Israel und die Völker im Zwölfprophetenbuch: Eine Untersuchung zu den Büchern Joel, Jona, Micha und Nahum 9783666530746, 3525530749, 9783525530740

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Israel und die Völker im Zwölfprophetenbuch: Eine Untersuchung zu den Büchern Joel, Jona, Micha und Nahum
 9783666530746, 3525530749, 9783525530740

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Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Dietrich-Alex Koch und Matthias K×ckert

Band 210

Vandenhoeck & Ruprecht

Martin Roth

Israel und die V×lker im Zw×lfprophetenbuch Eine Untersuchung zu den BÛchern Joel, Jona, Micha und Nahum

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet Ûber abrufbar. ISBN 3-525-53074-9

’ 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, G×ttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschÛtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÅllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dÛrfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages ×ffentlich zugÅnglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung fÛr Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Gesamtherstellung: Hubert & Co., G×ttingen Gedruckt auf alterungsbestÅndigem Papier.

Vorwort „Israel und die V×lker in der Prophetie“ hieß das Thema, das ich fÛr die Examensarbeit vom PrÛfungsamt der westfÅlischen Kirche zugeschickt bekam. Ich habe mich nach dem Examen weiter mit ihm beschÅftigt, weil ich mich so in religions- und theologiegeschichtliche Fragestellungen vertiefen konnte, die mich schon im Studium nicht losließen. So ist aus dem °ffnen eines Briefumschlages eine Dissertation und schließlich ein Buch geworden. Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2001/02 von der Theologischen FakultÅt der UniversitÅt Basel als Dissertation angenommen. FÛr den Druck wurde sie gekÛrzt und Ûberarbeitet. An erster Stelle gilt mein Dank Prof. Dr. Hans-Peter Mathys, der sich auf mein Thema eingelassen hat und nicht nur die Entstehung der Arbeit und die Drucklegung begleitet hat, sondern auch darÛber hinaus immer ansprechbar war und mich bei verschiedensten Fragen unterstÛtzt hat. Herzlichen Dank auch Prof. Dr. Klaus Seybold fÛr das Zweitgutachten und viele Hinweise, die zur Verbesserung der Arbeit gefÛhrt haben. Auch andere Mitglieder der Theologischen FakultÅt Basel haben mich wÅhrend der Promotionszeit unterstÛtzt und wohlwollend begleitet. Eine besondere Ehre war es fÛr mich, am Dies academicus 2002 den Preis der Theologischen FakultÅt fÛr meine Promotion zu erhalten. Mein Dank geht auch an die Herausgeber der „Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und des Neuen Testaments“, Herrn Prof. Dr. Matthias K×ckert und Herrn Prof. Dr. Dietrich-Alex Koch, die meine Dissertation freundlicherweise in diese Reihe aufgenommen haben. Besonders Prof. Dr. Matthias K×ckert hat mich mit Korrekturen und Hinweisen bei der ºberarbeitung der Arbeit fÛr die Druckfassung unterstÛtzt. Gedruckt werden konnte die Arbeit durch DruckkostenzuschÛssen des Fonds zur F×rderung der Geisteswissenschaften der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft Basel und des Evang.-Reformierten Kirchenrats des Kantons Schaffhausen. Herzlich danken m×chte ich auch denen, die mir beim Korrekturlesen und mit Anregungen geholfen haben: Dr. Christine Ritter, Nicole Schally, Andreas K×hler, Uwe Koß und Dr. Vincenzo Petracca. DarÛber hinaus haben mich wÅhrend der Entstehung der Arbeit gute Freundinnen und Kollegen unterstÛtzt und viel dazu beigetragen, dass ich Ûber die Promotionszeit hinaus in Basel, im Baselbiet und schließlich in Schaffhausen heimisch geworden bin. Auch ihnen an diesem Ort ein herzliches Dankesch×n. Widmen m×chte ich dieses Buch meinen Eltern. Neuhausen am Rheinfall, im November 2004

Martin Roth

Inhalt

1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Religions- und Theologiegeschichte zur Zeit des Zweiten Tempels 2.1 Theokratie und Eschatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Zweiter Tempel in KontinuitÅt zur vorexilischen und exilischen Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Sozialgeschichte der frÛhnachexilischen Zeit als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 PalÅstina unter ptolemÅischer und seleukidischer Herrschaft . . 2.5 Das Milieu der Entstehung der biblischen Literatur . . . . . . . . . . 2.6 Ort der Prophetie in der Zeit des Zweiten Tempels . . . . . . . . . . 2.7 Vergleich theologischer Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8 Thesen zur Religions- und Theologiegeschichte . . . . . . . . . . . . .

12 12 16 19 27 36 40 43 51

3. Der Tag Jhwhs als V×lkergericht – Das Joelbuch . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3.1 Struktur des Joelbuches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3.2 LehrstÛck zur ºberwindung von Notsituationen – Joel 1 f . . . 58 3.3 Systematisierung und Chronologisierung der Zukunft – Joel 3 63 3.4 Textcollage zum Tag Jhwhs – Joel 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3.5 Die Entstehung des Joelbuches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 3.6 VerÅnderungen der V×lkerthematik und ihre Entstehungsmilieus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 4. Hoffnung fÛr die V×lker – Das Jonabuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Leitthema des Jonabuches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Charakterisierung der V×lker im Jonabuch . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Jona – Prophet oder ReprÅsentant Israels? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Der literarische und theologische Hintergrund des Jonabuches 4.5 Die Entstehung des Jonabuches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Jona als Beitrag zur V×lkerthematik des Dodekaprophetons . .

110 110 116 139 150 156 167

5. Hoffnung fÛr die Beterin – Der Michaschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Die Komposition des Michabuches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Komposition von Mi 6 f . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Untersuchung von Mi 7,8–20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

172 172 175 182

8

Inhalt

5.4 5.5 5.6 5.7

Die Entstehung des Michaschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die V×lker im Michabuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Michaschluss und die Entstehung des Dodekaprophetons Die theologische Intention des Michaschlusses . . . . . . . . . . . . . .

206 216 223 228

6. Die Feinde Jhwhs – Die Redaktion des Nahumbuches . . . . . . . . . . . . 6.1 Die Struktur des Buches und Methodik der Untersuchung . . . 6.2 Der Theophaniehymnus Nah 1,2–8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Die Gnadenformel und ihre Rezeption im Dodekapropheton 6.4 ºbergang zum Ålteren Ninive-Material – Nah 1,9–2,1.3 . . . . . . 6.5 Rahmung und Strukturierung des Hauptteils des Nahumbuches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Die Entstehung des Nahumbuches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7 Exkurs: die Feinde Jhwhs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.8 Der Beitrag des Nahumbuches zur V×lkerthematik . . . . . . . . . .

233 235 238 253 258

7. Die V×lkerthematik im Dodekapropheton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Die V×lkerthematik als Teil eines gesellschaftlichen Diskurses 7.2 Grundpositionen im Diskurs Ûber die Zukunft der V×lker . . . 7.3 Charakteristika der in den Texten behandelten V×lkerthematik 7.4 Das Entstehungsmilieu der eschatologischen Prophetie . . . . . . 7.5 Anst×ße zur Diskussion um die Entstehung des Dodekaprophetons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

263 267 276 289 291 291 293 295 295 299

8. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 8.1 Quellen und Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 8.2 SekundÅrliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 9. Bibelstellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314

1. Einleitung An Texten des ersten Teiles des Dodekaprophetons und dessen VerknÛpfung mit dem zweiten wird untersucht, wie in der eschatologischen Prophetie das zukÛnftige VerhÅltnis zwischen den V×lkern und Israel vorgestellt wird. Insbesondere in der Sammlung der zw×lf kleinen Propheten1 stehen unterschiedliche AnkÛndigungen des Schicksals der V×lker nebeneinander: Gerichtsworte gegen ein Volk oder V×lkergruppen, Berichte von der Wendung von Heiden zu Jahwe, Bilder eines universalen Weltgerichts und Heilsworte fÛr Israel, Jerusalem oder eine damit vergleichbare Gr×ße, in denen V×lker eine Rolle spielen. Diese vielfÅltigen Vorstellungen erklÅren sich nicht nur aus verschiedenen zeitgeschichtlichen HintergrÛnden, sondern auch aus konzeptionellen Differenzen und unterschiedlichen geistigen und sozialen Milieus, in denen die Texte entstanden: Zwischen Schreibern oder Gruppen fanden in der Zeit des Zweiten Tempels Diskurse Ûber die Fragen der Gemeinschaft statt.2 Zu diesen Diskursen, die sich auch in den ProphetenbÛchern niedergeschlagen haben, geh×rt unter anderem die V×lkerthematik. Sie spielt eine wichtige Rolle, weil das kleine Juda und die Provinzstadt Jerusalem, stets von V×lkern umgeben, beherrscht und zumeist auch bedroht war. IdentitÅt der Gruppen, die sich als Israel verstehen,3 wird in Abgrenzung zur Umgebung konstruiert. Eine solche IdentitÅtskonstruktion findet auch in den Hoffnungs- und Zukunftsbildern der eschatologischen Prophetie statt. Texte der eschatologischen Prophetie4 und Texte, die sich mit dieser aus-

1 Der Einfachheit halber wird diese Sammlung als Dodekapropheton bezeichnet, ohne dass damit eine Aussage Ûber ihren Charakter gemacht werden soll. 2 Diskurs meint eine „mehrere SÅtze umfassende sprachliche Einheit“, „eine Rede, eine ErzÅhlung, eine Abh. oder einen Argumentationsgang.“ G. FIGAL, Diskurs, 872. Im Zusammenhang dieser Untersuchung bezeichnet Diskurs einen Diskussionsprozess, der sich in verschiedenen Teilen der Gesellschaft Ûber lÅngere Zeit niederschlÅgt und Folgen fÛr die Grundeinstellung eines Einzelnen und sein soziales Verhalten hat. Dabei kennzeichnet es einen Diskurs, dass aus dem Zusammenhang verschiedener Reden etwas Neues entsteht. 3 Israel ist in dieser Arbeit nicht als politische Gr×ße gemeint, sondern als Bezeichnung der Gruppen, der Gesellschaft oder des Volkes, das sich als Israel versteht. 4 Unter eschatologischer Prophetie versteht diese Arbeit Schriftprophetie, in deren Mittelpunkt nicht die Gesellschaftskritik, die ErklÅrung der Katastrophe der Zerst×rung Jerusalems oder die Begleitung des Wiederaufbaus steht. Der Blick der eschatologischen Prophetie richtet sich auf die bisher unerfÛllten Verheißungen der Schriften und entwickelt daraus neue Bilder und Texte.

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Einleitung

einandersetzen, stehen im Mittelpunkt dieser Studie. Im ersten Teil des Dodekaprophetons sind dies das Joelbuch, das Jonabuch, der Schluss des Michabuches und das mit diesem verknÛpfte Nahumbuch. Im Hintergrund der Textauswahl stehen redaktionsgeschichtliche und thematische Vorentscheidungen und ºberlegungen: Die BÛcher Joel, Obadja, Jona, Nahum und Habakuk sind sukzessiv zwei Ålteren Sammlungen von Prophetenschriften (Hosea, Amos, Micha und Zefanja sowie Haggai und Sacharja) hinzugefÛgt worden. Gerade in diesen ErgÅnzungen werden die V×lkerthematik und die Relation Israels zu den V×lkern besonders thematisiert. Zu diesen Fortschreibungen und Leseanleitungen geh×rt auch der Schluss des Michabuches. Die ebenfalls spÅteren Sacharja 9–14 und Maleachi haben dagegen einen eigenen Charakter. Die BÛcher Obadja und Habakuk werden in der Untersuchung nicht eingehend berÛcksichtigt.5 In dieser Arbeit wird einer kleinrÅumigen Betrachtungsweise des Mehrprophetenbuches der Vorzug gegeben. Grund dafÛr ist Skepsis gegenÛber Redaktionsschichten, die das ganze Mehrprophetenbuch umfassen. So zeigen sich zwischen den Fortschreibungen und Leseanleitungen, die um die BÛcher Hosea, Amos und Micha entstanden sind und den zwischen Zefanja und Maleachi ausgespannten FÅden charakteristische Unterschiede.6 Die Untersuchung der Texte erfolgt in der Reihenfolge des hebrÅischen Kanons nach einem ºberblick Ûber die Religions- und Theologiegeschichte des Zweiten Tempels. Dieser fragt anknÛpfend an die Forschungsdiskussion nach politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Ereignissen, die zu gesellschaftlichen Differenzierungen gefÛhrt haben, und nach traditionsgeschichtlichen Str×mungen sowie verschiedenen theologischen Orientierungen. Dabei werden auch Rahmenbedingungen der Entstehung der biblischen Literatur analysiert. Die ºberlegungen zur Religions- und Theologiegeschichte bilden den Boden der weiteren Untersuchung und der Zuordnung von Texten und Konzeptionen zu unterschiedlichen Entstehungsmilieus.7 Zwei Exkurse nehmen neben dem V×lkerthema einen kurzen Querschnitt zu zwei anderen Bereichen vor: Innerhalb der Untersuchung des Joelbuches werden die verschiedenen Konzepte des Tages Jahwes im Dodekapropheton untersucht und im Anschluss an die Nahums die Entwicklung der Rede von den Feinden Jahwes. Beide Querschnitte erm×glichen die Ergebnisse der Untersuchung der V×lkerthematik an anderen Themenkreisen

5 In Obadja haben sich in kleinerem Rahmen Åhnliche Diskurse niedergeschlagen wie im Joelbuch. Vgl. 3.5.3.2 Habakuk hat wiederum dem Nahumbuch vergleichbare Prozesse durchlaufen. 6 Vgl. 3.5.5. 7 Vgl. zur Rede von Milieus H. CAZELLES, Milieux, 286 ff und die methodischen ErwÅgungen zur Frage nach einem Entstehungsmilieu in 3.6.1.

Einleitung

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zu ÛberprÛfen. ºberlegungen zur Methodik und zur weiteren Fragestellung sind in den verschiedenen Kapiteln eingefÛgt. Zum Schluss werden die Ergebnisse zusammengetragen, in den Rahmen der Theologie- und Religionsgeschichte eingeordnet und die BeitrÅge zu dieser skizziert. Damit m×chte diese Untersuchung einen Schritt auf dem Weg zu einer „Topographie der religi×sen OrientierungsrÅume“8 der Zeit des Zweiten Tempels gehen. Die Fragestellung der Arbeit ben×tigt ein breites Textfeld fÛr die Untersuchung. Dabei kommen Texte in den Blick, die jeweils einen eigenen Zugang erfordern, weil sie einen anderen literarischen Charakter haben oder ihre Redaktionsprozesse unterschiedlich vor sich gegangen sind. Aufgrund des breiten Untersuchungsfeldes ist es nicht Ziel der Arbeit eigene literarkritische und redaktionsgeschichtliche Analysen durchzufÛhren. An vielen Stellen werden deswegen bestehende redaktionsgeschichtliche Modelle diskutiert und aufgenommen. An anderen Stellen ist eine eigene Hypothesenbildung erforderlich. Dabei steht vor allem die Frage nach den Folgen fÛr die Interpretation im Vordergrund. Hintergrund dieser Vorgehensweise ist auch eine Skepsis gegenÛber der Beweisbarkeit literarkritischer und redaktionsgeschichtlicher VorgÅnge. Dies darf aber nicht dazu fÛhren, dass diese Fragestellungen ganz aufgegeben werden. Jeder Interpretation eines Textes geht eine Vorstellung seiner Entstehung voraus, wie sich auch bei jeder Interpretation diese Vorstellung weiter entwickelt oder korrigiert. Deshalb muss dieses Modell der Entstehung des Textes offen gelegt und reflektiert werden.

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F. STOLZ, Monotheismus, 189.

2. Religions- und Theologiegeschichte zur Zeit des Zweiten Tempels Der ºberblick beginnt mit einem Gang durch die Forschung, der seinen Ausgangspunkt bei der die Diskussion lange bestimmenden Unterscheidung von Theokratie und Eschatologie nimmt. Danach werden zwei methodische Herangehensweisen der Religionsgeschichte diskutiert: die Annahme einer KontinuitÅt wesentlicher Traditionsstr×me sowie der Ansatzpunkt bei der frÛhnachexilischen Sozialgeschichte. FÛr den gr×ßten Teil der Zeit Jerusalems und der Provinz Yehuds unter achÅmenidischer Vorherrschaft liegen so gut wie keine Informationen vor. Mehr verraten die Quellen Ûber die hellenistische Epoche. Nach der Auswertung der Informationen Ûber die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen VerhÅltnisse dieser Zeit werden die M×glichkeiten der Literaturproduktion im allgemeinen, Modelle der Entstehung der ProphetenbÛcher und der vermutliche Ort der Prophetie in der Zeit des Zweiten Tempels diskutiert. Eine Skizze der Diskurse in der Zeit des Zweiten Tempels Ûber wichtige Fragen der Gemeinschaft und zusammenfassende Thesen zur Religions- und Theologiegeschichte schließen den ºberblick ab.

2.1 Theokratie und Eschatologie Das klassischen Modell, die Theologie- und Religionsgeschichte des Zweiten Tempels zu beschreiben, hat O. Pl×ger mit dem GegenÛber von theokratischem und eschatologischem Israel vorgelegt. Theokratie beschreibt mehr die Denkweise der offiziellen Kreise, die die nachexilische Restauration tragen und weniger die Organisationsform des judÅischen Gemeinwesens.1 Theokratische Gruppen verstanden die Herrschaft Jhwhs als in und um den Tempel herum realisiert und als ErfÛllung der frÛheren Verheißungen. In Opposition dazu erwartete die eschatologisch orientierte Richtung,2

1 Der Begriff drÛckt aus, dass die Priesterschaft das erste Mal in der Geschichte Israels einen eigenstÅndigen Machtfaktor bildet. Vgl. dazu R. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 475 f. 2 Das dieser Arbeit zugrunde liegende VerstÅndnis von Eschatologie orientiert sich an O. Kaiser: Eschatologie meint Aussagen Ûber „ein zukÛnftiges, das Schicksal Israels und damit zugleich der V×lkerwelt entscheidend und endgÛltig verÅnderndes Ereignis oder eine entsprechende Ereignisfolge“. O. KAISER, Gott 1, 231. Eine genauere Differenzierung ist nicht m×g-

Theokratie und Eschatologie

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dass Jhwh entscheidende VerÅnderungen erst noch bewirken wird. Dadurch relativierten diese theologisch die gegenwÅrtigen Strukturen. An die Untersuchung des Danielbuches und die ausgewÅhlter eschatologischer Texte geht O. Pl×ger mit zwei Ausgangsfragen heran: „Wohin seid ihr entschwunden?“ und „Woher seid ihr gekommen?“ Das „wohin“ bezieht sich darauf, dass sich die prophetische Bewegung in nachexilischer Zeit in die AnonymitÅt zurÛckzog und diese Zeit als prophetenlos wahrgenommen wurde. Das „woher“ will den Wurzeln der im I Makk genannten AsidÅer nachgehen. Von ihnen heißt es lediglich, dass sie mutig und gesetzestreu sind (I Makk 2,42). Davor wird von Gesetzestreuen berichtet, die aus religi×sen GrÛnden am Sabbat keinen Widerstand leisteten und deswegen get×tet wurden (I Makk 2,34). Es scheint sich dabei um eine Gruppe zu handeln, die im Konflikt um die Religionspolitik Antiochus IV. auf der antihellenistischen Seite stand, vom aktiven Widerstand aber erst Ûberzeugt werden musste. Dieses anfÅngliche Z×gern, sich am Aufstand zu beteiligen, „und das schnelle Einbiegen auf die Linie abwartender PassivitÅt . . . lÅsst sich angesichts des Glaubensmutes der ‚Frommen‘ nur mit einer grundsÅtzlichen Abkehr von jeder politischen Gebundenheit erklÅren.“3 O. Pl×ger schließt an seine Interpretation von II Makk 2 zwei Postulate an: (1.) Das Verhalten der AsidÅer ist auf eine theologische Grundeinstellung zurÛckzufÛhren. (2.) Diese muss schon in frÛherer Zeit angelegt sein. O. Pl×ger versucht das Auftreten der AsidÅer in der MakkabÅerzeit aus der Religions- und Theologiegeschichte zu erklÅren. Dabei gewichtet er die Rolle des aktuellen Konfliktes um Antiochus IV. gering.4 Die makkabÅischen KÅmpfe f×rderten nur die Zersplitterung der judÅischen Gesellschaft, die schon in verschiedenen theologischen Konzeptionen angelegt war. Die passive, aber nicht weniger glaubenstreue Einstellung des Danielbuches stimmt mit der vom I Makk beschriebenen Haltung der AsidÅer Ûberein. Das Danielbuch weicht jedoch trotz gemeinsamer Wurzeln in Bezug auf das ZeitverstÅndnis und den Auferstehungsglauben charakteristisch von den MakkabÅerbÛchern ab.5 Deswegen hÅlt O. Pl×ger die Hypothese

lich, da Eschatologie aus alttestamentlichen Zukunftshoffnungen hervorgeht und in einem lÅngeren Prozeß unter neuen EinflÛssen sich daraus dann die Apokalyptik entwickelt. Eschatologische Vorstellungen unterscheiden sich von Zukunftshoffnungen, die kein grundlegendes, den Lauf der Geschichte verÅnderndes Eingreifen Jhwhs erwarten. Sie sind (noch) nicht von EnthÛllungen Ûber die eigentliche Endzeit und die darauf folgende Neusch×pfung geprÅgt. Vgl. dazu K. KOCH, Apokalyptik, 192 ff und H. D. PREUSS, Eschatologie, 1109 ff. 3 O. PL°GER, Theokratie, 18. 4 Vgl. O. PL°GER, Theokratie, 18. In der Forschung sind die Rolle Antiochus IV. und die Frage umstritten, ob die Ereignisse im Jahr 167 v.Chr. auf einen innerjÛdischen Reformversuch oder eine UnterdrÛckung des Judentums durch die seleukidische Herrschaft zurÛckgehen. Vgl. dazu O. KEEL, Massnahmen, 94 ff. 5 Vgl. O. PL°GER, Theokratie, 27 f.

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Religions- und Theologiegeschichte

fÛr begrÛndet, dass das Danielbuch von einem Exponenten einer Gruppe verfasst wurde, die mit dem Kreis der AsidÅer in Verbindung stand und deren GlaubensÛberzeugungen ausdrÛckt.6 Auf die dualistisch gestaltete, apokalyptische Form der Eschatologie des Danielbuches laufen aus anonymen Erweiterungen der Ålteren ProphetenbÛcher Linien zu.7 FÛr den Strukturwandel der Eschatologie hin zur Apokalyptik hat nach O. Pl×ger „das SpannungsverhÅltnis von Theokratie und Eschatologie eine besondere Rolle gespielt.“8 Eine Theokratie kann von ihrer Konzeption her nicht mehr ernsthaft mit einer geschichtlichen Eschatologie rechnen. Sie ist auf Konsolidierung der VerhÅltnisse, nicht auf deren VerÅnderung aus. Diesen Konsolidierungselementen stand mit dem Fortwirken der restaurativen Eschatologie ein Element der Unruhe gegenÛber, das die „jeweils gegebene Lage als Provisorium“ wertete, „dessen definitive Beendigung einer kÛnftigen Initiative Jahwes Ûberlassen blieb“.9 Deswegen versuchten Kreise, aus denen z. B. die Priesterschrift hervorgegangen ist, die eschatologische Prophetie in das Fundament der neu entstandenen Gemeinde „einzumauern“10 und die Gemeinde als ErfÛllung prophetischer Verheißungen zu verstehen. Die Bedeutung der eschatologischen Seite der Prophetie wurde damit auf die Vergangenheit beschrÅnkt. Die Sammler des prophetischen Schrifttums standen dagegen nicht mit den fÛhrenden Schichten der Theokratie in Verbindung. O. Pl×ger nennt diese Gruppen „eschatologische Kreise“ und sieht ihre Herkunft in einem FlÛgel der Erneuerungsbestrebungen am ºbergang von exilischer zu nachexilischer Zeit. Sie akzeptierten den Status quo nicht als ErfÛllung der bisherigen prophetischen Verheißungen und erwarteten stattdessen eine umfassendere Wiederherstellung Israels. Dadurch kam es zwangslÅufig zu Spannungen mit der FÛhrung der Theokratie, die sich in der „enteschatologisierten Auffassung des Chronisten“11 niederschlugen. Dieser offiziellen Linie der Theokratie steht der Protest eschatologischer Kreise in den letzten Kapiteln des Sacharjabuches gegenÛber. Die GegensÅtze verschÅrften sich Zug um Zug und fÛhrten zu „konventikelartigen Abgrenzungen“.12 O. Pl×ger versteht die Konflikte in der nachexilischen Zeit aus diesem SpannungsverhÅltnis.13

Vgl. O. PL°GER, Theokratie, 33 f. O. Pl×ger untersucht Jes 24–27; Sach 12–14 und Joel 3–4. 8 O. PL°GER, Theokratie, 132. 9 O. PL°GER, Theokratie, 133. 10 O. PL°GER, Theokratie, 133. 11 O. PL°GER, Theokratie, 135. 12 O. PL°GER, Theokratie, 136. 13 „So mag das letzte Jahrhundert der persischen Herrschaft von dem verborgenen Ringen erfÛllt gewesen sein, ob sich eine Theokratie am eschatologischen Glauben orientieren darf, oh6 7

Theokratie und Eschatologie

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O. Pl×gers Versuch, die nachexilische Zeit als GegenÛber zweier Lager zu beschreiben, wurde in der weiteren Diskussion aufgenommen,14 erweitert und geschichtlich differenziert.15 Kritiker halten das Modell fÛr zu einfach, um verschiedene religionsgeschichtliche und soziale Str×mungen zu unterscheiden. Zudem bleiben wichtige Traditionen wie die deuteronomistische und die weisheitliche unberÛcksichtigt.16 H. Gese weist die These vom Gegensatz der Apokalyptik zur Priesteraristokratie zurÛck und portrÅtiert den Propheten Sacharja als Priester. Apokalyptik ist fÛr ihn kein RandphÅnomen, sondern wird von der Mitte der HebrÅischen Bibel getragen.17 H. Gese verschiebt allerdings die Perspektive. Er untersucht Sach 1–8 und nicht die jÛngeren Teile des Buches. Der Prophet Sacharja selbst ist so schon Apokalyptiker. Dass Sach 1–8 im Zentrum des frÛhnachexilischen Jerusalems entstand, ist keine Frage. FÛr die NachtrÅge ist dies aber zu bezweifeln. J. Hausmann setzt ihre Kritik der GegenÛberstellung von Theokratie und Eschatologie bei der Chronik an. Die Chronik ist keinesfalls frei von eschatologischen ZÛgen. Die Zeit des Zweiten Tempels wird vielmehr in Analogie zur Vergangenheit gestellt. Ein Teil dieser Analogien wie „die erneute Verwirklichung des K×nigtums und die Umsetzung der militÅrischkriegerischen Elemente . . . in konkret erfahrbare Geschehnisse“ steht noch aus.18 Die Chronik gibt sich also mit der gegenwÅrtigen Situation keinesfalls zufrieden. Sie erwartet die endgÛltige Verwirklichung der Herrschaft Jhwhs und ein Israel in Idealgr×ße. Theokratie und Eschatologie werden nicht gegeneinander ausgespielt, die Chronik vollzieht eher eine Synthese beider Gr×ßen. „Der Inhalt der Eschatologie geht nicht in der Erwartung der Theokratie auf, sondern Ûber sie hinaus, wie vor allem die auch im Restgedanken sich ausdrÛckende Hoffnung auf erneute politische SelbstÅndigkeit zeigt, die als solche nicht konstitutiv fÛr die Theokratie ist, ihr sich aber zuordnen lÅsst.“19 GrundsÅtzlich ist die Frage, ob theokratische Strukturen unter einer Fremdherrschaft voll durchzufÛhren sind, weil Theokratie zur politischen SelbstÅndigkeit tendiert. Auf der anderen Seite sind auch in der prophetischen Literatur theokratische Tendenzen zu finden (z. B. Sach ne sich selbst aufzugeben, oder ob ein Leben in statu promissionis schließlich zur Aufl×sung einer Theokratie fÛhren muss.“ O. PL°GER, Theokratie, 140. 14 Vgl. D. L. PETERSEN, Prophecy und P. D. HANSON, Dawn. 15 Vgl. O. H. STECK, Str×mungen. 16 Vgl. F. CRºSEMANN, Israel, 212 und R. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 462. 17 „Bei einem Propheten, der sowohl die engsten Beziehungen zum Priestertum als auch zur Weisheit hat, gleichsam im Zentrum der alttestamentlichen Traditionsbildung, taucht die Apokalyptik auf.“ H. GESE, Anfang, 221. In Åhnliche Richtung geht S. L. COOK, Prophecy, 212 ff. Er bestimmt Ez 38 f; Sach 1–8 und Joel als protoapokalyptische Texte und weist sie Priestern zu, die zum inneren Kreis des Jerusalemer Tempels geh×ren. Apokalyptik kann demnach auch im Zentrum einer Gesellschaft entstehen. 18 J. HAUSMANN, Rest, 227. 19 J. HAUSMANN, Rest, 229.

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Religions- und Theologiegeschichte

9–11). Deswegen sind beide Vorstellungsbereiche nicht isoliert voneinander zu sehen. Ein bipolares Schema entspricht weder dem komplexen Verlauf der Theologie- und Religionsgeschichte Israels, noch berÛcksichtigt es ausreichend soziale, politische und wirtschaftliche Faktoren. Die theologischen Konzeptionen der meisten biblischen BÛcher speisen sich zudem nicht nur aus einer Str×mung. Die Apokalyptik weist sowohl eschatologische als auch theokratische Elemente auf, genau wie die unter dem Schlagwort Theokratie zusammengefassten Schriften auch eschatologische Gedanken und Elemente enthalten. Die Auseinandersetzung der nachexilischen Gesellschaft wurde oft zwischen zwei Positionen gefÛhrt. Allerdings wechselten beide Seiten: Diskussionen um das SelbstverstÅndnis fanden nicht nur zwischen eher theokratisch und eher eschatologisch orientierten Positionen statt, sondern auch zwischen einer partikularistischen Sicht der Religion und einer universalistischen, einer Aufgeschlossenheit fÛr die hellenistische Welt und einer Abgrenzung. Genauso standen sich Ober- und Unterschicht gegenÛber wie Priester und Laien innerhalb der Oberschicht und Leviten und Zadokiden innerhalb der Priesterschaft. Deshalb erfassen die beiden Pole Theokratie und Eschatologie nur eine von mehreren Seiten der nachexilischen Religionsgeschichte. FÛr ein genaueres Bild mÛssen die Querverbindungen zwischen den Positionen und ihre verschiedenen Vertreter stÅrker analysiert werden sowie weitere Pole und Gruppen untersucht werden.

2.2 Zweiter Tempel in KontinuitÅt zur vorexilischen und exilischen Zeit Eine andere M×glichkeit der Religionsgeschichte ist der Ausgangspunkt von theologischen Str×mungen der vorexilischen Zeit und das Postulat ihrer KontinuitÅt bis in die Zeit des Zweiten Tempels. O. H. Steck fragt nach Str×mungen, die eine „eigengeprÅgte, konturierte Konzeption von ErfahrungsbewÅltigung“20 aufweisen und sich an einer spezifischen Verwendung von Sprache, Gattungen sowie leitenden Vorstellungen und Denkbewegungen festmachen lassen.21 Diese langfristigen Bewegungen bedÛrfen einer mit ihr verbundenen Institution bzw. einer festen StÅtte der Zusammenkunft. Seit Beginn der K×nigszeit rechnet O. H. Steck mit einer im Bildungswesen verankerten Weisheitstradition sowie einer Kulttradition am Jerusalemer Tempel. Am Ende der staatlichen Zeit kam die deuteronomisch/deuteronomistische Bewegung hinzu, hinter der Leviten und ihre 20 21

O. H. STECK, Str×mungen, 40. Vgl. O. H. STECK, Str×mungen, 30 f.

Zweiter Tempel in KontinuitÅt

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Predigtpraxis standen, sowie die durch Impulse der Propheten Amos, Jesaja und Micha initiierte schriftprophetische Tradition.22 Diese Str×mungen erhielten sich durch die Exilszeit in Modifikationen und unter wechselseitigem Austausch. Aus dem jeweiligen Blickwinkel wurde in der nachexilischen Zeit die Auseinandersetzung darÛber aufgenommen, ob das Heil mit der RÛckkehr nach Jerusalem schon eingetreten (theokratische Position) oder noch zu erwarten sei (eschatologische Position). Damit nimmt O. H. Steck die Gedankenlinien O. Pl×gers auf und prÅzisiert sie durch die ErklÅrung, dass sich verschiedene Ausformungen theokratischer und eschatologischer Konzepte aus der unterschiedlichen Aufnahme der vier wesentlichen Traditionsstr×me entwickeln. Der theokratischen Position werden neben der Priesterschrift auch die Nehemia-Denkschrift, die Haggai-Redaktion, die Jerusalemer Kulttradition und die Weisheitstradition zugeordnet. Die eschatologische Position wurde nicht nur von der Schriftprophetie vertreten, sondern auch von der deuteronomistischen Str×mung. Hierzu kommen eine theokratische Rezeption der deuteronomistischen GeschichtsÛberlieferung, eine Verbindung zwischen prophetischer Str×mung und Jerusalemer Kulttradition sowie eine °ffnung der Weisheitstradition fÛr die Prophetie. Von dieser Seite wurde dann die Auseinandersetzung mit dem Hellenismus gefÛhrt.23 Kritik an O. H. Stecks Modell kommt von sozialgeschichtlicher Seite. O. H. Steck verzichtet auf die RÛckfrage, welche gesellschaftlichen Gruppen TrÅger der Str×mungen sein k×nnten. Zudem ordnet er z. T. Vertreter alternativer Positionen ein und derselben Gruppe zu.24 Die StÅrke seines Modells liegt in der klaren Definition einer „theologischen Str×mung“ und dem Postulat, dass dazu eine Institution, bzw. ein Versammlungsort geh×rt. Auch wenn es wÛnschenswert ist, eine theologische Str×mung sozialgeschichtlich zu profilieren, muss jede gesellschaftliche Gruppe mit einer Institution verbunden gewesen sein, bevor sie ihre Position niederschreiben konnte und dann Aufnahme in die biblische Literatur fand. Kritischer ist die Frage der Aussagekraft spezifischer Verwendung von Sprache und Gattung zu sehen, die fÛr O. H. Stecks Modell wichtig ist. Methodisch Åhnlich geht P. D. Hanson vor: Aus vier vorexilischen Positionen bilden sich nach der Krise des Exils Transformationen heraus. Am Zion und dem davidischen K×nigtum orientierte Theologen brachten die K×nigstradition neu zur Geltung und eschatologisierten alte mythische Themen. Neben dem Haggai- und Sacharjabuch ordnet P. D. Hanson auch Esra, Nehemia und die Chronik dieser Position zu.25 Die seit der josianischen Reform gestÅrkten zadokidischen Priester versuchten in nachexili22 23 24 25

Vgl. O. H. STECK, Str×mungen, 41 ff. Vgl. O. H. STECK, Str×mungen, 49 ff. Vgl. auch R. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 463. Vgl. P. D. HANSON, Religion, 493 ff.

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scher Zeit mit eigenen Geschichts- und TheologieentwÛrfen ihren Einfluss zu konsolidieren (Sach und Ez 44).26 Beide Gruppen weisen eine konzeptionelle Verwandtschaft auf. Dagegen bestimmten „visionary groups“ ihre Position in Abgrenzung zur zadokidischen Priesterschaft und in der NÅhe zur frÛhen Prophetie (Jes 56–66). Die stÅrkste Polarisierung zwischen „disenfranchised visionaries“ und den „hierocratic leaders“ setzt P. D. Hanson zwischen 520 und 420 v.Chr. an.27 Viertens nennt er die Weisheitstradition.28 WeiterfÛhrend ist die Einordnung der Apokalyptik in dieses Str×mungsschema. Apokalyptik entsteht zunÅchst auf der Basis der Prophetie in den genannten „visionary groups“. Sie kann spÅter aber auch von der zadokidischen Priesterschaft aufgenommen werden.29 Grundbedingung der Entfaltung apokalyptischer Denkmuster ist ein wachsender Pessimismus, „regarding the equacy of historical structures as carriers of the salvation hope“.30 GrundsÅtzlich sind die ZugÅnge O. H. Stecks und P. D. Hansons hinsichtlich der von ihnen postulierten KontinuitÅt der Theologien des Zweiten Tempels zu Ålteren Str×mungen zu hinterfragen. Die Gesellschaft des zweiten Tempels fÛhrte m.E. nicht die des ersten weiter. Das Exil war nicht nur eine Krise der theologischen Str×mungen der K×nigszeit, sondern auch ein Abbruch vieler Traditionen. Insbesondere mit der Zerst×rung des Tempels und der Entfernung des K×nigshauses h×ren die beiden wichtigsten TraditionsstrÅnge der vorexilischen Zeit auf. Sie konnten auch nicht mit dem Wiederaufbau fortgesetzt werden. In nachexilischer Zeit wurde eine mit der Gesellschaft der K×nigszeit wahrscheinlich nicht in direkter Verbindung stehende FÛhrungsschicht in Jerusalem implementiert. Diese hatte auch das BedÛrfnis einer ideologischen Grundlegung ihrer AnsprÛche. Als ErklÅrung dafÛr mÛssen nicht einmal Extrempositionen herangezogen werden.31 Schon allein die Tatsache, dass uns die Str×mungen der exilischen 26

Vgl. P. D. HANSON, Religion, 499 ff. P. D. HANSON, Dawn, 409. 28 Vgl. P. D. HANSON, Religion, 501 ff. 29 Vgl. P. D. HANSON, Dawn, 408 ff. 30 P. D. HANSON, Dawn, 409. 31 N. P. LEMCHE, Testament, 180 ff trennt die Religion der nachexilischen Zeit v×llig von der israelitischen Religion der vorexilischen Zeit. P. R. DAVIES, Israel, 116 sieht die achÅmenidische Provinz Yehud im fÛnften Jahrhundert als neue Gesellschaftskonstruktion ohne IdentitÅt: Die herrschende Klasse fÛhrte gegen die lokalen Gewohnheiten in PalÅstina ihren eigenen eher an der persischen Religion orientierten Kult an einem einzigen Heiligtum ein. Diese Konzentration auf den Tempel in Jerusalem hatte nicht nur ideologische, sondern auch ×konomische und politische GrÛnde. Yehud war eine Provinz, die von den Persern Ûbernommen wurde. Die Bev×lkerung wurde mit Ressourcen ausgestattet, um Tempel und Stadt aufzubauen. Die neue Elite war sich ihrer Fremdheit bewusst, sah aber das Land als ihr eigenes an und forderte deswegen das Land als eigenen Besitz zurÛck. Diese Gesellschaft generierte ihre neue IdentitÅt durch Literatur, d. h. durch die Produktion einer eigenen Geschichte. 27

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und noch stÅrker der vorexilischen Zeit nur durch die Brille der Zeit des Zweiten Tempels vorliegen, sollte zu starker Vorsicht mahnen.

2.3 Sozialgeschichte der frÛhnachexilischen Zeit als Ausgangspunkt Methodisch anders setzen sozialgeschichtlich orientierte Modelle der Theologie- und Religionsgeschichte der nachexilischen Zeit an. Sie versuchen aus den Nachrichten Ûber die Organisationsform der frÛhnachexilischen Gemeinde, Ûber ihre gesellschaftlichen Gruppen oder die Zeit prÅgenden sozialen Konflikte ein Bild zu entwerfen. 2.3.1 BÛrger-Tempel-Gemeinde In achÅmenidischer Zeit entwickelte sich in Jerusalem in Folge von Neuansiedlungen eine Sozialstruktur um den Jerusalemer Tempel, die J. P. Weinberg als BÛrger-Tempel-Gemeinde bezeichnet.32 Diese Form der gemeindlichen Selbstverwaltung lÅsst sich auch in anderen Gegenden des achÅmenidischen Reiches nachweisen. Aus der Verbindung von Tempelpersonal und freien, landbesitzenden Einwohnern entstand eine autonome und sozial privilegierte Gemeinde. Ihre Sozialstruktur hob sich demographisch und territorial von der Provinz Yehud ab, die nach J. P. Weinberg bis in die Zeit Nehemias und m×glicherweise noch darÛber hinaus von Samaria aus verwaltet wurde.33 Die Jerusalemer BÛrger-Tempel-Gemeinde entstand in einem lÅngeren Prozess, an dem die achÅmenidische Oberherrschaft, rÛckkehrende Teile der Exulanten aus Mesopotamien und ein Teil der im babylonischen Juda Verbliebenen beteiligt waren. Die achÅmenidische Verwaltung erm×glichte zur Sicherung des palÅstinischen Gebietes gegen Ågyptische Bedrohungen eine RÛcksiedlung nach Jerusalem. Das Zentrum wurde wieder so attraktiv, dass auch Siedler aus dem Norden neben weiteren ehemaligen Exulanten freiwillig zuwanderten.34 Die um Tempelbau und Wiederbesiedlung der Stadt entstehende Gemeinschaft verwaltete sich trotz der administrativen AbhÅngigkeit von Samaria auch teilweise selber. StÅrkere Eigen-

32 Vgl. dazu z. B. J. P. WEINBERG, Chronist, 117 f. Das Modell der BÛrger-Tempel-Gemeinde hat J. P. Weinberg zunÅchst in mir sprachlich unzugÅnglichen AufsÅtzen dargelegt. Mit verschiedenen weiteren Untersuchungen versucht er diese Hypothese zu stÛtzen. J. P. WEINBERG, Notizen; J. P. WEINBERG, Beit und J. P. WEINBERG, AgrarverhÅltnisse. Vgl. dazu auch J. BLENKINSOPP, Temple. In einer Untersuchung zur Mitwelt des Chronisten ist das Modell noch einmal ausgefÛhrt und in Beziehung zur neueren Forschungsdiskussion gesetzt. Vgl. J. P. WEINBERG, Chronist. 33 Vgl. J. P. WEINBERG, Chronist, 87 ff. 34 Vgl. J. P. WEINBERG, Chronist, 55 ff.

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stÅndigkeit scheint Jerusalem in der Mitte des 5. Jh. bekommen zu haben.35 Sozial organisiert war die BÛrger-Tempel-Gemeinde in agnatischen VerbÅnden, d. h. gr×ßeren Familienclans, die jeweils eigenes Land besaßen. Der Tempel selber hatte dagegen kein Land. Das Modell der BÛrger-Tempel-Gemeinde bringt die wichtige Rolle des Laienelements im achÅmenidischen Yehud adÅquat zum Ausdruck. Methodisch ist der Ansatz problematisch, weil J. P. Weinberg aufgrund des fehlenden Materials fÛr die ×konomische Organisation des Tempels und der Provinz Yehud auf Belege anderer Tempel der gleichen Zeit rekurriert. Ob diese Parallelen sich auf Jerusalem Ûbertragen lassen, bleibt offen. Außerdem gesteht J. P. Weinberg dem im Esra- und Nehemiabuch Ûberlieferten Listenmaterial hohe historische PlausibilitÅt zu. So kommt er bei der SchÅtzung der Einwohnerzahl Yehuds auf 220000 bis 250000. Auf archÅologischen Untersuchungen basierende SchÅtzungen rechnen dagegen mit weniger als einem Zehntel dieser Zahlen. C. E. Carter kommt fÛr die frÛhe Perserzeit auf 13350 Einwohner und fÛr die spÅte Perserzeit auf 20650. Nach diesen Berechnungen entfiele auf Jerusalem eine Bev×lkerung von maximal 1500 Einwohnern.36 AusfÛhrlich diskutiert H. G.M. Williamson37 das Modell J. P. Weinbergs und kommt zum Schluss, dass sich die Dichotomie zwischen der Provinzverwaltung in Samaria und der Selbstverwaltung in Jerusalem nicht halten lÅsst. Es gibt keine Anzeichen dafÛr, dass Yehud keine selbstÅndige Provinz war.38 Auch der archÅologische Befund gibt keinen Anhaltspunkt fÛr die Annahme, dass Yehud unter samaritanischer Verwaltung stand. Wenn Yehud Teil der Provinz Samaria war, wÅre anzunehmen, dass sich dies z. B. bei Siegeln, niedergeschlagen hÅtte. Auch die wenigen MÛnzfunde, die der achÅmenidischen Zeit zugeordnet werden k×nnen, zeigen keine Verbindung zu Samaria.39 Außerdem stellt sich die Frage, ob der Tempel Ûberhaupt große gesellschaftliche Bedeutung im achÅmenidischen Yehud hatte. Weder fÛr die ×konomische Organisation in der Exilszeit noch fÛr die der Vgl. J. P. WEINBERG, Chronist, 92 f. Vgl. z. B. C. E. CARTER, Emergence, 195 ff. C. E. Carter versucht in seiner Studie aus unterschiedlichen archÅologischen Funden und Daten ein Bild der Provinz Yehud in achÅmenidischer Zeit zu gewinnen. Dabei diskutiert er Ergebnisse, die die archÅologische Forschung fÛr das politische und wirtschaftliche Leben der Provinz sowie fÛr deren Ausdehnung und Bev×lkerungsgr×ße ergibt. Eine Bev×lkerungsschÅtzung der Provinz nimmt C. E. Carter vor, indem er die Gr×ße der ausgegrabenen Siedlungsgebiete in Relation setzt zur wahrscheinlichen Bev×lkerungsdichte. Von der FlÅche werden zum einen die vermeintlichen Ausmaße des Wirtschafts-, Verwaltungs- und TempelgelÅndes abgezogen, zum anderen wird die FlÅche um einen Korrekturfaktor fÛr nicht einbezogene Siedlungen erweitert. Vgl. auch E. BEN ZVI, Center, 194 f. 37 Auf die Arbeit von H. G.M. WILLIAMSON, Judah baut auch C. E. Carter seine Kritik an J. P. Weinberg auf. Vgl. C. E. CARTER, Emergence, 294 ff. 38 Vgl. H. G.M. WILLIAMSON, Judah, 152. 39 Vgl. den ºberblick Ûber Siegel- und MÛnzfunde bei C. E. CARTER, Emergence, 259 ff. 35 36

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ersten Jahrzehnte unter achÅmenidischer Oberherrschaft scheint das Fehlen eines Tempels ein Problem dargestellt zu haben. Dass Texte von der Rolle des Tempels sprechen, heißt nicht unbedingt, dass diese einflussreiche Gruppen der nachexilischen Gesellschaft reprÅsentieren.40 Entscheidend fÛr die These von der BÛrger-Tempel-Gemeinde ist, ob der Tempel Land besaß und damit die Frage nach seiner wirtschaftlichen Bedeutung.41 Abweichend vom religionsgeschichtlichen Vergleichsmaterial nimmt J. P. Weinberg an, dass das Land in den HÅnden der FamilienverbÅnde lag.42 Dann wÅre die ×konomische Stellung des Tempels in der judÅischen Gesellschaft unbedeutend. Die Bestimmungen fÛr den Unterhalt in Neh 10 zeigen diese geringe Bedeutung des Tempels. Die Bev×lkerung Jerusalems musste dazu verpflichtet werden, den Tempel zu unterstÛtzen.43 Zum von J. P. Weinberg vorgeschlagenen Modell einer Synthese zwischen Priesterschaft und freien BÛrgern in einer Tempel-BÛrger-Gemeinde passt dies nicht. Die Relevanz des Tempels verÅnderte sich im achÅmenidischen Yehud allerdings, wie die wachsende soziale Stellung der Priesterschaft zeigt. Ende des 5. Jh. bis Anfang des 4. Jh. sind Priester die Leiter der Gemeinde, wÅhrend vorher Vertreter der FamilienverbÅnde eine h×here soziale Stellung hatten. Mit dieser Entwicklung wuchs wohl auch die gesellschaftliche Bedeutung des Tempels. 2.3.2 Tora im Mittelpunkt – Ausgangspunkt bei Nehemia Der aus dem Nehemiabuch erkennbaren sozialen und politischen Gestalt Israels ordnet F. CrÛsemann literarische Gr×ßen der Perserzeit zu. Im Hintergrund der in Neh 5 geschilderten sozialen Probleme lassen sich zwei Gruppen erkennen: Auf der einen Seite standen die kleinen, freien Bauern und die Priester. Sie wurden von der achÅmenidischen Regierung und ihrem Statthalter unterstÛtzt. Dem gegenÛber standen die ×rtliche Aristokratie und die h×here Priesterschaft. Daneben muss es eine weitere Gruppe Menschen gegeben haben, die ihr Land verloren haben wie Sklaven und Tagel×hner. In Neh 6 ist mit prophetischen Gestalten von einer vierten Gruppe mit messianischen Hoffnungen die Rede.44 Kleinbauern und Priester scharten sich um die traditionellen Gesetze Israels und bildeten die Mitte der Gesellschaft, wÅhrend eschatologische Kreise an einem Rand der Gesellschaft und aristokratische Kreise am anderen standen. FÛr die genauere Bestimmung des sozialen Hintergrundes der eschatologischen Kreise, insbesondere fÛr eine Verbindung mit der Unterschicht gibt es keine Anzeichen. Die KanoVgl. P. R. BEDFORD, Models, 161 f. Vgl. dazu H. G.M. WILLIAMSON, Judah, 158 f. 42 Vgl. J. P. WEINBERG, Beit, 409; J. P. WEINBERG, AgrarverhÅltnisse, 485 und J. BLENKINSOPP, Temple, 49 f. 43 Mit P. R. BEDFORD, Models, 157 ff. 44 Vgl. dazu F. CRºSEMANN, Israel, 213 f. 40 41

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nisierung des Pentateuchs als Tora ordnet F. CrÛsemann der gesellschaftlichen Mitte zu. Die prophetisch-eschatologischen Texte sowie spÅte Weisheitstexte stammen von den beiden Oppositionen. Der gr×ßte Teil der Weisheit entwickelt eine Ethik an der Tora vorbei und ×ffnet sich gegenÛber Fremden und anderen V×lkern. F. CrÛsemann rÛckt zu Recht die Kanonisierung des Pentateuchs in den Mittelpunkt. Die ºberlieferung der Pentateuchtraditionen reprÅsentiert genauso wie ihre Kanonisierung eine fÛr die Gesellschaft und Theologie weit stÅrker bestimmende Gruppe als theokratisch oder eschatologisch orientierte Positionen. Die Einbeziehung des Pentateuchs in die nachexilische Religions- und Theologiegeschichte sprengt jedes bipolare Modell. Die Endform des Pentateuchs ist ein Kompromiss, der verschuldeten Bauern und der Priesterschaft diente.45 Wenn dieses so genannte Diskurs-Modell46 zur Entstehung des Pentateuchs zutrifft, dann f×rderte die achÅmenidische Politik und das persische Rechtsprinzip, dass sich verschiedene gesellschaftliche Gruppen der achÅmenidischen Provinz Yehud auf ein Gesetz einigten.47 Aus diesem wurde bis zum Ende der achÅmenidischen Zeit der Pentateuch. Zur Innen- und Religionspolitik der AchÅmeniden geh×rte, den beherrschten V×lkern Autonomie zu gewÅhren. „Zu diesem Zweck verlangten die Perser von den einzelnen V×lkerschaften, ihr Gewohnheitsrecht schriftlich einzureichen, um es ihrerseits fÛr das betreffende Gebiet als Reichsrecht zu autorisieren.“48 Nach dem persischen Rechtsprinzip galt erlassenes Recht auf unabsehbare Dauer und so konnte auch im Recht der Provinz Yehud Widersprechendes nur nebeneinander gestellt werden. Konzeptionell verschiedene Positionen des Pentateuchs erklÅrt das Diskurs-Modell demnach entweder mit der Aufnahme Ålterer Stoffe und ihrer Neuinterpretation oder mit dem Kompromisscharakter der Gesetzessammlung. Ein Ausgleich fand vor allem zwischen einer Gruppe in der NÅhe zu deuteronomisch/deuteronomistischer Traditionsbildung49 und einer von priesterlichem Denken beeinflussten Gruppe statt.50

45 „Sicher nicht ohne mancherlei Spannungen, aber eben doch nebeneinander finden sich in ihm Rechte und Gesetze, die ausgesprochen priesterliche Interessen, wie solche, die die der freien Bauernschaft schÛtzen.“ F. CRºSEMANN, Israel, 215. 46 A. KNAUF, Pentateuch, 122. 47 Vgl. dazu F. CRºSEMANN, Pentateuch, 250 ff und E. BLUM, Studien, 339 ff. 48 A. KNAUF, Pentateuch, 122. 49 Vgl. dazu E. BLUM, Studien, 188 ff. 50 Vgl. E. BLUM, Studien, 221 ff. Alternativ lÅsst sich auch von so genannten „persisch-reichskonformen“ Positionen und „davidisch-nationalreligi×sen“ reden. A. KNAUF, Pentateuch, 123. Die soziale Basis der deuteronomisch/deuteronomistischen Kreise ist außerordentlich breit. Von der deuteronomisch/deuteronomistischen ºberlieferung fÛhlten sich in erster Linie die landbesitzenden Bauern angesprochen. Auch Randgruppen wie der „Fremde“, der Levit und Witwen und Waisen werden der FÛrsorge des Einzelnen anbefohlen. Vgl. E. BLUM, Studien, 341 ff.

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Schwieriger als die Bestimmung der gesellschaftlichen Basis der Redaktion und Kanonisierung des Pentateuchs ist der Versuch, die Kreise aufzuspÛren, die hinter der eschatologischen Prophetentradition stehen. Lediglich beim so genannten Tritojesaja ist die Heimat in einer marginalisierten, auch politisch an den Rand gedrÅngten Gruppe erkennbar. Das Stichwort Armut spielt in den ProphetenbÛchern bis auf Amos und Zefanja eine auffallend geringe Rolle. Die Armenfr×mmigkeit des Psalters zeigt dagegen keine der Prophetie entsprechende Zukunftserwartung.51 Dies spricht nicht fÛr eine Verbindung zwischen von der Armenfr×mmigkeit geprÅgten Kreisen und der eschatologischen Prophetie. „Man kommt also derzeit nicht Ûber eine recht vage Beschreibung hinaus: Konventikel, marginalisierte Gruppen, Teile der Unterschicht und der Intellektuellen.“52 Im verÅnderten gesellschaftlichen Klima der mit dem Hellenismus auftretenden neuen GroßmÅchte verÅnderten sich die Bedingungen und die prophetische Eschatologie gelangte „in einem fÛr uns verborgenen Vorgang zu kanonischem Rang, d. h. zur Anerkennung gerade auch durch die fÛhrenden Kreise.“53 Damit nennt F. CrÛsemann einen wichtigen Punkt: Die Kanonisierung der Prophetie und die Aufnahme der eschatologischen BÛcher in den Prophetenkanon lÅsst sich nur als Prozess verstehen, der aus dem gesellschaftlichen Zentrum, bzw. zumindest aus der Mitte der um die Heiligen Schriften bemÛhten Lese- und Schriftkundigen kommt. Auch wenn Teile dieser Prophetie eher in konventikelartigen, marginalisierten Kreisen entstehen, mÛssen die Texte und Gedanken spÅter Ûber diese Kreise hinaus aufgenommen und rezipiert worden sein. Zugleich ist damit auch ein zeitlicher Abstand zwischen der Kanonisierung der Tora und der des Corpus Propheticum gegeben. 2.3.3 Spaltung innerhalb der Aristokratie und pers×nliche Fr×mmigkeit R. Albertz nimmt zwei weitere Differenzierungen vor.54 Parallel zur Annahme einer Spaltung in der Priesterschaft geht er von Unterschieden in der Aristokratie aus: Ein Teil der Oberschicht nÛtzte die sozialen VerÅnderungen im 5. Jh. v.Chr. zum eigenen Vorteil aus. Diesen „unsozialen Teil der Oberschicht“55 identifiziert R. Albertz mit dem Feindbild des Frevlers bei Hiob und im Psalter. Ein anderer stellte sich auf die Seite der gesellschaftlichen Mitte und der israelitischen Tradition und erhebt die SolidaritÅt zur Bekenntnisfrage (Nehemia).56 Kritisch sieht R. Albertz die Zuordnung der

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Vgl. z. B. in Ps 9/10 und Ps 37. F. CRºSEMANN, Israel, 219. F. CRºSEMANN, Israel, 220. Vgl. R. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 461 ff. R. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 544. Vgl. R. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 541 ff.

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Weisheit zur Aristokratie, da er die Weisheitstheologie der Ebene der pers×nlichen Fr×mmigkeit zuordnet und sie deshalb nicht als eigene offizielle theologische Position versteht. Die Aufsplitterung der Jhwh-Religion in konkurrierende Traditionen bzw. Konzeptionen ist Folge des Zusammenbruchs von 587 v.Chr. Im Exil beschÅftigten sich informelle Theologengruppen mit unterschiedlichen theologischen Traditionen mit der Katastrophe57 und entwickelten konkurrierende EntwÛrfe: die deuteronomistische Theologie, die priesterliche Reformtheologie und die exilische Heilsprophetie. Diese Entwicklung setzte in nachexilischer Zeit zwei gegensÅtzliche Bewegungen in Gang: Zum Prozess der Integration geh×rt die Kanonisierung der Tora und die Geschichtsinterpretation der Chronik.58 In einem Prozess der Desintegration wurde die prophetische Tradition zunehmend an den Rand gedrÅngt. „Verbannt in die gesellschaftliche Marginalisierung, stießen diese kleinen prophetischen Gruppen in Studium, Auslegung und Neuinterpretation Ålterer Prophetenschriften zur Konzeption eines eschatologischen, Welt und Gesellschaft umstÛrzenden Handelns Gottes vor.“59 Erst die antihellenistische Front der zweiten HÅlfte des 3. Jh. machte die Aufnahme dieser Prophetie in den Kanon m×glich. Als apokalyptische Widerstandstheologie bekam sie in den Religionskriegen des 2. Jh. noch einmal kurz zentrale ×ffentliche Beachtung. 2.3.4 Konflikte um den Landbesitz Einen anderen Zugang zur Analyse der Gesellschaft der frÛhnachexilischen Zeit wÅhlt P. D. Hanson. Er sieht nach der RÛckkehr eines Teils der babylonischen Gola deren EigentumsansprÛche auf das Land im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Diese Konflikte fÛhrten zu Gruppen, die den vorfindlichen Status erhalten wollten und zu anderen, die an VerÅnderung interessiert waren. Damit wÅre das bipolare Modell O. Pl×gers im Wesentlichen sozialgeschichtlich begrÛndet.60 Texte wie Jer 32 und Lev 25–27 zeigen m×glicherweise eine Strategie der RÛckkehrer aus dem Exil, 57 In vorexilischer Zeit standen sich als kontinuierliche Str×mungen eine offizielle K×nigsund Staatstempel-Theologie und eine prophetische Oppositionstheologie gegenÛber. Am Ende des K×nigtums kam es durch die deuteronomische Theologie zu einem Vermittlungsversuch. 58 R. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 500 versucht dem so genannten Diskurs-Modell der Pentateuchentstehung sozialgeschichtliche Konkretion zu geben und sieht „die antinationalistischen Fraktionen der beiden judÅischen Selbstverwaltungsgremien, des Šltestenrates und des Priesterkollegiums“ am Werk. Die D-Traditionen gingen auf Laientheologen mit NÅhe zur deuteronomistischen Jeremia-Rezeption zurÛck. Dazu geh×rte m×glicherweise die Familie Schafans, des Schreibers Josias, und weitere Nachfahren der Reform-Beamten-Fraktion seiner Zeit. Vgl. R. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 502. Den Schafaniden rÅumt R. Albertz in der Politik Jerusalems einen großen Einfluss ein. Vgl. z. B. R. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 314. 59 R. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 466. 60 Vgl. dazu P. D. HANSON, Dawn.

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sich ihren alten, bzw. den vermeintlichen Familienbesitz zu sichern. Der Tempel entscheidet Ûber die RechtmÅßigkeit von Landbesitz, womit auch die Priesterschaft politisch und ×konomisch entscheidend gestÅrkt wurde. Die Auseinandersetzung um den Landbesitz k×nnte nicht nur in frÛhnachexilischer Zeit eine Rolle gespielt haben, da immer wieder Teile der Diaspora nach Jerusalem zurÛckkehrten. Dabei bietet die Konstruktion, dass Landbesitz nicht an KÅufer außerhalb der Familie verÅußert werden konnte, gesellschaftlichen Sprengstoff. Von zwei Seiten aus wird die Betonung der Landfrage kritisiert: Das Bild einer ehemals armen landlosen Schicht, die wÅhrend des Exils das Land okkupierte und dann spÅter der alten Elite gegenÛberstand, ist falsch. Die Babylonier ließen einen Teil der Elite im Land zurÛck, um es von ihr verwalten zu lassen. Die RÛckkehrer standen dieser neuen Elite gegenÛber und nicht der armen Landbev×lkerung. D. L. Smith ordnet dem Problemkomplex um das Land Stellen in den ProphetenbÛchern zu, die beklagen, dass Fremde Land in Israel besitzen. Diese Fremden k×nnten die neue Elite gewesen sein, die sich wÅhrend des Exils durch Heirat mit anderen Gruppen verband.61 GrundsÅtzlicher ist die zweite Richtung der Kritik:62 Eine gr×ßere Einwanderung, bzw. RÛckkehr ins Land lÅsst sich nur vorstellen, wenn diese Einwanderer neue Siedlungen aufbauten und zusÅtzliche AckerflÅchen erschlossen. Dies entspricht auch dem archÅologischen Befund. Die Anzahl der Fundstellen steigt innerhalb der Perserzeit um 45%, die Bev×lkerung um 55%. Besonders stark ist der Anstieg der Bev×lkerung in den westlichen HÛgeln Yehuds.63 Damit besetzten die RÛckkehrer nicht ihre „alten“ BesitztÛmer, sondern bauten h×chstens neue Siedlungen. Der Streit um den Landbesitz ist deswegen kein herausragendes Thema im nachexilischen Yehud.64 Ein weiteres Argument ist, dass die BÛcher Esra und Nehemia BemÛ61 „The separate religions, social and structural development of the exiles apart from those that stayed behind, was antagonized by the arguments over property and finances, but that such conflicts had many other causes as well.“ D. L. SMITH, Politics, 96. 62 Vgl. E. BEN ZVI, Inclusion. 63 C. E. CARTER, Emergence, 224 ff unterscheidet in einem Grobraster zwischen „western slopes“, „central hills“, „desert fringe“ und „judean desert“, im feineren Raster acht Siedlungsgebiete. Kleine und mittlere Siedlungen wachsen stÅrker als die großen. Aus diesen Zahlen lÅsst sich eher auf ein kontinuierliches Wachstum schließen als auf gezielte Ansiedlungen in bestimmten Regionen. Ein besonderes Wachstum konstatiert C. E. Carter fÛr den sÛdwestlichen Teil der HÛgel. GegenÛber dem durchschnittlichen Anstieg der Siedlungen um 45% sind es hier 167%. Allerdings relativieren sich die Prozentzahlen, wenn man berÛcksichtigt, dass lediglich fÛnf weitere Siedlungsorte entstehen und sich damit ihre Zahl auf acht erh×ht. Vgl. C. E. CARTER, Emergence, 100 ff. 64 „This pattern of settlement is consistent with the idea that they came to Yehud as humanpower for an imperial project of rural development in a quite stategic area. . . . The idea that a struggle for the control or recontrol of the ancestral fields was a dominant feature in the sociopolitical life of Yehud by the end of the sixth century is seriously undermined.“ C. E. CARTER, Emergence, 110.

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hungen der RÛckkehrer zeigen, die Landbewohner zu integrieren. Dies hatte offenbar nach einiger Zeit Erfolg. 2.3.5 Sozialgeschichtliche Untersuchungen frÛhnachexilischer Zeit Das Modell der BÛrger-Tempel-Gemeinde kann kein Ausgangspunkt der ºberlegungen zur Theologie- und Religionsgeschichte der frÛhnachexilischen Zeit sein. Der Tempel bekam erst spÅter seine fÛhrende Rolle in Jerusalem. Im Gegensatz zu anderen Organisationsformen einer Stadt oder einer Provinz spielte in Yehud das Laienelement und die damit verbundenen FamilienverbÅnde eine wichtige Rolle. Dem von den BÛchern Nehemia und Esra gezeichneten Bild entspricht ein Modell, das von einer gesellschaftlichen Mitte und zwei Oppositionen ausgeht. Beobachtungen, die eine Annahme einer Spaltung innerhalb der Priesterschaft und auch innerhalb der Aristokratie nahe legen, sprechen dagegen, dass die wesentlichen Grenzen in Jerusalem zwischen einem theokratischen und einem eschatologischen Israel verliefen. In die ºberlegungen zur Theologie- und Religionsgeschichte sollte die Kanonisierung des Pentateuchs einbezogen werden. Diese lÅsst sich nur als Resultat eines breiten gesellschaftlichen Konsenses verstehen. Außerhalb dieser gesellschaftlichen Mitte standen neben Teilen der Priesterschaft und der h×heren Aristokratie wahrscheinlich Gruppen, die die eschatologische Prophetie tradierten und auslegten sowie Vertreter einer Armenfr×mmigkeit. Beide Gruppen scheinen aber keine engen Verbindungen untereinander gehabt zu haben. Als M×glichkeit muss man zudem damit rechnen, dass theologisch-konzeptionelle Unterschiede nicht nur auf verschiedene Kreise oder Gruppen weisen, sondern sich auch durch den Unterschied zwischen offizieller und privater Fr×mmigkeit erklÅren lassen. Weisheitliche Texte ließen sich dann nicht ohne weiteres einer gesellschaftlichen Gruppe wie der aristokratischen Oberschicht zuschreiben. Weisheitstraditionen k×nnen durchaus neben anderen so genannten offizielleren Formen der Fr×mmigkeit im gleichen Milieu eine Rolle gespielt haben. Die Rede von einem Milieu, in dem biblische Texte entstehen, wird in dieser Studie anderen Begriffen vorgezogen. Ein Milieu ist sowohl durch sozialgeschichtliche Aspekte bestimmt wie durch kulturelle EinflÛsse und theologische Ausgangspunkte. Damit ist der Begriff offener als die gebrÅuchliche Rede von Str×mungen, Bewegungen oder Parteien. Eine Konfrontation zwischen RÛckkehrern aus dem Exil und den in PalÅstina Verbliebenen kann kein Ausgangspunkt sein, von dem aus nach Gruppen oder Kreisen in nachexilischer Zeit gefragt wird. Der Streit um das Land spielte h×chstens eine begrenzte Rolle.

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2.4 PalÅstina unter ptolemÅischer und seleukidischer Herrschaft Das Quellenmaterial bietet fÛr die Religions- und Theologiegeschichte des Zweiten Tempels wÅhrend der hellenistischen Vorherrschaft nur wenige Fenster, durch die etwas Licht auf die VerhÅltnisse in Jerusalem und Juda fÅllt. Dazu geh×ren Informationen Ûber die wirtschaftliche und soziale Lage PalÅstinas, die sich aus den Zenon Papyri erheben lassen, Nachrichten Ûber politische VerhÅltnisse in Jerusalem wÅhrend des FÛnften Syrischen Krieges und Anzeichen fÛr eine Jhwh-treue Gruppe, die sich mit Ereignissen ihrer Zeit im Sacharjabuch auseinandersetzt. Bevor diese Ausblicke zusammengestellt werden, steht zunÅchst die Frage nach der Gewichtung des hellenistischen Einflusses in PalÅstina im Vordergrund. Daraus ergeben sich ºberlegungen zur Beziehung der Diaspora zu Jerusalem. 2.4.1 Hellenistischer Einfluss auf PalÅstina Mit der Eroberung PalÅstinas durch Alexander stand der Vordere Orient einer kulturellen und wirtschaftlichen Welt gegenÛber, die sich von den MÅchten unterscheidet, die davor die Region dominierten. Der Hellenismus im engeren Sinne entfaltete seine Auswirkungen auf PalÅstina erst in der Zeit Alexanders und danach. Der Begriff des Hellenismus impliziert aber weitere VerÅnderungen als diejenigen, die durch die Auseinandersetzung mit der makedonischen Oberherrschaft gegeben sind. So lÅsst sich die Perserzeit mit J. P. Weinberg als „Vorhellenismus im Vorderen Orient“ bezeichnen.65 Der Begriff Hellenismus darf nicht auf griechisch-philosophische EinflÛsse oder eine Umgestaltung des Kultes reduziert werden. „Die Auseinandersetzung mit hellenistischem Gedankengut geht viel tiefer und erfolgt zudem großenteils indirekt durch Anspielung und durch theologische GegenentwÛrfe.“66 Daneben lÅsst sich auch ein hellenistischer Einfluss im engeren Sinn ausmachen. Der politische und geistig-religi×se Einfluss auf Juda und Jerusalem entwickelte sich erst mit der MachtÛbernahme der hellenistischen Herrscher. Er spielt fÛr die Religions- und Theologiegeschichte

65 Vgl. dazu J. P. WEINBERG, AgrarverhÅltnisse. Der Begriff Vorhellenismus steht fÛr zwei Jahrhunderte, in denen sich folgende Vorbedingungen ausbildeten: „Bemerkbarer Aufschwung der Produktion und relative Angleichung des Niveaus der sozial-×konomischen Entwicklung, Ausbreitung der Waren-Geldwirtschaft und aktive Urbanisation, Zusammenschluss der Vertreter des staatlichen Sektors und des gemeindlich-privaten (hauptsÅchlich in den StÅdten) und Ausbildung der BÛrger-Tempel-Gemeinde, gewisse politische Vereinigung im Rahmen des zentralisierten Weltreiches und Verbreitung der selbstverwalteten Partikulargewalten, intensive innernah×stliche Migration und Synthese, Gegen- und Wechselwirkung von Universalismus und Partikularismus, Hervorhebung der menschlichen IndividualitÅt usw.“ J. P. WEINBERG, AgrarverhÅltnisse, 197 f. 66 H. D. BETZ, Hellenismus, 20.

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des Zweiten Tempels eine erhebliche Rolle. Aufgrund der Quellenlage kann es allerdings nie zu einem abgeschlossenen Bild kommen.67 Der stÅrkste Austausch zwischen der Bev×lkerung PalÅstinas und hellenistischer Lebensweise fand Ûber das Milieu der S×ldnerheere und MilitÅrsiedlungen statt. M. Smith zÅhlt zwischen dem Tod Alexanders und der Eroberung PalÅstinas durch die R×mer „at least 200 campaigns fought in or across Palestine“.68 Aufgrund der PrÅsenz des MilitÅrs mit seinen S×ldnertruppen kam es zu Kontakten bis ins letzte Dorf. Die stÅndigen Besatzungen begÛnstigten den Prozess der kulturellen Integration. Die Vorrechte des MilitÅrs werden manchen HebrÅer angezogen und dazu bewogen haben, sich als S×ldner einer MilitÅrkolonie anzuschließen. Die ºbernahme griechischer Namen durch jÛdische Garnisionstruppen zeigt, wie die Hellenisierung in sprachlicher Hinsicht rasch fortschritt.69 Einige dieser S×ldner gaben wahrscheinlich nach ihrer RÛckkehr oder auf einer Pilgerreise die neuen Ideen und Vorstellungen in ihre Heimat weiter. Daneben entstanden Kontakte durch jÛdische Sklaven, Landarbeiter und Handwerker sowie durch die ptolemÅische Verwaltung. Die Zenonbriefe zeigen, dass ptolemÅische Agenten ihren Weg bis ins kleinste Dorf fanden. Am h×chsten waren die Bestrebungen zur Assimilation in der Oberschicht, mit der die ptolemÅische Verwaltung und das MilitÅr in PalÅstina zusammenarbeiteten.70 „Die Aufnahme hellenistischer Zivilisation, ihrer Sprache, ihrer Literatur und ihres Denkens, durch das antike Judentum und seine Auseinandersetzung mit ihr . . . ging durch fast alle Schichten und Gruppen des Volkes hindurch und betraf sowohl den politisch-wirtschaftlichen als auch den geistigreligi×sen Bereich.“71 M. Hengel rechnet nicht mit großen Unterschieden zwischen dem palÅstinischen Mutterland und der Diaspora und bezeichnet das ganze Judentum als „hellenistisches Judentum“.72 Gegen diese EinschÅtzung wendet sich F. Millar. Er zieht verschiedene nichthellenistische Kulte innerhalb hellenisierter StÅdte heran, die scheinbar unbeeinflusst ihre Praktiken bis in die r×mische Zeit beibehielten. Wie stark auch der Jerusalemer Kult seine eigene IdentitÅt bewahrte, macht F. Millar an dem Brief fest, in dem Antiochus III. Jerusalem Rechte und Privilegien fÛr Oberschicht Vgl. M. HENGEL, Juden, 73. M. SMITH, Parties, 64. 69 Vgl. M. HENGEL, Juden, 117. Das Eindringen griechischer Namen ist im ph×nizischen Bereich schon im 3. Jh. v.Chr. festzustellen. FÛr den Rest PalÅstinas lÅsst sich ein gr×ßeres Ausmaß synkretistischer Hellenisierung an der Wende vom 3. zum 2. Jh. v.Chr. voraussetzen. Vgl. M. HENGEL, Juden, 159 f. 70 Die hellenistische Ausrichtung der Tobiaden und ihre Kontakte mit dem ptolemÅischen Hof zeigen, wie stark das hellenistische Gedankengut in der Oberschicht aufgenommen wurde. Vgl. M. HENGEL, Juden, 155 ff. 71 M. HENGEL, Juden, 174. 72 M. HENGEL, Juden, 175. Vgl. dazu auch M. HENGEL, Judentum, 192 ff und 567. 67 68

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und Tempel einrÅumte.73 Auch die nichtgriechische Literaturproduktion (besonders in Qumran) ist fÛr ihn ein Argument dafÛr, dass das palÅstinische Judentum nicht genauso hellenistisch beeinflusst war wie das der Diaspora.74 Die Hellenisierung der Jerusalemer Gemeinschaft und die Existenz einer hellenistischen Partei ist fÛr F. Millar eine neue Phase, die erst nach dem Tod Seleukus IV. (175 v.Chr.) einsetzte.75 Der Versuch, den Tempel und Jerusalem zu hellenisieren, ging von Antiochus IV. aus und nicht von einem Teil der jÛdischen Bev×lkerung.76 F. Millar fasst seine Kritik an M. Hengel mit der Konzentration auf Tempel und Tempelkulte zu eng. Deswegen Åndern seine Beobachtungen nichts an der Basis der Feststellung, dass der Hellenismus schon in ptolemÅischer Zeit zunehmend in allen Bereichen des geistig-religi×sen und besonders des wirtschaftlich-politischen Lebens Bedeutung gewann. Im 3. und am Anfang des 2. Jh. ist zwar noch nicht eine eigentliche hellenistische Partei anzunehmen, jedoch ein GegenÛber zwischen stÅrker assimilierten Schichten, die zu den Gewinnern der VerÅnderung zÅhlten, und fÛr das Neue weniger offenen Schichten. Beide Seiten sind nicht mit Oberschicht und Unterschicht identisch, da Gruppen aus der Unterschicht Ûber die S×ldnerheere durchaus einen Zugang zur hellenisierten Welt bekommen konnten und Teile der Oberschicht Privilegien und Einfluss verloren, wenn sie sich nicht der neuen politisch-wirtschaftlichen AtmosphÅre anpassten. 2.4.2 Die Beziehung der Diaspora zu Jerusalem Die Hellenisierung PalÅstinas war ein Prozess, der die Gruppen der Gesellschaft verÅnderte. Dabei ist der Diaspora und ihrem Einfluss auf Juda und Jerusalem von der bisherigen Forschung zu wenig Beachtung geschenkt worden. Durch Migrationsbewegungen der hellenistischen Zeit siedelten sich JudÅer in verschiedensten Gebieten an, Jerusalem blieb aber dennoch

73 „The proclamation of Antiochus III had explicitly recognised both the distinctive sociopolitical status and the distinctive observances of the Jewish people.“ F. MILLAR, Background, 12. 74 Vgl. F. MILLAR, Background, 9. 75 Vgl. F. MILLAR, Background, 20. 76 Dagegen zeigt wiederum O. Keel, dass es vor 175 v.Chr. eine hellenistische Reformpartei gab. Allerdings weist O. Keel auch darauf hin, dass die Initiative der von Antiochus IV. eingeleiteten Maßnahmen nicht von dieser ausging. Vgl. O. KEEL, Massnahmen, 96 ff. Aus seleukidischer Sicht sind die Ereignisse „als Strafe fÛr eine erfolgte Rebellion oder als PrÅvention einer drohenden zu sehen“. O. KEEL, Massnahmen, 98. „Mit dem Zwang, Schweine zu opfern und Schweinefleisch zu essen, m×gen Antiochus und sein Beauftragter ein doppeltes Ziel verfolgt haben. Einerseits wollten sie die Juden Jerusalems mit dieser verhassten Praxis bestrafen, andererseits wollten sie die fÛr die aufgeklÅrte Judaismusbetrachtung des Hellenismus . . . sekundÅre . . . Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Tieren, fÛr die das Schwein als pars pro toto stand, rÛckgÅngig machen.“ O. KEEL, Massnahmen, 113.

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fÛr viele kulturelles und religi×ses Zentrum und scheint auch politischen Einfluss auf Teile der Diaspora gehabt zu haben. JÛdische Literatur der hellenistischen Diaspora zeigt die Faszination, die Stadt und Tempel auch fern von Jerusalem ausl×sten.77 Der vermutlich zw. 127 und 118 v.Chr. verfasste Aristeasbrief beschreibt z. B. eine (fiktive) Reise nach Jerusalem wÅhrend der Regierungszeit Ptolemaios II. (285–246 v.Chr.). Die Darstellung Jerusalems hat der Autor des Briefes vermutlich Ålteren Quellen entnommen. Ihre Beschreibungen drÛcken den Stellenwert der Stadt in der Diaspora aus.78 Stadt und Tempel zogen offenbar auch Pilger aus verschiedenen Gegenden an.79 Dabei spielte nicht nur der Tempel eine Rolle fÛr das Judentum der Diaspora, sondern auch die Existenz einer jÛdischen Stadt Ûberhaupt. Die HochschÅtzung der Stadt in der hellenistischen Tradition trug wohl mit dazu bei, dass hellenistische Juden Jerusalem als ihre Heimatstadt definierten. Die ºberlegungen des Aristeasbriefs zur Heimatliebe sind außerdem ein Ausdruck fÛr die Verbundenheit der in anderen Gebieten lebenden Juden mit PalÅstina. Die Diaspora stand zudem unter der LehrautoritÅt Jerusalems. Im Aristeasbrief ist der Jerusalemer Priester zustÅndig dafÛr, Experten zu schicken, die die ºbersetzung der Bibel erstellen. Offenbar sind andere Schriften vor allem in PalÅstina ins Griechische Ûbersetzt worden.80 Die Diaspora besaß noch keine eigene LehrautoritÅt, sondern lebte aus dem kulturellen Austausch mit Jerusalem und PalÅstina. Als Beleg fÛr einen politischen Einfluss Jerusalems auf die Ågyptische Diaspora lassen sich zwei Briefe werten, die in der MilitÅrkolonie Elephantine gefunden wurden. Sie zeigen, dass Jerusalem Stellung zum dortigen Kult nahm.81 Andere Anzeichen finden sich spÅter in der Darstellung des Josephus: Die hasmonÅische Monarchie hatte Einfluss auf jÛdische S×ldner in Šgypten.82 Deutlich lÅsst sich die Verbindung mit Jerusalem auch an der Institution der Tempelsteuer ablesen. In r×mischer Zeit erlaubte Augustus die Sammlung fÛr den Jerusalemer Tempel explizit. „On the basis of analogy we may suppose that this privilege also found legal expression as early as the Hellenistic period.“83 Philo berichtet vom Transport der Tempelsteuer aus verschiedenen Orten, die jeder mÅnnliche Jude bezahlen musste.84 Der Vgl. dazu H. HEGERMANN, Diaspora, 155. Aristeasbrief 83–120. Vgl. dazu N. MEISNER, Aristeasbrief, bes. 42 f und K. MºLLER, Aristeasbrief, 719 ff. 79 Mit V. TCHERIKOVER, Civilization, 278. 80 Nach M. Hengel lÅsst sich dies an der ºbersetzung des Estherbuches zeigen. Vgl. M. HENGEL, Judentum, 187 f. 81 Vgl. dazu B. PORTEN, Jews, 388. 82 Vgl. dazu V. TCHERIKOVER, Civilization, 283 f. 83 V. TCHERIKOVER, Civilization, 308. 84 Vgl. dazu H. HEGERMANN, Diaspora, 154. 77 78

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Analogieschluss, dass es einen vergleichbaren Transfer schon in der Zeit der Herrschaft der PtolemÅer und Seleukiden gab, wird dadurch gestÛtzt, dass Sammlungen fÛr den Tempel in der Diaspora auch schon bei Nehemia und Esra belegt sind.85 Zwischen der Diaspora und Jerusalem fand ein regelmÅßiger Austausch statt. Die Bedeutung Jerusalems fÛr die in anderen Gebieten lebenden Juden schlÅgt sich wahrscheinlich auch in einem Zustrom von RÛckkehrern und Wallfahrern nach Jerusalem nieder. Dies wird Folgen fÛr Juda selbst gehabt haben. Juden aus anderen Gebieten verÅnderten durch die in der hellenistischen Welt notwendige Assimilation ihre Lebensweise und hatten wahrscheinlich einen wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg hinter sich. Gerade bei der Interpretation von Texten, die zur Beziehung zwischen Israel, Fremden und den V×lkern Stellung nehmen, sollte diese Gruppe im Auge behalten werden. WÅhrend sich ein Jude der Diaspora durchaus als Jude verstand, wurde er wahrscheinlich von einem Jerusalemer eher als Fremder angesehen. 2.4.3 Soziale und wirtschaftliche Lage im Spiegel der Zenon Papyri In einem umfangreichen Papyrusarchiv im nord×stlichen Fayum finden sich unter anderem Briefe und Berichte Ûber eine Reise des Wirtschaftsagenten Zenon durch die ptolemÅische Provinz Syrien und Ph×nizien. Wahrscheinlich signalisiert die Reise Zenons im Jahr 259 v.Chr. den Beginn des Interesses des ptolemÅischen Verwalters an Syrien.86 Die Funde erm×glichen einen Einblick in die VerhÅltnisse PalÅstinas in der Mitte des 3. Jh. FÛr die Analyse der Sozialstrukturen Judas ist vor allem eine Gruppe interessant, die in der lÅndlichen Region einen großen Einfluss hatte. Es handelt sich dabei um well-to-do landowners oder um village strongmen, die abseits der Zentren der ptolemÅischen Verwaltung einen erheblichen Einfluss besaßen und sogar ihre Vorrechte gegenÛber Zenon und seiner Inspektionskarawane durchsetzten.87 Wenn man versucht, diese Gruppe im politischen KrÅftefeld einzuordnen, geh×ren sie eher zur Opposition gegen die PtolemÅer und deren Versuche, das politische und ×konomische Leben in PalÅstina zu kontrollieren. In diesen village strongmen sieht S. Schwartz VorlÅufer der AnfÛhrer der MakkabÅer. Sie geh×rten zur lokalen Oberschicht, waren m×gli85

Vgl. Neh 7,70–72 und Esra 2,68 f. Von 1200 Dokumenten beziehen sich 40 auf PalÅstina und geben einen Einblick in das Wirtschaftsleben. Zenon durchreist mit seinem Stab das ganze Land. Er besuchte Gaza und andere KÛstenstÅdte, Juda und GallilÅa, drang sogar bis nach IdumÅa und in die Ammanitis vor sowie in die Nachbarschaft von Damaskus und an die Grenzen der NabatÅer. Auf seinen Reisen verrichtete er GeschÅfte und verlieh Geld. Der Sklavenhandel nimmt einen wichtigen Platz in seiner Korrespondenz ein. 87 S. SCHWARTZ, Note, 306. 86

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cherweise moderate AnhÅnger des Hellenismus, aber fÛrchteten, dass die Transformation Judas zum Hellenismus dazu fÛhren k×nnte, dass das Land der Stadt unterworfen wurde, was gleichbedeutend mit dem Verlust ihres eigenen Status gewesen wÅre. Diese lokale Oberschicht wollte ihren Einfluss behalten und nach M×glichkeit Ûber den lÅndlichen Raum ausdehnen. Mit der lokalen Oberschicht liegt keine so genannte nachexilische Partei vor, genauso wenig lÅsst sich fÛr die village strongmen ein theologisches Profil erschließen. In der Diskussion um die Religions- und Theologiegeschichte Judas und Jerusalems sollte aber der Umstand berÛcksichtigt werden, dass es neben den FÛhrungsschichten in Jerusalem auch Einflussreiche im lÅndlichen Raum gab, die eigene Interessen verfolgten und in gewisser Distanz zu Jerusalem standen. 2.4.4 Parteien in Jerusalem wÅhrend des FÛnften Syrischen Krieges Nachrichten Ûber zumindest zwei Parteien in Jerusalem gibt es fÛr die Zeit des FÛnften Syrischen Krieges (201–198 v.Chr.). Schon davor scheint sich in Jerusalem eine proseleukidische Gruppe entwickelt zu haben, zu der der Hohepriester Onias II. geh×rte, der im Dritten Syrischen Krieg die Tributzahlungen an Alexandria einstellte. UngefÅhr gleichzeitig erfolgte der Aufstieg der Tobiadenfamilie, die zunÅchst auf der Seite der PtolemÅer stand.88 Im Verlauf des FÛnften Syrischen Krieges zog sich Antiochos III. nach ersten Erfolgen im Herbst 201 v.Chr. wieder aus PalÅstina zurÛck. Dieses Vakuum nutzte der ptolemÅische General Scopas zur RÛckeroberung des sÛdlichen PalÅstinas. Nach dem Bericht des Polybios unterwarf Scopas die jÛdische Bev×lkerung.89 Jerusalem bzw. der Großteil der Bev×lkerung war also zu dieser Zeit proseleukidisch eingestellt. Mit diesen Ereignissen hÅngt eine Notiz in Dan 11,14 zusammen, dass sich viele gegen den K×nig des SÛdens erheben. Unter diesen sind GewalttÅtige aus dem Volk Judas (jsjrp jnbw imy). Offenbar stellte sich eine selbstÅndige Gruppe innerhalb der judÅischen Bev×lkerung auf die Seite der Seleukiden. Dan 11,14 nennt als Grund fÛr den Widerstand gegen den K×nig des SÛdens die ErfÛllung von Weissagungen. Wenn man dem folgt, k×nnte die proseleukidische Partei neben ×konomischen90 und politischen GrÛnden m×glicherweise auch religi×se (messianische?) Erwartungen gehabt haben. Zwei Interpretationen von Dan 11,14 lassen sich denken:91 (1.) Die genannte Gruppe k×nnte aus VorlÅufern

Vgl. dazu H. DONNER, Geschichte, 444. Vgl. dazu M. HENGEL, History, 71. 90 Die politischen Schwierigkeiten der PtolemÅer in Šgypten fÛhrten zu einer Inflation, die auch ×konomisch interessierte Kreise Jerusalems zu einem Seitenwechsel bewogen haben k×nnte. Vgl. dazu M. HENGEL, History, 70. 91 Vgl. dazu V. TCHERIKOVER, Civilization, 77 ff. 88 89

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der hellenistischen Partei bestanden und die seleukidische Seite unterstÛtzt haben. Es gibt aber keinen Anhaltspunkt dafÛr, dass die Seleukiden fÛr eine hellenistische Partei attraktiver waren als die PtolemÅer. (2.) Die Existenz einer messianischen Bewegung ist denkbar, die den RÛckzug von Antiochus III. als Zeichen Gottes interpretierte und politische UnabhÅngigkeit fÛr Jerusalem zu erreichen versuchte. V. Tcherikover hÅlt diese Interpretation wegen des Fehlens einer messianischen Figur fÛr unwahrscheinlich.92 Der Hohepriester kann kein PrÅtendent dieser UnabhÅngigkeitsbestrebung sein, da er spÅter deutlich auf der proseleukidischen Seite steht. Auch aufgrund der Quellenlage bleibt die Existenz einer messianischen Bewegung lediglich eine der denkbaren M×glichkeiten. Bei der zweiten Eroberung Jerusalems durch Antiochus III. konnte dieser nach den Berichten von Josephus und Porphyrius von der UnterstÛtzung der Bev×lkerung profitieren: Jerusalemer Kreise versorgten k×nigliche Truppen und Elefanten und halfen bei der ºbernahme der ptolemÅischen Befestigung. Die UnterstÛtzer der PtolemÅer verließen scheinbar mit diesen die Stadt in Richtung Šgypten. Die Auseinandersetzung zwischen Seleukiden und PtolemÅern fand also auch innerhalb der Stadt ihren Niederschlag.93 Diese politische Polarisierung wird primÅr die Oberschicht betroffen haben. Auf keinen Fall lÅsst sich zwischen proptolemÅischer und proseleukidischer Partei ein Gegensatz zwischen Ober- und Unterschicht ausmachen. In den Berichten des Josephus zeigt sich die Spaltung der Tobiadenfamilie. Josef schickte seinen Sohn Hyrcanus mit Geschenken nach Alexandria, wo dieser die Freundschaft des ptolemÅischen Hauses gewann. Bei der RÛckkehr nach Jerusaelm kam es zu einem Konflikt mit Vater und BrÛdern, woraufhin Hyrkanus die Stadt verließ und von den PtolemÅern die Verwaltung der Ammanitis Ûbertragen bekam. Grundlage des Familienkonfliktes war m×glicherweise eine VerÅnderung der politischen Hierarchie in Jerusalem. Hyrkanus selber blieb bis zu seinem Selbstmord in der Zeit Antiochus IV. AnhÅnger der PtolemÅer.94 Die Bev×lkerung arrangierte sich offenbar mit der seleukidischen Oberherrschaft trotz aller KÅmpfe in PalÅstina gut, auch wenn Jerusalem zum Teil zerst×rt war. Die soziale Situation in der ausgehenden PtolemÅerzeit beschreibt A. Kunz als sehr angespannt. FÛr die Bev×lkerung der hellenistischen StÅdte PalÅstinas war die Zeit eine Epoche des Wohlstands und des wirtschaftlichen Aufschwungs. Auf dem Land ansÅssigen PÅchter drÛckte ein rigides Steuersystem und die Bevormundung sowohl durch stÅdtische Oberschicht als auch durch die Vgl. V. TCHERIKOVER, Civilization, 79. „The century-long struggle between the great powers for Coele-Syria had thus led to a schism within the Palestinian community, a schism which broke out again in the time of Antiochus IV Epiphanes.“ M. HENGEL, History, 71. 94 Vgl. dazu M. HENGEL, History, 69. 92 93

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Vertreter der PtolemÅermacht. Zu den wichtigsten Exportartikeln Syriens und PalÅstinas geh×rten Sklaven. Ehemals Freie gerieten in wirtschaftliche AbhÅngigkeit und wurden dann wegen ihrer Schulden in die Sklaverei verkauft.95 Das Sirachbuch stellt die ×konomischen Notlagen heraus und sieht „die jÛdische Gesellschaft durch die sozialen, die religi×sen und die ethischen GegensÅtze in verschiedene Lager gespalten.“96 Von daher ist erklÅrbar, dass der Zusammenbruch des PtolemÅerreiches von weiten Teilen der Bev×lkerung PalÅstinas begrÛßt wurde.97 Die Ereignisse des FÛnften Syrischen Krieges zeigen, dass Jerusalems Bedeutung wuchs. Davor war die Stadt in militÅrische Auseinandersetzungen nicht involviert. Antiochus III. gab Jerusalem nach dem Krieg dieselben M×glichkeiten wie anderen StÅdten: Er ordnete den Wiederaufbau des Tempels an, unterstÛtzte den tÅglichen Kult, verbot Fremden den Zugang zum Tempel und gab den FÛhrern eine Steuerbefreiung.98 Das traditionelle Gesetz wurde als k×nigliches Gesetz anerkannt.99 Hinter den kultischen Regeln standen wahrscheinlich der Hohepriester Simon und der orthodoxe Teil der Priesterschaft. Die Anordnungen des Seleukiden entsprechen Berichten bei Ben Sira, dass Simon den Tempel reparieren ließ und die Mauern Jerusalems wieder aufbaute. Die neuen Ordnungen mussten aber Jerusalems Bedeutung als Handelsplatz geschwÅcht haben. Die Einfuhr von Vieh, das nicht im Tempel geschlachtet werden sollte, wurde verboten. Es ist anzunehmen, dass den orthodoxen KrÅften hellenisierte Schichten gegenÛberstanden, denen der Handel und die Kontakte mit anderen StÅdten wichtiger waren als orthodoxe Tempelregeln, m×glicherweise eine Wurzel spÅterer Konflikte. Trotz verhÅltnismÅßig weniger Quellen ist deutlich, dass die Oberschicht sich aus politischen und ×konomischen Interessen in proptolemÅische und proseleukidische Teile spaltete. Die konservativ-religi×sen Kreise profitierten von ihrer proseleukidischen Haltung. M×glich ist, dass Dan 11,14 von einem religi×s motivierten Aufstandsversuch gegen die ptolemÅische Herrschaft berichtet. Beiden Oberschichtgruppen stehen weite Teile der sozial schwÅcheren Bev×lkerung gegenÛber, mit denen sich z. B. das Sirachbuch und m×glicherweise auch Teile der prophetischen Schriften solidarisch erklÅren. Vgl. dazu A. KUNZ, Sacharja, 219 ff. A. KUNZ, Sacharja, 227. 97 Allerdings muss man bei der Beurteilung der ×konomischen Lage vorsichtig sein, denn es geh×rt zu einem Topos der alttestamentlichen Sozialgeschichte, die Normalbev×lkerung als unterdrÛckt und ×konomisch ausgebeutet zu verstehen. Viele Historiker stellen fest, dass sich die LebensumstÅnde der Bev×lkerung verschlechtern. Allerdings mÛsste sich diese Situation ja auch zwischenzeitlich wieder erholen, um sich dann erneut zu verschlechtern. 98 In den Anordnungen Antiochus III. sind Mitglieder der Gerousia, Priester, Tempelschreiber und TempelsÅnger genannt. Von Leviten ist nicht die Rede. 99 Vgl. dazu M. HENGEL, History, 72 ff. 95 96

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2.4.5 Opposition Jhwh-treuer Kreise Die Existenz einer weiteren Gruppe versucht A. Kunz mit seiner Analyse von Sach 9 plausibel zu machen. Der Text „lÅsst sich als theologischer Gegenentwurf traditioneller JHWH-treuer Kreise gegenÛber den Gruppen verstehen, die sich unter Einsatz kriegerischer Mittel auf die Seite der Seleukiden stellten und die in den militÅrischen Wirren des FÛnften Syrischen Krieges den Augenblick fÛr eine gewaltsame Befreiung von der ptolemÅischen Fremdmacht fÛr gekommen hielten.“100 Der K×nig in Sach 9,9 f ist als Gegenbild zum seleukidischen Herrscher konzipiert.101 Seine pazifistische Weltherrschaft wird nicht durch militÅrisches Potential, sondern durch Jhwh als Weltenherrscher erm×glicht. Der auf dem Esel reitende Herrscher ist das Gegenbild zum hellenistischen K×nig als siegreichem Pferdereiter. „Es ist naheliegend hinter dem K×nigsbild nach Sach 9,9 f die Denkweise einer JHWH-treuen Gruppe zu sehen, fÛr die die AktivitÅten der proseleukidischen Aufstandspartei schon eine unertrÅgliche Preisgabe des JHWHGlaubens bedeuteten.“102 Die AnkÛndigung der Entwaffnung dieser Gruppe (Sach 9,10aa) zeigt, dass Sach 9 ihre Einstellung zum Krieg nicht teilt.103 WÅhrend der von A. Kunz fÛr Sach 9,1–10 herausgearbeitete historische Ort sowie die theologische Konzeption des Verfassers plausibel ist, ist die Einordnung der mit dem Verfasser verbundenen Gruppe lediglich hypothetisch. A. Kunz ordnet sie „unterprivilegierten Schichten“ zu, „insbesondere der Landbev×lkerung, zu deren Kennzeichen wahrscheinlich eine ausgeprÅgte Armenfr×mmigkeit geh×rte“.104 Hier ist das Spannungspotential vorgezeichnet, das zum Ausbruch des MakkabÅeraufstandes fÛhrt. Dabei leitet A. Kunz von der unterschiedlichen Bewertung der nichtjudÅischen StÅdte in Sach 9 ab, „dass die Scheidung zwischen ‚Gut und B×se‘ keine religi×sen oder ethnischen, sondern handfeste sozial-×konomische Ursachen hatte“.105

A. KUNZ, Sacharja, 232. A. Kunz zeigt, dass die Darstellung von G×ttern und besonders von K×nigen eine Erscheinung der seleukidischen Zeit ist. FÛr die hellenistische Zeit lÅsst sich im syrischen Raum eine Reihe von Reiterg×tterdarstellungen nachweisen. Vgl. A. KUNZ, Sacharja, 236 f. Dagegen sieht E. A. KNAUF, Umwelt, 171 Sach 9,9 f als Kontrast zur Gestalt Alexander des Großen. 102 A. KUNZ, Sacharja, 234. 103 Vgl. A. KUNZ, Sacharja, 233 f. Eine konzeptionell Åhnliche Position hat sich in II Chr 20 niedergeschlagen und m×glicherweise auch in Joel 4,1–3. Der Krieg ist im Bericht der Chronik Ûber eine Auseinandersetzung mit einer transjordanischen Koalition Sache Jhwhs (II Chr 20,15). Die Feinde zerst×ren sich gegenseitig. „Israel only gains the spoils of war and, more importantly, speaks, prays, sings, and plays music (in unison)“. H. P. MATHYS, Chronicles, 294. 104 H. P. MATHYS, Chronicles, 240. 105 Die beiden in der PtolemÅerzeit unterprivilegierten StÅdte Aschdod und Ekron werden in Sach 9,1–10 positiver bewertet als die StÅdte Tyrus, Sidon, Gaza und Aschkelon, die von den 100 101

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Sach 9,11–17 versteht A. Kunz als Zeugnis einer Gruppe Jhwh-Treuer, die einer hellenistischen Reformpartei gegenÛberstehen. Die Jhwh-Treuen verstehen sich selber als Gefangene (9,11 f), bezeichnen sich als S×hne Zions und ihr GegenÛber als S×hne Jawans (9,13). Damit weist der Abschnitt in die Zeit der sich verschÅrfenden Krise zwischen der Jhwh-treuen judÅischen Bev×lkerung und den stÅrker assimilierten Gruppen der Gesellschaft, vor dem eigentlichen Ausbruch des Konfliktes.106

2.5 Das Milieu der Entstehung der biblischen Literatur Bei der Rekonstruktion der sozialen Gruppen, theologischen Themen und politischen Interessen, die zur Entstehung der biblischen Schriften gefÛhrt haben, muss auch berÛcksichtigt werden, wie die Literatur in nachexilischer Zeit entstanden sein k×nnte. 2.5.1 Entstehungsmodelle der ProphetenbÛcher Die Prophetenforschung am Anfang des 20. Jh. sieht den Propheten als geniale Einzelperson, dessen Worte von SchÛlerkreisen gesammelt, aufgeschrieben, erweitert und dann von Redaktoren zu den ProphetenbÛchern zusammengestellt wurden. Die ProphetenbÛcher stehen damit in einer Nachfolge des Propheten. Prophetische Literatur geht aus einem Kreis hervor, der sich um den Propheten oder um seine Worte gebildet hat (vgl. Jes 8,16). Allerdings weist nichts daraufhin, dass die Propheten „eine prophetische Bewegung im Dienst eines sozialen Reformprogramms initiieren wollten oder dass sie Koalitionen mit anderen Reformbewegungen suchten.“ Damit ist auch die „verbreitete Hypothese von prophetischen SchÛlerkreisen als Redaktoren und Editoren der Prophetenworte“ in Frage gestellt.107 Die neuere Forschung geht in fÛnf Richtungen: (1.) ProphetenbÛcher werden als Werke von Autoren verstanden. Ein Autor stellt einzelne Logien und ErzÅhlungen sowie ErgÅnzungen und eigene redaktionelle Texte zu einem Buch zusammen. Vom ursprÛnglichen Ort dieser Texte kann er großen zeitlichen und konzeptionellen Abstand ha-

×konomischen UmstÅnden der Zeit profitiert haben dÛrften. Vgl. A. KUNZ, Sacharja, 240. A. Kunz geht sogar so weit, dass er aufgrund der geographischen Perspektive von Sach 9,1–10 und dem Vergleich mit den Jebusitern Aschdod und Ekron in die Jhwh-Gemeinde integriert sieht. A. KUNZ, Sacharja, 101; 150 f. 106 A. Kunz sieht die Entstehungszeit von Sach 9,11–17 nach 9,1–10, d. h. nach 198 v.Chr. und vor dem Religionsedikt Antiochus III. Vgl. A. KUNZ, Sacharja, 324. 107 E. ZENGER, Einleitung, 297.

Milieu der Entstehung der biblischen Literatur

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ben.108 In die gleiche Richtung geht die Vorstellung, dass das Prophetenbuch gÅnzlich am Schreibtisch eines Schriftgelehrten entsteht.109 (2.) Die BÛcher wachsen unkontrolliert und kleinrÅumig (Schneeballsystem): Um einen Kern sammeln sich weitere, v×llig unterschiedliche Texte, die auf „hundert HÅnde in hundert Jahren“ zurÛckzufÛhren sind.110 (3.) ProphetenbÛcher werden als „literarische Prophetie“111 oder „prophetische Prophetenauslegung“112 verstanden. Es handelt sich um Auslegungsliteratur. Die Verschriftlichung erfolgt, um die bleibende GÛltigkeit der in einem Einzelwort konzentrierten prophetischen Botschaft festzuhalten. Laufend wird aktualisiert und die Prophetenworte den verÅnderten ZeitumstÅnden entsprechend um- und fortgeschrieben. „Hinter dem Wachstumsprozess der ProphetenbÛcher steckt demnach die Vorstellung, dass ein einmal ergangenes Prophetenwort, gerade insofern es auf eine geschichtliche Situation bezogen war, dieser Geschichte so konstitutiv eingebunden bleibt, dass es die Geschichte weiterhin gestaltend und deutend begleiten will – und deshalb aktualisierend fortgeschrieben werden muss.“113 (4.) Prophetische Prophetenauslegung entsteht als Redaktorenliteratur. Die ProphetenbÛcher sind von durchgehenden Redaktionsschichten geprÅgt. Ihre Endgestalt kommt durch Redaktionen zustande, die jeweils die BÛcher als ganze umfassen. Dabei wird vom strukturell und konzeptionell parallelen Aufbau verschiedener ProphetenbÛcher darauf geschlossen, dass diese in vergleichbaren Prozessen entstehen.114 Das Ziel ist die „produktivrezeptive Neugestaltung und Erweiterung der ProphetenbÛcher als BÛcher“.115 (5.) Die BÛcher werden aus einem BedÛrfnis der Gemeinde, wie z. B. der gottesdienstlichen Praxis116 oder aus der Fr×mmigkeit einer bestimmten Gruppe,117 formuliert. In dieser Arbeit werden die ProphetenbÛcher vor allem als Fortschreibung, vorhandener Sammlungen und Textfragmente verstanden.118 Fort108 Vgl. H. SCHULZ, Nahum zum Nahumbuch und Åhnlich auch E. BEN ZVI, Zephaniah zum Zefanjabuch. 109 Diese radikale Position vertritt J. Becker fÛr das Ezechielbuch. Vgl. J. BECKER, ErwÅgungen. 110 So C. LEVIN, Verheißung, 65 zu den jeremianischen Prosareden. Vgl. dazu auch W. MCKANE, Micah, der fÛr das Jeremiabuch die „rolling-corpus-hypothesis“ geprÅgt hat. 111 Vgl. dazu H. UTZSCHNEIDER, KÛnder. 112 O. H. STECK, Prophetenauslegung. 113 E. ZENGER, Einleitung, 297 f. 114 Vgl. dazu vor allem die Arbeiten von O. H. STECK und E. BOSSHARD-NEPUSTIL. 115 O. H. STECK, Prophetenauslegung, 209 f. 116 Vgl. neben H. W. WOLFF, BK XIV/4 vor allem E. GERSTENBERGER, Gemeindebildung. 117 Vgl. C. LEVIN, Worte. 118 Die methodische Vorannahme ist eine Entstehung von Sammlungen um Namen von bekannten Prophetengestalten. Die Existenz der ProphetenbÛcher ist am einfachsten durch die

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Religions- und Theologiegeschichte

schreibung meint schubweise ErgÅnzung vorgegebener ºberlieferungen, bei denen das eigene Profil des ErgÅnzers sichtbar gemacht werden kann. Dies schließt nicht aus, dass Fortschreibungen auch an einzelne Textbl×cke angefÛgt werden und dabei nicht das ganze Buch oder ein noch gr×ßerer Zusammenhang im Blick ist. Offenbar haben sich Tradenten mit manchen BÛchern oder Teilen des Dodekaprophetons besonders beschÅftigt und ihre Konzeption nur darin eingetragen. Solche Fortschreibungen dienen der Aktualisierung, Applikation, Rezeption und Auslegung der fortgeschriebenen Prophetenworte. Aufgrund der Voraussetzungen, die fÛr die Entstehung von Literatur notwendig sind, ist der Schluss berechtigt, dass Fortschreibungen nicht nur aus Privatinteressen Einzelner vorgenommen werden, sondern als Teil eines umfangreichen Literaturprozesses. Am einfachsten lÅsst sich eine umfassende Neukonzeption eines Prophetenbuches als Folge der Abschrift einer aus AltersgrÛnden nicht mehr brauchbaren Schriftrolle erklÅren. Texte k×nnen sich aber auch unsystematisch wie ein Schneeball weiterentwickelt haben. Auch hinter diesen Fortschreibungen ist aber m.E. ein Interesse bzw. ein theologisches Milieu zu postulieren, da sich in der Schriftprophetie die theologischen Diskussionen der Zeit des Zweiten Tempels niederschlagen.119 2.5.2 Schreiber in der Zeit des Zweiten Tempels Bei der Untersuchung der ProphetenbÛcher mÛssen auch die Bedingungen der Literaturenstehung berÛcksichtigt werden, wie die geringe Zahl der ausgebildeten Schreiber in Jerusalem. Buchproduktion kann nur in kleinen, gut ausgebildeten Kreisen verortet werden.120 Dies gilt nicht nur fÛr die Zeit der AchÅmeniden, sondern auch fÛr die ersten Jahrzehnte, die PalÅstina unter ptolemÅischer Verwaltung steht.121 FÛr diese Gruppe oder Gruppen sind die BÛcher geschrieben, deshalb muss ihr Horizont einbezogen werden. Dabei ist zwischen literarischer Bildung zu unterscheiden, die sich ein Schreiber nach einigen Jahren aneignet und einem Umgang mit dem Alphabet, der auch fÛr Handwerker oder Kaufleute notwendig war.122 E. Ben Zvi schließt wegen der geringen Zahl der ausgebildeten Schreiber aus, dass es „jesajanische“, „michanische“ oder „zefanjanische“ Kreise gegeben haben k×nnte. Vielmehr vermutet er, dass die Verschiedenheiten der einzelnen ProphetenbÛcher in Sprache und Stil bewusste literarische Mittel einer kleiAnnahme zu erklÅren, dass es auch Propheten gegeben hat. Allerdings impliziert dies nicht, dass man jeweils vom Prophetenbuch auf den „historischen Propheten“ rÛckschließen kann. 119 Vgl. dazu auch T. KRºGER, Wachstum, 61 f. 120 Vgl. dazu E. BEN ZVI, Twelve. 121 „Prophetic books directly address, and are the product of, a highly educated group.“ E. BEN ZVI, Obadiah, 5. 122 Vgl. dazu M. HARAN, Literacy.

Milieu der Entstehung der biblischen Literatur

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nen Gruppe sind mit dem Ziel, jedem Buch ein eigenes „Flair“ zu geben.123 In einer SchÅtzung geht E. Ben Zvi von Zahlen aus, die fÛr Šgypten im 4. Jh. v.Chr. angenommen werden k×nnen. Hier gehen Untersuchungen von 0,25 oder 0,33 % der Bev×lkerung mit h×herer literarischer Bildung aus.124 „The total number of gifted writers who could have composed the books included in the Hebrew Bible was likely not more than a handful at any point in time in Persian II Jerusalem.“125 StÅrker historisch differenziert C. Schams in ihrer Untersuchung zum Status und der Funktion jÛdischer Schreiber. In achÅmenidischer Zeit waren Schreiber auf allen Ebenen der Administration tÅtig.126 Sie hatten Kenntnisse des nationalen wie des achÅmenidischen Rechts. Eine kleine Gruppe wurde als weise Lehrer und Intellektuelle geschÅtzt. Die TÅtigkeit in der achÅmenidischen Verwaltung in Yehud Ûberschnitt sich wahrscheinlich in mancherlei Hinsicht mit den Schreibaufgaben des Tempels. Hier waren Schreiber fÛr die Verteilung des Zehnten, die Erstellung von genealogischen Listen und das Kopieren von BÛchern zustÅndig, die Lieder, Geschichte oder Gesetze enthielten. Vielleicht brachten sie einem Teil der Priester und Leviten Lesen und Schreiben bei. Außerhalb des Tempels und der Administration gibt es kaum Schreiber. In der breiten Bev×lkerung bestand keine oder nur eine geringe Notwendigkeit, SchriftstÛcke anzufertigen. Eine wesentliche VerÅnderung entstand durch die von PtolemÅus II. (285–246 v.Chr.) initiierten Reformen. Weil die ptolemÅische Verwaltung die BÛrokratie intensivierte, wurde eine gr×ßere Anzahl Dokumente und Aufzeichnungen ben×tigt. Auch auf dem Land entstand eine neue Verwaltungselite, zu der die Schreiber geh×rten.127 Sie wurden zu einem Teil des ×ffentlichen Lebens, mit dem auch der normale BÛrger Kontakt hatte. Aus dem Anstieg des Gebrauchs von schriftlichen Dokumenten folgert C. Schams auch eine Verbilligung des Schreibmaterials, was dazu gefÛhrt haben k×nnte, dass das Schreiben nicht lÅnger eine auch aus finanziellen GrÛnden exklusive BetÅtigung war.128 Mit der hellenistischen Kultur stieg das Interesse an BÛchern, der BeschÅftigung mit den Heiligen Schriften und der Erziehung und dem Studium weiser MÅnner und Lehrer. In ptolemÅischer Zeit arbeiteten Schreiber auch unabhÅngig von Administration und Tempel.129 Aus der Vgl. E. BEN ZVI, Twelve, 154. Vgl. E. BEN ZVI, Center. 125 E. BEN ZVI, Center, 201. 126 Vgl. zum folgenden C. SCHAMS, Scribes, 309 ff. 127 Vgl. C. SCHAMS, Scribes, 291 f und 312 ff. 128 Vgl. C. SCHAMS, Scribes, 293. 129 „It is assumed that the availability of reasonably priced papyrus, the increased use of written documents by common people, and a growing interest in books generally and the sacred scrolls specifically, increased the number of independently working scribes.“ C. SCHAMS, Scribes, 316. 123 124

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wachsenden Zahl der Schreiber ergab sich eine stÅrkere Spezialisierung ihrer Arbeiten. Diejenigen, die sich mit der Produktion und dem Kopieren heiliger Texte befassten, entwickelten sich auch zu AutoritÅten ihrer Auslegung. M×glicherweise kam neben Tempel und Verwaltung der Gerichtsbereich als eigenstÅndiger Ort hinzu, an dem Schreiber ben×tigt wurden.130

2.6 Ort der Prophetie in der Zeit des Zweiten Tempels In der bisherigen Diskussion fehlt die M×glichkeit, die Prophetie einer Institution oder einem gesellschaftlichen Ort zuzuschreiben. Als Heimat der eschatologischen Prophetie werden in der Forschungsdiskussion verschiedene M×glichkeiten genannt. 2.6.1 Eingliederung der Prophetie in den Tempelkult Die wichtigste VerÅnderung der Prophetie nach dem Fall Jerusalems ist nach J. Blenkinsopp ihre erneute Eingliederung in den Kult. Dies zeigt sich an der Dominanz liturgischer Gattungen und kultischer Belange.131 Anzeichen dafÛr findet J. Blenkinsopp auch in der Chronik. Hier wird liturgische Musik als eine Form der Prophetie verstanden, und Leviten werden als Propheten bezeichnet (z. B. II Chr 34,30). „M×glich, aber nicht mehr als das, ist es, dass sie in irgendeiner Weise mit dem Tempel und seinem Personal verbunden waren. Zumindest gibt es keine Anzeichen einer Entfremdung von den Tempelinstitutionen. Es ist auch m×glich, sogar wahrscheinlich, dass prophetische ºberlieferung in Gruppen und Konventikeln . . . geschah. Etwas spÅter . . . wird diese Form der Traditionsbildung in nachweisbaren Gruppen oder Sekten ausdrÛcklich bestÅtigt.“132 Die eschatologische Prophetie schreibt J. Blenkinsopp dagegen einer weiteren Phase der Entwicklung zu. Tradenten sehen die Prophetie als vergangene Gr×ße an und legen sie fÛr die Gegenwart mit ihren Kommentaren neu aus. 2.6.2 Prophetie als Gemeindebildung E. Gerstenberger fokussiert die Verbindung von Prophetie und gottesdienstlicher Praxis.133 ºberlieferte Texte und Traditionen werden nach E. Gerstenberger von der Leitung der Gemeinde aufgenommen, weitergegeben und ausgebildet. „Wie im antiken Gemeinschaftsleben Ûblich, sind

130 131 132 133

Vgl. C. SCHAMS, Scribes, 319. Z. B. in: Hag, Sach, Jes III, Mal, Joel. Vgl. J. BLENKINSOPP, Geschichte, 226 ff. J. BLENKINSOPP, Geschichte, 237 f. Vgl. E. GERSTENBERGER, Gemeindebildung.

Ort der Prophetie

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die Prophetentexte wohl zunÅchst ganz anonym entstanden und erst sekundÅr in namentlich bezeichneten Sammlungen zusammengefasst worden.“134 Den EmpfÅngergemeinden kÅme dann bei der Schaffung der kanonischen Prophetenschriften die entscheidende Rolle zu. Gottesdienstliche Abschnitte wie z. B. Mi 7, Nah 1 oder Jona 2 wÅren demnach Antworten der Gemeinde, die das Prophetenwort im Gottesdienst aufnimmt. „Gemeint ist die Gemeinde, die schon autoritatives Prophetenwort sammelt, im Gottesdienst verwendet und noch genÛgend Freiheit besitzt, die geheiligte Tradition fortzuschreiben.“135 Aufgrund der geringen Informationen Ûber den Kult des Zweiten Tempels oder sonstige Arten von Gemeindeversammlungen kann eine solche Entstehung und Fortschreibung von ProphetenbÛchern nicht ausgeschlossen werden. Allerdings sind die genannten psalmartigen Texte des Dodekaprophetons vor allem Schriftprophetie und Auslegungsliteratur, die die theologischen Inhalte der BÛcher verdichtet. Hinweise auf einen liturgischen Gebrauch gibt es dagegen nicht. 2.6.3 Prophetie als Teil eines politischen Colleges P. R. Davies ordnet die Prophetie einem „college of politics“ zu, einer von fÛnf Unterabteilungen einer am Tempel angesiedelten Schreiberschule, die er in einer „excercise in imagination“ entwirft. Die Aufgaben dieser Schreiberschule war die Erhaltung, Klassifizierung, Kommentierung und Erweiterung der traditionellen Literatur. „In fact, if the latter Prophets have any writing theme, it is what we call ‚eschatology‘. Will Israel finally vanquish the other nations (Ezekiel) or will a golden age superware in which all nations will come to Jerusalem to worship Yahweh (Isaiah)? Are the other nations on a par with us so as to be punished like us (Amos), or so as to be forgiven (Jonah)?“136 M. E. entspricht es nicht dem existentiellen Ernst der prophetischen Texte, die sich mit der Nahrungsmittelversorgung beschÅftigen (z. B. Mi 7,14) oder die Sklaverei thematisieren (z. B. Joel 4,3; 4,4–8), sie als Planspiele einer politischen Schreiberschule zu verstehen. 2.6.4 BeschÅftigung mit der Prophetie in marginalisierten Konventikeln Nach R. Albertz bilden sich in der Unterschicht Zirkel, die sich Traditionen zuwenden, „die ihnen nach dem Versagen der kanonisierten offiziellen Jhwh-Religion in der sozialen Krise noch ein Hoffnungspotential anbot.“137 Ein erster Schritt in diese Richtung ist das Maleachibuch, das zwar noch an die ganze Gemeinde adressiert ist, aber speziell den gesellschaftlichen Ver134 135 136 137

E. GERSTENBERGER, Gemeindebildung, 48 f. E. GERSTENBERGER, Gemeindebildung, 51. P. R. DAVIES, Israel, S. 125. R. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 550.

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Religions- und Theologiegeschichte

lierern mit der Formulierung einer partiellen Heils- und Gerichtsprophetie eine besondere Hoffnungsperspektive anbietet. Aus Sicht verarmender Kleinbauern ist Jes 56,9–57,21 geschrieben. Die GrÛnde fÛr die Verelendung liegen in der harten achÅmenidischen Steuerpolitik. Nur den Opfern dieser Entwicklung gelten die eschatologischen Verheißungen, wÅhrend die Frevler ausgeschlossen werden. Die Oberschicht wird damit zu einem Feind der Gemeinde, die fÛr sich in Anspruch nimmt, das wahre Israel zu sein.138 R. Albertz sieht in Jes 56 f Belege fÛr die Geburt einer Armenfr×mmigkeit, die „zu einem wichtigen Strang der Jhwh-Religion werden sollte. Sie war geboren aus dem Protest der Opfer, . . . sie gab ihnen, den Entrechteten und EntwÛrdigten, eine neue religi×s begrÛndete WÛrde.“139 Neben reichen Frevlern und armen Frommen spielt in Texten der so genannten Unterschichtszirkel eine dritte Gruppe eine Rolle. Hinter dieser sieht R. Albertz den solidarischen Teil der Oberschicht, der der eschatologischen Prophetie reserviert gegenÛberstand.140 Dieser soll durch Jhwh zur richtigen Erkenntnis gefÛhrt werden. Hintergrund der Differenzierung ist ein Streit zwischen den Unterschichtszirkeln und ihren aristokratischen G×nnern Ûber die Auslegung und Bewertung des prophetischen Erbes. Die Fr×mmigkeit der Unterschichtszirkel drÛckt sich in den Armen-Psalmen aus,141 die m×glicherweise in eigenen Gottesdiensten abseits des Tempelkultes gesprochen wurden. Hier hatte auch die kultprophetische Heilsund GerichtsverkÛndigung ihren Ort. „Es handelte sich wohl um reine Wortgottesdienste, die in den HÅusern bzw. VersammlungsstÅtten der religi×sen Unterschichtsgruppen stattgefunden haben.“ In diesem Rahmen entstehen die Erwartungen auf ein großes Gericht Jhwhs, das nicht nur die reichen Frevler einbezieht und den Armen zum Recht verhilft. Der Zusammenhang zwischen eschatologischer Prophetie und einer bestimmten Armenfr×mmigkeit im Psalter ist bisher wenig beachtet worden. Die ErklÅrung fÛr das Entstehen der eschatologischen Gerichtserwartung ist m.E. schlÛssig, allerdings ist die soziale Verankerung des literarischen PhÅnomens der Armenfr×mmigkeit bzw. der auf die Lage der Armen ausgerichteten eschatologischen Prophetie problematisch. Zu erklÅren wÅre nÅmlich, wieso das Stichwort Armut in der spÅten Prophetie selten vorkommt und Psalmen wie Ps 9/10 und 37, in denen die Armenfr×mmigkeit ein wichtiges Thema ist, keine eschatologische Zukunftserwartung haben. Lediglich in Teilen der prophetischen Eschatologie (Jes 24–27; Amos und Zefanja) hat sich die Armenfr×mmigkeit deutlich niedergeschlagen. Zwei weitere GrÛnde sprechen Vgl. dazu Jes 29,17–24. R. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 553. 140 Vgl. R. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 554. 141 Vgl. R. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 569 ff zÅhlt zu solchen Armen-Psalmen Ps 9/10; 12; 14; 35; 69; 70; 75; 82; 109 und 140. 138 139

Vergleich theologischer Positionen

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gegen die These der Verbindung der eschatologischen Prophetie mit marginalisierten Konventikeln: Die eschatologische Prophetie ist als Schriftauslegung und Schriftkommentierung nicht in den Hinterh×fen Jerusalems denkbar, sondern braucht einen Ort, an dem Schriften archiviert, gelesen und geschrieben werden k×nnen. Die Aufnahme in den Kanon setzt zudem eine gesellschaftliche Akzeptanz voraus, die nicht fÛr marginalisierte Konventikel anzunehmen ist.

2.7 Vergleich theologischer Positionen Themenorientierte Analysen versuchen die unterschiedlichen konzeptionellen L×sungen einer Frage oder eines theologischen Problems aufzuspÛren und zu vergleichen. Solche Arbeiten zur Religions- und Theologiegeschichte behandeln die Auseinandersetzungen Ûber den Monotheismus und Ûber das SelbstverstÅndnis Israels. Außerdem ist die Stellung verschiedener Konzeptionen zum Tempel und zum davidischen K×nigtum analysiert worden. 2.7.1 Monotheismus Ein lebendiges Bild der Religionsgeschichte hat M. Smith vorgelegt.142 Seit der K×nigszeit war Israel von den Auseinandersetzungen um die Alleinverehrung Jhwhs geprÅgt. Die Dokumente des Alten Testaments reprÅsentieren eine monolatristische Gruppe. Synkretisten hatten dagegen mehr AnhÅnger im Volk und kontrollierten Regierung und Tempel. Die gebildete FÛhrerschaft der ersten Gruppe wurde zum großen Teil exiliert. Der sich wÅhrend des Exils im Lande erhaltene Jhwh-Kult war in der Hauptsache synkretistisch. Der Großteil der RÛckkehrer aus dem Exil bestand aus Gegnern der im Lande praktizierten synkretistischen Religion. Deswegen ist fÛr M. Smith in der Zeit des Zweiten Tempels dieses GegenÛber entscheidend.143 Am Ende siegte mit Nehemia der monolatristische Kult auf der offiziellen Ebene und mit ihm eine Gruppe aus einigen Priestern, dem Großteil der Leviten und dem Plebs von Jerusalem. Auf der Gegenseite standen die meisten Priester, der Adel und vielleicht auch die judÅische Bauernschaft. Die weisheitlichen Schriften stammen neben den kurzen Geschichten Ruth, Jona, Judith und Tobit vom Adel. Literarisch haben sich die Anschauungen der Gegenseite in levitischen Zusammenstellungen aus altem

142

Vgl. M. SMITH, Judentum, 356 ff. Im Haggai- und Sacharjabuch wie auch in den im Esra- und Nehemiabuch geschilderten Auseinandersetzungen finden sich NiederschlÅge dieses Streites. Vgl. M. SMITH, Judentum, 358 ff. 143

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und neuem Material niedergeschlagen (Chronik, Esra, Nehemia, Psalter).144 Die Armentheologie des Psalters zeigt, dass die schlecht versorgten Leviten sich auf den Plebs stÛtzten. Die WidersprÛchlichkeit der priesterlichen ºberlieferung fÛhrt sich auf die Spaltung innerhalb der Priesterschaft zurÛck und darauf, dass dem Pentateuch beide Seiten zustimmen mussten.145 Der Kompromisscharakter des Pentateuchs machte es sogar den Samaritanern m×glich, die Gesetzessammlung der Tora anzunehmen.146 Die mit dieser Kultvereinigung neu entstehende Machtposition nÛtzte Jerusalem aus, um die antiachÅmenidische Offensive Šgyptens unter Tachos zu unterstÛtzen (360 v.Chr.).147 Nach der Niederlage gegen Artaxerxes III. wurde der große Teil der antiachÅmenidischen Partei exiliert. In dieser Zeit werden nach M. Smith die ProphetenbÛcher herausgegeben. Sie stehen der Koalition Jerusalems mit Šgypten kritisch gegenÛber. M. Smith rÅumt der politischen Auseinandersetzung und ihrem Niederschlag in der Literatur der nachexilischen Zeit einen gr×ßeren Raum ein als andere AnsÅtze. Allerdings sind Anhaltspunkte fÛr die Annahme einer Beteiligung Jerusalems an einer antiachÅmenidischen Bewegung denkbar gering.148 ErwÅgenswert ist die ºberlegung, dass zunÅchst das Ringen um den Pentateuch und die ErzÅhlung der Geschichte im Vordergrund stand und die Herausgabe der Prophetie einen zweiten Schritt darstellte. Beim Pentateuch und den großen GeschichtsÛberlieferungen wie auch bei den Propheten handelt es sich um Literatur und ºberzeugungen der in der Auseinandersetzung um die richtige Religion dominierenden Gruppen. Gr×ßere Offenheit, davon abweichende Meinungen aufzunehmen, zeigen die kleineren Schriften, wie auch das Mehrprophetenbuch. Nicht alle Spannungen in nachexilischer Zeit lassen sich dem Monotheismus-Problem unterordnen, obwohl viele indirekt damit zu tun haben. Deswegen ist dieses bipolare Modell auch eine zu starke Verengung der Perspektive wie das O. Pl×gers. Gerade die Monotheismus-Diskussion zeigt, dass sich in nachexilischer Zeit verschiedene Herangehensweisen an die

Vgl. M. SMITH, Judentum, 365 f. Die Leviten wurden vers×hnt durch die Aufnahme ihres deuteronomischen Gesetzes und die Maßnahmen fÛr Arme. Der Gegenentwurf der Priester lÅndlicher Jhwh-HeiligtÛmer wurde in die Sammlung eingeschlossen. 146 Vgl. M. SMITH, Judentum, 369. 147 Die Quellenlage spricht nicht fÛr eine Beteiligung Israels an diesen Ereignissen. Vgl. dazu H. DONNER, Geschichte, 400. 148 Es ist nicht bekannt, ob die Revolte des K×nigs von Sidon (350/49 v.Chr.) Folgen fÛr Yehud oder Samaria hatte. Vgl. dazu H. DONNER, Geschichte, 434. So geht M. SMITH, Life, 246 auch lediglich von einer Reaktion prophetischer Kreise auf die politische Krise der achÅmenidischen Herrschaft in den Jahren zwischen 366 und 332 v.Chr. aus. 144 145

Vergleich theologischer Positionen

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Gottesfrage finden.149 Ein „rituell-kultischer Orientierungstyp“150 stellt in den Vordergrund, dass nur Israel durch die Offenbarung die Ordnung der Welt erkennen kann.151 Nicht im Kult, sondern im Nachsinnen Ûber die Gebote vergegenwÅrtigt sich der am Gesetzlich-Rituellen orientierte Israelit Gott.152 Aus einer Krisenerfahrung entwickelt die eschatologische Orientierung die Vorstellung, eines v×llig transzendenten Gottes. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Strukturierung der ZwischenrÅume durch „historisch kosmologische Spekulationen“.153 Im weisheitlichen Milieu ist Gott „selbstverstÅndliche Hintergrundsfigur“.154 Im Zentrum stehen ºberlegungen zum Tun-Ergehen-Zusammenhang und zur Theodizee. In nachexilischer Zeit besteht eine „PluralitÅt der Orientierungen und Milieus“.155 Deswegen wird die individuelle Aneignung der religi×sen Orientierung wichtig; kleinere Gruppen oder Zirkel entstehen um die verschiedenen Konzepte. 2.7.2 Das SelbstverstÅndnis Israels Mit einer Studie zum Restgedanken untersucht J. Hausmann die Charakterisierung und das SelbstverstÅndnis der nachexilischen Gemeinde. Damit stellt sie einen Querschnitt der Theologie der Schriften des Zweiten Tempels dar und zeigt, dass eine einfache GegenÛberstellung von religi×sem und politischem SelbstverstÅndnis nicht zutreffend ist. Vertreter unterschiedlicher Konzeptionen verwenden den Restgedanken: Die Vorstellung vom Rest begegnet im Zusammenhang mit der aktualisierend-eschatologischen HeilsverkÛndigung. Dass die Angesprochenen mit dem Rest gleichgesetzt werden, interpretiert ihre gegenwÅrtige schlechte Lage als Folge des Gerichts. Weil sie aber das Gericht als Rest Ûberlebt haben, k×nnen sie Hoffnung auf eine bessere Zukunft haben.156 Eine andere Position will eine Abkapselung und Isolierung der Jerusalemer Kultgemeinde verhindern und beansprucht die Bezeichnung Rest fÛr

149 Idealtypen verschiedener Orientierungskonstellationen in nachexilischer Zeit innerhalb des einen monotheistischen Konzeptes arbeitet F. STOLZ, Monotheismus, 190 ff heraus. 150 F. STOLZ, Monotheismus, 192. 151 Vgl. dazu F. STOLZ, Monotheismus, 190 ff. 152 Vgl. F. STOLZ, Monotheismus, 192 ff. 153 F. STOLZ, Monotheismus, 195. 154 F. STOLZ, Monotheismus, 196. 155 F. STOLZ, Monotheismus, 201. 156 Im Haggaibuch wird der Rest zum TrÅger nationaler Erwartung, die primÅr politisch geprÅgt ist. Sacharja verwendet den Begriff nur fÛr die Jerusalemer Gemeinde, hauptsÅchlich fÛr die Gola. Dieser gilt die Zusage der neuen Zuwendung Jhwhs. Durch die Fertigstellung des Tempels wird der Rest auch zum HeilstrÅger fÛr die V×lker, die zu Tempel wallfahren. StÅrker als im Haggaibuch werden in Sach 1–8 politische Aspekte mit religi×sen verbunden. Das Nehemiabuch qualifiziert die Gola als legitime Nachfolgerin des frÛheren Gesamtisraels.

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einen Kreis, der Ûber die Kultgemeinde hinausgeht. Die Chronik bezeichnet das Nordreich (Samaria) als Rest Israels. M×glicherweise ist dies eine Reaktion auf zunehmende Spannungen zwischen JudÅern und Samaritanern. Samaritaner werden so zur Umkehr aufgefordert und mit JudÅern gleichgestellt. „Der Chronist bringt . . . die Hoffnung auf ein neu erstehendes Gesamtisrael als politischer Gr×ße zum Ausdruck.“157 Damit ist die Rede vom Rest nicht nur politisch orientiert, sondern auch religi×s. Zum Rest geh×rt nur, wer zu Jhwh umkehrt. In andere Richtung ×ffnen das so genannte Tritojesajabuch und Sach 12–14 die Gemeinde durch die Rede vom Rest. Sach 13 f verwendet den Begriff zur „Qualifizierung des endzeitlich apokalyptischen Juda/Jerusalem wie auch der zu Jhwh bekehrten V×lkerwelt.“158 In Jes 66,19 verkÛndigt der Rest den fernen V×lkern die Herrlichkeit Jhwhs. Er holt die Diaspora nach Jerusalem zurÛck und macht Israel wieder vollzÅhlig. In beiden BÛchern tritt das nationale Interesse zurÛck. Damit verbindet sich offenbar eine positivere Sicht der anderen V×lker.159 Das Gesetz160 ist nicht das einzige entscheidende Charakteristikum der Zugeh×rigkeit zu Israel und spielt nicht in allen Schriften eine Rolle. Gesetzestreue entscheidet nicht Ûber Zugeh×rigkeit zum Rest. Der Rest ist offenbar „keine Gr×ße, die aufgrund menschlichen Verhaltens, das konform zum g×ttlichen Gesetz ist, sich als m×glich oder gar zwingend ergibt, sondern die allein eine Gabe JHWHs aus seiner (zu bewahrenden) Gnade heraus sein will.“161 Ob die Schriften Israel als Nation oder Kultgemeinde definieren, ist nicht eindeutig. Trotz unterschiedlicher Ansatzpunkte und Konzeptionen bleiben beide M×glichkeiten. An den Vorstellungen ist auch eine Konvergenz sichtbar. Die Glaubensgemeinde Israel definiert sich nahezu immer auch als Volksgemeinde. „Wo aufgrund Åußerer Gegebenheiten die politischen M×glichkeiten weit zurÛckgedrÅngt sind, dringt das religi×se Element stÅrker in den Vordergrund, was jedoch nicht prinzipiell ausschließt, dass die Zukunftserwartung auch mit politischen Hoffnungen angefÛllt sein kann.“162

J. HAUSMANN, Rest, 22. J. HAUSMANN, Rest, 55. 159 „Erhoffte politische SelbstÅndigkeit und ein Negativbild der anderen V×lker korrespondieren offenbar einander in der nachexilischen Prophetie. Erst da, wo auch die anderen V×lker in ein positives VerhÅltnis zu JHWH gesetzt werden, tritt das Interesse am Dasein Israels als politischer Gr×ße in den Hintergrund.“ J. HAUSMANN, Rest, 242. 160 Besonders in Jes 56,3–7 wird das Halten des Sabbats und das Festhalten am Bund betont. 161 J. HAUSMANN, Rest, 243. Bei Esra und Nehemia bekommt das Gesetz einen die Gemeinschaft konstituierenden Charakter. Die Problematik der Mischehen zeigt aber auch, dass es nicht allein und nicht ausschließlich Ûber die Zugeh×rigkeit zur Gemeinde bestimmt. Auch AbstammungsverhÅltnisse sind von großer Bedeutung. 162 J. HAUSMANN, Rest, 246. 157 158

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2.7.3 Stellung der Prophetie zum Tempelpersonal D. L. Petersen untersucht die Stellung der Prophetie zur Priesterschaft des Zweiten Tempels und kommt zum Ergebnis, dass sich in der prophetischen Literatur mit dem Wiederaufbau des Tempels verbundene Probleme niedergeschlagen haben. Dabei werden verschiedene Konzeptionen sichtbar, die sich nicht allein aus einer VerÅnderung des zeitgeschichtlichen Horizonts erklÅren lassen. Unterschiede gibt es hinsichtlich der Hierarchie der Gruppen am Tempel. WÅhrend in Jer 33,18 die Leviten fÛr den Kult zustÅndig sind, ist in Ez 40–48 die Stellung der zadokidischen Priesterschaft betont. Die Funktion der Leviten wird auf WÅchter- und Hilfsdienste beschrÅnkt.163 Eine Frontstellung zwischen Leviten und einer anderen Priestergruppe ist auch in Maleachi deutlich. GegenÛber Priestern, die Verfehlungen begangen haben, wird die hohe Bedeutung des Hauses Levi herausgestellt (Mal 2,4–9). FÛr andere prophetische BÛcher spielt eine Differenzierung innerhalb der Priesterschaft keine Rolle, wie z. B. in Joel 1 f Die Vorstellung des Tempels als Bethaus (Jes 56,3–8 und 66,1–4) relativiert dagegen die Stellung der Priester. Nicht mehr dem Opferkult kommt fÛr die Verfasser der beiden Kapitel große Bedeutung zu, sondern den Gebeten der Einzelnen.164 DafÛr werden statt Priestern eher TempelsÅnger, Prophetengestalten oder Lehrer ben×tigt, die sich mit dem Wort Jhwhs beschÅftigen. Kontrovers ist auch die Frage der Beteiligung der nachexilischen Gemeinde, bzw. ihrer FÛhrungspers×nlichkeiten am Bau und Betrieb des Tempels.165 Weil die ErfÛllung von Hoffnungen auf eine prachtvolle Ausstattung und die große Bedeutung des Tempels ausbleiben, wird der Tempel zu einem Symbol fÛr das zukÛnftige Handeln Jhwhs.166 Damit verbunden ist aber, wenn auch aus anderen theologischen GrÛnden als in Jes 56,3–8 und 66,1–4 eine Entwertung des gegenwÅrtigen Tempels, bzw. seiner Priesterschaft. Die Priester haben keine Funktion mehr, wenn nicht nur die T×pfe im Tempel, sondern alle T×pfe in Jerusalem heilig sind (Sach 14,21).

163 Vgl. den so genannten „Zadokidenabschnitt“ Ez 44,6 ff und seine „Metastasen“ 40,46b; 43,29a; 48,11abb. Dazu auch W. ZIMMERLI, XIII/2, 1131. 164 Vgl. D. L. PETERSEN, Temple, 137 ff. 165 In Jes 44,28 fÛhrt Jhwh den Wiederaufbau durch seinen Knecht Kyros selbst durch, bei Haggai und in den Visionen des Sacharjabuches arbeitet der Davidide Serubbabel gemeinsam mit dem Hohenpriester Josua am Aufbau des Tempels. In der WortverkÛndigung des Sacharjabuches steht dagegen Serubbabel allein als Wiedererbauer des Tempels im Mittelpunkt. Vgl. Sach 4,6b-10a; 6,12–13. D. L. PETERSEN, Temple, 136 f unterscheidet zw. „visionary“ und „non visionary“ „oracular material“. 166 Joel 4; Mal 3; Sach 9,8 und 14,20–21.

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2.7.4 Stellung zur davidischen Monarchie Auch der politische FÛhrungsanspruch der Davididen ist ein Thema, das Diskussionen ausgel×st hat und unterschiedlich behandelt wird. Die klassische Position, das Ende der davidischen Monarchie sei mit dem Fall Jerusalems und der Absetzung Zedekias gleichzusetzen, wird in der neuen Forschung hinterfragt. Denkbar ist, dass Davididen ihr Amt als Verwalter von Yehud bis zum Ende der achÅmenidischen Oberherrschaft Ûber PalÅstina behalten haben.167 In den BÛchern Haggai und Sacharja kommt die Hoffnung auf eine KontinuitÅt der davidischen Herrschaft darin zum Ausdruck, dass der Davidide Serubbabel in den Mittelpunkt der AufbaubemÛhungen gestellt wird. Am Schluss des Haggaibuches wird Serubbabel zum neuen David ausgerufen, auch wenn „diese Verheißung verhalten bleibt“.168 Der Wiederherstellung des K×nigshauses gibt Haggai die gleiche Bedeutung wie der NeugrÛndung des Tempels. In den Visionen des Sacharjabuches muss sich Serubbabel die Privilegien mit dem Hohenpriester teilen, an der Erneuerung der Dynastie wird aber festgehalten. M×glicherweise ist die Teilung der Macht eine Anpassung an die wachsende Bedeutung der Priesterschaft.169 Ein Gegenpol zu Haggai und Sacharja bilden Deuterojesaja und die Chronik. Im zweiten Teil des Jesajabuches werden Davidtraditionen umgedeutet und jeder Anspruch dynastischer Traditionen wird aufgegeben. In die Nachfolge Davids tritt Kyros als heidnischer Herrscher, fÛr die Davididen bleibt keine politische Rolle.170 Esra und Nehemia verschweigen die davidische Abstammung Serubbabels genauso wie die Schezbazzars. Das davidische K×nigtum ist fÛr die BÛcher Esra und Nehemia „eine Sache der Vergangenheit, und das Erbe Davids beschrÅnkt sich auf kultische Anordnungen . . . und auf die Stadt selbst.“171 Trotz des großen Interesses an David will auch die Chronik keine Wiederherstellung des davidischen Hauses. Eine Rolle spielt David lediglich im Kultbereich. Das ºberleben Jojachins am babylonischen Hof, als Hoffnung auf Anerkennung der Davididen an den Schluss der K×nigsbÛcher gestellt, wird in der Chronik verschwiegen. Den Platz Davids und Salomos nimmt Kyros als Tempelbauer ein. Mit ihm schließt die Chronik. Am Beginn des so genannten Tritojesajabuches steht ein Text, der sich explizit mit der davidischen Dynastie auseinandersetzt und chiffriert eine „politische Dimension“ enthÅlt, wie L. Ruszkowski herausgearbeitet hat.172

167 168 169 170 171 172

Vgl. zur neuen Diskussion L. RUSZKOWSKI, Volk, 167 ff. H. W. WOLFF, BK XIV/6, 85. Vgl. L. RUSZKOWSKI, Volk, 162. Vgl. L. RUSZKOWSKI, Volk, 163 f. L. RUSZKOWSKI, Volk, 164. Vgl. L. RUSZKOWSKI, Volk, 146.

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Besonderes Gewicht bekommt Jes 56,1–8 dadurch, dass es sich um eine Einleitung in den letzten Teil des Buches handelt. Neben dem Bezug zu Jes 39,7 machen die Formulierungen auf verschiedenen Ebenen Anspielungen auf das K×nigtum wahrscheinlich. Den Davididen, die mit den Eunuchen gemeint sind, wird das Recht auf den Namen und ein Denkmal versprochen, „eine Art Rehabilitation und ein LoyalitÅtszeichen“. Sie bekommen aber keine Nachkommen, wie in Jes 39,7 ausdrÛcklich festgehalten.173 Jes 56,1–8 weist demnach die HerrschaftsansprÛche von vermeintlichen Nachkommen Davids zurÛck und entwickelt „ein System, in welchem die Abstammung keine Rolle mehr spielt. Dennoch behalten die Verheißungen an das Haus Davids ihre GÛltigkeit, weil sie den ewigen Namen und ein Denkmal erhalten, also k×niglich behandelt werden.“174 Einer nichtdavidischen Machtnachfolge steht aber nichts im Wege. Genauso wie Jes 56,1–8 die genealogische Abstammung als Vorbedingung fÛr die Zugeh×rigkeit zur Gemeinde abweist, geschieht dies auch mit dem Dynastieprinzip. So wird der Abschied von den Davididen unterstÛtzt.175 Das Buch Ezechiel weist dagegen den Davididen wichtige Aufgaben zu. Ez 34,23 f und 37,24 f kÛndigen einen Davididen als Hirten an. Implizit wird dieser Hirte mit dem in Ez 40–48 ×fter erwÅhnten FÛrsten (ajfn) gleichgesetzt. Er bekommt aber nur eine Ehrenrolle mit symbolischer Bedeutung ohne große Machtbefugnisse.176 Damit zeugt auch Ez 40–48 von der abnehmenden Macht der davidischen Dynastie, geht aber konzeptionell anders damit um. Ez 40–48 und Jes 56 k×nnten demnach zwei verschiedene Reaktionen auf die gleiche politische Situation sein. 2.7.5 Diskurse in der Prophetenauslegung des Zweiten Tempels In den in den biblischen Kanon aufgenommenen Schriften haben sich verschiedene Konzeptionen niedergeschlagen, die sich hinsichtlich ihrer Positionen und Herangehensweisen charakteristisch unterscheiden. Raum hat in der theologischen Diskussion die Auseinandersetzung um den Monotheismus und das richtige Gotteskonzept eingenommen. Allerdings haben kaum Positionen von so genannten Synkretisten Aufnahme in den Kanon gefunden. Deutlicher sind verschiedene Konzeptionen in der Definition des SelbstverstÅndnisses Israels und der Jerusalemer Gemeinde sowie der Rolle des Tempels und der davidischen Monarchie in den fÛr diese Gemeinde

L. RUSZKOWSKI, Volk, 147. L. RUSZKOWSKI, Volk. 175 M×glicherweise ist Jes 56,1–8 in einer Situation entstanden, in der ein Machtwechsel aktuell ist. Jes 56 steht damit in KontinuitÅt zu Jes 55, wo die Bedeutung Davids auch auf der metaphorischen Ebene gesehen und das dynastische Anliegen ausgeblendet wird. 176 Vgl. L. RUSZKOWSKI, Volk, 161. 173 174

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identitÅtsstiftenden ºberlieferungen. Die Selbstdefinition Israels wird von einigen Schriften auf einen engen Kreis bezogen, in dem die Gola eine entscheidende Rolle spielt. Andere Schriften versuchen die Gemeinde fÛr Außenstehende, m×glicherweise fÛr Samaria offen zu halten. Wer der Rest ist, der zu Israel geh×rt, steht in der Definitionsmacht Jhwhs. Gesetzesobservanz oder AbstammungsverhÅltnisse spielen in einigen Konzeptionen eine Rolle, sie sind aber nicht die einzige M×glichkeit, zum Rest zu geh×ren. Die Skizze Ûber die Stellung der Prophetie zum Tempel zeigt, dass die prophetische Literatur keineswegs als Einheit verstanden werden kann, sondern sich in ihr konzeptionelle Unterschiede niederschlagen. Gerungen wurde zum einen um die Stellung der am Kult beteiligten Gruppen, zum anderen wurde die Bedeutung der Priesterschaft und in letzter Konsequenz die des Tempels in Frage gestellt. Auch im Umgang mit der davidischen Dynastie zeigen sich ebenso verschiedene Konzepte. Davids Rolle wird auf der einen Seite auf den Kultbereich beschrÅnkt und die davidische Abstammung aktueller FÛhrer ignoriert. Auf der anderen Seite verfolgen BÛcher wie Haggai und Sacharja die Erneuerung der Dynastie. Zwei zu unterscheidende Vermittlungspositionen finden sich in der theologischen Legitimation zum Machtwechsel und der Einsetzung der Davididen in eine Stellung symbolischer Bedeutung. Unterschiedliche Stellungnahmen zu jedem dieser Diskurse wurden auch in den prophetischen Kanon aufgenommen. Eine dem Mehrprophetenbuch vergleichbare Offenheit weist das Jesajabuch auf. Seine Teile haben eine gr×ßere EigenstÅndigkeit als im Jeremia- oder Ezechielbuch. Im Mehrprophetenbuch stehen sich die verschiedenen Positionen am stÅrksten gegenÛber, m×glicherweise weil diese Sammlung wegen ihrer vielseitigen Stoffe weniger von einer bestimmten theologischen Linie geprÅgt wurde und wohl auch noch lange fÛr ErgÅnzungen und EinfÛgungen offen war. Im Ezechiel- und Jeremiabuch verhinderten die deuteronomistische bzw. die priesterliche PrÅgung von vornherein umfassendere andere ºberarbeitungen, bzw. EinfÛgungen. Denkbar ist auch, dass beide BÛcher sich jeweils einer gesellschaftlichen Gruppe zuordnen ließen und sich deswegen andere Gruppen weniger mit ihnen beschÅftigten. Dies lÅsst darauf schließen, dass diese BÛcher, bzw. Buchteile von Einzelnen oder Kreisen geschrieben wurden, die von unterschiedlichen theologischen Milieus beeinflusst sind. Ein Bereich, der besonders in der Prophetie breiten Raum einnimmt, ist die V×lkerthematik. In den ProphetenbÛchern kommen neben den Nachbarv×lkern Israels auch die GroßmÅchte in den Blick, die seit dem 8. Jh. v.Chr. um die Vorherrschaft in der Region kÅmpfen. V×lker werden als Bedrohung Israels wahrgenommen, treten als vermeintliche Helfer und BÛndnispartner auf und dienen Jhwh zur Lenkung der Geschichte sowie als Gerichtsvollstrecker oder Heilsbringer. Außerdem wird Israel mit anderen V×lkern verglichen. Einen großen Teil in der Komposition mancher ProphetenbÛcher nehmen Worte gegen einzelne V×lker ein. Sie blicken zum

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Teil auf ein Unheil zurÛck, das einem Volk bereits geschehen ist, kÛndigen aber auch ein zukÛnftiges Eingreifen Jhwhs an. Neben Worten, die sich mit einem einzelnen Land oder einer Stadt auseinandersetzen und z. T. dessen charakteristische Eigenheit oder Schuld beschreiben, finden sich GerichtsankÛndigungen, die sich kaum mit der angesprochenen Gr×ße befassen, sondern primÅr daran interessiert sind, das kommende Unheil auszumalen. Solche schematisierten V×lkersprÛche stehen in der NÅhe zu Texten, die nicht von einzelnen V×lkern sprechen, sondern die V×lker allgemein thematisieren. Diese Texte behandeln die V×lker als theologisches Thema unter der Fragestellung, wie es zukÛnftig Israel inmitten seiner Nachbarn ergehen wird. Beim Nachdenken Ûber diese Frage rÛckt das Schicksal der V×lker selber in den Blickwinkel der ProphetenbÛcher. Es finden sich dann auch Texte, die nicht nur Israel zukÛnftiges Heil ankÛndigen, sondern auch den Bewohnern anderer LÅnder. Innerhalb dieser Texte finden sich verschiedene Konzeptionen der Bestimmung der V×lkerthematik. Von deren Untersuchung ist genauso ein Beitrag zur Theologie- und Religionsgeschichte des Zweiten Tempels zu erwarten wie von Untersuchungen zum Monotheismus, zum SelbstverstÅndnis Israels und zur Stellung des Tempels oder der davidischen Monarchie. Dabei sind nicht nur Texte interessant, die sich explizit mit einem anderen Volk oder den V×lkern im Allgemeinen auseinandersetzen, sondern auch die Selbstdefinition Israels gegenÛber den V×lkern und die in den Hoffnungen fÛr die Zukunft Israels enthaltenen V×lkerperspektiven.

2.8 Thesen zur Religions- und Theologiegeschichte Die V×lkerperspektive des Mehrprophetenbuches wird vor dem Hintergrund der ausgefÛhrten Diskussionen zur Religions- und Theologiegeschichte des Zweiten Tempels untersucht, die im Folgenden zusammengefasst werden. 2.8.1 Hellenismus Der Wechsel von achÅmenidischer zu hellenistischer Oberherrschaft schlÅgt sich in der Religions- und Theologiegeschichte Israels nicht sofort nieder. Genauso wie die Bedeutung der Jahre 587/86 v.Chr. zu relativieren ist,177 ist auch der ºbergang zur hellenistischen Oberherrschaft kein entscheiden177 Die Zeit der Katastrophen beginnt mit dem Fall des Nordreiches 722 v.Chr. und dem Tod des letzten freien Davididen 609 v.Chr. Der Zerst×rung Jerusalems geht die erste Deportationswelle 598/97 v.Chr. voraus. Schon hier musste ein Großteil der Oberschicht das Land verlassen. Vgl. dazu H. DONNER, Geschichte, 373.

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des Ereignis. VerÅnderungen im Politischen werden schnell spÛrbar gewesen sein, die Auswirkungen im kulturellen oder religi×sen Bereich allerdings erst langsam. In dieser Zeit lassen sich gesellschaftliche Differenzierungsprozesse in verschiedene Richtungen wahrnehmen: Es ergab sich eine Spaltung in der Oberschicht, die nicht primÅr religi×se Wurzeln hatte. Aus diesem Konflikt gingen Kreise der orthodoxen Priesterschaft gestÅrkt hervor. Gegen ihr religi×ses Programm ist eine Opposition von stÅrker hellenisierten Kreisen mit wirtschaftlichen Interessen zu vermuten. Religi×se Motive k×nnten fÛr eine Gruppe ein Grund gewesen sein, sich gegen die ptolemÅische Macht zu stellen. In Opposition gegen die Beteiligung Jerusalems am FÛnften Syrischen Krieg scheinen sich andere, so genannte Jhwh-Treue mit dem prophetischen Erbe auseinandergesetzt zu haben. Im 3. Jh. v.Chr. lÅsst sich von hellenistischem Einfluss sprechen, aber noch nicht von einer eigentlichen hellenistischen Partei. Erst die UnterdrÛckung der traditionellen Religion und die beginnenden Religionskriege im 2. Jh. v.Chr. verÅndern die Lage in Jerusalem spÛrbar. Hellenistischer Einfluss auf das Wirtschaftsleben trifft PalÅstina dagegen schon vor der Zeit Alexanders des Großen. In Folge des wachsenden Interesses der PtolemÅer an Syrien und PalÅstina um 260 v.Chr. nimmt dieser zu. Es kam nicht zwangslÅufig zu einer allgemeinen Verarmung, wahrscheinlich Ånderte sich aber fÛr einige Gruppen bzw. Teile der Gesellschaft ihre Lage. Abseits vom Jerusalemer KrÅfteverhÅltnis sind in hellenistischer Zeit zwei PhÅnomene zu beobachten: (1.) Auf dem Land entstand im politischen Vakuum der achÅmenidischen Zeit eine FÛhrungsschicht, die jeglicher Zentralgewalt mit Skepsis begegnete und ihre eigenen Interessen durchzusetzen vermochte. (2.) Die Diaspora und ihre Kontakte mit Jerusalem spielten eine wichtige Rolle. Wahrscheinlich kehrten stark assimilierte JudÅer zurÛck und brachten ihre neuen Lebensgewohnheiten und Erfahrungen ein. Vom eigenen SelbstverstÅndnis her, werden sich solche Kreise zur Gemeinschaft gezÅhlt haben. Sie k×nnten von anderen Bev×lkerungsgruppen dagegen eher als Fremde wahrgenommen worden sein. 2.8.2 Einbezug der Bedingungen der Literaturentstehung Die Theologiegeschichte, die hinter der Entstehung der kanonischen Schriften steht, kann nicht von den Bedingungen der Literaturentstehung absehen. Jede Gruppe oder Str×mung, der es m×glich war, ihre Theologie in einer schriftlichen Form festzuhalten und Ûber lÅngere Zeit bis hin zur Aufnahme in den Kanon zu tradieren, musste Ûber eine Institution oder einen Ort verfÛgen, in dem ein Literaturbetrieb m×glich war. Dazu geh×ren Lesen und Schreiben sowie auch das Archivieren der Schriften und die Weitergabe der Bildung an folgende Generationen. Mit einer VerÅnderung des Schreib-

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wesens und der Literaturproduktion in PalÅstina ist durch die Verwaltungsreformen in der Mitte des dritten zu rechnen. Schreiben wurde populÅrer, selbst ein Bauer ben×tigte fÛr den Kontakt mit der Verwaltung einen Schreiber. Insgesamt nehmen die Rolle und der Einfluss von Schreibern in hellenistischer Zeit zu, weil sie auch TrÅger der Rechts- und Geschichtstradition wurden. Dagegen waren wÅhrend der achÅmenidischen Zeit die Kreise, die sich mit Literatur und ihrer Produktion beschÅftigten, wesentlich kleiner. Neben der n×tigen Bildung ben×tigten Leser und Schreiber auch ausreichende ×konomische UnabhÅngigkeit. Wenn man mit E. Ben Zvi fÛr Jerusalem insgesamt mit fÛnf bis zehn solcher „Teilzeitliteraten“ annehmen darf,178 heißt das, dass die biblischen Schriften in kleinsten Gruppen entstanden, die sich durchaus trotz theologischer Unterschiede in Jerusalem regelmÅßig begegneten und austauschten. Wenn man annimmt, dass entscheidende Teile des Pentateuchs in achÅmenidischer Zeit konzipiert wurden, fÅllt es schwer, zur gleichen Zeit noch RedaktionsvorgÅnge anzunehmen, die ganze ProphetenbÛcher gestalten und bearbeiten k×nnen. Außerdem ist die Vorstellung fÛr die Perserzeit und den Anfang der ptolemÅischen Herrschaft abwegig, dass eschatologische Prophetie in an den Rand gedrÅngten Unterschichtsgruppen gepflegt und aufgeschrieben wurde. 2.8.3 Aufnahme der Prophetie in den Kanon als Integrationsbewegung Genau wie die Kanonisierung der Tora und die Entstehung der Chronik entsprang auch die Aufnahme der eschatologischen Prophetie in den Kanon einer Integrationsbewegung. Erst eine gesellschaftliche Anerkennung der eschatologischen Prophetie erm×glichte diese. FÛr die Kanonisierung der prophetischen BÛcher ist eine gesellschaftliche Akzeptanz eschatologischer Ideen vorauszusetzen. Die lÅsst sich nur vor dem Hintergrund des verÅnderten politisch-gesellschaftlichen Klimas und des zunehmenden wirtschaftlichen Drucks ab der Mitte des 3. Jh. v.Chr. denken.179 Damit steht die eschatologische Prophetie in der NÅhe der Kreise, die dann im 2. Jh. eine antihellenistische Front bilden. Zumindest sehen sich diese in der Tradition der eschatologischen Prophetie, deren Frontstellung gegen den Hellenismus offensichtlich ist. Ein solcher Vorgang ist kaum unter achÅmenidischer Oberherrschaft anzunehmen. Mit der Kanonisierung der Prophetie in hellenistischer Zeit und insbesondere mit dem Abschluss des Dodekaprophetons vollzog sich ein Prozess, in dem ehemals an den Rand gedrÅngte Gruppen in die Mitte der um die Theologie bemÛhten Kreise rÛckten, bzw. von

178 Vgl. dazu 2.5.2. Selbst wenn man die Zahl der Schreiber von der Einwohnerzahl Judas berechnet und nicht die SchÅtzungen fÛr Jerusalem zugrunde legt, kommt man nur auf eine Zahl zwischen 30 und 50. 179 Vgl. dazu auch F. CRºSEMANN, Israel, 220 und R. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 466.

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dieser Mitte vereinnahmt wurden. Wie schon in der Chronik wird diese Einbindung, bzw. EntschÅrfung der eschatologischen Prophetie auch in den ProphetenbÛchern selber ihren Niederschlag gefunden haben. 2.8.4 Notwendigkeit zur Differenzierung der eschatologischen Prophetie WÅhrend die theokratische Position im Laufe der Forschungsgeschichte immer weiter differenziert bzw. aufgel×st wurde, wird die eschatologische Schriftprophetie zumeist als ein Traditionsstrang verstanden. Im Mehrprophetenbuch wird deutlich, dass sich diese eschatologische Str×mung in ihren Zukunftsbildern so stark unterscheidet, dass die Annahme verschiedener Milieus berechtigt ist. Schreiber und Leser mit unterschiedlichen Orientierungen setzen sich mit der Prophetie auseinander. Konzeptionelle Unterschiede innerhalb der Schriftprophetie zeigen sich in der Beurteilung des Tempels, der Stellung zur davidischen Monarchie und in der Sicht des kÛnftigen GegenÛbers Israel zu den V×lkern. 2.8.5 Unterschichtsgruppen und Texte der HebrÅischen Bibel Texte, die die Perspektive von UnterdrÛckten, Armen oder der einfachen Bev×lkerung einnehmen, mÛssen nicht zwangslÅufig auch in unterprivilegierten Schichten verfasst worden sein. M×glicherweise entstanden in diesen Schichten theologische Traditionen und Hoffnungsbilder. Der Großteil der eschatologischen Prophetie unterscheidet sich aber von der so genannten Armenfr×mmigkeit. Deshalb ist Skepsis gegenÛber der Annahme berechtigt, dass diese Schichten ihre ºberzeugungen schriftlich festhielten. Vielmehr ist eine Verbindung zur Literatur rezipierenden sowie Literatur produzierenden Oberschicht n×tig, bzw. ein Interesse eines solchen Literaten an Fragen der einfachen Bev×lkerung. Denkbar ist auch, dass die Aufnahme gewisser Texte und theologischer Traditionen dazu diente, einen breiten Gesellschaftskonsens fÛr den entstehenden Bibelkanon zu gewinnen. Dann wÛrde sich die Frage nach dem sozialen Status von dem der Schreiber zu dem der Leser der Texte verschieben. 2.8.6 Der Ort der eschatologischen Prophetie Wenn man die eschatologische Prophetie als Antwort auf die durch den Hellenismus bedingten VerÅnderungen versteht, ist Vorsicht vor einer zu engen Verortung angebracht. Eschatologisches Gedankengut kann und wird sich genauso in Bereichen des Kultes wie in Vorformen synagogaler Feiern niedergeschlagen haben. Die Annahme einer institutionellen NÅhe zum Tempel scheint wegen der Schreiber am Tempel und den archivierten Traditionen nahe liegend. Die eschatologische Prophetie ist aber nicht Teil des Tempelbetriebes. Sie nimmt auch kritisch Stellung zu Tempel und Kult. Im

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3. Jh. v.Chr. gibt es aber auch KrÅfte, die unabhÅngig vom Tempel Literatur oder kleinere Auslegungen produzieren k×nnen. Die ErklÅrung der Entstehung eschatologischen Gedankengutes in marginalisierten Kreisen ist schlÛssig und wohl zutreffend. Allerdings beschrÅnkt sich die Marginalisierung nicht auf die Armen. Sie betraf auch Teile der Oberschicht, die ihren Status, den politischen Einfluss oder die wirtschaftliche Stellung verlor. Die Profiteure dieser VerÅnderungen geh×rten Ûberwiegend zur prohellenistischen Seite und konnten in den gesellschaftlichen Konflikten als Fremde wahrgenommen werden. Damit bekommt die V×lkerthematik der eschatologischen Prophetie noch einmal eine andere Richtung. In der eschatologischen Prophetie ist nicht die Armut das vorherrschende Thema. Genauso wird um die Zugeh×rigkeit zur eigentlichen Gemeinde und noch stÅrker um die V×lkerthematik gerungen.

3. Der Tag Jhwhs als V×lkergericht – Das Joelbuch Zwischen die beiden Propheten Hosea und Amos ist mit dem Joelbuch eine Sammlung eingefÛgt, die verschiedene Seiten des hwhj ¥wj dem Leser vor Augen stellt. Im Dodekapropheton ist es fÛr den Leser die erste Begegnung mit dem Thema des hwhj ¥wj, das dann im Amosbuch weitergefÛhrt wird. M×glicherweise bekam das Joelbuch seinen Ort im Dodekapropheton durch diese BrÛckenfunktion. Das Buch zeigt schon durch die Abweichung vom ºberschriftensystem, dass es eher spÅteren Teilen des Dodekaprophetons nahe steht. Die Sammlung um das Thema des hwhj ¥wj ist zweigeteilt. Auf die Schilderung einer Notlage folgt die AnkÛndigung einer Wende. Diese wird um Blicke in die Zukunft ergÅnzt. Offen ist, wo die ZÅsur zwischen beiden Teilen zu setzen ist und welche RÛckschlÛsse die Teilung des Buches fÛr die Frage nach seiner Entstehung gibt. Nach einer Analyse der Struktur werden die einzelnen Abschnitte des Buches auf die Frage des VerhÅltnisses zwischen Israel und den V×lkern hin analysiert. Das besondere Gewicht liegt dabei auf der Sammlung zum hwhj ¥wj im vierten Kapitel. Die Analysen nehmen die Frage der literarischen Entwicklung des Joelbuches nur da auf, wo es fÛr die Behandlung des Themas unerlÅsslich ist. Eine diachrone Untersuchung des Buches ist trotz aller VerknÛpfungen zu den Kapiteln gerade wegen der Vielschichtigkeit des Materials berechtigt. Zudem ist es wahrscheinlich, dass auch das Joelbuch wie andere Schriften des Mehrprophetenbuches in einem lÅngeren Prozess entstanden ist, an dessen Ende die durchaus geplante Komposition steht, die auch zu Recht als literarische Einheit verstanden und interpretiert werden kann.

3.1 Struktur des Joelbuches Die Åltere Forschung verband mit der Aufteilung zwischen zeitgeschichtlich bezogener (Kap. 1 f) und eschatologisch ausgerichteter Prophetie (Kap. 3 f) auch eine inhaltliche Wertung.1 Die neuere Diskussion sieht vor allem

1 In Kap. 1 f wird nach B. Duhm von einem begabten Dichter ein Heuschreckeneinfall beschrieben; in Kap. 3 f entwickelt dagegen ein synagogaler Prediger eine in qualitativ minderwertiger Prosa gestaltete Eschatologie. 3,1–5 sieht B. DUHM, Anmerkungen, 187 als Niederschlag einer „schwÅrmerischen Apokalyptik“.

Struktur des Joelbuches

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wegen formaler Eigenheiten eine ZÅsur zwischen der Klage der Gemeinde und der Antwort Gottes (2,18 ff).2 Wegen der inhaltlichen und thematischen Unterschiede innerhalb der StÛcke, kann aber weder die VerknÛpfung noch die Verschiedenartigkeit beider Teile der Ansatzpunkt fÛr die Interpretation wie fÛr die Frage nach der Einheitlichkeit des Joelbuches sein. Deshalb wird die Buchstruktur zunÅchst ungeachtet der Frage nach der ZÅsur untersucht. Auf die ºberschrift 1,1 folgt die Er×ffnung 1,2–4. Sie zielt auf den ersten Aufruf zur Klage (1,5–14). 1,15 bietet die einzige theologische Deutung der Notsituation der Gemeinde im ersten Teil des Buches. Es folgt eine in der 1. Pl. formulierte Klage der Gemeinde (1,16–18). In 1,19 f spricht wieder eine einzelne Person. Wenn man als Bauplan des Joelbuches eine Klageliturgie vermutet, k×nnte hier der prophetische Vorbeter sprechen. Die Not wird in diesem Teil vor allem mit Naturbeobachtungen und der Schilderung der katastrophalen Wirtschaftslage beschrieben. Sie gipfelt in der Feststellung, dass die Opfer im Tempel ausbleiben (1,9.14). Ab 2,1 schlÅgt ein zweiter Aufruf zur Klage einen neuen Ton an. Die Beschreibung der Not Åndert sich. Ein Feindheer mit unvergleichlicher Vernichtungskraft rÛckt heran. Dieses Ereignis steht eher bevor und beschreibt keine gegenwÅrtige Situation wie Joel 1. Mit der Formulierung ¥lwyh vm hjhn al wird deutlich, dass es sich um eine herausragende Bedrohung handelt (2,2). Die Schilderung der Notlage tritt in eine zweite Phase. Šhnlich wie 1,15 deutet 2,11 das Geschehen als Handeln Jhwhs an seinem Tag theologisch. In 2,12–17 folgt der Aufruf zur Klagefeier, der in 2,18–27 von Jhwh beantwortet wird. Die Antwort nimmt Motive aus Joel 1 auf, ist aber auch mit dem Aufruf zur Klagefeier und der eschatologischen Feindschilderung (2,19 f) verknÛpft. Formal geht die Gottesrede nach der Beistandszusage Jhwhs (2,27) weiter. Inhaltlich ist das Folgende aber nur locker verknÛpft. 3,1–5 kÛndigt Vorzeichen des hwhj ¥wj an. Neben einer Ausgießung der cwr sind es kosmische Zeichen. Die Gottesrede hwhj ¥fb arqj rfa lk zielt hier auf die Zusage der Rettung fÛr jeden Jhwh-Verehrer. In Kap. 4 fÅngt mit hmhh ¥jmjb hnh jk eine weitere Gottesrede an, die Jerusalem eine Wende und der V×lkerwelt das Gericht ankÛndigt und einen Neueinsatz markiert. Mit der Konjunktion jk werden BegrÛndungen eingeleitet, so dass 4,1 ff auch mit dem Vorangegangenen verbunden ist. Nachgereicht wird, wieso die Leser auf Jhwhs Gnade vertrauen sollen. 4,1 lÅsst sich entweder als Beginn der bis 4,3, bzw. 4,8 reichenden Gottesrede verstehen oder als Exposition des ganzen vierten Kapitels. 4,4 setzt die Gottesrede fort. Sowohl thematisch durch die Fokussierung auf einzelne V×lker der KÛstengegend als auch formal durch den

2 Vgl. z. B. E. ZENGER, Einleitung, 381. Dagegen sieht W. S. PRINSLOO, Joel, 64 f keinen Umschwung in 2,18, weil schon 2,12–17 die Gnade Jhwhs thematisiert.

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Der Tag Jhwhs als V×lkergericht – Das Joelbuch

Anschluss mit ¥gw ist jedoch ein selbstÅndiger Abschnitt markiert, der mit der Formel rbd hwhj jk in 4,8 schließt. Der nÅchste formale Einschnitt ist 4,18 mit der Wendung awhh ¥wjb hjhw. Damit sind auch die Verse 4,9–17, eine Collage verschiedener Tag-Jhwh-Traditionen, klar von den folgenden Heilsbildern fÛr Juda und Jerusalem unterschieden. Der kurze ºberblick Ûber die Struktur zeigt, dass aus inhaltlichen und thematischen Gesichtspunkten eine Zweiteilung des Buches nicht unbedingt zum InterpretationsschlÛssel gemacht werden sollte. Genauso ließe sich zwischen den verschiedenen Gottesreden oder den unterschiedlichen Notschilderungen unterscheiden. Mit der Zweiteilung tritt auch die Hypothese einer Klageliturgie in den Hintergrund. Neuere Untersuchungen zeigen, dass es sich nicht um eine Auseinandersetzung mit dem Tempelkult oder Feiern der Jerusalemer Gemeinde handelt, sondern um prophetische Schriftauslegung und um ein StÛck Literatur.3 Verschiedene Teile wie die eschatologischen Gerichtsschilderungen (2,1b-10; 4,1–21) und Berichte vom Umgang mit einer Wirtschaftskatastrophe (Kap. 1; 2,19–26) sind mit einem Bußruf (2,12–17) und der AnkÛndigung von Vorzeichen des Tag Jhwhs (3,1–5) zusammengestellt.

3.2 LehrstÛck zur ºberwindung von Notsituationen – Joel 1 f 3.2.1 Die Thematik der ersten beiden Kapitel Das Joelbuch zeigt in den ersten beiden Kapiteln exemplarisch, wie sich Notsituationen Ûberwinden lassen. Der Verfasser trÅgt verschiedene Erfahrungen zusammen und verarbeitet sie zu einem LehrstÛck, das keinen einzelnen historischen Vorgang spiegelt. Am Beginn steht eine Heuschreckenplage im Vordergrund (V. 6), die aber auch schon von V. 4 zu einer Reihe von Katastrophen gesteigert wird. Das Buch erwÅhnt Heuschrecken nur in 1,4 und 2,25. Joel 1,5–7 handelt eher von einer Armee, die wie Heuschrecken Ûber das Land zieht. Das Thema der Heuschrecken wird lediglich benutzt, um anderes zu verdeutlichen.4 Ab V. 10 steht hinter der Schilderung die Erfahrung einer DÛrre. Damit sind die beiden wichtigsten Naturkatastrophen fÛr Israel angesprochen und miteinander verknÛpft. Das theologische Interesse des Buches ist es, die Schrecken von Naturkatastrophen genauso wie deren ºberwindungsm×glichkeiten auf den hwhj ¥wj zu Ûbertra-

Vgl. z. B. E. ZENGER, Einleitung, 383 und vor allem S. BERGLER, Joel. Die Kombination von Heuschreckenplage und DÛrrekatastrophe ist genauso merkwÛrdig wie der Auftrag, die Erinnerung an eine fÛr PalÅstina eigentlich gew×hnliche Katastrophe an alle Generationen weiterzugeben (Joel 1,3). Vgl. A. SCHART, Entstehung, 262 und F. E. DEIST, Joel, 64. 3 4

LehrstÛck zur ºberwindung von Notsituationen

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gen. Dieser Tag wird in den Farben einer dritten Katastrophe gemalt: Eine Armee Ûberzieht mit ihrer Gewalt das Land mit Krieg (2,2b-10). Wie der Heuschreckeneinfall oder die DÛrrekatastrophe kann auch der bevorstehende hwhj ¥wj durch Trauer- und Bußrituale Ûberwunden werden. Dabei ist ein Unterton zu beachten: Der Abwehrmechanismus fÛr Katastrophen wird nicht alleine dem Funktionieren des Tempels Ûberlassen. Der gewohnte Tempelkult kann gerade wegen der Katastrophe nicht stattfinden (1,9). Aufgrund fehlender Ernten bleiben die Opfer aus. Stattdessen werden neben den Priestern (1,13) auch alle anderen zu einer VerhaltensÅnderung aufgefordert: Nicht nur Kleider, auch Herzen sollen zerrissen werden. Das Ritual allein bringt vor den Schrecken des hwhj ¥wj keine ausreichende Sicherheit. Die Zusage Jhwhs verknÛpft die ºberwindung aller drei Bedrohungen miteinander. Der N×rdliche (jnwpsh) wird vertrieben (2,20), Regen wird kommen (2,23) und die Jahre der Heuschrecken wird Jhwh wieder gutmachen (2,25). Bei der Vertreibung des N×rdlichen handelt es sich um die Abwendung der in 2,2b-10 beschriebenen Kriegsschar. Die theologische Linie des Buches lÅuft auf die Beistandszusage Jhwhs in 2,27 zu. Zwei Folgerungen fÛr ºberlegungen zur Entstehung des Buches lassen sich aus den Beobachtungen ableiten: Auch wenn die Schilderungen von Heuschreckenplage und DÛrrekatastrophe m×glicherweise aus unterschiedlichen Quellen kommen k×nnten, ist es unm×glich, solche Traditionen zu isolieren. Die Grundlage des Buches ist deswegen keine Klageliturgie und deren Beantwortung. Von vornherein wurde ein LehrstÛck Ûber den hwhj ¥wj konzipiert. Die auf den hwhj ¥wj verweisenden Stellen sind keinesfalls sekundÅr. M×glicherweise gab es eine Prophetenfigur im Hintergrund des Buches, aber fÛr den Verfasser des Joelbuches spielt deren HistorizitÅt und die des Berichteten keine Rolle. Gerade die ºbergeschichtlichkeit der Ereignisse wird betont.5 3.2.2 Der Tag Jhwhs und die Feindschilderung – Joel 2,1–11 Joel 2,1 versteht den hwhj ¥wj als alle Bewohner des Landes betreffende Bedrohung. Die Formulierung xrah jbfj lk findet sich schon in Joel 1,2. Durch die Parallelstellung mit den Šltesten (¥jnqzh) ist dort von den Bewohnern Judas und Jerusalems die Rede. Das Hosea- und das Amosbuch adressieren ihre Prophetie, indem sie den Namen Israel oder Juda, bzw. damit deckungsgleiche Begriffe verwenden.6 Joel weicht also vom im Mehrprophetenbuch bekannten ab. Die Formulierung xrah jbfj lk findet sich

Vgl. neben Joel 2,2 auch Joel 1,2. Das Hoseabuch adressiert seine Gerichtspredigt an larfj jnb (4,1) und larfj tjb (5,1) oder nur mit larfj hta (4,15). Vgl. auch Amos 5,1. 5 6

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vor allem bei Josua und Jeremia.7 Entweder sind alle Bewohner gemeint, die in dem Land wohnen, das Jhwh seinem Volk gegeben hat,8 oder die ganze bewohnte Erde.9 Lediglich in Jer 13,13 ist xrah jbfj lk eindeutig auf Israel festgelegt. Die Formulierung bezeichnet also oft Ûber Juda oder Jerusalem hinausgehende Gr×ße. Das Joelbuch legt sich also gerade nicht auf die Bewohner Israels fest, sondern wÅhlt einen weiteren Begriff. Dadurch lÅsst m.E. 2,1 schon die universale Perspektive des hwhj ¥wj und die der beiden folgenden Kapitel im Hintergrund anklingen. Die V×lker kommen in der Feindbeschreibung in den Blick des Buches: Ein Heer fÅllt Ûber das Land her, nimmt mÛhelos jede Stadt ein, besiegt jedes Volk und zerst×rt die Lebensgrundlagen. Wie in anderen prophetischen Schilderungen des Feindes aus dem Norden sind die Formulierungen bewusst vage, der Feind bleibt namenlos. Das Joelbuch deutet den vorgegebenen Typ der Feindgedichte mit der Absicht, „einerseits den Feind programmatisch-chiffriert einzufÛhren (1,4), schließlich typisierend zu benennen (2,20), andererseits Jahwe als die eigentlich treibende Kraft der Kampagne zu prÅsentieren.“10 S. Bergler weist darauf hin, wie nahe sich das Joelbuch in seinen Feindschilderungen an die Tradition und dabei vor allem an Jer 4–6 anlehnt und seine Vorlagen individuell ausgestaltet.11 Das Joelbuch ist weniger als Jer 4–6 an einer Herkunftsbestimmung der Feinde interessiert. Charakteristisch ist dagegen die ErwÅhnung der LautstÅrke der Kriegswagen (twbkrm lwq) und der Stimme des Feuers (fa bhl lwqk) in Joel 2,5. Im Gegensatz zu Jer 4,29 wird betont, dass es keine Fluchtm×glichkeit gibt (Joel 2,3). Besonders von der Ordnung des Feindes scheint Joel 2,7b-8 beeindruckt zu sein. S. Bergler hÅlt das „geheimnisvoll geordnete HinstÛrmen“ des Feindes fÛr einen typischen Zug aus der Nordfeindtradition.12 Den Beleg dafÛr bleibt er schuldig. Aus der Assoziation mit Heuschrecken, die nach Prov 30,27 geordnet ausziehen, lÅsst sich das Motiv nicht genÛgend klÅren, weil die Heuschreckenthematik ansonsten mit der Feindschilderung nicht verbunden ist. Wenn sich hinter der Darstellung des Feindheeres eine historische Gr×ße verbirgt, mÛsste die Identifikation an diesen besonderen Charakteristika Vgl. auch Num 33,52; Zef 1,18 und Ps 33,14. Vgl. z. B. Jos 2,9.24. 9 Vgl. z. B. Ps 33,14 und Jer 25,29 f. 10 S. BERGLER, Joel, 203 f. 11 Problematisch ist m.E. die Annahme zu Vorlagen bei S. Bergler: Kann man von einer Vorlage sprechen, wenn lediglich die vorgegebene Reihenfolge bewahrt bleibt? Besser ist die Rede von einem gemeinsamen Fundus von Traditionen, aus dem verschiedene eschatologische Feindschilderungen gewonnen wurden. Außerdem sind die Ausdrucksm×glichkeiten fÛr Heeresschilderungen begrenzt. Deswegen ist die EigenstÅndigkeiten des Joelbuches im Vergleich zur Tradition bei einer Interpretation mehr zu beachten als seine Gemeinsamkeiten mit dieser. 12 S. BERGLER, Joel, 188. 7 8

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ansetzen. Allerdings ist dies dadurch erschwert, dass der Verfasser des Joelbuches die M×glichkeit einer NÅherbestimmung gerade nicht im Sinn hat. Dies ist bei der ºberlegung zu beachten, ob das zweite Kapitel ein eschatologisches Feindheer13 beschreibt oder ob es eine „konkrete geschichtliche Gestalt“ vor Augen hat.14 Auf jeden Fall lÅsst sich hinter den Charakteristika der Schilderung in 2,2b-10 die Erfahrung eines Heeres vermuten, das angesichts seiner Ordnung, seiner Zerst×rungsgewalt und seiner LautstÅrke alles bisher Bekannte Ûberbot. 3.2.3 Aufforderung zur Klage und Heilszusage Jhwhs – Joel 2,17.19 f Die erste explizite ErwÅhnung von ¥jwg und ¥jmy findet sich in der Bitte um Abwendung der Not (2,17), am Wendepunkt des ersten Teiles des Joelbuches. Zwischen Halle und Altar sollen die Priester weinen, die Diener Jhwhs, und sprechen: Hab Mitleid mit deinem Volk, Jhwh, und gib deinen Besitz nicht zum Hohn, zur Herrschaft unter den V×lkern, warum sollen sie sagen unter den V×lkern: Wo ist ihr Gott? (Joel 2,17)

Statt einer Bedrohung durch Feinde, hat 2,17 den spottenden Feindtyp vor Augen. Der Infinitiv lfml kann verschieden Ûbersetzt werden: Entweder parallel zu hprc als „spotten“ oder von der anderen Bedeutung des Verbs „herrschen“ her. Das Wortspiel kombiniert beide Feindtypen und verbindet damit 2,17 mit 2,1–11.15 In diesem Kontext handelt es sich um eine Bitte der Abwendung der Herrschaft der ¥jwg und ¥jmy.16 Der Verlust der Gewalt Ûber das eigene Land an andere MÅchte geht mit dem GefÛhl einher, von anderen V×lkern verspottet zu werden. Auf dem H×hepunkt der Klage in 2,17 bekommt diese Aussage besonderes Gewicht. Es ist nur noch die Rede von der Fremdbeherrschung des Volkes und dem Spott der Nationen. DÛrre und Heuschrecken treten zurÛck. Die Heilszusage in 2,19 nimmt den Aspekt auf: Jhwhs Volk wird nicht mehr zum Spott (hprc) der V×lker.17 Von dieser Bitte und ihrer Erh×rung

H. W. WOLFF, BK XIV/2, 49 versteht das Heer aufgrund von 2,11 apokalyptisch. Vgl. S. SCHREINER, Partikularismus, 23. 15 In der ºbersetzung kann das Wortspiel nicht wiedergegeben werden. Um die alternative Bedeutung zu markieren, wird hier im Gegensatz zur Ûblichen ºbersetzung die zweite Alternative bevorzugt. Vgl. dazu auch J. L. CRENSHAW, Joel, 142 f. 16 Vgl. auch S. BERGLER, Joel, 209. 17 Vgl. Ez 5,15 und 22,4. 13 14

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Der Tag Jhwhs als V×lkergericht – Das Joelbuch

fÅllt zugleich auch neues Licht auf die Feindschilderung in 2,1–11. SchmÅhungen der V×lker wurde Israel vor allem durch Fremdherrschaften Ûber das Land ausgesetzt. Jede Besetzung war gleichbedeutend mit der Frage nach der Kraft und Macht Jhwhs. Damit setzt Joel 2,17–19 die Beherrschung des Landes durch fremde V×lker mit den eschatologisch interpretierten Katastrophen gleich. Die Besetzung durch feindliche Truppen resultiert aus dem Jhwh-Gericht. Die Schlussfolgerung des Buches ist, dass sich die Fremdherrschaft und der hwhj ¥wj mit seinen Folgen fÛr das Land genauso wie DÛrre und Heuschreckenplage nur durch eine Hinwendung zu Jhwh abwenden lÅsst. Ich werde euch nicht mehr preisgeben der Schande unter den V×lkern, (Joel 2,19b) sondern den N×rdlichen (jnwpsh)18 werde ich von euch vertreiben, indem ich ihn in ein Land vertreibe, das trocken und wÛst ist, seine Vorhut ins ×stliche Meer, seine Nachhut ins westliche Meer, so steigt sein Gestank hinauf, indem seine FÅulnis hinaufsteigt, denn er hat groß getan.19 (Joel 2,20)

Die Verdeutlichung der Zusage, dass das Volk Jhwhs nicht mehr dem Spott ausgesetzt wird, ist die AnkÛndigung, dass der N×rdliche (jnwpsh) entfernt wird (2,20).20 Er wird Ûber das Tote Meer (Osten), das Mittelmeer (Westen) und in ein trockenes und wÛstes Land (SÛden)21 in drei Himmelsrichtungen zerstreut und gelangt nicht mehr in seine Heimat zurÛck.22 Eine Heeresmacht wird in die Heimatlosigkeit vertrieben. Gegen diese Interpretation sprechen m.E. auch nicht die Bilder vom Zerstreuen und ErtrÅnken.23 Zudem weist die Rede von Gestank (fab) auf ein Schlachtfeld oder ein Heereslager hin.24 In die gleiche Richtung geht auch die BegrÛndung fÛr die Vernichtung des N×rdlichen. Wieso wird erst in Joel 2,20 die schon in

18 Weil der N×rdliche (jnwpsh) hier unvermittelt eingefÛhrt wird, haben dies einige Kommentatoren auf einen Textfehler zurÛckgefÛhrt. Der Text ist aber verstÅndlich und bedarf keiner Šnderung. Vgl. die Diskussion bei J. L. CRENSHAW, Joel, 151. 19 Die Darstellung der Entfernung des Feindes benutzt eine spÅte aramaisierende Sprache, die Parallelen bei Daniel, Kohelet und der Chronik hat. 20 Die invertierte Wortstellung zeigt, dass 2,20 2,19b aufnimmt. Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/2, 73. 21 Trocken (hjs) und wÛst (hmmf) werden lediglich in der GerichtsankÛndigung gegen Ninive Zef 2,13 zusammen verwendet. 22 Mit S. BERGLER, Joel, 266. 23 Gegen W. RUDOLPH, KAT XIII/2, 64. 24 Vgl. dazu Jes 34,3 und Amos 4,10.

Systematisierung und Chronologisierung

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2,1–11 aufgenommene Thematik des Nordfeindes explizit als solche benannt? S. Bergler fÛhrt fÛr die EinfÛhrung des Motivs konzeptionelle GrÛnde an. 2,20 schildert die Zerstreuung des N×rdlichen mit Motiven, die an Ex 10,17b.19 angelehnt sind. Deswegen erweist sich fÛr S. Bergler 2,20 als „Kombination von Nordfeind- und Plagenthematik“.25 Ein weiterer Grund fÛr die spÅte Identifizierung liegt m.E. darin, dass die Feindschilderung in 2,1–11 m×glichst offen gehalten werden soll fÛr Ereignisse der Gegenwart und so erst in 2,20 der unheimliche Ansturm eines Feindheeres mit dem traditionellen Motiv des N×rdlichen verbunden wird. Nach dem VerstÅndnis des Joelbuches steht hinter dem N×rdlichen ein Konglomerat aller BedrÅngnisse, die sich mit dem Tag Jhwhs verbinden. Das zeigt auch die Aufnahme von Ex 10,17b.19 und die damit einhergehende Verbindung mit der Heuschreckenthematik. Vom Kontext und der Entwicklung der Klage und ihrer Erh×rung stehen hinter dem N×rdlichen die ¥jwg und ¥jmy, die Israel mit Gewaltherrschaft und Spott Ûberziehen. Der N×rdliche wird als ReprÅsentant der Ûber Israel spottenden und herrschenden V×lkerwelt entfernt und heimatlos. Wie angehÅngt wirkt nach der AnkÛndigung der Entfernung und dem Aufsteigen des Verwesungsgeruches die BegrÛndung dafÛ. Das twfyl ljdgh jk hebt eher den Kontrast zwischen dem Gestank des ehemalig Großen hervor, als dass es eine neue inhaltliche Facette bringt.26 Der N×rdliche (jnwpsh) wird hier aber auch in Beziehung zu den GroßmÅchten Assur und Babel gesetzt, die nach Jes 10,5–19 und Hab 2,6–19 aufgrund ihres Hochmutes gerichtet werden. Damit ist ein weiterer theologischer Gedanke in die Feindschilderung und die Aufnahme des N×rdlichen eingetragen. jnwpsh ist nicht nur allgemein ReprÅsentant der V×lkerwelt, sondern der der hochmÛtigen GroßmÅchte, die Israel bedrÛckt und verspottet haben.

3.3 Systematisierung und Chronologisierung der Zukunft – Joel 3 Das dritte Kapitel des Joelbuches fÛgt dem Umschwung des Schicksals der Gemeinde eine zweite Phase des Handelns Jhwhs hinzu, die chronologisch dem im vierten Kapitel ausgefÛhrten V×lkergericht vorgeordnet wird. Es geht um eine AusrÛstung der Menschen im Hinblick auf die drohenden universellen Vorzeichen des hwhj ¥wj. Darauf folgt eine Reflexion, wer diesen Gerichtstag Ûberleben wird. Mit einem Interesse an Chronologie unterscheidet sich Joel 3 von den ersten beiden Kapiteln wie auch vom Schlusskapitel. Joel 3 legt dar, was in welcher Phase des Tages Jhwhs zu erwarten

25 26

Vgl. S. BERGLER, Joel, 268. Vgl. auch J. L. CRENSHAW, Joel, 152.

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ist. Dazu kommt der Beginn einer fast systematischen Durchdringung des Gerichtsgedankens. M×glicherweise schlÅgt sich hier apokalyptisches Denken nieder. 3.3.1 Die Struktur des dritten Kapitels Joel 3,1 schließt mit der Formulierung vk jrca hjhw locker an das Vorangehende an und setzt es voraus. Deshalb kann 3,1 ff nicht als selbstÅndiger Text interpretiert werden. Unklar bleibt, worauf sich vk jrca bezieht. Die Beistands- und Fruchtbarkeitsverheißung (2,24–27) k×nnte gemeint sein oder die geschilderte Bereitschaft zur Umkehr und die Klage der Priester (2,12–17). Die Gottesrede aus Kap. 2 wird bis 3,4 fortgesetzt. Bis 3,2 ist eine Gr×ße in der 2. Sg. Adressat. In 3,5 wechselt der Sprecher. Von Jhwh ist jetzt in der 3. Sg. die Rede. 3,1 f bildet mit der doppelten ErwÅhnung des Ausgießens der cwr eine eigene Einheit. Genauso bindet die Doppelung des Verbs arq mit einer Inklusion die verschiedenen Aussagen in 3,5 zusammen. Aufgrund der Textstruktur sind im dritten Kapitel drei Abschnitte zu unterscheiden: 3,1 f; 3,3 f und 3,5. Sie knÛpfen locker an die vorangehende Gottesrede an und weisen untereinander auch keine stringente Verbindung auf. Die beiden Abschnitte 3,1–2 und 3,3 f27 k×nnte man als verschiedene AnkÛndigungen von Vorzeichen (¥jtpwm) des hwhj ¥wj verstehen. Diese beiden Seiten des eschatologischen Geschehens, die AusrÛstung mit Jhwhs cwr, sowie die prophetischen Begabungen und die universalen Vorzeichen werden in 3,5 dann noch einmal zusammengefasst: WÅhrend fÛr alle JhwhAnhÅnger der Zion und Jerusalem Schutz bieten, werden alle anderen diesen Schutz nicht haben. Das dritte Kapitel macht im Waw-Perfekt28 AnkÛndigungen des zukÛnftigen Geschehens, die jeweils weiter expliziert werden. Diese Explikationen werden durch einen Tempuswechsel angezeigt.29 Durch das Waw-Perfekt sind vier AnkÛndigungen in Joel 3 als Hauptereignisse herausgestellt. Der

Schon TH. ROBINSON, Propheten, 67 bezeichnet 3,3 f als apokalyptisches Fragment. Ob es sich beim Waw-Perfekt oder dem perfectum consecutivum um eine eigenstÅndige Verbform oder ein koordiniertes Perfekt handelt, ist umstritten. R. BARTELMUS, EinfÛhrung, 105 sieht das Waw-Perfekt als „Progressform fÛr den Progress in der NZ/Zukunft“. Im Verlauf der Sprachgeschichte hat sich die Form so weit verselbstÅndigt, dass sie unabhÅngig vom vorhergehenden „Tempus- bzw. Modus-Wechsel anzuzeigen vermag.“ 29 In Jes 2,2–4 ist Åhnlich wie in Joel 3 ein eschatologischer Text mit vergleichbarer Eingangsformulierung in einen Kontext eingefÛgt worden. In Jes 2,2–4 sind AnkÛndigungen des ZukÛnftigen durch das Waw-Perfekt signalisiert. AusfÛhrungen und Explikationen finden sich in 2,2 und 2,4 im Imperfekt. „Es wird geschehen“ (Waw-Perf.) „in der Folge der Tage, dass der Berg festgegrÛndet steht“ (Impf.). „Und sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden“ (Waw-Perf.), „so dass kein Volk gegen ein Volk das Schwert erhebt“ (Impf.) „und dass sie den Krieg nicht mehr lernen“ (Impf.). Durch den Tempuswechsel wird jeweils angezeigt, dass es sich um eine Folgeerscheinung handelt. M×glicherweise hat Jes 2,2–4 oder die Michaparallele 27 28

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Rest der Beschreibungen stellt weitere AusfÛhrungen dazu dar: V. 1a kÛndigt eine zweite Phase des eschatologischen Geschehens an, V. 1b die Gabe der Prophetie, V. 3 universale Vorzeichen und zuletzt V. 5 eine weitere Phase der zukÛnftigen Ereignisse. Diese vier AnkÛndigungen stehen durchaus in einer zeitlichen Abfolge zu einander. 3.3.2 AusrÛstung mit cwr und Ende der Verborgenheit Jhwhs – Joel 3,1–2 Danach wird es geschehen, dass ich meine Lebenskraft30 ausgieße Ûber alles Fleisch. Und eure S×hne und T×chter werden prophezeien, so dass eure Alten TrÅume trÅumen, so dass eure Jungen Gesichter sehen. Auch Ûber die Sklaven und Sklavinnen gieße ich in diesen Tagen meine Lebenskraft aus.

ºber „alles Fleisch“ (rfb lk) wird „Lebenskraft“ (cwr) ausgegossen. Welche Gruppe ist damit gemeint? Auf jeden Fall handelt es sich nicht um eine explizite V×lkeraussage. Die Redewendung weicht aber von anderen Bezeichnungen des Buches ab, weshalb nicht vorschnell an Israel gedacht werden sollte.31 Vom Kontext her betrachtet scheint die Wendung rfb lk auf Israel bezogen zu sein. Dies deuten vor allem die nachfolgenden SÅtze an, die das Geschehen auf S×hne und T×chter der Angeredeten beziehen sowie auf deren Alte und Junge. Allerdings ist auch ein anderer Schluss m×glich, wenn man den Abschnitt von der Zeitstruktur her analysiert. Die Gabe der Prophetie wird im Tempussystem des Abschnittes vom Ausgießen der cwr unterschieden. Beides sind von einander unabhÅngige Verheißungen. Deswegen kann rfb lk einen anderen Adressatenkreis meinen als die S×hne und T×chter. Die Gabe der Prophetie muss sich nicht aus dem Ausgießen der cwr ableiten oder damit vergleichbar sein. Diese grammatikalische Beobachtung lÅsst sich auch inhaltlich untermauern, wenn man die Bedeutung von cwr ta iwpf aus 1 QH 7,6 f abgeleitet als Lebenskraft und StÅrkung versteht und den Terminus nicht in die Richtung von Gottunmittelbarkeit

fÛr Joel 3 stilbildend gewirkt. Deutlich ist die Rezeption von Jes 2,2–4 oder dem parallelen MichastÛck durch das Joelbuch in 4,10. 30 Die ºbersetzung von cwr als Lebenskraft folgt der Interpretation H. W. Wolffs, die sich neben den biblischen Parallelen an 1 QH 7,6 f ausrichtet. Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/2, 78. In dieser Hymne aus Qumran wird der Geist neben der Kraft zur StÅrkung fÛr die endzeitlichen Schlachten der Bosheit ausgegossen. Vgl. dazu M. MANSOOR, 14, Hymn, 9. 31 Im Joelbuch ist von Einwohnern des Landes (xrah jbfwj lk Joel 1,2.14), der Versammlung (hrsy Joel 1,14 und 2,15 oder lhq Joel 2,16), dem Volk und dem Besitz Jhwhs (¥y und hlcn Joel 2,16 f) oder den Kindern Zions (vwjs jnb Joel 2,23) die Rede. Nur in 2,27 wird Israel genannt, allerdings nicht als Bezeichnung einer Gruppe, sondern als Ort des Wohnens Jhwhs. Erst in 4,2 und 4,27 fallen die Begriffe Israel und Juda.

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Der Tag Jhwhs als V×lkergericht – Das Joelbuch

interpretiert. Dagegen sieht J. Jeremias in seiner Interpretation von Joel 3 die von Jhwh verliehene cwr als „charakteristisch prophetischen“ Geist. Dieser Geist nimmt fÛr ihn die Rolle ein, die in den Kapiteln 1 f dem Propheten zukommt, und sichert jedem Israeliten, dass das Wissen um den Tag Jhwhs nicht verloren geht. „Wo der prophetische Geist allen unterschiedslos zuteil wird, bedarf es keiner gesonderten Propheten mehr.“32 Eine solche EngfÛhrung des VerstÅndnisses von cwr widerspricht dem Zusammenhang, weil aus 3,1 f keineswegs ersichtlich ist, dass es bei cwr oder der Gabe der Prophetie um ein Wissen um den hwhj ¥wj geht. Vielmehr werden noch universale Vorzeichen ben×tigt, bevor die Jhwh-Verehrung und Rettung in V. 5 geschildert wird. Vor einem abschließenden Fazit muss zunÅchst die Beziehung von Joel 3,1 zur Tradition untersucht werden. Joel 3 lÅsst sich m×glicherweise als ErfÛllung des Wunsches Mose verstehen, dass alle im Volk Propheten werden (Num 11,29).33 Als Joel 3,1 vergleichbare Traditionen werden von E. Bosshard-Nepustil auch Sach 12,10 und 13,2 ff angefÛhrt.34 M. E. liegt bei Sach 12 f aber ein von Joel 3,1 zu unterscheidendes cwr-VerstÅndnis vor. In Sach 12,10 geht es bei der Verleihung der cwr um einen Sinneswandel, der eine Klage bewirkt. Sach 13,2 spricht von einem Geist der Unreinheit. Keinen Anhaltspunkt gibt es dafÛr, dass Joel 3,1 von Sach 13,2 ff abhÅngig ist.35 Vielmehr ist Joel 3,1 konzeptionell noch nicht beim Standpunkt von Sach 13 angelangt.36 Ez 39,29 begrÛndet im Epilog einer Textcollage mit endzeitlichen Themen37 eine Beistandszusage damit, dass Jhwh seine cwr Ûber larfj tjb ausgegossen hat. Der Epilog zu den beiden Gog-Kapiteln (39,23–29) sieht die Geschichte Jhwhs mit Israel „unter dem Gesichtspunkt ihres Erweischarakters vor der Welt×ffentlichkeit“.38 Die V×lkerwelt hat lediglich die Funktion eines Forums. Israel wird die Wende des Geschicks angesagt (bqyj tjbf ta bjfa hty). Hier ist eine weitere Parallele zwischen Joel und Ezechiel. Dazu geh×rt neben der vollstÅndigen RÛckfÛhrung der Diaspora auch die Gotteserkenntnis Israels.39 Literarische AbhÅngigkeit des Joel-

32

J. JEREMIAS, Zion, 38. Die Zusammenstellung der Aussendung der cwr Jhwhs und der Gabe der Prophetie k×nnte aus dem Mose in den Mund gelegten Wunsch fÛr ganz Israel entnommen sein (Num 11,29). Num 11,29 formuliert ¥y lk. D.h. auch wenn Num 11,29 der Hintergrund fÛr Joel 3,1 ist, ist die Šnderung in rfb lk auffÅllig. In Num 11,29 ist der Geist nicht Voraussetzung fÛr die Prophetie, es wird sogar erst die Prophetie und dann die Geistaussendung genannt. 34 Vgl. E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Beobachtungen, 42. 35 Gegen E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen, 281. 36 Mit J. JEREMIAS, Zion, 38. 37 Vgl. E. ZENGER, Einleitung, 352. 38 W. ZIMMERLI, BK XIII/2, 968. 39 Der Epilog lÅuft auf die Gottesrede in Ez 39,29 zu, die die EndgÛltigkeit der Zuwendung 33

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buches von Ezechiel lÅsst sich an dieser Stelle nicht eindeutig nachweisen. Joel setzt wahrscheinlich Ez 39,23–29 voraus, da sich BezÛge auf Ezechiel an verschiedenen Stellen des Joelbuches finden.40 Der inhaltliche Vergleich fÛhrt zu zwei Ergebnissen: cwr ist in Ez 39,29 auf Israel bezogen. Wenn Ezechiel dem Joelbuch vorliegt, weicht Joel 3,1 mit rfb lk statt larfj tjb bewusst von der Vorlage ab. Zweitens ist im Konzept von Ez 39 kein Platz fÛr eine Gleichsetzung des Ausgießens der cwr und der Begabung zur Prophetie. In Ez 39,29 ist der Hauptgedanke, dass Jhwh sich nicht mehr verbirgt. Wenn Joel 3,1 Ez 39,29 aufnimmt, k×nnte Joel 3,1b die WeiterfÛhrung der Zusage sein, dass Jhwh sein Angesicht nicht mehr verbirgt. Es ginge dann nicht um eine Auseinandersetzung um Prophetie, sondern Prophezeiungen, TrÅume und Gesichte wÅren Zeichen fÛr die Erfahrbarkeit Jhwhs und dafÛr, dass er mit S×hnen und T×chtern sowie mit Alten und Jungen der Angesprochenen redet. Dazu passt auch die gemeinsame Verwendung von ¥wlc und vwjzc in Hiob 33,15. Hier werden TrÅume und Gesichte als normale Weisen des Redens Gottes mit den Menschen verstanden. Wenn diese Interpretation in die richtige Richtung weist, ist es denkbar, dass unterschieden wird zwischen rfb lk, dem die Lebenskraft Jhwhs zufließt, und T×chtern und S×hnen Jerusalems, bzw. Alten und Jungen, vor denen Jhwh sich nicht mehr verbirgt. Die neben den drei Generationen auch noch zum Haus geh×renden Sklaven werden eigens erwÅhnt. Ihnen wird Lebenskraft mitgeteilt. Die Vergleiche zeigen, dass Joel 3,1 bewusst nicht von Israel oder dem Volk spricht, sondern abweichend von den Vorlagen die Formulierung lk rfb verwendet. Auch wenn der Weg vom larfj tjb zu dieser Formulierung durch ¥y lk in Num 11,29 vorgespurt ist, sind es konzeptionelle GrÛnde, dass das Joelbuch einen Begriff verwendet, der z. B. in Jes 66 auf die ganze Menschheit verweist und auch in Gen 6 und 9 deutlich die ganze lebendige Sch×pfung bezeichnet. Auch wenn Israel nicht gemeint ist, ist aber auch nicht zwangslÅufig mit dem Verfasser von Joel 3,1 f ein Vertreter eines an Jes 66 angelehnten universalistischen Konzeptes aufgespÛrt. Es geht um eine von Israel zu unterscheidende Gruppe, fÛr die eine andere Bezeichnung noch fehlt. Der Kreis ist identisch mit den in Joel 3,4 genannten Jhwh-Verehrern. Mit den Sklavinnen und Sklaven, auf die die cwr nieder geht ist neben den wichtigen Gruppen der Gemeinschaft (Šlteste und KriegsfÅhige) auch eine Gruppe eingefÛhrt, die eigentlich zu den Fremden geh×rt. Jhwhs mit dem Ausgießen der cwr begrÛndet: „Und ich verberge mein Angesicht nicht mehr vor ihnen, denn ich habe meine Lebenskraft ausgegossen Ûber des Haus Israel, so spricht der Gott Jhwh.“ In dieser Aussage sind die Vorstellungen von Ez 36,27 und 37,14 mit leichten VerÅnderungen zusammengefasst. Vgl. W. ZIMMERLI, BK XIII/2, 970. 40 Vgl. dazu W. ZIMMERLI, BK XIII/2 und H. W. WOLFF, BK XIV/2, 78 ff.

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Der Tag Jhwhs als V×lkergericht – Das Joelbuch

3.3.3 Vorzeichen des Tag Jhwhs – Joel 3,3 f Ich gebe Vorzeichen im Himmel und auf der Erde, Blut, Feuer, RauchsÅulen, so dass die Sonne zur Dunkelheit wird41 und der Mond zu Blut bevor der Tag Jhwhs kommt, der große und furchtbare.42

Die Gottesrede wird mit der AnkÛndigung universaler Vorzeichen fortgesetzt. ¥jtpwm jttn ist eine gebrÅuchliche Formulierung. Die Zeichen Jhwhs sind z. B. Strafen43 oder haben wie die Plagen in Šgypten das Ziel zu erschrecken.44 Der Begriff ¥jtpwm kann auch positiv gebraucht werden, z. B. um von einer Wunderheilung zu berichten.45 GegenÛber twa und alp ist mit ¥jtpwm etwas Außerordentliches gemeint.46 Die Beschreibung von Zeichen ist der Kriegsmotivik entnommen. Blut, Feuer und RauchsÅulen zeigen sich auf der Erde. Die RauchsÅule (vfy twrmjt) steht vielleicht Ûber einer eroberten Stadt. M×glicherweise lÅsst sich die Wahl dieses ungew×hnlichen dritten Zeichens auch als VerknÛpfung der ersten beiden irdischen mit den darauf folgenden himmlischen Zeichen erklÅren. Die Zeichen stehen der V×lkergerichtsthematik nahe47 und deuten auf eine fÛr die Feinde Jhwhs furchterregende Zeit hin. Mit der Verdunklung von Sonne und Mond erstrecken sich die Folgen dieses Gerichts bis zum Himmel. Damit korrigiert V. 3 f das hwhj ¥wj Konzept der ersten beiden Kapitel und leitet damit zum nÅchsten Ûber: Beim hwhj ¥wj geht es nicht nur um die Beziehung Israels zu seinem Gott, sondern um ein universales Ereignis. ¥wj awb jnpl arwnhw lwdgh hwhj knÛpft an vergleichbare Konzeptionen des hwhj ¥wj an, die ihren Niederschlag auch im Maleachibuch gefunden haben.48 Die V×lker werden in diesem StÛck nicht erwÅhnt. Allen, die nicht zu den Angeredeten von 3,1 f und 3,5 geh×ren, bringt der hwhj ¥wj große Schrecken. Somit ist V. 3 f auch eine implizite Aussage Ûber die Zukunft der V×lker. Im Vergleich zu Texten mit Åhnlichen Traditionen ist bemerkenswert, dass in Joel 3 weder die im Gericht geretteten noch die anderen mit ei41 Die Inversion zeigt an, dass V. 4 nichts Neues zufÛgt, sondern V. 3 entfaltet. Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/2, 66. 42 Die Konstruktion arwnhw lwdgh hwhj ¥wj awb jnpl findet sich wie in Joel 3,4 auch in Mal 3,23. 43 I K×n 13,3.5. 44 Dtn 6,22 und Neh 9,10. 45 Vgl. II Chr 32,24. 46 Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/2, 81. 47 Vgl. auch Ez 38,22. 48 H. W. WOLFF, BK XIV/2, 4 sieht in Joel 3,4 eine Aufnahme von Mal 3,23. Dagegen ist A. SCHART, Entstehung, 301 und H. P. MATHYS, Anmerkungen, 33 ff zuzustimmen, die betonen, dass der Satz in Joel 3,3–4 stÅrker in den Kontext eingebunden ist als Mal 3.

Systematisierung und Chronologisierung

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ner Gruppenbezeichnung belegt werden. V×lker (Ez 38,22) oder Frevler (Mal 3,19 ff) sind nicht genannt. 3.3.4 Rettung im Gericht – Joel 3,5 Es wird geschehen, dass jeder, der den Namen Jhwhs verehrt, entkommt, denn auf dem Zion und in Jerusalem wird Rettung sein, wie Jhwh gesagt hat, und bei den ºberlebenden,49 die Jhwh ruft.

Joel 3,5 deutet das Kapitel abschließend. Die beiden ersten Abschnitte laufen auf die Zusage hin, dass jeder, der den Namen Jhwhs anruft, gerettet wird. Schon 2,26 hatte die Bedeutung der Verehrung des Namens herausgestellt. Dahinter steht ein Gotteskonzept, in dem Jahwe als jenseitig vorgestellt wird und nicht selber im Tempel wohnt, sondern nur durch eine bestimmte ReprÅsentanz gegenwÅrtig ist.50 Damit steht 3,5 in einem Gegensatz zur rituell-kultischen Orientierung der ersten beiden Kapitel. Zum VerstÅndnis der Formulierung trÅgt auch Am 2,6 ff bei. WÅhrend aus der Leserperspektive die V×lkerworte in Am 1 f als Explikation von Joel 4 erscheinen, ist es von Joel 4 her kaum einsehbar, wieso auch Israel das Gericht in Am 2,6 ff angekÛndigt wird. In Am 2,7 wird das damit begrÛndet, dass der Name Jhwhs entweiht wurde. „Aus der Leserperspektive erscheint nun nicht mehr die Sozialkritik, sondern vielmehr dieser Vorwurf als die Spitze der Anklagen. Wer den Namen Jahwes nicht nur anruft, sondern sogar entweiht, geh×rt nicht mehr zum Gottesvolk, sondern zu den V×lkern und wird mit diesen gerichtet.“51 Damit hat sich die BegrÛndung des Gerichts gegenÛber der Konzeption einer frÛheren Mehrprophetenbuchsammlung verschoben. Diese Verschiebung zeigt sich in Joel 3,5 besonders deutlich. Bei der Rettungsaussage sind drei Charakteristika zu beachten: (1.) Mit der Wendung hwhj rma rfak wird ein Zitat aus Ob 17 abgeschlossen.52 Die Aufnahme des Stoffes ist deutlich markiert und das Joelbuch zum Obadjabuch in Beziehung gesetzt. (2.) 3,5 geht im Zusammenhang Ûberraschend auf das Schicksal von ºberlebenden (¥jdjrf) einer Kriegshandlung oder einer Schlacht ein.53 W. Rudolph hÅlt fÛr m×glich, dass mit der Aussage eine

49 Statt ¥jdjrfb liest E. SELLIN, Zw×lfprophetenbuch, 136 ¥jdjrf ¥lfwrjbw und streicht dafÛr die Ortsangabe in V. 5a. Ausgangspunkt fÛr E. Sellins Textkorrektur ist die inhaltliche Beobachtung, dass V. 5bb wie ein Nachtrag wirkt, der nur schwer zu deuten ist. Seine Šnderung vereinfacht die Deutung, hat aber keinen Anhaltspunkt am Text selber. 50 Mit F. STOLZ, Monotheismus, 192. 51 A. SCHART, Entstehung, 264. 52 Vgl. dazu auch H. W. WOLFF, BK XIV/2, 81. 53 Zumeist wird djrf im Sg. verwendet, um zu berichten, dass niemand Ûberlebt. Z. B. Num 21,35 u. ×. ¥jdjrf finden sich außer in Joel 3,5 und Jos 10,20 auch noch in Jer 31,2; Ob

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Der Tag Jhwhs als V×lkergericht – Das Joelbuch

ºberlegung zur Situation der Diaspora von einem spÅteren Leser eingefÛgt wurde.54 Die PrÅposition b vor den ¥jdjrf ist in diesem Fall analog zu einer Ortsbezeichnung zu Ûbersetzen. Es handelt sich um Jhwh-Verehrer, die nicht in Jerusalem wohnen. Dagegen ist einzuwenden, dass die ºberlebenden dann eigentlich nicht erst zu rufen wÅren. Deswegen handelt es sich wahrscheinlich nicht um Israeliten außerhalb Jerusalems.55 H. W. Wolff sieht die Aussage als theologische Korrektur der Vorstellung von der Rettung der Jhwh-AnhÅnger. Es werden die gerettet, die Jhwh ruft, nicht die, die ihn rufen. „Damit ist Åhnlich wie in 3,1 eine erwÅhlende Neuberufung erwartet.“56 Allerdings klÅrt auch diese Interpretation nicht, wieso von ºberlebenden die Rede ist. Wenn es um das Schicksal einer von den JhwhVerehrern zu unterscheidenden Gruppe ginge, dann handelte es sich nicht nur um eine theologische Korrektur des Weges der Rettung. Eine solche Korrektur ist m.E. auch theologisch nicht notwendig: Am Anfang steht die Aussendung der cwr, bevor Jhwh verehrt wird. Die „erwÅhlende Neuberufung“ wÅre damit schon geschehen und mÛsste nicht nachgetragen werden.57 Diese Deutung favorisiert auch J. Jeremias. Er versteht 3,5bb als eigenstÅndigen Satz und unterscheidet deswegen zwischen ºberlebenden und Jhwh-Verehrern. Seine ºbersetzung lautet: „Und zu den Entronnenen geh×rt, wen Jhwh ruft.“58 Damit ist der Inkongruenz zwischen V. 5ba und V. 5bb in der Bezeichnung der Geretteten Rechnung getragen. Der Begriff hujlp ist Angebot fÛr die Jerusalemer; hingegen verwendet V. 5bb mit ¥jdjrf eine Personenbezeichnung, die „eine Differenzierung Verlorene – Gerettete notwendig impliziert.“59 Es gibt also eine Alternative zu der M×glichkeit, durch Bekenntnis zu Jhwh gerettet zu werden. Weil V. 5ba von einer Zitationsformel abgeschlossen wird und damit den Gedankengang beendet, k×nnte es sich bei V. 5bb um einen Zusatz handeln, der die HÅrte von Kap. 4 fÛr die V×lker mildern will. Weil die Formel ein Zitat aus Ob 17 abschließt, ist dieser Zusatz vielleicht als Gegenpol zu Ob 18 formuliert worden. In Ob 18 wird ausgeschlossen, dass von Edom ein Rest Ûbrig bleibt. Joel 3,5bb geht gerade davon aus und hat die V×lker dabei im Blick.60 (3.) Ein Vergleich von 2,27 und 3,5 ist aufschlussreich. Beide Verse fassen 1,14 und Hiob 27,15. Sowohl Jer 31,2 als auch Ob 1,14 meinen die ºberlebenden Israels. An keiner der Stellen ist von der Diaspora die Rede. 54 Vgl. W. RUDOLPH, KAT XIII/2, 74. Šhnlich sieht auch O. Loretz nach der EinschrÅnkung der Jhwh-Verehrung auf den Zion und Jerusalem die Frage der Diaspora thematisiert. Vgl. O. LORETZ, Regenritual, 115. 55 Mit H. W. WOLFF, BK XIV/2, 82. 56 H. W. WOLFF, BK XIV/2, 82. 57 Gegen H. W. WOLFF, BK XIV/2, 82. 58 J. JEREMIAS, Zion, 43. 59 J. JEREMIAS, Zion, 43. 60 Vgl. dazu auch J. JEREMIAS, Zion, 44.

Textcollage zum Tag Jhwhs

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die jeweilig vorangehende Gottesrede in ihrer Essenz zusammen. 2,27 kÛndigt Jhwhs PrÅsenz in der Mitte Israels (larfj brqb) und dem Volk ewigen Beistand (¥lwyl jmy wfbj al) an. 3,5 dagegen sieht die PrÅsenz Jhwhs auf dem Zion und in Jerusalem. Statt vom Volk und Israel ist nur noch von Jhwh-Verehrern und den ¥jdjrf die Rede. Hier hat sich die Konzeption innerhalb des Buches verschoben: Heilszusagen gelten nicht mehr dem ganzen Volk, sondern einer von ihm zu unterscheidenden Gruppe. 3.3.5 Die Systematisierung der zukÛnftigen Ereignisse Joel 3 liest die beiden vorangehenden Kapitel neu. Der Umschwung und die Restitutionsverheißung werden nicht auf den hwhj ¥wj, sondern nur auf die Plage davor bezogen. Wie 3,3 f die Vorzeichen des hwhj ¥wj mit Heuschrecken und DÛrre in Beziehung setzt, bleibt unklar. Die Menschen werden mit Lebenskraft ausgerÛstet, um den Gerichtstag zu Ûberstehen, Jhwh wird sich vor seiner Gemeinde nicht mehr verbergen, sondern sie mit prophetischen Mitteln ausstatten. Trotz allem kann es aber keine Gewissheit einer Rettung geben. Auch fÛr die Gemeinde kommt es darauf an, ob sie den Namen Jhwhs verehrt, sie kann nicht allein auf seine Gnade vertrauen. Mit dieser Theologie bietet 3,1–5 eine PrÅzisierung und Neuinterpretation von Joel 2,13b.14a: Der Tag Jhwhs ist nicht zu verharmlosen und lÅsst sich auch nicht durch eine kultische Handlung abwenden. FÛr alle, die Jhwh verehren, wird aber der Zion und Jerusalem Rettung bieten. Damit zeigt Joel 3 ein deutliches theologisches Profil, insbesondere V. 5 ist Ergebnis einer sorgfÅltigen Reflexion. Die Bezeichnungen der betroffenen Gruppen und Kreise bleiben aber diffus. Jede Antwort auf Fragen wer mit rfb lk (V. 1) gemeint ist, gegen wen sich die Vorzeichen des hwhj ¥wj richten, und wen V. 5 mit den genannten Jhwh-Verehrern oder den ºberlebenden ins Spiel bringt, bleibt hypothetisch. Der Verfasser des Kapitels ÛberlÅsst diese Antworten dem Leser. Gemeinsam ist den gewÅhlten Bezeichnungen, dass weder Israel klar auf der einen Seite, noch die V×lker auf der anderen stehen. Das StÛck ist vermutlich in einem Umfeld entstanden, in dem die Grenzen zwischen den Gruppen nicht mehr klar gezogen werden konnten wie in vielen Psalmen oder anderen Gerichtstexten. Auf jeden Fall ist die Offenheit von 3,1–5 auf beide Seiten hin im Vergleich mit anderen Konzeptionen bemerkenswert. Diese Offenheit ist eine der Korrekturen, die Joel 3 am Buch vornimmt.

3.4 Textcollage zum Tag Jhwhs – Joel 4 Das letzte Kapitel des Joelbuches bietet die eigentliche V×lkerthematik in einem Arrangement verschiedener StÛcke Ûber den hwhj ¥wj, einer Zusammenstellung verschiedener Motive und Konzeptionen. Undeutlich ist, in

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Der Tag Jhwhs als V×lkergericht – Das Joelbuch

welchem VerhÅltnis die geschilderten Ereignisse um den hwhj ¥wj zur Wende in Kap. 2 gesehen werden. Im Anschluss an die in 2,19–27 geschilderte Restitution, als ihr zweiter Teil, wÅre das V×lkergericht nicht sinnvoll erklÅrt. Eigentlich ist mit der Zusage, dass Jerusalem nicht mehr dem Spott der V×lker ausgesetzt wird und der ReprÅsentant der gewalttÅtigen V×lker verjagt und heimatlos wird (2,19 f), alles n×tige gesagt. Joel 4,1 ff parallel zu 2,19 ff zu sehen, ist auch nicht befriedigender. Dazu sind die Schilderungen zu unterschiedlich. Eine andere M×glichkeit ist, dass die Verfasser von Joel 4, die in Joel 1 geschilderte Not und den Umschwung in 2,18 als zurÛckliegende Ereignisse verstehen und die Verheißungen von 2,19 ff auf ihre Notsituation hin neu interpretieren. D.h. Joel 1 f wird in einer Zeit gelesen, in der die V×lkerthematik eine stÅrkere AktualitÅt hat und die Restitution Israels nicht mehr als KontinuitÅt des GegenwÅrtigen gedacht wird. Stattdessen scheint nur noch eine endgÛltige kriegerische Entscheidung als Umkehrung der VerhÅltnisse m×glich. In der Motivik bewegt sich Joel 4 in KontinuitÅt zu Joel 1 f. Schon die Schilderung des Heuschreckeneinfalles war ja am Vergleich mit menschlichen Truppen und kriegerischem Treiben orientiert. Die V×lker machen in Kap. 2 aber nur einen Teil der Bedrohung aus und sind auch nur am Rande erwÅhnt (2,6 und 2,16 f). Die erhoffte Friedenszeit lÅsst sich fÛr die Verfasser des vierten Kapitels nicht allein durch eine Šnderung der Nahrungsmittelversorgung und eine Vernichtung des Feindes aus dem Norden erreichen. Es ist ein grundsÅtzliches Eingreifen Jhwhs n×tig, das Ûber Israel hinaus die V×lker trifft und sie in einem universalen Weltgericht zur Rechenschaft fÛr ihre Vergehen an Israel zieht. Dazu kommt ein Interesse der Verfasser, bekannte Vorstellungen auszugleichen und die unterschiedlichen FÅden der Gerichtsprophetie so weit wie m×glich zusammenzubringen. 3.4.1 Wende fÛr Jerusalem und V×lkergericht – Joel 4,1–3 Denn siehe, in jenen Tagen und in dieser Zeit,61 wenn62 ich wende63 die Wendung Judas und Jerusalems, werde ich alle V×lker sammeln, 61 Die Formel ajhh tybw hmhh ¥jmjb hnh jk findet sich nur noch in Jer 33,15 und 50,4.20. „The double expression . . . probably uses parallelism of greater precision in which the second temporal phrase telescopes the action, as if stopping time and collapsing a longer period into a single moment.“ J. L. CRENSHAW, Joel, 173. 62 Das in wenigen Ålteren Handschriften fehlende Relativpronomen rfa drÛckt Gleichzeitigkeit aus und betont damit, dass das Eintreten des Tages gleichbedeutend mit der Wende des Schicksals Jerusalems und Judas ist. 63 Die ºbersetzung geht vom Ketib bwfa aus und versteht twbf als Derivat von bwf. Das Qere liest bjfa (Hifil) und versteht twbf wahrscheinlich als Infinitiv von hbf. Damit ist bjfa twbf auf die RÛckkehr aus der Gefangenschaft interpretiert. Diese Deutung k×nnte von Ob 1,11 und Joel 4,4–8 ausgegangen sein. NÅher liegend ist aber vom Kontext der ersten bei-

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ich werde sie hinuntergehen lassen in das Tal Joschaphat, dort werde ich mit ihnen streiten64 wegen meines Volkes und meines Eigentums Israel, das sie zerstreuten unter die V×lker, und sie mein Land teilten. Und Ûber mein Volk warfen sie das Los und gaben den Jungen fÛr eine Hure und verkaufen das MÅdchen fÛr Wein und sie tranken ihn.

4,1–3 erklÅrt, aus welchen GrÛnden es zu der im Joelbuch angekÛndigten Wende des Schicksals Judas und Jerusalems kommen kann: Das Heil kommt zusammen mit einem V×lkergericht Jhwhs. In 4,2 f werden die GrÛnde fÛr dieses Gericht genannt. Nach 4,1–3 ist die einzige M×glichkeit, sicher zu leben, fÛr Juda und Jerusalem ein Eingreifen Jhwhs gegen die V×lker der Umgebung. Deshalb ist das Gericht universal (¥jwgh lk), wie auch die Gewalt an Juda und Jerusalem von der V×lkerwelt als ganzer auszugehen scheint. Jhwhs Eigentum Israel (larfj jtlcnw) steht eine unbestimmte Menge in der 3. Pl. gegenÛber. Das V×lkergericht wird mit dem Vorwurf begrÛndet, dass die V×lker Israel zerstreuten, sein Land verteilten, das Los Ûber die Bev×lkerung warfen und die Einwohner zu Spottpreisen verkauften. Die Schuld der V×lker wird durch die HÅufung von Verben in der 3. Pl. besonders unterstrichen. Das Werfen der Lose Ûber eine Bev×lkerung (lrwg wdj) wird in Ob 11 (Ûber Jerusalem) sowie in Nah 3,10 (Ûber NoAmon) jeweils im Kontext eines Gerichtswortes erzÅhlt. Der Vorgang ist offenbar gebrÅuchlich nach der Besiegung einer Stadt. M×glicherweise handelt es sich beim Loswerfen um die Aufteilung der Gefangenen auf verschiedene GefangenenzÛge oder Orte, an die sie verschleppt werden.65 Damit muss Joel 4,3 nicht unbedingt auf die Eroberung Jerusalems durch die Babylonier zurÛckblicken, denn der Verkauf von Sklaven wird auch in spÅterer Zeit beklagt.66 Der Schwerpunkt liegt fÛr Joel 4,3 auch mehr auf der mit dem Verkauf verbundenen Abwertung der Menschen, wie die Betonung der Spottpreise zeigt. Wie in Jes 66,18; Mi 4,12 und Zef 3,8 sammelt Jhwh die V×lker und fÛhrt sie in das Tal upfwhj. FÛr die symbolische Deutung dieses Namens gibt es verschiedene M×glichkeiten. Es handelt sich um ein Wortspiel um das Verb upf. Die Bedeutung „Jhwh richtet“ fasst das Geschehen des ganzen Kapitels zusammen. DarÛber hinaus klingt mit upfwhj der Name des K×nigs an, der nach dem zweiten Chronikbuch einen Krieg gegen eine ostjor-

den Kapitel des Joelbuches die Annahme, dass es sich hier um eine allgemeiner gedachte Wendung des Schicksals handelt. 64 Vgl. II Chr 22,8. 65 Vgl. dazu W. RUDOLPH, KAT XIII/2, 80. 66 Vgl. I Makk 3,41 und II Makk 8,11. Dazu J. L. CRENSHAW, Joel, 176 und auch 2.4.3.

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Der Tag Jhwhs als V×lkergericht – Das Joelbuch

danische Koalition67 ebenfalls in einem Tal (hkrb qmy) fÛhrte. Deswegen ist die M×glichkeit einer Beziehung zwischen Joel 4 und II Chr 20 erwÅgenswert. Unwahrscheinlich ist, dass die Chronik den Namen aus dem Joelbuch aufnimmt und die Schlachtszenerie gemÅß Joel 4 entwickelt. Die ºbertragung des Namens auf das Tal, in dem die Feinde gerichtet werden, ist die offensichtlichste Verbindung. Der Verfasser des Joelbuches k×nnte sich durch thematische Parallelen zwischen Joel und II Chr 20 dazu veranlasst gesehen haben: Dem HeranrÛcken des feindlichen Heeres begegnet Josaphat nicht mit AufrÛstung, sondern wie Joel 2 mit einem Aufruf zum Fasten (II Chr 20,4 ff). Vergleichbar ist auch das theologische Konzept beider Schlachtszenen: Es ist Jhwh allein, der den Kampf, bzw. das Gericht vollzieht. Der Leitsatz von II Chr 20,15 „Das KÅmpfen ist Jhwhs Sache“ (hmclmh ¥kl al jk ¥jhlal jk) ließe sich auch Ûber Joel 4 stellen. Kennzeichnend fÛr die Konzeption von II Chr 20 ist, dass die eigentlich geschilderten Kleinkriege eine fÛr Jerusalem fast kosmische Dimension bekommen. Eine vergleichbare Verarbeitung gegenwÅrtiger Erfahrungen k×nnte auch in Joel 4 vorliegen. Hintergrund von II Chr 20 sind kleinere Konflikte Jerusalems mit Gruppen seiner ×stlichen oder sÛdlichen Nachbarn aus der Zeit des Chronisten oder kurz davor.68 Das Lokalkolorit und die geschilderten Heereswege schließen einen gr×ßeren Feldzug gegen Jerusalem aus.69 Wenn die Annahme eines Bezuges von Joel 4 auf II Chr 20 richtig ist,70 bedeutet dies, dass damit neben den in Joel 4,4–8 explizit genannten westlichen Nachbarn auch implizit an ×stliche Nachbarn gedacht wird. Diese Parallelen sind ein Hinweis darauf, dass Kap. 4 genauso wie II Chr 20 als Verarbeitung historischer Probleme mit feindlichen Nachbargruppen gelesen werden kann. Die Ereignisse um den Fall Jerusalems und der sich daran anschließenden Exilierung scheinen m.E. weniger im Blick. Die V×lker stehen in 4,1–3 Israel gegenÛber, weil sie (scheinbar in ihrer 67 II Chr 20 nennt als Feinde Ammoniter und Moabiter sowie Bewohner des Gebirge Seirs. Ob man hinter der Bezeichnung ¥jnwmyhm eine weitere Gruppe sehen kann (Meuniter), ist umstritten. M×glich wÅre an den Einfall einer nabatÅischen Gruppe zu denken. Vgl. M. NOTH, LokalÛberlieferung, 48. Erwogen wird auch, dass die Meuniter eine Bezeichnung fÛr Bev×lkerungsschichten im Negeb und auch an der KÛste sind, die Ûblicherweise als IdumÅer bezeichnet werden. So gebraucht die Chronik, wo sie Vorlagen Ûbernimmt die Bezeichnung Edom und bei selbstÅndigen Formulierungen die Begriffe rjyf und ¥jnwym. Vgl. dazu P. WELTEN, Geschichte, 144 ff; U. HºBNER, Ammoniter, 309 ff und E. A. KNAUF, Mun’nÅer, 119 sehen in der ErwÅhnung der Meuniter eine Glosse, die als Hintergrund einen Raubzug einer Nachbarstadt (Beth Baal Meon) im 3. oder 2. Jh. v.Chr. hat. 68 E. A. KNAUF, Mun’nÅer, 118 vermutet als Traditionskern einen Konflikt Jerusalems mit IdumÅern in oder um Engedi. 69 Vgl. dazu P. WELTEN, Geschichte, 153; U. HºBNER, Ammoniter, 315 und H.-P. MATHYS, Chronicles, 29. 70 II Chr 20 hat auch im Judithbuch Nachwirkung. Die JuditherzÅhlung ist von der ChronikerzÅhlung gestalterisch abhÅngig, wie E. ZENGER, Judith, 444 f nachgewiesen hat.

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Gesamtheit) an Jhwhs Eigentum schwere Frevel begangen haben. Sie bedrohten Juda, sind offenbar in seine Gebiete eingedrungen und versklavten seine Bev×lkerung. Deswegen sollen sie gerichtet werden. Dieses Gericht ist aber nicht Selbstzweck oder Resultat der Gerechtigkeit Jhwhs, sondern wie in II Chr 20 der Sieg Josaphats eine Befreiung Judas und Jerusalems, die Jhwh allein vornimmt. 3.4.2 V×lkerwort gegen Tyrus, Sidon und philistÅische Gebiete – Joel 4,4–8 Und ferner: Was seid ihr fÛr mich, Tyrus und Sidon und alle Gebiete der Philister? Wollt ihr mir Geschehenes vergelten oder mir etwas antun? Ganz schnell wende ich euer Tun auf eure K×pfe, weil71 ihr mein Silber und mein Gold nahmt und meine sch×nen Kostbarkeiten in eure PalÅste72 brachtet und ihr die S×hne Judas und die S×hne Israels verkauftet an die S×hne Jawans, um sie von ihrem Gebiet zu entfernen. Siehe, ich lasse sie aufwachen an ihrem Platz, an den ihr sie verkauft habt und ich werde euer Tun auf euren Kopf wenden. Und ich werde verkaufen eure S×hne und eure T×chter durch die Hand der S×hne Judas und sie werden sie den SabÅern verkaufen an ein fremdes Volk, denn Jhwh spricht.

4,4–8 geht auf einzelne V×lker ein, die mit dem Verkauf von Israeliten in Verbindung gebracht werden. Das SchlÛsselwort rkm73 verbindet 4,4–8 mit dem vorangehenden. Mit Tyrus und Sidon sowie den Gebieten der Philister (tflp twljlg lk)74 sind die ph×nizischen und philistÅischen KÛstenstreifen75 angesprochen. Diesen Gegenden wird ihr Verhalten gegenÛber Israel vergolten. Der Hintergrund dieses StÛckes ist nicht die Zerst×rung und

Zur kausalen ºbersetzung von rfa vgl. J. L. CRENSHAW, Joel, 180. lkjhm im Sg. bezeichnet im Allgemeinen den Tempel Jhwhs. Vgl. Mi 1,2. Im Pl. dagegen ist durchgehend von PalÅsten die Rede. Vgl. Ps 45,9; Prov 30,28; Jes 13,22 und Hos 8,14; dazu auch H. W. WOLFF, BK XIV/2, 94 f. 73 Joel 4,6.7.8aa.b. 74 Von tflp twljlg lk ist auch in Jos 13,2 die Rede. In Jos 13,3 folgt darauf eine AufzÅhlung von fÛnf philistÅischen StÅdten: Gaza, Aschdod, Aschkelon, Gat und Ekron. 75 Unter Einfluß Sidons stand zeitweise auch die Ebene Saron mit den HafenstÅdten Dor und Japho. Vgl. H. DONNER, Geschichte, 402. 71 72

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Der Tag Jhwhs als V×lkergericht – Das Joelbuch

PlÛnderung des Tempels.76 Der Raub von Gold und Silber geh×rt zu den allgemeinen Begleiterscheinungen kriegerischer Eroberungen77 und muss nicht zwangslÅufig auf die in II K×n 25,15 und Jer 52,19 geschilderte Begebenheit anspielen. Auch die Bezeichnung von Gold, Silber und Kostbarkeiten als Jhwhs Eigentum ist kein Anzeichen dafÛr, dass es sich um eine TempelplÛnderung handelt.78 Genauso wie hier die SchÅtze gelten in 4,2 Land und Volk als Jhwhs Eigentum.79 Auch literarisch bezieht sich Joel 4,5 nicht auf die Berichte von der PlÛnderung des Tempels. Denn die nach Joel 4,5 gestohlenen Kostbarkeiten des Tempels sind nach II Chr 36,19 und Jes 64,10 zerst×rt und nicht geplÛndert worden. Wie die Angesprochenen die Israeliten in den fernen Westen an die S×hne Jawans verkauft haben, sollen ihre Kinder an die SabÅer, d. h. in den fernen Osten verkauft werden. Die Strafe entspricht genau dem zu bestrafenden Tatbestand.80 SabÅer und S×hne Jawans sind wahrscheinlich aus geographischen GrÛnden genannt. Weil es sich bei Griechen und SabÅern um eine Entsprechung der Himmelsrichtung (Nordwesten/SÛdosten) handelt, ist eine historische Auswertung der Angaben schwierig. Bei der Beantwortung der Frage, warum an dieser Stelle des Joelbuches einzelne V×lker genannt werden, hilft ein Blick in die verwendete Tradition. Das Nebeneinander der KÛstenbewohner Philister und Ph×nizier drÅngt sich vom Kontext und den von Joel 4 verwendeten Vorlagen auf. In den auf das Joelbuch folgenden Gerichtsworten werden Gaza und Tyrus nacheinander abgehandelt (Am 1,6–8.9–10). Wenn Joel 4,4–8 in Beziehung zu Am 1 gelesen wird, ist verstÅndlich, wieso zunÅchst Tyrus und dann erst das eigentlich bedeutendere Sidon genannt wird. Aus GrÛnden der VollstÅndigkeit nimmt Joel 4,4–8 nicht nur das Gericht gegen diese beiden StÅdte auf, sondern spricht die jeweiligen Gebiete der alten Erbfeinde an. Mit der Aufnahme des SchlÛsselwortes rkm aus 4,3 und der Auswahl der Gebiete aus dem folgenden Kapitel (Am 1) erweist sich 4,4–8 in seiner Grundidee als kontextabhÅngig. Die Besonderheit des Abschnitts ist die angekÛndigte Strafe: In anderen V×lkerworten ist von der Zerst×rung der jeweiligen Stadt oder des Gebiets die Rede wie z. B. in Worten gegen die Philister.81 Fremdv×lkerorakel heben sich nach K. Koch durch „lÅngere Einheiten und poetische Ausmalungen der Landschaften oder des drohenden Kriegsgeschehens, auch durch mythologische Anspielungen von Orakeln an das eigene Volk

Gegen J. L. CRENSHAW, Joel, 181 und J. D. NOGALSKI, Processes, 29. Vgl. z. B. Ez 38,13 und Nah 2,10. 78 Vgl. z. B. Hag 2,8. 79 So auch H. W. WOLFF, BK XIV/2, 94. 80 Lediglich der Einschluss der T×chter in den Verkauf geht Ûber die eigenen Taten hinaus, lÅsst sich aber als Aufnahme von 4,3 erklÅren. 81 Vgl. Jes 14,28–32; Jer 47 und Ez 25,15–17. 76 77

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ab.“82 Auf jeden Fall Ûbersteigt in der Regel das Handeln Jhwhs das, was dem jeweiligen Volk vorgeworfen wird, wenn Ûberhaupt ein Grund fÛr die Bestrafung genannt wird. Denn die meisten V×lkerworte sind mehr am Erweis der Macht Jhwhs interessiert als an der BegrÛndung der Schuld der V×lker. Joel 4,4–8 ist dagegen von der Idee der lex talionis geprÅgt. Sogar bis in die Entsprechung der Himmelsrichtung geschieht genau das an Ph×niziern und Philistern, was diese an Israel verÛbt haben.83 3.4.3 Sammlung zum hwhj ¥wj – Joel 4,9–17 3.4.3.1 Sprechakte und Gliederungssignale Die Struktur des Abschnittes 4,9–17 stellt den Leser dadurch vor Probleme, dass sich die Verben der 2. m.Pl. auf verschiedene Gruppen beziehen und der Sprecher wechselt, ohne dass ein neuer Sprecher eingefÛhrt wird. Schon die Textgeschichte von 4,11 zeigt, wie schwer sich Rezipienten mit dem StÛck getan haben. In 4,9aa wendet sich ein Sprecher – wahrscheinlich der Prophet, vielleicht auch Jhwh selbst – an ein GegenÛber mit der ironischen Aufforderung, die V×lker zum Krieg zu rufen. Unklar ist, ob damit himmlische Herolde oder die in 4,11 angeredeten MÅchtigen gemeint sind. Eine andere M×glichkeit ist, dass das Volk Jhwhs angesprochen wird.84 4,11b setzt neu mit einer prophetischen Bitte an Jhwh ein, die oft als eingeschobenes Gebet verstanden wird. Dessen Sprecher kann auch der Prophet sein. 4,12 f wird dagegen durch die 1.Sg. als Gottesrede ausgewiesen. Adressaten sind diejenigen, die das Gericht Jhwhs vollstrecken, vom Kontext her am ehesten die in 4,11 angeredeten MÅchtigen. Wie in Ps 103 sind diese jrbg wahrscheinlich als Teil der himmlischen Heerscharen Jhwhs zu verstehen, die auch in Jes 13,3 zum Gericht gegen Babel aufgeboten werden. 4,14–16 beschreiben den hwhj ¥wj. Die Gottesrede ist unterbrochen, von Jhwh ist in 4,16 in der 3. Sg. die Rede. 4,17 nimmt die Gottesrede wieder auf und schließt mit einer Erkenntnisformel den Abschnitt ab. Damit ergibt sich fÛr die Sammlung zum hwhj ¥wj in 4,9–17 folgende Gliederung: 4,9–11a 4,11b 4,12 f

Aufforderung zum Kampf Prophetische Bitte Auftrag (an die MÅchtigen)

K. KOCH, Prophetien, 485. J. L. CRENSHAW, Joel, 186 hat zudem darauf hingewiesen, dass auch das Spiel zwischen der 1. und der 2. Person in diesem Abschnitt von der Idee der lex talionis organisiert wird. „The desire for exact revenge governs the specifics of the divine threat as well as the rethorical questions.“ 84 J. L. CRENSHAW, Joel, 195 erwÅgt neben einem himmlischen Boten auch den Propheten als Adressaten der Rede. Er berÛcksichtigt dabei nicht, dass es sich um ein pluralisches GegenÛber handelt und von daher auch an eine pluralische Gr×ße zu denken ist, die schon in Kap. 4 vorkommt. 82 83

78 4,14–16 4,17

Der Tag Jhwhs als V×lkergericht – Das Joelbuch

Beschreibung des hwhj ¥wj Abschließende Erkenntnisformel

4,9–17 stellt einzelne StÛcke zusammen, die sich mit verschiedenen hwhj ¥wj Traditionen beschÅftigen und versucht diese in einem Bild zusammenzubinden. Hinter der Auseinandersetzung mit vorliegendem Material tritt die inhaltliche Konsistenz zurÛck. Es handelt sich eher um eine Sammlung verschiedener Texte als um ein von einem Redaktor verfasstes StÛck. Der eigentliche Ursprung der Texte lÅsst sich nicht mehr ermitteln, da sie nur im Kontext des Joelbuches Ûberliefert sind. Deswegen stellt sich im Anschluss an die Untersuchung der einzelnen Abschnitte vor allem die Frage nach der Intention der Zusammenstellung. 3.4.3.2 Aufforderung zum Kampf – Joel 4,9–11a VerkÛndet dies unter den V×lkern: Heiligt den Krieg! Weckt die AnfÛhrer auf! Alle Kriegsleute m×gen heranrÛcken und vorrÛcken!85 Schmiedet eure Pflugscharen zu Schwertern, und eure Winzermesser zu Lanzen!86 Der Schwache soll sprechen: Ich bin ein AnfÛhrer. Eilt87 und kommt, alle V×lker ringsum! So sollen sie sich sammeln88 dort89.

Die Angeredeten sollen unter den V×lkern einen heiligen Krieg ausrufen, alle Armeen gerÛstet heranrÛcken lassen und jeder dieser Armeen die Hoffnung auf den Sieg geben. Das StÛck lehnt sich an die Sprache anderer Schlachtbeschreibungen wie Jes 13 an. Die Aufforderung an die V×lker, sich in den eigenen Untergang zu stÛrzen, ist von subtiler Ironie. Deutlicher wird dies noch durch die Umkehr des in Mi 4,1–3 und Jesaja 2,2–4 doppelt Ûberlieferten Friedensbildes. WÅhrend dort die V×lker als friedliebend gekennzeichnet werden, erscheinen sie im Joelbuch voller Gewaltbereitschaft. Sie mÛssen nur dazu aufgefordert werden, so ziehen sie in den Krieg, ohne

85 BHS schlÅgt im Anschluss an LXX vor statt wlyj wfgj die Imperative wlyj wfgj zu lesen. Es liegt aber kein Grund vor, zu Åndern. hly kann auch ohne Bezug auf H×henunterschiede das VorrÛcken im Krieg bezeichnen. Vgl. Joel 1,6. 86 cmr findet in der Chronik und Nehemia Verwendung. 87 Die Verbform wfwy findet sich nur an dieser Stelle, auch ein Verb fwy ist sonst nicht belegt. BHS nimmt einen Schreibfehler an und schlÅgt vor, entweder wrwy („wacht auf“) zu lesen oder in Anlehnung an die Vulgata wfwc („brecht los“). Die ºbersetzung lehnt sich im Anschluss an W. RUDOLPH, KAT XIII/2, 77 an den Kontext an. 88 Als Fortsetzung von V. 11a wÅre ein weiterer Imperativ statt wsbqnw zu erwarten. BHS schlÅgt die Lesung wsbqh vor. Aber auch diese Korrektur erklÅrt nicht den Wechsel in der Anrede. 89 BHS trennt hmf von wsbqnw durch den Atnach. hmf ist aber besser zu V. 11a zu ziehen.

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lange zu Ûberlegen. Jedes m×gliche GerÅt wird zur Waffe umgebaut, sogar jeder Schwache gibt sich noch als AnfÛhrer. Joel 4,10 ÛbertrÅgt in seiner Umkehrung der Heilstraditionen Mi 4,3, bzw. Jes 4,4 fast vollstÅndig.90 Statt den ¥jtjnc lÅsst Joel ¥jcmr umschmieden, beide Begriffe sind gleichbedeutend, deswegen ist Joels Abweichung von Mi 4,3 und Jes 4,4 angesichts der sonstigen wortgetreuen Wiedergabe an dieser Stelle bemerkenswert. Wahrscheinlich verwendet Joel das spÅter gebrÅuchlichere Wort.91 Der Begriff k×nnte aber auch aus einem anderen prophetischen Text aufgenommen sein und damit Mi 4 mit einem weiterem Motiv verbinden. In Frage kommt dafÛr das V×lkerwort gegen Šgypten (Jer 46,4) und die ErwÅhnung von cmr in der Textcollage zum endzeitlichen Ansturm einer Volkskoalition aus dem Norden unter FÛhrung von Gog aus Magog (Ez 39,9). Am Vergleich von Mi 4 und Joel 4 wird deutlich, dass im Hintergrund des Joelbuches andere Erfahrungen mit der V×lkerwelt stehen als hinter Mi 4,1–4. Die V×lker sind eine Bedrohung, die nur von einer totalen Vernichtung durch Jhwh aus der Welt geschaffen werden kann. Dem entspricht auch das Richten Jhwhs. Im Michabuch ist es gewaltlos und baut auf die Einsicht der V×lker auf. FÛr Joel 4 dagegen bleibt Jhwh keine andere M×glichkeit als die Vernichtung der V×lker. „Joel wirft . . . Mi 4,1–3 eine naive, zu positive Sicht der V×lker vor, die deren nicht auszurottende Gewaltbereitschaft nicht wahrnimmt oder – aus welchen GrÛnden auch immer – nicht wahrnehmen will.“92 3.4.3.3 Prophetische Bitte – Joel 4,11b Lass deine MÅchtigen herabsteigen, Jhwh!

V. 11b ist aufgrund des pl×tzlichen Sprecherwechsels die EinfÛgung eines Gebetes. Ein spÅterer Leser will das in Joel 4 AngekÛndigte heraufbeschw×ren.93 Erwogen wird eine Umstellung des Verses.94 Aber auch nach V. 12 schließt V. 11b m.E. nicht organisch an. Deshalb ist die Hypothese eines Nachtrages wahrscheinlicher. Dazu veranlasst haben mag einen Leser die ErwÅhnung von ¥jrwbg in Joel 2,7 und 4,9. M×glicherweise wurden die ¥jrwbg wie in Ps 103,20 als Bestandteil des himmlischen Heeres verstanden, m×glich ist aber auch, dass wie im Deborahlied (Ri 5,13) Krieger Israels gemeint sind, die gegen die Feinde aufgeboten werden. Der Nachtrag zeigt, dass die Sammlung um den hwhj ¥wj auch fÛr spÅtere Leser Relevanz hatte. 90 Vgl. J. JEREMIAS, Umkehrung. Die Forschung geht von einer Auseinandersetzung mit Mi 4 aus. Dagegen vertritt B. M. ZAPFF, V×lkerperspektive, 97 f die These, dass sich Joel 4,10 auf Jes 2 bezieht und Mi 4,1–4 wiederum eine korrigierende Antwort auf Joel 4 darstellt. 91 WÅhrend tjnc zwar ×fter (allerdings vor allem im Sg.) verwendet wird, findet sich cmr hÅufiger im Pl. und vor allem in der Chronik sowie auch in Neh und Ez. 92 A. SCHART, Entstehung, 268. 93 Vgl. die ausfÛhrliche Diskussion bei J. L. CRENSHAW, Joel, 189 f. 94 Vgl. W. RUDOLPH, KAT XIII/2, 77.

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3.4.3.4 Auftrag (an die MÅchtigen) – Joel 4,12 f Die V×lker sollen sich aufmachen und aufbrechen zum Tal Joschaphat, denn dort sitze ich, um zu richten alle V×lker ringsum. Greift zum Messer,95 denn die Ernte ist reif. Kommt, tretet, denn der Kelter ist voll. Die Weinpressen fließen Ûber, denn groß ist ihre Bosheit.

Die V×lker werden von Gott dazu aufgefordert ins Tal aufzubrechen. Damit knÛpft V. 12 an die Aufforderung Jhwhs an die V×lker im vorangehenden Vers an. Die Vorstellung vom Gericht hat sich gegenÛber 4,9–11a allerdings geÅndert. Jhwh richtet, aber die Angeredeten sind die AusfÛhrenden dieses Gerichts und nicht mehr die V×lker selbst. 4,12 nimmt noch einmal die wichtigsten Stichw×rter der Gerichtsthematik aus 4,1–3 auf und fasst damit das bisherige zusammen. GegenÛber Joel 4,2 hat sich der Kreis derjenigen verschoben, die sich vor Gericht zu verantworten haben. 4,12 spricht zwar weiter von ¥jwgh lk, diese universale Perspektive wird aber durch das angefÛgte bjbom eingeschrÅnkt. Vor der eigentlich universalen Perspektive von 4,1–3.9–21 macht diese EinschrÅnkung keinen Sinn. Eine ErklÅrungsm×glichkeit dafÛr bietet der Kontext. M×glicherweise sind die folgenden Gerichtsworte in Am 1 f im Blick.96 Damit wÅre die Perspektive auf die bjbom ¥jwgh nachvollziehbar. Denkbar ist auch, dass V. 12 wÅhrend einer Bedrohung durch die umliegenden V×lker verfasst, bzw. ins Joelbuch aufgenommen wurde. Die Aufnahme der Erntebilder in 4,13 ist ein Gegenbild zu 4,10: WÅhrend die V×lker dazu aufgefordert werden ihre ErntegerÅte zu Kriegswaffen umzuarbeiten, wird das Gericht Jhwhs und seiner AusfÛhrenden in Erntebildern geschildert, die gegenÛber dem Kriegsget×se der vorhergehenden Verse fast friedlich erscheinen. WÅhrend das zweite Bild fÛr das Gerichtshandeln wie Jes 63,1–6 das Motiv des Traubenpressens aufnimmt, ist das erste ungew×hnlich. Das ErntegerÅt lgm ist nur hier und in Jer 50,16 erwÅhnt, wo es um die Kornernte als Gerichtsmetapher geht. (In Jer 50 soll die bÅuerliche Bev×lkerung vernichtet werden, um die Stadt von der Nahrungsversorgung abzuschneiden.) Der Grund fÛr die Ernte rjsq lfb jk, wird ebenso ungew×hnlich formuliert. Der einzige Zusammenhang des Verbs lfb mit einem Erntebild findet sich in Gen 46,10. Hier geht es um die Reife des Weines. M×glich ist also, dass auch in 4,13a die Weinernte anklingt. Joel 4,13 folgt einer anderen Gerichtskonzeption als Jes 63,1–6. Nicht mehr Gott sel-

95 In Jer 50,16 bezeichnet lgm die Sichel. An dieser Stelle ist wahrscheinlich eher an ein Winzermesser gedacht. Vgl. dazu auch H. W. WOLFF, BK XIV/2, 97. 96 Vgl. A. SCHART, Entstehung, 264.

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ber ist derjenige, der im Kelter die Reben tritt. Die Adressaten von 4,12 f vollziehen das Gericht. Wer diese allerdings sind, bleibt offen. Erst 4,11b bezeichnet sie als MÅchtige Jhwhs. 3.4.3.5 Beschreibung des hwhj ¥wj – Joel 4,14–16 GetÛmmel, GetÛmmel im Tal der Entscheidung, denn nahe97 ist der Tag Jhwhs im Tal der Entscheidung. Sonne und Mond sind schwarz geworden, und die Sterne haben ihr Strahlen verloren. Dann brÛllt Jhwh vom Zion und aus Jerusalem erhebt er seine Stimme98 Himmel und Erde werden beben99 und Jhwh ist Zuflucht fÛr sein Volk und eine Festung fÛr die S×hne Israels.

Joel 4,14–16 malt aus SchlachtgewÛhl, himmlischen Zeichen und Theophanieelementen ein Bild des hwhj ¥wj. FÛr die Fragestellung sind zwei Aspekte interessant: (1.) Das Tal, in dem das V×lkergericht stattfindet, heißt jetzt „Tal der Entscheidung“ (xwrch qmy). Mit xwrc ist, wie F. Horst feststellt, das „Moment der Unwiderruflichkeit eines Beschlusses oder einer Festsetzung“ ausgedrÛckt.100 W. Rudolph macht dagegen auf eine weitere Bedeutung fÛr xwrc aufmerksam. Wie in Am 1,3 kann xwrc auch als Instrument zum Dreschen verwendet. Somit wÅre an eine Aufnahme des Motivs von 4,13a und Am 1,3 zu denken, zumal auch 4,16 parallel zu Am 1,2 formuliert.101 Nicht nur das Gericht Jhwhs ist unwiderruflich, sondern auch das SchlachtgewÛhl, dem die V×lker zum Opfer fallen. Durch den Namen des Tals wird noch einmal festgehalten, dass eine Abkehr Jhwhs von seinem Urteil nicht denkbar ist. (2.) Erneut wird zugesichert, dass das Volk Jhwhs bei Jhwh Schutz findet. 4,14–16 fÛhrt die Schlachtbilder von 4,9–11a mit der Vorstellung von kosmischen Auswirkungen des hwhj ¥wj zusammen. 3.4.3.6 Abschließende Erkenntnisformel – Joel 4,17 Und ihr werdet erkennen, dass ich Jhwh euer Gott bin, der auf dem Zion wohnt, meinem heiligen Berg. Und Jerusalem wird heilig sein, dass Fremde es nicht mehr durchziehen.

97 W. Rudolph liest statt bwrq brq (Kampf) und begrÛndet dies damit, dass der hwhj mwj nicht mehr nur nahe sein kann, sondern gegenwÅrtig sein muss. Da der Text unversehrt und verstÅndlich ist, ist die Šnderung nicht notwendig. Vgl. W. RUDOLPH, KAT XIII/2, 78. 98 Vgl. Am 1,2. 99 Das Lexem fyr verweist auf Am 1,1. 100 T. H. ROBINSON/F. HORST, Propheten, 208. Vgl. I K×n 20,40; Jes 10,22 und Dan 9,26. 101 Mit W. RUDOLPH, KAT XIII/2, 78.

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4,17 schließt die Darstellung des Kampfgeschehens am hwhj ¥wj mit einer HeilsankÛndigung ab, wie 2,27 den ersten Teil Joels abrundet. Wegen dieser Strukturparallele bildet der Vers den Abschluss von 4,9–16 und nicht die Einleitung von 4,18–21.102 M×glicherweise handelt es sich um einen frÛheren Buchschluss. An seiner jetzigen Stelle hat 4,17 die Funktion eines ºbergangs von den vom KampfgetÛmmel geprÅgten Versen 4,14–16 zum in 4,18–21 ausgefÛhrten Heilsbild. Wegen des Unterschieds zu 4,9–11a; 4,12 f und 4,14–16 kann 4,17 eher der Hand eines Redaktors zugeschrieben werden als die Zusammenstellung verschiedener Stoffe in 4,9–16. Inhaltlich stellt V. 17 heraus, dass die Heiligkeit Jerusalems dadurch hergestellt wird, dass Fremde nicht mehr die Stadt durchziehen. Dabei wird zwischen Jerusalem und dem Zion unterschieden. Der Zion ist dadurch heilig, dass Jhwh auf ihm seinen Wohnsitz nimmt. Die Heiligkeit Jerusalems dagegen muss erst durch das Eingreifen Jhwhs hergestellt werden. Sie ist dann erreicht, wenn Fremde nicht mehr die Stadt betreten. Damit erhÅlt Jerusalem wieder die Unverletzbarkeit zurÛck und bleibt vor allem Unreinen geschÛtzt. Die ¥jrz (in Joel nur hier) kommen eher in ihrer Unreinheit in Verbindung mit dem Wohnen Jhwhs auf dem Zion in den Blick als als Feinde Jhwhs. Deswegen sollten sie nicht mit den V×lkern in 4,9–16 gleichgesetzt werden, denn sonst wÅre wie in 4,2.9.11 f auch an dieser Stelle von ¥jwg die Rede.103 Hinter dem Wunsch, dass Fremde Jerusalem nicht mehr durchziehen, steht das Konzept der Reinheit Jerusalems. V. 17 k×nnte sich damit auf den Durchzug von Soldaten, bzw. auf die Stationierung fremder Truppen in Jerusalem beziehen. Denkbar ist aber nicht nur eine militÅrische Komponente. Die wahrscheinlich auf Betreiben der Priesterschaft erlassenen Verordnungen Antiochus’ III., dass HÅndler nicht mit Tieren die Stadt betreten dÛrfen, die nicht in Jerusalem geschlachtet werden, zeigen, dass das theologische Konzept der Reinheit sich auch gegen wirtschaftlichen Verkehr richtete.104 Zumindest im ºbergang vom 3. zum 2. Jh. v.Chr. mÛssen Kreise in Jerusalem den Handel in der Stadt aus religi×sen GrÛnden als BeeintrÅchtigung empfunden haben. Vielleicht hat sich in Joel 4,17 eine solche theologische Position niedergeschlagen. Damit findet die Unterscheidung zwischen V×lkern, d. h. den primÅr kriegerischen Bedrohungen Jerusalems, und Fremden eine sinnvolle ErklÅrung. Wie der ºberblick Ûber die Beziehungen zur Diaspora gezeigt hat, kann es sich bei den ¥jrz um Angeh×rige der Diaspora handeln, die aufgrund ihrer fremden Sitten nicht als eigentliche Israeliten wahrgenommen werden.

102 103 104

Gegen J. L. CRENSHAW, Imagination, 130. Gegen J. L. CRENSHAW, Imagination, 131. Vgl. dazu 2.4.4.

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3.4.3.7 Intention der Sammlung zum hwhj ¥wj 4,14–17 stellt verschiedene Gerichtsbilder zu einem Patchwork zusammen. Die jeweilige Ausgestaltung des Gerichts ist meist von der aufgenommenen Tradition vorgegeben. Jede aufgenommene Tradition hat jedoch im Kontext des Kapitels eine spezifische Funktion: 4,9–11a setzt sich ironisch mit Vorstellungen auseinander, dass Israel friedlich mit den V×lkern zusammenleben k×nnte. Wegen der GewalttÅtigkeit der V×lker kann das Gericht Jhwhs nur als totale Zerschlagung der V×lker vorgestellt werden. Jhwh tritt nicht selber als Richter auf, sondern wirkt lediglich durch die Aufforderung an die V×lker aufzubrechen. 4,12 f vergleicht das Gericht mit der Ernte, die Jhwh nicht selber, sondern durch die Angeredeten ausfÛhren lÅsst. Erst 4,11b bestimmt diese Adressaten als Jhwhs MÅchtige. Der Blick liegt geographisch eher auf der Umgebung Jerusalems. Die Gewaltbereitschaft der V×lker tritt zurÛck. Der Grund fÛr das Gericht ist, dass die Zeit dafÛr reif ist. In 4,14–16 wird der V×lkerkampf mit den kosmischen Auswirkungen des hwhj ¥wj verknÛpft. Besondere Betonung liegt darauf, dass das Gericht unumkehrbar beschlossen ist. Darin k×nnte eine Klarstellung gegenÛber einer Parusieverz×gerung liegen oder eine theologische Korrektur gegenÛber der Umkehrbarkeit des Gerichtes, auf die in Joel 2 gehofft wird. Diese drei Traditionen werden von 4,17 zusammengebunden. Das Ziel dieses Patchwork-Abschlusses liegt darin, die UnberÛhrtheit und Heiligkeit Jerusalems zu betonen, wie sie durch den hwhj ¥wj hergestellt wird. GegenÛber anderen Teilen des Joelbuches zeigt sich ein konzeptioneller Neuansatz des vierten Kapitels. Die VerÅnderung vom Unheil zum Heil beginnt weder bei den Bewohnern Jerusalems durch ein Fasten (Joel 2) noch vermittelt durch die Mitteilung von Lebenskraft und die prophetische Gabe (Joel 3), sondern durch den Sieg Jhwhs Ûber die FeindmÅchte. Ausgerichtet ist diese Vorstellung vom Gericht Ûber die V×lker zum einen auf die M×glichkeit einer friedlichen Existenz Israels, aber auch auf die Reinheit Jerusalems, die durch die Vernichtung der V×lker und die Entfernung der Fremden gewÅhrleistet wird. Die Verschiebung der Perspektive auf die Reinheit Jerusalems ist genauso wie die ErwÅhnung der ¥jrz eine Eigenheit der TagJhwh-Sammlung im Joelbuch. 3.4.4 Heilsbilder fÛr Juda und Jerusalem – Joel 4,18–21 Und es wird geschehen an jenem Tag,105 dass von den Bergen Wein tropft,

105 Die eschatologische Formel awhh ¥wjb hjhw wird oft in prophetischer Literatur verwendet, um ergÅnzendes Material mit dem vorangehenden zu verknÛpfen. HÅufig findet sie sich in Sach 12–14; Ez 38; 39 und in manchen Teilen des Jesajabuches. (Jes 7; 10; 11 und 22–27). Das Joelbuch dagegen benÛtzt an anderen Stellen fÛr VerknÛpfungen abweichende Formeln.

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dass von den HÛgeln Milch str×mt,106 dass alle BÅche Judas voll Wasser str×men, und dass eine Quelle ausgeht vom Haus Jhwhs, um das Akaziental zu trÅnken. Dass Šgypten zur WÛste wird und Edom zur Wildnis der VerwÛstung wird wegen der Gewalt an den S×hnen Israels, weil sie unschuldiges Blut vergossen haben in ihrem Land.107 Und dass Juda auf ewig wohnt und Jerusalem von Generation zu Generation. Ich werde ihr Blut ungestraft lassen, nicht ungestraft lasse ich es,108 und Jhwh wohnt auf dem Zion.

4,18–21 malt die Konsequenzen des von V. 17 angekÛndigten Wohnen Jhwhs auf dem Zion aus. Dabei signalisiert die eschatologische Formel einen an das Vorangehende anknÛpfenden Neuanfang. Mit dem Wohnen Jhwhs auf dem Zion geht eine paradiesische Fruchtbarkeit des Landes um Jerusalem einher (V. 18) und offenbar als Kehrseite dessen die VerwÛstung Šgyptens und Edoms (V. 19). V. 20 nimmt zum Abschluss noch einmal das Motiv des Wohnens Jhwhs auf dem Zion auf. Der Anschluss von V. 21 daran bereitet Schwierigkeiten. Innerhalb des Verses wird von der ersten zur dritten Person gewechselt. Die StrafankÛndigung (V. 21a) ist ein Fremdk×rper zwischen den Aussagen Ûber das Wohnen Jhwhs auf dem Zion in V.20 und V. 21b. Die in 2,19–26 angekÛndigte Wende der Nahrungsmittelversorgung wird von 4,18 aufgenommen und ins wunderbare gesteigert. Dabei ist die thematische Verwandtschaft zu Am 9,11–15 deutlich. ºberwiegend wird Am 9,13abb als Aufnahme von Joel 4,18 verstanden, weil Joel 4,18 stÅrker im Kontext verankert ist.109 Denkbar ist auch Joel 4,18 und Am 9,13 im Zusammenhang einer Redaktion des ersten Teils des Dodekaprophetons zu sehen, die vor allem die Beziehung der beiden aufeinander folgenden BÛcher

Eine vergleichbare Vorstellung findet sich in Am 9,13. Syntaktisch ist eher an Juda zu denken als an Edom und Šgypten. Inhaltlich wÅre beides m×glich. Vgl. dazu J. L. CRENSHAW, Imagination, 130. 108 Die alten ºbersetzungen zeigen, dass der Vers schon frÛh Probleme gemacht hat. LXX Ûbersetzt mit kaı` e™kdikv´sw to` aıÕma au™tw˜n kaı` ou™ mv` a™hw’w´sw. W. RUDOLPH, KAT XIII/2, 78 schlÅgt vor, fÛr hqn das akkadische niqu mit der Bedeutung „ausschÛtten“ zu lesen. Eine andere M×glichkeit ist, V. 21aa als Fragesatz und V. 21ab als feste Zusage zu verstehen. Statt des von einem finiten Verb gefolgten Infinitiv absolutus (hqnj al hqn) wie in anderen Aufnahmen der Gnadenformel (Nah 1,3 und Ex 34,7) konstruiert 4,21 mit zwei finiten Verben (jtjqn al ¥md jtjqnw). Außerdem ist ¥md eingefÛgt. Weil die Aufnahme der Formel deutlich erkennbar ist, sollte keine ºbersetzung gesucht werden, die vom MT abweicht und statt dem ersten hqn ¥qn liest. 109 Vgl. z. B. A. SCHART, Entstehung, 261. 106 107

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verstÅrkt.110 Inhaltlich orientiert sich 4,18 eng an den DÛrreklagen im ersten Buchteil. Lediglich die Aufnahme der Tradition der vom Haus Jhwhs ausgehenden Quelle geht Ûber eine ErfÛllung der Verheißung von 2,19–26 heraus. Joel 4,18 weist keine direkte AnknÛpfung an andere Stellen auf, so dass eher eine gemeinsame Tradition als eine literarische Beziehung anzunehmen ist.111 Eine leichte Verschiebung der Perspektive gegenÛber den ersten beiden Kapiteln liegt, wie J. L. Crenshaw feststellt, in der Absenz priesterlichen Personals. Wenn Joel 4,18–21 in einem priesterlichen Milieu entstanden wÅre, dÛrfte man vermuten, dass sich dies im Text auch niedergeschlagen hÅtte.112 Wie Joel 4,9–16 Material zum hwhj ¥wj zusammenstellt, bietet 4,18 eine Collage eschatologischer Paradiesvorstellungen. Als deren Kehrseite geh×ren weitere Folgen des Wohnen Jhwhs auf dem Zion dazu (V. 19). Insbesondere ist dies die Freiheit Israels von seinen Feinden. Ihre LÅnder werden zur WÛste, damit passiert ihnen Åhnliches wie Israel in 1,1–2,11. Sachlich hebt sich die Nennung der beiden V×lker Edom und Šgypten von 4,1–3 und 4,9–17 ab. Zwei LÅnder werden aus dem allgemeinen V×lkergericht herausgenommen, wie es auch im Obadjabuch und am Ende des Amosbuches mit Edom geschieht.113 Hinter der singulÅren Zusammenstellung von Edom und Šgypten114 k×nnte genauso wie in der Nennung der an Israel angrenzenden Staaten in 4,4–8 eine aktuelle politische Konstellation stehen. WÅhrend 4,4–8 m×glicherweise Am 1,6–10 vorwegnahm, findet sich auch im vom Amosbuch angekÛndigten V×lkergericht keine ErwÅhnung Šgyptens. WÅhrend die StrafankÛndigung genauso traditionell wie vom Bild her nahe liegend und auch die Schuldangabe mit anderen V×lkerworten vergleichbar ist, kann man die ErwÅhnung Šgyptens neben Edom nicht traditionsgeschichtlich erklÅren. Deshalb muss diese Aufnahme einen Grund

Vgl. z. B. J. JEREMIAS, Amos, 136 f und K. KOENEN, Zeitenwende, 99. Vgl. Ps 46,5; Sach 14,8 und Ez 47,1–12. Am nÅchsten steht Joel 4,18–21 Ez 47. Dort sind statt einer Quelle zwei FlÛsse genannt. M×glicherweise kennt Joel noch nicht die Teilung des Lebenswassers in die beiden Str×me. Mit H. W. WOLFF, BK XIV/2, 101. Damit ist allerdings kein terminus ante quem von Joel 4,18–21 gegeben, da sich ein direkter literarischer Bezug nicht nachweisen lÅsst. Auch das Tal der Akazien (¥juf) als Ort, in den sich die Quelle ergießt, lÅsst keinen weiteren Schluss auf die Herkunft der Tradition zu. Der Name des Tals ist von allen anderen Stellen traditionsgeschichtlich unabhÅngig. M×glicherweise steht hinter der Formulierung eine uns nicht mehr zugÅngliche symbolische Bedeutung. M×glicherweise hÅngt der Name mit der Notwendigkeit zusammen, kultische GegenstÅnde aus Akazienholz zu fertigen. Vgl. dazu J. L. CRENSHAW, Joel, 200. 112 „The divine promise in 4: 17–21 does not elevate priestly personnel, although it assures the purity of Jerusalem and the permanent presence of the city.“ J. L. CRENSHAW, Imagination, 133. 113 Vgl. Ob und Am 9,12a. 114 Lediglich in Jer 9,25 und Jer 25,19 stehen beide LÅnder zusammen mit anderen V×lkern in einem Gerichtswort. 110 111

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gehabt haben, der aus dem Entstehungsmilieu des Textes zu erklÅren ist. Šgypten k×nnte neben Edom stehen, um prophetische GerichtsankÛndigungen gegen den traditionellen Erbfeind auf Šgypten zu Ûbertragen.115 Mit der Zusammenstellung wird alles, was im Obadjabuch bzw. anderen V×lkerworten Edom angekÛndigt wird, auch gegen Šgypten gewendet. BegrÛndet wird die Bestrafung Šgyptens (und Edoms) doppelt: Beide V×lker haben an den S×hnen Judas Gewalt verÛbt. Eine Åhnliche Formulierung findet sich in Ob 10, und so kann der Leser die knappe BegrÛndung aus dem Obadjabuch ergÅnzen. Zweitens wird nachgeschoben, dass Šgypten und Edom unschuldiges Blut vergossen haben.116 Offen bleibt, wo die Verbrechen verÛbt wurden. Syntaktisch liegt es nahe, dass es um das Land der JudÅer geht, d. h. Šgypten (und Edom) in Jerusalem oder der Umgebung Blut vergossen haben. Inhaltlich denkbar wÅre aber auch, dass es sich hier um Verbrechen an der jÛdischen Diaspora in Šgypten handelt. Das Ziel von 4,18 und auch 4,19 ist die ungest×rte Zukunft Israels, die in 4,20.21b noch einmal in Aufnahme von 4,17 herausgestellt wird. Aus diesem Rahmen fÅllt 4,21a. M×glicherweise liegt eine Glosse vor, die wie H. W. Wolff vermutet, „eine letzte theologische KlÅrung“ herbeifÛhren will.117 Aber auch eine nachtrÅgliche Umstellung der beiden letzten Verse wÅre denkbar, um das Buch mit der Quintessenz V. 21b zu schließen.118 Die Formulierung jtjqn al ¥md jtjqnw nimmt Worte aus dem Kontext der von H. Spieckermann als Gnadenformel bezeichneten Wendung auf,119 die auch im Hintergrund von Joel 2,13b.14a steht. M×glicherweise wurde dieser Kommentar durch den Åhnlich lautenden V. 19b (ajqn ¥d) veranlasst. Joel 2,13b.14a ist ein vom Jonabuch abhÅngiger Nachtrag.120 Dies macht es wahrscheinlich, dass es sich bei Joel 4,21a um eine ErgÅnzung von gleicher Hand handelt, die auf die Aufnahme des Jonabuches in das Dodekaprophe-

115 „Unter ihren Nachbarv×lkern haben sich die Israeliten keinem im Guten wie im B×sen so verbunden gefÛhlt wie den Edomitern.“ M. WEIPPERT, Edom, 297. Dies findet im Esau-Jakob-Zyklus seinen deutlichsten Ausdruck und lÅuft auf zahlreiche Anti-Edom-Texte in der Prophetie hinaus. Vgl. dazu auch W. DIETRICH, Obadja, 718. Wahrscheinlich ging die Erbfeindschaft auf eine gemeinsame Vorgeschichte von Bev×lkerungsgruppen zurÛck. Der Name Edoms konnte „als Chiffre fÛr jeden Israels Existenz bedrohenden Feind (wie die R×mer) dienen“. M. WEIPPERT, Edom, 297. 116 Die Anklage bedient sich einer ungew×hnlichen Formulierung. Mit dem Verb ipf wird im Zw×lfprophetenbuch vor allem Handeln Jhwhs ausgedrÛckt: Entweder das Ausgießen von Lebenskraft wie in Joel 3,1 f; Jhwhs Sch×pferhandeln (Am 5,8; 9,6) oder das Austeilen seines Zornes (Zef 3,8). Es finden sich aber auch Stellen, an denen Israel vorgeworfen wird, Blut vergossen zu haben. Vgl. z. B. Jes 59,7; Ez 22 und 36,18. 117 H. W. WOLFF, BK XIV/2, 102. 118 Vgl. im Anschluss an B. Duhm W. RUDOLPH, KAT XIII/2, 78 und auch J. L. CRENSHAW, Joel, 203. 119 Mit H. SPIECKERMANN, Barmherzig, 3. Vgl. dazu auch 6.3.4. 120 Vgl. dazu 5.4.3.

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ton reagiert. Die zwei Seiten der von der Gnadenformel vorgenommenen Wesensbestimmung Jhwhs, die Freude an der Gnade und der Wille zu Strafen, werden von einander getrennt. Die Gemeinde Jhwhs kann die Vergebungsbereitschaft Jhwhs erwarten, die V×lker im Gericht dagegen seine strafende Seite. Ein spÅterer Leser hÅlt in 4,21a also noch einmal fest, dass die Gnadenformel eben nicht fÛr die Fremdv×lker gilt, sondern nur auf Israel bezogen werden kann. Die EinfÛgung an dieser Stelle richtet sich besonders gegen Šgypten und Edom. 3.4.5 Joel 4 und die hwhj ¥wj Konzepte des Joelbuches Das Joelbuch fÛhrt den Tag Jhwhs in das Dodekapropheton ein. Naturkatastrophen sind Vorboten des hwhj ¥wj (Joel 1,15), der durch eine Umkehr des Volkes abgewendet werden kann. Das Gericht bricht Ûber Jhwhs Volk innerhalb der Geschichte an. Die Zeit fÛr Israel lÅuft nur dann auf den Tag Jhwhs zu, wenn es nicht umkehrt. Dieses ZeitverstÅndnis wird in Kap. 3 relativiert: Die Zeit der hier geschilderten Ereignisse hat eine andere QualitÅt. Es geht um eine neue Phase, um das „danach“. Der Tag Jhwhs ist jetzt kosmisches Vernichtungsgeschehen, von dem Rettung nur auf dem Zion fÛr diejenigen m×glich ist, die den Namen Jhwhs anrufen. Joel 4 versteht den Tag Jhwhs wiederum als allgemeines V×lkergericht, von dem der Zion und Jerusalem ausgenommen sind. Dem Gericht Ûber Israel in Joel 1 f wird damit eines Ûber die V×lkerwelt angefÛgt, bei dem Israel nicht mehr beteiligt ist. Im Gegensatz zu Kap. 3 werden keine Kriterien fÛr das ºberleben genannt. Die Heiligkeit des Zion schÛtzt Juda und Jerusalem von sich aus. Israel ist nur z. T. als Gerichtswerkzeug am Tag Jhwhs beteiligt, und kommt dadurch in den Blick, dass die V×lker hinsichtlich ihrer Verfehlungen gegenÛber Israel bestraft werden. Aus der Leserperspektive relativiert sich der Unterschied der beiden Kapitel. Die Schilderung des allgemeinen V×lkergerichts wird quasi durch die Brille des kosmischen Vernichtungsgeschehens gelesen. Die Joelschrift stellt drei in Israel prÅsente Sichtweisen zusammen, die den Tag Jhwhs von verschiedenen Seiten beleuchten.121 Dabei ist auch die Verschiebung des VerstÅndnisses des Themas deutlich. Neben anderen gedanklichen Verbindungslinien hÅlt die zentrale Bedeutung des Zions die drei Konzepte zusammen.

121

In diese Richtung versteht R. RENDTORFF, Theologie, 258 die Funktion der Joelschrift.

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3.5 Die Entstehung des Joelbuches 3.5.1 Stand der Forschung In der Diskussion Ûber die Entstehung des Joelbuches stehen sich zwei Positionen gegenÛber: Die eine Seite rechnet mit einem in sich geschlossenen Entwurf. Andere sehen aufgrund der Schwierigkeiten des Ineinanders von Heuschrecken- und DÛrreplage und ihrer Bedeutung fÛr den Tag Jhwhs die Notwendigkeit einer redaktionsgeschichtlichen L×sung. Eine Zweiteilung des Buches in einen historischen Teil und eine Weissagung wird z. B. von K. Marti unternommen.122 Dem gegenÛber beurteilt B. Duhm das Buch neu.123 FÛr ihn sind die Tag-Jhwh-Stellen in den ersten beiden Kapiteln EinschÛbe eines synagogalen Predigers der MakkabÅerzeit, die das Werk eines Dichters eschatologisch umdeuten. Diese Sicht hat viele Ausleger geprÅgt.124 Dagegen betonen W. S. Prinsloo und H. W. Wolff die Einheit des Buches.125 SpÅtere redaktionskritische Modelle fanden keine große Resonanz.126 Die Funktion des Buches im Dodekapropheton hat sich bisher wenig in der Diskussion niedergeschlagen. Eine Untersuchung seiner Entstehung im Vergleich mit den Ûbrigen Schriften dieser Prophetensammlung ist bisher nur in AnsÅtzen unternommen worden.127 Auch O. Kaisers Beobachtung, dass es sich beim Joelbuch um ein „SpÅtprodukt der Schriftprophetie“128 handelt, ist bisher zu wenig berÛcksichtigt worden. 3.5.2 Joel in der Diskussion um die Entstehung des Dodekaprophetons Um Ansatzpunkte und Hypothesen eines Modells zur Entstehung und zum Wachstum des Joelbuches zu formulieren, bedarf es einer Untersuchung des Joelbuches im Kontext des Dodekaprophetons. Dabei geht es um Fragen, welche Prophetentexte das Joelbuch voraussetzt, welche Konzepte innerhalb des Dodekaprophetons mit den Konzeptionen des Joelbuches vergleichbar sind und welche Texte oder StÛcke Material aus dem Joelbuch aufnehmen. Da diese Studie solche Vergleiche nur exemplarisch durchfÛhren kann, basiert die Untersuchung zunÅchst auf Ergebnissen der Vgl. K. MARTI, Dodekapropheton. Vgl. B. DUHM, Nahum. 124 Vgl. z. B. die Kommentare E. SELLINs, Zw×lfprophetenbuch und T. ROBINSONs, Propheten. Eine ausfÛhrlichere Darstellung der Ålteren Forschungsgeschichte findet sich bei O. KAISER, Einleitung, 291. 125 Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/2; W. S. PRINSLOO, Joel; W. S. PRINSLOO, Unitiy; A. WEISER, ATD 24 und A. S. KAPELRUD, Joel. 126 Vgl. O. PL°GER, Theokratie und O. LORETZ, Regenritual. 127 Vgl. O. H. STECK, Prophetie und darauf aufbauend E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen sowie J. D. NOGALSKI, Processes und A. SCHAART, Entstehung. 128 O. KAISER, Grundriß, 115. 122 123

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Forschung, bevor dann mit dem Tag Jhwhs ein Thema herausgegriffen und untersucht wird. 3.5.2.1 Der Zusammenhang zwischen Joel und Obadja S. Bergler weist vor allem im 4. Kapitel des Joelbuches (4,3.9–11.14.19) literarische AbhÅngigkeiten nach, aber auch in Joel 3,5 sowie in 2,1.9.129 Joel kennt das Obadjabuch und entwickelt die in Obadja aufgezeigten theologischen Linien weiter. A. Schart nimmt diese Ergebnisse auf, interpretiert sie aber dahingehend, dass er aus der Leserperspektive „Obd als eine erneute BekrÅftigung wichtiger Teilaspekte von Joels Botschaft“ versteht. „Insbesondere insistiert Obd auf dem Gericht Ûber die V×lker.“130 Die Arbeiten S. Berglers und A. Schaarts zeigen den Zusammenhang zwischen Obadja und Joel. Sie unterscheiden sich hinsichtlich der Beurteilung der PrioritÅt. S. Bergler versteht Joel als Aufnahme des Obadjabuches. A. Schart sieht beide Schriften als miteinander zusammenhÅngenden Rahmen um das Amosbuch. 3.5.2.2 Das Joelbuch als Bindeglied verschiedener Korpora FÛr J. D. Nogalski ist die Entstehung des Joelbuches eng verbunden mit der Gesamtkonzeption des Dodekaprophetons. Das Joelbuch wurde als Bindeglied verschiedener schon feststehender Korpora konzipiert.131 Im Zusammenhang dieser Bearbeitung entsteht das Mehrprophetenbuch. Neben Joel und Obadja werden auch Nahum, Habakuk und Maleachi aufgenommen und erweitert. Deswegen spricht J. D. Nogalski von einer Joel-Schicht.132 Allerdings bezeichnet er diese Schicht nicht als durchgehende redaktionelle Einheit und geht so auch von redaktionellen Wachstumsspuren innerhalb des Joelbuches aus. Zwischen Joel und den das Nahum- und Habakukbuch erweiternden Hymnen macht J. D. Nogalski eine Relation aus. Dies ist nur m×glich, weil er zwischen Theophaniemotiven und der hwhj ¥wj Tradition nicht unterscheidet. Die sachliche NÅhe der beiden ist die BegrÛndung fÛr die These, dass Nah und Hab von der auf Joel bezogenen Schicht des Dodekaprophetons eingefÛgt worden seien.133 Auf den Unterschied zwischen Theophanietradition und dem hwhj ¥wj hat A. Schart aufmerksam gemacht. Theophanietraditionen werden dazu genutzt, „um rÛckblickend das historische Schicksal sowohl von Nord- und SÛdreich als auch von Assur und Babylon zu deuten.“134 Das Tag-Jhwh-Konzept nimmt dagegen keine einzel-

Vgl. S. BERGLER, Joel, 301 ff. A. SCHART, Entstehung, 274. 131 J. D. NOGALSKI, Processes, 274 f sieht in Haggai und Sach 1–8 genauso wie im deuteronomistischen Korpus (Hos; Am; Mi und Zef) unabhÅngig publizierte Dokumente. 132 Vgl. J. D. NOGALSKI, Processes, 275 f. 133 J. D. NOGALSKI, Processes, 275 f. 134 A. SCHART, Entstehung, 281. 129 130

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nen V×lker in den Blick, sondern erwartet ein endgÛltiges eschatologisches Einschreiten Jhwhs.135 J. D. Nogalski macht wichtige Beobachtungen zur Beziehung verschiedener Texte im Mehrprophetenbuch. Seine Analyse ist allerdings nicht differenziert genug, um stichhaltige Ergebnisse zu liefern. Dazu kommt, dass seine Annahmen von konzeptionellen Parallelen, bzw. Zitaten und Anspielungen oft methodisch nicht ausreichend fundiert sind. 3.5.2.3 Joel und eine Reflexion Ûber das Gericht Assurs und Babels Einen Schritt weiter geht E. Bosshard-Nepustil. Er baut auf Ergebnissen von O. H. Steck auf und sieht das Joelbuch im Zusammenhang mit zwei das ganze Zw×lfprophetenbuch umfassenden Redaktionsschichten, die durch diese Sammlung so genannte Sachlinien ziehen und das, was am Anfang offen bleibt, in spÅteren BÛchern nachtragen.136 Joel *1,1–2,11 schreibt er neben *Hab 1,1–2,4 und Zef *1,1–3,8a einer Assur/Babel Redaktion zu. Sie ist durch „literarische VerknÛpfungen, Ûbergreifende Struktur, durchgehende Sachlinien, gemeinsame Inhalte, gemeinsame traditionsgeschichtliche PrÅgung“137 verbunden und nimmt auf die BÛcher Hosea, Amos, Micha und Nahum Bezug. Solche Sachlinien sind die Fragen, wie und wer im kÛnftigen Gericht bestehen kann, die SouverÅnitÅt Jhwhs gegenÛber seinem Gerichtsheer und die offengelassene Schuldfrage hinsichtlich des Gerichts. Die Assur/Babel Redaktion liest das Zw×lfprophetenbuch als chronologisch geordnete Abfolge, die von der Ansage des Gerichtes gegen das Nordreich (Hosea) bis zur Schilderung des an Jerusalem und Juda durch Babel ausgefÛhrten Gerichts (Zefanja) an entscheidenden Ereignissen orientiert ist.138 Diese Redaktion zielt auf 587/6 v.Chr. und versteht dieses Gericht als ein differenziertes, das nur einen Teil des Volkes betroffen hat. Damit knÛpft sie an die deuteronomistisch beeinflusste PrÅgung der verarbeiteten Ålteren BÛcher an und beschrÅnkt sich darauf, „Textbl×cke dazwischenzuschalten bzw. anzufÛgen, die Anleitung geben, unter welcher Perspektive das Vorhergehende oder Nachfolgende eigentlich zu verstehen ist.“139 Hinsichtlich des TrÅgerkreises konstatiert E. Bosshard-Nepustil eine Verschiebung. Von einer deuteronomistischen FÅrbung gelangen die BÛcher in einen „wohl kultprophetisch bestimmten Einflussbereich“.140 Zeitlich ist die Re-

135

Vgl. A. SCHART, Entstehung, 281. Vgl. z. B. E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen, 339. 137 E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen, 342. 138 Denkbar ist fÛr E. Bosshard-Nepustil, dass die *Joel, *Hab und *Zef enthaltende Schicht weitere Texte in den BÛchern umfasst, die es als Chronologie liest. Hier handelt es sich aber zumeist um kleine EinschÛbe. Vgl. E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen, 343 ff. 139 E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen, 351. 140 E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen, 352. Ein Hinweis darauf ist die durchgehende Dif136

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daktion kurz nach einem parallelen Redaktionsvorgang im Jesajabuch (etwas nach 562 v.Chr.) anzusetzen. Joel 2,12–27 geh×rt zu einer auf die Babel-Redaktion im Ersten Jesaja bezogenen Schicht im Zw×lfprophetenbuch, die sich neben dem Joelbuch auch in Micha, Nahum, Habakuk und Zefanja niederschlÅgt. Kennzeichnend fÛr diese Redaktion ist die Rede von der Entfernung und Vernichtung des N×rdlichen. Das Gerichtswerkzeug fÅllt selbst unter das Gericht.141 Dazu kommt das Motiv des Umschwungs, bzw. des Eiferns Jhwhs fÛr sein Volk.142 Das durchgÅngige eigene Profil zeigt sich im bevorstehenden Gericht gegen Babel und der Hoffnung auf die Restitution des Gottesvolkes. Die Schicht ist fÛr ihren literarischen Kontext verfasst. Nach Rufen zur Umkehr aus einer BedrÅngnis heraus wird die Restitution des Landes und des Volkes thematisiert. Die Differenzierung des Gottesvolkes tritt gegenÛber der vorangehenden Redaktion in den Hintergrund. Der Tag Jhwhs ist der Tag des Zorns, an dem das Gottesvolk geschÛtzt wird. E. Bosshard-Nepustil ordnet diese literarische Ebene des Zw×lfprophetenbuches einer eine Landposition vertretenden, zionstheologisch orientierten Verfasserschaft zu, die er in der Zeit um 520 v.Chr. verortet.143 Ihr VerhÅltnis zur Kultprophetie ist nicht zu klÅren. Joel 3 und 4 finden in der Untersuchung E. Bosshard-Nepustils keinen Ort, obwohl er einen kurzen Ausblick auf Texte unternimmt, die ab der spÅten Perserzeit entstanden sind. Hier zeigen sich die Grenzen seiner Studie, wenn es ihr nicht gelingt, ein Gesamtbild fÛr die Entstehung des Joelbuches zu entwerfen. E. Bosshard-Nepustil erarbeitet seine Redaktionsschichten unter der Voraussetzung, dass das Mehrprophetenbuch genauso wie das Jesajabuch als ein einziges Buch gelesen, rezipiert und fortgeschrieben wurde. Deswegen spricht er von Sachlinien, die offen gebliebene Fragen in spÅteren ZusammenhÅngen klÅren. Im Mehrprophetenbuch selber finden sich aber keine Anzeichen dafÛr, dass das Buch ein Buch der Geschichte Israels und seiner Propheten sein will. Auch in der spÅteren Rezeptionsgeschichte wird das Buch nicht als Einheit gelesen. Nach der grundlegenden Kritik von E. Ben Zvi an dieser Voraussetzung sollte ein solcher Zugang zur vermeintlichen KlÅrung redaktionsgeschichtlicher Fragen nicht mehr unternommen wer-

ferenzierung im Gottesvolk bezÛglich Tun und Ergehen im Gericht. Vgl. E. BOSSHARD-NEPURezeptionen, 339. 141 In literarischem Zusammenhang damit steht Zef 2,13–15 und Hab 1,12a; 2,5–17(/20?); *3,2–19a. 142 Wegen dieser Sachlinie geh×ren auch Mi 7,10 und Nah 1,1–3 zur Babel Redaktion des Zw×lfprophetenbuches. Zudem sieht E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen, 367 eine NÅhe zu Sach 1,12.15b. Mi 7,10 und Nah 1,1–3 sind wiederum Teil eines gr×ßeren literarischen Zusammenhangs (Mi 4,9 f.14; 5,2; 7,7–10; Nah 1,1b.2–8.9 f.12a.b.13 und 2,1). 143 Vgl. E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen, 405.

STIL,

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den.144 Auch im Einzelnen ist das Modell zu kritisieren. E. Bosshard-Nepustil schließt von der Verwendung gleicher Motive auf eine Redaktionsschicht ohne Analyse, ob die Motive mit vergleichbarem konzeptionellem Interesse aufgenommen werden. Ein Beispiel dafÛr ist die Zuordnung der Nordfeindthematik zur Assur/Babel Redaktion des Zw×lfprophetenbuches. Zwischen Zef 2,13–15 und der Aufnahme des Nordfeindmotives in Joel 2,12–27 gibt es m.E. keine BerÛhrungspunkte. FÛr den Zusammenhang des Zw×lfprophetenbuches und auch dessen Parallelen zum Jesajabuch macht E. Bosshard-Nepustil wichtige Beobachtungen. In der Analyse der Texte fehlt allerdings die n×tige TiefenschÅrfe. 3.5.2.4 Joel als Interpretationsrahmen des Amosbuches A. Schart vertritt in seiner am Amosbuch orientierten Untersuchung der Redaktion des Zw×lfprophetenbuches die Hypothese, dass ein Redaktor mit Joel und Obadja einen Interpretationsrahmen um das Amosbuch legt. Joel 4,16 nimmt den Beginn von Amos als Vorlage.145 Die Amosschrift wird zudem durch Anspielung auf Joel mit diesem Korpus verzahnt.146 So wird das Joelbuch zur Leseanleitung des Amosbuches. „Das hat zur Konsequenz, dass Am auf dem Hintergrund einer umfangreichen und komplexen Zionstheologie gelesen wird, wie sie Joel entfaltet. Andere Heilstraditionen treten demgegenÛber in den Hintergrund. Das Joelbuch stellt heraus, dass es vor dem Ansturm des eschatologischen Feindheeres nur einen sicheren Ort gibt: den Zion.“147 Die in Am 1 f genannten V×lker reprÅsentieren aus der Perspektive des Joelbuches diese Feindmacht. Damit wird auch das Gericht des Amosbuches neu interpretiert: Nicht mehr die Sozialkritik steht im Vordergrund, sondern der Vorwurf, dass Jhwhs Namen entweiht wurde (3,5). In Am 2,7 wird mit der Nennung der Entheiligung des Namens der Einbezug Israels in das Gericht erklÅrt. Der von A. Schart rekonstruierte Joel-Obadja-Korpus ist vor allem durch den engen Bezug auf den Tag Jhwhs strukturiert.148 Der Joel-Obadja-Korpus umfasste zehn Prophetenschriften und findet seinen redaktionellen Niederschlag auch in Sach 14 und eschatologisierenden ZusÅtzen in anderen Schriften.149 A. Schart baut seine Hypothese auf das von S. Bergler heraus-

Vgl. E. BEN ZVI, Twelve. Weitere BezÛge zwischen Joel und Amos sieht A. SCHART, Entstehung, 202 in Joel 2,2.14.25; 3,4 und 4,1.13.17. Auch die Zusammenstellung von Heuschrecken und DÛrre k×nnte sich mit den Visionen des Amosbuches als Vorlage erklÅren lassen. 146 Auch Am 4,9 berÛhrt sich eng mit Joel 1,6–7. Vgl. A. SCHART, Entstehung, 261 f. 147 A. SCHART, Entstehung, 263. 148 „Die AnkÛndigung des Tages Jahwes als eines Gerichtstages Ûber die ganze Welt, nÅmlich Ûber Israel und Ûber die V×lker ist die entscheidende Sinnlinie des JOK. Besonders markant ist die AnkÛndigung der NÅhe dieses Tages.“ A. SCHART, Entstehung, 279. 149 Z. B. Zef 1,10a.12a; Nah 2,4 und Mi 7,4 u. a. Vgl. A. SCHART, Entstehung, 278. 144 145

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gearbeitete Grundmuster der Tag-Jhwh-Texte auf. WÅhrend ºbereinstimmungen und BerÛhrungen zwischen Joel und Obadja außer Frage stehen, sind m.E. die Tag-Jhwh-Konzepte bei Zef und Sach 14 dagegen auf ihre Gemeinsamkeiten mit Joel zu hinterfragen. Dasselbe gilt fÛr die von A. Schart angefÛhrten eschatologisierenden ZusÅtze in anderen Schriften. 3.5.2.5 Ergebnisse der Forschung Der Ausgangspunkt aller ºberlegungen zum Joelbuch und der Entstehung des Dodekaprophetons sind die ZusammenhÅnge, die sich zwischen Obadja und Joel sowie zwischen Joel und Amos ergeben. Eine deuteronomistisch geprÅgte Sammlung, die Hosea, Amos und Micha enthielt wurde um Joel und Obadja erweitert. Die Parallelen zwischen Joel und Obadja lassen sich gut mit der Annahme einer gemeinsamen literarischen Ebene klÅren. Diese Erweiterung der Ålteren deuteronomistischen Sammlung bezieht sich vor allem auf das Amosbuch und hat auch dort Spuren hinterlassen. Verbindungen zu Nahum und Habakuk, zu Zefanja und dem Schluss des Dodekaprophetons sind dagegen weniger plausibel. Bei der Beurteilung der einzelnen Positionen lÅsst sich die jeweilige BegrÛndung der Zuordnung der Texte abwÅgen. Ein Vergleich der Versuche von E. Bosshard-Nepustil und A. Schart, zeigt aber wie subjektiv die jeweilige Zuordnung von Texten, Redaktionen und Schichten im Einzelnen ist. Problematisch ist dabei nicht nur die Einordnung einzelner Texte, sondern auch die Differenz der redaktionskritischen Entscheidungen zum jeweiligen Prophetenbuch. Außerdem ist grundsÅtzlich zu diskutieren, ob man von Redaktionsprozessen ausgehen kann, die das ganze Dodekapropheton umfassen und dabei eine bestimmte Sach- oder Sinnlinie im Auge haben. Die Gefahr solcher Linien ist die unzulÅssige Simplifizierung sowie die Vermischung, bzw. Korrektur spezifischer Textaussagen. 3.5.3 hwhj ¥wj Konzepte im Dodekapropheton Die hwhj ¥wj Stellen im Dodekapropheton sind fÛr einige der referierten Studien der Ausgangspunkt fÛr Hypothesen zur Redaktionsgeschichte. Deshalb werden diese Stellen hier exemplarisch behandelt. Leitend ist dabei die Frage, ob sich das Konzept der das Joelbuch in das Dodekapropheton einfÛgenden Redaktion auch in anderen BÛchern findet. Ausgegangen wird von der Leserperspektive.150

150 Eine an der Leserperspektive orientierte Analyse des Mehrprophetenbuches findet sich bei R. RENDTORFF, Theologie, 245 ff. Da wo diese zu nicht ausreichenden Ergebnissen fÛhrt, werden diachrone Fragestellungen einbezogen.

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3.5.3.1 Der hwhj ¥wj im Amosbuch Der Weheruf in Am 5,18–20151 mit seiner Warnung vor der Hoffnung auf einen heilvollen Tag Jhwhs wirkt wie eine Aufnahme und BestÅtigung des Joelbuches. FÛr Israel ist der hwhj ¥wj gleichbedeutend mit dem Tod. Damit befindet sich Am 5,18–20 in gedanklicher NÅhe zu Joel 1. Obwohl Am 1 nicht explizit auf den Tag Jhwhs eingeht, setzt sich hier aus der Leserperspektive die AusfÛhrung der AnkÛndigung des V×lkergerichts (Joel 4,12) fort. Durch die VerknÛpfung von Joel und Am 1 bekommt auch die Aussage, dass Jhwh seinen Gerichtsbeschluss, den Tag Jhwhs, nicht zurÛcknimmt, eine neue Wendung.152 Durch das Joelbuch und die VerknÛpfung zwischen Joel 4,12 und Am 1 ist aus Gerichtsworten gegen die Umgebung Judas und Israels, die auf die Gerichtsansage gegen Israel hinausliefen, eine AnkÛndigung eines V×lkergerichts geworden. WÅhrend in der Konzeption des Amosbuches Kap. 1 f und Kap. 7 f eine Klammer bilden, die das Ende der g×ttlichen Vergebungsbereitschaft gegen Israel als Hauptthema herausstellen, deutet Joel 4 diesen Buchrahmen um. Zudem treten die sozialen Anklagen des Amosbuches gegenÛber der eschatologischen Erwartung zurÛck. 3.5.3.2 Der hwhj ¥wj im Obadjabuch Das Obadjabuch skizziert das Gericht Ûber Edom als Zeichen der NÅhe des Tages Jhwhs. Analog zu Edom werden alle V×lker vernichtet bis auf das Haus Jakobs, das auf dem Zion Rettung findet. Israel ist ausfÛhrendes Organ der Vernichtung, die sich bis auf V. 15b.16 vor allem auf seine Nachbarschaft konzentriert. Wie in Joel 4,6 f werden die Feinde Israels nach der lex talionis bestraft (Ob 15). Parallel ist auch die GegenÛberstellung von Fruchtbarkeit und VerwÛstung.153 Die Tag-Jhwh-Zeile ist zunÅchst der Abschluss einer um das Gotteswort gegen Edom (Ob 2–4) entstandenen Sammlung. Die Verbindung mit dem Motiv des V×lkergerichts geht auf eine ºberarbeitung zurÛck.154 Der Tag Jhwhs wird auf dieser zweiten Ebene des Obadjabuches genauso wie in Joel 4 als Gericht Ûber die Feinde Jhwhs verstanden. Dagegen scheint der Gedankengang der frÛheren Obadjaschrift eher parallel zum VerstÅndnis des Tages Jhwhs in Joel 1 f zu laufen. Das Obadjabuch hat also in Bezug auf das Tag-Jhwh-Konzept einen mit dem Joelbuch vergleichbaren Redaktionsprozess durchlaufen.

151 Am 5 ist traditionsgeschichtlich wahrscheinlich der Ålteste Tag Jhwh Beleg. Vgl. dazu H. SPIECKERMANN, Dies, 197 und J. JEREMIAS, Amos, 76. 152 Vgl. Am 1,3.6.9.11 und Am 2,1.6. 153 Joel 4,18 f und Ob 1,18. 154 Zum ºberblick Ûber die Forschungsdiskussion vgl. E. ZENGER, Einleitung, 397 ff.

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3.5.3.3 Individualisierung der Gerichtsvorstellung im Jonabuch Die erste Gruppe von Prophetenschriften, in denen eschatologische TagJhwh-Konzeptionen eine prÅgnante Rolle spielen, schließt das Jonabuch ab.155 Seine ErzÅhlung ist ein Fremdk×rper gegenÛber Zukunftsbildern anderer Texte. Theologisch ist das Jonabuch dagegen von der Sicht des Tages Jhwhs in Joel 3 und der Vorstellung, dass der Jhwh-Verehrer gerettet wird, nicht weit entfernt. GegenÛber den vorhergehenden BÛchern fallen zwei Gesichtspunkte auf: (1.) Das Jonabuch setzt sich mit Gerichtstraditionen auseinander. Es akzentuiert das Gericht aber individuell: Ninive sitzt nicht als ganzes auf der Anklagebank. Das Buch differenziert durch den Blick auf das Volk, die Grossen und den K×nig. StÅrker noch beschreibt der Jonapsalm die Gerichtserfahrung eines Einzelnen. Ein von Gott Verstoßener ruft Jhwh an und findet bei ihm Rettung. (2.) Die AbhÅngigkeit des Gerichts vom Verhalten der Menschen wird betont und die M×glichkeit zur Umkehr herausgestellt. Diese M×glichkeit ist weder in Joel 4 noch in Am 1 im Blick, auch wenn Joel 4,4–8 und Ob 1,15 durchaus schon eine Relation zwischen Strafe und Verhalten kennen. 3.5.3.4 AnkÛndigungen eines Tages im Micha-, Nahum- und Habakukbuch Vor dem Zefanjabuch hat nur Mi 7,4b BerÛhrung mit dem Thema. Ein von frÛheren Propheten angekÛndigter Tag der Bestrafung (ijpsm ¥wj) ist gekommen. Die ZustÅnde, die nach 7,1–4 im Land herrschen, sind das, „was die Propheten schon lÅngst als g×ttliche Heimsuchung angekÛndigt haben.“156 Es handelt sich also um ein eingetretenes Gericht wie in Joel 1. Von einem Tag sprechen auch noch Nah 2,4b und Hab 3,16b. In Nah 2,4b ist im Kontext einer Schilderung des Aufbaus der Schlacht ein Tag der Vorbereitung eingefÛgt (wnjkh ¥wjb). Dies k×nnte eine nachtrÅgliche Eschatologisierung des SchlachtgetÛmmels sein. Allerdings wÅre ihr Sinn so undeutlich, dass die Annahme einer allgemeineren Bedeutung ohne spezielle theologische Intention nÅher liegend ist. Hab 3,16b bezeichnet am Ende der Vision Ûber das Gericht am K×nig Babels und seinem Heer dieses Gericht als ¥wj hrs fÛr das Jerusalem angreifende Volk. Allerdings ist die TextÛberlieferung problematisch.157 Die Formulierung hrs ¥wj bezeichnet im Psalter oft eine

155 Jona kann als Abschluss des ersten Teiles des Mehrprophetenbuches gelesen werden, weil das Buch keine eigene ºberschrift hat und quasi Ob 1 fortsetzt. Jona wÅre demnach ein weiterer zu den V×lkern gesandter Bote. Vgl. dazu B. M. ZAPFF, V×lkerperspektive, 90. Denkbar ist auch ein RÛckbezug auf Am 1,1. 156 R. KESSLER, Micha, 290. 157 Die Beziehung der 1. Sg. zum hrs ¥wj ist undeutlich. Sinnvoll ist die Korrektur von cwna in hkca. Vom Textbestand nicht gestÛtzt wird dagegen der Vorschlag, als Partikel za voranzustellen. Gegen W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 238.

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Der Tag Jhwhs als V×lkergericht – Das Joelbuch

Not, wegen der der Beter auf den Beistand Jhwhs hofft.158 FÛr eine Verbindung zwischen hrs ¥wj und hwhj ¥wj findet sich in Hab 3,16b kein Anzeichen. 3.5.3.5 Die hwhj ¥wj Interpretation des Zefanjabuches In Zef 1 steht der Tag Jhwhs unmittelbar bevor. Er kommt als Katastrophe Ûber die ganze Welt der Gesch×pfe. Ziel des Gerichtshandelns Jhwhs ist aber Juda, weil dort fremde G×tter verehrt werden. In Texten, die man vorkompositionellen Traditionen zurechnen kann,159 wird der Tag Jhwhs als Gericht Ûber Israel verstanden. In der Beschreibung fÅllt vor allem auf, wie unerbittlich dieses Gericht Ûber die Grossen der Gesellschaft kommt. Eschatologische ZÛge sind dieser Tag-Jhwhs-Konzeption genauso fremd wie der Universalismus eines V×lker- oder Weltgerichts. Traditionsgeschichtlich steht das Material zwischen Am 5,18–20 und Joel 1 f. Die Komposition des Buches ergÅnzt erst nachtrÅglich eschatologische ZÛge. 1,2 f sowie 3,8 f lesen die Ålteren Schriften auf ein allgemeines Weltgericht hin. Zef 2 begrÛndet mit der NÅhe des hwhj ¥wj den Aufruf umzukehren, bevor die Katastrophe ihre vollen Ausmaße erreicht. Der Tag Jhwhs ist hier weniger das alle Lebewesen ausl×schende Gericht, sondern Åhnlich wie im Joelbuch ein Transformationsprozess, der eine begrÛndete Hoffnung auf eine neue Zukunft und Weltordnung beinhaltet, in der alle BedrÛcker besiegt sind und ein Platz fÛr Israel sicher sein wird. Noch stÅrker als bei Joel sind im Zefanjabuch die von Jhwh ausgehenden Transformationen der Gesellschaft und der politischen Machtlage greifbar. Dieses Ineinander von verschiedenen Positionen erklÅrt sich aus der Entstehungsgeschichte des Buches. WÅhrend beim Joel- und dem Jonabuch die Wurzeln der Entstehung nicht bis in vorexilische Zeit reichen, ist dies fÛr Zefanja die plausibelste Annahme. Nachexilisch bekommt das „Geschichtsbuch“ Ûber einen Propheten Zefanja mit seinen Worten gegen die Grossen der Gesellschaft und den Warnungen vor fremden kulturellen EinflÛssen neue AktualitÅt. Die Rezeption des Buches bringt einen weiteren Aspekt in die Tag-Jhwh-Thematik ein: Die Reichen werden an diesem Tag ihren Reichtum verlieren (1,18; 3,11 f). ºbrig bleiben die Armen (2,3; 3,12). Das erste Mal werden mit G×tzenverehrung und sozialen Vergehen in der AnkÛndigung selber GrÛnde fÛr das Kommen des Tages Jhwhs genannt. WÅhrend der hwhj ¥wj fÛr die beiden ersten Teile des Zefanjabuches ein zurÛckliegendes Geschehen ist, steht fÛr eine Rezeption des Buches ein vergleichbarer Tag noch aus. Das Ende des Buches erwartet ein Gericht, das Ûber das an Juda geschehene (1,4–2,3) und das an der V×lkerwelt z. T. schon

158 Vgl. Ps 20,2 und 50,15. Šhnlich formuliert auch der dem Nahumbuch vorangestellte Hymnus (1,7). hrs ¥wj nennt auch Ob 12.14 die Ereignisse um die Eroberung Jerusalems. 159 Vgl. E. BEN ZVI, Zephaniah, 357 f.

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eingetroffene hinausgeht (2,4–15). Diese inhaltliche Steigerung unternimmt der Rahmen 1,2 f und 3,18–20, indem er die Linie weiter zieht, ohne den Terminus hwhj ¥wj aufzunehmen. Es ist nur noch von einem zukÛnftigen Tag die Rede. Jhwh holt das nach, was er am so genannten Tag Jhwhs noch nicht vollendet hat. Darauf folgt eine neue Ordnung, in der auch das Gute in der V×lkerwelt durchzubrechen vermag. Die fÛr den Kontext Ûberraschenden Heilsausblicke fÛr die V×lkerwelt sind an keiner Stelle direkt mit der eschatologischen Sicht auf einen kommenden Tages verknÛpft. DafÛr ist aber genauso wie in Jerusalem auch in der V×lkerwelt ein neues Eingreifen Jhwhs n×tig. FÛr diese Neuinterpretation des Buches dient das geschehene Gericht an Juda und seinen kleineren Nachbarv×lkern als Modell des Gerichtshandelns Jhwhs gegen die Gottlosen. Der Begriff hwhj ¥wj wird mit diesem zurÛckliegenden Gericht verknÛpft. Deswegen versteht das Zefanjabuch den Tag Jhwhs selber nicht mehr eschatologisch. Das Geschehene bildet aber ein Paradigma fÛr das erneute Handeln Jhwhs.160 Das Zefanjabuch bietet eine eigene schlÛssige Deutung des Tag-JhwhMotives. Der fÛr die Gestalt des Buches verantwortliche Verfasser vereint dazu Traditionen thematisch unterschiedlicher Herkunft in einem Gesamtkonzept.161 Trotz Parallelen in der Anordnung der Motive zeigt das Buch charakteristische EigentÛmlichkeiten. 3.5.3.6 Der eschatologische Tag bei Sacharja und Maleachi Von einem eschatologischen Tag, der dem in Zef 3,8 und 3,18 geschilderten durchaus nahe kommt, ist im Sacharjabuch die Rede. „An diesem Tag“ werden V×lker Jhwh verehren (Sach 2,15), eine Periode ungest×rten Friedens bricht an (3,10), Jerusalem wird Heil geschehen, allen Nachbarv×lkern dagegen Unheil (12,1 ff). Das Ende der G×tzen und falschen Propheten innerhalb Israels wird kommen (13,1 ff). Darauf folgen Bilder vom Jerusalem der Endzeit (14,1 ff). Die Linie der letzten Rezeption des Zefanjabuches nimmt Sacharja auf. Die Formulierung awhh ¥jb oder die ausfÛhrlichere Formel awhh ¥jb hjhw verbindet mit der Tag-Jhwh-Thematik im ersten Teil 160 Offen und attraktiv fÛr eine Neudeutung ist das V×lkerwort 2,4–15, das ursprÛnglich als „wohlÛberlegte Darstellung des außenpolitischen KrÅftefeldes, von dem das vorexilische Juda umgeben war“, konzipiert war und das durch den Niedergang Assurs eingeleitete Beben reflektierte. W. DIETRICH, Kontexte, 22. WÅhrend einige Voraussagen schon eingetroffen waren, warteten andere auf ihre ErfÛllung. Gerade an diesen wurde intensiv weiter gearbeitet und interpretiert wie z. B. am Gerichtswort gegen die KÛstengegend (2,5–7), die mit dem Volk der Kreter verbunden wurde. 161 Mit M. H. FLOYD, Prophets, 174 f. M. H. Floyd verzichtet auf eine RÛckfrage nach m×glichen Entstehungslinien des Buches. M. E. ist aber eine diachrone Analyse unverzichtbar, die allerdings den Sinngehalt der Gesamtkonzeption nicht aus dem Auge verlieren darf. Eine so genannte Komposition des Buches ist m.E. nicht mit der Endfassung gleichzusetzen. Schon die Unterschiede zwischen MT und LXX zeigen, dass nach der Komposition eine Weiterarbeit erfolgte, der der Buchschluss zuzuschreiben ist. Vgl. E. ZENGER, Einleitung, 421.

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des Dodekaprophetons unterschiedliche eschatologische Vorstellungen. Dennoch wird diese Erwartung bei aller Anlehnung an Motivik und Vokabular begrifflich eindeutig vom Tag Jhwhs getrennt. Damit baut das Sacharjabuch auf die vom Zefanjabuch vorgenommene Entscheidung auf. Maleachi weicht von dieser Formelsprache des Sacharjabuches ab. Manchmal spielt der Verfasser geradezu mit der Tradition.162 Allerdings hÅlt er an der Linie des Zefanja- und Sacharjabuches fest und grenzt das Kommende von der Tag-Jhwh-Tradition deutlich ab.163 Es geht beim Gericht um individuelle Verfehlungen, von denen die nachexilische Gemeinde gereinigt wird. Jhwh nimmt sich damit derer an, die ihn fÛrchten (Mal 3,17). Erst 3,23 verbindet diesen Tag des Gerichts mit der Tag-Jhwh-Thematik und bindet damit das Ende des Dodekaprophetons mit seinem ersten Teil zusammen. Den erwarteten eschatologischen Tag, bzw. die kommende Zeit versteht 3,23 als Tag Jhwhs. Der ist noch so weit entfernt, dass vorher mit der Sendung Elias ein klares Zeichen kommen muss.164 Mit der Bezeichnung des hwhj ¥wj als arwnhw lwdgh zitiert Mal 3,23 Joel 2,11 und 3,4. Die aus dem Joelbuch bekannten ZÛge des kosmischen Geschehens werden so in die eschatologischen Bilder des Sacharja- und Maleachibuches eingetragen und damit nachtrÅglich ihre Eschatologie von der Tag-Jhwh-Tradition her interpretiert. Das kommende Gericht bezieht sich somit auf die ganze Erde.165 Ein StÛck der Individualisierung der Gerichtsvorstellung des Maleachibuches wird damit zurÛck genommen. Die Gesamtsicht der Propheten in Mal 3,23 f setzt also ihren Schlusspunkt mit der universalen Ausrichtung des Tages Jhwhs und nimmt nicht die individuellen Implikationen auf, die von der Gerichtsbotschaft der Prophetie ausgegangen sind. 3.5.3.7 Skizze der Ergebnisse Ausgangspunkt des Diskurses Ûber den Tag Jhwhs im Dodekapropheton ist vermutlich ein Wort von Amos. Dieser Impuls wurde von den sich mit der Prophetie beschÅftigenden Kreisen in unterschiedlichster Weise aufgenommen. Nach dem Eintreffen des Gerichts Ûber Juda und Jerusalem wird die Tag-Jhwh-Tradition in zwei Richtungen weiter verarbeitet. (1.) Der Aufruf

162 In Mal 3,2 ist es der Tag des Kommens (wawb ¥wj), in 3,17 der Tag, den Jhwh machen wird (hfy jna rfa ¥wjl). Vgl. auch Mal 3,19.21. 163 H. P. MATHYS, Anmerkungen, 35 sieht dagegen alle Belege des Nomen ¥wj im Sg. auf den Tag Jhwhs bezogen, ohne allerdings seine Hypothese zu begrÛnden. 164 Mal 3,22.23 f wird von der Mehrheit der Forschung als zwei von einander zeitlich zu unterscheidende Schlussworte angesehen, die auf mehr als das Dodekapropheton zurÛckblicken. Wahrscheinlich sind beide Schlussworte auch als Abschluss des Prophetenkanons angefÛgt. Vgl. dazu H. GRAF REVENTLOW, Haggai, 160; zur Forschungsdiskussion A. MEINHOLD, Maleachi, 6 ff und E. ZENGER, Einleitung, 434 f. 165 H. P. MATHYS, Anmerkungen, 38 weist zudem auf die Parallele zwischen Mal 3,24 und dem Gericht an allen V×lkern und dem ganzen Erdkreis in Jes 34 hin.

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zur Umkehr hat die Intention, dass ein solches Schicksal Israel nicht noch einmal treffen soll. (2.) Die vom Tag Jhwh transportierte Gerichtsvorstellung wird auch auf die anderen V×lker Ûbertragen: Wenn Jhwh sein eigenes Volk richtet, wird er auch andere heimsuchen. Dies kann fÛr Israel nur Heil bedeuten. Traditionsgeschichtlich spÅter verstehen einige Teile des Dodekaprophetons den Tag Jhwhs als vollzogenes Gericht, weshalb fÛr das erneute Eingreifen Jhwhs mit allen seinen unterschiedlichen Implikationen nur noch von „jenem Tag“ gesprochen wird. Andere Texte individualisieren oder universalisieren die Tradition und speisen daraus die Vorstellung eines individuellen Gerichts, in dem Ûber jeden nach seiner Beziehung zu Jhwh geurteilt wird, bzw. die Konzeption eines universalen Eingreifen Jhwhs, das die ganze Erde erschÛttert. Eine abschließende Beurteilung des Befundes in traditions- oder redaktionsgeschichtlicher Hinsicht ist hier nicht m×glich. Der Durchgang zeigt jedoch, dass die Annahme einer beide Teile des Dodekaprophetons umfassenden Redaktionsschicht abwegig ist. Vielmehr weist der Komplex der drei umfangreicheren kleinen Propheten und der zwischen ihnen eingeschobenen Kommentare und Leseanleitungen (die BÛcher Hosea bis Micha) eine Linie auf, die von dem zwischen Zefanja und Maleachi ausgespannten Faden charakteristisch abweicht. Erst Mal 3,23 bezieht die Interpretation beider Teile aufeinander und bindet so das Dodekapropheton auch mit dem ganzen Corpus Propheticum zusammen. Auch innerhalb des ersten Komplexes zeigt die Tag-Jhwh-Thematik unterschiedliche Charakteristika. 3.5.4 Hypothese zur Entstehung des Joelbuches Diese Arbeit kann eine bisher fehlende Untersuchung zur Komposition des Joelbuches unter BerÛcksichtigung der Entstehung des Dodekaprophetons nicht ersetzen, gleichwohl ist fÛr die Fragestellung dieser Studie eine Hypothese zur Entstehungsgeschichte des Buches notwendig. Diesem dient die folgende Skizze mit ihrem Versuch, Wege in eine Richtung aufzuzeigen, in die sich eine Diskussion bewegen k×nnte. 3.5.4.1 Voraussetzungen Vertreter der Einheit des Joelbuches stÛtzen sich vor allem auf formale Eigenheiten der Schrift. Die ZÅsur zwischen der Klage Ûber die Not und der AnkÛndigung der Notwende in 2,18 wird damit erklÅrt, dass das Buch an einer zweiteiligen Klageliturgie orientiert ist.166 Die ZÅsur im 2. Kapitel relativiert den Unterschied zwischen dem zeitgeschichtlich bezogenen und dem eschatologischen Teil. Auch die Symmetrie der Gesamtkonzeption und die Entsprechung kunstvoller Kontrastbilder ist als Argument fÛr eine ein-

166

Vgl. z. B. E. ZENGER, Einleitung, 381.

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heitliche Komposition einleuchtend.167 Beim Joelbuch handelt es sich also um eine kunstvolle Komposition, oder wie O. Kaiser formuliert, um „einen in sich geschlossenen Entwurf kompilatorischen Charakters“. Allerdings bedeutet dies nicht, dass es sich um das Werk eines Verfassers handelt.168 Deswegen ist es angebracht, zwischen literarischer und struktureller Einheitlichkeit zu unterscheiden.169 Die RÛckfrage nach der Entstehungsgeschichte dieser strukturellen Einheit ist durchaus berechtigt. Das Ziel dieser Fragestellung ist aber nicht mehr, das Werk eines Dichters von dem Zugriff eines synagogalen Predigers zu befreien oder sich von der Rekonstruktion eine AnnÅherung an die historische Situation eines Propheten zu versprechen. Es geht vielmehr darum, Intentionen und Konzeptionen von Redaktionsphasen zu profilieren. Im Folgenden wird von Phasen ausgegangen, in denen bestimmte Probleme, Motive und Fragestellungen wichtig geworden sind und deswegen in die Sammlung prophetischer Schriften Eingang gefunden haben. Diese Hypothese ist offener und dem vielschichtigen Material des Mehrprophetenbuches entsprechender als die Rede von Redaktionsschichten. Innerhalb solcher Redaktionsphasen ist es m×glich, dass verschiedene Positionen zu einem Thema Eingang in einen literarischen Korpus gefunden haben. Eine Redaktionsphase muss aber nicht gleichbedeutend mit einer durchlaufenden literarischen Schicht sein. Diese ZurÛckhaltung bezieht sich vor allem darauf, von Schriften am Anfang des Mehrprophetenbuches Verbindungen zu dessen Ende zu ziehen. Die Wahrscheinlichkeit einer gemeinsamen redaktionellen Arbeit an aufeinander folgenden Kapiteln, bzw. BÛchern wie z. B. Joel und Amos 1 oder Micha 7 und Nahum ist m.E. gr×ßer als eine Verbindung zwischen Joel oder Amos und Sacharja. Die einzelnen Teile des Dodekaprophetons haben ein so spezifisch eigenes Profil, dass eine methodisch begrÛndete Annahme einer literarischen Schicht nicht nur auf konzeptionellen, thematischen oder sprachlichen Gemeinsamkeiten basieren kann,

167 Vgl. dazu H. W. WOLFF, BK XIV/2, 6 f und auch die tabellarische Darstellung der Symmetrie bei E. ZENGER, Einleitung, 381. Besonders W. S. PRINSLOO, Unity, 80 f hat die Beziehung der verschiedenen Perikopen des Buches zu einander aufgezeigt und weist eine so genannte „step-by-step progression“ nach. Jede Perikope bezieht sich auf eine oder mehrere vorhergehende und ist ins Ganze integriert. Das Buch lÅuft auf die Klimax in 4,18–21 zu. 168 Gegen H. W. WOLFF, BK XIV/2, 7. Vorsichtiger ist dagegen W. S. PRINSLOO, Unity, 81: „Although this unity need not be indicative of a single author, the fact is that the boook in its present form constitutes a coherent whole.“ 169 Vgl. dazu auch E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen, 278. WeiterfÛhrend ist seine Definition literarischer Einheitlichkeit: Jeder Hauptabschnitt muss „erkennen lassen, dass er innerhalb dieser Einheit seinen ursprÛnglichen Ort hat, dass diese Einheit jedenfalls einen ersten Rahmen bildet, auf den ein Abschnitt sich von sich aus – implizit oder explizit bezieht.“ E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen, 278. Eine so verstandene literarische Einheit ist mit dem Joelbuch nicht gegeben.

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sondern bis in die Wortwahl und dem Umgang mit den aufgenommenen Traditionen vergleichbar sein muss. StÅrker als in der bisherigen Diskussion sollte auch die technische Seite dieser ºberarbeitungen mit einbezogen werden. Ein gutes Beispiel fÛr die BerÛcksichtigung solcher Fragen sind die Arbeiten von K. Seybold am Nahumbuch, die zeigen, dass ein großer Teil der redaktionellen Arbeit an Stellen erfolgt, die wahrscheinlich SeitenumbrÛche markierten. Vergleichbare ºberlegungen fÛr das Mehrprophetenbuch stehen noch aus.170 3.5.4.2 Ergebnisse der Untersuchungen zur Entstehung des Joelbuches Die Versuche einen ursprÛnglichen Kern der Joelschrift herauszuarbeiten zeigen schon in ihren vielfÅltigen Ergebnissen die Problematik dieses Ansatzes.171 Uneinigkeit besteht darÛber, ob die Heuschreckenthematik, die DÛrrekatastrophe oder die Feindbeschreibung ursprÛnglich sind. ºbereinstimmend werden die Tag-Jhwh-Texte als Bearbeitungen gesehen. Erst diese Bearbeitungen machen aber den eigentlichen Charakter der ersten beiden Kapitel des Buches aus. Ohne sie hÅtten die im Joelbuch verarbeiteten Traditionen kein theologisches Profil. Deswegen ist es nicht sinnvoll, einen so genannten „Kern“ des Buches herauszuarbeiten, weil dann der historische Ort eines solchen StÛcks kÛnstlich profiliert werden muss. FÛr manche Texte im Buch ist gerade die Verbindung von scheinbar historischen Bedrohungen mit der Tag-Jhwh-Motivik charakteristisch. Bei dieser VerknÛpfung handelt es sich um Tendenzen der Enteschatologisierung. Der Unterschied zwischen eschatologischen Texten und den enteschatologisierenden StÛcken ist ein redaktionskritisches Argument. Ein weiterer charakteristischer Unterschied zwischen den ersten beiden Kapiteln und dem vierten ist, dass der Tag Jhwhs am Anfang des Buches die Gemeinde betrifft, hingegen diese in 4,16 unter dem Schutz Jhwhs steht und in das Gericht nicht einbezogen ist. Diese Unterschiede lassen sich auch nicht durch die Feststellung ausrÅumen, dass ein Umschwung innerhalb eines literarischen StÛckes nicht ungew×hnlich ist. Denn es geht nicht um den Unterschied zwischen Klage und Antwort, sondern um den zwischen verschiedenen Geschichts- und Zeitvorstellungen. Dieses GegenÛber ist mit der Zweiteilung des Buches nicht genÛgend erfasst. Deswegen darf sie nicht der Ausgangspunkt der Diskussion sein. 170

Vgl. K. SEYBOLD, Prophetie und jÛngst auch B. HUWYLER, Habakuk. G. H°LSCHER, Profeten, 430 ff sieht den ursprÛnglichen Kern der Schrift in 1,1–12.16–20 (m×glicherweise auch 1,13–14) und 2,15–19.21–24.26a. Bei B. DUHM, Propheten, 398 reicht der vermutliche Kern von 1,2–2,17 (ohne 1,13.14 und 2,1–3.11). Zur so genannten Grundschicht des Buches zÅhlt O. LORETZ, Regenritual, 142 Texte Ûber DÛrre und Regen (1,8–10.11–12.13.14–17.18–20; 2,12–14.15–19.21–24 und 4,18a). O. PL°GER, Theokratie, 119 vertritt eine Minimall×sung: Aufzeichnungen einer Prophetenrede, die sich mit historischen DÛrre- und Heuschreckenplagen auseinandersetzt, vermutet er hinter 1,4–10. 171

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3.5.4.3 Ausgangspunkte einer Hypothese zur Entstehungsgeschichte Joel 1 f sind als LehrstÛck zur ºberwindung von Notsituationen konzipiert worden. Dabei hat der Verfasser dieses LehrstÛcks unterschiedliche ihm schriftlich vorliegende Traditionen aufgenommen und Ûberarbeitet. Die literarische Form, die diese StÛcke Ûber Naturkatastrophen (DÛrre, m×glicherweise auch Heuschrecken) und der Bedrohung durch einen ÛbermÅchtigen Feind, vor ihrer Einarbeitung hatten, ist mit redaktionskritischen Mitteln nicht mehr auszumachen. VerknÛpft werden die Texte auf zwei unterschiedlichen Wegen: (1.) Naturkatastrophen (1,4–14; 1,16–20) und Feindschilderung (2,2b-2,11a) bindet das Tag-Jhwh-Thema (1,15; 2,1b.2a und 2,11b) zu einem einzigen Bedrohungsszenarium zusammen. Damit werden die prophetischen Tag-Jhwh-Traditionen quasi „innergeschichtlich“ interpretiert und genauso als Gericht Jhwhs verstanden wie eine DÛrre oder eine Feindbedrohung. (2.) Gerahmt wird dieses Bedrohungsszenarium durch die Schilderung seiner kultischen ºberwindung (1,2–3 und 2,1a.12–27), zu der aber auch Umkehr und VerhaltensÅnderung geh×ren. Teil dieser Komposition sind sowohl Aufruf zur Klage wie die Antwort Jhwhs. Diese setzt die VerknÛpfung der unterschiedlichen Bedrohungen voraus. Deshalb k×nnte es sich auch hier um eine Eigenformulierung des Verfassers des LehrstÛckes handeln. Die Bedrohungstraditionen sind sowohl auf die Tag Jhwh-VerknÛpfungen (z. B. 2,10) als auch auf die kultischen Rahmungen (z. B. 1,9) bezogen. Eher unverbunden sind dagegen die TagJhwh-VerknÛpfungen mit den kultischen Rahmungen. Dies reicht allerdings nicht aus, von einer weiteren literarischen Schicht auszugehen. Das LehrstÛck lÅuft auf 2,18–27 hinaus und gipfelt in der Beistandszusage Jhwhs (2,27). Die Enteschatologisierung der Tag-Jhwh-Tradition hat einen Redaktor dazu veranlasst, verschiedene eschatologische Fragmente zum Bild eines V×lkergerichts zusammenzufÛgen. Damit schÅrft er das eschatologische Profil des Tag Jhwhs. Die theologische Intention dieses Redaktors liegt zudem in seinem Interesse, durch die Zusammenstellung zu einem Ausgleich der Gerichtstraditionen zu kommen. Dabei ist in der so entstandenen Komposition des vierten Kapitels deutlich, dass dieser Redaktor seinen Vorlagen wesentlich gr×ßere EigenstÅndigkeit einrÅumt und sie weniger aufeinander bezieht als der Verfasser von Joel 1 f Diese ErgÅnzung des Joelbuches hat einmal 4,1–3 und 4,4–17 umfasst. Sie lÅuft auf die parallel zu 2,27 formulierte abschließende Erkenntnisformel in 4,17 zu. Als Eigenformulierung dieses Redaktors kommen vor allem die am Zion interessierte Rahmung 4,1 und 4,16b.17 sowie der Bezug auf Mi 4 in 4,10a in Frage. Bei 4,2 f; 4,9.10b.11a; 4,12 f und 4,14–16a wird es sich im Wesentlichen um aufgenommene Fragmente handeln. 4,18–21 ist eine nachtrÅgliche Erweiterung des Kapitels, die die Symmetrie der beiden Buchteile aufl×st. Der ergÅnzende Charakter wird durch die eschatologische Einleitungsformel signalisiert. Die Aufnahme

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von 4,17 spricht dafÛr, dass der Vers vorausgesetzt ist. Thematisch lehnt sich 4,18–21 stÅrker an den ersten Teil des Joelbuches an als das Ûbrige Kapitel. 4,4–8 ist ein Nachtrag, der den Zusammenhang von 4,3 und 4,9 unterbricht, eine eigene Sprache bietet und sich vom eschatologischen Charakter des Kapitels unterscheidet.172 Mit der lex talionis fÛgt 4,4–8 einen neuen Grundgedanken in das Joelkapitel ein. Deswegen ist eine andere Verfasserschaft anzunehmen als fÛr 4,1–3 und 4,9 ff. Die Kontextbezogenheit von 4,4–8 spricht dagegen, dass das StÛck zunÅchst vom Joelbuch unabhÅngig Ûberliefert wurde.173 3,1–5a besteht aus weiteren Interpretationen der Joelschrift. 3,1 f ist eine ErgÅnzung zu 2,27. 3,3 f bereitet die Gerichtsschilderung des vierten Kapitels vor.174 Wenn 3,1–5 aus redaktionellen Kommentaren besteht, setzt es beide Kapitel voraus und legt deswegen unterschiedliche Schwerpunkte. Vermutlich nimmt der Redaktor, auf den die EinfÛgung von Joel 3 zurÛckgeht, zwei prophetische StÛcke auf (3,1 f und 3,3 f) und formuliert den Abschluss 3,5 (vielleicht ohne 3,5bb) selber. Auf diesen Vers lÅuft die theologische Aussage zu. Diese ºberlegung bekrÅftigt die Hypothese, dass 3,1–5 erst nach der ErgÅnzung des Grundbestandes von Joel 4 ins Buch eingetragen wurde.175 Joel 3 hat auch einen anderen Charakter als die ersten beiden Kapitel des Buches. Die Ausgießung der cwr fÛgt dem eigentlichen H×hepunkt des zweiten Kapitels ein weiteres Bild hinzu. Die Perspektive ist außerdem nicht mehr zentral auf Israel ausgerichtet. Das Interesse an Chronologie und Systematisierung von Joel 3 weist im Vergleich mit dem darauf folgenden Kapitel auf ein spÅteres theologisches Konzept. Auch kleinere Glossen haben Eingang in das Buch gefunden. Bei 4,11b ist dies deutlich, bei 3,5b und 4,21a eine begrÛndete Vermutung.

172 Dies wird auch von Kommentatoren gesehen, die sich ansonsten fÛr die Einheitlichkeit des Joelbuches stark machen. Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/2, 89 f und W. RUDOLPH, KAT XIII/2, 80 f. 173 Mit S. BERGLER, Joel, 102 f und J. D. NOGALSKI, Processes, 30 gegen H. W. WOLFF, BK XIV/2, 89. 174 Die meisten Kommentatoren sehen Joel 3,1–5 als literarische Einheit, dagegen betont O. LORETZ, Regenritual, 115 die unterschiedlichen Elemente. Schon TH. ROBINSON, Propheten, 65 ff hatte zwischen zwei apokalyptischen Fragmenten unterschieden. 175 Mit O. PL°GER, Theokratie, 117 ff. Auch E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen, 282 schließt sich in diesem Punkt an O. Pl×ger an.

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3.6 VerÅnderungen der V×lkerthematik und ihre Entstehungsmilieus 3.6.1 VorÛberlegung zur Frage nach Entstehungsmilieus Die Frage nach dem Entstehungsmilieu eines Textes, bzw. einer Buchkomposition geht in zwei Richtungen: (1.) Ein StÛck wird auf Informationen hin untersucht, die Ûber seine Entstehungszeit erkennbar sind. Weil zumeist keine absolute Chronologie m×glich ist, wird gefragt, vor welchem zeitgeschichtlichen Hintergrund die Aussage eines Textes erklÅrbar ist und welche historischen Voraussetzungen seine Konzeption hat. (2.) Die Frage nach dem Milieu bedeutet den Versuch einer Einordnung in einen sozialen, literarischen und theologischen Zusammenhang. Aus diesem lassen sich dann m×glicherweise spÅter Vermutungen Ûber gesellschaftliche Gruppen, theologische Kreise oder konzeptionelle Ausgangspunkte ableiten, die ein genaueres Bild der Religions- und Theologiegeschichte erm×glichen. Der hypothetische Charakter sowohl der chronologischen Einordnung wie auch der Zuordnung eines Textes zu einer Str×mung, einer Gruppe oder der Bestimmung eines geistigen Orientierungsraumes ist dabei zu berÛcksichtigen. Dies nicht nur, weil die Texte wenig Informationen Ûber ihren Hintergrund geben, sondern auch generell weil Texte von vornherein Abstand zu ihrem Autor haben. Gleichwohl sind Hypothesen zur historischen Einordnung und Vermutungen Ûber das Entstehungsmilieu eines Textes unaufgebbar, gerade wenn man biblische Texte als Auslegungen und Diskurse ihrer Zeit versteht. 3.6.2 Joel 1 f WÅhrend das erste Kapitel sich darauf beschrÅnkt, eine Ûber Jerusalem hereinbrechende Katastrophe zu skizzieren und diese in Beziehung zum ¥wj hwhj zu setzen, ×ffnet das zweite Kapitel vorsichtig den Kreis der Betroffenen auf alle, die im Land oder auf der Erde wohnen (xrah jbfj lk). Dies sind nicht alle V×lker, sondern lediglich Kreise, die gr×ßer sind als die Bev×lkerung Jerusalems und der Umgebung. Die V×lker werden aus zwei Perspektiven skizziert: (1.) Israel leidet unter dem Spott der V×lker, der sich daran entzÛndet, dass es nicht Ûber das eigene Gebiet herrscht. (2.) Der N×rdliche ist nicht nur Konglomerat aller mit dem hwhj ¥wj verbundenen Schrecken, sondern ReprÅsentant der Ûber Israel einstÛrmenden Feindheere und der hochmÛtigen GroßmÅchte. Als solcher wird er in die Heimatlosigkeit vertrieben und verliert damit seine Macht, so dass Israel keiner Eroberung mehr ausgesetzt sein wird. Damit ist ein Gedanke aufgenommen, der noch ×fter im Buch begegnet: Wie Israel Unrecht erfahren musste, sollen auch die Feinde des Volkes dies erfahren. Wahrscheinlich ist die Beschreibung des Feindes von einem historischen Ereignis beeinflusst, jedoch entzieht Joel 2 die Schilderung jeder historischen Identifikation. Hinter

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dem Nordfeind stehen die großen MÅchte der Region, nicht die kleineren Nachbarstaaten. Charakteristisch fÛr das Bild von den V×lkern in den ersten beiden Kapiteln ist, dass die Bedrohung durch sie nur einen Teil darstellt. Genauso ist die Existenz und die IdentitÅt Israels auch durch Naturkatastrophen und den Spott der Nachbarn gefÅhrdet. Kern der Aussage der beiden Kapitel und damit auch der Grund dafÛr, das V×lkerthema aufzunehmen, ist die Aufforderung zur Umkehr zu Jhwh. Wenn sie erfolgt, wird Jhwh alle Bedrohungen abwehren. 3.6.3 Die Komposition von Joel 4 In der Komposition des vierten Kapitels (Joel 4,1–3.9–11a.12–17) kommen die V×lker dagegen nicht neben anderem in den Blick, sie machen das Thema des Kapitels aus. Das Joelbuch lÅuft auf ein eschatologisches V×lkergericht zu. Den ersten beiden Kapiteln wird damit eine weitere Darstellung einer Wende des Schicksals Jerusalems hinzugefÛgt. Die AnkÛndigung des Eingreifen Jhwhs im ersten Teil des Buches wird vor einem anderen historischen Hintergrund interpretiert und als Verheißung eines universalen Weltgerichtes verstanden. Die V×lker stehen in ihrer Gesamtheit Israel gegenÛber, weil sie sich an seiner Bev×lkerung verfehlt haben. Das Gottesvolk ist von diesem Gericht aber im Gegensatz zu den in Kap. 1 f beschriebenen Ereignissen um den hwhj ¥wj nicht betroffen. Es steht unter dem Schutz Jhwhs (4,16b). Mit den StÛcken 4,9–11a; 4,12 f; 4,14–16a wird das Gericht durch Aufnahme und Bearbeitung prophetischer Traditionen als heiliger Krieg gedeutet. Die Vorstellungen sind keineswegs konsistent. Eine Tradition vom zum Gericht sitzenden Jhwh (V. 2 und 12) wird mit dem Motiv des V×lkersturms (V. 9–11), der Vorstellung, dass Jhwh Erntehelfer, d. h. Gerichtswerkzeuge zur VerfÛgung hat (V. 13), und dem Konzept vom kosmologischen Tag Jhwhs (V. 15) zu einem Bild verschmolzen. Damit zeigt Joel 4 auch ein Interesse am Ausgleich und an der VerknÛpfung dieser Traditionen. Sowohl die Eindringlichkeit der zusammengestellten Bilder wie auch die Bezeichnung des Gerichtstales als Tal der Entscheidung betonen die Unwiderruflichkeit des Gerichts. Besonderes Gewicht bekommt dieser Teil der Aussage des Joelbuches vor dem Hintergrund, dass der Weg zur Umkehr und Buße fÛr Israel offen ist. Diese M×glichkeit, auf Jhwhs Gnade und Barmherzigkeit zu hoffen, gibt es nach der Sicht von Joel 4 fÛr die V×lker nicht. Mit Joel 4,1–3.9–11a.12–13.14–17 verschiebt sich die Perspektive des Buches genauso wie auch das folgende erste Kapitel des Amosbuches neu gelesen wird. Zwischen Gegenwart und Heilszeit steht nicht mehr eine Umkehr Israels, sondern das Eingreifen Jhwhs, das als V×lkergericht und V×lkervernichtung vorgestellt wird. Dieser Ausblick hat nicht nur politische oder wirtschaftliche Interessen, sondern kultische Wurzeln, denn die Zusammenstellung lÅuft auf die Verheißung der Sicherheit Jerusalems und

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die damit verbundene Reinheit der Stadt hinaus (4,16b.17). Die Komposition von Joel 4 hat das Buch entscheidend geprÅgt und mit dem Obadjabuch einen Rahmen um das Amosbuch gelegt. Das Amosbuch wird damit von der eschatologischen Gerichtsperspektive und einer stark am Zion orientierten Theologie aus gelesen und interpretiert. Am 1 f sind nach Joel 4 Explikationen der AnkÛndigung des V×lkergerichts. Genauso wie Joel 4 betont auch der Anfang des Amosbuches die Unumkehrbarkeit des Gerichts.176 Die V×lkerperspektive hat sich gegenÛber den ersten beiden Kapiteln verschoben. WÅhrend zunÅchst der Nordfeind die verschiedenen GroßmÅchte der Region reprÅsentierte, deutet die VerknÛpfung von Joel 4 und II Chr 20 an, dass hinter den von 4,2 f genannten Anklagen eine Bedrohung Jerusalems durch kleinere Nachbarn steht. Damit korrespondiert auch 4,12, das abweichend von der universalen Sicht stÅrker die V×lker der Umgebung in den Blick nimmt. Frieden fÛr Israel ist nicht ohne eine grundlegende und eingreifende VerÅnderung des politischen Klimas vorstellbar. Diese VerÅnderung wird von einem allgemeinen V×lkergericht erhofft. Scheinbar stand zur Zeit der EinfÛgung dieses Kapitels kein direkter, einzelner Feind Israel gegenÛber. Es sind auch nicht wie in Joel 1 f primÅr die hochmÛtigen GroßmÅchte im Blick. Eine Datierung ist schwierig, weil Traditionen zusammengestellt wurden, die gerade die UniversalitÅt des Gerichts herausstellen. So gibt es zwangslÅufig nur wenig zeitgeschichtliche Aspekte. Zumindest ist auf der einen Seite deutlich, dass der Hintergrund des Kapitels von der friedlichen Zeit am Anfang der achÅmenidischen Vorherrschaft Ûber Yehud weit entfernt ist. Die RÛckkehr aus dem Exil scheint genauso wie der Wiederaufbau des Tempels und der Stadt wie z. B. in Mi 7,11 keine Rolle mehr in der Zukunftshoffnung zu spielen. Auch die RÛckkehr der Diaspora ist kein Thema. Es geht um die Bewahrung vor Bedrohungen durch die V×lker. Auf der anderen Seite scheint sich noch keine andere Macht in PalÅstina etabliert zu haben. Jerusalem und Juda sind verschiedenen ºbergriffen ausgesetzt, wahrscheinlich vor allem Bedrohungen durch die Nachbarv×lker. Diese k×nnten versucht haben, in den unruhigen Jahren am Ausgang der achÅmenidischen Herrschaft, bzw. bevor die PtolemÅer die Herrschaft Ûber die Gegend erlangten, Druck auf das schwÅchere Juda auszuÛben. Deutlich ist, dass das vierte Kapitel keinen Bedarf fÛr eine VerÅnderung innerhalb von Juda und Jerusalem selber sieht. Eine Umkehr des Volkes (Joel 2), soziale Anklagen (Amos) oder die Klage Ûber die ZerrÛttung gesellschaftlicher VerhÅltnisse (Mi 6) sind offenbar weit entfernt. Entweder ist Joel 4 zu einer Zeit ge-

176 Die Formulierung „ich will sie nicht schonen“ (wnbjfa al) schließt jedes V×lkerwort am Anfang des Amosbuches refrainartig ab. Am 1,3.6.9.11.13; 2,1.4.6.

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schrieben worden, in der solche Themen keine Rolle spielten, oder das Joelkapitel stammt aus Kreisen, fÛr die gesellschaftliche Fragen keine große Bedeutung hatten. M×glicherweise tritt eine Differenzierung innerhalb des Gottesvolkes anlÅsslich der Åußeren Bedrohung auch zurÛck. Die Komposition des Kapitels ist genauso wie 4,18–21 von der Zionstheologie beeinflusst. Eine NÅhe zum Kult war auch schon durch Joel 1 f fÛr die weiteren Rezeptionen des Buches vorgegeben. Joel 4 deswegen priesterlichen Kreisen zuzuschreiben und hier gar zadokidische Priester am Werk zu sehen, ist m.E. aber Ûbertrieben.177 Es reicht aus, die Aufnahme der Zionstheologie damit zu erklÅren, dass die fÛr die Komposition des vierten Kapitels und seiner Rezeption verantwortlichen Schreiber von priesterlichem Gedankengut beeinflusst sind, ohne allerdings Priester selber zu erwÅhnen oder ihnen Vorrechte einzurÅumen. Die Rolle des Zions und Jerusalems ist herausgehoben, eine Distanz zu den damit verbundenen Institutionen nicht erkennbar. Der Wunsch, dass kein Fremder mehr Jerusalem durchzieht spricht fÛr sich. Damit ist Joel 4 im Gegensatz zu Joel 3 auch eher einer offiziellen Position im gesellschaftlichen Diskurs zuzuschreiben als einer marginalisierten.178 An den Rand gedrÅngt scheint sich vielmehr die ganze Gesellschaft durch feindliche Bedrohung zu fÛhlen. 3.6.4 SpÅtere Rezeptionen des Joelbuches In und um Joel 4 sind von spÅterer Hand drei ErgÅnzungen eingefÛgt worden: Das V×lkerwort gegen Tyrus, Sidon und philistÅische Gebiete (4,4–8) geht genauso auf eine spÅtere Hand zurÛck wie die Heilsausblicke fÛr Jerusalem (4,18–21) und Joel 3. Diese drei Rezeptionen des Joelbuches und besonders des vierten Kapitels tragen jeweils einen eigenen Gedankengang, bzw. ein eigenes Konzept in das Buch ein, mit dem sich eine spezifische Sicht der V×lker verbindet. In kleineren Glossen halten zudem spÅtere Leser fest, dass Jhwh Verbrechen an Juda und Jerusalem auf keinen Fall vergibt (4,21a), und bewegen ihn zu einem Eingreifen gegen die V×lker (4,11b). Joel 4,4–8 ist zeitlich und konzeptionell nicht weit vom Grundbestand des Kapitels entfernt. Hintergrund ist eine Auseinandersetzung mit kleineren Nachbarn: Ein Leser will noch einmal klar stellen, dass Jhwh nicht nur

177 Gegen S. L. COOK, Prophecy, 194. S. L. Cook leitet aus der Aufnahme der Zionstheologie in Joel 4,17.21 ab, dass die hinter dem Joelbuch stehende Gruppe mit Priestern zu identifizieren ist, die zur leitenden Schicht Jerusalems geh×ren. Neben dieser Gleichsetzung von Zionstheologie und leitenden Priestern ist auch die Zuordnung von Sach 1–8; Ez 38–39 und des ganzen Joelbuches zur Apokalyptik problematisch. 178 Mit S. L. COOK, Prophecy, 212. Damit ist der generellen Aussage S. L. Cooks, dass Apokalyptik in Gruppen entstehen kann, deren FÛhrer verschiedene Rollen in der Gesellschaft haben, durchaus zuzustimmen, auch wenn diese Studie in Joel 4 eschatologische Prophetie sieht und keine Apokalyptik.

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Der Tag Jhwhs als V×lkergericht – Das Joelbuch

die großen MÅchte, sondern auch die kleinen ins Gericht einbezieht. Die Gemeinschaft des Verfassers ist offenbar verschiedenen Angriffen unterschiedlicher, wahrscheinlich eher kleinerer Gegner ausgesetzt, die auch eine Rolle bei der Versklavung von JudÅern gespielt zu haben scheinen. Der Text bestÅrkt in einer solchen Situation die Leser darin, dass beim V×lkergericht jedes gr×ßere, genauso wie jedes kleinere Vergehen vergolten wird: Nicht nur große MÅchte, sondern auch die Feinde in der nÅheren Nachbarschaft werden getroffen. Ph×nizien und die philistÅischen Gebiete stehen dabei fÛr Konflikte mit KÛstenbewohnern. M×glicherweise sind sie aber auch lediglich aus geographischen oder traditionellen GrÛnden in Frage gekommen. 4,4–8 betont gegenÛber den anderen Texten noch einmal, dass die Vergehen der V×lker auch im wirtschaftlichen Bereich liegen. In den angefÛgten Heilsbildern fÛr Juda und Jerusalem (4,18–21) richtet sich das strafende Handeln Jhwhs explizit gegen Šgypten. Das Land wird in einem Zug mit dem Erbfeind Edom genannt und damit fÛr Blutvergießen zur Rechenschaft gezogen, das in Juda oder an JudÅern in Šgypten verÛbt wurde. Šgypten wird mit Edom zusammengestellt, um die sich gegen Edom richtende Prophetie auch auf Šgypten zu Ûbertragen. Šgypten wird das gleiche Schicksal treffen, wie Edom im Obadjabuch angekÛndigt wird. Damit zeigt 4,18–21 Anzeichen fÛr ein anderes Enstehungsmilieu. Weil Šgypten der Hauptfeind ist, werden die gegen Edom gerichteten Prophetien mit Šgypten verbunden. Historischer Hintergrund ist die hellenistische Zeit, in der die ptolemÅische Macht um die Vorherrschaft Ûber die Region PalÅstina rang, bzw. die Herrschaft Ûber die Gegend innehatte. In 4,18–21 schlÅgt sich damit die Position von Kreisen nieder, die der ptolemÅischen Macht kritisch gegenÛberstanden. M×glicherweise wurden gegen Šgypten gerichtete prophetische Traditionen in einer Zeit aufgenommen und verarbeitet, in der mit den stÅrker werdenden Seleukiden eine Alternative zu den PtolemÅern bestand. Vielleicht erwarteten Kreise in Jerusalem von einer Niederlage Šgyptens eine Verbesserung der Situation Jerusalems. Hintergrund der EinfÛgung des dritten Kapitels sind offenbar nicht VerÅnderungen der V×lkerperspektive, sondern Verschiebungen innerhalb der Gemeinschaft. Deswegen stellt sich die Frage nach der Rettung im Gericht neu. Das Gericht betrifft offenbar auch das im 4. Kap. ausgenommene Israel. ºberleben werden nur diejenigen, die den Namen Jhwhs verehren. Damit setzt sich eine Gruppe vom bisherigen GegenÛber zwischen Israel und den V×lkern ab und ×ffnet im Gegensatz zu Obadja und Joel 4 auch eine Heilsperspektive fÛr Nichtisraeliten. Hintergrund von Joel 3 ist eine Gruppe, die sich von Israel unterscheidet und sich aufgrund dieser Differenz zur eigenen Herkunft auch nicht mehr als GegenÛber der V×lker versteht. Dieser Gruppe fehlt es noch an einer Selbstbezeichnung. Der Prozess ihrer Abl×sung geht vielmehr tastend vor sich. Nach dem dritten Kapitel des Joelbuches scheint sich diese Gruppe auf der anderen Seite vorsichtig auf Frem-

VerÅnderungen der V×lkerthematik

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de hin ge×ffnet zu haben. In diese Richtung geht auch die Analyse R. Rendtorffs. „If I understand this passage correctly, it announces the existence of a very limited group of survivors after the day of the Lord; a group that will comprise not only Israelits but all those who, under the impact of divine spirit, will call on him in the days of need and whom he will call into the group of survivors.“179 Denkbar ist, dass es sich bei den Jhwh-Verehrern um eine „sektiererische“ Gruppe handelt, wie sie P. L. Redditt hinter der ºberlieferung des Joelbuches vermutet. Das Buch sieht er als Niederschlag einer durch die Kritik am Tempelkult an den Rand gedrÅngten Gemeinschaft, die eine Rettungsm×glichkeit im bevorstehenden Gericht nur fÛr einen kleinen Kreis aus Juda sieht.180 Dem Schrecken des Tag Jhwhs fallen nicht die V×lker anheim oder Israel, sondern alle, die nicht zu den Jhwh-Verehrern, bzw. zur Gruppe geh×ren, die der Text reprÅsentiert. Eine gewisse Konstanz gegenÛber den anderen Teilen des Joelbuches zeigt sich am Festhalten an der Zionstheologie: Die kÛnftige Rettung ist weiter mit dem Zion und Jerusalem verbunden. Im Vergleich zum vierten Kapitel bietet Joel 3 eine gr×ßere NÅhe zu AnfÅngen apokalyptischen Denkens. Der Gerichtsgedanke ist konzeptionell stÅrker durchdacht. WÅhrend das vierte Kapitel vor allem am Ausgleich und an der Zusammenstellung unterschiedlicher Motive und Traditionen interessiert ist, geht es im dritten Kapitel darum, diesen Gerichtsgedanken konsequent weiter zu denken. Zeitlich ist die Entstehung von Joel 3 in einer anderen AtmosphÅre und Situation als Joel 4 anzusetzen. Im Denken haben Verschiebungen stattgefunden. Die systematisierenden Tendenzen, das Interesse an der Chronologie und die Differenzierungen in der Gesellschaft legen nahe, fÛr Joel 3 als Hintergrund die fortgeschrittene hellenistische Zeit anzunehmen.

179 180

R. RENDTORFF, Day, 190. Vgl. P. L. REDDITT, Joel.

4. Hoffnung fÛr die V×lker – Das Jonabuch Das Jonabuch ist der bekannteste Text des Zw×lfprophetenbuches. Auch die verschiedenen Interpretationen und methodischen ZugÅnge zum Jonabuch sind fast unÛberschaubar. Eine Analyse des Buches im Rahmen dieser Arbeit steht noch vor weiteren Schwierigkeiten. Das Jonabuch ist keine Zusammenstellung von SprÛchen und Worten, sondern eine ErzÅhlung. Deswegen unterscheidet sich auch die Methodik dieses Kapitels von den anderen der Arbeit. StÅrker als bisher wird auf Ergebnissen der Forschung aufgebaut, vor allem auf Methodendiskussionen.1 Da das Jonabuch unter einem spezifischen Blickwinkel betrachtet wird, ist es unvermeidbar, dass manche Fragestellungen vernachlÅssigt werden. Andere Perspektiven wie die der Entstehung des Buches werden dagegen ausfÛhrlicher behandelt. Am Anfang steht die Frage, ob sich das Jonabuch auf das VerhÅltnis zwischen Israel und den V×lkern untersuchen lÅsst. Dazu werden die verschiedenen Positionen zur Thematik des Jonabuches diskutiert. Auf eine fortlaufende Interpretation wird verzichtet, stattdessen die Untersuchung durch zwei Fragen systematisiert. (1.) Wie werden die Seeleute, wie Ninive und ihr K×nig charakterisiert und in welchem VerhÅltnis stehen sie zu Jhwh. (2.) Wie wird Jona als Hauptfigur des Buches dem Leser prÅsentiert? Wegen der auf das Dodekapropheton gerichteten Fragestellung kommt eine Untersuchung des literarischen Horizontes des Jonabuches hinzu.

4.1 Leitthema des Jonabuches Wie bei kaum einer biblischen Schrift ist die Frage nach dem Thema des Jonabuches umstritten. Die Diskussion wird aufgenommen, da von einigen Exegeten bestritten wird, ob das Buch Ûberhaupt zu Israel und den V×lkern Stellung nimmt. Die verschiedenen Interpretationsm×glichkeiten werden kurz dargestellt und um Aspekte ergÅnzt, die sich aus neueren Untersuchungen des Zw×lfprophetenbuches ergeben. Die lange Tradition antijudaistischer Exegese des Jonabuches kann in diesem Rahmen nicht eigens thematisiert werden. Vor dem Hintergrund dieser Auslegungstradition ist festzuhalten, dass nicht von vornherein eine m×gliche Kritik einer Schrift am Judentum seiner Zeit antijudaistisch ist und deswegen in Zeiten des jÛ1

Vgl. dazu R. LUX, Jona, 23 ff.

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disch-christlichen Dialoges nicht weiter verfolgt werden darf. Gerade die prophetische Literatur mit ihrer Sozialkritik oder die deuteronomistische mit der Aufforderung zur Umkehr kritisiert das Judentum der jeweiligen Zeit, ohne dass es bei der Aufnahme dieser Traditionen in der christlichen Auslegung Vorbehalte gibt. Das gleiche Recht ist m.E. auch dem Verfasser des Jonabuches zuzugestehen. 4.1.1 Interpretation der Unheilsprophetie Das Jonabuch nimmt eine Diskussion Ûber die Prophetie auf2 und versteht diese im Sinne des deuteronomistischen Geschichtswerkes als Ruf zur Umkehr3 und nicht als reine Unheilsansage. Ziel des Buches ist demnach zu zeigen, dass Gott das Gericht nicht ankÛndigt, um es zu vollstrecken. Vielmehr lÅsst er einen Weg zur Rettung offen. Ninive ist dafÛr nur ein Beispiel, das mit dem aus II K×n 14,25 bekannten Propheten Jona verknÛpft wird. Die Niniviten zeigen keine ZÛge typischer Fremdv×lker. Mit der Interpretation des Jonabuches als Beitrag gegen jedes fatalistische VerstÅndnis der Prophetie wendet sich R. E. Clements dagegen, die ErzÅhlung als Aussage Ûber das VerhÅltnis zwischen Israel und den V×lkern zu interpretieren. Allerdings konzentriert sich R. E. Clements vor allem auf das vierte Kapitel. Sicher lÅuft das Buch auf dieses Kapitel zu. Eine Interpretation, die von hier ausgeht, verzichtet aber auf viele andere Facetten, die nicht unwesentlich zum Gesamtbild beitragen. Hinzu kommt ein Problem der Datierung des Buches. Ein Beitrag Ûber die Prophetie wÅre am besten vor dem Hintergrund des 6. Jh. zu verstehen. NatÛrlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Thema auch fÛr einen spÅteren Verfasser bedenkenswert gewesen sein k×nnte. Mit einer spÅteren Datierung sinkt m.E. aber auch die Wahrscheinlichkeit, dass das Jonabuch als Beitrag Ûber das VerstÅndnis der Prophetie verfasst wurde, weil das PhÅnomen der Prophetie spÅter nur noch als Schriftprophetie eine Rolle spielte. 4.1.2 Aufforderung zur Reue und Umkehr Im Zentrum des dritten Kapitels wird die Umkehrforderung dem Leser so eindeutig vor Augen gehalten, dass es nicht schwer fÅllt, die Aussageabsicht des Buches in ihr zu sehen. Die Bewohner Ninives bieten mit ihrem Fasten, der Reue und ihrer Abkehr vom B×sen geradezu ein Musterbeispiel fÛr eine Umkehr, die sogleich von Gott akzeptiert wird. Im Hintergrund k×nnte eine Diskussion stehen, in der darum gerungen wurde, ob SÛnde allein durch 2 Vgl. zum Folgenden R. E. CLEMENTS, Jonah. Als Buch, das konzeptionelle Probleme der alttestamentlichen Prophetie behandelt, verstehen das Jonabuch auch K. KOCH, Profeten, 187 f und R. RENDTORFF, EinfÛhrung, 238 f. 3 Vgl. II K×n 17,13.

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Strafe gesÛhnt werden kann oder auch durch Abkehr von der SÛnde. Mit der Jonafigur sollte dann die Gruppe Ûberzeugt werden, die daran festhielt, dass SÛnde nur durch Strafe aus der Welt geschafft werden kann.4 Das Thema Umkehr findet sich allerdings nur im dritten Kapitel. Die Seeleute und ihr KapitÅn, die zum Teil mit den Niniviten und ihrem K×nig parallelisiert werden, waren offenbar keine SÛnder. Das erste Kapitel ist aber zu farbig und dramatisch geschildert um als bloße Einleitung des dritten verstanden zu werden. Deshalb lÅsst sich die Umkehr und Reue nicht als einziges buchÛbergreifendes Thema verstehen. Außerdem wird in Gottes Antwort am Ende des Buches nicht die Umkehr Ninives als Grund fÛr Gottes Erbarmen genannt, sondern die Gr×ße der Stadt und ihr Reichtum an Vieh (4,11). 4.1.3 Diskussion zwischen Universalismus und Nationalismus Bei einer dritten M×glichkeit steht die Jonafigur im Mittelpunkt. Sie steht den Seeleuten und Niniviten gegenÛber. Dabei liegt die Betonung vor allem auf Jonas Widerspruch gegen Gott. DemgegenÛber steht bei den Heiden die Gottesfurcht im Vordergrund. Insbesondere die Gemeinsamkeiten zwischen den Seeleuten und ihrem KapitÅn sowie den Niniviten und ihrem K×nig sind bei dieser Interpretation berÛcksichtigt. Auch das erste Kapitel, das bei den anderen Interpretationsversuchen vernachlÅssigt wurde, kommt zur Geltung.5 Die Problematik dieser Auslegung ist ein oft folgender zweiter Schritt: Jona wird nicht als ein Israelit verstanden, sondern als Allegorie fÛr ganz Israel.6 Dies bahnt antijudaistischer Vereinnahmung des Jonabuches den Weg. Dass dieser Weg nicht zwingend ist, zeigen einige Ausleger. So sieht z. B. H. Witzenrath Jona als Vertreter bestimmter Kreise in Israel, die Jhwhs Erbarmen lediglich auf Israel bezogen sehen.7 Die Aussageabsicht des Verfassers ist nach dieser Interpretation, dass Gott sich auch Ûber die Heiden erbarmt, wenn diese umkehren. Nicht das Erbarmen Gottes und seine Gnade stehen im Mittelpunkt der Diskussion, sondern wer dessen teilhaftig wird. „Nach Jona gelten sie nicht den Heiden. Der Verfasser des

4 Eine solche Diskussion hat sich in der alttestamentlichen Literatur auch an anderen Stellen niedergeschlagen. In Ez 18,1–20 wird die Strafe auf eine Generation eingeschrÅnkt: Weder Vater noch Sohn eines TÅters sind zu belangen. Damit wendet sich Ez 18,1–20 gegen die Bestrafung des SÛnders bis ins dritte und vierte Glied. Vgl. Ex 20,5. Die Umkehr eines SÛnders ist noch nicht denkbar. Diese M×glichkeit wird spÅter in Ez 18,21 ff ergÅnzt. 5 Eine solche Deutung des Jonabuches vertreten unter anderem W. RUDOLPH, KAT XIII/2; O. KAISER, Wirklichkeit und H. W. WOLFF, BK XIV/3. Vgl. auch G. VANONI, Jona, 149 ff und S. SCHREINER, Partikularismus, 37 ff. 6 Vgl. z. B. P. R. ACKROYD, Exile, 244 f. 7 H. WITZENRATH, Jona, 98 vertritt ihre Position aber mit einem Pathos, das ihre Interpretation problematisch macht. „Demnach hat das Buch die Aussageabsicht, bestimmten Kreisen in Israel diese Wahrheit vor Augen zu stellen.“

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Jonabuches sagt hingegen: Jahwe ist frei, sein Erbarmen auch den Heiden zu schenken, wenn sie umkehren.“8 4.1.4 Diskussion des Gottesbildes Das Interesse des Verfassers wird viertens in Jhwh und seinem Handeln ausgemacht.9 Die Jonafigur bildet nur eine Folie, an der Macht und Handlungsweise Jhwhs aufgezeigt wird. Im ersten Kapitel sieht L. Schmidt Jonas Versuch, sich Jhwh zu entziehen, lediglich als Åußeren Anlass fÛr die Ereignisse. „Vielmehr liegt der Ton darauf, dass sich in den Geschehnissen Jahwe als der allein MÅchtige erweist, sie sind Zeugnis fÛr Jahwes Macht.“10 Wenn Macht und Gr×ße Jhwhs die Pointe sind, geht es nicht um die GegenÛberstellung des Verhaltens von Nichtisraeliten und einem Israeliten. Wie im ersten Teil das Bekenntnis zur Macht Jhwhs im Zentrum steht, so sieht L. Schmidt das Bekenntnis zur Gnade Gottes in 4,2 als thematische Mitte des zweiten Teiles. Ausgehend von diesem Bekenntnis wird das Buch gelesen und die Handlung interpretiert. Die Geltung der BekenntnissÅtze setzt der Verfasser des Buches voraus. Er will, so L. Schmidt, bei den Lesern lediglich „neues Staunen“ Ûber den Inhalt der BekenntnissÅtze wecken. Den Bekenntnissen wird zwar mit Jona eine Gegenposition gegenÛbergestellt. Sie ist aber fÛr L. Schmidt rein theoretisch. Deswegen kann das Jonabuch kein Beitrag zu einer aktuellen theologischen Auseinandersetzung sein. Bei Åhnlichem Ansatz setzt A. Cooper einen anderen Akzent. Die Absicht des Buches lÅuft nach seiner Analyse darauf hinaus, die absolute Freiheit Gottes in den Mittelpunkt zu rÛcken. Diese Gotteslehre stellt fÛr ihn die einzige Alternative zum Bundeskonzept dar, das Jhwh dazu zwang, Israel zu zerst×ren.11 Die Arbeiten von L. Schmidt und A. Cooper zeigen, dass ErzÅhlungen die theologischen Deutungen ihrer Verfasser transportieren und zu ethischen oder theologischen Diskussionen Stellung nehmen k×nnen. Allerdings ist die Vermittlung einer Gotteslehre fÛr eine so kunstvolle ErzÅhlung wie das Jonabuch m.E. nicht die erste Intention. Deshalb sollte das Buch nicht in erster Linie als erzÅhlte Dogmatik bestimmt werden.12 Die Annahme erzÅhlter Dogmatik setzt ein neuzeitliches VerstÅndnis von Theologie und Reflexion voraus und vernachlÅssigt den eigenen Charakter des Jonabuches. Die ErzÅhlung wurde geschrieben, um den Leser zu unterhalten und mit seinen unterschiedlichen Bildern und reichen Details zu beH. WITZENRATH, Jona, 100. Vgl. dazu L. SCHMIDT, Studien und A. COOPER, Praise. 10 L. SCHMIDT, Studien, 63. 11 Vgl. A. COOPER, Praise, 150. 12 „Wer so reflektiert und lebendig zugleich erzÅhlt, der ist durch alle Dogmatik hindurchgegangen, hat ihr begrenztes Recht erkannt und konnte gerade deswegen nicht bei ihr stehen bleiben.“ R. LUX, Jona, 22. 8 9

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schÅftigen. Wie lÅsst sich z. B. die ErwÅhnung, dass Jona den Fahrpreis bezahlt, mit erzÅhlter Dogmatik vereinbaren? In Anbetracht dieser Details kann man schwerlich von einer Folie oder einer theoretischen Gegenposition sprechen. Eine andere Frage ist, warum dieses Jonabuch Aufnahme im Dodekapropheton gefunden hat. Bei dieser ºberlegung lÅsst sich durchaus an die Arbeiten von L. Schmidt und A. Cooper anknÛpfen. 4.1.5 Exemplarische Beschreibung eines in sich selbst gekehrten Menschen Andere Lesungen der JonaerzÅhlung orientieren sich an der Jonagestalt und ihren depressiven ZÛgen. Jona versteckt sich nicht nur vor Gott, er verkriecht sich auch im Boot und schlÅft teilnahmslos wÅhrend des Sturms. In Kap. 4 hÅlt er es wie Elia in I K×n 19 fÛr besser zu sterben als weiterzuleben. Jona ist mit sich selber beschÅftigt, nimmt wenig von seiner Umwelt wahr und kann erst durch mehrfache Interventionen Gottes bewegt werden, Ûber sich selbst hinaus zu schauen. Der H×hepunkt dieses Jonabildes ist die Rizinus-Episode: Jona will nicht mehr leben, weil sein Schattenspender verdorrte. Das Schicksal Ninives interessiert ihn dagegen nicht. 4.1.6 Perspektiven aus der neueren Arbeit am Zw×lfprophetenbuch Die neueste Exegese versteht das Buch aus seinem Kontext im Zw×lfprophetenbuch. Wenn man aufgrund der VerknÛpfungen der einzelnen BÛcher untereinander diese Lesart als M×glichkeit akzeptiert und das Jonabuch auf Parallelen im Kontext untersucht, fÅllt vor allem auf, dass die alte Feindin Ninive aus einer neuen Perspektive betrachtet wird. Darauf hat besonders E. Bosshard-Nepustil hingewiesen.13 Mit Ninive und ihrem K×nig zusammen werden aber auch die Heiden in ein neues Licht gerÛckt. Einen methodisch anderen Weg geht J. D. Nogalski. Er legt eine Synthese verschiedener diachroner Analysen des Jonabuches zu Grunde und bestimmt davon ausgehend den Psalm (2,3–10) als Leseanleitung des Jonabuches.14 Die metaphorischen Motive (Meer- und Unterweltthematik) unterstÛtzen explizite Aussagen Ûber die Not des Psalmbeters: Es geht um seine Entfernung vom Tempel (2,5.8).15 Dieser Jona des Psalms kann nach J. D. Nogalski nur Israel selber sein. Seine zweite Schlussfolgerung geht weiter: Der Redaktor denkt mit dem Psalm und der darin beschriebenen Notsituation an die Zerst×rung des Tempels in Jerusalem und an das folgende Exil. Damit liegt im

Vgl. E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen, 424. Damit wendet sich J. D. NOGALSKI, Processes, 266 gegen Positionen wie die J. Magonets, die die Notwendigkeit postulieren, den Psalm aus dem Kontext des Buches zu lesen und ausgehend vom narrativen Text die Unterschiede relativieren. 15 „For the Redactor, Jonah represented someone whom YHWH had expellled from the temple.“ J. D. NOGALSKI, Processes, 267. 13 14

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Jonabuch selber ein SchlÛssel fÛr eine historische Interpretation. Jona wird genauso wegen seines Ungehorsams gestraft wie Israel. Diesen Weg J. D. Nogalskis zeichnet B. S. Childs vor, in dem er zwei Bucheditionen unterscheidet und damit zugleich die unterschiedlichen Aussagen des Buches zu erklÅren versucht.16 Die erste dieser Fassungen des Jonabuches (ohne den Psalm) thematisiert den ungehorsamen Propheten, der sich dem Befehl Jhwhs widersetzt, um nicht falscher Prophet zu werden. „In his response God defends his right as creator to let his mercy to his creation override the prophetic word.“17 Durch die EinfÛgung des Psalms verÅndert sich die Buchstruktur. Jona 2 steht jetzt parallel zu Jona 4 und beeinflusst damit auch die Deutung des Schlusskapitels. Jona wird als reprÅsentativer Israelit portrÅtiert, der die Ûberlieferte Psalmensprache wie jeder GlÅubige benutzt. Dem Leser wird so ein Weg zum Glauben des Propheten gebahnt und der Schwerpunkt von der Auseinandersetzung mit der Prophetie auf die Annahme der g×ttlichen Gnade verschoben.18 Die EinfÛgung des Psalms geht nach B. S. Childs mit der Einordnung des Jonabuches in das Zw×lfprophetenbuch einher. Dabei stehen sich beide Editionen allerdings nicht gegenÛber, die zweite Ausgabe des Buches weitet die Theologie der ersten lediglich aus.19 4.1.7 Schlussfolgerung Dieser kurze ºberblick zeigt, dass es unm×glich ist, ein Hauptthema des Jonabuches zu bestimmen. FÛr jedes der dargestellten Motive finden sich Anhaltspunkte im Buch. Daraus lassen sich zwei SchlÛsse ziehen. (1.) Verschiedene Stoffe und Traditionen sind ins Jonabuch eingeflossen und haben jeweils ihr eigenes Thema in das Buch eingetragen. (2.) Wenn man von der Form des Jonabuches ausgeht, schließen sich die genannten Themen nicht aus. Bei der Ûberlieferten Schrift handelt es sich nicht um eine Allegorie oder Parabel, sondern um eine ErzÅhlung, die z. T. dramatische aber auch ironische ZÛge hat. Eine solche ErzÅhlung wird nicht nur verfasst, um ein Thema zu transportieren. Sie bietet mehrere Aspekte und ist fÛr verschiedene Aussagen offen. Besonders J. Magonet hat in seiner Analyse des Jonabuches herausgestellt, dass das Buch dem Leser ÛberlÅsst, den Text von sei-

16 Vgl. B. S. CHILDS, Introduction. B. S. Childs Ansatz folgt A. Y. LEE, Unity, 92 ff im Jonakapitel seiner Untersuchung zum Dodekapropheton. 17 B. S. CHILDS, Introduction, 423. 18 „In sum, the effect of the prayer from a canonical perspective is to typify Jonah! The lesson which was directed to Jonah now also serves a larger audience. The book adresses those other faithful Jews who have been set apart from the nations by the Mosaic covenant, and who were sustained by the sacred traditions of their Psalter.“ B. S. CHILDS, Introduction, 424. 19 Vgl. B. S. CHILDS, Introduction, 425.

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ner eigenen Fragestellung her zu interpretieren.20 Trotz der M×glichkeit einer solchen offenen Interpretation des Buches sind auch die VerknÛpfungen der verschiedenen Themen zu prÛfen. Impulse der neueren redaktionsgeschichtlichen Arbeit am Zw×lfprophetenbuch beeinflussen die Interpretation des Jonabuches. Das Buch steht in einem Kontext, in dem Ninive und die V×lkerwelt allgemein negativ charakterisiert werden. Gegen diese Sicht setzt das Jonabuch einen Kontrapunkt. Wie Mi 7 und Nah 1 ist auch der Jonapsalm ein SchlÛsseltext fÛr das Buch. Seine Funktion hat in der bisherigen Diskussion um das Thema des Buches eine zu geringe Rolle gespielt. Insbesondere im Hinblick auf die EinfÛgung des Jonabuches in das Dodekapropheton sollte der Charakter des Jonapsalms beachtet werden. Das Thema Israel und die V×lker schwingt im Buch mit und bekommt auch insbesondere durch die GegenÛberstellung zum Nahumbuch und die damit verbundene Neuinterpretation Ninives Gewicht.

4.2 Charakterisierung der V×lker im Jonabuch Die Seeleute, die Bewohner Ninives und die Stadt Ninive selber kommen jeweils auf eigene Weise in den Blick als Vertreter der heidnischen Welt und zeigen damit, wie das Jonabuch die V×lkerwelt sieht. 4.2.1. Die Seeleute – Jona 1 Das erste Kapitel des Jonabuches weist neben der Rettung aus dem Sturm einen weiteren Spannungsbogen auf, der sich aus dem Wechsel des Verhaltens der Seeleute ergibt. In 1,4–5a beten die Seeleute jeweils zu ihrem eigenen Gott, in 1,16 werden sie als Gruppe von Jhwh-FÛrchtigen dargestellt, die Opfer darbringen und GelÛbde tun. Nach der Strukturanalyse von R. Lux bildet 1,4–16 nach der Exposition (1,1–3) den ersten Hauptteil. Anhand kommunikations- und geschichtenbezogener Gliederungssignale21 ist ein Rahmen mit dem oben beschriebenen Spannungsbogen (1,4–5a und 1,16) von drei Unterabschnitten zu trennen.22 Diese Unterabschnitte voll-

20 „Different emphasis on any single element or group of elements can result in quite different readings. That such ambiguity exists and that no single reading is the ‚true‘ one, is no more and no less, a problem than the attempt to recognise and understand the word of God itself at any given time.“ J. MAGONET, Form, 112. 21 Geschichtenbezogene Gliederungssignale sind HandlungstrÅger, Ort, Aktionsart und Ereignisfolge. Vgl. R. LUX, Jona, 99. Abschnittsgrenzen haben keineswegs so große Bedeutung wie die zwischen den Hauptabschnitten. „Unterabschnitte k×nnen sehr eng aufeinander bezogen sein.“ R. LUX, Jona, 102. 22 Jona 1,5b-5; 1,7–10; 1,11–15.

Charakterisierung der V×lker im Jonabuch

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ziehen die Wandlung der Seeleute nach.23 Die folgende Darstellung orientiert sich an der von R. Lux erarbeiteten Buchstruktur und gliedert die Untersuchung in die von ihm unterschiedenen Reaktionen der an der Handlung Beteiligten aufeinander. Die Schiffsbesatzung, d. h. Seeleute (¥jclmh)24, KapitÅn (lbch br)25 und MÅnner (¥jfnah)26 treten in der ErzÅhlung nicht von sich aus in Erscheinung. Sie reagieren jeweils auf Reden oder Handlungen Jonas oder auf Maßnahmen Jhwhs. Um die Charakterisierung der Schiffsbesatzung im ersten Kapitel zu untersuchen, werden die Reaktionen der Schiffsbesatzung auf Jona und auf Jhwh getrennt analysiert. Hintergrund dieser Differenzierung ist die Annahme, dass zumindest im ersten Kapitel die Jonafigur als ein Vertreter Israels skizziert wird und sich die Reaktionen der Schiffsbesatzung auf Jona fÛr die Frage des VerhÅltnisses zwischen Israel und den V×lkern auswerten lassen. Die Stellung der Schiffsbesatzung zu Jhwh und seinem Eingreifen ist dagegen eine Antwort darauf, welches VerhÅltnis von Einzelnen aus den V×lkern zu Jhwh vorstellbar war. 4.2.1.1 ºbersetzung Kap. 1 (1) Und es erging das Wort Jhwhs an Jona, den Sohn Amittais. (2) Auf, geh nach Ninive, der großen Stadt, und predige gegen sie, denn ihre Bosheit ist zu mir hinaufgestiegen. (3) Und Jona machte sich auf, um zu fliehen nach Tarschisch weg vom Angesicht Jhwhs. Er ging herunter nach Jaffa, fand ein Schiff, das nach Tarschisch ging, bezahlte den Preis und stieg ein, um mit ihnen nach Tarschisch zu fahren weg vom Angesicht Jhwhs. (4) Jhwh aber wirft27 einen großen Wind auf das Meer, so entstand ein großer Sturm auf dem Meer und das Schiff droht28 auseinander zu brechen. (5) Da fÛrchteten sich die Seeleute und sie schrieen jeder zu seinem Gott29 und sie warfen Dinge, die auf dem Schiff waren, ins Meer, um es davon zu erleichtern.

Vgl. R. LUX, Jona, 99 ff. Von ¥jclmh ist nur in Jona 1,5 die Rede. 25 Vgl. Jona 1,6. 26 Vgl. Jona 1,10.13.16. 27 Die ErzÅhlung wechselt vom Narrativ zum Perfekt. An dieser Stelle wird keine Hintergrundinformation nachgetragen wie in V. 5. Es handelt sich um eine „geprÅgte Wendung zum Ausdruck des relativen Neueinsatzes.“ V. 4 wird damit vom in V. 1–3 ausgedrÛckten Progress in der Vergangenheit unterschieden. „Der ErzÅhler holt gewissermaßen tief Luft und setzt neu mit der nÅchsten Szene ein.“ R. BARTELMUS, EinfÛhrung, 207. Dem Neueinsatz entspricht auch die Voranstellung des Subjekts. Der Wechsel der Perspektive im ZeitverhÅltnis wird durch eine prÅsentische ºbersetzung ausgedrÛckt. 28 Die ErzÅhlung wechselt wiederum vom Narrativ zum Perfekt. 29 Grammatikalisch lÅsst sich nicht entscheiden, ob die Seeleute einen individuellen Nationalgott anbeten, oder jeder eine andere Gottheit anruft. Vgl. dazu J. M. SASSON, AncB 24b, 98. 23 24

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Jona aber war hinab gestiegen30 in das Innerste des Schiffsrumpfes und er legte sich hin und schlief ein.31 (6) Da nÅherte sich ihm der KapitÅn und sagte ihm: Warum schlÅfst du? Steh auf, rufe zu Deinem Gott. Vielleicht denkt diese32 Gottheit an uns, dass wir nicht zugrunde gehen. (7) Und sie sprachen jeder zu einem anderen, kommt lasst uns Lose werfen, damit wir wissen durch wen dieses Unheil Ûber uns gekommen ist. Und sie warfen Lose und das Los fiel auf Jona. (8) Da sprachen sie zu ihm: ErklÅr uns doch, durch wen dieses Unheil Ûber uns gekommen ist.33 Was ist dein Beruf? Und von wo kommst du? Und von welchem Volk bist du? (9) Er sprach zu ihnen: Ich bin ein HebrÅer und Jhwh den Gott der Himmel fÛrchte ich, der das Meer und das Land gemacht hat. (10) Da fÛrchteten die MÅnner eine große Furcht und sagten zu ihm: Warum hast du dies getan? Denn34 die MÅnner hatten gewusst, dass er vor dem Angesicht Jhwhs geflohen war, denn er hatte es ihnen mitgeteilt. (11) Sie sagten zu ihm: Was sollen wir machen mit dir, damit das Meer ablassen35 wird von uns? Denn das Meer ging immer ungestÛmer. (12) Er sagte ihnen: Hebt mich hoch und werft mich ins Meer. Dann wird das Meer ruhig werden Ûber euch; denn ich weiß, dass um meinet willen dieser große Sturm Ûber euch gekommen ist. (13) Und die MÅnner ruderten, um zum Land zurÛckzukehren, doch sie vermochten es nicht,36 denn das Meer ging immer ungestÛmer gegen sie. (14) Da riefen sie zu Jhwh und sagten: Ach Jhwh lass uns nicht zu Grunde gehen37 wegen des Lebens dieses Mannes und belaste uns nicht mit unrecht vergossenem Blut, denn du Jhwh hast getan,38 wie es dir gefallen hat. 30 Der Wechsel vom Narrativ zum Perfekt weist das Folgende als Hintergrundinformation aus. Vgl. R. BARTELMUS, EinfÛhrung, 207. H. W. WOLFF, BK XIV/3, 88 bezeichnet diese Konstruktion als erzÅhlerische Nachholung. Dagegen fÛhrt J. M. Sasson die Parallele zu V. 4 an und wendet sich gegen eine ºbersetzung im Plusquamperfekt. Dieses VerstÅndnis widerspricht der Logik der ErzÅhlung und gibt dem Schlaf Jonas eine andere Bedeutung. 31 Das Tempus wechselt wieder zum Narrativ, obwohl inhaltlich eine Fortsetzung der Hintergrundinformation vorliegt, die von der wiedereinsetzenden ErzÅhlung in V. 6 eigentlich auch temporal zu unterscheiden wÅre. FÛr das in der ºbersetzung zu erwartende Plusquamperfekt gibt die Zeitstruktur des Textes keinen Anhaltspunkt. 32 Der Artikel hat demonstrativen Charakter. Vgl. J. M. SASSON, AncB 24b, 104. 33 wnl tazh hyrh jml rfab fehlt in einigen Ålteren Textzeugen wie z. B. LXX (Sinaiticus, Vaticanus). Vgl. zur Textdiskussion J. M. SASSON, AncB 24b, 112. 34 Der Tempuswechsel weist wiederum auf eine Hintergrundinformation hin. Anders als in V. 5b wird er durch das einleitende jk noch verstÅrkt. 35 Das Imperfekt ist als Tempuswechsel zu verstehen und futurisch zu Ûbersetzen. M×glich wÅre auch ein Moduswechsel vom Indikativ zum Konjunktiv: „Damit das Meer ruhig werde.“ 36 Das Tempus wechselt zum Perfekt, weil ein Sachverhalt, der nicht stattgefunden hat nicht im Narrativ berichtet werden kann. Vgl. R. BARTELMUS, EinfÛhrung, 98. 37 Der Tempuswechsel zum Imperfekt zeigt an, dass es sich mit den WÛnschen der Redner um eine andere ModalitÅt handelt. Vgl. zur „deontic modality“ R. S. HENDEL, Margins, 168 ff. 38 Das Perfekt zeigt einen Perspektivenwechsel in die Vergangenheit an und ist m.E. nicht

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(15) Und sie nahmen Jona und warfen ihn ins Meer und das Meer ließ ab von seinem StÛrmen. (16) Und die Menschen fÛrchteten eine große Furcht vor Jhwh39 und sie opferten Jhwh ein Opfer und gelobten GelÛbde.40 4.2.1.2 Terminologische und grammatikalische Analyse Das Schiff, in das Jona steigt, wird in V. 3–5 mit hjna bezeichnet, in V. 5b dagegen mit hnjpoh. In V. 5 ist von Seeleuten die Rede (¥jclmh), ab V. 10 allgemein nur von den MÅnnern (¥jfnah). Beides k×nnte auf literarisches Wachstum deuten. Allerdings erklÅren auch inhaltliche GrÛnde die terminologischen Unterschiede. Der Verfasser hat m×glicherweise das Schiff (hjna) vom Schiffsinneren, bzw. Rumpf (hnjpoh) sowie die Seeleute (¥jclmh) von allen auf dem Schiff befindlichen MÅnnern (¥jfnah) unterschieden. Dem Wechsel des Gottesnamens kommt im ersten Kapitel keine entscheidende Rolle zu. Lediglich der KapitÅn spricht von ¥jhla (V. 6). Der unterschiedliche Gebrauch der PrÅpositionen bei zwei vergleichbaren Fragen in V. 8ab (jml rfab) und V. 7. (jmlfb) lÅsst sich nicht inhaltlich erklÅren. Der Wechsel im Sprachgebrauch k×nnte ein Anzeichen fÛr zwei verschiedene „HÅnde“ sein und damit auf literarisches Wachstum hindeuten. Diese Beobachtung wird dadurch gestÛtzt, dass V. 8ab auch in einigen Ålteren Textzeugen fehlt.41 Einige Satzteile weichen vom in der ErzÅhlung verwendeten Narrativ ab. Stattdessen werden Perfekt-Formen verwendet.42 V. 4 zeigt damit einen Neueinsatz der Handlung an (ljuh).43 Die Perfekt-Formen in V. 5b (drj) und V. 10b (wydj) tragen Hintergrundinformationen nach. V. 10b und V. 14b blicken auf Jhwhs Taten zurÛck. Die Konstruktion in V. 14b ist vom Inhalt der ErzÅhlung betrachtet nicht unproblematisch: In den Mund der Seeleute passt das historische Wissen nicht, das tjfy tspc ausdrÛckt. Des-

prÅsentisch mit iterativem Sinn zu Ûbersetzen. Vgl. W. Rudolph, KAT XIII/2, 339. Aus diesem vergangenem Handeln Jhwhs ist abzuleiten, dass Gott auch in der Zukunft tut, was ihm gefÅllt. Vgl. dazu auch J. M. SASSON, AncB 24b, 136. 39 Die Verwendung des Verbs arj mit zwei direkten Objekten ist an dieser Stelle singulÅr und problematisch, wie die GlÅttungsversuche der spÅteren Versionen zeigen. Vgl. J. M. SASSON, AncB 24b, 137. Es handelt sich um ein Stilmittel, das J. MAGONET, Form, 31 ff als „growing phrase“ bezeichnet. 40 Antike See-ErzÅhlungen zeigen, dass Opfer auch auf See m×glich waren. Deswegen ist eine Šnderung des Textes, wie sie spÅtere Versionen aus logischen wie auch aus theologischen GrÛnden vornehmen, nicht erforderlich. Vgl. J. M. SASSON, AncB 24b, 139. 41 Vgl. die Anmerkung zu V. 8. 42 Vgl. auch die Anmerkungen zu V. 14. 43 Neben dem Tempuswechsel hebt die Voranstellung des Subjekts den Satz noch weiter aus dem Kontext heraus. „The construction is found only here and in two other pasages, where it draws attention to matters of special significance.“ J. M. SASSON, AncB 24b, 93. In Konstruktion und Funktion vergleichbar sind 3,3b und 4,11.

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wegen Ûbersetzen einige Kommentatoren prÅsentisch.44 Allerdings wÅre dann eher eine Partizipialkonstruktion angemessen. Wahrscheinlich ist der Satz eine Aufnahme von Gebetssprache45 und von dem Verfasser auch durch die ºbernahme des Tempus als solches gekennzeichnet. Vom Tempussystem des Textes schwierig zu erklÅren ist der Gebrauch des Perfekts in V. 4b (hbfc). Nach dem mit ljuh angezeigten Neueinsatz fÅllt die ErzÅhlung wieder in den Narrativ zurÛck, um am Ende des Verses wieder das Perfekt aufzunehmen. Terminologisch und grammatikalisch liegen keine zwingenden GrÛnde vor, von verschiedenen literarischen Schichten auszugehen. Lediglich zwischen V. 7 und V. 8 lassen sich die Unterschiede nicht inhaltlich erklÅren. Zudem wirkt die zeitliche Einordnung von V. 14b problematisch. 4.2.1.3 Analyse der Struktur des Kapitels Die ersten drei Verse des Kapitels bilden die Exposition des Jonabuches: SchauplÅtze und Personen der Handlung werden vorgestellt. Mit der Spannung zwischen Gotteswort und Widerspruch ist das erste Thema des Buches angedeutet. Auf das Jhwh-Wort hin entfaltet Jona eine Ûbereifrige AktivitÅt. Daraus resultierende Ereignisse werden kurz nacheinander mit fÛnf Narrativen geschildert. Mit Jhwhs Reaktion auf die AktivitÅt Jonas beginnt in V. 4 eine neue mit der vorhergehenden deutlich verknÛpften Szene. Gegen die Flucht Jonas ergreift Jhwh Maßnahmen, die das Schiff und dessen Besatzung in BedrÅngnis bringen. Von der hektischen Betriebsamkeit Jonas ist nichts mehr zu spÛren, er tritt in den Hintergrund (V. 4–5a). Jetzt reagieren die Seeleute. Sie flehen ihre G×tter an und werfen Ballast Ûber Bord. In V. 5b beginnt die zweite Szene mit dem Nachtrag, Jonas Aufenthaltsort sei im Schiffsinneren. Zu diesem am Ergehen des Schiffes teilnahmslosen Passagier begibt sich der nur an dieser Stelle in die Handlung eingreifende KapitÅn. Er fordert Jona auf, wie die anderen Seeleute seinen Gott anzurufen. Eine Reaktion Jonas darauf gibt die ErzÅhlung nicht wieder. Sprungartig wechselt der Blick des ErzÅhlers zur dritten Szene: Eine Gruppe, mit der eigentlich nur die Seeleute (V. 5a) gemeint sein k×nnen, wirft Lose, um zu erfahren, wer am Unwetter Schuld ist. Jona hÅlt sich jetzt unter den Seeleuten auf dem Deck des Bootes (V. 5a) auf. Zwischen zweiter und dritter Szene springt der Handlungsverlauf: Der KapitÅn tritt unvermittelt in Erscheinung, Jona reagiert nicht auf seine Aufforderung und hÅlt sich an zwei verschiedenen Orten des Schiffes auf. Diese Unstimmigkeit ist Zeichen fÛr literarische Gestaltung, die einen Bruch in der ErzÅhlung in Kauf nimmt.

44 Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/3, 96. „Das konstatierende Perf. will praesentisch im iterativen Sinn verstanden werden.“ H. W. WOLFF, BK XIV/3, 96; dagegen W. RUDOLPH, KAT XIII/2, 339. 45 Vgl. z. B. Ps 115,3 und 135,6.

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Die Fragen der Seeleute lassen sich mit dem dramatischen Ablauf der Handlung nur schwer verbinden. Angesichts des Losentscheides ist zudem die Frage an Jona erklÅrungsbedÛrftig, durch wen das Unheil verursacht ist. Gerade weil in V. 10b festgestellt wird, dass Jona die GrÛnde fÛr das Unheil schon erzÅhlt hatte, scheint V. 8 ÛberflÛssig. Im Ganzen wirken die aneinander gereihten Fragen kÛnstlich. Weil die Handlung auf sie verzichten kann, handelt es sich vielleicht um die Spur einer Bearbeitung. Ein zweiter Redegang beginnt mit dem Vorschlag Jonas, sich Ûber Bord werfen zu lassen (V. 11). Stattdessen versuchen die MÅnner, zum Land zurÛckzukehren. (Ab jetzt ist von MÅnnern die Rede und nicht mehr von Seeleuten.) Die Wiederholung der Feststellung, dass das Meer immer unruhiger wird, teilt mit, dass auch dieser Reaktionsversuch fehlschlÅgt. Erst nach einem weiteren Redegang in V. 14 werfen die MÅnner Jona ins Meer, worauf sich dieses sofort beruhigt. Daraufhin opfern sie Jhwh und sprechen GelÛbde aus (V. 16). Bei einem Vergleich der Verse 14 und 16 fÅllt auf, dass V. 14 Teile von V. 16 schon vorwegnimmt. WÅhrend in V. 14 den Seeleuten eine qualifizierte theologische Einsicht Ûber das Wesen Jhwhs in den Mund gelegt wird, bleibt in V. 16 ihre Reaktion unbestimmt. 4.2.1.4 VerknÛpfungen und Leitmotive im ersten Kapitel Leitmotive und hÅufig gebrauchte Begriffe sowie Entsprechungen verknÛpfen die einzelnen Szenen miteinander. So genannte keywords durchziehen nicht nur das erste Kapitel, sondern finden sich im ganzen Buch, wie zum Beispiel das Adjektiv lwdg, das mit 14 Verwendungen prÅgnanteste keyword.46 Oft wird im ersten Kapitel auch das Verb lwu fÛr verschiedene sich entsprechende Aktionen verwendet: Jhwh wirft das Unwetter aufs Meer,47 die Seeleute werfen Ballast und spÅter dann Jona Ûber Bord.48 Eine wichtige terminologische Klammer des ersten Kapitels ist die Furcht: Die Seeleute fÛrchten sich genauso angesichts des Sturmes wie wegen Jonas Widerstand gegen den Auftrag Jhwhs.49 Wie Jona Jhwh, den Gott der Himmel fÛrchtet, verehren die auf dem Schiff befindlichen Menschen am Ende des Kapitels diesen Gott.50 Eine inhaltliche Verbindung ist Jonas Bewegung des Abstiegs (drj): Vom Hafen steigt er ins Schiff hinab (1,3), dann weiter in den Schiffsrumpf (1,5). Diese Bewegung setzt sich fort: Jona landet im Fisch-

46 In Kap. 1 wird Ninive als hlwdgh rjyh bezeichnet. Jona 1,2. Vgl. auch Jona 1,2; 3,2; 3,3 und 4,11. Der von Jhwh geschickte Wind und Sturm ist genauso groß (hlwdg cwr; lwdg ryo Jona 1,4.12) wie die Furcht der Seeleute (hlwdg harj – Jona 1,10.16). Außerdem wird lwdg als Charakterisierung der GefÛhle Jonas verwendet (hlwdg hyr – Jona 4,1 und hlwdg hcmf – Jona 4,6) wie zur Beschreibung des Fisches (lwdg gd – Jona 2,1). 47 Vgl. Jona 1,4. 48 Vgl. Jona 1,5.12.15. 49 Vgl. Jona 1,5 und 1,10. 50 Vgl. Jona 1,9 und 1,16.

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bauch und im Psalm an den Wurzeln der Berge.51 Die erste Szene ist mit der letzten verknÛpft: In V. 4.5a entspricht dem großen Sturm die große Furcht der Seeleute. In V. 15b.16 folgt auf die Ruhe eine große Furcht vor Jhwh. Damit bildet der Eingang wie der Schluss eine Rahmung der ErzÅhlung.52 Neben Unstimmigkeiten, die sich als BrÛche oder als literarische Gestaltung interpretieren lassen, finden sich also auch Elemente, die neben dem durchlaufenden Handlungsfaden das ganze Kapitel verbinden. 4.2.1.5 VerhÅltnis zu anderen Teilen des Buches VerknÛpfungen gibt es auch in den folgenden Kapiteln. Neben den schon genannten SchlÛsselbegriffen sind dies dba53 und arq.54 StÅrker als diese fallen strukturelle Entsprechungen des ersten und des dritten Kapitels in Gewicht: Nach einer Initialszene (1,1–3/3,1–3a) wird jeweils die Bedrohung und Rettung einer Gruppe von Heiden durch Jhwh geschildert. Bei beiden Gruppen hat ein Leiter eine prominente Funktion (1,5b.6/3,6–9). Obwohl das erste Kapitel durch SchlÛsselbegriffe und die parallele Struktur des dritten Kapitels h×chst kunstvoll an die folgenden Kapitel angebunden ist, steht es inhaltlich isoliert dar. Lediglich das Gebet Jonas scheint die Situation zu verarbeiten, in der er sich befindet, nachdem ihn die Schiffsbesatzung ins Meer geworfen hat (1,15a). Aber selbst diese AnklÅnge sind durch die ºberzeichnung mit der Todesmetaphorik und die Verarbeitung geprÅgter Bilder kaum als eigentliche Aufnahme des ersten Kapitels zu verstehen. Weiter spielt bis auf die in der Exposition genannte Weigerung Jonas, Jhwh zu gehorchen, kein Teil des ersten Kapitels eine Rolle. Dies ist bezeichnend, wenn man bedenkt, dass das vierte Kapitel strukturell das zweite durch das weitere Gebet Jonas (4,1–4) aufnimmt und an das dritte Kapitel in der Schlussrede Jhwhs anknÛpft. Das LehrgesprÅch, auf das das Buch zulÅuft, ließe sich auch ohne das erste Kapitel denken. 4.2.1.6 Struktur des ersten Kapitels – Argument fÛr die Einheitlichkeit? Viele Exegeten sehen im Anschluss an die Arbeiten von N. Lohfink und R. Pesch55 einen kunstvollen nach einer konzentrischen Grundstruktur ausgerichteten Aufbau des Buches.56 Dagegen wirft W. Rudolph N. Lohfink und R. Pesch „stilistische Bastelarbeit“ vor. Gegen die Symmetrie spricht seiner Meinung, dass mit 1,16b ein Versteil nicht in das Strukturschema ein-

51 F. W. GOLKA, Jona, 50 f sieht hier die Beschreibung eines geistlichen Abstiegs, der die Entfernung Jonas von Gott illustriert. 52 Mit H. W. WOLFF, BK XIV/3, 84 f. 53 Jona 1,6; 1,14; 3,9; 4,10. Vgl. dazu F. W. GOLKA, Jona, 53 ff. 54 Eine Form der Wurzel arq findet sich in Jona 1,2.5.14; 2,3 und 3,2.4.5.8. 55 Vgl. N. LOHFINK, Jona, 200 ff und R. PESCH, Struktur, 577 ff. 56 Vgl. z. B. J. MAGONET, Form, 56 f; J. D. NOGALSKI, Processes, 250 und U. SIMON, Jona, 45 ff.

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zuordnen ist.57 Obwohl nicht alle Entsprechungen „immer einleuchtend“ sind,58 ist eine konzentrische Struktur erkennbar. Auch nach dem einfacheren Gliederungsmodell von R. Lux ist das Kapitel um eine Mitte herum angeordnet. Dieses Zentrum macht 1,7–10 aus.59 Die verschiedenen Analysen zeigen, dass dem ersten Kapitel eine Struktur um eine Mitte zu Grunde liegt. Diese Mitte besteht aus dem Redegang zwischen Jona und den Seeleuten Ûber seine Herkunft und seinen Glauben, dem Bekenntnis Jonas. Allerdings ist mit dem Nachweis einer das Kapitel bestimmenden Struktur keineswegs dessen Einheitlichkeit bewiesen. Es steht lediglich fest, dass die fÛr die Ûberlieferte Gestalt des Kapitels verantwortliche literarische Schicht – unabhÅngig davon, ob es sich um eine Bearbeitung oder um die eigentliche ErzÅhlung handelt – planvoll gestaltet ist. Wenn von einem Wachstum ausgegangen wird, hat die letzte Bearbeitungsschicht die Struktur des Kapitels wesentlich geprÅgt.60 Das Kapitel kann deswegen als Einheit bezeichnet und interpretiert werden. 4.2.1.7 Die Reaktionen der Schiffsbesatzung auf Jona (1.) Jona 1,3 – Schon vor dem eigentlichen Beginn der Handlung werden die Seeleute in der Exposition indirekt erwÅhnt. Jona findet ein Schiff (hjna), das nach Tarschisch fÅhrt.61 Bei den Seeleuten (¥hmy) zahlt Jona fÛr seine Fahrt. D.h. er und die Schiffsbesatzung haben zunÅchst eine geschÅftliche Beziehung. Der Bitte Jonas, mitgenommen zu werden, wird von einer Gruppe Heiden unterschiedlicher Herkunft entsprochen.62 (2.) Jona 1,6 – Der SchiffskapitÅn fordert Jona als ein Vertreter von Nichtisraeliten einen Israeliten auf, seinen Gott anzurufen. Die „verschleiernde Wortwahl“63 lÅsst unklar, ob mit ¥jhlah der Gott Israels gemeint ist oder ein anderer Gott. Die ºbersetzung mit „diese Gottheit“ hÅlt beide Inter57 Geringer wiegt das Argument W. Rudolphs, dass der von ihm als sekundÅr ausgegrenzte Versteil 1,8ab beibehalten wird. Wenn sich fÛr den Versteil in der Struktur des Kapitels eine Bedeutung aufzeigen ließe, wÅre ja auch der Umkehrschluss m×glich, dass 1,8ab nicht auszusondern ist. 58 W. RUDOLPH, KAT XIII/2, 40. Vgl. auch die vorsichtigere Kritik am streng konzentrischen Strukturmodell von P. WEIMAR, Kritik bei R. LUX, Jona, 109. 59 Šhnliche Gliederungen finden sich bei H. W. WOLFF, BK XIV/3, 84 f (MittelstÛck 1,5b-15a mit 1,9 im Zentrum.) und F. W. GOLKA, Jona, 47 ff. 60 Zu diesem Ergebnis kommt auch J. M. Sasson angesichts der Debatte, ob das Gebet Jonas im 2. Kapitel in die Symmetrie passt oder nicht. „Just why books display better symmetry when they are original to individual writers is rarely argued by commentators. I imagine that the opposite case can also be defended, because interpolators also have strong stakes in neatly balanced books.“ J. M. SASSON, AncB 24b, 203. 61 Tarschisch-Schiffe sind zumeist positiv konnotiert. Sie bringen Gold und Silber, bzw. sollten SchÅtze bringen. Jes 60,9 stellt die RÛckkehr der S×hne Zions aus der Ferne in Tarschisch-Schiffen in Aussicht. 62 Jona 1,5 zeigt, dass die Seeleute verschiedene G×tter haben. 63 F. W. GOLKA, Jona, 53.

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pretationen offen. Der Großteil Åhnlicher Konstruktionen bezieht sich auf den Gott Israels. Ri 11,24 zeigt aber, dass auch ein anderer Gott mit der Pluralform bezeichnet werden kann (ijhla fwmk).64 In der GedankenfÛhrung des Kapitels lernt die Schiffsbesatzung den Gott Jonas als Jhwh, den Sch×pfer, erst noch kennen. Mit der Wortwahl65dban alw k×nnte ein Hinweis auf ein weiteres Thema des Jonabuches gegeben sein. Wenn man die Stellung des Buches in dem Teil des Dodekaprophetons berÛcksichtigt, der sich mit dem Tag des Herrn beschÅftigt, klingt hinter der Frage des KapitÅns der Gedanke an, ob die V×lker diesen Tag Ûberleben werden. Auch die Wurzel ryo geh×rt zum Themenfeld des V×lkergerichts (Jona 1,4.11.12.13.). ryo bzw. hryo bezeichnen kosmische Erscheinungen, die in Theophanieschilderungen das Kommen Jhwhs begleiten.66 ryo wird auch als Gerichtshandeln Jhwhs verstanden, das sich nicht nur gegen Israel,67 sondern gegen V×lker und Feinde richtet.68 Der Zorn Jhwhs „braust wie ein Wirbelsturm Ûber die K×pfe der Frevler“.69 Die prÅgnanteste Verbindung der Vorstellung des universalen V×lkergerichts mit dem Terminus ryo findet sich in Jer 25,32, einer redaktionellen Bearbeitung der Vision Jeremias, in der Jhwh allen V×lker den Zornesbecher reicht. Das universale Gericht wird als Unheil verstanden und mit einem großen Sturm verglichen, der von den Winkeln der Erde auszieht. Allerdings liegt mit der Formulierung des KapitÅns ein versteckter Hinweis des ErzÅhlers vor, „dass es ihm bei dem Wort-Gottes-Auftrag von 1,2 eben mehr um das Problem Rettung der V×lker als um das Gericht ging.“70 FÛr den KapitÅn kommt Jona bei der Hoffnung auf eine Rettung eine entscheidende Rolle zu: Er soll zu seinem Gott beten. Mit einer Åhnlichen Formulierung wendet sich der ninivitische K×nig direkt an Jhwh, ohne Jona zu bemÛhen (Jona 3,9). (3.) Jona 1,10 – Nicht eindeutig einzuordnen ist die Reaktion der Schiffsbesatzung auf das Bekenntnis Jonas. Nach der ErzÅhllogik und den wechselseitigen Reaktionen veranlasst die Kommunikation Jhwhs durch das Losorakel die Seeleute, den Jhwh-GlÅubigen Jona zu befragen. Die auf diese Frage folgende Rede Jonas l×st die Furcht der Schiffsbesatzung vor der Sch×pfermacht Jhwhs aus. Heidnische MÅnner, so schildert es 1,10, kom-

Vgl. auch J. M. SASSON, AncB 24b, 104. Das Verb dba ist nicht nur ein SchlÛsselbegriff des Jonabuches (neben Jona 1,6 auch 1,14; 3,9 und 4,10.), es findet sich in der Gerichtsprophetie und im Psalter in AnkÛndigungen der Vernichtung pers×nlicher Feinde (z. B. Ps 9,4.11) oder der V×lker (z. B. Jes 41,11; 60,12 und Am 1,8). 66 Vgl. H. J. Fabry, ryo, 897. 67 Vgl. Hos 13,3 und Jes 54,11. 68 Vgl. Am 1,14 und Jes 28,2. 69 H. J. FABRY, ryo, 898. Vgl. Jer 23,19 und Hab 3,14. 70 Vgl. R. LUX, Jona, 105. 64 65

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men nicht nur durch die Ûberraschend aufkommenden Naturgewalten, sondern durch einen Jhwh-GlÅubigen zu einer Vorstellung von Jhwh. (4.) Jona 1,13 – Die Weigerung der Seeleute, Jona Ûber Bord zu werfen, ist ein fÛr die ErzÅhlung charakteristischer Zug. Bisher folgten die Seeleute Jonas Wort, bzw. reagierten mit Furcht auf. Wenn man auch hier die Seeleute als Vertreter der Heiden gegenÛber einem Jhwh-GlÅubigen sieht, weigern sich Heiden selbst auf seine Bitte hin, das Blut eines Jhwh-GlÅubigen zu vergießen. Vielmehr versuchen sie ihr M×gliches, Jona an Land zu bringen. Dieser Zug der ErzÅhlung scheint zunÅchst unbedeutend. Wenn man aber berÛcksichtigt, dass das Jonabuch auch in Situationen gelesen wurde, in denen Jhwh-GlÅubige dem Spott ihrer Umgebung und auch Verfolgungen ausgesetzt waren, bekommt diese Aussage Profil. 4.2.1.8 Die Schiffsbesatzung und Jhwh (1.) Jona 1,5 – Als Reaktion auf den von Jhwh ausgesandten Sturm fÛrchten sich die Seeleute (warjjw) und versuchen auf technischem und religi×sem Wege das Schiff zu retten.71 Jeder ruft auf seine Weise zu seinem Gott um Rettung (wjhla la fja). Die Heiden werden als religi×se Menschen vorgefÛhrt. Ihr Gebet erfolgt vor technischen Versuchen, das Schiff zu erleichtern. Der Jhwh-GlÅubige Jona schlÅft wÅhrenddessen teilnahmslos im Inneren des Schiffes. Ob der Autor des Jonabuches damit ein Kontrastbild zeichnet, das den Seeleuten eine, wie es R. Lux formuliert, „emotionsarme und inaktive SchlafmÛtze“ gegenÛberstellt, bleibt offen, weil sich der Schlaf Jonas auch als eine Vorwegnahme des in 4,3 geÅußerten Wunsches zu sterben erklÅren lÅsst. (2.) Jona 1,7 – Nach dem Ausbleiben der Hilfe suchen die Seeleute nach dem Schuldigen fÛr den Sturm und bedienen sich dabei religi×ser Technik. Sie deuten damit den Sturm richtig als Ûberweltliches PhÅnomen, nÅmlich als g×ttliche Bestrafung eines Schuldigen. Ein Losorakel stellt die Schuld Jonas fest. Loswerfen ist auch in Israel anerkannt und findet dort genauso als gebrÅuchliche Praxis, zu Entscheidungen zu kommen, Verwendung wie in der heidnischen Umwelt.72 Die von Heiden durchgefÛhrte religi×se Praxis wird von Jhwh beantwortet. Anders ist die ErzÅhlung nicht zu verstehen,

71 Die Reaktion der Schiffsbesatzung ist ein rein technischer Versuch der Rettung. Eine ethische Haltung klingt m.E. nicht an. U. SIMON, Jona, 82 dagegen sieht mit ¥jlkh bewegliches Eigentum bezeichnet. „Nachdem die Gebete nicht erh×rt worden sind, versuchen die Seeleute das Leben durch den Verzicht auf Besitz zu retten.“ U. SIMON, Jona, 82. Eine andere Deutungsm×glichkeit schlÅgt J. M. SASSON, AncB 24b, 94 vor. Aus der unÛblichen Verbindung des Verbs mit der PrÅposition la folgert er analog zu Berichten antiker Autoren, dass es sich um einen Opfervorgang handelt, der das Meer besÅnftigen soll. Dann wÅre allerdings die BegrÛndung „um es davon zu erleichtern“ ÛberflÛssig. 72 Vgl. Lev 16,8 und Neh 10,35; 11,1. R. F. PERSON, Jonah, 56 sieht dagegen Loswerfen als dezidierte heidnische Praktik, die fÛr Juden verboten ist.

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weil die eigenen G×tter der Seeleute ja schon in 1,5 geschwiegen hatten. Jhwh kommuniziert demnach nicht nur mit Heiden, er bedient sich dabei sogar ihrer Praktiken. (3.) Jona 1,8 – Nachdem Jona durch das Los als Ausl×ser des UnglÛcks bestimmt ist, erwacht das Interesse der Seeleute fÛr den Passagier. Sie fragen nach dem Grund des Unheils, nach seinem Beruf und seiner Herkunft. Angesichts der UmstÅnde auf dem Schiff verwundern die Aufforderung zum ErzÅhlen und die vier Fragen mit ihrer scheinbar alltÅglichen Kommunikation. In der ErzÅhlung haben sie die Funktion, den Gegensatz zwischen der Schiffsbesatzung und Jona zu zeigen. „Sie halten ganz entschieden fest, dass der Prophet nicht einer von ihnen ist.“73 Jona wird also deutlich von den Ûbrigen Menschen auf dem Schiff unterschieden. (4.) Jona 1,10 – Das Bekenntnis Jonas fÛhrt dazu, dass die Seeleute sich noch mehr fÛrchten als vor dem Sturm. Der Grund dafÛr zeigt wiederum ihr religi×ses Empfinden: Ihre große Furcht ist eine Reaktion auf die von Jona geschilderte Sch×pfermacht seines Gottes, der in 1,9 auch erstmals fÛr die Schiffsbesatzung mit Jhwh identifiziert wird. Auch hier wird Jona den Seeleuten gegenÛbergestellt. Obwohl er von der Sch×pfermacht Jhwhs Ûber das Meer und das Trockene weiß, flieht er. Die Seeleute dagegen, die das erste Mal davon h×ren, brechen gleich in Furcht vor diesem Gott aus. (5.) Jona 1,14 nimmt wiederum wie 1,6 (und auch 3,9) das Thema der Rettung der Nichtisraeliten auf. Nachdem Jhwh den Versuch scheitern lÅsst, Jona an das Ufer zurÛckzubringen, bitten die Seeleute Jhwh direkt, dass er sie fÛr das Blut Jonas nicht zur Rechenschaft zieht. Im Gegensatz zu 1,6 ist Jona nicht mehr Mittler der Rettung. Die Seeleute wenden sich das erste Mal direkt an Jhwh. „Der ErzÅhler war ganz offensichtlich der Auffassung, dass ein solch direkter Zugang zu JHWH auch Nichtisraeliten m×glich war und keinesfalls als Vorrecht Israels galt.“74 (6.) Jona 1,16 – Die Bitten der Seeleute werden von Jhwh erh×rt, wie die Reaktion des Meeres in 1,15b zeigt. Auf dieses Handeln Jhwhs reagiert die Schiffsbesatzung wiederum. Damit ist das religi×se Verhalten der Schiffsbesatzung auf einem H×hepunkt. Ihre Furcht wird zur Gottesfurcht und richtet sich auf Jhwh. 1,16 (hwhj ta hlwdg harj ¥jfnah warjjw) steigert 1,10 (hlwdg harj warjjw) und 1,5 (warjjw). Mit J. Magonet lÅsst sich dieses Stilmittel als growing phrase bezeichnen,75 die nicht nur die Zunahme der GefÛhle der Seeleute anzeigt,76 sondern einer fortschreitenden Lehre des

R. LUX, Jona, 108. R. LUX, Jona, 116 f. H. W. WOLFF, BK XIV/3, 75 sieht das Vorrecht Israels „der bitterlichen LÅcherlichkeit ausgesetzt“. Dagegen stellt R. LUX, Jona, 117, dass es Jhwh-Verehrung durch einzelne aus den V×lkern durchaus gegeben hat. Z. B. in II K×n 5,15 ff. 75 Vgl. J. MAGONET, Form, 31 ff. 76 So F. W. GOLKA, Jona, 57. „Die Panik von V.5 und der absolute Horror nach Jonas 73 74

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Umgangs mit Jhwh gleichkommt: Die Seeleute reagieren in der ErzÅhlung sechs mal auf Jhwh, davon sind fÛnf Reaktionen religi×s,77 lediglich die Frage nach Jonas Herkunft und seinem Beruf ist nicht im engeren Sinn mit Religion verbunden. 4.2.2 Ninive Die erste von acht ErwÅhnungen Ninives im Jonabuch findet sich in der Exposition des Buches. Ninive ist die große Stadt (hlwdgh rjyh). In anderen biblischen Schriften werden auch StÅdte wie Jerusalem (Jer 22,8) und Gibeon (Jos 10,2) als große StÅdte bezeichnet. Die prÅgnanteste ErwÅhnung einer großen Stadt bezieht sich aber auch auf Ninive (hldgh rjyh) und findet sich in der V×lkertafel Gen 10,12. Hier ist Ninive der „Urtyp der Großstadt“. Dieses Bild aus urgeschichtlicher Ferne nimmt der Verfasser des Jonabuches zu einer Zeit auf, in der Ninive schon lÅngst zerst×rt ist. So lÅsst sich der Zeitraum der erzÅhlten Geschichte nicht bestimmen. Das Berichtete bleibt modellhaft. Neben dem Beispiel einer antiken Großstadt ist Ninive auch Beispiel fÛr Bosheit. Ihre Bosheit, bzw. die Bosheit ihrer Bewohner, ist zu Jhwh hinaufgestiegen (jnpl ¥tyr htly jk). „WÅhrend jedes geographisch-historische Detail fehlt, wird zugleich deutlich und doch allgemein genug gesagt, worin sie denn ein Urbeispiel darstellt: in der Bosheit der in ihr lebenden Menschen.“78 Der ErzÅhler nimmt damit Erinnerungen Israels an die neuassyrische Macht auf, die Furcht und Abscheu ausl×ste.79 Auf dem Hintergrund dieser Erfahrungen charakterisiert auch das Nahumbuch Ninive zusammenfassend mit dem Wort ityr (Nah 3,19).80 Ein Vergleich von Jona 1,2 und Nahum 3,19 zeigt eine Besonderheit der Formulierung des Jonabuches: Jona 1,2 spricht nicht von der Bosheit Ninives wie Nah 3,19, sondern bezieht diese auf eine ungenannte Gr×ße in der 3. Pl. Damit k×nnen die in ihr lebenden Menschen gemeint sein.81 M×glich schrecklichem Bekenntnis (V.10) finden eine L×sung in der Gottesfurcht, die alle andere Furcht Ûbersteigt, der Verehrung YHWHs.“ F. W. GOLKA, Jona, 61. 77 Jona 1,5.7.10.14.16. 78 F. W. GOLKA, Jona, 61. 79 F. W. GOLKA, Jona, 61. 80 Mit ¥tyr wird ein Terminus aufgenommen, der in der Anklage der Propheten Jeremia und Ezechiel gegen Jerusalem eine Rolle spielt. Vgl. z. B. Jer 4,18; Ez 16,23 u. a. Im Jesajabuch wird lediglich in Jes 47,10 Babel Bosheit vorgeworfen. Bemerkenswert ist die statistische Verteilung von yyr. Von 787 Vorkommen finden sich 146 bei Jeremia. Wesentlich weniger dagegen bei Jesaja (31) und Ezechiel (23). Auch im Dodekapropheton ist die Verwendung ungleich verteilt. Im Jonabuch gibt es 10 Stellen, in vom Umfang vergleichbaren BÛchern weniger (Nah 2; Hab 3 und Mal 3). Vgl. C. DOHMEN, yyr, 585. Damit ist ein Hinweis gegeben, dass der Verfasser des Jonabuches in besonderer Weise an der Sprachwelt des Jeremiabuches partizipiert. Allerdings werden von C. Dohmen die unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffes nicht spezifiziert. 81 Vgl. auch H. W. WOLFF, BK XIV/3, 77.

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ist auch, dass der Anfang des Jonabuches eine prÅgnante Formulierung aus der AnkÛndigung des Weltgerichts in Joel 4 aufnimmt. Die V×lker sollen sich aufmachen und aufbrechen zum Tal Joschaphat, denn dort sitze ich, um zu richten alle V×lker ringsum. Greift zum Messer, denn die Ernte ist reif. (Joel 4,12) Kommt, tretet, denn der Kelter ist voll. Die Weinpressen fließen Ûber, denn groß ist ihre Bosheit. (Joel 4,13)

Wenn das Jonabuch im Dodekapropheton das Joelbuch voraussetzt, lÅsst sich annehmen, dass der Verfasser den Joelschluss vor Augen hatte. Klingt damit das Motiv des Gerichts Ûber die V×lker in der Exposition im Jonabuch an? Die Parallele ist zumindest so prÅgnant, dass sie wie die Typisierung der Großstadt unter AnknÛpfung an Gen 10,12 zur Annahme berechtigt, dass Jona 1,2 Ûber das historische Ninive hinaus weist. Mit ¥tyr ist nicht nur die historische Schuld Ninives an Israel gemeint, Ninive ist als Urbild der Bosheit und damit m.E. auch als pars pro toto fÛr die Bosheit der V×lkerwelt zu sehen. Im Fortgang des Kapitels ist Ninive lediglich als die Stadt prÅsent, von der Jona sich so weit wie m×glich entfernen m×chte. Auch das ist eine implizite Charakterisierung: Jona zieht es vor, nach Tarschisch, an das andere Ende der bekannten Welt zu fahren. Erst in der Einleitung des dritten Kapitels, am Beginn der eigentlichen Niniveszene, ist wieder von der rjyh hlwdgh die Rede. Diesmal folgt Jona gehorsam dem Befehl Jhwhs, in die Stadt zu gehen. Die Gr×ße Ninives in Kap. 3 wird noch weiter beschrieben: Ninive war eine große Stadt fÛr Gott, drei Tagesreisen zu durchwandern. (Jona 3,3b)

Neben der rÅumlichen Ausdehnung wird die Gr×ße Ninives in eine Beziehung zu Gott gestellt. H. W. Wolff versteht die Beschreibung als Ausdruck der mÅrchenhaften Gr×ße Ninives. „Die Gr×ße Ninives wird also an dem unvergleichbaren Maßstab Gottes gemessen.“82 Damit ist die Bedeutung der Aussage m.E. unzureichend erfasst: Es wird nicht nur die Gr×ße beschrieben, sondern festgestellt, dass Ninive eine Bedeutung fÛr Gott hat. Damit ist schon Jona 4,11 vorweggenommen.83

82

H. W. WOLFF, BK XIV/3, 122. „Damit nimmt der ErzÅhler deutlich eine Evaluation vor. Dem Leser wird ein Signal gegeben: Gott hat auch an der Weltstadt jenseits der Grenzen Israels ein ausgesprochenes Interesse.“ R. LUX, Jona, 129. Die drei TagesmÅrsche, die Ninive groß ist, zeigen, dass der ErzÅhler und seine H×rer kein historisches Bild der Stadt Ninive vor Augen haben. E. G. Kraeling hat versucht die Gr×ße Ninives nach antiken Quellen zu rekonstruieren und geht von einem Umfang aus, der ungefÅhr einer Tagesreise entspricht. Vgl. E. G. KRAELING, Jonah, 308. Die Bev×lkerungszahl Ninives, die in 4,11 mit 120000 angegeben wird, k×nnte dagegen ungefÅhr dem an83

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4.2.3 Die Niniviten und ihr K×nig – Jona 3 4.2.3.1 Das Fasten Da glaubten die MÅnner Ninives an Gott und riefen ein Fasten aus und trugen Sack von ihrem Gr×ßten bis zu ihrem Kleinsten. (Jona 3,5)

In Ninive verkÛndet Jona seine GerichtsankÛndigung. Diese nehmen die Bewohner Ninives ernst. Sie vertrauen Jona auf Anhieb und verstehen seine Botschaft als eine, die wirklich von Gott kommt. Durch den Propheten ist zwischen den Bewohnern Ninives und ¥jhla84 ein VerhÅltnis entstanden. Die genaue Bestimmung dieses VerhÅltnisses wird kontrovers beurteilt: Aus der Tatsache, dass die Niniviten den Jhwh-Namen nicht kannten und er mit ¥jhla bezeichnet wird, folgert R. Lux, dass es sich bei der beschriebenen Buße um einen heidnischen Reinigungsakt handelt, der von der richtigen Jhwh-Furcht, die in 1,16 von der Schiffsbesatzung ausgedrÛckt wird, zu unterscheiden ist.85 Andere Exegeten sehen in der Formulierung die Annahme des Jhwh-Glaubens,86 weil zwischen arj in 1,16 und vjmah in 3,5 h×chstens der Bedeutungsunterschied einer Nuance liegt.87 vjmah wird oft in an Israel adressierten Mahnungen verwendet, die beklagen, dass solcher Glauben in Israel nicht geschieht.88 Wenn man die Situation in Jona 3 mit der in Ex 4 vergleicht, fÅllt auf die Formulierung neues Licht. Moses befÛrchtet als Gottesbote eine Skepsis des Volkes gegenÛber seiner Botschaft. Diesen Zweifel erkennt sogar Jhwh als berechtigt an und gibt Mose die Vollmacht, zwei Zeichen zu tun. Auf diese Zeichen hin glaubt das Volk (¥yh vmajw). Erst Gottes Zeichen fÛhren dazu, dass die Worte ernst genommen werden und das Volk Zutrauen gewinnt zu dem, was Mose sagt. Jona dagegen hat keine Zeichen zur VerfÛgung und st×ßt dennoch sofort auf Vertrauen und Glauben. Aufgrund von Ex 4 ist es problematisch, das vjmah in Jona 3,5 lediglich als Vorstufe eines heidnischen Reinigungsaktes zu verstehen. Der Glaube der Niniviten ist mit dem Glauben Israels in Ex 4 vergleichbar und sogar beeindruckender, weil er nur aus dem H×ren des Prophetenwort entsteht und keine Reaktion auf Zeichen oder Wunder ist.89 tiken Ninive entsprechen. E. G. Kraeling erklÅrt die so genannte Vergr×ßerung durch eine Anpassung an die Gr×ße antiker StÅdte spÅterer Zeit. Im 3. Jh. war Alexandria eine Stadt, die ungefÅhr die in Jona 3,3 fÛr Ninive angegebene Gr×ße gehabt haben muss. Vgl. E. G. KRAELING, Jonah, 308. 84 Der ErzÅhler verwendet in 3,3b-10 konsequent die Gottesbezeichnung ¥jhla. 85 Vgl. R. LUX, Jona, 133. 86 Vgl. H. GESE, Jona, 264. 87 Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/3, 125. H. W. Wolff argumentiert von Ex 14,31 her. Dort werden beide Verben mit einer synonymen Bedeutung verwendet. 88 Vgl. z. B. Ex 4,1; Num 14,11; 20,12; Dtn 1,32; Dtn 9,23; Jes 7,9 und Hab 1,5. 89 Gegen R. LUX, Jona, 133.

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Der prÅgnanteste positive Gebrauch von vjmah findet sich in Gen 15,6, der Grundlage fÛr die Wertung Abrahams im Judentum.90 Abraham verlÅsst sich auf die Zusage Gottes (hqds wl hbfcjw hwhjb vmahw). Der Verfasser des Jonabuches verwendet fÛr die Reaktion der Niniviten dasselbe Wort, das fÛr den Beginn des Glaubens in Israel steht. Die Niniviten kommen also durchaus zu einer Verehrung Jhwhs, die der Israels vergleichbar ist, ohne jedoch den Jhwh-Namen zu kennen. Seinen Ausdruck findet der Glaube der Niniviten im Fasten und im Anlegen von TrauergewÅndern.91 Damit ist eine Trauer und Bußzeit gemeint, die die Abwendung vom bisherigen Leben anzeigt.92 Mit der Formulierung „groß und klein“ wird herausgestellt, dass sich alle Einwohner an diesem Bußritual beteiligen. Jhwh ist nicht nur an Einzelnen aus den V×lkern, sondern an ihrer Gesamtheit und an allen Volksschichten interessiert.93 4.2.3.2 Das Bußedikt des K×nigs – Jona 3,6–9 (6) Das Wort erreichte den K×nig von Ninive, er erhob sich von seinem Thron, ließ sich seinen Mantel abnehmen, zog einen Sack an und setzte sich in die Asche. (7) Er ließ folgendermaßen in Ninive ausrufen:94 Auf Befehl des K×nigs und seiner Großen: Mensch und Vieh, Rindvieh und Kleinvieh, sollen nicht von irgendetwas essen, nicht weiden und kein Wasser trinken. (8) Sie sollen Sack anlegen, Mensch und Vieh, und sollen zur Gottheit rufen mit Kraft und jeder soll umkehren von seinem b×sen Weg und von der Gewalt ihrer HÅnde.95 (9) Wer

90 Vgl. zu Gen 15,6 M. OEMING, Genesis. Die vielfÅltige Rezeption von Gen 15,6 zeigt wie zentral dieser Text in der nachexilischen Diskussion war. 91 Vgl. Joel 1,8.13. 92 Mit H. W. WOLFF, BK XIV/3, 125. 93 SingulÅr ist die Formulierung ¥nuq dyw ¥lwdgm durch das Sg. des Adjektivs mit angehÅngtem Plural Suffix. Vergleichbare Stellen wie zum Beispiel Jer 31,34, wo es auch darum geht, dass Jhwh von allen Menschen erkannt wird, formulieren ¥lwdg dyw ¥nuqml. Bis auf II Chr 34,30 und Est 1,5.20 und eben Jona 3,5 stellen alle anderen Belege die Kleinen den Großen voran. Der Verfasser muss mit dieser Formulierung also eine andere Aussage intendiert haben. Jona 3,5 weist schon auf die Initiative des K×nigs hin, die im Folgenden Vers ausgefÛhrt wird. Mit W. RUDOLPH, KAT XIII/2, 359. Allerdings wÅhlt der Autor m.E. auch die Wortstellung, um zu zeigen, dass die Buße alle Volksschichten umfasst. An der Bußbewegung nehmen die Angesehenen Ninives genauso wie die Geringen der Stadt teil. Vgl. auch F. W. GOLKA, Jona, 79. 94 LXX glÅttet mit einer Passiv Konstruktion und umgeht damit, das Problem, dass der K×nig selber noch einmal genannt wird. 95 LXX liest in V. 8 statt dem Jussiv einen Narrativ und Ûbersetzt mit Indikativ Aorist. V. 9 muß dann mit le´gonteß angeschlossen werden. Bei dieser und der Abweichung in V. 7 handelt es sich um grammatikalische Unterschiede. Inhaltlich wird mit der Šnderung von LXX die fehlende Reaktion der Niniviten auf das K×nigsedikt in den Text hineingelesen. LXX nimmt zudem die Rolle des K×nigs zurÛck: Er kommt erst nach seiner Bev×lkerung zum Fasten, sein Erlaß geht Ûber das Fasten der Niniviten nur darin hinaus, dass auch die Tiere fasten sollen. Die Rolle der Bev×lkerung Ninives und ihrer spontane Reaktion fÛr die Reue Jhwhs wird besonders betont. In BHS dominiert dagegen das Edikt eindeutig Kap. 3.

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weiß?96 Diese Gottheit97 kehrt vielleicht um, dass sie bereut und umkehrt von der Hitze ihres Zorns, dass wir nicht zugrunde gehen.98

In 3,6 tritt eine neue Person auf: Der K×nig von Ninive. Sein Name ist nicht genannt. Am unÛblichen Titel zeigt sich der unhistorische Charakter der ErzÅhlung.99 Der K×nig steigt vom Thron, beteiligt sich an der Zeichenhandlung der Einwohner und lÅsst ein Fasten und ein Bußritual ausrufen. Damit ist die soziale Differenzierung der Gesellschaft fÛr eine kurze Zeit ausgesetzt. FÛr den Fortgang der Handlung ist diese Szene eigentlich unn×tig. Die Reaktion Gottes (3,10) k×nnte ohne inhaltliche Defizite an das in 3,5 geschilderte Fasten der Niniviten anschließen. Wieso rÅumt der Verfasser dem K×nig von Ninive dennoch breiten Raum ein? (1.) ZunÅchst lÅsst sich die formale Parallele zwischen Jona 3 und Jona 1 anfÛhren. Wie dort der KapitÅn des Schiffes auftritt, ist nun in Jona 3 der K×nig von N×ten. (2.) Eine andere M×glichkeit, die ErwÅhnung des K×nigs zu verstehen, ist eine logische ErwÅgung. Weil die Buß- und Fastenreaktion ganz Ninives kaum wahrscheinlich ist, wird zur ErklÅrung sozusagen ein Umweg gebraucht. Die Botschaft Jonas ist bis vor den K×nig gedrungen, der wiederum weist seine Untertanen zur Buße und zum Fasten an. Damit wÅre 3,5 als pauschale Vorwegnahme des Ergebnisses zu verstehen und 3,6–9 als eine Nachholung, die die durch Jona ausgel×sten AktivitÅten im Einzelnen entfaltet.100 Allerdings ist das Jonabuch auch an anderen Stellen nicht primÅr an einem stringenten Ablauf der Ereignisse interessiert. (3.) Jona 3 k×nnte auch einen Kontrast zu VerhÅltnissen in Israel, insbesondere zur Zeit Jojakims entwerfen. Nach H. W. Wolff wirkt Jona 3 „im ganzen wie ein GegenstÛck zu Jeremia 36“.101 Dies wÅre ein israelkritisches Signal: In Ninive ist das m×glich, was in Jerusalem ausblieb. In diese Richtung geht auch, dass selbst die Großen sich Jhwh zu wenden. Selbst diese

96 ydwj jm kann die gleiche Funktion haben wie jlwa in 1,6. Vgl. dazu W. RUDOLPH, KAT XIII/2, 53 und J. M. SASSON, AncB 24b, 260. 97 Der Artikel hat leicht demonstrativen Charakter. Šhnliche Konstruktionen k×nnen auch andere G×tter als Jhwh bezeichnen. Vgl. Ri 11,24. 98 Die Punktation legt gegen die fast w×rtliche Parallele in Joel 2,14 mit dem ZaqeP qaton auf bwfj eine andere ºbersetzung nahe: „Wer weiß? Er will umkehren, dann wird diese Gottheit es sich reuen und umkehren . . .“ „The Masoretes, therefore, may be proposing an esoteric interpretation of how Nineveh eventually survives, for its fate rests on a portion of the population that, realizing its perversion of moral behavior, reforms its ways. The few bring salvation to many.“ J. M. SASSON, AncB 24b, 266. 99 Vgl. W. RUDOLPH, KAT XIII/2, 359. 100 Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/3, 119 und 125 f. 101 H. W. WOLFF, Jonabuch, 17. Vgl. auch G. VANONI, Jona, 146 f und H. WITZENRATH, Jona, 87 ff.

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„Großen“ des K×nigs (wjldg) tragen den Erlass mit.102 Dieses Kontrastbild orientiert sich an der Darstellung Jojakims in Jer 36. Jojakim verweigert die von Jeremia intendierte Fasten- und Bußreaktion und verbrennt sogar umringt von den FÛhrern seines Reiches (¥jrfh lk) das Buch Baruchs. Die Parallelen zeigen keine sprachliche AbhÅngigkeit, aber doch, dass der Autor des Jonabuches Anregungen aus Jer 36 empfangen hat. R. Lux dagegen warnt davor, den BezÛgen zwischen Jona 3 und Jer 36 eine zu starke Bedeutung zuzumessen103 und bringt eine weitere Deutungsm×glichkeit in die Diskussion: (4.) Der Verfasser teilt implizit in der Jonageschichte mit, dass eine so b×se Macht wie Ninive fÅhig zur Umkehr ist. Besonders betont er dabei, dass diese Neuorientierung vom Machthaber ausgeht. Dessen positive Rolle, erinnert an die Darstellung des Kyros in Jes 45,2 ff und an das im chronistischen Geschichtswerk von Kyros vermittelte Bild. K×nnte man als Hintergrund des Erlasses des ninivitischen K×nigs eine Situation annehmen, in der Israel Gewalttaten von Fremden fÛrchtet? Dann lÅge die Intention des Jonabuches darin, die Zuversicht zu bestÅrken, dass Jhwh auch den K×nig eines b×sen Reiches zur Umkehr bewegen kann.104 Allerdings ist es m.E. methodisch schwierig, fÛr die Leser des Jonabuches eine Notsituation anzunehmen. Im Buch finden sich dafÛr keine Anhaltspunkte, auch wenn sich die Aussage von Jona 3 mit dieser Hypothese gut erklÅren lÅsst. FÛr die Interpretation der Ninive-Episode ist die Beobachtung wichtig, dass der K×nig von Ninive als literarische Figur nicht nur als positiver Kontrast zum negativen Jojakimbild im Jeremiabuch entstanden sein k×nnte, sondern m×glicherweise in der Beurteilung des Kyros auch ein positives literarisches

102 Wie der K×nig k×nnen auch seine „Großen“ aus verschiedenen GrÛnden erwÅhnt sein. ZunÅchst entspricht es einer persischen Rechtspraxis, dass Erlasse im Namen des K×nigs und seines Rates ergehen. Eine vom K×nig und seinen RÅten erlassene Anordnung findet sich in Esr 7,14. Vgl. dazu auch H. W. WOLFF, BK XIV/3, 127. Hinzu kommt, dass lwdg zu den Lieblingsworten des Jonaverfassers geh×rt. Eine Rolle hat m×glicherweise auch gespielt, dass Jona 3 sich mit der Bußszene des Jonabuches auseinandersetzt. Dann entsprechen die Großen den in Joel 1,2 erwÅhnten Šltesten. 103 R. LUX, Jona, 137 sieht mit den BezÛgen zunÅchst nur einen gemeinsamen Sprachraum bewiesen, der aber keineswegs fÛr die Deutung ausschlaggebend sein muss. Die Schlussfolgerung H. W. WOLFFS 1965, 18, dass „die Bußbewegung Ninives als polemisches GegenstÛck zur Unbußfertigkeit Jerusalems gezeichnet ist“, geht aufgrund des literarischen Befundes zu weit. Vorsichtiger ist von einer impliziten Lenkung der Assoziationen der Leser auf Jer 36 zu sprechen, die R. LUX, Jona, 138 als „Wertung der unterschiedlichen Bußfertigkeit der K×nige von Jerusalem und Ninive“ deutet. 104 „Entscheidend fÛr die Interpretation ist zunÅchst, was der ErzÅhler seinen Adressaten implizit mitteilte: Das b×se Ninive ist fÅhig zur Umkehr, auch die Nichtisraeliten kann Gott durch die Gerichtspredigt seines Propheten vom Weg der Gewalt abbringen. Gab der Autor seinen Adressaten damit nicht in erster Linie ein Trost- und Hoffnungssignal?“ R. LUX, Jona, 138.

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Vorbild hatte. Der K×nig Ninives Ûbertrifft Kyros sogar durch seine Bekehrung zu Jhwh. Der Erlass des K×nigs besteht aus drei Teilen: Drei Verboten und drei Geboten folgt eine BegrÛndung. Der Befehl bleibt nicht beim Ritual aus Trauer- und Klageriten sowie dem Gebet stehen, sondern ruft auch zu einer VerhaltensÅnderung auf: Die Niniviten sollen von der Gewalt (omc) ihrer HÅnde ablassen. Die mit omc bezeichneten Untaten sind „primÅr im sozialen Bereich“ einzuordnen.105 Der Leser, der das Jonabuch als Teil des Dodekaprophetons liest, wird omc zunÅchst mit sozialen Vergehen wie dem in Am 3,10 und 6,3 beschriebenen Unrecht der Reichen und MÅchtigen assoziiert haben.106 Diese Lesart wird zudem davon gestÛtzt, dass ganz Ninive an der Buße teilnimmt. Aus den thematischen BerÛhrungen mit dem Joelbuch, k×nnte Ninive hier als die Nation in den Blick kommen, die Israel Unrecht angetan hat.107 Mit der Umkehrforderung entspricht der K×nig dem spÅten deuteronomistischen Bild eines Propheten.108 ºber die zuerst geschilderte Reaktion der Niniviten geht er damit hinaus. Neben der traditionellen prophetischen Umkehrforderung wird dem K×nig auch der Anfang einer Frage in den Mund gelegt, die die Leser des Dodekaprophetons bereits aus Joel 2,14 ken105

H. HAAG, omc, 1055. In ProphetenbÛchern wie Amos und Micha sowie in einigen Psalmen wird omc vor allem von Reichen auf Kosten der Armen ausgeÛbt oder wie im Zefanjabuch von Beamten am K×nigshof. (Vgl. Am 3,10; 6,1–3; Mi 6,12; Zef 1,9; Ps 72,14 und 73,6.) omc gibt es auch als falsche Anklage und Verleumdung im Bereich des Gerichts. (Vgl. Ps 7,17; 11,5; 58,3; u. ×.) Ob es einen „streng theologischen“ Gebrauch von omc gibt, der dann SÛnde oder allgemeines Unrecht bezeichnet, ist m.E. fraglich, da der prophetische Gebrauch sprach- und bedeutungsbildend gewirkt hat. So H. HAAG, omc, 1059 fÛr Gen 6,11.13. In diese Richtung interpretiert auch C. Westermann omc in Gen 6,11.13. „Ebenso ist omc dann nicht in einem allgemeinen Sinn als SÛnde oder Unrecht gemeint . . . , sondern im ursprÛnglichen Sinn als Gewalttat, Untat, die in Blutvergießen, frevelhafter Vergewaltigung, BedrÛckung o.Å. besteht.“ Vgl. C. WESTERMANN BK I/1, 559. 107 omc wird im nÅheren Kontext des Jonabuches auch in der BegrÛndung der GerichtsankÛndigung gegen Edom und Šgypten verwendet. „Wegen der Gewalt an den S×hnen Judas, in deren Land sie unschuldiges Blut vergossen haben.“ (Joel 4,19) Hier wird in einem Nachtrag Ob 1,10 aufgenommen und der im Joelbuch beschriebene Tag Jhwhs als Gericht Ûber die V×lker verstanden, die Israel bedrÛckt haben. Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/2, 89; J. JEREMIAS, Joel, 94. 108 Vgl. I K×n 17,13. E. WÛrthwein sieht das VerstÅndnis des Propheten als „VerkÛnder des Gesetzes“ und als „Rufer zur Umkehr“ als spÅtes deuteronomistisches Theologoumenon. Die Wundertaten und die GerichtsverkÛndigung der klassischen Propheten sind in diesem ProphetenverstÅndnis in den Hintergrund getreten. Vgl. E. WºRTHWEIN, ATD 11/2, 397. Die Umkehrforderung mit den Begriffen bwf, vm, ird, hyr ist deutlich an traditioneller prophetischer Sprache orientiert und weist insbesondere zu Jeremia (z. B. Jer 18,11 und 23,22 u.×) und Ezechiel (Ez 13,22 und 33,11) wie zur deuteronomistischen Literatur (I K×n 13,33 und II K×n 17,13) Parallelen auf. Eine Zusammenstellung der Begriffe findet sich im Dodekapropheton außer im Jonabuch nur noch in Sach 1,4. 106

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nen (¥cnw bwfj ydwj jm). Wie Israel im Joelbuch angesichts des drohenden Gerichts vom Propheten zu Fasten und Klagen aufgerufen wird, in der Hoffnung, dass Jhwh das verhÅngte Schicksal noch einmal Åndert, ruft hier der K×nig zur Umkehr auf. Im Kontext des Dodekaprophetons bekommt der K×nig Ninives ZÛge eines Propheten. An welche Gottheit wendet sich der K×nig mit seiner Hoffnung, dass diese umkehrt? 3,9 bleibt genauso wie die vergleichbare Hoffnung des SchiffskapitÅns in 1,6 unbestimmt. In der See-ErzÅhlung allerdings macht Jona den Namen seines Gottes bekannt. In Ninive kennt man diesen Namen nicht, aber es ist wohl auch nicht an eine mysteri×se unbekannte Gottheit gedacht, denn von Anfang an wird der Gott Jonas als außerordentlich mÅchtig angesehen.109 Damit hat die Niniveszene einen anderen theologischen Hintergrund als die See-ErzÅhlung. Die Niniviten kennen den Gott Israels, sie verwenden aber nicht seinen Namen und so wird der Jhwh-Name auch nicht in 3,10 eingefÛhrt, wenn die Gottheit in Erscheinung tritt. 4.2.3.3 Die g×ttliche Selbstbeherrschung – Jona 3,10 Da sah diese Gottheit110 ihre Taten, denn111 sie waren umgekehrt von ihren b×sen Wegen. Da ließ diese Gottheit sich des B×sen gereuen, das sie angekÛndigt hatte, mit ihnen zu tun. Da tat sie es nicht.112

Die Selbstbeherrschung Jhwhs in V. 10 ist die Reaktion auf die Reue der Niniviten. Von der ErzÅhllogik aus gesehen wird diese Reue an der Ernsthaftigkeit des k×niglichen Ediktes gemessen und von diesem gewÅhrleistet. Eine positive Reaktion der Niniviten klingt lediglich in 3,10a an. Die Betonung der Wurzel hfy in V. 10 zeigt deutlich die Entsprechung der Reaktion der Niniviten zur Selbstbeherrschung Jhwhs. Gott sieht „ihre Taten“ (¥hjfym), er nimmt von seinen angekÛndigten PlÅnen (twfyl) Abstand und „tat es nicht“ (hfy). Ninive kehrt nicht nur mit dem Kopf um, sondern mit den HÅnden. Die Rolle des K×nigs wird in der abweichenden Lesung der LXX beschnitten, eigentliche Impulse gehen von der Bev×lkerung aus. Wahrscheinlich handelt es sich bei EinfÛgung des Zaqep qaton Ûber bwfj (1,9) um die letzte Rezeption des Textes. Der Gedanke, dass Ninive ganz 109 Vgl. dazu auch J. M. SASSON, AncB 24b, 261. „It will not do for the king to make vague appeals to some powerful deity. In fact, because of what we read immediately afterward (v 10), the king could have only the Hebrew God in his mind.“ J. M. SASSON, AncB 24b, 261. 110 Jona 3,10 vermeidet weiter den Gottesnamen. M×glicherweise fÅhrt der ErzÅhler mit dem Gebrauch von 3,4 bis zum Ende des Kapitels fort. Vgl. F. W. GOLKA, Jona, 84. 111 LXX Ûbersetzt den zweiten Teil der ersten Aussage als weitere Bestimmung des Objektes ¥hjfym ta mit eingeleitetem o¾ti parallel zum zweiten Teil der ersten Versaussage. Diese ºbersetzung berÛcksichtigt allerdings den Wechsel der Konjunktionen von jk in V. 10a zu rfa in V.10b nicht. Deswegen wird hier wie in 1,10 (wydj jk) kausal Ûbersetzt. 112 Das Tempus wechselt wie in 1,13 zum Perfekt, weil der Narrativ nicht verneint werden kann. Vgl. R. BARTELMUS, EinfÛhrung, 98.

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umkehrt, war nicht mehr nachvollziehbar. M×glicherweise hat LXX auch andere Erfahrungen mit heidnischen Herrschern gemacht als der Jonaverfasser. Solche Rezeptionen zeigen, wie problematisch die im Buch vertretenen Gedanken fÛr spÅtere Leser gewesen sein mÛssen. 4.2.4 Der Rizinus als Gleichnis fÛr Ninive – Jona 4,10–11 Mit Jona 4,11 wird die Rizinus-Episode auf das ganze Buch bezogen. Wie R. Lux formuliert, wird der „Rizinus . . . zum Gleichnis fÛr Ninive“.113 Da sprach Jhwh: Du bemitleidest den Rizinus, an dem du nicht gearbeitet hast und den du nicht großgezogen hast, der in einer Nacht wuchs und in einer Nacht zugrunde ging. Und ich soll nicht Ninive bemitleiden, die große Stadt, in der es mehr als 120 000 Menschen gibt, von denen keiner weiß zwischen rechts und links zu unterscheiden und viele Tiere? (Jona 4,10-11)

Wie Jona den Rizinus bemitleidete, hatte Jhwh Mitleid mit Ninive. Auf diese Aussage lÅuft das Jonabuch hinaus. Jhwhs Mitleid mit Ninive, so die Argumentation, ist eher berechtigt, weil er in einem intensiveren VerhÅltnis zur Stadt steht als Jona zum Rizinus: Jhwh ist Sch×pfer der ganzen Welt, was nach dem Jonabekenntnis nicht mehr erwÅhnt werden muss (1,9). Implizit wird es aber dadurch noch einmal gesagt, dass Jhwh Jona vorhÅlt, dass der eben nicht am Rizinus gearbeitet und ihn großgezogen hat. Der Rizinus ist Sohn einer Nacht, Ninive dagegen Tochter Jhwhs, wie der Leser ergÅnzen kann. Das Mitleid Jhwhs wird von einem sch×pfungstheologischen Standpunkt erklÅrt und damit die Geltung der Gnadenformel fÛr die nichtisraelitische Welt begrÛndet. So laufen alle FÅden des Jonabuches am Schluss zusammen. Wie einschneidend diese Vorstellung fÛr den Leser des Dodekaprophetons gewesen sein muss, wird am Vergleich mit dem Nahumbuch deutlich: Jhwh hat Ninive, die große Feindin Israels, großgezogen und gepflegt. – Nicht allein mit der Gr×ße Ninives und der Unwissenheit der Menschen ist Jhwhs Mitleid begrÛndet, sondern mit seiner Beziehung zu Ninive. Als weiterer Grund wird zudem auf das Lebensrecht der nichtmenschlichen Sch×pfung hingewiesen, auch die Tiere in Ninive haben fÛr Jhwh eine Relevanz. „So demonstriert die Rizinusszene neben Gottes souverÅner Freiheit im Umgang mit seinen Kreaturen, vor allem seine Selbstbindung an die Sch×pfung.“114

113 114

Zur Bedeutung der Rizinusszene fÛr die Jonafigur vgl. 4.3.4. R. LUX, Jona, 159.

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4.2.5 Vergleich der Charakterisierung der Niniviten und der Seeleute Nachdem zunÅchst der Handlung und ihren Charakteren nachgegangen wurde, muss methodisch Ûberlegt werden, ob sich eine ErzÅhlung wie das Jonabuch als eine Position in der Diskussion um das VerhÅltnis zwischen Israel und den V×lkern verstehen lÅsst. Bedenken dagegen kommen vor allem von einer Seite: Werden die Seeleute und die Bewohner real gezeichnet oder dienen sie als Karikaturen lediglich dazu, die Handlung und die Jonagestalt zu profilieren?115 H. W. Wolff sieht den Autor des Jonabuches als Satiriker, der „mitleidlos das Unm×gliche in Jonas Verhalten“ anprangert.116 Satirische ZÛge hat fÛr H. W. Wolff vor allem Jona 3. „Ins Groteske hinein wird auch die vierte Szene gesteigert, wenn dort nicht nur im ganzen ein GegenstÛck zur Ironisierung von Jerusalems Verhalten nach Jer 36 skizziert wird, sondern sogar die Tiere in Trauerkleidung am Fasten und Beten beteiligt sind.“117 Dass die Beteiligung der Tiere am Hungern und DÛrsten der Gemeinschaft keineswegs immer grotesk sein muss, zeigt Joel 1,18. Deswegen reicht der Einbezug des Viehs in den Bußvorgang nicht aus, um den Erlass des K×nigs als satirisch zu kennzeichnen. Texte, die das VerstÅndnis von der Zusammengeh×rigkeit des Menschen und der Tiere zeigen,118 legen die Annahme nahe, dass die „satirischen KlÅnge“, die H. W. Wolff „fÛr Israels Ohren“ ausmacht, sich eher in den Ohren des modernen Exegeten regen.119 Wenn die Zeichnung der Schiffsbesatzung wie die der Niniviten primÅr satirischen Charakter hat und dazu dient, die Leser auf die lehrhafte Ironie im Schlusskapitel einzustimmen,120 verbietet sich die Herangehensweise dieser Studie. In der ErzÅhlung finden sich aber durchgehend realistische ZÛge wie z. B. der Versuch der Seeleute als Reaktion auf den Sturm, die Belastung des Schiffes zu reduzieren, das Losorakel sowie die Fragen an Jona, um nur einige Aspekte des ersten Kapitels aufzugreifen. Die ReligiositÅt der

115 „The Ninivites and their king appear only as vague and unreal figures participating in the story as little more than shadows.“ R. E. CLEMENTS, Jonah, 18. Ein AnknÛpfungspunkt fÛr diese Interpretation bietet Jona 4,11. Hier werden die Niniviten als Menschen dargestellt, die nicht wissen, was rechts und links ist. Als Karikatur wird von einigen Exegeten genauso das Verhalten der Seeleute verstanden wie die Teilnahme der Tiere am Fasten. 116 H. W. WOLFF, BK XIV/3, 62. Neben Satire und Ironie setzt der Novellist nach H. W. Wolff auch das Groteske als weiteres Mittel der Komik ein. H. W. WOLFF, BK XIV/3, 62. 117 H. W. WOLFF, BK XIV/3, 63. 118 Vgl. z. B. Koh 3,18–21 aber auch die Sintflutgeschichte. 119 H. W. WOLFF, BK XIV/3, 127. Gegen H. W. Wolff betont U. Simon richtig, dass der Bibeltext die Handlung offenbar fÛr vernÛnftig hÅlt. „Sie ist in der biblischen Auffassung von der Schicksalsgemeinschaft von Mensch und Tier verankert, deren Leben miteinander verbunden ist.“ U. SIMON, Jona, 116. 120 „Der Leser wird viel mehr bewegt als belehrt, vor allem durch die Verfremdung seiner selbst und seiner Umwelt, aber auch durch die Åußerst gespannte szenische Gestaltung des Ganzen.“ H. W. WOLFF, Jonabuch, 56.

Charakterisierung der V×lker im Jonabuch

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zusammengewÛrfelten Heiden passt genauso wenig in das Bild einer Satire wie die Ernsthaftigkeit der Bußforderung des ninivitischen K×nigs im dritten Kapitel sowie die darin enthaltenen AnklÅnge an die prophetische Tradition. Zweifellos werden satirische oder karikaturistische T×ne angeschlagen, das Buch ist aber keineswegs von vornherein als Satire oder Karikatur zu lesen.121 Genauso unbestritten sind mÅrchenhaften ZÛge wie das Walfischmotiv. Deswegen ist das Buch aber kein MÅrchen. Das Jonabuch widerspricht unter anderem mit ironischen wie mÅrchenhaften Motiven allen SelbstverstÅndlichkeiten der Alltagserfahrung.122 Gerade damit verfolgt der Verfasser des Buches eine Absicht, die sich auch am Verhalten der Schiffsbesatzung wie der Niniviten analysieren lÅsst. Deswegen zeigt das Jonabuch als Ganzes, aber auch das erste und das dritte Kapitel durchaus Konzeptionen des Verfassers zum Thema Israel und die V×lker. Das Jonabuch nimmt eine Deutung der Großstadt vor und beschreibt auf verschiedenen Ebenen die heidnische Welt. Dabei kommt genauso der Umgang eines Israeliten mit dieser Welt in den Blick wie ihre Reaktionen auf diesen Jhwh-GlÅubigen. In diesen verschiedenen Perspektiven des Buches schwingt immer die Frage mit, in welcher Beziehung Jhwh zu den V×lkern steht. Ninive wird vom Jonabuch ohne geschichtlichen Bezug erwÅhnt. Die Stadt kommt als Typ der Großstadt und als Modell fÛr Bosheit in den Blick. Jona flieht nicht nur vor Gott, sondern auch vor dieser Stadt. Die Stadt ist ein Beispiel fÛr die V×lkerwelt, Ûber der die prophetische Androhung des V×lkergerichts schwebt. Die Schiffsbesatzung wird als Åußerst freundlich und zuvorkommend geschildert. Die MÅnner entsprechen nicht nur Jonas Wunsch, ihn mitzunehmen, ihm wird sogar zugetraut, den Untergang durch ein Gebet abzuwenden. Bis hier wird Jona als ein Israelit geschildert, der mit Heiden in geschÅftlichem Kontakt steht und in seiner religi×sen Kompetenz von diesen geschÅtzt wird. Auf das Bekenntnis Jonas reagieren die Seeleute mit Furcht. Er vermittelt ihnen eine Vorstellung von Jhwh und gibt eine ErklÅrung ihrer Situation. Jona ist in Kap. 1 Mittler zwischen Jhwh und den Seeleuten. Wenn Jona einen Missionsauftrag auf dem Schiff gehabt hÅtte, hÅtte er ihn mit Erfolg ausgefÛhrt. Ein Bruch des Bildes ist die Weigerung der Schiffsbesatzung, Jona Ûber Bord zu werfen. Aber gerade diese Weigerung lÅsst sich als Åußerste Vorsicht der heidnischen MÅnner verstehen, das Leben eines Jhwh-GlÅubigen zu gefÅhrden oder zu beenden. Wie schon bei der EinfÛhrung Ninives schwingen auch in der See-ErzÅhlung Motive mit, die zum Thema des V×lkergerichts geh×ren. Die Seeleute erleben den Sturm nicht nur als Gericht Ûber Jona, sondern auch als eigene Bedrohung. Damit rÛckt das Geschehen in die NÅhe eines Gerichtshandelns gegen die V×lker. 121 122

Vgl. auch R. RENDTORFF, EinfÛhrung, 239 und H.-J. ZOBEL, Jona, 232. Vgl. dazu auch A. COOPER, Praise, 144.

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Hoffnung fÛr die V×lker – Das Jonabuch

In den Schritten des ersten Kapitels wird der Weg einer Gruppe Heiden zur Jhwh-Verehrung nachgezeichnet. Die Seeleute werden als religi×se Menschen vorgestellt und unterscheiden sich vielleicht gerade darin vom HebrÅer Jona. Am Schluss der See-ErzÅhlung sind sie, von der religi×sen Praxis aus beurteilt, kaum noch von einem Israeliten zu unterscheiden. Der Spannungsbogen im ersten Kapitel wird nach und nach entfaltet: Schon der von Jhwh gesandte Sturm l×st Furcht bei den Seeleuten aus, die eigentlich solche Situationen gew×hnt sein mÛssten. Vielleicht steht im Hintergrund schon eine erste Ehrfurcht vor der Sch×pfergottheit. Als eindeutig religi×se Reaktion wird die Furcht dann erst durch die Befragung des Losorakels gekennzeichnet. Die Gebete an die eigenen G×tter bleiben erfolglos. Auf den Vollzug des Losorakels bekommen die Seeleute die richtige Antwort. Zwar ist Jhwh nicht im Orakel genannt, aber nur er kann die Antwort veranlasst haben. Zuletzt wird die Schiffsbesatzung mit dem Bekenntnis Jonas zu Jhwh konfrontiert, sie gerÅt durch den Jhwh-GlÅubigen in große Furcht. Erst in den letzten beiden Reaktionen auf das Handeln Jhwhs findet sie die richtige Ausdrucksweise. ZunÅchst in der Bitte um Rettung trotz der vermeintlichen T×tung Jonas, dann im Vollzug des Dankes mit Opfern und GelÛbden. Eine Gruppe, die verschiedene G×tter anbetete, verehrt am Ende des ersten Kapitels Jhwh. In der ErzÅhlung spricht nichts dagegen, dass dies auch im Interesse Jhwhs gelegen haben k×nnte. Mit der Niniveszene folgt auf die Bekehrung der Seeleute eine zweite Bekehrungsszene. Allerdings handelt es sich hier um eine Umkehr. Die Gesamtheit Ninives – Volk, Große und K×nig – fastet und drÛckt damit eine Abkehr vom bisherigen Leben aus. Diese Abkehr bezieht sich eher auf soziale Vergehen und auf Blutvergießen als auf religi×se Praxis oder kultische Handlungen. Es geht um Ethik statt um Verehrung des Namens Jhwhs. Das Gericht Ûber Ninive, bzw. das V×lkergericht lÅsst sich durch eine Umkehr abwenden. Der K×nig Ninives ist im Kontrast zu Jojakim und wahrscheinlich mit der positiven Wertung der Kyrosgestalt im Hintergrund gezeichnet. Er bekommt sogar einige ZÛge eines deuteronomistischen Propheten. Damit ist er einer der K×nige im Alten Testament, die am freundlichsten dargestellt werden. Es geht in Jona 3 aber nicht nur um Umkehr, sondern auch um die Verehrung der Gottheit. Die Niniviten glauben nicht anders als Israel, auch wenn sie den Jhwh-Namen nicht kennen. Diese Verehrung der Gottheit ohne Kenntnis des Jhwh-Namens ist eine Ûberraschende Wendung des Jonabuches. Das Jonabuch prÅsentiert vier Modelle des Umgangs Jhwhs mit der heidnischen Welt. (1.) Aus dem Kontext des Dodekaprophetons und in der Sprachwelt des Buches schwingt das Thema des eschatologischen V×lkergerichts mit. Dem Modell der Bosheit, der Großstadt als solcher soll das Gericht angesagt werden, die Heiden mÛssen darum zittern, nicht unterzugehen. (2.) Vor diesem Hintergrund erzÅhlt das Jonabuch eine Bekeh-

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rungsgeschichte. Die Schiffsbesatzung wird bekehrt, damit verbunden ist eine „religi×se Sprachlehre“. Die Seeleute mÛssen Jhwh erst kennen lernen, da sie zum unwissenden Typ der Heiden geh×ren, dem lediglich der Gott Israels bekannt gemacht werden muss. Diese Verehrung ist dann offenbar ohne Bezug zum Tempel m×glich, auch wenn dabei ein kultischer Umgang eine große Rolle spielt. (3.) Die Umkehr Ninives ist dagegen weniger Bekehrung, sondern ethische Neuorientierung. Offenbar kennt Ninive den Gott Jonas, auch wenn es seinen Namen nicht erfÅhrt. Dennoch sind Ninive und seine Einwohner von Bosheit geprÅgt. Umkehr und Buße, sowie eine Neuorientierung des Handelns wehren das bevorstehende Gericht ab. Opfer wie in Kap. 1 scheinen fÛr die Wiederherstellung der Gottesbeziehung nicht notwendig zu sein. Formal weisen die Kap. 1 und 3 große Šhnlichkeiten auf, insbesondere die herausgehobene Stellung der jeweiligen FÛhrungsfigur. Theologisch-konzeptionell zeigen sich aber deutliche Unterschiede im Gotteskonzept sowie in der Deutung der heidnischen Welt. (4.) Am Schluss prÅsentiert das Jonabuch ein weiteres Modell des VerhÅltnisses zwischen Jhwh und Nichtisraeliten: Das Mitleid Gottes grÛndet nicht im Tun der Menschen, sondern in Jhwhs Barmherzigkeit fÛr seine Sch×pfung. Die See-ErzÅhlung wie die Ninive-Episode werden damit theologisch Ûbertroffen. Mit dieser theologischen Grundlegung wird Ninive zugleich neu gedeutet: WÅhrend am Anfang die Stadt und ihre Bewohner ein Modell fÛr die Bosheit sind, wird ihnen am Ende zu Gute gehalten, dass sie keine (ethische) Urteilskompetenz haben. Damit werden sie wiederum in die NÅhe zu den Seeleuten gerÛckt.

4.3 Jona – Prophet oder ReprÅsentant Israels? Das Jonabuch charakterisiert den Helden der ErzÅhlung auf unterschiedliche Weise. Die ºberschrift fÛhrt Jona als Prophet ein und verknÛpft ihn mit einem historischen Vorgang. Der Hauptteil des ersten Kapitels stellt den schlafenden Jona der tatkrÅftigen Schiffsbesatzung gegenÛber und charakterisiert ihn durch ein Bekenntnis. Ein anderes Licht auf die Hauptperson der Handlung werfen die beiden Gebete, die der Verfasser Jona im Bauch des Walfisches und vor den Toren Ninives in den Mund legt. Da beide Gebete hinsichtlich ihrer Stellung Parallelen aufweisen,123 werden sie zusammen behandelt. Obwohl der Psalm keine Aussagen zur V×lkerthematik macht, nimmt seine Analyse breiten Raum ein, weil durch ihn die Jonafigur fÛr die ErzÅhlung neu entworfen wird. Der Psalm macht dem Leser ein Identifikationsangebot, das fÛr die Interpretation des ganzen Buches von 123

Vgl. dazu R. LUX, Jona, 92 und 163 ff.

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Bedeutung ist. Im dritten Kapitel tritt Jona lediglich in einer kurzen ersten Szene als ºberbringer des Wortes Jhwhs in Erscheinung und entspricht damit der durch die ºberschrift geweckten Erwartung an einen Propheten. Das Schlusskapitel spitzt mit Jonas Reaktion auf die Verschonung Ninives und auf das Wachsen und Absterben des Rizinus die Aussage zu. 4.3.1 Jona als Prophet 4.3.1.1 Der Heilsprophet – Jona 1,1 Die ºberschrift des Jonabuches zeigt, dass es sich um eine ProphetenerzÅhlung handelt, hebt aber gleichzeitig durch die prÅgnante KÛrze der ºberschrift, die nur noch von der des Joelbuches Ûbertroffen wird, das Jonabuch von anderen ProphetenbÛchern ab.124 Der Leser wird so auf die von den Ûbrigen Schriften des Dodekaprophetons zu unterscheidende Gattung des Buches vorbereitet: Die Hauptperson ist nach Jona 1,1 ein Prophet, der nicht nur in der Tradition Hoseas und Joels steht, sondern auch in der Elijas und Jeremias. FÛr diese Person wÅhlt der Verfasser den Namen jtma vb hnwj, den Namen eines Propheten, der unter Jerobeam II. im Nordreich als Heilsprophet auftrat und die Wiederherstellung der alten Grenzen des Nordreichs ankÛndigte.125 Die Ausmaße dieser von Jerobeam II. realisierten Vergr×ßerung sind unklar126 und beruhen auf einer Idealvorstellung.127 Die von der ºberschrift eingefÛhrte Hauptperson kÛndigte also dem Nordreich eine erneute BlÛtezeit in nahezu idealen Ausmaßen an. Jona spricht seine Prophetie in eine Situation, die Jhwh nach II K×n 14,26 als Notzeit Israels wahrnimmt und kÛndigt Israel den Sieg Ûber den nord×stlichen Nachbarn Aram an. Genau das wird der Leser von Jona bei seinem zweiten Auftritt ebenso erwarten: das Auftreten als Heilsprophet gegen einen Feind Israels. Bei einer kanonischen Lesung des Dodekaprophetons128 liegt es fÛr den Leser nahe, dass der Tag Jhwhs, der eines der Hauptthemen des ersten Teiles der Dodekaprophetons ausmacht,129 nicht nur als Strafgericht Ûber Edom, sondern auch als eines Ûber den zweiten Hauptfeind Israels, Ninive, zu ver-

124 Jona 1,1 ist keine klassische ºberschrift eines Prophetenbuches. Mit der Wortereignisformel la hjh rfa hwhj rbd beginnen vier BÛcher des Dodekaprophetons. Vgl. Hos 1,1; Joel 1,1; Mich 1,1 und Zef 1,1. Die Formulierung la hwhj rbd jhjw ist dagegen als einleitender Satz einer ProphetenerzÅhlung gebrÅuchlicher und findet sich z. B. in den ElijaerzÅhlungen. Vgl. I K×n 17,2.8 und 21,17.28. Šhnlich werden auch Jeremia-StÛcke wie 1,11.13; u.× eingeleitet. Vgl. dazu auch H. W. WOLFF, BK XIV/3, 75. 125 Vgl. II K×n 14,25. 126 Vgl. H. DONNER, Geschichte, 282 f. 127 Vgl. V. FRITZ, K×nige, 80. 128 Eine solche Interpretation versucht besonders R. RENDTORFF, Theologie, 245 ff plausibel zu machen. 129 Mit R. RENDTORFF, Theologie, 255 ff.

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stehen ist. Wer k×nnte fÛr die AnkÛndigung eines solchen eher in Frage kommen als der Heilsprophet Jona? 4.3.1.2 Die Taube – Jona 1,1 Der Name Jonas bedeutet Taube. Tiere als Personennamen sind im Alten Testament keineswegs selten. Daher besteht kein Anlass eine andere Etymologie anzunehmen. Der Vatersname jtma ist ein verkÛrzter Nominalsatz „Treue ist Jhwh“.130 Hat der Name fÛr die ErzÅhlung eine Bedeutung? Der ErzÅhler findet den Prophetennamen in II K×n 14 zwar vor. Dennoch k×nnte gerade dieser Name fÛr seine Aussageabsicht besonders geeignet gewesen sein.131 Vielleicht war es von Bedeutung, dass das Hoseabuch Israel mit einer Taube vergleicht, die nach Assur geht (Hos 7,11; 11,11). Dies ist kein Argument fÛr eine Identifikation Jonas mit Israel aber ein Leser k×nnte eine Querverbindung zwischen dem Namen des Propheten und Hos 7,11 ziehen und damit die Jonafigur in die NÅhe Israels gerÛckt sehen. 4.3.1.3 Der Erfolg – Jona 3 Einem Aspekt wird in den meisten Kommentaren keine Bedeutung eingerÅumt: Jona ist der erfolgreichste Prophet, von dem die Bibel zu berichten weiß, wenn man die Propheten nach deuteronomistischem VerstÅndnis132 als Mahner und Rufer zur Umkehr versteht und sie nicht wie Dtn 18,21 f daran bemisst, ob ihre Weissagungen eintreffen. WÅhrend Jeremia mit seiner Botschaft auf Ablehnung st×ßt und vom eigenen K×nig missachtet wird, reichen Jona fÛnf Worte um die Bev×lkerung der großen Stadt inklusive ihres K×nigs zur Umkehr zu bewegen. Dies verbietet es, eine nur negative Interpretation der Jonafigur vorzunehmen. Kap. 3 ist eine klassische ErzÅhlung von der WirkmÅchtigkeit des Jhwh-Wortes, das dieser durch seinen Propheten spricht. Aus dieser Perspektive spricht alles gegen eine vorschnelle Identifikation der Jonafigur mit Israel. Die Jonafigur wird von der ºberschrift und in Kap. 3 als Prophet gezeichnet und nicht als ReprÅsentant des Volkes Israel. Gerade das sind die Propheten nach den biblischen Berichten am wenigsten. Trotz allem Erfolg Jonas bleiben aber zwei Spannungen bestehen: M×gliche Erwartungen des Lesers, dass mit der Ansage eines Gerichts gegen Ninive und der daraus folgenden Zerst×rung des Weltreiches sich noch einmal die territoriale IntegritÅt des alten Israels wiederherstellen lÅsst, werden enttÅuscht. Zweitens ist Jona, der eigentlich so erfolgreiche Prophet, nach Dtn 18,22 ein falscher Prophet. Mit W. RUDOLPH, KAT XIII/2, 334 f. Die Taube hat im Alten Testament durchweg eine positive Bedeutung: In Gen 8 ist sie Botin, die den RÛckgang der Sintflut ankÛndigt. Sie findet als Opfertier Verwendung und ist ein Bild fÛr die Sch×nheit der Frau. Vgl. Lev 5,10; 12,6 und Hld 1,15; 2,14. 132 Vgl. II K×n 17,13. 130 131

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4.3.2 Charakterisierung Jonas im Hauptteil des ersten Kapitels 4.3.2.1 Die Beter und der SchlÅfer Die Nachholung (1,5b), die den Leser Ûber den Verbleib Jonas aufklÅrt, stellt Jona den Seeleuten gegenÛber. Das kopulative w mit adversativer Bedeutung133 betont dies. WÅhrend die Seeleute betend und geschÅftig um ihr Leben kÅmpfen, schlÅft Jona. Da das Wortfeld von 1,5b Konnotationen aus dem Bereich der Todesmetaphorik aufweist, lÅsst sich sagen, dass Jona hier als Mann des Todes dargestellt wird.134 Das GesprÅch zwischen Jona und dem KapitÅn hat fÛr die Handlung keine Bedeutung, h×chstens eine retardierende Funktion.135 FÛr die Charakterisierung Jonas ist aber gerade dieser Abschnitt wichtig, weil er den Gegensatz zwischen Jona und seiner Umgebung kennzeichnet und ihn mit der vorwurfsvollen Frage des KapitÅns konfrontiert. 4.3.2.2 Das Bekenntnis des HebrÅers – Jona 1,9 Er sprach zu ihnen: Ich bin ein HebrÅer und Jhwh den Gott der Himmel fÛrchte ich, der das Meer und das Land gemacht hat.

Auf die Fragen der Seeleute gibt sich Jona zunÅchst als HebrÅer zu erkennen. Zumeist dient jrby der Selbstbezeichnung von Israeliten gegenÛber Fremden. Es zeigt den Unterschied zur heidnischen Umwelt136 an und wird vor allem in nachexilischer Zeit verwendet.137 R. Lux Åußert die Vermutung, dass der Verfasser in dieser Bezeichnung seinen Helden Jona mit seinen Adressaten zusammenschließt, die sich als Glieder der nachexilischen Gemeinde wahrscheinlich auch als HebrÅer bezeichneten.138 Allerdings ist Vorsicht geboten, wenn nur wegen dieses Bekenntnisses Jona als Symbolfigur ganz Israels verstanden wird, da ja auch eine bestimmte Gruppe in Israel gemeint sein k×nnte. In der ErzÅhlung ist Jona auf jeden Fall nicht nur als vor Gott fliehender Prophet den Seeleuten gegenÛbergestellt (1,5b), sondern steht gerade auch als HebrÅer einer Gruppe gegenÛber, die verschiedene G×tter verehrt.139 Die GegenÛberstellung wird durch das Bekenntnis zur 133

Vgl. W. RUDOLPH, KAT XII/3, 338 und auch R. Lux, Jona, 102. Gegen F. W. GOLKA, Jo-

na, 52. Mit H. W. WOLFF, BK XIV/3, 89. Vgl. R. LUX, Jona, 105. 136 J. M. SASSON, AncB 24b, 117 analysiert die m×glichen Selbstbezeichnungen eines Israeliten und kommt zum Schluss, dass der Begriff jrby den Unterschied zur heidnischen Umwelt betont. „Therefore, when a storyteller quotes Jonah as labeling himself a HÏbri, he aims to distance his protagonist from the heathen sailors.“ 137 Vgl. O. LORETZ, Habiru, 89 ff. Eine alternative Selbstbezeichnung wÅre jdwhj. Vgl. Est 2,5 und 3,4. J. M. SASSON, AncB 24b, 116 nimmt an, dass diese Bezeichnung fÛr den Verfasser nicht in Frage kam, weil Jona nach II K×n 14,25 nicht aus dem SÛdreich kam. 138 Vgl. R. LUX, Jona, 109. 139 Der Vergleich mit der LXX Fassung des Jonabekenntnisses (dou ˜ loj kurı´ou e™gw´ ei™mi) be134 135

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Verehrung Jhwhs, des Gottes der Himmel (¥jmfh jhla hwhj), des Sch×pfer des Meeres und des Trockenen (hfbjh taw ¥jh ta hfy rfa) noch verstÅrkt. Jonas Gott bekommt fÛr die Schiffsmannschaft einen Namen und wird so von deren G×ttern unterscheidbar. Als Himmelsgott wird Jhwh Ûberwiegend in nachexilischer Zeit bezeichnet wie z. B. im Daniel-, Nehemia- und Esrabuch.140 Jhwh, der Gott der HebrÅer, ist zugleich der universale Himmelsgott.141 Nach seiner Religion hatten die Seeleute Jona gar nicht befragt. Deswegen eine „narrative Strategie“ des Verfassers zu vermuten, der seine Leser daran erinnern will, dass „deren von außen angefragte IdentitÅt weniger an Herkunft und Territorium haftet als am religi×sen Bekenntnis zu JHWH, dem universalen Himmelsgott und Sch×pfer“,142 ist m.E. nicht zu belegen. Interessant bleibt aber, dass der Verfasser Jona auf die Frage nach der Herkunft mit seinem Glauben antworten lÅsst. Die Vermutung liegt nahe, dass der ErzÅhler einem Konzept der Jhwh-Religion nahe steht, die primÅr auf das Bekenntnis und nicht auf die Volkszugeh×rigkeit rekurriert. Damit ist auch eine Wurzel der Offenheit des Jonabuches geklÅrt: Wenn fÛr den Verfasser nicht mehr Israel im Vordergrund steht, sondern das Bekenntnis zu Jhwh, ist es auch heidnischen Seeleuten m×glich, sich der Jhwh-Religion anzuschließen. 4.3.3 Gebete 4.3.3.1 Der vorbildliche Jhwh-Verehrer – Jona 2,2–10143 (2) Da betete Jona zu Jhwh, seinem Gott, im Bauch des Fisches. (3) Und er sprach: stÅtigt die Vermutung, dass es sich um eine Entscheidung des Verfassers handelt, die Jona mit der Gruppe der HebrÅer zusammenschließt. Die der LXX zu Grunde liegende hebrÅische Formulierung (hwh)j dby hat eher einen Propheten als einen Vertreter Israels im Blick. Diese Beobachtung ist unabhÅngig davon, ob die LXX Version mit W. Rudolph durch einen Lesefehler zu erklÅren ist oder mit J. M. Sasson durch eine vom BHS abweichende hebrÅische Vorlage. Vgl. W. RUDOLPH, KAT XIII/2, 340 und J. M. SASSON, AncB 24b, 116. 140 Vgl. aber auch Gen 24,7 und Ps 136,26. 141 Gott des Himmels ist die amtliche Bezeichnung der persischen Reichsverwaltung fÛr Jhwh. Damit wurde fÛr die Umwelt Israels verstÅndlich die Eigenschaft Jhwhs „als des im Himmel thronenden und daher Ûber die Welt als seine Sch×pfung herrschenden K×nigs“ erlÅutert. O. KAISER, Gott 2, 139. 142 R. LUX, Jona, 111. 143 Methodische Voraussetzung fÛr die folgenden ºberlegungen ist, dass der Inhalt des Psalms ernst zu nehmen ist. Es gibt keine Anhaltspunkte dafÛr, dass es sich hier um Ironie oder um eine Karikatur der Jonafigur handelt. Mit I. WILLI-PLEIN Jona, 229. Gegen F. W. GOLKA, Jona, 65 ff und H. J. OPGEN-RHEIN, Sprachgestalt, 115. Bei F. W. Golka wird deutlich aus welcher Richtung, das Interesse kommt, im Psalm Ironie zu finden: Eine „ironische Bedeutung des Psalm“ versetzt „uns in die Lage . . . , an der Einheit des Buches festzuhalten.“ Unter dem respektabel klingenden Anspruch, „einen biblischen Text zunÅchst so zu interpretieren, wie wir ihn vorfinden“, wird die Aussage des Textes als Karikatur verstanden. Damit ist zwar die Literarkritik umgangen, aber gerade nicht der biblische Text so interpretiert, wie er vorgefunden wird.

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Ich habe gerufen in meiner Not zu Jhwh und da antwortete er mir. Aus dem Schoß der Scheol habe ich geschrieen und du hast meine Stimme geh×rt. (4) Da warfst du mich in die Tiefe, in das Herz der Meere. Die Wasser umschließen mich. All deine Wellen und deine Wogen haben mich Ûberflutet. (5) Und ich aber habe gedacht, dass ich vertrieben bin aus deinen Augen. Werde144 ich wieder sehen deinen heiligen Tempel? (6) Das Wasser hat mich umspÛlt bis an die Seele, Tiefe umschließt mich, Meerespflanzen binden meinen Kopf (7) an den Wurzeln der Berge. Hinab bin ich gestiegen in das Land der hinter mir fÛr immer verschlossenen Tore. Da holtest du mich lebendig aus dem Grab heraus, Jhwh, mein Gott. (8) Als meine Seele schwach wurde, habe ich an Jhwh gedacht. Da kam mein Gebet zu dir, zu deinem heiligen Tempel. (9) Die Verehrer leerer Luftgespinste145 verlassen ihre Hilfe. (10) Ich aber mit der Stimme des Dankes will dir opfern. Was ich gelobe, will ich einl×sen. Rettung ist bei Jhwh.

Die Struktur des Gebets Jonas folgt dem Bauplan anderer Danklieder. Ein ausfÛhrlicher Bericht (V. 3b-8) geht in einen Dank Ûber (V. 9.10a.ba) und wird mit einem kleinen hymnischen Fragment abgeschlossen. Eine vergleichbare Struktur findet sich z. B. auch im Hiskiapsalm (Jes 38,10–20).146 Der Wechsel der Zeitstufen (dreifache Zeitschichtung)147 und Ebenen (doppelte Redehinsicht)148 geh×rt zur Gattung des Dankliedes. In der ºbersetzung werden die beiden Zeitstufen der Vergangenheit, die der hebrÅische Text mit Perfekt und Narrativ signalisiert, durch Perfekt, bzw. Imperfekt wiedergegeben. Die Zeitstruktur des Psalms ist kunstvoll gestaltet und in der Interpretation zu berÛcksichtigen, weil an ihr die zu unterscheidenden Ebenen der Aussage deutlich werden.149 Das Imperfekt beschreibt

144 Zur exegetischen Diskussion um den Partikel ia und die m×glichen TextverÅnderungen vgl. die Darstellung bei J. M. SASSON, AncB 24b, 179 ff. Im Anschluss an J. M. Sasson wird die Wendung als rhetorische Frage verstanden, die einen Wunsch ausdrÛckt. 145 Zur ºbersetzung vgl. K. SEYBOLD, HAT I/15, 127 zu Ps 31,7. 146 Vgl. M. KRIEG, Todesbilder, 360 ff. M. Krieg analysiert Danklieder, die Todesbilder beinhalten. Auf die Parallele zwischen Jona- und Hiskiapsalm baut J. A. SOGGIN, Giona seine Studie auf. Aus den formgeschichtlichen GrÛnden sind redaktionsgeschichtliche Analysen abzuweisen, die V. 9 f als einen Zusatz behandeln. Gegen J. D. NOGALSKI, Processes, 265. Obwohl der Bericht gattungsinterne Varianz aufweist, fÛhrt er die Ûblichen drei Elemente (Notlage, Klagezitat, Rettung) doppelt durch (V. 3b-5; V. 6–8). 147 „Auf der Åltesten Zeitstufe wird die Erfahrung einer zurÛckliegenden Not berichtet, auf der mittleren die in der Not ergangene Klage und die daraufhin erfahrene Rettung; auf der jÛngsten befindet sich der Beter mitsamt der Gemeinde im Vortrag des Liedes und in kultischer GegenwÅrtigkeit.“ M. KRIEG, Todesbilder, 401. 148 Die doppelte Redehinsicht, die abwechselnde Wendung des Sprechers an Gott und an die Gemeinde, ist fÛr das Danklied nach M. Krieg konstitutiv. Vgl. M. KRIEG, Todesbilder, 401. 149 Gegen J. M. SASSON, AncB 24b, 163.

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die Gegenwart des Beters und wird daher prÅsentisch Ûbersetzt. Im Imperfekt sind zwei (grammatikalisch nicht unterschiedene) Ebenen voneinander zu trennen. Sie hÅngen mit dem Ort des Dankliedes zusammen: Der Beter wird am Tempel vorgestellt und bietet sein Dankgebet dar (V. 10). Hier blickt er auf die Notsituation zurÛck. Die Not wird dabei fÛr ihn noch einmal in beiden Teilen des Berichtes zur Gegenwart (In der ºbersetzung kursiv: V. 4: jnbboj rhnw; V. 6: jnbboj ¥wht). Hier wird die vorgestellte Situation Jonas ausgedrÛckt. Deswegen setzt die Interpretation auch an diesen beiden StÛcken an. Der erste Teil des Berichts Ûber die Not nimmt scheinbar die Situation Jonas aus 1,15 auf: Jhwh hat ihn ins Meer geworfen, Wasser umschließen ihn (V. 4). Das Klagezitat in V. 5 zeigt aber, dass der Beter die Situation anders wahrnimmt: Er fÛhlt sich aus den Augen Gottes vertrieben und wÛnscht sich, den Tempel wieder zu sehen. Nicht mehr Jona selbst, ist vor dem Angesicht Jhwhs geflohen, sondern Jhwh hat ihn vertrieben. Der zweite Teil des Berichtes interpretiert die Situation Jonas metaphorisch mit Todesbildern.150 Die Sprechsituation des Psalms stellt sich den Text am Tempel vor: Jona verhÅlt sich als vorbildlicher Jhwh-Verehrer, der nicht nur in der Not an Jhwh denkt, sondern nach der Rettung auch ein Danklied vortrÅgt und die versprochenen Opfer einl×st. Wie stark ist dabei der von Jona geÅußerte Wunsch, den Tempel wieder zu sehen (V. 5b), zu gewichten? Der Verfasser des Psalms k×nnte die Not Jonas mit seiner Entfernung vom Tempel ausgedrÛckt haben oder auch nur einen Topos aus dem Danklied des Einzelnen aufgenommen haben. Im ersten Fall lÅge ein versteckter SchlÛssel fÛr das VerstÅndnis des Psalms vor, im zweiten wÅre das Heiligtum nur im Blick, weil dort das Danklied vorgetragen werden kann. Der Tempel wÅre also Zeichen der ºberwindung der Notlage und nicht die Entfernung vom Heiligtum die Notlage selber. Da V. 5b im Gegensatz zu V. 5a offenbar kein Zitat aus dem Psalter ist und deswegen nicht formgeschichtlich erklÅrt werden kann,151 ist die erste Alternative vorzuziehen. Jonas Notsituation wird demnach nicht nur durch die Todesmetaphorik dargestellt, sondern auch als Entfernung vom Tempel verstanden. Dies unterstreicht V. 8. Mit dieser Wendung hat Jona die Fr×mmigkeitsstufe erreicht, die die Schiffsbesatzung in V. 16 vollzogen hat. Seine Kommunikation mit Jhwh ist wiederhergestellt. Anders als die Schiffsbesatzung wird Jonas Fr×mmigkeit hier aber als Tempelfr×mmigkeit verstanden.

Vgl. M. KRIEG, Todesbilder, 374. Die von J. Magonet fÛr V. 5b aufgenommenen Parallelstellen (Ps 5,8; 138,2) entsprechen nicht der Ferne zum Tempel, die in V. 5b ausgedrÛckt wird. Vgl. J. MAGONET, Form, 50. Eine Parallele zu V. 5b ist im Psalter nicht vorhanden, was allerdings nicht gÅnzlich ausschließt, dass es sich um eine geprÅgte Wendung der Gebetssprache handelt. 150 151

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Hoffnung fÛr die V×lker – Das Jonabuch

Was trÅgt der Psalm zur Charakterisierung Jonas und vor allem zur Interpretation seiner Person in der ErzÅhlung bei? Jona wird als vorbildlicher Jhwh-Verehrer dargestellt, der vom Tempel getrennt wurde und dem die Sprache der Gebete Israels vertraut ist. Seine eigentliche Situation tritt soweit zurÛck, dass sich ein Beter, der Klage und Dank ausdrÛcken m×chte, in diesem Text wieder finden kann. Damit wird zum einen die Jonafigur fÛr eine positive Rezeption offen gehalten und zum anderen dem Leser die M×glichkeit gegeben, sich mit der Situation Jonas, mit seiner Todesangst oder mit seiner Ferne vom Angesicht Jhwhs zu identifizieren. Neben dem Musivstil152 macht dies insbesondere der zweite Teil des Berichtes mit seiner metaphorischen Sprache m×glich. Hinzu kommt, dass Jona einen vom Tempel entfernten Beter reprÅsentiert. Dies lÅsst sich im Kontext der ErzÅhlung nur Ûbertragen verstehen. Von dieser Beobachtung her lÅsst sich Jona 2 gegenÛber dem ersten Kapitel als „Neuentwurf“ der Jonafigur lesen. Dies legt nahe, dass die vorangehende z. T. negative Charakterisierung Jonas nicht der gleichen literarischen Schicht entstammt. DarÛber hinaus hat der Psalm die Funktion, die See-ErzÅhlung mit der Ninive-Szene zu verbinden153 und die Wendung Jonas vom sich weigernden zum gehorsamen und erfolgreichen Propheten darzustellen. „Das deutlichste Signal der inneren Wende des Jona ist aber seine erneute Einwanderung in die Gemeinde der Beter Israels. . . . Mit dem aus vielen Teilen des Psalters zusammengesetzten Gebet im Bauch des Fisches, dem bewusst verwendeten Musivstil, spricht Jona wieder die Sprache der JHWH-Treuen. Und deswegen kann Gott ihn auch wieder gebrauchen im Kampf gegen die Bosheit Ninives.“154 Die Funktion des Psalms im Buch ist es, die Wertung der Jonafigur offen zu halten. Die damit verknÛpfte Verbindung des Lesers mit der Jonafigur sowie die verwendete Psalmensprache charakterisieren Jona als typischen Jhwh-glÅubigen Israeliten. Dies wird von den Bekenntnissen unterstÛtzt. Ausgehend vom Psalm ist auch eine Abgrenzung der Identifikation der Hauptperson notwendig. Die Jonafigur kann keine Allegorie und kein Symbol fÛr Israel darstellen.155 Das Gebet zeigt einen Einzelnen, der als typisierter JhwhGlÅubiger beschrieben wird. UnberÛcksichtigt ist bis jetzt das Problem geblieben, das sich aus V. 9 ergibt. Jona stellt sich in seinem Gebet einer Gruppe gegenÛber, die vom Text selber nur vage bestimmt ist. Wer sind die awf jlbh ¥jrmfm? Die Formulierung kommt fast w×rtlich auch in Ps 31,7 vor. Der auf Jhwh vertrauende

152 J. Magonet hat gezeigt, wie der Psalm aus VersatzstÛcken des Psalters zusammengesetzt worden ist. Vgl. J. MAGONET, Form, 50 und auch F. W. GOLKA, Jona, 67. 153 Mit I. WILLI-PLEIN, Jona, 228. 154 R. LUX, Jona, 183. 155 Gegen J. D. NOGALSKI, Processes, 266.

Jona – Prophet oder ReprÅsentant Israels?

147

Gerechte156 steht in Ps 31 Gottlosen gegenÛber.157 M. Krieg sieht die dankunfÅhige Unwelt von der dankbaren Welt abgesetzt, „der dankende Beter vom danklosen Unweltbewohner . . . , die Stimme des Danks vom LÛgenhauch“.158 In der Welt des Todes, in der Jona fast verblieben wÅre gibt es keinen Dank, nur Klage. Keinesfalls sind die Seeleute gemeint, wahrscheinlich auch keine identifizierbare Gruppe in Israel oder außerhalb.159 Die G×tzenpolemik ist im 3. Jh. ein aktuelles Thema. Deswegen wird sie auch im Jonapsalm erwÅhnt, um die Orthodoxie der Jonafigur auch auf dieser Ebene zu beweisen. 4.3.3.2 Der Psalm und das Michabuch J. D. Nogalski sieht in Jona 2,2–10 einen Text, der neben der deutlichen Parallele in Mi 7,19b (¥twauc lk ¥j twlsmb ijlftw) andere Texte des Michabuches aufnimmt. Seine Argumentation soll hier kurz untersucht werden. hlwsm mit ilf im hifil kommt nur in Mi 7,19b und in Jona 2,4 vor. Deswegen ist die Annahme einer literarischen Beziehung zwischen beiden Texten berechtigt.160 Auch Mi 1,2–7 und Jona 2,5–8.9 sollen nach J. D. Nogalski BerÛhrungen aufweisen: Die Verbindung von lkjh und fdq (Jona 2,5.8 und Mi 1,2) findet sich allerdings an 9 Stellen. Zudem ist in Mi 1,2 im Gegensatz zu Jona 2,5 der himmlische Tempel Jhwhs gemeint. FÛr ¥jrh (Jona 2,7 und Mi 1,4) gibt es 121 Belege. Wegen dieser HÅufigkeit hat die Verwendung des Wortes in beiden Kapiteln m.E. keine Bedeutung. Die Wurzel drj (Jona 2,7 und Mi 1,3.12) ist eines der SchlÛsselw×rter des Jonabuches, deshalb ist es nicht sinnvoll eine besondere Beziehung zwischen Jona 2 und Mi 1 zu postulieren. Außerdem ist drj Åhnlich wie ¥jrh ein hÅufig verwendetes Wort. xra (Jona 2,7 und Mi 1,2 f) kommt allein im Michabuch 13-mal vor. Deswegen kann auch dieses Wort fÛr den Nachweis von Stichwortverbindungen nicht herangezogen werden. Zwischen den Bezeichnungen fÛr G×tzenverehrung in Mi 1,7 (hjljop lkw) und Jona 2,9 (awf jlbh) sind keine Gemeinsamkeiten festzustellen, die eine Querverbindung von beiden Kapiteln stÛtzen. Die These J. D. Nogalskis, dass es zwischen Mi 1,2–7 und Jona 2,5–8 literarische Beziehungen gibt, ist unbegrÛndet. Wahrscheinlich ist lediglich eine Aufnahme des Jonapsalms in Mi 7,19b.161

Vgl. K. SEYBOLD, HAT I/15, 127 gegen F. L. HOSSFELD/E. ZENGER, Psalmen, 194. Vgl. dazu F. L. HOSSFELD/E. ZENGER, Psalmen, 197 und K. SEYBOLD, HAT I/15, 130. 158 M. KRIEG, Todesbilder, 374. 159 Damit erÛbrigt sich auch die ºberlegung wegen vermeintlicher Parallelen zu Mi 1,7 eine Aufnahme antisamaritanischer Polemik anzunehmen. Gegen J. D. NOGALSKI, Processes, 268. Vgl. auch die Diskussion der verschiedensten VorschlÅge bei J. M. SASSON, AncB 24b, 194 ff. 160 Mit J. D. NOGALSKI, Precursors, 153. 161 J. D. Nogalski nimmt fÛr Jona 2,2–10 zudem eine Beeinflussung durch hoseanische Sprache an, die er durch BezÛge zu Hos 5,15 und 6,1–6 zu erweisen sucht. Vgl. J. D. NOGALSKI, Pro156 157

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Hoffnung fÛr die V×lker – Das Jonabuch

4.3.3.3 Der Zorn des Klagenden – Jona 4,2–3 Die Klage Jonas steht genauso an einer Nahtstelle des Buches wie sein Gebet162 und scheint inhaltlich diesem entgegengesetzt. Jona ist nicht mehr dankbar, sondern zornig und wÛnscht zu sterben. Der Todeswunsch Jonas erinnert an Elia. Jona befindet sich in einer Åhnlichen Lage: Elia geriet in Todesnot, weil er sich gegen den wachsenden Einfluss von Nichtisraeliten in Israel wehrte. Die sachlichen Differenzen mahnen aber davor, diesen Aspekt Ûber zu bewerten.163 Warum ist Jona so verbittert? Will er „lieber untergehen als eine Bekehrung der Heiden Ûberleben“,164 oder ist er zornig, weil er als falscher Prophet dasteht? Da die Klage Jonas in V. 2 mit seiner Flucht und nicht mit der Niniveszene in Zusammenhang gebracht wird, muss der Schwerpunkt von 4,1–4 auf der letzten Frage liegen. R. Lux betont richtig, dass der Konflikt Jonas unterschÅtzt und in seiner Dramatik verharmlost wird, „wollte man diesem lediglich partikularistische Engherzigkeit oder gar egoistischen Trotz unterstellen“.165 Der ErzÅhlung geht es auch um den Propheten selber: Jonas Rolle als Gerichtsprophet kollidiert mit dem inneren Wesen Jhwhs, das mit einem Zitat der Gnadenformel beschrieben wird.166 Diese Betonung der Gnade Jhwhs ist im Kontext des Dodekaprophetons genauso neu wie die Geltung der Gnadenformel fÛr Nichtisraeliten.167 Jona wusste schon bei seiner Flucht davon, dass Jhwhs Ordnungswille seiner Gnade unterzuordnen ist und dies auch fÛr Ninive gilt (4,2). Damit stehen das Jonabuch und eben auch das Wissen des in der ErzÅhlung beschriebenen cesses, 268 f. Eine genauere PrÛfung lÅsst aber auch hier wie in Bezug auf Mi 1 die weitreichenden Folgerungen J. D. Nogalskis nicht zu. 162 Es ist umstritten, ob das Klagegebet wegen der Einheit des Ortes das Vorspiel der Rizinusszene darstellt oder den Abschluss der Ninive-Episode. So die klassische Position von H. W. WOLFF, BK XIV/3, 133 ff. O. Kaiser behandelt 4,1–4 m.E. zu Recht als eigenen Abschnitt, wodurch die prÅgnante Stellung des Textes zwischen beiden Szenen zum Ausdruck kommt. Mit O. KAISER, Wirklichkeit, 100 und R. LUX, Jona, 163; gegen P. WEIMAR, Jona, 101 ff. 163 Besonders R. LUX, Jona, 149 ff warnt vor der Annahme einer traditionsgeschichtlichen Beziehung zwischen I K×n 19 und Jon 4. 164 O. KAISER, Wirklichkeit, 100. 165 R. LUX, Jona, 194. 166 F. W. Golka warnt vor einer einseitigen Interpretation des Zorns Jonas. „Es kam offensichtlich einmal der Zeitpunkt, an dem fÛr den einfachen israelitischen Beter der Reichtum und die nicht erfolgende Vernichtung derer, die YHWH nicht verehrten, zum Problem wurde.“ F. W. GOLKA, Jona, 91. Dieser Hinweis auf die Klagepsalmen weist zu Recht eine Verurteilung Jonas zurÛck. Außerdem ist auf die vorsichtige Argumentation von 4,1–4 zu achten: Hier wird niemandem die Wahrheit vor Augen gestellt, wie H. Witzenrath polemisch formuliert. H. WITZENRATH, Jona, 98. Vielmehr fragt Jhwh behutsam nach der Berechtigung von Jonas Zorn. Das Beispiel, an dem sich der Zorn entzÛndet, ist aber die Rettung Ninives und nicht allgemein formuliert das Wohlergehen der Frevler. Trotz allem berechtigtem Interesse, antijudaistische Interpretationen abzuweisen, ist die V×lkerthematik in der Klage Jonas prÅsent. 167 Zur Rezeption der Gnadenformel im Zw×lfprophetenbuch vgl. 6.3.

Jona – Prophet oder ReprÅsentant Israels?

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Helden im Kontrast zu eschatologischen Gerichtsvorstellungen, die fÛr die nichtisraelitische Welt das Gericht ankÛndigen. Im nÅheren Kontext des Jonabuches im Dodekapropheton sind vor allem Joel 4; Amos 1 und Obadja zu nennen. Ein Bezug ist auch zu den Rezeptionen der Gnadenformel in Mi 7,18 und Nah 1,3 anzunehmen. Die redaktionelle Bearbeitung des das Nahumbuch einleitenden Hymnus (1,2b.3a) stellt mit dem Zitat heraus, dass die Gnade Gottes nicht fÛr seine Feinde gilt. Diese Feinde, denen der Zorn Jhwhs angekÛndigt wird, sind im Nahumbuch fÛr den Leser in erster Linie die Niniviten, allen voran ihr K×nig. Auch der Beter von Mi 7,18–20 preist die Vergebungsbereitschaft Jhwhs gegenÛber seiner hlcn und damit eben die Treue Gottes zu Israel. Die V×lker werden dagegen auch hier von Jhwh gestraft, wÅhrend er die Schuld Israels vergibt. 4.3.4 Jona und der Rizinus – Jona 4,5–11 Die Rizinus-Episode enthÅlt zur Frage, wie die Jonafigur zu verstehen ist, keinen wesentlichen Beitrag. Jona steht nicht mehr der Schiffsbesatzung oder Ninive gegenÛber, der Fokus liegt auf ihm und Jhwh. Lediglich einleitend wird erwÅhnt, dass Jona distanziert abwartet, was mit Ninive passiert (4,5). Jona verÅndert nicht nur seinen Standort, sondern auch gegenÛber dem dritten Kapitel seine Position: Er verhÅlt sich reserviert und schaut zu, es geht ihm aber noch um die Stadt. Zwei Punkte sind im Rahmen der Fragestellung zu beachten: (1.) Jona wird im vierten Kapitel als Mensch dargestellt, dem die Gottesbeziehung immer mehr entschwindet. WÅhrend er in 4,1–4 noch zornig ist und den Wunsch zu sterben an Gott richtet, stellt die Rizinus-Episode einen fast depressiven, nur noch mit sich beschÅftigten Menschen vor, der Gott als GegenÛber weitgehend verloren hat. So richtet sich auch Jonas Wunsch zu sterben in 4,8 nicht mehr an Gott. (2.) Was ist der Grund des wiederholten Šrgers und Todeswunsches Jonas? Wogegen richtet sich der Šrger an dieser Stelle? Die Verschonung Ninives wird wie in 4,1–4 nicht als Grund fÛr den Unmut erwÅhnt. Der GesprÅchsgang geht explizit nur um den Rizinus. Erst die Antwort Jhwhs bezieht Wachsen und Sterben der Pflanze auf Ninive. Es findet kein Streit zwischen Jhwh und seinem Propheten Ûber die Verschonung Ninives statt. Jhwh gesteht Jona in der Aufl×sung des Rizinus-Gleichnisses in 4,11 sogar zu, dass er den Rizinus bemitleidet hat, obwohl angesichts Jonas Verhalten eine hÅrtere Kritik angebracht gewesen wÅre. Denn Jona bemitleidet ja eigentlich nicht den Rizinus, sondern sich selber. Die Rizinusszene er×ffnet vielmehr dem Verfasser die M×glichkeit in 4,10 noch einmal einen theologischen H×hepunkt seiner ErzÅhlung zu formulieren: Die Position der das eschatologische V×lkergericht ankÛndigenden Prophetie wird an der Gnade Jhwhs scheitern. Dabei wird Jona nicht als falscher Prophet verurteilt, sondern seelsorglich versucht, seine Position aufzunehmen und zu verÅndern.

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Hoffnung fÛr die V×lker – Das Jonabuch

4.3.5 Das VerstÅndnis der Jonafigur – Zusammenfassung In der Einleitung wird mit dem Namen Jonas die Erwartung geweckt, dass dieser als Heilsprophet Israels gegen die Feinde auftritt. Jona hat aber als Bußprediger Erfolg. M×glicherweise lÅdt der Name Jona zu einer Parallelisierung mit Israel ein. Die Figur ist aber keine Allegorie fÛr Israel, sondern wird im ersten Kapitel als Jhwh-GlÅubiger der heidnischen Welt gegenÛbergestellt. Den Seeleuten vermittelt er den Jhwh-Glauben. Der Psalm bringt eine neue Interpretation Jonas in die ErzÅhlung ein. Jona wird als vorbildlicher Jhwh-Verehrer dargestellt, der sich wÛnscht, den Tempel wieder zu sehen. Sein Gebet k×nnte auch von anderen Jhwh-GlÅubigen gebetet werden. Die Wertung der Jonafigur wird mit diesem Psalm offen gehalten und gegenÛber der negativen des ersten Kapitels korrigiert. Im vierten Kapitel geht es um die Rolle der Gerichtsprophetie und darum, Gottes Gnade in den Vordergrund zu rÛcken. Jhwhs Liebe zu seiner Sch×pfung ist gr×ßer als sein Wunsch nach Vergeltung. Das Jonabuch relativiert damit die Gerichtsprophetie und bildet einen Gegenpol zu Joel 4; Amos 1 und Obadja im Dodekapropheton. Dem Jhwh-GlÅubigen schwindet mit seinem Festhalten an der Gerichtsprophetie immer mehr die Gottesbeziehung. Der Grund fÛr die im Jonabuch vorgenommene Entwertung der Gerichtsprophetie ist, dass Jhwh auch an der nichtisraelitischen Welt interessiert ist. Die Gnadenformel gilt genauso fÛr die V×lker wie fÛr Israel, weil Jhwh der Sch×pfer der ganzen Welt ist.

4.4 Der literarische und theologische Hintergrund des Jonabuches Der literarische und theologische Hintergrund des Jonabuches lÅsst sich vor allem an Jona 3 untersuchen. Das Verhalten des K×nigs von Ninive (Jona 3,6–9) wird genauso mit Jojakim in Jer 36 verglichen wie die positive Schilderung des K×nigs nur auf dem Hintergrund der Erfahrungen Israels mit Kyros und seiner theologischen Wertung durch Jes 45 denkbar ist. In Jona 3 gibt es aber auch Anzeichen auf eine Beziehung zum Joelbuch. Dazu ist auch eine m×gliche Relation des dritten Kapitels und des ganzen Jonabuches zu Teilen des Ezechielbuches und zwei Texten einzubeziehen, die von der Verehrung Jhwhs durch Nichtisraeliten handeln (Mal 1,11.14b und Zef 2,11). 4.4.1 Das Joelbuch Den meisten Raum in der exegetischen Diskussion um die Beziehung des Joel- und des Jonabuches nimmt das Zitat der so genannten Gnadenformel ein. Wie noch ausgefÛhrt wird, ist Ex 34,6 f nicht der Ursprung der Gnadenformel, sondern lediglich ihr Åltester Beleg. Die Formel steht auch hinter

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Hintergrund des Jonabuches

Mi 7,18 und Nah 1,3 und verbindet damit die in dieser Arbeit auf ihre V×lkerkonzeption untersuchten Texte. GegenÛber diesen beiden Aufnahmen der Gnadenformel zeigen Joel 2,13b und Jona 4,2b charakteristische Abweichungen. Beide fÛgen die Wendung hyrh ly ¥cnw aus Ex 32,14 an ihr Zitat an. Dies begrÛndet die Vermutung einer AbhÅngigkeit beider Stellen.168 Joel 2,13b

hyrh ly ¥cnw

doc brw ¥jpa ira awh

¥wcrw vwnc

jk

hyrh ly ¥cnw

doc brw ¥jpa ira

¥wcrw vwnc

la htajk

Jona 4,2b Ex 34,6*

Ex 32,14*

tmaw doc brw ¥jpa ira

vwncw ¥wcr

la

hyrh ly hwhj ¥cnjw Ob im Jona- oder im Joelbuch das ursprÛnglichere Zitat vorliegt, ist schwierig zu bestimmen. An der klassischen ErklÅrung, dass das Joelbuch vor dem Jonabuch zu datieren ist, und damit das Jonabuch Joel 2,13b zwangslÅufig aufnehmen muß, sind in letzter Zeit berechtigte Zweifel geÅußert worden.169 Die Entscheidung fÅllt mit der Beurteilung der Kontexteinbindung der Formel. FÛr die Jona-PrioritÅt spricht, dass das Wort hyrh, das mit der Wendung aus Ex 32,14 aufgenommen wurde, ein SchlÛsselbegriff des Jonabuches darstellt.170 Da Joel 2 zumeist als Ålter als das Jonabuch eingeschÅtzt wird,171 mÛsste Joel 2,13b dann ein sekundÅrer Nachtrag sein. Eben dies legt die fehlende VerknÛpfung der Aufnahme der Formel mit dem Kontext von Joel 2 nahe. Wenn Joel 2,13b eine Zusammenstellung des fÛr das Joelbuch verantwortlichen Verfasserkreises wÅre, ließe sich annehmen, dass aus diesem Text auch das Vokabular fÛr die Zusage Jhwhs in 2,18 aufgenommen wird. Dies ist jedoch nicht der Fall. 2,18 drÛckt die Selbstbeherrschung Jhwhs mit der Wurzel lmc aus. Das Zitat ist also mit dem Kontext des Joelbuches nicht weiter verknÛpft. Eine weitere Beziehung zu Joel ist die Frage im Mund des ninivitischen K×nigs, die sich in Joel 2,14a an das Zitat der Gnadenformel anschließt. FÛr die Jona-PrioritÅt spricht wiederum, dass Jona 3,9 stÅrker in den Buchkontext eingebunden ist, da die Frage des Schiffs-

Vgl. dazu auch J. MAGONET, Form, 77. Vgl. J. MAGONET, Form, 79; H. SPIECKERMANN, Barmherzig, 15 f und zuletzt H. J. OPGENRHEIN, Sprachgestalt, 215. 170 Das Adjektiv der Wurzel hyr wird 6-mal verwendet (Jona 1,7.8; 3,8.10 und 4,1.2), im Joelbuch nur in 2,13. Eine Form des Nomens findet sich zweimal im Jonabuch (1,2 und 4,6) und einmal im Joelbuch (4,13). 171 So H. W. WOLFF, BK XIV/3, 55 f. Allerdings ist das Alter des Joelbuches genauso umstritten wie das des Jonabuches. O. Kaiser hÅlt fÛr die letzte Redaktion des Joelbuches den Zeitraum von der Mitte des 4. Jh. bis zum ersten Drittel des 3. Jh. fÛr m×glich. Vgl. O. KAISER, Grundriß, 117. 168 169

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Hoffnung fÛr die V×lker – Das Jonabuch

kapitÅns (1,6) Åhnlich konstruiert ist.172 Deswegen ist anzunehmen, dass sich ein Nachtrag des Joelbuches (2,13b.14a) kritisch mit dem Jonabuch auseinandersetzt, Joel 2,13b.14a ins Joelbuch einfÛgt und damit die Geltung der Gnadenformel nur fÛr Israel postuliert. Der exemplarischen Bußszene des Joelbuches fÛgt das Jonabuch im Dodekapropheton eine zweite hinzu: Wie Jhwh die Buße seines Volkes akzeptiert und sein Gericht zurÛcknimmt (Joel 2,18 f), bleibt auch Ninive verschont. Israel und Ninive werden hier gleichgesetzt. Von einem polemischen GegenstÛck zur Bußunfertigkeit Jerusalems lÅsst sich deswegen nicht sprechen. Ninive wird in seiner Bußfertigkeit gerade mit Jerusalem verglichen.173 Aus der Perspektive des Joelbuches ist die Relevanz von Jer 36 fÛr das Jonabuch zu relativieren. Die Buße Ninives hat eher Jerusalem als Vorbild. In Joel 1 sind die „Großen“ zwar nur die Šltesten (1,14), sie sind aber im Geschehen genauso beteiligt wie die Tiere (1,18–20). Im Joelbuch sind die Tiere durch den Entzug von Wasser und Nahrung genauso zur Klage gezwungen wie die Menschen. Die Kritik des Joelbuches am Bußritus ohne Folgen fÛr das Herz, die H. W. Wolff als Nachwirkung der prophetischen Kritik des leeren Ritualismus interpretiert,174 wird im Erlass des K×nigs aufgenommen: Ganz Ninive wird wie Jerusalem im Joelbuch zur Umkehr aufgefordert. Diese Umkehr ist allerdings im Jonabuch nicht wie in Joel 2,12 ff das H×ren des prophetischen Wortes,175 sondern Abwendung von falschen Verhaltensweisen. D.h. es geht nicht in erster Linie um das GottesverhÅltnis wie im Joelbuch oder im ersten Kapitel des Jonabuches, sondern darum dass jeder „von seinem b×sen Weg“ umkehrt. Der Vergleich des Jonabuches mit dem Joelbuch ergibt ein kompliziertes Bild. WÅhrend Joel 2,13b.14a Jona 4,2b zitieren, hat der Rest des Jonabuches die Bußszene in Joel 2 im Blick. Aus der Leserperspektive kann allerdings das Joelbuch fÛr den Leser des Dodekaprophetons vorausgesetzt werden, weil das Jonabuch so auf jeden Fall aus der Perspektive des Joelbuches gelesen wird. Das Jonabuch kennt eine Åltere Joelbuchfassung. M×glicherweise wird verbunden mit der Aufnahme des Jonabuches in das Dodekapropheton wiederum die Gnadenformel aus dem Jonabuch in Joel 2,13b.14a eingefÛgt. Das Jonabuch wÅre demnach im Horizont oder zumindest in Kenntnis des Grundbestandes des Joelbuches geschrieben worden. Auch auf die eschatologische Gerichtsthematik und die um das Thema des Tages Jhwhs orientierte Zusammenstellung des Joelbuches k×nnte der Verfasser des Jonabuches anspielen. Die Hoffnung, „dass wir nicht zugrunde gehen“, (Jona 3,9) bekÅme dann implizit ein eschatologisches Gesicht. 172 173 174 175

Vgl. J. MAGONET, Form, 79. Gegen H. W. WOLFF, Jonabuch, 18. Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/2, 58. Vgl. dazu H. W. WOLFF, BK XIV/2, 58.

Hintergrund des Jonabuches

153

4.4.2 Das Ezechielbuch BezÛge des Zw×lfprophetenbuches auf Texte des Ezechielbuches finden sich wesentlich seltener als z. B. zu Jeremia- oder zu Jesajatexten. M×glicherweise liegt das am theologisch-konzeptionellen Unterschied des Ezechielbuches zu den anderen Propheten wie an seinem eher spÅten Entstehungsdatum. Deswegen ist beachtenswert, dass das Thema der Niniveszene des Jonabuches in einem Teil der Berufungsvision Ezechiels (Ez 3,4–9) vorweggenommen ist.176 Um die VerhÅrtung Israels zum Ausdruck zu bringen, vergleicht der Berufungsbericht177 die Sendung Ezechiels zu Israel mit einer Sendung zu einem Volk mit einer „dunklen Sprache“.178 Wenn Jhwh Ezechiel zu den V×lkern schickte, gehorchten ihm diese im Gegensatz zu Israel. Die GedankengÅnge des Berufungsberichtes Ezechiels und die des Jonabuches korrespondieren. Israel und die V×lker werden Åhnlich bewertet: Das Wort des Propheten findet in der Fremde Geh×r wie Jona in Ninive. Israel verweigert sich dagegen Ezechiel wie Jona vor dem Auftrag Jhwhs flieht. 4.4.3 Verehrung Jhwhs durch Nichtisraeliten im Dodekapropheton Genauso wie im Jonabuch wird Jhwh auch in Mal 1,11.14b und Zef 2,11von Nichtisraeliten verehrt.179 Beide Texte werden im Folgenden kurz analysiert, ohne dass ihr Kontext einbezogen werden kann. Ja, vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang ist mein Name groß unter den V×lkern,

176

Vgl. E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen, 424 im Anschluss an T. COLLINS, Wisdom,

170. 177 W. ZIMMERLI, BK XIII/1 , 33 f versteht Ez 3,4–9 als Teil eines von ihm rekonstruierten Berufungsberichts des Propheten. Dagegen weist K. F. POHLMANN, Hesekiel, 53 den Text einer nachtrÅglichen Einarbeitung zu, die es „darauf anlegt, die golaorientierte Konzeption aufzubrechen und zu ×ffnen.“ Vgl. K. F. POHLMANN, Ezechielstudien, 93. 178 Vgl. auch Jes 33,19. Dazu H. WILDBERGER, BK X/3, 1318 gegen W. ZIMMERLI, BK XIII/1, 80. Um welches Volk es sich handelt, lÅsst sich aus der stereotypen Beschreibung nicht ermitteln. 179 Aufgrund konzeptioneller Parallelen dieser Texte mit dem Jonabuch weist E. BOSSHARDNEPUSTIL, Rezeptionen, 420 das Jonabuch ohne den Psalm einer Bearbeitungsschicht des Zw×lfprophetenbuches zu. Neben dem Jonabuch zÅhlt E. Bosshard-Nepustil zu dieser Schicht Zef 2,11; 3,1–7 und Mal 1,2–5; *1,6–2,9; 3,6–12. In dieser Schicht fasst er alle Texte zusammen, die die V×lker in einem positiven Licht erscheinen lassen, ohne dass damit eine Beziehung zum Tempel verbunden wÅre. Diese Bearbeitung des Zw×lfprophetenbuches verbindet E. BOSSHARDNEPUSTIL, Rezeptionen, 426 mit der erfolgreichen Restauration unter Artaxerxes III. Ochos (359/8–338 v.Chr.), die das Perserreich noch einmal eint. Nach Sicht der Bearbeitung ist in der V×lkerwelt wieder Ruhe eingekehrt. Der Blick der Bearbeitung wendet sich im Gegensatz zu anderen Schichten von der Zukunft auf die Gegenwart. Wegen kultischer Frevel bleibt der Segen fÛr das Gottesvolk gegenwÅrtig noch aus, wÅhrend die V×lker schon Jhwh verehren.

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Hoffnung fÛr die V×lker – Das Jonabuch

und an jedem180 Ort wird Rauchopfer181 fortwÅhrend dargebracht182 meinem Namen und reines183 Opfer, denn groß ist mein Name unter den V×lkern, spricht Jhwh Zebaoth. (Mal 1,11) Denn ein großer K×nig184 bin ich, spricht Jhwh Zebaoth und mein Name wird gefÛrchtet unter den V×lkern. (Mal 1,14b)

Wie die Seeleute im Jonabuch auf dem Schiff Opfer darbringen, wird hier in der ganzen Welt, an jedem Ort Jhwh geopfert.185 Im Maleachibuch dient dies vor allem zum provokativen Kontrast fÛr das nach Ansicht des Verfassers unreine Jerusalemer Opfer.186 Mit der Vorstellung, dass alle LÅnder, die Jhwh als den Gott der Geschichte Israels nicht kennen und keinen Bezug zum Tempel im Jerusalem haben, gerade diesen Gott verehren, hat Mal 1,11 ff kein Problem. Der Hintergrund ist ein sch×pfungstheologisches VerstÅndnis. Die ganze Sch×pfung kennt und verehrt Jhwh als Sch×pfer. Der Name Jhwhs, der in Jona 1 den Seeleuten bekannt gemacht werden muss, ist schon bekannt. Mal 1,11.14b hat aber Ûber das Jonabuch hinaus eine eschatologische Perspektive. Es geht nicht um die konkrete Jhwh-Verehrung von Nichtisraeliten wie im Jonabuch, sondern um die K×nigsherrschaft Gottes Ûber seine ganze Sch×pfung. Die hat vielleicht schon begonnen, auf jeden Fall weist sie aber in die Zukunft.187

180 Mit der einleitenden Wendung von V. 11 wird die Ausbreitung der Verehrung der V×lker Ûber die ganze Welt unterstrichen. So macht es inhaltlich keinen Sinn, ¥wqm lkbw die vorausgesetzte TotatlitÅt einschrÅnkend mit „an allerlei Ort“ zu Ûbersetzen. Mit A. E. HILL, Malachi, 188; gegen W. RUDOLPH, KAT XIII/4, 259 und H. GRAF REVENTLOW, Haggai, 138. 181 Die Konstruktion mit zwei aufeinanderfolgenden Hophal Partizipien ist ungew×hnlich und hat Diskussionen Ûber den Text ausgel×st. Vgl. A. E. HILL, Malachi, 188. ruqm lÅsst sich im Anschluss an LXX substantivisch verstehen. 182 Das Partizip drÛckt m.E. den durativen Aspekt des Opfers aus und weist damit auch in die Zukunft. Hintergrund ist wahrscheinlich die Vorstellung, dass Jhwhs eschatologische Herrschaft Ûber die Welt schon bei den V×lkern angefangen hat. 183 hrwhu bezeichnet kultische Reinheit. Vgl. A. E. HILL, Malachi, 189. 184 Mit dem K×nigstitel wird Jhwh im Dodekapropheton außer an dieser Stelle nur in Zef 3,15 und Sach 14,16 genannt. „Malachi seems to use the royal appellative in much the same way as Second Zechariah, but implies that the eschatological dimension of Yahweh’s rule of the nations is already in the initial stage of implementation.“ A. E. HILL, Malachi, 195. 185 W. Groß stellt heraus, dass Mal 1,11 nicht von Diasporajuden oder Prosyleten redet, sondern von den V×lkern. Die These, dass die V×lker Jhwh verehren, indem sie ihren G×ttern opfern bleibt allerdings „in ihrer RadikalitÅt rÅtselhaft“. W. GROSS, Religionen, 37. 186 „Offenbar liegt der Ton auf der Ehrfurcht, die Jahwes Namen . . . von den V×lkern dargebracht wird . . . im Gegensatz zu den israelitischen Priestern, die ihn entweihen. . . . Die Aussage ist hyperbolisch gemeint: das Opfer der Heiden an verschiedenen Orten ist rein, wenn man es mit dem entweihten Opferdienst der israelitischen Priester vergleicht.“ H. GRAF REVENTLOW, Haggai, 142. 187 Die Alternative 1,11 entweder als positive Wertung der Fremdreligionen zu verstehen oder als eschatologische Weissagung, macht wegen des sch×pfungstheologischen Charakters der Aussage wenig Sinn. Vgl. zu alternativen Interpretationen A. E. HILL, Malachi, 219.

Hintergrund des Jonabuches

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Der theologische Ausgangspunkt, von dem die V×lkeraussagen in Mal 1,11.14b gemacht werden, ist dem der letzten beiden Jonakapitel vergleichbar. Sch×pfungstheologisch ist es fÛr beide Verfasser keine Frage, dass Nichtisraeliten Jhwh kennen, ihn verehren, bzw. ihn verehren werden. Allerdings spielt gerade die Verehrung des Jhwh-Namens in Jona 3 keine Rolle. Jona 1 ist lediglich in Bezug auf das Opfer parallel zu Mal 1,11.14b. Auch die Seeleute opfern auf dem Schiff ohne Bezug zum Jerusalemer Tempel. Weit stÅrker als im Jonabuch wird in Mal 1 wie in Ez 3 die implizite Kritik dieser Aussage deutlich: Israel hat diese unter allen V×lkern so selbstverstÅndliche Jhwh-Verehrung nicht praktiziert und praktiziert sie nach Meinung der Verfasser der Texte auch in der Gegenwart nicht. Furchtbar erweist188 sich Jhwh ihnen gegenÛber, denn er entmachtet189 alle G×tter der Erde, und ihn wird anbeten – jeder von seinem Ort – alle Inseln der V×lker. (Zef 2,11)

WÅhrend Zef 2,11b durchaus in Zusammenhang mit den in Mal 1,11.14b ausgedrÛckten Vorstellungen gebracht werden kann, ist der Versanfang im Kontext der analysierten Vorstellungen kaum zu verorten. In 2,11a findet sich aber gerade die vermeintliche Stichwortverbindung zu Mal 1,14b (arwn). Mit einer Sch×pfungstheologie und der damit verbundenen universalen Jhwh-Verehrung, lÅsst sich eine Entmachtung anderer G×tter nur schwer verbinden. In Zef 2,11 drÛcken sich eher Åltere Vorstellungen aus, die sich von der Jhwh-Verehrung in Mal 1,11.14b und Jona 3 unterscheiden. Jhwh erweist sich in der G×tterversammlung als „furchtbar“ und setzt nicht zum universalen Weltgericht an. Die darauf folgende Verehrung Jhwhs besteht nicht aus Opfern. Die Wurzel hwc kann zwar einen Teilgestus der Opferhandlung bezeichnen, stÅrker betont sie aber den Unterwerfungs- und Auslieferungsaspekt der Verehrung.190 Wo hwc in prophetischer Literatur die Huldigung der V×lker ausdrÛckt, ist zumeist dieser Unterwerfungsgestus gemeint.191 Die Parallele zu Mal 1,11.14b beschrÅnkt sich damit darauf, dass die Perspektive nicht auf den Jerusalemer Tempel gerichtet ist. Eher vergleichbar ist Zef 2,11 mit Jona 1. Hier lernt die Schiffsbesatzung auch erst in einem lÅngeren Prozess der ansteigenden Furcht Jhwh kennen und verehren. Šhnlich wie in Zef 2,11 finden sich auch hier Theophanieelemente.

LXX leitet wahrscheinlich von har statt von arj ab und Ûbersetzt e™pifanv´setai. W. RUDOLPH korrigiert hzr in hdr. Da diese Korrektur nicht aus sprachlichen, sondern aus theologischen GrÛnden erfolgt, ist BHS vorzuziehen. Schon LXX hat Åhnliche theologische Probleme und fÛgt zusÅtzlich zur Korrektur von hzr vor xrah noch tw˜n e™hnw˜n ein. 190 Vgl. H. D. PREUSS, hwc, 788 ff. 191 Vgl. z. B. Jes 45,14 und 49,7. 188 189

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4.4.4 Schlussfolgerung fÛr die Interpretation FÛr den Leser spielt Jer 36 als Horizont des Jonabuches eine Rolle. FÛr die Interpretation von Jona 3 sollte aber nicht nur ein Gegensatz gesucht werden, sondern auch positive AnknÛpfungsm×glichkeiten. Solches „Vorspuren“ der GedankengÅnge des Buches, bzw. Vorbilder fÛr seine Gestaltung finden sich in der Bußszene des Joelbuches, der theologischen Beurteilung des Kyros und vielleicht auch in der Berufung Ezechiels. Alle diese thematischen BezÛge zeigen, dass die positive Sicht, die das Jonabuch vom K×nig Ninives hat, ein herausragendes Charakteristikum des Buches und fÛr seine Aussage von Bedeutung ist: Auch ein heidnischer K×nig kann von Jhwh zur Buße und zu einer Neuorientierung gebracht werden. Das Jonabuch lÅsst sich von seinem theologischen Horizont am besten erklÅren, wenn man eine Kenntnis des Joelbuches voraussetzt, andererseits nimmt Joel 2,13b.14a ein StÛck aus Jona auf. Zwischen Mal 1,11.14b und Jona 3 zeigen sich thematisch konzeptionelle Parallelen. Eine Beziehung zu Zef 2,11 scheint dagegen unwahrscheinlicher, da hier Åltere Vorstellungen ausgedrÛckt sind. H×chstens lÅsst sich eine gedankliche NÅhe zu Jona 1 feststellen. Zwischen den Texten gibt es keinen literarischen Zusammenhang.

4.5 Die Entstehung des Jonabuches Die Frage der Entstehungsgeschichte des Jonabuches ist in der Forschung ausfÛhrlich diskutiert worden, ohne dass ein Konsens oder wenigstens eine Einigung Ûber die methodische Herangehensweise erzielt wurde. WÅhrend Åltere Arbeiten sogar eine an die Untersuchung des Pentateuchs angelehnte Quellenscheidung fÛr m×glich hielten,192 verÅnderte sich diese Interpretation. Das Buch wurde im Wesentlichen als Einheit verstanden und die Unklarheiten neben der sekundÅren EinfÛgung des Psalms durch kleinere Eingriffe und Umstellungen ohne einen eigenen theologischen Hintergrund erklÅrt.193 Diesen Weg setzt die neuere Forschung unter Einfluss von AnsÅtzen der Literaturwissenschaft mehrheitlich fort.194 Allerdings wurden nicht zuletzt wegen der Mehrschichtigkeit der Buchintention auch weiterhin literarkritische Herangehensweisen an das Buch gewÅhlt.195 192 W. BOEHME, Composition unterscheidet zwischen einer jahwistischen Quelle und einer elohistischen ErzÅhlung. Beide werden von einem Redaktor verbunden. In der weiteren Textgeschichte wird neben ErgÅnzungen vor allem der Psalm eingefÛgt. Vgl. dazu auch H. SCHMIDT, Jona und den methodisch Åhnlichen Versuch von L. SCHMIDT, Studien. 193 Vgl. z. B. O. EISSFELDT, Einleitung, 548. 194 Vgl. z. B. H. W. WOLFF, BK XIV/3; F. W. GOLKA, Jona und E. ZENGER, Einleitung, 403. 195 Vgl. L. SCHMIDT, Studien; P. WEIMAR, Kritik; P. WEIMAR, Jona und T. KRºGER, Wachstum.

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4.5.1 Forschungspositionen 4.5.1.1 Šlteres Material in Kap. 3 und 4 Eine literarkritische Analyse, die den neueren Modellen vorausgeht, hat E. G. Kraeling vorgelegt.196 Den Åltesten Teil des Buchs lokalisiert er im dritten und vierten Kapitel der ErzÅhlung. Hier finden sich keine Hinweise darauf, dass Jona vor seinem Auftrag floh. E. G. Kraeling spÛrt spÅtere Bearbeitungen auf, wie z. B. die Vergr×ßerung der Maße Ninives.197 Die Kap. 1 f sind von der letzten Redaktionsschicht vorangestellt worden und verbinden biblische Motive mit einer hellenistischen Schiffsbruchgeschichte.198 Den Sinn dieser Schicht sieht E. G. Kraeling vor allem in ihrem retardierenden Charakter. Aufgrund der skizzenhaften Analyse wurde E. G. Kraelings Position nicht weiter aufgenommen. Lediglich die Beobachtung, dass in Kap. 3 f Ålteres Material vorliegen k×nnte als in Kap. 1 f wird weiter diskutiert. 4.5.1.2 Wechsel des Gottesnamens und unterschiedliche Konzepte L. Schmidt geht vom Problem des wechselnden Gottesnamens aus und erlÅrt diesen Wechsel literarkritisch.199 Außerdem weist er auf konzeptionelle Unterschiede des ersten und des dritten Kapitels hin: WÅhrend der Unterschied zwischen Jhwh und den G×ttern fÛr das Anfangskapitel konstitutiv ist, findet sich keine Andeutung, dass die Niniviten einen anderen Gott verehren als Jona.200 In 3,4–10 ist Elohim den Niniviten bereits vor dem Auftreten Jonas bekannt. Deswegen nimmt L. Schmidt an, dass ein Teil der ErzÅhlung unabhÅngig von Kap. 1 f entstanden ist und tradiert wurde.201 Zu dieser literarischen Schicht kommen noch so genannte „Elohim-StÛcke“ aus Jona 4.202 Von der Einleitung dieser ersten ErzÅhlung ist lediglich 1,2 erhalten geblieben. Im quasi vorhistorischen Ninive gibt es keine Differenzierung zwischen einem Gott der Niniviten und einem Israels, keinen Unterschied zwischen Heiden und Jhwh-AnhÅngern.203 Dieses Denken ist weisheitlich und erst in nachexilischer Zeit vorstellbar.204 Nach L. Schmidt liegt 196 Šltere literarkritische AnsÅtze wie W. B°HME Composition und K. MARTI, Dodekapropheton haben fÛr die heutige Diskussion keine Bedeutung. 197 Vgl. E. G. KRAELING, Jonah, 308. 198 Vgl. E. G. KRAELING, Jonah, 315. 199 „So k×nnen die Versuche, den Wechsel der Gottesbezeichnungen Jahwe und Elohim in Jona damit zu erklÅren, dass in ihnen je verschiedene Aspekte zum Ausdruck gebracht werden, die Schwierigkeiten nicht l×sen.“ L. SCHMIDT, Studien, 22. Die Verwendung von Elohim in 3,10 lÅsst sich nicht damit vereinbaren, dass der ErzÅhler in Kap. 1 f zwischen den Gottesbezeichnungen Jhwh und Elohim sorgfÅltig differenziert. 200 L. SCHMIDT, Studien, 23. 201 Jona 3,3a*.b.4–10. 202 Jona 4,1*.5a.6aa*.6b–11*. 203 Vgl. L. SCHMIDT, Studien, 37 ff. 204 Vgl. L. SCHMIDT, Studien, 32. Konzeptionelle Parallelen dazu zeigt der Grundbestand von Hiob 1.

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damit eine LehrerzÅhlung vor, die sich ausgehend von der Umkehrtheologie in Jer 18 mit der Frage beschÅftigt, warum Gott ein angekÛndigtes Unheil zurÛck nimmt. „Im Hintergrund stehen dabei nicht konkrete Auseinandersetzungen, sondern das Nachdenken Ûber eine Ûberlieferte Aussage, wie Gott handelt, ein Nachdenken, das zwar diese Aussage nicht bestreitet, das aber nach ihrer BegrÛndung fragt.“205 Die Bearbeitungsschicht wiederum will jeden Zweifel tilgen, dass jemand anderes als Jhwh Macht Ûber die Sch×pfung haben k×nnte. In 1,1–2,1.11 geht es „ausschließlich um den Aufweis der Macht Jahwes“.206 Alles lÅuft auf das Bekenntnis Jonas zu. Da in 1,4 ff jede Spur einer BegrÛndung fÛr die Flucht Jonas fehlt, kann der Anlass fÛr die Flucht nur der in 1,2 berichtete Gottesbefehl sein. Deshalb „kann es sich bei diesem StÛck nicht um den Rest einer ursprÛnglich selbstÅndigen ErzÅhlung handeln. Bei der Schilderung der Flucht Jonas und des Seesturms handelt es sich somit um eine von dem Bearbeiter selbst geschaffene Erweiterung der JonaerzÅhlung.“207 In dieser Bearbeitungsschicht konstatiert L. Schmidt Fehler in der Folgerichtigkeit des erzÅhlerischen Ablaufs zwischen 1,5a und 1,5b sowie zwischen 1,14 und 1,16. L. Schmidt hÅlt es aber fÛr unwahrscheinlich, „dass der Zusammenhang spÅter durch einen Einschub, der nur Verwirrung schafft und in sich keineswegs klar ist, zerst×rt wurde.“208 Nach seiner Meinung ist der Anspruch der Folgerichtigkeit, der eigentlich fÛr erzÅhlende Texte eine Voraussetzung ist, in diesem Fall nicht sinnvoll. Der Bearbeiter verzichtet darauf, eine folgerichtige VerknÛpfung der Ereignisse herzustellen. Ein weiterer Grund fÛr die Spannungen in Jona 1,1.3–16 und 2,1.11 ist, dass der Bearbeiter Motive aus verschiedenen Geschichten aufnimmt und selbstÅndig miteinander kombiniert.209 Aus dem bearbeiteten Material lÅsst sich m×glicherweise schließen, dass der Bearbeiter nach der Zeit Alexander des Großen anzusetzen ist.210 Bei der Bearbeitung des zweiten Teiles des Jonabuches (4,2–4.5b.6ab) steht mit den Aussagen Ûber das gnÅdige Wesen Jhwhs wieder eine den Lesern gelÅufige Bekenntnisaussage im Mittelpunkt. „TatsÅchlich wird auch hier die Darstellung des Bearbeiters erst unter diesem Gesichtspunkt voll verstÅndlich.“211 Der Psalm geht auf eine zweite und letzte Bearbeitung des Buches zurÛck L. SCHMIDT, Studien, 47. L. SCHMIDT, Studien, 82. 207 L. SCHMIDT, Studien, 50. 208 L. SCHMIDT, Studien, 54. Lediglich zwei Stellen im ersten Kapitel sind auf eine spÅtere Hand zurÛckzufÛhren: 1,8ab unterbricht den Zusammenhang von 1,8aa und 1,8b und kann als ursprÛngliche Randglosse erklÅrt werden. 1, 10bb ist eine erlÅuternde Glosse. L. SCHMIDT, Studien, 61. 209 Vgl. L. SCHMIDT, Studien, 59. 210 L. Schmidt macht diese Datierung an Parallelen der Bearbeitung der Jonageschichte mit Motiven aus mehreren außerisraelitischen ErzÅhlungen fest. Vgl. L. SCHMIDT, Studien, 66. 211 L. SCHMIDT, Studien, 102. 205 206

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und gibt der Rettung Jonas eine neue Wendung: Jona ist gerettet worden, weil er zu Jhwh umgekehrt ist.212 Statt dem theologischen Sachproblem steht die Person Jonas im Vordergrund. Die ErzÅhlung wird jetzt als ProphetenerzÅhlung gelesen. In der GrunderzÅhlung und ihrer ersten Bearbeitung werden nach L. Schmidt zwei Str×mungen nachexilischer Weisheit greifbar. „In einer Gruppe, zu der der Grundbestand in Jon 3 f geh×rt, kennen alle Menschen den einen Gott Elohim.“213 In der Bearbeitung entspricht der UniversalitÅt der g×ttlichen Gnade keine allgemein verbreitete Gotteserkenntnis. Zwar lÅsst sich Jhwh an jedem Ort verehren, aber es besteht doch ein Unterschied zwischen HebrÅern, die Jhwh kennen und Heiden, denen dieses Wissen fehlt. Damit scheiden sich die beiden Schichten hinsichtlich der Frage der UniversalitÅt Jhwhs. Die Basis der literarkritischen Unterscheidung L. Schmidts, der Wechsel des Gottesnamens, ist grundsÅtzlich und besonders fÛr spÅte Texte problematisch.214 Ungeachtet dessen hat die Analyse L. Schmidts StÅrken. Sie erklÅrt, wie in Thema und Konzeption zu unterscheidende Teile zusammengewachsen sind. Dies ist ein Vorteil gegenÛber rein literarkritisch orientierten Modellen, die keine Einordnung der Schichten in den theologiegeschichtlichen Zusammenhang vornehmen. Allerdings wird L. Schmidt den strukturellen Entsprechungen des Buches nicht gerecht. Er berÛcksichtigt auch zu wenig, dass das Jonabuch eine ErzÅhlung ist. 4.5.1.3 Zweifache Bearbeitung einer untheologischen Grundschicht P. Weimar vertritt ein Wachstumsmodell, das mit zwei Bearbeitungen rechnet.215 Als Grundschicht rekonstruiert er einen „in sich geschlossenen ErzÅhlzusammenhang mit eigenem Beginn (Seesturm) und (wenigstens vorlÅufigem) Abschluss (Aufh×ren des Seesturms)“.216 Dabei geht P. Weimar von einem symmetrisch um ein Zentrum angeordnetem Gebilde aus. Unstimmigkeiten in dieser Struktur sind Indizien fÛr einen Wachstumsprozess. An die Arbeit an der Textstruktur schließt P. Weimar eine Analyse der Handlungsebenen und ErzÅhlfolgen sowie der Querverbindungen und 212 „Die AnklÅnge an Jonas Situation und die abschließende Aussage des Psalms veranlassten den Redaktor, das Ûberlieferte Danklied als Vertrauenslied zu benutzen und mit seiner Hilfe die Wende in Jonas Verhalten darzustellen, an der ihm offenbar viel lag.“ L. SCHMIDT, Studien, 57. 213 L. SCHMIDT, Studien, 126. 214 Vgl. zum Gottesnamen als Kriterium fÛr die Literarkritik auch E. BLUM, Komposition, 471 ff. 215 Vgl. P. WEIMAR, Kritik; P. WEIMAR, Jona und P. WEIMAR, Jonapsalm. 216 P. WEIMAR, Kritik, 229. Die Grundschicht umfaßt 1,1.2.3a*(ohne „um nach Tarschisch zu fliehen, weg von Jhwhs Angesicht“).3b*(ohne „weg von Jhwhs Angesicht“).4abb.5a*(ohne „und sie schrien, ein jeder zu seinem Gott“).7.11a.12(m×glicherweise mit Ausnahme von 12b).15a.; 2,1.11; 3,3a.4b.5.10b; 4,5a.6aa(ohne „Jhwh“).6b*(ohne „eine große Freude“).7.8*(ohne „da bestimmte Elohim einen sengenden Ostwind“).11a.11ba.

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Spannungen an. Auf die ErzÅhlung vom Seesturm folgt die Fischszene, die Predigt Jonas in Ninive, die Reaktion der Niniviten und Jhwhs Reue. Den Schluss dieses vordergrÛndig ganz untheologischen Grundbestandes217 bildet eine kurze Szene um den Rizinus auf die gleich der jetzige Schlussvers mit der Schilderung der Reue Gottes um die Menschen Ninives und das Vieh folgt.218 Eine redaktionelle Bearbeitung dieser Aussagereihe219 ist theologisch orientiert und fÛr die Struktur des Buches die eigentlich bestimmende literarische Schicht. Jhwh steht als „Bezugspunkt des ganzen Geschehens“220 im Vordergrund. Auf diese Schicht geht die EinfÛgung des Gebets in Jona 2 zurÛck. Erweiterungen der See-ErzÅhlung wie der Niniveszene221 und das zweite Gebet Jonas werden unter anderem ergÅnzt wie die JhwhRede am Schluss. Die zweite Erweiterung greift nur punktuell mit dem Interesse an theologischen Aussagen Ûber Jhwh in die ErzÅhlung ein.222 Besondere Probleme bringt die Bestimmung der zweiten Bearbeitung: P. Weimar postuliert sie, weil er innerhalb des aus der ErzÅhlung ausgeschiedenen Materials Querverbindungen feststellt.223 Der konzeptionelle Unterschied zwischen diesen Ebenen ist aber nicht eindeutig. Methodisch ist zu fragen, ob sich die Aufteilung von Halbversen und einzelnen Worten auf verschiedene Schichten halten lÅsst. Hier lÅge eine Vereinfachung nahe. V×llig unklar bleibt die Einordnung der Bearbeitungen in die alttestamentliche Literaturgeschichte sowie die Frage, wer an diesen Bearbeitungen Interesse gehabt haben k×nnte.224 Bevor man eine literarische Grundschicht der ErzÅhlung postuliert, die auf weniger als einem Drittel der heutigen Fassung aufbaut, muss auch diskutiert werden, wie und in welchem Rahmen diese Grundschicht tradiert worden sein k×nnte. 4.5.1.4 Das Jonabuch als Einheit Neuere Arbeiten,225 die fÛr das Jonabuch einen Verfasser annehmen, bzw. die Frage nach der Entstehung ganz beiseite lassen und „das Funktionieren

Vgl. P. WEIMAR, Kritik, 230. „Die JonaerzÅhlung in ihrer Åltesten Gestalt ist damit als dreiteilige, von zwei Jahwereden gerahmte Komposition zu verstehen. Die ErzÅhlung selbst ist einstrÅngig angelegt. Verschiebungen der Zeitstruktur sind nicht erkennbar.“ P. WEIMAR, Jona, 109. 219 Im ersten Kapitel umfasst die Bearbeitung 1,4aa.5a*.5b.6.8a.10.11b.13.14a.16. Auf der gleichen literarischen Ebene liegen auch die Ålteren Teile des Jonapsalms (drei FÛnfer) 2,3b.4a*(ohne hlwsm) und 7b wie eine ºberleitung von der Fischszene zum Psalm 2,2. Vgl. P. WEIMAR, Jonapsalm, 60 f. Dazu kommt ein entscheidender Teil der Niniveszene (3,1–2.3b-4.6–8.10a) und ErgÅnzungen zur Schlussszene (4,1–2a.3–4.5b.6ab.bb). 220 P. WEIMAR, Kritik, 230. 221 Weder der KapitÅn noch der K×nig geh×ren zum Personal der GrunderzÅhlung. 222 Jona 1,8b.9.14b.; 2,3ab.4b-7a.8–10; 3,9 und 4,2b.11ba*. 223 Jona 1,8b.9.14 setzen Aussagen der ersten Bearbeitung, 1,8a bzw. 1,14a, voraus. 224 P. Weimar macht auf dieses Defizit selber aufmerksam. Vgl. P. WEIMAR, Kritik, 68. 225 Vgl. z. B. den Kommentar von F. W. GOLKA, Jona und R. LUX, Jona. 217 218

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eines Textes in seiner Ganzheit“226 in den Mittelpunkt stellen, stÛtzen sich wesentlich auf die literaturwissenschaftliche Arbeit J. Magonets. Aufgrund einer Sprachanalyse sowie einer Untersuchung der Struktur und Thematik kommt J. Magonet zum Schluss, dass das Buch auf einen Autor zurÛckgeht. Den Wechsel der Gottesnamen erklÅrt er mit zwei verschiedenen der ErzÅhlung immanenten Systemen. Damit will J. Magonet das Hauptargument L. Schmidts aus dem Weg rÅumen.227 Auf das zweite oft zum Ausgangspunkt der Unterscheidung literarischer Schichten gemachte Problem der konkurrierenden Schattenspender geht J. Magonet nur in soweit ein, als dass er den Ort von 4,5 innerhalb der ErzÅhlung diskutiert und die Position ablehnt, 4,5 hinter 3,4 einzuordnen.228 Wegen stilistischer und thematischer Analogien ist fÛr J. Magonet auch nicht zu bestreiten, dass der Psalm den gleichen Autor hat, wie das Buch.229 Wegweisend scheint die Arbeit fÛr einige Exegeten vor allem darin geworden zu sein, dass die Frage der Entstehung des Buches nicht mehr thematisiert wird, sondern nur noch am Rande als Bestreitung der Literarkritik Beachtung findet.230 Auch wenn man fÛr das Jonabuch eine h×here inhaltliche Konsistenz nachweisen kann als fÛr andere BÛcher, heißt dies nicht, dass sich die Frage nach der Entstehung erÛbrigt. 4.5.1.5 Analyse der ErzÅhlstrÅnge T. KrÛger wÅhlt einen anderen Ausgangspunkt, um literarisches Wachstum im Jonabuch plausibel zu machen. Seiner Meinung nach lÅsst sich „die thematische KomplexitÅt und Mehrdeutigkeit des Textes“ nur damit erklÅren, dass die Lehre des Buches „sukzessive weiterentwickelt und neu akzentuiert wurde, in kritischer Diskussion mit anderen Texten und Konzeptionen des Alten Testaments“.231 ZunÅchst wendet sich T. KrÛger der narrative „Tiefenstruktur“232 des Textes zu und macht mit dem Spannungsbogen zwischen der Weigerung Jonas und der ErfÛllung seines Auftrags einen Hauptfaden der ErzÅhlung aus.233 Teile dieses ErzÅhlstranges sind der von Jhwh geschickte Sturm und die Rettung Jonas durch den Fisch. Eine Nebenlinie bildet die Rettung der Seeleute. Literarkritisch relevante Einzelbeobachtungen an der „OberflÅche“ des Textes234 deuten daraufhin, dass dieser Neben-

R. LUX, Jona, 41. Vgl. dazu J. MAGONET, Form, 33. 228 Vgl. J. MAGONET, Form, 58. 229 Vgl. dazu J. MAGONET, Form 39 ff. 230 Vgl. z. B. den Kommentar von F. W. GOLKA, Jona. 231 T. KRºGER, Wachstum, 44. 232 T. KRºGER, Wachstum, 44. 233 Dieser Hauptfaden wird von T. KrÛger als Grundschicht der JonaerzÅhlung angesehen und umfaßt 1,1–5a.7.15; 2,1.11; 3,1–3 sowie den Schluss der ErzÅhlung 4,5–8* und 4,10–11. 234 T. KRºGER, Wachstum, 44. 226 227

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faden erst nachtrÅglich mit dem Hauptfaden verbunden wurde.235 Bei dieser nachtrÅglichen Bearbeitung unterscheidet T. KrÛger zwei literarische Schichten. EigentÛmlichkeiten des ersten Einschubs (1,5b.6) wiederholen sich in 1,10–14. „Der Kontrast zwischen den eifrig um ihre Rettung bemÛhten Seeleuten und dem schlafenden Jona wiederholt sich in V. 11–13 in gesteigerter Form.“236 1,8 dient dazu das Bekenntnis Jonas nachtrÅglich in den Zusammenhang einzubinden. Dieselbe Funktion hat 1,10bb. Da dieses StÛck bereits an den ebenfalls sekundÅren V. 10ba anknÛpft, muss es sich um einen spÅteren Textzuwachs handeln. Dieser zweiten Schicht ordnet T. KrÛger hypothetisch auch V. 10aa und V. 16 zu.237 Spuren von zwei Bearbeitungen der ersten Fassung der ErzÅhlung finden sich auch in den weiteren Teilen. So ist das Gebet Jonas im zweiten Kapitel mehrschichtig.238 Im dritten Kapitel wird mit dem K×nig ein ReprÅsentant der Niniviten eingefÛgt, der dem KapitÅn in Kap. 1 vergleichbar ist. Hinzu kommt das zweite Gebet Jonas.239 Das Thema der Grundschicht ist das sich gegen Jona durchsetzende Jhwh-Wort240 und die sich daran anschließende Frage, wie sich dieses Wort gegen Ninive durchsetzt. Damit bearbeitet der ErzÅhler die Frage nach der besonderen QualitÅt des Prophetenwortes als Wort Jhwhs und stellt die Freiheit Jhwhs gegenÛber seinem Wort heraus. Dahinter sieht T. KrÛger eine weisheitliche Auseinandersetzung mit „der ‚deuteronomistischen‘ Konzeption eines wirksamen Jahwe-Wortes“.241 Die erste Bearbeitung242 stellt heraus, dass Jhwh sein Wort aufgrund der Umkehr Ninives zurÛckgenommen hat. Im Hintergrund steht eine positive Aufnahme der Umkehrtheologie des Jeremiabuches. Sie wird allerdings an die in der Grundschicht vorherrschende Konzeption des MitgefÛhls Jhwhs mit der Sch×pfung angepasst. Wie in Ez 18 ist der Ordnungswille Jhwhs der Lebenserhaltung untergeordnet.243 Insbesondere wird der Lebenswille der Seeleute, der Niniviten und auch der Jonas betont. „WÅhrend die Grund235 Vgl. T. KRºGER, Wachstum, 45. Als EinschÛbe charakterisiert T. KrÛger 1,5b-6; 1,8–9 und 1,10–14. 236 T. KRºGER, Wachstum, 46. 237 Vgl. T. KRºGER, Wachstum, 46 f. 238 So wird die Schilderung des Ertrinkens in V. 4 und V. 6 von V. 5 unterbrochen, der wiederum auf der gleichen literarischen Ebene wie V. 8–10 anzusiedeln ist. Vgl. T. KRºGER, Wachstum, 47 f. 239 4,5 wÛrde bruchlos an 3,6 anschließen. Das Verhalten Jonas (Niederlassen vor den Toren Ninives) wÅre nach 3,10 nicht logisch. T. KRºGER, Wachstum, 49. Im Kontext dieser Neuinterpretation steht auch 4,6ab.8b–9. Die Doppelung des sich Niederlassens Jonas deutet auch im vierten Kapitel auf eine zweite Bearbeitung hin, der T. KrÛger V. 5ba sowie 4,2aa2-3aa zurechnet. 240 Jona 1,1–5a.7.15; 2,1.11; 3,1–5 und 4,5–8*.10–11. 241 T. KRºGER, Wachstum, 55 f. 242 Jona 1,5b-6.10*-14; 2,2–4.6–7; 3,6–10 und 4,1–4*.6ab.8b–9. 243 Vgl. T. KRºGER, Wachstum, 57 f.

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schicht des Jona-Buchs eine ‚weisheitliche‘ Auseinandersetzung mit der ‚deuteronomistischen‘ ‚Wort-Gottes-Theologie‘ in den K×nigs-BÛchern fÛhrt, zeigt seine erste Bearbeitungsschicht eine ‚weisheitliche‘ Rezeption der ebenfalls ‚deuteronomistischen‘ ‚Umkehrtheologie‘ im Jeremiabuch.“244 Die zweite Bearbeitung bindet die Lehren des Buches an grundlegende Bekenntnisaussagen Israels. An Jona wird aber demonstriert, dass Orthodoxie nicht automatisch auch zum richtigen Handeln fÛhrt. Diese literarische Ebene stellt Jona als HebrÅer den Heiden gegenÛber. In der Grundschicht waren die Heiden in erster Linie in ihrer Beziehung zu Jhwh im Blick. Diese Bearbeitung enthÅlt auch „einige polemische Seitenhiebe gegen eine exklusivistische ‚Kult‘-Religion“.245 Der Ansatzpunkt T. KrÛgers bei Linien und FÅden der ErzÅhlung ist fÛr die Frage nach der Entstehung des Jonabuches weiterfÛhrend. Gerade die thematische Vielfalt legt nahe, dass sich im Jonabuch verschiedene Diskurse spiegeln. 4.5.1.6 Autorenliteratur als Zusammenstellung verschiedener Ålterer Stoffe Der Ausgangspunkt H. J. Opgen-Rheins Studie ist die Analyse der Buchstruktur: Das 2. Kapitel und damit auch der Psalm sind keineswegs nebensÅchlich fÛr die Komposition des Buches, sie bilden vielmehr ihr Zentrum.246 Beim Psalm handelt es sich allerdings um Traditionen, die der Verfasser des Buches aufgenommen hat, wie auch 4,2b ein formelhafter Bekenntnissatz ist.247 Diese Beobachtungen rechtfertigen die Frage, ob noch weitere Texte verarbeitet werden. Die Unstimmigkeiten in der Rizinus-Episode lassen sich durch die Annahme erklÅren, dass der Verfasser von einer Vorlage abhÅngig war, wahrscheinlich einer frÛheren JonaerzÅhlung.248 „Es spricht also einiges fÛr die Hypothese, dass in der heutigen Form des Jonabuches eine Åltere ErzÅhlung verarbeitet ist, zu der Jona 1,1; 3,2–10 und Jona 4 in seiner ursprÛnglichen Fassung geh×rt haben. Neben der RizinusEpisode ist innerhalb von Kapitel 4 auch V. 2 (ohne die Redeeinleitung), die Klammer zwischen den Stoffen der beiden ErzÅhlhÅlften, als redaktionell

244

T. KRºGER, Wachstum, 59. T. KRºGER, Wachstum, 61. 246 „Jonas Rettung aus dem Fischbauch und der Psalm, mit dem er diese Rettung vorwegnehmend besingt, stehen vielmehr im Aussagezentrum der ErzÅhlung. Sie bilden den H×hepunkt des ersten Hauptteils und dienen der vorbereitenden HinfÛhrung zum zweiten Teil.“ H. J. OPGEN-RHEIN, Sprachgestalt, 105. 247 H. J. OPGEN-RHEIN, Sprachgestalt unterscheidet aufgrund der Metrik und des Inhalts V. 3–5 und V. 6–10 und nimmt an, „dass der Verfasser des Jonabuches ein Ålteres, ihm vor allem wegen des anschaulich gestalteten Bildes von der Hadesfahrt geeignet erscheinendes Lied hergenommen und durch V. 3–5 ergÅnzt hat.“ H. J. OPGEN-RHEIN, Sprachgestalt, 132. 248 Auch hier lÅsst sich eine strenge Systematik erkennen. Neben dem Gebrauch von ¥jhla in Kap. 4 ist auch das Nebeneinander von Rizinus und LaubhÛtte auffÅllig. 245

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zu qualifizieren.“249 Diese Åltere ErzÅhlung ist ein didaktischer Text, der „das wirkmÅchtige, Geschichte lenkende Wort Gottes im Munde seines Propheten“ thematisiert.250 Es ist aber m×glich wie das Beispiel Ninive zeigt, Jhwh zur ZurÛcknahme seines Wortes zu bewegen. Dies fÛhrt allerdings das prophetische SelbstverstÅndnis in eine Krise. Diese ursprÛngliche Fassung stellt zwei sich widersprechende deuteronomistische Konzepte nebeneinander: Die HochschÅtzung des prophetischen Wortes und den Umkehrgedanken. Wegen der Aufnahme des Prophetennamens aus II K×n 14 bestimmt H. J. Opgen-Rhein diese Form der JonaerzÅhlung als Midrasch zu II K×n 14,25–27, der im dritten Viertel des 6. Jh. entstanden sein k×nnte und die in Jer 18,7–10 formulierte universalistische Umkehrtheologie bearbeitet.251 Den Jonapsalm datiert er auf Grund einer traditionsgeschichtlichen Analyse ins 3. Jh. Der zeitliche Abstand zur Buchredaktion ist seiner Meinung nach nicht sehr groß.252 Die aufgenommenen Motive sowie die literarische Form der Satire zeigen, dass der Verfasser Anteil an der hellenistischen Kultur hat. Die JonaerzÅhlung spiegelt starkes jÛdisches Selbstbewusstsein und ein optimistisches Vertrauen in die hellenistische Zivilisation. „Beides passt in die vormakkabÅische Diaspora und in die Metropole Alexandria.“253 H. J. Opgen-Rhein verÅndert die Fragestellung methodisch weiterfÛhrend. Es ist nicht nur zwischen Quellen und ErgÅnzungsschichten zu unterscheiden. Das Jonabuch lÅsst sich vielmehr als Werk eines Autors verstehen, der sich verschiedener Traditionen und ErzÅhlungen bedient, die verschiedenen Charakter haben und in unterschiedlichen Milieus entstanden sein k×nnen. Genauso wie der Verfasser vor allem in Jona 2 und 4 verschiedene Stoffe und Materialien miteinander verknÛpft, k×nnte auch dem ersten Kapitel eine Tradition zu Grunde lieben. 4.5.2 Schlussfolgerung: die Einheit des Jonabuches Die strukturellen Entsprechungen der Kapitel untereinander, der Gebrauch von keywords und die Buchstruktur im Ganzen zeigen, dass das Jonabuch auf einen fÛr diese Strukturen verantwortlichen Verfasser zurÛckzufÛhren ist. Im Gegensatz zu den bisher behandelten ProphetenbÛchern weisen keine Texte auf ErgÅnzungen wie Fortschreibungen, ZusÅtze oder Glossen hin. Das Jonabuch ist deswegen als Einheit zu verstehen. Damit ist eine Interpretation berechtigt und sinnvoll, die „das Funktionieren eines Textes in

249 250 251 252 253

H. J. OPGEN-RHEIN, Sprachgestalt, 136. H. J. OPGEN-RHEIN, Sprachgestalt, 138. Vgl. H. J. OPGEN-RHEIN, Sprachgestalt, 139 ff. Vgl. H. J. OPGEN-RHEIN, Sprachgestalt, 228. H. J. OPGEN-RHEIN, Sprachgestalt, 153 f.

Die Entstehung des Jonabuches

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seiner Ganzheit“ als Maßstab anlegt.254 Auch der Psalm in Jona 2 hat eine Funktion im Buch.255 Dies spricht gegen die Vermutung J. D. Nogalskis, dass der Psalm einer literarischen Schicht zuzuordnen ist, die fÛr die EinfÛgung des Jonabuches ins Dodekapropheton verantwortlich ist.256 Trotz dieser Einheit des Buches k×nnen RÛckfragen nach seiner Entstehungsgeschichte dazu beitragen, das VerstÅndnis des konzeptionellen Profils des Verfassers zu schÅrfen und fÛr religions- und theologiegeschichtliche Untersuchungen ertragreich sein. Eine solche Frage drÅngt sich zudem auf, weil auch ohne eine literarkritische Analyse des Textes deutlich wird, dass vorgegebene Traditionen verarbeitet sind wie z. B. die in 3,9 und 4,2b zitierte so genannte Gnadenformel.257 Daneben geht Jona 1,9 genauso auf traditionelle Sprache zurÛck wie das Gebet Jonas (2,3–10). Neben diesem traditionellen Formelmaterial sind im Jonabuch wahrscheinlich auch StÛcke Ålterer ErzÅhlungen verarbeitet worden. Deswegen ist m.E. die RÛckfrage nach weiteren literarisch abgrenzbaren Texten, die dem Verfasser vorlagen, eine sinnvolle Vorgehensweise. Im ersten Kapitel ist vor allem die Isoliertheit des Stoffes zu berÛcksichtigen wie terminologische und grammatikalische Unstimmigkeiten: Das GegenÛber zwischen V. 7 und V. 8 f und die inhaltliche Vorwegnahme in V. 14 gegenÛber V. 16. Dazu kommt der Einschub in die Handlung in V.5b.6.258 Von diesem Blickpunkt verdient auch die Hypothese Zustimmung, dass hinter Kap. 3 f durchaus Ålteres Material angenommen werden kann, das nicht im gleichen Zug wie der Stoff von Kap. 1 entstanden sein muss. Auch in Kap. 4 sind dem Verfasser vorgegebene ErzÅhlstÛcke anzunehmen. 4.5.3 Skizze der Entstehung des Jonabuches Das Jonabuch ist das Ergebnis einer durchdachten Komposition, die einem Verfasser zugeschrieben werden kann. Deswegen ist das Buch als Einheit zu interpretieren. Dies heißt aber gerade nicht, dass die Frage nach der Entstehung des Buches nicht gestellt werden darf. In der Interpretation ist deutlich geworden, dass der Verfasser des Buches Stoffe und Traditionen unterschiedlicher Herkunft verarbeitet, die trotz der Aufnahme in das Buch und der Verbindung mit seinem Stoff jeweils einen Teil ihrer eigene theologischen Konzeption bewahrt haben. Denkbar ist, dass diese Ålteren Traditionen und Motive in einer frÛheren ErzÅhlung Ûberliefert wurden. M×glicher-

R. LUX, Jona, 41. Auch I. WILLI-PLEIN, Jona, 228 weist daraufhin, dass der Psalm „unverzichtbarer Bestandteil der ErzÅhlung ist“. 256 Vgl. J. D. NOGALSKI, Processes, 265 ff. 257 Vgl. H. SPIECKERMANN, Barmherzig, 3. 258 V. 5b bezeichnet das Schiff zudem mit hnjpoh statt mit hjna. 254 255

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weise bildete diese ErzÅhlung einen Midrasch zu II K×n 14,25–27.259 Der Stoff k×nnte aber auch anonym und noch nicht mit der Jonafigur verbunden Ûberliefert worden sein, wie z. B. der Grundbestand des Nahumbuchs an das Michabuch angehÅngt gewesen sein k×nnte.260 Der Umfang und Charakter dieser Ålteren ErzÅhlung lÅsst sich nicht genau rekonstruieren, da das Jonabuch nicht das Ergebnis einer ErgÅnzung des Ålteren Materials ist, sondern die Komposition eines Verfassers. Aufgrund konzeptioneller und literarischer Unterschiede lÅsst sich lediglich eine Hypothese aufstellen, welche Stoffe zu den Ålteren Traditionen geh×rt haben.261 Außerdem lassen sich begrÛndete Vermutungen Ûber die Herkunft und das vermutliche Entstehungsmilieu der Stoffe Åußern. Wenn man die Beobachtungen von T. KrÛger und H. J. Opgen-Rhein262 sowie die Ergebnisse dieser Studie zusammennimmt, ist wahrscheinlich, dass die ErzÅhlung von der Umkehr Ninives zu den Åltesten Stoffen des Buches geh×rt. M×glicherweise ist sie neben der Rizinus-Episode der Kern, um den das Jonabuch entstanden ist. Mit diesen in einer Ålteren ErzÅhlung oder Sammlung enthaltenen Stoffen verbindet der Autor des Buches eine See-ErzÅhlung und Ûberarbeitet auch das Åltere Material. Auf den Verfasser des Buches geht vermutlich die Parallelisierung des ninivitischen K×nigs und des SchiffskapitÅns zurÛck. Mit der Rizinus-Episode laufen die beiden ErzÅhlstrÅnge auf die theologische Spitzenaussage in Jona 4,10 zu. Damit wird die Gerichtsprophetie relativiert, mit der sich das Buch auf der Sprachebene schon auseinandersetzte. Der Psalm (Jona 2,3–10) ist wie neuere Arbeiten gezeigt haben aus der Fisch-Episode nicht zu eliminieren,263 allerdings ist zu vermuten, dass der Verfasser auch hier Traditionen aufnimmt und verarbeitet. Im Vergleich zu den anderen beiden in dieser Arbeit untersuchten Psalmtexten hat Jona 2,3–10 eine andere Funktion. Es liegt kein hermeneutischer SchlÛssel vor wie in Mi 7 und keine theologische Zusammenfassung wie in Nah 1, sondern eine Deutung der Jonafigur. Diese war Mit H. J. OPGEN-RHEIN, Sprachgestalt, 141. Vgl. dazu 6.7.3. 261 H. J. OPGEN-RHEIN, Sprachgestalt, 136 versucht dagegen eine Åltere JonaerzÅhlung nicht nur hinsichtlich des literarischen Charakters zu bestimmen, sondern auch ihren Textbestand zu rekonstruieren. „Es spricht also einiges fÛr die Hypothese, dass in der heutigen Form des Jonabuches eine Åltere ErzÅhlung verarbeitet ist, zu der Jona 1,1; 3,2–10 und Jona 4 in seiner ursprÛnglichen Fassung geh×rt haben. Neben der Rizinus-Episode ist innerhalb von Kapitel 4 auch V. 2 (ohne die Redeeinleitung), die Klammer zwischen den Stoffen der beiden ErzÅhlhÅlften als redaktionell zu qualifizieren.“ 262 Trotz unterschiedlicher Herangehensweise an die redaktionsgeschichtliche Untersuchung lÅsst sich mit der Arbeit H. J. Opgen-Rheins der Ansatz von T. KrÛger durchaus vergleichen. Auch bei T. KrÛger setzt sich die Grundschicht mit der deuteronomistischen „Konzeption eines wirksamen Jhwh-Wortes in den K×nigsbÛchern“ auseinander. Vgl. T. KRºGER, Wachstum, 55 f. 263 Vgl. z. B. F. W. GOLKA, Jona, 65 ff und H. J. OPGEN-RHEIN, Sprachgestalt, 132. 259 260

Jona als Beitrag zur V×lkerthematik

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wahrscheinlich die spÅte Eintrittskarte des Buches in das Dodekapropheton. Denn insbesondere der Psalm weist Jona als rechtglÅubigen Jhwh-Verehrer aus und gleicht das Buch auch an andere ProphetenbÛcher an, die wie Micha, Nahum und Habakuk einen Psalmtext aufweisen. Zum prophetischen, bzw. psalmistischen Kernbestand der spÅten nachexilischen Theologie geh×rt die G×tzenpolemik des Psalms (Jona 2,9). WÅhrend in der ersten Phase nachexilischer Literaturentstehung die Fremdg×tterpolemik keine große Rolle spielt, wird diese im 3. Jh. v.Chr. wieder zu einem aktuellen Thema.264 Auch diese G×tzenpolemik k×nnte dazu beigetragen haben, dass das eigentlich dem Dodekapropheton thematisch fremde Jonabuch Aufnahme in diesen Prophetenkorpus fand. Die hier angestellten ºberlegungen sollen nicht ein eigenes Modell der Entstehungsgeschichte des Buches entwerfen, sondern stellen lediglich eine hypothetische Skizze dar, die auf eigene Textbeobachtungen sowie auf die Forschungsdiskussion aufbaut. Zur Vorsicht mahnt dabei, dass der Ausgangspunkt bei der Einheit des Jonabuches von vornherein literarkritische Modelle unm×glich macht.

4.6 Jona als Beitrag zur V×lkerthematik des Dodekaprophetons 4.6.1 Das Entstehungsmilieu des Jonabuches Das Jonabuch gibt keine direkten Informationen, die eine Datierung erm×glichen. Eine Zuordnung einer Entstehungszeit lÅsst sich aufgrund des literarischen Horizontes vornehmen.265 Hinzu kommt die Untersuchung der Herkunft der im Jonabuch verarbeiteten Traditionen und die ºberlegung, vor welchem Zeithorizont Aussagen des Jonabuches am besten erklÅrbar sind. ºblicherweise wird als Spielraum fÛr die Entstehung die Zeit zwischen dem 6. Jh. und dem 3. Jh. v.Chr. angegeben.266 Wie die Arbeit gezeigt hat, setzt das Jonabuch zumindest eine Grundfassung des Joelbuches voraus: Die Ausgestaltung von Jona 3 zu einer exemplarischen Bußszene geht unter anderem aus der Auseinandersetzung mit Joel 2 hervor. Die Anspielungen des Jonabuches auf die eschatologische Gerichtsprophetie lassen sich am einfachsten mit einer Kenntnis von Teilen von Joel 4 erklÅren.267 264

Vgl. dazu H. D. PREUSS, Verspottung, 247 f. Vgl. die ErwÅgungen zur Methodik der Frage nach dem Entstehungsmilieu in 3.6.1. 266 Vgl. W. RUDOLPH, KAT XIII/2, 330 und F. W. GOLKA, Jona, 44. Vor dem Beginn der achÅmenidischen Herrschaft Ûber Juda lÅsst sich eine Entstehung des Jonabuches nicht erklÅren. Nach den Auseinandersetzungen um die Religionspolitik Antiochus IV. ist ein Konzept wie das des Verfassers auch nicht mehr denkbar. 267 M×glicherweise kennt der Verfasser des Jonabuches eine Joelversion vor der EinfÛgung von Kap. 3 und der ErgÅnzung um 4,4–8 und 4,18–21. 265

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Hoffnung fÛr die V×lker – Das Jonabuch

Mit der EinfÛgung des Jonabuches ins Dodekapropheton hÅngen wahrscheinlich Joel 2,13b.14a und Mi 7,19b zusammen. Das Jonabuch hat außerdem eine gute Kenntnis anderer prophetischer Texte. Diese umfasst Jer 36; Ez 3; Jes 45 und wahrscheinlich auch Mal 1,11.14b. Damit erweist sich der Verfasser des Jonabuches als guter Kenner der Schriftprophetie. Die Entstehung des Buches lÅsst sich nur in einer Zeit oder in einer Umgebung denken, die Abstand zu einer Situation hat, in der Konzepte wie das in Joel 4 beschriebene allgemeine V×lkergericht entstanden sind. H. J. Opgen-Rhein kommt auf Grund einer Analyse der Motive und der literarischen Gattung des Buches zum Schluss, dass Jonas Geschick mit Farben gezeichnet wird, „die dem hellenistischen Kulturkreis entnommen sind. Es ist kein typisches Prophetengeschick. Was von Jona erzÅhlt wird, k×nnte auch von einem Nicht-Juden erzÅhlt werden und ist – in Fragmenten – tatsÅchlich von heidnischen Heroen erzÅhlt worden.“268 Der Verfasser hat Anteil an der hellenistischen Mischkultur des 3. Jh.269 Eine Entstehung des Jonabuches in spÅtpersischer Zeit ist deswegen unwahrscheinlich.270 Diese zeitliche Einordnung entspricht auch dem in dieser Studie herausgearbeiteten literarischen Horizont des Buches. Aus Hinweisen darauf, dass das verarbeitete Material m×glicherweise aus Alexandria stammt, muss man allerdings nicht ableiten, dass das Buch dort auch entstanden ist.271 Die Kenntnisse der anderen Prophetenschriften sowie der verarbeiteten Psalmfragmente und die EinfÛgung des Buches ins Dodekapropheton, lassen sich eher erklÅren, wenn man seine Entstehung in Jerusalem annimmt. Im Jonabuch k×nnte sich aber durchaus die Theologie eines Vertreters des Diasporajudentums niedergeschlagen haben, der sich in Jerusalem kritisch mit den dortigen prophetischen Traditionen auseinandersetzte.272 Der Verfasser des Jonabuches orientierte sich an weisheitlichen Konzepten. Obwohl er nicht in Opposition zum Tempel steht, ist er doch von einer priesterlichen Theologie weit entfernt, die davon ausgeht, dass die Ordnung der Welt nur vom Lebensraum Israels und seinen Traditionen aus erkannt werden kann.273 FÛr die Datierung ist ferner der Versuch des Verfassers zu beachten, einen fremden K×nig in positives Licht zu rÛcken. Wie H. J. Opgen-Rhein vermutet, k×nnte dies zur AtmosphÅre der Regierungszeit von Ptolemaios II. passen, wÅre aber auch in den fÛr Jerusalem positiven Jahren der HerrschaftsÛbernahme Antiochus III. denkbar. In dieser Zeit wird das Ringen um die Deutung der Fremdherrschaft sich genauso stark im theologischen

268 269 270 271 272 273

H. J. OPGEN-RHEIN, Sprachgestalt, 211. Vgl. dazu auch H. W. WOLFF, Jonabuch, 72 ff. Gegen F. W. GOLKA, Jona, 44 und E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen, 426 ff. Gegen H. J. OPGEN-RHEIN, Sprachgestalt, 228. Vgl. zur Rolle des Diasporajudentums in der Religions- und Theologiegeschichte 2.4.2. Vgl. dazu auch F. STOLZ, Monotheismus, 190.

Jona als Beitrag zur V×lkerthematik

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Diskurs niedergeschlagen haben, wie in der Regierungszeit Ptolemaios II. UnabhÅngig davon ist der Hintergrund des Jonabuches der einer friedlichen Auseinandersetzung mit der hellenistischen Welt.274 4.6.2 Die V×lkerthematik in den vom Verfasser aufgenommenen Traditionen Die Åltesten im Jonabuch verarbeiteten Stoffe, die einmal eine GrunderzÅhlung gebildet haben k×nnten, waren stÅrker an der deuteronomistischen Umkehrtheologie oder an der ebenfalls deuteronomistischen Konzeption eines wirksamen Jhwh-Wortes interessiert als an der V×lkerthematik. WÅhrend die ErzÅhlung von der Buße Ninives und die Rizinus-Episode zeitlich und auch theologisch in einigem Abstand von der Abfassung des Jonabuches entstanden sind, liegen die Traditionen und Stoffe, die die Grundlage der ersten beiden Kapitel bilden, nÅher am theologischen Milieu des Verfassers. Das erste Kapitel rÛckt die V×lkerthematik in den Vordergrund. Hier werden Heiden zu Jhwh bekehrt. Ihre Gottesfurcht richtet sich auf ihn und nicht an einen allgemeinen Sch×pfergott wie im dritten Kapitel. FÛr die Traditionen von Jona 1 sind offenbar auch kultische VollzÛge wichtig. Dabei spielt es keine Rolle, wo Jhwh geopfert wird. Trotz der Verpflichtung dem Jhwh-Namen gegenÛber, wird seine Verehrung nicht auf Jerusalem bezogen. Diese Konzeption der V×lkerthematik, die sich in der im ersten Kapitel aufgenommenen Tradition des Jonabuches niederschlÅgt, hat auch eine Folge fÛr die Rolle Israels, bzw. des Jhwh-glÅubigen Israeliten gegenÛber den V×lkern. Er hat eine Mittler-Funktion und macht Jhwh bei den V×lkern bekannt. Im ebenfalls aufgenommenen Psalm spielen die V×lker keine Rolle. Beachtung verdient lediglich die G×tzenpolemik in Jona 2,9. Es k×nnte sich um einen Seitenhieb gegen die AffinitÅt bestimmter Kreise zur hellenistischen Religionspraxis handeln. Es lassen sich aber auch andere Deutungen denken. Auf jeden Fall zeigt der Psalm eine andere Perspektive der JhwhVerehrung als Jona 1: Der Tempel steht fÛr den Israeliten im Mittelpunkt seines Glaubens.

274 „Der Verfasser der JonaerzÅhlung hat zu jenen anderen Gemeindemitgliedern geh×rt, die in direktem und offenbar unkompliziertem Zusammenleben mit den Heiden neue Erfahrungen machten. Sie setzten sich der Faszination aus, die von der griechischen Lebensweise ausging, und lernten die hellenistische Paideia und das ethisch – nicht mehr ethnisch – fundierte Ideal des Hellenentums kennen und schÅtzen.“ H. J. OPGEN-RHEIN, Sprachgestalt, 226.

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Hoffnung fÛr die V×lker – Das Jonabuch

4.6.3 Die V×lker in der Konzeption des Verfassers des Jonabuches Die ºberlegungen zur Entstehung des Jonabuches berechtigen zur Annahme, dass sich vor allem in Kap. 4 aber auch wahrscheinlich in der ErzÅhlung von der Umkehr Ninives die Stellung des Verfassers zur V×lkerthematik niederschlÅgt. Die V×lkerfrage behandelt der Verfasser ausgehend von der so genannten Gnadenformel. Wahrscheinlich verknÛpft er Ex 34,6 und 32,14 zu Jona 4,2b. Der Gnadenformel entspricht im Jonabuch eine Sch×pfungstheologie, die eine Verpflichtung Jhwhs gegenÛber allen Gesch×pfen sieht (4,10). Dabei spielt es keine Rolle, ob diese seinen Namen kennen oder nicht. Entscheidend sind vielmehr ethische Forderungen. Israel, bzw. der Jhwh-glÅubige Israelit bekommt innerhalb dieser Bestimmung der Rolle Israels in seiner Umwelt die Funktion, die V×lker auf die ethischen Forderungen Jhwhs aufmerksam zu machen. Der Verfasser des Jonabuches „fasst Israels Existenz unter den V×lkern als prophetische Existenz auf, deren Wirksamkeit sich am ehesten als mystagogisch beschreiben lÅsst. Als Verehrer des Sch×pfers und Weltenlenkers kann sich der HebrÅer auf die in vielem unÛbersichtlichen, zweideutigen VerhÅltnisse der modernen Zeit des Altertums einlassen. Er wird dort Spuren des ihm wohlbekannten g×ttlichen Erbarmens entdecken und wird diese Spuren aus seiner religi×sen ºberlieferung heraus schÅtzen und zu verstehen lehren.“275 Von dieser theologischen Konzeption ist der Verfasser des spÅter als das Jonabuch in der alexandrinischen Diaspora entstandenen Aristeasbriefes nicht weit entfernt. Auch hier zeigt sich ein Stand hellenistischer AufgeklÅrtheit. Statt um einzelne Gebote der Tora geht es allgemein um ethisch-religi×se LebensfÛhrung. FÛr eine Verurteilung der moralischen und religi×sen Verwerflichkeit des Heidentums fehlen beim Verfasser des Aristeasbriefes genauso Anzeichen wie im Jonabuch. Das propagandistische Ziel des Briefes ist nicht die hemmungslose Assimilation, sondern die °ffnung der hellenistischen Kultur fÛr Juden und Judentum.276 Unter dem Dach einer Sch×pfungstheologie bringt der Verfasser zwei Modelle der Verehrung Jhwhs durch die Heiden zusammen. Jona 1 zeigt den Weg auf, wie Nichtisraeliten zu einer sprachlichen Vorstellung von Jhwh kommen. Jona 3 stellt in den Mittelpunkt, dass die antike Großstadt, die oft als Sinnbild der Bosheit verstanden wird, zur Umkehr in der Lage ist. Ihre ethische Neuorientierung schließt eine Gottesbeziehung ein, die allerdings nicht auf der Verehrung des Namens Jhwhs basiert. Neben diese beiden M×glichkeiten der Verehrung Jhwhs durch Menschen aus verschiedenen V×lkern stellt das Jonabuch den typischen Israeliten, der am Jerusalemer Tempel seinen Gott verehrt und sich gegen G×tzen wendet. Die heid275 276

H. J. OPGEN-RHEIN, Sprachgestalt, 227. Vgl. dazu K. H. MºLLER, Aristeasbrief und N. MEISNER, Aristeasbrief.

Jona als Beitrag zur V×lkerthematik

171

nische Welt mag also wie in Mal 1,11.14b fÛr sich an ihrem Ort Jhwh verehren, fÛr den israelitischen Beter steht aber der Jerusalemer Tempel weiter im Mittelpunkt (Jona 2). Die Hoffnung, dass auch die V×lker Jhwh verehren, verbindet Jona mit anderen Teilen des Dodekaprophetons. Im Gegensatz zu Mi 4,1–3 oder Mi 7,12 steht dabei nicht mehr Jerusalem oder der Zion im Mittelpunkt. Das Jonabuch stellt eine Integrationsleistung dar, indem es verschiedene Konzeptionen miteinander verbindet. Es weist aber auch deutlich die Konzeption der eschatologischen V×lkervernichtung (Joel 4) oder die Vorstellung einer Erniedrigung und Unterwerfung der V×lker (Mi 7) ab. Jhwh orientiert sich auch nicht am Talionsprinzip wie z. B. in Joel 4,4–8. Vielmehr wird die Vorstellung vom Gericht der von der Barmherzigkeit Jhwhs untergeordnet. Die Aussage des Jonabuches weist also in zwei Richtungen: Eine JhwhVerehrung von Heiden ist m×glich und denkbar. Deswegen ist zweitens das eschatologische Gerichtskonzept ÛberflÛssig und wird abgewiesen. Hinzu kommt eine dritte implizit formulierte Aussage des Buches: Jona bewegt sich innerhalb der heidnischen Welt. ohne auf Probleme zu stoßen. Die Seeleute werden als religi×s interessiert und moralisch integer dargestellt, das eigentlich b×se Ninive orientiert sich neu und wendet sich von der Gewalt ab. Die heidnische, hellenistische Welt ist gar nicht so verwerflich und gewalttÅtig, wie vielleicht von manchem Leser oder Zeitgenossen des Verfassers vermutet. Die V×lker stÛrmen nicht gegen Jerusalem, der fremde Herrscher ist kein Feind. Auch dies ist eine Botschaft des Jonabuches fÛr seine Zeit. Neben dem V×lkerthema, der Umkehr, der Bewertung des K×nigs spielen zwar auch andere Aspekte wie die Gotteslehre oder der mit sich selbst beschÅftigte Prophet eine wichtige Rolle. Durch die EinfÛgung des Jonabuches in das Dodekapropheton ist es aber berechtigt, auf die besondere Funktion der V×lkerthematik des Jonabuches in diesem neuen Korpus hinzuweisen.

5. Hoffnung fÛr die Beterin – Der Michaschluss Eine Studie, die das Michabuch auf die Israel-V×lker-Thematik hin untersucht, k×nnte mit Mi 4 einsetzen. Hier finden sich die prominentesten Texte, wie z. B. die V×lkerwallfahrt zum Zion in 4,1–3. Der Grund fÛr einen anderen Zugang ist, dass der Schluss des Buches dem Leser einen hermeneutischen SchlÛssel an die Hand gibt,1 der als Zusammenfassung verstanden werden kann. Dieser Ausgangspunkt beim Schlusskapitel erm×glicht einen Blick auf die theologische Konzeption der Buchfassung und damit auch Aufschluss Ûber das Milieu der Tradenten und Redaktoren des Buches. Außerdem weist das letzte Kapitel BerÛhrungen zum ersten Kapitel des Nahumbuches auf. Hier drÛckt der einleitende Psalm die theologische Intention der Buchfassung besonders deutlich aus. Vor der Analyse der Komposition des Michaschlusses geht die Arbeit auf die Komposition des Michabuches und die der letzten beiden Kapitel im Besonderen ein. Daran schließen sich ºberlegungen zur Redaktionsgeschichte und der historischen Einordnung des Michaschlusses an, die auch eine Diskussion der Forschungsgeschichte enthÅlt. Anschließend wird die V×lkerthematik in der Mitte des Buches mit der des Schlusskapitels verglichen, die Ergebnisse der Untersuchung in die Forschung des Dodekaprophetons eingeordnet und zusammenfassend die theologische Intention des Michaschlusses dargelegt.

5.1 Die Komposition des Michabuches Das Michabuch wird zumeist, ausgehend von drei H×raufrufen2 gegliedert: In den UnheilsankÛndigungen und Gerichtsworten in Kap. 1–3 findet sich der Ålteste Teil des Buches. Hier sind Worte des im 8. Jh. v.Chr. in JudÅa wirkenden Propheten Micha greifbar. Die HeilsankÛndigungen in Kap. 4 f werden zumeist als exilisch-frÛhnachexilische Erweiterung angesehen. Die Kap. 6 f wiederholen die Abfolge von Gericht und Heil und bilden den jÛngsten Teil des Buches. Damit soll die Endgestalt des Michabuches doppelt das so genannte zweigliedrige eschatologische Schema wiedergeben, das nach Ansicht einiger Exegeten die geschichtliche Erfahrung Israels und die 1 2

Mit E. OTTO, Micha, 670. Mi 1,2; 3,1 und 6,1. Vgl. z. B. O. KAISER, Grundriß, 130 und R. KESSLER, Micha, 36 ff.

Die Komposition des Michabuches

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Interpretation des Exils als Strafe Gottes widerspiegelt. Beim eschatologischen Schema handelt es sich allerdings um einen Forschungsmythos. Fast jeder Prophetenexeget findet ein mehrgliedriges Schema, aber niemand hat es stichhaltig nachgewiesen. Alternativ lÅsst sich die Struktur des Buches auch als dreifache Abfolge von Unheil und Heil verstehen. Statt der Kap. 1–3 und 4 f, sind dann Kap 1 f und Kap. 3–5 voneinander abzugrenzen.3 Allerdings Åndert diese Gliederung nichts fÛr die Interpretation der Kap. 6 f, sie belegt nur die Beobachtung, dass die Abfolge von Unheil und Heil das Ûbergeordnete Gliederungsprinzip darstellt. Zum gleichen Ergebnis kommen auch Analysen der Struktur, die sich an der Inklusion zwischen 1,2 und 5,14 orientieren.4 Diese verschiedenen Ergebnisse zeigen, dass sich unterschiedliche Strukturelemente Ûberlagern und relativieren. Die Beobachtung, dass sich in der Komposition des Michabuches jeweils zwei Bl×cke gegenÛberstehen, die wenig BerÛhrungen zueinander aufweisen, hat H. W. Wolff zur Annahme veranlasst, dass es sich dabei um zwei zu unterscheidende Tradentenkreise der michanischen Prophetie handelt: In exilisch-nachexilischer Zeit haben sich nach H. W. Wolff „zwei verschiedene Gruppen unter den Jerusalemer Prophetentradenten mit Micha beschÅftigt: (1.) Die Kreise der neuen Heilsprophetie, die Israel von der ErfÛllung der michanischen Gerichtsworte her einer neuen Zukunft entgegenfÛhrten und dabei auch das Geschick der V×lker bedachten (Kap. 4 f). (2.) Jene Predigerkreise, die der von Micha gerÛgten Schuld im Sozialverhalten auch in spÅterer Zeit auf der Spur blieben (6,2–7,7). Sie waren ganz ihrer Gegenwart zugewandt und fragten auch kaum nach den Fremdv×lkern.“5 Bei der Analyse des Schlussteiles ist in Auseinandersetzung mit H. W. Wolff zu fragen, ob die Unterschiede nicht eher auf VerÅnderungen der Situationen zurÛckzufÛhren sind, in denen die Buchteile entstanden. Gerade die Verschiedenheit der Stoffe ist ein Grund dafÛr, mit einem lÅngeren Entstehungsprozess des Michabuches zu rechnen. Der Abschluss des Michabuches nimmt in den Kapiteln 6 f die zentralen Themen noch einmal auf. Den Kapiteln 1–3, die im Wesentlichen vom Gericht Jhwhs gegen sein Volk Israel geprÅgt sind, entspricht das sechste Kapitel. Die UnheilsankÛndigungen gegen Israel (Samaria) und Juda (Jerusalem), gegen MÅchtige und AmtstrÅger werden fÛr eine spÅtere Zeit aktualisiert (6,9–12). Eine Prophetenklage Ûber die Verderbnis aller Lebensbereiche steigert die UnheilsankÛndigungen (7,1–6). Die V×lker spielen in diesem ersten Teil des Michaschlusses keine zentrale Rolle. Sie befinden sich allerdings schon in 6,1b und 6,16 im Blickfeld. Auch Jerusalem und der Zion 3 Unheil (1,2–2,11)/Heil (2,12 f); Unheil (3,1–12)/Heil (4,1–5,14); Unheil (6,1–7,7)/Heil (7,8–20). Vgl. J. T. WILLIS, Structure; W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 24; O. KAISER, Grundriß, 130. 4 Vgl. z. B. J. L. MAYS, Micah, 277 f. 5 H. W. WOLFF, BK XIV/4, XXXIV.

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Hoffnung fÛr die Beterin – Der Michaschluss

sind nicht namentlich erwÅhnt. Als Hintergrund dieser Neuinterpretation lÅsst sich die frÛhnachexilische Zeit mit ihren in Neh 5 beschriebenen Problemen annehmen. Geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich in frÛhnachexilischen Aktualisierungen des Michabuches Åltere Traditionen erhalten haben. Die im zweiten Teil des Michabuches (Kap. 4 f) zentrale Heilsthematik mit seinen Reflexionen Ûber die Zukunft Israels, des Zions und der V×lker wird von Mi 7 aufgenommen. FÛnf Ausblicke auf die Zukunft, die den Diskurs in der Zeit des Zweiten Tempels bestimmen, werden in 7,8–20 er×ffnet:6 ZunÅchst tritt ein Ich gegenÛber einer Feindin auf, die in den Gassen zertreten wird: (1.) Jerusalem wird der Sieg Ûber die Feindin in Aussicht gestellt (V. 10). (2.) Mit der AnkÛndigung eines Tages der nationalen Restitution verbinden sich Mauerbau und Vergr×ßerung des Territoriums. An diesem Tag kommen aus Assur, Šgypten und Babylon Menschen (V. 11 f). (3.) Ein weiterer Ausblick auf die Zukunft ist die Ansage einer VerwÛstung der Erde (V. 13). (4.) Die V×lker werden die Wunder sehen, die Jhwh wirkt und sich vor diesem Gott fÛrchten (V. 16 f). (5.) Am Ende des Buches steht die AnkÛndigung der SÛndenvergebung und der Gnade Jhwhs (V. 18 ff). Unklar ist dabei, ob nur das VerhÅltnis Jhwhs zu Israel gemeint oder die Aussage allgemeiner zu verstehen ist. Diese fÛnf unterschiedlichen Ausblicke nehmen Motive der HeilsankÛndigungen der Kap. 4 f auf oder setzen sich mit ihnen kritisch auseinander: Feinde die sich gegen den Zion sammeln und vom Zion vernichtet werden (4,11–13); die Hoffnung auf nationale Restitution Israels durch die Wiederherstellung des K×nigtums bzw. die Ausweitung der Grenzen (4,8); der Rest Jakobs wird unter den Nationen wÛten und die Feinde vertilgen (5,7 f); Wallfahrt der V×lker zum Zion (4,1–3); Gott Ûbt Zorn und Grimm an den V×lkern (5,14). Die BezÛge zwischen Kap. 4 f und Kap. 7 deuten nicht auf eine literarische AbhÅngigkeit hin. Die Entsprechungen sind jedoch so auffÅllig, dass zu erwÅgen ist, ob die Komposition von Mi 7 auf die Struktur der im Buch vorangehenden HeilsankÛndigungen Bezug nimmt. FÛr diese Hypothese spricht die konzentrische Anordnung von drei der fÛnf Motivparallelen in Kap. 4 und 7. Dass 7,13 und 7,18 ff aus diesem konzentrischen Rahmen fallen, k×nnte ein Hinweis darauf sein, dass es sich hier um spÅtere EinfÛgungen handelt.

6 Mit der Aufnahme der V×lkerthematik schließt der Buchschluss sowie die redaktionelle ºberleitung in 7,7 an die Klammer an, die die ersten beiden Teile des Buches zusammenhÅlt. 1,2; 5,14 und 6,1 bilden mit der Aufnahme des V×lkerthemas diese Klammer: In 1,2 werden die V×lker dazu aufgefordert zu h×ren, in 5,14 wird ihnen das Zorngericht angekÛndigt, weil sie nicht geh×rt haben. In 6,1 wird der Leser dagegen zum H×ren aufgefordert und Israel zum Auftritt im Prozess gegen die V×lker gerufen.

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Die Komposition des Michabuches

4,1–3 A

4,8 B

4,11–13 C

7,10 C’

7,11f B’

7,16f A’

Zu der Entsprechung der in dieser Untersuchung angenommenen Grundschicht7 von 7,8–20 mit Kap. 4 tritt außerdem die Beobachtung, dass 7,18–20 wahrscheinlich in Beziehung zu 5,14 steht. Wenn diese Relation als Anspielung verstanden werden kann, handelt es sich um eine weitere VerknÛpfung beider Buchteile. Allerdings ist jetzt noch nicht zu entscheiden, ob diese Strukturen Ergebnisse einer bewussten Komposition sind, oder ob sie sich durch indirekte Rezeption, bzw. sachliche AnknÛpfung erklÅren lassen. Nach der Analyse des Abschlusses des Michabuches wird mit einem kurzen Blick auf die Kap. 4 f untersucht, ob die Texte m×glicherweise auf einer gemeinsamen literarischen oder konzeptionellen Ebene stehen.8

5.2 Komposition von Mi 6 f Bei der Darstellung der Gesamtstruktur der Kap. 6 f geht es um die Fragen, in welcher Relation die HeilsankÛndigung zur Komposition steht und mit welcher Brille der Leser an 7,8–20 herangefÛhrt wird. Verbunden ist damit die ºberlegung, ob sich ein Fokus auf die V×lker schon in Kap. 6 findet. Weil in Mi 6,1 ein Neuansatz vorliegt, kann von einer Untersuchung der Kap. 1–5 bis auf den Abschluss 5,14 abgesehen werden. Kap. 6 dagegen wird einbezogen, da sich zu Kap. 7 Ûbergreifende BezÛge zeigen lassen. Eine besondere NÅhe hat Mi 7,8–10 zu 6,1–8.9 Auf den ersten Blick scheinen die beiden Schlusskapitel des Michabuches locker aneinander gereihtes Material von ProphetensprÛchen zu bieten, denen ein roter Faden oder eine durchgÅngige Aussageabsicht fehlt. Auf ein StreitgesprÅch zwischen Gott und seinem Volk (6,2–8), das sowohl AnklÅnge an eine Prozessrede wie auch an eine Lehrrede aufweist,10 folgt ein in seiner Struktur geschlossener prophetischer Gerichtsspruch (6,9–16).11 Kap. 7 beginnt mit einer Klage Ûber die VerhÅltnisse im ×ffentlichen und privaten Bereich (V. 1–6), bevor sich in 7,7 die Perspektive und die Stimmung Åndern. Eine hoffnungsvolle Beterin setzt sich von der zuvor beschriebenen Situation ab. Ihr Blick richtet sich in einem psalmartigen Schlusstext auf das

Vgl. dazu unten 5.4.3. Vgl. 5.5.2. 9 Vgl. dazu bes. R. KESSLER, Micha, 300. 10 Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/4, 141. 11 Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/4, 161. 7 8

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zu erwartende Heil (7,8–20). Dabei bildet 7,7 eine Art Wendepunkt zwischen beiden StÛcken. 5.2.1 BrÛckenfunktion 7,7 V. 7 lÅsst sich als Abschluss von V. 1–6 lesen,12 kann aber auch als Einleitung der nÅchsten Texteinheit verstanden werden.13 FÛr beide VorschlÅge lassen sich Argumente anfÛhren: H. W. Wolff stellt vor allem die syntaktische VerknÛpfung von V. 7 mit dem vorhergehenden heraus.14 K. Marti fÛhrt dagegen den Wechsel von Inhalt und Stimmung an, um V. 7 an den Beginn der Einheit V. 7–13.18b.19a zu stellen.15 Beide ArgumentationsgÅnge sind einleuchtend. Deswegen spricht m.E. alles dafÛr, V. 7 als redaktionellen ºbergang zwischen den beiden StÛcken V. 1–6 und V. 8–20 anzusehen. Der Vers setzt das Vorhergehende genauso wie das Folgende voraus und hat eine BrÛckenfunktion.16 Das Hoffnungsbekenntnis schließt 7,1–6 ab und erm×glicht den Gedankengang von 7,8–20. Der starke Bezug auf Jhwh ist ein Verbindungsglied zwischen innerer und Åußerer Bedrohung. 5.2.2 Ausblick auf die V×lker in Mi 6,1–7,6 Neben 7,7 wird Kap. 6 f von der ºberschrift 6,1 strukturiert sowie von mehreren redaktionellen EinfÛgungen, die den gr×ßeren Zusammenhang im Auge haben. Solche EinfÛgungen lassen sich vor allem in der zweiten ºberschrift 7,1b, in der Nachinterpretation 6,16 und der Interpolation 7,4b sehen.17

12 So H. W. WOLFF, BK XIV/4, 176 f; A. WEISER, ATD 24, 286 f; W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 126 und A. DEISSLER, Propheten, 196. 13 Vgl. K. MARTI, Dodekapropheton, 298 f; J. T. WILLIS, Oracle, 64 f und T. LESCOW, Micha, 196 f. 14 Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/4, 176 f. 15 Vgl. K. MARTI, Dodekapropheton, 298. 16 Mit J. L. MAYS, Micah, 155 und E. BEN ZVI, Micah, 173 gegen H. W. WOLFF, BK XIV/4, 176 f. 17 Mit H. W. WOLFF, BK XIV/4, 136 ff. Neuere Kommentare sind stÅrker an der synchronen Ebene des Textes orientiert. WÅhrend W. MCKANE, Micah und E. BEN ZVI, Micah die diachrone Ebene der Texte fast v×llig ausblenden, geht R. Kessler der Entstehungsgeschichte des Textes zwar nach, sieht aber gemÅß seines Postulates des Vorranges „der Annahme der Einheitlichkeit des Textes“ die wesentlichen StÛcke als Neukonzipierung „einer Gruppe verschiedener Individuen“. „Das heißt aber, dass Texte, die einer gemeinsamen ºberlieferungsschicht zuzuweisen sind, keineswegs den Grad an sprachlicher, stilistischer und konzeptioneller Gemeinsamkeit aufweisen mÛssen, die man bei einem einzelnen Autor erwarten k×nnte.“ R. KESSLER, Micha, 43 f. 6,1–7,7 sieht R. Kessler als eine bis auf einige Glossen (Mi 6,9ab.14ab.16bb) einheitliche Neukonzeption des Michastoffes aus der zweiten HÅlfte des 5. Jh. Vgl. R. KESSLER, Micha, 47. Er findet keinen Anlass fÛr die Annahme, dass 6,1b nicht zum ursprÛnglichen Text geh×rte. Die Spannung geh×rt seiner Meinung nach zur ursprÛnglichen Strategie des Textes.

Die Komposition des Michabuches

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5.2.2.1 Mi 6,1 Aufruf zum H×ren Die Aufforderung zu h×ren in Mi 6,1 steht hinter der Feststellung, dass die V×lker nicht geh×rt haben und deswegen Jhwhs Zorn sie trifft (5,14). Die erste Leseanleitung, die den Schluss des Michabuches einleitet, baut hier einen Gegensatz auf: Wenn es Dir nicht so ergehen soll wie den V×lkern, h×re auf die folgenden Worte! Und ich nehme in Zorn und in Eifer18 Rache an den V×lkern, die nicht h×rten. (5,14) H×rt doch, was Jhwh sagt! Steh auf, fÛhre den Rechtsstreit gegen die Berge, dass die HÛgel deine Stimme h×ren! (6,1) H×rt, (ihr) Berge, den Rechtsstreit Jhwhs, und ihr bestÅndigen Fundamente der Erde, denn ein Rechtsstreit hat Jhwh mit seinem Volk und mit Israel setzt er sich auseinander. (6,2)

Den ºbergang zwischen den beiden Teilen des Michabuches strukturieren drei Aufforderungen. Ein wahrscheinlich prophetischer Sprecher fordert zum H×ren dessen auf, was Jhwh sagt, und schafft damit die Erwartung auf eine Gottesrede (V. 1a). Die zweite Aufforderung zum Gericht (V. 1b) scheint diese Gottesrede zu sein, da sich keine Anzeichen dafÛr finden, dass der Sprecher aus V. 1a weiterspricht.19 Die dritte Aufforderung (V. 2) beginnt m×glicherweise die in V. 3 mit einer 1. Sg. markierte Jhwh-Rede, obwohl Jhwh in der 3. Sg. genannt ist. Vielleicht wird aber auch auf den prophetischen Sprecher aus 6,1a zurÛckgegriffen. Wie immer auch hinsichtlich der Sprecher die Entscheidung fÅllt, ist deutlich, dass der Beginn des sechsten Kapitels mit dem Wechsel von Sprechern spielt. Dadurch ist der Text fÛr Variationen und verschiedene Deutungen offen. Hintergrund dessen ist sicherlich eine NÅhe zwischen dem prophetischen Sprecher und Jhwh auf der einen Seite und zwischen Israel und dem Propheten auf der anderen.20 Dieses Spiel zwischen Ebenen und Bedeutungen, Sprechern und Adressaten am Beginn von Mi 6 und dann im psalmartigen Schluss ist ein Strukturmerkmal auf der Kompositionsebene des Buchschlusses. Auch die Anrede ist nicht eindeutig. Weder alle V×lker (1,2), die FÛhrer Israels (3,1.9), die Berge (6,2) oder Stadt und Stamm (6,9) sind genannt. Das lÅsst drei SchlÛsse zu: (1.) Es k×nnte in 6,1a an eine „×kumenische“ Leserschaft gedacht

18 Die nÅchste Stelle, an der vom Eifer Jhwhs die Rede ist, findet sich am Anfang des Nahumbuches, das wie unten gezeigt mit dem Schluss des Michabuches verzahnt ist. Vgl. Nah 1,2.6. 19 R. Kessler plÅdiert dagegen fÛr die Alternative, dass in V. 1b.2 eine Prophetenrede zu finden ist, die Jhwh auffordert, den Streit zu fÛhren. Vgl. R. KESSLER, Micha, 261 f. 20 Mit E. BEN ZVI, Micah, 143.

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sein, die Ûber Israel hinausgeht.21 (2.) M×glicherweise ist Israel nur nicht genannt, aber angesprochen. (3.) Der Text richtet sich nicht mehr an ganz Israel, sondern an eine kleinere Gruppe, die z. B. mit den in V. 6,9ab genannten Jhwh-FÛrchtigen identisch ist. Weil 6,1a 5,14 gegenÛber steht, ist die erste Alternative weniger wahrscheinlich. Die Entscheidung fÅllt zwischen Israel oder einer Gruppe in Israel. WÅhrend der zum H×ren aufgeforderte Personenkreis in 6,1a mit einer Pluralform angesprochen wird, hat 6,1b eine andere Perspektive. Eine Gestalt wird in der 2. Person dazu aufgefordert, mit HÛgeln und Bergen einen Streit abzuhalten. Dieser unerwartete Wechsel spricht fÛr die Annahme, dass 6,1b einen interpretierenden Nachtrag darstellt. Teile aus 6,2a werden aufgenommen und das Folgende damit in einen neuen Kontext gestellt: So bekommt die Prozessrede eine weitere Deutungsm×glichkeit. R. Kessler erklÅrt dagegen die Spannung aus der ursprÛnglichen Strategie des Textes. Wie in 1,2–7 denkt man erst, Jhwh kommt zum Gericht Ûber die V×lker und erfÅhrt dann, dass Israel das Ziel ist.22 6,1a erweist nach R. Kessler das Folgende als Gotteswort. In 6,1b wird Jhwh dagegen aufgerufen, den Streit zu fÛhren.23 Diese Beobachtungen zeigen, dass der Text synchron durchaus sinnvoll gelesen werden kann. Die These der Einheitlichkeit ließe sich aber vor allem durch die Beantwortung der Frage stÛtzen, wieso gerade dieser Weg gewÅhlt wird. Die Annahme einer nachtrÅglichen Neuinterpretation erklÅrt die Vielschichtigkeit des Textes m.E. besser. Der Adressat des Aufrufs ist nicht genannt. Nahe liegend ist die Vermutung, dass Israel angesprochen ist, womit dann auf dieser Textebene die Adressaten von 6,1a bestimmt sind.24 Unklar ist der Sinn der ErwÅhnung der Berge und HÛgel. ZunÅchst mag man an ein Gerichtsforum wie in 6,2 denken,25 also an Zeugen oder Zuh×rer. Die PrÅposition ta bezeichnet aber nicht nur die Anwesenheit, sondern meint im Kontext mit bjr den Prozessgegner.26 Deswegen ist 6,1b eine Aufforderung an Israel, im Prozess gegen die Berge und HÛgel aufzutreten,27 womit die V×lker gemeint sind. Schon im ersten Kapitel beschreibt das Michabuch das Geschick der V×lker

21

H. W. WOLFF, BK XIV/4, 145. „Der Prophet ruft JHWH zum Streit ‚mit den Bergen‘, den dieser dann doch ausschließlich ‚mit seinem Volk‘ fÛhrt.“ R. KESSLER, Micha, 259. 23 Vgl. R. KESSLER, Micha, 261 f. 24 Mit H. W. WOLFF, BK XIV/4, 146. 25 In diese Richtung Ûbersetzt LXX (pro ` ß ta` o¹rv). 26 Vgl. z. B. in Jer 2,9. ta im Sinne von „vor“ oder „angesichts“ ist nicht belegt. Vgl. dazu G. METZNER, Kompositionsgeschichte, 43. 27 B. RENAUD sieht statt Israel den Propheten als Adressat der Aufforderung. Da es hier aber um eine VerhÅltnisbestimmung zu den V×lkern geht und ein GegenÛber zwischen Prophet und V×lkern gerade im Michabuch keine Rolle spielt, ist wie in 6,16bb Israel oder eine damit vergleichbare Gr×ße als GegenÛber anzunehmen. Gegen B. RENAUD, Formation, 396. 22

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mit dem Bild von schmelzenden Bergen. Šhnlich wendet sich auch in Nah 1,5 der Eifer Jhwhs gegen Berge und HÛgel. Diese Annahme wird auch durch den Zusammenhang zwischen 5,14 und 6,1 gestÛtzt: Im vorangehenden Vers richtet sich die Rache Jhwhs auf die V×lker (¥jwgh ta), parallel dazu in 6,1b gegen die Berge (¥jrhh ta). Die V×lker sind fÛr den Leser im Kontext also prÅsent. Israel wird von 6,1b als GegenÛber der V×lker in einem universalen Gericht bestimmt. Damit weicht Mi 6,1 von der gÅngigen V×lkergerichtsvorstellung ab, denn sonst richtet Jhwh die V×lker. Ein Interpret des Textes legt damit die Prozessrede 6,2–5 neu aus und wendet sie gegen die V×lker, oder erweckt – wenn man die Variationsm×glichkeiten bei der Deutung beachtet – zumindest den Anschein, dass 6,2–5 genauso gegen die V×lker gerichtet sein k×nnte wie gegen Israel. Die Mehrschichtigkeit der Interpretation ist von der Redaktion intendiert, sie ist aber gleichzeitig Zeichen fÛr literarisches Wachstum. Der Blick ist schon auf die Vernichtung der Feindin (7,10) und die BeschÅmung der V×lker (7,16) ausgerichtet. Besonders 6,1b ist mit 7,8–20 verbunden. Aber auch ein GegenÛber von V×lkern, die nicht h×ren wollen, und der Aufforderung an Israel, auf die Gottesrede in Kap. 6 zu h×ren, impliziert die Notwendigkeit einer abschließenden Reflexion Ûber die V×lkerthematik. Zusammenfassend lÅsst sich die Struktur des Textes und seine Leserleitung noch einmal nachvollziehen: Die ºberschrift 6,1a umfasst im engeren Sinn zunÅchst das StreitgesprÅch zwischen Gott und Volk (6,2–8), blickt aber auch auf die ganze Gottesrede bis 6,16 hinaus. 6,1b weitet diesen Blick auf den psalmartigen Schluss aus und stellt sich diesen m×glicherweise gerade als Auftritt Israels zum Gericht gegen die V×lker vor. 5.2.2.2 Mi 6,16b Darum gebe ich dich dem Entsetzen hin und ihre Bewohner zum Gezisch und den Spott meines Volkes28 hebt ihr an.

In Mi 6 kommen die V×lker in 6,16b indirekt ins Spiel. Wie in 6,2 Berge und HÛgel als Forum, lÅsst sich an den MÛndern der Nachbarn Israels das Grauen des Jerusalem bevorstehenden Gerichts ablesen. Entweder ist 6,16 Nachtrag einer exilisch oder nachexilischen Bearbeitung zum prophetischen Gerichtsspruch an die Stadt Jerusalem (6,9–15),29 oder nur 6,16bb ist als Glosse zu verstehen, wie sie auch in V. 9ab und V. 14ab angehÅngt sein k×nnte.30 V. 16a begrÛndet das Gericht damit, dass Israel dem Weg des 28 LXX liest ¥jmy (law ˜ n) statt- jmy. Dann liegt ein genetivus subjektivus vor: „Spott der V×lker“. Ein Grund BHS wegen des Sinnzusammenhanges zu Åndern liegt aber nicht vor. Gegen H. W. WOLFF, BK XIV/4, 161. Vgl. dazu auch R. KESSLER, Micha, 275. 29 Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/4, 163 f. 30 Vgl. R. KESSLER, Micha, 277.

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Nordreiches folgt. Daran schließt die StrafankÛndigung V. 16b an und beschreibt die Folge des Gerichts. Die Nachbarv×lker sind entsetzt Ûber das Schicksal Jerusalems und spotten Ûber die Stadt. 6,16b leitet damit vorsichtig auf die spottende Feindin in 7,8 ff Ûber. 5.2.2.3 Mi 7,4 Die inhaltlich und formgeschichtlich eng verbundenen Klagen31 Ûber den Niedergang im ×ffentlichen (7,1–4a) und hÅuslichen (7,5 f) Bereich weisen weder nennenswerte VerknÛpfungen zu 6,2–6,16 noch zu 7,8–20 auf. Auch die Annahme einer redaktionellen Rahmung des sechsten Kapitels durch 6,1 und 7,1–6 entspricht m.E. nicht dem Charakter des Materials.32 M×glicherweise wurden diese unabhÅngigen Traditionen – vielleicht im Anschluss an das Michabuch gesammelt – erst spÅt redaktionell eingefÛgt. Der zwischen beiden StÛcken eingeschobene Vers 7,4b ist dagegen auf den Kontext bezogen und strukturiert deswegen den Michaschluss. Ein Tag deiner SpÅher, deine Bestrafung, kommt, jetzt herrscht das Chaos. (7,4b)

7,4b hebt sich deutlich von den Klagen in 7,1–4a.5 f ab und interpretiert die dort beschriebene allgemeine ZerrÛttung als „Tag deiner SpÅher“. Hinter den SpÅhern (hpsm) stehen Propheten, die das Unheil ansagten, das nach 7,4b zur Aufl×sung aller Rechts- und Lebensformen gefÛhrt hat, und es mit dem Gericht Gottes Ûber den Ungehorsam Israels begrÛndeten.33 Durch diesen Zusatz wird 7,1–4a.5 f als das „jetzt“ (hty) eingetroffene Gericht gedeutet und verliert den bisherigen Charakter der Notschilderung eines einzelnen Beters. Wahrscheinlich ist diese EinfÛgung abhÅngig vom psalmartigen Michaschluss und verbindet beide Teile des Kapitels. Deutlich wird dies durch StichwortbezÛge.34 Die stÅrkste Entsprechung von 7,4b ist eine weitere AnkÛndigung eines Tages, der fÛr Israel allerdings Heil bedeutet: 7,11a.b.12a werden jeweils durch ¥wj eingeleitet. Demnach strukturiert 7,4b das Schlusskapitel des Michabuches, indem es auf der einen Seite zwei eigentlich thematisch relativ unabhÅngige Texte aufeinander bezieht und zweitens 7,1–4a.5 f von der GegenÛberstellung von Heil und Unheil her liest. 5.2.2.4 Fazit Der Blick wird schon in Kap. 6 durch nachtrÅgliche EinfÛgungen auf den Heilsausblick und die in 7,8–20 behandelte V×lkerthematik gelenkt. Die jetzige Notsituation (7,1–6) wird als Eintreffen eines von der Prophetie ange31 32 33 34

Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/4, 176. Gegen E. OTTO, Micha, 700. Mit H. W. WOLFF, BK XIV/4, 181. hty findet sich auch in 7,10 und hps in 7,7.

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kÛndigten Tages gedeutet (7,4b) und damit m×glicherweise als Beginn des Gerichts verstanden. Diejenigen, die aber auf das Wort Gottes h×ren, k×nnen voller Hoffnung in die Zukunft blicken (7,7) und darauf vertrauen, dass Jhwh sich in diesem Gericht an den V×lkern rÅcht, die nicht auf ihn h×ren (5,14; 6,1b). Kap. 6 und 7,1–6 sind mit der GegenÛberstellung zwischen Israel und dem V×lkergeschick nachtrÅglich fÛr 7,8–20 ge×ffnet worden. Nahe liegt die Vermutung, dass die den zweiten Teil des Michabuches strukturierenden Verse (6,1b und 7,4b) sowie die vermutliche Bearbeitung oder Glosse (6,16b) im Kontext der Erweiterung des Michabuches eingefÛgt wurden. 5.2.3 Struktur des Michaschlusses V. 7 hat als redaktionelle VerknÛpfung eine BrÛckenfunktion. Durch die Verbindung zwischen 7,4b und 7,7 mit dem Stichwort hps ist der Sprecher von V. 7 mit dem identisch, der den Tag der Heimsuchung erspÅhte. Vorgestellt ist also auf dieser Textebene ein prophetischer Sprecher. Die 1. Sg entspricht der in V. 1 wie auch der in V. 8. GegenÛber V. 7 wechselt aber der Sprecher in V. 8–10: Ein kollektives feminines Ich redet (V. 10). Wahrscheinlich Jerusalem oder eine mit Jerusalem vergleichbare Gr×ße35 spricht in V. 8a eine Feindin an, die in V. 10 eine Frage stellt. Im Mund eines Propheten wÅre die Rede von „meiner Feindin“ nur schwer denkbar. Jhwh ist Subjekt der Vertrauensbekenntnisse (V. 8b.9b), die Teil der Rede der Beterin sind. V. 8–10 steht stilistisch einem Vertrauenspsalm nahe, den man sich von einer Gemeinde gesprochen vorstellen kann. Die Schadenfreude einer Feindin wird dadurch bestraft, dass sie niedergetreten wird. Ohne Vorbereitung wird in V. 9 die SÛnde der Beterin erwÅhnt. In V. 11 f und V. 13 Åndert sich der Charakter der Sprache. Beide StÛcke stehen prophetischer Redeweise nÅher und weisen im Gegensatz zum Vorangehenden keine BerÛhrungen zu Psalmen auf. V. 11 und V. 12 wechseln außerdem die Blickrichtung. Einem nicht mit der Feindin identischem GegenÛber wird ein Tag angekÛndigt. Aus den AnkÛndigungen (Mauerbau, Ausweitung der Grenzen und einer Bewegung aus verschiedenen Richtungen) wird deutlich, dass hier entweder Jerusalem oder das Volk angesprochen ist. In V. 11a ist diese Ansage an eine 2. f.Sg. adressiert, wahrscheinlich an die Sprecherin von V. 8–10. V. 12a richtet sich dagegen an eine 2. m.Sg, wie sie in V. 14a vorkommt. Damit haben V. 11 f eine Scharnierfunktion zwischen beiden angesprochenen Gr×ßen, wahrscheinlich Jerusalem auf der einen und dem Volk auf der anderen Seite. Wegen dieser Scharnierfunktion

35 Mit dem Ich kann Jerusalem gemeint sein. Allerdings hÅlt sich der Text bedeckt und lÅsst die Identifikation offen. So lÅsst sich auch an eine Gr×ße denken, die sich selber als das wahre Jerusalem oder Gottesvolk sieht und sich von der Stadt der eigenen Zeit abhebt.

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ist fÛr V. 11 f ein anderer literarischer Charakter anzunehmen als fÛr V. 8–10 und V. 14 f. V. 13 tritt sowohl formal wie auch inhaltlich aus dem Kontext heraus. Ein GegenÛber fehlt, allgemein wird von der Erde und ihren Bewohnern geredet. Besonders gegenÛber der Konkretion von V. 8–10 und V. 11 f wirkt die universale Ausrichtung von V. 13 als Fremdk×rper. V. 14 f sind dagegen wieder dialogisch gestaltet und knÛpfen an den psalmartigen Stil von V. 8–10 an. Die Anrede Jhwhs dominiert in der Bitte, dass Jhwh sein Hirtenamt wieder Ûbernimmt (V. 14.15a). V. 15b lÅsst Jhwh daraufhin antworten. Dieses GegenÛber zu Jhwh wird von V. 18 wieder aufgenommen. In V. 16 f sind dagegen die V×lker das GegenÛber des (wahrscheinlich prophetischen) Sprechers. Damit wird an die Feindin aus V. 8 angeknÛpft. Von Jhwh ist erst als von „unserem Gott“ (V. 17ba) die Rede, bevor er wieder in der 2.Sg. angesprochen wird (V. 17bb). Damit sind die Betenden erstmals mit dem kollektiven Plural bezeichnet, der dann V. 19 f dominiert. Durch den Neubeginn mit einer rhetorischen Frage ist in V. 18a ein Einschnitt markiert, das Folgende hat hymnischen Charakter und thematisiert die Gnade und Treue Gottes trotz der SÛnde. Das Thema SÛnde klang schon in V. 9 an. Die V×lkerperspektive, die bis V. 17 den Michaschluss durchzog, spielt keine Rolle mehr. Jhwh wird außer in V. 18ab.19a (3. Sg.) wieder angeredet. Damit knÛpft V. 18–20 an V. 14 f und V. 17bb an. In Mi 7,7.8–20 sind unterschiedliche Traditionen, Motive und Themen zusammengestellt und aufeinander bezogen. Ein Teil der inhaltlichen SprÛnge sowie der syntaktischen Spannungen (vor allem im Wechsel der Anrede und der Sprecher) k×nnte Anzeichen fÛr literarisches Wachstum des Textes sein. Beziehungen und VerknÛpfungen zwischen den einzelnen Einheiten zeigen aber auch, dass Mi 7,7.8–20 als geplante Zusammenstellung verstanden werden muss. Die weitere Untersuchung von 7,8–20 erfolgt gemÅß der in der Strukturanalyse herausgearbeiteten kleineren Sinneinheiten.

5.3 Untersuchung von Mi 7,8–20 5.3.1 Sieg Ûber die Feindin – V. 8–10 Freue dich nicht Ûber mich, meine Feindin,36 denn wenn ich gefallen war, stand ich wieder auf,37

36

T fÛgt interpretierend Rom ein. Vgl. A. SPERBER, Bible, 450 und H. W. WOLFF, BK XIV/4,

187. 37 LXX: mv ` e™pı´caire´ moi vš e™chra` mou o¾ti pe´ptwka kai` a™nastv´somai. LXX bezieht damit jk nur auf das direkt folgende Verb. jk er×ffnet dagegen in BHS den ganzen Satz. Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/4, 187.

Untersuchung von Mi 7,8–20

183

wenn ich in der Finsternis sitze, ist Jhwh Licht fÛr mich. Den Zorn38 Jhwhs trage ich,39 denn ich habe gegen ihn gesÛndigt, bis er meinen Rechtsstreit streitet, und mein Recht schafft.40 Er wird mich zum Licht fÛhren, dass ich seine Gerechtigkeit genieße. Sie soll es sehen, meine Feindin, und Scham soll sie bedecken, die zu mir spricht: Wo ist Jhwh41, dein42 Gott? Meine Augen sehen an ihr: Jetzt wird sie zertreten wie Straßenschmutz.43

V. 8–10 weist im Vokabular und in der Thematik Parallelen zur Gattung eines Klageliedes des Einzelnen auf: Eine Beterin sieht sich einer Ûber sie spottenden Feindin gegenÛber und drÛckt in dieser Situation ihr Vertrauen auf Jhwh aus. Dabei blickt sie auf ihren Fall und das Wiederaufstehen zurÛck, sieht die eigene, gegenwÅrtige Situation aber wegen einer Schuld in

TMS: „Fluchbecher nehmen“. Vgl. W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 128. T fÛgt mlfwrj trma ein, um ausdrÛcklich die Stadt Jerusalem als Sprecherin des Textes festzuhalten. Vgl. A. SPERBER, Bible, 450. 40 Das Schuldbekenntnis in Mi 7,9aß ist mit der Konzeption von Jes 59,9–15 vergleichbar. Dieser Text versucht die Verz×gerung der angesagten Heilszeit damit zu begrÛnden, dass in Israel Unrecht und Ungerechtigkeit herrschen. Die Finsternis wird so als Strafe Jhwhs fÛr den Frevel Israels verstanden. Jes 59,9–15 und Mi 7,9aß haben eine parallele theologische Konzeption und gemeinsame Stichworten: Finsternis und Licht (Mi 7,8b; Jes 59,9b) sowie Recht und Gerechtigkeit (Mi 7,9b; Jes 59,9a.11b.14). Allerdings werden sie mit unterschiedlicher Intention benutzt. Deswegen reicht es aus, die ParallelitÅt beider Texte mit einem bekannten Motiv der GegenÛberstellung von Finsternis und Licht zu erklÅren. 41 H. W. WOLFF schlÅgt im Anschluss an B. Renaud vor, Jhwh als spÅtere HinzufÛgung zu verstehen und liest die Kurzform der Frage ijhla hwhj. Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/4, 188. Diese Annahme ist m.E. m×glich, aber nicht unbedingt zwingend. 42 Suffix f.Sg. 43 uju kann Lehm (Ton), Schlamm oder Kot bedeuten. Parallele Formulierungen finden sich neben Ps 18,43/II Sam 22,43 auch in Sach 10,5. Diese Stellen bringen aber keine KlÅrung der Bedeutung. FÛr die ºbersetzung entscheidend ist, wo der Vergleichspunkt des Bildes liegt. In Jes 41,25 z. B. wird uju in einem Bild verwendet, in dem Gott als T×pfer auftritt. Hier werden die FÛrsten mit Lehm verglichen, um ihre Machtlosigkeit in der Hand Gottes zu zeigen. In diese Richtung geht auch Nah 3,14. Jer 38,6 bezeichnet mit uju den Schlamm auf dem Boden einer Zisterne (Åhnlich auch Ps 40,3). In Jes 57,20 wird uju und parallel dazu das ebenso unklare fpr vom Wasser aufgewirbelt. Deswegen ist an Schlamm, Flusssand oder Lehm, im weitesten Sinne also an Schmutz zu denken. Mi 7,10 geh×rt eher zum zweiten Schlamm/Schmutz-Bereich. Einen Anhaltspunkt fÛr eine ºbersetzung mit Kot bieten die Parallelstellen nicht. Gegen W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 127. 38 39

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der Vergangenheit noch von Dunkelheit und dem Zorn Jhwhs geprÅgt. Mit dem Gebet bittet sie Jhwh, sich der Sache der Beterin anzunehmen, ihren Rechtsstreit auszufechten und damit die Feindin zum Schweigen zu bringen. 5.3.1.1 Situation der Beterin Um die Situation der Beterin zu bestimmen, ist ein Blick auf die Zeitstruktur des Textes von Bedeutung. Nach der Aufforderung an die Feindin im Jussiv (jcmft la) folgen zwei BegrÛndungen. Die erste im Perfekt (jtlpn jk), die zweite im Imperfekt (afa hwhj ¢yz). (1.) Denkbar ist, dass der Fall und das Sitzen in der Finsternis die Gegenwart der Beterin beschreiben, jtmq wÅre dann mit jl rwa hwhj ein Ausblick in die Zukunft.44 (2.) Eine allgemeingÛltige Aussage k×nnte ausgedrÛckt sein, die keine Zeitrelation hat.45 (3.) Das GegenÛber von Perfekt und Imperfekt lÅsst sich als Ausdruck zweier unterschiedlicher Zeitebenen verstehen. Fallen und Aufstehen lÅgen dann in der Vergangenheit, die Gegenwart wird als Tragen von Jhwhs Zorn verstanden.46 Die letzte M×glichkeit ist vorzuziehen, da sie die verschiedenen Zeiten am stringentesten erklÅrt. Wenn man von dieser Zeitstruktur ausgeht, gibt es wenig Anzeichen dafÛr, dass V. 8–10 auf die Gerichtserfahrung des Exils zurÛckblickt. Die SchmÅhung und BedrÅngung durch die Feindin wird zwar als Folge der SÛnde verstanden, genauso wie 7,4b nachtrÅglich die in 7,1–6* geschilderte Not als ErfÛllung der Gerichtsbotschaft der Prophetie deutet. Der Hintergrund der in 7,8–10 implizit ausgesprochenen Warnung vor Schadenfreude ist aber auch weisheitlich und damit von der Auseinandersetzung mit dem Exil als Gericht schon weiter entfernt.47 Die Beterin, womit wahrscheinlich an Jerusalem oder eine vergleichbare Gr×ße gedacht ist, versteht ihre eigene Lage als Finsternis und deutet das als eine Folge der eigenen SÛnde. VerschÅrft wird diese Situation durch eine Feindin, die Ûber die Beterin spottet. 5.3.1.2 Das GegenÛber der Beterin – Die Feindin als politische IdentitÅt Der Adressat von V. 8–10 ist nicht Jhwh, sondern die Feindin. Eine solche f.Sg. (jtbja) ist in den Psalmen nicht gebrÅuchlich. Die Rede davon, dass Vgl. dazu W. MCKANE, Micah, 218 f. Vgl. W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 127 und H. W. WOLFF, BK XIV/4, 186 f. 46 Vgl. G. METZNER, Kompositionsgeschichte, 50 und R. KESSLER, Micha, 299 f. 47 H. W. Wolff sieht als Hintergrund von V. 8–10 einen Fremdv×lkerspruch, der zu einem Vertrauenslied umgeprÅgt wurde. Dagegen ist die Åltere Position H. Gunkels die wahrscheinlichere. Die Verwandtschaft zu einem Klagelied des Einzelnen aufgrund der Schilderung der Feindesnot ist m.E. gr×ßer als die zu einem Fremdv×lkerspruch. Auch die Ausrichtung ist anders: Die Feindin wird vor allem sehen, was Jerusalem geschieht. Sie ist an diesem Geschehen nur indirekt beteiligt. Allerdings sind die von H. W. Wolff angefÛhrten Šhnlichkeiten mit einem Vertrauenslied zu beachten. Sie stehen aber nicht im Widerspruch zu einem Klagelied. 44 45

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die Feindin zertreten werden soll, verweist eher auf eine politische IdentitÅt. In dieser SchÅrfe wÅre der Wunsch nach einer Bestrafung eines pers×nlichen Gegners ungew×hnlich.48 Ein solches politisches GegenÛber kennen andere Psalmen nicht, die zur Gattung des Klageliedes des Einzelnen geh×ren. Deswegen sind sowohl die Feindin wie auch die 1. f.Sg. der Sprecherin (ijhla) allegorisch zu verstehen. Das Lexem omrm (Zertretenes) steht meist im Kontext der Gerichtsbotschaft gegen Israel. Parallel formuliert Jes 5,5bb (omrml hjhw wrdg srp). B. M. Zapff interpretiert Mi 7,10 f deshalb ausgehend von Jes 5: Der Feindin wird in V. 10 „das dem Haus Israel in Jes 5 angedrohte Schicksal zuteil . . . (nÅmlich zertretenes Land zu werden), wÅhrend Zion bzw. die dort lebende Gemeinde Israels nach vollzogenem Gericht . . . rekonstituiert wird.“49 In Beziehung zu Jes 5,5 steht nach B. M. Zapff auch der folgende V. 11. Beide Belege sind aber nicht ausreichend, um von einen „klassischen Fall von Schriftgelehrsamkeit“ zu sprechen und Jes 5 als autoritativen Text im Hintergrund zu sehen.50 Parallelen lassen sich auch zu Jer 12,11 f zeigen. Hier wird der Weinberg verwÛstet und das Land wie in Mi 7,13 zur WÛste. Statt literarischer Rezeption handelt es sich um den gemeinsamen Gebrauch von Bildern. Die Wendung twswc ujuk (7,10bg) ist von Ps 18,43 beeinflusst,51 und verstÅrkt die Erniedrigung der Feindin. Der Vergleich der Feindin mit Dreck oder Schlamm verdeutlicht nochmals die DemÛtigung.52 Die Feindin wird nicht genauer charakterisiert. Vielleicht lÅsst V. 8–10 diese Frage bewusst offen. Das einzige, was die Feindin nÅher beschreibt ist ihre spottende Frage, „wo ist Jhwh, dein Gott?“53 In anderen Teilen des Michabuches war der Feind zunÅchst der UnterdrÛcker aus dem eigenen Volk (2,8) oder die Menge der V×lker (4,11). Gegen beide Identifikationsm×glichkeiten spricht die Rede von der Feindin. Mit der f.Sg. k×nnten Edom,54 oder auch Samaria gemeint sein. M. E. ist aber bei beiden Gr×ßen nicht zu erklÅren, wieso der jeweilige Name dann nicht erwÅhnt wÅre. Gegen Edom spricht zudem, dass von Edom zumeist in maskulinen Formen die Rede ist und es im Michabuch Ûberhaupt keine Rolle spielt. Es bleiben zwei weitere M×glichkeiten: Erstens ist eine kollektive Verwendung des Begriffes „Feindin“ denkbar,55 mit dem die Fremdv×lker all-

Vgl. z. B. Ps 18,43 und Jes 10,6. B. M. ZAPFF, Studien, 182 f. 50 Gegen B. M. ZAPFF, Studien, 183. 51 Vgl. dazu auch den Exkurs zu Ps 18 in 5.3.5.1 und K. MARTI, Dodekapropheton, 299. 52 Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/4, 198. 53 Diese h×hnische Frage findet sich ×fter im Mund der V×lker. Vgl. Joel 2,17; Ps 79,10 und 115,2. Vgl. auch den wahrscheinlich nachexilischen Ps 42,11. 54 Vgl. J. L. MAYS, Micah, 158 f. 55 Vgl. dazu z. B. E. SELLIN, Zw×lfprophetenbuch, 302. 48 49

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gemein gemeint sind. Zweitens k×nnte eine der GroßmÅchte im Hintergrund stehen, deren Name aus politischen GrÛnden nicht genannt wird. Je nach zeitlicher Einordnung wÅren das dann Babel,56 Persien57 oder die Seleukiden.58 FÛr die Seleukiden (Assur) spricht vor allem die ErwÅhnung in V. 12, aus diesem Grund k×nnte man auch an Šgypten denken.59 Voraussetzung dieser Deutung ist aber, dass man aus RÛcksicht auf die Fremdherrschaft die Nennung der Feindin verschlÛsseln musste. Dagegen ist zu fragen, ob ein potentieller Sympathisant der Besatzungsmacht die Hoffnung auf eine Ausweitung der Jerusalemer Grenzen und damit der politischen Macht Israels, wie sie in V. 11 f vertreten wird, als harmlos eingestuft haben dÛrfte. Als zweiter Grund spricht gegen die Deutung auf eine Großmacht, dass die in V. 8–10 genannte Feindin zum Typ der spottenden Feindin geh×rt und nicht zu dem der unterdrÛckenden Feindin wie z. B. die V×lker in 4,11–13 oder auch in 7,16. Die Feindin ist in 7,8 nicht am Fall Jerusalems schuldig, sie spottet nur darÛber. Gegen die kollektive Deutung spricht, dass in Texten mit vergleichbarer Thematik die V×lker im Plural als Gruppe erwÅhnt werden und es damit an Belegtexten fÛr eine kollektive Deutung fehlt. Da alle M×glichkeiten, die Feindin genauer zu bestimmen, fehlschlagen, ist m.E. gerade die Unbestimmtheit des Textes ernst zu nehmen. Die Feindin ist eine politische Gr×ße, lÅsst sich aber nicht identifizieren. Hintergrund einer solchen Offenheit der Wendung „meine Feindin“ k×nnte der schnelle Wechsel der Oberherrschaft in der Region PalÅstinas nach dem Zerfall des persischen Reiches sein. Wenn nach dem Tod Alexanders bis zur r×mischen Eroberung mindestens 200 KÅmpfe in und um PalÅstina ausgefochten wurden,60 und die das Land erobernden S×ldnerheere aus verschiedenen LÅndern zusammengesetzt waren, wie konnte da noch eine Feindin einzeln benannt werden? In dieser Zeit wurde die konkrete „Feindin“ unscharf. Deshalb wurde eine andere Form als die des Fremdv×lkerspruches gewÅhlt, um die Unterwerfung der schadenfrohen Feindin anzukÛndigen. Von den Redaktoren, die die Tradition V. 8–10 aufnehmen, k×nnte unter der Feindin nicht nur die konkrete Fremdmacht verstanden worden sein, sondern auch die sie unterstÛtzende politische Elite. Die Grenzen zwischen den das Volk bedrÛckenden FremdmÅchten und Grup-

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Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/4, 195. Vgl. W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 131. 58 Vgl. G. METZNER, Kompositionsgeschichte, 163. 59 Vgl. dazu 5.3.2.3. Dass der Text spÅter auf eine politische Großmacht hin interpretiert werden konnte zeigt z. B. die EinfÛgung des Namens Rom im Targum. Vgl. A. SPERBER, Bible, 450. Diese EinfÛgung zeigt vor allem die Offenheit des Textes, der den Autoren des Targums zu unbestimmt war. 60 Vgl. M. SMITH, Parties, 64. 57

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pen in der Gesellschaft selber werden zunehmend unscharf. Die Auseinandersetzungen zwischen Beterin und Feindin haben mit Spott und Schadenfreude zu tun. Auch dies lÅsst sich gut mit der Annahme eines Hintergrundes erklÅren, in dem der Beterin eine fÛr sie diffuse Koalition aus Oberschicht und Fremdmacht gegenÛber steht. Eine solche ErklÅrung wÛrde auch neues Licht auf die Gesellschaftsbeschreibung 7,1–6 werfen. Die UnschÅrfe der eigentlichen Feindin erklÅrt zudem gut die Aufnahme einer Tradition aus einem Klagelied. In der Tatsache, dass die Feindin nicht explizit bezeichnet ist, sieht B. M. Zapff ein Indiz fÛr die AbhÅngigkeit des Textes von weisheitlichem Gedankengut.61 Er macht dies an der Warnung vor Schadenfreude fest, die hÅufig belegt ist.62 Mi 7,8 kommt Spr 24,17 sprachlich am nÅchsten. Trotz paralleler Stichworte (cmft la; lpnb und bja) handelt es sich m.E. nicht um literarische AbhÅngigkeit. Zur ErklÅrung reicht die Annahme eines RÛckgriffs auf weisheitliche Vorstellungen aus, dass die Schadenfreude Ûber das Schicksal des Feindes in Jhwhs Augen nicht recht ist und zur Erniedrigung fÛhrt.63 Der Schlussfolgerung B. M. Zapffs, dass es nicht mehr um ein bestimmtes Volk geht, „sondern jedweder Feindin der hier sprechenden Person“ so ergehen wird, ist aber zuzustimmen. Dahinter sieht er eine „Tendenz zur Verallgemeinerung oder Anonymisierung“.64 5.3.1.3 Rechtsstreitthematik versus SÛnde- und Lichtmotivik Die in V. 9b verarbeitete Rechtsstreit-Thematik ist ein Motiv, das sich ×fter in Klageliedern findet: Jhwh wird von einem Beter aufgerufen, gegen dessen BedrÅnger zu streiten.65 Gegen die Gottlosen, die Jhwh schmÅhen, soll er aufstehen und seinen Rechtsstreit fÛhren.66 Das dagegen fÛr das Klagelied untypische Motiv Finsternis – Licht Ûberlagert die Rechtsstreitthematik und steht in Spannung zu ihr.67 Auch das SÛndenbekenntnis (V. 9a) sprengt den Rahmen des Rechtsstreites: Wieso sollte Jhwh die Sache der Beterin fÛhren, wenn diese gesÛndigt hat? Stringenter ist es, wenn Jhwh den Rechtsstreit fÛr den unschuldig Verfolgten fÛhrt. Diese Spannung lassen sich durch die Aufnahme einer dem Klagelied des Einzelnen verhafteten Tradition erklÅren, die mit der Intention aufgenommen wird, Jhwh zum

Vgl. B. M. ZAPFF, Studien, 175. Vgl. z. B. Jes 14,29 und Ob 12. 63 Z. B. gilt es in Hiob 31,29 als Merkmal eines Gerechten, Schadenfreude zu unterdrÛcken. 64 B. M. ZAPFF, Studien, 175 f. 65 Vgl. z. B. Ps 35,1.23. 66 Vgl. Ps 74,22. 67 Das GegenÛber von Finsternis und Licht spielt in den Klagepsalmen des Einzelnen keine Rolle. Vergleichbar ist dagegen Jes 59,9–15. Finsternis ist ein Symbol fÛr UnterdrÛckung, Lebensbedrohung und Lebensminderung wie z. B. in Jes 9,1 und Ps 18,29. Vgl. R. KESSLER, Micha, 301. 61 62

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Streit gegen seine Feinde aufzufordern. Im Anschluss an V. 8bb wird diese Tradition mit dem Motiv Licht – Finsternis und der Aufnahme des SÛndenbekenntnisses verbunden. Durch die Gleichsetzung der BedrÅngung durch die Feindin mit der SÛnde bekommt die Beterin auch ein Mittel gegen die Feindin in die Hand: Wenn sie ihre SÛnde einsieht, wird Gott ihr verzeihen und gegen die Gottlosigkeit der Feindin streiten. 5.3.1.4 Charakter des StÛckes Mi 7,8–10 Die Beobachtungen legen die Annahme nahe, dass es sich bei V. 8–10 um eine aus einem Klagelied des Einzelnen stammende Tradition oder um ein von einer solchen Thematik beeinflusstes StÛck handelt, das redaktionell umgestaltet und auf eine Zion-Feindin Problematik hin interpretiert wurde. Eine Åltere Fassung eines selbstÅndigen Klageliedes ist als Hintergrund nicht zu postulieren. Diese Annahme ist aufgrund der thematischen WidersprÛche und BrÛche wahrscheinlicher, als das StÛck als eine von vornherein auf die Zion-Feindin Thematik hin konzipierte Einheit zu verstehen. Das GegenÛber von Rechtsstreitthematik und Lichtmetaphorik sowie der Gegensatz zwischen den traditionellen Aspekten eines Klageliedes und den Tendenzen zum allegorischen VerstÅndnis sind als Rezeptionen einer vorhandenen Tradition erklÅrbar. 5.3.1.5 Historische Einordnung und Fazit Wenn die in 5.3.1.2 explizierte Schlussfolgerung hinsichtlich der Verwendung des Begriffs Feindin richtig ist, ist dies ein Argument fÛr eine Datierung des StÛcks in die Zeit nach dem Zerfall des Perserreiches, in dem Jerusalem kurz hintereinander in verschiedene Machtbereiche gerÅt. Besonders folgenreich fÛr Jerusalem wird das hin und her zwischen ptolemÅischer und seleukidischer Oberherrschaft wÅhrend des Vierten Diadochenkrieges (303–301 v.Chr.)68 und des FÛnften syrischen Krieges (202 v.Chr.)69 gewesen sein. Die Zerst×rung Jerusalems, das Exil (Fallen) und die RÛckkehr danach (Aufstehen) liegen schon zurÛck, Finsternis und der Spott der Feindin prÅgen aber die Gegenwart. Wenn man diese hypothetische Linie weiter verfolgt, k×nnte die Wendung zudem einen ersten Schritt in die apokalyptische Richtung darstellen: Die konkrete Macht ist nicht mehr im Blick, sie wird nur noch als endzeitliches PhÅnomen erlebt, als Bedrohung, die von Gott besiegt werden wird. Šhnlich formalisierte Darstellungen der GeschichtsmÅchte, die nicht mehr als V×lker mit eigenen CharakterzÛgen erlebt werden, finden sich im spÅteren Danielbuch.70 Vgl. dazu V. TCHERIKOVER, Civilization, 52 ff und auch H.-J. GEHRKE, Hellenismus, 39. Vgl. dazu 2.4.4. 70 In Dan 11 ist diese Formalisierung noch nicht voll erfolgt, in Dan 4 dagegen sind die verschiedenen Herrschaften nur noch Phasen der Geschichte, die sich gegenseitig abl×sen und auf ein Ziel zulaufen. 68 69

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V. 8–10 drÛckt die Zuversicht aus, dass die Freude der Feindin am Schicksal Jerusalems geraubt werden soll und sich dieses Schicksal Åndert: Statt Jerusalem wird die Feindin daniederliegen, so sieht es der Blick in die Zukunft. Dann wird die Beterin Ûber das Schicksal der Feindin triumphieren. Die Feindin ist in dem behandelten StÛck nicht nur Folie fÛr das Schicksal Jerusalems, vielmehr wird die Situation Jerusalems gerade durch das Verhalten der Feindin unertrÅglich. 5.3.2 Tag der Restitution – V. 11 f 71

Ein Tag, um deine Mauern zu bauen, ist jener Tag, die Grenze wird fern sein.72 Ein Tag ist dies, man kommt zu dir73 von Assur bis zu den befestigten StÅdten und von der Festung bis zum Strom und dem Meer im Westen74 und Gebirge von Gebirge.

In V. 8–10 hoffte die Beterin auf die Wende, jetzt wird in V. 11 f diese Wende mit dem Kommen eines Tages angekÛndigt. An ihm werden Mauern einer nicht genannten Gr×ße wieder aufgebaut werden. Undeutliche Worte kÛndigen eine VerÅnderung der Grenze an. Menschen kommen aus verschiedenen Richtungen. Besonders eindrÛcklich ist die AnkÛndigung durch die dreifache Wiederholung von ¥wj. GegenÛber den knapp strukturierten AnkÛndigungen in V. 11 und V. 12a fÅllt stilistisch die AufzÅhlung von V. 12b aus dem Rahmen. Deswegen ist V. 12b oder insbesondere V. 12bb von einigen Kommentatoren als sekundÅr beurteilt worden.75 ZunÅchst wird aber V. 11 f als Einheit analysiert, bevor abschließend die M×glichkeit einer diachronen ErklÅrung erwogen wird. Die Stadt, der die Wende gilt, ist nicht namentlich genannt, jedoch kann man aus dem nÅheren Kontext, dem GegenÛber von Ich und Feindin in V. 8–10, sowie dem weiteren Kontext (6,9) schließen, dass es sich um Jerusalem oder eine vergleichbare Gr×ße handelt. Weil V. 11 f selber keine Anhaltspunkte fÛr diese Identifikation gibt, ist es unwahrscheinlich, dass eine ursprÛnglich unabhÅngige Einheit vorliegt. Der Befund erklÅrt sich besser

Suffix 2. f.Sg. Alternative ºbersetzungen wie z. B. H. Gunkel „es drÅngt die Zeit“ sind m.E. nicht zwingend. Vgl. H. GUNKEL, Micha, 158 und W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 128 f. 73 Suffix 2. m.Sg. 74 Die meisten Kommentatoren Ûbersetzen ¥jm ¥jw parallel zum Folgenden mit „von Meer zu Meer“. R. KESSLER, Micha, 295 weist dagegen daraufhin, dass ¥jm wie z. B. in Gen 12,8 „im Westen“ bedeutet. FÛr die Formel „von Meer zu Meer“ mÛsste wie in Am 8,12 ¥jw dy ¥jm stehen. rhh kann dagegen die Richtung angeben. 75 Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/4, 200; W. MCKANE, Micah, 227 und G. METZNER, Kompositionsgeschichte, 165. 71 72

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mit der Annahme eines redaktionellen Textes, der den Kontext voraussetzt. Zudem hat V. 11 f mit dem Wechsel des Suffixes zwischen V. 11 und V. 12a eine Scharnierfunktion, die zwischen den beiden im Hintergrund stehenden Gr×ßen Jerusalem und dem Volk (V. 14) vermittelt.76 5.3.2.1 Mauerbau Statt des fÛr die Stadtmauer gelÅufigeren Wortes hmwc wie im Nehemiabuch verwendet V. 11a den Begriff rdg. rdg und hrdg k×nnen Mauern oder Stadtbefestigungen bezeichnen77 oder die Mauern des neu zu errichtenden Tempels.78 HÅufig handelt es sich um kleinere UmzÅunungen wie eine SchafhÛrde79 oder die Befestigung eines Weinbergs.80 Wegen der Wahl dieses Begriffes ist es nicht zwingend, in V. 11 ein Motiv der Mauerbauideologie frÛhnachexilischer Zeit zu sehen.81 V. 11a kann sich allgemein auf den Aufbau Jerusalems beziehen,82 denn mit dem Mauerbau Nehemias hatte sich die Lage der Stadt nicht grundlegend verbessert. Auch in der Folgezeit lag noch viel in TrÛmmern und wartete auf den Wiederaufbau.83 Hintergrund der Hoffnung k×nnte auch der neidische Blick des unbedeutenden Jerusalems am Anfang der makedonischen Oberherrschaft auf das Mauerbollwerk Sidons oder andere stark befestigte ph×nizische KÛstenstÅdte sein. rdg ist außerdem eine Metapher fÛr Schutz und StÅrke. Neben allen geschichtlichen Konnotationen drÛckt Mi 7,11 den von Jhwh kommenden zukÛnftigen Schutz aus.84 Damit wÅre eine Linie gezogen von Jes 5,5, dem Einreißen dieses Schutzes, Ûber Ps 80,13, der Klage Ûber die Schutzlosigkeit Israels, zur Verheißung eines neuen Schutzes. 5.3.2.2 Ausweitung der Grenzen Die Bedeutung der von V. 11b angekÛndigten Entfernung von Schranken oder der Verheißung, dass die Grenzen in der Ferne liegen, ist unsicher. Die

76 M×glicherweise ist der Suffixwechsel auch durch das m.Sg. Suffix in 7,4b beeinflusst, wie B. Renaud vermutet. Vgl. B. RENAUD, Formation, 476. 77 Vgl. Ps 80,13 und 89,41. 78 Vgl. Ez 42,7.10. 79 Vgl. Num 32,16.24. 80 Vgl. Ps 80,13 und Jes 5,5. 81 Mit I. WILLI-PLEIN, Schriftexegese, 107 f und R. KESSLER, Micha, 303 gegen T. LESCOW, Micha, 208 und H. W. WOLFF, BK XIV/4, 199. 82 Vgl. K. MARTI, Dodekapropheton, 300. 83 Auch in anderen historischen Epochen als der Zeit Nehemias k×nnte die Stadtmauer Jerusalems zerst×rt gewesen sein, z. B. wÅhrend des Vierten Diadochenkrieges (303–301 v.Chr.). Vgl. H.-J. GEHRKE, Hellenismus, 39. V. Tcherikover nimmt an, dass Ptolemaios I. vor seinem Abzug im Jahr 302 v.Chr. Breschen in die Mauer schlÅgt, um zu verhindern, dass sein Gegner Antigonus Jerusalem als Festung gegen ihn ausbaut. Bei der Wiederbesetzung Jerusalems (301 v.Chr.) kam Ptolemaios I. dann diese Offenheit der Stadt entgegen. Vgl. V. TCHERIKOVER, Civilization, 58. 84 Vgl. G. METZNER, Kompositionsgeschichte, 165.

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Schwierigkeiten bei der Interpretation l×st vor allem der undeutliche Begriff qc aus. Am besten mit dem Kontext harmoniert m.E. die Deutung von V. 11b als Ausblick auf eine Erweiterung des Territoriums. Eine Åhnliche Vorstellung findet sich in Jes 26,15, wo neben der fÛr die Zukunft erhofften Bev×lkerungsvermehrung ebenfalls eine Ausweitung der Grenzen erwartet wird.85 Das Motiv der Vergr×ßerung des Territoriums harmoniert mit der Vorstellungswelt und dem Kontext, so dass die EinfÛhrung einer anderen ErklÅrung nicht notwendig ist.86 Eine Aufhebung der Grenzen wÅre zudem ein singulÅres Motiv im Alten Testament, das einer weiteren ErklÅrung bedÛrfte. 5.3.2.3 Bewegung aus verschiedenen Richtungen Neben dem Mauerbau und der Ausweitung der Grenzen nennt V. 12 als Kennzeichen des kommenden Tages eine Bewegung zum angesprochenen Adressaten hin. Die unterschiedlichen Interpretationen des Verses in den frÛhen ºbersetzungen spiegeln kontroverse Diskussionen.87 Der von BHS Ûberlieferte Text gibt aus sich heraus Sinn, so dass zunÅchst versucht wird, den Text ohne die korrigierenden Interpretationen der anderen Versionen zu verstehen. Das angekÛndigte Kommen aus verschiedenen Richtungen reicht vom nord×stlichen Assur, dem einzigen eindeutig identifizierbaren Ort, bis zu befestigten StÅdten im Westen, m×glicherweise den KÛstenstÅdten, oder den von den PtolemÅern angelegten StÅdten im SÛden. Diese Verbindung von Šgypten und befestigten StÅdten ist sinnvoll, wenn man an die Kette von StÅdten hellenistischen Typs denkt, mit denen die PtolemÅer PalÅstina umgaben. Nach M. Rostovtzeff waren die PtolemÅer in PalÅstina StÅdtebauer und legten drei Ketten von Befestigungen um das Land: KÛstenstÅdte von Gaza nach Ph×nizien, eine Linie ×stlich des Jordans und eine im SÛden, im Land der IdumÅer.88 Mit der Bewegung in V. 12 ist eine geographische Achse von Nordosten bis SÛdwesten gelegt. Weiterhin ist eine Festung, ein Strom und das Mittelmeer genannt. Mit diesen drei Gr×ßen wird der Leser bestimmte Konnotationen verbunden haben. Denkbar wÅre, die Festung mit Tyros (Norden) oder Gaza (SÛden) zu identifizieren, fÛr den Strom kommt entweder der Euphrat (Nordosten) oder der Nil (SÛdwesten) in Frage. Auf jeden Fall ist 85 J. L. MAYS, Micah, 161 f schlÅgt dagegen vor, V. 11b als Aufhebung der Grenzen zu interpretieren. „The phrase might mean that Jerusalem will live in a world without limits which separate her life from the nations, and so prepare for the movement of people freely from all the world to her.“ In die gleiche Richtung geht auch die Interpretation von I. WILLI-PLEIN, Vorformen, 107 f. 86 Gegen W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 128 f. Vgl. dort auch die ausfÛhrliche Diskussion weiterer ºbersetzungen. Allerdings zeigen die Differenzen bei der Interpretation dieses Verses, dass keine Sicherheit Ûber die Bedeutung zu erreichen ist. 87 Eine Darstellung der verschiedenen TextÛberlieferungen und ºbersetzungen findet sich bei W. MCKANE, Micah, 224 ff. 88 Vgl. M. ROSTOVTZEFF, Gesellschaft, 274.

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ein weiterer Kreis um Jerusalem gezogen. Die ErwÅhnung des Mittelmeeres als eigenstÅndiger Gegend setzt voraus, dass sich der Blick Jerusalems Ûber die KÛstenstÅdte hinaus auf die Mittelmeerregion ausgeweitet hat. Die ErwÅhnung der Gebirge ist dagegen eher formelhaft und unterstreicht die UniversalitÅt der Bewegung. Die Aussage der AnkÛndigung erschließt sich also durchaus, aber ihre Bedeutung ist aus V. 12 selber kaum erkennbar. Der Text kann in verschiedene Richtungen gelesen und gedeutet werden,89 wie schon die antiken Versionen, aber auch die KorrekturvorschlÅge der Kommentatoren zeigen. V. 12 stellt die Auslegung vor folgende Schwierigkeiten: (1.) Die Vokalisierung der BHS liest in awbj ijdyw ein Suffix 2. m.Sg. Eigentlich wÅre wie in 11a Jerusalem als Adressat, d. h. ein Suffix 2. f.Sg., zu erwarten. BHS schlÅgt deswegen eine Korrektur vor. Wahrscheinlich aufgrund dieser Irritation kommt es zu weiteren abweichenden Lesungen. LXX Ûbersetzt mit kai` aıš po´leiß sou (ijryw), eine weitere M×glichkeit ist die ºbersetzung „deine Zeiten“ (ijtyw).90 Auch die Sg. Form des Verbes (awbj) ist unerwartet. So schlÅgt BHS vor, wawbj zu lesen.91 awbj ist aber durchaus als unpers×nlicher Ausdruck m×glich.92 Denkbar ist auch, dass der Sg. gewÅhlt ist, weil awbj als Verb die doppelte Funktion hat, nicht nur das Kommen aus den V×lkern, sondern auch das Kommen des Tages zu bezeichnen.93 (2.) Weitere Probleme haben die Orte, bzw. Landschaftsbezeichnungen neben Assur verursacht. rwsm wird als Synonym fÛr ¥jrsm gelesen oder als ErwÅhnung von Tyrus gedeutet.94 (3.) Eine grammatikalische Schwierigkeit bietet die Genitivverbindung rhh rhw. Eine M×glichkeit ist eine alternative Worttrennung (rh hrhw)95 oder die VerÅnderung von rhh in rhm.96 (4.) LXX liest V. 11 f: „Ein Tag des Streichens des Ziegels, deiner Ausl×schung, ein Tag ist jener, und er wird aufreiben deine Satzung und deine StÅdte kommen zur Einebnung und zur Teilung der Assyrer und deine StÅdte, die festen, zur Teilung von Tyros bis zum Fluss Syriens, ein Tag des Wassers und des Tosens.“ Diese LXX Version der beiden Verse lÅsst sich nur als Interpretation verstehen, die eine eigene Rezeption des Textes darstellt.97 Im Kontext von V. 11–13 lÅsst sich V. 12 als UnheilsankÛndigung in der Tradition des V×lkerkampfmotives verstehen, die sich gegen den Optimis-

89 90 91 92 93 94 95 96 97

Vgl. dazu W. MCKANE, Micah, 224 ff. Vgl. dazu W. MCKANE, Micah, 224. Vgl. auch H. W. WOLFF, BK XIV/4, 188 und W. MCKANE, Micah, 229. Vgl. dazu G. METZNER, Kompositionsgeschichte, 51 und R. KESSLER, Micha, 295. Vgl. dazu auch E. BEN ZVI, Micah, 176. So LXX. Vgl. auch W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 129. Vgl. W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 129. Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/4,188. Gegen W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 128 f.

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mus von V. 8–10 richtet. Feinde ziehen gegen Israel aus den verschiedensten Himmelsrichtungen und das Land wird zu WÛste (V.13). Diese Interpretation ist mit verschiedenen Textentscheidungen verbunden. ZunÅchst wird awbj ijdyw als awbj ijlyw gelesen; rwsm als Synonym fÛr ¥jrsm verstanden und xrah in V. 13 mit Israel gleichgesetzt. rwsm jryw sprengt den parallelen Aufbau, deshalb ist die Lesung rwsm dyw denkbar.98 J. D. Nogalski nimmt diese Facette des Textes auf. Auf Grund der von ihm angenommenen AnknÛpfung des Textes an die Hiskia Tradition99 sieht er V. 11 f als AnkÛndigung einer kommenden Unterwerfung Jerusalems unter fremde MÅchte.100 Damit liegt m×glicherweise eine Reflexion der Eroberung Jerusalems im Vierten Diadochenkrieg (303–301) durch Ptolemaios I. vor, die sich m×glicherweise auch in anderen biblischen Texten wie Sach 14,1 ff und Joel 4,4 ff spiegelt.101 Besonders auffÅllig ist die offene Formulierung, wenn man Mi 7,12 mit anderen Texten wie z. B. der Verheißung fÛr den Rest in Jes 11,11 vergleicht. Dort sind Orte und Gegenden genannt, von denen der Rest zurÛckgefÛhrt wird. Die Universalisierung der Bewegung nach Jerusalem in Mi 7,12 und die Unbestimmtheit der Herkunft der Kommenden lÅsst sich deswegen besser vom Hintergrund des V×lkerkampfmotives erklÅren als mit dem Restgedanken. Die Anspielung an das Motiv des V×lkerkampfes wird aber in Mi 7,12 nicht benutzt, um Israel das Gericht anzusagen.102 In den ProphetenbÛchern findet sich wie z. B. in Joel 4 oder Mi 4,11–13 das Motiv dort, wo den V×lkern das Gericht angekÛndigt wird. V. 12 lÅsst sich alternativ als Ausdruck der V×lkerwallfahrt zum Zion verstehen. Das doppelte geographische Kreisen entspricht dem Gedanken der V×lkerwallfahrt genauso wie die Universalisierung „von Gebirge zu Gebirge“ sowie die unpers×nliche Formulierung der Bewegung (awbj). FÛr die Deutung auf eine V×lkerwallfahrt spricht außerdem, dass diese Variante die wenigsten Eingriffe in den Textbestand des MT ben×tigt. Schließlich kann V. 12 als Ausdruck der Hoffnung auf die RÛckkehr aus dem Exil oder die Heimkehr der Diaspora verstanden werden. In diese Richtung geht H. W. Wolff und fÛhrt dafÛr Parallelen an.103 In diesen Texten werden Šgypten und Assur als die LÅnder genannt, aus denen die Diaspora zurÛckkehrt. In Jes 11,11 steht zudem die Vorstellung einer weltweiten Zerstreuung im Hintergrund. Voraussetzung dieser Interpretation ist die Lesung von awbj als wabj und rwsm als Synonym fÛr ¥jrsm. An die Stelle der Hoffnung auf die RÛckkehr der in Mesopotamien Exilierten,104 ist in Vgl. z. B. W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 129. Vgl. dazu 5.6.1. 100 Vgl. J. D. NOGALSKI, Precursors, 167. Vgl. dazu Sach 14,1 ff. 101 Vgl. M. HENGEL, Juden, 34. 102 Gegen J. D. NOGALSKI, Precursors, 166 ff. 103 Sach 10,10; Jes 11,11 f. und Jes 27,13. Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/4, 200. 104 Vgl. z. B. Jes 40,9 ff und Ez 34,1 ff. 98 99

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dieser spÅteren Zeit die Hoffnung auf die RÛckkehr der einstigen Bev×lkerung des Nordreiches und der in Šgypten lebenden Diaspora getreten. Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Vorstellung der RÛckkehr der Diaspora aus beiden LÅndern ist am wahrscheinlichsten die makedonische Herrschaft Ûber PalÅstina im 3. und 2. Jh. In dieser Zeit hatten das PtolemÅerreich im SÛden (Šgypten) und das Seleukidenreich im Nordosten (Assur) die Herrschaft Ûber die Region inne.105 Welche dieser drei Deutungen ist die wahrscheinlichste? Keineswegs kann man sagen, dass in 7,12 eindeutig die RÛckkehr der Diaspora gemeint ist.106 Ein Blick auf Vergleichstexte zeigt, dass dort im Unterschied zu Mi 7,12 aus dem Kontext jeweils klar wird, wenn es sich um eine RÛckfÛhrung aus der Diaspora handelt.107 Die Heimkehr aus der Diaspora wird außerdem jeweils als von Jhwh ausgehende Bewegung beschrieben.108 In Mi 7,12 ist dagegen nur von einem „Kommen“ die Rede. Gedanklich parallel zu Mi 7,12 ist Jes 27,12 f:109 Auch hier ist von einem Kommen die Rede (wabw) allerdings mit einem Subjekt (¥jdbah), das festlegt, dass mit dieser Bewegung die Diaspora gemeint ist. Gemeinsam ist beiden Stellen auch das Ziel der Bewegung: Jerusalem. Gerade wegen dieser fast parallelen Vorstellung fÅllt der Unterschied besonders auf: Jes 27,12 f hat nur die RÛckkehr der Diaspora im Blick, Mi 7,12 dagegen eine weitere Perspektive. Das Fehlen des Subjekts zu awbj ist nicht zufÅllig. Die Bewegung wird bewusst ausgeweitet.110 Die AbwÅgung der verschiedenen M×glichkeiten fÛhrt zum Ergebnis, dass der fÛr Mi 7,12 maßgebliche Redaktor mit verschiedenen Traditionen spielt. Eine KlÅrung der Interpretation wird gerade nicht vollzogen. Deshalb finden sich keine Formulierungen, die in die eine oder andere Richtung weisen.111 Weder an eine Wallfahrt anklingendes Vokabular wie z. B. das Verb ilh noch SchlÛsselw×rter aus Mi 4,1 ff werden aufgenommen. Es findet sich aber auch keine explizite Bezugnahme auf die Diaspora oder ein di105 Vgl. zu Jes 27,13. O. KAISER, Jesaja, 186. Dagegen fÛhrt H. W. WOLFF, BK XIV/4, 200 an, dass Assur auch in babylonischer und persischer Zeit „weithin der Name fÛr die Großmacht aus dem Norden“ bleibt. Mit diesem Argument kann er zwar die ErwÅhnung Assurs erklÅren, aber nicht die Zusammenstellung von Šgypten und Assur. 106 Gegen R. KESSLER, Micha, 304. Allerdings schwÅcht R. Kessler seine Aussage gleichzeitig ab, indem er nicht ausschließen will, „dass sich einzelne Nichtjuden zurÛckkehrenden Diasporajuden anschließen k×nnten“. R. KESSLER, Micha, 304. 107 Vgl. z. B. Sach 10,10; Jes 11,11 f und 27,13. 108 Vgl. Jes 11,11 f; Sach 10,10 und auch Hos 11,11. 109 Vgl. B. M. ZAPFF, Studien, 186. 110 Vgl. auch B. M. ZAPFF, Studien, 186. Daraus ergibt sich im Anschluss an B. M. Zapff auch, dass die Vorstellung in Mi 7,12 chronologisch Texten wie Jes 27,12 f oder Åhnlichen Texten wie Jes 11,11–16 und Sach 10,8–12 nachzuordnen ist. 111 Zu einem Åhnlichen Schluss kommt auch E. BEN ZVI. „Still v. 12 exhibits a lasting ambiguity regarding the identity of ‚they‘, and, accordingly, this verse creates an additional level of polyvalence in an already ployvalent verse.“ E. BEN ZVI, Micah, 177.

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rekter Verweis auf das V×lkerkampfmotiv. Denkbar ist, dass die Bewegungen der Diaspora und die der V×lker nach Jerusalem in der Vorstellung der Redaktion eins geworden sind und dass diese Bewegungen vor allem die zukÛnftige Bedeutung Jerusalems herausstellen sollen. Der Text bleibt fÛr Assoziationen offen. Diese Mehrschichtigkeit und Offenheit fÛr verschiedene Deutungen war auch schon Kennzeichen der den Michaschluss einleitenden ºberschrift 6,1 und der Nennung der Feindin in 7,8. 5.3.2.4 Mi 7,12bb Die LÅnge der AufzÅhlung in V. 12b ist ein Hinweis darauf, dass es sich bei V. 12bb um eine spÅtere Interpretation handelt. Wenn man rhh rhw ¥jm ¥jw als sekundÅren Nachtrag nimmt, ist damit zunÅchst eine ºbertreibung hinzugesetzt, die die UniversalitÅt steigert.112 Damit liegt aber auch eine leichte inhaltliche Verschiebung zu Gunsten des Zuges der Nichtisraeliten aus allen Richtungen vor. Denn auch wenn sich die jÛdische Diaspora bis in die hellenistische Zeit vergr×ßert und in weiteren Gegenden angesiedelt hat, ist sie kaum so universal, wie es V. 12bb formuliert. Auch die doppelte ErwÅhnung von rwsm k×nnte wie G. Metzner vermutet zu diesem Nachtrag geh×ren. „Šgypten gilt nun nicht mehr als Feindmacht, sondern, wie in Jes 19,18–25 als ein Ort, an dem jhwhglÅubige Nichtisraeliten wohnen k×nnen.“113 5.3.2.5 Historische Einordnung Die Hoffnung auf einen Mauerbau liefert keinen terminus ad quem, sondern ist auch in spÅtnachexilischer Zeit denkbar. Der Mauerbau ist nur ein Teil der Vorstellung von der nationalen Restitution und dem Wunsch einer Wiederkehr des Schutzes Jhwhs. Dies geht mit der Hoffnung auf die Ausweitung des Gebietes Jerusalems und Judas einher. Auch der geographische Horizont von V. 11 f macht die zeitliche Einordnung schwer. Assur ist genannt, auf Šgypten k×nnte angespielt sein. Dies lÅsst sich in der Zeit nach Alexander denken, in der die Herrschaft Ûber PalÅstina zwischen PtolemÅern und Seleukiden ausgefochten wird. Auch die Ausweitung des Blicks Jerusalems auf den Mittelmeerraum spricht eher fÛr die hellenistische Zeit.114 Die Diaspora in Alexandria hatte sich etabliert und wegen der Handelsbeziehungen und der aufblÛhenden Wirtschaft im 3. Jh. rÛckten erstmals auch mit dem kleinasiatischen Raum die Inseln und Meere stÅrker in den Blick Israels. Auch die Aufnahme gewisser Aspekte der V×lkerkampfmotivik passt zur makedonischen Zeit.

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So W. MCKANE, Micah, 227. G. METZNER, Kompositionsgeschichte, 165. 114 O. H. STECK, Prophetie, 84 nimmt an, dass die Inseln in den auf 311 v.Chr. folgenden Jahre in den Blick kommen. Diese Jahre sind vom Kampf in der ŠgÅis gezeichnet. 113

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5.3.2.6 Fazit Die V×lker kommen in den beiden Versen nur als Folie vor, von der sich Israel abhebt. Der Bau der Mauer und die Ausweitung der Grenzen geh×ren zur Hoffnung auf nationale Restitution. Sie haben primÅr innerisraelitische GrÛnde und nur sekundÅr Auswirkung auf die V×lker: Die V×lker verlieren den Einfluss Ûber das Territorium Israels, sie haben keinen Zugriff auf die jÛdische Diaspora und werden Jerusalem nicht mehr erobern k×nnen. Ihr eigenes Schicksal wird in diesem StÛck nicht thematisiert. Direkter sind die V×lker im Spiel zwischen V×lkerkampfmotivik, der Wallfahrt zum Zion und der RÛckkehr der Diaspora im Blick. Ohne dass der Zion oder Jerusalem genannt ist, wird seine Bedeutung mit 7,12 fÛr die V×lker und fÛr die ganze Welt herausgestellt. 5.3.3 VerwÛstung der Erde – V. 13 Die Erde wird zur WÛste115 werden wegen ihrer Bewohner116 als Frucht ihrer Taten.

V. 13 schlÅgt einen neuen Ton im Michaschluss an. Bisher wurde die Feindin zur Rechenschaft gezogen, jetzt geht es um die Erde und ihre Bewohner. Hinter der AnkÛndigung der VerwÛstung der Erde steht die Vorstellung eines weltumgreifenden Gerichtshandeln Gottes wie in Jes 24,1 ff und 26,21.117 Auch dort ist die Schuld der Bewohner der Grund fÛr das Gericht. Wegen dieser Parallelen lÅsst sich ausschließen, dass Israel das Ziel dieses Gerichts und mit xrah zu identifizieren ist. Die Verschiebung des Themas lÅsst sich am besten erklÅren, wenn man V. 13 als einen Zusatz ansieht, der die Prophetie von V. 10 ins Universale ausweitet und V. 16 f korrigiert, indem den V×lkern jeder Hoffnungsschimmer genommen wird.118 Dass der Vers redaktionellen Charakter hat, wird auch durch die Beobachtungen J. D. Nogalskis unterstÛtzt, dass V. 13 durch Syntax und Zusammenhang mit V. 11 f und V. 14 verbunden ist.119 Mi 7,13 kehrt außerdem 6,16 um. Die Drohung gegen die Feindin wird zur AnkÛndigung des Weltgerichts. Allerdings wird nicht nur der Feindin oder den V×lkern die totale Vernichtung angesagt, sondern der ganzen Erde.120 Israel ist von diesem Gerichtshandeln nicht ausgeschlossen. FÛr eine Aussonderung Israels gibt es in 7,13 keinen LXX: eı´ß a´fanismo`n. LXX: su`n toıÕß katoikouÕsin autv`n. 117 Vgl. auch Sach 14,16–19 und Ps 107,34. 118 So auch H. W. WOLFF, BK XIV/4, 191. 119 Allerdings will J. D. Nogalski mit dieser VerknÛpfung zeigen, dass es sich nicht um eine Glosse handelt. M. E. spricht der von ihm beschriebene Befund aber fÛr eine korrigierende, redaktionelle Aufnahme des Kontextes. Vgl. J. D. NOGALSKI, Precursors, 148. 120 Eine vergleichbare Aussage findet sich in Ps 107,33 f. In der NÅhe dazu ist auch Sach 14,17: Allen V×lkern, die nicht zum Zion kommen, wird der Regen entzogen. 115 116

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Anhaltspunkt.121 Von einer Rettung vor dem Weltgericht in Jerusalem oder auf dem Zion122 ist nicht die Rede. Spuren einer Zionstheologie, die die Voraussetzung des Gedankens einer partikularen Errettung vor dem Weltgericht sind, finden sich im ganzen Michaschluss nicht. Wahrscheinlich vermisst ein von der Jesaja-Apokalypse oder Åhnlichen Vorstellungen beeinflusster Schreiber die AnkÛndigung des universalen Weltgerichts am Schluss des Buches, bringt sie in Verbindung mit dem eschatologischen Tag des Wiederaufbaus und fÛgt sie in Anlehnung an Jes 24,1–5 ein. Deswegen ist Mi 7,13 eine Zusammenfassung von Jes 24.123 Aufgrund dieser AnknÛpfung schließt xrah gegen den eigentlichen Kontext des Michaschlusses auch Israel mit ein.124 Die Septuaginta setzt wie schon in 7,11 f andere Akzente. Alle Heilselemente sind in der ºbersetzung eliminiert. 7,11–13 hat vielmehr den Charakter eines Gerichtswortes gegen StÅdte und Bewohner. FÛr die Septuaginta ist weder eine fehlerhafte Lesung noch eine andere Vorlage anzunehmen. Einige Abweichungen lassen sich durch alternative Lesarten des Konsonantentextes erklÅren.125 AuffÅllig ist, dass die Septuaginta gerade in diesem Vers gr×ßere Šnderungen bietet, wÅhrend in vorhergehenden Teilen meist wortgetreu Ûbersetzt wurde. Die Septuaginta ºbersetzer konnten sich offenbar an dieser Stelle weder eine V×lkerwallfahrt nach Jerusalem vorstellen noch 7,12 als RÛckkehr der Exilierten verstehen. Auch die AnkÛndigung eines universalen Weltgerichts in V. 13 war fÛr sie nicht nachvollziehbar. Adressatin des Gerichtswortes der Septuaginta ist die Feindin. Daraus ergibt sich, dass als Feindin weder Assur noch Tyrus gesehen wird, da unter diesen beiden die StÅdte aufgeteilt werden. Auch Samaria kommt nicht in Frage, weil dann wohl von „der Stadt“ die Rede wÅre. Genauso scheidet eine Kollektivdeutung aus. Die Teilung ist geographisch am ehesten in Bezug auf das Perserreich sinnvoll. Edom und Šgypten kommen aus geographischen GrÛnden nicht in Frage.

Gegen K. MARTI, Dodekapropheton, 300 und R. KESSLER, Micha, 305. Vgl. Joel 3,5 und 4,16. 123 Mit G. METZNER, Kompositionsgeschichte, 165. 124 Thematisch Åhnliche EinfÛgungen finden sich auch im letzten Teil des Jesajabuches, dem so genannten Tritojesaja (Kap. 56–66), wie L. Ruszkowski nachgewiesen hat. In Jes 60,12 z. B. wird in das Bild einer Friedensepoche, die voraussetzungslos, d. h. ohne vorhergehendes Gericht kommt, der Untergang der dienstunwilligen V×lker eingetragen. Genauso sieht L. RUSZKOWSKI, Volk, 48 f. Jes 63,1–6 als ErgÅnzung zu 60–62, die die Vernichtung Edoms als ErfÛllung der Prophetie der Kap. 60–62 darstellen will. Durch diesen Zusatz wird erklÅrt, wie das in Jes 60–62 geschilderte Heil kommen soll: Erst muss die Vernichtung der Feinde kommen. 125 Vgl. J. D. NOGALSKI, Precursors, 149. 121 122

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5.3.4 Gebet – V. 14 f Weide dein Volk mit deinem Stab, das Kleinvieh deines Eigentums, das abgesondert wohnt im Wald mitten im Dickicht,126 sie sollen weiden in Basan und Gilead wie in den Tagen der Vorzeit, wie damals, als du aus dem Lande127 Šgypten auszogst. „Ich128 will ihm Wunder zeigen.“

Wie auch in V. 8–10 bittet V. 14 f unter Aufnahme der Motivik eines Klageliedes Jhwh um Eingreifen fÛr sein Volk.129 Diese „Bitte um neue gnÅdige FÛhrung und Verherrlichung Israels“130 fÛhrt unter Verwendung anderer Motive das Thema von V. 11 noch einmal aus. Jhwh wird gebeten, sein K×nigsamt Ûber Israel wieder zu Ûbernehmen und den Stab, d. h. die Herrschaft Ûber sein Volk, wieder selbst in die Hand zu nehmen. Der Hintergrund ist wie in V. 11 der Wunsch nach nationaler Restitution. Die Ausgangssituation wird allerdings gegenÛber V.11 anders beschrieben: Das Gebiet Judas ist auf das HÛgelland beschrÅnkt, das gute Weideland geh×rt anderen. Nicht die Machtausdehnung als solche steht im Vordergrund der WÛnsche, sondern eine bessere Versorgung der Herden und damit die Nahrungsversorgung der Bev×lkerung. Es spiegelt sich somit eine andere Vorstellungswelt als in Mi 7,11 f wider. Als Hintergrund ließe sich die frÛhnachexilische Zeit denken. Hinter der Vorstellungswelt von 7,14 f steht die Theophanie Jhwhs im Kampf gegen die Feinde Israels und die Landnahme, wie J. L. Mays gezeigt hat. „The victories which brought Israel into historical existence were the ‚wonders‘ . . . which made up the classical history of salvation.“131 Um die vage Aussage zu klÅren, ist ¥jrsm xram sekundÅr eingefÛgt worden. Die genannten Gebiete Basan und Gilead sind die ersten

126 Kein Anhaltspunkt findet sich dafÛr, dass LXX lmrk richtig als Ortsname wiedergibt. lmrk kann einen fruchtbaren Garten bezeichnen, wird aber auch als Bezeichnung fÛr einen

dichten Wald verwendet. Vgl. z. B. Jes 37,24. Da in V. 14 eine nicht zufrieden stellende Situation einer noch ausstehenden besseren Situation gegenÛbersteht, ist die zweite Bedeutungsm×glichkeit vorzuziehen. Vgl. dazu auch J. D. NOGALSKI, Precursors, 159 f und G. METZNER, Kompositionsgeschichte, 166. 127 Fehlt in LXX. Es handelt sich wahrscheinlich um eine spÅte Glosse. 128 Es k×nnte ein Abschreibfehler vorliegen, der durch die Lesung „lass uns Wunder sehen“ ausgeglichen werden kann. Vgl. K. MARTI, Dodekapropheton, 301. Man kann den MT aber auch mit H. W. Wolff als „bewusste Šnderung des Bittrufs in eine Heilszusage“ verstehen. H. W. WOLFF, BK XIV/4, 189. Auch LXX Ûbernimmt diesen Bruch. 129 Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/4, 201. 130 K. MARTI, Dodekapropheton, 300 f. 131 J. L. MAYS, Micah, 165.

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Gegenden im Ostjordanland, die nach den Berichten von der Landnahme noch zur Zeit Mose eingenommen worden waren.132 V. 14 f blickt nicht direkt auf die V×lker. Schon allein aus dem Bild und der Anspielung auf die Landnahme ergibt sich ein unkonkreter Horizont. FÛr die Aufnahme der Tradition war wahrscheinlich die hinter dem Wunsch nach der Ausweitung der WeideflÅche stehende Konfrontation mit den V×lkern entscheidend. Jede Verbesserung der Situation Jerusalems war nur auf Kosten seiner Nachbarn vorstellbar. Besonders das Interesse an transjordanischen Gebieten ist offensichtlich, wie es auch in weiteren jÛngeren Texten des Dodekapropheton deutlich wird.133 Ausl×ser dafÛr ist die Hoffnung auf Wiederbesiedlung von Teilen des Nordreiches oder die auf eine Vereinigung mit diesem. Im Hintergrund der Gottesrede 7,15b, „ich will ihm Wunder zeigen“, steht auch eine indirekte Relation Jhwhs zu den V×lkern. Die Wunder, die Israel von Jhwh in den Exodus- und Landnahmegeschichten erzÅhlt, sind primÅr Wunder vom Sieg gegen Feinde des Volkes wie z. B. die Vernichtung der Šgypter, die damit genauso wie die Assyrer wieder hinter der Vorstellung stehen. 5.3.5 Unterwerfung der V×lker – V. 16 f Die V×lker werden sehen und beschÅmt werden an all ihrer StÅrke, sie werden die Hand auf den Mund legen, ihre Ohren werden taub. Sie werden Staub lecken, wie eine Schlange wie die, die auf der Erde kriechen, sie treten zitternd aus ihren Zufluchten134 132 Vgl. z. B. Num 21,33–35 und Num 32. J. D. Nogalski fÛhrt an, dass der in Mi 7,14 erwÅhnte Hirtenstab Jhwhs, nicht nur positive Konnotationen trÅgt: Der Stab Jhwhs ist außer in Ps 23,4 mit der Gerichtsvorstellung verbunden. So wird Assur z. B. im Jesajabuch als Stab Jhwhs bezeichnet, der das Gericht bringt. Vgl. z. B. Jes 10,5 u. a. Auch das Ezechielbuch bezieht den Stab auf das Gericht1 wie auch das Amt des Hirten als solches. Z. B. Ez 34,17–22. Hier wird allerdings der Hirtenstab Jhwhs nicht erwÅhnt. Im Hintergrund der Aufnahme dieses Motivs im Ezechielbuch steht die Trennung zwischen Frevlern und Gerechten innerhalb Israels. Vgl. dazu K. KOENEN, Heil, 67 ff. Wenn diese Gerichtskonnotation in Mi 7,14 mitschwingen wÛrde, wÅre sie m.E. eher als Gericht innerhalb Israels zu verstehen und nicht wie von J. D. Nogalski vertreten als Anspielung auf die Ereignisse des 8. Jh. Gegen J. D. NOGALSKI, Precursors, 165. Vgl. zur Position J. D. Nogalskis ausfÛhrlicher 5.6.1. Auch ohne diese Anspielung hat der Text eine klare Aussage: Die Herde Jhwhs hofft von ihrem Hirten in fruchtbareres Land gefÛhrt zu werden. Gegen J. D. Nogalski fÛhrt B. M. ZAPFF, Studien, 189 an, dass ubf in Verbindung mit der Hirtenmetapher ein Bild fÛr FÛrsorge darstellt und nur die ErwÅhnung von ubf ohne diese Metapher Gerichtsimplikationen hat. Dies verweist wie auch Mi 7,15 eher auf Landnahmetradition als auf Gerichtsmotivik. 133 Vgl. Ob 19; Nah 1,4 und Sach 10,10. 134 In dieser Bedeutung kommt trgom nur in Mi 7,17 und den beiden Parallelstellen Ps 18,46 und II Sam 22,46. Gesenius schlÅgt eine ºbersetzung mit „Schloss“, „Feste“ oder „Burg“

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zum Herrn unserem Gott,135 sie werden sich bebend nahen und dich fÛrchten.

Auf das Ergebnis des in V. 14 f erbetenen Eingreifen Jhwhs blicken V. 16 f voraus. Das zukÛnftige Schicksal der V×lker wird in drei Bildern ausgemalt. Die beiden ersten Bilder kÛndigen die bedingungslose Kapitulation der Feinde und damit der Beterin den Sieg Jhwhs an. M×glicherweise steht V. 16 in Beziehung zu 5,14: Die V×lker, die nicht h×ren wollten, werden jetzt unterworfen und als Strafe dafÛr taub. Lecken des Staubes ist wie in Jes 49,23 ein Bild fÛr die Unterwerfung von Feinden.136 Der Sinn des dritten Bildes ist schwieriger zu ermitteln. Ist die Wendung zu Jhwh als AnkÛndigung eines ehrfurchtsvollen GehorsamsverhÅltnisses denkbar, wie es z. B. in Jona 1,16 vorgestellt wird oder hat vielleicht Mi 4,1–3 ein Gebet ausgel×st, dessen Ziel die Hinwendung der V×lker zu Jhwh ist? ZunÅchst ist zu klÅren, was der Wunsch bedeutet, dass die V×lker „zitternd hervorkommen“ und woraus sie hervorkommen sollen. zgr bedeutet mit Menschen als Subjekt das Erbeben nach einem Schrecken; insbesondere die Furcht nach einem Eingreifen Jhwhs oder nach einer Begegnung mit einem Zeichen der Theophanie Jhwhs.137 Mit der folgenden PrÅposition vm setzt es eine Bewegung voraus, wobei das Verbum der Bewegung nicht ausgesprochen ist.138 Eine Åhnliche Formulierung mit dem Verb grc findet sich im doppelt Ûberlieferten Ps 18,46 (II Sam 22,46). Da der auf die Feinde bezogene Teil des Psalms (V. 36–47) weitere thematische Parallelen zu Mi 7 aufweist und auch die Glosse 10bg von Ps 18 literarisch abhÅngig ist, wird in einem Exkurs die V×lkerthematik in Ps 18 untersucht und die am Psalm gemachten Beobachtungen auf Mi 7,16 f Ûbertragen. 5.3.5.1 Exkurs: die V×lkerthematik in Ps 18 und II Sam 22 Im zweiten Teil des Psalms, hinter dem sich sich ein eschatologisch Ûberarbeitetes Dank- und Siegeslied eines K×nigs vermuten lÅsst (V. 36–46) treten zwei Gruppen Feinde auf. Mit ihnen kommen die V×lker in den Blick: Feinde fliehen vor dem Beter und werden dennoch von ihm aufgebracht vor, die aber nicht anderweitig belegt ist. Die Bedeutungsm×glichkeit „Verschlussleiste“ (vgl. Ex 25,25.27 u. ×.) ist zu verwerfen. Die NÅhe zu rgom legt eine ºbersetzung als „Grube“ oder „GefÅngnis“ nahe. Vgl. z. B. Jes 24,22 und 42,7. Die PrÅposition vm zeigt aber eine Bewegung an, die nicht mit dem Bild von den im GefÅngnis zitternden in Einklang zu bringen ist. Deswegen geht die ºbersetzung auf das Verb rgo zurÛck, mit der Grundbedeutung „verschließen“, „zuschließen“. 135 Mit K. Marti sieht H. W. WOLFF, BK XIV/4, 189 diesen Versteil als Nachtrag, der sichert, dass Jhwh als Angeredeter verstanden wird und nicht fÅlschlicherweise Israel. 136 Vgl. dazu K. MARTI, Dodekapropheton, 301. 137 Die Bewohner Israels erbeben z. B. nach der AnkÛndigung des Tages Jhwhs durch die Posaunen (Joel 2,1), die V×lker erzittern auf Grund der Theophanie Jhwhs (Ps 99,1). Vgl. auch Hab 3,16. 138 Vgl. GK §§ 119ee-gg und H. W. WOLFF, BK XIV/4, 203.

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und get×tet. Als Hintergrund dieser ersten Gruppe Feinde sind innenpolitische Gegner eines K×nigs, wie z. B. erfolglose Putschisten vorstellbar. Auch ein begrenzter militÅrischer Konflikt mit Nachbarn wÅre denkbar. Ab V. 43 wird dagegen deutlich, dass hinter diesen Feinden eine gr×ßere Gruppe steht. Sie werden wiederum vom Beter besiegt, aber nicht nur ihre Kraft vernichtet, sondern auch unterworfen. Ich zerreibe139 sie wie Staub vor dem Wind, wie Straßenschmutz140 leere ich sie aus.141 (Ps 18,43) Du rettest mich aus zahlreichem Volk, du setzt mich als Haupt Ûber die V×lker ein, Volk142, das ich nicht kannte, sie dienen143 mir. (V. 44) Sobald sie eine Stimme h×ren, gehorchen sie mir, mir heucheln die S×hne der Fremde Ergebung.144 (V. 45) Die S×hne der Fremde liegen ersch×pft dar,145 und kommen zitternd aus ihren Zufluchten146 hervor.147 (V. 46)

Das unbestimmte sie in V. 43 wird durch den Ausdruck rkn jnb (V. 45 f) als GegenÛber zwischen dem Beter als Herrscher und den V×lkern nÅher bestimmt. Wenn man den Psalm ab V. 36 in einem Zug liest,148 gewinnt man den Eindruck, dass es sich bei den dem Beter gegenÛberstehenden Feinden um V×lker handelt. Wie in Mi 7,16 f stehen Vorstellungen der Vernichtung, Erniedrigung (V. 43) und Unterwerfung der Feinde, bzw. der V×lker, (V. 44 f) eigentÛmlich nebeneinander und mÛnden in V. 46. Die Feindperspek139 qcf mit Menschen als Objekt findet sich nur hier und in II Sam 22,43. Die Bedeutung ist aber durch Hi 14,19 und Ex 30,36 eindeutig. 140 Vgl. die ErlÅuterung zu Mi 7,10 in 5.3.1. 141 H.-J. KRAUS, BK XV, 138 hÅlt BHS „ich leerte sie aus“ im SinngefÛge fÛr unm×glich und liest mit II Sam 22,43 „ich zertrat sie“. Die Entscheidung ist m.E. schwer, da der erste Teil des ersten Bildes „ich zerreibe“ parallel zu „ich zertrete“ stehen k×nnte, der zweite Teil „wie Staub vor dem Wind“ durchaus zu einem „Ausleeren“ z. B. eines Schutteimers auf die Straße passen k×nnte. Wegen dieser Unklarheit sehe ich keinen Anlass, den Text zu Åndern. 142 Hier ist es unklar, ob ¥y kollektiv zu verstehen ist, wie in V. 44a oder ein einzelnes Volk gemeint ist. Der Kontext legt eher eine kollektive Deutung nahe. 143 dby hat sowohl die Konnotation Verehrung als auch die des Untertans. 144 BHS sieht V. 45b als textinterne Variante. 145 lbn hat auf der einen Seite die Bedeutungsvarianten „ersch×pft daliegen“, „hinsinken“ (vgl. Ex 18,18) und auf der anderen „zerfallen“, „einstÛrzen“ (vgl. Hi 14,18). Vom Kontext liegt es nahe, mit „hinsinken“ zu Ûbersetzen. Es ist aber auch eine Bedeutung m×glich, die stÅrker die Zerst×rung der Feinde im Sinn hat. 146 Vgl. die Anmerkung zu Mi 7,17 in 5.2.3. 147 H.-J. KRAUS, XV, 138 Ûbersetzt „zittern aus ihren Kerkern“. Die PrÅposition vm legt aber m.E. die Annahme einer Bewegung nahe, die von einer Åhnlichen Formulierung in Hos 11,11 unterstÛtzt wird. 148 Eine synchrone Lesung des Textes ist fÛr die Fragestellung des Exkurses ausreichend, da hier davon ausgegangen wird, dass der Psalm im Wesentlichen den letzten Redaktoren des Michabuches vorgelegen hat. Vgl. zur Redaktionsgeschichte F.-L. HOSSFELD/E. ZENGER, Psalmen, 118 ff.

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tive des Psalms wird so auf eine allgemeine V×lkerperspektive hin gelenkt und eine Vorstellung von der Unterwerfung der V×lker entwickelt. Das Nebeneinander ließe sich damit erklÅren, dass es nicht Ziel des Psalms ist, eine eschatologische Aussage Ûber die Zukunft der V×lker zu machen. Die Feinde, bzw. die V×lker dienten dann nur zur Illustration, dass Gott den Beter aus tiefster Not aufs h×chste erh×ht.149 Die Frage nach einer in sich kohÅrenten Vorstellung des VerhÅltnisses zwischen Israel und den V×lkern erÛbrigte sich damit. M. E. geht Ps 18 aber gerade Ûber die Schilderung der Not und deren Aufhebung durch die Vernichtung Feinde hinaus. Im Hintergrund des zweiten Psalmteiles k×nnte eine alte Jerusalemer K×nigstradition von der Weltherrschaft des K×nigs stehen,150 oder ein spÅteres Motiv der eschatologischen Herrschaft Jerusalems (hier in Person des K×nigs) Ûber die S×hne der Fremde. Die Erinnerung an die Not, die in der in V. 44 geschilderten Rettung anklingt, ist m.E. eher damit zu erklÅren, dass eine Åltere Tradition, wie z. B. ein Dank- oder Siegeslied eines K×nigs, auf die V×lkerperspektive hin rezipiert wurde. Wenn man die eschatologische V×lkerperspektive als Niederschlag dieser Rezeption liest, erklÅren sich die leichten WidersprÛche am besten. D.h.: Die eigentliche Aussage der Vernichtung der Feinde des K×nigs (V. 43), wird um ein neues Motiv ergÅnzt. Als historischen Hintergrund k×nnte man eine Situation annehmen, in der innerhalb Israel das Fremde, d. h. das was die V×lker reprÅsentierten, wie z. B. die EinflÛsse des Hellenismus, zu einer GefÅhrdung der eigenen IdentitÅt wurde. Die Adressaten des Motivs wÅren dann innerhalb Israels zu suchen. Ihnen wird vermittelt, dass die fremden EinflÛsse, denen sie sich vielleicht ×ffnen, in Zukunft wertlos werden, da die V×lker sowieso Israel untertan werden. Eine andere M×glichkeit der Interpretation ist dadurch gegeben, dass Ps 18 doppelt Ûberliefert ist. Eine Fassung des Psalms findet sich in den NachtrÅgen des Samuelbuches.151 H.-P. Mathys sieht II Sam 22 als theologische Zusammenfassung des zweiten Samuelbuches. Diese Annahme kann schlÛssig die Besonderheit des Psalms erklÅren: Eigenschaften und Handlungen werden dem Beter (d. h. David) zugeschrieben, die sonst nur von Gott ausgesagt werden. „Synergismus von Gott und K×nig zeichnet diesen Teil des Psalms aus.“152 Wenn der Psalm als theologische Verarbeitung der Davidsgeschichte gestaltet wurde, bildet diese den hermeneutischen Rahmen des Psalms. Von der Davidtradition aus ist eher an eine Unterwerfung der Nachbarv×lker zu denken als an deren Vernichtung. Auf die Unterwerfung folgt die Huldigung Davids durch die V×lker. Vgl. H.-J. KRAUS, BK XV, 148. So K. SEYBOLD, HAT I/15, 83 f. 151 Vgl. dazu E. ZENGER, Einleitung, 154. 152 H.-P. MATHYS, Dichter, 147. Dagegen meint H.-J. KRAUS, XV, 139, dass Ps 18 dem „textkritisch zu erarbeitenden Urbild“ nÅher als II Sam 22 steht. 149 150

Untersuchung von Mi 7,8–20

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5.3.5.2 ºbertragung der Ergebnisse auf V. 16 f Wenn Ps 18,46 mit seinem hermeneutischen Horizont fÛr das VerstÅndnis der Wendung ¥hjtrgomm wzgrj einbezogen wird, kann es sich in Mi 7,16 f nicht um den Bericht von einem erneuten Sieg Ûber die V×lker handeln. Vielmehr wird die Perspektive weiter gefÛhrt: Mi 7,17 formuliert eine allerdings noch sehr verhaltene positive Perspektive fÛr die V×lker. Die Intention des Verses lÅsst sich nicht auf den Wunsch nach einer Umkehrung der VerhÅltnisse reduzieren.153 Diese Annahme lÅsst sich noch weiter stÛtzen: Vor ¥hjtrgomm setzt Mi 7,17 wzgrj statt wgrcj (Ps 18,46). Wenn es sich bei Mi 7,17 um ein Zitat handelt, ist dies eine bewusste Akzentuierung. Der Micharedaktor benutzt statt des statischen Begriffes wgrcj einen anderen, um die Aussage der Bewegung zu verstÅrken. 5.3.5.3 Fazit Im Unterschied zu V. 11 f kommen die V×lker in V. 16 f nicht nur als Folie fÛr Israel vor. Ausblicke in ihre Zukunft bleiben aber auf Israel bezogen. Zum zukÛnftigen Heil geh×rt fÛr Israel der Sieg Jhwhs Ûber die Feindin, d. h. das Ende der stÅndigen Bedrohung durch die V×lker der Umgebung. Aus dieser Notwendigkeit wird alles weitere entwickelt: Jerusalem oder Israel erfreut sich an der DemÛtigung und an der Unterwerfung. Die V×lker stehen somit nicht selber im Mittelpunkt der ºberlegung. GegenÛber V. 8–10 hat sich die Feindperspektive verÅndert. Die Feindin ist nicht mehr diejenige, die Jerusalem oder Israel verspottet, sondern das kriegerische, feindliche GegenÛber. Als Umkehrung und von seiner eigenen inneren Logik impliziert das Bild der Unterwerfung und des Sieges eine Perspektive fÛr die V×lker. Es er×ffnet sich ihnen die M×glichkeit, sich Jhwh zu nÅhern, wie dies einem besiegten Heer gegenÛber dem HeerfÛhrer des Siegers m×glich ist. Das ist ihr Weg zum ºberleben. 7,16 f hat damit eine andere Vorstellung als 7,13 und auch eine andere Perspektive als 7,11. Besonderes Gewicht bekommt die Konzeption von 7,16 f dadurch, dass das Thema der V×lker in der Michaschrift mit beiden Versen abgeschlossen wird. 5.3.6 SÛndenvergebung und Gnade Jhwhs – V. 18–20 Wer ist ein Gott wie du, der Schuld154 vergibt und SÛnde verzeiht dem Rest seines Eigentums,155 der nicht festhÅlt an seinem Zorn bis zur Ewigkeit,

153

Gegen H. J. KRAUS Psalmen I, 148 f. LXX: a™diki™aß. 155 Nach K. Marti ein Zusatz, der „den Gedanken ausdrÛcklich fern halten sollte, als ob Jhwh auch den Heiden vergebe“. Vgl. K. MARTI, Dodekapropheton, 302. 154

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denn er hat Freude an der Gnade. Er wird sich wieder unser erbarmen, er wird unsere Schuld mit FÛßen treten.156 Du wirfst in die Tiefe des Meeres all ihre SÛnden. Du wirst Treue geben Jakob und Gnade Abraham, wie du geschworen hast unseren VÅtern in den Tagen der Vorzeit.

Der hymnische Abschluss des Michabuches fÛhrt aus, dass Gott „dem Rest seines Eigentums“ gnÅdig und treu ist. Damit wird unter Aufnahme von Vokabular aus der so genannten Gnadenformel157 Mi 7,7–20 abgeschlossen sowie gleichzeitig ein Schlusspunkt unter das ganze Buch gesetzt. Der Beter qualifiziert das eigene Verhalten oder das Verhalten des Volkes mit diesem Hymnus als Schuld, und preist die Vergebungsbereitschaft Jhwhs gegenÛber seiner hlcn. Damit wird die Treue Gottes zu Israel deutlich, bzw. zu der Gruppe, die sich als „Rest seines Eigentums“ versteht. Diese Bezeichnung ist m.E. mit dem wir in 7,19 zu identifizieren. Es wird versucht, der eigenen Gruppe einen Namen zu geben. Hintergrund der Aufnahme des Begriffes Rest ist die Vorstellung, dass der Rest das wahre Israel symbolisiert. V. 18 ff bilden einen Kontrapunkt zu V. 16 f: Die V×lker werden von Jhwh gestraft, bzw. unterworfen, die Schuld Israels dagegen vergeben. In der Schilderung der Vergebungsbereitschaft Jhwhs sind zwei Verschiebungen zu beobachten: (1.) Von Jhwh ist in V. 19b nicht mehr in der 3. Sg. die Rede, sondern in der 2. Sg. (2.) Der hlcn und „unserer“ Schuld (wnjtnwy) werden „all ihre“ SÛnden (¥twauc lk) gegenÛbergestellt. Vom Text her ist also eine weitere Gr×ße anzunehmen, die nicht mit Israel, dem sonst in 7,7 ff angesprochenen Jerusalem oder der hlcn identisch ist. V. 20 kehrt wieder zur Redeweise von 19a zurÛck. Die neuere Forschung versteht das StÛck durchweg als einheitlich.158 M. E. ist dagegen die Unterscheidung K. Martis von zwei Textschichten in

156 W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 130 verÅndert die Punktierung und Ûbersetzt mit „abwaschen“. Dies ist m.E. fÛr das VerstÅndnis des Textes unn×tig, da das Bild keine Probleme bereitet. 157 Vgl. H. SPIECKERMANN, Barmherzig, 3 und dazu auch 6.3. 158 Von einigen Kommentatoren werden die Differenzen zwischen V. 19b und V. 19a durch eine Korrektur des Textes eliminiert. FÛr das VerstÅndnis sind diese Šnderungen aber nicht zwingend. W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 130 punktiert in 7,19a fbkj anders und Ûbersetzt statt „er tritt nieder“ mit „er wÅscht nieder“, weil dies zum Bild in 7,19b besser passt. In V. 19b nimmt er zwei Šnderungen vor: Die 2.Sg. ist „noch nicht am Platz“ und „durch den Vorblick auf V. 20 hereingekommen.“ „Ihre“ SÛnden wird im Anschluss an V. 18.19a in „unsere“ verÅndert.

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V. 18–20 aufzunehmen.159 Allerdings handelt es sich bei den beiden unterschiedlichen StÛcken nicht um zwei Psalmfragmente, sondern um unterschiedliche Rezeptionen des Michaschlusses. Keinen Grund gibt es auch V. 18 als literarisch uneinheitlich zu sehen.160 Die w×rtlichen Parallelen zu V. 14 lassen darauf schließen, dass in V. 18.19a.20 eine literarische Bildung vorliegt, die unter Aufnahme von V. 14 redaktionell zusammengestellt wurde. V. 19b ist dagegen eine spÅtere EinfÛgung, die von V. 19a inhaltlich und von V. 20 syntaktisch beeinflusst161 die SÛndenvergebung noch einmal neu durchdenkt. Dabei wird ein Bild verwendet, das auch in Jona 2,4 gebraucht ist. Die Formulierung hlwsm mit klf im hifil kommt nur an diesen beiden Stellen vor. Mi 7,19b k×nnte deswegen auf die Situation Jonas anspielen. Die EinfÛgung von V. 19b ist also erst nach oder im Zusammenhang mit der Aufnahme des Jonabuches in das Zw×lfprophetenbuch denkbar.162 Die Bewertung der VerknÛpfung zwischen Jona 2,4 und Mi 7,19b ist nicht einfach, weil die Parallele weder auf Hauptaspekte des Jonabuches anspielt, noch die Kernaussage von Mi 7,18–20 betrifft. Vielmehr wird in der Sprache von Jona 2,4 die SÛndenvergebung noch einmal mit einem neuen Bild ausgedrÛckt. M×glicherweise wird damit die Errettung Jonas mit dem Heil der betenden Gemeinde verglichen.163 Der Wechsel der Suffixform lÅsst sich nicht durch die Aufnahme aus dem Jonabuch erklÅren. Deswegen ist die Annahme wahrscheinlich, dass eine Rezeption des Michaschlusses das Konzept der SÛndenvergebung, bzw. die Relevanz der Gnadenformel ausgehend vom Jonabuch neu durchdenkt und die Zuwendung von Jhwhs Gnade auch auf eine Gruppe ausweitet, die Ûber Jhwhs hlcn hinausgeht. M×glicherweise sind damit die V×lker gemeint, die sich bebend vor Jhwh niederwerfen. Im Hintergrund dieser EinfÛgung k×nnte ein Schreiber stehen, dem die AnkÛndigung der exklusiven, auf Israel bezogenen SÛndenvergebung in V. 18.19a.20 nicht ausreicht und deswegen vorsichtig den Blick auf eine Heilsperspektive fÛr die V×lker ×ffnet. Trotz dieser Akzentverschiebung bleibt V. 19b dennoch im Rahmen der Aussage des Michaschlusses.

159 V. 18a.19b.20 und V. 18b.19a sind unterschiedliche Psalmfragmente. Vgl. K. MARTI, Dodekapropheton, 298. 160 Vgl. K. MARTI, Dodekapropheton, 300 ff. 161 V. 19b Ûbernimmt aus V. 20 die 2. Sg. 162 „Since other evidence indicates that the incorporation of Jonah into the Book of the Twelve postdated the majority of Mic 7: 8–20, it is permissible to conclude that 7: 19b provides evidence as to how the book of Jonah was intended to be interpreted by those who incorporated it into the Book of the Twelve.“ J. D. NOGALSKI, Precursors, 153. Vgl. dazu auch G. METZNER, Kompositionsgeschichte, 166 f. 163 Vgl. J. D. NOGALSKI, Precursors, 153.

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5.4 Die Entstehung des Michaschlusses WÅhrend es lange Zeit um das Michabuch relativ still war, sind in jÛngster Zeit einige Arbeiten zur Redaktion und Auslegung des Michabuches erschienen. Diese werden nach einem kurzen ºberblick Ûber die wichtigsten AnsÅtze der Ålteren Forschungsgeschichte ausfÛhrlich dargestellt. Eine eingehende Diskussion der AnsÅtze kann hier nicht erfolgen. Die Ausgangspunkte der verschiedenen Modelle sind so unterschiedlich, dass sie kaum miteinander vergleichbar sind. Zudem sprengt eine Diskussion der einzelnen Ergebnisse den Rahmen dieser Arbeit. Aus der Forschung werden methodische Schlussfolgerungen fÛr eine eigene Hypothese der Entstehung des Michaschlusses gezogen. Bevor eine historische Einordnung des Michaschlusses vorgenommen wird, diskutiert ein Exkurs vermeintliche Parallelen des Stoffes mit dem so genannten Tritojesaja. An die ºberlegungen zum Entstehungsmilieu schließt sich die Hypothese zur Komposition des Michaschlusses an. 5.4.1 ºberblick Ûber die Forschungsgeschichte 5.4.1.1 Die Åltere Literarkritik Die literarkritische Forschung am Anfang des Jh. sieht Mi 7,7–20 als ZusammenfÛgung zweier ursprÛnglich selbstÅndiger psalmartiger StÛcke, die auf Grund des Wechsels der Rede von Jhwh in 2. oder 3. Sg. und des Rhythmus geschieden werden. Beide StÛcke164 werden ausgehend von der ErwÅhnung Assurs und Šgyptens in die Zeit der makedonischen Herrschaft Ûber PalÅstina datiert.165 Der Zweiteilung von Mi 7,8–20 ist die weitere Forschung nicht gefolgt. Das Kriterium fÛr die Unterscheidung bleibt zu formal. Zudem ist der fÛr eine ursprÛngliche Psalmfassung vermutete Anschluss von V. 18b.19a an V. 7–13 nicht harmonisch. Trotz dieser methodischen Schwierigkeit schÅrfen B. Stade und K. Marti den Blick dafÛr, dass 7,7–20 sprachlich und konzeptionell uneinheitlich ist, wenn man von der Einheit eines Textes inhaltliche Konsistenz erwartet. Einen anderen Weg, die Unterschiede zu erklÅren geht B. Duhm. Er fÛhrt „drei Gedichte mit tr×stlichem Inhalt“ auf verschiedene Verfasser zurÛck.166 Daran anschließend unterscheidet E. Sellin drei Lieder aus exilisch-nachexilischer Zeit von der „Erh×hung des Zions Ûber die Heidenwelt“.167

164 Das erste StÛck besteht aus V. 7–13.18b.19a, das zweite aus V. 14–18a.19b.20. Vgl. dazu K. MARTI, Dodekapropheton, 298 ff. 165 Vgl. K. MARTI, Dodekapropheton, 298. Daran schließt sich W. NOWACK, Propheten an. 166 B. DUHM, Anmerkungen, 54 f. 167 Ein Rachelied (V. 8–10), eine Prophetie (V. 11–13) und ein Gebet (V. 14–20). Vgl. E. SELLIN, Zw×lfprophetenbuch, 302.

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5.4.1.2 Impulse der Formgeschichte Auf Grund von Vergleichen mit Åhnlichen Psalmengattungen sieht H. Gunkel V. 7–20 als kunstvoll zusammengesetztes und „von verschiedenen Stimmen an einem der Trauertage Jerusalems als Liturgie“ aufgefÛhrtes Gedicht168 der Zeit Tritojesajas. Auf eine Volksklage (V. 7–10) folgt eine Weissagung oder ein prophetisches Orakel (V. 11–13). Beide zusammengeh×rige StÛcke bilden „ein gut geordnetes Kunstwerk“.169 Ein Gebet in der Form eines Volksklageliedes (V. 14–17) und ein mit den eschatologischen Hymnen in Jes 40–55 vergleichbarer Hymnus (V. 18–20) schließen das Kapitel ab.170 Der Sprecherwechsel und die thematischen Unterschiede werden damit durch die Eigenart der Gattung erklÅrt. AnknÛpfend an H. Gunkel bestimmt A. Weiser Mi 7,8–20 als prophetische Liturgie, die zeigt, „wie der nachexilische Gottesdienst als Ort diente, die religi×se Tradition in der Gemeinde lebendig zu erhalten und fÛr ihre Gegenwartslage fruchtbar zu machen.“171 5.4.1.3 Der Kommentar H. W. Wolffs Die fÛr lange Zeit klassische Position zur Redaktion des Michabuchs hat H. W. Wolff ausgearbeitet.172 Mi 6,2–7,7 fÛhrt er auf eine separate Gruppe in der heilsprophetisch-universalistisch orientierten Tradentengruppe zurÛck, die sich an Michas Anklagen orientiert und sich den MissstÅnden in frÛhnachexilischer Zeit zuwendet. Ein letzter Arbeitszweig der Tradentenschule richtet die VerkÛndigung Michas (Kap. 1–3), die der neuen Heilsprophetie (Kap. 4 f) und die NachtrÅge der Sozialkritiker (6,2–7,7) nach 587 liturgisch fÛr die gottesdienstliche Lesung her. Er fÛgt als Antwort der Gemeinde drei Psalm-stÛcke hinzu: Ein Vertrauenslied (V. 8–10); ein Gebet (V. 14–17) und ein Hymnus (V. 18–20). Die zeitliche Einordnung ergibt sich aus Sprachvergleichen und thematischen Parallelen, mit Texten, die H. W. Wolff dem deuteronomistischen Geschichtswerk zuordnet, sowie aus AnklÅngen an die Klagelieder und an tritojesajanische Texte.173

H. GUNKEL, Micha, 176. H. GUNKEL, Micha, 162 f. 170 Vgl. H. GUNKEL, Micha, 158 ff. 171 A. WEISER, ATD 24, 288 f. In diese Richtung geht auch die Interpretation W. Rudolphs. 172 Vergleichbare Positionen vertreten A. DEISSLER, Propheten und E. OTTO, Micha. 173 Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/4, 193 f. Die auffÅlligsten Verwandtschaften weist der Michaschluss zu Jes 63,7–64,11 auf. Nach der neueren Forschung einem wahrscheinlich sehr spÅten Teil des Jesajabuches. Vgl. O. H. STECK, Prophetie, 91 ff. AnklÅnge an Jes 59,9–15 sind m.E. dagegen weniger deutlich. Auch thematische Beziehungen von Mi 7,8 f zu Jes 59,9–15 und vermeintliche Šhnlichkeiten von 7,14 zu Jes 63,10 ff und Jes 64,8 sind nicht so stichhaltig, dass Mi 7,7.8–20 auf Grund seiner Parallelen in die frÛhnachexilische Zeit zu datieren wÅre. 168 169

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7,11–13 weisen als spÅteste Kommentarnotizen im Buch in die Zeit vor Nehemia (erste HÅlfte des 5. Jh.).174 H. W. Wolff wendet sich mit seiner Analyse gegen die Bestimmung von 7,8–20 als einheitlicher Liturgie, weil bei einer strukturell durchgefÛhrten Liturgie Responsorien zu erwarten wÅren. StichwortbezÛge oder thematische Entsprechungen weisen eher auf einen literarischen Kontext hin und passen weniger zur Vorstellung einer Liturgie. „Die Hoffnung auf Heil fÛr Israel“ ist „allen vier StÛcken gemeinsam.“ Da „der Weg zu diesem Ziel . . . recht unterschiedlich beschrieben“ wird, behandelt H. W. Wolff die Einheiten aber je fÛr sich.175 Damit wird seine Kommentierung dem unterschiedlichen Charakter der StÛcke gerecht. H. W. Wolff erkennt redaktionelle Arbeit, er gibt ihr aber in seiner Kommentierung kein ausschlaggebendes Gewicht. Die Entstehung des Michabuches erklÅrt sich fÛr ihn aus der Lesung der Sammlung von Worten Michas in einem liturgischen Rahmen. ºbergreifenden Buchstrukturen und die Entsprechungen zwischen einzelnen Teilen kommen dabei zu wenig in den Blick. Außerdem sind mit einem solchen Modell der „evolutiven KontinuitÅt zwischen den mÛndlichen Traditionen und dem jetzt vorliegenden Prophetenbuch“176 Åhnliche Bauprinzipien der BÛcher Hosea und Amos nicht erklÅrbar. Ein an die Arbeit von H. W. Wolff angelehntes Entstehungsmodell vertritt E. Otto.177 Er ist bei der Bestimmung der hinter den Schichten stehenden Tradentengruppen und den Datierungen weniger zurÛckhaltend als H. W. Wolff: Der ºberlieferungskern der Kap. 6 f ist nach E. Otto exilischdeuteronomistisch. Der im Anschluss an H. W. Wolff rekonstruierte Spruchkomplex 6,9aab–12a.13–14aaba.15 bezieht sich auf das Deuteronomium. Hintergrund des Schuldaufweises in V. 10.11 sind die RechtssÅtze in Dtn 25,13–16. Die NichtigkeitsflÛche 6,14*.15 beziehen sich auf Dtn 28,30.38. Als deuteronomistischer Rahmen ist eine Lehrpredigt (6,2–8) und eine UnheilsankÛndigung (6,16) angefÛgt. Dieser Rahmen lÅsst die der Gerichtsinterpretation dienende Sozialkritik, zu einem „Paradigma eines Verhaltens“ werden, „das gegen Forderungen von Gerechtigkeit und Gemeinschaftstreue (6,8) verst×ßt und den ‚Satzungen Omris‘ folgt (6,16).“ Diese beiden deuteronomistischen Schichten werden nachexilisch durch jesajanisch geprÅgte Tradentenkreise von der ºberschrift (6,1) und einer Klage gerahmt, die die GerichtsankÛndigung der Kap. 1–6 zusammenfasst (7,1–6). Auf derselben Textebene wie 6,1 sieht E. Otto die psalmartigen Texte

174 Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/4, XXXVf. H. W. WOLFF sieht keinen Grund, irgendeinen Zusatz im ganzen Buch noch spÅter zu datieren. 175 H. W. WOLFF, BK XIV/4, 190. 176 E. ZENGER, Einleitung, 409. 177 Vgl. zum Folgenden E. OTTO, Micha, 695 ff.

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7,7–10.14–20, die einem liturgischen Gebrauch des Michabuches dienen sollen. 5.4.1.4 Redaktionsgeschichtliche Untersuchungen T. Lescow legt die erste redaktionsgeschichtliche Untersuchung des Michaschlusses vor, die sich auf die Struktur des Textes konzentriert. Kap. 6 f wird als literarische Komposition gesehen. Eine groß angelegte dreiteilige Toraliturgie ist zum Zwecke der Erweiterung des Michabuches zusammengestellt worden. 7,7–20 sind nach T. Lescow deren dritter Teil und damit ihr Abschluss. Die Toraliturgie muss „in vorexilischer Zeit als elementare liturgische Form eine hervorragende Rolle gespielt haben . . . und in nachexilischer Zeit noch eine Bedeutung als literarische Form“ gehabt haben.178 Zwei Abschnitte sind sekundÅr: Das Mauerbauorakel (7,11) aus der Zeit Nehemias179 und der volksklageartige Text 7,14–17, der wegen des aggressiven Tons im 4. Jh. v.Chr. anzusetzen ist.180 Die Erweiterung des Michabuches um Kap. 6 f datiert Th. Lescow im Zusammenhang mit dem Samaritanischen Schisma in die Jahre um 330 v.Chr. Samaria wird durch das Wortspiel zwischen ymf und Samaria (5,14 und 6,1) wie in Kap. 1 durch 1,6 f in die gegen die V×lker gerichtete Liturgie einbezogen. Jerusalem fÛhlt sich von Samaria verspottet (7,10).181 Diese Interpretation bleibt jedoch hypothetisch. 7,7.8–20 bringt selber keine Hinweise auf das samaritanische Schisma. Wenn der Text auf die Auseinandersetzung mit Samaria fokussiert wÅre, gÅbe es m.E. keinen Grund dafÛr, dass dies nicht deutlich herausgestellt wÅre. Die neueren Arbeiten T. Lescows prÅzisieren zwar die von ihm herausgearbeiteten Kompositionsstrukturen und die zeitliche Abfolge der Kompositionen,182 bringen abgesehen von dem Nachweis eines so genannten Stufenschemas aber keine qualitativ neuen Ergebnisse.183 Weitere redaktionsgeschichtliche Arbeiten sind die B. Renauds. Eine nachexilische Bearbeitung des Michabuches von der Hand eines priesterlichen Schreibers formt nach B. Renaud die Struktur des Buches und ergÅnzt

T. LESCOW, Micha, 205. Hier zeigt sich eine Verbindung der neuen Mauerbauideologie mit dem Motiv der V×lkerwallfahrt. 180 T. Lescow sieht hier den „Niederschlag einer spÅtnachexilischen Fr×mmigkeit, die sich bereits in bedenklichem Maße in den V×lkerhass gesteigert hat.“ T. LESCOW, Micha, 208 f. 181 Vgl. T. LESCOW, Micha, 209 f. 182 Vgl. T. LESCOW, Komposition und T. LESCOW, Worte. Den Ausbau des Buches zu einer dreiteiligen Komposition setzt T. Lescow kurz vor Esra, um 410 v.Chr. an. Vgl. T. LESCOW, Worte, 189 f und 252. 183 T. LESCOW, Stufenschema weist nach, dass hinter dem Aufbau jedes Textes ein Stufenschema steht. Das Schema ist so allgemein und banal, dass es sich auf jeden Text beziehen lÅsst. Ohne jede VerÅnderung wendet T. Lescow es auf die BÛcher Nahum und Habakuk an wie auch auf die Balladen Else Lasker-SchÛlers. Vgl. T. LESCOW, Komposition und T. LESCOW Worte, 272 ff. 178 179

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die Heilsorakel in Kap. 4 f und den Psalm 7,7–20. Damit wird die doppelte Abfolge von Unheil und Heil zum Strukturmerkmal des Buches. Mi 7,8–10.14–20 versteht B. Renaud als ursprÛnglich eigenstÅndigen Text, der durch V.11 f.13 redaktionell erweitert wird. Gleichzeitig wird V. 15 in eine Jhwh-Rede umgearbeitet und V. 17c angefÛgt.184 Den Mi 7 zu Grunde liegenden Psalm weist B. Renaud auf Grund der Entsprechungen zu Jer 50,19 und Jes 63 der exilischen Zeit zu.185 V. 11 f ist dagegen auf den nachexilischen Redaktor zurÛckzufÛhren, der den Psalm in das Buch einfÛgt.186 In der NÅhe der redaktionskritischen Arbeiten befindet sich der Kommentar von J. L. Mays. Er versteht 7,7.8–20 als Einheit, die von einem Redaktor aus Ålteren Traditionen gestaltet wurde. Auf diesen Redaktor ist nach J. L. Mays wahrscheinlich auch die Zusammenstellung der Kap. 6 f zurÛckzufÛhren.187 Zum ersten Kern, der vom Paar um die Feminin-Figur gebildet wird (V. 7–12), fÛgt ein Bearbeiter V. 13 ein, um auf V. 14–17 Ûberzuleiten und um die AnkÛndigung des Heils fÛr den Zion zu einem universalen Gericht auszubauen. Außerdem verknÛpft er mit der EinfÛgung „zu Jhwh unserem Gott“ V. 18–20 mit der Texteinheit. V. 7 verbindet den Abschnitt V. 8–20 mit 7,1–6.188 5.4.1.5 Die jÛngste Forschung In den letzten Jahren wurde das Michabuch kurz hintereinander mit Kommentaren189 und redaktionsgeschichtlichen Untersuchungen190 von verschiedenen Perspektiven aus noch einmal neu unter die Lupe genommen. R. Kessler versteht 6,1–7,7 als Erweiterung des Michabuches um Texte, die die Zeit der EnttÅuschung nach dem Scheitern der hochfliegenden um RÛckkehr und Tempelbau entstandenen Erwartungen widerspiegeln. Die Komposition setzt er in der zweiten HÅlfte des 5. Jh. an.191 Die Schlussredaktion des Buches, die im Text von 1,2–7,7 nur wenige Verse ergÅnzt, gibt in 7,8–10 der „Hoffnung auf eine siegreiche Zukunft Ausdruck“.192 R. Kessler versucht einen Ausgleich zwischen Positionen, die die synchrone Geschlossenheit des Textes in den Vordergrund stellen und der redaktionsVgl. B. RENAUD, Formation, 379 f. Vgl. B. RENAUD, Formation, 377. 186 Vgl. B. RENAUD, Formation, 400. 187 „These features open the possibility that the arrangement of V.7–20 is the work of the compiler of ch. 6 f. What appears to be a progression of thought in these verses from one unit to another includes a variety in subject and language in the units which point to differing origins.“ J. L. MAYS, Micah, 156. 188 Vgl. J. L. MAYS, Micah, 155 f. 189 Vgl. W. MCKANE, Micah; R. KESSLER, Micha und E. BEN ZVI, Micah. 190 Vgl. B. M. ZAPFF, Studien und G. METZNER, Kompositionsgeschichte. 191 Vgl. R. KESSLER, Micha, 46 f. 192 R. KESSLER, Micha, 47. Die gleiche Intention hat auch 5,4 f, neben 4,5 und 5,8 ein weiterer Text der Schlussredaktion. 184 185

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211

geschichtlich orientierten Arbeit. Er gibt der Annahme der Einheitlichkeit den Vorrang, fragt dennoch aber auch nach Wachstumsspuren. In seiner Kommentierung stellt E. Ben Zvi den Leser in den Mittelpunkt. Deswegen spielt die Entstehung des Textes fÛr ihn nur eine untergeordnete Rolle. Zwar unterscheidet er zwischen unterschiedlichen settings der Texte, letztlich ist fÛr ihn aber jeweils der Ort des Textes im Buch die entscheidende Gr×ße fÛr die Interpretation. Auch der Kommentar von W. McKane zeigt kein Interesse an der Entstehung des Textes, fÛr ihn ist die TextÛberlieferung mit ihren Varianten der entscheidende Horizont der Kommentierung. An die redaktionsgeschichtlichen Modelle knÛpft die Arbeit von G. Metzner an. Sie unterscheidet im Buch 9 Schichten.193 Das 6. Kap. ist Produkt einer prophetischen Fortschreibung aus spÅtpersischer Zeit, die wiederum Ende des 4. Jh. von 6,1 und 6,16bb nachtrÅglich gerahmt wurde. Das Schlusskapitel geht auf eine Fortschreibung zurÛck, die in zeitlicher NÅhe dazu an Kap. 6 und die letzte ºberarbeitung von Kap. 1–5 anknÛpft. Letzte ErgÅnzungen macht G. Metzner in der Mitte des 3. Jh. in 7,11b.12b.19b fest. Diese Schicht k×nnte im Kontext mit der EinfÛgung des Jonabuches in das Dodekapropheton stehen. B. M. Zapff geht die Redaktionsgeschichte des Michabuches von der Entstehung des Mehrprophetenbuches an und kommt fÛr den Michaschluss zum Ergebnis, dass literarkritisch Mi 7,1–4a.5 f194 sowie Mi 7,4b.7.8–20 zu unterscheiden sind. Dabei gibt Mi 7,4b.7.8–20 unter Einbeziehung des bereits vorliegenden Textes eine abschließende Interpretation des Buches und ist Teil einer das ganze Mehrprophetenbuch umfassenden Fortschreibung, zu der im Michabuch auch weitere Texte zu rechnen sind.195

193 Vgl. zum Folgenden vor allem die nach Schichten gekennzeichnete ºbersetzung bei G. METZNER, Kompositionsgeschichte, 185 ff. 194 In Mi 7,1–4a.5 f sieht B. M. ZAPFF, Studien, 222 f eine spÅtvorexilische Aktualisierung von Mi 3. Diese Ausgabe des Michabuches umfasste daneben auch Mi 6*, allerdings noch nicht das Material der Kap. 4 f. 195 Das sind nach B. M. ZAPFF, Studien, 236 Mi 2,12 f; 4,1–3.4.6 f.11–13 sowie Mi 5,6 f.9a.14. Mi 4,1–3 nimmt die Fortschreibung des Michabuches aus dem Jesajabuch auf. Hinzu kommt wahrscheinlich auch Mi 1,2 und Mi 3,11ab. Vgl. B. M. ZAPFF, Studien, 262 ff und 288. In der zusammenfassenden ºbersicht stellt B. M. Zapff die Ergebnisse seiner Studie anders dar. 4,11–13 ist hier nicht mehr genannt, obwohl die Verse bei der Datierung der Fortschreibung des Michabuches eine Rolle spielen. Vgl. dazu auch B. M. ZAPFF, Studien, 82. Dagegen wird 5,8 zur Fortschreibung gezÅhlt. Eine BegrÛndung fÛr diese Verschiebung fehlt. Vgl. B. M. ZAPFF, Studien, 296. Die Fortschreibung setzt „einen Corpus des Michabuches“ voraus, „der im wesentlichen Mi 1–3*, Mi 4,9–10.14, Mi 5,9–13*, Mi 6* und Mi 7,1–4a.5 f umfasste.“ B. M. ZAPFF, Studien, 236. Die messianischen Texte 4,8 und 5,1–5 sind dagegen noch jÛnger.

212

Hoffnung fÛr die Beterin – Der Michaschluss

5.4.2 Beurteilung der Forschungsgeschichte und methodische Folgerung Die neueren AnsÅtze nehmen gr×ßere Kompositionsstrukturen in den Blick und sehen auch die Parallelen zu anderen BÛchern des Dodekaprophetons. Dabei treten zwangslÅufig inhaltlich-konzeptionelle Unterschiede sowie die sprachlichen Spannungen des Schlusskapitels zurÛck. Neben den gr×ßeren Kompositionsb×gen sind diese aber auch beachtenswert und erklÅrungsbedÛrftig. Wenn es sich bei Mi 7,7.8–20 nicht um eine Liturgie handelt und nicht um einen mehrschichtig entstandenen Text, sondern um eine einheitliche Komposition, dann sind Spannungen auf der sprachlichen Ebene und die SprÛnge auf der inhaltlich konzeptionellen Ebene bewusste Strukturelemente. Eine solche Interpretation findet sich in den neuen AnsÅtzen nicht. Stattdessen werden Anforderungen an die inhaltliche Konsistenz zurÛckgestellt oder es wird elegant von einer Gruppe von Verfassern geredet, an die dann nicht mehr die gleichen Anforderungen zu stellen sind, wie an einen einzelnen Autor.196 Die Arbeiten in der Tradition von H. Gunkel zeigen, dass die V. 7–20 sich durch ihren liturgisch-psalmartigen Charakter von 6,1–7,6 und dem Rest des Buches abheben. Dieser Unterschied ist gegen Versuche herauszustellen, die einseitig die KohÅrenz des Michabuches betonen und sowohl im ganzen Kap. 7 wie auch in Kap. 6 eine dialogische Struktur sehen.197 Auch wenn man vorsichtiger als H. Gunkel gegenÛber der Bestimmung eines Textes als Liturgie sein muss, ist diese Eigenheit zu beachten und die dahinter stehende Intention zu analysieren. Auch eine ErklÅrung fÛr die StÛcke ist n×tig, die in 7,8–20 weder AnklÅnge an eine Liturgie aufweisen noch von der Sprache des Psalters beeinflusst sind. Obwohl ein fÛr den Buchschluss zusammengestellter redaktioneller Text vorliegt, bekommt das Michabuch mit diesem Schluss einen liturgischen Charakter. Diese Frage ist auch vor dem Hintergrund von psalmartigen Texten in anderen ProphetenbÛchern relevant. H. W. Wolffs EinsprÛche gegen die Annahme eines einheitlichen Textes sind zutreffend. Seine Position ist durch den Blick der neueren Redaktionsgeschichte auf den Aufbau des Abschnittes und seine Stellung in Kap. 6 f zu ergÅnzen. Die vorliegende Struktur der letzten beiden Kapitel lÅsst sich nur als literarische Komposition verstehen. M×glicherweise nimmt sie Åltere Traditionen auf, formt sie aber so um, dass deren eigentlicher Ort nicht mehr erkennbar ist. Gerade der Wechsel zwischen verschiedenen Gattungen macht dies wahrscheinlich. Neben dem Blick auf die einzelnen Einheiten muss auch die Gesamtkomposition des Textes auf ihre KohÅrenz befragt

196 197

Vgl. R. KESSLER, Micha, 44 f. Gegen D. G. HAGSTROM, Micah.

Die Entstehung des Michaschlusses

213

werden. Nach dieser Komposition ist allerdings wie bei anderen ProphetenbÛchern mit spÅteren EinfÛgungen zu rechnen. Die Kommentare von R. Kessler sowie besonders der von E. Ben Zvi zeigen, dass der Text synchron gelesen einen Sinn hat. Allerdings gewinnt auch eine an der Synchronie orientierte Auslegung an TiefenschÅrfe, wenn die Frage nach der Entstehung des Textes mit einbezogen wird. Dabei ist besonders der in den meisten Analysen herausgestellte Unterschied zwischen V. 11–13 und den anderen StÛcken zu beachten und zu erklÅren sowie die Spannung zwischen V. 19b und dem Kontext. Auch die von J. L. Mays und G. Metzner beobachtete Differenz zwischen V. 14–17 und V. 18–20 kann ein Licht auf die Entstehung des Textes werfen. Die Differenz bei den verschiedenen Antworten auf die Frage nach dem historischen Ort gebietet gegenÛber Datierungsversuchen ZurÛckhaltung. Der Durchgang durch die in der Forschungsgeschichte vorgeschlagenen Datierungen zeigt ein Problem: Die meisten der Datierungen weisen in eine Zeit, Ûber die relativ gute Informationen vorliegen. Entweder wird die frÛhnachexilische Zeit herangezogen oder die Zeit der makedonischen Herrschaft Ûber PalÅstina. In die Periode zwischen Nehemia und Alexander, die in der alttestamentlichen Forschung als das „dunkle Jahrhundert“ gilt,198 wird nicht datiert. Auch wenn wir keine Informationen haben, wÅre es nicht auszuschließen, dass zu jener Zeit Texte entstanden sein k×nnten. 5.4.3 Redaktion der Komposition des Michaschlusses Die Forschungsgeschichte zeigt, dass jedem Versuch, die Redaktionsgeschichte des Michabuches nachzuzeichnen, subjektive Elemente innewohnen, die sich nicht ausrÅumen lassen. Dessen ist sich auch der hier gemachte Versuch bewusst. Gleichwohl ist es m.E. nicht m×glich von jeglicher Redaktionskritik mit der BegrÛndung abzusehen, dass diese nur hypothetische Ergebnisse bringen kann.199 Weder der Nachweis einer KohÅrenz der Kap. 6 f,200 noch das durchaus begrÛndete Postulat eines Vorranges der Einheitlichkeit des Textes erÛbrigt eine diachrone Betrachtung. Das hier vorgestellte Modell zur Entstehung des Michaschlusses ist nicht das einzig denkbare, es ist aber nach der Arbeit am Text und der AbwÅgung der verschiedenen Forschungspositionen m.E. wahrscheinlich. Da es in dieser Studie nicht darum geht, ein Modell der Entstehung des Michabuches zu ent-

H. DONNER, Geschichte, 433. Gegen D. R. HILLERS, Micah, 3. „Redaction criticism of Micah fails to carry a satisfactory degree of cinviction. . . . It would seem that a redaction criticism is hypothetical at too many points to be interesting.“ 200 Vgl. dazu den Versuch von D. G. HAGSTROM, Micah. 198 199

214

Hoffnung fÛr die Beterin – Der Michaschluss

wickeln, bleibt die Untersuchung skizzenhaft und beschrÅnkt sich im wesentlichen auf die Texteinheit 7,7–20. Bei Micha 7,7.8–12.14–17* handelt es sich um einen fÛr den Abschluss des Michabuches zusammengestellten Text, der in Verbindung mit der Gesamtkonzeption der Kap. 6 f steht. Damit kommt dem Schluss des Buches die Rolle eines hermeneutischen SchlÛssels zu.201 Die beiden Kapitel 6 f werden durch 7,7, der ºberschrift 6,1a und vor allem von den Leseanleitungen in 6,1b und 7,4b strukturiert. Diese LeserfÛhrungen geh×ren zur gleichen Textebene, der die Komposition von 7,8–12.14–17* zuzuordnen ist. Dabei handelt es sich um die Kap. 6 f zusammenstellende Redaktion. Konzeptionell-thematische Unterschiede der kleineren Einheiten in 7,8–20 sowie die Sprecherwechsel sind Anzeichen fÛr die Aufnahme verschiedener Traditionen oder fÛr Auseinandersetzungen mit unterschiedlichem Material. Allein aus dem liturgischen Charakter des StÛckes sind sie nicht zu erklÅren. Interesse der Studie ist nicht die Bestimmung der ursprÛnglichen Tradition, sondern die Charakterisierung des aufgenommenen Materials mit dem Interesse, die Intention der Redaktion zu fassen. FÛr die Fragestellung ist es deshalb gleichgÛltig, ob diese Traditionen vor der EinfÛgung in den vorliegenden Zusammenhang einen unabhÅngigen Ort gehabt haben, oder ob es sich um literarische Bildungen handelt, die sich nach unterschiedlichen Vorlagen ausrichten, sich mit verschiedenen Motiven auseinandersetzen und erst in diesem Zusammenhang ihren Ort haben. Von der Rekonstruktion der „ursprÛnglichen“ Fassung dieser Traditionen ist m.E. darÛber hinaus auch aus methodischen GrÛnden abzusehen. Zu den aufgenommen Traditionen unter deren Verwendung die beiden Kapitel komponiert wurden, geh×ren neben dem StreitgesprÅch zwischen Jhwh und seinem Volk (6,2–8), mit dem m×glicherweise schon die ºberschrift 6,1a zusammenhing; einem mehrfach Ûberarbeiteten Gerichtsspruch 6,9–15* und zwei Wehklagen 7,1–4a.5 f in Kap. 7 die V. 8–10 und V. 14 f. In V. 8–10 sind Motive eines Klageliedes aufgenommen, aber von der Redaktion so bearbeitet worden, dass das ursprÛngliche Klagelied nicht mehr erkennbar ist. Ein BruchstÛck eines Gebetes findet sich in V. 14 f. Aus diesen beiden Traditionen, bzw. Fragmenten hat die Redaktion der Kap. 6 f durch die V. 7.11.12a.ba.16 f eine erste Fassung des Michaschlusses zusammengestellt. Auf der gleichen literarischen Ebene ist auch die Glosse in 7,10bg anzusiedeln, die die Formulierung „wie Straßenschmutz“ aus Psalm 18,43 aufnimmt. 7,10bg ist genauso wie der redaktionelle V. 17 von Psalm 18 beeinflusst. Die Funktion als Bindeglied zwischen den beiden aufgenommenen Traditionen zeigt sich am Suffixwechsel. V. 11a nimmt V. 8–10 auf, V. 12a blickt dagegen auf V. 14 f. M. E. ist nicht damit zu rechnen, dass der

201

Vgl. E. OTTO, Micha, 700.

Die Entstehung des Michaschlusses

215

Stoff, der in dieser Untersuchung mit Tradition bezeichnet wird, von der Redaktion unberÛhrt blieb. Deswegen ist eine chronologische Ordnung dieser Traditionen nicht m×glich. Der Unterschied zu anderem Material des Kapitels macht es aber plausibel einen anderen Hintergrund anzunehmen und damit zwischen Redaktion und Tradition zu unterscheiden. In diese erste Fassung werden in einer weiteren Bearbeitung des Textes EinschÛbe eingefÛgt, die als Rezeption bezeichnet werden. Solche Rezeptionen tragen eigene Interpretationen ein, die wÅhrend der BeschÅftigung mit dem Text entstanden sind. Sie sind damit die ersten Anzeichen einer Wirkungsgeschichte des Textes und k×nnen von einem oder von mehreren spÅteren Bearbeitern eingefÛgt sein: In Mi 7,8–20 handelt es sich dabei um das die jetzige Fassung abschließende psalmÅhnliche StÛck V. 18.19a.20, das Motive des Hymnus verarbeitet. In weiteren RelektÛren und neuen Applikationen werden V.12bb; V.13 und V.19b ergÅnzt. 5.4.4 Historische Einordnung des Michaschlusses Die Entstehung von Mi 7,7.8–20 ist eher am Ende der Zeit der BeschÅftigung mit prophetischer Literatur anzusetzen. Die Komposition des StÛckes lÅsst sich am besten erklÅren und deuten, wenn man als Hintergrund die fortgeschrittene Zeit des Zweiten Tempels annimmt.202 Šltere Vorstufen des Textes k×nnen bis in die spÅtexilische Zeit zurÛckreichen. Gesicherte Ergebnisse Ûber den Ort und die Zeit solcher Traditionen lassen sich aber nicht erzielen. Dass in den Kap. 6 f vorexilisches Material Ûberliefert ist, ist dagegen unwahrscheinlich. Anhaltspunkte gibt es auch dafÛr, dass einige ErgÅnzungen im Kontext von spÅten RedaktionsvorgÅngen am Dodekpropheton vorgenommen wurden. Das in die frÛhnachexilische Zeit weisende Interesse an prophetischer Sozialkritik203 ist in Mi 7,7.8–20 abgeklungen, statt dessen folgt auf die Anklage gegen bestimmte Gruppen und Schichten in 7,1–6 eine Klage Ûber die allgemeine Verderbnis der Gesellschaft. In 7,7.8–20 spielen Anklagen keine Rolle mehr. Hintergrund k×nnte auch eine deuteronomistische Tradition sein, die wie im Joelbuch nicht Ûber spezielle Verschuldung reflektiert, sondern die Umkehr als Weinen, Fasten und Klagen versteht und nicht als ethische Besserung des Lebensweges.204 Zudem ist ein gewisser Abstand zur frÛhnachexilischen Zeit anzunehmen, wenn 7,7.8–20 als Abschluss der Komposition der Kap. 6 f anzusehen ist und wahrscheinlich die Kap. 4 f voraussetzt.205

202 203 204 205

Vgl. die ErwÅgungen zur Methodik der Frage nach dem Entstehungsmilieu in 3.6.1. Vgl. als Hintergrund z. B. Neh 5,1 ff. Vgl. zu Joel J. JEREMIAS, Reue, 87 ff. und bes. 91. Vgl. O. KAISER, Grundriß, 132.

216

Hoffnung fÛr die Beterin – Der Michaschluss

Zwei Beobachtungen passen zudem zur Zeit der makedonischen Herrschaft Ûber PalÅstina: Der geographische Horizont von V. 11 f weist genauso ins 3. Jh. wie der unspezifische Gebrauch der Feindin/V×lker Thematik in die Zeit nach dem Zerfall der persischen Herrschaft. Eine genauere Datierung lÅsst sich an dieser Stelle der Untersuchung nicht vornehmen. Weitere Hinweise k×nnen erst Vergleiche mit der Behandlung der Thematik Israel und die V×lker in anderen Teilen des Corpus Propheticum und die Untersuchung von AbhÅngigkeiten zwischen den ProphetenbÛchern bringen.206

5.5 Die V×lker im Michabuch 5.5.1 Die V×lkerthematik in Mi 7,7.8–20 5.5.1.1 Die V×lkerperspektive in den aufgenommenen Traditionen207 V. 8–10 zeigt den Ursprung fÛr den Wunsch nach Vergeltung an der „Feindin“. Ihre Schadenfreude Ûber das Schicksal der Beterin soll sich rÅchen. Die hinter V. 8–10 stehende Tradition beschÅftigt sich nicht eigentlich mit der V×lkerthematik. Das Zertreten der Feindin ist kein Zukunftsbild, sondern nur Bestrafung fÛr ihre Schadenfreude und damit zugleich auch eine weisheitliche Warnung vor vergleichbarem Handeln. Auch die Wahl des Begriffs jtbja zeigt, dass keine generelle Aussage Ûber die V×lker gemacht und dies auch gar nicht intendiert ist. Nicht mehr die Schadenfreude und der Spott einer einzelnen Feindin, d. h. eines benennbaren Volkes, werden als Angriff empfunden, sondern eine undeutliche Gr×ße steht der Beterin gegenÛber. Sie stellt stÅrker die eigene IdentitÅt in Frage, als dass es sich um eine militÅrische Bedrohung handelt. Dieses PhÅnomen lÅsst sich erklÅren, wenn man annimmt, dass in hellenistischer Zeit die Grenzen zwischen eigener FÛhrungsschicht und der jeweils bestimmenden Fremdmacht immer stÅrker verwischen. Die so genannte Feindin k×nnte demnach eine ReprÅsentantin einer Koalition aus Fremdmacht und Oberschicht darstellen. Auch das zweite verarbeitete StÛck, die Bitte V. 14 f, macht keine eigentliche Aussage Ûber die V×lker. Wieder lÅsst sich hier aber ein Grund fÛr den Wunsch nach einem Sieg Ûber die V×lker erkennen: Die Beterin sieht sich in der °de wohnen und die V×lker in der Umgebung in den fetten Weidegebieten. Die Hoffnung richtet sich darauf, dass Jhwh Israel mit Basan und Gilead neue Weidegebiete gibt und Jhwh wie bei der Landnahme sich erneut als Sieger Ûber die V×lker erweist.

206 207

Vgl. dazu 5.6. Im Michaschluss aufgenommene Traditionen sind V.8–10.14 f.

Die V×lker im Michabuch

217

5.5.1.2 Die V×lkerperspektive in der Redaktion208 Die Texte, die der Redaktion des psalmartigen Michaschlusses zuzuweisen sind, kÛndigen der Beterin die eigene Restitution und eine DemÛtigung der V×lker an. In der Logik der Vorstellung von Jhwhs eschatologischem Sieg Ûber die V×lker ist die Idee einer anschließenden Huldigung Jhwhs durch die V×lker schon angelegt. Es handelt sich nicht um eine Jhwh-Verehrung oder um eine ausgefÛhrte „positive“ Perspektive fÛr die V×lker. Die Vernichtung der V×lker wird dabei gerade nicht ausdrÛcklich angekÛndigt wie z. B. von Mi 4,13 und auch spÅter von der Rezeption in 7,13. Die dargestellten Bilder wie die Unterwerfungsgeste des „Staub Leckens“, das Ausleeren wie Straßenschmutz und das zitternde Hervortreten beinhalten keine Konzeption einer Vernichtung, sondern unterscheiden sich gerade von einer solchen. Im Hintergrund steht Jhwh als mÅchtiger K×nig, der wie der K×nig in II Sam 22 und Ps 18 alle V×lker unterwirft. Die ausgefÛhrten Bilder sind aber auch von einer anderen Perspektive abzugrenzen: Dem ºbergang Israels in eine „goldene Zeit“ geht eine Unterwerfung der V×lker voraus. Dies unterscheidet die Textschicht von Konzeptionen, wie sie sich in Jes 60–62; Jes 2,2–4 und Mi 4,1–3 niederschlagen. Die Schilderung des Sieges Ûber die V×lker knÛpft zwar an bestehende Bilder an, baut aber nicht auf eine feste Vorstellungswelt auf. Die Bilder tasten sich vielmehr langsam zu Ausblicken in die Zukunft vor. Das zukÛnftige VerhÅltnis zwischen Israel und den V×lkern aus Sicht der Redaktion der Kap. 6 f lÅsst sich kurz umreißen: Es wird ein Tag der nationalen Restitution angekÛndigt, an dem Jerusalem wieder aufgebaut wird und seine Grenzen ausgeweitet werden. Diese Wiederherstellung l×st eine Bewegung von verschiedenen Seiten zur Stadt aus. M×glicherweise ist es die Diaspora, die in das Land str×mt. Die Bewegung ist wahrscheinlich so umfassend vorgestellt, dass gleichzeitig auch Nichtisraeliten aus den V×lkern ihre Aufmerksamkeit auf die Stadt richten und sich auf den Weg machen. Zum Heil Jerusalems geh×rt aber vor allem der Sieg Jhwhs Ûber die V×lker. Sie werden nicht vernichtet, sondern haben die M×glichkeit, sich Jhwh zu unterwerfen. Das Profil der Redaktion zeigt sich damit auf zwei Ebenen: Dem Heil fÛr Israel und Jerusalem folgt die Unterwerfung der V×lker, aber bei diesen beiden Ereignissen ist die Lage fÛr die V×lker nicht v×llig ausweglos. 5.5.1.3 Die V×lkerperspektive in der Rezeption209 Die beiden kurzen Rezeptionen V. 13 und V. 19b tragen einen Beitrag zur V×lkerperspektive in den Michaschluss ein. Es handelt sich dabei um eine

208 Bei Mi 7,10bg.11. 12a.ba.16 f handelt es sich um Eigenformulierungen der Redaktion des Michaschlusses. 209 Mi 7,12bb; 7,13; 7,18.19a.20 und 7,19b sind Rezeptionen, die nach der Redaktion des Michaschlusses unabhÅngig von einander in das Kapitel eingefÛgt wurden.

218

Hoffnung fÛr die Beterin – Der Michaschluss

Blickrichtung, die sich auch in anderen Texten der Schriftprophetie aus der Zeit des Zweiten Tempels findet: V. 19b formuliert eine vorsichtige °ffnung zu den V×lkern: Die SÛndenvergebung wird nicht nur Israel zugesprochen. Die Gnade und Barmherzigkeit Jhwhs beschrÅnken sich nicht auf die Grenzen des eigenen Volkes, sondern richten sich auch auf andere. V. 19b stellt sich damit gegen die Rezeption V. 18.19a.20, die gerade die Geltung der Gnade und SÛndenvergebung explizit auf Israel bezog. Im Gegensatz zu V. 19b ergÅnzt V. 13 eine VerschÅrfung des Gerichts Ûber die V×lker. Sie liegt in der Konzeption eines allgemeinen Weltgerichts, das allerdings auch Israel nicht ausnimmt. V. 12bb hat weniger eigenes Profil, es handelt sich mehr um eine VerstÅrkung von V.12a.ba. Denkbar ist auch, dass ein Leser die Aussage in Richtung eines Herbeistr×mens der V×lker nach Jerusalem deuten will. Dann liegt eine °ffnung eines positiven Horizontes fÛr die V×lker vor. 5.5.2 Vergleich von Mi 7 und Mi 4 f Strukturell und thematisch berÛhren sich Mi 7,7.8–20 und die Kap. 4 f. Beide StÛcke lassen auf GerichtsankÛndigungen und Unheilsbeschreibungen jeweils Ausblicke in die Zukunft folgen, in denen V×lker eine Rolle spielen. Mi 4 f kann im Rahmen dieser Arbeit nicht eingehend analysiert und interpretiert werden. Da aber die ºberlegungen zur Komposition des Michabuches210 BezÛge zwischen beiden Texten nahe gelegt haben, werden beide StÛcke kurz verglichen. 5.5.2.1 Inhalt und Struktur von Mi 4 f GegenÛber 7,7.8–20 fÅllt in Kap. 4 f auf, dass die einzelnen Stoffe stÅrker divergieren. Auf die Vision der Wallfahrt der V×lker zum Zion (4,1–5) folgt eine Verheißung der RÛckkehr der Verbannten aus dem Exil oder aus der Diaspora (4,6 f). 4,8–5,5 bietet eine Abfolge von Worten, die alle von der „jetzt“ herrschenden Not und ihrer Wende sprechen: Drei SprÛche werden mit hty eingeleitet,211 eine weibliche Gestalt im Sg. ist angeredet. 4,8 und 5,4 f rahmen diese Zusammenstellung. Der Zion wird gerettet (4,9 f), vernichtet seine Feinde (4,11–13) und wird ein Ende der Not und ein Kommen eines jÛdÅischen Herrschers erleben (4,14–5,3). 5,6–8 reflektiert die Rolle Israels unter den V×lkern bevor in 5,9–14 Friede durch die Reinigung Israels von gottfeindlichen MÅchten angekÛndigt wird. Damit stehen in Kap. 4 f verschiedenste Heilsweissagungen zusammen, ohne dass diese auf den ersten Blick chronologisch oder systematisch geordnet wÅren. Etwas Struktur kommt in dieses Bild, wenn man die kunstvolle Ringkomposition beachtet,

210 211

Vgl. 5.1. Mi 4,9; 4,11 und 4,14.

Die V×lker im Michabuch

219

in der die beiden Kapitel angelegt sind:212 Um einen Kern „Jetzt-Zeit und Wende“213 (4,8–5,5) sind zwei Reflexionen zum Thema Israel unter den V×lkern gelegt (4,6 f; 5,6–8). Das ganze Kapitel wird vom Thema Frieden gerahmt (4,1–5; 5,9–14). Kennzeichnend fÛr alle Texte beider Kapitel ist, dass es sich um Heilsweissagungen handelt, in denen der Zion zentral ist und die V×lkerthematik eine große Rolle spielt. Vom Zion ist sechsmal die Rede, Jerusalem wird genauso wie der Berg (rh) dreimal erwÅhnt. Die V×lker sind insgesamt 11 mal genannt (¥jmy und ¥jwg). Der Zion als Ort der PrÅsenz Jhwhs und seines Schutzes steht also der V×lkerwelt gegenÛber. Mi 5,4 f; 5,8 und 5,9–13 sind von der Perspektive des GegenÛbers von V×lkerwelt und Zion entfernt. In 5,4 f ist explizit Assur genannt und nicht allgemein von den V×lkern die Rede. 5,8 spricht von Feinden. In 5,9–13 geht es um Reinigung in Israel. Neben den Gemeinsamkeiten in Mi 4 f fÅllt vor allem die unterschiedliche Bewertung der V×lker und der Darstellung ihres Schicksals auf. Auf das Bild der friedfertigen zum Zion wallfahrenden Nationen folgt in 4,11–13 ein StÛck, das den Gegensatz zwischen Israel und seiner Umgebung scharf profiliert. Die Heere der V×lkerwelt sammeln sich gegen Jerusalem und werden von der Tochter Zion zermalmt. Mittelpositionen nehmen 4,6 f und 5,6–8 ein. Hier wird ohne Polemik gegen die V×lker, aber auch ohne Idealisierung der gegenwÅrtige Zustand der Existenz Israels unter den V×lkern reflektiert. 5.5.2.2 Sammlung von WidersprÛchen oder Systematisierung? Zwei Modelle erklÅren die Divergenzen in Mi 4 f. Das erste Modell sieht die konzeptionellen Unterschiede in erster Linie als Folge literarischen Wachstums. Das zweite schließt solches nicht aus, versteht aber die Zusammenstellung der verschiedenen StÛcke als Systematisierung einer Redaktionsschicht. Wenn man die Fortschreibung des Textes in den Vordergrund stellt, sind die Unterschiede der Behandlung der V×lkerthematik Ergebnisse verschiedener diskursiver Orte der Texte: Der Kern der Kap. 4 f k×nnte als frÛhexilische Fortschreibung des Michabuches die Katastrophe der babylonischen Eroberung (587/86 v.Chr.) spiegeln und die Hoffnung auf eine Wende ausdrÛcken. Besonders 4,11–13 ist „direkter Ausfluss der traumatischen Erfahrungen im Zusammenhang mit der Zerst×rung Jerusalems.“214 Die beiden Rahmungen dieses Verses wÅren dann spÅter, in einer politisch eher ruhigen Phase anzusetzen, in der wie in der frÛhen Perserzeit ein fried-

212

Mit R. KESSLER, Micha, 174. R. KESSLER, Micha, 174. 214 R. KESSLER, Micha, 216. Auch G. METZNER, Kompositionsgeschichte, 185 ff sieht in 4,9–5,3* eine exilische Sammlung von RettungssprÛchen. 213

220

Hoffnung fÛr die Beterin – Der Michaschluss

liches Leben im Land wieder m×glich ist.215 Micha 4,1–3 ist Ergebnis eines Diskurses, der gegen EnttÅuschungen Ûber die Bescheidenheit des in Bau befindlichen oder schon gebauten Zweiten Tempels seine zukÛnftige Bedeutung hervorhebt.216 An die dort geschilderte V×lkerwallfahrt wird die RÛckkehr des Rests angebunden (4,6 f), aber anders als in 7,12 noch nicht als Bewegung verstanden. Die Rahmungen neutralisieren so die starke Israel – V×lker Polarisierung des ºberlieferungskerns. Die Sicht der V×lker scheint sich einmal durch die Erfahrung der Perserzeit verÅndert zu haben, zum anderen ist deutlich, dass Unfriede nicht nur von den V×lkern ausgeht, sondern „aus der Mitte Israels“ kommt (5,9). Kleinere hellenistische NachtrÅge spiegeln Auseinandersetzungen mit Assur und so genannten Feinden und tragen diese in den Block der HeilsankÛndigungen ein. Nach diesem ersten Modell werden in Kap. 4 f sich gegenseitig widersprechende theologische Positionen dokumentiert ohne den Versuch, die Positionen mit einem Kompromiss abzuschließen.217 Die zweite, eher systematisch angelegte Interpretation nimmt ihren Ausgangspunkt bei der Rahmung der ersten fÛnf Kapitel des Michabuches: Der H×raufruf an die V×lker (1,2) und die Feststellung, dass die V×lker nicht geh×rt haben (5,14). Die Wallfahrt wÅre dann die M×glichkeit fÛr die V×lker, sich positiv zu Jerusalem und seinem Gott Jhwh zu stellen, wÅhrend 4,11–13 und andere Texte zeigen, was die V×lker zu erwarten haben, die das Angebot nicht annehmen und nicht h×ren wollen. Zusammen genommen sind beide M×glichkeiten in 5,6–8: FÛr die V×lker, die h×ren, kann Israel zum fruchtbaren FrÛhlingsregen werden, fÛr die anderen zum gefÅhrlichen L×wen. Diese Systematisierung vermutet B. M. Zapff hinter Mi 4 f. „Mit der Bestrafung Zions tritt Jhwh gleichzeitig gegen die V×lker auf und bereitet ihnen eine Niederlage . . . Die Niederlage der V×lker wieder fÛhrt zur Heimkehr der Versprengten Israels . . . , an die sich eine V×lkerwallfahrt . . . zum Zion anschließt, die in die Anerkennung Jhwhs einmÛndet. Die V×lker, die sich auch jetzt noch widersetzlich zeigen, werden hingegen vernichtet.“218

215 In 4,1–7 sieht G. METZNER, Kompositionsgeschichte, 185 ff den Niederschlag einer Heilsprophetie nach 520 v.Chr. 216 Dieser Diskurs hat sich auch in Jes 2,2–4; Jes 60; Hag 2,1–9 und Sach 8,20–22 niedergeschlagen. Mi 4,1–3 und Jes 2,2–4 erwÅhnen den Tempel selber nicht mehr und lassen die V×lker auch keine SchÅtze mehr zum Tempel bringen. Das Ziel der Wallfahrt ist die Unterweisung. Die Ereignisse werden von beiden Texten nicht mehr in nÅherer Zukunft erwartet, sondern eher in einer fernen Zeit. Diese Unterschiede zeigen m.E., dass Mi 4,1–3 und Jes 2,2–4 eher am Ende dieses Diskurses Ûber die Bedeutung des Tempels und des Zions stehen. Die Kontexteinbindung von Mi 4,1–3 ist stÅrker als die von Jes 2,2–4. Deshalb ist die Hypothese vorzuziehen, dass der Text fÛr das Michabuch geschrieben wurde. Mit R. KESSLER, Micha, 178 f gegen B. M. ZAPFF, Studien, 64 ff. 217 Vgl. A. SCHART, Entstehung, 257 f. 218 B. M. ZAPFF, V×lkerperspektive, 93. Vgl. dazu auch 5.6.3.

Die V×lker im Michabuch

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Die Abfolge der beiden Kapitel zeigt aber die Schwierigkeit einer solchen Systematisierung. Nicht die Niederlage der V×lker steht am Anfang, sondern die V×lkerwallfahrt. An sie und nicht an den Untergang der V×lker schließt sich die Heimkehr zum Zion an. In 5,7–14 stehen nicht die widerspenstigen V×lker im Mittelpunkt, sondern Feinde Jhwhs innerhalb Israels werden in 5,8–13 entfernt. Es gibt auch keine Anzeichen dafÛr, dass in Mi 4,1–3 nicht alle V×lker zum Zion ziehen und in Mi 4,11–13 nicht alle V×lker Jhwh feindlich gesinnt sind. Auch 4,9 f und 4,11–13 sind inhaltlich kaum zu vermitteln. Gerade die fehlende Systematisierung unterscheidet Kap. 4 f von Mi 7. Am Buchschluss ist die Abfolge der Zukunftsbilder nachvollziehbar und auch systematisch sinnvoll. Außerdem wird in Mi 7 im Gegensatz zur Buchmitte gerade nicht vom Zion gesprochen. Statt der V×lker steht im letzten Kapitel die Feindin im Mittelpunkt. Diese Unterschiede sollten von einer systematisierenden Interpretation nicht nivelliert werden.219 Eine Konvergenz zwischen Mi 7 und Mi 4 f ist nicht in der Systematisierung der V×lkerthematik zu sehen. Der Michaschluss und die Mitte des Michabuches haben einen zu unterscheidenden konzeptionellen Hintergrund. Neben den Differenzen hinsichtlich der Rolle des Zions, der V×lker-, bzw. der Feindthematik und des eher dokumentierenden in Mi 4 f, bzw. des eher systematisierenden Charakters in Mi 7 sind weitere Differenzen zu nennen: Das Nebeneinander von V×lkerwallfahrt und RÛckkehr des Rests (Mi 4,1–3 und 4,6 f) ist nicht mit dem in Mi 7,12 geschilderten Ineinander beider Bewegungen vergleichbar. Die Feindin in 7,8 stellt einen anderen Feindtypus dar als die V×lker von 4,11–13. Mi 7,8 spiegelt die Erfahrung der GefÅhrdung der IdentitÅt, 4,11–13 dagegen eine militÅrische Bedrohung. 5.5.2.3 Mi 7 als Deutung von Mi 4 f Das GegenÛber von Mi 7 und Mi 4 f veranlasst zur Frage, ob die Redaktion des Schlusskapitels die V×lkerperspektive des Michabuches systematisieren will. Um dies zu beantworten, wird zunÅchst der Versuch unternommen, den Grundbestand des Michaschlusses, Mi 7,8–11.12a.ba.14–17, als Abfolge von Ereignissen zu lesen: Die Beterin sieht sich einer Feindin gegenÛber und erklÅrt ihre unbefriedigende gegenwÅrtige Situation mit dem Zorn Jhwhs, den die Sprecherin geduldig trÅgt, bis Jhwh ihr Recht schafft. Dies wird in der Zukunft die Feindin sehen und dann erniedrigt werden. Dieses „jetzt“ der Restitution der Beterin wird weiter ausgemalt: Mauern werden aufgebaut, Grenzen ausgeweitet. An diesem Tag kommt man wieder aus der ganzen Welt zur Beterin. Jhwh wird sein Volk wieder beschÛtzen und ihm

219 In Mi 4,11b ist von den V×lkern die Rede und nicht von den Feinden. Genauso erwÅhnt 7,10 nicht den Zion. Gegen B. M. ZAPFF, Studien, 232. B. M. Zapff interpretiert Mi 4 f von Mi 7 und Sach 14 her und Ûbergeht die Eigenheiten des Textes.

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Hoffnung fÛr die Beterin – Der Michaschluss

WeideflÅchen geben wie in der Vergangenheit. Dieses werden die V×lker sehen und wegen aller Pracht zerknirscht und Ångstlich, sich Jhwh nÅhern. In den Ausblicken auf die Zukunft werden drei wesentliche Punkte aus Mi 4 aufgenommen: Die V×lkerwallfahrt, die Wiederherstellung der Bedeutung Jerusalems und die Vernichtung der V×lker.220 Die Redaktion stellt diese drei Elemente aber in eine andere Reihenfolge und deutet sie anders. Statt der Vernichtung der anstÛrmenden V×lker wird die Feindin im ersten Blick in die Zukunft erniedrigt. Im zweiten wird die Bedeutung der Beterin wiederhergestellt. Das K×nigtum spielt dabei keine Rolle mehr, stattdessen geht es um die Mauer, die Grenze und die Bedeutung fÛr die Umwelt. Im letzten Bild treten die V×lker – und nur hier ist in Mi 7 von den V×lkern die Rede – Ångstlich und durch Scham erniedrigt an Jhwh heran. Mit diesem letzten Ausblick auf die Zukunft wird nicht nur die V×lkerwallfahrt, sondern auch die AnkÛndigung neu interpretiert, dass Jhwhs Zorn die widerspenstigen V×lker erreichen wird (5,14). Die V×lker, die nicht h×ren wollen, werden taub (7,16). Im Gegensatz zu Kap. 4 lÅsst sich damit Mi 7 auf der Ebene der Redaktion durchaus als Systematisierung der V×lkerthematik lesen. Diese Systematisierung ordnet den Stoff von Kap. 4 neu, deutet die dort bestimmenden Themen anders und schließt diese Fassung des Michabuches genauso wie Mi 5,14 mit einer V×lkeraussage ab. 5.5.2.4 SpÅtere Rezeptionen in Mi 4 im Vergleich zu Mi 7,18.19a.20 Eine NÅhe zu Mi 7,18.19a.20 haben in Mi 4 f kleinere EinschÛbe, in der auch eine Gestalt in der 1.Pl. spricht. M×glicherweise geh×ren diese StÛcke (4,5 und 5,4 f) zur gleichen literarischen Stufe wie der Abschluss des letzten Kapitels des Michabuches. Auch 5,8 ist eine spÅte ErgÅnzung, die diesem Bereich zuzurechnen sind.221 Mi 4,5 setzt nach 4,1–4 neu ein und stellt fest, dass das, was in der Zukunft sein wird, jetzt noch nicht RealitÅt ist. Die sich mit dem wir identifizierende Gemeinde stellt fest, dass sie im Namen ihres Gottes geht, wÅhrend jedes Volk noch im Namen seines eigenen Gottes geht. Eine kurze Reihe von SprÛchen (5,4 f) beschreibt, dass gegenwÅrtig m×glicher Frieden durch die militÅrische Abwehr eines Aggressors erreicht werden kann. Dieser Aggressor wird Assur genannt und steht kaum fÛr die historischen Assyrer. Denkbar ist, dass Assur zur Bezeichnung einer seleukidischen Bedrohung im 3. oder 2. Jh. v.Chr. gewÅhlt wird.222 Die in 5,5 genannten Hirten und AnfÛhrer gegen die assyrische Bedrohung k×nnten dann Israeliten sein, die proptolemÅisch eingestellt die seleukidischen Versuche abwehren, die Oberherrschaft Ûber PalÅstina zu erlangen. Diese An-

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235 f.

Vgl. dazu auch die ºberlegungen zur Komposition des Buches in 5.1. Mit R. KESSLER, Micha, 47 und 234. Zu anderen M×glichkeiten vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/4, 119 f und R. KESSLER, Micha,

Michaschluss und Entstehung des Dodekaprophetons

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fÛhrer werden vom sprechenden wir gestellt. Mit der Rede von menschlichen AnfÛhrern verbindet sich auch ein antiapokalyptischer Zug und eine Polemik gegen das Vertrauen auf himmlische KÅmpfer, wie es z. B. eine spÅte EinfÛgung in das Joelbuch Åußert.223 5,8 hebt sich vom Bild von Tau und L×we (5,6 f) ab. Ein du ist angeredet, von dessen Feinden gesprochen wird. Dabei k×nnte es sich um eine Gebetsanrede Jhwhs handeln. Die Feinde der Betenden scheinen zugleich Jhwhs Feinde zu sein.224 Der Vers bindet mit dem Feindbegriff zwei PhÅnomene zusammen: Zum einen sind die Feinde, die V×lker, die nichts von Jhwhs Plan wissen. Dazu geh×rt auch die Gr×ße, die sich hinter Assur verbirgt und die Gemeinschaft bedroht. Auf der anderen Seite geh×ren zu den Feinden auch die militÅrische Sicherung und bestimmte religi×se Praktiken. Mit der EinfÛhrung der Rede von Jhwhs Feinden wird also eine Ambivalenz er×ffnet, die schon als Hintergrund von 7,8–10 zu beobachten war. Das wir, „das in 4,5 ein Bekenntnis spricht, bzw. in 5,4 f eine politische AbsichtserklÅrung abgibt“ wird in 5,8 in direkter Rede betend zitiert.225 Diese Linie nimmt 7,18–20 auf. Hier bekennt das wir am Buchschluss die SÛnden. Durch die NÅhe zwischen Mi 7,18.19a.20 und Mi 4,5; 5,4 f und 5,8 ist noch keine gemeinsame Redaktionsschicht nachgewiesen, was ja auch nicht Intention dieser Untersuchung ist. Allerdings k×nnten die Texte im gleichen Milieu entstanden sein.

5.6 Der Michaschluss und die Entstehung des Dodekaprophetons In der derzeitigen Diskussion wird der Michaschluss zumeist im Kontext einer redaktionellen Schicht verstanden, bzw. aus einem literarischen Zusammenhang heraus interpretiert. Auf diese Interpretationen und Hypothesen zur Intention von Micha 7 wird zunÅchst ein Blick geworfen, bevor die Ergebnisse hinsichtlich der Frage nach dem Ort und der theologischen Aussage von Mi 7,7.8–20 zusammengefasst werden. 5.6.1 Interpretation der Ereignisse des 8. bis 6. Jh.? J. D. Nogalski versteht Mi 7 als Anspielung auf Jes 9–12 und zieht deswegen als Interpretationshintergrund die Hiskia-Tradition heran. DafÛr fÛhrt er die Parallelen zwischen Mi 7 und der in Jes 9–12 thematisierten Beziehung zwischen Ephraim, Assur, Juda und Jerusalem auf der einen und Jhwh auf

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Joel 4,11b. Vgl. dazu 3.4.3.3. Vgl. R. KESSLER, Micha, 243. Vgl. R. KESSLER, Micha, 243 f.

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der anderen Seite an.226 J. D. Nogalskis Interpretation von Jes 9–12 und damit die Grundlage des Vergleichs ist allerdings nicht haltbar.227 Der Hintergrund von Jes 9–12 sind nicht die Ereignisse um die Belagerung Jerusalems durch Sanherib. Assur ist hier bereits zum Typus fÛr die Weltmacht geworden und der Untergang Assurs zum Urbild fÛr das erwartete Gericht an anderen GroßmÅchten wie auch fÛr das Weltgericht.228 Auch die Parallelen zwischen Jes 9–12 und Mi 7 beruhen auf dieser Entwicklung. Die AnklÅnge beider Texte an die in II K×n 18–20 beschriebenen Ereignisse haben deswegen kein historisches Interesse, sondern ergeben sich aus thematischer Verwandtschaft. Deshalb ist J. D. Nogalskis Schlussfolgerung unbegrÛndet, dass die Anspielungen an Jes 10 und an die Hiskia-Tradition Mi 7 als Prophetie aus dem spÅten 8. Jh. erweisen wollen. Relevant ist die VerknÛpfung zwischen der Assur-Thematik und dem Motiv des Weltgerichts, die sich auch im Nahumbuch zeigt. Abgesehen von der fragwÛrdigen Interpretation von Jes 9–12 Ûberzeugen auch nicht die Parallelen und BezÛge, die J. D. Nogalski nachweisen will.229 Vielmehr sind Šhnlichkeiten auf die gemeinsame Thematik und vielleicht auch auf eine vergleichbare theologische Konzeption zurÛckzufÛhren.230 Zum Abschluss der Diskussion von J. D. Nogalskis Ansatz seien noch einige methodische ºberlegungen festgehalten: J. D. Nogalski liest Mi 7 zunÅchst nicht als selbstÅndigen Text. Er interpretiert ihn stattdessen von vermeintlichen Parallelen her. An seiner Arbeit wird eine Gefahr der neueren Exegese und der damit verbundenen redaktionsgeschichtlichen Verfahrensweise deutlich: Nicht mehr der Einzeltext steht im Mittelpunkt, sondern ein Geflecht von Anspielungen und BezÛgen. Damit werden fÛr die Texte

Vgl. J. D. NOGALSKI, Precursors, S. 144 ff. Vermeintlich im Anschluss an H. Wildberger bestimmt J. D. Nogalski als Hintergrund von Jes 9–12 die Ereignisse um die Belagerung Jerusalems durch Sanherib. Vgl. aber H. WILDBERGER, BK X/3, 1553. Dagegen bestreitet O. Kaiser neben anderen die Zuschreibung wesentlicher Teile des Kap. 10 an den Propheten Jesaja und die damit verbundene Datierung in assyrischer Zeit. Vgl. O. KAISER, Einleitung, 23 f und 222 f. Jes 10,5–12,6 ist eine literarische Prophetie, die unter RÛckgriff auf vorhandene Materialien die Einheit als kleine Geschichte der Endzeit ausbaut. Dabei stehen zwar die Ereignisse von 701 v.Chr. im Hintergrund, sie dienen aber als Gegenbild zur Katastrophe von 587 v.Chr. und tragen dazu bei, dass sich nachtrÅglich eine Vorstellung von der Unversehrbarkeit der Stadt entwickelte. 228 Vgl. dazu z. B. Jer 50,17–19. 229 Vgl. J. D. NOGALSKI, Precursors, 155 f. 230 Auch in der ErwÅhnung Basans und Gileads sieht J. D. NOGALSKI, Precursors, 163 eine Anspielung auf die Situation des 8. Jh., weil beide Regionen in den Nachwirkungen des syrischephraimitischen Krieges an die Assyrer verloren gingen. Eine solche Interpretation, die die ErwÅhnung lediglich als historische Anspielung versteht, wird den dahinter stehenden konkreten Hoffnungen und WÛnschen nicht gerecht. In Mi 7,14 geht es wie in Jer 50,17–19 um die Hoffnung auf eine Ausweitung des Territoriums wie um den Wunsch der ausreichenden Versorgung der Bev×lkerung durch gute WeideflÅchen. 226 227

Michaschluss und Entstehung des Dodekaprophetons

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neue Interpretationsrahmen geschaffen. Gegen eine solche Exegese ist zu betonen, dass der eigentliche Ort des Textes der im Buch ist und nicht in einem Konstrukt einer literarischen Schicht. Zudem bleibt bei J. D. Nogalskis Interpretation offen, wieso diese nachexilische Geschichtsinterpretation der Ereignisse des 8. bis 6. Jh. an das Ende des Michabuches gestellt wird.231 5.6.2 Teil einer Babelinterpretation des Zw×lfprophetenbuches? E. Bosshard-Nepustil zÅhlt Mi 7,7–10 zu einer um 520 v.Chr. anzusetzenden literarischen Bearbeitung des Zw×lfprophetenbuches, zu der neben Joel 2,12–27 im Michabuch auch 4,9 f.14; 5,2 sowie Teile anderer BÛcher des Mehrprophetenbuches geh×ren.232 Die Texte dieser so genannten Babel-Redaktion sollen ein einheitliches Profil zeigen: Ein bevorstehendes Gericht gegen Babel wird mit der Restitution des Gottesvolkes verbunden. Nach E. Bosshard-Nepustil weist Joel 2,17–20 die stÅrksten Parallelen zu Mi 7,7–10 auf. Eine strukturelle Parallele ist zwischen Mi 7 und Joel 2 der Umschwung von einer Klage in eine Heilszusage: Genauso wie nach der Klage Ûber die allgemeine Verderbnis im ersten Teil von Mi 7 die Stimmung zu einer Vertrauensaussage und einer HeilsankÛndigung wechselt, geschieht dies im Joelbuch nach der ZÅsur von Joel 2,18. Eine literarische Verwandtschaft ließe sich m.E. aber nicht aus einer strukturellen Parallele, sondern nur durch direkte Anspielungen oder Zitate erweisen. Außerdem ist der ºbergang im Joelbuch nicht so abrupt wie in Mi 7, denn die AnkÛndigung des Heils ist schon in Joel 2,13, im Bekenntnis zur Gnade Gottes vorgezeichnet. In beiden Texten geht es neben der Relation zwischen Israel und den V×lkern auch um Verbesserungen der Versorgung der Bev×lkerung. Beides sind nicht zwei von einander unabhÅngige Themen, da eine Vergr×ßerung Israels dem Land neue Landwirtschaftsgebiete erschl×sse233 und eine UnabhÅngigkeit durch die damit verbundene Freistellung von Abgaben an die Oberherrschaft die Situation der Bev×lkerung deutlich verbesserte. In Mi 7,10 und Joel 2,17 findet sich jeweils die dem GegenÛber in den Mund gelegte Frage, wo der Gott Israels ist. Die Unterschiede in der Formulierung lassen sich aus dem Kontext erklÅren.234 Bei beiden Texten setzt die Frage aber aus einer anderen Perspektive ein. WÅhrend im Joelbuch ein Eingreifen Jhwhs durch Erinnerung an den drohenden Spott der V×lker er-

Mit G. METZNER, Kompositionsgeschichte, 64. E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen, 406 weist auch Nah 1,1b.2–8.9 f.12a.b.13; 2,1; Hab *1,12a; *2,5–17; * 3,2–19a; Zef 2,13–15 und Sach 2,10a.11.14; 8,1–6 dieser Schicht zu. 233 Vgl. Mi 7,14; Jer 50,19. 234 Mi 7,10 verwendet die 2.Sg. (ijhla hwhj wja), Joel 2,17 die 2.Pl. (mhjhla hja). Die zusÅtzliche ErwÅhnung des Gottesnamens in Mi 7,10 k×nnte im Anschluss an H. W. Wolff als spÅtere HinzufÛgung gesehen werden. Vgl. H. W. WOLFF, BK XIV/4, 188. 231 232

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reicht werden soll, wird in Mi 7,10 die Frage im Mund der Feindin als Grund fÛr die Bitte um ihre Bestrafung angefÛhrt. Diese unterschiedlichen Perspektiven legen eher die Annahme einer UnabhÅngigkeit beider Stellen voneinander nahe. Eine vergleichbare Frage findet sich auch ×fter wie z. B. in Ps 42,4.11. Deswegen steht eher ein gemeinsames Motiv oder eine vergleichbare Ausgangssituation im Hintergrund.235 E. Bosshard-Nepustils These einer durchgehenden Schicht von Texten basiert auf der Annahme, dass sich diese auf Babylon beziehen. Beim in Joel 2,20 genannten N×rdlichen ist dies nicht sicher. Der N×rdliche ist im Joelbuch vielmehr ReprÅsentant der GroßmÅchte, die Israel bedrÛckt haben.236 Damit entfÅllt die BegrÛndung fÛr die Einordnung des Textes in eine so genannte Babel-Redaktion.237 In beiden Texten lÅsst sich keine „kohÅrente Sachlinie“ oder „gemeinsame Sachbewegung“ nachweisen. Zwischen Joel 2,12–27 und Mi 7,7–10 finden sich auch keine literarischen AbhÅngigkeiten, die es wahrscheinlich machen, von einer gemeinsamen Textebene oder Redaktion zu sprechen. In den beiden ArgumentationsgÅngen zeigen sich allerdings konzeptionelle Parallelen. Unbefriedigend an der Arbeit von E. Bosshard-Nepustil ist zudem, dass er Mi 7,11 ff nicht behandelt, sondern dazu lediglich auf die Hypothese von O. H. Steck verweist. Allerdings beschÅftigt sich auch O. H. Steck nur mit Mi 7,12 f und ordnet den Rest des Michaschlusses keiner seiner Fortschreibungen des Zw×lfprophetenbuches zu.238 Damit gerÅt aus dem Blick, dass Mi 7,7–10 Teil der Komposition des psalmartigen Michaschlusses ist. 5.6.3 Systematisierung der Sicht der V×lker? Als einen Text, der nicht nur das Michabuch abschließt, sondern sozusagen eine Synthese verschiedener Sichten zu den V×lkern im Mehrprophetenbuch darstellt, versteht B. M. Zapff Mi 7,8–20. Seine These zur Entstehungsgeschichte des Dodekaprophetons soll hier genauer analysiert werden. Die Struktur des Textes ist seiner Meinung nach an Sach 14 orientiert und spiegelt „im Grunde die Abfolge der unterschiedlichen V×lkerperspektiven des Buches Joel, Jona und Nahum wieder“ und systematisiert diese.239

235 Im Danielbuch ist diese Frage zu einem Topos geworden, der in einer Diskussion oder einer Gerichtsverhandlung verwendet wird: Die drei GefÅhrten, die wegen ihrer Weigerung, das von Nebukadnezar aufgestellte Standbild zu verehren, mit dem Tod bedroht werden, fragt Nebukadnezar, wer der Gott ist, der sie aus seiner Gewalt retten k×nnte (Dan 3, 15). Hier klingt der gleiche sp×ttische Unterton an wie in Mi 7,10 und Joel 2,17. 236 Vgl. dazu 3.2.3. 237 Vgl. E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen, 430. 238 Vgl. O. H. STECK, Prophetie. 239 B. M. ZAPFF, V×lkerperspektive, 94.

Michaschluss und Entstehung des Dodekaprophetons

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Dem Michabuch wird damit eine Struktur aufgeprÅgt, „die sich an einer bestimmten eschatologischen Geschehensabfolge orientiert“.240 Die vom Jonabuch er×ffnete M×glichkeit der Bekehrung einer heidnischen Stadt wird vom Michabuch auf alle V×lker ausgeweitet. Es schildert, auf welche Weise die V×lker am Heil Jhwhs fÛr sein Volk teilhaben k×nnen. Diese Bekehrung der V×lker wird in engem Bezug zum Zion geschildert. Ohne Heil fÛr den Zion gibt es auch fÛr die V×lker kein Heil. Damit ist die Fortschreibung des Michabuches eine Vermittlungsposition zwischen der ablehnenden Haltung zu den V×lkern in Obadja und Joel und der uneingeschrÅnkt positiven Haltung im Jonabuch. Die V×lker werden sich – so die Sicht des Michabuches – Jhwh und dem Zion zuwenden, ein Teil von ihnen wird sich aber verweigern. Auf diesen Teil wartet ein Gericht. Damit ist vom Jonabuch eine BrÛcke zum Nahumbuch geschlagen. Hier wird „das ursprÛnglich die ganze Welt erschÛtternde Gericht Jhwhs Ûber Ninive . . . in ein Gericht lediglich Ûber die Feinde Jhwhs uminterpretiert.“241 Damit sind die beiden BÛcher Jona und Nahum zwei paradigmatische M×glichkeiten, die sich den V×lkern auftun. Diese werden von Mi 7,8–20 in differenzierter Weise entfaltet.242 B. M. Zapff sieht richtig die zwischen Micha 7 und dem Anfang des Nahumbuches bestehenden Beziehungen. Nach der bisherigen Textanalyse ist eine solche Relation des Michaschlusses zum Jonabuch aber lediglich fÛr 7,19b evident. Außer dieser Stelle spricht nichts dafÛr, dass Mi 7,8–20 das Jonabuch voraussetzt. Problematisch ist das Modell B. M. Zapffs aus drei GrÛnden. (1.) Mi 7,8 ff ist fÛr B. M. Zapff ein SpÅtprodukt der Schriftprophetie, das auf das Jonabuch (ohne Jona 2), auf das Nahumbuch (mit Nah 1) auf Joel sowie auf Sach 14 blickt. Zwar gibt es zu den genannten Texten durchaus inhaltliche Konvergenzen sowie z. T. sprachliche NÅhen, allerdings hat die Interpretation von Mi 7,7.8–20 keine AbhÅngigkeit von einem dieser Texte gezeigt. Zudem sind Joel 3,1–5 und 4,4–8 einer jÛngeren literarischen Stufe zuzuordnen als Mi 7, weil sie bekannte Prophetentexte anders aufnehmen. Genauso scheint auch das Jonabuch vom ErzÅhlduktus und dem Gebrauch literarischer Stilmittel eher jÛnger zu sein. (2.) Die nÅchste Schwierigkeit liegt darin, dass nach B. M. Zapff Mi 7,4b.8–20 auf der gleichen literarischen Ebene liegt wie wesentliche Teile des vierten Kapitels sowie 2,12 f und 5,9a.14. Der Michaschluss setzt sich durch die Anordnung des Stoffes und die Aufnahme einiger Motive in gewisse Beziehung zu Mi 4 f, es handelt sich aber nicht um dieselbe Redaktionsschicht.243 (3.) B. M. 240 B. M. ZAPFF, Studien, 237. Vgl. zu B. M. Zapffs Modell einer redaktionellen Fortschreibung im Michabuch auch 5.4.1.5. 241 B. M. ZAPFF, Studien, 235. 242 Vgl. B. M. ZAPFF, V×lkerperspektive und B. M. ZAPFF, Studien, 273 ff. 243 Vgl. dazu 5.5.2.

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Hoffnung fÛr die Beterin – Der Michaschluss

Zapff interpretiert die Sicht von Sach 14 ins Michabuch hinein.244 Die Reihenfolge der Heilsausblicke in Mi 4 lÅsst sich nicht als eschatologische Abfolge zu erwartender Ereignisse verstehen. Dies geht nur, wenn von Sach 14 aus gelesen wird.245 Ein Vergleich mit der von E. Bosshard-Nepustil vorgenommenen Zuordnung einzelner Texte zeigt zudem die methodische Problematik der Annahme buchÛbergreifender Redaktionsschichten und der genauen Zuweisung kleinerer StÛcke zu einer gemeinsamen Schicht.

5.7 Die theologische Intention des Michaschlusses 5.7.1 Konzentration auf den Michaschluss und seinen unmittelbaren Kontext Die m×glichen Relationen von Mi 7 zu anderen BÛchern und Motiven sind vielfÅltig. Zu den Texten, die eine Verwandtschaft mit Mi 7 aufweisen, geh×rt auch Jes 63,7–64,11.246 Genauso wie bei der Beziehung zum Joelbuch handelt es sich aber nicht um literarische AbhÅngigkeit, die auf direkte Rezeption oder eine gemeinsame Redaktionsschicht hindeutet, sondern um konzeptionelle oder thematische Parallelen. Diese reichen weder bei Jes 63,7 ff; Joel 2,12 ff noch bei gegen Babel adressierten Gerichtsworten oder Mi 4 f dazu aus, die StÛcke deswegen einer gemeinsamen Redaktionsschicht zuzuweisen. FÛr die Interpretation von Mi 7,7–10 heißt dies, dass der Text nicht allein wegen seiner Verwandtschaft mit Joel 2 als Ansage eines Gerichts gegen Babel verstanden werden kann und schon gar nicht wegen vermeintlicher AnklÅnge an II K×n 18–20 als historisierend charakterisiert werden darf. Auch der verhaltene Charakter der Heilsausblicke in Mi 7 darf nicht dazu fÛhren, Mi 7 als Wiederholung der einprÅgsamen Bilder von Mi 4 f zu lesen. Keine der genannten Texte kann als Interpretationsrahmen dienen. Auch aus methodischen GrÛnden ist das Anlegen eines einem Text fremden Interpretationshorizontes Åußerst fragwÛrdig. Deswegen ist Mi 7,7.8–20 zunÅchst fÛr sich zu interpretieren. Da sich das StÛck durch den psalmartigen Stil vom Michabuch abhebt, sollte auch nicht vorschnell von anderen Texten des Buches der Sinn von Mi 7 erschlossen werden.

Vgl. bes. Sach 14,16 ff. Ein Beispiel fÛr die Interpretation von Mi 7 aus Kap. 4 heraus ist B. M. Zapffs Feststellung, dass dem Zion in Kap. 7 entscheidende Bedeutung zu kommt. Vom Zion ist jedoch im Michaschluss an keiner Stelle die Rede. Damit lÅsst sich die von B. M. Zapff herausgearbeitete Sachkontur eben nicht in Mi 7 festmachen. Sie ist ein Konstrukt, das sich aus der Zusammenschau von Mi 4 f; Mi 7 und Sach 14 ergibt. 246 Vgl. 5.4.4. 244 245

Die theologische Intention des Michaschlusses

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FÛr die Interpretation der V×lkerthematik am Schluss des Michabuches heißt dies, dass der Text vor allem in Relation zu seinem unmittelbaren Kontext, d. h. dem Michabuch interpretiert werden muss. Zu dieser BerÛcksichtigung des Kontextes geh×ren allerdings auch die auf den Michaschluss folgenden Kapitel im Dodekapropheton. Das hat die neuere redaktionsgeschichtliche Forschung an den VerknÛpfungen zwischen Buchende und Anfang des jeweils nachfolgenden Buches gezeigt.247 Diese Konzentration auf den Kontext ist gegen eine Exegese zu stellen, die auf redaktionsgeschichtlichen Thesen basiert. Das Hineinlesen eines dem Text eigentlich fremden Themas fÛhrt zu einer falsch verstandenen gesamtbiblischen Theologie, die alles aufeinander bezieht und damit die Eigenart der biblischen BÛcher und ihrer Teile verkennt. 5.7.2 Literarischer Charakter und Entstehungsmilieu des Michaschlusses Als historischer Ort fÛr die Komposition von Micha 7 wurde die Zeit nach dem Zerfall des persischen Reiches angenommen.248 Abschließend ist nach dem literarischen Charakter zu fragen und zu Ûberlegen, welche Kreise hinter dem Abschluss des Buches stehen. Damit verbindet sich die Frage nach dem Milieu, in dem Micha 7 entstanden ist. Die Åltere Forschung sah anknÛpfend an H. Gunkel auf Grund des liturgischen Charakters den Ort fÛr Mi 7,7.8–20 im Kult.249 E. Gerstenberger fÛhrt diese Linie weiter und verortet die Entstehung der Prophetenschriften in der gottesdienstlichen Praxis.250 Mi 7 k×nnte demnach eine Antwort der Gemeinde nach der Verlesung des Buches darstellen. Es ist m.E. aber nicht zwingend, von dem liturgischen Charakter eines Textes und der NÅhe zur Sprache des Psalters auf eine Beziehung zum Kult oder zum Gottesdienst zu schließen.251 Wenn die Prophetie in der Zeit des Zweiten Tempels vor allem Schriftprophetie und Auslegungsliteratur ist, liegt es nÅher, einen vom Psalter beeinflussten Redaktor anzunehmen, der unterschiedliche Fragmente durch einen lockeren Rahmen zusammenbindet. Dieser kann einem liturgischen Hintergrund entlehnt sein. Dabei ist durchaus auch ein kultischer Hintergrund einzelner StÛcke denkbar. Beim Michaschluss kommt hinzu, dass die unterschiedlichen Sprecher und der Wechsel zwischen der Anrede Jhwhs und der Rede von ihm in der 3. Person eher gegen die Hypothese eines als Gemeindeantwort komponierten Textes spricht. Einen m×glichen Hinweis auf die LeVgl. J. D. NOGALSKI, Precursors; J. D. NOGALSKI, Processes und B. M. ZAPFF, Studien. Vgl. 5.4.4. 249 Vgl. dazu 5.4.1.1 und auch H. GUNKEL, Micha und A. WEISER, ATD 24. 250 Vgl. E. GERSTENBERGER, Gemeindebildung und dazu unten 2.6.2. 251 Vgl. dazu auch B. HUWYLER, Habakuk. B. Huwyler spricht sich in seiner Untersuchung des Habakukbuches gegen die Annahme aus, dass eine mit psalmischen Elementen angereicherte Texteinheit nur als Liturgie im Kult zu denken sei. Vgl. B. HUWYLER, Habakuk, 248. 247 248

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Hoffnung fÛr die Beterin – Der Michaschluss

sung des Michabuches in der Gemeinde oder einer Versammlung geben dagegen kurze Texte, in denen ein wir spricht. Diese Texte sind aber spÅter anzusetzen und von der Redaktion des Schlusskapitels zu unterscheiden. SchlÛssiger ist der Weg der neueren Redaktionsgeschichte zur ErklÅrung psalmÅhnlicher Texte in den ProphetenbÛchern. Die Buchform steht bei der Betrachtung im Vordergrund. Schreiber lesen das Buch und fÛgen von verschiedenen Sprachstilen und Traditionen beeinflusst eine eigene Aktualisierung oder Zusammenfassung hinzu. Da am Beispiel von Mi 6 f gezeigt wurde, wie ein psalmartiger Text mit dem vorangehenden verknÛpft ist, ist dieser Sicht der Vorzug zu geben. Gerade die vielfÅltigen Beziehungen und AnknÛpfungen wie auch Diskurse zwischen einzelnen Textschichten sprechen dafÛr, kleine schriftgelehrte Kreise im Hintergrund der ProphetenbÛcher anzunehmen. BekrÅftigt wird diese Zugangsweise durch die Analyse spÅter Psalmen außerhalb des Psalters,252 die zeigt, dass es sich bei Psalmen wie Jes 12 oder II Sam 22 um Kompositionen handelt, die einen Buchabschnitt redaktionell abschließen und damit die theologischen Linien der vorangehenden Kapitel aufnehmen, zusammenfassen oder aus einem anderen Blickwinkel neu deuten. Eine vergleichbare Funktion hat auch der Jonapsalm fÛr die Handlung des Buches. Allerdings ist er nicht wie Jes 12 oder II Sam 22 als Zusammenfassung konzipiert.253 Jes 12 z. B. hat das ganze Jesajabuch im Blick. Damit handelt es sich um einen der jÛngsten Texte des Buches.254 H.-P. Mathys sieht fÛr diesen Psalm wie auch fÛr Jona 2 und II Sam 22 keinen liturgischen Hintergrund, sondern zeigt auf der Buchebene die Funktion des Textes. Die Ergebnisse lassen sich nicht direkt auf Mi 7 Ûbertragen, weil das Schlusskapitel keine Zusammenfassung bietet, sondern eher eine Leseanleitung und eine Systematisierung. Damit vermittelt es eine bestimmte Applikation des Buches. Vergleichbar mit Jes 12 ist aber in Mi 7 der redaktionelle Charakter. Hier lassen sich die von H. P. Mathys an den Psalmtexten herausgearbeiteten Ergebnisse Ûbertragen. Charakteristisch fÛr Mi 7 ist das Spiel mit verschiedenen Traditionen und ihren Bedeutungen. Die Ausblicke, die der Michaschluss gibt, lassen sich nicht festlegen und wollen dies auch nicht. So bleibt es den Lesern Ûberlassen, wer die Feindin ist, wer Teil der Bewegung aus allen Richtungen ist, ja sogar welche Gr×ße hinter dem Ich der Beterin steht. Von dieser Offenheit

252

Vgl. H.-P. MATHYS, Dichter. „Psalmen geben eine der wichtigsten Antworten darauf, wie Gericht und Heil zusammenhÅngen.“ H.-P. MATHYS, Dichter, 187. Dabei wird die Abfolge nicht mit einer konkreten historischen Situation verbunden, sondern verallgemeinert. Sie wird zu einer allgemeingÛltigen. Der gleiche Vorgang der Entkontextualisierung und der Verallgemeinerung findet sich, wie B. S. CHILDS, Introduction, 327 zeigt, im Jesajabuch. Hier wird die Botschaft des zweiten Jesajas ihres historischen Kontextes entkleidet und mit den Worten des ersten Jesajas tradiert. 254 Vgl. H.-P. MATHYS, Dichter, 181 ff und 197 f. 253

Die theologische Intention des Michaschlusses

231

der Bezeichnungen und Gruppen lÅsst sich auf das Entstehungsmilieu von Mi 7 schließen: Es ist nicht mehr klar, wer eigentlich die Feindin ist. Es ist undeutlich geworden, welche Gruppe das von den ProphetenbÛchern verheißene Heil erleben wird. Gerade deswegen wird nicht mehr vom Zion, Jerusalem oder Israel gesprochen. Bekannte Selbstdefinitionen, bzw. Abgrenzungen wie z. B. die Selbstbezeichnung als Arme oder das GegenÛber von Frevlern und Gerechten, bzw. Israel und den V×lkern, scheinen die Situation nicht getroffen zu haben. So bleibt es beim Spiel mit Traditionen und beim GegenÛber vom Ich und der Feindin. Alles spricht damit dafÛr, dass die hinter Mi 7 stehende Gruppe auf dem Weg zu einer Neuorientierung war, die eine Abl×sung von anderen gesellschaftlichen Kreisen bedeutete. 5.7.3 Intention der Schlussreflexion zum Heil Israels Die beiden Schlusskapitel des Michabuches gehen auf eine Redaktion zurÛck, die gr×ßere Traditionen (Mi 6,2–8; 6,9–15 und 7,1–6*) und kleinerer Fragmente (Mi 7,8–10*; 7,14 f*) mit Hilfe von Eigenformulierungen und ErgÅnzungen zusammenstellt. Die Intention dieser Fortschreibung des Michabuches ist es, dem GegenÛber von Gericht an Israel und Samaria (Kap. 1–3) sowie den HeilsankÛndigungen (Kap. 4 f) einen weiteren Zukunftsausblick hinzuzufÛgen. Weil die Redaktion dabei die bisherige Buchstruktur aufnimmt, ist auch fÛr die Kap. 6 f das Schema der GegenÛberstellung von Gericht und Heil prÅgend. Als eigentliche Gerichtsansage lÅsst sich nur das kurze StÛck 6,9–15 bezeichnen. Die von Not gekennzeichnete Situation Israels und des Beters (7,1–6*) wird zwar als Folge des Gerichts interpretiert (7,4b) und ist durch Vertrauen in Jhwh (7,7) und der gebotenen Einsicht in die eigene Schuld (7,10) verÅnderbar. Die Not resultiert aber vor allem daraus, dass Jhwh noch nicht die gleichen MaßstÅbe gegenÛber der Feindin Israels angewandt hat. Wenn er der Beterin Recht schafft, wird auch ihre Feindin bestraft. Somit fordert Kap. 6 f in der Fassung der Redaktion Jhwh auf, einen Rechtsstreit gegen die durch die Berge symbolisierten V×lker, bzw. Feinde zu fÛhren (6,1). Die V×lker sollen dasselbe Schicksal erleiden wie Israel und genauso wie Israel beschÅmt werden. Dieser Prozess (bjr) Israels gegen die V×lker (6,1), den Jhwh fÛhrt (7,9), lÅuft darauf hinaus, dass Jerusalem und Israel in die ihm eigentlich zustehende Position eingesetzt werden: Jerusalem soll als starke befestigte Stadt um ein großes Umland herrschen und Mittelpunkt sein (7,11 f; 14). Im gleichen Zug werden auch die V×lker Jhwhs Herrschaft unterworfen (7,16 f). Die Vorstellung vom Prozess gegen die V×lker impliziert auch die M×glichkeit einer Zuwendung der V×lker zu Jhwh. Sie wird allerdings nur vorsichtig angedeutet. StÅrker wiegt, welches Motiv der Zukunftshoffnungen die Redaktion Mi 6 f nicht aufnimmt: Von einer Vernichtung der V×lker

232

Hoffnung fÛr die Beterin – Der Michaschluss

oder einem Weltgericht ist nicht die Rede. AngekÛndigt wird lediglich die Erniedrigung der Feindin (7,10) und die Unterwerfung der V×lker (7,17). Diese Unterwerfung bietet den V×lkern die Perspektive, dass Teile von ihnen sich der Bewegung zum Zion anschließen k×nnen (7,12) oder spÅter in die NÅhe Jhwhs treten (7,16 f). Den V×lkern wird damit keine Alternative zwischen Unterwerfung und totalem Gericht aufgezeigt. Dies liegt m.E. nicht daran, dass das zukÛnftige Eingreifen Jhwhs noch nicht so genau durchdacht wÅre, dass der Gedanke noch keinen Ausdruck findet, dass die weiterhin widerspenstigen V×lker vernichtet werden mÛssen. Vielmehr ist es in der Konzeption der Redaktion des Michaschlusses nicht vorstellbar, dass sich die V×lker nach dem Rechtsstreit und der Unterwerfung unter Jhwhs Macht noch gegen ihn stellen k×nnten. Diese hier skizzierte Konzeption des Michaschlusses deckt sich nicht mit der V×lkerthematik der Kap. 4 f. Mi 7 nimmt Motive aus Kap. 4 f auf, modifiziert diese und bringt sie in eine eigene Abfolge. So lÅsst sich der Michaschluss als systematisierende Deutung der Buchmitte lesen. Statt der Vernichtung der V×lker (4,11–13) ist von der Erniedrigung der Feindin die Rede (7,8–10). Mauerbau, Ausweitung der Grenzen und Wiederherstellung der Bedeutung Jerusalems (7,11 f) stehen an der Stelle der Verheißung der Restitution des K×nigtums (4,14–5,3). Die RÛckkehr des Rests (4,6 f) wird als eine umfassende Bewegung aus allen Richtungen nach Jerusalem verstanden (7,12). Die V×lker, die nicht h×ren wollten (5,14), werden taub (7,16). Aus der V×lkerwallfahrt (4,1–3) wird eine Unterwerfung der V×lker (7,17). Zwei Linien werden deutlich: (1.) Mit der Aufnahme einer Tradition, die von einer Feindin redet, bilden nicht mehr alleine die V×lker das GegenÛber der Gruppe, die sich im Text wieder findet. Statt militÅrischer Bedrohung rÛcken andere Probleme in den Mittelpunkt: Es geht auch um die GefÅhrdung der IdentitÅt sowie um einen mit der unzureichenden Nahrungsmittelversorgung zusammenhÅngenden Wunsch nach einer Ausweitung des Territoriums. Im Gegensatz zu 5,8 ist nicht von den Feinden Jhwhs die Rede. (2.) Die Redaktion ist in Mi 6 f genauso weit vom Optimismus entfernt, dass alle V×lker von sich aus zum Zion kommen werden, um sich von Jhwh belehren zu lassen, wie sie auch von der pessimistischen EinschÅtzung der V×lkerwelt Abstand hat, dass nur eine Vernichtung der V×lker Frieden fÛr Jerusalem und Israel bringen kann. Ein schriftgelehrter Zirkel schreibt das Michabuch fort, um dem Buch eine eigene Sicht der V×lkerthematik anzufÛgen: Vor dem Heil, das das der Redaktion vorliegende Michabuch in den Kap. 4 f ankÛndigt, wird Jhwh eine Verhandlung mit den V×lkern fÛhren und diese unterwerfen. Im Verlauf dessen wird Jerusalem und damit Israel restituiert und die V×lker werden sich Jhwh zu wenden.

6. Die Feinde Jhwhs – Die Redaktion des Nahumbuches Ein eifersÛchtiger Gott und ein RÅcher ist Jhwh, ein RÅcher ist Jhwh voller Grimm, ein RÅcher ist Jhwh gegenÛber seinen Gegnern und Zorn bewahrt er gegenÛber seinen Feinden. (Nah 1,2)

Mit diesem Vers stellt das Nahumbuch nach der doppelten ºberschrift sein Thema vor: Jhwh ist gegenÛber seinen Feinden ein rÅchender Gott. Wer diese Feinde sind, verrÅt der einleitende alphabetisierende Hymnus allerdings nicht. Wenn das Buch gleich zu Beginn die Rache an Jhwhs Feinden als sein Thema bestimmt, ist zu erwarten, dass sich ausgehend von dieser Frage die Intention des Buches erschließt. Dabei ist zu prÛfen, ob die Feinde und Widersacher Gottes identifizierbar sind. Der hymnische Stil des Eingangspsalms erinnert an das GegenÛber von Frevlern und Gerechten in den Psalmen, wÅhrend die ºberschrift 1,1a und das Spottgedicht auf Ninive in Nah 3 nahelegen, dass es sich bei den Feinden um Ninive, d. h. Assur und seinen K×nig handelt. Da Ninive nach der ºberschrift erst wieder in 2,9 genannt wird, kann auch das GegenÛber Israels zu den V×lkern insgesamt im Blick sein. In diese Richtung geht H. Schulz mit seiner Interpretation, die „im Vordergrund . . . das eschatologische V×lkerproblem im Ganzen“ sieht.1 Die Åltere Exegese bestimmt dagegen die Feinde aus dem Zusammenhang des Buches.2 Schon das Feindbild des Buches beinhaltet also eine Ambivalenz, die wahrscheinlich Resultat einer bewußten Komposition ist. Das Vorgehen Jhwhs gegen Ninive soll dem Leser zeigen, dass Jhwh ein eifersÛchtiger und rÅchender Gott ist, der seinen AnhÅngern wohlgewogen ist (1,7) und seine Feinde vernichten wird (1,8). Im Hintergrund dessen steht die spÅte Vorstellung vom Weltgericht, das sowohl Israel als auch die V×lker trifft. Die beiden Hauptteile des Nahumbuches schildern die Vernichtung der Feinde in zwei Szenen (Nah 2,2–5; 3,2 f), die an eine Schlacht erinnern, jedoch keine Anzeichen eines eigentlichen Kampfes enthalten: Kriegsscharen fallen in einer Stadt ein und werfen alles nieder. Der K×nigshof geht genauso unter wie die Stadt (2,6–8). Ereignisse ÛberstÛrzen sich, so dass der Leser kaum folgen kann. In der zweiten Szene wird der Einfall der rÅtselhaften Horden in der Stadt noch ein zweites Mal berichtet. Als Steigerung treffen die Wagen und Reiter, ohne zu kÅmpfen oder zu t×ten, nur noch auf 1 2

H. SCHULZ, Nahum, 127. Nach W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 154 zeigt Nah 1,9, dass es um die Assyrernot geht.

234

Die Feinde Jhwhs – Die Redaktion des Nahumbuches

Leichenhaufen. Beide Schilderungen weisen gr×ßere Verwandtschaft zu den apokalyptischen HeuschreckenschwÅrmen des Joelbuches auf als zu eigentlichen Berichten von einer Schlacht. Breiten Raum nimmt die Beschreibung der VerwÛsteten ein (2,6–11) sowie der Spott Ûber sie (3,8–12; 3,13–19). Zwei Bildreden zeigen die Ûberlegene SouverÅnitÅt Jhwhs: Der beutereißende L×we (2,12 f) und die Unzucht und Zauberei treibende Hure (3,4), eigentlich Bilder fÛr Kraft, AktivitÅt und Unordnung, k×nnen sich gegenÛber der Macht Jhwhs nur passiv verhalten. Damit ist auch eine BegrÛndung fÛr die Zerst×rung der Stadt gegeben: Sie hat geraubt wie eine L×wenfamilie und andere verfÛhrt wie eine Hure. Erst in 3,7 ist das Beschriebene noch einmal auf Ninive bezogen und die Hauptstadt Assurs mit No-Amon verglichen. Wenn man diesen ºberblick Ûber die im Buch beschriebenen Ereignisse mit der ºberschrift vergleicht, fÅllt auf, dass nur wenig von Ninive die Rede ist. Die AnkÛndigung der Vernichtung der Feinde geht offenbar Ûber die Zerst×rung Ninives hinaus. Der einleitende Hymnus prÅsentiert Jhwh als universalen Weltherrscher, vor dem seine Feinde zittern mÛssen. Auch StÛcke des Hauptteils haben Allgemeineres im Sinn als die Beschreibung der Vernichtung Ninives. So liegt der Schluss nahe, dass fÛr die Leser des Nahumbuches die beschriebene Zerst×rung Ûber den Einleitungshymnus hinaus durchaus als AnkÛndigung der Vernichtung anderer Gr×ßen als Ninive verstanden werden konnte. Der Beschreibung der Feinde kommt besonderes Gewicht zu. Sie werden aber nicht einheitlich dargestellt. Eher handelt es sich um ein aus verschiedenen Motiven zusammengestelltes FeindgemÅlde: (1.) Im Theophaniepsalm werden die Feinde nur dadurch nÅher bestimmt, dass sie Feinde Jhwhs sind und ihnen Jhwh-AnhÅnger gegenÛberstehen. (2.) Der Feind in 1,11 plant Arges gegen Jhwh und bewahrt nach 1,14 Bilder im Tempel auf. (3.) Die Feinde werden in 1,12 als Joch beschrieben, das auf den Angeredeten liegt. 2,12 f spricht von L×wen, die ihrem Rudel Beute bringen mÛssen. (4.) Die Vernichtung betrifft eine reiche Stadt mit Gassen und Stadtmauern (2,5 f), ihre Adligen und ihren K×nigshof (2,8). Die Stadt wird wie Jerusalem in Mi 3,10 als Blutstadt, als Stadt voller Gewalt und Betrug qualifiziert. Die verschiedenen Feindbeschreibungen zeigen, dass ein Versuch, das Nahumbuch synchron zu lesen, kein einheitliches Bild ergibt. Das erste Kapitel hat von Nah 1,11.14 her als Feind den im Blick, der gegen Jhwh B×ses plant und G×tzen opfert. Insbesondere 3,1 aber auch Teile von Kap. 2 wenden sich allgemein gegen eine ReprÅsentantin der gottlosen und herrschsÛchtigen Stadt und beziehen sich weniger auf ein historisches Ereignis wie die Zerst×rung Ninives durch die medisch-babylonische Koalition 612 v.Chr. Die Beschreibung der herrschsÛchtigen Stadt verwendet zwei Motive, die in Gerichtsansagen auch auf Jerusalem bezogen werden. Jerusalem wird in der prophetischen GerichtsankÛndigung sowohl als Blutstadt wie auch als Hure verurteilt.

Struktur des Buches und Methodik der Untersuchung

235

Wegen dieser Beobachtungen ist es gerechtfertigt, wie auch die weiteren Untersuchungen zeigen werden, die Gerichtsansage im Nahumbuch universal zu verstehen. Wenn man den Blick auf den Kontext des Zw×lfprophetenbuches ausweitet, heißt dies zweierlei: Erstens wird das Gericht nicht nur Israel (Amos) und Juda wie im Michabuch angekÛndigt, sondern auch der fremden Stadt, die andere unterjocht und auf Kosten anderer lebt. Zweitens baut sich gegenÛber dem Jonabuch und seiner positiven Bewertung Ninives ein Gegensatz auf. Die VerknÛpfung zwischen universalem Weltgericht und der Beschreibung des Falls Ninives sowie die verschiedenen Bilder, Motive und Themen der ºbergÅnge zwischen den Buchteilen deuten m.E. auf eine lÅngere Entstehungsgeschichte des Nahumbuches hin und sprechen gegen die Annahme einer einheitlichen Komposition.

6.1 Die Struktur des Buches und Methodik der Untersuchung 6.1.1 Leitung des Lesers durch die ºberschrift Der Leser bekommt mit der ºberschrift zwei Leseanleitungen an die Hand: Es handelt sich beim vorliegenden Buch um einen Spruch (afm) Ûber Ninive (1,1a), der als jfqlah ¥wcn vwzc rpo bezeichnet wird (1,1b). Damit hebt sich das Buch von den vorherigen ProphetenbÛchern ab. Zum anderen knÛpft aus der Leserperspektive die ºberschrift an das Jonabuch an, das Jhwhs Weg mit Ninive auf eine andere Art schildert. Die dem Nahumbuch vorangehenden ProphetenbÛcher werden entweder mit hwhj rbd,3 mit jrbd4 oder vwzc5 des jeweiligen Propheten eingeleitet. Erst im zweiten Teil des Zw×lfprophetenbuches wird die ºberschrift afm weiter verwendet. In anderen ProphetenbÛchern leitet afm vor allem V×lkerworte ein.6 Mit der Verwendung des Ausdruckes wird das Nahumbuch in die NÅhe solcher SprÛche gegen verschiedene V×lker gestellt7 und mit dem Habakukbuch verbunden. rpo in der ºberschrift eines Prophetenbuches ist dagegen singulÅr. Das Wort bezeichnet eine Buchrolle oder ein SchriftstÛck. Als Urheber des Buches wird Nahum genannt. Sein Auftreten ist nicht datiert, erwÅhnt ist mit Elkosch lediglich sein Heimatort. Die symbolische Bedeutung des Namens Nahum von Elkosch wird von den meisten Interpretationen des Buches unterschÅtzt. ¥wcn kann entweder als „trostreich“

3 4 5 6 7

Vgl. Hos 1,1; Joel 1,1 und Mi 1,1. Šhnlich ist auch Jona 1,1. Vgl. Am 1,1. Vgl. Ob 1,1. Vgl. Hab 1,1; Sach 9,1; 12,1 und Mal 1,1. Vgl. z. B. Jes 13,1; 15,1; 17,1; 19,1; 21,1.11.13; 22,1 und 23,1.

236

Die Feinde Jhwhs – Die Redaktion des Nahumbuches

verstanden werden oder als Kurzform von „Jhwh hat getr×stet“.8 Vielleicht lÅsst sich mit C. A. Keller auch jfqlah als symbolische Bezeichnung verstehen und mit „der, dem SpÅtregen gleicht“ Ûbersetzen.9 Die Feindvernichtung ist also offenbar Trost fÛr angefochtene Jhwh-AnhÅnger. Der sonst unbekannte Nahum wird durch den Empfang einer vwzc als „anstÅndiger“ Prophet ausgewiesen. WÅhrend die AutoritÅt anderer Propheten und damit auch diejenige der ihnen zugeschriebenen BÛcher durch ErwÅhnung in anderen Schriften gesichert ist10 oder durch eine ausgefÛhrte Berufungs-, bzw. VisionserzÅhlung fundiert wird, muß die AutoritÅt Nahums in der ºberschrift betont werden: Genauso wie Jesaja, der mit der ausgefÛhrten Berufung als Prototyp eines Propheten gelten kann, ist das Nahumbuch auch auf ein vwzc zurÛckzufÛhren. Die ºberschrift lÅsst den Leser also ein V×lkerwort eines Propheten gegen Ninive erwarten, bereitet den Leser aber auch schon darauf vor, dass es sich beim Nahumbuch um eine gegenÛber den bisherigen BÛchern des Dodekapropheton ungew×hnliche Schrift handelt. 6.1.2 Struktur des Nahumbuches Zwei Gedichte bilden die beiden HauptstÛcke des Buches. Sie werden zumeist auch als Ålteste Bestandteile der Komposition angesehen: Das erste StÛck ist ein Lied Ûber die Eroberung einer ungenannten Stadt, dessen Kernbestand Nah 2,2–10* ausmacht.11 Evtl. lassen sich in 3,2 f sowie in 2,11.12 f oder 2,14 weitere Strophen dieses ersten Liedes finden. Darauf folgt ein Gedicht Ûber Ninives Untergang,12 das nach der Einleitung 3,7 mit 3,8 beginnt und entweder bis 3,1813 oder bis 3,19b14 reicht. 3,7 und 3,19b legen um das zweite Lied mit der Schilderung der Reaktion von Zuschauern einen Rahmen. Bei beiden Liedern handelt es sich eher um politische Prophetien. EingefÛhrt werden sie durch eine doppelte ºberschrift und den Theophaniehymnus 1,2–8. Der Hymnus gibt dem Buch mit der Beschreibung ei-

8

Vgl. W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 148. C. A. KELLER, Mich³e, 108. Vgl. auch K. SEYBOLD, Prophetie, 55 und E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen, 370. 10 Z. B. kann das Jonabuch an den in II K×n 14,25 erwÅhnten Jona, den Knecht Jhwhs, anknÛpfen. 11 Vgl. z. B. K. SEYBOLD, ZBK.AT 24/2, 26 ff. Aus dem Text selber lÅsst sich das Lied nicht auf Ninive beziehen. Die Stadt wird weder erwÅhnt, noch werden Szenen oder Motive geschildert, die auf Ninive schließen ließen. 12 Im Gegensatz zum ersten Lied, ist dieses StÛck direkt durch die Einleitung (Nah 3,7) auf Ninive bezogen wie durch die ErwÅhung des K×nigs von Ninive (Nah 3,18). 13 Vgl. H. SCHULZ, Nahum, 42 f. 14 Vgl. K. SEYBOLD, ZBK.AT 24/2, 36 ff. 9

Struktur des Buches und Methodik der Untersuchung

237

ner Theophanie den Charakter einer theologischen Schrift und stellt auch das eigentliche Thema des Buches heraus: Jhwh ist rÅchender, Ûberlegener Herr Ûber das Wetter, die Berge, ja Ûber die ganze Welt (1,1–8). Zu dieser ºberlegenheit und Macht geh×rt auch, dass er mit seinem Auftreten seine Feinde in die Finsternis verjagt. Deshalb wird es fÛr die, die sich bei ihm bergen, keine weitere BedrÅngnis geben. Die Funktion der beiden Ûbrigen Teile ist weniger eindeutig. Zu vermuten sind zwei redaktionelle ºberleitungen. (1.) Zwischen Hymnus und dem Lied Ûber die Stadteroberung (1,9–2,1): Zwei Verse, die das Thema des Psalms weiterfÛhren und eine dauerhafte Feindvernichtung ankÛndigen (1,9 f); Heilsworte fÛr Juda (1,12 f; 2,1) und ein Urteil Ûber einen G×tzendiener (1,11.14). (2.) Zwischen dem ersten und dem zweiten Teil Ûber den Untergang Ninives (2,12–3,6): In der Mitte steht ein Wehewort (3,1) und eine Schlachtbeschreibung (3,2 f). Beide zusammen haben den Charakter eines Gerichtswortes. Um diese Mitte sind zwei Bildworte mit angefÛgtem Gerichtswort gestellt (2,12 f.13 und 3,4 f.6). Die Redaktion des Nahumbuches arbeitet in diesen StÛcken mit Verzahnungen und Rahmungen. Dadurch sind klare Abgrenzungen erschwert.15 Die Untersuchung so genannter SchlÛsselw×rter fÛr die Struktur des Nahumbuches ist nicht Ûberzubewerten. Mehrere W×rter verbinden die verschiedenen Buchteile: fa; bwu; rby; lka. WÅhrend man bei bwu von keinem prÅgnanten Gebrauch sprechen kann,16 ist der von rby interessanter,17 weil das Wort sowohl im einleitenden Psalm, im ZwischenstÛck und am Ende des Buches verwendet wird. Von einer Verklammerung der Buchteile lÅsst sich aber m.E. nicht sprechen, weil rby an den verschiedenen Stellen unterschiedliche Bedeutung hat. Ergiebiger sind die AusdrÛcke fa18 und lka:19 Der Zorn Jhwhs wird genauso mit Feuer verglichen, wie die Wucht der Ûber die Stadt kommenden VerwÛstung. Das Bild des Verschlingens und Fressens, das Nah 3,12–15 dominiert, wird in 1,10 und 2,14 als VerknÛpfung der Buchteile aufgenommen. Allerdings kommen fa und lka im Zw×lfprophetenbuch hÅufig vor und sind oft Bestandteile einer Gerichts- oder einer Theophanieszenerie.

15 W. DIETRICH, Nahum, 738 interpretiert dieses als Ineinander von unterschiedlichem Material. „Bei ihrer Neugestaltung des Anfangs der NahumÛberlieferung hat die Redaktion anscheinend in einer Art Reißverschluss-Verfahren Ålteres und jÛngeres Material ineinander verzahnt.“ WÅhrend die Art und Weise der Redaktion richtig beschrieben ist, ist es schwierig den Charakter der Stoffe in den ºbergÅngen zu beurteilen. Es besteht auch die M×glichkeit, dass es sich bei der redaktionellen Arbeit um eine Verzahnung von Themen handelt. 16 Nah 1,7 und 3,4. 17 Nah 1,8; 1,12; 2,1 und 3,19. Vgl. auch Mi 7,18. 18 Nah 1,6; 2,4 und 3,13.15. 19 Nah 1,10; 2,14 und 3,12.13.15.

238

Die Feinde Jhwhs – Die Redaktion des Nahumbuches

6.1.3 Methodik der Untersuchung Die Strukturskizze des Buches wie auch die die Entfaltung des Themas legen nahe, von einer Redaktion auszugehen, die das Buch hauptsÅchlich prÅgt. Allerdings hat Nahum nicht nur einheitlichen Charakter, es weist vielmehr Spannungen und BrÛche auf, die verschieden interpretierbar sind. WÅhrend diese Arbeit die jetzige Fassung des Einleitungshymnus als Resultat redaktioneller Arbeit versteht20 und deren Konzeption untersucht, ist der Textbestand zwischen Nah 1,9 und 2,3 so unbefriedigend, dass sich diese Verse weniger als Ergebnis der Endredaktion verstehen lassen. Zumindest ist der Schluss zu ziehen, dass dahinter weder eine Auftrittsskizze Nahums steht,21 aus der das Wesentliche seiner Prophetie erarbeitet, noch die Konzeption der Endredaktion des Buches gerade aus diesen Versen ermittelt werden kann.22 FÛr die Frage, welche Position die Komposition des Nahumbuches in Bezug auf das VerhÅltnis zwischen Israel und den V×lkern hat, werden vor allem die Teile des Buches untersucht, die auf redaktionelle Arbeit zurÛckzufÛhren sind und damit die beiden Ålteren Gedichte interpretieren oder Traditionen darstellen, die erst spÅt in das Buch aufgenommen wurden. Dazu geh×rt der Theophaniehymnus (1,2–8), der ºbergang von diesem StÛck zum ersten Gedicht (1,9–2,1.3), sowie Texte, die das zweite und dritte Kapitel strukturieren. Sie weisen ihren spÅteren Ursprung durch BezÛge zu anderen ProphetenbÛchern und durch den weiteren literarischen Horizont ihrer Verfasser aus. Es handelt sich dabei um die Komposition der Buchmitte, die zwischen dem ersten und zweiten Lied eingeschoben ist und damit ein Zentrum des Nahumbuches bildet sowie um die Rahmung des zweiten Liedes.

6.2 Der Theophaniehymnus Nah 1,2–8 Ein eifersÛchtiger Gott und ein RÅcher ist Jhwh, ein RÅcher ist Jhwh und voller Grimm, ein23 RÅcher ist Jhwh gegenÛber seinen Gegnern und zornig bleibt er gegenÛber seinen Feinden. Jhwh ist langmÛtig aber groß an Kraft und ungestraft wird Jhwh wahrlich nicht lassen. In Sturm und Unwetter ist sein Weg,

1,2

a

1,3

b

Vgl. 6.2.6. Gegen C. A. KELLER, BewÅltigung, 407 f. 22 Gegen T. HIEKE, Nahum I, 16. 23 Die vermutlich auf spÅtere redaktionelle Arbeiten beruhenden Teile des Hymnus sind in der ºbersetzung eingerÛckt. Vgl. dazu 6.2.1. 20 21

239

Der Theophaniehymnus

Wolken sind der Staub seiner FÛße. Er weist das Meer zurÛck und macht es trocken und alle Str×me kann er verwÛsten. Es verwelkt Basan und Karmel, die BlÛte des Libanon verwelkt. Die Berge erbeben vor ihm und die HÛgel schmelzen. Es hebt sich die Erde vor seinem Angesicht, und die Welt und alle ihre Bewohner. Vor seinem Grimm, wer wird bestehen k×nnen und wer wird Bestand haben in der Glut seines Zorns? Sein Šrger kann str×men wie Feuer, und die Felsen zerbersten vor ihm. Gut ist Jhwh eine Zuflucht am Tag der Not, er kennt die, die auf ihn vertrauen, in der Flut, die vorbeistr×mt. Er wird zu Ende machen den Widerstand,24 seine Feinde wird er in die Finsternis verfolgen.

1,4

g d?

1,5

h w

1,6

z? c

1,7

1,8

u j? k

6.2.1 Abgrenzung und m×gliche Rekonstruktion des Akrostichons Das Nahumbuch beginnt nach der ºberschrift mit einem Psalm, der ZÛge eines Hymnus enthÅlt und dessen Anfangsbuchstaben zum Teil die Reihenfolge des Alphabets wiedergeben. Dieser alphabetische Aufbau ist vom Buchstaben b (V. 3b) bis zum Buchstaben u (V. 7a) lÛckenlos zu rekonstruieren. Hinzu kommt das a in V. 2a. DarÛber hinaus lÅsst sich mit V. 8b das Alphabet bis zum Buchstaben k weiterfÛhren und umfaßt damit die erste HÅlfte des hebrÅischen Alphabets. Wie weit das Akrostichon letztlich reicht ist umstritten. WÅhrend die Mehrheit der Exegeten das Ende in V. 8b annimmt, ist auch V. 7a als Abschluss denkbar.25 Die alphabetische Reihenfolge k×nnte auch weiter reichen und erst nach dem Buchstaben m (1,11) abbrechen.26 In 1,9 lÅsst sich zwar noch ein BruchstÛck einer l-Zeile ausmachen, die m-Zeile (1,11) dagegen hat einen anderen Adressaten und zudem auch inhaltlich einen vom Psalm zu unterscheidenden Charakter. Trotz aller weitergehenden Rekonstruktionsversuche27 hat sich die Beob24 hmwqm hfyj hlk macht keinen Sinn, weil das fem. Suffix keinen Bezugspunkt hat. Vorgeschlagen wird im Anschluss an LXX die Konjektur wjmqb. Vgl. K. SEYBOLD, Prophetie, 77. Einfacher ist es, hmwqm als Widerstand zu lesen. Vgl. W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 152. 25 Vgl. K. SPRONK, Acrostics, 218. 26 Vgl. dazu auch K. SPRONK, Nahum, 182. Dagegen aber K. SPRONK, Acrostics. 27 Versuche in der Ålteren Forschung, ein vollstÅndiges Akrostichon zu rekonstruieren, sind spekulativ und wurden nicht weiter verfolgt. Vgl. z. B. H. GUNKEL, Nahum, 223 ff und B. DUHM, Nahum, 100 ff. Bestenfalls lassen sich in V. 9 f noch einige Zeilen vermuten. Vgl. dazu auch K. SEYBOLD, ZBK.AT 24/2, 19.

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Die Feinde Jhwhs – Die Redaktion des Nahumbuches

achtung durchgesetzt, dass es sich um ein halbalphabetisches Lied handelt. Auch bezogen auf Stil und Gattung bildet V. 8 einen Abschluss. Keinen Anlass gibt es, aus inhaltlichen oder stilistischen GrÛnden in 1,7 f einen Nachtrag zum Hymnenfragment oder einen Neueinsatz zu sehen.28 Genauso wie in den Psalmen ist auch in Nah 1,7 f ein Themenwechsel m×glich. Zudem macht es keinen Sinn, von der Existenz eines alphabetischen Fragments auszugehen, das lediglich bis zur c-Zeile reicht, weil die Buchstaben u bis k genauso wenig zufÅllig am Beginn der Zeilen stehen, wie die von a bis c.29 Der Buchstabe k ist der Anfangsbuchstabe des Wortes hlk. Dieses Wort hat nicht nur den Bedeutungsgehalt von „ein Ende machen“, sondern auch „etwas vollbringen“ oder „etwas vollenden“. Durch den Abbruch des Hymnus in der k-Zeile hat das Wort hlk das Gewicht eines Schlusspunktes. Hier ist das Gedicht auf seinem H×hepunkt.30 Das Alphabet ist aber schon vor der k-Zeile nicht vollstÅndig durchgefÛhrt. Die a-Zeile ist auf das Mehrfache ausgedehnt. V. 2b.3a fÛgen sich in das alphabethische Schema nicht ein. Ein Wort, das mit d anfÅngt fehlt in V. 4b. Statt mit z beginnt 1,6 mit l. Hier k×nnte das zweite Wort den Beginn der z-Zeile markieren. Die j-Zeile ist dagegen fast noch zu erkennen. Wahrscheinlich hat ein Schreiber aus grammatikalischen GrÛnden ein w eingefÛgt. Handelt es sich bei diesen Unterbrechungen um eine Folge redaktioneller Bearbeitung oder resultieren die St×rungen aus mangelhafter TextÛberlieferung? K. Seybold geht von einem fehlerhaften Text aus und legt eine Rekonstruktion des ursprÛnglichen Psalms vor. Die Textgeschichte erklÅrt er damit, dass Redaktoren, die die Kanonisierung des Nahumbuches vorantrieben, Teile eines alphabetisierenden Psalms zusammensetzten und dem Buch voranstellten. Im Laufe der Tradierung empfanden SpÅtere die Abrisskante, d. h. das Ende des eingefÛgten StÛckes, als zu hart. Deshalb kamen Milderungen, GlÅttungen und AuffÛllungen hinzu.31 Problematisch ist bei einer Rekonstruktion, die die Redaktion vor allem auf mechanische VorgÅnge zurÛckfÛhrt, die geringe BerÛcksichtigung der Frage nach dem Gesamtsinn des Psalms und des Buches insgesamt: Zugunsten einer solchen Hypothese mÛßte man davon ausgehen, dass ein Prophetenbuch nur aus Interesse der Sammlung und Tradierung bearbeitet und in den Prophetenka28 Gegen K. SPRONK, Acrostics. K. Spronk argumentiert lediglich damit, dass zwei extra lange Strophen den Beginn eines neuen Liedes markieren, ohne dies nÅher zu begrÛnden. Genauso gut kann die stilistische Akzentverschiebung damit erklÅrt werden, dass der Psalm ein Achtergewicht hat. 29 Gegen H. SCHULZ, Nahum, 9 ff. 30 Vgl. B. RENAUD, Mich³e, 276. 31 In diesem Prozess entstand auch Nah 1,9 f. Eine Rekonstruktion des Psalmfragments ergibt nach K. Seybold folgende Zeilen: 2a*/3b(8aa)/4a*/4b*/5aa.6bb/5b*/6a*/6aa.10b/7a*/ 7b. . ./ 8aab*. . . K. Seybold sieht auch fÛr eine m-, l-, o- Zeile AnsÅtze. Vgl. dazu K. SEYBOLD, Prophetie, 74 ff und K. SEYBOLD, Randnotizen, 76.

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non aufgenommen wird. Kann man die FÅhigkeiten der Redaktoren und Schreiber, die fÛr die Tradierung des Buches verantwortlich sind, so gering einschÅtzen, dass ihnen so schwerwiegende Fehler unterlaufen wie z. B. ein falscher Seitenwechsel? M. E. ist die Textgeschichte eher auf bewußte RedaktionsvorgÅnge zurÛckzufÛhren, die ein theologisches Interesse haben. Auf diese M×glichkeit sind insbesondere die Teile des Psalms zu untersuchen, die die alphabetische Reihenfolge unterbrechen. J. D. Nogalski macht in seiner Analyse des Hymnus plausibel, dass drei der vier Unterbrechungen des Akrostichons (Nah 1,2b.3a; 1,4b und 1,6a) auf redaktionelle Bearbeitungen zurÛckgehen, die den Psalm mit dem Michabuch verbinden.32 Vom VerhÅltnis zum Michabuch abgesehen ist die Hypothese plausibel, drei der St×rungen auf Bearbeiter zurÛckzufÛhren, die eng an dem ihnen vorliegenden Text eine eigene Konzeption in das Buch eintragen: In Nah 1,2b.3a liegen AuffÛllungen vor. Die ursprÛngliche d-Zeile ist von den Bearbeitern durch eine ihrer Intention eher entsprechende Zeile ersetzt worden. Das jnpl, das die z-Zeile st×rt, k×nnte wegen einer EinfÛgung in 1,5b in die falsche Zeile gerutscht sein.33 Die Vermutung einer nachtrÅglichen Bearbeitung des Psalms wird im Weiteren als Arbeitshypothese benutzt. Allerdings muß die abschließende Analyse der Konzeption der redaktionellen Bearbeitung zeigen, ob die ZusÅtze eine inhaltliche Konsistenz aufweisen und sie damit der Hand eines Bearbeiters zugewiesen werden k×nnen.34 6.2.2 Analyse der Tempora Im Psalm wechseln Verb- und Zeitformen, die von Jhwh und seinem Handeln ein Bild zeichnen. Im Nominalstil wird Jhwhs Wesen beschrieben: Langmut und GÛte (1,3a; 1,7) geh×ren genauso dazu wie die Urgewalt seiner StÅrke (1,3b). Die aus Ex 34,7 Ûbernommene Infinitivform betont, dass die strafende Seite Jhwhs genauso zu seinem Wesen geh×rt. Aktive Partizipformen nennen weitere Eigenschaften Jhwhs: Er ist eifersÛchtig und ein RÅcher (1,2a). Er bewahrt sowohl seinen Zorn (1,2b), wie er auch die kennt, die ihm vertrauen (1,7b). Seine Macht zeigt sich darin, dass er Herrscher Vgl. J. D. NOGALSKI, Processes, 106 ff. Vgl. J. D. NOGALSKI, Processes, 106 ff. 34 Gegen J. D. Nogalski wendet sich K. SPRONK, Acrostics, 213. Er sieht V. 2b.3a als „conscious expansion“ von V. 2a. Aber mit der Aufnahme der Begriffe aus V. 2a lÅsst sich gerade nicht die Einheitlichkeit begrÛnden, wie K. Spronk meint, denn auch ein Bearbeiter kann ja an das Vorangehende angeschlossen haben. K. Spronks eigentliches Hauptargument ist aber, dass die ZeilenanfÅnge und Zeilenenden von 1,1–3 ein Wortakrostichon und ein Telestichon ergeben, die beide jeweils die drei Zeilen verbinden. Selbst wenn man solchen exegetischen Buchstabenspielen gewogen ist, sind sie kein Argument fÛr die Einheitlichkeit. Denn es lÅsst sich genauso annehmen, dass Wortakrostichon wie auch Telestichon auf eine Bearbeitung zurÛckzufÛhren sind. 32 33

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Ûber das Meer ist (1,4a).35 Aus dem so beschriebenen Wesen und der StÅrke Jhwhs ergeben sich seine Taten. Diese beschreiben Perfektformen: Jhwh verwÛstet die Str×me, verwelkt Basan und Karmel (1,4), sein Šrger verstr×mt wie Feuer (1,6). Dabei k×nnte es sich um Perfecta historica handeln. W. Rudolph schlÅgt dagegen vor, die Perfektformen einem Aoristus gnomicus entsprechend zu Ûbersetzen und als weitere AusfÛhrungen Ûber die Naturgewalt Jhwhs zu verstehen.36 Denkbar ist aber genauso, die Aussagen als prophetische Schau des zukÛnftigen Gerichtshandeln Jhwhs zu interpretieren. WÅhrend im Perfekt dies allgemeine Gerichtsbild gemalt wird, sind zwei AnkÛndigungen des zukÛnftigen Handeln Jhwhs durch das Imperfekt abgesetzt: Er wird nicht ungestraft lassen (1,3) und wird seine Feinde verfolgen (1,8). Dies sind offenbar die greifbaren Implikationen des kosmischen Geschehens. Wenn der Wechsel der Tempora in Nah 1,2–8 als vom Verfasser und der Bearbeitung des Buches intendierte Zeitstruktur zu verstehen ist, ist zwischen drei Ebenen zu unterscheiden: (1.) Eigenschaften Jhwhs sind genannt. (2.) Sein Handeln in der Geschichte oder sein immer wiederkehrendes und damit auch in der Zukunft zu erwartendes Eingreifen wird beschrieben.37 (3.) Eine Ebene bildet das in der prophetischen Schau (afm) angekÛndigte zukÛnftige Handeln. Diese Ebene beschreibt die Ergebnisse des Gerichts, die Verfasser und Leser als Ereignisse erwarten, die ihre Situation verÅndern. Auch wenn die Verwendung der verschiedenen Tempora schlÛssig erklÅrt werden kann, ist Vorsicht geboten, da es sich bei Nah 1,2–8 um eine theologisch dichte Zusammenstellung verschiedener Theophaniemotive handelt. Auch die Wahl der Tempora k×nnte aus den aufgenommenen Traditionen stammen. Zudem gibt die Form eines alphabetisierenden Psalms grammatikalische Entscheidungen vor. Ein Åhnlicher Wechsel zwischen den Zeitstufen findet sich im Theophaniepsalm des Habakukbuches, der sich mit K. Seybold in zwei hymnische StÛcke gliedern lÅsst.38 Aus dem Wechsel der Tempora in Hab 3 lÅsst sich

35 Bei der Beherrschung des Meeres geht es genauso wie in 1,3b um Jhwhs Urgewalt und nicht um eine Erinnerung an den Auszug aus Šgypten oder den Durchgang durch den Jordan. Gegen W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 155. 36 Vgl. W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 155 f. 37 In der ºbersetzung sind Perfektformen, die sich auf Aktionen Jhwhs beziehen interpretierend potential wiedergegeben (Jhwh kann . . .), weil sie sowohl in der Vergangenheit geschehen sind (Jhwh als Wettergott und als Sieger Ûber die ChaosmÅchte) als auch in der Zukunft geschehen werden (Jhwh als Richter). 38 Vgl. K. SEYBOLD, ZBK.AT 24/2, 77 ff. In beiden StÛcken wird Gottes Epiphanie in unterschiedlichen Bildern geschildert. Zuerst knÛpft die Darstellung mit dem Gleichnis der Sonne an alte Bilder an (Hab 3,3–7). Hier herrscht die Zeitstufe des Perfekts vor und drÛckt damit vergangene Handlungen aus (bis auf 3,7), die z. T. an das Motiv des Sieges Gottes im Kampf gegen das Chaos erinnern. Der zweite Hymnusteil unterscheidet sich neben dem thematischen

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genauso wie in Nah 1 eine Zeitabfolge ableiten: ZunÅchst wird auf die bekannten Taten Jhwhs zurÛckgeblickt (Hab 3,3–6/Nah 1,4 f), sein Zorn als Faktum im Perfekt geschildert (Hab 3,8/Nah 1,6b) und die zukÛnftigen Taten, die aus der in der Geschichte bewiesenen Macht und dem Zorn Jhwhs erwachsen, im Imperfekt als noch ausstehend geschildert (Hab 3,8 f/Nah 1,6.8). Bei aller ZurÛckhaltung, die wegen des Charakters der beiden Texte angebracht ist,39 berechtigen die ºbereinstimmungen zwischen Nah 1 und Hab 3 die Wechsel der Tempora als Strukturierung des Nahumanfangs zu verstehen. Die Erwartung des Verfassers an das Gericht drÛcken dann vor allem die imperfektischen Verbformen in 1,6a und 1,8 aus. Bei der Frage nach der Intention des ursprÛnglichen Hymnus wird deswegen ein Schwerpunkt auf die Interpretation von 1,6a und 1,8 gelegt. Dies wird zudem von der Beobachtung gestÛtzt, dass der Hymnus gerade mit dem Wort hlk in der k-Zeile abbricht und damit einen Schlusspunkt setzt. 6.2.3 Die Intention des ursprÛnglichen Hymnus 6.2.3.1 Pers×nlichkeitsbild Jhwhs Der Theophaniehymnus stellt dem Nahumbuch Aussagen Ûber Jhwhs Wesen voran: Er ist ein eifersÛchtiger Gott, der Ûber seine Rechte wacht, ein RÅcher und voller Grimm (V. 2a). „Die aus dem Recht stammenden PrÅdikate Verteidiger, RÅcher, Strafender sind jeweils verbunden mit AusdrÛcken emotionalen Engagements (Eifer, Rache, Zorn), so dass ein typisches Pers×nlichkeitsbild entsteht.“40 Mit dieser Wesensbeschreibung wird Jhwh dem Leser als Richter prÅsentiert und damit das mit der Theophanie beginnende Eingreifen Jhwhs in die Ordnung des Kosmos angekÛndigt.41 Sein Handeln kann vom Kontext des Buches und vom Schluss des Hymnus (V. 8) nur als ein Gericht verstanden werden. Im Mittelteil geht es darum, die Macht Jhwhs zu diesem Gericht herauszustellen: Wie er schon frÛher seine Gewalt Ûber die Natur gezeigt hat, wird er wieder eingreifen und HÛgel, Berge und Aspekt durch die Ansprache Gottes. Nach einer einleitenden Perfektform („Gottes Zorn ist entbrannt“ – Hab 3,8) sind die weiteren Aktionen Gottes, die nach der Rahmung von Habakuk geschaut werden (3,2.16), im Imperfekt geschildert (3,8 f), die Reaktionen der Natur auf diese Schritte wiederum im Perfekt (V. 10 f). Allerdings ist hier wegen der unsicheren TextÛberlieferung Vorsicht geboten. 39 Bei Hab 3 handelt es sich wahrscheinlich um nicht fÛr diesen Kontext verfasste Texte, die nachtrÅglich in das Buch aufgenommen wurden. Deshalb werden die Buchredaktoren nicht wesentlich in die Struktur der Texte eingegriffen haben. Gegen B. HUWYLER, Habakuk. 40 K. SEYBOLD, ZBK.AT 24/2, 20. 41 Šhnliche Verbindungen von Sch×pfungstheologie und Gerichtsthematik finden sich auch im Amosbuch. Vgl. dazu S. GILLINGHAM, Morgenr×te, 123. MissstÅnde verletzen die Harmonie, die in der von Gott geschaffenen Ordnung vorgesehen ist. Deswegen tritt Gott als Zerst×rer auf, um Neues zu schaffen. „Dem Gott Israels ist die Wahrung von Recht und Gerechtigkeit innerhalb der gesamten Menschheit wichtiger als der Fortbestand der natÛrlichen Ordnung um ihrer selbst . . . willen.“

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die ganze Erde erschÛttern. Genauso wie Nah 1 aus Jhwhs PrÅsenz in der Sch×pfung und seiner Macht Ûber die Natur ableitet, dass er gegen seine Feinde einschreitet, macht dies auch eine Unterschrift des 104. Psalms.42 K. Seybold bestimmt das Thema der Theophanie als traditionelle Wesensbeschreibung Gottes nach seiner Offenbarung, die sich aus mythischen Elementen und kultischen Erfahrungen speist.43 In Nah 1,2–8 sieht er ein „Kompendium aus gereihten EinzelsÅtze“, das eine „gewisse systematisierende Distanz zum Thema zeigt“.44 Wie kaum ein anderer Text des Alten Testaments reiht der Psalm gedrÅngt Aussagen Ûber Jhwh aneinander. Dem entspricht auch die gewÅhlte Form des Akrostichons: Dem Leser wird hier eine Zusammenfassung oder das „A-Z“ der Eigenschaften Gottes prÅsentiert. Wegen dieses kompendienartigen Charakters des Hymnus ist anzunehmen, dass es sich um einen fÛr den Buchkontext verfaßten Text handelt. Deswegen ist auch die Annahme eines Bezugs zum Kult abzuweisen.45 Der hÅufige Perspektiven- und Sprecherwechsel ist kein zwingendes Zeichen fÛr einen liturgischen Charakter des Textes.46 Welche Funktion hat der Hymnus mit der Zusammenstellung der Eigenschaften Jhwhs am Beginn fÛr die Aussage des Buches? Das Gericht wird zunÅchst weitgehend undifferenziert mit der Darstellung einer Gewittertheophanie47 eingeleitet und ist damit als ein die ganze Erde betreffendes, universales charakterisiert. In diese Richtung lÅsst sich auch die ErwÅhnung

42 Vgl. K. SEYBOLD, HAT I/15, 411 weist nach, dass es sich bei Ps 104,31–35 um AnhÅnge oder eine so genannte Unterschrift des Psalms aus mehreren spÅten HÅnden handelt und nicht um eine gezielte literarische Bearbeitung. ZunÅchst wird die PrÅsenz Jhwhs in der Sch×pfung damit beschrieben, dass Jhwh die Erde erbeben und Berge rauchen lÅsst. Jhwh kann die wohlgeordnete Sch×pfung in Unruhe versetzen. D.h. wenn n×tig kommen die richtenden Aspekte seines Wesens zur Geltung. „Erdbeben und Vulkane sind Symptome fÛr St×rungen im System und als solche zugleich Signale fÛr einen destruktiven Umgang mit der Welt, welcher der in V. 2 ff geschilderten konstruktiven Zuwendung zuwiderlÅuft.“ K. SEYBOLD, Psalm 104, 10. Wahrscheinlich eine andere Hand fÛhrt diesen Gedanken weiter und wÛnscht fÛr die Zukunft eine Feindvernichtung. Die Feinde des Beters werden in Ps 104 als SÛnder (¥jauc) und Frevler (¥jyfr) bezeichnet, fÛr die beide in der gereinigten Sch×pfung kein Platz mehr ist. „Hier hat ein Leser eine Sorge notiert, die in ihm bei der LektÛre aufbrach. Es ist die Unterschrift oder Glosse eines Ångstlichen, vielleicht auch angefochtenen Menschen, dem trotz allem Ps 104 eine Hoffnung bedeutet.“ K. SEYBOLD, Psalm 104, 6. Vgl. dazu auch H.-J. KRAUS, BK XV, 715. 43 Vgl. K. SEYBOLD, ZBK.AT 24/2, 19. FÛr die Fragestellung dieser Arbeit ist unerheblich, welchen religionsgeschichtlichen Hintergrund der Text hat und welchem Bereich die verwendeten Motive entstammen, die Jhwh nach uralten Vorbildern als gewaltigen Krieger schildern. Vgl. dazu W. DIETRICH, Nahum und bes. K. J. CATHCART, Nahum. 44 Vgl. K. SEYBOLD, ZBK.AT 24/2, 19. 45 Gegen R. J. COGGINS, Nahum, 19 und R. MASON, Micah, 65. 46 Vgl. W. DIETRICH, Nahum, 739. 47 Vgl. K. SEYBOLD, ZBK.AT 24/2, 20. Im Gegensatz zu K. Seybold steht m.E. nicht die Gewittertheophanie im Vordergrund des Hymnus. Die V. 3b.4a.5* illustrieren nur V. 2a und leiten zur eigentlichen Intention des Hymnus Ûber, der in V. 6 f ausgefÛhrt wird.

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der Berge und HÛgel (Nah 1,5) interpretieren, weil an anderen Stellen des Dodekaprophetons Berge und HÛgel mit den V×lkern identifiziert werden (Mi 6,1). Die Intention des StÛckes lÅuft auf die Frage von V. 6a zu: „Wer wird bestehen k×nnen?“ Hier liegt ein Schwerpunkt des Hymnus. Die Feinde Jhwhs, die in der Gegenwart des Verfassers triumphieren, werden es nicht sein. Sie werden in Zukunft verfolgt werden. Dieser AnkÛndigung eines zukÛnftigen Gerichts Ûber die Feinde Jhwhs sind die Theophanieelemente argumentativ untergeordnet. Sie sollen alle Zweifel an der StÅrke Jhwhs zerstreuen. Angesichts seiner WeltÛberlegenheit kann keiner bestehen, der zu seinen Feinden zÅhlt. Dagegen k×nnen diejenigen, die auf ihn vertrauen, sich der anderen Seite seines Wesens, seiner GÛte, sicher sein. 6.2.3.2 Die Unterscheidung zwischen Jhwh-AnhÅngern und Feinden Wer darf auf diese GÛte hoffen und wen trifft die zornige und rÅchende Seite Jhwhs? Entweder stehen hinter der in Nah 1,7 f getroffene Unterscheidung zwischen Jhwh-AnhÅngern und seinen Feinden Israel und Ninive, bzw. Israel und die V×lkerwelt oder das Gericht unterscheidet nicht auf der V×lkerebene, sondern nach dem VerhÅltnis zu Jhwh. M. E. ist in diesem Hymnus die Gerichtsperspektive universal, auch wenn fÛr diese Vorstellung noch keine ausgearbeitete Konzeption vorliegt. Wie in den im Exkurs zu Jhwh und seinen Feinden behandelten spÅten Texten Jes 66 und Ri 5 sind die Feinde nicht ausschließlich die V×lker, sondern schließen auch diejenigen ein, die sich gegen Jhwh stellen.48 Mit dieser weiteren Perspektive werden gerade die Texte, die von der Zerst×rung Ninives handeln als Beleg fÛr das bevorstehende Eingreifen Jhwhs und sein Gericht gelesen und gleichzeitig auf diese allgemeinere Feindperspektive hin modifiziert. In der in Nah 1,8 angekÛndigten Vernichtung der Feinde, auf die der Hymnus zulÅuft, liegt die Betonung auf dem Ende des Widerstands gegen Jhwh. Die Feinde werden nicht verfolgt, weil sie zu anderen V×lkern geh×ren, sondern wegen ihrem Widerstand gegen Jhwh. Wie ein Kriegsherr bricht Jhwh ihren Widerstand und verfolgt selbst die, die vor ihm in die Finsternis fliehen mußten. Die mit einer universalen Gerichtsperspektive verbundene M×glichkeit der Hinwendung von Nichtisraeliten zu Jhwh scheint in Nah 1 durch: In der Formulierung, dass Jhwh die kennt, die auf ihn vertrauen und ihnen eine Zuflucht am Tag der Not ist (V. 7), klingt verhalten eine positive Perspektive fÛr einzelne aus den V×lkern an. Auch sie k×nnen sich an Jhwh orientieren und Zuflucht bei ihm suchen und wÅren damit vom drohenden Gericht nicht betroffen.49 Die Zugeh×rigkeit zu Israel allein reicht nicht mehr aus, um das Gericht zu Ûberstehen. 48 49

Vgl. 6.7.5. und 6.7.6. So auch B. RENAUD, Mich³e, 201 und B. M. ZAPFF, Studien, 270.

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6.2.3.3 VerhÅltnis des ursprÛnglichen Hymnus zum Michaschluss Zwischen Nah 1 und Mi 7 gibt es Stichwortverbindungen und eine thematische Parallele. Beide Texte verwenden die Formulierung hrs ¥wj und den Begriff ifc und thematisieren die Unvergleichlichkeit Jhwhs. Die ErwÅhnung des Tages der Not k×nnte auf eine Aufnahme von Mi 7,11 f zurÛckzufÛhren sein oder beide Verse als Ausmalung des in Nah 1,7 genannten Tages gelesen werden.50 Da die Vorstellung im Michaschluss vollstÅndiger und konzeptionell ausgearbeiteter scheint, ist die zweite M×glichkeit wahrscheinlicher. Der Begriff ifc (Nah 1,8) wird in Mi 7,8 mit Åhnlichem Sinn verwendet: WÅhrend dort das in der Finsternis sitzende Volk Jhwh als Licht hat, werden die Feinde Jhwhs in Nah 1,7 in die Finsternis geschickt. ifc kommt hÅufig im Hiobbuch, einige Male im Jesajabuch und im Psalter vor, jedoch ist der Begriff nicht so hÅufig,51 dass die Annahme einer literarischen VerknÛpfung zw. Nah 1 und Mi 7 deswegen auszuschließen wÅre. Sowohl im Michaschluss als auch in Nah 1,6a wird die Unvergleichlichkeit Jhwhs gepriesen. In der Frage in Mi 7,18 steht die Schuldvergebung im Vordergrund. Nah 1,6a stellt dagegen die Frage, wer seiner Gewalt widerstehen kann. Damit hat es das Gericht statt der Gnade Jhwhs und seiner Vergebung im Auge. Beide Aussagen zur Unvergleichlichkeit Jhwhs gleichen sich trotz unterschiedlicher Form im Stil. Sie haben aber verschiedene Perspektiven. Mi 7,18 hat eher den angefochtenen GlÅubigen im Blick und tr×stet ihn mit der Vergebungsbereitschaft Jhwhs. Nah 1,6a dagegen will den Angefeindeten in seiner Hoffnung bestÅrken, dass seine BedrÅnger gerichtet werden.52 Das Profil des ursprÛnglichen Hymnus ist dagegen mit der an Mi 7,10bg.11 f.12a.ba.16 f herausgearbeiteten Konzeption vergleichbar.53 6.2.4 Die Intention der redaktionellen Bearbeitungen Die Perspektive des ursprÛnglichen Hymnus wird von den redaktionellen Bearbeitungen (Nah 1,2b.3a.4b.5b*) aufgenommen, prÅzisiert, aber auch leicht modifiziert. 6.2.4.1 AuffÛllung a-Zeile – Nah 1,2b.3a V. 2b.3a fÛgen dem Hymnus zwei eigene Gedanken hinzu: (1.) Die RÅcherAussage aus V.2a wird unter Aufnahme des Stichwortes ¥qn spezifiziert. 50

Das Stichwort ¥wj kommt zudem in anderer Bedeutung in Mi 7,14.20 vor. Im Zw×lfprophetenbuch wird ifc siebenmal verwendet: Joel 2,2; 3,4; Am 5,18.20 und Zef 1,15. 52 Weitere Stichw×rter, die in beiden Texten parallel verwendet werden, sind m.E. fÛr die Untersuchung ohne Belang und werden nur der VollstÅndigkeit halber erwÅhnt. Vgl. dazu J. D. NOGALSKI, Precursors, 37 ff. Mi 7,12 rhn; Nah 1,4 twrhn. Mi 7,12 rh; Nah 1,5 ¥jrh. Mi 7,13 xra; Nah 1,5 xra. Mi 7,17 rpy; Nah 1,3 qba. Mi 7,18 rby; Nah 1,8 rby. 53 Vgl. dazu 5.5.1.2. 51

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Der Zorn Jhwhs trifft nicht ohne Unterschied jeden, sondern nur seine Feinde. Diese k×nnen keine Barmherzigkeit, sondern nur das Gericht erwarten. Diese Gedankenlinie der Bearbeitung wird durch das Zitat von Teilen der von H. Spiekermann als Gnadenformel bezeichneten Beschreibung des Wesens Jhwhs, belegt.54 B. M. Zapff sieht „eine Art Korrektur, besser vielleicht Richtigstellung einer m×glichen Fehlinterpretation. . . . Die Barmherzigkeit Jahwes wird nur denen unter den V×lkern zuteil, die sich nicht gegen Jahwe auflehnen, sondern bei ihm Zuflucht suchen. Alle anderen trifft das Gericht Jahwes ohne Unterschied.“55 Die EinfÛgung geht auf eine neue Situation ein: Weil die lÅngst fÅllige g×ttliche Strafe, wie sie z. B. in Dtn 7,9 f angekÛndigt wurde, fÛr die Feinde ausgeblieben ist, scheinen bei den Lesern Zweifel aufgekommen zu sein, ob die Gnade Jhwhs auch seinen Feinden gilt. Diese Zweifel will die Versicherung, dass Jhwh nichts ungestraft lÅsst, vom Tisch wischen. Deswegen werden Teile der bekannten Formel in die Argumentationsstruktur des Hymnus eingeflochten. Statt der Formulierung doc brw in Ex 34,6 wÅhlt Nah 1,3a aber ck lwdgw. Wie andere Zitate der Gnadenformel zeigen ist doc brw integrativer Bestandteil der Formel56 und muß von der Bearbeitung des Nahumbuchs ersetzt worden sein. Diese VerÅnderung betont die Kraft Jhwhs gegenÛber seiner Gnade stÅrker und wirkt damit Gedanken entgegen, die in der Verz×gerung der Strafe ein Zeichen von SchwÅche oder GutmÛtigkeit sehen. Neben der EinfÛgung von ck lwdgw setzt Nah 1,3 mit seinem Zitat weitere Akzente die in einem Vergleich mit der Verarbeitung der Gnadenformel in Mi 7,18 deutlich werden. Nah 1,3 nimmt die Vorstellung von der Langmut Jhwhs aus Ex 34,6 auf (¥jpa ira) und stellt dazu aus Ex 34,7 die BekrÅftigung hqnj al hqnw: Trotz seiner Langmut vergißt Jhwh nicht zu strafen. Mi 7,18 ist dagegen vor allem an der Beschreibung der Gnade und Treue Jhwhs interessiert sowie an seiner Bereitschaft zur SÛndenvergebung (vwy afn). Das in Ex 34,6 f angestrebte Gleichgewicht von Gnade und Zorn57 wird von beiden Texten in die ihrer Intention entsprechende Richtung verÅndert. Nah 1,3 betont den rÅchenden Gott, Mi 7,18 den gnÅdigen Gott. Es handelt sich hier wie bei den Aussagen zur Unvergleichlichkeit Jhwhs um zwei Seiten einer Medaille. Der Beterin, d. h. Israel, Jerusalem oder ein anderer Kreis Jhwh-Verehrer reklamiert fÛr sich die Gnade und Vergebungsbereitschaft, der Wille zu strafen trifft dagegen Feinde und Widersacher. Auch die Formulierung „zornig bleibt er gegenÛber seinen Feinden“ (1,2b) bestÅtigt, dass das Gericht Ûber die Feinde nicht ausbleiben wird. Im 54 55 56 57

Vgl. H. SPIECKERMANN, Barmherzig, 3. B. M. ZAPFF, Studien, 271. Vgl. z. B. Joel 2,13 und Jona 4,2. Vgl. K. SEYBOLD, ZBK.AT 24/2, 20.

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Hintergrund der Wurzel run k×nnte sowohl ein Homonym stehen, das den Bedeutungsgehalt von toben und wÛten hat sowie eins mit der Bedeutung bewahren.58 So drÛckt auch run nicht nur das ZÛrnen und Grollen Jhwhs aus, sondern das Andauern des Zorns.59 Nah 1,2b steht damit in der jetzigen Fassung des Dodekaprophetons Mi 7, 18 gegenÛber. Hier heißt es, dass Jhwh seinen Zorn nicht ewig festhÅlt (wpa dyl qjzch al). Zwar kennt auch Nah 1,3a die Langmut als Eigenschaft Jhwhs (¥jpa ira), auf ihr liegt aber nicht das Gewicht der Aussage. Die Mi 7,18 und Nah 1,3 gemeinsame Formulierung ¢a wird an beiden Stellen unterschiedlich benutzt. Eine weitere Parallele zum Michaschluss ist die ErwÅhnung der Feinde, bzw. der Feindin (wjbjal in Nah 1,2b und Mi 7,8.10). Die thematische BerÛhrung zwischen Nah 1,2b.3a und Mi 7,18–20 ist damit deutlich. Nah 1,2b.3a nimmt genauso wie Mi 7,18–20 zur Verz×gerung des Heils Stellung.60 Dagegen hatte der ursprÛngliche Hymnus einen anderen Zeitrahmen: FÛr V. 6 ist das Gericht in greifbarer NÅhe. Nach den Taten Jhwhs, wird diesem Gericht keiner widerstehen. Die Bearbeitung Nah 1,2b.3a thematisiert die Verz×gerung des Gerichts. Der auf das Gericht wartende Leser wird beruhigt: Jhwh vergißt trotz seiner Geduld nicht zu strafen. 6.2.4.2 Ersetzung der ursprÛnglichen d-Zeile – Nah 1,4b Das Profil der EinfÛgung in V. 4b ist ungleich schwieriger zu bestimmen, da die Bearbeitung die ganze ursprÛngliche d-Zeile ersetzt hat. Die Basis fÛr eine vergleichende Interpretation fehlt damit. WÅhrend die St×rung des Akrostichons durch V. 2b.3a unmittelbar einsichtig ist, ist der Ausfall der ursprÛnglichen d-Zeile durch eine neue Zeile weniger plausibel. So schlÅgt z. B. W. Rudolph vor, lediglich llma zu ersetzen und stattdessen bad zu lesen. Der Ausfall des ursprÛnglichen Wortes wÅre dann mit Textverderbnis zu erklÅren.61 FÛr die Ersetzung der ganzen Zeile sprechen die von J. D. Nogalski angefÛhrten stilistischen Unterschiede von V. 4b zum restlichen Hymnus: V. 4b ist die einzige Zeile, die Jhwh nicht erwÅhnt. Die ErwÅhnung der drei Landschaften ist außerdem singulÅr in einer Theophanie. Der passive Gebrauch von llma unterscheidet sich stilistisch von den sonst aktiv verwendeten Verben.62 Deswegen wirkt V. 4b auch inhaltlich und stilis-

58 Vgl. H. MADL, run, 432 f. Nah 1,2 ist der einzige Beleg von run mit l. Grammatikalisch Åhnlich ist Lev 19,18. Dort wird dazu aufgefordert den Volksgenossen keinen Zorn nachzutragen. Die Bedeutung von run lÅsst sich aus Jer 3,5 und Ps 103,9 ableiten, weil das Verb an beiden Stellen parallel zu anderen Begriffen gebraucht wird, die ein Andauern des Zorns ausdrÛcken. 59 Vgl. Ps 103,9 und Jer 3,5.12. 60 Eine weitere thematische Parallelen zwischen Mi 7 und Nah 1 sieht J. D. Nogalski im vermeintlichen Bezug beider Texte auf Jes 10. Diese These wurde schon in der Untersuchung von Mi 7 abgewiesen. Vgl. 5.6.1. 61 Vgl. W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 151. 62 Mit J. D. NOGALSKI, Processes, 107 f.

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tisch wie ein Fremdk×rper, der wahrscheinlich die ursprÛngliche d-Zeile ersetzt. vfb und lmrk finden sich auch in Mi 7,14. Allerdings steht hinter der Nennung der Gegenden dort eine andere Intention: vfb steht in Mi 7 als fruchtbares Weideland dem lmrk, dem unfruchtbaren Dickicht, gegenÛber, wÅhrend Nah 1,4b sich nÅher an der Vorstellung von Jes 33,9 befindet, wo die Folgen der VerwÛstung eines von Norden kommenden Tyrannen beschrieben werden.63 Die Zusammenstellung von vfb und lmrk findet sich nur an diesen drei Stellen. Ein Bezug der Stellen aufeinander ist somit wahrscheinlich. Der Vergleich zeigt, dass in Jes 33,9 der Ålteste Beleg vorliegt und dieses Bild von Nah 1,4b aufgenommen wird. Allerdings ist die VerwÛstung jetzt Ergebnis des Handeln Jhwhs. Basan und Karmel sterben ab, weil Jhwh das Meer und die FlÛsse vertrocknen lÅsst. In Jes 33 reagieren Basan und Karmel auf das Handeln des VerwÛsters. Mi 7,14 verwendet die Motive dagegen anders: Der Beter befindet sich nach seiner Sicht im Dickicht, und hofft auf einen Neubeginn, auf ein reiches Weideland. Im Hintergrund k×nnte hier eine Jes 33 vergleichbare Situation stehen. Weil beide Texte Basan und Karmel auf unterschiedliche Weise verwenden, lÅsst sich von diesem Vergleich fÛr Nah 1,4b kein spezielles Profil aufzeigen. Eine denkbare Intention der EinfÛgung wÅre eine Konkretisierung der Gerichtsperspektive des Buches. Das Gerichtshandeln Jhwhs trifft Landschaften, die m×glicherweise fÛr die Bearbeitung des Hymnus speziell mit Jhwhs Feinden in Zusammenhang stehen. Der geographische Rahmen dieser Perspektive zieht sich vom nÅheren Norden (Karmel) Ûber den weiteren Norden (Libanon) in Richtung Nordosten (Basan). Damit lenkt Nah 1,4b den Blick auf die n×rdlichen Nachbargebiete Judas. Plausibel ist eine solche ErgÅnzung, wenn im Kontext die Begriffe schon vorgegeben waren. M×glicherweise ist Mi 7,14 von den Bearbeitern des Psalms als zu positiv gegenÛber den Nachbarv×lkern angesehen worden, in deren Herrschaftsgebiet Basan und Libanon liegen. Deswegen k×nnte die Vernichtung der Gebiete hinzugefÛgt worden sein. WÅhrend in Mi 7,14 die Hoffnung auf ihre Inbesitznahme im Hintergrund steht,64 k×nnte diese Hoffnung sich fÛr den Schreiber von Nah 1,4b bereits als aussichtslos erwiesen haben. 6.2.4.3 Šnderung der z-Zeile – Nah 1,5b Die Šnderung der z-Zeile geht darauf zurÛck, dass in V. 5b hb jbfj lkw lbtw eingefÛgt wird und damit wjnpl in V. 5b nach V. 6a verdrÅngt zu jnpl wird.65 Ziel dieser EinfÛgung ist es, vergleichbar mit Mi 7,13 dem Gericht

63

Vgl. O. KAISER, Jesaja, 273 f. Vgl. 5.3.4. 65 Die ursprÛngliche w-Zeile heißt also: wjnpl lbtw wjnpm xrah aftw. Die ursprÛngliche z-Zeile beginnt demnach mit wmyz. Mit J. D. NOGALSKI, Processes, 110. 64

250

Die Feinde Jhwhs – Die Redaktion des Nahumbuches

universale Ausmaße zu geben:66 Das Eingreifen Jhwhs richtet sich nicht nur gegen den Kosmos und die Erde, auch die Bewohner der Erde werden explizit genannt. Wie mit der Theophanie Jhwhs in Nah 1,5b ein Beben der Erde, des Erdkreises und der Bewohner einhergeht (jbfj lkw lbtw wjnpm xrah hb), ist die AnkÛndigung der VerwÛstung der Erde in Mi 7,13 umfassend (hjbfj ly hmmfl xrah htjhw). Beide Formulierungen knÛpfen an die Ansage eines alle Menschen umfassenden Weltgerichts an. Es geht dabei um ein Gericht, bei dem nicht mehr zwischen Israel und den V×lkern unterschieden wird.67 6.2.5 Das VerhÅltnis von Nah 1 und Mi 7 in der gegenwÅrtigen Forschung In der neueren Forschung nimmt die Diskussion Ûber das VerhÅltnis zwischen dem Abschluss des Michabuches und dem Anfangskapitel des Nahumbuches eine entscheidende Rolle ein. Ein literarischer Bezug zwischen beiden Texten ist aufgrund der Aufnahme gleicher Begriffe wahrscheinlich. Insbesondere Nah 1,2b.3a; 1,4b; 1,7 sowie 1,8 nehmen Kernbegriffe aus Mi 7 auf. Außerdem weisen diese Verse auch wie Nah 1,5b.6a thematische BezÛge zum vorangehenden Kapitel auf. Keine der Beziehungen zwischen beiden BÛchern ist im Einzelnen so zwingend, dass sich die Rezeption des einen durch den anderen Text beweisen ließe. Alle Parallelen zusammengenommen ergeben aber eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es sich um eine literarische AbhÅngigkeit handelt. J. D. Nogalski folgert, dass ein Bearbeiter, dem ein das Hosea-, Joel-, Amos- und Michabuch umfassender Korpus vorlag, das Nahumbuch so bearbeitet, dass es die Botschaft von Mi 7,18–20 fortsetzt. Das Thema der Heilsverz×gerung wird aufgenommen und außerdem bekrÅftigt, dass sich das Gericht gegen alle Bewohner der Erde richtet.68 E. Bosshard-Nepustil geht in die gleiche Richtung: Ein Ninivekomplex am Schluss des Michabuches wurde anonym tradiert69 und erst mit der EinfÛgung des Psalms abgetrennt und zu einem eigenen Prophetenbuch gestaltet.70 Dieser Schicht weist E. Bosshard-Nepustil u. a. Mi 7,7–10 und Nah 1,1b.2–8.9 f zu. Mi 7,11–20 schreibt er dagegen einer spÅteren Schicht zu. Der Grund fÛr die Zuweisung von Mi 7,7–10 und Nah 1,1b.2–8.9 f zur Babel-Redaktion des

66

Vgl. B. M. ZAPFF, Studien, 273. Vgl. z. B. Jes 24,1 ff und 26,21. Vgl. dazu auch 5.3.3. 68 „The previous discussions have demonstrated that the interruptions in the acrostic pattern of Nah 1: 2–8 arise as the result of a redactional process which shaped these verses slightly to fit their position in the Book of the Twelve.“ Vgl. J. D. NOGALSKI, Processes, 115. 69 Zu diesem Komplex geh×rt nach E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen, 373 Nah 1,1a.11.14; 2,2.(*)4 ff; (*)3. 70 Vgl. E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen, 369. 67

Der Theophaniehymnus

251

Dodekaprophetons ist, dass sich beide Texte auf Babel beziehen sollen.71 FÛr Nah 1,2 ff liegt genauso wie fÛr Mi 7,7–10 m.E. kein Grund vor, eine spezielle Transparenz des Hymnus auf Babel anzunehmen. E. Bosshard-Nepustil trÅgt vielmehr die Babel-Relation aus anderen Texten in Nah 1,2 ff ein, ohne den Text selber grÛndlich zu untersuchen. Der Hymnus hat exemplarisch das Gericht gegen alle Feinde Jhwhs im Blick und versteht das Gericht gegen Ninive als Beispiel dafÛr. J. D. Nogalski geht wie selbstverstÅndlich davon aus, dass Mi 7 dem Redaktor des Nahumbuches bereits vorlag. Weil sich StichwortbezÛge zwischen Mi 7 und dem ursprÛnglichen alphabetischen Psalm finden, ist auch ein umgekehrtes AbhÅngigkeitsverhÅltnis und damit die Unterscheidung zwischen der EinfÛgung des Nahumbuchs ins Mehrprophetenbuch und seiner VerknÛpfung mit Mi 7 zu erwÅgen.72 Die EinfÛgungen in Nah 1 k×nnten auf eine Hand zurÛckgehen, auf die auch Teile von Mi 7,8–20 zurÛckzufÛhren sind. Diese Hand sieht B. M. Zapff im Verfasser der von ihm vertretenen Fortschreibungsschicht des Michabuches (FSM), auf den seiner Hypothese nach Mi 7,8–20 zurÛckzufÛhren ist.73 Der ursprÛngliche Hymnus stellt seiner Meinung nach eine Einleitung des Nahumbuches dar und orientiert sich am Amos- und Michabuch. Dem Gericht Ûber Israel und dem Gericht Ûber Juda wird ein Gericht Ûber Ninive, der Erzfeindin Israels, hinzugefÛgt. Nach dieser Hypothese wÅre der Stoff des Nahumbuches vor der EinfÛgung von Jona ins Mehrprophetenbuch aufgenommen worden und Mi 7,8–20 unter Kenntnis von Nah 1,2–8 zusammengestellt.74 Der Michaschluss nimmt demnach eine spÅte, schriftgelehrte Differenzierung des noch unspezifisch gehaltenen Hymnus vor. Das in Nah 1,5b noch recht allgemein angekÛndigte Gericht Ûber die ganze Welt differenziert der Michatext stÅrker. Es trifft jetzt ausschließlich die Feindin der Beterin.75 Das Anliegen der Verfasser von Mi 7,18 ff sieht B. M. Zapff in der GegenÛberstellung des Unterganges der Feinde Jhwhs in Nah 1,2 und der heilvollen Zukunft des Zions. Dabei sind die Feinde diejenigen, die nicht darauf vertrauen k×nnen, dass Jhwh sie ins Licht fÛhrt.

71

„Auch Mi 7,10; Nah *1,2 ff thematisieren das (implizite) Gericht an Babel . . .“ E. BOSSRezeptionen, 394. 72 Vgl. auch B. M. ZAPFF, Studien, 251 f. „Da die EinfÛgungen aber, ebenso wie die Ûbrigen StichwortbezÛge, offensichtlich dem Zweck dienen, diesen Psalm mit Mi 7,8–20 zu verknÛpfen, deutet dieser Befund eher daraufhin, dass es Mi 7,8–20 ist, welches unter Kenntnis von Nah 1,2–8 verfasst wurde.“ 73 Vgl. B. M. ZAPFF, Studien, 252. 74 In dieser Sicht wird B. M. Zapff im Wesentlichen von E. Bosshard-Nepustil und O. H. Steck bestÅtigt. Sowohl Mi 7,11–13 als auch Mi 7,14–20 sind nach ihrem Modell der Entstehung des Zw×lfprophetenbuches Nah 1,2 ff zeitlich nachgeordnet. Vgl. die ºbersicht bei E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen, 430 und O. H. STECK, Prophetie. 75 Vgl. B. M. ZAPFF, Studien, 270. HARD-NEPUSTIL,

252

Die Feinde Jhwhs – Die Redaktion des Nahumbuches

6.2.6 Ergebnisse der Untersuchung des Theophaniehymnus Der Hymnus wurde als Einleitung des Nahumbuches konzipiert und faßt verschiedene Theophaniemotive kompendienartig zusammen. So entsteht ein Pers×nlichkeitsbild Jhwhs, aus dem abgeleitet wird, dass er seinen Feinden als Richter gegenÛber treten wird. Mit derselben Macht, die er Ûber die Naturelemente hat, wird er das Wirken seiner Widersacher beenden. Das Gericht, das der ursprÛngliche Hymnus skizziert, impliziert eine universale Perspektive. Es ist nicht nur das Gericht Ûber Ninive, sondern Ûber alle Feinde Jhwhs. In dieser Vorstellung steht Israel nicht den V×lkern gegenÛber, sondern die Feinde Jhwhs seinen AnhÅngern. Eine genaue Beschreibung der Feinde unterbleibt im Psalm. Lediglich aus dem GegenÛber zu den AnhÅngern lÅsst sich indirekt die Stoßrichtung des Hymnus verstehen. Damit interpretiert der Hymnus das Åltere Material des Nahumbuches so, dass ausschlaggebend fÛr das erwartete Gericht nicht die Zugeh×rigkeit zu einem Volk ist. Auch die, die sich wie Ninive verhalten, werden zu den Feinden Jhwhs gezÅhlt. Der Umkehrschluss, dass derjenige aus anderen V×lkern, der sich nicht so verhÅlt, zu denen gezÅhlt die bei Jhwh wÅhrend des Gerichts Schutz finden, wird nicht ausgefÛhrt, aber von der GedankenfÛhrung angedeutet. Genauso befreit eine Zugeh×rigkeit zu Israel nicht von der M×glichkeit zu den Feinden gezÅhlt zu werden. Konzeptionell vergleichbar ist der Hymnus der Redaktion des Michaschlusses.76 Redaktionelle Bearbeitungen des Psalms ergÅnzen zwei Gesichtspunkte: Zweifel in Bezug auf das Gericht werden beseitigt. Die Macht Jhwhs wird bekrÅftigt und betont, dass sein Eingreifen sich lediglich gegen seine Feinde richtet. Auf verschiedene Weise wird zudem parallel zur Rezeption des Michaschlusses in Mi 7,13 die UniversalitÅt des Gerichts betont. Nicht nur die nachtrÅgliche Bearbeitung der Einleitung des Nahumbuches weist BezÛge zum Michabuch auf, sondern auch andere Teile des Hymnus. Deswegen k×nnen die BezÛge nicht allein durch eine VerknÛpfung der beiden BÛcher erklÅrt werden. FÛr die von B. M. Zapff vertretene AbhÅngigkeit des Michaschlusses von Nah 1 spricht, dass es sich beim Michatext um Konkretionen der noch recht allgemeinen Theophanievorstellungen des Hymnus handelt. Die redaktionelle Bearbeitung von Nah 1 ist dagegen konzeptionell parallel zu Mi 7,13 und setzt die im Michaschluss aufgenommene Tradition Mi 7,14 voraus.

76

Vgl. dazu 5.5.1.2.

Gnadenformel und ihre Rezeption im Dodekapropheton

253

6.3 Die Gnadenformel und ihre Rezeption im Dodekapropheton Der in der Rezeptionsgeschichte Ålteste Beleg der Gnadenformel „Barmherzig und gnÅdig ist der Herr . . .“ ist Ex 34,6 f. Diese Formel steht im Hintergrund von Mi 7,18 und Nah 1,3 und wird in Joel 2,13; 4,21a und Jona 4,2 die Formel modifiziert zitiert. In Ex 34,6 f ist sie in einem Kontext eingebunden, der bereits von einer intensiven Auseinandersetzung mit ihr zeugt. Ein Blick auf die verschiedenen Rezeptionen der Formel ist n×tig, weil mit ihrem Zitat in vier BÛchern des Dodekaprophetons an die Traditionsgeschichte auf verschiedene Weise angeknÛpft wird.77 6.3.1 Die Vorgeschichte der in Ex 34 Ûberlieferten Gnadenformel Welcher Tradition die Zitate im Dodekapropheton entnommen sind, ist unm×glich zu bestimmen. Wahrscheinlich kann die Kenntnis einer liturgischen Formel im Bewusstsein der Leser und Schreiber der ProphetenbÛcher vorausgesetzt werden. Sie wird in unterschiedlicher Form zitiert. In den Åltesten faßbaren Stadien der Vorgeschichte von Ex 34,6 f st×ßt man auf eine Verwandtschaft der Beschreibung der Eigenschaften Jhwhs zum kanaanÅischen El, der hÅufig „gÛtiger El“ und „Barmherziger“ genannt wird.78 Dies spiegeln noch die fÛnf Varianten der Formel, in denen sich der Name El erhalten hat: Jhwh ist der barmherzige und gnÅdige El.79 Diese AnknÛpfungen an Åltere Vorstellungen sind allerdings nur in exilisch-nachexilischer Literatur enthalten. Zwei Beobachtungen in den biographischen Berichten Ûber Hosea und Jeremia lassen darauf schließen, dass es schon in vorexilischer Zeit eine Vertrautheit mit der Vorstellung eines barmherzigen und gnÅdigen Gottes gegeben hat.80 Zwei Kinder Hoseas bekommen Namen, die anzeigen sollen, dass außer Kraft gesetzt ist, „was zur Zeit Hoseas theologisch in Geltung stand: die exklusive Beziehung Jahwe-Israel im Zeichen der Selbstbestimmung Gottes zum Erbarmen, ohne dass der Gnadenentzug endgÛltig wÅre.“81 Auch im Hintergrund des jeremianischen Leidens an der Langmut Gottes mit seinen Feinden steht eine Vertrautheit mit dieser Wesensbestimmung Gottes (Jer 15,15). ºber das Alter der Gnadenformel lÅsst sich aufgrund dieser Stellen nur spekulieren. Sie k×nnte in der Zeit Jeremias oder danach gebildet worden sein.82 Auf jeden Fall erfolgt eine Auseinanderset77 Vgl. neben der Untersuchung der Traditionsgeschichte der Formel bei H. Spieckermann, Barmherzig auch R.C. VAN LEEUWEN, Wisdom; zu Ex 34,6 f. J. SCHARBERT, Formgeschichte; R. C. DENTON, Literary und L. SCHMIDT, Studien, 86 ff. 78 Vgl. H. SPIECKERMANN, Barmherzig, 3. 79 Vgl. Ex 34,6 f; Dtn 4,31; Jon 4,2; Ps 86,15 und Neh 9,31. 80 So L. SCHMIDT, Studien, 91 ff. 81 H. SPIECKERMANN, Barmherzig, 4. 82 Gegen eine vorexilische Datierung spricht keineswegs die NichterwÅhnung in Ålterer pro-

254

Die Feinde Jhwhs – Die Redaktion des Nahumbuches

zung mit hinter der Formel stehenden Gedanken schon in vorexilischer Zeit. Deswegen ist keiner der spÅter zu datierenden Belege Ursprungstext der Formel. FrÛhe Verarbeitungen im Bereich der deuteronomistischen Theologie sind an zwei Stellen auszumachen. „An ihnen wird die Gnadenformel nicht erwÅhnt, weil sie gezielt unterdrÛckt und theologisch ersetzt werden sollte.“83 Die deuteronomistische Vergeltungslehre verkÛndet den gnÅdigen Gott ohne ErwÅhnung der Formel. Trotz der Ereignisse, die mit dem Verlust der Staatlichkeit einhergehen, halten deuteronomistische Theologen damit an der Ûberlieferten Wesensbestimmung Gottes fest. Die Gnade hat jetzt „die Form des Gesetzes“.84 Der verlÅssliche Gott ist der, der seine vertraglichen Zusagen einhÅlt. Von Gottes Gnade kann man nur reden, „indem man zugleich von ihrer Aufnahme bei den EmpfÅngern spricht. Gottes Gnade als verpflichtende Liebe will Gegenliebe.“85 Die Selbstbestimmung Gottes zur Gnade bleibt damit auch fÛr die deuteronomistische Vergeltungslehre Wesensmerkmal und lÅsst sich nicht leicht beschrÅnken. Eine VerhÅltnismÅßigkeit wird lediglich bei der Strafe gewahrt. Die Verheißung gilt dagegen tausend Geschlechtern und ist damit ins Unvorstellbare entschrÅnkt. „StÛnde die Gnadenformel nicht hinter Dtn 7,9 f, wÅre die eklatante Inkongruenz der doppelten Vergeltung allemal schwerer zu erklÅren.“86 Weil die Exilszeit lÅnger als eine Generation andauerte, bewÅhrte sich die in Dtn 7 formulierte Vergeltungslehre nicht und wurde deswegen wie im Anschluss an das Fremdg×tterverbot des Dekalogs weiter verschÅrft.87 Die g×ttliche Gnade dagegen wird auf die begrenzt, die ihre Jhwh-Liebe in der Gesetzesobservanz erweisen. Die Botschaft von Dtn 5,9 f faßt H. Spieckermann folgendermaßen zusammen: „Trotz VÅterschuld keine Haftung ohne Eigenschuld . . . , aber auch keine Gnade ohne Verdienst. Folgerichtig heißt Jahwe nicht mehr der treue Gott, sondern . . . der eifernde Gott.“88 6.3.2 Ex 34 als signifikantes Beispiel spÅtdeuteronomistischer Theologie Die Auseinandersetzung mit der Gnadenformel kommt innerhalb der deuteronomistischen Theologie in dem (nach)exilisch-spÅtdeuteronomistischen Text Ex 34,1–28 zum Abschluss. „Nachdem zuvor die Gnadenformel gut deuteronomistisch durch eine Vergeltungslehre (Dtn 7), dann durch den Gedanken der Heimsuchung verdrÅngt worden war (Dtn 5), kommt sie phetischer Literatur. Denn den Gerichtspropheten ging es ja gerade nicht um die Gnade und Barmherzigkeit Jhwhs. Mit H. SPIECKERMANN, Barmherzig, 5 gegen L. SCHMIDT, Studien. 83 H. SPIECKERMANN, Barmherzig, 5. 84 H. SPIECKERMANN, Barmherzig, 6. 85 H. SPIECKERMANN, Barmherzig, 6. 86 H. SPIECKERMANN, Barmherzig, 7. 87 Vgl. Dtn 5,9 f und Ex 20,5 f. 88 H. SPIECKERMANN, Barmherzig, 8.

Gnadenformel und ihre Rezeption im Dodekapropheton

255

schließlich im Horizont der Vergebung wieder zur Geltung (Ex 34). Im Gedanken der Vergebung wÅchst die deuteronomistische Theologie Ûber sich hinaus und trÅgt damit zu ihrer Aufl×sung in der nachexilischen Zeit entscheidend bei.“89 In diesem Sinne ist Ex 34 ein signifikantes Beispiel spÅtdeuteronomistischer Theologie. FÛr den im Rahmen deuteronomistischer Theologie fremden Gedanken der Vergebung Gottes muß Jhwh selbst als AutoritÅt auftreten und verkÛndet die so genannte Gnadenformel. Der in Ex 34 formulierende Deuteronomist erweckt die Formel damit zu neuem Leben und zwar ohne explizite Ermahnung zur Gesetzesobservanz.90 6.3.3 Midrasch-artige Verwendung von Ex 34,6 f im Dodekapropheton? In den Rezeptionen der Gnadenformel im Zw×lfprophetenbuch, vor allem in seinen ersten sechs BÛchern, sieht R. C. Van Leeuwen eine quasi-midraschartige Verwendung von Ex 34,6 f und versucht anhand dessen eine letzte Bearbeitungsschicht des Zw×lfprophetenbuches plausibel zu machen. Diese soll eine Rechtfertigung Gottes angesichts scheinbar ungerechter Handlungen vornehmen.91 Eine redaktionelle Linie sieht R. C. Van Leeuwen zwischen Hos 14,10 und Mi 7,18–20, die beide auf Ex 34,6 f zurÛckgreifen und miteinander durch Mi 4,5 verbunden sind.92 Das Gericht wird von der von R. C. Van Leeuwen angenommenen Endredaktion des Zw×lfprophetenbuches Åhnlich wie in Ps 25 fÛr uneinsichtige Rebellen erwartet, Gnade und Vergebung dagegen fÛr den, der Jhwhs Wegen folgt. In diesem Sinne wird die Gnadenformel auch an zentraler Stelle das erste Mal im Zw×lfprophetenbuch explizit zitiert. Das Joelbuch zeigt unter Verwendung der Formel einen Ausweg der Umkehr und Reue vor dem in den folgenden BÛchern prophezeiten Gerichtstag. Von dieser Perspektive aus gelesen erklÅrt das Amosbuch, dass das n×rdliche K×nigreich eben nicht umgekehrt ist und deshalb zerst×rt werden mußte.93 Die GerichtsankÛndigungen des Obadjabuches an die Nationen, unter denen sich auch die Assyrer befinden, sieht R. C. Van

Vgl. H. SPIECKERMANN, Barmherzig, 8. Die aus Dtn 5 bekannte Lehre von der Heimsuchung ist in Ex 34,7bbg erhalten geblieben. Die Zeit der Heimsuchung hat sich um eine Generation verlÅngert. Das Leiden an der VÅterschuld erscheint allerdings schon in neuem Licht der Erfahrung der Vergebung Gottes: Dass Gott nicht ungestraft lÅsst, hatte Israel schmerzlich erfahren mÛssen, „aber das Gr×ßere, (wieder) ganz neu Erfahrene ist die Bewahrung seiner GÛte . . . , die sich in der SÛndenvergebung manifestiert.“ H. SPIECKERMANN, Barmherzig, 9. Die VÅterschuld wird nicht vergeben, sie ist bald abgebÛßt, aber die Schuld, die sich immer wieder neu ereignet, wird immer wieder neu vergeben. Diese neue Erfahrung st×ßt auf ein theologisches VorverstÅndnis, das von der Gnadenformel reprÅsentiert wird. 91 „The scribal redactors of the MT . . . have used this base text as it existed in preexisting prophetic works, and have found pattern and thread to elaborate a theodicy in the first six books of the Twelve.“ R. C. VAN LEEUWEN, Wisdom, 33. 92 Vgl. R. C. VAN LEEUWEN, Wisdom, 37. 93 Vgl. R. C. VAN LEEUWEN, Wisdom, 39 ff. 89 90

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Die Feinde Jhwhs – Die Redaktion des Nahumbuches

Leeuwen als frÛhe midraschartige Homilie zu Ex 34,6 f und als Nachwort zum Amosbuch.94 Selbst die verstockten Assyrer k×nnen im Jonabuch von Jhwh durch Umkehr Vergebung empfangen.95 Die das Michabuch abschließende Doxologie thematisiert ein weiteres Mal die SÛndenvergebung und zitiert die Gnadenformel. Hier sieht R. C. Van Leeuwen einen redaktionellen Abschluss der ersten sechs BÛcher des Zw×lfprophetenbuches.96 Auch das Zitat der Gnadenformel in Nah 1,2 f geht nach R. C. Van Leeuwen auf die Hand dieser Endredaktion zurÛck und verbindet den ersten Teil des Zw×lfprophetenbuches mit dem zweiten.97 Insbesondere die VerknÛpfung von Micha und Nahum betont die Dialektik von Gottes Gnade und Gerechtigkeit in der Geschichte. Erst durch den Kontrast zwischen Gnade und Gericht in Ex 34,6 f wird der Gegensatz zwischen dem Jona- und dem Nahumbuch verstÅndlich: Jhwh ist frei, jedem ReumÛtigen mit Gnade zu begegnen (Jona), wie er auf der anderen Seite nicht vergessen wird, seine Feinde zu strafen (Nahum). Beide BÛcher bilden damit zwei Seiten der gleichen theologischen Konzeption der Endredaktion des Zw×lfprophetenbuches. Die Analyse R. C. Van Leeuwens ist ein gutes Beispiel fÛr eine buchÛbergreifende, am kanonischen Text orientierte Auslegung. Allerdings vermag ein solcher Ansatz keine Aussagen Ûber die Entstehung des Dodekaprophetons zu machen. Schwachpunkte sind, dass erstens an keiner Stelle erwogen wird, dass konzeptionell verschiedene Aufnahmen der Gnadenformel m×glich sind, die dann unterschiedlichen HintergrÛnden und Redaktionsphasen zuzuordnen wÅren. Genau dies hat H. Spieckermann an der deuteronomistischen Literatur nachgewiesen. Zweitens lÅsst sich Ex 34,6 f nicht als Ausgangspunkt einer die ersten sechs BÛcher umfassenden Schicht nehmen. Die von R. C. Van Leeuwen angefÛhrten Belege im Hosea- und Amosbuch sind weder Zitate noch Anspielungen auf die Gnadenformel.98 Außerdem muss bei jedem Zitat oder jeder Anspielung auch der Kontext und die Funktion des literarischen Bezugs in diesem berÛcksichtigt werden.

Vgl. R. C. VAN LEEUWEN, Wisdom, 43 f. „If Joel anticipates the problem of the Day of the Lord in Amos and Obadiah, Jonah functions as an afterword, particularly to Amos.“ R. C. VAN LEEUWEN, Wisdom, 44. 96 „It may be seen as a doxological response of the wise to the admonition of Jos 14: 10. The ways of YHWH that the wise need to know are seen in his prophetic judgments, but most profoundly in the merciful attributes of YHWH as revealed in Exod 34: 6.“ R. C. VAN LEEUWEN, Wisdom, 46. 97 „This gloss functions primarily to stitch together the two major composite clusters in the Twelve (Hosea-Micah and Nahum-Malachi).“ R. C. VAN LEEUWEN, Wisdom, 47. 98 Wie H. Spieckermann zeigt, belegt das Hoseabuch lediglich eine frÛhe Kenntnis der Gnadenformel. Vgl. H. SPIECKERMANN, Barmherzig, 4. R. C. Van Leeuwen versteht m.E. H. Spieckermann in Bezug auf die Verwendung der Formel im Hoseabuch falsch. Auch an anderen Punkten wie z. B. an der Zuordnung von Hos 14,10 und Mi 7,18–20 zu einer Schicht sind die Ergebnisse R. C. Van Leeuwens fraglich. Vgl. R. C. VAN LEEUWEN, Wisdom, 37. 94 95

Gnadenformel und ihre Rezeption im Dodekapropheton

257

6.3.4 Die Funktion der Gnadenformel im Diskurs des Dodekaprophetons Jona 4,2 und Joel 2,13 zeigen gemeinsame Abweichungen von Ex 34,6 f durch ihre Aufnahme von Ex 32,14. Beide Zitate sind allerdings konzeptionell zu unterscheiden: Joel 2,13b zitiert die Zusammenstellung der Gnadenformel des Jonaverfasser (4,2b) und intendiert mit der EinfÛgung ins Joelbuch eine dem Jonabuch gegenlÅufige Aussageabsicht.99 Die Vergebungsbereitschaft Jhwhs wird von Joel 2,13b auf Israel beschrÅnkt, Jhwhs Wille zu strafen dagegen wahrscheinlich von gleicher Hand in einem Nachtrag auf das V×lkergericht bezogen (Joel 4,21a). Das Zitat der Gnadenformel in Nah 1,3a hÅlt die Teile der Formel, die die beiden Aspekte des Wesens Jhwhs ausdrÛcken, noch zusammen. Allerdings liegt auch in den redaktionellen Bearbeitungen des Hymnus die Betonung darauf, dass Jhwh seine Feinde und Widersacher bestrafen will. Denkbar ist, dass die EinfÛgung der Gnadenformel im Joelbuch in Kenntnis von Nah 1,3a geschah. Denn in Nah 1,3a und den Anspielungen auf die Gnadenformel in Mi 7,18 mit der Aufnahme von doc und pa ist die Intention des Nachtrags im Joelbuch schon vorgezeichnet: Jhwh wird Israel die SÛnden vergeben, und seine Feinde vernichten. Zwischen Mi 7,18 und Nah 1,3a gibt es wiederum Beziehungen, die nahelegen, dass beide Verarbeitungen der Gnadenformel auf eine literarische Ebene zurÛckzufÛhren sind. Neben der Verwendung der Gnadenformel spielen in den Texten im Michabuch, in denen ein wir spricht die Feinde Jhwhs genauso eine Rolle wie in den redaktionellen Bearbeitungen des Theophaniehymnus. Die Gnadenformel in den in dieser Studie untersuchten Texten wird zunÅchst in Mi 7,18 und Nah 1,3a aufgenommen. Chronologisch danach ist die EinfÛgung des Jonabuches ins Dodekapropheton mit dem Zitat der Gnadenformel in Jona 4,2 anzusetzen. Es spricht aber nichts dafÛr, dass Jona 4,2 sich mit Nah 1 und Mi 7 auseinandersetzt. Joel 2,13b.14a und wahrscheinlich auch Joel 4,21a nimmt dagegen die Formel aus dem Jonabuch kritisch auf. Die Auseinandersetzung darÛber, fÛr wen die positiven Seiten des in der Gnadenformel gezeichneten Wesens Jhwhs gelten, zieht sich also durch den ersten Teil des Dodekaprophetons. Von einer die ersten sechs BÛcher umgreifenden Bearbeitungsschicht lÅsst sich aber keinesfalls reden. Auch wenn die hier geÅußerten Vermutungen zur Chronologie der Gnadenformel nur hypothetisch sind, geben sie doch einen Hinweis darauf, in welcher Abfolge RedaktionsvorgÅnge im Dodekapropheton vor sich gegangen sein k×nnten.

99

Vgl. dazu 4.4.1.

258

Die Feinde Jhwhs – Die Redaktion des Nahumbuches

6.4 ºbergang zum Ålteren Ninive-Material – Nah 1,9–2,1.3 Der ºbergang vom Theophaniehymnus zum Ålteren Lied Ûber die Eroberung einer ungenannten Stadt umfaßt Nah 1,9–14 und 2,1.3. Da es sich um redaktionelle ºberleitungen zwischen den einzelnen Buchteilen handelt, wird dieser Stoff auf die V×lker- und Gerichtskonzeption hin untersucht. In 2,2 liegt ein Teil eines Gedichtes vor, dessen Anfang man mit K. Seybold in den Zeilen 3,2 f ausmachen kann. Aufgrund des Themas ist 2,2 vom hier untersuchten Material zu unterscheiden. Wahrscheinlich ist ein Teil des Ålteren Liedes an diese Stelle gerutscht.100 Die TextÛberlieferung scheint vom Sinn her an einigen Stellen problematisch. Dennoch versucht die folgende ºbersetzung den von BHS Ûberlieferten Text ohne Šnderungen umzusetzen. Was denkt ihr Ûber Jhwh? Er schafft Vernichtung. Die BedrÅngnis wird sich kein zweites Mal erheben. (Nah 1,9) Ja, bis verflochtene101 Dornen102, und wie ihr Zechen103 sind sie betrunken,104 sie werden verzehrt, wie trockenes Stroh vollstÅndig. (Nah 1,10) Von dir ist ausgegangen,105 der ersann gegen Jhwh B×ses, der Verderben plante. (Nah 1,11) So spricht Jhwh: Wenn unversehrt und so viele und so werden sie geschoren, und er geht vorbei.106

100

Mit K. SEYBOLD, ZBK.AT 24/2, 27. Eine Verbform von ibo findet sich nur noch einmal in Hi 8,17. Einer der Gott vergessen hat, wird mit einer Pflanze verglichen, die ihre Wurzeln nur um Ger×ll geschlungen hat und deswegen keinen Halt hat. Als Adjektiv kann ibo die Dichte des Waldes ausdrÛcken. Interessant ist Jes 10,34 vor dem Hintergrund von Nah 1,4. Jes 10,34 kÛndigt im Weheruf gegen Assur an, dass der Libanon zusammengehauen wird. 102 rjo hat zwei Bedeutungen: Es kann einen Topf bezeichnen oder Dornen, bzw. eine Dornenhecke. Das Edomorakel sieht in Jes 34,13 Dornen in den PalÅsten Edoms wachsen. In Hos 2,8 wird der Weg Israels mit Dornen versperrt. Damit hat rjo in der prophetischen Literatur stets eine Relation zum Gericht Jhwhs. 103 M×glich ist auch „wie ihr Wein“ zu lesen. 104 LXX ÛbertrÅgt mit „wie eine sich herumlegende Kletterpflanze.“ Der von BHS Ûberlieferte Text wird aber von den anderen Versionen Ûbernommen, deshalb kann LXX keine Åltere Textversion bieten, auch wenn die Lesung die verstÅndlichere ist. Gegen W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 153. 105 vm asj lÅsst sich auch mit „weggehen von“ oder „fortziehen von“ Ûbersetzen. Demnach ist auch die ºbersetzung „mußte von dir abziehen“ denkbar. So W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 158. 106 W. Rudolph liest die Pluralform wrbjr, indem er das w vom folgenden Wort ergÅnzt und Ûbersetzt „und verschwinden“. Vgl. W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 159. 101

ºbergang zum Ålteren Ninive-Material

259

Ich habe dich erniedrigt, ich werde dich nicht wieder erniedrigen. (Nah 1,12) Jetzt werde ich sein Joch zerbrechen auf dir, und deine Bande zerreißen. (Nah 1,13) Und befohlen gegen dich hat Jhwh: Es soll von deinem Namen nicht geboren werden, von dem Haus deines Gottes schneide ich ab, Holzbild und gegossenes Bild, ich bereite dein Grab, denn du bist gering geworden. (Nah 1,14) Siehe, auf den Bergen die FÛße eines Boten, der Heil verkÛndet. Feiere, Juda, deine Feste, erfÛlle deine GelÛbde, denn er darf nicht mehr fortsetzen, Ûber dich hinwegzuziehen, der Ruchlose, ganz ist er zerst×rt. (Nah 2,1) Denn Jhwh stellt wieder her die Hoheit Jakobs wieder, wie die Hoheit Israels,107 denn VerwÛster haben sie verwÛstet, und ihre Reben vernichtet. (Nah 2,3)

6.4.1 Versuch einer Rekonstruktion des ursprÛnglichen Materials Das in 1,9–2,1.3 Ûberlieferte Textmaterial ist uneinheitlicher als das des analysierten Psalms. Nur mit Schwierigkeiten lÅsst sich eine inhaltliche Linie finden. B. Duhm sieht „alles wie Kraut und RÛben durcheinander“ liegen.108 Aus diesem Grund hat es einige Versuche gegeben, durch die Rekonstruktion ursprÛnglicher Sinneinheiten dem Text eine andere Form zu geben und ihn dann nach dieser zu interpretieren. Die Ûberzeugendste neuere Hypothese zur Textgeschichte dieses Abschnittes hat K. Seybold in verschiedenen Studien vorgelegt.109 Er rekonstruiert zwei kleinere Texteinheiten: Einen Urteilsspruch, der sich gegen Religionsfrevel richtet (1,11.14),110 und ein Heilswort an Juda (12aa.b.13; 2,1.3). Dieses stellt den eigentlichen „Eingang des Nahumbuches“ dar111 und weist wegen seiner NÅhe zur (deutero)jesajanischen VerkÛndigung112 in spÅtexilische Zeit und k×nnte einer mit 107 „Wie die Hoheit Israels“ ist m×glicherweise eine Randglosse nach Hos 6,11.7aa. Vgl. W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 160. 108 Vgl. B. DUHM, Nahum, 100. 109 Vgl. bes. K. SEYBOLD, Randnotizen und auch O. KAISER, Grundriß, 137. 110 Vgl. K. SEYBOLD, ZBK.AT 24/2, 23 f. 111 K. SEYBOLD, ZBK.AT 24/2, 24 f. 112 Vgl. Nah 2,1 und Jes 52,7.

260

Die Feinde Jhwhs – Die Redaktion des Nahumbuches

Jes 40 vergleichbaren Hoffnungspredigt entstammen.113 Wegen der Fragestellung dieser Untersuchung wird das Heilswort zurÛck gestellt. Der Urteilsspruch gegen Religionsfrevel (1,11.14) wirft einer f.Sg. vor, wahrscheinlich einem Dorf oder einer Stadt, dass aus ihr einer hervorgegangen ist, der sich eines Religionsfrevels schuldig gemacht hat. K. Seybold nimmt im Hintergrund heidnische Totenriten an.114 Der Spruch ist wahrscheinlich unabhÅngig von der Prophetie Nahums Ûberliefert und erst in der SpÅtphase der Buchentstehung aufgenommen worden. „Im jetzigen Zusammenhang bietet der Fall des Antijahwisten ein Beispiel fÛr das in 1,2 ff, besonders 1,8 f er×rterte Schicksal der Feinde JHWHs.“115 1,9 stellt eine wenig originelle ErgÅnzung des Hymnus dar, die sich an 1,8 anlehnt. 1,10.12* erklÅrt K. Seybold als Schluss- und Randnotizen, die lediglich den Textzustand inventarisieren, versehentlich aber als Teil der TextÛberlieferung verstanden und deswegen nachtrÅglich aufgefÛllt wurden.116 Diese Deutung der sonst ohne massive Eingriffe in den Ûberlieferten MT sinnlosen Verse erklÅrt den Textbestand am besten, ohne dass neue Ideen in den Text eingetragen werden mÛssen, wie das z. B. bei der von W. Rudolph durchgefÛhrten „Reorganisation“ des Textes der Fall ist. 1,10 besteht aus Texten „zum Text, welche nach Art der spÅteren RandMasora Aussagen Ûber den Textbefund machen“.117 alm . . . dy jk stellt die syntaktische Rahmenstruktur der Notiz dar. Der ursprÛngliche Text zeigt mit zwei Bemerkungen an, dass das Gedicht vor der o-Zeile abbricht (alm o dy und alm fqk wlka dy). „Beide Angaben wÅren sekundÅr vereinigt worden, wobei es zur AuffÛllung der s AbkÛrzung kam.“ „Die s-Worte sind allenfalls verstÅndlich als Reste oder VorschlÅge einer s-Zeile. DafÛr sprechen die hier versammelten Metaphern Dornen und Zecher, die zur Feindthematik des zweiten Teils des Hymnus ab 1,7 ff passen.“118 Der ersten Angabe liegt ein Text vor, der noch bis 1,10 im weiteren Sinne vollstÅndig ist, der zweiten Angabe eine genauere PrÛfung, die darauf hinweist, dass ab 1,7 die Schwierigkeiten beginnen. Die Metaphern „Dornen“ und „Zecher“ sind spÅtere FÛllungen, die zur Feind- und Gerichtsthematik von 1,7 ff passen und nach der Aufnahme der Randnotiz ebenso in den Text eingetragen wurden wie die poetisch klingende Zeile „sie werden verzehrt wie trockenes Stroh“.119 Auch der Textbestand von 1,12* ist Åhnlich zu erklÅren, weil die Begriffe „grundsÅtzlich eher dem Stilbereich der Textbeschrei-

113 114 115 116 117 118 119

Vgl. K. SEYBOLD, Prophetie, 69. Vgl. z. B. Dtn 13,13 ff. K. SEYBOLD, ZBK.AT 24/2, 24. Vgl. K. SEYBOLD, Prophetie, 79 ff und K. SEYBOLD, ZBK.AT 24/2, 22 f. Vgl. K. SEYBOLD, Randnotizen, 80. K. SEYBOLD, Randnotizen, 81. Vgl. K. SEYBOLD, Randnotizen, 79 ff.

ºbergang zum Ålteren Ninive-Material

261

bung als dem Stilbereich der konkreten Heilszusage angeh×ren werden“.120 Eine Schwierigkeit der These K. Seybolds ist allerdings, dass die von ihm angenommene Textbeschreibung des Hymnus nicht dessen vorliegenden Textbestand trifft, sondern ein Ålteres Textstadium. Die VorschlÅge K. Seybolds erklÅren die Textprobleme; allerdings basieren seine Hypothesen auf der Annahme, dass spÅtere Schreiber die verschiedenen TextstÛcke in einem anderen Sinn verstanden und sie auffÛllten. ºber die diachrone Analyse hinaus muß dann gefragt werden, welche Intention hinter den ErgÅnzungen steht und ob sich auch eine Aussage des Endtextes herausarbeiten lÅsst. 6.4.2 Die Intention der Zusammenstellung V. 9 weist m×gliche Zweifel der Leser, dass Jhwh keine Kraft hat, entschieden zurÛck. Als Anspielung auf die Vernichtung der Feinde lassen sich die in V. 10 genannten Einzelmotive verstehen. Diese Interpretation basiert insbesondere auf 1,10b, aber auch die in 1,10a genannten Motive wie Dornen und das Zechen121 lassen sich auf Gerichtsvorstellungen und Feinde Ûbertragen.122 Alle Motive zusammengenommen kann man an die AnkÛndigung einer Feuervernichtung denken.123 Wenn in V. 11 die von B. Renaud vorgeschlagene alternative ºbersetzung „mußte von dir abziehen“ gelesen wird,124 k×nnte der Text an ein frÛheres Eingreifen Jhwhs fÛr Jerusalem erinnern. Die Schwierigkeit dabei ist aber, dass derjenige, der B×ses gegen Jhwh plant, nicht zwingend der K×nig Assurs ist. Zumal den Bearbeitern der Verse nichts im Wege gestanden hÅtte, dieses eindeutig auszudrÛcken und wie spÅter in 3,18 direkt den K×nig zu nennen.125 Bei der Interpretation des Urteilsspruches gegen einen G×tzendiener ist zudem sowohl die eschatologische Ausrichtung als auch die im Hintergrund stehende Tradition mit ihren AnklÅngen an Dtn 13,13 ff zu berÛcksichtigen. Beides lÅsst sich nicht ohne weiteres auf den K×nig Assurs beziehen. Nach der Erinnerung an frÛher erfahrenes Heil lÅsst sich V. 12 f als abschließende Heilszusage verstehen, die Parallelen zur in Jes 52 beschrieben Befreiung Jerusalems von der babylonischen Herrschaft hat.126

K. SEYBOLD, Randnotizen, 81 f. Vgl. Joel 1,5. abo wird auch in Hos 4,18 in einer Anklage verwendet. 122 B. Renaud orientiert seine Interpretation an Jes 10,17. Hier verbrennt ein Feuer, das von Israel entfacht wird, die Dornen des assyrischen K×nigs. Allerdings gebraucht Jes 10,17 mit wrjmfw wtjf einen anderen Ausdruck. Die NÅhe zur Gerichtsthematik lÅsst sich auch an der NÅhe zu Jes 10,34 festmachen. Vgl. B. RENAUD, Mich³e, 203 f. 123 Mit H. SCHULZ, Nahum, 93. 124 Vgl. die Anmerkung zu Nah 1,11 in 7,5 und auch W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 158. 125 Gegen W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 161 f und J. D. NOGALSKI, Processes. 126 „In a very real sense, the language is appropriated from Isa 52 as a theological reflection 120 121

262

Die Feinde Jhwhs – Die Redaktion des Nahumbuches

Der Text setzt, wenn man ihn in seiner jetzigen Fassung versteht, gegenÛber V. 1–8 wenig neue Akzente. Es lÅsst sich kaum von einer weiterfÛhrenden Interpretation sprechen. Relevant fÛr die Fragestellung dieser Arbeit sind zwei Punkte: (1.) V. 9 bestÅtigt, dass eine Bearbeitung wie auch in V. 2b.3a das Problem des ausbleibenden Eingreifen Jhwhs im Auge hatte. (2.) Die Position des ursprÛnglich mit V. 11 verbundenen V. 14 ist zu beachten. Statt einer ºberleitung zum Ninive-Material handelt es sich eher um eine Akzentverschiebung: Vor den Worten gegen die Hauptstadt Assurs wird der Blick des Lesers auf andere Feinde Jhwhs gelenkt. Statt der Universalisierung des Gerichts geht es aber hier im Gegensatz zu V. 4b.5b* um Feinde Jhwhs, die anderes verehren. Mit der Stellung des Spruches inmitten der Heilszusage an Juda, wird in die in 1,2–8.9 angekÛndigte Feindvernichtung, auch derjenige einbezogen, der B×ses gegen Jhwh plant (V. 11) und sich an fremden G×tzenbildern oder BrÅuchen orientiert (V. 14). H. Schulz erklÅrt dieses Ineinander mit dem eschatologischen Ziel der literarischen Arbeit: „Jahwe und der Unheilplaner sind absolute Gegner. . . . Die zwischen Jahwe und dem Frevelplaner waltende Unbedingtheitsrelation“ greift auch auf die folgenden Aussagen Ûber besonders auf die Botschaft von Judas Befreiung.127 Auch wenn die Stellung des Verses zwischen den beiden Heilszusagen ungew×hnlich ist, k×nnte sie den Sinn haben, dass dem Wohlergehen des eigentlichen Israels (1,13 und 2,1) die Vernichtung des von Jhwh Abgefallenen gegenÛbergestellt wird. Dieser Widersacher Jhwhs konnte vom Leser sowohl auf eine Gruppe als auch auf das eschatologische B×se Ûberhaupt bezogen werden. Ob die Redaktion eine dieser beiden M×glichkeiten im Blick hatte oder mit beiden spielt, lÅsst sich nicht rekonstruieren. Leser konnten den Text in beide Richtungen verstehen.

upon YHWH’s action in history. The Assyrian threat against Jerusalem is removed in Nahum in precisely the same manner as the lifting of Babylonian oppression in Isa 52.“ J. D. NOGALSKI, Processes, 113. Ob man allerdings von einer direkten literarischen AbhÅngigkeit ausgehen kann, ist fraglich. Gegen die Annahme einer AbhÅngigkeit spricht sich z. B. C. A. KELLER, BewÅltigung, 404 f aus. 127 Was veranlasst H. SCHULZ, Nahum, 94 aber eine „VergrundsÅtzlichungstendenz“ auszumachen? Auch ein einzelner Frevler lÅsst sich denken, der nicht nur vom Tempel entfernt wird, sondern mit dieser Entfernung auch zugleich get×tet wird. Zum Hohn wird er unter seinen falschen G×tzenbildern begraben. Der von H. Schulz vorausgesetzte Bezug zwischen demjenigen, der das B×se plant, und ist Ninive am Text nicht nachzuweisen. Wenn man mit K. Seybold in V. 11.14 eine ursprÛnglich selbstÅndige Einheit sieht, wird eine Identifikation des Belial mit Ninive oder der Macht, die durch Ninive symbolisiert wird, fraglich.

Rahmung und Strukturierung des Hauptteils

263

6.4.3 Fazit Die vorgelegte Interpretation geht von einer diachronen Untersuchung aus, wie sie K. Seybold vorgelegt hat, und ergÅnzt sie um eine Analyse der Funktion von 1,9–2,1.3 im vorliegenden Korpus. Dabei hat sich gezeigt, dass mit dem Eingehen auf das Problem des ausbleibenden Gerichts und seiner Ausweitung eine der Bearbeitung des Hymnus vergleichbare Konzeption vorliegt. Wahrscheinlich handelt es sich bei beiden Texten um ein und dieselbe literarische Schicht. Die Aufnahme der Randbemerkungen in den Text erfolgt genauso wie die AuffÛllungen dieser Bemerkungen durch spÅtere Schreiber. Die Begriffe aus der prophetischen Gerichts- und Anklagemotivik lassen eine eschatologische Deutung erkennen. Hinter der Zusammenstellung von 1,9–2,1.3 steht Kompositionsarbeit, die Åltere EinzelstÛcke aufnimmt und sie nach ihrer Intention zusammenstellt. Es finden sich keine Anzeichen dafÛr, dass eine jÛngere Schicht in eine Åltere eingearbeitet ist.128 HauptsÅchlich nimmt die Bearbeitung des Buchs vorgegebenes Material auf und verwendet dabei wenige Eigenformulierungen. Obwohl diese Interpretation der Verse 1,9–2,1.3 hypothetisch ist,129 vermag sie doch zu zeigen, dass ein Bearbeiter aus dem sich ihm darbietenden „Schutt“130 noch eine theologische Aussage formen konnte.

6.5 Rahmung und Strukturierung des Hauptteils des Nahumbuches Den eigentlichen Hauptteil des Nahumbuches machen zwei Lieder aus: eines Ûber die Eroberung einer ungenannten Stadt (2,2.4–10)131 sowie das Ûber den Untergang Ninives (3,7–18). Die Rahmung dieses zweiten Gedichtes beschreibt die Reaktion von Zuschauern auf den Untergang Ninives. In 3,7 herrscht BestÛrzung und Entsetzen, in 3,19b eine freudige Stimmung. Beide Verse geh×ren ursprÛnglich nicht zum Gedicht und sind wahrscheinlich auf die Redaktion zurÛckzufÛhren, die beide Lieder zu einer Sammlung verbindet und sie mit 1,1a einleitet.

128 Gegen W. DIETRICH, Nahum, 737, der der Analyse J. Jeremias folgend eine Åltere drohende Schicht (1,11.14 und 2,2 f) und eine jÛngere tr×stliche Schicht (1,9 f.12 f und 2,1) annimmt. 129 Der hypothetische Charakter dieser Interpretation hÅngt nicht mit der gewÅhlten Methode zusammen. GegenÛber Analysen, die zunÅchst einen „eigenen“ Text erstellen, um ihn dann zu interpretieren, steht dieser Versuch zumindest noch auf „festen FÛßen“. 130 K. SEYBOLD, Randnotizen, 79. 131 Nach K. SEYBOLD, ZBK.AT 24/2, 27 f beginnt das Lied mit 3,2 f und wird von 2,11–13 fortgesetzt.

264

Die Feinde Jhwhs – Die Redaktion des Nahumbuches

6.5.1 Die Rahmung des zweiten Gedichtes – Nah 3,7.19b Die Rahmung des zweiten Gedichtes drÛckt Leitgedanken der Buchredaktion aus. V. 7 beschreibt, wie K. Seybold ausfÛhrt, die „Wirkung dieses Falles auf die zuschauende V×lkergemeinschaft“.132 In V. 19b klatschen Zuschauer vor Freude und Spott. Befindet sich hier und in V. 7 die V×lkergemeinschaft in der Zuschauerrolle? Eher wird verallgemeinert: Alle Zuschauer meiden, bzw. verabscheuen133 die im Gedicht Angeredete und sind so entsetzt, dass sie noch nicht einmal mit einem Beileidsgestus reagieren (V. 7).134 Alle Zuh×rer werden in V. 19b aufgefordert in die HÅnde zu klatschen.135 Damit ist die in V. 7 ausgemalte Betroffenheit nicht allein auf die V×lker zu beziehen, genauso wie beim Spott und der Freude der Zuschauer nicht nur Israel gemeint ist. Die V×lker und Israel schauen beim Fall Ninives zu, sind gleichermaßen betroffen wie erfreut. Israel steht also nicht nur den V×lkern gegenÛber, sondern die V×lkergemeinschaft wird auch im Gegensatz zu Ninive gesehen. 6.5.2 Weheruf gegen die m×rderische Stadt – Nah 3,1 Wehe der m×rderischen Stadt136, ganz LÛge, alles Zerreißen137, nicht weicht Raub.

Der Weheruf gegen die m×rderische Stadt k×nnte aufgrund seiner Stellung in der Komposition und des literarischen Horizontes auf die Redaktion des Buches zurÛckzufÛhren sein:138 Es ist der ºbergang vom ersten zum zwei-

132 133

Vgl. K. SEYBOLD, Prophetie, 35. ddn bedeutet in Verbindung mit vm Fliehen oder Meiden aus Abscheu. Vgl. z. B. Ps

31,12. 134

Vgl. K. SEYBOLD, ZBK.AT 24/2, 36. In Ps 47,2 wird HÅndeklatschen sowohl als Ausdruck der Freude wie auch als Preisung Gottes verstanden. 136 W×rtlich: „Stadt des vergossenen Blutes“ (Blut im Pl.). 137 Der Bedeutungsgehalt des zweimal im AT verwendeten Nomens qrp lÅsst sich nicht aus der zweiten Belegstelle in Ob 14 ermitteln. Das gleichlautende Verb hat die Bedeutung „abreißen“ und „entreißen“. In Ps 7,3 wird es benutzt fÛr das Zerreißen und Zerfleischen der Beute eines L×wen. Die Bedeutung Beute, die in den meisten ºbersetzungen verwendet wird und auf das vorangehende Bild des L×wen (vgl. 3,12 f) anspielt, ist nicht zwingend. Gegen W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 174. M. E. ist an „zerreißen“ gedacht und das Bild der m×rderischen Stadt damit weitergefÛhrt. 138 H. SCHULZ, Nahum, 100 interpretiert 2,12–3,6 als eine die beiden Buchteile verknÛpfende Ringkomposition. Die einzelnen Elemente besaßen ursprÛnglich keine literarische SelbstÅndigkeit. In der Stellung von 3,1 und 3,2 f liegt ein bewußtes Strukturmerkmal des Buches. Vgl. H. SCHULZ, Nahum, 36. Außerdem meint H. Schulz eine Verbindung zwischen diesen Versen und dem ersten Teil des Buches nachweisen zu k×nnen. 135

Rahmung und Strukturierung des Hauptteils

265

ten Ninive-Lied , in dessen Mittelpunkt in 3,1 ein Weheruf steht. Die im Weheruf durch ¥jmd rjy angesprochene Stadt wird mehrheitlich mit Ninive identifiziert und damit der Spruch dem Propheten selber zugeordnet.139 Wenn man 3,1 untersucht, ohne vom Kontext her die Identifizierung vorauszusetzen und die Wortwahl und die formgeschichtliche NÅhe zu Weherufen gegen Jerusalem berÛcksichtigt, ist diese Annahme nicht zwingend. Die Åhnliche Bezeichnung ¥jmdh rjy ist im Ezechielbuch stets auf Jerusalem bezogen.140 Auch der Begriff fck wird in Anklagen gegen Jerusalem verwendet141 oder fÛr das Verhalten der Feinde eines Beters.142 In Nah 3,1 kann Ninive gemeint sein, allerdings muß der Sprachgebrauch den Leser genauso an Jerusalem und seine Vergehen erinnert haben, wie an Ninive. Wenn diese m×glichen Identifikationen nicht Zufall sind, ist die Intention des ºbergangs zwischen beiden Liedern, das Gericht gegen Ninive vom historisch Einmaligen abzuheben: Die Redaktion versteht das Einschreiten Jhwhs gegen die herrschsÛchtige Stadt als solche gerichtet. Beide Gedichte werden damit fÛr verschiedene Identifikationen ge×ffnet. 6.5.3 Die Komposition der Buchmitte Die verkÛrzte Schlachtdarstellung 3,2 f, die oft wegen gleichem Thema und Rhythmus als Kopfzeile des ersten Liedes in Nah 2,2.4 ff verstanden wird,143 bildet mit dem Wehewort zusammen ein Gerichtswort,144 in dem die „Schlachtliedstrophe zu einer im Wehe bereits angelegten und dieses besiegelnden GerichtsankÛndigung“ wird.145 Wenn die Zuordnung von 3,2 f zum ersten Lied stimmt, ist damit die dramatischste Zeile der Komposition 2,12–3,6 zugeordnet worden. Zum einen gibt sie damit der Buchmitte einen besonderen Akzent, zum anderen ÛberbrÛckt sie die LÛcke zwischen beiden Gedichten.

139 K. Seybold sieht in 3,1 und 3,4 eine Rahmung des „abgesprengten“ Gedichtanfanges des ersten Ninivegedichtes (3,2 f) und schreibt den Weheruf gegen die Blutstadt, der aufgrund eines mechanischen Fehlers bei der TextÛberlieferung seinen Ort im Buch gefunden hat, einem spÅteren Auftreten des Propheten zu. Vgl. K. SEYBOLD, ZBK.AT 24/2, 33 f. K. Seybold hÅlt eine „Vertauschung der KolumnenblÅtter“ fÛr m×glich. „Die auf einzelnen BlÅttern geschriebenen Kolumnen wurden wohl irgendwann aus GrÛnden der Stichwortverbindung L×we vertauscht und falsch zusammengenÅht.“ K. SEYBOLD, Prophetie, 27. 140 Ez 22,2; 24,6.9. Vgl. auch Hab 2,12. 141 Vgl. Hos 10,13 und 12,1. 142 Vgl. Ps 59,13. Formgeschichtlich ist auch der gegen Jerusalem gerichtete Weheruf in Zef 3,1 vergleichbar. 143 Vgl. K. SEYBOLD, ZBK.AT 24/2, 26 ff. Auch B. RENAUD, Mich³e, 205 f sieht in 3,2 f einen Teil des ersten Gedichts, ordnet die Strophe allerdings dem Schluss des Gedichtes zu. 144 Mit H. SCHULZ, Nahum, 38. H. Schulz sieht in 3,1–3 ein „formgeschichtliches SpÅtstadium des hoj-Wortes“. H. SCHULZ, Nahum, 38. 145 H. SCHULZ, Nahum, 39.

266

Die Feinde Jhwhs – Die Redaktion des Nahumbuches

Gerahmt wird 3,1–3 von zwei weiteren, jeweils mit einem Bildwort eingeleiteten Gerichtsw×rtern: Die, die sich wie L×wen geben, werden wegen ihres Raubens von Jhwh vernichtet. Diejenigen, die wie Huren sich Fremden hingeben, wird er entbl×ßen. Zwar treffen diese beiden StÛcke auf Ninive zu, sie lassen sich aber auch – vor allem das Bild der Hure – auf Jerusalem beziehen. D.h. auch hier liest der Leser wieder, dass das Gericht nicht nur auf eine Stadt beschrÅnkt ist. Vielmehr wird es auf verschiedene Situationen bezogen: Auf Raub, Gewalt, Lug und Trug. Genauso kann es sich gegen Hexerei und den Flirt mit fremden V×lkern und deren Sitten richten. All dies zieht ein Eingreifen Jhwhs nach sich, die Rolle Ninives und die Vergehen der Stadt treten dahinter zurÛck. Auch der in der Hymnusbearbeitung im Hintergrund stehenden BefÛrchtung, dass sich das Gericht ohne Unterschiede gegen alle richtet, wird Rechnung getragen: Das Gericht trifft nur die Feinde Jhwhs. Es richtet sich nach dem VerstÅndnis der Autoren von Nah 3,1–6 gegen HerrschsÛchtige (L×wen) und gegen die Jhwh Untreuen (Huren). Diese Konzeption nennt H. Schulz zu Recht einen „talionsrechtlich argumentierenden Gerichtszyklus“.146 6.5.4 Fazit Nah 2,12–3,6 fÛgt sich in die Gesamtaussage der Nahumbuchkomposition ein: Ninive wird als ein Beispiel des Gerichtshandeln Jhwhs dargestellt. Dabei geht es nicht um historische Darstellung oder darum, die Macht Jhwhs zu erweisen, sondern auch um eine Warnung. Das Gericht an Ninive wird enthistorisiert: Es wird nicht auf die Stadt, sondern auf ihre Situation und ihr Verhalten bezogen. Die GrÛnde fÛr Jhwhs Einschreiten gegen seine Feinde sind keine einmaligen, sondern Jhwh geht gegen den Typ der herrschsÛchtigen Stadt vor. Deswegen betrifft das Gerichtshandeln alle. Die ganze Welt ist entsetzt, bzw. wird nach dem Gericht Jhwh Beifall klatschen und ihn preisen. Das bevorstehende Gericht wird alle treffen, die sich wie Ninive verhalten haben. Die Buchredaktion erreicht diese Aussage, indem sie dem Gericht ZÛge frÛherer prophetischer Anklagen gegen Jerusalem gibt. Die Leser konnten so das Nahumbuch auch als GerichtsankÛndigung verstehen, die sich gegen ihre eigene Umgebung richtet. Von der anderen Seite betrachtet, ist das Buch eine BestÅtigung, sich gerade nicht so wie Ninive oder wie ein L×we und eine Hure zu verhalten. Hinter diesen das Nahumbuch entscheidend prÅgenden Texten steht nicht die Zuversicht von Theologenkreisen, dass die V×lker zugunsten Israels vernichtet werden, sondern ein VerstÅndnis der Gerechtigkeit Jhwhs: Er wird gegen die Ungerechtigkeit einschreiten, die b×se Stadt vernichten und 146

H. SCHULZ, Nahum, 100.

Entstehung des Nahumbuches

267

alles, was mit ihr zusammenhÅngt. Damit laufen die Linien, die der Theophaniehymnus und seine Bearbeitung ausgelegt haben in der Mitte des Nahumbuches zusammen.

6.6 Die Entstehung des Nahumbuches Die synchrone Betrachtung des Buches hat schon einige der Schwierigkeiten der Interpretation gezeigt und auf zwei verschiedene Ebenen aufmerksam gemacht. Ihre Bestimmung und ihr VerhÅltnis zueinander ist das Hauptthema der redaktionsgeschichtlichen Arbeit am Buch. 6.6.1 Die neuere Forschung Gegen die Sicht der Ålteren Forschung von Nahum als nationalem Heilspropheten stellt sich J. Jeremias. Er versteht Nahum als gegen Israel auftretenden Gerichtspropheten, der die Zerst×rung Ninives nur unter anderem angekÛndigt hat.147 Auf Nahum zurÛckgehende Gerichtsworte gegen Israel und seinen K×nig wurden unabhÅngig von den gegen Assur gerichteten Worten gesammelt.148 SpÅter wurden sie als gegen Assur und Ninive adressiert tradiert, in das Buch aufgenommen und mit der Einleitung versehen. Diese Interpretation Nahums wird von der neuesten Forschung weitgehend verworfen, das Buch aber wie von J. Jeremias als Ergebnis eines lÅngeren Wachstumsprozesses verstanden.149 Gegen Jeremias stellt C. A. Keller die Einheitlichkeit des Buches heraus und datiert es in die 60er Jahre des 7. Jh.150 In 1,9–2,1 sieht er eine Auftrittsskizze des Propheten und bestimmt aus diesen Versen die Situation dessen Prophetie. Auch der einleitende Psalm geh×rt zum vom Propheten selber verfassten Buch. Dagegen spricht neben literarischen Aspekten vor allem der exilisch-nachexilische Hintergrund des Buches. Trotzdem hat es weitere Versuche gegeben, die Synchronie in den Vordergrund der Untersuchung zu stellen wie im Kommentar von W. Rudolph151 und der neueren Studie zur Buchstruktur von M. A. Sweeney.152

Vgl. J. JEREMIAS, Kultprophetie. Als gegen Israel gerichtet und damit als Kern der Prophetie Nahums sieht J. Jeremias 1,11–14; 2,2–3 und 3,1–5.8–11. Vgl. J. JEREMIAS, Kultprophetie, 20 ff. 149 Vgl. u. a. H. SCHULZ, Nahum, 135 ff. 150 Vgl. C. A. KELLER, Mich³e und C. A. KELLER, BewÅltigung. 151 W. Rudolph betont, dass das Buch nur ein Thema hat und nach einem einheitlichen Gesichtspunkt aufgebaut ist. Auch der Psalm ist fÛr ihn kein Fremdk×rper, sondern auf die Redaktion zurÛckzufÛhren, die nach dem Tod Manasses die Botschaft des Propheten zusammenstellt und das Buch herausgibt. Vgl. W. RUDOLPH, KAT XIII/3, 144 f. 152 Vgl. W. RUDOLPH, KAT XIII/3 und M. A. Sweeney, Structure. 147 148

268

Die Feinde Jhwhs – Die Redaktion des Nahumbuches

H. Schulz153 betont zwar Åhnlich wie W. Rudolph die Einheitlichkeit. Allerdings versucht er nachzuweisen, dass es sich im Nahumbuch um einen literarischen Entwurf eines nachexilischen Verfassers handelt. „Das Nahumbuch ist also das Werk eines Verfassers, der einen Gesang Ûber die Schlacht in Ninive und eine Spottqina auf Ninive in differenzierter Komposition, mit einem Theophaniehymnus und einem Heilswort auf Juda zu einem Prophetenbuch verband.“154 Dabei bedient sich der Verfasser z. T. vorgegebener gr×ßerer Einheiten. Wachstumsprozesse nimmt H. Schulz dagegen nicht an.155 Andere Arbeiten orientieren sich an der Buchstabenfolge und arbeiten aus ihr die theologische Botschaft des Nahumbuches heraus. So bilden die Anfangsbuchstaben der ZeilenanfÅnge von 1,2–8 nach A. S. v.d. Woude ein Satzakrostichon (hagb jna kjuc jnplw): „I am the Exalted One and confronting them who commit sin against you.“156 Diesen Gedanken fÛhrt D. L. Christensen weiter und bildet aus Anfangsbuchstaben und W×rtern den Satz: hlk rby ¢ufb juc jnplw hag hwhj jna alm. „I am the exalted YHWH and (I am) in the presence of sin. In a flood (I am) bringing a full end completely.“157 Das Problem dieser Satzakrosticha liegt darin, dass auf der einen Seite unverstÅndlich ist, wieso neben den Anfangsbuchstaben auch ganze Worte einbezogen werden k×nnen. Auf der anderen Seite bleibt die Frage offen, ob ein solches Satzakrostichon auch aus dem Originaltext zu entziffern wÅre. Einen anderen, genauso spekulativen Versuch, der aber zumindest Parallelen zu mesopotamischen Akrostichas aufweisen kann, ist der K. Spronks. Mit den Anfangsbuchstaben bildet er das Wort jna, aus den Schlussbuchstaben wird das Tetragramm ersichtlich. „The acrostic and telestic of Nah 1 form the well known formula hwhj jna, . . . that functions as a subscription.“158 Damit ist auch die ºberschrift mit dem folgenden Psalm verbunden. FragwÛrdig ist die Folgerung K. Spronks, dass mit der Buchstabenkombination auch die Einheitlichkeit des StÛcks 1,1–3 und darÛber hinaus des ganzen Psalms erwiesen ist.159

Vgl. H. SCHULZ, Nahum. H. SCHULZ, Nahum, 105. 155 Vgl. H. SCHULZ, Nahum, 105. 156 A. S. V.D. WOUDE, Prophet, 123. 157 D. L. CHRISTENSEN, Nahum, 55. 158 K. SPRONK, Acrostics, 217. Weitere Satzakrosticha nach dem Prinzip, „Wer suchet, der findet.“ tun sich in 1,12 (rwfa) und 3,18 (wnjn) auf. Vgl. K. SPRONK, Acrostics, 222. 159 Vgl. zur Argumentation unten 6.2.1. Das Akrostichon reicht nach K. Spronk bis V. 7a und bildet damit eine Verbindung der beiden zu unterscheidenden Lieder V. 2–6 und V. 7 ff. 153 154

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6.6.2 Die Herkunft der Einzelelemente WÅhrend H. Schulz zwar von Einzelelementen ausgeht, der Frage nach ihren historischen Orten aber nicht nachgeht, verfolgt K. Seybold die diachrone Analyse konsequent. Gegen die Versuche, das Buch als eine Einheit zu verstehen, hat er gezeigt, dass sich seine Entstehung nur mehrschichtig denken lÅsst.160 In Aufnahme der Analysen von B. Renaud161 versteht er das Buch als Endergebnis eines komplexen literarischen Prozesses. In den beiden Ninivegedichten162 und einem Drohwort eines anderen Verfassers163 sieht K. Seybold das Ålteste Material des Buches (zw. 660 und 615 v.Chr.), das nach dem Fall Ninives unter HinzufÛgung von Leitgedanken164 und erklÅrenden ZusÅtzen165 als eine Denkschrift herausgegeben wird. Dabei wahrt der Herausgeber die AnonymitÅt der Texte. Durch einen irrtÛmlich falschen Umbruch kommt die Reihenfolge der Kolumnen in Unordnung: Die mittlere Kolumne rÛckt an den Anfang, wodurch die Sammlung mit Nah 2,2 beginnt, was einen weiteren Redaktionsvorgang in der zweiten HÅlfte der Exilszeit ausl×st.166 Die Endgestalt erhÅlt das Buch durch „Verpackungsmaterial“ (1,2 ff; 1,11.14), mit dem die Redaktoren die theologische Orthodoxie des Buches im Hinblick auf die Kanonisierung der Nebiim sicherstellen wollen.167 Damit sind die letzten Kompositionsschritte nach K. Seybold nicht von einer eigentlichen theologischen Intention verursacht, sondern durch Zufall und dem Wunsch, die Sammlung im Kanon zu platzieren. Diese Hypothese ist m.E. an K. Seybolds Modell am stÅrksten zu diskutieren: Weil die heutige Textfassung wesentlich durch Fehler in der TextÛberlieferung geprÅgt sein soll, versucht K. Seybold diese zu korrigieren. FÛr die Auslegung wird primÅr die rekonstruierte Textschicht berÛcksichtigt. Wenn sich dagegen aber zeigen ließe, dass die jetzige Textgestalt auf kompositorische VorgÅnge zurÛckgeht, kommt auch der Endgestalt des Buches theologische Bedeutung zu.

Vgl. K. SEYBOLD, Randnotizen und K. SEYBOLD, ZBK.AT 24/2. Vgl. B. RENAUD, Formation. 162 Nah 3,2 f; 2,2.4–13 und 3,8–19a. 163 Nah 2,14 und 3,5 ff. 164 Nah 3,7 und 3,19a. Vgl. SEYBOLD, Prophetie, 30. 165 Nah 3,1.4b; 2,12b und 3,10b-11b.15 u. a. Vgl. Vgl. SEYBOLD, Prophetie, 30. 166 Auf diesen Redaktionsvorgang fÛhrt K. Seybold die Verzahnung von 2,2 mit 1,12 f und 2,1.3 zurÛck. Vgl. Vgl. SEYBOLD, Prophetie, 31. 167 Vgl. SEYBOLD, Prophetie, 32. 160 161

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6.6.3 Das Nahumbuch und die Redaktionsgeschichte des Dodekaprophetons Von einem anderen Fragehorizont wird das Nahumbuch in neueren redaktionsgeschichtlichen Untersuchungen zum Zw×lfprophetenbuch analysiert wie z. B. in der Arbeit von J. D. Nogalski,168 die besonders das erste Kapitel des Buches auf literarische oder gedankliche Beziehungen zu anderen ProphetenbÛchern untersucht. J. D. Nogalski geht von einem Ålteren Korpus des Buches aus, das mit einem Rahmen (1,11–14 und 3,16–19) und einer ºberleitung (2,14) zwei unabhÅngig tradierte Komplexe zusammenbindet. Die HinzufÛgung des Theophaniehymnus erklÅrt J. D. Nogalski mit der Stellung des Nahumbuches im Zw×lfprophetenbuch: SpÅtexilische oder nachexilische Redaktoren verknÛpfen das Nahumbuch mit dem Michaschluss. Der ºbergang zur Anrede an Ninive wird durch 1,9 f hergestellt. Damit entsteht ein Buch, das das Gericht Jhwhs gegen seine Feinde ankÛndigt.169 WÅhrend sich der Åltere Buchkorpus ungefÅhr datieren lÅsst, ist J. D. Nogalski bei der Datierung der jÛngeren Schichten (1,2–8.9 f) vorsichtiger. Ein Anhaltspunkt ist der vermeintliche Bezug auf Deuterojesaja, der andere die seiner Meinung nach bestehende AbhÅngigkeit der redaktionellen EinfÛgungen von Mi 7. FÛr eine genauere Datierung fehlen die „harten“ Fakten. T. Hieke geht in seinen beiden kurzen Skizzen zwei unterschiedliche Wege. In der ersten versucht er den Buchanfang in seiner Endgestalt zu verstehen.170 Im GegenÛber zwischen den Jhwh-AnhÅngern und Jhwhs Feinden liegt nach T. Hieke der SchlÛssel fÛr das VerstÅndnis der Komposition des Buchanfangs. Der drohenden Vernichtung der Feinde, bzw. Ninives steht durchgÅngig eine Trostbotschaft fÛr Juda gegenÛber.171 Diese GegenÛberstellung ist das das Buch leitende Prinzip bis 2,3. Die Endredaktion verknÛpft beide Aussagen so eng miteinander, dass sie Wechsel der Redeperspektive und eine gest×rte Textphorik in Kauf nimmt.172 Der diachronen Fragestellung geht T. Hieke in der zweiten Skizze nach: BrÛche weisen da-

168 Vgl. J. D. NOGALSKI, Processes. Im Rahmen der Redaktionsgeschichte des Mehrprophetenbuches berÛhren weitere Arbeiten das Nahumbuch. Vgl. E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen; B. M. ZAPFF, Studien und A. SCHART, Entstehung. 169 „A certain logic underlies this arrangement when viewed en toto. The theophany portrays YHWH’s arrival in judgement; the herald brings the news of Nineveh’s demise and a description of the destruction; the woe and taunt in chapter three respond to the news of this destruction and (at least in part) treat the events as having already occured.“ J. D. NOGALSKI, Processes, 93. 170 Vgl. T. HIEKE, Nahum I. 171 Vernichtung – Trost; 1,9b – 1,9c; 1,12b-d – 1,12,ef; 2,2–2,1a-c und 2,1de – 2,3. 172 Vgl. T. HIEKE, Nahum II.

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raufhin, dass eine Redaktion Åltere Traditionen aufnimmt,173 die von der Gewissheit geprÅgt sind, dass Jhwh Ninive zerst×ren wird. Er wird sich seinen Feind pers×nlich vornehmen und selber vernichten. Deswegen spricht der Prophet den Feind als Einzelperson an. „YHWH antwortet pers×nlich auf die Herausforderung durch Ninive und dessen Herrscher, der gegen YHWH B×ses trachtet.“174 Neben den Ninive Worten finden sich eine Reihe von Elementen mit gleicher Tendenz: „Sie kÛndigen die Vernichtung der Feinde YHWHs an und verbinden damit u. a. Trost fÛr Juda, die Wiederherstellung des Landes und eine kultische Erneuerung.“175 Zu den Traditionen, die die Redaktoren mit dem Ninivekomplex verwoben haben geh×rt neben dem akrostichischen Psalm (1,2–8) auch 2,1. Ein Zusammenhang des rekonstruierten Textmaterials lÅsst sich sowohl konzeptionell wie auch im Gedankenfortschritt sehen, auch wenn die ºbergÅnge, wie T. Hieke selber herausstellt, bei der Rekonstruktion zum Teil nicht ganz reibungslos sind. Problematisch ist es m.E., den herausgearbeiteten Komplex auf einen Propheten Nahum zu beziehen. Die den Komplex einleitende ºberschrift (1,1a) erwÅhnt den Namen Nahum gerade nicht. Deshalb ist die Hypothese einer anonym Ûberlieferten Sammlung plausibel. Zu diesem Ergebnis kommt auch E. Bosshard-Nepustil. Der Ninivekomplex wurde seinem Modell nach zunÅchst am Schluss des Michabuches tradiert und erst unter HinzufÛgung des Psalms, die auf eine im ganzen Mehrprophetenbuch nachzuweisenden Babel-Redaktion zurÛckzufÛhren ist, zu einem eigenen Prophetenbuch gestaltet.176 6.6.4 Ergebnisse der Forschungsgeschichte Der Wachstumsprozess des Nahumbuches verlÅuft abweichend von anderen ProphetenbÛchern nicht von vorne nach hinten. Das eigentliche Schwergewicht, nÅmlich die in der ºberschrift angekÛndigten Worte gegen Ninive, scheint im hinteren Buchteil zu liegen. „Dieser lange Anweg bis zum angekÛndigten Inhalt ist umso auffÅlliger, als ganz im Unterschied zu vergleichbaren ProphetenbÛchern . . . die dort am Ende Ûblichen AnhÅnge, Weiterungen, SchlusssÅtze bei Nahum fehlen.“177 Zudem hat der erste, der wahrscheinlich jÛngere Teil, theologischen Charakter. Der zweite dagegen enthÅlt kaum theologische Aussagen. Deswegen spricht K. Seybold von profaner Prophetie, die um einen theologischen Eingangsteil erweitert wurde, um

173 Dieser versuchsweisen Rekonstruktion eines Ålteren Ninivekomplexes ordnet T. Hieke die Verse 1,1a.11a.b-c.14aMT.b-e und 2,2.4–14 zu. 174 T. HIEKE, Nahum II, 16. 175 T. HIEKE, Nahum II, 17. 176 Vgl. dazu E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen, 410 ff. 177 K. SEYBOLD, Prophetie, 22.

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Aufnahme in den Kanon zu finden. Aber auch andere m×gliche ErklÅrungen fÛr die Struktur sind denkbar: Die einfachste wÅre, dass im Nahumbuch eben nicht ein Buch vorliegt, das wie die anderen ProphetenbÛcher sukzessive gewachsen ist, sondern das Ergebnis einer einmaligen Kompositionsarbeit. Dass danach keine weiteren ErgÅnzungen eingetragen wurden, k×nnte entweder damit erklÅrt werden, dass das Nahumbuch im Gegensatz zu anderen BÛchern kein Interesse bei spÅteren Tradenten fand, oder dadurch, dass die angenommene Kompositionsarbeit zeitlich spÅt erfolgte. Eine andere von einem sukzessiven Wachstum ausgehende M×glichkeit wÅre die, dass fÛr die Bearbeiter der Schwerpunkt des Buches eben nicht in den Ninivegedichten lag, sondern sie die beiden StÛcke nur dazu benutzten, ihre eigene Position zu formulieren und deswegen vor allem im theologischen Einleitungsteil ihre Spuren hinterließen. 6.6.5 Die Struktur und Entstehung des Nahumbuches Seine wesentliche Struktur hat das Nahumbuch durch redaktionelle Arbeiten an einer Ålteren Sammlung aus Liedern und SprÛchen erhalten, die sich um das Thema des Gerichts und der Zerst×rung Ninives gebildet haben. M×glicherweise war diese Sammlung einmal an das Michabuch angeschlossen.178 Ein fÛr seinen Kontext verfaßter Psalm mit hymnischem Charakter leitet das Buch mit einer Aneinanderreihung von Theophanieelementen ein. Diese Zusammenstellung lÅuft auf eine AnkÛndigung eines universalen Gerichts gegen die Feinde Jhwhs hinaus. Damit bekommt das ursprÛnglich eher politische Material des Nahumbuches179 vom Anfang her einen theologischen Charakter. Als Beleg dafÛr, dass Jhwh die Macht zu dem angekÛndigten Gericht hat, wird im Hymnus auf seine NaturmÅchtigkeit verwiesen. Auch die Zerst×rung Ninives ist ein Beispiel fÛr Jhwhs richtendes Handeln. Das Ninive-Material ist aber nicht nur historisches Exempel. Das einmalige Ereignis der Zerst×rung der Stadt wird verallgemeinert und als generelle Aussage Ûber Jhwhs Gerichtshandeln verstanden. Dies deuten die beiden Lieder selber an, vor allem zeigen es aber die rahmenden und strukturierenden Teile. So wird das Nahumbuch von den Lesern auch als GerichtsankÛndigung interpretiert, die in ihre eigene Zeit spricht. Hintergrund dieser Interpretation ist zum einen die Einarbeitung eines Gerichtswortes gegen Religionsfrevel in 1,11.14 sowie das Bild der herrschsÛchtigen Stadt, die sich gewalttÅtig benimmt wie ein L×we (2,12 ff) oder untreu wie eine Hure (3,4). Abschließend stellt sich die Frage, wie die Entstehung dieser Struktur und damit die Entwicklung des Buches vorzustellen ist. Die Untersuchung hat gezeigt, dass es sich bei den das Ninive-Material prÅgenden Texten und 178 179

So die Vermutung von E. BOSSHARD-NEPUSTIL, Rezeptionen, 369. Vgl. K. SEYBOLD, Prophetie, 52 f.

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dem einleitenden Hymnus wahrscheinlich um Zusammenstellungen der gleichen Hand handelt. Allerdings beruht diese Hypothese auf thematischen Beobachtungen und ist schwierig mit formalen Argumenten wie stilistischen und sprachlichen ºbereinstimmungen zu untermauern. Eine von dieser so genannten Buchredaktion zu unterscheidende Textebene stellen die Bearbeitungen des Psalms in V. 1,2b.3a; 1,4b und 1,6a dar.180 Zweifel in Bezug auf das Kommen des Gerichts werden darin ausgerÅumt und die UniversalitÅt des angekÛndigten Handelns Jhwhs betont. Konzeptionell mit dieser Bearbeitung vergleichbar ist die Zusammenstellung des Materials von 1,9–2,1.3. Auch hier ist die Verz×gerung des erwarteten Gerichts Thema. Vorliegende Åltere BruchstÛcke werden eschatologisch gedeutet. Die Frage, ob diese StÛcke schon im Kontext des Nahumbuches vorlagen oder von der Bearbeitung aus anderen Quellen aufgenommen wurden bleibt offen. Jedenfalls sind sie nicht fÛr den Buchkontext verfaßt worden. Wie schon bei der Buchredaktion lÅsst es sich aber nicht zweifelsfrei erweisen, ob es sich um ein und dieselbe literarische Schicht handelt. Es bleibt lediglich bei einer begrÛndeten Vermutung. Diese Hypothese modifiziert die bisherige Sicht von der Entstehung des Buches leicht. Unter Einbezug synchroner Fragen ist das Modell des sukzessiven Wachstums des Buches nicht mehr wahrscheinlich. Zwar wurde so genanntes Ninive-Material aus unterschiedlichen Zeiten gesammelt, diese Sammlung ist aber von der Buchredaktion zu trennen. Wenn die Texte am Ende des Michabuches Ûberliefert sein k×nnten, wÅren die beiden zentralen Lieder anonym entstanden und dann um thematisch Åhnliches Material erweitert worden.181 Der der Buchredaktion vorausgehende Prozeß lÅsst sich nicht als Wachstum des Buches selber bezeichnen. Das eigentliche Prophetenbuch entsteht erst durch redaktionelle Arbeit, durch HinzufÛgung der ºberschrift, Verbindung des Ninive-Materials mit dem Namen Nahum; der Voranstellung des einleitenden Psalms, die ZufÛgung von Leitgedanken und Rahmungen. Diese Buchgestalt ist spÅter um eine Bearbeitung des Psalms erweitert worden. Auf dieselbe Hand geht wohl auch eine Neustrukturierung des ºbergangs zwischen Psalm und dem ersten Lied zurÛck. 6.6.6 Historische Einordnung und Entstehungsmilieu des Nahumbuches Eine historische Einordnung der Nahumbuchredaktion gestaltet sich schwierig, da die der Redaktion zuzuweisenden StÛcke wenige Informationen Ûber ein zeitgeschichtliches Umfeld geben.182 Der einzige Fixpunkt, an Mit J. D. NOGALSKI, Processes, 106 ff. FÛr die behandelte Fragestellung spielt eine chronologische Ordnung dieses Ninive-Materials keine Rolle. K. Seybold weist Nah 3,8–19a; 3,1.4a und 3,2; 2,2–13 unterschiedlichen Phasen der VerkÛndigung Nahums zu. Vgl. K. SEYBOLD, ZBK.AT 24/2, 11 f. 182 Vgl. die ºberlegungen zur Methodik der Frage nach dem Entstehungsmilieu in 3.6.1. 180 181

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dem die Datierung des Buches diskutiert wurde, ist der Vergleich Assurs mit dem 663 zerst×rten Theben (Nah 3,8–10) in einem Teil des aufgenommenen Liedes. Entsprechend vorsichtig sind auch die Datierungen, die sich in der neueren Diskussion finden. K. Seybold nimmt fÛr die zweite HÅlfte des Exils eine Nahum-Dokumentation an, die parallel zu anderen Prophetendokumentationen entstand. Den Psalm hÅlt er fÛr (spÅt-)nachexilisch, weil sich alphabetisch strukturierte Texte nicht frÛher finden.183 Die Schlussredaktion wÅre danach ungefÅhr im 4. Jh. anzusetzen.184 Oft wurde die Datierung des Buches an 2,1 aufgehÅngt. Hier meint man ein StÛck zu finden, das von deuterojesajanischer Tradition beeinflußt ist. Allerdings ist auch diese AbhÅngigkeit umstritten und fÛhrt zudem nicht wesentlich weiter, da eine exilisch/nachexilische Redaktion des Buches kaum noch bestritten werden kann.185 Auch H. Schulz kommt mit anderen redaktionsgeschichtlichen Ergebnissen zum Schluss, dass das Buch ein Produkt der nachexilischen Zeit ist. Auf der Suche nach einem historischen Hintergrund geht H. Schulz einen anderen Weg. Er versucht die NÅhe des Nahumbuches zum nachexilischen Gottesdienst nachzuweisen. Die Gestalt des Buches verdankt sich der Blickrichtung des Verfassers auf den Gottesdienst des Zweiten Tempels. Dabei hat H. Schulz kein bestimmtes Fest im Auge. Die einzelnen Elemente des Buches k×nnen vielmehr in verschiedenen gottesdienstlichen AnlÅssen eine Rolle gespielt haben.186 Die kultische Verortung der von H. Schulz als Parallelmaterial herangezogenen Psalmen ist nicht eindeutig. Die Schwierigkeiten zeigen sich schon in der Argumentation: Nachdem H. Schulz die NÅhe des Nahumbuches zum Kult festgestellt hat, schließt er vom Buch auf den Kult des Zweiten Tempels.187 Wie K. Seybold richtig herausstellt, ist gerade der Abstand des Nahumbuches zum Kult ein Kennzeichen der profanen Prophetie des Buchs.188 Šltere Kommentare setzen die Entstehung des Buches noch spÅter an. O. 183

Vgl. K. SEYBOLD, ZBK.AT 24/2, 31 f. Vgl. K. SEYBOLD, ZBK.AT 24/2, 12. 185 Die Betonung der AbhÅngigkeit von 2,1 von deuterojesajanischer Tradition richtet sich vor allem gegen Positionen, die das ganze Nahumbuch dem Propheten selber zuschreiben und damit schon die Buchform in vorexilischer Zeit ansetzen wollen. 186 Vgl. H. SCHULZ, Nahum, 132. Die „Beziehung zur vorausgesetzten kultischen RealitÅt“ ist nach H. Schulz „durch literarische Konvention ermittelt“. H. SCHULZ, Nahum, 133. Der Verfasser stÅnde dann mit den nachexilischen kultischen Institutionen in Verbindung, „die die prophetische ºberlieferung bewahrten und bei gottesdienstlichen Versammlungen vortragen. . . . Nur so findet die strukturelle ParallelitÅt des Buches mit einzelnen Psalmen ihre ErklÅrung.“ H. SCHULZ, Nahum, 134. Der Verfasser stÅnde dann mit den nachexilischen kultischen Institutionen in Verbindung, „die die prophetische ºberlieferung bewahrten und bei gottesdienstlichen Versammlungen vortragen. . . . Nur so findet die strukturelle ParallelitÅt des Buches mit einzelnen Psalmen ihre ErklÅrung.“ H. SCHULZ, Nahum, 134. 187 Vgl. H. SCHULZ, Nahum, 134. 188 Vgl. K. SEYBOLD, Prophetie, 17. 184

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Happel denkt an die Seleukidenzeit und versteht Ninive im zweiten und dritten Kapitel als Deckname fÛr das syrische Reich unter Antiochus IV.189 K. Marti hÅlt es fÛr m×glich, dass der einleitende Psalm in der Zeit der makkabÅischen Erhebung entstanden ist und sieht die ErwÅhnung der zw×lf Propheten in Jesus Sirach keineswegs als Terminus ad quem fÛr die letzten NachtrÅge ins Buch.190 Da es also fÛr eine Datierung der Redaktion des Buches und seiner Bearbeitung keine festen Anhaltspunkte gibt, ist die einzige M×glichkeit noch einmal die spezifischen Aussagen der Redaktion und der Bearbeitung festzuhalten und diese dann im Vergleich mit anderen BÛchern des Dodekaprophetons chronologisch zu ordnen. Dem Typus der herrschsÛchtigen Stadt wird das Gericht angesagt. Hintergrund ist also eine Situation, in der eine Stadt fÛr Verfasser und Leser zu einer Bedrohung wurde. DarÛber, welche Stadt dies gewesen sein k×nnte, lÅsst sich nur spekulieren. Auf jeden Fall weist die Auseinandersetzung mit einer Stadt in hellenistische Zeit. Hier bekommt die Stadt eine besondere Bedeutung. Aus allen StÅdten ragt natÛrlich Alexandria heraus, aber auch Auseinandersetzungen mit kleineren fÛr Juda wahrscheinlich ebenso wichtigen und z. T. bedrohlichen StÅdten wie Tyros und Sidon spielen, wie Joel 4,4–8 zeigt, in den ProphetenbÛchern eine Rolle. Ninive und die Assyrer stehen im Nahumbuch nicht so stark im Vordergrund, dass man das Buch unbedingt auf die seleukidische Zeit beziehen muß.191 Als weiteren Hintergrund, ließen sich auch Bestrebungen Jerusalems nehmen, zu einer Stadt hellenistischen Typus zu werden. Im Gegensatz zu Mi 7,14 scheint es keine begrÛndete Hoffnung mehr auf einen Besitz der LÅnder zu geben, die zu Basan, Karmel und Libanon geh×ren. Hoffnungen auf eine Vergr×ßerung des Territoriums, vielleicht die M×glichkeit der Verbindung mit Samaria sind offenbar gescheitert. Die V×lkerthematik scheint von der Feindthematik verdrÅngt zu sein. Gleichzeitig mit der V×lkerthematik spielen auch nationale Verheißungen keine Rolle mehr. Auch Interessen am Jerusalemer Tempel oder am Kult wie z. B. im Jonapsalm sind nicht spÛrbar. In der Bearbeitung des Psalms und der Neukonzeption des ºbergangs zum NiniveLied fÅllt auf, dass die Gerichtserwartung des Psalms enttÅuscht wurde. Wie andere StÛcke des Dodekaprophetons setzt sich die Bearbeitung mit der Gnadenformel auseinander. Die Feindthematik des ursprÛnglichen Psalms wird verstÅrkt. Das so genannte FÛllmaterial vor dem ersten Gedicht wird eschatologisch gedeutet und das Thema des Religionsfrevels eingefÛhrt. Als historischer Hintergrund des hier beschriebenen Profils der Buchkomposition lÅsst sich m.E. die Zeit der gefestigten ptolemÅischen Herrschaft vorstellen. Dabei richtet sich das Buch aber nicht gegen die ptolemÅi189 190 191

Vgl.die Darstellung von O. Happel in W. NOWACK, Propheten, 248. Vgl. K. MARTI, Dodekapropheton, 306. Gegen O. HAPPEL, Nahum.

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sche Macht als solche, sondern gegen alles, was mit dem Typ der aufstrebenden Stadt in Verbindung steht. Voraussetzung fÛr die Konzeption des Buches ist eine fortschreitende Aufspaltung der judÅischen Gesellschaft im Gefolge der hellenistischen EinflÛsse. Die Bearbeitungen des Psalms und von 1,9–2,3* k×nnten, so lÅsst sich spekulieren, von einem Ereignis ausgel×st worden sein, das mit dem ºbergang der Macht zu den Seleukiden verbunden gewesen sein k×nnte.

6.7 Exkurs: die Feinde Jhwhs Von Feinden ist in der Bibel viel die Rede, es sind die Feinde des K×nigs, die Feinde Israels oder auch die Feinde eines einzelnen Beters. Im Vergleich mit dieser hÅufigen Verwendung werden solche Feinde seltener wie im ersten Kapitel des Nahumbuches als Feinde Jhwhs bezeichnet (Nah 1,2.8). Dies veranlasst dazu, die Bedeutung dieses Ausdrucks zu analysieren. Deswegen werden im Folgenden Texte untersucht, in denen entweder die Partizipien Qual m. Pl. von bja192 und von rrs193 oder das Nomen rs im Pl.194 durch ein Suffix auf Jhwh bezogen werden. Ohne Suffix ist lediglich das Partizip Qual m.Pl. von bja dreimal auf Jhwh bezogen.195 Zwischen rs und dem Partizip von bja ist kein Bedeutungsunterschied festzustellen. Auch zwei Substantive der Wurzel anf haben die Bedeutung Feind: Das Partizip aktiv Qal und das Partizip aktiv Piel. Die Qal Form bezeichnet im AT zumeist den pers×nlichen Feind oder die Feinde des K×nigs, die Feinde Jhwhs dagegen in Ex 20,5; Dtn 5,9; 7,10 und II Chr 19,2. Die Piel Form dagegen steht auch fÛr die Feinde Jhwhs, sie muss aber nicht gesondert untersucht werden: Außer Ps 139,21, in dem der den Beter bedrÅngende Frevler, als jemand beschrieben wird, der Jhwh hasst (ijanfm), steht jeder Beleg, der sich auf Jhwh bezieht, in Parallele zu ¥jbja oder ¥jrs.196 Handelt es sich bei der Rede von den Feinden Jhwhs um eine besonders qualifizierte Gruppe oder sind diese mit den Feinden Israels gleichzusetzen 192 8 Belege (von insgesamt 39) des Partizips mit Suffix 2. Sg. (ijbja oder ijjbjwa) sind auf Jhwh bezogen: Num 10,35; Ri 5,31; Ps 66,3; Ps 83,3; Ps 89,11.52 und Ps 92,10. Beim Partizip mit Suffix 3. Sg. (wjbja oder wjbjwa) sind es 8 Belege (von insgesamt 29): Ps 68,2.22; Jes 42;13; Jes 59,18; Jes 66,6.14 und Nah 1,2.8. 193 Das Partizip von rrs im Qal m. Pl. ist mit einem Suffix 2. m.Sg. jedesmal auf Jhwh bezogen: Ps 8,3 (ijrrws); Ex 23,22 und Ps 74,4.23 (ijrrs). 194 rs mit Suffix 1. Sg. (jrs) bezieht sich zweimal (von insgesamt 9 Belegen) auf Jhwh: Dtn 32,41 und Jes 1,24. Zweimal (von 6) meint rs mit Suffix 2. Sg. (ijrs) Jhwhs Feinde: Jes 26,11 und Jes 64,1. HÅufiger (7 von 14) wird fÛr die Feinde Jhwhs rs und das Suffix 3. Sg verwendet (wjrs): Dtn 32,43; Hi 19,11; Ps 78,66; Ps 97,3; Jes 59,18; Jer 46,10 und Nah 1,2. 195 I Sam 30,26; II Sam 12,14 und Ps 37,20. 196 Vgl. Num 10,35; Dtn 32,41; Ps 68,2 und Ps 83,3.

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wie z. B. von H. Ringgren vertreten?197 Wenn Gott also gegen die Feinde Davids vorgeht und ihm Ruhe vor seinen Feinden verschafft (I Sam 7,1), macht er damit nicht auch Davids Feinde zu seinen Feinden? Oder bedeutet die Zusage am Ende des Bundesbuches, in der bei Befolgung der Gebote Jhwhs Schutz gegenÛber den Nachbarv×lkern auf dem Weg zum Heiligtum verheißen wird (Ex 23,22),198 dass Jhwh diese V×lker zu seinen Feinden erklÅrt? Eine solche Identifikation vollzieht das Alte Testament an den meisten Stellen nicht. Jhwh zieht gegen die Feinde seines K×nigs oder seines Volkes ins Feld, er tut dies aber, weil Israel sein Volk ist und nicht aus eigenem Interesse oder wegen des Wunsches nach Vergeltung. Vor allem in den GeschichtsbÛchern, in denen von der Auseinandersetzung Jhwhs mit den Feinden Israels berichtet wird, spielt der Terminus die Feinde Jhwhs keine wichtige Rolle.199 Vor allem im Umkreis der Prophetie ist die Rede von Jhwhs Feinden gebrÅuchlich. Im Jesajabuch wird der Terminus hÅufiger verwendet,200 im Jeremiabuch einmal, zweimal in Nah 1.201 Neben 14 Belegen im Psalter202 findet sich einer im Hiobbuch.203 Bei der Rede von den Feinden Jhwhs handelt es sich um ein PhÅnomen, das sich in bestimmten literarischen Str×mungen findet, also eher in prophetisch und weisheitlich orientierter Literatur und weniger in Schriften, die dem deuteronomisch/deuteronomistischen Umkreis zuzuschreiben sind. Dies bestÅtigt auch der Gegensatz zwischen Jesaja- und dem deuteronomistisch bearbeiteten Jeremiabuch sowie deuteronomistisch geprÅgten BÛchern des Zw×lfprophetenbuches. In deuteronomistischer Sicht sind die Feinde und ihre Angriffe vor allem „Manifestationen der g×ttlichen Strafe fÛr Israels Abfall. Gott gibt die Israeliten in die Hand ihrer Feinde.“204 Damit sind sie Werkzeug Jhwhs, sie handeln nach seinem Plan und k×nnen deswegen gar nicht als Feinde Jhwhs bezeichnet werden. Im Jesajabuch ist erst in spÅteren literarischen Schichten die Rede von 197 „Die Feinde des Gottesvolkes sind auch Gottes Feinde. Mit einem leicht variierten Ausdruck, der vielleicht auf eine kultische Formel zurÛckgeht, wird versichert, dass Gott Rache nimmt an diesen Feinden.“ H. RINGGREN, rs, 1125. H. RINGGREN, bja, 232. „Die Feinde Israels sind zugleich die Feinde seines Gottes . . .; JHWH greift ein, um sie zu bekÅmpfen.“ 198 Vgl. zu dieser Interpretation F. CRºSEMANN, Tora, 210 ff. 199 Auf die Ausnahmen in Num 10,35; Dtn 32,41.43; Ri 5,31 und I Sam 30,26 wird im Folgenden eingegangen. Auch in II Sam 12,14 ist von Feinden Jhwhs die Rede. Diese Feinde verh×hnen Jhwh wegen der Taten Davids. Eigentlich wÅre aber David vorzuwerfen, dass er mit seiner Tat Jhwh gelÅstert hat. Dies war wohl spÅteren Tradenten ein Dorn im Auge, so dass sie die Blasphemie durch eine HinzufÛgung verÅnderten. Der ursprÛngliche Text ist mit H. J. STOEBE, KAT VIII/2, 299 zu rekonstruieren und mit „weil du Jhwh verachtet hast“ zu Ûbersetzen. 200 Jes 1,24; 26,11; 42;13; 59,18; 64,1 und 66,6.14. 201 Jer 46,10 und Nah 1,2.8. 202 Ps 8,3; 37,20; 66,3; 68,2.22; 74,4.23; 78,66; 83,3; 89,11.52; 92,10 und 97,3. 203 Hiob 19,11. 204 H. RINGGREN, bja, 232.

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Jhwhs Feinden. Keine Verwendung findet der Terminus in vermeintlich vorexilischen Teilen des Buches, und nur einmal in dem exilischen Material, das durch die vom Aufstieg des Kyros ausgel×sten Hoffnungen beeinflusst wurde. 6.7.1 Fremdv×lker als Feinde Jhwhs Chronologisch gesehen ist Jes 42,13 wahrscheinlich die Ålteste Verwendung im Jesajabuch. Nach R. G. Kratz geh×rt dieser Text zur Grundschicht der Kap. 40–55.205 Der Feldzug des Perserk×nigs Kyros wird von ihr als Ereignis interpretiert, das von Gott ausgeht. Das V×lkerkonzept dieser Grundschicht hat sich damit gegenÛber den bekannten Traditionen geÅndert. Das Auftreten des persischen K×nigs Kyros ist hier verarbeitet und die Auswirkungen seines Sieges Ûber Babylon fÛr die israelitischen Exilierten. Die Vernichtung Babylons wird in Jes 42,13 als eine Vernichtung der Feinde Jhwhs interpretiert. Neben dem besiegten Reich sind mit den Feinden sicher auch kleinere LÅnder gemeint, die es unterstÛtzten und vom Fall Jerusalems profitierten wie z. B. Edom. Die Wertung Babylons Åndert sich somit in der ausgehenden Exilszeit. Das Reich ist nicht mehr Werkzeug Jhwhs, sondern wird zu den Feinden Jhwhs gezÅhlt. Die HÅrte der babylonischen Herrschaft war vielleicht der Ausl×ser fÛr diese Neubeurteilung. Außerdem k×nnte auch die Zerst×rung des Heiligtums, wie sie in der Tempelklage in Ps 74 im Hintergrund steht,206 mit dazu beigetragen haben, dass die Gegner Israels als Gegner Gottes apostrophiert werden.207 An vier weiteren Stellen ist der Gebrauch des Terminus die Feinde Jhwhs auf Fremdv×lker bezogen.208 I Sam 30,26 versteht die von David besiegten Amalekiter als Feinde Jhwhs. Diese Formulierung erhebt den wahrscheinlich unbedeutenden Sieg Ûber die Amalekiter zu einem entscheidenden Sieg Davids. Wie an anderen biblischen Stellen wird Amalek als ein Erzfeind Israels dargestellt. Sonst ist im I Sam nur von den Feinden Davids die Rede.209

Vgl. R. G. KRATZ, Kyros, 216 f. Vgl. K. SEYBOLD, HAT I/15, 287 ff. 207 Vgl. Ps 74,3.23. Der historische Hintergrund von Ps 74 ist lange Zeit nach der Zerst×rung des Heiligtums anzunehmen, wenn die beschriebene Zerst×rung die Ereignisse um 587 meint. Vgl. K. SEYBOLD, HAT I/15, 287 ff; H. J. KRAUS, BK XV, 678 f; dagegen B. DUHM, Psalmen, 285 ff. Damit befindet sich der Psalm zeitlich und in der Verwendung der Rede von den Feinden Jhwhs auch konzeptionell in der NÅhe von Jes 42,13. 208 Die chronologische Ordnung der Texte wird im Folgenden zunÅchst zurÛckgestellt, da auch jÛngere literarische Schichten Ålteres Material bewahrt haben k×nnen. 209 Vgl. z. B. I Sam 20,15 f. I Sam 30,26 bildet eine literarische Klammer, die die Liste der StÅdte, die Anteil an der Beute haben, mit der Schilderung des Sieges verbindet. Auch an dieser Liste wird der exemplarische Charakter des Sieges Ûber die Amalekiter deutlich: Denn die Beute dieses Zuges wird kaum so groß gewesen sein, dass alle Šltesten Judas einen Anteil davon hÅtten bekommen k×nnen. 205 206

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Im ersten Kapitel der V×lkersprÛche im Jeremiabuch wird im Gedicht gegen Šgypten das Gericht Jhwhs gegen den Pharao und sein Volk als jndal awhh ¥wjh bezeichnet (Jer 46,10), als Tag, an dem Jhwh sich an seinen Feinden rÅcht (wjrsm). Eindeutig sind mit diesen Feinden die Šgypter gemeint.210 Die Gleichsetzung Šgyptens mit den Feinden Jhwhs hat an dieser Stelle eine doppelte Funktion: Mit der Aufnahme des Tag-Jhwh-Motives und der Betonung der Rache wird das zurÛckliegende Handeln Jhwhs gegen Šgypten als Gerichtshandeln qualifiziert. Zweitens wird Jhwhs Gericht gegen Šgypten als Teil seines Plans gegen die V×lker im Allgemeinen verstanden (Jer 46,1) und mit V. 10 das Gedicht gegen Šgypten zu einer Einleitung in die Fremdv×lkersprÛche. Hinter Šgypten als Feind Jhwhs sind zugleich die V×lker in ihrer Gesamtheit im Blick. Wenn man die EinfÛgung von 46,6.8.10.12b frÛhestens exilisch datiert,211 findet sich auch zeitlich eine parallele Konzeption wie in Jes 42,13: Ein Volk, das einer der Hauptfeinde Israels war, wird als Jhwhs Feind dargestellt, weil es nach Israels Meinung die PlÅne Jhwhs durchkreuzt hat. Anders als in I Sam 30,26 und Jes 42,13 schwingt dabei in Jer 46 gleichzeitig eine eschatologische Perspektive mit. Zeitlich parallel zu diesen Texten ist wahrscheinlich Psalm 83.212 Hintergrund ist eine Phase der Anarchie wÅhrend des Exils, die von rÅuberischeren StÅmmen und Banden oder den Nachbarv×lkern Israels ausgenÛtzt wird. Gegen diese Åußeren Feinde ruft die Grundschicht des Psalms in Form eines schriftgelehrten Gebets Jhwh um Hilfe an (Ps 83,3). Um diese Bitte eindringlicher zu gestalten und um die StÅrke der Not zu zeigen, werden die Feinde als Feinde Jhwhs (ijbjwa) und als die bezeichnet, die ihn hassen.213 Aus einer anderen Sicht, aber mit vergleichbarer Konzeption der

210 Uneinigkeit besteht Ûber die Zuweisung dieses V×lkerspruches gegen Šgypten zu einer Textschicht des Jeremiabuches. WÅhrend einige Forscher die V×lkersprÛche generell Jeremia absprechen, wird gerade fÛr das Šgyptenorakel die Verfasserschaft Jeremias hÅufig erwogen. Vgl. O. KAISER, Grundriß, 76 und K. SEYBOLD, Jeremia, 120 ff. Wenn von einer solch frÛhen Verfasserschaft ausgegangen wird, ist m.E. die Annahme einer spÅteren ºberarbeitung in exilisch/ nachexilischer Zeit wahrscheinlich, die die V×lkersprÛche zusammenstellt. Vgl. dazu K. SEYBOLD, Jeremia, 120 ff und O. KAISER, Grundriß, 75 f. K. Seybold sieht in 46,5.11 und 46,6.8a.10.12b sekundÅre Erweiterungen. Dagegen vertritt B. HUWYLER, Jeremia, 93 ff. wieder die Einheitlichkeit des Orakels und die jeremianische Verfasserschaft. Die Argumentation B. Huwylers fÛr eine Zuweisung der kommentierenden Partien (V. 6.10.12) an Jeremia Ûberzeugt m.E. nicht. Besonders V. 10aa ist wegen des formalen und inhaltlichen Unterschieds eine EinfÛgung, die das Gedicht gegen Šgypten in einen gr×ßeren Rahmen stellt und mit ihm den Komplex der Fremdv×lkersprÛche einleitet. 211 Mit K. SEYBOLD, Jeremia, 123. 212 Vgl. K. SEYBOLD, HAT I/15, 328. Allerdings sind auch andere Datierungen wie die spÅte MakkabÅerzeit denkbar. Vgl. B. DUHM, Psalmen, 318. 213 SpÅtere ErgÅnzungen zielen weniger auf die Vernichtung als auf die Bekehrung der Feinde. „Die Perspektive ist nach der Losl×sung des Gebets aus der lokalen und konkreten Situation universal.“ K. SEYBOLD, HAT I/15, 328.

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Feindperspektive wird in Ps 89,52, dem Zusatz eines exilischen K×nigsklagepsalms214 die SchmÅhung des Gesalbten durch die Feinde berichtet. Hier fallen die Feinde aus der Perspektive des K×nigs mit denen Jhwhs zusammen. An I Sam 30,26; Jes 42,13 und Jer 46,10 wird der Ursprung der Rede von Jhwhs Feinden deutlich: Feinde Israels werden in bestimmten Situationen als Feinde Jhwhs bezeichnet. Dies geschieht mit der Intention, die jeweilige Aussage zu verstÅrken oder ihre besondere Bedeutung zu zeigen. Damit liegt eine konzeptionelle VerÅnderung vor und kein zufÅlliger Wechsel zwischen unterschiedlichen Begrifflichkeiten, die dasselbe meinen.215 Die Identifikation zwischen den Feinden Jhwhs und den jeweiligen Fremdv×lkern ist eindeutig. WÅhrend I Sam 30,26 und Jes 42,13 sich auf ein bestimmtes Feindvolk beziehen, ist der Horizont von Jer 46,10 weiter. Weil das Šgyptenorakels die Fremdv×lkersprÛche einleitet, sind auch die anderen V×lker im Blick. Das Handeln Jhwhs an den V×lkern wird so als endzeitliches Gerichtshandeln gefÅrbt. 6.7.2 Feinde Jhwhs in Israel im Licht der V×lker Bei anderen ErwÅhnungen der Feinde Jhwhs, liegt eine Deutung auf die V×lker nahe, obwohl es im Kontext der Stellen Anzeichen dafÛr gibt, dass auch Israel oder Teile davon neben den V×lkern als Feinde Jhwhs im Blick sind. Ein Beispiel dafÛr ist Dtn 32,41.43. Wenn ich mein strahlendes Schwert schÅrfe, und meine Hand im Gericht eingreift, lasse ich Rache kommen Ûber meine Gegner und denen, die mich hassen, vergelte ich. (Dtn 32,41) Jubelt V×lker mit seinem Volk,216 denn er rÅcht das Blut seiner Knechte und Rache kommt Ûber seine Gegner und er entsÛhnt den Boden seines Volkes. (Dtn 32,43)217

In V. 41.43 werden vier Gr×ßen genannt: die V×lker, sein Volk, Jhwhs Knechte und seine Feinde (janfmlw jrsl). Vorher ist von den Feinden Israels die Rede (32,31). In der Gottesrede ab V. 34 beschreibt Jhwh die Vergeltung am ¥dja ¥wj. Feinde Israels werden als die Jhwhs bezeichnet. Ihre IdentitÅt ist aus dem Kontext leicht zu erkennen: Es sind die V×lker, die andere G×tter haben (V. 37 f), sie fallen in einer von Jhwh gefÛhrten Schlacht.

Mit K. SEYBOLD, HAT I/15, 350 ff. Gegen H. RINGGREN, bja, 232 und H. RINGGREN, rs,1125. Eine spezifische Intention der Verwendung des Terminus lÅsst sich auch fÛr Ps 83,3 und Ps 89,52 zeigen. 216 LXX hat die bessere Textversion bewahrt: eu™fra ´ nhvte e¹hnv meta` tou˜ laou˜ au™tou˜. 217 LXX (tv`n gv ˜ n tou˜ laou˜ au™tou˜) ist BHS wiederum vorzuziehen. 214 215

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Dieser Deutung widersprechen allerdings zwei Wendungen in V. 43: Die V×lker preisen Jhwhs rÅchendes Handeln, das zu Gunsten seiner Knechte geschieht. Sind hier V×lker und Knechte gleichgesetzt? Mit diesem Vorgang wird das Land Israel entsÛhnt. Genauso wie die GegenÛberstellung von denen, die Jhwh hassen, und seinen Knechten impliziert die Rede von der Reinigung des Landes, dass die Feinde Jhwhs auch innerhalb Israels zu suchen sind. Deswegen ist mit M. Rose anzunehmen, dass hinter den in erster Linie gemeinten V×lkern auch Israeliten angesprochen sind, „die nicht in aller Treue Jahwes Diener sind (V. 36), sondern in der Versuchung stehen, den imponierenden Gottesdiensten und Religionen ihrer Zeit zu folgen.“218 Ziel der Verurteilung der Feinde Jhwhs ist, aufzuzeigen, dass alle fremden Gottesdienste sinnlos sind. Damit richtet sich der Text an Israel: Dem bedrÅngten Volk soll nicht durch die AnkÛndigung des eschatologischen Sieges Ûber die Fremdv×lker Mut gemacht werden, sondern die in Israel werden ermahnt, die falschen Gottesdienst praktizieren. Die Rede von den V×lkern als Feinden Jhwhs wird aufgenommen, aber auf die vom Jhwh-Glauben Abweichenden in Israel bezogen. Doppeldeutig ist auch die Rede von Feinden Jhwhs in Jes 59,18: Nach den Taten vergilt er, Zorn seinen Gegnern und Vergeltung seinen Feinden, an den Inseln vergilt er.

Vom Kontext her handelt es sich bei diesem Spruch um ein Richten Jhwhs innerhalb Israels gemÅß der Taten. Zu Diskussionen Anlaß gibt die Deutung der Feinde Jhwhs allerdings, weil nicht nur wjrsl sowie wjbjal vergolten wird, sondern auch ¥jjal, den Inseln. Sind mit dieser Wendung auch durch die Inseln reprÅsentierte V×lker gemeint? FÛr die M×glichkeit, dass die Feinde abgefallene Israeliten sein sollen, spricht der Kontext. In Jes 59 werden summarisch Missetaten aufgezÅhlt, die von Gott trennen. Gewalt, Betrug und UnterdrÛckung scheinen in Israel an der Tagesordnung zu sein. So wÅre es folgerichtig, dass die TÅter solcher Vergehen als Feinde Jhwhs bezeichnet werden.219 Mit der ErwÅhnung der Inseln impliziert Jes 59,18 eine andere L×sung. Neben seinen Feinden vergilt Jhwh auch den Inseln, die fÛr weit entfernte V×lker stehen. Beide Gr×ßen sind zusammen gefasst, d. h. das Gericht innerhalb Israels wird an das V×lkergericht herangerÛckt.220

M. ROSE, 5. Mose, 571 f. Vgl. dazu O. H. STECK, Feinde, 51 ff. 220 Diese Vermutung stÛtzt O. H. Steck durch die Beobachtung, dass Jes 59,16 ff aus dem so genannten Protojesajakomplex zwei Texte aufnimmt: Einmal verweisen vergleichbare Formulierungen auf Jes 34,2–8. Hier richtet sich das Gerichtshandeln Jhwhs gegen die V×lkerwelt. An allen V×lkern wird der Bann vollstreckt, sie werden zur Schlachtung vorbereitet. Außerdem 218 219

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Zum Kreis der Widersacher und Feinde Jhwhs geh×ren in Jes 59 wie auch mit anderer Betonung in Dtn 32 sowohl die V×lker als auch Teile Israels. Allerdings liegt in Jes 59 die Betonung auf Vergehen der innerisraelitischen Feinde. Die Rede von den Feinden Gottes wird in doppeltem Sinne gebraucht: Auch wenn vom Kontext zunÅchst die Deutung sicher zu seien scheint, kann ein anderer Horizont in der Aussage mitschwingen. Damit zeigen Dtn 32,41.43 und Jes 59,18, dass die Rede von den Feinden Jhwhs offen ist fÛr verschiedene Identifikationen. 6.7.3 Unspezifische Verwendung der Feinde Jhwhs Ps 97,3 nimmt den Terminus die Feinde Jhwhs in einer Beschreibung der Theophanie Jhwhs auf.221 Zum Herrschaftsantritt Jhwhs geh×rt, dass seine Feinde durch ein Feuer verzehrt werden. Wie in Dtn 32,43 werden die hier durch die Inseln reprÅsentierten V×lker222 zum Jubel angesichts dieser Vernichtung aufgefordert (Ps 97,1.6). So ist nicht die Vernichtung der V×lker im Ganzen im Blick. Allerdings ist das geschilderte Geschehen so umfassend, dass es sich nicht nur um Israel handeln kann. Es geht also um eine Form des Weltgerichts, die alle trifft, die Abg×tterei betreiben (V. 7) und das B×se nicht hassen (V. 10). Die NÅhe zu Dtn 32 wie auch zu Jes 26,11 ist wieder beachtenswert. Der Terminus die Feinde Jhwhs kann also unspezifisch verwendet und weder auf die V×lker noch auf Israel oder Teile Israels bezogen werden. Eine Unterscheidung zwischen Israel und den V×lkern ist gar nicht im Blick. Denen, die Jhwh dienen, stehen die gegenÛber, die es nicht tun. Damit befindet sich in Ps 97,3 trotz der eschatologischen FÅrbung die Verwendung des Terminus in der NÅhe der gÅngigen weisheitlichen GegenÛberstellung von Frevlern und Gerechten. Auch Hi 19,11 und Ps 37,20 benutzen den Terminus in Verwandtschaft zur Ûblichen Bezeichnung Frevler. 6.7.4 Feinde Jhwhs als ReprÅsentanten des Chaos Dadurch dass die Frevler als Feinde Jhwhs bezeichnet werden, wird nicht nur auf das kommende Gericht angespielt. Die Feinde sind auch die, die Jhwhs Macht und seinen PlÅnen im Weg stehen. Deswegen werden sie in manchen Psalmen in die NÅhe der ChaosmÅchte gerÛckt, in anderen wiederum werden die ChaosmÅchte als Feinde Jhwhs bezeichnet. Zur Erhabenheit Jhwhs und seinem ordnenden Handeln in der Welt geh×rt wie in Ps knÛpft Jes 59 auch an Jes 1,21 ff an. Dieser Text, befasst sich mit innerisraelitischen Feinden. Vgl. O. H. STECK, Feinde, 52 f. 221 Gegen den Vorschlag B. Duhms ist wjrs nicht durch wjysl zu ersetzen. Vgl. B. DUHM, Psalmen, 356; dagegen H. J. KRAUS, BK XV, 839. 222 Vgl. auch Jes 59,18.

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92,10 auch die Vernichtung seiner Feinde. FÛr eine Identifikation der ijbja mit bestimmten Gruppen besteht kein Grund, weil die positive Stimmung des Psalms eher dagegen spricht, dass der Beter sich in einer gegenwÅrtigen Auseinandersetzung befindet.223 Ps 68,2 setzt die Feinde mit dem gegen Gott gerichteten Chaos gleich.224 Genauso wird im ersten so genannten Ladespruch (Num 10,35) Jhwh aufgefordert, seine Feinde und diejenigen, die ihn hassen, zu zerstreuen.225 In Ps 68,2 handelt es sich bei den Feinden nicht um Åußere Gegner. Die beiden folgenden Verse zeigen die kosmische Dimension und stellen den allgemeinen Gegensatz zwischen Feinden und Gerechten in den Vordergrund. Im zweiten Teil des Psalms ist Jhwh vergleichbar mit dem Pharao KÅmpfer gegen die Feinde. Auch hier steht Jhwh als ordnende Macht im Vordergrund.226 Wegen der Sachparallele zu Ps 68,2 ist m.E. Num 10,35 eher vom Motivhintergrund der Theophanie und der ChaosÛberwindung zu interpretieren.227 Ausschlaggebend dafÛr, dass es sich bei dem Ladespruch in der Fassung des Numeribuches nicht um ein Ritual vor dem Kampf gegen andere StÅmme oder V×lker handelt, ist aber der nÅhere Buchkontext: Ab Num 10,10 geht es nach dem Aufbruch in Kap. 11 f um innere Probleme des Volkes und nicht um den Krieg. Daher sind mit der Zerstreuung der Feinde Jhwhs wohl weniger einzelne V×lker gemeint, sondern alle, die sich gegen Jhwh stellen und damit gegen die von ihm geordnete Welt aufbegehren. Ein vermutlich Ålterer Beleg fÛr die Identifizierung der ChaosÅchte mit den Feinden Jhwhs findet sich in Ps 89,11. In einer hymnischen Bechreibung der Urtaten des Sch×pfers228 sind die Feinde Jhwhs die in Hi 9,13 genannten Helfer des vermeintlichen Meerdrachen Rahab.229 Mit ihm werden sie zu den unterworfenen widerg×ttlichen UrmÅchten des Meeres gezÅhlt. „Der Sieg fÛhrt zur K×nigsherrschaft JHWHs und zur Erschaffung der Welt.“ In stÅrker weisheitlich orientierter Literatur wie auch in eschatologisch 223 B. Duhm sieht dagegen hinter dem Psalm die Auseinandersetzung zwischen einer pharisÅischen und einer hasmonÅischen Partei. Vgl. B. DUHM, Psalmen, 348. 224 Vgl. H. J. KRAUS, BK XV, 812 und zu Ps 68 K. SEYBOLD, HAT I/15, 263. Strukturell parallel ist die Bitte um Vernichtung der Feinde in Ps 21,9. Allerdings ist hier der K×nig angesprochen und nicht Jhwh. Vgl. B. Duhm, Psalmen, 89 und K. SEYBOLD, HAT I/15. 225 Num 10,35 k×nnte die ºberlieferung einer alten Tradition fÛr die Funktion der Lade im Jhwh-Krieg bewahrt haben. Damit wÛrde eine Kernstelle fÛr die Identifizierung Åußerer Feinde mit den Feinden Jhwhs vorliegen. WÅhrend Ûber das „niedrige Ûberlieferungsgeschichtliche Alter“ von Num 10,29–36 ein relativ großer Konsens besteht, ist die Herkunft der so genannten LadesprÛche umstritten. M×glicherweise sind alte Traditionen Ûberliefert, ihre uns zugÅngliche Gestalt haben sie aber frÛhestens durch einen exilischen Bearbeiter erhalten. 226 Vgl. Ps 68,22. 227 Vgl. F. STOLZ, Kriege, 37. 228 Vgl. K. SEYBOLD, HAT I/15, 351. 229 Vgl. auch Hi 26,12 und Jes 51,9.

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ausgerichteten Psalmen spielt das GegenÛber von Israel und den V×lkern fÛr die Rede von den Feinden Gottes keine Rolle. Die Feinde symbolisieren vielmehr die Frevler an sich230 oder das Chaos, das durch Jhwhs Eingreifen besiegt wird.231 6.7.5 Wechsel der Verwendung des Terminus in der Literaturgeschichte An zwei Texten lÅsst sich die literarische Entwicklung zeigen, die der Terminus Feinde Jhwhs erfahren hat. Sowohl in Ri 5 wie auch in Jes 66 ist in der literarischen Grundschicht von fremden V×lkern als Feinden die Rede. Durch einen Zusatz bzw. durch eine ºberarbeitung wird diese Konzeption verÅndert. Im Schlusskapitel des Jesajabuches sind zweimal Feinde Jhwhs erwÅhnt. Sie trifft Vergeltung und der Zorn Jhwhs. Horch, Get×se von der Stadt her, horch, vom Tempel her, horch Jhwh vergilt seinen Feinden. (Jes 66,6) Und die Hand des Herrn wird kund werden seinen Knechten und Zorn an seinen Feinden. (Jes 66,14b)

Weil die Identifikation dieser Feinde eng mit redaktionsgeschichtlichen PrÅmissen zusammen hÅngt, ist kurz auf die Entstehung des Kapitels einzugehen. Es besteht nahezu ein Konsens, dass es sich bei Jes 66 um keine literarische Einheit handelt, sondern um verschiedene EinzelstÛcke, bzw. redaktionelle Texte. K. Pauritsch versteht Jes 66 als ein „Spruchkonglomerat“232, das sowohl hinsichtlich des theologisch-konzeptionellen wie auch des literarischen Profils Unterschiede aufweist.233 Dieses haben jÛngst auf unterschiedliche Weise die Arbeiten von S. Sekine und K. Koenen bestÅtigt.234

Vgl. Ps 97,3; Hi 19,11 und Ps 37,20. Vgl. Ps 68,2; 89,11; 92,10 und evtl. auch Num 10,35. 232 K. PAURITSCH, Gemeinde, 196. 233 Vgl. zur Forschung und zur Literarkritik die kurzen ºberblicke bei K. PAURITSCH, Gemeinde, 195 f und S. SEKINE, Sammlung, 43 f. 234 Vgl. S. SEKINE, Sammlung und K. KOENEN, Ethik. Dagegen wertet O. H. STECK, Untersuchungen, S. 248 ff Jes 65,1–66,24 als einheitliche Fortschreibung des Jesajabuches, die in das erste Drittel des 3. Jh. zu datieren ist. O. H. Steck weist fÛr Jes 65 f einen planvollen Aufbau und eine sachlich fortschreitende Gliederung nach. Aber auch wenn es sich bei Jes 66 um eine Komposition handelt, ist damit nicht bewiesen, dass das Kapitel keine mehrschichtige Entstehungsgeschichte hatte. Mit dem von O. H. Steck vorgestellten Modell lassen sich außerdem die unterschiedlichen Konzeptionen des Kapitels nur schwer erklÅren. Die Diskussion zwischen O. H. Steck auf der einen und K. Koenen und S. Sekine auf der anderen Seite ist ein Beispiel fÛr die methodische Schwierigkeit der redaktionsgeschichtlich orientierten Prophetenexegese. WidersprÛchliche Aussagen k×nnen Grund fÛr die Annahme mehrerer Schichten sein, Zeichen fÛr einen gut strukturierten Gedankenfortschritt oder fÛr die Aufnahme verschiedenster Bezugstexte. Im Auge zu behalten ist das Interesse, das hinter den verschiedenen AnsÅtzen steht. WÅhrend die Arbeiten von S. Sekine und K. Koenen darauf zielen, Åltere Einzelworte aus frÛh230 231

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Den Kern des Kapitels haben nach K. Koenen zwei Texte gebildet, die Israel das Heil ohne Vorbedingungen ankÛndigen (V.7–9; V.10–14a). Danach fÛgt eine Redaktion korrigierend eine neue Perspektive ein: Das Gericht wendet sich nicht nur als Kehrseite des Heils fÛr Israel gegen die V×lker, sondern auch gegen AbtrÛnnige in Israel. Es beginnt sogar nach V. 6 im Tempel, d. h. eigentlich in der Mitte Israels. Damit ist an ein Gericht innerhalb Israels gedacht. Hintergrund von V. 6 ist wahrscheinlich eine Spaltung in der Gemeinde.235 Der Konflikt wird durch Aufnahme von Theophaniemotiven zu einer Auseinandersetzung um Letztes stilisiert.236 Die Identifikation der Gruppe, die mit den Feinden Jhwhs in V. 14b gemeint ist, ist weniger eindeutig. Auch wenn man den Kontext mit einbezieht, ist keine Klarheit zu gewinnen. Das Gericht an allen Menschen in V. 16 deutet auf ein Weltgericht hin, in dem nicht zwischen Israel und den V×lkern unterschieden wird. Das Drohwort in V. 17 scheint mit Feinden Jhwhs abtrÛnnige Jhwh-GlÅubige zu meinen. Wenn man eine Grundschicht annimmt, die das Gericht an den V×lkern ausfÛhrt, und eine Redaktion, die die Perspektive der Scheidung innerhalb Israels einfÛgt und beide Motive in eine „Wechselbeziehung“ zu einander bringt,237 lÅsst sich dieser Befund gut erklÅren. Ein Text, der zunÅchst Israel bedingungslos Heil ansagte und als Kehrseite den V×lkern Vernichtung, wurde redaktionell zu einer AnkÛndigung des Gerichts innerhalb Israels umgeformt. In der Grundschicht waren mit den Feinden Jhwhs die V×lker gemeint. Nach redaktioneller Bearbeitung des Kapitels beziehen V. 6 und V. 17 die Feinde auf die von Jhwh Abnachexilischer Zeit zu rekonstruieren, ist die Intention O. H. Stecks, am Ende des Jesajabuches eine gr×ßere einheitliche Textschicht nachzuweisen, von deren Profil ausgehend sich FÅden durch das ganze Jesajabuch ziehen lassen. GegenÛber beiden Interessen bleibt Ratlosigkeit und der subjektive Eindruck, dass eine diachrone Sicht der beiden Schlusskapitel mehr zur Deutung beitrÅgt. Deshalb wird dem Ansatz S. Sekines und K. Koenens der Vorzug gegeben, auch wenn gleichzeitig O. H. Steck darin gefolgt wird, dass keine der Textschichten in frÛhnachexilische Zeit weist. 235 Vgl. auch K. KOENEN, Ethik, 195. Mit Jes 66,6 vergleichbar ist in Ps 78,66 die Identifikation von Widerspenstigen in Israel mit Feinden Jhwhs. Vgl. B. DUHM, Psalmen, 306. 236 Zu weit geht K. Koenen m.E., wenn er dieses Ergebnis auch auf die Feinde in V. 14b ÛbertrÅgt. Er sieht in V. 14b-16 ein Drohwort, das mit dem Scheltwort in V. 17 durch den Begriff rfb verbunden und deswegen zusammen zu interpretieren ist. Ausgehend von V. 17 bestimmt K. Koenen die Feinde: „Die Feinde sind keineswegs die Åußeren Feinde Israels, zu deren Vernichtung Jahwe in den traditionellen Theophaniefesten immer wieder erscheint, sondern die inneren Feinde“, denen die Teilnahme an fremden Kulten und der Abfall von Jhwh vorgeworfen wird. K. KOENEN, Ethik, 202. Dagegen spricht V. 16. Hier ist das Gericht eindeutig auf alle Menschen bezogen (rfb lk ta). 237 Mit S. SEKINE, Sammlung, 61 ff. Die Entstehung des Kapitels rekonstruiert S. Sekine folgendermaßen: V. 7–16 ist der Ålteste Teil und geht auf Tritojesaja zurÛck. V. 1–4 stammt von einem anderen Autor. Die eingefÛgten V. 5 f.17.18–24 sind einem Redaktor zuzuschreiben. S. SEKINE, Sammlung, 56. Dieser wendet sich gegen Synkretismus in Israel und versteht das angekÛndigte Unheil als gegen die AbtrÛnnigen Israels gerichtet. S. SEKINE, Sammlung, 65.

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gefallenen innerhalb Israels. Dabei lÅsst die Redaktion weiterhin beide Deutungsm×glichkeiten offen. Eine mit Jes 66 vergleichbare konzeptionelle Entwicklung hat in Ri 5,31a stattgefunden, einem verallgemeinernder Zusatz zum Deborahlied.238 Es geht nicht mehr wie in der ursprÛnglichen Fassung des Liedes um einzelne Feinde. Die KanaanÅer und deren Niederlage gegen eine israelitische Stammeskoalition wird Exempel fÛr alle Feinde, darÛber hinaus werden aus den Feinden Israels die Feinde Jhwhs. Aus einer ErzÅhlung der Geschichte wird damit eine eschatologische Hoffnung entwickelt: So kommen um alle deine Feinde, Jhwh, und die, die ihn lieben sind, wie die Sonne aufgeht in ihrer Pracht. (Ri 5,31a)

Eine zweite Perspektive bekommt das Siegeslied durch die GegenÛberstellung der Feinde Jhwhs und derjenigen, die ihn lieben. Die Feinde sind deswegen nicht mehr nur auf politischer Ebene zu suchen, sondern auch auf der religi×sen. Wie es den Feinden des frÛheren Israels erging, wird es auch allen religi×sen Widersachern Jhwhs ergehen.239 FÛr die Rezipienten des Liedes ist es nicht n×tig, diese Widersacher zu identifizieren. Scheinbar war fÛr die Leser der Terminus Feinde Jhwhs eindeutig. Vorschnell geurteilt ist es allerdings, wenn dieser Vorgang als eine gesetzestheologische Interpretation disqualifiziert wird.240 In der Linie der hier interpretierten Texte lÅsst sich Ri 5,31a wie Jes 66 vielmehr als eine Reflexion der zunehmenden Spaltung der israelitischen Gesellschaft interpretieren. Der Zusatz ist ein Zeugnis dafÛr, wie wahrscheinlich angefeindete Kreise aus der LektÛre des Siegesliedes fÛr ihre Situation Hoffnung sch×pfen und den Sieg ihrer Vorfahren zur Hoffnung fÛr ihr eigenes Leben werden lassen. Damit lÅsst sich an Ri 5,31a auch exemplarisch zeigen, wie es zu eschatologischen Interpretationen vorliegender Schriften kommen kann. In Jes 66 und Ri 5 lÅsst sich die Entwicklung der Verwendung des Begriffes nachvollziehen. Die jeweils Ålteren Textschichten identifizieren zunÅchst die Feinde Jhwhs mit den V×lkern. Die jeweilige Bearbeitung kÛndigt auch Teilen Israels die Vernichtung an. Damit wird der Weg deutlich, der von der Identifizierung der Feinde mit den Fremdv×lkern dazu fÛhrt, die Abgefallenen Israels im Licht dieser V×lker zu werten. FÛr die Leser ist die jeweilige Zugeh×rigkeit zur Gruppe so klar, dass diese nicht genauer definiert werden muss.

238 239 240

Vgl. z. B. K. BUDDE, Richter, 49 und H.-P. MATHYS, Dichter, 142. Vgl. H.-P. MATHYS, Dichter, 142. Gegen H.-P. MATHYS, Dichter, 142.

Exkurs: die Feinde Jhwhs

287

6.7.6 Die Feinde Jhwhs als geprÅgte Formel Nicht an allen Stellen lÅsst sich dieser Weg nachvollziehen. Die Feinde Jhwhs werden auch ohne genauere Identifizierung im Kontext genannt, so dass entweder der Terminus lediglich beilÅufig erwÅhnt ist wie in Ps 66,3 und Jes 64,1 oder fÛr die Leser die Bedeutung des Begriffs schon fest steht. Wahrscheinlich stehen solche Belege am Ende der im letzten Abschnitt aufgezeigten Entwicklung. Im Kontext der Gerichtsansage gegen Jerusalem im Anfangskapitel des Jesajabuches wird den ¥jbjwa und ¥jrs in einer Gottesrede Vergeltung angekÛndigt (Jes 1,24). Die Anrede Jerusalems kurz davor veranlasst zunÅchst die Feinde mit innerisraelitischen Gegnern zu verbinden. Allerdings verÅndert sich gegenÛber V. 21–23 in V. 24 der Tonfall: V. 21 klagt Jerusalem an, in V. 24 ist daneben von BedrÅngern und Feinden die Rede. So ist die Vermutung berechtigt, dass hier ein spÅterer Redaktor mit dem Begriffspaar auch die V×lker in die GerichtsankÛndigung eintrÅgt und deshalb V. 24 f* einfÛgt.241 Die EinfÛgung spezifiziert die Feinde Jhwhs nicht genauer. Wahrscheinlich war zur Zeit der EinfÛgung, die Bedeutung des Begriffes schon klar: Die Feinde Jhwhs konnten von den Lesern sowohl auf die V×lker als auch auf Jerusalemer Gruppen bezogen werden. Eine geprÅgte Bedeutung setzt auch die Verwendung in Jes 26,11 voraus. Hier wartet der Gerechte auf das universale Gericht Jhwhs. Nach dem GegenÛber der demÛtigen und der stolzen Stadt, die von Armen und Geringen zertreten werden wird, nimmt der Text Gerechte und Gottlose in den Blick. Jhwh, erhoben ist deine Hand, doch sie sehen es nicht, sie werden zuschande wegen des Eifers um das Volk, das Feuer gegen deine Feinde wird sie verzehren. (Jes 26,11)

Der Gottlose wird mit dem gleichen Feuer verzehrt, mit dem Jhwh seine Feinde vernichtet.242 Obwohl beide zu unterschiedlichen Gruppen geh×ren, trifft sie dasselbe Schicksal. Wer allerdings zu den Feinden geh×rt, die dem Feuer anheim fallen, ist genauso wenig wie in Jes 1,24 ausgefÛhrt. O. Kaiser vermutet, dass die Unterscheidung zwischen Israel und den V×lkern, „zwischen Juden und Nichtjuden“ dabei nicht getroffen wird, „obwohl von dem Zusammenhang her die Jahwes Herrlichkeit und Herrschaft nicht anerkennenden Heiden im Vordergrund stehen dÛrften“.243 Auch Ps 8,3, eine sekundÅre Bearbeitung aus der Hand eines Schreiber, die nach O. Kaiser nicht vor der Wende vom 4. zum 3. Jh. zu datieren ist, ge241 Mit O. KAISER, Einleitung, 54 ff. O. Kaisers Interpretation basiert auf dem Vergleich mit anderen Verwendungen des Wortpaares ¥jbjwa und ¥jrs. Von Jes 1 aus ist seine These nicht zu verifizieren. 242 Vgl. Ps 97,3. 243 O. KAISER, Jesaja, 170.

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Die Feinde Jhwhs – Die Redaktion des Nahumbuches

h×rt in diesen Bereich:244 Durch den Mund von Kleinkindern hat Jhwh eine Macht gegrÛndet gegen seine Feinde (ijrrws). Als Kleinkinder sehen sich vielleicht Fromme und fÛhlen sich durch diese Bezeichnung in besonderer Weise von Jhwh geschÛtzt. Ihnen stehen Feinde gegenÛber, die als RachsÛchtige bezeichnet werden. ºber den Gegensatz zwischen Frommen und Frevlern wie in den beiden folgenden Psalmen ist damit gleichzeitig auch die Bedrohung durch Fremde im Hintergrund erkennbar.245 Hier vermischen sich in der Zeit der hellenistischen Oberherrschaft anscheinend innerisraelitische Feinde mit Fremden. In Jes 1,24; 26,11 und Ps 8,3 ist die Rede von den Feinden Jhwhs ein Motiv geworden, das zum eschatologischen Szenario geh×rt und das sich ohne nÅhere ErklÅrung in den Zusammenhang der Prophetie einfÛgt. In diesen drei Texten sind nicht mehr primÅr die Israel umgebenden V×lker im Blick wie in Jes 42,13; I Sam 30,26 und Jer 46,10, sondern mit der AnkÛndigung des Gerichts gegen die Feinde Jhwhs vielmehr wie in Jes 66 und Ri 5 alle Frevler. Dabei spielt die Unterscheidung zwischen Israel und den V×lker keine besondere Rolle. 6.7.7 Ordnung der Motive und Ertrag des ºberblicks Weil die Zuweisung der untersuchten Stellen zu literarischen Schichten stark umstritten und damit eine chronologische Ordnung der Texte unm×glich ist, kann nur der Versuch einer Ordnung der Motive unternommen werden, die neben dem vermeintlichen Alter der ºberlieferung auch die konzeptionelle Entwicklung vergleicht. Die Belege, die die Feinde als fremde V×lker identifizieren, geh×ren zu den Ålteren.246 Solche Stellen verstehen die V×lker nicht mehr als Werkzeug Jhwhs, sondern als seine Feinde und bilden damit einen Gegensatz zum deuteronomistischen V×lkerkonzept. Entweder sind sie von der deuteronomistischen Orientierung nicht beeinflusst oder nachdeuteronomistisch. Von diesem VerstÅndnis der Fremdv×lker als Feinde Jhwhs gehen zwei unterschiedliche Verwendungen aus. Texte, die wie Dtn 32,41.43 und vielleicht daran anschließend Jes 59,18 und Jes 66,6.14 halten den Terminus in einer Ambivalenz zwischen Teilen Israels und den V×lkern. Auf der anderen Seite setzen Ps 37,20 und Ps 97,3 die Feinde Jhwhs mit den Frevlern gleich. Diese sind generell fÛr das ºbel und das Chaos in der Welt verantwortlich, das deswegen von Jhwh ausgemerzt werden wird. Mit der Ambivalenz des Begriffes die Feinde Jhwhs, werden innerisraeli-

244 Vgl. O. KAISER, Psalm 8, 214. E. Zenger weist V. 3 einer nachexilischen Armenredaktion des Davidpsalters zu. Vgl. F. L. HOSSFELD/E. ZENGER, Psalmen, 77. 245 Vgl. zu dieser Auslegung O. KAISER, Psalm 8, 214. 246 I Sam 30,26; Jer 46,10 und Jes 42,13.

Der Beitrag des Nahumbuches zur V×lkerthematik

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tische Konflikte eschatologisch gedeutet. Im zukÛnftigen Gericht Ûber die V×lker wird Jhwh nicht nur diese, sondern auch die AbtrÛnnigen in Israel zur Rechenschaft ziehen und vernichten. Diese konzeptionelle Entwicklung, lÅsst sich in die hellenistische Zeit einordnen. Auch die frÛheren Oberherrschaften, die Israel zu erdulden hatte, Ûbten sicherlich Anziehung auf die fÛhrenden Schichten aus. Zu einer Spaltung des Volkes, wie sie die Bezeichnung von Gruppen innerhalb Jerusalems als Feinde Jhwhs voraussetzt, wird es aber erst durch die Faszination der hellenistischen Welt gekommen sein. Teile der judÅischen Oberschicht befanden sich in NÅhe zu denen, die fÛr die Verfasser der spÅten prophetischen Texte die V×lker ausmachten. Beide Gruppen waren nicht mehr unterscheidbar und so wuchsen auch die Bezeichnungen fÛr sie zusammen. Mehr und mehr bildeten die so genannten AbtrÛnnigen Israels und die Fremden eine Gruppe, die mit dem Terminus die Feinde Jhwhs bezeichnet wurde. Vor diesem Hintergrund wird auch die nicht genauer spezifizierte Verwendung der Redewendung von Jhwhs Feinden in spÅten Texten wie Jes 1,24 und Jes 26,11 verstÅndlich.

6.8 Der Beitrag des Nahumbuches zur V×lkerthematik Vor dem Hintergrund einer gemeinsamen Gruppe von AbtrÛnnigen Israels und Fremden ist auch Nah 1,2b zu verstehen. Als Feinde Jhwhs sind damit im Nahumbuch nicht nur Assur, sein K×nig und die Bewohner Ninives im Blick, der Begriff ist offener: Zu den Feinden geh×ren alle, die nach Meinung der Verfasser der spÅten Schriftprophetie von Jhwh abgefallen sind. Sie alle wird genau wie Assur das Gericht Jhwhs treffen. In diesem Sinne ist das Nahumbuch nicht nur als Buch Ûber den Untergang Ninives zu lesen oder als AnkÛndigung der Zerst×rung der hochmÛtigen Stadt schlechthin, sondern als generelle Gerichtsansage gegen alle Feinde Jhwhs. Ninive und das Gericht Ûber die Stadt sind zwar das Thema der ersten Sammlung von Material, das dann von einer Redaktion zum Nahumbuch geformt wurde. Im Buch selber tritt Ninive aber zurÛck. Der Theophaniehymnus kÛndigt ein universales Gericht an, das sich nicht nur gegen Ninive oder die V×lker richtet, sondern allgemeiner gegen Feinde Jhwhs. Das Interesse der prophetischen Gerichtstradition hat sich vom V×lkergericht auf das Gericht Ûber Jhwhs Feinde verschoben. Die V×lker selber werden zu Zuschauern dieses Gerichts. Damit steht nicht das „eschatologische V×lkerproblem im ganzen“ im Vordergrund des Buches.247 Das Ninive-Material selber wird als GerichtsankÛndigung gegen den Typus der herrschsÛchtigen und gewalttÅtigen Stadt ausgebaut. Eine solche 247

Gegen H. SCHULZ, Nahum, 127.

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Die Feinde Jhwhs – Die Redaktion des Nahumbuches

Stadt hat das gleiche Schicksal zu erwarten, das Ninive getroffen hat. SpÅtere Leser konnten das angekÛndigte Eingreifen Jhwhs sowohl auf eine wie auch immer geartete fremde Macht beziehen, die sie bedrÛckte, als auch auf Teile Israels, die in Verbindung mit dieser Macht und damit der UnterdrÛckung standen. Diese doppelte Perspektive ist von der Buchredaktion intendiert. Die Ålteren StÛcke sind zwar auf Ninive bezogen, das historische Ninive wird aber unter Verwendung von Motiven, die sonst zur Anklage gegen Jerusalem verwendet werden, so transzendiert, dass darÛber hinaus die herrschsÛchtige Stadt als solche im Blick ist. Feinden Jhwhs stehen seine AnhÅnger gegenÛber. Dabei wird diese positive Jhwh-Beziehung nicht kultisch verstanden, sondern als Vertrauen. Damit ist Nah 1,7 konzeptionell nicht weit entfernt vom Anrufen des Namens in Joel 3,5 als Kennzeichen fÛr die, die das Gericht Ûberleben und der Jhwh-Furcht, die im Jonabuch eine große Bedeutung hat.

7. Die V×lkerthematik im Dodekapropheton 7.1 Die V×lkerthematik als Teil eines gesellschaftlichen Diskurses In dieser Studie wurden vier Teile des Dodekaprophetons analysiert, die sich jeweils auf spezifische Weise mit der Prophetie auseinandersetzen. Joel 3 und 4, das Jonabuch, Micha 7 sowie die Komposition des Nahumbuches verbindet der Bezug auf die diesen Texten schon bekannten Prophetenschriften. Es handelt sich um literarische Prophetie,1 bzw. um prophetische Prophetenauslegung.2 Prophetische Schriften werden gelesen, gedeutet und fÛr die Gegenwart aktualisiert, indem sie erweitert, gerahmt oder bearbeitet werden. Zu diesen Rezeptionsprozessen kann auch die Komposition ganzer BÛcher geh×ren. Die spÅteren Texte des ersten Teiles des Dodekaprophetons und der Nahtstelle zum zweiten Teil der Prophetensammlung lesen und interpretieren das prophetische Material eschatologisch.3 Die Rolle der alten Propheten als Rufer zur Umkehr, als AnklÅger der Gesellschaft oder als Stimme in der Tagespolitik tritt genauso zurÛck wie die erste Funktion der ProphetenbÛcher, die ErklÅrung der Besetzung und Zerst×rung Jerusalems durch die Babylonier.4 In den Schriften der Propheten scheinen vor allem offen gebliebene Verheißungen und noch nicht eingetroffene GerichtsankÛndigungen auf Interesse gestoßen zu sein. Die literarische Prophetie, bzw. die prophetische Prophetenauslegung in den letzten zwei Jahrhunderten vor dem Abschluss des Prophetenkanons nimmt diese aus den Schriften auf und entwickelt daraus neue Zukunftsbilder. Deswegen kann man von einer eschatologisch orientierten Prophetie sprechen. Großen Raum in den Reflexionen Ûber die in den ProphetenbÛchern vorgestellte Zukunft nehmen Fragen ein, wen das Gericht Jhwhs trifft, wer es Ûberlebt und welche heilvollen Auswirkungen dies fÛr Jerusalem, Israel, bzw. die Jhwh-Verehrer hat. An diesen Stellen kommen die V×lker in den Blick: Zum einen werden die verschiedenen V×lkerworte der Propheten-

1

Vgl. H. UTZSCHNEIDER, KÛnder. Vgl. O. H. STECK, Prophetenauslegung. 3 Eschatologie meint Aussagen Ûber „ein zukÛnftiges, das Schicksal Israels und damit zugleich der V×lkerwelt entscheidend und endgÛltig verÅnderndes Ereignis oder eine entsprechende Ereignisfolge“. O. KAISER, Gott 1, 231. 4 Nach O. Kaiser werden erste Prophetenschriften zur „Rechenschaftsablegung Ûber die eigentlichen GrÛnde der Katastrophe des judÅischen Reiches gestaltet“. O. KAISER, Literaturgeschichte, 321. 2

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Die V×lkerthematik im Dodekapropheton

schriften aufgenommen und auf die jeweilige Situation hin aktualisiert. Zum anderen hat die Abgrenzung von den V×lkern, wie sie auch von den V×lkerworten vorgenommen wird, fÛr die IdentitÅtsbestimmung Israels eine wichtige Funktion. In Krisensituationen definiert sich Israel, bzw. die Kreise, die sich in der eschatologischen Prophetie niederschlagen, an dem Gegensatz zu den V×lkern. Man ist nicht so schadenfroh wie Edom. Jerusalem ist nicht die gewalttÅtige Großstadt Ninive und geh×rt nicht zu den mit Menschen handelnden PhilisterstÅdten. Schon deshalb wird sich das Schicksal Jerusalems Åndern, weil Jhwh gegen die V×lker zugunsten Israels eingreifen muss. Deswegen lohnt es sich an der eigenen IdentitÅt festzuhalten, auch wenn dies in der gegenwÅrtigen Situation einmal nicht f×rderlich erscheint. Von dieser Beobachtung her drÅngt es sich auf zu fragen, ob V×lkerworte nicht genauso wie manche Mythen als Gegenwelten beschrieben werden k×nnen, die mit der Konstruktion einer Gegenwelt eigene Welt bzw. IdentitÅt schaffen.5 AnkÛndigungen des Gerichts Ûber StÅdte, einzelne V×lker oder die V×lkerwelt allgemein sind damit Texte, die etwas Ûber Israel und seine IdentitÅt aussagen. Dies wird vor allem da interessant, wo die von der bisherigen Schriftprophetie bekannten Wege der IdentitÅtsbestimmungen und Gruppendefinitionen verlassen werden. Wo nicht mehr vom GegenÛber zwischen Israel und der V×lkerwelt, zwischen Jerusalem und Ninive die Rede ist, sondern von Feinden Jhwhs und Jhwh-Verehrern, von Frevlern und Gerechten, bzw. von Armen, DemÛtigen und Widersachern Jhwhs, da zeigt sich nicht nur eine Verschiebung der V×lkerperspektive. Ebenso aussagekrÅftig ist es damit, wo in Ausblicken auf die Zukunft das V×lkerthema in den Hintergrund tritt oder wegfÅllt. Hier schlagen sich vermutlich VerÅnderungen im Bereich der Selbstdefinition der Kreise nieder, deren BeschÅftigung mit der Tradition sich in der eschatologischen Prophetie, im Psalter, in den WeisheitsbÛchern oder spÅter dann in der Apokalyptik findet. – Hier ist der Kreis vergr×ßert, weil die eschatologische Prophetie nur einen Teil der Theologie- und Religionsgeschichte in den beiden Jahrhunderten vor der Kanonisierung der ProphetenbÛcher und der Schriften darstellt. Die Kanonisierung der Tora ist zu dieser Zeit im Wesentlichen schon abgeschlossen. Das V×lkerthema nimmt damit in den theologischen Diskursen der Zeit des Zweiten Tempels neben anderen Themen6 eine bedeutende Rolle ein. WÅhrend der theologische Diskurs sich am Anfang der achÅmenidischen Zeit vorwiegend im Pentateuch niederschlÅgt, tritt ab dem Ende dieser Zeit die BeschÅftigung mit der Prophetie, der Weisheit und der Interpretation der Geschichte in der Chronik in den Vordergrund. Diese Breite der Be-

5 6

Vgl. zum VerstÅndnis des Mythos als Gegenwelt F. STOLZ, GrundzÛge, 94 ff. Vgl. dazu 2.7.

Diskurs Ûber die Zukunft der V×lker

293

schÅftigung mit Literatur und ihrer Produktion ist vor allem in der fortgeschrittenen hellenistischen Zeit vorstellbar.7

7.2 Grundpositionen im Diskurs Ûber die Zukunft der V×lker Die Arbeit hat gezeigt, dass die eschatologische Prophetie das V×lkerthema von verschiedenen Ausgangspunkten angeht und dabei zu unterschiedlichen Konzeptionen kommt. Innerhalb des Diskurses gibt es verschiedene Grundpositionen, bzw. „OrientierungsrÅume“.8 7.2.1 V×lkervernichtung oder Vertreibung der V×lker Das zukÛnftige Handeln Jhwhs richtet sich gegen bestimmte V×lker, die Israel oder Jerusalem bedrohen oder bedrÛckt haben. Diese werden im Gericht vernichtet oder soweit vertrieben, dass sie keine Macht mehr haben. Ziel des Gerichtshandelns Jhwhs ist, Jerusalem und Juda eine Zeit des Friedens, der Selbstbestimmung und ausreichender materieller Versorgung zu erm×glichen. Israel ist in dieses Gericht nicht einbezogen, sondern h×chstens bei seiner AusfÛhrung beteiligt. Es darf sich darauf verlassen, dass Jhwh die SÛnden des Volkes vergibt. Diese Konzeption findet sich in Joel 2 und wird dann von Joel 4 zu einem allgemeinen V×lkergericht ausgearbeitet. Eine eigene Form dieser Vorstellung bietet Joel 4,4–8. Hier widerfÅhrt den V×lkern genau das Unrecht, das sie selber an Israel verÛbt haben. Die Vorstellung vom Gericht ist zudem in diesem Text stÅrker individualisiert als in Joel 2 und 4. 7.2.2 Bekehrung der V×lker Den V×lkern stehen verschiedene Wege offen, zu Jhwh-Verehrern zu werden. Theologische Grundlage dieser M×glichkeit ist die Betonung der Gnade Jhwhs. Statt der Vorstellung von Jhwh als Richter rÛckt die vom Sch×pfer der Welt in den Vordergrund. Jhwh ist allen seinen Gesch×pfen, sogar den Tieren verbunden. Die V×lker k×nnen in einem Lernprozess zum Jhwh-Glauben kommen, sich von ihrem gottlosen Handeln abwenden oder von Jhwh belehren lassen. Innerhalb dieser Position gibt es wiederum Unterschiede bezÛglich der Frage der Verehrung des Namens und der Relevanz des Zions innerhalb der Verehrung Jhwhs durch die V×lker. Der klassische Text, der von der Wendung der V×lker zu Jhwh berichtet, ist nur am Rande

7 Schreiben ist erst ab den von PtolemÅus II. in der Mitte des 3. Jh. v.Chr. initiierten Reformen verbreitet. Vgl. dazu 2.5.2. 8 F. STOLZ, Monotheismus, 189.

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Die V×lkerthematik im Dodekapropheton

in dieser Studie vorgekommen: In Mi 4,1–4 ziehen die V×lker zum Zion und lassen sich dort von Jhwh belehren. Von einer Bekehrung von Heiden und einer Umkehr einer eigentlich b×sen Stadt berichtet das Jonabuch. WÅhrend in Mi 4,1–4 die Vorstellung noch von nicht nÅher bestimmten Kollektiven ausgeht, kommen im Jonabuch Einzelne bzw. unterschiedliche Gruppen in den Blick. 7.2.3 Unterwerfung der V×lker Das Gericht ist keine Vernichtung, sondern der Sieg Jhwhs Ûber die V×lker. Jhwh tritt damit seine K×nigsherrschaft Ûber die ganze Welt an und demÛtigt die V×lker, die Israel bedroht und verspottet haben. FÛr die V×lker impliziert dieses Modell eine andere Perspektive: Ein K×nig unterwirft seine Gegner, um Ûber sie zu herrschen. So k×nnen sich die V×lker – zwar fÛrchtend und zitternd – Jhwh nÅhern und mÛssen ihn dann wohl zwangslÅufig als Sieger anerkennen und verehren. Diese Sicht von der Zukunft der V×lker findet sich in Mi 7. Die Komposition des Michaschlusses (7,7.8–12.14–17) bietet damit eine Vermittlung zwischen den ersten beiden Positionen. Das V×lkergericht wird als Unterwerfung interpretiert, die Bekehrung als Huldigung des Unterwerfers. 7.2.4 Universales Weltgericht Das Gericht trifft nicht nur die V×lker, sondern alle. Es ist universal, deswegen sind auch die Bewohner Judas und Jerusalems einbezogen. Kriterium dafÛr, in diesem Gericht Schutz zu finden und zu Ûberleben, ist nicht mehr die Zugeh×rigkeit zu Israel, sondern die Stellung zu Jhwh. Jhwh-Verehrer k×nnen zuversichtlich sein, wÅhrend seine Feinde und Widersacher keine Gnade erwarten dÛrfen. Hier hat sich die Perspektive verschoben: Aus den Feinden Israels, den V×lkern, die Jerusalem bedrohten, sind Feinde und Widersacher Jhwhs geworden. Das Gericht trifft nicht mehr nur die LÅnder, die sich in der Geschichte an Israel verfehlt haben, sondern auch den Typus der gewalttÅtigen Großstadt schlechthin, die sich mit ihrem Handeln an Jhwh vergeht. Diese Sicht impliziert allerdings auch, dass diejenigen innerhalb Jerusalems und Israels, sie sich so verhalten, wie sich eigentlich nur die V×lker verhalten, mit diesen gerichtet werden. Voraussetzung dafÛr ist eine Individualisierung des Gerichtsgedankens. Dieses Konzept findet sich in der Komposition des Nahumbuches genauso wie in Joel 3. Die Feinde Jhwhs werden nicht bestehen k×nnen, wÅhrend er die kennt, die auf ihn vertrauen und seinen Namen verehren (Nah 1,6 f; Joel 3,5). Die Individualisierung des Gerichtsgedankens und die ºberlegung zu Kriterien des Gerichts setzt auch das Jonabuch voraus.

Charakteristika der V×lkerthematik

295

7.3 Charakteristika der in den Texten behandelten V×lkerthematik Die V×lker kommen in den in dieser Arbeit behandelten Texten nicht mehr nur wie in den Ålteren Prophetenschriften als Manifestation der Herrschsucht in den Blick. Sie werden als Bedrohung der eigenen IdentitÅt (durch Spott und Schadenfreude) erlebt und sind wegen ihrer wirtschaftlichen Interessen, z. B. durch den Handel mit Sklaven eine Bedrohung. Sie gefÅhrden aber auch die ausreichende Versorgung Jerusalems und Judas mit Nahrungsmitteln. Nicht zuletzt sind die Fremden, die als HÅndler oder vielleicht auch als Pilgerer Jerusalem durchziehen als Verunreinigung der Stadt verstanden worden. Ein Kennzeichen eines Teiles der hier behandelten Texte ist, dass die Grenzen zwischen den V×lkern und Israel genauso verschwimmen, wie in manchen Texten das GegenÛber, von dem sich die Verfasser absetzen und das zwischen der unerfreulichen Gegenwart und der erhofften heilvollen Zukunft gesehen wird. Der Gegenpol zur eigenen Gruppe ist unspezifisch geworden und die Bezeichnungen zeigen, dass auch die eigene Gruppe nicht mehr klar abgrenzbar ist, bzw. Beschreibungen fÛr diese Gruppen neu gesucht werden mÛssen. Die verschiedenen Positionen der hier behandelten Prophetenschriften zur V×lkerthematik machen deutlich, dass die Forschung zur Religionsund Theologiegeschichte bei der Beurteilung eschatologischer Kreise stÅrker als bisher differenzieren muß. Die Prophetenrezeptionen, die sich in der eschatologischen Prophetie niederschlagen, zeigen anhand der konzeptionellen Unterschiede, dass die dahinter stehenden Schreiber oder Gruppen verschiedenen Milieus zuzuordnen sind. Wie J. Hausmann fÛr die so genannte Theokratie und H. Gese fÛr die Apokalyptik nachgewiesen haben,9 sollte man auch die eschatologische Prophetie nicht als eine Gruppe verstehen, die sich sozialgeschichtlich einordnen lÅßt, sondern als eine M×glichkeit der theologischen Reflexion, die in unterschiedlichen Kreisen statt findet.

7.4 Das Entstehungsmilieu der eschatologischen Prophetie Aussagen Ûber das Entstehungsmilieu eines Textes oder seinen historischen Ort sind ungleich schwieriger als eine Skizze der Konzeption. Deswegen haben die ºberlegungen zum Entstehungsmilieu hypothetischen Charakter. Ohne rege Hypothesenbildung oder ºbungen der Imagination10 lÅßt sich aber kein genaueres Bild der Theologie- und Religionsgeschichte der

9 10

Vgl. H. GESE, Anfang und J. HAUSMANN, Rest. Vgl. dazu P. R. DAVIES, Israel, 120 f.

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Die V×lkerthematik im Dodekapropheton

Zeit der achÅmenidischen und hellenistischen Vorherrschaft in PalÅstina gewinnen. ZunÅchst wird noch einmal zusammengetragen, welche Unterschiede außer denen hinsichtlich der V×lkerthematik in den vier untersuchten ProphetenbÛchern ebenfalls deutlich wurden. Die Texte geben darÛber Aufschluss, dass die Verehrung des Namens Jhwhs in manchen Kreisen an Bedeutung gewonnen hat. Dagegen war dies fÛr andere Gruppen kein vorherrschendes Merkmal. Hintergrund der Verehrung des Namens ist die Vorstellung, dass eine ReprÅsentanz Jahwes verehrt wird und nicht Jahwe selber im Tempel wohnt.11 Damit unterscheiden sich Texte, in denen die Verehrung des Namens Jahwes im Zentrum steht, von Orientierungen an weisheitlichen und priesterlichen Konzepten. Eine weitere grundlegende Differenz ist in den Texten die Rolle des Zions. In Joel 3 und 4 steht er im Mittelpunkt. Kultische Reinheit und die Heiligkeit Jerusalems spielen eine Rolle. Die Seeleute im Jonabuch dagegen k×nnen zu Jhwh bekehrt werden und opfern, genauso wie die Bewohner Ninives umkehren, ohne einmal den Zion gesehen zu haben. Mi 7 nennt dagegen weder Zion noch Jerusalem, gleichwohl scheint deren Bedeutung noch mitzuschwingen. FÛr den Hymnus des Nahumbuches wiederum ist Jhwh allein der Schutz und nicht der Zion oder Jerusalem. Auch hier ist also Abstand von einer Zionstheologie zu konstatieren. WÅhrend das Joelbuch eher eine Position vertritt, die dem Tempel und seinem Kult positiv gegenÛbersteht, prÅgt Mi 7 und Nah 1 eine Distanz zu den Institutionen, die sich mit Jerusalem und dem Zion verbinden. Im Jonabuch dagegen findet sich wieder eine andere Konzeption: Die Verehrung Jhwhs ist fÛr Heiden ohne den Tempel und den Zion m×glich, gleichwohl sehnt sich der rechtglÅubige Israelit nach dem Tempel. Diese Unterschiede sind m.E. eher als Differenzen der Milieus zu erklÅren, in denen die Schriften entstanden sind, als mit einem unterschiedlichen Zeithorizont. Hinter Joel 4 und der Rezeption Joel 3 k×nnte ein priesterlich beeinflußter Kontext stehen. Mi 7 und Nah 1 stellen sich vorsichtig dagegen. WÅre es nicht vorstellbar, dass hier die Position eines jerusalemkritischen Schreibers aus der Landbev×lkerung vorliegt, der die Warnungen vor der Herrschsucht der Stadt nicht nur gegen Ninive gerichtet versteht, sondern auch manches gegen Jerusalem und seine zunehmend hellenisierte Elite?12 Zu der priesterlichen Stimme und der der Landbev×lkerung k×nnte sich mit dem Jonabuch eine Stimme gesellen, die lange in der Diaspora gelebt hat und vom dortigen Denken und den hellenistischen Sagen beeinflußt in den Zusammenhang der kleinen Propheten eine positivere Sicht der

11 12

Vgl. F. STOLZ, Monotheismus, 192. Vgl. zur Existenz einer von Jerusalem unabhÅngigen lokalen Oberschicht 2.4.3.

Entstehungsmilieu der eschatologischen Prophetie

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V×lker einbringt, und zudem ein positives Bild eines heidnischen Herrschers entwirft. Ein solches Bild muß berÛcksichtigen, dass literarische Prophetie oder prophetische Prophetenauslegung das Produkt einer hochgebildeten Klasse ist. Vermutlich schlagen sich eher die Positionen einzelner Schreiber in den Schriften nieder als die ganzer Gruppen. Erst ab Mitte des 3. Jh. v. Chr. wird Schreiben populÅrer. Ab dann k×nnte die Literaturproduktion auf breitere Kreise zurÛckzufÛhren sein. Wenn man eine solche ºbung der Imagination als zu hypothetisch verwirft, muß man zumindest festhalten, dass hinsichtlich des GegenÛbers von Laien und Priestern, wie es sich in der Pentateuchentstehung zeigt, die BÛcher Micha und Nahum sowie die Auseinandersetzung mit der Prophetie im Jonabuch eher der Laienseite zuzuordnen sind. Das Joelbuch zeigt dagegen mit der Zionstheologie eine gr×ßere AffinitÅt zu priesterlichem Gedankengut. Die eschatologische Prophetie lÅßt sich im GegenÛber von Laien und Priestern also nicht auf einer Seite einordnen. Sie kann in verschiedenen Milieus entstehen, weil sie ein Orientierungsrahmen ist, der verschiedene Denkweisen und Ausgangspunkte einschließen kann. FÛr die Frage nach dem Entstehungsmilieu der eschatologischen Prophetie ist es wichtig, die Ûblichen GegenÛberstellungen zu verlassen. Die weisheitliche Unterscheidung zwischen Frevlern und Gerechten,13 das GegenÛber zwischen den Anawim und ihren Feinden14 scheint genauso wie das klassische GegenÛber zwischen Israel und den V×lkern keine Orientierungsm×glichkeit fÛr die hier untersuchten Texte der eschatologischen Prophetie gewesen zu sein. Die Rede von Feinden Jhwhs (Nah 1; Mi 5,8) und der Feindin (Mi 7) ×ffnet eine Ambivalenz, die es m×glich macht, innerisraelitische Konflikte aus der BeschÅftigung mit den V×lkerworten eschatologisch zu deuten. Die Texte, bzw. ein Teil der behandelten Texte sind in einer Zeit entstanden, in der sich Gruppen neu formierten und sich die Grenzen zwischen den bisherigen Gruppen verÅnderten. Hinter diesen Prozessen sind vor allem Spaltungen oder Scheidungen in der Oberschicht zu vermuten, wie sie in der ºbersicht Ûber die Religionsgeschichte in verschiedenen Zeiten festzustellen waren. Die ersten gr×ßeren Differenzen in nachexilischer Zeit bringen die sozialen Probleme aufgrund der VerÅnderungen der Gesellschaft im 5. Jh. v.Chr. mit sich. Auch der Wechsel der Oberherrschaft zwischen PtolemÅern und Seleukiden hat in Jerusalem zu verschiedenen Parteien gefÛhrt, wie die Informationen Ûber die Ereignisse des FÛnften Syrischen Krieges zeigen.15 Der Hellenismus hat offenbar die gesellschaftlichen Diffe13

Vgl. z. B. Hos 14,10. Das GegenÛber der Anawim ist in Ps 72,4 der UnterdrÛcker, in Ps 9,17; 10,2 der hochmÛtige und gottlose Frevler sowie in Ps 9,20 der MÅchtige. 15 Vgl. dazu 2.4.4. 14

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Die V×lkerthematik im Dodekapropheton

renzierungsprozesse verstÅrkt. Ein denkbarer politischer Hintergrund fÛr die BeschÅftigung mit Gerichtsworten der Propheten ist vermutlich auch die Ablehnung der Beteiligung an der Auseinandersetzung des FÛnften Syrischen Krieges. II Chr 20 und Joel 4 halten die militÅrischen Auseinandersetzungen fÛr Jhwhs Angelegenheit. Auf beide Texte hÅtte sich eine eher pazifistisch orientierte Gruppe berufen k×nnen. Dass die so genannte Armenfr×mmigkeit in der eschatologischen Prophetie keine oder nur eine geringe Rolle spielt, kann nur heißen, dass sich ihre Vertreter eben nicht als Arme bzw. DemÛtige verstanden. Gleichwohl ist die Beobachtung, dass eschatologische Positionen eher in unterprivilegierten Gruppen entstehen als in Kreisen, die NÅhe zu politischem Einfluß haben, durchaus sinnvoll und richtig.16 Die alttestamentliche Prophetie ist von ihren Wurzeln her immer schon Oppositionsliteratur.17 Ausgel×st wurden manche ProphetenbÛcher von „intellektuellen Dissidenten“18 und auch im Ganzen lassen sich viele ProphetenbÛcher als Oppositionsliteratur lesen.19 Diese Vermutung verbindet sich mit den Ergebnissen der Textuntersuchungen am besten, wenn man sich Gruppen verschiedener Provenienz vorstellt, die aufgrund ihrer Distanz zum Hellenismus beginnen, gesellschaftlichen und wahrscheinlich auch wirtschaftlichen Einfluß zu verlieren bzw. diesen schon verloren haben. ErklÅrt wird damit auch, dass die Grenzen zwischen Teilen der Bev×lkerung Judas und Jerusalems und dem, was unter V×lkern verstanden wird, zunehmend fließend werden. Die Oberschicht, die von der Hellenisierung profitiert und die daraus resultierenden kulturellen EinflÛsse aufnimmt, ließ sich offenbar nicht mehr von dem, wie die V×lker leben, unterscheiden. Kleinere Gruppen, die sich der wachsenden Hellenisierung der Gesellschaft verschlossen, wenden sich aus einer Position der Ohnmacht der Prophetie zu und halten die Auseinandersetzung mit ihr in eschatologischen Texten fest: Jhwh-Verehrer sehen sich Widersachern gegenÛber. Dieses Modell erklÅrt auch, wieso sich in der eschatologischen Prophetie Positionen finden, die aus verschiedenen Entstehungsmilieus kommen. Die Hellenisierung ist kein Vorgang, der die Oberschicht von der Unterschicht separiert, sondern bedeutet eine Differenzierung innerhalb der gesellschaftlichen Gruppen.

16 Vgl. dazu z. B. P. L. REDDITT, Joel. P. L. Redditt baut auf der anthropologischen Untersuchung von I. M. Lewis auf. I. M. Lewis findet in verschiedenen Gesellschaften die GegenÛberstellung einer Prophetie, die im Zentrum der Gesellschaft steht und Prophetien an der gesellschaftlichen Peripherie. Vgl. I. M. LEWIS, Religion, bes. 100 ff und 127 ff. 17 Vgl. R. KESSLER, Micha, 53. 18 J. BLENKINSOPP, Geschichte, 103. 19 Vgl. fÛr das Michabuch R. KESSLER, Micha, 54 ff.

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7.5 Anst×ße zur Diskussion um die Entstehung des Dodekaprophetons Die Fragestellung dieser Studie war nicht die nach der Entstehung des Dodekaprophetons. Da die untersuchten Texte aber Teil eines Diskurses zur V×lkerthematik und den Fragen nach Gericht und Heil sind, ergeben sich daraus auch BeitrÅge fÛr die Diskussion um die Entstehung des Dodekaprophetons. 7.5.1 Versuch einer chronologischen Ordnung des Diskurses FÛr die BÛcher Joel, Jona und Nahum sowie fÛr die beiden Schlusskapitel des Michabuches ist die Annahme plausibel, dass die jeweilige Komposition Traditionen, Materialien und ºberlieferungen verschiedenen Umfanges und unterschiedlicher Herkunft aufnimmt und bearbeitet: Joel 4 eschatologisiert ein LehrstÛck Ûber die ºberwindung von Notsituationen. Der Verfasser des Jonabuches fÛgt einen Midrasch zu II K×n 14 mit einer See-ErzÅhlung und weiteren Materialien zusammen. ºberlieferungen, die offenbar am Schluss des Michabuches gesammelt wurden, werden durch redaktionelle Arbeiten zu einem Buchschluss, der sich strukturell und thematisch mit Mi 4 f auseinandersetzt. Die Voranstellung eines Hymnus gestaltet aus einem m×glicherweise an das Michabuch angefÛgten Ninive-Komplex ein eigenes Prophetenbuch. Die Komposition des Nahumbuches schließt an das im Michabuch geschilderte Gericht gegen Israel ein Gericht gegen Ninive an und fÛgt damit der bisher der deuteronomisch / deuteronomistischen Tradition nahestehenden Sammlung20 eine eschatologische V×lkerperspektive hinzu.21 Die Zusammenstellung von Joel 1 f* und 4,1–3.9–17 bildet mit dem Obadjabuch einen Rahmen um das Amosbuch und liest damit das Buch durch eine eschatologische Brille, die zionstheologisch beeinflußt ist. Zeitlich nicht allzu weit von Joel 4,1–3.9–17 entfernt, aber von anderer Hand ist 4,4–8 eingefÛgt worden. Die Komposition des Nahumbuches geht dabei der Rahmung des Amosbuches durch Joel und Obadja voraus. Auch die BÛcher Haggai und Sacharja sind vermutlich vor Joel und Obadja an den Schluss der Sammlung gestellt worden. Die Redaktion des Michaschlusses setzt die Komposition des Nahumbuches voraus. NachtrÅglich wurde Mi 7,18.19a.20 ergÅnzt, der Hymnus des

20 A. Schart und J. D. Nogalski sehen als Ausgangspunkt des Dodekaprophetons eine deuteronomisch/deuteronomistisch geprÅgte Sammlung, die Teile der BÛcher Hosea; Amos; Micha und Zefanja umfaßte. Vgl. J. D. NOGALSKI, Precursors; zusammenfassend J. D. NOGALSKI, Processes, 274 f und A. SCHART, Entstehung, bes. 218 ff. 21 Im Zusammenhang mit der EinfÛgung des Nahumbuches steht auch die Aufnahme des Habakukbuches in die Prophetensammlung. Vgl. dazu A. SCHART, Entstehung, 246 ff.

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Nahumbuches Ûberarbeitet,22 Nah 1,9–2,1.3 neu strukturiert und kurze Texte im Michabuch eingefÛgt (4,5; 5,4 f; 5,8). Gemeinsam ist diesen StÛcken die Auseinandersetzung mit der Gnadenformel und die Betonung der Feinde Jhwhs. Bei dieser ºberarbeitung handelt es sich um eine buchÛbergreifende Redaktionsarbeit, die neben Micha und Nahum auch andere BÛcher bearbeitet haben k×nnte. In Abgrenzung und Distanz zum Tag Jhwh Thema und dem V×lkergericht in Joel, Amos und Obadja sowie der Verurteilung der Feinde Jhwhs am Schluss des Michabuches und am Anfang von Nahum kommt mit dem Jonabuch eine andere Sicht der V×lkerthematik zur Geltung. Gegen Joel und Obadja wird gezeigt, dass nicht alle Heiden gewalttÅtig und unbelehrbar sind. GegenÛber Nahum betont der Verfasser des Jonabuches, dass selbst die alte Feindin in Ninive zur Umkehr bereit ist. Mit der EinfÛgung des Jonabuches in die Sammlung wird deren theologische Linie unterbrochen.23 Das Jonabuch l×st kleinere Kommentare, bzw. ErgÅnzungen aus. Mi 7,19b lÅßt sich im Zusammenhang mit der Aufnahme des Jonabuches in das Dodekapropheton verstehen. Hier wird in den auf Israel zentrierten Schluss des Michabuches die M×glichkeit nachgetragen, dass Jhwh auch den V×lkern die SÛnden vergeben k×nnte. Die EinfÛgung von Joel 4,18–21 und 2,13b.14a nimmt sich als Kontrapunkt zum Jonabuch. Jhwhs Gnade und Vergebungsbereitschaft gilt Israel, den V×lkern sein Zorn. Aus einem anderen theologischen Hintergrund kommt Joel 3,1–5. FÛr eine chronologische Zuordnung des StÛckes fehlt jeder Anhaltspunkt. Lediglich das Obadjazitat (3,5) zeigt, dass dieses Buch vorausgesetzt ist. Es gibt auch keine Anzeichen, dieses StÛck einer anderen Bearbeitung zuzuordnen. 7.5.2 Perspektiven fÛr die weitere Diskussion um das Dodekapropheton Diese Skizze ist abhÅngig vom Ausgangspunkt der Studie bei der V×lkerthematik. Andere thematisch orientierte Analysen sind n×tig, um das Bild zu ergÅnzen und m×glicherweise zu korrigieren. Deswegen kann diese Skizze nicht mehr als ein Anstoß zur Diskussion um die Entstehung des Dodekaprophetons sein. Die BerÛhrungen im Ergebnis mit der v×llig anders angelegten Studie von A. Schart zeigen aber auch, dass vom hier gewÅhlten Ausgangspunkt fÛr die Frage nach dem Wachstum des Dodekaprophetons durchaus relevante Aussagen gemacht werden k×nnen. Deutlich geworden ist an der Analyse der Texte zur V×lkerthematik, dass eine ZurÛckhaltung gegenÛber Hypothesen von buchÛbergreifenden

Konzeptionell parallel mit der ºberarbeitung des Hymnus ist Mi 7,13. In der gleichen redaktionellen Phase wie das Jonabuch ist wahrscheinlich auch das Maleachibuch zur Sammlung gekommen und so das eigentliche Dodekapropheton geformt worden. 22 23

Anst×ße zur Diskussion

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Schichten angebracht ist. M×glicherweise sind manche ProphetenbÛcher wesentlich weniger geplant und strukturiert entstanden, als dies den heutigen Exegetinnen und Exegeten lieb ist. Neben den unterschiedlichen Konzeptionen der V×lkerthematik konnte dies auch am Thema des Tages Jhwhs gezeigt werden.24 Außerdem hat die Arbeit mit der Analyse verschiedener Forschungspositionen zum Dodekapropheton gezeigt, dass eine synchrone Interpretation zwar m×glich ist, dass sich die einzelnen BÛcher der zw×lf kleinen Propheten aber nicht als einheitliches Werk verstehen lassen. Es handelt sich um Schriften, die eigene ºberschriften haben.25 Lediglich die ºbergÅnge zu manchen BÛchern sind aufeinander bezogen, wie sich auch eine thematische Rahmung ganzer BÛcher findet. Das Mehrprophetenbuch ist deswegen wohl eher eine Erfindung der Exegeten und im letzten Teil der ProphetenbÛcher nicht als solches erkennbar. Somit ist die Sammlung der zw×lf kleinen Propheten auch keine Darstellung der Geschichte Israels, keine zusammenhÅngende ErzÅhlung und keine systematische Entfaltung einer Theologie, sondern das Resultat von Diskursen zu verschiedenen Themen, die unterschiedliche Schreiber in das Buch zu verschiedenen Zeiten eintragen haben. Diese Studie konnte das Bild der Theologie- und Religionsgeschichte der achÅmenidischen und hellenistischen Zeit um einige Facetten erweitern und einen Schritt auf dem Weg zu einer „Topographie religi×ser OrientierungsrÅume“26 gehen. Ein Ergebnis ist, dass sich verschiedene Kreise mit unterschiedlichen Ausgangspunkten und theologischen Konzeptionen mit der Prophetie beschÅftigen und selber eschatologische Prophetie verfassen. Ein genaueres Bild ergÅben weitere thematische Untersuchungen des Dodekaprophetons. Einbezogen werden mÛßte auch die V×lkerthematik des Psalters. Hier sind von einem Vergleich der verschiedenen Konzepte der eschatologischen Prophetie mit den so genannten Anawim-Psalmen weitere Ergebnisse fÛr die Religions- und Theologiegeschichte des Zweiten Tempels zu erwarten. Dabei ist vor allem die Frage interessant, wieso die Theologie der so genannten Anawim-Gruppen keine oder nur eine untergeordnete Rolle in der Prophetie spielt. Nicht berÛcksichtigt werden konnte in dieser Untersuchung die Frage, warum die eschatologische Prophetie in den Kanon aufgenommen wurde. Es handelt sich bei ihr um Texte, die zum großen Teil nicht in der Mitte der Gesellschaft entstanden, sondern eher am Rand. Denkbar ist, dass die spÅteren AsidÅer bei der ºberlieferung der eschatologischen Prophetie eine Rolle

24 25 26

Vgl. dazu 3.5.3. Vgl. auch E. BEN ZVI, Twelve, bes. 155 f. F. STOLZ, Monotheismus, 189.

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gespielt haben. Ob die AsidÅer aber die eschatologische Prophetie fortsetzten oder sich lediglich auf sie beriefen, lÅßt sich aus dem Material nicht erkennen. M×glicherweise wird die eschatologische Prophetie auch von traditionell orientierten Teilen der Oberschicht gepflegt, die mit zunehmender Hellenisierung an Einfluß verloren und begannen, sich gegen diese Entwicklung zu formieren. Mit dem Jonabuch konnte aber auch eine Schrift aus einem v×llig anderen Milieu aufgenommen werden. Am besten erklÅrt sich dieser Vorgang damit, dass das Dodekapropheton dem Wunsch nach einem gesellschaftlichen Konsens entspringt. M×glicherweise wird versucht, anlÅßlich der Konflikte des 2. Jh. v.Chr. die Reihen zu schließen, die fÛr die Auseinandersetzung mit der Religionspolitik Antiochus IV. ben×tigt wurden. Hat damit die Person, die von der christlichen Tradition als VorlÅufer der typischen Christenverfolger gesehen wurde,27 dazu beigetragen, dass die kleinen ProphetenbÛcher in den biblischen Kanon aufgenommen wurden?

27

Vgl. dazu O. KEEL, Massnahmen.

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9. Bibelstellenregister 18 25 37,20 66,3 68,2 89,11 92,10 97 104,31–35

200, 217 255 282, 288 287 283 283 283 282, 288 244

Jesaja 1,24 2,2–4 9–12 12 26,11 33,9 42,13 45,2 ff 56,1–8 59,9–15 59,18 63,7–64,11 63,10 ff 64,1 66,6.14

287, 289 220 223 230 282, 287, 289 249 278 132, 168 49 207 281, 288 207, 228 207 287 245, 284, 288

166, 299 111 224, 228 76

Jeremia 32 36 46,10 52,19

24 131, 156, 168 279 76

74, 298

153 67 49

32

Genesis 15,6

130

Exodus 32,14 34,6 f

151, 170 150, 170, 247, 253

Numeri 10,35

283

Leviticus 25–27

24

Deuteronomium 5,9 f 32,41.43

254, 276 280, 282, 288

Richter 5,31

245, 286

I Samuel 30,26

278

II Samuel 22

200, 217, 230

II K×nige 14 14,25 18–20 25,15 II Chronik 20 Hiob 19,11

282

Ezechiel 3,4–9 39,23–29 40–48

Psalmen 8,3

287

Daniel 11,14

315

Bibelstellenregister

Hosea 14,10 Joel 1–4 1f 1,15 2 2,1–11 2,12–27 2,13 f 2,13b.14a 2,14 2,17 2,18 f 2,19 f 3,1–5 3,1 f 3,3 f 3,5 4 4,1–3.9–11a.12–17 4,1–3 4,4–8

255

4,9–17 4,9–11a 4,11b 4,12 f 4,14–17 4,14–16 4,17 4,18–21 4,21

56 58, 104, 299 102 167, 225, 293 59 91, 152, 226, 228 225, 257 151, 168, 300 133 61 57, 152, 225 61 63, 107, 227, 300 65 68 69, 294 71, 87, 104, 167, 298 105, 299 72 75, 107, 227, 275, 293, 299 77 78 79 80, 128 83 81 81 83, 107, 300 257

Amos 3,10 5,18–20 6,3

133 94, 96 133

Obadja 15 f 17

94 70

Jona 1 1,1

116 140, 141

1,3 1,5 1,6 1,7 1,8 1,9 1,10 1,13 1,14 1,16 2,3–10 2,9 3 3,6–9 3,9 3,10 4,2–3 4,2 4,2b 4,5–11 4,10–11 Micha 1–3 1,2 1,2–7 4f 4,1–3 4,5 4,8 4,9 f.14 4,11–13 5,2 5,4 f 5,8 5,14 6f 6,1–7,6 6,1 6,2–8 6,9–15 6,16b 7 7,1–4a.5 f 7,4 7,4b

123, 128 125, 142 123 125 126 142, 165 124, 126 125 126 126 143, 165 167, 169 129, 141, 156 130, 150 165 134 148 257 151, 165, 170 149 135

172 173 147 218, 231 171, 174, 218, 220, 294 222, 255, 300 175 218, 225 174, 218, 232 225 218, 222, 300 300 173, 175 175, 231 176 177, 214, 245 175, 214, 231 214, 231 179 250, 294, 297 214, 231 180 95, 214, 231

316 7,7 7,7–10 7,7.8–12.14–17* 7,8–20 7,8–10 7,8 7,11 f 7,12bb 7,13 7,14 f 7,14 7,16 f 7,18–20 7,18.19a.20 7,18 7,19b

Nahum 1 1,1 1,2–8 1,2b.3a 1,2b 1,3 1,4b 1,5b 1,6 f

Bibelstellenregister

176 225 214, 221, 294 174, 181, 207, 214, 251 175, 182, 214, 216, 231 246 189, 245 195 174, 196, 217 198, 214, 216, 231 207, 249, 275 199 149, 174, 203, 250 215, 218, 222, 299 149, 151, 246 147, 168, 215, 217, 300

250, 297 235 236, 238, 268 149, 246, 250 289 149, 151, 257 248, 250 249 294

1,7 1,8 1,9–2,1.3 2,2–10 2,4b 3,1–6 3,1 3,2 f 3,7.19b 3,19

245, 250, 290 250 239, 258, 300 236 95 266 264 236, 265 236 127

Habakuk 3 3,16b

242 95

Zefanja 1 2,11 3,8 f 3,18–20

96 150, 153, 155 96 97

Sacharja 9,9 f 9,11–17 14,1 ff

35 36 97, 226

Maleachi 1,11b.14b 3,23

150, 153, 171 98 f