ifo Studien: Zeitschrift für empirische Wirtschaftsforschung. Heft 4/1999, 45. Jahrgang. Zum 75. Geburtstag von Ernst Helmstädter [1 ed.] 9783428502387, 9783428102389

Ernst Helmstädter zählt zu den wenigen Ökonomen, deren wissenschaftliches Werk gleichermaßen richtungweisend für die Wir

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ifo Studien: Zeitschrift für empirische Wirtschaftsforschung. Heft 4/1999, 45. Jahrgang. Zum 75. Geburtstag von Ernst Helmstädter [1 ed.]
 9783428502387, 9783428102389

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ifo Studien Zeitschrift für empirische Wirtschaftsforschung

4/1999 45. Jahrgang

Duncker & Humblot . Berlin

ifo Studien Herausgegeben von Karl Heinrich Oppenländer Schriftleitung: Marga Jennewein Beirat: Ernst Helmstädter, Günter Poser, Hans Jürgen Ramser, Gerd Ronning, Jürgen Wolters

Zum 75. Geburtstag von Ernst Helmstädter Inhaltsverzeichnis Aufsätze Heilemann, Ulrich, Jürgen Heubes und Bernd Meyer. Vorwort

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Bonus, Holger Laudatio für Professor Helmstädter anläßlich seiner Ernennung zum Ehrensenator der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zum 75. Geburtstag 493 Beckmann, Martin J.: Dynamic Programming: An Overview

501

Krelle, Wilhelm: Eine alternative Theorie des Konsumentenverhaltens - Ernst Helmstädter zum 75. Geburtstag 513 Blum, Reinhard: Globalisierung - Unsichtbare Hand oder globale Koalitionen

525

Greif, Siegfried: Der Beitrag der Wissenschaft zur Produktion technischen Wissens. Eine patentstatistische Analyse zu Forschung und Entwicklung 541 Haller, Frank: Das Unternehmen Bremen - Strukturwandel im Wettbewerb

561

Rudolph, Bernd und Markus Prüher. Unternehmensfinanzierung in einem dynamischen Kontext 573 Dieckheuer, Gustav. Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik in einer Währungsunion - Eine makroökonomische Analyse von Niveau- und Struktureffekten 591 Heilemann, Ulrich: Zum Wandel der "Stilisierten Fakten" des westdeutschen Konjunkturzyklus 1955 bis 1994 621 32 ifo Studien 1999

li

Inhaltsverzeichnis

Oppenländer, Karl Heinrich: Helmstädters M-Zyklus: Messung und Erklärungsansatz 641 Wagner, Adolf. Die Tübinger Konzeption des Wirtschaftskreislaufs, Beiträge von Ernst Helmstädter und aktuelle empirische Kreislaufaspekte. Randnotizen zur Kreislaufanalyse 653 Heubes, Jürgen: Investitionsquote und Wirtschaftswachstum

663

Uebe, Götz: Sektorale Entwicklung und Wachstum zu Beginn der Industrialisierung Der mathematische Ökonom Joseph Lang und seine Theorie wirtschaftlichen Wachstums 679 Meyer, Bernd und Kimio Uno: COMPASS - Ein globales Energie-Wirtschaftsmodell

703

Schumann, Jochen: Die Problematik von Zurechnungen und Komponentenzerlegun719 gen mit dem statischen offenen Input-Output-Modell Siebert, Horst und Jürgen Stehn: Internationaler Handel, dynamischer Wettbewerb und nationale Beschäftigungsstruktur: Eine Bestandsaufnahme für Deutschland 729

Oppenländer, Karl Heinrich: Zwanzig Jahre ifo Studien: Lebendige Wissenschaft

.. 741

Vorwort Ernst Helmstädter zählt zu den wenigen Ökonomen, deren wissenschaftliches Werk gleichermaßen richtungsweisend für die Wirtschaftstheorie und die Wirtschaftspolitik ist. Seine originellen und sprachlich brillanten wissenschaftlichen Beiträge sind durch eine enge Verzahnung von theoretischer und empirischer Analyse gekennzeichnet, und seine Gabe, aktuelle Probleme auch vor dem Hintergrund seiner ausgezeichneten Kenntnisse der Dogmengeschichte zu diskutieren, wird weithin geschätzt. Schon als junger Wissenschaftler verfaßte er vielbeachtete Beiträge zur Wachstumstheorie, Geldtheorie, Preistheorie und zur Strukturforschung. Seine Diskussionsbeiträge zu ordnungspolitischen Grundsatzfragen haben nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die handelnde Wirtschaftspolitik nachhaltig beeinflußt. Mit dem Konzept des "Dynamischen Wettbewerbs", das an Vorstellungen Schumpeters anknüpft, ist Ernst Helmstädter eine evolutionstheoretische Erklärung wirtschaftlicher Entwicklung gelungen. Helmstädter wurde 1965 Professor an der Universität Bonn, wechselte 1969 an die Universität Münster, der er dann trotz weiterer Rufe bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1989 treu blieb. Von "Ruhestand" konnte anschließend allerdings keine Rede sein, denn er nahm Gastprofessuren an der Humboldt Universität, Berlin, und an der Universität Innsbruck an und ist heute seit 1996 Forschungsprofessor am Institut Arbeit und Technik, Gelsenkirchen, im Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen. Zu den bereits genannten Forschungsgebieten sind in der Zeit nach der Emeritierung die Konjunkturforschung, die Wirtschaftsethik und Fragen nach der Rolle des Wissens in der modernen Wirtschaft hinzugekommen. Ernst Helmstädters außerordentlicher Erfolg wird durch seine Ämter und Ehrenämter belegt, von denen nur die wichtigsten genannt werden sollen: Vorsitzender des Fachausschusses Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik - Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Präsident der Internationalen Schumpeter Gesellschaft, Vizepräsident der List-Gesellschaft. Eine ausführliche Würdigung der Persönlichkeit und des wissenschaftlichen und künstlerischen Werkes von Ernst Helmstädter hat Holger Bonus in seiner Laudatio anläßlich der Verleihung der Ehrensenatorwürde der Universität Münster gegeben. Dieser Beitrag eröffnet in der vorliegenden Festschrift die Reihe

32*

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Vorwort

von Aufsätzen, die Freunde und Schüler dem Jubilar zu seinem 75. Geburtstag widmen. Martin Beckmann und Wilhelm Krelle befassen sich mit der Theorie wirtschaftlicher Entscheidungen, Reinhard Blum, Siegfried Greif, Frank Haller und Bernd Rudolph /Markus Prüher haben Beiträge zum Dynamischen Wettbewerb verfaßt. Der Konjunkturforschung lassen sich die Arbeiten von Gustav Dieckheuer, Ullrich Heilemann, Karl- Heinrich Oppenländer und Adolf Wagner zuordnen. Jürgen Heubes und Götz Uebe stellen Beiträge zur Wachstumstheorie zur Diskussion. Zur Strukturanalyse zählen schließlich die Aufsätze von Bernd Meyer/Kimio Uno, Jochen Schumann und Horst Siebert/Jürgen Stehn. Die Herausgeber bedanken sich herzlich bei Karl Heinrich Oppenländer, der die ifo Studien für diese Festschrift zur Verfügung gestellt hat. Die Freunde und Schüler Ernst Helmstädters verbinden die Widmung ihrer Beiträge mit den herzlichsten Glückwünschen zum 75. Geburtstag und sprechen - wie dies schon in der ersten Festschrift anläßlich des 65. Geburtstags geschehen ist "die feste Erwartung aus, daß noch über viele Jahre die wissenschaftliche Diskussion durch richtungsweisende Beiträge des Jubilars bereichert wird".

Ulrich Heilemann, Jürgen Heubes und Bernd Meyer

Laudatio für Professor Helmstädter anläßlich seiner Ernennung zum Ehrensenator der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zum 75. Geburtstag Von Holger Bonus Inhalt I. Curriculum vitae II. Das wissenschaftliche Werk III. Verdienste um die Westfälische Wilhelms-Universität Münster IV. Das künstlerische Werk V. Ehrung

Es gilt, eine außerordentliche Persönlichkeit zu ehren, einen bedeutenden Gelehrten von hohem Ansehen, von reicher Produktivität in den Publikationen und professionell auf höchsten Niveau. Ernst Helmstädter hat sich sehr verdient gemacht für die Westfälische Wilhelms-Universität Münster; er hat viel beigetragen zu ihrem wissenschaftlichen Rang und zugleich zu ihrer Ausstrahlung auf die Praxis. Wo immer er mit der Praxis zusammengewirkt hat, verstand diese, wie wichtig eine solide theoretische Grundlegung ist. Das ist wichtig für das Standing der Universität Münster. Emst Helmstädter hat zudem auf die Politik eingewirkt. Die Politiker haben gespürt, daß ihnen ein Mann mit Format gegenüberstand, sie waren beeindruckt von der Persönlichkeit Helmstädters und seinen Argumenten - auch, wenn sie seinem Rat gelegentlich nicht folgten. Zudem ist Ernst Helmstädter ein großer Förderer der Kunst, insbesondere, was die Universität Münster angeht. Er wirkte mit bei der konzeptuellen Vorbereitung des Senatsausschusses für Kunst und Kultur, den er danach zehn Jahre lang geleitet hat. Im übrigen ist Ernst Helmstädter ein aktiver Künstler von hohem Profil und künstlerischer Originalität; er ist auch auf diesem Gebiet äußerst produktiv. Nun ist die Kunst ein sinnliches Phänomen, während die mathematische Wirtschaftstheorie (der sein wirtschaftswissenschaftliches Interesse gilt) abstrakter Natur ist. Ernst Helmstädter vereint Sinnlichkeit und abstraktes Denken. In ihm erleben wir eine facettenreiche Persönlichkeit von hoher Kultur. Er ist nicht eingeengt auf einige wenige Spezialgebiete (während der Rest vertrocknet), sondern auf vielen Feldern zugleich aktiv, und zwar überall mit hoher Kompetenz.

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Holger Bonus

Wenn jemand die Ehrung verdient hat, einer der ganz wenigen Ehrensenatoren der Universität zu werden, dann ist es Ernst Helmstädter. Ich möchte ihm aus diesem Anlaß auch im Namen des Dekans und der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät dieser Universität meine Glückwünsche aussprechen. Meine Laudatio werde ich wie folgt gliedern. Ich beginne mit der Vita Ernst Helmstädters, verweile danach beim wissenschaftlichen Werk des Gelehrten und gehe sodann auf seine Verdienste für die Westfälische Wilhelms-Universität Münster ein. Dabei werde ich mit seiner Einwirkung auf die Praxis beginnen, anschließend seinen politischen Einfluß würdigen und zuletzt den Förderer der Kunst behandeln. Am Ende meiner Laudatio möchte ich Ernst Helmstädter als bildenden Künstler vorstellen.

I. Curriculum vitae Heute vor 75 Jahren, am 22. April 1924, wurde Ernst Helmstädter geboren. Von 1939 bis 1942 absolvierte er eine Maschinenschlosserlehre und war in einem Konstruktionsbüro tätig. Er wurde dann zur Wehrmacht eingezogen und im Juni 1945 aus der US-Kriegsgefangenschaft entlassen. Damals war er 21 Jahre alt. 1948 (also mit 24 Jahren) machte er sein Abitur. Wer während des Zweiten Weltkrieges aus dem Gymnasium weg vor dem Abitur eingezogen worden war, bekam automatisch einen Reifevermerk oder ein Notabitur. Nach einem Vorsemester konnte man dann mit dem Studium beginnen. Ab 1947 gab es spezielle Kurse in den Gymnasien, die zum Abitur führten. Einen solchen Kurs machte Ernst Helmstädter mit. Er wollte eigentlich Lehrer werden und Germanistik studieren; die Eltern sahen in ihm aber eher einen Ingenieur. Während der Vorbereitung auf das Abitur half er im elterlichen Gartenbaubetrieb in Friedrichsfeld (nahe bei Heidelberg), den Betrieb wieder aufzubauen. Nebenbei studierte Helmstädter Germanistik in Heidelberg und traf dabei mit einem Kommilitonen zusammen, der zusätzlich zur Germanistik auch Soziologie studierte. Auf diese Weise geriet Ernst Helmstädter in die Nähe der Nationalökonomie. Ein früherer Schulkamerad riet ihm dann, "studier' doch einfach VWL (Volkswirtschaftslehre)!". Zu jener Zeit gab es in Heidelberg neben der "neuen" auch die "alte" Universität. Diese wiederum hat eine "alte Aula"; einen würdigen Prunkraum mit Holzvertäfelung - in dem ich selbst neun Jahre später die "Einführung in die Volkswirtschaftslehre" hörte. Eine legendäre Figur der nationalökonomischen Sphäre war damals Prof. Erich Preiser, ein begnadeter Rhetoriker, dessen Buch "Nationalökonomie wozu?" sich äußerster Popularität erfreute und alles vor dem Leser ausbreitete, was die Volkswirtschaftslehre für uns anziehend und betörend macht. Dieser Erich Preiser lehrte in Heidelberg, bevor er 1955 nach München berufen wurde. In der "alten Aula" also hörte Ernst Helmstädter den berühmten Erich Preiser über Nationalökonomie sprechen. Das war ein Erwekkungserlebnis. Erst jetzt erfuhr Ernst Helmstädter, was er überhaupt werden wollte. Er studierte gewissermaßen im Galopp und arbeitete intensiv und zügig.

Laudatio für Professor Helmstädter

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Erich Preiser hatte damals einen Assistenten, Wilhelm Krelle. Dieser war ehemals Generalstabsoffizier gewesen, hatte Physik studiert, bevor er in die Nationalökonomie überwechselte und dort die mathematische Richtung einführte und verfocht. Krelle ist eine charismatische Persönlichkeit und hat viele Studenten in seinen Bann gezogen. Er veranstaltete in Heidelberg ein Proseminar, an dem Ernst Helmstädter teilnahm und mit einer "Eins" abschloß. Das war für ihn eine große Ermutigung. Als Erich Preiser nach München ging, zog Wilhelm Krelle als außerordentlicher Professor nach St. Gallen. Später wechselte Krelle dann an die Universität Bonn, deren wirtschaftswissenschaftliche Fakultät er nachhaltig geprägt hat. Als ich selbst 1957 nach Heidelberg kam, um dort das Studium der Nationalökonomie aufzunehmen, waren Erich Preiser, Wilhelm Krelle und Ernst Helmstädter bereits nicht mehr da. Damals gab es für Gelehrte, welche die wissenschaftliche Karriere anstrebten, nur wenige Stellen; die Studentenzahlen waren auch noch recht niedrig. Deshalb war es schwierig, an der Universität eine Anstellung zu finden. Erich Preiser pflegte zu sagen: "Wer gar nichts anderes kann, mag ja Professor werden; wer aber auch etwas anderes kann, soll dieses andere tun!" Ernst Helmstädter beherzigte diesen Rat; er promovierte bei Erich Preiser in Heidelberg und ging dann nach Frankfurt zum Bundesamt für Gewerbliche Wirtschaft. Kurz danach erhielt Wilhelm Krelle einen Ruf an die Universität Bonn und bot Ernst Helmstädter eine Assistentenstelle an. Dieser hatte jedoch zu dieser Zeit bereits Familie und zwei Kinder. Es schien ihm zu riskant, an die Universität zu gehen. Statt dessen wechselte er zum Bundesfinanzministerium in Bonn. Dort blieb er zweieinhalb Jahre und bemerkte bald, daß er beruflich nicht glücklich würde in solchen Positionen. Er wollte eigentlich eben doch Wissenschaftler werden. Es traf sich gut, daß Wilhelm Krelle Ernst Helmstädter erneut eine Assistentenstelle anbot, die Helmstädter dieses Mal nicht ausschlug. 1961 also begann Ernst Helmstädter als Assistent bei Wilhelm Krelle. Zu dieser Zeit war er bereits 37 Jahre und nahm ein erhebliches Risiko in Kauf. Helmstädter habilitierte sich im Jahre 1965 und erhielt noch im gleichen Jahr - nachdem er zuvor eine Berufung an die Technische Universität Berlin abgelehnt hatte -, einen Ruf an die Universität Bonn auf den Lehrstuhl für Wirtschaftstheorie, den er bis 1969 innehielt. Diesem Lehrstuhl 1969 folgte ein Ruf an die Westfälische Wilhelms-Universität Münster, und zwar auf den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre. Zugleich wurde Ernst Helmstädter Direktor des Instituts für Industriewirtschaftliche Forschung und weiterhin Direktor der Forschungsstelle für Allgemeine und Textile Marktwirtschaft der Universität Münster. Wissenschaftliche Karrieren sind gelegentlich gewunden, gerade wenn das Begabungsspektrum breit ist. Vieles später Bedeutende mag erst nach längerer Zeit auf verschlungenen Wegen erreicht werden. Solche Karrieren sind Musterbeispiele "pfadabhängiger Prozesse", auf deren Bedeutung für die Wirtschaftswissenschaften der Nobelpreisträger Douglass C. North hingewiesen hat. Pfadabhängige Prozesse sind nicht im voraus determiniert, der Zufall spielt eine bedeutende Rolle. Wie North gezeigt hat, können sie in persistente suboptimale

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Zustände einmünden. Im Fall Ernst Helmstädters allerdings war das Ergebnis glücklich und fruchtbar.

II. Das wissenschaftliche Werk Ernst Helmstädter hat ein reichhaltiges Werk vorgelegt. Eine Reihe von Büchern stammt aus seiner Feder. Im wesentlichen sind sie formal und eher mathematisch gehalten. Helmstädter arbeitete gern mit linearen Modellen, die durch empirisches Material und ökonometrische Verfahren erhärtet wurden. 1956 erschien seine Dissertation "Produktionsstruktur und Investitionen in wachstumstheoretischer Sicht". 1965 folgte die Habilitationsschrift "Der Kapitalkoeffizient", eine vielbeachtete Arbeit. 1974 erschien in erster Auflage "Wirtschaftstheorie I - Mikroökonomische Theorie", das 1991 in 4. Auflage herauskam. Ein Jahr später, 1975, folgte dann "Wirtschaftstheorie II - Makroökonomische Theorie", dessen 3. Auflage 1986 erschienen ist. Im Jahre 1996 folgten die "Perspektiven der Sozialen Marktwirtschaft: Ordnung und Dynamik des Wettbewerbs". In seinen wissenschaftlichen Werken erleben wir die Faszination Helmstädters an komplexen, linearen Strukturen. Sie schlägt sich auch in seiner Kunst nieder; ich komme darauf noch zurück. Ernst Helmstädter hat mehr als 100 wissenschaftliche Aufsätze publiziert. Ich greife hier nur einige wenige heraus. So erschien 1957 "Produktionsstruktur und Wachstum", 1960 "Die Brutto-Anlage-Investitionen"; 1962 kam "Das Verbund-Dyopol Cournots als Modell der Konkurrenz um den Preisanteil und seine verteilungstheoretische Anwendung" heraus. Ich schlage den Bogen zum Jahre 1973, wo "The Long-Run Movement of the Capital-Output Ratio and of Labour's Share" erschien und gehe wiederum zehn Jahre weiter, als "Auction Prices of Paintings in the Federal Republic of Germany" publiziert wurde. Im Augenblick arbeitet Ernst Helmstädter über die Rolle des Wissens in der Wissensgesellschaft - von der Arbeitsteilung zur Wissensteilung - ein vielversprechendes und aktuelles Gebiet. Überblickt man das wissenschaftliche Oeuvre, so handelt es sich zumeist um eher technische Abhandlungen. Man glaubt geradezu, dem Ingenieur Helmstädter zu begegnen. Aber daneben hat Emst Helmstädter auch ganz andere Arbeiten vorgelegt. So erschien 1995 das Büchlein "Poesie und Ökonomik eine hilarische Anthologie", das von hintergründiger Heiterkeit, hoher Sensibilität und subtiler Ironie erfüllt ist. Im Sommer dieses Jahres (1999) wird ein weiteres Büchlein erscheinen: "Dichtung und ökonomische Wahrheit - eine hilarische Anthologie". Da ich das Wort hilarisch nicht im Duden fand, griff ich zu Webster's New Collegiate Dictionary, wo es unter "hilarity" heißt: "HILARITY suggests loud or irrespressible laughter or high-spirited boisterousness". Unter einer Anthologie versteht man üblicherweise eine Gedichtsammlung. Der Titel verspricht also eine Sammlung von Poesie (und Prosa) von einigermaßen

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stürmischer Heiterkeit. Der Titel täuscht ein wenig. Es handelt sich um ein heiteres - und zugleich hintergründiges - Spielen mit Texten, Worten und Figuren. Typisch für Ernst Helmstädter ist einerseits der Ingenieur, der geduldig dicke Bretter bohrt, d.h. komplexe Zusammenhänge mit mathematischen Mitteln herausarbeitet, was höchste Disziplin und Gründlichkeit erfordert. Andererseits aber verströmen einige seiner Arbeiten auf wirtschaftswissenschaftlichem Gebiet Heiterkeit, Witz, Humor, Ironie und Gelassenheit. Diese Kombination hat sich in den Publikationen Ernst Helmstädters mehrfach niedergeschlagen. So gibt es zum Beispiel in Ottobeuren eine alljährliche Gesprächsreihe deutschsprachiger Wirtschaftswissenschaftler, die anschließend in einem Sammelband dokumentiert wird. 1976 hieß dieser Band "Econo/n/x". Dort gibt es würzige Kost, der Band ist derb spaßig, die ökonomische Disziplin wird regelrecht auf die Schippe genommen. Aus dem Jahre 1963 gibt es die "Foundations of OpEconomics", in Anlehnung an die op art. Dort veröffentlichte Martin J. Beckmann ein Krellesches "Gesetz der Verschlechterung aller Dinge". Er beklagte sich unter anderem darüber, daß an den Universitäten immer schlechtere Perlen vor immer größere Säue geworfen würden. Im Jahre 1955 erschien als Festgabe für Wilhelm Krelle "Nebenprodukte". Dieses Buch ist von geradezu kosmischem Humor. Man lacht sich buchstäblich tot. Das Buch steckt voll brillianter und zugleich witziger Anspielungen.

III. Verdienste um die Westfälische Wilhelms-Universität Münster Ich komme jetzt auf die Verdienste Ernst Helmstädters für die Westfälische Wilhelms-Universität Münster. Zunächst die Außenwirkungen, wobei ich mich auf einige wenige beschränken möchte. Als Direktor der Forschungsstelle für Allgemeine und Textile Marktwirtschaft stand Ernst Helmstädter in enger Tuchfühlung mit der Textilindustrie. Davon zeugen eine Reihe von Aufsätzen in der Zeitschrift für Allgemeine und Textile Marktwirtschaft, daneben auch im Absatzwirtschaftlichen Forum der Textilwirtschaft sowie in der Schriftenreihe des Verbandes der Textilindustrie Westfalen. Außerdem hat Helmstädter mit dem Verband der Privaten Bausparkassen eng zusammengearbeitet. Er war Vorsitzender des einflußreichen Vereins für Socialpolitik, Stellvertretender Vorsitzender der List-Gesellschaft, Fachgutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Bereich Wirtschaftstheorie. Darüber hinaus gehörte er von 1983 bis 1988 dem Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung an. Weiterhin war Helmstädter Präsident der Confederation of European Economic Associations und ferner Vorsitzender des Fachausschusses für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Von 1969 bis zur Emeritierung nahm Helmstädter Lehraufträge bei verschiedenen Universitäten an; er verbrachte eine Reihe von Forschungsaufenthalten in den USA. Seit 1996 (d.h. sieben Jahre nach seiner Emeritierung beginnend!) ist Ernst Helmstädter Forschungsprofessor am Institut Arbeit und Technik im Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen in Gelsenkirchen.

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Ernst Helmstädter hatte viele wichtige Ämter inne, er war und ist ein einflußreicher Mann und hat viel bewegt. Wem so viele Ämter angedient werden, der muß überzeugend sein, glaubhaft. Woraus speist sich das große Vertrauen in Ernst Helmstädter? Er ist von tiefer Seriosität und Zuverlässigkeit, die er aber mit Heiterkeit und Subtilität verbindet. Erfrischend ist immer wieder sein herzhaftes Herangehen an die Realität. Ernst Helmstädter hat viel für die Förderung der Kunst getan. Im Jahre 1989, nach seiner Emeritierung, übernahm er den Vorsitz des Senatsausschusses für Kunst und Kultur. Dieser war neu eingerichtet und konzipiert worden unter seiner Mitwirkung; Helmstädter leitete die entsprechende Kommission. Bis zum Sommersemester 1998 war er Vorsitzender dieses Senatsauschusses. Insgesamt hat er dem Ausschuß zehn Jahre lang vorgestanden, was eine bedeutende Zeitspanne darstellt. Während dieser Zeit hat der Senatsausschuß für Kunst und Kultur an Ausstrahlung gewonnen, in die Stadt Münster hinein wie auch in das Münsterland. Es gab eine Folge von Projekten und Veranstaltungen. Jedes Semester erschien ein Informationsheft "(Jni Kunst Kultur", das über die Aktivitäten musischer Gruppen und Vereinigungen im laufenden Semester informiert. Im Wintersemester 1998/99 wurden die "Uni Kunst Tage" zum achten Male durchgeführt; es handelt sich um "Schnittstellen - Wissenschaft und Kunst im Dialog". 1996 gab es eine Ausstellung Untitled. Dort wurden künstlerische Arbeiten von Angehörigen der Universität gezeigt. Seit 1995 gibt es ein "Forum Studioliteratur", das Angehörigen der Universität die Gelegenheit bietet, eigene literarische Texte bei Werkstattgesprächen einem größeren Publikum bekannt zu machen. Helmstädters Initiative ist im übrigen der "Kulturatlas Münsterland" zu verdanken, dem sich eine Publikation "Lebensraum Stadt" anschließt, welche soeben erschienen ist. In letzterem Band sind Vorträge enthalten, die 1997 anläßlich der Skulpturenausstellung gehalten wurden. Ernst Helmtädter hat immer wieder Sponsoren für solche Zwecke gewinnen können, was seinem großen Engagement und seinen vielfältigen Beziehungen zu verdanken ist. Dieser engagierte Mann ist ein großes Glück für die Westfälische WilhelmsUniversität Münster. Die Universitas ist eben nicht allein für die Wissenschaft zuständig, sondern soll auch kulturelles Zentrum sein, ein Magnet von großer Ausstrahlung. Dies ist nicht zuletzt wichtig für die Identität der Stadt Münster und des Münsterlandes. Das kulturelle Aufstrahlen der Universität wurde inspiriert und tatkräftig unterstützt von Ernst Helmstädter, dem Wissenschaftler, Kunstkenner und - Künstler.

IV. Das künstlerische Werk Es hieße, einen zentralen Aspekt der Persönlichkeit Ernst Helmstädters zu verkennen, wenn man ihn nicht auch als den bedeutenden Künstler würdigt, der er tatsächlich ist. Ernst Helmstädter hat eigentlich schon immer gemalt, bereits in der Schule. Sein ältestes verbliebenes Bild stammt aus dem Jahre 1938, als der Schüler Helmstädter etwa 14 Jahre alt war. Es handelt sich um eine Studie ausgestopfter Vögel und Vögelköpfe. Durch einen Zufall war es Ernst Helm-

Laudatio für Professor Helmstädter

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Städter möglich, dieses erste Bild zurückzuergattem, es hat einen Ehrenplatz in seinem Hause. Der Künstler Ernst Helmstädter traf auf breite Resonanz im Publikum. Er hat viele Ausstellungen durchgeführt. Ich persönlich erinnere mich an eine Ausstellung in Bonn, die am 20. September 1984 vom Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages eröffnet wurde. Helmstädters erste Ausstellung fand im Jahre 1971 in Bad Godesberg statt, eine weitere folgte im gleichen Jahr, wiederum in Bad Godesberg, aber in einer anderen Galerie. 1972 gab es eine Ausstellung in München-Ottobrunn, der im gleichen Jahr wiederum eine weitere Ausstellung in Ottobrunn folgte, jedoch in einer anderen Galerie. 1972 gab es eine Ausstellung in Frankfurt, 1973 zwei Ausstellungen in New York. 1974 stellte Ernst Helmstädter im Goethehaus Montreal und Boston aus; innerhalb Deutschlands gab es im gleichen Jahr auch Ausstellungen in Hannover und Bonn. 1975 folgten Wien und Bad Oeynhausen. 1977 stellte Ernst Helmstädter in Venezuela aus, im gleichen Jahre auch in Münster (bei der WestLB). 1981 folgte Speyer, 1984 gab es Ausstellungen in Bonn und Wiesbaden. Diese Auflistung umfaßt nur einen Teil der Ausstellungen Helmstädters. (Ich habe mich auf den Katalog zur Ausstellung Duale Objekte gestützt, die 1984 im Hause des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken in Bonn stattfand). Wer hat seine künstlerische Entwicklung geprägt? Ernst Helmstädter liebt Paul Klee. Einige von Ihnen mögen etwa Helmstädters Computer-Nachschöpfung von Klees "Der Bote des Herbstes" (1998) aus dem Jahre 1922 kennen. Helmstädter wurde von Josef Albers beeinflußt, dem BauhausMeister, der dort Grundkurse gab und "Strukturale Konfigurationen" erstellte. Von ihm wurde Helmstädter angeregt, nicht alleine mit Linien zu arbeiten, sondern mit Flächen, so daß Farben möglich werden. Über dem Eingang des Landesmuseums in Münster sehen Sie eine riesige Metallkonstruktion. Es handelt sich um eine strukturale Konfiguration von Josef Albers. Weiterhin ist ein Einfluß von Max Bill zu verzeichnen, einem Schüler von Josef Albers. Als Ernst Helmstädter zusammen mit Wilhelm Krelle zu Erich Preiser nach München reiste, machte die Gruppe einen Abstecher zur Hochschule für Gestaltung in Ulm. Diese Hochschule war damals als Nachfolgerin des Bauhauses im Gespräch. Max Bill war ihr Gründungsrektor, und seine Arbeit hat Ernst Helmstädter dort sehr beeindruckt. Vor den Doppeltürmen der Deutschen Bank in Frankfurt steht eine große Skulptur von Max Bill, ein sehr eindrucksvoller Granit-Monolit. Helmstädter wurde auch von Yakow Aggam beeinflußt, einem israelischen Künstler. Werke von Aggam hängen beispielsweise in der WestLB sowie im Bürgerforum Leverkusen, in welchem der Stadtrat zu tagen pflegte, bis eines Tages alle Wände des Raumes mit der Kunst Aggams bedeckt waren. Daraufhin zog der Stadtrat aus, weil so viel Kunst die Sitzungsteilnehmer irritierte. So viel zu den Anregern Helmstädters. Was zeigt nun Helmstädters Kunst? Zunächst beeindruckt auch in der Kunst von Ernst Helmstädter die Faszination linearer Strukturen. Es wurde bereits gesagt, daß diese Faszination auch im wissenschaftlichen Werk Helmstädters zu spüren ist, wenn es etwa um InputOutput-Analysen geht. Es handelt sich um lichtvolle, auf den ersten Blick beru-

500

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higende und angenehme Konfigurationen. Diese haben es aber in sich. Sieht man näher hin, so läuft es einem kalt den Rücken herunter. Helmstädter konstruiert nämlich räumliche Strukturen, die es in dieser Weise nicht geben kann. Sie sind ausweglos verschachtelt, man glaubt den Halt zu verlieren. Im Wartezimmer meines Hausarztes hängen nebeneinander drei Bilder Helmstädters von dieser Art, die ich oft studiert habe. Zeit hat man ja in solchen Räumen. Man verirrt sich in diesen Strukturen, sie sind abgründig und beunruhigend, zugleich aber voll Heiterkeit und subtiler Ironie. Als nächstes gibt es duale Objekte, d.h. räumliche Körper mit zwei sich widerstreitenden Perspektiven. Je nachdem, wie man das Bild ansieht, stellt es etwas anderes dar - so z.B. eine alte Frau oder ein junges Mädchen, einen Vogel oder eine Antilope, weiße Pfeile, die nach unten zeigen bzw. schwarze Pfeile, die nach oben zeigen. Die Gestaltpsychologie hat sich mit solchen Phänomenen befaßt. Bei Helmstädter sind es wiederum lineare Strukturen, z.B. Würfel, deren Interpretationen einander widersprechen. Dadurch werden die Bilder in sich widersprüchlich. Sie sind dem Konstruktivismus zuzuordnen, der "konkreten Kunst". In der jüngeren Kunst Ernst Helmstädters spielen die Faltreliefs eine große Rolle. Auf beiden Seiten einer gefalteten Fläche sind unterschiedliche Bilder angebracht; und je nach Standort sieht man ein anderes Bild. Hinzu kommt noch das frontal zu sehende dritte Bild, das daraus entsteht. Es handelt sich um triale (und nicht nur duale) Objekte. Diese Form ermöglicht Helmstädter viel untergründige Vielfalt. Während Helmstädters Frühwerk farblich recht zurückhaltend war, sind die Farben im Spätwerk leuchtend und dicht. Ein unbeschreibliches Raumgefühl ergibt sich. Die Siebdrucke, die Helmstädter in Zusammenarbeit mit einem Atelier in Ingolstadt erstellten läßt, erzeugen besonders satte Farben. Es handelt sich jeweils um Unikate, die durch die überwältigende Farbe befreiend wirken. Wer ein großes und schönes Haus schmücken und bereichern möchte, sollte sich bei Ernst Helmstädter um triale Objekte bemühen!

V. Ehrung Die Westfälische Wilhelms-Universität Münster ehrt heute in Ernst Helmstädter einen angesehenen, einflußreichen Wissenschaftler, einen sensiblen, durchsetzungsfähigen Kunstförderer und einen anerkannten Künstler. Helmstädter ist ein großer Gelehrter, jemand, der latente Begabungen zu wecken versteht, der die Dimension der Kunst an der Westfälischen WilhelmsUniversität herausgearbeitet und kultiviert hat und der Universität Münster Strahlkraft nach außen verliehen hat. Wenn es jemanden gibt, der die Würde des Ehrensenators der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster verdient hat, dann ist es Ernst Helmstädter - eine der ganz großen Persönlichkeiten dieser Universität.

Dynamic Programming: An Overview* By Martin J. Beckmann Contents I. Introduction II. Finite Dynamic Programs III. Continuous States and Actions

I. Introduction Dynamic Programming (DP) was invented only a short time after Linear Programming. The first publication in book form appeared in 1951 and 1957, respectively, but were preceded by research papers. While Linear Programming (LP) was quickly adopted by economic theorists, Dynamic Programming makes but rare appearances in economic analysis. This is paradoxical: for Dynamic Programming is founded on an economic idea, valuation, and permits, in principle, economic interpretation of models without calculation. In the following I offer an overview by presenting characteristic examples. A dynamic program, modeling a sequence of decisions, is generated by a recursive equation containing a maximum (or minimum) operator. A decision is the choice of an action in a state (states are variables not under our control, while actions are variables of control). Maximization is with respect to decision variable (s). The program or decision sequence is terminated upon reaching a certain state (or set of terminal states) or after completing a given number η of steps. (1)

v(y) = m ^ f ( x i y ) + ^flf(x I y))]

v(y) = 0

(2)

for

y eT

(say)

where ν

value function, the present value of the decision sequence

* Economic dynamics is usually viewed as a macroeconomic phenomenon. For want of a contribution to macroeconomics, I have resorted to microeconomic dynamics, the dynamic programming of economic behavior.

502

Martin J. Beckmann

y X S

f Ρ

g (χ, τ

state variable action or decision variable constraints set immediate return discount factor y)transition into a next state from state y set of terminal states

When decisions are numbered, one has instead (3)

v n (y) = max f (x, y) + pv n_^g(x, y))

(4)

v 0(y) = u(y)

where η u (y)

number of remaining decisions terminal payoff

II. Finite Dynamic Programs A finite dynamic program has finitely many states y = / = 1,..., m and finitely many actions k =1,...., m representing the next state.

1. Minimum Problem A representative minimum problem is that of the shortest path to a particular destination / = 0, say. The value function D, (say) is the distance from / to 0. (5)

D0 = 0

(6)

Dj = min η; + D; j

where η is the length of a link connecting /' directly to j. Distance (value function) and shortest path defined by the sequence j = j (/), the arguments of (6), exist provided the network of locations /' is a connected graph.

2. Maximum Problem In a finite dynamic program as a maximum problem, the number of links traversed must be counted - or else the directed graph of nodes in /' must contain no cycles. (7)

V n(i) = maxa ij+ PV n_ m, the number of steps exceeds the number of nodes. When η is large, the same cycle is traversed repeatedly. An example of optimal cycling is the replacement problem. Consider a capital good (machine, automobile) which provides a return depending on its age at . Let there be a second-hand market for this good, such that ht

sales price

^

purchasing price

The decision is when to sell an aged good and with what to replace it. (8)

V n(t) = max at + pV /l _ 1 (f + i),h t +max(-ôy +V n(

In a simpler version a traded capital good is always replaced by a new one (9)

V n(t) = maxfa, + pV n_,(t+ i),h t +\Z„(0)-ö]

In a finite maximum dynamic program with discounting a value function Vn(/) and associated decision rule always exist. When a,y >0

v/,y , the value func-

tions V n[i) form a monotone nondecreasing sequence uniformly bounded by maX/,y a J

1 -p

'

and hence their limit exists lim V n(i) = V(i)

(say)

It can be shown that al decision rules and value functions satisfying the Bellman equation (10)

V(i) = rr\axaij+pV(j)

represent an optimum, that is, a solution of the decision problem with infinite horizon. Without discounting, when >9=1, the sequence of value functions v n(i) is not bounded by approximately linear in n, with the same slope g for all states / (11)

V n(i) = gn

+

v n(i)

where v„(/) is now uniformly bounded. The cyclic nature of the optimum strategy implies, however, that the vn(/) may be periodic. The Bolzano-Weierstrass theorem

states

33 ifo Studien 1999

that

subsequences

of

vn(/)

converge.

Thus

limits

504

Martin J. Beckmann

lim^oo v n[i ) = v(/) exists for certain subsequences but they no longer represent solutions to the decision problem for large η since decisions will, in general, depend on n. The average return g per period in equation (11) is related to the limit of the discounted dynamic program (10) as follows: (12)

g = lim (1 - p)V(i)p

for all /. This implies that for ρ » 1 the discounted dynamic program generates the same optimal cycle as the undiscounted dynamic program with large n. The relationship (119 plays a role also in continuous time dynamic programming.

3. Stopping Rules The simplest type of a sequential decision problem with risk involves only the number η of outstanding decisions and no state variable, and decisions are of the 0/1 type, that is stop or go. A classical example of a stopping mie is the acceptance of bids in selling a house. Here v n is the value of having η independent potential buyers bidding in sequence for the house (or other property). Let the probability distribution of bids Φ (χ) be the same for all bidders. Then (13)

v n = Jmaxfx.^Jc^x)

in particular, (13a)

v 1 = J x d ^ x ) = Ex

Thus a bid from the first of η bidders is accepted in and only if it exceeds or equals the value vn_ 1 + Δ 0 Ε / > 1 = A C A > 1 * -CAj. Das Nettoeinkommen Υ}ιΠβί,+ι des Haushalts / in der Periode 0 (verfügbar bis zum Anfang der Periode +1) umfaßt das Arbeits- und Kapitaleinkommen sowie Transfereinkommen, abzüglich Steuern, Sozialabgaben und geleisteter Transferzahlungen. Diese Größen erklären wir hier nicht weiter, v^f + 0 gegeben, so daß sich alle a zu Eins aufaddieren. Dann kann der Haushalt jedem möglichen Entscheid, der von 8, zu By führt, einen Wert Vy zuordnen, nämlich:

4 Wie gesagt, kann es mehr geben; z.B. wenn einige Entscheidungen illegal sind, kommt die Wahrscheinlichkeitsverteilung möglicher Strafen mit ins Spiel. Wir haben oben angenommen, daß alle Entscheidungen legal sind.

518

Wilhelm Krelle Vjj = ajjQGjj + ajj >E MEMjj

(1)

0 oc. Des weiteren, da λ = 1 kein Eigenwert von Qq ist, ist /-Qö regulär und seine Inverse (/-Qo)~ 1 ist eine nichtnegative Matrix, was die Repräsentation von ( / - Q j ) " 1 = l£L0Qo zuläßt. 34*

522

Wilhelm Krelle

In diesem Fall nimmt die Matrix R oben die folgende Form an: p(1)

p(1)

0

0

0

0

I

1

0

j

0

1

Ι

P

ij,N

I

M

pM

ι

ν. 1 0

ij,N

I

0 0

μ

P

, 0

,

wobei jetzt

Σ>0= 1 ·

Ν

l>=1

·

Die Gesellschaft ist sozusagen allein gelassen, alle Änderungen der moralischen Überzeugungen sind endogen bestimmt. Was ist das Ergebnis? Das System kann nun folgendermaßen geschrieben werden: y* = 0 > · / Μ .

wobei Vit Yt = Vmt.

4 Φ

P11

Pm 1

Ί/Μ

VPlrn

Ρ mm.

(1)

Qo =

... ...

„ MN

ij< J

und Pij> 0,

=

// = 1,..., m .

ι>=1

Die Matrix Qb heißt stochastische Matrix. Der Charakter der Lösung der Markov-Kette y t = Qb y t^ ist wohl bekannt. Die Lösung kann geschrieben werden als

μ=ι wobei

die Eigenwerte der Matrix ( Q 0 - M ) , y^ die Eigenvektoren sind

und die Α μ von den Anfangsbedingungen abhängen. Wir können annehmen, daß die Matrix Qb nicht reduzierbar ist. Wir können auch annehmen, daß Qj aperiodisch ist.

Eine alternative Theorie des Konsumentenverhaltens

523

Wenn Q 0 weder periodisch noch reduzierbar ist, dann hat Qq einen Eigenwert 1 mit der Multiplizität 1, sagen wir: ^ = 1. Alle übrigen Eigenwerte sind kleiner als 1 im absoluten Wert. Sie können konjugiert komplex oder real sein. Das beweist, daß das System der moralischen Überzeugungen der Bevölkerung konvergiert, aber die Konvergenzwerte hängen vollständig von den Ausgangsbedingungen ab. Da die Ausgangsbedingungen zu einem gewissen Grad willkürlich sind, gilt dasselbe für die Konvergenzwerte. Alles Mögliche kann eintreten. Natürlich ist dies eine Theorie, die noch der Überprüfung bedarf. Dies kann hier nicht geleistet werden. Aber vielleicht akzeptiert Ernst Helmstädter diesen Ansatz, der ja seinem Anliegen, den Einfluß außenwirtschaftlicher Phänomene auf die wirtschaftlichen Entscheidungen zu erfassen, gerecht zu werden versucht.

Zusammenfassung Eine neue Theorie des Konsumentenverhaltens wird vorgeschlagen. Eine mögliche Entscheidung wird von vier Gesichtspunkten aus beurteilt: dem rein ökonomischen, dem emotionalen, dem Grad der Übereinstimmung mit dem Verhalten anderer und dem moralischen Gesichtspunkt. Von jedem dieser Gesichtspunkte aus erhält jede der möglichen Entscheidungen Noten zugeordnet, die den Grad der Erwünschtheit oder Unerwünschtheit eines solchen Entschlusses wiedergegeben. Die Person gibt den verschiedenen Gesichtspunkten Gewichte. Das erlaubt dann den Vergleich von Handlungsmöglichkeiten nach ihrer Gesamt-Attraktivität für die Person. Die Entstehung der moralischen Urteile wird im einzelnen erklärt. Sie werden durch ein System von Markov-Ketten interdependent bestimmt.

Summary A new theory of consumer behavior is suggested. A possible decision will be judged from four different points of view: the pure economic one, the emotional one, the degree of conformity to other people's behavior and the moral one. For each point of view each possible decision will be graded according to its desirability or undesirability. The person gives each point of view a weight. This allows a comparison of the possible decision with respect to their attractivity for the person. The moral point of view is considered in more detail. The moral judgement of an act is explained by an interdependent dynamic system in the form of a Markov chain.

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Wilhelm Krelle

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Globalisierung - Unsichtbare Hand oder globale Koalitionen Von Reinhard Blum Inhalt I. Einleitung II. Einsichten aus der Geschichte volkswirtschaftlicher Ideen III. Globalisierung durch "Dynamischen Wettbewerb" - "Dynamischer Wettbewerb" durch Globalisierung IV. Globalisierung als Strategie der "Global Player" V. Wirtschaftsstandort Deutschland als Rückendeckung für "Global Player" VI. Antwort auf die Globalisierung: Internationale Strategie zu "globaler sozialer Marktwirtschaft"

I. Einleitung Ein wesentliches Merkmal des Zeitgeistes in der letzten Dekade des zu Ende gehenden Jahrtausends ist die "Globalisierung". Die daraus abgeleitete oder darauf zurückgehende "internationale Wettbewerbsfähigkeit" ergriff nach der Wirtschaft alle Bereiche der Gesellschaft. Die "Globalisierung" der Wirtschaftswissenschaften schuf eine ökonomische Theorie der Politik, des Rechts, der Demokratie, der Familie, der Ethik, gar der christlichen Soziallehre. Die Parole lautet "Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts". Zu einer Art "ökonomischer Pubertät" verleitet offenbar der materielle Überfluß die reichen Industrieländer und alle die, die genauso reich werden möchten. Jedoch wäre im ausgehenden "Goethe-Jahr" mit dem Namensgeber zu fragen: Was ist der Zeitgeist - ist es nur der Herren Geist, er sich in den Zeiten spiegelt? Einsichten aus der Ideengeschichte der Volkswirtschaftslehre stehen deshalb am Anfang(Teil II). Die Verbindung der Globalisierung mit dynamischem internationalen Wettbewerb und Wettbewerbsfähigkeit läßt fragen, ob die Globalisierung eine Folge dynamischen Wettbewerbs ist oder dieser erst durch die Globalisierung entstehen soll (Teil III). Alle, die fortschrittlich sein möchten, stellen sich der Globalisierung oder behaupten es wenigstens. Bestehendes zu verteidigen, löst den verdacht aus, "Reformstau" zu verursachen. Offensiven jeder Art werden ausgerufen, um die Bevölkerung auf die Globalisierung vorzubereiten. Unternehmen vertrauen aber nicht nur dem neuen dynamischen Wettbe-

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Reinhard Blum

werb, sondern entwickeln - gerade wegen der Globalisierung - globale Strategien und Koalitionen (Teil IV). Als Rückendeckung gewissermaßen verbindet sich mit der Globalisierung auch die Verteidigung des "Wirtschaftsstandortes Deutschland" (Teil V). Aber die Strategie der Sozialen Marktwirtschaft, mit der sie das Wirtschaftswunder in der Nachkriegszeit hervorbrachte, taucht als weltwirtschaftliche Strategie nicht auf (Teil VI).

II. Einsichten aus der Geschichte volkswirtschaftlicher Ideen Schwäbische Kaufleute folgten bereits im Mittelalter dem Wahlspruch "Mein Feld ist die Welt". Fernhandel weisen archäologische Funde im weit zurückliegenden Altertum der Menschheitsgeschichte nach. Da er viel Reichtum ohne eigene Arbeit schaffte, ächtete die Philosophie der alten Griechen den Handel soweit er über den notwendigen Tausch für den Erwerb lebensnotwendiger Güter hinausging. Fernhandel schuf in den Städten des Mittelalters einen von dem Eigentum an Grund und Boden im Feudalismus unabhängigen Wohlstand. Der dadurch entstandene "Geldadel" der Patrizier regierte die Städte, insbesondere die "freien Reichsstädte". Die Stadt Augsburg beherbergte neben vielen anderen weniger genannten die Welser und Fugger. Sie finanzierten Päpste und Kaiser. Die Feudalherren bedienten sich aber auch der Händler, um ihre Staatskassen zu füllen. So überrascht es nicht, daß der Handel zur ersten systematischen wirtschaftswissenschaftlichen Analyse führt. Aus der Zwecksetzung, den Herrschern bzw. Regierenden Hinweise zu geben, wie sie ihre Kassen füllen können, verbinden sich Politik und Wirtschaft zu dem Begriff "Politische Ökonomie". Das ist für die nächsten Jahrhunderte die Bezeichnung für Wirtschaftswissenschaften. Die Autoren vom Ende des 16. bis zum 18. Jahrhundert werden als Merkantilisten bezeichnet, ihr Denkgebäude als "Merkantilsystem". Es folgte keinen Prinzipien, sondern dem Ziel, den Herrschern Edelmetalle zu verschaffen, um für ihren Bedarf an materiellen Gütern, zur Repräsentation und zur Entfaltung politischer Macht im Zeitalter der großen Feudalstaaten weltweit geltende Zahlungsmittel zur Verfügung zu stellen. Wer nicht über Edelmetalle und Edelsteine im eigenen Land verfügte, mußte zu Kriegen oder zu Handel mit anderen Ländern mit selbst erzeugten Produkten Zuflucht nehmen. Das verleitete dazu, den Merkantilismus mit Exportförderung zu verbinden. Die großen Nationalstaaten suchten aber entsprechend der nationalen Situation eigene Wege, Reichtum zu erwerben. Das konnte nicht nur durch Handel geschehen, Hergabe von "Reichtum" in Gestalt von Edelmetallen zum Erwerb ausländischer Güter, sondern auch durch Produktion von Gütern im eigenen Lande. So förderte Frankreich Industrie und Gewerbe (Colbertismus, nach dem Finanzminister Ludwigs des XIV.), das im 30-jährigen Krieg verwüstete und von Menschen entleerte Deutschland kümmerte sich um die Bevölkerungsvermehrung und die Sanierung der Staatskassen (Kameralismus). Die Niederlande mit der größten Flotte förderten die "Freiheit der Meere" und Großbritannien versuchte seine eigene Produktion gerade dagegen zu schützen. Diese Perspektive be-

Globalisierung - Unsichtbare Hand oder globale Koalitionen

527

weist, daß es im Merkantilsystem Globalisierung gab. Sie folgte aber keinem Dogma, sondern der jeweiligen Situation der einzelnen Staaten. Die Bevorzugung von Industrie und Gewerbe in Frankreich brachte eine Wirtschaftswissenschaft hervor, die das Interesse wieder auf die ursprünglichen Erträge für alles Wirtschaften aus Grund und Boden lenkte. Die Landwirtschaft wurde deshalb dem besonderen Schutz des Feudalherren empfohlen. Auf die Frage, was denn mit dem bis dahin geförderten Gewerbe geschehen sollte, antwortete ein Ratgeber: "laisser faire, laisser aller". Eine wichtige Parole späterer Gestaltung der Wirtschaft erscheint also in dieser Perspektive als Entzug der Gunst des Feudalherren. Die Grund und Boden als Quelle des Wohlstands und damit die Natur betonenden Wirtschaftwissenschaftler werden Physiokraten genannt. Ihr besonderes Verdienst besteht auch darin, daß sie Feudalherren und Kirchen als "unproduktive Klasse" interpretierten und die Bauern und Pächter zur eigentlichen "Leistungsgesellschaft" erklärten. Damit wurde Reichtum primär aus menschlicher Arbeit erklärt und nicht aus Eigentumsrechten und Privilegien, die die Feudalherren verliehen. Diesen Blickwinkel stellte der Schotte Adam Smith in seinem Bestseller "Wohlstand der Nationen" (1776) an den Anfang seiner Überlegung: "Die jährliche Arbeit eines Volkes ist die Quelle, aus der es ursprünglich mit allen notwendigen und angenehmen Dingen des Lebens versorgt wird, die es im Jahr verbraucht". Um so erstaunlicher ist es, daß die späteren Ökonomen aus dieser Perspektive den "Kapitalismus" machen. Der Handel erhält bei Smith eine neue theoretische Begründung. Spezialisierung und Arbeitsteilung gelten als die Grundlage der Fortentwicklung und Produktivität der Wirtschaft. Aber um alle mit den notwendigen Gütern zu versorgen, bedarf es des Handels. Die im Feudalismus übliche Vorstellung "armer Bauer, reiches Land" kehrte Smith aufgrund der Erfahrungen aus dem mit den Anfängen der Industrialisierung bereits entstandenen Reichtum bei den Bürgern um in "reiche Bürger, reiches Land". Dazu bedurfte es vor allen Dingen einer Befreiung der Bürger aus der Bevormundung durch die Feudalherren. Das eigene Interesse an Mehrung des materiellen Wohlstands sollte die wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben. Die Kontrolle dieser neuen wirtschaftlichen Freiheit bedurfte nicht der Aufsicht durch den Feudalherren. Denn die so befreiten Bürger würden im Wettbewerb miteinander die Güter des Landes erzeugen und anbieten. Die Märkte - eine der ältesten Institutionen der Menschheitsgeschichte - sorgen dafür, daß Angebot und Nachfrage ins Gleichgewicht kommen und die ihrem eigenen materiellen Interesse dienenden Marktteilnehmer durch Wettbewerb immer wieder gezwungen werden, im Preis nicht mehr als ihre Kosten zurück zu bekommen. So sollte bei dem "natürlichen System der Freiheit" durch Wettbewerb verhindert werden, nicht durch eigene Leistung, d.h. "Arbeitskosten", gerechtfertigten Gewinn zu machen. Der Schutz des eigenen Handels ist gemäß Smith entsprechend der britischen Tradition im Merkantilismus immer ein wesentlicher Teil der Staatsverteidigung gewesen. Der Export, so wird argumentiert, sei auf Dauer nicht ohne ein Handelsmonopol für eine Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Das bezieht sich natürlich auf den in der Zeit herrschenden Außenhandel mit der "neuen Welt". Schlechte

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Reinhard Blum

Erfahrungen werden freimütig eingestanden. Für einen "neuen Handel" auf "eigene Gefahr und Kosten" einer privaten Gesellschaft seien vorübergehende Handelsmonopole aber unerläßlich. Dieses sei der leichteste und natürlichste Weg, wie der Staat die Monopole für einen gefährlichen und kostspieligen Versuch, dessen Früchte die Bevölkerung genießen kann, zu entschädigen vermag. Damit nimmt Smith auch Stellung zu den im 16., 17. und 18. Jahrhundert in England und auf dem Kontinent ständig geführten Diskussionen um Monopole und Monopolverbote. Die eigentliche Begeisterung für die Freiheit im Außenhandel, später als "Freihandel" bezeichnet, erhält erst später eine Begründung durch englische Wirtschaftstheoretiker, insbesondere David Ricardo. Sie finden eine neue Situation vor. Die in England 50 Jahre vor dem Kontinent stattfindende "industrielle Revolution" bringt einen Überfluß an Gütern. Sie drängen in den Außenhandel. Großbritannien scheut sich auch nicht, in seinen Kolonien Produktionsbereiche, wie zum Beispiel die Textilindustrie in Indien, zu verbieten. In Großbritannien wird das Freihandelsprinzip im 19. Jahrhundert in den Auseinandersetzungen um die Getreidezölle zwischen den am Außenhandel interessierten Fabrikanten und dem Landadel (Manchester-Liberalismus) entwickelt. Diese historische Relativierung des Freihandelsprinzips als "merkantilistischer Rest" bzw. situationsabhängiges globales Organisationsprinzip ist nützlich, weil ähnliche pragmatische Überlegungen in den Anfängen der deutschen Industrialisierung einen Schutz heimischer junger Industrie gegenüber der überlegenden englischen Konkurrenz begründen. Einer der Vorläufer der deutschen Historischen Schule, Friedrich List, schafft mit seinem "nationalen System der politischen Ökonomie" die theoretischen Grundlagen einer politischen Ökonomie als "Nationalökonomie". Die Freihandelstheorie englischer Ökonomen nennt List deshalb folgerichtig eine "nationale Theorie". Sie gilt für ein Land auch nur so lange, wie es sich stark genug fühlt, im freien internationalen Wettbewerb zu bestehen. Freihandel ist deshalb auch "das Recht des Stärkeren" im internationalen wirtschaftlichen Verkehr (Blum 1982, S. 71 f.). Eine interessante Entwicklung zeigen in dieser Perspektive die Vereinigten Staaten. Nach 1945 übernahmen sie die Führungsrolle in der Welt und versuchten das Freihandelsprinzip auch durch Institutionen weltweit durchzusetzen (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen, GATT). Bis dahin spielte der Freihandel aber eine unterschiedliche Rolle. Die USA mußten nach der Unabhängigkeitserklärung von 1776 erst hart um ihre nationale Einheit ringen bzw. sie durch Aneignung und Erwerb weiterer Gebiete erst herstellen. Zuerst war nur Großbritannien der Gegner, dann jedoch bemühten sich andere europäische Staaten, besonders Frankreich, um Kolonien auf dem amerikanischen Kontinent. Um solchen Bestrebungen entgegenzutreten, verkündete Präsident Monroe im Dezember 1823 in einer Botschaft an den Kongreß "Prinzipen", die später als Monroe-Doktrin bezeichnet wurden. Sie enthielt folgende Grundsätze: keine weitere Kolonialisierung in der neuen Welt durch europäische Länder, keine Beteiligung der Vereinigten Staaten an politischen Aktivitäten in Europa, keine Eingriffe europäischer Regierungen in die Länder der amerikanischen Hemisphäre. Um die Jahrhundertwende erklären sich die Vereinigten Staaten

Globalisierung - Unsichtbare Hand oder globale Koalitionen

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zur "internationalen Polizeimacht", die immer dann eingreift, wenn Regierungen in amerikanischen Ländern "chronisches Fehlverhalten" oder "Unfähigkeit" zeigen. Das geht bei Präsident Wilson 1915 so weit, daß auch wirtschaftliche und finanzielle Abhängigkeit von europäischen Banken und Ländern einen präventiven Eingriff der USA rechtfertigen. Später ersetzt die "Dollar-Diplomatie" direkte politische Interventionen. Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchten die Vereinigten Staate Kritik ihrer Nachbarn am "Yankee-Kapitalismus" dadurch zu begegnen, daß sie die Gründung der Organisation amerikanischer Staaten förderten. Diese Förderung erregte aber erneut den Unmut der Nachbarn, als die Vereinigten Staaten im Rahmen der Monroe-Doktrin jetzt den Kommunismus in der Welt zum Feind erklärten. Die Mittel- und Südamerikanischen Länder neigten aber eher dazu, die Ursache für die Unterstützung kommunistischer Ideen gerade in der Monroe-Doktrin und ihrer Anwendung durch die USA zu sehen. Ähnlich wie die Erkenntnisse von Friedrich List über die Chancen der Industrialisierung Deutschlands heute den Entwicklungsländern als Argumentationsbasis für den Schutz ihrer wirtschaftlichen Entwicklung vor Freihandel benutzen, diente auch die Monroe-Doktrin Regierungen in allen Teilen der Welt als Vorbild für eigene Herrschaftsansprüche: Das Deutschland der Nationalsozialisten wollte Europa für Deutschland, die Japaner wollten den Fernen Osten für Japan, die Siegermächte schufen nach dem Zweiten Weltkrieg Herrschaftszonen in Deutschland und der ganzen Welt (vgl. dazu Blum 1988, S. 39 ff.). Diese historische Relativierung der Globalisierung als Freihandel ist notwendig, um auch ein anderes besonderes Merkmal der Freihandels-Doktrin herauszustellen: Sie ging in einer Zeit unübersehbarer Kapitalbewegungén und Bevölkerungsbewegungen in die "neue Welt" und auch innerhalb Europas im Laufe der Industrialisierung von einer Unbeweglichkeit der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital aus. Das rechtfertigte nur die Vorteile des Außenhandels. Weltweite Marktwirtschaft ist aber, und das ist das Neue in der heutigen Globalisierung, mehr als lediglich Freihandel. Außerdem macht die neue technologische Revolution in den Kommunikationstechniken die gesamte Welt zu einer "virtuellen Einheit".

III. Globalisierung durch "Dynamischen Wettbewerb" "Dynamischer Wettbewerb" durch Globalisierung Der "dynamische Wettbewerb" ist durch Schumpeters "dynamischen Unternehmer" in die Wirtschaftswissenschaft geraten. Dabei wird vergessen, daß dieser Unternehmer kein Eigentümer von Produktionsmitteln war wie diejenigen Produzenten, die seit Adam Smith in der Theorie der Marktwirtschaft agieren. Der dynamische Unternehmer war ein Manager, der das "faule Kapital" der Kapiteleigentümer mobilisierte und ihnen Perspektiven entwickelte, was mit einem innovativen Einsatz von Kapital für Gewinnmöglichkeiten bestehen. Es sollen hier nicht die vielen Spielarten des vor allen Dingen in der Wettbewerbstheorie entwickelten "dynamischen Wettbewerbs" erläutert werden (vgl. hierzu Helm-

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Städter 1989). Für die folgende Analyse der Globalisierung spielen diese Varianten keine Rolle. Dynamischer Wettbewerb soll signalisieren, daß die Globalisierung ihn fördert. Umgekehrt erscheint aber ach die Globalisierung als ein Ergebnis "dynamischen Wettbewerbs". Über beide Perspektiven ließe sich lange diskutieren. Im folgenden sollen einige Schlußfolgerungen aus dem ideengeschichtlichen Rückblick gezogen werden. Freihandel als Globalisierung diente auch David Ricardo nicht als "Doktrin", sondern nur als pragmatische Begründung für die Vorteile des internationalen Warenaustausches auch dann, wenn die beteiligten Länder keine absoluten Kostenvorteile besaßen (Theorie der komparativen Kosten). Der Versuch aus dem freien Austausch über Märkte und dem Freihandel ein "Wohlfahrtsoptium" für die gesamte Gesellschaft und schließlich die gesamte Welt abzuleiten, ist erst eine Folgerung aus den Gleichgewichtsmodellen späterer Wirtschaftstheoretiker. Sie folgern aus der konsequenten Anwendung von Logik und Rationalität in Verbindung mit dem Menschenbild eines "ökonomischen Menschen", der nur auf seinen materiellen Vorteil bedacht ist, eine verbindliche Aussage über ein Wohlfahrtsoptium der Gesellschaft und der Welt. Daraus entsteht eine "Anmaßung von Wissen", die von diesen Ökonomen gerade immer mit Hinweis auf F.A. von Hayek durch Vertrauen in den Marktmechanismus vermieden werden soll. Übersehen wird dabei allerdings, daß gerade dieses Vertrauen in einen Mechanismus die Anmaßung darstellt. Die zukünftigen Ergebnisse der Marktprozesse sind zwar ungewiß, die besten Ergebnisse werden aber einer Volkswirtschaft als Marktwirtschaft oder gar einer Gesellschaft als Marktgesellschaft zugeschrieben. Damit sind Prinzipien klüger und vertrauenswürdiger als mündige Bürger in einer freiheitlich demokratischen Ordnung. Deshalb mußte aufgrund der historischen Erfahrungen durch die soziale Frage aber auch durch die Neuauflage in der "dritten Welt" die Soziale Marktwirtschaft als "sozial verantwortlich gesteuerte Markwirtschaft" erfunden werden. Eine Anmaßung von Wissen verbirgt sich auch hinter dem Vertrauen in die Globalisierung. Die vermutete "unsichtbare Hand des Wettbewerbs" leidet weder durch die Unvollkommenheit des Wettbewerbs in den durch Großunternehmen gekennzeichneten Industrieländern, noch durch die neue Fusionswelle, die die Globalisierung auslöste. Beschrieb man die durch Hinweis auf die "Europäische Union ausgelösten Fusionen und internationalen Koalitionen noch als "Elefantenhochzeiten", so sind mit der Globalisierung die "Mega-Fusionen" zu einem neuen Kennzeichen geworden. Die Wettbewerbstheorie bezieht aber ihre "Anmaßung von Wissen" immer noch aus der unsichtbaren Hand, die im Wettbewerb vieler kleiner und mittlerer Unternehmen wirkt. Inzwischen sind sie "Hoflieferanten" großer Konzerne geworden. Sie rühmen sich, daß sie zehntausende von mittelständischen Unternehmen in Arbeit und Brot setzen. Entsprechend spielt bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten großer Unternehmen das Argument eine Rolle, daß ein Vielfaches der Beschäftigten in mittelständischen Unternehmen gefährdet sei. Ein bayerischer Wirtschaftspolitiker notierte die bedenkliche Entwicklung, daß große Unternehmen, um von ihren Zulieferanten "just in time" beliefert zu werden, kleine und mittlere Unternehmen auch drängten, mit Direktinvestitionen der

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"Muttergesellschaft" ins Ausland zu folgen. 30% der Investitionen, so eine Empfehlung, sollten im Ausland getätigt werden. Die mittelständischen Unternehmen fehlen in keiner wirtschaftspolitischen oder gar gesellschaftspolitischen Grundsatzerklärung. Ein Nobelpreisträger der Naturwissenschaften berichtete vor wenigen Jahren auf der traditionellen Nobelpreisträger-Tagung in Lindau am Bodensee: Auch naturwissenschaftliche Förderanträge bei Stiftungen in den Vereinigten Staaten würden ihre Aussichten verbessern, wenn sie auf den Nutzen der Ergebnisse für mittelständische Unternehmen verweisen könnten. Diese Vorbemerkungen sind nützlich, um die "Logik der Globalisierung" zu würdigen, wie sie im gerade erschienenen Buch eines renommierten Wirtschaftstheoretikers (von Weizsäcker 1999) dargestellt wird, noch größere Unternehmen liegen im Trend vom national geprägten zum multinational geprägten Großunternehmen. Nicht zuletzt der traditionelle Protektionismus der entwickelten Nationalstaaten habe sie schon in den frühen Jahrzehnten dieses Jahrhunderts gezwungen, Produktionsstätten in zahlreichen Ländern zu errichten, weil die Importe in jene Länder massiv behindert wurden (vgl. v. Weizsäcker 1999, S. 54). Die weiteren Handlungsmöglichkeiten multinationaler Unternehmen gegenüber nationalen Unternehmen bei der Wahl von Produktionsstandorten und Märkten rechtfertige nicht die vielfach erhobene Kritik. Denn die Kriterien dieser Auswahl seien weitgehend rational und insofern sei das Verhalten der multinationalen Unternehmen berechenbar: "wer gute und preiswerte Arbeitskräfte, eine gut Kommunikations- und Transportinfrastruktur, passable Lebensverhältnisse für international tätige Manager und günstige steuerliche Bedingungen bietet, der steht im internationalen Standortwettbewerb gut da" (v. Weizsäcker 1999, S. 55), Die multinationalen Unternehmen näherten sich in ihren Strukturen an sowie in der kosmopolitischen Gesinnung der Manager unabhängig von nationaler Zugehörigkeit. Die "globale Marktwirtschaft" erhält so durch den "Freihandel als Nukleus einer Welt-Friedensordnung und einer Welt-Rechtsordnung" einen Rahmen, der Veränderung und Dynamik verspricht und Hoffnung für die Lösung der Weltprobleme: "Die wettbewerbliche Wirtschaft ist die Kraft der Veränderung, die Politik, sei sie demokratisch oder nicht, ist die Kraft der Beharrung und Bewahrung. Die Weltprobleme werden dadurch gelöst, daß man der Wirtschaft die Führungsrolle vor der Politik überläßt. Wenn unter dem Primat Politik eine weitgehende Politisierung des Wirtschaftsgeschehens verstanden sein soll, dann kann dies nur in Stagnation, also letztlich in der Katastrophe enden" (v. Weizsäcker 1999, S. 123). Damit bestätigt sich die im ideengeschichtlichen Rückblick entstandene Vermutung, daß sich hinter der heute diskutierten Globalisierung der Versuch verbirgt, die gesamte Welt der Doktrin des Freihandels und der "globalen Marktwirtschaft" zu unterwerfen. Die nicht zu bestreitenden großen Erfolge der Industrieländer bei der wirtschaftlichen Entwicklung dienen als Rechtfertigung für die behauptete Einzigartigkeit des Weges zum Optimum des Wohlstandes in der Welt über Freihandel und globale Marktwirtschaft. Fehlentwicklungen bei der Vermehrung des Wohlstandes in den reichen Industrieländern sowie in der Teilung der Welt in erste, zweite und dritte Welt werden ignoriert. Schlimm-

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stenfalls sind sie in der "Logik der Globalisierung" nur eine Folge des noch unzureichend durchgesetzten marktwirtschaftlichen Prinzips. Mit dieser Zuversicht wurde dann auch die neue Chance zur Globalisierung nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Länder genutzt. Um planwirtschaftliche Reste in sozialistischen Ländern nicht erst in Vorstellungen von "dritten Wegen" zur Marktwirtschaft einmünden zu lassen, wurde nicht eine Transformation in kleinen Schritten empfohlen, wozu bei Reformen in marktwirtschaftlich organisierten Ländern geraten wird, sondern eine Transformation als Schock (Crash). Die Vernachlässigung einer staatlichen Ordnung auch für eine funktionierende Marktwirtschaft führte folgerichtig zu mafiosen Strukturen in den ehemals sozialistischen Ländern. Gerade aufgrund der deutschen Erfahrungen mit der Sozialen Marktwirtschaft als "sozial verantwortlich gesteuerte Marktwirtschaft" überraschte es, mit welcher Anmaßung von Wissen "Marktwirtschaft pur" empfohlen bzw. als Strategie unterstützt wurde (Blum1994a). Die marktwirtschaftliche Logik der Globalisierung führt somit zu einer weltweiten Entmutigung der Bürger, ihre Kreativität in der politischen Gestaltung der Globalisierung einzusetzen. Innovativ kann nur sein, wer sich der immer schneller voranschreitenden Globalisierung und ihrem dynamischen Wettbewerb optimal anpaßt, d.h. sich den marktwirtschaftlichen Prinzipien unterwirft. Unter diesem Schirm erhalten die "Global Player" die Freiheit, die Welt und ihre Ressourcen zu nutzen, ohne daß es eine den nationalen Leitbildern entsprechende Wettbewerbsordnung und Kontrolle wirtschaftlicher Macht gibt. Die Logik der Globalisierung als "globale Marktwirtschaft" verbietet eine solche Kontrolle sogar.

IV. Globalisierung als Strategie der "Global Player" Die marktwirtschaftliche Logik der Globalisierung verlangt zwar nach "politikfreier Wirtschaft" zur Durchsetzung der wirtschaftlichen Rationalität zur Optimierung des Wohlstands der Welt. Es fehlt jedoch in Analogie die Voraussetzung einer "wirtschaftsfreien Politik". Die Politiker, aber auch die Bürger, sind von der Anmaßung von Wissen in der Verfolgung von marktwirtschaftlichen Prinzipien so verschüchtert, daß sie nicht mehr wagen, ihren gesunden Menschenverstand zur Wahrnehmung der Verantwortung als Bürger für das Gemeinwohl in demokratischen Prozessen einzusetzen. Dieselben großen Unternehmensberatungen und ihre Chefmanager beraten große Unternehmen und die politischen Entscheidungsträger. Die Medien werden zu Scharnieren zwischen demokratischer Öffentlichkeit und wettbewerblicher Wirtschaft (v. Weizsäcker 1999, S. 43 ff.). Es entspricht auch dem Geist und dem Trend der Globalisierung, wenn die Verfügung über die elektronischen Massenmedien sich weltweit in globalen "Multimedia-Konzernen" konzentriert. Der Vorstandsvorsitzende der weltumspannenden Bertelsmann AG berichtete über "Strategien für einen Medienkonzern im 21. Jahrhundert" (Th. Middelhoff 1999 vor dem deutschen Multimedia-Kongreß am 26. April 1999: "Nur die First-Mover verfügen über den Vorteil der geringen Einstiegskosten; alle die folgen, müssen mit viel Aufwand gegen die Marktmacht der ersten ankämpfen.

Globalisierung - Unsichtbare Hand oder globale Koalitionen

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Wir müssen aber auch schneller werden bei der Anpassung staatlicher Vorgaben und Strukturen, um der neuen Wirklichkeit gerecht zu werden...Wir wollen in unseren jeweiligen Teilmärkten Marktführer werden oder bleiben. Dieses Ziel haben wir in zahlreichen Geschäften bereits erreicht" (Middelhoff 1999, S. 13 f.)). Die weltweite Multimedia-Industrie gründete 1999 den "Global Business Dialog", um eigene Initiativen zur Regelung ungeklärter, aber wichtiger Fragen voranzutreiben. Gesteuert wird der Dialog von einem "Business Steering Committee". Es bestehe Konsens, daß international unterschiedliche Regulierungsansätze und Politiken sowie Überregulierungen in den Bereichen Internet, Multimedia und elektronischer Geschäftsverkehr eine Gefahr für einen weltweit einheitlichen Geschäftsbereich darstellen. "Ein Flickenteppich nationaler Regulierungsansätze würde der Globalität der neuen Medien nicht gerecht; im Gegenteil, er würde sie in ihrer positiven Wirkung blockieren." So ist es das Ziel dieser Koalition, Vorschläge zur Selbstregulierung, zu Verhaltenskodizes zu entwerfen und "durch technische Lösungen falschen staatlichen Regulierungsansätzen zuvor zu kommen". Diskutiert werden Themen wie Verbraucherschutz, Gerichtsbarkeit, Urheberrechtsschutz, Haftung, Inhalte-Werbung, Datenschutz, Steuern-Zölle und Netzinfrastruktur (Middelhoff 1999, S. 22 f.). Es ist gut vorstellbar bei einer "politikfreien Weltwirtschaft", welche Durchschlagskraft eine solche Koalition der Multimedia-Konzerne weltweit besitzt. Die Vision ordoliberaler Autoren eines "Meinungsmonopols" durch den Einfluß mächtiger wirtschaftlicher Gruppen für die öffentliche Meinung gewinnt in dieser Perspektive globale Dimensionen. In Deutschland führt die Dynamik des internationalen Wettbewerbs gerade zu einem spektakulären Ringen um neue internationale Koalitionen. Die mit alter deutscher Tradition aus den Hochzeiten der Schwerindustrie entstandene Firma Mannesmann entwickelte sich zu einem gewichtigen Wettbewerber im privatisierten Telekommunikationsmarkt, auch mit Erwerbungen im Ausland. Die britisch-amerikanische weltweit operierende Mobiltelefon-Gesellschaft Vodaphone machte kürzlich ein Übernahmeangebot. Vorstand und Gewerkschaften waren sich einig in der Ablehnung. Der britische Firmenchef drohte mit "feindlicher Übernahme", was das auch immer bei der behaupteten "AktionärsDemokratie" bedeuten mag. Sie erscheint in der "Logik der Globalisierung" als der Demokratie überlegen (v. Weizsäcker 1999, S. 95 f.). Die Drohung mit "feindlicher Übernahme" brachte die Politik in Deutschland und Großbritannien, einschließlich der Regierungschefs, ins Spiel. Der Chef von Vodaphone wehrte sich mit großen Zeitungsanzeigen: "Liebe Mannesmann-Aktionäre, wenn Mannesmann sich mit Vodaphone zusammentut, ist uns die Marktführerschaft im Mobilfunk so gut wie sicher. Also: machen wir einen Weltmarktführer mit deutscher Beteiligung" (Augsburger Allgemeine Zeitung vom 24. November 1999, S. 21: "Anleger sollten dabei sein"). Auch wenn den beteiligten Managern nachträglich die politische Einmischung in ihre unternehmerischen Entscheidungen unangenehm war, zeigt die Verbindung des Schlagwortes vom "Wirtschaftsstandort Deutschland" mit der Globalisierung, daß die Rückendeckung durch nationale Politik willkommen oder sogar erwünscht ist, um die Logik der Globalisierung durchzusetzen. Ein fortschrittli-

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Reinhard Blum

cher Neomerkantilismus wäre die Orientierung am "Wirtschaftsstandort Europa". Die dann aber notwendige europäische Wirtschaftspolitik wird analog zur "Logik der Globalisierung" als "Brüsseler Bürokratie" abgewertet (Blum und Welzel 1995).

V. Wirtschaftsstandort Deutschland als Rückendeckung für "Global Player" Die charakterisierte "Logik der Globalisierung" lehnt zwar das Primat der Politik für die globale Marktwirtschaft ab. Spielräume und Anpassungszwänge nationaler Politik werden aber zugestanden (v. Weizsäcker 1999, S. 47 ff.). Die sozialpolitische, umweltpolitische Autonomie sowie die Steuerpolitik begründen die Verantwortung der nationalen Staaten. Die Zielsetzung ist aber, den Anpassungszwängen in der globalen Wirtschaft Rechnung zu tragen. Für den Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Industrie, Olaf Henkel, "sind die Zwänge der Globalisierung Zwänge der Anpassung der deutschen Gesetzgebung an die globale Marktwirtschaft" (zit. bei v. Weizsäcker 1999, S. 58). Das würde dann bedeuten, daß sich Deutschland dem Druck des internationalen Wettbewerbs zu zurückhaltender Lohnpolitik, Umbau der sozialen Sicherung und Zurückhaltung bei umweltschützenden Maßnahmen fügen müßte. Die ständige Bedrohung durch Arbeitslosigkeit wird durch die Globalisierung noch gesteigert. Das führt zu einer asymmetrischen ethischen Anforderung an Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Während die Arbeitnehmer der Vollbeschäftigung dadurch dienen sollen, daß sie auf Lohnsteigerungen und soziale Sicherheit verzichten, um mehr Arbeitsplätze zu ermöglichen, müssen die Arbeitgeber bzw. die Eigentümer des Kapitals durch höhere Gewinne, größere Sicherheit der Investitionen, Förderung von Risikokapital, geringe Steuern zu Investitionen ermuntert werden. Dabei zeigt die Erfahrung des letzten Jahrzehnts, daß diese Investitionen zwar Wachstum erzeugen, aber als "Jobkiller" wirken (Blum 1996). Diese Zwangslage nationaler Wirtschaftspolitik führt dann dazu, daß die Fürsorge des Nationalstaats auch bei Schwierigkeiten eines "Global Player" im weltweiten Wettbewerb zur Verfügung steht. Dafür läßt sich das aktuelle Beispiel der Pleite des Baukonzerns Philip Holzmann in Deutschland kurz skizzieren. Einer der drei größten Baukonzerne, traditionsreich seit 150 Jahren tätig, versuchte sich als "Global Player" mit Hilfe seines Großaktionärs, einer Großbank, mit großen Projekten zu profilieren. Die "Hausbank" finanzierte großzügig und risikoreich in Deutschland und Übersee, stellte auch den Vorsitzenden des Aufsichtsrates und setzte in schnellem Wechsel Manager ein und ab. Dann ließ sich nicht mehr länger verbergen, daß der Baukonzern - wegen "Altlasten" aufgrund vermuteter betrügerischer Handlungen des alten Vorstands - unter anderem wegen Mietgarantien bei großen Bauprojekten - in die Zahlungsunfähigkeit trieb. Der Hauptgläubiger und Hauptaktionär scheiterte bei den anderen Gläubigerbanken mit einem Vorschlag zur Stützung bzw. Sanierung. Das Gutachten zur Umstrukturierung erstellte ein im Eigentum des Großaktionärs bzw. der

Globalisierung - Unsichtbare Hand oder globale Koalitionen Hausbank befindliches weltweit operierendes Beratungsunternehmen. drohte die Erklärung der Insolvenz.

535 Es

Das löste bundesweite Entrüstung aus. 28.000 Arbeitsplätze, davon 17.000 in Deutschland, standen zur Disposition. Hinzu kommen, wie erwähnt wurde, ca. 40.000 Arbeitsplätze bei Zulieferern, vor allem mittelständische Unternehmen. Der Bundeskanzler persönlich schaltete sich in letzter Stunde ein und stimmte die Gläubigerbanken mit einem staatlichen Förderungsangebot von 200 bis 300 Millionen DM um. Der Jubel war groß über die verantwortungsbewußte Politik zugunsten der Erhaltung der Arbeitsplätze. Der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie lobte die Entscheidung ebenfalls, ein bis zwei Tage später äußerte er aber heftige Bedenken. Denn es könne nicht sein, daß der Staat Banken zwinge, Kredite zu geben. Sicher wurde der Präsident von seiner Strategieabteilung oder Vorstandskollegen darauf hingewiesen, daß die Logik der gern berufenen Globalisierung, diese ja ohne den Staat wolle. Wie in der Presse zu lesen war, erschien die staatliche Hilfe auch aus rein betriebswirtschaftlichen Überlegungen Gläubigerbanken, Aktionärsgruppen und Konkurrenten nicht willkommen. Ein Konkurs wäre einmal aufgrund der Beschränkung der Haftung auf das Aktienkapital (Hauptaktionär und Hauptgläubiger 18%, Kreditangebot bei Sanierung 33% von etwa 3 Milliarden) "billiger gewesen". Außerdem, so hieß es, hätten Banken und Konkurrenten es gar nicht ungern gesehen, wenn ein Konkurrent verschwunden wäre. Attraktive Objekte, an wertvolle Immobilien gebunden, hätte man auch gern selbst übernommen. Zudem verlautete, das zusätzliche Sanierungsangebot aufgrund der Intervention des Bundeskanzlers von 100 Millionen DM sei durch entsprechende Objekte gut abgesichert worden. Spekulationen mit wertvollen Immobilien unter Beteiligung der Hausbank mit großzügig gewährten Großkrediten spielten auch in einer anderen FirmenPleite, der Firma Schneider, eine Rolle. Dabei war nicht der Staat beteiligt. Der Fall prägte jedoch in der Öffentlichkeit die Vorstellung über Unternehmensbzw. Bankenstrategien sowie über die betriebswirtschaftliche, volkswirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Verantwortung am Wirtschaftsstandort Deutschland. Die mittelständischen Unternehmen erhielten ohne lange Diskussionen eine Garantie für ihre Rechnungen. Angesichts der ausstehenden 50 Millionen DM prägte der Sprecher des Bankenvorstandes angesichts der gefährdeten Kredite von ca. 5 Milliarden DM den in die Alltagssprache übergegangenen Begriff "peanuts", d.h. im bisherigen deutschen Sprachgebrauch "kleine Fische". Anläßlich eines Vortrags "Solidarität als Zukunftsaufgabe" im Rahmen der Herbstvollversammlung der Industrie- und Handelskammer für Augsburg und Schwaben (Kopper 1994) fragte in der anschließenden Diskussion eine Zuhörerin nach den Folgen der Schneider-Pleite für sie als Aktionärin der Bank. Die erwartete Frage nach den "peanuts" wurde gut vorbereitet erklärt. Die Fragerin hakte aber nach: Wenn die Firma aber "im Eimer ist" und 5 Milliarden Kredite notleidend seien, dann träfe das doch auch sie als Aktionärin. Die schlagfertige Antwort des Festredners lautete: "Gnädige Frau, Sie haben recht. Die Firma ist im Eimer, aber der Eimer gehört uns."

35 ifo Studien 1999

536

Reinhard Blum

Im "Eimer" der Arbeitnehmer und damit der Mehrheit der Bürger bleibt dagegen in Theorie und Praxis aus der "Logik der Globalisierung" weniger hängen. Dafür sorgt bereits der schon erwähnte Wettbewerbszwang und die daraus erwachsende Asymmetrie in den ethischen Anforderungen an Arbeitnehmer und Kapitaleigentümer. Die Globalisierung stellt also die Soziale Marktwirtschaft vor eine neue Herausforderung bei der nationalen Politik. Für eine "globale soziale Marktwirtschaft" läßt aber die charakterisierte "Logik der Globalisierung" keinen Spielraum. Die Verantwortung wird an die nationale "sozialpolitische Autonomie" verwiesen. Sie aber gerät in die Anpassungszwänge der Zwänge zur Globalisierung.

VI. Antwort auf die Globalisierung: Internationale Strategie zu "globaler sozialer Marktwirtschaft" Gerade wegen der mit großem publizistischem Aufwand verbreiteten "Logik der Globalisierung" ist es erforderlich, daran zu erinnern, daß in einer freiheitlich-demokratischen Ordnung zwei dezentrale Prinzipien für das Gemeinwohl verantwortlich sind. In demokratischen Prozessen entscheidet die Mehrheit der Stimmen, d.h. der Köpfe der Menschen. In den marktwirtschaftlichen Prozessen wird nach Mehrheit der Kaufkraft entschieden. Experten und Prinzipien gehen zwar in die demokratischen Prozesse ein, können sie aber nicht ersetzen. Deshalb muß einer Strategie der "politikfreien Wirtschaft" als "Logik der Globalisierung" umso entschiedener entgegen gewirkt werden. Die Prognose der Unmöglichkeit weltweit koordinierter politischer Entscheidungen entlarvt sich selbst als Ideologie. Denn es gibt bereits eine Zahl von international arbeitenden politischen Organisationen. Wer soviel Macht unterstellt, daß weltweit Freihandel durchgesetzt werden kann, der muß auch zugestehen, daß dieselbe Macht eingesetzt werden könnte für eine "globale soziale Marktwirtschaft". Der französische Schriftsteller Saint-Exupery gebrauchte einmal das Bild, wer Schiffe bauen möchte, sollte nicht Holz und Arbeiter sammeln lassen, sondern zunächst die Sehnsucht nach dem weiten Meer wecken. Die Globalisierung weckt nur die Sehnsucht nach einem Meer von Geld, das in Finanzmärkten um den Erdball wogt. Da das Kapital aber nicht so knapp ist, wie die traditionelle Wirtschaftswissenschaft unterstellt und vor allen Dingen die "Logik der Globalisierung", müßte für im Überfluß vorhandenes Kapital die gleiche marktwirtschaftliche Gesetzmäßigkeit gelten wie für im Überfluß vorhandene Arbeit. Die gegenwärtig laufende Globalisierungs-Kampagne sorgt aber weiterhin dafür, daß "faule Arbeit" mit Zurückhaltung bei Löhnen und sozialer Sicherheit zu mehr Arbeit motiviert werden soll, "faules Kapital" aber nur mit mehr Ertrag, größerer Sicherheit und weniger Steuern zur Erschaffung von Arbeitsplätzen bereit ist. Diese Grundlage des traditionellen Klassenkampfes zwischen Arbeit und Kapital wollte die Soziale Marktwirtschaft als "Friedensformel" und "dritter Weg

Globalisierung - Unsichtbare Hand oder globale Koalitionen

537

zwischen Kapitalismus und Sozialismus" aufheben. Gerade "dritte Wege" läßt aber die traditionelle marktwirtschaftliche Logik weder national noch international zu. Das marktwirtschaftliche und sozialistische Modell einer Optimierung des Wohlstandes der Welt durch die globale Herrschaft marktwirtschaftlicher Prinzipien oder sozialistischer Prinzipien führt zur Verweigerung dritter Wege, weil sie entweder in die sozialistische Planwirtschaft oder die Knechtschaft des Kapitals führen. Sowohl marktwirtschaftliche als auch sozialistische Ideologie zwingt somit zur Globalisierung der alternativen Prinzipien Marktwirtschaft oder Planwirtschaft als Alleinherrschaftsanspruch, d.h. Weltherrschaft der Marktwirtschaft oder der Planwirtschaft. Andernfalls ist die abgeleitete Optimierung des Gemeinwohls nicht zu erreichen. Neue Strategien zur Sicherung des Wohlstands der Welt müssen deshalb zuallererst die bisher üblichen alternativen Denkmodelle überwinden. Aus einem solchen Versuch entstand die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland. Um die globalisierte Welt vor einem neuen ebenfalls globalen - Klassenkampf zwischen Arbeit und Kapital zu bewahren, muß die "globale Soziale Marktwirtschaft" oder wenigstens "sozialer Freihandel" zur weltweiten internationalen Strategie werden. Andernfalls wird die beschriebene (marktwirtschaftliche) Logik der Globalisierung eine neue sozialistische Alternative erzeugen. Denn wenn in dem traditionellen Denkmodell ohne dritte Wege in der Praxis die versprochenen bzw. abgeleiteten Ergebnisse weltweit nicht eintreten, bleibt als Ausweg nur die (feindliche) Alternative (Blum 1994b).

Zusammenfassung Die Diskussion der Globalisierung erweckt den Eindruck, es handle sich um ein neues Phänomen. Ein ideengeschichtlicher Rückblick zeigt, es gab schon immer Fernhandel und Märkte - vor Erfindung der "Marktwirtschaft" im 18. Jahrhundert. Neu ist der Freihandel als Doktrin mit theoretischen Ableitungen als "Logik der Globalisierung", wie der Buchtitel eines renommierten Wirtschaftstheoretikers lautet. Diese Logik der Globalisierung unterstellt als eine Art "Perpetuum mobile" einerseits Globalisierung durch dynamischen Wettbewerb mit Hilfe der zu immer größeren multinationalen Unternehmen organisierten wirtschaftlichen Tätigkeiten und umgekehrt dynamischen Wettbewerb durch Globalisierung. Wegen dieser lenkenden und immer noch als unsichtbar unterstellten Hand des Wettbewerbs ist ein Primat der Politik schädlich oder gar der Weg in die Katastrophe. So können die der Globalisierung durch Mega-Fusionen folgenden multinationalen Konzerne sich Freiräume schaffen für globale Koalitionen und eigene Strategien der Marktaufteilung und -gestaltung. Systemführerschaft, Marktführerschaft in der globalen Welt sind die unternehmenspolitischen Ziele, wie aktuelle Beispiele belegen. Als nationale Rückendeckung erhält aber der Staat die Aufgabe - besonders in Deutschland - den 'Wirtschaftsstandort Deutschland" zu sichern. Ideengeschichtlich ist dies ein merkantilistischer Kern der Globalisierung. Ein Fortschritt wäre wenigstens der 'Wirtschaftsstandort Europa". Soziale Marktwirtschaft wird gerade durch die Zwänge der Globalisierung reduziert auf ein Feigenblatt für "Marktwirtschaft pur". Diese Parole begleitete insbesondere nach 1989 die Transformation der ehemals sozialistischen Länder in die Marktwirtschaft. Der Zusammenbruch der sozialistischen Länder gab der Globalisierungsdebatte neue Impulse. Soziale Marktwirtschaft als Basis des deutschen Wirtschaftswunders erhält keine Chance in der "Logik der Globalisierung". Dazu müßte sie erst als Ideologie entlarvt und

35*

538

Reinhard Blum

das Bewußtsein neu geprägt werden zugunsten des Primats der Politik in einer freiheitlich demokratischen Ordnung. Diese Überlegungen sollen einen Beitrag dazu leisten.

Summary While the discussion about globalization gives the impression of being concerned with a completely new phenomenon, a closer look on economic history and on the history of economic thought shows that this actually is not the case: International trade takes place since thousands of years and even the underlying concept of a "free market economy" has already been developed in the eighteenth century. What is really new in the recent debate is the claimed "logic of globalization": Dynamic competition by growing multinational firms yields globalization while globalization itself is the driving force behind this dynamic competition. Following this idea of an invisible hand of competition, a primacy of public policy over the economic sphere seems to be damaging if not disastrous. Multinational firms which follow this logic of globalization are able to gain room to maneuver by "mega mergers", global coalitions and strategies of market sharing. Becoming a market leader in the global economy is the most prominent goal of such firms. The remaining job for public policy is to influence the locational factors in a way that makes a country an attractive location for these global firms - in the history of economic thought this can be seen as the mercantilistic essence of globalization. Given the economic constraints stemming from this kind of globalization, the concept of a "social market economy" (Soziale Marktwirtschaft) is reduced to a fig leaf for a "pure market economy". This has become most evident when the formerly communistic countries started their transformation: Instead of relying on a social market economy which led to the German 'Wirtschaftswunder" after the second world war, the "logic of globalization" forced these countries to introduce an almost pure market economy. To give the social market economy a new chance, it is necessary to dismantle the concept of globalization as being nothing more than an ideology and to show that the concept of a democratic society implies a primacy of public policy over the economic sphere. This essay makes an effort in this direction.

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Globalisierung - Unsichtbare Hand oder globale Koalitionen

539

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C.-Ch. (1999), Logik der Globalisierung, Göttingen, Vandenhoeck & Ru-

Der Beitrag der Wissenschaft zur Produktion technischen Wissens Eine patentstatistische Analyse zu Forschung und Entwicklung Von Siegfried

Greif

Inhalt I. Patente im Innovationsprozeß II. Anmelderkategorien III. Räumliche Strukturen IV. Technische Bereiche V. Forschungsorientierung, Forschungsakteure

I. Patente im Innovationsprozeß Patente sind Ergebnisse aus der naturwissenschaftlich-technischen Forschung und Entwicklung und haben ihre Position im Innovationsprozeß, ordnen sich somit in den Gesamtprozeß Forschung-Entwicklung-Anwendung ein. Die Ergebnisse von Untersuchungen weisen darauf hin, daß einerseits auf allen Stufen des Prozesses patentfähige Erfindungen anfallen und daß andererseits die Stufen der angewandten Forschung und Entwicklung das Erfindungsgeschehen im wesentlichen tragen, mit einem Schwergewicht auf der experimentellen Entwicklung (siehe Abbildung 1).1 Zum Erfassungsgrad von Patenten ist zu bemerken, daß - wie in verschiedenen Untersuchungen festgestellt - insgesamt etwa 80% der für patentwürdig erachteten Erfindungen auch tatsächlich angemeldet werden.2 Der enge Zusammenhang zwischen Forschung und Entwicklung (F+E) und Patenten ist durch eine Reihe empirischer Untersuchungen auf allen Stufen der

1

Siehe dazu: Greif (1995, S. 237) und die dort angegebene Literatur. Vgl. Täger (1979, S. 126), Mansfield (1986, S. 176 f.) und Europäisches Patentamt (1994, S. 106 ff.). Der Autor hat sich an anderer Stelle mit dem Erfassungsgrad und der Indikatorfunktion ausführlicher befaßt, siehe dazu: Greif und Potkowik (1990, S. 5 ff.), Greif (1993, S. 33 ff.) und Greif (1998b, S. 97 ff.). 2

542

Siegfried Greif

Wirtschaft - von der Weltwirtschaft, über Volkswirtschaft, Wirtschaftszweige, Unternehmen bis zu Produktgruppen und Technologien - belegt.3

Abbildung 1

Stellung von Patenten im Innovationsprozeß

Forschung

Entwicklung

Anwendung

Patentdaten spiegeln nicht nur die Ergebnisse von F+E-Tätigkeit wider, sondern zielen auch auf die Anwendung des gewonnenen neuen Wissens. Die Zusammenhänge zwischen Patenten einerseits und Innovationen bzw. wirtschaftlichem Erfolg andererseits ist ebenfalls durch eine Reihe empirischer Untersuchungen belegt.4 So erweisen sich Patente als relativ zuverlässige Begleiter und damit als Indikatoren von F+E- und Innovationsprozessen, unabhängig davon, ob Patente diese Prozesse induziert haben oder nicht. Im Zusammenhang mit dem Standort von Erfindungen im F+E-Spektrum ist auch die Qualitätsstruktur von Patenten zu sehen. Nach einer Untersuchung

3 Siehe dazu die Übersichtsarbeiten von Pavitt (1988, S. 509 ff.), Griliches (1990, S. 1661 ff.), Greif und Potkowik (1990, S. 10 ff.) und Emst (1996, S. 140 ff.). 4 Siehe dazu beispielsweise: Acs und Audretsch (1989), Comanor und Scherer (1969, S. 392 ff.), Scherer (1965, S. 290 ff.) und Schwitalla (1993, S. 150 ff.).

Der Beitrag der Wissenschaft zur Produktion technischen Wissens

543

des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung 5 verteilen sich die Erfindungen in ihrer Gesamtheit wie im linken Teil der Tabelle 1 angegeben.

Tabelle 1

Qualitätsstufen angemeldeter Erfindungen (prozentuale Verteilung)

Patentanmeldungen von allen Anmeldern

Forschungsinstituten

Basiserfindungen

16,7

22,2

Neue Produkte und Verfahren

30,5

43,2

Verbesserungserfindungen

52,8

34,6

Die Qualitätsverteilung von Erfindungen ist nicht nur ein statisches Phänomen, wie es sich in den angeführten Ergebnissen der Querschnittsanalyse darstellt, sondern auch ein dynamisches. Der typische Entwicklungsverlauf einer neuen Technologie führt vom wissenschaftlichen Durchbruch über die darauf aufbauenden Erfindungen mit hohen Fortschrittsraten zu einem Schwall von Folgeerfindungen mit kleiner werdenden technischen Fortschritten. Daß dieser in Abbildung 2 dargestellte Idealtypus auch real ist, belegen viele Beispiele; eines davon enthält die Abbildung 3.

Abbildung 2

Typischer Verlauf von Technologielebenszyklen

5

Vgl. Täger (1989, S 222 ff.).

544

Siegfried Greif Abbildung 3

Patentanmeldungen auf dem Gebiet der Supraleittechnik beim Europäischen Patentamt (kumulativ)

Hier wird auch deutlich, daß die in Abbildung 1 schematisierten Stufen des F+E-Prozesses von der Grundlagenforschung bis zur marktbezogenen Anwendung nicht voneinander getrennt sind, sondern fließend ineinander übergehen. Im Zusammenhang damit stehen die theoretischen Bemühungen, Wissenschaft und Technik zu definieren und gegeneinander abzugrenzen sowie die Analysen der Praxis, welche die enge Verzahnung zwischen beiden Bereichen feststellen und eine strenge Kategorisierung verbieten.6 Die Überlegungen und Probleme der Abgrenzungen von Wissenschaft und Technik, die im allgemeinen eher akademischer Natur sind, haben im Patentbereich eine durchaus praktische Bedeutung. Da das Patentrecht Entdeckungen von der Patentierung ausschließt und den technischen Charakter einer Erfindung als Schutzvoraussetzung bestimmt, ist die Standortbestimmung von Neuerungen im Grenzbereich von Wissenschaft und Technik von Belang. Dieses Problem wird seit mehr als 100 Jahren permanent diskutiert und hat immer wieder zu neuen Grenzziehungen geführt. 7 So wurden zum Beispiel im ausgehenden 19. Jahrhundert Neuerungen in der Chemie ausdrücklich den Entdek-

6 Dazu gibt es eine umfangreiche Literatur. Davon sollen hier nur einige mit Übersichtscharakter und weiterführenden Quellenangaben genannt werden: Scholz (1976, Kapitel 2020, S. 8 ff.), Majer (1978, S. 58 ff.) und Wagner-Döbler 997, S. 150 ff.). 7 Siehe dazu: Beier und Straus (1982), Ohly (1994, S. 879-888), Welte (1991) und Schar (1998, S. 322-339).

Der Beitrag der Wissenschaft zur Produktion technischen Wissens

545

kungen zugeordnet und deshalb als nicht patentierbar erklärt8, eine Einschätzung, die später verworfen wurde.

II. Anmelderkategorien Mit einem Anteil von rund 81% kommen die Patentanmeldungen zum überwiegenden Teil aus der Wirtschaft, demgegenüber sind die Wissenschaft mit 3,4% und die Gruppe der selbständigen Erfinder mit 16,1% nachrangige Herkunftsbereiche (siehe Tab. 2).

Tabelle 2

Patentanmeldungen nach Anmelderkategorien (prozentuale Verteilung)

Wirtschaft

Wissenschaft

Freie Erfinder

1992

80,9

2,3

16,8

1998

80,5

3,4

16,1

Wie die Tabellenwerte erkennen lassen, sind die Relationen nicht starr. In den letzten Jahren haben sich gewisse Verschiebungen innerhalb des Gefüges ergeben, insbesondere hat sich der Anteil der Patentanmeldungen aus dem Bereich der Wissenschaft erhöht. Das Verhältnis zwischen Anmelderkategorien ist auch in dem Sinne dynamisch, daß es im Verlaufe einer Technologieentwicklung zu typischen Strukturverschiebungen kommt. Die in den frühen Entwicklungsphasen der Abbildung 2 angesiedelte, zunächst starke Beteiligung des Wissenschaftssektors geht im Laufe der Zeit deutlich zurück, gleichzeitig steigt der Anteil der Wirtschaft. Da mit dem Entwicklungsverlauf auch - wie in der Abbildung 2 beschrieben qualitative Aspekte verbunden sind, darf man davon ausgehen, daß die im Sektor Wissenschaft gemachten Erfindungen einen relativ hohen wissenschaftlichen bzw. technischen Gehalt besitzen. Das bestätigt auch die in der Tabelle 1 angeführte Qualitätsstruktur von Erfindungen aus Forschungsinstituten. So darf man den Beitrag der Wissenschaft zur Generierung naturwissenschaftlichtechnischen Wissens nicht nur in dem rein zahlenmäßigen (in Tabelle 2 ausgewiesenen) Anteil von 3,4% der Patentanmeldungen9 sehen.

8

Vgl. Gerster (1998, S. 55). Bei einem Volumen von 47633 Patentanmeldungen inländischer Herkunft in Deutschland im Jahre 1998 macht das rund 1600 Anmeldungen aus. 9

546

Siegfried Greif

Was im einzelnen zum Sektor Wissenschaft und zu den anderen Bereichen gerechnet wird, sollen die folgenden Definitionen und Abgrenzungen der Anmelderkategorien erhellen. Vorab soll erwähnt werden, daß die Kategorisierung sich nicht auf F+E-Inhalte, sondern auf Herkunftsbereiche bezieht. Selbstverständlich wird den Forschungsleistungen von Industrie und Einzelerfindern durch die Abgrenzung zum Sektor Wissenschaft eine wissenschaftliche Natur nicht abgesprochen. Zum Bereich der Wissenschaft werden die Patentanmeldungen aus den folgenden Institutionen gerechnet: -

Bundes- und Landesforschungsanstalten,

-

Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren,

-

Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz (Blaue Liste),

-

Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften,

-

Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung,

-

Arbeitsgemeinschaft Guericke".

Industrieller Forschungsvereinigungen "Otto von

Die aus der Hochschulforschung stammenden Patentanmeldungen sind hier nicht einbezogen. Sie sind nicht ohne weiteres erfaßbar, da die Hochschullehrer über ihre Erfindungen frei verfügen können und die Hochschulen nur in seltenen Fällen als Patentanmelder auftreten. Als Patentanmeldungen Freier Erfinder werden die Fälle angesehen, bei denen Identität zwischen Erfinder und Anmelder besteht. Hierin eingeschlossen sind die Anmeldungen von Hochschullehrern, von Arbeitnehmern mit freigegebenen Erfindungen und von Unternehmererfindern. Der Anteil am gesamten Patentanmeldeaufkommen, der nicht auf die Freien Erfinder und die Wissenschaft entfällt, wird der Wirtschaft zugerechnet.

III. Räumliche Strukturen Die räumliche Verteilung der Patentanmeldungen aus dem Bereich der Wissenschaft, wie sie in Abbildung 4 dargestellt ist, läßt deutliche Schwerpunkte erkennen. Ausgesprochene Wissenschaftszentren sind die Räume Berlin, Aachen-Jülich, Karlsruhe, Freiburg, Stuttgart und München. Auffallend stark ist auch der Süden der neuen Bundesländer mit Dresden, Chemnitz, Jena, Leipzig und Halle belegt.10

10 Eine umfassende Untersuchung, auf die auch im folgenden Bezug genommen wird, ist Greif (1998a).

Der Beitrag der Wissenschaft zur Produktion technischen Wissens Abbildung 4

Patentanmeldungen aus der Wissenschaft Erfindersitz. Durchschnitt 1992-1994

548

Siegfried Greif

Die hier vorgenommene räumliche Zuordnung von Patentanmeldungen bezieht sich auf den Sitzort des Erfinders. Die Zuordnung ist nach dem Anmeldersitz und nach dem Erfindersitz möglich. Bei der Betrachtung des Anmeldersitzes können sich im Hinblick auf den räumlichen Ursprung von Erfindungen gewisse Unschärfen ergeben und zwar durch regional gestreute Betriebe und Forschungsstätten eines Patentanmelders. Mit dem Erfindersitzkonzept ist der Erfindungsort, die tatsächliche Forschungsstätte, besser identifizierbar. Das räumliche Auseinanderfallen von Anmeldeort und Erfindungsort findet sich insbesondere bei Großunternehmen und den großen Forschungsgesellschaften. Weitere Einblicke vermittelt die Analyse des Patentgeschehens auf der Ebene der Regionen. Hier bieten sich Arbeitsmarktregionen an. Sie sind funktional orientiert; bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß sich im Falle des Erfindersitzkonzeptes Wohn- und Arbeitsort von Erfindern innerhalb derselben Region befinden. Die Patentaktivitäten in den einzelnen Arbeitsmarktregionen sind weit gestreut. Die Regionen mit den größten Patentaktivitäten nach dem Erfindersitzkonzept sind im oberen Teil der Tabelle 3 zusammengefaßt. Die Region Stuttgart nimmt eine überragende Position ein, auf sie entfallen 8,4% aller inländischen Patentanmeldungen. Es folgen München und Frankfurt/Main mit ebenfalls sehr starken Aktivitäten. Dieses Spitzentrio vereinigt auf sich 20% der Patentanmeldungen; 44% sind es bei den zehn stärksten Regionen, was angesichts der Gesamtzahl von 225 Arbeitsmarktregionen eine beachtliche räumliche Konzentration bedeutet. Im unteren Teil der Tabelle 3 wird ein Blick auf die Patentaktivitäten in dem Bereich der Wissenschaft geworfen. Hier stellt sich die Situation ganz anders dar. Unter den zehn wichtigsten Regionen befinden sich fünf, die sonst nicht zur Spitzengruppe zählen. Insgesamt nimmt der Raum Berlin mit einem Anteil von 13,1% der Patentanmeldungen aus dem Wissenschaftsbereich, bezogen auf das Bundesgebiet, eine überragende Stellung ein. Die in der Tabelle 3 enthaltenen Angaben über den Beitrag der Wissenschaft zum Patentaufkommen in den Regionen gibt Auskunft darüber, in welchem Umfang die Erfindungsaktivitäten in der jeweiligen Region davon bestimmt werden. In den Räumen Dresden, Jena und Düren ist dies in auffallend starkem Maße der Fall. Es wird deutlich, daß die räumliche Verteilung der Wissenschafts-Erfindungen nicht der allgemeinen Verteilung der Erfindungen folgt, sondern eine eigene spezifische Raumstruktur besitzt. Das wird auch durch die Feststellung ergänzt, daß 60% der Wissenschafts-Patentanmeldungen auf die zehn aktivsten Regionen entfallen und damit eine räumliche Konzentration aufweisen, die noch erheblich über der für die Gesamtheit der Anmeldungen festgestellten liegt.

Der Beitrag der Wissenschaft zur Produktion technischen Wissens

549

Tabelle 3

Patentanmeldungen nach Arbeitsmarktregionen - die zehn aktivsten Regionen Erfindersitz. Durchschnitt 1992-1994

Alle Anmelder

Prozentanteil der Patentanmeldungen

Region

im Bundesgebiet

Stuttgart München Frankfurt Mannheim/Ludwigshafen/Heidelberg Köln Berlin Nürnberg Düsseldorf Hamburg Karlsruhe

Anmelder aus der Wissenschaft Region

8,4 6,8 5,8 4,9 4,1 3,6 3,6 2,8 2,3 1,3 Prozentanteil der Patentanmeldungen in der Region

Berlin Stuttgart Dresden München Karlsruhe Freiburg Aachen Jena Düren Mannheim/Ludwigshafen/Heidelberg

8,3 2,4 20,9 2,2 10,9 13,8 11,4 22,8 26,1 1,1

im Bundesgebiet 13,1 8,5 7,2 6,4 6,2 4,6 4,5 3,9 3,1 2,4

IV. Technische Bereiche Die Internationale Patentklassifikation (IPC), ein technisch orientiertes hierarchisches Ordnungssystem mit rund 66.000 Feineinheiten, erlaubt die Zuordnung von Patentanmeldungen zu enger oder weiter definierten Bereichen. Da

550

Siegfried Greif

die höchste Aggregationsebene mit 8 IPC-Sektionen nur relativ grobe Aussagen erlaubt und die nächste Ebene mit 118 IPC-Klassen für Gesamtbetrachtungen schlecht praktikabel ist, wurde von der Weltorganisation für geistiges Eigentum (World Intellectual Property Organization, WIPO) auf der Basis der IPC ein System entwickelt, das die gesamte Technik in 31 Gebiete einteilt und somit für Gesamtübersichten geeignet ist.11 Die entsprechende Aufschlüsselung der Patentanmeldungen macht deutlich, welche Bereiche mehr oder weniger Gegenstand der Erfinderaktivitäten sind (siehe Tab. 4). Der wichtigste Bereich ist mit 9,5% aller Inlandsanmeldungen in Deutschland die Fahrzeugtechnik. Es folgen Elektrotechnik (9,2%) und Messen, Prüfen, Optik (7,7%). Auf diese drei Gebiete entfällt somit etwa ein Viertel der Patentanmeldungen. Die geringsten Patentaktivitäten finden sich in den Bereichen Kernphysik und Bergbau, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß diese Gebiete relativ eng definiert sind. Die in der Tabelle 4 vorgenommene Aufgliederung nach Anmelderkategorien zeigt, daß die Wissenschaft eine eigene sektorale Struktur besitzt, die vom Bundesdurchschnitt und von den Strukturmustern der Wirtschaft und der Freien Erfinder erheblich abweicht. Mit einem Anteil von 18,8% steht der Bereich Messen, Prüfen, Optik im Zentrum der erfinderischen Aktivitäten. Mit Abstand folgen die Bereiche Elektrotechnik mit 13,7% und Organische Chemie mit 8,1% der Wissenschaftsanmeldungen. Auffallend ist, daß die Wissenschaft auf einigen Gebieten relativ stark vertreten ist, wie zum Beispiel in den Bereichen Fermentierung, Zucker, Häute12 (Rang 5) und Hüttenwesen (Rang 6), denen insgesamt (mit den Rängen 26 und 25) weniger Beachtung geschenkt wird. In umgekehrter Richtung auffallend ist, daß die Fahrzeugtechnik, die im Bundesdurchschnitt an erster Stelle steht und bei der Wirtschaft und den Freien Erfindern ebenfalls auf den oberen Plätzen rangiert, von der Wissenschaft mit relativ geringem Interesse bedacht wird. Insgesamt lassen die Daten auch Rückschlüsse auf die Wissenschaftsnähe der einzelnen technischen Gebiete zu. Eine weitere Betrachtungsweise kann ebenfalls kategoriespezifische Strukturen aufzeigen. Wenn man die Anteile der Patentanmeldungen betrachtet, die auf die jeweils drei beziehungsweise fünf größten technischen Gebiete entfallen, ergeben sich sehr unterschiedliche Konzentrationsgrade für die einzelnen Kategorien. Auffallend ist die starke Konzentration im Sektor Wissenschaft, wo mit 52% über die Hälfte der Patentanmeldungen auf nur fünf Gebiete entfällt, während der entsprechende Konzentrationsgrad bei der Gesamtverteilung bei 38% liegt.

11 Die WIPO untergliedert die von ihr herausgegebenen Welt-Patentstatistiken nach dieser Systematik (Industrial Property Statistics 1996, Genf 1998). Verschiedene Patentämter veröffentlichen derartig aufgegliederte Statistiken, so zum Beispiel das Europäische Patentamt (Jahresbericht 1998, München 1999) und das Deutsche Patentamt (Blatt für Patent-, Muster- und Zeichenwesen 1999, Heft 3). Aufschlüsse über die innere Struktur der technischen Gebiete vermittelt die letztgenannte Publikation. 12 Mit einem Anteil von rund 95% wird dieses Gebiet von Biotechnologie-Erfindungen bestimmt.

Der Beitrag der Wissenschaft zur Produktion technischen Wissens

551

Tabelle 4

Patentanmeldungen nach Anmelderkategorien und technischen Gebieten (prozentuale Verteilung und Rangfolge 1998)

Legende:

Technisches Gebiet

Gesamt Anteil

Rang 1 Wirtschaft

Rang

Anteil

Rang 2 Wissenschaft

Rang

Anteil

I Rang 3

Π

Freie Erfinder

Rang

Anzahl

Rang

10 Fahrzeuge, Schüfe, Flujpeuge

9.5

1

9,9

1

1,3

19

8,9

3

30 Elektrotechnik

9,2

2

9.8

2

I 13,7

2

5.0

7

26

7,7

3

7,6

3

I 18,8

1

5,9

5

23 Maschinenbau rn allgemeinen

6,2

4

6,7

4

1,8

15

4,4

9

20 Bauwesen

5,8

5

5,1

6

1,3

17

10,8

1

22 Kraft- und Arbeitsmaschinen

5,0

6

5,4

5

1,0

21

3,8

13

Messen, Prüfen, Optik, Photographie

4

Gesundheitswesen (ohne Arzneinittel), Vergnügungen

4,6

7

3,7

12

4,4

8

11

Fördern, Heben, Sattlerei

4,5

8

4,6

7

0,9

22

M 5,1

6

31

Elektronik, Nachrichtentechnik

14

I

2

4,2

9

4,5

8

2,9

12

2.8

27 Zeifrnessung, Steuern, Regeln, Rechnen, Kontroieren

4,2

10

4,1

9

3,4

11

4,7

8

6

3,9

11

3,7

11

6,7

4

4,0

11

13 Organische Chemie

3,7

12

4,1

10

8,1

3

0,9

25

8

Schleifen, Pressen, Werkzeuge

3,7

13

3,6

13

4,2

9

4,1

10

24

Beleuchtung, Heizung

3,3

14

3,2

14

2,5

14

3,9

12

Trennen, Mischen

3

Persönlicher Bedarf, Haushahsgegenstände

3,3

15

2,4

17

0,1

31

8,3

4

7

Metallbearbeitung, Gießerei, Werkzeugmaschinen

3,0

16

3,2

15

3,8

10

2,0

17

14

Organische makromolekulare Verbindungen

28

2,6

17

3,0

16

2,6

13

0,4

12 Anorganische Chemie

1,9

18

1,8

20

4,5

7

1,8

18

18 Textilien, biegsame Werkstoffe

1,7

19

1,9

18

1,1

20

0,9

23

15 Farbstoffe, Mineralölindustrie. Ole, Fette

1,7

20

1,9

19

1,3

18

0.8

26

5

1,6

21

1,6

21

1,7

16

1.6

19

28 Unterricht Akustik, Infoimabonsspeichening

1.4

22

1,3

23

0,9

23

2.2

16

9

Druckerei

1,4

23

1,4

22

0,2

29

1.4

20

1

Landwirtschaft

Medizinische und zahnärztliche Präparate

1,3

24

1,1

25

0,6

25

2.7

15

17 Hüttenwesen

1,2

25

1,2

24

4,8

6

0,5

27 24

16 Fermentiemng, Zucker, Haute

0,8

26

0,6

28

5,0

5

0,9

25 Waten, Sprengwesen

0,7

27

0,6

27

0,7

24

1,0

22

2

0,7

28

0,6

29

0,1

30

1,2

21

19 Papier

0,6

29

0,7

26

0,4

27

0,3

30

21 Bergbau

0,4

30

0,4

30

0.4

28

0.3

29

0,2 100,0

31

0,2 100,0

31

0,5 100,0

26

0.1 100,0

31

Nahrungsmittel, Tabak

29 Kernphysik Gesamt

I

552

Siegfried Greif V. Forschungsorientierung, Forschungsakteure

Die großen Forschungsinstitutionen in Deutschland sind: -

MPG

Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften,

-

FhG

Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung,

-

HGF

Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren

mit den dazu gehörigen Instituten.13 Während die Max-Planck-Gesellschaft und die Fraunhofer-Gesellschaft die Erfindungen aus ihren Instituten jeweils zentral anmelden, treten die einzelnen im folgenden aufgelisteten - HGF-Institute als selbständige Patentanmelder auf: AWI

Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung,

DESY

Deutsches Elektronen-Synchrotron,

DKFZ

Deutsches Krebsforschungszentrum,

DLR

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt,

FZJ

Forschungszentrum Jülich,

FZK

Forschungszentrum Karlsruhe,

GBF

Gesellschaft für Biotechnologische Forschung,

GFZ

GeoForschungsZentrum Potsdam,

GKSS

GKSS-Forschungszentrum Geesthacht,

GMD

GMD-Forschungszentrum Informationstechnik,

GSF

GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit,

GSI

Gesellschaft für Schwerionenforschung,

HMI

Hahn-Meitner-Institut Berlin,

IPP

Max-Planck-Institut für Plasmaphysik,

MDC

Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin,

UFZ

UFZ-Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle.

Die Patentaktivitäten der einzelnen Institutionen sind sehr unterschiedlich, (siehe Tab. 5). Entscheidend dafür sind zwei Bestimmungsgrößen, zum einen das Volumen der jeweils zur Verfügung stehenden F+E-Mittel und zum anderen

13 Übersichten über die Organisationen und Institute enthält der Bundesbericht Forschung 1998.

Der Beitrag der Wissenschaft zur Produktion technischen Wissens

553

die Orientierung der Forschung, d.h. in welchem Maße sie auf Grundlagenforschung oder angewandte Forschung ausgerichtet ist. Die unterschiedliche Forschungsorientierung der wichtigen Träger von Forschung und Entwicklung in Deutschland sowie deren Ausstattung mit F+EMitteln sind in Abbildung 5 dargestellt.14

Abbildung 5 Arbeitsbereiche der großen Forschungsträger in Deutschland

Technische Prototypen Pilotanlagen Entwicklung

Angewandte Forschung Anwendungsorientierte Grundlagenforschung Grundlagenforschung

1 Bundes- und Landesforschungsanstalten 2 Max-Planck-Gesellschaft 3· Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren 4 Wissenschaftsgemeinschaft Blaue Liste 5 Hochschulen 6 Fraunhofer-Gesellschaft 7 Sonstige (ζ. B. Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen) 8 Wirtschaft

F+E-Ausgaben 1997 3,5 Mrd. DM 1,7 Mrd. DM 4.1 Mrd. DM 1,5 Mrd. DM 14,7 Mrd. DM 1.2 Mrd. DM 0,9 Mrd. DM 55,1 Mrd. DM

14 Quellen: Fraunhofer-Gesellschaft (1997, S. 12 f.) und Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft Forschung und Technologie (1998, S. 404 ff.).

36*

1_ 3

1978

14

2_ 4

1994 2_

1_ 1

1997

41

2

25

20

65

142

34

48

99

91

63

27

43

49

51

51

52

90

37 70

44

40

47

37

41

43

46

47

40

47

57

51

41

45

47

63

54

8_

6_

7

6

8_

1_

1_

10_

12_

11

14

21

15

1_

2_

3_

3

2_

253 | 6

3

1

2

1

236

20 8

3

6

31

24

14

12

4_

13 4 6^

5_

2

4

7

2

18

4

1_

117

2_

4_

10 3

157

190

14

195

54

65

4

15

7

254

229

214

215

247

368

0,89

55

26 860

809

658

579

28 118 28 656

1,18

2,21

1,98

1,89

29 792

30 201 1,57

1,41

1,34

27 676

27 529

873 8 081

44

43

467

27 746 27 630

1,57

1,50

27 927

28 416

27 191

1,00

0,96

1,30

2 898 |

367

292

278

426

0,91

26 958

26 736

27 217

26 596

26 592

25 831

0,80 0,85

1,41 442 383

414

1,25

268

266

0,71 0,79

0,91

190

27 970

28 124

0,80

0,66

0,54

28 194

682 533

36 624

33 270

30 679

Gesamt ?f'. ίΐ anSp. 23 in % mit Wffcung η DE

0,49

MPG

214

184

388

32

31 4 310

387

322

139 153

235

45 42 34 258

216

43

339

38 38

189 197

30

41

34

38

32

23

26

34

33

35

20

174

176

219

167

6 18_

1

3

6

195

140 168

39

69

59

60

55

43

41 29

27

33

31

35

35

44

28

17_

22

68

208

124

161

172

200 2

71

6

1

158

152

153

146

119

151

107

96

81_

21

HMI IPP* M DC UFZ FhG HGF

140

20

176

19

2 10_

3

2

1 2

1

5

2_

2

3^ 2_

3

3_

2_

5^

2^

1_ 5

3

16_

16_

5_

2 1_

6_

3_

1_

1_

1_

11_

1_

12 2

9 10

8

12

13_

11 1

12

20

28

29

64

7

10

10

13

13

5

5

5_

5

5

6_ 1

2_ 3

13 14 15 16 17

GFZ GKSS GMD GSF GSI 12

1_ 1

GBF

11

1 220 |

65

62

44

62

43

52

69

8

3

8

6

8

7

7

16

11

38_ 1

55

40

10

FZK

9

26^ 1

38

8

FZJ

891 11 145

49

48

49

31

50

48

36

36

33

29

42

30

58

37

55

31

31

33

7

* Das IPP tritt nicht als Anmelder auf. Anmeldungen werden unter MPG ausgewiesen.

1975-1998 7

1998

1_ 2

1996

10

1_ 5

1_

1993

1995

1

3_ 2

1989

1_

4_ 1

1987

1988

1992

2_ 1

1986

1_ 6

2_ 2

3_ 3

1985

1991

2_ 2

3_ 4

31

2_ 4

1983

1984

1990

36

50

2_ 4

1982

31

3_ 4

1981

21

1_ 6

16

12

1980

1979

2_ 1

1977

1_

6

18

5

17

4

1975

3

AWI DESY DKFZ DLR

2

1976

1

Jahr

Patentanmeldungen der großen Forschungsinstitutionen mit Wirkung in Deutschland Veröffentlichte Anmeldungen nach Publikationsjahren (DPA und EPA ohne Doppelzählungen)

Tabelle 5

~

554 Siegfried Greif

Der Beitrag der Wissenschaft zur Produktion technischen Wissens

555

Als Beispiel für die unterschiedliche Forschungsorientierung und die daraus resultierende Patentaktivität kann der Vergleich der beiden großen Forschungsgesellschaften dienen. Bei der Fraunhofer-Gesellschaft, die der angewandten Forschung verpflichtet ist, stehen den im Jahre 1998 rund 1,3 Mrd. DM F+E-Ausgaben 367 Patentanmeldungen gegenüber. Bei der auf Grundlagenforschung ausgerichteten Max-Planck-Gesellschaft sind es 1,9 Mrd. DM F+EAusgaben und 55 Patentanmeldungen (siehe Tab. 5 und 6).

Tabelle 6 F+E-Ausgaben der großen Forschungsgesellschaften

Deutschland insgesamt

Anteil Sp. 5 an Sp. 6 in %

5

6

7

1 314

6181

80 650

7,66

1 261

1 539

6 982

81 040

8,62

1 350

1 887 ·

7 430

83 709

8,88

HGF

FhG

1

2

3

4

1992

3 864

1 002

1995

4182

1998

4193

Jahr

MPG

Summe

F+E-Ausgaben in Mio. DM

Angaben aus Bundesbericht Forschung 1993, 1996 und 1998, BMBF. Alle Daten sind Soll-Wërte bzw. Schätzungen. Der Wert für 1998 in Spalte 6 bezieht sich auf das Jahr 1997.

Für den Bereich der anwendungsorientierten Forschung sind Patente von besonderer Bedeutung. Durch die Anmeldung zum Patent wird eine Erfindung zum handelbaren und transferierbaren Gut. Da Forschungsinstitute üblicherweise nicht über die Produktionsmöglichkeiten verfügen, um Erfindungen praktisch ausüben zu können, haben sich Patente und die daran geknüpften Lizenzen als nützliche und leistungsfähige Transferinstrumente erwiesen. Das Bild der Gesamtentwicklung der Patentanmeldungen im Sektor Wissenschaft wird von den Aktivitäten zweier Gruppen entscheidend beeinflußt. Bis 1987 wird es von den Patentanmeldungen der HGF-Einrichtungen insgesamt bestimmt; ab diesem Zeitpunkt ist ein rasantes Wachstum der Anmeldezahlen der Fraunhofer-Gesellschaft zu beobachten (siehe Tab. 5). In den letzten Jahren wird die Gesamtentwicklung mit etwa gleichen Raten in Umfang und Wachstum im wesentlichen von der Helmholtz-Gemeinschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft getragen. Demgegenüber bewegen sich die Anmeldeaktivitäten der Max-Planck-Gesellschaft auf einem relativ niedrigen und etwa gleichbleibenden Niveau. Innerhalb der Gruppe der HGF-Einrichtungen bilden die drei folgenden Institutionen (nach der Zahl ihrer Patentanmeldungen der Jahre 1975 - 1998 ge-

556

Siegfried Greif

messen) das Spitzentrio: FZK. Forschungszentrum Karlsruhe (1220), FZJ. Forschungszentrum Jülich (1145), DLR. Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (891). Im Mittelfeld befinden sich: GBF. Gesellschaft für Biotechnologische Forschung (253), GKSS-Forschungszentrum Geesthacht (236). Für die restlichen Institutionen sind demgegenüber jeweils relativ geringe Patentaktivitäten zu verzeichnen. Insgesamt lassen die Patentaktivitäten Rückschlüsse auf die Forschungsorientierung der einzelnen Institute zu. Die Betrachtung einzelner Institute läßt erkennen, daß Erfinden üblicherweise kein kontinuierlicher Prozeß ist, sondern in Schüben erfolgt, die sich jedoch innerhalb der erfindungsstarken Forschungszentren und erst recht im Gesamtergebnis der Helmholtz-Gemeinschaft ausgleichen und zu einem kontinuierlichen und anwachsenden Strom von Patentanmeldungen aufsummieren. Wie sich der Tabelle 5 entnehmen läßt, ist die Zahl der Anmeldungen aus dem Bereich der großen Forschungsinstitutionen in den letzten 24 Jahren, mit durchgehend positivem Trend, von 139 auf 809 Anmeldungen im Jahr angestiegen.15 Damit verbunden ist auch eine deutliche Steigerung der relativen Zahl, d.h. des Anteils am gesamten inländischen Patentanmeldungsaufkommen, der auf die Forschungsinstitutionen entfällt. Dieser Anteil entwickelt sich im Beobachtungszeitraum von 0,5% auf 2,2%. Diese Entwicklung steht im Zusammenhang mit einem Anstieg der F+EAusgaben, der sich in den letzten Jahren, wie in Tabelle 6 aufgezeigt, darstellt. Für jede der drei großen Forschungsinstitutionen ist eine Zunahme zu verzeichnen, die zwischen 1992 und 1998 in der Summe immerhin mehr als 1,2 Mrd. DM beträgt. Gleichzeitig hat sich damit auch der Anteil der drei Institutionen am gesamten F+E-Volumen in Deutschland erhöht, nämlich von 7,7% auf 8,9%. Weitere Impulse zugunsten vermehrter Patentaktivitäten im Wissenschaftsbereich gehen von der Wissenschaftspolitik aus. Da ist zum einen die verstärkte Hinwendung zur angewandten Forschung, wie sie z.B. vom Forschungsministerium vertreten wird. 16 Zum anderen gibt es eine allgemeine Aufwertung des Patentwesens. Eingedenk der Erkenntnis, daß sich unsere Gesellschaft immer stärker zu einer Wissenschaftsgesellschaft hin entwickelt und das Wissen als wichtiger Produktionsfaktor anzusehen ist, ist die Bedeutung des Patentwesens als Stimulans und Träger naturwissenschaftlich-technischen Wissens stärker in das Bewußtsein gerückt und hat sich der gesellschaftliche und wissenschaftliche Stellenwert des Patentwesens in jüngerer Zeit deutlich erhöht. Der Wissen15 Die Daten in Tabelle 5 wurden aus der öffentlichen Patentdatenbank des Deutschen Patentamts PATDPA gewonnen. Für die Aufschlüsselung nach einzelnen Anmeldern stehen nur veröffentlichte Daten zur Verfügung. Die Veröffentlichung erfolgt in der Regel 18 Monate nach der Patentanmeldung. Anmeldungen können vor einer Veröffentlichung zurückgenommen werden. Insgesamt kommen etwa 20% der Patentanmeldungen nicht zur Publikation. In diesem Sinne befinden sich die Ergebnisse aus Tabelle 5 auch im Einklang mit den oben in der Fußnote 9 angeführten Zahlen. 16 Bundesministerium für Forschung und Technologie (1993, S. 8 f.), Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (1998, S. 84 ff.) dazu auch: Meske (1998, S. 161 ff.).

Der Beitrag der Wissenschaft zur Produktion technischen Wissens

557

schaftsrat stellt ausdrücklich die Gleichrangigkeit von Patentanmeldungen und wissenschaftlichen Veröffentlichungen als Kriterien für die wissenschaftliche Leistung eines Forschungsinstituts fest und empfiehlt, auch im Hinblick auf die Realisierung von Erfindungen, der patentrechtlichen Sicherung von Forschungsergebnissen Aufmerksamkeit zu schenken.17 Insgesamt darf festgestellt werden, daß der Sektor Wissenschaft in dem von Patenten erfaßten Bereich, aus quantitativer wie qualitativer Sicht, einen wichtigen und zunehmenden spezifischen Beitrag zu Produktion und Verbreitung naturwissenschaftlich-technischen Wissens leistet und damit auch entsprechende volkswirtschaftliche Wirkungen entfaltet.

Zusammenfassung Patente sind Indikatoren für F+E- und Innovationsprozesse sowie für wirtschaftliche und technologische Strukturen und Entwicklungen. Die Aufgliederung der Patentanmeldungen zeigt, daß der quantitative Beitrag des Sektors Wissenschaft zur Produktion technischen Wissens hinter den Aktivitäten der Industrie rangiert. Im Hinblick auf die Qualität bringt dieser Sektor jedoch Erfindungen mit relativ hohem Niveau hervor und rangiert damit vor der Industrie. Zwischen der Erfindungstätigkeit des Sektors Wissenschaft und der Industrie besteht ein Zusammenspiel, eine technologische Arbeitsteilung. Der Blick auf die Arbeitsgebiete zeigt, daß der Patentanmelder Wissenschaft eine spezifische sektorale Struktur mit einer relativ hohen Konzentration besitzt. Ähnlich ist die Situation bei der räumlichen Struktur der Patentanmeldungen. In den letzten Jahren sind die Patentaktivitäten des Sektors Wissenschaft absolut und relativ deutlich angestiegen.

Summary Patents are indicators for R&D activities and innovation processes as well as for economic and technological structures and developments. A subdivision of patent applications shows that the quantitative contribution of the sector science to the production of technological knowledge ranks behind the activities of industry. There exists a cooperation and a technological division of labour between the invention activities of industry and the sector science. In view to the fields of activities one can see that the patent applicant science has a specific sectoral structure with a high degree of concentration. Similar to this is the situation in the regional structure of patent applications. During the last years the patent activities of the sector science increased evidently in absolute and relative figures.

17

Wissenschaftsrat (1995, S. 16, 30). Bekräftigt wird diese Sichtweise durch die Initiativen weiterer Institutionen der Forschungspolitik und -förderung: Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (1996), Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (1997) und Hochschulrektorenkonferenz (1997).

558

Siegfried Greif

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Das Unternehmen Bremen Strukturwandel im Wettbewerb Von Frank Haller

Inhalt I. Vorbemerkungen II. Analyse der Ausgangslage III. Kostensenkungsprogramm IV. Investitionen in die Ertragskraft V. Marktorientierte Pflege der Traditionsprodukte VI. Neue Produkte VII. Organisation und Marketing VIII. Fazit

I. Vorbemerkungen Das Land Bremen kämpft um seine Existenz. Tiefgreifende Strukturkrisen im maritimen Bereich, zuletzt mit dem Aufsehen erregenden Vulkan-Konkurs, konfrontieren das kleinste Bundesland in Deutschland mit der Frage, ob seine Selbständigkeit auf Dauer sinnvoll erhalten werden kann. Insoweit erinnert das Land Bremen an kleine und mittlere Unternehmen, die in Krisensituationen vor der Frage stehen, aufzugeben oder zwanghaft in ein größeres Unternehmen integriert zu werden. Während in der wirtschaftspolitischen Diskussion der Vorrang von kleinen und mittleren Unternehmen gegenüber Großkonzernen gepredigt wird, insbesondere mit der Arbeitsplatzentwicklung und Ausbildungssituation begründet, wird in der allgemeinen politischen Diskussion traditionell die Frage nach der optimalen Betriebsgröße des Föderalismus in Deutschland in eine andere Richtung gestellt. Regelmäßig wird vorgeschlagen, größere Einheiten zu bilden mit dem Ziel, die heutige Zahl von 16 Bundesländern deutlich zu reduzieren. Dann bliebe für das Land Bremen mit seinen rund 650.000 Einwohnern keine Überlebenschance. Im internationalen Vergleich wird die deutsche Volkswirtschaft häufig als "Deutschland-AG" bezeichnet. Sie solle sich so einrichten, daß sie dem inter-

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Frank Haller

nationalen Wettbewerb und den Globalisierungstendenzen Rechnung tragen kann. Eine solche Betrachtungsweise, Gebietskörperschaften in die unternehmerische Sicht einzubeziehen, ist in der marktwirtschaftlichen Ordnung nicht unproblematisch. Deutschland hat ein zentralplanwirtschaftliches System in einer Teilregion gerade abgeschüttelt, ist auch kein fernöstliches MITI. Dennoch hat der deutsche Staat auch in der Marktwirtschaft die Aufgabe, seinen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Volkswirtschaft und deren Unternehmen zu leisten. Sonst kann die Deutschland-AG trotz ihrer leistungsstarken Unternehmen in der heutigen internationalen Wettbewerbssituation schnell zum Problemfall werden. Für jemanden, der seit vielen Jahren Beiträge zur Wirtschaftspolitik des Landes Bremen formuliert, ist es verlockend, die Grundidee der Deutschland-AG auf Bremen zu übertragen. Auch für das Land Bremen ist diese Verfahrensweise durchaus zu problematisieren. Kann man die in Bremen ansässigen Wirtschaftsunternehmen als Abteilungen eines Unternehmens betrachten? Ist die Landesregierung mit einem Unternehme'nsvorstand, das Parlament mit dem Aufsichtsrat zu vergleichen? Für ein in der Sanierung befindliches Bundesland ist die unternehmerische Sichtweise Pflicht, mag die Methodik auch fragwürdig sein. Die Grundprobleme sind die gleichen wie in einem unternehmensbezogenen Sanierungsfall: Wie können Kosten reduziert werden? Wie können Investitionen finanziert werden? Wie kann die vorhandene Produktionspalette gepflegt werden? Wie können neue Produkte entwickelt werden? Wie können die Erträge, in diesem Fall die Steuereinnahmen, angehoben werden? Wie kann das Marketing verbessert werden? Wie kann die Organisation schlanker werden? Zusammengefaßt: Wie kann sich das Unternehmen Bremen (im folgenden Bremen genannt) im Strukturwandel und im überregionalen Wettbewerb behaupten?

II. Analyse der Ausgangslage Basis jeder Sanierung muß eine realistische Untersuchung der Ausgangssituation sein. Die Analyse für Bremen hat zunächst festzuhalten, daß die ehemalige Stärke des Unternehmens, die Hauptabteilung Maritime Wirtschaft, ihre frühere hohe Bedeutung schrittweise verloren hat. Die Schiffahrt mit ihren wohlsituierten Reedern gibt es vor Ort kaum noch. Der Schiffbau ist bezogen auf sein Maximum (1975: rund 25.000 Beschäftigte) demgegenüber heute nur noch mit gut 1.000 Arbeitsplätzen vertreten. Der Hafen weist zwar erhebliche Umschlagzuwächse aus, durch den Anstieg des Containerumschlags ist die regionale Wirkung aber immer geringer geworden. Bremen leistet hier zunehmend außenwirtschaftliche Dienstleistungen für die Deutschland-AG, ohne entsprechende Erlöse erzielen zu können. Der Beschäftigungsstand im Hafen ist konti-

Das Unternehmen Bremen - Strukturwandel im Wettbewerb

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nuierlich zurückgegangen. Der Dienstleistungssektor im Folgebereich, z.B. im Speditionsgewerbe, ist mit dem Rückgang der maritimen Beschäftigung ebenfalls geschrumpft. Kompensationen im industriellen Bereich konnten nur beim Fahrzeugbau erreicht werden. Der größte Wachstumsträger der Beschäftigung ist, wie generell in der Deutschland-AG, im Dienstleistungssektor zu finden, der in Bremen allerdings erheblich weniger zugelegt hat als in anderen deutschen Unternehmen. Hinzu kam, daß ab 1990 sechs neue Unternehmen in die Deutschland-AG integriert werden mußten, die nur durch Transferleistungen, die auch Bremens Finanzvolumen massiv eingrenzten, am Leben erhalten werden konnten, um sich später selbständig dem Markt stellen zu können. Die Sorge, daß Bremen durch die Vergrößerung der Deutschland-AG stärker in eine Randlage gerückt werden könnte, erwies sich glücklicherweise als falsch. Nach der Erweiterung der Deutschland-AG ist die wirtschaftliche Leistung des Bremer Unternehmens im Vergleich zu Westdeutschland proportional gewachsen. Während die westlichen Unternehmen (insbesondere Nordrhein-Westfalen und Saarland) hinter dem Bundesdurchschnitt zurückblieben, sind die Unternehmen, deren wesentliche Teile im früheren Grenzbereich lagen (insbesondere Niedersachsen und Bayern), überdurchschnittlich gewachsen (vgl. Graphik 1). Im Jahre 1995 wurde Bremen vor eine besonders harte Bewährungsprobe gestellt, die Vulkan-Krise. Der bremische Schiffbauzweig hatte sich durch überregionale Kooperationen übernommen, das Vertrauen des Finanzsystems der Deutschland-AG brach zusammen. Einer der größten Konkurse der Deutschland-AG nach dem 2. Weltkrieg mußte bewältigt werden. Bremen hat dies geschafft. Es erholte sich von dem schweren Schock überraschend schnell, die Wachstumsrate lag 1998 sogar wieder über dem Bundesdurchschnitt. Die Bremer Produktstruktur ist inzwischen erheblich breiter angelegt als noch vor rund 20 Jahren (vgl. Graphik 2). Allein die Anteilsänderung beim Schiffbau macht dies deutlich. Nur: Die Ertragslage Bremens stimmt nicht. Die wirtschaftlichen Erfolge lassen sich durch ein unzulängliches Transfersystem zwischen den verschiedenen Teilunternehmen der Deutschland-AG nicht in Finanzergebnisse umsetzen. Der Ombudsmann der Deutschland-AG in Karlsruhe mußte bemüht werden, um eine gerechte Lösung herbeizuführen. Die Konkurrenzunternehmen sind mit dem daraus resultierenden Kompensationsfluß von Finanzmitteln nach Bremen nicht einverstanden. Richtig ist: Die Finanzströme innerhalb der Deutschland-AG sind wenig transparent und hemmen die Leistung der Einzelunternehmen eher, als daß sie sie stärken. Es muß ein neues System entwickelt werden, das die Leistungsfähigkeit der Unternehmen adäquat berücksichtigt.

564

Frank Haller

Das Unternehmen Bremen - Strukturwandel im Wettbewerb

565

Graphik 2

Beschäftigte in den Wirtschaftsabteilungen des Unternehmens Bremen 1980 / 98 1998

1980

Gebwt»kOrparschaft«n

Gesamt: 305.000 Beschäftigte

Gesamt: 278.000 Beschäftigte

Quelle: Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, Stat. Bundesamt, Senator für Arbeit, Stat. Landesamt Bremen, BAW.

III. Kostensenkungsprogramm

Bremen kann sich im Wettbewerb nur behaupten, wenn die Kostendynamik reduziert wird. Ein nach bürokratischen Maßstäben organisiertes Unternehmen hat allerdings besondere Probleme. Arbeitskosten können nur durch Fluktuation, nicht aber durch betriebsbedingte Kündigungen reduziert werden. Das macht Bremen deswegen zu schaffen, weil in der Vergangenheit erheblich mehr Personal eingestellt wurde, als zur Bewältigung der Aufträge erforderlich war. Es ist allerdings schon länger her, als zur Finanzierung von zusätzlichem Personal sogar neue Schulden in Kauf genommen wurden. Heute ist Bremen innerhalb der Deutschland-AG ein Unternehmen, das die laufenden Kosten überdurchschnittlich eingrenzt (vgl. Graphik 3). Es ist bedauerlich, daß Konkurrenzunternehmen im Süden Deutschlands die überdurchschnittlichen Sparanstrengungen bisher nicht würdigen, obwohl sie erheblich weniger sparen als Bremen. Der Vorstand des Unternehmens geht nach folgenden Sparkriterien vor: •

Maßstab darf nicht der viel zitierte Rasenmäher sein, mit dem durch die verschiedenen Abteilungen des Unternehmens gegangen wird, statt dessen muß bei den konsumtiven Ausgaben gezielt gespart werden.

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Frank Haller Graphik 3

Ausgabenentwicklung im Unternehmen Bremen im Vergleich zu den westlichen Unternehmen im Sanierungszeitraum 1993-2000

Qt/e//e:Sanierungsbericht Bremens zur Überprüfung der Erforderlichkeit weiterer Sanierungsleistungen 9/97 * ISP: Investitionssonderprogramm des Landes Bremen im Rahmen des Sanierungsprogramms



Viele Vorschläge konnte die Geschäftsführung dadurch erarbeiten, daß sie sich am Vergleichsmaßstab der Konkurrenz orientierte (AufgabenBenchmarking) und so neue, aber andernorts bewährte Wege der Eingrenzung der Betriebskosten ging.



Allerdings ist das regionale Benchmark-System in der Deutschland-AG noch nicht sehr ausgeprägt. Überdies müssen Quantitäten und Qualitäten differenziert werden. Ein teures Bildungssystem beispielsweise muß nicht qualitativ hervorstechend sein.



Wichtig ist auch, daß die Geschäftsleitung Einsparungen nicht so vornimmt, daß die Leistungsfähigkeit des Unternehmens massiv eingegrenzt wird. Schon manches Unternehmen ist daran gescheitert, daß im Forschungs- und Entwicklungsbereich überdurchschnittlich gespart wurde, um den überdimensionierten Produktionsapparat aufrechtzuerhalten.



Wichtig ist, daß die operativen Einheiten des Unternehmens nach modernen betriebswirtschaftlichen Maßstäben organisiert werden. Dies ist ein weiter Weg. Bremen ist einen wesentlichen Schritt vorausgegangen.

Das Unternehmen Bremen - Strukturwandel im Wettbewerb

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Baumanagement, Wirtschaftsförderung, selbst die regionale Wirtschaftsforschung, werden nach betriebswirtschaftlichen Methoden organisiert. Die früher öffentlichen Aufgaben Müllentsorgung und Wasserversorgung werden heute von Privaten durchgeführt. •

Beteiligungen sind verkauft worden, damit sich Bremen auf seine Kemgeschäfte konzentrieren kann. So ist eine Beteiligung an der Energieversorgung an private Partner veräußert worden, um bei der immer weiter fortschreitenden Europäisierung der Energieversorgung die Vorzüge des internationalen Marktes verstärkt für Bremen zu nutzen.



Viele Aufgaben muß Bremen nicht selbst wahrnehmen. Es lohnt sich nicht, Kapazitäten im Unternehmen dauerhaft vorzuhalten, wenn die Inanspruchnahme nicht stetig erfolgt. Gartenpflege, EDV-Dienstleistungen, Lohnzahlungen und vieles andere mehr sind Aufgaben, die Bremen nicht selbst durchführen muß.

Bremen reduziert seine Kosten also durch benchmark-orientiertes Kürzen von nicht betriebsnotwendigen Ausgaben und Verlagerung von Aufgaben, die nicht zum Kerngeschäft gehören.

IV. Investitionen in die Ertragskraft Ein Unternehmen, das saniert werden soll, aber nicht mehr investiert, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Für Bremen besteht durch die Schlichtung des Ombudsmanns in der Deutschland-AG seit 1993 die besondere Chance, Investitionen zur Sanierung trotz der notwendigen konsumtiven Kürzungen zu finanzieren. Allerdings sind die Hilfsleistungen mit strengen Auflagen verbunden. Es dürfen nur Investitionen über das Sanierungsprogramm realisiert werden, die die Wirtschafts- und Finanzkraft des Unternehmens stärken, die also auf verbesserte Marktchancen Bremens abzielen. Grundsätzlich muß das Investitionsprogramm für Bremen so ausgerichtet werden, daß ein selbsttragender Wachstumsprozeß organisiert wird, der nicht nur Strohfeuereffekte über die Nachfrage organisiert, sondern Bremen dauerhaft höhere Marktanteile verschafft. Dementsprechend setzt das Programm an einer angebotsorientierten Produktionsfunktion an: •

Die Qualifikation der Arbeitskräfte muß optimiert werden.



Die Rahmenbedingungen für die Kapitalanlage müssen günstig gestaltet werden.



Forschung und Entwicklung müssen die Produktivität des Unternehmens verbessern.



Die Infrastruktur (Flächenangebote, Verkehrsanbindungen, bis hin zu den überregional orientierten Kultureinrichtungen) muß so ausgerichtet werden, daß sie die Marktakzeptanz des Unternehmens erheblich verstärken.

37 ifo Studien 1999

568

Frank Haller

Qualifizierte Arbeitskräfte, hohe Kapitalrenditen, technologischer Fortschritt und eine marktbezogene Infrastruktur sind die existentiellen Voraussetzungen für einen selbsttragenden Wachstums- und Ertragsprozeß und damit für die Sanierung und letztlich die Selbständigkeit Bremens.

V. Marktorientierte Pflege der Traditionsprodukte Notwendiger Strukturwandel, der für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens Bremen unabdingbar ist, darf nicht zum leichtfertigen Umgang mit den traditionellen Produkten führen. Wichtigster Grundsatz bei der Pflege der Traditionsprodukte muß sein, daß keine Ressourcen eingesetzt werden dürfen, die für Zukunftsprodukte in anderen Sektoren erforderlich sind. Die Traditionsprodukte müssen sich ohne Konzernumlage am Markt bewähren. Im Schiffbau hat sich gezeigt, daß ein dauerhaftes Anrennen gegen den Markttrend, selbst gegen die weltweiten Subventionsverzerrungen, die ohne Zweifel vorhanden sind, nicht von Erfolg gekrönt sein kann, im Gegenteil das Unternehmen insgesamt in eine Schieflage bringt. Eine tiefgreifende Reduzierung der Kapazitäten konnte letztlich nicht verhindert werden. Beim Produkt Stahl stellt sich die Entwicklung anders dar. Auch hier war ein gewaltiger Anpassungsdruck entstanden, insbesondere weil konkurrierende Bereiche an der Ruhr für die Bremer Hütte keine Perspektive sahen und sie beseitigen wollten. Hier ist es Bremen gelungen, dem Verdrängungsdruck entgegenzuwirken und einen internationalen Partner zu finden, der die Leistungsfähigkeit des Produktes anerkannt hat, den bremischen Betrieb in seinen internationalen Konzern integriert hat und jetzt massiv in den Bremer Standort investiert. In der Traditionsbranche Nahrungs- und Genußmittel ist die Situation wieder anders einzuschätzen. Nachdem die Deutschland-AG jahrzehntelang das Unternehmen Berlin mit besonderen Subventionen ausgestattet hat, ist nach der Wende eine Situation entstanden, die den Standort Bremen wieder in eine günstigere Wettbewerbslage gebracht hat. Dies ist die eine Seite der Medaille, die andere besteht darin, daß die Globalisierung gerade vor dieser Branche nicht Halt macht. Ein großes bremisches Traditionsprodukt (Jacobs) ist in den internationalen Konzern Philip Morris integriert worden, der aber weiterhin und verstärkt am Standort vertreten ist. Ein anderes Traditionsprodukt (Eduscho) ist vom Hamburger Konkurrenten Tchibo übernommen worden, was aber ebenfalls nicht zu einer Schleifung des Traditionsprodukts am Standort Bremen geführt hat, ganz im Gegenteil. Zu den Traditionsprodukten zählt inzwischen auch schon der PKW mit dem Stern. 16.000 Mitarbeiter sind hier beschäftigt. Es ist mit Abstand der größte industrielle Schwerpunkt in Bremen. In diesem Bereich zeigt sich besonders, wie schwierig es ein Unternehmen wie Bremen hat, seine Position in der Globalisierung zu behaupten. Die Zentrale für das Produkt befindet sich nicht in Bremen und orientiert sich zunehmend international. Hier muß Bremen alle Bedingun-

Das Unternehmen Bremen - Strukturwandel im Wettbewerb

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gen schaffen, damit der heimische Standort nicht zu kurz kommt. Das setzt optimale Bedingungen, z.B. bei der Infrastruktur, voraus. Auf differenzierte Art und Weise muß Bremen seine Traditionsprodukte fortlaufend auf Marktfähigkeit überprüfen. Dies gilt auch für die traditionellen Dienstleistungen. Die Hafendienste, die im harten internationalen Wettbewerb stehen, müssen weiter spezialisiert werden. Deshalb wird das bisherige zweipolige Standortsystem in Bremen überprüft mit der Tendenz, den Standort, der dafür besonders qualifiziert ist, Bremerhaven, mit Vorrang als Seehafen weiterzuentwickeln. Gleichzeitig muß die Festungsmentalität, diese Branche nur im eigenen Unternehmen gegen den Rest der Welt zu organisieren, aufgegeben werden. Zur Überraschung aller hat Bremen die Initiative ergriffen und sich in einem wichtigen Teilbereich mit dem Hauptkonkurrenten, Hamburg, verbündet. Wenn man seine Traditionsprodukte erhalten und pflegen will, muß man also über den eigenen Schatten springen.

VI. Neue Produkte Die Marktforschung des Unternehmens Bremen ist fortlaufend aktiv, neue Produkte zu entwickeln, um die Arbeitsplatzverluste, welche bei den alten Produkten unvermeidlich sind, zu kompensieren und neue Beschäftigungschancen und Ertragsperspektiven zu schaffen. Folgende Produktlinien sind ins Auge gefaßt worden: •

Zur Verminderung der Abhängigkeit von den großen Produktionsstrukturen werden kleine und mittlere Existenzen besonders unterstützt.



Mit der Bereitstellung von regionalem Risikokapital sollen neue Technologieaktivitäten mit überregionaler Marktausstrahlung gewonnen werden.



Die Universität mit ihren 17.000 Studenten schmiedet keine Kader mehr, sondern trägt anwendungsorientiert dazu bei, neue Produkte und Verfahren zu entwickeln. Um sie herum ist ein Technologiepark entstanden, in dem außer der Universität selbst außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und Technologieunternehmen vertreten sind. Bis heute sind in den wissenschaftlichen Einrichtungen mehr als 2.000 Arbeitsplätze entstanden. Im gewerblichen technologischen Umfeld arbeiten mehr als 5.000 Menschen. Damit gehört der Technologiepark Universität zu den größten Einrichtungen dieser Art in Europa.



Darüber hinaus werden neue Projekte definiert, die an bestehende Kompetenzen Bremens anknüpfen, z.B.: -

37·

das bundesweit beachtete Güterverkehrszentrum (GVZ), das die Verkehrsträger Wasser/Straße/Schiene in einer logistischen Optimierung zusammenfaßt,

570



Frank Haller -

die Airport-City, in der analog zum Technologiepark der grundlegend modernisierte Flughafen die ökonomische Basis für ein modernes Dienstleistungszentrum bildet,

-

der Büropark Oberneuland, mit dem an herausragender städtebaulicher Position Investoren ein Standort angeboten wird, an dem sie zur Eigennutzung, nicht zur Vermietung, Bürovillen in besonderer Qualität realisieren können.

Bremen sieht im Dienstleistungssektor eine besondere Marktchance im Bereich des Städtetourismus. Dieses Marktfeld soll systematisch mit Projekten abgedeckt werden. Der maritime Tourismus am Standort Bremerhaven wird mit überregional bedeutsamen Projekten ausgefüllt (Ocean Park mit Zoo am Meer, Modernisierung des Kreuzfahrtterminals, Schaffung einer Erlebniswelt Auswanderung, anknüpfend an Bremerhaven als Auswandererhafen). Am Standort Bremen werden als touristische Schwerpunktthemen u.a. entwickelt: -

der Space Park, der als Urban Entertainment Centre an die Raumfahrt, die in der Bremer Produktionspalette hochrangig vertreten ist, anknüpft und mit mehr als 1 Mrd. DM Investitionsvolumen (überwiegend privat) eins der größten Freizeitprojekte in Deutschland darstellt,

-

das Programm Stadt am Fluß, mit dem Bremen seine historische Lage an der Weser wiederentdeckt und touristisch aufbereitet,

-

das UNIversum, mit dem im Technologiepark Universität die immer komplexer werdende naturwissenschaftliche Welt dem interessierten Besucher in hoher Anschaulichkeit präsentiert wird.

Die bisherigen Erfahrungen zeigen, daß Bremen mit diesen und vielen weiteren Einzelprojekten die Marktlücken vor allem im Dienstleistungssektor schrittweise schließen kann.

VII. Organisation und Marketing Marktnahes Handeln erfordert eine leistungsfähige Organisation. Bremen hat sich in den Bereichen Akquisition, Infrastrukturentwicklung, Tourismus, Veranstaltungswesen von den früheren bürokratischen Verfahren gelöst und für die operativen Aufgaben eigenständige marktnahe Gesellschaften gegründet. Dies hat für die Unternehmensleitung zur Folge, daß die strategischen Funktionen schlank gebündelt werden können. Der Vorstand des Unternehmens konnte inzwischen von zwölf Mitgliedern auf sieben Mitglieder reduziert werden, was wiederum die Schnittstellen zwischen den verschiedenen Aufgabenbereichen vermindert. Angesichts der Sanierungssituation, die strenges Sparen mit einer wirtschafts- und finanzkraftstärkenden Investitionsoffensive verbindet, hat man die investitionsorientierten und arbeitnehmerbezogenen Führungsfunktionen im Vorstand zusammengeführt. Allein die Ökologen stehen in Opposition zur Ge-

Das Unternehmen Bremen - Strukturwandel im Wettbewerb

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schäftsführung, sind aber im Aufsichtsrat vertreten, für den allerdings ebenfalls eine Verkleinerung ansteht, um die Effizienz Bremens weiter zu erhöhen. Noch nicht befriedigend geregelt ist das Marketing nach innen und nach außen. Bisher ist es nicht gelungen, alle Mitarbeiter Bremens vom Kurs der Geschäftsleitung zu überzeugen. Dies hängt auch damit zusammen, daß die Früchte aus dem anspruchsvollen Spar- und Investitionskurs wegen des unausgewogenen Finanzsystems in der Deutschland AG noch nicht erkennbar und erst recht nicht verfügbar sind. Es ist dringend erforderlich, einerseits deutschlandweit ein leistungsorientiertes Einnahmesystem zu schaffen und andererseits verstärkte Marketingaktivitäten nach innen vorzunehmen, um die Einzelmitglieder vom Sinn der Sanierungsübung zu überzeugen. Wenig Akzeptanz-Änderung haben die bisherigen Anstrengungen Bremens auch bei der überregionalen Kundschaft und Konkurrenz gezeitigt. Die anderen Unternehmen der Deutschland-AG sehen die Erfolge der Bremer Strategie noch nicht ausreichend, die überregionalen Marktteilnehmer müssen verstärkt von den neuen Produkten und vom Produktions- und Dienstleistungsstandort Bremen überzeugt werden. Jedes erfolgreiche Marketing muß auf einem guten Produkt beruhen. Das Bremer Produkt ist wettbewerbsfähig und bedarf einer offensiven Marketingstrategie.

VIII. Fazit Das Unternehmen Bremen hat gute Chancen, seine Existenz zu bewahren. Es ist kein Faß ohne Boden. Die Sanierungsstrategie mit nachhaltigem Sparen und gezielten Investitionen zur Stärkung der Ertragskraft wird die Wettbewerbsfähigkeit des mittelständischen Unternehmens Bremen weiter verbessern. Dennoch wird überregional immer wieder die Frage gestellt, ob es wirklich von Vorteil sei, wenn das Unternehmen eigenständig bleibt oder ob es nicht besser an ein größeres Unternehmen der Deutschland-AG angelehnt würde. Die Antwort der Unternehmensleitung ist klar: "Unser traditionsreiches Unternehmen darf nicht zu einer verlängerten Werkbank in einem Unternehmen unter Führung unserer Konkurrenten werden. Wir wollen nicht Finanzierungsanträge bei auswärtigen Unternehmensleitungen stellen, um unsere Infrastruktur zu verbessern oder unsere Produktentwicklung zu intensivieren. Unser Unternehmen bleibt klein, fein und selbstständig."

Zusammenfassung Im vorliegenden Beitrag wird der Versuch unternommen, Grundsätze privatwirtschaftlicher Sanierung auf den öffentlichen Bereich zu übertragen. Wie ist das in der Sanierung befindliche Land Bremen aus der Perspektive eines gefährdeten Unternehmens zu sehen? Dazu gehören eine realistische Beschreibung der Ausgangslage, ein nachhaltiges Kostensenkungsprogramm, Investitionen in die Ertragskraft trotz der allgemeinen Sparnotwendigkeiten, marktorientierte Pflege der traditionellen Produktionspalette, neue Pro-

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dukte, eine Straffung der Organisation und gezieltes Marketing nach innen und nach außen. Erfolgreiches Handeln im unternehmerischen Sinne allein kann die Selbständigkeit des Landes retten.

Summary In this article an attempt has been made to apply the principles of private business redevelopment to the public realm. How would the State of Bremen, which presently is undergoing a revitalization process, be envisioned as an endangered economic enterprise? This will require a realistic assessment of the state's current financial situation and the establishment of attainable goals. These include sustainable cost-cutting programs; an high investment in spite of general budget restrictions; market-based promotion of traditional and new products; organizational restructuring; and goal-oriented marketing both at home and outside Bremen. Only by applying these entrepreneurial measures can the independence of the State of Bremen be secured.

Unternehmensfinanzierung in einem dynamischen Kontext Von Bernd Rudolph und Markus Prüher Inhalt I. Einleitung II. Entwicklungsphasen des Unternehmens im Lebenszyklus-Konzept III. Finanzierungsüberlegungen in den Phasen des Lebenszyklus IV. Zusammenfassung und Ausblick

I. Einleitung Die Finanzierungstheorie steht vor einer grundsätzlichen Neuorientierung. Bislang haben im Kern statische Modelle die Kapitalstrukturtheorie und andere Theoriebereiche beherrscht. Diese Modelle haben gemeinsam, daß sie sich isoliert mit der optimalen Gestaltung einer einzelnen Finanzierungsmaßnahme wie z.B. den Gang an die Börse oder mit der Beziehung zu einer Bank oder einer Venture-Capital-Gesellschaft befassen. Die Theorie kann den Finanzmanagern jedoch keine Empfehlung geben, wie Finanzierungsentscheidungen im Zeitablauf optimal zu treffen bzw. zu welchen Zeitpunkten welche Finanzierungsvorgänge zu veranlassen sind. Will man die Vorteilhaftigkeit von Finanzierungsmaßnahmen im Zeitablauf beurteilen, dann müssen Finanzierungsmodelle um eine dynamische Komponente erweitert werden, indem mehrere Investitions- und Finanzierungsanlässe in einem einzigen Modell berücksichtigt werden. Derartige dynamische Modellansätze unterscheiden sich von statischen Ansätzen in dreierlei Hinsicht. Erstens erfährt ein Unternehmen im Zeitablauf selbst eine Metamorphose. Ein junges innovatives Wachstumsunternehmen mit sehr speziellen vorteilhaften Investitionsmöglichkeiten hat andere Probleme bei der Beschaffung von Finanzierungsmitteln als ein reifes Unternehmen mit positivem Free Cash Flow1, aber gegebenenfalls wenig innovativen Investitionsalternativen. Die herkömmliche finanzierungstheoretische Literatur identifiziert verschiedene Anlässe der Unternehmensfinanzierung und spricht Empfehlungen darüber aus, in welchem 1 Jensen (1986, S. 323), definiert Free Cash Flow als "cash flow in excess of that required to fund all projects that have positive net present values".

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Entwicklungsstadium welche Finanzierungsform optimal ist.2 Sie vermag jedoch nicht zu begründen, in welchem Entwicklungsstadium des Unternehmens es konkret sinnvoll ist, von einer Finanzierungsform zu einer anderen zu wechseln. Als plastisches Beispiel mag die Bestimmung des Zeitpunkts eines Gangs an die Börse dienen. Zweitens verursachen Finanzierungsvorgänge zum Teil nicht unbeträchtliche Transaktionskosten, die in statischen Modellen nur rudimentäre Bedeutung erlangen. In einem dynamischen Kontext hingegen beeinflußt die Höhe und Struktur derartiger Transaktionskosten die Wahl des Zeitpunkts und die Häufigkeit von Finanzierungsmaßnahmen. Anders ausgedrückt haben heute veranlaßte Finanzierungsmaßnahmen Auswirkungen auf das künftige Finanzierungspotential. Wird ein Unternehmen innerhalb einer typischen Entwicklungsphase (etwa ein börsennotiertes Wachstumsunternehmen) mit einem im Zeitablauf variierenden ökonomischen Umfeld und unterschiedlich. günstigen Finanzierungsmöglichkeiten konfrontiert, so kann es sinnvoll sein, Finanzierungsmaßnahmen in solchen Zeiten durchzuführen, in denen die anfallenden Transaktionskosten relativ niedrig sind, auch wenn zu diesen Zeiten kein akuter Finanzierungsbedarf besteht bzw. dieser durch eine "günstigere" Finanzierungsalternative - wie z.B. intern verfügbare liquide Mittel - gedeckt werden könnte.3 Drittens kann es bei einer isoliert betrachteten Finanzierungsentscheidung aus Sicht des Entscheidungsträgers zur maximalen Zielerreichung sinnvoll sein, den Vertragspartner zum eigenen Vorteil zu schädigen. Ein solcher Anreiz zeigt sich etwa im Risikoanreizproblem bei der (teilweisen) Fremdfinanzierung von Unternehmen, wenn durch hochriskante Investitionen Risiken auf die Gläubiger des Unternehmens verlagert werden.4 Es stellt sich jedoch die Frage, ob ein solcher Anreiz auch dann besteht, wenn die Entscheidungsträger davon ausgehen (müssen), daß auch zukünftige Projekte einer externen Finanzierung bedürfen und die Kooperationsbereitschaft externer Financiers vom vergangenen Wohlverhalten des Kapitalnehmers abhängt.5 Der vorliegende Beitrag verfolgt zwei Ziele. Zum einen soll aufgezeigt werden, daß sich die existierenden Bausteine der Finanzierungstheorie, die sich mit einzelnen prima facie unverbundenen Finanzierungsanlässen befassen, unter ein gemeinsames konzeptionelles Dach bringen lassen, wenn man davon ausgeht, daß sich die Entwicklung eines jeden Unternehmens nach einem be2

Aus der angelsächsischen Lehrbuchliteratur sei verwiesen auf Brealey und Myers

(2000).

3 Ein solches Vorgehen findet auch in der Praxis seine Entsprechung, wie sich aus Presseberichten über Finanzierungsmaßnahmen entnehmen läßt. 4 Antizipiert der Kreditgeber ein solches Schädigungspotential, fordert er eine zusätzliche Risikoprämie und die Einführung entsprechender Überwachungs- und Bindungsinstrumente, die aus Sicht des Kreditnehmers Agency-Kosten des Fremdkapitals verursachen und eine Kreditaufnahme verteuern. Vgl. hierzu bereits Jensen und Meckling (1976, S. 333-343). 5 Mit dem Risikoanreizproblem in einem dynamischen Kontext befassen sich etwa die Ansätze von Neus (1997) und Cuny und Ta/mor (1997).

Unternehmensfinanzierung in einem dynamischen Kontext

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stimmten, allgemeingültigen Muster vollzieht. Dabei soll, von unterschiedlichen idealtypischen Entwicklungsphasen ausgehend, untersucht werden, welche Probleme bei Finanzierungsbeziehungen in den jeweiligen Phasen existieren, und welche Finanzierungsformen geeignet erscheinen, die jeweils auftretenden Konflikte und die dabei anfallenden Transaktionskosten zu minimieren. Zum anderen soll dargestellt werden, welchen Beitrag dynamische Modelle der Finanzierungstheorie zur Gestaltung bzw. Ableitung einer Finanzierungspolitik im Zeitablauf leisten können.

II. Entwicklungsphasen des Unternehmens im Lebenszyklus-Konzept Zahlreiche Literaturquellen deuten darauf hin, daß Produkte einen typischen Lebenszyklus durchlaufen. 6 Vereinfachend wird hier davon ausgegangen, daß die Nachfrage nach einem Produkt, ausgehend von seiner Entstehung, unterschiedliche Phasen durchläuft, bis es schließlich wieder vom Markt verschwindet. Diese Phasen manifestieren sich unter anderem in einem glockenförmigen Verlauf der erzielbaren Umsätze im Zeitablauf. Mit der Einführungsphase, der Wachstumsphase, der Reife- bzw. Sättigungsphase und der Degenerationsphase werden dabei üblicherweise vier Phasen unterschieden.7 Betrachtet wird ein Einproduktunternehmen mit einem solchen typischen Produkt.8 Die Einführungsphase ist dadurch gekennzeichnet, daß ein neuartiges Produkt am Markt eingeführt wird. Die Marktdurchdringung ist zunächst sehr niedrig, es gibt nur einen oder nur sehr wenige Anbieter dieses Produkts. Der Stückpreis ist aufgrund geringen Wettbewerbs und hoher Marketing- und Entwicklungskosten sehr hoch. Geringe Umsätze und hohe Kosten haben zur Folge, daß das Unternehmen in dieser Phase einen Verlust ausweist. Die Anstrengungen des Managements sind darauf gerichtet, das Produkt am Markt zu etablieren, so daß künftig zusätzliche Umsätze erzielt werden können. In dieser Phase entscheidet sich, ob das Produkt sich zur Befriedigung vorhandener Bedürfnisse eignet und auf Akzeptanz bei Konsumenten trifft. Kann das innovative Unternehmen beim Absatz des neuen Produkts erste Erfolge erzielen und das Produkt am Markt etablieren, dann führen steigende Umsätze und abnehmende Stückkosten das Unternehmen in die Gewinnzone. In dieser Expansionsphase investiert das Unternehmen in starkem Umfang in zusätzliche Produktions- und Vertriebskapazitäten, um die stark steigende Nachfrage befriedigen zu können. Dieser erste Markterfolg hat jedoch zur Folge, daß Nachahmer am Markt auftreten und die Monopolstellung des Pionierunternehmens bedrohen. Der einsetzende Wettbewerb führt zwar zu sinkenden

6

Vgl. hierzu etwa den Überblick bei Meinig (1995). Zwar werden häufig auch fünf Phasen unterschieden, da aber die idealtypischen Verlaufsmuster bezüglich ihrer inhaltlichen Interpretation weitgehend übereinstimmen, soll für den vorliegenden Beitrag eine Unterscheidung von vier Phasen genügen. 8 Vgl. Mueller (W2, S. 200-201) und Gup und Agrrawal(1996, S. 42-44). 7

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Preisen, die starke Stellung des innovativen Unternehmens am Markt bewirkt aber, daß dieses in der Wachstumsphase das Gewinnmaximum erreicht. Sinkende Absatzpreise und sinkender relativer Marktanteil bewirken, daß die Umsätze nur noch degressiv wachsen und die erzielbaren Gewinne abnehmen. In dieser Sättigungs- bzw. Reifephase muß das Unternehmen nicht mehr in großem Umfang in neue Produktions- und Vertriebskapazitäten investieren, so daß positive Einzahlungsüberschüsse zu verzeichnen sind. Ist die Marktnachfrage nach dem Produkt gesättigt, können Umsatzsteigerungen nur noch durch Verdrängung von Konkurrenten erreicht werden. Dies wiederum kann nur durch weitere Preissenkungen erreicht werden. In dieser Degenerationsphase können nur noch wenige Unternehmen das (Massen-) Produkt mit Gewinn produzieren; der Absatzpreis und der erzielbare Gewinn stabilisieren sich auf niedrigem Niveau. Besteht keine Aussicht auf zukünftige Gewinne, wird das Produkt vom Markt genommen. Die Abbildung 1 verdeutlicht diese Überlegungen graphisch. Für Einproduktunternehmen lassen sich die angestellten Überlegungen auch auf den Lebenszyklus des Unternehmens übertragen, der durch eine Gründungs-, Expansions-, Reife- und Schrumpfungsphase gekennzeichnet werden kann.9 Vor dem Hintergrund dieser typischen Entwicklung eines Unternehmens im Zeitablauf soll im folgenden analysiert werden, mit welchen Finanzierungsproblemen ein Unternehmen in den jeweiligen Phasen konfrontiert wird, und welche Finanzierungsformen jeweils geeignet sind, diese Probleme zu minimieren.

III. Finanzierungsüberlegungen in den Phasen des Lebenszyklus 1. Finanzierungsüberlegungen in der Gründungsphase

Junge Unternehmen, die sich in der Einführungsphase ihres Lebenszyklusses befinden, benötigen zur Realisierung ihrer Geschäfts- bzw. Investitionsidee externes Kapital, um die notwendigen Investitionsauszahlungen bestreiten zu können. Da junge Unternehmen häufig über einige Jahre mit Anfangsverlusten und Auszahlungsüberschüssen arbeiten und daher nicht in der Lage sind, Zinsoder Tilgungszahlungen zu leisten, kommt eine übliche Bankfinanzierung nicht in Frage. 10 Die bei etablierten Unternehmen zu beobachtende und in der Finanzierungstheorie begründete Pecking Order of Financial Choices der Inanspruchnahme der Finanzierungsmittel in Form der Innenfinanzierung, dann der

9 Unterstellt man alternativ den realistischeren Fall von Mehrproduktunternehmen, läßt sich der Unternehmenslebenszyklus durch die Aggregation der einzelnen Produkte, die sich gegebenenfalls in unterschiedlichen Phasen ihres (Produkt-) Lebenszyklusses befinden, darstellen. Vgl. Zimmer(1998, S. 43). 10 Schuld daran sind (zu) hohe Agency- oder Delegationskosten des Fremdkapitals. Vgl. die Anmerkungen in Fußnote 4.

Unternehmensfinanzierung in einem dynamischen Kontext

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externen Fremdfinanzierung und schließlich der externen Eigenfinanzierung 11 scheidet notgedrungen aus. Vielmehr muß die unter Transaktionskostengesichtspunkten teuerste Form der Finanzierung zum Startpunkt genommen werden, wobei aber auch nur spezielle Eigenmittelquellen geeignet und erreichbar erscheinen.

Abbildung 1 Entwicklungsphasen im Lebenszyklus

Tot«! «I«

Phases

Pioneering

Expansion

Stabilization

Number of Finns

Few

Increasing contention

Decreasing number of fins

fricoUhit

High

Falling prices as production and competition increase

Profits

Dedine

Tin*

Fewfinns remain

Prices continue to Prices stabilized at decline to low low level level

Losses due to Profits increase as total development sales rise. When the rate and martceting of total sales decreases, profits will diminish costs

Profits 611

Diminishing profit and losses

Quelle: Gup und Agrrawal (1996, S. 42).

Anders als bei etablierten Unternehmen besteht bei solchen jungen Unternehmen nämlich das Problem, daß für die potentiellen Kapitalgeber eine hohe 11 Vgl. zur Motivation und Begründung der 'Pecking Order Theory' die Zusammenfassung in Brealey und Myers (2000, S. 524-528), sowie die Ausführungen in Abschnitt III.2 dieses Beitrags.

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Unsicherheit bezüglich der Qualität des Projektes und der vorhandenen Assets und der technischen und organisatorischen Fähigkeiten des Entrepreneurs (Innovators) besteht. Da sie regelmäßig befürchten müssen, daß der Unternehmer die Ertragsaussichten des zu finanzierenden Projekts zu optimistisch beurteilt oder darstellt, um einen (zu) hohen Preis für eine Beteiligung zu erzielen, sind sie nur dann zur Kapitalüberlassung bereit, wenn sie eine Prämie für ein derartiges Gefährdungspotential erhalten. Können Finanzierungsmittel nur zu sehr ungünstigen Konditionen aufgenommen werden, ist es für den Unternehmer u.U. sinnvoll, auf die Durchführung seines an sich kapitalwertpositiven Projekts zu verzichten. Somit besteht ein Unterinvestitionsproblem.12 In der Finanzierungspraxis haben sich mit Venture-Capital-Gesellschaften spezialisierte Institutionen herausgebildet, die sich typischerweise bereit halten, risikoreiche, gegebenenfalls aber später hoch rentierliche und rasch wachsende junge Unternehmen zu finanzieren. 13 Als Fachleute können sie den Erfolg innovativer Projekte besser beurteilen als normale Kapitalgeber. Zudem sind sie bereit, in unternehmensspezifisches Know How zu investieren und damit ihrerseits zum Insider zu werden.14 Venture-Capital-Gesellschaften stellen den jungen Unternehmen, deren Projekte sie für erfolgversprechend befunden haben, Kapital zur Verfügung, öffnen ihnen den Weg zu Beratern, Banken und Anwälten und sorgen durch ihre eigene Reputation dafür, daß die Unternehmen Verträge mit Dritten abschließen können. Sie werden jedoch auch mit der Gefahr konfrontiert, daß ein Unternehmer, dem die zur Realisation seines Projekts erforderlichen Mittel zugeflossen sind, den Anreiz besitzt, dieses aufgrund nichtmonetärer Motive selbst dann fortzuführen, wenn er im Zeitablauf feststellt, daß das Projekt doch keinen positiven Kapitalwert besitzt (Überinvestitionsproblem). Venture-Capital-Gesellschaften begegnen diesem Problem, indem sie ihr finanziertes Beteiligungsunternehmen regelmäßig beobachten und im Aufsichtsrat oder anderen Kontrollgremien mitarbeiten. Zudem steuern sie das Unternehmensverhalten dadurch, daß sie Finanzierungsmittel nur sukzessive zur Verfügung stellen und den Zufluß neuer Mittel vom Erreichen bestimmter Fortschritte im Business Plan abhängig machen (stage financing). Es ist die Aufgabe der Finanzierungstheorie zu analysieren, in welchen Abständen und in welcher Form ein externer Kapitalgeber Finanzierungsmittel zur Verfügung stellen sollte. Macht der Financier den Zufluß weiterer Mittel vom erfolgreichen Abschluß einer bestimmten Projektstufe abhängig, richtet der Unternehmer sein Hauptaugenmerk auf die kurzfristige Projektperformance, 12 Vgl. zu diesem Grundproblem der Finanzierung allgemein etwa Schmidt (1981, S. 186-192). Vgl. speziell zum Unterinvestitionsproblem, das aus der Fremdfinanzierung von Wachstumsoptionen resultiert, Myers (1977). 13 Zum Geschäft der Venture-Capital-Gesellschaften vgl. Schefczyk (1998). VentureCapital-Gesellschaften sind im Gegensatz zu den universell orientierten Kapitalbeteiligungsgesellschaften auf die Finanzierung sehr junger Unternehmen ausgerichtet. Unternehmensbeteiligungsgesellschaften sollen nicht börsennotierten mittelständischen Unternehmen den indirekten Zugang zu den organisierten Märkten für Eigenkapital eröffnen. 14 Vgl. Hartmann-Wendels (1987, S. 23-24).

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auch wenn dies zu Lasten der langfristigen Performance geht, da er nicht Gefahr laufen möchte, daß sein Projekt in der aktuellen Phase (ungerechtfertigterweise) liquidiert wird. Stattet der Financier das Unternehmen zu großzügig mit Eigenkapital aus, so verringert sich der Anreiz des Unternehmers, das Projekt bei unvorteilhafter Entwicklung rechtzeitig aufzugeben. Die Finanzierungstheorie bietet erste Ansätze, wie eine solche typische Finanzierungsbeziehung ausgestaltet werden sollte. Zum einen wird darauf hingewiesen, daß der Venture Capitalist umso mehr Finanzierungsrunden fordern muß, je größer die Gefahr eines solchen Fehlverhaltens einzustufen ist.15 Zum anderen kann gezeigt werden, daß ein optimaler Finanzierungsvertrag auf hybride Finanzierungstitel zugeschnitten werden sollte. Der Venture Capitalist sollte seine Finanzierungsmittel in Form konvertierbarer Vorzugsaktien zur Verfügung stellen: Diese Finanzierungsform reduziert die Konkurswahrscheinlichkeit des Unternehmens, zugleich aber auch den Anreiz des Unternehmers, ungerechtfertigterweise kurzfristig hohe Erfolge zu realisieren. In diesem Fall muß er nämlich befürchten, daß der Venture Capitalist die Aktien in normale Aktien umwandelt und damit einen aus seiner Sicht zu hohen Anteil am Eigentum des Unternehmens erwirbt. 16

2. Finanzierungsüberlegungen in der Expansionsphase

Hat sich in späteren Entwicklungsphasen der mögliche Erfolg der Innovation am Markt deutlicher abgezeichnet, kann das Engangement der VentureCapital-Gesellschaften durch den anonymen Kapitalmarkt abgelöst werden. Zum einen können zukünftige Investitionsrückflüsse nun auch durch weniger spezialisierte Institutionen - z.B. ausgehend von der vergangenen Unternehmensentwicklung - hinreichend gut beurteilt werden, so daß der "Gründerbeitrag" des spezialisierten Financiers mit der Unternehmensentwicklung abnimmt. Zum anderen erfordert der Auf- und Ausbau von Vertriebskanälen in der Wachstumsphase hohe externe Mittelzuflüsse, die die Möglichkeiten eines einzelnen Financiers übersteigen. Die Hinzunahme weiterer Financiers und ihre Beteiligung an der Geschäftsführung führt jedoch mit wachsender Unternehmensgröße zu immer größeren Koordinationsproblemen.17 Grundsätzlich erscheint es in einer solchen Phase der Unternehmensentwicklung sinnvoll, Management und Eigentum zu trennen und die Beteiligung der Venture-Capital-Gesellschaft im Zuge eines Going Public an anonyme Investoren am Kapitalmarkt zu verkaufen. 18 Unklar bleibt jedoch, wann genau ein solcher Gang an die Börse erfolgen soll. Zwar existieren in der Finanzierungspraxis gesetzliche Regelungen und bestimmte Vorstellungen bezüglich der 15

Vgl. Gompers (1995). Vgl. Cornelli und Yosha (1997). 17 Vgl. hierzu Schmidt (1981, S. 192-204). 18 Dieser Vorgang wird in der angelsächsischen Literatur auch als "initial public offering" (IPO) bezeichnet. 16

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"Börsenreife" eines Unternehmens19, die theoretische Fundierung eines derartigen Kriterienkatalogs steht bislang jedoch aus. "Das als Börsenreife bezeichnete Bündel von Anforderungen impliziert insgesamt, daß sich die Anleger ein positives Bild von der Unternehmung bilden können und dementsprechend ein relativ hoher Emissionspreis für die Aktien erzielt werden kann. Dies schlägt sich auch in dem pauschalen, aber zutreffenden Urteil nieder, daß eine Unternehmung dann Börsenreife aufweist, wenn die Interessen von Emittent und Anlegern in Einklang gebracht werden können."20 Das Hauptaugenmerk finanzierungstheoretischer Beiträge ist derzeit (noch) auf die Erklärung des Underpricing-Phänomens gerichtet: Externe Kapitalmarktteilnehmer können den tatsächlichen Wert der angebotenen Aktien aufgrund noch nicht existierender Marktpreise nicht so gut beurteilen wie die Unternehmensinsider und müssen deshalb befürchten, daß letztere die angebotenen Aktien über Wert verkaufen wollen. Aus diesem Grund sind potentielle Investoren nur dann zur Übernahme dieser Aktien bereit, wenn ihnen für dieses Schädigungspotential ein Preisabschlag eingeräumt wird.21 Diese Theorien sind jedoch insofern unvollständig, als sie Finanzierungsalternativen, bei denen die Kosten eines Underpricing vermieden werden können, unberücksichtigt lassen.22 Neuere Ansätze berücksichtigen modellendogen, daß die Vorteilhaftigkeit eines Going Public relativ zu den sich bietenden Finanzierungsalternativen im Zeitablauf variieren kann. So bestimmen Chemmanur und Fulghieri (1999) den optimalen Zeitpunkt für ein Going Public aus dem Tradeoff zwischen den Kosten einer Venture-Capital-Finanzierungsbeziehung einerseits (der Venture Capitalist fordert eine Prämie für sein nur unvollständig diversifiziertes Portefeuille) und den Informationskosten, die potentiellen externen Investoren beim Abbau ihres Informationsdefizits bezüglich des tatsächlichen Unternehmenswerts entstehen, andererseits. Wenn im Laufe der Zeit hinreichend viele unternehmenswertrelevante Informationen öffentlich am Markt verfügbar sind (z.B. aufgrund eines längeren track record), wird der Gang an die Börse zur dominierenden Finanzierungsalternative. Maug (1997) verbindet die Entscheidung für ein Going Public direkt mit der Lebenszyklus-Theorie. Während in einer frühen Entwicklungsphase unternehmensspezifische Informationen für einen Kapitalgeber von entscheidender Bedeutung sind und spezialisierte Institutionen wie Venture-Capital-Gesellschaften derartige Informationen effizienter sammeln können, nimmt die Bedeutung von branchen- bzw. marktspezifischen Informationen mit der fortschreitenden Marktdurchdringung des neu entwickelten Produktes immer mehr zu. Sind die Marktteilnehmer bereits mit einem bestimmten Produkt hinreichend gut vertraut, können sie in ihrer Gesamtheit die für eine erfolgreiche Unterneh19

Vgl. hierzu etwa Neus (1995, S. 262-263). A/eus (1995, S. 263-264). 21 Vgl. zu einem Überblick über alternative Underpricing-Theorien Ibbotson und Ritter (1995, S. 995-1001). 22 Vgl. Maug (1997, S. 3). 20

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mensführung notwendigen Informationen kostengünstiger aggregieren und im Aktienkurs komprimieren als ein einzelner Anteilseigner eines nicht börsennotierten Unternehmens. In dieser Phase der Unternehmensentwicklung, in der die Kapitalmarktteilnehmer nur noch in geringem Ausmaß für ihre Informationsbeschaffungsaktivitäten (in Form eines Underpricing) entschädigt werden müssen, lohnt sich für den privaten Financier der Verkauf seiner Anteile am Markt. Auch in dieser Phase der Unternehmensfinanzierung werden Finanzintermediäre mit der Aufgabe betraut, das Unternehmen bei der Mittelbeschaffung zu unterstützen. Anstatt jedoch direkt als Financier in Erscheinung zu treten, besteht ihre Aufgabe nun darin, den Verkauf der Aktien an die Investoren möglichst reibungsfrei zu gestalten. Investmentbanken gewinnen mit jeder von ihnen begleiteten Aktienemission an Reputation, so daß sie sich für die Angemessenheit des Aktienkurses zum Emissionszeitpunkt einsetzen.23 Diese Reputation erlaubt ihnen, vom Emittenten eine Vergütung für ihre Dienste zu verlangen, die dieser zu zahlen bereit ist, wenn er dafür die Aktien zu besseren Konditionen am Markt absetzen kann. Im Zuge eines Going Public erhält das Unternehmen üblicherweise jedoch nicht alle Mittel, die es für seinen Expansionsprozeß benötigt. Vielmehr ist es erforderlich, sukzessive weitere Barkapitalerhöhungen durchzuführen, um die notwendigen Finanzierungsmittel zu erhalten.24 Jedoch werden auch börsennotierte Unternehmen mit dem Problem konfrontiert, daß externe Kapitalmarktteilnehmer mit der Ankündigung einer Barkapitalerhöhung ein Überbewertungssignal verbinden und nur bereit sind, die jungen Aktien zu einem niedrigeren Preis als dem Aktienkurs vor der Ankündigung zu übernehmen. Die durch eine solche Reaktion verursachten indirekten Emissionskosten und die aus der Einbeziehung von Investmentbanken resultierenden direkten Emissionskosten haben zur Folge, daß es nicht irrelevant ist, wie das Unternehmen seinen wachstumsbedingten Finanzierungsbedarf im Zeitablauf deckt. Myers (1984) und Myers und Majluf (1984) haben gezeigt, daß Unternehmen ihren Finanzierungsbedarf durch intern generierte Mittel und möglichst risikofreies Fremdkapital decken sollten, da die Inanspruchnahme dieser Finanzierungsformen den Kapitalmarktteilnehmer keinerlei Rückschlüsse auf den tatsächlichen Unternehmenswert erlaubt und somit die geringsten Transaktionskosten verursacht. 25 Ihr statisches Modell, das sich nur mit der Finanzierung eines Investitionsprojekts befaßt, erlaubt jedoch keine Aussagen darüber, welche Finanzierungspolitik ein Unternehmen im Zeitablauf betreiben sollte. Mit der Frage einer optimalen Finanzpolitik im Zeitablauf beschäftigen sich verschiedene Ansätze jüngeren Datums, die das Grundmodell von Myers und 23

Vgl. etwa Beatty und Ritter(1986, S. 216-217). Hinsichtlich der Liquiditätssituation des Unternehmens bieten sich in diesem Unternehmensstadium Leasing-Konstruktionen oder Asset-backed-Finanzierungen an, bei denen bezüglich ihres Risiko-Chancen-Gehalts gut abschätzbare Assets zur Erzeugung liquider Mittel in den Markt gebracht werden. Vgl. hierzu Fahrholz (1998, S. 139-251). 25 Vgl. zur Pecking-order-Theorie bereits die Anmerkungen in Fußnoten. 24

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Majluf (1984) um eine dynamische Komponente erweitern. 26 So zeigt etwa Antunovich (1997), daß es sinnvoll sein kann, eine Kapitalerhöhung und die Durchführung eines zur Disposition stehenden Projekts solange zu verschieben, bis ausreichend liquide Mittel intern generiert wurden bzw. die jungen Aktien zu günstigeren Konditionen emittiert werden können, und daß die Haltung liquider Mittel im Unternehmen auch dann vorteilhaft sein kann, wenn dies mit Kosten verbunden ist. Bagley und Yaari (1996) analysieren die Frage, in welchen Abständen und in welchem Umfang ein Unternehmen externe Eigenfinanzierungsmaßnahmen zum Zwecke der Gestaltung der Kapitalstruktur durchführen sollten, wenn diese Transaktionskosten mit fixen und variablen Komponenten verursachen. Und Viswanath (1993) zeigt schließlich, daß eine Aktienemission entgegen der pecking order optimal sein kann, wenn die auf Vorrat aufgenommenen Mittel dazu dienen, die Durchführung eines für die Zukunft erwarteten wertvollen Investitionsprojekts unabhängig von den zu diesem späteren Zeitpunkt herrschenden Emissionsbedingungen sicherzustellen.

3. Finanzierungsüberlegungen in der Reifephase

Die Einführungs- und die Wachstumsphase des Unternehmenslebenszyklusses zeichnen sich dadurch aus, daß das Unternehmen auf den Zufluß von Finanzierungsmitteln von außerhalb des Unternehmens angewiesen ist, um die notwendigen Investitionen finanzieren zu können. Die Notwendigkeit, potentielle Financiers regelmäßig von der Werthaltigkeit des Projekts und der angemessenen Verzinsung der überlassenen Mittel überzeugen zu müssen, wirkt auf die Investitionsentscheidungen des Unternehmens disziplinierend. In der Reifephase hingegen sind die notwendigen Investitionen größtenteils getätigt. Da das Unternehmen in dieser Phase hohe Investitionsrückflüsse generieren kann, ist der Free Cash Flow in jeder Periode positiv. Behält das Management diese überschüssigen Mittel im Unternehmen, ergeben sich aus der Haltung dieser Mittel im Unternehmen zwei Arten von Kosten. Erstens werden aus der Anlage dieser Mittel erzielte Erträge insofern doppelt besteuert, als manche Steuerzahlungen aus dem Unternehmensbereich nicht auf die private Steuerlast der Aktionäre angerechnet werden können. Zweitens ergeben sich Agency- oder Delegations-Kosten des Eigenkapitals, wenn das Management sich durch übermäßig im Unternehmen vorhandene Mittel zu einem großzügigen Umgang mit Geld verleiten läßt. Es besteht die Gefahr, daß sie die Vorteilhaftigkeit zur Disposition stehender neuer Projekte nur oberflächlich prüfen oder Projekte akzeptieren, die ihren eigenen Interessen dienlich, aber aus Aktionärssicht schädlich sind. Da die Investitionsrückflüsse im Rahmen des Um-

26 Vgl. zu diesen Ansätzen auch die Ausführungen bei Prüher (1999, S. 86-125 und S. 175-191).

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satzprozesses automatisch generiert werden, kann sich das Management der Kontrolle des Kapitalmarkts entziehen.27 Ein längerfristiges Halten überschüssiger liquider Mittel im Unternehmen und die Inkaufnahme von Kosten ihrer Haltung führt jedoch dazu, daß unzufriedene Aktionäre ihre Aktien verkaufen und eine Verringerung des Aktienkurses bewirken. Dadurch wird für außenstehende Investoren, die über ausreichend Kapital verfügen, der Anreiz geschaffen, die Gesellschaft zu übernehmen, das ineffiziente Management abzusetzen und im Unternehmen befindliche Wertsteigerungspotentiale zu nutzen.28 Ein Management, das bei niedrigem Verschuldungsgrad der Gefahr einer feindlichen Übernahme ausgesetzt ist, kann seine Bereitschaft zum Verzicht auf die Verfolgung aktionärsschädlicher Eigeninteressen dadurch demonstrieren, daß es den Verschuldungsgrad des von ihm geführten Unternehmens erhöht und/oder überschüssig im Unternehmen gehaltene liquide Mittel abbaut. Eine hohe Verschuldung des Unternehmens wirkt disziplinierend auf das Verhalten des Managements, da es Zins- und Tilgungszahlungen unabhängig vom jeweiligen Periodenerfolg zwingend leisten muß, wenn es nicht Gefahr laufen möchte, im Zuge eines Konkursverfahrens abgesetzt zu werden.29 Für eine überwiegende Fremdfinanzierung des Unternehmens in dieser Phase spricht auch die Tatsache, daß aufgrund des vergleichsweise hohen Bestandes an wertbeständigem und gut bewertbarem Anlagevermögens eine relativ kostengünstige Fremdfinanzierung erfolgen kann. Eine Erhöhung des Verschuldungsgrades kann (mit oder ohne gleichzeitiger Verringerung des Bestandes an überschüssigen Mitteln) durch Dividendenzahlungen und/oder Aktienrückkäufe erfolgen. Dividendenzahlungen und Aktienrückkäufe verursachen jedoch Transaktionskosten, die den positiven Effekt des Abbaus kapitalwertnegativ im Unternehmen gehaltener Mittel konterkarieren. Während Dividendenzahlungen im Gegensatz zu Aktienrückkäufen auf Aktionärsebene der Besteuerung (mit einem häufig progressiven Verlauf) unterliegen, ergeben sich bei Aktienrückkäufen Transaktionskosten dergestalt, daß ein Rückerwerb zu einem Preis, der den inneren Wert der Aktien übersteigt, eine Verschlechterung der Vermögensposition der verbleibenden Aktionäre bewirkt. Chowdhry und Nanda (1994) zeigen in einem dynamischen Modell, daß es bei einer derartigen Transaktionskostenstruktur optimal ist, eine Politik der Dividendenglättung bzw. Dividendenkontinuität zu betreiben und eigene Aktien immer dann zurückzukaufen, wenn diese (temporär) unterbewertet sind. Darüber hinaus führen wiederholt durchgeführte Aktienrückkäufe dazu, daß die Aktio27 Vgl. zu den "agency costs of free cash flow" Jensen (1986). Vgl. auch bereits Mueller (1972, S. 209). 28 Vgl. zu einem solchen Markt für Unternehmenskontrolle etwa Manne (1965) und Jensen und Ruback 29 Vgl. hierzu auch das dynamische Modell von Zwiebel (1996), in dem die Durchführung unvorteilhafter Projekte die Konkurs- und Absetzungsgefahr des Managements erhöht und in dem sich Manager durch die Wahl einer hinreichend hohen Verschuldung freiwillig zur Nichtdurchführung unvorteilhafter Projekte verpflichten, um die Wahrscheinlichkeit einer feindlichen Übernahme gering zu halten.

38 ifo Studien 1999

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närsstruktur verengt wird, was einen positiven Effekt auf die Kontrollstruktur des Unternehmens besitzt. Als Ergebnis der dynamischen Ansätze der Finanzierungstheorie bleibt also festzuhalten, daß jede Finanztransaktion mit externen Kapitalgebern Transaktionskosten verursacht, so daß es innerhalb bestimmter Grenzen vorteilhaft sein kann, Finanzierungsmittel im Unternehmen zu behalten, auch wenn deren Haltung nicht kapitalwertneutral erfolgen kann. Vor diesem Hintergrund sind Empfehlungen zur grundsätzlichen Vollausschüttung und Reallokation der ausgeschütteten Mittel über den Kapitalmarkt kritisch zu betrachten.30 In Anbetracht der anfallenden Transaktionskosten kann es nämlich auch vorteilhaft sein, überschüssige Mittel über einen geeignet ausgestalteten internen Kapitalmarkt an Unternehmensbereiche mit positivem Finanzierungsbedarf zu transferieren. Dies scheint insbesondere dann der Fall zu sein, wenn das Unternehmen in verwandte Bereiche investiert und auf diesem Bereich über bessere Informationen verfügt als der Kapitalmarkt.31

4. Finanzierungsüberlegungen in der Schrumpfungsphase

In der Reife- und der Schrumpfungsphase existieren grundsätzlich dieselben Konflikte: Das Management verfügt über intern generierte Mittel, jedoch im Stammgeschäft über keine vorteilhaften Investitionsmöglichkeiten. In der Degenerationsphase verschärft sich dieser Konflikt insofern, als die erzielbaren Gewinne aufgrund der starken Wettbewerbssituation immer niedriger werden, so daß es sinnvoll wäre, das Produkt vom Markt zu nehmen. Alternativ ist vorstellbar, daß ein Unternehmen eine konkurrierende Gesellschaft mit dem Ziel übernehmen sollte, eine kritische Masse zu erreichen, bei der sich eine Produktion trotz der relativ schlechten Absatzmöglichkeiten des Produktes lohnt. Im Fall, daß es sich bei der Ziel- und/oder Bietergesellschaft um eine Publikumsgesellschaft handelt, besteht jedoch die Gefahr, daß das Management seine eigenen Interessen (auch gegen die Interessen der Aktionäre) durchzusetzen versucht und die (noch) generierten Mittel unter dem Deckmantel von Diversifikationsbestrebungen oder von erzielbaren Synergien in neue Bereiche investiert, um seinen eigenen Macht- und Einflußbereich nicht verkleinern zu müssen.32 Nun ist zu unterscheiden, ob die Manager ihre Interessen in der Bietergesellschaft, in der Zielgesellschaft oder in beiden Gesellschaften durchsetzen können. Die folgende Abbildung 2 zeigt im Überblick, welche Konflikte in diesem Zusammenhang auftreten können.

30 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Überlegungen von Krahnen (1994) zu einer Theorie der Innenfinanzierung. 31 Vgl. hierzu etwa Gertner, Scharfstein und Stein (1994). 32 Vgl. hierzu und zu den folgenden Ausführungen Rudolph (1999).

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Abbildung 2 Interessenkonflikte bei Untemehmensübernahmen

Umweltzustand

Übernahme lohnt sich

Übernahme lohnt nicht

des bietenden Unternehmens

Manager verzichtet trotz Vorteilhaftigkeit für die Anteilseigner wegen zu hoher Risikoaversion oder "Trägheit" auf Übernahmeaktivitäten.

Manager bemüht sich trotz mangelnder Synergieeffekte um Übernahme, um z.B. seinen Einfluß oder sein Gehalt zu steigern.

der Zielgesellschaft

Manager wehrt sich zur Sicherung seines persönlichen Einflusses und seines Gehalts trotz Vorteilhaftigkeit für die Anteilseigner gegen die Übernahme.

Manager wird trotz mangelnder Synergieeffekte z.B. durch Gewährung persönlicher Vorteile zur Unterstützung der Übernahme gewonnen.

Manager

Auch wenn davon auszugehen ist, daß ein Management mit Eigeninteressen sich gegen eine an sich vorteilhafte Übernahme wehrt und ihm zu diesem Zweck prinzipiell ein breites Arsenal von Abwehrmechanismen zur Verfügung steht, so wird ein potentieller Raider dennoch bereit sein, die mehrheitliche Kontrolle an der Zielgesellschaft zu erwerben und das Management auszutauschen, wenn der aus der Transaktion erzielbare Marktwertzuwachs groß genug ist. · Ohne an dieser Stelle genauer auf den Prozeß von Untemehmensübernahmen einzugehen33, wird deutlich, daß die Marktkräfte dafür sorgen, daß gegen Ende des Lebenszyklusses aus einer Publikumsgesellschaft (mit breitem Streubesitz) wieder eine mehrheitlich kontrollierte Gesellschaft wird. Dies zeigt sich besonders dann, wenn der Käufer eines Unternehmens keine Publikumsgesellschaft, sondern eine Privatperson ist. In diesen Fällen wird offenbar die Form der Publikumsgesellschaft nicht mehr für geeignet gehalten und stattdessen die Trennung von Eigentum und Kontrolle wieder rückgängig gemacht. Bei einer Going-Private-Transaktion werden die ausstehenden Aktien einer Gesellschaft von einer kleinen Anlegergruppe aufgekauft, so daß der Börsenhandel eingestellt wird. Solche Transaktionen finden ihren Ausdruck im wesentlichen in einem Management Buy-Out (MBO) oder einem Leveraged Buy-Out (LBO).34 Bei einem MBO erwerben Manager, die bereits zum Zeitpunkt der Übernahme in der Ziel33 34

38·

Vgl. zu diesem Themenfeld die Beiträge in von Rosen und Seifert (1999). Vgl. hierzu den Überblick bei Kropp (1999).

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gesellschaft als leitende Angestellte beschäftigt sind, die Anteile an "ihrem" Unternehmen. Wenn das Privatvermögen der Managergruppe nicht ausreicht, um die Übernahme zu finanzieren, dann bietet sich die Fremdfinanzierung des Kaufpreises an, was zu einem LBO führt. In diesem Fall können die disziplinierende Wirkung einer hohen Verschuldung und die Anreizwirkung aus der Interessenidentität von Eigentümer-Managern kombiniert werden.

IV. Zusammenfassung und Ausblick Die vorangegangenen Ausführungen haben deutlich gemacht, daß in den unterschiedlichen Entwicklungsstufen eines Unternehmens unterschiedliche Finanzierungsformen und Eigentümerstrukturen optimal sind. Dies kommt zum einen in der Gestaltung der Kapitalstruktur zum Ausdruck. Während junge Unternehmen in den ersten Phasen des Lebenszyklus überwiegend eigenfinanziert werden sollten, da es viele wertvolle Wachstumsoptionen zu finanzieren gilt, sollten reife Unternehmen verstärkt fremdfinanziert werden, um der Gefahr einer Überinvestition in unrentable Projekte vorzubeugen. Die folgende Abbildung 3 verdeutlicht diese Überlegungen.

Abbildung 3 Entwicklung der Agency-Kosten in Abhängigkeit von Kapitalstruktur und Investitionen

Verschuldung niedrig Verschuldung hoch

Wachsendes Unternehmen mit vielen guten Investitionsmöglichkeiten

Reifes Unternehmen mit weniger guten Investitionsmöglichkeiten

Geringe Agency-Kosten des Eigenkapitals

Hohe Agency-Kosten des Eigenkapitals

Hohe Agency-Kosten des Fremdkapitals

Geringe Agency-Kosten des Eigenkapitals

In Anlehnung an Zimmer (1998, S. 71).

Hinsichtlich der Eigentums- und Kontrollstrukturen zeigt sich zum anderen, daß eine Entwicklung von einer Individualfinanzierung mit Identität von Eigentum und Managementfunktion über eine Marktfinanzierung (Publikumsgesellschaft) wieder zu einer mehrheitlich kontrollierten börsennotierten oder gar zu einer privaten Gesellschaft sinnvoll ist. In welchen Phasen der Unternehmensentwicklung es jedoch konkret sinnvoll ist, eine Veränderung der Kapital- und Eignerstruktur herbeizuführen bzw. Maßnahmen wie ein Going Public oder ein Going Private zu veranlassen, müssen dynamische Ansätze der Finanzierungstheorie zeigen. Zwar sind diese An-

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sätze in der Lage, ein realistischeres Bild der Unternehmensfinanzierung im Zeitablauf zu zeichnen als einfache statische Ansätze. Sie unterstellen aber aus Gründen der Komplexitätsreduktion üblicherweise ein konstant bleibendes ökonomisches Umfeld. Man kann jedoch zeigen, daß die Vorteilhaftigkeit von Finanzierungsmaßnahmen im Zeitablauf nicht nur von der Entwicklungsstufe des sie veranlassenden Unternehmens abhängt, sondern auch vom vorherrschenden konjunkturellen bzw. Kapitalmarktumfeld. 35 Es bleibt daher abzuwarten, ob es in Zukunft gelingen kann, dynamische Modelle zu konstruieren, die die Entwicklung des Unternehmens und des ökonomischen Umfelds gleichzeitig berücksichtigen. Darüber hinaus müssen Modelle einer dynamischen Finanzierungstheorie in der Zukunft noch mit den intertemporalen Ansätzen im Bereich der Kapitalanlage oder des Risikomanagements verknüpft werden.36

Zusammenfassung Der Beitrag behandelt die Frage, wie die verschiedenen bekannten Bausteine der Finanzierungstheorie zu einer übergreifenden dynamischen Theoire der Unternehmensfinanzierung im Zeitablauf zusammengefügt werden können. Es wird gezeigt, daß sich eine umfassende, dynamisch orientierte Finanzierungspolitik von Unternehmen im Ablauf ihres Lebenszyklus orientieren kann.

Summary Corporate finance in a dynamic context

This article deals with the problem how the different well known building blocks of corporate finance can be aggregated to a dynamic theory of time dependent corporate finance. Questions like those for the best timing of a going public transaction or for a bank credit transaction have only be dealt with in an isolated manner. A dynamic theory of corporate finance allows to elaborate practically relevant answers to the questions of financial decision making in the life cycle of the firm.

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35 Vgl. etwa Berkovitch und Narayanan (1993) zur Vorteilhaftigkeit externer Eigen- und Fremdfinanzierung im Konjunkturzyklus oder Subrahmanyam und Titman (1999) zum Timing von IPOs in Abhängigkeit von der Entwicklungsstufe des Kapitalmarkts. 36 Zur strategischen Asset Allocation vgl. Brennen, Schwartz und Lagnado (1997), zum strategischen Risikomanagement Franke (1999).

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Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik in einer Währungsunion Eine makroökonomische Analyse von Niveau- und Struktureffekten Von Gustav Dieckheuer Inhalt I. Problemstellung II. Einkommenseffekte in einer kleinen Währungsunion III. Wechselkurserwartungen und Kaufkraftparität IV. Internationale Rückwirkungen V. Preiseffekte VI. Lohnpolitik VII. Fazit

I. Problemstellung Mit der Gründung einer Währungsunion ändern sich die Bedingungen für Wirkungen und Wirkungsabläufe makroökonomischer Politiken. Das betrifft insbesondere die Geldpolitik, die Fiskalpolitik und die Lohnpolitik. Diesen Aspekt greift der vorliegende Beitrag auf. Mit Blick auf die Europäische Währungsunion innerhalb der EU sind für eine Analyse der Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik folgende Charakteristika maßgeblich: •

Mindestens zwei Länder besitzen eine einheitliche Währung und betreiben eine gemeinsame Geldpolitik.



Der Wechselkurs der Unionswährung gegenüber den Währungen von Drittländern ist flexibel.



Die Fiskal- und die Lohnpolitik werden nach wie vor auf nationaler Ebene betrieben, wenngleich kooperative Maßnahmen möglich sind und zumindest im Bereich der Fiskalpolitik angestrebt werden.



Zwischen den Unionsländern besteht ein gemeinsamer Markt mit völlig liberalisierten Güter- und Kapitalmärkten. Das Finanzkapital ist (fast) vollkommen mobil.

592

Gustav Dieckheuer



Zwar ist die Mobilität des Faktors Arbeit innerhalb der Union aufgrund der rechtlichen Bedingungen prinzipiell möglich, aber vor allem institutionelle, kulturelle und sprachliche Hemmnisse verhindern eine nennenswerte Arbeitsmobilität zwischen den Mitgliedsländern.



Die Währungsunion ist in aller Regel so groß, daß von ihr gravierende Wirkungen auf Drittländer ausgehen und somit internationale Rückwirkungen von erheblicher Bedeutung sein können.

Vor diesem Hintergrund werden die Wirkungen einer gemeinsamen Geldpolitik, einer nationalen Fiskalpolitik sowie einer nationalen Lohnpolitik zum einen auf das Einkommensniveau und das Preisniveau der Währungsunion insgesamt sowie zum anderen auf Einkommen, Güterpreise und Beschäftigung in den Unionsländern auf der Grundlage eines makroökonomischen Modells untersucht. Das modelltheoretische Instrumentarium orientiert sich an den bekannten Ansätzen vom Mundell-Fleming-Typ.1 In der Darstellungsart finden sich allerdings einige erhebliche Modifikationen, die jeweils den spezifischen Fragestellungen angepaßt sind. Die Analyse beginnt mit einem einfachen, bereits in der Lehrbuchliteratur verwendeten Modell, in dem Erwartungseinflüsse, internationale Rückwirkungen, Preiseffekte sowie Effekte von Lohnänderungen ausgeschlossen sind.2 Darauf aufbauend wird das Modell anschließend in mehreren Schritten um diese Aspekte erweitert.3

II. Einkommenseffekte in einer kleinen Währungsunion In der einfachsten Version lassen sich die Zusammenhänge in einer Währungsunion auf lediglich drei Gleichungen beschränken.4 Möglich ist das allerdings nur durch die Annahmen, daß die Währungsunion aus zwei Mitgliedsländern besteht, das internationale Kapital vollkommen mobil ist, internationale Rückwirkungseffekte nicht auftreten sowie die Preiselastizität des Güterangebots in jedem Unionsland unendlich groß ist. Das Modell wird in einer logarithmisch-linearen Form geschrieben: (1 ) (2) 1

mu-pu

=k u[y^+ y 2) - v ui u

ΥΛ = μ\+ W +

- Wu ~ W

Fleming (1962); Mundeil (1968). Grundlegend sind Modelle von J. Levin sowie von K. Rose und K. Sauemheimer Levin (1983); Rose und Sauemheimer (1983); einfache Ansätze finden sich z.B. in: Blank, Clausen und Wacker (1999); Carlberg (1999a); Carlberg (1999b); Feuerstein und Siebk (1987); Hansen und Nielsen (1997); Rose und Sauemheimer (1999). 3 Weiterführend, jedoch mit jeweils verschiedenen Problemstellungen sind z.B.: Feuerstein und Siebke (1990); Rose und Sauemheimer (1999); Sauemheimer (1991); Wöstmann (1993). 4 Zu Modellen einer kleinen Währungsunion vgl. Blank, Clausen und Wacker (1999); Carlberg (1999a); Levin (1983). 2

Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik in einer Währungsunion (3)

593

y 2 = M2 + Wl + *>2Υ3 - d 2i U - 02'

Die Gleichung (1) beschreibt das Geldmarktgleichgewicht in der gesamten Währungsunion. Die Gleichungen (2) und (3) zeigen die nachfrageseitige Bestimmung der nationalen Einkommen und sind somit Ausdruck der bekannten IS-Kurven. Das Geldangebot mu und das Preisniveau pu der Währungsunion, die Einkommen yi und y 2 der beiden Unionsländer, die autonomen Nachfragegrößen M und μ2, das Einkommen y 3 des Drittlands sowie der reale Wechselkurs r sind jeweils logarithmierte Größen. Der Zinssatz / geht demgegenüber als eine nicht-logarithmierte Größe in das Modell ein. Der reale Wechselkurs ist (in logarithmierter Form) definiert als: r = e + p t y - p 3 . Der nominelle Wechselkurs e ist eine Mengennotierung (Drittlandswährung je Einheit der Unionswährung). p 3 ist das Preisniveau des Drittlands. Die Annahme des vollkommenen internationalen Kapitalmarktes impliziert, daß der Unionszinssatz / dem vorgegebenen Zinssatz / 3 des Drittlands entspricht: i u = / 3 . Wegen der Annahme des vollkommen preiselastischen Güterangebots ist das Preisniveau konstant, so daß in diesem einfachen Modellrahmen gilt: Apu = 0 . Da internationale Rückwirkungen ausgeschlossen sind, sind das Einkommen y 3 und das Preisniveau p 3 exogene Modellgrößen. Endogene Größen des Modells sind somit die beiden Einkommen der Unionsländer und der nominelle Wechselkurs. Aus dem Modell (1) bis (3) werden durch Umformung zwei Gleichungen gewonnen, die grundlegend für die weiteren Analysen sind. Die erste folgt unmittelbar aus der Gleichung (1): (4) Dieser Zusammenhang beschreibt die Geldmengenrestriktion, die aus dem Geldangebot der gemeinsamen Zentralbank und aus den Bedingungen der Geldnachfrage in der Währungsunion resultiert. Zur Vereinfachung sei angenommen, daß die Zinselastizitäten der Güternachfrage in beiden Ländern identisch sind: dι)/3 - (fife - vty+ κ - M\]

Dieser Zusammenhang beschreibt die Einkommensstruktur in der Währungsunion und wird deshalb im folgenden Strukturgleichung genannt.

594

Gustav Dieckheuer

Auf dieser Grundlage können nun die Wirkungen gemeinsamer geldpolitischer Maßnahmen sowie spezifischer nationaler fiskalpolitischer Maßnahmen bestimmt werden. Zur Veranschaulichung dienen graphische Darstellungen, in denen die Geldmengenrestriktion durch die Linie my sowie die Einkommensstruktur durch die Linie yy wiedergegeben werden. Der Schnittpunkt der beiden Linien beschreibt das Geldmarkt- und Gütermarktgleichgewicht innerhalb der Währungsunion. Betrachtet wird zunächst eine expansive Geldpolitik (Abbildung 1). Ausgehend von einer Gleichgewichtssituation im Punkt A, verschiebt sich hierdurch die my-Linie nach außen, z.B. nach my r Die Lockerung der monetären Restriktion läßt somit eine Erhöhung der Einkommen in beiden Unionsländern zu. Diese Erhöhung sei als Niveaueffekt bezeichnet. Da sich der Unionszinssatz jedoch trotz expansiver Geldpolitik wegen des vollkommenen Kapitalmarktes nicht verändert, entfaltet die expansive Geldpolitik ihre Wirkungen auf die Güternachfrage und die Einkommen in der Union letztlich nicht über den Zinskanal, sondern über Wechselkursänderungen. Indem sie einen Druck auf den Unionszinssatz ausübt, kommt es zu einer Verschlechterung der Kapitalverkehrsbilanz und von daher zu einer Abwertung der Unionswährung (Ae < 0). Dadurch verbessert sich die Leistungsbilanz der Union, so daß von hierher der positive Niveaueffekt zu erklären ist.

Abbildung 1 Expansive Geldpolitik der kleinen Währungsunion

my,

yy0

ο

Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik in einer Währungsunion

595

Aus der Wechselkursänderung kann allerdings gemäß Gleichung (5) ein Struktureffekt resultieren, wenn die Koeffizienten g1 und g2 verschieden sind. Ist beispielsweise g2 größer als g-|, so verschiebt sich die yy-Kurve in Richtung auf ein höheres Einkommen im Land 2. Das ist dann der Fall, wenn die Preiselastizität der Leistungsbilanz des Landes 2 größer ist als diejenige des Landes 1 und somit die positive Veränderung des Leistungsbilanzsaldos im Land 2 infolge der Abwertung größer ist als im Land 1. Die positive Einkommenswirkung der expansiven Geldpolitik verschiebt sich hierdurch zugunsten des Landes 2. Diese Wirkung sei als Struktureffekt bezeichnet. Im vorliegenden Beispiel ist das Einkommen des Landes 2 relativ stärker gestiegen als dasjenige des Landes 1. Bei anderen Parameterannahmen ist es selbstverständlich möglich, daß sich eine strukturelle Einkommensverschiebung zugunsten des Landes 1 ergibt oder daß (bei g1 = g2) überhaupt kein Struktureffekt auftritt. Der Struktureffekt geht aufgrund der impliziten Modellzusammenhänge allerdings nicht soweit, daß der Niveaueffekt für eines der beiden Länder von hierher vollständig kompensiert oder sogar überkompensiert werden kann. Zur Analyse der Fiskalpolitik wird davon ausgegangen, daß im Land 1 durch geeignete fiskalpolitische Maßnahmen (Ausgaben- und/oder Einnahmenpolitik) die autonome Nachfragekomponente erhöht wird. Gemäß Gleichung (5) verschiebt sich hierdurch die yy-Kurve in Richtung auf ein geringeres Einkommen des Landes 2 bzw. ein höheres Einkommen des Landes 1. Auf die Lage der my-Kurve hat die Maßnahme demgegenüber keinen direkten Einfluß. Diese Wirkungen sind in der Abbildung 2 dargestellt worden. Demnach ergibt sich nur ein Struktur-, aber kein Niveaueffekt. Das Einkommen der Union ändert sich insgesamt nicht, es findet lediglich eine "Umverteilung" zu Gunsten des Landes 1 statt. Daß der Niveaueffekt ausbleibt, läßt sich leicht erklären: Die expansive Fiskalpolitik hat einen Nettokapitalimport zur Folge, der zwar wegen der vollkommenen Kapitalmobilität ohne nennenswerte Erhöhung des Unionszinssatzes induziert wird, aber eine Aufwertung der Unionswährung mit sich bringt. Der mit dieser Aufwertung verbundene negative Einkommenseffekt ist gerade so hoch, daß er die positive Einkommenswirkung der autonomen fiskalpolitisch induzierten Nachfrageerhöhung kompensiert. Die hier aufgezeigte Politik, die positive Konjunktureffekte im eigenen Land nur zu Lasten des anderen Unionslandes impliziert, ist innerhalb einer auf Kooperation angelegten Union nicht akzeptabel. Es wäre deshalb denkbar, daß in einer gemeinsamen fiskalpolitischen Strategie versucht würde, die Konjunktur zu beleben. Aber selbst wenn beide Länder ihre autonome Nachfrage im Gleichschritt erhöhen würden, ließe sich im vorliegenden Modell kein Niveaueffekt erzielen. Im Fall von μ\ = μ2 ergäbe sich gemäß Gleichung (5) auch kein Struktureffekt. Die fiskalpolitischen Maßnahmen beider Länder hätten somit keinerlei Einkommenswirkung.

596

Gustav Dieckheuer Abbildung 2 Expansive Fiskalpolitik eines Unionslandes

Von wesentlicher Bedeutung für das Fehlen eines Niveaueffektes ist die zugrunde gelegte Annahme eines vollkommenen internationalen Kapitalmarktes. Weicht man hiervon ab und läßt Veränderungen des Unionszinssatzes zu, so ergibt sich ein anderes Ergebnis. Eine fiskalpolitische Maßnahme bewirkt nun innerhalb der Union einen Zinsanstieg. Dadurch wird gemäß Gleichung (4) Liquidität für Transaktionszwecke freigesetzt, so daß sich die Geldmengenrestriktion lockert. Von hierher ist somit ein Niveaueffekt möglich. Die my-Kurve verschiebt sich dementsprechend nach außen, in der Abbildung 2 z.B. nach my r Daß das Einkommen der Union insgesamt zunimmt, läßt sich allerdings nicht allein mit der Lockerung der monetären Restriktion erklären. Ausschlaggebend ist vielmehr, daß die expansive Fiskalpolitik wegen der nun weitaus geringeren Kapitalmobilität einen erheblich schwächeren Kapitalsog verursacht und deshalb die Unionswährung nicht so stark aufgewertet wird. Im Unterschied zum obigen Fall eines vollkommenen Kapitalmarktes findet hier kein vollständiges Crowding-Out der fiskalpolitischen Maßnahme durch die Aufwertung statt. Die expansive Fiskalpolitik eines Unionslandes wird allerdings auch in diesem Fall - siehe Abbildung 2 - bei nicht allzu extremen Parameterkonstellationen dazu führen, daß sich das Einkommen dieses Landes aufgrund des Struktureffektes zu Lasten des Einkommens des anderen Unionslandes erhöht. Um die Struktureffekte auszuschließen, wäre somit eine koordinierte Fiskalpolitik sinnvoll. Durch sie könnten beide Länder von der Lockerung der monetären Restriktion und damit vom Niveaueffekt profitieren.

Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik in einer Währungsunion

597

III. Wechselkurserwartungen und Kaufkraftparität In dem zuvor zugrunde gelegten sehr einfachen Modell wurden für den Fall eines vollkommenen Kapitalmarktes die folgenden Ergebnisse gewonnen: •

Die expansive Geldpolitik der gemeinsamen Zentralbank bewirkt eine nominelle und reale Abwertung der Unionswährung und eine Zunahme des Unionseinkommens.



Die expansive Fiskalpolitik eines Unionslandes wird durch eine Aufwertung der Unionswährung konterkariert und hat deshalb keine Wirkung auf das gesamte Unionseinkommen.

Diese Ergebnisse werden erheblich modifiziert, wenn das Modell um den Einfluß von Wechselkurserwartungen erweitert wird und sich die Erwartungen beispielsweise an der internationalen Kaufkraftparität orientieren.5 Die Modellerweiterung besteht vor diesem Hintergrund aus drei Gleichungen: (6)

i u = /*3 - Δθ *

(7)

Ae*=r(r*-r)

(8)

Pu = P3 -

e

Gleichung (6) ist die ungedeckte Zinsparität, wonach die Differenz zwischen dem Unionszinssatz und dem Drittlandzinssatz der erwarteten Veränderungsrate des Wechselkurses entspricht, die mit Ae* bezeichnet ist. Diese Veränderungsrate orientiert sich gemäß Gleichung (7) an der Differenz zwischen dem mittel- und längerfristig erwarteten realen Wechselkurs f und dem in einer bestimmten Periode tatsächlich beobachteten realen Wechselkurs r. Der erwartete reale Wechselkurs sei konstant und entspricht somit dem tatsächlichen realen Wechselkurs im Ausgangsgleichgewicht: r* = r 0 =β0+ρυ 0-ρ2 0. Gemäß Gleichung (8) wird das Preisniveau der Währungsunion gemäß dem Kaufkraftparitätentheorem gebildet. Mit Ausnahme der Zinssätze handelt es sich wiederum um logarithmierte Größen. Erneut sei zunächst die expansive Geldpolitik der Währungsunion betrachtet. Wie schon zuvor im einfachen Modell, wird die Unionswährung durch den Zinsdruck und den damit verbundenen Nettokapitalexport sowohl nominell als auch real abgewertet: Ae < 0 und Ar < 0. Die so bewirkte Abweichung des tatsächlichen realen Wechselkurses vom mittel- und längerfristig erwarteten realen Wechselkurs hat gemäß Gleichung (7) Aufwertungserwartungen zur Folge. Dementsprechend sinkt gemäß Gleichung (6) der Unionszinssatz, so daß er nun niedriger ist als der Drittlandzinssatz. Vor diesem Hintergrund hat die expansive Geldpolitik kurzfristig eine positive Wirkung auf das Unionseinkommen. Das läßt sich in der Abbildung 3 nachvollziehen, in der für die gesamte Währungsunion die LM-Kurve gemäß Gleichung 5

Vgl. Wohltmann (1993).

598

Gustav Dieckheuer

(1) und die IS-Kurve aus der Zusammenfassung der Gleichungen (2) und (3) dargestellt worden sind.

Abbildung 3 Geldpolitik bei Wechselkurserwartungen und Kaufkraftparität

LM,

Ausgehend von einem Ausgangsgleichgewicht im Punkt A, verschiebt sich die LM-Kurve infolge der Geldmengenerhöhung nach LMi. Die reale Abwertung der Unionswährung impliziert eine Verschiebung der IS-Kurve nach ISi. Schließlich resultiert aus der Aufwertungserwartung gemäß Gleichung (6) eine Verringerung des Unionszinssatzes. Kurzfristig ergibt sich so ein temporäres Gleichgewicht im Punkt B. Die in den Gleichungen (6) bis (8) implizierten Anpassungsvorgänge führen schließlich dazu, daß das Preisniveau pu der Währungsunion gemäß dem Kaufkraftparitätentheorem (8) gestiegen ist, der reale Wechselkurs wieder dem Ausgangswert bzw. dem Erwartungswert f entspricht, die erwartete Veränderungsrate des Wechselkurses null ist und somit der Unionszinssatz und der Drittlandzinssatz wieder übereinstimmen. Vor diesem Hintergrund ist eine Veränderung des gesamten Unionseinkommens nach Abschluß der Anpassungsvorgänge unmöglich. In der Abbildung 3 verschieben sich die IS-Kurve, die LMKurve und die Zinslinie wieder zurück in die Ausgangslage, so daß schließlich das neue Gleichgewicht im Punkt A dem Ausgangsgleichgewicht entspricht. Die hier aufgezeigte Verschiebung der IS-Kurve tritt ein, weil die anfangs induzierte reale Abwertung der Unionswährung durch eine entgegengerichtete reale Aufwertung letztlich vollständig kompensiert wird. Die RückVerschiebung der LMKurve resultiert schließlich aus der Erhöhung des Preisniveaus in der Währungsunion, wodurch die reale Geldmenge sinkt.

Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik in einer Währungsunion

599

Im Unterschied zur Geldpolitik der gesamten Union hat die expansive Fiskalpolitik eines einzelnen Unionslandes (oder aller Unionsländer) bei Wechselkurserwartungen und Gültigkeit des Kaufkraftparitätentheorems eine positive Wirkung auf das Unionseinkommen. Das wird mit Hilfe der Abbildung 4 erläutert, die wiederum die bekannte IS-LM-Darstellung enthält.

Abbildung 4 Fiskalpolitik bei Wechselkurserwartungen und Kaufkraftparität

Die expansive Fiskalpolitik hat kurzfristig eine nominelle und reale Aufwertung der Unionswährung zur Folge: Ae > 0 und Ar > 0. Daraus resultieren gemäß Gleichung (7) Abwertungserwartungen, durch die gemäß Gleichung (6) der Unionszinssatz steigt. Die Zinslinie in der Abbildung 4 verschiebt sich dementsprechend nach oben. Die IS-Kurve ist durch den autonomen positiven Impuls und den entgegengerichteten aufwertungsbedingten negativen Impuls kurzfristig nach ISi verschoben worden. Somit ergibt sich ein temporäres Gleichgewicht im Punkt B. Durch die Anpassungsvorgänge, die umgekehrt zu denjenigen bei der expansiven Geldpolitik verlaufen, werden der Zinsanstieg und die reale Aufwertung wieder rückgängig gemacht. Die Zinslinie verschiebt sich somit wieder zurück in die Ausgangslage, wogegen sich die IS-Kurve aufgrund der realen Wechselkursänderung weiter nach rechts verlagert, z.B. nach IS2. Zwar bleibt der reale Wechselkurs letztlich unverändert, aber die Unionswährung wird nominell aufgewertet. Gemäß dem Kaufkraftparitätentheorem (8) kommt es deshalb zu einer Verringerung des (logarithmierten) Preisniveaus der Währungsunion. Das impliziert eine Erhöhung der realen Geldmenge, die sich in einer 39 ifo Studien 1999

600

Gustav Dieckheuer

Verschiebung der LM-Kurve nach LMi ausdrückt. Nach Abschluß aller Anpassungsvorgänge wird folglich ein neues Gleichgewicht im Punkt C bei einem höheren Unionseinkommen erreicht. Die Analyse macht deutlich, daß die Wirkungen wirtschaftspolitischer Maßnahmen maßgeblich von Wechselkurserwartungen und einer Preisbildung gemäß dem Kaufkraftparitätentheorem beeinflußt werden. Im folgenden ist zu zeigen, daß sich durch eine Ausweitung auf eine große Währungsunion und die Berücksichtigung von internationalen Rückwirkungen und von Preiseffekten ebenfalls gravierende Änderungen der Ergebnisse ergeben können. Wechselkurserwartungen bleiben jedoch im weiteren Verlauf der Untersuchungen ausgeklammert.

IV. Internationale Rückwirkungen Nicht zuletzt mit Blick auf die Europäische Währungsunion sei nun angenommen, daß von Maßnahmen der Union insgesamt, aber auch von Maßnahmen eines einzelnen - relativ großen - Mitgliedslandes maßgebliche Wirkungen auf Drittländer ausgehen und daß von hierher internationale Rückwirkungen auftreten. 6 Zur Erfassung der internationalen Interdependenzen wird das zuvor eingeführte Modell um zwei Gleichungen eines Drittlands erweitert: (9) (10)

mz-p 3 y 3 = μ3 +

= k 3y z-v 3i z + y2) -

c/3/3 +

g3r

Die Gleichung (9) beschreibt das Geldmarktgleichgewicht analog zur Gleichung (1) der Währungsunion. Die nachfrageseitige Erklärung des Einkommens gemäß Gleichung (10) drückt das IS-Gleichgewicht analog zur Gleichung (2) oder (3) eines Unionslandes aus. Das Geldangebot m z , das Preisniveau P3 , das Einkommen y 3 und die autonome Güternachfrage des Drittlands sind logarithmierte Größen. Der Zinssatz / 3 ist demgegenüber eine nichtlogarithmierte Größe. Die Einkommensgrößen y-j und y 2 sowie der reale Wechselkurs r sind bereits aus den vorangegangenen Untersuchungen bekannt. Es sei wiederum angenommen, daß der internationale Kapitalmarkt vollkommen ist. Der Unionszinssatz i u und der Zinssatz des Drittlands / 3 stimmen dann überein. Im Hinblick auf diese Annahme wird die Gleichung (9) nach dem Zinssatz aufgelöst und anschließend in die Geldmengenrestriktion (4) der Währungsunion eingesetzt. Vereinfachend sei noch angenommen, daß die Zinselastizitäten der Geldnachfrage in der Währungsunion und im Drittland identisch

6 Zur Analyse internationaler Rückwirkungen in Modellen vom Mundell-Fleming-Typ vgl. z.B. Dieckheuer (1998), S. 223 ff.

Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik in einer Währungsunion

601

sind (du = cf 3). Man erhält dann die Geldmengenrestriktion der Währungsunion als: (11) Scheinbar paradox ist der Einfluß des Geldangebots des Drittlands: Eine Erhöhung von m 3 hat in der Währungsunion eine Verschärfung der Geldmengenrestriktion und dadurch einen negativen Niveaueffekt für das Einkommen zur Folge. Die Erklärung dafür ist aber einfach: Da zwischen der Währungsunion und dem Drittland ein flexibler Wechselkurs vorliegt, finden keine grenzüberschreitenden Nettoliquiditätsbewegungen statt, so daß das zusätzliche Geldangebot des Drittlands auch nur dort einen Liquiditätseffekt hat. Daraus resultiert eine Zinssenkung, die über den vollkommenen internationalen Kapitalmarkt auch auf die Währungsunion übergreift. Diese Zinssenkung bewirkt hier eine Zunahme der zinsabhängigen Geldnachfrage und folglich eine Liquiditätsverknappung für Transaktionszwecke. Die Geldmengenrestriktion wird somit enger. Eine Zunahme des Drittlandeinkommens lockert demgegenüber die Geldmengenrestriktion der Währungsunion und hat dort deshalb einen positiven Niveaueffekt zur Folge. Der Transmissionsweg ist ähnlich wie zuvor beschrieben: Mit einem Anstieg von y 3 erhöht sich das internationale Zinsniveau, und hierdurch wird in der Währungsunion Liquidität für Transaktionszwecke freigesetzt. Im folgenden sei angenommen, daß das Güterangebot in der Währungsunion und im Drittland jeweils vollkommen preiselastisch ist und deshalb keine Preiseffekte auftreten (Apu = 0, Δρ3 = 0). Zunächst werden die Wirkungen einer expansiven Geldpolitik der Währungsunion und der expansiven Fiskalpolitik einzélnen Unionslandes auf das Einkommen des Drittlands untersucht, ehe auf dieser Grundlage näher auf die internationalen Rückwirkungen eingegangen wird. Die Abbildung 5 und die Abbildung 6 zeigen die LM-Kurve und die IS-Kurve des Drittlands gemäß den Gleichungen (9) und (10). Bei dem einheitlichen internationalen Zinssatz liegt jeweils ein Ausgangsgleichgewicht im Punkt A vor. Durch die expansive Geldpolitik der Währungsunion wird eine Verringerung und durch die expansive Fiskalpolitik eines Unionslandes eine Erhöhung des internationalen Zinsniveaus und damit auch des Zinssatzes / 3 im Drittland bewirkt. Dementsprechend verschiebt sich die Zinsgerade in der Abbildung 5 nach unten und in der Abbildung 6 nach oben. Da sich die reale Geldmenge des Drittlands annahmegemäß nicht verändert, muß sich jeweils ein neues Gleichgewicht auf der LM-Kurve ergeben. Bereits hieran zeigt sich, daß das Drittlandeinkommen im ersten Fall sinkt und im zweiten Fall steigt.

eines

602

Gustav Dieckheuer Abbildung 5 Geldpolitik

Abbildung 6 Fiskalpolitik

Das erneut scheinbar paradoxe Ergebnis wird verständlich, wenn die Wechselkursänderungen bedacht werden. Die expansive Geldpolitik der Währungs-

Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik in einer Währungsunion

603

union löst wegen der hohen internationalen Kapitalmobilität einen relativ umfangreichen Nettokapitalexport aus, durch den die Unionswährung abgewertet und somit die Drittlandwährung aufgewertet wird. Dadurch verschlechtert sich die Leistungsbilanz des Drittlands. Das impliziert eine Verschiebung der ISKurve nach links. Unter Einschluß weiterer Interdependenzeffekte ergibt sich so letztlich in der Abbildung 5 ein neues Gleichgewicht im Punkt B, so daß das Drittlandeinkommen auf y 3 1 gesunken ist. Die Wirkungen der expansiven Fiskalpolitik verlaufen dazu umgekehrt. Hier kommt es - ceteris paribus - in der Währungsunion zu einem erheblichen Nettokapitalimport, durch den die Unionswährung aufgewertet und die Drittlandwährung abgewertet wird. Wegen der so induzierten Verbesserung der Leistungsbilanz verschiebt sich die IS-Kurve des Drittlands nach rechts, so daß sich ein neues Gleichgewicht letztlich im Punkt Β bei einem höheren Einkommen y 3 1 einstellt. Die Analyse richtet sich jetzt wieder auf die Währungsunion. Von Bedeutung sind die Geldmengenrestriktion gemäß Gleichung (11) sowie die Einkommensstruktur gemäß Gleichung (5). Betrachtet sei zunächst die expansive Geldpolitik. Der Niveaueffekt, der aus der Geldmengenrestriktion resultiert, setzt sich aus zwei Teileffekten zusammen: Die Erhöhung der Geldmenge wirkt sich unmittelbar positiv aus, wogegen von der Verringerung des Einkommens im Drittland eine negative Wirkung ausgeht. Dominierend bleibt allerdings der positive Effekt. In der Abbildung 7 werden die beiden Teileffekte skizziert durch die Verschiebung der my-Linie zunächst nach myi sowie durch eine Rückverlagerung nach my2. Im Hinblick auf den Struktureffekt können ebenfalls zwei Einflüsse wirksam werden: Aus der Wechselkursänderung und aus der Änderung des Drittlandeinkommens. Sie werden aber nur relevant, wenn die beiden Unionsländer strukturelle Unterschiede aufweisen, die in verschiedenen Elastizitäten in Bezug auf den realen Wechselkurs und in Bezug auf das ausländische Einkommen zum Ausdruck kommen. Die theoretische Analyse läßt mehrere Kombinationsmöglichkeiten zu. Ist beispielsweise im Unionsland 2 die Elastizität in Bezug auf den Wechselkurs größer als im Land 1, dagegen die Elastizität in Bezug auf das Einkommen kleiner als im Land 1, so ergibt sich eine "Umverteilung" zugunsten des Unionslandes 2. Die yy-Linie würde sich in diesem Fall nach oben in Richtung auf ein höheres Einkommen y 2 verschieben. Weil aber exakte Aussagen nur aufgrund empirischer Untersuchungen möglich wären, wurde in der Abbildung 7 implizit angenommen, daß die Elastizitäten in den beiden Ländern identisch sind: = t>i und g^ = g 2 ·

604

Gustav Dieckheuer Abbildung 7 Expansive Geidpolitik bei internationalen Rückwirkungen

Betrachtet wird jetzt die expansive Fiskalpolitik eines Unionslandes. Diese hat - wie weiter oben schon gezeigt - keinen direkten Niveaueffekt. Gemäß Gleichung (11) ergibt sich allerdings aus den internationalen Rückwirkungen ein indirekter Effekt. Da y 3 steigt, verschiebt sich die my-Linie auch hier nach außen (Abbildung 8). Für den Struktureffekt sind drei Einflüsse von Bedeutung: a) die unmittelbare Veränderung der autonomen Güternachfrage, z.B. des Landes 1 (δ^) , b) die Wechselkursänderung sowie c) der Rückwirkungseffekt über y 3 . Der zuerst genannte direkte Einfluß geht zu Lasten des anderen Unionslandes. Demgegenüber hängt die Wirkungsrichtung der beiden übrigen Einflüsse wiederum von den Elastizitäten in Bezug auf den Wechselkurs und in Bezug auf das ausländische Einkommen ab. So ist es beispielsweise möglich, daß im Unionsland 1, das die expansive Fiskalpolitik betreibt, die Wechselkurselastizität relativ hoch und die Einkommenselastizität relativ niedrig ist. Sowohl die Aufwertung als auch die Erhöhung des Drittlandeinkommens würden damit strukturell zu Lasten des Landes 1 gehen. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf den positiven Niveaueffekt könnte dann sehr wohl auch das Unionsland 2 maßgeblich von der expansiven Fiskalpolitik des Unionslandes 1 profitieren. Ein solches Ergebnis ist in der Abbildung 8 skizziert worden, in der sich die yy-Linie unter Berücksichtigung der drei genannten Einflüsse letztlich nach yyi verschieben möge. Der direkte Einfluß ist aufgrund der Modellzusammenhänge zwingend stärker als die beiden entgegengerichteten indirekten Einflüsse, so daß die yy-Linie bei expansiver Fiskalpolitik des Landes 1 auf jeden Fall nach rechts verschoben wird.

Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik in einer Währungsunion

605

Abbildung 8 Fiskalpolitik bei internationalen Rückwirkungen

Die Analyse macht deutlich, daß die internationalen Rückwirkungen eine erhebliche Bedeutung sowohl für den Niveaueffekt als auch für den Struktureffekt haben. Das gilt gleichermaßen für die Geldpolitik der Währungsunion insgesamt und die Fiskalpolitik eines einzelnen Unionslandes.

V. Preiseffekte Auf der Grundlage des Kaufkraftparitätentheorems sind weiter oben im einfachen Modell einer kleinen Währungsunion Veränderungen des Preisniveaus in der Währungsunion erfaßt worden. Im folgenden werden anstelle des schematischen Ansatzes der Kaufkraftparität spezifische Hypothesen zur Preisbildung auf den Gütermärkten gebildet. Es ist in diesem Rahmen zwar nicht ausgeschlossen, daß die Preis- und Wechselkursänderungen letztlich dem Kaufkraftparitätentheorem entsprechen, aber solche Ergebnisse ergeben sich jetzt nur unter besonderen Bedingungen und damit nicht zwangsläufig. In einem ersten Schritt der Endogenisierung von Preiseffekten 7 wird für die Währungsunion eine einheitliche Preisfunktion formuliert: (12)

P u =βυ{Υλ + Υ2) + ϊυ(™υ- αυ) + ευ{Ρζ-*)

7 Zur Erfassung von Preiseffekten vgl. z.B. Feuerstein und Siebke (1990); Rose und Sauemheimer (1999); Wohltmann (1993).

606

Gustav Dieckheuer

Drei Einflüsse sind hier erfaßt worden: •

die konjunkturelle Situation über eine Abhängigkeit vom Gesamteinkommen in der Währungsunion,



die Lohnstückkosten, die vom Nominallohnsatz w u und der Arbeitsproduktivität au bestimmt werden,



die Stückkosten aus importierten Vorleistungsgütern, die neben dem hier konstant gesetzten Input-Koeffizienten vom nominellen Wechselkurs e und dem in Auslandswährung nominierten Preisniveau des Drittlands p 3 determiniert sind.

Es handelt sich auch hier um logarithmierte Größen. Eine besondere Bedeutung hat der Koeffizient fa . In ihm kommt die Preiselastizität des Güterangebots zum Ausdruck: Je größer fa ist, desto geringer ist diese Elastizität. Im ersten Extremfall bei fa = oo ist das Angebot preisunelastisch, im zweiten Extremfall bei fa=0 ist das Angebot vollkommen preiselastisch. Wird diese Preisfunktion in die Gleichung (11) der Geldmengenrestriktion der Währungsunion integriert, so ergibt sich der Niveaueffekt bei endogenisiertem Preisniveau aus der folgenden Beziehung: (13)

y 2 = -y\ +

1

Κ υ ^ Pu

\mu - γ υ {w

u

- au ) + eue + (1 - ε υ )p3 - mz + k zy 3 ]

Vor diesem Hintergrund sei zunächst die expansive Geldpolitik der Währungsunion erneut betrachtet. Gemäß Gleichung (13) sind im Hinblick auf den Niveaueffekt vier Einflüsse wirksam, a) direkt aus der Erhöhung der nominellen Geldmenge, b) indirekt aus einer Wechselkursänderung sowie indirekt aus den internationalen Rückwirkungen, die sich aus Veränderungen c) des Einkommens und d) des Preisniveaus im Drittland ergeben. Implizit wirkt sich die Preiselastizität des Güterangebots in der Währungsunion über den Koeffizienten fa auf die Stärke dieser Einflüsse aus. Je geringer diese Preiselastizität bzw. je größer der Koeffizient ist, desto geringer sind die Auswirkungen der direkten und der indirekten Einflüsse. Wenn das Güterangebot preisunelastisch ist {fa =cc)i sind die Einflüsse allesamt wirkungslos. Die Geldpolitik der Währungsunion hat in diesem Fall folglich keinen Niveaueffekt. Die Wirkungsrichtungen der vier Einflüsse werden in der Abbildung 9 aufgezeigt. Es sei angenommen, daß das Güterangebot preiselastisch, jedoch nicht vollkommen preiselastisch ist. Die expansive Geldpolitik hat direkt einen positiven Niveaueffekt, der in einer Verschiebung der my-Linie nach außen - z.B. nach myi - zum Ausdruck kommt. Im Vergleich zu den oben diskutierten Fällen konstanter Preisniveaus ist jetzt allerdings zu beachten, daß dieser direkte Effekt bei fa > 0 durch einkommensinduzierte Preissteigerungen abgeschwächt wird.

Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik in einer Währungsunion

607

Wie schon erläutert, hat die expansive Geldpolitik eine Abwertung der Unionswährung zur Folge. Daraus resultiert ceteris paribus eine Erhöhung der Stückkosten importierter Vorleistungsgüter. Liegt eine entsprechende Preisreaktion mit €U > 0 vor, so steigt auch von hierher das Preisniveau der Währungsunion. Das aber impliziert eine Reduktion der realen Geldmenge und folglich eine Verengung der Geldmengenrestriktion. Die my-Linie möge sich hierdurch zurück nach my2 verschieben.

Abbildung 9 Expansive Geldpolitik der Währungsunion mit Preiseffekten

y y

Aus den vorhergehenden Untersuchungen ist schon bekannt, daß das Drittlandeinkommen (als logarithmierte Größe y 3 ) sinkt, weil die ausländische Währung aufgewertet wird. Das hat eine negative Rückwirkung auf die Währungsunion, so daß der Niveaueffekt der expansiven Geldpolitik von hierher beeinträchtigt wird. Sowohl der Rückgang des Einkommens als auch die Aufwertung wirken sich im Drittland preisdämpfend aus. Im vorliegenden Modell mit logarithmierten Größen bedeutet das eine Verringerung der Veränderungsrate des Preisniveaus. Diese Verringerung hat in der Währungsunion zwei Effekte: Zum einen eine zinsinduzierte Liquiditätsverengung, die den Niveaueffekt negativ beeinflußt, zum anderen eine preisinduzierte Liquiditätsausweitung, die den Niveaueffekt in positiver Richtung verstärkt. Diese Effekte sind wie folgt zu erklären: •

Eine Preissenkung im Drittland bedeutet, daß dort die reale Geldmenge steigt und dadurch das internationale Zinsniveau sinkt. Das impliziert in

608

Gustav Dieckheuer der Währungsunion eine Erhöhung der zinsabhängigen Geldnachfrage und folglich weniger Liquidität für Transaktionszwecke.



Wenn das in Auslandswährung nominierte Preisniveau des Drittlands sinkt, verringern sich in der Währungsunion ceteris paribus die Stückkosten der importierten Vorleistungsgüter. Bei ε υ > 0 wirkt das preisdämpfend, so daß folglich die reale Geldmenge steigt und mehr Liquidität für Transaktionen zur Verfügung steht.

Es ist zu vermuten, daß die Elastizität des Preisniveaus der Währungsunion in Bezug auf die Vorleistungsstückkosten kleiner als eins ist, so daß 0 < ε υ < 1 gilt. Dementsprechend dominiert der zuerst genannte Effekt. Die Preissenkung im Drittland hat deshalb - für sich betrachtet - in der Währungsunion einen negativen Niveaueffekt. Insgesamt resultiert aus den internationalen Rückwirkungen folglich eine negative Wirkung auf das gesamte Unionseinkommen. Das zeigt sich in einer weiteren Verschiebung der my-Linie in Richtung Ursprung, z.B. nach my3. Letztlich bleibt allerdings trotz der entgegengerichteten indirekten Einflüsse ein insgesamt positiver Niveaueffekt der expansiven Geldpolitik erhalten. Offen ist noch der Struktureffekt. Gemäß Gleichung (5) hat die Geldpolitik keine direkte Wirkung auf die Einkommensstruktur der Unionsländer. Nur durch die induzierten Veränderungen des Drittlandeinkommens und des realen Wechselkurses sind strukturelle Wirkungen möglich. Voraussetzung dafür sind allerdings strukturelle Unterschiede zwischen den beiden Unionsländern, die sich in Differenzen einerseits der Parameter und Ò2 sowie andererseits der Parameter g 0), wodurch es in der Union zu einer Preisdämpfung und darüber zu einer Erhöhung der realen Geldmenge kommt.



Das Drittlandseinkommen nimmt zu, und



das Preisniveau des Drittlands steigt, so daß von hierher das internationale Zinsniveau angehoben wird und dadurch in der Währungsunion eine

Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik in einer Währungsunion

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zinsinduzierte Liquiditätsumschichtung zugunsten der Transaktionskasse stattfindet. Vor diesem Hintergrund ergibt sich theoretisch zwar eindeutig ein positiver Einkommenseffekt im fiskalpolitisch handelnden Unionsland, aber unter Beachtung des Niveaueffektes sowie der möglichen indirekten strukturellen Wirkungen läßt die theoretische Analyse keine konkreten Ergebnisse für das andere Unionsland zu. Es ist aber durchaus möglich, daß auch dieses Land von der expansiven Fiskalpolitik letztlich profitiert.

VI. Lohnpolitik In den vorangegangenen Untersuchungen wurde angenommen, daß in der Währungsunion ein einheitliches Preisniveau (als logarithmierte Größe pu ) existiert, das demgemäß mit Hilfe einer einheitlichen Preisfunktion erklärt werden kann. Besteht ein gemeinsamer Markt - wie beispielsweise in der EU - so ist in der Tat davon auszugehen, daß zumindest die Veränderungen bzw. die Veränderungsraten der nationalen Preisniveaus der international handelbaren Güter innerhalb der Währungsunion identisch sind. Differenzen würden durch den Marktmechanismus in relativ kurzer Zeit beseitigt werden. Vor diesem Hintergrund sind auch Unterschiede bei Veränderungen oder Veränderungsraten der nationalen Stückkosten der Produktion international handelbarer Güter bestenfalls nur sehr kurzfristig möglich. In jedem Unionsland werden allerdings in der Regel auch Güter hergestellt bzw. angeboten, die ortsgebunden und länderspezifisch sind und die demnach international nicht gehandelt werden - auch nicht zwischen den Unionsländern. Hierbei handelt es sich z.B. um Nutzungsrechte an Grundstücken oder Gebäuden, um Dienstleistungen im Gastgewerbe oder um öffentliche Dienstleistungen. Der Wettbewerb auf den Märkten dieser Güter ist weitgehend auf die nationalen Grenzen beschränkt, so daß die nationalen Preis- und Kostenentwicklungen von denjenigen auf den Märkten der international handelbaren Güter abweichen können. Im folgenden werden die Wirkungen nationaler Lohnpolitik innerhalb der Währungsunion für die beiden zuvor implizierten Modellvarianten untersucht, zum einen für den Fall einer einheitlichen Preisentwicklung in der gesamten Währungsunion, zum anderen für den Fall differenzierter Preisentwicklungen im Hinblick auf die Existenz international handelbarer und heimischer bzw. international nicht handelbarer Güter.8

8 Zur Berücksichtigung von Lohnsätzen und Lohnpolitik vgl. Carlberg (1999); Rose und Sauemheimer (1999).

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Gustav Dieckheuer 1. Einheitliche Preisentwicklung in der Währungsunion

Zugrunde gelegt werden erneut die Geldmengenrestriktion (11), die zugleich die aggregierte Güternachfragefunktion darstellt, sowie die Preisfunktion (12) der Währungsunion. Aus der Integration von (12) in (11) ergibt sich bekanntlich der Niveaueffekt gemäß Gleichung (13). Vor diesem Hintergrund werden zwei Varianten untersucht: •

zunächst ein allgemeiner Anstieg des Lohnniveaus in der Währungsunion: Aw u > 0



danach eine expansive Lohnpolitik lediglich im Unionsland 1 : διλ^ > 0 .

Generelle Lohnerhöhung Die Erhöhung des Lohnniveaus in der Währungsunion hat dort gemäß Gleichung (13) unmittelbar einen Niveaueffekt. Durch Wechselkursänderungen sowie Einkommens- und Preisänderungen können im Hinblick auf den Niveaueffekt mittelbar weitere Einflüsse wirksam werden. muß die Preisfunktion (12) in die StrukZur Bestimmung des Struktureffekts turgleichung (5) eingesetzt werden, wobei die Definition des realen Wechselkurses zu beachten ist. Man erhält dann: + + (14) Y 2 = ^ " t 7 7 2 7 1 " r u ( 9 2 ~ 9 ^ W u ~ fc ~ ^ ~€ u ^ 9 2 ~g i X P 3 ~6) + mit: 77ι = 1-3ι+/?φ 2 -0ΐ)>Ο; % = 1 - a 2 - A ( g 2 - g i ) > 0

M2

Somit ergibt sich direkt ein Struktureffekt aus einer Veränderung der Größe w u sowie indirekt aus Veränderungen der Größen e, p 3 und y 3 , wenn die Strukturparameter (zum einen g2 und g^ sowie zum anderen fy und b\ ) verschieden sind. Die für den Niveau- und den Struktureffekt relevanten direkten und indirekten Einflüsse werden mit Hilfe der Abbildung 10 erläutert. Durch die Lohnerhöhung ergibt sich, wie nicht anders zu erwarten, direkt ein negativer Niveaueffekt. Dieser resultiert aus der lohninduzierten Preiserhöhung, die zum einen unmittelbar eine reale Aufwertung der Unionswährung und andererseits über eine Verringerung der realen Geldmenge einen Zinsanstieg bewirkt. Die my-Linie verschiebt sich dementsprechend nach innen, hier z.B. nach myi. Ob sich aus der Lohnerhöhung gemäß Gleichung (14) direkt auch ein Struktureffekt ergibt, hängt von der Differenz der Koeffizienten gλ und g2 ab. Es sei angenommen, daß die Einkommenselastizität im Land 2 in Bezug auf den realen Wechselkurs größer ist als im Land 1 (g 2 > g^). In diesem Fall geht der Struktureffekt zu Lasten des Landes 2. Die yy-Linie verschiebt sich dementsprechend nach rechts in Richtung auf ein höheres Einkommen yi. Bereits die

~ Η

Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik in einer Währungsunion

611

graphische Darstellung läßt erkennen, daß der Struktureffekt erheblich zu Lasten eines einzelnen Unionslandes - hier des Landes 2 - ausfallen kann. Bei realistischen Koeffizienten- und Parameterwerten ist es allerdings ausgeschlossen, daß ein Land allein den negativen Niveaueffekt vollkommen zu tragen hat. Auf direktem Wege hat die Lohnerhöhung somit negative Einkommenseffekte in allen Unionsländern zur Folge. Auf einen Nachweis sei hier allerdings verzichtet.

Abbildung 10 Lohnerhöhung in der Währungsunion

Zu beachten sind noch die indirekten Einflüsse aus einer Veränderung des nominellen Wechselkurses sowie des Einkommens und des Preisniveaus im Drittland. Vor dem Hintergrund des vollkommenen Kapitalmarktes wird die Unionswährung nominell aufgewertet: Ae > 0. Diese scheinbar paradoxe Wirkung ist die Folge des Zinsanstiegs, der durch die Reduktion der realen Geldmenge in der Währungsunion verursacht wird. Die nominelle Aufwertung hat gemäß Gleichung (13) ceteris paribus einen positiven Niveaueffekt, weil sie preisdämpfend wirkt und so die Geldmengenrestriktion wieder etwas lockert. Die lohnkosteninduzierte Erhöhung des Preisniveaus der Währungsunion sowie die nominelle Aufwertung der Unionswährung stellen für das Drittland einen maßgeblichen positiven Einkommensimpuls dar. Dort steigt das Einkommen und als Folge davon auch das Preisniveau. Der Gleichung (13) ist zu entnehmen, daß der Niveaueffekt in der Währungsunion von hierher positiv beeinflußt wird. Faßt man die drei induzierten Einflüsse zusammen, so steht dem negativen Niveaueffekt, der unmittelbar durch die Lohnerhöhung verursacht wur-

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Gustav Dieckheuer

de, ein positiver Niveaueffekt gegenüber, der aus den mittelbaren Einflüssen resultiert. Aus den Modellzusammenhängen ergibt sich allerdings logisch, daß der unmittelbare negative Niveaueffekt dominiert und das Einkommen der Währungsunion somit sinkt. In der Abbildung 10 möge sich dementsprechend letztlich die durch my2 gekennzeichnete Geldmengenrestriktion ergeben. Die drei mittelbaren Einflüsse, die zuvor aufgezeigt worden sind, können gemäß Gleichung (14) auch einen Struktureffekt haben. Theoretisch ist dieser allerdings wegen der verschiedenen Möglichkeiten von Kombinationen der Strukturkoeffizienten unbestimmt. Die theoretisch möglichen Alternativen sollen deshalb hier nicht weiter geprüft werden. Welche Richtung der Struktureffekt letztlich auch hat, fest steht, daß die allgemeine Lohnerhöhung nicht nur eine negative Wirkung auf das gesamte Unionseinkommen, sondern auch auf die Einkommen in jedem Unionsland hat. In der Abbildung 10 möge letztlich eine strukturelle Wirkung gemäß der yy-Linie eingetreten sein. Ein neues Gleichgewicht ergibt sich somit im Punkt B.

Lohnerhöhung in einem Unionsland Die hier angenommene einheitliche Preisentwicklung in der Währungsunion impliziert, daß die Veränderung bzw. Veränderungsrate der Lohnstückkosten zumindest nach Abschluß relativ kurzfristiger Anpassungsvorgänge - in jedem Unionsland gleich sind und somit identisch sind mit der durchschnittlichen Lohnstückkostenentwicklung in der gesamten Währungsunion. Demnach gilt die folgende Beziehung: (15)

tv-i

= w2 - a 2 =

w

u~ au

Jeweils als logarithmierte Größe bezeichnet w den Nominallohnsatz und α die Arbeitsproduktivität im Land 1, im Land 2 sowie in der Währungsunion. Daraus folgt, daß beispielsweise die Arbeitsproduktivität im Land 1 an Veränderungen der Lohnsätze sowie der Arbeitsproduktivität des Landes 2 gemäß der folgenden Bedingung angepaßt wird: (16)

ai = a2 + Wi"W2

Der Arbeitsinput, hier wiederum als logarithmierte Größe mit η bezeichnet, wird in jedem Land wie folgt vom Einkommen bzw. von der Produktion sowie von der Arbeitsproduktivität bestimmt: (17)

ηj = y j -αj

mit: j = 1, 2

Es sei nun angenommen, daß im Land 1 eine expansive Lohnpolitik betrieben wird. Im Hinblick auf die Log-Größen des Modells bedeutet das konkret eine Erhöhung der Zuwachsrate des Nominallohnsatzes in diesem Land. Angesichts der zugrunde liegenden Wettbewerbsbedingungen hat diese länderspezifische Lohnpolitik keine Wirkung auf die Lohnstückkosten der Währungsunibn insgesamt. Die Differenz w u-au in der Preisfunktion (12) sowie in der Glei-

Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik in einer Währungsunion

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chung der Geldmengenrestriktion (13) bleibt somit unverändert. Folglich kommt es im Hinblick auf das Unionseinkommen und die Einkommen der Unionsländer weder zu einem Niveaueffekt noch zu einem Struktureffekt. Da sich die Log-Größen des nominellen Lohnsatzes und der Arbeitsproduktivität im Land 2 annahmegemäß nicht verändern, beschränkt sich die Wirkung der expansiven Lohnpolitik des Landes 1 gemäß Gleichung (16) auf eine Anpassung der Arbeitsproduktivität in diesem Land. Die Arbeitsproduktivität (genauer die Veränderungsrate der Arbeitsproduktivität) wird - selbstverständlich innerhalb eines gewissen Anpassungszeitraums - soweit erhöht, daß die Lohnstückkosten dieses Landes letztlich wieder den Lohnstückkosten des anderen Unionslandes und damit den durchschnittlichen Lohnstückkosten der Währungsunion entsprechen. Da es - abgesehen von den Anpassungsvorgängen - keinen Einkommenseffekt gibt, muß die expansive Lohnpolitik gemäß Gleichung (17) vollständig zu Lasten der Beschäftigung im Land 1 gehen. Somit bleibt zwar ein Struktureffekt bei den Einkommensgrößen aus, aber die Beschäftigungsstruktur verändert sich zu Lasten des lohnsteigernden Landes. Zu berücksichtigen ist auch, daß eine dauerhaft höhere Zuwachsrate des nominellen Lohnsatzes in einem Unionsland einen permanenten Druck in Richtung auf höhere Zuwachsraten der Arbeitsproduktivität erzeugt und von daher die Beschäftigungssituation in diesem Land mehr und mehr verschlechtert, sofern nicht durch andere Maßnahmen Wachstumsimpulse ausgelöst werden, durch die sich die Zuwachsraten von Einkommen und Produktion erhöhen. Ob sich diese Impulse mit einer expansiven Fiskalpolitik erreichen lassen, ist zumindest fraglich. Diesbezüglich wird auf die vorangegangenen Untersuchungen zum Niveaueffekt und zum Struktureffekt der Fiskalpolitik eines einzelnen Unionslandes verwiesen. Zu beachten ist außerdem, daß die negativen Beschäftigungseffekte in einem Unionsland eine Veränderung der Einkommensverteilung in der Währungsunion zu Lasten dieses Landes nach sich ziehen kann.

2. Preisdifferenzierung

Es wird jetzt angenommen, daß sich das gesamte Preisniveau eines Unionslandes j aus dem Preisniveau der heimischen bzw. der internationalen nicht handelbaren Güter (Index h) und dem Preisniveau der international handelbaren Güter (Index i) zusammensetzt: (18)

Pj = φ}ρΝ + (1 - j)Pij

mit: j = 1,2

Wiederum werden logarithmierte Größen verwendet.

ist das Gewicht der

heimischen Güter im Warenkorb und (1 - φ;) somit das Gewicht der internationalen Güter jeweils aus der Produktion des Landes j. Aufgrund des gemeinsamen Marktes und des dort herrschenden vollkommenen Wettbewerbs entspricht die Veränderungsrate des internationalen Preisni-

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Gustav Dieckheuer

veaus der zuvor schon eingeführten Veränderungsrate des Preisniveaus pu auf der Ebene der gesamten Währungsunion: (19)

Pjj = pu

mit: y = 1,2

Das Preisniveau der heimischen Güter wird ähnlich wie das internationale Preisniveau der Währungsunion wie folgt erklärt: (20)

phj = ßhjYj + ïhj(

w

hj - 0\

σ 2 = k u+βυ^-φ)

+ ^-λ)φβΜ2>0',

Am3 = 0

Strukturgleichung und Struktureffekt:

(25) mit: 7i = 1-ai+A/(g 2 -9l)>0;

12 = 1-32"Α/(02-0ΐ)>Ο

Obwohl die exogene Datenänderung nur im Land 1 stattfindet, fließt die entsprechende Veränderung der Lohnstückkosten in die Gleichung der Geldmengenrestriktion bzw. des Niveaueffekts ein. Daß die Strukturgleichung nicht direkt betroffen ist, läßt sich wie folgt erklären: Die lohninduzierte Preiserhöhung im Land 1 bewirkt eine Verringerung der realen Geldmenge in der gesamten Währungsunion und infolgedessen einen Anstieg des internationalen Zinssatzes. Der Zinsanstieg betrifft aber beide Unionsländer gleichermaßen und verursacht deshalb unmittelbar keinen Struktureffekt. Selbstverständlich sind auf indirektem Wege Struktureffekte durch Wechselkursänderungen und über internationale Rückwirkungen möglich. Zu beachten ist allerdings, daß gemäß Gleichung (14) von einer Lohnpolitik Struktureffekte ausgehen könnten, wenn in der gesamten Währungsunion die Lohnstückkosten der international handelbaren Güter steigen würden. Diese Möglichkeit ist weiter oben eingehend diskutiert worden. Die hier vorgenommene Analyse beschränkt sich aber lediglich auf die Wirkungen einer Erhöhung der Lohnstückkosten in der Produktion heimischer Güter des Landes 1. Veränderungen der Lohnstückkosten im Bereich der international handelbaren Güter sind ausgeschlossen. Die Gleichung (24) für den Niveaueffekt macht deutlich, daß die länderspezifische Erhöhung der Lohnstückkosten im "geschützten" Sektor der heimischen Güter einen ähnlichen Wirkungsmechanismus entfaltet wie die oben analysierte allgemeine Erhöhung der Stückkosten für international handelbare Güter. Wie 40 ifo Studien 1999

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Gustav Dieckheuer

schon erwähnt, ergibt sich über die preisinduzierte Verringerung der realen Geldmenge ein genereller Zinsanstieg in der Währungsunion und auf dem internationalen Kapitalmarkt. Mittelbar wird der Niveaueffekt noch durch Veränderungen des nominellen Wechselkurses sowie durch internationale Rückwirkungen beeinflußt. Auch diese Folgewirkungen sind weiter oben mit Blick auf die Zunahme der Stückkosten internationaler Güter diskutiert worden. In einer graphischen Darstellung würden somit Wirkungen auftreten, die ähnlich bereits in der Abbildung 10 skizziert wurden. Die my-Linie verschiebt sich durch den direkten Einfluß der Stückkostenerhöhung nach innen und wird durch die indirekten Folgewirkungen wieder etwas nach außen verlagert. Ob sich auch die yy-Linie aufgrund der indirekten Folgewirkungen verschiebt, ist theoretisch unbestimmt. Letztlich kommt es auf jeden Fall zu einer kontraktiven Einkommenswirkung in beiden Unionsländern. Auf eine erneute graphische Darstellung sei hier verzichtet. Die Untersuchung führt demnach zu folgendem Ergebnis: •

Die Lohnerhöhung im Sektor der heimischen Güter nur eines Unionslandes hat negative Einkommenswirkungen in der gesamten Währungsunion.



Gemäß Gleichung (21) resultieren daraus einkommensinduzierte Beschäftigungseinbußen in allen Unionsländern.

Die Stärke der negativen Einkommens- und Beschäftigungswirkungen hängt wie in der Gleichung (24) zu erkennen ist - nicht zuletzt ab von •

der relativen Größe des lohnerhöhenden Unionslandes, die im Parameter λ zum Ausdruck kommt,



dem relativen Anteil φ der heimischen Güter im gesamten Warenkorb bzw. an der gesamten Produktion.

Sind diese Anteile relativ klein, so fällt auch der Niveaueffekt innerhalb der gesamten Währungsunion relativ gering aus. Interessant ist der Vergleich mit dem weiter oben diskutierten Fall einer Lohnerhöhung im Sektor der internationalen Güter nur eines Unionslandes: •

Der Wettbewerbsdruck, der durch den gemeinsamen Markt erzeugt wird, läßt - zumindest auf mittlere Sicht - nationale Alleingänge bei den Stückkosten international handelbarer Güter nicht zu. Eine nationale Lohnerhöhung in diesem Bereich zwingt den entsprechenden Produktionssektor zu Produktivitätsanpassungen, durch die die Lohnstückkosten letztlich auf dem allgemeinen Niveau der Währungsunion gehalten werden.



Vor diesem Hintergrund ergeben sich ceteris paribus keine negativen Einkommens- und Beschäftigungseffekte in anderen Unionsländern. Allerdings sind - wie oben gezeigt - im lohnerhöhenden Unionsland aufgrund der Produktivitätsanpassungen Beschäftigungseinbußen zu verzeichnen.

Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik in einer Währungsunion

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Fehlender internationaler Wettbewerbsdruck und die dadurch eingeräumte Möglichkeit zu einer autonomen expansiven Lohnpolitik in einem "geschützten" Sektor nur eines Unionslandes hat somit einen "Flächenbrand" in der gesamten Währungsunion zur Folge. Von wesentlicher Bedeutung ist dabei, daß im "geschützten" Sektor der heimischen Güter im Unterschied zum Sektor der internationalen Güter aus einer Lohnerhöhung direkt kein Zwang zu Produktivitätsanpassungen besteht. Zwar hat auch dieser Sektor Einkommens- und Beschäftigungseinbußen zu verzeichnen, aber diese sind relativ gering, weil sich die negativen Wirkungen auf die gesamte Währungsunion und damit auf alle Produktionssektoren und alle Unionsländer verteilen. Daraus ist eine Schlußfolgerung zu ziehen, die in der ökonomischen Wissenschaft ohnehin schon zu den Grunderkenntnissen zählt: Ein intensiver internationaler Wettbewerb ist nicht zuletzt deshalb erforderlich, weil sich dadurch negative Wirkungen weitgehend auf den Verursacher begrenzen lassen. Das gilt insbesondere in einer Währungsunion, in der die Länder durch die gemeinsame Währung und die gemeinsame Geldpolitik sehr eng miteinander verbunden sind und sich deshalb nicht durch Wechselkursanpassungen yor negativen Einflüssen aus einem anderen Land abschirmen können.

VII. Fazit Die besonderen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einer Währungsunion machen eine spezifische theoretische Wirkungsanalyse erforderlich. Während die Geldpolitik zentralisiert ist, müssen in den Bereichen von Fiskal- und Lohnpolitik Maßnahmen in Betracht gezogen werden, die entweder länderübergreifend sind oder sich nur auf einige Unionsländer oder auf ein einzelnes Unionsland beschränken. Es ist verständlich, daß damit höchst unterschiedliche makroökonomische Wirkungen verbunden sein können. Neben Niveaueffekten, die Einkommen, Preise und Beschäftigung der gesamten Währungsunion betreffen, sind Struktureffekte möglich, die zwischen den Mitgliedsländern der Währungsunion Verschiebungen von Einkommens- und Beschäftigungsanteilen implizieren. Viele Einflüsse spielen bei diesen Effekten eine teilweise maßgebliche Rolle, beispielsweise die Mobilität des internationalen Kapitals, die strukturellen Gegebenheiten in den Unionsländern, die z.B. in den Einkommens- und Preiselastizitäten der Ex- und Importe zum Ausdruck kommen, die internationalen Rückwirkungen im Fall einer großen Währungsunion, die Preisbildung auf den nationalen und internationalen Gütermärkten, die Wechselkurserwartungen, die relativen Anteile von heimischen Gütern in "geschützten" Produktionssektoren und international handelbaren Gütern in wettbewerbsintensiven Sektoren sowie die Zusammenhänge zwischen Lohnbildung und Produktivitätsentwicklung. Diese Einflüsse implizieren im Rahmen einer theoretischen Analyse ein breites Ergebnisspektrum, das in einer jeweils an der Problemstellung orientierten Weiterentwicklung eines relativ einfachen Grundmodells vom Mundell-FlemingTyp mit verschiedenen Modellvarianten verdeutlicht werden konnte. Es zeigte 40*

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Gustav Dieckheuer

sich, daß die gemeinsame Geldpolitik und die Fiskalpolitik eines einzelnen Unionslandes im Hinblick auf Einkommenseffekte in der gesamten Union unter bestimmten Bedingungen wirksam, unter anderen Bedingungen dagegen unwirksam sein können und daß auch die strukturellen Effekte dieser Politiken auf die Einkommenssituation in den Unionsländern theoretisch zumeist nicht eindeutig bestimmbar sind. Die Wirkungsrichtungen lohnpolitischer Aktivitäten erweisen sich in der theoretischen Analyse demgegenüber meistens als eindeutig: Je größer der Wettbewerb auf dem Gütermarkt, desto eher sind die negativen Beschäftigungseffekte einer länderbezogenen Lohnerhöhung auf das verursachende Unionsland beschränkt - und umgekehrt: Je weniger intensiv der Wettbewerb ist, so z.B. im "geschützten" Sektor der international nicht handelbaren Güter, desto mehr breiten sich die negativen Beschäftigungseffekte einer länderspezifischen Lohnerhöhung auf die gesamte Währungsunion aus. Die theoretischen Analysen sind selbstverständlich nur geeignet, zum einen wichtige Zusammenhänge und mögliche Wirkungsrichtungen sowie zum anderen die Bedeutung der besonderen Rahmenbedingungen in einer Währungsunion für die Wirksamkeit wirtschafts- und lohnpolitischer Maßnahmen herauszuarbeiten. Um hieraus Schlüsse für Einsatz und Wirkungen von Politiken beispielsweise in der Europäischen Währungsunion ziehen zu können, sind weitere theoretische Detailanalysen sowie - vor allem mit Blick auf die Struktureffekte - begleitende empirische Untersuchungen unverzichtbar.

Zusammenfassung Im Hinblick auf die Einheitswährung und die gemeinsame Geldpolitik einerseits sowie die länderspezifische Fiskal- und Lohnpolitik andererseits bestehen in einer Währungsunion besondere Bedingungen für wirtschaftspolitische Maßnahmen und Wirkungen. Auf der Grundlage eines Ansatzes vom Mundell-Fleming-Typ werden in diesem Beitrag mehrere Teilmodelle entwickelt, die u.a. den Mobilitätsgrad des internationalen Kapitals, Wechselkursenwartungen, internationale Interdependenzen sowie Preis- und Produktivitätseffekte einschließen. Von wesentlicher Bedeutung sind dabei die Wirkungen auf das Einkommensniveau der gesamten Union sowie auf die Einkommens- und Beschäftigungsstruktur innerhalb der Union. Für die gemeinsame Geldpolitik und die länderspezifische Fiskalpolitik weist die Analyse eine breites Ergebnisspektrum auf. Je nach Rahmenbedingungen und Einflüssen kann jede der Politiken wirksam oder wirkungslos ein. Andererseits sind die Wirkungen einer länder- und sektorspezifischen Lohnpolitik recht eindeutig: steigende Lohnstückkosten haben negative Einkommens- und Beschäftigungseffekte, deren Ausbreitung innerhalb der Union von der sektoralen Wettbewerbsintensität abhängt. Je intensiver der Wettbewerbsdruck ist, desto eher bleiben die negativen Effekte auf das verursachende Land beschränkt.

Summary Due to the single currency and the common monetary policy on the one hand and separate fiscal and wage policies on the other hand there are special conditions for measures and effects of economic policies in a monetary union. These aspects are deci-

Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik in einer Währungsunion

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sive for a theoretical macroeconomic analysis of monetary, fiscal and wage policies. On the basis of an approach of Mundell-Fleming-type several models are developed implying e.g. the relative largeness of the union as well as member countries, different degrees of international capital mobility, exchange rate expectations, international interdependence and price and productivity effects. Of main interest are the policy effects on the level of union income as well as the income and employment structures inside the union. Concerning monetary and fiscal policy a wide range of effects are possible. Depending on specific conditions and influences each policy might be effective or ineffective. On the other hand the effects of wage policies are quite clear: increasing unit wage costs in a special production sector of a single member country cause negative income and employment effects which spread over the whole union depending on the degree of unionwide competition. The more the specific national sector is under pressure of high competition the more the effects are limited to the member country itself.

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Zum Wandel der "Stilisierten Fakten" des westdeutschen Konjunkturzyklus 1955 bis 1994* Von Ulrich Heilemann Inhalt I. Einleitung II. Grundlagen III. Zum Wandel des Zyklus IV. Zusammenfassung und Bewertung

I. Einleitung Das wissenschaftliche Interesse am Konjunkturzyklus unterliegt beträchtlichen Schwankungen. Was im einzelnen jeweils Belebung oder Rückgang des Fach-Interesses bewegt, ist schwer zu bestimmen. "Neue Theorien", "neue Methoden", "neue Daten" oder aktuelle wirtschaftspolitische Problemlagen dürften mit wechselnden Gewichten allesamt ebenso eine Rolle spielen wie modische Faktoren oder "Ansteckung". Die jüngste, seit Mitte der achtziger Jahre zu beobachtende Renaissance des "Zyklus"1 ist jedenfalls kaum Reflex aktueller Problemlagen, denn das wirtschaftspolitische Problem ist ja nicht der Zyklus, sondern der Trend - in Europa wie in den Vereinigten Staaten. Über die Aktualität ihrer Produktion im Hinblick auf die Erfordernisse der praktischen Wirtschaftspolitik sollten sich die Ökonomen ohnehin keinen Illusionen hingeben - meist wird der Politiker "Zu spät!" rufen. Wissenschaftliche Produktion hat erhebliche Ausreifungszeiten, und die scheinen trotz stattlicher Produktivitätsgewinne nicht kürzer geworden zu sein. Bei Emst Helmstädter sind die Gründe für das Interesse am Zyklus vermutlich einfacher auszumachen. Den Ausgangspunkt dürfte, nach eher beiläufigen Berührungen und Erfahrungen im Finanzministerium, die Tätigkeit im Sachver* Die Arbeit entstand im Rahmen des von der DFG geförderten Sonderforschungsbereiches 475 "Komplexitätsreduktion in multivariaten Datenstrukturen". 1 Eine einfache bibliometrische Analyse zeigt, daß sich die Zahl der Nennungen von "business cycle" in ECONLIT (September 1999) von weniger als 50 bis zu Beginn der achtziger Jahre auf mehr als 700 bis Ende der neunziger Jahre erhöhte. Eine ähnlich Dynamik ist übrigens auch für den Begriff "stylized facts" und - abgeschwächt - das Begriffspaar "business cycle/stylized facts" zu registrieren, allerdings auf niedrigerem Niveau.

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Ulrich Heilemann

ständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) gebildet haben; bis dahin galt sein Interesse bekanntlich Wachstums- und Strukturfragen bzw. gesamtwirtschaftlichen Modellen, wobei letztere ein sehr spezielles Verständnis von Ursachen und Verlauf zyklischer Entwicklungen widerspiegeln. Die Diskussionen der gesamtwirtschaftlichen Lage nimmt im SVR einen breiten Raum ein - "von den rund 90 Sitzungstagen, die der Rat pro Jahr abhält, (wird, U.H.) der weitaus überwiegende Teil auf die Diagnose (...) verwandt" (Albach1989, S. 407). Helmstädter hat verschiedentlich auf die besonderen Schwierigkeiten hingewiesen, die die Konjunkturdiagnose dem Rat bereitet, was seinen Ausdruck nicht zuletzt daran findet, daß sich der Rat dabei seit langem der Hilfe von leitenden Mitarbeitern an der "Gemeinschaftsdiagnose" der Wirtschaftsforschungsinstitute bedient. Im Jahre 1992 fand Helmstädters Zyklus-Interesse in der Veröffentlichung einer größeren Arbeit zum MZyklus seinen Niederschlag (Helmstädter 1992) - ein Ansatz, der ihm seitdem als Grundlage von Prognosen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung dient, die auch in der Tagespresse große Beachtung finden. Auf den Ansatz selbst kann hier nicht weiter eingegangen werden. Festzuhalten ist: erstens, er ist einer der wenigen univariaten Ansätze, wenn nicht der einzige, mit dem in praxi Konjunkturprognosen bzw. genauer: Prognosen der BSP-Entwicklung2 erstellt werden; zweitens, der Ansatz ist der einzige, der die gesamtwirtschaftliche Entwicklung rein zyklisch/enöogen erklärt. Mit dem ersten Charakteristikum trifft er sich zwar formal mit dem Zeitreihenansatz, der bislang allerdings noch keine Bedeutung auf diesem Feld erlangt hat und in den letzten Jahren ohnehin zunehmend multivariat wurde; mit dem zweiten Charakteristikum trifft er sich mit dem Referenzzyklen-Ansatz von Burns und Mitchell (1947, S. 35 ff.), die allerdings nicht nur ein anderes Zyklenmuster identifizierten, sondern von Genauigkeit und Stabilität ihres Musters noch wenig überzeugt waren und vor allem in ihm (noch) kein Prognoseinstrument sahen. Die Vorstellung eines gewissermaßen eindimensionalen, "univariaten", aber auch unkonditionierten Zyklus stößt aus einer Reihe von Gründen auf Abwehr oder Vorbehalte. Kognitiv gesehen wäre mit Kaldors Forderung, "that the basic requirement of any model is that it should be capable of explaining the characteristic features of the economic process as we find them in reality" die Erklärung einer Mehrzahl "stilisierter" Fakten der geeignete Maßstab wissenschaftlicher Erklärungsleistung (Boland 1991, S. 535). Insbesondere im Falle der Konjunkturtheorie und der empirischen Konjunkturforschung führte dies zur Postulierung einer Reihe zu identifizierender bzw. zu erklärender "stylized facts" (z.B. Lucas 1993, S. 217 f.). In der Folge wurden auch in Deutschland zahlreiche Versuche unternommen, solche "Fakten" zu formulieren (Kromphardt 1989) oder zu identifizieren (Smeets 1992). Die Versuche waren je nach Schärfe und Genauigkeit dieser Faktoren unterschiedlich erfolgreich. Neuerdings, im Zuge 2

Der Begriff der "Konjunkturprognose" ist in der Öffentlichkeit wie in der Literatur wenig bestimmt und reicht von der einfachen BSP/BIP-Prognose mit einem Prognosehorizont von ca. 9 Monaten bis zu disaggregierten/konjunktiven Vorausschätzungen der Entstehungs-, Verwendungs-, Preis-, Verteilungs- und Staatssphäre über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren.

Zum Wandel der "Stilisierten Fakten" des westdeutschen Konjunkturzyklus

623

der Diskussion um die Funktionsbedingungen einer Europäischen Wirtschaftsund Währungsunion, haben diese Versuche nochmals beträchtlichen Aufschwung genommen (SVR 1998, S. 266 ff., Döpke 1998). Im folgenden soll die Multidimensionalität des deutschen Zyklus, wie er dem Konzept der Stilisierten Fakten zugrundeliegt und von ihnen repräsentiert wird, empirisch aufgenommen und die Frage nach ihrer Stabilität gestellt werden. Dabei wird auch die Frage nach der Rolle des realen BSP als "hinreichendem" stilisiertem Faktum berührt. Methodische Grundlage (zur theoretischen Basis vgl. Heilemann und Münch 1999, S. 637) bilden die Ergebnisse einer - ebendort vorgestellten - multivariaten Diskhminanzanalyse.

II. Grundlagen Sachliche oder theoretische Basis der Untersuchung bilden, erstens, ein VierPhasen-Klassifikationsschema des westdeutschen Konjunkturzyklus und, zweitens, ein multivariat bestimmtes Zyklenbild. Ersteres ergibt sich durch Erweiterung des üblichen Zwei-Phasen-Schemas um eine Obere und Untere Wendepunktphase. Es knüpft damit z.B. an Haberlers Vier-Phasen-Schema an, das sich implizit auch in dem in Anlehnung an Burns und Mitchell gebildeten A/BER-Schema wiederfindet. Konkret geht das hier verwendete auf ein multivariat bestimmtes Schema zurück, das Meyer und Weinberg (1975a, 1975b) für die Vereinigten Staaten und für Westdeutschland entwickelt und erfolgreich getestet hatten und das sich auch in späteren Überprüfungen als erklärungskräftig (für die Vereinigten Staaten: Heilemann 1982, für die Bundesrepublik: Heilemann und Münch 1999) erwies. Methodische Grundlage dieser Phasen-Klassifikation, d.h. der Zuordnung einzelner Perioden zu den vier Konjunkturphasen, ist die lineare multivariate Diskriminanzanalyse. Neben ihrer Robustheit und ihren hier offenbar günstigen Anwendungsbedingungen sprechen für sie ihre Klarheit, die leichte Interpretatierbarkeit ihrer Ergebnisse, ihre leichte (Programm-) Verfügbarkeit, vor allem aber ihre analytischen Möglichkeiten, von denen im folgenden vergleichsweise intensiv Gebrauch gemacht werden soll (vgl. dazu z.B. Backhaus et al. 1990, S. 90 ff.). Vorgehensweise und Ergebnisse bei der Identifikation des Schemas und der klassifizierenden Variablen sind im einzelnen an anderer Stelle ausführlich dargestellt (Heilemann und Münch 1999), so daß hier nur auf die wichtigsten Befunde eingegangen wird, soweit dies zum Verständnis der weiteren Ausführungen notwendig erscheint. Klassifikandum ist die konjunkturelle Entwicklung, die als Abweichung der industriellen Nettoproduktion von ihrem langfristigen Trend operationalisiert wird. Danach ergeben sich für die Bundesrepublik seit 1951 insgesamt neun Zyklen, deren Datierung weitgehend mit denen der Deutschen Bundesbank, des NBER und des SVR übereinstimmt (Heilemann 1999, S. 12, Tabelle 1). Empirische Grundlage der Identifikation der Klassifikationen bzw. Stilisierten Fakten bilden die Veränderungsraten der Variablen gegenüber dem Vorjahr auf

624

Ulrich Heilemann

der Basis unbereinigter Vierteljahresdaten bzw. Anteilswerte am BSP. Untersuchungszeitraum war 1955-1 bis 1994-1V. Als Klassifikatoren ergab sich nach einem längeren Auswahlprozeß eine Liste von 12 Variablen: Zahl der Lohn- und Gehaltsempfänger, reales BIP, Realer Privater Verbrauch, Reale Gewerbliche Bauinvestitionen, Außenbeitrag als Anteil des BSP, Staatsdefizit als Anteil des BSP, BSP-Deflator, Deflator des Privaten Verbrauchs, Lohnstückkosten, Kurzfristiger Zinssatz, Langfristiger Realzins und die Geldmenge M1. Die Schätzergebnisse für die Diskriminanzfunktionen, die Prüfmaße und die Klassifikationsergebnisse bestätigen das Vier-Phasen-Schema und die gewählten Klassifikatoren weitgehend. Die identifizierten Wendepunktphasen dauern zwischen ein und sieben bzw. zwei und sechs Vierteljahren. Die relative Dauer variiert damit zwischen 6 und 33 v.H. des Zyklus (Untere Wendepunktphase) bzw. zwischen 13 und 28 v.H. (Obere Wendepunktphase). Damit sind sie zwar kurz, aber deutlich länger, als ihnen in der Regel bzw. in den ZweiPhasen-Schemata zugebilligt wird (z.B. in den Vereinigen Staaten). Einen Überblick über die jeweiligen Durchschnittswerte in den einzelnen Phasen gibt für verschiedene Stützbereiche Graphik 1. Vereinfacht lassen sich die Ergebnisse für die einzelnen Phasen wie folgt zusammenfassend charakterisieren: 3 -

Die Untere Wendepunktphase (UWP) ist durch stagnierende gesamtwirtschaftliche Nachfrage, schrumpfende Gewerbliche Bauinvestitionen, sinkende Beschäftigung, abnehmende Lohnstückkosten, sinkende Kurzfristige Zinsen und leicht zunehmendes Geldangebot gekennzeichnet.

-

Die Aufschwungphase (AUF) ist der Zeitraum, in welchem die Nachfrage kräftig expandiert, die Inflationsrate niedrig sowie die Kurzfristigen Zinsen weiter rückläufig sind und die Beschäftigung zunimmt.

-

Die Obere Wendepunktphase (OWP) ist durch eine - extern wie intern getragene - Fortsetzung der Nachfrageexpansion charakterisiert, zunehmende Beschäftigung - ungeachtet steigender Lohnstückkosten und Preise - sinkende Langfristige Realzinsen und steigende Kurzfristige Zinsen sowie eine wachsende Geldmenge.

-

Die Abschwungphase (AB) schließlich weist eine abnehmende Nachfrage, weiteren Anstieg der Lohnstückkosten und der Preise, schwache Beschäftigungsexpansion, weiter sinkende Langfristige Realzinsen, einen deutlichen Rückgang der Geldmenge und einen weiteren Anstieg der Kurzfristigen Zinsen auf.

3 Vgl. dazu auch die Charakterisierung von recession, Stagflation, recovery und demand pull in Meyer und Weinberg 1975b, S. 8.

Zum Wandel der "Stilisierten Fakten" des westdeutschen Konjunkturzyklus

625

Graphik 1 Stilisierte Fakten der deutschen Konjunktur 1 in ausgewählten Stützbereichen Veränderung gegenüber dem Vorjahr in ν H Lohn- und Gehaltsempfänger

BSP-Deflator

BIP, real

Deflator des Privaten Verbrauchs

Privater Verbrauch, real

Lohnstückkosten

Gewerbliche Bauinvestitionen, real

Kurzfristiger Zinssatz3

Außenbeitrag 2

Langfristiger Zinssatz, real 3

Staatsdefizit 2

Geldmenge M 1

Untere wendepunktphase

Aufschwungphase

Obere AbWende- schwungpunktphase phase

Stutzbereiche: 1955-IV - 1994-IV

Wende- schwungpunktphase phase 1958-ΙΠ - 1994-IV

Wende- schwungpunktphase phase — 1963-1 - 1994-IV

Eigene Berechnungen. - 'Durchschnittswerte der Klassifikation variablen. - 2 In vH des BSP. - In vH.

626

Ulrich Heilemann

Auf eine scharfe Unterscheidung von zyklischen/endogenen und exogenen Faktoren muß hier verzichtet werden, aber, wie auch Graphik 1 suggeriert, die Politik scheint "Nachzügler" zu sein: die Geldmenge expandiert am raschesten in der Oberen Wendepunktphase, wobei die Langfristigen Realzinsen noch abnehmen und das Staatsdefizit zum Teil bereits wieder steigt. Zwar ergeben die Durchschnittswerte der klassifizierenden Variablen kein über alle Zyklen unverändertes Bild, gleichwohl lassen sich einige Verallgemeinerungen vornehmen: -

Die Dauer der Phasen ist insgesamt recht konstant. Die für die Abschwungphase des Kondratieff-Zyklus gelegentlich behauptete abnehmende Länge der traditionellen Aufschwungphase (hier: Untere Wendepunlt- und Aufschwungphase) (Zarnowitz 1996, S. 211), findet hier keine Bestätigung, im Gegenteil scheint sie seit den achtziger Jahren zuzunehmen, aber für definitive Aussagen ist die Stichprobe zu gering. Die kürzere Dauer der traditionellen Abschwungphase (hier: Obere Wendepunktund Abschwungphase) stimmt dagegen mit den allgemeinen Erfahrungen überein, ist aber nicht sehr ausgeprägt. Die Dauer von Oberer und Unterer Wendepunktphase unterscheidet sich nur wenig; seit dem Beginn der siebziger Jahre war die Untere Wendepunktphase meist länger als die Obere.

-

Die relative zyklische Bewegung der klassifizierenden Variablen insgesamt ist über die Zyklen wenig verändert,

-

die Niveau der zyklische Dynamik der Variablen im Zeitablauf hingegen durchaus; die stärkste ist im sechsten Zyklus (1971-11 bis 1974-1) zu registrieren, der auch der kürzeste war.

Was die Erklärungskraft der zwölf Klassifikatoren angeht, so ist diese insgesamt durchaus befriedigend, wie die statistischen Ergebnisse belegen (Tabelle 1a und 1b). Allerdings machen die F-Werte deutlich, daß bei isoliertem Test nur neun der zwölf Variablen einen Erklärungs- bzw. Diskriminanzbeitrag leisten (zu weiteren Reduzierungen der klassifizierenden Variablen vgl. Röhl und Weihs 1998). Der multivariate Charakter des Zyklus wird aber insofern von den Schätzergebnissen eindrucksvoll unterstrichen, als die ausschließliche Verwendung des üblichen, auch von Helmstädter benutzten, Klassifikators "Veränderungsrate des realen BSP" zu deutlich höheren Fehlklassifikatoren führt, bemerkenswerterweise vor allem in den Auf- und Abschwungphasen.

Zum Wandel der "Stilisierten Fakten" des westdeutschen Konjunkturzyklus

627

Tabelle 1a Schätzergebnisse der standardisierten kanonischen Diskriminanzfunktionen 1>

Variable

Koeff. Funktion F-Wert 1 2 3 Abhängig Beschäftigte a -.75 -.70 .00 33.2 b .89 -.66 .12 32.9 c 1.17 -.38 .28 34.8 a -.34 -.69 -.50 20.0 BSP, real b .52 -.52 -.47 20.3 c .49 -.57 -.35 25.6 -.12 .87 10.8 a .80 Privater Verbrauch, real b -.76 -.09 .98 9.6 c -.82 -.09 .63 9.3 .04 .16 .23 6.3 a Gewerbliche Bauinvestitionen, real b -.19 .20 -.08 5.2 c -.18 -.02 -.35 11.7 -.36 .02 -.25 1.8 a Außenbeitrag in v.H. des BSP b .50 .06 -.15 1.9 c .51 .15 -.41 1.2 2.7 .73 .46 .15 a Staatsdefizit in v.H. des BSP b -.37 .50 .37 0.8 c -.13 .49 .20 0.3 1.67 -1.36 1.98 12.6 a BSP-Deflator b 1.83 2.18 1.41 13.9 c 1.33 2.46 1.25 16.8 13.6 .51 -.58 -.26 a Deflator des Privaten Verbrauchs b -.43 -.60 -.10 16.0 c -.25 -.38 -.10 22.9 -.17 -.93 18.6 a .50 Lohnstückkosten b -.55 -.07 -.73 18.3 c -.23 -.37 -1.13 15.4 -1.04 -.07 17.8 a 1.49 Kurzfrist-Zinssatz b -1.87 -1.14 -.03 23.5 c -1.85 -1.30 .18 44.8 -.77 1.41 2.4 1.06 a Langfrist-Zinssatz, real b 1.30 1.65 1.09 2.0 c 1.28 1.58 .58 0.9 .12 .47 5.6 a .53 M1 b -.46 .21 .50 7.0 .04 .61 10.4 c -.30 1) a: Ergebnisse für 1995-4 bis 1994-4, b: 1958-3 bis 1994-4, c: 1963-1 bis 1994-4.

2

1

0 .7

.3

.1

341.3 36 162.8 22 42.3 10

288.7 36 142.6 22 35.6 10

Freiheitsgrad

.00 .00 .00

.00 .00 .00

.00 .00 .00

f

Signifikanz

Ulrich Heilemann

Nach Angaben bei Heilemann und Münch 1999, S. 13 f. Eigenwerte: Eigenwerte der Diskriminanzfunktionen in fallender Ordnung; v.H. der Varianz: v.H. der Bedeutung der Diskriminanzfunktionen; Kum. v.H.: Kumulierte relative Bedeutung.

61.5 .88 92.5 .80 100.0 .55

.1

61.5 31.0 7.5

.8

.4

1 3.5 2 1.8 3 .4

0

c

2

1

1 1.9 2 1.2 3 .3

b

56.3 .81 91.2 .74 100.0 .48

56.3 35.0 8.8

1 1.4 2 1.1 3 .3

a

Eigenwert

v.H. der Kum. v.H. Kanonische Nach Wilks' Varianz Korrel. Funktion χ 52.0 52.0 .77 0 .2 273.9 36 38.7 90.6 .72 1 .4 141.9 22 9.4 100.0 .45 2 .8 34.2 10

Funktionen

Schätzergebnisse der standardisierten kanonischen Diskriminanzfunktionen (Fort.)

Tabelle 1b

628

Zum Wandel der "Stilisierten Fakten" des westdeutschen Konjunkturzyklus

629

III. Zum Wandel des Zyklus Die Hypothesen und Befunde zum säkularen wie zum aktuellen Wandel des Konjunkturzyklus sind mittlerweile sehr zahlreich (für die Vereinigten Staaten vgl. z.B. Gordon (ed.) 1986, oder Zarnowitz 1996, S. 92). Die vorgestellten Ergebnisse erlauben hier zwar keine definitiven Aussagen zu den Ursachen des Wandels, aber sie machen interessante Aussagen zum Phänomen, die nicht ignoriert werden sollten. In Tabelle 1 sind die Schätzergebnisse für drei Stützbereiche ausgewiesen, auf systematische Variationen des Stützbereiches wird gleich eingegangen. Läßt man die Frage nach der Signifikanz aller Einflußfaktoren gemeinsam außer Betracht, so zeigt sich bezüglich ihrer Einflußstärke, gemessen am F-Wert, über den gesamten Stützbereich (1955 bis 1994) folgendes: Stärkste klassifikatorische Bedeutung kommt der Zahl der abhängig Beschäftigten zu, es folgen die BSP-Entwicklung, die Lohnstückkosten, der Kurzfrist-Zinssatz, der Deflator des Privaten Verbrauchs, der BSP-Deflator, der Private Verbrauch, die Gewerblichen Bauinvestitionen, die Geldmenge, das Staatsdefizit, der LangfristZinssatz und schließlich der Außenbeitrag. Werden diese Variablen den Bereichen "Gütermarkt", "Monetärer Sektor", "Arbeitsmarkt" und "Preise, Löhne, Verteilung" zugeordnet, wie dies z.B. Kromphardt (1989, S. 176) in seiner Darstellung der Stilisierten Fakten getan hat, so ergibt sich eine Dominanz des Arbeitsmarktes bzw. des Gütermarktes, gefolgt von der Preis- und Kostensphäre, der dann wieder Aggregate des Gütermarktes und der monetären Sphäre folgen. Mit der Verkürzung des Stützbereichs wandelt sich dieses Bild allerdings insofern erheblich, als die Preis- und vor allem der Zinsvariablen (KurzfristZinssatz) zu "entscheidenden" Klassifikatoren bzw. phasenprägenden Einflußfaktoren wurden. Die klassifikatorische Bedeutung der Variablen in den drei standardisierten kanonischen Diskriminanzfunktionen weist insgesamt eine große Ähnlichkeit auf, wie die Werte für den Korrelationskoeffizienten bzw. den Rangkorrelationskoeffizienten erkennen lassen (Tabelle 2). Besonders deutlich sind erwartungsgemäß mit Werten zwischen 0,7 und 0,8 bzw. 0,6 und 0,6 (Rangkorrelation) die Beziehungen zwischen den Parametern der 1. und der 2. Diskriminanzfunktion. Dies gilt (für alle drei Funktionen) auch im Zeitablauf. Bei detaillierter Betrachtung zeigt sich auch hier, daß der Kurzfrist-Zinssatz zunehmend an Bedeutung gewinnt und im aktuellsten Stützbereich sogar an die erste Stelle rückt, wie auch die klassifikatorische Bedeutung der Preisvariablen zunimmt - zu Lasten der Lohnstückkosten (Tabelle 1). Wie stellen sich der Parameter-Einfluß und seine zeitliche Entwicklung für die Klassifikation einzelner Phasen dar? Für die Abgrenzung von Auf- und Abschwung (Funktion 1) erweisen sich vor allem der Kurzfrist-Zinssatz, der BSPDeflator, der Private Verbrauch, der Langfrist-Zinssatz und die Zahl der Beschäftigten als bedeutsam, im Falle der Abgrenzung der jeweiligen Wendepunktphasen (Funktion 2) kommt vor allem dem BSP-Deflator, dem LangfristZinssatz, dem Kurzfrist-Zinssatz, der Zahl der abhängig Beschäftigten sowie

630

Ulrich Heilemann

dem Privaten Verbrauch eine entscheidende Bedeutung zu; erst danach folgen BSP, Staatsdefizit, Bauinvestitionen usw. (Rangkorrelationen!). Mit anderen Worten, auf der Grundlage der Parameter bzw. ihrer Entwicklung kommt dem Gütersektor in beiden Fällen keine ausschlaggebende Bedeutung zu, entscheidend sind vielmehr die monetäre Sphäre - Zinsen, Preise - sowie die Beschäftigung. Auch bezüglich der Parameterentwicklung ist eine beachtliche Stabilität zu registrieren.

Tabelle 2 Zum Zusammenhang der Diskriminanzfunktionen

Stützbereich

Funktion 1/2

1/3

2/3

Korrelationskoeffizient

Rangkorrelation

Korrelationskoeffizient

Rangkorrelation

Korrelationskoeffizient

Rang ko rrelation

a

0,737

0,644

0,358

0,238

0,552

0,126

b

0.832

0,420

0,420

0,334

0,525

0,098

c

0,700

0,563

0,088

0,144

0,427

-0,127

a/b

0,916

0,797

0,996

0,968

0,061

0,902

a/c

0,833

0,762

0,968

0,856

0,876

0,757

b/c

0,937

0,916

0,970

0,829

0,805

0,828

Eigene Berechnungen. Zu den Diskriminanzfunktionen (1, 2, 3) und den Stützbereichen (a, b, c) vgl. Tabelle 1.

Zur Untersuchung der Stabilität und Robustheit der Diskriminanzfunktionen erfolgten ferner eine Reihe von rekursiven und "leave-one-out"-4 Schätzungen. Im Falle der sukzessiven Erweiterung des Stützbereichs um je vier Quartale, eine Phase und einen Zyklus ergab sich wiederum eine beachtliche Stabilität der Parameter, entsprechend wurde auch der oben festgestellte Parameteroder Bedeutungswandel der Klassifikatoren nicht in Frage gestellt (Graphik 2, Anhang; die zeitliche Zuordnung erfolgt jeweils zum Mittelpunkt der einzelnen Schätzungen). Ein ähnliches Bild resultiert, wenngleich weniger deutlich, auch aus den Entwicklungen der Parameter der vorwärts- und rückwärts-rekursiven Schätzungen, auf deren Wiedergabe hier verzichtet werden mußte. 4 Bei der leave-one-out-Schätzung geht es darum, durch sukzessive Eliminierung je einer Periode aus dem Stützbereich unverzerrte Schätzwerte für den Klassifikationsfehler zu erhalten (Lachenbruch 1967). Hier diente diese Vorgehensweise dazu, Hinweise auf den Einfluß der eliminierten Perioden, Phasen, Zyklen (influential data) auf die Parameter und die Gütemaße der Diskriminanzfunktionen bzw. das daraus resultierende Zyklenbild zu gewinnen und so die rekursiven Analysen zu ergänzen.

Zum Wandel der "Stilisierten Fakten" des westdeutschen Konjunkturzyklus

631

Für eine abschließende Interpretation und Bewertung dieser Befunde sind diese noch einer Reihe von Spezifikations-, Sensitivitäts- und RobustheitsTests zu unterwerfen und auch die Ko-Faktoren (Mittelwerte der standardisierten Variablen) ins Bild zu nehmen. Dies muß späteren Untersuchungen vorbehalten bleiben. Bislang deuten die Ergebnisse auf eine Dominanz der monetären (Zinssätze) und der Preissphäre bei der Phasenzuordnung hin, während die Gütersphäre eine zwar beachtliche, aber deutlich nachgeordnete Rolle zu spielen scheint. Besonders auffällig ist darüber hinaus die Rolle der KurzfristZinsen, stellen sie doch eine Politikvariable dar. Für das Staatsdefizit traf dies bislang bekanntlich nur in wenigen Ausnahmefällen zu. Immerhin zeigt sich, daß seine klassifikatorische Bedeutung im Zeitverlauf durchaus zunahm, was angesichts seines wirtschaftspolitischen Bedeutungsgewinns seit den siebziger Jahren nicht überrascht.

IV. Zusammenfassung und Bewertung Die vorgelegten Ergebnisse deuten auf eine vergleichsweise hohe Stabilität des untersuchten Ensembles von konjunkturklassifizierenden Variablen im Untersuchungszeitraum hin, was aber Gewichts- oder Bedeutungsverschiebungen einzelner Variablen nicht ausschließt. Letztere sind vor allem insofern zu registrieren, als gewissermaßen die "Konjunkturbedeutung" der Preis- und der monetären Sphäre, wenn nicht der Geldpolitik generell, tendenziell zu, und die der Realwirtschaft tendenziell abgenommen zu haben scheint. Die Ergebnisse bedürfen noch vielfältiger systematischer Überprüfungen, auch was den hier verwendeten Satz von Klassifikatoren angeht. Mit Blick auf die Differenzierung der Aussagen zu Form und Determinanten des konjunkturellen Wandels steht dabei die zeitliche Entwicklung der Reaktionsparameter der drei Diskriminanzfunktionen an vorderster Stelle. Das analytische Potential des vorgestellten Ansatzes für die handlungs- wie für die kognitiv orientierte Konjunkturanalyse ist dabei sehr viel breiter und tiefer, als hier zu nutzen war. Zwar kann die phänomenologische Analyse naturgemäß keine Ursachen benennen, aber es wäre heute bereits viel gewonnen, wenn über die erklärungsbedürftigen "Fakten" mehr Klarheit bestünde: Haben sich die Ursachen oder der Verlauf der zyklischen Prozesse in der Bundesrepublik (impulse oder propagation) - oder gar beide - gewandelt? Läßt sich eine stabilisierende Rolle der staatlichen Konjunkturpolitik ausmachen, in welchen Phasen und um welchen Preis (Inflation)? Welche Rolle kommt dem strukturellen Wandel etwa im Arbeitsmarkt für den Zyklus zu? Auf absehbare Zeit - wie immer - mehr Fragen als Antworten! Daran, daß wir sie stellen, wie und wo wir sie heute stellen, hat Ernst Helmstädter großen Anteil.

41 ifo Studien 1999

632

Ulrich Heilemann Zusammenfassung

Die Arbeit nimmt die Frage nach der Multidimensionalität des deutschen Zyklus, wie er dem Konzept der Stilisierten Fakten zugrunde liegt, auf. Inhaltliche Grundlage bildet ein Vier-Phasen-Schema des Zyklus, methodische Basis ist die multivariate Diskriminanzanalyse. Die mit ihr für dieses Schema erzielten Ergebnisse und deren Implikationen für die Charakterisierung der vier Phasen werden diskutiert. Verschiedene Variationen des Stützbereichs geben deutliche Hinweise auf den Wandel der zyklischen Bedeutung einzelner Variablen bzw. Variablengruppen, in erster Linie was den Einfluß der realen und monetären Sphäre angeht.

Summary The paper examines the multidimensionality as implied by the concept of stylized facts. Starting point is a four phase cycle scheme. With the help of multivariate discriminance analysis twelve macroeconomic variables can be identified which reproduce this scheme for West Germany in sufficient way. The results and their meanings for the single phases are discussed and the stability of their cycle and phase relevance are examined. It turns out that the West German cycle over the last forty years experienced a continuous loss of relevance of the real sphere while that of the monetary sphere increased.

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Zum Wandel der "Stilisierten Fakten" des westdeutschen Konjunkturzyklus

633

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4 Quartale

-2

°

3



7

0,5

1,5

ίΠ

ι ι I I 72-rV

-0,5 -

/

f 1 ^

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1,5 i,o 0,5 ^

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I I I . I 1 -2 -2 1 I . I . 76-IV 78-IV 68-1 72-ΙΠ

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3

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3

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Zyklus

— — — Finkticn3

1 1 72-ΠΙ

Text.

pi 1 I . I 1 -2 -2 'η 76-ΙΠ 78-Π 67-1 68-ΠΙ

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MP, real

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p1 -2 78-ΙΠ

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-0,5

0

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ι ι ι 68-IV

4 Quartale

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0

i . __ ~ )V\i/\ f 0,5 - ^IMV jf''^

1,5

Stabilität der Parameter der Diskriirinanzfimktioneii1 1963-IVbis 1994-IV, Xfcrändenng gegenüber dem Vrjahr in vH Lohn- und Gehaltsenpfönger

Graphik 2 634 Ulrich Heilemann

0

-1,5

2

2

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68-IV

0,5

68-1

Funktion 1

72-IV

76-IV 78-IV

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68-IV

Funktion2

68-1

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72-ΙΠ

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0

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— — — Rrictiai3 Text.



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1

0,5

67-1 68-ΙΠ

- -1,0

-

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76-ΙΠ 78-Π

ρ-ι—rn

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1,0

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2

Gewerbliche Bauinvestitionen, real

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-0,5 -

0

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1,0

0

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- -0,5

-

1,0

76-IV 78-IV

1 ι ι ι ι ι ι ι ι ι ι ι ι ι ι ι ι ι ι ι I I ι' -1,5

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4 Quartale

72-IV

-2

ο —; j

1 ι ι ι ι ι ι ι ι ι [ ι ι ι ι ι ι ι ι ι ι ι ι

-ι,ο -

-0,5 -

4 Quartale

1963-IVbis 1994-IV, Veränderung gegenüber demVrjahr in vH

Stabilität der Parameter der D&kriirinanziunktionen1

" .ÌÙC- — '

0,5 - I

1,0

-2

o

1

2

noch Graphik 2

Zum Wandel der "Stilisierten Fakten" des westdeutschen Konjunkturzyklus 635

ΰ €Ο C

I

I

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I

0,5 -

1,0

I "1>5

-0,5 - j

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Funktion 2



72-ΙΠ

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-1,0 68-1

0,5

72-ΙΠ

ρ-ι—π

Text.

— — — Funktion 3

67-1 68-ΙΠ

1—ι rj -1,0

72-ΙΠ

-1,0

ο

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78-ΙΠ

1

-0,5

78-ΙΠ

1

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ο

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-1,5 | 72-ΙΠ

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- -0,5

1,0

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67-1 68-ΙΠ

1—ι—r^ -1,5

-0,5

76-ΙΠ 78-Π

1—ι

- -0,5

Λ

1,0

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-ι,ο -^y

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76-ΙΠ 78-Π

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0

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1,0 0,5

- -0,5

S

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1,0

Staatsdefizit, in vHdes BSP

68-1

Eigene Beredrongen.-!Zu dm Einzdheiten der je\^ligm

76-IV 78-IV



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- -0,5

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1,0

76-IV 78-IV

'

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Phase

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72-IV

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68-IV

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1,0

72-IV

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4 Quartale

Stabilität der Parameter der Dislaiirinanzfunktionen1 1963-IVbis 1994-IV, \fcrärderung gegenüber demVrjahr in yH

ÏRWÏ1

1

1

636 Ulrich Heilemann

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4 Quartale

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76-IV 78-IV

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68-1

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-

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Text.

1

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78-ΙΠ

1

- -1

^cT^

Zyklus

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72-ΙΠ

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-1,0

\

72-ΙΠ

-2

2

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1,0

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1

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76-ΙΠ 78-Π

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67-1 68-ΙΠ

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- -0,5

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1,5

76-ΙΠ 78-Π

1—ι

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0

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i

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-

0

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0,5

1,5

68-1

EigmeBeredirixigm. -^cfenEinzdhdtend^

—Funktion 1

68-IV

2

-

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76-IV 78-IV

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2

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4 Quartale

72-IV

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-2

1

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-

4

Phase

1963-IVbis 1994-IV, Xferärefenmg gegenüber demVijahr in vH

Stabilität der Parameter der Diskriirinanziunktionen1

- VÄrv/^^

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1

2

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4

noch Graphik 2

RWÏ

1 -1,5

Zum Wandel der "Stilisierten Fakten" des westdeutschen Konjunkturzyklus 637

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4 Quartale

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3

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2

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1

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Zyklus

~

1

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— — — Funktion 3

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2

Kurzfristiger Zinssatz, in vH Phase

-3

0

1

A,

Eigene Berechrxngen — 'Zu den Einzelheiten der jev\eiligen Veränderungen der Stützbereiche vgl. Text.

Funktion 2

ι ι ι ι ι ι ι ι ι ι ι ι ι ι -3 72-IV 76-IV 78-IV 68-1

— Funktion 1

-

4 Quartale

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3

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1963-IVbis 1994-IV, Veränderung gegenüber demVrjahr in vH

Stabilität der Parameter der Diskriminanziunktionen1

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2

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noch Graphik 2

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638 Ulrich Heilemann

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68-1

HgmeBerediiTJTgen. —^dmEinzidheitm

76-IV 78-IV

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76-ΙΠ 78-Π

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68-IV

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-

5

Langfristiger Zinssatz, real, in vH

1963-IVbis 1994-IV, Vränderung gegenüber demVrjahr in vH

Stabilität der Parameter der Diskriirmnanzfunktiorien 1

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4 Quartale

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1

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5

noch Graphik 2

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1

p-J -1

Zum Wandel der "Stilisierten Fakten" des westdeutschen Konjunkturzyklus 639

Helmstädters M-Zyklus: Messung und Erklärungsansatz Von Karl Heinrich Oppenländer Inhalt I. Helmstädter und der M-Zyklus II. Meßkonzepte III. Urteile und Erwartungen aus Befragungen IV. Erklärungsansatz

I. Helmstädter und der M-Zyklus Ernst Helmstädter hat sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit auch mit Wachstumszyklen befaßt, mit ihrer Erfassung, mit ihrer Interpretation, mit ihrer Verwendung zur Konjunkturprognose (1989, 1998). Im folgenden sollen einige Feststellungen Helmstädters herausgegriffen und diskutiert werden. Zunächst ist auf die Messung der Wachstumszyklen 1 einzugehen. Helmstädter hat aus der Betrachtung der Verläufe der Wachstumsraten des realen BSP seit 1950 eine M-Form des Konjunkturzyklus abgeleitet. Die möglichen alternativen Meßmethoden sind zu diskutieren. Werden ähnliche Verläufe festgestellt oder ist die von Helmstädter vorgeführte "Konjunktursymptomatologie" (1989, S. 390) abhängig von der Meßmethode? Es wäre für die Konjunkturforschung weiterführend, wenn auch durch andere Meßmethoden der M-Zyklus bestätigt werden könnte. Dieser reicht als empirischer Tatbestand allerdings nicht aus, um zu einer Konjunkturzyklus-Erklärung vorstoßen zu können. Hier ist zu prüfen, ob aus den Meßmethoden Ableitungen für die Erklärung hervorgehen (könnten). Helmstädter ist zurückhaltend. Eine Erklärung hat er nicht versucht. Dennoch genügt ihm die Feststellung eines empirischen Tatbestandes, um "wirtschaftspolitische Schlußfolgerungen" (1989, S. 390) zu ziehen, die sich aus dem aktuellen Rand des M-Zyklus ableiten lassen. Ist eine Regelmäßigkeit des Zyklus festgestellt, dann wird aus der Kurve heraus argumentiert: die Konjunkturprognose hätte einen "ersten Halt" bekommen. Helmstädter bekräftigt dies: "Used in practical forecasting, these instruments can help to improve the forecast results" (1998, S. 114). Freilich muß dieses "aus der Kurve

1 Schon aus 1973 stammt eine Buchveröffentlichung von Ott über "Wachstumszyklen. Über die neue Form der Konjunkturschwankungen".

642

Karl Heinrich Oppenländer

heraus argumentieren" immer unbefriedigend bleiben. Man wird hier an die Kritik Koopmans des Measurement without Theory erinnert. Im folgenden wird deshalb versucht, aus der Meßmethode des Konjunkturzyklus heraus zu einer Erklärung zu kommen. Hierzu werden einige neuere Erkenntnisse der Konjunkturtheorie berücksichtigt. Liefern Erwartungshaltungen der Unternehmen die Erklärung?

II. Meßkonzepte Als denkbarer Meßansatz für Konjunkturzyklen gilt der von Mintz (1969) vorgeschlagene, wobei zwischen klassischem Zyklus und Wachstumszyklus unterschieden wird; ersterer ergibt sich, wenn das Vorzeichen von Wachstumsraten (beim realen BSP) wechselt, letzterer "define different states between points of extreme deviation from an average trend" (Amstad 2000, S. 6, dort auch der Hinweis auf Mintz). Nach dieser Definition wählt Helmstädter wohl eine einfache Form der Messung. Er konstruiert aus vierteljährlichen Wachstumsraten des realen BSP eine Kurve. Der "Trend" ist hier der dahinterstehende statistische Durchschnitt.2 Eine der modernen Darstellungen des Trends wird mit dem Hodrick-Prescott-Filter gewonnen. Eine andere Vorgehensweise wendet die OECD an ("The OECD uses the so called 'phase average trend' PAT which obeys the rules set by the Bry-Boschan procedure to determine turning points with the growth cycle concept" (OECD 1987, nach Amstad 2000, S. 8)). Es soll hier nun nur so viel gesagt werden, daß sich Helmstädter einer sehr einfachen Methode bedient, die aber in der Literatur als Meßkonzept durchaus anerkannt ist (Wachstumszyklen). Es wäre reizvoll, seine Daten mit Hilfe von "modernen" Methoden erneut auf den M-Zyklus-Charakter zu überprüfen. Eine andere Methode zur Identifizierung der Konjunkturkurve wird vom Autor angewandt (Oppenländer 1995a, S. 477). Ausgangspunkt ist die Tatsache, daß eine Wirtschaft höchstens mit dem zur Verfügung stehenden Wachstumspotential wachsen kann. Damit ist eine Obergrenze vorgegeben. Konjunkturbewegungen sind dann gegeben, wenn dieses Potential nicht vollständig genutzt wird, was in der Regel der Fall sein wird. Die Konjunktur wird als Schwankung im Nutzungsgrad dieses Potentials definiert: Bezeichnet man die Inputs in einer Volkswirtschaft mit L (verfügbares Arbeitskräftepotential), Κ (Kapitalstock), R (natürliche Ressourcen) und Τ (vorhandenes Wissen), so ergibt sich die Kapazität C (Produktionspotential) mit

2

Die Verbindung von Wachstumsraten zu einer Kurve ist nicht zulässig, da hier eine vergleichende Methode (Veränderung zum Vorjahr) angewendet wird, nicht aber eine Zeitreihe vorliegt. Die Wirtschaftsforschungsinstitute und der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung wählen deshalb in einem solchen Fall des Vergleichs die Säulendarstellung.

Helmstädters M-Zyklus: Messung und Erklärungsansatz

643

C = f(L,K,R,T). Die Differenz zwischen Potential und seiner Nutzung wird im Auslastungsgrad λ angegeben ;i = Y/C, wobei mit Y das reale Bruttoinlandsprodukt bezeichnet wird. Die Bestimmung des Auslastungsgrades λ und seiner Veränderung setzt also die Bestimmung des Produktionspotentials voraus, da Y bekannt ist. Von der Deutschen Bundesbank und dem Sachverständigenrat werden unterschiedliche Methoden der Berechnung des Produktionspotentials angewandt. Sie sind mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden (vgl. Oppenländer 1994). Hier wird die "Befragungsmethode" bevorzugt. Das ifo Institut liefert vierteljährlich für 325 Bereiche die von den Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe angegebenen Auslastungsgrade und ihre Aggregation. Die Unternehmen messen die Nutzung an der "betriebsüblichen Vollauslastung". Es wird damit also nicht C bestimmt sondern λ. Damit werden Probleme, die bei der Bestimmung des Produktionspotentials auftreten, vermieden. Eine Definition für C wird nicht vorgegeben, da erreicht werden soll, daß die Unternehmen das jeweilige Potential als variabel ansehen. Die Größe λ mißt also den Abstand zwischen einem Potential, das auch durch kurzfristige Änderungen im Kapitalstock oder durch Arbeitszeitverkürzungen, durch Veränderungen in der Kapitalintensität usw. geändert wird und der jeweiligen Nutzung. Das Ergebnis dieser Erhebungen ist in Abbildung 1 dargestellt. Daß hier lediglich das verarbeitende Gewerbe berücksichtigt wurde, wird damit begründet, daß Konjunkturbewegungen vor allem im produzierenden Gewerbe stattfinden. Das läßt sich leicht anhand der verschiedenen statistischen Reihen für einzelne Sektoren nachvollziehen. Schematisiert man nunmehr die Veränderungen im Auslastungsgrad, so resultiert Abbildung 2. Es ist unschwer ein "M-Zyklus" zu erkennen, der folgendermaßen zu beschreiben ist. Der Konjunkturzyklus ist unregelmäßig. Dennoch sind einige "Wiederholungen" charakteristisch. Allgemein beschreiben läßt sich der Zyklus durch Wendepunkte sowie Auf- und Abschwünge. Die Wendepunkte im oberen Teil (Boomphase) erreichen in der Regel Auslastungsgrade von über 85%; sie sind in Form einer "Kappe" angelegt und können durchaus drei bis sechs Quartale andauern. Die unteren Wendepunkte (Rezessionsphase) sind durch Auslastungsgrade von 78% und weniger gekennzeichnet. Sie haben Trichterform und halten höchstens zwei bis drei Quartale an (Oppenländer 1995b, S. 13). Die Abschwünge verlaufen stetig und dauern etwa zwei Jahre. Der Abfall in der Kapazitätsauslastung beträgt etwa elf bis zwölf Prozentpunkte. Die Aufschwünge ziehen sich länger hin; sie sind zweigeteilt. Zunächst erfolgt ein "Anfangsaufschwung", gefolgt von einem kurzen "Zwischenabschwung", der wiederum gefolgt wird von einem "Endaufschwung". Die Werte für die Veränderungen in den Prozentpunkten der Kapazitätsauslastung gehen im einzelnen aus Abbildung 2 hervor (vgl. auch ebenda, S. 149).

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1

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95

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Karl Heinrich Oppenländer

1) Ohne Nahrungs- und Genußmittel.- Rezessionphasen mit einer Kapazitätsauslastung unter 80% sind schraffiert. Quelle: ifo Konjunkturtest.

Hb

1971172173174175176177178179 80|81|82 83|84|85 86|87|88 89|9θ|91 92|93|94 95|96|97 98|99

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95

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Graphik 1 644 70

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Hl/75 (75,1)

Hl/82 (74,6)

III/93 (78,0) in

Klammern:

ArirAr

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20 -

30

Zusammenhang zwischen der Lagèbeurteilung und den Erwartungen nach dem ifo Konjunkturtest Verarbeitendes Gewerbe1), 1996 bis 2000

Graphik 3

Hb

Helmstädters M-Zyklus: Messung und Erklärungsansatz 647

648

Karl Heinrich Oppenländer

Der Wendepunkt des Zwischentiefs wird in 1/1996 erreicht (Grad der Kapazitätsauslastung 81,8%). Der Endaufschwung ist lange Zeit charakterisiert durch eine schlechte Beurteilung der GL (Saldo zwischen -30 und -20). Er wird allein getragen durch die immer "besser" werdenden Werte der GE. Die folgende Verlangsamung der "besseren" GE ist gleichzeitig die Zeit der beginnenden Verbesserung der GL. Der rechte Extrempunkt der GE liegt bei etwa +22%. Danach wird die Boomphase um die Jahreswende 1997/1998 erreicht. Sie hält bei sich verringerndem Optimismus (gekennzeichnet durch langsam kleiner werdende Saldenüberschüsse bei GE) noch ein halbes Jahr an, um dann im Frühjahr 1999 die Rezessionsphase (bei relativ hohem Niveau) zu erreichen. Seither ist eine leichte Aufwärtsbewegung unverkennbar. Aus dieser kurzen Beschreibung sind zwei Erkenntnisse abzuleiten: Auf der einen Seite läßt sich die Konjunkturkurve sehr deutlich durch das Wechselspiel zwischen GL und GE beschreiben. Sie kann auch die Erklärung der Veränderungen der Kapazitätsauslastung in Abbildung 2 gut ergänzen. Gerade in letzter Zeit ist aber die Regelmäßigkeit des Konjunkturzyklus "gestört". Man hätte seit IV/1997 einen stetigen Abschwung erwarten dürfen. Mag sein, daß die Ortsbestimmung des Phasenhöhepunkts ungenau war. So ist, wie Abbildung 3 zeigt, die Kappe des Booms durchaus noch einige Quartale wirksam geblieben, Deutlich wird daraus aber auch, daß man sich nicht zu sehr auf die Prognosetragfähigkeit der Konjunkturkurve verlassen darf. Die Schlußfolgerung hätte bedeuten müssen, daß 1999, spätestens 2000 eine Rezession ins Land gegangen wäre. Die Vermutung lautet, daß man aus dem Meßkonzept heraus (Veränderung des Grades der Kapazitätsauslastung und Verfeinerung der Beschreibung dieser Konjunkturkurve durch Beurteilungs- und Erwartungswerte der Unternehmen) zu einer Erklärung des Konjunkturzyklus vorstoßen könnte.

IV. Erklärungsansatz Läßt sich im Rückgriff auf die Konjunkturtheorie eine Verbindung zwischen theoretischer Modellierung und Erwartungsbildung bei den Unternehmen in bezug auf den Konjunkturzyklus herstellen? Die heutige Erkenntnis in der Theorie wird immer noch geprägt vom grundlegenden Aufsatz von Frisch (1933), der zwischen propagation und impulse unterschied, damit ausdrückend, daß sowohl anstoßorientierte Theorien (heute würde man sagen politische Zyklen und Gleichgewichts-Konjunkturtheorien) als auch Theorien der endogenen Zyklik (Zyklik durch verzögernde Anpassung, durch Auffüll- und Bestandseffekte, durch Entstehen von Disparitäten, aber auch durch Erwartungsinduzierung) als Erklärung in Frage kommen. Verwirrend ist die Vielfalt der Erklärung (Modellpluralismus) ebenso wie die Axiomatik der Erklärung, die oft die Realität nicht einfangen kann. Konzentriert man sich nun auf die Erwartungsbildung und ihre Modellierung, so wird die eben beschriebene Problematik deutlich.

Helmstädters M-Zyklus: Messung und Erklärungsansatz

649

In der Literatur haben sich die rationalen Erwartungen, in Weiterentwicklung der autoregressiven (extrapolativen, regressiven, adaptiven) einen festen Platz als Erklärungsversuch erobert, daß hier ein Verursachungsprozeß konstruiert wird. (Die Weiterentwicklung ist übrigens präzise von Heubes 1995, S. 22 ff. dargestellt worden). Das Problem des Erklärungsversuchs liegt in der Axiomatik: "Es wird nicht modelliert, wie sich Wirtschaftsobjekte tatsächlich verhalten, sondern wie sie sich verhalten müßten, wenn sie Exemplare der Gattung homo oeconomicus wären, die den ökonomischen Nutzen maximieren" (Tichy 1992, S. 48). Damit "überfordert" man aber den Unternehmer: er ist perfekt in der Adaption von Informationen, er ist perfekt im Lernverhalten und in der Lernfähigkeit. Er agiert nicht nur im Rahmen des Modells, sondern sieht auch jeweils die Veränderungen der Parameter mit ihren Mittelwerten und Streuungsmaßen voraus. Die Erwartungsbildung wird damit postuliert, nicht so sehr aus der Wirklichkeit abgebildet. Die Versuche, rationale Erwartungsbildung zu testen, sind zahlreich. Sie sind durchwegs negativ beschieden worden. Kukuk kommt in seiner Betrachtung über "Haben Unternehmer rationale Erwartungen" (1994) zu dem Schluß, daß, da die Erwartungsbildung nur über qualitative Daten einzufangen sei (siehe Abbildung 3) zunächst das Problem entstehe, daß jedes "vorkommende qualitative Merkmal ... als grobe Messung einer latenten Variablen interpretiert (wird)", wobei eine bivariate Normalverteilung unterstellt wird (ebenda, S. 114). Das ganze wird zu einem Schätz- und Verteilungsannahmeproblem. Er kommt eher zum Schluß, daß "mit den ifo Konjunkturtestdaten die REH abgelehnt wird" (ebenda, S. 124). Lücke hat in seinem Beitrag "Wie fehlspezifiziert sind Real Business Cycle Modelle?" (1998) die einfache Aussage gemacht, daß die "ausschließlich angebotsseitig orientierten RBC-Modelle ... deutschen makroökonomischen Daten nicht angemessen (sind)" (ebenda, S. 73). Nach Tichy haben sich eigentlich nur Jöhr (1952) und die Sunspot-Theorie (z.B. Woodford 1987) mit der "Wechselbeziehung zwischen Erwartung und Konjunktur... beschäftigt" (Tichy 1992, S. 47). Jöhr weist auf die Notwendigkeit hin, daß Unternehmer bei Unsicherheit Entscheidungen treffen müssen. "Handlungen der anderen gewinnen dabei als (zumindest vermeintliche) Informationsträger besondere Bedeutung, insbesondere in Phasen des Pessimismus" (ebenda). Gerade "die wichtigsten Unternehmerentscheidungen sind eher durch Lemming-Verhalten als durch kalkulierbare ökonomische Vorteile bestimmt" (ebenda, S. 49). Die Sunspot-Modelle berücksichtigen den "Einfluß irrelevanter, aber für wichtig gehaltener Ereignisse (sunspots) auf die Wirtschaftslage" (ebenda, S. 48). Die Sunspot-Theorien haben eine lange Tradition. Es war vor allem John Mills, der glaubte, Unternehmerentscheidungen auf einen "single cause" zurückführen zu können. Er fand ihn in "commercial moods" (Peart 1997, S. 664), wobei verschiedene Stimmungen jeweils verschiedene Zyklenphasen prägen würden. Diese Stimmungen beeinflussen die Kreditnahme und die geplanten Investitionsaktivitäten der Unternehmen. Insbesondere W.S. Jevons hat dann eine Verbindung zu harvest fluctuations gesucht. In neuerer Zeit ist diese Sicht verändert worden. Die Bezeichnung sunspot wird nun dafür verwendet, Varia42*

650

Karl Heinrich Oppenländer

ble zu benennen, die keinen realen Effekt zur Wirtschaft haben. Sie beeinflussen aber, wie bei Mills und Jevons, Stimmungen. Modelle werden und wurden konstruiert, die "extrinsic uncertainty" ("animal spirits" oder "sunspots") als Ursache für reale Effekte in einem überlappenden Generationenmodell annehmen, wobei aber die Agenten rationale Erwartungen haben (Cass und Shell 1983). Andere Modelle verwenden wiederum adaptive Lernverhalten, um zu beweisen, daß es eine Konvergenz zu einem stationären sunspotGleichgewicht gibt (Woodford 1990). Peart beurteilt diese neueren Entwicklungen distanziert: "modern sunspot research is highly theoretical and technical. Nor is there any consensus on whether (modern-day) sunspots actually play a key role in the business cycle" (Peart 1997, S. 666). Tichy beklagt denn auch, daß es zwischen der axiomatischen Formulierung der Erwartungsbildung und dem Versuch, Erwartungen der Unternehmer durch Befragungen zu analysieren, "so gut wie keine Verbindung gibt" (Tichy 1992, S. 48). Es existiert also die groteske Situation, daß die Vermutung besteht, Erwartungen, wie auch immer erklärt, könnten (müßten) Erhebliches zur Erklärung von Konjunkturzyklen beitragen. Die Modellierung ist aber gekennzeichnet durch Vielfalt, auch durch Einengung. Andererseits ist eine unmittelbare Anknüpfung der Theorie an durch die Empirie gewonnenen stilisierten Fakten nicht gelungen. Die Hypothesenbildung steckt offenbar in den Kinderschuhen. Zu vermuten ist hier eine schwierige Aufgabenstellung. Das größte Problem bei der Modellierung von Erwartungen besteht darin, daß in unterschiedlichen Phasen des Konjunkturzyklus die Unternehmer den gleichen Tatbestand unterschiedlich beurteilen ("Unterschiedlichkeit der Einschätzung identischer Tatbestände"). Es ginge also auch darum, Hypothesen über diese Unterschiedlichkeit aufzustellen. Wiederum sieht man sich dem Problem gegenüber, Unsicherheiten, die in verschiedenen Konjunkturphasen auftauchen, entsprechend zu modellieren. Es bietet sich wahrscheinlich ein zweistufiges Modell an, da die Erwartungshaltung in Aufschwungs- und Boomphasen anders modelliert werden müßte als in Abschwungs- und Rezessionsphasen. Dazu kommt, und darauf weist auch Tichy hin (ebenda, S. 71), daß mittelfristige Analysen, die möglicherweise über einen ganzen Konjunkturzyklus gehen, unabdingbar sind, um das "Wirtschaftsklima" einzufangen, das letztlich Pessimismus und Optimismus beeinflußt. Ein Fortschritt in der Modellierung läßt sich nicht erkennen. "The implication is that expectations are assigned a role in the explanation of economic instability only insofar as people make rational mistakes" (Klamer 1997, S. 206). Das ist nach wie vor der Inhalt der mainstream economics. Ein Umdenken wäre vonnöten. Animal spirits und sunspots warten weiter darauf, modelliert zu werden. Sie könnten zur Erklärung von Helmstädters M-Zyklus beitragen.

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Die Tübinger Konzeption des Wirtschaftskreislaufe, Beiträge von Ernst Helmstädter und aktuelle empirische Kreislaufaspekte Randnotizen zur Kreislaufanalyse Von Adolf Wagner Inhalt I. Einleitung II. Veränderungen der sektoralen Kreditverflechtung? III. Empirisch ungültige Definitionsgleichungen?

I. Einleitung Analogmodelle des Güter- und Geldkreislaufs einer Volkswirtschaft sowie mathematisch stringente Darstellungen ökonomischer Kreisläufe (mit Systemen von Budgetgleichungen oder von Konten, sowie mit Matrizen oder Graphen) haben eine lange Geschichte mit überwiegend kontinentaleuropäischen Wissenschaftlern. Den Tübinger Hans Peter findet man auch heute noch in den Listen der einschlägigen Weltliteratur zur Modellierung der Kreislaufidee (vgl. Gilibert 1987, S. 426). "Die Tübinger Konzeption des Wirtschaftskreislaufs" (siehe Ihring 1998) umfaßt eine Gruppe von Wissenschaftlern mit Verwandtschaftslinien zur früheren Fakultät von Hans Peter. Der Kern besteht aus Hans Peter (1889-1959), Erich Preiser (1900-1967), Carl Föhl (1901-1973), Wolfgang Stützel (1925-1987) und Helmut Reichardt (geb. 1922). Der Gruppe kann über Erich Preiser auch Ernst Helmstädter zugeordnet werden (siehe Helmstädter 1981). Eine besondere Leistung von Ernst Helmstädter besteht u.a. in der vortrefflichen Lehrbucherschließung von Begriffen und Modellen der Kreislaufanalyse (siehe z.B. Helmstädter 1986, danach auch Wagner 1998, S. 48-67). Der ungenügende kreislauftheoretische Kenntnisstand sowie der insgesamt unbefriedigende Stand der Modellierungen zur kurz- und langfristigen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung offener Volkswirtschaften (Konjunkturen und Wachstum, Wachstumszyklen) müssen das Interesse an den kreislauftheoretischen Schriften von Ernst Helmstädter und "anderen Tübingern" wachhalten. Meine Randnotizen betreffen (I.) Veränderungen der sektoralen Kreditverflechtung und (II.) empirisch ungültige Definitionsgleichungen.

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Adolf Wagner II. Veränderungen der sektoralen Kreditverflechtung?

Ein Forschungsergebnis ist die nun bestehende Unterscheidungsmöglichkeit zwischen Zuständen (1.) der Plänekompatibilität (Übereinstimmung von Kaufund Verkaufsabsichten in Marktgleichgewichten) und (2.) der Strömesynchronität (Übereinstimmung tatsächlicher Einnahmen- und Ausgabensummen bei Gleichwohl findet man selbst allen Transaktoren in Kreislaufgleichgewichten). bei international bekannten Nationalökonomen immer noch Beispiele für die Vermischung beider Kriterien und damit für eine ungenügende Wahrnehmung der kreislauftheoretischen Erkenntnisse im Fach. Ein Beispiel: "Any IS/LM equilibrium is a momentary equilibrium that is liable to be disrupted both for reasons relating to the disappointment of expectations and for reasons stemming from stock-flow inconsistencies" (Metcalfe/Steedman 1991, S. 77). Ein (Makro-) Märktegleichgewicht (ζ. Β. IS/LM) mit Zufriedenheit der Akteure über die Planerfüllung bei Beschaffung bzw. Absatz ist eine Sache, ein (Makro-) Kreislaufgleichgewicht mit konstanten Vermögensbeständen der Transaktoren dank übereinstimmender Einnahmen und Ausgaben eine andere. Man sollte die beiden Aspekte nicht vermischen, und man sollte keine Seite verkürzen. Eine Verkürzung der Kreislaufseite geschieht durch bloße "Budgetrestriktionen", die annahmegemäß stets erfüllt sind (ähnlich wie im "Buchungssystem" Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung). Dadurch wird der Aspekt der evtl. nicht übereinstimmenden tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben bei den Transaktoren in vielen Modellen de facto einer Betrachtung und Behandlung entzogen und unauffällig der Frage nach dem Marktgleichgewicht zu- und untergeordnet. Durch Verwendung erfüllter Budgetrestriktionen in Märkte-Gleichgewichtssystemen sind Ströme und Bestände entkoppelt. Nicht ganz zufällig werden nur funktionelle Transaktoren (z.B. Märkte, in Abb. 1 sind es T. 3 bis T. 5) angesprochen, die anders als die institutionellen Transaktoren (Unternehmungen T. 1, Haushalte T. 2 in Abb. 1) keine Bestände halten und keine Bestandsänderungen erfahren können. Die Märkte als funktionelle Transaktoren sind de facto nur über die institutionellen Transaktoren verbunden. Das Walras-Gesetz, wonach die Überschußnachfragen eines Systems von η Transaktoren einer gemeinsamen Budgetrestriktion unterliegen und durch n-1 Transaktoren mit erfüllten Budgetgleichungen auch die Budgetgleichung des n-ten Transaktors erfüllt ist, vermittelt formal eine Verläßlichkeit des Schließens, die sachlich unbegründet sein kann. Für eine geschlossene Volkswirtschaft kann man z.B. die nachfolgende Strömeverflechtung zwischen Unternehmungen (U, Transaktor 1), Haushalten (H, Transaktor 2), Gütermarkt (GM, Transaktor 3), Arbeitsmarkt (AM, Transaktor 4) und Kapitalmarkt (KM, Transaktor 5) zur weiteren Erörterung der grundsätzlichen Problematik skizzieren. Wählt man den - wie Wolfgang Stützel kritisch und fragend formulierte - "seltsamerweise von vielen Theoretikern bevorzugten Fall des Einnahme-AusgabeSaldenlosen Budgets" (Stützel 1978, S. 262), so impliziert Kreislaufgleichgewicht die Konstanz der Geldvermögensbestände sowie eine gleichschrittige

Die Tübinger Konzeption des Wirtschaftskreislaufs

655

oder synchrone Änderung von Einnahmen- und Ausgabensummen (vgl. Stützel 1978, S. 266). Zu diesem "Kreislaufgleichgewicht" (2.) im Sinne von Helmstädter paßt keine Konditionierung der Stromgrößen durch Erwartungen. "Eine geradezu katastrophale Wirkung geht von der Vorstellung aus, der Kreislauf sei im Gleichgewicht, wenn sich 'alle Erwartungen der Wirtschaftssubjekte erfüllen"' (Helmstädter 1986, S. 11). In etwas milderem Licht erscheinen derlei Entgleisungen der Vorstellungen vom Kreislaufgleichgewicht, wenn man daran denkt, daß für ältere Ökonomen das Wort "Kreislauf* gleichbedeutend mit "Interdepend e n t ist.

Abbildung 1 Schema einer Kreislaufmatrix

T. 1 (U) T. 1 (U) T. 2 (H) T. 3 (GM) T. 4 (AM) T. 5 (KM)

τ. 2 (H) x

T. 3 (GM)

T. 4 (AM)

T. 5 (KM)

1 2

Xl3

X 21

X 22

Xl4

Xl5

X23

X24

X25

X*1

X32

-

-

-

X41

X42

-

-

-

X51

X52

-

-

-

Xu

Beide Betrachtungsweisen - nach (1.) und nach (2.) - haben und behalten eine eigenständige Bedeutung, weshalb auch Kombinationen von beiden sinnvoll bei Marktungleichgewicht' erschließt die Behandsind: "Kreislaufgleichgewicht lung temporären Gleichgewichts oder des Ungleichgewichts der einstmals "neuen" MakroÖkonomik (vgl. "Quasigleichgewicht" nach Helmstädter 1986, S. bei Kreislaufungleichge211, sowie Wagner 1997, S. 20); "Marktgleichgewicht \mchf öffnet den Zugang zu alten Konjunktur- und Wachstumstheorien (z.B. Verwendung "Marxscher Schemata", etwa bei Preiser 1933) sowie zu den hoffentlich - noch kommenden leistungsstärkeren Theorien der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Kreislaufgleichgewicht einer Periode, wie von Helmstädter im Sinne von (2.) definiert, gehört zu den Neutralitätskonzeptionen der Nationalökonomik. Wenn die Wertsummen von zu- und abfließenden Transaktionen einer Periode bei jedem Transaktor größengleich sind oder - anders gesagt - die Budgetgleichungen der Transaktoren erfüllt sind, bleiben die Geldvermögensbestände (positiv oder negativ) des Periodenanfangs am Ende konstant und insofern die Kreditbeziehungen der Transaktoren summarisch unverändert. Wenn Transaktionen zwischen Anfang und Ende einer Kreislaufperiode insgesamt dazu führen, daß alle Transaktoren die neue Kreislaufperiode mit unveränderten Nettogläubigeroder Nettoschuldnerpositionen beginnen können, sind kreditbedingte Änderungen des Handlungspotentials neutralisiert. Bei Kreislaufgleichgewicht kann das Kreislaufgeschehen grundsätzlich unter Bedingungen "wie bisher" erneut stattfinden. Man spricht von Wiederholbarkeit, Reproduzierbarkeit oder - neuerdings - von Sustainability.

656

Adolf Wagner

Bei Kreislaufangleichgewicht hätten wenigstens zwei der beteiligten (Mikrooder Makro-) Transaktoren Differenzen zwischen Anfangsbestand und Endbestand des Geldvermögens zu verzeichnen. Insofern wäre das gehabte Kreislaufgeschehen der zurückliegenden Periode nicht kreditneutral verlaufen. Wiederholbarkeit, Reproduzierbarkeit oder Sustainability wären von den summarisch bewegten Geldbeträgen her nicht ohne weiteres zu unterstellen. Im simpelsten hier erwähnten Falle von zwei Transaktoren mit Veränderungen unterschiedlichen Vorzeichens müßten die veränderten Gläubiger- und/oder Schuldnerpositionen stillschweigend oder ausdrücklich akzeptiert werden. Der Transaktor mit einem Ausgabenüberschuß (gradueller Abbau einer Gläubigerposition oder Ausbau einer Schuldnerposition) und der Transaktor mit einem Einnahmenüberschuß (gradueller Ausbau einer Gläubigerposition oder Abbau einer Schuldnerposition) erfahren je eine kredit- oder vermögensbedingte Veränderung ihres Handlungspotentials (tendenzielle Vergrößerung des Handlungspotentials bei dem Transaktor mit Einnahmenüberschuß, tendenzielle Verringerung des Handlungspotentials bei dem Transaktor mit Ausgabenüberschuß). Es liegt nahe, die ungleichgewichtsinduzierte Änderung des Handlungspotentials summarisch zu messen. Eine bekannte Maßzahl (als Indikator einer Veränderung der Ausgangsposition für die zukünftige Kreislaufperiode) ist die von Wolfgang Stützel definierte Spreizwirkung (vgl. Stützel 1978, S. 211): Nettobetrag der Geldvermögensumschichtung (von bisherigen Inhabern von Ausgabenüberschüssen zu bisherigen Inhabern von Einnnahmenüberschüssen), dividiert durch den Bruttobetrag der Geldvermögensumschichtung einer Periode (vgl. Wagner 1998, S. 51 und Ihring 1998, S. 156). In Kategorien der Bankenbuchführung wäre der so definierte Spreizeffekt die kreislaufbedingte summarische Erhöhung der Kundenkonten mit Sollsalden zugunsten der Kundenkonten mit Habensalden pro DM brutto bewegten Gesamtvolumens (aus dem Überweisungsverkehr). Man beachte dazu die "allgemeine Quantitätsformer (Stützel 1978, S. 227). In Worten (siehe auch Wagner 1998, S. 135): Zunahme der Zahlungsmittelbestände der Nichtbanken gleich Leistungsumsätze mal Abweichung vom Kaufgleichschritt mal Spreizwirkung plus rein finanzielle Zahlungsmittelumschichtung mal Spreizwirkung minus Zuwachs längerfristiger Bankeinlagen (Reihenfolge der Operationen nach mathematischen Regeln). Tagtäglich geschieht im Laufe des "normalen" Zahlungsverkehrs ein vieltausendfacher Saldenwechsel von Kontokorrentkonten ("Sollsaldo" statt "Sichtguthaben" oder umgekehrt), womit sich stets auch die konventionell definierte Geldmenge verändert (vgl. Wagner 1998, S. 127). Auch dann, wenn Sichtguthaben in Termingelder oder Spareinlagen umdisponiert werden (siehe "Zuwachs längerfristiger Bankeinlagen" nach Stützeis allgemeiner Quantitätsgleichung), ändert sich die erfaßte Geldmenge. Das muß man wissen, wenn man makroökonometrisch z.B. die "Geldmenge M3" verwendet und über schwer interpretierbare Resultate verwundert ist (siehe dazu Deutsche Bundesbank 1996, S. 126-127). Eine Spreizwirkung von Null deckt den Fall des Kreislaufgleichgewichts (nach E. Helmstädter sowie im engeren Sinne nach H. Peter) ab. Ein Nettobetrag der Geldvermögensumschichtung (im Zähler der Kennziffer) von Null ist mit Blick

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auf die wirkliche Welt ein recht seltener Sonderfall. Gänzlich "unwirklich" wäre in einer Volkswirtschaft mit Geld die Betrachtung für einen Bruttobetrag der Geldvermögensumschichtung von Null (im Nenner der Kennziffer). Stützel unterstellt offenbar, daß die Maßzahl "Spreizwirkung" zwischen Null und Eins liegt (und der Zähler unabhängig von der Richtung der Umschichtung stets absolut genommen wird). Die bisher angesprochene Definition von Kreislaufgleichgewicht nach Ernst Helmstädter entspricht der Definition von Kreislaufgleichgewicht im engeren Sinne nach Hans Peter. Anders ist dagegen Kreislaufgleichgewicht nach Wolfgang Stützel definiert: Übereinstimmung geplanter Geldvermögensmehrung (durch geplante Einnahmenvorsprünge) und geplanter Geldvermögensminderung (durch geplante Ausgabenvorsprünge) (siehe auch Ihring 1998, S. 155). Man kommt damit zu einem (positiven oder negativen) geplanten Budget-Saldo pro Periode für jeden Transaktor (etwa geplanter Einnahmenüberschuß einer Unternehmung als rechnerische Vorstufe zu einem Periodengewinn). Vielleicht haben diese Plan-Stromgrößen nach Stützel da und dort mit zur Verwischung der Grenzen zwischen Markt- und Kreislaufgleichgewicht beigetragen.

III. Empirisch ungültige Definitionsgleichungen? Einige der verwendeten Definitionsgleichungen sind sehr leicht als empirisch ungültig zu erkennen* so daß man das "Hinwegdefinierte" benennen kann. Als Robert Barro seine "natürliche" Arbeitslosenquote herleitete, verwendete er das Erwerbspersonenpotential einer geschlossenen Bevölkerung, ohne demographische Wachstums- oder Schrumpfungsprozesse der Erwerbsfähigenjahrgänge in der Bestands- und Veränderungsdefinition zuzulassen (vgl. Barro 1984, Interpretation von Schaubild 9.2 S. 209). Die aus dem "hire and fire" seiner Analyse resultierende langfristige Arbeitslosenquote des ergodischen Markoffprozesses erster Ordnung (alternativ darstellbar mit Grenzwerten zu Reihenentwicklungen) war fehlerhaft und notwendigerweise zu korrigieren (siehe Wagner 1988). Andere Definitions- und Rechenbeispiele nach dem Algorithmus des "Badewannentheorems", die erhebliche praktische Bedeutung haben, werden zwar auch als unvollständig und inkonsistent erkannt, doch schützen sie Scheuklappen bestimmter Wirtschaftstheoretiker vor einer Korrektur. Nehmen wir die oft und heftig diskutierte Doppelnatur des volkswirtschaftlichen Realkapitalbestandes Κ (Produktionsfaktor und Vermögen) als Beispiel (vgl. dazu Wagner 1998, S. 247-255). Jedem empirischen Wirtschaftsforscher ist klar, daß im Grunde zwei Variablen notwendig sind: Ki für das Aggregat aufgezinster Investitionen (Realkapital analog "Sachwert") und K 2 für das Aggregat abgezinster Markterlöse (Vermögen analog "Ertragswert"). Investitionsjahrgänge addieren und durch kalkulatorische technologiebedingte Abschreibungen zu vermindern ist eine Sache (Vorgehensweise der statistischen Ämter), eine andere Sache ist die, aus künftigen Marktergebnissen Zinserträge zu prognostizieren und damit einen aktuellen volkswirtschaftlichen Vermögensbestand zu definieren (man-

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Adolf Wagner

gels Zukunftsdaten oft den Investitionsaggregaten nur als "semantische Kolorierung" beigefügt). Normalerweise ergeben sich Diskrepanzen von Ki und K 2 durch "das Auseinanderklaffen von Nettogrenzproduktivität des Kapitals und Zinssatz" (Fehl 1976, S. 733). Die Diskussion ist hoffnungslos verfahren und implizit auf Wachstumsgleichgewichte festgelegt, in denen aufgezinste vergangene Investitionsausgaben und abgezinste zukünftige Nettoerträge des Realkapitalbestandes stets übereinstimmen. Da die Diskussion von "reinen" Theoretikern und ohne jedes Gespür für Erfordernisse einer anwendungsnahen, empirischen Ökonomik bestritten wird, fällt die Inkonsistenz der Bestände- und Strömedefinitionen nicht auf. Bei den in der wachstumstheoretischen Literatur verwendeten Veränderungsgleichungen der Realkapitalabestände (im einfachsten Falle Bestandsänderungen identisch Nettoinvestitionen) handelt es sich ausnahmslos um empirisch ungültige Definitionsgleichungen. Bisweilen sorgt die Wirtschaftsentwicklung selbst für die Blamage der einäugigen Kapitaltheoretiker, wie etwa bei den Modellrechnungen für den "Aufbau Ost" (Näheres bei Wagner 1997a, S. 53). Technisch voll funktionsfähige, auch neue Maschinen und Anlagen erfahren dauerhaften Ertragsausfall durch das "Wegbrechen von Märkten"; sie kommen durch wirtschaftliches Veralten (nicht technisches Veralten) auf Null. Ähnliches ereignet sich fortlaufend durch Auswirkungen des technischen Fortschritts, ohne daß die gängige makroökonomische Wachstumstheorie dafür aufnahmefähig wäre. Mit (1.) und (2.) oben kommt zum Ausdruck, daß es ganz unterschiedliche Modellierungen des volkswirtschaftlichen Geschehens gibt, nach Stützel etwa diese drei: die Modellierung des Wirtschaftsgeschehens als "Konkurrenzprozeß", als "Bestandsumschichtungsprozeß" ("Saldenmechanik", "Geldstromanalyse", "Kreislaufanalyse") oder als "Produktionsprozeß". Die Perspektiven sind geblieben. Mankiw präsentiert als "erstes Modell" das Kreislaufmodell (vgl. Mankiw 1999, S. 25-27), das allerdings die Märkte als funktionelle Transaktoren enthält (eine weitere gängige Verkürzung der Betrachtungsweise: Kreislaufgeschehen als Interdependenz über Märkte oder "der" Märkte). Die "Produktionsmöglichkeitenkurve" verweist auf die dritte bzw. zweite Perspektive (vgl. "zweites Modell" Produktionsmöglichkeitenkurve bei Mankiw 1999, S. 27-30). Nach dem bisher Ausgeführten ist klar, inwiefern die in der Lehrbuchliteratur verbreitete Anwendung des Walras-Gesetzes auf Makromärkte als funktionelle Transaktoren (siehe Zitate bei Wagner 1998, S. 65) stillschweigend von erfüllten Budgetgleichungen der institutionellen Transaktoren abhängt. Laufende Bestandsänderungen des Geldvermögens bei den institutionellen Transaktoren (funktionelle Transaktoren - siehe oben - "halten" keine Bestände) lösen eine triviale Identität - Nullsumme aller Marktüberschüsse - völlig auf. Eine empirisch gültige deflatorische Verknüpfung der Strom- und Bestandsgrößen muß bei den Budgets mit (geplanten) Salden ansetzen. Neben den erwähnten Abgrenzungen der Ströme und Bestände besteht noch erheblicher weiterer Klärungs- und Forschungsbedarf. Die geographische Determinierung der Märktegrenzen ist schwieriger geworden, vor allem mit Blick auf einen "Welt"-Geldmarkt und "Welt"-Kapitalmarkt. Doch auch die nationalen Gütermärkte und Arbeitsmärkte sind offener und unbestimmter. Bei den Ad-

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äquationsaufgaben nicht zu vergessen sind die neuerlichen Erschwernisse durch immaterielle Anlagegüter und Komponenten des Bruttoinlandsprodukts. Innovationen verändern fortlaufend den Inhalt und die Verknüpfung der Aggregate. Transaktoren des Mikrobereichs kommen und gehen; sie ändern ihre Einstellungen und ihr Verhalten. In der Evolutorischen Ökonomik stützt man sich gelegentlich auf ein "population thinking". Anschaulich für charakteristische einzelwirtschaftliche Vorgänge auf der mikroanalytischen Ebene ist diese Beschreibung von T. Seitz: "Eine sicherlich grundlegende Ursache für den ständigen Wandel im Wirtschaftsprozeß ist in den natürlichen Alterungs- und Umschichtungsvorgängen der beteiligten Personen zu sehen. Selbst bei stationärer Bevölkerung, im Sinne einer nach Altersaufbau und Geschlechtsproportion zeitinvarianten Pyramide, sind es doch immer wieder andere Menschen, die Entscheidungen treffen, Erfahrungen sammeln, Erkenntnisse gewinnen. Gleichzeitig gehen Erfahrungen unter, Wissen verloren und es verkümmern Fähigkeiten. Die Folge ist, daß sich die Vorstellungen vom Leben und der Welt ebenso wie die Einstellungen zu Sachen und Mitmenschen ständig ändern. Mit ganz wenigen Ausnahmen unterliegen so alle Lebensäußerungen des Individuums wie auch des Kollektivs einem ständigen Wandel" (Seitz 1989, S. 35). Man sollte die Beiträge zur Kreislaufanalyse nicht untergehen lassen. Vielleicht ist es am Ende jener praxisorientierte Beitrag zur Geldtheorie, den der geniale Wolfgang Stützel 1958 mit seiner volkswirtschaftlichen Saldenmechanik lieferte, der in einer völlig "globalisierten" Weltwirtschaft am Ende Orientierungshilfen geben kann!?

Zusammenfassung Die Tübinger Konzeption des Wirtschaftskreislaufs entspricht dem primären Arbeitsfeld eines bestimmten Personenkreises von Ökonomen um Hans Peter (vor allem Erich Preiser, Carl Föhl, Wolfgang Stützel und Helmut Reichardt), dem auch Ernst Helmstädter zugerechnet werden kann. Man hat zweierlei Kriterien zu unterscheiden: (1) die Plänekompatibilität der Marktgleichgewichte und (2) die Strömesynchronität der Kreislaufgleichgewichte. Im Bereich denkbarer makroökonomischer Ungleichgewichte gilt es sodann (1a) Marktgleichgewichte bei Kreislaufungleichgewicht und (2a) Kreislaufgleichgewichte bei Marktungleichgewicht zu analysieren. Kreislaufgleichgewicht ex post für eine Wirtschaftsperiode zu diagnostizieren heißt dabei festzustellen, daß sich in der abgelaufenen Periode keine kreditbedingten Änderungen des Handlungspotentials der Transaktoren eingestellt haben und für die nächstfolgende Kreislaufperiode insofern Wiederholbarkeit oder Sustainability zu den Anfangsbedingungen besteht. Ein weiterer oft übersehener Tatbestand bei Modellierungen verdient künftig mehr Beachtung: das gelegentliche Vorliegen empirisch ungültiger Definitionsgleichungen.

Summary The Tübinger style circular-flow analysis stems from economists around Hans Peter (esp. Erich Preiser, Carl Föhl, Wolfgang Stützel and Helmut Reichardt), and Ernst Helmstädter too. We differentiate two criteria: the compatibility of individual planning with market equilibria and (2) the synchronity of inflow and outflow. Consequently, one has to in-

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vestigate two different kinds of marcoeconomic disequilibrium: (1a) market equilibria with disequilibrium of the circular flows, (2a) circular-flow equilibria with market disequilibrium. A circular-flow equilibrium with all inflows and outflows equal means, that there has taken place no alteration of the existing positive or negative stocks at the beginning. In so far there is no change concerning the individual's ability to act. Therefore circulation is said to be sustainable under former conditions. In this context one should be aware of empirically invalid definitorious equations within economic models.

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Investitionsquote und Wirtschaftswachstum Von Jürgen Heubes Inhalt I. Problemstellung II. Die postkeynesianische Wachstumstheorie III. Die neoklassische Wachstumstheorie

I. Problemstellung Die Komponenten des Wirtschaftswachstums sind einer der Schwerpunkte der Forschungstätigkeit von E. Helmstädter. Insbesondere der Zusammenhang von Investitionsquote und Wachstumsrate nimmt in diesem Rahmen eine zentrale Stellung ein.1 Die nachfolgenden Ausführungen befassen sich ebenfalls mit diesem Problem: Es wird untersucht, inwieweit die Investitionsquote den gleichgewichtigen Wachstumspfad beeinflußt. Hierbei wird der gleichgewichtige Wachstumspfad durch sein Niveau sowie durch die Wachstumsrate charakterisiert. Unterschieden werden drei Phasen der modernen Wachstumstheorie: Die postkeynesianische Wachstumstheorie, die ältere sowie die neuere neoklassische Wachstumstheorie.

II. Die postkeynesianische Wachstumstheorie 2 Die moderne Wachstumstheorie hat ihren Anfang in den Arbeiten von Harrod und Domar 3, die der postkeynesianischen Wachstumstheorie zuzurechnen sind. Beide Autoren versuchen in getrennten Arbeiten, den tatsächlichen Wachstumsprozeß mittels einer erweiterten keynesianischen Theorie zu erklären. Diese Erweiterung besteht darin, daß neben dem in der kurzfristigen Beschäftigungstheorie berücksichtigten Einkommenseffekt der Investitionen auch deren Kapazitätseffekt erfaßt wird. Da beide Autoren zu dem gleichen Ergebnis kommen, wird nachfolgend nur der Ansatz von Harrod kurz dargestellt. 1 2 3

Vgl. Helmstädter (1965, S. 90 ff.). Vgl. Bretschger (1998, S. 14 ff.) und Wan (1971, S. 9 ff.). Vgl. Harrod (1939, S. 14 ff.) und Domar (1946, S. 137 ff.).

43 ito Studien 1999

Jürgen Heubes

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Harrod stellt die Frage, wie schnell die Investitionen wachsen müssen, so daß die zusätzliche Nachfrage (Einkommenseffekt) gerade ausreicht, um die zusätzlichen Kapazitäten (Kapazitätseffekt) auszulasten. Der Einkommenseffekt gibt die Änderung der Güternachfrage (dY n) bei einer Änderung der Investitionstätigkeit an; er entspricht der Multiplikator-Formel (konstanter Zinssatz, kein Staat, geschlossene Volkswirtschaft): (1)

dY

n

=-dl.

Der Kapazitätseffekt gibt die zusätzlichen Produktionsmöglichkeiten (dY a) aufgrund der Investitionstätigkeit an. Diese sind gleich dem Produkt aus Produktivität der Investitionen und den getätigten Investitionen. Wird statt der marginalen Produktivität des Kapitals der Reziprokwert, nämlich der marginale Kapitalkoeffizient (/c), herangezogen, so läßt sich schreiben: (2)

dY

Bei dY

n

a

= — /. k

= dY a folgt aus den Gleichungen (1) und (2):

(3)

d ,

-

= T'

s

k

bzw.: d/

s

4

— = wi1 = — A I k

(4)

v

'

Nach Gleichung (4) ist die Wachstumsrate gleich dem Quotienten aus Sparquote und Kapitalkoeffizient. Durch eine Erhöhung der Spar- oder Investitionsquote läßt sich offensichtlich die Wachstumsrate erhöhen. 5 Nach Harrod wird der Wachstumsprozeß jedoch durch eine sog. natürliche Wachstumsrate begrenzt, die durch die Wachstumsraten der Arbeit und des technischen Fortschritts exogen vorgegeben ist. Diese natürliche Wachstumsrate, mit der eine Volkswirtschaft langfristig maximal wachsen kann, entspricht der gleichgewichtigen Wachstumsrate. Die tatsächliche Wachstumsrate nach 4

Aus der Multiplikatorformel: / = -/

bzw.: folgt:

dY = -dl s dY dl T

=

y

,

d.h. die Wachstumsraten von Volkseinkommen und Investitionen stimmen überein. 5 Vgl. Krelle (1988, S. 71).

Investitionsquote und Wirtschaftswachstum

665

Gleichung (4) kann diese Wachstumsrate nach Harrod nur vorübergehend überschreiten, nämlich insbesondere in einer konjunkturellen Aufschwungphase bei Arbeitslosigkeit. Der obigen Schlußfolgerung, daß sich durch eine Erhöhung der Investitionsquote die Wachstumsrate steigern läßt, lag implizit die Annahme zugrunde, daß der Kapitalkoeffizient konstant bleibt. Der Kapitalkoeffizient bleibt aber nur dann konstant, wenn Einkommen und Kapitalstock mit der gleichen Rate wachsen. Dies setzt bei linear-homogener Produktionsfunktion voraus, daß Arbeit (inklusive arbeitsvermehrendem technischen Fortschritt) und Kapital mit der gleichen Rate wachsen. Dies ist jedoch bei exogener Wachstumsrate der Arbeit nur möglich, wenn sich entweder bei Vollbeschäftigung die Wachstumsrate des Kapitals an die der Arbeit anpaßt, oder aber eben, wenn bei Arbeitslosigkeit sich die Wachstumsrate der Beschäftigung an die Wachstumsrate des Kapitals angleicht. Die Investitionsquote hat somit nach Harrod lediglich in einer Übergangsphase Einfluß auf die tatsächliche Wachstumsrate, nicht jedoch auf die gleichgewichtige Wachstumsrate. 6

III. Die neoklassische Wachstumstheorie Während die postkeynesianische Wachstumstheorie das tatsächliche Wirtschaftswachstum aus dem Zusammenwirken von gesamtwirtschaftlicher Güternachfrage und gesamtwirtschaftlichem Güterangebot ableitet, analysiert die neoklassische Wachstumstheorie die Möglichkeiten eines gleichgewichtigen Wachstums von der Angebotsseite her, wobei Probleme auf der Nachfrageseite aus der Betrachtung ausgeklammert werden. Während die von der postkeynesianischen Wachstumstheorie aufgeworfene Frage heute nur noch vereinzelt weiterverfolgt wird, steht die Fragestellung der neoklassischen Wachstumstheorie im Mittelpunkt der modernen Wachstumstheorie. Je nach der Art des technischen Fortschritts läßt sich die neoklassische Wachstumstheorie in eine ältere Version (exogener technischer Fortschritt) und in eine neuere Version (endogener technischer Fortschritt) unterteilen.

1. Ältere neoklassische Wachstumstheorie 7

Die neoklassische Wachstumstheorie geht auf Solow und Swan zurück. 8 Die Produktionsmöglichkeiten einer Volkswirtschaft werden mit Hilfe einer neoklassischen, linear-homogenen Produktionsfunktion erfaßt. Als Produktionsfaktoren werden im Grundmodell der neoklassischen Wachstumstheorie Arbeit und Kapital sowie technisches Wissen unterschieden. Bekanntlich erfordert die Existenz eines gleichgewichtigen Wachstumspfades, daß die Erhöhung des 6 7 8

43*

So auch Helmstädter (1965, S. 433 ff., hier S. 451). Vgl. Barro (1998), Heubes (1991, S. 161 ff.) sowie Maußner und Klump (1996). Vgl. Solow (1954, S. 65 ff.) und Swan (1956, S. 334 ff.).

666

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technischen Wissens, der technische Fortschritt, wie eine Vermehrung des knappen Faktors Arbeit wirkt (arbeitsvermehrend, Harrod-neutral). Wird somit ausschließlich Harrod-neutraler technischer Fortschritt berücksichtigt, so läßt sich schreiben: (5)

Y=Y(A*,K);

A* = aAt

wobei in dem Produktivitätsfaktor (a). die Quasivermehrung der physischen Arbeit (Λ) zum Ausdruck kommt. Mit A* wird die Arbeit in Effizienzeinheiten erfaßt. In Wachstumsraten ergibt sich: (6)

Wy = aw a +aiV4+(l-ar)wK,

wobei a bzw. (1 - a) die jeweilige partielle Produktionselastizität darstellt; bei linear-homogener Produktionsfunktion ergänzen sich die partiellen Produktionselastizitäten zu eins. Der Einfluß des technischen Fortschritts auf die Wachstumsrate des Volkseinkommens kommt in dem Faktor aw a zum Ausdruck. Hier lassen sich nun zwei Fälle unterscheiden, nämlich zum einen eine konstante Wachstumsrate des Produktivitätsfaktors ( wa = const.) und zum anderen ein konstanter Fortschritts-Term ( aw a = const).

a) Konstante Wachstumsrate des Produktivitätsfaktors

Zunächst wird der Fall betrachtet, daß die Wachstumsrate des Produktivitätsfaktors konstant ist (w a = const.). Für diesen Fall wird zuerst der gleichgewichtige Wachstumspfad bei konstanter Investitionsquote skizziert; daran anschließend wird die optimale Investitionsquote abgeleitet.

Gleichgewichtiges

Wachstum bei exogener Investitionsquote

Üblicherweise wird in der älteren neoklassischen Wachstumstheorie die Annahme gemacht, daß neben der Wachstumsrate der Arbeit auch die Rate des arbeitsvermehrenden technischen Fortschritts ( w a ) exogen vorgegeben und konstant ist. Der gleichgewichtige Wachstumspfad ist definiert, daß die Wachstumsrate des Volkseinkommens konstant ist. Dies erfordert, daß in Gleichung (6) weiterhin w K konstant ist, was bei s = const, und wy = w K erfüllt ist.9 Damit ergibt sich aus Gleichung (6) für die gleichgewichtige Wachstumsrate: (7)

9

Wy = W a + W/\ = const.,

Es gilt wk = sYl Κ . Konstanz von w χ bedeutet W(Wk) = 0 = wy - w^

Investitionsquote und Wirtschaftswachstum

667

d.h. die gleichgewichtige Wachstumsrate ist gleich der Summe der exogen vorgegebenen Wachstumsraten der Arbeit und des arbeitsvermehrenden technischen Fortschritts. Offensichtlich hat die Investitionsquote keinerlei Einfluß auf diese gleichgewichtige Wachstumsrate. Für die Wachstumsrate des Kapitals gilt: (8)

wK = — = - . Κ

k

Auf dem Gleichgewichtspfad ist: (9) wy - s ! k — const. Nach Gleichung (9) bestimmt die Investitionsquote (s) das Niveau des Wachstumsprozesses, ausgedrückt mit Hilfe des Kapitalkoeffizienten: Je größer s, umso größer ist auch /c.10 Befindet sich die Volkswirtschaft auf dem gleichgewichtigen Wachstumspfad und wird nun die Investitionsquote erhöht, so übersteigt die Wachstumsrate des Kapitals die gleichgewichtige Wachstumsrate. Gleiches gilt nach Gleichung (6) für die Wachstumsrate des Volkseinkommens: (10)

WK>Wy

>W a + W& .

Mit w K > wy steigt jedoch der Kapitalkoeffizient an, so daß sich nach Gleichung (8) die Wachstumsrate des Kapitals wieder verringert, bis schließlich die gleichgewichtige Wachstumsrate erreicht ist. Eine Erhöhung der Investitionsquote führt somit zu einem höheren Wachstumsniveau; während der Anpassung an dieses höhere Niveau übersteigt die Wachstumsrate des Volkseinkommens ihren Gleichgewichtswert.

Optimale Investitionsquote

Höhere Investitionsquote bedeutet einerseits einen niedrigeren Konsum in der Gegenwart und andererseits einen höheren Konsum in der Zukunft. Zur Bestimmung der optimalen Investitionsquote ist somit eine Bewertung des gegenwärtigen und des zukünftigen Konsums erforderlich. Nachfolgend wird unterstellt, daß die Bewertung unterschiedlicher Konsumpfade durch eine allwissende, zentrale Planungsbehörde mittels einer sozialen Wohlfahrtsfunktion (W) erfolgt. 11 Die soziale Wohlfahrt sei gleich der Summe der gesellschaftlichen Nutzen der einzelnen Perioden der Planungsperiode. Der gesellschaftliche Nutzen (U) der einzelnen Perioden werde durch den Pro-Kopf-Konsum be10 Mit höherem k sind auch die Kapitalintensität der Arbeit sowie die Arbeitsproduktivität größer. 11 Der optimale Konsumpfad stellt sich unter bestimmten Bedingungen auch aufgrund individuellen Optimierungsverhaltens ein (unendlicher Planungshorizont, vollständige Konkurrenz, vollkommene Voraussicht, Übereinstimmung von individueller und sozialer Zeitpräferenzrate). Siehe hierzu bspw. Arnold (1997, S. 55 ff.).

668

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stimmt (U = l/(c), c = CIA*). Wird eine logarithmische Nutzenfunktion U = In c unterstellt, so gilt bei unendlichem Planungshorizont und stetiger Zeitbetrachtung: 00

W = Je-*9* IriCfdt. 0

(11)

In Gleichung (11) wird der Nutzen späterer Perioden analog zur individuellen Gegenwartspräferenz noch abdiskontiert («9 = Zeitpräferenzrate). Diese Zielfunktion ist unter Beachtung der Akkumulationsmöglichkeiten (Nebenbedingung) zu maximieren. Zur Erfassung der Akkumulationsmöglichkeiten wird auf die Kapitalintensität der Arbeit in Effizienzeinheiten (ν) abgestellt: (12)

v = KIA*.

In Wachstumsraten gilt: (13)

wv =

w K-w A*.

Die Wachstumsrate des Kapitals beträgt: (14,

W K =

*

Y

(A^K)-c

=

Κ

A

^ -

c

Κ

J M z l ν

Aus den Gleichungen (13) und (14) folgen dann für die Akkumulationsmöglichkeiten: f(v)-c (15)

wv =

n\ η = w A*

bzw.: (16)

v =

f(v)-c-nv.

Mit den Gleichungen (11) und (16) liegt ein Problem der dynamischen Optimierung vor. Die Lösung erfolgt mit Hilfe einer sog. Hamilton-Funktion (Η): (17)

Η = e ' ^ In c +

- c - nv].

Die notwendigen Bedingungen für einen optimalen Konsumpfad sind: (18)

^ ce

(19)

f

=

0 c

= ^ ) - η \ -

μ

sowie die Nebenbedingung (16). Die Gleichungen (18) und (19) liefern die sog. (Keynes-) Ramsey-Regel:

Investitionsquote und Wirtschaftswachstum c = f'[v)-n-3 c

(20)

669

.

Mit den Gleichungen (16) und (20) liegt ein Differential-Gleichungssystem vor, dessen Lösung die gesuchte zeitliche Entwicklung von c und von ν beschreibt. Diese Lösung ist in Abbildung 1 mit Hilfe eines Phasendiagramms dargestellt.

Abbildung 1 Ramsey-Pfad bei exogener Wachstumsrate

C C=0

Die Gleichgewichtslösung ist im Schnittpunkt zwischen den Kurven c = 0 und ν = 0 gegeben. Der Konsum pro Kopf bleibt nach Gleichung (20) konstant, wenn f'(ν) = η + 3 gilt. Dies sei bei v* erreicht; der Ort c = 0 stellt also eine Parallele zur c-Achse im Abstand v* dar. Die Kapitalintensität bleibt nach Gleichung (16) konstant, wennf(v)-nv = c ist. Die Differenz zwischen der ertragsgesetzlichen Kurve f(v) und der Geraden nv ergibt die in Abbildung 1 eingëzeichnete Kurve ν = 0. Rechts von der Geraden c = 0 ist ν > ν* und damit

Jürgen Heubes

670 Λ(ν)
0, was den dicken Pfeilen entspricht. Aus der Vergangenheit ist die Kapitalintensität der Arbeit vorgegeben; es gelte v 0 < ν *. Durch die Wahl von c 0 bleibt nun der optimale Konsumpfad und damit implizit die optimale Investitionsquote zu bestimmen. In Abbildung 1 sind drei Pfade eingezeichnet, die sich durch die ausgewählten Werte für c 0 unterscheiden, die aber alle drei die Gleichungen (16) und (20) erfüllen. Wird c 0 i gewählt, so entwickeln sich c und ν gemäß dem unteren Pfad. Dieser steigt zunächst an, bis v* erreicht ist. Danach nimmt ν weiter zu, während c gegen Null sinkt. Bei dem Startwert c03 steigen c und ν ebenfalls zunächst an, bis die Kurve ν = 0 erreicht wird. Danach steigt c weiter an, während ν sinkt, da der Konsum teilweise durch Kapitalverzehr ermöglicht wird. Ist der Kapitalstock aufgebraucht, so sinkt der Konsum auf Null. Wird schließlich ein ganz bestimmter Startwert, hier c02, gewählt, so führt die Dynamik des Systems zum Gleichgewicht.12 Wie ein Vergleich der verschiedenen Zeitpfade zeigt, ist dies der gesuchte Optimalpfad (Ramsey-Pfad): Auf diesem Pfad ist der Pro-KopfKonsum stets größer als auf dem unteren Pfad; er dominiert also diesen Pfad. Auf dem oberen Pfad liegt der Pro-Kopf-Konsum zwar zunächst über dem Ramsey-Pfad. Nach einiger Zeit sinkt der Pro-Kopf-Konsum jedoch auf Null, was nicht optimal sein kann. 13

b) Konstanter Fortschritts-Term

Es wird nun der Fall betrachtet, daß der Fortschritts-Term konstant ist ( aw a = const.). Der Fortschritts-Term aw a in der Gleichung w Y = aw a+aw A + (\-a)w K gibt den Einfluß des technischen Fortschritts auf die Wachstumsrate des Volkseinkommens wieder. Helmstädter kritisiert nun, daß bei w a = const, im Rahmen von Produktionsfunktionen mit variablen Produktionselastizitäten (bspw. CES-Produktionsfunktion) der Fortschritts-Term von der Höhe der partiellen Produktionselastizität der Arbeit abhängt.14 Er schlägt stattdessen vor: (21)

12 13 14 15

wa

w T = const.15

Das Gleichgewicht ist ein sog. Sattelpunkt. Der Grenznutzen des Konsums geht gegen unendlich. Vgl. Helmstädter {1967, S. 192 ff., hier S. 202). "Typ Β Harrod-neutralen technischen Fortschritts", Helmstädter (1967, S. 204).

Investitionsquote und Wirtschaftswachstum

671

Die obige Gleichung für wy sowie Gleichung (21) ergeben nun für die gleichgewichtige Wachstumsrate: (22)

Wy

= aHL + W A m a

Nach Gleichung (22) ist die gleichgewichtige Wachstumsrate wiederum gleich der Summe der Wachstumsraten des arbeitsvermehrenden technischen Fortschritts (w a) und der Arbeit. Die Wachstumsrate des arbeitsvermehrenden technischen Fortschritts variiert jetzt jedoch entgegengesetzt zur partiellen Produktionselastizität der Arbeit. Damit ist die gleichgewichtige Wachstumsrate nur dann unabhängig von der Investitionsquote, wenn a konstant und unabhängig von der Kapitalintensität der Arbeit ist, was bei einer Cobb-Douglas-Produktionsfunktion erfüllt ist. Gilt hingegen eine CES-Produktionsfunktion, so ist die gleichgewichtige Wachstumsrate von der Kapitalintensität der Arbeit und somit von der Investitionsquote abhängig: Bei schlechten Substitutionsmöglichkeiten ( σ < 1) und höherer Investitionsquote ist die partielle Produktionselastizität der Arbeit im Gleichgewicht größer und damit die gleichgewichtige Wachstumsrate niedriger, und umgekehrt. 16 Befindet sich die Wirtschaft auf einem Gleichgewichtspfad bei gegebener Investitionsquote, so läßt sich bei σ < 1 die gleichgewichtige Wachstumsrate durch eine Verringerung der Investitionsquote erhöhen. Eine niedrigere Investitionsquote bedeutet aber gleichzeitig, daß die Wachstumsrate des Kapitals sinkt, während a noch nahezu unverändert bleibt. Damit geht auch die Wachstumsrate des Volkseinkommens zunächst zurück, so daß der tatsächliche Wachstumspfad unter dem bisherigen Gleichgewichtspfad liegt. Erst nach einiger Zeit überwiegt der Anstieg von at so daß sich w Y erhöht und asymptotisch an die Gleichgewichtsrate anpaßt. Die Bestimmung der optimalen Investitionsquote erfordert einen Vergleich des Nutzenentgangs infolge vorübergehender Wachstumsabschwächung und dem später anfallenden Nutzengewinn aufgrund einer Wachstumsbelebung. Ein derartiges Optimierungsproblem im Hinblick auf die gleichgewichtige Wachstumsrate wird im nächsten Abschnitt behandelt.

2. Neuere neoklassische Wachstumstheorie 17

Gegenstand der sog. "Neuen Wachstumstheorie", die insbesondere von Romer und Lucas begründet wurde 18, ist gerade die Frage, inwieweit sich die gleichgewichtige Wachstumsrate endogenisieren läßt. Unter den verschiede16

17

Vgl. Helm Städter (1965, S. 94 ff.).

Vgl. Bretschger (1998, S. 77 ff.), Heubes (1999, S. 223 ff.) sowie Maußner und Klump (1996, S. 233 ff.). 18 Vgl. Romer (1986, S. 1002 ff.) und Lucas (1988, S. 3 ff.).

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nen Ansätzen wird nachfolgend das AK-Modell ausgewählt, bei dem die Endogenität der gleichgewichtigen Wachstumsrate mit der Existenz von externen Effekten (Spillover) begründet wird. Zunächst wird dieses Modell wieder für eine gegebene Investitionsquote dargestellt; daran anschließend wird die optimale Investitionsquote bestimmt.

a) Das AK-Modell

Es wird ein Unternehmen / betrachtet. Dieses Unternehmen produziert den Output Yj unter Einsatz der beiden Produktionsfaktoren Arbeit ( 4 ) und Kapital (K,)\ es gelte eine linear-homogene Cobb-Douglas-Produktionsfunktion: (23)

Yj =

Κ}~ α

wobei π die (für alle Unternehmen gleiche) totale Faktorproduktivität und a die Effizienz der physischen Arbeit angibt. Die Effizienz der Arbeit (bzw. deren Veränderung und damit der technische Fortschritt) ist jetzt jedoch nicht exogen vorgegeben, vielmehr wird angenommen, daß sie von der gesamtwirtschaftlichen Kapitalintensität der Arbeit abhängt. Dies wird mit dem Auftreten positiver externer Effekte (spill-over-Effekte) begründet: Mit zunehmendem Kapitaleinsatz steigt aufgrund von Lerneffekten das Wissen der Arbeiter. Dieses Wissen steht als öffentliches Gut allen Unternehmen zur Verfügung. Als Indikator für das somit für alle Unternehmen gleiche Effizienzniveau der Arbeit kann die gesamtwirtschaftliche Kapitalintensität (v = KJA) herangezogen werden: (24)

a = ν , 19

Die Gleichungen (23) und (24) liefern nach Division durch Aj : (25) Jedes Unternehmen maximiert seinen Gewinn durch Wahl des Arbeits- und Kapitaleinsatzes, wobei es die Faktorpreise und auch die Effizienz der Arbeit als gegeben ansieht. Da für alle Unternehmen die gleichen Faktorpreise gelten, wählen sie alle die gleiche Kapitalintensität der Arbeit, die somit die gesamtwirtschaftliche Kapitalintensität angibt. Damit ist auch der Output pro Kopf in allen Unternehmen sowie auf gesamtwirtschaftlicher Ebene gleich. Unter Berücksichtigung von (Kj/Aj=)vj = v sowie (Yj/Aj=)yj = y läßt sich dann schreiben: (26)

y = /rv .

19 Gleichung (24) entspricht dem Harrod-neutralen Fortschritt des Typs C nach Helmstädter (1967, S. 205).

Investitionsquote und Wirtschaftswachstum

673

Gleichung (26) wird als AK-Modell bezeichnet, wobei A (hier: π) einen Proportionalitätsfaktor und Κ (hier: v) den akkumulierbaren Kapitalstock darstellt. Dieses Modell ist dadurch gekennzeichnet, daß die auf Unternehmensebene auftretenden abnehmenden Grenzerträge des Kapitals durch die externen Effekte gerade kompensiert werden, so daß gesamtwirtschaftlich der Grenzertrag des Kapitals konstant bleibt (dy/dv= ή. Aus Gleichung (26) folgt unmittelbar: (27)

Wy

= wv

bzw.: (28)

w Y = w K.

Bei hier zunächst unterstellter konstanter Investitionsquote gilt weiter: (29)

K = sY.

Damit ist die Wachstumsrate des Kapitalstocks: (30)

w^ = Κ / Κ = sY / Κ = sy / ν = επ .

Wird angenommen, daß sn> η gilt, so ermöglichen die externen Effekte ein intensives Wachstum. Die gleichgewichtige Wachstumsrate ist hierbei positiv von der Investitionsquote abhängig.

b) Optimale Investitionsquote

Auch hier besteht wieder ein trade-off zwischen höherem Konsum in der Gegenwart und höherem Konsum in der Zukunft: Wird in der Ausgangsperiode eine niedrigere Sparquote gewählt, so übersteigt der Konsum zunächst den bei hoher Sparquote. Da die Wachstumsrate des Konsums bei hoher Sparquote größer ist, überholt der Konsum in diesem Fall jedoch nach einer gewissen Zeit den bei niedrigerer Sparquote. Die Lösung dieses trade-off-Problems erfolgt wieder mit Hilfe intertemporaler Nutzenmaximierung durch eine zentrale Planungsbehörde, die die folgende soziale Wohlfahrtsfunktion maximieren will: 00

(31)

W = je"® \r\c tdt.

ο Als Nebenbedingung hat die Planungsbehörde die Möglichkeiten der Kapitalakkumulation zu beachten: (32) ν = πν-ο-ην. Die Gleichungen (31) und (32) führen zu folgender Hamilton-Funktion (H): (33)

674

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Die notwendigen Bedingungen für einen optimalen Konsumpfad sind: (34) (35)

— = μ[π-η) = -μ

sowie die Nebenbedingung (32). Die Gleichungen (34) und (35) liefern die Ramsey-Regel: c/c = π-η -S

(36)

.

Nach Gleichung (36) erfordern die notwendigen Bedingungen für ein Nutzenmaximum, daß der Konsum pro Kopf mit der konstanten Rate ( π - η - S ) wächst 20 , wobei (π-η - 3) > 0 unterstellt wird. Die Bestimmung des optimalen Konsumpfades erfolgt graphisch anhand der Abbildung 2. Diese Abbildung gibt mit der Geraden ν = 0 die Akkumulationsmöglichkeiten wieder. Ist c größer, als es dieser Geraden entspricht, so gilt ν < 0, d.h. die Kapitalintensität der Arbeit sinkt; bei kleinerem c folgt entsprechend ν > 0. Die Veränderung der Kapitalintensität wird durch die dicken Pfeile angezeigt. Abbildung 2 enthält darüber hinaus noch die Ramsey-Regel, nämlich von jedem Ausgangspunkt eine Erhöhung des Konsums pro Kopf, was durch die dünnen Pfeile angedeutet wird. Bei gegebenem v 0 ist nun c 0 so zu wählen, daß der optimale Konsumpfad erreicht wird. Bei dem relativ hohen Startwert c03 schneidet der zugehörige Konsumpfad die Gerade ν = 0 . Ab diesem Punkt ist der Konsum weiter zu erhöhen, was letztlich nur durch Kapitalverzehr ermöglicht wird. Ist der Kapitalstock schließlich aufgebraucht (ν = 0), so sinken Produktion und Konsum ebenfalls auf Null. Es bleibt die Frage, bei welchem c03 der Konsumpfad oberhalb der Geraden v = 0 verläuft. Abgesehen von dem trivialen Fall, daß ein Startwert bereits oberhalb der Geraden v = 0 gewählt wird, trifft dies dann zu, wenn w c>w v ist. Bei WQ > w v steigt das c/v-Verhältnis an, so daß es schließlich den Wert (π - η) erreicht und überschreitet. Der maximale Wert von c 0 , der einen auf Dauer positiven Konsum sicherstellt, wird also durch die Bedingung w c = w v bzw.: (37)

20

c/c v/v

π-η -S π-η -CQ/VQ

= 1

Aufgrund der Nichtbeachtung der externen Effekte führt eine dezentrale Optimierung zu einer geringeren Wachstumsrate. Die obige Pareto-optimale Wachstumsrate kann in diesem Fall durch Subventionierung des Kapitaleinsatzes erreicht werden, wobei zur Finanzierung der Subventionen eine Kopf-Steuer bei den Haushalten erhoben werden müßte.

Investitionsquote und Wirtschaftswachstum

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festgelegt. Aus Gleichung (37) folgt nun für den maximalen Startwert c 0 : (38)

c 0 = «9v0(= c 0 2 ) .

Darüber hinaus ergibt sich aus Gleichung (37), daß auch der zukünftige maximale Konsum die Gleichung: (39)

ct = 3v t

erfüllen muß. Da die Gleichungen (38) und (39) den maximalen Konsum angeben, ist dieser Konsumpfad der gesuchte Optimalpfad. Dies ist noch einmal in Abbildung 2 veranschaulicht: Wird ein c 0 i < cQ2 gewählt, so liegt nicht nur der Wert des Konsums in der Startphase, sondern für alle Zukunft unter dem des Optimalpfades. Auf dem Optimalpfad gilt ct = 3v t. Unter Beachtung der Produktivitätsfunktion y t = 7tv t zeigt sich, daß auf dem Optimalpfad eine konstante Konsumquote (konstante Investitionsquote) realisiert wird. Der Optimalpfad stellt also zugleich den Gleichgewichtspfad dar; dieser Gleichgewichtspfad wird somit bereits in der Startphase realisiert.

Abbildung 2 Ramsey-Pfad bei endogener Wachstumsrate

676

Jürgen Heubes Zusammenfassung

Kapitalakkumulation ist eine wichtige Determinante des Wirtschaftswachstums. Hierbei kommt der Investitionsquote jedoch je nach theoretischem Ansatz eine unterschiedliche Bedeutung zu. Während sie grundsätzlich das Wachstumsniveau, erfaßt durch den Kapitalkoeffizienten, die Kapitalintensität der Arbeit oder die Arbeitsproduktivität, bestimmt, hat sie nach der postkeynesianischen und der herrschenden älteren neoklassischen Wachstumstheorie keinen Einfluß auf die gleichgewichtige Wachstumsrate. Bei exogenem Harrod-neutralen technischen Fortschritt vom Typ Β nach Helmstädter sowie im Rahmen der Neuen Wachstumstheorie hängt hingegen die gleichgewichtige Wachstumsrate von der Investitionsquote ab.

Summary Capital accumulation plays an important part in economic growth. Dependent on the special growth theory the importance of the share of investment however is different. In general it determines the level of the growth path, i.e. the capital-coefficient, the capitalintensity or the labour-productivity. According to the postkeynesian and the main-stream early neoclassical growth theory the equilibrium rate of growth is independent of the share of investment. Given Helmstädter's exogenous Harrod-neutral technical progress of type Β or endogenous technical progress within the frame of the new growth theory the share of investment however determines the equilibrium rate of growth.

Literaturverzeichnis Arnold, L. (1997), Wachstumstheorie, München. Barro, R.J. und X. Sala-i-Martin (1998), Wirtschaftswachstum, München, Wien. Bretschger, L (1998), Wachstumstheorie, 2. Aufl., München, Wien. Domar, E.D. (1946), Capital Expansion, Rate of Growth and Employment, Econometrica, 137-147. Harrod, R. (1939), An Essay in Dynamic Theory, Economic Journal, 14-33. Helmstädter, E. (1965), Harrod und die neoklassische Wachstumstheorie, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 433-451. Helmstädter, E . (1965), Investitionsquote und Wachstumsrate bei Harrod-neutralem Fortschritt, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 90-108. Helmstädter, E. (1967), Typen Harrod-neutralen technischen Fortschritts, in: R. Henn (Hrsg.), Operations Research-Verfahren III, Meisenheim am Glan, 192-210. Heubes, J. (1991), Konjunktur und Wachstum, München. Heubes, J. (1999), Makroökonomie, 3. Aufl., München. Krelle, W. (1988), Theorie des wirtschaftlichen Wachstums, 2. Aufl., Berlin u.a. Lucas, R.E. (1988), On the Mechanics of Economic Development, Journal of Monetary Economics, 3-42.

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Sektorale Entwicklung und Wachstum zu Beginn der Industrialisierung Der mathematische Ökonom Joseph Lang und seine Theorie wirtschaftlichen Wachstums Von Götz Uebe Inhalt I. Einleitung und Zusammenfassung II. Joseph Langs Lebenslauf III. Die Hauptfragen in Langs Wachstumstheorie von 1816

Dieser Aufsatz ist meinem verehrten Lehrer Ernst Helmstädter gewidmet. Sein exemplarisches Wirken in der wirtschaftstheoretischen Lehre und Forschung, in der wirtschaftspolitischen Beratung und Äußerung im wirtschaftlichen Tagesgeschehen sowie in der Kunst ist mir stets ein leuchtendes Gegenbeispiel zum Klischee der "traurigen" Wirtschaftswissenschaften gewesen. Mögen dem Jubilar noch viele gute Jahre hinzukommen.

I. Einleitung und Zusammenfassung Im Rahmen einer gemeinsam mit dem Münsteraner Slawisten Gottfried Kratz erfolgten Literatur-Recherche in Moskau, die uns die Fritz Thyssen Stiftung und die Kulturstiftung der Länder ermöglichten, fand sich eine der Wissenschaft bisher unbekannte frühe Wachstumstheorie Joseph Langs von 1816 "Ueber politische Arithmetik". In den nationalen Verzeichnissen deutschsprachiger Literatur (Deutschlands und Österreichs) ist sie als selbständiger Titel nicht zu finden, außerdem nicht in den eingesehenen russischen Katalogen und ebensowenig in den sonst wohlbekannten Bibliotheken Europas oder Nordamerikas. Auf unserer Internet-Seite (unibw-hamburg.de/WWEB/math/uebe/zuhause. html) ist der zwanzigseitige Text, eine Rede anläßlich des Geburtstages des Universitätsgründers, des Zaren Alexander I, nebst einem wohl später angefügten mathematischen Anhang zur Formalisierung der Überlegungen der Rede, im Faksimile (einschließlich der originalen Druckfehler) abgedruckt. 44 ifo Studien 1999

Götz Uebe

680

So wird der Text unabhängig von der sich anschließenden Bewertung einer Analyse zugänglich. Für Anregung, Kritik und Hinweise zu dieser Sicht ist den Kollegen Heinrich Bortis, Fribourg; Ingo Barens, Wuppertal; Joachim Fischer, Berlin und Christian Kuhlo, München zu danken, vor allem aber Gottfried Kratz, Münster und Moskau, ohne den diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Die Rede ist ein Stück mathematischer Ökonomie eines der sehr frühen Vertreter dieser Denkrichtung, die zwar heute selbstverständlich ist, aber sich erst sehr langsam im Laufe des 19. Jahrhunderts durchsetzte. Joseph Lang (17751820) ist bekanntermaßen einer der Pioniere. Daher ist auch für den NichtÖkonomen eine Darstellung der ausgebreiteten Grundideen von Interesse, zumal sie eine überzeugende und heute vertraute Argumentationskette bilden. Lang beschreibt, wie sich im wirtschaftlichen Entwicklungsprozeß die sektorale Zusammensetzung einer Volkswirtschaft verändert. Es ist eine mathematisch formale Betrachtung zur wirtschaftlichen Entwicklung der drei Wirtschaftsbereiche Landwirtschaft, Industrie und aller übrigen. D.h. es ist eine Studie dessen, was heute, mehr als 150 Jahre später, als Fourastiésche These des wirtschaftlichen Wachstums verstanden wird. Die sektorale Zusammensetzung einer Volkswirtschaft verschiebt sich quasi gesetzmäßig, nach der sog. Wildgans-Entwicklung (Akamatsu 1962): ein Sektor nach dem anderen löst den jeweils führenden ab, Abb.1.

Abbildung 1 Die "Wildgans"-Entwicklung

i

Anteil 1 r

0.8 0.6 0.4

0.2 Z e i t ^

Sektorale Entwicklung und Wachstum zu Beginn der Industrialisierung

681

Ein Sektor wächst jeweils, erreicht seine größte Ausdehnung und wird dann wieder kleiner, und dies nach typischem Muster. In der Dreierteilung, die auch Lang hier betrachtet, ist dies heute allgemein bekannt: die Landwirtschaft schrumpft, die Industrie wächst entsprechend gegenläufig, erreicht dann aber auch ihre maximale Größe, denn schließlich überflügelt ein dritter, der Dienstleistungssektor, die beiden übrigen. Diese Beobachtungen sind heute nichts Neues und bedürften keiner besonderen Erwähnung. Das Beachtliche an Langs Beitrag ist die Frühzeitigkeit seiner Beobachtung und vor allem, daß er sein Argument in eine mathematische Theorie kleidet. Als erstes sei auf die wissenschaftliche Persönlichkeit Joseph Lang eingegangen und dann Langs Wachstumstheorie beschrieben.

II. Joseph Langs Lebenslauf Zum Lebenslauf Joseph Langs gibt es keine lückenlose Biographie, aber die wesentlichen Ereignisse seines Lebens sind mosaikförmig charakterisierbar. Die Lückenhaftigkeit einer Biographie aus dem Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts ist im Grunde eine Selbstverständlichkeit. Über beide Hauptschauplätze des Lebens von Lang, Freiburg im Breisgau und Charkow in der Ukraine, ist nicht nur viel Zeit vergangen, sondern auch gewaltige politische und kriegerische Veränderungen sind seitdem mehrfach über sie hinweggegangen. Aus Langs Jugend und Studienzeit (1794/95) an der damalig österreichischen Universität Freiburg im Breisgau finden sich nach den Universitätsakten sowie nach Levitskij einige Kerndaten. Zum Geburtsdatum stehen zwei Alternativen zur Auswahl: 30. Januar 1775 oder 22. Februar 1776, zum Geburtsort entsprechend entweder das heutige Bayern oder Baden-Württemberg. Zum Ende seines Studiums (1795) vertrat er zusammen mit Franz Borgias, der später auf dem vertretenen Lehrstuhl nachfolgen sollte, seinen erkrankten Mathematik-Professor Rinderle (Kistner 1931). Nach Abschluß 1795 war Lang für die Jahre 1796-98 Amtsaktuarius (nach heutigem Verständnis Verwaltungsbeamter) in Waldkirch in der Nähe Freiburgs. Von dort zog es ihn wie viele andere Westeuropäer in den napoleonischen Wirren nach Rußland an die neugegründete Universität Charkow. Im April 1803 wurde Lang nach Prüfung durch die St. Petersburger Akademie der Wissenschaften vom Kurator des Lehrbezirks Charkow, Graf Severin Potockij, für die gerade gegründete Universität Charkow angenommen und zum Adjunctus (in heutiger Terminologie ein wissenschaftlicher Mitarbeiter, nicht jedoch Privatdozent an einer Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Charkow, wie es z.T. in der Literatur umhergeistert) für Philosophie und Mathematik ernannt. Im Jahre 1806 wechselte der Adjunctus der moralischpolitischen Section zur Abteilung Politische Ökonomie, in der er bis zum Ende seiner Tätigkeit in Charkow verblieb. Als Nachfolger von Jakob (der später nach Halle zurückkehrte) wurde Lang dann 1810 zum Professor Extraordinarius be4*

682

Götz Uebe

rufen. 1812 schließlich erfolgte die Berufung zum Professor Ordinarius für Diplomatie und Politische Wissenschaften, dies vermutlich nach Abschluß seiner in Latein verfaßten, heute verschollenen Dissertation. In seinem Fach ist Lang insbesondere auf dem Gebiet der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als originärer Denker hervorgetreten (s.u.). Am 26. August 1819 erfolgte dann die Entlassung wegen Unbotmäßigkeit aus seiner Tätigkeit als Professor an der Universität Charkow, was aus heutiger Sicht schon etwas ungewöhnlich ist. Aber Notizen Levitskijs und Rommels: "er nahm an jedem Streit teil", "Lang spricht wie Robespierre" (dieses 20 Jahre nach der Schreckensherrschaft der französischen Revolution), "er verreiste ohne Genehmigung" sowie die heraufziehende Heilige Allianz, zu der sich in den Zeitungen jener Zeit (z.B. in Charkow in deutscher Sprache!) bezeichnende Ausführungen finden, machen die Entlassung verständlich. Außerdem sei auf den im Dorpater Professoren Institut eine Rolle spielenden Ökonomen Karl Theodor Hermann verwiesen, der zu gleicher Zeit und aus ähnlichen Gründen seine Stellung verlor (Anikin). Auf jeden Fall meldet die Zeitschrift "Ukrainskij Vestnik" im September 1819, daß der ordentliche Professor der Politischen Ökonomie und Hofrat Joseph Lang gänzlich aus der Universität ausgeschieden sei. In den Vorlesungsverzeichnissen in Charkow ist Lang 1818 letztmalig und ab 1820 nicht mehr aufgeführt. Das Vorlesungsverzeichnis 1819 ist m.E. nicht erhalten. Damit verliert sich die Spur seiner Biographie jedoch nicht vollständig.

1. Die Grabstein-Frage

Im Verlauf der Recherchen in Moskau ist es uns gelungen, mit einer leiblichen Nachfahrin Joseph Langs bekannt zu werden: der Historikerin Dr. habil Nina M. Pasaeva. Ihr ist es zu verdanken, daß der in lateinischer und deutscher Sprache abgefaßte Text des zu Beginn des letzten Krieges noch erhaltenen Grabsteins von Lang in dem unweit Moskaus gelegenen Serpuchow in seiner deutschen Fassung erhalten ist. Er wird hier in der von ihr mitgeteilten Form wiedergegeben: "Deutscher Text der Grabinschrift von Prof. Lang: Hier ruhet Dr Joseph Lang weiland o.O. Professor bei der Charkowschen Uniwersitaet etc., geb. zu Freiburg in Breisgau etwa 1774 gest. zu Serpuchow den 19 Maerz 1820. Der Idee weihte er das fromme Leben. Er unterlag ein Opfer dem ungleichen Kampf. Sein Werth wird die Zukunft anerkennen. Leicht sei die Erde ihm! Es gibt aber eine Unsterblichkeit es gibt eine Vergeltung." Neben dieser erstmalig festen Datierung des Todes, die sich außerdem in einem in der St. Petersburger Akademie erhaltenen Brief der Witwe Lang findet,

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683

ist diese Grabinschrift doppelt interessant, einmal vom Inhalt, zum anderen im Vergleich. Inhaltlich, insbesondere vom Schluß könnte man spekulieren, Lang sei Opfer eines Verbrechens oder Duells geworden, etwas nicht Ungewöhnliches im 19. Jahrhundert. Man denke an den Duelltod des Mathematiker Galois oder des Politikers und Literaten Lasalle oder die Ermordung des Ökonomen Valavanis selbst im 20. Jahrhundert. Ebenso denke man an die von Bagalej berichtete letzte Auseinandersetzung Langs mit der Leitung seiner Universität im Jahre 1819. Gegen deren Willen und ohne Paß macht er sich auf die Reise von Charkow nach St. Petersburg, nicht ohne zuvor den Mitgliedern der Universitätsleitung mitzuteilen, daß jedweder "Schaden", den er deswegen unterwegs erleiden könne, ausschließlich deren Verschulden sei. Von dieser Reise kehrte er noch zurück. Bei der nächsten Reise von Charkow nach St. Petersburg starb er dann - unter welchen Umständen auch immer - in Serpuchow (so F.T. Koppen sowie Langs Witwe Louise). Wie Pasaeva betont und wie auch die Sinngebung sonstiger Grabsteine jener Zeit zeigt, bedeuten solche Inschriften mehr als heute. Im Vergleich sind lehrreich die Grabinschriften von Langs Lehrer Rinderle (in Freiburg), die passend für einen Mathematiker lautet: "Vieles hat er bestimmt mathematisch mit Ziffer und Buchstab', Aber die Stunde des Tods bleibt unbekannter als x", sowie die seines berühmten russischen Zeitgenossen Storch (in St. Petersburg), die von traditioneller Art ist. Auf der einen Seite findet sich: "Heinrich/von/Storch/GeheimerRath/und/Ritter/Vicepräsident/der/Academie/ der/Wissenschaften/Geboren, 18. Februar 1766/Gestorben 1. November 1835" und auf der gegenüberliegenden Seite, ebenso traditionell: "WIEDERSEHEN/Wilhelmine von 1778/Gestorben den 26. Mai 1863"

Storch/Geboren

den

2.

August

Auch instruktiv ist die Grabinschrift des mathematischen Ökonomen Johann Heinrich von Thünen, einem Lang im Geist und in der Zeit nahestehenden Fachgenossen, für den die Grabinschrift über den Namen als solchen hinaus ebenfalls nicht belanglos war. Thünen ließ bekanntlich das in seinen Augen wichtigste (?) in gleicher Zeit (1819) entstandene Ergebnis seiner Lebensarbeit auf dem Stein einsetzen. Es ist Thünens unter Ökonomen berühmte Grab-Formel "A = yjap". Beide dieser Inschriften (Rinderle, Thünen) kennzeichnen bedeutende Leistungen der Verstorbenen. Für die Thünensche in Worten "Der Lohnsatz A der Arbeit ist ein geometrisches Mittel von a und p, wobei a das Existenzminimum und ρ das von einem Arbeiter erwirtschaftete Gesamtprodukt bedeutet", rankt

684

Götz Uebe

sich eine ganze Literatur bis in die jüngste Gegenwart (Suntum 1988) mit der wichtigsten Zuspitzung in Lasalles wohlbekanntem ehernen Lohngesetz ("der Lohnsatz hängt nur vom Existenzminimum ab" (Bräuer)) bis zu Niehans' (1990) Bewertung als unsinnige Überspitzung. Das, was der heutige Betrachter hier schließen muß, ist, daß Lang bzw. seine unmittelbare Umgebung sehr wohl seine Bedeutung erkannt hatte, auch wenn sie keine unmittelbare Folgewirkung gehabt hat. M.a.W. eine Grabinschrift über die Lebensdaten hinaus ist von besonderer Bedeutung.

2. Die intellektuelle Kette von Lang in die Gegenwart

Eine zweite bisher unbekannte biographische Verbindung Langs ist die zu dem berühmten russischen/deutschen Gelehrten und späteren Akademiemitglied Koppen (Petr I. Keppen, 1793-1864; die Schreibweise variiert je nachdem, ob die Quelle russisch oder deutsch ist), einem der Begründer der russischen wissenschaftlichen Geographie, Statistik und Ethnographie, eine der Leuchten dieser Wissenschaften in Rußland und der Welt. Aus dieser Verbindung resultiert eine ganz überraschende geistesgeschichtliche Linie bis in die Gegenwart. Koppen war Student von Lang und so eng befreundet mit seinem Professor, daß er gemeinsam mit ihm (1812) von Charkow aus vor seinem Examen dort (1814) ausgedehnte Reisen im Gouvernement Cherson gemacht hat. Eine ähnlich enge Freundschaft verband bereits den Lang-Vorgänger Jakob mit dem Vater des Langschülers Koppen. Auf der Reise trafen Lang und Koppen auch den Komponisten Hess de Kalvé. Wie aus der Biographie Köppens durch seinen Sohn Friedrich Theodor Keppen hervorgeht, verfaßte Koppen handschriftlich über und auf dieser Reise mit Lang einen bisher nicht auffindbaren Roman in der Form einer Reihe von Briefen, in denen "Dichtung und Wahrheit" miteinander verflochten sind. In diesem Roman sei der Einfluß von Goethes Werther sehr deutlich. Auf Empfehlung Goethes gelangte übrigens Schad als Kollege Langs nach Charkow, und Langs Amtvorgänger Jakob war Zielscheibe sehr boshafter Kritik Goethes und Schillers in den "Xenien". Die Beziehung Köppens zu Lang war offensichtlich so intensiv, daß noch Jahre nach Langs Tod Koppen in seiner von der Akademie herausgegebenen Abhandlung "Über das Wesen der Statistik" Lang als den eifrigsten Verfechter der Wissenschaft von der Politischen Arithmetik rühmt. Daß solche handschriftlichen Vermerke Köppens über seine Reisen mit Lang und Briefe der Witwe Lang jetzt verfügbar werden, verdanken wir der freundlichen Mithilfe der St. Petersburger Köppenforscherin und Geologin Krasnikova. Die Verbindung Lang-Köppen könnte man als Kuriosität abtun, ginge sie nicht weiter. Köppens zweiter Sohn ist Wladimir Koppen (1846-1940). Wladimir Koppen ist einer der Begründer der modernen Meteorologie und Klimatologie, Direktor der Deutschen Seewarte in Hamburg und Schwiegervater (über die Tochter Aline) von Alfred Wegener (1880-1931), dem berühmten Geophysiker, Entdecker der Kontinentalverschiebung, und er wiederum (über die Tochter Hanna Charlotte)

Sektorale Entwicklung und Wachstum zu Beginn der Industrialisierung

685

der Schwiegervater des wohlbekannten Tibetforscher Heinrich Harrer. Hier steht Lang in einer langen direkten Kette überragender intellektueller Köpfe (fünf verbundene Generationen intellektueller Spitzenleistungen, das ist etwas ganz Erstaunliches). Nach diesen biographischen Ausführungen wird Langs substantiell ökonomisches Anliegen des folgenden Abschnittes verständlich.

III. Die Hauptfragen in Langs Wachstumstheorie von 1816 Inhaltlich stellt Lang in seiner Rede unter dem Titel "Ueber politische Arithmetik" drei Hauptpunkte vor. Der erste ist der am wenigsten wichtige und der letzte der interessanteste: i.

den neuen Begriff der "Nationalökonomie";

ii. die Rolle einer nationalen Buchführung für Vermögen und Einkommen; iii. das sektorale Wachstum einer geschlossenen Volkswirtschaft.

1. Der benutzte Begriff der Nationalökonomie

Der sprachlich neue deutsche Begriff der "Nationalökonomie" ist 1816 eine Wortschöpfung, die soeben unabhängig voneinander und gleichzeitig (in 1805) von Soden und Langs akademischen Vorgänger im Amt, Jakob, geprägt worden ist (Jakob 1805, Soden 1805). Auch sehe man dazu z.B. in Storch (1819, Band III in der Übersetzung von Rau, Zusatz I, S. 211-2). Lang benutzt ihn als offenbar selbstverständlich. Wie viele "Leitmotive" ökonomischer Analyse (z.B. die Begriffsschemata wie Gournays "Laissez faire", das Tableau der Physiokraten, Youngs Begriff des "Kapitalisten", Malthus' Vergleich geometrischer und arithmetischer Reihen usw.) hat sich auch dieses sehr schnell durchgesetzt. Lang drückt seine in heutiger Sicht wohl naive Überzeugung aus, die Nationalökonomie sei eine Veranstaltung, ökonomische Konflikte zum Nutzen aller zu bereinigen (S. 1-2). Zu seinerzeit, dem Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts, der Zeit der Aufklärung und vor den Konflikten der sozialen Frage des 19. und 20. Jahrhunderts, war diese Sicht der Harmonie wohl weniger naiv, als der heutige Leser annehmen würde.

2. Langs Begriff des Vermögens

In den Folgeüberlegungen zur nationalen Buchführung und zur Entwicklung der Wirtschaftsbereiche spricht Lang von "Vermögen". Zu dieser zweiten und interessanteren Frage ist der Begriff des "Nationalen Vermögens" einzugrenzen. Es ist der wohlbekannte Begriff des Adam Smithschen "national wealth". Das einfachste Verständnis beginnt mit einer sprachlichen Interpretation: Der Begriff "Vermögen" bedeutet zweierlei: "Reichtum", eine Kollektion von Aktiva, und zugleich produktive Kapazität. Kapital ist Einkommen im weitesten Sinn,

686

Götz Uebe

vorausgesetzt natürlich, daß es keine Arbeitslosigkeit gibt. Die gleiche Voraussetzung ist weitverbreitet, so z.B. in Storch, dem in Rußland prominentesten Zeitgenossen Langs (in Raus Übersetzung, III, S. 432), wo die Zahl der Leute mit gewinnbringender Arbeit gleichgesetzt wird. Indem die Zahl der Köpfe direkt mit dem Kapital in Beziehung gebracht werden (dazu siehe S. 8-9): "nach dem die Größe des National-Vermögens zu bestimmen ist, und dann, daß man es als die Summe des Vermögens gewisser Classen denke, so zwar, daß es zunehme, wenn die Zahl der Individuen dieser Classen größer wird, und abnehme, wenn sich diese Anzahl vermindert." wird diese Identifikation durch Lang vollzogen. D.h. in heutiger TheorieInterpretation gilt: es wird eine sog. lineare Produktionsfunktion innerhalb einer geschlossenen Volkswirtschaft und bei Vollbeschäftigung aller Ressourcen unterstellt. Für diese Sicht, die damit implizierte Äquivalenz von Kapital und Einkommen, sprechen ebenfalls Langs Ausführungen auf S. 11, wo er alle ökonomisch wichtigen Größen kausal mit der sektoralen Dreierteilung verbindet: "so muß sich aus diesen drey Daten der ganze öconomische Zustand der Nation, der positive Werth ihres Vermögens, ihr jährliches Einkommen, das Verhältniß der circulirenden Geldsumme zu ihm, die Volksmenge der politischen und unproductiven Classe, der Zinsfuß, der mittlere Arbeitslohn u. s. w. bestimmen lassen."

3. Die Rolle einer nationalen Buchführung für Vermögen und Einkommen

Die Diskussion dreht sich jedoch nicht um die Entstehung des Vermögens wie bei Smith, - die Ökonomie als "engine of wealth" -, sondern um die Übertragung der kaufmännischen doppelten Buchführung auf eine nationale Buchführung, eine Frage, die erst in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts mit der modernen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zufriedenstellend gelöst worden ist. Lang macht die richtige und wichtige, wenn auch heute triviale Beobachtung, daß eine nationale Buchführung das nationale Vermögen ebenso richtig abbilden kann, wenn zwei notwendige Bedingungen eingehalten werden: i.

die wechselseitigen Forderungen und Verbindlichkeiten werden durch Aggregation herausgerechnet (S. 4-5), und

ii. Umverteilungen von Ressourcen von einem Individuum zu einem anderen werden nicht als Vermögenszuwachs der Gesamtressourcen verbucht (S. 5-6). Beide Voraussetzungen folgen aus der Beobachtung, daß in einer geschlossenen Wirtschaft Forderungen und Verpflichtungen sich annullieren und Geld nicht nationales Vermögen sein kann. Außerdem kann zwar privates Vermögen

Sektorale Entwicklung und Wachstum zu Beginn der Industrialisierung

687

entweder durch Umverteilung oder Neuschöpfung geschaffen werden, nicht aber die private Umverteilung das nationale Vermögen ändern. Eine vergleichbar triviale, dennoch oft nicht beherzigte Erkenntnis spielte in der sog. keynesianischen Revolution dieses Jahrhunderts eine Rolle, nämlich daß das Einkommen nicht wächst, indem man sich gegenseitig die Wäsche wäscht. Wie schon in seinen vorhergehenden Arbeiten (1807, 1810-1811, 1815) wird damit konsequent der Außenhandel ausgeschlossen. Wenn man die Welt als ganzes betrachtet (S. 14): "Unsere Wissenschaft kennt kein Ausland, indem sie vom höchsten Interesse der Menschheit ausgeht, das bey allen Nationen eines ist,..." - und das bedeutet die Analyse als geschlossene Wirtschaft -, spielen Außenbeziehungen eben keine Rolle oder aber, wie hier, führen zu zwei bemerkenswerten Folgerungen (S. 14, Schlußsatz): "...alle Bedingungen der Vermehrung und Verminderung des Vermögens nur in der Nation, in der Gestaltung ihrer innem öconomischen Verhältniße liegen, also kein Volk dadurch reicher werden könne, daß ein anderes ärmer wird...." D.h. die Wirtschaftspolitik muß zu Hause beginnen und "beggar thy neighbor policies" zahlen sich nicht aus, ein Resümee und eine Empfehlung, die noch heute von Bedeutung ist. Die weitere Analyse, die dann zu der dritten Frage der sektoralen Aufteilung führt, ist eine Verallgemeinerung der physiokratischen Ideen unterschiedlicher Wirtschaftsbereiche aus Langs vorhergehenden Arbeiten. Zur Verdeutlichung sei dies kurz rekapituliert. Lang unterteilt die Wirtschaft in verschiedener Weise in drei bzw. vier Sektoren: Urproduzenten (= Landwirtschaft), kommerzielle und produktive Klasse sowie die politische Klasse, Unterteilungen, die aus den bekannten Diagrammen, wie die Dupont de Nemours (Physiocratie, ou constitution naturelle du Gouvernement le plus avantageux au genre humain, Tome I, Yverdon, 1768), Abb. 2, bzw. der bekannten Darstellung als Netzwerkbild direkt in die moderne volkswirtschaftliche Gesamtrechnung geführt haben, Abb. 3.

688

Götz Uebe Abbildung 2 Das ursprüngliche Quesnaysche Tableau économique

F

Ott

O

R

M

U

Tableau

REPRODUCTION

AVANCKS annuelle« dtU Clafe produttive*

2 Miliaris

L

E

économique

totale. Cinq Milliards . REVENU pour les proprictai· res des ter. re&le Sou« verain & les Dèci· mateurs.

AVANCES de la Ciaf9 JUriu*

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qui fer* . Ißliüiari. vent à Ι payer I le Reve· 1 nu&1es^ lMilliard. Intérêts des A· fanccs I Milliard. primitives.

Dépenfe des Avan ces annuelles.

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Γ

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Τ Ο T A L , 2 Milliards dont la moitié eft retenue par cet· te ClaiTe pour les a» iva η ce s de l'année fui· vante«

T O T A L ) J MILLIARDS*

»

j

Sektorale Entwicklung und Wachstum zu Beginn der Industrialisierung

689

Abbildung 3 Quesnays Schema zu den Geld- und Güterströmen zwischen den Klassen

Lang hatte bereits ein Jahr zuvor (1815) die folgende Tabelle, eine alternative und verallgemeinerte Darstellung des Flußbildes, veröffentlicht. Es ist in heutiger Bezeichnung eine FoF-Matrix (flow of funds matrix oder sam = social accounting matrix), eine vollständig moderne Sicht der Volkswirtschaft als Matrixschema, Abb. 4. Auf diesem Hintergrund sind die Langschen Buchungsregeln selbstverständlich. Schließlich ist vor der Darstellung der Langschen Theorie des Wachstums, dem dritten Teil des Aufsatzes, auf die dahinterstehende Zinstheorie einzugehen.

690

Götz Uebe Abbildung 4 Langs FoF-Matrix von 1815

Tabette III.

Es gelangen

Von den Urproducenten

Uebergang des Geldes.

An die Urproducenten.

An die tech. An diecom- An die Produmerc. Pro- politische centen. ducenten. Klasse.

*4



den technischen Prodacenten den commeraellen Producenten der politischen Klaue

Summen

95 ii5



56

-

56

66

66



11

47

i46

Si

169

146 81



169

-

%

Summen.

66



66

46a

4. Langs Zinstheorie

Zu Langs Zinstheorie ist der einfachste Zugang über die beiden ersten Zinstheorien Böhm-Bawerks: Lang steht, wie Böhm-Bawerk anschaulich schreibt, in schwankender Mitte zwischen der Turgot-Smith-Tradition und einer Art von Produktivitätstheorie. Man erinnere sich an Turgots Überzeugung von der Notwendigkeit eines Zinses - ohne ihn würde sich für Kapital in der Landwirtschaft eine alternative produktive Verwendung finden -, und an Adam Smiths Beobachtung, daß es ohne Zins keinen Kredit geben würde. Die mehr oder weniger unkritischen Anhänger dieser beiden Denkrichtungen faßt Böhm-Bawerk als "farblose" Theorien zusammen. Lang ist damit wohl beschrieben. Denn einerseits teilt Lang die Vorstellungen Turgots und Adam Smiths ohne weitergehendere eigene Ausführungen, andererseits teilt er die Vorstellung von der "produktiven Kraft" des Kapitals (Vermögens). Eine direkte literarische Verbin-

Sektorale Entwicklung und Wachstum zu Beginn der Industrialisierung

691

dung zu Lang besteht hier außerdem über Langs Lehrer, Mentor und Vorgänger im Amt, Jakob (den Böhm-Bawerk direkt zitiert: S. 75, Kapitel vi).

5. Langs Vorstellung zur Rolle der Mathematik in den Wirtschaftswissenschaften

Schließlich setzt sich Lang innerhalb dieses Abschnitts (S. 8 und S. 16-20) für die volle Nutzung der Mathematik in der Ökonomie in einer Deutlichkeit ein, wie sie dieser Autor 160 Jahre später von seinen akademischen Lehrern hörte (Lang, S. 8): "... Die Einwendungen, die man gegen politische Arithmetik, gegen die mathematische Bestimmung des National - Vermögens und die Einführung algebraischer Formeln in die National-Oeconomie vorbringt, haben große Aehnlichkeit mit den Einwürfen, womit man die Möglichkeit einer genauen Bestimmung des Laufes der Himmelskörper bestreiten wollte; sie sind beantwortet und fallen hinweg, sobald man das wahre System des Universums kennt." Dieses Argument wiederholt fast wörtlich der berühmte Ökonom Walras im Schlußsatz seiner Einleitung zu seinen gefeierten "Elements" viele Jahre später: "... l'économique mathématique prendra son rang à coté de l'astronomie et de la mécanique mathématiques" (p. xx). Für die Tatsache, daß Langs Zeitgenossen von diesem Vorgehen nicht viel hielten, und eher die entgegengesetzte Sicht teilten, sei auf seinen zeitlich fast unmittelbaren Kollegen Storch (1819) verwiesen, der die ökonomischmathematischen Bemühungen Canards (1755-1833) und Buquoys (1781-1851) als im Wesentlichen fehlerhaft tadelt, obwohl er (Storch) wirklich nichts davon versteht (III, S.236, Zusatz 8; 268). Wie in der Walras-Korrespondenz nachzulesen (Alfred Dambitsch in Jaffé 1965 zu Adolph Wagner und der deutschen Nationalökonomie um 1900), wird diese Einstellung noch ein ganzes Jahrhundert danach in Deutschland voll geteilt.

6. Das sektorale Wachstum einer geschlossenen Volkswirtschaft nach Lang

Mit diesen allgemeinen Voraussetzungen (Vermögen, Kapital und Produktion in einer vollbeschäftigten geschlossenen Volkswirtschaft, der Rolle des Zinses, richtiger nationaler Buchführung, geeignetem Einsatz der Mathematik) unterteilt Lang die Wirtschaft in vier (investierende = nicht nur konsumierende) Sektoren: Urproduzenten (= Landwirtschaft), kommerzielle und produktive sowie politische Klasse. Dann unterscheidet Lang zwei Typen von Ökonomien, eine mit wesentlichen Sektoren ausschließlich (S. 9) und eine, die zusätzlich zu den produktiven Klassen noch eine ausschließlich konsumierende Klasse enthält. Als Hauptfall betrachtet Lang die ausschließlich mit wesentlichen Sektoren (siehe insbesondere S. 18). Die technische und kommerzielle Klasse werden der Einfachheit halber zu einer aggregiert.

692

Götz Uebe

Lang stellt dann die Behauptung auf (S. 10, unten): Das Nationalvermögen wird durch zwei Faktoren bestimmt: a) die Zahl der Personen insgesamt innerhalb eines Sektors und b) durch die geeignete Zusammensetzung der sektoralen Anteile. Verschiedene Nationen unterscheiden sich durch verschiedene Anteilszusammensetzungen, und es gibt eine typische zeitliche Entwicklung der Anteile (S. 11-12). Arme Nationen haben relativ viele Urproduzenten (Landwirte), während reichere Nationen durch einen wachsenden Anteil der technischen und kommerziellen Klasse charakterisiert sind. Den gleichen Gedanken hatte Lang bereits 1811 anhand verschiedener numerischer Variationen einer physiokratischen Ökonomie ohne den Erklärungsgrund des Zinses vorgeführt (s.u.). Ebenfalls gibt es für die politische Klasse eine typische zeitliche Entwicklung. Lang schreibt (S.12): "...Es ist zu vermuthen, was freylich hier nicht bewiesen werden kann, daß sich unter diesen Classen eine befinde, deren Verhältniß zur produktiven Volksmenge von Anfange an, bis zu einem gewißen Puncte zuund von da an abnimmt; ...". Für die Bevölkerung als ganze könne man keine solche Gesetzmäßigkeiten feststellen. Diese Anteilszeitreihen werden dann mit dem Zinsfuß in kausale Beziehung gebracht. Der Zins sinke parallel mit dem wachsenden Anteil der technischen und kommerziellen Klasse, und ihr Wachstumsprozeß sei der Indikator für den zunehmenden Reichtum und Wohlstand (S. 12 unten). Die Entwicklung sei wie folgt: "Das Verhältniß der Zahl der Urproduzenten zur Anzahl der Individuen der productiven Classen" (der Anteil; productive Classen sind alle), "bildet alto eine von 1 .an abnehmende Reyhe, bis es in der Ferne = 0 wird; das Verhältniß für die übrigen Classen hingegen bildet ein von 0 bis 1. aufsteigende Reyhe." Die faktisch/deskriptive Beobachtung, daß mit der Entwicklung eines Landes die Landwirtschaft schrumpft und zugleich der Wohlstand zunimmt, findet sich verbreitet auch zu Langs Zeit an anderer Stelle so z.B. in Storch (1819, Band III in der Übersetzung von Rau, Anmerkung 75, S. 339, in der sogar einzelne numerische Anteilswerte zitiert werden: "... in Ländern, die auf einer niedrigeren Stufe der Betriebsamkeit stehen, ist die Anzahl der Ackerbautreibenden stärker..."). Wenn man Lang daher ausschließlich aus der Physiokratie sieht, so z.B. Brems, und zugleich gemäß physiokratischen Vorstellungen die Wertschöpfung ausschließlich aus der Landwirtschaft kommen sieht, ist dies natürlich eine zu kurze Sicht. Lang ist eben nicht nur in physiokratischen Denklinien zu verstehen. Die zweite Beobachtung, daß zugleich der Zins mit dem Wachstum, bzw. dem Wohlstand, sinkt, läßt sich ebenfalls in den Vorläufern finden und stützt die Abgrenzung gegenüber ausschließlich physiokratischen Überlegungen. Das Sinken des Zinses mit steigendem Wohlstand ist eine wohlvertraute Idee, die z.B in Adam Smiths Hauptwerk, (- Smiths Werk und das seiner Schüler ist der ideengeschichtliche Gegenentwurf zur Physiokratie -) am seinerzeitigen Musterland Holland auftaucht: p. 93 , "a country which has acquired its full com-

Sektorale Entwicklung und Wachstum zu Beginn der Industrialisierung

693

plement of riches ... the class of those who live upon interest almost vanishes, since the ordinary rate of clear profit is too low, to support a large number, ... it is therefore unfashionable not to be a man of business". Die abnehmende Klasse der Zinsbezieher kann man mit dem Vergleich zu den physiokratischen Vorstellungen zur sektoralen Einteilung (die Grundherren, die den Zins beziehen, sind zugleich die politische Klasse (= Krone, Adel, Klerus) mit Langs politischer Klasse identifizieren. Damit ist die Idee der Abnahme des Zinses ebenfalls ganz "klassisch", sogar auf Smith zurückführbar. Ein weiteres illustratives A. Smith Zitat, das dies stützt, ist p. 156: "the rate of interest is naturally low in rich and high in poor countries". Der dritte und gewichtigste Gesichtspunkt zu der Langschen Anteilsbetrachtung ist jedoch der mathematische Anhang. In ihm präsentiert Lang ohne Herleitung für die behaupteten zeitlichen und kausalen Verläufe zwei mathematische Funktionen und beschreibt damit seine Argumente formal (S. 17-18): Der Anteil μ der technischen und kommerziellen Klasse (der "übrigen" Klassen = der "sterilen" Klasse der Physiokratie; so S. 19, unten) wird durch folgende Gleichung (1) gegeben (wortwörtlich Lang): (1)

J(1 + 1 2 X ) - ( 1 + 2X)

μ=ϋ

— 6x

-, graphisch:

Abbildung 5 Der Anteil μ der technischen und kommerziellen Klasse

694

Götz Uebe

Der Anteil γ der politischen Klasse wird durch Gleichung (2) gegeben:

(2)

[^(1 + 12X) - (1 + 2x)) · (2 + 3x - 2x 2 ) γ = 5 = , graphisch 6 + 37x + 22x -12x

Abbildung 6 Der Anteil /der politischen Klasse

Der Anteil des Restes des ersten Sektors,der Landwirtschaft, wird durch 1 - μ - y t die Differenz zu Eins, gegeben. Zur Begründung einer formelmäßigen Darstellung zitiert Lang das schon erwähnte Astronomiebeispiel (S.8). Da es den vorgeführten Gleichungen entsprechende in der Astronomie nicht gibt, ist dies wohl nur als allgemeine Motivation zu sehen, und zugleich ist die Erklärung des Nachtrags (S.17) wörtlich zu nehmen: "Die Anzahl der Hunderttheile vom Werte des Capitals, die im mittleren Durchschnitte als Zins berechnet wird, sey = n; wenn also der Zinsfuß 5% ist, so ist η = 5; nun setze man χ =

100

."

D.h. die erklärende Variable χ bezeichnet eine durchschnittliche Zinsbelastung als Anteil des eingesetzten Kapitals. Ähnlich pauschale Behauptungen zur Rolle des Zinses finden sich z.B. noch über 100 Jahre später bei Kaldor.

Sektorale Entwicklung und Wachstum zu Beginn der Industrialisierung

695

Die Funktionen erfüllen die von Lang postulierten Monotonie-Eigenschaften bei sinkendem x, d.h. für die Urproduzenten (1 - μ - j) ein monotones Schrumpfen, für die politische Klasse (γ) erst ein monotones Wachsen, dann ein monotones Schrumpfen und für den technisch-kommerziellen Sektor (μ) ein monotones Wachsen. Auch die Long-Run-Eigenschaften für den verschwindenden Zinsfuß - Langs aus der Beobachtung projizierte Behauptung für den Entwicklungsprozeß (n 0 und χ -> 0) - führt dazu, daß die politische Klasse verschwindet ( / - > 0) und die beiden übrigbleibenden Klassen die Ökonomie im Verhältnis 2:1 aufteilen. D.h. der Anteil der technischen und kommerziellen Klasse konvergiert zu 2/3 (μ 2/3) und der Anteil der Urproduzenten konvergiert zu 1/3(1 1/3). Derart streng formalisierte Behauptungen über den ökonomischen Entwicklungs- und sektoralen Wachstumsprozeß sind erst sehr viel später, mehr als ein Jahrhundert, erneut z.B. durch Fourastié formuliert worden. Er stellte seine Vorstellungen durch Bilder wie das obige Wildgansmuster dar (Abb. 1). Eine entsprechende Gesamtdarstellung der Entwicklung aus den Langschen Kurven ist das folgende Aufteilungsbild für die sektoralen Anteile. Das Bild zeigt die Anteile zugleich in Abhängigkeit von χ, 0 < χ < 1. Die zeitliche Entwicklung ist dabei nach Lang von rechts nach links zu lesen.

Abbildung 7 Die Anteile der Klassen insgesamt

i

1

Anteil II"'Landwirtschaft'

0.5

1

zeitliche Entwicklung

45 ito Studien 1999

1.5

• 2

χ Zinsfuß

696

Götz Uebe 7. Gesetzmäßigkeit und Harmonie in den Wirtschaftswissenschaften

Die Wahl der Funktionen ist mehr als überraschend. Sie sind nicht linear, wie z.B. in vielen Werken jener Zeit (so auch Langs, z.B. aus den Jahren 1807 und 1810-1811), sondern sorgfältig gewählte rationale Funktionen, so daß die in der Rede behaupteten Eigenschaften tatsächlich modelliert werden. Sie sind auch nicht wörtlich aus der Astronomie entnommen, auf die Lang verweist und was man daher vermuten möchte. Der ad-hoc-Gesichtspunkt in der Spezifikation ("ad hoccery") ist zumindest in drei Fragen zu sehen: Es gibt keine Erklärung für die genaue funktionelle Spezifikation, keine Erklärung für das Wegfallen der politischen Klasse und keine Begründung für den speziellen Grenzwert der Aufteilung. Eine Begründung für den genauen Long-Run-Anteil von 2:1 gibt Lang nicht, auch keinen faktischen Anhalt, es sei denn, die ästhetisch "schöne" 2:1 Aufteilung sei genügend, eine Vorstellung, die, herrührend aus den Harmonievorstellungen der Aufklärung, vielleicht doch ein Grund sind. Bevor man dies als spekulativ verneint, denke man an die "great ratios" unserer Tage des Nobelpreisträgers Klein (1961), die fast magisch konstante faktische Aufteilung von Lohn und Gewinn (ebenfalls in etwa 2:1) oder die Gleichgewichtsmodellvorstellungen der modernen ökonomischen Theorie. Mit dem geistesgeschichtlichen Hintergrund Langs ist die Vermutung daher kaum abwegig, daß Lang die Aufteilung zielgerichtet konstruiert hat. Im übrigen ist eine solche ad hoc vom Ergebnis her geleitete Formulierung für einen angewandten Mathematiker aus beobachteten Tatsachenzusammenhängen vielleicht natürlich. Dieser "engineering approach" ist ein übliches Vorgehen, mit dem Lang aus seinem Studium in Freiburg und seiner nichtökonomischen Erfahrung wohl vertraut war. Dort konstruierte sein Lehrer Rinderle, den er zeitweilig vertrat, genau nach diesem Schema Uhren, Automaten, Schleusentore und andere mathematische Instrumente. Lang war originell in seiner volkwirtschaftlichen Gesamtrechnung, und so war es wohl auch hier. D.h. die mathematische Formulierung ist ein eigenes Konstrukt, das faktische und normative Charakteristiken verbindet. Es ist eine Kombination, die selbst in heutigen Ökonomie-Modellen verbreitet und in keiner Weise ungewöhnlich ist (vgl. Uebe und Fischer). Selbstverständlich bleiben die Kurven im Einklang mit dieser Art der Modellierung im wesentlichen deskriptive Kurven ohne kausale Ableitung zur zeitlichen Entwicklung, bzw. als Funktion der durchschnittlichen Zinslast der sektoralen Zusammensetzung eine sehr mechanistische Vorstellung. Für diese Sicht der Welt gibt es aber auch einige nicht nur spekulativ anmutende außerökonomische Gründe: Die Utopie einer letztendlich verschwindenden politischen Klasse ist nicht nur die Idee der Physiokratie (ein Zusammenhang, den Lang explizit auf S. 19 macht). Sie durchzieht das gesamte 18. Jahrhundert. Im Titel-Motto der Arbeit Dupont de Nemours' heißt es z.B. zu der göttlichen Ordnung: "Ex natura, jus,

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ordine, &leges. Ex homine, arbitrium, regimen, &coercitio F.Q." (= François Quesnay, offensichtlich). Es ist einer der Schlachtschreie der Französischen Revolution: wenn die Gesellschaft wie ein Uhrwerk funktionieren kann und soll (siehe hierzu die hervorragenden Illustrationen dieser Uhrenwelt von Klaus Maurice (vgl. auch Kistner 1931) und die unmittelbare Nutzanwendung in der Ökonomie des 18. Jahrhunderts von Heinz Rieter), dann sind Verwaltung, Bürokraten, Adel und Fürsten insgesamt überflüssig. Ganz typisch für diese Sicht ist das bekannte Verslein: "When Adam dalf and Eve span, Who was thanne a gentilman". Es ist eine deistische Sicht des politökonomischen Universums als ein großer, wohl funktionierender Mechanismus. Wenn überhaupt, kommen nur implizit noch zusätzlich philosophische, ethische oder historische Überlegungen hinzu. Im Grunde gibt es eine "Harmonie der Ökonomie" (eine Vorstellung, die durch Bastiat (1849), einen Autor mit dem Gespür für journalistische Überzeugungskraft und Eindrücklichkeit, bezeichnenderweise im Titel seines Hauptwerks aufgenommen wurde; vgl. hierzu Gide und Rist 1921). Lang teilt diese Sicht, wie auch an anderer Stelle, z.B. in Lang (1815) deutlich wird. Es ist eine Weltsicht, die von den großen ökonomischen Denkern seiner Zeit (zu denen Bastiat sicher nicht zählt) gerade nicht geteilt wird. Es war einer der Einwände gegen die Physiokratie, z.B. der von Adam Smith und Denkern späterer Zeiten, z.B. der Marshalls oder Keynes'. Wahrscheinlich ist es auch ein Grund für Langs Nichtbeachtung in der ökonomischen Haupt-Tradition. Sie kapriziert sich nicht auf rein formale Überlegungen dieser Art, zumindest nicht im frühen 19. Jahrhundert. Wenn man Politik überhaupt braucht, so diese Sicht (so auch Langs), dann braucht man bestenfalls einen aufgeklärten Fürsten. Aber selbst dieses Relikt einer politischen Klasse wird in Frage gestellt, wenn die Welt ausschließlich durch Formeln und mathematische Gesetze regiert wird. Mit dem Verschwinden der politischen Klasse, so Langs Vorstellung (S.12), erklärt sich die Entwicklung dieses Wirtschaftsbereiches. Im übrigen paßt es gut zusammen mit Langs Laudatio des Kaisers (Zaren) am Schluß seiner Rede. Offensichtlich hatte Lang die Vorstellung eines solch noblen Fürsten, der in seiner Herrschaft die harmonische Gesellschaft gewährleistet. Der Einwand, die Laudatio sei das übliche und die normale Ergebenheitsadresse seiner Zeit scheint mir nicht zutreffend zu sein. Sie paßt zu gut in die deistische Sicht der Physiokratie allgemein, in der Lang nicht generell, aber hier zweifellos steht. Außerdem ist die Laudatio als Überzeugungstat im Einklang mit der ökonomischen und persönlichen Gedankenwelt Langs, soweit wir sie kennen. Lang war in keiner Weise devot, s.o. Damit wurde er - so auch die Vermutung Anikins - eines der ersten Opfer der Heiligen Allianz, deren Abschluß er noch in dieser Rede als Beginn einer harmonischen Weltordnung hervorhebt (S.15). Ein wohlbekanntes anderes Opfer ist der deutsche/russische ökononom Karl Theodor Hermann (1767-1838), der in St. Petersburg wegen Unbotmäßigkeit 1821 suspendiert wurde. Lang teilt ein ähnliches Schicksal, wenn auch nicht mit dem "Ende gut, alles gut"-Schluß wie für Hermann, der Jahre später rehabilitiert wurde. Für Lang war es eher tragisch, und rückblickend auf seinen Grabspruch muß man dann wohl eher von einer Realsatire sprechen. Für ihn war die Heilige Allianz ganz unheilig. 45*

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Götz Uebe Zusammenfassung

Eine sehr frühe bisher unbekannte deutschsprachige ökonomisch-mathematische Arbeit des deutsch/russischen Ökonomen Joseph Lang (1775-1820) aus den Beständen der Moskauer Historischen Bibliothek wird erstmalig vorgestellt. Die Darstellung besteht aus zwei Teilen: einem biographisch geistesgeschichtlichen zum wenig bekannten Leben Langs und seiner Zeit und einem zweiten inhaltlichen. Hier geht es um eine mathematische Beschreibung der sektoralen Entwicklungen einer geschlossenen Volkswirtschaft mit drei bzw. vier Sektoren, ähnlich den Fourastièschen Thesen, die erst 150 Jahre später in der modernen Wirtschaftswissenschaft diskutiert wurden.

Summary Sectoral development and growth in the beginning of industrialization. The mathematical economist Joseph Lang and his theory of growth

A very early piece of mathematical economics, a paper of the Russian/German economist Joseph Lang (1775-1820), most recently discovered in the Historical Library at Moscow, is analyzed and presented. In the first part the relatively unknown life of Lang against the cultural background of his time is presented. In the second part Lang's fully mathematically formalized sectoral theory of growth is given, a very early theory in sectoral shares. Such ideas on sectoral shifts has been given 150 years later in the accepted canon of economics by Fourastié and others.

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Götz Uebe

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COMPASS - Ein globales Energie-Wirtschaftsmodell Von Bernd Meyer und Kimio Uno Inhalt I. Einleitung II. Die allgemeine Architektur des Modells COMPASS III. Das Welthandelsmodell IV. Die Input-Output-Modelle V. Die Makro-Modelle VI. Die Energie/Umweltmodelle VII. Anwendungsmöglichkeiten

I. Einleitung Auf der Klimakonferenz, die im Jahre 1997 in Kyoto stattfand, ist erstmalig ein klares Signal für eine globale Klimapolitik gegeben worden: Das Protokoll der U. N. Framework Convention on Climate Change (UNFCCC 1998) setzt Emissionsziele für die industrialisierten Länder und die Transformationsländer für den Zeitraum 2008 bis 2012. Es ist natürlich noch nicht absehbar, wann welche Länder sich unter welchen Bedingungen völkerrechtlich endgültig binden werden, jedoch ist die internationale Diskussion um die Wirkungen der im KyotoProtokoll vorgesehenen Instrumente (z.B. Bayer und Cansier 1999) bereits in vollem Gang. In allen Ländern erhält Umweltpolitik erstmalig konkret eine globale Dimension, wobei für die handelnde Umweltpolitik ein gewaltiges Informationsproblem offenkundig wird: Welche Ziele sind und der Einsatz welcher Instrumente ist im Hinblick auf die Zielkonflikte mit ökonomischen Zielen im Inland und in der globalen Debatte angesichts der Interessenkonflikte der Länder durchsetzbar? Infolge der Komplexität der Fragestellung ist der Einsatz von Modellen als Informationsinstrument unverzichtbar, die allerdings bestimmte Anforderungen zu erfüllen haben: (1) Die Energiemärkte sind möglichst detailliert nach Energieträgern und Energienachfragern einschließlich der Energieumwandlung abzubilden. Die doppelte Tiefengliederung ist erforderlich, weil sowohl die mit dem

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Bernd Meyer und Kimio Uno sektoralen Strukturwandel einhergehende Änderung der Energienachfrage als auch die Substitution unter den Energieträgern erfaßt werden muß.

(2) Die Branchenentwicklung ist in ihrer Interdependenz mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung darzustellen, was eine bottom-up Modellierung erfordert. Nur so können die Auswirkungen des Strukturwandels auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und deren Rückwirkungen auf das Geschehen in den Branchen analysiert werden. (3) Das Energiemodell und das gesamtwirtschaftliche Strukturmodell müssen interdependent sein, weil nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung die Energienachfrage bestimmt, sondern die Verknappung von Energie über die Preise Einfluß auf die wirtschaftliche Entwicklung ausübt. (4) Die regionale Gliederung des Weltmodells sollte nach politischen Einheiten, also den jeweiligen Ländern vorgenommen werden. Eine gröbere regionale Gliederung nach Kontinenten oder Subkontinenten ermöglicht nicht eine Simulation der Wirkungén konkreter Länderpolitiken. Bei der Länderauswahl sollten die wichtigsten Industrieländer, die Schwellenländer Asiens, die Transformationsländer, die öl und Gas produzierenden Länder und die wichtigsten Entwicklungsländer vertreten sein, damit die verschiedenen geopolitischen Konfliktsituationen analysiert werden können. (5) Die Vernetzung der Länder sollte durch ein nach Gütergruppen gegliedertes bilaterales Welthandelsmodell gegeben sein. Die Gütergruppengliederung ist notwendig, um die Interdependenz zwischen sektoralem Strukturwandel in den Ländern und dem Außenhandel abzubilden. Die Bilateralität des Welthandelsmodells bedeutet, daß für jedes exportierende Land der Marktanteil einer jeden Gütergruppe an den Importen jedes einzelnen Landes gemessen wird. In der neueren Literatur wurden seit 1993 nicht weniger als 22 Weltenergiemodelle entwickelt (Uno 1999), und es liegen bereits erste Modellanalysen vor, die weltweites Handeln mit Emissionszertifikaten simulieren (Bernard und Vielle 1999, Rose und Steven 1999) Eine kritische Analyse im Hinblick auf die soeben formulierten Anforderungen zeigt aber, daß die meisten Modelle zur Beantwortung der gestellten Fragen nicht geeignet sind. Allein 17 Modelle geben die wirtschaftliche Entwicklung exogen vor. Hierzu zählen die Modelle von Nakicenovic et al. (1998), APERC (1996), Duchin und Lange (1994), Vouyoukas (1993), Resource Management Association (1996), Bernstein et al. (1999), Manne, Mandelsohn und Richels (1995), Nordhaus et al. (1996), Bernard und Vielle (1999), Rose und Steven (1999), Unander und Schipper (1999), Energy Information Administration und USDE (1997), International Energy Agency (1998), Capros et al. (1996), Hughes (1999), Alcamo (1994). Von den verbleibenden fünf Modellen scheiden die Modelle GREEN (OECD 1994), The PRIMES (European Commission 1995), G-CUBED (Bagnoli,

COMPASS - Ein globales Energie-Wirtschaftsmodell

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McKibbin und Wilcoxen 1996) aus, weil sie mit acht bis zwölf Regionen und elf bis zwölf Sektoren sowohl in regionaler als auch in sektoraler Hinsicht nicht hinreichend disaggregiert sind. Unseren oben formulierten Kriterien entspricht am ehesten das Modell GTAP (Hertel und Tsigas 1997). Es unterscheidet fünf Energieträger, 24 Regionen und 37 Sektoren, verfügt über ein tief gegliedertes Welthandelsmodell und bietet eine interdependente Modellierung von ökonomischer Entwicklung und Energieeinsatz. Allerdings ist das Modell nicht empirisch fundiert. Es handelt sich um ein allgemeines Gleichgewichtsmodell, dessen Parameter auf die Beobachtungen des Jahres 1992 kalibriert sind. Als Informationsinstrument für die Umwelt- und Wirtschaftspolitik ist es daher nur sehr begrenzt geeignet, weil es bestenfalls eine ideale Welt abbildet. Angesichts dieser Lücke zwischen dem Informationsbedarf und der Leistungsfähigkeit der existierenden Modelle hat sich ein internationales Team aus japanischen, chinesischen, belgischen und deutschen Forschern (Uno, Meyer, VanWynsberghe und Wang 1999) gefunden, das das Weltmodell COMPASS (Comprehensive Model of Policy ASSessment) entwickelt hat. COMPASS unterscheidet 54 Länder plus sieben Regionen, 36 bzw. 24 Sektoren für 20 Länder. Das Welthandelsmodell vernetzt alle Länder und Regionen in der Tiefengliederung von 26 Gütergruppen. Für jedes Land und jede Region existiert ein Makromodell bzw. ein MakroSimulator, für 20 Länder sind Input- Output-Modelle und Energiemodelle interdependent verknüpft, wobei die Energiemodelle sechs Primärenergieträger und vier Sekundärenergieträger unterscheiden. Die Parameter des Modells wurden soweit wie möglich ökonometrisch geschätzt. Die Datenbasis bilden ausschließlich internationale Statistiken der United Nations, der OECD, des IMF und der APEC. In dem vorliegenden Papier soll die Struktur dieses Modell vorgestellt werden. Wir diskutieren zunächst die grundlegende Architektur des Modells und befassen uns dann mit dem Welthandelsmodell, der typischen Struktur eines Input-Output-Modells, eines Makro-Modells und eines Energiemodells. Abschließend werden wir dann einige Fragen zu den Anwendungsmöglichkeiten des Modells diskutieren.

II. Die allgemeine Architektur des Modells COMPASS Ein erster Blick auf das in Abbildung 1 dargestellte System gibt den Eindruck eines Rades: Die Achse ist mit dem bilateralen Welthandelsmodell gegeben. Die Speichen sind die Ländermodelle, die jeweils aus einem Makromodell und häufig aus einem Input-Output-Modell und einem Energiemodell bestehen, und die zwischen ihnen und dem Welthandelsmodell gegebenen Verknüpfungen. Der Reifen repräsentiert die Vernetzung der Länder über die Abstimmung der Summe aller Kapitalströme.

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Bernd Meyer und Kimio Uno Abbildung 1 COMPASS

Das Welthandelsmodell erhält von jedem Länder-Modell einen Vektor von Exportpreisen und einen Vektor von Importen. Es berechnet daraus für jedes Land einen Vektor von Exporten und einen Vektor von Importpreisen. Die Input-Output-Modelle berechnen jeweils die Bruttoproduktionswerte sowie die Komponenten der primären Inputs wie indirekte Steuern, Abschreibungen, Lohneinkommen und Gewinne und den Vektor der Importe und geben sie an das zugehörige Makro-Modell bzw. das Welthandelsmodell. In den MakroModellen werden die Einkommensströme aggregiert und zwischen den Transaktoren Haushalte, Staat, Unternehmen und übrige Welt umverteilt. Die Makromodelle berechnen ferner die Komponenten der Endnachfrage und geben sie an die Input-Output-Modelle zurück. Die Makro-Modelle empfangen die Exporte vom Welthandelsmodell und die Importe vom Input-Output-Modell. Wie bereits dargestellt, erhalten die MakroModelle ferner die Wertschöpfung von den Input-Output-Modellen und berechnen die verfügbaren Einkommen und die Finanzierungssalden der vier Trans-

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aktoren. Mit den Exporten und den Importen und einem explizit modellierten Netto-Kapitalexport kann die Zahlungsbilanz abgebildet werden. Der finanzielle Teil der Makro-Modelle beschreibt die Kapitalströme, die Bilanz der Zentralbank und bestimmt die Zinssätze. Der US-Zins ist durch die Bedingung bestimmt, daß alle Kapitalexporte sich zu Null addieren. Der USKapitalmarkt erhält damit im Modell seine real gegebene Dominanz Auf diese Weise ist auch garantiert, daß weltweit die Summe der Investitionen der Summe der Ersparnis entspricht. Die Energiemodelle erhalten die Entwicklung der Bruttoproduktion der nachfragenden Sektoren von den Input-Output-Modellen. In einer ersten Stufe werden die Energieinputs insgesamt des jeweils betrachteten Sektors berechnet, in einer zweiten Stufe das Energieträger-Mix. Die Umwandlung von Primärenergie in Sekundärenergie wie z.B. in elektrischen Strom wird dabei explizit modelliert. Die im Energiemodell berechneten Energieinputs und deren Preise werden dann auf die im Input-Output-Modell verwendete Energieträgerstruktur umgerechnet und dem Input-Output-Modell bei seiner Lösung vorgegeben. Die Regionalstruktur des Modells ist in Tabelle 1 wiedergegeben, die für die einzelnen Länder auch die jeweils vorhandenen Typen der ökonomischen Modelle angibt. Die Erde ist in 54 Länder und sieben Regionen untergliedert, wobei die Regionen Aggregate derjenigen Länder sind, die nicht explizit Teil des Systems sind. Wenn wir auf die Liste der explizit enthaltenen Länder schauen, wird deutlich, daß die eingangs formulierten Kriterien zur Länderauswahl erfüllt sind: Wir finden alle OECD-Länder (Industrieländer), alle APEC-Länder (AsiaPacific), die größeren Entwicklungsländer und alle öl, Gas und Kohle produzierenden Länder. Somit ist garantiert, daß Energienachfrage und -angebot in einem globalen Maßstab modelliert werden können und daß simultan Nachfrage und Angebot auf den verschiedenen Gütermärkten und dem Kapitalmarkt global abgebildet werden. Alle Länder und Regionen - außer Turkmenistan, Usbekistan, Kasachstan, Aserbaidjan und anderen früheren UdSSR Ländern - sind Bestandteil des Welthandelsmodells, so daß dieses zentrale Modul des Systems wirklich global geschlossen ist. Die gerade genannten Länder sind indirekt als Teil der Region "Frühere UdSSR" an das System angeschlossen. Alle OECD-Länder und alle APEC-Länder verfügen neben einem Makromodell über ein Input-Output-Modell und ein Energiemodell. Das System kann also den Strukturwandel in den Industrieländern und in den schnell wachsenden Ländern Asiens für die Bestimmung der Energienachfrage nutzen. Für viele der Öl, Gas und Kohle produzierenden Länder existiert ein Makromodell. Alle anderen Länder sind nur mit einem Makro-Simulator versehen, der Trendinformationen über die betreffenden Länder benutzt. Für diese Länder können in späteren Phasen des Projektes noch weiter ausgebaute Modelle entwickelt werden.

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Bernd Meyer und Kimio Uno Tabelle 1 Die Regionalstruktur des Modells COMPASS

Land/ Region 1 Belgium- Lux 2 Denmark 3 France 4 Germany 5 Greece 6 Ireland 7 Italy 8 Netherlands 9 Portugal 10 Spain 11 UK 12 Austria 13 Finland 14 Norway 15 Sweden 16 Switzerland 22 Fm USSR 23 Japan 24 Iran 25 Iraq 26 Kuwait 27 Oman 28 Qatar 29 Saudi Arabia 30 Untd Arab Em 31 Brunei 32 Hong kong 33 India 34 Indonesia 35 Korea Rp 36 Malaysia 37 Philippines 38 Singapore 39 Thailand 40 Taiwan 41 China 42 Australia 43 New Zealand 44 Papa New Guinea 45 Canada 46 USA 47 Brazil 48 Chile 49 Mexico 50 Venezuela 51 Algeria 52 Libya 53 Angola 54 Nigeria 55 Rest of Europe 56 Rest of Asia 57 Rest of Oceania 58 Rest of North America 59 Rest of South & Central Amer 60 Rest of Africa 61 Rest of Continent nes 17 Turkmenistan 18 Uzbekistan 19 Kazakstan 20 Azerbeijan 21 Other Former USSR

Bezeichnung BE DK FR DE GR IE IT NL PT ES GB AT Fl NO SE CH USSR JP IR IQ KW OM QA SA AE BN HK IN ID KR MY PH SG TH TW CN AU NZ PG CA US BR CL MX VE DZ LY AO NG REUROP REASIA ROCEAN RNAMER ROAMER RAFRIC UNIDEN TM UZ KZ ΑΖ OUSSR

Typ des Länder Modells macro simulator input- output/ macro input- output/ macro input- output/ macro Macro Macro input- output/ macro input- output/ macro Macro Macro input- output/ macro input- output/ macro Macro Macro Macro Macro input- output/ macro input- output/ macro Macro Macro Macro Macro Macro Macro Macro macro simulator macro simulator macro simulator input- output/ macro input- output/ macro input- output/ macro input- output/ macro input- output/ macro input- output/ macro input- output/ macro input- output/ macro input- output/ macro macro simulator macro simulator input- output/ macro input- output/ macro macro simulator macro simulator Macro Macro Macro Macro macro simulator Macro macro simulator macro simulator macro simulator macro simulator macro simulator macro simulator macro simulator To de defined To de defined To de defined To de defined To de defined

Verknüpfung trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model trade model in USSR in USSR in USSR in USSR in USSR

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III. Das Welthandelsmodell Das Welthandelsmodell hat die folgende Struktur:

/:

U n\ x: m:

4)=Σδύ'Κ(0 /c=1

Güterindex, Länderindices, Anzahl der Länder Exporte in Dollars in konstanten Preisen, Importe in Dollars in konstanten Preisen.

Dabei ist Sj k, der Anteil des Exports des Landes / am Import des Landes k bei der Gütergruppe /, abhängig von dem zugeordneten Relativpreis und einem Zeittrend: (2)

sj k(t) = sl k[pj(t)/p

p'f :

i

(t),t']

Preis des Gutes / im exportierenden Land in Dollars,

p'(t):

Weltmarktpreis des Gutes / in Dollars,

t

Zeittrend.

Ma (1996) sowie Nyhus, Ma und Wang (1996) haben zusätzlich die Kapitalstöcke als Argumentvariablen in den trade-share Funktionen benutzt. Sie wurden hier vernachlässigt, weil keine Daten über Kapitalstöcke nach Gütergruppen verfügbar waren. Die Importpreise des Gutes / im Lande k sind als gewogenes arithmetisches Mittel der Exportpreise der verschiedenen exportierenden Länder berechnet. Dabei bilden die trade-shares die Gewichte: (3)

qk{t) = t s i k ( t y p j ( t ) /= 1 q' k :

Importpreis des Gutes / im Lande k in Dollars.

IV. Die Input-Output-Modelle Die Input-Output-Modelle erhalten die Konsumnachfrage der privaten Haushalte und den Konsum des Staates sowie die Investitionsnachfrage von den Makro-Modellen. Die sektorale Disaggregation dieser Komponenten erfolgt mit den Anteilen des Jahres 1995, die als exogene Variable zunächst Gegenstand

710

Bernd Meyer und Kimio Uno

von Szenarienformulierungen sein, aber auch später endogenisiert werden können. Die Exportnachfrage wird dagegen bereits sektoral disaggregiert vom Welthandelsmodell an die Input-Output-Modelle geliefert. Tabelle 2 zeigt die Branchen, die im System unterschieden werden. Für die OECD-Länder werden 36, für die APEC-Länder 25 Branchen definiert. Wie man sieht, ist es möglich, von der 36er Gliederung in die 25er Gliederung überzuleiten. Den Vektor der realen Endnachfrage nennen wir f{t). Er ist wie oben beschrieben endogenisiert. Der Vektor der importierten Fertigprodukte sei mit fm(f) bezeichnet. Die importierten Fertigprodukte der Gütergruppe / mögen vom Importpreis des Gutes Q, relativ zum Inlandspreis p, (gemessen in der Währung des betrachteten Landes) und von der Endnachfrage der Gütergruppe fj abhängen. (4)

fm j(t) = fm i[q i(t)/

Pi(t) 1f(t)]

Definieren wir mit D die Matrix der inländischen Inputkoeffizienten, dann ergibt sich für den Vektor der realen Bruttoproduktion y(f): (5)

y(f) = [E - D(f)]" 1[f(f) - fin(f)]; E: Einheitsmatrix

Der Inputkoeffizient d,y für die inländische Vorleistungsnachfrage ist definiert als: (6)

«y>0

Dieselbe Hypothese unterstellen wir für die nominalen Abschreibungen: do)

ji t)=Pj*yj{

d

t

)pj{ t)>

ß}>0

Die Lohnstückkosten / bei der Erzeugung des Gutes j sind als Quotient von Lohnsatz w und der realen Arbeitsproduktivität ζ darstellbar: (11)

lj{t) = Wj(t)lZj(t)

Der Vektor der Arbeitsproduktivität ζ wird als exogen behandelt. Der Lohnvektor w läßt sich über eine Hypothese endogenisieren, die das Ergebnis der Lohnverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften beschreibt: (12)

Wj(t)

= Wj(zj(t-i),P(t-i))

Dabei bezeichnet Ρ den Konsumgüterpreisindex. Die zeitliche Verzögerung in der Funktion entspricht den in der Realität gegebenen Festlegungen der Ergebnisse der Tarifverhandlungen für ein Jahr. Diese Funktion sollte nicht ökonometrisch geschätzt werden, da sich durch Vorgabe der Parameter unterschiedliche Lohnpolitiken darstellen lassen. Die Beschäftigung in Arbeitsstunden hj erhält man, indem man den Bruttoproduktionswert durch die Arbeitsproduktivität dividiert. (13)

hj(t) = yj(t)lzj(t)

Der Vektor der Stückkosten ist definiert als: (14)

D: AM: /: p: q: a\ ß.

u(t) = D'(t) * p(f) + AM'(t) * q(t) + l(t) + « · p(t) + β · p(t)

Matrix der inländischen Inputkoeffizienten, Matrix der Inputkoeffizienten für importierte Güter, Vektor der Lohnstückkosten, Vektor der Güterpreise, Vektor der Importpreise, Diagonalmatrix der indirekten Steuern minus Subventionen pro nominalem Output, Diagonalmatrix der nominalen Abschreibungen pro nominalem Output.

Die Preise des Sektors j hängen nun von den Stückkosten ab: (15)

pj{t)

= pj[uj{t)]

COMPASS - Ein globales Energie-Wirtschaftsmodell

713

Ein Vorteil gegenüber dem Leontief-Preismodell besteht darin, daß nun noch die Budgetgleichung in Form der Spaltensumme der Input-Output-Matrix zur Berechnung der Gewinne als Restgröße verbleibt (Meyer 1997). (16)

9j(t) = Pj(tyyj(t)-Uj{tyyj(t)

V. Die Makro-Modelle Die Makro-Modelle beschreiben das Kontensystem der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (SNA) mit den institutionellen Transaktoren Private Haushalte, Staat, Unternehmen, Übrige Welt und die monetären Zusammenhänge. Hier werden simultan Kreislaufgleichgewicht, Geldmarktgleichgewicht und Zahlungsbilanzgleichgewicht abgebildet Ein expliziter Arbeitsmarkt fehlt im aggregierten Modell, weil Lohnsätze und Beschäftigung schon disaggregiert im Rahmen des Input-Output-Modells bestimmt und in aggregierter Form an die Makro-Modelle weitergegeben werden. Die Makro-Modelle erhalten die Komponenten der Wertschöpfung von den Input-Output-Modellen, bilden die Umverteilung insbesondere durch Besteuerung und Sozialversicherung und berechnen die verfügbaren Einkommen und die Finanzierungssalden der institutionellen Transaktoren. Die verfügbaren Einkommen der Privaten Haushalte und des Staates sind wichtige Determinanten des Privaten Konsums bzw. des Staatsverbrauchs. Die Investitionen sind von Zinssätzen und Gewinnen abhängig. Die Exporte werden vom Welthandelsmodell an die Input-Output-Modelle und in aggregierter Form dann an die Makro-Modelle geliefert. Die Importe erhalten die Makro-Modelle wiederum von den Input-Output-Modellen. Die Zahlungsbilanz erfaßt die zuvor bestimmten Transfers mit dem Ausland sowie Exporte und Importe. Der Saldo der Kapitalverkehrsbilanz hängt von Zinsdifferenzen und Differenzen der Inflationsraten zwischen Inland und dem Ausland ab. Dabei sind die Inflationsraten Proxies für Wechselkurserwartungen (Marwah und Klein 1983, Krelle und Sarrazin 1983). Hinsichtlich der Bestimmung der Wechselkurse unterscheiden wir zwischen großen und kleinen Ländern bzw. Währungsblöcken. Der Wechselkurs des EURO zum Dollar und der Kurs des Yen zum Dollar werden über die Zahlungsbilanzgleichgewichtsbedingung des EUROIandes bzw. Japans endogenisiert, während die Wechselkurse der anderen Länder entweder über Strukturgleichungen mit EURO oder Yen verknüpft sind oder exogen bleiben. Die Zinssätze werden als Lösung eines keynesianischen Geldmarktmodells bestimmt, in dem sich ein exogenes Geldangebot und eine zins- und einkommensabhängige Geldnachfrage gegenüberstehen.

46*

714

Bernd Meyer und Kimio Uno VI. Die Energie/Umweltmodelle

Datenbasis der Energiemodelle sind die Energiebilanzen der OECD. In einer ersten Stufe betrachten wir die Energienachfrage der privaten Haushalte und der verschiedenen Produktionsbereiche der Wirtschaft als abhängig vom Relativpreis und dem Einkommen bzw. dem Produktionswert des betrachteten Bereichs. In einer zweiten Stufe wird der Energieeinsatz jedes Bereichs in die Inputs der primären Energieträger Kohle, Rohöl, Gas, Kernenergie, neue und erneuerbare Energieträger, und der sekundären Energieträger Mineralöle, verteilte Gase, und Elektrizität zerlegt. Die Anteile der einzelnen Energieträger hängen dabei von den relativen Preisen und Zeittrends ab. Der Anteil der Kernenergie wird als exogen, der der neuen und erneuerbaren Energieträger als Rest definiert. In einer dritten Stufe wird die Erzeugung der sekundären Energieträger aus dem Einsatz der primären Energie abgebildet. Auch hier ist der Inputmix preisabhängig. Der Kohlenstoffgehalt der einzelnen Energieträger ist naturgesetzlich gegeben, so daß sich das bei ihrer Verbrennung freigesetzte C0 2 über konstante Emissionskoeffizienten berechnen läßt. Die Erweiterung des Modells um andere Luftschadstoffe ist an dieser Stelle - wenn auch aufwendiger - möglich. Die Energiemodelle sind interdependent mit den Input-Output-Modellen verknüpft: Die Inputs der einzelnen Energieträger in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen wird zu den drei Energieträgern aggregiert, die in dem InputOutput-Modell unterschieden werden. Das heißt, daß die "Energiezeilen" in der Input-Output-Rechnung einschließlich der Energieumwandlung durch die in den Energiemodellen berechneten Aggregate ersetzt werden. Als feed-back gehen die Preise der sekundären Energieträger und der Kohle, die im Input- OutputModell berechnet werden, in die Bestimmung der Preise des Energiemodells ein. Der Rohölpreis ist exogen, kann aber auch als strategischer Preis der ölexportierenden Länder in seiner langfristigen Entwicklung aus der wirtschaftlichen Entwicklungsperspektive dieser Länder endogenisiert werden.

VII. Anwendungsmöglichkeiten Das Modell ist in dem Sinne fertig, daß eine interdependente Lösung möglich ist. Allerdings ist dies bislang nur für exogene Wechselkurse gelungen. Der Modellrahmen bietet hier noch eine Vielzahl konsistenter Endogenisierungsmöglichkeiten, die im einzelnen noch getestet werden müssen. Für die Formulierung von Prognose und Simulationsszenarien sind neben der Ausgestaltung der Politik (C02-Steuer, Zertifikate etc.) Vorgaben für die folgenden Variablen zu finden:

COMPASS - Ein globales Energie-Wirtschaftsmodell -

Produktivitätsfortschritt nach Ländern und Gütergruppen,

-

Geldangebot nach Ländern,

-

Rohölpreis,

-

Inputkoeffizienten nach Ländern und Gütergruppen.

715

Die Produktivitätsfortschritte wird man an historischen Trends orientieren. Das Wachstum der Geldmenge sollte mit der durchschnittlichen Fortschrittsrate des betrachteten Landes zuzüglich einer akzeptierten Inflationsrate vorgegeben werden. In ähnlicher Weise kann die Rohölpreisentwicklung fortgeschrieben werden. Natürlich ließe sich auch ein aktives Handeln der OPEC-Länder über eine entsprechende Reaktionsfunktion modellieren. Die Vorgabe des technologischen Wandels wird in jedem Fall zentraler Bestandteil der Szenarienbildung sein. Die Vorgehensweise wird darin bestehen zwei oder drei Alternativszenarien für die führenden Industrieländer zu formulieren und Annahmen über den Technologietransfer in die anderen Länder zu unterstellen. In Sensitivitätsanalysen wird zu prüfen sein, welche Auswirkungen sich daraus für den Energieverbrauch und die Umweltbelastung ergeben. Natürlich ist mit der Exogenität der technologischen Entwicklung eine erhebliche Unschärfe der Analyse verbunden, weil die Vorgabe des technischen Wandels von seiner Realisierung abweichen mag. Die Alternativrechnungen werden uns wohl eine Einschätzung der Größenordnung des Fehlers geben. Dennoch sollten wir bei der Anwendung des Systems weniger an Prognosen im engeren Sinne als an Simulationsrechnungen denken, die eine Wirkungsanalyse globaler umweltpolitischer Maßnahmen bieten. Da in diesen Rechnungen immer die Abweichungen vom Basisszenario interessieren, subtrahieren sich die Fehler, die gemeinsam im Basisszenario und im Alternativszenario stecken, quasi heraus. Auf derselben Ebene liegt der folgende Gedanke: Sicherlich kann man viele Einwände gegen langfristige Prognoserechnungen erheben. Aber das Nachdenken über die Wirkungen unseres Handelns in komplexen Zusammenhängen sollten wir deshalb nicht aufgeben. Ein Beispiel für eine solche Wirkungsanalyse könnte die Simulation eines globalen Handels mit C02-Emissionsrechten sein, wie er im Kyoto-Protokoll vorgesehen ist. Eine denkbare Modellierung wäre die folgende: Aus den Emissionszielen der Annex I Länder lassen sich lineare Emissions-Reduktionspfade bis zum Jahre 2010 berechnen. Jedes Land bekommt einen Bestand an Zertifikaten, der der aktuellen Emission entspricht und sich Jahr für Jahr gemäß Reduktionspfad entwertet. Die Länder haben die Möglichkeit, mit den Zertifikaten Handel zu treiben. Um die Ziele zu erreichen, richten die Länder C0 2 -Steuem ein, die den Energieverbrauch nach Energieträgern differenziert verteuern und damit Energieverbrauch und C02-Emissionen vermindern, wobei das Steueraufkommen zur Senkung von Sozialabgaben oder Steuern verwendet wird. Wird der Reduktionspfad verfehlt, kann die Regierung Zertifikate kaufen oder verkaufen, was wiederum das Budget beeinflußt. Halten sich alle Länder an diese Regeln, so wird das weltweite Umweltziel erreicht. Der Zertifikatspreis

716

Bernd Meyer und Kimio Uno

wird in jedem Fall den Markt räumen. Die Modellierung eines markträumenden Zertifikatspreises im Rahmen einer iterativen Modellösung ist für ein nationales Modell dargestellt bei Meyer und Ewerhart (1998) und Meyer et al. (1999). Die Regierungen der Länder sind nun in einer strategischen Situation, denn die Höhe des Zertifikatspreises wird vom Verhalten aller beteiligten Länder abhängen. Welcher Pfad für den Steuersatz soll gewählt werden, wenn beispielsweise die Beschäftigung maximiert werden soll? Auf diese und ähnliche Fragen lassen sich mit COMPASS Antworten finden, die allein durch scharfes und andauerndes Nachdenken nicht erreichbar sind. Natürlich erlaubt die Vollständigkeit der Modellierung der weltwirtschaftlichen Zusammenhänge auch eine Anwendung von COMPASS auf rein ökonomische Fragestellungen. So lassen sich beispielsweise die globalen und nationalen Wirkungen handelspolitischer Maßnahmen oder der Erweiterung der EU in idealer Weise analysieren. Ebenso ergiebig ist die Abschätzung von Wachstumspotentialen einzelner Branchen - etwa der deutschen Automobilindustrie im Rahmen der weltwirtschaftlichen Entwicklung.

Zusammenfassung Die globale Dimension der Klimaschutzpolitik, die seit der Kyoto Konferenz im Jahre 1997 mit der Diskussion konkreter Ziele und Instrumente Gegenstand der internationalen Politik geworden ist, impliziert für die handelnde Umweltpolitik ein gewaltiges Informationsproblem, das nur durch den Einsatz von Modellen zu lösen ist. Die Autoren formulieren Qualitätsanforderungen, denen globale Energiemodelle zu entsprechen haben, und kommen zu dem Schluß, daß die in der Literatur beschriebenen Modelle erhebliche Schwächen aufweisen. Der Beitrag stellt dann ein den Anforderungen genügendes globales Energie- Wirtschaftsmodell vor. Im Mittelpunkt steht die Diskussion der Modellstruktur. Überlegungen zu den Anwendungsmöglichkeiten schließen den Beitrag ab.

Summary The global dimension of climate policy, which has become a subject of international policy with the concrete discussion of targets and instruments at the Kyoto conference, constitutes a huge information gap for environmental politics, that can only be filled by the application of economic environmental models. The authors discuss requirements, which such models have to fulfil and come to the result, that the existing global energy models have severe weaknesses. They present the model COMPASS, which meets the standards. The paper gives a detailed description of the system and ends with the discussion of possible applications.

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COMPASS - Ein globales Energie-Wirtschaftsmodell

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Die Problematik von Zurechnungen und Komponentenzerlegungen mit dem statischen offenen Input-Output-Modell Von Jochen Schumann Inhalt I. Einleitung II. Zurechnungen III. Komponentenzerlegungen IV. Schlußbemerkung: Kausale "Rückwärts-Interpretation" von Zuordnungen und Komponentenzerlegungen

I. Einleitung Die Festschrift "Strukturwandel und dynamischer Wettbewerb" zum 65. Geburtstag von Ernst Helmstädter gab bereits Anlaß, dessen Beiträge zur InputOutput-Analyse zu würdigen und im Anschluß an Helmstädter, Meyer, Kleine und Richtering (1983) einige grundsätzliche Fragen dieses Instrumentariums der Strukturanalyse zu diskutieren (vgl. Schumann 1989). Eine dieser Fragen soll hier erneut und diesmal ausführlicher aufgegriffen werden, die damals wie folgt gestellt wurde: Lassen sich Produktion und Beschäftigung den verschiedenen Spalten der Endnachfrage zurechnen? Da Zurechnungen sehr ähnlich der Komponentenzerlegung (oder "structural decomposition analysis") sind, ist das Thema dieses Beitrags die Problematik von Zurechnungen und Komponentenzerlegungen, die auf der Grundlage des "alten" statischen Input-OutputModells ausgeführt werden. Es geht darum zu zeigen, daß sich zwar Verallgemeinerungen des Input-Output-Ansatzes wie die einer teilweisen Schließung durch Endogenisierung der Endnachfrage empfehlen, daß dann aber Zurechnungen und Komponentenzerlegung in der Regel unmöglich werden (vgl. auch Schumann 1994). Deutlich formuliert: Der Fortschritt der Theorie ist möglich und liegt nahe; er erfordert jedoch, zwei beliebte und leicht rechenbare Anwendungen aufzugeben, die an das "alte" Modell gebunden sind und deren scheinbar exakte Rechenergebnisse daher selbst zweifelhaft werden.

720

Jochen Schumann II. Zurechnungen

Mit Zurechnungen ist die Zuordnung der Produktion oder des Primärfaktoreinsatzes von Sektoren zu den verschiedenen Bestandteilen der Endnachfrage gemeint. Im Grunde handelt es sich um nicht mehr als eine Interpretation der Lösung des statistischen offenen Modells, (1)

X= (l-A)"Y

Hier ist, wie üblich, I die (π χ n)-Einheitsmatrix und A die (η χ n)-Matrix der Inputkoeffizienten. (I - A)-1 ist die (η χ n)-Matrix der Leontief-Multiplikatoren. Eine Besonderheit besteht darin, daß X nicht der Vektor, sondern die (η χ /7?)-Matrix der Produktionsmengen ist, wobei / = 1 η die Zahl der Sektoren und k = 1, , m die Zahl der Komponenten der Endnachfrage ist (z.B. m = 4 für die Komponenten Konsum, Investition, Staatsnachfrage und Export). Auch Y ist nicht der Vektor, sondern die (η χ m)-Matrix der Endnachfrage. Die Interpretation der Lösung ist demnach wie folgt: Ein typisches Element in Zeile /' und Spalte k in der Matrix X auf der linken Seite der Gleichung (1) ist die direkt und indirekt erforderliche Produktionsmenge des Sektors /, um die gegebene Endnachfrage k zu decken. Diese zugerechnete Produktionsmenge (/', k) ergibt sich auf der rechten Seite der Gleichung, wenn die Zeile / von (I - A)"1 mit der Spalte k von Y multipliziert wird. Die Summe der Produktionsmengen in Zeile /' von X ist selbstverständlich die gesamte Produktion des Sektors /', wie sie in der meist verwendeten Vektorschreibweise der Lösung erscheint. Die Summanden in Zeile / zeigen, wie die Summe vollständig den einzelnen Komponenten k = 1 m der Endnachfrage zugerechnet wird. Ähnlich wie die Produktionsmengen läßt sich auch der Primärfaktoreinsatz der Endnachfrage zurechnen. In (2)

V = W(l-A)"1Y

ist W die (q χ n)-Matrix der Koeffizienten für die primären Inputs h = 1,..., q in den Sektoren j = 1 n. Dann ist V eine (q χ m)-Matrix der primären Inputs. Ein typisches Element in Zeile h und Spalte k ist der der Endnachfragekomponente k zugerechnete Primärfaktoreinsatz h. Die Summe des Primärfaktoreinsatzes in Zeile h von V wird vollständig der Endnachfrage in Spalte k von Y zugerechnet. Aus der Vielzahl von Beispielen für Zurechnungen seien hier zwei genannt: Exportabhängigkeit einer Volkswirtschaft (vgl. z.B. DIW 1972): Wenn Spalte k von Y die Exporte sind, zeigt Spalte k von X in Gleichung (1) die Produktionsmengen aller Sektoren /' = 1 n, die direkt und indirekt der Exportnachfrage zugerechnet werden. Ein einzelnes Element i der Spalte k von X ist die Produktionsmenge des Sektors /, die auf den Export aller Sektoren entfällt. Ähnlich beschreibt Spalte k von V in Gleichung (2) den primären Faktoreinsatz k (z.B. Ar-

Die Problematik von Zurechnungen und Komponentenzerlegungen

721

beit), den alle Sektoren direkt oder indirekt zur Deckung der Exportnachfrage leisten. Leontief-Paradox der Außenhandelstheorie (vgl. Leontief 1953): Die Kapitalintensität der US-Exporte wird definiert als das Verhältnis von "US-KapitalPrimärfaktoreinsatz, zugerechnet den Exporten" zu "US-Arbeits-Primärfaktoreinsatz, zugerechnet den Exporten". Ähnlich wird die Kapitalintensität der USImporte berechnet. (Unter der Annahme, daß die US-Importe bei den Handelspartnern mit der gleichen Technik produziert werden, wie sie in den USA hergestellt werden könnten, benutzt Leontief zur Berechnung die US-Matrizen (I A)*1 und W). Als Ergebnis stellt sich heraus, daß die US-Exporte weniger kapitalintensiv, damit mehr arbeitsintensiv hergestellt werden als die US-Importe. Dies widerspricht der Heckscher-Ohlin-Außenhandelstheorie, die aufgrund der Tatsache, daß die USA relativ besser mit Kapital und relativ schlechter mit Arbeit als ihre Handelspartner ausgestattet sind, zu der Aussage kommt, daß die US-Exporte kapitalintensiver und weniger arbeitsintensiv produziert sein müssen als die US-Importe. Da Zurechnungen nur eine ausführliche Interpretation der Lösung des statischen offenen Input-Output-Modells sind, soll nun gefragt werden, ob sie auch möglich sind, wenn dieses Modell modifiziert wird. Das offene Modell ist ja in der Tat nicht mehr als ein System von linear-limitationalen Produktionsfunktionen, mit dem untersucht wird, wie eine exogen gegebene Endnachfrage gedeckt werden kann. Man könnte an eine zentral geplante Volkswirtschaft denken, in welcher der Staat die Vektoren der Konsum-, der Investitions-, der Staats- und der Export-Endnachfrage festlegt und den zentralen Computer ausrechnen läßt, welche sektoralen Produktions- und Primärfaktoreinsatzmengen das System der Produktionsfunktionen und die exogene Endnachfrage erfüllen. Eine Modifikation des offenen statischen Modells bietet sich für eine Marktwirtschaft insbesondere bei der Endnachfrage an. Am Beispiel des Konsums wird bereits klar, daß diese schon deshalb notwendig ist, um analog zur Keynesianischen MakroÖkonomik den volkswirtschaftlichen Einkommenskreislauf abzubilden. Wenn beachtet wird, daß das volkwirtschaftliche Einkommen aus dem wertschöpfenden Primärfaktoreinsatz der Sektoren resultiert und daß aus diesem Einkommen gemäß sektoralen Keynesschen Konsumfunktionen die sektorale Konsumnachfrage entsteht, so wird aus dem offenen Input-OutputModell ein teilweise geschlossenes. Die Lösung eines Input-Output-Modells, welches durch lineare sektorale Konsumfunktionen teilweise geschlossen wurde (vgl. Schumann 1975, S. 383), lautet in der zu (1) analogen Formulierung: (3)

X = (l-Z)"1Yex .

Hier ist Ζ = (A + c ν'), wobei c den (Spalten-)Vektor der sektoralen Grenzneigungen zum Konsum und v' den (Zeilen-)Vektor der sektoralen Wertschöpfungskoeffizienten darstellt. Die (η χ m)-Matrix Y ex der exogen verbliebenen Endnachfrage weicht von Y dadurch ab, daß die Spalte für Konsum nur noch den einkommensunabhängig gebliebenen Konsum enthält. (I - Z)"1 ist die (η χ η)

722

Jochen Schumann

-Matrix der kumulierten Leontief-Keynes-Multiplikatoren, die regelmäßig größer als die Leontief-Multiplikatoren (I - A)'1 sind. Die zu (2) analoge Lösung für primäre Inputs lautet (4)

V = W(l-Z)~1Yex.

Formal könnte man nach (3) und (4) wieder, wie oben für (1) und (2) erläutert, Zurechnungen von Produktion und Primärfaktoreinsatz vornehmen, jetzt aber zu den exogen verbliebenen, nicht-einkommensabhängigen Teilen der Endnachfrage. Das macht offensichtlich keinen ökonomischen Sinn. Nicht nur für die Konsum-Endnachfrage, sondern auch für die InvestitionsEndnachfrage liegt eine teilweise Endogenisierung des Modells durch Einführung von Investitionsfunktionen der einzelnen Sektoren nahe (vgl. Schumann 1990, S.232 ff.). Die teilweise Schließung des offenen Input-Output-Modells ist aus verschiedenen ökonomischen Gründen also angebracht. Eine Interpretation der Lösung eines teilweise geschlossenen Modells im Sinne der Zurechnungen wird jedoch ökonomisch unmöglich. Oder anders ausgedrückt: Es wird deutlich, daß die verbreitete Praxis der Zurechnungen auf der ältesten Variante der Input-Output-Analyse, nämlich dem statischen offenen Modell, beruht. Dieses Modell mag für zentral geplante Volkwirtschaften geeignet erscheinen; es sollte zur Anwendung auf Marktwirtschaften jedoch nur in weiterentwickelter, teilweise geschlossener Form verwendet werden. Sinnvolle Zurechnungen lassen sich mit solchen Weiterentwicklungen allerdings nicht durchführen.

III. Komponentenzerlegungen Komponentenzerlegungen ("structural decomposition analysis") auf der Grundlage des "alten" statischen offenen Input-Output-Modells sind gerade in jüngster Zeit wieder in Mode gekommen (vgl. Skolka 1989, Forssell 1988 und 1989, Rose und Miernyk 1989; zur Geschichte und Kritik vgl. Rose und Casier 1996). Während bei Zurechnungen die sektorale Produktion und der Primärfaktoreinsatz in einer abgelaufenen Periode der exogenen Endnachfrage der gleichen Periode zugeordnet werden, geht es bei der Komponentenzerlegung darum, Änderungen der sektoralen Produktion oder des Primärfaktoreinsatzes während einer abgelaufenen Zeitspanne von mehreren Perioden den Änderungen bestimmter exogener Variablen während dieser Zeitspanne - die "sources of structural change" genannt werden - zuzuordnen (vgl. Skolka 1989, S. 48). Wenn 0 die erste und t die letzte der Perioden dieser Zeitspanne ist, sind aus den Input-Output-Tabellen dieser Perioden die Vektoren der Endnachfrage y 0 und y f bekannt. Aus den Input-Output-Tabellen lassen sich ferner die Koeffizientenmatrizen A 0 und At ermitteln; daraus können die LeontiefMultiplikatoren R 0 = ( l - A 0 ) ~ 1 und Rf = (l-Af)~ 1 berechnet werden. Nach der

Die Problematik von Zurechnungen und Komponentenzerlegungen

723

Lösung des offenen statischen Input-Output-Modells kann die Änderung der Produktion während der Zeitspanne wie folgt ausgedrückt werden: (5)

dx =

x t-x 0=R ty t-R 0y 0.

Diese Formel kann u.a. in eine der folgenden Schreibweisen umgeformt werden (vgl. Skolka 1989, S. 48, Forssell 1988, S. 10 ff.): (6a)

dx = (R, - R 0 )y 0 + Rf(yt -Yo).

(6b)

dx = (R, - R 0 )y, + Ro(Yf - Yo),

(6c)

dx = (Rf - R 0 )y 0 + Ro(yf - Yo)+(Rf - *o)(Yf - Yo) ·

In diesen Gleichungen beinhalten die ersten Summanden (Rf-Ro) die Veränderung der Leontief-Multiplikatoren, die sich aus der Veränderung der Inputkoeffizienten und damit aus der Veränderung der Technik ergibt. In den zweiten Summanden ist (γ^-γο) die Veränderung der (exogenen) Endnachfrage. In allen Gleichungen wird also die Veränderung der Produktion dx auf zwei additive Komponenten oder "sources of structural change" zurückgeführt, nämlich die Veränderung der Technik und die Veränderung der Endnachfrage. In jeder der Gleichungen (6a), (6b) und (6c) werden die Komponenten verschieden gewichtet; die Gewichtung mit Größen der Periode 0 entspricht der eines Paasche-Index, die mit Größen der Periode t der eines Laspeyres-Index. Neben (6a) bis (6c) gibt es noch weitere Umformungen von (5). Dietzenbacher und Los (1998) haben gezeigt, daß die Art der Gewichtung von erheblichem Einfluß auf die errechnete Bedeutung der einzelnen Struktur-Komponenten sein kann, insbesondere dann, wenn nicht nur zwei, sondern weitere additive "sources of structural change" isoliert werden, wie z.B. die bei Skolka (1989) und Forssell (1988) erwähnten: •

Durch Unterscheidung der Inputkoeffizienten für inländische Inputs und importierte Inputs kann die Komponente "exogene Änderung der Importabhängigkeit" eingeführt werden.



Durch Unterscheidung eines von 0 bis t allen Elementen der exogenen Endnachfrage gemeinsamen Wachstums und eines "Restes der Endnachfrageänderung" kann eine Komponente "Änderung der Zusammensetzung der Endnachfrage" berücksichtigt werden.

Komponentenzerlegungen dx beziehen, sondern auch bietet sich die Änderung der "source of structural change"

können sich nicht nur - wie bisher erläutert - auf auf den Einsatz primärer Inputs. Beispielsweise Matrix der Primär-Inputkoeffizienten ( W f - W 0 ) als an.

Schließlich bleibt zu erwähnen, daß Komponentenzerlegungen auch für (Schatten-)Preise mit Hilfe des statischen offenen Input-Output-Preismodells möglich sind. Dabei werden Kostenänderungen in der Zeitspanne von 0 bis t

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Jochen Schumann

den Komponenten wie exogenen Koeffizientenänderungen und exogenen Primär-lnput-Preisänderungen additiv zugeordnet (vgl. Forssell 1988, S. 29 ff.). Zurechnungen und Komponentenzerlegungen gleichen sich in zweierlei Weise: beide beruhen ausschließlich auf dem "alten" statischen offenen InputOutput-Modell; beide ordnen endogene Variable (wie χ bzw dx) additiv und vollständig exogenen Variablen (wie den Spalten der Endnachfrage bzw. den Komponenten oder "sources of structural change") zu. In Abschnitt II wurde argumentiert, daß es zur Berücksichtigung der Charakteristika einer Marktwirtschaft besser sei, ein teilweise geschlossenes Input-Output-Modell zu verwenden, daß es ein solches Modell allerdings unmöglich mache, ökonomisch sinnvolle Zurechnungen vorzunehmen. Es soll nun geprüft werden, in welcher Weise die Verwendung des teilweise geschlossenen statt des offenen statischen Input-Output-Modells auf die Komponentenzerlegung einwirkt. Anders ausgedrückt: Ist die Komponentenzerlegung robuster als die Zurechnung, wenn an Stelle des für eine Zentralverwaltungswirtschaft angemessen erscheinenden statischen Modells das für eine Marktwirtschaft geeigneter erscheinende teilweise geschlossene Modell verwendet wird? Wir konzentrieren uns im folgenden auf die Alternative (6a). Ihr entspricht bei Verwendung des teilweise geschlossenen Modells (7)

dx = (Sf - S 0 )yo x + Sf ( y f x - y®x) ,

wobei St =(l-Z)~ 1 = (l-A f -c t v't) und wobei y f x der Vektor der Endnachfrage ist, der übrig bleibt, wenn der einkommensabhängige Konsum von der gesamten Endnachfrage in Periode t abgezogen wird. S 0 und y§x haben die gleiche Bedeutung, beziehen sich jedoch auf Periode 0. Nach (7) wird die Veränderung der Produktion von Periode 0 bis Periode t wieder zwei Komponenten oder "sources of structural change", ( S f - S 0 ) und ( y f x - y o x ) , zugeordnet. Wir diskutieren hier nur die erste Komponente, weil die zweite eine Zuordnung zu den exogen verbliebenen Teilen der Endnachfrage vorsieht, die allerdings ökonomisch keinen Sinn macht. Die erste Komponente bezieht sich auf die Veränderung der kumulierten Leontief-Keynes-Multiplikatoren. Nur Änderungen der Leontief-Multiplikatoren können als Wirkungen veränderter Technik aufgefaßt werden, während Änderungen der Keynes-Multiplikatoren sowohl auf Änderungen der sektoralen Wertschöpfung (der Einkommensentstehung) als auch auf Änderungen der sektoralen Grenzneigungen zum Konsum (der Einkommensverwendung) zurückführbar sind. Um beide Arten von Multiplikatorwirkungen zu trennen, läßt sich folgende Umformung durchführen:

Die Problematik von Zurechnungen und Komponentenzerlegungen

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Es läßt sich zeigen (vgl. Sandoval 1967, ten Raa und Chakraborty 1983), daß (8)

S? = (I - Ζ)- 1 = (I - A f - c f v ? )- 1 = [(I - c,vfR f )(l - A f )]- 1 = = Rf + RfCfVfRf (1 - v'RfCf)" 1.

Die gleiche Umformung trifft für S 0 zu. Mithin gilt: (9)

(Sf - S 0 ) = (lRf - R 0 ) + ^RfCfVfRf(1 - vfR,c,)~ 1 - R 0 c 0 v b R 0 ( l - vfaRoCo) ·

Die erste, runde Klammer auf der rechten Seite von (9) bezeichnet die isolierte Komponente Änderung der Technik gemäß der Leontief-Multiplikatoren. Der Ausdruck in der zweiten, eckigen Klammer bezieht auch die sektoralen Grenzneigungen zum Konsum und die sektoralen Wertschöpfungen ein; er kann als Komponente der Modifikation durch Keynessche Einkommensverwendung und Einkommensentstehung gedeutet werden. Da diese Komponente nicht und schon gar nicht additiv in Änderungen der Grenzneigungen zum Konsum und in Änderungen der Wertschöpfungskoeffizienten partitioniert werden kann, bleibt sie eine komplexe Komponente des Strukturwandels. Teilweise Endogenisierung der Investitionen sowie andere Erweiterungen des statischen offenen Input-Output-Modells würden ähnlich die Isolierung klar zugeschnittener und möglichst additiver Komponenten oder "sources of structural change" unmöglich machen. Damit hat unsere Diskussion folgendes Ergebnis: Wird anstelle des statischen offenen Input-Output-Modells ein teilweise geschlossenes Modell verwendet, so ergeben sich regelmäßig unübersichtliche Komponenten der Strukturzerlegung, die keine weitere Unterteilungen und einfache Interpretationen zulassen. Es ist kein Zufall, daß sich die immer umfangreicher werdende Literatur über Strukturzerlegungen ausschließlich des "alten" statischen offenen Input-Ouput-Modells bedient. Ist man überzeugt, daß die sachgerechte Abbildung von Marktwirtschaften ein teilweise geschlossenes Input-Output-Modell erfordert, so bedeutet das den Verzicht auf die Möglichkeit, die Änderungen endogener Variablen in einer abgelaufenen Zeitspanne in einfacher Weise auf griffige Komponenten aufteilen zu können. IV. Schlußbemerkung: Kausale "Rückwärts-Interpretation" von Zuordnungen und Komponentenzerlegungen Oftmals werden Zuordnungen und Komponentenzerlegungen auf der Grundlage des statischen offenen Input-Output-Modells kausal interpretiert: Die Spalten der exogenen Endnachfrage werden als "Ursache" der zugerechneten endogenen sektoralen Produktion oder des zugeordneten endogenen Primärfaktoreinsatzes angesehen; exogene Komponenten oder "sources of structural change" werden als "Ursachen" der Änderung der endogenen sektoralen Produktion oder der Änderung des endogenen Primärfaktoreinsatzes aufgefaßt. Nach beiden Vorgehensweisen werden endogene Variablen vollständig und

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additiv auf ihre exogenen "Ursachen" zurück gerechnet. Es ist diese vermeintliche Klarheit und Eindeutigkeit, welche die beiden Anwendungen des statischen offenen Input-Output-Modells so attraktiv macht. Wo sonst ist es möglich, die gemeinsamen Wirkungen einer Mehrzahl von "Ursachen" in einer Summe darzustellen, und zwar so, daß jeder Summand die Wirkung einer dieser "Ursachen" ist? Daß man endogene Variable "nach rückwärts" ihren exogenen "Ursachen" zuordnet, widerspricht übrigens der normalen Vorgehensweise der ökonomischen Theorie, nämlich exogene Variable oder deren Änderungen "nach vorwärts" auf ihre endogenen Wirkungen zu untersuchen - so wie man bei Projektionen verfährt. Die "Rückwärts-Rechnung" ist, wie gezeigt wurde, regelmäßig in einfacher Weise nur möglich, wenn das "alte" statische offene Input-OutputModell benutzt wird. Mit Zurechnungen und Komponentenzerlegungen wird nicht-kompetenten Auftraggebern eine Möglichkeit des Rechnens mit scheinbar klaren und eindeutigen empirischen Ergebnissen vorgegaukelt, die besonders für Marktwirtschaften sehr zweifelhaft sind. Anwendungen der Input-Output-Analyse sollten sich für Marktwirtschaften auf weiterentwickelte, teilweise geschlossene Modelle stützen und sich in "Vorwärts-Rechnungen" auf die Projektion der Wirkungen von exogenen auf endogene Variablen beschränken.

Zusammenfassung Die Literatur zur Input-Output-Analyse kennt vor allem zwei Anwendungen, und zwar des "alten" statischen offenen Input-Output-Modells von Leontief: Zurechnungen und Komponentenzerlegungen ("structural decomposition analysis"). Bei Zurechnungen wird die sektorale Produktion und der Primärfaktoreinsatz in einer angelaufenen Periode additiv den verschiedenen Komponenten der exogenen Endnachfrage dieser Periode zugeordnet. Bei Komponentenzerlegungen werden Änderungen der sektoralen Produktion und des Primärfaktoreinsatzes während einer Zeitspanne von mehreren abgelaufenen Perioden additiv den Änderungen der verschiedenen Komponenten der exogenen Endnachfrage während dieser Zeitspanne zugeordnet. Dieser Aufsatz argumentiert, daß für Marktwirtschaften das offene statische Modell sinnvollerweise durch ein teilweise geschlossenes Modell ersetzt werden sollte - mit sektoralen Keynesschen Konsumfunktionen (und sekotralen Investitionsfunktionen) zur Erklärung der jeweiligen Endnachfragekomponenten. Nur ein solches Modell bildet den aus Produktionstätigkeit und Konsum(sowie I η vest itions-) ausgaben sich ergebenden volkswirtschaftlichen Einkommenskreislauf angemessen ab. Es wird gezeigt, daß für teilweise geschlossene Modelle dieses Typs Zurechnungen keinen ökonomischen Sinn machen und Komponentenzerlegungen in klar zugeschnittene "Quellen des Strukturwandels" allgemein nicht möglich sind.

Die Problematik von Zurechnungen und Komponentenzerlegungen

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Summary Problems of Imputations and Structural Decomposition Analysis by the Static Open Input-Output Model

The literature on input-output economics is abundant in two types of applications of the "old" Leontief open static input-output model: imputations and structural decomposition. Imputations allocate sectoral production and primary factor input during a period additively to the different components of exogenous final demand of that period. Structural decomposition analysis allocates changes of sectoral production and primary factor input during a time span of several periods additively to changes of the different components of exogenous final demand during that time span of several periods. The paper argues that for market economies it is advisable to substitute the open static model by a partly closed input-output model which uses sectoral Keynesian consumption functions (and sectoral investment functions) for the explanation of the respective final demand components. Only such a model adequately represents the circular flows of income resulting from production and consumption (and investment) spending. It is demonstrated that for partly closed models of this type imputations do not make economic sense, and structural decomposition into clear cut "sources of structural change" in general is not possible.

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Jochen Schumann

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Internationaler Handel, dynamischer Wettbewerb und nationale Beschäftigungsstruktur Eine Bestandsaufnahme für Deutschland Von Horst Siebert und Jürgen Stehn Inhalt I. Das Problem II. Interindustrieller Handel III. Intraindustrieller Handel IV. Wirtschaftspolitische Anpassungserfordernisse

I. Das Problem Der interindustrielle Strukturwandel im internationalen Handel vollzieht sich in historischer Betrachtung fast schockartig. Durch die Transformation der ehemaligen Planwirtschaften Mittel- und Osteuropas und die Öffnung Chinas drängen vormals mehr oder weniger abgeschottete, bevölkerungsreiche Regionen in die Weltwirtschaft. Nimmt man Indien hinzu, dessen außenwirtschaftliche Öffnung sich in einem rasanten Tempo vollzieht, so sucht gegenwärtig mehr als 40 vH der Weltbevölkerung ihren Platz in der internationalen Arbeitsteilung. Im Zuge dieser Entwicklung nimmt das Angebot an (einfacher) Arbeit auf den weltweiten Faktormärkten drastisch zu. Der interindustrielle Handel sorgt dafür, daß das globale Güterangebot hiervon nicht unberührt bleibt und sich der strukturelle Anpassungsdruck für hochentwickelte Industrieländer wie die Bundesrepublik Deutschland deutlich erhöht. Gleichzeitig ist auf den Weltmärkten eine kontinuierliche Intensivierung der intraindustriellen Arbeitsteilung zwischen hochentwickelten Volkswirtschaften zu beobachten (Siebert 1999b, Tabelle 2.1). Dies ist insbesondere auf zwei Entwicklungen zurückzuführen: Zum einen sind die Güter- und Dienstleistungsmärkte durch die beträchtliche Senkung der traditionellen Raumüberwindungskosten insgesamt bestreitbarer geworden. Zum anderen haben die erfolgreichen Zollsenkungsrunden im Rahmen des GATT, die institutionelle Absicherung der multilateralen Welthandelsordnung durch die Gründung der Welthandelsorganisation (WTO), die Vertiefung und die Erweiterung der regionalen Integrationsbemühungen in Europa, Nord- und Südamerika und im pazifischen 47*

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Becken sowie die in vielen Industrieländern zu beobachtenden Anstrengungen zum Abbau nationaler Standards und Regulierungen dazu beigetragen, vormals bestehende Marktsegmentierungen abzubauen. Durch beide Entwicklungen hat der Druck auf die führenden Industrieländer zur immer rascheren Eroberung von Marktnischen, die ein zumindest kurzfristiges Atemholen im weltweiten Konkurrenzkampf erlauben, wesentlich zugenommen. Da der inter- und intrasektorale Strukturwandel in der internationalen Arbeitsteilung mit erheblichen Strukturproblemen am deutschen Arbeitsmarkt einhergeht, die sich insbesondere in einer hohen Mismatch-Arbeitslosigkeit äußern, liegt die Vermutung nahe, daß die Strukturveränderungen im internationalen Handel eine wesentliche Ursache für die zu beobachtenden Fehlentwicklungen am deutschen Arbeitsmarkt darstellen. Das Ziel dieses Beitrages ist es, anhand einer Bestandsaufnahme der empirischen Literatur für Deutschland zu überprüfen, ob diese Vermutung zutrifft, und die entsprechenden wirtschaftspolitischen Anpassungserfordernisse zu skizzieren.

II. Interindustrieller Handel Es ist weitgehend unstrittig, daß eine verstärkte interindustrielle Arbeitsteilung, ausgelöst durch eine tiefere Integration weniger entwickelter Länder in die Weltwirtschaft, unter bestimmten Bedingungen die relative Faktorentlohnung oder die relative Faktorbeschäftigung in Industrieländern beeinflussen kann. Im Rahmen der traditionellen neoklassischen Heckscher-Ohlin-Theorie kann die Integration weniger entwickelter Länder in die Weltwirtschaft als Übergang von der Autarkie zum Freihandel, also als eine Handelsliberalisierung, modelliert werden. Es wird unterstellt, daß ein typisches hochentwickeltes Industrieland durch zwei Produktionsfaktoren, höher qualifizierte Arbeitskräfte und geringer qualifizierte Arbeitskräfte, und zwei Sektoren, einen relativ humankapitalintensiven Sektor und einen relativ arbeitsintensiven Sektor abgebildet werden kann. Darüber hinaus wird realistischerweise angenommen, daß hochentwickelte Industrieländer wie die Bundesrepublik Deutschland relativ reich mit Humankapital und weniger entwickelte Länder relativ reich mit einfacher Arbeit ausgestattet sind. Eine Aufnahme des Handels mit arbeitsreichen Volkswirtschaften, etwa durch eine Integration vormals segmentierter Märkte in die Weltwirtschaft, erhöht das im Inland verfügbare Angebot an arbeitsintensiven Gütern und senkt dort aufgrund des Mengeneffekts den relativen Preis dieser Güter. Als Folge der Relativpreisänderung steigt die Produktion des Sektors, der den relativ reichlichen Faktor intensiv nutzt. Der humankapitalintensive Sektor in Industrieländern expandiert, während der arbeitsintensive Sektor schrumpft. Da im schrumpfenden Sektor relativ mehr einfache Arbeit freigesetzt wird, als im expandierenden Sektor nachgefragt wird, verringert sich - bei gegebenem Lohnniveau - die Nachfrage nach einfacher Arbeit. Spiegelbildlich erhöht sich die Nachfrage nach höher qualifizierter Arbeit.

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Um Vollbeschäftigung zu sichern, muß daher die relative Entlohnung für geringer qualifizierte Arbeitnehmer sinken (Stolper-Samuelson-Theorem). Reagieren die Faktorpreise in humankapitalreichen Industrieländern nicht auf eine Veränderung der relativen Güterpreise - etwa aufgrund institutioneller Regelungen am Arbeitsmarkt, die eine Anpassung der realen Entlohnung für einfache Arbeit nach unten verhindern -, so führt die Intensivierung des interindustriellen Handels zu einer erhöhten Arbeitslosigkeit geringer qualifizierter Arbeitskräfte, da diese bei der gegebenen relativen Faktorentlohnung keine Beschäftigung im expandierenden (humankapitalintensiven) Sektor finden. 1 Da eine handelsinduzierte Veränderung der relativen Güterpreise gleichsam der Motor für Anpassungen in der relativen Beschäftigungsstruktur ist, setzen die einschlägigen empirischen Analysen dieses Zusammenhangs grundsätzlich bei der Entwicklung der relativen Güterpreise in Deutschland an. Für hochentwickelte Volkswirtschaften wie Deutschland ist zu erwarten, daß eine sich verstärkende interindustrielle Arbeitsteilung zu einem Anstieg des relativen Preises für jene Güter führt, bei deren Produktion hochqualifizierte Arbeitskräfte intensiv eingesetzt werden, und eine Verringerung des Preises für Güter aus Produktionen verursacht, die den Faktor "einfache Arbeit" intensiv nutzen. Neven und Wyplosz (1996) kommen im Rahmen einer einfachen Regressionsanalyse zu dem Ergebnis, daß in Deutschland kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Humankapitalintensität in einzelnen Industriezweigen, gemessen als Anteil der nicht in der Produktion beschäftigten Arbeitnehmer an den Gesamtbeschäftigten, und der Entwicklung der Importpreise für Güter aus Entwicklungsländern im Zeitraum 1976-1990 zu beobachten ist. Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, daß dieses Ergebnis durch andere Faktoren, die - wie etwa der technologische Fortschritt - auf die relative Preisentwicklung einwirken, verzerrt ist. Mit Hilfe einer Clusteranalyse, in der sie die Wirtschaftszweige des Verarbeitenden Gewerbes unter anderem nach der Höhe der Humankapitalintensität katalogisieren, zeigen Neven und Wyplosz, daß die relativen Importpreise für Hochtechnologiegüter wie Computer, Büromaschinen und Telekommunikationsausrüstungen im Untersuchungszeitraum in Deutschland stark gesunken sind, und interpretieren dieses Ergebnis als ein Indiz für einen überdurchschnittlich raschen technologischen Fortschritt in diesen Wirtschaftszweigen, der die Wirkungen des interindustriellen Handels überlagert hat. Da die Preisentwicklung des arbeitsintensiven Clusters leicht über der des Verarbeitenden Gewerbes insgesamt liegt, ist jedoch auch im Rahmen dieser Clusteranalyse kein Einfluß des interindustriellen Handels auf die Beschäftigung geringer qualifizierter Arbeitskräfte festzustellen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Lücke (1997). Im Gegensatz zu Neven und Wyplosz (1996) berücksichtigt er in seiner Regressionsschätzung explizit den Einfluß des sektoralen technologischen Fortschritts - gemessen als Wachstum der totalen Faktorproduktivität - auf die Entwicklung der relativen Güterpreise. Die Schätzergebnisse zeigen, daß die um Technologieeffekte bereinigte 1

Vgl. zu den Anpassungen bei "starren" Löhnen Siebert (1997).

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Entwicklung der Preisstruktur keinen Hinweis darauf gibt, daß der relative Preis für arbeitsintensive Güter in Deutschland im Untersuchungszeitraum 1970-1991 gesunken ist. Vielmehr ist in einem Teilzeitraum sogar ein Anstieg des Relativpreises festzustellen. Fitzenberger (1997) gliedert in seiner empirischen Untersuchung für Deutschland die handelbaren Güter nach der Höhe der Humankapitalintensität in drei Typenklassen. Im Widerspruch zu den Aussagen des HOS-Modells zeigt seine Analyse, daß die Preise der Güter mit einer hohen Humankapitalintensität im Vergleich zu den Preisen für Güter mit einer mittleren bzw. geringen Humankapitalintensität gesunken sind. Heitger, Schräder und Stehn (1999) schätzen für jeden Gewerbezweig des Verarbeitenden Gewerbes den Trend der relativen Preise im Zeitraum 19701995. Die Schätzungen zeigen, daß es im Untersuchungszeitraum zu signifikanten relativen Preisveränderungen gekommen ist. So weisen - wie erwartet die humankapitalintensiven Gewerbezweige Maschinenbau, Stahl- und Leichtmetallbau und Straßenfahrzeugbau einen steigenden Relativpreis auf; das arbeitsintensive Textilgewerbe mußte dagegen sinkende relative Preise hinnehmen. Es gibt aber auch mehrere Ausnahmen von dem erwarteten Muster der relativen Preisentwicklung. Das Bekleidungsgewerbe, das einen der höchsten Nichtfacharbeiteranteile aufweist, hatte keinen sinkenden Preistrend zu verzeichnen; in den arbeitsintensiven Industrien Ledergewerbe, Feinkeramik und Musikwaren kam es sogar zu nachhaltigen relativen Preiserhöhungen. Partielle Korrelationsschätzungen zwischen der Humankapitalintensität in den einzelnen Gütergruppen - gemessen als Anteil der Nichtfacharbeiter an der Gesamtbeschäftigung - und der relativen Preisentwicklung zeigen, daß im Verarbeitenden Gewerbe Deutschlands kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Qualifikationsstruktur der Beschäftigten und der relativen Preisentwicklung festzustellen ist. In weitergehenden empirischen Analysen zeigen Heitger, Schräder und Stehn (1999), daß der relativ hohe Außenschutz für einzelne arbeitsintensive Wirtschaftszweige des Verarbeitenden Gewerbes in Deutschland verhindert, daß Veränderungen in der Struktur der Weltmarktpreise auf die inländische Preisstruktur durchschlagen und daß die relative Preisentwicklung im Verarbeitenden Gewerbe Deutschlands wesentlich vom technologischen Fortschritt determiniert wird. Sie vermuten daher, daß die Wirkungen des interindustriellen Handels auf die Beschäftigungsstruktur in Deutschland stärker sind, als es in der zu beobachtenden Entwicklung der relativen Güterpreise zum Ausdruck kommt. Die Analysen der relativen Güterpreisentwicklung in den einschlägigen empirischen Untersuchungen deuten insgesamt darauf hin, daß die Struktur der Arbeitslosigkeit in Deutschland nicht oder lediglich in geringem Maße auf eine sich verstärkende interindustrielle Arbeitsteilung zurückzuführen ist. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der überwiegenden Zahl der empirischen Untersuchungen zu den Determinanten der relativen Faktorentlohnung in den Vereinigten Staaten. Sie kommen zu dem Ergebnis, daß die Intensivierung des in-

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terindustriellen Handels nur geringfügige Auswirkungen auf die relative Entlohnung geringer qualifizierter Arbeitskräfte hat.2 Bei der Bewertung der vorliegenden empirischen Ergebnisse ist zu beachten, daß nicht nur technologische Effekte und/oder eine relativ hohe Außenprotektion für arbeitsintensive Wirtschaftszweige verhindern, daß sich Veränderungen in der interindustriellen Arbeitsteilung in der Entwicklung der relativen Güterpreise widerspiegeln. Auch indirekte Anpassungsreaktionen der inländischen Unternehmen an eine zunehmende Importkonkurrenz aus Schwellen- und Entwicklungsländern müssen nicht zwangsläufig ihren Niederschlag in der relativen Preisentwicklung finden. So spricht zumindest eine anekdotische Evidenz dafür, daß der durch Importkonkurrenz ausgelöste dynamische Wettbewerb viele Unternehmen in humankapitalreichen Ländern dazu veranlaßt hat, ihre Wertschöpfungsketten aufzubrechen und arbeitsintensive Zwischenproduktionen in Standorte zu verlagern, die relativ reichlich mit einfacher Arbeit ausgestattet sind (Stichwort "Outsourcing"). Eine solche Verlagerung kann sowohl über die Vergabe von Teilaufträgen an bereits bestehende Unternehmen im Ausland als auch durch eine Gründung von ausländischen Tochtergesellschaften erfolgen. In beiden Fällen sinkt durch die Internationalisierung der Wertschöpfungskette die Nachfrage nach geringer qualifizierten Arbeitskräften im humankapitalreichen Inland. Die relativen Güterpreise werden - unter sonst gleichen Bedingungen - durch diese Anpassungsreaktion an den dynamischen Wettbewerb jedoch nicht beeinflußt. Denn das Gesamtangebot des arbeitsintensiven Gutes auf den weltweiten Gütermärkten bleibt von den Anpassungen unberührt. Es findet lediglich eine Substitution von Standorten bei der Produktion relativ arbeitsintensiver (Zwischen-)Güter statt. Die empirische Evidenz über die quantitativen Effekte des "Outsourcing" auf die Beschäftigungsstruktur in Deutschland ist bisher recht dünn. Während für die Vereinigten Staaten empirische Analysen vorliegen, die darauf verweisen, daß der Anteil importierter Zwischenprodukte an den gesamten intermediären Inputs in einer Vielzahl arbeitsintensiver Branchen im Zeitverlauf zugenommen hat (Campa und Goldberg 1997, Audet 1996), liegen für Deutschland keine entsprechenden Studien vor. Dies ist nicht zuletzt auf eine unbefriedigende Datenlage zurückzuführen, da die für ausgewählte Jahre erstellten InputOutput-Tabellen für Deutschland keine ausreichend vergleichbaren Informationen über einen längeren Zeitraum bereithalten. Erste (indirekte) Ansatzpunkte über die quantitative Bedeutung der ausländischen Auftragsfertigung für die deutsche Wirtschaft bieten Klodt, Stehn et al. (1994). Sie analysieren das Ausmaß der Auftragsfertigung anhand von Daten über die sogenannte passive Lohnveredelung. 3 Ihre Ergebnisse zeigen, daß die deutschen Unternehmen zunehmend von der Auftragsfertigung Gebrauch machen. Die Importe nach Lohnveredelung, also die Güter, die nach ihrer Bearbeitung im Ausland wieder 2

Vgl. u.a. Lawrence und Slaughter (1993), Berman, Bound und Griliches (1994), Re-

venga (1992), Freeman und Revenga (1995). Zu einem anderen Ergebnis kommen Sachs und Shatz (1996). 3 Liefern deutsche Unternehmen dem ausländischen Auftragnehmer Rohstoffe oder Vorprodukte, so entspricht die Auftragsfertigung der passiven Lohnveredelung.

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nach Deutschland importiert werden, sind zwischen 1989 und 1992 um mehr als 70 vH angestiegen. Die Auftragsfertigung deutscher Unternehmen in Mittelund Osteuropa hat sich in diesem Zeitraum sogar mehr als verdoppelt. Trotz dieser recht dynamischen Entwicklung sollten die quantitativen Effekte auf die deutsche Beschäftigungsstruktur jedoch nicht überschätzt werden. Denn den veredelten Gütern aus dem Ausland in Höhe von 9,6 Mrd. DM steht ein Produktionswert im Verarbeitenden Gewerbe Deutschlands von 2153,7 Mrd. DM gegenüber. Der wertmäßige Anteil der Güter, die im Ausland bearbeitet werden, beschränkt sich damit auf ungefähr 0,4 vH. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der Sachverständigenrat (SVR 1997). Er zeigt zum einen, daß der Veredelungshandel Deutschlands im Zeitraum 1980-1994 lediglich von geringer Bedeutung war, und verweist zum anderen darauf, daß der Anteil der importierten Vorleistungen an den gesamten Vorleistungen in Deutschland seit der Mitte der achtziger Jahre rückläufig ist (SVR 1997, 57 f.).

III. Intraindustrieller Handel Die durch einen dynamischen Wettbewerb ausgelösten Anpassungsprozesse im Unternehmen können - über die "güterpreisneutralen" Effekte der ausländischen Auftragsfertigung hinaus - auch die interindustriellen Güterpreise in eine Richtung beeinflussen, die den Aussagen eines traditionellen Heckscher-OhlinModells zuwiderläuft. So ist es nicht ausgeschlossen, daß die in den einschlägigen Studien für Deutschland diagnostizierte Konstanz bzw. relative Erhöhung des Preises arbeitsintensiver Güter als ein Indiz für eine erfolgreiche Anpassung der inländischen Unternehmen an eine durch den zunehmenden Importdruck erhöhte Wettbewerbsintensität zu werten ist. In dieser Sichtweise signalisiert ein Anstieg des Relativpreises für einzelne arbeitsintensive Güter, daß es den betroffenen Unternehmen gelungen ist, den Schwerpunkt ihrer Produktpalette von vormals standardisierten Produkten auf höherwertige Produkte mit einer (zumindest vorübergehend) relativ niedrigen Substitutionselastizität der Nachfrage zu verlagern. Durch eine Erhöhung der Humankapitalintensität in der Produktion und eine Bereitstellung komplementärer Dienstleistungen ist es diesen Unternehmen gelungen, monopolistische Marktnischen zu erobern, die ihren für einen vorübergehenden Zeitraum ein Atemholen im globalen, dynamischen Wettbewerb erlauben. Für ein humankapitalreiches Land, das sich in einem dynamischen Anpassungsprozeß befindet, bedeutet dies, daß die zunehmende inten ndustrielle Arbeitsteilung /Vrtrasektorale bzw. intra industrielle Veränderungen der Produktionsstruktur induziert, die letztlich in einer Spezialisierung auf höherwertige Güter in vertikalen intraindustriellen Handel münden. Im Zuge dieser Spezialisierung auf "qualitätsintensive" Produktvarianten nimmt die Nachfrage nach einfacher Arbeit ab, und die Entlohnung für geringer qualifizierte Arbeitnehmer muß sinken, um deren Vollbeschäftigung zu sichern. Die Auswirkungen auf die relative Faktorentlohnung werden durch den von einem intraindustriellen Handel mit vertikal differenzierten Gütern ausgelösten Druck zur stetigen Produktinnovation und dem damit verbundenen ständigen

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Wandel der Anforderungsprofile an Arbeitnehmer noch verstärkt. Führt ein solches "upgrading" der Produktvarianten zur Entwertung firmenspezifischer Wettbewerbsvorteile, so ist hiermit auch ein häufiger Arbeitsplatzwechsel für die betroffenen Arbeitnehmer verbunden. Dieser durch eine Intensivierung des wechselseitigen Handels innerhalb einzelnen Produktkategorien ausgelöste und vor allem durch ständige Produktinnovationen getragene Prozeß dürfte unterschiedliche Konsequenzen für geringer qualifizierte und höher qualifizierte Arbeitskräfte nach sich ziehen. Da geringer qualifizierte Arbeitskräfte ihre spezifischen Fähigkeiten überwiegend am Arbeitsplatz erwerben, führt jede Änderung im Anforderungsprofil und jeder Arbeitsplatzwechsel tendenziell zu einer Teilentwertung ihrer erworbenen Fähigkeiten. Im Gegensatz dazu dürften die besonderen Fähigkeiten von höher qualifizierten Arbeitnehmern vornehmlich auf ihrer schulischen und universitären Ausbildung beruhen. Variierende Anforderungsprofile am Arbeitsplatz führen daher bei ihnen nur in einem geringen Maße zu einer Entwertung ihres Humankapitals. Der Druck zu einer Ausweitung der Lohndifferenzierung zwischen höher und geringer qualifizierter Arbeit verstärkt sich, und im Falle institutionell fixierter relativer Faktoreinkommen kommt es zu einer erhöhten Arbeitslosigkeit geringer qualifizierter Arbeitskräfte. Erste empirische Analysen für Deutschland deuten darauf hin, daß der dynamische internationale Wettbewerb in der Tat das Spezialisierungsmuster inländischer Unternehmen im intraindustrellen Handel beeinflußt. Heitger, Schräder und Stehn (1999) zeigen, daß der intraindustrielle Handel Deutschlands wesentlich durch den Austausch vertikal differenzierter Güterausprägungen bestimmt wird. Im Jahr 1996 betrug der durchschnittliche Anteil des vertikalen Intrahandels am gesamten Intrahandel mit den Ländern der EU mehr als 68 vH, für die Vereinigten Staaten und Japan erreichte er sogar Werte von annähernd 75 vH bzw. 93 vH. Der Schwerpunkt des intraindustriellen Handels Deutschlands liegt also offensichtlich auf dem Austausch von ähnlichen Gütern unterschiedlicher Qualitätsausprägung. Dabei hat sich Deutschland - wie im interindustriellen Handel - vorrangig auf die Produktion höherwertiger Güter spezialisiert. Der durchschnittliche Exportanteil höherwertiger Güter betrug im Jahr 1996 etwa 60 vH; ein ähnlicher Wert wird im Intrahandel mit den Ländern der EU erreicht. Ein Blick auf die Exportanteile im Handel mit einzelnen EUPartnern zeigt zudem, daß die Dominanz der höherwertigen Güter vor allem auf das Gewicht der Haupthandelspartner Frankreich, Italien, Vereinigtes Königreich und Niederlande zurückzuführen ist, auf die annähernd zwei Drittel der deutschen Exporte im Rahmen des vertikalen Intrahandels mit der EU entfallen. Aufgrund der Spezialisierung Deutschlands auf höherwertige Güter im vertikalen Intrahandel ist es nicht ausgeschlossen, daß die Intensivierung des intraindustriellen Handels die Beschäftigungsstruktur in Deutschland mitbestimmt hat. Besonders betroffen hiervon dürften die mittleren Qualifikationsgruppen und hier vor allem die fachspezifisch eng ausgebildeten Facharbeiter sein. Denn der durch den vertikalen intraindustriellen Handel ausgelöste Qualitätswettbewerb verlangt eine ständige Aufwertung und Erweiterung der Produktpalette und erfordert daher ein hohes Maß an fachlicher Flexibilität von den Arbeitnehmern. Die in eng definierten Fachausbildungen erworbenen Qualifika-

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tionen verlieren im Zuge dieses Anpassungsprozesses stetig an Wert und müssen daher kontinuierlich durch fachübergreifende Fertigkeiten ergänzt werden. Hierzu trägt auch der Produktivitätsfortschritt aus der Umsetzung technischen Wissens in neue Produktionsprozesse bei, der in der Tendenz arbeitssparend ist und insbesondere relativ einfache Fertigkeiten entwertet.

IV. Wirtschaftspolitische Anpassungserfordernisse Angesichts der hier präsentierten Ergebnisse stellt sich vor allem in Hinblick auf die Wirkungen des intraindustriellen Handels auf die Beschäftigungsstruktur die Frage nach den geeigneten wirtschaftspolitischen Anpassungsstrategien. Dies gilt um so mehr, als eine Reihe von "Globalisierungspessimisten" den Vorschlag unterbreitet haben, etwas "Tobinschen Sand" in das Getriebe des internationalen Handelsmotors zu streuen, um so den Anpassungsdruck auf die nationalen Arbeitsmärkte abzufedern. In der Tat scheint insbesondere das deutsche Beispiel eine solche Strategie nahezulegen, da es hier offensichtlich gelungen ist, mittels eines protektionistischen Außenschutzes die handelsbedingte Erosion von Arbeitsplätzen in arbeitsintensiven Wirtschaftszweigen vorübergehend zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen. Es ist jedoch zu beachten, daß diese Form der Arbeitsplatzsicherung mit erheblichen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden ist. Denn ein zurückgestauter handelsbedingter Strukturwandel verhindert in hochentwickelten Volkswirtschaften die Realisierung von Terms-of-Trade-Gewinnen aus einer verstärkten Spezialisierung auf die Produktion humankapitalintensiver Güter. Neuere Studien belegen, daß Länder, deren Märkte relativ weit geöffnet sind, in den fünf Dekaden der Nachkriegszeit ein etwa doppelt so hohes Wirtschaftswachstum erzielt haben wie weniger marktoffene Länder (OECD 1998). Eine Strategie des zurückgestauten handelsbedingten Strukturwandels nimmt daher bewu.ßt Wohlfahrtsverluste für die betroffene Volkswirtschaft insgesamt in Kauf, um die relative Einkommensverteilung zwischen geringer und höher qualifizierten Arbeitnehmern konstant zu halten. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht erscheinen unter diesen Bedingungen Strategien als überlegen, die nicht im vornherein auf die Realisierung von Wohlfahrtsgewinnen aus einer vertieften inter- und intraindustriellen Arbeitsteilung verzichten, sondern vielmehr anstreben, die (relativen) Verlierer eines handelsbedingten Strukturwandels durch eine Umverteilung der Liberalisierungsgewinne zu kompensieren. Im Mittelpunkt einer solchen Strategie steht die Frage nach der geeigneten Form der Kompensation. Zum Ausgleich differierender Einkommenserzielungsmöglichkeiten bedienen sich alle hochentwikkelten Industrieländer traditionell verschiedener Politiken der staatlichen Einkommensumverteilung und der sozialen Sicherung. Es liegt daher nahe, diese Instrumente auch zum Ausgleich unterschiedlicher außenwirtschaftlicher Risiken zu nutzen. Eine Vielzahl von Gründen spricht jedoch gegen eine verteilungspolitisch motivierte Anpassungsstrategie. Zwei Argumentationslinien kommt eine besondere Bedeutung zu. Zum einen ist zu beachten, daß das

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Knüpfen eines immer engmaschigeren und komfortableren sozialen Netzes die grundlegenden Anpassungsprobleme, die aus der inter- und intraindustriellen Arbeitsteilung entstehen, nicht lösen kann. Eine solche Strategie ist lediglich in der Lage, die Symptome des Anpassungsstaus, aber nicht den Stau selbst, zu bekämpfen. Denn ein sozialer Schutzmantel vor den Risiken des außenwirtschaftlichen Wettbewerbs bewirkt letztendlich, daß die vermeintlichen Verlierer des handelsinduzierten Strukturwandels gleichsam als Abhängige chronisch am Tropf der sozialen Nährlösung bleiben. Eine Anpassungsstrategie, die vornehmlich oder gar ausschließlich auf sozialpolitische Transferinstrumente setzt, ist daher als ein Ausdruck der wirtschaftspolitischen Resignation vor den Problemen der weltwirtschaftlichen Integration zu werten und käme einer Bankrotterklärung der nationalen Wirtschaftspolitik nahe. Zum anderen ist von besonderer Bedeutung, daß eine nationale Wirtschaftspolitik, die auf eine Realisierung von Globalisierungsgewinnen und eine gleichzeitige transferpolitische Kompensation der potentiellen Globalisierungsverlierer setzt, in ein schwerwiegendes wirtschaftspolitisches Dilemma gerät. Denn eine solche Politik wäre einerseits gezwungen, auf eine jede Vertiefung der weltwirtschaftlichen Integration mit einer Ausweitung der staatlichen Transferausgaben zu reagieren, würde sich jedoch andererseits einer stetigen Erosion der inländischen Steuerbasis gegenübersehen. Denn das mobile (Sach-) Kapital und der internationale mobile Teil der Arbeitnehmerschaft, also vornehmlich die höherqualifizierten Globalisierungsgewinner, würden auf einen verstärkten Steuerdruck mit Abwanderung reagieren und damit einer transferpolitisch motivierten Anpassungsstrategie sehr enge Grenzen setzen. Die Wirtschaftspolitik würde so letztendlich vor der aussichtslosen Aufgabe stehen, die Quadratur des Kreises zu lösen. Unter diesen Bedingungen erscheint es unabdingbar, einer offensiven Anpassungsstrategie den Vorrang zu geben, die darauf abzielt, den Verlierern der weltwirtschaftlichen Integration neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu eröffnen. Im Mittelpunkt dieser Strategie sollten wirtschaftspolitische Maßnahmen stehen, die einer stetige Anpassung der Qualifikationsstruktur der Arbeitnehmer an das im Zuge der weltwirtschaftlichen Integration variierende Anforderungsprofil der Unternehmen sicherstellen. Denn ein gemeinsames Merkmal der inter- und intraindustriellen Arbeitsteilung sowie des technologischen Fortschritts ist es, daß beide Entwicklungen zu einer Abwertung des Humankapitals von Arbeitnehmern in hochentwickelten Volkswirtschaften führen. Die deutsche Bildungspolitik sollte sich daher verstärkt der Frage widmen, inwieweit die Intensivierung der inter- und intraindustriellen Arbeitsteilung eine stärkere Konzentration auf die Vermittlung allgemeiner, berufsfeldübergreifender Lehrinhalte erfordert und inwieweit das duale Ausbildungssystem - bei allen Vorteilen, die es im internationalen Vergleich aufweist - umzugestalten ist. Eine solche Richtungsänderung in der Bildungspolitik von der Vermittlung relativ enger, fachspezifischer Kenntnisse hin zu einer stärkeren Betonung fachübergreifender Lehrinhalte wird ihre Wirkung allerdings erst in der langen Frist entfalten können. Es ist daher zu erwarten, daß auch in absehbarer Zu-

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kunft die durch den weltwirtschaftlichen Strukturwandel bedingte Humankapitalintensivierung der Arbeitsnachfrage der "generativen" Veränderung des Arbeitsangebots vorauseilen wird. Um in dieser Phase des generativen Wechsels die Arbeitslosigkeit geringer qualifizierter Arbeitskräfte so gering wie möglich zu halten, gilt es einerseits, das Angebot an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zu verdichten (Stichwort "lebenslanges Lernen") und andererseits, die Lohnstruktur in Deutschland flexibler als bisher zu gestalten. Besondere Bedeutung kommt der qualifikatorischen Lohnstruktur zu, denn die Arbeitslosenquote der Gruppe der geringer Qualifizierten lag in Deutschland im Zeitraum 1983-1995 stets über der der mittel und höher Qualifizierten. Auch der sprunghafte Anstieg der Arbeitslosenquote nach der Rezession von 1993 fiel für die geringer Qualifizierten stärker aus als für die Erwerbstätigen mit mittlerer und hoher Qualifikation. Im gleichen Zeitraum ist die qualifikatorische Lohndifferenzierung zwischen höher und geringer Qualifizierten bzw. mittel und geringer Qualifizierten in Deutschland zurückgegangen. Die Entwicklung der qualifikatorischen Lohndifferenzierung hat daher die Wirkungen des Strukturwandels in der internationalen Arbeitsteilung eher noch verstärkt als gemindert. Ein wesentlicher Grund für diese Tendenz dürften die institutionellen Rigiditäten am Arbeitsmarkt sein, die noch dadurch in ihrer Wirkung verstärkt werden, daß der Lohnfindungsspielraum in Tarifverhandlungen durch den stetig steigenden Steuer- und Abgabenkeil mehr und mehr eingeschränkt wird. Eine flexiblere Lohndifferenzierung kann die vom weltwirtschaftlichen Strukturwandel ausgehenden Wirkungen mittelfristig abfedern. Sie ist in langer Sicht auch das richtige Signal, das Arbeitnehmer für ihre Ausbildungsaufwendungen kompensiert und damit einen Anreiz setzt, in das eigene Humankapital zu investieren. Eine zukunftsgerichtete Antwort auf die Herausforderungen des interund intraindustriellen Strukturwandels in der internationalen Arbeitsteilung sollte darüber hinaus bei einer Reform der Bildungspolitik ansetzen. Denn nur wenn es gelingt, marktwirtschaftliche Anreize für eine verbesserte Synchronisation zwischen Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage zu setzen, wird die deutsche Wirtschaft in der Lage sein, ihre nach wie vor gute Ausgangsposition im internationalen Standortwettbewerb ohne längere und wiederholte Anpassungskrisen zu erhalten und zu stärken.

Zusammenfassung Dieser Beitrag untersucht den Zusammenhang zwischen internationalem Handel, dynamischen Wettbewerb und nationaler Beschäftigungsstruktur anhand einer Bestandsaufnahme der empirischen Literatur für Deutschland. Untersuchungen der relativen Güterpreisentwicklung im internationalen Handel zeigen, daß der interindustrielle Handel kaum zur überdurchschnittlichen Arbeitslosigkeit geringer qualifizierter Arbeitskräfte in Deutschland beigetragen hat. Die zunehmende Spezialisierung Deutschlands auf den Export qualitätsintensiver Produktvarianten im intraindustriellen Handel deutet jedoch darauf hin, daß die durch einen dynamischen grenzüberschreitenden Wettbewerb ausgelösten Anpassungsprozesse in der Produktionsstruktur deutscher Unternehmen die Beschäftigungsstruktur im Inland beeinflussen.

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Summary This article provides an overview of the empirical literature on the effects of international trade and dynamic competition on the unemployment structure in Germany. Studies of the trend in relative product prices reveal that interindustry trade only plays a minor role in explaining the above average unemployment rate of less-skilled workers in Germany. However, the growing intraindustrial specialisation of German firms on the export of high-quality products indicates that the structural change of the production process of German firms which is driven by a dynamic international competition has affected the employment structure in Germany.

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Zwanzig Jahre ifo Studien: Lebendige Wissenschaft* Von Karl Heinrich Oppenländer Inhalt I. Neuanfang im Jahre 1980 II. Ein exzellenter Redaktionsstab III. Wissenschaftlicher Beirat unterstützt die ifo Studien IV. Eigeninitiierte Tätigkeitsfelder V. Schlußbetrachtung

I. Neuanfang Im Jahre 1980 Als Präsident das ifo Instituts für Wirtschaftsforschung stand ich im Jahre 1980 vor der Frage, den 1955 gegründeten ifo Studien ein neues Gesicht zu geben oder sie einzustellen. Heute würde man sagen, damals war so etwas wie ein Neuanfang gefragt. Ich habe mich dafür entschieden, und das ist nachzulesen (Vorwort zum 26. Jahrgang, ifo Studien, 1980, S. 1-2), anzugreifen: "Die ifo Studien erscheinen im 26. Jahrgang in neuer Aufmachung, in anderem Rhythmus und mit veränderter Konzeption." Eine vierteljährliche Erscheinungsweise war angesagt, der Umfang je Jahrgang verdoppelte sich damit (etwa 360 Seiten). Gegenstand des Inhalts war, wie die Unterüberschrift "Zeitschrift für empirische Wirtschaftsforschung" zum Ausdruck brachte, die Pflege und die Förderung der empirischen Wirtschaftsforschung, wobei gleichermaßen Theorie, Empirie und Ökonometrie angesprochen waren, also ein Spektrum, das über die wissenschaftlichen Arbeiten der Mitarbeiter des ifo Instituts hinaus alle Interessierten erreichen sollte. Bis in die achtziger Jahre waren vor allem ifo Mitarbeiter Autoren gewesen. Das hat sich gründlich geändert. Auch war damit ein Diskussionsforum geschaffen, das den Werkstattcharakter in den Vordergrund stellen sollte: Nicht immer mußten in sich abgeschlossene Beiträge veröffentlicht werden, sondern auch solche, die der Diskussion bedurften, im Sinne des

* Als Herausgeber habe ich die ifo Studien zwanzig Jahre betreut, von 1980 bis Ende 1999. In dieser Zeit sind einige bemerkenswerte und weiterführende Artikel erschienen. Auch die Behandlung mancher Problemkreise, das Aufgreifen aktueller und für Wirtschaftstheorie, -empirie und -politik gleichermaßen bedeutsamer Themen zeigt die Praxisnähe, aber auch die Bemühung, mit Analysen und Modellanwendung diese Thematik wissenschaftlich zu behandeln.

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Fortschrittsgedankens der Wissenschaft: Nur über Diskussionen lassen sich Fortschritte erzielen.

II. Ein exzellenter Redaktionsstab Um dieses anspruchsvolle Ziel zu erreichen, mußten Experten gewonnen werden, die Unterstützung leisteten. Das galt einmal für den Redaktionsstab. Dr. Karl Christian Kuhlo hatte schon bisher Erhebliches geleistet, er stand auch weiter zur Verfügung, bis er 1989 in den wohlverdienten Ruhestand ging. Bis dahin hatte er in den Jahren bis 1982 Hilfestellung durch Elmar Kowalski, später, in bewährter und sachkundiger Ausgestaltung, durch Dr. Rigmar Osterkamp. In den Jahren 1990 bis 1992 übernahm Monika Queisser den Stab. Seit 1993 war Dr. Marga Jennewein an verantwortlicher Stelle tätig. Der Umfang der ifo Studien wurde ab 1995 auf 600 Seiten jährlich ausgedehnt. Dr. Marga Jennewein hat diese Herausforderung mit Bravour gemeistert. Dafür gebührt ihr besondere Anerkennung. Allen Redakteuren ist zu bescheinigen, daß sie ihre Aufgabe stets aufopferungsvoll ausgefüllt haben, daß sie auch wissenschaftliche Eigenverantwortung an den Tag legten, was angesichts der besonderen Umstände nicht immer leicht war: Sie mußten stets zwischen dem Herausgeber, dem Redaktionsbeirat, den Autoren und dem Verlag den richtigen Weg einschlagen.

III. Wissenschaftlicher Beirat unterstützt die ifo Studien Im Jahre 1983 wurde ein wissenschaftlicher Beirat zu den ifo Studien gebildet, der Herausgeber und Redaktion tatkräftig unterstützte. Er bestand aus den Professoren Dr. Ernst Helmstädter, Universität Münster, Dr. Günter Poser, Technische Universität Darmstadt, und Dr. Hans Jürgen Ramser, Universität Konstanz. Es wurde damals der internationale Referee-Standard eingeführt. Jeweils zwei Referees stellten sich für Gutachten zur Verfügung. Der Beirat wurde ab 1993 erweitert durch Professor Dr. Gerd Ronning, Universität Tübingen, und ab 1994 durch Professor Dr. Jürgen Wolters, Freie Universität Berlin. Der Beirat konnte im übrigen auf den Rat vieler Referees zurückgreifen, ohne die die jeweilige Flut von angebotenen Aufsätzen nicht hätte bewältigt werden können. Die Zahl der zurückgewiesenen Angebote hat sich im Laufe der Zeit kontinuierlich erhöht. Sie dürfte gegen Ende der neunziger Jahre etwa 60% erreicht haben. Gerade seit dem "Neuanfang" von 1980 hat die Zeitschrift ihre Stellung innerhalb der deutschsprachigen wissenschaftlichen ökonomischen Zeitschriften behauptet und ausgebaut.

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IV. Eigeninitiierte Tätigkeitsfelder Eine Zeitschrift, die lebendige Wissenschaft vermitteln will, ist nicht angewiesen auf Angebote, die mehr oder weniger zufällig auf sie zukommen. Sie lebt vielmehr auch von Eigeninitiativen, die gleichermaßen an Ereignissen, an Personen, an aktuellen und interessanten Themen ansetzen. Nur so ergibt sich eine Mischung aus von außen Angebotenem, das sich eine bekannte Zeitschrift für empirische Wirtschaftsforschung sucht, und von Eigeninitiiertem, das aktuelle und besonders wichtige Personen und Aspekte einfügt. Nur beides erreicht schließlich auch einen interessierten Leserkreis, entsprechende Abonnenten und ermöglicht es dem Verlag, eine solche Zeitschrift am Leben zu erhalten. Diese Eigeninitiative bestand, rückblickend, aus mancherlei Tätigkeitsfeldern. Ich greife hier vier heraus:

1. ifo Jubiläen

Da war einmal die Eigendarstellung des ifo Instituts. In den zwanzigjährigen Zeitraum fielen das vierzig- und das fünfzigjährige Jubiläum. Unter der Maßgabe, daß das ifo Institut immer nur zehnjährige Jubiläen zum Anlaß nahm, zurück- und vorauszublicken, haben Herausgeber, Beirat und Redaktion einige Persönlichkeiten in Jahre 1989 gebeten, ihre Gedanken niederzulegen, durchaus auch kritische (im Sinne der lebendigen Wissenschaft), um ifo damals zu "feiern". Heraus kam eine gelungene Gesamtschau von Themen, die durch jeweils kompetente Persönlichkeiten "zum Leben erweckt wurden". Sie soll kurz resümiert werden. In der ersten Rubrik "Kooperation zwischen Verwaltung, Wirtschaftspraxis, Instituten und Universitäten" war in zehn Beiträgen von Carl Wagenhöfer, Lothar Müller, Franz Kroppenstedt, Alfred E. Ott, Klaus Richter, Rudolf Scheid, Hans-Gerd Braun, Michael Jungblut, Otto Vogel und Wilhelm Wimmer die besondere Bedeutung eines Wirtschaftsforschungsinstituts als Mittler zwischen Wissenschaft und Praxis angesprochen worden. In der zweiten Rubrik "Konjunkturanalyse" waren in sieben Beiträgen von Norbert Bub, Rotger von Gustedt, Ernst Helmstädter, Gerd Ronning, Franz Schoser, Ludwig Schubert und Jürgen Wolters die besonderen Verdienste herausgestellt worden, die ein Konjunkturforschungsinstitut der Wissenschaft und Praxis zu vermitteln imstande ist. In der dritten Rubrik "Beratung politischer und unternehmerischer Entscheidungsprozesse" war in neun Beiträgen von Volkmar Köhler, Günter Poser, Helmut Geiger, Victor Hospach, Jürgen Husmann, Helmut Kramer, Ernst-Moritz Lipp, Erwin Möller und Alexander von Tippeiskirch zum Ausdruck gekommen, daß ifo die einen oder anderen verwertbaren Hinweise geben konnte, noch mehr, auch unmittelbar Prozesse im Vorfeld von Entscheidungen beeinflussen konnte. In der vierten Rubrik "Struktur- und Branchenforschung" waren in zehn Beiträgen von Otto Schlecht, Wolfgang Siewert, Joachim Zahn, Günther Herion, Werner Meißner, Ernst-Heinrich Stahr, Dieter Ullmann, Rudolf Schnieders, Günter W. Seidel und Gustav Sühler immer wieder Hinweise zu finden, daß das ifo Institut die einzelnen Branchenentwicklungen Wissenschaft-

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lieh begleitet hat und damit auch in der Analyse und der Zukunftsforschung dieser Branchen weiterführend wirken konnte. In der fünften Rubrik "Langfristige und technologische Entwicklungen" von Klaus Höher, Bernhard Gahlen, Friedrich-Karl Beier und Theo Bodewig, Erich Häußer, A. Wittmann und S. Greif sowie Rüdiger Zellentin kam insbesondere zum Tragen, daß sich das ifo Institut in zunehmendem Maße auch langfristigen und innovationsorientierten Forschungen zugewandt hatte. Die Reaktionen zeigten, daß hier ein wichtiges, zukunftsgerichtetes Forschungsfeld erkannt und verfolgt wurde. Das fünfzigjährige Jubiläum fand Ausdruck im Doppelheft 1-2/99 der ifo Studien mit einem Umfang von 280 Seiten. Herausragend waren hier die von außen kommenden Grußworte, 72 an der Zahl, sowie die beeindruckenden Schilderungen der ifo Mitarbeiter über die in den vergangenen 50 Jahren geleisteten Arbeiten.

2. Surveys über fachliche Entwicklungen

Es steht einer wissenschaftlichen Zeitschrift gut an, wenn sie auch Surveys über wichtige fachliche Entwicklungen anbietet. Ich möchte hier folgende herausgreifen: •

1982: Gunther Tichy: Neuere Entwicklungen in der Konjunkturtheorie (28. Jg., S. 213-238),



1982: Wolfgang F. Stolper: Schumpeters Theorie der Innovationen (28. Jg., S. 239-270),



1983: Nicholas Kaldor: Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Theorien von Keynes, Kalecki und Rüstow (29. Jg., S. 1-10),



1983: Günter Menges: Unscharfe Konzepte in der Ökonometrie (29.Jg., S. 163-173),



1988: Hans Jürgen Ramser: Neuere Beiträge zur Konjunkturtheorie: ein Überblick (34. Jg., S. 95-115),



1988: Bennett T. McCallum: Entwicklungen der Konjunkturtheorie in der Nachkriegszeit: Eine gemäßigt klassische Perspektive (34. Jg., S. 175-191),



1988: R.J. Gordon: Entwicklungen der Konjunkturtheorie in der Nachkriegszeit: Eine konsequent neukeynesianische Perspektive (34. Jg., S. 193-221),



1989: Helmut Seitz: Die Quantifizierung von Tendenzbefragungsdaten: Ein Überblick (35. Jg., S. 1-26), 1992: Michael Braulke: Quo vadis I. 0.? Stand und Entwicklungsperspektiven der Industrieökonomik (38. Jg., S. 255-269),

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1992: Werner Güth: Spieltheorie und Industrieökonomik - Muß Liebe weh tun-(38. Jg., S. 271-316),



1993: Frieder Meyer-Krahmer und Ulrich Schmoch: Die Innovationsproblematik aus Sicht der angewandten Innovationsforschung (39. Jg., S. 191-219),



1994: Werner Güth: On the Scientific Work of John C. Harsanyi, John F. Nash, and Reinhard Selten (40. Jg., S. 251-281),



1998: Jörg Breitung: Neuere Entwicklungen auf dem Gebiet ökonometrischer Strukturmodelle: Strukturelle Vektorautoregressionen (44. Jg., S. 371-392).

In den hier betrachteten zwanzig Jahren haben sich also folgende Schwerpunkte bei der Survey-Darbietung herausgebildet: Konjunkturtheorie (Tichy, Ramser, Gordon, McCallum), Innovationsforschung (Stolper, MayerKrahmer/Schmoch), Industrieökonomik (Güth, Braulke) und ökonometrische Modelle (Menges, Seitz, Breitung). Kaldor hat die Keynesianische Theorie (unter Beachtung von Kalecki und Rüstow) besprochen, wobei er damals (1983) davon ausging, daß "die mit dem Namen Keynes verbundene makroökonomische Theorie eine triumphale Wiederkehr erleben wird" (S. 10). Diese Prognose ist bislang noch nicht eingetroffen.

3. Geburtstage und Ehrungen

Einer schon früher geübten Regel folgend, sind herausragende Ereignisse, wie runde Geburtstage oder Ehrungen besonders berücksichtigt worden. Im Rahmen der zwanzigjährigen Veröffentlichung waren das: •

1981: Beiträge zum 75. Geburtstag von Dr. Gerd Tacke (27. Jg., Heft 23) Knut Borchardt hat hier die Würdigung auch anläßlich der Tatsache verfaßt, daß Tacke zehn Jahre Vorsitzender des Kuratoriums und des Vorstandsrates des ifo Institutes war.



1986: Beiträge zum 65. Geburtstag von Dr. Werner H. Strigel (32. Jg., Heft 1-3) Günter Poser hat hier die Einführung übernommen. Strigel wird zu recht als Pionier und Innovator von Konjunkturindikatoren genannt, die auf Befragungsergebnissen des ifo Instituts basieren.



1992: Beiträge zu den Arbeiten von Prof. Borchardt (38. Jg., Heft 2) Karl Heinrich Oppenländer hat die Laudatio anläßlich der Verdienste Borchardts im Vorstand, Vorstandsrat und Kuratorium des ifo Instituts verfaßt; Reinhard Spree hat sich mit Borchardt unterhalten ("Spezialist für Komplexität - Knut Borchardt im Gespräch",

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Karl Heinrich Oppenländer S. 107-131).



1995: Beiträge zu den Arbeiten von Prof. Anderson jun. (41. Jg., Heft 4) Gerd Ronning und Jutta Pröls würdigen das wissenschaftliche Werk von Prof. Anderson jun.



1997: Beiträge zum 65 Geburtstag von Prof. Oppenländer (43. Jg., Heft

2) Günter Poser gibt eine kurze Einführung in das wissenschaftliche Symposium, das anläßlich des 65. Geburtstages von Prof. Oppenländer in München stattfand. •

1999: Beiträge zum 75. Geburtstag von Prof. Helmstädter (45. Jg., Heft 4) Jürgen Heubes konnte für diesen Band als Gastherausgeber gewonnen werden. Weitere Gastherausgeber sind Bernd Meyer und Ulrich Heilemann.

Die genannten Würdigungen dokumentieren in eindrucksvoller Weise die Schwerpunkte der Interessen der jeweiligen Persönlichkeiten. Sie vermitteln aber auch die Vielfalt an Themen, mit denen sich die empirische Wirtschaftsforschung befaßt. So ist den hier genannten Heften zu entnehmen, daß sich Takke vor allem für internationale Probleme, vornehmlich der Entwicklungsländer interessierte, aber auch für dynamische Entwicklungen in der Unternehmenswelt, was in den Beiträgen zur Innovation zum Ausdruck kommt. Strigel war ein Promotor der ifo Umfragen. Entsprechend fielen die Beiträge aus: Sie behandeln methodische Probleme bei der Analyse von Befragungsdaten ebenso wie die Relevanz ihrer Aussagen für die Wirtschaftspolitik. Borchardt ist von der wirtschaftshistorischen Elite ein beeindruckender Band gewidmet worden. Anderson jun. wiederum, einer der Väter des ifo Konjunkturtests, der vor allem für die wissenschaftliche Verankerung des Tests sorgte, hatte ein breites Spektrum von Beiträgen zu ökonometrischen Problemen entgegenzunehmen. Das Heft zum Symposium anläßlich des 65. Geburtstages von Oppenländer war dem Thema "Fortschritte in Theorie, Empirie, Politik?" anhand von Beispielen aus der Konjunktur- und Wachstumsforschung gewidmet. Schließlich konnte Helmstädter viele Beiträge entgegennehmen, die aus seinen Schaffensgebeiten stammen, so Konjunkturanalyse, Wachstumsforschung und ähnliches.

4. Behandlung von aktuellen und brisanten Themen

Es bleibt die Aufgabe, auf einige Themen hinzuweisen, die in Spezialheften jeweils zur Veröffentlichung gelangten. Die ifo Studien befaßten sich im 26. Jahrgang (1980) mit den Bestimmungsund Investitionsneigung der Unternehmen gründen der Investitionstätigkeit sowie dem Ausmaß und den Auswirkungen der Staatsverschuldung f ein damals besonders heikles Thema, da in den siebziger Jahren die Staatsverschul-

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dung erstmals stark in die Höhe geschnellt war. Die Beiträge, die hauptsächlich aus der Feder von ifo Mitarbeitern stammten, sind auch heute noch lesenswert, die Problematik hat bis heute nichts an Brisanz und Aktualität eingebüßt. Ein Heft im 30. Jahrgang der ifo Studien (1984) greift die damals heftig diskutierte "Sättigungsthese" auf. Hans Möller war gern bereit, im Aufsatz "Wirtschaftliche Sättigung im Lichte der ökonomischen Theorie" grundsätzliche Anmerkungen zu machen und das Heft zu betreuen. Auch diese Thematik, die den Zustand abnehmender Wachstumsraten einer Volkswirtschaft und den langanhaltender hoher Arbeitslosigkeit behandelte, war damals schon interpretationsbedürftig. Die Diskussion hat übrigens, allerdings unter anderem Etikett, bis heute angehalten. Das Doppelheft 2-3 des 34. Jahrgangs der ifo Studien (1988) sowie in Fortsetzung das Doppelheft 2-3 des 36. Jahrgangs (1990) befaßten sich mit dem und Konjunkturprognose". Das ifo Thema "Verbindung von Konjunkturtheorie Institut hatte zu zwei Diskussionsforen (im Januar 1988 und im September 1989) eingeladen. Im Vorwort wurde von Oppenländer (1988, S. 91-93) darauf hingewiesen, daß es schwierig sei, eine unmittelbare Verbindung herzustellen, daß es andererseits ein dringendes Anliegen der empirischen Wirtschaftsforschung sein müßte, Grundlagen für die Konjunkturprognose durch die Konjunkturtheorie zu erhalten. Tichy bezeichnete den Gegensatz zwischen Theorie und Praxis damals als "große Konjunktur-Dichotomie", Grohmann verteilte sowohl an die Empirie (das Adäquationspostulat müsse hinreichend erfüllt werden) als auch an die Theorie (sie müsse der "Eigenart des Erfahrungsobjektes, seiner Komplexität, seiner Wandelbarkeit und seiner historischen und institutionellen Bedingtheit" mehr Rechnung tragen) weitere Aufgaben. Damals wurden nach einem Überblick über neuere Beiträge zur Konjunkturtheorie (Ramser) Horizonterweiterungen ins Auge gefaßt, so die "Erklärung der Wachstumsschwäche seit den 70er Jahren aus konjunktureller und langfristiger Perspektive" (Kromphardt) und "Probleme internationaler Konjunkturtransmission" (Vosgerau). Der Brückenschlag zwischen Theorie und Empirie wurde von Seitz unter die Lupe genommen ("Aktuelle Entwicklungstendenzen der Konjunkturforschung"), der Bezug zwischen Theorie und Prognose von Schelbert-Syfrig hergestellt ("Methoden und Probleme der Konjunkturprognose heute"). Die Betrachtung wurde fortgesetzt und zwar mit der "Praxis der Konjunkturprognose des ifo Instituts" (Krumper), mit einem Korreferat dazu von Ramser, sowie mit der "Praxis der Konjunkturprognose des Sachverständigenrates" (Barth), mit Korreferaten von Tichy und Helmstädter. In der Zusammenfassung der Diskussion des damaligen Kolloquiums (S. 131-169) wurde deutlich, daß sich in der Praxis längst zwei Fronten gebildet hatten, die der Theoretiker und die der Empiriker/Prognostiker. Das Fazit war enttäuschend: Man hatte den Eindruck, daß sich diese Polarisierung eher verfestigen denn auflösen würde. Im Oktober 1990 fand an der Universität Konstanz eine wissenschaftliche Tagung unter dem Titel "Analyse von Mikrodaten als Basis wirtschaftspolitischer Entscheidungen" statt. Die Ergebnisse wurden im 37. Jg. der ifo Studien (1991) abgedruckt. Wie Ronning und Zimmermann in ihrer Einführung "Mikro48 ifo Studien 1999

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Karl Heinrich Oppenländer

Ökonomie, MikroÖkonometrie und Wirtschaftspolitik" (S. 189-200) darlegen, werden die mikroökonomischen Entscheidungsträger private Haushalte und Unternehmen betrachtet. Zimmermann und Schwalbach untersuchen die Bedeutung der Unternehmensgröße für Invention, Patentaktivität und Innovation (S. 201-227), Arminger und Ronning die "potentiell destabilisierende Rolle" der Lagerhaltung im Rahmen der Konjunkturtheorie (S. 229-254). Drei Aufsätze (Flaig, Hujer und Schnabel, Leisney) analysieren Probleme aus dem Entscheidungsbereich der privaten Haushalte (Besitz und Nutzung von Haushaltsgeräten, S. 255-270, intertemporales Arbeitsangebot, S. 271-296, mikroökonometrische Untersuchung von Aggregationsproblemen, S. 315-348). Buttler und Bellmann beschäftigen sich mit dem Arbeitsmarkt ("Mikroanalyse des Arbeitsmarktes mit Individualdaten der Sozialversicherungsträger: Einkommensverluste bei Freisetzung", S. 297-314). Das Charakteristische dieses wissenschaftlichen Symposiums war, daß fünf der Beiträge "Individualdaten und solide mikroökonometrische Verfahren" verwenden (Ronning und Zimmermann, S. 196). Die ifo Studien waren Mitte der neunziger Jahre das Forum für den Ausschuß Industrieökonomik im Verein für Socialpolitik. In verschiedenen Jahrgängen wurden ausgewählte Referate, die auf den jeweiligen Tagungen gehalten wurden, abgedruckt. Die Einführungen von Ramser im 38. Jg. (1992), S. 251-252, von Ramser ("Industrieökonomik und Innovationstheorie") im 39. Jg. (1993), S. 155-158, von Picot ("Industrieökonomik und Finanzmärkte") im 41. Jg. (1995), S. 1-2 und von Blattner ("Industrieökonomik: Neuere und ältere Themen") im 42. Jg. (1996), S. 447-448 zeugen davon. Ramser sagt dazu: "Die ifo Studien, die sich ausdrücklich als Diskussionsforum für theoretische und empirische Analysen verstehen, sind unter den deutschsprachigen Zeitschriften in ganz besonderer Weise für eine Publikation industrieökonomischer Arbeiten attraktiv" (1992, S. 251). Ein weiterer Themenkreis, Wachstum und Beschäftigung, wurde im 40. Jg. (1994) als Schwerpunkt behandelt, ausgehend von einem im ifo Institut abgehaltenen Symposium und dem Schwerpunktthema der ifo Jahresversammlung im Jahre 1994. Die Artikel von Hof "Beschäftigungsschwelle und Wachstum was besagt die Empirie?" (S. 127-144), Oppenländer "Arbeitslosigkeit und Beschäftigungspolitik" (S. 283-303) und Hahn "Wachstum und Arbeitslosigkeit Neue Erkenntnisse aus der Wachstumstheorie" (S. 305-319) sind weiter aktuell, da uns das Problem der hohen Arbeitslosigkeit nach wie vor verfolgt. Herausgeber und Beirat der ifo Studien haben im Oktober 1995 ein Symposium an der Universität Tübingen initiiert, das unter dem Thema "Saisonbereinigung und Konjunkturanalyse" neueste Forschungsergebnisse zusammenfaßte. Im 42. Jahrgang der ifo Studien (1996) sind die wichtigsten Referate abgedruckt. In seiner Einführung bemerkt Wolters ("Neuere Verfahren der Saisonbereinigung", S. 279-286), "daß das Problem der Modellierung und Eliminierung von saisonalen Bewegungen in makroökonomischen Zeitreihen insbesondere im Hinblick auf die Konjunkturdiagnose und -prognose auch international sehr vielfältig und teilweise kontrovers diskutiert wird" (S. 282). Beiträge von Schips, Heiler und Feng, Pauly sowie Heilemann und Barabas haben versucht, nicht nur Diagnosen zu stellen, sondern auch Therapievorschläge gemacht. Das

Zwanzig Jahre ifo Studien: Lebendige Wissenschaft

749

Kontroverse wurde in der Generaldiskussion (Helmstädter: "Die Grundlinien der Generaldiskussion", S. 439-441) noch einmal festgehalten.

V. Schlußbetrachtung Auf ca. 8000 Seiten haben die ifo Studien als Zeitschrift für empirische Wirtschaftsforschung in zwanzig Jahren ein Programm abgedeckt, das formal Aufsätze, Schrifttum, Buchbesprechungen, ein Angebot von neuen Büchern zur Besprechung sowie Informationen für Call for Papers verschiedener fachbezogener Gesellschaften bot. Die Angebote für die Aufsätze kamen von außen, auch von innen (ifo Institut), Aufsätze waren in Sonderheften Persönlichkeiten gewidmet, ebenso wurden wichtige Ergebnisse von eigeninitiierten Symposien abgedruckt. Vorbild war die empirische Wirtschaftsforschung. In der Regel wurde Wert darauf gelegt, daß der Ausgangspunkt Datensammlungen waren, also Informationen, die Neues einbrachten, da diese Sammlungen meistens auf Befragungen aufgebaut waren. Es sollte dann darum gehen, diese Daten mit Methoden zu analysieren, die meist den neuesten ökonometrischen Erkenntnissen entsprachen. Ergebnisse waren erwünscht, die der Politik Hinweise geben konnten. Das war sicherlich ein Idealzustand, der beschrieben wurde, er konnte nicht immer verwirklicht werden. Zu sehr war oft eine Mischung von aktuellen Problemen und angewandter Theorie zu präsentieren, die oft nicht in sich abgeschlossen war und der kritischen Durchleuchtung und der wissenschaftlichen Diskussion - das entsprach dem Werkstattcharakter - bedurfte. Dafür waren aber die ifo Studien geschaffen worden. Schließlich waren auch Themen relevant, die sich der Zukunftsforschung verschrieben hatten, die die kurze oder auch längere Frist behandelten und die sowohl mikro- als auch makroökonomisch orientiert waren. Ein Schwerpunkt lag sicherlich in der Konjunkturforschung, der Theorien als Erklärungsansatz, aber auch der Präsentation von neuen Daten und ihrer Analyse durch ökonometrische Methoden. Das war aus dem Ursprung des ifo Instituts abzuleiten, das sich immer praxisorientiert, wissenschaftlich anwendungsbezogen und wirtschaftspolitisch weiterführend verstand. Dabei stand durchaus der mikroökonomische Ansatz (Verhaltensweise von Unternehmen und Konsumenten, Branchenentwicklungen) im Vordergrund. Lebendige Wissenschaft, das sollte praktiziert werden, das diente auch als Motto, wenn anläßlich von ifo Jubiläen die Aktivitäten des ifo Instituts durchleuchtet wurden, wenn dem Institut nahestehende Persönlichkeiten gewürdigt wurden. Darüber hinaus sollten aber auch Surveys über fachliche Entwicklungen nicht zu kurz kommen, wobei gleichermaßen Theoriefelder, Methodenmodelle und angewandete Ökonomie behandelt wurden. Insofern sind zwanzig Jahre ifo Studien auch ein Spiegelbild der wirtschaftswissenschaftlichen Entwicklung mit ihren Schwerpunkten und ihren immerwährenden Diskussionsthemen. 48*

Anschriften der Autoren

Prof. Dr. Mariin J. Beckmann, TU München, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Arcisstraße 21, D-80333 München und Department of Economics, Brown University, Providence R.I. 02912, U.S.A. Prof. Dr. Reinhard Blum , Universität Augsburg, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, Universitätsstraße 16, D-86135 Augsburg Prof. Dr. Holger Bonus, Universität Münster, Institut für Genossenschaftswesen, Am Stadtgraben 9, D-48143 Münster Prof. Dr. Gustav Dieckheuer, Universität Münster, Institut für Industriewirtschaftliche Forschung, Am Stadtgraben 9, D-48143 Münster Dr. Siegfried München

Greif,

Deutsches Patent- und Markenamt, Zweibrückenstraße 12, D-80331

Prof. Dr. Frank Haller, BAW, Institut für Wirtschaftsforschung GmbH, Wilhelm-HerbstStraße 5, D-28359 Bremen Prof. Dr. Ulrich Heilemann, Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), Hohenzollernstraße 1-3, D-45128 Essen und Gerhard-Mercator-Universität Gesamthochschule Duisburg Prof. Dr. Jürgen Heubes, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Regensburg, Institut für Volkswirtschaftslehre, Universitätsstraße 31, D-93053 Regensburg Prof. Dr. Wilhelm Krelle, Am Domblick 15, D-53177 Bonn Prof. Dr. Bernd Meyer, Universität Osnabrück, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Fachgebiet Makroökonomische Theorie, Rolandstraße 8, D- 49069 Osnabrück Prof. Dr. Karl Heinrich Oppenländer, ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Poschingerstraße 5, D-81679 München Dr. Markus Früher, Universität München, Seminar für Kapitalmarktforschung und Finanzierung, Schackstraße 4, D-80539 München Prof. Dr. Bernd Rudolph, Universität München, Seminar für Kapitalmarktforschung und Finanzierung, Schackstraße 4, D-80539 München Prof. Dr. Dr. h.c. Jochen Schumann, Universität Münster, Universitätsstraße 14-16, D-48143 Münster Prof. Dr. Horst Siebert, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Düsternbrooker Weg 120, D-24105 Kiel Dr. Jürgen Stehn, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Düsternbrooker Weg 120, D-24105 Kiel

752

Anschriften der Autoren

Prof. Dr. Götz Uebe, Universität der Bundeswehr Hamburg, Fachbereich Wirtschafts- und Organisationswissenschaften, D-22039 Hamburg Prof. Kimio Uno, Ph.D., Keio-University, Tokio, 5322 Fujisawa, 252-8520, Japan Prof. Dr. Adolf Wagner, Universität Leipzig, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Institut für empirische Wirtschaftsforschung, Marschnerstraße 31, D-04109 Leipzig

ifo Studien Zeitschrift für empirische Wirtschaftsforschung

45. Jahrgang · 1999/1-4

Duncker & Humblot / Berlin · München

Diese Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes bedarf der Zustimmung des Verlages. Die ifo Studien erscheinen in vier Heften jährlich. Herausgeber: Prof. Dr. Karl Heinrich Oppenländer, Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung. Schriftleitung: Dr. Marga Jennewein. Postfach 86 04 60,81631 München. Beirat: Prof. Dr. Ernst Helmstädter, Münster Prof. Dr. Günter Poser, Darmstadt Prof. Dr. Hans-Jürgen Ramser, Konstanz Prof. Dr. Gerd Ronning, Tübingen Prof. Dr. Jürgen Wolters, Berlin Verlag: Duncker & Humblot GmbH, Postfach 41 03 29,12113 Berlin. Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin. ISSN 0018-9731

Inhaltsverzeichnis zum 45. Jahrgang 1999

Aufsätze Anderhub, Vital and Werner Güth : On Intertemporal Allocation Behavior - A Selective Survey of Saving Experiments 303 Beckmann, Martin J.: Dynamic Programming: An Overview Bellmann, Lutz, Dietmar Harhoff

501

und Norbert Schulz: Zur Analyse von Gründungen

und Schließungen auf Grundlage der Beschäftigtenstatistik Berninghaus, Siegfried,

435

Werner Güth , and Hans Jürgen Ramser How Competition in

Investing, Hiring, and Selling Affects (Un)Employment - An Analysis of Equilib449 rium Scenarios Blum, Reinhard: Globalisierung - Unsichtbare Hand oder globale Koalitionen Bonato, Leo, Robert St. Clair , and Rainer Winkelmann:

525

Survey Expectations of

Monetary Conditions in New Zealand - Determinants and Implications for the Transmission of Policy 411 Bonus, Holger. Laudatio für Professor Helmstädter anläßlich seiner Ernennung zum Ehrensenator der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zum 75. Geburtstag 493 Dieckheuer, Gustav: Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik in einer Währungsunion - Eine makroökonomische Analyse von Niveau- und Struktureffekten 591 Eli, Max und Rigmar Osterkamp: Ostforschung

245

Goldrian, Georg: Methodenfindung, Pionierleistungen

117

Grefermann,

Klaus: Industrieforschung

171

Greif, Siegfried: Der Beitrag der Wissenschaft zur Produktion technischen Wissens. Eine patentstatistische Analyse zu Forschung und Entwicklung 541

Inhaltsverzeichnis Grünewald, Liselotte: Veröffentlichungen der Forschungsergebnisse

111

Haller, Frank: Das Unternehmen Bremen - Strukturwandel im Wettbewerb

561

Heilemann, Ulrich: Zum Wandel der "Stilisierten Fakten" des westdeutschen Konjunkturzyklus 1955 bis 1994 621 Heilemann, Ulrich, Jürgen Heubes und Bernd Meyer. Vorwort

489

Heubes, Jürgen: Investitionsquote und Wirtschaftswachstum Hujer, Reinhard,

Kai-Oliver

Maurer and Marc Wellner.

663 The Effects of Public Sector

Sponsored Training on Unemployment Duration in West Germany - A Discrete Hazard Rate Model Based on a Matched Sample 371 Krelle, Wilhelm: Eine alternative Theorie des Konsumentenverhaltens - Ernst Helmstädter zum 75. Geburtstag 513 Laumer, Helmut Japan- und Chinaforschung

237

Mahlberg, Bernhard: Effizienz, Skalen- und Verbundvorteile deutscher Versicherer . 335 Meimberg, Rüdiger. Agrarforschung

203

Meyer, Bernd und Kimio Uno: COMPASS - Ein globales Energie-Wirtschaftsmodell Nerb, Gemot Unternehmens- und Konsumentenbefragungen Nierhaus, Wolfgang:

Konjunkturforschung

Oppenländer, Resonanz

Heinrich:

Karl

703

123 143

Fünfzig Jahre ifo Institut: Forschungsarbeiten und 109

Oppenländer, Karl Heinrich: Helmstädters M-Zyklus: Messung und Erklärungsansatz 641 Oppenländer, Karl Heinrich: Rückblick auf die Arbeit des ifo Instituts

253

Oppenländer, Karl Heinrich: Wachstum und Innovation

155

Oppenländer, Karl Heinrich: Zwanzig Jahre ifo Studien: Lebendige Wissenschaft Oppenländer, Karl Heinrich,

Sandra Waller und Heidemarie

nale Kooperationen und Netzwerke Parsche, Rüdiger, öffentliche Finanzen Ratzenberger, Ralf. Verkehrsforschung

.. 741

C. Sherman: Internatio-

131 151 209

Inhaltsverzeichnis Rudolph, Bernd und Markus Prüher.

Unternehmensfinanzierung in einem dynami-

schen Kontext Rußig, Volker

573 Bauforschung

189

Schaden, Barbara: Zwanzig Jahre Strukturberichterstattung Schönherr, Siegfried:

161

Entwicklungs- und Transformationsforschung

227

Schumann, Jochen: Die Problematik von Zurechnungen und Komponentenzerlegun-

gen mit dem statischen offenen Input-Output-Modell

719

Sherman, Heidemarie C.: Europaforschung

221

Siebert, Horst und Jürgen Stehn: Internationaler Handel, dynamischer Wettbewerb

und nationale Beschäftigungsstruktur: Eine Bestandsaufnahme für Deutschland

Sinn, Hans-Werner.

das ifo Institut

Stadler, Manfred:

729

Der Weg in die Zukunft - Aufgaben und Herausforderungen für

263

Dual Labor Markets, Unemployment, and Endogenous Growth

.. 283

Jäger, Uwe Chr.: Handels- und Wettbewerbsforschung

179

Uebe, Götz: Sektorale Entwicklung und Wachstum zu Beginn der Industrialisierung -

Der mathematische Ökonom Joseph Lang und seine Theorie wirtschaftlichen Wachstums 679

Wagner,

Adolf.

Die Tübinger Konzeption des Wirtschaftskreislaufs, Beiträge von

Ernst Helmstädter und aktuelle empirische Kreislaufaspekte. Randnotizen zur Kreislaufanalyse 653

Grußadressen Grußworte aus Europa und USA

3

Bundes- und Landespolitik: Hans Eichel (5), Werner Müller (6), Günter Rexrodt (8), Theodor Waigel (9), Uwe Jens (10), Otto Schlecht (11), Edmund Stoiber (12), Kurt Biedenkopf (13), Erwin Teufel (14), Kurt Faltlhauser ( 16), Otto Wiesheu (17), EU-Kommission: Martin Bangemann (19), Alexander Schaub (19), Wirtschaft: Walter Deuss (21), Wolfgang Eychmüller (21), Jürgen E. Schrempp (22), Horst Teltschik (23), Bernhard Walter (24), Zentralbanken: Hans Tietmeyer (27), Otmar Issing (28), Medien: Jürgen Jeske (31), Michael Jungblut (32), Hans Mundorf (33), Universitäten: Reinhard Blum (37), Andrea Boltho (38), Gottfried Bombach (40), Rudolf Brabeck (41), Günter Buttler (42), Jürgen Heubes (43), Wilhelm Krelle (44), Manfred Neumann (46), Hans Schneeweiß (47), Ulrich van Suntum (48), Adolf Wagner (50), Institute: Walter Deuss, Dietger Hahn (51), Willem Molle

Inhaltsverzeichnis (51), Gerd Ronning, Manfred

(54)

Stadler (52), Bernd Schips (53), Victor

Zamowitz

Grußworte aus Japan 55 Deutsche Institutionen in Japan: Frank Elbe (57), Manfred Dransfeld (57), Politik, Zentralbank und Entwicklungsbank: Taichi Sakaiya (61), Toshihiko Yoshino (62), Shosaku Murayama (63), Masami Kogayu (64), Wirtschaft: Takashi Imai (67), Yoh Kurosawa (67), Universitäten: Yoshihiro Tajima (71), I. Shirakawa (72), Yoshizo Arakawa (74), Chakashi Moriguchi (76), Institute und Stiftungen: Yoshihisa Akiyama (79), Shinji Fukukawa (80), Toyoo Gyohten (82), Kuniaki Hanamura (83), Shozo Hashimoto (84), Shinyasu Hoshino (85), Ken lijima (86), Yukio Kaibori (87), Hisao Kanamori (89), Koichi Kunisada (90), Kaneichi Maehara (91), Yosiharu Mani (92), Yuichiro Negatomi (93), Yasuhiro Nakasone (95), Hisaya Nara (96), Bunroku Yoshino (98)

Grußworte aus Taiwan R.O.C.:

101

Teng-hui Lee (103), P.K Chiang (104), Wie-Jao Chen (105), Jin-Tan Liu (106), Cheng-Cherng Chen (107)

Buchbesprechungen Arnold, Lutz: Wachstumstheorie (Karì Heinrich Oppenländer)

478

Bleischwitz, Raimund: Ressourcenproduktivität, Innovationen für Umwelt und Beschäftigung (Karl Heinrich Oppenländer) 478 Gerlach, Knut und Ronald Schettkat (Hrsg.): Beiträge zur neukeynesianischen Makroökonomie (Karl Heinrich Oppenländer) 475

Staroske, Uwe: Die Drei-Sektoren-Hypothese. Darstellung und kritische Würdigung aus heutiger Sicht (Karl Heinrich Oppenländer)

474

Steil, Fabian: Determinanten regionaler Unterschiede in der Gründungsdynamik - Eine empirische Analyse für die neuen Bundesländer (Joachim Wagner) 470 Thomas, Hans und Leo A. Nefiodow (Hrsg.): Kondratieffs Zyklen der Wirtschaft. An der Schwelle neuer Vollbeschäftigung? (Karl Heinrich Oppenländeή 479 Trute, Hans-Heinrich: Die Forschung zwischen grundrechtlicher Freiheit und staatlicher Institutionalisierung (Karl Heinrich Oppenländer) 472

Inhaltsverzeichnis von Weizsäcker, Ορρβη^ηόβή

Robert Κ (Hrsg.): Bildung und Wirtschaftswachstum (Karl Heinrich 476

Wittschorek, Peter (Hrsg.): Agenda 2000 - Herausforderungen an die Europäische 469 Union und an Deutschland (Gerhard Schüsselbauer)

Neue Bücher

483

Anschriften der Autoren Vital Anderhub, Humboldt-Universität zu Berlin, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Institut für Wirtschaftstheorie, Spandauer Straße 1, D-10178 Berlin Prof. Dr. Martin J. Beckmann, TU München, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Arcisstraße 21, D-80333 München und Department of Economics, Brown University, Providence R.I. 02912, U.S.A. Dr. Lutz Bellmann, ΙΑΒ, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit, Regensburgerstraße 104, D-90327 Nürnberg Prof. Dr. Siegfried Berninghaus, Universität Karlsruhe, Institut für Statistik und Mathematische Wirtschaftstheorie, Rechenzentrum, Zirkel 2, D-76128 Karlsruhe Prof. Dr. Reinhard Blum, Universität Augsburg, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, Universitätsstraße 16, D-86135 Augsburg Leo Bonato, Economics Department, Reserve Bank of New Zealand, 2, The Terrace, PO Box 2498, Wellington, New Zealand Prof. Dr. Holger Bonus, Universität Münster, Institut für Genossenschaftswesen, Am Stadtgraben 9, D-48143 Münster Robert St. Clair, Economics Department, Reserve Bank of New Zealand, 2, The Terrace, PO Box 2498, Wellington, New Zealand Prof. Dr. Gustav Dieckheuer, Universität Münster, Institut für Industriewirtschaftliche Forschung, Am Stadtgraben 9, D-48143 Münster Prof. Dr. Max Eli, ifo Institut Dresden, Hermann-Prell-Straße 6, D-01324 Dresden Dr. Georg Goldrian, München

ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Poschingerstraße 5, D-81679

Dr. Klaus Grefermann, München Dr. Siegfried München

Greif,

Liselotte Grünewald, München

ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Poschingerstraße 5, D-81679

Deutsches Patent- und Markenamt, Zweibrückenstraße 12, D-80331 ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Poschingerstraße 5, D-81679

Prof. Dr. Werner Güth, Humboldt-Universität zu Berlin, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Institut für Wirtschaftstheorie, Spandauer Straße 1, D-10178 Berlin Prof. Dr. Frank Haller, BAW, Institut für Wirtschaftsforschung GmbH, Wilhelm-HerbstStraße 5, D-28359 Bremen Prof. Dietmar Harhoff, Ph.D., Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Innovationsforschung und Technologiemanagement, Ludwigstraße 28 RG III, D-80539 München und ZEW, Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, L7 1, Postfach 103443, D-68034 Mannheim

Anschriften der Autoren Prof. Dr. Ulrich Heilemann, Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), Hohenzollernstraße 1-3, D-45128 Essen und Gerhard-Mercator-Universität Gesamthochschule Duisburg Prof. Dr. Jürgen Heubes, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Regensburg, Institut für Volkswirtschaftslehre, Universitätsstraße 31, D-93053 Regensburg Prof. Dr. Reinhard Hujer, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Professur für Statistik und Ökonometrie, Mertonstraße 17, D-60054 Frankfurt am Main Prof. Dr. Wilhelm Krelle, Am Domblick 15, D-53177 Bonn Dr. Helmut Laumer, Luitpoldstraße 24, D-82131 Gauting Bernhard Mahlberg, Forschungsinstitut für Europafragen, Wirtschaftsuniversität Wien, Althanstraße 39-45, A-1090 Wien Dr. Kai-Oliver Maurer, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Professur für Statistik und Ökonometrie, Mertonstraße 17, D-60054 Frankfurt am Main Dr. Rüdiger Meimberg, ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Poschingerstraße 5, D-81679 München Prof. Dr. Bernd Meyer, Universität Osnabrück, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Fachgebiet Makroökonomische Theorie, Rolandstraße 8, D- 49069 Osnabrück Dr. Gernot Nerb, ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Poschingerstraße 5, D-81679 München Dr. Wolfgang Nierhaus, ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Poschingerstraße 5, D-81679 München Prof. Dr. Karl Heinrich Oppenländer, ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Poschingerstraße 5, D-81679 München Dr. Rigmar Osterkamp, ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Poschingerstraße 5, D-81679 München Rüdiger Parsche, ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Poschingerstraße 5, D-81679 München Dr. Markus Prüher, Universität München, Seminar für Kapitalmarktforschung und Finanzierung, Schackstraße 4, D-80539 München Prof. Dr. Hans Jürgen Ramser, Universität Konstanz, Fachbereich für Wirtschaftswissenschaften und Statistik, Universitätsstraße 10, D-78464 Konstanz Ralf Ratzenberger, München

ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Poschingerstraße 5, D-81679

Prof. Dr. Bernd Rudolph, Universität München, Seminar für Kapitalmarktforschung und Finanzierung, Schackstraße 4, D-80539 München Dr. Volker München

Rußig, ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Poschingerstraße 5, D-81679

Dr. Barbara Schaden, ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Poschingerstraße 5, D-81679 München

Anschriften der Autoren Prof. Dr. Siegfried 81679 München

Schönherr, ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Poschingerstraße 5, D-

Dr. Gerhard Schüsselbauer, Gesamteuropäisches Studienwerk e.V., Südfeldstraße 2-4, D-32602 Vlotho Prof. Norbert Schulz, Ph.D., Universität Würzburg, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre insbesondere Industrieökonomik, Sanderring 2, D-97070 Würzburg Prof. Dr. Dr. h.c. Jochen Schumann, Universität Münster, Universitätsstraße 14-16, D-48143 Münster Dr. Heidemarie C. Sherman, ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Poschingerstraße 5, D81679 München Prof. Dr. Horst Siebert, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Düsternbrooker Weg 120, D-24105 Kiel Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Werner Sinn, ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Poschingerstraße 5, D-81679 München Prof. Dr. Manfred Stadler, Wirtschaftswissenschaftliches Seminar der Universität Tübingen, Mohlstraße 38, D-72074 Tübingen Dr. Jürgen Stehn, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Düsternbrooker Weg 120, D-24105 Kiel Dr. Uwe Chr. Täger, ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Poschingerstraße 5, D-81679 München Prof. Dr. Götz Uebe, Universität der Bundeswehr Hamburg, Fachbereich Wirtschafts- und Organisationswissenschaften, D-22039 Hamburg Prof. Kimio Uno, Ph.D., Keio-University, Tokio, 5322 Fujisawa, 252-8520, Japan Prof. Dr. Adolf Wagner, Universität Leipzig, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Institut für empirische Wirtschaftsforschung, Marschnerstraße 31, D-04109 Leipzig Prof. Dr. Joachim Wagner, Universität Lüneburg, Fachbereich für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Institut für Volkswirtschaftslehre, D-21332 Lüneburg Sandra Waller, chen

ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Poschingerstraße 5, D-81679 Mün-

Marc Wellner, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Professur für Statistik und Ökonometrie, Mertonstraße 17, D-60054 Frankfurt am Main Dr. Rainer Winkelmann, IZA, Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit, SchaumburgLippe-Straße 9, D-53113 Bonn