht das erste Kalb gewesen, das mir stirbt. Sie aber sagte: >Wenn bei euch ein bestimmtes Kraut wächst, kann ich das Kalb retten.< Da ich neugierig geworden war, ging ich mit ihr. Sie suchte und suchte, roch mal hier, kaute dort ein wenig. Und dann meinte sie: >Was ich suche, gibt es hier nicht, wir werden dieses probieren müssen, es hat fast den gleichen bitteren Geschmack.< Sie sammelte das Kraut, gab etwas heiße Asche hinzu, mischte alles, so geschickt wie ein Apotheker, dann schüttete sie es in die Milch und gab es dem Kalb. Das trank von der Milch, obgleich sie bitter war und nicht schmeckte, gerade so, als ob es verstanden hätte, es muhte, trank noch einmal und leckte sich. Und was meint ihr? Es ist gesund. Na, ist das nicht ein Wunder?>Ein kluges, fröhliches und braves Kind, schade nur, daß sie so schwarz ist.>Obwohl, wenn man sichdarangewöhnt hat, ist sie gar nicht mehr häßlichKönnten nicht die Kinder der ganzen Welt eine grüne Fahne haben?>Die Arbeiter wählten eine rote Fahne, denn >an ihr klebt das Blut der ArbeiterBaron von Rauch«, meldete ein Diener. Felek trat ein. >>Morgen wird die erste Sitzung des Propar nach der Sommerpause stattfinden«, sagte Felek, >>sicher möchten Eure Königliche Majestät einige Worte an die Abgeordneten richten?« >>Was soll ich ihnen denn sagen?« >>Gewöhnlich sagen die Könige, es freue sie, daß das Volk seinen Willen äußert, und wünschen Erfolg bei der Arbeit.« >>Gut, ich werde kommen«; Macius war einverstanden. Aber er fuhr nicht gern hin. Bestimmt würde es furchtbar laut zugehen, viele Kinder würden dasein, und alle würden ihn anstarren. Aber als Macius sah, daß sich hier Kinder aus dem ganzen Land versammelt hatten, um zu beraten, wie man regieren müsse, damit es allen gut ginge und alle fröhlich wären, als er an der Kleidung die Dorfkinder erkannte, mit denen er vor kurzer Zeit noch gespielt hatte, da durchströmte ihn neue Kraft - und er sprach sehr schöne Worte: >>Ihr seid Abgeordnete«, sagte Macius. >>Bisher bin ich allein gewesen. Ich wollte so regieren, daß es euch gut geht. Aber einer allein kann schwerlich erraten, was alle brauchen. Euch fällt das leichter. Die einen wissen, woran es in den Städten fehlt, die anderen wissen, was man auf dem Lande braucht. Die Jüngeren wissen, was die kleinen, die anderen, was die älteren Kinder brauchen. Ich denke, irgendwann werden die Kinder der ganzen Welt zusammenkommen, so, wie das unlängst die Könige getan haben- und die weißen, schwarzen und gelben Kinder werden sagen- was jedes von ihnen benötigt. Die schwarzen Kinder, zum Beispiel, brauchen keine Schlittschuhe, denn bei ihnen gibt es keine Eisbahnen. Die Arbeiter«, sagte Macius, >>haben schon ihre rote Fahne. Vielleicht wählen die Kinder die grüne Fahne, denn die Kinder lieben den Wald, und der Wald ist grün ... « Und lange - lange sprach Macius, und die Abgeordneten härten zu. Und das war ihm angenehm. Dann erhob sich der Journalist und sagte, jeden Tag werde eine Zeitung für Kinder erscheinen, damit diese alle interessanten Neuigkeiten lesen könnten, und jeder, der wolle, könne für die Zeitung schreiben. Dann fragte er, ob es ihnen auf dem Lande gefallen habe. Und es begann ein solches Geschrei, daß man nicht unterscheiden konnte, wer was sagte. Polizisten, die Felek herbeigerufen hatte, betraten den Saal. Es wurde etwas ruhiger.

Die chaotische erste Sitzung des Kinderparlaments

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Felek erklärte, man würde jeden, der Lärm mache, vor die Tür werfen, und jeder solle erst sprechen, wenn er an der Reihe sei. Zuerst sprach ein Junge, barfüßig und in einer abgetragenen Jacke: »>ch bin Abgeordneter und möchte berichten, daß es uns überhaupt nicht gut gegangen ist. Es gab keinerlei Spiele, das Essen war schlecht, und wenn es regnete, tropfte uns das Wasser auf den Kopf, weil die Dächer Löcher hatten.>Und wer muß auf sie aufpassen und sie in den Schlaf wiegen?« >>Und man muß ihnen nachgeben, denn sie sind noch klein.« >>Und ein gutes Beispiel geben. Hat so ein Winzling etwas angestellt, so schimpft man nie mit ihm, sondern mit mir. >Von dir hat er das gelernt.< Aber habe ich ihm etwa befohlen, mich nachzuäffen?« Der Journalist schrieb auch das auf.

r. Im Polnischen: >>klipaMein lieber Maciu§, gestatte mir doch mal, zu einer Sitzung zu gehen. Ich werde ihnen schon etwas erzählen. Warum gibt es denn keine Mädchen in eurem Parlament?>Es gibt einige, aber die sagen nichts.>Dann werde ich für alle sprechen. Was für ein Gedanke ist das: Auf irgendeinem Hof gibt es ein unausstehliches Mädchen, also soll es überhaupt keine Mädchen mehr geben. Und wie viele unerträgliche Jungen gibt es? Dann sollte es wohl auch keine Jungen mehr geben? Ich verstehe nicht, daß die Weißen, die sich doch so viele kluge Dinge ausgedacht haben, noch immer so dumm und wild sein können.>Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung: Die Sache, jedes Kind soll eine Uhr haben, Punkt eins. Die Sache, man soll die Kinder nicht mehr abküssen, Punkt zwei. Die Sache, die Kinder sollen mehr Taschen haben, Punkt drei. Die Sache, es soll keine Mädchen mehr geben, Punkt vier.>Wenn Vaters oder Mutters Uhr nachgeht, warum muß ich darunter leiden?>Wenn ich eine eigene Uhr habe, werde ich schon achtgeben, daß sie richtig geht.>Eine Uhr brauchen wir nicht nur für die Schule«, sagte ein dritter Abgeordneter. >>Wenn wir uns zum Mittagessen oder abends verspäten, schnauzt man uns an. Aber wie sollten wir schuld sein, wir wissen doch nicht, wie spät es ist, denn wir haben keine Uhren?« >>Auch für unsere Spiele brauchen wir eine UhrWenn wir um die Wette laufen oder probieren, wer länger auf einem Bein stehen kann, dann geht das ohne Uhr auch nicht so recht.>Und wenn wir uns für eine Stunde ein Boot ausleihen, betrügt man uns. Man sagt, eine Stunde ist um, dabei ist das gelogen, aber zahlen müssen wir für eine ganze Stunde.>Wir kommen zur Abstimmung. Mir scheint, der Beschluß, alle Kinder sollten eine Uhr haben, ist einstimmig angenommen.>Wir werden anfangen, an ihnen herumzudrehen, und sie werden entzweigehen. Es wäre schade um das Geld. Auch könnte man sie verlieren. Geht man auf den Händen, so fällt die Uhr heraus und ist kaputt. Nicht einmal alle Erwachsenen besitzen Uhren, also werden sie uns beneiden und sich dafür rächen. Uhren sind für uns gar nicht nötig. Vater würde mir die Uhr wegnehmen, verkaufen und das Geld vertrinken.>Der Beschluß wurde mit großer Mehrheit bei neun Gegenstimmen angenommen.>Die Mädchen sind Heulsusen. Mädchen schwarzen. Mädchen petzen. Mädchen geben an. Sie sind schwächlich. Mädchen sind ungeschickt. Mädchen sind eingebildet. Mädchen sind schnell beleidigt. Mädchen haben Geheimnisse. Mädchen kratzen.>Ich bitte ums Wort!>In meinem afrikanischen Land sind die Mädchen genauso geschickt wie die Jungen, sie laufen ebenso schnell, klettern auf Bäume und schlagen Purzelbäume. Ich verstehe nicht, was bei euch los ist. Fortwährend streiten die Jungen mit den Mädchen, stören sie beim Spiel, wollen aber selbst nicht mit ihnen spielen. Ich schaue mir das so an und da sehe ich, daß zwar nicht alle Jungen Flegel sind, daß es aber davon unter ihnen mehr gibt als unter den Mädchen.>Oho, hoSollen sie sich doch die Haare abschneiden.>Und Hosen anziehen.> ... die Mädchen sind schwächer, also werden sie von den Jungen schlecht behandelt. Und dann spielen diese die Unschuldigen.>Schaut sie euch mal an: Die will uns was beibringen.>Du hast wohl weiße Hände.>In den Käfig zu den Affen.>Königs braut.>MaciuS' Frau.>Macius, Macius, Kater-Burek', geh hintern Ofen schnurren.>Kanarienvogel. Sitz im Käfig und sing. >Antek, so wahr ich Gott liebeich schlage dir alle Zähne aus!>Probier es. Seht ihn an: den Minister. Baron von Rauch. FelekKartofelek.' Du hast wohl vergessen, wie du den Marktfrauen die Äpfel aus dem Korb geklaut hast. Schafsbock Baron .>Herr Baron von Rauch, beruhigen Sie sich. Es ist nichts Schlimmes geschehen. Die Parteien kristallisieren sich heraus>Was für neue Ordnungen sind das?>Wieso können sie uns Befehle erteilen? Wir haben unseren eigenen Sejm, und wir können uns weigern. Mag doch ihr Sejm festlegen, was die Kinder tun sollen; aber sie haben nicht das Recht, uns Vorschriften zu machen.>Nun gut, wir werden zur Schule gehen, aber wer wird arbeiten?« fragten die anderen. ,, Mögen die Kinder ruhig alles so machen, wie sie es beschlossen haben. Sie werden schnell begreifen, es ist nicht so leicht, wie sie glauben.>Vielleicht wird alles gut. Haben sich die Kinder erst überzeugt, daß sie gar nichts können, daß sie ohne uns zu nichts imstande sind, dann werden sie uns um so mehr achten.« Und die Arbeitslosen freuten sich sogar. >>Dieser Maciu§ ist ein kluger König. Wir wollten schon eine Revolution machen, er aber hat sich alles gut ausgedacht. Vom Graben und Ziegeltragen tun uns alle Knochen weh; so aber werden wir uns bequem auf die Schulbank setzen und noch viel Interessantes lernen. Und wieviel wird man uns zahlen?« Es war nämlich inzwischen das Gesetz verabschiedet worden, daß man für den Unterricht bezahlt werden sollte, denn Lernen - das ist auch Arbeit. Und ein anderes Gesetz besagte, daß die Kinder von nun an alle Arbeiten verrichten und die Erwachsenen zur Schule gehen sollten. Es herrschte ein schreckliches Durcheinander, denn die Jungen wollten am liebsten Feuerwehrleute sein oder Chauffeure und die Mädchen Verkäuferinnen in Spielwarenläden und Konditoreien. Und einige, wie das so zu sein pflegt, schwatzten Dummheiten: Ein Bursche wollte Henker sein, ein anderer Indianer, ein dritter gar ein Wahnsinniger. »Schließlich können nicht alle das gleiche tun.« >>Das mag ein anderer übernehmen. Warum soll gerade ich etwas tun, was die anderen nicht wollen?« Und in den Familien gab es viel Zank, als die Kinder den Eltern ihre Bücher und Hefte übergaben. >>Ihr habt die Bücher zerrissen, die Hefte beschmiert, und nun wird man behaupten, wir seien die Schmutzfinken«, meinte die Mama. >>Du hast den Bleistift verloren, und jetzt habe ich nichts, womit ich zeichnen kann, und die Lehrerin wird sehr ärgerlich sein«, sagte der Vater. >>Das Frühstück ist nicht rechtzeitig fertig, schreib mir gleich eine Entschuldigung, daß ich wegen des Frühstücks zu spät zur Schule komme«, sagte die Großmutter. Die Lehrerinnen aber waren sehr froh, sich ein wenig ausruhen zu können, denn die Erwachsenen waren ruhiger. >>Geben wir den Kindern ein Beispiel, wie man lernen soll«, sprachen sie. Aber es gab auch solche, die über alles lachten, die froh waren und sich über die Abwechslung freuten.

König Macius der Erste

»Es wird ohnehin nicht lange dauern«, sagten alle. Die Stadt bot ein merkwürdiges Bild, wenn die Erwachsenen mit ihren Büchern zur Schule gingen, und die Kinder auf dem Weg in die Büros, in die Fabriken und Geschäfte waren, um sie dort zu vertreten. Manche Erwachsene waren sehr traurig und schämten sich, andere nahmen es gleichgültig hin. >>Was ist schon dabei? Wir sind wieder Kinder. Ist es etwa schlecht, ein Kind zu sein?« Sie erinnerten sich vergangener Zeiten, mitunter trafen sie Schulfreunde wieder, mit denen sie früher in einer Bank gesessen hatten. Sie erinnerten sich an die alten Lehrer, an verschiedene Spiele und Streiche. >>Erinnerst du dich an den alten Lateinlehrer?« fragte ein Fabrikingenieur seinen Freund. >>Und weißt du noch, wie wir uns einmal schlugen - worum ging es dabei eigentlich?« >>Ach, ich weiß. Ich hatte ein Taschenmesser gekauft, und du hast behauptet, es sei nicht aus Stahl, sondern aus Eisen.« >>Und wir haben im Karzer gesessen.« Ein Doktor und ein Rechtsanwalt tauschten eifrig ihre Erinnerungen aus und vergaßen vollkommen, daß sie keine kleinen Jungen mehr waren, und sie begannen sogar, sich gegenseitig in den Rinnstein zu schubsen, und jagten hintereinander her, so daß eine vorübergehende Lehrerin sie ermahnen mußte, man habe sich auf der Straße anständig zu betragen, denn die Leute sähen zu. Einige aber waren sehr erbost. Eine sehr dicke Frau, die Eigentümerin eines Restaurants, ging mit ihren Büchern zur Schule, aber so zornig, daß man Angst bekam. Und da erkannte sie ein Mechaniker. >>Sieh, da geht diese Gluckhenne. Weißt du, wie sie uns immer betrügt: Den Wodka verdünnt sie mit Wasser, und für ein Stück Hering mußt du genausoviel bezahlen wie für einen ganzen. Weißt du was, wir werden ihr ein Bein stellen. Wenn wir schon Kinder sein sollen, dann wollen wir es auch richtig sein. Oder stimmt's etwa nicht?« Er stellte ihr ein Bein. Es fehlte nicht viel, und sie wäre hingeschlagen. Ihre Hefte fielen herunter. >>Lausbuben!« schrie die dicke Dame. >>Üh, das war ein Versehen.« 1

I.

Korczak hinterfragt in vielen seiner literarischen und publizistischen Werke die naive Sicht der Erwachsenen auf das Kindesalter bzw. den Mythos einer unbeschwerten, glücklichen Kindheit: >>Das Kind ruft nach Befreiung, das Kind ruft um Hilfe. Das Kind haßt seine Kindheit, - es erstickt. - Kind - ist ein Schimpfwort.>Warten Sie, ich werde der Lehrerin melden, daß Sie einen nicht mal ruhig über die Straße gehen lassen.>Weißt du, vielleicht könnten wir statt der Suppe Konfitüre essen.>Ach, wie teuer. Nirgendwo ist sie so teuer. Ich werde sie woanders kaufen.>Bitte noch zehn Apfelsinen.« >>Und ein Pfund Rosinen.>Und Schweizer Käse. Nur anbrennen darf er nicht, sonst bringe ich ihn zurück.>Mein Käse ist von der allerbesten Qualität, und die Apfelsinen haben eine ganz dünne Schale.>Das ist gut, wieviel muß ich bezahlen?>Und wieviel Geld hast du?>Hundert.>Das ist zuwenig. So viele verschiedene Dinge kosten mehr.>Dann bringe ich dir den Rest später.>Na gut.>Aber gib mir bitte den Rest heraus.« >>Du bist dumm. Gibst mir zuwenig und willst noch etwas zurückhaben.>Du bist dumm, du lügst, verschwinde; na, dann eben nicht; gib nicht so an; na, sieh an; hast du aber Wünsche, laß mich in Ruhe und so weiter.>Warte, bis Mutter aus der Schule kommt ... >Eine Neuigkeit, rate mal, was geschehen ist?>Was denn?>Tausend schwarze Kinder sind angekommen.>Das ist noch besser. Wenn mehr Kinder zur gleichen Zeit lernen, dann können wir auf einmal Ordnung in ganz Afrika schaffen.>Kindern soll man keine Revolver geben>Meine Seele leidet mehr als meine FingerArme, einsame Waise«, seufzte Macius, während er die Bilder seiner toten Eltern ansah. Er seufzte tief. Weinen durfte er nicht, denn in wenigen Augenblikken mußte er die Krone aufsetzen, dann durfte er keine verweinten Augen haben. Leise hatte sich Klu-Klu ins Zimmer geschlichen, nun stand sie so demütig da, daß Macius, den ihre Anwesenheit im ersten Moment gereizt hatte, sanft fragte: >>Was willst du, Klu-Klu?« >>Der weiße König verbirgt seine Sorgen vor Klu-Klu. Der weiße König will der schwarzen, wilden Klu-Klu nicht seine Geheimnisse anvertrauen, aber Klu-Klu kennt sie, und Klu-Klu wird den weißen König in der Not nicht verlassen.« Klu-Klu hatte ganz feierlich gesprochen und beide Hände erhoben. Genauso hatte ihm einst Burn-Drum geschworen. >>Und was weißt du, Klu-Klu? « fragte Maciu§ bewegt. >>Die weißen Könige beneiden Macius wegen des Goldes, sie wollen ihn besiegen und töten. Dem traurigem König tut Macius leid, aber er ist schwach, deshalb fürchtet er die starken weißen Könige.« >>Schweig, Klu-Klu.« >>Klu-Klu wird schweigen wie das Grab, aber Klu-Klu hat den traurigen König erkannt. Verraten kann Macius nur dieser verbrannte Brief, nicht aber Klu-Klu.« >>Schweig, Klu-Klu, kein Wort weiter!>Klu-Klu schwört, sie wird nichts mehr sagen.«. Es war höchste Zeit, das Gespräch zu beenden, denn gerade kamen die Diener aus der Schule zurück, und, sich gegenseitig mit den Ellenbogen stoßend, drängten sie ins Arbeitszimmer. Macius wurde rot vor Zorn: >>Was ist das für ein Geschrei!« rief er. >>Seit wann erdreisten sich die königlichen Diener, mit einem solchem Lärm in das Arbeitszimmer des Königs einzudringen? Hattet ihr nicht in der Schule genügend Zeit, Unfug zu treiben?« Der Zeremonienmeister wurde so rot, daß selbst seine Ohren glühten. >>Eure Königliche Majestät, ich bitte in ihrem Namen um Verzeihung. Aber diese armen Leute haben in ihren Kinderjahren nicht spielen

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König Macius der Erste

können. Erst waren sie Laufburschen und Küchen jungen, danach wurden sie Lakaien, immer mußten sie still sein. Und jetzt sind sie wie die Ver rückten ... >Nun gut, gut. Bereitet den Thronsaal vor. In einer halben Stunde ist Sitzung.« >>Üh, ich habe für morgen so viele Hausaufgaben zu erledigen«, jammerte einer. ,, Ich muß eine Karte zeichnen.« >>Ich soll sechs Aufgaben lösen und eine ganze Seite ... « >>Ihr werdet morgen nicht zur Schule gehen«, unterbrach sie Maciu§ drohend. Sie verbeugten sich und gingen stumm hinaus. Nur an der Tür hätten sie sich beinahe geschlagen, denn einer war so gestoßen worden, daß er mit dem Kinn auf die Klinke fiel. Felek kam gelaufen, schmutzig, schweißtriefend, die Hosen zerrissen. >>Erledigt, alle werden kommen.« Und er begann zu erzählen: Ja, die Zeitungen hatten wahrheitsgemäß berichtet. Felek hatte Geld gestohlen und Bestechungsgelder angenommen. Als er Maciu§ bei der Audienz zu vertreten hatte, hatte er nur einen Teil der vorbereiteten Pakete rausgegeben, und was ihm gefallen hatte, hatte er für sich behalten. Wer ihm Geld oder Geschenke gab, dem gab er bessere Pakete. Er hatte einige Freunde, unter ihnen auch Antek, die jeden Tag kamen und ein Paket erhielten. Ein Spion aber war er nie gewesen. Der Journalist hatte ihm zu alledem geraten. Er hatte ihm befohlen, sich Baron zu nennen und einen Orden zu verlangen. Er hatte vorgegeben, sein Freund zu sein. Aber dann hatte er plötzlich darauf bestanden, daß Felek ein Dokument fälsche: Als ob Maciu§ alle Minister hinauswerfen und den Erwachsenen alle Rechte nehmen wolle!: Die Kinder sollten regieren. Felek wollte das nicht tun. Da hatte der Journalist den Hut aufgesetzt und gesagt: >>Dann werde ich zum König gehen und ihm sagen, daß du Pakete stiehlst und Schmiergelder annimmst.« Darüber war Felek erschrocken. Er hatte verstanden, woher der Journalist immer alles wußte und gedacht, daß Journalisten eben alles wissen müssen. Jetzt erst sah er, daß er es mit einem Spion zu tun hatte. Und noch eines: Ein weiteres Papier war gefälscht worden; es war dein Aufrufan die Kinder der ganzen Welt. Maciu§ legte die Hände auf den Rücken und ging lange Zeit im Arbeitszimmer auf und ab. >>Du hast viel Böses angerichtet, Felek. Aber ich verzeihe dir.« >>Was? Verzeihen? Wenn Eure Königliche Majestät mir verzeihen, dann weiß ich schon, was ich tue.« >>Und was?« fragte Maciu§.

Der Verteidigungszustand ist besorgniserregend

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»Ich werde alles meinem Vater erzählen; der wird mir so den Kopf waschen, daß ich es sicher niemals vergesse.>Tu es nicht, Felek. Warum denn? Du kannst deine Schuld auf andere Weise sühnen. In so ernster Stunde brauche ich jeden Menschen. Du kannst mir helfen.>Der Kriegsminister ist vorgefahrenHerr Kriegsminister, was haben Sie mir zu berichten? Aber kurzohne Vorreden. Denn ich weiß schon vieles.>Eure Königliche Majestät, ich melde Ihnen, in unserem Besitz befinden sich drei Festungen (früher waren es fünf), vierhundert Kanonen (es waren tausend) und zweihunderttausend brauchbare Gewehre. Munition haben wir für zehn Tage Krieg (früher für drei Monate).>Und Stiefel, Tornister, Zwieback?>Die Magazine sind voll, nur die Marmelade ist aufgegessen.>Kann ich mich auf Ihre Mitteilungen verlassen?>Vollkommen.>Was meinen Sie, wird es bald Krieg geben?>Ich befasse mich nicht mit Politik.>Üb man die Kanonen und Gewehre schnell wieder in Ordnung bringen kann?>Ein Teil ist beträchtlich beschädigt, die anderen könnte man reparieren, wenn nur die Öfen und Kessel in den Fabriken in Ordnung wären.>Herr Minister, welcher Geist herrscht unter den Truppen?>Die Soldaten und Offiziere beklagen diesen Zustand. Am meisten schmerzt es sie, daß sie zu diesen Zivilschulen gehen müssen. Als ich meine Demission' schon erhalten hatte ... >Das war eine gefälschte Demission- ich habe davon nichts gewußt. Man hat meine Unterschrift gefälscht.>Als ich jene gefälschte Demission erhalten hatte, erschien bei mir eine Delegation, oder was es gewesen sein mag, und forderte Militärschulen. Nun, dieser Delegation habe ich es aber gegeben. Marsch in die Zivilschule, wenn es befohlen ist, marsch ins Feuer oder auch direkt in die Hölle, wenn es befohlen ist.>Und wenn alles wieder beim alten wäre, würde man mir verzeihen?>Was denn? Sprechen Sie doch.« >>Krieg!« Maciu§ zitterte. Alle versammelten sich. Der alte König hatte auf den Thron verzichtet, er hatte seinem Sohn die Krone übergeben. Dieser hatte den Krieg erklärt und marschierte nun mit allen seinen Truppen in Richtung Hauptstadt. >>Er hat also die Grenze überschritten?« >>Vor zwei Tagen. Er hat schon vierzig Werst zurückgelegt.« Man begann, die Depeschen und Briefe zu lesen. Das dauerte lange. Maciu§ schloß erschöpft die Augen, er hörte zu und dachte nach sagte kein Wort. Vielleicht ist es besser so. Der Kriegsminister ergriff das Wort: >>Noch weiß ich nicht, welchen Weg der Feind genommen hat, aber ich denke, er marschiert in Richtung jener zwei Festungen, die in die Luft gesprengt worden sind. Rückt er schnell vor, dann kann er in fünf Tagen in der Hauptstadt sein, marschiert er gemächlich, müssen wir in etwa zehn Tagen mit ihm rechnen.«

Die Feinde sollen zum Abbruch des Krieges bewegt werden

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»Wie das? Wollen wir denn nicht kämpfen?Der traurige König, mit dem kann man sicher rechnen. Nur liebt er es nicht zu kämpfen, er hat nur wenige Soldaten. Er allein kann nicht viel ausrichten. Am vorigen Krieg hat er nicht teilgenommen, er hat nur in Reserve gestanden. Er wird dasselbe tun wie der zweite, der Freund der Gelben. Dem hat Macius alle gelben Könige überlassen, also gibt es eigentlich keinen Grund, gegen ihn zu kämpfen. Aber wer weiß? Vielleicht will er auch einen Teil der Schwarzen haben.>Meine Herren, Sie brauchen nicht zu tun, was ich Ihnen vorschlage, aber ärgern Sie sich auch nicht darüber. Mein Rat ist folgender: Man sollte eine Note an den Feind richten, daß wir keinen Krieg wollen, daß er offen erklären soll, worum es ihm geht. Ich glaube, er will nur einen Tribut von uns erlangen. Sofort werde ich Ihnen das erläutern. Warum hat er uns ohne Krieg einen Hafen überlassen und zehn Schiffe zu einem niedrigen Preis verkauft? Weil er wollte, daß Burn-Drum Gold schickte. Wir haben viel Geld. Was schadet es uns, ihm die Hälfte abzugeben?>Herr MinisterpräsidentIch meine, wir müssen die Note absendenAngenommen, er antwortet, so werden wir ihm unsererseits wieder antworten; ich verstehe davon nichts. Aber ich weiß, das wird einige Tage in Anspruch nehmen, ein paar Tage, und mag es auch nur ein Tag sein. Und jetzt ist jede Stunde kostbar. Unterdessen werden wir

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König Macius der Erste

hundert oder vielleicht auch nur fünfzig Kanonen reparieren und ein paar tausend Gewehre.Wir bitten den feindlichen KönigKönnten wir nicht statt: >wir bittenbitten>wünschenSieg oder UntergangDer alte König war besser, wir wollen den Vater und nicht seinen Sohn.« Also mußte er zeigen, daß er der bessere war. So zog er es vor, langsam zu marschieren, vorsichtig, und schließlich, warum hätte er sich auch beeilen sollen? Maciu§ konnte ohnehin keinen Krieg führen, denn seine Soldaten gingen zur Schule, während die Kinder die Kanonen zerstörten. Dort, in Maciu§' Hauptstadt, saß und wachte jener kluge Spion-Journalist und sorgte dafür, daß Unordnung und Verwirrung so groß wie möglich wurden. Vortrefflich hatte es sich gefügt, daß die Kinder oder vielleicht sogar eher - die Spione, die Eisenbahnen und die Telegraphen zerstört hatten. So würde Maciu§ nicht so bald von dem Krieg erfahren, auch konnte er nicht so viele Truppen wie nötig waren, in den Kampf schicken. So dachte der Sohn des alten Königs und beeilte sich überhaupt nicht. Die Soldaten sollten sich nicht erschöpfen, um dann vor Maciu§' Hauptstadt eine Schlacht schlagen zu können. Denn es war klar, eine Schlacht würde es geben. Die Soldaten marschierten, marschierten, und niemand hielt sie auf. Die Bevölkerung sah, daß niemand da war, sie zu verteidigen, und im übrigen waren sie böse auf Maciu§ - und verzichteten deshalb nicht nur darauf, sich selbst zu verteidigen, sondern freuten sich sogar noch und begrüßten den Feind als Befreier. >>Kinder, geht zur Schule, Maciu§' Herrschaft ist zu Ende ... >Eure Königliche Majestät, das Völkerrecht verlangt die Beantwortung königlicher Briefe.>Nun gut, dann werde ich antworten.>Was für ein Wichtigtuer. Er ist gemein. Warte, wir werden es dir schon zeigen.« Und die Stadt begann, sich ernsthaft für die Verteidigung zu rüsten: >>Wir werden es dir schon zeigen.>Könnten wir nicht Frieden schließen?« wandte der traurige König zögernd ein, doch die anderen fielen was weiß ich wie über ihn her. >>Nein, diesen Wichtigtuer müssen wir vernichten.>Üho, schon schießen sie seltener>Verschwendet nur euer Pulver, verschwendet esÜh, da kommen sie.>Aha, sie sind davongelaufen! Sie sind sehr erschrocken. Sie haben ja keine Kanonen. Oh, sie sind Hals über Kopf geflohen: Sie hatten nicht einmal Zeit, den Wodka mitzunehmen.>Der ist gut, probiert maL>Warum sollten wir uns beeilen, wenn es uns so gut geht?>Heute noch müssen wir in der Stadt sein.>Zum Angriff!>Vorwärts!>Eure Königliche Majestät!>Wer sterben will, der folge mir.>Wohin gehen wir?>Das Gebäude, in dem die Löwenkäfige standen, ist leer, es ist fest gebaut. Dort werden wir uns verteidigen wie die Löwen, so wie es Königen zukommt.>Das Gebäude ist zu klein für uns.>Um so besserGut, daß ich nicht unter ihnen binWeine nicht, Klu-Klu, wir werden einen schönen Tod haben. Und man wird dann nicht mehr sagen, daß die Könige zwar die Kriege führen, daß es aber nur die Soldaten sind, die umkommen.>Was wird es wohl für ein Begräbnis sein, das mir meine Feinde bereiten?>Weiße Fahnen heraushängen!>Genug dieser Komödie!« schrie der junge König. >>Wir haben Macius' ganzes Reich erobert, nur dieser Hühnerstall will sich nicht ergeben. Herr General der Artillerie, stellen Sie eine Kanone auf- und feuern sie zweimal, auf jede Seite, neben diese Hütte; und wenn Macius halsstarrig ist und nicht herauskriecht, dann muß man die Behausung dieses bösartigen jungen Wolfes zerstören.« >>Zu Befehl«, erwiderte der ArtilleriegeneraL In diesem Moment aber erklang laut und vernehmlich die Stimme des traurigen Königs: >>Holla, Eure Königliche Majestät! Vergessen Sie bitte nicht, Sie sind nicht allein. Hier befinden sich drei Armeen und drei Könige.>Es ist richtig, wir sind zu dritt. Aber wir besitzen nicht die gleichen Rechte. Ich habe als erster den Krieg erklärt, und an der Schlacht habe ich den größten Anteil gehabt.« >>Und die Truppen Eurer Königlichen Majestät sind zuerst vom Schlachtfeld geflohen.« >>Aber ich habe sie aufgehalten.« >>Weil Eure Königliche Majestät wußten, im Falle einer Gefahr würden wir zu Hilfe kommen.« Der junge König erwiderte nichts. Es war richtig. Der Sieg hatte ihn viel gekostet. Die Hälfte seiner Soldaten war tot, verwundet oder nicht mehr fähig zu kämpfen. Unter solchen Bedingungen hieß es, vorsichtig zu sein, damit die Bundesgenossen nicht allzu schnell zu Feinden würden. >>Was also wollt ihr tun?« fragte er widerwillig. >>Es gibt keinen Grund, sich zu beeilen. Wir brauchen nicht zu fürchten, Macius könne uns Böses antun, er sitzt ja in diesem Raubtierhaus fest. Wir werden den zoologischen Garten von einer Wache umzingeln lassen, vielleicht zwingt der Hunger Macius, sich zu ergeben. Und währenddessen können wir in aller Ruhe beraten, was wir mit ihm tun wollen, falls wir ihn lebendig gefangennehmen. « >>Ich denke, man sollte ihn ohne jede Zeremonie erschießen.« >>Und ich denke«, erwiderte voller Trotz der traurige König, >>in späteren Zeiten würde man uns niemals verzeihen und es als ewige Schande betrachten, wenn wir diesem armen, tapferen Kind auch nur ein Haar krümmten.« »Die Geschichte ist gerecht!« schrie wütend der junge König, >>und wenn einer sich so vieler Toter, so viel vergossenen Blutes schuldig gemacht hat, dann ist er kein Kind mehr, sondern- ein Verbrecher.« Der dritte König, der Freund der gelben Könige, schwieg. Und die beiden streitenden Könige wußten sehr gut, daß er schließlich den Ausschlag geben würde. Er aber war sehr klug.

Die feindlichen Könige beschließen, was mit Macius geschehen soll

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>>Wozu sollten wir die schwarzen Könige, deren Freund Macius ist, erzürnenEs ist nicht nötig, Macius zu töten, viel lieber sollte man ihn auf eine einsame Insel verbannen, und dort mag er dann sitzen. Und der Wolf ist satt und das Schaf unversehrt.'« Genau das formulierten sie in einer Übereinkunft. Punkt eins: König Macius solllebendig gefangengenommen werden. Punkt zwei: Er wird auf eine einsame Insel verbannt. Bei Punkt drei gerieten sie erneut in Streit, denn der traurige König forderte, Macius solle das Recht haben, zehn Personen seiner Wahl mitzunehmen, die ihm Gesellschaft leisten sollten, aber der junge König widersprach: >>Mit Macius sollten nur drei Offiziere und dreißig Soldaten fahren, von jedem der siegreichen Könige ein Offizier und zehn Soldaten.« Zwei Tage lang konnten sie zu keiner Übereinstimmung gelangen, schließlich gab jeder ein bißchen nach: >>Also gut«, sagte der junge König, >>mögen zehn Freunde zu ihm fahren, aber erst nach Ablauf eines Jahres. Auch soll man Macius sagen, er sei zum Tode verurteilt, und erst im letzten Augenblick soll er begnadigt werden. Das ist notwendig, damit das Volk sieht, wie Macius weint und bittet, damit dieses dumme Volk, das sich so gehorsam hat an der Nase herumführen lassen, ein für allemal begreift, daß dieser Macius gar kein Held, sondern ein frecher und dabei doch furchtsamer Knirps ist. Denn anderenfalls könnte es geschehen, daß sich das Volk nach ein paar Jahren erhebt und Macius' Rückkehr fordert. Dann aber wird er älter sein und somit noch gefährlicher als jetzt.« >>Streitet nicht so lange«, warf der König, der ein Freund der Gelben war, ein, >>denn unterdessen wird Macius Hungers sterben, und euer ganzer Streit war umsonst.« Der traurige König gab nach. Und man fügte der Übereinkunft zwei neue Punkte hinzu: Punkt drei: Macius wird vor ein Kriegsgericht gestellt und zum Tode verurteilt. Erst im letzten Augenblick werden ihn die drei Könige begnadigen. Punkt vier: Das erste Jahr der Gefangenschaft wird Macius allein verbringen, unter Bewachung; nach einem Jahr ist ihm erlaubt, zehn Personen, die zu ihm fahren wollen, zu sich zu nehmen. Man kam zu weiteren Punkten. Welche Städte und wieviel Geld jeder der Könige bekommen sollte, was man der Hauptstadt, als freier Stadt, überlassen wollte, und so weiter. Da wurde plötzlich gemeldet, daß ein Herr in einer sehr wichtigen Angelegenheit zur Beratung zu kommen wünsche.

r.

Polnisches Sprichwort.

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König Macius der Erste

Dieser Herr war Chemiker; er hatte ein Gas erfunden, welches eine einschläfernde Wirkung besaß. Er würde dieses Gas in den Garten strömen lassen- und Macius, schon vom Hunger geschwächt, würde einschlafen, und so wäre es leicht möglich, ihn zu binden und in Fesseln zu legen. »Die Wirkung meines Gases läßt sich an Tieren erproben«, sagte der Chemiker. Sogleich brachte man einen Siphon, den man in einer Entfernung von einem halben Werst vor dem königlichen Pferdestall aufstellte; ihm entströmte ein wasserähnlicher Strahl, der schnell verdampfte - und der ganze Stall war in Nebel gehüllt. Der Vorgang dauerte fünf Minuten. Sie gingen hinein, alle Pferde schliefen. Und sogar der Pferdeknecht, der auf dem Stroh gelegen und gedöst hatte, denn er hatte nichts von dem Versuch gewußt, schlief so tief, daß er nicht mit einer Wimper zuckte, obwohl man ihn schüttelte und neben seinem Ohr einen Schuß abfeuerte. Nach einer Stunde erwachten der Bursche und die Pferde wieder. Der Versuch war vortrefflich gelungen. So beschloß man, noch am selben Tag Macius' Belagerung zu beenden. Es war höchste Zeit. Denn Macius hatte während dieser drei Tage nichts gegessen, damit nur seine treuen Kameraden überlebten. >>Wir müssen damit rechnen, daß wir uns einen ganzen Monat lang zu verteidigen habenEure Könige sind sehr geizig. Ein Brötchen, das ist doch ein bißchen zuwenig. Als sie bei mir zu Gast waren, habe ich sie besser bewirtet. Und als der alte König mein Gefangener war, habe ich ihm vielerlei vorgesetzt. Und nun bewirten mich drei Könige- mit nur einem kleinen Becher Milch und einem Brötchen.>Üh, das ist zuviel. Ich möchte meine Wohltäter nicht kränken. Sie sind zu dritt, von jedem nehme ich ein Brötchen, nehmen Sie also eins wieder mit.>Der ehemalige König Macius Reformator soll um zwölf Uhr nachts vor ein Kriegsgericht gestellt werden«, verlas der Militärstaatsanwalt der feindlichen Mächte ein Dokument mit den Siegeln der drei Könige. >>Stehen Sie bitte auf.>Bitte sagen Sie dem Gericht, es möchte anordnen, mir die Ketten abzunehmen, denn sie sind schwer und reiben mir die Füße auf.>Was hat Macius dazu zu sagen?>Daß ich einen Aufruf erlassen haben soll, ist eine Lüge. Daß ich nicht mehr König war, als ich den Parlamentär erschossen habe- ist die zweite Lüge. Und ob ich König der ganzen Welt werden wollte oder nicht, das kann niemand wissen, nur ich allein.>Nun gut, bitte, meine Herren, lesen Sie Ihren Beschluß vorWir, die wir uns während der Schlacht hier versammelt hatten, wollen angesichts der Tatsache, daß die Bomben die Stadt zerstörten

Macius wird verurteilt- besteht aber darauf, König zu sein

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und daß sogar in unserem Versammlungsraum eine Bombe alle Scheiben zerschlug- also wir, die Einwohner der Stadt, wollen die Ehefrauen und Kinder retten - wir wollen nicht, daß Macius weiterhin König ist. Die Hauptstadt spricht Macius Thron und Krone ab. Dies ist für uns sehr unangenehm, aber wir können es nicht länger ertragen. Deshalb werden wir weiße Flaggen hissen, zum Zeichen dafür, daß wir keinen Krieg führen wollen, und so führt nun nicht mehr unser König Krieg, sondern ein ganz gewöhnlicher Macius, der sich für alles selbst verantworten muß. Wir aber sind unschuldig.« »Bitte, unterschreib.« Der Vorsitzende reichte Macius eine Feder. Macius nahm sie, dachte einen Augenblick nach und schrieb auf den unteren Rand des Schriftstückes:

Mit diesem Beschluß einer Bande von Verrätern und Feiglingen, die das Land verkauft haben - bin ich nicht einverstanden. Ich bin und bleibe König Macius der Erste. Daraufhin las er mit lauter Stimme vor, was er geschrieben hatte. »Meine Herren Richter-Generäle«, wandte sich Macius an seine Feinde. »Falls Sie mich zu verurteilen wünschen, so fordere ich, daß Sie mich König Macius nennen, denn dies bin ich und werde ich sein, solange ich am Leben bin und auch nach meinem Tod. Und sollte dies hier kein Gericht sein, sondern ein an einem besiegten König begangenes Verbrechen, dann Schmach über Sie als Menschen und als Soldaten. Sie mögen sagen, was Ihnen beliebt, ich werde nicht antworten.« Die Generäle zogen sich zur Beratung zurück, um zu beraten, was zu tun sei. Macius aber pfiff irgendein Soldatenliedehen vor sich hin. Sie kamen zurück. >>Gestehst du, Macius, einen Aufruf an die Kinder der ganzen Welt erlassen zu haben?>Bekennen Eure Königliche Majestät sich schuldig, einen Aufruf an die Kinder der ganzen Welt erlassen zu haben?>Nein, bekenne ich nicht: Einen solchen Aufruf habe ich nicht erlassen.>Rufen Sie den Zeugen hereinHier ist der ZeugeJaich kann bezeugen, daß Macius König der Kinder der ganzen Welt werden wollte.>Entspricht das der Wahrheit?>Das stimmtDas wollte ich wirklich. Ich hätte das bestimmt gemacht. Aber die Unterschrift auf dem Aufruf ist gefälscht.

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König Macius der Erste

Dieser Spion hat meine Unterschrift gefälscht. Doch es ist wahr, ich wollte König der Kinder werden.>Geliebter König, verzeih meinen schändlichen Verrat! Erst jetzt sehe ich, was wir angerichtet haben. Ich weiß, wäre nicht unsere niederträchtige Feigheit gewesen, dann säßen nicht sie hier als Sieger, sondern du.« Nur mit Mühe konnten ihn die Soldaten vom König trennen. Es hatte keinen Sinn mehr: Die Reue kam zu spät. >>Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht, meine Herren Richter«, sprach Macius, und wie ein König schritt er ernst und ruhig aus dem Saal. Zwanzig Soldaten mit gezückten Säbeln führten ihn durch den Korridor, über den Hof, bis in seine Zelle. Er legte sich sofort auf seinen Strohsack zu ebener Erde und stellte sich schlafend. Ein Priester kam, aber es tat ihm leid, den Schlafenden zu wecken. Er betete, er sprach das gewöhnliche Gebet für die zum Tode Verurteilten und ging. Macius gab vor zu schlafen, aber woran er dachte und was er in jener Nacht fühlte, das blieb sein Geheimnis.

Erhobenen Hauptes schreitet Macius zur Hinrichtungsstätte

233

Man führte Maciu§ ab. In seinen goldenen Ketten schritt er mitten auf dem Fahrdamm. Die Straßen waren gesäumt von Soldaten. Und hinter den Truppen standen die Einwohner der Hauptstadt. Es war ein schöner Tag. Die Sonne schien. Alle waren auf die Straße gegangen, ihren König ein letztes Mal zu sehen. Viele hatten Tränen in den Augen. Aber Maciu§ sah diese Tränen nicht. Hätte er sie gesehen, wäre es ihm leichter gefallen, zum Ort der Hinrichtung zu gehen. Diejenigen, welche Maciu§ liebten, schwiegen, denn sie fürchteten sich, ihm im Angesicht des Feindes ihre Liebe und Achtung zu zeigen. Übrigens, was hätten sie auch rufen sollen? Sie waren es gewohnt >> Vivat - er soll leben!>Wenn ich einen Rat erteilen soll, dann mögen sie zu mir kommen. Es soll nicht so aussehen, als bäte ich um eine Gunst.>Da hat mir Maciu§ so viel Gold abgelistet«, beklagte sich BumDrum. >>Er hatte doch versprochen, den schwarzen Kindern alles beizubringen. Und was nun? Ein Teil ist bei den Kämpfen umgekommen, ein Teillebt im Kriegsgefangenenlager. Und die arme Klu-Klu sitzt im Gefängnis.« Burn-Drum wollte einen Trauerpurzelbaum schlagen, aber da fiel ihm ein, daß er ja kein Wilder mehr war, also rieb er sich nur die Augen, als kämen ihm die Tränen. >>Wenn Eure Königliche Majestät wünschen, die Königstochter Klu-Klu zu befreien, wäre es möglich, diese Angelegenheit auf der morgigen Sitzung vorzubringen«, sprach der junge König, der sich schon bei Burn-Drum einzuschmeicheln suchte. >>Nein«, erwiderte Bum-Drum, mit Tränen in den Augen. >>Ihr seid von so vielen wichtigen Angelegenheiten beansprucht, daß es schade um die Zeit wäre, sich mit diesem leichtsinnigen Mädchen zu befassen.« Burn-Drum wußte, bei den Weißen mußte man unbedingt weinen, wenn von etwas Traurigem die Rede war. Aus diesem Grunde trug er ein Fläschchen Ammoniak bei sich und roch daran, wenn man gerührt sein mußte. Denn Ammoniak, Senf und Zwiebeln- treiben einem die Tränen in die Augen. Nun gut. - Auf der vierundzwanzigsten Sitzung wurde endlich darüber verhandelt, wohin man Maciu§ schicken sollte. - Die Versammlung fand im Palast Kampanellas statt, in ihrem Reich hatte es durch Maciu§' Einfluß den ersten wirklichen Aufstand der Kinder unter der grünen Fahne gegeben.

Auf welche Insel soll Macius verbannt werden?

239

Königin Kampanella war sehr schön. Ihr Gemahl war im März gestorben. Kinder hatte sie nicht. - Ihr Palast lag in einem herrlichen Orangengarten am Ufer eines lieblichen Sees. Drei Lehrer der Geographie waren im schwarzen Frack angereist; ihre Inseln waren die geeignetsten gewesen. Und eine dieser drei Inseln wollte man für Macius aussuchen. >>Meine Inselbefindet sich hier.>Sie wundern sich, Eure Königlichen Majestäten, daß sich die Insel nicht auf der Karte befindet. Gleich werde ich ihnen das erklären. Auf den Karten werden nur die großen Inseln eingezeichnet, denn alle hätten da keinen Platz. Wenn wir auf der Karte ein winziges Pünktchen sehen, dann ist das eine große Insel. Meine Insel ist nur drei Kilometer lang, also sehr klein. Um so einfacher wird es sein, auf Macius aufzupassen. Hohe Bäume gibt es nicht- überhaupt wachsen da nur wenige Pflanzen- nur etwas Gras und ein paar Sträucher. Die Insel ist gänzlich unbewohnt und weit vom Festland entfernt. Das Leben dort ist sehr gesund, Winter gibt es keine. Es genügte, für Macius und die Wachmannschaft eine Holzbaracke zu errichten.- Einmal im Monat müßte man Essen schicken - und fertig. - Mag er dort alleine sitzen.>Wie heißt die Insel?>Genau das ist das Problem. Gleich werde ich es erklären.- Diese Insel wurde im Jahr I 7 5o von dem Reisenden Don Pedro entdeckt. Ein Sturm hatte ihm die Segel zerbrochen, unter großen Schwierigkeiten war er gelandet und hat dort zwanzig Jahre gelebt. Durch Zufall war er von einem Seeräuberschiff entdeckt worden. Don Pedro ließ sie glauben, daß auch er Räuber werden wollte, und behaart, wie er war, sah er tatsächlich aus wie ein Bandit- also nahmen sie ihn auf. Vier Jahre lang war er Seeräuber. Schließlich entkam er und nannte sie Insel Der Verlorenen Hoffnung.- Dies alles ist beschrieben in einem sehr dicken Buch, welches- davon bin ich überzeugt- kein Geographielehrer außer mir je gelesen hat.>Meine Inselhat einen Fehler: Sie liegt ein wenig zu nahe am Festland. Aber dafür befindet sich in der Nachbarschaft eine kleine Insel mit Leuchtturm. Des Nachts oder wenn es neblig ist - ist der Leuchtturm in Betrieb - und alles ist leicht zu erkennen. Im Süden der Insel befindet sich ein Felsen- gleich daneben ist eine Lichtung. Auf dieser Lichtung steht das Haus für Macius.In früheren Zeiten war diese Insel von friedfertigen Negern besiedelt.

König Macius auf der einsamen Insel

Gleich als die Weißen die Insel entdeckt hatten, richteten sie dort eine Schule ein. - Man lehrte sie beten und Pfeife rauchen. - Die Seeleute gaben Tabak und nahmen dafür Vanille, Zimt und Kanarienvögel. Nach fünf Jahren wurde sogar von einem Kaufmann ein Laden eröffnet. Und alles wäre gut gewesen; aber die Kinder des Kaufmanns erkrankten an den Masern.- Für die Weißen sind Masern nicht gefährlich, aber die schwarzen Kinder starben alle daran, und von den Erwachsenen blieben auch nicht mehr als hundert am Leben. Sollten noch einige von ihnen dort sein, dann sicher sehr wenige- sie leben im Wald, im westlichen Teil der Insel, denn sie sind vor den Masern, vor dem Laden und vor der Schule der Weißen geflohen.>Wo liegt diese Insel?>HierNein, das erlaube ich nicht!>Diese Inselliegt zu nahe beim Festland, wo die Neger leben. Macius wird entkommen und mir die Kinder aufwiegeln. Was, beim grünen Affen, denkt ihr euch denn.>Beruhige dich, schwarzer Freund, noch haben wir deine Insel nicht gutgeheißen. Wenn nicht, dann nicht. Ist das etwa die einzige Insel auf der Welt?>Es ist doch lächerlich, daß wir auf diesen ordinären Wilden hören sollen. Er könnte den Eindruck gewinnen, daß wir ihn fürchten. Wie soll Macius denn entfliehen, wenn ihn die Wachmannschaft nicht aus den Augen läßt und die Lichtung nachts durch den Leuchtturm erhellt wird?>Er ist doch noch ein KindEr sollte ein paar Bäume, viel Grünes und ein paar Singvögel haben. Macius hat mir Unrecht zugefügt, aber ich verzeihe ihm.>Das edle Herz Eurer Königlichen Majestät rührt uns zutiefstGewißaber wenn wir auch das zärtliche Herz der Königin ehren, müssen wir uns in der Politik doch vor allem vom Verstand und von gewissen Vorsichtsmaßnahmen leiten lassen.>Spaziergänge« auf dem Gefängnishof

>>Aber er ist noch ein KindAlles spricht dafür, daß wir eben diese Insel wählen solltenDie Lebensmittelzufuhr für die Wachmannschaft und für Macius wird dort am einfachsten sein, denn sie ist recht nah gelegen, und überdies ist das Meer da vollkommen ruhig. Wir brauchen nichts zu bauen, denn dort befindet sich bereits das Schulgebäude, in dem sie unterkommen können. Nun, auch lächerlich machen werden wir uns nicht: Sollte Macius wirklich zu fliehen versuchen - wird er den wilden Tieren zum Opfer fallen, und die Sprache der Neger kennt er nicht, wie sollte er sich da mit ihnen verständigen? Wir sehen also, nicht nur das Herz unserer schönen Gastgeberin, nein, auch unser Verstand und unsere Vorsicht erlauben es, Macius dorthin zu schicken.« Der junge König ließ sich nicht mehr vernehmen, betrübt dachte er, während er seine Datteln aß: >>Ich werde Unannehmlichkeiten mit Burn-Drum haben.>Eins- zwei- drei- vier- fünf- sechs- sieben Schritte ... >Gefangener Nummer zweihundertundelf zur Kanzlei!>Man ruft Eure Königliche Majestät in die Kanzlei«, sagte der älteste Wachsoldat. Denn es war der Befehl ergangen, Maciu§ König zu nennen, wenn man sich an ihn wandte, denn sonst gab er weder eine Antwort noch härte er.- So sprach man von ihm: Gefangener Nummer zweihundert~ undelf, zu ihm aber sagte man: Eure Königliche Majestät. >>Zur Kanzlei.« Maciu§ schaut auf den Nußbaum, dreht sichum-runzelt die Brauenlegt seine Hände auf den Rücken - macht absichtlich kleine Schritte, als beeile er sich nicht im geringsten - schließlich ist er in der Kanzlei - er wartet. - Aber seine Beine zittern, und sein Herz schlägt, klopft wie wild. >>Belieben Eure Königliche Majestät Platz zu nehmen«, sagt äußerst liebenswürdig der Gefängnisdirektor und bietet ihm persönlich einen Stuhl an. Maciu§ vermutete sofort, daß etwas Außergewöhnliches geschehen sein mußte. Er hatte es gelernt, der geringsten Kleinigkeit Beachtung zu schenken, die Gedanken der verschiedensten Menschen zu lesen. Maciu§ verstand nun, daß Menschen häufig etwas anderes sagen als sie denken. Schroff rückte er den bereitgestellten Stuhl beiseite. König Orestes der Zweite und eine sehr schöne Dame in einem schwarzen Samtkleid betraten die Kanzlei. König Orestes war während der Zusammenkunft der Könige bei Maciu§ gewesen. Maciu§ erkannte ihn am Orden des Großen Halbmondes: Er war der größte Orden, den Maciu§ je gesehen hatte. >>Ich bin die Königin Kampanella«, ließ sich die Dame im schwarzen Kleid vernehmen. >>Ich bin der Gefangene Nummer zweihundertundelf«, stellte sich Maciu§ voller Bitterkeit vor. Und er sah ihr gerade in die Augen, wobei er sich lässig auf die Stuhllehne stützte. >>Üh nein«, erwiderte die Königin schlicht. >>Für mich bleibt König Maciu§ Reformator für immer - der gute Beschützer der Kinder und ein tapferer Ritter.«

Macius im Salon des Gefängnisdirektors

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Und sie reichte Macius die Hand, welche dieser voller Ehrerbietung küßte. Nun wollte ihn Orestes begrüßen. Aber Macius war stolz, er richtete sich gerade auf, gab ihm nicht die Hand: »Ich bin ein Gefangener und habe keine Orden«, erklärte er, wobei er ihm scharf in die Augen sah. Der Gefängnisdirektor, der die unangenehme Szene beenden wollte, denn es waren ja auch Soldaten und Beamte zugegen- bat alle in den Salon seiner Privatwohnung. Macius betrachtete den Teppich, die kostbaren Beschläge der Möbel, die Blumen auf den Fensterbrettern- und lächelte unmerklich. Die Königin bemerkte dies schmerzliche Lächeln. Der beleidigte Orestes nahm Platz und sah sich die Bilder eines großen, schön eingebundenen Buches an, das auf dem Tisch lag. Macius ist wütend - schrecklich wütend. Ihn ärgert der Salon, der Gefängnisdirektor, es ärgern ihn die Blumen, der Teppich, der Flügeldas Schweigen der Königin - es ärgert ihn, daß die Königin ihn auf diese Weise musterte. Am meisten aber verdrießt ihn Orestes und sein riesiger Halbmondorden. »0 b er mich wohl zum Duell fordern wird, weil ich ihm nicht die Hand gegeben habe?« dachte Macius. Als Macius später an diesen Besuch dachte, begriff er den Grund seines Zornes. -In den langen Stunden des Abgeschiedenseins und der Einsamkeit hatte er den traurigen König erwartet. Als er im Salon des Gefängnisdirektors den Flügel betrachtete, stand ihm der traurige König leibhaftig vor Augen, und seine traurigen Melodien erklangen in ihm. -Kein anderer hatte das Recht, hierherzukommen. - Kampanella war vielleicht eine Ausnahme, aber nicht dieser unbedeutende König eines kleinen Landes. Was sollte er ihm noch sagen, damit er begriff, daß er hier ganz unnötig seinen Senf dazugegeben hatte? Eigentlich wollte Macius schrecklich viel sagen, aber er fürchtete, eine unpassende Bemerkung zu machen. Macius erinnerte sich an den Zeremonienmeister, der es immer einzurichten gewußt hatte, daß zur rechten Zeit alles in Ordnung war. Und nun?- Die Königin sah ihn an, jener betrachtete die Bilder, und der Gefängnisdirektor stand da wie eine Säule- und das alles nahm überhaupt kein Ende. »Möchten Sie Tee haben oder Kaffee mit Sahne? Ich habe ausgezeichneten Kuchen, er ist selbstgebacken«, begann der Direktor, aber es sollte ihm leid tun. >>Haben Sie den Verstand verloren?>Schmachte ich deshalb schon einen ganzen Monat in Ihrem Loch, um jetzt Kuchen zu essen? -Ich will wissen, was meine Feinde beschlossen haben. -Ich fordere ein für allemal, daß man mich

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König Macius auf der einsamen Insel

sofort auf eine einsame Insel schickt. Hätte man mir gesagt, ich muß wochenlang im Gefängnis sitzen- ich hätte die Begnadigung nicht angenommen. Ich wollte in jenem Haus der wilden Tiere sterben - sie aber haben mich mit List gefangengenommen.- Ich fordere ein offizielles Dokument mit Siegel.Das darf ich nicht sie haben es nicht erlaubt.> Maciu§, bevor ich fahre, möchte ich dir etwas sagen. Ich weiß nicht, ob es gelingen wird. Aber ich will mir große Mühe geben. Laß jetzt den Kanarienvogel- das alles kannst du später machen.ch höre.« >>Sag mir, aber sei aufrichtig: Wenn es die Könige erlaubten ... Würdest du es wollen? Ich bin allein auf der Welt- genauso wie du. Kinder habe ich nicht- ich habe niemanden- willst du, daß ich an die Stelle deiner Mutter trete? ... Du würdest in einem Orangengarten in meinem schönen warmen Land in einem großen Marmorpalast leben. Ich würde alles tun, damit es dir dort gut erginge. Im Laufe der Zeit werden die Könige sich entschuldigen. Und wenn ich alt sein werde, dann bist du erwachsen, und ich überlasse dir Thron und Krone. Du wirst wieder König sein.>Ich bin König- König eines eigenen Landes - einen fremden Thron und eine fremde Krone brauche ich nicht- ich habe eine eigene.>Aber Maciu§ ... >Ich bin kein Maciu§, ich bin ein gefangener König, und was man mir weggenommen hat, werde ich zurückholen.>Königinich danke dir. Du warst sehr gut zu mir. Ich möchte nicht undankbar sein. Und eben deshalb lehne ich dein Angebot ab. Nähme ich es an, würdest du viel Kummer haben.>Warum?>Weil ich- fliehen würde. Und ich werde fliehen, ganz gewiß werde ich das tun. Sie sollen mich nur bewachen. Sie sollen gut auf mich aufpassen!>Eure Königliche Majestät, solange man mich mit Gewalt festhält, bin ich frei, ich kann tun, was ich will, ich habe die Freiheit, mich zu verteidigen. Erklärte ich mich aber einverstanden, dein Sohn zu werden, wäre ich für immer ein Gefangener.>Der Doktor kommt mit raschem Schritt in den Flur, er trägt einen grauen Arbeitskittel und ein wollenes Käppchen. Er begrüßt mich freudig und führt mich gleich in sein Zimmer. Dort ist es halb dunkel. Am Fenster ein großer, schäbiger Schreibtisch. Ein altes hölzernes Kanapee, ein Schrank von unbestimmter Farbe, eine Etagere, mit Büchern und Broschüren überladen. Nur eine Photographie hängt an der Wand- ein Portrait von Korczaks Mutter.« Gilead, Zerubawel: Die Erde bebt. In: Beiner, Friedhelm/Ungermann, Silvia (Hg.): ]anusz Korczak in der Erinnerung von Zeitzeugen. A.a.O., S. 477·

König Macius auf der einsamen Insel

»Na und?« fragte König Orestes. >>Maciu§ ist schrecklich nervös>Wenn das so weiter geht, dann bin ich in drei Tagen frei.>Warum spielst du nicht Robinson?>Das Kind gewöhnt sich langsam ein. Dieses Robinsonspiel ist ganz nützlich, unmerklich wird dann aus dem Spiel Wirklichkeit.>Gehen die Könige nicht doch zu streng mit ihm um?>Warum spielst du nicht, Macius?>Ich will einen Keller grabenich habe aber keinen Spaten. Ohne Keller ist es sehr unbequem, denn wo soll ich das Wild hineinlegen, das ich erlegt habe?>Und woher hast du die Ziegel?>Die habe ich im Garten gefunden, da, bei der Veranda. Ich kann Sie hinführen, Herr Soldat.>Der Direktor kommt!>Und was ist das für eine Grube?>Das ist Robinson Crusoes SpeisekammerIhr bekommt einen Tag Arrest, weil ihr euch nicht bewegt, wie es sich gehört, und einen zweiten Tag, weil ihr dem Gefangenen Nummer zweihundertundelf erlaubt habt, Löcher zu graben.>Wer schläft, der sündigt nicht.« Und Dormesko freute sich, daß er keine Sünden beging. Es ging ihm gut. Einmal war er auch während des Naturkundeunterrichts eingeschlafen. Der Lehrer war sehr streng. In seinen Stunden mußten die Schüler mäuschenstill sein. Der Lehrer trug vor- er sprach- sprach, Dormesko aber fielen die Augen zu. >>Wiederhole, Dormesko. « >>Er schläft, Herr Lehrer.« Der Nachbar stieß ihn mit dem Ellenbogen an. Dormesko rieb sich die Augen - stand auf. >>Was hast du denn geträumt?« wollte der Lehrer wissen. >>Ich habe von einem großen, großen Ameisenhaufen geträumt.« 2;

I. 2.

Der Name wurde abgeleitet von span. >>dormir>dormire>palek>Dein Glück, daß du etwas geträumt hast, was mit der Naturkunde zusammenhängt, sonst hättest du jetzt einen Zweier bekommen.>Das Wichtigste im Leben ist, daß man eine Vorliebe hat. Malst du sehr gern, werde Maler. Singst du gern, werde Sänger. Im Militärdienst sind Ordnung und Gehorsam das wichtigste.>Nun jaaber was soll aus einem Jungen werden, der nur gern schläft?>Glauben Sie mir, mein Herr, wenn der Junge aus wirklichem Interesse, mit Leib und Seele eine Schlafmütze ist, wird er bestimmt Karriere machen. Die Hauptsache ist- die Vorliebe.>StehenbleibenHast du keine Angst? «fragten die Kameraden. >>Weshalb denn? Jeder muß einmal sterben. Keine Frau wird mir eine Träne nachweinen.>Sie lärmen, schreien, trampeln mit den Füßen und haben nur Unsinn im Kopf. Sie lassen einen nicht schlafen. Die Kleinen weinen des Nachts, die Großen ärgern einen bei Tage.>Vierten Todesforts>Tag und Nacht schießen, ohne AtempauseRufen Sie sofort den kühnen Verteidiger des Todesforts«, befahl der Oberkommandierende. >>Das ist unmöglich. Er hat uns verboten, ihn zu weckenFiu-sss, fiu-sss, fiu-sss!>Pfeif du nurJa, so werde ich also den Kanarienvogel und den Koffer auf die Insel bringen und dann Bericht erstatten.>Sobald sie bemerkt haben, daß ich geflohen bin, werden sie mich suchen. Sie werden mich verfolgen, und keiner wird auf den Gedanken kommen, daß ich hier ganz ruhig direkt vor ihrer Nase sitze.Wie heißt du eigentlich?>Janek.« >>Also hör zu, Janek. Ich sehe, du bist ziemlich empfindlich. Du hast weiße Hände, auch wenn sie zerkratzt und die Fingernägel abgebrochen sind. Lügen kannst du auch nicht richtig- das merkt man gleich. Am Bahnhof hast du sehr schlecht gelogen. Du hast Hunger, bist abgemagert, aber eigentlich ein kräftiger Junge. Papiere besitzt du nicht, nur das Photo der Königin. Was soll das alles bedeuten?>Mir ist heißmachen Sie bitte das Fenster auf.>Laß ihn jetzt in RuheDu siehst doch: Der Kleine bekommt kaum noch Luft. Soll er sich ausschlafen. Morgen hast du genug Zeit, ihn auszufragen.>Nein, meine Liebe. Ich war zwei Jahre bei der Polizei. Misch du dich da nicht ein. Der Junge soll mir nur noch sagen ... ch sage dir: Halt's Maul- verstehst du? -Bei der Polizei war er, dieser Dummkopf. Und warum bist du nicht mehr dort? -Weil sie dich rausgeworfen haben. Andere haben ein Vermögen verdient, und du? Bis zu deinem Tode wirst du Wurst verkaufen. Na, beweg dich: Zeig, was du mitgebracht hast.>Du solltest dich wirklich schämen, du Grobian, diesen schweren Sack einem so kleinen Jungen aufzuladen. Und dabei heißt er auch noch Janek.>Er muß ein gutes Kind sein, wenn er die Photographie der Königin bei sich trägt. Wäre er ein Gassenjunge, hätte er bestimmt ein Photo von Macius bei sich.Sicher muß ich mich jemandem zu erkennen geben, allein kann ich gar nichts tun.>Gehe ich hinein oder nicht?« Er ging nicht hinein. Kehrte nach Hause zurück. >>Ich möchte mir so gern einmal ein Pfund Äpfel kaufen.'' Dies war das erste Mal, daß er um etwas bat, bisher hatte er nur abgelehnt. Sie freuten sich, gaben ihm Geld für die Äpfel. >>Ein halbes Pfund Äpfel bitte.« Der Minister erkannte Maciu§ an der Stimme. -Er fuhr zusammenstarrte ihnan-das Halbpfundgewicht fiel ihm aus der Hand. >>Eure Königli ... « Maciu§ legte den Finger auf die Lippen. >>Ach, was rede ich ... Geben Sie mir das Gewicht ... Oder nein ... Herr Gehilfe, bringen Sie mir doch mal Zigaretten ... Fräulein Kassiererin, zählen Sie bitte das Geld nach, ob alles in Ordnung ist.« Er gab Maciu§ ein Zeichen, mit ihm in den Lagerraum zu kommen. >>Wie können mich Eure Königliche Majestät nur in solche Gefahr bringen?« flüsterte er. >>Ich habe schon genug Ärger. Ich war Minister, jetzt verkaufe ich Äpfel. Man darf nicht einmal mehr den Namen des Königs erwähnen; und wenn sie nur erfahren würden ... Bitte, ich flehe Eure Königliche Majestät an, nicht noch einmal zu mir zu kommen, denn sonst, ich sage es ganz ehrlich, bin ich gezwungen, der Polizei alles zu melden. Es ist schwer: Ich habe Frau und Kinder- ich kann meine Familie nicht ins Unglück stürzen.« >>Aber ich wollte doch nur wissen ... « >>Ja, aber ich weiß nichts und werde nichts sagen«, unterbrach ihn der Minister. >>Ich kann Ihnen ein Pfund, nein, drei Pfund Äpfel geben oder Birnen, aber nichts weiter.« >>Ich bin nicht gekommen, um zu betteln«, antwortete Maciu§ stolz und ging. Armer heimatloser König. Ihm war die Lust vergangen, sich an die anderen Minister zu wenden. Es verging eine Woche, und noch eine. Und je länger er nachdachte, desto klarer wurde ihm, daß nur wenige Möglichkeiten blieben. Entweder er gab sich der Menge ganz plötzlich zu erkennen und rief: >>Zu den Waffen!« Das Volk bewaffnen, die ausländischen Gesandten verhaften, die Stadt befestigen - und noch einmal sein Glück versuchen. Oder er könnte in den Palast gehen und erklären: >>Ich bin König Maciu§ der Erste.« Mochten sie ihn doch auf die einsame Insel schicken. Oder er konnte weiterhin Laufbursche bleiben- und abwarten. Und es gab noch eine vierte Möglichkeit: zum traurigen König gehen; doch das wollte Maciu§ nicht tun. »>ch werde warten«, beschloß er endlich. >>Irgend etwas muß jageschehen.> Janek, nimm fünfzig Knackwürste und zehn Pfund von den Würstchen, bring sie ins Restaurant an der Nowa-Straße. Früher hieß sie Reformator-Macius-Straße. >Ich weiß«, erwiderte Macius. Mit dem Korb in der Hand geht er die Straße entlang. Aber sie war an diesem Tag ungewöhnlich belebt. Überall Soldaten und Polizistensie liefen umher, hielten die Passanten an: Sowohl Erwachsene als auch Kinder. Da sieht Macius- eine neue Bekanntmachung an der Mauer. In großen Lettern steht geschrieben: >>Fünf Millionen Belohnung!« Endlich!

5 ooo ooo Belohnung Der ehemalige König Macius der Erste ist während der Reise auf die einsame Insel entkommen. Wer Macius ergreift oder mitteilt, wo er sich versteckt, erhält die obengenannte Belohnung. Alle sind verpflichtet, ihre Geburtsurkunde bei sich zu tragen, insbesondere jungen in Macius' Alter. Die Eltern seien gewarnt, daß jungen ohne dieses Dokument verhaftet werden. Niemand soll sich hinterher darüber beklagen. >>Fünf Millionen«, Macius schüttelte den Kopf, >>ich wußte noch gar nicht, daß Könige so viel wert sind. Wie viele dieser Würstchen man wohl für einen König bekommen könnte?« Er war froh, daß sich sein Leben nun endlich verändern würde. Zurückzukehren war unmöglich. Schon zu oft hatten sie ihn ausgefragt: Was bist du für einer, woher kommst du, zu welcher Schule gehst du, warum liest du so aufmerksam die Zeitungen, was verstehst du schon davon, warum trägst du das Photo der Königin bei dir?- Jetzt würden sie begreifen. >>Woher kommst du?« fragte ihn eine Patrouille. >>Vom Fleischer.« >>Hast du eine Legitimation?« >>Ich habe eine.« >> Zeig sie her. « Macius zeigte mit unschuldigster Miene eine Wurst. >>Dummkopf. Das ist doch eine Wurst. Zeig dein Dokument.« >>Solche Wurst macht mein Meister aber nicht.« >>Laß ihn doch laufen: Was willst du dich mit einem solchen Dummkopf abgeben.«

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Zwei Straßen weiter- wieder dasselbe: >>Ausweis, Geburtsurkunde, Legitimation!Halt.>Halt, oder ich schieße.>Ach, du Schurke, willst die Polizei zum besten halten?>Sollen wir ihn laufen lassen? Der ist taub wie ein Stein. Nicht einmal den Schuß hat er gehört.>Was geht mich das an? Sie haben uns befohlen, alle zu verhaften, also verhaften wir eben alle. Wenn wir überhaupt keinen mitbringenwerden sie uns ganz schön herunterputzen. Außerdem tut der Bursche vielleicht nur so.- Vielleicht sind die Sachen gestohlen?>Sie sind ganz einfach übergeschnappt, es geht ihnen zu gut. Maciu§ ist von der einsamen Insel geflohen, und nun suchen sie ihn hier. Nur um die Leute zu ärgern.>skautScout« (Kundschafter). Internationale, organisatorisch zusammengefaßte Bewegung der Jugend, I907 von Robert Stephenson Smyth Baden-Poweil (I8 57-I94I) in England gegründet (Boy Scouts).

Ziel war ursprünglich vor allem eine Erziehung zur Tüchtigkeit, Pflichterfüllung, Hilfsbereitschaft und internationalen Verständigung; heute steht das kritische Engagement für eine humane und friedliche Welt im Vordergrund. Durch Aktivitäten in der Gruppe (Geländespiele, Observationsübungen u.ä.) wird das Kameradschaftsgefühl geweckt und solidarisches Verhalten eingeübt. Das klassische Handbuch von General Baden-Powell, Scouting for Boys (I9o8), wurde bereits I9II vom Mitbegründer der polnischen Pfadfinderbewegung Andrzej Malkowski in polnischer Sprache unter dem Titel Scouting jako system wychowania mlodzieiy(Scouting als ein System der Jugenderziehung) herausgegeben. Seit I 9 I I erschien in Lw6w die Jugendzeitschrift Skaut (Der Pfadfinder). I9I9 entstand der Polnische Pfadfinderverband (ZHP) durch Vereinigung der einzelnen Teilorganisationen. In den zwanziger Jahren erfreuten sich die verschiedenen Schriften zur Pfadfinderbewegung insbesondere bei jungen Menschen großer Beliebtheit.

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>>Bei euch gibt es Pfadfinder?>Was sind das schon für Pfadfinder. Zigaretten rauchen sie, und sie haben keinen Gürtel mit Fahrtenmesser. Sie nennen sich nur so. Ich sage dir: Es gibt hier keine Ordnung. Jeder macht, was er gerade möchte. Ich würde dir etwas erzählen, aber sagst du es auch nicht weiter? Also, wir haben hier einen Geheimbund der Grünen Fahne. Unser Schirmherr- aber denke dran, es ist ein Geheimnis- unser Schirmherr ist Maciu§. Wir wollen Maciu§ von der einsamen Insel entführen. Aber vergiß nicht: Wenn du irgend jemanden auch nur ein Wörtchen erzählst, dann wirst du schon merken, was passiert. Das ist unser allergeheimster Bund.>Bleib hier ein Weilchen sitzen, ich muß zum Unterricht. Vor der ersten Unterrichtsstunde sieht man nach, ob alle da sind, danach kann man schon mal schwänzen. Bleib hier! In einer Stunde komme ich wieder. Da hast du ein Stück Brot.>Unsere Kinder sollen nicht zusammen mit Dieben im Gefängnis sitzen.>Weshalb bin ich nicht vorher informiert worden? Wo soll ich sie unterbringen? Weder Schüsseln noch Tassen habe ich für sie. Wo sollen sie schlafen?>Das wissen wir auch nichtBefohlen ist befohlen, und fertig.>Ich bin der Sohn eines Rechtsanwalts.>Mein Vater ist Gendarm.>Meine Mutter ist Schauspielerin. >Mein Papa ist ein ausländischer Gesandter.>Oh, da ist ja mein Papa.>Mit welchem Recht halten Sie meinen Sohn hier fest?>Was ist das für eine Ordnung?>Geben Sie mir mein Kind zurück!>Jetzt könnte ich aus dem Gebüsch kommenWenn die Polizei Verbrecher auf diese Art und Weise verfolgt, dann wundere ich mich, daß sie überhaupt jemanden fängt. Ich bin in Sicherheit.>Meine sehr verehrten Väter und Mütter, ich bin der Direktor des Waisenhauses und nicht der Gefängnisvorsteher. Für mich ist das alles eine äußerst unangenehme Überraschung. Ich bin, meine Herrschaften, gelernter Erzieher, Autor gelehrter Bücher über Kinder. Ich habe das Buch mit dem Titel3 65 Methoden, den Kindern das Lärmen abzugewöhnen geschrieben.' Dann habe ich noch ein Buch geschrieben: Was ist besser, Blech- oder Hornknöpfe?; und mein drittes pädagogisches Buch trägt den Titel: Schweinezucht in Internaten. Sie müssen nämlich wissen, daß dort, wo es viele Kinder gibt, auch Kartoffelschalen und Aufwaschwasser anfallen. Und das soll doch nicht vergeudet werden. In meinem Internat wächst ein ganz mageres Ferkel zu einem vortrefflichen Schwein heran. Ich habe zwei Silbermedaillen erhalten. Ich brauche auf ein Kind nur einen Blick zu werfen, dann weiß ich gleich, was es wert ist. Ich erkenne das am Gesicht, an den Augen, an allem. Ich bitte Sie, schauen Sie sich nur dieses kleine Mädchen an ... >Schauen Sie sich ihr sanftes Gesichtehen und ihre klugen Augen an. Sie ist noch nicht lange da, doch ich kenne sie durch und durch; ihre kleine Seele stellt für mich kein Geheimnis dar. Jeden ihrer Gedanken kann ich lesen, als hielte ich ihn in der Hand.«

I.

Der Figur des Direktors verlieh Korczak selbstironische Charakterzüge. In Fröhliche Pädagogik schreibt er 1939: >>ich- der Autor des Buches: 365 Arten, die Sprößlinge werktags, sanntags und an Feiertagen vor Unglücksfällen zu bewahren.« In: Sämtliche Werke, Bd. 4, S. 428.

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Der Direktor legte die eine Hand auf Maciu§' Kopf, die andere öffnete er und sah hinein. Maciu§ bekam wirklich einen großen Schreck, vielleicht konnte der sonderbare dicke Herr etwas ganz Überflüssiges dort herauslesen. Als sich die Eltern überzeugt hatten, daß die Kinder nicht im Gefängnis waren, sondern nur unter der Obhut eines gelehrten Erziehers standen, regten sie sich nicht länger auf und gingen ruhig auseinander. Nur der ausländische Gesandte rief den Polizeipräfekten an und erhielt die Genehmigung, seinen Sohn mitzunehmen; er brachte ihn sogleich zum Auto. Nach einer Weile kam der Direktor wieder und rief: >>Meine Herren Erzieher. In einer halben Stunde soll beraten werden, wie der geflohene Maciu§ gesucht werden kann. Sehr viele berühmte Leute werden zu uns kommen. Wechseln Sie bitte den Kindern die Wäsche, waschen Sie ihnen die Ohren und putzen Sie ihnen die Nase. Verstehen Sie recht: keine einzige Rotznase. Und eines der kleinen Mädchen soll dem Polizeipräfekten einen Blumenstrauß überreichen. Am besten - die Kleine mit dem sanften Gesichtchen. He, das Dienstpersonal soll kommen und aufräumen!>Wo ist das Mädchen, das den Blumenstrauß überreichen soll?>Aber ich bin überhaupt kein Mädchen, sondern ein Junge.« >>Ach du Neunmalkluger«, gingen die Erzieher auf Maciu§ los. >>Wenn der Direktor sagt, du bist ein Mädchen, dann bist du ein Mädchen, und fertig. Für deinen Starrsinn und Ungehorsam bekommst du morgen kein Mittagessen.« Und eine halbe Stunde später hatte Maciu§ ein weißes Kleidehen mit rosafarbeuer Schärpe an- und überreichte dem Polizeipräfekten den Blumenstrauß. Gleich nach dem Präfekten kamen vorgefahren: der Leiter der Geheimpolizei, der Richter der Kriminalpolizei, der Chef der Gendarmerie, der Direktor der Abwehrl und noch etwa zwanzig inund ausländische Häscher. >>Meine Herren«, ergriff der Direktor des Waisenhauses das Wort. >>Ich bin Erzieher und gelehrter Schriftsteller. Meine Aufgabe ist es, darauf zu achten, daß die Kinder ihre Taschentücher nicht verlieren, daß sie keinen Lärm machen und daß sie keine Knöpfe abreißen. Und

r. Im Polnischen: »defensywadefendereSieh mal, ich brauche ein Taschenmesser so nötig, und für dich ist es sowieso nutzlos.« >>Hör mal: Gib mir den Spiegel, du hast zu Hause bestimmt einen besseren.>Wenn du mir die Federmappe gibst, dann verrate ich dir etwas Interessantes.« >>Sieh nur: Meine Haare fliegen immer durcheinander- gib mir deine Spange.>Es lebe König Macius! >Er lebe hoch! - Er lebe hoch!>Es lebe Oberst Dormesko!«

Oberst Dormesko hatte Macius, ohne es selbst zu wissen, einen so großen Dienst erwiesen, als wäre er sein aufrichtigster Freund. Nach Macius' Flucht fuhr er drei Tage lang weiter als ob nichts geschehen wäre. Die Wache stand auf dem Korridor - und paßte auf. Und Dormesko schlief. Sie kamen ans Meer. Eine Menge von Gaffern hatte sich eingefunden, denn der eine oder andere wußte, oder dachte sich, daß das Schiff im Hafen nur noch auf Macius wartete. Sie tragen Macius' Koffer hinaus, dann einen zweiten- vom Herrn Oberst, danach einen Käfig mit einem Kanarienvogel. Der Oberst steigt aus. Fünf Mann Wache auf der einen Seite, fünf Mann auf der anderen. >>Wo ist Macius?« Die Gaffer sind böse: Ein paar Stunden haben sie im Regen gestanden und ihn doch übersehen. Aber der Käfig mit dem Kanarienvogel macht sie neugierig. Der Hafenkommandant fragt: >>Wo ist Macius?>Sind Sie eine Land- oder eine Seebehörde?« knurrt Dormesko böse, daß man Angst bekommen kann. >>Ja, das bin ich«, erwidert der Kommandant. >>Dann haben Sie den Befehl, mir zu helfen, sonst nichts. Ich bitte um ein Boot. Und sobald wir das Schiff betreten haben, soll es in See stechen.«

Dormeskos Rapport hatte für Aufregung gesorgt

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Der Schiffskapitän wartet ab, er besieht sich das alles und wundert sich. Auch die Matrosen wundern sich, weil sie jedoch abergläubische Menschen sind, geht manchem durch den Kopf, daß man nicht wissen kann, ob Macius der Kanarienvogel im goldenen Käfig ist. Vielleicht haben ihn die Könige verzaubert, oder vielleicht ist Macius niemals ein Mensch gewesen? Nach der Ankunft auf der einsamen Inselläßt sich Dormesko eine Quittung über alles geben, was er hingebracht hat, er selbst aber kehrt zurück. Er schläft sehr unruhig, sein Gewissen plagt ihn. Für einen alten diensteifrigen Beamten ist es sehr unangenehm, einen Befehl nicht genau auszuführen. Seinen Rapport, der ein wichtiges historisches Dokument ist, gebe ich im vollen Wortlaut wieder:

Festung. Viertes T odesfort. Befehl in Punkt eins erfüllt. Befehl in Punkt zwei erfüllt. Punkt drei des Befehles führe ich teilweise aus: Ich habe alle Sachen von Macius auf die einsame Insel gebracht (Quittung füge ich bei). Punkt vier des Befehles führe ich durch vorliegenden Rapport aus. Der ehemalige König Macius ist unterwegs geflohen. Oberst Dormesko. Den Rapport schickte er durch eine Ordonnanz ab und, ermüdet von der Reise - legte er sich schlafen. Das, was daraufhin geschah, war die größte Affäre, an die sich die Welt erinnern kann. Daß Dormesko mit Erschießung, Degradierung, dem Strafbataillon und Zwangsarbeit gedroht wurde- war noch eine Lappalie. Nein, unter den Königen selbst geschah ganz Unerhörtes. Sie kamen zu drei Sitzungen am Tag und zu einer in der Nacht zusammen. Jede Sitzung war in einer anderen Stadt, manchmal wurden auch gleichzeitig in zwei Städten Sitzungen abgehalten. Anfangs blieben sie geheim, doch die Herren von der Zeitung hatten in Erfahrung gebracht, daß Macius entflohen war - und nun jagten sie den Königen hinterher. Unablässig fuhren Züge. Die Minister verloren ihre Reisekoffer, die Zeremonienmeisterdie Köpfe. Die Telegraphendrähte barsten fast von der Flut der Depeschen. Extrablätter erschienen mitunter um zwei oder drei Uhr nachts, und die Leute rannten im Nachthemd, als sei plötzlich ein Feuer ausgebrochen, auf die Straße, um sie zu kaufen. Die Kinos zeigten wieder die alten Filme mit Macius. Überall Macius und nochmals Macius. Zigarren- Macius' des Ersten. Bonbons Macius' des Ersten. Wodka Macius'. Oh, Hilfe! »Extrablatt! Revolution beim jungen König!« >>Extrablatt! Der traurige König rüstet auf!>Extrablatt! Haussuchung im Palast der Kampanella!« >>Extrablatt! Krieg zwischen Süd- und Nordafrika!« >>Extrablatt! Abbruch der Beziehungen zwischen den gelben und den weißen Königen!König Boruch hat nicht das Wort. Es ist nicht gestattet, jemanden zu unterbrechen. Der junge König hat seine Rede noch nicht beendet. Der junge König hat das Wort.>Maciu§ ist unser Gefangener, sage ich. Er soll dafür bestraft werden, daß er geflohen ist; er kann eine mildere Strafe erhalten, weil er sich freiwillig gemeldet hat. Nebenbei gesagt, Maciu§ hat sich nur deshalb ergeben, weil er wußte, daß wir ihn sowieso erwischen.>Haben Eure Königliche Majestät Ihre Rede beendet?>Ich habe sie beendet. >Ich bitte ums WortKönig Maciu§ Reformator hat das Wortnationalen Heimstätte>Der junge König lügt wie gedruckt«, erklärte Macius. »Eine Handvoll Verräter hat mich der Krone beraubt und nicht das ganze Volk. Dreißig Feiglinge, die vor einer dummen Bombe erschrecken, können einem König nicht den Thron nehmen. Übrigens hat sich einer von ihnen mir zu Füßen geworfen, mich um Verzeihung gebeten und mich wieder König genannt. Außerdem ist eure Polizei so dumm, daß ich mich noch hundert Jahre hätte versteckt halten können. Das ist alles.« >>Wer möchte noch das Wort ergreifen?>Rechte?« brüllte Kaiser Pafnucy. >>Wenn es mein Sohn wagen sollte, sich einem Aufstand anzuschließen, würde ich ihm die Hosen runterziehen und ihm derart das Fell gerben, daß er es nie wieder vergißt. Jetzt gibt es die dumme Mode, Kinder nicht zu schlagen. Schläge sind aber notwendig, und wenn sie nicht helfen, müssen sie wiederholt werden. Man muß mit der Hand schlagen, und wenn das nicht ausreichtmit der Rute, und wenn auch das nicht genug ist- mit dem Riemen.«

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Alle sahen zu Macius, doch der schwieg. >>Wer möchte das Wort ergreifen?« fragte Lord Pux. >>Ich mache es anders«, sagte Orestes. >>Prügel mißfallen mir, denn wer sie bekommt, vergißt sie auch gleich wieder. Am besten ist es, ihnen nichts zu essen zu geben. Wenn so einer kein Frühstück oder kein Mittagessen bekommt und dann hungert, begreift er schon, daß er gehorchen muß. Soll ich mich etwa mit so einem Jungen herumbalgenwer verlangt das von mir? Mag er in einer dunklen Kammer sitzen, bis er vor Angst umkommt - dann werden ihm die dummen Gedanken vergehen.« >>Man darf den Kindern keine Rechte geben«, erklärte der Freund der Gelben. >>Kinder sind leichtsinnig, sie verstehen noch gar nichts, haben noch keine Erfahrungen. Macius hat den Kindern Rechte eingeräumt, und ihr seht ja, was sie angestellt haben. Sie haben den Erwachsenen befohlen, in die Schule zu gehen, haben selbst alles verdorben. Man soll Kinder nicht schlagen, davon werden sie noch schlimmer. Kinder hungern zu lassen - ist eine noch größere Schweinerei, weil sie krank werden können und dann zu schwachen Menschen heranwachsen. Man muß ihnen aber erklären, daß sie warten sollen- bis sie klüger sind.« >>Ich bitte ums WortIch teile nicht die Meinung meiner Vorredner. Das, was wir jetzt von den Kindern sagen, ist früher auch von den Bauern und Arbeitern, den Frauen, den Juden und den Negern gesagt worden.r Auf Grund bestimmter Eigenschaften wollte man ihnen keine Rechte einräumen. Nun, wir haben ihnen trotzdem Rechte gegeben. Zum besten steht es damit noch immer nicht, aber auf jeden Fall ist es besser als vorher. Macius hat den Kindern zu viele Rechte auf einmal eingeräumt, man muß so etwas allmählich tun. Kinder sollten Geld haben, damit sie sich verschiedene Dinge kaufen können. Wenn sie sich wertloses Zeug kaufen, so muß ich entgegenhalten, daß auch nicht alle Erwachsenen ihr Geld klug ausgeben. Man könnte ihnen ja Darlehen geben, die sie zurückzahlen, wenn sie groß sind. Denn jetzt geht es den Kindern wie den Bettlern. Um alles müssen sie bitten, müssen versuchen, sich bei den Erwachsenen einzuschmeicheln, und überdies darauf warten, daß diese bei guter Laune sind. Übrigens haben auch die Kinder heute schon

r. Der Vergleich der Benachteiligung der Kinder mit der historischen, sozialen und

politischen Benachteiligung von Mitgliedern anderer sozialer Schichten, Gruppen und Nationalitäten tritt in Korczaks literarischem Werk wiederholt auf. Vgl. z.B. Die Entwicklung der Idee der Nächstenliebe im XIX. Jahrhundert. In: Sämtliche Werke, Bd. 9 und Der Frühling und das Kind. In: Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 14.

Die Schwarzen überfallen unter Klu-Klus Führung die beratenden Könige

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größere Rechte. Früher konnte ein Vater sein Kind erschlagen, doch jetzt darf er das nicht mehr. Auch daß die Eltern zu fest zuschlagen, ist nicht mehr erlaubt. Ferner ist es verboten, die Kinder nicht zur Schule zu schicken. Deshalb müssen wir darüber sprechen, wie wir den Kindern noch mehr Rechte einräumen können. Kinder sind doch nicht schlechter als Erwachsene.Du bist frei, MaciusIch schließe die Sitzung!>Sollen wir den gelben König auch fesseln oder nicht?>Das weiß ich nichtJetzt ist Maciu§ euer Anführer.>GenügtJetzt steh auf und gib jedem der Generäle einen Fußtritt auf die Nase.>Jetzt nimm den Holzklotz da vom Tisch und geh um jedes Häufchen von Königen fünfmal herum, aber sieh dich nicht um, sonst gibt's ein Unglück. Fünfmal um jedes Häufchen, mein Macius, irre dich nur ja nicht.>Macius, jetzt mach große Schritte - jetzt kleine - jetzt nach rechts neigen- jetzt hebst du das Holz in die Höhe- jetzt lauf auf den Fersen. Macius, wirf ja nicht das Götzenbild auf die Erde, wenn es zu brennen anfängt.>Geh jetzt vors Haus Bum-Drum, es ist heiß!> Macius, sei geduldig. Bald ist es vorbei.>Geht es nicht ein bißchen schneller?>Nein.>Wann hat das alles ein Ende?>Ich bitte alle, sich von ihren Plätzen zu erheben, um das Andenken der aufgegessenen Königin zu ehren.>Es betrifft eine FormalitätWeiße KönigeMeine schwarzen Brüder sind wild, ich weiß es. Sie haben euch Schaden zugefügt. Ja. Doch nicht ich trage dafür die Verantwortung, sondern ihr. Ihr habt euch schöne Paläste gebaut, und an uns denkt ihr überhaupt nicht. Nur scheinbar habt ihr uns Rechte zugestanden, aber das ist noch nicht genug. Wir können uns allein nicht helfen. Ich bitte euch, sprecht auf dieser Sitzung nicht nur über die Angelegenheit der weißen, sondern auch über die der schwarzen Kinder. Wenn es uns Alten schlecht geht, soll es wenigstens unseren Kindern einmal besser gehen.>Wir haben nunmehr vier Angelegenheiten zu regeln. Erstens: die Angelegenheit der weißen Kinder. Zweitens: Macius' Angelegenheit. Drittens: die Angelegenheit des Königreichs der aufgegessenen Königin Kampanella. Viertens: die Angelegenheit der schwarzen Kinder.>Arme Königin KampanellaIch war nicht gut zu ihr. Soviel Kummer hat sie durch mich erlitten. Und nun haben

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sie sie aufgegessen. Weshalb habe ich nicht so ruhig regiert wie alle Könige? Dann würde ich jetzt ein ruhiges Leben führen, und es gäbe weder Kriege noch Unglück. Ich bin an allem schuld.« Schließlich forderte König Alfons der Bärtige ungeduldig, Macius solle doch sagen, was er wolle. »Wollen Eure Königliche Majestät das Wort ergreifen?>Selbstverständlich, ich schlage vor, zum Zeichen unserer Trauer um die Königin Kampanella, die Sitzung auf morgen zu vertagen.« Das abzulehnen, schickte sich nicht. Alle waren einverstanden, wenn auch widerwillig. Da kein Sarg auf der Insel vorhanden war, wurden die Gebeine der Königin und der Fischersfrau in eine Weinkiste gelegt, und in einer kleinen Kapelle fand ein Gottesdienst statt. Macius traf sich mit Klu-Klu unter einem Myrtenbaum. >>Bist du mir böse, Macius?>Liebe Klu-Klu, nicht ich, sondern ihr solltet böse sein. Wenn ich nicht wäre, lebtest du ruhig im Land von Bum-Drum. Meinetwegen hast du die Reise im Käfig mit den Affen unternommen, meinetwegen hast du im Gefängnis gesessen. Meinetwegen hast du angefangen, über die unglücklichen Reformen nachzudenken.« >>Macius, was redest du für einen Unsinn. Es ist doch das größte Glück, dafür zu leben, zu arbeiten und zu kämpfen, daß es auf der Welt besser wird.>Arbeite du nur, Klu-Klu.>Na, und du?« >>Ich fahre auf die einsame InseL>Warum?« rief Klu-Klu bestürzt. >>Das ist mein Geheimnis.ch habe gedacht, die Kinder sind gut, nur eben unglücklich. Aber noch sind die Kinder böse ... Ich möchte nicht, daß du denkst, ich fürchte mich oder ich wäre all dessen überdrüssig, also erzähle ich es dir. Aber es soll unter uns bleiben. Ich habe die Kinder nicht gekannt, doch jetzt kenne ich sie. Die Kinder sind böse, sehr böse. Auch ich bin böse. Böse und undankbar. Solange ich die Minister, den Zeremonienmeister, den Erzieher und wen sonst noch fürchtete- war ich gehorsam und saß still ... Doch als ich rechtmäßiger König wurde, habe ich Dummheiten gemacht, und nun leide ich. Und nicht nur ich leide darunter, sondern auch so viele unschuldige Menschen.Mach dich fort, laß mich in Ruhe, hau ab, sonst kriegst du eins aufs Maul.< Alle geben sie an. Jeder möchte der erste sein. Die älteren Kinder zanken sich mit den jüngeren, die Jungen mit den Mädchen. Jetzt verstehe ich auch, warum der Kindersejm ein Mißerfolg war. Wie hätte er auch gelingen können? Ich verstehe jetzt auch, warum ich solange gut genug war, solange ich Knackwürstchen hatte, und warum sie mich danach verraten wollten. Und dabei haben sie sich Ritter der Grünen Fahne genannt. Die weißen Kinder sind genauso wild wie die schwarzen Menschenfresser, und das ist eine Schande. Gewiß sind die Neger unglücklich, weil sie keine Bildung haben. Ich will nicht zu den Weißen zurückkehren. Wenn ich mich auf der einsamen Insellangweilen sollte, dann gehe ich eben ins Land von Burn-Drum und bleibe für immer dort.>Macius, ich bitte dich inständig, befolge meinen Rat. Sonst wirst du es bereuen.Geliebter König, vergib mir meinen schändlichen Verrat.< Wir ersehen also aus dem Protokoll«, fuhr Pux fort, »weder Macius selbst noch diejenigen, die ihn verraten haben, hatten nicht aufgehört, Macius als König zu betrachten. Doch nun hat König Macius der Erste, Reformator, das Wort, um seine Bedingungen zu stellen.« Es wurde sehr still, von fern war das Rauschen des Meeres zu hören. Die Könige rechneten damit, daß Macius sehr viel fordern würde und man folglich verhandeln müsse. Aber ihre Verwunderung hatte keine Grenzen, als Macius sprach: >>Ich, Macius der Erste, habe mir sehr viel zuschulden kommen lassen. Um meinetwillen wurden viele Menschen erschlagen, von wilden Tieren zerrissen, vergiftet und sogar aufgefressen. Meine Urgroßmutter Zuzanna ist in ein Kloster eingetreten, und ich will auf die einsame Insel fahren. Herrschen möchte ich nicht, aber König bleibe ich dennoch. Die besetzten Länder sollen wieder frei sein. Wenn der junge König darauf besteht, so soll er den Hafen zurückhaben und dies nicht als Gnade betrachten. Ich werde die Grenzen, die das Reich meines Vaters gehabt hat, wiederherstellen, damit man nicht sagen kann, ich habe das Erbe meiner Vorfahren vergeudet. Und das Volk soll einen Präsidenten wählen.« >>Und was geschieht mit den Kindern?« Macius runzelt die Brauen, beißt sich auf die Lippen, schweigt. >>Kann ich für Macius antworten?« mischt sich der traurige König ein. >>Ich bin sein Freund und weiß, was er denkt. Macius ist sehr müde. Er wünscht in Ruhe über das nachzudenken, was er gesehen und erlebt hat, und wenn er sich auf der einsamen Insel erholt hat, wird er ihnen auf einer neuen Konferenz der Könige alles sagen.« >>Vortrefflich! «riefen die Könige erfreut. »König Macius ist müde und muß sich erholen. Doch auch wir haben Erholung nötig, sind müde von den Beratungen; wir müssen nach Hause zurückkehren, sehen, was sich da tut, denn die Minister werden ohne uns sicherlich nicht fertig. Alle Gelenke tun uns weh, weil wir stundenlang mit afrikanischen Seilen gefesselt waren und in Haufen übereinandergelegen haben.« Lord Pux war unzufrieden. Doch er war klug. Er sah, hier herrschte Unordnung. Alle hatten sich von ihren Plätzen erhoben, sie sprachen ohne Wortmeldung durcheinander, so daß es nicht einmal mehr möglich war, das Protokoll ordentlich zu führen, aber wa~ sollte er tun? Einst hatte er die Situation beherrscht, doch jetzt nicht mehr: Die Könige fürchten ihn nicht mehr. >>Aber Eure Königlichen Majestäten, es muß doch abgestimmt werden.« ·

Macius fühlt sich anerkannt

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>>Der Lord soll uns nicht den Kopf verdrehen, wir bitten Macius mit auf das Handelsschiff und nehmen zum Abschied ein gemeinsames Frühstück ein.« Sie haken sich bei Macius ein - begleiten ihn. Der sträubt sich erst ein wenig, doch er kann nicht ablehnen, wenn sie ihn bitten. Alle sind so zufrieden. Sie haben ihn so gern. Geradeso, als wären sie seine Kameraden. So oft auch Macius mit Königen oder Ministern, überhaupt mit Erwachsenen, zusammengetroffen war - immer war es so, als sei er das Kind und sie die Erwachsenen. Doch hier erscheint es zum erstenmal so, als seien sie völlig gleich. Früher, wenn jemand gut zu ihm war, wußte Macius nie, ob derjenige die Wahrheit sagte oder ihn nur fürchtete; doch jetzt sieht er; daß sie ihn mögen und gar nicht böse auf ihn sind. Macius denkt, die Könige sind doch eigentlich gute Menschen. Als sähe er sie zum erstenmal richtig. Es gibt weder Zeremonien noch irgendeine Etikette. Sie lachen. Laufen die Dünen hinunter, jagen sich. König Malta ahmt einen Menschenfresser nach. >> Macius muß sich mit uns zum Abschied betrinken. Daß er klein ist, macht nichts, dafür ist er tüchtig. Darüber brauchen wir kein Wort zu verlieren. Ist einer ein Reformator, dann ist er schon nicht mehr klein, sondern groß. Es lebe König Macius! « Auf dem Handelsschiff waren die Tische bereits gedeckt. Überall standen Flaschen mit Wein und Kognak, Arrak und Likör. Schüsseln voller Leckerbissen, Körbe voller Obst. Man wies Macius den Ehrenplatz zu. Die Gläser wurden gefüllt. >>Auf Macius' Gesundheit!>Es lebe Macius der Erste!>Es lebe Macius der Große!>Sag selbst, liebster Macius, ist es nicht angenehmer, sich mit den weißen Königen zu befreunden? Sobald du dich auf der einsamen Insel genügend erholt hast, kehrst du zu uns zurück. Du wirst dann wie alle Könige leben- fröhlich, ohne Sorgen. Früher waren Kriege notwendig, denn die Könige wohnten in Schlössern, von Mauern umgeben, und langweilten sich. Doch jetzt haben wir genügend Zerstreuung. Trinken wir auf ewige Freundschaft.>Trinken wir auf die Reformen.>Trinken wir auf die Rechte der Kinder.>So will ich es nicht haben!>Wir wollen protokollieren, was Macius beschlossen hat.« Sie sehen, es gibt keine Übereinkunft. So schrieb jeder ein anderes Protokoll. >>Soll Macius selbst wählen, welches er möchte und es dann unterschreiben.« Gut. Sie setzten sich ins Boot und fuhren zum Handelsschiff; doch dort sind schon alle betrunken. Auch Macius. Mit keinem können sie sich mehr verständigen. Die Könige bekommen sie zu fassen, umarmen, küssen sie, bedanken sich, daß sie das Protokoll geschrieben haben. Die einen singen, andere fangen an zu jammern, weil die Menschenfresser sie beinahe aufgefressen hatten, dann wieder, der traurige König verachte sie und wolle nicht mit ihnen trinken. Sie rissen dem jungen König das Protokoll aus der Hand - unterschrieben, denn so sei es gerade richtig. Danach unterschrieben sie auch das Protokoll des traurigen Königs: Dieses sei auch gut. >>Lohnt es sich etwa, über Lappalien zu streiten? Es ist sogar besser, wenn die Könige alles durcheinanderbringen. Denn dann sind die Minister später ganz damit beschäftigt, alles zu verbessern und in Ordnung zu bringen.« >>Vivat, es lebe das Protokoll! Vivat Lord Pux, der die Sitzung zu einem Ende geführt hat! Vivat dem jungen König! Vivat dem traurigen König! Wir wollen einander lieben! Es lebe Macius Reformator!«

Nun wird meine Erzählung ganz anders. Denn von dem AugenbFck an, da Macius auf der einsamen Insel gelandet war, änderte sich alles. Früher war es so, jetzt ist es so. Als wäre er ein ganz anderer Macius, als träumte er jetzt, oder als hätte er vorher alles geträumt, und als wäre er jetzt erst aufgewacht. Macius wundert sich. Er wundert sich, daß sich plötzlich alles so verändert hat. Ihn interessieren weder die Könige noch der Thron, noch die Neger, noch die Kinder- nichts, aber auch gar nichts geht ihn jetzt mehr an. Sollen sie tun, was sie wollen. Jener frühere Macius, der Kriege geführt, Schlachten gewonnen und verloren hat, in Gefangenschaft gefesselt war,

Der Kinderkönig wandelt sich zu einem nachdenklichen Menschen

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Macius, der aus dem Gefängnis geflohen ist, umherirrte und wieder floh- es ist geradeso, als sei das jemand, von dem Macius härte, den er vielleicht sogar gekannt hat. Doch alles vor sehr langer Zeit. Da sitzt Macius nun am Meeresufer, wirft Steinehen ins Wasser. Das Wasser hat eine so schöne Farbe. Es ist so still und schön und gut. Macius fürchtet sich vor niemandem, muß sich vor niemandem verstecken, mit niemandem sprechen und nicht daran denken, was morgen sein wird. >>Vielleicht habe ich das wirklich alles nur geträumt?>Weg mit euch!>Papa.« Das Brüderchen bleibt stehen und beobachtet, was daraus wird. Maciu§ bleibt auch stehen und weiß nicht, was er machen soll. So sehr hatte er sich gewünscht, zu den Kindern zu fahren, und jetzt steht er hier, weiß nicht weiter. >>Komm zum Opa!>Komm. Ala brav. Opa da. Komm, Papa.« Und sie zerrt und zieht an Maciu§.

Kontaktaufnahme zum Leuchtturmwärter und seinen Kindern

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Es ist schrecklich unangenehm, wenn man etwas sagen müßte und nicht weiß, was. >>Alo, komm. Papa, komm. Alo, Ala, Papa- zu Opa.>Opa- Opa- schau- Papa!ch begrüße den königlichen Gast«, sagt er und nimmt die Mütze vom Kopf. >>Sicherlich will sich König Maciu§ erkundigen, warum der Leuchtturm nicht leuchtet? Es ist schon alles in Ordnung: Heute wird er angezündet. Ich wäre schon längst hinübergefahren, um mich bei König Maciu§ für die Dunkelheit zu entschuldigen, aber ... damit kann man nicht weit rudern.>Den anderen Arm hat mir das Meer genommen. Doch es ist freigebig: Für den Arm hat es mir dieses Pärchen gegeben.>Den Jungen habe ich Alo genannt und das Mädchen Ala. Wer sie sind, weiß ich nicht. Als die Insel noch von Negern bewohnt war, da bedeutete Alo: Sohn des Meeres, und Ala -Tochter des Meeres. Wahrscheinlich sind es Kinder aus einem fremden Land. Sie müssen aus dem Norden stammen. Denn die südlichen Sprachen kenne ich alle ein wenig. Aber mit dem Jungen konnte ich mich überhaupt nicht verständigen.>Papa!>Siehst du nun, du kleines DummerchenHab ich dir nicht gesagt, daß dein Papa zurückkehrt? Und nun hast du also deinen Papa.« >>Das ist überhaupt nicht unser PapaVielleicht für dich nicht, aber für Ala. >Auch für Ala ist er nicht der Papa, er ist nur Maciu§. >Na, nach einer Reise soll man etwas zu sich nehmenNicht fahren, Papa, Ala will Papa.« Und wieder wußte Macius nicht, was er tun sollte, als Ala ihn an den Hosenbeinen festhielt und nicht losließ. Der Abend brach an, und Dormesko hatte es gar nicht gern, wenn Macius von seinen Ausflügen spät zurückkehrte. Einmal hatte er ihn sogar von einem der Wächter drei Tage lang begleiten lassen, weil er allzu lange auf dem Felsen gesessen hatte. Das war nicht als Strafe gedacht, nur wollte Dormesko beruhigt sein, daß Macius nichts Böses widerfuhr. Ohnehin war es ein Glück, daß Dormesko nichts über die verschiedenen Abenteuer wußte, die Macius wohlbehalten überstanden hatte; sie hätten leicht ein schlimmes Ende nehmen können. Im Schein des Leuchtturms hatte Maciu§ eine schöne Rückfahrt. Er glitt über das Meer wie über Blumen aus Gold. Gut, daß Maciu§ nicht schon einen Besuch für den nächsten Tag versprochen hatte, denn seine Hände taten so weh wie zu Anfang, als er das erste Mal gerudert war. Erst am fünften Tag machte sich Macins auf den Weg, nicht ohne vorher genau über den Besuch nachgedacht zu haben. Vor allem nahm er Bauklötze mit und ein Rätselspiel, außerdem ein Lotteriespiel und ein Päckchen rfefferkuchen und Bonbons, dann noch eine Windmühle und einen Ball. Auch legte er sich zurecht, was er zur Begrüßung sagen und wie er sich verhalten würde, wenn Ala ihn wieder nicht heimfahren lassen wollte. Er rudert langsam, mit Ruhepausen, um nicht so schnell zu ermüden. Oberst Dormesko wußte, daß er erst am Abend zurückkehren würde; Maciu§ hatte Proviant für den ganzen Tag mitgenommen, um nicht Hunger zu leiden. Die Kinder begrüßten ihn freudig. Denn auf dem einsamen Felsen war es ihnen sehr langweilig. Auch der alte Matrose war froh über Maciu§' Besuch. Wieder erzählte er seinem neuen Zuhörer von seinen Reisen, und Maciu§ berichtete von den Kriegen. Alo sitzt auf einem Stein und hört zu, Ala steht bei Macius, sie hat die Arme auf seine Knie gestützt und schaut ihm in die Augen, um alles besser zu begreifen. Es ist offenkundig, sie versteht nichts, denn sie stellt sehr kindliche Fragen. >>Kugeln, sind das auch Bälle?« fragt Ala.

Der Krieg schläft

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Ala denkt, Krieg- ist ein Ballspiel. Maciu§ erklärt, daß die Bälle aus Eisen sind und Menschen töten. »Und Papa Maciu§ haben sie auch getötet?>Ala will in den KriegDer Krieg ist weit wegAla will weit weg.> Ala ist zu klein Ala groß. Ala will in den Krieg.>Der Krieg schläftDer Krieg schläft?>Leiiiise, Krieg schläft, Ball schläft, Hampelmann schläft.>Der Krieg schläft - schläft. Der Krieg hat die Augen geschlossen. Aber dann wacht er auf ... >Welche Rechte könnte man den kleinsten Kindern geben?>Da wollte ich nun König der Kinder seinund weiß nichts über die kleinen Kinder. Ich habe vergessen, wie das war, als ich klein war. Bestimmt können sich auch die Erwachsenen nicht mehr daran erinnern, und deshalb sind sie nicht bereit, den Kindern Rechte zu geben.>Morgen werde ich den ganzen Tag lesen, und übermorgen fahre ich wieder zu Ala und Alo. Ich muß ihnen Bilderbücher bringen.Eins, zweiPapa böse, Alo böse, Ala mag sie nicht. Ala zu Opa.>Oh, jetzt bekommt mein Kanarienvogel frisches Wasser, ich schütte neuen Sand in das Bauer, dann wird alles wieder sauber sein. Und jetzt gebe ich ihm frischen Salat.Oh, Ala ist artig, Ala hat dem Opa ein Bild gebracht.Hier ist der Befehl.« Er gab Macius ein Papier, wobei er noch immer stramm stand. Macius las es durch, dann ruhte sein Blick auf dem leeren Käfig des Kanarienvogels, und ihm war so sonderbar zumute, so als wäre dort auf dem Berg über dem Meer von selbst noch ein Grabhügel entstanden. Der gute, treue Dormesko: Mit allen Forderungen von Macius war er einverstanden gewesen, stets hatte er alles unterschrieben. Was wird jetzt werden?

Den Oberbefehl über die Wache übernahm illanenrittmeister Marquis Amary. Jung, energisch, sehr hübsch, war er zur Strafe hierhergeschickt worden: In einer Nacht hatte er drei Duelle gehabt und einen General beleidigt. Neben zwei erwachsenen Schreibern und einer Ordonnanz hatte er zehn Jungen zur Wachablösung mitgebracht. Seine Meldung lautete:

Gemäß dem Wunsch Ihrer Königlichen Majestät habe ich zehn junge Burschen für Ihren persönlichen Schutz mitgebracht und auf Geheiß des Rates der Fünf den Oberbefehl auf der Insel übernommen. Macius unterschrieb:

Gelesen. Alles änderte sich. Alles- mit einem Mal. Die Jungen bezogen das Zimmer neben Macius, Amary das Häuschen, in dem vorher die Wache gewohnt hatte. Die Kanzlei des Oberbefehlshabers schickte täglich

Die neue Wache schikaniert den Kinderkönig

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mehrere Schreiben. Es waren Rundschreiben, Tagesbefehle, Vorschriften, undalldas mußte Maciu§ lesen und unterschreiben. Man weckte ihn selbst nachts oder suchte ihn im Wald. >>Ein Papier vom Befehlshaber an Ihre Königliche Majestät.>Herr Rittmeisterich habe Sie dienstlich zu mir rufen lassenIn diesem Fall werde ich später wiederkommen, wenn Eure Königliche Majestät die Militäruniform angelegt haben.ch werde keine Uniform anlegenich verkünde Ihnen hiermit, daß ich die Schreiben weder lesen noch unterschreiben werde. Ich bin kein Gefangener, Ihre Vormundschaft brauche ich nicht. Oberst Dormesko ... >Oberst Dormesko ist weggefahrenOberst Dormesko hat nicht nur keinerlei Schreiben und Rechnungen hinterlassen, sondern nicht einmal daran gedacht, einen Plan von der Insel zu zeichnen. Oberst Dormesko konnte nicht die Frage beantworten, ob diese einsame Insel wirklich unbewohnt ist. Oberst Dormesko hat nicht eine Pflicht seines Dienstes erfüllt. Ein dementsprechendes Protokoll ist fertig und wird abgeschickt werden. Alle Befehle Eurer Königlichen Majestät, die den Vorschriften entsprechen, werde ich erfüllen, Streitfragen werden wir dem Rat der Fünf übermitteln; Eure Königliche Majestät haben ein Beschwerderecht beim Rat der Fünf. Ich werde mir Oberst Dormesko nicht zum Vorbild nehmen. Tschau!>Sie lachen über michNa, meinetwegen.>Wie befinden sich Eure Königliche Majestät?>Haben Eure Königliche Majestät die Einwilligung gegeben?>Nein!>Die Ruder sind verschwunden.>Sie werden sich gleich finden«, meint der Rittmeister, >>ruft mir mal die Wachmannschaft her.« >>Was wollen Sie tun, Herr Rittmeister?« >>Ihnen die Fresse polieren!« >>Das erlaube ich nicht.« >>Dann ist nichts zu machen: Die Ruder werden sich nicht einfinden.« Maciu§ geht gesenkten Kopfes nach Hause, seine Gestalt ist ganz gebeugt. >>Eure Königliche Majestät, ich habe ein Ruderblatt gefunden, aber nur eins, dort im Gebüsch«, sagt Filip. >>Und das zweite?« >>Das zweite ist weg. Aber ich werde herumfragen und es finden.« >>Hör mal, Filip, die Ruderblätter hast doch wohl du weggenommen.« >>Iiich?« Filip ist erstaunt. »>iich? So wahr ich Gott liebe- ich will mich nicht mehr von der Stelle rühren können, Eure Königliche Majestät werden sich noch davon überzeugen ... « Doch je mehr er beteuerte, schuldlos zu sein, desto sicherer glaubte Maciu§, daß er es gewesen war. Filip tat, als liefe er herum und frage alle aus. Abends schreit er im Nachbarzimmer: >>Du bist es gewesen, Stefan. Wart nur, du Dieb, ich soll wohl für dich leiden. Mich verdächtigen sie.« Maciu§ lauscht: Ob Stefan nur ein einziges Wort sagen würde. Nichts. Am folgenden Tag war das Boot verschwunden. Es hatte sich von der Kette gerissen- und war aufs Meer getrieben. Wer findet schon ein Boot, das das Meer geraubt hat? Sicher warten Alo und Ala - aber nein, Maciu§ kommt nicht. Er kommt weder heute noch morgen. Er kehrte ins Zimmer zurück und packte seinen Rucksack für die Reise. Er will sich von seinem Berg verabschieden und dann des Nachts aufbrechen. Geschehe, was da wolle. Während er auf seinen Berg steigt, spürt er tiefe Unruhe. Vielleicht war wieder ein Unheil geschehen? Er geht schnell, als gälte es, jemanden an etwas zu hindern oder jemanden zu verteidigen. Aah, da hatte er ihn auf frischer Tat ertappt. Filip war dabei, Maciu§' Friedhof zu zertrampeln. Plötzlich verlor Maciu§ unbegreiflicherweise die Gewalt über sich. Er wußte nicht, wie ihm geschah, vor den Augen flimmerte es. Seine Hand ballte sich zur Faust und schlug zu. Filip hielt Maciu§' Arm fest. Doch in diesem Augenblick war Maciu§ furchtbar stark. Und er wollte schlagen. Und er schlug zu. Filip stieß ihn zurück, doch Maciu§ packte ihn am Hemd- und schlug auf ihn ein, bis ihm die Puste ausging. Filip duckte sich, griff wieder nach Maciu§' Arm, aber nur für einen Augenblick. Er drehte sich, und nun bekam Maciu§ den ersten Schlag zu spüren.

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König Macius auf der einsamen Insel

Jetzt erst hatte Macius eigentlich das Recht auf einen echten Kampf. Irgendwie hatte es Macius geniert, daß Filip sich nur verteidigt, Macius Hände festgehalten, selbst aber nicht zugeschlagen hatte. Jetzt wollte er sich auf ihn stürzen, doch es gelang nicht; er ging einen Schritt zurück und warf sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Feind. Filip duckte sich, Macius versetzte ihm einen Schlag ins Gesicht dicht neben die Lippen, danach zwei Schläge auf den Kopf. Dann erhielt er selbst einen Schlag. Daraufhin umklammerte er mit beiden Händen Filips Nacken, schlug mit dem Kinn zu und traf. Wieder schlug er zweimal und erhielt zwei Schläge auf die Brust. Er holte aus, traf aber nicht. Dann auf die Nase. Und auf Macius' Friedhof, der vom Kampf verwüstet war- tropfte das Blut. Nun kamen sie zur Besinnung. >>Da!>Ich hätte nie geglaubt, daß Könige so draufdonnern können.>Wenn es schon einmal so ist, dann kann ich auch alles sagen. Es ist ja egal. Also: Ich habe den Rauch ins Zimmer geblasen, ich habe die Uhr absichtlich kaputt gemacht, ich habe die Fliegen- eine ganze Handvoll- in die Suppe geworfen- ich habe das Boot und die Ruder gestohlen. Ich habe Ärger zu machen versucht, mich gerächt, weil man sich auch an mir gerächt hat.Weshalb hast du versucht, mich zu ärgern?>Was weiß ich. Na, es hat mich geärgert, daß einer König ist und der andere- ein Dieb. Ich wollte wissen, ob ein König wirklich gut ist oder ob das eine Lüge ist. Was weiß ich. Ich wollte, daß sich der König beim Rittmeister über uns beklagt und daß man uns durchprügelt.>Alle- auch dich?>Mich auch. Das ist wichtig. Nur am Anfang ist das unangenehm, danach ist alles egal.« >>Hör mal, Filip: Bist du nicht böse, daß ich dich geschlagen habe?« >>Ach, was waren das schon für Schläge. Nur auf die Nase darf man nicht schlagen.« >>Das habe ich nicht gewußt.« >>Versteht sich. Eine Schlägerei - das ist keine einfache Sache. Man muß so zu schlagen verstehen, daß es weh tut und daß man weder blaue Flecken noch Blut zu sehen bekommt.>Hör zu, Filip, ich habe eine Bitte an dich. Laß den Stefan in Ruhe.>Soll der sich doch verteidigen. Warum ist er so unbeholfen? Man tut ihm was, und er reagiert nicht: Das reizt einen doch.>Er ist krank, er hustet.« >>Na, wenn schon? Er kann doch sprechen. Soll er sich doch mit der Zunge verteidigen. Es sieht doch aus, als wäre er hochmütig. Als wenn er sich nichts aus mir macht.« >>Und wenn er das nicht kann?>Dann soll er es lernen.« >>Und wenn er das nicht will?« >>Der soll nur nicht so starrköpfig sein.>Also willst du mir nicht versprechen, ihn nicht mehr zu ärgern?« >>Meinetwegen! So wichtig ist mir die Sache auch wieder nicht.>Aber denk dran ... «

Macius hatte an den Rittmeister geschrieben, ihn gebeten, nicht nach ihm zu suchen. Er sei weder Kriegsgefangener noch Häftling. Er könne tun, was er wolle. Für den Rat der Fünf sei es auch besser so. Er würde keine weiteren Kosten verursachen. Amary könne nach Hause zurückkehren. Sie sollten so tun, als sei Macius tot. Dann ging er los. Nachts ist es dunkel- er ging einfach der Nase nach. Mitgenommen hatte er nur das Allernotwendigste. Im Wald schlug er Haken, damit ihn Verfolger nicht finden konnten. Er hielt sich in der Nähe des Flusses, ging aber nicht direkt am Ufer entlang. Er brauchte natürlich Wasser, doch sie sollten ihn nicht entdecken. Der Wald war dicht. Sie würden ihn nicht finden. Fünf Schritte genügten, um sich im Gebüsch zu verstecken- wenn er keinen Laut von sich gab, würden sie ihn nicht aufspüren.

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König Macius auf der einsamen Insel

Wie weit Macius gekommen ist, weiß er selbst nicht. Im Dickicht kommt er nur Schritt für Schritt voran. Wo der Weg eben ist, kann er schneller gehen. Außerdem beeilt er sich nicht. Er ist frei und sicher. Offensichtlich gibt es auf der Insel weder wilde Tiere noch Giftschlangen. Den Hunger fürchtet er nicht. Aus seinen Büchern weiß er, welche Früchte nahrhaft sind, welche Pflanzen süßen Saft haben, der Zucker ersetzen kann, welche Pilze eßbar sind und welche Wurzeln der Mohrrübe und dem Salat ähnlich sind. Er schläft ganz bequem auf Bäumen- besser als im Bett. Denn die Bäume sind mit Lianen umwachsen, und dichtes Geäst und Blattwerk bilden grüne, stark duftende Matratzen. Sie biegen sich wie Sprungfedern. Herunterfallen kann man nicht, auch wenn man sich im Schlaf von einer Seite auf die andere dreht. Nur ein einziges Mal fiel er hinab auf weiche Büsche, schürfte sich aber nur die Hand auf. Macius wollte zum einsamen Turm, konnte ihn aber nicht finden. Und weshalb? Offensichtlich will sich der Einsiedler nicht mit ihm unterhalten. Damals hatte er ihn ja sofort hinausgeführt. Macius geht immer weiter, ohne Eile. Einmal verbrachte er einen ganzen Tag an ein und derselben Stelle. Mitunter schien es ihm, als härte er vom Fluß her die Stimmen von Verfolgern. Ein andermal, als ertönte eine Trompete. Gut: Wenn sie es wollten, so sollten sie ruhig mit ihm Versteck spielen. Wenn es ihnen zu langweilig wird, werden sie schon umkehren. In der ersten Woche schrieb sich Macius auf, wie viele Tage er unterwegs war. Aber er gab es wieder auf, denn welchen Sinn hatte das? Sollte doch Tag um Tag vergehen. Neugierig sind nur die, die etwas erwarten; Macius aber wartete auf nichts. Doch die Briefratte fand ihn. Macius freute sich. Das war furchtbar lustig. So ein kleines Geschöpfchen, und seine Nase war klüger als alle Menschenaugen. Die Ratte mußte unterwegs angefallen worden sein, denn eines ihrerpfötchenwar abgebissen und sie hinkte. Macius wusch die Wunde aus und legte einen Verband an.

»Lieber Macius«, schreibt Klu-Klu, »ich habe hundert Briefnüsse abgesandt, jedoch keine Antwort erhalten. Wenn du nicht sehr weit weg bist, müßtest du eigentlich schon zehn Briefe erhalten haben; denn unsere Priester haben berechnet, daß von zehn Ratten neun unterwegs umkommen; wenn sie durchs Meer schwimmen, werden sie von Fischen, auf dem Land von anderen Tieren gefressen. Eine von zehn Ratten gelangt an ihren Bestimmungsort. Schreib, wo du bist und ob du Hilfe brauchst. Und hänge der Ratte die Nuß nicht um, ehe sie dir nicht selbst gesagt hat, daß sie ausgeruht ist und zurückkehren will. Auf ewig, Deine Klu-Klu. Der Krieg mit den Weißen dauert noch an.«

Achtung vor dem Kleinen

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Nun gut: Maciu§ kuriert die Briefratte und wartet, daß sie ihm sagt, sie sei bereit, sich auf den Weg zu machen. Und die Ratte ist dankbar, daß Maciu§ sie pflegt: Obwohl das Auswaschen der Wunde Schmerzen verursacht, leckt sie ihm die Hand und blinzelt so mit den Äuglein, als wolle sie sich bei ihm bedanken. Maciu§ möchte seinen kleinen Freund gar nicht fortschicken. Er fühlt, daß er nun im Wald der einsamen Insel nicht mehr allein ist. Maciu§ kocht Wasser mit süßem Saft, schneidet Kräuter, Wurzeln und Früchte hinein. Die Suppe schmeckt wie Birnen- und Apfelkompott; die Ratte sitzt wie ein Eichhörnchen auf ihren Hinterpfoten, paßt auf und wartet. Wenn sich Maciu§ schlafen legt, kriecht ihm die Briefratte in den Ärmel: Doch die Nase steckt sie heraus und schnuppert, als telegraphiere sie mit Klu-Klu. Mutig folgt sie Maciu§ oder springt ihm auf die Schulter. Wenn sie aber allein bleibt, ist sie sehr wachsam, bei dem leisesten Geräusch verschwindet sie sofort, sitzt unter dem Laub- und steckt nur die Nasenspitze heraus, als frage sie, ob sie wieder herauskommen könne. Ihr Pfötchen verheilte. Maciu§ schrieb einen Brief an Klu-Klu, klebte ihn in die Nuß und hängte diese probeweise um den Hals der Ratte. Da pfiff die Ratte (zum ersten Mal) und schaute ihn so traurig an, daß er das Kettchen sofort wieder vom Hals löste. Offensichtlich hatte sie noch keine Kraft, sich auf den Weg zu machen, oder sie hatte irgendeine Gefahr gewittert. Maciu§ kann sich nicht mehr erinnern, ob ihn jene Ratte damals ebenso gebeten hatte, sie nicht wegzuschicken: Er hatte damals ganz einfach nicht darauf geachtet. Die Ratte hatte ihm nicht soviel bedeutet. Und Maciu§ dachte, wenn man etwas Kleines mißachtet, dann sagt es nichts. Wenn man aber vor ihm Achtung hat, dann beginnt es zu sprechen, selbst ein Steinehen oder eine Muschel. Ja, Maciu§ spricht mit Alas Steinehen und Alos Muschel, und offensichtlich spricht auch die Ratte, denn sie schnuppert und schnuppert und schnuppert. Da kam es Maciu§ in den Sinn, ob er sie zur Probe einmal zum Leuchtturm schicken solle? Doch plötzlich wurde die Briefratte unruhig. Nachts wälzte sie sich im Ärmel hin und her und seufzte, lief umher, hüpfte auf ihren drei rfoten, wollte nichts mehr fressen. Deutlich sagte sie, daß sie ausgeruht sei und sich auf den Weg machen wollte. Und Maciu§ schickte Ala und Alo einen Brief, in dem stand, daß man ihm das Boot gestohlen hatte und er sie verlassen müsse. Bereits am Abend desselben Tages hatte er die Antwort. Doch der Brief war naß geworden, weil die Nuß schlecht zugeklebt war. Er konnte nur ein paar Worte entziffern:

Schade ... lerne allein ... sie haben gesucht ... wir warten.

König Macius auf der einsamen Insel

Macius küßte dieses Briefchen, steckte es zur Photographie seiner Mutter, zu dem Stück Salat, an dem sein Kanarienvogel zuletzt gepickt hatte (an einer Stelle konnte man sogar noch die Spuren seines Schnabels erkennen) und zu der Muschel und dem Steinchen. Die Ratte beruhigte sich nicht: Was für ein Weg war das schon für sie gewesen- ein paar Meilen nur? Sie läuft hin und her- pfeift und sucht die Nuß. Also: schickt Macius sie auf den Weg. Doch allein ist ihm traurig zumute, er macht sich wieder auf den Weg- flußaufwärts. Endlich kam er an einen See und fand die wilden Bewohner der Insel. In der Mitte des Sees lag nämlich eine kleine Insel, und drei Wilde schöpften gerade mit einer Kokosnußschale Wasser. Macius erschrak nicht, ganz im Gegenteil- er freute sich. Er schwenkte sein weißes Taschentuch zum Zeichen, daß er als Freund gekommen war, sie aber schauten nur und staunten. Erst am dritten Tag setzte sich einer von ihnen auf einen Baumstamm und stieß sich recht ungeschickt mit einem Stab ab- und näherte sich. Seltsam, wie unbeholfen Wilde sein können. Fast gingen sie auf allen Vieren. Ihr Abgesandter brachte mit: einen Blechknopf, ein abgebranntes Streichholz, ein Stück schwarzes Garn, etwa eine halbe Elle lang, und einen Flaschenkorken. Und Macius begriff, daß sie ihm Lösegeld schickten, damit er ihnen nichts zuleide tat. Nun lernte Macius ganz wilde Menschen kennen, doch Menschenfresser waren sie nicht. Er lebte mit ihnen auf der Insel im See. Die Wilden liebten Macius - sie sorgten für ihn. Sie erlaubten ihm nicht, etwas zu tun, sie arbeiteten allein. Macius lag tagelang da, ruhte sich aus und dachte über mancherlei nach. Da war er vor den Menschen auf die Insel geflohen, aber vergebens. Und erst auf dieser Insel im Meer fand er eine Insel im See- und hier nun hatte er endlich seine Ruhe. So, als hätte er sich im Herzen einer Festung versteckt. Vielleicht kann er sich einen einsamen Turm bauen und bleiben? Für immer hierbleiben? Vielleicht sollte er sich hier noch einmal einen Friedhof anlegen, was ihm dort ja nicht gelungen war? Erst jetzt denkt Macius gründlich über Amary, Stefan und Filip nach. Er möchte etwas in sein Tagebuch eintragen, hat aber nur noch ein leeres Heft und einen halben Bleistift. Da kann er also nicht irgend etwas eintragen. Er muß Papier sparen, darf es nicht verschwenden wie in der Schule, wo manche Kinder eine ganze Seite bekritzeln oder ein Blatt herausreißen, um Kugeln zu rollen oder Flieger zu bauen. Ist Amary gut oder böse?- Kann Filip sich bessern?- Warum sind die Menschen, bei denen er lebt, auch wild, aber doch keine Menschenfresser? Sicher haben sie weder Pfeil noch Bogen. Macius schrieb in sein Tagebuch:

Es gibt ruhige und unruhige Menschen.

Es gibt ruhige und unruhige, gute und böse Menschen

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Dormesko war ruhig, Maciu§' Mutter war ruhig, jener kleine Junge, den er während des Krieges in der kleinen Hütte gesehen hatte- war ruhig. Die Wilden, mit denen er hier lebt - sind ruhig. Auch der Zeremonienmeister, der Kanarienvogel und Kampanella. Aber Felek, Amary und Ala, Filip und selbst der junge König sind unruhig. Ja, und auch Maciu§ ist unruhig. Und Klu-Klu. Und die Menschenfresser. Aber nicht alle. Die unruhigen Menschen führen Kriege, die ruhigen müssen ihnen gehorchen. Deshalb mußte der traurige König, obwohl er ruhig ist, Krieg führen. Und die kleine Briefratte war unruhig, aber anders als ein Löwe. Die kleine Ratte wollte Nutzen bringen. Maciu§ auch. Maciu§ notiert in seinem Tagebuch:

Ein unruhiger Mensch kann gut oder böse sein. Wenn es auf der Welt viele Menschen gibt, die unruhig und gut sind, wird alles gut sein. Sind die meisten unruhig und böse, wird es schlecht. Maciu§ weiß jedoch nicht, wie die Welt aussähe, wenn alle Menschen ruhig wären, wenn es überhaupt keine unruhigen Menschen gäbe. Maciu§ hält das Heft auf seinen Knien, leckt den Bleistift an und weiß nicht, was er schreiben soll. Die Wilden hocken um ihn herum, mit offenem Mund sehen sie Maciu§ an, als begriffen sie, daß er da etwas ungeheuer Wichtiges tut. Sie wagen nicht einmal, mit den Augen zu zwinkern, sie wollen ihn nicht stören. Maciu§ ist ihnen sehr dankbar, und sie tun ihm so furchtbar leid .

. Burn-Drum wußte nicht, wie die Beratungen auf der Pfeifeninsel ausgegangen waren. Ihn erreichte die Nachricht, daß Maciu§ mit einem Boot auf die einsame Insel gebracht worden war, aber daß Maciu§ freiwillig gefahren war, konnte er nicht ahnen. Deshalb wurde er sehr zornig auf die weißen Könige, wegen dieses Verrats. Daß sie sich auf diese Weise für eine einzige Königin gerächt hatten - das war eine Schweinerei. Sie hatten vorgegeben, nicht böse zu sein - man hatte ihnen ja auch erklärt, daß ein Irrtum unterlaufen war- und dann hatten sie heimlich Schiffe gerufen. Nun gut - sie hatten die Schwarzen bestraft; doch Maciu§ trug überhaupt keine Schuld. Das Leben hatte er ihnen gerettet, und was taten sie? Burn-Drum erklärte allen weißen Königen den Krieg. Die Neger aus Nord und Süd, aus Ost und West begruben ihren alten Streit. Sie riefen einen heiligen Krieg aus, in dem Maciu§ so etwas wie ein Gott war.

König Macius auf der einsamen Insel

Da die Neger weder Bücher noch Zeitungen haben, ging die Kunde von Mund zu Mund, jeder fügte von sich aus noch etwas hinzu- und heraus kam etwas völlig anderes. Angeblich waren die Weißen stark, denn sie hatten Blitze vom Himmel gestohlen. Und mit Blitzen schlugen sie die Schwarzen; diese konnten nichts tun, sie mußten gehorchen. Doch Gott hatte Macius geschickt, damit er auch den Schwarzen Blitze gab. Die weißen Könige aber hatten Macius gefangengenommen. Sie haben Angst, ihn zu töten, und bestimmt können sie das gar nicht, weil Macius viel mehr Macht über die Blitze hat. Macius hatte versprochen, daß die Schwarzen, wenn sie ihn aus der Gefangenschaft befreien würden, zur Belohnung auch weiß werden sollten- und alles würde dann gut sein. Denn die Neger waren es leid, immer nur schwarz zu sein. Es wird einen großen Krieg geben, aber vielleicht wird er auch nicht so groß sein. Denn eine anders lautende Legende besagte, daß die Schwarzen die weißen Könige schon einmal besiegt hatten. Diese hatten auf Haufen zu je fünf gefesselt übereinander gelegen. Aber die Menschenfresser aus dem Land Tscha-Gro hatten eine weiße Königin aufgegessen und damit ihr Versprechen, keine Menschen mehr zu essen, gebrochen. Macius war böse geworden und hatte den weißen Königen geholfen, Blitze gegen die Neger zu schleudern. Und zur Strafe muß nun dieser heilige Krieg stattfinden. Nun, wenn sie schon einmal die Weißen besiegt hatten, dann würde es dieses Mal vielleicht leichter gehen. Die Boten eilten von Land zu Land, über Flüsse, durch Wälder und Wüsten und Gebirge. Alle Schwarzen zu den Waffen! Nur die Frauen blieben zu Hause, um für die Alten und Kinder zu sorgen. Die Männer machten sich auf den Weg. Es versteht sich von selbst, daß die weißen Könige schneller davon erfuhren als alle Schwarzen. Anfangs erschraken sie, dachten aber dann, daß es so vielleicht besser sei. Wenigstens würden sie ein für allemal mit den Wilden fertig werden und ihnen eine Lehre erteilen. Sie verabredeten, wie viele Truppen und Schiffe jeder bereitstellen sollte. Die wichtigsten Könige stellten je I 5 ooo, die einfacheren - je 5 ooo oder 10 ooo Mann. Mit Schiffen fuhren sie nach Afrika, gruben sich am Ufer des Meeres ein und warteten. Sie hatten die grausamsten und liederlichste Leute einberufen, Trinker, Diebe, Ungehorsame. Sie dachten nämlich, daß, sollten sie wirklich verlieren, dies auch nicht schlimm sei, denn so würde man sich all die Lumpen vom Halse schaffen, mit denen man ohnehin nur schwer fertig wurde. Die Schwarzen aber hatten keine Schiffe, und so könnten sie Europa ohnehin keinen Schaden zufügen. Sollten sie nur versuchen, sich mit ihren Booten aufs Meer hinauszuwagen.

Die Schlacht der Rassen

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Und dann kam die Schlacht. Doch das war keine Schlacht, sondern ein Gemetzel. Wie man hörte, hatten die Gelehrten diese Schlacht schon lange vorausgesagt. Sie hatten sie die »Schlacht der Rassen>He du, Junge, König Maciu§ oder wer du bist. Atmest du? Vergiß nicht zu atmen. Der Polizeimeister hat's befohlen.>Lauf weg, sie werden schießen.>Es scheint derselbe zu sein. Zwar ist das eine Photographie vom vergangeneu Jahr. Aber Jungen in diesem Alter wachsen. Wozu hätte er auch lügen sollen? Geben Sie durch, daß es Maciu§ ist.>Meine Herren, lassen Sie ihm noch etwas Ruhe. Er soll schlafen. Sonst bekommt er möglicherweise eine Hirnhautentzündung, und das wäre schlimm, denn dann werden Sie nichts mehr von ihm erfahren, weil er dann nicht mehr drei und drei zusammenzählen kann.>Siehst du, Klu-Klues ist gekommen, wie du wolltest. Die Weißen haben die Neger liebgewonnen, es kommen immer mehr angefahren. Und viele sagen, daß sie für immer bleiben wollen. Morgen kommt ein Frachtschiff mit einem Filmgerät und Grammophonen. In jeder Hütte hängt das Porträt des weißen Königs. Meinst du nicht auch, Klu-Klu, daß selbst die Affen nicht mehr so wild sind wie früher?>Und mir hat ein Affe das Rasiermesser gestohlenNun, Klu-Klu, bist du zufrieden?>Du etwa nicht, Macius?>Er lebe hoch>Wie viele Menschen hast du erschlagen, daß man dich hier eingesperrt hat?>Antworte nicht, kleiner Junge, für jedes Wort bekommst du einen Peitschenhieb.>Misch du dich nicht ein. Von ein paar Hieben wird er schon nicht verrecken.>Versteck das gut.>Was ist das?>ZuckerKomm rein, du HundesohnWie heißt du denn, du armes Kind?>Oh, es tut weh!>Ich heiße Maciu§. Oh, tut das weh, das tut weh!>Herzlichen Dank. Es macht nichts, daß sie verstaubt sind.« Der Bürodiener hatte es schon satt- klatsch, warf er dem Gelehrten die vergilbten Papiere auf den Tisch, direkt vor die Nase. Der mußte zweimal niesen. >>Ich bin Ihnen sehr verbunden, Herr Vorsteher.« In der Gefängnisverwaltung arbeitete aber eine Angestellte, die sich eine neue Bluse gekauft hatte, und sie ärgerte sich nun über den Staub. Sie nahm die Papiereneuesten Datums, nämlich die der letzten Woche, und sagte: >>Lesen Sie lieber die, denn die sind wenigstens sauber. Dann erfahren Sie auch, was jetzt passiert und nicht- was vor hundert Jahren gewesen ist.« >>Ich danke Ihnen sehr. Jawohl, auch das ist wichtig, auch das ist wichtig. Ich bin Ihnen sehr verbunden. Sie bemühen sich so um mich, vielen Dank.« Ganz oben lag das ärztliche Zeugnis über Maciu§.

Größe des Verstorbenen- ein Meter dreißig. Alter elf Jahre ... Der Gefangene hat in seiner Jugend Zigaretten geraucht und Wodka getrunken. Der alte Gelehrte hatte aber einen Sohn, der auch Rechtsanwalt war - und diesem schrieb er in einem Brief, daß er ein hochinter-essantes Papier gefunden habe; im schlimmsten Gefängnis sei ein kleiner Häftling gestorben.

Weißt du, lieber Sohn, ich freue mich sehr, daß ich eine so interessante Sache in mein wissenschaftliches Buch werde aufnehmen können.

I.

Altes russ. Gewichtsmaß.

Ein Teil der Wahrheit kommt heraus

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Dem Sohn aber ging plötzlich ein Licht auf, das könnte vielleicht Maciu§ sein. Was war zu tun? Sehr gern begibt er sich nicht auf eine so weite Reise, doch er fährt. >>Wenn es mir gelingt, werde ich mit einem Schlag der berühmteste Rechtsanwalt auf der Welt sein.Hindernis sei zu beseitigen>Ich bin ein Waisenkind. Ich bin auf dem Weg nach Hause.>Das ist eine lange Geschichte.>Woher kommst du?>Aus der weiten Welt.>Und wohin willst du?>Nach Hause.>Wo ist dein Zuhause?>Wo mein Zuhause ist? Das weiß ich nicht.>Hast du Papiere?>Du bist der Sohn eines Gefängnisaufsehers?>Neinder Sohn eines Königs.>Ha ha! Bist von hoher Geburt. Na, hau ab.>Dieses Kind muß viel Unglück erlebt haben: Man sieht es seinen Augen an.>Auf den ersten Blick ist er ein Fliegengewicht - ein Herrenkind, aber er ist stark.« Sie hatten an Marcinek Gefallen gefunden. »Bleib den Winter über.Bitte, Fräulein, bei solchem Lärm kann ich nicht unterrichten. In der Schule sollte es nicht ein solches Geschrei geben.>Setz dich in die erste Bank, Marcinek. Gebt ihm ein Buch. Kannst du lesen?>Kann ich.>Erzähle das nach.>Hast du Geschichte gelernt?Ja, ein wenig.>Hast du schon etwas über Pawel den Siegreichen gehört?« >>Ja, habe ich.>Nimm die Kreide und löse folgende Aufgabe.>Beherrschst du Fremdsprachen?>Kannst du mir etwas über die Pflanzen und Tiere heißer Länder sagen?>Das muß er alles selbst gesehen habenNach Büchern kann man nicht so erzählen.>Hab keine Angst. Das Fräulein tut dir nichts.- Ein Lehrer- das ist was anderes. Doch das Fräulein ist guuut.>guuutStilles WasserSie schlagen sich, sie schlagen sich!>Was ist das für eine neue Ordnung? Es ist ja nicht zum Aushalten. In einer Klasse muß es leise sein. Sie lassen Schlägereien während des Unterrichts zu. Sie sind zu gutmütig. Ich habe genug Scherereien mit meiner eigenen Klasse; ich kann mich nicht auch noch um Ihre Bengel kümmern.>Fräulein.>Was willst du, Marcinek?>Fräulein, ich bitte sie, mich etwas probieren zu lassen, oder ich komme nicht mehr zur Schule; denn durch mich haben Sie diese Aufregung.>Was willst du probieren?>Ich weiß es noch nicht.>Was machst du hier? Weißt du denn nicht, daß es verboten ist, die Kanzlei zu betreten?>Das ist ein ganz außergewöhnlicher JungeSie haben wohl lauter außergewöhnliche Schülerder eine ist ein hervorragender Zeichner, der andere ein großartiger Mathematiker. Und alle zusammen sind ganz außergewöhnlich verwilderte Lümmel. Schon zwei Fensterscheiben haben sie in diesem Jahr eingeschlagen.>Gräm dich nichtSie werden dich schon wieder in Ruhe lassen. Mich haben sie zuerst auch so geärgert.>Weshalb?>Sie mögen es nicht, wenn jemand etwas besser kann als sie.>Warum?'>Bestimmt aus Neid. Nicht alle, nur ein paar, und die anderen tun es ihnen nach. Weißt du: Ich zeichne dir ein Bild. Willst du? Was soll ich dir zeichnen? Du hast damals von diesen wilden Ländern erzählt. Wenn du es noch einmal erzählst, könnte ich dir Maciu§ auf der einsamen Insel zeichnen.Was macht das schon! -Zeichnen kann man ihn trotzdem. -Ob man mir erlaubt, am Abend zu dir zu kommen?« >>Ich werde fragen; bestimmt erlauben sie es. Meine Hauswirte sind gut. Sie haben Bücher gekauft, und überhaupt alles. Vielleicht kaufen sie mir auch Schuhe.« >>Da siehst du, was für ein Schwein der ist. Weil er eine neue Mütze hat, hält er dir deine durchlöcherten Schuhe vor. Es ist gut, daß du dich nicht mit ihm geschlagen hast. Sein Vater ist reich. Deshalb gibt er auch immer den Ton an; er weiß, daß sein Vater mit dem Lehrer befreundet ist. Aber wir werden ihn einmal so verprügeln, daß er es nie vergißt. Nicht in der Schule, aber wir werden ihn schon erwischen. Vergiß also das Bild nicht.« >>Danke.« Macius geht und denkt nach. Plötzlich fallen dicke Schneeflocken. Und je dichter der Schnee fällt, desto lebhafter bewegen sich die Bienchen, die Gedanken in Macius' Kopf. »>ch bin König gewesen«, denkt er, >>ich habe ein ganzes Volk regiert. Und jetzt kann ich mit einer einzigen Klasse nicht fertig werden. Ich habe im Parlament gesprochen und mich nicht geschämt; jetzt schäme ich mich, zu den Jungen zu sprechen. Ich verstehe jetzt, warum Franek sich nicht mit den Jungen auf der Insel anlegen wollte. Es ist schlimm, wenn man gehänselt und ausgelacht wird. Warum eigentlich? Sie werden wieder sagen: >Vagabund mit durchlöcherten Schuhen>Ich bin ein Findling, ein Vagabund und habe durchlöcherte Schuhe. Wenn ihr etwas dagegen habt, daß ich in die Schule komme, kann ich auch wegbleiben. Denn warum soll das Fräulein meinetwegen Unannehmlichkeiten haben. Stimmen wir ab. Wenn die Mehrheit nicht will, daß ich komme, dann gut. Aber wenn nur einer mich nicht hier haben will, aber alle anderen wollen mich, dann werde ich mich nicht darum kümmern. Denkt nicht, ich habe Angst. Wenn sich einer mit mir schlagen will, dann gut, aber nicht in der Schule. Wir können uns verabreden und vor Zeugen kämpfen. Der Lehrer prügelt, deshalb gehorcht ihr ihm. Ich denke, ihr solltet lieber dem gehorchen, von dem ihr keine Schläge bekommt. Solange sich die Kinder untereinander schlagen, haben sie kein Recht, von den Erwachsenen die Abschaffung der Prügel zu fordern. Solange die Kinder nicht aufhören, sich zu schlagen und Steine zu werfen, muß es auch Kriege geben- und dann wird es

Macius läßt über seinen Verbleib in der Schule abstimmen

38I

Waisen geben, deren Väter im Krieg getötet wurden. Ich weiß, man kann sich mitunter streiten, doch dann soll man gemeinsam versuchen, herauszubekommen, wer recht hat; man darf sich nicht immer gleich prügeln.>Er ist still- gehorsamarbeitet gern- und redet wie ein Erwachsener. Marcinek hat rechtund damit basta.>Seht nur, Wohltäter haben sich gefunden: Mit dem Mundwerk sind s.ie gut, doch Schuhe haben sie ihm nicht gekauft. -Man sieht es ja: Er ist ganz zerlumpt, deshalb beneidet er den Bauernsohn um die neue Mütze.>Wie der Vater so der Sohn.Die Wissenschaft setzt den Kindern nur Flausen in den Kopf und hält sie von der Arbeit ab.>Es gibt keine Achtung vor den Älteren mehr, keinen Gehorsam gegenüber den reichen Großbauern.>Warte, du Spitzel, das wirst du bereuen.« >>Ein Spitzel, das ist etwas anderesAber du bist ein Feigling. Du hättest es eingestehen müssen.>Wer dreimal getroffen ist, der ist tot. Wer hinfällt, ist gefangen.>He, was verstehst du davonWir wollen Generäle wählenWozu?>Besser ist es so: Jeder soll fünfmal auf ein Ziel werfen. Wir schreiben auf, wer gut zielen kann - und dann teilen wir uns in zwei gleiche Parteien.>Es ist abgemacht: Niemand nimmt etwas übel.>Wir wollen lieber noch warten, damit es richtig gelingt.>Jetzt noch nicht: Erst müssen wir es selbst ausprobieren.Denkst du, ich weiß nicht, daß ich ein Streithammel bin? Ich möchte anders sein, aber es geht nicht. Ich sage mir: Ab Montag wird es anders sein. Bin ich etwa schuld, wenn es mir nicht gelingt?>Wenn ich nicht auf mich aufpasse, hält es keiner mit mir aus. Ich weiß selbst nicht, warum, aber ich habe es gern, wenn jemand böse wird.>Das ist jetzt schon gar nichts mehrdu hättest mich früher mal sehen sollen, was für ein Gassenjunge ich war. Hund oder nicht Hund, ein Huhn, ein Greis, ein Pferd, ein Kind- alle haben sie eins mit dem Stock abbekommen, oder ich habe mit Steinen nach ihnen geworfen. Sieh mal.>Sieh mal: Hier hat mich ein Pferd getreten. Hier hätte ich mir beinahe mit einer Axt den Finger abgehackt. Das ist der Schnitt von einer Flasche - und wie der geblutet hat. Hier hat mich ein Hund gebissen, als ich ihm meinen Schlitten an den Schwanz binden wollte, damit er mich zieht. Jetzt bin ich groß und weiß Bescheid, doch früher - du meine Güte.>Was meinst du, Marcinek, ob König Macius wirklich bei ihnen gewesen ist, oder ob die Zeitungen das nur so schreiben?>Wenn der König leben würde, dürfte uns der Lehrer nicht an den Ohren ziehen.« >>Hier hatte man schon begonnen, ein Karussell für die Schule zu bauen.« >>Erinnerst du dich an die Schokolade? Aber nur dreimal haben sie sie verteilt, und auch nicht an alle.« >>In der Hauptstadt sind die Erwachsenen zur Schule gegangen, die Kinder aber teilten Schläge aus und stellten sie in die Ecke. Das muß ein Spaß gewesen sein, mein Gott.« Sie lachen wie über ein lustiges Märchen, doch Maciu§ wird es recht seltsam zumute. Er schweigt. Und seufzt. Denn er ahnt schon, daß die stillen, schönen Tage ohne Sorgen und Kampf bald zu Ende sein werden. Zum Teil fühlt er es aus sich selbst heraus, zum Teil- weiß er es aus der Zeitung. Dort schreiben sie nämlich, der alte König sei gestorben und der junge habe wieder den Thron bestiegen. Der junge König hatte mit Kaiser Pafnucy und zwei gelben Königen ein Bündnis geschlossen. Im Heer des jungen Königs hatte es eine Verschwörung gegeben, denn ein Teil seiner Leute war gegen ihn. Er ließ die Verschwörer erschießen und verkündete, daß er niemanden fürchte. Er sagte, die Könige hätten ihn betrogen und ihm den Hafen gegen jedes Recht genommen. Mit dem traurigen König hatte er sich ein für allemal überworfen. >>Du hast die Abmachung doch selbst unterzeichnet«, sagten sie ihm. >>Eine solche Abmachung unter Königen heißt Vertrag, und Verträge kann man nicht ändern.« >>Erstens habe nicht ich unterzeichnet, sondern mein Vater. Und Maciu§ hat auf der Pfeifeninsel auch zwei Protokolle unterzeichnet.>Nun ja, aber Maciu§ war betrunken.>Hat ihm etwa jemand befohlen, sich zu betrinken? Übrigens ist das etwas anderes, damals lebte er, und jetzt ist er tot.>Der Krieg schläftMarcinek, du mußt aufpassen im UnterrichtGut, ich will es versuchen>Kaiser Pafnucy wird mir helfenWenn ich die Truppen jetzt stoppe, werden sie sich wieder verschwören. Also vorwärts!>Ach, so einer bist du alsoNehmen wir an, es gelingt uns, Maciu§ zu schlagen. Dann werden die anderen Könige über uns herfallen. Es ist unmöglich, mit der ganzen Welt Krieg zu führen.>Nein, meine Lieben, wir werden Maciu§ nicht schlagen, da ist jede Mühe vergebens. Maciu§ wird von seinen Truppen verehrt, unseren König mögen die Truppen nicht. Wir greifen an, sie verteidigen sich. Und sie erinnern sich gut an unsere Herrschaft, damals, als wir sie besiegt hatten. Wir haben ihnen ganz schön zu schaffen gemacht. Vom Sieg wollen wir besser nicht sprechen, aber was machen wir, wenn wir verlieren.>Ha, wenn keiner von euch den Mut hat zu sagen, was er denkt, werde ich für alle reden.

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König Macius auf der einsamen Insel

Wenn wir uns hier versammelt haben, dann doch nicht, um uns zu belügen. Ich sage es offen: Wir haben uns nicht zu dieser geheimen Beratung zusammengefunden, um darüber zu sprechen, ob wir siegen werden. Darüber hätten wir mit dem König beraten können ... Kamerad General, Sie haben nicht das Recht, für alle zu sprechen. Das, was Sie Verrat nennen - könnte man auch die einzig mögliche Rettung des Königs nennen.>Ha, ha, hahat euch der König etwa gebeten, ihn zu retten? Nein, meine Herren, wir brauchen uns nicht zu verstellen. Unsere geheime Beratung ist Verrat.>Was sollen wir also tun?>Es gibt zwei Wege: Entweder wir fesseln den jungen König und übergeben ihn Maciu§, oder wir lassen ihn seiner Wege gehen und machen uns selbst so schnell wie möglich aus dem Staub.>Eure Königliche Majestäthaben in Ihrem Aufruf an die Könige geschrieben, daß Sie mir dankbar sind, daß Sie durch mich Erfahrung gesammelt und Ihren Willen gestählt haben. Eure Königliche Majestät hegen keinen Groll gegen mich. Also ... « Der junge König fiel auf die Knie. Macius war es unangenehm, und er schämte sich, daß der junge König ihn so fürchtete, daß er vor ihm auf die Knie fiel. >>Wollen Eure Königliche Majestät sich bitte erheben. Ich habe geschrieben, was ich denke; Eurer Königlichen Majestät wird nichts geschehen. Ich werde mich nicht rächen, ich muß nur mein Land verteidigen.>Ich möchte meinen Unterhalt selbst verdienen. Ich werde ein Zimmerehen mieten. Ich werde zur Schule gehen.unvergleichlicher Kindererzieher>talentvoller Schriftsteller>interessantes Experiment>Kindererlebnisse« verarbeite, handele es sich dennoch in erster Linie um die kritische Auseinandersetzung eines erwachsenen Menschen mit den politischen Verhältnissen, die im >>Zerrspiegel der Parodie und Karikatur« dargestellt würden. Sympathisch erscheinen ihr allein die Menschenfresser und Gefangenen, also die Verbrecher. >>Deshalb erweckt das Buch und insbesondere der zweite Teil, trotzder lebendigen Handlung und ulkigen Episoden, ein Gefühl von Trauer und Bedrücktheit.« 2

Eine selbständige Rezeption der König Macius-Romane in Deutschland3 setzte erst mit beinahe fünfzigjähriger Verspätung zu Beginn der siebziger Jahre ein und das, obwohl bereits 1957 in Warschau eine deutsche Übersetzung unter dem Titel König Hänschen I. im Polonia Verlag erschienen war. 4 Es war diese Ausgabe, die der Verleger Dietrich Ruprecht 1968 anläßlich eines Messebesuchs in einer polnischen Buchhandlung liegen sah, und die er als Lizenzausgabe übernahm. 5 Kaum veröffentlicht, wurde das Buch Korczaks, genauso wie die Summerbill-Bücher des englischen Erziehungsreformers Alexander S. Neill, zu einer Bibel der antiautoritären Bewegung. Den Weg für die König Macius-Bände (damals u.d.T. König Hänschen I.) bahnte 1970 der Pädagoge Hartmut von Hentig. Er stellte König Macius den Kinderklassikern Struwwelpeter, Wo die wilden Kerle wohnen sowie Tom Sawyer und Pinocchio an die Seite. Diese kleinen

Gruszecka, Aniela: Literatura dla dzieci (Literatur für Kinder). In: Przeglqd Warszawski (Warschauer Rundschau) 1923, Bd. II, Nr. 21, S. 394-395. 2. Szmydtowa, Zofia: Z ksiqiek: >>Kral Macius Pierwszy«, »Kral Macius na wyspie bezludnej« ]anusza Korczaka (Aus den Büchern: »König Macius der ErsteKönig Macius auf der einsamen Insel>weil da einer von ihnen ein Stück Freiheit von der Macht erlistet oder ertrotzt oder erträumt, der sie selbst immer wieder erliegen.>die es mit einer nichtautoritären Erziehung ernst meinen.« In pädagogischer und in literarischer Hinsicht böte es >>einen Maßstab für das an, was ein gutes Kinderbuch leisten sollte.«' Auch in anderen Blättern wurde König Macius gefeiert, sei es als >>politisches und poetisches Buch« oder als eine >>Schule der Demokratieböswillig aufbauschender Penetranz«; der Text enthalte >> Groteskerfindungen eines bornierten Kolonialdenkens« und einen >>bestenfalls verworren zu nennenden Gefühlswust«.4 Und im Kontext der posthumen Friedenspreis-Verleihung an Janusz Korczak 1972 fragte Karl-Heinz Janßen: >>War Janusz Korczak gegen Militarismus und Rassismus gefeit?« 5 Er betrachtete den Roman als Produkt seiner Zeit - der zwanziger Jahre -, weshalb er heute erwachsener Interpreten bedürfte und darum auch eher zum Vorlesen als zum Selbstlesen geeignet sei. 2

I. Hentig, Hartmut von: janusz Korczak: >>König Hänschen I.« Die Kinder an die Macht?In: Der Spiegel. Harnburg I970, Jg. 24, Nr. sr, s. I6rf. Zur antiautori-

tären Kinderliteratur der siebziger Jahre vgl. den Ausstellungskatalog Von Mars(x)menschen und Superbirnen. Vor zwanzig Jahren: Kinderliteratur und Studentenbewegung. Bearb. von Winfred Kaminski, Antje Koenen und Ina Nefzer. Institut für Jugendbuchforschung der J.W. Goethe-Universität. Frankfurt a.M. I990. 2. Kumm, Erika: König Hänschen I. In: Süddeutsche Zeitung. München I970, Jg. 26, Nr. 285 vom 28./29.II., S. II8. 3· Schönfeldt, Sybil Gräfin: König Hänschen I. von Janusz Korczak. In: Die Zeit I970, Jg. 25, Nr. 46 vom I 3 .I I. (Literaturbeilage, S. LIT 23 ).

4· Hunscha, Christa: Ein polnischer junge weint nicht. Zu ]anusz Korczaks Kinderbuch »König Hänschen I.«. In: Frankfurter Rundschau. Frankfurt/M. I97I, Jg. 27, Nr. I99, vom 30.8., S. I7. (Literaturbeilage) 5· Janßen, Karl-Heinz: König Hänschens Wachtparade. War ]anusz Korczak gegen Militarismus und Rassismus gefeit? In: Die Zeit. Harnburg I 972, Jg. 2 7, Nr. 39 vom 29.9. (Literaturbeilage, S. LIT IO)

Kommentar

Diese teilweise polemischen Einlassungen gegen König Macius erfuhren wiederum Widerspruch. So bezog sich Karl-Heinz Bohrer, damals noch Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, vor allem auf das Argument aus von Hentigs Friedenspreis-Rede, >>daß Korczak keine Revolution wollte und keine Politik«, weil er dann nicht den Kindern hätte gerecht werden können. Bohrer fürchtet zugleich, ob nicht das, was Korczak von uns fordert, >>so schwer ist, daß wir uns mit dem eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehen müßten, um es zu erfüllen.« Zuvor hatte der Frankfurter Erziehungswissenschaftler Ernest Jouhy die politisch motivierte Kritik an Korczak in ihre Schranken verwiesen. Er machte darauf aufmerksam, daß die Ideen der Kinderselbstverwaltung, des Schülerparlaments und des Heimgerichts >>durchzogen und getränkt>Wahnvorstellung einer gütigen Monarchie zu erzeugen, sondern um Demokratie kindgemäß zu gestalten, um einen Weg von der Utopie des Kinderstaates zur politischen Wirklichkeit erzieherisch zu weisen. « Hartmut von Hentig deutet in seiner Rede anläßlich der posthumen Verleihung des Friedenspreises an Janusz Korczak am or.ro.r972 in der Frankfurter Faulskirehe das gesamte Korczaksche Erziehungswerk unter der Perspektive >>Erziehung in einer friedlosen Welt>Bilder und Zeiten«) 3· Hentig, Hartmut von: Janusz Korczak oder Erziehung in einer friedlosen Welt. In: Janusz Korczak. Ansprachen anläßlich der Verleihung des Friedenspreises. Bibliographie des Preisträgers. Hg. vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V. Frankfurt a.M. 1972, S. 22. 4· Hartmut von Hentig spricht im Plural von »Geschichten«, bezieht sich jedoch bei seiner Analyse der Korczakschen Kinderliteratur allein auf König Macius der Erste und König Macius auf der einsamen Insel. Andere Kinderbücher Korczaks bleiben unerwähnt. 5. Diesen Interpretationsansatz greifen Elisabeth Lax, Hella Kirchhoffund Friedhelm Beiner 1982 in ihrem Aufsatz über Die Rechte des Kindes im Spiegel der Kinderbücher Korczaks auf. König Macius zeige die Vielschichtigkeit der (unvollkommenen) Welt und Möglichkeiten ihrer Veränderung. Dieser Aufsatz enthält auch eine Inhaltsangabe der beiden Macius-Bände. In: Beiner, Friedhelm (Hg.): Janusz Korczak. Zeugnisse einer lebendigen Pädagogik. VierzigJahre nach seinem Tod. Heinsberg 1982, S. 73ff. r.

Zur Rezeption der Macius-Biinde in Polen und Deutschland

407

Kind sie verstehen kann'. Man kann sagen: in Korczaks Geschichten wird nicht die Welt der Kinder vom Erwachsenen her, sondern die Welt der Erwachsenen vom Kind her erfahren und gedeutet. Auch ihr könnt dies verstehen, dies tun, dies werden. >eine Form von Gewalt - von structural violence (Galtung) - unter Ausnutzung der Unerfahrenheit, der Ohnmacht, der Besitz- und Rechtlosigkeit der Kinder.Weil der Krieg zwischen Kindern und Erwachsenen so ungleich ist, kommt er nie zum Austrag, und dadurch erzeugt er sich selbst immer wieder neu.Gemetzelund wer weiß, ob er nicht noch schrecklicher wird als die vorangegangenen. >Der Krieg schläftpolnische Frage>einigen, unabhängigen und autonomen Polen>In dieser verzweifelten Lage rief der polnische Ministerpräsident Wladyslaw Grabski (... )die Hilfe der Alliierten an. Er reiste nach SpaMit der Unterzeichnung des Friedens von Riga am 18.111.1921 konnte eine Festlegung der polnischsowjetrussischen und der polnisch-sowjetukrainischen Grenze (... ) erzielt werden, die weitgehend den polnischen Forderungen entsprach. (... )Dabei wurde auch die seit 1919 angefochtene Annexion Ostgaliziens durch Polen sanktioniert. Unter Aufgabe eines wirklich föderalistischen Programms und nach dem Sieg des Nationalstaatsgedankens wurde das neue Polen als nationalpolitischer Einheitsstaat konzipiert und begonnen, durch zunehmenden Polonisierungsdruck die Rechte der nationalen Minderheiten, die rd. ein Drittel der Bevölkerung stellten, zu beeinträchtigen.>festen Willen« (S. 23) verfügt, durchschaut er bald die wahren Machtverhältnisse in seinem Land. Die Augen für die Realität werden ihm während seiner aktiven Teilnahme am Krieg geöffnet. Macius' Land führt gegen drei Könige (vgl. drei Teilungsmächte!) monatelang einen Stellungskrieg, in dem die >>Menschen fielen, von Kugeln getroffen«. (S. 52) Macius selbst wird verwundet und nach seiner Genesung zweimal >>verkleidet auf die andere Seite« geschickt. (S. 57) Der Kinderkönig erfährt am eigenen Leib, was es heißt, benutzt zu werden. Er erkennt seine eigene Machtlosigkeit und beschließt, nach Kriegsende >>Ordnung zu schaffen. Die Herrschaft der Minister mußte beendet werden.« (S. 67) Er entläßt die Minister, muß aber wenig später erkennen, daß er ohne sie nicht das geringste weiß. In seinem Bemühen, das Rechte zu tun, machte er Fehler; doch bald erkennt er, daß er >>voreilig gehandelt«, eine >>Dummheit« begangen hat. (S. 77) Macius nimmt sich vor, >>allein keinerlei Schriftstücke (mehr) zu unterschreiben.« (S. 82) Der >>traurige König« klärt Macius über die Aufgaben eines Regenten auf: König ist man, >>um den Menschen seines Staates ein glückliches Leben zu schenken.« (S. 87) Da seine eigenen Reformbemühungen gescheitert sind, rät der traurige König seinem jugendlichen Gast, es doch einmal mit den Kindern zu versuchen. (Vgl. S. 89) Daraufhin I.

Vgl. dazu Igor Newerlys Nachwort für junge Leser, S. 433ff.

Kommentar

macht Macius den Kindern seines Landes Geschenke, beginnt aber auch mit richtigen Reformen. In der Kinderzeitung sollen die Kinder schreiben, was sie bewegt; im Kinderparlament sollen sie über ihre Belange entscheiden. Dabei kommt es zu einer Umkehr der Machtverhältnisse und zum Chaos in Macius' Land. Macius' Versuch, auf dem Weg der Mitbestimmung von Kindern eine neue Gesellschaft zu begründen, muß scheitern, weil dem Kinderkönig schon der Ausgangspunkt für einen dauerhaften Friedenszustand versagt wird: Die Anerkennung seiner selbst.' Macius ist Mittel zum Zweck. Seine aus Unerfahrenheit entstandenen (Fehl-)Entscheidungen werden durch den Spion des >>jungen Königs« nachhaltig unterstützt. Allein der traurige König warnt: >>Viel Schlimmes hat sich ereignet; nur hat man dich getäuscht, es vor dir verborgen, du weißt davon nichts.>junge König« hatte erneut aufgerüstet und war im Begriff, Macius' durch die Herrschaft der Kinder ohnehin weitgehend zerstörtes Land einzunehmen. Der kleine König Macius muß sich wehren gegen Feinde, die sein Land von außen bedrohen und gegen politische Gegner innerhalb der eigenen Landesgrenzen. In beiden Fällen bezieht sich Korczak auf reale politische Verhältnisse in Polen zur Zeit des Ersten Weltkriegs und während des schrittweisen Kampfes für die Unabhängigkeit. Korczak zeigt in König Macius die Welt zunächst wie sie ist. In einer für Kinder verständlichen Sprache beschreibt er die Auswirkungen von Krieg und Fremdherrschaft. Als seine Reformen wegen des Machtmißbrauchs von Erwachsenen und Kindern gescheitert sind, tritt Macius die Strafe, Verbannung auf eine einsame Insel, nicht auf Befehl, sondern freiwillig an. Der Titelheld entscheidet sich selbst für einen Rückzug aus dem Alltag, um seine eigenen Handlungen zu reflektieren. Mit diesem Motiv knüpft Korczak an eine literarische Tradition des I 8. Jahrhunderts an. I 7 I 9 veröffentlichte Daniel Defoe (I 6 59! 6o- I 7 3 I) in Form eines Tagebuchs den Selbstfindungsprozeß des Robinson Crusoe. Das Bekenntnisbuch dokumentiert die innere Wandlung der Titelfigur, durch die diese die kreativen Kräfte erlangt, die sie benötigt, um ihr Gefängnis zu einer paradiesischen Welt umzugestalten. 2

r. Hartmut vem Hentig schreibt dazu: >>Es geht nicht um einen >neuen< Menschen,

2.

sondern darum, dem alten, verkümmerten, unterdrückten, dem unterschiedlichen, wandelbaren, unverlierbaren, dem weder guten noch bösen Menschen zu seinem Recht auf sich selbst zu verhelfen.« Hentig, Hartmut von: ]anusz Korczak oder Erziehung in einer friedlosen Welt. A.a.O., S. 29. Die insularische Abgeschlossenheit von der menschlichen Gesellschaft findet beim Lesepublikum des I 8. Jahrhunderts großen Anklang. Es erschienen die unterschiedlichsten Nachahmungen, die unter dem Sammelbegriff >>Robinsonaden« zusammengefaßt werden.

Der Einsatz des Kinderkönigs für Gleichberechtigung und Demokratie

419

Zu Beginn des vierzehnten Kapitels von König Macius auf der einsamen Insel weist der Erzähler darauf hin, daß sich seine Erzählung nun völlig verändere. (Vgl. S. 300) An die Stelle der aktionsreichen, schnell wechselnden Szenen treten ausführliche Beschreibungen des sich zum Philosophen wandelnden, ehemals so stolzen Reformator-Königs. Durch die Metapher der im Kopf herumschwirrende n Menschlein (vgl. z.B. S. 306) erfahren die jungen Leser, daß der freiwillig Verbannte seine Zeit zum Nachdenken nutzt. Selbständig setzt sich Macius mit den Ereignissen der Vergangenheit auseinander. Er beginnt, Tagebuch zu schreiben (vgl. z.B. S. 309ff)' und entschließt sich, sein Wissen durch die Lektüre von Büchern zu erweitern. Macius erkennt: >>Mein größter Fehler, ich war zu stolz.>Früher, Macius, hast du deine Beschlüsse immer gleich ausgeführt. Jetzt hast du beschlossen, nur nachzudenken und nichts weiter.>Es gibt ruhige und unruhige Menschen.>Wissende, aber nur im Rahmen ihrer kindlichen Entwicklungsphase und Lebenswelt. Sie sind (noch) nicht wissend in bezug auf die Gesellschaft der Erwachsenen - und sollen es auch nicht sein. Das heißt, sie sind glaubwürdige und ernsthafte Informanten nur, wenn es um ihre personale Welt geht, aber keine Partner

r. Macius erkennt selbst, wie schwer es ist, aus den tradierten Lebensbedingungen

auszubrechen. In seinem Tagebuch notiert er: »Das Leben ist wie ein Gefängnis.« (S. 373) Und als er in der Schule über sein Verbleiben in der Klasse abstimmen läßt, erfährt er von einem Mitschüler, daß ihn viele nicht verstanden hätten. (Vgl. S. 38r) 2. Hentig, Hartmut von: janusz Korczak oder Erziehung in einer friedlosen Welt. A.a.O., S. 56 f. 3· Ebd., S. 58.

Der Einsatz des Kinderkönigs für Gleichberechtigung und Demokratie

423

darüber hinaus.«' Erst am Ende des 20. Jahrhunderts >>geht es um politisch-gesellschaftliche Ziele wie Neuregelung des Generationenverhältnisses, Förderung von Alltagsdemokratie durch Kinderbeteiligung, Aufhebung- Relativierung- des abhängigen gesellschaftlichen Status von Kindern. Die neue sozialwissenschaftliche Kindheitsforschung steht unter dem Eindruck der Debatte um die Rechte der Kinder. Neben verbesserten Schutz- und Förderrechten geht es vor allem um die Frage der gesellschaftlichen und politischen Beteiligung der Kinder.> Drukarnia Naukowa. Warszawa. Rynek Starego Miasta IIDrukarnia naukowa. Warszawa. Rynek Starego Miasta I I>Du brauchst nicht so auf sie zu starren«, sagte Fräulein Maria, ihn hinter sich her ziehend, >>du darfst nicht mit ihnen spielen ... « Aber er würde sich gerne, so gerne unter anderen Kindern befinden. Es gab jedoch keine Kindergärten für alle und keine Schulen für alle, es gab auch keine Sommerferienlager und keine Pfadfinderabteilungen. Mit wem sollte er spielen? Auf die Kinder im Sächsischen Garten konnte er nicht zählen. Sie kamen auch mit einer Kinderfrau oder der Mutter, nicht jede wollte sich gerade auf dieselbe Parkbank setzen wie Fräulein Maria und sich ausgerechnet mit Fräulein Maria unterhalten. Und wenn es mal vorkam, daß man jemanden traf, einen Jungen oder ein Mädchen, und daß man sich mit ihm anfreundete, dann stellte sich heraus, daß es ungewiß war, ob sie morgen wieder in den Garten kämen, und daß es gänzlich ungewiß war, wann sie sich wiedersehen würden. Also mit wem nun spielen, wo Altersgenossen suchen? Die befreundeten Familien von Henios Eltern hatten nicht so viele Kinder, und die Besuche fanden nicht oft statt, gewöhnlich nur während der Kalender- und Familienfeiertage. Alltags gab es die kleinen Kinder auf dem Hof und den Sohn des Hausmeisters, aber kaum daß er sich zu ihnen hinausgeschlichen hatte, riefen sie schon, es sei nicht erlaubt ... Auf diese Weise wuchs Henio auf, in guten Verhältnissen, unter dem Schutz guter Eltern, alleine, ohne die Gesellschaft von Altersgenossen. Fügen wir noch hinzu, ohne die vielen Sachen, die ihr jetzt habt, ihr habt doch Fernsehen, Radio, Kino, Puppentheater, Ausflüge, Ausstellungen, Sport - all das kannte man in der damaligen Zeit nicht. Zwar gingen während der Weihnachtszeit arbeitslose Maurer durch die Häuser und gaben Vorstellungen. Und einmal hat der Vater Henio zum Puppenspiel ins Waisenhaus in ihrem Viertel mitgenommen, wonach Henio Fieber bekam und zwei Tage im Bett zubringen mußte. So, und das war's, die ganze Freiheit, das ganze Märchen im ziemlich langweiligen grauen Leben. Na und die Bauklötze. Stundenlang konnte er mit Bauklötzen spielen. Ich will damit gar nicht sagen, daß das schlechter ist, als das stundenlange Fernsehen, keineswegs, ich sage nur, daß die Bauklötze, mit denen Henio allzu lange spielte, und sein ungewöhnlich ruhiger, sanfter Charakter sowie die Versunkenheit und andere Eigenschaften die Eltern schließlich beunruhigt haben. >>Der Junge hat keinen EhrgeizEs ist ihm egal, was er ißt, wie er sich kleidet, ob er mit Kindern aus seiner

Nachwort für junge Leser

Schicht spielt oder mit den Hausmeisterkindern. Er schämt sich nicht mit den Kleinen zu spielen.Kaufen Sie, Herr, sie glücklicher!< Er natürlich darauf: >Woher weißt du Knirps, daß ich glücklich bin?< >Na, weil sie doch so ein schönes Fräulein bei sich haben ... < Na und schon hast du was für Kuchen. Ach, und weißt du, wo sie die größten, billigsten verkaufen?« >>Nein ... « >>Na klar, was weißt du schon ... In der türkischen Bäckerei bei Nuram - sooo Riesenkuchen! « >>Und was kannst du noch machen?« >>Mm, wenn ich nur nicht auf den Kahn aufpassen müßte ... Hast du zehn Kopeken?«

I.

2.

Stadtteil am Rande von Warschau. Damals großes Feld, heute ein Stadtteil von Warschau.

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Nachwort für junge Leser

>>Hab' ich. Lesewahn « durch, er verschlingt eine Menge Bücher und versucht, Gedichte zu schreiben. Er schickt sich auch an, eine Erzählung in einer dicken Kladde zu schreiben, aber der Klassenlehrer, >>klasnyj nastawnik«, erwischt ihn dabei und sagt, mit der Kladde wedelnd, >>Goldszmit hat keine Zeit fürs Lernen! Goldszmit will in Blättchen für zwei Kopeken pro Gedicht schreiben!« Die giftigen Worte des Klassenlehrers und das gedankenlose Lachen der Klasse hat er lange mit Bitterkeit im Gedächtnis bewahrt. >>Das erste Mal fühlte ich, daß sie mich erniedrigen, demütigen wollten ... « Er dachte gar nicht daran, mit der Schreiberei Geld zu verdienen, und auch nicht daran, Schriftsteller zu werden. Er schrieb aus dem Bedürfnis der Seele heraus. Er mußte sich immer selbst etwas erzählen,

Über den Jungen auf dem sehr alten Photo

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sich selbst Fragen stellen. Früher machte er das, indem er Bauklötze zusammensetzte, jetzt erzählte er, fragte, indem er Gedichte schrieb, kurze Geschichten. Und in Wahrheit wollte er Arzt werden, wie sein Großvater, der auch Henryk hieß, Arzt aus Hrubiesz6w ... Felek sah er jetzt selten, sie hatten keine Zeit und auch keine gemeinsamen Interessen- er las schöne Bücher und sah sich schon auf der Uni, und Felek konnte gerade so Lesen und war in der Lehre beim Polsterer, trotzdem hielten sie zusammen, mochten sich; jedes Jahr vor Weihnachten kam Felek zusammen mit seinem Vater, sie brachten den Feiertags-Fisch und wünschten ein glückliches Neues Jahr, was Frau Cecylia immer rührte- »siehst du, Söhnchen, sie erinnern sich, obwohl wir jetzt arm sind ... « Henryk war mit Stas befreundet, einem Jungen aus derselben Klasse, ihm ein wenig ähnlich, genauso denkend und gut. Oft malte er sich aus, daß er Mania oder Zosia Kaihorn heiraten würde, er wußte noch nicht genau welche, beide waren nett und klug, also wird er heiraten und sie werden mit den Familien nebeneinander wohnen und arbeiten, er Arzt und Stas Priester, in irgendeinem stillen Städtchen, vielleicht sogar in Hrubiesz6w. So reifte er im Denken und im Fühlen, lernte gut und unterrichtete Jüngere wegen des Verdienstes und kam von einer Klasse in die nächste, in einer gewöhnlichen, nicht allzu schäbigen Penne bis zum Abitur. Er verließ die Schule mit einem Gefühl der Befreiung, er befreite sich geradezu von diesem Alptraum. Unter den Erziehern und Lehrern schätzte und liebte er nur einen- Herrn T adeusz Zdziechowski, einen Lehrer für Geschichte des Altertums - und als er sich nach dem Abitur von ihm verabschiedete, küßte er ihm, wie einem Vater, die Hand. In demselben Jahr, als Henryk anfing, auf der Warschauer Universität Medizin zu studieren, erschien im Druck das erste Mal der Name Janusz Korczak. Dies passierte dank Kraszewski und dem Irrtum des Setzers. In Warschau wurde ein Literaturwettbewerb für junge Leute ausgeschrieben. Henryk schrieb ein Theaterstück. Erbeendete die Reinschrift am letzten Wettbewerbstag. Er sollte die Arbeit in einen großen Umschlag tun und mit einem erfundenen Pseudonym kennzeichnen, damit die Preisrichter nicht wußten , wessen Arbeit sie beurteilen, und erst in einem kleinen versiegelten Umschlag sollte man den wirklichen Namen und die Adresse angeben. Also, Henryk war sehr in Eile, es war zehn Uhr, und nur bis zwölf wurden die Werke für den Wettbewerb noch angenommen, und er hatte auch in dieser Zeit noch Prüfungen, ich weiß nicht welche, vielleicht hat er es auch gesagt, aber ich habe es vergessen, ich erinnere mich nur, daß er sagte: »Ich war sehr in Eile. Im letzten Augenblick fiel mir noch ein, daß ich mir noch kein Pseudonym ausgesucht hatte! Und auf dem Tisch lag

Nachwort für junge Leser

gerade ein Buch von Kraszewski: >Die Geschichte von Janasz Korczak und der schönen Tochter des SchwertfegersKorczak, du beschreibst seltsame und unangebrachte Dinge, du weißt noch nicht, was sich in der schönen Literatur gehört, du ahmst noch ein wenig von diesem und jenem nach, aber du bist begabt, schreibst geschickt, fesselnd und wer weiß, vielleicht wirst du ein guter Schriftsteller werden.>Unser Roman wird keinen Plan haben. Jede Woche wird ein anderer das nächste Kapitel schreiben und er kann schreiben, was er will und wie er will, Hauptsache nicht langweilig. Ich fange an. Am Samstag werden wir uns hier wieder treffen und werden Lose ziehen, wer für die nächste Ausgabe schreiben wird, und so weiter jeden Samstag. Es fing ein Spiel an, wie die Presse in Warschau es nicht gekannt hatte. Jeder der sechs schreibenden Studenten bemühte sich, seine Freunde mit irgendeinem besonderen Einfall zu übertrumpfen und die Situation so zu verstricken, daß der Nachfolger nicht wüßte, wie er da herauskäme. Am Ende wußte keiner mehr, was passierte und wo es hinführen sollte, weder die Leser, noch die Autoren, aber Henryk war nicht mehr dabei. Er verließ die Kompanie, er wollte alleine etwas schaffen. Er träumte von dem ersten eigenen Buch. Er wollte das Leben der Bewohner, aber eigentlich der Kinder der Warschauer Altstadt beschreiben, er verbrachte sehr viel Zeit in diesem Stadtteil, er fürchtete sich nicht, dorthin zu gehen. Ich weiß, ihr werdet euch wundern- was sollte er denn fürchten? Nun ja, die Altstadt, auf den Trümmern und Brandresten des Kriegs aufgebaut, das

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ist jetzt das interessanteste Stadtviertel. Die Touristen, die in die Hauptstadt Polens kommen, eilen vor allem zur Altstadt, Schulgruppen ziehen im Gänsemarsch durch die Straßen der Altstadt, sie halten auf dem Marktplatz und bewundern die Häuser aus früheren Jahrhunderten und die adretten, entzückenden kleinen Höfe und den Barbakan' und die Verteidigungsmauern, die ganze Altstadt, ein herrliches Werk der Baumeister und Architekten. Aber vor achtzig Jahren, als auf dem Zamek, dem Königsschloß, der Generalgouverneur des Zaren herrschte, war die Altstadt der elendste Stadtteil. Unten, wo heute der Weichselstrand verläuft, der beliebteste Ort der Warschauer für Fahrten und Spaziergänge, gab es, soweit das Auge reichte, dreckige Halden und Aufschüttungen, denn hierhin wurde der Müll aus ganz Warschau gefahren und ausgekippt. Über dieser riesigen Müllhalde, in engen und schummrigen Gassen des Arbeiterviertels und der Altstadt, verbargen sich Armut und Verbrechen - die ärmsten Tagelöhner, obdachlose Menschen, gescheiterte Existenzen, aber auch Räuber und Messerstecher. Hier schaute sogar die Polizei nur tagsüber vorbei, nach Sonnenuntergang wagte sich kein Polizist hierhin. Aber Henryk, wie ich gesagt habe, ging dort ungehemmt hin, er hatte sogar Freunde dort. Am Anfang ging er mit Ludwik, auch einem Literaten, aber einem älteren, erfahrenen, oder in Begleitung Feleks, der jetzt in einer Gießerei arbeitete. Später brauchte er keine Führer, er kannte die Altstadt besser als sie. Die Leute haben sich an ihn gewöhnt, manche haben ihn liebgewonnen, niemand würde dem seltsamen Studenten etwas tun, der die Kinder so gern hat und sich um sie kümmert. Und die Kinder, die man zu Hause schlug und hungern ließ, oder die obdachlos und wild waren und vom Betteln in kleinen Gruppen lebten, nachdem sie sich überzeugt haben, daß er ihnen nichts tun würde, daß er helfen und einen Rat geben würde- hingen an ihm, gingen auf die menschliche Wärme ein, auf die unbekannte Güte. »Herr Janusz>Und passiert es manchmal, daß einer von euch sich auflehnt und nicht erlaubt, das man ihm das Geld wegnimmt?>Warum nicht, das passiert. Dann hat er kein zu Hause, muß ins Hotel gehen.>Was heißt das?Das EuropäischeIn den Röhren< hinter dem Ujazdowski Spital, und das dritte >Hinter dem OfenDarf man fragen, worüber der Herr Kapitän die ganze Zeit schreiben? Was ist das?>Na, meine Gertrud.>Vielleicht bin ich zu dumm, so daß man mit mir nicht ernsthaft reden kann, aber ... >Aber ich scherze nicht, seien Sie nicht beleidigt, Herr Walenty ... « >>So viele Male habe ich sie gebeten. Man kann sich mal vergessen und in Anwesenheit der Offiziere >Herr< zu mir sagen, aber ... >Gut, ohne den >HerrnWie Gertrud ihre Kinder lehrtVerstehen tue ich ... Bloß, es ist schade um den Herrn Kapitän.>Haus der Waisen>Kleinen RundschauHaus der Waisen>Unser Heim>Haus der Waisen>Haus der Waisen>Haus der Waisen« gab es das Parlament schon viele Jahre (genauso wie in >>Unser Heim«), die Abgeordneten hatten gelernt, gemeinsam zu arbeiten und sich nicht schlechter als die Erwachsenen zu helfen. Es versteht sich, daß der Doktor sich dafür interessierte, was im Parlament passierte. Er achtete auch auf die Arbeit der Diensthabenden. Die Diensthabenden paßten auf die Ordnung und Sauberkeit in den Schlafsälen, in den Eßsälen, den Klassenräumen, auf den Treppen im ganzen Haus auf, die Diensthabenden waren verantwortlich für die Arbeit in der Küche, der Nähwerkstatt, der Wäscherei - es war notwendig, hier und dort hereinzuschauen, etwas in Erfahrung zu bringen, einen Rat zu geben. Genauso mit der Zeitung, die die Nachrichten darüber, was in der letzten Woche geschehen war, bekanntgab-vielleicht wäre es notwendig, den Redakteuren zu helfen und einen Artikel zu schreiben? Na und das Gericht. Im >>Haus der Waisen« und in >>Unser Heim>i>i