Interpretierte Eisenzeiten: Fallstudien, Methoden, Theorie. Tagungsbeiträge der 1. Linzer Gespräche zur interpretativen Eisenzeitarchäologie [1] 3854741375, 9783854741374

Die 'Studien zur Kulturgeschichte von Oberösterreich' verstehen sich zwar primär als Organ der wissenschaftlic

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German, English Pages 258 [260] Year 2005

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Interpretierte Eisenzeiten: Fallstudien, Methoden, Theorie. Tagungsbeiträge der 1. Linzer Gespräche zur interpretativen Eisenzeitarchäologie [1]
 3854741375, 9783854741374

Table of contents :
Petra Amann / Das 'Protovillanova'-Phänomen im endbronzezeitlichen Italien und seine Relevanz für die Herausbildung der früheisenzeitlichen Kulturgruppen der italienischen Halbinsel 15
Anna Wickholm / The cremation cemeteries under flat ground – a representative of what? 31
Nils Müller-Scheeßel / Orientierungslos? Ausrichtungen hallstattzeitlicher Gräber in Süddeutschland 41
Martin Trachsel / Kriegergräber? Schwertbeigabe und Praktiken ritueller Bannung in Gräbern der frühen Eisenzeit 53
Katharina Rebay / Statzendorf – Möglichkeiten und Grenzen der Sozialinterpretation eines Gräberfeldes 83
Julia K. Koch / Der gefährliche Tote aus Hochdorf?: Ein besonderes Bestattungsritual aus der Späthallstattzeit Mitteleuropas 87
Jana Esther Fries / Von weiblichen Nadeln und männlichen Pinzetten – Möglichkeiten und Grenzen der archäologischen Geschlechterforschung 91
Doris Pany / 'Working in a saltmine'... – Erste Ergebnisse der anthropologischen Auswertung von Muskelmarken an den menschlichen Skeletten aus dem Gräberfeld Hallstatt 101
Mitja Gustin, Andrej Preložnik / Die hallstattzeitlichen Frauen mit Goldschmuck von Dolenjsko (Slowenien) 113
Jutta Leskovar / ArchäologInnengarn.Vom Nutzen erzählender und mehrfacher Deutung prähistorischer Evidenz 131
Jan Kiesslich / DNA Analysis on Biological Remains from Archaeological Findings – Sex Identification and Kinship Analysis on Skeletons from Mitterkirchen, Upper Austria 147
Matthew Loughton / Late La Tène painted pottery: use and deposition 155
Jürgen Zeidler / Cults of the 'Celts'. A new approach to the interpretation of the religion of Iron Age cultures 171
Matthias Jung / Nochmals zum Problem späthallstattzeitlicher Adelssitze. Eine kritische Wiederlektüre des Textes von W. Kimmig 181
Raimund Karl / Warum nennen wir ihn nicht einfach Dietrich?: Zum Streit um des dorfältesten Hochdorfer Sakralkönigs Bart 191
Maria-Christina Zingerle, Ali Al-Roubaie / Die unendliche Spirale der Interpretation 203
Peter Trebsche / Deponierungen in Pfostenlöchern der Urnenfelder-, Hallstatt- und Frühlatènezeit. Ein Beitrag zur Symbolik des Hauses 215
David Stifter / Hallstatt – In eisenzeitlicher Tradition? 229
Nicole Boenke / Ernährung in der Eisenzeit – Ein Blick über den Tellerrand 241

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Interpretierte Eisenzeiten 1

19.07.2005

ST U D I E N Z U R K U LT U RG E S C H I C H T E VO N O B E R Ö ST E R R E I C H • F O LG E 1 8 •

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FOLGE

Z U R K U LT U R G E S C H I C H T E VO N O B E R Ö ST E R R E I C H

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HERAUSGEGEBEN VON RAIMUND KARL UND JUTTA LESKOVAR

INTERPRETIERTE EISENZEITEN FALLSTUDIEN, METHODEN, THEORIE

Tagungsbericht der 1. Linzer Gespräche zur interpretativen Eisenzeitarchäologie

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Interpretierte Eisenzeiten Fallstudien, Methoden,Theorie Tagungsbeiträge der 1. Linzer Gespräche zur interpretativen Eisenzeitarchäologie

Raimund Karl, Jutta Leskovar (Hrsg.)

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Studien zur Kulturgeschichte von Oberösterreich Folge 16 18 Raimund Karl, Jutta Leskovar (Hrsg.) Interpretierte Eisenzeiten. Fallstudien, Methoden,Theorie. Tagungsbeiträge der 1. Linzer Gespräche zur interpretativen Eisenzeitarchäologie. Herausgegeben vom Oberösterreichischen Landesmuseum Linz 2005 ISBN 3-85474-137-5 Medieninhaber: Land Oberösterreich/OÖ. Landesmuseum Museumstrasse 14,A-4010 Linz Direktor: Mag. Dr. Peter Assmann Schriftleiter: Dr. Bernhard Prokisch Graphische Gestaltung: Alexandra Bruckböck Druck: Easy Druck- und Graphikagentur Linz

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Inhaltsverzeichnis

Petra Amann Das ‚Protovillanova‘-Phänomen im endbronzezeitlichen Italien und seine Relevanz für die Herausbildung der früheisenzeitlichen Kulturgruppen der italienischen Halbinsel . . . . . . . . . . . . . .15 Anna Wickholm The cremation cemeteries under flat ground – a representative of what? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .31 Nils Müller-Scheeßel Orientierungslos? Ausrichtungen hallstattzeitlicher Gräber in Süddeutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .41 Martin Trachsel Kriegergräber? Schwertbeigabe und Praktiken ritueller Bannung in Gräbern der frühen Eisenzeit . . . . . . .53 Katharina Rebay Statzendorf – Möglichkeiten und Grenzen der Sozialinterpretation eines Gräberfeldes . . . . . . . . . . . . . . . .83 Julia K. Koch Der gefährliche Tote aus Hochdorf? Ein besonderes Bestattungsritual aus der Späthallstattzeit Mitteleuropas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .87 Jana Esther Fries Von weiblichen Nadeln und männlichen Pinzetten – Möglichkeiten und Grenzen der archäologischen Geschlechterforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .91 Doris Pany ’Working in a saltmine’… – Erste Ergebnisse der anthropologischen Auswertung von Muskelmarken an den menschlichen Skeletten aus dem Gräberfeld Hallstatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . .101 Mitja Gustin,Andrej Preloznik Die hallstattzeitlichen Frauen mit Goldschmuck von Dolenjsko (Slowenien) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .113 Jutta Leskovar ArchäologInnengarn.Vom Nutzen erzählender und mehrfacher Deutung prähistorischer Evidenz . . . . . .131 Jan Kiesslich DNA Analysis on Biological Remains from Archaeological Findings – Sex Identification and Kinship Analysis on Skeletons from Mitterkirchen, Upper Austria . . . . . . . . . . . . .147

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Matthew Loughton Late La Tène painted pottery: use and deposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 ... Jürgen Zeidler Cults of the ‘Celts’.A new approach to the interpretation of the religion of Iron Age cultures . . . . . . .171 .. Matthias Jung Nochmals zum Problem späthallstattzeitlicher Adelssitze. Eine kritische Wiederlektüre des Textes von W. Kimmig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .181 .. Raimund Karl Warum nennen wir ihn nicht einfach Dietrich? Zum Streit um des dorfältesten Hochdorfer Sakralkönigs Bart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .191 .. Maria-Christina Zingerle,Ali Al-Roubaie Die unendliche Spirale der Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .203 .. Peter Trebsche Deponierungen in Pfostenlöchern der Urnenfelder-, Hallstatt- und Frühlatènezeit. Ein Beitrag zur Symbolik des Hauses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .215 .. David Stifter Hallstatt – In eisenzeitlicher Tradition? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .229 .. Nicole Boenke Ernährung in der Eisenzeit – Ein Blick über den Tellerrand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .241 ..

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Zum Geleit

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ie „Studien zur Kulturgeschichte von Oberösterreich“ verstehen sich zwar primär als Organ der wissenschaftlichen Landeskunde und kreisen damit vorwiegend um Themen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Land Oberösterreich, doch erlauben sie sich mitunter auch ein Ausgreifen in weitere Zusammenhänge, wenn ein andersgearteter Oberösterreich-Bezug vorliegt. Der nun vorliegende Band zielt in eben diese Richtung: Er beinhaltet die Beiträge einer Tagung, die als Gemeinschaftsprojekt des Oberösterreichischen Landesmuseums und der University of Wales Bangor konzipiert und im November 2004 im Linzer Schlossmuseum abgehaltenen wurde, womit der Regionalbezug gegeben ist, der inhaltliche Horizont ist jedoch weit geöffnet und gibt der fachimmanenten Methoden- und Theoriediskussion im Bereich der Eisenzeitforschung Raum. Das Museum bekennt sich mit dieser Publikation ein weiteres Mal zu seiner Bestimmung als „wissenschaftliches Institut“, das neben dem Bewahren,Ausstellen und Vermitteln eben auch die Grundaufgabe der Forschung mit Nachdruck wahrnimmt. Wir dürfen an dieser Stelle der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass diese Bemühungen auch in Zukunft fortgesetzt werden können. Unser Dank geht an alle Kolleginnen und Kollegen, die an der Tagung teilgenommen und Beiträge zum vorliegenden Band beigesteuert haben, vor allem aber an Frau Mag.a Jutta Leskovar und Herrn Mag. Dr. Raimund Karl, die sowohl die Tagung konzipiert und organisiert als auch die Redaktion des Bandes besorgt haben. Ebenso sei Frau Alexandra Bruckböck gedankt, die – in mittlerweile bewährter Art und Weise – für das Layout des Buches verantwortlich zeichnet. Peter Assmann

Bernhard Prokisch

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Vorwort Raimund Karl, Jutta Leskovar

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innvolle, systematisch gemäß einer expliziten wissenschaftlichen Methodik erstellte Interpretation des archäologischen Befundes ist nicht unbedingt zu den Eigenschaften zu zählen, die als besonders charakteristisch für die prähistorische Archäologie im deutschsprachigen Raum gelten können. Diese Diagnose wurde bereits oftmals gestellt. Natürlich gab und gibt es Anstrengungen einzelner Personen und von Organisationen unterschiedlicher Größe (beispielsweise der Theorie-AG in Deutschland und des Arbeitskreises Theorie [AKT] in Österreich), theoretische Fragestellungen und Methodendiskussionen nicht nur verstärkt anzuregen, sondern auch ihre Verbindung zur üblichen (man könnte auch sagen: eingebürgerten) Forschungsweise herzustellen bzw. sie der gesamten archäologischen Arbeit zugrunde zu legen. Dennoch ist der Großteil der Fachwelt noch immer in antiquarischen Forschungsmodellen verhaftet, die aus unserer Sicht nicht ausreichend geeignet sind, das Ziel zu erreichen: die Vergangenheit in irgendeiner Weise zu rekonstruieren, zu erklären und eventuell auch zu verstehen. Die Tagung „Interpretierte Eisenzeiten“ im November 2004 wurde vom Oberösterreichischen Landesmuseum in Kooperation mit der University of Wales Bangor durchgeführt, um eine verbesserte Methoden- und Theoriediskussion und ihre Anwendung bei der Bearbeitung archäologischen Materials zu ermöglichen und eine Plattform zur Verfügung zu stellen, auf der theoretisch und methodisch fundierte Ansätze interpretativer Archäologien vorgestellt werden konnten. Methoden- und Theoriediskussionen sind selbstverständlich für alle von der Archäologie bearbeiteten Perioden von Bedeutung. Eine Konzentration auf die Eisenzeiten sollte dem Wunsch nach einer personell überschaubaren Tagung samt möglichst fruchtbarer Diskussionskultur gerecht werden, und spiegelt darüber hinaus den Forschungsgegenstand des Organisationsteams wider. Angesichts der Diagnose, das Fach würde immer noch sehr stark in einem reinen Antiquarismus gefan-

gen sein, die auch in den einleitenden Worten zur Tagung angesprochen wurde, drückte eine Teilnehmerin an der Tagung ihren Widerwillen aus, dies immer noch und immer wieder hören zu müssen. Ihrer Meinung nach lägen die Zeiten, in denen reine typochronologische Arbeit betrieben wurde, zum Glück bereits hinter dem Fach. Dieser Ansicht ist offensichtlich zumindest zum Teil recht zu geben, denn tatsächlich folgte eine große Gruppe von Personen dem Aufruf, sich im Rahmen der Tagung verstärkt der Interpretation der archäologischen Evidenz zu widmen. Die Ansicht, in der Pluralität der möglichen Erklärungen würde ein weitaus größeres Erkenntnispotential liegen als in oft wissenschaftlich bedenklicher Weise erarbeiteten, dafür aber dann dogmatisch vertretenen Einzelinterpretationen, gepaart mit der Einsicht, die prähistorische Archäologie sei nicht auf der Suche nach der einzig korrekten historischen „Wahrheit“, sondern nach möglichst aufschlußreichen Erklärungsmöglichkeiten des archäologischen Befundes und der Vergangenheit ganz allgemein, wird glücklicherweise tatsächlich bereits von Vielen geteilt. Andererseits ist aber auch der von der Kollegin ausgedrückten Ansicht, der reine Antiquarismus wäre bereits überwunden, insofern zu widersprechen, als – trotz des Enthusiasmus, mit dem die Möglichkeit, interpretative Überlegungen der Fachwelt vorstellen zu können, von Vielen aufgegriffen wurde – ganz deutlich überwiegend junge Kolleginnen und Kollegen teilnahmen, während bereits länger Etablierte zwar zum Teil ihr prinzipielles Interesse am Thema und ihre moralische Unterstützung für die Tagung angedeutet, aber dieses kaum durch Präsenz bei der Tagung ausgedrückt haben. Das Interesse scheint also, zumindest was dessen Ausdruck in tatsächlicher Initiative betrifft, noch sehr ungleichmäßig verteilt zu sein, und sich auf ein doch noch sehr deutlich beschränktes Segment der Fachwelt zu konzentrieren. Trotz oder vielleicht gerade wegen der grundsätzlichen Einigkeit der anwesenden Kolleginnen und 7

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Kollegen, Meinungspluralität wäre von Vorteil für das Fach und unsere Erklärungen der Vergangenheit, spannte sich der Bogen der Tagung inhaltlich in vielfacher Hinsicht sehr weit. Chronologisch herrschte fast eine Gleichgewichtung zwischen Beiträgen zur älteren Eisenzeit einerseits und der jüngeren andererseits, wenn auch das Pendel etwas zugunsten der Hallstattzeit ausschlug, was natürlich auch daran liegen mag, dass dieser schönste Fundort in Oberösterreich liegt (wobei sich hier selbstverständlich die ganz und gar persönliche Meinung des Organisationsteams widerspiegelt). Geographisch und dadurch auch sprachlich war der Bezug stark zu den deutschsprachigen Gebieten hergestellt, dennoch gab es auch Ausblicke ins italische Gebiet und sogar bis Finnland und Estland.Viele Vorträge betrafen Gender oder andere soziale Fragestellungen. Es herrschte starker, wenn auch keineswegs ausschließlicher Bezug auf Gräber, vielleicht einfach auch deshalb, weil hier eine Annäherung an die Menschen der Eisenzeit sehr leicht fällt. Am deutlichsten wurde das Element der Näherung an den konkreten Menschen natürlich bei den Beiträgen zur physischen Anthropologie bzw. DNA-Analyse.Viele Vorträge widmeten sich außerdem der Diskussion von auch forschungsgeschichtlich einflussreichen Begriffen wie z.B. Kimmigs „Adelssitzen“, oder auch dem Begriff der „Zeit“ an sich, die für unser Fach in zweifacher Hinsicht relevant ist, nämlich als hoffentlich ordnender Faktor unseres Forschungsgegenstandes einerseits und andererseits als forschungsgeschichtlich relevanter Begriff im Sinne des sich weiterentwickelnden Faches, das parallel zur eigentlichen archäologischen Arbeit immer mitbeobachtet werden muss. Der überwiegende Großteil der Vorträge fand als vollständiger Artikel Aufnahme in den vorliegenden Tagungsband. Jürgen Zeidler konnte zwar an der Tagung letztendlich nicht teilnehmen, sein bereits fertiggestellter Beitrag konnte aber nun publiziert werden. Zwei Vorträge (von Julia K. Koch und Katharina Rebay) scheinen hier nur als kurze Notizen auf, da sie entweder bereits an anderer Stelle publiziert oder in Vorbereitung sind. Der Beitrag von Vladimír Salac ist bereits unter dem Titel „Zum Handel bei den Kelten in Mitteleuropa“ in der Festschrift für Gerhard Dobesch erschienen (Heftner, H.,Tomaschitz, K. [Hg.] (2004), Ad Fontes! Wien 2004: 663-79). Elisabeth Pichlers Vortrag mit dem Titel „Anthropomorphe Elemente in frü8

heisenzeitlichen Gräbern Italiens. Überlegungen zu deren Ursprung,Wandel und Bedeutung“ wird an anderer Stelle erscheinen. Norbert Baums Vortrag „Die konstruierte Zeit.Anmerkungen zur Binnengliederung der späten Hallstattzeit“, der sich unter anderem mit den Verbreitungsgebieten HaD-zeitlicher Leittypen befasste und Hartwig Zürns Chronologiemodell besprach, verursachte, auch angeregt durch Diskussionen während und im Anschluss an die Tagung, unvorhergesehen ausgedehnte und weiterführende Forschungsarbeit, deren Ergebnisse voraussichtlich bei den 2. Linzer Gesprächen zur interpretativen Eisenzeitarchäologie präsentiert und im nächsten Tagungsband publiziert werden können. Die Gliederung dieses Bandes folgt jener, die bereits für die Vorträge während der Tagung gewählt wurde: im vorderen Teil sind jene Beiträge zu finden, die sich stärker mit dem Thema Bestattung und Grab auseinandersetzen, gefolgt von einigen Beiträgen zu religionsgeschichtlichen und stärker sozialgeschichtlichen Themen, hin zu am Siedlungswesen orientierten Beiträgen gegen Ende. Im ersten Beitrag beschäftigt sich Petra Amann mit dem ‚Protovillanova’-Phänomen am Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit. Dessen begrenzte Lebensdauer und rasche Absorbierung in der frühen Eisenzeit deutet sie als Hinweis auf eine auf bestimmte Lebensbereiche – vor allem die Jenseitsvorstellungen – beschränkte Erscheinung, die nur in limitiertem Ausmaß die Bildung bereits zuvor in embryonaler Form angelegter, unterschiedlicher ethnischer Gruppen in Italien beeinflusste. Der Beitrag von Anna Wickholm entführt uns räumlich und zeitlich an das andere Ende der europäischen Eisenzeit, nämlich in den finnisch-estnischen Raum zwischen später römischer Kaiserzeit und Mittelalter, wo einfache Brandbestattungen auf Steinpflasterungen in mehrerlei Hinsicht ein Rätsel darstellen. Mehrere mögliche Interpretationen dieser Befunde werden diskutiert, und die Schwierigkeiten, sie in sinnvoller Weise zu interpretieren, vorgestellt. Nils Müller-Scheeßel beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der Ausrichtung hallstattzeitlicher Gräber in Süddeutschland. Er schlägt vor, dass die teilweise über mehrere Jahrhunderte auffallend gleich bleibende Ausrichtung innerhalb einzelner Gräberfelder auf eine jeweils lokal tradierte, kultische Bestimmung der Nord-

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richtung zurückzuführen sei, die vermutlich anhand der Beobachtung des Auf- und Untergangs gewisser Sternenkonstellationen bestimmt wurde. Lokal könnte die Tradition durch eine privilegierte Schicht mit Deutungshoheit weitergegeben worden sein, die jener Gruppe der maturen Männer entsprochen haben könnte, die sich in Untersuchungen der letzten Zeit deutlicher als hallstattzeitliche ‚Elite’ herauszukristallisieren beginnt. Der Beitrag von Martin Trachsel betrachtet Lage und Zustand von Schwertern in früheisenzeitlichen Gräbern, und stellt die provokante Frage, ob man denn nun solche Gräber tatsächlich als „Kriegergräber“ bezeichnen könne, wenn eigentlich oft nur das Schwert – das aber häufig unbrauchbar gemacht wurde – als Hinweis darauf zur Verfügung steht. Dem entgegen werden einige andere Möglichkeiten angeboten, wie eine „Entwaffnung“ durch Zerstörung,Verdrehung oder Überkreuzung der Waffen im Grab zu verstehen und was alternative Bedeutungen der Schwertbeigabe sein könnten. Katharina Rebay gibt in ihrem Kurzbeitrag eine Zusammenfassung der Probleme bei der sozialen Interpretation des hallstattzeitlichen Gräberfeldes von Statzendorf, während Julia K. Koch in ihrem Kurzbeitrag den Toten von Hochdorf unter dem Blickwinkel der Bedeutung des besonderen, ihm zu Teil gewordenen Bestattungsrituals als möglicherweise gefährlichen Toten deutet. Jana E. Fries gibt ihn ihrem Beitrag einen Überblick über die Möglichkeiten und Grenzen der archäologischen Geschlechterforschung und bespricht, welche Grundregeln einzuhalten sind, um nicht Opfer von Fallstricken und unzulässig vereinfachten Interpretationen zu werden. Einfache archäologische Geschlechtsbestimmungen anhand einzelner Beigabenkategorien sind keine zuverlässige Interpretationsmethode. Doris Pany beleuchtet in ihrem Beitrag die Arbeitsbedingungen auf dem Hallstätter Salzberg aus dem Blickwinkel der physischen Anthropologie. Über die Analyse von Muskelmarken können massive Überbelastungen bestimmter Muskelpartien beobachtet und daraus Rückschlüsse auf Art und Dauer von bestimmten, schweren körperlichen Arbeiten gezogen werden. Dabei zeigt sich interessanter Weise, dass nahezu alle am Hallstätter Salzberg bestatteten Personen, unabhängig von ihrem Ausstattungsreichtum, scheinbar schwe-

re körperliche Arbeiten leisteten. Mitja Gustin und Andrej Prelonnik beschäftigen sich mit dem Phänomen des vermehrt in der frühen Hallstattzeit in Dolenjsko (Slowenien) auftretenden Goldschmucks. Das plötzliche Erscheinen dieser reichen Beigaben wird als Ergebnis gesellschaftlicher Veränderungen und verstärkter Kontakte sowohl nach Westen als auch Nordosten gedeutet, ähnlich wie das Verschwinden in der jüngeren Hallstattzeit mit sozialem und wirtschaftlichem Niedergang erklärt wird. In ihrem Beitrag widmet sich Jutta Leskovar ausgehend von der Beobachtung großteils versteckten Interpretierens archäologischer Befunde in der Fachliteratur dem Nutzen erzählender und mehrfacher Deutungen der Evidenz. Am Beispiel des Gräberfeldes von Mitterkirchen spinnt sie in vier verschiedenen Erzählbeispielen ArchäologInnengarn und zeigt gleichzeitig, wie solche klar narrativen Beispiele wissenschaftlich nutzbringend eingesetzt werden können. Beim Gräberfeld von Mitterkirchen bleibt auch der Beitrag von Jan Kiesslich, Franz Neuhuber, Harald J. Meyer, Max P. Baur und Jutta Leskovar. Es werden die Ergebnisse der DNA-Untersuchungen an Skeletten aus dem Gräberfeld von Mitterkirchen vorgestellt, im Rahmen derer sich erweisen ließ, dass zwei der in reich ausgestatteten Gräbern bestatteten Personen in einem Vater-Tochter oder Mutter-Sohn Verhältnis direkt miteinander verwandt waren. Matthew Loughton beschäftigt sich in seinem Beitrag mit spätlatènezeitlicher bemalter Keramik und vergleicht dabei die Muster,Tierdarstellungen und Symbole, die auf dieser Keramik zu finden sind, mit Bildern, die aus Berichten von Personen über drogen- oder anders induzierte Trancezustände bekannt sind. Starke Parallelen zwischen den Bildwelten in solchen Trancezuständen mit den Darstellungen auf der bemalten Keramik könnten auf Trance induzierende Riten, bei denen diese Gefäße mit verwendet wurden, vielleicht als Behälter für berauschende Getränke, hindeuten, sowie Hinweise auf divinatorische Praktiken in eisenzeitlichen Gesellschaften liefern. Mit Glaubens- und Jenseitsvorstellungen der spätlatènezeitlichen Gallier beschäftigt sich auch Jürgen Zeidler in seinem Beitrag zur späteisenzeitlich-keltischen Religionsgeschichte. Aufbauend auf N. Luhmanns systemtheoretischem Zugang zur Religion wird eine Analyse der Darstellung der Differenz zwischen 9

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dem Diesseits und dem Jenseits im zentralen und östlichen Gallien zwischen ca. 120 v. Chr. und 150 n. Chr. unternommen. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Interpretationsmethode in W. Kimmigs wichtiger Arbeit zum Problem späthallstättischer Adelssitze bietet der Beitrag von Matthias Jung. In dieser Analyse wird untersucht, welche Informationen W. Kimmig bei der Erstellung seines Textes tatsächlich zur Verfügung standen und wie er aus diesen (oder trotz dieser) bei der Interpretation angelangte, die bis heute eine der dominanten Abhandlungen zur Thematik ist. Mit dem späthallstättischen Adel (wenn man ihn so nennen darf) beschäftigt sich auch Raimund Karl in seinem Beitrag, in dem er die unterschiedlichen Interpretationen von M.K.H. Eggert und D. Krauße einander gegenüberstellt und einen alternativen Lösungsvorschlag bietet. So unterschiedlich die Ergebnisse von Eggert und Krauße zu sein scheinen, könnte es dennoch möglich sein, dass die Erklärungen beider ein und dieselbe Realität einigermaßen erfolgreich beschreiben, und die beiden Proponenten mit ihren Thesen nur aneinander vorbei reden. Ausgehend von Überlegungen zum Begriff der „Belief Systeme“ beschäftigen sich Maria-Christina Zingerle und Ali Al-Roubaie mit der Problematik der Abbildung der eigenen Belief Systeme in den Interpretationen archäologischer Befunde.Am Beispiel der BLcí Skála-Höhle wurde im Rahmen eines interdisziplinären Experiments an der Psychologischen Fakultät der Universität Wien der Versuch unternommen, nicht archäologisch vorbelasteten Personen die ihnen angesichts unterschiedlicher vorgegebener Interpretationsmuster logisch erscheinenden Fundverteilungen in der Höhle abbilden zu lassen. Peter Trebsche untersucht in seinem Beitrag mögliche rituelle Deponierungen von Fundmaterial in Pfostenlöchern zwischen Urnenfelder- und Latènezeit. Dabei erarbeitet er zuerst Möglichkeiten, anhand des archäologischen Befundes die Intentionalität der Deponierung wahrscheinlich zu machen, und analysiert danach die Auswahl der deponierten Gegenstände und ihre Position und Orientierung in Bezug auf das Gebäude. Besonders spannend ist, dass sich hier eine Übereinstimmung mit den Ausrichtungen regionaler hallstattzeitlicher Bestattungen ergibt, die weitergehende Vermutungen über die „Kopfseite“ des Hauses und den 10

Bezug zwischen Haus und Grab anzustellen erlaubt. David Stifter widmet sich dem Ortsnamen Hallstatt, der populär gerne als „eisenzeitlich-keltische“ Tradition erklärt wird, und dekonstruiert die Idee, dass Hallstatt ein keltischer Ortsname gewesen sein könnte, der aus dem eisenzeitlichen Namen für den Salzabbaubetrieb entstanden sei.Als Alternative bietet er eine deutsche Etymologie für den Ortsnamen an, der seiner Ansicht nach auf den Ort des Salzsiedens im Tal zurückzuführen ist. Im letzten Beitrag wirft Nicole Boenke einen „Blick über den Tellerrand“ hinein in die Thematik der eisenzeitlichen Ernährung.Analysiert werden menschliche Exkrementreste aus dem Salzbergwerk vom Dürrnberg bei Hallein mit dem Ziel, Ergebnisse über die tatsächlich konsumierten Nahrungsmittel der Bergleute zu erarbeiten. Somit lässt sich eine durchaus ausgewogene Ernährung belegen, welche innerhalb der sozialen Bandbreite zwischen „Elite“ und „Arbeitssklaven“ zumindest diese beiden interpretativen Extrempunkte als nicht zulässig erscheinen lässt. Dieses Spektrum an Artikeln – trotzdem einige Vortragende leider die einigermaßen knapp bemessene Deadline für das Einsenden der Beiträge für den Tagungsband nicht einhalten konnten – stellt einen repräsentativen Querschnitt der Themen und Herangehensweisen dar, die von den Vortragenden gewählt wurden, und gibt damit in vielerlei Hinsicht das angenehme und auch durch intensive Diskussionen geprägte Klima der Tagung gut wieder. Ob dies schon ausreicht, um ein Ende des langen Schlafs der methodisch systematischen Interpretation in der Eisenzeitarchäologie proklamieren zu können, kann natürlich nicht einfach beantwortet werden, ein ordentlicher Schritt in diese Richtung liegt aber in Form dieses Tagungsbandes unserer Ansicht nach vor.Wir hoffen, dass in Bälde weitere, ähnliche Versuche unternommen werden. Unser Dank gilt allen TeilnehmerInnen an der Tagung, vor allem den Vortragenden, die darüber hinaus durch großteils hervorragende Einhaltung des Zeitplans die rasche Drucklegung dieses Bandes erst ermöglichten.Außerdem möchten wir Dr. Peter Assmann und Dr. Bernhard Prokisch (Bereichsleitung Schlossmuseum, OÖLM) für die Unterstützung dieses Projektes danken.

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Introduction Raimund Karl, Jutta Leskovar

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eaningful, systematic interpretations of the archaeological record, based on explicitly stated methods, are hardly thought of as characteristic for the study of prehistory in the German speaking countries.This has been claimed by many. Doubtlessly there have been and are some individuals and organisations of differing sizes (eg. the Theorie-AG in Germany and the Arbeitskreises Theorie [AKT] in Austria), which have introduced more theory and method to German archaeology.There are some who have tried to combine such „new“ approaches with more common (or traditional) practices, while others have argued for a complete change of direction. But regardless of their attempts, most of the profession still limits itself to old antiquarian approaches. To us, this is not good enough to come closer to our goal: to reconstruct, to explain, and perhaps even to understand the past. The conference “Interpreted Iron Ages”, held November 2004, was organised by the Oberösterreichisches Landesmuseum in cooperation with the University of Wales, Bangor, to allow for a more explicit discussion of theory and method in their practical application of archaeological material culture, and to provide a platform to present methodically sound interpretative approaches. Although theory and method are equally important in all archaeological periods, we limited ourselves to the Iron Age, because the members of the conference team are concentrating much of their own research onto this period of European prehistory, and to keep the conference attendance reasonably low, to allow for more discussion. When, during the opening remarks, the lack of theoretical debate in German Iron Age studies was once again referred to, one of the participants expressed discontent with the near-constant repetition of this statement.To her, it seemed as if the times of purely typochronological work were a thing of the past. We partially have to agree with her: a considerable amount

of colleagues attended the conference and presented a wide range of interpretative studies. It has obviously become much more acceptable to embrace a plurality of opinions.At least for some, the old, often questionable ways of arriving at authoritative ideas, which then were presented, dogmatic, as „historical truth“, have been overcome. Instead, many already share the opinion that we ought to be looking for meaningful explanations of the archaeological record and the past. On the other hand, we also partially have to disagree with our colleague: while many younger colleagues joined this conference, hardly any of the older ones did – although some of them did express their friendly support in letters to the conference team.Yet, private letters of support are a far cry from actual participation.As such, while interest in new approaches may be widely expressed, actual use of them still seems limited to a rather smallish segment of the profession. Probably because most of the participants fundamentally agreed with the benefits of a plurality of opinions, the topics discussed were very diverse.Where chronology is concerned, papers were almost evenly distributed between the early and the later Iron Age. The scales may have been slightly tipped in favour of the Hallstatt period, but that may well be due to the fact that this most beautiful of all find spots (in the opinion of the conference team, that is) is located in Upper Austria.There was a strong focus on the modern German countries, but papers ranged from Italy to as far off as Estonia and Finland. Many papers dealt with gender or other social issues.A large number of papers discussed burial evidence, maybe because it is easiest to look beyond the mere find where human remains are involved. Even the materiality of the body was approached, via osteoarchaeology and DNA-analysis. Several papers also dealt with important terms used in the discipline, like Kimmig’s „Adelssitze“, and even the concept of „time“ itself was discussed, which plays a double role in our profession, as a factor in the struc11

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turation of the material we study, but also as a factor in the structuration of our own discipline and the concepts used by it. The majority of papers presented at the conference have been included in full in this volume. Jürgen Zeidler, who had to cancel his attendance, has thankfully sent in his finalised article to be included in this volume. Of two of the papers (by Julia K. Koch and Katharina Rebay), only summaries are included in this volume, as the main points have already been or are soon to be published elsewhere.The paper of Vladimír Salac has already been published under the title „Zum Handel bei den Kelten in Mitteleuropa“ in the Festschrift for Gerhard Dobesch (Heftner, H., Tomaschitz, K. [Hg.] (2004), Ad Fontes! Wien 2004: 663-79), and thus has not been included in this volume. Elisabeth Pichler’s paper „Anthropomorphe Elemente in früheisenzeitlichen Gräbern Italiens. Überlegungen zu deren Ursprung,Wandel und Bedeutung“ will be published elsewhere. Norbert Baum’s paper „Die konstruierte Zeit. Anmerkungen zur Binnengliederung der späten Hallstattzeit“, which discussed the distribution of typical HaD-period types and Hartwig Zürn’s chronology, led to further unforeseen research – partially as a result of discussions at the conference – the results of which will hopefully be presented to the 2nd Linzer Gespräche zur interpretativen Eisenzeitarchäologie and published in a further volume of this series. This volume is organised in the same order as the conference itself: it starts out with those papers which deal with the burial record, followed by more general papers on religious matters, then turns to sociological studies and ends with papers on settlement archaeology. In the first contribution to this volume, Petra Amann discusses the ‚Protovillanova’-phenomenon at the turn of Bronze- and Iron Age. She interprets the limited period in which it features in the archaeological record and it’s quick absorption in the early Iron Age as evidence that it was a phenomenon mostly limited to restricted areas of life – primarily afterlife beliefs. She argues that the influence it had on the development of ethnic groups in Italy, which had originated even earlier, was at best limited. Anna Wickholm’s paper takes us to the other far end of the European Iron Age, to the area of Finland and Estonia, to the medieval period.There, cremations un12

der flat ground pose a couple of problems. Several possible interpretations of these features, and the problems of interpreting those cemeteries in a meaningful manner, are discussed. Nils Müller-Scheeßel analyses the orientation of Hallstatt period burials in southern Germany. He argues that the surprisingly consistent orientation within each cemetery, some of which were used over several centuries, is based on local traditions as to how to define North.These, he argues, were based on the observation of the ascent and descent of particular stellar configurations.The necessary specialist knowledge may have been limited to a privileged group within society – perhaps the group of mature men, which are now increasingly identified as the social ‚elite’ of Hallstatt Europe. In his contribution, Martin Trachsel takes a look at the position and condition of swords in early Iron Age burials, and asks the provocative question whether these actually are „warrior graves“. Quite frequently, the sword is the only weapon in such burials, and often has been intentionally damaged or destroyed. Different possibilities to explain the „disarmament of the dead“ expressed by damaging the weapon, placing it in a position in which it cannot be used, or by crossing different weapons are explored. Katharina Rebay discusses in her short contribution the problems in the sociological interpretation of the Hallstatt period cemetery of Statzendorf, while Julia K. Koch reassesses the burial from Hochdorf as a possible special treatment for a dangerous deceased. Jana E. Fries provides an overview of the possibilities and limitations of gender archaeology. She argues that some basic rules have to be followed to avoid oversimplified interpretations.An assessment based on single grave goods does not provide a solid basis for archaeological gendering. Doris Pany assesses in her contribution the working conditions on the Hallstatt salt mountain from an osteoarchaeological perspective. By analysing muscle marks, continual stress affecting specific muscles can be detected. This allows to draw conclusions about the kind and duration of heavy manual labour the body was subjected to. Most interestingly, it can be demonstrated that almost all of the deceased buried on the Hallstatt salt mountain, regardless of how richly their burials were equipped, had carried out hard work during their lifetimes.

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Mitja Gustin and Andrej Prelonnik take a look at the increase of gold jewellery during the early Hallstatt period in Dolenjsko (Slovenia).The sudden appearance of such rich grave goods is interpreted as a result of social changes and increased contacts to both the West and the Northeast.The sudden disappearance of these grave goods during the late Hallstatt period is interpreted as evidence for social and economic decline. In her contribution Jutta Leskovar discusses the problems with hidden interpretations which characterise many archaeological publications and the benefits of explicit multiple explanations of archaeological features. In a case study of the cemetery of Mitterkirchen she provides four different narratives and demonstrates how they can benefit both the explanation and presentation of archaeological features. The cemetery of Mitterkirchen is also discussed by Jan Kiesslich, Franz Neuhuber, Harald J. Meyer, Max P. Baur and Jutta Leskovar.The results of DNA-analyses of skeletal material from the cemetery are presented, and it is shown that two of the richly equipped individuals buried in the cemetery were related to each other as father-daughter or mother-son. Matthew Loughton discusses in his contribution the late La Tène period painted pottery and compares the patterns, motives and animal images used on these vessels with images described under the influence of drugs or otherwise induced trance. Close parallels between the images seen in such trance states and those on the painted pottery, he argues, could be seen as hints at the use of such painted vessels in trance inducing rites. In such practices, the pots may have been used as vessels for intoxicating liquids, which may have played a role in divinatory practices in Iron Age Gaulish societies. Religious and afterlife beliefs of the late La Tène Gauls also are the topic of Jürgen Zeidler’s contribution, in which he discusses late Iron Age Celtic religious history. Based on N. Luhmann’s systems theory of religion, he analyses the differences in the beliefs regarding this life and the afterlife in central and eastern Gaul between c. 120 BC and AD 150. A critical assessment of the method of interpretation used by W. Kimmig in his influential paper on late Hallstatt ‘princely seats’ is provided by Matthias Jung. He analyses which information was available to W. Kimmig at the time of the production of his text, and how it could be used (or abused) to create an interpretation

that has remained one of the most influential treatments of the subject ever since. Late Hallstatt nobility (if it can be called by that name) is also dealt with in the contribution of Raimund Karl. He compares the divergent interpretations of M.K.H. Eggert and D. Krauße and provides an alternative solution.As different as the results of Eggert and Krauße may seem to be, it may be possible that both describe the same reality reasonably successfully, with only the two proponents misunderstanding each other’s theory. Based on thoughts about the term „belief systems“ Maria-Christina Zingerle and Ali Al-Roubaie discuss how the belief systems of the interpreter affect his interpretation of the archaeological record. In an interdisciplinary experiment carried out at the Faculty of Psychology at the University of Vienna, the BLcí Skála-cave was used as a case study. Students of psychology were given predetermined interpretative results and then asked to chart finds distributions on a map of the cave based on the interpretation they were given. Peter Trebsche discusses the ritual deposition of finds in postholes of timber-framed buildings from the Urnfield to the La Tène period. He first establishes methods to distinguish intentional from accidental depositions, and then analyses the choice of deposited items and their position in relation to the building. He observes a correspondence between the orientation of buildings and contemporary Hallstatt period burials, which allows to address one end of the building as its “head”, and relate house and burial even more closely. David Stifter discusses the place name Hallstatt, which is still considered to be in an Iron Age-Celtic tradition by many. He deconstructs the idea that Hallstatt can be etymologized as a Celtic place name derived from an Iron Age name for the salt mining activity. He constructs an alternative German etymology for the place name, referring to the salt pans of the medieval salt production. In the final contribution, Nicole Boenke takes a look at Iron Age cuisine. She analyses the coprolites from the prehistoric salt mines in the Dürrnberg bei Hallein, to reconstruct the food consumed by the miners.This allows to reconstruct a reasonably healthy diet, with little possibility to distinguish between an ‚elite’ and simple workers. 13

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The range of papers included in this volume – even though some of the participants could not meet the short deadline to send in papers – represents the themes and approaches covered at the conference quite well, and also reflects the very relaxed and productive atmosphere at the conference.Whether this range of interpretations already allows to call an end to the long sleep of systematic methodical interpretations in German Iron Age archaeology has to remain questionable. To us, however, it does seem to provide a significant

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step forward in the right direction.We hope that more such attempts will follow soon. Our thanks go to all the participants of the conference, especially to the speakers, particularly because most of them kept to all deadlines, which made the quick publication of this volume possible.We also want to thank Dr Peter Assmann and Dr Bernhard Prokisch (Bereichsleitung Schlossmuseum, OÖLM) for their support.

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Das ‚Protovillanova‘-Phänomen im endbronzezeitlichen Italien und seine Relevanz für die Herausbildung der früheisenzeitlichen Kulturgruppen der italienischen Halbinsel Petra Amann

Zusammenfassung

Das sog. „Protovillanova“-Phänomen taucht auf der Apenninhalbinsel in der Endbronzezeit (nach der traditionellen Chronologie vom 12.-10. Jahrhundert v. Chr.) auf. Charakteristisch dafür sind der Bestattungsritus der Kremation mit darauffolgender Deponierung der Asche in bikonischen Urnen und die Produktion typischer Keramik- und Bronzemanufakte. Geographisch betrifft das Phänomen ganz Festlanditalien von Ascona am Nordufer des Lago Maggiore (heute in der Schweiz gelegen) bis Tropea in Kalabrien, wobei auch Milazzo in der Nordostecke Siziliens und die Liparischen Inseln einbezogen sind.Aus diesem Grund wäre statt des verwirrenden und vorschnell interpretierenden Ausdrucks „Protovillanova“, der eine enge und ausschließliche Verbindung zur frühen Eisenzeit und zur etruskischen Villanovakultur suggeriert, eine neutralere Bezeichnung wie Ascona-Milazzo-Phänomen nützlich. Obwohl die Brandbestattung in Italien schon seit den früheren Phasen der Bronzezeit bekannt war, wird im späten zweiten Jahrtausend durch die weite Verbreitung der charakteristischen Urnengräberfelder eine neue Stufe erreicht, die eine oberflächliche kulturelle Einheitlichkeit vermittelt – ein Phänomen, das zu unterschiedlichsten Interpretationen Anlass gab und gibt, sowohl was seine Herkunft als auch seine möglichen Auswirkungen auf die Herausbildung der eisenzeitlichen Kulturgruppen Italiens betrifft. Der vorliegende Artikel möchte einen Beitrag zur Diskussion liefern, indem er sich um ein besseres Verständnis der Dimension des „Protovillanova-“ bzw. Ascona-Milazzo-Phänomens bemüht. Es scheint, dass seine Einflüsse auf die Herausbildung der eisenzeitlichen Kulturgruppen Süditaliens und großer Teile Mittelitaliens (das nördliche Italien geht eigene Wege) nicht fundamental und bestenfalls in bestimmten Bereichen (Religion, bes. Jenseitsvorstellungen) wirksam waren. Dies gilt grundsätzlich auch für Etrurien und die Etrusker, obwohl das Phänomen hier wesentlich deutlichere Spuren hinterlassen hat, deren Ausmaß durch zukünftige linguistische und naturwissenschaftliche Untersuchungen vielleicht klarer umrissen werden könnte.

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Abstract

In the Final Bronze Age the so called ‚Protovillanova’-phenomenon appears on the Apennine peninsula (12th -10th century BC according to traditional chronology). It is characterized by the funerary rite of cremation and following deposition of the ashes in bicone-shaped urns and by a typical production of ceramic and bronze manufacts. From a geographic point of view the phenomenon concerns all mainland Italy from Ascona on the northern side of the Lago Maggiore (today Switzerland) to Tropea in Calabria including even Milazzo in the northeastern edge of Sicily and the Lipari Islands. Therefore a more neutral designation like AsconaMilazzo-phenomenon would be useful instead of the confusing and by itself interpreting term ‚protovillanova’, which suggests a close and exclusive relation to the Early Iron Age and Etruscan Villanovan culture. Although cremation was known in Italy almost since the earlier Bronze Age phases, in the late second millennium a new level is reached by the wide diffusion of these characteristic urn cemeteries in Italy creating a superficial cultural unity – a fact that leads to different interpretations regarding the origin of the phenomenon and its possible effects on the formation of the Italian Iron Age cultures.This article wants to contribute to the discussion searching for a better understanding of the dimension of the ‘Protovillanova’- or Ascona-Milazzo-phenomenon. It seems that its effects on the formation of the Iron Age cultures in southern Italy and large parts of Middle-Italy (northern Italy goes her own way) are not fundamental and at the best partial (concerning religious affairs and afterlife). This statement is valid in principal also for Etruria and the Etruscans, however, the phenomenon leaves much deeper traces there, which future linguistic and natural science studies could eventually help to outline.

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as antike Italien des 1. Jahrtausends v. Chr. kann als ausgeprägtes Vielsprachen- und Vielvölkergebiet bezeichnet werden. Erst durch die Romanisierung bekam dieses bunte und komplexe Bild einheitliche Züge. Im archäologischen Material der Halbinsel zeichnet sich eine klare Differenzierung in einzelne regionale Kulturgruppen mit dem Beginn der Eisenzeit im 10. - 9. Jh. v. Chr. ab. In einigen (durchaus nicht allen) Fällen stimmt das Verbreitungsgebiet dieser Gruppen im wesentlichen mit jenem der in historischer Zeit hier belegten Völker überein, dies gilt z.B. im Nordosten für die atestinische Kultur und die Veneter, im westlichen Mittelitalien für die latiale Kultur und die Latiner und ebenda für die Villanovakultur und die Etrusker. Was den Bestattungsritus in der Anfangsphase der italischen Eisenzeit betrifft, so existieren auf der Apenninhalbinsel im Prinzip zwei große, relativ homogene Blöcke nebeneinander (wobei Ausnahmen natürlich immer vorkommen) (vgl. Pallottino 1987: 56 ff., Karte 1): Im Norden dominiert die Brandbestattung wie auch auf der Westseite der Halbinsel bis südlich der Ti-

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bermündung, während die Verstorbenen in der Osthälfte Mittelitaliens und im gesamten Süden körperbestattet wurden (Abb. 1). Wie nun stellt sich das archäologische Bild in den der Früheisenzeit vorausgehenden Phasen dar - eine Frage, die für die Beurteilung der sozio-kulturellen Genese der in historischer Zeit belegten Völker Italiens von erheblichem Interesse ist1.Werfen wir einen Blick auf den Bestattungsritus2:Während in der Frühbronzezeit der allgemein verbreitete Ritus jener der Körperbestattung war (mit Ausnahmen im Süden wie z.B. die Brandbestattung in Urne aus S. Maria di Montalto/Vibo Valentia), setzt sich ab der mittleren Bronzezeit im Norden Italiens – d.h. im Alpengebiet, Alpenvorland und in der Poebene – entschieden die Kremation durch (z.B.: ‚Terramare’). Das restliche Rumpfitalien bzw. die Halbinsel ab dem nördlichen Apennin behält im Rahmen der sog. Apenninkultur, die über die gesamte mittlere Bronzezeit (16. - 14. Jh. v. Chr.) verläuft, im wesentlichen die Inhumation bei, wobei auch hier vereinzelt Ausnahmen belegt sind (z.B. die Urnen-Brandbestattungen im apulischen Canosa).

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Abb. 1: Verteilung von Kremation und Inhumation in Italien am Beginn der Eisenzeit, 9. Jh. v. Chr. nach der traditionellen Chronologie (aus: Die Etrusker und Europa,Ausstellungskatalog [Berlin, 28.2.31.5.1993]. Mailand 1992: 38).

Dies gilt ebenso für die in der Jungbronzezeit nachfolgende und sehr verwandte Subapenninkultur (13. Mitte 12. Jh. v. Chr. nach der traditionellen Chronologie), die allerdings über den Apennin auch in die Poebene ausgreift. In der letzten Phase der Bronzezeit, der Endbronzezeit, fassen wir dann das Phänomen der über die gesamte italienische Halbinsel verstreuten Urnenfelder, und

zwar vom Alpenrand bis an die Nordostspitze Siziliens (Abb. 2). Für diese Gräberfelder mit der charakteristischen Sitte der Brandbestattung in bikonischen Urnen mit Deckschüssel (z.B.Abb. 3), die von einer typischen Keramik- und Bronzeproduktion begleitet werden, wurde der Begriff ‚Protovillanova’ bzw. ‚Protovillanovakultur‘ geprägt. Es handelt sich jedoch um eine mehrfach problematische Bezeichnung: Der ursprüng17

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Abb. 2: Verbreitungskarte der wichtigsten Nekropolen und kleineren Grabgruppen mit dem Ritus der Kremation in bikonischen Urnen im endbronzezeitlichen Italien, Phasen I-III (Karte Amann).

liche, aber farblose Name „di transizione“ = „Übergangs-“ – mit einerseits chronologischem Bezug (Übergang Bronze-Eisenzeit) und andererseits materiellem Bezug auf die geänderte Bestattungssitte – war sehr ambivalent und wurde bald verdrängt. 1937 rief Giovanni Patroni den Begriff „Protovillanova“ ins Leben und verband das Auftreten der typischen Brandgräberfelder mit der (über die Adria erfolgten) Ankunft von fremden, indoeuropäisch sprechenden Personengruppen aus dem Balkan-/Donauraum, in denen er wiederum direkte Vorfahren der Träger der früheisenzeitlich-italischen Villanovakultur sah (Patroni 1937: 709). In dieser ‚ethnischen’ Tradition wurden die Brandgräber in der Folgezeit dann häufig mit Einwanderungen von außeritalischen Gruppen in Verbindung gebracht (z.B. von Luigi Pareti). Einige Erkenntnisjahrzehnte später – die Forschung stand den alten Migrationstheorien nun größtenteils kritisch gegenüber – betonte Ferrante Rittatore Vonwiller den kulturell einheitlichen Charakter des auf Italien beschränkten Phänomens und sprach von „cultura protovillanoviana“, 18

die jedoch – wie er zu Recht betonte – keineswegs als äußeres Anzeichen einer sprachlichen oder gar ethnischen Einheit zu werten sei (Rittatore Vonwiller 1964: 465-469; Rittatore Vonwiller 1975: bes. 40; zur Diskussion um die Begriffe auch Pallottino 1979: 19-26). Allerdings bereitet der modernen Forschung auch das viel diskutierte Etikett der ‚archäologischen Kultur’ Probleme: Unter ‚Protovillanova’ ist primär eine Gleichartigkeit verschiedener materiell-kultureller Äußerungen und bestimmter Jenseitsvorstellungen und Grabsitten zu verstehen, es muss sich deswegen aber noch lange nicht um eine Kulturgruppe im klassischtraditionellen Sinn3 oder Teile einer solchen handeln. Unter der oberflächlichen Einheit können sich Unterschiede verbergen oder im Laufe der Zeit herausbilden, die erst nach der Auflösung des ‚Protovillanova’Phänomens klar sichtbar werden. Renato Peroni – der dem Konzept von ‚Kultur‘ jedoch prinzipiell ablehnend gegenübersteht – spricht deshalb wohl zu Recht von einer Ansammlung archäologischer Fazies bzw. von mehreren ‚protovillanovianischen’ Fazies, die aber

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durch eine äußerliche kulturelle Einheit verbunden seien (Protovillanoviano 2000: 255; Peroni 2004: 318 f., 340 f.). Zur terminologischen Verwirrung wesentlich beigetragen hat die Bezeichnung ‚Protovillanova‘ an sich, da sie eine enge Verbindung zur früheisenzeitlichen und – wie wir heute wissen – im Prinzip etruskischen Villanovakultur4 (Bartoloni 2002) suggeriert, das Verbreitungsgebiet des ‚Protovillanova’-Phänomens aber deutlich weiter, nämlich gesamtitalisch, ist und sich deshalb nur zu einem Teil mit jenem der späteren Villanovakultur deckt. All diese Probleme haben dazu geführt, dass die Begriffe heute mit einer gewissen Beliebigkeit je nach Intention5 verwendet oder auch gänzlich abgelehnt6 werden und ihr ambivalenter bzw. unscharfer Charakter erhalten geblieben ist. Eine neutralere und weniger interpretativ vorausgreifende Bezeichnung - wie z.B. Ascona-Milazzo-Phänomen nach der maximalen geographischen Verbreitung - wäre wünschenswert. Ein totaler Verzicht auf terminologische Definition des kulturellen Phänomens erscheint mir allerdings nicht sinnvoll. Im folgenden soll ein kurzer (und gezwungenermaßen unvollständiger) Überblick über Charakteristika und Entwicklung des ‚Protovillanova’- bzw. AsconaMilazzo-Phänomens gegeben werden, wobei in diesem Zusammenhang besonders die mit dem Erscheinen des Phänomens verbundenen Interpretationsprobleme im Vordergrund stehen. Chronologischer und geographischer Rahmen des ‚Protovillanova’-Phänomens In der Endbronzezeit ist ‚Protovillanova’-Fundmaterial über die ganze italienische Halbinsel verstreut; die großen Inseln Sardinien und Sizilien (mit Ausnahme der Nordostspitze) gehören nicht zum Ausbreitungsgebiet und gehen kulturell eigene Wege. Das Phänomen scheint in seinen spezifischen Eigenheiten nur auf der Apenninhalbinsel und dem nahen Umkreis – d.h. in der Südschweiz – belegt, gewisse Affinitäten zeigen sich entlang der nördlichen Adriaküste bis nach Slowenien und Kroatien. Leider ist die Forschungslage, besonders was den allgemeinen Überblick betrifft, bis heute unbefriedigend, die Publikationssituation regional sehr unterschiedlich und lückenhaft (siehe Bibliographie am Ende des Artikels).

Die Lebensdauer des ‚Protovillanova’-Phänomens umfasst die gesamte Endbronzezeit, wobei eine innere Chronologie in drei Phasen I-III vor allem über die Bronzemanufakte gegeben ist (Carancini, Peroni 1999), da die Keramik der Endbronzezeit leider noch wenig systematisch erfasst und klassifiziert ist (erste Ansätze in Cocchi Genick 1999; Pacciarelli 2000: 36 ff; für Etrurien siehe Protovillanoviani e/o Protoetruschi 1998; Di Gennaro - Guidi 2000: 100 f.). Differenzen bestehen in der absoluten Datierung, und zwar zwischen dem traditionellen Datierungsansatz ca. 1150 900 v. Chr. und der Dendrochronologie ca. 1200 1020 v. Chr.7.Während für die späte Jung- und große Teile der Endbronzezeit Italiens noch keine verlässlichen Dendrodaten zur Verfügung stehen und der diesbezügliche Ansatz 1200 möglicherweise zu früh ist8, so scheint der Beginn der Eisenzeit gemäß den Dendrodaten vor allem der Schweiz aber doch um 1000 v. Chr. anzusetzen zu sein. Daraus ergibt sich eine relativ kurze Laufzeit von nicht mehr als 150 Jahren für die italische Endbronzezeit. ‚Protovillanova’-Fundmaterial (Keramik, Bronze) ist uns aus Nekropolen, Siedlungen und Depotfunden bekannt. Wichtige Nekropolen, kleinere Grabgruppen und Einzelgrabfunde sind folgende (Abb. 2)9: ganz im Norden – noch in der Schweiz – die Nekropole bei Ascona am Lago Maggiore [1]; weitere Gräberfelder finden sich in der Lombardei (Malpensa [2], Fontanella [3] in der Provinz Mantua), der Emilia (Bismantova [6]) und in Venetien (S. Giorgio in Angarano [4] in der Provinz Vicenza), wobei die Großsiedlung Frattesina di Fratta Polesine [5] in der Poebene (Provinz Rovigo) mit ihren zwei Nekropolen Narde und Fondo Zanotto mit insgesamt über 1000 Grablegen besondere Beachtung als Handwerks- und Handelszentrum verdient10.An der mittleren Adriaküste in den Marken ist die wichtige Großnekropole Pianello di Genga [7] mit 1000-2000 Gräbern bekannt. Kleinere Nekropolen liegen in Umbrien (Gräberfeld Colle del Capitano bei Monteleone di Spoleto [9], Brandgrab Terni [10]) und im späteren Sabinergebiet (Palombara Sabina [11]); am südwestlichen Trasimenersee im späteren Inneretrurien die leider nicht publizierte Panicarola-Nekropole [8] (mit cirka 50 Gräbern); das kleine Gräberfeld von Sticciano Scalo [12] nördlich von Grosseto; mehrere kleinere Grabgruppen und Einzelgräber in Südetrurien – und zwar im Fiora-Tal [13] (Grabgruppen Crostoletto di Lamone, 19

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Abb. 3: Bikonische Urne mit Deckschüssel aus dem Brandgräberfeld von Timmari/Basilikata, Endbronzezeit (aus: Rittatore Vonwiller 1975:Taf. 32).

Castelfranco Lamoncello und Ponte San Pietro aus den frühen Phasen I-II), im Tolfa-Massiv [14] (Gräberfeld Poggio della Pozza bei Allumiere aus den Phasen II-III, zur Siedlung Monte Rovello gehörig) und im Gebiet von Cerveteri [15] (z.B. Sasso di Furbara, Montetosto Alto); das Gräberfeld Montarano Sud [16] bei Civita Castellana im späteren Faliskergebiet; Einzelgräber und Kleinstgruppen in Latium vetus, und zwar an der Küste (z.B. Pratica di Mare [19], Grab Campo del Fico bei Ardea [20], Antium), in den Albanerbergen [18] (Castel Gandolfo, Grottaferrata, Ariccia) und in Rom [17] (z.B. Gräberfeld beim Augustusbogen aus den Phasen II-III). Im Süden sind in der Basilikata die größere Nekropole (plus Siedlung) von Timmari [22] mit rund 250 Gräbern und in Apulien im nördlichen Golf von Tarent das Gräberfeld (plus Siedlung) Torre Castelluccia [23] bekannt. Dazu kommen zwei Nekropolen in Kalabrien – Amendolara [24] im Golf von Tarent (plus Siedlungen) und Tropea [25] im Süden. Auf den Liparischen Inseln kennen wir die Nekropole Piazza Montefalcone 20

auf Lipari [26] (mit gemischtem Ritus: Kremation in Urnen und Enchytrismos) und an der Nordostspitze Siziliens die Nekropole von Milazzo [27], die jener von Tropea sehr ähnlich ist. Die großen Nekropolen von Frattesina in Venetien, Pianello di Genga in den Marken und Timmari in der Basilikata beginnen in der ersten Phase der Endbronzezeit (2. Hälfte 12. Jh. v. Chr. nach der traditionellen Chronologie), ebenfalls früh sind Ascona und Bismantova im Norden, Ponte San Pietro im westlichen Mittelitalien und Milazzo auf Sizilien. Die Anfänge von Torre Castelluccia im Golf von Tarent scheinen besonders weit zurückzureichen (bis in die Jungbronzezeit); dies gilt eventuell auch für Amendolara. Eine Zunahme signifikanter Fundorte ist in der späten Phase der Endbronzezeit besonders im westlichen Mittelitalien zu verzeichnen, die letzte Phase III ist hier besonders gut belegt; dieser letzten Phase ist in Kampanien u.a. auch die ‚Protovillanova’-Nekropole S. Angelo in Formis bei Capua [21] zuzuschreiben. Was den Wechsel von einem Bestattungsritus zu einem anderen betrifft, in unserem Fall vom Ritus der Inhumation zu jenem der Kremation, können die Gründe dafür natürlich vielfältig sein (religiös, ökonomisch, sozial, ethnisch, praktisch usw.), der Wechsel kann weiters auf verschiedene Weise stattfinden – darauf soll in diesem Zusammenhang nicht weiter eingegangen werden. Er ist aber in Mittel- und Süditalien anfänglich sicherlich mit einem Wandel in den konkreten Jenseitsvorstellungen verbunden, weil nämlich das gesamte Bestattungsritual davon betroffen ist. Bezüglich des Bestattungsritus der Kremation in Italien sind zwei prinzipielle Anmerkungen zu machen: 1. Die Sitte der Brandbestattung in Urnen ist in Mittel- und Süditalien in der Endbronzezeit ein äußerlich einheitliches und zahlreich belegtes Phänomen, das aber vereinzelte Vorläufer in der Jungbronzezeit im subapenninischen Rahmen und sogar schon in der Mittelbronzezeit hatte, wobei die frühen Fälle möglicherweise vom östlichen Mittelmeerraum angeregt wurden (Jungbronzezeit: Cavallo Morto-Nekropole bei Lavinium im mittelitalischen Latium (Angle et al. 2004); späte Mittelbronzezeit-Jungbronzezeit: Pozzillo-Nekropole bei Canosa in Apulien11; Mittelbronzezeit: Muro Leccese in Apulien; frühe Bronzezeit: Capo Graziano auf Filicudi/Liparische Inseln).

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2. Während die Kremation im endbronzezeitlichen Mittelitalien bis auf einige Zonen (z.B. FucinoGebiet in den westlichen Abruzzen) dominant ist, werden in Süditalien parallel zur „neuen“ Sitte auch die alten Körperbestatter-Traditionen weitergeführt (mit monumentalen, z.T. kollektiven Formen wie Hypogäen, Kammergräbern, Dolmen und Tumuli oder in einfachen Fossagräbern; nach Fundort aufgezählt in Peroni 2004 (1996): 360362; Bettelli 2002: 139-143). Kremation und Inhumation kommen in der Regel aber nicht im selben Grabareal vor (eine Ausnahme ist Torre Castelluccia bei Tarent (Peroni 1989: 235; Peroni 1995: 236)). Die Brandbestattung in bikonischen Urnen ist im Süden Italiens in der Endbronzezeit also alles andere als flächendeckend!

Bestattungsritual und materielle Kultur Die variationsreichen Impastournen (eine vergleichende Gegenüberstellung von Urnenformen anhand des Fundmaterials einiger ‚Protovillanova’-Nekropolen bringt Schumacher 1967: 11 ff.) waren in der Regel durch eine umgedrehte Schüssel verschlossen (Abb. 3), in den fortgeschrittenen Phasen konnte besonders in Südetrurien der Deckel auch einen Apex aufweisen und an einen Helm erinnern (Abb. 4) (Tolfa 1987: 60, mit mehreren Beispielen, z.B. Fig. 13, 84). Bei den Urnen war häufig ein Henkel abgebrochen, was als rituelle Unbrauchbarmachung gewertet werden darf. Daneben existieren auch Aschengefäße ohne Henkel oder mit zwei Henkeln – dies besonders in Norditalien, wo überhaupt viele Abweichungen (Form der Urne, Fehlen der Deckschüssel usw.) bemerkbar sind. Die Urnen wurden relativ dicht nebeneinander in nicht sehr tiefen Erdgruben niedergelegt, die entweder unverkleidet oder mit Steinplatten ausgekleidet sein konnten. In ihrer ausgereiften Form werden sie als Kassettengräber bezeichnet (z.B. in der Poggio della Pozza-Nekropole in Südetrurien) (Abb. 5). Als Schutz diente bisweilen auch ein Übergefäß aus Stein (in Etrurien: Poggio della Pozza) oder Ton (Latium:Albanerberge). Außergewöhnlich ist der große Erdtumulus über den Brandgräbern von Narde bei Frattesina in der Poebene, kleine Erdanhäufungen und Grabzeichen auf dem Grab kommen ebenfalls vor (Di Gennaro 1996: 494). Generell haben die Gräber der frühen (und kur-

Abb. 4: Bikonische Urne und Deckel mit Apex aus der Poggio della Pozza-Nekropole bei Allumiere/Südetrurien, H. 33 cm, H. Deckel 10,5 cm, Endbronzezeit (aus: Tolfa 1987: 62, Fig. 85).

zen) Phase I der Endbronzezeit kaum Beigaben, dies ändert sich in den fortgeschrittenen Phasen (ab dem 11. Jh. v. Chr. nach der traditionellen Chronologie), wobei hier jedoch große regionale Unterschiede existieren. Zahlreiche Beigaben, darunter besonders auch keramischer Natur, finden sich z.B. in Südetrurien, im Sabinergebiet und in Latium vetus. Generell weniger Beigaben hat die italienische Ostseite aufzuweisen, wie z.B. die Großnekropole von Pianello di Genga zeigt. Die Gräber im Osten und Norden Ialiens enthalten vor allem weniger keramische Beigaben, und zwar auch die ansonsten gut ausgestatteten Grablegen (so z.B. in Frattesina und Bismantova im Norden). Im ‚protovillanovianischen’ Bestattungsritus als auch bei der handgemachten Impastokeramik, die sich mit ihren reichen Ritzverzierungen (parallele Linien, Dreiecke, Zick-Zack, Kamm, Mäander, selten figürliche Motive) und dem plastischen Dekor (Furchen, Rippen, Knubben, stilisierte Tierprotome) stark von der Keramik des mittleren und östlichen Mittelmeerraumes unterscheidet, existieren Affinitäten zum Urnenfelder21

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raum Zentraleuropas (besonders zum Ostkreis, wie z.B. das Wasservogelmotiv zeigt). Eine systematische Aufarbeitung dieser Affinitäten wäre ein dringendes Desiderat der Forschung (z.B. ausgehend von Kossack 1954). Verbindungen zum Bereich nördlich der Alpen zeigen sich auch bei den Bronzemanufakten, wobei das endbronzezeitliche Italien Teil einer weiten Koinè der Bronzeverarbeitung ist, die in die Jungbronzezeit zurückreicht. Die italischen Bronzetypen - persönliches Ornament (z.B. Abb. 6), Waffen, Werkzeuge - sind wesentlich besser systematisiert und klassifiziert als das keramische Material, das noch einer Aufarbeitung harrt. Aus metallurgischer Sicht lässt sich das Gebiet der italienischen Halbinsel in verschiedene Gruppen und Fazies einteilen (Abb. 7a) (Peroni et al. 1980: 9-86; Peroni 1989: 380 f.; Di Gennaro 1996: 490, mit Karte): Fazies westliche Transpadana (1) mit den Gruppen Dora-Ticino (1a) und Adda-Olona (1b), Fazies zentrale Transpadana (2) mit den Gruppen Adige (2a), Garda (2b), Fontanella (2c) und Angarano (2d), Fazies östliche Transpadana (3) in Venetien und Friaul, die isolierten Gruppen Marecchia-Chienti (4) und Tronto-Pescara (5) an der mittleren Adriaküste, die osttoskanisch-westumbrische Trasimener-Gruppe in Zentralitalien (6), die große mitteltyrrhenische Fazies (7), die sich von der Toskana bis nach Kampanien erstreckt und fünf Untergruppen hat – Tolfa-Allumiere (7a),Terni (7b), Rom-Albanerberge (7c), Fucino (7d),Volturno (7e) (zu dieser Fazies und ihren Untergruppen siehe den Überblick in Di Gennaro Guidi 2000), und die ebenfalls große südliche Fazies (8) mit den Untergruppen Ofanto (8a), Materano-Salen-

Abb. 5: Kassettengrab in der Poggio della Pozza-Nekropole bei Allumiere/Südetrurien, Grab I, Grabung Klitsche de la Grange, Endbronzezeit (aus:Tolfa 1987: 59, Fig. 77).

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Abb. 6: Violinbogenfibel aus dem Depotfund Coste del Marano bei Tolfa/Südetrurien, Bronze, Endbronzezeit II (aus: Rittatore Vonwiller 1975:Taf. 37,1).

tino (8b), Crati (8c), Castellace (8d). Die Zonen zwischen den Fazies bzw. Gruppen sind fast fundleer, die wenigen Funde lassen sich aufgrund der Vielzahl an Elementen schwer einordnen. Es scheint, dass die erkennbaren metallurgischen Kreise im wesentlichen einen untereinander eng verbundenen Wirtschaftsraum anzeigen, dem aber nicht immer eine kulturell-materielle Einheitlichkeit im Hinblick auf die Grabsitten und die keramische Produktion entsprechen muss; d.h. dass die territorialen Übereinstimmungen zwischen dem metallurgischen Kreis und den regionalen keramischen und funerären Charakteristika teilweise nur partiell gegeben sind (Peroni 1989: 383 und 2004 (1996): 342 ff.). So weist z.B. die mitteltyrrhenische Fucino-Gruppe (7d) in den westlichen Abruzzen mit ihrer eigenen Siedlungsstruktur und der anhaltenden Sitte der Körperbestattung einen stark autonomen Zug auf12, die mitteltyrrhenische Terni-Gruppe (7b) dürfte keramisch eher zur toskanisch-umbrisch-adriatischen Seite (Pianello di Genga) orientiert sein13. Dies gilt auch für die zentralumbrisch-osttoskanische Trasimener-Gruppe (6), die mit der von A. Zanini aufgrund mehrerer Indikatoren klassifizierten Chiusi-Cetona-Gruppe in Zusammen-

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Abb. 7: a. Metallurgische Fazies und Gruppen im Italien der Endbronzezeit (aus: Di Gennaro 1996: 490).

b. Ungefähre Gruppierungen nach funerär-keramologischen Kriterien im zentralen und östlichen Mittelitalien in der Endbronzezeit (Karte Amann nach Di Gennaro).

hang zu bringen ist14. Diese Gruppe zeigt enge Verbindungen zur adriatischen Marecchia-Chienti-Gruppe (4), die sich wiederum ungefähr mit der funerärkeramologischen Pianello-Gruppe deckt15 (vgl.Abb. 7b). Dahingegen ist die metallurgisch isolierte Pescara-Tronto-Gruppe (5) keramisch eher nach Süden Richtung Apulien orientiert. Im Norden geht die metallurgisch in der zentralpadanischen Fazies angesiedelte AdigeGruppe (2a) keramisch und kulturell eigene Wege (= Laugen-Gruppe bzw. Fazies) (De Marinis 1988: 101130, bes. 104; Peroni 2004 (1996): 322). Nin in Dalmatien, das im Funerärbereich der Sitte der Inhumation in seitlicher Hockerlage folgt, weist metallurgisch enge Parallelen zu Mittel-, aber auch Nord- und Süditalien auf. Die Einteilung nach metallurgischen Fazies ist also ausgesprochen nützlich zur Beschreibung der wechselseitigen Beziehungen im Hinblick auf Punkte wie Handel und Technologietransfer als auch der daraus resultierenden Einflüsse, scheint aber m. E. wenig aussagekräftig, was das Erkennen größerer sozio-kultureller Gruppierungen betrifft.

Siedlungslage, -kontinuität und innere Organisation der Siedlungen Bei den Siedlungen der Endbronzezeit handelt es sich – wie schon in der vorausgehenden Phase der Jungbronzezeit – meistens um natürlich geschützte Höhensiedlungen mit strategischer Lage zur Kontrolle des Umlandes, deren durchschnittliche Größe 4-5 ha, zum Teil auch 6 ha betragen konnte (in Ausnahmefällen sind die Siedlungen auch größer wie jene in Süditalien mit bis zu 20 ha oder Frattesina mit 30 ha). Im Hinblick auf die Siedlungskontinuität zwischen Jungund Endbronzezeit ist vor allem in der nordostitalienischen Poebene – im Gebiet der Terramare – ein echter Bruch mit signifikantem Siedlungs- und Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen, über dessen Ursachen viel spekuliert wurde (klimatische Veränderungen, innere Entwicklungen, Einwanderung von außen?). Mehr Siedlungkontinuität ist in Mittel- und Süditalien im Gebiet der ehemaligen Subapenninkultur gegeben, obwohl auch hier Elemente der Instabilität zu erkennen 23

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Abb. 8: Verbreitungskarte der mykenischen Keramik in Italien im 12. Jh. v. Chr. (aus: Peroni 2004 [1996]: 283, Fig. 58).

sind - Zerstörungsschichten zwischen Jung- und Endbronzezeit existieren in den Siedlungen von San Giovenale in Südetrurien, Porto Perone im Golf von Tarent und auf der Akropolis von Lipari (Peroni 1989: 372); es gibt wenige kontinuierlich genutzte Nekropolen (wie z.B. Canosa/Pozzillo, Torre Castelluccia, Amendolara im Süden. Aus Zentralitalien sind generell wenige jungbronzezeitliche Grabareale bekannt. Siehe Peroni 2004 (1996): 247). Die große Urnenfeldernekropole Pianello di Genga an der mittleren Adria wurde im Bereich einer jungbronzezeitlichen Siedlung angelegt, deren Gräber einfache Inhumationen ohne Beigaben sind. ‚Protovillanova’-Fundplätze können also ohne direkte Vorgänger sein, können aber auch in topographischer Verbindung zu Plätzen der Subapenninkultur stehen. Eine gewisse Siedlungskontinuität (z.T. schon ab der mittleren Bronzezeit) ist besonders bei den strategisch günstig gelegenen Zentralsiedlungen häufig belegt: z.B. im südetruskischen Tolfa-Massiv (Luni sul Mignone), im Golf von Tarent (Scoglio del Tonno, Por24

to Perone, Torre Castelluccia, Broglio di Trebisacce) und auf Lipari. Die innere Organisation der endbronzezeitlichen Siedlungen und Gemeinschaften Italiens dürfte sehr unterschiedlich gewesen sein. Dabei werden in der Endbronzezeit Entwicklungen tradiert, die schon in der Jungbronzezeit begonnen haben. Das trifft besonders auf das südliche Italien und die dortige direkte mykenische Präsenz ab dem 15./14. Jh. v. Chr. zu (Abb. 8). Der mykenische Einfluss beschleunigt die ökonomische und soziale Entwicklung im Süden und führt zur Herausbildung von stabilen Handelszentren (z.B. Broglio di Trebisacce, Castellace,Torre Castelluccia, Porto Perone), zu einer stärkeren sozialen Differenzierung und zu Wettbewerb der Gemeinden untereinander.Archäologisch ist die Entwicklung ab der Jungbronzezeit deutlich fassbar und wird in der Endbronzezeit weitergeführt – große Gebäude und Verteidigungsstrukturen, gereinigte und auf der Drehscheibe produzierte Keramik (= graue Scheibenkeramik), in Süditalien hergestellte bemalte Keramik mykenischen Typs und große Gefäße zur Vorratshaltung prägen das Bild (zur materiellen Kultur in Süditalien und den Verbindungen zum mykenischen Raum siehe Bettelli 2002; Peroni 1995: 234 f.). Es ist wohl nicht übertrieben, von einer möglichen Vorbildwirkung der mykenischen Paläste auch in der Verwaltung der Ressourcen zu sprechen. Vom mykenischen Einfluss nur gestreift und traditioneller organisiert bleiben Mittel- und Norditalien, wo ab der fortgeschrittenen Endbronzezeit zwar auch eine deutliche soziale Differenzierung mit Herausbildung einer Oberschicht erkennbar wird – und zwar besonders ausgeprägt in den mitteltyrrhenischen Gruppen Tolfa-Allumiere und Rom-Albanerberge (im Norden nimmt Frattesina eine Sonderstellung ein). Diese Oberschicht greift aber nicht massiv über Vorratshaltung in den Produktionsprozess ein. Dabei scheinen das zentrale und östliche Mittelitalien generell ärmer und sozial weniger differenziert als der tyrrhenische Westen – es finden sich weniger Depotfunde, die Siedlungsdichte ist geringer und die Grabbeigaben wesentlich bescheidener.Auffallend und sicher nicht zufällig ist der Umstand, dass im Gegensatz zur Großnekropole Pianello di Genga in den Marken, die mit ihren 1000-2000 Grablegen über einen langen Zeitraum hinweg Bestattungsplatz für mehrere umliegende Dörfer gewesen sein dürfte (keines davon wurde gefunden), die mitteltyr-

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rhenischen Gruppen Tolfa-Allumiere und Rom-Albanerberge bis auf zwei Ausnahmen16 keine größeren Nekropolen, sondern meist nur kleinere Grabgruppen (mit bis zu höchstens 20 Grablegen) und Einzelgräber aufweisen. Diese werden mit den sozial hochstehenden Mitgliedern der Gemeinschaft in Verbindung gebracht. Die Verschiedenheit an sozio-ökonomischen Systemen ist der eigentliche Grund für Renato Peroni von mehreren ‚Protovillanova’-Fazies im endbronzezeitlichen Italien zu sprechen. Übergang Endbronzezeit - Früheisenzeit und Nachwirkung des ‚Protovillanova’-Phänomens Wenn auch das Auslaufen des ‚Protovillanova’-Phänomens generell ans Ende der Endbronzezeit – um 1000 v. Chr. nach den Dendrodaten, spätes 10. Jh. v. Chr. nach der traditionellen Chronologie – gesetzt wird, so sind doch deutliche regionale Unterschiede zu sehen, zumindest im Bestattungsritus (vgl. Abb. 1). Ganz im Süden von Italien – an der Nordostspitze Siziliens, auf den Liparischen Inseln und in Kalabrien – wird die Kremation schon ab dem 11. Jh. v. Chr. (Endbronzezeit II) schrittweise wieder von der Inhumation verdrängt (= sog.Ausonio II, das sich in der Folgezeit in Sizilien ausbreitet). In der frühen Eisenzeit kehrt dann der gesamte Süden (Kalabrien, Apulien, Basilikata) zur Sitte der Körperbestattung (Hockerund ausgestreckte Rückenlage) zurück, Ausnahmen sind lediglich in Kampanien (Pontecagnano, Sala Consilina, gemischter Ritus in Capua) belegt. In Norditalien war die Brandbestattung seit der mittleren Bronzezeit eingeführt und gut bekannt, die Endbronzezeit kennt neben den typischen Urnenfeldern auch einige Grabareale mit gemischtem Ritus. In der Eisenzeit wird die Brandbestattung in Urnen mit lokalen Formen (in Venetien z.B. die Situla) ungefähr bis ins 6. Jh. v. Chr. weitergeführt und schrittweise von der Körperbestattung ersetzt. Interessant ist die Entwicklung in Mittelitalien: Der östliche und der innere Teil kehren in der frühen Eisenzeit abgesehen von wenigen, gut zu erklärenden Ausnahmen (wie z.B. das Villanova von Fermo)17 ebenfalls rasch wieder zur Körperbestattung zurück; so z.B. auch die Terni-Gruppe in Südumbrien, die zu Beginn der Eisenzeit noch interessante Mischformen aufzuweisen hat (Leonelli 2003:

Abb. 9: Charakteristische Beigabentypen im frühlatialen Grabritus, Gruppe Rom-Albanerberge: Miniaturgefäße (Nr. 1-10) und -waffen (Nr. 13), Hüttenurne (Nr. 11), anthropomorphe Tonstatuette (Nr. 12) (aus Peroni: 2004 [1996]: 507, Fig. 118).

293). Dagegen hält sich die Brandbestattung im westlich-mitteltyrrhenischen Raum länger: In Latium vetus (= mitteltyrrhenische Gruppe Rom-Albanerberge) zeichnete sich die Sitte der Kremation in der fortgeschrittenen Endbronzezeit durch ein ausgesprochen komplexes und spezifisches Begleitritual aus: Dies äußert sich in Urnen, die nicht die übliche bikonische Form haben (Ollen, z.T. Urnen in Hüttenform), einer weitgehenden Miniaturisierung der Beigaben, in der Präsenz kleiner anthropomorpher Substitutfiguren und in großen Übergefäßen aus Ton (Abb. 9). Diese spezifisch regionalen Eigenheiten werden mit der latialen Kultur in Zusammenhang gebracht und deren Beginn deshalb in die späte Endbronzezeit gesetzt (Bietti Sestieri - De Santis 2000: 13 f., 25 f.; Peroni 2004 (1996): 344 f., 507) (Latium adiectum ist, was die Endbronzezeit betrifft, fast fundleer). Die Verbrennung wird dann noch in der frühei25

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senzeitlichen latialen Phase IIA (ca. 900-830 v. Chr. nach der traditionellen Chronologie) tradiert, in der Folge aber doch auch rasch von der Körperbestattung verdrängt. Etwas anders entwickelte sich Etrurien, wo die Sitte der Kremation im Rahmen der Villanovakultur länger dominierte (allerdings mit Ausnahmen: gemischter Ritus zeigt sich schon im 9. Jh. v. Chr. in Caere und Populonia [Bartoloni 2000]), und zwar im Süden (mit den ausgedehnten Urnenfeldern Tarquinias) und besonders im Norden (Volterra) und dem Inneren (Chiusi) Kernetruriens sowie in bestimmten Gebieten Kampaniens (Pontecagnano) und der Emilia-Romagna (Bologna,Verucchio). Im Gegensatz zum latinischen Raum weisen die frühen bikonischen Urnen und Deckgefäße im villanovazeitlichen Etrurien deutliche Ähnlichkeiten mit einem Teil der bikonischen ‚Protovillanova’-Urnen auf, wobei erstere meist stärker in die Länge gezogen sind18. Erst in der zweiten Phase der Villanovakultur ab dem 8. Jh. v. Chr. (dem ‚entwickelten’ Villanova) macht sich besonders in Südetrurien das Vordringen der Inhumation von Süden und Südosten her deutlich bemerkbar (z.B. in Veji). Fehlende Siedlungskontinuität - der Sonderfall Etrurien Was Etrurien – neben dem Festhalten am tradierten Ritus der Kremation – vom Rest Italiens unterscheidet (und zwar auch von Latium vetus), ist das Abbrechen der Siedlungskontinuität in vielen ‚protovillanovianischen’ Zentren am Ende der Endbronzezeit bzw. am Beginn der Eisenzeit (z.B. in Sorgenti della Nova). Relativ gleichzeitig dazu entstehen neue Siedlungen, und zwar jene, die uns in historischer Zeit als die großen Zentren vor allem Südetruriens bekannt sind: Caere, Veji, Tarquinia,Vulci und im Norden Volterra. Dabei zeigt sich heute immer mehr, dass die Geburt dieser protourbanen Großsiedlungen – mit bis zu 150 ha Siedlungsareal und im Süden mit Vorliebe auf leicht zu verteidigenden Tuffplateaus – noch am Ende der Bronzezeit im Rahmen des späten ‚Protovillanova’ erfolgte (Peroni 1995: 232 ff.; Di Gennaro - Guidi 2000: 106 ff.). Die Bestattungssitten in den zugehörigen Nekropolen standen dann auch stark in der Tradition des ‚Protovillanova’19. Die im Umkreis liegenden ‚Protovillanova’-Dörfer wurden aufgegeben. Der eigentliche 26

Auslöser für diese gezielte und im zeitgenössischen Italien einzigartige Bevölkerungskonzentration ist uns unbekannt – wohl aber politischer Natur, wobei auch eine mögliche Kettenreaktion in Betracht gezogen werden muss. Die Konzentration schuf dann jedenfalls die Voraussetzung für das früheisenzeitliche „Wirtschaftswunder“ Etrurien.

Schlussfolgerungen Angesichts der begrenzten Lebensdauer des ‚Protovillanova’ bzw. Ascona-Milazzo-Phänomens in großen Teilen Mittel- und Süditaliens (anders die Entwicklung in Norditalien) und seiner raschen Absorbierung in der frühen Eisenzeit scheint mir seine mögliche Tiefenwirkung auf die Formation der dort lokalisierten „Völker“ nicht fundamental und bestenfalls partiell auf bestimmte Lebensbereiche (wie die Jenseitsvorstellungen) begrenzt. Jene Faktoren, die zu Beginn der Eisenzeit zur Herausbildung echter regionaler Kulturgruppen beigetragen haben oder haben können (wie u.a. die sprachliche Zugehörigkeit), sind als embryonale Unterschiede schon vorher vorhanden – auch wenn wir keine Möglichkeit haben, sie archäologisch konkret zu erfassen. Dies trifft auch auf Etrurien und die Etrusker zu – und doch hinterlässt das ‚Protovillanova’-Phänomen hier wesentlich deutlichere und konsistentere Spuren als anderswo, die ich mir nicht ohne eine tiefere Beeinflussung der vorhandenen Bevölkerung (bzw. von Teilen derselben) vorstellen kann. Es könnte Aufgabe der Sprachwissenschaft sein, eventuelle „nördliche“ Beeinflussungen im Etruskischen aufzuspüren oder deren Nichtexistenz festzustellen, möglicherweise können in Zukunft auch anthropologische Untersuchungen20 oder DNA-Analysen hilfreich sein. Ausgangspunkt für ein Verständnis des ‚Protovillanova’- bzw. Ascona-Milazzo-Phänomens muss aber jedenfalls seine gesamtitalische Dimension sein, und in dieser Hinsicht ist es Beleg für die engen Verbindungen zwischen italienischer Halbinsel und dem Bereich nördlich der Alpen – eine Tatsache, die sich sowohl vor als auch nach der Endbronzezeit immer wieder in den verschiedensten Varianten manifestiert hat.

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Anmerkungen 1 Auf den äußerst dynamischen Prozess der Ethnogenese der Völker Altitaliens kann und soll in diesem Artikel nicht eingegangen werden, da nur ein Teil der daran beteiligten Faktoren überhaupt archäologisch greifbar ist. 2 Zu den Bestattungssitten und Grabtypen im bronzezeitlichen Italien siehe die nach Fundorten gegliederten Aufzählungen in Peroni 2004 (1996) (mit den jeweiligen Literaturangaben in der Bibliographie): Frühbronzezeit (50, 65 ff., 81 f., 90 f.), Mittelbronzezeit (134 ff., 156 f., 176 ff., 187 ff.), Jungbronzezeit (235 f., 247, 259 f., 266 f.), Endbronzezeit (309 ff., 330 ff., 360 ff., 371 f.). 3 Im Sinne einer Gesamtheit von Sitten, Gebräuchen, Ritualen, künstlerischen Äußerungen, sozialen und technischen Errungenschaften, die eine Menschengruppe in einem bestimmten Raum und einer bestimmten Zeit entwickelt hat und miteinander teilt. Zur Diskussion um den Begriff ‚Kultur’ siehe u.a. Brather, S. (2004), Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie. Geschichte, Grundlagen und Alternativen. Berlin - New York: 52 ff., bes. 70 ff. 4 Die Benennung erfolgte nach dem ersten signifikanten Fundort (1853), der kleinen Ortschaft Villanova 8 km östlich von Bologna. 5 Negroni Catacchio, N. (1998), ‘Protovillanoviani e/o Protoetruschi. Un problema aperto’. In: Protovillanoviani e/o Protoetruschi: 1-4, die z.B. für Etrurien zwischen einem gesamtitalischen Protovillanova und einer darauffolgenden regionalen „protoetruskischen“ oder „prävillanovianischen“ Phase unterscheiden möchte. Vgl. dies., ‘Dai Protovillanoviani ai Protoetruschi: proposta di un modello interpretativo’. In: Protovillanoviano 2000: 244 f. Siehe auch Pallottino, M., Etruskologie. Geschichte und Kultur der Etrusker. Basel - Boston - Berlin 1988: 44. 6 Dem Begriff ‚Protovillanova’ extrem skeptisch gegenüber stehen A. Guidi und besonders F. Di Gennaro, der das Konzept, das ‚Protovillanoviano’ als einheitlichen kulturellen Aspekt auf der gesamten italienischen Halbinsel zu betrachten, für überholt hält und den rein chronologischen Begriff „Età del Bronzo finale/Endbronzezeit“ vorzieht. Siehe Di Gennaro 1996: 488; Di Gennaro - Guidi 2000: 102. 7 Vergleichende Chronologieschemata in Peroni 1994: 207, 211, 214 f.: Schema der absoluten Chronologie nach traditionellem und dendrochronologischem Ansatz. Die Dendrochronologiesysteme in Norditalien und der Ägäis sind erst im Aufbau begriffen. 8 Diese Vermutung ergibt sich aufgrund der italischen Synchronismen zum mykenischen Raum. Für diesbezügliche Informationen danke ich Reinhard Jung (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Mykenische Kommission). Siehe Jung., R., ‘5; Quando? Wann? Quand? When? – Translating Italo-Aegean Synchronisms’. In: Laffineur, R., Greco, E. [ed.], Emporia. Aegeans in Central and Eastern Mediterranean. Proceedings of the 10th International Aegean Conference (Athen, 14.-18.4.2004). Aegaeum 25 (im Druck); Jung, R., Weninger, B. (2004), ‘Kastanás and the Chronology of the Aegean Late Bronze and Early Iron Age’. In: Higham,T., Bronk Ramsey, Ch., Owen, C. [ed.], Radiocarbon and Archaeology, Fourth International Symposium (Oxford, 9.14.4.2002). Oxford: 209-228. 9 Aufgrund redaktioneller Vorgaben im Umfang des Artikels musste leider auf eine Bibliographie zu den einzelnen Fundorten verzichtet werden, es sei aber verwiesen auf die ausführlichen Angaben in Peroni 2004 (1996): 619 ff. und die Tagungsbände Bronzo finale 1979 und Protovillanoviano 2000. 10 Der wichtige Flusshafen an einem antiken Nebenarm des Po bietet zahlreiche Hinweise auf die Verarbeitung von Bronze, Glas, Hirschhorn, Bein, Elfenbein und Straußeneiern, daneben fertige Bernsteinerzeugnisse und einige mykenische Keramikfragmente.

11 Brandgräbernekropole mit über 200 Urnen mit Deckschüssel, die zwischen 1400-1200 v. Chr. datiert. Die Urnen können eiförmig, situlenartig oder annähernd bikonisch sein, erreichen aber niemals die typische Form der Urnen von Timmari, Torre Castelluccia und Milazzo. Die Deckschüsseln sind subapenninisch. Vgl. Lo Porto, F.G. (1998), ‘La necropoli ad incinerazione del Pozzillo di Canosa (Bari, Italia)’. In:Atti XIII Congresso UISPP, 4, Forlì: 427 ff. Nach Striccoli 1998: 262 sei der Fund eines zeitgleichen Einzelgrabes bei Molinella nel Gargano mit Kremation in Urne, Kupferschwert und Fragmenten mykenischer Keramik Hinweis darauf, daß „il rito d’incinerazione sia connesso all’arrivo, se non di nuovi gruppi etnici, sicuramente di nuove credenze religiose propagate da navigatori del Mediterraneo orientale”. 12 Gemeint sind Fundstätten in und um das Fucino-Becken (z.B. Luco dei Marsi, Paludi di Celano). Die materielle Kultur ist vorwiegend umbrisch-sabinisch orientiert; die Siedlungen liegen häufig in der Senke mit Ausrichtung auf das Becken und den See bzw. auf den umliegenden Terrassen. Vgl. Bietti Sestieri, A.M. (1999), ‘Die Spätbronzezeit im mittleren Adriagebiet’. In: Picener 1999: 40 ff. 13 Zwei Bestattungen aus der Endbronzezeit (Phase III) – eine Kremation in Urne und eine Inhumation – im Bereich der früheisenzeitlichen Acciaierie-Nekropole von Terni. Carancini, G.L. (1985),‘L’area tra Umbria meridionale e Sabina alla fine della protostoria. Premessa’. DialArch s. 3: 37-41; Bonomi Ponzi, L. (2001), ‘Tra Appennini e Tevere: il ruolo dei Naharci nella formazione della cultura umbra’.Annali della Fondazione per il Museo “Claudio Faina” 8: 319-341, bes. 322. 14 Zur Chiusi-Cetona-Gruppe siehe Zanini 1994 und 2000. Keramisch unterscheidet sich die Gruppe stark von der Tolfa-Allumiere-Gruppe. Für F. Delpino (Vortrag im Rahmen des XII Convegno Internazionale di Studi sulla Storia e l’Archeologia dell’Etruria, Orvieto, 12.12.2004) ist der Unterschied zwischen Chiusi-Cetona-Gruppe und mitteltyrrhenischer Fazies allerdings weniger deutlich. 15 Nach der Großnekropole Pianello di Genga in den Marken: Bianco Peroni,V., Peroni, R.,Vanzetti, A. (1999), ‘Die Nekropole Pianello di Genga’. In: Picener 1999: 47-54.Vgl. auch Peroni 2004 (1996): 344. 16 Die Ausnahmen finden sich in der Tolfa-Allumiere Gruppe, und zwar das Nekropolen-System um Sasso (20-50 Grablegen) und die Poggio della Pozza-Nekropole bei Allumiere (über 100 Grablegen), die die einzige zahlenmäßig wirklich konsistentere ist. Siehe Di Gennaro, Guidi 2000: 112. Die eventuelle Nekropole der großen ‚Protovillanova’-Siedlung Sorgenti della Nova im Fioratal konnte bisher nicht gefunden werden (Negroni Catacchio, N., In: Protovillanoviano 2000: 243). Für das endbronzezeitliche Latium nehmen Bietti Sestieri, De Santis 2000: 25 an, dass nur die sozial herausragenden Personen brandbestattet wurden. 17 In der Regel als eine Art „Kolonie“ der Etrusker an der adriatischen Ostküste aufgefasst, z.B. von Drago Troccoli, L. (1999), ‘Die Villanovakultur in Fermo’. In: Picener 1999: 62-65. Anders Peroni 1989: 556 ff., der von Akkulturation der einheimischen Bevölkerung spricht. 18 Daneben wesentlich seltener auch Hüttenurnen; das typische bikonische Gefäß konnte aufgrund bestimmter lokaler Vorlieben teilweise durch andere Formen (Olla, Amphore) ersetzt werden. Vgl. Bartoloni 2002: 129-139, bes. 135 ff. 19 In der Sorbo-Nekropole von Cerveteri und der Casale del FossoNekropole von Veji ist im Bereich der Früheisenzeitnekropole auch jeweils zumindest eine Brandbestattung aus der Endbronzezeit bekannt.Vgl. Peroni 2004 (1996): 330 und 333.

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20 In der Regel wird zumeist die große Ähnlichkeit zwischen etruskischem Material und jenem anderer eisenzeitlicher Populationen Festlanditaliens betont, was eher in Richtung Autochthonie weisen würde. Siehe z.B. Borgognini Tarli, S.M., Mazzotta, F.M. (1986), ‘Physical Anthropology of Italy from the Bronze Age to the Barbaric Age’. In: Bernhard,W., Kandler-Pálsson,A. [ed.], Ethnogenese europäischer Völker aus der Sicht der Anthropologie und Vor- und Frügeschichte. Stuttgart - New York: 147-172, bes. 160 und 170.

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The cremation cemeteries under flat ground – a representative of what? Anna Wickholm

Zusammenfassung

In diesem Beitrag werden Brandgräberfelder ohne Überbauten besprochen, die dominante Bestattungsweise in Finnland, Estland und in Karelia in Rußland während der mittleren und späten Eisenzeit (300-1100 n.Chr.). Diese Friedhöfe wurden teilweise über längere Zeit, ca. 400-500 Jahre, benutzt und erstrecken sich oft über mehrere hundert Quadratmeter Fläche. Eine typische Eigenschaft dieser Friedhöfe ist, dass sie an der Erdoberfläche nicht zu erkennen sind und sich spurlos in die Landschaft einfügen. Gewöhnlich kennzeichnen sie sich durch eine unregelmäßige Pflasterung aus Granitblöcken unterschiedlicher Größe. Diese ausgedehnten Steinpflasterungen sind üblicherweise 1-4 Schichten stark und liegen unter einer dünnen Deckschicht aus Erde unter der modernen Oberfläche. Die Bestattung ist eine Kollektivbestattung, Leichenbrand, Beigaben und Kohle sind relativ weit verstreut, Fragmente eines Gegenstands finden sich manchmal verteilt über eine Fläche mit bis zu fünf Metern Durchmesser. Nur Waffengräber der Merowingerzeit (550 - 800 n. Chr.) können als Einzelbestattungen gedeutet werden. In der Wikingerzeit sind aber auch wieder die Waffen, wie die anderen Funde auch, über die Friedhofsareale verstreut.Verschiedene Interpretationsmöglichkeiten für dieses Material und die Rituale, die diesen Bestattungsbefund erzeugt haben könnten, werden besprochen.

Abstract

This article discusses cremation cemeteries under flat ground which are the most dominant burial form in Finland, Estonia and Karelian Isthmus in Russia during the Middle and Late Iron Age (AD 300-1100).These cemeteries have been used over considerable periods of ca. 400-500 years and they are often several hundred square meters in size.A significant feature of these cemeteries is that they are not visible above ground which makes them disappear into the landscape.They consist of larger and smaller granite stones that seem to be placed in an irregular structure.The extensive pavement of stones is 1-4 layers thick and covered by only grass and turf.The burial form is collective, the burned bones, artifacts, pottery and the charcoal have been strewn over a large area, in a way that pieces from one artifact can be found in an area of 5 meters. Only the Merovingian Period (AD 550800) weapon graves are interpreted as individual burials. In the Viking Age also the weapons are scattered into the cemetery along with the other artifacts.The article discusses different ways to interpret this material and the rituals behind the burials. 31

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1. Introduction The Finnish Iron Age starts around 500 BC, ending around AD 1155 in the western part of the country with the first Crusade, while it continues in the eastern part of the country to the beginning of the 14th century. Cremation is the prevailing burial form in Finland throughout the Iron Age until the end of the Viking Age. The earliest inhumation burials date to the end of the 6th century AD, but all of those are located in a quite restricted area of Western Finland. Inhumation cemeteries become the dominant burial form from the Crusade period onwards, starting from the middle of the 11th century. (Hirviluoto1958: 44; Lehtosalo-Hilander 1982a: 7) 1.1. Dating The earliest cremation cemeteries under flat ground date back to the Roman Iron Age (AD 200-300) but they become the main cemetery type, along with the earth-mixed cairns, during the beginning of the Merovingian Period (AD 600). The burial form is dominant during the whole Late Iron Age (AD 6001100). (Keskitalo 1979: 134-5; Söyrinki-Harmo 1996: 102-3) During the end of Viking Age and the beginning of the Crusade Period, the first inhumations appear in the cremation cemeteries under flat ground, often placed either at the outer limits or in the middle of the cemetery.These inhumation burials have traditionally been considered as the last heathen burials before the Christianization process (Aroalho 1978: 73).There are only a few in each cemetery, which has been interpreted as evidence for the people who used to bury their dead at these places moving the cemetery to a new location in this period, maybe to the first churches (Edgren 1993: 250-2). 1.2. Study Area Until quite recently it was believed that the cremation cemeteries under flat ground were a specifically Finnish type of burial, with the centre of its distribution in SWFinland (Kivikoski 1971: 71; Aroalho 1978: 5; Edgren 1993: 196). However, since this burial type also is quite 32

frequently found in Estonia, this seems to no longer be a sustainable position. Maybe the different use of stone material has misled the researchers: Granite is quite rare in Estonia so the building material over there has been mainly limestone, giving them a slightly different appearance.The same cemeteries are also found on the western shore of Lake Ladoga on the Karelian Isthmus in Russia (fig.1). The phenomenon is thus much wider, spreading in the north to Finnish Ostrobotnia, Lake Ladoga in the east, and Estonia in the south (Mägi 2002; Uino 1997; Huurre 1983; Kriiska, Tvauri 2002).

2.Typical Features 2.1. Size As cemeteries have been used over considerable periods of ca. 400-500 years, they seem to have gradually grown in size, often to several hundred square meters. One of the biggest cemeteries, Kalmumäki cemetery in Kalanti, in SW-Finland, of which 1500 square meters have been excavated (Vanhatalo 1991), is estimated by the National Board of Antiquities in Helsinki to cover another ca. 1080 square meters left unexcavated (Bergström 1983). These sizes also match well with those of the Estonian cemeteries. Madi cemetery in central Estonia was estimated to have covered 1890 square meters before it was first excavated (Konsa 2003: 124). The amount of completely excavated cemeteries is unfortunately rather low in Finland. The excavations are often too small to enable theories concerning the cemeteries formation or structure.The reasons for this might be lack of time, money or interest to excavate the whole cemetery since it would burden the limited resources too much.The famous cemeteries that have been excavated over a long period of time are difficult to study since the collections of finds have become quite vast while only a few studies have been published. The inconsistencies in the quality of the documentation have also played an important part, making it difficult to perform a spatial analysis of the bones and finds.Therefore, the focus has until recent years been on typological studies of the material, while the bigger picture has been impossible to draw.This is of course a challenge for the ongoing research.

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2.2. Hidden in the Landscape A significant feature of these cemeteries is that they are not visible above ground.This makes them disappear into the landscape.This may well even have been intentional.These cemeteries are therefore quite hard to find during surveys, and are unfortunately frequently found by accident during land use (Lehtosalo-Hilander 1984: 281-2). Often located in an agrarian landscape, on small moraines or hills that rise above the surroundings (fig.2), these cemeteries are often preserved, since they are located in spaces that have not been suitable for cultivation due to the high amount of stones and their height. The cemeteries consist of larger and smaller granite stones that seem to be placed in an irregular structure. The extensive pavement of stones is 1-4 layers thick and covered by only grass and turf. In this pavement, sometimes only 5 cm under the turf are the remains of the funeral pyre. The burned bones, artifacts, pottery and the charcoal have been strewn over a large area either on top of the stones, under them, or between them. The majority of the finds have been damaged on purpose either before or after being laid on the pyre. The same custom is known also from Scandinavia and the Baltics.The pieces from one single artifact can sometimes be found several meters from each other, but there can also be clusters of artifacts in the cemetery, suggesting single burials (Edgren 1993: 195-6; Söyrinki-Harmo 1996: 102-3; Mägi 2002: 130; Konsa 2003: 124-7). Some cemeteries have also been erected either partly or completely on top of cliffs, with the burials situated in the cracks of the bedrock (Lehtosalo-Hilander 1984: 282). This feature is especially significant for the middle and the eastern part of Finland. In some areas of the country there are also cemeteries lacking the stone setting completely, or having just one layer of stones. (Aroalho 1978: 5; Söyrinki-Harmo1996: 103; Kivikoski 1964: 171) How did these cemeteries look like during the Iron Age? Were they free from grass and turf so that both the stones and the black sooty soil were visible to everyone? If this were the case, it would have been easy for contemporary grave-robbers to plunder them, since the artifacts would have been right at the surface. Excavations have, on the other hand, shown that the

cemeteries become overgrown by grass only some months after the excavation, making them invisible quite soon. It is unknown whether the graves have originally been marked in any way. It is possible that some graves have been distinguished from each other by a small stone heap or a tree pole, but that is difficult to prove with archaeological methods.The borders of the cemetery may also have been marked, for instance with a willow fence, to stop wild animals and dogs from digging in the cemetery, but these kind of light structures would not leave any traces either. It is also debatable if these hills have been treeless during their time of use. This would have made the mound more visible in the landscape and it would have made it easier for the people to distinguish the cemetery from the surrounding forests. The close connection between the settlement sites and the cemeteries has played an important role in the Iron Age. In the Finno-Ugric worldview the dead continued to live at the cemetery, making the cemetery their home (Purhonen 1996: 125-6). It is very likely that these sacred hills would have been visible to the people at their farmsteads. The relationship between the cemeteries and settlements has not only had a religious and ideological meaning. It is possible that they also had a legal content demonstrating ownership of the land (Zachrisson 1994: 220). Whether or not the cemeteries were marked, the people probably knew exactly where their ancestors were buried as long as it was of importance for them.The memory could have survived for centuries. (Nilsson Stutz 2004: 88, 94; Artelius 2004: 107; Mägi 2002: 128-30) 2.3. The Treatment of the Human Bones Hardly any funeral pyres have been found at the cremation cemeteries (Söyrinki-Harmo 1996: 118; Mägi 2002: 130).With the pyre probably located some distance away from the cemetery, the funeral attendants would have brought the remains from the pyre to the cemetery.This would also explain the low amount of bones recovered at these sites. Had the pyre been directly at the cemetery, a higher amount of bones, both quantitatively and qualitatively, would have to be expected (Mägi 2002: 129; Iregren 1972: 66-9). We can assume that there was a belief that during 33

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Fig. 1.: The distribution of the cremation cemeteries under flat ground in Finland and on the Karelian Isthmus in Russia during Late Iron Age (AD 550-1155).

the cremation process, body and soul became separated from each other.While the body was transformed in the fire, it also got de-humanized (Ström 1985: 19-20; Nilsson Stutz 2004: 91-3). After the cremation the bones and the artifacts were collected, probably into a ceramic or organic vessel.The collection seems to have been quite rough though, because the whole individual is never recovered in these cemeteries.A lot of the bones are missing, which makes it evident that the bones were picked up from the pyre with some sort of rules. It is also possible that the bones were crushed after the cremation. Finds of grinding stones and stone cubes found from cemetery contexts are often thought to have fulfilled another function than just grinding grain. They might have functioned as bone crushers, symbolizing fertility ideas. Grain found in cemetery context 34

has been seen as a symbol for re-birth and new life. (Söyrinki-Harmo 1996: 70-1; Purhonen 1996: 120-2, 124; Kaliff 1997: 88-90).This also fits with the Finnish situation, since the bone size is traditionally very small. Maybe it was not even necessary for the ritual to bury the whole person (Kaliff 1992: 121-2; Mägi 2002: 131; Iregren 1972: 73). However, it should be pointed out here, that the preservation of organic material in Finland is very low due to acid soils. Unburnt bones, in form of complete skeletons, are hardly ever found in prehistoric contexts. The preservation is, hence, depending on the soils, the quality and the extent of the cremation. In addition, due to our long winters, the freeze-thaw might be a damaging factor for the preservation of organic material. It has even been discussed how much the freeze and thaw can transport an artifact at the site leading to postdepositional distortion (Hilton 2003). Until quite recently, the field documentation was not done with a total station. As a matter of fact, it is not even self-explanatory today to document the bones with accuracy. While many of our largest cemeteries under flat ground have been excavated a long time ago, the poor documentation done today is hard to explain in any other way than with the dismissive attitude many archaeologists have towards this burial form. As long as the field work is done in this style we have no chance to get the needed answers concerning the questions surrounding the collective burial form.The acute need for osteological analyses is also pointless as long as the documentation is not done with accuracy.The fundamental questions concerning both the nature of the burial rituals and the people who were buried inside of these cemeteries can therefore not be answered.

3. Possibilities of Interpretation Until the 1980´s archaeologists saw the burials and the mortuary practice strictly as a reflection of the society. The grave was seen as a mirror of life, an expression of the persona and the social position of the deceased (Binford 1972).This view has also been shared by the Finnish research concerning burials. Much effort has been put on the grave goods, their chronology, their typological classification and on the social status of the deceased while the burial rites have either been ignored or explained briefly in just a couple of sentences

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(Lehtosalo-Hilander 1982a-b;Aroalho 1978). With the rise of postprocessual archaeology, the debate has focused more on questions about the society of which the deceased once had been a part.What is emphasized today is the ideological and symbolic nature of the burial data. The ritual context has become more important as a means of interpretation (Hodder 1982; Härke 1997). In Finland these ideas have, nonetheless, not yet been fully accepted and the old views concerning burials are still very much in use.The rather simple interpretations concerning the Iron Age society are also a result of the sad fact that only a few settlement sites have been completely excavated.We just do not have enough information at this point. 3.1. Collective burial form It seems that the bones along with the artifacts have been scattered in the cremation cemeteries giving it a collective nature. In the Merovingian Period cremation cemeteries the only closed finds are weapon graves.Thus, it has been interpreted that only the warriors (read: men) got an individual funeral while the cremated bones and artifacts of women got strewn into the cemetery. Some researchers have even suggested that the bones would have been metaphorically plowed into the cemetery like seeds into the field, implementing fertility ideas (Purhonen 1996: 126-9). While the documentation of these cemeteries has been quite poor and only a few osteological analyses are done, not much can be said to confirm or debate this theory. The collectivity has not been debated in previous research. It has often been either accepted as a new kind of burial practice or explained by postdepositional processes. No one has asked why it is just the weapon graves of the Merovingian Period that seem to be individual.Were they just dug deeper into the ground, or were they considered to have a special position or role in the society, giving them the right to different treatment? The collective nature of the cemeteries has dazzled some archaeologists. Especially in older research it is possible to read between the lines how this treatment of the bones has been seen as quite weird behavior.They seem unable to understand why the Iron Age people would treat their beloved ancestors in this disparaging way.The explanation has therefore often been that the

burials have originally been individual but due to grave robbery and later burials the bones have been mixed together by accident (Söyrinki-Harmo 1984, Kivikoski 1966; Edgren 1993). 3.2. Individual burial form The only single burials known are from Merovingian period. In the Viking Age, single burials no longer feature in the archaeological record, and the weapons seem to be spread out in the cemetery in the same way as the other artifacts (Aroalho 1978: 71). A typical Merovingian weapon grave consists of a sword, 1-3 spears/angos, a knife, a battle knife or seax and a shield buckle. Except from the imported swords the weapons seem to be of domestic origin. Quite often these graves also contain horse bits and riding gear.The sword is always broken or bent several times, and the weapons have frequently been placed inside of the shield buckle.These graves have traditionally been interpreted as warrior graves (Schauman-Lönnqvist 1994: 41-3; 1996a: 60-2). The intentional destruction of the weapons and other artifacts has been explained as a way of setting free the soul. As the deceased was destroyed and dehumanized in the cremation, it was also important for the artifacts to be freed. Another explanation for this damaging is precaution and fear of the dead rising from the grave to exact revenge for some wrongdoing (Karvonen 1998: 5). In Scandinavia the horse has been considered to demonstrate aristocracy which has also been implied in the Islandic Sagas (Jennbert 2002: 121; Hyenstrand 1996: 103-7). Riding gear inside the graves has traditionally given the deceased high status, belonging to the horse riding elite.This is also the case in the Finnish cremation cemeteries (Schauman-Lönnqvist 1996b: 130-5; Pihlman 1990). Ironically enough, even if we have artifacts connected to the horse we have no burned horse bones from Iron Age cemeteries in Finland.The only osteological material known from horse are unburned horse teeth that sometimes occure in the cemeteries.These teeth probably derive from later sacrifice. It is believed that a complete horse would have been too expensive to offer, so the teeth would have functioned as pars pro toto (Purhonen 1996: 125). It is needless to point out that these weapon graves 35

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Fig. 2.: The moraine hill of stora näset cremation cemetery in Karjaa, South Finland. Photo:Anna Wickholm

have, without any questioning, been labeled as male graves, even if the biological sex has not been determined by skeletal sexing (Schauman-Lönnqvist 1994: 48-9; Salmo 1943: 23-7).Typical for the Merovingian period (AD 550-800) is the strong increase in the amount of weapons inside the burials.The wide spread assumption that these warrior graves are remains from a highly violent and turbulent time has recently been debated. The rich weapon burials could also be reminders of a symbolic capital (Wickholm, Raninen 2003; Bordieu 1998: 99). 3.3. Mixed due to post-depositional processes The integrity of the data collected for this type of cemetery has been questioned by archaeologists. The main reason for such doubts is the very different structure those cemeteries seem to have had in comparison with all other types of cemeteries in Scandinavia.The collective and mixed nature of the grave material has dazzled the researchers and led them to believe this is due to later activities having disturbed the original features beyond recognition. One of the most popular explanations for these cemeteries is that they are actually earth-mixed cairns that have grown together in time. If several cairns are built next to each other over a long period of time, they will step by step become one big cemetery where they can no longer be separated from each other (Kivikoski 1966: 51-2; 1971: 71). 36

Another common explanation for these cemeteries is that they have been looted. Due to their vulnerable state (no mound/cairn on top of them protecting the burials) they would have been easy to access by blacksmiths who could pick up the valuable bronze and metal objects. Grave looting has been documented already in prehistoric times and some village smiths have continued this habit until the 19th century. The disorganized nature of these cemeteries is explained by the constant disturbance of these sites by people and trampling animals.The original form of the cemeteries could therefore have looked much different (Taavitsainen 1990: 44-5; 1992: 7-11; Heikkurinen-Montell 1996: 101; Edgren 1993: 196). But can we really say that all the cremation cemeteries under flat ground in Finland are result of plundering? That wild animals or livestock have destroyed the context in such way that there are no individual graves left in the whole cemetery accept from the Merovingian Period warrior graves? Surely not, the number of cremation cemeteries under flat ground is ca. 200 at this point, it seems unlikely that they all have been destroyed.

4.The ritual dimension As noted above, the funeral rituals performed at a cemetery are quite complex, hard to understand and difficult to interpret (Artelius 2004: 101).This is probably due to other ritual activities that have been performed at these same sites. The sacrifices performed have been connected to fertility and ancestor cult. Here, the farmsteads could perform their individual cult in contrast to the public cult places (Ström 1985; Fabech 1991: 288-300; Honko 1993: 56; Artelius 2004: 1012; Sundqvist 1996: 71-2). Much of the pottery and the animal bones are found on the surface of the cemetery, implementing sacrifices or memorial feasts, probably performed after the funeral.The cemetery functioned as a place where one could remember and mourn the dead while sacrificing food and burning fires as part of a commemorative feast (Mägi 2002: 126, 132; Aroalho 1978: 5, 67; Purhonen 1996: 120-1,127). Eating at the grave is something that is done even today in the Greek orthodox tradition in Russian Karelia in order to stay in contact with the ancestors.

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4.1. Settlement debris in the cemetery During fieldwork the excavation leaders have often mentioned settlement debris in cemetery context.This debris consists of melted Iron slag, ceramics and burned clay daubs. The phenomenon has been explained in both ritualistic and functional terms.The explanations depend on if it is thought that the debris is put there on purpose as part of a burial ritual or if it is there because of earlier or later settlement activities at the cemetery (Burström 1990: 262; Shepherd 1997: 17; Uino 1986: 171-3). Personally, I think that everything inside of a cemetery is there for a reason, and not dropped there by accident. Instead of looking strictly at the archaeological material through its physical characters one should also look at the symbolic and ideological meanings of the material, especially when working with a grave context (Hodder 2000: 86-7). Material resembling settlement rubbish seen through our eyes has possibly had a completely different meaning for the people of that time. What does this apparent “settlement debris” do in a cemetery? Has it been brought there as a part of a ritual from the settlement site or has it been produced there at the cemetery (Kaliff 1992: 93-8)? The Iron slag and the burned clay could be remains from a small (cult) house or a smithy on the cemetery hill.As early as 1914 did a Finnish archaeologist suggest ritual activity and the possibility of a built structure at the cemetery as an explanation for the daub (Europaeus 1914: 37-8). The amount of Iron slag collected from the cemeteries is usually quite high, reaching up to several kilograms (Söyrinki-Harmo 1996: 79).The presence of a smithy may not even be too surprising. Studies show a strong metaphoric connection between the fire and the heated iron in a smithy and the cremation of the human body.The transformation from the iron ore to the final product can be seen as a transformation from something living to something dead. Like the corpse is a bi-product of human life, the slag can be one representation in the long chain of the Iron smelting process (Terje Gansum 2004; Kaliff 1992; Burström 1990; Shepherd 1997). It is possible that the Iron Age cemeteries were seen as “powerful places”, which the local smith tried to take advantage of in his own ironmaking (Meinander 1943:46).

Remains from cult houses have been found in Estonia and Sweden. It is believed that the treatment of the human bones has been performed inside these houses. In many cases there are signs of ritual treatment on prehistoric human bones.The bones have either been crushed by stones before or after the cremation. It is possible that the deceased has been placed inside of a house in order to let the body decay so that the bones would be easier to crush before the cremation (Mägi 2000: 48-54). 4.2. The re-use of older sites Sometimes, the cremation cemeteries reused older cemeteries or settlement sites. But the existence of settlement sites is often explained by the factor of coincidence. If a few pieces of pottery or fragments of quartz or flint are found in the burial context it is often explained by the presence of an older settlement site lying below the cemetery, even if the pottery would be from a clear cemetery context. The possibility of sacrifice is usually excluded by the archaeologists (Shepherd 1997; Meinander 1943: 43, 45-6). As long as only the cemeteries are excavated, not the possible settlement site under the cemetery and in its surroundings, we can not be sure about whether this is intentional reuse, or just coincidence. So far we can only mention the presence of settlement remains.The possible settlement sites or activity areas should be excavated separately in order to determine whether there is a meaningful relationship between settlement site and burial. Earlier cemeteries have been harder to dismiss by the archaeologists. Often it has been explained by some kind of continuity so that the earlier burial form has some kind of evolutionary way of developing from each other. Personally, I do not agree with this processual thinking. Many Scandinavian researchers have studied the phenomena on a larger scale and they have come up with new theories concerning, what seems to be, a conscious reuse of earlier places (Zachrisson 1998: 120-2;Artelius 2001: 220; 2004: 99, 106).This is based on the idea that members of the prehistoric society would have been able to “read” the landscape. The people would have understood that grave mounds and cairns, visible in the landscape, had a specific meaning, even if the sacrificial meaning of the site 37

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would have been forgotten.Artifacts taken from these graves had a strong force attributed to them. It may well be that building a new cemetery on top of an older one was an attempt by the Iron Age people to tap into some sort of power attributed to the place, giving them a sense of continuity connecting them to their ancestors. It was a manifestation of the past and the people’s memories (Burström 1996: 25; Zachrisson 1998: 120-2;Artelius 2004: 100-1).

5. Solutions… The problematic nature of this type of cemetery makes me wonder what these cemeteries actually represent. Are they just places for burial, or do they have another, wider meaning, too? I think there is need for much more discussion about the meaning of cemeteries and ritual sites. Can we see a difference between them, or are they all just the same thing? Recent excavations in Sweden have implied that the line between a cult site and a cemetery is not easy to draw (Andersson 2004). To be able to get more answers concerning the Finnish Late Iron Age we will need more studies of not only cemeteries, but also settlement sites in order to be able to compare social representation in both life

and death. I hope that in the future I will no longer be limited to the use of archived materials alone. New excavations have to be carried out, with research questions targeted at analyzing the ritual processes performed at the sites. New and more exact excavation methods should also be tested for this specific kind of burial, supported by scientific analyses. Is it possible to find vertical stratigraphy, some kind of structure, in these cemeteries and are we able to understand how these sites are originally built are just some of the questions I would like to answer during my research. Radiocarbon dating from burned bones is possible nowadays, and bones and macrofossils should be analyzed too, in order to understand the different processes that formed these cemeteries under a long period of time. With these analyses we might be able to distinguish funeral rituals from later activities as for example ancestor cult.

Acknowledgements I wish to thank the Emil Aaltonen Foundation for the financial support and Dr Raimund Karl for helpful comments and revising my English.

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Orientierungslos? Ausrichtungen hallstattzeitlicher Gräber in Süddeutschland Nils Müller-Scheeßel1

Zusammenfassung

Lange Zeit galt als gesichert, dass hallstattzeitliche Gräber in Süddeutschland regelhaft nach Süden ausgerichtet sind. In den letzten Jahren wurde diese Erkenntnis um zwei Aspekte erweitert: Erstens kann die Orientierung nach Süden nicht mehr gewesen sein als ein genereller Anhaltspunkt, da die Abweichungen nach Osten und Westen teilweise erheblich sind. Zweitens wurde aber festgestellt, dass die Orientierungen innerhalb eines Friedhofes in sich relativ konsistent sind. Mit Hilfe einer synchronen Analyse der Orientierungen innerhalb Süddeutschlands und einer diachronen Untersuchung eines der am besten dokumentierten Gräberfelder wird hier gezeigt, dass es unwahrscheinlich ist, dass – wie häufig vermutet – die Ausrichtung nach der Sonne für dieses Muster verantwortlich ist.Wahrscheinlicher ist, dass die Menschen der Hallstattzeit den Auf- oder Untergang bestimmter Sternenkonstellationen benutzten, um die Gräber und ihre Toten in eine südliche Richtung zu orientieren. Diese Hypothese wird mit einigen Fakten untermauert. Der Beitrag schließt mit Überlegungen zur Bedeutsamkeit der im Allgemeinen sehr konsistenten Orientierungen für die Interpretation der Hallstattzeit.

Abstract

Burials of the Early Iron Age (Hallstatt period) in Southern Germany are regularly oriented towards the South.This long-standing fact has been amended in the last few years: On the one hand, the orientation towards South cannot have been more than a general guide-line because the deviations towards East and West can be considerable; on the other, the orientations within a given cemetery are relatively consistent. By means of a synchronic analyses of the orientations in Southern Germany and the diachronic examination of one of the better documented cemeteries it is shown that it is unlikely that orientation towards the sun is responsible for this pattern. More plausibly, the Hallstatt people chose the setting or rising of specific stellar constellations as fix points for the burial of their dead. Some evidence is presented supporting this hypothesis.The paper concludes with more general considerations about the significance of the generally quite consistent orientations in the Hallstatt period.

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Abb. 1: Konzeptionen von Himmelsrichtungen bei Etruskern und Griechen. Die gepunkteten Kreissegmente markieren die Ausrichtung von Tempelanlagen (nach Aveni, Romano 1994: 549 Fig. 3).

F

ür uns heutzutage sind die Himmelsrichtungen und ihre Bestimmung relativ triviale Dinge: Die Sonne geht im Osten auf, und im Westen unter, Norden ist da, wo die Kompassnadel hinzeigt (mit einer geringen Abweichung) und sich der Polarstern nachts befindet, und Süden ist dort, wo die Sonne um 12 Uhr mittags steht. Muss man jedoch ohne unsere modernen Hilfsmittel auskommen, erweist sich die genaue Bestimmung der Himmelsrichtungen alles andere als trivial, ja, in vielen schriftlosen Gesellschaften gibt es nicht einmal eigentliche Begriffe für sie (Hallpike 1979: 296 ff.). Während Westen und Osten noch halbwegs über den Sonnenaufgang bzw. -untergang zu bestimmen sind, sieht dies mit der Nord- und Südrichtung schon wesentlich schwieriger aus (dazu Schlosser, Cierny 1997: 62 f. mit Abb. 4.7); häufig werden diese beiden Richtungen auch nur unter Körperbegriffen konzeptualisiert, d. h. als „rechts“ bzw. „links“, wenn man mit dem Gesicht etwa nach Osten gewandt steht (Hallpike 1979: 297). Berücksichtigt man wesentlich jüngere Quellen, so wurde diese Orientierungspraxis auch von den Kelten geteilt; bei ihnen war die Haupthimmelsrichtung Osten und die anderen Richtungen dementsprechend „rechts“ für Süden, „links“ für Norden und „hinten“ für Westen (Maier 2001: 57). Interessant ist an dieser Differenzierung, dass mit ihr häufig eine sehr starke Wertung einhergeht. Links und rechts sind keineswegs gleichberechtigte Körperhälften, sondern die eine ist gegenüber der anderen 42

bevorzugt, wobei es sich meist um die rechte Seite handelt (Hertz 1973 [1909]: 20; Bowie 2000: 43). Als Beispiel sei hier auf entsprechende Konzeptionen bei den Griechen und Etruskern verwiesen, für die wir über Schriftquellen besser informiert sind und die offenbar in dieser Frage diametral entgegengesetzte Anschauungen besaßen (Abb. 1; Aveni, Romano 1994). Bei den Etruskern war interessanterweise offenbar Links die bevorzugte Seite, während Rechts mit Tod und Unglück assoziiert wurde. Bei den Griechen war

Abb. 2: Orientierung von Viereckschanzen (nach Schickler 2001: 209).

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Abb. 3: Orientierung aller hallstattzeitlichen Körperbestattungen in Süddeutschland (Fläche der Blätter ist proportional zum Anteil).

Abb. 4: Ausrichtung aller hallstattzeitlichen Kammern in Süddeutschland (Fläche der Blätter ist proportional zum Anteil).

es dagegen genau umgekehrt; ihre Auffassung entspricht wohl derjenigen der meisten Gesellschaften: Links wurde mit Norden gleichgesetzt, mit Tod und dem Totenreich, während Süden mit rechts assoziiert war und damit mit Leben, natürlich Sonne, Glück und ähnlichen positiven Eigenschaften. Angesichts der im Vergleich mit den Griechen offenbar ähnlichen Konzeption der Himmelsrichtungen wird man für die historischen Kelten eine ähnliche Wertung der Richtungen und der Körperhälften vermuten dürfen. Unterstützung erfährt diese Sicht durch die in denselben zeitlichen (d. h. keltischen) Horizont gehörenden sogenannten Viereckschanzen. Bekanntermaßen liegen die Eingänge dieser spätlatènezeitlichen Bauwerke nie im Norden, sondern vor allem im Osten, aber auch im Süden und Westen (Abb. 2; zu den Viereckschanzen: Bittel u. a. 1990;Wieland 1999). Das gilt im übrigen offenbar auch für die jüngeren Gallorömischen Umgangstempel (s.Abb. 2). Selbstverständlich ist mit dieser Beobachtung noch nichts über die Deutung dieser Anlagen gesagt, sie weist jedoch darauf hin, dass in der späten Latènezeit Norden eine besondere Himmelsrichtung mit möglicherweise negativen Konnotationen war. Die obigen Erörterungen beziehen sich ausschließlich auf die historischen Kelten, keineswegs auch auf die Hallstattzeit. Den Anfangspunkt für die Untersuchung der Orientierungen dieser Periode soll nochmals das Problem bilden, ohne Kompass die Himmelsrichtungen genau zu bestimmen.2 Wenn für ein

größeres Gebiet die Norm bestand, die Toten in eine bestimmte Richtung zu betten, dann ist beim Fehlen geeichter Messinstrumente eine diffuse Orientierung zu erwarten, die sich vermutlich einer Normalverteilung annähern wird. Für die Hallstattzeit Süddeutschlands zeigt das Gesamtverteilungsbild der Körperbestattungen tatsächlich ein entsprechendes Muster (Abb. 3).3 Als Ausgangspunkt wurde die Orientierung des Kopfes gewählt. Selbstverständlich ist nicht a priori auszuschließen, dass die eigentlich anvisierte Richtung zu Füßen des bzw. der Toten oder sogar rechts oder rechts von ihm – oder ihr – lag. Eingeflossen sind auch tangential angelegte Bestattungen wie diejenigen vom Magdalenenberg bei Villingen-Schwenningen (Spindler 1999). Diese führen zwar dazu, dass in allen Himmelsrichtungen Bestattungen zu liegen kommen, sie fallen quantitativ aber nicht ins Gewicht. Die Kurve – wenn man sie so nennen will – kulminiert ungefähr an der Südmarkierung und fällt zu beiden Seiten allmählich ab. Nimmt man die Ausrichtungen der Kammern hinzu (Abb. 4), sieht das Bild ganz ähnlich aus. Bei Kammern lässt sich allerdings nur die Richtung angeben und nicht die Orientierung. Die generelle Richtung, das machen die Abbildungen recht deutlich, war eine nord-südliche. In anderen Regionen sieht dies allerdings anders aus, so z. B. in Ostfrankreich. Für dieses Gebiet deutet sich eine stärkere westliche bis nördliche Orientierung der Bestattungen an (Reinhard 2003, 44 Abb. 25), was zeigt, dass man nicht automatisch alle hallstattzeitlichen Bestat43

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tungen Mitteleuropas über einen Kamm scheren darf. Man könnte sich mit der gezeigten Normalverteilungskurve zufrieden geben und schlussfolgern, dass die hallstattzeitlichen Menschen Süddeutschlands nur eine sehr ungefähre Vorstellung davon hatten, wo Süden liegt, sie im Mittel diese Richtung aber recht gut getroffen haben.Wenn man sich die Gräberfelder jedoch im Einzelnen anschaut, anstatt sie undifferenziert zusammenzuwerfen, so zeigt sich, dass die Sache etwas komplexer liegen könnte. Sofern tatsächlich eine einheitliche südliche Orientierung angestrebt worden wäre, würde man erwarten, dass alle Nekropolen mehr oder weniger nach Süden gerichtet sind. Das ist aber nicht der Fall; im Gegenteil gibt es wesentlich mehr Gräberfelder, bei denen die Kammern nach Südwesten oder Südosten orientiert sind.Von insgesamt zwölf Gräberfeldern in Süddeutschland, bei denen mehr als zehn Kammern in der Ausrichtung ungefähr bestimmbar waren – ausgeschlossen tangential oder radial angeordnete Nachbestattungen – besitzen nur zwei einen Schwerpunkt tatsächlich im Süden (Abb. 5). Mittelt man die Orientierung aller Gräberfelder (Abb. 6), so zeichnen sich keine Regionen einer einheitlichen Orientierung ab. Gräberfelder mit einer gemittelten südöstlichen Ausrichtung überwiegen zwar, aber daneben gibt es auch zahlreiche Nekropolen mit einem Schwerpunkt im Südwesten. Letztere zeigen eine gewisse Konzentration in Nordbayern, das Bild ist aber nicht einheitlich und legt eher nahe, dass jedes Gräberfeld

seine eigene bevorzugte Himmelsrichtung besaß. Wie sind diese Beobachtungen zu deuten? Bei allen Interpretationsvorschlägen ist zu berücksichtigen, dass die Orientierungen von Kammern und Skeletten bei geschlossenem Grabhügel bzw. Grab vermutlich nicht feststellbar waren. Hier muss also für jedes Gräberfeld ein externer Fixpunkt existiert haben, an dem sich die Menschen für die Ausrichtung jüngerer Kammern und Bestattungen orientieren konnten. Für die Hallstattzeit hat man sich mit detaillierteren Deutungen bisher zurückgehalten.4 Ein überregional gültiger, realer Ort als Fixpunkt, so etwa, wie der als heilig angesehene Mt. Kenya für manche Ethnien in Kenia als Orientierungspunkt dient (Glazier 1984: 134) oder islamische Gräber nach Mekka ausgerichtet sind, scheidet aufgrund der Abbildung 6 aus. Insbesondere in neolithischen und frühmittelalterlichen Zusammenhängen wird gerne die Sonne herangezogen, um die Schwankungen der Bestattungsausrichtungen zu erklären. Im günstigsten Fall meint man, die Jahres- oder sogar die Tageszeit der Grablege ermitteln zu können.5 Aufgrund der Schiefe der Ekliptik schwankten die Orte von Sonnenunter- bzw. -aufgang, d. h. die Orientierungsmöglichkeiten für die West- bzw. Ostrichtung, tatsächlich systematisch. Für die Südrichtung gilt dies jedoch nicht, da die Sonne immer exakt im Süden ihren höchsten Punkt erreicht. Der angesprochene Fixpunkt muss aber so beschaffen sein, dass er einerseits eine grobe Südrichtung anzeigt, andererseits aber

Abb. 5: Hallstattzeitliche Gräberfelder Süddeutschlands mit mehr als zehn in ihrer Ausrichtung bestimmbaren Kammern (ohne tangential angeordnete Nachbestattungen).

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Abb. 6: Gemittelte Skelettorientierung aller hallstattzeitlichen Gräberfelder Süddeutschlands. Gebiete ähnlicher Orientierungen sind mit demselben Grauwert unterlegt.

eine breite Streuung ermöglicht, so wie sie in den gemittelten Orientierungen der Gräberfelder deutlich wird. Deshalb scheidet meines Erachtens die Sonne als genereller Orientierungspunkt aus. In der Diskussion in Linz wurde die Frage aufgeworfen, ob die Gräberfelder nicht eventuell auf die zugehörigen Siedlungen ausgerichtet sein könnten. K. Bittel (1978) meinte, eine regelhafte Beziehung zwischen Grabhügelfeld und Viereckschanze insofern feststellen zu können, als letztere häufig südlich von ersteren lägen. Möglicherweise traf dies auch für die Beziehung zwischen hallstattzeitlicher Siedlung und Gräberfeld zu. Falls eine Siedlung verlegt, gleichzeitig aber die alte Bestattungsstelle weiterbenutzt worden wäre, hätte man hier auch eine gute Erklärung für die diachrone Ver-

änderung der Orientierung (s. u.). Diese Deutung berücksichtigt allerdings nicht die offenbar eher dichotome Aufgliederung der Gräberfelder in solche mit eher südwestlicher und solche mit südöstlicher Orientierung.Außerdem steht die empirische Überprüfung dieser These vor kaum überbrückbaren Hindernissen, da nicht zu sehen ist, wie Gräberfeld und Siedlung einander zugeordnet werden könnten, sofern sie nicht direkt nebeneinander liegen und sicher zeitgleich sind. Die Problematik zeigt sich im Zusammenhang mit der Diskussion um die Zuordnung von „Fürstengräbern“ zu „Fürstensitzen“ überdeutlich. Schließlich würde sich die Fragestellung damit auch nur scheinbar verlagern: Immerhin wäre bei dem Bezug der Gräberfelder auf die zugehörigen Siedlungen die Nord-Süd-Achse of45

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Abb. 7: Schirndorf, Hügel 59. Kammer der Erstbestattung mit darüber projizierter Nachbestattung (nach Stroh 1988: 26 f.Abb. 10 f.).

fenbar von einiger Wichtigkeit für die hallstattzeitlichen Menschen gewesen, die damit wiederum vor dem Problem gestanden hätten, diese Achse festzulegen. Die konsistenteste Deutung mit den geringsten Widersprüchen ergibt sich deshalb meines Erachtens, wenn man von einer Orientierung der hallstattzeitlichen Menschen nach den Sternen ausgeht.6 Blickt man nachts nach Süden, scheinen die Sterne im Südosten aufzugehen, dann über den Horizont zu wandern, um schließlich im Südwesten wieder unterzugehen. Damit würden die Auf- und Untergangspunkte der Sterne exakt die Voraussetzungen für die Fixpunkte erfüllen, die oben eingefordert wurden. Spiegelbildlich lässt sich diese Beobachtung übrigens für die nördliche Blickrichtung wiederholen. Hier gehen die Sterne zunächst im Nordwesten unter, um dann im Nordosten wieder zu erscheinen. Eine Orientierung an dem nördlichen Firmament ist demnach genauso wahrscheinlich oder unwahrscheinlich wie eine an dem südlichen Sternenhimmel. Berücksichtigt man die unterschiedliche Orientierung der Gräberfelder, so ergibt sich ganz von selbst die Hypothese, dass sich einige der süddeutschen hallstattzeitlichen Gemeinschaften an bestimmten aufge46

henden Sternenkonstellationen, andere an untergehenden orientiert haben.Welche diese gewesen sein könnten, muss allerdings gänzlich spekulativ bleiben. Das liegt vor allem auch daran, dass die Sterne zwar scheinbar – dieses „scheinbar“ wird unten noch eine Rolle spielen – ihre Position beibehalten, d. h. an der gleichen Stelle auf- und untergehen; sie tun dies jedoch mit einer leichten Zeitverschiebung von ungefähr 4 Minuten pro Tag. Nach 15 Tagen macht diese Zeitverschiebung bereits 1 Stunde aus. Das führt dazu, dass ein großer Teil der Sterne und Sternbilder, insbesondere diejenigen mit Auf- und Untergängen, nicht ganzjährig zu sehen ist, sondern nur über Teile des Jahres hinweg. Auch die hier hypothetisch angenommenen stellaren Fixpunkte wären also nur über einen begrenzten Zeitraum des Jahres sichtbar gewesen. Gibt es noch weitere Möglichkeiten, die Hypothese der Ausrichtung der Bestattungen nach den Sternen zu stützen? Eine erste Überlegung war, ob nicht vielleicht anhand des Horizontes bzw. der Horizonteinengung eine Annäherung möglich wäre. Je höher der Horizont liegt, desto später scheinen die Sterne aufbzw. desto früher scheinen sie unterzugehen, und die beiden Punkte des Auf- und Untergangs schieben sich aufeinander zu – sofern man nach Süden blickt.Wenn man nach Norden schaut, scheinen sie sich im Gegenteil voneinander zu entfernen, je höher der Horizont liegt. Um diese Überlegung zu überprüfen, müssten jedoch zahlreichere Gräber und Gräberfelder vorliegen und die Ausrichtung müsste exakter sein, als es tatsächlich der Fall ist. Im übrigen ist eine so extreme Tallage, die den Horizont merklich einengen würde, nur in wenigen Fällen gegeben. Ein alternativer Ansatz beruht auf der oben erwähnten scheinbaren Konstanz der Fixsterne. Diese ist deshalb nur scheinbar, weil die Sterne erstens einer Eigenbewegung unterliegen, die aber nur über wirklich lange Zeiträume sichtbar wird und deshalb hier nicht interessiert, und weil zweitens die Präzession der Erdachse zumindest von der Erde aus gesehen zu einer Verlagerung der Position der Sterne führt: Die Erde verhält sich im Prinzip wie ein etwas überdimensionierter Kreisel; neben der Umkreisung der Sonne dreht sie sich bekanntlich in 24 Stunden einmal um sich selbst. Daneben unterliegt die Erdachse aber einer weiteren kreisförmigen Taumelbewegung, der sogenannten Präzession. Die Rotationsachse der Erde führt eine

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1979; 1988; 2000a; 2000b; Hughes 1999; 2001). Erstens ist es fast vollständig untersucht und vorgelegt, zweitens umfasst es zahlreiche Gräber und drittens ist es die gesamte Dauer der Hallstattzeit hindurch belegt worden. Bereits bei der visuellen Inspektion sind bei einzelnen Hügeln klare Veränderungen in der Ausrichtung feststellbar; so beispielsweise bei Hügel 59 (Abb. 7): Die Ausrichtungen der Kammer der Erstbestattung und der zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt angelegten Nachbestattung unterscheiden sich deutlich voneinander. Auch bei einer quantitativen Erfassung zeigen sich gravierende Unterschiede, die allerdings – das sei hier gleich vorausgeschickt – statistisch nicht signifikant sind. Dafür müsste die Stichprobe wesentlich größer oder müssten die Unter-

Abb. 8: Schirndorf.Ausrichtung der Kammern von Erstbestattungen. Oben – HaC; unten – HaD.

vollständige Umdrehung einmal in ca. 26000 Jahren aus, d. h. in einem Menschenleben von ca. 72 Jahren verändert sich die Position des Pols um 1°. So steht beispielsweise der Polarstern, der Teil des großen Wagens ist, heutzutage in der Verlängerung der Rotationsachse der Erde, was ihn für uns erst zum Polarstern macht.Vor 2800 Jahren war der heutige Polarstern jedoch ein gutes Stück vom damaligen Pol entfernt. Der hallstattzeitliche Polarstern ist also mit unserem Polarstern keineswegs identisch. Eine Veränderung von 1° in 72 Jahren macht 5° in 360 Jahren aus, was etwa der Dauer der Hallstattzeit entspricht. 5° sind auch mit bloßem Auge wahrnehmbar. Das geeignetste Gräberfeld für die Überprüfung des möglichen Effektes der Präzession stellt zweifellos Kallmünz-Schirndorf in der Oberpfalz dar (Stroh

Abb. 9: Schirndorf. Orientierung von Körperbestattungen. Oben – HaD1; unten – HaD2/3.

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schiede noch gravierender sein. Unterschiede ergeben sich zum einen, wenn man nur die älter- und jüngerhallstattzeitlichen Kammern trennt (Abb. 8). Der durchschnittliche Unterschied bei insgesamt über 50 Kammern beträgt 7°, der Schwerpunkt hat sich sogar noch deutlicher verlagert.Wendet man sich den Körperbestattungen zu, die sich – den Bestattungssitten entsprechend – hauptsächlich auf die jüngere Hallstattzeit beschränken, so fällt auch hier der deutliche Unterschied ins Auge (Abb. 9). Zum Ende der Hallstattzeit scheint sich die bevorzugte Ausrichtung zu einer ausschließlich südlichen gewandelt zu haben. Am Gräberfeld von Schirndorf lässt sich also tatsächlich eine Verschiebung der Ausrichtung zeigen, wie man sie aufgrund der Präzession erwarten würde.Wie sieht es aber mit anderen Gräberfeldern aus? Leider lässt uns hier die allgemeine Befundlage im Stich. Die Stichproben des Gräberfeldes von Thurnau-Berndorf (Ettel 1996: 186 ff.) oder des südlichen Gräberfeldes von Heidenheim-Schnaitheim (Dietrich 1998), wo sich Ähnliches zeigen ließe, sind leider viel zu klein, um damit ernsthaft argumentieren zu können. Es soll auch

nicht verschwiegen werden, dass sich eine ähnliche Verlagerung beispielsweise an den ebenfalls gut ergrabenen und vorgelegten Gräberfeldern von Dietfurt a. d. Altmühl (Röhrig 1994) oder Riedenburg-Untereggersberg (Nikulka 1998) nicht demonstrieren lässt. Dafür lassen sich durchaus gute Gründe anführen – so die wesentlich kürzere Belegungsdauer –, aber der Präzessionseffekt zeigt sich leider nicht. Um an dieser Stelle zusammenzufassen: Es wurde die Hypothese vorgebracht, dass die Ausrichtung der Mehrzahl der hallstattzeitlichen Gräberfelder Süddeutschlands anhand des Auf- bzw. Untergangs gewisser unbekannter Sternenkonstellationen erfolgte, wofür einige Hinweise angeführt wurden. Davon ausgehend, sollen jetzt zum Schluss noch weitere Gedanken anschließen. Selbst wenn die Hypothese zutreffen sollte, bedeutet eine Ausrichtung nach den Sternen natürlich keineswegs, dass die Bestattungen notwendigerweise nachts stattgefunden haben. Schließlich kann man sich auch problemlos mit markanten Orientierungspunkten in der Landschaft beholfen haben. Mit der vorgestellten Deutung ist auch noch nicht erklärt, was tatsächlich

Abb. 10: Orientierung frühlatènezeitlicher Körperbestattungen. Links – Mittelrheingebiet (ohne Rheintalgruppe); Mitte – BadenWürttemberg; rechts – Österreich und Transdanubien (Lt B) (nach Lorenz 1978: 63 ff.,Abb. 30 ff.).

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hinter der Ausrichtung steckt, d. h. ob es den hallstattzeitlichen Menschen auf die Orientierung nach den Sternen oder nur auf eine bestimmte Himmelsrichtung ankam.7 Womit wir schon beim nächsten Problem wären: Während östliche und westliche Richtungen wohl eher ausgeschlossen werden können,8 ist eine Entscheidung zwischen Nord und Süd als zu postulierender kultischer Richtung nicht möglich. Meines Erachtens spricht allerdings mehr für eine nördliche Richtung als diejenige, auf die es den hallstattzeitlichen Menschen ankam. Kontinuitäten zur Latènezeit sind unübersehbar. So dominiert in Baden-Württemberg in der Latènezeit weiterhin die südliche Richtung, während beispielsweise im benachbarten Mittelrheingebiet und in Frankreich ähnlich wie bereits in der vorangegangenen Hallstattzeit die Nordrichtung bevorzugt wird (Abb. 10; Lorenz 1978: 63 ff.; Lorenz 1980: 142 f.). Damit ist die Lücke zu den spätlatènezeitlichen Viereckschanzen, bei denen nördliche Ausgänge, wie betont, nicht vorkommen (Abb. 2), nicht mehr ganz so groß, auch wenn sie natürlich bestehen bleibt. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass den regionalen und zeitlichen Unterschieden in nördliche bzw. südliche Orientie-

rungen keineswegs gravierende kosmologische Differenzen zugrunde liegen müssen. Egal, ob man nun der hier vorgebrachten archäoastronomischen Deutung zustimmt oder nicht, soll zum Abschluss nochmals auf den Aspekt hingewiesen werden, der vielleicht sogar wichtiger ist als eine wie auch immer geartete Interpretation der Ausrichtung selbst: Das ist die für jedes Gräberfeld bei allen zeitlichen Veränderungen relativ große Konstanz in der Ausrichtung. Innerhalb jeder Gemeinschaft ist offensichtlich über Jahrhunderte hinweg eine bestimmte Orientierung der Bestattungen und wahrscheinlich eine entsprechende im weitesten Sinne kultische Ausdeutung tradiert worden. Das wiederum spricht für die Existenz einer privilegierten Schicht mit Deutungshoheit, für die meines Erachtens am ehesten die herausgehobene Gruppe maturer Männer, wie sie sich für die Hallstattzeit immer deutlicher herausschält (Burmeister 2000; Burmeister, MüllerScheeßel in Vorb.), in Frage kommt. Vor diesem wenigstens schemenhaft erkennbaren stark traditionsgebundenen und vermutlich auch traditionsgebenden Hintergrund ist die Frage der Graborientierung vielleicht tatsächlich zweitrangig.

Anmerkungen 1 Ich danke den Herausgebern für die Einladung zu den äußerst anregenden ersten Linzer Gesprächen zur interpretativen Eisenzeitarchäologie. Mag. Peter Trebsche übernahm dankenswerterweise die kritische Durchsicht des Textes. 2 Zur Archäoastronomie: Schlosser, Cierny 1997; kritischer: Bialas 1988; Überblick zur Astronomie bei außereuropäischen Naturvölkern, Hochkulturen und in Europa: Stephan 1956. 3 Der folgenden Darstellung liegen die für meine Dissertation „Kulturvergleichende Untersuchungen zum Wechsel von Bestattungssitten am Beispiel der Hallstattzeit des westlichen Mitteleuropa“ erhobenen Daten zugrunde. Sobald die Arbeit abgeschlossen und publiziert ist, werden sie in elektronischer Form zur Verfügung stehen. 4 Am ausführlichsten bisher Janski 1985: 41–57; 66–75; generell zur Nord- als angeblicher hallstattzeitlicher Hauptkultrichtung: Schickler 2001: 208 ff. – Größeres Interesse fand die Ausrichtung der Nachbestattungen des Magdalenenberges bei VillingenSchwenningen (dazu jetzt Jung 2003), die jedoch im vorliegenden Zusammenhang nur eine untergeordnete Rolle spielen. 5 Orientierung nach Sonnenauf- bzw. -untergang: Steele 1931 (Neuseeland); Gruber 1971; Mainfort Jr. 1985: 558 (beide Nordamerika); Saxe 1971: 48 ff. (Mesolithikum im Sudan, mit Ermittlung der Tageszeit der Bestattung?!); Randsborg, Nybo 1984 (Bronzezeit und Wikingerzeit); Haffner 1976: 121 f. 145 (Hunsrück-Eifel-Kultur); Kutsch 1927: 54; Waldhauser 1978: 27 ff.; Waldhauser 1987: 46 ff. (alle drei Latènezeit); Wells, Green 1973;

Hawkes 1976; Rahtz 1978; Fichter,Volk 1980; Koenig 1982: 78; Longley 2002 (alle Frühmittelalter); Ali, Cunich 2001 (Kirchen in England). Kritik an angeblicher Bestimmung der Jahreszeit der Bestattung: Kendall 1982; Brown 1983; Boddington 1987: 417 f.; Zusammenfassung der Diskussion: Rahtz u. a. 2000: 113 ff. – Andere Deutungsmuster sind seltener, z. B. Orientierung nach Kompaß:Abrahamsen 1992 (dänische mittelalterliche Kirchen); Orientierung der Taulas (megalithische Bauten) auf Menorca nach dem Kreuz des Südens: Hoskin 1997; gräberfeldspezifische Orientierung bei den Maya Mittelamerikas:Welsh 1988: 221 ff. 6 Zum „Verhalten“ des Sternenhimmels mit Berücksichtigung der archäologischen Sicht: Schlosser, Cierny 1997: 50 ff., 58. 7 In einer ambitionierten kulturvergleichenden Arbeit konnte Chr. Carr (1995: 190) zeigen, dass eine sehr starke Assoziation zwischen „philosophical-religious factors“ und der Ausrichtung des Leichnams bestand (31 von 32 Fällen). Häufig ist die Orientierung auf die imaginierte Lage des Totenreiches bezogen, wobei die Füße in die entsprechende Richtung weisen (s. Perry 1914; Rose 1922 mit teilweise etwas fragwürdigen Schlüssen; neueres Fallbeispiel: Schiller 1997: 47). 8 Für die Bedeutung der Nord-Süd-Achse spricht beispielsweise die Orientierung der Wagen (in Süddeutschland gewöhnlich mit der Deichsel im Süden) (Driehaus 1975) und der Schwerter (meist mit der Spitze im Süden; bei Körperbestattungen liegt das Schwert somit eindeutig nicht in funktionaler Lage: Arnold 1991: 142; Reinhard 2003: 44 ff.,Abb. 26 ff.

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Kriegergräber? Schwertbeigabe und Praktiken ritueller Bannung in Gräbern der frühen Eisenzeit Martin Trachsel

Zusammenfassung

Der erste Teil dieses Beitrages ist der Definition von Ritual und der Rolle von Gräbern im Bestattungsprozess gewidmet. Im zweiten Teil werden wichtige Merkmale von HaC-zeitlichen Schwertgräbern mit Waffengräbern früherer und späterer Epochen verglichen. Dabei wird sich zeigen, dass Schwerter im Grab nicht in der Weise platziert werden, wie es der Tragweise im Leben entspricht. Gräber mit Waffen werden oftmals als »Kriegergräber« bezeichnet.Vor allem für HaC sind jedoch deutliche Hinweise zu finden, dass die symbolische Bedeutung von Waffen im Grab nicht so einfach und direkt herzuleiten ist. Sie scheinen mehr die soziale Stellung der Toten darzustellen als den Bereich des Krieges. Darüber hinaus werden Schwerter in HaC-Gräbern durch Dislozierung,Verkehrung oder Zerbrechen oft speziell behandelt. Nachdem ein Grab eine durch rituelle Aktivitäten gebildete Struktur darstellt, muss die Sonderbehandlung von Waffen erst recht ritueller Natur sein. Das gemeinsame Motiv für die verschiedenen Praktiken scheint Furcht zu sein: Furcht vor ins »Leben« zurückkehrenden Toten, die ihre durch die Waffen symbolisierte Macht wiedererlangen und den Lebenden Schaden zufügen könnten. Eine Waffe vor ihrer Niederlegung im Grab zu zerbrechen ist nur eine von vielen zur Verfügung stehenden rituellen Maßnahmen um die (magischen und physischen) Kräfte der Toten zu bannen. Dafür gibt es zahlreiche archäologische Nachweise seit dem Neolithikum, die alle einen bedeutenden Aspekt des Todes aus der Sicht des prähistorischen Menschen zeigen: wenn eine Person stirbt, kann sie samt den notwendigen Riten begraben werden - aber man kann nie sicher sein, dass sie auch tot bleibt.

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Abstract

The first part of the paper is dedicated to the definition of ritual and the role of graves in the funeral process. In the second part important characteristics of Ha C sword graves are compared to weapon graves of earlier and later periods. It is demonstrated that the swords are not placed inside graves in the way they had been carried in life. Burials with weapons are often referred to as «warrior graves», but there is strong evidence, especially for Ha C, that the symbolic meaning of weapons in funerary contexts is not that simple and straight forward. Rather, they very probably mark the social position of the dead other than in the sphere of war. Additionally, swords in Ha C graves are often treated in special ways: dislocated, inverted or broken. As a grave is a structure formed by ritual activity, the treatment of weapons in them must be ritual too.A common denominator of the different practices seems to be fear: that the dead might come back to «life», regain the powers symbolized by their weapons, and cause damage to the living. Breaking a weapon before placing it into a grave is only one of a vast array of ritual measures available for banning the (magical and physical) powers of the buried.The archaeological record is full of examples from Neolithic times on, and shows one important aspect of death in the prehistoric mind: when a person dies you can bury the body and perform the appropriate rites, but you can not be sure whether it is going to remain dead.

B

ei der Datenaufnahme zur Typologie der Hallstattschwerter sind mir an deren Niederlegung im Grab besondere Praktiken aufgefallen, deren Besprechung in einer chronologischen Abhandlung (Trachsel 2004) fehl am Platz gewesen wäre, weshalb ich die 1. Linzer Gespräche zur Interpretativen Eisenzeitarchäologie zur Präsentation meiner Überlegungen nutzte. Unsicherheiten bei der Definition zentraler Begriffe – nicht nur in der Archäologie, sondern auch in der Ritualtheorie selbst – haben mich veranlasst, die schriftliche Fassung um einige theoretische Betrachtungen zu ergänzen.

1. Bestattungssitten im Spiegel der Ritualtheorie 1.1 Ritual Rituale sind auf vielfältige Weise ins Leben der Menschen eingebunden, was ein unüberblickbares Assortiment von Definitionen entstehen liess. Heute sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr: „To anyone interested in ritual in general, it becomes quickly evident that there is no clear and widely shared explanation of what constitutes ritual or how to understand it“ (Bell 1997: X). Das Fehlen einer Definition versucht man durch Anhäu54

fung von Eigenschaften bzw. „Dimensionen“ zu kompensieren (z. B. Bell 1997; Michaels 1999; Sundquist 2003: 32). Abhängig vom Untersuchungsgegenstand und dem wissenschaftlichen Hintergrund rücken jeweils andere Aspekte ins Zentrum. Eine theologische Erläuterung der katholischen Messe, eine soziologische Betrachtung des britischen Krönungszeremoniells oder eine strukturalistische Analyse des amerikanischen Halloween setzen bei der Definition des Begriffs „Ritual“ unterschiedliche Akzente. Viele der diskutierten Eigenschaften sind bei Ritualen wichtig, das sei unbenommen, doch eine Handlung muss nicht alle davon aufweisen, um ein Ritual zu sein. So hat z. B. Michaels (1999: 34-5) propagiert, Rituale könnten keine Privatveranstaltungen und müssten prinzipiell öffentlich sein. Damit werden aber grosse Bereiche der Magie ausgeschlossen, deren Rituale oft auf Heimlichkeit, also auf der Abwesenheit von Öffentlichkeit basieren. Welche Eigenschaften machen nun eine Handlung zu einem Ritual? Das unbestrittene Merkmal von Ritualen ist Formalisierung. Zeitpunkt,Teilnehmende,Art,Ablauf und Ausführungsweise der einem Ritual zugehörigen Handlungen werden nach Regeln aus einer Situation abgeleitet. Rituale werden deshalb immer wieder in

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gleicher Form vollzogen.Aber es gibt andere formalisierte Handlungen wie Normverhalten, Routinen,Arbeitsabläufe oder Spiele, die keine Rituale sind. Die Definition von „Ritual“ benötigt deswegen mindestens ein weiteres Kriterium. Manchmal sind die brutalsten Beispiele am illustrativsten. Ein Serienmörder mag bei seinen Taten einem strengen Schema folgen, es sind deswegen noch keine Ritualmorde. Selbst Raubmorde können nach einem Muster ablaufen, sind aber ebenfalls keine Ritualmorde. Der Unterschied liegt im Motiv. Beim Ritualmord geht es nicht um eine physische Folge der Tat wie Bereicherung, Lustbefriedigung oder die Beseitigung einer Person. Das Motiv ist ein „höherer“ Zweck, der sich – und das ist der entscheidende Punkt – auf eine andere, eine kulturell konstituierte Ebene bezieht. Von einigen Ritualtheoretikern wird zwar die Bedeutungslosigkeit als ein Charakteristikum von Ritualen hervorgehoben, doch unterstütze ich den Prostest von Michaels (1999: 40-5), allerdings aus einem anderen Grund: Leute, die ein Ritual ausüben, wollen damit eine Wirkung erzielen. Anders als beim routinierten Handgriff eines Klempners stehen Handlung und Wirkung jedoch nicht in einer physischen Beziehung. Oft soll sich die Wirkung eines Rituals auch gar nicht auf der physischen, sondern auf einer anderen, von der menschlichen Vorstellung konstituierten Ebene einstellen. Für die Handelnden besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen der real vorgenommenen Handlung und der gedachten Wirkung, die Wirkungsweise selbst entzieht sich jedoch der Beobachtung. Rituale bedienen sich deshalb oft der Symbolik, sie sind aber keineswegs rein symbolisch: Rituale verbinden praktisches Handeln unmittelbar mit jenen Strukturen, Kräften oder Wesen, die nach Ansicht der Ausführenden hinter dem physisch Erfahrbaren die Ordnung der Welt konstituieren. Das zweite wesentliche Charakteristikum von Ritualen ist eine transzendente Verbindung zwischen Handlung und angenommener Wirkung. Ein Ritual ist ein formalisierter Handlungsablauf, dem eine transzendente Wirkung beigemessen wird. Die beiden zur Definition herangezogenen Eigenschaften sind nicht in gleichem Masse objektivierbar. Formalisierung lässt sich als Wiederholung gleicher Abläufe, archäologisch also durch ein wiederkehren-

des Spurenbild erkennen. Die transzendierende Wirkungsweise einer Handlung dagegen existiert in den Gedanken der Beteiligten und hängt somit unmittelbar von deren Weltsicht ab, nicht von der des wissenschaftlichen Beobachters. Heutzutage tendieren wir dazu, eine formalisierte Handlung als rational einzustufen, wenn ihre Wirkung wissenschaftlich oder zumindest materialistisch begründbar ist, und als rituell, wenn sie es nicht ist. Innerhalb ihres zugehörigen Weltbildes funktionieren Rituale aber durchaus kausal, sind rational erklärt und gelten nicht selten als empirisch bestätigt, auch wenn sie es nach wissenschaftlichen Kriterien nicht sind. Umgekehrt können Ausführende an eine transzendente Verbindung zwischen Ritual und Wirkung glauben, auch wenn es eine wissenschaftliche Erklärung dafür gibt. Die Vorstellung, rationales und rituelles Handeln trennen zu können, ist eine Folge der Aufklärung. 1.2 Klassifizierung von Ritualen Rituale lassen sich z. B. nach der Ebene ihrer Wirkung einteilen. Die wichtigsten Klassen sind soziale, mentale, magische, kultische und mantische Rituale. Bei sozialen Ritualen ist der transzendente Aspekt wenig offensichtlich, da sie tief in den menschlichen Instinkten verankert sind. Sie durchdringen das Zusammenleben in einer Art und Weise, dass sie einen festen Bestandteil auch unserer eigenen „Realität“ darstellen. So ist z. B. die Begrüssung – auch wenn sich die zugehörigen Rituale unterscheiden – in den meisten Kulturen von zentraler Bedeutung bei der sozialen Interaktion. Sobald wir eine Geste als Begrüssung verstehen, können wir uns ihrer Wirkung fast nicht mehr entziehen. Dennoch ist ein Händedruck für uns so selbstverständlich, dass wir seine Bedeutung erst bewusst wahrnehmen, wenn er verweigert wird. Er markiert nicht bloss den Anfangspunkt einer temporären Beziehungsänderung zwischen zwei Personen, er führt diese sogar bis zu einem gewissen Grad herbei, weshalb massenhaftes Händeschütteln zum Standardrepertoire professionell geführter Wahlkämpfe gehört. Die persönliche Begrüssung schafft ein Gefühl der Zusammengehörigkeit („communitas“ nach Turner 1969), das ohne sie nicht entstehen würde. Zwar wird ein Händedruck oft als „hohl“, als sinnentleerter Gestus empfunden und man mag ihn in diesen Fällen auf sei55

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nen Kommunikationsgehalt reduziert als ein reines Zeichen abtun.Aber im Sozialverhalten sind Zeichen eben kein blosses Abbild von Sachverhalten, sie schaffen und gestalten diese mit. Soziale Rituale sind physische Akte, die soziale Strukturen beeinflussen sollen; Handlung und Wirkung laufen auf unterschiedlichen Ebenen ab und hierin besteht ihr transzendierendes Element. Mentale Rituale sollen das Bewusstsein der Beteiligten in einen anderen Zustand versetzen. Dazu zählen u. a. Andacht, Meditation und Praktiken zur Erlangung von Trancezuständen oder spirituellen Erfahrungen. Häufig sind sie Teil eines mehrstufigen Rituals, wenn z. B. ein Medium in Kontakt mit Geistern treten soll. Sogar Alltagsroutinen wie Kaffeetrinken und Zeitunglesen werden gerne als „Morgenritual“ bezeichnet. Das hat zumindest dann eine gewisse Berechtigung, wenn man diese Handlungen bewusst dazu einsetzt, einen mentalen Zustand herbeizuführen, mit dem man sich den Anforderungen des Tages gewachsen fühlt. Magische Rituale sollen Einfluss auf Wesen, Gegenstände, Zustände oder zukünftige Ereignisse ausüben. Die beabsichtigte Wirkung mag sich physisch manifestieren, die gedachte Verbindung zwischen Ritual und Wirkung ist jedoch nicht physischer Natur oder zumindest nicht sinnlich wahrnehmbar. In diesen Bereich gehören Zauberei, Hexerei, Glücksbringer,Verfluchung, Abwehrzauber, spirituelle Reinigung,Weihung, Geisterbeschwörung etc. Magische Rituale dienen dazu, Macht über das zu beeinflussende Wesen auszuüben bzw. zu erlangen. Bei vielen Handlungen im Zusammenhang mit Krankheit und Wohlbefinden wird es schwierig, Magie und Wissenschaft zu unterscheiden. Was einst medizinischer Standard war, ist heute Scharlatanerie – und umgekehrt.Ausgehend von unserer Vorstellung, welche Gesetze und Kräfte in der Welt wirksam sind, erlauben wir uns ein Urteil darüber, was reale und was eingebildete Wirkungsweisen sind, und somit darüber, was rationales und was rituelles Handeln ist. Kultische Rituale setzen strukturell betrachtet eine Ebene über der Magie an. Kult (vom lat. cultus = Bearbeitung, Pflege) ist die Verehrung von realen oder gedachten Entitäten, seien das Könige, Ahnen, Heroen, Dämonen, Götter oder Naturkräfte. Lebende Personen teilweise ausgenommen, werden diesen Entitäten magische Kräfte zugemessen. Kultische Rituale sind formalisierte Handlungen, die dazu dienen, mit diesen 56

Wesen in Kontakt zu treten und sie dahingehend zu beeinflussen, dass sie ihre (magischen) Fähigkeiten zum Nutzen oder wenigstens nicht zum Nachteil der Ausführenden anwenden. Im Gegensatz zur Magie gewinnen die Ausführenden keine Macht über das verehrte Wesen, sondern sind darauf angewiesen, „erhört“ zu werden. Mantische Rituale schliesslich sind Handlungsabläufe, die dazu dienen, zukünftige Ereignisse vorherzusehen, ohne diese beeinflussen zu können. 1.3 Ritus, Zeremonie und Brauchtum In der Ethnologie hat es sich eingebürgert, die Gesamtheit der Rituale, die gemeinsam einen zusammenhängenden Komplex bilden, als „Ritus“ zu bezeichnen, während die Religionswissenschaften die Begriffe umgekehrt verwenden (z. B. Sundquist 2003: 32). „Zeremonie“ wird im alltäglichen Sprachgebrauch oft synonym zu „Ritual“ benutzt. Man verbindet mit ihnen immer etwas Feierliches, ohne ihnen aber zwingend eine transzendierende Wirkung beizumessen. Man kann „Zeremonie“ somit als Oberbegriff für formalisierte Handlungen mit feierlichem Charakter verwenden, aber auch als Bezeichnung für die auch von „Unwissenden“ wahrnehmbaren Teile eines Rituals wie Handlungsablauf und Inszenierung. Oft verbinden sich mehrere Wirkungsebenen im gleichen Ritual. So wird bei einer Taufe nicht nur ein Kind spirituell gereinigt (Magie) und der Obhut Gottes empfohlen (Kult), es wird zugleich in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen, und in Form von Patenschaften erhalten sogar Erwachsene neue soziale Rollen (Gesellschaft). Bei der Analyse von Ritualen sind deshalb sowohl die einzelnen Akteure in ihren Funktionen und Statusänderungen, als auch die verschiedenen Wirkungsebenen im Auge zu behalten. Es liegt in der Natur von Ritualen, dass man sie nachahmen kann, ohne an eine Wirkung zu glauben oder auch nur zu denken. Kürzere Handlungsabläufe können als Reflex, längere im Brauchtum erstarren und in dieser Art zwar lange Zeit überdauern, ihre Bedeutung aber verlieren oder wechseln. Bei kultischen Ritualen rückt im Laufe der Zeit oft der religiöse Aspekt zugunsten des sozialen in den Hintergrund. Im Extremfall – wie z. B. beim Stierkampf – kann die transzendente Bedeutung vollständig verlo-

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ren gehen. Solche sinnentleerten Automatismen können je nach Charakter als Bräuche, Spiele oder Zeremonien rituellen Ursprungs bezeichnet werden. Die angebliche „Bedeutungslosigkeit“ von Ritualen wird gerne mit entsprechenden Relikten illustriert, wie wenn man mit leeren Patronenhülsen die Harmlosigkeit von Schusswaffen demonstrieren könnte. 1.4 Übergangsriten In seinem 1908 erschienenen, nach vernichtenden Rezensionen aber bis zur amerikanischen Übersetzung 1960 weitgehend ignorierten Buch „Les rites de passage“ (hier nach der deutschen Ausgabe als Gennep 1999 zitiert) wies Arnold van Gennep darauf hin, dass ein Individuum seine Rolle im beruflichen, familiären, spirituellen etc. Leben immer wieder wechselt. Soziale Rollen sind meistens mit einer Gruppenzugehörigkeit verbunden, weshalb der Wechsel innerhalb und ausserhalb der Gruppe kommuniziert werden muss, wozu sich viele Gesellschaften der Rituale bedienen. Die Gesamtheit der Rituale, die einen Rollen- bzw. Gruppenwechsel begleiten, bezeichnet Gennep als Übergangsritus (rite de passage). Für einen Wechsel genügt manchmal der Vollzug eines schlichten Aufnahmerituals. Oft ist zuvor die alte Gruppenzugehörigkeit abzulegen, was durch ein Trennungsritual ausgedrückt werden kann. Die Abfolge von Trennungs- und Aufnahmeritual kann eine Lücke entstehen lassen, in der das Individuum zwischen den Gruppen steht, weshalb sich viele Übergangsriten in drei Phasen gliedern lassen: - Trennungsphase - liminale Phase (je nach Ausprägung auch Schwellenoder Umwandlungsphase genannt) - Angliederungsphase Die Phasen selbst bestehen aus einer mehr oder weniger langen Abfolge von Ritualen, die in ihrer Symbolik gerne das Grundthema der jeweiligen Phase aufgreifen. Bei weitem nicht alle Übergangsriten weisen diese drei Phasen auf und wenn, dann sind sie oft ungleich stark ausgeprägt. Es gibt auch Übergangsriten, die eine Abfolge mehrerer Stadien kennen, wobei sich das dreigliedrige Grundmuster wiederholen kann. Die Gennep’sche Gliederung hat deshalb zwar keine universelle Gültigkeit, erleichtert aber die Analyse komplexer Riten.

1.5 Übergangsriten bei der Bestattung Nach Dezennien der Fixierung auf Sozialstrukturen hat auch die archäologische Gräberforschung die Gennep’schen Übergangsriten für sich entdeckt (u. a. Morris 1987: 29-36; Grosskopf, Gramsch 2004). Die Betrachtung der Bestattung als Übergangsritus ist aber nicht ohne Fallstricke. Gennep (1999: 142-59) griff nur einzelne Trennungs-, Umwandlungs- und Angliederungsriten heraus, ohne eine kohärente Theorie der Bestattung zu entwerfen, weshalb die Adaptionen des Gennep’schen Modells auf archäologische Befunde von Autorin zu Autor differieren. Wichtig ist, von Anfang an die einzelnen Akteure zu unterscheiden. Durch den Tod einer Person werden Verwandte in die soziale Rolle einer Witwe / eines Witwers, eines Waisenkindes etc. versetzt. In vielen Gesellschaften beginnt damit der liminale Zustand der Trauer, der mit Trennungsriten eingeleitet und mit Angliederungsriten beendet werden kann. Personen in Trauer haben bestimmte Verhaltensregeln zu befolgen und stehen oft ausserhalb der Gemeinschaft. Dauer und Reglementierungsgrad der Trauerzeit steigen mit der Nähe der Beziehung zur toten Person und deren Höhe in der Gesellschaftshierarchie. Der Tod eines Menschen reisst eine Lücke ins gesellschaftliche Gefüge. Die vakant gewordenen Rollen werden von anderen Personen übernommen, was zu Verschiebungen im sozialen Gefüge führt. Die erforderlichen Statuswechsel lebender Personen sind oft von eigenen Übergangsriten begleitet, von denen manche unabhängig stattfinden können, viele aber den Bestattungszeremonien angegliedert sind. Je bedeutender die soziale Funktion der verstorbenen Person, desto tiefgreifender sind die Umstellungen in der betroffenen Gesellschaft und desto grösser ist die Gefahr, dass Ordnung und Frieden zerbrechen. Bestattungsriten haben deshalb auch die Funktion, das Verhalten der Hinterbliebenen während des Aufbrechens und Neuordnens der Gesellschaft in geregelten Bahnen zu halten. Nun aber zur Person, die für uns Archäologen im Zentrum steht, bzw. liegt. Die/der Verstorbene wird aus der Gemeinschaft der Lebenden aus- und in einen wie auch immer gearteten Bereich der Toten eingegliedert. Dazwischen kann ein Aufenthalt in einem Übergangsbereich liegen, sodass prinzipiell die typische Struktur eines Übergangsritus entsteht.Abhängig 57

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von den Vorstellungen vom Wesen des Todes können aber Widersprüche und Ambivalenzen auftreten, welche die Ansprache als klassisches Übergangsritual kompromittieren. Gennep (1999: 142-3) arbeitete bewusst mit einem vereinfachten Modell, betonte aber nachdrücklich, dass sich das Bild des Todes von Gesellschaft zu Gesellschaft unterscheidet und meist komplex und widersprüchlich sei, was zu entsprechend komplizierten Riten führe. 1.6 Die verschiedenen Gesichter des Todes Grob sortiert gibt es fünf Gruppen von Todesvorstellungen: Auslöschung, Weiterleben im Grab, Auferstehung, Wiedergeburt und Eingang in ein Totenreich. Diese Gliederung ist nicht streng zu verstehen, da sich in einer Gesellschaft – nicht selten auch in der Gedankenwelt Einzelner – widersprüchliche Vorstellungen vermengen.Wiedergeburt und Eingang in ein Totenreich setzen den Glauben an eine nichtstoffliche Persönlichkeit voraus, die man sich in verschiedenen Kulturen recht unterschiedlich vorstellt, die ich hier aber mit dem Begriff „Seele“ zusammenfasse. Auch die übrigen Todesvorstellungen können eine Unterscheidung zwischen Körper und Seele kennen, müssen es aber nicht. Bei der Auslöschung bedeutet der Tod das Ende einer Person in jedweder Beziehung, was Übergangsriten für dieselbe erübrigt. Das schliesst nicht aus, dass Rituale zur sozialen Reorganisation durchgeführt werden, die eine mehr oder weniger pietätvolle Beseitigung des Körpers involvieren. Die Anlage eines Grabes aber ist unnötig, da durch den Tod die sozialen Bande nichtig werden. Bei der Vorstellung eines Weiterlebens oder Ruhens im Grab bleibt die verstorbene Person Teil ihres sozialen Verbandes, jedoch in anderer Funktion, weshalb klassische Übergangsriten stattfinden können. Um die Funktion als Ruhe- oder Wohnort zu erfüllen, muss das Grab eine bestimmte Infrastruktur bieten. Oft ist es nötig, regelmässig Nahrung und Getränke ans Grab zu bringen.Als eigentliches Wesen des Todes ist diese Vorstellung selten, häufiger ist sie eine Übergangsphase in komplexeren Auffassungen. Beim Glauben an die Auferstehung des Leibes verbleibt die verstorbene Person in ihrem sozialen Verband, wechselt aber in einen liminalen Zustand zwischen 58

zwei Leben, den man sich gewöhnlich als eine Form der Ruhe vorstellt. Der klassische Übergangsritus würde mit der Auferstehung abgeschlossen, die sich normalerweise aber nicht in der jetzigen Welt abspielt, sondern z. B. am Beginn einer neuen Weltordnung. Dazu sollte der Körper so komplett wie möglich erhalten, zumindest aber geschützt werden.Anlage und Pflege eines Grabes sind deshalb Pflicht, während die Störung der Totenruhe ein Sakrileg darstellt. Eine Wiedergeburt wird je nach Art der Vorstellung innerhalb der eigenen Lineage erwartet, irgendwo auf der Welt oder gar in einer anderen Spezies. Der Schwerpunkt der Bestattungsriten liegt auf der vollständigen Loslösung der Seele vom Körper, da dies Voraussetzung für eine Wiedergeburt ist. Der Leichnam stellt ein Hindernis dar, das oft möglichst gründlich beseitigt werden muss. Daran kann sich eine rituelle Geleitung der Seele durch die Zwischenwelt anschliessen, die durchaus die drei Stufen des Gennep’schen Modells aufweisen kann. Individuelle Gräber oder Beigaben sind bei dieser Todesvorstellung nicht zu erwarten, es mag aber Plätze geben, an denen über einen längeren Zeitraum Skelettreste deponiert werden. Ein Eingehen in ein Totenreich ist prinzipiell als ein Übergangsritus nach dem Gennep’schen Ideal inszenierbar. Da dieser Vorgang die Seele betrifft, ist die Erhaltung des Körpers nicht zwingend von Bedeutung.An ihm können aber Rituale ausgeführt werden, die Einfluss auf das Schicksal und das Befinden der Seele nehmen. Es ist deshalb üblich, die körperlichen Reste nach festgelegten Regeln zu behandeln, in einem Grab zu deponieren und mit Mitteln zu versehen, die für die Reise, für die Aufnahme oder für das Leben im Totenreich wichtig sind. Die Topographie der Totenwelt kann allerdings sehr unterschiedlich aussehen. Sie reicht von einer Geisterwelt auf dem Friedhof über eine Parallelebene innerhalb der Welt der Lebenden oder ein Schattenreich unter der Erde bis zur Vereinigung mit dem Göttlichen. 1.7 „longae vitae mors media est“ – Quellen zu antiken Todesvorstellungen Mit dem Christentum fasste die Vorstellung der Auferstehung des Leibes in Europa Fuss und führte sowohl zur Abkehr von der Kremation, als auch zum Abbruch der Beigabensitte und – zumindest vorübergehend –

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der Grabmonumente. Diese archäologisch markanten Veränderungen lassen darauf schliessen, dass zuvor andere Konzepte vom Tod vorherrschten.Anhaltspunkte zu vorchristlichen Todesvorstellungen in Europa sind zwar spärlich, doch ist ihnen gemeinsam, dass der Tod als Loslösung einer nichtstofflichen Entität vom physischen Leib verstanden wurde. Hinweise auf leibliche Auferstehung oder auf eine Art Ruhezeit im Grab fehlen. Die Seele gelangte in eine Toten- bzw. „Anderwelt“ (Birkhan 1997: 838-44), in der sie nach antiker griechischer und römischer Vorstellung für immer verblieb. Die Berichterstatter zu den keltischen Vorstellungen sind sich einig, dass nach druidischer Lehre die Seele unsterblich war. Mehrere fügen aber hinzu, dass diese nach dem Tod in einen anderen Körper übergehen und ein zweites Leben führen könne (z. B. Diodorus Siculus V, 28, 6; Caesar, DBG VI, 14). Seit der Antike wird deshalb öfters vom „keltischen Glauben an die Wiedergeburt“ gesprochen, obschon keine Quelle einen sich wiederholenden Kreislauf von Sterben und Wiedergeburt andeutet. Es wird nicht einmal klar, ob die „Wiedergeburt“ als Regel oder als Besonderheit galt (De Vries 1961: 248-51; Birkhan 1997: 913-5). Wahrscheinlich liegt ein Missverständnis vor. Die mediterranen Autoren erwarteten, sich nach dem Tod als substanzlose Schatten in der Unterwelt zu langweilen bzw. als ebenso ephemere Manen durch die Welt zu irren (das freundlichere Elysion war nur wenigen Günstlingen der Götter vorbehalten). Die bekannte Passage zur druidischen Lehre „… der gleiche Geist gebietet den Gliedern in einer anderen Welt.Wenn das, was ihr singt, richtig ist, so ist der Tod die Mitte eines langen Lebens“ (Lucanus, Pharsalia I, 457-8; Übersetzung nach Birkhan 1997: 913) kann auch dahingehend gedeutet werden, dass in der keltischen Vorstellung die „Anderwelt“ eine durchaus physische und freudvolle war. Für eine solche machte es auch Sinn, Verstorbenen das mit auf den Scheiterhaufen zu geben, was sie im Leben geliebt hatten (Caesar DBG VI, 19). Nach Diodorus Siculus (V, 28,5f.) sollen – wohl im bereits graezisierten Süden Frankreichs – sogar Briefe an verstorbene Verwandte mitgegeben worden sein, was bei einer Vorstellung von fortwährendem Tod und Wiedergeburt die „Postboten“ ziemlich ins Schwitzen gebracht hätte. Nicht auszuschliessen ist allerdings, dass bei den verschiedenen den Kelten zugerechneten Gemeinschaften unterschied-

liche Lehren geläufig waren, was die grosse regionale Diversität der Bestattungs- und Beigabenpraktiken während Lt D erklären könnte. Den schriftlichen Überlieferungen ist nicht zu entnehmen, wann die Vorstellung des Weiterlebens der Seele in Europa ihren Anfang nahm. Kurz vor der Zeitenwende ist sie omnipräsent und via Hesiod und Homer lässt sie sich in Griechenland bis ins frühe 1. Jt. v. Chr. zurückverfolgen. Die prinzipielle Vergleichbarkeit bronze- und früheisenzeitlicher Bestattungssitten Griechenlands mit zeitgleichen Gräbern in Mitteleuropa spricht dafür, die Vorstellung des Fortlebens der Seele in einer „Anderwelt“ auch für die Hallstattzeit zu postulieren. Der Charakter dieser Gegenwelt könnte sich aber markant von jener Schattenwelt unterschieden haben, in die Odysseus hinabstieg. Dass regional oder zeitweise an eine Form von Wiedergeburt gedacht wurde, kann nicht ausgeschlossen werden; für Perioden mit sozial differenzierten Beigabensitten wie die Hallstattzeit erscheint dies jedoch wenig wahrscheinlich. In der Eisenzeit – wie auch in den meisten prähistorischen Perioden – werden kaum einmal Werkzeuge beigegeben. Es muss Bauern und Handwerker gegeben haben, denn ihre Produkte sind uns gut bekannt, aber im Grab werden sie so gut wie nie gekennzeichnet. Der Beruf war im Tod offenbar unwichtig, was man als Hinweis auf eine Gegenwelt verstehen kann, die keine Arbeit kannte.Vielleicht ein ewiges Fest? Die gerade in Ha C prominent hervortretende Beigabe von Speisen, Getränken und Tafelgeschirr würde jedenfalls passen. 1.8 Unvollständige Übergangsriten? Für die Bestattungsriten muss das Gennep’sche Schema der Übergangsriten angepasst werden. Die Vorstellung, dass der Tod die Auftrennung eines Menschen in Körper und Seele zur Folge hat, führt zu zwei Ebenen der Bestattungsriten. Mit dem wichtigeren Teil soll die Seele vom bereits toten Körper getrennt und aus der Gesellschaft der Lebenden in die der Toten bzw. auf den Weg zur Wiedergeburt geleitet werden. Bezüglich der Seele können sich tatsächlich die drei von Gennep postulierten Phasen ausbilden. Dabei tritt aber ein Problem auf, auf das weiter unten noch einzugehen ist. Der Körper dagegen kann als ein physisches Objekt durch Verbrennen, Pulverisieren,Vergraben,Verfüttern 59

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etc. allenfalls aus dem Gesichtsfeld verbannt oder umgewandelt, nicht aber vollständig aus der Welt der Lebenden entfernt oder gar im wörtlichen Sinn „vernichtet“ werden. Die dritte Phase, die Eingliederung in eine neue soziale Rolle, erfolgt nur in jenen Gesellschaften, die die sterblichen Überreste wieder in den Kreis der Familie aufnehmen. Häufiger ist eine räumliche Abtrennung der Körperreste von den Lebenden, quasi eine Ghettoisierung, in Kollektivgräbern oder Nekropolen. 1.9 Das Grab – Ein liminaler Ort zwischen Leben und Tod TOMB, n.The House of Indifference.Tombs are now by common consent invested with a certain sanctity, but when they have been long tenanted it is considered no sin to break them open and rifle them, the famous Egyptologist, Dr. Huggyns, „ explaining that a tomb may be innocently “glened as soon as „ its occupant is done “smellynge , the soul being then all exhaled.This reasonable view is now generally accepted by archaeologists, whereby the noble science of Curiosity has been greatly dignified. (Ambrose Bierce,The Devil’s Dictionary, 1911) Was immer mit der Seele einer verstorbenen Person passiert, ihr Leichnam bleibt physisch in der Welt der Lebenden zurück. Da er mit der Seele in Verbindung bleiben kann, bildet er die letzte Brücke zwischen ihr und den Lebenden. Abhängig davon, ob diese Verbindung als positiv oder negativ beurteilt wird, wird mit den Körperresten unterschiedlich verfahren. Leichenreste können – üblicherweise nach der Verbrennung oder Skelettierung – wieder in die Welt der Lebenden oder den Bereich des Sakralen zurückgeholt werden, um die als positiv empfundene Verbindung mit den Verstorbenen aufrecht zu erhalten. Dies kommt besonders im Verbund mit Ahnen-, Heroen- und Heiligenverehrung vor. Aber nicht alle in Siedlungen und Heiligtümern angetroffenen Skelettreste müssen liebe Verwandte und respektierte Bekannte gewesen sein. Auch Schädel und Knochen getöteter Feinde wurden aufbewahrt und ausgestellt, sei es als Zeichen eigenen Leistungsvermögens, um sich Können und Kraft der Getöteten anzueignen, oder um sich deren Seelen in der Gegenwelt dienstbar zu machen. Wird die Verbindung zwischen Leiche und Seele als 60

bedrohlich für die Lebenden empfunden, oder die Unbill des Alltags als dem Wohlbefinden der Seele abträglich, wird mit dem Grab ein geschützter Platz für die Körperreste geschaffen. Die transzendente Verbindung von Leiche und Seele machen das Grab zu einem speziellen Ort, an dem besondere Regeln gelten. Die Abgrenzung von Gräbern mit Gräben, Pfahlreihen oder Trockenmauern dient – wie eine heutige Friedhofsmauer – nicht nur als physische Zugangsbeschränkung, sie markiert auch eine Trennlinie zwischen Räumen, in denen unterschiedliche Verhaltensregeln gelten. Das Grab ist ein liminaler Ort, an dem sich die Welt der Lebenden und die der Toten berühren, was praktisch jeder dort vorgenommenen Handlung transzendenten Charakter verleiht. Die Loslösung der Seele vom Körper kann sich je nach Vorstellung über Tage, Monate oder gar Jahre hinziehen. In verschiedenen Kulturen kommt es zu einer provisorischen Bestattung (ausführlich bei Hertz 1907), die so lange dauert, bis die Knochen blank sind. Erst die Auflösung der Weichteile – so die Vorstellung – setzt die Seele frei und die Knochen können an einen Ort der permanenten Verwahrung überführt werden. In solchen Fällen zieht sich die Trennungsphase über vier Stufen, deren rituelle Einbindung unterschiedlich ausfallen kann: - Aussetzen der Lebensfunktionen (magische und kultische Rituale als flankierende Massnahmen) - Aufbahrung der Leiche an einem bestimmten Ort, wo Abschied genommen werden kann (soziale Rituale) - provisorische Bestattung, um Körper und Seele voneinander zu lösen (magische Rituale) - definitive Bestattung der Skelettreste (Rituale auf mehreren Wirkungsebenen) Hertz (1907) postuliert, dass die definitive Beisetzung zugleich das Ende der liminalen Phase der Trauer und die Aufnahme der Seele in die Totenwelt markiere. Doch was für die von ihm betrachteten indonesischen Gesellschaften zutrifft, muss nicht überall gelten. Archäologische Hinweise auf vergleichbare Praktiken finden sich immerhin bei den Kollektivbestattungen des Jungneolithikums. In bronze- und eisenzeitlichen Körperbestattungen dagegen werden die Leichen nicht skelettiert beigesetzt, also wohl innerhalb von Tagen oder höchstens Wochen. Der Vorgang der Entfleischung und Entseelung der Lei-

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che kann auch durch Kremation vollzogen werden, was ebenfalls vier Stufen der Trennung entstehen lässt. Contra Hertz (1907) würde ich aber nicht prinzipiell davon ausgehen, dass die definitive Bestattung mit der Aufnahme der Seele ins Totenreich zusammenfällt. Der „Charonspfennig“, der aus dem Mittelmeerraum kommend in spätkeltischer Zeit nördlich der Alpen – auch in Brandbestattungen – Verbreitung findet (Mäder 2002: 77; Müller, Lüscher 2004: 171), ist eines von verschiedenen Indizien, die dagegen sprechen. 1.10 Die Mitbestattung von Gegenständen Mit der Leiche werden oft auch Gegenstände beerdigt, wobei es nicht immer einfach ist, zwischen Belassungen und eigentlichen Beigaben zu unterscheiden. Letztere sind vor allem dann wichtig, wenn die tote Person in der Vorstellung der Hinterbliebenen im Grab, im Jenseits oder nach der Auferstehung weiterlebt.Abhängig davon, ob man für sein Wohlergehen und seinen Status nach dem irdischen Leben selbst sorgen muss, oder ob man alles Notwendige inkl. 72 Jungfrauen geschenkt erhalten wird, fällt die Ausstattung des Grabes aus. So, wie die verstorbene Person im Ablauf der Bestattungsrituale ihren Status, ja ihre Wesenheit wechselt, können es aber auch die Beigaben. Derselbe Gegenstand kann im Laufe des realen und gedachten Bestattungsvorgangs unterschiedliche Funktionen erfüllen: - Abschiedsgeschenk - Entsorgung von durch den Tod unrein gewordenen Gegenständen - Statuszeiger bei der Verabschiedung - Ausstattung für die Zwischenwelt bzw. für die Reise (z. B. der Charonspfennig) - Eintrittspreis in die Gegenwelt - Ausstattung für die Gegenwelt - Statuszeiger in der Gegenwelt Für die ersten drei Funktionen reicht die physische Präsenz des Gegenstandes aus, während die übrigen die Idee einer Beseeltheit der Gegenstände voraussetzen. Die Bestattungsrituale überführen die physische Hülle eines Menschen ins Grab, seine Seele aber in die Gegenwelt. Parallel dazu können Gegenstände durch den Einbezug ihres materiellen Wesens in die Bestattungsriten in ihrem ideellen Wesen ins Totenreich übergehen. Diese Parallelität ist wohl der Grund, weshalb die Zerstörung von Beigaben häufig im Zusammen-

hang mit Brandbestattungen, also bei bewusst zerstörten Körpern, zu beobachten ist. So, wie das Feuer die Seele vom Körper befreit, löst die physische Zerstörung von Gegenständen deren Wesen aus der Materie. Eine ähnliche Vorstellung steht hinter einer „pars pro toto“-Beigabe bzw. der Beigabe funktionsuntüchtiger Modelle. Da nur das Wesen eines Gegenstandes in die Gegenwelt gelangen muss, kann es ausreichen, im Grab ein Symbol niederzulegen. Falls die Beigaben für die Reise zur oder als Eintrittspreis ins Totenreich gedacht sind, dann wäre zu folgern, dass in der Vorstellung der Bestattenden zwischen der definitiven Beisetzung und der Aufnahme der Seele in die Gegenwelt noch eine gewisse Zeit verstrich. 1.11 Geister und Wiedergänger Eine Seele findet und lässt erst Ruhe, wenn sie in die Gemeinschaft der Toten aufgenommen wird. Ob dies aber geschieht, ist für die Lebenden nicht direkt ersichtlich. Das oben angedeutete Problem der Übergangsriten für die Seele besteht darin, dass die Ausführenden weder die Seele noch deren Weg verfolgen können. Die Rituale werden blind ausgeführt, und ob die Seele tatsächlich Einlass in die Anderwelt erlangt, bleibt ungewiss.Welches Schicksal jene Seelen erwartete, die zwischen den Welten hängen blieben, ist ohne schriftliche Überlieferung nicht im Detail herauszufinden. Die heute geläufigen Vorstellungen sind vielfältig. Die Seelen können ruhelos und unglücklich umherirren, ohne Möglichkeit, mit der Welt der Lebenden oder der Toten Kontakt aufzunehmen. Häufig ist die Vorstellung, sie könnten als Geister mit Lebenden in besonderen Bewusstseinszuständen (Trance,Traum etc.) oder zu bestimmten Zeiten in Verbindung treten, was aber oft auch Seelen zugebilligt wird, die sich bereits im Totenreich befinden.Als Wesen der Zwischenwelt besitzen sie magische Kräfte, aber nur ausnahmsweise auch die Fähigkeit, Objekte zu bewegen oder Lebewesen physisch anzugreifen.Verbreiteter ist die Idee, die Seelen könnten zurück in ihren eigenen oder in einen anderen Körper fahren und diesen zu physischen, meist bedrohlichen und gewalttätigen Akten verwenden. Auch die Art des Todes kann Einfluss haben: stirbt eine Person unerwartet, so weiss sie vielleicht gar nicht, dass sie tot ist. 61

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Aus dieser Ungewissheit heraus können präventive Massnahmen ergriffen werden, welche die Möglichkeiten der Toten zu unerwünschtem Verhalten einschränken. Archäologisch feststellbare Störungen der Totenruhe können durch Ereignisse oder Erlebnisse veranlasst worden sein, die bei den Hinterbliebenen den Eindruck erweckten, die Seele versuche noch immer, in die Welt der Lebenden zurückzugelangen. Massnahmen zur Verhinderung der Wiederkehr, ja sogar Grabfrevel können Hilfe zur Loslösung und damit Akte der Gnade darstellen. Nach einer nordischen Sage ist es die nachträgliche Kremation und anschliessende Verstreuung der Asche im Meer, die dem Wiedergängertum eines bereits Bestatteten ein Ende setzt (Geisslinger 1998: 495). 1.12 Identifikation und Interpretation von Bestattungsritualen im archäologischen Befund Aufgrund der engen Verflechtungen des Grabes mit den Übergangsriten sowohl für die verstorbenen wie die noch lebenden Personen wird bei dessen Anlage kaum etwas dem Zufall überlassen.Archäologisch sichtbar sind der Ort innerhalb der Natur- und Kulturlandschaft, die Lage zu benachbarten Gräbern, die Form und die Grösse der Grabanlage, die Bestattungsart, die Haltung und Ausrichtung der Leiche, die Belassung und Beigabe von Gegenständen, deren Behandlung und deren Anordnung und Ausrichtung im Grab. Die Suche nach Bestattungsritualen ist deshalb primär eine Suche nach wiederkehrenden Kombinationen von Befundcharakteristika, die auf formalisierte Handlungsabläufe schliessen lassen.Wiederholt auftretende Kombinationen von Geschlecht,Alter, Leichenbehandlung, Grabanlage,Auswahl und Anordnung der Beigaben etc. lassen sich mit statistischen Methoden feststellen. Sie sind auch mit einiger Sicherheit als intentionell zu deuten, da wiederholtes menschliches Verhalten, soweit es nicht in den Instinkten verankert ist, grundsätzlich auf Intention schliessen lässt. Und bei formalisierten, intentionellen Handlungen im Zusammenhang mit Toten liegt es nahe, dass es sich um Rituale handelt. Welche Rituale ausgeführt und welche Formeln gesprochen wurden oder wer in welcher Funktion am Begräbnis teilnahm, bleibt den Methoden der Archäologie oft verborgen. Genauso bedeutsam waren die 62

Unterlassungen, das, was nicht getan wurde, was nicht ins Grab gelegt wurde und wer nicht am Begräbnis teilnahm. Für die Gemeinschaft war der Bestattungsvorgang besser sichtbar als das Grab, während es für uns Archäologen genau umgekehrt ist. Die im Grab aufgezeichneten Chiffren waren in der geistigen Vorstellungswelt der Anwesenden verankert und jede Abweichung vom ideellen Grundmuster wurde wahrgenommen. Damals sprach das Grab noch zu allen. Heute tun wir uns schwer damit, auch nur einen kleinen Teil davon zu verstehen.Wir vermögen zwar regelhafte Muster zu erkennen und zu beschreiben, ihre Bedeutung aber bleibt uns mangels Überlieferung der damaligen Deutungssysteme nahezu verschlossen. Neben regelhaften können auch Sonderbehandlungen von Toten und Beigaben ritueller Natur sein. Definitionsgemäss sind Sonderbehandlungen selten, müssten aber wiederholt nachgewiesen werden, um als Rituale angesprochen werden zu können. Schwierig wird es auch, wenn die Behandlung von Leiche oder Beigaben auf individuelle Charakteristika der bestatteten Person Bezug nimmt, die sich nicht archäologisch manifestieren.Wir müssen deshalb damit rechnen, dass Sonderbehandlungen eine rituelle Reaktion auf die Eigenheiten der verstorbenen Person bzw. die Umstände ihres Todes darstellen, selbst wenn sie nur in ganz wenigen Fällen archäologisch nachzuweisen sind. Und damit kommen wir endlich zum eigentlichen Thema des Aufsatzes, der Behandlung und Bedeutung von Schwertern in Gräbern der Stufe Ha C.

2. Die Schwertbeigabe in der späten Urnenfelderzeit Die Beigabe von Schwertern setzt gleichzeitig mit der Entwicklung dieser Waffengattung ein, schwankt jedoch stark im Laufe der Zeit.Abb.1 ist ein Versuch, die relative Häufigkeit von Schwertdeponierungen in Gräbern und in Gewässern darzustellen, obwohl die Statistiken für die verschiedenen Zeitbereiche nicht wirklich vergleichbar sind. In keiner Periode wurde der Anteil der Schwertgräber an der Gesamtheit der Gräber bestimmt, weshalb auch darauf verzichtet wurde, die – oft ebenfalls disputierte – unterschiedliche absolute Dauer der einzelnen Phasen zu berücksichtigen. Die Zahlen wurden der Schwertgräberstatistik bei Clausing 1999 entnommen und um die Zählung von 567

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Aufschlussreich ist das unterschiedliche Umfeld, in dem sich die beiden Tiefpunkte der Schwertbeigabe abspielen. Während in Ha D durchaus reiche Gräber vorkommen und man davon ausgehen muss, dass die Funktion der Schwerter von den Dolchen übernommen wurde, präsentiert sich die Situation in Ha B ganz anders.Während Ha A ist nämlich nicht nur ein Rückgang der Schwertbeigabe festzustellen, auch viele andere Beigabenklassen verschwinden. 2.1 Ausgliederung der Statussymbole aus dem Beigabenspektrum während Ha A

Abb. 1 Häufigkeit der Deponierung von Schwertern in Gräbern und Gewässern von Bz D bis Lt A. Zur Datenbasis vgl.Text.

Schwertgräbern für Ha C (Gerdsen 1986: 45) und Schätzwerte für Bz B, Bz C und Lt A ergänzt. Die Kurve zur Deponierung in Gewässern orientiert sich für Bz C bis Ha B3 am Verhältnis von Vollgriffschwertern aus Grab- und Gewässerfunden bei Quillfeldt (1995: Abb. 4), für Bz B an Schauer 1971. Die vereinzelten Ha C- und Lt A-Schwerter aus Gewässern sind als Minimalwerte eingetragen. Die Sitte der Schwertbeigabe setzt in Bz B auf einem hohen Niveau ein. Bis Bz D nimmt sie tendenziell zu, um im Laufe von Ha A stark abzusinken. Sie verharrt bis Ha B3 auf niedrigem Niveau, obschon sich die Zahl der bekannten Gräber durch die nun üblichen Urnenfelder markant erhöht. Mit Beginn von Ha C1 kommt es zu einem schlagartigen Anstieg, um dann mit Ha D1 fast ebenso unvermittelt wieder abzubrechen. Im Laufe von Lt A erreicht die Sitte wieder ein hohes Niveau, das mindestens bis Lt C gehalten wird. Die Fundstatistik der Gewässerfunde zeigt einen anderen Verlauf.Während der ganzen Mittel- und Spätbronzezeit gelangten Schwerter in die Gewässer, auch und besonders in Ha B. Mit dem Beginn von Ha C fällt die Sitte der Gewässerdeponierung im engeren Hallstattraum (Torbrügge 1991: 378, Karte 1-2) schlagartig in sich zusammen und bleibt bis weit in Lt B hinein selten, um erst mit Lt C und D neue Höchstwerte zu erreichen. Die Gewässerfunde verhalten sich also weder streng gleich- noch streng gegenläufig zur Schwertbeigabe.

Ein Charakteristikum der jüngeren Urnenfelderzeit sind die geringen Ausstattungsunterschiede in den Gräbern. Bronzegefässe,Waffen, Zaumzeug und Wagenteile wurden selten beigegeben, doch ist dies nur eine vorübergehende Erscheinung. In Bz D und Ha A1 gab es bereits Gräber mit entsprechenden Beigaben und mit dem Beginn von Ha C setzen sie auch wieder auf breiter Front ein. Es ist nicht so, dass es diese Güter zwischen Ha A2 und Ha B3 nicht gegeben hätte. Sie finden sich in anderen Fundzusammenhängen, besonders in Deponierungen. Die überzeugendste These für diese Lücke bei den Prunkgräbern entwickelte Winghart (1998) ausgehend von den älterurnenfelderzeitlichen Wagengräbern von Hart an der Alz und Poing. Zu Beginn der Spätbronzezeit zeigt sich nämlich in den reichsten Gräbern die Tendenz, den Hauptteil der Metallobjekte abseits der Körperreste oder gar ausserhalb der Grabgrube bzw. kammer niederzulegen. Diese Deponierungen werden gelegentlich auch mit für Gräber ungewöhnlichen Klassen wie Sicheln oder Barrenfragmenten angereichert, wofür Winghart den Terminus „Grabschatz“ einführte. In einer Kurzfassung seiner Thesen wären die Luxusgüter bzw. Statussymbole zwar im Laufe von Ha A aus dem unmittelbaren Grabzusammenhang ausgeschieden worden, doch hätte ihre Deponierung – und damit Entfernung aus der Welt der Lebenden – noch immer einen Teil der Bestattungsriten dargestellt. Man hätte sie zwar nicht mehr im Grab selbst, dafür aber an anderen Orten niedergelegt. Im Licht dieser These erhält auch das fast schlagartige Verschwinden von Brucherzund Einzeldeponierungen mit dem Beginn von Ha C eine neue Dimension.

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2.2 Das Wiedereinsetzen der reichen Grabbeigaben im jüngeren Ha B Setzt man sich mit den Fundumständen von Luxusgütern in Ha B genauer auseinander, so zeigt sich, dass ihre Beigabe in Gräbern zwar selten, vereinzelt aber doch vorkommt, besonders in den Randzonen der Urnenfelderkultur. So könnte es sich beim reichen Ha B2-Fund von Hostomice von der Zusammensetzung her um Grabbeigaben handeln (Kytlicová 1991: 18-9, Taf. 52-4). Die Fundumstände erlaubten keine genaueren Beobachtungen, weshalb es sich letztlich auch um einen Grabschatz oder eine Deponierung handeln könnte. 2.2.1 Bronzegefässe Seit Bz D gehören Bronzegefässe zu jenen Gütern, die nur in den jeweils reichsten Gräbern einer Epoche anzutreffen sind. Für die Merowingerzeit werden sie sogar als definierendes Merkmal der reichsten Gräberklasse betrachtet (Christlein 1973: 158). Abgesehen von den in den nächsten Abschnitten aufgeführten Exemplaren in Gräbern mit weiteren Luxusgütern, lassen sich kaum Grabfunde aus Ha A2 und Ha B anführen, die mit Bronzegefässen ausgestattet worden sind. Als geläufigste Klasse des Bronzegeschirrs erscheinen Tassen mit deutlich regionalen Konzentrationen in Tirol und Niederösterreich (Prüssing 1991: 22-31).

Ha B3 gehört das Grab von Kirchenehrenbach (Hennig 1970: 79,Taf. 12), das zwei Faleren und Teile einer Bronzekanne enthielt; ob die Faleren Teil einer Pferdeschirrung waren, ist mangels weiterer kennzeichnender Typen unsicher. 2.2.3 Schwertbeigabe Im Laufe von Ha B3 wird die Beigabe von Schwertern wieder häufiger, zumindest gibt es eine Reihe von Vollgriffschwertern dieser Periode, die nach den Fundumständen bzw. den Beifunden zu urteilen aus Gräbern stammen (Clausing 1999: 361-4). Gelegentlich ist dabei eine separierte Deponierung des Schwertes festzustellen (Torbrügge 1979: 208, Anm. 856; Gerdsen 1986: 69). Das bekannte urnenfelderzeitliche Eisenschwert von Singen, Grab 164 (Brestrich 1998: 35760, Taf. 33-35A) war wohl auf der Abdeckung der Grabgrube deponiert worden (Abb. 2). Auch in Rennertshofen-Mauern lagen Schwert und Lanzenspitze über der Grabkammer zwischen Balkendecke und Steinschüttung, während sich das Ortband

2.2.2 Zaumzeug und Wagenteile Aus dem ausgehenden Ha B3 gibt es vier Grabfunde, die nach urnenfelderzeitlichem Ritus angelegt sind, aber Zaumzeug- und Schirrungsteile enthielten. Der bekannteste ist Michaelsbuch-Steinkirchen (Clausing 2001), der neben „thrakokimmerischem“ Zaumzeug auch einen Hebelgriffschöpfer aus Bronze, den Endbeschlag eines Trinkhorns, eine Punze, einen Schleifstein und eine Bronzenadel enthielt. Im Grab von 1932 von Pfullingen fanden sich zwei Faleren des späten Ha B3, ein Bronzemesser, eine beschädigte Lanzenspitze aus Bronze und je zwei Tüllen und Spulen, mögliche Wagenbeschläge (Clausing 1997).Wenig Beachtung fand bisher Stephansposching-Uttenhofen, Grab 13 (Schmotz 1989: 291,Taf. 39A), mit fünf Faleren und Fragmenten von Trensenknebeln aus Geweih. Noch ins frühe 64

Abb. 2 Position des Schwertes über der Bestattung bei Grab 164 in Singen (Baden-Württemberg). Nach Brestrich 1998:Abb. 84.

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Abb. 3 Rennertshofen-Mauern. Lage des Schwertes über der eigentlichen Bestattung. Nach Eckstein 1963:Abb. 1.

und Teile des Schwertgehänges in der Grabkammer befanden (Abb. 3). Daran schliesst sich die Frage an, inwieweit Gräber mit Ringknebeln und anderem potentiellem Schwertzubehör wie Wetzsteinen oder Doppelknöpfen von Schwertträgern stammen, deren Waffe ausserhalb des Grabes deponiert wurde (Torbrügge 1979: 208, Anm. 856; Sperber 1999: 609). Einen solchen Befund gibt es z. B. in Gomadingen-Steingebronn, Hügel 2 von 1899, wo neben einem reichen Gefässsatz auch ein Bronzehalsring, drei kleine runde und ein ovaler Ring, ein Ringknebel und ein durchlochter Schleifstein gefunden wurden (Sixt 1899: 33-4). Schleifstein und Ringknebel gibt es auch im erwähnten Grab von Michaelsbuch-Steinkirchen. In KelheimHerrnsaal, Grab 27 (Pfauth 1998: 192-3,Taf. 44-6), liegt ein Bronzefragment, das von Pfauth als zerdrückte Tülle einer Lanzenspitze bezeichnet wird, das in Grösse, Form und Dekor aber Tüllenortbändern sehr nahe steht (Abb. 4). Ein Ringknebel und zwei Fragmente eines Doppelknopfes können als Teile eines Schwertgurtes gedeutet werden.Alle Stücke hatten im Feuer gelegen und so bleibt offen, ob das Schwert gar nicht auf den Scheiterhaufen kam, vollständig zerschmolzen ist, oder ob dessen Fragmente nach der Kremation absichtlich oder zufällig nicht mit den Leichenbrandresten begraben wurden. Die sichere Kombination von Schleifstein und Schwert ist in Ha B3 wie Ha C aber selten. Häufiger ist die Kombination von Schleifstein und (Rasier-)Messer. Da Ringknebel und Doppelknöpfe auch am Zaumzeug oder am Riemenwerk von Pfeilköchern (Jockenhövel 1974, 58) verwendet werden, wird man selbst eine Kombination aus Schleifstein, Ringsatz und Kne-

Abb. 4 1-2 Tüllenortbänder aus Blaubeuren-Asch und Hanau (Quillfeldt 1995:Taf. 107 D-E). 3 Tüllenortband aus Auvernier (Rychner 1979:Taf. 107.9). 4-6 Kelheim-Herrnsaal, Grab 27:Tüllenortband, Fragmente eines Doppelknopfes und Ringknebel (Pfauth 1998:Taf. 45.5-8). M 1:2.

beln bzw. Doppelknöpfen letztlich nicht sicher als ehemaliges Schwertzubehör deuten wollen, besonders falls im gleichen Fundkomplex auch Pfeilspitzen oder Zaumzeugteile vorhanden sind. 2.2.4 Bestattungssitten Die Nekropole von Chavéria im französischen Jura besteht aus mehreren Grabhügeln, deren Mehrzahl im Zentrum eine Körperbestattung mit Schwertbeigabe enthielt (Vuaillat 1977). Das wohl älteste davon, Grab 9, stammt noch aus Ha B und enthielt ein Schwert Typ Auvernier mit Ortband, Elementen des Schwertgurtes und einen Bronzeteller mit geperltem Rand. Ganz besondere Beachtung verdient das erst in Vorberichten veröffentlichte Grab von Saint-Romain-de-Jalionas (Verger 1990). Es handelt sich um eine Grabkammer unter einem Grabhügel, in der der Verstorbene nicht verbrannt, sondern in gestreckter Rückenlage beigesetzt worden war. Zu den Beigaben gehören ein Schwert Typ Mörigen mit Ortband und Zubehör des Schwertgurtes, ein Eisenmesser, eine Vasenkopfnadel aus Gold, ein Halsring und ein Armband ebenfalls aus Gold, ein Bronzeeimer Typ Hajdúböszörmény, ein kugeliger Bronzeschöpfer mit Schrägrand und ein flaches Bronzegefäss unbekannter Form. Es zeichnet sich also nicht nur ab, dass gegen Ende von Ha B die Luxusgüter wieder etwas häufiger in die Gräber gelangten, in Ostfrankreich wurde zu dieser Zeit auch bereits die „hallstättische“ Bestattungsweise – d.h. Kammergrab mit Körperbestattung unter einem Grabhügel – fassbar, während man im süddeutschen Raum noch in der Sitte der Urnengräber verharrte. 65

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Abb. 5 Lage des Schwertes in hallstattzeitlichen Körpergräbern. N = 64.

Abb. 6 Orientierung des Schwertes in hallstattzeitlichen Körpergräbern. N = 56.

3. Die Schwertbeigabe in der Hallstattzeit 3.1 Regelfälle und Ausnahmen Die meisten Gräber mit Ha C-Schwertern folgen bestimmten Grundregeln. Ob Körper- oder Brandbestattung, das Schwert wurde mehrheitlich direkt neben den Leichenresten niedergelegt (Gerdsen 1986: 53). Die mit Abstand häufigste Position des Schwertes in Körperbestattungen ist neben dem Oberkörper (Abb. 5). Die vorherrschenden Orientierungen der Schwertspitze sind Süd und Nord, was mit der üblichen Orientierung der Leiche mit dem Kopf Richtung Süden zusammenhängt. Im Fall der Brandbestattung liegt das Schwert im oder nahe beim Leichenbrand (Abb. 7). Die Spitze weist üblicherweise nach S bis SW, seltener in nördliche Richtung (Abb. 8). Besonders im frühen und mittleren Ha C1 ist aber ein breites Spektrum von Ausnahmen zu beobachten.

teren Bereich abgebrochen. Das Ortband und die abgebrochene Schwertspitze lagen etwas höher auf einem Stein der Kammerummauerung. Die Ausgräber hatten „den Eindruck, das Schwert sei mit seiner Spitze an der Wand abwärts gerutscht“ (Stroh 2000: 85-6). Eine ähnliche Lage mit der Spitze auf einem Stein der Kammerummauerung zeigt das Schwert aus Hollfeld-Drosendorf, Hügel 5, Erstbestattung (Ettel 1996: 224-6,Taf. 17), wobei die abgeknickte Griffzunge ebenfalls an ein Verrutschen beim Einbrechen der Kammerdecke denken lässt.

3.2 Deponierung ausserhalb der Grabkammer Im Hügel 2 von Doucier „Les Crevasses“ lag das Schwert auf der Abdeckung der Steinkiste, in die der Tote gebettet war (Gerdsen 1986: 54). In Schirndorf, Hügel 200, Zentralgrab, fand sich das Schwert in einer Lage vor, aus der zu schliessen ist, dass es ursprünglich auf der Kammerdecke niedergelegt war. Die Klinge läuft über die ehemaligen Wandbohlen und ist im un66

Abb. 7 Lage des Schwertes in hallstattzeitlichen Brandgräbern. N = 53.

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Es gibt auch mehrere Gräber des frühen Ha C1, in denen zwar Ortbänder, aber keine Schwerter gefunden wurden. Das Brandgrab von Schesslitz-Demmelsdorf (Ettel 1996: 212-8) mit Keramik, einem Eisenmesser und einem Ortband Typ Prüllsbirkig wurde von einem später in den Hügel eingebrachten Wagengrab um 15–25 cm überlagert und partienweise gestört.Auffällig ist das Fehlen des Schwertes deshalb, weil sich das Ortband im ungestörten Bereich des Grabes tiefer als die Oberkante der umgebenden Gefässe fand. Ettel (1996: 136) schlägt als These vor, das Ortband sei pars pro toto für das Schwert beigegeben worden. Möglich wäre aber auch, dass das Schwert separiert, z. B. über der Kammer mit der Brandbestattung niedergelegt und später bei der Anlage des Wagengrabes entfernt wurde. Ein zweiter dokumentierter Fall ist Frankfurt-Stadtwald „Sandhof“, Hügel 1 von 1975, wo ein Ortband Typ Büchenbach gefunden wurde, aber kein Schwert (Gerdsen 1986: Nr. 49a). Anfangs des 20. Jh. wurden sechs als Grabhügelfunde von „Wiesenacker“ bezeichnete, aber undokumentierte Fundkomplexe nach Berlin verkauft, von denen alle bis auf einen zumindest noch Reste von Eisenschwertern enthielten. Ausgerechnet der typologisch älteste Fundkomplex enthielt zwar ein Ortband Typ Dottingen, aber kein Schwert, was schon Reinecke (1901: 58) aufgefallen war.

Abb. 8 Orientierung des Schwertes in hallstattzeitlichen Brandgräbern. N = 35.

3.3 Distanzierung von den Leichenresten In mehreren Brand- und einem Körpergrab soll das Schwert nicht beim Skelett bzw. Leichenbrand gelegen haben, sondern mehr oder weniger weit davon entfernt. Zuverlässige Grabpläne sind leider nur für wenige dieser Fälle vorhanden. In Wehringen-Hexenbergle, Hügel 8, lag das Schwert in einer Ecke weit entfernt von den drei festgestellten Leichenbrandkonzentrationen (Hennig 2001: Abb. 134b). In Schirndorf, Grab 202 (Stroh 2000: 94-8), lagen Schwert und Ortband etwas vom Leichenbrand distanziert, doch ist unklar, ob das Schwert inner- oder ausserhalb der Grabkammer lag. Die besser erhaltene SW-Seite des Grabes liess nämlich eine doppelte Kammerwand erkennen, weshalb damit zu rechnen ist, dass zwischen Schwert und Leichenbrand die NW-Wand der inneren Kammer verlief. 3.4 Intentionelle Zerstörung Das Zerbrechen der Schwerter vor der Niederlegung im Grab ist seit der Mittelbronzezeit bekannt und kam auch in der Stufe Ha B3 häufiger vor (Quillfeldt 1995: 15, 19; Schickler 2001: 26, 40).Auch viele der bronzenen Hallstattschwerter sind in zerbrochenem Zustand aufgefunden worden, was verschiedentlich festgehalten, aber nie wirklich gedeutet worden ist (Schauer 1971: 196 Anm. 5; 208 Anm. 3; 212 Anm. 8; Gerdsen 1986: 54, 69). Meine Untersuchung beschränkt sich auf die Bronzeschwerter, da die meisten Eisenschwerter aus Ha C heute keinen metallenen Kern mehr besitzen, weshalb sie im Boden, bei der Bergung oder im Museum leicht in mehrere Teile zerfallen. Ausgehend von Gerdsen 1986 (mit Nachträgen) habe ich alle Bronzeschwerter aus dem Kerngebiet der Hallstattkultur aufgenommen, zu denen Angaben zum Erhaltungszustand vorliegen.Als hinderlich erwies sich, dass zerbrochene Schwerter oft ergänzt und ohne Kennzeichnung der Bruchstellen abgebildet werden. Gelegentlich widersprechen sich auch die publizierten Angaben zum gleichen Schwert. Das Schwert aus Tannheim, Hügel 22, wird im Text als „tadellos erhalten“ bezeichnet, während die Abbildung Fehlstellen und Brüche an der Griffzunge und an der Spitze zeigt (Geyr, Goessler 1910: 58,Taf. 12.4). Eine weitere Bruchstelle im oberen Klingendrittel ist erst 67

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Abb. 9 Zustand der bronzenen Hallstattschwerter aus Gräbern von Ostfrankreich bis Böhmen (nach Gerdsen 1986, ergänzt). N = 105.

auf der Abbildung bei Schauer (1971:Taf. 99.632) dargestellt. Und beim Schwert aus dem bekannten Grab 12 in Hügel 1 von Frankfurt-Stadtwald betont Willms (2002: 51, 66) zweimal, es sei bei der Auffindung intakt gewesen, ohne darauf einzugehen, wann denn die Bruchstelle im unteren Klingendrittel entstanden ist (Fischer 1979: 73; Photographie bei Willms 2002: 51). Unter den in der Statistik als „ganz“ geführten Stücken könnte sich also durchaus noch das eine oder andere zerbrochene verbergen. Ohne die Schwerter selbst in Augenschein zu nehmen, ist eine Unterscheidung von vor und nach der Bestattung entstandenen Bruchstellen kaum möglich. Oft sind die Bruchstellen durch die Restaurierung verdeckt und man müsste diese erst wieder rückgängig machen. Da die Griffzunge und die Spitze bei der Lagerung im Boden leichter abbrechen, werden entsprechende Schäden separat aufgeführt. Eine Bruchstelle im massiven Teil der Klinge dagegen scheint schwerlich durch den Erddruck allein möglich, die Klinge würde sich eher verbiegen. Denkbar ist es, wenn das Metall durchkorrodiert ist, leider ein weiteres Charakteristikum, das selten in Katalogen aufgeführt wird und heute oft unter dicken Lackschichten verborgen liegt. Von 105 aus Gräbern bzw. Grabhügeln stammenden bronzenen Hallstattschwertern werden 11% als absichtlich zerbrochen beschrieben (Abb. 9).Weitere 38% sind in mehrfach und 12% in einfach gebrochenem Zu68

stand aufgefunden worden. Nur 33% wurden ganz bzw. mit nur geringfügigen Schäden an den Enden geborgen. Gut zwei Drittel der bronzenen Hallstattschwerter könnten also zerbrochen ins Grab gelangt sein. Besonders interessant sind sechs Bronzeschwerter, deren Griffzungen antik in einer Weise repariert worden waren, dass sie nicht mehr gebrauchsfähig waren. Fünf von ihnen (83%) sind ohne grössere Schäden ins Grab gelangt, wie wenn ihre Untauglichkeit ein Zerbrechen unnötig gemacht hätte. Wertvolle Einblicke erlauben die regulär ausgegrabenen Hügel 9 (Vollgriffschwert Typ Auvernier) und 16 (Schwert Typ Gündlingen) von Chavéria (Vuaillat 1977). In beiden Gräbern lagen die Fragmente aneinandergereiht, als seien die Schwertteile in der richtigen Abfolge wieder in die Scheide geschoben worden. Es scheint, man habe die Schwerter zwar vor der Niederlegung zerbrochen, sie aber wieder so zurechtgemacht, dass es nicht zu sehen war. Nach den Schwerttypen und Ortbändern zu urteilen scheint die Fragmentierung das ganze frühe Ha C1 hindurch häufig zu sein und im mittleren Ha C1 auszulaufen. Mit Sicherheit lässt sich das aber nicht sagen, denn ab dieser Zeit nimmt der Anteil der aus Eisen gefertigten Schwerter immer mehr zu, und bei diesen müssten schon aussergewöhnlich gute Beobachtungen

Abb. 10 Cazevieille. Nach Cowen 1967: Fig. 13.

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zur Fundlage vorliegen, um ein absichtliches Zerbrechen wahrscheinlich machen zu können.Vereinzelt stösst man aber doch auf entsprechende Angaben: • Wiesloch, Brandgrab Nr. 1: „antik zerbrochenes Eisenschwert“; Fragment eines Ortbands Typ Oberwaldbehrungen. Nellissen 1975: 234-5,Taf. 47 B 5. • Mitterkirchen, Hügel II, Grab 1: Antik beraubtes Kammergrab. 5 Fragmente eines Eisenschwertes wurden entweder bereits bei der Bestattung oder dann wenige Jahre später (Extremitätenknochen z.T. noch im Sehnenverband) bei der Beraubung zerbrochen. Leskovar 1998: 91-2. • Vienne-la-Ville, Bois d’Haulzy, tumulus 21: Eisenschwert in drei nebeneinandergelegte Teile zerbrochen. Gerdsen 1986: Nr. 278a. • Vienne-la-Ville, Bois d’Haulzy, tumulus 30: Eisenschwert unter der Urne, in drei nebeneinandergelegte Teile zerbrochen. Gerdsen 1986: Nr. 278b. Leider sind die betreffenden Gräber entweder antik gestört oder unzureichend dokumentiert. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass nur bei einem einzigen Bronzeschwert eine Befundlage dokumentiert wurde, in der die Fragmente nicht aneinander gereiht lagen (Abb. 10). Allerdings gibt es nur gerade zu sieben zerbrochenen Schwertern nähere Angaben zur Lage im Grab, vier davon bei Körperbestattungen.Vom Sonderfall der bereits genannten Hockerbestattung abgesehen liegen die Schwertteile rechts neben dem Skelett, in zwei Fällen neben dem Oberkörper und mit der Spitze neben dem Kopf.Waren sie – wie für das Schwert Typ Auvernier aus Chavéria, Hügel 9 vorgeschlagen – zerbrochen in die Scheide geschoben und als scheinbar intakte Waffen mit ins Grab gelegt worden?

Abb. 11 Frankfurt-Stadtwald-Eichlehen, Hügel 1, Grab 12. Genordeter Plan nach Fischer 1979: Plan 7.

3.5 Verkehrung

3.6 Lage der Schwerter in latènezeitlichen Körpergräbern

In 56 Körperbestattungen wird die Orientierung des Schwerts relativ zum Skelett angegeben. In 28 – also genau der Hälfte der Fälle – zeigte die Spitze zu den Füssen, bei den übrigen in Kopfrichtung. Es ist nicht anzunehmen, dass dies die Position war, in der das Schwert im Alltag getragen wurde. Denkbar wäre, dass es sich um eine kampfbereite Stellung handelte, was aber mit der Beobachtung kollidiert, dass ein allfälliges Ortband auch in diesen Fällen an der Spitze des Schwerts liegt (z. B. Abb. 11), als wenn dieses in der Scheide stecken würde.

Die in Ha C häufigste Position – neben dem rechten Arm – dominiert auch in der Latènezeit (Lorenz 1978: 115-26; Pleiner 1993: 43; Demoule 1999: 188), allerdings mit dem Unterschied, dass in der Latènezeit die Spitze fast immer zu den Füssen weist. Sie entspricht damit nicht der von Strabo (Geogr. IV, 4) und den antiken Bildquellen belegten Tragweise von der rechten Hüfte abwärts. Für eine systematische Zusammenstellung latènezeitlicher Schwertgräber ist hier kein Platz und so belasse ich es bei Beispielen aus drei Gräberfeldern mit jeweils mindestens zehn dokumentierten 69

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Körperbestattungen mit Schwertbeigabe. In Münsingen-Rain (Hodson 1968) ist bei 16 Gräbern die Lage des Schwertes dokumentiert worden: • 8 x neben dem rechten Arm, Griff an der Schulter (Grab 50, 55, 56, 72, 86, 91, 98 und 146) • 4 x neben dem rechten Arm, Griff nahe beim Ellenbogen (Grab 28, 78, 79, 80) • 2 x rechts neben dem Oberschenkel, Griff zwischen Arm und Hüfte (Grab 10 und 138) • 2 x neben dem linken Arm (Grab 45 und 183) Nur in 2 von 16 Fällen (Grab 10 und 138) könnte das Schwert tatsächlich der Leiche umgegürtet gewesen sein, doch bei Grab 10 liegen die Koppelringe alle um den Schwertgriff versammelt.Aus Manching-Steinbichel (Krämer 1985: 71-91) ist zu 11 Schwertern die Position des Schwertes beschrieben, die Befunde wurden jedoch weder gezeichnet noch photographiert: • 3 x beim rechten Arm (Grab 10, 15 und 20) • 4 x allgemein „rechts“ (Grab 16, 35, 36 und 40) • 3 x am rechten Oberschenkel (Grab 27, 34, 38) • 1 x am linken Arm (Grab 21) Die Zahlenverhältnisse sind ähnlich, aber etwas ausgeglichener als in Münsingen-Rain.Aus den bisher publizierten Gräbern am Dürrnberg bei Hallein (Penninger 1972; Moosleitner, Pauli, Penninger 1974) liegen 15 Gräber publiziert vor, bei denen die Lage des Schwertes mit einiger Sicherheit bekannt ist: • 2 x zwischen rechtem Arm und Körper (Grab 39/2, 84 und 145) • 1 x neben dem rechten Arm (Grab 46/2) • 6 x neben dem rechten Oberschenkel (Grab 10/1, 13, 27, 28/2, 29 und 46/1) • 3 x über dem rechten Oberschenkel (Grab 16/1, 44/2 und 48/2) • 3 x neben dem linken Oberschenkel (Grab 9, 10/2 und 44/1) • 1 x unter dem linken Arm (Grab 102 neu) Verglichen mit den beiden vorherigen Gräberfeldern kehrt sich am Dürrnberg das Verhältnis zwischen Niederlegung bei den Beinen und neben den Armen praktisch um. Welche davon tatsächlich auch umgegürtet gewesen sind, muss offen bleiben. Bei den Gräbern 9 und 46/2 lagen jedenfalls die Schwertketten zusammengelegt um den oberen Teil des Schwertes. 70

Kopfregion

28

58.3 %

Oberkörper

1

2.1 %

Arm

2

4.2 %

„an der Seite“

4

8.4 %

Hand

6

12.5 %

Hüfte

6

12.5 %

Fuss

1

2.1 %

Total

48

100.0 %

Abb. 12 Lage der Dolche in den mittelbronzezeitlichen Gräbern der Schwäbischen Alb (nach den Angaben in Pirling 1980).

3.7 Fazit Während der Eisenzeit werden die Schwerter fast nie so im Grab niedergelegt, wie sie getragen wurden. Dies ist die Fortsetzung eines Phänomens, dass sich bereits bei den Dolchen der Mittelbronzezeit findet (Abb. 12). Bei den späturnenfelderzeitlichen Vollgriffschwertern lassen Abriebspuren auf eine schräge Aufhängung an der linken Körperseite schliessen, die sich in den Gräbern so nicht widerspiegelt (Quillfeldt 1995: 21-22). Sogar die Spathen der Merowingerzeit werden meist neben dem Oberkörper deponiert, was zwar immer wieder bemerkt (z. B. Haas-Gebhard 1998: 19), aber meines Wissens nie systematisch untersucht und gedeutet wurde. Über alle Zeiten hinweg zeichnet sich somit eine Gemeinsamkeit ab: Das Schwert wird dem Toten nicht umgegürtet. Er geht somit zwar nicht ohne Waffen aus der Welt der Lebenden, aber auch nicht als kampfbereiter Krieger. Im Fall der Schwertgräber der Stufe Ha C kommen weitere Ungereimtheiten hinzu.

4. Schwertgräber = Kriegergräber? 4.1 Wo ist das Schwertzubehör? Um ein Schwert zu tragen benötigt man eine Scheide mit Halterung, ein oder zwei Schwertgurte und evtl. noch Riemen, die Scheide und Schwertgurte miteinander verbinden. Die Verschlüsse und Riemenkreuzungen können dabei mit Metallteilen versehen sein. Soweit die Theorie, aber wie präsentiert es sich im archäologi-

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Abb. 13 Aufbau hallstattzeitlicher Schwertscheiden nach den Untersuchungen von R.-D. Blumer (in: Zürn 1987: 124–6,Abb. 32–3).A Holzschalen mit doppelter Stoffumwicklung (GomadingenSteingebronn, Hügel 1 von 1899, Zentralgrab). B Holzschalen mit Lederumwicklung (Messstetten-Hossingen, Hügel 2 von 1867, Bestattung 2). M 1:1.

schen Befund hallstattzeitlicher Schwertgräber? Die vor allem im frühen und mittleren Ha C1 häufigen Ortbänder aus Metall sassen an der Spitze der Scheide, von der sich meist nur Spuren erhalten haben. In gut dokumentierten Fällen ist zwischen Schwertspitze und Ortband öfters ein gewisser Abstand zu beobachten: - Dompierre-les-Tilleuls, tumulus de Planquecet n° 4 (Bichet, Millotte 1992: fig. 13) - Schirndorf 202 (Stroh 2000:Abb. 51) - Remseck-Neckarrems (Biel 1980:Abb. 16) Das muss nicht heissen, dass die Schwerter nicht oder nur unvollständig in die Scheide geschoben waren.Vermutlich waren die Scheiden einfach ein wenig länger als die Klinge. Über die Form der Scheiden ist wenig bekannt. Mehrfach nachgewiesen wurden dünne Holzreste auf der Klinge, die mit einem Streifen aus Leinenoder Wollstoff umwickelt waren (Kossack 1970: 16-7; vgl. Gerdsen 1986: 48 Anm. 442). Solche Beschreibungen wirken wenig stabil und Gerdsen (1986: 48) mochte deswegen auch mehr von „Schutzvorrichtungen“ als von Scheiden sprechen. Die in Zürn (1987: 124-6)

versteckt publizierten Untersuchungsergebnisse von R.-D. Blumer an Schwertern im Württembergischen Landesmuseum in Stuttgart zeigen dagegen eine tauglichere Konstruktion (Abb. 13), die mit zwei dünnen Holzschalen den Aufbau von Metallscheiden an Ha DDolchen und Latèneschwertern vorwegnimmt. Die Schalen sind üblicherweise vom Heftansatz bis hinunter zur Spitze spiralig mit einem – wahrscheinlich von Klebstoff durchtränkten – Stoffband umwickelt, in einem Fall auch mit Leder. Eine andere Frage ist die der Schwertaufhängung. Die von Gerdsen (1986: 48 Anm. 446-7) genannten Knebel oder Ösen in unmittelbarem Zusammenhang mit Ha C-Schwertern sind fast alle zweifelhaft. Einzig die beiden Ösen von Siems, Hügel II, machen als Scheidenbeschläge zum Durchziehen von Verbindungsriemen Sinn (Sprockhoff 1931: Taf. 24.14), fanden sich aber weit ausserhalb des eigentlichen Hallstattgebietes. Kleine, schlichte Ringe aus Bronze oder Eisen sind in Schwertgräbern häufiger angetroffen worden, nur gibt es kaum einen dokumentierten Fall, in dem sie direkt beim Schwert gelegen hätten. In Gomadingen-Steingebronn, Hügel 1 von 1899 (Sixt 1899: 33) fanden sich zwei Eisenringe (Abb. 14), die von der Form her zur Aufnahme der Verbindungsriemen an der Scheide hätten befestigt sein können. Nach einem Abdruck am Schwert lag der eine davon seitlich an der Scheide, 22.5 cm oberhalb der Schwertspitze. Ein ähnlicher Befund wurde für das noch unpublizierte Schwertgrab von Remseck vermeldet (R.-D. Blumer in Zürn 1987: 125), und in Frankfurt-Stadtwald lag an ähnlicher Position eine Zierscheibe unter der Klinge (Willms 2002: 71). Sollte tatsächlich ein Riemen so nahe an der Spitze angesetzt haben, dann dürften die Schwerter schräg getragen worden sein. Unter den ca. 600 Schwertgräbern der Stufe Ha C sind nur deren drei bis vier bekannt, bei denen Stücke

Abb. 14 Gomadingen-Steingebronn, Hügel 1 von 1899, Zentralgrab: Ringösen von der Schwertscheide. Zürn 1987:Taf. 231A.2-3.

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der Scheidenaufhängung erhalten sind.Teile, die auch nur mit einiger Wahrscheinlichkeit dem Schwertgurt zugerechnet werden können, sind überhaupt noch nicht gefunden worden. Dies steht in hartem Kontrast zu den Schwertgräbern der vorangehenden und der nachfolgenden Periode.Von 24 Vollgriffschwertern aus Gräbern der Stufe Ha B3 sind trotz ihrer oft zufälligen Entdeckung doch deren 8 (33%) zusammen mit Teilen des Schwertgehänges geborgen worden. Besonders kennzeichnend sind die Ringknebel, die in Chavéria 9 und in SaintRomain-de-Jalionas auch in ihrer Lage festgehalten werden konnten: Ein Knebel und mehrere Ringe lagen kurz unter dem Heft, der zweite Knebel mit weiteren Ringen um die Klingenmitte (Vuaillat 1977: Fig. 28; Jospin 2002: 24), was auf eine schräge Aufhängung schliessen lässt. Dass sog. „Koppelringe“ zur Standardausrüstung frühlatènezeitlicher Schwertgräber zählen, darf ich wohl als bekannt voraussetzen. Man kann zu Recht einwenden, dass ein Schwertgurt keine Metallteile umfassen muss, da er allein aus organischen Teilen gefertigt werden kann.Aus der Abwesenheit solcher Teile im archäologischen Befund ergibt sich deshalb nicht zwingend ihre Abwesenheit im Grab.Aber auch das Riemenwerk des Pferdezaumzeugs und -geschirrs könnte nur aus organischen Materialien gefertigt werden, und doch enthielt es gerade während Ha C besonders oft und zahlreich Ringe, Riemenverteiler und sonstige Zierteile aus Metall (rich horse gear bei Pare 1992: Fig. 100). Schlüsse ex silentio sind immer heikel, doch sind die Schwertgurte nicht das einzige, was zu fehlen scheint. 4.2 Wo sind die Schutzwaffen? Dem Westhallstattkreis sind Schutzwaffen als Grabbeigabe fremd. Die westlichsten Fundstellen von Helmen sind Hallstatt und Mitterkirchen, also Gräberfelder, in denen West- und Osthallstättisches zusammenkommt. In Europa westlich dieser Orte finden sich keine Helme, Panzer, Herzschutzplatten, Beinschienen und Schildbeschläge, weder in hallstattzeitlichen noch in bronzezeitlichen Gräbern. Erst ab der frühen Latènezeit sind Helme und Schilde im Grab nachgewiesen. Die Helme wurden aber nie am Kopf vorgefunden, sondern waren meistens bei den Beinen oder Füssen niedergelegt (Schaaff 1973: passim). 72

4.3 Wo sind die Kampfverletzungen? In den informellen Gesprächen während der Tagung in Linz kam die Sprache auch auf den Umstand, dass im Vergleich zu frühmittelalterlichen Gräberfeldern in prähistorischen Zeiten der Anteil an „Kriegern“ mit Kampfverletzungen am Skelett gering sei.Verlässliche Zahlen habe ich keine gefunden, kann aber zumindest darauf verweisen, dass mir bei meinen Recherchen kein sicherer Einzelfall begegnet ist. Ob das nur an der oft schlechten Erhaltung der Knochen liegt, ist zumindest zu bezweifeln. Für die spätkeltische Zeit gibt es eine Erklärung für dieses Phänomen. Nach dem altbritannischen und keltiberischen Kriegerideal wurden die Gefallenen auf dem Schlachtfeld den Geiern bzw. Raben zum Frass liegen gelassen, damit die Seele leichter zu den Göttern aufsteige (Birkhan 1997: 164, 845). Ähnliches beschreibt Pausanias für die Galater in Kleinasien, deutet es aber als Massnahme zur Einschüchterung der Feinde und als Zeichen keltischer Pietätlosigkeit.Vergleichbare Vorstellungen dürften verbreiteter gewesen sein, als uns die schriftliche Überlieferung allein schliessen lässt. Die Vogelskulptur aus dem Heiligtum von Roquepertuse (Lescure 1995:Abb. 75) ist anhand der Form von Schnabel, Kopf und Hals sowie der langzehigen, bekrallten Füsse ornithologisch als Geier zu bestimmen. In Verbindung mit den „Kriegerstatuen“ und dem Schädelkult in diesem Heiligtum ist er als Hinweis auf ein ähnliches Ideal im Süden Frankreichs zu werten. Auch nordfranzösische Befunde wie in Ribemont-surAncre (Brunaux 1995; 1996: 166-7) und die zahlreichen Funde menschlicher Skelette, Schädel oder Gliedmassen in mittel- und spätlatènezeitlichen Siedlungen finden im Glauben, eine Seele könne auch ohne Bestattung des Körpers ins Jenseits gelangen, Ansätze einer Deutung. Vögel waren ein geläufiges Motiv in der Latènekunst, auch wenn sich nur ein kleiner Teil ornithologisch zuordnen lässt (z. B. Megaw 1981). Oft kann nur grob zwischen Wasser- und Greifvögeln unterschieden werden.Wasservögel sind zwar rund dreimal häufiger an Fibeln zu finden als Greifvögel (Binding 1993: 98-101, Listen 19-22), trotzdem sind Greifvogelköpfe das häufigste figürliche Element, das in Kombination mit anthropomorphen Elementen wie Masken und Schuhen auftritt (Binding 1993:Abb. 38 und 54). Besonders auf-

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schlussreich sind Vexierspiele, bei denen von oben eine menschliche Maske und von der Seite ein Greif- (Binding 1993:Taf. 3.9; 4.5; 5.4-5; 33.14; 36.5) oder Wasservogelkopf (Binding 1993:Taf. 7.3-5; 18.9) zu erkennen ist. Sie könnten Verwandlungen von Menschen oder Göttern in Tiere symbolisieren, ein Motiv, das in zahlreichen westkeltischen Sagen enthalten ist. Die Metamorphose Mensch–Vogel gehört dabei nicht nur zu den häufigsten, sondern sie geschieht auch fast immer im Zusammenhang mit dem Tod und der Anderwelt (Green 1992: 171-81). Symbolisiert vielleicht das Wechselspiel Mensch–Vogel die Dualität von sterblichem Leib und unsterblicher Seele, von Diesseits und Jenseits? Wie weit könnte nun eine Sonderbehandlung der im Kampf Gefallenen zurückreichen? Aus der Zeit vor Lt B fehlen schriftliche Überlieferungen und archäologische Hinweise bleiben spärlich und mehrdeutig. Zwar wurden in der Themse und in einigen niederländischen Flüssen an denselben Stellen, an denen bronzezeitliche Waffen gefunden wurden, oft auch menschliche Schädel geborgen, von denen ein Teil nach 14C-Bestimmungen in den gleichen Zeitbereich gehört (Bradley 1990: 108-9). Ob es sich dabei um eine spezielle Form der Bestattung oder aber um gleichzeitige bzw. unzusammenhängende Opfervorgänge handelt, bleibt offen. So kann vorläufig nur festgehalten werden, dass für die Bronze- und Hallstattzeit positive Hinweise auf eine Sonderbehandlung von Gefallenen fehlen. Aber ebenso fehlen bislang Skelette mit sicheren Kampfverletzungen. 4.4 Schwerter als Waffen? Immer wieder wird diskutiert, inwieweit die hallstattzeitlichen Schwerter zum Kampf tauglich waren. Besonders die Pilzknäufe werden als hinderlich beim Fechten beurteilt (Schickler 2001: 25). Zudem gibt es mehrere Schwerter, die im Überfangguss repariert sind und sicherlich keinen harten Schlag heil überstanden hätten (Schauer 1971: Nr. 608, 616, 618, 635, evtl. auch 636; Eisenschwert von Gomadingen bei Zürn 1987: 125). Andere Eigenschaften als die Kampftauglichkeit scheinen wichtiger gewesen zu sein. Betrachtet man ausserdem die Lage und Behandlung der Schwerter im Grab zusammen mit dem Fehlen von Schwertzubehör, Schutzwaffen und Kampfverletzun-

gen, so sollte man Abstand davon nehmen, diese automatisch als „Kriegergräber“ zu bezeichnen. Es war offenbar wichtig, dass die Waffe mit ins Grab kam, aber es fehlen fast alle übrigen bei einem Kämpfer zu erwartenden Attribute.Wie es Sievers (1982: 105) für die Dolche und Lanzen der Stufe Ha D vorschlug, scheint es sich bei den Ha C-Schwertern um „Abzeichen“ zu handeln (s. a. Schickler 2001: 24-5).

5. Die Bedeutung der Waffenbeigabe Wenn nun das Schwert nicht allein auf den Aspekt des Kampfes reduziert werden kann, stellt sich die Frage, was es im Grab denn sonst vorstellen soll. Eine eindeutige Antwort lässt sich nicht geben, es soll nun aber zumindest ein bestimmtes Feld eingegrenzt werden. 5.1 Das Grab als „Sozialindex“ Menschen nehmen mehrere soziale Rollen auf einmal wahr und wechseln diese auch immer wieder im Laufe ihres Lebens. Im Verwandtschaftsbereich wird das besonders augenfällig, indem ein Mann z. B. gleichzeitig Vater, Bruder, Sohn, Onkel, Neffe und Schwager sein kann. Die soziale Rolle eines Individuums wechselt also in Abhängigkeit davon, mit welchen Leuten die Interaktion stattfindet. Dasselbe gilt z. B. auch im wirtschaftlichen Leben, wo dieselbe Person den einen Leuten als Schuldner und den andern als Gläubiger entgegentritt. Wird aber in der Archäologie von sozialen Rollen gesprochen, dann sind normalerweise nicht jene gemeint, die von individuellen Beziehungen abhängen, sondern jene, die „gesamtgesellschaftlich“ gelten. An diesem Punkt ist es wichtig, auf die Unterscheidung zwischen Sozialstruktur und sozialer Organisation hinzuweisen (u. a. Morris 1987: 39). Die Sozialstruktur ist die gedachte Ordnung der Gesellschaft, d. h. eine Art Ideologie.Auf das Individuum übertragen bedeutet dies Rollenideale. Auf diese bezieht sich der „Status“. Die soziale Organisation dagegen beinhaltet die tatsächlichen Beziehungsmuster und Interaktionen zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft, also die Art und Weise, wie ein Individuum seine sozialen Rollen ausfüllt und für seine eigenen Bedürfnisse instrumentalisiert. Im Extremfall kann das dazu führen, dass die Kurtisane des Königs mehr Einfluss auf die Staatsgeschäfte hat als alle Minister zusammen. 73

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Neben „Status“ bzw. „Rang“ wird in der Archäologie oft auch dem „Prestige“ eine zentrale Funktion eingeräumt, ein Wort, das bezeichnenderweise in vielen Wörterbüchern zur Sozialanthropologie fehlt. Mit diesem vom lat. praestigiae (=Blendwerk, Gaukelei) abgeleiteten Begriff ist das Ansehen, die soziale Wertschätzung einer Person gemeint, zu der eine Vielzahl von Faktoren beitragen: Status, wirtschaftliche Potenz, Charisma, persönliche Fähigkeiten, frühere Leistungen,Abstammung, Verwandtschaft, Beziehungen, Klientel, Besitz von Gütern mit immateriellem Wert etc. In segmentierten oder hierarchischen Sozialstrukturen legt der Status bzw. der Rang normalerweise einen engen Bereich fest, innerhalb dessen Prestige überhaupt in sozialen Einfluss umgemünzt werden kann. Prestige dient in erster Linie der sozialen Differenzierung gegenüber Gleichrangigen, den peers. Es ist damit ein wichtiger Faktor in der sozialen Organisation, hat aber kaum Einfluss auf die Sozialstruktur. Damit ist auch klar, dass „Statussymbol“ und „Prestigegut“ zwei verschiedene soziale Funktionen von Gegenständen bezeichnen. Das erste symbolisiert den Status einer Person in der Gesellschaft, das zweite mehrt deren Prestige innerhalb ihrer sozialen Gruppe. Es ist gut möglich, dass ein Statussymbol aufgrund besonderer Materialien, aufwändiger Herstellung, seiner Herkunft oder seiner Geschichte das Prestige seines/seiner Besitzer/in gegenüber den Gleichrangigen erhöht. Dass man aber durch den Erwerb eines Prestigegutes seinen Status verändert, gehört zu den Ausnahmen (contra Hardt 2003: 415). Ein Zuhälter bleibt ein Zuhälter, auch wenn er Armanianzüge trägt und sich im Bentley umherchauffieren lässt. Ebenso hilft es wenig, sich ein Statussymbol anzueignen, wenn man nicht dazu berechtigt ist. Ein Vorfall wie jener um den Hauptmann von Köpenick konnte nur für einige Stunden funktionieren, und war einzig in einer Anonymität möglich, wie sie die städtische Industriegesellschaft Berlins zu Beginn des 20. Jh. bot. Welche sozialen Rollen werden nun in den Gräbern dargestellt? Morris (1987: 39) folgt Leach (1954) dahingehend, dass im Ritual und damit auch im Grab nicht die soziale Organisation, sondern primär die Sozialstruktur zum Ausdruck gebracht wird. Doch auch in diesem Bereich findet eine Selektion statt, indem die verstorbene Person nicht in sämtlichen ihrer idealisierten Rollen dargestellt wird; also nicht als Tochter und 74

Schwester und Gemahlin und Mutter und versierte Weberin und gestrenge Hausverwalterin und politische Ränkeschmiedin, sondern vielleicht als Witwe in ihrer durch jahrzehntelangen Gebrauch beschädigten und dezimierten Hochzeitstracht. Sogar der Beruf wird selten durch Beigaben angezeigt. Im Grab wird also nur ein ganz enger Bereich der Sozialstruktur abgebildet. Es ist aber oft dieser verallgemeinerte Status, der in der lebenden Gesellschaft mit Symbolen dargestellt wird, die auch mit ins Grab gelangen können. Bestanden sie aus dauerhaftem Material, so haben wir gute Chancen, sie zu finden. Status wird aber oft durch Vergängliches ausgedrückt, sei es durch eine Kopfbedeckung, durch ein Muster am Mantelsaum oder durch eine bestimmte Frisur: sofort ersichtlich im Alltag, aber auf dem Scheiterhaufen oder unter der Erde rasch vergangen. Neben dem Status können sich auch wirtschaftliche Potenz („Reichtum“), evtl. auch Prestige im Grab spiegeln.Welche Beigaben und Grabmerkmale aber wofür stehen, ist noch nicht untersucht worden. Die bisher vorherrschende Tendenz, alle möglichen Merkmale eines Grabes zu einem einzigen „Sozialindex“ zu verkochen, wird diese Nebel nicht zu lichten vermögen. Reichtum dürfte sich weniger in den Beigabenklassen und mehr in Menge, Grösse und handwerklicher bzw. materieller Qualität der Beigaben spiegeln. Status und Reichtum sind aber nicht einfach zu trennen. Ein Grossgefäss mit darin befindlichem Schöpfer kann als Symbol für eine gastgeberische Funktion der verstorbenen Person stehen, die an eine bestimmte Position im Leben, also den Status, geknüpft war.Auch die Kombination von Fleischbeigabe und Messer könnte das Verteilen von Speisen als gastgeberische Aufgabe symbolisieren. Ob aber Grösse und Anzahl solcher Gefässkombinationen bzw. die Grösse des Fleischstücks mit dem Status oder mit dem Besitzstand verknüpft waren, müsste erst noch anhand anderer möglicher Statuszeiger an einer grösseren Anzahl Gräber geprüft werden. Gänzlich unklar ist, in welcher Form Prestige im Grab zum Ausdruck kommen kann. Ein hohes Prestige der verstorbenen Person dürfte primär die Zahl der Teilnehmer am Begräbnis erhöht haben. Die Beigaben allerdings vermitteln in keiner prähistorischen Epoche den Eindruck, dass sie Stück für Stück von den Trauergästen mitgebracht worden wären. Nur wenn z. B. die

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Mitarbeit am Grabhügel eine Form war, seine Anteilnahme auszudrücken, liesse sich Prestige an dessen Grösse ablesen.Aber eben nur wenn. Nicht vergessen sollten wir, dass Status abseits des Grabes oder durch das Begräbniszeremoniell in einer Form ausgedrückt werden kann, die sich nicht im Grab niederschlägt. Zudem kann es sein, dass eine Personeninszenierung bei der Bestattung als unnötig oder gar als ungehörig gegolten hat. Es ist deshalb schwierig zu entscheiden, ob geringe Ausstattungsunterschiede auf eine geringe soziale Differenzierung zurückzuführen oder ideologisch begründet sind. Umgekehrt ist unklar, ob man z. B. die späthallstattzeitlichen „Fürsten“ als Profiteure einer neu entstandenen, hierarchischen Sozialstruktur begreifen darf, oder ob sich in einigen Gebieten einfach die Art und Weise gewandelt hat, Status und Reichtum im Grab zu präsentieren (vgl.Trachsel 2004: 331-2). Es ist schon heikel genug, innerhalb einer Epoche aus Form, Grösse und Beigaben der Gräber Thesen zur funeralen Darstellung sozialer Unterschiede abzuleiten; periodenübergreifend begibt man sich mit solchen Überlegungen erst recht auf dünnes Eis. Betrachtet man Art und Menge der Beigaben als generellen Massstab für den Rang der damit bestatteten Person, so suggeriert der Kontrast zwischen den Urnenfeldern und den frühhallstattzeitlichen Schwertund Wagengräbern das Bild eines plötzlich explodierenden Reichtums und neu entstehender sozialer Hierarchisierung (Verger 1990; Clausing 1999: 410). Eine ideologisch begründete zeitweise Ausgliederung der Reichtums- und Statuszeiger aus dem Grab – wie sie die allmähliche Ausgliederung der Statuszeiger aus dem Grabzusammenhang während Bz D/Ha A und deren allmähliche Annäherung in Ha B3/Ha C1 nahelegt – könnte uns aber soziale Prozesse vorgaukeln, die gar nicht stattgefunden haben (Winghart 1998: 371). Der tatsächlich vorhandene Reichtum und Status der Verstorbenen und ihrer Angehörigen setzt letztlich nur eine Obergrenze für den Bestattungsaufwand. Inwieweit dieser „Kreditrahmen“ tatsächlich ausgeschöpft wird, hängt von einer Reihe anderer, nicht zuletzt auch ideologischer Faktoren ab. Insbesondere sollte man nicht vergessen, dass der Aufwand für die öffentlich sichtbaren und damit zum Prestigegewinn besser instrumentalisierbaren Begräbnisfeierlichkeiten jenen für das Grab und seine Ausstattung um ein vielfaches übersteigen können, ohne evidente Strukturen hinterlassen

zu müssen. Die „polynesische Schweinebraterei“ am Fusse des Hochdorfer Grossgrabhügels (Biel 2001) findet sich fast identisch auch in bronzezeitlichen Kontexten (z. B. Klein 1987: Abb. 45), was uns die Augen für andere latente Strukturen öffnen könnte. 5.2 Schwerter als Statussymbole in Ha C Waffen wurden entwickelt, um andere Lebewesen – insbesondere andere Menschen – zu verletzen oder zu töten, äusserst einschneidende Aufgaben innerhalb einer Gesellschaft. Sie eignen sich deshalb besonders gut als Symbole für Ideen und soziale Funktionen, die die gesellschaftliche Ordnung festlegen und durchsetzen. Das Recht,Waffen zu tragen ist zugleich das Recht, sich und andere zu verteidigen, also ein Zeichen persönlicher Selbstbestimmung, und als solches in jeder Gesellschaft streng reglementiert.Wehrfähigkeit und politische Mitbestimmung sind oft miteinander verknüpft und finden in der Waffe ein gemeinsames Symbol. Politische Versammlungen fanden deshalb oft mit Waffen statt. So berichtet es Tacitus für die Germanen, und so war es auch am skandinavischen Thing. Im Kanton Appenzell Innerrhoden kamen bis vor wenigen Jahren alle Bürger mit einem „Säbel“ (meistens ein Degen) an die Landsgemeinde, der faktisch als Stimmrechtsausweis galt. Die Waffe wurde nicht umgegürtet – man ging ja nicht in den Kampf – sondern frei und ungezwungen in der Hand getragen. Seit der Einführung des Frauenstimmrechts sind die Stimmrechtsausweise aus Papier, aber traditionsbewusste Männer nehmen immer noch den Säbel mit. Für die keltische Region sind die Angaben weniger klar. Das armatum consilium des Indutiomarus wird von Caesar als traditionelle, gallische Form der Kriegserklärung erläutert (DBG V 56). Ob man daraus schliessen darf, dass die anderen Versammlungen ohne Waffen stattfanden, ist aber zweifelhaft (vgl. Brunaux, Lambot 1987: 19-20). Nach Caesar (DBG VI 13f.) sollen sogar die vom Kriegsdienst ausgenommenen Druiden mit Waffen um das höchste Amt gekämpft haben, wenn Wahlen zu keiner Entscheidung führten. Militärische Macht ist immer auch politische Macht, weshalb Waffen oft zu Insignien der Herrschaft wurden. Rund um den Globus finden sich Waffen zudem als Zeichen der Gerichtsbarkeit, der sprichwörtlich „ganzen Schärfe“ des Gesetzes. Waffen können also 75

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Schirndorf 42 Schirndorf 67 Schirndorf 110 Schirndorf 200 Schirndorf 202 Grosseibstadt I/1 Grosseibstadt I/2 Grosseibstadt I/3 Grosseibstadt I/4 Grosseibstadt I/5 Grosseibstadt I/7 Grosseibstadt II/2 Grosseibstadt II/4 Grosseibstadt II/6 Grosseibstadt II/14 Grosseibstadt II/17 Grosseibstadt II/19 Grosseibstadt 1991 Untereggersberg 26 Untereggersberg 29 Untereggersberg 31 Untereggersberg 35 Untereggersberg 73 Tannheim 6 Tannheim 8 Tannheim 9 Tannheim 11 Tannheim 13 Tannheim 16 Tannheim 18 Tannheim 21 Tannheim 22 Hradenín 1 Hradenín 5 Hradenín 9 Hradenín 12 Hradenín 14 Hradenín 18 Hradenín 20 Hradenín 22 Hradenín 24 Hradenín 26 Hradenín 30 Hradenín 31 76

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Wagen X X X X X X X X X X X X ? X X X -

Zaumzeug X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X

Schwert X X X X X X Dolch Dolch (weibl. Beigaben) (weibl. Beigaben) X X X X X X X (weibl. Beigaben) Lanze Lanze X Lanze

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Hradenín 33 Hradenín 36 Hradenín 46 Hradenín 48 Hradenín 50 Hradenín 51 Hradenín 57 Hradenín 58 Hradenín 59

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Abb. 15 Kombination von Schwertern,Wagen- und Zaumzeugteilen in Ha C-zeitlichen Gräberfeldern. Schirndorf: Stroh 1979; 1988; 2000a; 2000b. Riedenburg-Untereggersberg: Nikulka 1998. Grosseibstadt:Trachsel 2004: 355-6 mit weiterer Literatur.Tannheim:Trachsel 2004: 379-80 mit weiterer Literatur. Hradenîn:Trachsel 2004: 391-3 mit weiterer Literatur.

nicht nur den politisch mündigen Bürger, sondern auch Herrscher, Richter und sonstige Amtsträger kennzeichnen.Welche dieser Aspekte dargestellt werden sollten, lässt sich mit archäologischen Mitteln kaum bestimmen. Zum Schwert ist anzumerken, dass es durch alle Zeiten hindurch zu den seltensten Waffen gehört und demnach auch innerhalb der Waffenträger einen besonderen Status anzeigen dürfte. Anders als z. B. Lanzenspitzen wird es auch durchwegs nur einzeln mitgegeben, was seinen Symbolcharakter unterstreicht. Für Ha C im westlichen Hallstattkreis ist ganz besonders hervorzuheben, dass erst in den späten Abschnitten überhaupt andere Waffen als Schwerter ins Grab mitgegeben wurden, wenn man von vereinzelten Lanzenspitzen in den Grenzgebieten zum Osthallstattkreis absieht. Erst die Dolche lösen in Ha C2 allmählich die Schwerter ab. Eine Möglichkeit zur genaueren Eingrenzung der Position der Schwerträger ist die Gegenüberstellung mit anderen wahrscheinlichen Statuszeigern, was an einer Auswahl von Gräberfeldern durchgespielt werden soll (Abb. 15). Paariges Zaumzeug scheint das häufigste Statussymbol zu sein, das vereinzelt auch bei Frauen vorkommt. Fast in jedem Schwertgrab fanden sich auch Zaumzeugteile, nur Schirndorf ist eine Ausnahme, da dort zwar fünf Schwertgräber, im gesamten Gräberfeld aber kein einziges Grab mit Zaumzeug- oder Wagenteilen nachgewiesen ist. Wagenteile (18 Gräber) finden sich häufiger zusammen mit Zaumzeug im Grab, als Schwerter und Dolche (12 Gräber). Hingegen stammen nur 5 der 10 Schwerter aus Gräbern mit Wagenteilen. Persönlich neige ich dazu,Wagenbeschläge aus Metall als Zeichen

des Reichtums und nicht des Status’ anzusehen, da es genügend Hinweise gibt, dass in Gräbern mit paarigem Zaumzeug auch ein einfacher Wagen ohne Beschläge stand (vgl. Mansfeld 1984: 26; contra Pare 1992: 198). Von den hier aufgeführten 46 Gräbern mit Zaumzeug enthielten 9 ein Schwert und 2 weitere einen Dolch. Das ergäbe einen Schwert- bzw. Dolchträger auf 4 Gräber mit Pferdegespann.Wenn wir im Pferdegeschirr ein Symbol zu sehen gewillt sind, das nur ab einem bestimmten Status mit ins Grab gegeben wurde, dann fassen wir mit den Schwertträgern wohl bereits den nächsthöheren Rang. Eine zweite Möglichkeit zur Eingrenzung der Ranghöhe ist die relative Häufigkeit der Schwertgräber in Nekropolen, in denen von der Brandschüttung bis zur zentralen Grabkammer alle Gräberklassen vertreten sind. In Schirndorf kommen auf geschätzte 200–300 Ha C-zeitliche Bestattungen 5 Schwertgräber. Nur eine von 40–60 Personen, die in diesem Gräberfeld bestattet wurden, erhielt ein Schwert mitgegeben. Das ist eine Grössenordnung, die sich auch aus dem jeweils einen Schwertgrab in den nicht gerade kleinen Gräberfeldern von Riedenburg-Untereggersberg und Unterlunkhofen (51 untersuchte Hügel; Lüscher 1993: 11) erschliessen lässt. Aufgrund des chronischen Kinder- und Jugendlichendefizits in hallstattzeitlichen Gräberfeldern ist dieser Wert beim Umrechnen auf die Lebendbevölkerung mindestens zu verdoppeln. Wir dürfen deshalb mit Sicherheit davon ausgehen, dass im Konfliktfall ein bedeutend grösserer Teil der Bevölkerung zum Kampf aufgeboten wurde, als nur gerade die Schwertträger.Wenn man schon den kriege77

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rischen Aspekt betonen möchte, dann wohl weniger den des Kriegers als den des Anführers. Und falls wir mit den Schwertträgern tatsächlich eine Form von Anführer fassen, dann wäre dieser vom Zahlenverhältnis her über dem eines Familienoberhaupts anzusiedeln: in einer segmentären Gesellschaft wohl auf der Ebene der Sippe oder des Clans, in komplexeren Gesellschaften wird man eher an Amtsträger denken. Für die eben angestellte Art von Berechnung sind die Gräberfelder von Grosseibstadt I, Tannheim und Hradenín ungeeignet. In diesen ist fast jedes Grab ein Kammergrab, weswegen man diese mit einiger Berechtigung als „Elitenfriedhöfe“ bezeichnet. Diese soziale Separierung im Tod findet nicht in allen Regionen statt, was näher erforscht zu werden verdiente. Es spricht für die hervorgehobene, wohl die Grenze der Grossfamilie übersteigende Stellung der Schwertträger, dass auch in diesen Nekropolen der Anteil an Schwertgräbern nur zwischen 5 % (Hradenín) und 18 % (Tannheim) liegt.

6. Interpretation der Sonderbehandlungen der Schwerter in Ha C 6.1 Übersicht über die Sonderbehandlungen In hallstattzeitlichen Gräbern gibt es zwar eine vorherrschende, aber keine einheitliche Position und Behandlung des Schwertes. Die Vielfalt ist in der Anfangszeit besonders gross und wahrscheinlich ein Zeichen dafür, dass die neuen Vorstellungen bezüglich der Art der Bestattung und Ausstattung zwar rasch aufgenommen wurden, für zwei bis drei Generationen aber noch in Konkurrenz zu „urnenfelderzeitlichen“ Ideologien standen. Die Mehrzahl der Ha C1-zeitlichen Körpergräber mit Schwertbeigabe zeichnet sich durch eine der drei folgenden Behandlungen des Schwertes aus: - Zerstörung vor der Niederlegung - Verkehrung - Deponierung ausserhalb des Grabes - Niederlegung im Grab, aber abseits der Bestattung Geht man davon aus, dass diese Praktiken unterschiedliche Gründe hatten, so werden die möglichen Erklärungen dafür beinahe unzählbar. So lassen sich für die physische Unbrauchbarmachung der Schwerter mindestens fünf Gründe anführen: 78

- Entwertung zur Verhinderung des Grabraubs - rituelles Zerbrechen als Symbol für die Trennung von der Welt der Lebenden - Freisetzung der „Seele“ des Schwertes, damit es die Seele des Toten in die Gegenwelt begleiten kann - Brechen der durch das Schwert symbolisierten Macht, um eine Nachfolge zu ermöglichen (in einem analogen Ritus wird nach dem Ableben eines Papstes dessen Symbol irdischer Macht, das Siegel, zerschlagen) - Verhinderung der Benutzung des Schwerts, falls der Bestattete keine Ruhe finden sollte Nimmt man aber an, dass hinter dem Zerbrechen derselbe Gedanke steckt wie hinter der Verkehrung oder abseitigen Deponierung, so engt sich der Interpretationsraum deutlich ein. Allen ist gemeinsam, dass das Schwert zwar im Zusammenhang mit dem Grab deponiert, zugleich aber der verstorbenen Person der Gebrauch der Waffe erschwert oder verunmöglicht werden soll. Sie dienen der Lösung des Dilemmas, das Schwert dem Verstorbenen beizugeben und zugleich dem Gebrauch zu entziehen. Damit berühren wir den Bereich der Bannungspraktiken in Gräbern, von denen sich im archäologischen Befund eine ganze Reihe finden. 6.2 Gefährliche Tote: Bannungsrituale in Gräbern Ein Teil der Bannungstechniken richtet sich gegen die Leiche selbst. In neolithischen bis frühbronzezeitlichen Bestattungen finden sich immer wieder Hinweise auf Fesselung, die für den Bestattungsvorgang an sich eigentlich unnötig wären, und die auch nicht alle Individuen betreffen (Forrer 1922: 138-9). Eine weitere, archäologisch besser feststellbare Massnahme ist die Beschwerung mit Steinen (Forrer 1922: Fig. 1–3), ein Aspekt, der bei der Errichtung von Stein- oder Erdhügeln unterschwellig mitspielen kann (Forrer 1922: 154-5). Dass die in Erzählungen geläufige Pfählung von Leichen archäologisch schon einmal nachgewiesen worden wäre, entzieht sich meiner Kenntnis. Andere Formen nachträglicher Störung von Skeletten sind dagegen in grosser Zahl bekannt. Besonders in Fällen, in denen die Störung nicht konsequent zur Beraubung des Grabes diente, sollten auch andere Motive in Betracht gezogen werden. So blieben in der frühbronzezeitlichen Nekropole Franzhausen I (Neugebauer, Neugebauer 1997) im „beraubten“ Teil des Grabes oft Beile oder

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Dolche aus Metall zurück (Gräber 16, 18, 24, 141, 241, 541, 551, 587, 597, 665, 725, 853); im Fall von Grab 727 wurde sogar der Schädel fein säuberlich aus dem prunkvollen Kopfschmuck gelöst, letzterer aber im Grab belassen. Eine weitere Möglichkeit ist die „Einkerkerung“ des Leichnams, z. B. durch eine doppelte Kammerwand, wie sie in Schirndorf, Grab 202 (Stroh 2000: 94-8) und beim „Fürstengrab“ von Hochdorf (Koch, in diesem Band) nachgewiesen ist, in letzterem Fall – sicher ist sicher – ergänzt mit einer ausnehmend grossen Steinpackung. Etwas subtiler ist da schon die Überkreuzung der Füsse (Forrer 1922: 138, Fig. 1) bzw. das Vertauschen der Schuhe (Veit 1988). Wenn man sich nicht direkt gegen die Leiche wenden möchte, so lässt sich deren Spektrum an unerwünschten Verhaltensweisen bei einem spontanen Anfall von Wiedergängertum dadurch eingrenzen, dass man ihr den Zugang zu den physisch wie magisch gefährlichen Beigaben erschwert. Die mechanische Unbrauchbarmachung von Beigaben kann unterschiedlich stark ausfallen. Verbiegen und Zerbrechen sind relativ offensichtliche Praktiken, könnten aber auch dazu dienen, den Transfer der Beigaben in die Gegenwelt zu erleichtern oder allfälligen Grabräubern das Motiv zu nehmen.Aber auch kleine Beschädigungen können bereits die darin schlummernde Macht rituell brechen. Bei Waffen reicht z. B. das Abbrechen oder Umbiegen der Spitze bzw. des Griffs, oder die Abstumpfung der Schneide. Hinweise auf zerbrochene Lanzenschäfte finden sich in latènezeitlichen Gräbern, wenn z. B. Lanzenspitze und Lanzenschuh in die gleiche Richtung weisen (Brunaux, Lambot 1987: Abb. auf S. 13). Die Beschädigung der Goldhalsringe von Helpfau-Uttendorf und Eberdingen-Hochdorf (Schickler 2001: 40) macht deutlich, dass von den Gegenständen nicht nur physische Gefahren ausgehen, sondern dass auch die in ihnen symbolisierte (magische?) Macht gebrochen werden soll. Vergleichbare Effekte lassen sich auch durch besondere Positionierung der Objekte im Grab erzielen.Wird die Waffe in einiger Distanz zur Leiche niedergelegt, so kann sie diese im Falle eines Falles nicht sofort ergreifen. Insbesondere wird die gefährliche Verbindung zwischen der toten Person und dem Statussymbol gelockert bzw. unterbrochen. Ähnliches gilt für die Verkehrung, und erst recht, wenn Spitze oder Schneide gegen die

Leiche gerichtet werden. Zeigen in neolithischen Gräbern Beil- und Axtschneiden oft von der Leiche weg, so werden sie in der Früh- und Mittelbronzezeit fast immer gegen den Kopf gerichtet. Ein schönes Beispiel ist Hilzingen (Hald 2002: Abb. 44), wo auch die Nadel mit der Spitze in Kopfrichtung liegt, was schon in anderen mittelbronzezeitlichen Gräbern festgestellt worden ist. Eine weitere Praxis ist es, die Waffe unter die Leiche zu legen (z. B. Moosleitner 1987: Fig. 13; Haas-Gebhard 1998: 156). Wird die Waffe direkt über dem Grab deponiert, kann sich deren Kraft sowohl gegen äussere Gefahren als auch gegen die unter ihr liegende Leiche richten. Bei der mehrfachen Beigabe gefährlicher Güter eröffnet sich zudem die Möglichkeit der Überkreuzung, wie z. B. im frühbronzezeitlichen Fürstengrab von Leubingen (Originalgrabplan in Meller 2001: 64) oder PlouvornKernonen, Finistère (Briard 1997: 56). Die den Gegenständen innewohnenden Kräfte werden gegeneinander gerichtet und heben sich auf diese Weise auf. Weitere magisch-rituelle Praktiken wie das Sprechen von Beschwörungsformeln werden wir nie nachweisen können. Unter geeigneten Bedingungen nachzuweisen wäre aber z. B. das Festbinden oder -kleben einer Klinge in der Scheide oder das Umbinden und Verknoten eines Riemens oder Bandes. Alle diese nicht selten auch archäologisch nachgewiesenen Praktiken der Bannung in Gräbern zeigen uns einen wichtigen Aspekt der prähistorischen Auffassung des Todes: Zum Zeitpunkt der Bestattung ist die Trennung von Seele und Körper nicht vollständig, unsicher oder nur temporär vollzogen! Das Vorliegen vergleichbarer Praktiken seit dem Neolithikum lassen diesen Aspekt der Todesvorstellung wohl sehr weit zurückdatieren.

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Statzendorf – Möglichkeiten und Grenzen der Sozialinterpretation eines Gräberfeldes Katharina C. Rebay

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ie ersten Linzer Gespräche zur interpretativen Eisenzeitarchäologie boten die Möglichkeit, erste Ergebnisse der Auswertung des hallstattzeitlichen Gräberfeldes von Statzendorf in Niederösterreich vorzustellen. Die Gesamtvorlage und Analyse des Gräberfeldes ist derzeit im Rahmen der Dissertation der Autorin in Arbeit und soll in Kürze in den Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie publiziert werden (Rebay 2005). Aus diesem Grund ist der folgende Text lediglich als Zusammenfassung des Vortrages und kleiner Vorgeschmack auf die Gesamtpublikation zu verstehen. Der Fundort Statzendorf liegt in Niederösterreich südlich der Donau, im Fladnitztal, einem Nachbartal des bekannten und mittlerweile gut erforschten Traisentals. Das Gräberfeld wurde 1902 entdeckt und anschließend von A. Dungel und J. Bayer relativ vollständig ausgegraben (Bayer 1904; Dungel 1908). Es umfasst etwa 380 Gräber und ist somit eines der größten ergrabenen Gräberfelder der Kalenderbergkultur. Der Großteil der Bestatteten wurde verbrannt beigesetzt, in Urnen oder als Brandschüttung, doch etwa 10 % der Bestattungen sind Körperbestattungen. Zur Ausstattung der Toten gehören zumeist mehrere Gefäße, die Bestandteile eines umfangreichen Trink- und Speisegeschirrsets, Fleischbeigaben und Messer. Zu den persönlichen Attributen zählen Trachtbestandteile wie Fibeln, Armreifen und Ringe, Geräte wie Spinnwirtel und Schleifsteine sowie in einigen wenigen Fällen auch Waffen. Da das Gräberfeld von Statzendorf bereits zwischen 1903 und 1925 ausgegraben worden ist, sind nicht alle

Informationen vorhanden, die bei modernen Grabungen zu erwarten wären. Für die Zeit der Grabung ist die Dokumentation dank der peniblen Aufzeichnungen und Vermessungen der Ausgräber jedoch äußerst gut, es wurde ein Gräberfeldplan im Maßstab 1:100 angefertigt, in dem die Lage der Skelette, Leichenbrände und Beigaben eingetragen ist, Beschreibungen und Fotos illustrieren die Situation. Leider ist ein Teil der Dokumentation genauso wie ein Teil des Fundmaterials heute nicht mehr auffindbar. Zunächst war eine umfangreiche Quellenkritik unumgänglich, um in die Auswertung nur jene Komplexe einzubeziehen, die einigermaßen vollständig vorliegen. Die anthropologische und archäologische Geschlechtsbestimmung der einzelnen Gräber waren Grundlage für die Weiterarbeit. Problematisch für die Auswertung ist, dass Leichenbrände nur in wenigen Fällen inventarisiert wurden. Obwohl es um die 350 gegeben haben muss, gelangten nur 16 davon zur anthropologischen Analyse. Bei den Skeletten ist die Quellenlage wesentlich besser, immerhin 25 von 38 ursprünglich vorhandenen konnten bestimmt werden. In Summe ist die anthropologische Geschlechtsbestimmung also sehr lückenhaft. Zur archäologischen Auswertung des Gräberfeldes gehören die Klassifikation der Funde mittels dynamischer Typologie, die Seriation nach funktionalen und chronologischen Gesichtspunkten, die Analyse der nächsten Nachbarn, die Berechnung von Sozialindices für jedes Grab und ihre statistische Auswertung. Im Rahmen der Aufarbeitung der Funde und Befunde des Gräberfeldes wurde versucht, Hinweise auf die Gesell83

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schaftsstruktur der bestatteten Bevölkerung zu erlangen. Der Fokus der Arbeit ist die Gesellschaftsstruktur und Hierarchie der Bevölkerung in der ländlichen Peripherie, und nicht, wie so oft, Fürsten- oder Elitengräber. Sozialindexberechnungen sind der Versuch einer qualitativen und quantitativen Wertung der Beigaben und Befundsituationen jedes Grabes eines Gräberfeldes. Die subjektive Wertung „arm“ und „reich“ wird durch Werte ersetzt, die nachvollziehbar, quantifizierbar und statistisch auswertbar sind. Durch den errechneten Wert wird im Idealfall der soziale Rang der Bestatteten ausgedrückt, das Verhältnis der Werte untereinander kann ein Hinweis auf prähistorische Gesellschaftsstrukturen sein. Die Methodik wurde von unterschiedlichen AutorInnen (Burmeister 2000; Hodson 1990; Müller 1994; Sprenger 1999) übernommen und für Statzendorf adaptiert. Nach der Berechnung der einzelnen Werte wurden Zusammenhänge mit der Bestattungsform (Brandoder Körperbestattung), der Grabform (Steinabdeckungen oder keine Strukturen), dem archäologisch bzw. anthropologisch bestimmten Geschlecht sowie dem anthropologisch erhobenen Alter auf statistischem Wege untersucht. Dadurch konnten detaillierte Ergebnisse erzielt werden, die bei einer großen Menge von Gräbern durch rein intuitives Arbeiten nicht in dieser Form zustande gekommen wären. Anhand der Sozialindexberechnungen lässt sich etwa der chronologische Wandel der Bestattungssitten von der frühen Hallstattkultur, die in Statzendorf noch stark in urnenfelderzeitlicher Tradition verwurzelt ist, bis zur mittleren Hallstattzeit nachzeichnen. Im Verlauf der Hallstattzeit wird das Individuum im Grab zunehmend stärker betont, es lassen sich immer größere Ausstattungsunterschiede bei zeitgleicher Grablegung fassen. Analog dazu wird der Raum, den die einzelnen Bestattungen einnehmen, größer, eventuell verbunden mit der Einführung der Hügelgräbersitte. Das Gesamtergebnis der Sozialindexberechnungen zeigt eine kleine Gruppe beigabenloser Bestattungen mit dem Sozialindex 0, eine breite Basis von etwa 45 % einfacher Gräber, etwa 35 % durchschnittlich ausgestatteter Gräber und eine kleine Elite, die in sich wiederum sehr differenziert ist. Setzt man den Sozialindex in Bezug zur Bestattungsform so zeigt sich einerseits, dass unter den beigaben84

losen ein hoher Prozentsatz an Körperbestattungen ist – was vielleicht auch auf den Umstand zurückzuführen ist, dass beigabenlose Brandbestattungen bei der Grabung nicht immer erkannt wurden – andererseits, dass unter den ganz reichen Bestattungen vor allem Körpergräber zu finden sind. Der Vergleich des Sozialindex mit der anthropologischen Altersbestimmung fällt bei nur 32 altersbestimmten Bestatteten sehr dürftig aus. Betrachtet man das archäologisch bestimmte Geschlecht mit dem Sozialindex so sieht man, dass Männer tendenziell reicher ausgestattet sind, unter den reichsten Bestattungen aber wiederum Frauen vertreten sind. Im allgemeinen sind Frauengräber aufgrund der spezifischen Beigaben leichter anhand des Fundmaterials als solche zu erkennen als Männergräber. Einzelergebnisse der detaillierten Analyse, wie etwa der Zusammenhang zwischen Grabbau und Grabbeigaben oder geschlechterspezifische Unterschiede in der Auswahl der Werkstoffe und Materialien im Grab, werden in Zusammenhang mit den Problemen der statistischen Auswertung und der lückenhaften Quellenlage ausführlich diskutiert. Der Fundort Statzendorf liegt am Westrand dessen, was man als Kalenderbergkultur bezeichnet. Die äußerst interessanten, kennzeichnenden Keramiksonderformen aus Frauengräbern, wie Tonfeuerbock, innenverzierte Fußschale sowie Mehrfachgefäße fehlen hier völlig, in Statzendorf konnten keine Anzeichen einer besonderen rituellen Bedeutung von Frauen gefunden werden. Die Ergebnisse ähneln trotz massiver Unterschiede in Art und Niveau der Ausstattung eher jenen, die im Westhallstattkreis erzielt wurden.Am Ende bleiben viele Fragen offen. Werden deshalb ähnliche Ergebnisse erzielt, weil ähnliche Methoden angewendet wurden oder war die Gesellschaft tatsächlich ähnlich strukturiert? Bestätigt die angewandte Vorgangsweise nur Denkmuster unserer eigenen Kultur oder nähern wir uns tatsächlich der Realität der antiken Gesellschaft an? Fassen wir statt Sozialstrukturen vielleicht lediglich Bestattungssitten, die nur sehr peripher mit tatsächlichen Verhältnissen im Einklang stehen? Fassen wir Denkmuster der Bestattungsgemeinschaft oder sind Bestattungen durch zu viele Zufälle bestimmt, um Muster erkennen zu können?

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Literatur Bayer, J. (1904), Das prähistorische Gräberfeld in Statzendorf (N.-Ö.), Jahrb. K. K. Zentralkomm. 2: 45-72. Burmeister, S. (2000), Geschlecht, Alter und Herrschaft in der Späthallstattzeit Württembergs,Tübinger Schriften zur Urund Frühgeschichtlichen Archäologie 4. Dungel, A. (1908), Die Flachgräber der Hallstattzeit bei Statzendorf in Niederösterreich, Mitt. Prähist. Komm. Österr. Akad.Wiss. 2/1: 1-39. Hodson, F. (1990), Hallstatt.The Ramsauer Graves. Quantification and Analysis, Monographien RGZM 16. Müller, J. (1994), Zur sozialen Gliederung der Nachbestattungsgemeinschaft vom Magdalenenberg bei Villingen, Prähistorische Zeitschrift 69/2: 175-221. Rebay, K. (2005), Das hallstattzeitliche Gräberfeld von Statzendorf in Niederösterreich, Wien (Dissertation in Vorbereitung). Sprenger, S. (1999), Zur Bedeutung des Grabraubes für sozioarchäologische Gräberfeldanalysen. Eine Untersuchung am frühbronzezeitlichen Gräberfeld Franzhausen I, Niederösterreich, FÖ Materialheft A 7.

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Der gefährliche Tote von Hochdorf? Ein besonderes Bestattungsritual aus der Späthallstattzeit Mitteleuropas Zusammenfassung des Vortrages Julia Katharina Koch

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ine zentrale Stellung in der Forschung zur Späthallstattzeit nimmt das 1978 entdeckte Prunkgrab von Hochdorf ein. Unter einer dreilagigen Steindecke hatte sich das vollständige Grabinventar eines Mannes aus der damaligen Oberschicht erhalten, so dass ein lebendiges Bild seiner Lebenswelt rekonstruiert werden konnte (Biel 1985). Die einmalige Erhaltung und Vollständigkeit, aber auch die Zusammenstellung der Beigaben und – wie sich zeigen wird – ihre Anordnung in der Grabkammer macht die Einfügung dieses Grabes in den kulturellen Kontext so interessant aber zugleich auch so schwierig. Bei der Beschäftigung mit dem Wagen und dem Pferdegeschirr im Rahmen meiner 1999 abgeschlossenen Dissertation (Koch, Hochdorf VI1) stellte sich mir immer wieder die Frage, wie ein vordergründig individueller Umgang mit einem bestimmten Toten historisch einzuordnen ist. Handelt es sich wirklich um einen Einzelfall? Oder sind hier nur aufgrund der Erhaltung organischer Materialien mehr Details zu rekonstruieren als andernorts? Wurden die Handlungen, die sich im Befund niederschlagen, auch an anderen Toten vollzogen und sind jetzt nur nicht mehr nachzuweisen?

Die Ausstattung der annähernd quadratischen, doppelt angelegten Grabkammer kann in fünf Gruppierungen aufgeteilt werden: das Bodentuch und die Wandbehänge, die Bronzekline mit dem Toten samt Kleidung, Schmuck und Waffen, das Trink- und Speiseservice mit Löwenkessel,Trinkhörnern und Bronzeschalen sowie der vierrädrige Wagen mit dem Pferdegeschirr.Aufgrund der mikrostratigraphischen Analysen wird nicht nur eine sichere Rekonstruktion der Gegenstände, sondern auch der Reihenfolge der Niederlegung möglich (für die Westseite wurde die Rekonstruktion bereits weitgehend von J. Banck-Burgess [1999] durchgeführt). Im Rahmen der Bearbeitung des Wagen- und Pferdegeschirrkomplexes auf der Ostseite der Kammer sind so zahlreiche Details bis hin zur Rekonstruktion einzelner Handgriffe während des damaligen Bestattungsrituals zu Tage gekommen. Nach der Auskleidung der Kammer wurde der Wagen mit aufgesteckten Rädern und Deichsel im Grab deponiert.Auf dem mit Textilien, eventuell auch mit Leder gepolsterten Wagenkasten wurde zunächst die Eisenaxt niedergelegt, dann die Anschirrung, aus Joch und Ledergurten bestehend. Dazwischen fanden sich noch die Achsnägel, eine Achskappe und eine Deichselschar87

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nierkappe.Als nächstes folgten die zusammengerollten Führungsleinen und die beiden Kopfgeschirre, die teilweise verdreht und – wie die Lage des Kehlriemenverschlusses nahe legt – rechts und links vertauscht waren. Nach dem Treibstachel wurden als letztes die Schlachtgeräte und das Bronzegeschirr in zwei Stapeln auf dem Wagenkasten deponiert. Abschließend wurde alles in grobe Tücher geschlagen. Wenn man die vielen Details, die sich bei der Rekonstruktion der Bestattungsabläufe ergeben, zusammenfasst, zeigt sich deutlich, dass das Prunkgrab von Hochdorf von dem üblichen Erscheinungsbild gleichzeitiger Gräber abweicht. Diese Abweichungen finden sich in der Beigabentopographie mit der Lage des Toten auf der Kline und nicht – wie üblich – auf dem Wagen. Dort befand sich das Pferdegeschirr, anstatt wie üblich vor dem Wagen. Andere Details können unter dem Sammelbegriff „Unbrauchbarmachung“ zusammengefasst werden, wie die abgezogenen Achsnägel und Kappen am Wagen, die Vertauschung und Verdrehung der Kopfgeschirre, der durchgeschnittene goldene Halsreif, die verbogenen, offenen Fibeln an den Totentüchern und vertauschte Schuhbeschläge.Als weitere Besonderheiten können die doppelte Grabkammer mit der Steinfüllung und die am Hügelfuß geschlossene Rampe genannt werden. Auf den ersten Blick betrachtet, gelangten Wagen und Pferdegeschirr funktionstüchtig in die Gräber, bei besseren Erhaltungsbedingungen wie in Hochdorf sind aber im Detail Störungen erkennbar. Diese Beobachtung wiederholt sich hier bei anderen Gegenständen. Es stellt sich damit die Frage, ob sich diese Auffälligkeiten allein durch unachtsame oder eilige Bestattungsvorgänge erklären lassen.Andere Interpretationen sind eng verknüpft mit der Rekonstruktion der hallstattzeitlichen Jenseitsvorstellungen, die ein weites Spektrum an Möglichkeiten wie dem Phänomen der „ver-

kehrten Welt“ (Veit 1988), intentionelle Beigabenzerstörung als Symbol für den Verlust der Macht (Biel 1985: 61 f.) oder Unbrauchbarmachungen aufgrund einer „Furcht vor dem Toten“ bieten. Besonders der letztgenannte Aspekt würde eine plausible Erklärung für viele der auffälligen Details in Hochdorf anbieten. In der Hallstattzeit kann diese Furcht einerseits mit damaligen, allgemein üblichen Jenseitsvorstellungen verbunden gewesen sein, so dass bei jeder hallstattzeitlichen Bestattung entsprechende, allerdings nur selten nachweisbare Vorbeugungen getroffen worden sein könnten, oder auch nur bei besonderen Bestattungen, die unter ähnlichen, uns unbekannten Bedingungen stattfanden. Darauf deuten einzelne, vergleichbare Befunde wie in Großeibstadt I (Grab 3; Kossack 1970: 71) oder im Hohmichele (Grab VI; Riek, Hundt 1962: 88 f.) hin.Andererseits könnte die Furcht vor dem Toten mit dem in Hochdorf bestatteten Mann eng verknüpft gewesen sein, erwachsen aus seiner gesellschaftlichen Rolle oder aus besonderen Umständen seines Todes. Die Singularität mancher Details lässt eine personenbezogene Totenfurcht vermuten, da ansonsten verbogene Fibeln oder durchtrennter Halsschmuck öfters im Fundgut dieser Zeit überliefert sein sollten. Aber auch der Umgang mit einer personenbezogenen Furcht wird durch den kulturellen Kontext und seine Kommunikationsmöglichkeiten bestimmt. Die „Vorsichtsmaßnahmen“ können uns also bei anderen Grablegen wiederbegegnen.Was sich auch hinter den vielen Beigaben mit ihrem unleugbaren Zeichencharakter verbirgt, wir haben hier das Grab eines Mannes vor uns, der seine Zeit prägte – und über den es anscheinend damals wie heute unterschiedliche Ansichten gab und gibt. Selten können wir für prähistorische Zeiten ein Individuum und das ihm zugekommene Bestattungsritual so detailliert erfassen.

1 Der in Linz gehaltene Vortrag entspricht im Wesentlichen dem Kapitel 9 „Wagen und Pferdegeschirr im Bestattungsritual von Hochdorf“.

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Literatur Banck-Burgess, J. (1999), Hochdorf IV. Die Textilfunde aus dem späthallstattzeitlichen Fürstengrab von Eberdingen-Hochdorf (Kr. Ludwigsburg) und weitere Grabtextilien aus hallstattund latènezeitlichen Kulturgruppen. Forsch. u. Ber.Vor- u. Frühgesch. Baden-Württemberg 70. Stuttgart: 91-126. Biel, J. (1985), Der Keltenfürst von Hochdorf. Stuttgart. Koch, J. K., Hochdorf VI. Der Wagen und das Pferdegeschirr aus dem späthallstattzeitlichen Fürstengrab von EberdingenHochdorf (Lkr. Ludwigsburg). Forsch. u. Ber. z.Vor- und Frühgesch. Baden-Württemberg 89 (voraussichtlich Stuttgart 2005). Kossack, G. (1970), Gräberfelder der Hallstattzeit an Main und Fränkischer Saale. Materialh. Bayer.Vorgesch. 24. Riek, G., Hundt, H.-J. (1962), Der Hohmichele. Ein Fürstengrabhügel der späten Hallstattzeit bei der Heuneburg. Heuneburgstud. 1 = Röm. German. Forsch. 25. Veit, U. (1988), Des Fürsten neue Schuhe – Überlegungen zum Befund von Hochdorf. Germania 66: 182-169.

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Von weiblichen Nadeln und männlichen Pinzetten. Möglichkeiten und Grenzen der archäologischen Geschlechterforschung Jana Esther Fries

Zusammenfassung

Frauenforschung, Geschlechterforschung und feministische Ansätze spielten in der deutschsprachigen Ur- und Frühgeschichte lange Zeit so gut wie keine Rolle. Auf der Grundlage eines biologistischen Bildes der Geschlechter wurde in unserem Fach weithin angenommen, Geschlechterrollen seien universell, unabhängig von Epoche und Region im Wesentlichen immer gleich gewesen. Damit erübrigten sich Untersuchungen zu diesem Aspekt einer Gesellschaft. Zugleich erlaubte diese Annahme die a priori Zuweisung von Grabbeigaben an Frauen oder Männer. Erst in den letzten Jahren wird die Grundannahme von der Unveränderlichkeit der Geschlechterrollen in Frage gestellt und die Notwendigkeit diesbezüglicher Untersuchungen erkannt. Geschlechterrollen werden zunehmend als variabel und Teil des jeweiligen Sozialgefüges begriffen. Regionale Untersuchungen zu Gräberfeldern der Eisenzeit lassen inzwischen erahnen, wie unterschiedlich die Geschlechter im Bestattungsritus je nach Region und Epoche dargestellt wurden. Der Beitrag erläutert, welche Chancen und Veränderungen die Entwicklung der Geschlechterforschung mit sich bringt, inwieweit sie noch von traditionellen Vorannahmen beeinflusst wird und auch, welche Fallstricke bei der Erforschung des Faktors Geschlecht zu beachten sind.

Abstract Archaeologies of women, gender and feminist approaches have largely been sidelined or even ignored in German archaeology for a long time. Based on the misappropriation that gender is biologically determined, it was widely assumed within the discipline that gender roles were universally identical.This made research into this specific aspect of societies seem superfluous. At the same time, this assumption allowed for a priori associations of grave goods with women or men. Only in the last few years, this basic assumption has been questioned and the necessity of research into this aspect of societies been recognised. Gender roles are increasingly seen as variable in different social systems. Regional studies of Iron Age cemeteries now allow us to anticipate how differential gender was expressed in the burial record in different regions and periods. This study explains the chances and changes brought about by gender archaeology, how strongly it still is influenced by traditional assumptions, and also what caveats have to be considered when attempting to analyse the factor gender. 91

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ieser Beitrag handelt von den Möglichkeiten und den Grenzen archäologischer Geschlechterforschung. Damit hat er ein Thema zum Inhalt, das in der deutschsprachigen Ur- und Frühgeschichte erst vor relativ kurzer Zeit entdeckt wurde und heute gerade dabei ist, in Mode zu kommen. Es gab im Jahr 2003 drei Veranstaltungen zu Geschlechterfragen, in Berlin und Bamberg sowie bei der Tagung des West- und Süddeutschen Verbandes in Ingoldstadt1. Aus der letztgenannten Sitzung ist mittlerweile eine AG Geschlechterforschung hervor gegangen, die sich als dauerhafte Arbeitsgruppe bei den Verbänden versteht. Hinzu kam eine Tagung in der klassischen Archäologie2. Auch in Zeitschriftenbeiträgen und Abschlussarbeiten werden Themen der Geschlechterforschung seit einigen Jahren häufiger behandelt, ebenso in Veranstaltungen der prähistorischen Universitätsinstitute (Koch u. Mertens 2005: 36-39).

Geschichte Vor zwölf oder fünfzehn Jahren spielten Geschlechterforschung, gender studies, Frauenforschung oder feministische Archäologie in der deutschsprachigen Urund Frühgeschichte noch keine Rolle, ja waren selbst als Begriffe kaum bekannt (zur Forschungsgeschichte Brandt 1996; Brandt u.a. 1998; Kästner 1999; Koch u. Mertens 2005).Aber auch in denjenigen Ländern, die als besonders aufgeschlossen hinsichtlich neuer und theoretischer Fragestellungen in der prähistorischen Archäologie gelten, fanden Geschlechterthemen vergleichsweise spät Aufmerksamkeit. Erste Tagungen und Publikationen hierzu gab es in den skandinavischen Ländern, Großbritannien und den USA seit den achtziger Jahren (Conkey u. Spector 1984; Bertelsen u.a. 1987;Arnold u.a. 1988; Ehrenberg 1989). Auf den jährlichen Tagungen der Theoretical Archaeology Group (TAG) finden seit 1982 Sektionen zur Geschlechterarchäologie statt und in Norwegen erschien seit 1985 mit ”Kvinner i arkeologie i Norge” eine Zeitschrift zu archäologischer Frauenund Geschlechterforschung. Vergleichbare Entwicklungen gab es in Deutschland seit den siebziger Jahren auch in Nachbarfächern der Ur- und Frühgeschichte wie Ethnologie, Soziologie und Geschichte (Brandt 1996: 64-66; Kästner 1999: 92

2-8). Die prähistorische Archäologie im deutschsprachigen Raum wurde davon jedoch kaum beeinflusst. Zu den Ersten, die Fragen der Geschlechterforschung und der feministischen Archäologie aufgriffen, gehörten Studentinnen aus Tübingen, Freiburg, Marburg und Kiel. Seit 1988 waren sie bestrebt, Geschlechterforschung innerhalb der Ur- und Frühgeschichte bekannt zu machen und als Thema zu etablieren. Dabei stießen wir bei Lehrenden wie Studierenden zunächst vielfach auf Misstrauen bis Ablehnung. Am häufigsten wurden dabei zwei gegensätzliche Meinungen geäußert. Einerseits hieß es, über Geschlechterverhältnisse in der Vorgeschichte lasse sich nichts herausfinden, andererseits wurde die Meinung vertreten, die Geschlechterrollen der Vorgeschichte seien doch ohnehin bekannt. Diese Situation begann sich etwa ab Mitte der neunziger Jahre zu verändern.Waren zuvor Studien und Veranstaltungen zu Geschlechterthemen die große Ausnahme gewesen, nahm ihre Zahl nun langsam zu (Koch u. Mertens 2005: 36). Auch bei der Gestaltung von Ausstellungen wurden die Geschlechter nach und nach zu einem Thema, das nicht völlig übergangen werden konnte (z.B. Rieckhoff 1987; Auffermann u.Weniger 1998; de Grooth 2000). Heute, noch einmal zehn Jahre später, stößt Geschlechterforschung überwiegend auf mäßiges Wohlwollen bis freundliches Interesse. Es ist absehbar, dass sich zumindest eine eher traditionell ausgerichtete Frauenforschung und bis zu einem gewissen Grad auch die Geschlechterforschung als Teil des Forschungskanons in der Ur- und Frühgeschichte etablieren werden. Ein erstaunlicher Wandel, der allerdings auch mit einer gewissen Abschwächung des Veränderungspotentials einher geht, das Geschlechterforschung mit sich bringt.

Grundlagen Während Geschlechterforschung in der deutschsprachigen Ur- und Frühgeschichte lange Zeit nicht einmal thematisiert wurde, gab es andererseits praktisch seit dem Anfang des Faches Aussagen zu prähistorischen Geschlechterverhältnissen (Hjørungdal 1994; 1997). Diese erfolgten allerdings ganz überwiegend implizit oder am Rande, fast nie als eindeutige Aussagen zum Thema. Deutlich wurden die dementsprechenden

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Vorstellungen und Annahmen besonders bei bildlichen Darstellungen, beispielsweise in Museen (Allinger 1999; Röder 2002). Bei genauer Lektüre der Fachliteratur oder bei Nachfragen bei ArchäologInnen offenbarten sich in vielen Fällen ausgeprägte Vorstellungen zu prähistorischen Geschlechterverhältnissen. Diese waren häufig nur halb bewusst, dafür aber umso hartnäckiger. Das Bild der Geschlechter in der Vorgeschichte entsprach weitgehend und entspricht teilweise heute noch bürgerlichen Auffassungen des späten 18. und des 19. Jahrhunderts (Brandt u.a. 1998: 25-27). Geschlechterrollen sind nach diesen Vorstellungen von der Natur vorgegeben und das angeborene Geschlecht einer Person ist ihr wesentlichstes Merkmal. Es bestimmt zu einem erheblichen Teil ihre Identität, ihren Charakter, ihr Verhalten und ihre Rolle innerhalb der sozialen Gruppe. Frauen und Männer lassen sich mit gegensätzlichen Eigenschaften wie aktiv – passiv, rational – emotional, eigenständig – abhängig, draußen - drinnen beschreiben (WagnerHasel 1992: 302-304). Diese „natürliche”, vom Körper ausgehende Auffassung von Geschlechtern bedeutet auch: Geschlechter sind ahistorisch, sie verändern sich nicht; Merkmale und Rollen sind unveränderlich und im Wesentlichen zu jeder Zeit und an jedem Ort gleich. Bei unterschiedlichem Verhalten der Geschlechter in verschiedenen Kulturen handelt es sich lediglich um unterschiedliche Ausschmückungen ein und des selben grundlegenden Themas. Damit ist in der Tat Forschung zu diesem Thema überflüssig, da ja bereits alles Wesentliche bekannt ist. Auf der Grundlage eines solchen Geschlechterbildes kommt es in der traditionellen Archäologie dazu, dass auch Grabbeigaben, also Dingen, ein Geschlecht zugewiesen wird, so wie den oben genannten Eigenschaften (Owen 1997 b; Kästner 1997 a; 1997 b: 515 f.; Hjørungdal 1994; 1997; Göhlich 2004: 94 f.). Am häufigsten und deutlichsten ist dies bei Waffen der Fall. Eine eindeutige Waffe in einem Grab definiert dieses, unabhängig von allen anderen Eigenschaften der Bestattung, nach den unausgesprochenen Regeln traditioneller Gräberfeldanalyse als Männergrab (Bleicher 2003). Die traditionelle Bestimmung von Frauengräbern ist nicht ganz so eindeutig. Als sicher weibliche Beigaben gelten Spinnwirtel und Nadeln mit Öhre, also ”Nähnadeln” (Owen 1997 b; 1997 a: 23-27).Aber

auch bei fünf Fibeln oder vier Armreifen, also einer größeren Zahl von Trachtbeigaben oder Schmuck, wird in aller Regel auf eine weibliche Bestattung erkannt. Grabbeigaben gelten also als eindeutige, zeitlich und räumlich übergreifende Anzeiger des Geschlechts. Diese Vergeschlechtlichung von Gegenständen wird in einem weiteren Schritt auf andere Beigaben übertragen, die nicht per se als weiblich oder männlich gelten. Da während der frühen Hallstattzeit etwa Pinzetten und Schälchennadeln mit Schwanenhals mehrfach in Schwertgräbern beigegeben wurden, gelten auch sie als männlich (Torbrügge 1979: 73 u. 191 f.). Dementsprechend wurden Gräber mit Pinzetten oder den genannten Nadeltypen ebenfalls als männlich gewertet, auch wenn sie kein Schwert enthielten. Wie problematisch eine solche traditionell-intuitive Zuweisung von Grabbeigaben an ein Geschlecht ist, zeigt sich schon daran, dass in nicht wenigen Gräbern als männlich und weiblich geltende Beigaben vergesellschaftet sind. Eine Schälchennadel mit Schwanenhals in einem späthallstattzeitlichen Grab mit als weiblich geltenden weiteren Beigaben wäre dann „gleichsam abgelegtes Kulturgut aus Männerhand“ (ebd. 191). Zu dem beschriebenen Denken in Gegensatzpaaren und der Annahme von der Konstanz der Geschlechterrollen kam lange Zeit eine Konzentration der archäologischen Forschung auf als männlich erachtete Lebensbereiche. Krieger, Fürsten,Adelige, (Fern-)Händler, Steinschläger und Bronzegießer fanden breite Aufmerksamkeit. Dass Frauen unter diesen Bezeichnungen nicht etwa „mitgemeint” sind, zeigt sich u.a. vielfach in den bildlichen Darstellungen (Allinger 1999; Röder 2002). Tätigkeiten und Aufgaben von Frauen wurden in der prähistorischen Archäologie erheblich seltener behandelt und ihnen wurde geringere Bedeutung als den Männern zugeschriebenen Bereichen zugesprochen (Owen 1997 a; 1999). Aus der Nichtbehandlung konnte allenfalls geschlossen werden, dass Frauen die als ewig gleich verstandenen Arbeiten und Verantwortungen von Müttern und Hausfrauen zugeschrieben wurden. Allenfalls Töpfern und Textilherstellung für den Eigenbedarf wurde mit Frauen in Verbindung gebracht. Ebenso deutlich wird dieser androzentrische Blickwinkel beispielsweise bei der Auswertung von Gräberfeldern (Koch 1995; Röder 1999; Göhlich 2004: 112114). Hier werden reich ausgestattete Männer als 93

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Familienvorstände, Dorfchefs oder Adelige interpretiert. Ebenso reich ausgestattete Frauen werden nicht analog als einflussreiche Frauen gesehen, die Beigaben gelten hier häufig als Geschenke eines vermuteten Ehemannes, mit deren Hilfe dieser den eigenen Status darstellte. Reiche Beigaben sagen demnach in einem Fall etwas über den eigenen Einfluss und Reichtum aus, im anderen sind sie Zeugnis einer Beziehung und Darstellung von Reichtum eines anderen (Göhlich 2004: 112-114). Neue Ansätze Aus Unzufriedenheit mit dieser Situation entwickelten sich, im deutschsprachigen Raum seit Beginn der neunziger Jahre, mehrere neue Ansätze, zwischen denen sich keine strikten Trennlinien ziehen lassen (vgl. Brand 1996: 64-70; Kästner 1999: 2-8; Koch u. Mertens 2005). Zu nennen sind hier: - die traditionelle oder ergänzende Frauenforschung, die sich mit Frauen in den ihnen traditionell zugeschriebenen Rollen befasst, etwa mit merowingerzeitlichen Königinnen,Webtechniken, Frauentrachten und paläolithischen Sammlerinnen.Als populärwissenschaftliche Klassiker und zugleich besonders traditionell ausgerichtete Frauenforschung seien hier die Zusammenstellungen von Frauen durch H. Müller-Karpe (1985) und F. Schlette (1988) genannt. - eine „engagierte” Frauenforschung, die sich einerseits mit explizit weiblichen Themen wie Menstruation, Schwangerschaft und Geburt befasst (z.B. Scherzler 1998), andererseits Bereiche behandelt, die traditionell als männlich gelten wie die Herstellung von Steinwerkzeugen oder Jagd durch Frauen (z.B. Kästner 1998; 2005). Auch Untersuchungen, die Frauen explizit als eigenständig behandeln, können hierzu gezählt werden (z. B. Ehrenberg 1989; Koch 1996; Graenert 2002). - die archäologische Geschlechterforschung. Sie behandelt die Geschlechterrollen, die Arbeitsteilung und Geschlechterideologien und -hierarchien in der Vorgeschichte. - die feministische Archäologie, die sich vor allem dem eigenen Fach, seinen Theorien, Denkmustern,Voreingenommenheiten und Strukturen ebenso wie der beruflichen Situation und der Außenwirkung widmet (z.B. Karlisch 1998; Haidle u. Owen 1998; Struwe 1998). 94

Die genannten Ansätze überschneiden sich in der Praxis, und in vielen Untersuchungen sind mehrere von ihnen verknüpft. Im Folgenden soll hier nur die Geschlechterforschung näher behandelt werden. Sie unterscheidet sich von der traditionellen Archäologie und ihren Aussagen zu den Geschlechtern durch eine grundsätzlich andere theoretische Prämisse. Geschlechter werden hier als zweiteilig begriffen. Es wird getrennt zwischen dem biologischen Geschlecht, also dem körperlichen Aspekt, und dem sozialen Geschlecht, d.h. den Eigenschaften,Verhaltensweisen, Rollen, dem Bewusstsein und dem sozialen Rang, die den Geschlechtern innerhalb einer Kultur zugeschrieben werden (Brandt 1996: 62 f.; Brandt u.a. 1998: 19-21; Kästner 1997a: 15; 1999: 6). Im Englischen wird diese Unterscheidung durch die Begriffe sex und gender deutlicher als im Deutschen. Aus dieser Unterscheidung ergibt sich die Annahme, dass das soziale Geschlecht nicht körperlich bedingt, also angeboren ist. Stattdessen wird durch die jeweilige soziale Gruppe auf der Grundlage des biologischen ein soziales oder kulturelles Geschlecht konstruiert.Alle genannten Aspekte gelten in der expliziten Geschlechterforschung als kulturelle Zuordnungen, als Teil des jeweiligen Geschlechterkonzeptes oder der Geschlechterideologie. Es muss demnach auch nicht immer nur zwei Geschlechter geben (Kästner 1997 b; Brandt u.a. 1998: 21-23); eine Verknüpfung zwischen biologischem und sozialem Geschlecht wird aber in aller Regel angenommen. Wenn soziale Geschlechter konstruiert, nicht angeboren sind, dann sind sie zwangsläufig variabel. Das Geschlechterkonzept wird damit zum wichtigen Forschungsgegenstand innerhalb jeder Epoche, jeder Kultur und jeden Raumes. Eine solche Geschlechterforschung, die keine Vorannahmen zu den sozialen Geschlechtern trifft, erfordert in hohem Maße, sich als ForscherIn immer wieder die eigenen, meist unbewussten,Vorannahmen über Frauen und Männer zu vergegenwärtigen und sich so weit wie möglich von diesen frei zu machen. Möglichkeiten Geschlechterforschung bietet die Möglichkeit, eine wichtige Komponente der sozialen Ordnungen prähistorischer Gesellschaften zu untersuchen.Als wichtig-

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ste Quelle werden hierfür Gräberfelder herangezogen, als derjenige Bereich prähistorischer und frühgeschichtlicher Kulturen, in dem uns einzelne Menschen begegnen und ihr biologisches wie soziales Geschlecht greifbar ist. Zu derartigen Untersuchungen gehören beispielsweise statistische Auswertungen von Gräberfeldern im Hinblick auf häufig auftretende Beigabenkombinationen. Lassen sich bei einer solchen Auswertung auf einem Gräberfeld oder innerhalb einer kleineren Region zwei Gruppen von Beigaben herausarbeiten, deren Typen untereinander immer wieder vergesellschaftet sind, können diese als Frauen- und Männerbestattungen interpretiert werden. Damit könnte den a priori vorgenommenen Zuweisungen von Beigaben an ein Geschlecht eine besser abgesicherte Einteilung entgegengesetzt werden. Für die frühe Eisenzeit gibt es gleich drei derartige Untersuchungen, zum Gräberfeld von Hallstatt (Hodson 1990), zum Magdalenenberg (Müller 1994) und als jüngste zu Württemberg während der Späthallstattzeit (Burmeister 2000). Grundlage dieser Arbeiten ist jeweils die Annahme, dass das Geschlecht der Bestatteten in typischen Beigaben oder Beigabenkombinationen zumindest in einem erheblichen Teil der Gräber zum Ausdruck kommt (vgl. Koch 2003: 201 f.), ja dass Frauen und Männer gegensätzliche, einander ausschließende und damit eindeutig geschlechtsanzeigende Beigaben erhielten (Burmeister 2000: 33 f.). Die Seriationen und Clusteranalysen der genannten Untersuchungen (Hodson 1990:Abb. 3; Müller 1994: Abb. 14; Burmeister 2000:Abb. 6-8) ergaben in Ansätzen tatsächlich zwei Ausstattungsmuster, die als männlich und weiblich interpretiert werden können. Sie entsprechen weitgehend den traditionellen Zuschreibungen, d.h. in Württemberg sind beispielsweise Perlen, Armringe und Halsschmuck immer wieder miteinander kombiniert und Waffen, Rasiermesser und Eisengürtel treten häufiger zusammen auf. Die Zuweisung der ersten Beigabengruppe an Frauen und der zweiten an Männer wird durch die anthropologischen Geschlechtsbestimmungen am Magdalenenberg und in Nordwürttemberg teilweise unterstützt (Müller 1994: 179; Burmeister 2000: 46-66). Eine andere Möglichkeit, geschlechtsspezifische Bestattungssitten zu ermitteln, besteht in der Auswertung einer ausreichenden Zahl anthropologisch bestimmter

Gräber. Beispiele für die Eisenzeit liegen etwa für die nordalpine Schweiz der Mittel- und Spätlatènezeit (Göhlich 2004) und für Nordwürttemberg in der Späthallstattzeit (Kleibscheidel 1993; 1997) vor.3 Anders als in den zuerst genannten Studien ergeben sich hier nicht zwei einander ausschließende Gruppen. Eine Reihe von Beigaben erscheint überwiegend entweder in anthropologisch bestimmten Frauen- oder Männerbestattungen. So werden etwa Eisenfibeln in der Schweiz deutlich häufiger Männern, Bronzefibeln Frauen mitgegeben. Kopfschmuck kommt während der Späthallstattzeit in Nordwürttemberg fast nur bei Frauen vor. Aber nur wenige Beigaben sind vollständig auf ein Geschlecht beschränkt. In der Schweiz sind dies Waffen und Speisebeigaben bei Männern und Gürtelketten bei Frauen, in Nordwürttemberg Paukenfibeln der Form P 1 in Frauenbestattungen und die wenigen Waffen in Männergräbern. Eine größere Zahl der Beigabentypen lässt sich nicht deutlich einem Geschlecht zuweisen, andere sind offenbar geschlechtsunabhängig, beispielsweise Fingerringe in der Schweiz und Halsschmuck sowie Gürtel in Nordwürttemberg. Grenzen und Schwierigkeiten An den genannten Arbeiten lassen sich auch die Grenzen und Fallstricke der archäologischen Geschlechterforschung aufzeigen. So zeichnen sich etwa in Burmeisters Tabellen in Ansätzen zwei Ausstattungsmuster ab. Eine Einordnung in die beiden Gruppen ist aber für deutlich mehr Frauen- als Männergräber möglich, auch zeigen erstere eine deutlich größere Vielfalt der Beigaben (ähnlich bei Müller 1994:Abb. 12 u. 15).Vor allem aber kommen die meisten Beigaben vereinzelt auch in Gräbern vor, die der anderen Geschlechtergruppe zugeordnet wurden (so auch bei Hodson 1990: Tab. 4; Müller 1994:Abb. 13). Es handelt sich also keineswegs um einander ausschließende Ausstattungsmuster. Eine einzelne Beigabe ist damit kein sicherer Beleg für das soziale Geschlecht der Bestatteten. Hinzu kommt, dass eine größere Zahl Beigabentypen nicht in die Ausstattungsgruppen einzuordnen war, darunter Keramik, die in sehr vielen Gräbern der einzige Beigabentyp war. Außerdem gingen in Burmeisters Untersuchung aus den 145 einbezogenen Nekropolen nicht mehr als 286 Gräber in die Seriation ein. Das Ergebnis könnte also 95

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Sopron-Warischberg Hügel 3, Opferszene auf einem Keramikgefäß, nach S. Gallus, Die figuralverzierten Urnen vom Soproner Burgstall.Arch. Hungarica 13 (Budapest 1934).

auch lauten: Die ganz überwiegende Mehrzahl der späthallstattzeitlichen Gräber Württembergs ist nicht für uns erkennbar geschlechtsspezifisch ausgestattet. Auch die vermeintlich objektive, anthropologische Geschlechtsbestimmung bringt bei unvollständigen oder schlecht erhaltenen Skeletten sowie bei Leichenbränden Unsicherheiten mit sich.Viele geschlechtsspezifische Merkmale am Skelett stellen sich eher als Kontinuum denn in Form von zwei gegensätzlichen Gruppen dar. Zudem sind Körpergröße, Muskelansätze und andere Merkmale nicht nur vom Geschlecht abhängig. Auch die Lebensbedingungen und die genetische Disposition spielen hier eine wichtige Rolle (Owen 1999: 77).Wesentlich für eine sichere anthropologische Geschlechtsbestimmung einzelner Individuen ist deshalb häufig eine ausreichend große Population als Referenzrahmen, die in vielen Fällen nicht gegeben ist. Bei Leichenbränden ergeben sich weitere Probleme, etwa aufgrund unterschiedlicher Brenntemperaturen und einer positiven Auslese besonders ausgeprägter Muskelmarken (Wirth 1998: 112 f., 120; Kunter 2003: 96

292 u. Tab. 3). Sie führen dazu, dass bei derartigen Untersuchungen vielfach ein Männerüberschuss festgestellt wird. Erschwerend kommt hinzu, dass von Seiten der Archäologie immer noch eine Tendenz besteht, die von anthropologischer Seite angegebenen Wahrscheinlichkeitsgrade der Geschlechtsbestimmung zu ignorieren – besonders wenn das anthropologische Ergebnis zu den eigenen passt. Auch werden bei Widersprüchen zwischen den Ergebnissen gerne ohne weitere Argumentation die eigenen Resultate schwerer gewichtet als die der Anthropologie (Brandt 1996: 77-79). Problematisch sind auch geschlechterarchäologische Untersuchungen, die einen zu großen Raum einheitlich behandeln. Wenn beispielsweise ein zeitlicher Unterschied beim Einsetzen des Paukenfibeltyps P 1 zwischen Nord- und Südwürttemberg besteht (Burmeister 2000: 26 f.), dann müssen wir auch mit Unterschieden zwischen diesen Regionen bei den geschlechtsspezifischen Bestattungssitten rechnen. Wichtiger als derartige regionale Unterschiede scheint mir jedoch, dass das Geschlecht immer nur

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einen Aspekt der Identität einer Person wie auch ihrer Rolle innerhalb der sozialen Gruppe darstellt. Zu den wichtigsten anderen Faktoren dürften das Alter, der soziale Status, die Aufgaben/Tätigkeiten und der Ethnos eines Individuums gehören. Diese Aspekte überlagern sich mit dem Faktor Geschlecht und können ihn für uns in den Bestattungssitten verdecken oder sein Erkennen verkomplizieren. Lange Zeit vernachlässigt wurde etwa der Faktor Alter (Sofaer Derevenski 1997). Üblich ist bis heute nur die Gliederung einer Bevölkerung in Kinder und Erwachsene. In unserer eigenen Gesellschaft ist jedoch anschaulich, dass sich Geschlechterrollen mit dem Alter verändern. Kleidung und Verhalten, die beispielsweise heute bei einer 25-jährigen Frau als normal gelten, würden bei ihrer 75-jährigen Großmutter als auffällig, anstößig oder sogar als Zeichen von Altersdemenz gewertet. Dass beispielsweise während der älteren Römischen Kaiserzeit in Norddeutschland die Darstellung des Geschlechts im Grab altersabhängig war, hat Heidrun Derks (1997) dargelegt4. In ihrer Arbeit auf der Grundlage von mehr als 2000 anthropologisch untersuchten Gräbern kann sie zeigen, dass bei Jungen und Männern Zahl und Vielfalt der Beigaben in jungen Jahren deutlich ansteigen (ebd.Abb. 6). Der größte Reichtum wird ihnen in adultem Alter mitgegeben. Danach kommt es zu einer gewissen Abnahme. Mädchen werden erkennbar reicher und vielfältiger als Jungen ausgestattet. Die Beigaben nehmen bei ihnen von der Geburt bis zum adulten Alter nur mäßig zu, danach aber deutlich ab. Alter und Geschlecht sind hier also erkennbar verschränkt; die Betrachtung von nur einem Faktor würde zu einem falschen Bild führen. Beachtet werden muss zudem, dass Geschlechterkonzepte stets Ideale und Verhaltensnormen darstellen. Das Verhalten der Individuen wird hiervon stets in einem gewissen Ausmaß abweichen. Einzelne Personen verstoßen darüber hinaus deutlich gegen die entsprechenden Normen. Auf archäologischem Weg können wir Teile des Geschlechterkonzeptes einer sozialen Gruppe ermitteln, aber kaum das individuelle Verhalten. Ein weiterer, besonders schwer zu umgehender Fallstrick der Geschlechterforschung ergibt sich aus der Tatsache, dass in unserem Denken das Geschlecht einer Person ein sehr wesentliches Kriterium darstellt. Wir neigen deshalb dazu, diesem Faktor bei der Gliederung

sozialer Gruppen ein hohes Gewicht beizumessen. Auch erwarten wir, dass bei bildlichen Darstellungen von Menschen stets das Geschlecht erkennbar ist, bis hin zur Deutung von Tieren oder Symbolen als weiblich und männlich. Dies lässt sich beispielsweise für die Darstellung auf hallstattzeitlichen Keramikgefäßen aus Sopron verfolgen (Brandt 1998: 280-282). Trotz der stark abstrahierten Darstellung von Menschen und dem Fehlen eindeutiger Geschlechtsmerkmale werden diese aufgrund der Kleidung von den meisten AutorInnen alle als Frauen gesehen (z.B. Ternan 1996: 525-529; Kossack 1999: 141). Anforderungen Aus den genannten Voraussetzungen und Schwierigkeiten ergibt sich eine Reihe von Anforderungen an Untersuchungen zum Geschlechterkonzept prähistorischer Gruppen: - Offenlegung der eigenen theoretischen Prämissen; wie wird beispielsweise der Zusammenhang zwischen Biologie und sozialem Geschlecht gesehen? - keine Überbewertung einzelner Aspekte, keine archäologische Geschlechtsbestimmung aufgrund eines einzelnen Merkmals - neben Beigaben immer auch andere Aspekte von Bestattungen einbeziehen - Überlagerung des Faktors Geschlecht durch andere soziale Gliederungen berücksichtigen - Zeitliche und räumliche Unterschiede ausreichend berücksichtigen, keine generalisierenden Aussagen über große Räume und ganze Epochen. - Vorsicht bei Schlüssen ex silentio: Nicht erkennbar geschlechtsspezifische Bestattungssitten bedeuten beispielsweise nicht zwingend, dass keine ausgeprägte Arbeitsteilung innerhalb der zugehörigen Bevölkerung bestand. Fazit Während Kästner (1999: 8) noch 1999 archäologische Geschlechterforschung überwiegend „im Untergrund” sah, ist das Thema heute gerade dabei, in Mode zu kommen. Dies kann dazu verführen, auf schon länger untersuchten Gräberfeldern verschiedene Aspekte nun noch einmal nach Frauen und Männern auszuzählen, 97

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ohne die biologistische Auffassung, dass der Körper vollständig das Geschlecht bestimme, anzutasten. Dies wäre jedoch nur alter Wein in neuen Schläuchen. Archäologische Geschlechterforschung ist meines Erach-

tens nur dann sinnvoll möglich, wenn Geschlecht als soziale Einrichtung der jeweiligen Gesellschaft und somit als variabel begriffen wird.

Anmerkungen

Literatur

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“Working in a saltmine…” Erste Ergebnisse der anthropologischen Auswertung von Muskelmarken an den menschlichen Skeletten aus dem Gräberfeld Hallstatt Doris Pany

Abstract

In recent years, various studies on occupationally- induced stress markers on skeletal remains have produced reliable and useful results concerning habitual activities of past populations.These markers are also known as “musculoskeletal stress markers” (MSM),“stress lesions” or “enthesopathies”.The MSM are a result of occupational hyperactivity and appear as pittings or furrows into the cortex of the bone, where a muscle, tendon or ligament inserts. Latest studies on enthesopathies have now refused identifying specific activities from single muscles of single individuals, because many of them ended in mixed results (Cunha 1998; Robb 1998; Stirland 1998).Therefore most new studies concentrated on the investigation of muscle groups, in order to find new insights into the organisation of activities within a population (Robb 1998; Stirland 1998).The present study focuses on comparing sex specific differences in heavily used muscle groups based on enthesopathies.They were recorded on skeletons from the prehistoric Hallstatt (Austria) cemetery. From the archaeological record, it remained unclear whether females actually worked in the mines in the Hallstatt Period.The present results indicate that females were involved in the mining process, obviously including a division of labour between the sexes.The Hallstatt cemetery, dating 800350 B.C., is located next to the oldest yet known salt mine in Europe in a difficult accessible mountain valley. Based on contemporary archaeological findings in the old mines, interpretations of the ancient way of mining are correlated with the results.This study is a new approach in lighting up occupation and lifestyle of the people buried in this Early Iron Age cemetery. A total of 215 recovered skeletons was investigated. 27 muscle and ligament origin and attachment sites from upper extremity bones were examined visually and scored for MSM type and severity. From the results it was possible to reconstruct a range of activities likely to be performed by the Hallstatt people, going along with movements required around mining salt.A division of labour between the sexes can be concluded from the different muscle use: the males show stronger muscle marks from muscles used in stroke movements (e.g. M. triceps brachii (long head), M. pectoralis major, M. latissimus dorsi).The females display higher MSM scores in muscles active in flexing the elbow and lifting heavy loads (e.g. M. brachialis, M. biceps brachii). 101

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Einleitung Im Rahmen der anthropologischen Studie der Skelette vom Gräberfeld Hallstatt, Oberösterreich (800-350 v. Chr.), erfolgte eine spezielle Analyse arbeitsbedingter Überlastungsspuren an den Knochen. Für die Untersuchung wurden in erster Linie Muskelmarken, beziehungsweise eine extrem ausgeprägte Form davon, sogenannte „Enthesopathien“ (engl.“enthesopathies“, auch “musculoskeletal stress markers” (MSM) genannt) herangezogen, welche an den Knochen in Form von Lochbildungen oder Rillen sichtbar sind. In früheren Muskelmarken-Studien wurden spezifische Aktivitäten anhand von einzelnen Muskeln einzelner Individuen identifiziert. Da viele dieser Studien sehr unterschiedliche Ergebnisse erbrachten (Cunha 1998; Robb 1998; Stirland 1998), wurde in neueren Arbeiten verstärkt darauf geachtet, nur jene Muskelgruppen auszuwerten, die in einer bestimmten Bewegung beansprucht werden, um so Aussagen über die Organisation von Aktivitäten innerhalb einer Population zu gewinnen (Robb 1998; Stirland 1998). Eines der Ziele der hier präsentierten Untersuchung ist der Versuch einer Rekonstruktion der Lebensweise der Hallstätter Bevölkerung. Das Hallstätter Gräberfeld (800-350 v. Chr.) liegt in einem schwer zugänglichen Hochtal, unterhalb des ältesten bekannten Salzbergwerkes in Europa. Die diesbezüglich zu testende Hypothese ist, ob die Menschen, die in diesem Friedhof fast durchwegs mit reichen Grabbeigaben bestattet sind, ident sind mit jenen, die zeitgleich im Bergwerk Salz abgebaut haben. Diese Untersuchung ermöglichte es auch, der Frage nach der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern innerhalb der adulten Hallstatt-Population nachzugehen. Aus den archäologischen Daten gibt es bisher als Hinweis auf im Salzbergwerk der Hallstattzeit tätige Frauen zwei im Bergwerk gefundene Lederschuhe in den Größen 31-32 und 34-35. Allerdings könnten die Schuhe auch von Jugendlichen stammen (Barth 1992). Durch die Zusammenführung der anthropologischen und der archäologischen Funde aus dem Bergwerk war es möglich, eine Reihe von speziellen Aktivitäten rund um den Salzabbau zu rekonstruieren. Wird ein Muskel regelmäßig trainiert, so wird die Ansatzstelle am Knochen größer und kräftiger. Wird er aber ständig über seine eigentliche Kapazität hinaus 102

beansprucht, verliert er auf Dauer die Fähigkeit, diesen Stress zu absorbieren. Schließlich reißen kleine Muskelfasern, es kommt zu einer Unterbrechung der Blutzufuhr (Mikrotrauma), und zum Absterben des Gewebes. Da Knochengewebe schneller ab- als aufgebaut wird, ist der Heilungsprozess verhindert, und es entstehen Lochbildungen im Knochen, die sogenannten „Enthesopathien“. Das Wort kommt vom englischen “enthesis” und bezeichnet die Insertionsstelle einer Sehne, eines Ligaments oder einer Gelenkskapsel am Knochen. Eine Enthesopathie (engl. “enthesopathy”) bezeichnet eine Veränderung an dieser Stelle (Resnick, Niwayama 1983; Hawkey, Merbs 1995). Enthesopathien können in Form von lytischen Läsionen (osteolytische Form) oder starkem Osteophytenwachstum (osteophytische Form) (Mariotti et al. 2004) an den Insertionsstellen von Sehnen, Ligamenten oder Gelenkskapseln am Knochen auftreten. Klinische Manifestationen von Enthesopathien sind auch heute häufig und treten als krankhafte Veränderungen von Sehnenansätzen auf (z.B.Tennisarm). Ursachen dafür können degenerativ (durch Über- oder Fehlbelastung), entzündlich („Enthesitis“) oder metabolisch (Stoffwechselstörung) bedingte Krankheiten sein. Degenerativen Erscheinungen gehen Mikrotrauma oder Dysfunktionen voraus, und sie äußern sich in Form von Schmerz,Taubheitsgefühl, Schwellung oder Belastungsintoleranz (Schürer 2004). Diese Erkrankungen werden heute mittels Röntgen oder Ultraschall diagnostiziert und mit örtlichen Betäubungsmitteln oder Nervenblockaden behandelt. Enthesopathien, die durch eine Hyperaktivität der entsprechenden Muskeln verursacht wurden, sind von solchen mit metabolischem oder entzündlichem Hintergrund zu unterscheiden (Dutour 1986). In der vorliegenden Arbeit wird nur auf die aktivitätsbezogenen Enthesopathien eingegangen. Das Heranziehen von Enthesopathien für Betätigungsanalysen setzt den direkten Zusammenhang von Ausprägungsgrad und Typ der Muskelmarke mit Umfang und Dauer des habituellen Stresses, der auf bestimmte Muskeln wirkt, voraus. Die Vermutung, dass die Ausbildung von Enthesopathien mit spezifischen Aktivitäten korreliert, basiert auf einer Reihe von kinematischen und elektromyographischen Studien aus der Sport- und Arbeitsmedizin in den letzten fünfzig Jahren (Dutour 1986; Hawkey, Merbs 1995).

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Die untersuchten Skelette repräsentieren nur einen kleinen und zufälligen Teil der gesamten in Hallstatt begrabenen Bevölkerung. Die hier vorgestellte Untersuchung bildet einen ersten Beitrag der Analyse dieser Menschen und ihrer Lebensumstände.

Material Insgesamt wurden 215 Skelette aus den verschiedenen Grabungsperioden im Hallstätter Hochtal bis zur Grabungssaison 2001 in die Untersuchung miteinbezogen. Die von den älteren Grabungen erhaltenen Skelette stammen aus den Saisonen Hutter/Stapf/Hochstetter in den Jahren 1877/78, und Hutter/Ritter/Hauer/Szombathy 1886. Weitere menschliche Knochen wurden dann von Morton (1937-1939), Sauser (1948) und schließlich Kern (ab 1993, Kern 1997) freigelegt und geborgen. Die Skelette stammen jeweils zum Teil aus dem Museum Hallstatt, dem OÖ. Landesmuseum Linz und dem Naturhistorischen Museum Wien. Um für alle Skelette von der gleichen Befundungsbasis ausgehen zu können, wurden jene aus den frühen Grabungen, die bereits Kloiber und Ehgartner alters- und geschlechtsbestimmt haben (in Kromer 1959) von der Autorin (Pany 2003) einer neuerlichen Untersuchung unterzogen, Skelette mit sehr schlechtem Erhaltungszustand und subadulte Individuen wurden von der MSM Analyse ausgeschlossen.Von der Gesamtserie der 175 (81,4%) Erwachsenen konnten 99 Skelette (45%, 48 männlich, 24 weiblich, 27 unbestimmt) für die deskriptive statistische Analyse herangezogen werden. Sie wurden in verschiedene Altersgruppen unterteilt (Tab. 1).

lich, wurde die „Facies auricularis“ zusätzlich zur Altersbestimmung herangezogen (Lovejoy, Meindl 1985), ebenso die „Facies articularis sternalis“ (Szilvássy 1977). Für die Enthesopathie- Untersuchung wurden insgesamt 27 Ursprungs- und Ansatzstellen von Muskeln und Bändern an der rechten und linken oberen Extremität (Scapula, Clavicula, Humerus, Radius, Ulna) untersucht. Sie wurden nach dem visuellen System von Hawkey und Merbs (1995) nach Enthesopathie Typ und Ausprägungsgrad beurteilt und innerhalb der Gruppe verglichen. Die Kategorien der Ausprägungsgrade sind standardisiert und wurden breit genug gewählt, um individuelle Unterschiede berücksichtigen zu können. So können inter- und intrapersonelle Befundungsschwankungen minimiert bzw. eliminiert werden (pStein, der zu etwas dientbenennen kelt. *h hat keine sicheren parallelen im festlandkeltischen. 2. Das urkelt. wort für ‘salz’, das aufgrund der inselkeltischen belege rekonstruiert werden kann, lautet *saletno- (die existenz eines wurzelnomens *sal im festlandkeltischen kann allerdings nicht ausgeschlossen werden). 3. Die ortsnmanen mit hall weisen geminiertes ll auf, wohingegen das wort für ‘salz’ ein einfaches l enthalten haben müsste. 4. Ortsnamen mit hall- finden sich ausschliesslich in germanischen siedlungsgebieten, nicht aber in anderen gegenden, die in der antike von keltischen völkern bewohnt wurden. 5. Die eindringenden germanischen völker hätten im frühmittelalter kaum sprecher keltischer sprachen in den Alpen antreffen können, sondern vielmehr romanen. Romanisch besitzt jedoch den laut /h/ nicht. 6. Die belege von hal(l) als appellativ im alt- und mittelhochdeutschen weisen auf die bedeutungen ‘salzsudstätte, salzsudpfanne’, nicht ‘salz’. Zur salzproduktion wurden im mittelalter andere techniken verwendet als in der eisenzeit. 7.Viele der orte mit hall im namen haben keine siedlungskontinuität seit der antike; die meisten sind gründungen des früh- und hochmittelalters. Daher sollte nicht im keltischen, sondern im germanischen nach einer etymologie für hall gesucht werden. In den letzten 150 jahren wurden tatsächlich mehrere germanische vorschläge gemacht, die aber alle nicht ohne semantische oder phonologische probleme sind. Mein neuer vorschlag ist, hall von urgerm. *χallan herzuleiten, das uridg. *kalnom oder *kHlnom ‘verhärtete haut’ (vgl. lat. callum ‘harte haut, schwiele’) fortsetzt. Das muss sich urspr. auf die salzkruste bezogen haben, die sich beim sieden bildet.Vom derart produzierten salz wäre dann die bezeichnung auf das instrument bzw. den ort der produktion übertragen worden.

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Abstract

An etymology from a putative Celtic *hal ‘salt’ < PIE *sal has been claimed for various placenames attested from the middle ages onwards, containing an element hall in Central Europe, among them most notably Hallstatt and Hallein. But this etymology is rendered unlikely, if not impossible by a number of facts: 1.The required sound change PIE *s > Celtic *h has no convincing parallel in Continental Celtic. 2.The Proto-Celtic word for ‘salt’, that can be reconstructed on the basis of the Insular Celtic languages, is *saleyno-, although the existence of a root noun *sal cannot be excluded for Continental Celtic. 3.The placenames in hall unequivocally show a geminated ll, whereas a word for ‘salt’ would have contained a single l. 4. Placenames in hall- are found exclusively in areas settled by Germanic peoples, but not in other areas inhabited by Celtic peoples in antiquity. 5. It is highly unlikely that the invading Germanic peoples of the early middle ages would have encountered speakers of Celtic languages in the Alpine regions, but rather speakers of Romance languages. Romance does not possess the sound /h/. 6.The attestations of hal(l) as a proper noun in Old and Middle High German point to a meaning ‘place where salt is produced by simmering brine, salt pan’, not ‘salt’. Furthermore the method of saltproduction in the middle ages was completely different from Iron Age salt-mining. 7. Most of the places with hall in their name lack a continuous settlement since antiquity; most of them are foundations of the early and high medieval period.Therefore an etymology for hall has to be found within Germanic, not Celtic.Various Germanic proposals have been made in the last 150 years, none of which is without semantic or phonological problems. My new proposal is to derive hall from Proto-Germanic *χallan, which continues PIE *kalnom or *kHlnom ‘hardened skin, encrustation’ (cp. Latin callum ‘horny skin, callus’).This originally must have referred to the encrusted salt that forms in during the simmering of brine. From the salt thus produced the word must have been transferred to the instrument and place of simmering.

1. Problemstellung und Materialsammlung 1.1. Zwei orte im süddeutschen raum, Hallstatt und Hallein, deren namen vom etymon hall gebildet sind, nehmen eine berühmte und zentrale stellung in der erforschung des eisenzeitlichen und keltischen Alpenraumes ein. Ob und in welcher weise keltische bzw. vorkeltische völker mit der Hallstattkultur in verbindung zu bringen sind, ist in archäologie und geschichte heftig umstritten. Das tut hier aber nichts zur sache. Für meine fragestellung ist vor allem wichtig, dass Hallstatt und Hallein gemeinhin mit kelten assoziiert werden. Da in manchen keltischen sprachen das wort für ‘salz’ die silbe hal- enthält, wurde diesen ortsnamen ein hohes alter zugesprochen. Haben wir es mit einer alten traditionslinie zu tun, die direkt aus der beginnenden mitteleuropäischen eisenzeit in die moderne epoche 230

reicht? In der populärwissenschaftlichen literatur fällt die antwort klar aus. Dort wird die keltizität von hall, insbesondere was Hallstatt und Hallein betrifft, wie eine erwiesene tatsache gehandelt, oder die sache wird zumindest so ins licht gerückt, als käme der keltischen etymologie die höchste erklärkraft zu. In der germanistischen und onomastischen fachwelt herrscht allerdings schon seit dem 19. jahrhundert einigkeit darüber, dass das namenselement hall nicht keltischen, sondern germanischen, genauer, deutschen ursprungs ist. Dass sich die communis opinio der fachwelt nicht bis in die populärwissenschaft durchgesprochen hat, ist eine bemerkenswerte, aber für kulturwissenschaftliche fächer ganz und gar nicht untypische erscheinung. Ein faktor mag die beharrkraft einmal etablierter lehrmeinungen im kollektiven bewusstsein sein, die auch wissenschaft-

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liche umwälzungen mühelos überstehen, wenn diese nicht mit aller entschiedenheit oktroyiert werden. Im vorliegenden fall kommen auch der besondere glamour und die grössere soziopolitische akzeptanz zum tragen, die im deutschen sprachraum nach dem zweiten weltkrieg einer unverfänglichen keltischen erklärung den vorzug vor einer in misskredit geratenen germanischen gewährten. Da die vorstellung der keltischen herkunft des ortsnamenselements hall noch immer so verbreitet ist, zumal auch in ausserlinguistischen fachpublikationen,2 sollen im folgenden artikel die fakten zur beleglage der hall-namen in der onomastik und im lexikon noch einmal untersucht, die argumente für und gegen ihre keltizität noch einmal abgewogen und aktuelle deutungsvorschläge noch einmal unter die lupe genommen werden. 1.2. Den beginn bildet eine liste von toponymen, die ein, bzw. das element hall enthalten. Die liste wurde aus online-ortsnamenregistern staatlicher postdienste, historischen ortsnamenwörterbüchern vor allem Österreichs und aus angaben in fachartikeln zum thema zusammengestellt. Die liste liesse sich durch eine eingehendere erfassung von hof- und flurnamen noch erweitern, die hier nur auszugsweise aufgenommen wurden. Der schwerpunkt der namen liegt im süddeutschen Alpenraum, in geringerer dichte finden sie sich aber auch in einem bogen von Nordrhein-Westfalen bis Niedersachsen. In Österreich häufen sich hall-namen in Salzburg, Oberösterreich und der Steiermark. Manche davon sind sekundär von anderen hall-orten abgeleitet. So trügt die relativ grosse zahl einschlägiger namen in Tirol: A-6060 Hallerbrücke ist z.b. nach der brücke benannt, die nach Hall geht; oder ebenso A6108 Hallerangeralm, die eine dem Halltal, dem ursprünglichen ort des sudhauses, benachbarte alm ist. In Oberösterreich ist z.b. A-4594 Hallerschacher von Bad Hall abgeleitet, zu dessen besitz es gehörte. Einige namen gehören überhaupt nicht zu der hier untersuchten sippe, wie z.b.A-5300 Hallwang, das im 10. jh. urkundlich als Haldinwanc ‘hangwiese’ belegt ist. In Deutschland ist wohl Halligdorf ein fall, dem das etymon ‘heilig’ zugrunde liegt. Für die vorliegende arbeit wurden nur die namen in Österreich systematisch darauf untersucht, ob sie sekundär abgeleitet oder gar nicht zu der sippe gehörig sind.

1.2.1. Österreich: A-4540 Bad Hall, früher auch Herzogenhall (OÖ), Halbach (gewässername, gem. A-3161 St.Veit an der Gölsen, NÖ), Hall (hof, gem. A-4452 Ternberg, OÖ), A8911 Hall (Oberhall, Unterhall) bei Admont (Stmk.), A-6060 Hall in Tirol,3 Hallach (hof, gem.A-4594 Grünburg, OÖ), Hallbach (gewässername, gem.A-4830 Hallstatt, OÖ), Hallberg (bergname, gem. A-4830 Hallstatt OÖ), A-8692 Hallegg (gem. Neuberg an der Mürz, Stmk.),A-5400 Hallein (Szbg.), Halleiten, Hallereck, Hallerleiten (flurnamen bei A-3335 Weyer, OÖ), A-5422 Halleiten (gem. Hallein, Szbg.), A-6108 Hallerangeralm (gem.Absam,Tirol), Hallerbach (gewässername, gem.A8911 Hall bei Admont),A-5205 Hallergut (gem. Schleedorf, Szbg.),A-2872 Hallerhaus am Wechsel (gem. Pinggau, Stmk.), Hallerhof (gem.A-4441 Behamberg, NÖ), Haller(mühle) (2853 Bad Schönau, NÖ), A-4594 Hallerschacher (gem. Waldneukirchen, OÖ), A-8564/8565 Hallersdorf (gem. St. Johann-Köppling, Stmk.), Hallinger (hof,A-8853 Rauten, Stmk.),A-6154 Hallingerhöhe (gem.Vals, Tirol), Hallmoos (flurname, gem. A-4830 Hallstatt OÖ), A-5600 Hallmoos (gem. St. Johann im Pongau, Szbg.), A-4144 Hallschlag (gem. Oberkappel, OÖ),A-5441 Hallseiten (gem.Abtenau, Szbg.),A-4830 Hallstatt (OÖ), A-8630 Halltal bei Mariazell (Stmk.), A-6067 Halltal (gem. Absam, Tirol), A-5351 Hinterhalleswies (gem. St. Wolfgang, OÖ), Michelhall und der bachname Michelhallbach (hist., Stmk., bei Altaussee), A-4784 Ohrhalling (gem. Schardenberg, OÖ), A5351 Vorderhalleswies (gem. St.Wolfgang, OÖ). unklar: Hallansberch (unbekannt, dok. 12. jh.),A-5090 Hallenstein (gem. Lofer, Szbg.),A-6673 Haller am Haldensee (gem. Nesselwängle,Tirol), A-8271 Haller (gem. Sebersdorf, Stmk.), Haller (hof, gem. A-8151 Attendorf, Stmk.), Haller am Hallerberg (gem. A-4300 St.Valentin, NÖ), Hallerberg (gem.A- Hochriess, NÖ). nicht dazugehörig: Hallbach (gem.A-5322 Hof bei Salzburg),A-9061 Hallegg (gem. Klagenfurt, Ktn.), A-6156 Hallenstein (gem. Gries am Brenner, Tirol), A-6370 Hallerndorf (gem. Reith bei Kitzbühel,Tirol), Hallwang (Bauernhaus bei Großendorf, gem. A-4551 Ried im Traunkreis, OÖ), A-4653 Hallwang (gem. Eberstallzell, OÖ),A-5300 Hallwang bei Salzburg (Szbg.). 231

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1.2.2. Deutschland: D-83435 Bad Reichenhall, Halla bei D-84558 Kirchweidach, Hallabruck bei D-83362 Surberg, Hallah/Forsthaus bei D-27729 Vollersode, Hallaich am Teisenberg bei D-83313 Siegsdorf in Oberbayern, Hallalit bei D17184 Vollrathsruhe, Hallbach bei D-09526 PfaffrodaHallbach, D-85399 Hallbergmoos, Hallbruch in Westfalen bei D-32469 Petershagen an der Weser, Halle bei D31604 Raddestorf, Halle bei Sieg bei D-51597 Morsbach bei Sieg, D-49843 Halle bei Neuenhaus, Dinkel, D-37620 Halle, Kreis Holzminden, D-06001-06142 Halle an der Saale, D-33790 Halle in Westfalen, D-59969 Hallenberg, Hallendorf bei D-38*** Salzgitter, Hallenhausen bei D-28816 Stuhr, Hallenhausen in der Oberpfalz bei D-92345 Dietfurt an der Altmühl, Hallensen bei D37574 Einbeck, Haller bei D-88284 Wolpertswende, Haller im Kreis Biberach an der Riß bei D-88410 Bad Wurzach, Hallerbach bei D-53578 Windhagen im Westerwald, Hallerburg bei D-31171 Nordstemmen, Hallermühle in Niedersachsen bei D-31832 Springe/Deister, D-91352 Hallerndorf, Hallersberg in Württemberg bei D-88250 Weingarten in Württemberg, Hallerschneid bei D-83123 Amerang, Hallershof bei D-91238 Offenhausen in Mittelfranken, Hallerstein bei D-95126 Schwarzenbach an der Saale, Hallerstraße im Kreis Bersenbrück bei D-49638 Nortrup, Hallgarten im Rheingau bei D65375 Oestrich-Winkel, D-67826 Hallgarten in der Pfalz, Halligdorf bei D-29525 Uelzen in der Lüneburger Heide, Hallnberg bei D-85469 Walpertskirchen, D-54611 Hallschlag, D-96103 Hallstadt, Hallstedt bei D-27211 Bassum, D-99826 Hallungen, Hallwangen bei D-72280 Dornstetten in Württemberg, Hallweg bei D-83324 Ruhpolding, Saline Luisenhall bei D-37081 Göttingen (moderne benennung), Saline Wintershall (moderner firmenname), D-74523 Schwäbisch Hall.4 1.2.3. Demgegenüber nimmt sich der befund aus der Schweiz bescheiden aus, die nur zwei einschlägige ortsnamen aufweist: CH-8215 Hallau mit der nachbargemeinde CH-8216 Oberhallau (kn. Schwyz), sowie CH-5705 Hallwil (kn.Aargau); keiner der orte hat etwas mit salzabbau zu tun.5 Die seltenheit von hall-namen in der Schweiz mag damit zusammenhängen, dass die Schweiz keine eigenen, in grossem rahmen abbaubaren salzvorkommen besitzt. Die salinen Bex (kn. Waadt) und Schweizerhalle (kn. Basel) konnten erst im 17. bzw. 19. 232

jahrhundert aufgrund moderner, fortgeschrittener technik erschlossen werden. 1.2.4. In den Beneluxstaaten sind vier scheinbar einschlägige ortsnamen anzutreffen. In den Niederlanden Halle bei Xanten, in Belgien Halle-Booienhoven bei Leuven (Brabant), Halle bei Antwerpen, Halle bei Brüssel. Keiner der orte weist eine historische salzproduktion auf. Daher ist anzunehmen, dass in diesen fällen nicht das hier untersuchte etymon hall, sondern das anklingende halle ‘überdachter’ bau vorliegt, mit dem hall im mittelhochdeutschen übrigens öfters verwechselt wurde.

2. Keltisch hall? 2.1. Der entscheidende punkt, der die assoziation von Hallstatt usw. mit einer keltischen sprache so attraktiv gemacht hat, ist der umstand, dass das wort für ‘salz’ in einigen keltischen sprachen irgendwie wie hal- lautet. Aber eben nur so irgendwie. Denn erstens handelt es sich dabei nicht um keltisch insgesamt, sondern nur um einen zweig der inselkeltischen sprachen, nämlich die britannischen sprachen kymrisch, kornisch und bretonisch. Deren wort für ‘salz’ ist jedoch nicht hal, sondern späturbrit. *halen < urkelt. *saleyno-.6 In den einzelsprachen lauten die formen: mkymr. halwyn, halaen, halen, nkymr. halen, mbret. holen, nbret. holen, c’hoalen (mit metathese aus *haloen, *haloan), gwenedeg halén, akorn. haloin, spätkorn. holen. Im altirischen setzt salann dieselbe bildung aber ohne den britannischen lautwandel s > h fort.Vermutlich ebenfalls von diesem etymon abgeleitet sind die adjektive mkymr. halawc, nkymr. halog, abret. haloc, air. salach ‘schmutzig, beschmutzt’. Es ist bisher nicht klar, wie das ‘salz’ im festlandkeltischen hiess. Salo-, das auf ein einsilbiges *sal hindeutet, kommt zwar in der altkeltischen onomastik vor (z.b. Salodurum ‘Solothurn,’ Salomaco ‘Salles (dept. Gironde)’ etc.), aber da die bedeutung dieser namen nicht feststeht, gibt es keine gewissheit, dass in diesen namen tatsächlich dieses etymon und nicht ein ganz anderes vorliegt.7 Es ist auch nicht bekannt, ob nicht im altkeltischen eventuell ebenso wie in den inselkeltischen sprachen als gewöhnliche bezeichnung für das mineral ein suffigiertes *saleyno- gebraucht wurde. Der lautwandel s > h im wortanlaut in den oben ge-

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nannten britannischen wörtern ist eine erscheinung der ersten hälfte des ersten jahrtausends nach Christus. Komplett vollzogen war der lautwandel erst ungefähr im 6. jahrhundert (Jackson 1953: 520; Sims-Williams 2003: 22; 106; 142).8 1000 jahre, 1000 kilometer von Hallstatt entfernt. Für das gallische, dem eine nähe zum britannischen nachgesagt wird, ist ein solcher lautwandel im wortanlaut nicht bezeugt. Im gegenteil gibt es sogar sehr viele beispiele, die die erhaltung von s in dieser position erweisen, z.b. das bereits erwähnte Salodurum, das als Solothurn weiterlebt, oder aus Gallien selbst die stadt Sens, die den volksnamen Senones, und das dorf Saugues (dept. Haute-Loire), das *salikas ‘weiden’ (ursprünglich akkusativ plural?) fortsetzt. Ausserhalb der onomastik kann auf die spätgallische inschrift von Châteaubleau verwiesen werden (datierung etwa ins 2. oder 3. jh. n. Chr.), die zahlreiche wörter mit anlautendem s aufweist, z.b. siaxsiou (etwa) ‘ich werde suchen.’ Auch im wortinneren ist s im gallischen erhalten, vgl. die Traisen und die Dreisam < *Tragisama oder Lesme (dept. Saône-et-Loire) < *Letisama.9 Es wäre prinzipiell denkbar, dass der lautwandel s > h im wortanlaut unabhängig von der britannischen entwicklung zu einem früheren zeitpunkt auch hier im Alpenbereich eingetreten ist. Eine solche annahme kann aber nur getroffen werden, wenn sie durch weitere ortsnamen im selben gebiet mit anlautendem h gestützt wird, die auf indogermanische etyma mit s zurückgehen. Um das zu überprüfen, habe ich die im ortsregister des Österreichischen Telephonbuchs verzeichneten orte, die mit h beginnen, mithilfe der etymologischen ortsnamenlexika auf ihre herkunft untersucht. Das Österreichische Telephonbuch enthält nicht alle ortsnamen des bundesgebiets, sondern nur jene mit eigener postleitzahl. Dennoch ergibt sich ein repräsentativer querschnitt. Das ergebnis ist eindeutig: Praktisch alle diese namen sind deutsche bildungen, der eine oder andere fall ist slavischen ursprungs. Ortsnamen, die auf antike namen mit s zurückgehen, kommen darunter nicht vor.Was ergibt die gegenprobe, nämlich die suche nach ortsnamen mit anlautendem s, die auf antike namen zurückgehen? Zufälligerweise finden sich gerade in Österreich dafür fast keine belege. Die einzigen beispiele, auf die ich gekommen bin, sind der name der Sölk in der Steiermark < *salika ‘weidenfluss’ (erstbeleg: 1080 Selicha) und die Saalach (erstbeleg: 780 Sala). In Tirol ist der flussname Sill zu nennen (erstbeleg: Sul-

le). Der mangel an beispielen ist sicherlich im allgemeinen mangel an ortsnamen prähistorischer und antiker herkunft in unserer heimat mit der ausnahme von Tirol und Salzburg begründet.10 Aber schon in der näheren umgebung von Österreich gibt es einige klare beispiele für erhaltenes s: Solothurn in der Schweiz aus Salodurum, Straubing in Bayern aus Soruiodurum, Salurn in Südtirol aus Salurnis. Also ringsherum kein anzeichen für die verhauchung von anlautendem s. Das macht auch die annahme eines derartigen lautwandels in Österreich insgesamt wenig wahrscheinlich.11 2.2. Im alt- und mittelhochdeutschen bedeutet hal(l) nicht ‘salz,’ wie man bei der herleitung von einem keltischen wort für ‘salz’ erwarten würde, sondern den ‘ort, wo das mineral erzeugt oder verarbeitet wird’ (vgl. Schwarz 1925: 187 und Meineke 1999), offenbar ein geläufiger terminus technicus. In althochdeutschen texten kommt das wort nicht als simplex vor, was aber beim beschränkten korpus der sprache nicht verwunderlich ist. Es tritt aber als erstglied von komposita auf. In einem rezept finden man halasalz ‘hall-salz’, d.h. salz, das durch sieden aus sole gewonnen wurde, offenbar als kontrastive bildung zu merisalz ‘meersalz’, erdsalz ‘salz aus der erde, steinsalz’ und lûtarsalz ‘natürliches laugensalz, steinsalz’. Halasalz ist also etwas anderes, als das bei der verdunstung am meer zurückbleibende, und etwas anderes, als das in brocken abgeschlagene salz. Dazu tritt noch das kompositum halhûs ‘hall-haus’, das in einer bibelglosse lateinisches salina erklärt. In anderen handschriften, die dieselben bibelstellen glossieren, wird salina mit den ausdrücken salasutî, -sutil, sulza glossiert. Die gleichwertigkeit von halhûs und salasutî ‘salzsiedeanlage’ erlaubt diese bedeutungszuweisung auch für ersteren begriff, sofern noch ein zweifel daran besteht, dass die frühen deutschen ihr salz im sudverfahren und nicht im prähistorischen abbauverfahren innerhalb des bergwerks gewannen. Das unkomponierte simplex hal, ein starkes neutrales substantiv, ist schliesslich im mittelhochdeutschen als appellativ in der bedeutung ‘salzquelle, salzwerk’ belegt. Andere erst ab dieser zeit belegte komposita wie halgrâve ‘vorsteher und richter in sachen des salzwerks (?)’ und halschrîber ‘schreiber in einem salzwerke’ sind für die bedeutungsbestimmung von hal(l) kaum aussagekräftig. Das starke femininum halle ‘hal233

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le,’ das auch für den ‘platz für die bereitung und aufbewahrung des salzes’ verwendet wurde, weist zwar eine lautliche ähnlichkeit auf, gehört aber etymologisch nicht zu dem hier untersuchten wort. Die alt- und mittelhochdeutschen onomastischen belege stützen diesen eindruck. Eine urkunde aus dem 8. jh. aus Bad Reichenhall sagt ad salinas quae dicitur Hall ‘bei der salina, die Hall genannt wird’ (Notitia Arnonis 6, 26; zitiert nach Reiffenstein 2004: 368). Anno 777 heisst es von Bad Hall in OÖ salinam, que ad Sulzibach est, et tres homines ibi habitantes salem coquentes ‘die saline, die am Sulzbach liegt, und drei männer leben dort, die salz kochen’ (UB OÖ 2 Nr. 2; zitiert nach Hausner 1989-: 486). Hall bei Admont in der Stmk. wird in einer urkunde aus dem jahr 931 als ad Adamunton locum patellarem ‘pfannstatt bei Admont’ bezeichnet (UB Salzbg 1, 80; zitiert nach Hausner 1989-: 487). Lat. patella bedeutet ‘pfanne,’ im zusammenhang mit der salzgewinnung ‘sudpfanne.’ D.h. in all diesen fällen wird hall als ein wort verstanden, das den ort der salzproduktion, sei es jetzt des ursächlichen abbaus oder der anschliessenden weiterverarbeitung, bezeichnet, aber nicht als das mineral salz. Die auslautende liquida sowohl des alt- und mittelhochdeutschen appellativs, als auch des ortsnamenelements hall ist geminiert, wie sich aufgrund von schreibungen wie apud Halle (1090-1101) und aufgrund des kurzen a der ortsnamen im heutigen deutsch klar zeigt. Die einfachschreibung im silbenauslaut z.b. in ahd. halhûs oder mhd. hal ist eine orthographische konvention und beweist kein einfaches l (Braune, Reiffenstein 2004: 96 = § 93). Bei der entlehnung eines hypothetischen keltischen *hal mit einfachem l < idg. *sal ‘salz’ ins deutsche müsste eine ansonsten beispiellose gemination angenommen werden. 2.3. Orte mit dem element hal(l) sind nur auf den deutschen, bzw. südgermanischen raum beschränkt.Wenn derartige namen altes keltisches sprachgut fortsetzten, müssten vergleichbare namen aber auch in anderen ehemals keltisch besiedelten regionen, speziell in Frankreich und in Norditalien, anzutreffen sein. Gerade in diesen beiden ländern haben sich ja keltische ortsnamen in grosser anzahl bis heute gehalten. Meines wissens gibt es keine ortsnamen in diesen ländern, die mit *(h)al- anlauten und in denen salz produziert wird. 234

2.4. Eine frage, der bisher noch nicht die nötige bedeutung beigemessen wurde, ist, wie die überlieferung eines altkeltischen bzw. vorrömischen, möglicherweise hallstattzeitlichen ortsnamens bis in deutsche zeit überhaupt von statten gehen hätte sollen. Zur soziolinguistischen gliederung der bevölkerung des Alpenraums zur zeit der bajuwarisierung fehlen weitgehend historische quellen. Aufgrund allgemeiner tendenzen im spätantiken Römischen Reich und aufgrund des ortsnamenbefundes im Alpenkernland (in Österreich vor allem in Tirol, zum teil auch in Salzburg) lässt sich aber konstatieren, dass die bairischen einwanderer wohl auf eine romanischsprachige bevölkerung trafen. Selbst wenn es zu diesem zeitpunkt in geographischen rückzugsgebieten, wie es das Hallstätter tal gewesen sein kann, noch siedlungen gegeben haben sollte, in denen eine keltische sprache das primäre interne kommunikationsmittel war, so wird aus soziolinguistischen erwägungen heraus auch für solche bevölkerungsgruppen latein als die verkehrssprache nach aussen, vor allem zu des keltischen nicht mächtigen fremden, anzusehen sein. Es ist jedoch wenig wahrscheinlich, dass im gebiet um den Hallstätter See in der spätantike oder im frühmittelalter noch eine keltische sprache gesprochen wurde. Funde aus der Lahn in Hallstatt zeigen, dass es in der kaiserzeit unterhalb des salzberges eine römische siedlung gab und dass Hallstatt über einen saumpfad mit den hauptverkehrsrouten verbunden war (Gassner, Jilek 2002: 98 und 143). In einem solchen umfeld ist es unwahrscheinlich, dass sich bei den starken romanisierungstendenzen, die im gesamten westlichen kaiserreich herrschten, eine einheimische sprache lange halten hätte können.12 Wenn das Hallstätter tal in der spätantike romanisiert war, ergibt sich allerdings ein problem für die überlieferung des ortsnamens: Das romanische, bzw. dessen vorgänger, das vulgärlateinische, besass den laut /h/ nicht, der für die intakte weitergabe eines ortsnamens mit hal(l) aus der keltischen vorgänger- in die germanische nachfolgersprache voraussetzung ist.13 14 2.5. Aber das gilt nur, falls es überhaupt zur zeit der bairischen landnahme noch eine bevölkerung in Hallstatt gab.Archäologisch ergibt sich der eindruck, dass es im besiedlungsablauf zwischen völkerwanderungszeit und hochmittelalter zu einem bruch gekommen war (Stöll-

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ner 1999: 445). Fehlende siedlungskontinuität betrifft auch andere Hall-orte.Weder in Hall in Tirol, noch in Hall bei Admont gibt es evidenz, dass die orte in der eisenzeit oder in der antike zur salzgewinnung genutzt wurden oder überhaupt besiedelt waren. In Hall bei Admont, nach ausweis der flurnamen eine slavische gründung (Walter 1991: 20-21; der name Hall ist natürlich jüngeren ursprungs), wurde nachweislich vom 10. bis zum beginn des 19. jahrhunderts salz im sudverfahren hergestellt, eine ein paar jahrhunderte bis in die slavische periode zurückreichende produktion ist aber nicht unwahrscheinlich (Walter 1991: 48).15 Hall in Tirol wurde erst im 13. jahrhundert gegründet (Günther 1972: 13-14). Das sudhaus befand sich zuerst am berg unmittelbar beim bergwerk im danach so benannten Halltal. Erst die aus verkehrstechnischen gründen erfolgte verlegung des sudhauses ins tal an den Inn führte zum entstehen einer ansiedlung, die den namen Hall erhielt. Hallein hiess bei seiner ersterwähnung 1198 noch Mulpach ‘Mühlbach’ und erhielt den namen Hallîn ‘klein-Hall’ erst bei der aufnahme des soleabbaus beim romanisch benannten salzlager Tuval kurz später (siehe dazu jetzt Reiffenstein 2004). Ein schwaches indiz für den kontinuitätsbruch zwischen römisch-keltischer spätantike und slavisch-germanischem frühmittelalter steuern die unterschiedlichen salzgewinnungstechniken bei. Bis in die römische kaiserzeit hinein wurde das salz in Hallstatt oder Hallein im festen zustand, als hauklein oder als grössere salzbrocken, gewonnen. Den archäologischen und schriftlichen quellen nach bedienten sich die bairischen neusiedler im Alpenraum aber der modernen abbautechnik, bei der zuerst das salz durch das verkochen natürlich aus dem berg tretender gewässer gewonnen wurde. Später wurden eigene stollen mit dazwischenliegenden laugwerken angelegt, um das salz aus dem berg zu laugen. Die gesättigte sole wird ins tal geleitet und dort in sudpfannen verdampft, sodass reines salz überbleibt (siehe Stöllner 2004). Wie weiter oben ausgeführt, bezeichnete hal(l) im alt- und mittelhochdeutschen die sudpfanne oder das sudhaus. Die hall im namen tragenden orte, die die stätten des salzsiedens im verkehrstechnisch günstigen tal, nicht die schwer zugänglichen bergwerke meinen, konnten so erst mit der einführung einer produktionstechnik bezeichnet werden, die es in der antike an diesen orten allem anschein nicht gegeben hatte.

2.6. Rekapitulieren wir die vorgebrachten argumente: 1. Der lautwandel s > h im anlaut betonter wörter findet im britannischen zur mitte des 1. jahrtausends nach Christus statt. Für das auf dem kontinent gesprochene gallische ist ein solcher wandel nicht bezeugt, im gegenteil gibt es sogar sehr viele beispiele, die die erhaltung von s in dieser position beweisen. 2. Das aus den belegten mittelalterlichen inselkeltischen formen rekonstruierbare wort für ‘salz’ ist *saleynom, nicht *sal. 3. Ahd. und mhd. hal(l) und die ortsnamen haben geminiertes ll, während ein fortsetzer von idg. *sal einfaches l haben sollte. 4. Hall-namen beschränken sich auf den deutschen bzw. südgermanischen siedlungsraum, treten aber nicht in anderen ehemals keltischen ländern wie Frankreich oder Norditalien auf. 5. Die in der spätantike einwandernden germanen können im Alpenraum nicht auf sprecher keltischer bzw. vorrömischer sprachen, sondern nur auf romanen gestossen sein, die den laut /h/ gar nicht kannten. Zudem gibt es sonst im Ostalpenraum keine mit h anlautenden ortsnamen, die in die antike zurückreichen, wohl aber solche mit s. 6. Alle belege des wortes hal(l) im alt- und mittelhochdeutschen weisen auf eine bedeutung ‘sudpfanne, sudhaus,’ nicht ‘salz.’ 7. Nur wenige moderne hall-orte haben eine siedlungskontinuität seit der antike. Die für die benennungsmotivik als hal(l) ‘sudhaus’ erforderliche produktionstechnik wird im Alpenraum anscheinend erst seit dem mittelalter betrieben. 2.7. Um die deutung von hall als keltischem wort zu retten, könnten folgende gegenargumente zu den oben angeführten punkten vorgebracht werden: 1. Ein lautwandel s > h, der typologisch nicht selten ist, könnte dialektal in abgelegenen Alpentälern unabhängig und vielleicht auch schon sehr früh (Watkins 1999: 539-540) stattgefunden haben. 2. Das ursprüngliche stoffadjektiv *saleyno- setzt *sal als ableitungsbasis voraus. *sal könnte im altkeltischen noch vorhanden gewesen sein und nur im inselkeltischen aufgegeben worden sein. 235

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3. Da wir von der sprache, in der das wort entstanden ist, kaum etwas wissen, hindert nichts daran, für diese sprache einen wandel von einfachem zu geminiertem l in bestimmten positionen zu postulieren. Es ist auch denkbar, dass das geminierte ll auf eine assimilation eines folgenden lautes eines suffixes, z.b. *d, *n, *l an das einfache l von *sal zurückgeht. 4. In anderen regionen war aufgrund des leichteren zugangs zum meer salzabbau im berg nicht notwendig, deshalb gibt es keine derartigen ortsnamen. 5. In alpinen rückzugsgebieten können in der spätantike sehr wohl noch sprecher keltischer, bzw. vorrömischer sprachen gelebt haben. Aufgrund ihrer vermutbaren sozialen und geographischen randlage ist es a priori unwahrscheinlich, dass sonstige zeugnisse ihrer sprachen erhalten wären. 6. Es ist vorstellbar, dass in der vorgeschichte des althochdeutschen bei hal ein semantischer wandel von ‘salz’ zu ‘saline’ stattgefunden hat. 7. Absence of evidence is not evidence of absence. D.h. zu jedem der gegen die keltizität vorgebrachten punkte ist im einzelfall ein – mehr oder weniger wahrscheinliches – gegenargument zu finden. Allerdings führt die kumulation der notwendigen zusatzannahmen sehr rasch zur unwahrscheinlichkeit.

3. Germanisch hall 3.1. Es ist eins, die keltische herkunft des wortes zu widerlegen und eine germanische bzw. deutsche herkunft wahrscheinlich zu machen, aber etwas ganz anderes ist es, dann auch eine etymologie im germanischen bzw. deutschen zu finden. Dass das wort deutscher herkunft ist, ist in der germanistischen und onomastischen fachwelt mindestens seit mitte des 19. jahrhunderts akzeptiert. Doch ebenso lange wird die etymologie kontrovers diskutiert. Moriz Heyne wollte 1877 in Grimms Wörterbuch hall etymologisch mit halle zusammenstellen und das ungewöhnliche geschlecht und die verkürzte lautgestalt aus einer schwäbischen, dialektalen abschleifung des ahd. kompositums halhûs erklären. Das ist jedoch aus chronologischen gründen unmöglich. Eine lebhafte diskussion der frage fand in den zwanziger jahren des 20. jahrhunderts in der Zeitschrift für Orts236

namenforschung statt (Schwarz 1925;Thomsen 1927/8; Schnetz 1927/8a, 1927/8b;Vollmann 1928; Schnetz 1928). In deren erster ausgabe 1925 will Ernst Schwarz das wort ebenso wie zuvor Heyne mit ahd. halla, engl. heall, anord. holl ‘halle,’ lat. cella ‘kammer,’ aind. Sala, gr. καλι1, καλ4βη ‘hütte’ < idg. wurzel 1√kel ‘verhüllen, verbergen’ verbinden, indem er eine süddeutsche apokope des auslautenden vokals annimmt. Jedoch bleibt seine darstellung ebenso einen beweis für einen solchen frühen endvokalschwund schuldig wie eine erklärung für den genuswechsel. Argumente dagegen bringt Remigius Vollmann 1928, mitsamt einer seinerseits abwegigen erklärung des wortes aus einer unbestimmten vorkeltischen sprache. Kurt Thomsen 1927/8 will hall als ‘in brocken gewonnenes steinsalz’ mit got. hallus ‘klippe,’ anord. hallr ‘stein’ verbinden, hat jedoch selbst laut mitteilung von Schnetz 1927/8b noch in derselben nummer der zeitschrift die sachliche schwäche seines vorschlags, nämlich die solegewinnung des salzes im deutschen frühmittelalter, erkannt. Nichtsdestoweniger möchte in folge Joseph Schnetz 1927/8b und 1928 hal(l) aus idg. *qolno- (in moderner notation *kol(h2)nom) ‘gespaltenes’ herleiten, das sich wiederum auf die brockenform des steinsalzes bezöge. Dagegen gelten die gleichen einwände wie gegen Thomsens versuch. 1952 nahm Walter Steinhauser die frage noch einmal auf und sprach sich für ein ‘sächliche[s] Verbalsubstantiv das Hall, welches das durch Hitze herbeigeführte Austrocknen des Bodens, der Pflanzendecke, der menschlichen und tierischen Kehle u.ä. bezeichnete’ (1952: 149) aus.16 Reflexe dieses in dieser bedeutung unbelegten wortes sieht er im fränkischen hallis ‘dürre reiser’ (Lex Salica) und westfälisch häller ‘dürrer ast,‘ sowie im mhd. adjektiv hel, helles ‘schwach, matt.’ Die dahinterstehende vorstellung ist die einer primitiven gradieranlage, in der die sole durch hitzeeinwirkung ausgetrocknet wird. Die idee scheint sachlich und auch lautlich nicht schlecht zu sein, hat aber gewisse morphologische schwächen. Ohne die etymologie auszuführen, setzt Steinhauser ein idg. *kolnom zur wurzel 2√kel ‘warm werden’ voraus. Das ist jedoch formal kein verbalabstraktum, sondern ein adjektiv. Pokorny 1959: 551-552 verzeichnet keine vergleichbaren bildungen im indogermanischen. Der meines wissens letzte vorschlag stammt von Jürgen Udolph 1999: 437438 und 440-441. Er möchte hall von germ. *hel-/*hal‘abhang, neigung, schräge’ (vgl. dt. halde) ableiten. Der

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dafür notwendige ansatz *hal-na- steht aber isoliert neben den sonstigen germanischen bildungen von dieser wurzel, die ein dentales suffix aufweisen. Die semantischen probleme an Udolphs vorschlag sind jedoch noch bedeutender (siehe auch Reiffenstein 2004: 371, fn. 17). Die mit hall bezeichneten sudhäuser stehen gerade nicht im steilen berggelände, sondern sind ins tal gebaut (z.b. Hallstatt am fuss des salzberges, Hall bei Admont in einem ausläufer des brettelebenen Ennstales, Hallein im tal unter dem am Dürrnberg befindlichen bergwerk, Hall in Tirol am Innufer). Zu seinem hinweis zum ‘außergewöhnliche[n] Gefälle von ca. 115120 m Hh. (im Innenstadtbereich) hinab auf ca. 75 m an der Saale’ (1999: 437) in Halle an der Saale merkt Stefan Schumacher (mündl. mitt.) an, dass das gefälle von der innenstadt zum fluss hin nicht als dramatisch bezeichnet werden kann; ausserdem befand sich die mittelalterliche saline auf einer ebenen fläche am flussufer, dem heute noch so genannten Hallmarkt.Wenn weiters hall(e) tatsächlich ursprünglich eine bezeichnung für ‘abhang’ oder ‘abraumhalde’ gewesen wäre, wäre a priori eine wesentlich grössere verbreitung derartiger namen im deutschen sprachraum unabhängig von der salzgewinnung zu erwarten. In Österreich und Bayern stehen die ortsnamen mit hall- aber in einem augenfällig engen zusammenhang mit der salzproduktion. Das muss einen ursächlichen zusammenhang mit der verbreitung der hall-namen haben und kann sich nicht semantisch sekundär aus berg- oder hügelabhängen erklären. Der umkehrschluss ist aber nicht möglich: Nicht jeder ort mit mittelalterlicher salzproduktion heisst Hall, z.b. wurde in der Steiermark auch an den orten Aussee, Goisern, Pürgg, Gulch, Aigen und Weissenbach salz abgebaut (Stadler 1988: 90). 3.2. Keine der referierten etymologien kann letztendlich überzeugen, weshalb ich dem bunten strauss eine weitere blüte hinzufügen möchte. Ahd. hal(l) lässt sich unmittelbar auf eine urgermanische form *χallan rückprojizieren, die innerhalb des urgermanischen phonologisch und morphologisch unauffällig wirkt. Auffällig ist aber, dass das wort abgesehen vom deutschen in keiner anderen germanischen sprachen fortgesetzt zu sein scheint. Man muss wohl in allen germanischen sprachen ausser dem deutschen mit lexemverlust operieren. Innerhalb des urgermanischen lässt

sich keine synchrone etymologie für *χallan aufstellen, was eine weitere rückprojektion über das urgermanische hinaus, das heisst ins urindogermanische erfordert. Dabei ergibt sich aber das problem, dass der ansatz *χallan vom phonologischen standpunkt aus höchst vieldeutig ist: Urgerm. *χ kann uridg. *k und *k und, vor *o, vermutlich auch *ku fortsetzen. Urgerm. *a geht auf uridg. *o, *a und die vokalisierung eines laryngals *H17 zurück (die möglichkeit von *Ch2/3eC wird hier nicht erwogen).Wenn dies schon viel erscheint, so verzeichnet urgerm. *ll eine noch viel grössere diachrone unschärfe. Darin kann idg. *ln, *lH, *dhl, *sl und die Verner-variante von *tl reflektiert sein, sowie weiters die meisten der genannten gruppen mit beliebigem laryngal dazwischen, der schwinden würde. Ich sehe davon ab, die menge aller kombinationsmöglichkeiten der ersten vier phonologischen positionen zu beziffern, sie würde aber die hundert überschreiten. Lediglich das auslautende *-an ist unzweideutig der reflex eines idg. neutralen ostamms *-om. Diese einschüchternde zahl an phonologisch möglichen urindogermanischen rekonstrukten lässt sich zwar stark einschränken, wenn man nur mit tatsächlich belegten wurzeln, suffixen und morphologisch sinnvollen strukturen operiert. Es bleibt aber dennoch eine relativ grosse bandbreite möglicher anschlüsse an indogermanische wurzeln und formationen. Morphologisch liesse sich in *χallan der fortsetzer eines neutralen o-stufigen nomen actionis der struktur *KólH-om suchen (wie z.b. ahd. lac ‘gesetz,’ got. dragk ‘trank;’ zum typ siehe Krahe, Meid 1969: 60). Die dafür formal in frage kommenden wurzeln der struktur *KelH vermögen aber aus semantischen gründen nicht zu überzeugen.18 Es liesse sich auch an ein o-stufiges nomen instrumenti *KóC-lom mit dem suffix *–lo- denken (wie z.b. ahd. seil, got. pwahl ‘bad, waschung;’ Krahe, Meid 1969: 84-85; Schaffner 2004: 300) oder an ein schwundstufiges der struktur *KH(T)-tlom (wie z.b. anorw. mall ‘rede, sprache,’ got. mapl ‘versammlungsort;’ Krahe, Meid 1969: 187-188; Schaffner 2004: 296-297). Auch für diese lösungen bietet sich keine wurzel semantisch überzeugend an. Schliesslich bleibt noch die möglichkeit, *χallan als adjektivische, ursprünglich partizipiale bildung auf *-no- von o- oder schwundstufigen wurzeln der struktur *Kol(H)-no- (vgl. z.b. anord. barn ‘kind’) oder *KHl-no- (wie z.b. got. fulls ‘voll;’ Krahe, Meid 237

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1969: 103-107) zu analysieren. Letzteres ist die strategie, die hier verfolgt werden soll. Lat. callum ‘schwiele, verhärtete haut’ ist eine bildung mit dem suffix *-no- von einer nichtverbalen idg. wurzel der bedeutung ‘hart,’ die entweder den seltenen vokal a aufweist, d.h. *kal, oder laryngalhaltig ist und in der schwundstufe steht, d.h. *kH(e)l (siehe mit älterem ansatz Pokorny 1959: 523-524). Das vom lateinischen vorausgesetzte rekonstrukt *kalnom oder *kHlnom ‘hartes ding, schwiele’ ergibt im germanischen direkt das als vorform postulierte *χallan. Semantisch lässt sich diese bedeutung mit der von deutsch hall ‘sudpfanne, sudhaus’ in einklang bringen, wenn man als ursprüngliche bedeutung ‘(salz)kruste, die sich beim sieden der sole in der pfanne bildet’ ansetzt.Als weitere entwicklung ist eine verschiebung der referenz vom signifikat ‘kristallisiertes salz’ hin auf das instrument anzunehmen, in dem die härtung stattfindet, d.h. auf die sudpfanne, und in weiterer folge auf den ort, in dem die sudpfanne steht. Da die etymologische bedeutung ‘hartes ding, schwiele’ als solche im germanischen nicht mehr greifbar ist, lässt sich nicht näher bestimmen, wann die bedeutungsverschiebung stattgefunden hat. Sie kann zu jedem prähistorischen zeitpunkt eingetreten sein, zu dem salz im siedeverfahren gewonnen wurde (siehe dazu Stöllner 2004). Diese erklärung stösst also ebenfalls auf den in absatz 2.6. unter punkt 6 gegebenen einwand, dass die etymologisch erschlossene vorform mit ‘salz’ etwas anderes bedeutet als das belegte ahd. appellativ. Im unterschied zu anderen erklärungen benötigt mein vorschlag allerdings nur eine sonderannahme und nicht mehrere. Eine derartige innergermanische etymologie von Hallstatt und anderen mit hall gebildeten ortsnamen beraubt uns zwar einer direkten onomastischen verbindung mit der keltischen, bzw. vorrömischen eisenzeit des Ostalpenraumes. Sie gewährt aber einen kleinen einblick auf die salzgewinnungstechnik in der germanischen urgeschichte.

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Anmerkungen 1 Ich danke Mathias Mehofer, Sonja Prochaska, Katharina Rebay, Lauran Toorians und Stefan Schumacher, der ein Hallenser in doppelter hinsicht ist, für wertvolle hinweise und anregungen zu dieser arbeit. Isolde Hausner von der Kommission für Mundartforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hat mir zuvorkommenderweise die datenbank des Altdeutschen Namenbuchs zugänglich gemacht. Besonderer dank geht an die Gemeinde Hall bei Admont für ihre freundliche unterstützung dieser arbeit. 2 Aber selbst vergleichende sprachwissenschafter sind vor einer ‘keltomanischen’ betrachtung der frage nicht gefeit. Der indogermanist Calvert Watkins hat noch 1999 (539-540) die ableitung von hall von einem festlandkeltischen *hal ‘salz’ als gegeben angenommen und daraus sogar noch eine theorie über die schrittweise ausgliederung der keltischen sprachen aus einer ‘Celtic linguistic area’ abgeleitet. 3 A-6060 Hallerbrücke (gem.Ampass,Tirol) ist ein moderner, von Hall in Tirol abgeleiteter name, und A-6067 Halltaler Siedlung (gem.Absam,Tirol) liegt am ausgang des Halltals, in dem sich das salzbergwerk und ursprünglich auch das sudhaus befand, bevor es nach Hall verlegt wurde. Wie mir Stefan Schumacher mitteilt, verwenden die einheimischen den namen Hallerbrücke nicht. 4 Udolph 1999 und 2004 bezieht in seine untersuchung auch namen mit ha(h)l-/he(h)l- /hal-, hel-/ ein (z.b. Hahlen bei Menslage (kr. Osnabrück), Hahlen bei Minden, Halen bei Emstek in Oldenburg, Halen bei Hasselt (Limburg), Niederhalen bei Düsseldorf, die hopfenbaulandschaft Holledau in Bayern, Halloh bei Bad Segeberg, Halverde westlich von Bramsche, Halingen bei Menden, Hehlen bei Bodenwerder, Helle bei Wiedenbrück), was aber hier aus methodischen gründen abgelehnt wird. 5 Hallwil soll nach den ‘erratischen Felsbrocken’ (vgl. got. hallus ‘felsen,’ anord. hallr ‘stein’) benannt sein, ‘die auf den Seitenmoränen des Homberghanges liegen’ (e-mail der gemeindekanzlei Hallwil, 13.8.2004). Im fall von Hallau gibt es aus der geschichtsschreibung keinen hinweis auf die bedeutung des ortsnamens, es deutet jedoch nichts auf einen früheren salzabbau hin (e-mail der gemeindekanzlei Hallau, 30.8.2004). 6 *saleyno- stellt eine ableitung von uridg. *sal ‘salz’ vermittels des hochstufigen suffixes *–eyno- dar, das im indogermanischen stoffadjektiva bildete (Lohmann 1932). Bildungsmässig nächstverwandt ist das lat. adjektiv salinus ‘salzig,’ substantiviert in salinae ‘saline,’ salinum ‘salzfass.’ Lat. i ist doppeldeutig, es kann auf idg. *iH und *ey zurückgehen; die keltische parallele legt aber auch für das lateinische *saleyno- nahe. Zu idg. stoffadjektivbildungen insgesamt siehe Hajnal 1994. 7 Delamarre 2003: 118, 157 gibt die deutung von Salioclita und Salodurum als mit *sal ‘salz’ gebildete komposita mit fragezeichen. Man beachte, dass Salodurum in der Schweiz liegt, die anscheinend im altertum keine nennenswerte eigene salzproduktion besass. 8 Der umstand, dass der lautwandel s > h im anlaut einiger britannischer wörter nicht vollzogen ist, legt nahe, dass es sich dabei ursprünglich um eine anlautsmutation wie im irischen handelte, die dann aber gewöhnlich zugunsten der variante mit h aufgegeben wurde, aber sporadisch eben nicht (siehe dazu Schrijver 1995: 37383). 9 Angesichts solcher toponyme mit bewahrtem wortinneren s und angesichts von formen wie sesit, sosio oder sedagisamo in mittel- und spätgallischen inschriften wird man den schwund von inlautendem s in sioxti [L-31] < *sesog-X, siaxsiou [L-91] < *sisagsiyg und suiorebe [L-6] < *suesoribi(s) nicht einer gallischen lenierung, sondern einem dissimilatorischen schwund von s im reduplizierten bzw. pseudoreduplizierten silbenanlaut zuschreiben. Man vergleiche eine ähnliche erscheinung im altirischen, wo z.b. das präteritum selaig

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‘schlug’ auf *siloyge mit dissimiliertem s aus *si-sloyg-e zurückgeführt werden muss. Urir. **sihloyge mit regulär leniertem s hätte air. **sellaig ergeben müssen, vgl. follus ‘hell’ < *uohleus < *uoholesu- < *uosolessu-. Zu keltischen und vorrömischen ortsnamen in Österreich siehe Wiesinger 1994: 58-62. Die von Udolph 1999: 440 erwähnte möglichkeit, dass s > h im anlaut auf eine spezifisch bairische lautentwicklung zurückzuführen sei (vgl. bair. dial. hãnd = ‘sind’; mühlviertlerisch hupm = ‘suppe’ – freundliche mitteilung Robert Gerschner), lehne ich aus denselben gründen wie Udolph ab: Dieser lautwandel im bairischen ist zu sporadisch und setzt viel zu spät ein (13. jh.), um ortsnamen in einem weiten gebiet schon im 8. jh. erfasst haben zu können. Jedoch zeigen das albanische am Balkan, das baskische in den Pyrenäen und das britannische in den walisischen hochlanden, die als einzige autochthone sprachen die romanisierung in Westeuropa überlebten, dass in gebirgigen rückzugsgebieten die erhaltung vorrömischer sprachen möglich ist. Diese erwägungen schliessen auch aus, dass *hal- aus einer anderen sprache als keltisch, z.b. aus dem vielbemühten illyrischen, ins germanische übernommen wurde (vgl. Udolph 1999: 434-435). Der gewässername Zlanbach < slav. *slanv ‘salzig’ beim Hallstätter See weist darauf hin, dass zwischen romanischer und germanischer besiedlung des tals auch mit einer slavischen periode zu rechnen ist. Der hinweis auf ‘zwei Inschriften auf angeblichen Römersteinen’ (Walter 1991: 20), die eine römische besiedlung des gebiets bei Hall bei Admont erweisen könnten, ist vage. Laut Walter sind die beiden steine bereits seit langem verschwunden. Ähnlich auch Richter 1962: 40 f. (laut Udolph 1999: 436). H steht als coversymbol für einen beliebigen der drei uridg. laryngale h1, h2 und h3. *kólh2om ‘schlag, spaltung’ kommt aus sachlichen gründen nicht in frage, da wir es nicht mit abgehauenem steinsalz zu tun haben. *Ku ólh1om ‘drehung’ ist hier sinnlos.

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Ernährung in der Eisenzeit – Ein Blick über den Tellerrand Nicole Boenke

Zusammenfassung

Basierend auf Untersuchungen zu menschlichen Exkrementen vom Dürrnberg bei Hallein/Österreich betrachtet der Artikel Interpretationsmöglichkeiten des archäobotanischen Befundes zur Ernährung im Hinblick auf verschiedene sozio-ökonomische Fragen.Aufgrund des außergewöhnlich gut erhaltenen Materials aus dem keltischen Bergwerk wird diskutiert, inwieweit Ernährungsgewohnheiten der eisenzeitlichen Bevölkerung bis hin zu der Rekonstruktion einzelner „Gerichte“ bestimmt werden können.Während allgemeine Kenntnisse über den Kulturpflanzenanbau der Eisenzeit durch Siedlungsfunde für viele Regionen mittlerweile gut belegt sind, ist der Nachweis der tatsächlich konsumierten Nahrungsmittel erst anhand der menschlichen Faeces möglich. Nach Ausweis der Exkremente war die Nahrung der Bergleute geprägt von Kulturpflanzen, insbesondere Getreide spielte eine große Rolle. Zusätzlich konnte der regelmäßige Genuss von Fleisch und gesammelten Früchten nachgewiesen werden. Im Gegensatz zu den z.T. sehr reichen Grabbeigaben der Dürrnberger Gräberfelder wurden in den Exkrementen jedoch keine Importe oder größere Mengen gebratenen Fleisches nachgewiesen. Der Befund der Exkremente lässt keinen Schluss zu, dass es sich bei den Bergleuten um eine besondere Elite handelte, aber auch das Bild ausgemergelter Arbeitssklaven ist sicherlich fehl am Platz.Vermutlich gab es unter den Bergleuten auch damals schon einen wegen seines Spezialwissens geschätzten Personenkreis. Insgesamt handelte es sich, gemessen am Nahrungsmittelangebot der Zeit, um eine ausgewogene Ernährung, die auch notwendig war, um eine gute Arbeitsleistung zu garantieren. Die wirtschaftliche Bedeutung der Siedlung und der damit verbundenen lokalen Elite war damit eng an eine gute Versorgungslage gekoppelt. Dies erforderte sicherlich eine entwickelte Landwirtschaft und die Einbindung in ein gut organisiertes Handelsnetz.

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Abstract

The article focuses on the relations between the archaeobotanical record and its socio-economic meaning. Based on the archaeobotanical analysis of remarkably preserved material from the Iron-age salt mine on the Dürrnberg Mountain near Hallein/Austria, it is possible to shed light on ancient food consumption and to reconstruct at least some “dishes”. While standard archaeobotanical assemblages from settlements inform about prehistoric gathering or plant cultivation practices, human faeces provide evidence for the actually consumed foodstuffs.The miners’ diet was dominated by cultivated plants, mainly on cereals; the list of plant species identified is typical for sites of that time. Fruits and meat were also consumed. In contrast to the wealthy iron-age graves on the Dürrnberg, the foodstuffs show no signs of extreme richness like roasted meat or a high amount of Mediterranean Imports, but in total the miners obtained meals of a good quality.Therefore it can be suggested that the miners were neither exploited slaves nor members of the sociopolitical elite.The miners work guaranteed the growing prosperity of the settlement and therefore people with practical know how of mining techniques might be well accepted by people in upper political positions and/or traders.To guarantee continuous work, a good nutrition was advantageously. It can be pointed out, that the wealth of the settlement especially of the local elite is based on steady supply for everybody.Therefore a developed agriculture and well organized trade system was necessary.

A

rchäobotanische Untersuchungen bilden seit vielen Jahrzehnten einen festen Zweig der Archäologischen Forschung. Vielfach beleuchten sie grundlegende Faktoren auf denen das Leben einer Gemeinschaft beruht. Zum einen spiegeln Umweltrekonstruktionen das Potential des umgebenden Lebensraumes und wie der Mensch mit diesem umging. Zum anderen erschließt die Erforschung der Landwirtschaft eines der menschlichen Grundbedürfnisse – die Ernährung. Ohne Nahrung ist Leben unmöglich. Die Menge der zur Verfügung stehenden Nahrung – gleich ob natürliche Ressourcen oder erwirtschaftete Überschüsse – ermöglicht es erst, den Einzelnen oder ganze Gruppen von mit der Nahrungsbeschaffung direkt verbundenen Tätigkeiten freizustellen. Damit bildet die Versorgungslage im Zusammenspiel mit sozialen Strukturen einen wichtigen Grundpfeiler für die Möglichkeit zu technischer, intellektueller und gesellschaftlicher Entwicklung. Aufgrund archäobotanischen Materials aus eisenzeitlichen Siedlungen liegt mittlerweile aus vielen Regionen ein guter Einblick über Anbau und Nutzung (de Hingh 2000; Knörzer 1971; Kreuz 1992/1993; 2000; 2002; Kreuz, Boenke 2001; Kreuz, Wiethold 2002; 2005; Kroll 1997; 2001; Küster 1993; 1995; Matterne 242

2001; Oeggl 1991; 1999; Stika 1995; 1996 a; 1999; Swidrak 1999; Swidrak, Schmidl 2002; Wiethold 1996; 1998 a; 1998b; 1999 a-e; 2000 a-c; 2003; Wiethold, Treffort 2002), nicht aber über den tatsächlichen Konsum zahlreicher Pflanzenarten vor. Dieser kann vielfach nur theoretisch erschlossen werden. Anhand zahlreicher menschlicher Exkremente aus dem eisenzeitlichen Salzbergbau am Dürrnberg bei Hallein besteht nun die Möglichkeit, diese allgemeinen Aussagen anhand konsumierten Materials zu überprüfen (Boenke 2002; im Druck; in Vorb.). Dieser Bericht beleuchtet daher einige Aspekte zum Thema Ernährung dieser Epoche unter dem Gesichtspunkt der interpretativen Archäologie. Neben auswertenden, interpretierenden Blickwinkeln, wird dabei auch das methodische Vorgehen kurz vorgestellt, da bereits durch die Art einer Datenaufnahme die Interpretation des Ergebnisses beeinflusst wird. Ferner darf nicht außer Acht gelassen werden, dass aufgrund des sozialen Kontextes die Exkremente der Bergleute für ihre Zeit nicht repräsentativ sein könnten. Denn neben dem räumlichen Vorhandensein bestimmter Pflanzen- oder Tierarten, dem ernährungsphysiologischen Wert oder persönlichen Vorlieben, wird die Nahrungsaufnahme auch durch soziale Komponenten, wie Gruppenzugehörigkeit und Stellung des Einzel-

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Abb. 1 Menschliche Faeces aus dem Salzbergbau bei Hallein: a) Exkrementbrocken nach der Freilegung (B4017); b) unverdaute Bestandteile eines aufgelösten Exkrementes mit zahlreichen Spelzenresten und Fruchtsteinen (B696).

nen, seine finanziellen bzw. wirtschaftlichen Mittel, Kontakte zu anderen Bevölkerungsgruppen und Regionen oder Nahrungstabus beeinflusst.Ausgehend von dem vorliegenden Fallbeispiel soll daher sowohl anhand der Nahrungsmittel als auch anhand der Nahrungszubereitung diskutiert werden, ob und inwieweit sich diese Aspekte manifestieren und archäologisch fassen lassen. “Essen” beinhaltet nicht nur die bloße Nahrungsaufnahme, das Zählen von Kalorien und Nährstoffen, sondern es betrifft auch die geistige und emotionale Ebene. So hat Genuss nicht nur mit individuellen Neigungen, sondern auch mit gesellschaftlich akzeptierten Vorlieben zu tun. Daher trägt auch die Auswahl von Nahrungsmitteln zum Selbstverständnis einer Kulturgruppe bei und ist identitätsbildend. Neben regionalen Eigenheiten können Nahrungstabus eine Rolle spielen. So wird in mittelalterlichen, schriftlichen Quellen Irlands im Zusammenhang mit einer totemistischen Geisteshaltung von einem Nahrungstabu in Bezug auf Hunde und den Dachs gesprochen (Kelly 1998: 353). Caesar berichtet über die Briten “Hasen, Hühner und Gänse zu essen ist ihrer Ansicht nach nicht gestattet; doch halten sie sich welche aus Liebhaberei.” (Gaius Iulius Caesar, De Bello Gallico V, 12.6, über die Briten: „leporem et gallinam et anserem gustare fas non putant; haec tamen alunt animi voluptatisque causa.“). Der zoologische Befund zeigt hier tatsächlich, dass die Geflügelhaltung domestizierter Tiere in Mitteleuropa im Verlauf der Eisenzeit einen Aufschwung nimmt und erst in der Latènezeit Großbritannien und Südskandinavien erreicht (Benecke 1994: 368; Benecke 1994: 116 f.).

Heute wird in Bezug auf Nahrungstabus gerne auf ethnographische Parallelen verwiesen (kein Verzehr von Totemtieren z.B. in Nordamerika oder Neuguinea), jedoch gibt es auch populärere Beispiele, seien sie religiös motiviert, z.B. der Verzicht auf Schweinefleisch im islamischen Kulturkreis sowie das Beispiel der Heiligen Kühe in Indien, oder seien sie – nennen wir es – traditionell begründet, z.B. der vielfach im deutschen Sprachraum verpönte Verzehr von Singvögeln, Hunden, Pferden und sonstigen Haustieren (im Sinne von Heimtieren, nicht landwirtschaftlichen Nutztieren). Die zuvor genannten Beispiele zeigen, dass mit solchen Verhaltensweisen auch in prähistorischer Zeit gerechnet werden kann. Zu dem Bereich der Nahrungstabus können im weitesten Sinne auch temporäre Einschränkungen wie Fastenspeisen gezählt werden. Ferner ist es möglich, dass durch Restriktionen bestimmte Speisen einer speziellen Gruppe (z.B. Oberschicht) vorbehalten sind. Dies kann per Erlass geschehen oder ergibt sich aufgrund pekuniärer Gegebenheiten. Damit stellt auch der Begriff Luxus einen wichtigen Gesichtspunkt des Themas Essen dar. Da der Komplex “Luxusgüter und Nahrung” einen ganz eigenen Themenbereich bildet, der erst jüngst diskutiert wurde (van der Veen 2003 a; insbesondere van der Veen 2003 b), sollen an dieser Stelle nur einige Aspekte angesprochen werden. Luxus kann sich zum einen qualitativ äußern, d.h. in besonders aufwendig zubereiteten Speisen oder seltenen ggf. importierten Nahrungsmitteln. Dabei ist es nicht nötig, dass diesen dieselbe Bedeutung zukommt 243

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wie an ihrem Ursprungsort. Zudem sind für Import nicht nur die Verfügbarkeit und Kenntnis von Bedeutung, sondern auch das „Haben wollen“. Dabei muss der Besitz nicht zwanghaft mit Prestige verbunden sein. So finden sich Nahrungsmittelimporte in der Eisenzeit nicht nur indirekt in Form von Weinbehältnissen in besonders reich ausgestatteten Gräbern (Specht 1972), sondern Importfrüchte und Gewürze kommen auch in Siedlungen vor, die aufgrund ihrer Ausstattung zwar wohlhabend wirken, aber nicht außergewöhnlich reich sind (Bouchette 1999: 66; Kreuz, Boenke 2001: 240; Kreuz,Wiethold im Druck; Stika 1999: 412). Zum anderen kann sich Luxus aber auch in quantitativer Form ausdrücken. Neben dem persönlichen Überfluss ist hier vor allem auch die Verfügbarkeit großer Mengen von Nahrung z.B. zur Ausrichtung von Festen und Gastmählern von Bedeutung. Hier erhält der Gastgeber durch das Luxusgut Nahrung nicht nur individuelles Prestige/Image, sondern kann seine soziale Stellung in Bezug auf die Gäste definieren (Van der Veen 2003b: 413 f.). Für eine Epoche wie die Eisenzeit, in der immer wieder mit Begriffen wie Gefolgschaft und Klientelverhältnis gearbeitet wird, ist dies ein nicht zu vernachlässigender Aspekt, da anders als bei einseitigen Versorgungsverpflichtungen mit Tributleistungen durch Leibeigene, der “Herr” hier nicht nur eine Schutz-, sondern auch eine gewisse Versorgungsverpflichtung gegenüber seiner Klientel eingeht (Dobesch 1980: 418 bis 426; Karl 2004: 293 ff., insb. 300 f.). Neben der sozialen Komponente gibt es bei Festen überdies auch eine immanente Bedeutung des Essens. Vielfach gliedert eine Speisefolge den Ablauf, oder bestimmte Gerichte werden “ritualisiert” und tragen im Alltag eine Bedeutung, sodass mit ihnen bestimmte Zeiten (z.B. Lebkuchen = Vorweihnachtszeit), Feste (z.B.“Weihnachtsgans”) und/oder sogar Glaubensvorstellungen (z.B.“Osterlamm”) assoziiert werden. Diese Gedankenverknüpfungen werden natürlich immer nur innerhalb eines Kulturkreises erkannt (die genannten Beispiele stammen aus dem deutschsprachigen Raum und können bereits regional große Unterschiede aufweisen). Schließlich finden Nahrungsmittel im medizinischen und kultischen Bereich Verwendung, wobei ihre Bedeutung sicherlich oftmals über ihre heute naturwissenschaftlich fassbaren Eigenschaften hinausgeht. 244

Leider sind der Ausdeutung dieser vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten methodische Grenzen gesetzt, weshalb es nötig wird, an dieser Stelle zunächst eine kurze Quellenkritik sowie die Darstellung der verwendeten Methode folgen zu lassen. Das archäobotanische Material kommt, wie in der Archäologie üblich, aus seinem Sinnzusammenhang gerissen auf uns, denn die dokumentierbaren Fundumstände stellen, auch wenn wir unsere Ansprüche auf die materiellen Gegebenheiten reduzieren, nur einen Teil der prähistorischen Wirklichkeit dar. Schuld daran ist vor allem die selektive Erhaltung. Während im Bereich subfossiler Erhaltung (z.B. Feuchtbodensiedlungen, Salzbergwerke) ein relativ realistischer Stand der Objekte aus organischem Material auf uns kommt, haben bei der selektiven Erhaltung unter sog. Trocken- oder Mineralbodenbedingungen vor allem die botanischen Objekte eine Chance zur Überlieferung, die eine höhere Verkohlungswahrscheinlichkeit aufweisen oder unter bestimmten Bedingungen mineralisieren (ausführlich zu Erhaltungsformen Jacomet, Kreuz 1999: 55-66). Dabei schneiden Nahrungsmittel durch ihre Verwendung in der Nähe des (Herd-) Feuers, Darrunfällen oder im Zusammenhang mit niedergebrannten Speichern zwar nicht schlecht ab (z.B. verkohlte Getreidekörner), aber bereits Ölfrüchte verbrennen wegen ihres Ölgehalts gerne zur Unkenntlichkeit anstatt zu verkohlen. Daneben ist prinzipiell immer auch mit Pflanzenteilen von Obst und Gemüse zu rechnen, die aufgrund der Verarbeitungsformen, d.h. einer Nutzung im weitgehend frischen Zustand, eine weitaus geringere Möglichkeit zur Verkohlung haben. Dennoch sollte man, wie die hier vorgestellten Untersuchungen zeigen werden, diese Annahme aufgrund unserer heutigen Vorstellungen von Nahrung nicht zum Topos erheben, aufgrund dessen das nicht Nachweisbare manchmal mit bestimmter Sicherheit postuliert wird. Denn die Auffassungen von einer adäquaten Ernährung waren über die Jahrhunderte in ständigem Wechsel begriffen (Laudan 2001). Eine weitere Selektion des Fundmaterials tritt durch die Fundumstände ein.Werden Siedlungen oder Gräber untersucht bzw. in welchem Teil eines Fundplatzes wird ausgegraben? Selbst die Interpretation z.B. eines Latrineninhalts ist gewissen Beschränkungen unterlegen, da es sich um die Vermischung der Nah-

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rungsreste unterschiedlicher Individuen handelt und oftmals noch Abfälle in der Latrine entsorgt wurden (Greig 1981: 265, 278 f., Fig. 5 und 6). Pflanzenreste und sogar potentielle Nahrungsmittel sind also nicht immer gleichbedeutend mit Nahrung. So liefern zahlreiche Untersuchungen zwar ein umfangreiches Bild der in der Eisenzeit verwendeten Kultur- und Sammelpflanzen, dennoch können diese Siedlungsfunde auch ganz andere Dinge wie Futtermittel, Zwischenprodukte oder Opfer darstellen. Manchmal geben spezifische Verarbeitungszustände bzw. -rückstände die Möglichkeit, Rückschlüsse auf die Verwendung einzelner Pflanzen zu ziehen, z.B. angekeimtes Getreide für die Bierherstellung (Stika 1996 b; 1996 c). Ein großes methodisches Problem stellt in Bezug auf alle Zeiten die Frage nach der Gewichtung von pflanzlicher und fleischlicher Kost dar, da die Überlieferung zoologischer und botanischer Reste erhaltungsbedingt völlig unterschiedlichen Mechanismen unterliegt. Gewisse Hinweise auf die Gewichtung dieser beiden Nahrungskomponenten kann die Spurenelementanalyse anhand von Skelettmaterial erbringen (Caselitz 1986: 60-68). Allerdings wurde erst jüngst auf „gravierende methodologische Lücken“ hingewiesen (Hotz 2002: 194), weshalb von einer absoluten, quantitativen Auswertung mit dieser Methode gewonnener Daten bis auf weiteres abgesehen werden sollte.Vom Skelettmaterial der Gräber auf dem Dürrnberg liegen bisher keine solchen Untersuchungen zum Vergleich vor. Doch auch der Vergleich archäobotanischer und archäozoologischer Inhalte lässt es unter den hier gegebenen, günstigen Erhaltungsbedingungen zu, neben einer qualitativen Ansprache (absence/presence) eine quantitative Abschätzung vorzunehmen und mit Begriffen wie stetig, hoch oder niedrig zu arbeiten. Eine absolut quantitative Ansprache des Verhältnisses von Fleisch- und Pflanzenkost kann allerdings bisher nicht vorgenommen werden. So wie verschiedene Analysemethoden ineinander greifen ist natürlich auch der Vergleich mit archäologischem Fundgut in Form von Textdokumenten antiker Autoren, Bilddokumenten und spezifischem Fundgut wie Bratspießen oder Sieben nicht zu vernachlässigen. Im Folgenden sollen die vorgestellten Überlegungen am Fundmaterial des Dürrnbergs bei Hallein durchgespielt und zu den archäobotanischen Ergebnissen anderer eisenzeitlicher Fundplätze in Beziehung gesetzt werden.

Der Dürrnberg, oberhalb der Salzach etwa 15 km südlich von Salzburg gelegen, gehört zu einer dem Hochgebirge vorgelagerten, schmalen Mittelgebirgszone auf einer Höhe von etwa 700 bis 900 m ü. NN. Bekanntheit erreichte die Fundstelle vor allem aufgrund der reichen, eisenzeitlichen Grabfunde (Penninger 1972; Moosleitner et al. 1974; Pauli 1978; Zeller 1995; Stöllner 2002 a). Seit einigen Jahren liegen jedoch auch zahlreiche Arbeiten zur Besiedlung (Brand 1995; Irlinger 1995; Stöllner 1991; 2002 a; Zeller 1984) sowie zur Wirtschaftsgeschichte, insbesondere zu den Bergbauforschungen im keltischen Salzbergbau vor (Stöllner 1999; 2002 b, 2002 c; 2003). Aufgrund der Vielfalt der dokumentierten Lebensumstände (Siedlung, Gräberfeld, Salzbergwerk) eignet sich der Fundplatz besonders gut zur interpretierenden Betrachtung. Archäobotanische Untersuchungen liegen sowohl aus dem Feuchtbodenbereich der Siedlung im Ramsautal vor (Swidrak 1999; Swidrak, Schmidl 2002), als auch aus den neuen Grabungen im Trockenbodenbereich am Ramsaukopf und dem Putzenfeld (Boenke 2004). Einen besonderen Glücksfall stellt schließlich die Erhaltung menschlicher Exkremente im Salzbergwerk dar, da wir hier tatsächlich den Nahrungsgewohnheiten einzelner Individuen auf den Grund gehen können. Die Konservierung der Faeces in salzhaltigem Milieu wirkt sich besonders positiv auf die Erhaltung aus, da Salz für zersetzende Pilze und die meisten Bakterien eine wachstumshemmende Grundlage darstellt; eine Eigenschaft die man sich bei der Konservierung von Lebensmitteln (Pökeln mit Salz oder Einlegen in gesalzene Lake) vielfach zu Nutze gemacht hat. Im Folgenden werden kurz die Ergebnisse der archäobotanischen Großrestanalyse dargestellt (Boenke in Vorb.). Pollenanalytische Untersuchungen sind an der Universität Innsbruck in Bearbeitung. Bevor ich jedoch auf die methodische Problematik der Bearbeitung und die Interpretation eingehe, soll zunächst einmal die Annahme, es handele sich um menschliche Exkremente, bewiesen werden. Obwohl bisher im Salzbergbau des Dürrnbergs weder Tiere noch Schirrungsreste gefunden worden sind, und auch hier die vermutlich steilen Tagschürfe (Vgl. Hallstatt: Morton 1939, 166 ff.; Barth 1984, 63-71) keinen idealen Zugang für größere Vierbeiner darstellten, kann in einem Bergwerk prinzipiell mit Lasttieren gerechnet werden. 245

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Abb. 2 Verteilung der Inhaltsstoffe in 73 eisenzeitlichen Exkrementen vom Dürrnberg (Stand 11.2004). Dargestellt ist die Stetigkeit in Prozent der unterschiedlichen Bestandteile (hellgrau) sowie die absolute Anzahl der im Einzelnen vorliegenden Reste (schwarz).

Eine erste Ansprache von Koprolithen kann normalerweise zunächst anhand der Form erfolgen. Kuhfladen, Pferdeäpfel oder die kleineren, abgerundeten Kotballen von Schafen bzw. Ziegen lassen sich leicht von den eher wurstförmigen menschlichen Ausscheidungsprodukten unterscheiden.Verwechslungsmöglichkeiten sind eher mit Hundekot gegeben, doch zeigt dieser im Gegensatz zu menschlichem Kot eher zugespitzte Enden (Akeret, Jacomet 1997: 236; Kowalski et al. 1976: 4; Paap 1976: 129; Reinhard et al. 1986: 220). Neben der äußeren Form geben vor allem die Inhaltsstoffe Hinweise, um welche Individuen es sich handeln könnte (Abb. 2). Ohne hier in aller Ausführlichkeit auf alle Inhaltsstoffe einzugehen, fällt auf den ersten Blick die große Menge und 100%ige Stetigkeit von Getreideresten auf. Dabei liegen sowohl Testafragmente als auch Spelzenreste vor. Halme, Gras oder Stroh bzw. Laubfutter, also alles was als Futtermittel in tierischem Kot zu erwarten wäre, fehlt hingegen völlig. Die geringe absolute Zahl der in den meisten Proben anzutreffenden Unkräuter spricht zudem für sehr gut gereinigtes Getreide, eine Prozedur, die für die Verwendung als Futtermittel nicht nötig wäre. Daneben kommen auch noch Hülsenfrüchte sowie Ölfrüchte und andere Gewürze vor. Auch Obst ist ein stetiger Bestandteil der Nahrung. Pflanzenteile, die auf Gemüse 246

hindeuten könnten, sind dagegen wesentlich seltener vertreten. Ihre geringe absolute Zahl kann bei zartem Blattgemüse durchaus mit der leichteren Zersetzung im Zuge der Verdauung erklärt werden. Nichtsdestotrotz sind Blattreste in den Exkrementen erhalten, allerdings nur wenige mit einer geringen Stetigkeit. Dies lässt vermuten, dass wenn auch mit solchen Dingen zu rechnen ist, Gemüse an der Nahrungsversorgung sicherlich keinen bedeutenden Anteil hatte. Des Weiteren finden sich auch zahlreiche Reste tierischer Nahrungsmittel, wie winzige Knochenfragmente (gerundet, nicht zersplittert wie in Hundekot), Haare bzw. Borsten, Haut und Schwartenreste sowie Muskelfasern. Auch der Genuss von Fisch und Geflügel ist durch Fischwirbel bzw. Federn nachgewiesen. Immer wieder äußerlich anhaftende Reste oder Holzkohlepartikel, die von der Nahrungszubereitung oder dem Einatmen rühren dürften, können an dieser Stelle vernachlässigt werden. Insgesamt ergibt sich das Bild eines Allesfressers, was in unseren Breiten, schließt man das Schwein als Transporttier aus, stark auf den Menschen hindeutet. Dieser Befund kann auch durch die parasitologische Untersuchung gestützt werden, die, obwohl verschiedene Entwicklungsstadien der nachgewiesenen Parasiten auch bei Tieren anzutreffen sind, in ihrer Gesamtheit auf den Menschen hindeutet (As-

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pöck et al. 2002). Daneben liefert die parasitologische Analyse auch interessante Hinweise auf die Nahrungsaufnahme. So kann der Genuss von Fleisch bestimmter Tierarten durchaus eine Rolle bei der Infestation der Menschen gespielt haben. Dabei stellt besonders ungenügend gegartes Fleisch, wobei Räuchern hier nicht ausreicht, eine große Gefahr dar. Die Übertragung kann aber auch über unsauberes Trink- bzw.Waschwasser für Lebensmittel oder den direkten Kontakt mit Fäzes bei unhygienischen Lebensverhältnissen erfolgen. Nachdem der menschliche Ursprung als erwiesen angesehen werden kann, soll die Interpretation der Ergebnisse erfolgen. Natürlich muss darauf hingewiesen werden, dass auch die großrestanalytische Betrachtung der Exkremente Einschränkungen unterliegt. Größter selektiver Faktor ist die menschliche Verdauung. In der Regel vergehen bis zur Defäkation 12-48 Stunden, die konsumierten Nahrungsmittel dieses Zeitraums können somit vermischt vorliegen (Ledden Hulsebosch 1899: 8; Reuter 1934: 357). In einzelnen Fällen ist auch eine höhere Verweildauer im Darm möglich, hierbei handelt es sich jedoch eher um einzelne, in Darmabschnitten „versteckte“ Objekte, die die Gesamtzusammensetzung jedoch nicht quantitativ beeinflussen. Ist eine, nennen wir sie „Wurstform“ des Exkrements noch gegeben, kann versucht werden durch eine abschnittsweise Analyse Veränderungen in der Nahrungszusammensetzung auf die Spur zu kommen. Leider sind die vorliegenden Exkremente, möglicherweise durch eine Parasiten-bedingte Neigung zu Durchfall, sicher aber durch die Einwirkung des Bergdrucks auf die Ablagerungsschichten in der Regel zu Fladen verpresst auf uns gekommen. Diese zeigen in sich ein sehr homogenes Erscheinungsbild der Zusammensetzung. Generell gilt, dass die Verdauung, auch ohne die Berücksichtigung pathologischer Aspekte wie dem Fehlen bestimmter Verdauungsenzyme, in Abhängigkeit von Alter und körperlicher Konstitution zu einem bestimmten Zeitpunkt individuellen Unterschieden unterliegt (Ledden Hulsebosch 1899: 8 f.; Schmidt, Strasburger 1905: 11-19). Daher kann das Verhältnis der Nahrungsreste zueinander zunächst nur innerhalb eines Exkrements bestimmt werden, ausgehend von der Annnahme, dass hier die Verdauung gleichmäßig auf die aufgenommene Nahrung einwirkt. Die in den Nahrungsresten verschiedener Personen erhaltenen Rückstände sind hingegen zunächst einmal nicht quan-

titativ vergleichbar. Erst die unterschiedlichen Ergebnisse können dann wieder, unter Vorbehalt, miteinander verglichen und gewertet werden. Dies erscheint hier insbesondere deshalb zulässig, weil es sich nicht um isolierte Funde einzelner Individuen aus völlig verschiedenen Lebenssituationen handelt, wie es z.B. bei der Untersuchung der Mageninhalte von Moorleichen der Fall wäre, sondern es liegt eine große Zahl von Exkrementen eisenzeitlicher Bergleute vor, die die Ergebnisse auf eine, zunächst einmal für eisenzeitliche Bergleute am Dürrnberg, repräsentative Basis stellt. Inwiefern diese Situation mit den allgemeinen keltischen Verhältnissen vergleichbar ist, gilt es in einem weiteren Schritt zu prüfen. Doch zurück zur Problematik der Selektion von Nahrungsresten bei der Verdauung.Auch hier spielt der Aspekt der Erhaltungsfähigkeit eine große Rolle. Als Faustregel kann gelten: weiche Objekte werden eher verdaut als harte, also Getreidekörner eher als Fruchtsteine, gekochte Nahrung eher als rohe oder stark gebratene und gut zerkleinerte Nahrung (gekaut oder Zubereitung) besser als grobe. Dennoch bleiben in der Regel von allen Nahrungsmitteln Reste erhalten, das Fundmaterial reicht von ganzen Fruchtsteinen, Fischschuppen und Knochensplittern bis hin zu Pflanzenzellen, Muskelfasern oder feinsten Härchen wie sie sich z.B. auf der Oberfläche von Getreide befinden. Daher war es wichtig eine Vorgehensweise zu entwickeln, um von den gezählten Resten auf die tatsächlich genossene Nahrung zu schließen. Als problematisch erwies sich, dass pflanzliche und tierische Reste unterschiedlich aufgeschlossen werden oder z.B. Milchprodukte im Gegensatz zu Fleisch überhaupt keine nachweisbaren Großreste hinterlassen, sondern nur chemisch nachweisbar wären. Deshalb wird im Folgenden zunächst nur das Verhältnis der pflanzlichen Großreste zueinander betrachtet. Für die Erfassung wurde zu diesem Zweck für jede nachgewiesene Art ein a) charakteristisches, b) möglichst gut erhaltungsfähiges und c) pro Samen/Frucht nur einmal auftretendes Merkmal oder eine Region ausgewählt (Boenke in Vorb.). Fragmente mit diesem Merkmal wurden gezählt und umgerechnet auf die damit vorliegende Menge des Lebensmittels. Der Nabel einer Ackerbohne entspricht z.B. einer ganzen Ackerbohne, oder ein Getreidefragment mit Haarschopf entspricht einem Getreidekorn. Bei anderen Nahrungs247

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mitteln, besonders dem Obst, enthält dagegen eine Frucht z.T. zahlreiche Samen, z.B. Zweigriffeliger Weißdorn (Crataegus laevigata) jeweils zwei, oder eine Brombeere (Rubus fruticosus) rund 25 einzelne Samen. Die Ergebnisse wurden daher bei diesen Früchten auf die minimal beteiligten Samen/Früchte reduziert. Nachdem so in einem ersten Schritt die Nahrungsmittelreste quantifiziert wurden, wurden die Resultate in einem zweiten Schritt dahingehend transformiert, dass sie mit dem bei der entsprechenden Art zu erwartenden Durchschnittsgewicht des ganzen Samens/der ganzen Frucht multipliziert wurden (Boenke im Druck: Fig. 4). Wie die genannten Einschränkungen und die Herleitung des Vorgehens schon zeigen, ist das Resultat sicherlich kein absolut quantitatives Ergebnis, da die Nahrungsmittelmenge ja auch durch die Art der Zubereitung z.B. als Brot oder Getreidebrei beeinflusst wird. Vor allem die Wasseraufnahme bzw. -abgabe spielt eine entscheidende Rolle, welche Mengen das Individuum jeweils zu sich nimmt. Dennoch eröffnet dieses Vorgehen die Möglichkeit, die genossenen Anteile an Kulturund Sammelpflanzen gegeneinander abzuschätzen (Abb. 3). Wenn es auch aus den oben genannten Gründen schwierig ist auf die genossene Nahrung im Sinne von Rezepten zu schließen, so kristallisieren sich doch drei Kombinationen pflanzlicher Nahrungsmittel heraus: ausschließlich Getreide, Getreide mit Obst und schließlich Getreide mit Hülsenfrüchten ggf. plus Gewürze oder Obst. Letztere Kombination dürfte eindeutig einen Eintopf aus Getreide, hauptsächlich Gerste (Hordeum vulgare) und Hirse (Panicum miliaceum), aber auch Dinkel (Triticum spelta), zusammen mit Ackerbohnen (Vicia faba), Erbsen (Pisum sativum) oder Linsen (Lens culinaris) widerspiegeln, wie ihn bereits Barth (1992) anhand der Exkremente von Hallstatt rekonstruiert hat und einen Bezug zu einem rezenten Gericht des Südostalpenraumes, dem so genannten Ritschert, aufzeigen konnte, wo Gerste, Hirse und Ackerbohnen zusammen mit den gekochten minderen Fleischteilen einen schmackhaften Eintopf bilden. Dass die Kelten dabei nicht nur zu salzen, sondern bereits zu würzen wussten, zeigen am Dürrnberg die in einem Fall besonders zahlreich zugesetzten Samen von Camelina sativa, dem senfartig schmeckenden Leindotter, ferner Schlafmohn (Papaver somniferum), Lein (Linum usitatissi248

mum) und Kümmel (Carum carvi). Erstere gehören zu dem typischen Kulturpflanzenbestand eisenzeitlicher Siedlungen und werden gemeinhin als Ölpflanzen angesprochen. Die Samenfragmente aus den Exkrementen zeigen jedoch, dass sie auch in der Küche Verwendung fanden. Kümmel ist für die Eisenzeit erstmalig nachgewiesen. Regelgerechter Gartenbau konnte für die Eisenzeit noch nicht nachgewiesen werden, daher ist es wahrscheinlich, dass es sich um wilden WiesenKümmel handelt, der auf frischen, nährstoffreichen Gebirgswiesen gesammelt werden konnte. Die mit den Eintöpfen genossene Fleischmenge lässt sich aufgrund der oben genannten Gründe nicht eindeutig rekonstruieren. Fest steht jedoch, dass nur in 37% der Fälle keine tierischen Reste nachgewiesen werden konnten. Dabei ist das Fehlen für keine der drei Gruppen signifikant. Also auch bei reinen „Getreide-Exkrementen“ wurde zusätzlich Fleisch gegessen. Entweder zusammen mit Brot oder einem Getreideeintopf. Ob es sich dabei immer um Eintopf gehandelt hat, ist dabei schwer zu entscheiden.Weder die Artenkombination noch die Aufbereitung geben diesbezüglich eindeutige Auskunft. Seltene Brotfunde der Eisenzeit, z.B. aus dem Ipweger Moor in Nordwestdeutschland, zeigen, dass auch Gerste und Hirse zu flachen Brotfladen gebacken wurden und nicht nur typische Brotgetreide.Auch die Struktur mit eingebackenen Spelzenresten entspricht eher dem eines sehr groben Vollkornbrotes als der eines heutigen Sauerteigbrotes. Die sich hier abzeichnende Konsistenz würde in Exkrementen durchaus einem den Dürrnberger Exkrementen entsprechenden Niederschlag ergeben. Daher möchte ich nur in der Kombination mit Hülsenfrüchten eindeutig von Eintopf sprechen. Zwar kann Mehl auch mit gemahlenen Leguminosen gestreckt werden, die hier gefundenen Hülsenfrüchte waren vor dem Verzehr aber nicht zerkleinert worden, da es sich bei den Funden um große Teile der Samenschale handelt.Auch wenn man die Aufbereitung der Getreidereste ansieht, finden sich nur drei Exkremente, die ausschließlich feinste Fragmente des Kornäußeren zeigen, also einen Hinweis auf feiner gemahlenes Mehl geben. Mit hoher Stetigkeit von rund 70% ist Obst in den Nahrungsresten vertreten, z.T. sogar mit erheblichen Prozentanteilen. Dies führt uns deutlich vor Augen wie unterrepräsentiert diese Gruppe aufgrund ihrer geringen Verkohlungswahrscheinlichkeit in den Siedlungs-

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Abb. 3 Rekonstruierte Anteile der pflanzlichen Bestandteile in 73 eisenzeitlichen Exkrementen. Getreide sind in der Signatur durch eine graue Grundfarbe gekennzeichnet, Hülsenfrüchte schwarz und Obst weiß. Die ebenfalls in der Grundfarbe Weiß gehaltenen Gewürze scheinen nur in Probe B1421 und B674 im Diagramm auf. Durch Symbole ist die Anwesenheit tierischer Bestandteile von Säugetieren (S), Fischen und Vögeln dargestellt.

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Abb. 4 Kulturpflanzenreste aus Siedlungsfunden der Späthallstatt- und der Frühlatènezeit. Links sind die Getreide, rechts Hülsenfrüchte und Ölfrüchte dargestellt. 1. Dürrnberg, Ramsautal- und Ramsaukopfsiedlung, SpHa/FLt, Swidrak, Schmidl 2002, Boenke 2004; 2. Niedererlbach, Landshut, SpHa/FLt, Küster 1988: 78f.; 3. Niederpöring, Leitensiedlung, FLt, Küster 1995: 122,Tab. 28; 4. Hochdorf, SpHa/FLt, Stika 1999: 405; 5. Beihingen, SpHa/FLt, Stika 1999: 405; 6. Klingenberg, Heilbronn, SpHa/FLt, Stika 1996a: 126-128; 7. Goddelau, FLt, Kreuz 1992/93: 155 Abb. 8; 8. Schwalheim, Bad Nauheim, SpHa/Flt, Kreuz, Boenke 2001: 239 Abb. 8 u. 251-255; 9. Bad Nauheim „Im Deut“, FLt, Kreuz, Boenke 2001: 239 Abb. 8 u. 251-255; 10. Christenberg, Münchhausen, FLt, Kreuz 1992/93: 155 Abb. 6; 11.Wierschem, SpHa/FLt, Kroll 2001: 544; 12. Köln-Blumenberg, SpHa/FLt, Knörzer 1992: 478-484; 13. Borg „Seelenge-

funden ist. Noch bis in das Mittelalter stellten wilde Früchte eine wichtige vitaminreiche Nahrungsergänzung dar, die in der Regel im direkten Siedlungsumland gesammelt wurden.Vergleichbares können wir uns auch für den Dürrnberg vorstellen. Zahlreiche Fruchtfunde deuten auf das Vorhandsein von Gebüschen und Hecken z.B. aus Schlehe (Prunus spinosa), Weißdorn (Crataegus laevigata/monogyna) oder Haselnuss (Corylus avellana) an den Waldrändern oder im Bereich der durch den Holzverbrauch aufgelichteten Wälder hin. Zur Beurteilung der Bedeutung der verzehrten Nahrungsmittel dürfen die Funde vom Dürrnberg jedoch nicht losgelöst von anderen eisenzeitlichen Fundstellen betrachtet werden. Dabei kann an dieser Stelle nur eine allgemeine Zusammenfassung erfolgen, da sich die vergleichende Aufnahme archäobotanischer Daten 250

von verschiedenen eisenzeitlichen Fundstellen als schwierig erweist (vgl. Boenke in Vorb.), da oftmals nähere Angaben zu Proben und Befunden fehlen. Zur Illustration des Kenntnisstandes wurden in Abb. 4 Kulturpflanzenreste aus Siedlungsfunden der Späthallstattund der Frühlatènezeit zusammengestellt. Herangezogen wurden an dieser Stelle die Ergebnisse von 25 Siedlungsplätzen, bei denen es möglich war, die Stetigkeit (=Prozentuale Häufigkeit) der Arten in den Befunden zu ermitteln. Dabei wurde wie folgt vorgegangen: die Stetigkeit wurde in vier Stufen (1 bis 4) unterteilt, die als Balkendiagramm dargestellt wurden. 1 bedeutet eine Art/Taxon ist vorhanden, 2 sie kommt in über 25% der Befunde vor bzw. 3 in über 50% und 4 in über 75% der Befunde. Ein quantitativer Vergleich ist leider nicht möglich, da

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wann“, SpHa,Wiethold 2000b; 14. Rémerschen-Schengerwis, SpHa/FLt, Hingh 2000: 119; 15. Sehndorf „Hinter’m Dellchen“, Wiethold in Henz (2000: 428,Tab. 1); 16.Yutz „Tracé du Contournement sud-est“, sites 13, 15 and 17 (57), SpHa, Hingh 2000: 113f.; 17.Tagnon,Ardennes, FLt, Matterne 2001: 37, 303; 18. Limé „La Prairie“,Aisne, FLt, Matterne 2001: 37, 275f.; 19. Bussy-Saint-George, Seine-et-Marne, FLt, Matterne 2001: 37, 284; 20. Bailly,Yvelines, FLt, Matterne 2001: 37, 240-243; 21. Lacroix-Saint-Quen, Oise, FLt, Matterne 2001: 37, 274; 22. Herblay,Val-d’Oise, FLt, Matterne 2001: 37, 40, 263; 23. Herleville, Somme, FLt, Matterne 2001: 37, 263; 24. Maisnil-lès-Ruitz, Nord, FLt, Matterne 2001: 37, 40, 279.

die Funddichte (Konzentration pro Liter) nur in den seltensten Fällen angegeben wird bzw. aus der Literatur rekonstruierbar ist. Doch auch die Stetigkeit ist ein gutes Maß für den Repräsentanzwert einer Art, da singuläre Massenfunde hier nicht den Blick verstellen, sondern das regelmäßige Auftreten einer Art für ihre Bedeutsamkeit spricht (Jacomet, Kreuz 1999: 145). Das wichtigste Getreide ist allgemein zweifellos die Spelzgerste, gefolgt von je nach Fundstelle Emmer (Triticum dicoccum) und Echter Hirse. Daneben treten auch Dinkel und Einkorn (Triticum monococcum) auf, eher selten sind im Allgemeinen Kolbenhirse (Setaria italica), Nacktgerste (Hordeum vulgare var. nudum) oder Nacktweizen (Triticum aestivum/durum/turgidum). Hafer (Avena sativa) und Roggen (Secale cereale) sind zu dieser Zeit sicherlich noch als unkrauthafte Beimengungen in an-

deren Feldfrüchten zu betrachten. Interessant scheint die Rolle des Dinkels. Dinkel ist ohne Zweifel in Österreich schon in der Bronzezeit ein wichtiges Getreide (Kohler-Schneider 2001: 110). In der Eisenzeit zeigt sich jedoch an den untersuchten Plätzen, dass ein Schwerpunkt seines Vorkommens in Baden-Württemberg, Rheinlandpfalz und Hessen liegt, nicht aber in gut untersuchten Teilen Nordfrankreichs.Am Dürrnberg ist Dinkel ebenfalls recht häufig, obwohl die zeitgleich aus dem benachbarten Bayern vorliegenden Zahlen nicht so hoch erscheinen. Ein möglicher, ökologisch begründeter Deutungsansatz ist, dass Dinkel auf schweren Lehmböden für die Bauern die bessere Wahl war. Natürlich kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass hier ein Forschungsstand kartiert wird. Doch sollten diese Überlegungen nicht den Blick für andere mögliche Zusammenhänge verstel251

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len. So zeigen Gräberfeldinventare des Dürrnbergs z.B. einige Frauengräber, deren Inventar deutlich Beziehungen zum südwestdeutschen Raum aufweist (z.B. Grab 317 B, Zeller 2002: 199 f.). Geht man hier von Fällen der Exogamie aus, wäre es vorstellbar, dass diese Frauen nicht nur ihre Tracht sondern auch ihre Ernährungsgewohnheiten mit an den Dürrnberg brachten. Doch möchte ich dadurch die Rolle der Frauen nicht auf das Kochen reduziert sehen.Vielmehr waren familiäre Bindungen sicherlich ein starker Grund Kontakt zu halten und Handelsbeziehungen auszubauen. Es ist nicht auszuschließen, dass ein Teil des am Dürrnberg benötigten Getreides aus diesen Gebieten gegen Salz verhandelt wurde. Hülsenfrüchte und Ölfrüchte werden weitaus seltener gefunden.Vielfach wird hierfür die geringere Verkohlungswahrscheinlichkeit angeführt, doch auch die Analyse der Exkremente vom Dürrnberg erbrachte eine – gemessen an den Getreidefunden – geringere Bedeutung, obwohl die Hülsenfrüchte hier eine hervorragende Erhaltungsfähigkeit zeigen. Nichts desto trotz sind in der Eisenzeit Mitteleuropas Erbse, Linse und Ackerbohne als Hülsenfrüchte allenthalben vertreten. Mancherorts, vor allem in Frankreich, spielte auch die Linsenwicke (Vicia ervilia) eine Rolle. Einzelne Funde liegen auch aus Südwestdeutschland und Hessen vor. Bei den Ölfrüchten zeigen Lein, Leindotter und Schlafmohn eine ähnliche Häufigkeit des Auftretens. Damit weist Leindotter in der Eisenzeit ein höheres Aufkommen als in anderen Epochen auf. Außergewöhnliche Nahrungsmittelimporte weisen die Exkremente vom Dürrnberg oder die Siedlungsfunde bisher nicht auf. Dabei kennt man in der Eisenzeit durchaus vereinzelte Funde von Feige (Ficus carica) oder Koriander (Coriandrum sativum) (Stika 1999: 412; Kreuz, Boenke 2001: 240; Kreuz, Wiethold 2005 im Druck). Zur Übernahme kulinarischer Gewohnheiten gehören jedoch nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch Akzeptanz. Während Güter wie Wein (Specht 1972) oder Bronzegefäße und Keramik aus Regionen jenseits der Alpen durchaus im Gräberfeldmaterial aufscheinen (Pauli 1978; Stöllner 2002 a; Zeller 2002), lässt sich der Handel mit Kulturpflanzen mit südalpinen Gebieten durch das botanische Fundgut weder bestätigen noch widerlegen. Da es sich bei den Exkrementen aus dem Bergwerk auch um Faeces von Menschen handeln könnte, die keinen Zugang zu Importen hat252

ten, wurde das Ergebnis mit den archäobotanischen Untersuchungen aus dem Siedlungsbereich verglichen, doch auch hier lassen sich keine eindeutigen Importe nachweisen. Bei einem dort nachgewiesenen Rebenkern (Swidrak, Schmidl 2002: 149) handelt es sich aufgrund der gedrungenen Form wohl um die Wildrebe (Vitis vinifera ssp. sylvestris). Obwohl gerade der Dürrnberg zeigt, welchen hohen Stellenwert Sammelpflanzen in der Vorgeschichte einnehmen, wird jedoch deutlich, dass vor allem Getreide den Hauptanteil der nährenden Pflanzen ausmachen. Getreide, Hülsenfrüchte und Ölfrüchte sind ohne aufwendige Konservierung lagerfähig. Das Angebot an Kulturpflanzen ist denn auch für eine so große, auf Nahrungsmittelzufuhr von außen angewiesene Gemeinschaft eine deutlich besser zu kontrollierende Quelle als das viel stärker vom jährlichen bzw. jahreszeitlichen Vorkommen abhängige Angebot an Sammelpflanzen. Sicherlich war es bereits in der Eisenzeit möglich, Handelskontingente für gewisse Zeiträume festzulegen, um die Versorgung zu sichern. Eingebettet in ein verzweigtes Handelsnetz verfügten die Dürrnberger sicherlich über ausreichende Kontakte um ihre Versorgung zu sichern. Ohne Zweifel gehören gut funktionierende landwirtschaftliche Strukturen im Umland zu den Grundvoraussetzungen, um genügend Arbeitskräfte für ein aufwendiges Unterfangen wie den Untertageabbau von Salz freistellen bzw. versorgen zu können (Stöllner 2000; 2002 b; 2003; Boenke 2005: 483). Alles in allem spiegeln die aufgefundenen Nahrungsreste die ganze Bandbreite der von den Kelten in Mitteleuropa angebauten Feldfrüchte wieder. Die Nahrung ist für die damalige Zeit durchaus abwechselungsreich und der regelmäßige Fleischanteil zeugt von einem gewissen Wohlstand. Zwar kann anhand der archäobotanischen Untersuchungen nichts über den rechtlichen Status der Arbeiter gesagt werden, aber das plakative Bild von ausgemergelten Arbeitssklaven trifft sicherlich nicht auf sie zu. Der Befund lässt darauf schließen, dass die Bergleute gut versorgt wurden. Dies dürfte auch im Interesse der wie auch immer gearteten Gemeinschaft bzw. einer politischen/ökonomischen Führungsschicht gewesen sein, da die wirtschaftliche Stellung der Siedlung auf dem Dürrnberg auf der kontinuierlichen Förderung des Salzes ruhte.

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Schlusswort / Concluding remarks Raimund Karl, Jutta Leskovar

Die dreitägige Tagung „Interpretierte Eisenzeiten“ fand trotz dichtem Programm in ausgesprochen diskussionsfreudiger Stimmung statt, die sich auch in die Abendstunden bei entspanntem Beisammensein fortsetzte. In den meisten Vorträgen zeichnete sich eine allgemeine Praxis und Interessensausrichtung ab: weg von rein typologisch-chronologisch ausgerichteten archäologischen Arbeiten mit oder ohne fragwürdig entwickelten (Einzel-)Interpretationen, hin zu einer neuen (bzw. wiederbelebten) Diskussions- und Diskurskultur samt neuem Interesse an unterschiedlichsten Methoden der Interpretationsgewinnung, außerdem die Abkehr von der historischen Wahrheitssuche zugunsten der Akzeptanz des Nutzens von interpretativer Pluralität. Somit dürfte ein weiterer Schritt getan sein um den persönlichen Wunsch der im Vorwort angesprochenen Teilnehmerin der Tagung – nicht mehr hören zu müssen, in der deutschsprachigen prähistorischen Archäologie gäbe es keine Methoden- und Theoriediskussion – zu erfüllen. Ob diese weitere Schwalbe im archäologischen (Eisenzeit-)Himmel bereits den Theorie- und Methoden-Sommer macht, darf getrost bezweifelt werden, doch der beginnende zarte Frühling gibt in jedem Fall den Anstoß für weitere Forschungen, deren Ergebnisse bzw. Diskussionsbeiträge nicht zuletzt 2006 im Rahmen der 2. Linzer Gespräche zur interpretativen Eisenzeitarchäologie vorgestellt werden sollen. www.schlossmuseum.at/eisenzeiten

The three day conference „Interpreted Iron Ages“ allowed for many interesting discussions, regardless of the quite dense programme.These discussions continued well into the late evenings during informal meetings at local pubs, adding to the relaxed yet productive feeling throughout the conference. Most of the papers shared a common theme: to move away from pure typo-chronology with the odd questionable (ad hoc) interpretation mixed in, towards a new (resp. revived) culture of discussions and discourse. Characterised by a renewed interest in diverse methods to arrive at systematic interpretations of the past, this new line of thought is less interested in finding „historical truth“. Rather, the usefulness of a plurality of interpretations and opinions was embraced. As such, the conference may well have helped to fulfil the personal wish of one of the participants of the conference, as mentioned in the introduction – to put an end to the repeated remarks on the absence of theoretical discussion in the German prehistoric archaeology. That this conference could be seen as sufficient to end such remarks is more than questionable, but the least we hope is that it has helped the case and will create further work in this direction. We are already looking forward to new research results presented at the 2nd Linzer Gespräche zur interpretativen Eisenzeitarchäologie in 2006. www.schlossmuseum.at/eisenzeiten

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