Intersektionalität und Kulturindustrie: Zum Verhältnis sozialer Kategorien und kultureller Repräsentationen [1. Aufl.] 9783839414941

Wie ist die Beziehung kulturindustrieller Produkte und bestimmter sozialer Kategorien? Welche Gestaltungspotenziale best

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Intersektionalität und Kulturindustrie: Zum Verhältnis sozialer Kategorien und kultureller Repräsentationen [1. Aufl.]
 9783839414941

Table of contents :
INHALT
Intersektionalität und Kulturindustrie. Eine Einleitung
„Leistung muss sich wieder lohnen“. Zur intersektionalen Analyse kultureller Symbole
Unterhaltung als Unterdrückung. Kulturindustrie, Intersektionalität und Herrschaft
„We like to close the bar at four in the morning and be at the office a few hours later.“ Eine Analyse des Business Punk-Magazins unter Aspekten hegemonialer Männlichkeit
Zeitgenössische Frauenzeitschriften als kulturindustrieller Schnittpunkt
Schöne schwarze Frau macht Karriere? Intersektionale Ambivalenzen in „Germany’s Next Topmodel“
„Against-Type-Casting“ Migration – Casting Shows und kulturelle Vielfalt
Fiktionalität als Grenzbearbeitung symbolischer Repräsentationen. Ein intersektionaler Versuch am Beispiel Star Trek
„King Kong und die weiße Frau“. Konstitution eines zivilisierten Selbst
Read it again, Mam. Intersektionale Re-Lektüren des Hollywoodmelodrams „Imitation of Life“
La Sape: Eine Fallstudie zu Mode und Sichtbarkeit im postkolonialen Kontext
Autorinnen und Autoren

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Katharina Knüttel, Martin Seeliger (Hg.) Intersektionalität und Kulturindustrie

Katharina Knüttel, Martin Seeliger (Hg.)

Intersektionalität und Kulturindustrie Zum Verhältnis sozialer Kategorien und kultureller Repräsentationen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2011 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat: Katharina Knüttel, Martin Seeliger Satz: Katharina Knüttel Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1494-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

INHALT

Intersektionalität und Kulturindustrie. Eine Einleitung MARTIN SEELIGER, KATHARINA KNÜTTEL

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„Leistung muss sich wieder lohnen“. Zur intersektionalen Analyse kultureller Symbole NINA DEGELE, GABRIELE WINKER

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Unterhaltung als Unterdrückung. Kulturindustrie, Intersektionalität und Herrschaft ROGER BEHRENS

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„We like to close the bar at four in the morning and be at the office a few hours later. “ Eine Analyse des Business PunkMagazins unter Aspekten hegemonialer Männlichkeit 83 MARTIN SEELIGER Zeitgenössische Frauenzeitschriften als kulturindustrieller Schnittpunkt THOMAS HECKEN, ISABELLE MIDDEKE

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Schöne schwarze Frau macht Karriere? Intersektionale Ambivalenzen in „Germany’s Next Topmodel“ KATHARINA KNÜTTEL

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„Against-Type-Casting“ Migration – Casting Shows und kulturelle Vielfalt GABRIELE DIETZE

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Fiktionalität als Grenzbearbeitung symbolischer Repräsentationen. Ein intersektionaler Versuch am Beispiel Star Trek BRITTA HOFFARTH

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MARTIN SEELIGER UND KATHARINA KNÜTTEL

„King Kong und die weiße Frau“. Konstitution eines zivilisierten Selbst JOS SCHAEFER-ROLFFS

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Read it again, Mam. Intersektionale Re-Lektüren des Hollywoodmelodrams „Imitation of Life“ KARIN ESDERS

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La Sape: Eine Fallstudie zu Mode und Sichtbarkeit im postkolonialen Kontext HANNE LORECK

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Autorinnen und Autoren

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Intersektionalität und Kulturindustrie Eine Einleitung MARTIN SEELIGER UND KATHARINA KNÜTTEL Intersektionalität und Kulturindustrie – Eine Einleitung Barack Obama, Josef Ackermann, Ban Kimoon oder Alice Schwarzer, Skandalrapper Bushido, Selfmade-Man Gerhard Schröder oder Berliner ‚Brennpunkt‘-Stadtteile, München Grünwald, 1990er Jahre oder ‚Ostalgie‘-Fernsehshows […].

Eine Vielzahl von Konferenzen, Lehrveranstaltungen und Veröffentlichungen sowie zahlreiche öffentliche Diskurse und politische Interventionen der letzten Jahre vermögen inzwischen zu belegen, dass es sich bei der seit nunmehr zwei Jahrzehnten unter dem Begriff der Intersektionalität geführten Diskussion genau so wenig um eine schlichte Modeerscheinung handelt wie die Perspektive der Cultural Studies als oberflächliche Populärwissenschaft abgetan werden kann. Wenn nun bereits im Titel eines Buches zwei so schillernde Begriffe wie Intersektionalität auf der einen und Kulturindustrie auf der anderen Seite erscheinen, so lassen sich viele illustrative Beispiele finden, von denen eine unserer Ansicht nach spannende Auswahl in diesem Band zusammengestellt ist. Hierbei handelt es sich um den Versuch der Synthese zweier Diskussionsstränge, die – wenn überhaupt – nur auf den ersten Blick wenig miteinander gemein haben. Auf den zweiten Blick zeigen sich Annäherungen beispielsweise im Feld der kulturanalytischen Wissenschaft in

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den Arbeiten des Birminghamer „Center for Contemporary Cultural Studies“ (CCCS) (Machart 2008), die den Zusammenhang von Klasse und ‚race‘ (exemplarisch: Hall 2000) und später auch Geschlecht (etwa McRobbie 2010) für Produktion und Rezeption medialer Erzeugnisse und Selbst- wie Fremdpositionierungen zum Thema machen. Gemeinsam mit den AutorInnen wollen wir in diesem Band einen weiteren Annäherungsversuch starten, um dem Zusammenwirken unterschiedlicher sozialer Kategorien mit Blick auf konkrete Kulturphänomene auf die Schliche zu kommen, dabei aber auch insbesondere die ungleichheitspositionierende Wirkung dieser Kategorien auf unterschiedlichen Ebenen im Blick zu behalten. Statt an dieser Stelle eine umfangreiche Wiedergabe des aktuellen „state of the art“ der Intersektionalitätsforschung vorzunehmen (siehe für einen Überblick etwa Degele/Winker 2009 oder ihren Beitrag in diesem Band), möchten wir dem interdisziplinären Projekts dieses Bandes zunächst einige grundlegende disziplinäre Schlaglichter voranstellen, deren Diskussion unser Verständnis und unsere Ideen für diesen Band geprägt haben.

Mehr-Ebenen-Problematik In der jüngeren Intersektionalitätsdebatte lässt sich neben einer Ausdifferenzierung unterschiedlicher Ansätze (Walgenbach et al. 2007; Knapp 2005) die verstärkte Auseinandersetzung mit einem kultur- und gesellschaftswissenschaftlichen Grundproblem identifizieren, das in der Soziologie gemeinhin unter dem Begriff der Mikro-Makro-Verbindung bekannt ist. Als ein illustratives Beispiel für die hiermit bezeichnete Problematik lässt sich zunächst folgendes klassische Zitat von Karl Marx hinzuziehen:

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„Die Menschen machen ihre Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbst gewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen“ (Marx 1972: 226).

In diesem knappen Satz bringt Marx das eigentümliche Spannungsverhältnis gesellschaftlich vermittelter Zwänge und kontextueller Gestaltungsspielräume auf den Punkt, das in seiner Funktionsweise zu erklären als Kernaufgabe soziologischer Forschung angesehen werden kann. Interessant erscheint, dass Marx selbst gemeinhin einer soziologischen Strömung zugeordnet wird, die nach seiner Zeit unter dem Begriff der Makrosoziologie zusammengefasst wurde. Hierunter werden vor allem vom 19. bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts verbreitete Positionen gefasst, die in ihren Analysen von einem holistischen Verständnis der Gesellschaft ausgehen, dem zu Folge idiosynkratische Dispositionen von Akteuren keine weitere Rolle spielen und als Effekte sozialer Strukturen angesehen werden. Im Fall von Marx verdeutlicht sich diese Sichtweise vor allem an folgendem Zitat: „Das allgemeine Resultat, das sich mir ergab und einmal gewonnen meinen Studien zum Leitfaden diente, kann kurz so formuliert werden: In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur einer Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und ein politischer Überbau erhebt, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess überhaupt. Es ist nicht ihr Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt, ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt“ (1971: 15).1

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Es ist anzumerken, dass auch hier Einwände gegen eine strikt makrosoziologische Lesart erhoben werden können. So liefert Marx mit seiner Annahme, das gesellschaftliche Sein bestimme das Bewusstsein, prinzipiell bereits die konstruktivistische Grundannahme, dass Akteure ihre eigene Wahrnehmung der Realität unter bestimmten Umständen konstruieren.

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Ein weiterer Vertreter makrosoziologischer Positionen ist Émile Durkheim, der mit seinem Konzept der soziologischen Tatbestände „jede mehr oder minder festgelegte Art des Handelns [beschreibt], die die Fähigkeit besitzt, auf den Einzelnen einen äußeren Zwang auszuüben; oder auch, die im Bereiche einer gegebenen Gesellschaft allgemein auftritt, wobei sie ein von ihren individuellen Äußerungen unabhängiges Eigenleben besitzt“ (Durkheim 1999: 114).

Als soziale Phänomene, deren Ursachen jenseits (inter-)subjektiver Handlungskontexte angesiedelt sind, entfalten soziologische Tatbestände also eine handlungsstrukturierende Wirkung. In diesem Zusammenhang spricht er von ihnen auch als „Gussformen, in die wir unser Handeln gießen müssen“ (ebd.: 125f.). Obwohl orthodoxe Rezeptionen derartiger Ansätze sich heute nur relativ geringer Popularität erfreuen können, wurden mit Karl Marx und Émile Durkheim zwei Makrotheoretiker vorgestellt, deren Überlegungen einen großen Einfluss auf aktuelle Diskussionsfelder der Soziologie haben. Hierunter fällt zum einen beispielsweise die Auseinandersetzung um die deterministische Kraft wirtschaftlicher Funktionslogik für die Verteilung ökonomischer Ressourcen innerhalb kapitalistischer Gesellschaften (vgl. Münch 2004: 233-260) und zum anderen die neo-institutionalistische Forschung, die angetreten ist, das rigide Verständnis der Wirkungsweise sozialer Institutionen in der klassischen Makrotheorie einer kritischen Überprüfung zu unterziehen (exemplarisch siehe Senge/Hellmann 2006). Nachdem vor allem die ‚frühe‘ Soziologie sich durch eine Sichtweise auszeichnete, die gesellschaftliche Strukturen in den Mittelpunkt ihrer Analyse rückte, kam es schließlich bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts zu einer grundlegenden Veränderung innerhalb der soziologischen Forschung, die sich von der vorwiegenden Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Strukturen nun auch einer Betrachtung individueller Sinnhorizonte zuwandte. Dies geschah zum einen in Folge der „Vorstellung von Kalkulierbarkeit“ individuellen Handelns „als Grundlage der formalen Rationalität“ (Beckert 2007: 297) in den sich entwickelnden modernen Wirtschaftswissenschaften (und hiermit auch in den hiervon beeinflussten Teilen der Soziologie),

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zum anderen anschließend an Max Webers Forderung der Rekonstruktion subjektiver Sinnhaftigkeit (Weber 1976: 1) und im Zusammenhang mit der breiteren Rezeption der Schriften von George Herbert Mead (vgl. 1973) und dessen Vorstellung individueller Sinn- und Identitätskonstruktionen im Symbolischen Interaktionismus (Blumer 1981). Als zentrales Gegenargument gegen einen „methodologischen Holismus“ (Greve u.a. 2008: 9) wird oft angeführt, „dass Erklärungen, die soziale Phänomene ohne Rückgriff auf andere soziale Phänomene zu erklären suchen, oft unvollständig bleiben müssten“ (ebd.). Nach dieser Ausdifferenzierung soziologischer Forschung sind in der Rückschau etwa ab den 1970er Jahren zunehmend Versuche einer Überwindung dieser dualistischen Gegenüberstellung zu verzeichnen.2 Im Anschluss an die hierin gewonnene Erkenntnis, weder die Gesellschaft als geschlossenes Ganzes noch den einzelnen Akteur als „homo clausus“ (übersetzt: als Menschen im geschlossenen Gehäuse, Elias 2004: 140) betrachten zu können, richtet sich das Erklärungsinteresse solcher integrativer sozialtheoretischer Ansätze auf die Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen Strukturen und situativen Handlungen bei der Herstellung sozialer Wirklichkeit.

Mehrere Ebenen und Intersektionalität Diese grundlegende Problematik der Mikro-Makro-Verbindung findet sich nun ebenfalls innerhalb der Diskussion des Intersektionalitätskonzeptes wieder: So lassen sich bei der Analyse des

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Bongaerts (2007: 246f.) spricht in diesem Zusammenhang treffend von „Ansätzen, die the best of both worlds [Herv. i. O.] in einem systematisierenden Eklektizismus vereinen und den Konflikt befrieden wollen“. Exemplarisch lassen sich hierfür Pierre Bourdieu (1976), der mit seinem Habitus-Konzept gewissermaßen an der Schnittstelle des französischen Strukturalismus und der europäischen Subjektphilosophie operiert, Norbert Elias (2004), der die soziologische Sichtweise auf die Verflechtungszusammenhänge zwischen einzelnen Akteure zu richten vorschlägt und schließlich Anthony Giddens (1988), welcher die Trennung zwischen Struktur und Handlung im Zuge seiner Strukturationstheorie als rein analytische entlarvt, anführen.

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intersektionalen Forschungsdiskurses – relativ grob eingestuft – drei verschiedene Richtungen unterscheiden, die sich jeweils durch unterschiedliche Sichtweisen auf ihren Gegenstand auszeichnen.3 Zum einen setzt sich ein makrosoziologisch orientierter Theoriestrang mit der Bedeutung einzelner Vergesellschaftungsformen als Strukturkategorien (Beer 1984) auseinander. Exemplarisch hierfür kann folgendes Zitat von Knapp (2005: 75) gelesen werden: „Wie sind Geschlechterverhältnisse/heteronormative Sexualität, Sozialstruktur in der institutionellen Verfasstheit einer gegebenen Ökonomie und Gesellschaft, im nationalen sowohl als im transnationalen Kontext verbunden? Und was geschieht mit diesen Relationalitäten unter den Bedingungen sozialer, politischer und ökonomischer Transformation?“

Eine ähnliche Position vertritt auch Cornelia Klinger (2003: 25): „Es ist sinnlos, auf die sich überlagernden oder durchkreuzenden Aspekte von Klasse, Rasse und Geschlecht in den individuellen Erfahrungswelten hinzuweisen, ohne angeben zu können, wie und wodurch Klasse, Rasse und Geschlecht als gesellschaftliche Kategorien konstituiert sind.“

Während Knapp und Klinger also eine makrotheoretische Sichtweise einfordern, machen sich VertreterInnen eines mikroorientierten Ansatzes für eine Perspektive stark, die die kontextgebundene Aushandlung verschiedener Identitäten in den Vordergrund rückt. Beispielhaft hierfür sind West und Zimmermann (1987) sowie West und Fenstermaker (1995) zu nennen, die mit ihren Ansätzen des „Doing Gender“, bzw. „Doing Difference“ diejenigen Handlungssequenzen betrachten, innerhalb derer Akteure Zugehörigkeit zu sozialen Kategorien auf interaktive Weise herstellen.4

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Siehe auch Davis (2008: 68): „It is not at all clear whether intersectionality should be limited to understanding individual experiences, to theorizing identity, or whether it should be taken as property of social structures and cultural discourses.“ Als dritter, weniger breit vertretener Ansatz bleibt eine Perspektive zu erwähnen, die Formen der kulturellen Repräsentationen

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Wie auch im Rahmen der weiter oben getroffenen Ausführungen zur Entwicklung der Soziologie als Wissenschaftskomplex lässt sich auch für die Ausdifferenzierung der intersektionalen Perspektive ein Trend zur integrativen Betrachtung des Zusammenwirkens unterschiedlicher gesellschaftlicher Ebenen verzeichnen. In diesem Zusammenhang verweist etwa YuvalDavis (2006: 198) auf die Herausforderungen, die ihrer Ansicht nach mit der Konzeptionalisierung einer intersektionalen Ungleichheitsanalyse einhergehen: „Social divisions are about macro axes of social power but also involve actual social people“. Es erscheint nicht besonders weit hergeholt, dies als Referenz an die weiter oben erläuterte Beziehung zwischen Struktur- und Handlungsebene als eine der Kernfragen der Soziologie zu lesen. Yuval-Davis ist dabei keineswegs allein mit ihrem Standpunkt: Ihre Einschätzung der weiteren Aufgaben, vor denen Interessierte bei der (Weiter-)Entwicklung der intersektionalen Sichtweise(n) stehen, fasst Knapp (2008) mit dem Verweis auf drei Punkte zusammen: Zum einen betont sie die Notwendigkeit einer Überwindung des „intrakategorialen Horizonts feministischer Theorie“, um auf diesem Wege eine differenzierte Abbildung der Situation zu treffen, in der sich die Akteure befinden. Zweitens schlägt sie vor, „den Blick auf übergreifende gesellschaftliche Strukturzusammenhänge und Herrschaftsverhältnisse zu richten“, um einer Vernachlässigung derjenigen Kontextbedingungen vorzubeugen, innerhalb derer bestimmte Wechselwirkungen zwischen sozialen Kategorien an Bedeutung gewinnen. Schließlich betont sie die Dringlichkeit einer Berücksichtigung der „in den zurückliegenden Jahren gewonnenen, im Zuge von cultural und micrological turn gewonnenen Einsichten nicht preiszugeben, sondern sie in komplexere Theorieperspektiven zu integrieren“ [Herv. i. O.]. Als Lösungsvorschlag plädiert sie „für eine Neuauflage des alten gesellschaftsanalytischen Programms einer Integration von mikro-, mesound makroanalytischen Perspektiven“ (ebd.: o.S.). Den im Hinblick auf die hier formulierten Desiderate derzeit wohl am weitesten ausgearbeiteten Ansatz verfolgen Nina Degele und Gabriele Winker, die bereits in einer ersten Veröfsozialer Kategorien und ihrer intersektionalen Schnittpunktevorschlägt. Hierzu zählen etwa Akka und Pohlkamp (2008).

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fentlichung im Jahr 2007 auf die Notwendigkeit der Integration der Perspektiven auf soziale Strukturen, symbolische Repräsentationen und individuelle Identitäten verweisen, die sie mit Hilfe einer praxeologischen Analyse im Anschluss an Pierre Bourdieus Theorie der Praxis (1976) anzustellen vorschlagen. Eine zentrale – und für die Konzeptionalisierung und Zusammenstellung des vorliegenden Bandes äußerst inspirierende – Innovation5 ihres Ansatzes liegt in der Berücksichtigung einer Ebene kultureller Repräsentationen, die für die Akteure eine sinnstiftende Funktion erfüllen. Hinsichtlich entlang diverser spezifischer Differenzlinien vermittelter Ungleichheiten entfalten diese Repräsentationen eine legitimatorische Wirkung, indem sie „Ideologien und Normen der Rechtfertigung“ (ebd. 58) als Deutungsressourcen verfügbar werden lassen. Hinsichtlich der Frage nach der Kategorienauswahl möchten wir uns ihrem Vorschlag anschließen, für die Analyse symbolischer Repräsentationen und subjektiver Identitäten zunächst offen zu lassen, welche Kategorien fokussiert werden können und sollen (ebd.: 68) und eine gegenstandsoffene Herangehensweise vorzuziehen.6

Ausgangspunkt: Kulturelle Repräsentationen Die Auseinandersetzung mit symbolischen Formen hat für die Gesellschaftswissenschaft von jeher eine wichtige Rolle gespielt. So liegt nach Ernst Cassierer (1988: 51) das „Ziel der Philosophie“ (welches sich so formuliert sicherlich auch auf Soziologie und Kulturwissenschaft übertragen lässt) darin, symboli-

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Mit der Ausarbeitung der Methodologie eines qualitativen Forschungsansatzes und ihrer Proklamation, den Kapitalismus „vor die Klammer“ der intersektionalen Analyse zu setzen (ebd.: 38), sollen an dieser Stelle lediglich zwei weitere äußerst interessante Anregungen hervorgehoben werden. In Zusammenhang mit den hier getroffenen Ausführungen sei außerdem bemerkt, dass Degele und Winker eine von ihnen als ‚klassisch‘ identifizierte Erklärungsprogrammatik der Mikro-Makro-Beziehung zu überwinden trachten. Während die Kategorienauswahl für die Strukturebene in ihrer Verflochtenheit mit der Funktionsweise kapitalistischer Gesellschaftssysteme begründet liegt (ebd.).

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sche Formen „in ihrem gestaltenden Grundprinzip zu verstehen und bewusst zu machen“. Diese bestehen ihm zu Folge „in eigentümlichen Bildwelten, in denen sich nicht ein empirisch Gegebenes einfach widerspiegelt, sondern die sie vielmehr nach einem selbständigen Prinzip hervorbringen“ (ebd.: 9).

Ausgehend von den obigen Ausführungen zur Mehrebenenproblematik begreifen wir Kultur als dynamisches Set von Symbolen, Artefakten und sozialen Praktiken, das der fortdauernden Aushandlung unterschiedlicher Akteure mit spezifischen Interessen und Ressourcen innerhalb bestimmter institutioneller Kräftefelder unterliegt und in Verschränkung mit Teilsystemen moderner Gesellschaften auftritt (vgl. auch Seeliger 2010, 2010a). Kulturelle Repräsentationen sind in diesem Verständnis symbolische Formen, die an der Schnittstelle von Struktur- und Handlungsebene ihre Wirksamkeit für die sozial ungleiche Positionierung der Akteure entfalten.7 Soziologische Tatbestände existieren auf der Makroebene „zwar nicht als ontologisch eigenständige Gebilde“, werden „jedoch im alltäglichen Handeln symbolisch sichtbar und dadurch in gewissem Sinne beobachtbar gemacht“ (Heintz 2004: 16f.). Blumers (1981: 81) erster Prämisse des symbolischen Interaktionismus zu Folge handeln „Menschen Dingen gegenüber auf Grundlage der Bedeutung […], die diese Dinge für sie besitzen“. Hieraus lässt sich ableiten, dass sich Akteure bei der Ausführung bestimmter Handlungen (oder beim Treffen der Entscheidungen, die ihnen evtl. vorausgehen) nicht bewusst an einem bestimmten ontologischen Kern etwaiger Bezugsgegenstände orientieren. Vielmehr gewinnen diese Dinge ihre Bedeutung erst im Prozess des wechselseitig bezogenen Handelns: „Die zweite Prämisse besagt, dass die Bedeutung solcher Dinge aus der sozialen Interaktion, die man mit seinen Mitmenschen eingeht, abgeleitet ist oder aus ihr entsteht“ (ebd.). Drittens unterliege diese Bedeutung – so Blumer weiter – einem situativ verfassten Aushand7

Prinzipiell lässt sich hierbei auch die Komponente der Artefakte als zwischen Struktur und Handlung vermittelnde Instanz konzipieren. Dies verdeutlicht etwa Rammert (2008: 291), indem er technische Gegenstände einerseits als „sozial gemachte Sachen“ und andererseits als „Bezugspunkte sozialen Tuns“ beschreibt.

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lungsprozess: „Die dritte Prämisse besagt, dass diese Bedeutungen in einem interpretativen Prozess, den die Person in ihrer Auseinandersetzung mit den ihr begegnenden Dingen benutzt, gehandhabt und abgeändert werden“ (ebd.). Um den Konstitutionsprozess derartiger sinnstiftender Bedeutungskomplexe auf angemessene Weise erfassen zu können, ist es also wichtig, neben der kontextuellen Aushandlung auch die gesellschaftliche Einbettung derartiger Aushandlungen in Betracht zu ziehen. So ereignet sich diese innerhalb eines Spannungsverhältnisses zwischen „Individuum“ und „Gesellschaft“.

Die Wirksamkeit kultureller Formen: Intersektionalität und Macht In unserem Verständnis bezeichnet Intersektionalität eine Perspektive, die die wechselseitige Konstitution und Wirksamkeit unterschiedlicher sozialer Kategorien bei der gesellschaftlichen Positionierung von Individuen und Gruppen in den Blick nimmt. Relationales Denken spielt hier in zweifacher Hinsicht eine Rolle: Einerseits geht es um das Verhältnis der Kategorien zueinander, und andererseits geht es auch nicht um ein isoliertes Individuum oder eine einzelne Gruppe, sondern um die Verhältnisse, in denen diese zueinander stehen, und damit um Fragen sozialer Ungleichheit. Versteht man den Begriff sozialer Ungleichheit als Bezeichnung unterschiedlicher Verfügungschancen über gesellschaftlich als relevant erachtete Ressourcen, wird die Aufmerksamkeit wiederum weiter auf die spezifischen Modi gelenkt, denen die Verteilung dieser Ressourcen unterliegt. Das im Anschluss hieran auftretende Problem besteht in der Konzeptionalisierung eines Machtbegriffes, mit dessen Hilfe diese Verteilungsmodi verstanden und erklärt werden können und der weiterhin der zu Beginn erläuterten Mikro-Makro-Problematik Rechnung zu tragen vermag. Zu diesem Ergebnis kommt auch Knapp (1995: 296): „Ein theoretisches Konzept von Macht und Herrschaft hätte […] nach zwei Seiten hin offen zu sein. Zum einen zur Seite der gesellschaftlichhistorischen Strukturanalyse (Herrschaftssystem) und der bereichsspezifischen wie -übergreifenden Distribution machtrelevanter Ressourcen,

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der Mechanismen bzw. Modalitäten dieser Verteilung und ihrer Legitimation, zum anderen zur Seite der handelnden Frauen und Männer, ihrer Interessen und bewussten wie unbewussten Motive sowie deren Genese“.

Als diesen Ausführungen entsprechendes Desiderat lassen sich in Verbindung mit dem hier vorgestellten Modellvorschlag drei Aspekte identifizieren, die bei der Konzeptionalisierung eines entsprechenden Machtbegriffes zu berücksichtigen wären. So müsste dieser zum einen unmittelbare Beeinflussungspotentiale zwischen unterschiedlichen Akteuren auf der Mikroebene erfassen können. Hierfür bietet sich das Machtverständnis Max Webers (1976: 28) an, der Macht definiert als „jede Chance innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“

Indem Weber durch explizite Betonung der „Chance“, den eigenen Willen durchzusetzen, die Kontingenz der Handlungen über Macht verfügender Akteure beschreibt (schließlich müssen diese nicht auch tatsächlich von ihrer Macht Gebrauch machen), gleichzeitig die Relationalität von Machtverhältnissen verdeutlicht, durch die Erwähnung des ‚Durchsetzungscharakters‘ von Macht auf die Möglichkeit von Widerstand verweist und schließlich auch den amorphen Status von Macht aufmerksam macht („gleichviel worauf diese Chance beruht“), unterbreitet er einen präzisen und geeigneten Vorschlag zur Beschreibung intersubjektiver Transformationskapazitäten, die sich auf das Handeln (oder Verhalten) der jeweils anderen Person richten. Wie sich am Beispiel der von Acker (2006) beschriebenen Praxis der Arbeitsgestaltung innerhalb von Organisationen zeigen lässt, ist ein solcher Machtbegriff also geeignet, entsprechende Prozesse auf der Mikroebene zu erklären. Gleichzeitig reicht ein derartiges – offenkundig auf Webers methodologischem Individualismus aufbauendes – Verständnis des Begriffes allerdings nicht aus, um eine weitere Dimension von Macht zu erfassen, die auf der Mesoebene im Rahmen symbolischer Formen wirksam ist. Hier erscheint es angemessen, Aspekte eines weiteren Machtverständnisses hinzuzuzie-

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hen, wie es etwa von Foucault (1999: 133) vertreten wird. Macht ist demnach „nicht eine Institution, ist nicht eine Struktur, ist nicht eine Mächtigkeit einiger Mächtiger. Die Macht ist der Name, den man einer komplexen strategischen Situation in einer Gesellschaft gibt“.

Abgesichert werden derartige Machtverhältnisse durch Verquickungen von Macht- und Wissensordnungen, innerhalb derer es „keine Machtbeziehungen gibt, ohne dass sich ein entsprechendes Wissensfeld konstituiert, und kein Wissen, das nicht gleichzeitig Machtbeziehungen voraussetzt und konstituiert“ (Foucault 1977: 39).

Mit dem Begriff der strukturellen Macht bleibt drittens ein weiterer Aspekt zu verzeichnen, den es im Rahmen einer Mehrebenenanalyse (mit intersektionalem Anspruch) zu berücksichtigen gilt. Zu diesem Zweck müssen mit gesellschaftlichen Institutionen diejenigen sozialen Phänomene in den Blick genommen werden, „die Regelhaftigkeiten bewirken, indem sie bestimmte Strukturmerkmale und Verhaltensweisen unterstützen und andere eher ausschließen“ (Hasse/Krücken 2008: 163).

Als eingängiges Beispiel für eine praktische Verschränkung dieser Machtperspektiven mit einem symbolischen Ausgangspunkt kann die Figur des „Mitarbeiters des Monats“ herangezogen werden: Der objektivierte Zwang kapitalistischer Wirtschaftsweise legt eine bestimmte Form der Rationalität nahe, die die Einrichtung einer derartigen wettbewerbsförmigen Titelvergabe als angemessene Gestaltung betrieblicher Abläufe erscheinen lässt.8 Hier lässt sich also von einer Form der Macht 8

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Hiermit ist natürlich nicht gesagt, dass die Schaffung eines solchen Anreizsystems automatisch den gewünschten Effekt nach sich zieht. So ist es genauso denkbar, dass das allgemeine Streben der MitarbeiterInnen eines Betriebs zu einem destruktiven Wettbewerb unter den Arbeitnehmern führt, der ihre Produktivität im Endergebnis nicht erhöht, sondern einschränkt.

INTERSEKTIONALITÄT UND KULTURINDUSTRIE – EINE EINLEITUNG

sprechen, die einerseits kulturelle Form ist, andererseits ohne die gesellschaftlichen (kapitalistischen) Verhältnisse nicht begriffen werden kann. Und schließlich gehen die konkreten „Mitarbeiter des Monats“ nicht in diesem Titel auf oder stehen für sich alleine, sondern sind ebenfalls eingebunden in ganz konkrete soziale Beziehungen zu den KollegInnen, zu den Vorgesetzten etc. Ohne uns prinzipiell einer der genannten Strömungen zuzuordnen, noch eine von ihnen als ungeeignet zu verwerfen, verfolgen wir mit dem vorliegenden Band das Ziel, die kulturellen Repräsentationen unter Berücksichtigung verschiedener Kategorien und Ebenen in den Blick zu nehmen. Die entsprechenden Kulturphänomene sollen dabei als Ausgangspunkte für die Analysen dienen, ohne dass die gesellschaftliche Einbettung der Symbolproduktion, kontextspezifische Adaptionsmöglichkeiten, Machtpraktiken und Machtverhältnisse außer Acht gelassen werden. Als in das Konzept der Intersektionalität im Zusammenhang mit der vermittelnden Funktion symbolischer Formen einleitender Text ist der Beitrag von Gabriele Winker und Nina Degele gemeinsam mit einem Überblickstext von Roger Behrens über die Entwicklung der fachwissenschaftlichen Debatte zum Begriff der Kulturindustrie den weiteren Abschnitten vorangestellt. Anschließend an diese beiden grundlegenden Texte folgen die Analysen konkreter kultureller Formen. Die ersten beiden Beiträge in diesem Bereich beschäftigen sich mit Zeitschriften: Martin Seeliger geht in seiner Auseinandersetzung mit dem Business Punk-Magazin der Frage nach, inwiefern die im Magazin dargestellten Lebensentwürfe dem Muster aktueller hegemonialer Männlichkeitsentwürfe entsprechen (sollen). Ein ähnliches Anliegen verfolgen Isabelle Middeke und Thomas Hecken in ihrem Beitrag zu kontemporären Frauenzeitschriften mit einem besonderen Fokus auf die dort vermittelten Identitätsangebote am Schnittpunkt der Differenzkategorien mit einem Schwerpunkt auf Klasse und Geschlecht. Die folgenden beiden Beiträge richten ihre Aufmerksamkeit auf TV-Casting-Shows: Katharina Knüttel geht dabei der Frage nach, wie sich verschiedene Differenzlinien in der Figur des erfolgreichen Models bei „Germany’s Next Topmodel“ verschränken, während Gabriele Dietze am Beispiel der Show

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„Deutschland sucht den Superstar“ eine Lesart von CastingShows als Trainingscamp für Diversity entwickelt. Im Anschluss wird es fiktional: Britta Hoffarth führt in ihrem Beitrag Fiktionalitätstheorie und Intersektionalität zusammen und setzt ihre methodologischen Überlegungen in einer Analyse zweier Charaktere aus Star Trek um. Mit seinem Beitrag zum Film „King Kong und die weiße Frau“ rückt Jos Schäfer-Rolfs die Kategorien ‚race‘ und Geschlecht in den Mittelpunkt seiner Analyse. In Auseinandersetzung mit der kontrastreichen Darstellung indigen-rassisierter und moderner Kulturformen im Zusammenhang mit als kulturspezifisch unterstellten Geschlechterverhältnissen veranschaulicht er einen Modus der herrschaftsförmigen Aufladung symbolischer Formen im Film. Auch Karin Esders widmet sich in ihrem Beitrag dem Film, und zwar dem klassischen Hollywood-Kino und untersucht anhand des Films „Imitation of Life“, wie dort interdependente Ungleichheitsstrukturen einerseits konstruiert und bestärkt, andererseits aber auch befragt und angefochten werden. Schließlich beleuchtet Hanne Loreck die Entwicklung von „La Sapé“, der Kunst schönen und exklusiven Angezogenseins kongolesischer Männer, unter Berücksichtigung der Veränderungen der materiellen und symbolischen Referenzordnungen im postkolonialen Kontext. Mit diesen Beiträgen hoffen wir, einen umfassenden und hoffentlich anschlussfähigen ersten Eindruck der Konstitution und Wirksamkeit sozialer Kategorien mit Blick auf kulturelle Repräsentation geschaffen zu haben. Ermöglicht wurde dieser Band auch durch die Unterstützung der AG Geschlecht und Gesellschaft in Bochum und den AStA der Ruhr-Universität, bei denen wir uns an dieser Stelle herzlich bedanken möchten.

Literatur Acker, Joan (2006): „Inequality Regimes. Gender, Class and Race in Organizations“. In: Gender & Society, Jg. 20, H. 4, S. 441-464. Akka, Abousoufiane/Pohlkamp, Ines (2008): „Pädagogik der Oberfläche. Gender und Ethnizitäten in der antirassistischen Mädchen- und Jungenarbeit“. In: Christine Riegel/Thomas

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Geisen (Hg.): Jugend, Zugehörigkeit und Migration: Subjektpositionierung im Kontext von Jugendkultur, Ethnizitäts- und Geschlechterkonstruktionen. Wiesbaden: VS Verlag, S. 323-341. Beckert, Jens (2007): „Die Abenteuer der Kalkulation. Zur sozialen Einbettung ökonomischer Rationalität“. In: Leviathan, Jg. 35, H. 3, S. 295-309. Beer, Ursula (1984): Theorien geschlechtlicher Arbeitsteilung. Frankfurt am Main/New York: Campus. Blumer, Herbert (1981): „Der methodologische Standort des Symbolischen Interaktionismus“. In: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologie (Hg.): Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 80-146. Bongaerts, Gregor (2007): „Soziale Praxis und Verhalten – Überlegungen zum Practice Turn in Social Theory“. In: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 36, H. 4, S. 246-260. Bourdieu, Pierre (1976): Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Cassierer, Ernst (1988): Philosophie der symbolischen Formen. Bd. 1. Darmstadt. Davis, Kathy (2008): „Intersectionality as buzzword. A sociology of science on what makes a feminist theory successful“. In: Feminist Theory, Jg. 9, Heft 1, S. 67-85. Degele, Nina/Winker, Gabriele (2007): Intersektionalität als Mehrebenenanalyse. Im Internet unter: . Degele, Nina; Winker, Gabriele (2009): Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld: Transcript. Durkheim, Emile (1999): Die Regeln der soziologischen Methode. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Elias, Norbert (2004): Was ist Soziologie? München/Weinheim: Juventa. Foucault, Michel (1977): Überwachen und Strafen. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Foucault, Michel (1999): Sexualität und Wahrheit. Bd. 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

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MARTIN SEELIGER UND KATHARINA KNÜTTEL

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„Leistung muss sich wieder lohnen“ Zur intersektionalen Analyse kultureller Symbole NINA DEGELE UND GABRIELE WINKER „Leistung muss sich wieder lohnen“

„Wer nicht hart arbeitet, wird es nie zu etwas bringen.“ Das Zitat stammt nicht vom wirtschaftsliberalen Außenminister und Vizekanzler Guido Westerwelle, sondern von der rebellischen Punk-Ikone Patti Smith (SZ, 18.3.10). Nun hat die New Yorkerin Smith nicht gegen deutsche Hartz IV-EmpfängerInnen gewettert und auch keine soziale Hängematte angeprangert, auf der sich vermeintlich faule LeistungsverweigerInnen staatlich subventionieren ließen. Sie präsentiert vielmehr Erfolg als Chance, der von Anstrengung und Initiative der Einzelnen abhängt und bekräftigt das Leistungsprinzip „als eine normative Selbstdefinition moderner Gesellschaften“ (Solga 2005: 23). Debatten um Leistung, Leistungsträger und Drückeberger sind Beispiele dafür, wie kulturelle Symbole Herrschaftsverhältnisse und damit verbundene Ungleichheiten herstellen, transportieren und performativ verstärken, grundsätzlich könnten sie diese auch herausfordern und in Frage stellen. Wie aber ist eine Analyse kultureller Symbole in verschiedenen Kontexten entlang unterschiedlichster Differenzkategorien theoretisch und empirisch denkbar? Das ist nach wie vor eine offene theoretische wie methodische Frage.

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Eine Antwort sehen wir im Konzept der Intersektionalität, das Wechselwirkungen zwischen Ungleichheit generierenden Kategorien wie Geschlecht, Ethnie, Klasse, Bildung, Alter u.v.m. benennt. Dabei wird allerdings in der Regel nicht expliziert, wie diese Wechselwirkungen theoretisch und empirisch zu fassen sind und auf welchen Ebenen sich soziale Ungleichheiten intersektional analysieren lassen. Diese Verkürzung überwindet unsere intersektionale Mehrebenenanalyse, die bei der Untersuchung von Wechselwirkungen zwischen Ungleichheit generierenden Kategorien gleichzeitig auch die Wechselwirkungen zwischen drei Ebenen – nämlich von Sozialstrukturen, symbolischen Repräsentationen und Identitätskonstruktionen – berücksichtigt. Der methodologische Ausgangspunkt ist dabei die Fokussierung auf soziale Praxen. Damit werden Herrschaftsverhältnisse wie Klassismen, Heteronormativismen, Rassismen und Bodyismen in ihrer Vielfältigkeit und Verwobenheit auf den drei Ebenen deutlich. Unter pragmatischen Gesichtspunkten kann eine empirische Untersuchung allerdings nicht immer alle ungleichheitsrelevanten Dimensionen auf allen Ebenen gleichzeitig abdecken, dennoch sollten Intersektionalitätsanalysen den Blick aufs Ganze im Blick behalten. Wie ein solcher Spagat gelingen kann, wollen wir in unserem Beitrag verdeutlichen. Zunächst skizzieren wir unser Verständnis von Intersektionalität. Danach zeigen wir, wie auch bei der Analyse kultureller Symbole und damit bei einem auf eine Ebene fokussierten Vorgehen ein intersektionaler Mehrebenenansatz Sinn macht. Dies verdeutlichen wir am Beispiel des Leistungsprinzips als einer wirkmächtigen Figur in kapitalistisch strukturierten Gegenwartsgesellschafen.

Theorie: Intersektionale Ungleichheitsanalyse Seit den 1990er Jahren interessieren in den Gender, Queer und Postcolonial Studies Wechselwirkungen zwischen Ungleichheit generierenden Dimensionen wie Geschlecht, Klasse, Rasse1 1

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Im deutschsprachigen Kontext erscheint in der gender- und queertheoretischen Literatur der Begriff Rasse mit Rücksicht auf die nationalsozialistische Vergangenheit zumeist in Anführungs-

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oder auch Sexualität. Dafür hat sich der Begriff Intersektionalität durchgesetzt: Statt die Wirkungen von zwei, drei oder mehr Unterdrückungen lediglich zu addieren, betonen die ProtagonistInnen des Konzepts, dass die Kategorien in verwobener Weise auftreten und sich wechselseitig verstärken oder auch abschwächen können. So ist das Konzept der Intersektionalität auf dem besten Weg, zu einem neuen Paradigma in den Gender und Queer Studies zu avancieren: Es verfügt über ein Strömungen übergreifendes Potenzial und bietet Perspektiven für konstruktive Weiterentwicklungen und Anwendungen (Davis 2008). Nach wie vor aber stehen Intersektionalitätsansätze vor einer Reihe offener Fragen. Welche und wie viele Ungleichheit generierende Kategorien sollen Berücksichtigung finden? Wie ist deren Überschneidungen theoretisch zu denken, methodisch umzusetzen und empirisch zu erfassen? Zur Bearbeitung und Lösung solcher Probleme schlagen wir in Anschluss an wissenschaftstheoretische Überlegungen von Sandra Harding (1991: 53ff.) einen Mehrebenenansatz auf folgender Grundlage vor: Wir berücksichtigen sowohl gesellschaftliche Sozialstrukturen inklusive Organisationen und Institutionen (Makro- und Mesoebene) sowie Prozesse der Identitätsbildung (Mikroebene) als auch kulturelle Symbole (Repräsentationsebene). „Wir begreifen Intersektionalität als kontextspezifische, gegenstandsbezogene und an sozialen Praxen ansetzende Wechselwirkungen ungleichheitsgenerierender sozialer Strukturen (d.h. von Herrschaftsverhältnissen), symbolischer Repräsentationen und Identitätskonstruktionen“ (Winker/Degele 2009: 15).

Entsprechend schlagen wir eine intersektionale Mehrebenenanalyse vor, die ausgehend von sozialen Praxen die Bedeutung zeichen oder alternativ wird der englische Begriff race statt Rasse verwendet. Wir wollen mit diesem Begriff Prozesse der Rassisierung, also Prozesse der Rasse erst konstruierenden Ausgrenzung und Diskriminierung sowie ihre gewaltförmige Naturalisierung und Hierarchisierung deutlich machen. Deshalb verzichten wir hier bewusst auf die Anführungszeichen. Für andere Kontexte mag die Entscheidung für die passende Schreibweise durchaus abweichend ausfallen.

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von Differenzierungskategorien auf drei Ebenen – mit Blick auf soziale Strukturen, symbolische Repräsentationen und Identitätskonstruktionen – in ihren Wechselwirkungen berücksichtigt. Die Frauen- und Geschlechterforschung hat in den letzten Jahrzehnten einige hilfreiche und weiterführende theoretische Ansätze entwickelt, die wir verbinden. So greifen wir erstens auf die strukturorientierte Feminismusdebatte der 1970er und 80er Jahre zurück, die in der Debatte um Herrschaftsverhältnisse das Verhältnis von Kapitalismus und Patriarchat im Blick hat. Zweitens nehmen wir die identitätsbezogene ethnomethodologisch orientierte Debatte um doing gender oder doing difference der 1980er Jahre auf und drittens beziehen wir uns auf die repräsentationsorientierte Debatte um das performative Hervorbringen und Verfestigen von Normen und Werten rund um das Werk von Judith Butler seit den 1990er Jahren. Wir bringen diese drei Stränge zusammen und können, indem wir statt aus einer, aus drei feministischen Perspektiven auf gesellschaftliche Konstruktionsprozesse schauen, mehr erkennen. Das Ziel unseres Forschungsansatzes besteht darin, die immer wieder neu mit verschiedenen Differenzkategorien und auf verschiedenen Ebenen konstruierten Hierarchisierungen und Diskriminierungen in ihren Verwobenheiten aufzudecken. Dazu behaupten wir als theoretische Klammer eine kapitalistisch strukturierte Gesellschaft mit der grundlegenden Dynamik ökonomischer Profitmaximierung. Diese hält – trotz aller empirisch zu beobachtenden Widersprüche bis hin zu massiven Krisen – eine sich selbst reproduzierende und perpetuierende Struktur aufrecht. Intersektionalitätstheoretisch hat das für alle drei Ebenen Folgen. Reproduktion der Arbeitskraft (Struktur): Voraussetzung für die Aufrechterhaltung kapitalistisch strukturierter Gesellschaften ist neben der Sicherung der sozio-ökonomischen Produktionsverhältnisse und der Wiederherstellung der Produktionsmittel auch die möglichst kostengünstige Reproduktion der Arbeitskräfte. Erforderlich ist dazu der kurzfristige Zugriff auf geeignete, passend qualifizierte und flexible Arbeitskräfte zu möglichst geringen Löhnen, ohne dass für deren Reproduktion und Bereitstellung zu hohe Kosten entstehen. Dies gelingt durch einen flexibilisierten Zugang zum Arbeitsmarkt, durch Lohndifferenzierungen und durch kostengünstige Reprodukti-

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onsarbeit. Letzteres erfolgt vor allem über die Auslagerung unbezahlter Reproduktionsarbeit an Frauen in Familien – möglichst zusätzlich zu ihrer Erwerbsarbeit – und damit über die Strukturkategorie Geschlecht (vgl. Winker 2007). Aber auch die Kategorien Klasse, Rasse und – wie wir behaupten – Körper differenzieren und regeln den Zugang zum Erwerbsarbeitsmarkt, die ungleiche Verteilung von Löhnen und Gehältern sowie die Erhaltung und Wiederherstellung der Arbeitskraft. Entlang dieser vier Strukturkategorien lässt sich also gesellschaftlich notwendige Arbeit sowohl in der Produktions- als auch der Reproduktionssphäre ungleich zuordnen. Auf dieser Ebene struktureller Herrschaftsverhältnisse ist es nicht zuletzt um der analytischen Aussagekraft willen sinnvoll, die Zahl der zu berücksichtigenden Ungleichheitskategorien möglichst gering zu halten. So unterscheiden wir vier Herrschaftsverhältnisse entlang der Strukturkategorien Klasse, Geschlecht, Rasse und Körper, nämlich Klassismen, Heteronormativismen, Rassismen und Bodyismen. Dabei erfassen wir mit der Strukturkategorie Geschlecht nicht nur die Frau-Mann-Unterscheidung und damit die Zweigeschlechtlichkeit, sondern auch die eng damit verbundene heterosexuelle Zuordnung und Hierarchisierung. Damit integrieren wir in die Strukturkategorie Geschlecht die in intersektionalen Zusammenhängen oft vorgeschlagene Kategorie Sexualität und trennen nicht künstlich Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung. Ferner erweitern wir auf der Strukturebene die in den Sozialwissenschaften gängige Dreierkette von Rasse, Klasse und Geschlecht um die Kategorie Körper, da wir mit dieser Strukturkategorie neben der kulturellen Leistungsfähigkeit (Bildung, Beruf usw.) die körperliche Leistungsfähigkeit als wichtige Grundvoraussetzung für das individuelle Reproduktionshandeln und den Verkauf der eigenen Arbeitskraft berücksichtigen können. Während Rasse und Geschlecht mit dem Rekurs auf eine vermeintliche Naturhaftigkeit begründet und legitimiert wird, ist das bei Klasse schon längst nicht mehr der Fall. Statt Naturalisierung sind dort Verbesserung, Optimierung und der Glaube an den möglichen Aufstieg herrschende Legitimationen – und genau darin trifft sich die inzwischen entnaturalisierte Kategorie Klasse mit Körper. So sind sowohl Alter wie körperliche Verfasstheit, Gesundheit und Attraktivität in den

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letzten Jahrzehnten in Arbeitszusammenhängen immer bedeutsamer geworden und entscheiden über die Verteilung von Ressourcen. Wie diese sozialen Strukturen durch Normen, Werte sowie Ideologien gebildet, verändert und herausgefordert werden, analysieren wir auf unserer zweiten Untersuchungsebene der symbolischen Repräsentationen. Symbolische Reproduktion der sozio-ökonomischen Verhältnisse (Repräsentationen): Das kapitalistische Grundprinzip stellt insofern ein „absurdes System“ dar (Boltanski/Chiapello 2003: 42), als die ArbeitnehmerInnen die Eigentums- und Verfügungsrechte an den Produkten ihrer Arbeit an Kapitalisten und Manager verlieren. Gegen den Vorwurf der Ungerechtigkeit bedarf es deshalb einer ideologischen Rechtfertigung. Solche Normen, Ideologien und Repräsentationen als hegemonial abgesicherte Begründungen wiederum beruhen auf naturalisierenden und/ oder hierarchisierenden Bewertungen auf der Grundlage unterschiedlichster Differenzkategorien. Im Unterschied zur Strukturebene müssen sich die Differenzierungen nicht einer oder mehreren der vier Strukturkategorien zuordnen lassen. Denn im Vordergrund steht hier nicht wie bei der Bestimmung struktureller Herrschaftsverhältnisse eine notwendige Reduktion von Komplexität. Gleichwohl ist die Repräsentationsebene für die Bildung und Aufrechterhaltung sozialer Ungleichheiten kein bloßes Addendum. Symbolische Repräsentationen stützen als Ideologien und Normen der Rechtfertigung strukturelle Herrschaftsverhältnisse und werden von diesen gleichzeitig auch mit hervorgebracht. Als Sicherheitsfiktionen ermöglichen Normen und Werte Identitätskonstruktionen, und diese individuellen Subjektivierungsprozesse stabilisieren wiederum symbolische Repräsentationen durch performative Wiederholungen. Verunsicherung der sozialen AkteurInnen (Identitäten): Die Reproduktion der Arbeitskräfte ist für die kapitalistische Akkumulation überlebenswichtig; gleichzeitig sichert sie die Lebensgrundlage aller Einzelnen. In einer kapitalistischen Gesellschaft geschieht dies primär durch den Verkauf der eigenen Arbeitskraft oder aber durch familiäre oder sozialstaatliche Transferzahlungen. Alle drei Wege der eigenen Lebensabsicherung sind mit vielfältigen Unsicherheiten verbunden. Hohe Erwerbslosenquoten und prekäre Beschäftigungsverhältnisse sowie Lohn-

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kürzungen und die Reduktion wohlfahrtsstaatlicher Ausgleichzahlungen führen für viele zu erhöhter Verunsicherung. Identitäten, welche in Abgrenzung zu Anderen konstruiert werden, schaffen individuelle Sicherheit durch Zugehörigkeit. Sie bedürfen aber gleichzeitig einer aktiven Konstruktionsleistung durch das Individuum. Auf die Verwobenheit von Kategorien bei der Konstruktion von Identitäten verweist der doing difference Ansatz, wonach Geschlecht, Klasse und Ethnie simultan entstehen und wirken (West/Fenstermaker 1995). Dies muss allerdings auch Prozesse des Irrelevantmachens von Kategorien einschließen, wie es z. B. Stefan Hirschauer (2001) oder Francine Deutsch (2007) für undoing gender aufgezeigt haben. Aufgrund fortschreitender Individualisierungsprozesse macht es dabei freilich keinen Sinn, die Kategorien auf Geschlecht, Klasse und Ethnizität zu begrenzen. Als Konsequenz muss ein Intersektionalitätsansatz die Anzahl der für die Analyse zur Verfügung stehenden und erforderlichen Kategorien auch auf dieser Untersuchungsebene prinzipiell offen halten. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Auf der Strukturebene benennen wir vier Herrschaftsverhältnisse, setzen aber keines als dominant voraus, sondern fokussieren auf ihre Verwobenheiten. Ferner gehen wir davon aus, dass die Beziehungen dieser Herrschaftsverhältnisse untereinander einem historischen Wandel unterliegen. Dabei können Bedeutungsverschiebungen von einer Kategorie zu anderen stattfinden. Als Konstante bleibt allerdings festzuhalten, dass Ein- und Ausschlüsse entlang dieser vier Strukturkategorien eine ungleiche Ressourcenverteilung aufrechterhalten. Wie diese empirisch ausgestaltet ist, lässt sich nicht theoretisch ableiten, zumal sie von den sozialen Praxen der AkteurInnen abhängt. Diese sind Ausgangspunkt unseres empirischen Vorgehens. Abgesichert werden diese Herrschaftsverhältnisse durch handlungsorientierende und strukturbildende Normen und Ideologien, die wir mit der Analyse symbolischer Repräsentationen berücksichtigen. Wirksam sind ferner Identitätskonstruktionen, die mit dem Verweis auf Andere vermeintliche Sicherheiten schaffen, ohne Normen und Strukturen nicht denkbar sind und auf diese wieder zurückwirken. Wir blicken aus drei Perspektiven auf soziale Praxen. Entsprechend arbeiten wir empirisch Identitätskon-

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struktionen und deren Bezüge zu sozialen Strukturen und symbolische Repräsentationen heraus. Um diesen Theorieansatz in der empirischen Praxis anwenden zu können, sind methodische Werkzeuge erforderlich. Methodologisch zeigen wir die Zusammenhänge und Abhängigkeiten der drei Ebenen auf, indem wir fragen, welche Wechselwirkungen die jeweiligen Konstruktionen auf einer Ebene auf die beiden anderen genannten Ebenen haben.

Methodologie: Praxeologische Intersektionalität Die drei von uns fokussierten Ebenen sind nicht nur durch den kontextuellen Rahmen der kapitalistischen Akkumulation miteinander verbunden, sondern auch durch soziale Praxen aller Einzelnen. Über soziale Praxen, d.h. soziales Handeln und Sprechen, entwerfen sich Subjekte in sozialen Kontexten, konstruieren Identitäten, verarbeiten den Einfluss bestimmter symbolischer Repräsentationen, stützen gesellschaftliche Strukturen oder stellen sie in Frage. Umgekehrt bilden die drei angesprochenen Ebenen den Rahmen für soziale Praxen. Letztere sind also durch Differenzkategorien und die genannten drei Ebenen miteinander verbunden. Deshalb bildet die Analyse beobachtbarer sozialer Praxen den methodologischen Ausgangspunkt unserer intersektionalen Mehrebenenanalyse. Mit Bourdieus Theorie der Praxis gehen wir davon aus, dass der Ausgangspunkt und Gegenstand der Analyse die sozialen Praxen sein sollten, die einer empirischen Untersuchung zugänglich sind. Bourdieu zufolge ist Praxis im Gegensatz zur Logik der Wissenschaft durch Widersprüche, fehlende Handlungsentlastung und Unumkehrbarkeit gekennzeichnet; Widersprüche sind konstitutiv für das Soziale (Bourdieu 1993: 25f.). So fordert Bourdieu eine Theorie der Praxis, die die scharfe Trennung von Empirie und Theorie überwindet (Bourdieu 1993: 147-180) und damit der Praxis mit ihrer eigensinnigen Logik gerecht werden soll. Dahinter steht eine intersektionalitätstheoretisch wichtige Einsicht: Nicht alles ist klassifizierbar, theoretische Kategorien sind nicht unbedingt Kategorien der Empirie. Das wiederum bedeutet, empirische Analysen nicht

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mit theoretischen Konzepten, sondern mit sozialen Praxen beginnen zu lassen. Konkret heißt das in unserem Fall, dass wir den Zusammenhang von Klassen-, Geschlechter-, Rassen- und Körperverhältnissen sehr wohl im Blick haben, unbeeindruckt davon aber mit der Analyse im Alltag von Menschen beginnen. Mit einem solchen Vorgehen schließen wir uns gleichzeitig Bourdieus Forderung nach einem strikt relationalen Vorgehen an (Bourdieu 1998: 15). Das bedeutet, dass sich keine soziale Tatsache aus ihrem singulären Sosein erklären lässt, jedes Element wird vielmehr durch die Beziehungen zu anderen Elementen charakterisiert. Erst durch Relationieren, d.h. durch die Spezifizierung der Kontexte, innerhalb derer ein Phänomen zu beobachten ist, lässt sich seine Funktion und Bedeutung erschließen. Ausgehend vom empirischen Handeln und Sprechen von Personen rekonstruieren wir Identitäten, die sie herstellen sowie Strukturen und Normen, auf die sie rekurrieren: Auf welche Kategorien beziehen sich die AkteurInnen bei ihren Subjektivierungsprozessen? Welche Normen, Leitbilder und Deutungsmuster sind bei ihnen wirksam? In welche strukturellen Zusammenhänge ist ihr Handeln eingebettet? Mit solchen Fragen gilt es, die drei Untersuchungsebenen zueinander in Beziehung zu setzen und dabei die Wechselwirkungen verschiedener Differenzkategorien nicht aus den Augen zu verlieren. Um das Ziel einer gleichermaßen theoriegeleiteten wie auch explorativen Sozialforschung zu erreichen, plädieren wir für eine Kombination von überraschungsoffener und theoriegeleiteter Forschung. Konkret meinen wir damit eine Verbindung induktiver und deduktiver Verfahren: Die Untersuchung muss offen sein für Überraschungen, d.h. jedwede Kategorie kann relevant sein oder auch nicht – sie muss diese Relevanzen aber auch sehen können. Die Verbindung zahlenmäßig begrenzter Strukturkategorien mit anzahloffenen Identitäts- und Repräsentationskategorien lässt sich als Wechselspiel deduktiver (theoriegeleiteter) und induktiver (überraschungsoffener) Vorgehensweisen rekonstruieren. Durch theoriegeleitete Vorgaben wird es möglich, unbenannte (weil selbstverständliche und deshalb nicht thematisierte) Positionen wie hierarchisch oben positionierte Seiten wie männlich, heterosexuell, nicht-behindert oder Weiß aufzuspüren. Gleichzeitig können auf der Identitäts- und Repräsentationsebene auch zusätzliche Differenzka-

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tegorien auftauchen, die es bei der Auswertung zu berücksichtigen gilt. Der gewählte Fokus auf Verbindungen (zwischen Theorie und Empirie, Deduktion und Induktion) ist der Prozesshaftigkeit von Sozialität, also der untersuchten Gegenstände, geschuldet. Denn die AkteurInnen sind es, die gesellschaftliche Strukturen beständig herstellen und reproduzieren (Giddens 1984). Die Repräsentationsebene liegt in Form symbolisch codierter Normen und Ideologien quer zu Identitätskonstruktionen (auf der Mikroebene) und Sozialstrukturen (auf der Makround Mesoebene) und taucht in sozialstrukturorientierten Ungleichheitsanalysen selten als eigenständige Ebene auf. Uns erscheint es dagegen wichtig, symbolische Repräsentationen auch unabhängig von ihren sozialen TrägerInnen in ihrer Wirkungsmacht benennen zu können. Denn auch symbolische Repräsentationen ‚machen‘ Strukturen in Form von Anrufungen, wie sie in Werbebotschaften, Gesetzen oder Massenmedien materialisiert sind. Die soziale Ordnung setzt sich dadurch fortschreitend in den Köpfen der Menschen fest, sie wird unbewusst, und damit wird auch die soziale Klassifikation unsichtbar. Identitätskonstruktionen von AkteurInnen und Repräsentationen sind also über Performativität miteinander verknüpft und bringen Strukturen hervor. Die hergestellten Strukturen wiederum werden nur in Form von Vollzug aktiv. Identitäten und Repräsentationen sind damit Struktur erhaltende und Struktur bildende Faktoren. Vor diesem Hintergrund unterscheiden wir analytisch sechs mögliche Verbindungen zwischen Identität (I), Struktur (S) und Repräsentation (R) je nach betrachteter Richtung: I→R, R→I, S→R, R→S, S→I und I→S. Diese sechs Verbindungslinien können von unterschiedlicher Form sein, sie können etwa abschwächende, verstärkende oder auch neutrale Wirkungen wie etwa als Persistenz, Rücknahme, Modifikation, Verstärkung, Abschwächung, fehlende Resonanz, Widerstand, Anpassung oder auch Revolution zeitigen. In jedem Fall geht es darum, den Blick auf Prozesse zu richten und nicht auf die Ebenen allein. Vor diesem Hintergrund besteht das intersektionale Handwerk darin, mit diesem hier nur skizzierten Modell von Wechselwirkungen verschiedene Formen und Verschiebungen von Ein-

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und Auswirkungen konzeptuell einzufangen und Widersprüche zu rekonstruieren und zu erklären. Für die methodische Umsetzung dieses Konzepts schlagen wir ein Modell mit acht Schritten vor, das – entsprechend der Theorie der Praxis von Bourdieu – bei empirisch erfassbaren sozialen Praxen (z. B. in Interviews, Gruppendiskussionen) beginnt (vgl. ausführlicher Winker/Degele 2009, 79ff.). Wir gehen induktiv von einer nach oben offenen Anzahl von Kategorien aus, um verschiedenartige Identitätskonstruktionen und unterschiedliche Normen, Werte sowie Ideologien und auch Verweise auf Strukturen in ihrer Vielfalt zu berücksichtigen. Genauer gesagt setzen wir an konkreten Phänomenen an und analysieren sie im Hinblick auf dabei wirksame Ungleichheitsdimensionen. Mit diesem Vorgehen wollen wir die Wechselwirkungen und unterschiedlichen Gewichtungen von Ungleichheitsdimensionen und Herrschaftsverhältnissen auf den drei Ebenen in den Blick bekommen. So fragen wir auf der Strukturebene, welche Klassismen, Heteronormativismen, Rassismen und Bodyismen im Feld erkennbar und wie sie untereinander verwoben sind. Dann untersuchen wir deren Wirkungen auf die Identitätsebene. Weiter fragen wir, wie identifizierte Identitätskonstruktionen Strukturen stützen oder relativieren. In beiden Untersuchungsschritten wird sichtbar, ob und inwiefern Individuen (oder die abstrahierten Typen) von den vier Herrschaftsstrukturen betroffen sind. Ein ähnliches Vorgehen durchlaufen wir, indem wir die kontextualisierten symbolischen Repräsentationen als Ausgangspunkt nehmen. Welche Wirkungen haben diese Normen auf Identitätskonstruktionen in dem von uns untersuchten Kontext? Welche typischen Selbstbilder verweisen auf die Wirksamkeit bestimmter Repräsentationen? Auch stellen wir umgekehrt die Frage, wie Identitätskonstruktionen die gängigen Normen und Werte stabilisieren oder aber in Frage stellen. Abschließend betrachten wir das Verhältnis von im Kontext wirksamen strukturellen Herrschaftssystemen und bedeutsamen symbolischen Repräsentationen. Dieses Wechselverhältnis untersuchen wir wieder in zwei Richtungen. Zunächst fragen wir ausgehend von Strukturen im Hinblick auf Repräsentationen, wo und wie sich strukturelle Gegebenheiten auf Normen und Ideologien auswirken und wie sich entsprechend symbolische Repräsentationen darstellen. Umgekehrt

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analysieren wir, ob und wie sich die benannten Normen und Werte auf die Strukturebene auswirken und wie sie strukturelle Herrschaftsverhältnisse verändern. Im Idealfall lassen sich hier Aussagen treffen, inwieweit sich Strukturen und Repräsentationen gegenseitig stützen oder sich Verschiebungen von der Struktur- auf die Repräsentationsebene oder umgekehrt abzeichnen. Mit diesem theoretisch fundierten Werkzeugkasten lassen sich intersektionale Analysen durchführen. Unser Ziel ist dabei zu erforschen, wie sich AkteurInnen selbst begreifen, wo sie Hindernisse für die Realisierung ihrer Lebensinteressen sehen, wo sie Unterdrückung und Diskriminierungen erfahren und wo sie auch Widerstandspotenziale erkennen. Im Folgenden möchten wir am Beispiel des Leistungsprinzips als kulturellem Symbol verdeutlichen, wie ein empirisches Vorgehen ausgehend von der symbolischen Repräsentationsebene von der intersektionalen Mehrebenenanalyse profitieren kann.

Empirie: Leistungsprinzip intersektional Boltanski und Chiapello (2003: 42ff.) bezeichnen den Kapitalismus nicht nur als absurdes System, sondern verweisen darauf, dass dieser für sein Fortbestehen auf eine überzeugende Ideologie angewiesen ist. Diese sollte sowohl das individuelle Engagement begründen, als auch erklären, warum das System dem Allgemeinwohl diene. Da sich bei der Widersprüchlichkeit des kapitalistischen Systems keine einzelne und in sich stimmige Ideologie zur Legimitation konstruieren lässt, haben wir es mit einer Vielfalt von Normen und Werten zu tun, die es auf der symbolischen Repräsentationsebene in ihren kategorialen Verwobenheiten zu untersuchen gilt. Eine zentrale Rolle spielt dabei die meritokratische Triade (bestehend aus Bildung, Beruf und Einkommen): „Die Qualifikation soll in eine entsprechende berufliche Position konvertierbar sein, die berufliche Position soll mit einem ihr angemessenen Einkommen ausgestattet sein – so will es die Leistungsideologie“ (Kreckel 1992: 97).

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Dem meritokratischen Prinzip zufolge werden Güter und Belohnungen nach individuellen Leistungen verteilt, „wobei Chancen beim Bildungserwerb bzw. bei der Leistungsakkumulation nicht von Faktoren sozialer Herkunft abhängen dürfen (Chancengleichheit)“ (Hadjar 2008: 44). So stellt sich das Leistungsprinzip auch als „Methode zur Konstruktion von gerechten Ungleichheiten in einer Gesellschaft dar, die ansonsten auf die grundsätzliche Gleichheit der Individuen Wert legt“ (Dubet 2008:24). Geschlecht, Ethnie oder Alter dürfen also keine Rolle spielen – tun es faktisch aber. Um eine Ideologie handelt es sich, weil sie nicht auf die Förderung sachlicher Leistungsfähigkeit beschränkt bleibt, sondern gleichzeitig die Ungleichheit von Lebenschancen rechtfertigt. Nur aber, was ist Leistung? Vielleicht gehört es zum Prinzip dieses Phänomens, dass es historisch wie kontextuell variabel ist (Neckel/Dröge 2002). War das Leistungsprinzip zunächst ein Instrument des Bürgertums, um die Privilegien des Adels zu kritisieren, fungierte es später als Rechtfertigungsideologie der kapitalistischen Verteilungsverhältnisse (Voswinkel/ Kocyba 2008: 22). Auch die ArbeiterInnenbewegungen monierten die Kluft zwischen dem meritokratischen Prinzip und seiner unzulänglichen Verwirklichung. Damit kritisierten sie jedoch in der Regel nicht die Tatsache, dass soziale Ungleichheiten durch Leistungsunterschiede gerechtfertigt werden, sondern wandten sich nur gegen Ungerechtigkeiten in den Bewertungen von Leistung. Weitergehende Kritik am Verteilungssystem nach individueller Leistung kam von Frauenbewegungen, die nicht nur diskriminierende Löhne in typischen Frauenberufen anprangerten, sondern auch die Anerkennung der privat geleisteten Reproduktionsarbeit in Familien einforderten – bis heute weitgehend erfolglos. Die Erfolgsgeschichte des Leistungsprinzips ist ferner darauf zurückzuführen, dass es ganz unterschiedliche Kriterien gibt, nach denen Leistung bemessen wird. Leistung lässt sich einerseits nach dem Input des Einzelnen, nach Einsatz, Arbeitsintensität und Arbeitszeit, aber auch nach Qualifikation, Talent, Körperkraft oder auch Schönheit bemessen. Andererseits lässt sich der Output, das Ergebnis bewerten, womit dann die Quantität und Qualität von Gütern und Dienstleistungen oder deren soziale Sinnhaftigkeit und Nützlichkeit oder eben der Markter-

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folg (Voswinkel/Kocyba 2008: 23f.) in den Vordergrund treten. Auch lässt sich Leistung in der Regel nur in Relation zu anderen Personen bestimmen. Dann aber kann es auch sein, dass das Geleistete nie ausreicht, da es immer Andere gibt, die mehr leisten können als man selbst. So erzeugen die individuellen Leistungsbilanzierungen nach wechselnden Kriterien Unsicherheit und die Überzeugung, „dass der Wert jedes Einzelnen in hohem Maß variabel ist und man sich jeden Tag auf Neue bewähren muss.“ (Boltanski/Chiapello 2003: 367). Das Leistungsprinzip scheint sich als umstrittene Norm gerade wegen seiner inhärenten Widersprüche und der Mehrdimensionalität bei der Anwendung für immer wieder neue Debatten zu eignen: Ungleichheiten auf der Grundlage von Bildung werden durch den Verweis auf „Begabungsunterschiede“ naturalisiert und funktionalistisch als notwendig gedeutet – womit Klassenspezifika ausgeblendet bleiben (Solga 2005: 2331). Nicht zuletzt ist die Fundamentalkritik am Leistungsprinzip verstummt, weil der „neue Geist des Kapitalismus“ kritische Forderungen nach Autonomie, Kreativität und Selbstbestimmung in die betrieblichen Leistungsdefinitionen selbst eingebaut hat (Dröge/Marrs/Menz 2008: 9). So bleibt es immer noch erstaunlich unumstritten, wenn ManagerInnen das Vielfache von Niedriglohnbeziehenden verdienen, und auch die exorbitanten Einkommen von SpitzensportlerInnen oder BörsenmaklerInnen erschüttern das Leistungsprinzip nicht grundlegend. Ferner stellt die fehlende Berücksichtigung der Leistung in Familien und im Ehrenamt das Prinzip an sich nicht in Frage. Wer die Konjunktur der regelmäßig wiederkehrenden Faulheitsdebatten verfolgt, stellt fest, dass diese bislang meist vor Bundestagswahlen stattfanden, um die „Mitte“ der Gesellschaft zu mobilisieren (Oschmiansky/Schmid/Kull 2003). Entsprechend fiel es der offiziellen Politik wegen des breiten Bekenntnisses aller im Bundestag vertretenen Parteien zum Leistungsprinzip schwer, sich im Februar 2010 gegen die populistischen, markigen Sprüche des FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle zur Wehr zu setzen. Dieser bestimmte über Wochen mit seinem Credo, dass Leistung sich wieder lohnen müsse, die Medienberichterstattung. Er stellt damit einerseits die Hartz IV EmpfängerInnen an den Pranger, die Geld beziehen ohne die entsprechende Leistung zu bringen. Andererseits empfiehlt er sich als

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Advokat der so genannten LeistungsträgerInnen in der gehobenen Mittelschicht, denen er über Steuererleichterungen Statusverbesserungen verspricht. Diese gesellschaftlichen Diskurse zur Leistungsideologie verweisen gleichzeitig darauf, dass sich auch Erwerbslose aus eigener Kraft in den Arbeitsmarkt integrieren können und prekär Beschäftigte Aufstiegschancen in eine so genannte Normalbeschäftigung haben. Wer wegen mangelnden Leistungswillens keinen Erfolg hat, hat seine Erwerbslosigkeit oder Niedriglohnbeschäftigung selbst verschuldet und verdient dieser Diktion zufolge keine gesellschaftliche Unterstützung. Eng verbunden mit dem Leistungsprinzip sind damit Schuldzuweisungen der Faulheit, aber auch Hinweise auf individuelle Bildungs- und Qualifizierungsdefizite. Fast immer also wird die Ursache der Erwerbslosigkeit oder der prekären Beschäftigung mit den Merkmalen der Individuen verknüpft. So lässt sich festhalten, dass in den hegemonialen Diskursen Hierarchien, die auf der Kategorie Klasse beruhen, als weitgehend legitimiert gelten. Entsprechend sind die klassistischen Abstufungen zwischen Langzeiterwerblosen, Erwerblosen mit Arbeitslosengeld I, AufstockerInnen, prekär Beschäftigten, befristet Beschäftigten, Beschäftigten im Normalarbeitsverhältnis akribisch abgestuft und scheinen über das Leistungsprinzip abgesichert. Alle Einzelnen sind selbst dafür verantwortlich, auf welchem Platz sie sich befinden. Ähnlich verhält es sich inzwischen auch mit der körperlichen Leistungsfähigkeit. In Debatten in Massenmedien aller Art ist eine gesunde Lebensführung gefordert, für die jede und jeder selbsttätig einstehen muss. Prophylaxe und die Sorge um sich selbst ermöglichen es, so das wiederkehrende Credo, Jungsein, körperliche Leistungsfähigkeit und entsprechendes Aussehen bis ins numerisch hohe Alter zu erhalten – und auch selbst zu bezahlen (Brenneis 2007). Entsprechend stehen alle Einzelnen in der Verantwortung, sich fit zu halten. Es gilt die eigenen Körper so zu formen und zu gestalten, dass sie vielfältigen Anforderungen gerecht werden. Dies schlägt sich auch in öffentlichkeitswirksamen Debatten in Massenmedien um die Optimierung des Körpers, Schönheitsoperationen, Wellness, Doping und neuerdings Neuro-Enhancement nieder (Haubl/ Liebsch 2009). In diesem Sinn nähern sich die Diskurse um die

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körperliche Verfasstheit den Leistungsdiskursen an, mit denen sich klassistische Hierarchien legitimieren lassen. Die gegenseitige Verwobenheit der Rechtfertigungen von klassistischen und körpernormierenden Diskriminierungen wird auch dadurch deutlich, dass Körper als Symbole zur Inszenierung von Wohlstand und Status dienen. Deutlich anders sieht es mit den Kategorien Rasse und Geschlecht aus, deren Relationalität und Unterscheidbarkeit sich auf eine naturalisierte Differenz bezieht. Mit dieser Naturalisierung gewinnen diese beiden Kategorien ihre besondere Bedeutung für die Gesellschaft, da sie nicht hinterfragbar scheinen. Nicht zur Mehrheitsgesellschaft gehörige Menschen werden über andere Hautfarben, Körperkonstitutionen, Ethnien, Religionen oder Weltanschauungen rassifiziert und damit zu Anderen gemacht. Rassistische Argumentationen zielen darauf ab, Menschengruppen durch symbolische Klassifikationen als ‚von Natur aus‘ ungleiche zu markieren. Sie ermöglichen es ebenso wie stereotype Geschlechterbilder, die Anderen „begründet“ aus dem Rennen um die Leistungsstarken auszugrenzen (Wilz 2008) und legitimieren damit soziale Unterschiede trotz herrschender Gleichheitsideologie und trotz Leistungsprinzip. Dafür eignet sich in massenmedialen Debatten auch immer wieder der Aspekt der Generativität. So gibt es unendliche Stereotype, welche Aufgaben Müttern obliegen. Unabhängig ob sie wie in fordistischen Zeiten sich möglichst umfassend um die Kindererziehung kümmern sowie die Hausarbeit für die Familien übernehmen oder heute als postfordistische Alltags-Managerinnen Beruf, Erziehung der Kinder, Pflege der Alten und vieles mehr zusammenbringen sollen: In beinahe jedem Kontext spielen stereotype Bilder von Müttern mit fehlender Leistungsbereitschaft in der Erwerbsarbeit und/oder der Sorgearbeit beziehungsweise dem Gegenpart der Kinderlosen mit ihrer fehlenden sozialen Verantwortung eine bedeutsame und disziplinierende Rolle. Diese Bilder fallen oft recht unterschiedlich aus, je nachdem, ob es sich um migrantische, kranke, arme oder aber deutsche, gesunde, hoch qualifizierte Mütter handelt. Auch bei der diskursiven Einordnung von Erwerbslosen wird deutlich, wie sehr Klassifizierungen entlang zugeschriebener Merkmale funktioniert. So unterscheidet Hans Uske (2000: 171ff.) in einer Untersuchung zum öffentlichen Diskurs

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zu Arbeitslosigkeit die Wahrnehmung „echter“ Arbeitsloser, die schicksalhaft entlassen wurden, die Familie ernähren oder alle Ansprüche an die gesuchte Arbeit aufgegeben haben, von den „unechten“. Bei den „unechten“ lassen sich drei Typen unterscheiden: der/die Arbeitslose will nicht arbeiten (Drückeberger, Sozialschmarotzer), kann nicht arbeiten (unqualifiziert, alt, behindert, teilzeitsuchend, immobil), darf nicht arbeiten (Frauen als „Zubrotverdienerinnen“, AusländerInnen). Es ist die Aufgabe einer Mehrebenenanalyse, die Wechselwirkungen von unterschiedlichsten Kategorien auf der symbolischen Repräsentationsebene herauszuarbeiten. Mit unserem praxeologischen Ansatz bleiben wir zur Analyse solcher Zusammenhänge nicht auf der Repräsentationsebene stehen, sondern fragen nach Identitätskonstruktionen, in denen Leistungsprinzipien herangezogen werden. Und weiter fragen wir, mit welchen strukturellen Herrschaftsverhältnissen die wahrnehmbaren Repräsentationen in beispielsweise Politikerreden oder Medienberichten korrespondieren.

Identitätskonstruktionen Welchen Stellenwert die Einschätzung der eigenen Leistung im Vergleich zu Anderen für Identitätskonstruktionen hat, lässt sich letztendlich nur durch empirische Untersuchungen rekonstruieren. So kommt die Studie von Fancois Dubet (2008) bei der Analyse von Ungerechtigkeitsempfinden in der Auswertung von 261 halboffenen Interviews mit Erwerbstätigen und elf mehrstündigen Gruppengesprächen mit Angehörigen einer Berufsgruppe zu dem Ergebnis, dass die Befragten wegen ihrer Anstrengungen anerkannt und bezahlt werden möchten. Dubet findet unterschiedliche Kritiken am Leistungsprinzip. „Die heftigste ist immer noch die an der Ausbeutung“, die das Ungleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung angreift und „als Beraubung erlebt“ (ebd. 467). Diese Kritik äußern vor allem ArbeiterInnen. Ferner ziehen die Erwerbstätigen unentwegt Vergleiche und artikulieren Kritik an Unterschieden, die nicht durch Leistung im Sinne von Input, also Aufwand und Qualifikation gedeckt sind. Dieses Vergleichen wird dann besonders schwierig und gleichzeitig auch besonders dringlich, wenn nicht Güter, sondern Dienstleistungen erbracht werden,

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da dort der emotionale Aufwand nicht messbar und nicht objektivierbar ist. So „geht aus dem Leistungsprinzip eine fortlaufende Kette von Frustrationen hervor, eine Welt des Neides und der Eifersucht“ (ebd.). Und schließlich wird Vetternwirtschaft, Mobbing und Bewertung nach persönlicher Sympathie beklagt. Doch trotz aller Vehemenz dieser Kritiken wird die Bedeutung des Leistungsprinzips nicht in Frage gestellt. Die unterschiedlichsten Identitätskonstruktionen bezüglich Leistung lassen sich ferner in einer Untersuchung von Neckel/Dröge/Somm (2008) zur Relevanz des Leistungsprinzips als Rechtfertigung sozialer Ungleichheit verfolgen. In Diskussionen mit ausgewählten Sozialgruppen stellen die ForscherInnen verschiedene Bewertungslogiken von Leistung fest. So vertreten beispielsweise niedrig qualifizierte Personen einen arbeitszentrierten Leistungsbegriff, wonach der Aufwand, also der Input, entscheidend ist für die Leistung. Diesen Leistungsbegriff bezieht diese Gruppe allerdings nur auf die eigene Soziallage, nicht aber auf die höher qualifizierten Gruppen z. B. im Management. Damit können sie die Belohnungsverteilung zwischen „Oben“ und „Unten“ nicht kritisieren. Höhere gesellschaftliche Schichten hingegen verallgemeinern ihre Perspektive mit weit größerer Selbstverständlichkeit. Obwohl sich auch dort nicht alle Tätigkeiten einer marktförmigen Bewertung fügen, wird der Markterfolg, also der am Markt messbare Output, vergleichsweise konkurrenzlos zum dominanten Maßstab erhoben. Gleichzeitig bezieht sich diese Gruppe auf die individuelle Selbstverwirklichung, die bedeutsam für die einer Person zugeordneten Leistung sei. Diesen so genannten gesellschaftlichen LeistungsträgerInnen, die Leistung am Grad der Selbstverwirklichung und vor allem des Markterfolgs messen, gelingt es, ihre Bewertungslogiken als dominant zu setzen und anders gewichtete Leistungsbegriffe zu relativieren. Die AutorInnen betonen allerdings auch, dass dies nicht bedeuten muss, dass in anderen Kontexten die Aufwandsdimension und damit verbunden die Norm der Chancengleichheit weiterhin handlungsleitende Werte bleiben. Festzuhalten ist, dass nicht nur unterschiedliche Verständnisse von Leistung koexistieren, sondern dass unterschiedliche Leistungsverständnisse u.a. im Zusammenhang mit Milieu-, Qualifikations- und Altersdifferenzen stehen.

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Wie stark unterschiedliche Legitimationsmuster in Bezug auf Leistung auch mit weiteren identitären Differenzkategorien verwoben sein können, zeigt sich in unseren Erfahrungen aus Interviews mit Erwerbslosen (Winker/Degele 2009: 99ff.). Die im Jahr 2007 von Studierenden in Hamburg und Freiburg befragten 13 Erwerbslosen orientieren sich unhinterfragt an der Norm des Leistungsprinzips. Dies gilt zunächst ganz ausgeprägt für den Typus von Befragten, die Erwerbsarbeit ins alleinige Zentrum ihrer Zukunftsplanung stellen und sich darüber vor allem gesellschaftliche Integration versprechen. Diese erwerbslosen Personen setzen sich sehr stark mit dem öffentlichen Bild auseinander, dass sie sich nicht genug engagieren würden, um einen Arbeitsplatz zu finden. Sie nehmen die Aufforderung zu noch mehr Eigeninitiative ernst, fragen sich allerdings auch, was sie eigentlich noch alles tun und lernen sollen, um ihre Employability zu erhöhen. Auch ein zweiter Typus von Befragten, die wegen Drogennutzung und Krankheiten zumindest teilweise die Kontrolle über den eigenen Körper verloren haben, strebt danach, mit eigener Leistung die Verantwortung für die eigene Reproduktion wieder übernehmen zu können. Diese Personen setzen sich mit dem Vorwurf auseinander, sie würden bewusst ihren Körper und damit ihre Leistungsbereitschaft ruinieren. Die Befragten eines dritten Typus setzen alles daran, ihren Verpflichtungen als Mutter nachzukommen und die Versorgung ihrer Kinder zu sichern. Insbesondere die Mütter mit Migrationshintergrund werden dabei mit einer besonderen Variante des Schmarotzerbilds konfrontiert, das ihnen vorwirft, mit ihren Kindern in die BRD einzureisen, um vom bundesrepublikanischen Sozialstaat zu profitieren. Die Interviewpersonen des vierten Typus sehen sich als KünstlerInnen oder als NGO-AktivistInnen, die gesellschaftlich nützliche Dinge leisten und zur eigenen Existenzsicherung eine finanzielle Grundabsicherung benötigen. Diese Personen sehen sich mit Vorwürfen konfrontiert, dass sie als DrückebergerInnen keine finanzielle Unterstützung verdienen, da sie nicht bereit seien, ihre Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt anzubieten. So finden wir bei erwerbslosen Leistungswilligen durchgängig die starke Auseinandersetzung mit Bildern, die ihnen die Selbstverschuldung ihrer Situation vor Augen führt. Diese verschiedenen Ausprägungen in unserer Untersuchung machen deutlich, dass

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sich die Ideologie des Schmarotzertums als Kehrseite des Leistungsprinzips in seinen vielfältigen Facetten hartnäckig hält und zwar in allen Gruppen mit ansonsten recht unterschiedlichen Lebensbedingungen und recht unterschiedlichen Identitätskonstruktionen. An den hier nur skizzierten empirischen Beispielstudien lässt sich zeigen, dass sich symbolischer Repräsentationen gerade in der Vielfalt ihrer Bedeutungen und Wirkungen durch die Analyse alltäglicher sozialer Praxen und damit verbundener Identitätskonstruktionen verstehen lassen. Um aber auch Verschiebungen in der Leistungsideologie über die Zeit feststellen zu können, bedarf es darüber hinaus einen Blick auf soziale Strukturen, sprich Herrschaftsverhältnisse und deren Wandel.

Strukturen Bereits oben haben wir darauf hingewiesen, dass das Leistungsprinzip deutlich widersprüchlich ist und sich im historischen Kontext wandelt. Entsprechend hat es im neoliberalen System auch auf struktureller Ebene Veränderungen erfahren. Es genügt nicht mehr, seine Arbeitkraft für eine bestimmte Zeit zur Verfügung zu stellen, sondern der gesamte Mensch hat sich in den Arbeitsprozess einzubringen. In der Arbeitssoziologie wird dieser Wandel unter Schlagworten wie Flexibilisierung, Subjektivierung oder Entgrenzung von Arbeit debattiert. Ebenso stellt das Konzept der Employability die eigenverantwortliche Gestaltung des Arbeitslebens in den Vordergrund. Das gilt nicht nur für Erwerbstätige. Hartz IV-EmpfängerInnen etwa müssen sich permanent für Selbstverbesserung und Weiterqualifikation zur Verfügung halten, um die Unterstützung nicht zu verlieren. Kein Wunder: „Employability bietet einen hohen Nutzen für Unternehmen.“ (Rump/Eilers 2006: 26) Diese Entwicklungen im neoliberalen System bedeuten, dass Arbeitskräfte genau diejenige Leistung bieten müssen, die Märkte gerade fordern, also Güter und Dienstleistungen, die profitabel zu realisieren sind. In diesem Zusammenhang ist die Vermarktlichung des Leistungsprinzips zu einer zentralen Herausforderung für die Legitimation sozialer Statusunterschiede geworden (Neckel/Dröge 2002). Der Marktpreis gilt als ein gerechtes Lohnkriterium, Leistung wird vom Aufwand entkoppelt. So

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„werden Kriterien des Markt- und Verkaufserfolgs zu zentralen Merkmalen des Leistungsbegriffs“ (Voswinkel/Kocyba 2008: 33). Diese Entwicklung hat für die vier Herrschaftsverhältnisse jeweils einzeln und in ihrer Verwobenheit unterschiedliche Auswirkungen. Bodyismen bauen wie Klassismen auf Selbsttechnologie und Employability. Dort wird also die Anforderung verschärft, sich selbstverantwortlich für die eigene fachliche und körperliche Leistungsfähigkeit einzusetzen. Oft lassen sich für die einzelne Person die Herausforderungen dieser beiden Herrschaftsverhältnisse gar nicht mehr trennen, so verwoben sind diese beiden Systeme inzwischen. Bei den zunehmenden psychosomatischen Krankheiten wird dies besonders deutlich. Es kommt verstärkt zu Problemen zwischen beruflichen Anforderungen und körperlicher Leistungsfähigkeit, Karriere und Gesundheit schließen sich oft aus. Ein Indikator dafür ist der Krankenstand in deutschen Betrieben: 2009 war er so niedrig wie selten zuvor. Statistiken des Bundesgesundheitsministeriums zufolge lag der Krankenstand bei 3,3 Prozent der Sollarbeitszeit. 1999 lag er bei 4,4 Prozent. Aufschlussreich dagegen: Der Anteil psychischer Erkrankungen hat sich seit Wiedervereinigung verdoppelt (vgl. dpa 28.12.09). Mit dem allgemeinen Ziel der Leistungssteigerung verschwimmt auch die Grenze zwischen Krankheit und Gesundheit. So stellt Ines Geipel (2010) fest: „Körper und Geist werden gedopt – etwas hübscher gesagt optimiert und auch enhanct – was das Zeug hält.“ Aber auch wenn sich Leistung nach ganz unterschiedlichen Kriterien messen lässt und die Norm des Leistungsprinzips die ganze Gesellschaft durchdringt (zur Hervorbringung von Leistungskriterien durch Messverfahren vgl. Nadai/Maeder 2008), wird sie dennoch bei der Haus- und Sorgearbeit nicht angewandt (vgl. Wilz 2008). Reproduktionsarbeit findet keinen Eingang in das Leistungsprinzip. Zwar gibt es auch dort Anrufungen, Kraft in die Familienarbeit zu stecken, doch steht diesen Leistungsaufforderungen keinerlei finanzielle Entlohnung gegenüber. Bestenfalls erfährt dieser Typus von Arbeit Anerkennung im Sinne eines gewürdigten Pflichtethos, das den Opfercharakter von Erziehungs- und Versorgungstätigkeiten zum Ausdruck bringt (Voswinkel 2002: 71ff.). Diese Abwertungen und Diskriminierungen von Sorgearbeitenden waren sowohl in

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die im Fordismus auf Arbeitsaufwand als auch in die im Postfordismus auf Markterfolg optimierten Leistungsregulierungen eingeschrieben. Dabei bleibt die Reproduktion von Arbeitskräften als Grundbedingung für Markterfolge unsichtbar, was auch strukturell geschlechterhierarchische Arbeitsteilungen stabilisiert. Auch rassistische Ausgrenzungen bleiben bestehen. Denn ein fehlender Zugang zum Arbeitsmarkt wegen rigider Einwanderungsgesetzgebungen verunmöglicht heute wie damals die Demonstration von Leistungsfähigkeit. Allerdings sind auch dort strukturell Änderungen sichtbar. In den 1960ern und 1970ern etwa wurden AusländerInnen angeworben, wenn ökonomischer Bedarf nach einer bestimmten Qualifikation von Arbeitskräften bestand. Heute werden MigrantInnen mit einer Duldung aufgerufen, Leistung zu zeigen, sich zu bewähren, sich einen eigenen Markterfolg zu realisieren, dann können sie im Lande bleiben, ansonsten werden sie abgeschoben. Und auch Kinder mit Migrationshintergrund sind im Bildungssystem strukturell benachteiligt, wenn sie beispielsweise deutlich seltener bei gleichen Schulnoten, also bei gleicher Leistung, die Empfehlung für das Gymnasium erhalten als Kinder ohne Migrationshintergrund (vgl. Schulze/Unger/Hradil 2008). Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die Meritokratie, die Herrschaft von Leistung, ist ein allgemein anerkanntes, performativ wirksames Prinzip und als Norm im Allgemeinwissen verankert. Dieses System hält Klassismen und Bodyismen direkt aufrecht. Da jeder und jede für die eigene kulturelle und körperliche Leistungsfähigkeit verantwortlich ist, diese sich am Markterfolg beweisen kann, lassen sich strukturelle Benachteiligungen entlang der Strukturkategorie Klasse und Körper, also entlang von sozialer Herkunft, Bildung, Beruf sowie Alter, Aussehen, gesundheitlicher Verfasstheit und vieles mehr, durch das Leistungsprinzip legitimieren. Neben dieser Herrschaft des Leistungsprinzips wirken unterschiedliche Naturalisierungen in bezug auf Geschlecht und Rasse. Doch lassen sich diese im Rahmen des strukturell anerkannten Leistungsprinzips ebenfalls kaum angreifen. Denn wenn nicht mehr die erzielte Qualifikation oder der Aufwand zählt, sondern der Markterfolg, dann ist es adäquat, wenn Frauen mit Reproduktionsverpflichtungen wegen geringerer Flexibilität weniger erfolgreich sind

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oder wenn Unterschiede in der ethnischen Herkunft bzgl. Sprache zu unterschiedlichen Markterfolgen führen. Das bedeutet gleichzeitig, dass sich bei allen vier Herrschaftsverhältnissen die Rechtfertigungsmuster von Leistung als Input zu Leistung als Markterfolg verschieben (Neckel/Dröge/Somm 2008: 55). Diese Erkenntnis ist gerade auch für KritikerInnen des Leistungsprinzips von Bedeutung. Entsprechend zu kurz greifen dann auch Anti-Diskriminierungsgesetze wie das bundesdeutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Dort steht immer noch das Gleichheitspostulat im Vordergrund. Bei gleicher Schulbildung und bei gleicher Berufserfahrung darf nicht diskriminiert werden. Was aber, wenn immer mehr Markterfolge die Leistungsfähigkeit bestimmen? Umso fataler in diesem Zusammenhang ist es, dass das bundesdeutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz Diskriminierungen entlang der Kategorie Klasse ignoriert. Das hängt damit zusammen, dass bei der Legitimation von Klassismen kein Rekurs auf Natur erfolgt, sondern auf persönlich zurechenbare Leistung verwiesen wird. Wenn dort keine Auseinandersetzungen geführt werden, obwohl gerade heute die Kluft zwischen arm und reich immer weiter zunimmt und Bildungserfolge wieder verstärkt von familiären ökonomischen, kulturellen und sozialen Ressourcen und damit von sozialer Herkunft abhängen, hat dies auch Konsequenzen für die anderen Herrschaftsverhältnisse. Sie werden an der strukturellen Gleichheit gemessen, obwohl der Markterfolg als Leistungsfaktor sich weitgehend durchgesetzt hat und ein Gleichheitspostulat im neoliberalen System der Eigenverantwortung politisch kaum weiterführen kann. Denn ein grundlegendes Paradox besteht darin, dass das Leistungsprinzip in der Praxis zwar dazu dient, „Selektionen als normativ richtig darzustellen“ (Nollmann 2004: 43), es sich bei genauer Betrachtung aber nicht um eine Leistungsgesellschaft handelt, sondern um ein sich wechselseitig aneinander steigernden Wechselspiel von achievement und ascription: Die vermeintliche Leistungsgesellschaft kommt ohne eine Naturalisierung von Ungleichheiten nicht aus, um diese zu legitimieren. Mit diesem nur kurzen Abriss verweisen wir beispielhaft darauf, dass in der Auseinandersetzung mit symbolischen Repräsentationen, also mit Ideologien, Werten und Normen, es un-

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abdingbar ist, auch die darin angesprochenen Herrschaftsverhältnisse aufzudecken. Nur so lassen sich Ansatzpunkte für kollektives Handeln herausarbeiten.

Resümee Wir können also festhalten: Das meritokratische Leistungsprinzip hat sich mit der Vermarktlichung immer neuer gesellschaftlicher Bereiche verändert, insofern nicht der Aufwand, sondern die Marktgängigkeit im Zentrum steht. Dennoch bleiben die Leistungsbewertungen je nach Kontext unterschiedlich, so dass auch für Erwerbslose oder Beschäftigte, die ihre Leistung am eigenen Aufwand messen, noch genug normativer Ansporn bleibt sich anzustrengen. Wie sich die unterschiedlichen Ausprägungen des Leistungsprinzips konkret äußern, lässt sich nicht nur auf der Repräsentationsebene untersuchen, sondern es gilt zu schauen, wo diese Werte ihren Widerhall in den Identitätskonstruktionen von unterschiedlichen Personengruppen finden, wie wir es oben gezeigt haben. Mit den Verweisen auf die strukturellen Herrschaftsverhältnisse können wir darüber hinaus sehen, wie vielfältig das Leistungsprinzip in die vier Herrschaftsverhältnisse Klassismen, Heteronormativismen, Rassismen und Bodyismen eingebunden ist. Diese Sicht ermöglicht vor allem den KritikerInnen, die Vielschichtigkeit der symbolischen Repräsentationen von Leistung zu durchdringen. Denn eine Stärke dieser Ideologie ist es, je nach Zusammenhang und Kontext den Maßstab, an dem Leistung gemessen wird, zu wechseln. Während über Klassismen und Bodyismen Menschen dazu aufgerufen werden, sich selbst zu formen und den diffusen Leistungsansprüchen zu folgen, stehen mit heteronormativen und rassistischen Argumentationen immer wieder normative Bausteine bereit, die Einzelne aufgrund naturalisierter Merkmale aus dem Wettkampf auszuschließen, sei es durch die Aufrufung der Reproduktionsverantwortung bei primär Frauen oder durch rassistische Beschwörungen, mit denen jenseits des Leistungsprinzips Zugangsberechtigungen legitimiert werden. Der Gewinn unseres intersektionalen Ansatzes liegt nun darin, im Zugang über Wechselwirkungen von Kategorien und

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Ebenen die Widersprüchlichkeiten symbolischer Repräsentationen aufzudecken. Wenn primär kulturelle Symbole im Mittelpunkt einer Untersuchung stehen, lassen sich zunächst eine Vielzahl von Kategorien und deren Verwobenheit auf der Repräsentationsebene identifizieren. Da die Normen allerdings in der Regel sich sehr vielschichtig darstellen, was in einem kapitalistischen System mit seinen internen Widersprüchen nicht erstaunlich ist, macht es Sinn, deren Bedeutung in verschiedenen Kontexten zu analysieren. Dies lässt sich durch die Herausarbeitung von Identitätskonstruktionen bei verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen erreichen. Um darüber hinaus den Zusammenhang mit strukturellen Herrschaftsverhältnissen in einer solchen Untersuchung nicht zu verlieren, ist es wichtig, sowohl die Identitätskonstruktionen als auch die analysierten soziale Repräsentationen mit den strukturellen Herrschaftsverhältnissen zu verbinden. Entsprechend ist es notwendig, danach zu suchen, wo und wie Massenmedien und Einzelpersonen auf Klassismen, Heteronormativismen, Rassismen und Bodyismen verweisen. Bei diesem Herangehen lassen sich durch das Offenhalten der Kategorien auf der Identitäts- und Repräsentationsebene Reduktionen vermeiden und durch die Festlegung von vier Kategorien auf der Strukturebene dennoch Herrschaftsverhältnisse klar benennen. Damit führen wir bislang isolierte und verstreute Wissensbestände und Theorien zusammen. Schließlich verbinden wir das wissenschaftliche und zumal das intersektionale wissenschaftliche Arbeiten mit der Suche nach Möglichkeiten für politisches Handeln. Mithilfe unseres intersektionalen Werkzeugkastens können wir die bestehenden Verhältnisse in ihren diskriminierenden und abwertenden Formen beschreiben, dabei aber auch Widersetzungen der Interviewpersonen gegenüber Ungleichheiten auf der Grundlage unterschiedlicher Differenzkategorien und auf unterschiedlichen Ebenen sichtbar machen. So lassen sich – das ist unsere Hoffnung und unser Ziel – mit intersektionalen Ungleichheitsanalysen theoretisch fundierte Handlungsmöglichkeiten für unterschiedliche AkteurInnen aufzeigen und Hinweise für soziale Bewegungen, insbesondere für queer-feministische Initiativen geben.

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Unterhaltung als Unterdrückung Kulturindustrie, Intersektionalität und Herrschaft ROGER BEHRENS U Unterhaltung als Unterdrückung

Vorbemerkung Der mittlerweile zum Schlagwort herabgesunkene Neologismus Kulturindustrie gehört in das Begriffsfeld der kritischen Theorie der Gesellschaft und ist von dieser nicht zu trennen. Deshalb ist nur von der kritischen Theorie aus gehaltvoll zu diskutieren, ob der Begriff der Kulturindustrie mit der Intersektionalitätsforschung kompatibel ist. Notwendig ist dafür mithin die sachliche Abgrenzung von dem, was zumeist umgangssprachlich mit „Kulturindustrie“ gemeint ist, nämlich die bloße Kommerzialisierung im Kulturbetrieb und der mitunter an einzelne Branchen, Konzerne oder sogar Personen geheftete Verdacht, sie würden aus niederen Beweggründen und voller Absicht die Menschen mit ihren Produkten manipulieren, wider besseren Wissens die Wahrheit verheimlichen und, wie man so sagt, die Leute für dumm verkaufen. So unbestreitbar allerdings ist, dass heute mit Kultur eine Menge Geld gemacht wird, und ganz unverhohlen den Konsumenten irgendein Unsinn als das, was sie haben wollen und brauchen, angedreht wird, so sicher wird man durchaus auch davon ausgehen können, dass in

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ROGER BEHRENS

den Werbebüros, in den Sales-Management-Abteilungen oder wo auch immer genügend Strategen sitzen, die rücksichtslos jeden Schrott allein um des Profites willen auf dem Markt platzieren und die Menschen tatsächlich für blöde genug halten, um auf den Schwindel und die Reklametricks hereinzufallen. Gleichwohl sind das Randerscheinungen, die im Übrigen nicht einmal historisch für den gegenwärtigen Kulturbetrieb signifikant sind: Betrug, Lüge und Streben nach finanziellen Vorteilen lassen sich bis zu den Anfängen der Geldwirtschaft zurückverfolgen und finden sich schon in den antiken Erörterungen zur Kunst, prominent etwa durch Platon, thematisiert. In der spätkapitalistischen Gesellschaft bezeichnen Kommerz und Manipulation Symptome der Kulturindustrie, nicht ihr Wesen. Hier ist der kritische Begriff eben von dem landläufig verwendeten Schlagwort „Kulturindustrie“ abzusetzen, denn Kulturindustrie ist nichts anderes als die soziale Struktur moderner Herrschaftsverhältnisse, die in ihrem inneren Zusammenhang vom Profitmotiv, das heißt von der Wertlogik kapitalistischer Warenökonomie durch und durch bestimmt ist. Kulturindustrie ist, kurzum, kein besonderer, etwa durch „üble Machenschaften“ oder „Geldgier“ gekennzeichneter Sektor innerhalb der allgemeinen Kultur, bezeichnet nicht bloß die kommerzielle Unterhaltungskultur in Abgrenzung zu einer angeblich ästhetisch wertvollen Hochkultur oder zur Gesellschaft, sondern ist mit der Gesellschaft weitestgehend identisch; nämlich mit einer Gesellschaft, die wiederum durch eine spezifische Konfiguration von Herrschaft charakterisiert ist. Insofern bildet die kritische Theorie der Herrschaft als Kritik gesellschaftlicher Machtbeziehungen, die sich in der Struktur der Kulturindustrie manifestieren, den zu diskutierenden Anschluss an die Theorie der Intersektionalität. Nach einleitenden Überlegungen zur Intersektionalitätsforschung werden zunächst der Programmatik der kritischen Theorie Konturen gegeben. Ausgehend vom zeitspezifischen Begriff der kritischen Theorie, wie er in den dreißiger Jahren von Max Horkheimer und Herbert Marcuse definiert wurde, geht es um eine historische Rekonstruktion jenes Zusammenhangs, der dann in den vierziger Jahren als ‚Kulturindustrie‘ bezeichnet wurde: In Abgrenzung sowohl zur Hochkultur, als auch zur Massenkultur, resultiert das Konzept ‚Kulturindustrie‘ aus dem

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Versuch, die sozialen Verhältnisse eines in unheimlicher Weise fortgeschrittenen Kapitalismus auf den Begriff zu bringen, – nicht zuletzt, um damit die kritische Theorie der Gesellschaft selbst zu aktualisieren. Das birgt ein weiteres Problem für das Unterfangen, die Kulturindustrietheorie mit der Intersektionalitätsforschung zusammen zu denken: Zum phrasenhaft verwendeten Reizwort „Kulturindustrie“ gehört auch die verallgemeinernde, unhistorische Anwendung auf gegenwärtige Phänomene – was vor über einem halben Jahrhundert als Kulturindustrie benannt wurde, erhält in dieser Weise einen prognostischen Status, als wäre erst die heutige Zeit wirklich kulturindustriell; ausgespart bleiben dadurch geschichtliche Entwicklungen, welche die Kulturindustrie selbst soweit verändert haben, dass der Begriff nicht mehr ohne weiteres auf die Gegenwart zu übertragen ist. (Die unhistorische Rede von „Kulturindustrie“ dient bisweilen auch paradox dazu, beweisen zu wollen, dass Adorno & Co Unrecht hatten, weil die zugleich mit dem Wort „Kulturindustrie“ etikettierte Gegenwartskultur eben doch nicht „kulturindustriell“ wäre.)1 Das heißt, gerade um das Kulturindustrietheorem für die Intersektionalitätsforschung fruchtbar zu machen und vice versa, ist eine relative geschichtliche Verortung der kritischen Theorie und der Gründe, eine spezifische gesellschaftliche Formation als Kulturindustrie zu begreifen, unerlässlich. Zur Disposition steht insofern, ob die gegenwärtige Formation der als „Kultur“ bezeichneten Sphäre im Sinne der kritischen Theorie überhaupt noch als „Kulturindustrie“ analysiert werden kann, auch (oder gerade) wenn dem 1

Das gilt insbesondere für den Jazz beziehungsweise Adornos Jazzkritik und allgemein für etwa Film und Fernsehen und funktioniert etwa so: Man glaubt, Adorno sei davon ausgegangen, dass irgendwo besonders fiese Programmmacher sitzen, die zum Beispiel eine besonders dämliche, aber profitable TV-Show austüfteln: die wäre, im Gegensatz zu den „wirklich gut gemachten“ Fernsehsendungen „Kulturindustrie“. Dann entdeckt man aber, dass auch diese TV-Show, vielleicht gerade, weil sie in ihrer Masche leicht durchschaubar ist, irgendwie „Spaß“ macht. Und Spaß muss gefälligst sein; vor allem ja, weil man Adorno, der es angeblich mit dem Spaß nicht so hatte, gerne das Gegenteil beweisen möchte. Damit wäre nun bestätigt, dass Fernsehen, wenn es selbst denen „Spaß“ macht, die „wissen“, was „Kulturindustrie“ ist, eben keine „Kulturindustrie“ sein kann.

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Etikett „Kulturindustrie“ eine so hohe Plausibilität anzuhängen scheint. Deshalb ist zu klären, wie die Gesellschaft nach der Kulturindustrie zu bezeichnen ist beziehungsweise was diese charakterisiert, wenn sie in entscheidenden Zügen gleichsam die Kulturindustrie in ihrer Struktur transformiert und damit über diese hinausweist. Dies soll in einem abschließenden Abschnitt noch einmal in Hinblick auf Überlegungen der Intersektionalitätsforschung diskutiert werden.

I. Der Begriff der Intersektionalität, wie er in den achtziger und neunziger Jahren im Kontext des Black Feminism geprägt und dann vor allem durch die Gender Studies übernommen und weiter diskutiert wurde, bezeichnet die Überlagerung oder vielmehr Komplexion verschiedener Formen der Diskriminierung und Repression in einer Person. Ausgehend von der Triple-Oppression-Theorie – zentrales Beispiel: die Stigmatisierung einer nichtweißen Arbeiterin nach dem Raster von „Rasse“, Klasse und Geschlecht –, arbeitet der IntersektionalitätsAnsatz mit einer so genannten Mehrfachdiskriminierungshypothese, nach der von einer multidimensionalen Unterdrückung gesprochen wird; die Forschung differenziert dabei mittlerweile bis zu dreizehn Formen der Diskriminierung. Entscheidend ist, dass die jeweiligen Diskriminierungen nicht additiv im Subjekt hinzugeschaltet werden, sondern sich bei den betreffenden Personen in inkommensurablen und „individuell“ eigenständigen Erfahrungen ausdrücken, die schließlich für die (zugeschriebene) Subjektivität der Person konstituierend sein oder werden können. Die theoretische Rahmung hat die Intersektionalitätsforschung in der poststrukturalistischen Diskurs- und Machtanalyse Michel Foucaults sowie einerseits deren Umsetzung durch den antirassistischen Feminismus (bell hooks u. a.) und andererseits deren Weiterentwicklung durch den Postfeminismus (Judith Butler u. a.). Vorausgegangen ist dem eine sich bereits seit den fünfziger Jahren vollziehende offensive Kulturalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse: Gerade neo- und postmarxistische

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Theorien2 konstatierten nunmehr – wenn eben auch mit sehr unterschiedlichen Gewichtungen und durchaus völlig konträren Absichten – unter dem Vorzeichen eines revidierten oder mindestens erweiterten Kulturbegriffs eine strukturale oder situative Selbstständigkeit sozialer Interaktion jenseits der ökonomischen Handlungssphäre. Widersprochen wurde damit der vor allem durch den Marxismus-Leninismus (ergo Stalinismus) verteidigten Annahme, dass sich die unterschiedlichen Formen sozialer Repression alle auf die ökonomische Unterdrückung, nämlich das kapitalistische Ausbeutungsverhältnis zurückführen ließen: Wenn der – von Mao Tse-tung so bezeichnete – „Hauptwiderspruch“ zwischen Lohnarbeit und Kapital gelöst sei, höben sich automatisch alle anderen Widersprüche („Nebenwidersprüche“) von selbst auf: mit der Abschaffung des Kapitalismus wäre etwa auch das Patriarchat abgeschafft.3 Dem wurde nun nicht zuletzt aufgrund der seit den sechziger Jahren gewonnenen Erfahrungen im Kampf gegen Rassismus und Sexismus widersprochen, auch weil sich gerade in der spätkapitalistischen Wohlstandsgesellschaft, die breite Bevölkerungsschichten am ökonomischen Wachstum partizipieren ließ, zusehends neue beziehungsweise bisher unbeachtete Formen der Repression und Diskriminierung als Normalität und Alltag sedimentierten.

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Hierbei ist sowohl auf die Cultural Studies (Raymond Willams, Richard Hoggart, Stuart Hall) und den strukturalen Marxismus (Louis Althusser, Nicos Poulantzas) zu verweisen, als auch auf die marxistische Alltagskritik Henri Lefebvres (und später Agnes Hellers) und den marxistischen Existentialismus (Jean-Paul Sartre), schließlich auf die frühe Postmoderne (Lyotard, Derrida, auch Deleuze) sowie auf Hannah Arendts Praxisphilosophie und Jürgen Habermas’ ‚Theorie des kommunikativen Handelns‘. „Ökonomie“ bleibt hierbei auf die unmittelbaren Produktionsverhältnisse, also Lohnarbeitsverhältnisse bezogen und wird eben nicht im Sinne einer Waren- und Wertformanalyse als gesellschaftliche Struktur interpretiert, wie es Marx selbst nahe legt und als Kritik der politischen Ökonomie in die kritische Theorie Eingang gefunden hat.

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II. „Der Niedergang des Individuums darf nicht den technischen Errungenschaften des Menschen oder gar dem Menschen selbst zur Last gelegt werden – die Menschen sind gewöhnlich viel besser als das, was sie denken, sagen oder tun –, sondern vielmehr der gegenwärtigen Struktur und dem Inhalt des ‚objektiven Geistes‘, des Geistes, der das gesellschaftliche Leben in allen seinen Bereichen durchherrscht.“ Max Horkheimer (1985: 146) „In der Kulturindustrie ist das Individuum illusionär nicht bloß wegen der Standardisierung ihrer Produktionsweise. Es wird nur so weit geduldet, wie seine rückhaltlose Identität mit dem Allgemeinen außer Frage steht.“ Theodor W. Adorno und Max Horkheimer (1947: 177)

Spätestens hier finden sich für die Intersektionalitätsforschung einige Anknüpfungen zur kritischen Theorie, wie sie in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts angesichts der gewaltigen Transformationen, denen die kapitalistische Gesellschaft seit dem Ausgang des neunzehnten Jahrhunderts unterlag, in den Schriften von Georg Lukács, Karl Korsch oder Siegfried Kracauer Konturen gewann und schließlich von Max Horkheimer und Herbert Marcuse in den dreißiger Jahren ausformuliert wurde:4 Kritische Theorie als „Verhalten“5, das als 4

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Vgl. Lukács 1923; Korsch 1923; Kracauer 1930. Vgl. vor allem die Aufsätze ‚Traditionelle und kritische Theorie‘ von Horkheimer (1937a) und ‚Philosophie und kritische Theorie‘ in zwei Teilen von Horkheimer (1937b) und Herbert Marcuse (1937b). Die Texte erschienen 1937 in der ‚Zeitschrift für Sozialforschung‘. – Kritische Theorie wird als kritische Theorie der Gesellschaft kleingeschrieben, da sie weder auf ein personell festgelegtes Forschungsprojekt noch eine Schule („Frankfurter Schule“) eingegrenzt werden kann, sofern „Kritik“ gesellschaftstheoretisch ernst genommen wird; grundlegend bleiben Kants Erkenntnis-

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radikale Kritik der Gegenwart notwendig auf die Bedingungen der Möglichkeit von Emanzipation des Menschen zielt. Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ausbleiben beziehungsweise Scheitern der Revolution konnte selbst bei einer relativ starken Arbeiterbewegung nicht mehr davon ausgegangen werden, dass das Proletariat für sich als revolutionäres Subjekt agiert; vielmehr etablierten sich im, sich sukzessive in eine Konsumgesellschaft transformierenden Industriekapitalismus zahlreiche Mechanismen, mit denen auf absehbare Zeit die sozialen Widersprüche überdeckt und die Massen sogar unter Aufrechterhaltung widriger Lebensbedingungen integriert und mit den Zuständen befriedet werden konnten. Darüber hinaus zeigte sich, dass Menschen, statt sich um ihre eigenen vitalen Interessen zu kümmern, energisch eine Verschlechterung der Zustände unterstützen und offenbar sogar Befriedigung empfanden, wenn sie sich bereitwillig an Terror und Mord beteiligten. Dies ließ sich mit ökonomischen Zuständen der Mehrwertabpressung und Ausbeutung allein nicht erklären; jedenfalls nicht, wenn man die Produktionsverhältnisse bloß ökonomistisch, das heißt auf den reinen Wirtschaftsverkehr isoliert betrachtet. Ausgehend von einerseits den erst Ende der Zwanziger zugänglich gemachten Frühschriften von Marx und Engels und andererseits der Psychoanalyse Sigmund Freuds ersuchte die kritische Theorie, den Befund einer Kritik der politischen Ökonomie mit einem allgemeineren Begriff der Unterdrückung neu zu fassen, die sich auf der Ebene der Subjektkon-

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theorie als Kritizismus, Hegels Geschichtsphilosophie als Theorie der bürgerlichen Gesellschaft, insbesondere Marx’ materialistische Kritik der politischen Ökonomie und zudem Freuds Entdeckung des Unbewussten. Horkheimer 1937a: 261. Horkheimer definiert hier „ein menschliches Verhalten, das die Gesellschaft selbst zum Gegenstand hat“ als „das ‚kritische‘“: „Es bezeichnet eine wesentliche Eigenschaft der dialektischen Theorie der Gesellschaft.“ Dieses Verhalten „richtet sich nicht bloß auf die Abstellung irgendwelcher Missstände, diese erscheinen ihm vielmehr als notwendig mit der ganzen Einrichtung des Gesellschaftsbaus verknüpft … Die Kategorien des Besseren, des Nützlichen, Zweckmäßigen, Produktiven, Wertvollen, wie sie in dieser Ordnung gelten, sind ihm vielmehr selbst verdächtig und keineswegs außerwissenschaftliche Voraussetzungen, mit denen es nichts zu schaffen hat.“

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stitution selbst darstellt, also den Menschen in ihren sozialen Bedingungen und Beziehungen keineswegs äußerlich bleibt. Zum einen diagnostizierte die kritische Theorie damit eine Eigenlogik und Selbstständigkeit sozialer Verhältnisse, die der klassische Marxismus dem „Überbau“ zuordnete; zum anderen rückte damit der Herrschaftsbegriff konzeptionell ins Zentrum der kritischen Theorie der Gesellschaft, die sich damit zur kritischen Theorie des Subjekts erweiterte. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Studien ‚Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches‘ (Fromm & Weiß 1929/1930) und ‚Autorität und Familie‘ (Horkheimer et al. 1936), mit denen erstmals empirisch-so zialpsychologisch eine Subjekttheorie entworfen wurde, die zum Beispiel autoritäres oder konformistisches Verhalten nicht einfach auf akzidentielle Eigenschaften zurückführte, sondern als konstitutiv für einen „Gesellschafts-Charakter“ erklärte (vgl. Fromm 1949: 222 f.). Die Kritik der politischen Ökonomie, die radikale Analyse der gesellschaftlichen Organisation der Produktion wie Reproduktion der menschlichen Lebenszusammenhänge, konnte nicht länger von einem unmittelbaren Verständnis der Wirklichkeit ausgehen; das heißt die Beziehungen zwischen Sein, Bewusstsein und Unbewusstem mussten in vielschichtiger Weise als vermittelt begriffen werden: Der „Fetischcharakter der Ware“ kristallisiert sich nicht mehr bloß im naturwüchsig erscheinenden Produktionsverhältnis, wie Marx es im ‚Kapital‘ beschrieben hatte,6 sondern erfasst mit dem Ubiquitärwerden der Warenproduktion die Gesellschaft insgesamt. Anders gesagt: alle sozialen Verhältnisse werden, sobald das Soziale wesentlich von der ökonomischen Logik des Kapitals bestimmt ist, warenförmig und insofern fetischisiert. Dies hat nicht nur für die Bewusstseinsinhalte Konsequenzen, sondern vor allem für 6

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„Das Geheimnisvolle der Warenform besteht also einfach darin, dass sie dem Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eigenen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen.“ (Marx 1867: 86)

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die Bewusstseinsformen, die sich – im Sinne der SohnRethel’schen Gleichung „Warenform = Denkform“ (SohnRethel 1971) – in „Verdinglichungen“ (Lukács 1923: 170 ff.; Marcuse 1932: 506 ff, insb. 516 ff.) manifestieren, schließlich als Ideologie, die nunmehr nicht als einfache Verkehrung, Lüge oder Trug verstanden wird, sondern strukturell als das „notwendig falsche Bewusstsein“.7 Die Paradoxie der Ideologie der spätkapitalistischen Konsumgesellschaft, wie sie sich zwischen den zwanziger und vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts entfaltet, besteht nun darin, dass gerade die zunehmende Vermittlung von Sein, Bewusstsein und Unbewusstem, nämlich die fortschreitende Fragmentierung der verschiedenen Lebensbereiche in voneinander getrennte Sektoren, die soziale Wirklichkeit als je schon gegebene Unmittelbarkeit und die Gesellschaft insgesamt als Block erscheinen lässt. Die zwischen Arbeitszeit und Freizeit aufgeteilte Lebenswelt bietet den Menschen unzählige Nischen, in denen partielle Bedürfnisse befriedigt oder zumindest artikuliert werden können; tatsächlich stellt keine dieser Nischen einen solchen Fluchtraum dar, wie es für die bürgerliche Gesellschaft des späten achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts noch die Kultur war (vgl. Marcuse 1937a: 186 ff.). Vielmehr wird die Gesamtheit der sozialen Verhältnisse in „Kultur“ übersetzt („Alltagskultur“, „moderne Kultur“, „Unterhaltungskultur“, „Kulturveranstaltungen“, „Massenkultur“ etc.), wodurch eine Bühne geschaffen wird, auf der sich der Mensch einer spezifischen Idee von „Persönlichkeit“, von „Selbst“ anzupassen hat. Dieser Sozialcharakter erscheint aber nicht als das „Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“ (Marx), sondern, sofern die gesellschaftlichen Verhältnisse selbst als Natur festgeschrieben werden, als die menschliche Natur schlechthin, als „Biologie“ oder „genetische Veranlagung“ etc.

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Die Definition von „Ideologie als notwendig falsches Bewusstsein“ wird gemeinhin Marx und Engels zugeschrieben, lässt sich in deren Schriften allerdings nicht nachweisen. Wahrscheinlich ist sie erst in den zwanziger Jahren durch Lukács’ Aufsatz ‚Methodisches zur Organisationsfrage‘ (1922, ebenfalls in Lukács 1923: 452 ff.) geprägt worden.

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Perfiderweise werden die Lebenswege dort, wo die Anpassung an vorgegebene Rollenmuster und Stereotypen am reibungslosesten sich vollzieht, als individuelles Schicksal deklariert. Die Möglichkeit, „unreglementierte Erfahrung“8 zu machen, wird damit beschnitten, und der Mensch in der Reduktion auf stereotype „Mentalitäten“ (das „Weibliche“ und „Männliche“, soziale Dispositionen, sexuelle Orientierungen, ethnische Herkunft und Klischees, Anomalien, psychische Störungen, „Behinderungen“ etc.) jener Gesellschaft ausgeliefert, die ihm genau dadurch als permanente Bedrohung oder Gefahr gegenübertritt. Darauf reagiert der Mensch mit einem „Gefühl der Ohnmacht“, wie es Erich Fromm 1937 beschrieben hat: „Der bürgerliche Charakter weist einen eigenartigen Zwiespalt auf. Einerseits hat er eine sehr aktive, auf bewusste Gestaltung und Veränderung der Umwelt ausgerichtete Einstellung. Der bürgerliche Mensch hat mehr als der Mensch irgendeiner früheren Geschichtsepoche den Versuch gemacht, das Leben der Gesellschaft nach rationalen Prinzipien zu ordnen, es in der Richtung des größten Glückes für die größte Zahl der Menschen zu verändern und den einzelnen aktiv an dieser Veränderung zu beteiligen. Er hat gleichzeitig die Natur in einem bisher nie gekannten Maß bezwungen. Seine technischen Leistungen und Erfindungen stehen einer Verwirklichung aller Träume nahe, die je von der Herrschaft des Menschen über die Natur und seiner Macht geträumt worden sind. Er hat einen bisher ungeahnten Reichtum geschaffen, der zum ersten Mal in der Geschichte die Möglichkeit eröffnet, die materiellen Bedürfnisse aller Menschen zu befriedigen. Nie zuvor ist der Mensch so Meister der materiellen Welt gewesen.

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Ein Begriff von Adorno, der gleichsam Grundbegriff der kritischen Theorie ist (vgl. Stefan Müller-Doohm 2007: 51 ff., insb. 58 ff.). Vgl. auch Adorno (2004: 456 f.): „Die Zerstörung der Erfahrung durch das Allgemeine, als dessen bloßer Repräsentant alles Einzelne fungiert, ist aber nichts anderes als die Universalität der gesellschaftlichen Herrschaft, die nichts mehr übrig lässt was nicht von oben her, aus seinem Begriff, nämlich aus seiner ökonomischen Kategorie bestimmt wäre … Erfahrung ist das Bestehen auf der Nichtidentität. Die geschändete Erfahrung heute aber ist nur noch der Unterschlupf der Ideologie, die verhüllt was offen sich nicht ertragen ließe und damit zum Fortbestehen des Unerträglichen hilft.“

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Andererseits aber weist der bürgerliche Mensch gerade schroff entgegen gesetzte Charakterzüge auf. Er produziert eine Welt der großartigsten und wunderbarsten Dinge; aber diese seine eigenen Geschöpfe stehen ihm fremd und drohend gegenüber; sind sie geschaffen, so fühlt er sich nicht mehr als ihr Herr, sondern als ihr Diener. Die ganze materielle Welt wird zum Monstrum einer Riesenmaschine, die ihm Richtung und Tempo seines Lebens vorschreibt. Aus dem Werk seiner Hände, bestimmt, ihm zu dienen und ihn zu beglücken, wird eine ihm entfremdete Welt, der er demütig und ohnmächtig gehorcht. Dieselbe Haltung der Ohnmacht hat er auch gegenüber dem sozialen und politischen Apparat.“ (Fromm 1937: 133)

Für das moderne Individuum bedeutet das: seine Abschaffung, wie Adorno es 1941 drastisch in seinen ‚Notizen zur neuen Anthropologie‘ skizziert hat: „Die neue Anthropologie, d. h. die Theorie des neuen unter den Bedingungen des Monopol- und Staatskapitalismus sich bildenden Menschentypus steht in ausdrücklichem Gegensatz zur Psychologie. Die Psychologie hat zum Zentralbegriff das Individuum. Dieser Begriff ist in entscheidenden Stücken außer Kurs gesetzt oder wenigstens durchlöchert. Er gehört zum Liberalismus und zu einer Welt, die sich zwischen den Polen von Freiheit und Konkurrenz bewegt. Beides gibt es nicht mehr. Die Repräsentanten des neuen Typus sind keine Individuen mehr, d. h. die Einheitlichkeit, Kontinuität und Substantialität des Einzelnen ist aufgelöst. Sie sind in der Tat so, wie sich der Behaviorismus, der nicht umsonst im Land des avanciertesten Monopolkapitalismus entstanden ist, die Menschen vorstellt.“ (Adorno 2004: 453)

Und: „Dass die neue Anthropologie nicht in psychologischen Begriffen ausgeführt werden kann, ist aus der Gesellschaft selber abzuleiten. Im gegenwärtigen Stadium ist die Konkurrenz dem Diktat gewichen und andererseits die Fungibilität des Menschen vollkommen geworden. […] Dass es zur Ichbildung nicht mehr kommt und dass die Erlebnisse nicht mehr ihren Sinn aus der Einheit der Person empfangen, ist aus den gesellschaftlichen Bedingungen des Arbeitsprozesses abzuleiten.“ (Adorno 2004: 457)

Dafür nennt Adorno verschiedene „Motive“, zu denen etwa gehören: „Die Grenze zwischen dem Individuum und der Rea-

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lität beginnt zu erzittern.“ (Adorno 2004: 457) – „Der Verzicht auf die Kontinuität der Person als Mittel sich am Leben zu erhalten. Nur der hat Chancen zu überleben, der bereit ist, sich ‚anzupassen‘ unter völliger Depersonalisation.“ (Adorno 2004: 458) – „Selbsthass […]. Es ist allen Äußerungen der Lust und des Genusses des neuen Typus gemeinsam, dass in ihrem Innern kein Glück wohnt.“ (Adorno 2004: 458 f.) Resümierend setzt Adorno hinzu: „Es muss im einzelnen dargestellt werden, wie die Menschen die Produktionsweise auf ihr Leben übertragen und wie schließlich die Produktionsverhältnisse anstelle der Psychologie treten […]“ (Adorno 2004: 459 & 461) Die abstrakte Verwertungslogik okkupiert nunmehr auch jenen Lebensbereich, den die Ideologie der bürgerlichen Gesellschaft zunächst vor der Ökonomie bewahrte, nämlich die mit dem Begriff der Kultur reservierte Sphäre. Mit der fortschreitenden Durchkapitalisierung werden die Differenzen zwischen ‚Kultur‘ und ‚Gesellschaft‘ nivelliert: Die Kultur wird im selben Maße kommodifiziert, wie die Gesellschaft, die Gesamtheit der Produktionsverhältnisse, kulturalisiert wird. Hier entsteht das, was Adorno und Horkheimer in der ‚Dialektik der Aufklärung‘ Anfang der vierziger Jahre erstmals bündig als Kulturindustrie bezeichnet haben. In einem kleinen Entwurf für einen Rundfunkbeitrag von 1969 (also wenige Monate vor seinem plötzlichen Tod) hat Adorno die Merkmale der Kulturindustrie noch einmal dargestellt: „Das eigentlich Neue der Kulturindustrie ist, dass sie [die] früher verstreuten Momente zusammengefasst, systematisiert, zur Ausschließlichkeit erhoben hat. Die herkömmliche Rücksicht auf Wünsche und Gewohnheiten des Publikums hat sie in dirigistischer Planung, Rationalisierung, fast in wissenschaftlichen Kalkül umgewandelt. Sie befindet sich dabei in Übereinstimmung mit der gesellschaftlichen Gesamttendenz, auch den Geist zur Ware zu machen, seinen Wahrheitsgehalt, sein An sich, zu einem Für anderes, zu Konsumierbarem […]. Kulturindustrie ist die synthetische Kultur der verwalteten Welt. Ihre Waren werden […] nach dem Prinzip ihrer Verwertung angefertigt, nicht nach ihrem Wahrheitsgehalt. Die einmal mühsam und prekär genug errungene Autonomie der Kunstwerke wird zurückgenommen, mit oder ohne die bewusste Absicht der Verfügung. […] Waren längst geistige Gebilde neben ihrer Qualität auch Waren, so sind die Produkte kulturindustriellen Stils es durch und durch. […] Schließlich hat die Ideologie der Kul-

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turindustrie sich verselbstständigt, bedarf kaum mehr besonderer ‚Botschaften‘, nähert sich den public relations.“ (Adorno 1969: 288 ff.)

Alle Kultur wird zur Ware. Sofern aber alle Lebensbereiche von Kultur und Ökonomie in ihrer Verflechtung erfasst werden, wird schließlich das Leben selbst zu Ware. Der Prozess der Individuation wird abgeschnitten, misslingt. Adorno und Horkheimer sprechen von einer „Pseudoindividualität. Das Individuelle reduziert sich auf die Fähigkeit des Allgemeinen, das Zufällige so ohne Rest zu stempeln, dass es als dasselbe festgehalten werden kann. Gerade die trotzige Verschlossenheit oder das gewählte Auftreten des je ausgestellten Individuums werden serienweise hergestellt […].“ (Adorno & Horkheimer 1947: 177)

Vor allem die augenscheinliche Vielfalt an Chancen und Angeboten, „sich selbst zu verwirklichen“, bestätigt, was Adorno und Horkheimer „Pseudoindividualität“ genannt haben: „Nur dadurch, dass die Individuen gar keine sind, sondern bloße Verkehrsknotenpunkte der Tendenzen des Allgemeinen, ist es möglich, sie bruchlos in die Allgemeinheit zurückzunehmen. Massenkultur entschleiert damit den fiktiven Charakter, den die Form des Individuums im bürgerlichen Zeitalter seit je aufwies, und tut unrecht nur daran, dass sie mit solcher trüben Harmonie von Allgemeinem und Besonderem sich brüstet. Das Prinzip der Individualität war widerspruchsvoll von Anbeginn. Einmal ist es zur Individuation gar nicht wirklich gekommen. Die klassenmäßige Gestalt der Selbsterhaltung hat alle auf der Stufe bloßer Gattungswesen festgehalten. Jeder bürgerliche Charakter drückte trotz seiner Abweichung und gerade in ihr dasselbe aus: die Härte der Konkurrenzgesellschaft. Der Einzelne, auf den die Gesellschaft sich stützte, trug ihren Makel an sich; in seiner scheinbaren Freiheit war er das Produkt ihrer ökonomischen und sozialen Apparatur. An die je herrschenden Machtverhältnisse appellierte die Macht, wenn sie den Spruch der von ihr Betroffenen einholte. Zugleich hat in ihrem Gang die bürgerliche Gesellschaft das Individuum auch entfaltet. Wider den Willen ihrer Lenker hat die Technik die Menschen aus Kindern zu Personen gemacht. Jeder solche Fortschritt der Individuation aber ist auf Kosten der Individualität gegangen, in deren Namen er erfolgte, und hat von ihm nichts übrig gelassen als den Entschluss, nichts als den je eigenen Zweck zu verfolgen.“ (Adorno & Horkheimer 1947: 178)

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Die Kulturindustrie bedingt soziale Verhältnisse, die zugleich von integrativen und desintegrativen Momenten bestimmt sind. In beiden Momenten konvergiert der Warencharakter mit dem Gesellschafts-Charakter: die „Kultur“ wird zu einer „psychischen Agentur“, die Kulturindustrie „zur Psychoanalyse verkehrt herum“ (Löwenthal 1990: 61): Die „Sisyphusarbeit der individuellen Triebökonomie scheint heute ‚sozialisiert‘, von den Institutionen der Kulturindustrie in eigene Regie genommen, zum Vorteil der Institutionen und der mächtigen Interessen, die hinter ihnen stehen.“ (Adorno 1953: 508) – Entscheidend ist dabei das Zusammenspiel von Rationalität und Irrationalität, eben die von Adorno und Horkheimer geschichtsphilosophisch beschriebene Dialektik der Aufklärung. Schon Marx und Engels haben gelegentlich auf die „Anarchie der Produktion“ hingewiesen, die sich allerdings mit dem Fordismus in durchweg kalkulierter Weise fortsetzt: Gestützt durch die so genannte Arbeitswissenschaft Frederick W. Taylors (= ‚Taylorismus‘, ‚Scientific Management‘) erfolgt nach dem ersten Weltkrieg eine Umstrukturierung des Kapitalismus, die weit in den Alltag hineinreicht; die Einführung des Fließbandes, die den Arbeiter vollständig dem Zeitrhythmus der Fabrik unterwirft, die Stärkung der Massenkaufkraft durch Lohnerhöhung und damit die Integration der Arbeiter und Angestellten in die Gesellschaft durch den Konsum, schließlich die Erfindung der Public Relations (durch Edward Bernays und Ivy L. Lee), die der Idee folgt, durch „Propaganda“ die verborgenen Wünsche und Begehren warenökonomisch zu erschließen,9 bedingten die Entwicklung einer Kulturindustrie, die als soziales Verhältnis gleichermaßen von Standardisierung und Ästhetisierung bestimmt ist.

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Von Bernays, ein Enkel von Sigmund Freud, liegt das 1928 in den USA publizierte Buch ‚Propaganda‘ seit einigen Jahren auf deutsch vor (Freiburg im Breisgau 2007). Wichtig ist anzumerken, dass Bernays einen großen Einfluss u. a. auf Goebbels und die NS-Propaganda hatte, gleichwohl Bernays mit seinem Konzept gerade eine Verteidigung der Demokratie intendierte.

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III. „[…] die Einheit der Kulturindustrie; wo man sie anpackt, ist fast gleichgültig.“ Theodor W. Adorno (1954: 519)

Kulturindustrie beschreibt mehr als nur einen Zustand der Kultur, nämlich ein soziales Verhältnis; es geht nicht um besondere Phänomene innerhalb des als „Kultur“ fungierenden Lebensbereichs, sondern um Gesellschaft als Ganzes, als konkrete Totalität. Mit dem Theorem der Kulturindustrie, das Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in den vierziger Jahren in der ‚Dialektik der Aufklärung‘ in einem eigenständigen und zentralen Abschnitt des Buches systematisch entwickelten, sollte weder eine kulturgeschichtliche Entwicklung nachgezeichnet noch „die Kultur“ als ‚Wert an sich‘10 verteidigt, sondern eine Kritik der politischen Ökonomie aktualisiert werden. Die mit dem Begriff der Kulturindustrie analysierte Struktur wird allerdings nicht nur mit dem Wort ‚Kulturindustrie‘ bezeichnet; tatsächlich wird das Wort ‚Kulturindustrie‘, von der von Adorno und Horkheimer gemeinsam11 verfassten ‚Dialektik der Aufklärung‘ abgesehen später, in den Schriften der fünfziger und sechziger Jahre – bis auf periphere Ausnahmen – nur von Adorno verwendet; jedoch ist von „Kulturindustrie“ auch bei Adorno gar nicht so häufig die Rede, wie man erwarten

10 Darauf verweisen Adorno und Horkheimer in der ‚Vorrede‘ ihrer ‚Dialektik der Aufklärung‘ (1947: 15): „Es geht nicht um die Kultur als Wert, wie die Kritiker der Zivilisation, Huxley, Jaspers, Ortega y Gasset und andere, im Sinn haben, sondern die Aufklärung muss sich auf sich selbst besinnen, wenn die Menschen nicht vollends verraten werden sollen.“ – Adorno hat sich mit der kulturkritischen Position bündig in ‚Kulturkritik und Gesellschaft‘ auseinandergesetzt (1949: 11 ff.); vgl. ferner: ‚Aldous Huxley und die Utopie‘ (1951: 97 ff.). 11 Allerdings haben Adorno und Horkheimer die ‚Dialektik der Aufklärung‘ nicht Satz für Satz gemeinsam geschrieben, sondern die einzelnen Abschnitte tragen deutlich die Handschrift von entweder Adorno oder Horkheimer; und so kann es als sicher gelten, dass für das Kulturindustrie-Kapital weitgehend Adorno allein verantwortlich ist.

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sollte. Es sind vor allem fünf Texte,12 in denen Adorno offenbar versuchte, die kritische Theorie der Kulturindustrie systematisch weiterzuentwickeln: ‚Prolog zum Fernsehen‘13, ‚Fernsehen als Ideologie‘14, ‚Theorie der Halbbildung‘15, ‚Résumé über Kulturindustrie‘16 sowie ‚Freizeit‘17 – schließlich findet sich im Nachlass ein kurzer Entwurf ‚Für Wiener Radio‘ von 1969, der das mit ‚Kulturindustrie‘ Gemeinte skizzenartig zusammenfasst. Tatsächlich wurde der Begriff der Kulturindustrie erst durch die Rezeption und Diskussion der entsprechenden Texte der kritischen Theorie in den siebziger Jahren bekannt. Der Begriff der Kulturindustrie ist insofern einer der Versuche kritischer Theorie, auf die massiven Veränderungen zu reagieren, die der Kapitalismus in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, vor allem seit den zwanziger Jahren wie sie

12 In dem Text ‚Das Schema der Massenkultur‘, der im Untertitel den Zusatz „Kulturindustrie (Fortsetzung)“ trägt, kommt das Wort Kulturindustrie nicht vor. 13 ‚Prolog zum Fernsehen‘, publiziert in „Rundfunk und Fernsehen“, Heft 2, 1953. 14 ‚Fernsehen als Ideologie‘ ist hervorgegangen aus Adornos Text: ‚How to Look at Television‘, in ‚The Quarterly of Film Radio and Television‘, Vol. VIII, Spring 1954, S. 414–235; deutsch erstmals publiziert in „Rundfunk und Fernsehen“, Heft 4, 1953. Eine, soweit mir ersichtlich, leicht modifizierte Fassung dieses Beitrags findet sich in dem 1957 von Bernard Rosenberg und David Manning White herausgegebenen Sammelband ‚Mass Culture. The Popular Arts in America‘. 15 Adorno, ‚Theorie der Halbbildung‘, in: Horkheimer und Adorno, Sociologica II, 168–192. In den „Drucknachweisen“ heißt es: „Vortrag auf der Berliner Tagung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Mai 1959. Publiziert in: Der Monat, 11. Jahrgang, September 1959, S. 30 ff.“ Ein weiterer Abdruck findet sich in: ‚Soziologie und moderne Gesellschaft. Verhandlungen des 14. Deutschen Soziologentages‘, Stuttgart 1959, 169–191. 16 ‚Résumé über Kulturindustrie‘, Vortrag gehalten im Rahmen der Internationalen Rundfunkuniversität des Hessischen Rundfunk, 28. März und 4. April 1963. Von diesem Text existieren weitere, kaum von einander abweichende Fassungen im Adorno Archive (Frankfurt am Main / Berlin), u. a. auch textidentisch in französischer Übersetzung. 17 Vortrag für den Deutschlandfunk, Sendung am 25. Mai 1969, zu Lebzeiten ungedruckt.

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insbesondere in der U.S.-amerikanischen Gesellschaft zum Ausdruck kommen: Kulturindustrie beschreibt demnach, inwiefern sich die Ökonomie auf die gesamte Gesellschaft ausgedehnt hat; die für den Kapitalismus spezifische Kommodifizierung durchdringt alle Lebensbereiche und beschränkt sich nicht länger auf die Produktionsverhältnisse im engeren Sinne. Die Differenz von (ökonomischer) Basis und (ideologischem) Überbau ist nivelliert. Der Kapitalismus transformiert sich von einer Gesellschaft der industriellen Massenproduktion in eine Gesellschaft des alltagskulturellen Massenkonsums. War der Kapitalismus des neunzehnten Jahrhunderts dadurch geprägt, dass die Ökonomie die Lebensverhältnisse, zumal die des Proletariats, überlagerte und die Menschen zum bloßen Anhängsel der Industrie erniedrigte, so ist die Kulturindustrie, also die fortgeschrittene kapitalistische Gesellschaft durch die Assimilation der Ökonomie mit den Lebensverhältnissen charakterisiert: Im gesellschaftlichen Deckmantel der Kulturindustrie erscheint der Kapitalismus als beste Welt aller möglichen, in der jede und jeder sein Glück probieren kann und vielleicht sogar findet. Die Logik des falschen Zustands wird als Schlüssel zum richtigen Leben propagiert. Der Mechanismus der Kulturindustrie ist paradox: Schematismus und Standardisierung versprechen unablässig, dass jeder er selbst sein könne. Darauf zielt der im Untertitel des Kulturindustrieabschnitts postulierte Befund von der „Aufklärung als Massenbetrug“: Nicht der einfache Schwindel ist damit gemeint, sondern der Lüge im Namen der Wahrheit. Aufklärung, nämlich der wohlgemeinte Aufruf an den Einzelnen, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, der Ausgang aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit etc., verkehrt sich in den Betrug der Massen um das „Recht auf die Veränderung der Eigentumsverhältnisse“; die Kulturindustrie „sucht ihnen einen Ausdruck in deren Konservierung zu geben“ (Benjamin 1936: 382). Zur Lüge wird die Wahrheit, dass alles eine Lüge ist, immer schon mitgeliefert. Die Aufklärung verwandelt sich in Überbelichtung. Der Mechanismus, durch den dieser „Verblendungszusammenhang“ funktioniert, ist die Reklame. Sie ist das „Lebenselixier“ der Kulturindustrie (Adorno & Horkheimer 1947: 185). „Technisch so gut wie ökonomisch verschmelzen Reklame

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und Kulturindustrie.“ (Adorno & Horkheimer 1947: 187) – Unter der Regie einer „instrumentellen Vernunft“ (Horkheimer) beziehungsweise „technologischen Rationalität“ (Marcuse) werden das Unbewusste und seine psychischen Instanzen in die gesellschaftliche Struktur eingeschaltet: Die Triebökonomie verschmilzt mit der politischen Ökonomie. Der in seiner Logik abstrakt bleibende, aber gleichwohl auch immer abstrakter werdende Kapitalismus konkretisiert sich in einer disparat und unlogisch fragmentierten Warenwelt, mit der sich die Menschen identifizieren. So heißt es zum Schluss des Kulturindustrieabschnitts: „Die intimsten Reaktionen der Menschen sind ihnen selbst gegenüber so vollkommen verdinglicht, dass die Idee des ihnen Eigentümlichen nur in äußerster Abstraktheit noch fortbesteht: personality bedeutet ihnen kaum mehr etwas anderes als blendend weiße Zähne und Freiheit von Achselschweiß und Emotionen. Das ist der Triumph der Reklame in der Kulturindustrie, die zwangshafte Mimesis der Konsumenten an die zugleich durchschauten Kulturwaren.“ (Adorno & Horkheimer 1947: 191)

IV. „Die antisemitische Verhaltensweise wird in den Situationen ausgelöst, in denen verblendete, der Subjektivität beraubte Menschen als Subjekte losgelassen werden.“ Theodor W. Adorno und Max Horkheimer (1947: 195)

„Was wir uns vorgesetzt hatten, war tatsächlich nicht weniger als die Erkenntnis, warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt“, schreiben Adorno und Horkheimer in der ‚Vorrede‘ zur ‚Dialektik der Aufklärung‘ (1947: 11). Vor diesem Hintergrund ist auch der Abschnitt über die Kulturindustrie zu verstehen, der zusammen mit den Thesen ‚Elemente des Antisemitismus‘ das gesellschaftstheoretische Zentrum der Studie bildet. Kulturindustrie und Antisemitismus stellen sich dabei keineswegs als bloße, von einander separierte Phänome-

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ne dar, sondern gehören „letztendlich in denselben gesellschaftlichen Kontext […], auch wenn sie zeitweise verschiedene politische Funktionen haben“ (Löwenthal 1990: 61). Kulturindustrie wie Antisemitismus beschreiben strukturelle Momente, in denen Herrschaft in die sozialen Verhältnisse übergegangen ist. Sichert die Kulturindustrie die Bereitschaft mitzumachen, so selektiert der Antisemitismus diejenigen, die nicht mehr mitmachen dürfen. Inklusion und Exklusion fallen hierbei jeweils zusammen, beide Male ist es der Schematismus von Stereotypen, durch den das Ganze als unbedingte Totalität zusammengehalten wird: Einerseits als demokratisches Ideal des Konsums, andererseits als faschistisches Racket der Volksgemeinschaft. Diesem Schematismus folgen die Diskriminierungen der Menschen, in dem sie rassistischen, sexistischen oder anderen Stereotypen eingepasst werden. Bezeichnet die Diskriminierung in der Kulturindustrie allerdings das Äußerste der von ihr und durch sie proklamierten Humanität, so ist die antisemitische Diskriminierung der Anfang des Unmenschlichsten. Insofern ist die Diskriminierung der illegitime Extremfall der falschen Verwirklichung des Subjekts in der Kulturindustrie; im Antisemitismus bildet hingegen die Diskriminierung die Legitimation der falschen Aufhebung des Subjekts, seine Vernichtung. Damit ändert sich aber auch der Charakter der Diskriminierung: im faschistischen Regime rechtfertigt sich die Diskriminierung durch die angebliche Gefahr, die der als Jude Identifizierte für die Volksgemeinschaft bedeuten soll, indes bestätigt die Diskriminierung in der Kulturindustrie die dem rassistisch oder sexistisch etc. klassifizierten Menschen die ihm in der gesellschaftlichen Ordnung zugewiesene Rolle positiv. Auch wenn, wie die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts zeigt, sich Kulturindustrie und Antisemitismus ohne weiteres überschneiden können, haben sie für das zugerichtete Subjekt sehr unterschiedliche Konsequenzen: In der Kulturindustrie ist die Diskriminierung Manifestation einer gewöhnlichen Beleidigung, die den Menschen – nicht selten „zum Spaß“, zur Unterhaltung, zur Bestätigung der Normalität – zugefügt wird (alles darüber hinaus wäre der Übergang in Terror); die Diskriminierung im Antisemitismus läuft immer auf die Androhung der Exekution hinaus und kalkuliert die Angst, „Schlimmeres zu fürchten als den Tod“ (Adorno 1966: 364. Pa-

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radox wird in der Kulturindustrie vom Diskriminierten, auch wenn man weiß, dass die Diskriminierung eigentlich illegitim ist, das konforme Einverständnis, Zustimmung und Akzeptanz, verlangt. Anders die antisemitische Diskriminierung: sie beweist den Verdacht gegen den Juden, gerade weil er erwartungsgemäß die ihm zugeschriebenen Klischees abstreitet. Erfordert die Kulturindustrie ein gewisses Maß in der Verachtung der Diskriminierten und gebietet, dass etwa sadistische Elemente der Diskriminierung im Zaum gehalten und kontrolliert werden, so nimmt der Antisemitismus den Hass auf die Juden als Rechtfertigung für die Diskriminierung. In der Kulturindustrie wie im Antisemitismus ist Diskriminierung rational organisiert, obgleich die Diskriminierung selbst irrational ist; die Irrationalität der Diskriminierung wird mithin zum Beleg für die Rationalität der ihr zugrunde liegenden biologistischen Auffassung vom Menschen. Zur Kulturindustrie wie zum Antisemitismus gehören gleichermaßen die konsistenten, „monologischen“, „einfachen“ und „eindimensionalen“ Muster der Diskriminierung. „Mehrfachdiskriminierungen“ folgen einer Hierarchie, nach der quasi die eine Diskriminierung zur logischen Bedingung der anderen wird. Das bezeichnet eine Schwierigkeit, hier die Theorie der Intersektionalität anzuwenden. Hinzukommt, dass Kulturindustrie und Antisemitismus keinen symbolischen Aktionsradius haben, in dem die Diskriminierung mit Mitteln der Diskriminierung konterkariert werden könnte; ironische Brechungen oder Überaffirmation können erst dann zu Strategien der Selbstermächtigung werden, wo die Stereotypen der Diskriminierung in Auflösung begriffen sind und überhaupt ein Raum entsteht, in dem diskriminierende Zuschreibungen anders gelesen, kontextualisiert und damit überhaupt symbolisch verhandelt werden können – ohne das damit die gesellschaftlichen Verhältnisse selbst infrage gestellt werden: Das ist in der Kulturindustrie, also der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, nur innerhalb der einzelnen Produkte möglich.18

18 Zum Beispiel in den Filmen Chaplins oder in Screwball Comedies von Howard Hawks, zum Teil auch in den Trickfilmen (Betty Boop).

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V. „[…] dass alles Lebendige unter einem Bann steht.“ Theodor W. Adorno und Max Horkheimer (GS Bd. 3, S. 296) „Es bedürfte der lebendigen Menschen, um die verhärteten Zustände zu verändern, aber diese haben sich so tief in die lebendigen Menschen hinein, auf Kosten ihres Lebens und ihrer Individuation, fortgesetzt, dass sie jener Spontaneität kaum mehr fähig scheinen, von der alles abhinge.“ Theodor W. Adorno (1965: 18)

Kulturindustrie bezeichnet eine gesellschaftliche Struktur und ist als solche historisch zu verorten: Sie löst die Phase der Massenkultur ab, die im neunzehnten Jahrhundert als Verwirklichung der Idee der Hochkultur entstand und mit der enormen Entwicklung des kapitalistischen Gesellschaft, des Welthandels, der Industrie und der Metropolen zusammenfällt. Kurzum: Die Massenkultur korrespondierte mit einer Massengesellschaft, die sich wesentlich durch Massenproduktion definierte. Diese erfuhr in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ihre Transformation in eine Konsumgesellschaft, verbunden mit einer Befriedung des Klassenantagonismus durch die Etablierung einer nach und nach allgemein werdenden Angestelltenkultur. Die Kulturindustrie erweitert die als Fordismus bezeichnete Dynamik und formiert sich als Gesellschaft, in der die kapitalistischen Beziehungen der Warenwirtschaft nicht mehr primär von der Produktion determiniert zu sein scheinen, sondern sich über die Konsumtion und die auf das Warenangebot zugeschnittenen Lebensweisen darstellen: Das früher durch die bürgerliche Kultur an sich repräsentierte ideale Reich der Freiheit verwandelt sich in ein materielles Reich der Freizeit, das zugleich ideologisch das tatsächliche materielle Reich der Notwendigkeit überdeckt. Alle Kultur wird zur Ware und jedes Produkt macht, in seiner Warenförmigkeit verfestigt, nicht nur Reklame für sich selbst (das ist Intention der „gut gemachten“ Werbung: ein Produkt so zu inszenieren, dass es scheinbar für sich selbst spricht …), sondern ist Reklame für die Welt, wie sie

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ist, und bestätigt also durch seine Existenz als Warending automatisch eine Gesellschaft, die in ihrem Innersten von der Tauschlogik und dem Fetischcharakter der Waren abhängig ist. In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wird dies vollends realisiert, kulminiert und kippt dialektisch um: Paradox erscheint eine mehr und mehr an technologischer Rationalität und ökonomischer Effizienz ausgerichtete Leistungsgesellschaft von der Mühlsaal der (Lohn- )Arbeit tendenziell befreit zu werden und in einen Zustand des Überflusses, des Wohlstands und des Individualismus unbeschränkter Selbstverwirklichung überzugehen. Das kulturindustrielle Prinzip „Alle Kultur wird zur Ware“ verkehrt sich nach dem Zweiten Weltkrieg in das Prinzip „Alle Ware wird zur Kultur“. Wesentlich dafür ist die emphatische Verteidigung der Warenkultur, das affirmative Bekenntnis zur Warenförmigkeit als neue ästhetische Dimension: die Attribute der Kunst – Autonomie, Authentizität, Schönheit etc. – werden auf die Möglichkeiten der Gestaltung des Alltags übertragen, das Leben selbst zum Kunstwerk (wodurch unter kapitalistischen Bedingungen eine zentrale Forderung der Avantgarden falsch eingelöst wird, nämlich Kunst ins Leben zu übersetzen). Darüber hinaus scheint gerade dieses an der Ware ausgerichtete Leben neue Potenziale der Subversion, Dissidenz und Widerständigkeit gegenüber einem Kapitalismus zu ermöglichen, der nunmehr moralisch mit den rein ökonomischen Interessen und einer allein am Profit orientierten Rücksichtslosigkeit identifiziert wird. Dies charakterisiert einen Prozess, der seit den fünfziger Jahren als „Pop“ in jedem Jahrzehnt, bis in die neunziger Jahre, seine je spezifischen und speziellen Ausprägungen erhält, wodurch sich auch jeweils der gesellschaftliche Zusammenhang als Herrschaftsverhältnis verändert: Vor dem Hintergrund der Systemkonkurrenz und Blockkonfrontation wird der konsumistische Wohlstand, an dem in den „westlichen Industrienationen“ immer mehr Menschen Anteil zu haben scheinen, mit politischer Freiheit identifiziert. Damit verändern sich allerdings grundlegende Kategorien der Subjektivität und das eigentlich außer Kurs gesetzte Individuum, das die kritische Theorie noch in den vierziger Jahren diagnostizierte, wird als Konsument immer wieder neu erfunden, indem es die Attribute des autonomen bürgerlichen Subjekts auf die warenförmige Ausgestaltung

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der als individuell deklarierten Lebensweise bezieht: Ein kulturell selbstbewusst ausagierter Nonkonformismus sichert dabei den gesellschaftlichen Konformismus und kompensiert den faktischen Mangel des Selbst und die Unheimlichkeit des Unbewussten. Rutscht die Ideologie, wie Adorno Anfang der sechziger Jahre konstatiert, in die Realität der Produktionsverhältnisse selbst hinein (vgl. Adorno 2008: 207 ff.; Marcuse 2009: 151), so bedeutet dies auf struktureller Ebene nicht mehr, wie noch zur Hochzeit der Massenkultur vermittelt, dass die Sphäre der Kultur der „Wirklichkeit“, dem „gesellschaftlichen Alltag“ entgegengesetzt wird, sondern – und das kündigt sich mit der fortgeschrittenen Kulturindustrie bereits an – dass im Namen der „Kultur“ die Gesellschaft gleichsam okkupiert wird und somit soziale Widersprüche eben kulturell entschärft werden; damit wird aber die Gesellschaft selbst immer mehr zu einem Block zusammengeschlossen, zu einer in sich durch zunehmende Verfeinerung und Differenziertheit gekennzeichneten Totalität. Die Popkultur erlaubt temporär „abweichendes Verhalten“, das längerfristig die Bereitschaft zur Anpassung stabilisiert; die in einem vielfältigen Kanon an Ritualen erprobte scheinbare Verweigerung der Normalität wird zum wichtigen Faktor der Aufrechterhaltung des Leistungsprinzips (Sportveranstaltungen, Wochenende, Partys, Konzerte, Urlaub, Fernsehabend etc.). Zunächst bleibt der Pop allerdings noch der Kunst und der Jugend vorbehalten, und erscheint zudem durchaus als Bedrohung der Gesellschaft. Doch alsbald wird erkannt, dass das Zulassen der Jugend als „schönste Zeit im Leben“ garantiert, das übrige Leben als nicht so schön zu akzeptieren, eben wörtlich als Rest des Lebens. War die geduldete Jugend zunächst ein besonderer (und auch relativ kurzer) Abschnitt in der bürgerlichen Biografie, so wird sie vor allem in den siebziger Jahren mittels der Mode in alle sozialen Dimensionen ausgedehnt: Immer mehr Menschen wird eine Jugend zugestanden, einschließlich Jugendkultur; und zudem wird die Jugendzeit selbst verlängert, bis zur eigentlich altersunabhängigen Jugendlichkeit. Begleitet wird dies durch eine Segmentierung und Ausdifferenzierung der Kultur, wodurch gewissermaßen der subjektive Geist und der objektive Geist in ein dynamisches, aber ver-

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meintlich harmonisches Gleichgewicht gebracht werden und eine Art flexible Sittlichkeit entsteht.19 In den achtziger Jahren, zusammenfallend mit der Postmoderne, vollzieht sich ein paradigmatischer Bruch vom Massenkonsum zum Individualkonsum; zwar gibt es immer noch und unbestreitbar riesige Massenveranstaltungen im quantitativen Sinne von „Masse“, doch haben diese Veranstaltungen auf der qualitativen Ebene keinen Massencharakter mehr (Beispiel 1: das Live Aid-Konzert, das am 13. Juli 1985 gleichzeitig in London und in Philadelphia stattfand und von 1,5 Milliarden Menschen über Satellit im Radio und Fernsehen verfolgt wurde; Beispiel 2: die mikroelektronische Revolution und die damit einhergehende Durchsetzung des PC, aber auch weitere individualtechnische Neuerungen wie etwa Walkman oder das VHSFormat). Ende der achtziger Jahre wurde erkennbar, was in poststrukturalistischer Terminologie als Übergang von der Disziplinargesellschaft zur Kontrollgesellschaft beschrieben wird.20 Auch wenn es weiterhin so erschien (und auch entsprechend in öffentlichen Debatten so dargestellt wurde), war die Kultur

19 „Sittlichkeit“ ist in Hegels Theorie der bürgerlichen Gesellschaft der Begriff für Kultur; er definiert sie als „die Vollendung des objektiven Geistes, die Wahrheit des subjektiven und objektiven Geistes selbst“ (vgl. etwa ‚Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften‘, Band III, C, §§ 513 ff., hier § 513). Georg Simmel konstatiert 1911 eine „Tragödie der Kultur“, weil subjektiver und objektiver Geist zunehmend auseinanderfallen. Mit der Fragmentierung und der Flexibilisierung der Kultur, die sich seit den siebziger und dann verstärkt seit den achtziger Jahren beobachten lässt, können zwischen dem subjektiven und objektiven Geist punktuelle und unverbindliche Zusammenschlüsse gewährleistet werden, die eben die „Gesamtkultur“ nicht mehr als Tragödie erleben lassen. 20 „Die Kontrollgesellschaften sind dabei, die Disziplinargesellschaften abzulösen … In den Disziplinargesellschaften hörte man nie auf anzufangen (von der Schule in die Kaserne, von der Kaserne in die Fabrik), während man in den Kontrollgesellschaften nie mit irgend etwas fertig wird: Unternehmen, Weiterbildung, Dienstleistung sind metastabile und koexistierende Zustände ein und derselben Modulation, die einem universellen Verzerrer gleicht.“ (Deleuze 1993: 255 ff., vgl. Behrens 2003a, 133–146)

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jetzt nicht mehr zwischen Hoch- und Massenkultur getrennt, sondern changierte zwischen einerseits einem hegemonialen Block einer so genannten Mainstreamkultur und andererseits einer Vielzahl von quasi gegenhegemonialen Subkulturen. Im Verlauf der neunziger Jahre hatte sich die Popkultur vollends als Bühne oder Feld für eine Vielzahl von gesellschaftlichen Konflikten etabliert beziehungsweise stand es nun nahezu allen offen, „kulturell“ mit den Mitteln von Mode, Konsum und Lifestyle – und das heißt kraft des Bekenntnisses zur Ware als Kultur – gesellschaftliche Widersprüche, Unbehagen, Protest, schließlich auch erlebtes Unrecht und Diskriminierungen zu artikulieren (Davis 1998: 14 ff.). Kultur ist nun auch insofern „Ausdruckszusammenhang“ (Benjamin 1991: 573 f.; Behrens 2003b: 12 ff.), als dass soziale Verhältnisse auf eine symbolische Ebene verschoben werden. Das hat, psychologisch, durchaus entlastende Funktion und kann helfen, erlittenes Unrecht zu verarbeiten oder wenigstens zu überleben. Problematisch ist jedoch nicht nur, dass der hier zur Verfügung stehende Vorrat an Symbolen von der Zeichenordnung der bestehenden Gesellschaft nicht zu trennen ist und insofern immer schon durch die herrschende Logik respektive Logik der Herrschaft kontaminiert ist, sondern Herrschaft selbst ins Symbolische transformiert wird. Das heißt nämlich, dass möglicher Widerstand gegen eine Diskriminierung zunächst auch nur auf der symbolischen Ebene sich formuliert und eventuell im Symbolischen redundant verharrt. Damit wird aber eine Diskriminierung selbst nur zum Problem eines symbolischen Verhältnisses, nicht eines materiellen Verhältnisses, und wird derart quasi auf die dispositionale oder diskursive Ebene gezogen. „Kultur“ wird damit zur Bühne und soziale Praxis als Rollenverhalten interpretiert, auch wenn einzelne Rollen eben als diskriminierend aufgelöst oder abgelehnt werden können. Die Gesellschaft erscheint nunmehr als eine einzige Kulturveranstaltung, in der es möglich ist, den Kapitalismus doch noch zum Guten zu wenden. Und gerade der Rollencharakter scheint dem Individuum eine gewisse Flexibilität im Verhalten gegenüber der Gesellschaft zu garantieren: Für sein Schicksal sei jeder selbst verantwortlich und es bedarf nur der Bereitschaft, in die richtige Rolle zu schlüpfen, um das Leben zu bewältigen. Selbstbestimmung fällt mit Fremdbestimmung in

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eins. „Rollen haben die Menschen in einem Strukturzusammenhang der Gesellschaft, der sie sowohl zur puren Selbsterhaltung dressiert wie die Erhaltung ihres Selbst ihnen verweigert. Das allherrschende Identitätsprinzip, die abstrakte Vergleichbarkeit ihrer gesellschaftlichen Arbeit, treibt sie bis zur Auslöschung ihrer Identität.“ (Adorno 1965: 13) Auslöschung der Identität heißt zugleich: die unbedingte Identität mit dem, was ist. Diese Identität vollzieht sich als Anpassung auf der Ebene der ubiquitären Produktionsverhältnisse. „Die Menschen erkennen sich in ihren Waren wieder; sie finden ihre Seele in ihrem Auto, ihrem HiFi-Empfänger, ihrem Küchengerät. Der Mechanismus selbst, der das Individuum an seine Gesellschaft fesselt, hat sich geändert, und die soziale Kontrolle ist in den neuen Bedürfnissen verankert, die sie hervorgebracht hat.“ (Marcuse 1964: 29) Erst der vollendete Konformismus mit der „eindimensionalen Gesellschaft“ erlaubt die Einrichtung verschiedener Bühnen („Subkulturen“), auf denen die scheinbar vielfältigen Rollen des Nonkonformismus ausprobiert werden können. Jeder macht Reklame fürs System; neu ist an dieser „Gesellschaft des Spektakels“ (Guy Debord), dass sogar die Diskriminierung Reklame ist.21 Was sich hier vollzieht, kann mit dem Begriff der Macht bezeichnet werden, der seit den siebziger Jahren vor allem durch die poststrukturalistische Diskursanalyse, namentlich Foucault diskutiert wurde: Macht ist als das Subjekt konstruierend und de21 Das unterscheidet wohl die Funktion der diskriminierenden Karikatur in der NS-Gesellschaft von der demokratischen Gesellschaft: Die antisemitische Projektion des Juden im ‚Stürmer‘ bereitet seine Vernichtung vor; die rassistischen, homophoben und sexistischen Witze, wie sie mittlerweile bei so genannten Comedians wie Atze Schröder oder Mario Barth Programm sind, dienen dem entgegen dazu, Menschen auf ihre Rollen festzuschreiben und damit zu integrieren. Je mehr man glaubt, das Klischee kritisch-reflektierend zu durchschauen, desto hermetischer wird es als Witz bestätigt, und im Lachen entlädt sich eine perfide Identifikation mit dem Aggressor, der hier als Spaßmacher auftritt. Dass schließlich alles nicht so ernst gemeint sei, lässt es zu, die Diskriminierung bis ins Absurde zu überdrehen. Der antisemitische Affront betont hingegen auch und gerade im diskriminierenden Witz immer, dass die von den Juden ausgehende Bedrohung unbedingt ernst zu nehmen sei.

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konstruierend zu verstehen, Herrschaft hingegen als das Subjekt konstituierend. Dies wäre für die Intersektionalitätsforschung mehr als nur eine graduelle Unterscheidung. Rassismus oder Sexismus sind demnach einerseits Herrschaftsverhältnis im Sinne einer gewaltförmigen Praxis, die das Subjekt durch die „Rasse“ oder das Geschlecht hervorbringt und unterwirft, andererseits Dispositiv eines Machtdiskurses, durch den das Subjekt in der rassistischen oder sexistischen Zuschreibung präsentiert oder repräsentiert wird. Herrschaft ist in Produktion übergegangen und bildet eine gesellschaftliche – „intersubjektive“ – Matrix; Macht kann als Logik dieser Matrix gefasst werden, die in der Popkultur ihren Ausdruck findet: eben als Gender, „Race“, Klasse für sich etc. Es sind Pseudokonkretisierungen der falschen Identität der alles durchherrschenden abstrakten Tauschlogik. Die Verweigerung, sich identifizieren zu lassen, wird zum Ersatz für die ohnehin misslingende Identität. Damit droht aber jedes soziale Verhalten, einmal in das Schema wechselnder Rollen gebracht, diskriminierend zu sein, ebenso wie jedes soziale Verhalten auch Gegenstand einer Diskriminierung werden kann. Mit Walter Benjamin ließe sich formulieren: ‚Die Menschen, die einst ein Schauobjekt für die Götter waren, sind es nun für sich selbst geworden. Ihre Selbstentfremdung hat jenen Grad erreicht, der sie ihre Diskriminierung als ästhetischen Genuss erleben lässt‘ (vgl. Benjamin 1936: 384). Aus der Unterdrückung ist Unterhaltung geworden, gerade wo Unterhaltung dazu dient, die Unterdrückung vergessen zu machen.

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„We like to close the bar at four in the morning and be at the office a few hours later.“ Eine Analyse des Bu siness Punk-Magazins unter Aspekten hegemonialer Männlichkeit MARTIN SEELIGER „We like to close the bat at four in the morning…“ „Eine leicht ins Positive hinein verzerrte Wirklichkeitswahrnehmung ist förderlich für eine leistungsorientierte und sozial förderliche Handlungsregulation“ (Kastner 1999: 285).

In seinem umfangreichen Werk zur Geschichte des Kommunismus beschreibt Archie Brown (2009: 109) den Fall des Alexej Stachanow, dem es – so lautet die Erzählung – im August des Jahres 1935 innerhalb einer einzigen Sechsstundenschicht gelang, 102 Tonnen Kohle aus einem russischen Bergwerk zu fördern. Nachdem dieser Fall hohe Wellen in der Presse geschlagen, und sogar Stalin selbst sich lobend über den Arbeiter Stachanow geäußert hatte, formierte sich rasch (und wohl unter Anleitung der sowjetischen Behörden) eine Bewegung der sogenannten ‚Stachanowisten‘, die – motiviert durch den großen Fleiß ihres Genossen – nun auch ihren Beitrag zur Energieversorgung der kommenden Weltrevolution leisten wollten. Vor

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dem Hintergrund der medialen Repräsentation der heldenhaften Darstellung Stachanows lässt sich diese bergmännische Großtat (so sie denn tatsächlich jemals vollbracht wurde) allerdings nicht nur als wegweisend für einen effektiveren Einsatz der werktätigen Massen interpretieren, sondern verweist darüberhinaus bei näherer Betrachtung auf die enge Verflechtung sozialer Verhältnisse bei der Konstruktion gesellschaftlicher Idealbilder. Nun lässt sich die Situation im sowjetischen Russland der 1930er Jahre sicherlich nicht eins zu eins auf die heutige Zeit (und den hiesigen Kulturraum) übertragen. So zeichnet sich die gegenwärtige Epoche moderner Gesellschaften durch ein Produktionsregime aus, welches – gemeinhin als Postfordismus bezeichnet – nicht mehr die kollektive Erfüllung zentralistisch vorgegebener Jahrespläne, sondern entgegen der kommunistischen Prophezeiung ein individuelles „Streben nach Glück“ als zentralen Wert gesellschaftlichen Lebens in den Vordergrund rückt.1 Zweck des vorliegenden Textes ist es, einen Beitrag zur Analyse der Arbeitskultur eben dieser postfordistischen Gesellschaftformation zu leisten. Hierzu soll das Beispiel eines Lifestyle-Magazins hinzugezogen werden, das den Titel „Business Punk“ trägt und seit dem Jahr 2009 im deutschsprachigen Zeitschriftenhandel erhältlich ist.2 Dabei werde ich die Frage verfolgen, inwiefern die im Heft getroffenen Repräsentationen mit einem Ideal hegemonialer Männlichkeit korrespondieren, das innerhalb eines postfordistischen Produktionsregimes eine spezifische Ausprägung annimmt. Im Anschluss an eine Darstellung der theoretischen Ausgangsposition werde ich in einem zweiten Teil das Magazin anhand zweier Artikel beschreiben und im Rückgriff auf die eingangs entwickelten Prämissen interpretieren. Die Ergebnisse werden in einem abschließenden Fazit zusammengefasst.

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So würde der arbeitsame Alexej Stachanow vermutlich heute den Industriezweig des untertägigen Bergbaus mit seinem eigenen Bergwerksmaschinenunternehmen beliefern. Da zum jetzigen Zeitpunkt (Anfang Februar 2010) nur eine einzige Ausgabe vorliegt, werde ich mich bei meiner Analyse auf die Auseinandersetzung mit diesem Heft beschränken.

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Postfordistische Arbeitswelten Für die Analyse von Gesellschaft nimmt die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Formen der Arbeit einen kaum zu unterschätzenden Stellenwert ein (vgl. Pries 2005). Um zu einem Verständnis der symbolischen Repräsentationen von Erwerbsarbeit im Allgemeinen (sowie der im Magazin dargestellten Lebens- und Beschäftigungsformen im Besonderen) zu gelangen, erscheint die Einordnung der abgebildeten Images in einen breiteren kulturellen Repräsentationszusammenhang unverzichtbar. Dieses soll im Folgenden geschehen, indem mit der Geschlechterdimension sowie gegenwärtigen und rezenten Flexibilisierungserscheinungen zwei aktuelle Trends der gesellschaftlichen (Re-)Strukturierung von Erwerbsarbeit wiedergegeben werden.3

Zum Zusammenhang von Arbeit und Geschlecht Folgen wir einer der Kernannahmen der (feministisch motivierten) Arbeitsforschung, erscheinen männliche Lebensentwürfe und Identitätskonstruktionen in modernen Gesellschaften als „zentral an Erwerbsarbeit gebunden“ (Scholz 2007: 51). Diese Verschränkung männlicher biografischer Projekte mit erfolgreicher Marktvergesellschaftung, die ihren Ursprung bereits im europäischen Bürgertum des 18. Jahrhundert findet (Scholz 2008: 107), lässt sich bis heute als gesellschaftliches Strukturmerkmal identifizieren. So liegt in der Verrichtung von Erwerbsarbeit „für einen großen Teil der männlichen Bevölkerung immer noch eine positive Quelle für Identitätskonstruktionen“ (Scholz 2007: 51). Diese positive Identifikation von Männlichkeit mit Erwerbsarbeit korrespondiert traditionell mit der weiblichen Konnotation reproduktiver Arbeiten. Betrachtet man die Implikationen, die sich angesichts des hier skizzierten Bildes der Aufteilung von Erwerbs- und Hausarbeit ergeben, etwas genauer, wird klar, dass die Grundannahme hierbei auf der Voraussetzung einer gesellschaftlichen Verbreitung charakteristischer Arrangements der Beschäftigung beruht, die ge3

Für den Zusammenhang gesellschaftlicher Strukturen und kultureller Repräsentationen siehe Seeliger 2010; 2010a.

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meinhin unter dem Begriff des „Normalarbeitsverhältnisses“ zusammengefasst werden. Diese spezifische Form von Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Relation lässt sich als Resultat der fordistischen Produktionsweise nach dem zweiten Weltkrieg interpretieren, die zahlreichen Arbeitern neben langfristigen Beschäftigungsperspektiven (zumeist im industriellen Sektor) und stabilen Einkommen auf relativ hohem Niveau in der Mehrzahl auch feste familiale Arrangements gewährleistete, bei denen der Großteil der Hausarbeit von der Ehefrau übernommen wurde. Weiterhin ist diese „industriegesellschaftliche Männlichkeitskonstruktion“ (Meuser 2004) demnach gekennzeichnet durch eine „Ausrichtung auf eine lebenslange, kontinuierliche und die materielle Existenz sichernde Erwerbsarbeit, eine hohe Identifikation mit dem Beruf, oft auch mit dem Betrieb, bzw. der Firma“ (Scholz 2008: 107). Dass das Bild einer rein männlich dominierten Landschaft der Erwerbsarbeit die aktuelle Konstellation einer Erosion fordistischer Arrangements nicht zu erfassen vermag, spiegelt sich neben theoretischen Zeitdiagnosen (etwa Beck 1986) auch innerhalb der klar nachzuvollziehenden Frauenerwerbsquote, die in Westdeutschland bis 1980 unter 50% lag, zwischen 1985 und 1990 von 52,7% auf 58,5% anstieg und 2005 in der gesamten Bundesrepublik sogar 58% erreichte (vgl. Lenz 2008: 146). Es erscheint naheliegend, dass sich die hier beschriebenen Transformationen auch auf die Muster aktueller Geschlechterverhältnisse auswirken. In diesem Zusammenhang identifiziert Meuser (2009: 254f) im derzeitigen Strukturwandel der Erwerbsarbeit vier Dimensionen, in denen tradierte Männlichkeitskonstruktionen in Frage gestellt werden: Erstens zählt hierzu die Auflösung von Dauerhaftigkeit und festen Sozialbezügen der Arbeit. Die Sphäre der Erwerbsarbeit könne daher auch nicht mehr als „institutionalisierter Ort einer fraglos gegebenen Männlichkeit“ (ebd.) gelten, und die zunehmende Inklusion von Frauen in den Arbeitsmarkt ziehe eine „Auflösung männlich homosozialer Berufswelten“ (ebd.) nach sich. Weiterhin brächten fortschreitende Tendenzen einer Subjektivierung von Arbeit (vgl. auch Kratzer/Sauer 2005) eine zunehmende Bedeutung gemeinhin als weiblich konnotierter Kompetenzen mit sich und schließlich würde auch die klassische Trennung der Bereiche von Produktion und Reproduktion eine Erosion

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erfahren, die sie als Kernbestandteil von auf Erwerbsarbeit zentrierten Formen von Männlichkeit wirkungslos(er) werden ließe (vgl. Meuser 2009: 254f.).

Zur Kultur des Neuen Kapitalismus In seiner Trilogie über die Eigenheiten postfordistischer Arbeitskulturen arbeitet der Soziologe Richard Sennett (1998; 2002; 2005) mit einem Fokus auf arbeitsweltliche Entwicklungen der Flexibilisierung und Entsicherung diejenigen Anforderungen heraus, die die neuen Arbeitsformen zeitgenössischer Produktionsregime für einen Großteil der Erwerbstätigen mit sich bringen. Der ideale Arbeitnehmer sehe sich hiernach dreierlei Erforderlichkeiten ausgesetzt, welche von der Bewältigung kurzfristiger Lebensarrangements über die ständige Weiterqualifikation bis hin zur fortdauernden Bereitschaft reichen, Gewohnheiten aufzugeben und sich neuen Situationen anzupassen (2005: 8f). Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt auch Lessenich (2009: 160): „Unter dem Eindruck globalisierter Märkte, der Kultur wirtschaftlichen Erfolgs und des Zusammenbruchs des Staatssozialismus ist Flexibilität zum Inbegriff des kapitalistischen Zeitgeistes der postfordistischen Ära geworden, wohingegen jede erdenkliche Form der Rigidität zuverlässig ins gesellschaftliche Reich des Bösen verwiesen wird.“

Überträgt man diese allgemeine Diagnose auf die Verfasstheit postfordistischer Lebens- (und Arbeits-)welten, lässt sich auch hier der Druck einer „Ökonomisierung des Sozialen“ (Schimank/Volkmann 2008) identifizieren, den Hartmut Rosa (2009: 97) in folgendem Absatz beschreibt: „Wenn heute […] die menschliche Lebensführung immer stärker durch den Konkurrenzkampf in der ökonomischen Sphäre bestimmt wird, wenn die Spielräume einer selbstbestimmten Lebensführung und politischen Gestaltung gleichermaßen den uferlosen Zwängen zur Erhaltung und Steigerung individueller und kollektiver Wettbewerbsfähigkeit zum Opfer fallen, dann drückt sich darin nicht nur die Pervertierung der kulturellen Leitidee des Kapitalismus, sondern darüberhinaus ein konstitutiver Betrug am Projekt und am Grundversprechen der Moderne aus.“

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In diesem Sinne lässt sich für innerhalb der durch Erwerbsarbeit vermittelten Statuspositionen ein Wandel von positionalen zu performativen Anerkennugsverhältnissen konstatieren: „Der angsterzeugende Aspekt des Systems gewinnt ständig an Gewicht (Wettbewerbszwänge verschärfen sich, Absturz- und Ausschlussgefahr wächst, die Fallhöhe steigt) während der Verheißungsaspekt immer mehr zu verblassen scheint. Die Hoffnung, eine Position (der Sicherheit und des materiellen Reichtums) zu erreichen, von der aus eine selbstbestimmte, unabhängige Lebensgestaltung möglich wird, schwindet.“ (Ebd.: 111)

Gleichzeitig lassen sich im Zusammenhang innerhalb der Muster der Reaktionen, die Arbeitnehmer dieser neuen Anforderungen entgegenbringen, Veränderungen verzeichnen. Während als Zumutungen empfundene Transformationen in der Arbeitswelt innerhalb klassischer fordistischer Arbeitsregime häufig noch gegen eine breite Front der Arbeitnehmerinteressenvertretung durchgesetzt werden mussten (vgl. Silver 2005), lässt sich in Auseinandersetzung mit den aktuellen Mustern der Bewältigung neuer Anforderungen ein Trend zur Vereinzelung ausmachen, der sicherlich auch mit allgemeinen gesellschaftlichen Individualisierungsentwicklungen (vgl. Beck 1986, Berger/Hitzler 2010) korrespondiert. Indem neue Arbeitsformen für die Arbeitnehmer häufig mit einer flexibleren Zeiteinteilung, der stetig vermittelten Notwendigkeit zur Weiterqualifizierung, vergleichsweise geringer Beschäftigungssicherheit und der Erosion der Sphärentrennung zwischen Erwerbs- und Privatleben einhergehen, transformieren sich aber nicht nur die jeweiligen inhaltlichen Profile unterschiedlicher Berufe. Einher mit den beschriebenen Veränderungen geht außerdem die Aktualisierung der kulturellen Repräsentationen von Erwerbsarbeit und den mit ihr verbundenen Anforderungen. So kristallisieren sich mit der fortschreitenden Verbreitung der beschriebenen Arbeitsformen auch neue Idealbilder dessen heraus, von wem und auf welche Weise diese Arbeiten am besten verrichtet werden sollen. Bei der Konstruktion des diesen neuen Idealbildern zu Grunde liegenden Anforderungsprofils spielen die Topoi der Flexibilität und der Belastbarkeit eine zentrale Rolle. Wenn im Folgenden versucht wer-

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den soll, neben den beschriebenen neuen Anforderungen auch die entsprechenden Bewältigungsformen in ihrer Funktionsweise zu erklären, geschieht dies unter expliziter Bezugnahme auf die gezielte Umdeutung dieser Anforderungen durch die (innerhalb der idealisierten Repräsentationszusammenhänge dargestellten) Akteure, die die neuen Anforderungen nicht etwa als Zumutungen einer fortschreitenden „kapitalistischen Landnahme“ (Dörre 2009), sondern vielmehr als positive Herausforderung und Chance verstehen oder teilweise sogar als besonderes Privileg kultivieren.

Repräsentationen Hegemonialer Männlichkeit: Das Beispiel des Managements Das Konzept hegemonialer Männlichkeit zählt – von Meuser (2006) auch als „Leitkategorie“ bezeichnet – innerhalb der (feministisch inspirierten) Männerforschung zu den zentralen Ansätzen zur Erklärung männlicher Herrschaft. Als Protagonist des Ansatzes entwickelt Robert Connell (2006: 98) folgende Definition: „Hegemoniale Männlichkeit kann man als jene Konfiguration geschlechterbezogener Praxis definieren, welche die momentan akzeptierte Antwort auf das Legitimitätsproblem des Patriarchats verkörpert und die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frauen gewährleistet (oder gewährleisten soll).“

Neben der (heterosozialen) Dimension der hierarchischen Differenzierung zwischen Männern und Frauen, die für herrschende Geschlechterverhältnisse charakteristisch ist, fokussiert der Ansatz darüberhinaus auch eine (homosoziale) Dimension intrageschlechtlicher Differenzen zwischen Männern. Hegemoniale Männlichkeit lässt sich demnach verstehen als generatives Prinzip der Herstellung von Männlichkeit, welches bedingt wird durch ein „doppeltes, die hetero- wie die homosoziale Dimension umfassendes Hegemoniestreben“ Meuser (2006: 167). Anhand einer Analyse der verschiedenen Binnendifferenzierungen (Klasse, Ethnizität, Bildungsstand, Alter, etc.), die eine weitere interne Segmentierung der Kategorie Mann bewir-

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ken, lassen sich nun verschiedene Formen von Männlichkeit identifizieren, welche nur als in Relation zueinander befindlich verstanden werden können. So stellen Vertreter der untergeordneten Männlichkeiten gewissermaßen die „Kehrseite“ (Spindler 2007: 121) hegemonialer Männlichkeit dar, von der sie sich abgrenzt, um sich selbst zu definieren. Als letztes zentrales Merkmal von (hegemonialer) Männlichkeit ist ihr sozialer Aushandlungscharakter zu betonen. „Hegemoniale Männlichkeit ist kein starr, über Zeit und Raum unveränderlicher Charakter. Es ist vielmehr jene Form von Männlichkeit, die in einer gegebenen Struktur des Geschlechterverhältnisses die bestimmende Position einnimmt, eine Position allerdings, die jederzeit in Frage gestellt werden kann (Connell 2006: 97).

So versuchen Vertreter unterschiedlicher Formen von Männlichkeit, sich bestehenden Formen hegemonialer Männlichkeit anzupassen oder sogar diese ihrem eigenen Hintergrund entsprechend zu aktualisieren.4 Männlichkeit wird demnach nur dann als hegemoniale Männlichkeit verstanden, „wenn sie erfolgreich mit dem Anspruch milieuübergreifender Gültigkeit auftritt“ (Meuser 2006: 170). Beim Zustandekommen hegemonialer Männlichkeit kommt der Konstruktion kultureller Images und Idealbilder eine zentrale Funktion zu: „[H]egemony works in part through the production of examples of masculinity (e.g. professional sports stars), symbols that have authoriry despite the fact that most men and boys do not fully live up to them“ (Connell/Messerschmidt 2005).

So dienen kulturelle Leitbilder von Männlichkeit als sinn- und orientierungsstiftende Muster für Handlungsentscheidungen und Identitätskonstruktionen. Wie bereits deutlich geworden, lässt sich hegemoniale Männlichkeit nicht ohne den Rekurs auf gesellschaftliche Machtverhältnisse verstehen: „[I]t is widely 4

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Auf welche Weise kulturelle Inszenierungen als Versuche einer Aktualisierung hegemonialer Männlichkeit auftreten können, haben wir an anderer Stelle (Seeliger/Knüttel 2010) am Beispiel deutschsprachigen Gangstaraps dargelegt.

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acknowledged that dominant forms of masculinity are associated with major forms of social power“ (Connell/Wood 2005: 347). Nun lässt sich schlecht über die Verteilung von Macht innerhalb der Gesellschaft reden, ohne dabei die Wirtschafts- und Klassenverhältnisse (und ihre jeweiligen kulturellen Repräsentationen) in Betracht zu ziehen. Entsprechend konstatieren auch Connell und Wood (ebd.: 348) eine enge Verbindung von hegemonialer Männlichkeit und wirtschaftlichen Bedingungen: „[L]ocally hegemonic patterns of masculinity were typically integrated with the local patterns of capitalism.“ Eine solche Verschränkung von Arbeit, Wirtschaft und Geschlecht bei der Konstruktion kultureller Images lässt sich beispielhaft am Berufsbild des Managers erläutern, den Meuser (2009: 258) als eine Form „gegenwärtig vorherrschender institutioneller Verkörperung hegemonialer Männlichkeit“ identifiziert. Auf ein hohes kulturelles Ansehen von Managertätigkeiten verweist auch die durch Pohlmann (2002:228) identifizierte „Chiffre vom Management als sozialprestigeträchtiger, symbolischer Ausweis von Entscheidungskompetenz“. Diese Sichtweise wird von Meuser (2009: 258) um eine Geschlechterkomponente ergänzt: „Wenn hegemoniale Männlichkeit durch die soziale Praxis gesellschaftlicher Eliten definiert wird, dann gebührt ‚Managermännlichkeit‘ eine besondere Aufmerksamkeit.“ Es erfordert keine besonders eingehende Betrachtung, um die kulturelle Repräsentation des Managerberufes als mit einer genuin männlichen Konnotation versehen zu identifizieren: „A ‚masculine ethic‘ of rationality and reason can be identified in the early image of managers. This ‘masculine ethic’ elevates the traits assumed to belong to men with educational advantages to necessities for effective organizations: a tough-minded approach to problems, analytical abilities to abstract and plan; a capacity to set aside personal, emotional considerations in the interest of the tasks accomplished; a cognitive superiority in problem-solving and decision-making” (Kanter 1974: 43).

Neben der Etablierung einer geschlechtersensiblen Sichtweise erscheint es außerdem naheliegend, die Einschätzung des Managerberufes auf die weiter oben getroffenen Äußerungen zu neuen Anforderungsprofilen von Arbeit in der „Kultur des

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neuen Kapitalismus“ (Sennet 2005) zu beziehen. So zeichnen sich die kulturellen Repräsentationen von Managermännlichkeiten in den Anforderungsprofilen, denen ihre Vertreter genügen müssen, durch eine starke Ausprägung eben derjenigen Tugenden aus, die weiter oben als konstitutiv für die entsprechenden Tätigkeiten gelten können. Beispielhaft soll dies anhand des im nächsten Abschnitt vorzustellenden Magazins erläutert werden.

Das Business-Punk Magazin Die erste Ausgabe des von der G+J Media Sales herausgegebenen Magazins ist im Jahr 2009 mit einem Umfang von ca. 160 Seiten, einer Druckauflage von ca. 100.000 Exemplaren zu einem Stückpreis von sechs Euro erschienen und soll ab 2010 in zwei Ausgaben pro Jahr erhältlich sein.5 Folgender Absatz aus dem ‚Factsheet‘ der Herausgeberfirma soll das inhaltliche Profil des Magazins veranschaulichen helfen (Business Punk 2009: 5): „Business Punk ist das Business-Lifestyle-Magazin für Männer, die etwas bewegen und Erfolg haben wollen. Für die ein Job mehr ist als ein Job, weil er ihr Leben definiert und sie antreibt. Männer, die bereit sind, sich für ein Projekt reinzuknien. Für die Uhrzeiten nur eine Art Richtgeschwindigkeit sind und Schlaf ein notwendiges Übel, weil sie nach Büroschluss lieber mit Kollegen und Freunden feiern. Auch mal bis in den frühen Morgen. Wer dieses Lebensgefühl kennt, ist bei Business Punk richtig. Hier geht es um Wirtschaft jenseits von Umsatzzahlen und Gewinnprognosen. Es geht um das laute, schnelle Leben, das hinter dem Business tobt. Und um Typen, die Unternehmen etwas unternehmen.“ (Ebd.)6

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Vgl. http://www.business-punk.com/mediadaten.html (letzter Abruf Februar 2010) Hinsichtlich der Frage, ob der letzte Satz eigentlich „Und um Typen, die in [M.S.] Unternehmen etwas unternehmen“ lauten soll, und sich in der hier untersuchten Originalversion vielleicht ein übermüdungsbedingter Auslassungsfehler eingeschlichen hat, liegen keine gesicherten Ergebnisse vor.

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Das Credo der Business-Punks, das sich auf eine exzessive Ge staltung von Erwerbs- und Freizeitsphäre richtet, wird von Vertretern der Redaktion im Vorwort folgendermaßen formuliert: „We like to work hard. We like to play hard. We love money and all the happiness it brings us. We close the bar at four a.m., to be at the office a few hours later.”

Der Inhalt des Magazins ist wiederum in zwei Sparten gegliedert, von denen die eine den Titel „Work Hard“ und die andere den Titel „Play Hard“ trägt. Während im ersten Teil aus dem Erwerbsleben der Business Punks berichtet wird, widmet sich der zweite den unterschiedlichen Formen der Freizeitgestaltung, die sie pflegen. Die verschiedenen Werbeanzeigen im Heft umfassen ein breites Spektrum unterschiedlicher Produkte, wobei ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Finanz(beratungs)dienstleistungen und Lifestyleassecoires gegeben ist. Im Folgenden möchte ich exemplarisch je einen Artikel aus den unterschiedlichen Segmenten vorstellen, um die Ergebnisse in einem weiteren Schritt auf den weiter oben geschaffenen theoretischen Rahmen rückzubeziehen.7

Artikel 1: „Zurück in die Zukunft“ Der erste Artikel beschreibt den Fall des belgischen Geschäftsmanns Bobby Dekeyser, der im Anschluss an eine nicht-lineare Erwerbsbiografie nun ein wirtschaftlich äußerst erfolgreiches Unternehmen besitzt. Auffällig erscheint in diesem Zusammenhang die offensive Schilderung der unterschiedlichen beruflichen Stationen, die Dekeyser in seinem Leben durchlaufen hat. Die erste Begegnung mit dem Torwarttrainer von Bayern München, aus der ein Engagement als Torwart des süddeutschen Clubs hervorgeht, wird folgendermaßen geschildert: „Die beiden Belgier reden viel, trinken was, landen in der Tiefgarage. Jean-Marie-Pfaff [der Münchener Trainer; Anm. M.S.] malt mit Kreide

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Sicherlich lässt sich auf diese Weise keine Analyse des gesamten Magazins leisten. Das Fehlen einer umfangreicheren Darstellung bleibt erstens dem begrenzten Rahmen des vorliegenden Textes geschuldet und zweitens als Desiderat zu verzeichnen.

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ein Tor auf die Betonwand und knallt den Ball drauf. Bobby Dekeyser hält. Stundenlang. Auf Betonboden. „Ich war blutig danach.“ Das sei alles aus Spaß passiert. Ohne Hintergedanken“ (Litz; Prellberg 2009: 88).

Nach einer geringfügig erfolgreichen Profifußballerkarriere mit wenigen (allerdings sehr ausgeprägten) Höhen und vielen Tiefen, sucht Dekeyser mit rascher Auffassungsgabe sein Glück im Möbelgeschäft: „Dekeyser zieht für ein halbes Jahr auf die philippinische Insel Cebu, wo die weltbesten Flechter leben, lernt alles über Rattanflechten“ (ebd.: 89).

Im Anschluss an eine längere Durststrecke stellt sich schließlich auch hier ein gewisser Erfolg ein, so dass er nach einiger Zeit 49% des Unternehmens gewinnbringend an einen externen Finanzinvestor verkaufen kann. Nachdem die Geschäftspraktiken der neuen Teilhaber ihm allerdings wenig zusagen – er erhebt ethische Einwände gegen die neue arbeitnehmerunfreundliche Personalpolitik – kauft er die Anteile kurzerhand zurück, obwohl für ihn damit auch die Übernahme von durch den Investor verursachten Schulden einhergeht. „Um diese abzubauen braucht Dekeyser jetzt mindestens drei Jahre, sagt er. Auch das ist ein Anreiz. Das ist endlich mehr als Langeweile. Das ist mal eine richtige Herausforderung“ (ebd.: 86).

Artikel 2: „Rock and Roll. Ein Trip im Tourbus an die Côte d´Azur“ Während der erste Artikel vor allem auf die Erwerbssphäre fokussiert ist, richtet der zweite sein Interesse auf die Formen der Freizeitgestaltung, durch die sich das Dasein eines Business Punks auszeichnet. Aus der Ich-Perspektive schildert der Autor einen Wochenendtrip nach Cannes, den er gemeinsam mit einigen seiner Freunde im eigens dafür gemieteten Bus absolviert. Hierbei handelt es sich allerdings keineswegs um einen einfachen Omnibus, sondern um eine ausgebaute Variante, die sonst hauptsächlich von bekannten Musikern auf Konzertreisen ge-

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nutzt werden. Diesen Umstand beschreibt der Autor mit folgenden Worten: „Wenn die Fantastischen Vier, Scooter oder Jan Delay auf Tournee gehen, mieten sie sich bei Redcar [die Vermietungsfirma; Anm. M.S.] einen Bus. Das können wir auch. Schließlich sind wir alle Rockstars“ (Treusch 2009: 106).

Doch nicht nur der Bus ist außergewöhnlich. Auch die Mitreisenden werden vom Autor als ausgefallene Charaktere beschrieben: „Carl, 32 Jahre alt, ist, wenn er in seinem Konzern nicht gerade auf der Karriereleiter herumklettert, ein Spezialist fürs Durchdrehen“ (ebd.).

Außerdem mit an Bord sind „Stefan […], ein junger Investmentbanker“ (ebd.: 108) und „Max, der ansonsten Immobilien verkauft“ (ebd.: 109). Kurz nach der Abfahrt geht die Party auch schon los. Der Autor beschreibt exzessiven Alkoholkonsum, derbe Witze, die aber in Ordnung gehen, weil man unter sich ist, und ein allgemeines Gefühl von Ungezwungenheit, das sich angesichts der zeitweilig gewonnenen Freiräume breit macht. Unterbrochen wird dieses nur durch verschiedene geschäftliche Telefongespräche, die einige der Mitreisenden – sehr zum Amüsement ihrer Freunde – notgedrungen führen müssen. Indem sie die Telefonate – ihrem fortgeschrittenen Trunkenheitsstadium zum Trotz – gut über die Bühne bringen, können die Business Punks Flexibilität und Belastbarkeit unter Beweis stellen. In Cannes angekommen nimmt die Lustreise ihren Lauf: Bei der Fahrt mit dem eigens angemieteten Motorbooten („Wir jagen hinaus, das Boot klatscht das Wasser ab wie beim High Five“; ebd.) machen die Männer eine überraschende Entdeckung: „‚Das ist das Schiff von Paul Allen‘ schreit einer im Fahrtwind. Ich spüre, wie viele von uns in diesem Augenblick gern Microsoft gründen würden.“ (Ebd.)

Immer wieder erscheint der Autor bemüht, die Außerordentlichkeit des Wochenendtrips explizit herauszustellen, u.a. in-

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dem er Überlegungen über mögliche Einschätzungen anstellt, die Leute einem derartigen Unternehmen gegenüber an den Tag legen könnten: „Als ich mich das erste Mal in das rotbraune Leder fläze, ahne ich, dass man die Leute und ihre Meinungen zu so einer Roadshow wohl in drei Gruppen einteilen kann: Die erste findet so etwas geil. Die zweite findet es krank. Und die dritte findet geil, dass es krank ist“ (ebd.: 107).

Business Punks als Vertreter hegemonialer Männlichkeit? Bringt man die Quintessenzen der beschriebenen Artikel in Verbindung mit dem weiter oben eingehend erläuterten Konzept und seinen kulturellen Repräsentationen, lässt sich ein starker Zusammenhang der abstrakten Attribute hegemonialer Männlichkeit und der konkreten Darstellung der Lebensentwürfe und Alltagswelten in den beiden Artikeln konstatieren. Diese These möchte ich anhand des weiter oben erarbeiteten theoretischen Rahmens in diesem Abschnitt weiter ausführen. Im Anschluss an Sennet, Rosa und andere Vertreter einer kritischen Soziologie postfordistischer Arbeitskulturen sowie unter Bezug auf die feministische Arbeitssoziologie wurde der Trend der Auflösung klassisch-fordistischer Formen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung sowie die Transformation verbreiteter Arbeitsinhalte rekonstruiert. Neben einem fortschreitenden Abbau horizontaler wie auch vertikaler Geschlechtersegregation auf dem Arbeitsmarkt wurde hierbei die zunehmende Bedeutung von Flexibilität und Belastbarkeit als Kerntugenden herausgearbeitet. Eine hiermit in enger Verbindung stehende Form erwerbsarbeitsbezogener Subjektivierung wird von Bröckling (2007) mit Hilfe seines Konzepts des „Unternehmerischen Selbst“ zu erfassen versucht: „Die Individuen sollen ihre Macht über sich selbst, ihr Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein und ihre Gesundheit ebenso maximieren wie ihre Arbeitsleistung und ihren Wohlstand“ (Bröckling 2007: 61).

Während sowohl die Business Punks auf ihrem Wochenendtrip als auch Bobby Dekeyser beim Fußball auf dem steinernen

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Parkhausboden zwar nicht eben vorsorglich mit ihrer Gesundheit umgegangen sind und die Tour nach Cannes wohl nicht besonders zur Aktivierung weiterer Arbeitskraftreserven geeignet war, liegt genau in diesen Momenten vermeintlicher Irrationalität der Schlüssel zur Interpretation der im Magazin vermittelten Images: Indem die Business Punks ständig und scheinbar mühelos Grenzen überschreiten, die für NormalSterbliche als schier unüberwindbar erscheinen würden, inszenieren sie eine Form der „Hypermaskulinität“ (Bereswill 2007, 108), die nicht als Mittel zur, sondern (Zwischen-)Ergebnis einer Maximierung im Sinne Bröcklings zu lesen wäre. Identifiziert man im Bezug auf die weiter oben erläuterte Verflechtung hegemonialer Männlichkeit und Erwerbsarbeit Leistungsfähigkeit als Kernelement des von Connell herausgearbeiteten Musters, lässt sich die Interpretation des Verhaltens der Business Punks weiter zuspitzen. Indem sie sowohl im Rahmen marktvermittelter Arbeitsverhältnisse als auch innerhalb der Reproduktionssphäre immer wieder durch besondere Errungenschaften und Grenzüberschreitungen hervortreten, stellen sie sich selbst als ungewöhnlich leistungsfähig dar. Die (absichtsvolle) Vermischung von Lifestyle-Elementen und beruflichen Anforderungen an der Schnittstelle von Professionalität und alltagskultureller (Selbst-)Darstellung dient hierbei als Vehikel der Inszenierung. Diese Beobachtung lässt sich auf einen Befund beziehen, den Rosa im Rahmen seiner Analyse postfordistischer Arbeits- und Freizeitregime anstellt: „Die durch räumliche Trennung gesicherte ‚Reinhaltung‘ der Arbeitssphäre von allen lebensweltlichen Belangen ist nicht mehr erforderlich, vielmehr erlaubt die Aufhebung jener Trennung die Erschließung lebensweltlicher Ressourcen für weitere Produktivitätssteigerung“ (Rosa 2009: 102).

Es ist unschwer zu erkennen, dass genau diese Aufhebung der Trennung zwischen produktiver und reproduktiver Sphäre als zentrales Moment des im Magazin vermittelten Identitätsangebotes fungiert. In der Tatsache, dass die Handlungslogik innerhalb beider Felder von Normbrüchen und Grenzüberschreitungen geprägt ist, liegt ein Moment der Umdeutungen, dass aus den Zumutungen und Erschwernissen, die postfordistische Ar-

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beitsformen an sie herantragen, (scheinbar) Herausforderungen und Chancen werden, die sie nur zu gern annehmen. Schließlich sind sie hierzu „Manns genug“ und alles andere wäre ja auch langweilig. Lebensentwürfe, die hiervon abweichen, mögen zwar eine Daseinsberechtigung besitzen. Im Wettstreit um die legitime Verkörperung hegemonialer Männlichkeit stellen sie aber auf keinen Fall eine ernst zu nehmende Konkurrenz dar.8 Der Titel des Magazins bringt eben diese Verschränkungslogik auf den Punkt: So beschreibt Schomers (2006: 123) in ihrem Beitrag zu Punk als Jugendszene „das öffentliche und dementsprechend demonstrativ ausgelebte Protestverhalten der Punks, ihre Selbstdarstellung, die provokante Selbstinszenierung“, das sich so auch in den beiden vorgestellten Artikeln wiederfindet. „Punk zeichnet sich aus durch radikalen Individualismus, spontane Aktion, Unverkrampfheit und rebellischen Spaß“ (ebd.: 124). Neben den dargestellten Formen abweichenden Verhaltens fügen sich die Business Punks aber auch nahtlos in ein Regime entgrenzter Erwerbsverhältnisse ein, indem sie durch Flexibilität und Leistungsfähigkeit die dort bestehenden Anforderungen nicht nur erfüllen, sondern die Arbeitsnorm durch ständige Selbstüberschreitung nach eigenem Gusto in die Höhe treiben. Man muss kein genussfeindlicher Kulturpessimist sein, um hierin eine Referenz an die sozialdarwinistische Ethik eines Wirtschaftssystems zu erkennen, in dem Eigenverantwortlichkeit für die Bewältigung beständiger Krisenerscheinungen als Zentralwert formuliert wird. So rücken gesellschaftliche Regulationsdispositive im deregulierten Kapitalismus als Verschränkung diskursiver Ordnungen und institutioneller Regelungen, wie sie etwa in Formen „aktivierender Sozialpolitik“ wirksam werden (vgl. Lessenich 2009), Selbstverwirklichung an die Stelle von Solidarität. Angeblich ist ja jeder seines Glückes 8

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Interessanterweise ist in dem Artikel an keiner Stelle von dem Fahrer des Busses die Rede. Aber was sollte es über ihn schon zu berichten geben? Die aufmerksamkeitsökonomische Kapitalausstattung eines einfachen Lohnarbeiters, der weder durch vermeintlich herausragende Erwerbsleistungen, noch durch besondere Trinkfestigkeit oder Ähnliches hervortritt, genügt in den Schilderungen des Autors nicht mal für eine kleine Nebenrolle.

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Schmied, daher kann wohl auch jeder ein Business Punk sein.9 Konsultieren wir mit Friedrich August von Hayek einen der Vordenker dieser Wirtschafts- (und Gesellschafts-)Ordnung, wird ein Gemeinwohlbegriff erkennbar, der die Inszenierung der Businesspunks als Verkörperung eines individualistischen Strebens nach Selbstverwirklichung erkennbar werden lässt: „Es sollte freimütig zugegeben werden, dass die Marktordnung keinen engen Zusammenhang zwischen subjektivem Verdienst oder individuellen Bedürfnissen und Belohnungen zustande bringt. Sie arbeitet nach dem Prinzip eines Spiels, in dem Geschicklichkeit und Chancen kombiniert werden und bei dem das Endergebnis für jeden einzelnen genauso gut von völlig außerhalb seiner Kontrolle liegenden Umständen abhängen kann wie von seiner Geschicklichkeit oder Anstrengung. Jeder wird nach dem Wert entlohnt, den seine speziellen Leistungen für diejenigen haben, denen er sie darbringt. Und dieser Wert steht in keiner notwendigen Beziehung zu dem, was wir füglich sein Verdienst nennen können, und erst recht nicht zu seinen Bedürfnissen“ (Hayek 1969: 120).

In diesem Sinne identifiziert Streeck (2006: 10) Moral aus einer neoliberalen Sicht nicht als Mikro- sondern als Makromoral: Sie liege demnach „nicht in den Intentionen der Handelnden, sondern in ihrem unintendierten Resultat.“ Im nun folgenden Fazit soll abschließend ein Ausblick auf mögliche Interpretationen der kulturellen Repräsentationen der Business Punks gegeben werden.

Fazit Nachdem im ersten Teil mit der Vorstellung des postfordistischen Produktionsregimes und der „Kultur des Neuen Kapitalismus“ mit einer Schwerpunktsetzung auf den geschlechterspezifischen Implikationen dieser Gesellschaftsform sowie der 9

Hierin liegt eine interessante Paradoxie, weil Business Punks sich ja gerade in Abgrenzung zum „normalen“ Arbeitnehmer, der hinsichtlich seiner Freizeitgestaltung „normale“ Präferenzen hegt, behaupten. Wäre also tatsächlich jeder ein Business Punk, wäre es niemand mehr (und wer würde dann z. B. den Bus fahren?)

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Einführung in das Konzept hegemonialer Männlichkeit ein Rahmen theoretischer Begrifflichkeiten geschaffen worden ist, wurde anhand der Analyse zweier Artikel aus dem Businesspunkmagazin ein empirischer Bezug auf die im ersten Teil angestellten Überlegungen geschaffen. Es wurde gezeigt, dass sich die Figur des Businesspunks als Verkörperung eines Idealbildes hegemonialer Männlichkeit unter postfordistischen Bedingungen interpretieren lässt. Die Frage, welche gesellschaftliche Bedeutung sich aus den Darstellungen im Magazin ableiten lässt, muss angesichts der „dünnen“ Datenlage über mögliche Rezeptionsformen vorerst offen bleiben. Aus meiner Sicht bleiben jedoch einige Deutungsmöglichkeiten zu verzeichnen, die ich abschließend kurz vorstellen möchte. Ingrid Kurz-Scherf (2005: 18) erkennt in der aktuellen postfordistischen Konstellation „nicht zuletzt auch eine Krise der androzentrischen Strukturen moderner Arbeitsgesellschaften.“ In Anbetracht dessen mutet die „Inszenierung männlicher Selbstgewissheit“ nach Meuser (2009: 250) „wohl kaum als Verkörperung männlicher Souveränität“ sondern eher „wie ein ‚Pfeifen im Walde‘ an“: „Gerade Männer scheinen sich der Illusion des (Fortbestandes des) Normalarbeitsverhältnisses anheim zu geben, und es fragt sich, ob dies (auch) dadurch motiviert ist, dass hegemoniale Männlichkeit historisch zumindest in den Industriegesellschaften des 20. Jahrhunderts, in diesem Verhältnis institutionalisiert gewesen ist“ (ebd.).

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob sich die Darstellung der Business Punks, die wohl die wenigsten breitflächig innerhalb ihrer eigenen Lebenswelt wiederfinden werden, nicht vor allem als Projektionsfläche bestimmter (männlicher) Geltungs- und Verwirklichungswünsche interpretieren lässt. Dies herauszufinden könnte Gegenstand weiterer Forschungsarbeiten sein, in deren Rahmen auch die meines Erachtens besonders interessante Frage zu klären wäre, wer dieses Magazin eigentlich liest.

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MARTIN SEELIGER

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Zeitgenössische Frauenzeitschriften als kulturindustrieller Schnittpunkt THOMAS HECKEN UND ISABELLE MIDDEKE Zeitgenössische Frauenzeitschriften

Der Begriff „Frauenzeitschrift“ ist in den Wissenschaften durchgesetzt, das gilt sowohl für den deutschsprachigen als auch den angloamerikanischen Bereich. Die einschlägigen Monografien führen ihn durchweg im Titel (etwa Winship 1987; Röser 1992; McCracken 1993; Stuckard 2000).1 Dabei handelt es sich nicht um eine originelle wissenschaftliche Begriffsprägung, im medialen und alltäglichen Sprachgebrauch ist der Begriff ebenso geläufig, ja er entstammt ihm. Die mit dem Begriff belegten Organe verwenden ihn freilich nicht zur Selbstbezeichnung, auf den Covern und in den Editorials fällt das Wort nicht. In den Kiosken und Supermärkten prangt der Begriff ebenfalls nicht über den Regalen, die gemeinhin als solche bezeichneten Illustrierten werden aber vom Personal planvoll neben- und untereinander einsortiert. In den Bahnhofsläden, Supermärkten etc. nehmen die Frauenzeitschriften stets einen wichtigen Platz ein, es gibt sie nicht nur in großer Zahl, viele von ihnen haben auch eine ansehnliche Verkaufsauflage. Der erfolgreiche Absatz beschränkt sich nicht auf eine Ausgabe, sondern wiederholt sich (unter 1

Dies sind nach unserer Einschätzung zugleich die besten wissenschaftlichen Arbeiten zum Bereich der Frauenzeitschriften.

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Schwankungen, Steigerungen, Rückgängen) oft über viele Monate, obwohl die unterschiedlichen Hefte eines Magazins, die im regelmäßigen Abstand erscheinen (die meisten bekannten Magazine im Monatsrhythmus), sich keineswegs grundlegend voneinander unterscheiden, sondern gerade in ihren Grundzügen gleich bleiben. In diesem einfachen Sinne darf man die Frauenzeitschriften zur Kulturindustrie zählen: Es handelt sich um Waren und Güter – im speziellen Fall um spezifische Ansammlungen von Fotos und Texten, also um Kulturprodukte im weiten Sinne –, die um des Profits willen nach bestimmten Schemata von Firmen in größeren Stückzahlen hergestellt werden. Typisch für die Kulturindustrie ist auch, dass die Produktion in mindestens drei Bereiche gegliedert ist, erstens Redaktion und freie Mitarbeiter, die Artikel schreiben oder in Form bringen und Bilder zeichnen oder fotografieren, zweitens jener Apparat, der für die massenhafte Reproduktion der Vorlagen zuständig ist, drittens die Firmenleitung, von der das Produkt am Markt platziert wird. Nur auf den zweiten Bereich trifft das Wort „Industrie“ zu, trotz der Verlagerung fast aller Aktivitäten auf die Arbeit mit Computern dominiert auch im ersten weitgehend die alte Handarbeit. Von einer „Industrie“ kann man hier allenfalls in größter Allgemeinheit sprechen, weil die Schreiber, Grafikdesigner, Fotografen nicht ganz auf sich gestellt sind, sondern in Arbeitsteilung miteinander (spontan oder nach Plan der Redaktion und Geschäftsleitung) kooperieren und sich dabei an bereits erprobten oder neu vorgegebenen Mustern orientieren. Gerade weil die Frauenzeitschriften offensichtlich geschäftsmäßig, planvoll und in Teams produziert werden – und sich darum nur schwerlich mit dem romantisch-künstlerischen Nimbus der Genialität und des Regellosen oder Ungreifbaren versehen lassen –, liegt es nahe, dass sie im Gegensatz zu vielen modernen Künstlern, die sich und ihr Werk mit einer unfasslichen Individualität in Verbindung wähnen, genaue Auskünfte über ihr Vorgehen geben können und wollen. Wir haben darum neun Zeitschriftenredaktionen angeschrieben – Brigitte, InStyle, Cosmopolitan, Joy, Elle, Petra, Freundin, Vogue – und sie im Dezember 2009 gebeten, uns eine Reihe von Fragen zu beantworten, die wir im Folgenden im originalen Wortlaut dokumentieren:

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ZEITGENÖSSISCHE FRAUENZEITSCHRIFTEN

1. Sind Sie auf eine bestimmte Zielgruppe ausgerichtet, haben Sie aktuell ein bestimmtes „Bild“ Ihrer Leserin vor Augen? Wenn ja – wie konkret ist das? Könnten Sie uns bitte entsprechende Bilder, Soziogramme, schriftliche Ausführungen zum Gebrauch innerhalb der Redaktion zur Verfügung stellen? Zusatzfrage: Versuchen Sie auch, bestimmte männliche Leser zu erreichen? 2. Verfolgen Sie die Absicht, die vermuteten oder ermittelten Haltungen, Einstellungen, Wünsche und Bedürfnisse Ihrer Zielgruppe zu bestätigen und zu befriedigen oder versuchen Sie auch, diese zu verändern? Falls Letzteres der Fall sein sollte – könnten Sie uns dann bitte Beispiele dafür schildern: Aus welchem Grund wollten Sie die Änderung bewirken? Wie sind Sie vorgegangen, um die beabsichtigte Änderung zu erreichen? 3. Ist Ihre Zeitschrift gegründet worden, um eine bestimmte Zielgruppe zu erreichen? Wenn ja – welche? Begab sich Ihre Zeitschrift damit in Konkurrenz zu einer anderen Zeitschrift (oder mehreren anderen Zeitschriften), die nach Ihrer Einschätzung dieselbe Zielgruppe anpeilte? Oder galt die Gründung Ihres Magazins einer noch unerschlossenen Zielgruppe? 4. Haben Sie in der Geschichte Ihrer Zeitschrift schon einmal Änderungen am Zuschnitt Ihrer Zielgruppe vorgenommen? Wie sahen diese aus? Aus welchen Gründen erfolgten diese? Haben Sie auf signifikante Veränderungen der Zahl ihrer verkauften Auflage mit dem Versuch reagiert, Ihre Zielgruppe anders zu erreichen – oder haben Sie ihre Zielgruppenbestimmung verändert? 5. Gibt es Instanzen außerhalb der Redaktion (Verlag, Werbepartner, Marketingagenturen etc.), von denen Hinweise zur Änderung Ihrer Zielgruppe gekommen sind? Wenn ja – wie lauteten diese? Haben Sie die Vorschläge übernommen? 6. Existieren in Ihrer Zeitschrift Sparten, die für unterschiedliche Zielgruppen bzw. für Segmente Ihrer Hauptzielgruppe gedacht sind? Wenn ja – welche sind das und für wen sind diese gedacht? 7. Führen Sie Leserbefragungen durch und/oder werten Sie Leserbriefe oder -emails aus? Wenn ja – könnten Sie uns bitte die Ergebnisse solcher Untersuchungen zur Verfügung stellen? 8. Falls Sie die unter Punkt 7 genannten Untersuchungen durchführen – haben sich aus den Ergebnissen Änderungen in-

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nerhalb Ihrer Zeitschrift ergeben? Wenn ja – könnten Sie uns bitte Beispiele solcher Änderungen dokumentieren? 9. Beobachten Sie Entwicklungen in von Ihnen so bestimmten Trendgruppen (etwa in jungen oder sog. subkulturellen Szenen), um deren Neuerungen für Ihre Zielgruppe (vorsichtig) zu adaptieren? Wenn ja – könnten Sie uns bitte Beispiele dafür dokumentieren? 10. Ist Ihr Magazin nach ausländischen Vorbildern konzipiert? Wenn ja – nach welchen und in welcher Hinsicht? Haben Sie Änderungen vorgenommen, um Ihre nach ausländischem Vorbild konzipierte Zeitschrift an spezielle deutsche Gegebenheiten anzupassen? Wenn ja – welche? 11. Unternehmen Sie besondere Maßnahmen, um Ihr deutschsprachiges Magazin speziell/zusätzlich für das Publikum in der Schweiz, Österreich und in den Regionen der ehemaligen DDR attraktiv zu machen? Wenn ja – welche? Vorsichtshalber haben wir den Fragen noch folgenden Passus hinzugefügt: „Wenn Sie zur Beantwortung der Fragen auf Unterlagen und Informationen zurückgreifen müssen, die Sie als vertraulich einstufen, können Sie diese gerne als solche markieren – wir würden dann dieses Material lediglich allgemein auswerten und selbstverständlich weder zitieren noch Dritten zur Kenntnis geben. Falls Sie sich außerstande sehen, alle Fragen zu beantworten, sind wir auch an einer nur teilweisen Beantwortung interessiert.“

Trotz dieser Möglichkeit – und obwohl einer der Verfasser des vorliegenden Aufsatzes zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Briefe an die Zeitschriftenredaktionen ein universitäres Amt einnahm und die Korrespondenz deshalb unter dem hochoffiziellen Zeichen eines „Lehrstuhls für Neugermanistik“ geführt werden konnte –, fühlte sich nur eine der Redaktionen bemüßigt, überhaupt zu reagieren. Die Redaktion InStyle stellte im Dezember 2009 eine Beantwortung für den Januar 2010 in Aussicht – um schließlich nach unserer erneuten Anfrage im Februar die Zusage wieder zurückzuziehen.2 2

Als Begründung wurde im Namen der Chefredakteurin (Herausgeberin und Chefredakteurin: Patricia Riekel; Chefredakteurin: Annette Weber) von Editor at Large Sophie Grützner ange-

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Darum ist man auf die Selbstdarstellung des Verlags verwiesen, um der wissenschaftlichen Textanalyse (im Rahmen dieses Aufsatzes konnte keine empirische Erhebung zur Leserschaft und zu deren Rezeptionsverhalten durchgeführt werden) zumindest einige Selbsterklärungen und -deutungen der Produzenten des Blattes gegenüber zu stellen. Immerhin, ganz wertlos war unsere Anfrage nicht, dokumentiert ist auf jeden Fall die beinahe vollkommene Unwilligkeit der jeweiligen Redaktionen und Verlage, für ein wissenschaftliches Projekt Auskünfte zu geben. In acht von neun Fällen wurden nicht einmal elementare Höflichkeitsregeln eingehalten; auf eine kurze Antwort bzw. Absage glaubte man verzichten zu können. Man geht wohl nicht fehl zu vermuten, dass diese Umgangsformen auch etwas mit der Unterbesetzung der Redaktionen bzw. einem knapp gehaltenen Zeit/Geldbudget zu tun haben. Selbst die bei ihren Antworten sehr freundliche InStyle-Redaktion ließ von ihr selbst benannte Termine kommentarlos verstreichen, scheint also über für sie weniger wichtige Termine nicht Buch zu führen bzw. über keine Möglichkeiten zu verfügen, Versäumnisse kurz anzukündigen bzw. zu vermerken. Nun aber zur offiziellen Eigendarstellung. Wir bleiben bei unserem Hauptbeispiel InStyle. Der Burda-Verlag lässt verlauten: „InStyle ist Mode, Beauty und Lifestyle. […] InStyle präsentiert die neuesten Trends – den Stil der Stars – und liefert den perfekten Shoppingservice gleich mit. Rund 1 Mio. InStyleLeserinnen nutzen die wertvollen Impulse.“ Ignoriert man die penetrante Selbstreklame („wertvolle Impulse“ etc.), bietet die knappe Burda-Präsentation bereits einige sehr interessante Einschätzungen, vor allem die Identifikation von „neuesten Trends“ mit dem „Stil der Stars“. Bemerkenswert ist ebenfalls, dass man Hinweise auf männliche Leser ausspart; das kleingeschriebene „i“ in „Leserinnen“ zeigt unmissverständlich an, geben, dass man bei Beantwortung der vorgelegten Fragen „bei vielen zu wichtige Internas rausgeben“ müsste (E-Mail von Sophie Grützner an Thomas Hecken, 8. Februar 2010). Diese Vorsicht ist bei einem Verlag (Burda), dessen Boulevard-Magazin schon einmal für Recherchen eine Firma beauftragt, die mehr oder minder detektivisch im Privatleben von Politikern ermittelt (Auftraggeber: Zeitschrift Bunte; Chefredakteurin und Herausgeberin dort auch: Patricia Riekel), sicherlich verständlich.

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welches Geschlecht man zur Lektüre aufruft (spekulativ ableiten darf man aus der Angabe wohl, dass die tatsächliche Anzahl männlicher Leser gering ist). Als weiterer Hinweis für Medienpartner und Werbekunden wird die Auflage angegeben – 454.773 (Verk. Auflage IVW IV/09) –, die Reichweite – 1,6 %; 1,04 Mio. Leser (MA 2010/I) – und der Grundpreis für eine einseitige Anzeige (26.300 Euro) (hubert-burda-media.de/ge schaeftsfelder/magazine/deutschland/instyle).3 Die Anzeigenliste Nr. 12 (gültig ab dem 01.01.2010) bietet eine Fülle weiterer präziser Angaben. Werbung auf der 4. Umschlagseite kostet 39.700 Euro, das Opening Spread (2. Umschlagseite und Seite 3) 71.700 Euro, die 1. Doppelseite im Heft 59.900 Euro, die 2. Doppelseite 59.300 Euro usf. Jeder Leser wird von der Firma, die diese 2. Doppelseite als Werbefläche bucht, also mit ca. 6 Cent bezahlt; das Geld erhält der Verlag, der den Werbetreibenden die Leserschaft mit Hilfe des spezifischen redaktionellen Angebots organisiert.4 Nicht angegeben wird auf der Burda-Homepage die vom Leser bezahlte Auflage; sie liegt unvermeidlich tiefer, weil Bordexemplare etc. dabei nicht berücksichtigt werden. Hat InStyle 2009 im Schnitt eine Verkaufsauflage von 483.982, liegt der ‚tatsächliche‘ Schnitt – wenn man nur Einzelverkäufe und Abonnementzahlen berücksichtigt – bei 333.546 (gerne auch die „harte Auflage“ genannt). Damit befindet sich InStyle weit oben in der Liste der „Monatlichen Frauenzeitschriften“ (so der Begriff der IVW, der Informationsgemeinschaft zur Feststellung 3 4

Diese und alle weiteren Webseiten wurden von uns zuletzt am 25. März 2010 aufgerufen. Burda verlässt sich nicht auf diese Leistung, zahlreiche weitere Aktivitäten werden entfaltet, um Anzeigenkunden zufriedenzustellen. So lädt InStyle z. B. seine besten Anzeigenkunden zu Partys in sog. „trendigen Hot Spots“ ein, so setzt Burda als „eines der Hauptziele des Change Programs“ den „Aufbau einer konvergenten Vermarktungsstruktur“ um, wie das Branchenblatt W&V in verquälter Diktion meldet: Das Anzeigengeschäft werde auf Verlagsseite nicht mehr von Verlagsleitern und Anzeigenabteilungen der Tochterverlage gesteuert, sondern zentral von einem Marketingdirektor und dessen Senior Brand Managern. Diese „entwickeln Produkte auf Anfragen von Kunden. Commercial Manager arbeiten diese dann aus und geben sie […] wieder zum Kunden“ (wuv.de/nachrichten/medien/burda_style_group […]).

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der Verbreitung von Werbeträgern), nur übertroffen von Glamour (514.406; „harte Auflage“: 371.687) und teilweise von Joy (400.473; 338.306). Zum Vergleich die Angaben einiger weiterer bekannter Titel für das Jahr 2009: Cosmopolitan (353.749; 215.106), Petra (270.042; 144.059), Elle (218.453; 111.878), Vogue (142.667; 93.629). Marktführer ist die 14-tägig erscheinende Brigitte (707.421; 462.008).5 Bemerkenswert an den Zahlen ist, dass die allgemeine Krise des Zeitschriftenmarkts das „Frauen“-Segment insgesamt nicht erfasst hat. Außer Brigitte haben alle aufgeführten Zeitschriften gegenüber 2008 zugelegt, InStyle bei der „harten Auflage“ etwa um gut 5 %. Seit der Gründung 1999 konnte die deutsche InStyle ohnehin fast kontinuierlich die Auflage steigern. Näher aufgeschlüsselt wird die Leserschaft nicht, ohne großes Risiko darf man aber unterstellen, dass sie überwiegend unter 50 Jahre alt ist. In einem Artikel aus dem Jahr 2002, der auf ein Interview mit Chefredakteurin Riekel zurückgeht („‚die meisten Menschen sind doch wie Pflanzen‘, sagt Patricia Riekel, ‚sie strecken sich nach dem Licht. Wir verkraften nur einen bestimmten Anteil von negativen Nachrichten, den Rest wollen wir positiv, erfolgreich, frisch‘“), findet man immerhin eine genau abgrenzende Einschätzung zur angestrebten Leserschaft: „Die Zielgruppe von InStyle ist weder verbeamtet noch an der Uni eingeschrieben oder als Hausfrau tätig“ – aus dem Artikel geht aber nicht klar hervor, ob das auch eine Direktive des Verlags oder eine Überlegung der Verfasserin des Artikels ist (Wilkens 2002). Zu den gesicherten Daten gehört hingegen, dass InStyle über die Landesgrenzen hinaus expandiert. Ist die deutsche InStyle eine Adaption der Zeitschriften-Marke des amerikanischen Time-Medienkonzerns, bringt Burda mittlerweile als Lizenzpartner von Time Inc. auch in Polen und der Tschechischen Republik die Zeitschrift auf den Markt (insgesamt gibt es – Stand Frühjahr 2009 – 14 verschiedene nationale InStyle-Ausgaben). Man könnte die Zahl noch erhöhen, wenn man Zeitschriftenneugründungen einrechnen würde, die als unmittelbare Konkurrenzprodukte zu InStyle konzipiert worden sind; z. B. brach5

IVW-Zahlen zitiert nach .

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te Gruner + Jahr zum exakten Termin der Lancierung der deutschen InStyle das ähnlich gestaltete Blatt Life & Style heraus. Burda sprach gar von einem Plagiat und bemühte zusammen mit Lizenzgeber Time Inc. ein deutsches Gericht. Tatsächlich führen beide Magazine auf ihrer ersten Ausgabe nicht allein das englische Wort Style im Titel, sondern möchten gleichermaßen auf seine deutsche Übersetzung nicht verzichten. Damit enden freilich die Gemeinsamkeiten: Den „Stil der Stars“ kündigt InStyle programmatisch an, während Life & Style neben einem (allerdings bloß passfotogroßen) Bild von Gerhard Schröder „Der neue Stil der Republik“ ausruft – ein ‚männlich‘politischer Einbruch in die Domäne ‚weiblicher‘ Äußerlichkeit, den InStyle tunlichst vermeidet, wenn auch beide Zeitschriften mit ihrer Akzentuierung des oberflächlichen, wiewohl leistungsstarken Stils im historischen Moment natürlich demselben Ansatz verpflichtet sind, der seit den 80er Jahren auf erfolgreiche Weise einen Beitrag zur (neo)liberalen Überwindung der linksalternativen publizistischen Hegemonie geleistet hat. Abgesehen vom kleinen Bild Gerhard Schröders sind auf den Titelbildern keine Unterschiede festzustellen. Dominiert werden beide von blond gefärbten Stars, hie Nadja Auermann, dort Gwyneth Paltrow. Man könnte darum versucht sein, die Bedeutung des vorgegebenen Begriffs „Frauenzeitschrift“ darin zu sehen, dass Frauen abgebildet und porträtiert werden. Dagegen spricht freilich, dass sog. „Männerzeitschriften“ auf ihren Covern und in ihren Fotostrecken ebenfalls beinahe ausschließlich Frauen ins (Studio-)Licht setzen. Unpassend ist der Vergleich jedoch insofern, als die Sparte der seit kürzerer Zeit so bezeichneten „Männerzeitschriften“ im Gegensatz zu den Frauenzeitschriften nur recht wenige Käufer findet. Nicht allein diese Differenz trägt dazu bei, dass Frauenzeitschriften häufig als repräsentativ oder typisch für die Vorlieben und Interessen von Frauen gelten, während man oftmals Zeitschriften wie Spiegel oder Capital, die von der Etikettierung her geschlechtsunspezifisch sich auf die allgemeine politische oder ökonomische Sphäre richten, mit dem ‚Mannsein‘ assoziiert. Berücksichtigt man das grundsätzlich, dann kann allerdings ein Vergleich von „Frauen“- und „Männerzeitschriften“ zu interessanten Ergebnissen führen. Bei der Covergestaltung z. B. reicht schon ein kleinerer Unterschied aus, um die Differenz zwischen beiden

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Zeitschriftentypen zu markieren: Die Männermagazine entblößen stärker die Geschlechtsteile als die Frauenzeitschriften. Dieser Unterschied langt bereits gegenwärtig, um allein mit dem Coverbild der Käuferschaft trennscharf zu signalisieren, zu welchem Heft sie zu greifen hat – tatsächlich rekrutieren sich die Käufer und (etwas weniger stark) die Leser der Frauenzeitschriften weit überwiegend aus Frauen, die der Männerzeitschriften aus Männern. Ausgeprägter ist der Unterschied der Frauenzeitschriften zu anderen Magazinen, die in der Mehrzahl von Männern erworben und auch gelesen werden. Besonders auf Blättern, die sich Themen und Personen der herrschenden politischen und ökonomischen Klasse widmen, sind häufig männliche Angehörige der Führungs- und Machtgruppen abgebildet, ein Personal, dessen Repräsentanz sich Frauenzeitschriften beharrlich verweigern. Man kann darum leicht auf die Idee kommen, dass dieser deutliche Unterschied den gegebenen Verhältnissen geschuldet ist: Frauen sind selten in politischen und ökonomischen Machtpositionen anzutreffen, nehmen aber als Schauspielerinnen, Sängerinnen, Models häufiger wichtige Rollen ein – deshalb handele es sich um einen Akt des Realismus, wenn die Frauenzeitschriften solche Rollenträger aufs Cover drucken. Kritisch kann man zwar dagegen einwenden, solcher Realismus verfestige nur die bestehenden Macht- und Ungleichheitsgewichte auf Kosten der vorhandenen, aber unterdrückten Möglichkeiten von Frauen, auch in Wirtschaft und Gesellschaft entscheidende Positionen zu bekleiden – an der Feststellung, Frauenzeitschriften spiegelten die herrschende Wirklichkeit wider, ändert das freilich nichts. Nicht aufrechterhalten werden kann die Diagnose jedoch, wenn (und weil) Magazine wie InStyle und Glamour die ihre Seiten mit Gestalten aus den Bereichen Schauspiel (Film und Fernsehen), Popmusik, Mode, Celebrity (im Sinne erfolgreicher Selbstdarstellung und -vermarktung) bevölkern, aus diesen Bereichen kaum männliche Vertreter zeigen. Die ‚Wirklichkeit‘ im Sinne der Wirklichkeit männlicher Schauspieler, Popmusiker etc. wird dadurch beträchtlich verfehlt – und das selbstverständlich nicht unwillkürlich oder zufällig, sondern auf Seiten der Zeitschriftenhersteller in hohem Maße bewusst.

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Hält man sich nun an die letzte Diagnose, drängt sich die Ansicht auf, dass Frauenzeitschriften Zeitschriften sind, die eine ganz überwiegend weibliche Leserschar besitzen, die mit Fotos und Berichten über andere Frauen aus den neuen (vergleichsweise wenig hochkulturell anerkannten) Kunstgattungen versorgt werden. Die Ansicht trifft freilich nur auf ein bestimmtes Segment dessen zu, was gemeinhin „Frauenzeitschrift“ genannt wird. Andere von Verlagen, Händlern, Käufern, Wissenschaftlern als „Frauenzeitschrift“ klassifizierte Illustrierte konzentrieren sich auch (oder überwiegend) auf Angehörige des Adels, männliche Prominente, Lebensschicksale oder psychische Nöte unbekannter, alltäglicher Frauen, als deren Lösungen individuelle, private Initiativen und Selbstverbesserungen offeriert werden. Allen Zeitschriften gemeinsam ist auf der Ebene des redaktionellen Inhalts lediglich, dass sie die Bereiche der Politik, Wirtschaft und der Wissenschaften abseits des Life Science-Bereichs weitgehend (wenn auch keineswegs in gleichem Maße) aussparen. Die Geschlechterordnung ist damit klar strukturiert. Während Frauen als Zeitschriftenleser auf den Bereich Beauty, Fashion, Lifestyle, Prominenz, Lebenshilfe verwiesen sind, steht Männern in viel stärkerem Maße – da die Identifikation ‚des Mannes‘ mit den sog. „Männermagazinen“ schwächer ausfällt – das weite politische, ökonomische, wissenschaftliche mediale Feld offen – selbstverständlich nicht nach Recht und Gesetz, sondern sowohl de facto als auch nach dem Stand (welt)anschaulicher Entwürfe, wie er etwa im gegenwärtigen Bedeutungsumfang des Begriffs „Frauenzeitschrift“ zum Ausdruck kommt. Zur Geschlechterordnung zählt auch, dass aus Sicht des Journalismus, der implizit als männlich aufgefasst wird, die explizit „Frauenzeitschrift“ genannten Magazine nach dem Verständnis der akademisch, kulturell und politisch tonangebenden Kreise einen niederen Rang einnehmen. Danach steht sogar in Frage, ob es sich bei Frauenzeitschriften überhaupt um journalistische Produkte handelt – das gilt zumindest, wenn man den Journalismus mit der Ausarbeitung von Nachrichten identifiziert. Legt man das bereits zitierte blumige Aperçu der Menschenkennerin und Burda-Spitzenkraft Patricia Riekel zugrunde („die meisten Menschen sind doch wie Pflanzen, sie strecken

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sich nach dem Licht“), mit dem sie zu begründen sucht, weshalb in InStyle „positive“ statt „negativer Nachrichten“ stünden, dann wird diese Anschauung offenkundig auch von der Burda Style Group geteilt. Dadurch setzt sie sich aber der Gefahr aus, von wissenschaftlicher und journalistischer Seite auf erheblichen Widerspruch zu stoßen, steht doch nach traditioneller Lesart stark in Frage, ob es sich bei den Texten in einer Frauenzeitschrift wie InStyle überhaupt um Nachrichten (zumindest um „harte Nachrichten“) und um Informationen handelt. Eine Information muss eine Neuigkeit enthalten, durch die sie sich vom bisherigen Wissensstand unterscheidet, relevant und damit nützlich oder anwendbar für bestimmte Individuen und Gruppen sein, und schließlich muss sie auch richtig sein, um die anderen Funktionen erfüllen zu können – so eine typische Einlassung (vgl. Bosshart 2007: 17). „(Harte) Nachrichten“ bestehen nun nach gängiger journalistischer Auffassung aus solchen knapp formulierten Informationen von einiger (unterstellter) Bedeutung. Dass diese Bestimmung für Frauenzeitschriften insofern von Relevanz sein kann, als man ihren Texten damit die journalistische, informative Bedeutung abzusprechen vermag, zeigt sich besonders klar an der ebenfalls gängigen Konfrontation von Information und Unterhaltung. Wenn man den Frauenzeitschriften Unterhaltungswert zuspricht (und dadurch ausdrücklich oder stillschweigend den Informationswert abspricht), läuft das üblicherweise auf eine Degradierung ihres journalistischen Ranges hinaus. Ein Gegensatzpaar stellt diese Unterscheidung freilich, recht besehen, nur dar, weil die Information hoch- und die Unterhaltung abgewertet wird. Von der Sache her ist kein Gegensatz gegeben; der Kontrapunkt zur Unterhaltung ist die Langeweile, Ödnis oder konzentrierte Ernsthaftigkeit, nicht aber die Information (vgl. Klaus 2002). Die Kennzeichnung der Texte von Frauenzeitschriften als Unterhaltungsstoff oder bestenfalls als „weiche Nachrichten“ ist deshalb streng auf eine Wertungshierarchie zurückzuführen, in der vor allem die Informationen, welche die politischen und ökonomischen Bereiche und Führungskräfte betreffen, oben angesiedelt sind. Mit anderen Worten: Jene gesellschaftliche Ungleichheit, die darin besteht, dass Frauen (über eine lange Geschichte aus verschiedenen Grün-

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den) nur eingeschränkt oder selten Zugang zu den Sektoren politischer und wirtschaftlicher Macht finden, erfährt ihre Bestätigung, Rechtfertigung und ihren Ausdruck auch dadurch, dass Frauenzeitschriften als mindere journalistische Produkte oder gar als Ansammlung von Texten ohne Nachrichtengehalt bezeichnet werden. Es gehört zu der Logik der kapitalistischen Marktwirtschaft, dass die akademische, feuilletonistische, journalistische Geringschätzung der Frauenzeitschriften keineswegs dazu geführt hat, ihre Produktion einzustellen. Die großen Absatz- und teilweise ebenfalls vorhandenen Gewinnchancen innerhalb des Segments bilden einen völlig ausreichenden Grund für Aktiengesellschaften und in der Hand von einzelnen Privateigentümern befindliche Verlage, Frauenzeitschriften ungeachtet kultureller Bedenken auf den Markt zu bringen. Interessant an der Konstellation ist nun, dass die Frauenzeitschriften in ihren Beiträgen nicht eigens versuchen, ihre Art des Journalismus bzw. der Unterhaltung allgemein zu legitimieren und mit einem höheren Nimbus zu versehen; dies bleibt als Anliegen wiederum Intellektuellen und Akademikern vorbehalten (etwa Maase 2003; Faulstich 2006; Hügel 2007), die im Regelfall in anderen Organen publizieren. Das mäßige Ansehen von Frauen, ihre vergleichsweise geringen Chancen, sich in Positionen zu bringen, von denen aus mit Macht über Kriterien des kulturell Wertvollen oder Illegitimen bestimmt werden kann, wird von einigen Frauenzeitschriften mittlerweile zumindest insofern aufgearbeitet, als sie in Artikeln das Lob der starken, auch in Berufen, nicht nur – wie früher – im Haushalt erfolgreichen Frau anstimmen; die herrschenden Leistungskriterien werden demnach anerkannt, verbunden mit dem Exempel und der These, dass Frauen ihnen ebenfalls genügen können. Ihre eigene minderwertige oder unwerte Position im kulturellen, politischen und journalistischen Bereich wird von den Frauenzeitschriften selbst nicht auf vergleichbare Weise zur Sprache gebracht und versuchsweise aufgehoben. In einer Hinsicht besteht dazu tatsächlich kein Bedarf: ihr Anklang bei großen zwar nicht mit ökonomischem und kulturellem Kapital ausgestatteten, aber wenigstens am Kiosk zahlungskräftigen Käuferschichten legitimiert ihr Vorgehen immerhin im unter-

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nehmerischen Sinne hinreichend. Das Gleiche gilt für die von ihnen vorgestellten Personen und Produkte; sie sind häufig bereits am Markt gut durchgesetzt, seien es nun Kleidungsstücke, Kosmetikartikel, Schauspieler, Diäten. Wenn sie nicht unter Berufung auf Bestseller-Ratgeber durchgeführt werden, gehören die Problemlösungsartikel, in denen Sorgen und Konflikte alltäglicher Personen einer praktischen, persönlichen Änderung zugeführt werden sollen, zu den einzigen Angeboten, die nicht bereits in renditestarker Warenform vorliegen. Vervollkommnet wird das Prinzip, die Berichterstattung auf den Erfolg zu gründen, seit gut einem Jahrzehnt von einem neuen Typus der Frauenzeitschrift, für den InStyle ein ausgezeichnetes Beispiel abgibt. In diesen Frauenzeitschriften findet eine weitgehende Symbiose kulturindustrieller Produkte aus den Bereichen Mode, Fernsehen, Film, Pflegeprodukte, Design, Popmusik statt. In ihnen gibt es nichts, das nicht bereits einen Erfolg auf den genannten Märkten davongetragen hätte oder zumindest unter Verweis auf eine wahrscheinlich folgende Durchsetzung porträtiert würde. Diese Frauenzeitschriften bilden nicht nur eine Schnittstelle für viele wichtige Branchen der Kulturindustrie in dem Sinne, dass dort ein breites Sortiment verschiedener Güter vorgestellt wird, sondern in dem Sinne, dass sie zu einer ganz bestimmten Art und Weise beitragen, verschiedene erfolgreiche Produkte aufeinander zu beziehen und in einen sorgfältig kultivierten Kontext zu setzen.6 6

Der nationale Hintergrund ist dabei nicht von allzu großer Bedeutung. Die deutsche InStyle übernimmt vom US-amerikanischen Vorbild das Layout des Covers, wichtige Rubriken, die Struktur der Heftaufteilung, gönnt sich aber im Einzelnen (bei der Typografie, der Bezeichnung einzelner Rubriken, der Auswahl der Stars und der Produkte) einige abweichende Freiheiten, die aber oft nicht erkennbar dadurch motiviert sind, einer nationalen Besonderheit Rechnung tragen zu müssen (eine Ausnahmen bildet selbstverständlich die Nichterwähnung amerikanischer Fernsehstars und Modeprodukte, die in Deutschland nicht bekannt oder auf dem Markt sind – oder auf ihn kommen sollen –, und ihre Ersetzung durch entsprechende deutsche oder europäische Sternchen und Marken). Nicht selten folgen die Unterschiede zur amerikanischen Ausgabe überhaupt keinem sinnfälligen Prinzip; hier macht sich wohl nur das individuelle Abgrenzungsbedürfnis deutscher Redakteure bemerkbar. So zeigt die

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Um bei unserem Hauptbeispiel zu bleiben: Die deutsche InStyle behält auch in ihrem 12. Jahrgang ihre thematischen Schwerpunkte im Untertitel unverändert bei: „Fashion + Stars + Beauty + Lifestyle“. Die klare Vierteilung wird für das Heft übernommen, wenn auch im Inhaltsverzeichnis die deutsche Variante „Mode“ und der Zusatz „Stars privat“ aufgeführt wird. Dabei fällt zunächst auf, dass die Mode den größten Teil des Inhalts ausmacht, gefolgt von „Beauty“, „Lifestyle“ und den „Stars privat“. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Prominenten den geringsten Teil des Magazins füllten, es ist stattdessen ein Verschmelzen der einzelnen Kategorien zu konstatieren. Nicht Models präsentieren die Mode, sondern Prominente – die zwar überwiegend nicht den strengen Anforderungen der Modelmaße, aber doch stets denen der Schlankheit, Reinheit und künstlich hervorgebrachten Natürlichkeit genügen – sind auf den Fotografien zu sehen; teilweise sind es Fotografien von öffentlichen Veranstaltungen (Filmeröffnungen, Galas etc.), oft aber auch scheinbar zufällige Schnappschüsse auf der Straße (deutlich erkennbar keine ohne Einwilligung geschossenen Paparazzo-Bilder, sondern im Einvernehmen hergestellte Aufnahmen).7 Dieses besondere Konzept

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identisch betitelte Sektion „Der Look“ („The Look“) im März in einer Abteilung Stars, die „Miss Sicily“, eine Tasche von Dolce & Gabbana, tragen. Die deutschen Fotobeispiele bieten Eva Mendez, Margareth Madè und Madonna auf (H. 3, 2010, S. 88), die der amerikanische Ausgabe (H. 3, 2010, S. 154) Fergie (die Sängerin, nicht die englische Adelige), Victoria Beckham sowie ebenfalls Eva Mendez und Madonna, deren Bilder zwar derselben Gelegenheit entstammen, aber einen anderen Moment einfangen und aus einem anderen Winkel fotografiert wurden. Von einer anderen Seite des Frauenzeitschriftensegments geraten neuerdings professionelle Models in den redaktionellen Beiträgen ebenfalls unter Druck. Marktführer Brigitte, der in den letzten Jahren an Auflage verloren hat (wohl auch an InStyle), wendet sich nicht Stars zu, sondern geht gemäß der traditionellen eigenen Ausrichtung auf individuelle Problemlösungen und unauffällige Alltagsverschönerungen den entgegengesetzten Weg. Unter Berufung aufs „Normale“, „Lebendige“, ‚Natürliche‘, ‚Lebensnahe‘, ‚Echte‘, ‚Unverwechselbare‘, ‚Charaktervolle‘ sagt man der Beschäftigung von berufsmäßigen Models ab und engagiert für die eigenen ausgedehnten Mode- und Beautyfotostre-

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räumt den Stars zusammen mit der Mode den größten Platz in der Zeitschrift ein. Nicht Teil des vorne in der Seitenübersicht angekündigten Inhalts, aber allgegenwärtig sind zudem die Anzeigen, die gut die Hälfte der InStyle-Ausgabe füllen. Werbung gibt es in jeder Zeitschrift, hier verdient sie allerdings besondere Aufmerksamkeit: Oft annonciert sie dieselben Modeprodukte (nun zumeist von Models präsentiert), die von der Redaktion erwähnt werden. Häufig sind auf der linken Seite die Modefotografien der InStyle und auf der rechten die der Modelabels platziert; das verbindet beide und verbirgt vielleicht auf den ersten Blick sogar den Unterschied zwischen Werbung und Nicht-Werbung. In der InStyle aus dem März 2010 ist z. B. auf S. 36/37 eine Werbeanzeige des Taschenherstellers Longchamp abgebildet, für den Kate Moss wirbt, eines der wenigen Models, das derzeit international über einen Star-Status verfügt. Etwas weiter auf S. 43 ist ebenfalls Kate Moss mit einer Tasche zu sehen, die nun allerdings ihrem privaten Besitz zugeschrieben und als neuer Trend angepriesen wird: „Wir sehen eine luxuriöse Python-Clutch des angesagten Wiener Lederlabels Hautnah von Nina Peter an der Hand von Trend-Titanin Kate Moss. Der Ritterschlag für die junge Designerin – bitte mehr davon!“ (Hervorhebungen im Original).

Die Modefotografie wird keine Leserin mit der Werbeanzeige verwechseln und doch beeinflussen sie einander. Denn durch die Bestimmung Kate Moss’ zur „Trend-Titanin“ wird gleichzeitig suggeriert, dass auch die andere Tasche, mit der sich Kate Moss hat ablichten lassen, gerade angesagt ist. Dass der Name

cken Laien (in der ersten Ausgabe nach dieser Vorgabe, H. 2, 2010, z. B. eine Gastronomin, eine Lehrerin, eine unbekannte Künstlerin), die man als „neue starke Frauen“ tituliert (Teigelkötter 2010) und erhält dafür begeisterte Zustimmung von Staatsdienern wie Silvana Koch-Mehrin (Vizepräsidentin Europäisches Parlament), Ilse Aigner (Bundesministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz), Funktionären wie Margot Käßmann (EKD-Ratsvorsitzende), Petra Ladendecker (Präsidentin Verband deutscher Unternehmerinnen) und verschiedenen Kulturschaffenden (alle Angaben nach Brigitte, H. 2, 2010, S. 124f.).

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Kate Moss für Mode und Trend steht, kann auch der Anzeige entnommen werden, in der ihr Name noch vor dem des Herstellers steht („Kate Moss for Longchamp“) (InStyle H. 3, 2010: 36), und das auch sehr viel größer als bei anderen bekannten Models in Werbeanzeigen, ganz zu schweigen von unbekannten Models, deren Name überhaupt nicht aufgeführt wird. Die Stars werden auch im Inhaltsteil der Zeitschrift nicht nur mit Mode, sondern auch mit Labels verbunden. In den „Style News“ wird Boss Orange als das „Label to watch“ vorgestellt, und neben Fotos von Kleidungsstücken wird auch Sienna Miller abgebildet, komplett in Boss Orange gekleidet. Im Hintergrund des Fotos ist auf der Leinwand, vor der Sienna Miller steht, großteils verdeckt noch das Logo von Boss Orange zu erkennen; auch im Text äußert sich der Designer speziell zu Miller: „Der britische Modedesigner […] macht aus der Casual-Marke von Hugo Boss ein Zeitgeistlabel für junge, unkomplizierte Frauen. ‚Frauen, die sich wie Sienna Miller stylen‘, sagt Allen“ (ebd.: 52; Hervorhebung im Original).

Diese Verbindung von Werbung und redaktionellen Inhalten kann in verschiedener Form auftreten und erfüllt eine bestimmte Funktion: „Appearing in both verbal and non-verbal forms and often claiming only to present advice or information, covert advertising helps to position readers favorably toward the overt advertisements; the purchased ads appear to be natural extensions of the editorial material“ (McCracken 1993: 39).

Unabhängig von den einzelnen Labels sind auch bei anderen Fotostrecken und Berichten Stars und Mode nicht zu trennen. Wie bereits erwähnt, präsentieren nicht Models die Kleidung, sondern Prominente. Es gibt zwar eine herkömmliche Fotostrecke (ebd.: 152-161) mit einem Model in InStyle, das Model wird aber zuvor als „Ex-Miss Europa“ vorgestellt und auch in den Modebeschreibungen mit weiteren Informationen über ihre Herkunft, ihren Wohnort, ihr Alter und bisherige Tätigkeiten dem Leser nahe gebracht. Damit unterscheidet sich auch dieser

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Artikel von üblichen Modestrecken, bei denen meist nicht einmal der (Nach-)Name des Models aufgeführt ist. Die Rubrik „Mode“ wird ansonsten durch Stars repräsentiert, die jeweils auf separaten Fotos meist in Anordnungen à drei Bildern, manchmal aber auch zu mehreren, nebeneinander mit ähnlichen oder identischen Kleidungsstücken, Accessoires oder Modestilen abgebildet sind. Dadurch, dass nicht nur eine bekannte Person den gezeigten Modestil vertritt, soll die durchgehende Behauptung gestützt werden, dass dieser momentan besonders angesagt sei. Aus der Art der Beweisführung ergibt sich jedoch ein Problem: Die Mode, die gezeigt wird, mag zwar den aktuellen Trend (unter Stars) bilden, bleibt aber mit wenigen Ausnahmen für die meisten Leserinnen deshalb unbezahlbar, weil die vorgestellten Stars vorzugsweise teure Produkte sog. „Designermarken“ tragen bzw. herzeigen. Dem „Look“ (S. 69-99) der Stars folgt daher der „Trendreport“ (S. 100-116), bei dem die Kleidungsstücke, Taschen, Schmuckgegenstände ohne Trägerin fotografiert werden. Bei dieser Zusammenstellung gibt es zwar ebenfalls sehr viele teure Kleidungsstücke und Accessoires zu sehen, aber auch Mode zu Preisen für Durchschnittsverdiener. Diese Kombinationen werden freilich so wohl nie getragen, da viele Frauen sich die Designermode finanziell nicht leisten können und diejenigen, die das Geld dafür haben, diese (anders lautenden Trendkommentaren zum Trotz) de facto kaum mit billigen Accessoires kombinieren. Sinnvoll erscheint diese Form der Kombination allerdings vor dem Hintergrund der durchgängigen Kontextualisierung. Denn wenn der zuvor propagierte Modestil der Stars nicht vollständig nachgebildet werden kann, so kann man als normale Leserin mit den günstigen Accessoires o.Ä. doch daran teilhaben: Zunächst werden Stars – wahrscheinlich nicht zuletzt durch Berater aller Art: eigene Agenten, Angestellte der Modefirmen und der Firmen, für die der Star gerade arbeitet, zwischengeschaltete Marketingagenturen etc. – mit bestimmten aktuellen Modeprodukten in Zusammenhang gebracht, wodurch im für beide Seiten besten Fall sowohl die Stars als auch die Mode, die sie tragen, einen (noch) größeren Bekanntheits- und Beliebtheitswert erlangen. In einem weiteren Schritt werden dann von der Redaktion Outfits vorgeschlagen, die die sonst

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unerreichbaren Stars mit den Leserinnen verbinden sollen. Die Rubrik „Mode“ und die Rubrik „Stars“ sind demnach in höchstem Maße miteinander verwoben und können nicht unabhängig voneinander untersucht werden. Auch in der Rubrik „Beauty“ dürfen Stars nicht fehlen. Als Schönheits-Trend gilt dort der „Nude Look“, der anhand eines Fotos Sandra Bullocks und ihres Make-ups nachgebildet werden soll (ebd.: 216). Dazu empfiehlt die Redaktion Make-up, das auch eher dem hochpreisigen Segment zuzuordnen ist, das die Leserinnen aber leicht durch Ähnliches der gleichen Farbe ersetzen können. Passend dazu werden einige Seiten weiter auch Nude-Nagellacke angepriesen, die ebenfalls bei zwei Schauspielerinnen entdeckt wurden (ebd.: 230). Markennamen und Bezugsquellen weisen jeweils auf den Warencharakter Ersterer hin. In den Leserbriefen, die InStyle abdruckt, ist tatsächlich häufig davon – lobend gemeint – die Rede, dass ein InStyle-Feature zu einem Kaufakt geführt hat. Die fünf Leserbriefe in der MärzAusgabe (ebd.: 64) bilden zwar nur einen kleinen Ausschnitt der Leserschaft, zeigen aber Merkmale einzelner Leserinnen und vor allem die Sicht der InStyle auf ihre Leserinnen auf. Denn sicherlich gehen mehr Leserbriefe in der Redaktion ein als abgedruckt werden; folglich muss eine Auswahl getroffen werden, die sich entweder auf die exemplarische Dokumentation dessen konzentriert, was ein Anliegen vieler Leserinnen zu sein scheint, oder darauf fußt, wie die Redaktion der InStyle ihre Leserinnen sehen, repräsentieren und dadurch vielleicht beeinflussen möchte. Alle Leserbriefe wurden per E-Mail geschrieben, stammen von Leserinnen, die mit deutsch klingenden Vor- und Nachnamen unterzeichnen, und haben den vollzogenen oder beabsichtigten Kauf eines Kleidungsstückes oder eines Parfüms zum Thema. Ein Duft ist mit ca. 120 Euro, eine Jeggings mit 70 Euro angegeben, und die von einer anderen Leserin favorisierten Daunenjacken kosten rund 310 Euro. Diese Hinweise zusammen genommen deuten auf Frauen der Mittelschicht hin, die genug Zeit und Geld für die Beschäftigung mit aktueller Mode haben und gleichzeitig regelmäßige Nutzerinnen von Internetshops sind, wie einigen Briefen entnommen werden kann.

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Mit Blick auf die Variable „Alter“ scheint die Zielgruppe weit aufgefächert zu sein; im „Trendreport“ werden als Stylingtipps verschiedene Outfits für 20-, 30-, 40- und 50-Jährige je in den Unterkategorien feminin, sporty, clean und cool zusammengestellt (ebd.: 102-116). Mit den verschiedenen Altersgruppen bietet die InStyle auch Anknüpfungspunkte zu verschiedenen Lebensentwürfen. Ab Seite 262 stellt ein Bericht (bzw. kaum getarnter Promotionartikel) verschiedene Hotels bzw. Villen in Urlaubsorten in Indonesien und Australien sowie auf Jamaika, Mauritius und den Malediven vor; die Empfehlungen zielen wahrscheinlich auf einen Erholungsurlaub zu zweit. Als eine Art Gegenprogramm dazu präsentiert die Redaktion ab Seite 270 Kinderwagen und andere Artikel für Kleinkinder; an Artikeln wie z. B. der empfohlenen Kinderwagendecke aus reinem Kaschmir für ca. 491 Euro wird auch hier eine Ausrichtung auf die Mittel- bis Oberschicht deutlich. Gemäß des Grundprinzips werden auch die Kinderwagen und die Wickeltaschen an Prominenten vorgeführt (ebd.: 270, 274). Das Modebewusstsein ist als verbindendes Moment allen Leserinnen gemein, ob sie allerdings Single sind, eine Beziehung oder sogar Familie haben, ist in der Gesamtheit der Artikel, die jeweils deutlich eine bestimmte Zielgruppe auf der Käuferseite voraussetzen, nicht festgelegt. Auffällig ist der class-Aspekt, der bei allen Elementen eine Rolle spielt. Die Zeitschrift stellt viele teure Produkte vor, mit einem Gestus, der die „Klasse“ dieser Güter unterstreichen soll, sie vergisst aber auch nicht, durch genaue (nach jener alten Lesart der von allen materiellen Sorgen entledigten Kreise: „vulgäre“) Preisnennung die anvisierte soziale Klasse der Käuferinnen mit zu betonen. Dies muss aber keineswegs bedeuten, dass die Mehrheit der Leserinnen die häufig abgelichteten teuren Waren (Schuhe über 500 Euro, Taschen um 1000, Hosen über 400 Euro) erwirbt. Bei einer derart großen Leserschaft dürfte es bei der Mehrheit der Leserinnen beim Kauf von ähnlich aussehenden billigeren Produkten oder von kleinen Accessoires der sonst unerreichbaren Marke bleiben. Leserinnen, die eigentlich nicht im Stande sind, die vorgestellte Mode zu kaufen, können ohnehin dennoch Gefallen an der Zeitschrift finden, wenn sie glauben, durch das Wissen über die so genannte „High-Society“ und die Stars der Entertain-

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mentbranche in einer bestimmten Form Anteil daran zu haben – oder wenn sie deren Repräsentation ästhetisch anspricht und unterhält.8 Dann könnte (und wird sicherlich oft) die Bestimmung der Ziel- und der Lesergruppe über die Inhalte der Zeitschrift ein verzerrtes Bild bieten. Für eine genauere Bestimmung der Rezipienten müsste natürlich eine Leserbefragung o.Ä. durchgeführt werden, die aus dem Aufbau der Zeitschrift gewonnenen Hinweise vermitteln jedoch auch einen ungefähren Eindruck von der Leserschaft (zumindest wie Verlag und Redaktion sie sich vorstellen). InStyle richtet sich – und erreicht dieses wohl auch – überwiegend an ein weibliches Publikum unterschiedlichen Alters von circa 17-50 Jahren, das interessiert an Mode ist und wahrscheinlich der weißen Mittel-, eventuell auch Oberschicht angehört. Geringverdiener und Frauen, die

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An Rezeptions- und Wirkungsforschungen zum Bereich der Frauenzeitschriften liegen bislang viele Studien vor, die einen abträglichen, antifeministischen Einfluss der Zeitschriften auf ihre Leserinnen behaupten (vgl. Lazar 2005: 5f.; Hermes 1995: 2ff.). Diese Studien verlassen sich auf die wissenschaftliche Lektüre einzelner oder mehrerer Zeitschriften und die Kenntnisse oder Impressionen der Verfasser solcher Studien von der Lage der Frau allgemein und der Verfassung wahrscheinlicher Leserschichten. Was man als Inhalte und Botschaften in den Zeitschriften identifiziert, unterstellt man als internalisierte Meinung und Handlungsdirektive bei ihren Rezipienten. Gleiches gilt auch für jüngste Versuche, im feministischen Sinne progressive, widerständige Elemente in den Zeitschriften zu entdecken (Lazar 2005). Eine empirisch angelegte Studie (eine qualitative Untersuchung auf der Basis von achtzig langen Interviews) kommt dagegen zum Ergebnis, dass „women’s magazines as a text are not highly significant, but as an everyday medium they are a means of filling a small break and of relaxing that does not interrupt one’s schedule“. Dies zugestanden, folgt daraus aber nicht zwangsläufig, dass man die gängige Auskunft der Interviewten, „that women’s magazines have hardly any meaning at all“ (Hermes 1995: 143f.), übernehmen muss. Diese Abwehr der These, dass die Zeitschriften einen mit Sinnmustern und Bedeutungszuweisungen versehen, dürfte – so unsere Vermutung – nicht unwesentlich darauf zurückgehen, dass den Lesern der von kulturell legitimierten Sprechern zugewiesene niedere Rang der Zeitschriften bewusst ist und sie deshalb mit deren Inhalten nicht allzu eng in Verbindung gebracht werden wollen.

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selber oder deren (Groß-)Eltern aus Ländern wie z. B. der Türkei nach Deutschland gezogen sind, bleiben ohne Erwähnung, Bild oder direkte Ansprache (was sie natürlich vom Kauf der Zeitschrift nicht zwangsläufig abhalten muss). Die Frauen in der InStyle erscheinen modisch, selbstbewusst und unabhängig – wenn sie eine Familie haben, geben sie ihre Arbeit nicht dafür auf (Arbeit im Haushalt wird zudem an Bedienstete abgegeben, vgl. z. B. die Tipps der Inhaberin einer Hauspersonal-Vermittlung; ebd.: 274), sondern bringen Familie, Karriere und auch die Mode miteinander in Einklang (vgl. z. B. die Empfehlungen modischer Kinderwagen), so dürfte zumindest das Wunschbild aussehen. Und in der Tat, die InStyle bietet auf beinahe jeder Seite, in Artikeln und Anzeigen, Frauen auf, die arbeiten – als Models und als mehr oder minder nebenberufliche Werbeträger. Der kurze Überblick über die Rubriken der InStyle zeigt bereits, dass es keineswegs einfach ist, diese immer voneinander zu trennen. Vielmehr ergänzen sie sich und gehen ineinander auf. Wenn man der kulturkritischen Position (etwa Postman 1988) folgt, liegt das Problem der Unterhaltung darin, dass nichts miteinander verbunden ist und die Elemente durch ihre Vereinzelung gleichzeitig ihren Sinn verlieren. Hier scheint nun das Gegenteil vorzuliegen. Für Postman wären die dargebotenen Informationen allerdings Desinformationen, weil sie kein nach seiner Definition relevantes Wissen vermitteln und somit den Lesern nur suggerieren, dass sie etwas wissen, obwohl sie in Wahrheit vom Wichtigen abgelenkt werden (ebd.: 133). Ungeachtet solcher Wertungen, die nicht bloß das Gemeingut vieler Intellektueller sind, sondern auch den Grundbestand präsidialer Reden, parlamentarischer Initiativen und schulischer Curricula bilden, haben InStyle und die verwandte Glamour9 in den letzten Jahren die Spitze der Auflagencharts in ih9

Glamour (aus dem Verlag Condé Nast, dem Verlagshaus der Vogue), zeigt ebenfalls viele Stars als (pseudo-)„private“ Modeträger, legt aber im Unterschied zu InStyle neben üblichen Frauenzeitschriftenrubriken vor allem Wert auf die Dokumentation metropolitanen „Streetstyles“, sodass unter Umgehung von professionellen Models hier Stars und modebewusste, anonyme Frauen (die selbstverständlich besonders chic, gut aussehend und „trendy“ sind), im Kontinuum erscheinen.

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rem Marktsegment erreicht. In diesem Fall konnte aus dem bereits zu verzeichnenden Erfolg der porträtierten Stars weiteres Kapital gezogen werden: offenkundig für die Zeitschriften selbst und wahrscheinlich auch für den weiteren Erfolg der Stars und der Marken, die sie präsentieren. Der Verbund von Zeitschriften-, Film-, Fernseh-, Musik-, Modeindustrie wird dabei nicht offen ausgestellt; dass der Star eine bestimmte Marke benutzt, bleibt durch die Art der journalistischen Präsentation als Ausdruck einer persönlichen Vorliebe des Stars lesbar – die Verbindung der Industrien, ihre Vermittlung und Abstimmung durch Agenten, Werbeleute, Stylisten, Redakteure, Fotografen etc., das Geflecht der Verträge zwischen den Agenturen der Stars und den diversen Firmen der Medien- und Modebranchen ist im Regelfall nicht Gegenstand der Berichterstattung von Frauenzeitschriften. Ein wichtiger Teil der Arbeit eines Stars wird dadurch ausgeblendet: die Installation eines Managements, das solche Verträge und Verpflichtungen koordiniert, die Mitsprache an solchen Projekten oder deren Erfüllung. Wenig oder nichts erfährt man auch über jene Arbeitsvorgänge der Stars, die der Öffentlichkeit in jedem Fall – aber eben zumeist allein – in ihrem Endstadium bekannt gemacht werden: das Singen, Schauspielern, Posieren etc. Es bleibt in dem neuen Typus der Frauenzeitschrift bei der Verbindung des Stars mit dem, was traditionell das Zwangsreservat der Frau ausmacht – mit dem Bereich des Dekorativen. Verwiesen ist auch der Star auf die Gestaltung des eigenen Körpers nach Kriterien, die Anforderungen der Schönheit und sexuellen Attraktivität entsprechen, verwiesen ist auch der Star auf die paradoxe Anforderung der herrschenden Kleiderordnung, mit der Kleidung zugleich die primären Geschlechtsteile zu verdecken und die Geschlechterordnung, die gerne als naturgegeben auf jene zurückgeführt wird, auf höchst künstliche Weise herauszupräparieren – im sicheren Wissen, dass jene Hosenform, jene Blazerfarbe und auch jener Duft, jene Frisur, jener Lidschwung usf. „Weiblich“- und nicht „Männlichkeit“ bedeutet. Es zeigt die Stärke dieser Trennung, dass auch der Star sich in den Frauenzeitschriften, die längst kein konservatives Familienideal und eine rigide Sexualmoral mehr hochhalten, nicht über die Anforderungen der klar demonstrierten Geschlechter-

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trennung hinwegsetzen kann, sondern sie vielmehr mit jeder Aktion und jedem Auftritt, der planvoll zur Veröffentlichung vorgesehen ist, modisch erneuern muss. Dass diese stetig inszenierte Geschlechterdifferenz wegen der gegenwärtigen, spezifischen Gestaltungsprinzipien der Trennung auch eine Ungleichheit des Zugangs zu ökonomischer und sozialer Macht bedingt, ist dem neueren Typus der Frauenzeitschrift freilich nicht abzulesen und anzusehen. Hier werden im redaktionellen Teil ausschließlich Frauen präsentiert, die auf der Karriereleiter ganz oben stehen und die durch ihre zeitintensive Beschäftigung, sich zu schminken, zu kleiden etc., gerade nicht anzeigen (müssen), keinem Beruf außerhalb öffentlicher familialer Repräsentation nachgehen zu können oder zu wollen. Die konsequente Konzentration auf die weiblichen Stars der Medien- und Modebranchen lässt die berichtete Hingabe an Kleidung, Schminke etc. – bzw. die (Selbst-)Definition durch Lippenstifte, Röcke, Taschen, Schuhe, Puder – gerade nicht als auferlegten Verzicht erscheinen, männliche Vorherrschaft in allen Dingen, die nicht die sog. Schönheitspflege betreffen, herauszufordern. Traditionelle Stereotype der Weiblichkeit, die, wie bereits jeder flüchtige Blick in jede beliebige geschichtliche Dekade belegt, bislang keinen substanziellen Beitrag zur Einnahme von Positionen in staatlichen und unternehmerischen Machtpositionen geleistet haben, werden hier als Ausdruck der Stärke vorgezeigt. Dadurch kommt es zu dem interessanten Phänomen, dass eine Zeitschrift, die sich nur um für Frauen gedachte Mode- und Designgegenstände dreht, am Ende dazu aufruft, Erfolg im Beruf anzustreben (ebd.: 282). Im unausgesprochenen Umkehrschluss heißt dies, dass jene Frauen, die weder mit ihrem Körper noch ihrem Stil an die Klasse – sprich auch: zumindest an einzelne der teuren Produkte – der Stars herankommen oder sogar nicht einmal herankommen wollen, ihren gesellschaftlichen Misserfolg zutiefst verdient haben.

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Literatur Bosshart, Louis (2007): „Information und/oder Unterhaltung?“ In: Armin Scholl u.a. (Hg.): Journalismus und Unterhaltung. Theoretische Ansätze und empirische Befunde. Wiesbaden: VS Verlag, S. 17-29. Faulstich, Werner (Hg.) (2006): Unterhaltungskultur. München: Wilhelm Fink. Hermes, Joke (1995): Reading Women’s Magazines. Cambridge: Polity. Hügel, Hans-Otto (2007): Lob des Mainstreams. Zu Begriff und Geschichte von Unterhaltung und Populärer Kultur, Köln: Herbert von Halem. Klaus, Elisabeth (2002): „Der Gegensatz von Information ist Desinformation, der Gegensatz von Unterhaltung ist Langeweile“. In: Irene Neverla u.a. (Hg.): Grundlagentexte zur Journalistik. Konstanz: UVK, S. 619-640. Lazar, Nava (2005): Women’s Magazines, Feminism, and Resistance. Diss. Santa Barbara. Maase, Kaspar (2003): „Selbstfeier und Kompensation. Zum Studium der Unterhaltung“. In: Kaspar Maase/Bernd J. Warneken (Hg.): Unterwelten der Kultur. Themen und Theorien der volkskundlichen Kulturwissenschaft. Köln: Böhlau, S. 219-242. McCracken, Ellen (1993): Decoding Women’s Magazines. From Mademoiselle to Ms. Houndmills: Palgrave Macmillan. Postman, Neil (1988): Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie. Frankfurt am Main: Fischer. Röser, Jutta (1992): Frauenzeitschriften und weiblicher Lebenszusammenhang. Themen, Konzepte und Leitbilder im sozialen Wandel. Opladen: Westdeutscher Verlag. Stuckard, Bettina (2000): Das Bild der Frau in Frauen- und Männerzeitschriften. Eine sprachwissenschaftliche Untersuchung über Geschlechtsstereotype. Frankfurt am Main: Peter Lang. Teigelkötter, Sina (2010): „Ist das Normale das Moderne?“ In: Brigitte, H. 2, S. 116-118.

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Wilkens, Kathrin (2002): „‚Eine positive Welt‘“. Im Internet unter: . Winship, Janice (1987): Inside Women’s Magazines. London/New York: Pandora.

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Schöne schwarze Frau macht Karriere? Intersektionale Ambivalenzen in „Germany’s Next Topmodel“ KATHARINA KNÜTTEL Schöne schwarze Frau macht karriere?

Im Frühjahr 2010 ließ sich jeden Donnerstagabend auf dem Privatsender ProSieben die mittlerweile fünfte Staffel der Castingshow „Germany’s next Topmodel“ (GNTM) verfolgen, bei der aus Tausenden von Bewerberinnen eine Siegerin erwählt wird.1 1

Als Preis winkt die Erfüllung eines Traums: „Einmal vom COSMO-Cover lächeln und den Titel „Germany’s Next Topmodel“ erringen, davon träumen viele Mädchen.“ (, letzter Abruf am 20.03.2010). Die genaue Ausgestaltung der Gewinne variiert im Laufe der Staffeln, so winkte während der ersten drei Staffeln noch ein Vertrag mit der Modelagentur IMG, ab der zweiten Staffel wurden die Siegerinnen für eine Kampagne des Bekleidungsunternehmens C&A engagiert, in der aktuell laufenden fünften Staffel gibt es ebenfalls Werbeverträge für C&A, Jade Maybelline und Gillette Venus. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass alleine der – in den Folgen von Heidi Klum immer wieder fast magisch beschworene – Titel „Germany’s next Topmodel“, den „nur eine“ erlangen kann, als Symbol die notwendige Ausstrahlungskraft besitzt, um die Kandidatinnen zur Teilnahme zu bewegen.

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Das Format wird in den Medien oft kritisch bewertet, Ansatzpunkte bieten hier beispielsweise das autoritäre Vorgehen der Jury sowie die objektivierenden Frauendarstellungen, die fragwürdige Vorbilder abgeben. So diskussionsbedürftig autoritäre Strukturgeber und verdinglichende Frauendarstellungen auch sind, angesichts einer gesellschaftlichen Normalität, in der es immer noch ein ausgeprägte und nur wenig skandalisierte Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern gibt und in der die maßgebliche Verantwortung für die Kindererziehung weiterhin Frauen zugeschrieben wird und dies ebenfalls weitestgehend akzeptiert ist, scheint ein gewisses Misstrauen gegenüber der Einigkeit, mit der auf GNTM herabgesehen wird, angebracht.2 Besonders plakative Überschriften wie „Klum kreischt Sara zum Sieg“ (Spiegel Online am 21.05.2009) oder „Sender sucht Fleisch“ (FAZ am 04.03.2010) vermitteln dabei ihrerseits Bilder hysterischer und nicht ernst zu nehmender Weiblichkeit. Dabei könnte man die Tatsache, dass Heidi Klum als weiblicher Boss im Sommer letzten Jahres von der Zeitschrift EMMA zum „Pascha des Monats“ gekürt wurde, ebenso gut schon fast als emanzipatorisch betrachten; und ebenso die Tatsache, dass „race“/Ethnizität im Zuge der Castingshow – die immerhin einen Nationenbegriff im Titel trägt – keine unüberwindbare Erfolgsbarriere darzustellen scheint, sodass 2009 als Gewinnerin der vierten Staffel mit Sara Nuru erstmals ein farbiges „Germany’s next Topmodel“ mit Migrationshintergrund (Äthiopien) feststand. Der vorliegende Beitrag soll nun der Frage nachgehen, inwieweit Gründe für eine etwaige Empörung über das Format vorliegen. Die Grundlage hierfür bildet das Konzept der Intersektionalität als „neuem Paradigma feministischer Theorie“ (Knapp 2005), in dem es darum geht, die Wirkung verschiedener ungleichheitsgenerierender Dimen-

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Ausgenommen von dieser Art der Berichterstattung sind Modemagazine wie Vogue, Cosmopolitan, Glamour etc., die sich in ihren Beiträgen positiv auf das Format beziehen. Da letztgenannte Magazine zwar sicherlich eine alltagsrelevante Funktion bei den RezipientInnen besitzen, aber nicht von einer hegemonialen SprecherInnenposition ausgegangen werden kann, kann die öffentliche Kritik der Nachrichtenmagazine und Tageszeitungen wohl als hegemonialer Diskurs angenommen werden.

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sionen in ihrer spezifischen Konfiguration zu betrachten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass „Social divisions are about macro axes of social power but also involve actual, concrete people. Social divisions have organizational, intersubjective, experiential and representational forms, and this affects the way we theorize them as well as the ways in which we theorize the connections between the different levels“ (Yuval-Davis 2006: 198).

Im Rahmen dieser Frage nach den verschiedenen Formen, in denen sich die ungleichheitsstrukturierenden Kategorien zeigen, ist mit der Betrachtung eines Formats wie GNTM an erster Stelle die Form der Repräsentation dieser Differenzlinien angesprochen. Gabriele Winker und Nina Degele konzeptionieren diese kulturellen Repräsentationen unter Bezug auf Pierre Bourdieu in ihrer intersektionalen Mehrebenenanalyse (2007; 2008; 2009) in einer Wechselwirkung mit Identitätskonstruktionen und Sozialstrukturen.3 Eine grundlegende Annahme dieses Beitrags in Anschluss daran ist, dass kulturindustrielle Repräsentationen der Differenzlinien in spezifische Strukturzusammenhänge auf unterschiedlichen Ebenen eingebettet sind: Hierzu zählen kapitalistische Wirtschafts- bzw. Akkumulationslogiken, konkreter die privatwirtschaftliche Medienlandschaft sowie eine bestimmte Branche – die Mode- bzw. Modelbranche, ein bestimmter (inter-)nationaler/globaler Kontext und ein Geschlechterverhältnis, das durch patriarchale Strukturen geprägt ist – und diese vielfältigen Strukturen stehen nun ihrerseits 3

Sie schlagen im Zuge dessen ein empirisches Forschungsprogramm vor, in welchem soziale Praxis Ausgangs- und Endpunkt sein solle. Damit räumen sie den Akteuren und dementsprechend einer eher mikroorientierten qualitativen Forschung eine prominente Position ein (vgl. ebenda) und entwerfen so ein ambitioniertes Projekt wissenschaftlicher Praxis, das zwar für die Idee des Beitrags leitend ist, dem in diesem Rahmen allerdings nicht zur Genüge Rechnung getragen werden kann. Stattdessen werden die kulturellen Repräsentationen der Differenzlinien innerhalb eines bestimmten kulturindustriellen Produkts in ihrer Verwobenheit fokussiert und Bezüge zu Makrostrukturen und Identitätskonstruktionen hergestellt und mitgedacht, aufgrund mangelnden empirischen Materials kann die soziale Praxis aber nicht den postulierten Ausgangspunkt bilden.

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wieder in komplexen Wechselverhältnissen. Symbole und Repräsentationen, und kulturindustrielle Repräsentationen im Zuge der Medialisierung des Sozialen insbesondere, machen diese (Ungleichheits-)Strukturen nun für die Alltagswelt erfahrbar, erlebbar und sinnhaft integrierbar (vgl. Soeffner 2004), sie vermitteln zwischen Strukturen und Identitäten und sind so dazu in der Lage, ‚das Entsetzliche konsumierbar zu machen’ (Adorno).4 Auf der Identitätsebene wiederum ist grundlegend zu berücksichtigen, dass, auch wenn beispielsweise die Kategorie Geschlecht jedwede soziale Praxis strukturiert, „[d]ie gut bezahlte Managerin und die arbeitslose Schulabbrecherin […] patriarchale Verhältnisse sehr unterschiedlich erfahren“ werden (Degele 2008: 39), und damit auch die Rezeption der Symbole sehr unterschiedlich ausfallen kann. Es gibt dementsprechend einen gewissen Aneignungsspielraum – der wiederum seinerseits positionsgebunden unterschiedlich eng oder weit ausfällt. Damit ist angesprochen, „dass das Publikum Medientexte in vielfältiger Weise nutzt und ohne die Betrachtung von Publikumsaktivitäten valide Schlüsse auf die gesellschaftliche Bedeutung der Sendungen nicht gezogen werden können“ (Klaus/O’Connor 2010: 70).5 Die Aneignungsprozesse symbolischer Repräsentationen bewegen sich eben zwischen den Polen Subversion und Affirmation; aber es ist sicherlich nicht so, dass „Frauen die Bedeutungen der sie umgebenden kulturellen Gü4

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Die hier verwendete Formulierung ist einem Interview mit Adorno entlehnt, in dem er im Zusammenhang mit der Verknüpfung von politischem Protest und popular music davon spricht, dass letztere aufgrund ihres Warencharakters das Entsetzliche noch konsumierbar mache. Das Interview findet sich im zweiten Teil einer Arte/SWR-Dokumentation mit dem Titel „Wer denkt, ist nicht wütend“ von Meinhard Prill und Kurt Schneider aus dem Jahr 2003. Was das „Entsetzliche“ in diesem Fall ist und wie entsetzlich es ist, soll im Folgenden geklärt werden. Nichtsdestotrotz plädieren Klaus und O’Connor sowohl für Rezeptionsstudien als auch für Textanalysen, da die „Publikumsaktivitäten als Teil des Doing Culture nie vollständig transparent und auf der Ebene des Individuums auch immer nur in Teilen einer bewussten Reflexion zugänglich sind“, deswegen blieben „Textanalysen für die Entdeckung solcher intransparenten und unbewussten Teile der Medienaneignung von großer Bedeutung“ (ebenda, Hervorhebung i. O.).

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ter und Werte einfach umdeuten können“ (McRobbie 2010: 19), wie Angela McRobbie in ihrer Kritik feministischer Positionen aus den Cultural Studies, die die Kontingenz und subversive Kreativität der Kulturaneignungsprozesse (zu sehr) in den Vordergrund stellen, pointiert formuliert. Konkret für GNTM wird dies auch durch Ergebnisse einer Studie des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) gestützt (vgl. Götz/Gather 2010), in der beispielsweise eine geradezu überwältigende Mehrheit von 73% der 9- bis 14jährigen befragten Jugendlichen, die die Sendung GNTM regelmäßig verfolgen, angeben, „sie würden sich von den Mädchen abschauen, wie man mit großen Herausforderungen umgeht“ (ebenda: 4) – und dies betrifft zwar Mädchen in stärkerem Ausmaß, aber nicht ausschließlich (vgl. ebenda). Es kann also angenommen werden, dass die Figur des erfolgreichen (gecasteten) Topmodels als Identitätsangebot für RezipientInnen durchaus eine normative Kraft entwickelt, obwohl sich die Lesarten je nach Positionierung unterscheiden. Wie konfigurieren sich nun welche ungleichheitsstrukturierenden Differenzlinien in dieser Figur?

Kulturelle Repräsentationen von „race“, class, gender „etc.“ bei GNTM Im Folgenden soll gezeigt werden, wie sich nicht nur die Trias von „race“, class und gender, die sicherlich unumstritten an prominentester Stelle intersektionaler Ungleichheitsforschung steht, sondern des Weiteren im Sinne einer gegenstandsbegründeten Analyse auch die Kategorien „Raum“ und „Körper“, denen die Sendung viel Aufmerksamkeit entgegenbringt, in einer besonderen Konfiguration in der Figur des Models verdichten.6 Dabei „ergibt sich das für die Sozial- und Kulturwissen6

Beide Dimensionen setzen sich allerdings insofern von genannter Trias ab, als dass ‚race‘, class und gender explizit auf Verhältnisse zwischen den unter Bezug auf die Kategorien positionierten Subjekten rekurrieren und ohne die relationale Betrachtung unterschiedener Akteure schlicht undenkbar sind, während den Konstruktionen von ‚Raum‘ und ‚Körper‘ eine jeweils andere Funktionsweise zugrunde liegt, denn die Ergebnisse der hier erfolgten

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schaften bekannte Problem, dass zusammenhängende Sachverhalte nicht simultan dargelegt werden können, sondern nur nacheinander“ (Barlösius 2004: 118), was sich bei einem Beitrag, der gerade die Verwobenheit der Dimensionen in den Blick nehmen möchte, in besonders virulenter Art und Weise stellt. Die Kategorierepräsentationen werden also in einer Reihung vorgestellt, die allerdings durch ständige Querverweise durchbrochen wird.

Weiblichkeit – aber wie? Die Kategorisierung qua Geschlecht fungiert als unhinterfragbare Voraussetzung, um überhaupt an dem Format teilnehmen zu können, und tritt dabei auf den ersten Blick in einer wenig progressiven Form auf: Als naturhaft, zweigeschlechtlich und unveränderbar. Schleicht sich ein „Mann“ ins Casting, wird dieses Unterfangen mit einem Lächeln quittiert und die „falsche“ Geschlechtsdarstellung sofort enttarnt. Fragt man sich jedoch, welche konkreten Formen von Weiblichkeit nach dem Eintritt in die Sendung über das erste erfolgreiche Casting repräsentiert werden, trifft man auf ein weites Feld: Sowohl bei den Fotoshootings als auch auf dem Catwalk müssen die Teilnehmerinnen unter Beweis stellen, dass sie verschiedene (weibliche) Stile verkörpern können: „editorial“ und „commercial“, „Business“ oder „Eleganz“ – Wandelbarkeit in der Weiblichkeitsdarstellung ist unbedingte Voraussetzung für eine erfolgreiche Teilnahme an der Show. In GNTM wird dies als Kompetenz verhandelt, für die man hart arbeiten muss, und diese Geschlechtsdarstellungskompetenz kann damit gerade nicht mehr als Ausdruck einer natürlichen Ordnung verstanden werden, sondern als Fähigkeit, die es zu erlernen bzw. im Wettbewerb des Formats als Leistung zu erbringen gilt. In der aktuell laufenden Staffel wird die harte Arbeit, die an die (erfolgreiche) Inszenierung von Weiblichkeit geknüpft ist, vor allen Dingen an Teilnehmerin Miriam ersichtlich: Diese wird beständig von der

Konstruktionsleistungen sind ihrerseits nicht mehr als soziale Verhältnisse konzipiert. Diese sind vielmehr notwendige und implizite Bestandteile der sozialen Konstruktion von Räumen und Körpern, sie werden aber im Ergebnis unsichtbar.

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Jury ermahnt, femininer aufzutreten, was mit ihrer Identitätskonstruktion und ihrem Selbstbild konfligiert – wiederholt wird gezeigt, wie sie den „typisch weiblichen“ Verhaltensweisen7 im Zusammenleben mit den anderen Teilnehmerinnen eher ablehnend gegenübersteht. Gleichwohl nimmt sie den Auftrag, an ihrer Weiblichkeit zu arbeiten, durchaus ernst und bemüht sich darum, diese Anforderung umzusetzen.8 Das entspricht dem, was Paula Villa als derzeitige Geburt der neuen Geschlechterdifferenz diagnostiziert: Es geht „zunehmend nicht mehr darum, diese praxeologisch als Ausdruck einer inneren Natur zu inszenieren – vielmehr geht es zunehmend darum, die mühsame Arbeit ihrer Herstellung offensiv zur Schau zu stellen und erst dadurch zu einem geschlechtlichen Subjekt von Gewicht zu werden“ (2008: 248, Hervorhebungen i. O.).9

Und wenn Miriam nach einem Fotoshooting konstatiert, nun sei „schon wieder die Chance der Weiblichkeit verflogen“10 lässt sich hinzufügen, dass die Arbeit am geschlechtlichen Selbst zunehmend als Leistungsanforderung begriffen werden kann. Mit dieser Darstellungsform bewegt sich das Format allerdings explizit weg von „Inszenierungen ‚des natürlichen Unterschieds‘“, die bislang die Legitimationsbasis für Ungleichheiten qua Geschlecht bildeten – traditionelle Symbolisierungen 7

Auffällig ist hier, dass der Verweis hierauf ganz selbstverständlich funktioniert und häufig nicht weiter expliziert werden muss – die ZuschauerInnen werden schon wissen, dass „Zickenterror“ und Lästern, ‚gehaltlose‘ Gespräche über Mode, romantische Beziehungen und Schminke typisch weibliche soziale Verhaltensweisen sind, von denen sich Miriam abgrenzt. 8 Wenngleich ihre Bemühungen aus Sicht der Jury anscheinend nicht unbedingt von Erfolg getragen sind, wie z. B. in der Entscheidungssituation am 15. April 2010, in deren Folge Miriam sich von diesen an sie herangetragenen Weiblichkeitsanforderungen durch Verweis auf ihre Persönlichkeit zu distanzieren versucht. 9 Hervorheben möchte ich an dieser Stelle, dass es sich um einen performativ durch Arbeits- und Leistungsinszenierung erzeugten Subjektivationsprozess handelt, der Geschlechtsherstellung als eine Dimension beinhaltet. 10 Sendung vom 22.04.2010.

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von Generativität und Mütterlichkeit (vgl. Winker/Degele 2009: 57) sucht man in dem Format ebenfalls vergebens. Die Verkörperung unterschiedlicher (Weiblichkeits-)„Typen“11 wird immer wieder auch Gegenstand der Reflexion: So zum Beispiel beim „Umstyling“ der Teilnehmerinnen, das in jeder der Staffeln in einer Folge erfolgt und in dem jede TopmodelKandidatin mittels Frisur und Kosmetik in die vermeintlich zu ihr passende, „professionelle“ Form versetzt wird.12 Bei dieser Zuordnung des jeweils passenden „Typs“ bleibt der Schwerpunkt der Darstellung allerdings auf der Gestaltung statt auf einer Essentialisierung, und die im Rahmen des Umstylings geschaffenen Typen bleiben zudem ihrerseits zumeist genügend vage und variabel, als dass sie anpassungsfähig für die Wünsche der ‚Kunden‘ blieben. Trotz dieser augenscheinlichen Vielfalt gibt es Gemeinsamkeiten in den Geschlechterinszenierungen: Die „Mädchen“ sind auf jeden Fall jung, sportlich, gesund, sowohl leistungsbereit als auch leistungsfähig – oder in den Worten der Jury-Mitglieder der fünften Staffel: „Es ist die schlanke Person, ein sportlicher Typ, die Spaß am Leben hat“ (Christian Schüller) bzw. „Wir suchen bei Germany’s Next Topmodel schlanke Mädchen, wir suchen keine Hungerhaken, auf gar keinen Fall, es ist wichtig, dass die Mädchen sich gut und gesund ernähren, dass sie Sport machen, sonst könnten sie in diesem Job auch gar nicht bestehen.“ (Heidi Klum, Folge am 11. März 2010)

Mit Spaß und Leistungsorientierung zur weiblichen Karriere – so lautet auch das Credo des so genannten „neuen Feminis-

11 Und folgen damit einer Entwicklung popkultureller Geschlechtsinszenierungen, die keineswegs neu ist – ein anschauliches Beispiel aus den 1990er Jahren ist die Pop-Girlgroup „Spice Girls“, deren fünf Mitglieder ihre Verschiedenheit durch die selbst gewählten Bezeichnungen „Sporty Spice“, „Baby Spice“ usw. inszenierten. 12 Die in jeder Staffel im Zuge des Umstylings auftretenden Tränen zeugen davon, dass mit dem scheinbar äußerlichen Körper immer auch Identitäten verhandelt werden, dazu weiter unten mehr.

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mus“ à la Alphamädchen, F-Klasse und Popfeminismus.13 Wenn man zudem davon ausgeht, dass die zweite Frauenbewegung als Bedingung der Möglichkeit dieser neuen Geschlechterinszenierung betrachtet werden kann (vgl. Villa 2008: 248) stellt sich die Frage: Ist „Germany’s next Topmodel“ vielleicht ein feministisches Projekt? Bevor darauf eingegangen wird, soll zunächst genauer betrachtet werden, wie sich diese neue Weiblichkeit im Kontext der Sendung mit anderen Differenzlinien konfiguriert.

„Germany’s“ next Topmodel? GNTM sticht aus einem gängigen öffentlichen Diskurs, in dem Migration vor allem als Bedrohungsszenario verhandelt wird, geradezu angenehm heraus: Teilnehmen können (und sie tun es auch) Frauen mit Migrationshintergrund, women of color, in der vierten Staffel stieß die Gewinnerin von „Austrias next Topmodel“ dazu, in der fünften Staffel war in den ersten Folgen auch noch „Miss Russia“ dabei – so gesehen spricht einiges dafür, dass in GNTM nationalistische und rassistische Stereotype zumindest teilweise überwunden werden und das Format Migrantinnen über ein Konzept von „cultural citizenship“ (vgl. Dietze in diesem Band) beheimaten kann. „Miss Russia“ Anna14 wurde allerdings für das überholte Frauenbild, dass sie verkörpert, wiederholt kritisiert – dieses entspräche eben nicht dem Typ Frau, der gesucht wird. Dieser Typ Frau kann also durchaus ethnisiert oder rassifiziert sein, muss aber einem bestimmten, innerhalb bestimmter Grenzen variablen Profil entsprechen. Die Aufmerksamkeitsräume, die ethnisierten und rassifizierten Frauen in GNTM also zugestanden werden, „können sich an schwarze und asiatische Weiblichkeit anpassen, aber nur unter der Bedingung, dass Differenz unter westlichen Glamour subsumiert wird, so dass sie den spezifischen Anforderungen genügt,

13 Vgl. zur Kritik hierzu auch die Beiträge im Heft 2/2008 „Feministische Studien“, z. B. Klaus 2008. 14 In der Sendung wurde sie auch mit dem Spitznamen „Anna Dramatica“ bedacht.

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die das Mode- und Schönheitssystem ständig wiederholt“ (McRobbie 2010: 106).15

GNTM ist damit hinsichtlich der Frage nach „race“/Ethnizität isoliert betrachtet durchaus progressiv, Staatsbürgerschaft und „Weißsein“ spielen für eine erfolgreiche Teilnahme kaum eine Rolle. Diese antirassistische und antinationale Tendenz funktioniert aber im Kontext der Sendung nur in einer Erzählung über möglicherweise schwarze, aber ganz sicher junge, schöne, „moderne“ und vor allem erfolgreiche Frauen.16 McRobbie macht insbesondere für die Sichtbarkeit ethnisierter und rassifizierter Weiblichkeit eine weitere Figur aus: Die globale Frau, die allerdings von Regierungsdiskursen kaum propagiert würde, da sie selbst immer mobiler würde und insofern einen transnationalen Status innehabe, und die zur Nachahmung weißer, westlicher Geschlechtermodelle aufrufe (vgl. ebenda: 128f.). Die klare wirtschaftliche Ausrichtung in GNTM, in der die Vermarktung potentieller Topmodels im Vordergrund steht, plausibilisiert vor dem Hintergrund einer zunehmend global vernetzten Ökonomie, in der Internationalität zum Erfolgssymbol schlechthin wird, die vergleichsweise erstaunliche Präsenz ethnisierter und rassifizierter Weiblichkeiten in der Sendung. Dieser Zusammenhang lässt sich ebenfalls anhand der Bedeutung, die den Orten des Geschehens zugewiesen wird, rekonstruieren. Damit sticht Germany’s next Topmodel neben der berühmten Trias von „race“, class und gender durch die Repräsentation einer weiteren Differenzdimension heraus:17 15 McRobbie macht diese Feststellung im Zusammenhang mit der Analyse verschiedener Aufmerksamkeitsräume, die Weiblichkeiten zugestanden werden, das obige Zitat fällt unter ihre Ausführungen zur „postfeministischen Maskerade“ – diese Weiblichkeit zeichne sich durch Jugendlichkeit, Konsumorientierung und vor allem Wahlfreiheit aus und finde in einem in der Tiefenstruktur rassifizierten Mode- und Schönheitssystem statt (vgl. ebenda: 94ff.). 16 Ein weiterer Beleg für die Unverzichtbarkeit intersektionaler Perspektiven, die Differenzkategorien in ihrer Konfiguration und Verwobenheit aufzeigen, statt grundsätzlich von Mehrfachunterdrückung auszugehen. 17 Die Problematik der Auswahl relevanter Kategorien soll hier im Sinne einer prinzipiellen und jeweils gegenstandsbezogenen Of-

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Die Symbolisierung von Machtbeziehungen konstituiert sich ebenfalls über „Raum“ als sozialer Kategorie.

Hypermobil durch die Metropolen der Welt Reisen wird als notwendiger und erstrebenswerter Bestandteil der erfolgreichen Topmodelkarriere inszeniert und die Kommentierung der Reiseziele bzw. der Städte, in denen sich die Teilnehmerinnen aufhalten, hat in jeder Folge ihren festen Platz. So äußert sich Jury-Mitglied „Q“ beispielsweise in der zweiten Folge der fünften Staffel bezüglich des ersten Reiseziels: „Berlin ist für mich das Mekka in Deutschland in der Modewelt, die haben immer viele coole Designer da, Topmodels, ist international vertreten mit vielen kreativen Leuten, Künstlern, ja, ich bin immer gerne da!“

Berlin fungiert hier als nahe liegender Beginn der Reise durch die globale Modewelt. L.A., New York, Kapstadt, Barcelona usw. sind weitere Ziele, die in Verbindung mit Mobilität zum Synonym für Erfolg und Anerkennung werden. Vor einer jeden Reise äußern sich eines oder mehrere Jury-Mitglieder sowie ggf. eine Sprecherstimme zu den aus ihrer Sicht besonders interessanten Eigenschaften der jeweiligen Städte, wobei einige als gerade aufstrebend, andere schon eher als traditionell dargestellt werden, aber ganz sicher ist allen gemeinsam, dass sie bedeutende internationale Modemetropolen sind. Die enge Verwobenheit räumlicher Ziele und symbolischer Anerkennung wird beständig inszeniert, so beispielsweise besonders deutlich, wenn in der fünften Staffel während der ersten Reise der Teilnehmerinnen nach Berlin im Zug eine weitere „Challenge“ durchgeführt wird, im Rahmen derer auch eine Entscheidung über den Verbleib in der Sendung getroffen wird: Wer die Challenge nicht besteht, muss aussteigen und wird damit sowohl fenheit der Analyse erfolgen (vgl. als knappen Überblick hierzu auch Winker/Degele 2009: 15ff.), bzw. im Sinne einer Kombination von „Überraschungsoffenheit und Theorieleitung“ (vgl. Degel und Winker in diesem Band) – die beständig erfolgende Diskursivierung von Raum und Körper in GNTM drängt diese beiden Kategorien geradezu als für die Analyse bedeutsam auf.

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das räumliche Ziel Berlin als das übergreifende Ziel symbolischer Anerkennung, also den Topmodelstatus, nicht erreichen. Auf einer grundlegenden Ebene spiegelt sich in der Darstellung der städtischen Räume hier zunächst Urbanisierung als „Verbreitung der Lebensweise, die sich in den Städten ausgebildet hat, zur gesamtgesellschaftlich dominierenden Form“ (Löw 2008: 125, eigene Hervorhebung). Während Urbanisierung eher als selbstverständliche Hintergrundannahme „mitläuft“, besteht der vorrangige Bezugspunkt in den Erzählungen über den Raum in GNTM allerdings in der Tatsache, dass diese Städte international erfolgreich sind, und ist damit eine Erzählung über Globalisierung. Eine frühe prognostische Verknüpfung von Kapitalismus und Globalisierung findet sich schon bei Marx und Engels: „Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen.“ (Engels/Marx 1959: 465)

In den Sozialwissenschaften hat sich der Globalisierungsdiskurs mitsamt seiner Kontroversen in den letzten Jahrzehnten differenziert und intensiviert18 und sich dabei von der streng materialistischen und industriekapitalistisch geprägten Stoßrichtung bei Marx und Engels entfernt. Nichtsdestotrotz bleibt die kapitalistische Logik in raum- und stadtsoziologischen Analysen unter Berücksichtigung von Globalisierungsprozessen ein nicht zu vernachlässigender Faktor. Im Zusammentreffen von technologischem Fortschritt, Urbanisierung und Globalisierung innerhalb einer kapitalistischen Ökonomie formiert sich eine „neue Geographie von Zentrum und Rand“ (Sassen 1997: 161), deren Rolle als Ungleichheits- bzw. Erfolgsstruktur beispielsweise in der Äußerung von Jurymitglied Christian Schüller ihre Entsprechung findet: „Die gesamte Welt produziert in Kapstadt 18 Der Jubiläumskongress der deutschen Gesellschaft für Soziologie im Oktober 2010 unter dem Titel „Transnationale Vergesellschaftung“ legt zudem Zeugnis darüber ab, dass die Debatte um die analytische Differenzierung verschiedener Internationalisierungstypen (für einen sinnvollen Unterteilungsvorschlag siehe Pries 2008) in den Sozialwissenschaften noch nicht am Ende ist.

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– ob es Mode ist, Fashion, Du hast alle Locations die Du brauchst“ – Kapstadt sei ein Zentrum der Modewelt. So komplex die sozialwissenschaftliche Globalisierungsdebatte sein mag, weithin geteilt ist die Einsicht, „dass Globalisierung tatsächlich der Fall ist, dass sie sich den sozialen Akteuren als unhintergehbarer und kaum beherrschbarer Sachzwang aufdrängt und dass auf diese Weise die räumlichen Ordnungsleistungen territorialer Vergesellschaftungsformen zunehmend außer Kraft gesetzt werden“ (Berking 2008: 118); Globalisierungsprozesse „are transforming contemporary Citizenship“ (Urry 2000: 3). Hinsichtlich der zuvor aufgeworfenen Frage bezüglich der zunächst erstaunlichen Sichtbarkeit ethnisierter und rassifizierter Weiblichkeit bei GNTM lässt sich schlussfolgern, dass die Bedingung der Möglichkeit dieser Sichtbarkeit nicht nur, wie weiter oben ausgeführt, an eine Anpassungsleistung unter weiblichen westlichen Glamour geknüpft ist, sondern zudem an Strukturprozesse der Globalisierung, die mit ökonomischen, technologischen und kulturellen Entwicklungen einhergehen: Das im Privatfernsehen inszenierte Topmodel ist „in der Welt zu Hause“, und eben weil Internationalität wirtschaftlichen Erfolg symbolisiert und sich nationale Vergesellschaftungsformen im Zuge der Globalisierung wandeln, wird hier die Darstellung ethnisierter und rassifizierter Weiblichkeiten möglich.19 Im Sinne des Zitats von Engels und Marx ist es nun nicht mehr die industriekapitalistische Bourgeoisie, sondern die kulturindustrielle Modebranche, die über die Erdkugel jagt – und zwar nicht über die ganze, sondern nur durch die Modemetropolen der Welt. Die Bedeutung des Raums als machtstrukturierender Dimension offenbart sich im Format also vor allem über Leitbilder von Urbanisierung und Globalisierung, aber insbesondere Heidi Klum betont immer wieder auch die Anstrengungen des Reisens, die mit dem Beruf des Topmodels unweigerlich verbunden seien, und verweist damit auf Normen von Flexibilität und Mobilität. Diese repräsentieren nicht nur die räumliche Konstruktion eines „Raums der Ströme“ (Castells 2003), sondern verweisen auf zeitdiagnostische Gesellschaftsanalysen im Sinne 19 Und es wird zumindest teilweise verständlich, wieso diese Möglichkeit eher bei Germany’s next Topmodel als bei Tagesthemensprecherinnen besteht.

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einer flüchtigen bzw. verflüssigten Moderne (Bauman 2003) und des flexiblen und anpassungsfähigen Kapitalismus (z. B. Boltanski/Chiapello 2006 oder Sennett 2005). Nachdem Kapitalismus sich nun wiederholt als bedeutsamer Strukturbezug bzw. als Bedingung der Möglichkeit der repräsentierten Konfiguration von Geschlecht, „race“/Ethnizität und Raum herauskristallisiert hat, stellt sich nun die Frage, wie die wohl am unmittelbarsten durch kapitalistische Logik geprägte Differenzkonstruktion „Klasse“ sich in GNTM präsentiert.

„Jede hat ihre Chance“ – Repräsentationen von Klasse In Verbindung mit der eingangs erwähnten neuen „Weiblichkeit durch Arbeit“ lässt sich zunächst festhalten, dass diese hier in einem doppelten Sinn verstanden wird. Denn einerseits erfolgt die Geschlechtsinszenierung als zur Schau gestellte Arbeit, andererseits ist diese Inszenierung Teil einer Positionierung von Frauen innerhalb der Arbeitswelt, genau darum geht es ja in dem Format: Um die individuelle Durchsetzung im Wettbewerb zur Erlangung einer herrschenden sozialen Position in der Modelbranche – „Topmodel“ rekurriert bereits auf diese Spitzenposition. Die Repräsentation der Leistungsideologie im Sinne der Meritokratie20 in GNTM scheint dabei ungebrochen: „Jede Kandidatin bekommt ihre Chance auf dem Catwalk“, und wenn nach dem ersten Casting 2010 die Kandidatinnen für die Nacht auf Feldbetten einquartiert werden, so liegt das laut Heidi Klum daran, dass diese sich ihre Annehmlichkeiten eben erst verdienen müssen. Das zugrunde liegende Markt- und Wettbewerbsmodell und die entsprechenden „Challenges“, in welchen sich die Kandidatinnen „beweisen“ müssen, erfreuen sich dabei einer ungebrochenen Akzeptanz.21 Mehr noch: Das Prinzip der Challenge wird dabei als Simulation bzw. als Vorbereitung des „wahren“ Lebens in der kapitalistischen Arbeitswelt begrüßt. Die im Verlauf der Sendung eingeführte Konkurrenz 20 Vgl. hierzu auch insbesondere Degele/Winker in diesem Band. 21 Zweifel an der Legitimität einer solchen „Challenge“ im Allgemeinen werden dabei nicht geäußert, die Gerechtigkeit eines konkreten Falls wird ggf. von den Verliererinnen in Frage gestellt – und im Gegenzug von den Gewinnerinnen wieder gerechtfertigt.

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um „echte Jobs“, bei denen die Teilnehmerinnen einer Bewerbungssituation bei „echten Kunden“ ausgesetzt werden und schließlich tatsächlich als Model engagiert werden (oder eben nicht, was bei der Suche nach einem Model zwangsläufig der überwiegenden Mehrheit beschieden ist), wird ebenfalls eher als Qualitätsmerkmal der „Ausbildung“ im Rahmen der Teilnahme am Format dargestellt. Wenn „Klasse“ hier in einem sehr allgemeinen Verständnis darauf angelegt sein soll, ein Modell zur Beschreibung sozialer Ungleichheiten auf Grundlage unterschiedlicher Verfügungsgewalt über (materielle oder immaterielle) Ressourcen abzubilden,22 sind hiermit die wesentlichen Aspekte der Klassenrepräsentation in GNTM überdeutlich: Eine hierarchische Positionierung – als Topmodel – ist das Ziel aller Teilnehmerinnen, und um dieses zu erreichen, begeben sie sich in den Wettbewerb. „Klasse“ erscheint also nicht als feste Kategorie und lebenslanges Schicksal, sondern als individualisierte Leistungskategorie und damit eine „gerechte“ soziale Positionierung. Dabei entziehen sich sowohl die zugrunde liegenden hierarchischen Strukturen als auch das Wettbewerbsprinzip einer Problematisierung, sie sind die akzeptierte und zu akzeptierende Normalität. In jeder Folge verweist Heidi Klum darauf, dass einige „Mädchen“ die Sendung leider wieder 22 Dies soll hier als gemeinsamer Nenner soziologischer Theorien über „Klasse“ gefasst werden – ob nun durch die Stellung im Produktionsprozess (Marx), durch eine Gesamtheit von Klassenlagen, in sich differenziert nach Besitz- und Erwerbsklassen (Weber) oder durch eine Nähe im sozialen Raum, der durch Kapitalvolumen und -zusammensetzung strukturiert wird (Bourdieu). Da in diesem Beitrag nicht das Verhältnis zwischen angemessener soziologischer Beschreibung bzw. auch hier kultureller Repräsentation (vgl. insbesondere zum Thema soziologischer Repräsentationen Barlösius 2005) und der Darstellung bei GNTM problematisiert werden soll, wird in diesem Rahmen ebenfalls kein Versuch der Klärung des viel diskutierten Klassenbegriffs im intersektionalen Paradigma vorgenommen. Fokussiert werden soll vielmehr die Frage danach, wie soziale Ungleichheit im Rahmen unterschiedlicher Verfügungsgewalt über Ressourcen bei GNTM repräsentiert wird. Die Thematisierung immaterieller Ressourcen im Zuge der Klassenrepräsentation bei GNTM soll an dieser Stelle nicht als Positionierung hinsichtlich eines von der Autorin bevorzugten Klassenbegriffs gelesen werden.

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verlassen müssen – ihr Bedauern mutet merkwürdig an, wenn man bedenkt, dass sie selber das Castingformat, dessen wesentlicher Bestandteil der Aussiebeprozess ist, in der deutschsprachigen Version initiiert hat. „Germany’s next Topmodel“ repräsentiert damit das Phänomen des „Neoliberalismus […] als ein[em] politische[n] Projekt, das darauf zielt, eine soziale Realität herzustellen, die es zugleich als bereits existierend voraussetzt“ (Lemke/Krasmann/Bröckling 2000: 9).

Um das große Ziel zu erreichen, sind Arbeit und Leistung zu erbringen: Zu Beginn einer jeden Staffel stehen die „Mädchen“ ganz am Anfang und müssen lernen und zeigen, dass sie Fortschritte machen, wobei einige abgehängt werden und sich andere durchsetzen. Damit steht GNTM ganz im Sinne der Diagnose von Tanja Thomas für Reality-TV im Allgemeinen, welche aufgrund des Castingformats in GNTM noch einmal verschärft zutreffen dürfte, in dem „[v]erbunden mit einem solchen diskursiven Verschwinden von Klasse als Strukturkategorie […] das einzelne Individuum für seine Ungleichheits- und Ungerechtigkeitserfahrungen verantwortlich gemacht wird“ (Thomas 2010: 32).

Wenn Angela McRobbie Dimensionen postfeministischer symbolischer Gewalt anhand sogenannter Make-Over-Formate untersucht und im Zuge dessen fragt, ob „Klassenunterschiede über das Prisma der Individualisierung, und zwar vor allem im Feld der Kultur und Medien, neu erfunden [werden], um nun eher autonom feminisierte soziale Einteilungen zu erzeugen und zu reproduzieren“ (2008: 178),

so findet sich dies bei GNTM wieder, freilich mit dem Unterschied, dass Make-Over-TV nicht die Positionierung im Arbeitsmarkt zum Ziel hat, sondern die Verschönerung der Frau in ein primär privates Vergnügen zur Erreichung des ganz persönlichen Glücks verortet. Und es findet sich nicht nur in Bezug auf Weiblichkeit, sondern ebenfalls mit der Frage nach „race“/Ethnizität mit dem persönlichen „Typ“ verbunden: Inner-

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halb des oben dargestellten Globalisierungsbildes werden Variationen möglich. Gleichzeitig werden diese auf einer personalisierten Ebene zur Darstellungsressource im Konkurrenzkampf, so etwa, wenn Teilnehmerin Pauline „außerplanmäßig“ durch ein nachgeschobenes Casting bei „Wetten, dass…?“ in die Sendung stößt: „Das war natürlich nicht anders zu erwarten, dass viele wirklich denken werden, Desirée muss gehen, weil Pauline gekommen ist, weil die echt vom Typ her gleich sind.“ (Teilnehmerin), und eine andere Teilnehmerin stellt fest: „Viele vergleichen die drei miteinander, ich mein klar, sie sind alle Mischlinge, sie haben alle etwas dunklere Haut.“ Solidarität erscheint hier nicht als Option in der körperbezogenen Konkurrenz.23 Der explizite Fokus auf Erwerbsarbeit, Leistung und beruflichen Erfolg bei GNTM führt dazu, dass die dort symbolisierten Werte – wie z. B. der der Anpassungsfähigkeit, Flexibilität und weltweiter Mobilität – aber prinzipiell auch geschlechtsunabhängig funktionieren und mindert insofern den sexistischen Impetus. Für die Modelbranche insgesamt stellt Soley-Beltran autobiographisch inspiriert fest: „‚chameleonism‘ is a cultural and social value in its own right given that also the economy demands subjects with the capacity to acquire new skills, spatial mobility and general malleability, to adapt to a highly volatile job market“ (2004: 317).

Gleichzeitig rücken damit erlernbare Fähigkeiten als Platzanweiser in der sozialen (Arbeits-)Welt in den Vordergrund, die sich

23 Die im Übrigen auch durch entsprechende Sequenzauswahl nochmals gestützt wurde. So wird unter anderem nachgezeichnet, wie Desirée Pauline auf dem Laufsteg kritisch beäugt, auch andere Bilder inszenieren an dieser Stelle sehr bewusst die Konkurrenz der Frauen ‚ähnlichen Typs‘. Auf die rassistische Äußerung der Teilnehmerin folgen Bemerkungen Paulines, sie hoffe, dass man sie nicht so sehr vergleicht, da sie sich eigentlich nicht so ähnlich sähen und eine andere Art hätten. Unumstritten bleibt hier, dass aus zu starker Ähnlichkeit in der Wettbewerbslogik Feindseligkeit folgt. Die Transformation von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im Zeichen von Ökonomisierung und Globalisierung führt zu neuen Handlungsmöglichkeiten, aber vor allem zu Entsolidarisierung.

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in der Bourdieuschen Terminologie als kulturelles Kapital,24 genauer: als inkorporiertes kulturelles Kapital darstellen lassen – die „Wissensgesellschaft existiert noch nicht, aber sie wirft ihre Schatten voraus“ (Willke 2001: 379), und diese Schatten machtdurchdrungenen und inkorporierten „Wissens“ betreffen eben nicht nur Wissenschaft, Forschung und Politik, sondern auch eine vermeintlich seichte und oberflächliche Tätigkeit wie das Modeln (vgl. Hecken 2006). Sich in der Modewelt auskennen, DesignerInnen und FotografInnen kennen, englisch sprechen können,25 all das gehört neben den Fähigkeiten, sich gut vor der Kamera und auf dem Laufsteg zu präsentieren, ebenfalls zu den selbstverständlich erwarteten Kompetenzen des erfolgreichen Topmodels. Bourdieus Begrifflichkeit des Kapitals erlaubt es an dieser Stelle, die zu erlernenden Kompetenzen als Ressource innerhalb der Konkurrenzlogik zu begreifen, sie als Machtmittel innerhalb spezifischer Felder und Strukturen sichtbar zu machen und gleichzeitig ihre Verkörperung in den Blick zu nehmen.26 Daraus ließe sich die Hypothese ableiten, 24 „Ein Kapital oder eine Kapitalsorte ist das, was in einem bestimmten Feld zugleich als Waffe und als umkämpftes Objekt wirksam ist, das, was es einem erlaubt, Macht oder Einfluß auszuüben“ (Bourdieu/Wacquant 2006: 128). 25 Es gab bislang mehrere Teilnehmerinnen, deren mangelnde Englischkenntnisse kritisiert wurden, was jedoch nie als unüberwindbares Karrierehindernis dargestellt wurde – stattdessen wurden die Teilnehmerinnen aufgefordert, ihre Englischkenntnisse durch Lernen und Üben zu verbessern. 26 Und führt zur Hinterfragung der Leichtigkeit der Abqualifizierung entsprechender „Schönheitskompetenzen“ aus einer z. B. akademischen Perspektive: „Welchen Stellenwert und welches Interesse die Angehörigen der verschiedenen Klassen der Selbstdarstellung einräumen, [...] hängt genauer also ab vom Bestand eines Arbeitsmarktes, auf dem entsprechende kosmetische Merkmale im Rahmen der Berufstätigkeit selbst oder in den weitergefaßten Berufsbeziehungen (je nach Beruf graduell verschiedenen) Wert erhalten, sowie von den differenziellen Zugangschancen zu diesem Markt, nicht zuletzt zu den Sektoren, wo Schönheit und Benehmen am nachdrücklichsten zum beruflichen Wert beitragen“ (Bourdieu 1987, S. 328). Dies kann man als Warnung vor womöglich zu schneller und unreflektierter Kritik lesen: Natürlich fällt es mir als Sozialwissenschaftlerin leicht, mich von den Mühen der GNTM-Teilnehmerinnen, das Laufen auf

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dass die zunehmende Bedeutung inkorporierten kulturellen Kapitals im Zuge der Entwicklung einer postindustriellen „Wissensgesellschaft“ mit genau der meritokratischen Ideologie, wie sie in GNTM repräsentiert wird, und dem damit einhergehenden Verschwinden bzw. der Legitimierung vertikaler Ungleichheiten zusammenfällt. Die Betonung der Erlernbarkeit von Fähigkeiten ist insofern eine schöne Sache, als dass nicht die Fügung in ein von vorneherein festgelegtes Schicksal propagiert wird27 – andererseits verdeckt diese Leistungsideologie strukturelle Ungleichheiten. So hat von den bisherigen Siegerinnen des Castingformats lediglich Jennifer Hof (dritte Staffel) vor ihrer Teilnahme die Realschule besucht, die Siegerin der ersten Staffel, Lena Gercke, hat nach ihrer Teilnahme noch ihr Abitur gemacht, Barbara Meier (zweite Staffel) studierte an einer FH Mathematik und die Siegerin der vierten Staffel, Sara Nuru, besuchte vor ihrer Teilnahme ein Gymnasium in München; ein Indikator dafür, dass die vielfach beschworene prinzipielle Chancengleichheit in der Sendung, die die soziale Herkunft der Teilnehmerinnen als irrelevant erscheinen lässt, im Geiste einer Leistungsideologie steht, die einer Kritik und Thematisierung struktureller Ungleichheiten entgegensteht. Wenn Heidi Klum daran zweifelt, ob eine Teilnehmerin „die Klasse“ habe, die sie suche,28 kann dies paradigmatisch für die Unsichtbarmachung von „Klasse“ als systematischer Strukturgeberin sozialer Ungleichheit und stattdessen einer Norm von „Klasse“ als individualisierter Leistungskategorie gelesen werden, die nunmehr gewissermaßen in die Subjekte hineingelegt wird und für die sie selber verantwortlich sind.

dem Catwalk zu perfektionieren, abzugrenzen und dies als absurd abzutun, während ich mir gleichzeitig eventuell Gedanken über meine Körperhaltung im Rahmen von Lehrveranstaltungen oder Vorträgen mache und mir die Arbeit daran als selbstverständlich wertvoller erscheint. 27 Wobei noch nicht einmal das ohne Einschränkung zutrifft, denn gelernt werden können und sollen lediglich diejenigen Fähigkeiten, die für eine erfolgreiche Anpassungsleistung an bestehende (Markt-)Strukturen benötigt werden. 28 So in dem dargestellten Beratungsprozess der Jury vor der Entscheidung am 22.04.2010.

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Körper Zutrittsvoraussetzung in die glamouröse Modewelt sind zunächst Jugendlichkeit, Weiblichkeit, Schlankheit sowie eine bestimmte Mindestgröße als zentrale Attribute der Norm (weiblicher) Attraktivität. Im Zentrum der Sendung stehen allerdings die Darstellungskompetenzen und in diesem Zusammenhang auch der Geschmack, den zu zeigen die Kernaufgabe vieler der Challenges ist: „Haare, Make-Up und Walk müssen aufeinander abgestimmt sein“, und die „Mädchen“ sollen zeigen, dass sie sich richtig und geschmackvoll kleiden können.29 Der Zustimmungsgrad, die Sendung aufgrund der Entwicklung der „ganz normalen Mädchen“ zu Models zu sehen, ist bei Jugendlichen sehr hoch (vgl. Götz/Gather 2010: 2) – GNTM ist damit ein Lehrstück für leibliches Lernen und Verstehen, ähnlich wie Loïc Wacquant es in seiner Studie „Leben für den Ring“ (2003) eindrucksvoll für die Inkorporierung des boxerischen Habitus nachgezeichnet hat. Auch für die Körperdarstellung der Teilnehmerinnen gilt also zunächst das gleiche wie für Geschlecht/Weiblichkeit, „race“/Ethnizität, Raum und Klasse: Innerhalb bestimmter Grenzen, hier die Zugangsvoraussetzungen Jugendlichkeit, Weiblichkeit, Schlankheit sowie ein bestimmtes Maß an bereits vorhandenen Darstellungskompetenzen, sind wieder Variabilität, Flexibilität und damit die zunehmende Gestaltbarkeit der präsentierten Körper die maßgeblichen Eigenschaften, auf die es ankommt, und die selbstverständlich zur Optimierung des (körperlichen) Selbst genutzt werden sollen. Diese Optimierung vollzieht sich nicht über einen bewussten Lernprozess, sondern dargestellt wird eine Form des Lernens, die ohne den „Umweg“ über Diskurs und Bewusstsein stattfindet – genauso, wie der praktische Sinn das Handeln ohne den Umweg über das Bewusstsein anleitet (vgl. Bourdieu 1993: 135 ff.). Und dieses Lernen ist konstitutiv für die Identitätskonstruktion, denn „[w]as der Leib gelernt hat, das besitzt man nicht [...], sondern das ist man“ (ebenda: 135, eigene Hervorhebung) – die „ganz normalen Mädchen“ werden im Laufe der Sendung zu Models, und dieser Subjektivationsprozess wird dezidiert nachgezeichnet. Dieser in der Sendung an den Models 29 So beispielsweise auch in der Folge am 18. März 2010.

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dargestellte Prozess leiblichen Lernens ist meiner Ansicht nach deswegen hervorzuheben, weil er herrschaftsstabilisierend wirkt: „Daß die meisten Organisationen [...] so großen Platz den körperlichen Disziplinen einräumen, liegt daran, daß Gehorsam zum größten Teil Glauben ist und Glauben das, wozu der Körper dann noch „Ja“ sagt, wenn der Geist „Nein“ sagt [...]“ (Bourdieu 1992: 206).

Herrschafts- und Machtstrukturen werden nicht nur verschleiert und gegen Kritik immunisiert (s.o.), sondern anhand der Figur des erfolgreichen Models wird vorgeführt, wie diese leiblich gelernt und inkorporiert und damit zum Bestandteil der Identitätskonstruktion werden. Die Wirkungen symbolischer Gewalt,30 vermittelt durch leibliches Lernen, erscheinen in GNTM nicht als problematisch, sondern sogar als wünschenswert. Körper geraten hier als Schnittstelle zwischen Strukturen und Identitäten im Zuge ihrer Machbarkeit in den Blick, und der Tenor lautet: Verändere die verkörperte Identität, sodass Du innerhalb der Marktstruktur erfolgreich sein kannst. Was bedeutet das nun für das Wechselverhältnis mit den anderen Differenzlinien? Hinsichtlich der beiden Dimensionen „race“/ Ethnizität und Geschlecht lässt sich konstatieren, dass Körper vergeschlechtlicht und rassifiziert/ethnisiert31 bleiben, aber 30 „Die symbolische Gewalt ist ein Zwang, der ohne die Zustimmung nicht zustande kommt, die der Beherrschte dem Herrschenden (und also der Herrschaft) nicht verweigern kann, wenn er zur Reflexion über ihn und sich oder besser: zur Reflexion seiner Beziehung zu ihm nur über Erkenntnisinstrumente verfügt, die er mit ihm gemein hat und die, da sie nichts als die einverleibte Form der Struktur der Herrschaftsverhältnisse sind, diese Beziehung als natürliche erscheinen lassen; oder anders gesagt, wenn die Schemata, über die er sich wahrnimmt und bewertet oder über die er die Herrschenden wahrnimmt und bewertet das Produkt der Einverleibung von somit zur eigenen Natur werdenden Klassifizierungen sind, deren Produkt sein soziales Sein ist.“ (Bourdieu 2001: 218). 31 Beide Dimensionen erfahren ihre Wirksamkeit als explizit an die Körper geheftete naturalisierende und essentialisierende Konstrukte. Am Beispiel des Geschlechts formuliert Bourdieu, dass „die männliche Soziodizee […] ihre spezifische Wirksamkeit der

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dass den Erscheinungsformen dieser Kategorien zunehmend im Rahmen der Markterfordernisse auch körperliche Spielräume zugestanden werden – so gibt es körperliche Rahmenbedingungen, die erfolgreiche Models erfüllen müssen, um „Jobs“ zu erhalten. Diese verlieren aber vergleichsweise an Bedeutung, stattdessen rückt zunehmend der Umgang mit dem Körper in den Vordergrund: „Statt der Arbeit mit dem Körper haben wir es heute verstärkt mit der Arbeit am Körper zu tun“ (Schroer 2005: 14, Hervorhebung im Original). Und diese Arbeit am Körper besteht eben nicht nur im bewussten Zupfen, Schminken, Enthaaren und Trainieren zur Gestaltung einer „materiellen“ Form, sondern ebenfalls im leiblichen Lernprozess, in Emotions- und Identitätsarbeit, wie in der in GNTM immer wieder vermittelten Botschaft „Schönheit allein reicht nicht“ zum Ausdruck kommt. Kornelia Hahn stellt die Zeitdiagnose, dass „[a]ufgrund der (neuen) Formen der Manipulation der Körperoberfläche, -gestalt und -präsentation der Körper, […] Körperzeichen nicht (mehr) mit eindeutigen Kodierungen erfaßt werden [können]. So lässt sich im Rekurs auf Goffmans Aufzählung der mehr oder weniger veränderbaren Ausdrucksmittel der körperlichen Fassade wie Alter, Geschlecht, Größe, Kleidung, Haltung, Sprechweise etc. feststellen, daß nicht die – subjektiv – am wenigsten veränderbaren als die „Authentischsten“ gelten, sondern eher die „variablen“, die sich für eine umfassende Manipulation eignen bzw. Deutung erschließen lassen.“ (Hahn 2002: 298)

Für Differenzlinien sozialer Ungleichheit lässt sich im Zusammenhang mit den vorherigen Ausführungen schlussfolgern, dass die richtige Darstellungskompetenz von Geschlecht und „race“ oder Ethnizität zunehmend zur verkörperten und individualisierten32 Ressource im sozialen Positionierungskampf wird, und dass aufgrund der hochgradigen Personalisierung Tatsache [verdankt], daß sie das Herrschaftsverhältnis legitimiert, indem sie es in eine biologische Konstruktion eingehen läßt, die selber eine biologisierte gesellschaftliche Konstruktion ist“ (Bourdieu/Wacquant 2006: 209). 32 Individualisiert im Sinne des sozialen Zuschreibungsprozesses von „individueller Verantwortlichkeit“ an die Individuen.

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eine Politisierung nur schwer möglich scheint – wenn „ich“ doch eine ganz individuelle und variable Form von Weiblichkeit verkörpere, was kann das mit sozialen Ungleichheitsverhältnissen zu tun haben?

Schlussfolgerung: Emanzipation oder Unterdrückung? In „Germany’s next Topmodel“ wird eine Konfiguration von Geschlecht, Klasse, Raum und Körper repräsentiert, in der gerade die Variabilität dieser Dimensionen zum Maßstab wird: Weiblichkeitsdarstellungen changieren zwischen Erotik, Eleganz, Sportlichkeit und Business; auch hinsichtlich „race“ und Ethnizität gibt es, solange sich die Bilder in westlichen Glamour einfügen lassen, Variationsbreite; die Variabilität des Raumes wird in der Idealisierung des Reisens unter den Leitbildern von Urbanisierung und Globalisierung als Bestandteil einer erfolgreichen Modelkarriere symbolisiert; Körper erscheinen als gestaltbare und zu gestaltende Körper, als gelehrige Körper, die sportlich gedrillt und kosmetisch gestylt werden, und mittels derer Identitäten verhandelt werden; Darstellungen und Klasse wiederum ist gerechtes Ergebnis individuell erbrachter Leistungen im Sinne der Meritokratie: Wer sich anstrengt, der kann von der Durchschnittsschülerin zum Topmodel werden. Diese Variabilität hat meines Erachtens nach zwei widersprüchliche Effekte: So wird einerseits die Herstellung von Geschlecht bzw. von Weiblichkeit in den Vordergrund gerückt und somit eine – wenn auch nur marginale – Gegenbewegung zu naturalisierenden und essentialisierenden Ideologien geschaffen. Andererseits werden patriarchale Strukturen verschleiert und gleichzeitig durch das Prisma der Individualisierung insbesondere mittels symbolischer Gewalt neue vergeschlechtlichte soziale Einteilungen geschaffen (vgl. auch McRobbie 2008, 2010). Durch die prinzipielle Variabilität in den Inszenierungen wird einerseits Gestaltungsfreiheit zugestanden, andererseits mutiert die-

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se gewonnene Freiheit zum Gestaltungszwang.33 Dass zunehmende Wahlfreiheiten immer auch die Verantwortungszuschreibung für die Entscheidungen an die Individuen mit sich bringen, darauf ist sowohl im Rahmen der Individualisierungsdiskussion, insbesondere nach dem Erscheinen von Becks „Risikogesellschaft“ (1986), als auch im Anschluss an Foucault innerhalb der Gouvernementalitätsstudien vielfach hingewiesen worden – und es ist nicht unbedingt per se ein Problem. Neben aller Kritik an der zunehmenden Verantwortungszuschreibung und der Entscheidungsverpflichtung, deren Wahlfreiheit allzu oft nur vermeintlich frei ist, formuliert beispielsweise Philipp Sarasin in Bezug auf Foucault und die anschließenden Gouvernementalitätsstudien: „Es ist für Foucault völlig klar, welche Auswirkungen Liberalismus und Neoliberalismus in concreto haben konnten und gehabt haben, und er bemerkt, damit würden sie sich auch leicht erledigen lassen – wenn nicht die prinzipielle Frage nach der Freiheit wäre.“ (Sarasin 2008: 26, Hervorhebung i. O.)

Wie ist das Verhältnis von Freiheit und Regierungsform, welches in GNTM inszeniert wird, nun zu beurteilen? Klar ist, die zugestandene und zugemutete Entscheidungsfreiheit funktioniert nur innerhalb gewisser Grenzen: Inszeniert werden diejenigen Bilder, die von der Aura des Erfolgs umweht werden: Die „Mädchen“ dürfen erotisch sein, aber nicht „billig“, sie dürfen schwarz sein, aber nur im Rahmen der Anforderungen bestimmter Schönheitsanforderungen, die Welt wird bereist im Zuge der Arbeit in Modemetropolen. Es wurde gezeigt, dass die in GNTM inszenierte Figur des Topmodels im Zeichen des gesellschaftlichen Wandels unter den Leitbildern von Ökonomisierung, Urbanisierung, Globalisierung und Individualisierung steht – es spiegeln sich Transformationen im Verhältnis von Geschlecht, Ethnizität und Klasse im „neuen Geist des Kapitalismus“, der sich in der Moderne im „flexiblen Körper“ vornehmlich in Weltmetropolen manifestiert. Der Politisierung von Ungleichheiten stehen in dieser Inszenierung vor allem ei33 Eine Grundfigur soziologischer Argumentation, die sich wohl am anschaulichsten in der Strukturationstheorie widerfindet, siehe etwa Giddens (1988).

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ne durch die Konkurrenzlogik verursachte Entsolidarisierung sowie eine ungebrochene Akzeptanz der Marktstrukturen entgegen, denen in erster Linie durch Anpassungsleistungen zu begegnen sei. Die zunehmende Gestaltbarkeit, Formbarkeit und Variabilität aller Differenzdimensionen, die in der Sendung präsentiert wird, könnte gleichwohl zu einer Form von „Empowerment“ bei den Rezipientinnen führen – im Zusammenhang mit dem Vordringen der Marktlogik in die politische Gleichstellungsarbeit unter dem Stichwort „Gender Mainstreaming“ stellt Meuser in einer ähnlichen Argumentationsweise in Aussicht, dass „der Effekt paradoxerweise durchaus eine Reduktion von Ungleichheit zwischen den Geschlechtern sein [könnte]. Wenn eine Organisation gezielt die Strategie verfolgt, bislang ‚brach liegendes‘ weibliches Humankapital ‚abzuschöpfen‘, bringt dies Frauen in (gute) berufliche Positionen“ (Meuser 2009: 106),

und Gleiches könnte durch Inszenierungen wie der in GNTM durchaus möglich werden. Wenn man zudem davon ausgeht, dass „[n]ur indem Rasse und Geschlecht den Schein von Naturgegebenheit und damit von Unverrückbarkeit und Unabänderlichkeit ablegen, […] sie als gesellschaftliche Strukturgeber statt als ‚Schicksal‘ aufgefaßt werden [können]“ (Knapp; Klinger 2008, S. 10),

dann wird in GNTM der Schein der Naturgegebenheit zwar nicht abgelegt, aber doch zumindest ihre Unabänderlichkeit in Frage gestellt. Jedoch steht die Verschleierung struktureller Ungleichheiten, und mehr noch: Die gleichzeitig als wünschenswert präsentierte Inkorporierung der Machtverhältnisse, jeder emanzipatorischen Praxis entgegen. Für die Entwicklung einer „kritischen Haltung“ zu GNTM im Sinne Foucaults als „Gegenstück zu den Regierungskünsten, gleichzeitig ihre Partnerin und ihre Widersacherin, […] die Kunst nicht regiert zu werden bzw. die Kunst, nicht auf diese Weise und um diesen Preis regiert zu werden“ (Foucault 1992: 12), so stellt sich im Rahmen der hier aufgezeigten Ambivalenzen die Schwierigkeit, besagten Preis einschätzen zu können.

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„Against-Type-Casting“ Migration – Casting Shows und ku lturelle Vielfalt 1 GABRIELE DIETZE „Against-Type-Casting“ Migration

Vorspiel – Politiken der Sichtbarkeit Fernsehen ist ein zentrales Medium der visuellen Kultur. Es ist nicht nur eine Vervielfältigungsmaschine von Moden, Stilen und Codes des Selbstaufdrucks, sondern es ist auch ein Filter zur Organisation von Sichtbarkeit. Mit Sichtbarkeit (Visibilität) ist hier gemeint, dass von Redaktionen und Programmmachern entschieden wird, wer im Fernsehen zu sehen ist, und wenn, wie. Da die großen Fernsehsender nach Selbstaussage beabsichtigen, mit allen oder möglichst vielen Bevölkerungsgruppen zu kommunizieren und das durch die Erhebung von Quoten überprüfen, sollte man davon ausgehen, dass auch Mitglieder möglichst vieler Bevölkerungsgruppen als ModeratorInnen, NachrichtensprecherInnen, fiktive Charaktere in Serien oder als Darsteller in Reality-Formaten zu sehen sind. Das ist im öffent-

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‚Against-Type-Casting‘ bedeutet im Besetzungsjargon eine Rolle ‚gegen den Typ‘ zu besetzen, also z. B. einen Schauspieler, der bislang nur Gangster-Rollen gegegeben hat, als Samariter oder eine Femme Fatale als Unschuldsengel.

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lich rechtlichen Fernsehen nicht der Fall.2 Obwohl inzwischen jeder fünfte Einwohner (18%) dieses Landes einen so genannten „Migrationshintergrund“ hat, ist das sichtbare Ensemble der „Talking Heads“ und Standardcharaktere von Serien und Feature-Filmen der ersten, zweiten und dritten Programme abstammungsdeutsch. Diese visuelle Monokultur spiegelt die lang gehegte Fiktion, kein Einwanderungsland zu sein, wieder. MigrantInnen werden nicht als zu repräsentierende BürgerInnen wahrgenommen, sondern es wird über sie bestenfalls im Euphemismus „ausländische Mit-bürgerInnen“ – vorzugsweise als kulturelles, religiöses, kriminelles, soziales „Problem“ – berichtet. Gern wird ihre angeblich fehlende „Integration“ beklagt und ihre mögliche „Schuld“ daran (vgl. Butterwegge/Hentges 2006; Wellgraf 2008). In Einwanderungsländern wie den USA, aber auch in Großbritannien, weiß man, dass Repräsentation von Minderheiten, insbesondere ihre Sichtbarkeit in den Medien, ein Modus ist, gesellschaftliche Anerkennung von Diversität zu organisieren. Media-Watch Agenturen von Bürgerrechtsorganisationen wie die ‚Television & Film Diversity Initiative‘ des NAACP zählen penibel nach, in welchem Network in welchen journalistischen, fiktiven und Reality Formaten wie viele nicht-weiße Personen gezeigt wurden und verteilen öffentliche Rügen bei fehlender Diversity-Repräsentanz.3 Die Rügen zeitigen oft schnelle Konsequenzen, wenn z. B. in bislang blütenweißen Fernsehserien mitten in der Staffel zentrale schwarze Charaktere auftauchen. Die großen Sendeanstalten ABC, CBS, NBC und Fox haben sich 2

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Obwohl in offiziellen Dokumenten, z. B. einer ARD-Schrift „Integration und Kulturelle Vielfalt – Querschnittsaufgabe in der ARD“ (2007) gelegentlich auch Repräsentanz von Menschen mit Migrationshintergrund gefordert wird, ist die Frage kein Schwerpunkt deutscher Medienforschung. In einer Metastudie zu „Migration und Medien“ über 59 Aufsätze und 5 Monographien sind nur 4 Titel weitläufig mit dem Thema beschäftigt. Siehe , abgerufen 19.04.2010. Siehe auch zur Defizitanalyse Oulios 2009. Die Media-Diversity Aktionen des NAACP werden im Hollywood-Büro gebündelt und sorgen für negative Presse über die Gerügten. Siehe , abgerufen am 17.04.2010.

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in Diversity Komitees zu zahlenmäßig sichtbarer Repräsentation verpflichtet. Davon ist man im deutschen Staats-TV weit entfernt. Die meisten Serien, Feature-Filme und journalistischen Formate kommen vollständig ohne migrantische Repräsentanz aus. Im letzten Jahr wurde endlich ein einsamer deutschtürkischer Kollege in die Phalanx der abstammungsdeutschen TATORT-Ermittler ‚integriert‘. Ein anderes Bild findet sich bei privaten Fernsehsendern wie RTL 1+2, Sat.1, ProSieben und den Musikkanälen. In Nachmittagsprogrammen wie Talk- und Gerichtshows, Vorabendserien und Boulevardformaten ist Plurikulturalität Standard, und zwar nicht nur in Form eines zu beratenden und klatschenden Fußvolks von „MigrantInnen“, sondern auch als ModeratorInnen und HauptdarstellerInnen. Obwohl im liberalen Zweig der empirischen Kommunikationswissenschaften (Medienstudien) Rassismus in den Medien (hauptsächlich auf der Darstellungsebene und zu Recht) beklagt wird, scheint diese Diskrepanz an Repräsentation zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Medien noch wenig Aufmerksamkeit gefunden zu haben. Mich interessiert im Folgenden eine besondere Funktion medialer Aktivität des Privatfernsehens zum Einwanderungsland Deutschland, nämlich die der interaktiven ‚Community‘-Bildung, wie sie in Casting Shows mit KandidatInnen unterschiedlicher Herkünfte stattfindet. Mein Beispiel ist Deutschland Sucht Den Superstar (DSDS). Arbeitshypothese wird dabei sein, dass Wettbewerbe, die nach meiner Beobachtung nicht zufällig „Deutschland“ im Titel tragen, etwas leisten, was weder der „Staat“ oder die Schule, noch öffentlich-rechtliche Medien leisten, nämlich die rituelle Aufnahme von Kindern der Migration in „Deutschland“ und die Veränderung, Globalisierung und Hybridisierung des „Deutschland“-Begriffs im Allgemeinen.

Casting Migration Als besondere Spielart des Reality TV beschäftigen sich Casting Shows damit, Sangestalente zu ermitteln und „Superstars“ zu kreieren. Die BewerberInnen werden in gigantischen nationalen auditions unter Zehntausenden ausgesiebt. Es fällt auf, dass un-

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ter den Finalisten in den deutschen Casting Shows (‚Popstars‘ von Pro7 zählt auch dazu) der Anteil von Jugendlichen mit ‚Migrationshintergrund‘ kontinuierlich gestiegen ist und seit einigen Jahren eine klare Majorität ausmacht. In der Bildungspresse hat das schon zur spöttischen Bezeichnung des Sendeformats als „Migrantenstadel“ geführt.4 In der Show selbst wird die hohe Zahl von MigrantInnen dagegen nicht oder wenig thematisiert. Erkenntnisleitende Hypothese dieser Untersuchung ist, dass dieses quotenstarke Medienereignis (zwischen fünf und sechs Millionen ZuschauerInnen pro Sendung) als Modus der Beheimatung und als Aushandlungsprozess von „kultureller“ und „emotionaler Staatsbürgerschaft“ dient (vgl. Wallace/Spannring/Datler 2004: 15f.). Eine solche Lesart widerspricht kulturkritischen Interpretationen dieser Formate, die von Trash-TV5 oder „Erniedrigungsfernsehen“6 sprechen. In anglophonen Medienwissenschaften, die von den Cultural Studies und ihren Gender- Class- und Race-sensiblen Perspektiven beeinflusst sind, sieht man in Reality TV Formaten eine neue Bühne für Diversity und Demokratisierung (democratainment), welche people of color, nicht-normativen Sexualitäten und „unteren“ Klassen agency und Sichtbarkeit verleiht (vgl. Hartley 1999; Dovey 2000).7 In deutschen Zeitdiagnosen werden Reality- und andere so genannte Trash-TVFormate aber weniger als Demokratisierung gegenüber bislang medial ausgeschlossenen Minderheiten verstanden, sondern als Niveauverlust auf der Ebene von billigen Fernsehgenres, der dem Geschmack „bildungsferner Schichten“ geschuldet ist. So 4

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Wie etwa in der Zeitung Der Tagesspiegel vom 15.03.08, , abgerufen am 20.04.2010. Siehe eine Debatte in der WELT „Trash TV auf allen Kanälen“ vom Januar 2008. Siehe Mills 2004; für eine gender-spezifische Lesart von „Erniedrigung “ als weiblich voyeuristischem Begehren vgl. Mendible 2004. Skeptischere Stimmen weisen auf den prinzipiell hierarchischen und elitären Charakter der Produktion von – wenn auch möglicherweise kurzzeitiger – Prominenz hin und schwächen die Demokratisierungsthese zu einem sogenannten ‚demotic turn‘ ab, verstanden als eine Hinwendung der Medien zu den unteren Klassen, zum ‚Volkstümlichen‘, vgl. Turner 2006.

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spricht nicht nur der garantiert bildungsnahe TV-Comedian Harald Schmidt abfällig von ‚Unterschichten‘-Fernsehen, sondern auch renommierte Wissenschaftler wie der Historiker und Soziologe Paul Nolte (2004).8

Reality TV und „Kulturelle Staatsbürgerschaft“ Nun kann man jenseits von Geschmacks- und Klassenfragen die unangestrengte Präsenz „anderer“ Menschen in den Privatsendern auch anders deuten, nämlich als die überfällige Kenntnisnahme und Gestaltung eines demographischen und sozialen Wandels und seiner medialen Verhandlung. Entertainmentformate des Privatfernsehens bringen die „Ausländerfigur“ mittels Verselbstverständlichung zum Verschwinden. Während man auf Seiten der „gebildeten“ Medienlandschaft zur „Toleranz“ aufruft, aber keine Partizipation organisiert, wird sie in weniger gediegenen Formaten nicht gebraucht, da die vom Bildungspublikum als „anders“ verstandenen Subjekte hier Stars sein können. Seit Jahren demonstrieren die gecasteten Bands auf RTL 2 und ProSieben durch Hits in den Charts, dass Herkunft und Staatsbürgerschaftsstatus für das TeenagerFernsehpublikum unwichtig sind – möglicherweise sind nicht „biodeutsche“ (vgl. Heidenreich 2006) BewerberInnen sogar interessanter. Schon die 2000 bei RTL 2 gecastete erfolgreiche Girlband No Angels buchstabierten sich quer durch Farb- und Sprachnuancen, versicherte sich aber noch der beruhigenden Präsenz einer sehr einheimischen Blonden. Bei der Mädchen-

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Die These von den Privaten als „Unterschichtenfernsehen“ lässt sich im Übrigen statistisch nicht belegen. In einer empirischen Untersuchung zu Fernsehkonsum ermitteln Jörg Hagenah und Heiner Meulemann (2007: 163 f.), dass nur in den Anfangszeiten des „Dualen Rundfunks“ eine signifikante Bildungsdifferenz in den Nutzerprofilen ausmachbar war. Ab 1995 konvergieren die Statusgruppen AbiturientInnen, Mittlere Reife und HauptschülerInnen in der Mediennutzung. Die Konsumption der weniger intellektuellen und emotionalisierteren Formate gibt eher über mentale als über soziale Zugehörigkeiten Auskunft.

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band Monrose hatte dann schon jede Sängerin Migrationshintergrund. Von den zehn Kandidaten der fünften Staffel der MegaQuotenshow DSDS 2008, die es in die Endauswahl geschafft hatten, fehlte nur dem Jüngsten der Migrationshintergrund, dem sechzehnjährigen Berufsschüler Benjamin Herd. Sein reizvolles Pfälzisch allerdings dokumentiert die Abwesenheit von Klassenprivilegien. Linda Teodosiu hat eine spanische Mutter und einen rumänischen Vater. Fady Maalouf ist während des Krieges im Libanon geboren, Monika Ivkic ist Bürgerkriegsflüchtling aus Bosnien, Collins Owuso wuchs in Ghana auf, der Afrodeutsche Jermaine Alford in Texas. Amerikanisch und deutsch/syrisch ist die Familie von Sahra Drome. Die Eltern von Thomas Godoij sprechen Deutsch mit polnischem Akzent, die Mutter von Stella Salato mit italienischem, und Rania Zeiriris Mutter ist Holländerin, der Vater Algerier. Die Lebensgeschichten der KandidatInnen vermitteln vielgestaltige Migrationsmuster multipler Identitäten. Bürgerkrieg (Maalouf, Ivkic), transnationale Ehen (Teodosio, Drome, Zeiriri, Alford), Ost-West Migration (Godoj), innereuropäische Arbeitsmigration (Salato), Süd-Nord Migration (Owusu). Gequert mit der Herkunftsfrage sind die unterschiedlichsten Milieus und Zeichensysteme. Der Gewinner, der deutsch-polnische Rocker (und arbeitslose technische Zeichner) Thomas Godoj positionierte sich von Anfang an trotz höherer Bildung als „Unterklasse“ oder als prekarisiert. Die Unterstützergruppe des Hartz IV-Empfängers trug T-Shirts mit einer „Kein Plan B“-Aufschrift. Die puppenhübsche Rania Zeiriri dagegen ließ mehrfach anklingen, dass sie vielleicht Besseres zu tun hätte, als sich von der Jury wegen ihrer schwachen Stimme beschimpfen zu lassen. Sie hat auf Ibiza vorgesungen, wo die dort tätige Animateurin mit der rauchigen Stimme zum Casting auf Rollerblades einschwebte und das globalisierte Tourismusgewerbe vertrat. Fady Maalouf ist zwar Bürgerkriegsflüchtling aus dem Libanon, aber auch in Paris ausgebildeter Designer und – wie die BILD-Zeitung enthüllte9 – homosexuell und in Deutschland

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Siehe „DSDS Superstar Fady verheiratet mit einem Mann“ (vgl. BILD 11.04.2008).

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verpartnert.10 Hier wird nicht nur Diversität „repräsentiert“, sondern auch individualisiert und ausdifferenziert. Die widersprüchliche Intersektionalität in den Registern Klasse, „Rasse“, Sexualität und Nation unterläuft Rassismen und Sexismen, die auf Stereotypisierung, Klassifikation, dem Schluss vom Einzelnen auf die Gruppe und der Verbindung von visueller Markierung und Verhaltenserwartung beruhen (vgl. Terkessidis 2004). In staatsoffiziellen und öffentlich-rechtlichen Diskursen zu MigrantInnenkindern dagegen wird ihr Leben stereotypisiert als „zerrissen zwischen zwei Kulturen“, problematisch, unglücklich, aus dem Ruder gelaufen oder durch traditionelle Lebensführung dem deutschen sozialen Umfeld entzogen betrachtet (vgl. z. B. Özdemir 2007). „Fremde“ Herkunft ist der zentrale Marker der Betrachtung. Die Casting Show jedoch präsentiert die KandidatInnen ohne viel Referenz auf ihre Herkunft als sympathisch und ehrgeizig und ihres Talentes halber gewürdigt. Ihr häufig mit sozialen und politischen Schwierigkeiten belastetes familiäres Umfeld wird nachgereicht und dann als positive Herausforderung präsentiert. Die „human touch“Einspieler, mit denen die FinalistInnen dann vorgestellt werden, bieten einem Millionenpublikum Anschauungsunterricht, wie man in komplexen transnationalen Lebensarrangements zurechtkommt. Da sieht und hört man von Familien mit ungeklärtem Flüchtlingsstatus, von in Bürgerkriegsländern zurückgelassenen Eltern; aber auch von globalisierten polyglotten Lebensläufen, Animateur-Nomadentum und transnationalen Bohèmekulturen. Im Live-Publikum der Show (die idealtypische Verlängerung der häuslichen Fernsehgemeinde) verschmelzen dann die Eltern oder Bezugspersonen der Kandidaten mit 10 Diese Meldung kam zwar als Indiskretion daher, verweist aber auf eine andere Dimension, nämlich die wichtige Funktion von ‚Queeren‘ Präsenzen besonders in performativen Darstellungsformaten. Man erinnere an den Letztjahresgewinner Mark Medlock, den ebenfalls verpartnerten aber geschiedenen Soulsänger mit afrokaribischen Wurzeln aus dem hessischen Offenbach, an den schrillen Laufstegtrainer Bruce Darnell der ersten Staffeln von Germanys Next Topmodel 2006/2007 und den demonstrativ „queeren“ Sieger des Dschungelcamps 2008, den ehemaligen Bro’Sis Sänger Ross Antony (ebenfalls zu Prominenz gekommen über eine multikulturelle RTL 2 Casting Band).

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Freunden und Fan-Gruppen zu einem applaudierenden und Sprechchöre bildenden Unterstützungsblock. Die Live-Show simuliert, was im wirklichen Leben für MigrantInnenkinder notwendig wäre: Akzeptanz, Ermutigung, Autorisierung, ,Liebe‘. Es entsteht eine imaginäre Gemeinschaft, die als Cheerleader das Publikum an den Fernsehgeräten und Telefonen für das Projekt nationaler (Mit-)bürgerInnenschaft gewinnen will. Nationale Staatsbürgerschaft kann zwar verliehen werden, wird aber nicht notwendigerweise anerkannt. Der beste Beweis dafür ist die ständige Adressierung von Menschen mit nicht normgerechtem Teint oder Akzent mit der obligatorischen ‚Woher-Kommst-Du‘ Frage (vgl. Yildiz 2009), die wie Birgit Rommelspacher (2001) schlüssig nachweist, nicht von Neugier gespeist ist, sondern eine rhetorische Geste der ‚Entheimatung‘ von als ‚fremd‘ identifizierten Menschen darstellt. Kulturelle Staatsbürgerschaft (cultural citizenship) dagegen ermöglicht Minderheiten volle Mitgliedschaft trotz ihrer kulturellen Differenz mit der „mainstream society“. Eine grundsätzliche Formulierung des Konzepts verdankt sich dem Kulturanthropologen Renato Rosaldo: „Cultural Citizenship refers to the right to be different and to belong in a participatory way democratic sense. It claims that, in a democracy, social justice calls for equity among all citizens, even when such differences as race, religion, class, gender, or sexual orientation potentially could be used to make certain people less equal or inferior than others. The notion of belonging means full membership in a group and the ability to influence one’s destiny by having a significant voice in basic decisions.“11 (Rosaldo 1994: 402)

Nach Rosaldo sind Demokratien zu sozialer Gerechtigkeit verpflichtet und müssen damit auch nicht-normgerechten oder nicht-hegemonialen Gruppen Mitgliedschaft und Einfluss garantieren. Der Begriff der „kulturellen Staatsbürgerschaft“ fand Eingang in Überlegungen zur Transnationalität von Migration (vgl. Ong 1996 und 2004) und komplexer Gemeinschaftsbildung in kosmopolitischen Zusammenhängen (vgl. Stevenson 2003) 11 Der Anthropologe Rosaldo entwickelte das Konzept im Hinblick auf die gesellschaftliche Teilhabe der hispanoamerikanischen Bevölkerung in Kalifornien.

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und wurde schließlich auf die demokratisierenden Möglichkeiten von Reality TV übertragen (vgl. Turner 2006).12

Gouvernementalität versus Disziplinarprinzip Der beheimatende oder transitorische Charakter ist jedoch nur eine Dimension der Casting Shows im Privatfernsehen, die die Erfolgsgeschichten siegender oder anderweitig hoch profilierter KandidatInnen mit unterschiedlichen Diversitätsprofilen betrifft. Eine andere Dimension dieses Phänomens besteht in der Tatsache, dass das Format auch kritische Interventionen aus dem Spektrum der Gouvernementalitätstheorien angezogen hat (vgl. Palmer 2002), die die Passgenauigkeit der Shows für neoliberal marktgängige Persönlichkeitsmodifikation beklagen (vgl. Couldry 2008) und neue Machttechniken der Selbstführung und -kontrolle entdecken (vgl. Andrejevic 2004). Es spricht in der Tat einiges dafür, die Casting Prozedur unter dem Foucaultschen Paradigma der Gouvernementalität zu lesen. In Analysen dieser spätmodernen Regierungstechnik tritt die Macht den Menschen nicht mehr als Autorität und Disziplinierungsagentur entgegen, sondern sie verlagert sich in die Individuen selbst. Bewerkstelligt wird diese Verinnerlichung über Universalisierung der Marktökonomie, auch „Ökonomisierung des Sozialen“ genannt (vgl. Bröckling/Krassmann/Lemke 2000). Ein zentrales Element dabei ist die Anerkennung jedweden Wettbewerbs als „objektive“ Maßeinheit für gesellschaftlichen Erfolg. Auf sozial Deprivilegierte ausbuchstabiert heißt das, dass sie ihr ökonomisches und/oder kulturelles „Scheitern“ als persönliches Fitness-Defizit, als ihre „Schuld“, und nicht als strukturelle Benachteiligung begreifen (vgl. Pühl 2003). Das Argument der Marktkonkurrenz trifft prinzipiell auf jedes Genre von Reality TV zu: Alle in diesem Format zu erreichenden Ziele werden wettbewerbsmäßig angesteuert. In den 12 In der deutschsprachigen Medientheorie finden sich Bezugnahmen auf das Konzept bei Elisabeth Klaus und Margret Lünenborg (2000: 211 f.), die allerdings dabei die Verbindung von Produktions- und Konsumptionsseite von Journalismus ansprechen und nicht die Frage nach Diversity. Für einen Überblick zu Staatsbürgerschaft und Kultur, vgl. Couldry 2006.

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Schönheits-Op Shows wie The Swan müssen die Kandidatinnen zunächst darum konkurrieren, wer sich am hässlichsten fühlt, um mitmachen zu können, und dann, wer die größte Selbstdisziplin im Boot-Camp aufgebracht hat und die meiste Tapferkeit bei den Operationen und ihren Nachwirkungen, um nachher als „die Schönste“ gelten zu können (vgl. Strick 2005), in Big Brother wird man zunächst für Knast- und Unterhaltungskapazität gecastet und dann mittels „Challenges“ in „arme“ oder „reiche“ Hausteile sortiert, bevor man letztendlich obsiegt oder herausgewählt wird (vgl. Palmer 2002). Die Super- oder Popstar Castingshows allerdings sind eine Mischform: Hier greifen sowohl neuere Foucaultsche Theorien von gouvernementaler Individualisierung als auch ältere Ansätze des früheren Foucaultschen Modells der Disziplinarmacht, die noch ein regulierendes Gegenüber kennt und hauptsächlich auf den Körper zugreift. Denn zwischen dem ersehnten Sieg, der kulturelle Staatsbürgerschaft über ein Tele-Voting qua Volksabstimmung herstellt, liegt der zentrale Filter der Jury. Diese ist eine Disziplinierungsagentur par excellence. Neben musikalischem Talent werden Auftreten, ‚Betragen‘, Outfit beurteilt: „Eins hast du: Du hast deinen eigenen Stil. Aber den find ich absolut scheiße“; „Du hast zwar einen superhübschen Kopf, aber da unten, das musst du anders machen.“; oder ein Missverhältnis zwischen Auftritt und Vortragsqualität: „Das Öl, dass du dir heute in die Haare geschmiert hast, hättest du dir lieber in die Stimme schmieren sollen“. Auf der negativen Seite arbeitet die Jury auf interessante Weise die Alltagserfahrung der KandidatInnen um, nämlich beleidigt zu werden. Originalton Juror: „Das Ding heißt hier nicht: ‚Deutschland sucht die Naturkatastrophe‘“ oder „Das klingt, wie wenn sie dir den Arsch zugenäht haben und oben die Scheisse rauskommt“. Ähnlich rau wie die negative Kritik ist auch die positive. Den KandidatInnen wird nahe gelegt, auf den Rat älterer und erfahrener Menschen zu hören, Selbstdisziplin zu üben und Narzissmen zu unterdrücken. „Ganz die alte Schule“ verkörpert die tough love oder Disziplinarmacht der Jury das Bedürfnis der KandidatInnen, jemandem wichtig genug zu sein, um Objekt einer verbessernden Anstrengung zu werden. Auf gewisse Weise arbeitet DSDS den PISA-Diskurs über die Vernachlässigung von MigrantInnenkindern in den Haupt-

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schulen nach- und um. Während weiterhin auf der politischen Seite wenig oder keine Anstrengungen unternommen werden, die international kritisierte „Bildungsapartheit“ des dreistufigen Schulsystems zu überwinden, die Unterklassen und Migrantenkinder in der Hauptschule „entsorgt“, inszenieren Reality-TV-Formate ein Gegenmodell. Strenge aber kompetente Lehrer reparieren das gesellschaftliche Versagen. Sie tun das allerdings mit altmodischen pädagogischen Mitteln: Es wird Führung gegen das Chaos gesetzt. Damit erfüllen sie gleichzeitig den Wunsch nach Ordnung der Gesamtgesellschaft und stillen die Sehnsucht nach Anerkennung ihrer schwierigen Kinder. „Master of Ceremonies“ dieser Wandlung ist der „Pop-Titan“ Dieter Bohlen. Sein beruflicher Erfolg als Performer, Arrangeur, Musiker und Komponist wird von seiner Krawalligkeit, Unverschämtheit und fossiler Geschlechterpolitik überstrahlt. Als White-Trash-Ikone kommt ihm jedoch trotz persönlichem Reichtum der Platz zu, einen möglichen Schulterschluss der abstammungsdeutschen „Unterklasse“ mit den Kindern der Migration zu orchestrieren.

Emotional Citizenship Neben den hier angesprochenen diskursiven Elementen hat die Casting Show auch eine sachbezogene Aufgabe: die Bewertung von Gesang und Auftreten der Bewerber. Interessant ist zunächst, dass meist auf Englisch gesungen wird. Hier verschwindet auf der performativen Ebene das delikate Verhältnis von „deutsch“ und „nicht-deutsch“. Man kommuniziert in einer dritten Sprache und schließt damit an globale Verständigung an vgl. Cha 2005 und Santos 1999: 217f.).13 Noch wichtiger ist möglicherweise das Nicht-Sprachliche, das emotionale Element jeder Musik. Immer wieder insistiert die Jury darauf, mehr Gefühl und Gänsehaut zu erzeugen. Es scheint, als sei eine Kommunion angestrebt. Oder anders ausgedrückt: Die Nation – schließlich sucht „Deutschland“ den Superstar – vereint 13 Cha diskutiert Englisch als lingua franca in Fatih Akins Werk; Santos’ Überlegungen beziehen sich auf die englische Sprache als Mittel, einen „localized globalism“ herzustellen.

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sich mit ihren „fremden“ Kindern emotional in deren Gesang. Bei den KandidatInnen kommt diese Aufforderung an. Sie legen Tremolo, lange Fermaten, Country-Schluchzen und viel Luft in die Stimme – häufig wird ihnen attestiert, sie hätten Soul. Ihre oft ergreifenden Lebensgeschichten stützen noch zu erarbeitendes Stimmvolumen und Intonation. Das Publikum wird qua Empathie zum Sponsor oder Coach des Kandidaten. Paradigmatisch für diese Entwicklung ist die Karriere des Siegers der vierten Staffel (2007) Mark Medlock. Der damals verschuldete schwule Altenpfleger mit afrokaribischen Wurzeln taumelte mit robustem Charme in seine Überraschungskarriere, enttäuschte aber zunächst durch angeblichen Drogenkonsum und andere Kantigkeiten. Eine konzertierte Aktion des Übervaters und Produzenten Bohlen – der dabei beweisen konnte, dass er nicht homophob ist – und sozialpädagogisch ratender Presse brachte den Superstar dann wieder auf Spur. 2008 wurde er als „Newcomer of the Year“ mit dem renommiertesten nationalen Musikpreis, dem „Echo“, belohnt. Medlock verkörpert auf idealtypische Weise auch Ambivalenzen des Publikums gegenüber dem zu beheimatenden „Anderen“, die zwischen dem Schauer der Fremdheit und dem Komfort des Bekannten liegen: Lokale Anbindung (er spricht hessisch) und Gangsta-Charme (Lieblingsansprache ans Publikum: Ihr Drecksäcke), Blackness (afrokaribischer Vater) und Romantik (Herzeleid wegen Scheidung). Seine wirkliche Kommunion mit dem biodeutschen Publikum aber vollzieht sich mit der immer noch strahlenden Dankbarkeit (z. B. gegenüber DSDS und Bohlen) ob seines kometenhaften Aufstiegs. „Belohnte“ Empathie macht Spender und Empfänger glücklich.

Democratainment Reality TV Formate repräsentieren besagte 18% deutsche Bürger mit Migrationshintergrund nicht nur, sondern sie beheimaten sie auch aktiv. Die Sieger werden plebiszitär durch Tele-Voting bestimmt. „Democratainment“ und Kommerz gehen hier eine glückliche Allianz ein. Pro Staffel greifen etwa 25 Millionen Menschen zum Hörer, was ca. 12,25 Millionen Euro Umsatz bringt. MigrantInnenkinder werden hier buchstäblich per Volks-

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abstimmung von einem erheblichen Teil „Deutschlands“ zum Superstar gekürt. Das Deutschland, das hier wählt, ist jedoch bereits „integriert“, das heißt, viele MigrantInnen halten sich in den unteren Schichten auf. Sie arbeiten und liieren, verpartnern und verheiraten sich mit „Biodeutschen“ der unteren Schichten. Was also in „ihren“ Medienformaten erscheint, ist Alltagserfahrung. Dieser hat besonders das private Fernsehen Rechnung zu tragen, weil sich daraus der Pool der Konsumentengruppen erschließt, der für ihre Werbepartner von Belang ist.14 Dabei ist interessanterweise dem Sender der Abstammungsstatus seiner Klientel gleichgültig. Auf Nachfrage ließ der Sender vernehmen: „Bei der RTL-Marktforschung würden vor allem die Milieus der Zuschauer sowie deren Alter erhoben […] Die Herkunft spielt für Werbekunden keine Rolle“ (vgl. Der Tagessspiegel 15.10 2003). Aus einer solchen Diagnose kann man kritische Schlüsse ziehen und die so entstehende kulturelle Staatsbürgerschaft als eine kapitalistische Strategie der Konsumanreizung lesen, wie Toby Miller (2006), der sie als ausschließlich neoliberales Ideologem zur Produktion von Marktgängigkeit denunziert. Man kann aber auch Hoffnungen in Möglichkeiten des Privatfernsehens als nicht-staatliche Integrationsagentur setzen, die „gelebtes mulitkulturelles Leben“ repräsentiert und mit Träumen ausstattet. RTL wäre damit eine Art nicht-staatlicher Agentur zur Integration, eine NGO, oder genauer gesagt, ein BONGO (Business Oriented Nongovernmental Organization), eine profitorientierte Hilfsorganisation, die Rückständigkeit und Unvoll-

14 Werbung ist die wichtigste Einnahmequelle für DSDS. In der vergangenen vierten Staffel (2007 kostete ein dreißig Sekunden langer Werbespot an einem Samstagabend während der Show satte 76.500 Euro (Quelle: Berliner Morgenpost). Am 16. Februar 2008 fand bei RTL die erste Recall-Runde der fünften Staffel statt. Unter den 14- bis 49-jährigen Zuschauern schalteten 3,6 Millionen die Show ein, das entspricht einem Marktanteil von 31,4 Prozent; DSDS war mit diesen Zahlen klarer Tagessieger bei seiner Zielgruppe; insgesamt erreichte DSDS mit 5,51 Millionen Zuschauern einen Marktanteil von 18,2 Prozent und wurde somit zum Marktführer in der Primetime (Quelle: quotenmeter). http://deutschetv-shows.suite101.de/article.cfm/fernsehgesteuert_dsds_co, abgerufen am 09.06.2008.

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kommenheit eines überholt abstammungsorientierten staatlichen Handelns kompensiert.15 Die oben bereits erwähnten angelsächsischen Medienforscher theoretisieren Kommerzfernsehen dann auch als interessierten Spieler in der gesellschaftlichen Bedeutungsproduktion, oder als „natürliche Repräsentation des Zentrum der Gesellschaft“ (Couldry 2003: 46). Nach dieser Sicht erzeugt das Medium (seine Produzenten und Formaterfinder) jenseits staatsoffizieller Diskurse eigenständig kulturelle Identität „including the construction of citizenship or of membership to the state and national community“ (Turner 2006: 160). Einer spätmodernen Medientheorie jedenfalls stünde es gut an, sich vom Klassendünkel eines Aufklärungsdenkens zu befreien, das nur gebildeten Schichten die nötige Liberalität für Integrationsarbeit zutraut. Man sollte die Sache möglicherweise sogar umgekehrt betrachten und von einem „Meta-Rassismus“ der Eliten sprechen (Dietze 2009: 31 f.), die in öffentlichrechtlichen Medien „Erregungsgemeinschaften“ (Sloterdijk 1998: 42) über so genannte „Ausländerprobleme“ pflegen. Im BONGO Privatfernsehen haben sich ganz jenseits monokulturell elitärer Besorgniskulturen neue Beheimatungsformate entwickelt, die es verdient hätten, stärker ins Zentrum von deutschsprachigen Media Studies zu rücken. Damit soll im Übrigen nicht gesagt werden, dass in den materiell weniger begünstigten Schichten Rassismen und Ausgrenzungen seltener wären oder nicht vorkämen. Es wird nur darauf hingewiesen, dass es in „emotionalen“ Formaten des Privatfernsehens wie den Reality TV Shows eher zu „Beheimatung“ kommt als in

15 Das Acronym BONGO steht für eine Unterabteilung der Familie der NGO (Non-Governmental Organizations). Deren Vorteil als Hilfsorganisationen (Entwicklungs- Katastrophen-, Hungerhilfe) besteht darin, von den Interessen (und möglicher Korruption) staatlicher Strukturen unabhängig zu sein. Der Tatsache Rechnung tragend, dass in den letzten Jahren auch viele Hilfsprojekte kommerzielle Interessen (und Finanzierung) haben, wurde der Begriff BONGO (Business Oriented Non-Gorvernmental Organizations) entwickelt. Wenn hier die deutschen RTL Programme als BONGO bezeichnet werden ist eine Verschränkung von kommerziellem und gesellschaftspolitisch reformerischem Impetus (bezüglich der Migrationsfrage) gemeint.

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den „intellektuellen“ Formaten der öffentlich-rechtlichen Anstalten.16 Außerdem hat Repräsentanz oder besser „Präsenz“ einen performativen Effekt: Mit der „Gewöhnung“ an „Andersheit“ verschwindet tendenziell ihr befremdlicher Charakter.

Postscript: Mehrzad gegen Menowin: „Integrative Muster der Beheimatung“ versus „Interkultur“ DSDS ist neben einem Beheimatungsritual auch eine Verhandlungsbühne, wie Diversität auszusehen hat, welche man sich wünscht und welche „ausgeschieden“ wird. Solche Verhandlungen werden immer mehr in saisontypische Narrationen verpackt, die meist eine Rahmengeschichte und Subplots haben. An Mark Medlock wurde Mehrheitsfähigkeit oder Normalisierung von Homosexualität durchgespielt. Vorherige „queer“ DarstellerInnen wie Daniel Küblböck (Staffel 1) und die Transperson Lorielle London (unter dem Namen Lorenzo Woodard Staffel 2) lockerten mit ihrer gender-bending Ambivalenz die Ernsthaftigkeit des Formats auf. Die offen lesbische Siegerin Elli Erl (Staffel 2) war noch ein kommerziell nicht erfolgreicher Versuchsballon. Über die Figuration Mark Medlock (Staffel 4) gelang es dann, einen identifizierungsfähigen Mix zu inszenieren. Homosexualität war hier eins von mehreren intersektionalen Elementen wie Klasse und Ethnizität. Medlocks schrill-plebejische Divenhaftigkeit verwandelte die bedrohlichen Elemente von „Andersheit“ in Entertainment. Der Sexappeal des „Bad Guy“ wurde durch seine offene Homosexualität gemildert und sein Nicht-Weißsein durch die deutlich hessische Klangfarbe akklimatisiert. Die Meistererzählung der als „Migrantenstadel“ apostrophierten fünften Staffel ging die umgekehrte Richtung. Auch hier gab es einen homosexuellen Subplot, repräsentiert durch den Designer Fady Maalouf mit libanesischem Hintergrund. Die Erzählrichtung allerdings privilegierte die Unterklassenpo16 Zum Unterschied zu „emotionalen“ und „intellektuellen“ Fernseh-Rhetoriken,vgl. Berg/Ridder, 94 f.

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sition: Der ehrliche Rocker Thomas Godoj, mit dreißig Jahren im heroischen Kampf um seine „letzte Chance“ obsiegte im Finish über den deutlich in Oberklassen sozialisierten eleganten Maalouf, der musikalisch eher zu Balladen neigte. Im „Migrantenstadel“ wurde „Integration“ über harte ehrliche Arbeit inszeniert. Die Narration der sechsten Staffel war etwas weniger eindeutig. Zu Beginn schien „Normabweichung“ verhandelt zu werden. So wurden zunächst die großen Stimmen eines übergewichtigen Verwaltungsangestellten und zweier RomaSängerinnen mit schütterer Schulbildung gefeiert. Am Ende siegte aber ein „abstammungsdeutsches“ Teenager-Sweetheart. Am deutlichsten und bislang interessantesten wurde die Verhandlung von Diversität, ihrer „Gefahren“ und den „Integrations“-Möglichkeiten in der siebten Staffel betrieben. In einem Herzschlag-Finale im April 2010 besiegte der DeutschIraner Mehrzad Marashi den Roma Menowin Fröhlich. Ich würde die Meistererzählung dieser Staffel „The Good-Bad-BoyPlot“17 nennen. Niemals standen mehr männliche Protagonisten mit „problematischen“ Vergangenheiten und auf der Bühne. Zwei hatten zum Teil erhebliche Vorstrafenregister. Einer davon, Thomas Orosz, wurde wegen nachweislichem Kokainkonsum noch während der Staffel entlassen. Der zweite, Menowin Fröhlich, hatte eine aussichtsreiche frühere Kandidatur wegen des Antritts einer zweijährigen Haftstrafe abbrechen müssen und begrüßte während der Show seine Mutter, die soeben frisch aus dem Gefängnis nach vierjähriger Haftstrafe gekommen war. Nun ist bekannt, dass männlich-jugendliche Selbstbehauptung und die Aura von Gewalt, die sie begleiten kann, als „vital“ und „sexy“ gilt. Die Popularität „aggressiver“ Musikforma17 Ich beziehe mich hier auf eine Denkfigur der Critical Race Theorie, die sich „bi-polar theory of black masculinity“ nennt, vgl. Cooper 2006. Auf die Position von Afroamerikanern in den USA bezogen bedeutet das, dass die weiße Sicht auf schwarze Maskulinität strukturell ein „Black Beast“ Image pflegt, dass aber eine Akzeptanz erreicht werden kann, wenn schwarze Männer „weiße“ Tugenden „aufführen“. Eine aus demselben Theoriespektrum stammende „Identity Performance Theory“ untersucht, wie unterschiedlich ethnisch markierte Menschen ihre Andersheit „aufführen“ können, vgl. Carbado/Gulati 2000.

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te wie Punk, Gangsta-Rap oder Hip-Hop sprechen für die Attraktivität dieses Bedeutungsraumes. Gleichzeitig ist das Zeichensystem „Bad-Boy“ stark ethnisiert und wird von kulturellen Paniken der normgebenden Mehrheitsgesellschaft begleitet, die insbesondere männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund betreffen. Da ist von sogenannten jugendlichen „Intensivtätern“ die Rede (siehe die Ausweisung von „Intensivtäter“ Mehmet 2007), von Gangterritorien in Hamburg, Berlin und der urbanen Verdichtung um Rhein/Ruhr, die von alarmistischer Medienberichterstattung (auch bei den Privaten) begleitet wird.18 Es entsteht eine Rhetorik unüberbrückbarer kultureller Differenz zwischen einer als rein verstandenen monokulturellen Abstammungsgesellschaft und einer bedrohlich „fremden“ Gruppe (vgl. Jung/Engeler/Böke 2001). Im „Good-Bad-Boy-Plot“ der Staffel von 2010 wurde dieses Feld von Unbehagen der Mehrheitsgesellschaft aufgegriffen. Es wurde ausgetestet, ob die Sexyness des Vitalitätsüberschuss’ junger Männer mit „problematischem“ Hintergrund jetzt „integrationsfähiger“ ist als vor ein paar Jahren oder nicht. Es wurden mehrere Versionen von Bad-Boys angeboten, die sich am Ende aber auf ein Duell zwischen einem Good-Bad-Boy, dem freundlichen, heiratswilligen und probenfleißigen Mehrzad und den Bad-Bad-Boy Menowin, der die Proben verpasste, in dessen näherer Umgebung es zu Partyschlägereien und unbewiesenen Drogenvorwürfen kam. Auch optisch wurden die beiden zunehmend auseinander und gegeneinander inszeniert, zunächst im Farbdesign: Mehrzad bekam beruhigend grüne Töne (die er später mit den Farben des iranischen Voksaufstandes gegen die Mullah-Regierung interpretierte) und Bad-Boy Menowin kaltes Blau. Mehrzad trug die flotten Hüte, die Swing-Revivalists populär gemacht hatten, und häufig glänzende Anzüge und sogar Kummerbund (Lounge-Lizard-Signalement). Menowin dagegen trug Glamour-Riesen-Base-Caps, Blousonjacken und weite Hosen (Gangsta-Rap-Signalement). Bis zur letzten Motto-Show konnte sich das Tele-VotingPublikum für den deutlich raueren Charme und die eigenwillig hohe Stimme Menowins erwärmen. Er hatte stetig mehr Anru18 Zum speziellen Fall dämonisierender Berichterstattung über jugendliche Muslime siehe Paulus 2007.

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fe, zu Beginn sogar doppelt und drei Mal so viele. Im Finale verlor er aber mit nicht unerheblichen 12% Rückstand,19 möglicherweise nicht zuletzt wegen zunehmend schlechter Presse, die angeführt von der BILD-Zeitung opulente Strafregister, drei verschwiegene und nicht alimentierte uneheliche Kinder und die ein oder andere Falschaussage ausgruben. Beinahe jedoch hätte Menowin Fröhlich das Muster trotzdem gesprengt. Kurzfristig sah es so aus, als wäre die strukturelle „Andersheit“ Menowin Fröhlichs aushaltbar. Dieser kann als deutscher Roma keineswegs mit dem nationalen Substitut für „Rasse“ als „Ausländer“ bezeichnet werden, er wird aber trotzdem mit anti-ziganistischem Rassismus als innerer „Ausländer“ markiert. Doch ein, wie ich es nennen möchte, „integratives Muster der Beheimatung“ obsiegte: Good-Bad-Boy Mehrzad gewinnt. „Master of Ceremonies“ Dieter Bohlen bringt das auf den Punkt: „Mehrzad hat geliefert, jede Woche gut bis spitze gesungen – das habe ich immer gelobt. Am Ende wählten ihn die Zuschauer auch wegen seiner ur-deutschen Tugenden: Ehrgeiz, Arbeit und nochmal Arbeit, das kam gut an.“20 „Integrative Muster der Beheimatung“ nehmen „(Abstammungs-)Deutschsein“ als Referenzkultur.21 Menowin Fröhlichs außergewöhnliche Stimme ließ ihm über einen langen Zeitraum ein „window of opportunity“ offen. Ein stark „geanderter“ Bad-Boy konnte wegen seines individuellen Talents trotzdem geliebt werden.22 Aber dann verließ das Publikum der Mut, und den Kandidaten

19 Zahlen in http://www.bild.de/BILD/dsds/2010/04/18/dsdsvoting-ergebnisse/menowin-immer-vor-mehrzad-bis-zumfinale.html, abgerufen am 19.04.2010. 20 Ebd. 21 In der Critical Race Theory spricht man von einem „assimilationist bias“, der als Schwelle für Akzeptanz und Karriere von Minderheiten fungiert, vgl. Yoshino 1998. 22 Dieses „Trotzdem geliebt werden“ scheint mir eines der Energiefelder für die Popularität z. B. des US-amerikanischen GangstaRap auch bei weißem Publikum. Es handelt sich um eine symbolische Integration der „Bösen“ bei gleichzeitigem Wissen um die Verantwortung, die weiße Race-Suprematie für das Elend in den „Inner-Cities“ hat.

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im Schlussspurt die Contenance: Er schrammte mit ein paar Undiszipliniertheiten hart am Rauswurf. Mitgliedschaft verliehen bekommt, wer wie die imaginierte Gemeinschaft Deutschland funktioniert oder seine „Identity Performance“ darauf einstellt. In seinem neuesten Buch Interkultur (2010) hat Mark Terkessidis darauf hingewiesen, dass dieses Deutschland zumindest in den Großstädten schon lange Fiktion ist und die Integrationsanforderung ein Herrschaftsmuster der „Abstammungs“-Bevölkerung ist, die als Anerkennungsagentur „tolerieren“ (ertragen), aber nicht akzeptieren möchte. Terkessidis setzt „Interkultur“ als Gegenbegriff, diese wäre demnach nicht Beheimatung in der „Gleichheit“, sondern eine Bewegung zur Beheimatung in die Vielheit, die der Minderheit keine „Integration“ mehr abverlangt und der „Mehrheit“ Identitätsmodelle jenseits deutscher „Abstammung“ anbietet. Nun möchte ich zum Schluss auf die mehr implizit als explizit verhandelte Frage der Intersektionalität zurückkommen. Die Denkfigur Intersektionalität ist ein Parameter der Analyse von Diskriminierung, aber auch eines der Wertschätzung multipler Identitäten in einer Person. Die hier aufgefächerten inneren Differenzen der Teilnehmer von DSDS auf den Achsen „Rasse“, Klasse, Geschlecht, Sexualität, Nationalität, Religion sind nicht nur Handikaps, sondern auch Chancen. Unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale können an unterschiedliche Fankulturen anschließen. Diese Verbindungen zeigen nicht nur die Vielfalt der „Anderen“, sondern auch, wie vielfältig das als monolithisch missverstandene (Abstammungs-)Deutschsein in sich selbst ist. Die Verbindung vom Spiel der Differenzen und der Idee vom individuellen ganz speziellen Talent, das jenseits aller Identitätskategorien liegt, macht die Casting Shows zum interaktiven Trainingscamp für Diversity.* *

Der vorliegende Artikel basiert auf einer taz-Glosse vom 18.03.08 „Eine Heimat für Migranten: , abgerufen am 18.04.2010, und ist eine aktualisierte und überarbeitete Fassung des Artikels: „Emotional Citizenship. Casting Shows als BONGOS der Integration“, Medienjournal 3, Medienkulturforschung 2008, S. 19-31. Wir danken der Zeitschrift Medienjournal für die Genehmigung zur Weiterverwendung.

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Fiktionalität als Grenzbearbeitung symbolischer Repräsentationen Ein intersektionaler Versuch am Beispiel Star Trek. BRITTA HOFFARTH Fiktionalität als Grenzbearbeitung symbolischer Repräsentationen In ihrem Comic „Dykes to watch out for“ entwarf die Zeichnerin Alison Bechdel Mitte der 1980er Jahre ein pragmatisches Analyse-Raster für Filme, welches diese auf ihre heteronormative Reproduktivität überprüfbar machen sollte. Der BechdelTest, auch bekannt als „The Rule“,1 basiert auf der Beantwortung folgender drei Fragen: • Kommen zwei Frauen in diesem Film vor und haben sie den Zuschauerinnen bekannte Namen? • Sprechen diese beiden Frauen miteinander? • Sprechen sie über etwas anderes als einen Mann? Auf verschiedenen Seiten im WWW wird darauf verwiesen, dass trotz der einfach erscheinenden Fragen, zahlreiche Hollywood-Produktionen an einer positiven Beantwortung dieser

1

Vgl. http://www.npr.org/templates/story/story.php?storyId= 94202522>.

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Fragen scheitern.2 Auf ironisch-spielerische Art wird im Comic implizit darauf verwiesen, dass mediale Texte über das unmittelbare Vergnügen der Unterhaltung hinaus kulturelle Texte darstellen, welche auf performative Weise mit ideologischen Bedeutungen aufgeladen sind und Bedeutungen zirkulieren lassen. „The Rule“ verdeutlicht dies am Beispiel von Geschlechterrepräsentationen. Der Test geht davon aus, dass audiovisuelle Inszenierungen des Mediums Film eine Norm der Zweigeschlechtlichkeit zitieren, welche auf einer biologisch begründeten Unterscheidung zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit basiert. Darüber hinaus geht der Test davon aus, dass sie dies in einer speziellen Weise tun: Sie inszenieren die Geschlechter unterschiedlich, indem sie sie in unterschiedlicher Weise sichtbar machen, etwa über Quantität: In den meisten HollywoodFilmen etwa ließe sich die erste Frage in dieser Form verneinen, während sie anders gestellt (kommen zwei Männer vor, deren Namen bekannt sind?) meist bejaht werden könnte. Sind Männer bzw. als männlich rekonstruierbare Figuren im Film etwa sichtbarer? Und warum erscheint Sichtbarkeit als bedeutsames politisches Moment in einer feministisch interessierten, heteronormative Ordnungen kritisch befragenden Auseinandersetzung mit popkulturellen Medien? Der Begriff, mit dem das Phänomen der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit audiovisueller Medien in diesem Beitrag bearbeitet werden soll, ist der der Repräsentation. Stuart Hall hat den Begriff der Repräsentation aus Perspektive der Cultural Studies zu einem Instrument entwickelt, welches die Beziehung zwischen kultureller Bedeutung, Bezeichnung und Bezeichnetem kritisch untersucht. „Culture is about shared meaning“ (Hall 2001: 1), Kultur ist der Raum, in welchem – über Sprache, Medien, alltägliche Handlungsvollzüge – Bedeutungen zirkulieren, kommunikativ geteilt, vergewissert, affirmiert, verschoben werden. Es geht Hall in diesem semiotisch inspirierten Verständnis von Kultur wesentlich um den Prozess des Doing Meaning (vgl. Machold 2007): der Verbindung von Ideen (im Sinne von Vorstellungen) und Zeichen (Sprache, Bilder). In die2

Vgl. z. B. ,

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sem Verhältnis entstehen im kulturellen Raum legitime und illegitime Sag- und Sichtbarkeiten. Verschiedene Stile und Lebensweisen betreffend grenzen Sagbarkeiten Felder dessen ein, was legitim gesagt werden kann, und Sichtbarkeiten, was legitim gelebt werden kann. Kultur in diesem Sinne entfaltet sich als eine Landkarte kultureller Möglich- und Wirklichkeiten. Medien und besonders fiktionale Medien spielen bei der kulturellen Verhandlung legitimer Lebensweisen, Identitätskonstruktionen und sozialer Praxen als Produzenten kultureller Bedeutungen und Deutungslogiken eine bedeutsame Rolle. Wie der Bechdel-Test ironisiert andeutet, erzeugen Sichtbarkeiten in einer steten Bewegung der différance (vgl. Derrida 1988) immer auch Unsichtbarkeiten. Der erkenntnistheoretische Begriff der différance beschreibt, „dass die Bewegung des Bedeutens nur möglich ist, wenn jedes sogenannte ‚gegenwärtige‘ Element, das auf der Szene der Anwesenheit erscheint, sich auf etwas anderes als sich selbst bezieht“ (Derrida 1988: 42). Im Sichtbaren ist somit das Unsichtbare als das andere des Sichtbaren immer schon angelegt. Dieses Unsichtbare allerdings ist fiktional, es bedarf immer einer Imagination qua kulturell begründeter Differenzierung, einer von den Subjekten gewussten Ordnung sowie einem Vollzug von Praxen der Differenz. Der Beitrag stellt einen Versuch dar, medialen Praxen der Un/Sichtbarmachung ein wenig auf die Spur zu kommen. Dabei interessieren vor allem symbolische Repräsentationen, die unter intersektionaler Perspektive methodisch erarbeitet und theoretisierend diskutiert werden sollen.

Intersektionalität: Praxen der Ungleichheit (aufspüren) Im vorliegenden Beitrag geht es darum, den Ansatz der Intersektionalität, wesentlich orientiert an von Winker und Degele (2009) ausgeführten Ideen, in Beziehung zu der literarischen Form der Science-Fiction als einem speziellen Genre medialer Texte zu setzen. Eine solche In-Verhältnissetzung kann auf mindestens zwei Arten geschehen: Sie kann, erstens, in eine methodische Betrachtung münden, etwa heuristisch durchgeführt am Beispiel einer analytischen Auseinandersetzung mit

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Science-Fiction-Texten. Sie kann, zweitens, in der Figur einer methodologischen Befragung stattfinden, die sich damit beschäftigt, inwiefern eine In-Verhältnissetzung von intersektionaler Perspektivität und medialem Text möglich und fruchtbar sein könnte. Vor dem Hintergrund der aktuellen, besonders durch method(olog)ische Fragen gekennzeichneten Diskussion von Intersektionalität als Ansatz qualitativer Sozialforschung, erscheint die Figur methodologischer Reflexion als einem methodischen Zugang notwendig vorgeschaltet. Anhand der Science-Fiction-Fernsehserie Star Trek soll ein Beispiel eines methodischen Ansatzes exkursiv angeschlossen werden, um die ersten Überlegungen zu illustrieren sowie Impulse eines kritischen Weiterdenkens zu ermöglichen. Der Begriff der Intersektionalität beruht auf der Idee, dass die Verortungen der Subjekte, diese sozialen, kulturellen, gesellschaftlichen, epistemischen Orte, sich metaphorisch als Achsen oder Kreuzungen beschreiben lassen (vgl. etwa Klinger 2008: 38). Diese Bilder greifen auf, dass die Subjekte an diesen Orten verschiedenen strukturellen wie individuellen Ansprüchen ausgesetzt sind, welche sie als widersprüchliche, zerrissene, unentschiedene, verschobene Subjekte entstehen lassen. Diese Metaphern bleibe weitgehend unzureichend, denn die Achsen oder Kreuzungen liegen sowohl in den Subjekten als auch außerhalb. Was diese Metaphern einzufangen und wiederzugeben versuchen, ist ein mehrdimensionales Bild (der Erfahrung) von Differenz. Differenz kann mit Löw als spezieller Modus einer Beobachtung von Phänomenen sowie einer „Erklärung von Welt“ (Löw 2001: 122) verstanden werden. Dieser Modus nimmt, wie einleitend verdeutlicht wurde, soziale Verhältnisse unter einer bestimmten Schwerpunktsetzung auf soziale Praxen der Unterscheidung in den Blick. In dieser Form fasst der Modus Differenz das unterscheidbare In-der-Welt-Sein der Subjekte als sozial und kulturell hervorgebracht. Müller verdeutlicht in ihrer sozial-historischen Beschäftigung mit den Differenzkonzepten Geschlecht und Ethnie, dass kulturell hervorgebrachte Differenzen nicht egalitär betrachtet werden können, sondern als historisch zu situierende dominante Deutungsmuster verstanden werden müssen (vgl. Müller 2003: 139). Differenz ist also nicht gleich Differenz, sondern eine

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Praxis. Praxen der Differenz erzeugen strukturell wirksame Differenzkategorien, welche individuell massive Benachteiligungserfahrungen hervorbringen. Differenz also ist der Effekt von Praxen der Unterscheidung, soziale Ungleichheit der Effekt einer symbolischen Überformung dieser Unterscheidungen. „Gewiss bestimmt das Sein das Bewusstsein. In diesem Sinn sind die Kategorien Rasse, Klasse und Geschlecht wichtige, wenn nicht überhaupt die wichtigsten Faktoren gesellschaftlicher Positionierung. Die Zugehörigkeit zu einem durch geschlechtliche, ethnische und klassenspezifische Merkmal bestimmten Kollektiv prägt Existenz und Identität, Fremd- und Selbstwahrnehmung der Person. Aber das Sein bestimmt das Bewusstsein nicht eins zu eins, wie Evelyn Gwenn feststellt: ‚...one cannot make a direct connection between particular structural conditions and specific forms of consciousness, identity, and political activity‘“ (Klinger 2008: 39).

Beim Versuch einer Theoretisierung von Ungleichheit geht es jedoch nicht allein um das Sprechen über Bewusstsein und Erfahrung. Vielmehr gilt es, eine Perspektive zu entwickeln, welche Subjektkonstitutionen in ihren handlungsermöglichenden und verunmöglichenden sozialen Zusammenhängen beschreibbar macht sowie eine plausible Kritik an den Logiken der Verunmöglichung von Handeln sowie Sein übt. Ungleichheit theoretisierende Ansätze gehen davon aus, dass diese Logiken sich entlang von Kategorien wie Geschlecht oder Ethnizität rekonstruieren lassen. Diese Logiken des Denkens, Sprechens, Repräsentierens aktualisieren (auch sexistische, rassistische) Wissensformen und Alltagspraxen als dominante Bedeutungen im „circuit of culture“ (Hall 2001: 1). Es geht in einer kritischen Intervention also auf theoretischer und auf methodischer Ebene um Signifikationen im Sinne von Bezeichnungen, um Artikulationen im Sinne diskursiver Effekte, um Repräsentationen im Sinne von Sichtbarkeiten: um das ernsthafte Spiel des Zuweisens von symbolischer Bedeutungen. Ein Ansatz, welcher von Intersektionalität ausgeht, interessiert sich für die Erfassung und Beschreibung der Verschränkung riskanter Disponiertheiten in den Subjekten. Riskant disponierte Subjekte erfahren strukturell bedingte Diskriminie-

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rungen als individuelle Verunmöglichungserfahrungen ihres als singulär erlebten in-der-Welt-Seins. Soziale Ordnungen, welche diese Erfahrungen bedingen, ereignen sich im praktischen Vollzug rassistischer, sexistischer, bodyistischer Praxen. „In allen Formen sozialer Disparität haben wir es mit der Verschränkung von diskriminierendem sozialen Handeln und gesellschaftlichen Benachteiligungsstrukturen zu tun“ (Becker-Schmidt 2008: 112).

Walgenbach et al. fassen das Projekt Intersektionalität wie folgt zusammen: Es geht ihnen „um die Frage, wie Kategorien sozialer Ungleichheiten, Marginalisierungen und Normalisierungen, etwa Gender, Ethnizität, ‚Rasse‘, Sexualität, Klasse/Schicht, Nation, Alter, Religion, Lokalität in analytisch produktiver Weise zusammengedacht werden können“ (Walgenbach et al. 2007: 7).

Die Autorinnen beschreiben das Konzept der intersections, also der Idee, dass es sich um Überkreuzungen von strukturell bedingten und individuell durch kulturelle Praxen hervorgebrachte Benachteiligungserfahrungen handelt, als „Begriffsintervention“ (Walgenbach 2007: 8). Der Begriff der intersection, der Kreuzung, ist demnach nicht rein deskriptiv. Intersektionalität muss als analytisches Instrument verstanden werden, das das Phänomen der Ungleichheit beschreibt, erfasst, kritisch bearbeitet. Es geht also nicht nur um eine Theoretisierung von Ungleichheiten hervorbringende Differenzen, sondern auch um eine Methodik für empirische Untersuchungen (vgl. Walgenbach et al. 2007: 9). Mit ihrem Begriff der Interdependenzen fokussieren Walgenbach et al. weniger eine Metaphorik der Überkreuzung von Machtachsen, sondern vielmehr die Verhältnissetzungen, welche die Grundlage für Praxen der Unterscheidung und damit Praxen der Ungleichheit hervorbringen. Die folgenden Ausführungen lehnen sich neben anderen Zugängen wesentlich an die von Winker und Degele herausgearbeitete Idee der Analyse von Repräsentationen an, welche im Zusammenhang einer ungleichheitssensiblen Analyse von (fiktionalen) Medien fruchtbar gemacht werden soll. Der Ansatz der Autorinnen soll einleitend kurz und allein in seiner Rele-

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vanz für die Frage nach Praxen der Repräsentation in fiktionalen Medientexten vorgestellt werden. Der wesentlich soziologisch geprägte Diskurs, welcher sich aktuell mit dem Konzept der Intersektionalität befasst, bearbeitet sowohl begriffliche Fragen eines Theorieansatzes der Intersektionalität als auch methodologische Fragen eines Analyseansatzes der Intersektionalität, welche in ihrer Bearbeitung wesentlich voneinander abhängen. Dies wird indirekt bei Winker und Degele deutlich: „Zwar sind in der Fassung, wie es seit einigen Jahren in die deutschsprachige Diskussion sickert, vor allem Wechselwirkungen zwischen den ungleichheitsgenerierenden Kategorien Geschlecht, Klasse und Rasse gemeint; Kategorien wie Sexualität, Alter, (Dis-)Ability, Religion oder Nationalität sind aber prinzipiell integrierbar. Ziel ist dabei die umfassende theoretische und vor allem empirische Analyse, welche Bedeutungen verschiedener Differenzkategorien bei Phänomenen und Prozessen unterschiedlichster Art haben“ (Winker/Degele 2009: 11).

Das Zitat verdeutlicht eine zentrale Schwierigkeit von Theorien der Ungleichheit: Mit dem Konzept Differenzkategorien zu arbeiten ist mit der Schwierigkeit verknüpft, Kategorien zu benennen und damit zu reproduzieren (vgl. Barlösius 2005: 15). Der Begriff der Kategorie bezeichnet ein Mengenverhältnis: Eine Menge vornehmlich signifizierbarer Elemente lässt sich von anderen Mengen anhand bestimmter Kriterien unterscheiden. Aus diesem Grund stellt der Begriff der Kategorie bzw. Differenzkategorie gewissermaßen eine erkenntnistheoretische Verlegenheitslösung dar. Der Begriff zielt darauf ab, den Effekt der Praxen der Unterscheidung zu beschreiben, die sich essentialisierend auf Konstrukte wie Geschlecht, Ethnizität oder Körper3 beziehen. In der Benutzung des Begriffes der Differenzkatego-

3

Ein Problem, mit dem Begriff der Differenzkategorie zu arbeiten, besteht darin, nicht allein die Kategorien abschließend beschreiben zu können, sondern dass darüber hinaus auch immer andere Differenzen, Kategorien, Lebensformen etc. nicht eingeschlossen werden. Winker und Degele verweisen auf Momente der deutschsprachigen Diskussion, in welcher verschiedene Begriffe in verschiedenen Mengen vorgeschlagen werden, um Differenzen beschreibbar zu machen (vgl. Winker/Degele 2008: 15).

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rie geht es also nicht darum, Gruppen aufgrund der gemeinsamen Merkmale der ihnen naturgemäß zugehörigen Elemente als fix zu definieren. Vielmehr geht es um die Idee, dass Praxen der Diskriminierung diese Idee referieren und zu Benachteiligungserfahrungen führen, welche strukturell als Verunmöglichung sozialer Teilhabe an kulturellen Ressourcen sowie individuell als biographisch relevante Verletzungen zu verstehen sind. Winker und Degele differenzieren drei Analyse-Ebenen: 1. die sozialstrukturelle Ebene, 2. die Ebene symbolischer Repräsentation und 3. die Ebene sozial konstruierter Identitäten (vgl. Winker/Degele 2009: 19-21). Diese analytische Differenzierung erscheint insofern von Bedeutung, als die in anderen Ansätzen eingenommenen Perspektiven das Verhältnis von Strukturen, Subjekten und Praxen nur unzureichend erfassen. „Auf der Strukturebene geht es um die Einbindung sozialer Praxen in strukturelle Herrschaftsverhältnisse“ (Winker/Degele 2009: 27): Geschlecht etwa beschreibt „als soziale Strukturkategorie“ (Bednarz-Braun/Heß-Meining 2004: 39) ein gesellschaftliches Ordnungsmoment, welches die Machtverhältnisse über die Unterscheidung von Subjekten und damit bestimmte Unterdrückungs- und Benachteiligungsverhältnisse organisiert. Dieses Ordnungsmoment materialisiert sich symbolisch in Ideen, Ideologien, Normalitäten diskursiv (und) legitimiert (sich) als ‚Wahrheiten‘ über Subjekte. Diese kulturell als Wahrheiten inszenierten Be-Deutungen zirkulieren in einem System institutionalisierter Legitimierungspraxen. Verdeutlicht werden kann dies etwa am Beispiel des vergeschlechtlichten Körpers durch eine sich performativ auf die Idee der Zweigeschlechtlichkeit berufenden Modeindustrie. Die Idee materialisiert sich in unterschiedlichen Konfektionsgrößen oder Bezeichnungen (vgl. Lehnert 1998: 8). Mit Bublitz lässt sich diskurstheoretisch festhalten: „In der Verschränkung (multi-)diskursiver Ordnungskategorien und institutioneller Praktiken verfestigen sich diskursive Praktiken zu Mustern heterogener Wirklichkeitskonstruktionen und materieller Strukturen, die sich den Anstrich zeitloser Wahrheiten geben. Es ist die Materialität der Diskurse, die den Dingen, den Körpern und den Subjekten über die Zu-

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weisung einer spezifischen Bedeutung hinaus, eine gesellschaftliche, gleichwohl aber naturalisierte Existenz verleihen“ (Bublitz 2003: 11).

Repräsentationen: Möglichkeitsräume Winker und Degele „unterscheiden [...] auf der Strukturebene kapitalistischer Gegenwartsgesellschaften vier Herrschaftsverhältnisse entlang der Kategorien Klasse, Geschlecht, Rasse und Körper, nämlich Klassismen, Heteronormativismen, Rassismen und Bodyismen“ (Winker/Degele 2009: 38). Auf die Ebene der Praxen, der Produktion von Wahrheiten über Subjekte bezogen, bedeutet dies „Diskriminierungen aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion und der Weltanschauung fallen unter Rassismen, aus Gründen des Geschlechts und der sexuellen Identität unter Heteronormativismen und aus Gründen einer Behinderung und des Alters unter Bodyismen“ (Winker/Degele 2009: 41).

Diskriminierungen stellen besondere Ausdrucksformen sozialer Praxen der Unterscheidung dar. Sie werden als Facetten der intersektionalen Analysekategorie „Repräsentationsebene“ verstanden. Hier geht es um die Konstruktion symbolischer Bedeutungen über das Sichtbarmachen kultureller Normalitätserwartungen und -einforderungen. Winker und Degele formulieren unter dieser Perspektive als eine zentrale Frage z. B. an Selbstbeschreibungen in (biographischen) Interviews: „Auf welche Kategorien beziehen sich die Akteur_innen bei ihren Subjektivierungsprozessen?“ (Winker/Degele 2009: 67). Mit dem Versuch, empirisches Material interpretativ zu entschlüsseln, wird nicht die Erkenntnis eines Bewusstseins erzeugt, sondern vielmehr die Erkenntnis, inwiefern Strukturen normativer Wahrheiten (über Subjekte) in sozialen Praxen diskursiv relevant gemacht werden und welche Formen der diskursiven Repräsentation der Artikulation bestimmter normativer Vorstellungen über Subjekte im entsprechenden Kontext praktikabel erscheinen. Struktur kann sowohl als Moment sozialen Handelns ebenso wie als ein Moment sozialer Ordnung verstanden werden (vgl. Winker/Degele 2008: 70). In dieser praxe-

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ologischen Perspektive geht es um eine politische Setzung, in der weder das Subjekt noch die sozialen Ordnungen einander determinieren. Handeln und Ordnungen wechselwirken vielmehr dialektisch: „Strukturen bilden ermöglichende und begrenzende Rahmen für die Konstruktion und Inszenierung von Identitäten“ (Winker/Degele 2008: 74). Weiterführend bedeutet dies: Strukturen in Form von kulturell institutionalisierten Normalitätserwartungen artikulieren sich in Form von Hörund Sichtbarkeiten, in Repräsentationen und umgekehrt: „Repräsentation bilden Strukturen nicht einfach ab. Vielmehr stellen sie den normativen Möglichkeitsraum ihrer Legitimität und Legitimierung zur Verfügung“ (Winker/Degele 2008: 77).

Dabei bleiben diese Strukturen nicht abstrakt und unstrittig. Vielmehr werden sie im Leben der Akteur_innen wirksam, sie werden in Form von Repräsentationen plausibel und inkorporieren sich in Form von Gewusstem und Gefühltem. Im Rückschluss bedeutet dies: Die Artikulation bzw. Inszenierung von Identitäten durch Selbstbeschreibungen von Akteur_innen aktualisieren Strukturen (affirmativ oder widerständig), sie bedienen sich in ihren Performances lesbarer Repräsentationen, wiederholen oder unterlaufen diese, setzten sich jedoch mindestens in ein Verhältnis zu ihnen. Der Begriff Repräsentation beschreibt im Alltagsgebrauch Phänomene der Stellvertretung, Abbildung oder Darstellung – d. h. etwas Konkretes steht für etwas anderes. In Anlehnung an Stuart Hall (2001) wird die Idee der Repräsentation als Stellvertretung gleichwohl kritisch verwendet: Repräsentation ist nie gelingende Stellvertretung, da sie das Vertretene immer auch verfehlt. Repräsentation wird in diesem Sinne als Praxis verstanden, welche die Idee der Vertretung erst ermöglicht (und naturalisiert). Repräsentation kann im Anschluss an diese Kritik als analytisch-begriffliche Schärfung eines Konzepts gefasst werden, welches das prozessuale Moment des Hervorbringens von Bedeutung in seiner sozialkonstruktiven Funktion erfasst. Um den Konstruktionsprozess des kulturellen Doing Meaning (vgl. Machold 2007) zu konkretisieren, nutzt Hall das Beispiel der Ampel, in welchem die durch physikalische Lichtbrechung er-

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zeugte und körperlich wahrgenommene Farbspektren eine soziale Bedeutung gewinnen, da sie (in einem kulturellen Habitualisierungsprozess als selbstverständlich übernommen) mit Verhaltensnormen verknüpft werden (vgl. Hall 2001: 26). Das rote Licht der Ampel bedeutet mir als Fußgängerin, am Rand der Straße stehen zu bleiben, es repräsentiert die Norm des Wartens an einer befahrenen Straße. Wesentlich für Hall ist dabei, dass die Bedeutung arbiträr ist, das heißt, sie ist nicht notwendig mit dem Zeichenträger Rot verbunden: „’Arbitrary‘ means that there is no natural relationship between the sign and its meaning or concept“ (Hall 2001: 27). Dieses Moment der Arbitrarität ist das Moment, in welchem die Dekonstruktion der naturalisierten Beziehung von Zeichen und Bedeutung ansetzen kann. Eine Dekonstruktion erscheint notwendig, um Naturalisierungen von Zeichen-Bedeutung-Beziehungen zu denaturalisieren und in einem weiteren Schritt alternative Beziehungen zu entwickeln. Ein intersektionaler Ansatz erscheint somit produktiv, da er spezielle Ungleichheiten hervorbringende Bedeutungssetzungen ins Visier nimmt. Nach diesem Verständnis erscheint es sinnvoll, Medien einer intersektionalen Analyse zu unterziehen, da Medienkulturelle Bedeutungen beschleunigend normalisieren. Verschiedene Medien stellen auf unterschiedlichen Materialien und auf unterschiedliche Art und Weise Motoren im kulturellen Zirkel (vgl. Hall 2001: 1) dar. Die folgenden Überlegungen befassen sich, wie eingangs angekündigt, speziell mit fiktionalen Medien. Sie werden konkretisiert am Beispiel Star Trek.

Fiktionale Medien Die US-amerikanische Fernsehserie „Star Trek – The Next Generation“ (dt. „Star Trek – Das nächste Jahrhundert“) stellt die zweite von fünf Star-Trek-Fernsehserien dar, welche zwischen 1972 und 2005 im deutschsprachigen Fernsehen ausgestrahlt wurden. Die Serie „The Next Generation“, im Folgenden TNG, erzählt in einzelnen Episoden mit etwa 45 Minuten Länge Geschichten der Besatzung des Raumschiffs Enterprise. Von 1987 bis 1994 wurden 177 Episoden über die Enterprise, ihren Captain Jean-Luc Picard und seine Crew gedreht. TNG entwickelt

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sich zur „bisher erfolgreichsten SF-Serie in der Geschichte des Fernsehens“ (Rauscher 2003: 138). Aufgrund ihrer Popularität stellt die Serie ein interessantes Untersuchungsfeld dar, wenn davon ausgegangen wird, dass popkulturelle Medien für die Verhandlung kultureller Bedeutungen eine zentrale Rolle spielen. Was macht populäre Texte erkenntnistheoretisch so interessant? Fiktionale Alltagstexte wie Comics, Popsongs oder Fernsehserien4 stellen einen besonderen „space of representation“ der „rich, narrative popular world“ dar (Hall 2001: 9). Sie sind über die Ordnungskategorie Geschmack (vgl. Bourdieu 1982) ins Leben der Individuen integriert und zirkulieren dort kulturell verhandelbare Bedeutungen. „Popular texts are to be used, consumed, and discarded, for they function only as agents in the social circulation of meaning and pleasure“ (Fiske 2006: 123).

Populäre fiktionale Texte zirkulieren als Agenten – nicht als Produzenten, wie Fiske deutlich macht – von DeutungsAngeboten und lassen diese in Alltagsdiskurse einsinken. Winker und Degele weisen mit Butler darauf hin, dass Identitätskategorien in der Funktion von Selbstbeschreibungen nie nur deskriptiven, sondern immer auch normativen Charakter besitzen (vgl. Winker/Degele 2008: 81). Selbstbeschreibungen können im Sinne eines biographie-orientierten Ansatzes als Narrationen verstanden werden, durch welche ein Selbst als erkennbar und vor allem von anderen abgrenzbar zum Erscheinen gebracht wird. Sprache stellt hier das zentrale Medium der Inszenierung dar. In Bezug auf audiovisuelle Medien lässt sich im Anschluss hieran konstatieren, dass hier ebenfalls mit Sprache, darüber hinaus auch mit Bildern in Szene gesetzte Narrationen ebenso nie nur deskriptiv sein können, sondern ihre Deskriptivität und damit Intelligibilität immer auch normative Setzungen impliziert. Wissenschaftliche Beschäftigung mit Medien finden immer an den Rändern plausibler Argumentationen der Erkenntnis4

Populäre fiktionale Texte sind hier in Abgrenzung etwa zu faktualen Texten, wie z. B. Nachrichtenberichten oder Kunst, als Ausdruck hochkultureller Texte (vgl. Gledhill 2001: 349) zu verstehen.

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theorie statt (vgl. Hoffarth 2009: 30f): Medien werden Gegenstand wissenschaftlicher Beobachtung, sobald sie prekär werden (vgl. Leschke 2003: 22). Prekär erscheinen Medien dann, wenn sie sich der Realität, wie der Mensch sie empfindet, nämlich als authentisch und wahr, in ihrer Funktion sinnlicher Repräsentativität anzunähern scheinen, wie dies etwa im Fall des audiovisuellen Mediums Fernsehen geschah. Mediale Texte sind auf spezifische Weise von der Autorität eines legitimen Sprechers sowie Raum und Zeit (der Rezeption) gelöst. Ein audiovisueller Text, etwa die Episoden der ScienceFiction-Serie Star Trek, aber auch jeder andere medial vermittelte Text, ist wesentlich durch die Abwesenheit einer autorisiert Sprechenden charakterisiert. Damit geht eine Entkoppelung des Textes von der Autorität des sprechenden Subjekts sowie von Räumlichkeit und Zeitlichkeit des Erzählten und Erzählzusammenhangs (letzteres vor allem durch die technologische Entwicklung der DVD und ähnlicher Möglichkeiten der Datenspeicherung, welche die potentiell unendliche Wiederholbarkeit der Episode und damit ihre Lösung von speziellen Rezeptionssettings ermöglicht) einher. Der Text ereignet sich gleichwohl ähnlich körperlich-sinnlichen Erfahrungen durch eine im Augenblick situierte, durch Flüchtigkeit gekennzeichnete Erlebnisdimension sowie durch eine über den Moment hinausweisende, Fortdauern verheißende Dimension der technologisch bedingten Wiederholbarkeit. Das Ereignis des Textes, das Zusammenwirken seiner auditiven und visuellen Signifikanten erscheint präsent, unmittelbar, wirklich und sinnlich erfahrbar. „Der Text selbst überschreitet in diesem Moment die Grenze des televisuellen Mediums“ (Hoffarth 2009: 141). Im Code des fiktionalen Textes lässt sich mit Zipfel eine gezielt „verfolgte Illokutionsabsicht“ (Zipfel 2001: 36) erkennen, performativ gibt der Text Hinweise darauf, dass er als fiktional zu deuten ist. Fiktionale Texte sind nun insofern besondere Texte, als sie einer Vereinbarung mit dem Leser bedürfen, als wahr, als wirklich und möglich gelten zu dürfen. Vier (für eine an kulturellen Praxen der Be-Deutung interessierte Perspektive) bedeutsame Dimensionen der Markierung von Fiktionalität sollen im Folgenden vorgestellt werden.

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1. Im Text sowie im ihn begleitenden Kontext muss dafür Sorge getragen werden, dass dieser als ein spezifischer Text erkennbar bleibt. Peritexte, also der Narration vor- oder nachgelagerte Texte, wie etwa die Genre-Bezeichnung Science-Fiction können als „Illokutionsindikatoren“ (Zipfel 2001: 57) bezeichnet werden, die etwas darüber aussagen, auf welche Art und Weise der Lesende den Text deuten soll; auf welches Plausibilisierungsmoment er zurückgreifen soll, um den Text als verstehbar und seiner Deutung zugänglich herzustellen. Hier geht es um eine Idee von Text-Verstehen, die auf der semiologischen Setzung beruht, dass der Text eine kulturelle Lesbarkeit (und damit auch identifizierbare Identität) im Moment der Abgrenzung von anderen Texten erlangt. 2. Ein weiteres Charakteristikum der Fiktionalität besteht darin, dass die „Präsuppositionalstruktur natürlicher Sprache nicht gegeben“ (Zipfel 2001: 68) ist, also die Bedingung, dass „referierende Ausdrücke wie Eigennamen und Kennzeichnungen auf tatsächlich existierende Objekte Bezug nehmen, nicht erfüllt ist“ (ebd.). Dass dies ein absichtsvoll eingesetztes Stilmittel darstellt, unterscheidet einen fiktionalen Text wesentlich von nicht-fiktionalen Texten wie Zeitungs- oder Erlebnisberichten. 3. Auf der Basis dieses Stilmittels, auf nicht existierende Objekte zu verweisen, werden die Parameter Ereignisträger, Ort und Zeit zu bedeutsamen Kriterien, welche die Unterscheidung von fiktionalen oder nicht-fiktionalen (Momenten von) Geschichten auf der Basis kulturellen Wissens ermöglichen. Am Beispiel Star Trek: Auf der Basis ihres Erfahrungswissens entscheidet die Zuschauer_in, dass der Klingone Worf nicht existieren kann, da nichts in ihrer Lebenswelt darauf hinweist, dass es Klingonen wirklich gibt5.

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Die Unterscheidung Wirklich und Nicht-Wirklich wird von den medienerfahrenen Individuen erlernt. Sie basiert auf gesellschaftlichem Wissen über diskursiv legitimierten Tatsachen und Wahrheiten, die von den Individuen gewusst werden können. Ebenso wie es also Konventionen gibt, die das Wirkliche als solches sichtbar werden lassen, existieren Konventionen, die das Fiktionale als in einem bestimmten historischen Zusammenhang als legitim fiktional markieren.

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„Fiktive Geschichten bestehen aus fiktiven Ereignissen. [...] Man kann nicht-wirkliche Geschichten dahingehend unterscheiden, ob sie nach der geltenden Wirklichkeitskonzeption als möglich oder als nicht-möglich angesehen werden“ (Zipfel 2001: 8).

Unter Ereignisträgern versteht man z. B. die mit möglichen oder nicht-möglichen Eigenschaften ausgestatteten Figuren einer Geschichte. Auch für die Kategorien Ort und Zeit existieren Konzeptionen, mögliche und nicht-mögliche Orte und Zeitpunkte, Zeiträume und Zeitverhältnisse, die kulturell als mögliche und nicht-mögliche gewusst werden. „Die Fiktivität der Geschichte eines Erzähltextes kann [...] nicht nur auf möglichem Nicht-Wirklichen beruhen, sondern auch auf NichtWirklichem, das im Rahmen der Wirklichkeitskonzeption als nichtmöglich anzusehen ist“ (Zipfel 2001: 84).

Der Text sendet also Fiktionssignale, die es ermöglichen, einen Text als fiktional zu lesen und damit von nicht-fiktionalen zu unterscheiden. Zipfel unterscheidet zwischen textuellen und paratextuellen Fiktionssignalen. Textuelle Fiktionssignale lassen sich zu erst auf der Ebene der Erzählung ausmachen und werden dann Fiktivitätssignale genannt. „Wenn in der Geschichte einer Erzählung sich Dinge ereignen, die nach den Vorstellungen der herrschenden Wirklichkeitskonzeption als nicht möglich angesehen werden müssen, wird der Leser die erzählte Geschichte als fiktiv ansehen und damit den Erzähl-Text als fiktionalen rezipieren“ (Zipfel 2001: 234).

Zum zweiten zeigen sich textuelle Signale der Fiktion auf der Ebene des Erzählsettings (vgl. Zipfel 2001: 235), hier Fiktionalitätssignale genannt. Paratextuelle Signale, die eine Einstufung des Textes als fiktional zulassen, wie etwa Titel, Untertitel, Gattungsbezeichnung, Vorwort etc. (vgl. Genette 1989, Martinez/Scheffel 2009: 16) sind als Fiktionalitätssignale einzustufen6. 6

Hempfer setzt dem Erkennen und Verstehen von fiktionalen Texten Kompetenzen voraus: „Fiktionssignale sind kommunikativ relevant und damit notwendig historisch variabel, sie garantie-

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4. Doch dem Rahmen Darstellung (von Nicht-Wirklichem und Nicht-Möglichem) sind auf mindestens zwei Arten Grenzen gesetzt. 1. Fiktionale Geschichten sind nie nur fiktional. Um verstehbar zu sein, müssen immer auch als wirklich und möglich erkennbare Elemente integriert werden. 2. Das Spiel mit der Differenz von Nicht-Wirklichem/Nicht-Möglichem und Wirklichem und Möglichem zitiert ein Spannungsmoment von Kommunikation, in dem es wesentlich um die kulturelle Verhandlung von Plausibilität geht. Plausibilität ist weniger ein essentielles Moment von Behauptungen, sondern eine performative Artikulation von Subjektdispositionen (von denen aus legitim gesprochen werden kann) sowie sozialer Ordnung (welche legitime und illegitime Sprecherpositionen erkennbar ordnet, reproduziert etc.). Fiktionale Geschichten können als Moment eines kulturellen Spiels verstanden werden. Während etwa wissenschaftliche Diskurse als Praxen der Plausibilisierung des Wirklichen verstanden werden können, kennzeichnet das Fiktionale seine Narration als in konkreten Parametern von der Wirklichkeit unterscheidbar. Der Zuschauer erhält eine implizite, zu dechiffrierende Einladung, das Erzählte als Fiktion zu lesen. Die audiovisuelle Inszenierung greift auf ein semiotisches Repertoire zurück, welches bei den Zuschauer_innen bestimmte (erwünschte, dominante) Deutungen ermöglichen soll (vgl. Zipfel 2001: 206). Davon ausgehend, dass es sich nicht allein um ein wissensbasiertes Verstehen fiktionaler Texte handelt, sondern darüber hinaus fiktionale Texte eine kulturelle Praxis zitieren, in welcher Text und Leserin eine temporäre und biografisch wie historisch situierte Vereinbarung über die Grenzen und Möglichkeiten des als wirklich Erfahrbaren herstellen, lässt sich hier ein Spannungsmoment kultureller Praxen erkennen. In ihrer Überschreitung der von den Zuschauern gelernten Regeln für das Wirkliche und in der Forderung, diese Regeln für den Zeitraum der Rezeption als nachgeordnet zu behandeln, erzeugen Fiktionen eine Spannung, welche im Text durch spezielle Signale eingeholt werden muss. ren, dass ein Text von den Rezipienten bei adäquater Kenntnis der zeitgenössischen jeweils gültigen Diskurskonventionen als ein fiktionaler verstanden wird“ (Hempfer 1990: 121).

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Fiktionalen Geschichten, fiktiven Ereignissen, Personen und Orten werden von den Leser_innen bzw. Zuschauer_innen – vor dem Hintergrund des Spiels um die Trennung von wahr und fiktiv – Bedeutungen verliehen, sie werden als Facetten der Erzählung und damit als bedeutsam signifiziert. Bedeutungen können als historisch konventionalisierte Überformungen verstanden werden. Der Überhang an Bedeutung allerdings, welcher sich in der Fiktion entfaltet, also die Performativität des Textes, alles möglich werden zu lassen, fordert eine Regulierung. Aus erzähltheoretischer Sicht bedeutet dies, dass die Geschichte immer auch Momente aufweisen muss, die als wirklich und möglich erkennbar sind, um lesbar zu bleiben. Eine Science-Fiction-Serie wie Star Trek muss narrativ auf konventionalisierte Bedeutungen zurückgreifen, um sicher zu stellen, dass der Text intelligibel bleibt und die Zuschauer_innen sich auf die Vereinbarung einlassen, das Fiktionale vorübergehend als möglich und wirklich zu akzeptieren. Die Fiktion stellt somit einen Text dar, dessen Sinnhaftigkeit (im Sinne kultureller Lesbarkeit) in der Interaktion zwischen Text und Leser_in entsteht. Die Fiktion kann damit als eine Grenzbearbeiter_in an den Rändern des Legitimen, Wirklichen und Möglichen verstanden werden. Aus der semiotischen Leerstelle, die entsteht, wenn der Text als fiktional gekennzeichnet ist und wirkliche und nicht-wirkliche Ereignisträger, Orte und Zeiten kombiniert, entsteht die Chance einer dekonstruktiven Umdeutung dominanter Repräsentationen, die Beziehungen zwischen Zeichen, Bedeutung und Bedeutetem werden fragwürdig und können spielerisch unterminiert werden. Die Praxen Geschlecht, Race und Körper können somit im Text entweder als Momente des Wirklichen affirmiert oder als Momente des Nicht-Wirklichen dekonstruiert werden.

Repräsentation – The Final Frontier: Method(olog)ische Ideen Die dargestellten Ansätze Intersektionalität und Fiktionalitätstheorie bieten mögliche Ansatzpunkte für eine methodische Untersuchung medialer Texte. Erstens lässt sich vor dem Hintergrund des intersektionalen Ansatzes nach Winker und Degele konstatieren, dass Repräsentationen (in Form medialer Dar-

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stellungen und damit kultureller Inszenierungen/Setzungen/Deutungsangebote) „wahrnehmungs- und handlungsleitende Ideologie[n, B.H.]“ (Winker 2008: 134) verkörpern und damit soziale Normen artikulieren und somit zu Sichtbarkeiten und Sagbarkeiten führen, also dem zu Präsenz verhelfen, was legitim als sichtbar und sagbar gilt. Zweitens lässt sich, daran anschließend, mit der Fiktionalitätstheorie der fiktionale Text verstehen als Grenzarbeiter an den Rändern dieser Sicht- und Sagbarkeitsfelder: Was kulturell als möglich, wirklich und machbar gilt, wird hier in einer performativen Doppelbewegung affirmiert sowie dekonstruktiv verschoben. Fiktionale Medien können sowohl als Medien der Repräsentation von erstens wahren, d. h. kulturell als plausibel anerkannten Strukturen und zweitens richtigen Lebensweisen als auch als Orte/Räume/Medien der Dehnung dessen konzipiert werden, was plausibel und legitim erscheint. Winker und Degele entwickeln ein Auswertungsverfahren in acht Schritten, mit dem sie qualitativ erhobenes Material wie etwa Interviews befragen. Die Entscheidung, mit Material wie Interviews zu arbeiten, verweist darauf, dass es den Autorinnen wesentlich um (diskursive) Selbstkonstruktionen geht (vgl. Winker/Degele 2008: 86). Bedarf es nun eines Analyseinstruments, welches eine im intersektionalen Sinne kritische Befragung medialer Texte ermöglicht, erscheinen im Verhältnis zu einer intersektionalen Analyse von bspw. Interviews nach Winker und Degele zwei Momente besonders beachtenswert. Erstens kann eine Analyse fiktionaler Medien immer nur eine Facette einer intersektionalen Analyse sozialer Ungleichheiten sein, die ergänzt werden muss durch Untersuchungen von Selbstbeschreibungen (etwa von Zuschauer_innen) auf der einen sowie kontextuell rekonstruierten sozialen Ordnungen auf der anderen Seite. Zweitens kann, daran anschließend, konstatiert werden, dass Medienanalysen unter intersektional aufmerksamer Perspektive sich zum Ziel nehmen können, Praxen der symbolischen Repräsentation offenzulegen, welche in ihren Bedeutungen für kulturelle Praxen fokussiert werden. Winkers und Degeles Ansatz der Befragung empirischen Materials soll im Folgenden ausdifferenziert werden, um einen ersten Vorschlag für die Befragung von Medientexten zu entwi-

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ckeln. Das Material besitzt andere Charakteristika als etwa ein Interview. Eine Fernsehserie kann etwa auf den Ebenen Bild, Sprache, Sound, Figuren, Szenen oder Narration erhoben und analysiert werden. Der Fokus liegt damit nachvollziehbar nicht auf Selbstkonstruktionen, sondern, wie schon verdeutlicht, auf Repräsentationen, also Prozessen der Erzeugung von Normalitäten und damit auch selbstverständlichen und marginalisierten Seinsweisen/Subjektdispositionen. Die folgenden Ausführungen sollen weder als Empfehlung zu einem bestimmten Vorgehen und einer besonderen Reihenfolge von Schritten noch in der Logik eines Verfahrens verstanden werden. Sie sind vielmehr als erste methodische Versuche im interdisziplinären Feld gedacht. Die angestellten Überlegungen zur empirischen Verknüpfung von intersektionalem Ansatz und der Fiktionalitätstheorie werden daher eher in Form von Fragen (nicht etwa in Form einer Schrittfolge) dargestellt und möchten einen ein Impuls für kritisches Weiterdenken geben. Verschiedene Frageebenen erscheinen bei der Bearbeitung von Repräsentationen nützlich. Übergeordnete Fragen, welche sich mit der Schwierigkeit befassen, Differenzkategorien bzw. Setzungen wie Geschlecht etc. erst zu definieren, könnten so lauten: • Welche Differenzkategorien werden (in dieser Serie, Episode, Szene, Interaktion) relevant gemacht? Die Frage ist deshalb schwierig, weil gerade Medien mit inhärent alltagsweltlich gewussten und damit selbstverständlichen Kategorien arbeiten, und wäre daher möglicherweise zunächst anders zu stellen: • Was ist hier eigentlich selbstverständlich? Wie wird in dem untersuchten Text Plausibilität erzeugt? Was gilt als normal, welche Erwartungen an das Folgende werden im Text erzeugt? • Sind spezielle, schon erhobene Differenzkategorien von Interesse für die Untersuchung? Interessiert mich Geschlecht, Race, Ethnizität, Körper, Ability? In diesem Zusammenhang ist zu klären, welche dominanten Ideen (etwa: Alltagswissen über Geschlecht, „Race“, Körper) kulturell zirkulieren und welche Subjektweisen, Handlungsmöglichkeiten und Benachteiligungen damit verbunden strukturell sind.

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Betazoiden und Borg – „Asking the other question“ (Davis 2008: 21) Als Bearbeiterin kultureller Grenzen von Wirklichkeiten und Möglichkeiten auf der Ebene von Repräsentation erscheint Star Trek besonders interessant, weil die Narration verknüpft ist mit der Idee der Reise durch den Weltraum. Im Vergleich zur Alltagswelt der Zuschauer_innen erscheint diese als offensichtlich fiktive Räumlichkeit. Dadurch entsteht eine Narration, welche wesentlich darauf basiert, Räume und Wesen jenseits kulturell gewusster weltlicher Dimensionen zu konstruieren. Dieser Deutungsspielraum wird etwa genutzt, um in der Darstellung bestimmter Figuren mit den Differenzdimensionen Geschlecht, „Race“ und Körper zu experimentieren. Ähnlich den weiter oben vorgeschlagenen Fragestellungen soll im Folgenden am Beispiel einer Befragung von Figuren eine intersektionale Analyse von Repräsentationen durchgespielt werden, um zu beleuchten, welche Grenzen dem Deutungsspielraum im Beispiel Star Trek gesetzt werden. Figuren können etwa wie folgt befragt werden: • Was sind optisch charakteristische Merkmale der Figur, was muss gewusst werden, um ihr Handeln zu verstehen? • Inwiefern werden Geschlecht, „Race“ oder Körper explizit bzw. implizit relevant, welche Gegenstände, Aussagen, Bewegungen referieren etwa auf Geschlecht als einer relevanten sozialen Kategorie? • Werden körperliche Inszenierungen, Kleidung, GenderHabitus, wird Ethnizität/Herkunft/Abstammung als Ressource oder Benachteiligungsmoment dargestellt? • In welchem Kontext werden die entsprechenden Kategorien als Ressourcen bzw. als benachteiligend inszeniert und über welches kulturelle Wissen muss verfügt werden, um diese Inszenierung zu decodieren? Zum Beispiel könnte die Frage gestellt werden, inwiefern (wo, wann, wie situiert) (eine Heteronormativität legitimierende Reproduktion von) Geschlecht für die Figuren als Ressource fungieren. Ergänzend könnte eine binarisierende Frage nach dem Bruch mit dem erwarteten Normalen, dem Anderen formuliert werden: Wenn diese Person nicht weiblich, schwarz, gesund wäre,

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sondern weiß, männlich und disabled, wäre die Szene ebenfalls als intelligible lesbar? • Die andere Frage zu stellen (vgl. Davis, s.o.), könnte hier bedeuten, nach Irritationen zu fahnden: Wann irritiert das Verhalten der Figur die Erwartungen der Zuschauer_innen? Wann werden dominante Repräsentationen eher brüchig, wann funktioniert die normative Lesart nicht mehr oder wird zurückgewiesen? Für eine kritische Betrachtung bieten sich zahlreiche Figuren der Serie an, durchführen lässt sie sich mit jeder Figur, unabhängig davon, wie bedeutend die Figur für die Entwicklung der Narration ist. Zahlreiche Studien haben sich einzelner Figuren bzw. der Beziehungen zwischen ihnen angenommen und diese unter verschiedenen Perspektivierungen befragt (vgl. etwa Sennewald 2007, Rauscher 2003, Scheer 2002, Pounds 1999). Für die in diesem Beitrag vorgeschlagene Perspektive werden die Betazoidin Deanna Troi, Offizier der Enterprise, dem Schiff der Serie „Next Generation/Das neue Jahrhundert“, und die Borg Seven of Nine, Mitglied der Crew des Raumschiffs Voyager der gleichnamigen Star Trek Serie, zur Analyse vorgeschlagen, da ihre Darstellungen die Erzählmöglichkeiten der Science Fiction anschaulich kontrastieren. Im Folgenden werden die Ergebnisse einer intersektional inspirierten Befragung der beiden Figuren exkursiv dargestellt.

Deanna Troi Troi wird als erwachsene Frau lesbar, deren ethnischer Hintergrund als Tochter eines Menschen und einer Betazoidin sowohl explizit eingeführt als auch im narrativen Kontext immer wieder als (für ihre Profession als Schiffsberaterin sowie für ihre Rolle als Vertraute oder Liebhaberin in Beziehungen) relevant gesetzt wird. Eigenschaften der Figur Troi, welche sich in erster Linie geschlechtsbezogen lesen lassen, sind z. B. Kleidung, die Art, wie sie ihr Haar trägt sowie der narrative (oft hetero-erotische Settings zitierende) Kontext, in welchem sie zeitweise inszeniert wird (etwa Episode „Hollow Pursuits“). Troi erscheint mit heller Hautfarbe als Weiße, wird jedoch auf zweifache Weise exo-

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tisiert. Dies geschieht zum einen durch ihre körperliche Erscheinung, die akzentuiert wird durch lange gelockte, schwarze Haare sowie sehr dunkle Augen. Ihre Augenfarbe wird in der Serie als einziges körperliches Merkmal geführt, welches sie als Betazoidin optisch von Menschen unterscheidet. Ihre Augenfarbe sowie ihre spezielle Erscheinung in Interaktionen – zurückgenommen, höflich, aufmerksam – wird in der Narration als ethnisch kontextualisiert. Die Halb-Betazoidin, die Tochter eines männlichen Menschen und einer weiblichen Bewohnerin des Planeten Betazed, wird charakterisiert als Empathin: Betazoid_innen können die Emotionen anderer Wesen empfinden. Trois Profession als Schiffsberaterin auf der Enterprise profitiert von dieser speziellen Fähigkeit. Als Beraterin besteht ihre Aufgabe darin, anderen Crewmitgliedern bei Schwierigkeiten sozial beratend zur Seite zu stehen. Die Darstellung der Figur Troi kann als konsistent bezeichnet werden, wenn man auf der Suche nach Brüchen in stereotyper Repräsentation klassisch weiblicher oder ethnischer Inszenierungen ist. Die Figur reproduziert ein viables WeiblichkeitsKonzept, in welchem Exotisierung7 und Vergeschlechtlichung in Form einer Sexualisierung bzw. Erotisierung miteinander verbunden werden.

Seven Of Nine Im Gegensatz zur Figur der Deanna Troi ist Seven Of Nine wesentlich ambivalenter angelegt. Das augenfälligste Merkmal neben dem, dass die Figur Seven Of Nine als einzige auf dem Raumschiff Voyager über kybernetische Körperteile verfügt, ist ihr weiblich konnotierbarer Körper: „Seven Of Nine wirkt wie die Inkarnation einer weiblichen Comic-Heldinnen-Figur. Sie ist eine sehr vollbusige, schmolllippige Blondine, die hautenge Anzüge mit integrierten hohen Hacken trägt. Diese Übersexualisierung ihres Erscheinungsbildes wird […] kontrastiert“ (Sennewald 2007: 151) mit ihrem Auftreten. In Interaktionen kom-

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Zu Exotisierung als Machtpraxis mit Bezug auf Geschlecht und Ethnizität siehe aus postkolonialer Perspektive etwa Castro Varela/Dhawan 2005.

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muniziert sie unemotional und wortkarg und damit oft an der Grenze zur Höflichkeit. Ihr Interaktionsverhalten wird in den Reaktionen der anderen Crewmitglieder als irritierend und auffällig markiert. Ihr Sprechen ist offensichtlich anders als erwartet, entspricht nicht den gängigen Praxen. Ihre Andersartigkeit wird ethnisiert bzw. kulturalisiert: Ursprünglich als Mensch geboren, wurde Seven als Siebenjährige ins Borg-Kollektiv aufgenommen. Die Borg stellt strenggenommen keine eigene Spezies8 im eigentlichen Star-Trek-Sinne dar. Ihre Fortpflanzung geschieht wesentlich über die sogenannte Assimilierung anderer Wesen wie im Falle Seven Of Nines. Gleichwohl verfügen Borg über eine eigene Wertekultur sowie spezielle soziale Organisations- und Kommunikationsformen.9 Sevens Prozess der Rückkehr zu den Menschen, wie ihre Veränderung von den Crewmitgliedern gelesen wird bzw. ihre Entführung aus ihrem Sozialzusammenhang des BorgKollektivs, wie sie selbst das Erlebte interpretiert, wird in der Serie in dieser Widersprüchlichkeit verhandelt und nimmt einen großen Teil der Narration in Anspruch. Sevens menschlicher Körper ist mit kybernetischen Teilen, Implantate genannt, versetzt, welche im Sinne der Borg-Philosophie ihre körperlichen Fähigkeiten verbessern sollten. Im Prozess der ReAssimilierung in die humanoid und terrestrisch geprägte Kultur der Voyager wird nicht nur versucht, Seven sozial in die Crew des Schiffs zu integrieren, sondern auch, Sevens Körper (wieder) in einen rein organischen Zustand (zurück) zu versetzen, was jedoch nicht vollständig gelingt. Seven behält einige Implantate und ebenso für sie lebensnotwendige Verhaltensweisen bei, welche an Bord eines Borg-Schiffes zur Normalität gehören, sie allerdings vom Rest der Voyager-Crew signifikant unterscheiden. Diese Unterscheidung zwischen Seven und den Mitgliedern der Crew wird zum einen sichtbar im Moment dieses anderen, in seiner technologischen Korrektur defizitär erscheinenden, weil nicht-menschlichen, nicht-göttlich geschaffe-

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Der biologistische Begriff der Spezies ersetzt den ideologisierten Begriff der ‚Rasse‘ bei Star Trek sprachlich weitgehend. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Konzept der Borg bei Star Trek ist bei Zur Nieden 2003 zu finden.

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nen, nicht-natürlichen Körpers, zum anderen über die in Interaktionen markierte Ethnisierung ihrer Alltagspraxen der Kommunikation oder Nahrungsaufnahme. Walgenbach et al. übersetzen den Begriff der Ability mit „normgerechte Befähigung“ (Walgenbach et al. 2007: 11). In diesem Sinne ist Sevens Körper als kulturabhängiges Zeichen zu lesen: Nach den Normen der Borg normal, nach den Normen der Menschen behindert. Hier wird deutlich, dass der Körper weniger materialisierte Identität ist oder Besitz und Instrument des Individuums. Der Körper ist der Ort, in dem soziale Ordnungen sich in das Individuum einschreiben, er ist Oberfläche und Repräsentation der Ordnungen und als performativ handelnde Materie verleiht er der Individualität Ausdruck. Seven erscheint im Vergleich zu Troi als eine wesentlich ambivalenter angelegte Figur:10 Das in ihrer körperlichen Inszenierung angelegte Weiblichkeitsmoment wird wesentlich gestört durch die Darstellung ihres Sozialverhaltens sowie ihrer immanenten Weigerung der Anpassung an dominante menschliche Praxen. Zugleich wird die Ethnisierung ihrer Performance optisch verschoben durch ihr Weiß-Sein. Selbst ihre Haltung der Verweigerung kann nicht dem entgegenwirken, dass sie als weiße menschliche Frau erkennbar wird. Zu welchen Erkenntnissen führt eine derartige Befragung von Figuren? Die Ergebnisse artikulieren explizit bestimmte Formen der Repräsentation und machen sie damit sichtbar, sprachlich erfassbar und politisch bearbeitbar. Neben der analytischen Befragung von Figuren erscheint allerdings ebenso wichtig, den sozialen Kontext mit in die Analyse einzubeziehen, welcher narrativ um diese aufgebaut wird. Denn in den Interaktionen selbst, welche die Figuren als Subjekte der Narration erst herstellen, sind Repräsentationen angelegt, welche als Praxen der Unterscheidung (vgl. Mecheril/Witsch 2006) verstanden werden können, die nach dominanten oder widerständigen Logiken Subjekte im inszenierten sozialen Gefüge legitimieren oder delegitimieren. Figuren sowie ihre Legitimität im unmittelbaren sozialen Kontext verschaffen Lebensweisen 10 Sennewald zeigt auf, dass die Figur im Verlauf der Serie narrativ weiterentwickelt wird und dadurch an Ambivalenz verliert: Sie wird immer deutlicher als Frau lesbar (vgl. Sennewald 2007: 163).

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Sicht- und Hörbarkeit, hegemonialen, westlich sozialisierte Sehgewohnheiten affirmierenden Subjektweisen ebenso sowie brüchigen, widersprüchlichen irritierenden Subjektweisen. Irritierende Repräsentationen wie etwa im Fall der Figur Seven Of Nine besitzen Widerstandspotential, da sie Sehgewohnheiten aufbrechen. Die Irritation von Lesarten ist eine Irritation von Erwartungen an eine bestimmte Normalität. Hier wird eine Form sozialer Wirklichkeit (im Sinne einer kulturell möglichen Machbarkeit) zurückgewiesen. Inwiefern widerständige Repräsentationen in populären Medien Bildungsprozesse initiieren, stellt einen bedeutsamen anschließenden Analyseschritt einer intersektionalen Befragung dar. Repräsentationen in Form ideologischer Inszenierungen in populären Alltagsmedien können als Lese-Angebote verstanden werden. Sie sind insofern normativ, als sich bestimmte Lesarten kulturell präferiert präsentieren und ihre Präferenzen verschleiern. Überspitzt formuliert, können Medien als öffentliche, in die Privatheit eingelassene Erziehungsinstanzen verstanden werden, die allerdings nicht einer bestimmten (Erziehungs-) Idee verpflichtet sind, sondern verschiedene, miteinander konkurrierende Alltagsdiskurse artikulieren und daher nicht als monodirektionale Manipulationsagenten missverstanden werden dürfen. In diesem konstitutiven Moment der Konkurrenz kultureller Bedeutungen liegt zugleich ein Moment der Zähmung ihres Erziehungspotentials. Die Lektüre medialer Texte bietet immer auch die Möglichkeit der Zurückweisung und Umdeutung. Die kulturwissenschaftliche Perspektivierung von Fiktionalität, unter welcher fiktionale Narrationen als (möglicherweise affirmierende, möglicherweise kritische, widerständige) Grenzbearbeiter_innen von dominanten kulturellen Erzählungen – normativen symbolischen Repräsentationen – verstanden werden können, lässt Fiktionalität zum zentralen Charakteristikum eines kulturellen Raumes werden, in welchem diese Repräsentationen überhaupt erst verhandelbar werden. Das heißt: Es geht in einer Analyse medialer Texte um das Ausloten eines Bedeutungsraumes sowie der in ihm legitimen Praxen der Aushandlung und Erzeugung von Bedeutung, des Doing Meaning.

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Anschlüsse an eine intersektionale Analyse Auf politisch-pragmatischer Ebene wäre im Anschluss an eine intersektionale Analyse etwa eine alltagstaugliche Erweiterung des Bechdel-Tests denkbar, der sich nicht allein mit Geschlecht beschäftigt, sondern darüber hinaus Differenzkategorien wie „Race“, Sexualität, Disability etc. etwa im popkulturellen Bedeutungszirkel der Medienindustrie relevant macht. Allerdings ist auch hier zu bedenken, dass kritische Befragungen alltagsmedialer Texte reflexive Selbstbezüge voraussetzen, welche im popkulturellen Setting unter Umständen von den Subjekten nicht ohne weiteres aktiviert werden können, solange die Unterscheidungspraxen Gender, „Race“ und Body sowie die Ordnungen, welche durch sie hervorgebracht werden, im alltäglichen Vollzug sozialer Kommunikation als Ressourcen legitim nutzbar gemacht werden können. Intersektionale Analysen entblättern dominante kulturelle Deutungsmuster in einem speziellen Gestus. Und müssen schließlich in ihrer Normativität zu der Forderung führen, dass mediale Inszenierungen mehr marginalisierten Lebensweisen Ausdruck verleihen müssen, wenn dominante Repräsentationen und damit dominante Ausschlusspraxen kulturell delegitimiert werden sollen. Letztlich muss jedoch auch diese normativ-kritische Idee in ihren Grenzen gesehen werden: Erstens greift jeder intersektionale Ansatz auf konkrete Ideen davon zurück, was als dominante oder subordinate, marginalisierte Lebensform verstanden wird. Die Abgeschlossenheit von Differenzkategorien ist allerdings eine analytische Setzung und eher fiktional als wirklich. Die Dimension des Wirklichen materialisiert sich erst in den Selbstbeschreibungen der Individuen, welche aus dieser Perspektive (wie auch bei Winker und Degele deutlich wird) als ein notwendiges Moment intersektionaler Analysen erscheinen, da die Analyse sonst Gefahr läuft, erwartete Differenzkategorien zu reifizieren. Zweitens besitzen die Ideen, was als intersections, als Überkreuzungen von Differenzen/Benachteiligungsvoraussetzungen zu gelten hat, immer auch einen blinden Fleck und übersehen damit eigene Ausschlüsse vom bezogenen Standpunkt aus. Diese Schwierigkeit beinhaltet, dass auch ein intersektionaler Ansatz als Praxis der Repräsentation reflektiert werden kann, was die Frage nach der

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Legitimation der Sprecher_innen aufwirft: Wer spricht hier eigentlich? Wer stellt die Frage nach Inszenierungen und Kategorien, wer beschreibt und interpretiert? Wie lässt sich das ‚Wer‘ dieser Frage charakterisieren, wie ist es disponiert in der sozialen Ordnung, welche sich auf verschiedene Art und Weise in qualitative Sozialforschung einschreibt, unabhängig davon, wie kritisch sie sich selbst versteht. Eine intersektionale Perspektive muss somit immer auch der eigenen postkolonialen, postfeministischen Kritik unterworfen sein, um den blinden Flecken auf die Spur zu kommen.

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„King Kong und die weiße Frau“ Konstitution eines zivilisierten Selbst JOS SCHAEFER-ROLFFS King Kong und die weisse Frau

Kulturelle Produkte können stets als Spiegel der gesellschaftlichen Zustände gesehen werden. Dabei zeigen sie nicht nur bestimmte Phänomene auf, die sich zur Zeit ihrer Entstehung in der Gesellschaft abspielen, sondern ermöglichen darüber hinaus, ihre grundlegenden Strukturen nachvollziehbar zu machen. Rassismus und Sexismus sind wesentliche Machtverhältnisse innerhalb der modernen Gesellschaft und greifen dabei auf „kategoriale Differenzpostulate“ (Kerner 2009: S.9) zurück, die einen Natürlichkeitsanspruch haben. Dabei ist jedoch festzuhalten, dass sie eben nicht natürlich und nicht einmal statisch, sondern wandelbar sind. Zudem finden sich die Machtverhältnisse auf unterschiedlichen Ebenen: Sie werden nicht nur durch das Individuum weitergetragen, sondern sind auch im gesellschaftlichen Wissensbestand zu finden und zeigen sich darüber hinaus in den gesellschaftlichen Strukturen. Ein kulturindustrielles Produkt liefert demnach ein Bild der Form von Differenz zur Zeit seiner Entstehung. 1

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Eine detaillierte Analyse des Zusammenwirkens und der gegenseitigen Einflussnahme von Rassismus und Sexismus findet sich bei Kerner (2009).

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Filme bieten dabei ein besonders klares Bild der Gesellschaft, auch oder vielleicht gerade wenn sie zum Genre des sogenannten phantastischen Kinos2 gehören und auf den ersten Blick kein direktes Abbild der Gesellschaft liefern. Besonders in metaphorischen Darstellungen liegt die Möglichkeit der Filmemacher, ein sehr detailliertes und deutliches Bild von Gesellschaft zu liefern – egal ob dies bewusst oder unbewusst geschieht. Ziel dieses Textes ist es, beispielhaft den Film King Kong und die weiße Frau zu betrachten und dabei herauszufinden, inwieweit sexistische und rassistische Stereotype in der Gesellschaft vorzufinden und wie sie miteinander verknüpft sind. Um dies darstellen zu können, ist es notwendig die kulturindustrielle Repräsentation dieser gesellschaftlichen Aspekte aufzuzeigen.

King Kong – ein Klassiker der Kulturindustrie Der Film King Kong, wie er im US-amerikanischen Original benannt ist, gilt für viele als einer der Klassiker des phantastischen Kinos und hat eine enorme Wirkung auf viele Filmemacher ausgeübt, die diesen Film als eine ihrer großen Inspirationsquellen beschreiben. Zuletzt inszenierte Peter Jackson im Jahr 2005 eine Neuverfilmung und gibt an, dass er mit acht Jahren den Film zum ersten Mal gesehen und an diesem Tag den Entschluss gefasst habe, Filme zu machen (vgl. Suchsland 2005). Dabei besticht die Erstverfilmung besonders durch seine Trickaufnahmen, die erst gut 50 Jahre später durch die Einführung von computergenerierten Effekten übertroffen werden konnten. Zudem gilt er als einer der ersten Filme, deren Filmmusik explizit auf die Handlung und die Bilder des Films zugeschnitten war. Er entstand in einer Zeit, in der verschiedene Monster – wie Dracula, die Mumie oder Frankensteins Monster – das Kino regierten. Bemerkenswert und für dessen Wirkung von zentraler Bedeutung ist dabei, dass es sich bei King Kong nicht um die Adaption einer bereits bekannten Erzählung handelt, sondern 2

Unter dem Begriff des phantastischen Kinos werden in der Regel die Genres Science Fiction, Fantasy und Horror zusammengefasst.

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dieser frei für das Kino erschaffen wurde (vgl. Distelmeyer 2005). Der Film ist auch in seiner (unbewussten) Darstellung von Ungleichheit ein Spiegel seiner Zeit und kann somit hervorragend dazu dienen, soziale Disparitäten zu analysieren. Der Film erzählt eine Variante der klassischen Geschichte um die Schöne und das Biest und stellt eine im Film mehrfach betonte und angedeutete „ungleiche, einseitige Liebe über Grenzen“ dar (Suchsland 2005). Bereits im Vorspann wird dem Film ein ‚altes arabisches Sprichwort‘ als Motto vorangestellt, in dem es heißt: „And lo, the beast looked upon the face of beauty.“ (vgl. auch Buck-Morss 2000: 177). So wird, während Ann Darrow (gespielt von Fay Wray) mit einem keinen Affen an Bord des Schiffes spielt, auch das Bild von der Schönen und dem Biest angesprochen, welches im Laufe des Films mehrfach wieder aufgenommen wird und sich im letzten Satz wiederfindet. Nachdem King Kong getötet wurde und vom Empire State Building fällt, antwortet der Filmproduzent Carl Denham (gespielt von Robert Armstrong) auf die Aussage eines Polizisten, dass King Kong durch die Flugzeuge getötet wurde: „Oh no! It wasn’t the airplanes, it was beauty that killed the beast.“ Damit setzt sich der Film in eine Erzähltradition, die zentral von einer abwertenden Bestimmung des Anderen lebt. Darüber hinaus weist der Film auch ein recht hohes Maß an Selbstreflexion auf und tritt damit aus den üblichen Mustern kulturindustriellen Schaffens. Der Film stellt eben nicht nur die Entführung des Affen nach New York und seinen Ausbruch dar, sondern beinhaltet ebenfalls einen Film im Film. Die Expedition bricht zur Insel auf, um dort einen Film zu drehen. Auf der Reise nach Skull Island wird in verschiedenen Szenen der Filmdreh geprobt und entlarvt damit den Film und seine Mechanismen. Kino wird darin als „das selbstreflexive, auf Publikumsmassen zielende Spektakel“ (Distelmeyer 2005) gekennzeichnet. Dadurch hält sich der Film einen Spiegel vor und zeigt dem Zuschauer die Funktionsweisen des Kinos, ohne allerdings seinen eigenen Status als kulturindustrielles Produkt zu gefährden, den es weiterhin bewahrt. Der Film ist also Teil des kulturindustriellen Schaffens und damit Teil des „Amüsierbetriebs“ und „zeichnet jede Reaktion vor“ (Horkheimer/Adorno 1943: 144f.) – nicht nur implizit, sondern auch visuell. Wenn King Kong nach New York gebracht wird, „erleben

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wir die Showgäste jedenfalls als Repräsentanten der (groß-) bürgerlichen Gesellschaft. In ihren Reaktionen auf die Shows und den Ausbruch Kongs ereignet sich die ‚Psychologie der Massen‘“ (Suchsland 2005). Der Film ist zwar ein kulturindustrielles Produkt, legt aber die Produktionsweisen offen und macht darüber hinaus klar, dass auch die Filmproduktion eine Konzernstruktur besitzt, innerhalb derer über die finanziellen Möglichkeiten des Projekts diskutiert wird. Dennoch geht der Film nicht über diese Strukturen hinaus, sondern bleibt in ihnen und bestätigt sie noch. Der Film ist Kultur im Sinne einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, so dass der Film mit dem Ziel produziert wurde, Profit zu akkumulieren. Dies wird auch offen formuliert: Als versucht wird, King Kong einzufangen, wird dies mit der Möglichkeit begründet, reich zu werden.

Grundkategorien der Gesellschaft: Rassismus und Sexismus Schon im deutschen Titel des Film – King Kong und die weiße Frau – werden die beiden Ungleichheitskategorien offensichtlich, die in diesem Film eine zentrale Rolle spielen: Denn es ist nicht nur eine Frau, die das Objekt der Begierde Kongs ist, sondern explizit eine weiße Frau. Schon darin zeigt sich, dass diese beiden Kategorien miteinander verschränkt sind. Die Konstitution des Eigenen, als zivilisiert betrachteten weißen Selbst der Filmemacher und Zuschauer wird besonders durch das Verhalten der als wild gekennzeichneten, schwarzen Eingeborenen gegenüber der weißen Frau erreicht: Das zivilisierte Selbst wird also durch rassistische und sexistische Mittel erschaffen. Der Rassismus lässt sich besonders deutlich an der Darstellung des riesenhaften Gorillas aufzeigen, deren rassistische Implikationen mehr als deutlich sind. Bei King Kong handelt es sich um ein Beispiel der „rassistischen Legende vom hyperpotenten Schwarzen, der sich die weiße Frau gefügig machen will“ (Heinzelmann 2006). Von seinem ersten Auftreten an stellt Kong für die Filmemacher durch seine unkontrollierbare, nicht rational geleitete Kraft eine Bedrohung dar. Dies wird schon bei seiner Einführung in den Film deutlich gemacht: Zwar wird nur über ihn gesprochen, aber er wird als übernatürlich und

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monströs bezeichnet; als etwas, dass noch kein Weißer je gesehen hat. Damit wird gleich schon auf die Gefährlichkeit verwiesen, die von dem Wilden ausgeht. Doch auch die gesamte Darstellung, begonnen mit der ersten Beschreibung der Lage von Skull Island, ist geprägt von Wildheit. Die Reise beginnt zuerst ohne konkrete Zielangabe und wird dann in ein Gebiet gelenkt, in dem sich aller Erkenntnis nach nichts befindet. Die Insel ist niemandem bekannt, und doch befindet sich auf ihr eine Konstruktion, die von großer Baukunst zeugt. Dadurch, dass die Einwohner der Insel den Ursprung und die Bauweise nicht mehr kennen, wird klar gemacht, dass sie ohne Kultur sind und zudem ihre kulturellen Ursprünge verloren haben. Damit wird auch deutlich, dass die Bewohner der Insel hinter die zivilisatorischen Grundlagen zurückgefallen und sie genauso weit davon entfernt sind, wie Kong es ist. Die Rückständigkeit und Wildheit dieser Insel wird noch dadurch verstärkt, dass sie als von der Zivilisation unberührt dargestellt wird, auf der noch Dinosaurier und andere riesenhafte Wesen leben: „Die Lebensräume der Bestien und Ungeheuer waren uneroberte, unzivilisierte, archaische Landschaften.“ (Suchsland 2005). Wildnis wird hier der Zivilisation entgegengestellt, verschärft noch, indem die Insel nur von Schwarzen bewohnt wird. Solange es jedoch eine Möglichkeit gibt, diese Wildnis zu kontrollieren, wird es als bezwingbares Abenteuer anerkannt. Die Darstellung der Eingeborenen ist stark mit Klischees beladen und beschränkt sich fast ausschließlich auf das rituelle Opferfest an King Kong, bei dem Affenkostüme und Gesichtsbemalungen getragen sowie Tänze aufgeführt werden und rhythmische Kong-Gesänge zu hören sind. Das erste Anzeichen der Eingeborenen ist das Geräusch von Trommeln; als die Insel in den Blick gerät, zeigt Feuerschein die Aktivitäten der Bewohner an und der Blick auf das Dorf wird möglich. Die Behausungen sind einfache Bambushütten, neben einem Häuptling erscheint ein Medizinmann, der Schmuck besteht aus Totenköpfen und Federn. Auch bei der weiteren Darstellung werden Formen gewählt, die auf rassistischen Vorstellungen folgen: „die Totenköpfe und Vermummungen, der barbarische Trommelschlag, das monotone Wiederholen von Worten und Gesten sind ebensoviel organische Nachahmung magischer

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Praktiken“ (Horkheimer/Adorno 1943: S.194) und erfüllen den Zweck, die Schwarzen als Andere zu erschaffen, von denen sich die weiße Schiffsbesatzung abgrenzt. Als die Eingeborenen Ann Darrow entdeckt, sprechen sie von ihr als goldene Frau, die sie kaufen wollen. Dafür bieten sie sechs ihrer Frauen als Preis an. Hier wird deutlich gemacht, wie Frauen in dieser Gesellschaft angesehen werden. Sie gelten lediglich als handelbarer Besitz, der problemlos verkauft werden kann. Als der Verkauf abgelehnt wird, wird sie entführt. Hier spiegelt sich ein Bild wider, das später noch einmal genutzt wird: Ann Darrow steht im hellen Mittelpunkt und aus der Dunkelheit kommt eine schwarze Bedrohung, in diesem Fall ein Eingeborener, der sie entführt. Später wird diese Situation mit Kong wiederholt, wodurch die Eingeborenen mit Kong auf eine gemeinsame Ebene gestellt werden, so dass deutlich gemacht wird, welche Verbindung zwischen ihnen besteht. Im Gegensatz dazu wird die Schiffsbesatzung deutlich als fortschrittlich und modern gekennzeichnet. Schon zu Beginn wird veranschaulicht, dass sie gut ausgerüstet und auf alle Eventualitäten vorbereitet ist, die sich in der Wildnis zeigen könnten. Dabei geht es besonders um Waffen, mit welchen sie sich gewaltvoll gegen mögliche Bedrohungen durchsetzen können. Es wird im Verlauf des Films deutlich, dass Gewalt das letzte Mittel ist, um Probleme zu lösen. Wenn alle anderen Wege fehlschlagen, mit dem Wilden und Unbekannten umzugehen, kann so immer noch eine Lösung herbeigeführt werden. Einzige Ausnahme innerhalb der ansonsten gänzlich weißen Schiffsbesatzung ist der chinesische Schiffskoch, dessen Darstellung dabei allen üblichen Klischees folgt und der vom Rest der Besatzung nicht als gleichwertig ernst genommen, sondern deutlich verspottet wird.3 Die Überlegenheit der Zivilisation wird dadurch belegt, dass die Eingeborenen flüchten, sobald sie mit der modernen Technik konfrontiert werden und erst wieder auftauchen, als es darum geht, gegen eine höhere Gefahr anzukämpfen. Auch darin zeigt sich ihre Minderwertigkeit. Sie versuchen bei dem 3

Als er sich beispielsweise freiwillig meldet, um bei der Rettung Ann Darrows zu helfen, wird über ihn gelacht und ihm gesagt, dass dies nichts für ihn sei.

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Kampf gegen eine größere Gefahr mit den Weißen zusammenzuarbeiten, doch kommen dabei viele der Dorfbewohner zu Tode. Erst als die weiße Schiffsbesatzung ihre Waffen einsetzt, gelingt es, Kong zu betäuben und schließlich sogar auf das Schiff zu laden, um ihn nach New York zu bringen. Zudem zeigt sich ihre Überlegenheit darin, dass der Kapitän des Schiffes die Sprache der Eingeborenen beherrscht, obwohl diese Insel noch nie besucht wurde – da er die Inseln in der Nähe kennt und weiß, wie dort gesprochen wird, kann er sich auch hier verständigen. Auch nachdem Kong gefangen werden konnte und nach New York gebracht wurde, folgt seine Darstellung rassistischen und chauvinistischen Mustern. Er wird zum „Sklaven der Unterhaltungsindustrie [...], ein Objekt der Unterhaltung und des Schreckens“ (Distelmeyer 2005) und wird dabei in einem explizit weißen Amerika zur Schau gestellt. Dabei ist zu betonen, dass Kong hier bewusst aus seiner Welt genommen wurde, in der er als übernatürliche Gottheit behandelt wurde, um zum rein dinglichen Schauobjekt gemacht zu werden. Seine Fänger glauben, dass es ihnen möglich ist, Kong durch die Mittel der Zivilisation gefangen zu halten und kontrollieren zu können. Dies weckt Assoziationen zu den sogenannten Völkerschauen, die es zur Zeit des Filmdrehs noch gab. Die Art der Zurschaustellung verstärkt noch ein mal den Eindruck einer Bedrohung, da er an ein Kreuz gefesselt auf einer Broadwaybühne ausgestellt wird und durch seinen Anblick die Zuschauer der Show sogleich erschrecken und unterhalten kann – zwar ist seine Bedrohung real, aber erscheint nicht akut. Als schließlich Ann Darrow auf der Bühne erscheint, wird die Bedrohung unmittelbar und bekommt zudem eine explizit sexuelle Dimension, da Kong sich befreit und Ann Darrow zum wiederholten Male entführt. Hier wird die Verschränkung besonders deutlich: Ann Darrow wird zum Objekt der Begierde des Objekts der Unterhaltung der weißen, zumeist männlichen Zuschauer. Dabei verweist die Darstellung des Affen unentwegt auf die rassistischen Vorstellungen, nach denen Schwarze als affenähnlich und als Untermenschen beschrieben werden. King Kong ist der „Nicht-Mensch, der in seiner festgeschriebenen, bedrohlichen Differenz zur ‚weißen‘ Zivilisation jenen stereotyp gezeichneten ‚schwarzen‘ Ureinwohnern auf Skull Is-

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land verwandt ist.“ (Distelmeyer 2005). Mit seiner Befreiung von den Ketten verstößt Kong gegen die Rolle, die ihm zugestanden wird – er verlässt als Nicht-Weißer den Platz, an dem er bleiben sollte (vgl. Distelmeyer 2005). Im Film wird eine totale Gesellschaft4 dargestellt, wie auch Adorno sie benennt, in der das Individuum zurückstecken und sich an seine Rolle halten muss – wer ausbricht, muss mit drastischen Konsequenzen rechnen. Hier wird deutlich, dass es nicht möglich ist, Kong zu kontrollieren, so dass noch einmal der Eindruck der unkontrollierbaren Bedrohung der Wildnis verstärkt wird. Als Kong von einer Vielzahl von Reportern fotografiert wird, ist er so sehr von dem Blitzlicht irritiert, dass er sich befreit. Er streift durch die Stadt und klettert auf das Empire State Building, zu dieser Zeit das höchste Gebäude der Welt. Damit wird eine bedrohliche Situation repräsentativ für die Zivilisation erschaffen. Doch es ist den zivilisierten Weißen möglich, auch diese Bedrohung abzuwenden und Kong durch den Einsatz von modernen Waffen zu töten. Es wird zwar klar, dass es nicht möglich ist, mit den Mitteln der modernen Welt alle Bedrohungen zu bändigen, aber auch die unbändigen können besiegt und mit Gewalt zerstört werden. King Kong war in seiner Welt unübertroffen und als ein Gott verehrt, schließlich also derjenige, „who fought against urban-industrial civilization and lost.“ (Buck-Morss 2000: 174). Damit wird klar, dass die Zivilisation allem überlegen ist. Zwar hat Kong scheinbar die primitive Kraft, sich gegen die Strukturen der Macht zu stellen, doch wird im Endeffekt klar, dass dies nur temporal möglich ist und er der Zivilisation somit auf Dauer unterlegen bleibt (vgl. Buck-Morss 2000: 178f.).

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Adorno definiert Gesellschaft als kapitalistische Totalität die sowohl Bewusstsein als auch Handeln der Menschen als Ganzes bestimmt: „Mit Gesellschaft meint man eine Art von Gefüge zwischen Menschen, in dem alles und alle von allen abhängen; in dem das Ganze sich erhält nur durch die Einheit der von allen Mitgliedern erfüllten Funktionen, und in dem jedem einzelnen grundsätzlich eine solche Funktion zufällt, während zugleich jeder einzelne durch seine Zugehörigkeit zu dem totalen Gefüge in weitem Maße bestimmt wird“ (Adorno 1972: 144).

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Ann Darrow – die weiße Frau In der Darstellung der weißen Frau und der schwarzen Wilden lassen sich die Grundlagen ablesen, auf denen die Konstitution des zivilisierten Selbst beruht. Dabei sollte aber darauf hingewiesen werden, dass die Darstellung und die Wirkung des Verhältnisses der Geschlechter deutlich komplexer ist, als die spätkoloniale Darstellung des Verhältnisses zwischen weißer Schiffsbesatzung und schwarzen Eingeborenen. Dafür muss der Blick genauer auf Ann Darrow gerichtet werden, um herausstellen zu können, welchen Status sie als Frau innerhalb der Schiffsbesatzung und damit innerhalb der sich selbst als fortschrittlich und zivilisiert betrachtenden Umgebung hat. Doch noch bevor Ann Darrow im Film erscheint wird klar, welche Stellung Frauen überhaupt eingeräumt wird. Ehe Denham Darrow trifft, versucht er erfolglos, eine Darstellerin für diese Rolle zu finden. Dies liegt primär daran, dass niemand bereit ist, ihm ein ‚Mädchen‘ anzuvertrauen, ohne zu wissen, worum es bei dieser Reise geht. Denham will nichts vom Ziel preisgeben, beschreibt aber, warum er eine Frau im Film haben will: Er braucht ein hübsches Gesicht, das ein wenig Romantik liefern soll, damit der Film auch die Massen anspricht, welche nach genau diesen Elementen verlangt. Dieses Verlangen wird schließlich von Kong erfüllt, der Ann Darrow zum Objekt seiner Begierde macht (vgl. Buck-Morss 2000: 177f.). Denhams Rollenbeschreibung entspricht der Bezeichnung eines Ausrüstungsgegenstands oder einer Requisite für den Film – und so behandelt er sie auch. Nachdem sie vor Kong geflüchtet ist, will er diesen mit Ann als Köder wieder anlocken, um ihn zu filmen oder noch besser zu fangen. Ann Darrow ist die einzige Frau an Bord des Schiffes und wird dabei als Gegenpart zu den Männern aufgebaut. Anders als diese befindet sich ihre Position nicht auf dem Schiff, da es sich dabei um eine Männerwelt handelt. Alleine schon durch ihre Anwesenheit wird sie zum Hindernis, da sie die üblichen Abläufe an Bord des Schiffes stört. Sie versucht sich zwar gegen diese Anschuldigungen zur Wehr zu setzen, akzeptiert aber schnell ihre Lage. Obwohl der Umgang mit Frauen zur Abgrenzung von dem genutzt wird, was als wild und unzivilisiert bezeichnet wird, zeigt sich, dass die scheinbar fortschrittliche

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Sphäre deutlich sexistische Züge hat. Auch hier wird wieder deutlich, dass es wichtig ist, in der Gesellschaft die eigene Rolle zu kennen. Ann Darrow ist als Frau auf einem Schiff fehl am Platz und sorgt für Probleme, da dies eine Männerwelt ist, genauso wie Kong als Beispiel für das Wilde in der Zivilisation nur als Spektakel dient – wer seinen Platz verlässt, muss mit den (gewaltsamen) Konsequenzen rechnen. Dieser affirmativ dargestellte Normalzustand wird von dem Dorf der Eingeborenen abgegrenzt, das nicht nur durch das Opferritual an Kong, sondern auch durch die Behausungen und die Kleidung der Einwohner als primitiv gekennzeichnet wird. Dabei wird deutlich, dass nicht nur auf dem Schiff die Position der Frau eine geringe ist, auch bei den Eingeborenen spielen Frauen nur eine Nebenrolle, erscheinen im Ritual lediglich bei der Betreuung des Opfers und später auf der Flucht vor Kong zusammen mit den Kindern des Dorfes. Ähnlich wie beim Film ist auch beim Ritual die zentrale weibliche Rolle ‚das Opfer‘. Auch in Denhams Vorbereitung auf den Film ist offensichtlich, dass Ann Darrow hier lediglich die Opferrolle einnehmen soll. Diese beiden Momente verknüpfen sich, als die Bewohner des Dorfes Ann Darrow für das nächste Ritual aussuchen, womit sie aus ihrer Filmrolle rückt und zum wirklichen Opfer wird – ihre Rolle wird zur Wirklichkeit. Probt sie ihren Schrei auf dem Schiff noch unter Anleitung von Carl Denham, der ihr erklärt, dass sie etwas Schreckliches sieht, wird dies zur Wirklichkeit, als sie gefesselt darauf wartet, dass Kong erscheint. Nun sind die Schreie nicht mehr gespielt, sondern real. Aber anders als erwartet frisst der Riesenaffe sie nicht (im Gegensatz zu einigen anderen Personen im Laufe des Films), sondern nimmt sie sich, um sie einer Puppe gleich in sein Heim zu tragen. Zudem spielt Kong mit ihr und entkleidet sie dabei fast vollständig. Darüber hinaus gibt es noch weitere deutliche Szenen, die aufzeigen, dass auch Kong sie als sexuelles Objekt ansieht. Doch nicht nur für King Kong ist sie das Objekt der Begierde, auch John Driscoll, der erste Offizier des Schiffs, verliebt sich in sie. Damit wird sein Versuch, sie aus den Händen Kongs zu befreien, zu einem Kampf der Rivalen um eine Frau. Dabei geht es nicht darum, Ann Darrow als Mensch und Individuum zu befreien, sondern die weiße Frau, sinnbildlich für die Zivilisation, vor der primitiven schwarzen Bedrohung zu retten. Bei-

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den Parteien sind anscheinend trotz ihrer Gegensätzlichkeit auf beinahe gleiche Weise um das Wohlergehen der Frau besorgt und wollen sie beschützen. Diese Ähnlichkeiten jedoch sind nur in den Äußerlichkeiten zu finden: Kong ist die fremde Bedrohung und ist nicht in der Lage sich direkt mitzuteilen. Driscoll erscheint in Abgrenzung dazu als ihr strahlender Retter. Sie wird in beiden Fällen auf die Rolle des Opfers und des sexuellen Objekts reduziert und bleibt stets passiv (vgl. Suchsland 2005). Auch die Selbstwahrnehmung Darrows muss beachtet werden, da sie sich selbstbewusst und implizit emanzipiert gibt und doch den Sexismus ihrer Gesellschaft bestätigt. Zwar ist sie Schauspielerin und hätte damit die Möglichkeit auf ein eigenständiges Leben, doch ist sie wenig erfolgreich und kaum in der Lage, sich Lebensmittel zu kaufen, wie sich in den ersten Szenen des Films zeigt. In dieser Situation wird sie von Carl Denham entdeckt und vom Fleck weg für sein neustes Projekt besetzt. Damit nimmt er für sie eine väterliche Rolle als Versorger und Förderer ein, denn ohne seine Hilfe wäre sie nicht weiter dazu in der Lage, für sich selbst zu sorgen. Schon in dieser Einführung ihres Charakters wird auf Darrows spätere Rolle verwiesen, da sie beschützt und gerettet werden muss. Sie fühlt sich von Denhams Aufmerksamkeit geschmeichelt und folgt ihm, obwohl klar wird, dass es ihr nicht gefällt, nichts über diese Reise zu wissen. Als sie überzeugt wird, mitzukommen, fragt sie, was sie dafür tun solle. Die Antwort drückt schon aus, welche Kompetenzen einer Frau von Denham für diese Rolle zugeschrieben werden: er sagt, sie solle ihm einfach vertrauen, nichts weiter sei nötig. Ann Darrow ist also nicht nur die einzige weibliche Figur von Bedeutung in diesem Film und alleine schon durch ihr Geschlecht benachteiligt, sondern zudem auch noch auf Grund ihrer sozialen Herkunft abhängig von Denham, der als ihr Finanzier fungiert; sodass ihre Abhängigkeit nochmals verstärkt wird (vgl. Distelmeyer 2005).5 Zwar gibt sie sich 5

Damit verweist der Film auf seine Entstehungszeit, die von einer schweren Wirtschaftskrise geprägt war und in der es eine verstärkte Tendenz zur Armut und Verelendung weiter Teile der US-amerikanischen Bevölkerung gab. In dieser Situation nimmt die Unterhaltungsindustrie im Film eine rettenden Position ein, da sie nicht nur Ablenkung von der Realität bietet, sondern zu-

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im Verlauf des Films als neugierig und eigenständig und reklamiert für sich, nicht nur ein Anhängsel auf dem Schiff zu sein, doch wird dies niemals erfüllt. Jedes Mal, wenn es gefährlich wird und eine Bedrohung aufkommt, sucht sie Schutz. Sie wirkt offensichtlich hilflos und unsicher, als sie zum ersten Mal mit den Einwohnern der Insel konfrontiert wird – anders als die Besatzung des Schiffes, die diesen gegenüber selbstsicher auftritt und den Kontakt sucht. Als sie in das Gestell gefesselt wird, das für die Opfergaben vorgesehen ist, wird eine Inszenierung als Opfer deutlich, die nicht nur eine Reduzierung auf das Opfer darstellt, sondern zudem in der Darstellung der Erscheinung Kongs deutlich rassistische Züge annimmt – Kong erscheint im Dunkeln aus dem Hintergrund und wirkt für Ann Darrow, die im Licht gefesselt ist, offensichtlich als dunkle Bedrohung. Ihre Hilflosigkeit wird noch deutlicher, als sich Ann Darrow in der Hand Kongs befindet. Denn in diesen Fällen ist sie gänzlich unfähig, sich selber zu helfen und stets darauf angewiesen, dass sie Hilfe bekommt und gerettet wird. Ihre einzige Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen, ist zu schreien. Selbst wenn Kong gerade nicht in ihrer direkten Nähe ist und ihr keinerlei Aufmerksamkeit schenken kann, ist sie nicht dazu in der Lage, zu flüchten. Sie bedarf fremder Hilfe, um die Flucht zu ergreifen. Sowohl in der Höhle auf Skull Island als auch auf dem Empire State Building muss erst Driscoll kommen, um sie zu retten. In ihrer eigenen Wahrnehmung mag sie sich zwar für privilegiert und gleichgestellt ansehen, doch bestätigt sie nur den Sexismus ihrer Gesellschaft. Dennoch ist die Behandlung der Frauen ein zentraler Aspekt in der Abgrenzung zwischen Zivilisation und Wildheit, die im Film genutzt wird, um das eigene Selbst zu konstituieren und zu charakterisieren. Der Moment, in dem Ann Darrow gefesselt ist und Kong aus der Dunkelheit erscheint, ist repräsentativ für das Verhältnis der Menschen, die als zivilisiert, und derer, die als wild ge-

dem auch dazu in der Lage ist, Menschen ein Einkommen zu bieten, die nur wenig haben – wie eben Ann Darrow. Diese Rolle erfüllt der Film auch in der Realität. Mit seinen herausragenden Einspielergebnissen bereits am Startwochenende wurde die angeschlagene Produktionsfirma RKO vor dem Bankrott bewahrt.

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kennzeichnet werden. Kong ist die dunkle Bedrohung, die, besonders auf sexueller Ebene, für die weißen Frauen besteht. Deswegen ist es Aufgabe und Pflicht der weißen Männer die Schwarzen zurückzudrängen, dies notfalls auch mit Waffengewalt und durch Gefangennahme. Dies zeigt sich in der Gesellschaft, wie sie im Film dargestellt wird, eben besonders auf zwei Weisen. Einerseits werden Frauen innerhalb der zivilisierten Gesellschaft in eine passive Rolle gedrängt. Andererseits gibt es eine deutliche Trennung von schwarzen und weißen Menschen, deren Kontakte so weit wie möglich reduziert werden. Dies zeigt sich auch daran, dass es abgesehen von der InselbewohnerInnen keinerlei schwarze Charaktere in dem Film gibt. Die Gesellschaft muss strikt eingeteilt sein, da die Schwarzen durch ihre unkontrollierbare Sexualität eine Bedrohung für die passiven weißen Frauen darstellen, die nicht in der Lage sind, sich eigenständig gegen diese Bedrohung zur Wehr zu setzen.

Fazit In dem Charakter Ann Darrow wird klar, welche Rolle Frauen in der sich zivilisiert gebenden Gesellschaft einnehmen sollen. Zwar versucht sie sich selbstbewusst und eigenständig zu geben, doch ist sie es offensichtlich nicht. Sie mag zwar als Frau selbstbewusst sein und unternimmt zumindest den Versuch, einen Beruf zu ergreifen, doch ist sie darin nicht erfolgreich, da sie bisher lediglich Rollen als Statistin hatte. Erst als sie von Carl Denham entdeckt wird bekommt sie die Gelegenheit, als Schauspielerin zu arbeiten. Darin wird ihre Anhängigkeit deutlich und sie verbleibt dann in der üblichen Rolle, da sie sowohl in dem Film, in dem sie mitspielt als auch abseits davon nur als Opfer und Objekt der Begierde dient. Zudem erfüllen auch die Männer auf dem Schiff ihre Rolle, da sie körperliche (Erwerbs-) Arbeit verrichten. In einigen Szenen wird dabei deutlich, wie stark auf die Trennung von privater und öffentlicher Sphäre geachtet wird. Mehrfach wird darauf insistiert, dass Frauen auf dem Schiff keinen Platz haben, den Männern nur im Weg stehen und sie ablenken. Auch wird Ann Darrow während ihres Aufenthalts auf dem Schiff mehrfach gesagt, dass sie sich in ih-

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re Kabine begeben soll, um nicht zu stören. Hier gibt es dann einen der wenigen Momente im Film, in dem sie sich aus ihrer Rolle heraus begibt, da sie eben nicht in ihrer Kabine ist, sondern regelmäßig auf dem Deck anzutreffen ist. Doch bricht sie damit nicht mit ihrer Rolle, sondern bestätigt sie vielmehr, indem sie sich dafür entschuldigt, ein Störfaktor für die Männer zu sein. Es wird außerdem deutlich, wie sehr die Kategorien Rassismus und Sexismus miteinander verbunden sind. Zwar werden auch weitere Charakteristika dazu genutzt, um die Eingeborenen der Insel als anders und primitiv zu kennzeichnen, doch ist der Umgang mit Frauen ein wichtiger Bestandteil dieser Charakterisierung. Dabei stehen einige Punkte im Zentrum der Darstellung. So werden Frauen als Tauschobjekte angesehen, und dies nicht nur bei dem Versuch, der Schiffsbesatzung Ann Darrow abzukaufen. Auch bei dem rituellen Opfer einer Frau an Kong spielt dies eine Rolle, denn dieses Opfer ist ebenfalls eine Form des Tausches.6 Es wird eine Frau dem Gott geopfert und stellvertretend dafür wird das Dorf von dem Zorn des Gottes verschont. Damit wird nicht nur die Opferrolle der Frauen gefestigt, sondern darüber hinaus auch die Darstellung als Tauschobjekt. Für diese gesamte Darstellung spricht auch, dass Frauen in der Gesellschaft sonst offensichtlich keinerlei Rolle spielen und nur am Rande auftauchen. Dass sich in dem Tauschangebot für Ann Darrow die Suche nach einer Darstellerin für den Film wiederentdecken lässt, die Carl Denham zu Beginn durchführt, sei nur nebenbei erwähnt. All dies wird zwar im Film genutzt, um die Eingeborenen der Insel als primitiv zu kennzeichnen, doch unterscheidet sich die Schiffsbesatzung in diesen Punkten kaum von ihnen. Es geht auch nicht darum, diese Handlungen als sexistisch, sondern als unzivilisiert zu kennzeichnen. Es wird nicht in Frage gestellt, dass Frauen als Objekte behandelt werden, sondern wie und ob der Umgang mit diesen Objekten zivilisiert ist oder eben nicht. Nicht, dass Frauen als Objekte behandelt werden verstößt gegen die Kriterien, die es als Zivilisierter einzuhalten 6

Dabei finden sich in der rituellen Opferung der Dorfbewohner einige Elemente, die auch Marcel Mauss (1990) in seinem Werk Die Gabe benennt, wenn er über Geschenke an Götter schreibt.

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gilt, sondern die Form des Menschenhandels und der Religionsausübung in Form von Tauschhandel und Menschenopfer. Es wird an vielen Stellen deutlich, dass sowohl Rassismus als auch Sexismus als grundsätzliche Kategorien wichtig sind, auf denen die Konstitution des sich zivilisiert gebenden Selbst beruht. Dieses Selbst kann nur in Abgrenzung zu Frauen und Schwarzen gelingen und benötigt diese, um sich selber zu erschaffen. Dabei liefert der Film ein sehr klares Beispiel dafür, wie auf scheinbar individueller Ebene die strukturellen Kategorien und Regeln der Gesellschaft reproduziert und repräsentiert werden. Bei der gesamten Auseinandersetzung mit der Darstellung dieser Faktoren im Film wird schnell klar, dass sie sich nicht einfach addieren lassen, sondern sie „in verwobener Weise auftreten und sich wechselseitig [...] verändern.“ (Winker/Degele 2009: S.10). Dabei wirkt die Kombination aus Rassismus und Sexismus deutlich als Kriterium, um eine unzivilisierte Gesellschaft zu kennzeichnen. Wird jedoch das Element des Rassismus weggenommen, bleibt eine weiterhin extrem sexistische Gesellschaft übrig, die aber als zivilisiert gilt. Zwar wird der Umgang mit Frauen als Kriterium genutzt, um fehlende Zivilisiertheit zu kennzeichnen, doch lässt dies nicht den Umkehrschluss zu, dass Zivilisation auch an dem Umgang mit Frauen ablesbar ist. Es darf darüber hinaus nicht vergessen werden, dass diese beiden genannten Kategorien zwar diejenigen sind, die offensichtlich im Mittelpunkt des Films stehen, aber nicht die einzigen Ungleichheitskategorien sind, die zum Tragen kommen. Zumindest die Kategorie der Klasse verdient ebenfalls eine Betrachtung, da sie bei der Charakterisierung von Ann Darrow nicht unerheblich ist.7 Zudem findet sich mit der Darstellung des chinesischen Schiffkochs auch eine weitere rassistische Ungleichbehandlung, die sich aber von der Darstellung der InselbewohnerInnen deutlich unterscheidet, so dass die rassistischen Muster nicht lediglich auf einer dualistischen Vorstellung beruhen. Die Frage nach Zusammenwirken von

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Dies konnte hier nur kurz angedeutet werden. Für weitere Details dazu und auch für eine gesamte Interpretation beruhend auf der Zuordnung von Klassen vergleiche Buck-Morss (2000) und Distelmeyer (2005).

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Naturzerstörung durch die zivilisierte Menschheit und der zerstörerischen Gewalt Kongs wird leider häufig nicht thematisiert8 und auch die Frage nach der Bedeutung von (fehlenden) Fähigkeiten der Charaktere im Film ist meines Wissens nach bisher unbeantwortet geblieben.

Literatur Adorno, Theodor W. (2003): Negative Dialektik. Jargon der Eigentlichkeit. In: Ders.: Gesammelte Schriften Band 6. Herausgegeben von Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Adorno, Theodor W. (1972): Gesellschaft (II). In: Ders.: Soziologische Schriften I. Gesammelte Schriften Band 8. Herausgegeben von Rolf Tiedemann. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Buck-Morss, Susan (2000): Dreamworld and Catastrophe. The passing of mass utopia in East and West. Cambridge: MIT Press. Distelmeyer, Jan (2005): „Jetzt siehst du es“ – „King Kong“: Ein Klassiker und seine Deutungsgesichte. Im Internet unter: . Heinzelmann, Herbert (2006): Kino-Film-Geschichte XXVII: Die Farbe des Konflikts – Zur Rolle der Afroamerikaner/innen im Film. Im Internet unter: . Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W. (2004): Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt am Main: Fischer. Kerner, Ina (2009): Differenzen und Macht. Zur Anatomie von Rassismus und Sexismus. Frankfurt am Main/New York: Campus. Mauss, Marcel (1990): Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 8

Eine Ausnahme bilden die Ausführungen zu King Kong von George Seeßlen (1980).

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Seeßlen, Georg (1980): Kino des Utopischen. Geschichte und Mythologie des Science-fiction-Films. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Suchsland, Rüdiger (2005): Alter Affe Angst. Die Kulturgesichte des Riesenaffens und der weißen Frau. Im Internet unter: . Winker, Gabriele/Degele, Nina (2009): Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld: Transcript.

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Read it again, Mam Intersektionale Re-Lektüren des Hollywoodmelodrams „Imitation of Life“ KARIN ESDERS Read it again, Mam

Kritische Filmstudien haben in den letzten Dekaden eine ganze Reihe von Ungleichheitskategorien in den Blick genommen. Ideologiekritische Analysen der 1960er und 1970er Jahre entlarvten das Mainstreamkino als manipulative Illusionsmaschine, die gesellschaftliche Widersprüche und Klassengegensätze verschleiere und die Zuschauerinnen und Zuschauer ihren ideologischen Anrufungen unterwerfe. Feministische Filmkritiken arbeiteten sich zunächst vor allem an unzulänglichen und unrealistischen Frauenbildern Hollywoods ab, um sodann jene cinematographischen Identifikationsangebote und Blickkonstellationen zu fokussieren, die die Frau als passives Objekt männlich strukturierter Schaulust und Erzählökonomien entwerfen. Dabei wurde ein homogener sexueller und ethnischer Kontext unterstellt, der nicht ohne Kritik bleiben konnte. Schwarze Autorinnen und Autoren rückten die rassisierenden Formationen des klassischen Erzählfilms in den Vordergrund. Lesbische, schwule und queere Positionen hinterfragten die heteronormativen Vorstellungen, die sowohl von Filmen aber auch von kritischen Filmanalysen mitgetragen wurden. Und nicht zuletzt erweiterten die Whiteness- und Masculinity-Studien den Rahmen

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filmanalytischer Fragestellungen.1 Während sich diese Ansätze vorrangig auf einzelne Ungleichheitskategorien konzentrierten, wurde in den letzten Jahren die Unerlässlichkeit intersektionaler Forschungsansätze immer deutlicher. Dabei tauchen jedoch verschiedene analytische und methodische Probleme auf. So zeigt sich nicht selten eine hierachisierende Tendenz, die einer Analysekategorie einen determinierenden Status zuweist, während andere Beziehungen als „Nebenwidersprüche“ marginalisiert werden; oder die Einzelkategorien werden isoliert voneinander behandelt, wobei gerade die erwünschte Komplexität intersektionaler Fragestellungen verloren geht; auch kann eine noch so sorgfältige intersektionale Betrachtung nicht sämtliche ideologischen Klassifikationen in ihrem Zusammenspiel fassen; und nicht zuletzt laufen auch intersektionale Arbeiten stets Gefahr, analytische Differenzkategorien zu essentialisieren. Inzwischen entstehen jedoch an den Schnittstellen von Kulturwissenschaften, Gender, Critical Race und Film Studies integrative Studien, die sich diesen Problemen stellen und intersektionale Untersuchungsansätze gewinnbringend auf die Analyse populärkultureller Inszenierungen beziehen.2 Ausgehend von der Überlegung, dass die in Anschlag gebrachten Differenzkategorien keineswegs feststehende (Identitäts-)Positionen bezeichnen, sondern als umkämpfte Formationen zu verstehen sind, die zugleich sexualisiert, rassisiert, vergeschlechtlicht und vielfältig lokalisiert sind, werden die einander (durch-)kreuzenden Achsen von Dominanz und Unterwerfung, Ein- und Ausschluss, Ermächtigung und Entmächtigung, Täterschaft und Opferschaft herausgearbeitet,3 deren Zusammenwirken in den Single category-Analysen häufig unbefragt und unbesehen blieben. Der folgende Text wird diese kritischen Impulse auf das klassische Hollywoodkino fokussieren. Ich gehe dabei von der 1

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Vgl. dazu beispielhaft Baudry (1986), Mulvey (1975), hooks (1994), Diawara (1988), Weiss (1993), Benshoff/Griffin (2004), Dyer (1997). Aufschlussreiche Verbindungen zwischen mehreren Ungleichheitskategorien knüpfen beispielsweise Carson et al. (1994), Smith (1998), Kaplan (1997), Gill (2009), Dill/Zambrana (2009). Vgl. hier einführend und zusammenfassend Lykke (2010) und Walgenbach (2007).

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in feministischen und dekonstruktivistischen Zusammenhängen etablierten Überlegung aus, dass die Produkte der Filmindustrie hegemoniale Homogenisierungen hervorbringen, die intersektionale Ungleichheitsbeziehungen aufrufen und festigen. Zugleich aber eröffnen diese filmischen Texte Möglichkeiten der Re-Lektüre und Neuinterpretation, der Aneignung und Weiterentwicklung, die dominante Perspektiven befragen und dezentrieren können. Das klassische Hollywoodkino wird also nicht als totalisierender, hegemonialer Diskurs verstanden, sondern es trägt Ambivalenzen und Brüche in sich, die durch beharrliche intersektionale (Re-)Lektüren zum Vorschein gebracht werden können. Um diesen inhärenten Widersprüchen nachzugehen, werde ich einen ebenso populären wie umstrittenen Text heranziehen und seine kontroverse Rezeptionsgeschichte beleuchten. Es handelt sich dabei um Imitation of Life – ein Stoff, der in verschiedenen Versionen und Bearbeitungen, Persiflagen und Adaptionen durch die African-American und die Anglo-American Kultur zirkuliert und diese, wie Jane Caputi betont, in signifikanter Weise geprägt hat.4 Der von der prominenten und politisch engagierten Vielschreiberin Fanny Hurst5 verfasste Text erschien 1932 als Fortsetzungsroman in der Frauenzeitschrift Pictorial Review;6 im Folgejahr wurde die Buchpublikation ein sensationeller Erfolg, und bereits 1934 entstand unter dem Regisseur John Stahl die erste Verfilmung. Sterling Browns racekritischer Beitrag von 1935 in Opportunity: Journal of Negro Life löste eine monatelange,

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Mit diesen Begriffen – African-American und Anglo-American – verweist Caputi (1990) auf unterschiedliche Machtverhältnisse, die sich im Umgang mit dem Text zeigen. Hurst war eine gefeierte Autorin, Celebrity und engagierte Intellektuelle, die sich beharrlich gegen Rassismus und Unterdrückung einsetzte; in ihren zahlreichen Kurzgeschichten, Romanen und Drehbüchern geht es häufig um unterprivilegierte Figuren, die sich hochzuarbeiten versuchen. „[H]er masterful storytelling and unrelenting attention to the underdog helped win her multitudes of adoring readers“ (Itzkovitz 2004: vii). Das bedeutet jedoch nicht, dass Hurst selbst oder ihre Texte jenseits rassischer und diskursiver Formationen der Zeit stehen. Der Fortsetzungsroman trug den Titel Sugar House.

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kontroverse Debatte über den Roman und den Film aus.7 In Harlem führte Langston Hughes 1938 sein satirisches Theaterstück Limitations of Life auf; und in Romanen wie Zora Neale Hurstons Their Eyes Were Watching God (1937) oder Toni Morrisons The Bluest Eye (1970) werden vielschichtige intertextuelle Verbindungen geknüpft;8 1959 versetzte der aus NaziDeutschland emigrierte Filmregisseur Douglas Sirk den Text ins Theater- und Filmmilieu und machte daraus ein hochstilisiertes Melodrama in Technicolor, das der Produktionsfirma Universal den höchsten Gewinn aller Zeiten einbrachte;9 für postklassische Regisseurinnen und Regisseure wie Rainer Werner Fassbinder, Julie Dash oder Todd Haynes war Imitation of Life eine reiche Inspirationsquelle. So nimmt es nicht Wunder, dass auch die kritische Auseinandersetzung mit diesem Film nicht abreißt; Autorinnen von bell hooks bis Valerie Smith, von Judith Butler bis Laura Mulvey haben den Text differenzierten Revisionen unterzogen. Was Imitation of Life für diese unterschiedlichen Befragungen und Bearbeitungen und darüber hinaus für intersektionale Analysen immer wieder so anregend macht, sind die vielfältig variierten Überkreuzungen von rassisierenden, vergeschlechtlichenden, sexualisierenden und klassenorientierten Positionalisierungen, an denen Systeme von Unterdrückung und Privilegierung durchgespielt und verhandelt werden. Der Text kann als ein „kultureller Schauplatz befragt werden“, auf dem nicht nur die von Judith Butler in den Mittelpunkt gestellte „Performativität des Geschlechts inszeniert wird“ (Butler 2000: 31), sondern auf dem interdependente Ungleichheitsstrukturen konstruiert und bestärkt, befragt und angefochten werden. Ich selbst werde mich einigen dieser Bearbeitungen in drei Durch7

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Diese Debatte zog weite Kreise: „Black ministers preached sermons about it while Black intellectuals wrote about the film as well“ (Bogle 1988: 114). Eine ausführliche Darstellung der kritischen Auseinandersetzungen in den 1930er Jahren bietet Anna Everett (2001). Die intertextuellen Bezüge zwischen Imitation of Life und Hurstons und Morrisons Romanen untersucht besonders Jane Caputi (1990). Eine dritte weniger bekannte Version wurde 1948 in Mexiko unter dem Titel Angelitos Negros produziert.

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gängen nähern und dabei zeigen, dass der Text erstens im Sinne einer Stabilisierung hegemonialer Verknüpfungen von Race, Class und Gender gelesen werden kann; dass zweitens unterschiedliche Rezeptionen des Textes scheinbar feststehende Positionierungen von Privileg und Unterwerfung durchkreuzen können; und drittens schlage ich eine politisch-ironische Lektüre vor, die die von klassischen Genrefilmen zentral gesetzten Formen der psychologisierten und individualisierten Narrationslogiken und Rezeptionsweisen auf den Kopf stellt und hier ein weiteres Widerstandspotenzial auszumachen sucht. Das Wieder-Lesen des Textes und seiner kritischen Rezeptionen soll verdeutlichen, wie der Text hierarchisierende Ungleichheitskategorien zugleich reguliert und durchkreuzt. Ziel dieses Aufsatzes ist es also keineswegs, eine erschöpfende Filmanalyse vorzulegen, sondern eine stichprobenartige Revision des Textes und seiner journalistischen und wissenschaftlichen Lektüren zu unternehmen. Es geht mir vor allem darum, anhand der vielstimmigen Lesweisen, die Imitation of Life entgegengebracht wurden, sowohl kategoriale Kreuzungen herauszustellen als auch die dabei verwendeten (film-)analytischen Vorgehensweisen und bisherigen kritischen Schwerpunktsetzungen auf ihre Brauchbarkeit zu befragen. Dabei werden unter anderem Stereotypenkritik, Narrations-, Identifikations- und Rezeptionsanalysen in den Fokus genommen und überprüft. Eine solche wiederholte und wiederholende Lektüre wird den Text ebenso wie die darin inszenierten Differenzpositionen als instabil, beweglich und veränderbar sichtbar machen.10

10 Mit Bezug auf die Überlegungen von Patricia Hill Collins (2003) geraten dabei die institutionellen, die symbolischen und die individuellen Dimensionen von Ungleichheitsbeziehungen in den Fokus der Auseinandersetzung; wobei die institutionellen Aspekte vor allem die Filmindustrie selbst betreffen – und darüber hinaus die rechtlichen, politischen und sozialen Kontexte, während die symbolischen Dimensionen alle textuellen und intertextuellen Bereiche umfassen, und die individuellen Dimensionen nicht zuletzt auf die Rezeptionsebene verweisen.

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Nobody knows the trouble I seen. Hegemoniale Positionalisierungen Den direktesten Zugang zu einem Film scheint seine Story zu bieten,11 und auf dieser Ebene finden auch etliche der kritischen Auseinandersetzungen mit Imitation of Life statt. Roman und Erstverfilmung handeln von zwei allein stehenden Müttern, eine Schwarz (Delilah) und die andere Weiß (Bea Pullman), und deren Töchtern (Peola und Jessie), die beide als Weiße gelesen werden können.12 Delilahs fürsorgliche Hilfe im Haushalt und ihr famoses Familienrezept verhelfen Bea zu einem sensationellen Erfolg bei der Vermarktung von Aunt Delilah’s Pancakes. Während Delilah die selbstlos ergebene Haushälterin bleibt, versucht sich ihre inzwischen erwachsen gewordene Tochter aus der ihr zugedachten Stellung zu befreien und löst damit den zentralen melodramatischen Konflikt der Verfilmung aus.13

11 Dieser Einschätzung ist freilich nur begrenzt zuzustimmen; besteht doch ein narrativer Text stets aus story und plot oder fabula und sujet oder histoire und discourse, also im weitesten Sinne aus dem Dargestellten und der Darstellung, dem Was und dem Wie einer Erzählung. Diese Doppelung eröffnete gerade für den Film ein nahzu unerschöpfliches Repertoire an Zeichensystemen, die über die bloße Story weit hinausweisen. Und es sind schließlich die Zuschauerinnen und Zuschauer, die die Story oder die Fabula aus den Zeichen und Informationen erst heraus destillieren (vgl. Bordwell u. a. 1985). Das bedeutet aber auch, dass die (aktiven) Zuschauerinnen und Zuschauer durchaus verschiedenartige Erzählungen hervorbringen können – und es sind nicht zuletzt diese jedem narrativen eingeschriebenen Deutungsvarianten, die kritische Spielräume für neue Lesweisen eröffnen. 12 Mit Bezug auf Junker/Roth 2010 habe ich mich für die Großschreibung von „Schwarz“ und „Weiß“ entschieden, um auf die Konstruiertheit dieser Kategorien zu verweisen und Vorstellungen biologischer Essentialität zurückzuweisen 13 Die verschiedenen Versionen des Stoffes variieren dieses Narrativ. Der Roman lässt Peola nach Bolivien verschwinden; in Sirks Fassung erhalten die Figuren andere Namen und das Pfannkuchenrezpt und seine Vermarktung spielen überhaupt keine Rolle mehr; statt dessen verfolgt die Weiße Mutter zielstrebig eine Karriere als Schauspielerin, und der Titel bekommt hier eine weitere Bedeutungsebene.

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Diese für einen Hollywoodfilm der 1930er Jahre ungewöhnliche Verbindung von Race-, Class-, Gender- und Altersmotiven führte bei der zeitgenössischen Mainstream-Kritik zu einigen Irritationen; so beschrieb etwa eine Rezension in der New York Times den Film als „slightly diffuse drama which discussed the mother love question, the race question, the mother and daughter question and the love renunciation question“ (O.V. 1934: 19).

Das erzählerische Cross-cutting des Films wurde offenbar als zu vielschichtig und folglich als verwirrend wahrgenommen. Doch keineswegs verlaufen die verschiedenen Plotsegmente kreuz und quer durcheinander, sondern sie stehen in unmissverständlicher Hierarchie zueinander. Uneingeschränkte soziale Mobilität ist den Weißen Frauen vorbehalten, die dabei von den Schwarzen Helferfiguren profitieren. Diese offensichtliche Diskrepanz bringt Caputi auf den Punkt: „Delilah is clearly the founding and elemental ingredient in the success in which she so blatantly does not share. While Bea soars to the top of white society, Delilah remains her selfless and devoted domestic“ (Caputi 1990: 712).

Sowohl Valerie Smith als auch Jane Caputi rekurrieren bei der Analyse dieses Motives auf Toni Morrison, die in Playing in the Dark diese für die amerikanische Literatur zugleich zentrale und marginalisierte afrikanistische Figur als „surrogate and enabler“ (1992: 51) bezeichnet; erst in Abgrenzung zu diesen als abhängig, macht- und hilflos vorgestellten Figuren, so Morrison, können sich Weiße Charaktere als frei, machtvoll und begehrenswert entwerfen (ebenda: 52). bell hooks kommt zu einer ähnlichen Einschätzung in Bezug auf Hollywoodfilme: „Selbst wenn wir schwarzen Frauen im Film dargestellt wurden, waren unsere Körper und unser Sein nur vorhanden, um zu dienen—um die weiße Frau […] ins rechte Licht zu setzen (hooks 1994: 150).14

14 Stahls Film hatte dazu geführt, dass hooks überhaupt nicht mehr ins Kino ging; doch später war es eben dieser Film, der dazu bei-

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Diese weit verbreiteten Inszenierungsweisen wirken mit an der kulturellen „Ko-Konstitution von Gleichheit und Ungleichheit, von Freiheit und Herrschaft, von Differenzierung, Autonomie und Heteronomie, von Rationalitätsgewinn und Produktion von Irrationalität“ (Knapp 2008: o.S.),

in dessen binären Rahmen sich das moderne Weiße Subjekt seine überlegene Position sichert (Broeck 2002). So auch in Imitation of Life: Delilah ist beides, Ersatzmutter für das Weiße Kind und Kraftquelle für die Karriere der Weißen Frau. Gegenüber der unbeirrt geschäftstüchtigen Bea Pullman wird Delilah als abergläubisch, naiv und irrational vorgeführt. Insbesondere in der Szene, in der sie es ablehnt, sich mit ihrem 20-ProzentAnteil des Unternehmens unabhängig zu machen und ihren eigenen Hausstand zu gründen, präsentiert der Film Delilah als einfältige Dienstbotin, die weder Interesse an lukrativen Geschäften noch an einer eigenständigen Lebensführung zeigt. Entsprechend wurde diese Szene immer wieder heftig kritisiert, da sie rassistische Vorstellungen der dankbaren, unselbständigen Sklavin aufruft, die in ihrer subalternen Position als Dienerin der gönnerhaften Weißen Herrin aufgeht: „the film reproduces a patronizing attitude and relationship commonly recognized in accounts of slavery“ (Thaggert 1998: 485). Valerie Smith bringt es noch deutlicher auf den Punkt: „A domestic servant in the 1930s, she is the apologists’s vision of the plantation mammy revisited, devoid of any desire other than to care for her white mistress, even after emancipation. As such, she offers the perfect justification for black repression“ (Smith 1998: 45).

Beas Unternehmensberater schließt diese Szene mit der lakonischen Bemerkung ab: „Once pancake, always a pancake.“ Mit pancake wird hier einerseits auf eine abfällige Bezeichnung für Schwarze rekurriert,15 andererseits auf die Pfannkuchen in der Filmstory angespielt, für deren Vermarktung Delilahs Konterfei trug, dass hooks ihre Überlegungen zum „oppositional gaze“ ausformulierte (1994). 15 Zora Neale Hurstons „Glossary of Harlem Slang“ aus den 1940er Jahren definiert pancake als „a humble type of Negro“ (1985: 94).

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auf Schildern, Reklamebildern und Verpackungen erscheint. Unmittelbar nach dieser Szene zeigt der Film ein Neonschild, das mit über 32 Millionen jährlich verkauften Packungen Pfannkuchenteig wirbt und dann in ein Bild von Delilah mit Kochmütze und Pfannkuchen übergeht. Für ein amerikanisches Publikum wecken die Stilisierung und Vermarktung Aunt Delilahs unmittelbare Assoziationen mit Aunt Jemima.16 Unter diesem Markennamen werden seit 1889 in den USA Backmischungen für Pfannkuchen vertrieben. Die Herstellerfirma hatte zu Werbezwecken eine frühere Sklavin eingestellt, die auf der Columbia Exposition in Chicago 1893 Pfannkuchen backen und heitere Geschichten aus dem Alten Süden erzählen musste.17 Dieser exploitative Einsatz von Schwarzen Frauen bei der Bewerbung und Vermarktung von Kosumgütern verhindert, wie Miriam Thaggert argumentiert, eine positive Identifikation mit diesen Figuren; Delilah sei aufgrund ihrer allgegenwärtigen spektakulären Bildhaftigkeit leicht zu identifizieren (der Film zeigt ihr Portrait in immer neuen Varianten), aber genau darum falle es schwer, sich mit ihr zu identifizieren: „The film’s obvious appropriation of the existing trademark leaves little opportunity to engage with Delilah when she is portrayed to everyone as the pancake-flipping mammy […]. The more commodified her appearance, the more distance exists between her and the spectator“ (Thaggert 1998: 484f.).18

16 Diese visuellen Assoziationen werden in einer früheren Szene ironisch ausgespielt, in der Delilah für einen Schildermacher mit einem Lächeln posieren soll und in dieser Pose verharrt, bis es lächerlich wird. Berlant schreibt über diese Einstellung: „the grotesque hyperembodiment of Delilah in this sequence violates her own and the film’s aesthetic codes: I feel certain that her graphic decontextualization is specifically designed to allude to and to ironize Aunt Jemima, in her role as a site of American collective identification“ (Berlant 1993: 191). 17 „Nancy Green, the first model who posed as Aunt Jemima, from 1893 to her death in 1923, was herself an ex-slave“ (Itzkovitz 2004: xx). 18 Hill Collins bringt noch eine andere Sichtweise ins Spiel; den Voyeurismus der Weißen: „From the perspective of the privileged, the lives of people of color, of the poor, of women are interesting

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Abgesehen von solchen nicht ohne weiteres zu belegenden identifikatorischen Prozessen19 verweist das technisch reproduzierte und allgegenwärtige Bild Delilahs aber auch auf ihre prekäre Position in der öffentlichen Sphäre. So betont Hall, „that there is always the price of incorporation to be paid when the cutting edge of difference and transgression is blunted into specularization. I know that what replaces invisibility is a kind of carefully regulated, segregated visibility“ (Hall 2004: 257).

Diese streng regulierte Repräsentation Schwarzer Körper wird auch von Lauren Berlant problematisiert, die in ihrem Aufsatz „National Brands/National Bodies“ auf den Zusammenhang zwischen unmarkierter, männlicher Körperlichkeit, Bürgerrechten und politischer Teilhabe einerseits und der Überdeterminierung des markierten, von politischer Teilhabe ausgeschlossenen weiblichen Körpers andererseits verweist. In Imitation of Life trage Delilah die Last einer doppelten Verkörperung, die aus den sich in ihrer Figur überschneidenden Ungleichheitsmarkierungen erwachsen: Sie ist zugleich eine von historischen, politischen und individuellen Strukturen isolierte Werbe-Ikone, die durch den öffentlichen Raum kursiert, und Dienstleisterin im Privaten. Vermittels dieser doppelten Verdinglichung werde sie außerhalb der abstrakten und abstrahierenden Ideale amerikanischer Bürgerschaft verortet. Deutlich wird diese rassisierende und vergeschlechtlichende Positionierung außerhalb der Weißen Bürgergesellschaft nicht zuletzt in der Tatsache, dass das Script keinen Nachnamen für Delilah vorsieht. Stattdessen wird sie als Aunt Delilah zur Projektionsfläche für scheinbar familiäre und harmonische Geschlechter- und Rassenbeziehungen unter Weißer Kuratel und entlang Weißer Begehrensformationen. Indem Imitation of Life Privilegien, Aufstiegs- und Anerkennungsmöglichkeiten entlang rassisierter, vergeschlechtlichter und klassenunterlegter Kategorien zuweist oder vorenthält, for their entertainment value. The privileged become voyeurs, passive onlookers who do not relate to the less powerful, but who are interested in seeing how the ‚different‘ live“ (Hill Collins 2003: 342). 19 Zum Problem von cinematischen Identifikationen vgl. u.a. Smith 1995.

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werden (jenseits des biologischen Geschlechts) Genderzuordnungen ins Spiel gebracht, die die Schwarze Frau auf die Seite der häuslichen Feminität, die Weiße Frau auf die Seite des maskulinen Erfolgsstrebens, der kapitalistischen Rationalität und Akkumulationslogik versetzen. Entsprechend verweisen kritische Analysen auf den segregierenden Plot ebenso wie auf die mise-en-scène, durch die die Figuren immer wieder voneinander getrennt und differenziert werden. Visuell wird diese hierarchisierende Trennung durch die Treppe im gemeinsamen Haushalt der beiden Frauen markiert; Bea lebt im Obergeschoss, Delilah wohnt mit ihrer Tochter im Untergeschoss. Akustisch wird die Teilung durch die unterschiedlichen musikalischen Themen unterlegt: Bea wird mit einer leichten, harmonischen Melodie vorgestellt, während Delilah mit dem Spiritual „Nobody knows the trouble I seen“ auf die Seite von Kummer und Leid platziert wird, wie Valerie Smith ausführt. „The tension between pleasure and pain on which the narrative depends is thus anticipated by the juxtaposition of the musical themes“ (Smith 1998: 46). Für die Weißen Figuren ebenso wie für ein Weißes, privilegiertes Publikum erscheint die vorgeführte Lebenssituation der beiden Frauen demgegenüber höchst komfortabel und akzeptabel. So betont Berlant, dass Bea ihre strukturelle Beziehung zu Delilah niemals in Frage stelle; für sie ist das Zusammenwohnen einfach eine gegebene Tatsache, genauso untheroetisiert und unbefragt wie die unterschiedlichen Positionen der Frauen in den rassisierten und klassenbezogenen Hierarchien der dominanten Kultur. „[Bea] has no consciousness of her privilege“ (Berlant 1993: 185). Entsprechend argumentiert auch Ruth Feldstein: „Again and again, assurances of racial place through motherhood mitigate this ‚Boston marriage‘ of two unmarried working women“ (Feldstein 2000: 19). Neben der Kritik an parteiischen Plotstrukturen zielt eine weitere Intervention gender- und racekritischer Analysen auf die stereotypen Darstellungen des Hollywoodkinos. Stuart Hall sieht hierin einen zentralen Aspekt des „Othering“ – das „Andere“ wird auf wenige eingängige Attribute beschränkt und auf eine unveränderliche Position festgelegt. „Stereotypisierung reduziert, essentialisiert, naturalisiert und fixiert ‚Differenz‘ (Hall 2004a: 144). Stereotypisierung ist somit eine Praxis der Schlie-

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ßung und des Ausschlusses, und sie tritt vor allem da in Erscheinung, wo es große Ungleichheiten in der Machtverteilung gibt. Donald Bogle (1994) hat fünf rassistische Stereotpyen im Hollywoodkino herausgearbeitet: Toms (die „guten Neger“), Coons ( die „nichtsnutzigen Neger“), die tragische Mulattin (die Frau „gemischt-rassischer“ Herkunft, grausam und sexy), Mammies (die unterwürfigen Bediensteten) und die Bad Bucks (der aufbegehrende, gewalttätige Schwarze). Demgegenüber zielte die Weiße feministische Kritik an stereotypen Images of women vor allem auf die einschränkende Darstellung von Frauen als Heilige oder Hure, als tugendreiche Gefährtin oder verführerische Femme fatale. In Imitation of Life läuft eine Weiße Stereotypenkritik freilich ins Leere – ist Bea doch weder ein Gold digger noch das Heimchen am Herd; für Delilah trifft die Reduktion auf ein Stereotyp dagegen umso stärker zu. Sterling Brown bringt dies in seinem Essay von 1935 auf den Punkt: „It requires no searching analysis to see in Imitation of Life the old stereotype of the contented Mammy, and the tragic mulatto; and the ancient ideas about the mixture of the races” (Brown 1996: 288f).20

Patricia Hill Collins sieht in solchen negativen Stereotypisierungen zugleich einen Anstoß für ihre Ablehnung, und sie weist damit der widerständigen Zuschauerin einen wichtigen Platz zu: „Black women encounter controlling images such as the mammy, the matriarch, the mule and the whore, that encourage others to reject us as fully human people. Ironically, the negative nature of these images simultaneously encourages us to reject them“ (Hill Collins 2003: 339).

20 Das Stereotyp der Mammy als asexuelle, mütterliche Dienerin wird bereits im Roman entfaltet, wie Itzkovitz betont: „Hurst’s novel both reflects and satisfies white fantasies and desires for a mammy, with all the maternal and racial connotations of this term fully intact“ (Itzkovitz 2004: xxii). Er zieht darüber hinaus eine Verbindung zu Hursts jüdischer Herkunft und den in vielen ihrer Stories auftauchenden „all-loving Yiddishe Mamas“ (Itzkovitz 2004: xi).

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Upside down? Widerständige Verhandlungen Während Patricia Hill Collins Ablehnung und Widerstand miteinander verknüpft, eröffnet Langston Hughes in seinem kurzen Theaterstück Limitations of Life von 1938 einen weiteren möglichen Umgang mit begrenzenden Stereotypisierungen. Er spitzt die stereotypen Klischees satirisch zu, indem er die Rollen der Schwarzen und Weißen Figuren vertauscht und damit ihre offenkundige Konstruiertheit aufzeigt.21 Hughes’ Biograph, Arnold Rampersad, schrieb über den vom Harlem Suitcase Theater aufgeführten Sketch: „a great hit—at least with the blacks in the audience, who howled throughout the Limitations of Life at seeing a Black society lady return from the opera to the ministrations of her shuffling white maid. Most whites were less amused” (zit. in Caputi 1990: 365).

Rampersads Besprechung macht die Bedeutung von unterschiedlichen Rezeptionspositionen ersichtlich und zeigt, wie ein Text höchst divergierende Reaktionen auslösen kann. Für feministische und racekritische Untersuchungen ist darum die Entwicklung eines oppositionellen Blickes auf Hollywoodproduktionen höchst bedeutsam. bell hooks beschreibt den von Widerstand geschärften Blick der Schwarzen oppositionellen Zuschauerin folgendermaßen: „Im Zusammenspiel von Klassenausbeutung, rassistischer und sexistischer Beherrschung konnten wir als schwarze Frauen nur aufgrund von Widerstand, von Kampf, von ‚Gegen-den Strich-Lesen‘ unsere Art zu sehen genügend schätzen, um uns öffentlich über sie zu äußern. […] Wir haben […] eine Theorie über kritisches Sehen gebildet, nach der Filmvergnügen in der Lust am Hinterfragen liegt“ (hooks 1994: 158f.).

21 Die Grenzen der Stereotypenkritik zeigen Shohat und Stam auf. Mögliche Probleme liegen in ungewollten Essentialisierungen, fehlenden Historisierungen sowie einer Tendenz zur Moralisierung und Individualisierung (1994: 198ff.). Und Stuart Hall gibt zu bedenken, dass die Umkehrung eines Stereotyps nicht gleichbedeutend mit seiner Subversion sei (Hall 2004a: 161).

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Diese Lust am Hinterfragen widersetzt sich normativen Identifikationsangeboten und sucht nach Brüchen, Widersprüchen und Ambivalenzen. Ein Bereich, in dem der Film Interpretationsspielräume für solch ein Hinterfragen öffnet, ist die Beziehung zwischen den beiden weiblichen Hauptfiguren. Wie gezeigt wurde, ist diese Beziehung von klaren hierachischen Positionen und Privilegien bestimmt, und dennoch zeigen einige Szenen die beiden weiblichen Hauptfiguren in inniger, körperlicher Vertrautheit. Während die heterosexuelle Romance im klassischen Hollywoodkino weitgehend unverzichtbar ist,22 fokussiert Imitation of Life die enge Lebensgemeinschaft der Frauen und fügt erst gegen Ende eine kurze, aber bald scheiternde heterosexuelle Liebesbeziehung ein. Freundschaft und körperliche Nähe finden über weite Strecken des Films allein zwischen den beiden weiblichen Hauptfiguren statt. Diese Szenen gehen über die sonst üblichen Darstellungen der Beziehung zwischen Schwarzer Dienstbotin und Weißer Herrin hinaus, wie sie etwa in der berühmten Verfilmung von Gone with the Wind (1939) zwischen Hattie McDaniel und Vivian Leigh präsentiert werden. Auch einem Kritiker wie Sterling Brown entging diese ungewöhnliche Intimität im Zusammenspiel von Claudette Colbert und Louise Beavers nicht: „There is a warm mutual affection between the two mothers“ (1996: 288); und Berlant bezeichnet Delilah als Beas „wife and mother, the only person who touches her body during the 1920s“ (1993: 185). Solch einen erotisierten Körper- und Blickkontakt gestattet das klassische Kino sonst nur heterosexuellen Paaren, und es lassen sich in diesen Szenen Ambiguitäten entdecken, die ein queering der klassischen Plotstruktur erlauben und einen Möglichkeitsraum für Vergnügen und Begehren jenseits heteronormativer Vorgaben eröffnen. Gleichwohl wird auch dieser Raum von einer intersektionalen „Matrix der Dominanz“ (Hill Collins 2000) bestimmt, in der die Weiße Frau eine männlich-dominante

22 Bordwell u.a. (1985) bezeichnen die übliche Doppelung der klassischen Hollywooderzählung in einen Abenteuer- und einen Liebesplot als double plot. Die beiden Erzählstränge werden im Verlaufe des Films zusammengeführt und markieren ein klares Ende der Narration.

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Position einnimmt, und die Schwarze Frau feminisierte „Arbeit aus Liebe – Liebe als Arbeit“ (Bock/Duden 1977) leistet. Darüber hinaus erzeugt insbesondere das Schauspiel der Schwarzen Darstellerinnen augenfällige Risse auf der scheinbar glatten, ideologischen Oberfläche des Films. Donald Bogle sieht Schwarze Schauspielerinnen und Schauspieler im klassischen Hollywoodkino in einer Art Ko-Autorschaft, als „nondirectorial auteurs“ (1988: 36ff.), da es ihnen häufig gelang, die ihnen zugedachten Rollen als komische Anhängsel oder unterwürfige Dienstbotinnen zu überschreiten und damit auch die Filme zu verändern, in denen sie auftraten. Auch zeitgenössische Rezensionen sahen im Spiel von Beavers (Delilah) und Washington (Peola als junge Frau) einen möglichen Gegenentwurf zu vielen rassistischen und sexistischen Inszenierungen der 1930er Jahre. So betonte selbst Sterling Brown in seiner scharfen Kritik von Roman und Film: „Important roles were given to Louise Beavers and Fredi Washington, who are certainly deserving actresses. If their names were not quite in the largest type, they were still high on the list, and will be remembered because of first rate performances“,

und weiter: „the intrinsic dignity of Louise Beavers kept down the clowning“ (Brown 1996: 288). Donald Bogle bezeichnet Imitation of Life darum auch als den ersten wichtigen ‚Black film‘ der 1930er Jahre; durch die „Humanisierung“ des „Negro servant“ und die Präsentation von Schwarzen Rollen jenseits der üblichen Standards brächte der Film ein neues soziales Bewusstsein in der Zeit der Großen Depression und des New Deal zum Ausdruck (vgl. Bogle 1988: 57). Auch Susan Feldstein betont in ihrer Monographie Motherhood in Black and White die positiven Seiten von Stahls Schauspielerführung: „the film also departs from one-dimensional and explicitly racist depictions of black women. Delilah, initially an unemployed and homeless single mother, saves enough money for her daughter to attend a ‚negro college‘ and for a grand funeral“ (Feldstein 2000: 17f.).

In seinem Aufsatz „What is this ‚Black‘ in Black popular culture?“ betont Hall die vielfältigen Facetten von Tradition und Er-

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fahrung, die in die homogenisierenden Inszenierungen der Mainstream-Kultur Eingang finden: „However deformed, incorporated, and inauthentic are the forms in which Black people and black communities and traditions appear and are represented in popular culture, we continue to see, in the figures and the repertoires on which popular culture draws, the experiences that stand behind them“ (Hall 2004: 259).

Hall umreißt die Schwarzen Traditionen und Repertoires innerhalb der widersprüchlichen und durchmischten Modi der Mainstream-Kultur mit den Begriffen Stil, Musikalität und Körperlichkeit, die er der Betonung von Inhalt, Wort und Kapital in der Weißen Kultur gegenüberstellt. Es sind eben diese Modi von Stil, Musikalität und Körperlichkeit, die von den Schwarzen Schauspielerinnen in Imitation of Life in besonderer Weise eingebracht werden und dem Film damit eine weitere Ebene hinzufügen, die der Deprivilegierung dieser Figuren entgegensteht. In dieser Weise liest auch Lauren Berlant Delilahs Rolle weniger als simplizistische Mammy-Figur, sondern als ironisierende Subversion eines amerikanischen Bildrepertoires, das für Schwarze ansonsten mehr oder weniger stereotype Repräsentationen vorsah. Dies wird für Berlant nicht zuletzt in jener Szene deutlich, in der der dramatische Konflikt um die hellhäutige Peola erstmals ausbricht. Wutentbrannt wirft sich die junge Peola in die Arme ihrer Mutter, weil Beas Tochter sie eine „Schwarze“ genannt hat. Am Ende dieser schmerzlichen Szene fragt Delilah sich, Bea und die impliziten Zuschauerinnen und Zuschauer, wer denn die Schuld an den rassistischen Zuordnungen trage, mit denen ihre Tochter konfrontiert wird. „It ain’t her fault, Miss Bea. It ain’t yourn, and it ain’t mine. I don’t know rightly where the blame lies. It can’t be our Lord’s. Got me puzzled.“ Einerseits muss diese Aussage so gelesen werden, dass das Filmscript jede individuelle Verantwortlichkeit für das rassistische Regime zu verschleiern sucht. Doch andererseits gelingt es dem Film an dieser Stelle, den geschlossenen cinematischen Raum zu durchbrechen. Delilah/Louise Beavers schaut hier nicht mehr die diegetischen Figuren an, vielmehr ist ihr Blick direkt in die Kamera gerichtet, und ihre Frage bleibt un-

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beantwortet im Raum stehen. Für Berlant spricht Delilah an dieser Stelle den wichtigsten und den politischsten Satz des Filmes aus. Im Gegensatz zu Aunt Jemima erzähle sie keine heiteren Geschichten aus dem „guten alten Süden“, sondern stelle die rassistischen Formationen der US-amerikanischen Gesellschaft bloß und konfrontiere jede einzelne Zuschauerin und jeden einzelnen Zuschauer mit der Frage nach Schuld und Verantwortung: „Delilah talks back to the nation from within her fictive frame, in the mammy’s costume […] she speaks of the political brutality of the national public sphere“ (Berlant 1993: 192).

Letztlich seien hier die Zuschauerinnen und Zuschauer aufgefordert, das seinerzeit herrschende rassistische Jim CrowRegime mit seiner strikten Rassentrennung und unnachgiebigen Unterdrückung von Schwarzen in Frage zu stellen. Ganz anderes verstehen Susan Courtney (1998) oder Valerie Smith diese Szene, in der sich Delilahs blinde Akzeptanz der rassischen Ordnung zeige. „The close-ups of Delilah register her pain at and acceptance of her daughter’s verbal abuse and encourage viewers to identify with her suffering rather than with Peola’s rebelliousness“ (Smith 1998: 47).

Innerhalb dieser narrativen Logik erscheint es zwangsläufig, dass Peola sich schließlich für ein Leben als Weiße entscheidet und sich in einer dramatischen Szene von ihrer Mutter, ihrer Herkunft und damit von ihrer Klassenposition löst. Überzeugend legt Donald Bogle dar, dass Peola nicht Weiß sein möchte, sondern vielmehr an den „white opportunities“ (Bogle 1994: 60) teilhaben will. Dass Peola überhaupt als Schwarze wahrnehmbar ist, liegt freilich an jener besonderen juristischen Situation in den USA, die bis in die 1980er Jahre Menschen mit nur „einem Tropfen Nicht-Weißen Blutes“ als Schwarze einstufte. Die Figur der Peola als „legally black yet physically white“ zeigt die Paradoxien dieser hegemonialen Konstruktion von Whiteness und verdeutlicht noch einmal die intersektionalen Beziehungen zwischen race, class und Gender. Denn das Racial passing bezieht

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sich, wie Valerie Smith betont, nicht auf den Wunsch Weiß zu sein, sondern vielmehr einer privilegierten sozialen Schicht anzugehören, und offenbart gesellschaftliche Machtverhältnisse und Stratifikationen, keineswegs aber individuelle Dispositionen oder gar Schwächen. Passing bedeutete bis in die 1960er Jahr hinein die Möglichkeit, sich im öffentlichen Raum frei bewegen zu können. Partizipations- und Anerkennungschancen waren (und sind) direkt verknüpft mit angenommenen oder unterstellten rassisierten Zugehörigkeiten. Valerie Smith lokalisiert daher auch die von ihr untersuchten Passing-Stories im Diskursfeld der Intersektionalität: „I locate passing within the discourse of intersectionality because it is generally motivated by class considerations (people pass primarily in order to partake of the wider opportunities available to those in power), and constructed in racial terms (people describe the passing person as wanting to be white, not wanting to be rich), its consequences are distributed differentially on the basis of gender (women in narrative are more likely to be punished for passing than are men)“ (Smith 1998: 35f).

Peolas helle Haut droht das Konzept von „Rasse“ als eine sichtbare physische Eigenschaft zu erodieren. Damit ruft sie eine fundamentale Störung der Gesetze und Praktiken auf den Plan, die Weiße und Schwarze in strikt getrennten Sphären positionierten. Sollers beschreibt den Passer dann auch als „a living reminder of the absurdity of racial divisions“ (Sollers 1996: 2107).23 Die Menschen, die weder Schwarz noch Weiß und doch beides sind, untergraben die Sicherheit der Grenzen zwischen den vermeintlichen Rassen und werden zum Sündenbock erklärt. Für den Film bedeutet diese paradoxale Struktur, dass das Publikum die Rassisierung Peolas im Vollzug beobachten und dazu Stellung nehmen kann.24 So kulminieren gerade in 23 Für die französische Untertitelung des Films führte der Begriff des Passing denn auch zu völliger Verwirrung. „Has she been passing?“ wurde als schulischer Erfolg verstanden und mit „sie hat es in die vierte Klasse geschafft“ übersetzt (vgl. Cook 1935: 182). 24 Die erste Lektüre des Films respektive des Drehbuchs wurde, wie damals üblich, von der industrieinternen Zensurbehörde, der Production Code Administration, vorgenommen. Sie lehnte den

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der Figur der Peola jene miteinander verknüpften und doch immer kontingenten Hierachisierungen, Ausschlüsse und Konstruktionen, die intersektionale Analysen aufzuzeigen und in ihren Widersprüchen zu durchkreuzen suchen.

No more weeping and wailing. Das Persönliche ist Politisch Toni Morrison lässt in ihrem 1970 erschienenen Roman The Bluest Eye zwei dunkelhäutige Mädchen aufeinander treffen und stellt in der folgenden Dialogszene einen expliziten Bezug zur Filmversion von 1934 her – auch wenn Morrison den Namen ihrer Romanfigur (Pecola) gegenüber der Filmfigur (Peola) leicht verändert hat und damit eine bedeutsame Verschiebung zum Ausgangstext einarbeitet:25 „I just moved here. My name is Mareen Peal. What’s yours?“ „Pecola.“ „Pecola? Wasn’t that the name of the girl in Imitation of Life?“ „I don’t know. What is that?“ „The picture show, you know. Where this mulatto girl hates her mother ‘cause she is black and ugly but then cries at the funeral. It was real sad. Everybody cries in it. Claudette Colbert too.“ „Oh.“ Pecola’s voice was no more than a sigh. „Anyway, her name was Pecola too. She was so pretty. When it comes back, I’m going to see it again. My mother has seen it four times.“ (Morrsion 1970: 56f.).

Das Mädchen Mareen fokussiert hier das tragische Ende des Films. Peolas Wunsch, als Weiße zu leben, bricht Delilah das Herz. Sie vermacht ihrer entschwundenen Tochter ihr Vermögen, und der Rest ihrer Ersparnisse wird für ihre großartige BeFilm zunächst ab, denn Peolas helle Haut implizierte eine gemischte Herkunft, doch Miscegenation durfte auf keinen Fall in US-amerikanischen Filmen angedeutet, geschweige denn gezeigt werden (vgl. Courtney 1998). 25 In der Tat ist peola in die afro-amerikanische Umgangssprache eingegangen; Zora Neale Hurston erläutert in ihrem Glossary of Harlem Slang den Begriff als „a very white Negro girl“ (1985: 94). Pecola öffnet demgegenüber eher Konnotationen mit „einem kleinen Mädchen“.

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erdigung aufgewandt. In letzter Sekunde erscheint Peola und wirft sich weinend auf den Sarg ihrer Mutter. So erweist sich Imitation of Life als echtes Melodrama, als tear jerker, der alle zum Weinen bringt, einschließlich der Zuschauerinnen und Zuschauer. Und Weinen verhängt eine klare Sicht. Das maternal melodrama gilt darum auch als ein Genre, das unkritische, bourgeoise und rassistische Ideologien in die widerstandsfreien Gemüter des feminisierten Publikums lenkt. Unterstützt wird diese Tyrannei des falschen Gefühls durch die im „Frauenfilm“ besonders ausgeprägte Tendenz, gesellschaftliche Probleme und Konflikte als private und mütterliche Sorgen zu inszenieren. So argumentiert auch Ruth Feldstein: „The black daughter repeatedly tries to reject her subordinate racial place, but Bea transforms her sociopolitical protest into a maternal issue: ‚How can you hurt your mother so?‘ she asks. ‚How can you make her suffer this way?‘“ (2000: 20)26

Feldstein sieht hier eben jene melodramatische Verschiebung am Werke, in der soziale Antagonismen als individuelle Mutter-Tochter-Konflikte recodiert werden. In den Anwürfen an das Melodrama kulminiert eine generelle Kritik am Hollywoodfilm respektive an der Populärkultur: politische Konflikte würden allein auf individueller Ebene verhandelt und psychologisiert, Zuschaueremotionen in ideologisch vorgeformte Bahnen gelenkt und kritische Sichtweisen verstellt. Und gerade die sogenannten Frauenfilme oder maternal melodramas galten der Kritik lange als Ablenkung oder Ersatz von konkreten Aktionen oder Aktivitäten,

26 Auch für bell hooks war die Auseinandersetzung mit Peola ein tränenreiches Unterfangen: „Du warst anders. Es gab etwas Beängstigendes an diesem Bild einer verratenen jungen sexuellen sinnlichen schwarzen Schönheit – diese Tochter, die nicht vom Schwarzsein eingeengt sein wollte. ‚Laßt mich bloß für immer diesem Bild entfliehen’, hätte sie sagen können. Ich werde dieses Bild nie vergessen. Ich erinnere mich daran, wie wir um sie weinten, um unser eigenes, nicht verwirklichtes, verlangendes Selbst. […] Wir weinten die ganze Nacht um dich, weil der Film keinen Platz für dich hatte“ (hooks 1994: 153).

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„by providing a safe, protected sphere in which we can experience sorrow, anger, outrage—and congratulate ourselves on our sensitivity— without having to act on these emotions. Rather than developing and intensifying our understanding of the world, emotional responses to fiction only serve to siphon off energies which might otherwise have transformed the world. In short, empathic emotions are an instrument of subjection“ (Smith 1995: 55).

Eine ganz andere Sichtweise auf die ideologischen Effekte des emotionsgeladenen „Frauenfilms“ entwarf Rainer Werner Fassbinder 1971 in einer längeren Rezension über Douglas Sirk und seine Filme. Über Imitation of Life schrieb Fassbinder: „Ein großer, wahnsinniger Film vom Leben und vom Tod. Und ein Film von Amerika […]. Keinem der Protagonisten wird je klar, daß alles, Gedanken, Wünsche und Träume präzise aus der gesellschaftlichen Realität entstehen oder von ihr manipuliert sind“ (Fassbinder 1971: 12).

Fassbinder sieht die Blindheit der Protagonistinnen und Protagonisten gegenüber den vielschichtigen und interdependenten Ungerechtigkeiten und Privilegien in den USA. Doch es gelingt ihm, das Persönliche in einen politischen Handlungsentwurf zu übersetzen. „Sarah Jane [so heißt Peola in Sirks Version von 1959, Anm. K. E.] wehrt sich gegen den Terror der Mutter, gegen den Terror der Welt. Das ist grausam, da kann man sie beide verstehen, beide haben auch recht und beiden wird keiner je helfen können. Es sei denn, wir verändern die Welt. Da haben wir alle geweint im Kino. Weil das so schwer ist, die Welt zu verändern.“ (Ebd.)

Mit selbstironischem Pathos bringt Fassbinder diesen schwierigen Übergang von persönlichem Mitgefühl und politischem Interventionswillen auf den Punkt. Dieses politische „Wir“, das Fassbinder hier entwirft, diese Koalition von weinenden Kinozuschauerinnen und -zuschauern, die aktiv an einer Veränderung der Welt arbeitet, ist unter heutigen neoliberalen Verhältnissen nur noch schwer vorstellbar. So stellt sich an dieser Stelle die Frage, inwieweit die verschiedenen Lesarten, seien sie dominant oder oppositionell, rational oder emotional, sich dem hegemonialen Rahmen filmischer Repräsentationen entziehen

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oder ihn möglicherweise sogar verändern können. Dafür sprechen einige aktuelle Filmproduktionen, deren multiperspektivische Narrationen intersektionale Ungleichheiten verhandeln und drastisch veranschaulichen. Filme wie L.A. Crash (Paul Haggis, 2004), Babel (2006 Alejandro Inarritu) oder Precious (Lee Daniels 2009) können intellektuelle und emotionale Reaktionen in Gang setzen, die möglicherweise ein zeitgemäßes Veränderungspotenzial mit sich bringen.

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La Sape: Eine Fallstudie zu Mode und Sichtbarkeit im postkolonialen Kontext HANNE LORECK La Sape

Das Phänomen La sape, abgeleitet von se saper, sich elegant kleiden, bezeichnet die Kunst schönen und exklusiven Angezogenseins kongolesischer Männer und übersetzt sich als Akronym mit Société des ambianceurs et des personnes élégantes. Im klassischen Verständnis von Männermode bis in das kleinste Detail perfekt, meistens mit einem unübersehbaren Vergnügen an leuchtenden Farben und einer so genannten Stilsicherheit in der Kombination auffallender Farbkontraste gekleidet, wird von den Dandies à Bacongo1 (Gandoulou 1989) gesprochen. Ihre Mitglieder nennen sich Sapeurs und halten sich vornehmlich in den Haupt- und Großstädten der beiden Kongo-Republiken auf, aber ebenso in Paris, Brüssel und seltener in London. Fotobände und Netzeinträge der jüngsten Zeit (Gusti 2009; Tamagni 2009; Mediavilla 1

So der Titel der bislang ausführlichsten, zahlreiche Originaldokumente der Sape-Praktiken aufführenden, wiewohl gut zwei Jahrzehnte alten ethnographischen und weniger im Kontext des Verhältnisses zwischen Diaspora oder dem Lokalen und dem Globalen erstellten Studie: Justin-Daniel Gandoulou, Dandies à Bacongo. Le culte de l’élégance dans la société congolaise contemporaine, Paris: Editions L’Harmattan, 1989.

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2010) zeigen schwarze Männer in dreiteiligen Anzügen, mit Spazierstock, Melone, Einstecktüchern und nicht zuletzt mit einer dicken Zigarre in der Hand. Der – fotografisch inszenierte – Kontrast könnte spektakulärer nicht sein, wenn sich die Protagonisten im makellosen Dress über staubige Straßen und an Blechhütten vorbei bewegen, oder in den Banlieux von Paris unterwegs sind (Mediavilla 2010; Lanquetin 2009; Artur/ N’Tary-Calaffard 2006).2 Aber die Szenographien zeigen auch eine andere, die jugendkulturelle Version von Sapeurs. Für sie gilt nunmehr ein Set von Praktiken, das die Jahrzehnte lang erprobte dandyeske Mode-Ensemblage verschiebt, ohne deren Grundzüge aufzugeben: Kleiderkodes werden um Körperpolitiken ergänzt; primär begehrte französische Marken, mithin die Garantie der Mimikry der Kolonialherren, konkurrieren nun mit japanischen Labels und verschieben damit den kolonialen Kontext als direkten Referenz- und Differenzrahmen. Nun teilt sich die Jugend scheinbar eine Welt. Im 21. Jahrhundert bewegen sich junge Männer und Frauen – freilich nach wie vor nur einzelne Frauen – an der Schnittstelle von Straßenmode, Haute couture, Performance und SichZurechtmachen. Der Unterschied liegt auf der Hand: Heute ist es die mögliche Beteiligung von jungen Frauen und die Adaption von Jugend- und Popkultur, die sich nicht nur in der Einmischung von Straßenmode in Hochmode manifestiert, sondern vor allem in Tanzen und Performen. Dem Sport und der Kunst näher, brauchen die Praktiken Bewegungsfreiheit und lösen über den gewissen Funktionalismus der Bekleidung notwendigerweise das gleichsam ‚stocksteife‘ moderne Flanieren des klassischen Sapeur ab. Analog zur traditionellen Verwandtschaftshierarchie in Gruppen oder Clubs organisiert, teilen die Sapeurs außer einem strengen Ethos und bestimmten Ritualen die Motivation, in einer Rangordnung aufzusteigen. Kongolesisch-ethnischer Tradi2

Die traditionellen Sapeurs in Paris siehe Mediavilla 2010b, zur jugendkulturell ausgerichteten Kinshasa-Version siehe das ausgezeichnete künstlerisch-soziale, partizipatorische Projekt Lanquetin 2010; die Pariser Version siehe: ; diese Fotos illustrieren N’Tary-Calaffard 2006.

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tion zufolge können damit höhere Grade von Wohlergehen, Gesundheit, Status und Ansehen erreicht werden (vgl. Friedman 1994).3 Dem Clan-Ältesten entspricht der Grand, ein Mann, der seinen herausragenden Geschmack und seine modische Kultiviertheit bewiesen hat. Um den Titel Grand zu erreichen, muss ein Kandidat in Paris gewesen, mit diversen exklusiven, raffinierten Outfits westlicher Designermode zurückgekommen und schließlich in der Konkurrenz mit anderen von einer Jury nicht nur für seinen Geschmack und die größtmögliche finanzielle Investition, sondern vor allem für die Aufführung dieser Kleidungsensembles als bester ausgezeichnet worden sein. Diese zu Stammestraditionen alternative, jedoch vergleichbar hierarchische – und, was den so genannten Klientelismus betrifft, im Sozialen vergleichbar effektive – Struktur ist über Jahrzehnte gleich geblieben. Verändert haben sich die Parameter der materiellen und symbolischen Ordnung. So sprechen die Wettbewerbe heute, in der Zeit nach Ende des Kongokriegs, die Sprache von Schlachten und Kämpfen, wenn die rivalisierenden Gangs sich Hundertjähriger Krieg oder Krieg ohne Ende (Lanquetin 2009: 47; Daniel 2008) nennen. Solche Namen greifen das Martialische an den Herrschaftsformen der Kolonialmächte auf, um einen historisch-politischen Zusammenhang noch der post3

Jonathan Friedman, im Kontext von La Sape und den Sapeurs viel zitierter Sozialanthropologe, führt in seiner Kritik an Bourdieus starrem Konzept von Klassenidentität das Begehren ein. Im Gegensatz zur Bourdieuschen Idee, Konsumverhalten produziere, organisiere und festige mit den so genannten kleinen Unterschieden im Bunde die soziale Distinktion, quere das individuelle Begehren dessen statisch und vergleichsweise universell begriffene Sozialordnungen. Zwischen Konventionalisierung und Romantizismus konstituiere sich Identität in der Wunscherfüllung durch realisierte (Selbst)Bilder als Garanten von Lebensstil und – für die Sapeurs so wesentlich – von Lebenskraft. Nicht die Differenz zu anderen Klassen oder Gruppen steht hier im Mittelpunkt, sondern eine psychologisch, aber auch parareligiös oder zumindest magisch verstandene Identitätsbildung mittels Güter oder Objekten, „one that is realized in a material reorganisation of time and space“ (Friedman 1994: 169). Ich schließe mich diesem Diskurs hier nicht an, weil er die symbolischen Akte der Mode in einer Güter-Kosmogonie relativiert.

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kolonialen Kriege mit der Kolonialgeschichte zu signalisieren. Sie spiegeln aber auch jene globale Massenkultur des Krieges, die Tom Holert und Mark Terkessidis als das Gesicht des 21. Jahrhunderts diagnostiziert und mit diversen Glamour- und Glorifizierungspraktiken in Verbindung gebracht haben (Holert/Terkessidis 2002). Da Mode, neben dem Hollywoodkino, ein solches Gesicht bildet, kann es freilich kaum Zufall sein, dass ein Club namens Hundertjähriger Krieg an die „mode de cent ans“, an die Mitte des 19. Jahrhunderts beginnende und etwa ein Jahrhundert währende Ära der Hochmodemacher denken lässt. Hier sind sich die Kampfformate Mode und Krieg sehr nahe, auch wenn die Kriege wie die Siege der Sapeurs symbolisch ausgefochten werden, und, anders als Auseinandersetzungen mit Waffengewalt, keine Toten im Gepäck haben. Im Gegenteil, die aktuelle Bewegung versteht sich als pazifistisch und verfolgt die Absicht, zur Einigung des Landes beizutragen (vgl. Tamagni 2009: o.S.). Was passiert in diesen Wettbewerben, in denen sich alles um die Marken dreht, zwischen einer individuellen dandyesken Geste und der Gemeinschaft, wenn wir sie nicht als „typischen“ postkolonialen Transkulturalismus (Wolfgang Welsch) sehen, sondern Gabriele Dietzes Definition von intersektionalen Analysen folgen und „das Individuum als ein Kompositum unterschiedlicher Felder von machtgestützter oder marginalisierender Differenz“ (Dietze 2008: 29) fassen? Vor allem die jüngsten Sapeurs können kaum auf Statusprivilegien einer Klasse zurückgreifen, wohl aber partiell auf die hegemoniale Position des männlichen Geschlechts.4 Verstehen wir jedoch Mode mit der Soziologin Elena Esposito als „grundlegende Marginalität“ (Esposito 2004: 170), so haben wir bereits eine Schnittmenge mit einer intersektionalen Perspektive, in der selbst Schnittmengen von Marginalisierungen durch Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit und sozialen Status in Bezug auf eine un/mögliche Teilhabe an Macht und Repräsentation analysiert werden. Begreifen wir weiterhin jeden Akt der Mode, jede Darstellung mittels Mode – und Mode beginnt erst mit dem Ende der rigiden Gültigkeit von Kleiderordnungen – mit 4

Das vergleichbare Phänomen zeigt sich bei Frauen sehr unterschiedlich und wird weiter unten thematisiert.

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der Kulturtheoretikerin Barbara Vinken als Ent-stellung (Vinken 2001), so stiftet Mode grundsätzlich prekäre Identitäten. „Der Effekt der Mode“, schreibt Esposito über ihre gesellschaftliche Funktion, „findet sich auf einer indirekten Ebene in Form einer Diffusion der Legitimität des Jeweiligen, also der Formen, die gültig sind, obwohl oder gerade weil sie zeitlich begrenzt sind […]“ (Esposito 2004: 170). Für unseren Zusammenhang von Bedeutung macht die Autorin auch klar, dass Mode sich nicht zur Ausprägung einer individuellen Identität eigne, sondern im Rahmen des Gesellschaftlichen funktioniere. Vor dieser Folie ist die Einzigartigkeit dasjenige Kriterium, an dem sich die Problematik zeigt: „Die Mode ist die komplexe und widersprüchliche Form, in der die Gesellschaft auf allen Ebenen mit der Undurchsichtigkeit der Einzigartigkeit – des Individuums und seiner Aufrichtigkeit, der Spezifität der Gegenwart […] – umgeht.“ (Esposito 2004: 174)

Das kann uns nicht darüber hinwegsehen lassen, dass die Mode der Moderne weiblich konnotiert ist, weil sie das Geschlecht für den Blick und im Blick des Anderen figuriert; in der Mode zeigt sich die weibliche Geschlechtsrolle als Substitut, Travestie und Verkleidung einer kulturell männlich etablierten Identität, die die Moderne als ‚neutral‘ und gleichsam unsichtbar diskursiviert hat. Quer zum Erhalt der Geschlechteropposition in der und mittels Mode, suggeriert sie aber auch die mögliche Aufhebung der Klassendistinktionen. Zwar ist Mode historisch mit einer westlichen Idee von Subjektivität und Gesellschaft liiert (vgl. Entwistle 2000).5 Da sie aber, wie Esposito überzeugend zeigt, aus Paradoxien besteht und gerade weder das westliche Subjekt noch die Struktur der westlichen Gesellschaft repräsen5

Es gäbe hier zahllose Autor_innen zu nennen. Im Überblick über unterschiedliche theoretische Ansätze zur (Geschichte der) Mode siehe Entwistle 2000, besonders Kapitel Theorizing Fashion and Dress, 40-77. Ich teile jene Ansätze, die den Zusammenhang zwischen westlicher Moderne und Mode als System von Produktion, Distribution und Konsum sehen, sehe Mode aber keineswegs ausschließlich in soziologischen Registern fassbar, sondern an einer Schnittstelle zwischen gesellschaftlichen und künstlerischkulturellen Mechanismen und Effekten.

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tiert, ist ihre Aneignung in einem nichtwestlichen Kontext von vergleichbaren Paradoxien begleitet.

Konsum Kaum eine auf eine kritische Untersuchung kultureller Identitäten zielende soziologische, anthropologische und ethnologische Forschung zu den beiden Kongo-Republiken, der ehemals französischen (Republik Kongo) und der belgischen (heute Demokratische Republik Kongo) vom letzten Jahrzehnt der Kolonialherrschaft bis heute kommt ohne den Hinweis auf die Rolle von Konsum im allgemeinen und besonders von Mode in den letzten etwa fünfzig Jahren aus (Brandstetter 1999; Friedman 1994; Martin 1995, 154-172; Miller 1994, 71-96; Thomas 2007, 155184).6 Dabei rechtfertigen sich die AutorInnen wiederholt dafür, in ihren Studien den Schauplatz von Konsum und materiellen Bedürfnissen überhaupt zu bespielen und damit gegebenenfalls „die gravierenden gesellschaftlichen Probleme im ‚Herzen Afrikas‘ zu vernachlässigen und sie mit dem völlig unpolitischen, modisch verliebten Thema des sich elegant Kleidens zu banalisieren.“ (Brandstetter 1999: 55).

Es ließe sich hingegen zeigen, so die ebenso kleinlaute wie lautstarke These, dass „Kleidung und Sich-Kleiden nicht weniger politisch sind als Waffen und Waffenhandel, wenn auch auf eine radikal andere Weise.“ (Ebd.). Hervorgehoben, wie es angeführt wird, klingt beim ‚Herz Afrikas‘ Joseph Conrads berühmter Roman Heart of Darkness / Herz der Finsternis, 1899, an, dessen Schauplatz der Kongo ist. Einhundert Jahre später im kulturwissenschaftlichen Kontext benutzt, erscheint die Metapher allerdings als nicht viel mehr als ein verspäteter, pseudopoetischer Anschluss an die koloniale Situation. Sie verkennt den impliziten Kontrast von Schwarz und Weiß, mithin jene rassistisch gefärbte Struktur, die Schwärze oder alles Dunkle sich gleichsam vor der allge-

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U. a. Brandstetter, 1999: 55; Friedman 1994: Martin 1995: 154-172. Miller 1994, Thomas 2007: 155-184.

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meingültigen weißen Folie abheben lässt. Solche Rechtfertigungen sind insofern unproduktiv, als sie doppelt Diskursklischees bedienen: Sie reproduzieren noch ex negativo die pejorative Rezeption von Oberflächen als oberflächlich, übernehmen also die idealistisch-ideologische Verbindung von Wesentlichem mit Tiefe. Und sie verkennen im Vergleich von Mode mit einer Politik der Waffen das Arsenal effektiver symbolischer Akte, aus denen sich Mode, ihre Praktiken und ihre Metaphern konstituieren. Die äußere Erscheinung zu gestalten kann eine politische Handlung sein; in jedem Fall ist sie eine gesellschaftliche und hat ihre Funktion als Form „alltäglichen Widerstands“ (Gondola 2002: 93; Gondola 1997: 65).7 So galt Mode neben Sport, (Pop-)Musik, Tanzen, Religion, Alkoholgenuss bzw. –missbrauch und illegaler Migration als eine solche Widerstandspraktik gegen das Kolonialregime, die Freizeitvergnügen mit einem politischen Podium verband. Klarer wird das Anliegen der Sapeurs aktuell gesehen, wenn die mittels ihrer eleganten, kostspieligen Kleidung zur Verhandlung gebrachte Sozialstruktur als „symbolischer Konflikt“ artikuliert wird, in dem die Waffen Kleider sind. Oder wie der Schweizer Szenograph und Künstler Jean-Christophe Lanquetin sein Sape-Projekt (2006-2009) definiert: „[W]hat I speak of here is a set of practices involving young men and women that revolves around intersections between street fashion, haute couture, performance and ‚dressing up.‘ Sape is the art of dressing to kill“ (Lanquetin 2009).8

Einerseits wollen wir in dieser Fallstudie zu den mehrfachen Querungen schwarzer, männlicher Subjektivität die Ziele derje7

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Vgl. Charles Didier Gondola, The History of Congo, Westport, CT: Greenwood Press 2002, 93; Übersetzg. HL. Was Gondola für die Musik als anfänglich „eminent männliche Kultur“ (Ch. Didier Gondola, Popular Music, Urban Society, and Changing Gender Relations in Kinshasa, Zaire (1950-1990). In: Maria Luise GroszNgaté, Omari H. Kokole (Hg.), Gendered Encounters: Challenging Cultural Boundaries and Social Hierarchies in Africa, New York: Routledge 1997, 65-84, 65) zeigen kann, sie kenne zunehmend Frauen, lässt sich für Mode nicht sagen. Zwar spricht der Autor von Frauen, zu sehen sind jedoch fast ausschließlich männliche Jugendliche.

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nigen kulturellen Handlungen ansehen, die Mode heißen, andererseits müssen die Methoden, Ökonomien und Organisationsformen in den Blick genommen werden, die jene Territorien abstecken, die subkulturelle Formationen besetzen und verteidigen – um von dort aus größere gesellschaftliche Bereiche zu verändern. Jeder kulturelle Akt lebt von Grenzen. Anders gesagt, kulturelle und ästhetische Aktivitäten lassen sich an den Schnittstellen verschiedener Grenzen lokalisieren. So ist allein die Exzentrizität, die die Sapeurs als marginale Gruppe ausweist (Gandoulou 1989: 169), nicht nur modetheoretisch und soziokulturell, sondern auch örtlich-räumlich zu begreifen: in den kongolesischen Hauptstädten und in Paris unterwegs zu sein, dort jedoch in gewissen Quartieren und zu bestimmten Zeiten. Schließlich heißt exzentrisch aus dem Zentrum versetzt, am Rande, und erst in der Folge auch besonders oder auffällig. Historisch-zeitlich gesehen handelt es sich bei der Sape um einen Kult, der verschiedene Herrschaftsformen und Machtsysteme samt ihrer Kriege und ökonomischen Desaster insofern überstanden hat, als er sich immer wieder von neuem bildete. Auch wenn der im Rückblick für unterschiedliche historische Zeitabschnitte übergreifend verwendete Begriff Sape erst Ende der siebziger Jahre geprägt wurde (Sanders 2006),9 so liegen die Anfänge der Mode-Demonstrationen von Kongolesen in den 1920er Jahren, inmitten der Kolonialzeit. Damals verbanden sie sich eindeutiger als jemals später mit dem Unabhängigkeitskampf10 und trugen, sichtlicher als später, parodistische Züge.

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In journalistischem Jargon heißt es: „’The white man may have invented clothes, but we turned it into an art,‘ said Congolese musician King Kester Emeneya, who helped popularize the Sape movement with the legendary Papa Wemba, who is often called the pope of the Sapes. Emulated and admired by a generation of African musicians, Wemba once called fashion his religion, advising devotees that what they wore was more important than school“ (Sanders 2006). 10 André Grenard Matsoua gilt als Sapeur avant la lettre. Er soll 1922 als erster im damals aktuellen Pariser Kleidungsstil zurück nach Brazzaville gekommen sein und dafür Bewunderung und Hochachtung erhalten haben; als Begründer einer Pseudoreligion, Politiker und als Menschenrechtsverfechter wird er als Revolutionär und Freiheitskämpfer gegen das Kolonialregime verehrt.

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Schon immer ging es darum, mit luxuriöser Kleidung einen „Körper der Macht“ (Brandstetter 1999: 63) herzustellen. Während dieser Körper heute als von der Macht von Marken garantiert aufgefasst wird, reichte er in den historischen Zeiten von Französisch-Kongo von der exklusiven modischen Eleganz bis in die Formung des Körpers: sich den dicken Bauch eines (einfluss)reichen Parisers zuzulegen, also mit einer Prothese zu simulieren und sich eine Glatze schneiden zu lassen. Schon 1913 hatte ein französischer Baron beklagt, einige Bewohner Brazzavilles übertrieben es mit der Kleidung. Sie zögen alles, was sie hätten, übereinander an, um mit ihrem Wohlstand samt ausgezeichneter Kenntnisse der französischen Mode zu prahlen (vgl. de Witte 1913: 164, zitiert nach Charles Didier Gondola 2005). De Witte schien über die Diskrepanz zwischen solchem Auftreten und dem, was er als französische Mode gelten lassen wollte und vielleicht sogar ästhetisch selbst vertrat, irritierter gewesen zu sein als über die befremdliche Tatsache, im Äquatorklima mehrere Schichten, nämlich die ganze Habe auf einmal zu tragen.11 Diese Geschichte setzt sich in den 1920er Jahren mit der Bildung von Clubs fort, die um das zentrale Interesse Mode organisiert wurden. Berichtet wird von schwarzen Bediensteten, die hungerten, um ihren jeweils aktuellen Lohn umgehend in neue europäische Kleidung und Accessoires zu investieren (Martin 1995: 162). Hier zeigt sich Mimikry keineswegs als Tarnung im diskreten Sinn, sondern in der Travestie der Herrschaft samt der, vermeintlich nur ihr zustehenden, Besitztümer als Einschüchterung. Alles auf einmal zu tragen heißt übrigens auch: sichtbarer zu sein, größer, mächtiger. In den 1950er Jahren unter dem Namen der Existos, mithin in der Zeit allmählicher Dekolonialisierung, die mit der Unabhängigkeit endete, galt die Anspielung auf die französischen Existentialisten einem imaginierten Lebensstil und nicht dem philosophischen Diskurs – die bevorzugten Farben schwarz und rot für Bekleidung hatten kein französisches Pendant (vgl.

Von diesem mehrfach verhaftet und exiliert, starb er 1942 im Gefängnis. 11 Vgl. auch den Bloggereintrag, der von einem Kongolesen im Kongo im Besitz eines Pelzes berichtet (Shongo Erik 2007).

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Gandoulou 1989: 32-42; Friedman 1994: 175). La Sape entsteht in der postkolonialen Ära in den 1980er Jahren an der Schnittstelle von Pop- und Weltmusik und Sich-Kleiden und figurierte die oppositionelle Haltung gegenüber dem 1971 von Präsident Mobutu Sese Seko eingeführten repressiven Authentizitätskonzept oder der Zairisierung. Demnach war es Männern verboten, Anzüge und Krawatten zu tragen; Frauen durften sich nicht in Hosen sehen lassen – eine politische Ver- oder Kleiderordnung, die Züge solcher soziopolitischer Verbindlichkeiten aus den Zeiten der Mode vor der Mode hat. Dem setzte der international auftretende Musiker und Sänger Papa Wemba mit der Sape nicht nur seinen eigenen Kleidercode entgegen, sondern, vom Ort seines Elternhauses aus, auch das Imaginäre einer alternativen politischen Struktur einschließlich Schattenkabinetts. Das nunmehr letzte Jahrzehnt der Sape steht unter den Vorzeichen der globalisierten Arbeitsmigration, vor allem aber auch im Zeichen der Folgen der Kongokriege zwischen 1996 und 2003.

Dandy Dass trotz des für Mode geradezu konstitutiven Wechsels der Stile, der wesentlich zu ihrer Disqualifizierung als oberflächlich beigetragen hat, die Dandy-Maske von der Mehrheit der Sapeurs nun schon seit Jahrzehnten reinszeniert wird, mag sich einerseits immer wieder auf die emanzipatorische Urszene des Black Dandy, des schwarzen Politaktivisten berufen.12 Der demonstrative Konservativismus der Sapeurs im Festhalten am Kode der Befreiungsrevolte, an der Idee einer spezifischen Sichtbarkeit von schwarzen, männlichen Subjekten im Sinn ei12 Für den afroamerikanischen Black Dandy gilt: „For black men and women well into the middle of the twentieth century, the accusation of ‚not knowing your place‘ referred not only to transgressed spatial demarcations based on race, but violations of the perceptual restrictions on a black person’s appearance in the presence of whites. In the context of American racism the black dandy has the potential to be metaphorically dressed in an even bolder array of social and cultural signifiers: a wardrobe that speaks of modernity, freedom, oppositionality, and power.“ (Powell 2001: 226).

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ner Übertretung in den ‚weißen‘ Raum mit dessen eigenen Mitteln, lässt gleichsam die vormalige ständische Kleiderordnung wieder aufleben, um sie von einem Unterordnungs- in ein Emanzipationsinstrument zu verwandeln. Wenn zudem bestimmte Clans in Brazza heute Tartans kultivieren, so wendet diese Aneignung schottisch-folkloristischer Bekleidung das Fetischistische, Exotische und Ritualisierte solcher – männlicher – Tradition zurück in Richtung einer Herkunftskultur. Diese Geste sollte nicht mit einer Parodie verwechselt werden, eher trägt sie einen melancholischen Riss in die Muster und Modelle postkolonialer Identitätsbildung selbst ein.

Mode Die Soziologin Elena Esposito führt in ihrer systemtheoretischen Modestudie den historischen Dandy als „typische[…] Übergangserscheinung“ (Esposito 2004: 138) ein. Diese hätte sich nicht in die bis ins 19. Jahrhundert gültigen Gesellschaftsmodelle integrieren lassen, sondern in ihrer Unvereinbarkeit das Ende einer bestimmten Form von Sozialität markiert. Auf der Ebene der Subjektkonzeption wie des Gesellschaftlichen setzt der Dandy auf die Differenz, sogar auf unangenehme Auffälligkeit. So heißt es von den aktuellen Sapeurs des Kongo, sie redeten gerne allzu laut in der Öffentlichkeit (vgl. Enyclopedia of Fashion 2005: 137). Offenbar muss das akustische Signal der Belästigung die Differenz zwischen visueller Opulenz, möglicherweise als Konformismus mit westlichem Aussehen missverstanden, und der Figur der Devianz herausstellen. Für Trinidad spricht Miller, und ich halte seine Begrifflichkeit für übertragbar auf die Kongo-Republiken, von solchem Verhalten als „gallerying“: „The […] males combine sartorial originality with ways of walking and talking that create a style which is generally regarded as never letting up from conspicious display“ (Miller 1994: 75).13

13 Dieser Begriff des Zur-Schau-Stellens ließe sich mit den subkulturellen Tanzformen des ‚vogueing’, des ‚krumping’ und der Transvestiten-Bälle in Harlem, wie sie Jennie Livingston in Paris

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In solchem Sich-verdächtig-Machen brauche der Dandy „die anderen, um seine Unabhängigkeit zu markieren, und er kann genau deshalb nicht gefallen: Er muss Faszination auf die anderen ausüben, er muss ihre Aufmerksamkeit bündeln und sich damit in ihrer Beobachtung spiegeln, ohne sich dabei zu integrieren“ (Esposito 2004: 140).

Die Psychologin und Soziologin Helga M. Treichl verfolgt, ausgehend von der einfachen These, Kleider verhüllten ebenso wie sie präsentierten, noch ein anderes Argument: Bekleiden „bringt das zur Aufführung, was in Identitäten bislang außen vorgelassen, abgewertet oder auf andere projiziert wurde. Mode stellt heute auch de-zentrierte Identitäten aus und bemächtigt sich dadurch ihres abgespalteten Teils“ (Treichl 2008: 341).

Übertragen auf die Sapeur-Identität basierte das Modeprivileg nicht länger auf der fortgesetzten Abspaltung des Männlichen zur Reinerhaltung des Vorurteils von Marginalität und Alterität; und in der jüngsten Sapeur-Straßenmode und ihrer Darbietung kämen durchaus Momente von „Klassenkampf“ zum Ausdruck. Georg Simmel hatte dem Dandy rebellische Qualitäten zugesprochen: Seine ästhetische Leistung vermöge seine ‚angeborene‘ Klassenzugehörigkeit zu durchkreuzen (vgl. Simmel 1919: 45). Was die Rebellion des kongolesischen Dandy der vergangenen gut fünfzig Jahre mit seinem kulturellen Transfer ästhetischer Oberflächen und Stilfiguren an Machtkonstellationen zu verändern verstanden hat, wird in Relation zu nichtwestlichen Wert- und Mentalitätsgeschichten und ihren Ideen von Politiken auch etwas über die Ideengeschichte der westlichen Moderne sagen. Schließlich hat sie den Dandyismus hervorgebracht, den sich nun die Sapeurs aneignen, um einerseits Geschmack als bourgeoisen kulturellen Anspruch (an sich selbst) herauszustellen, um andererseits aber auch Simmels Befund von der Loslösung aus (s)einer Klasse zu praktizieren. Seine Funktion be-

is Burning (1991) gefilmt und Judith Butler (Butler 1995: 169-185) mit passing, crossing und queering kontextualisiert hat.

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stand im A-Politischen (Treichl 2008: 342),14 wenn „moderne“ Politik als Agieren mit und aufgrund von bestimmten Geschlechterkonventionen und Körperregulierungen begriffen wird.

Frauenclubs In diesem Sinn ist das Phänomen interessant, dass sich so genannte „freie Frauen“ in der Emanzipations- und Modegeschichte der Republik Kongo in den 1950er Jahren mit Wickelund Kopftüchern sowie mit Blusen „afrikanisch“ anzogen, ja Rock und Kleid explizit abgelehnt haben sollen (vgl. Brandstetter 1999: 58; Thomas 2007: 166; Gondola 1997: 73). Associations féminines d’élégance genannt, klingen ihre Vereinigungen zur gegenseitigen Unterstützung beinahe synonym mit der Organisation der Sape avant la lettre: Société des ambianceurs et des personnes élégantes. Und doch bezieht sich die zitierte Eleganz beider Geschlechter auf entgegengesetzte Kleidungsweisen. Da freie Frauen über eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit verfügten, sei es als Kleinhändlerinnen oder auch als Prostituierte, ist die Art der Kleidung eine nicht der Not geschuldete Entscheidung. Prinzipiell ist ihre Kultivierung von Kleidung städtisch ausgewiesen; dennoch steht sie für eine afrikanischidentitätspolitische Idee des ‚Zivilisatorischen‘, die mit der vormals unerwünschten bzw. unerlaubten Präsenz von Frauen in der Kolonialstadt überhaupt zu tun hat. Ihre Haltung unterscheidet sich von der Wahl europäischer Bekleidung der Männer, die sich damit als „entwickelt“ zeigen, mithin sich das Etikett eines „Évolué“ einhandeln konnten. Auch hier überschneiden sich Marginalisierung und Macht: In den Augen der Kolonialisatoren als fortschrittlich zu gelten, setzt einerseits deren Hegemonie und Wertmaßstäbe fort, kann aber andererseits ebenso als Selbstermächtigung eingesetzt werden. Unkontrollierbar, wie sie schienen, waren solche Clubs, eine Mischung aus (Musik)Bar, möglicherweise Bordell und Sozialverein, den Kolonialherren ein Dorn im Auge, nicht zuletzt weil die sexuellen Verhältnisse als uneindeutig angesehen wurden, 14 Die Autorin bezieht sich auf Vinken 1993: 28.

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wenn Frauen mehrere Männern zugleich hatten und sich wenig um typische Hausfrauentätigkeiten, sondern mit der Anschaffung von zwei kompletten Outfits pro Monat pro Frau vornehmlich um Kleidung und Aussehen kümmerten. Solche Freiheiten können jedoch kaum über die grundsätzliche patriarchale Konzeption des Geschlechterverhältnisses unter kolonialen Bedingungen hinwegtäuschen. Die Wahl traditioneller Kleidung gibt jedoch zu denken: Einerseits ist die traditionelle Kleidung als eine sichtbare Markierung des weiblichen Subjekts an jenem Ort lesbar, der ihm nicht zusteht; nicht auf dem Land hält es sich auf, sondern in der Stadt. Andererseits, so ließe sich spekulieren, setzte die Adaption der Mode die Alterität und Marginalität ihrer Subjekte in den Augen und im bekannten Kode der Kolonialherren fort, der es sich ja als freie schwarze Frau zu entziehen galt. Dieser Entzug wird, zusammen mit der Parodie einer westlichchristlichen Sparsamkeits- und Bescheidenheitsethik, wesentlich sichtbarer, wenn die nichttraditionelle Lebensform in der Unscheinbarkeit, ja Deckung traditioneller Kleidung geschieht.15

Kritik der Tiefe Mode und Stil, so übernimmt David Miller für seine Kritik der westlichen, von ihm so genannten Tiefen-Ontologie die gebräuchliche Einschätzung, seien der Ausdruck von Oberflächlichkeit. Seine Argumentation überführt die bekannte Geringschätzung, die aus der weiblichen Konnotation von Mode in ihren Haupteigenschaften von Alterität und Marginalität resultiert, in eine „black trope“ Miller 1994: 72). Diese „black trope“ quert eine eindeutige Gender-Identitätsbildung, während sie eine schwarze Emanzipation für sich in Anspruch nimmt.

15 Bemerkenswerterweise wurden die Frauen „Kinder“ genannt, eine Bezeichnung, die ebenso Abhängigkeit wie Familienzugehörigkeit signalisiert. Der Club wurde von einem Elternpaar angeführt, dem „Präsidenten“ und Besitzer, und seiner von den so genannten Kindern gewählten ‚Gattin‘ bzw. Vorsitzenden, sowie einer, ebenfalls gewählten, Sekretärin (vgl. Gondola 1997: 73).

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„People who appear to devote considerable resources of time and money to this persuit thereby demonstrate the triviality of their nature. This example of depth ontology is clearly bound up in ideologies of gender, since it is women, in particular, who are associated with such activities“ (ebd.).

Aus dem vergleichbaren Vorurteil des mangelnden Tiefgangs von Schwarzen als einer, neben den Frauen, weiteren Gruppe von – psychoanalytisch begriffen – „anderen“, wird nun in der von Mode gestützten Individualisierung eine Ermächtigungsfigur des schwarzen männlichen Subjekts. Sich luxuriös zu kleiden und sich dafür – so die Kritik aus „weißer“ ökonomischer Perspektive – unverhältnismäßig zu verausgaben, versucht die Alterität der Mode zu symbolischem Kapital zu machen: in Relation zur marginalen Position des Schwarzen und der Frau temporär eine maximale Sichtbarkeit zu erreichen. Solche Selbstdarstellung konstatiert – und legitimiert – nicht nur ein in verschiedenen afrikanischen Ethnien und Staaten von westlichethnologischer Seite mit ebenso viel Neugier wie Skepsis beobachtetes Phänomen, sondern bringt die ideologische Dimension der philosophisch-politischen Polarisierung in Oberfläche und Tiefe, in schwarze Haut und weiße Masken (Fanon 1980) überhaupt ans Licht. Im danse des griffes (Tanz der Marken), fester performativer Akt der Sape-Wettbewerbe, das Innere nach außen zu kehren, dient der kunstvollen Demonstration der Marken. Oftmals fotografiert, sieht dieses Zeigen aus, als zücke man (s)einen Ausweis, öffne dafür die Jacke und griffe in die Brusttasche. Doch ist dieses Innere ein schimmernder Futterstoff mit der Applikation eines Labels, einer Marke, eines Schriftzugs – und von der Hautfarbe und ihren essentialisierenden Zuschreibungen an das schwarze Subjekt losgelöst. Eine solche Innenseite wird, Schicht für Schicht zum Äußeren gemacht, nie einen schwarzen Körper als gleichsam ontologische Grundlage rassistischer Stigmatisierung zu erkennen geben. Oder die Kleidungsstücke werden gleich mit der Innenseite, mit dem Label nach außen vorgeführt. Daher lässt sich eine Organisationsform von glänzenden, attraktiven Modeoberflächen wie in der Sape auch nicht in einer Konsum-, Kapitalismus- und Globalisierungskritik erschöp-

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fend dis/qualifizieren, denn diese repräsentierte ihrerseits vornehmlich die westliche Idee von Ökonomie. Hingegen kann die Sape durch die ebenso spektakuläre wie riskante Verwendung von Diffamierungs- und Marginalisierungskategorien wie ebenso von Fantasie- und Wunschpotentialen, die, im Rahmen von Geschlecht und Rasse/Ethnie an den Saum der Mode und des Stils geheftet sind, emanzipatorisch wahrgenommen werden – allerdings um den Preis einer mehr oder weniger stereotypen, homosozial organisierten Männlichkeit. „The Congolese Sape, except for very rare exceptions, is a man thing, which sometimes is inherited whereas most of the times is acquired by choice“ (Mediavilla 2010),

so der Befund des Fotografen Héctor Mediavilla, wobei es über seine Begründung – Erbe oder Erwerb – noch nachzudenken gilt. Was mit der Sape auch in den Raum gestellt wird, ist die postkoloniale Mimikry (Bhabha 1994), in der sich das Subjekt synonym mit europäischer Kleidung zeigt und also das „verkleidete“ Subjekt den Subjektstatus als Herrschaftsanspruch in Frage stellt. Gewiss perpetuiert diese Einschätzung selbst die europäische Perspektive. Doch versucht sie, im privilegierten Konsum westlicher Kleidung als eine gegenhegemoniale „dissidente Partizipation“ (Hark 2005),16 eine abweichende Verwicklung in eben jene Machtbeziehungen zu reklamieren, die es gleichzeitig zu bekämpfen gilt.

Paris Paris kommt in diesem Zusammenhang eine Mehrfachrolle zu. Im Rahmen der Initiation des Sapeur ist die Stadt temporäre Diaspora – das Ziel der Reise ist nach wie vor die Rückkehr –, während sie gleichzeitig das Zentrum der (post)kolonialen Narration bildet und dies wiederum auf zweifache Weise: Paris als Hauptstadt der ehemaligen Kolonialmacht und als Hauptstadt

16 Ich entwende hier die feministisch-queere Auseinandersetzung mit hegemonialen Machtstrukturen von Sabine Hark (2005).

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der Mode. Wie die Sapeurs behaupten, könne man heute nur noch in Paris Menschen nach ihrem Äußeren beurteilen. Deshalb können Kleider gleichsam als Ausweis gelten, als das Mittel, sozial durchzugehen, zu passieren: „Kleider sind unsere Pässe“ legt der kongolesische Jurist und Romanautor Alain Mabanckou seinem Protagonisten Moki im Roman Bleu-BlancRouge (1998) in den Mund (vgl. Thomas 2007: 181). Und wir meinen den Unterschied zu hören zum „passing“ als „als weiß durchgehen“, an dem die Sapeurs auch arbeiten, wenn sie sich chemisch-kosmetisch bleichen. Sehen wir den Ausweis nicht als Metapher für Klassenunterschiede, sondern als Dokument im Sinn des Passes, so sind Kleider nicht länger nur an das symbolische System sozialer und kultureller Werte angeschlossen, sondern an das juridische, an die Legalität des Immigranten. Um die Diskrepanz zwischen dem imaginierten Paris als Quelle der Lebenskraft und der Lebensrealität für einen Sapeur-to-be deutlich zu machen, lässt Mabanckou Moki während der Pariser Initiation in das Geschäft mit „Pässen“, mit Metro-Monatskarten, einsteigen (BleuBlanc-Rouge 1998). Moki fliegt auf, da diese mit gestohlenen Schecks bezahlt werden, und kehrt nach Verbüßen der Gefängnisstrafe ohne die notwendigen Designerinsignien in den Kongo zurück, was nun eine soziale und keine individuelle Katastrophe mehr ist. Im Falle der Sapeurs ist spezifisch bedeutsam, dass, so expressiv ihre Auftritte wirken, so wenig drücken sie eine Identität aus. Identität wird selbst als westlich-moderne Konstruktion vorgeführt. Hier entsteht sie in der und für die Zeit des Auftritts, als postkoloniale Mimikry von Oberflächen der Kolonialherren, nicht ohne Wert für das Subjekt im Rahmen seiner Gruppe zu produzieren: Status, Macht, Gesundheit. Trotz des individuellen Erwerbs und der individuellen Zusammenstellung der Kleidungsstücke für einen Auftritt ist die Zugehörigkeit zu einem Club, einer Gruppe, der wesentliche Zug. Ökonomie und Risiko der Verausgabung betreibt der einzelne, das System des Potlach wird jedoch von allen getragen. Am Punkt des besten Sapeur, des Grand, stellt sich der Bruch ein: „l’exagération, l’excès, l’’hyperconformisme‘“ (Ganoulou 1989: 170) ende in einer Subversion derjenigen Norm, die zu achten man vorgibt.

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„La dimension parodique de ce mimétisme excentrique est évidemment percue, de même que le caractère délictueux de certaines pratiques (vol, trafic de chanvre, etc.) et, comme tels, soumis à sanction-exclusion, autrement dit à une forme de marginalisation: être Sapeur devient ainsi synonyme de délinquance; c’est le discrédit“ (ebd.).17

Als Mimen des Hegemonialen treten die Sapeurs einerseits als privilegierte Verbraucher auf – sie haben also „Kredit“ im Sinn des Kapitals, andererseits sind sie mit dem Misskredit belastet, möglicherweise Diebe oder auf andere Weise illegal an Geld herangekommen zu sein. Doch lässt sich Delinquenz nicht weniger effektiv, wenn wesentlich symbolisch und nicht unbedingt kriminell begründet, wahrnehmen: Die schwarze herrschende politische Klasse im Kongo begreift die Sape grundsätzlich als einen Akt sozialer und politischer Abweichung, weil ihre Anhänger nur durch ihre elegante Erscheinung, jedoch ohne Bildung und Arbeit möglicherweise den höchsten gesellschaftlichen Status erreichen können (vgl. Friedman 1994: 164). Und dieser droht selbstverständlich mit dem ihren, durch Bildung und Arbeit erreichten, zu kollidieren und zu konkurrieren. Aktionen mit illegalen Mitteln sind einerseits der bitteren Armut und dem sozial niedrigen Status der Sape-Mitglieder geschuldet, der sich vornehmlich aus der immigrantischen Situation, meist aus ihrer Illegalität herleitet, gleichzeitig aber, und darin wesentlicher, ihrer Einstellung, die Kolonisatoren, Franzosen und Belgier, für die Kolonialisierung die Schuld nicht nur ethisch-ideologisch, sondern auch ökonomisch aufzuerlegen: Sie sollen, wenngleich symbolisch, für die Unterwerfung, die erlittene Gewalt und Ausbeutung „bezahlen“. So gehört es zur postkolonialen Subversion, nicht von Stehlen zu sprechen, sondern von Nehmen und durch diese rhetorische Legitimierung illegaler Beschaffung die geltende Moral zu unterlaufen. In der Öffentlichkeit einen tomatenroten Paul Smith-Anzug zur Schau zu stellen und ebenso öffentlich zu bekennen, für seine Bezah-

17 Selbstverständlich wird dieser Anteil an der Sape in den, oftmals und verständlicherweise sympathisierenden, wissenschaftlichen Erörterungen nicht weiter ausgeführt, sondern lediglich konstatiert (vgl. z. B. Martin 1995: 172).

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lung vier Wochen Koks gedealt zu haben (vgl. Sanders 2006),18 ist beides als erhöhte Sichtbarkeit postkolonialer Subjekte zu verstehen.

Sichtbarkeit Mode dreht sich um den Körper. Sie verleiht Subjekten Ansehen, indem sie die Blicke auf die jeweiligen Subjekte lenkt. Es ist auffällig, dass die Mehrzahl der Fotos von Sapeurs im Sonntagsanzug diese auf belebter Straße zeigen: Fußgänger sind offenbar stehen geblieben, haben sich umgedreht und schauen neugierig, verwundert, gar ungläubig. Sie verkörpern die Blicke, die der Sapeur auf sich zieht, auf sich ziehen will. Immer wirken die Sapeurs – mit Erving Goffmans moralischer Struktur sozialer Orte (vgl. Goffman 1959 nach Entwistle 2000: 33) – weder richtig noch falsch am Ort und in der Zeit ihres Auftretens. Die Mischung aus der lokalen sozialen Tradition des Lebenskraft-Konzepts und historisch zunächst antikolonialen, später postkolonialen, globalen Modeoberflächen und Verhaltenspraktiken unterstellt die Frage nach dem Passenden oder der Deplatziertheit dem Kampf um Sichtbarkeit als Voraussetzung für Anerkennung. Gewiss ist es für die Fotografen thematisch wie visuell attraktiv, die Herkunft der jüngsten Generation von Sapeurs aus den Slums mit ihrer Eleganz und ihrem Stil zu kontrastieren – das betont das Sensationelle des Phänomens –, doch ist die Straße der Ort der Blicke und der Sichtbarkeit und der Schrank zuhause lediglich das Eigentumsdepot. Warum mit dem Taxi fahren, wo man doch auf ein paar Kilometern zu Fuß derart viele Blicke genießen könne, fragt sich der Protagonist in Alain Mabanckous jüngster Parodie der kongolesischen (Sapeur-)Community in Paris Black Bazar (2010). Doch wenn der Auftritt eines Sapeur oder mehrerer Sapeurs fotografisch festgehalten wird, so zeigt gerade das provozierte Angeschautwerden eine Geschlechterambiguität: Da es die Frau ist, die im kulturellen Diskurs als Bild, als die Geschlechterposition funktioniert, die betrachtet wird und nicht das Bild 18 „It took him a month of selling cocaine to raise $1,500 for the outfit, which was bought secondhand by a friend in Europe.“ (Ebd.)

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produziert, nehmen die Sapeurs in dieser Alterität eine ambivalente Position ein. Hart arbeiten sie an ihrem Bild: Die Klassiker unter ihnen bevorzugen die beschriebenen dandyesken Inszenierungen, die jungen unter ihnen, wie gesagt, eher den extravaganten Stil von Popsängern und ihren Bühnenkostümen. Sie platzieren sich so auf der Straße, dass die vorbeifahrenden Autos im Fall eines Stromausfalls sie kurzzeitig wie mittels eines Bühnenscheinwerfers ins Rampenlicht rücken. Sie rühmen sich ihrer Immunität: Die Designerbekleidung garantiert ihrem Träger Unberührbarkeit. Ihre Inszenierung zielt also auf Sichtbarkeit und gleichzeitig auf Distanz. Wie eine Art von Rüstung reproduziert sie nicht nur die Materialität einer passiven Waffe, sie personalisiert, wie dies für alle Konsummode gilt (vgl. Treichl 2008: 347), das Politische. Der junge Sapeur beschreibt ihre Funktion ausschließlich auf sich bezogen, nicht etwa auf eine Gruppe oder Gemeinschaft: Sie ermögliche es ihm, auf niemanden zu hören, niemandem Folge zu leisten, zu tun, was er wolle (vgl. Sanders 2006).19 Das ist nicht länger postkolonialziviler Ungehorsam, sondern die Wahl einer Geste des postmodernen Individuums. Doch laufen globale Prozesse weder einförmig ab noch kulturell chaotisch. Sie setzen sich aus verschiedenen „Strömungen“ zusammen, die sich sowohl aus Gleichheit als auch aus strategischer Differenz ergeben: „Selection is always made from a repertoire of social and economic possibilities, or a culturally defined suite of goods, and it is the tactics and strategies of wearing, within variants of social repertoire, that are of interest here“ (Maynard 2004: 4-5).

Bleibt auf das visuelle Spektakel zurückzukommen, das für einen westlichen Blick Fragen möglicher homoerotischer Identifikationen unter den Sapeurs oder auch mit Außenstehenden aufwirft. Der Pariser gilt selbst als Bild, darin effeminiert, kontrollierbar, ungefährlich. Bei ‚la descente‘, dem Abstieg (in die Niederungen der Slums) genannten Zwischenheimkünfte des Sape-Kandidaten muss dieses Bild gegen alle Widernisse des 19 „‚When I dress this way, and sit here with a beer, no one can touch me,‘ said Patou Coucha, 29, in a tomato-red Paul Smith suit with thigh-length coat. […] ‚I don't hear anybody else. I do what I want.‘“ (Ebd.)

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alltäglichen Lebens in Paris aufrecht erhalten werden: Die Paradoxien der Mode setzen sich in den Paradoxien des Homosozialen (vgl. Thomas 2007: 166) fort. Da freilich die Paradoxien homosozialen Begehrens von Diskriminierungen ergänzt werden, muss die partiell, nämlich ökonomisch und sozial, beschädigte Identität männlich kompensiert werden. Die dafür aufschlussreichste Lösung lautet, Eleganz würde vererbt: „Elegance is a tradition in my family, inherited from generation to generation“ (Tamagni 2009). Auch vor fünfzehn Jahren hatte ein Sapeur die Frage danach, woher seine Modefaszination denn komme, genealogisch beantwortet: „We are born like that. My father was like that, my grandfather also. We can only be like them. […] If I am dressed in this manner it is because my father was like that“ (Martin 1995: 172).

Unklar bleibt bei diesem affektiven Anschluss an die patrilineare Tradition, ob es sich in jeder Generation jeweils um eine Art von Jugendkult gehandelt hat, oder ob sich das Phänomen eleganter Kleidung ein Leben lang fortsetzt. Bemerkenswert an dieser Selbsterklärung scheint mir weniger die Biologisierung habitueller, kultureller und sozialer Praktiken, sondern der Hinweis auf die kontinuierliche Reproduktion, die die Heterosexualität der Sapeurs zu garantieren scheint.

Literatur Artur, Liz Johnson (2010): Sapeure. Im Internet unter: . Bhabha, Homi (1994): „Of Mimikry and Man. The Ambivalence of Colonial Discourse“. In: Ders. (Hg.): The Location of Culture. New York: Routledge, S. 85-92. Brandstetter, Anna-Maria (1999): „Kleidung, Eleganz und Macht in Zentralafrika“. In: Hans Peter Hahn/Gerd Spittler (Hg.): Afrika und die Globalisierung. Schriften der Vereinigung von Afrikanisten in Deutschland, Bd. 18, Hamburg: LIT, S. 55-64.

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Daniel, Tonton (2008): sapeurs congolais. Im Internet unter http://tontondaniel.over-blog.com/article-24031949.html. de Witte, Baron Jehan (1913): Les deux Congo. Paris: Plon, 164, zitiert nach: Encyclopedia of Clothing and Fashion (2005), Stichwort SAPEURS, 137-138. Dietze, Gabriele (2008): „Intersektionalität und Hegemonie(selbst)kritik“. In: Wolfgang Gippert/Petra Götte/Elke Kleinau (Hg.): Transkulturalität. Gender- und bildungshistorische Perspektiven. Bielefeld: Transcript, S. 27-43. Entwistle, Joanna (2000): The Fashioned Body. Fashion, Dress and Modern Social Theory. Cambridge, England et al.: Blackwell Publishers ltd. Esposito, Elena (2004): Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden: Paradoxien der Mode. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Fanon, Frantz (1980): Schwarze Haut, weiße Masken. Frankfurt am Main: Syndikat. Friedman, Jonathan (1994): „The Political Economy of Elegance: An African Cult of Beauty“. In: Ders. (Hg.): Consumption and Identity. Amsterdam: Harwood Academic Publishers, S. 167-187. Gandoulou, Justin-Daniel (1989): Dandies à Bacongo. Le culte de l’élégance dans la société congolaise contemporaine. Paris: Editions L’Harmattan. Gondola, Charles Didier (1997): „Popular Music, Urban Society, and Changing Gender Relations in Kinshasa, Zaire (19501990)“. In: Maria Luise Grosz-Ngaté/Omari H. Kokole (Hg.): Gendered Encounters: Challenging Cultural Boundaries and Social Hierarchies in Africa. New York: Routledge, S. 65-84. Gondola, Charles Didier (2002): The History of Congo, Westport, CT: Greenwood Press. Gusti, Francesco, (2009): SAPE. Société des Ambianceurs et des Personnes Élégantes, o. O.: Viewbook GUP. Hark, Sabine (2005): Dissidente Partizipation. Eine Diskursgeschichte des Feminismus, Frankfurt am Main: Suhrkamp. Holert, Tom/Terkessidis. Mark (2002): Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert. Köln: Kiepenheuer & Witsch. Lanquetin, Jean-Christophe (2010): „Sape Project 2006-2009“. In: Ntone Edjabe/Edgar Pieterse (Hg.): African Cities Reader I:

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Autorinnen und Autoren AUTORINNEN UND AUTOREN Autorinnen und Autoren Behrens, Roger, Jg. 1967, Autor und Lehrbeauftragter u. a. an der Leuphana Universität Lüneburg und der Universität Hamburg. Homepage: rogerbehrens.net. Degele, Nina, ist seit 2000 Professorin für Soziologie und Gender Studies an der Uni Freiburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Soziologie der Geschlechterverhältnisse, Gesellschaftstheorie, Körper, Sport, qualitative Methoden. Dietze, Gabriele, lehrt Kulturwissenschaften, Gender- und Medienforschung mit den Schwerpunkten Interdependenz von ‚Rasse‘/Ethnizität und Geschlecht und ist Research Fellow in der Forschungsgruppe ‚Kulturen des Wahnsinns als Schwellenphänomen der urbanen Moderne‘ an der HumboldtUniversität zu Berlin sowie gemeinsam mit Claudia Brunner und Edith Wenzel Herausgeberin der Anthologie „Kritik des Okzidentalismus. Transdisziplinäre Beiträge zu (Neo-) Orientalismus und Geschlecht.

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AUTORINNEN UND AUTOREN

Esders, Karin, ist Lektorin für Cultural History an der Universität Bremen im Studiengang für American Studies/EnglishSpeaking Cultures. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Film- und Medienwissenschaften, Gender and Race Studies sowie der Kulturgeschichte. Hecken, Thomas, geb. 1964, vertritt eine Professur für „Germanistische Literaturwissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Kulturwissenschaft“ an der Universität Siegen. Zu seinen letzten Buchveröffentlichungen zählen „Populäre Kultur. Mit einem Anhang ‚Girl und Popkultur‘“, „Pop. Geschichte eines Konzepts 1955-2009“ und „Das Versagen der Intellektuellen. Eine Verteidigung des Konsums gegen seine deutschen Verächter“. Hoffarth, Britta, Dr. phil., lehrt und forscht an der Fakultät für Erziehungswissenschaften der Universität Bielefeld zu den Themen Sprache, Körperpraxen und Differenz. Ihr Buch „Performativität als medienpädagogische Perspektive“ befasst sich mit der Frage nach dem Verhältnis von Medien und Subjekten. Knüttel, Katharina, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich der sozialwissenschaftlichen Methodenlehre und Statistik an der Ruhr-Universität Bochum. Ihre Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Soziologie sozialer Ungleichheit, Gender Studies und Sozialtheorie. Loreck, Hanne, Dr. phil., Studium der Visuellen Kommunikation, Kunstwissenschaft, Philosophie und Germanistik; Professorin für Kunst- und Kulturwissenschaft, Gender Studies an der Hochschule für bildende Künste Hamburg, Vizepräsidentin. Autorin; zahlreiche Veröffentlichungen zur zeitgenössischen Kunst und Kulturtheorie mit den Schwerpunkten Problematisierung von Sichtbarkeit, Psychoanalyse, Gender Studies, individuelle konzeptuelle künstlerische Praktiken.

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AUTORINNEN UND AUTOREN

Middeke, Isabelle, geb. 1987, studiert an der Ruhr-Universität Bochum Germanistik und Geschichte im Master of Arts. Sie arbeitet am Lehrstuhl für Neugermanistik II und beschäftigt sich in ihren Arbeiten besonders mit dem Verhältnis von Information und Unterhaltung in Literatur und Medien. Schaefer-Rolffs, Jos, studierte Philosophie, Gender Studies und Germanistik in Bochum. Seine Abschlussarbeit beschäftigte sich mit dem Begriff des Absurden bei Albert Camus und seinem Ursprung im Werk von Kierkegaard und Jaspers. Aktuell arbeitet er zur existentialistischen Ethik. Seeliger, Martin, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Soziologie / Organisation, Migration. Mitbestimmung an der Ruhr-Universität Bochum. Arbeitsschwerpunkte: Arbeits- und Kultursoziologie sowie Geschlechterforschung. Winker, Gabriele, ist Professorin für Arbeitswissenschaft und Gender Studies an der TU Hamburg-Harburg. Ihr Interesse gilt feministischen, intersektionalen und polit-ökonomischen Theorieansätzen im Bereich der Arbeits-, Geschlechter- und Technikforschung. Sie ist Mitbegründerin des Feministischen Instituts Hamburg.

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Gender Studies Dorett Funcke, Petra Thorn (Hg.) Die gleichgeschlechtliche Familie mit Kindern Interdisziplinäre Beiträge zu einer neuen Lebensform 2010, 498 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1073-4

Andreas Heilmann Normalität auf Bewährung Outings in der Politik und die Konstruktion homosexueller Männlichkeit Januar 2011, 354 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1606-4

Martina Läubli, Sabrina Sahli (Hg.) Männlichkeiten denken Aktuelle Perspektiven der kulturwissenschaftlichen Masculinity Studies April 2011, ca. 280 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1720-7

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Gender Studies Julia Reuter Geschlecht und Körper Studien zur Materialität und Inszenierung gesellschaftlicher Wirklichkeit April 2011, ca. 250 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1526-5

Elli Scambor, Fränk Zimmer (Hg.) Die intersektionelle Stadt Geschlechterforschung und Medienkunst an den Achsen der Ungleichheit August 2011, ca. 170 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1415-2

Nadine Teuber Das Geschlecht der Depression »Weiblichkeit« und »Männlichkeit« in der Konzeptualisierung depressiver Störungen Juni 2011, ca. 306 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1753-5

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Gender Studies Ingrid Biermann Von Differenz zu Gleichheit Frauenbewegung und Inklusionspolitiken im 19. und 20. Jahrhundert 2009, 208 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1224-0

Mart Busche, Laura Maikowski, Ines Pohlkamp, Ellen Wesemüller (Hg.) Feministische Mädchenarbeit weiterdenken Zur Aktualität einer bildungspolitischen Praxis 2010, 330 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1383-4

Cordula Dittmer Gender Trouble in der Bundeswehr Eine Studie zu Identitätskonstruktionen und Geschlechterordnungen unter besonderer Berücksichtigung von Auslandseinsätzen 2009, 286 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1298-1

Ute Luise Fischer Anerkennung, Integration und Geschlecht Zur Sinnstiftung des modernen Subjekts 2009, 340 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1207-3

Sabine Flick, Annabelle Hornung (Hg.) Emotionen in Geschlechterverhältnissen Affektregulierung und Gefühlsinszenierung im historischen Wandel

Doris Leibetseder Queere Tracks Subversive Strategien in der Rock- und Popmusik 2010, 340 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1193-9

Gerlinde Mauerer (Hg.) Frauengesundheit in Theorie und Praxis Feministische Perspektiven in den Gesundheitswissenschaften 2010, 240 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1461-9

Hanna Meissner Jenseits des autonomen Subjekts Zur gesellschaftlichen Konstitution von Handlungsfähigkeit im Anschluss an Butler, Foucault und Marx 2010, 306 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1381-0

Uta Schirmer Geschlecht anders gestalten Drag Kinging, geschlechtliche Selbstverhältnisse und Wirklichkeiten 2010, 438 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1345-2

Barbara Schütze Neo-Essentialismus in der Gender-Debatte Transsexualismus als Schattendiskurs pädagogischer Geschlechterforschung 2010, 272 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1276-9

2009, 184 Seiten, kart., 20,80 €, ISBN 978-3-8376-1210-3

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