Hosea und Amos: Studien zu den Anfängen des Dodekapropheten 316146477X, 9783161464775, 9783161578373

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Hosea und Amos: Studien zu den Anfängen des Dodekapropheten
 316146477X, 9783161464775, 9783161578373

Table of contents :
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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Grundsätzliches
1. Grundtendenzen gegenwärtiger Prophetenforschung (Der evangelische Erzieher. Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 36. Diesterweg Frankfurt – Berlin – München 1984. S. 6–22)
2. Das Proprium der alttestamentlichen Prophetic (Theologische Literaturzeitung 119, Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 1994, Sp. 483–494)
3. Die Anfänge des Dodekapropheton: Hosea und Amos (JOHN A. EMERTON (Hrg.). Congress Volume Paris 1992, Vetus Testamentum Supplement 61. Brill Leiden 1995. S. 87–106)
Hosea
4. Hosea 4–7. Beobachtungen zur Komposition des Buches Hosea (ANTONIUS H. J. GUNNEWEG – OTTO KAISER (Hrg.). Textgemäß. Aufsätze und Beiträge zur Hermeneutik des Alten Testaments, Festschrift für Ernst Würthwein, Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 1980, S. 47–58)
5. Zur Eschatologie des Hoseabuches (JÖRG JEREMIAS LOTHAR PERLITT (Hrg.). Die Botschaft und die Boten, Festschrift für Hans Walter Wolff, Neukirchener Verlag Neukirchen-Vluyn 1981. S. 217–234)
6. Der Begriff „Baal“ im Hoseabuch und seine Wirkungsgeschichte (WALTER DIETRICH – MARTIN A. KLOPFENSTEIN (Hrg.), Ein Gott allein? JHWH-Verehrung und biblischer Monotheismus im Kontext der israelitischen und altorientalischen Religionsgeschichte, OBO 139, Universitätsverlag Freiburg/Schweiz – Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 1994, S. 441–462)
7. „Ich bin wie ein Löwe für Efraim...“ (Hos 5,14). Aktualität und Allgemeingültigkeit im prophetischen Reden von Gott am Beispiel von Hos 5,8–14 („Ich will euer Gott werden“. Beispiele biblischen Redens von Gott. Stuttgarter Bibelstudien 100, Katholisches Bibelwerk Stuttgart 1981. S. 75–95)
8. Hoseas Einfluß auf das Jeremiabuch – ein traditionsgeschichtliches Problem (ARVID TÅNGBERG (Hrg.), Text and Theology. Festschrift für Magne Sæbo. Verbum Oslo 1994, S. 112–134)
Amos
9. Amos 3–6. Beobachtungen zur Entstehungsgeschichte eines Prophetenbuches (Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft 100. Supplement. de Gruyter Berlin – New York 1988. S. 123–138)
10. Völkersprüche und Visionsberichte im Amosbuch (VOLKMAR FRITZ KARL-FRIEDRICH POHLMANN HANS-CHRISTOPH SCHMITT (Hrg.). Prophet und Prophetenbuch. Festschrift für Otto Kaiser. BZAW 185, de Gruyter Berlin New York 1989. S. 82–97)
11. Zur Entstehung der Völkersprüche im Amosbuch (Bisher unveröffentlicht)
12. „Zwei Jahre vor dem Erdbeben“ (Am 1,1) (PETER MOMMER WINFRIED THIEL (Hrg.). Altes Testament Forschung und Wirkung, Festschrift für Henning Graf Reventlow. Peter Lang Frankfurt u.a. 1994, S. 15–31)
13. Die Mitte des Amosbuches (Am 4,4–13; 5,1–17) (Bisher unveröffentlicht)
14. Tod und Leben in Am 5,1–17 (RUDOLF MOSIS – LOTHAR RUPPERT (Hrg.), Der Weg zum Menschen. Festschrift für Alfons Deissler, Herder Freiburg – Basel – Wien 1989, S. 134–152)
15. Am 8,4–7 – ein Kommentar zu 2,6 f. (WALTER GROSS – HUBERT IRSIGLER – THEODOR SEIDL (Hrg.). Text, Methode und Grammatik, Festschrift für Wolfgang Richter, EOS-Verlag St. Ottilien 1991, S. 205–220)
16. Das unzugängliche Heiligtum. Zur letzten Vision des Amos (Am 9,1–4) (RÜDIGER BARTELMUS – THOMAS KRÜGER – HELMUT UTZSCHNEIDER (Hrg.), Konsequente Traditionsgeschichte, Festschrift für Klaus Baltzer. OBO 126. Universitätsverlag Freiburg/Schweiz Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 1993, S. 155–167)
17. Jakob im Amosbuch (MANFRED GÖRG (Hrg.). Die Väter Israels. Beiträge zur Theologie der Patriarchenüberlieferungen im Alten Testament. Festschrift für Josef Scharbert. Katholisches Bibelwerk Stuttgart 1989, S. 139–154)
18. Die Rolle des Propheten nach dem Amosbuch (Bisher unveröffentlicht)
Bibelstellenregister
Sachregister

Citation preview

Forschungen zum Alten Testament herausgegeben von Bernd Janowski und Hermann Spieckermann

13

Hosea und Arnos Studien zu den Anfängen des Dodekapropheton

von

Jörg Jeremias

ARTIBUS JJGXB ,M 8• O• I

J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen

Jörg Jeremias, geb. 1939, 1964 Promotion in Bonn. 1969 Habilitation in Heidelberg. 1972 o. Professor f ü r Altes Testament an der Ludwig-Maximilians-Universität München, seit 1994 an der Philipps-Universität Marburg.

Die Deutsche Bibliothek Jeremias,

-

CIP-Einheitsaufnahme

Jörg:

Hosea und Arnos : Studien zu den Anfängen des Dodekapropheton / von Jörg Jeremias. - Tübingen: M o h r 1996 (Forschungen zum Alten Testament ; 13) ISBN 3-16-146477-X NE: G T

978-3-16-157837-3 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019

© 1996 J. C. B. M o h r (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. D a s gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. D a s Buch wurde von ScreenArt in Wannweil aus der Times Antiqua gesetzt, von GuideDruck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier der Papierfabrik Weissenstein in Pforzheim gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0940-4155

Vorwort Die Mehrzahl der hier gesammelten Aufsätze entstand im Zuge der Kommentierung der Bücher Hosea (ATD 24/1, 1983) und Arnos (ATD 24/2, 1995). Sie sind entscheidend von der Überzeugung geprägt, die sich mir beim ständigen Lesen der biblischen Texte immer stärker aufdrängte: daß Prophetenbücher von Anbeginn etwas anderes sind als geordnete Sammlungen von einzelnen Prophetenworten. Vielmehr bilden sie weit stärker als bisher angenommen ein sachliches Ganzes, eine systematisch konzipierte Summe der prophetischen Botschaft, bei der die Texte nicht nur thematisch geordnet sind, sondern z. B. später stehende Texte die voranstehenden schon voraussetzen und auf sie anspielen und manche Texte von Anbeginn im Blick auf dieses Ganze hin entworfen worden sind. Bei der Kommentierung des Amosbuches gesellte sich eine zweite Erkenntnis hinzu: daß die Bücher Hosea und Arnos früh aufeinander bezogen wurden, um miteinander gelesen zu werden, sozusagen der rudimentäre Beginn einer Prophetentheologie. Es versteht sich von selbst, d a ß bei einer solchen Akzentuierung der Problemstellung den übergreifenden Fragen der Komposition und Redaktion der Prophetenbücher primäre Aufmerksamkeit gelten mußte. Aufsätze, die hier eine Antwort zu geben versuchen, stehen daher in den beiden Hauptteilen des Bandes jeweils voraus, gefolgt von Studien, die sich der Traditions- und Redaktionsgeschichte einzelner Perikopen zuwenden, ohne doch das Ganze des Buches aus dem Auge zu verlieren, und abgeschlossen von solchen, die die innerprophetische Wirkungsgeschichte exemplarisch verfolgen. Vorausgeschickt sind Erwägungen zu Grundsatzfragen: zu Hauptproblemen der Prophetenforschung, zur Schriftlichkeit der Prophetie und zu der schon erwähnten gegenseitigen Bezugnahme der Bücher Hosea und Arnos aufeinander. Drei der Aufsätze sind bisher unveröffentlicht, einer (Nr. 3) ist um ein Kapitel ergänzt worden. Bei den anderen habe ich nur in Ausnahmefällen Formulierungen verändert bzw. Literatur nachgetragen; sie erscheinen im wesentlichen unverändert. Gewisse Überschneidungen waren unvermeidbar; sie betreffen am stärksten die Beiträge Nr. 6 und 8, in denen eine exegetische Beobachtung (die Verwendung des Begriffes „Baal" im Hoseabuch) einmal religionsgeschichtlich, einmal traditionsgeschichtlich ausgewertet wurde.

IV

Vorwort

Zu danken habe ich meinen Mitarbeitern, Dr. Aaron Schart und insbesondere Christoph Rösel, für viele sachliche und technische Anregungen; letzterer hat mit großer Sorgfalt die Beiträge formal vereinheitlicht und das Register erstellt. Den Herausgebern danke ich für die Aufnahme der Aufsätze in die Reihe der FAT und hier besonders Herrn Kollegen B. Janowski, der die Anregung zu ihrer Veröffentlichung gab. Marburg, im Juli 1995

Jörg Jeremias

Inhaltsverzeichnis Vorwort

III Grundsätzliches

1. G r u n d t e n d e n z e n g e g e n w ä r t i g e r P r o p h e t e n f o r s c h u n g

1

Der evangelische Erzieher. Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 36, Diesterweg Frankfurt - Berlin - München 1984, S. 6 - 2 2 . 2.

Das Proprium der alttestamentlichen Prophetie

20

Theologische Literaturzeitung 119, Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 1994, Sp.

3.

483-494.

Die A n f ä n g e des D o d e k a p r o p h e t o n : Hosea und Arnos JOHN A . EMERTON

tum Supplement

34

(Hrg.), Congress Volume Paris 1 9 9 2 , Vetus TestamenBrill Leiden 1 9 9 5 , S. 8 7 - 1 0 6 .

61,

Hosea 4.

H o s e a 4 - 7 . B e o b a c h t u n g e n zur K o m p o s i t i o n des Buches H o s e a

55

A N T O N I U S H. J. G U N N E W H Ü - O T T O K A I S E R (Hrg.), Textgemäß. Aufsätze und Beiträge zur Hermeneutik des Alten Testaments, Festschrift für Ernst Würthwein, Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 1980, S. 4 7 - 5 8 .

5.

Z u r Eschatologie des H o s e a b u c h e s

67

L O T H A R P E R L I T T (Hrg.), Die Botschaft und die Boten, Festschrift für H a n s Walter Wölfl", Neukirchener Verlag NeukirchenVluyn 1981, S. 217-234. J Ö R G JEREMIAS -

6.

D e r Begriff „ B a a l " i m H o s e a b u c h u n d seine W i r k u n g s g e s c h i c h t e A. K L O P F E N S T E I N (Hrg.), Ein G o t t allein? J H W H - V e r e h r u n g und biblischer Monotheismus im Kontext der israelitischen und altorientalischen Religionsgeschichte, O B O 139, Universitätsverlag Freiburg/Schweiz - Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 1994, S. 441-462. WALTER DIETRICH -

MARTIN

86

VI 7.

Inhaltsverzeichnis „ I c h b i n wie ein L ö w e f ü r E f r a i m . . . " ( H o s 5,14). A k t u a l i t ä t u n d Allgemeingültigkeit im prophetischen R e d e n von G o t t a m Beispiel v o n H o s 5 , 8 - 1 4

104

„Ich will euer G o t t werden". Beispiele biblischen Redens von Stuttgarter Bibelstudien 100, Katholisches Bibel werk Stuttgart S. 7 5 - 9 5 . 8.

Gott. 1981.

H o s e a s E i n f l u ß a u f d a s J e r e m i a b u c h - ein traditionsgeschichtliches P r o b l e m

122

(Hrg.), Text and Theology, Festschrift für M a g n e Sasbo, Verbum Oslo 1994, S. 112-134. ARVID TÄNGBERG

Arnos 9.

A r n o s 3 - 6 . B e o b a c h t u n g e n zur Entstehungsgeschichte eines Prophetenbuches

142

Zeitschrift f ü r die Alttestamentliche Wissenschaft 100, Supplement, de G r u y t e r Berlin - N e w York 1988, S. 123-138. 10. V ö l k e r s p r ü c h e u n d V i s i o n s b e r i c h t e i m A m o s b u c h VOLKMAR

FRITZ

KARL-FRIEDRICH

POHLMANN

-

157 HANS-CHRISTOPH

(Hrg.), Prophet und P r o p h e t e n b u c h , Festschrift für O t t o Kaiser, B Z A W 185, de G r u y t e r Berlin N e w York 1989, S. 8 2 - 9 7 .

SCHMITT

11.

Z u r E n t s t e h u n g der Völkersprüche im A m o s b u c h

172

Bisher unveröffentlicht. 12.

„ Z w e i J a h r e v o r d e m E r d b e b e n " ( A m 1,1)

183

( H r g ), Altes Testament Forschung und W i r k u n g , Festschrift für H e n n i n g G r a f Reventlow, Peter L a n g F r a n k f u r t u. a. 1994, S. 15-31. PETER M O M M E R

13.

WINFRIED THIEL

D i e M i t t e d e s A m o s b u c h e s ( A m 4 , 4 - 1 3 ; 5,1 - 1 7 )

198

Bisher unveröffentlicht. 14. T o d u n d L e b e n in A m 5 , 1 - 1 7

214

Mosis - L O T H A R R U P P E R T (Hrg.), Der Weg z u m M e n s c h e n , Festschrift für Alfons Deissler, H e r d e r Freiburg - Basel - Wien 1989, S. 134-152. RUDOLF

15.

A m 8 , 4 - 7 - e i n K o m m e n t a r z u 2 , 6 f. G R O S S - H U B E R T I R S I G L E R - T H E O D O R S E I D L (Hrg.), Text, M e t h o d e u n d G r a m m a t i k , Festschrift f ü r Wolfgang Richter, EOS-Verlag St. Ottilien 1991, S. 2 0 5 - 2 2 0 .

WALTER

231

Inhaltsverzeichnis 16.

VII

D a s unzugängliche Heiligtum. Z u r letzten Vision des A m o s (Am 9,1-4) RÜDIGER

BARTELMUS

-

THOMAS

KRÜGER

-

HELMUT

244

UTZSCHNEIDER

(Hrg.), Konsequente Traditionsgeschichte, Festschrift für K l a u s Baltzer, O B O 126, Universitätsverlag Freiburg/Schweiz - Vandenhoeck & R u p recht Göttingen 1993, S. 155-167. 17.

J a k o b im A m o s b u c h

257

MANFRED GÖRG (Hrg.), Die Väter Israels. Beiträge zur Theologie der Patriarchenüberlieferungen im Alten Testament, Festschrift für Josef Scharbert, Katholisches Bibelwerk Stuttgart 1989, S. 139-154. 18.

Die Rolle des P r o p h e t e n n a c h d e m A m o s b u c h

272

Bisher unveröffentlicht. Bibelstellenregister

285

Sachregister

287

Grundsätzliches

1. Grundtendenzen gegenwärtiger Prophetenforschung i. 1. D a ß die Prophetie innerhalb des Alten Testaments eine Sonderstellung einnimmt, ist allen nachbiblischen Generationen bewußt gewesen. Die jüdische Tradition etwa teilt den K a n o n in drei Teile ein: Tora (5 Bücher Mose) - Nebiim (die Propheten) - Ketubim (die übrigen Schriften). Diese Einteilung spiegelt zugleich die Reihenfolge wider, in der die Schriften des Alten Testaments in den letzten Jahrhunderten vor Christi Geburt kanonische Geltung erlangt haben. Wenn dabei die älteren Geschichtswerke, die Bücher Josua bis 2 Könige, der mittleren G r u p p e zugerechnet werden, weil sie als prophetisch verfaßt gelten, so werden gleichzeitig die in diesen Geschichtswerken enthaltenen Prophetenerzählungen als ihr wichtigster Bestandteil herausgestellt. Sachgemäß werden diese Bücher als „frühere Propheten" von den „späteren Propheten" unterschieden; letztere Bezeichnung gilt den Propheten, mit deren Namen ganze biblische Bücher benannt werden. Mit dieser Differenzierung hält die jüdische Tradition den entscheidenden Einschnitt in der Geschichte der Prophetie fest: Erst von den „späteren" Propheten liegen Worte in systematischer Sammlung vor, während zuvor über die „früheren Propheten" nur vereinzelte und selten schon früh miteinander verknüpfte Erzählungen überliefert sind. 2. Dennoch ist die Erkenntnis relativ jung, daß die alttestamentliche Prophetie ein für sich selbst zu beurteilendes Phänomen völlig eigener Art darstellt. Sie kommt deutlich etwa in der prägendsten Gesamtdarstellung alttestamentlichen Denkens in den letzten Jahren - in der Theologie G. v. RADS - zum Tragen, wo den Propheten ein eigener zweiter Band vorbehalten ist. Diese Erkenntnis verdankt sich erst bedeutenden Forschungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts und ist insbesondere mit den N a m e n JULIUS WELLHAUSEN u n d BERNHARD D U H M v e r b u n d e n .

F ü r die Prophetendeutung der Jahrhunderte zuvor mag es genügen, zwei repräsentative Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Im 3. Jahrhundert lehrte der jüdische Gelehrte SCHEMUEL, d a ß kein Prophet bevollmächtigt gewesen sei, etwas über die Tora Moses Hinausgehendes zu sagen 1 . Die

1

( H . S T R A C K - ) P . BILLERBECK, K o m m e n t a r z u m N T

III 2 7 9 .

2

Grundtendenzen

gegenwärtiger

Prophetenforschung

Tora wird damit zur Mitte der Schrift erklärt und begrenzt die prophetische Vollmacht, oder anders ausgedrückt: Mose wird zum Maßstab der rechten Lehre der Propheten. G a n z entsprechend hat LUTHER nach vielen Vorgängern in der westlichen Kirchengeschichte die Prophetie so definiert: „Prophetie war nichts anderes als die Darlegung, sozusagen die praktische Entfaltung des Gesetzes für die Gegenwart" 2 . Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein lagen Prophetie und Pentateuch theologisch weithin auf einer Ebene, nicht sachlich, sondern nur zeitlich voneinander geschieden. Zugespitzt formuliert: Es war die mosaische Tradition, die die Propheten als rechte Propheten legitimierte. Revolutionierend wirkte in dieser Situation die literarhistorische Beobachtung GRAFS, KUENHNS und WELLHAUSENS, daß weite Teile des Pentateuch, besonders die gesetzlichen Passagen, später als die klassischen Propheten niedergeschrieben worden sind. Damit traten diese Propheten plötzlich in ein völlig neues Licht. M a n verstand sie nun - unabhängig vom Gesetz - als Begründer einer neuen Phase der Glaubensgeschichte Israels. Von persönlicher und unmittelbarer Gottesbegegnung herkommend, erhoben sie „die Religion aus der Sphäre der Natur in die der Sittlichkeit ...; von jetzt ab kann sie sich höher entwickeln." 3 „Die (sc. prophetische) Moral zerstörte den nationalen Charakter der Religion ... Obwohl die Propheten durchaus keinen neuen Gottesbegriff aufstellten, so waren sie doch die Begründer des 'ethischen Monotheismus'" 4 . Weite Verbreitung fand der bekannte Satz B. DUHMS5: „Propheten sind die M ä n n e r des ewig Neuen". 3. Alle gegenwärtige Forschung an den Propheten fußt auf der Erkenntnis jener Epoche, zugleich aber steht die Forschung heute in ausgesprochener oder unausgesprochener Auseinandersetzung mit ihr. Denn daß die Propheten nicht so gottunmittelbar zu verstehen sind, wie es WELLHAUSEN und D U H M meinten, auch nicht einen so abrupten Einschnitt in der Geschichte des alttestamentlichen Glaubens herbeigeführt haben, ist heute übereinstimmender Basiskonsens aller Forscher. Noch viel weniger ist freilich ein unmittelbarer Rückgriff auf die Forschung vor WELLHAUSEN und D U H M möglich. Allerdings wird heute das Recht jener älteren Forschung darin anerkannt, daß auf der Basis der Erkenntnisse WELLHAUSENS und D U H M S neu nach den vorgegebenen Traditionen gefragt wird, auf die sich die Propheten beziehen - G. v. RAD konnte die Prophetie geradezu als ein ständiges Gespräch mit der Tradition definieren 6 die Annahme, diese 2 Prophetia enim nihil aliud q u a m expositio et (ut sie dixerim) praxis et applieatio legis fuit, WA VIII 105. 1 B. DUHM, Theologie der Propheten, B o n n 1875, 103. 4 J. WELLHAUSEN, Geschichte Israels, 1880, in: DERS., G r u n d r i s s e z u m AT, hrg. R.

SMEND, T B 2 7 , 1 9 6 5 , 4 8 f. 5 6

Israels P r o p h e t e n , T ü b i n g e n 2 1922, 8. T h e o l A T II, M ü n c h e n 1960, 187.

Grundtendenzen

gegenwärtiger

Prophelenforsehung

3

Überlieferung sei die Tora als ganze gewesen, ist freilich unmöglich geworden. Auch hat die Forschung seit WELLHAUSEN und D U H M immer wieder darauf hingewiesen, mit welch großer und zuvor unbekannter Freiheit die Propheten die überkommenen Traditionen neu deuten. Bevor der wichtigen Frage nach dem Verhältnis von Prophetie und Tradition aber näher nachgegangen wird (III), soll zunächst von der Funktion der Propheten und ihrer gesellschaftlichen Stellung die Rede sein (II). Abschließend werden in zwei kürzeren Abschnitten der Wahrheitsanspruch der Propheten (IV) und die Überlieferung ihrer Worte (V) gestreift, mit denen die Relevanz der Prophetie für die Gegenwart wesentlich zusammenhängt. Die grundlegende Unterscheidung von „früheren" und „späteren" Propheten (s. o.) ist insofern berücksichtigt, als Abschnitt II erstere, Abschnitt III—IV letztere ins Zentrum der Betrachtung rücken.

II. 1. Fragt man zunächst ganz vordergründig, welche Funktionen denn ein Prophet im alten Israel ausgeübt habe, so gibt das AT eine verwirrende Vielfalt an Antworten, die sich unmöglich in einem Satz zusammenfassen lassen. Das wird beispielhaft deutlich an Stellen, an denen das AT Gestalten der vorstaatlichen Frühzeit als Propheten bezeichnet oder aber mit prophetischen Kategorien darstellt (historisch sind uns Propheten seit der frühen Königszeit belegt; vgl. 1 Sam 10). So heißt Abraham Prophet, weil er durch seine vollmächtige Fürbitte das Leben Abimelechs zu retten vermag (Gen 20,7.17), Aaron, weil er im Auftrag eines anderen redet und insofern dessen „Mund" ist (Ex 4,16; 7,1), Mirjam als Sängerin ihres Liedes, das sie im Kreis anderer Frauen bei Musik und Tanz vorträgt (Ex 15,20), Deborah, weil sie einen militärischen Führer im Auftrag Jahwes zu seiner Funktion beruft (Ri 4,4), Samuel als Sprecher, dessen Worte Jahwe wahrmacht (1 Sam 3,19 f.; vgl. 2 Chr 35,18). Wenn schließlich das AT sagen will, daß Mose mehr war als alle Menschen vor und nach ihm, so kann es dies nicht besser tun, als indem es Moses Gottesverhältnis noch über das eines Propheten stellt (Num 12,6-8; Dtn 34,10), so gewiß seine Berufung (Ex 3 f.) und viele seiner Reden und Taten wie die eines Propheten beschrieben werden und Propheten von Mose her ihre Legitimation ableiten können (Num 11,16 f. 24 ff.; Dtn 18,15.18) 7 . Aus all dem entsteht nicht das Bild eines einheitlichen Prophetenstandes; vielmehr zeigen die Belege, daß die 7 Vgl. L. P E R L I T T , M o s e als Prophet, E v T h 31, 1971, 5 8 8 - 6 0 8 ; W. Z I M M E R L I , D e r „ P r o p h e t " im Pentateuch, in: Studien z u m Pentateuch, FS W. Kornfeld, Wien - Freiburg Basel 1977, 197-211.

4

Grundtendenzen

gegenwärtiger

Prophetenforschung

Gestalten der frühen Tradition Israels aufgrund ganz unterschiedlicher Funktionen, die sie ausübten, im Lauf der Geschichte Propheten genannt wurden. 2. Die Vielfalt prophetischer Funktionen wird allein schon daran erkennbar, d a ß uns im AT seit der Staatenbildung Propheten in Gruppen und als einzelne begegnen, und zwar jeweils in einer Vielfalt von Erscheinungsformen. Allein an Gruppenpropheten lernen wir nicht weniger als vier verschiedene Arten aus den Texten des AT kennen: a) In 1 Sam 10,5 ff. und 19,18 ff. treten uns für die Zeit Sauls (mit Mirjam und ihren Frauen vergleichbare) ekstatische Gruppenpropheten entgegen, die in Scharen umherziehen und sich in Häusern versammeln. Die Fülle erwähnter Musikinstrumente dient offensichtlich dazu, sich in Ekstase zu versetzen; freilich wird diese Ekstase zurückgeführt auf den Gottesgeist, der zugleich auf alle Menschen überspringt, die mit diesen verzückten Propheten auch nur zufällig in Berührung kommen. Ihre spezifische Funktion bleibt letztlich unklar, da uns von ihnen keine Worte überliefert sind. Offensichtlich aber ist m a n ihnen anfangs mit großer Verachtung entgegengetreten, wie sich etwa aus der Frage ergibt: „Wer ist denn deren Vater?" (1 Sam 10,12; vgl. auch Josuas Einwand gegen unkontrollierbare prophetische Ekstase in N u m 11,28: „Mein Herr, Mose, wehre ihnen!"). b) Zwei Jahrhunderte später lernen wir in 1 Kön 22 eine G r u p p e von 400 Propheten kennen, die unter einem namentlich genannten Leiter Dienst am Königshofe tun. Sie heißen (nur hier) Königspropheten und werden vom König bei wichtigen politischen Ereignissen zusammengerufen, um „Jahwe zu befragen", das heißt im vollmächtigen Gebet den Plan des Königs vor Jahwe zu bringen und Jahwes Antwort dem König zu vermelden. Die Könige wollen durch den Dienst der Propheten sicherstellen, daß ihr Vorhaben im Einklang mit dem göttlichen Willen steht. Insofern sind die Propheten ihrer Funktion nach - nicht dagegen der Gestalt ihrer Tätigkeit nach - den Kultspezialisten in Mesopotamien zu vergleichen, die den König durch Leberschau, Traumdeutung, Vogelschau oder Astrologie der Übereinstimmung seiner Pläne mit dem göttlichen Willen versichern. c) 2 Kön 2 ff. schildert um die gleiche Zeit ein völlig anderes Prophetentum: Prophetengruppen versammeln sich um Elisa, sie heißen ProphetenJünger, bilden eine Art Zunft und nennen ihren Leiter „Vater" 8 . Sie erhalten Unterricht in der Tradition und leben in klösterlichen Kommunen zu etwa 50 Personen mit ihren Familien zusammen. Sozial stammen sie offensichtlich aus der untersten Schicht, wie ihre Besitzverhältnisse nahelegen; es ist häufig vermutet worden, daß sie aus Protest gegen die feudale, kanaanisierte Wirtschaftsordnung zu religiösen Radikalisten wurden. 8 Vgl. H.-C. SCHMITT, Elisa, Gütersloh 1972; vgl. auch DERS., Prophetie und Tradition, Z T h K 74, 1977, 2 5 5 - 2 7 2 .

Grundtendenzen

gegenwärtiger

Prophetenforschung

5

d) Schließlich lernen wir aus einigen Psalmen (etwa Ps 12,6; 75,3 f.) und einigen Prophetenschriften (Habakuk und O b a d j a ) sogenannte Kultpropheten kennen, die am Tempel wirkten, vielleicht bei der Krönung eines Königs in Erscheinung traten (Ps 2,6 f.; 72; 110), häufiger und gewichtiger aber bei nationalen Unglücksfällen. In den Kasualgottesdiensten solcher Zeiten des Unheils - wir hören von Feindeinfall, Mißernte, Seuchen etc. war es ihre Aufgabe, im vollmächtigen Gebet G o t t um Wendung der Not zu bitten und ihn durch Beseitigung erkannter Schuldherde zu versöhnen 9 . Möglicherweise sind die Gruppen, mit denen sich Jeremia auseinandersetzte, solche Tempelpropheten gewesen. Ob wir mit dieser Unterscheidung von vier Typen das Phänomen der Gruppenprophetie im vorexilischen Israel auch nur einigermaßen vollständig beschrieben haben, wissen wir nicht, da die Texte keineswegs darauf angelegt sind, umfassende Nachrichten phänomenologischer Art zu geben. Vielmehr werden die unterschiedlichen Typen durchgehend mit dem gleichen Begriff X'ai bezeichnet wie auch die noch gleich zu nennenden Einzelpropheten; an einer Differenzierung unterschiedlicher Funktionen liegt den Texten also gerade nicht 1 0 . 3. Dennoch läßt sich andererseits deutlich aufweisen, d a ß die prophetischen Einzelgestalten der Frühzeit noch einmal anders zu bewerten sind als die Gruppenpropheten. G a d und N a t h a n etwa waren Vertraute Davids, aber nicht Hofpropheten im Sinne der zuvor genannten G r u p p e in 1 Kön 22; vielmehr waren sie an David persönlich gebunden (Gad schon lange, bevor David König war), und sie nahmen die Beratung des Königs auf die umfassendste Weise wahr, etwa im Falle des Tempelbaus, der Erziehung des Kronprinzen etc. Die anderen Einzelpropheten, die wir in Erzählungen der Königsbücher kennenlernen, wohnten nicht am Königshof, ja nicht einmal in der Hauptstadt (vgl. etwa Ahia von Silo, Elia und Elisa). Jedoch wird immer wieder davon berichtet, wie sie von Königen aufgesucht wurden - oft mittels offizieller Regierungsdelegationen, bei denen auch Priester fungierund offensichtlich sind die ten (2 Kön 19,2; 22,12; Jer 21,1; 37,3) Erzählungen um solcher herausgehobener Ereignisse willen überliefert 9 S. MOWINCKEL, Psalmenstudien III: Kultprophetie und prophetische Psalmen, Kristiania 1925; J. JEREMIAS, Kultprophetie und Gerichtsverkündigung in der späten Königszeit Israels, W M A N T 35, 1970; H . W . WOLFF, O b a d j a , Jona, BK XIV/3, 1977, 3 ff.; A. R. JOHNSON, The Cultic Prophet and Israels Psalmody, Cardiff 1979. Ältere Bezeichnungen sind in diesem Prophetenbegrifif aufgegangen, wie für den „Seher" 1 Sam 9,9 f. zeigt. - In jüngster Zeit ist eine weitergehende Differenzierung und Klassifizierung versucht worden mittels einer in den Humanwissenschaften gewonnenen Theoriebildung. So greift R. R. WILSON, Prophecy and Society in Ancient Israel, Philadelphia 1980, behutsam anthropologische Studien zur Prophetie auf, H. UTZSCHNEIDER, Hosea, O B O 31, 1980, die Theorie der Institution von P. L. BERGER und T. LUCKMANN, am kühnsten, anregendsten und anfechtbarsten D. L. PETERSEN, The Roles of Israels Prophets, JSOT.S 17, 1981, soziologische Rollentheorien.

6

Grundtendenzen

gegenwärtiger

Prophetenforschung

(vom Besuch anderer Personen hören wir nur zufällig; vgl. 1 Sam 9,6 ff.; 2 Kön 4,22 f.). Insbesondere sind es wiederum Notlagen - oft wirtschaftlicher Art wie in 1 Kön 17-18 oder innen- beziehungsweise außenpolitischer Art wie in 2 Kön 22,8 f. bzw. Jer 37,3 ff. oder schließlich privater Art wie im Falle von Krankheit 1 Kön 14,1 ff. und 2 Kön 1,2 ff. - , die einen König veranlaßten, in eigener Person oder durch Mittelspersonen den Propheten aufzusuchen und ihn um seine vollmächtige Fürbitte zu „Jahwe, deinem G o t t " (2 Kön 19,4; Jer 42,2 f. 5 u. ö.) zu bitten; über den Propheten wollte er G o t t zum Guten beeinflussen, damit die N o t eine Wende finde. Von den mitgebrachten Gaben haben die Propheten offensichtlich weithin ihren Lebensunterhalt bestritten (vgl. 1 Sam 9,7 f.; 1 Kön 14,3; Mi 3,5 u. ö.). 4. Bis in unser Jahrhundert hinein hat man das Nebeneinander von Gruppen- und Einzelpropheten zumeist aus zwei Wurzeln erklärt. Als nächste Analogie zu den Einzelgestalten erschienen einzelne „Seher"Gestalten wie Bileam (Num 22-24) und Samuel (1 Sam 9) bzw. der KähTn der vorislamischen Araber, während die Gruppenpropheten aufgrund der teilweise genannten Ekstase und Bindung an den König als kanaanäisches Erbe betrachtet wurden. Die israelitische Prophetie hätte demnach zwei Wurzeln: eine aus der eigenen Vergangenheit in A n k n ü p f u n g an das nomadische Sehertum, eine zweite aus der Kulturlandtradition, die anfangs offensichtlich skeptisch beurteilten Gruppenpropheten. Diese Antwort hat im Groben bis heute Gültigkeit behalten. N u r wissen wir inzwischen, d a ß sie zu einfach ist. Seit Mitte der dreißiger Jahre ist uns erstmalig im Alten Orient eine wirkliche Analogie zu den frühen Einzelpropheten entgegengetreten: in den Keilschrifttexten von Mari am mittleren Euphrat aus dem 18.-17. Jahrhundert v. Chr., auf denen hohe Beamte in Gestalt von Briefen an den König Worte von Propheten im Land festhielten". Auch diese Propheten beriefen sich wie die alttestamentlichen Propheten auf eine Sendung Gottes und redeten im Auftrag Gottes zu dem König; im Formalen gibt es im einzelnen viele Parallelen. Vor allem läßt sich auch hier ein (im engeren Sinne) Berufsprophetentum am Tempel unterscheiden von einzelnen Laien, die plötzlich von einer Gottesbotschaft überfallen wurden; auch Gruppenpropheten sind belegt. Die Unterschiede sind freilich bei näherer Betrachtung gewichtiger als die Gemeinsamkeiten. Ich nenne andeutend nur drei: a) Es sind ausschließlich Forderungen der Tagespolitik an den König, besonders kultische Forderungen, die diese Propheten (neben Verheißungen und Warnungen) aussprechen: Reparatur eines Tempels, höhere Abgaben, bessere Unterrichtung über des Königs Pläne etc.

" F. ELLERMEIER, Prophetie in Mari und Israel, Herzberg 1968; E. NOORT, Untersuchungen zum Gottesbescheid in Mari, AOAT 202, 1977; A. MALAMAT, Mari and the Early Israelite Experience, Oxford 1989, bes. 70 fr. Vgl. ausführlicher den folgenden Beitrag.

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b) Diese Forderungen werden mit Drohungen im N a m e n der Gottheit für den Fall des Ungehorsams verbunden; dagegen findet sich nie eine aufgrund erfolgter Schuld an den König gerichtete Strafankündigung Gottes, wie sie etwa G a d und Nathan in den sogleich zu nennenden Kapiteln 2 Sam 12 und 24 aussprechen, c) Der Hauptunterschied aber besteht wohl darin, daß wir von den Worten der Maripropheten nur durch einen archäologischen Zufallsfund Kenntnis haben, während die Worte der alttestamentlichen Propheten in Erzählungen und später in Büchern systematisch überliefert wurden (vgl. dazu u. V.). 5. Auf einer höheren Abstraktionsebene lassen sich die vielfältigen prophetischen Funktionen vereinfachen mit Hilfe der religionssoziologischen Kategorien der „induktiven" Prophetie, bei der die Initiative zum Sprechen vom Propheten ausgeht, und der „intuitiven" Prophetie, bei der die Gottheit den Propheten zum Reden oder Handeln treibt. „Induktive" Funktionen haben die Propheten wahrgenommen, wenn Bittsteller zu ihnen mit der Absicht kamen, durch sie in einer (individuellen oder kollektiven) Notlage „Jahwe zu befragen". Mit einer solchen „Befragung" war nie nur die Einholung eines Orakels gemeint, sondern das vollmächtige Gebet des Propheten zugunsten der Wendung der Not, im Falle kollektiven Unheils am nationalen Fastentag. Sie bezeichnet also ein Heilswirken des Propheten für den einzelnen oder das Gottesvolk als ganzes; „Befragung Jahwes" und prophetische Fürbitte sind letztlich identisch 1 - . „Intuitive" Funktionen haben die Propheten vor allem dort wahrgenommen, wo sie im Namen Gottes ein sich mehr und mehr vom überkommenen Glauben lösendes, nach Autonomie strebendes und außerdem rechtlich nicht belangbares Königtum mit den Maßstäben des tradierten Jahweglaubens konfrontierten und ihm für geschehene Schuld Gottes Gericht ankündigten. Das geschah vor allem auf zwei Gebieten 1 3 : dem des Krieges und dem des Rechts. Den „heiligen Krieg" (bzw. genauer: Jahwekrieg) hatte das älteste Israel als das primäre Handlungsfeld Gottes erlebt, auf dem er kriegsunerfahrene N o m a d e n vor dem Heer einer Weltmacht retten konnte (Ex 14 f.; die alttestamentlichen Begriffe des „Wunders" und des „Glaubens" haben in dieser Erfahrung ihren Ursprung). Wenn jetzt der König mittels Konskription aller Heerbannpflichtigen den Krieg plante (2 Sam 24), wenn er selber das Ziel des Krieges und der Beute bestimmte (1 Sam 15), setzte er sich in den Augen der Propheten an Gottes Stelle. Das königliche Autonomiestreben, wie es schon in der Aufstellung eines stehenden Heeres aus Berufskriegern zum Ausdruck 12 J . JEREMIAS, aaO. [Anm. 9] 140-147; C. W E S T E R M A N N , Die Begriffe für Fragen und Suchen im AT, K u D 6. 1960, 2 ff. (= Ges. St. II T B 55, 1974, 162 ff.). 11 Z u Zeiten Elias tritt ein drittes Gebiet hinzu: der aus staatspolitischen Interessen geförderte Synkretismus (etwa die Hälfte der Einwohner des Staates waren Kanaanäer). Dem setzte Elia unerbittlich den Maßstab des ersten Gebotes entgegen (1 Kön 18; 2 Kön 1).

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kam, hieß für sie, daß die Könige ein Gebiet unter ihre Kontrolle nahmen, in dem bisher Gott für Israel gesorgt hatte 1 4 . Noch empfindlicher reagierten sie auf der Ebene des Rechts 1 5 . Wenn der König nicht die Schwächsten schützte, sondern statt dessen in ihre Ehe eingriff (2 Sam 12), wenn er die Bewahrung unveräußerlichen Familieneigentums geringer achtete als seine Eigeninteressen (und zur Durchsetzung auch vor Justizmord nicht zurückschreckte, 1 Kön 21); wenn er somit - kanaanäischem Empfinden gemäß Königsrecht als Kollektivrecht über das altüberlieferte israelitische Familienrecht stellte (das den Besitz der Familie sicherte, weil aller Besitz als Lehensgabe Gottes galt, Lev 25), dann war er des Todes schuldig. Ein Gottesvolk ist für diese Propheten nur unter dem Gottesrecht denkbar; so treten sie leidenschaftlich einem sich emanzipierenden und „fortschrittlichen" Königtum mit den Maßstäben der Tradition entgegen. 6. Was die unterschiedlichen Ausprägungen des frühen Prophetentums eint und es dem Alten Testament ermöglicht, sie mit einem Begriff zu bezeichnen, kommt umrißhaft auch in den Blick, wenn die Propheten mit den anderen beiden prägenden geistigen Ständen ihrer Zeit, mit den Priestern und (Weisheits-)Lehrern, verglichen werden 1 6 : a) Priester und Lehrer waren seit der Staatenbildung gleichsam „etablierte" und unentbehrliche Stände; für die Propheten läßt sich dies nicht oder jedenfalls nicht im gleichen M a ß e - behaupten, wie etwa Klagen über das Fehlen prophetischer Offenbarungsempfänge (1 Sam 3,1; 28,6 u. ö.) oder gar der Prophetie überhaupt (Ps 74,9: „Kein Prophet ist mehr da") beweisen. b) Priester und Lehrer waren klar umrissene Berufsstände mit deutlich umgrenzten Funktionen; sie waren ausnahmslos und selbstverständlich Männer. Unter den Propheten aber begegnet zusammen mit der Vielzahl an Funktionen auch eine Fülle von Frauen. c) Priester und Lehrer wurden in Institutionen ausgebildet, die man als Frühformen heutiger Fachschulen und Universitäten beschreiben könnte; eine solche staatliche Ausbildung haben Propheten üblicherweise offensichtlich nicht genossen (Ausnahmen bildeten die Elisa-Schüler; vgl. A m 7,14; Jes 8,16). d) Dem entspricht, d a ß sich Priester und Lehrer einer typischen Berufssprache bedienten, während sich im AT spezifisch prophetische Redeformen 14 G. v. RAD, Der Heilige Krieg im alten Israel, Göttingen 1958; F. STOLZ, Jahwes und Israels Kriege, A T h A N T 60, 1972. 15 F. HORST, Gottes Recht, T B 12, 1961; W. ZIMMERLI, D a s Gesetz und die Propheten, Göttingen 1963; H. J. BOECKER, Recht und Gesetz im AT und im AO, Neukirchen 1976. 16 O. PLÖGER, Priester und Prophet, ZAW 63, 1951, 157-92 (= Aus der Spätzeit des AT, Göttingen 1971, 7-42); A . C . WELCH, Prophet and Priest in Old Israel, Oxford 1953; W. H. SCHMIDT, Prophetisches Zukunftswort und priesterliche Verheißung, Kairos 12, 1970, 289-308; G. FOHRER, Priester und Prophet. K u D 17, 1971, 15-27.

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nur sehr selten nachweisen lassen. Die Propheten benutzten vielmehr fast durchweg Redeformen anderer Berufsstände - bis hin zu ihrem berühmten „So spricht Jahwe", von dem man seit langem weiß, daß es sich formal an Diplomatensprache anlehnt. e) Priester und Lehrer machten ihre Aussagen im Alltag unter Berufung auf Traditionen, in denen sie ausgebildet wurden und die ihnen die Maßstäbe für ihr Reden und Handeln lieferten; Propheten waren von keiner vergleichbaren Schultradition gedeckt. Sie bezogen sich statt dessen auf einen Gesamtwillen Gottes, wie sie ihn - oft in kühner Ausweitung und Verschärfung (s. u.) - den Überlieferungen der frühen Geschichte Israels entnahmen. Der Anspruch der Priester und Lehrer auf Autorität und Glaubwürdigkeit war also ungleich leichter überprüfbar als der entsprechende Anspruch der Propheten. 0 Jedoch gilt umgekehrt, daß dieser - schwerer nachprüfbare - Anspruch der Propheten erheblich weiter reichte als der Anspruch der Priester und Lehrer. Priester und Lehrer gaben in Gottesdienst, Unterricht und Unterweisung Ratschläge für konkrete Einzelsituationen. Propheten dagegen waren keineswegs Wahrsager, die behaupteten, ein beliebiges Einzelereignis voraussagen zu können, sondern sie traten mit dem Anspruch auf, aus unmittelbarem Gotteskontakt heraus eine Wahrheit für ihre Hörer zu bringen, an der sich Heil und Unheil, Leben und Tod der Hörer entscheiden sollten. Dem entspricht, daß es für die Berufungsberichte und Visionsschilderungen, mit denen sich die Propheten von Fall zu Fall legitimierten (s. u.), unter den Priestern und Lehrern nichts Vergleichbares gibt.

III. 1. Die „späteren Propheten" nach der jüdischen Tradition, häufig auch (mißverständlich) Schrift-Propheten genannt, haben offensichtlich grundsätzlich die gleichen Funktionen mit den gleichen Differenzierungen ausgeübt wie die Propheten vor ihnen (vgl. zur Befragung Jahwes etwa Jer 21; 37; 42). Was ihre soziale Stellung betrifft, so erfahren wir nur von einigen Präzises, sind bei anderen auf Rückschlüsse angewiesen und wissen von wieder anderen (etwa Hosea) gar nichts. Die drei „großen" Propheten gehörten zu den Gebildeten der Landeshauptstadt (die sich nach Jer 18,18 primär aus den drei Ständen der Priester, Weisen und Propheten zusammensetzten): Für Jesaja hat m a n dies seit langem aus seiner breiten Verwendung weisheitlicher Tradition geschlossen 17 , Jeremia wuchs als Sohn eines Prie17 J. FICHTNER, Jesaja unter den Weisen, T h L Z 74, 1949, 7 5 - 8 0 (= Gottes Weisheit, Stuttgart 1965, 18-26).

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sters unmittelbar vor den Toren Jerusalems auf und hat anscheinend in Jerusalem die Hauptzeit seines Lebens verbracht, Ezechiel ist offensichtlich selber Priester gewesen, wie aus Ez 1,3 und seinem starken Interesse an Tempel und sakralrechtlichen Ordnungen hervorgeht. Demgegenüber war Arnos ein begüterter Bauer, der Schafe züchtete (Am 1,1), Rinder besaß und außerdem Maulbeerfeigen im entfernten Jordangraben anbaute (7,14), Micha ein Bauer aus einer kleinen Stadt am Rand des Hügellandes der Schephela, vielleicht gleichzeitig Ortsältester und Sippenhaupt des Städtchens 1 8 . Schließlich ist - mit weniger gewichtigen Gründen - bäuerliche Tätigkeit auch für Haggai vermutet worden und umgekehrt für Sacharja priesterliche Herkunft 1 9 . Diese Gelegenheitsnachrichten spiegeln vor allem den Unterschied zwischen (Haupt-)Stadt und Land wider, wie er auch das prophetische Wirken beeinflußte. Die vor einigen Jahren vertretene These, die genannten Propheten seien insgesamt - und nicht nur einzelne unter ihnen wie H a b a k u k und O b a d j a (s. o.) - von einer Tätigkeit am Tempel her als Kultpropheten zu deuten 2 0 , hat keine Anhänger gefunden. Jedoch zeigt schon die neue Form der Überlieferung der Prophetenworte (s. u. V.), d a ß mit Arnos ein Einschnitt in der Geschichte der alttestamentlichen Prophetie vorliegt. Auffallen m u ß sogleich, daß sich der Kreis der Adressaten weitet: Nicht mehr nur der König ist vom Propheten angesprochen, sondern zumeist das ganze Volk Israel oder doch zumindest einzelne repräsentative Stände in ihm: Priester, Richter, Großgrundbesitzer. Völlig neuartig ist aber vor allem der Inhalt der prophetischen Gottesworte und ihr Verhältnis zur Tradition. In unüberbietbarer Härte klagen sie Israel als Ganzes an und sagen ihm aufgrund seiner Schuld die Aufkündigung des Gottesverhältnisses und damit das Ende seiner Existenz an: Gekommen ist das Ende für mein Volk Israel. (Am 8,2) Ihr seid nicht (mehr) mein Volk. (I los 1,9) Diese unerbittliche Gerichtsbotschaft der Propheten, die in solcher Härte das Gottesvolk mit seinem kommenden Untergang konfrontiert, ist in der Tat analogielos" 1 . Sie kann sich darum auch nicht in gleicher Weise auf die LX

H. W. WOLFF, Micha, BK XIV/4, 1982, XIV IT.; DFRS.. Mit Micha reden, M ü n c h e n ff. 19 W. A. M. BEUREN, Haggai - Sacharja 1- 8, Assen 1967, 197.221 ff, bzw. H. GESE, A n f a n g und Ende der Apokalyptik, dargestellt am Sacharjabuch, Z T h K 70, 1973, 39 f. (= Vom Sinai zum Zion, M ü n c h e n 1974, 221 f.). 20 Etwa A. H. J. GUNNEWEG, Mündliche und schriftliche Tradition der vorexilischen 1978, 30

Prophetenbücher,

FRLANT

73,

1959,

81 ff; H .

GRAF RFVFNTLOW,

Das

Amt

des

Propheten bei Arnos, F R L A N T 80, 1962. 21 Die Radikalität prophetischer Gerichtsbotschaft haben am stärksten H. W. WOLFF, (Joel-)Amos, BK XIV/2, 1969, und W. H. SCHMIDT, Zukunftsgewißheit und Gegenwartskritik. Grundzüge prophetischer Verkündigung, BSt 64, 1973, herausgearbeitet; sie haben damit ein Verständnis der vorexilischen Propheten als Rufer zur Umkehr (M. BUBER, D e r Glaube der Propheten, Zürich 1950 = Werke II, 1964, 231 ff; G. FOHRER, Studien zur atl.

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Tradition stützen wie die Verkündigung der älteren Propheten. Zwar war auch in dieser Tradition vielfach vom Versagen Israels die Rede - man denke etwa an die Erzählung vom Murren Israels gegen G o t t auf der Wüstenwanderung. Die Möglichkeit eines Endes seiner Bindung an Gott, die Möglichkeit seines Untergangs war aber in der älteren Tradition kaum je angedeutet. Vielmehr müssen die Propheten zuweilen die überkommenen Überlieferungen geradezu in ihr Gegenteil verkehren, um Israel zu verdeutlichen, welches Unheil von G o t t her auf es zukommt. War es Gott in alter Zeit, der die Kriege Israels führte und die Feinde in Schrecken versetzte, so kündet derselbe G o t t jetzt an: S t o ß t ins H o r n im L a n d , r u f t laut aus: S c h a r t euch z u s a m m e n ! Auf, hinein in die festen Städte! E m p o r d a s P a n i e r gegen Z i o n ! Flieht, verweilet nicht! D e n n U n h e i l f ü h r e ich von N o r d e n h e r a n und g r o ß e s Verderben. ( J e r 4 , 5 f.)

Das ist der Alarmruf eines Obersten in extremer Not. Das Ungewöhnliche besteht darin, daß derjenige, der hier warnt, vor keinem anderen warnt als vor sich selbst. G o t t führt das Heer der Feinde, Israel aber muß verwirrt fliehen; und auch der Zion rettet nicht! Israels alleiniger Helfer, zu seinem Feind geworden, führt Kriege gegen das Gottesvolk. Er führt die Kriege mit derselben Macht, mit der er zu Zeiten Davids die Israel überlegenen, kriegerisch geschulten Philister vor den Toren Jerusalems schlug: D e n n wie a m Berge Perazim wird J a h w e sich e r h e b e n , wie (einst) im Tal bei G i b e o n wird er w ü t e n , u m sein W e r k zu wirken - b e f r e m d l i c h sein Werk, u m seine Tat zu vollbringen f r e m d a r t i g seine Tat. (Jes 28,21)

Fremdartig ist die Tat, weil sie nicht zur Vernichtung der Feinde, sondern des Gottesvolkes führt. Israel bekommt also die gleiche Macht Gottes, die es früher heilvoll erlebte und der es seine Existenz verdankt, nun unheilvoll und gegen sich selbst gerichtet zu spüren, und das kann nur heißen: zu seiner Vernichtung. Die Heilsgeschichte wird aufgehoben, das Urbekenntnis Israels, daß G o t t es aus Ägypten herausgeführt habe, wird revoziert: Jetzt g e d e n k t er ihrer Schuld, a h n d e t ihre Vergehen: Sie m ü s s e n z u r ü c k n a c h Ä g y p t e n . ( H o s 8,13)

Weil es der gleiche G o t t ist, den Israel jetzt strafend erlebt, wie zuvor rettend und helfend, d a r u m ist das auf Israel zukommende Unheil kein partielles Prophetie, BZAW 99, 1967) abgewiesen. Vgl. zu dieser Kontroverse auch P. H. A. NEUMANN, D a s Prophetenverständnis in der deutschsprachigen Forschung seit H. Ewald, W d F 307, 1979; K. KOCH, Die Profeten, U T B 280-81, 1978-80; M995.

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oder vorübergehendes, das nur Wunden schlägt, sondern ein prinzipielles, totales, tötendes, vernichtendes, aus dem es keine Rettung gibt, solange sich nicht das Gottesvolk selber total ändert. Wege dazu werden nur ganz selten noch gewiesen: Suchet mich - d a n n lebt ihr! Sucht nicht Bet-El ..., d e n n Bet-El wird z u s c h a n d e n . ( A m 5,4 f.)

2. Nicht weniger kühn verwenden diese Propheten die alte Rechtstradition, um Israels Schuld aufzuzeigen, die zu solchem Unheil führt. Wenn Arnos Israel anklagt, das Schuldrecht so zu mißbrauchen, daß es Arme um guten Geldes willen wegen einer Bagatellschuld in Sklaverei verkauft, das Pfandrecht so zu übersteigern, daß dem Armen auch sein Mantel genommen wird, der seine einzige Zudecke in der Nacht ist, Richter so zu bestechen, daß der schuldlose Abhängige verurteilt wird statt des schuldigen Reichen (Am 2,6 f.; 5,10.12), so hatte auch das altisraelitische Recht derartige Praktiken in gleicher Weise oder doch wenigstens ähnlich untersagt. Allerdings bestand ein ganz wesentlicher Unterschied in der Perspektive. Wo das altisraelitische Recht mit der Verletzung solcher elementaren Grundsätze menschlichen Miteinanders rechnet, da werden zumeist als Strafen Ausschluß aus der Gemeinde oder sogar Tötung vorgesehen. Denn wer das von G o t t geschenkte Leben des anderen so herzlos mißachtet, kann nach diesem Denken nicht mehr Glied des Gottesvolkes sein, das seine Existenz der Rettungstat Gottes verdankt. Arnos dagegen, der die gleichen Fälle des Rechtsbruchs vor Augen hat, drängt nicht auf Bestrafung der Schuldigen, drängt nicht auf ihren Ausschluß aus der Gemeinde, sondern begründet mit diesem Aufweis den Untergang Israels. Diese Konsequenz war in den Rechtssätzen nicht angelegt. Arnos wie seine Nachfolger sehen Israel so von der Wurzel her verderbt, daß eine Heilung bzw. Reinigung des Volkes durch Bestrafung Alleinschuldiger unmöglich ist. Der Tatbestand, den der alte Rechtssatz und der Prophet ins Auge fassen, ist der gleiche aber Schuld wird hier und dort grundsätzlich anders gesehen: auf den einzelnen bezogen hier, in ihrer Auswirkung auf das Volksganze d o r t " . Diese Propheten sind unfähig, die aufgewiesenen Vergehen für sich zu sehen als heilbare Schäden im Blick auf das Volksganze; sie sind unfähig, ihr Volk mit den priesterlichen Kategorien von „gerecht" und „frevlerisch" - schuldlos und schuldig - zu beurteilen. Sie urteilen von einer Wirklichkeit des Gottesvolkes her, die entweder ganz vom erfahrenen Heil Gottes bestimmt ist - und zwar in allen Teilbereichen seiner Existenz - oder aber gar nicht. Angesichts solcher - verschärfter - Maßstäbe sehen sie ihr Volk wurzelhaft verderbt und begründen die rettungslose Verlorenheit des Volkes nun mit 22

G . v.

RAD, T h e o l A T

II,

1 9 6 0 , 4 1 0 ff.; W . H .

SCHMIDT, a a O . 5 7 ff 6 3 ff.;

M.-L.

HENRY, Prophet und Tradition, BZAW 116, 1969. Es gibt wenige Ausnahmen: Mi 2,5.6 ff etwa werden die Unterdrückten („mein Volk") vom Gericht ausgenommen.

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einer Tradition, die diese Konsequenz nie in den Blick gefaßt hat. So wird die Tradition im Gebrauch durch die Propheten sozusagen völlig überfordert: Wo ihre Intention dahin ging, Israel den Weg zum Heil zu weisen, indem es sich von einzelnen Frevlern trennt, ebendort muß dieselbe Tradition nun das Ende ganz Israels begründen. 3. G a n z analog wird auch etwa priesterliche Tradition von den Propheten „überfordert". Ich nenne wiederum ein Beispiel aus dem Propheten Arnos: Ich hasse, lehne a b eure Feste, k a n n eure gottesdienstlichen V e r s a m m l u n g e n nicht riechen. E u r e G a b e n will ich nicht, d a s O p f e r eures M a s t v i e h s s c h a u e ich nicht an. ( A m 5,21 f.)

Die Verben, die Arnos hier gebraucht, verwenden gemeinhin Priester. Auch sie können sagen, daß G o t t ein Opfer ablehne beziehungsweise nicht anschaue, insbesondere dann, wenn es sich um ein nicht fehlloses Tier handelt. Aber in priesterlichen Texten ist stets das Einzelopfer im Blick, über dessen Wohlgefälligkeit der Priester zu urteilen hat. Arnos und seine Nachfolger (vgl. etwa Jes 1,10 IT.; Jer 6,19.21; Hos 6,6 u. ö.) dagegen verkünden mit Hilfe dieser Tradition, daß Israels gesamter Gottesdienst Gott nicht mehr wohlgefällig sei; es sind „eure Feste", nicht „Feste für Jahwe" wie in der aufgegriffenen Tradition. Dabei sind sie keineswegs der Meinung, d a ß Gott kein Opfer mehr wolle, sondern sie urteilen, daß Israel die Grundlagen seines Gottesverhältnisses zugrunde gerichtet habe: Es wälze sich aber Recht wie Wasser h e r a n , Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach. ( A m 5,24)

Israel glaubt, Jahwe im Gottesdienst versöhnen zu können und zugleich im Alltag frei zu allem Unrecht zu sein. Diesem Israel sagen die klassischen Propheten an, daß seine gottesdienstliche Praxis Gott nicht mehr erreicht 2 3 . Damit bricht für diese Propheten das Ende Israels schon an. Mit der Wirkungslosigkeit des Gottesdienstes ist Israels Untergang nur noch eine Frage der Zeit. Wieder wird deutlich: Diese Konsequenz, d a ß G o t t nicht nur das Einzelopfer, sondern den gegenwärtigen Gottesdienst Israels als ganzen abweisen könne, war in der Tradition selber nirgends auch nur angelegt. Wo die Priester bisher dem einzelnen Gottesdienstbesucher Huld oder Abweisung Gottes ansagten, da verkünden die Propheten nun die Verwerfung ganz Israels und seines Kultes. Weil Israel ohne G o t t lebt, ist für sie auch sein Gottesdienst „Verbrechen" (Am 4,4). 4. Jedoch würden wir das Bild dieser Propheten und ihr Verhältnis zur Tradition verzeichnen, wenn wir ihre Heilsbotschaft außer Betracht ließen. 21 Vgl. zu diesem Sinn prophetischer Kultkritik F. HECHT, Eschatologie und Ritus bei den „Reformpropheten", Leiden 1971; J . JEREMIAS, aaO. [Anm. 9] 156 ff.

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Heil verkünden sie freilich zumeist nicht als eine gleichwertige zweite Handlungsweise Gottes für den Fall, daß Israel sich wieder wandelte, sondern üblicherweise meinen sie das Heil eines neuen Israel nach dem Gottesgericht beziehungsweise durch das Gericht hindurch. Sie erwarten, daß jenseits des Gerichts, dem seine Schärfe damit nicht genommen wird, der Rettungswille Gottes durchbricht, der einem neuen Israel eine neue Existenz schenkt. Sie zeichnen dieses Heil etwa im Bild der Erweckung von Totengebeinen (Ez 37), um den völlig neuen Anfang zu betonen, oder reden zu gleichem Zweck von einem neuen Exodus (etwa J e s 5 2 , l l f . ) , einem neuen David (etwa Jes 11,1-5), einem neuen Bund (etwa Jer 31,31 ff.) oder einem neuen Himmel und einer neuen Erde (Jes 65,17). In diesen letztgenannten Bezeichnungen liegen Kontinuität und Diskontinuität mit der Tradition zugleich miteinander verbunden. Die Kontinuität besteht darin, daß die Propheten das neue Heil gar nicht anders zeichnen können als in den Farben der Tradition, die die Erfahrung mit Gott verdichtet festhält. Die Diskontinuität kommt im Adjektiv „neu" zum Ausdruck und sachlich in einer vielfältigen Überbietung der Tradition. Der kommende König führt keine Kriege mehr, regiert vielmehr in einem „Frieden ohne Ende" (Jes 9,6); seine Herrschaft über die Völker wird darin bestehen, daß ihnen der König wie ein Prophet Anteil an Gottes universalem Heil verkündigen wird (Sach9,9f.). Der neue Bund ist darin vom alten unterschieden, daß nun kein von außen auf Israel zukommendes Gesetz mehr auf ihm lastet, sondern Gott es ihm ins Herz schreibt und damit selbst für seine Erfüllung sorgt; kurz: Gott schafft einen neuen Menschen (Jer 31,31 ff.; vgl. die Rede vom „neuen Herzen" in Ez 36,26). „Neuer Himmel und neue Erde" schließlich verdeutlichen, daß von dem neuen Heil Gottes angemessen nur in der Kategorie der Neuschöpfung geredet werden kann: Das zuvor erfahrene Heil ist kaum noch Modell des Neuen, sondern eher nur noch Folie, von der sich das analogielose Neue um so schärfer abhebt 2 4 .

IV. Es versteht sich von selbst, daß Propheten dieses Schlages, die gemeinhin von ihren Hörern abgelehnt wurden, sich weit stärker als ihre Vorgänger ausweisen und legitimieren mußten. Noch viel weniger als diese konnten sie sich wie die Priester auf eine Schulbildung und eine Schultradition berufen (s. o. II.). Vielmehr verwiesen sie - wie später noch Paulus in 1 Kor 9,16 auf den Zwang, der auf ihnen lastet und nur mit der Furcht vor dem Brüllen des Löwen vergleichbar ist (Am 3,8) beziehungsweise mit fressendem Feuer 24

G. v.

RAD,

TheolAT

II,

125 ff.; W.

H . SCHMIDT,

aaO. [Anm. 21] 82 ff.

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innerhalb der eigenen Gebeine, das ein Sich-Loslösen aus dem Auftrag unmöglich macht (Jer 20,9). Die Berufungsberichte der Propheten sind in diesem Zusammenhang mit Recht „Legitimationsurkunden" genannt worden 2 5 , da sie gegenüber einer zweifelnden und die Botschaft des Propheten ablehnenden Hörerschaft darlegen wollen, daß der Prophet keineswegs aus eigenem Willen und aus eigener Absicht heraus spricht; den Hörern beziehungsweise Lesern wird darin zugleich verdeutlicht, daß sie nicht den Propheten ablehnen, sondern seinen Auftraggeber (Am 7,14 f.; Jer 1 u. ö.). Ja, diese prophetischen Berufungsberichte haben eine feste Form gefunden, in der als ein häufig wiederkehrendes Glied der Einwand des Propheten begegnet (Jer 1,6: „Ach, mein Herr Jahwe, ich kann doch nicht reden, ich bin noch zu jung"; vgl. Ex 4,10: „Ach, mein Herr, ich bin kein beredter Mensch, weder früher noch heute"; Ri 6,15: „Ach, mein Herr, ... mein Geschlecht ist doch das geringste in Manasse, und ich bin der jüngste in meiner Familie"); damit betonen die Propheten, daß sie sich nach menschlichem Maßstab als völlig ungeeignete Werkzeuge Gottes wissen, d a ß ihre Verkündigung somit nur von Gottes Auftrag, nicht von menschlichem Planen her zu beurteilen sei. Zu solchen Verteidigungen ihrer Botschaft mußten die Propheten vor allem greifen, wenn die Zweifel der Hörer am allerstärksten wurden: dort nämlich, wo ihnen andere Propheten gegenübertraten, die sich wie sie auswiesen mit einem „So spricht Jahwe", im N a m e n Gottes aber Gegenteiliges verkündigten. Die Frage nach der Wahrheit des prophetischen Gotteswortes ist nie schärfer gestellt worden als in solchen Situationen 2 6 . Älteren Texten spürt man noch das tastende Suchen nach einer Antwort innerhalb dieses schwierigen Problems ab, etwa wenn der Prophet Micha seinen Gegnern vorwirft, sie richteten ihre Botschaft nach der Höhe der Bezahlung (Mi 3,5), oder wenn Dtn 18,22 die Hörer auf die Zukunft vertröstet, in der die wahre Prophetie bestätigt, die falsche widerlegt werde. Die Gesinnung der Propheten war für die Hörer kaum als Entscheidungskriterium zwischen wahr und falsch handhabbar, und beim Eintreffen der Zukunft würde es für sie zu spät sein, um in der Gegenwart Entscheidungshilfe zu erhalten. Erst der Prophet Jeremia im 7. Jahrhundert hat die Frage nach der Wahrheit der Prophetie in tiefer Reflexion grundsätzlicher zu beantworten versucht. Intensiver als seine Vorgänger hat er um die Kriterien echter Prophetie gerungen und dabei zugleich seinen Gegnern bestritten, daß G o t t sie gesandt habe. Z u m entscheidenden Wahrheitskriterium der Prophetie wird ihm, d a ß solche wahre Prophetie sich nachweislich vom 25 H. W. WOLFF, Hauptprobleme atl. Prophetie, Ges. St., T B 22, 1964, 214; vgl. G. v. RAD, aaO. 65 ff.; K. BALTZER, Die Biographie der Propheten, Neukirchen 1975. 26

J . JFRFMIAS, D i e V o l l m a c h t d e s P r o p h e t e n i m A T , E v T h

31, 1971, 3 0 5 - 2 2 ;

F.-L.

HOSSFFLD - I. MFYFR, Prophet gegen Prophet, BiBe 9, 1973; G. MÜNDFRLFIN, Kriterien wahrer und falscher Prophetie, E H S T 33, 1974.

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menschlichen Wunschdenken abgrenzen lassen muß. Zugleich hat er die Wirkung prophetischer Verkündigung thematisiert. Indem seine Gegner den „Trug ihres Herzens" und ihre Wunschträume mit Gottes Wort verwechseln, verhindern sie die Schulderkenntnis ihrer Hörer, führen sie damit irre, statt sie auf den rechten Weg zu bringen (Jer 23,16-32). Jeremia dagegen ist keineswegs leichtfertig und freiwillig zum Unheilspropheten geworden: Ich habe dich nie bedrängt um Unheils willen, habe den U n g l ü c k s t a g nie herbeigesehnt. (Jer 17,16)

Im Gegenteil, er hat sich bis zum Versuch, sich aus dem Auftrag Gottes grundsätzlich zu lösen, gegen diese Botschaft aufgelehnt (Jer 20,9), aber gegenüber dem gewaltsamen Zugriff Jahwes, den er in einem frivolen Bild mit der Verführung eines nichtsahnenden Mädchens vergleicht, war er machtlos (20,7). Er hat die Macht des Gotteswortes als schlechthin zwingend erfahren: Ist nicht mein Wort wie Feuer, spricht Jahwe, wie ein H a m m e r , der Felsen zerschlägt? (Jer 23,29)

Das Wort Jahwes in seinem Zwangscharakter hat ihm „das Herz zerbrochen" (Jer 23,9). Der nicht-gewollte, zwanghafte Charakter des Gottesauftrags bringt Jeremia in die Isolation. Vereinsamung und Trauer sind sein Los, wo um ihn herum Freude und Gemeinschaft herrschen (Jer 15,17), ja mehr: Verspottung, Schimpf und Gewalttat (Jer 20,7 f.). Damit wird auf einer höheren Ebene gerade das Leiden des Propheten zu seinem Wahrheitserweis. Die erzählenden Texte in der sogenannten Baruch-Biographie (Jer 26-29; 36-45) halten die Stationen dieses Leidens fest - nicht aus vordergründig biographischem Interesse, sondern weil dieser Prophet als wahrer Prophet das Wort Jahwes sozusagen verkörpert, sein Leiden unter der Ablehnung und Mißachtung der Hörer im Verborgenen mit Gottes Leiden identisch ist. Diese Erfahrungen Jeremias werden ein bis zwei Generationen später in den sogenannten Gottesknechtsliedern von Deuterojesaja verarbeitet; beim leidenden Gottesknecht freilich entstehen seine Ablehnung und sein Leiden - abgründiger noch angesichts seiner Heilsbotschaft.

V. Mit der Ablehnung der Prophetenworte durch die Hörer ihrer eigenen Generation hängt die Gestalt der Überlieferung dieser Worte eng zusammen. Eine systematische Sammlung von Prophetenworten ist ja alles andere als etwas Selbstverständliches. Ein Seitenblick auf die obengenannte MariProphetie mag das verdeutlichen. Kenntnisse von Prophetenworten aus

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Prophetenforschung

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Mari haben wir, weil der König die an ihn gerichteten Briefe, in denen von solchen Prophetenworten die Rede war, sorgfältig in seinem Archiv aufgehoben, in unserer Terminologie: in Akten abgeheftet hat. Es waren Worte für den bestimmten Tag - ob nun Forderungen oder Verheißungen oder Drohungen oder Mahnungen - , mit dem Tag, für den sie gedacht waren, abgetan und ablegbar. Auch die Worte der alttestamentlichen Propheten richteten sich an bestimmte unverwechselbare Adressaten und waren für eine eng umgrenzte Zeit gedacht. Dennoch aber wurden sie mündlich und schriftlich weitertradiert mit dem Anspruch, auch für andere, spätere Adressaten gültig zu sein. Bei den älteren Propheten vor Arnos war dieser Prozeß allerdings beschränkt auf herausragende Worte in bemerkenswerten Situationen, üblicherweise im Zusammenhang mit dem König. Diese Situationen und die ihnen zugeordneten Prophetenworte wurden im Laufe des Vorgangs der Tradierung als modellhaft verstanden und damit auch als gültig für kommende Zeiten. Häufig genug wurden sie mit Erweiterungen und Ergänzungen versehen, um genauer in neue historische Situationen hineingesprochen werden zu können. Von diesem Überlieferungsprozeß noch einmal zu unterscheiden ist die systematische Sammlung von Prophetenworten bei den späteren Propheten seit Arnos. Hier ergeht die Überlieferung im Namen eines weit höheren Anspruchs, insofern offensichtlich auf ein Verkündigungs-Ganzes der einzelnen Propheten gezielt wird, nicht mehr nur auf ein einzelnes Wort in einer besonderen Situation, die sich auf andere Situationen übertragen ließ. Wo ein König wie Jojakim versucht, die gesammelten Prophetenworte durch Verbrennen der Buchrolle zu vernichten, ergeht sogleich der Auftrag an den Propheten, sie erneut niederzuschreiben (Jer 36). Die Schriftlichkeit der Prophetenworte garantiert ihre bleibende Wirkung und Präsenz auch angesichts der Ablehnung durch den König als den Repräsentanten des Volkes. An anderen Stellen begründen die Propheten ihr Schreiben geradezu mit der Ablehnung der Hörer (Jes 8,16-18; 30,8 ff.) oder aber mit der noch ausstehenden Verwirklichung des Angekündigten (Hab 2,1-3). Die Schriftlichkeit beglaubigt die Wahrheit von Ankündigungen, deren Erfüllung noch bevorsteht. Zugleich wird damit in die Z u k u n f t vorausgeblickt auf eine kommende Generation, bei der die Worte, denen jetzt der Gehorsam versagt wird, zum Ziel kommen (Jes 30,8). Für die ablehnende Generation sind sie nur Zeichen und Symbol des sicheren und unweigerlichen Gerichts (Jes 8,16-18). Erst im Exil, also unter der Erfahrung des Gerichts, haben die Worte der großen Propheten seit Arnos allgemeine Anerkennung gefunden. Hier wurden sie zur entscheidenden Hilfe zum Bestehen der Not, insofern sie das Exil als Strafe Gottes für geschehenes Unrecht begreifbar machten; in dieser Situation wurden sie noch einmal ungleich intensiver als zuvor gesammelt und mit aktualisierenden Auslegungen für die Gegenwart

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versehen. Lange Zeit hat sich die alttestamentliche Forschung, und zwar sehr kontrovers, um die Frage gemüht, ob bis zum Exil die Überlieferung der Prophetenworte mündlich oder schriftlich erfolgte 27 . Ein sachlich ungleich wichtigerer Gesichtspunkt blieb in diesem Streit unbeachtet: die Veränderung des Prophetenwortes im Zuge der Überlieferung 2 8 . Zwischen dem an den Propheten ergangenen, mündlich auszurichtenden Wort und seiner späteren Niederschrift ist ja grundsätzlich zu unterscheiden. Das mündlich gesprochene Wort ergeht in eine unwiederholbare geschichtliche Stunde hinein, deren Jahr (Jes 6, 1: „Im Todesjahr Usijas"), ja sogar Monat und Tag (Ez, Sach) festgehalten werden. Es will nicht wie das Wort des Weisheitslehrers ständig bewährte, allgemeingültige Wahrheit bieten, sondern die unverwechselbare aktuelle Wahrheit genau dieser einen geschichtlichen Stunde. Ohne diese Stunde gäbe es dieses Prophetenwort nicht; es ist von ihr unablösbar. Im Prozeß der Überlieferung und auch der schriftlichen Niederlegung geht die geschichtliche Stunde der Ursprungssituation nicht verloren; sie wird vielmehr beharrlich festgehalten als ein unverlierbares Wesensmerkmal des prophetischen Wortes. Aber sie erhält eine neue Funktion. Sie bleibt nicht länger alleiniger Zielpunkt des Wortes, sondern wird zur Trägerin von grundsätzlichen Erkenntnissen über das Verhältnis Gott Mensch, die auf andere geschichtliche Stunden übertragbar sind und auch in ihnen ihre prägende Kraft erhalten und erweisen. Die aktuelle Stunde wird verallgemeinerbar. Jedes uns überkommene Prophetenwort hat auf diese Weise, schematisch ausgedrückt, einen doppelten Sinn und eine doppelte Funktion; als mündlich verkündigtes, auf eine unwiederholbare und einmalige Situation hinzielendes Wort und als tradiertes, in die Schriftlichkeit übergegangenes Wort, als das es nun - obwohl von der einmaligen geschichtlichen Situation nicht gelöst - den Anspruch erhebt, grundsätzliche Aussagen über das Gott-Mensch-Vcrhältnis zu machen. Das schriftliche Prophetenwort will auch in neuen geschichtlichen Situationen gültig sein. Im Prozeß der Weitergabe erfuhren die Prophetenworte deshalb eine immer neue aktualisierende Deutung, deren Erforschung die redaktionsgeschichtliche Fragestellung dient; erst mit der Kanonbildung wurde diese Deutung von der Überlieferung abgetrennt, um sich seitdem in Auslegungen und Kommentaren niederzuschlagen. Heutige Aktualisierung eines alttestamentlichen Prophetenwortes in Predigt und Unterricht tut diesem Wort also nichts sachlich Fremdes an. Vielmehr liegt dieses Prophetenwort längst als ein für neue Zeiten aktua27 Vgl. etwa S. MOWINCKEL, Prophecy and Tradition, Oslo 1946; A. H. J. GUNNEWKG, aaO. [Anm. 20] mit Lit. :S I. WILLI-PLHIN, Vorformen der Schriftexegese innerhalb des AT, BZAW 123, 1971; H. BARTH, Die Jesaja-Worte in der Josiazeit, W M A N T 48, 1977, 280 f.; vgl. bes. die Beiträge „Ich bin wie ein Löwe für Efraim", u. S. 104 ff., sowie „Tod und Leben in A m 5,1-17", u. S. 214 ff.

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Prophetenforschung

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lisiertes vor. Es ist eben nicht überliefert worden, um historische Neugier Späterer zu befriedigen, sondern um den Anspruch der Prophetenworte, der in einer jeweils unverwechselbaren einzelnen historischen Stunde laut wurde, über diese Stunde hinaus auf kommende Generationen auszuweiten. Das leidenschaftliche Eintreten der Propheten für die Ärmsten ihrer Zeit, die Verschärfung der in der Tradition überkommenen Rechtssätze, ja darüber hinaus die vollmächtige Freiheit im Umgang mit der Tradition, die Mahnung an die Zeitgenossen, Gottes Heil verspielen zu können, und das gleichzeitige Bewußtsein, daß Heil nur von G o t t zu erwarten sei, das entschlossene Einbeziehen aller Einzelbereiche der Wirklichkeit unter den von G o t t ausgehenden Anspruch, das Unverständnis der Hörer gegenüber diesem hohen Anspruch und das nachfolgende Leiden der Propheten: all das spielt bei solcher Aktualisierung eine Rolle und hat zudem dazu geführt, daß die Zeitgenossen Jesu kaum ein höheres Würdeprädikat für ihn wußten, als d a ß er ein Prophet sei (Mt 16,14; 21,46 etc.).

2. Das Proprium der alttestamentlichen Prophetie 1 I. Prophetie außerhalb Israels D a s P h ä n o m e n der P r o p h e t i e teilt d a s biblische Israel mit vielen a n d e r e n Völkern seines K u l t u r r a u m e s . Diese Erkenntnis ist grundsätzlich so alt wie die historische Kritik a m Alten Testament. H. EWALD etwa k o n n t e schon 1840 formulieren: „ E s wäre ... der m ü h e werth einmal alles zu s a m m e l n was d a s P r o p h e t e n t h u m der verschiedenen heidnischen Völker betrifft; a u s den Griechen hat E i c h h o r n in der vorrede zur letzten a u s g a b e seiner einleitung Bd. IV vieles g e s a m m e l t , jetzt könnte m a n a u c h die Indischen und altAegyptischen quellen b e n u z e n . " " Faktisch hat sich dieses Interesse aber erst k n a p p ein J a h r h u n d e r t später ausgewirkt. D a s E n d e des 19. u n d der Beginn des 20. Jh.s s t a n d e n u n t e r dem E i n d r u c k der b e r ü h m t e n H y p o t h e s e J. WELLHAUSENS, d a ß „ d a s G e s e t z " hinter die P r o p h e t e n gehöre, u n d der auf ihr f u ß e n d e n g r a n d i o s e n E n t w ü r f e B. DUHMS, die alttestamentlichen P r o p h e t e n g a n z a u s sich selber und a u s ihrer G o t t e s e r f a h r u n g h e r a u s zu interpretieren, d a mit ihnen „der Beginn der geistigen Weltgeschichte" angezeigt sei 3 . Erst d a s mit G. HÖLSCHER einsetzende Interesse a m P h ä n o m e n der Ekstase bzw. a n den „geheimen E r f a h r u n g e n der P r o p h e t e n " (H. GUNKEL) lenkte den Blick der Forschung ein erstes M a l intensiver auf prophetische G e s t a l t e n u n d P h ä n o m e n e in der U m w e l t Israels 4 . Allerdings waren die religionsgeschichtlichen Parallelen von Hölscher unsystematisch g e s a m m e l t u n d vielfach zufällig z u s a m m e n g e t r a g e n 5 .

1 D i e f o l g e n d e n D a r l e g u n g e n w u r d e n in w e c h s e l n d e r G e s t a l t im H e r b s t 1993 bei Gastvorlesungen an den Universitäten Stellenbosch, Fort H a r e und Bloemfontein/Siida f r i k a s o w i e a m P r o t e s t a n t i s c h e n I n s t i t u t im s i e b e n b ü r g i s c h e n H e r m a n n s t a d t v o r g e t r a g e n . 2 H . EWALD, D i e P r o p h e t e n d e s A l t e n B u n d e s I, S t u t t g a r t 1840; G ö t t i n g e n 2 1 9 6 7 , 21 A n m . 1. 3 B. DUHM, I s r a e l s P r o p h e t e n , T ü b i n g e n : 1 9 2 2 , 8. 4 G . HÖLSCHER, D i e P r o f e t e n . U n t e r s u c h u n g e n z u r R e l i g i o n s g e s c h i c h t e Israels, L e i p z i g 1914, 129 ff.; H . GUNKEL, D i e P r o p h e t e n , G ö t t i n g e n 1917, 1 ff; DF.RS., E i n l e i t u n g e n z u H . SCHMIDT, D i e g r o ß e n P r o p h e t e n , S A T 2, 2, 2 1 9 2 3 , X V I I ff. 5 Vgl. d i e K r i t i k v o n J. LINDBLOM, Z u r F r a g e d e s k a n a a n ä i s c h e n U r s p r u n g s d e s i s r a e l i t i s c h e n P r o p h e t i s m u s , in: F S O . E i ß f e l d t , B Z A W 77, 1958, 8 9 - 1 0 4 . E n t s p r e c h e n d e s gilt a u c h n o c h f ü r d i e D a r s t e l l u n g d e r E k s t a s e bei A . HESCHKL, D i e P r o p h e t i e , K r a k a u 1936, 8 ff.

Das Proprium der alttestamentlichen

Proplietie

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In der Folgezeit erlahmte die religionsgeschichtliche Fragestellung im Bereich der Prophetie bald wieder, weil sie relativ wenig erbrachte. In anderen Textbereichen des Alten Testaments fand sie ein weit ergiebigeres Feld. Der Spaten der Archäologie hatte seit der Mitte des 19. Jh.s in Ägypten und im Zweistromland eine Fülle an Texten zutage gefördert, die Parallelen zu fast allen wesentlichen Institutionen des biblischen Israel boten. Gewiß hat es einiger Zeit bedurft, bis sie entziffert waren, und wiederum einiger Zeit, bis die gröbsten Verständnisfehler beseitigt waren. Als dritte Hürde für eine wissenschaftliche Auswertung auf breiter Basis hatte zu Beginn unseres Jahrhunderts der leidenschaftliche und weithin unerquickliche „Babel-Bibel-Streit" mit seinen extremen Einschätzungen dieser Texte durchfochten werden müssen. Aber dann war, insbesondere dank der religionsgeschichtlichen Schule, der Blick frei auf die vielfältige Einbindung Israels in die Kultur des Alten Orients, z. B. auf den Feldern des Königtums (seiner religiösen Wertung ebenso wie seiner Verwaltung), des Priestertums und des Kults, des Rechts und der Weisheit, der Hymnen und der Poesie etc. In all diesen Bereichen galt, daß sich die Eigenarten biblischen Redens und Handelns auf dem Hintergrund der Gemeinsamkeiten Israels mit den großen Kulturnationen des Vorderen Orients präziser als zuvor darstellen ließen. N u r ein einziges Gebiet der alttestamentlichen Institutionen schien sich diesem Vergleich hartnäckig zu entziehen: die Prophetie. Gewiß erstaunte die Gelehrten die große Zahl an Zukunfts- und Orakelspezialisten im Zweistromland, die teilweise eine komplizierte jahrelange Ausbildung zu durchlaufen hatten, bevor sie Zeichen, Omina, Eingeweide von Opfertieren oder Konstellationen von Vogelflug bzw. von Sternen recht zu beurteilen wußten; gewiß fanden sich in Ägypten einige Texte, zumal in der sog. „Auseinandersetzungsliteratur" (E. OTTO), die Parallelen zu Einzelmotiven der biblischen Prophetie boten 6 ; gewiß gab es in Ägypten wie im Zweistromland politisch motivierte Zukunftsbeschreibungen (die sich der kritischen Wissenschaft freilich überwiegend als vaticinia ex eventu darstellten) 7 , aber für das Verständnis der biblischen Prophetie boten alle 6

Vgl. bes. S. HERRMANN, Prophetie in Israel und Ägypten. Recht und Grenze eines

V e r g l e i c h s , V T . S 9,

1963, 4 7 - 6 5 ;

DERS., R e z .

von G.

LANCZKOWSKI,

Altägyptischer

Prophetismus, in: O L Z 58, 1963, 124-130. Zur ägyptischen Orakelpraxis vgl. H. M. SCHENKE, D a s A l t e r t u m 9, 1 9 6 3 , 7

67-77.

V g l . A . K . GRAYSON - W. G . LAMBERT, A k k a d i a n P r o p h e c i e s , J C S 18, 1964, 7 - 2 3 ; M .

DIETRICH, Prophetie in Keilschrifttexten, J A R G 1, 1973, 15-44; A . K . GRAYSON, Babylonian Historical-Literary Texts, Toronto 1975; zuletzt M. WEIPPERT, Aspekte israelitischer Prophetie im Lichte verwandter Erscheinungen des Alten Orients, FS K. Deller, AOAT 220, 1988, 287-319; 291-293; M. DE JONG ELLIS, Observations on Mesopotamian Oracles and Prophetic Texts, JCS 41, 1989, 127-186 (mit dem hilfreichen Vorschlag, diese Texte nicht „Prophetien" o. ä. zu nennen, sondern „literary predictive texts", S. 148).

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Das Proprium

der alltestumentlichcn

Prophetie

diese Phänomene und Texte nur eine sehr geringe Hilfe, weil sie sachlich zu weit entfernt waren. So war es kein Zufall, daß vor dem Fund der sogleich zu nennenden Maritexte im allgemeinen von Alttestamentlern nur zwei Texte des Alten Orients als Parallelen zur biblischen Prophetie herangezogen wurden, die beide eher untypische Sondertexte waren: der Reisebericht des Unamün aus dem 11. Jh. v. Chr. und die aramäische Inschrift des Königs Zakkür von Hamath aus dem beginnenden 8. Jh. v. Chr. 8 Bis zum 2. Weltkrieg galt die Prophetie des Alten Testaments grundsätzlich als eine Größe sui generis. „Wir kennen zu dieser Erscheinung der ,Prophetie' kein wirkliches Gegenstück aus der Geschichte der Menschheit" konnte ein Kenner des Alten Orients wie M. NOTH formulieren 9 , allerdings speziell im Blick auf die klassische Prophetie des 8. Jh.s. Wie konnte es zu dieser Einschätzung kommen, wo doch das Alte Testament selber von Gestalten seiner Umgebung weiß, die es keineswegs von den eigenen terminologisch zu differenzieren versucht, sondern wie diese „Propheten" nennt? Erinnert sei nur an die mehr als 400 Baal-Propheten auf dem Karmel (1 Kön 18) oder an die Propheten, die die Könige der Nachbarländer Judas zur außenpolitischen Konferenz nach Jerusalem mitbringen, zusammen mit zahlreichen andersartigen Zukunftsspezialisten (Jer 27,9). Das Phänomen der Prophetie war also keineswegs analogielos. Worin präzise lag dann die Einzigartigkeit? Wie war insbesondere zu erklären, daß trotz der großen Zahl an prophetischen Gestalten, die vor allem die mesopotamischen Tontafeln kennen lehrten, so gut wie keinerlei wirklich der biblischen Prophetie vergleichbare Texte des Alten Orients gefunden wurden?

II. Die Entdeckung

der Prophetie

in Mari

Die Problemlage änderte sich, als in den dreißiger Jahren das riesige Archiv des Königs von Mari am mittleren Euphrat gefunden wurde. Es stammt aus der 1. Hälfte des 2. Jtsd. v. Chr., genauer: aus dem Zeitalter des großen Hammurabi von Babylon. In diesem Königsarchiv fanden sich zahlreiche Briefe hoher Beamter, die der König Zimrilim durchs Land schickte, um zu prüfen, ob die Verwaltung seiner Liegenschaften in Ordnung war, der Gottesdienst in den Tempeln rite vollzogen wurde etc. Unter den Rechenschaftsberichten dieser Beamten befinden sich nahezu 50 Briefe an den König, in denen die Beamten von Begegnungen mit Propheten berichten, die sie zumeist auf ihrer Inspektionsreise ansprachen und sie um Weitergabe 8

Vgl. zu ersterem etwa K. GALLINGS Textbuch zur Geschichte Israels. T ü b i n g e n 2 1968, 41 ff.; zu letzterem etwa J. F. Ross, Prophecy in H a m a t h , Israel, a n d M a r i , H T h R 63, 1970, 1-28. 9 Geschichte Israels, G ö t t i n g e n ' 1956. 232.

Das Proprium der altlestamentlichen

Prophetie

23

einer Gottesbotschaft an den König baten 1 0 . Die Beamten haben diese prophetischen Botschaften sorgsam notiert und im Einzelfall eine Beurteilung hinzugefügt, die dem König die dringliche Beachtung des Gotteswortes nahelegte oder eine gewisse Skepsis gegenüber dem Prophetenwort zum Ausdruck brachte. Sie haben dem jeweiligen Propheten zugleich häufig eine Locke aus seinem H a a r und einen Zipfel seines Gewandes abverlangt und der Briefsendung beigefügt; offensichtlich dienten diese sehr persönlichen Beigaben in irgendeiner Weise dazu, die Wahrheit des Gotteswortes des Propheten zu überprüfen und einem unwahrhaftigen Propheten bei negativem Ausgang der Prüfung Schaden zuzufügen. Auch durch technische Orakel konnte die Glaubwürdigkeit eines Propheten einer Überprüfung unterzogen werden. Schon mit dem letztgenannten Sachverhalt stehen wir dicht bei der biblischen Prophetie. Insbesondere das Jeremiabuch berührt mehrfach das zentrale Problem, wie denn ein Adressat einer prophetischen Gottesbotschaft ein wahres von einem falschen Gotteswort unterscheiden könne (Jer 23,9 ff.; 26-28; vgl. Dtn 18,15 ff). Zwar hören wir von falschen Prophetenworten im Alten Testament nur indirekt durch die überlieferten Worte „wahrer" Propheten; aber ebendiesen Äußerungen ist zu entnehmen, wie groß die Beunruhigung war, die im Zeitalter Jeremias herrschte, wenn andere Propheten auftraten und unter Berufung auf den gleichen G o t t genau das Gegenteil dessen verkündeten, was Jeremia im N a m e n Gottes sagte. Auch in anderer Hinsicht stehen die Prophetenworte der Maribriefe sehr dicht bei den Prophetenworten des Alten Testaments. Was von allem A n f a n g an auffiel, war, daß sich die Propheten von Mari gelegentlich mit der gleichen sprachlichen Wendung vor ihren Hörern ausweisen und legitimieren wie die Propheten des Alten Testaments: „So hat Dagan (oder eine andere Gottheit) gesprochen". Die Formel entstammt der Diplomatensprache; mit ihr wies sich ein Bote eines Königs vor einem ausländischen Herrscher aus: „So hat der König X gesprochen". Zudem sind die Prophetenworte in Mari wie diejenigen des Alten Testaments üblicherweise zweigeteilt; auf eine M a h n u n g folgt normalerweise eine Zuweilen wandten sich Propheten auch von sich aus an einen Beamten. Daneben sind einige Selbstberichte von Propheten ( A R M X, 50; 94; 100; 117) belegt. - Die bis 1965 veröffentlichten Texte finden sich in deutscher Übersetzung bei F. ELLERMEIER, Prophetie in Mari und Israel, Herzberg 1968; vgl. die Auswahl von W. MORAN in A N E T , 3 1 9 6 9 , 6 2 3 632. Die jüngste deutsche Übersetzung einer Auswahl von Texten stammt von M. DIETRICH, in: O. KAISER (Hrg.), Texte aus der Umwelt des AT (im folgenden: TUAT) Bd. II, Gütersloh 1986-91, 84 ff. Aus neuerer Zeit zu vergleichen sind bes. E. NOORT, Untersuchungen zum Gottesbescheid in Mari, AOAT 202, 1977; A. SCHMITT, Prophetischer Gottesbescheid in Mari und Israel, B W A N T 114, 1982; A. MALAMAT, Mari and the Early Israelite Experience, Oxford 1989, bes. 79 ff. (mit weiterer Lit.); S.B. PARKER, Official Attitudes toward Prophecy at Mari and Israel, VT 43, 1993, 50-68.

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Das Proprium der alttestamentUchen

Prophetie

Verheißung, auf eine Warnung eine Drohung der Gottheit. Auffällig ist ebenfalls die große N ä h e auf der Ebene der Phänomenologie. Im Alten Testament wie in Mari ist das Prophetentum eine sehr bunte Erscheinung mit ganz unterschiedlichen Gestalten, wie sie etwa unter den anderen geistigen Ständen, den Priestern und Lehrern, undenkbar wären. So gibt es unter den Propheten gleicherweise Gruppen wie einzelne; es gibt Propheten, die diese Tätigkeit als Beruf ausüben, und Laien, die urplötzlich von Träumen und Gesichten ergriffen werden und nur punktuell und vorübergehend prophetische Tätigkeiten ausüben; und es gibt unter den Propheten ebenso Frauen wie Männer. Ahnlich vielfältig sind in M a n wie im Alten Testament die Weisen des Offenbarungsempfangs: Neben Träumen begegnen Visionen im Wachzustand, die Ekstase ist ebenso belegt wie das nicht näher charakterisierte Reden der Gottheit. Schließlich können prophetische Gestalten aus zweierlei G r ü n d e n im Namen der Gottheit prophetisch reden: entweder, wenn sie durch Eingebungen von der Gottheit unerwartet ergriffen werden, oder aber wenn sie von sich aus - im Alten Testament etwa im N a m e n von notleidenden Menschen - die Gottheit um eine Antwort angehen und diese dann dem Bittsteller mitteilen". Man spricht in der religionsgeschichtlichen Forschung im letzteren Fall von induktiver Prophetie (d. h. von Gottesworten an den Propheten, die durch den Propheten herbeigeführt werden), im ersteren Fall von intuitiver Prophetie. Beides ist in Mari wie in Israel zusammen mit den vielfachen Erscheinungsformen prophetischer Tätigkeit belegt. Auf dem Hintergrund dieser zahlreichen und überraschend engen Gemeinsamkeiten der Prophetie in Mari und Israel müssen die Unterschiede um so stärker ins Auge fallen. Sie liegen vor allem auf zwei Ebenen 1 ". Sie betreffen 1) den Inhalt und 2) die Überlieferung. Beide Differenzen hängen unlöslich miteinander zusammen. Während man die inhaltlichen Unterschiede aber von allem A n f a n g an sogleich erkannt und ausführlich diskutiert hat, seit man die Maritexte gefunden und entziffert hat, hat man die andere Differenz bislang selten überhaupt wahrgenommen. Sie ist aber die entscheidende, von der her sich die sogleich ins Auge fallenden Verschiedenheiten im Inhalt überhaupt erst erklären lassen.

11 Vgl. etwa 1 Kön 14,1 ff.; 2 Kön 1,2 ff; 8,8 ff; Jer21,2; 37,3; 42,2 etc. einerseits (im Alten Testament heißt dieser Vorgang „Jahwe befragen"; vgl. T H A T I 460-467) und z. B. A 1121 + A 2731 (TUAT II, 8 5 - 8 7 ) andererseits. 12 Eine dritte wesentliche Ebene ist die formgeschichtliche: Propheten in M a r i verschärfen mit Drohungen ihre Forderungen an den König, Propheten wie G a d , Ahia von Silo und Elia konstatieren geschehene Schuld und verurteilen Könige im N a m e n Gottes.

Das Proprium der alttestamentlichen

III Mari und Israel - die wesentlichen

Prophetie

25

Unterschiede

Ich beginne mit den leicht erkennbaren inhaltlichen Differenzen. Die Prophetenworte in Mari, die im Namen der Gottheit an den König gerichtet werden, sind im weitesten Sinne entweder politisch oder kultisch. Die Worte, die unter die erste Kategorie des Politischen fallen, enthalten etwa Hinweise an den König auf militärische Gefahr, wie sie besonders aus Babylon drohte 1 3 , oder die Warnung, zum gegenwärtigen Zeitpunkt einen Feldzug zu unternehmen, oder aber die Verheißung, daß ein geplantes Unternehmen erfolgreich und siegreich enden werde. Die Worte, die unter die zweite Kategorie des Kultischen fallen, sind im Wesentlichen Forderungen an den König zugunsten der Tempel im Land und zugunsten ihres Gottesdienstes. Da wird etwa die Erneuerung eines defekten Tempeltores verlangt und diese Forderung im Fall des königlichen Gehorsams mit einer Verheißung, im Fall des Ungehorsams mit einer Drohung durch die Gottheit bekräftigt. Oder es werden vermehrte Lieferungen von Opfertieren an den Tempel erbeten, oder aber es wird die Abtretung von Land an den Tempel durchzusetzen versucht. Im letztgenannten Fall lautet die Verheißung im Fall des Gehorsams, daß die Gottheit die königliche Dynastie für alle Zeiten erhalten werde, die Drohung im Fall des Ungehorsams, daß die Gottheit den König vom Thron stürzen werde. Die Nähe des Heilswortes zur Verheißung der Erhaltung der Daviddynastie in 2 Sam 7 ist ebenso evident wie die Nähe der Drohung zu prophetischen Gerichtsworten wie etwa 1 Kön 14. Und doch: Wie unendlich weit sind die Anlässe hier und dort unterschieden, an denen sich Heil und Unheil entscheidet! Hier - in Mari - geht es um ein paar Opfertiere mehr oder die Abgabe eines Stückes Land, dort im Alten Testament - geht es um den Gehorsam des Königs gegenüber dem überlieferten Willen Gottes und seinen aktuellen Willenskundgebungen durch den Propheten. Es geht um die Bindung Gottes an seine Menschen und um die Frage, unter welchen Umständen diese Bindung gelöst wird. Tagesprobleme, Alltagsfragen sind es in Mari, an denen sich Heil und Unheil entscheidet, Grundfragen des Gottesverhältnisses, Grundfragen geglückten und mißlungenen Lebens, Grundfragen von Erwählung und Verwerfung sind es in der alttestamentlichen Prophetie. Diesen eklatanten und unübersehbaren Gegensatz zwischen der Prophetie in Mari und derjenigen in Israel hat man üblicherweise unmittelbar mit der Überlegenheit des biblischen Gottesbildes gegenüber den Gottesvorstellungen der Umwelt Israels erklärt. Jedoch ist diese Erklärung zu einfach. Sie übersieht nämlich - damit komme ich zur zweiten, entscheidenden 13 Auch ein Unheilswort gegen Babylon, also in alttestamentlichen Kategorien: ein Fremdvölkerorakel, ist belegt ( A R M XI1I/23).

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Das Proprium der alttestamentlichen

Prophetic

Differenz zwischen der Prophetie in Mari und Israel daß wir von der Prophetie in Mari auf ganz andere Weise Kenntnis erlangt haben als von der biblischen Prophetie. Die Prophetie aus Mari steht in keinem Buch und in keiner Büchersammlung wie die alttestamentliche Prophetie, sondern sie ist mit dem Spaten der Ausgräber der Vergessenheit entrissen worden. Sie ist nicht gesammelt und nicht überliefert worden, sondern sie war Prophetie für den Augenblick und m u ß als solche gewürdigt werden. Wir wüßten nichts von ihr, wenn der König von Mari nicht ein sehr ordnungsliebender König gewesen wäre. Er hat die Briefe, die ihm seine treuen Beamten geschrieben haben und die vielfach prophetische Botschaften enthielten, sorgsam geordnet hinterlassen. Es waren Tontäfelchen, die die Archäologen auf dem Boden zerstreut, teilweise sogar noch in Reih und Glied vorfanden. Ob der König den Aufforderungen der prophetischen Botschaften Folge geleistet hat oder nicht, wissen wir nicht. Jedenfalls aber hat er die Briefe sorgfältig abgelegt, wir würden in unserer Sprache sagen: Er hat sie in seinen Akten als erledigt abgeheftet. Er hat sie zur Kenntnis genommen und sodann archiviert 1 4 . Die Briefe aus Mari mit prophetischem Inhalt können uns verdeutlichen, d a ß die eigentliche Besonderheit und Analogielosigkeit der biblischen Prophetie in ihrer schriftlichen Weitergabe besteht. D a ß man so lange Zeit keine wirklichen Parallelen zur alttestamentlichen Prophetie in den Texten des Alten Orients fand, hat bei näherem Zusehen gute Gründe. Das Fehlen der Texte ist keineswegs ein Indiz dafür, daß der Alte Orient keine Propheten gekannt hätte, die Israels Propheten grundsätzlich an die Seite zu stellen wären. Aus den Zuständen in Mari können wir vielmehr folgern, d a ß das Phänomen der Prophetie auch im Zweistromland wie im Alten Testament nicht auf die Städte beschränkt war, sondern in seiner Buntheit und Vielfalt - zumindest periodenweise - das ganze Land prägte. Die Besonderheit der Prophetie in Mari liegt allein darin, daß diese Prophetenworte als schriftliche Texte bekannt geworden sind. Das aber hat vermutlich damit zu tun, daß die Gesellschaftsordnung in Mari es offensichtlich nicht zuließ, d a ß ein Prophet üblicherweise dem König persönlich entgegengetreten wäre. Deshalb bedurfte es der vermittelnden Beamten, die die 14

Anders ist die Sammlung der ein volles Jahrtausend jüngeren neuassyrischen Königsorakel des 7. Jh.s zu beurteilen, die vermutlich aus Legitimationsinteresse am Hof systematisch aufbewahrt und teilweise auf Sammeltafeln geschrieben wurden. In Einzeltexten kannte man sie schon länger als die Prophetie aus Mari, hat sie aber erst in neuerer Zeit intensiver - vor allem in der Deuterojesaja-Forschung - ausgewertet; vgl. bes. M. WEIPPERT, Assyrische Prophetien der Zeit Asarhaddons und Assurbanipals, in: F. M. FALES (Hrg.), Assyrian Royal Inscriptions: New Horizons, Rom 1981, 71-115; DERS., NedThT 36, 1982, 1-11; DERS., aaO. [Anm. 6] 302 ff.; K. HECKER, TUAT 11/1, 1986, 5 6 82; zuletzt M. NISSINEN, Die Relevanz der neuassyrischen Prophetie für die alttestamentliche Forschung, in: M. DIETRICH - O. LORETZ (Hrg.), Mesopotamica-Ugaritica-Biblica, FS K. Bergerhof, AOAT 232, 1993, 217-258.

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Propheten worte in ihren Briefen dem König auf schriftlichem Wege bekannt machten. Die Prophetenworte von Mari sind wesenhaft mündliche Worte; die schriftliche Form war nur um der Etikette vor Hof willen notwendig. Sachlich bedeutet das: Die Prophetenworte von Mari sind - wie alle mündlichen Prophetenworte - Worte für einen bestimmten Tag. Sie sind auf die Probleme dieses jeweiligen Tages zugeschnitten - ob sie nun eine Forderung für den Gottesdienst enthalten oder eine Warnung vor unbedachtem politischem Handeln sie sind mit diesem Tag überholt und vergangen. Ganz gleich, ob der König, der die Briefe mit Prophetenworten las, ihnen Glauben schenkte oder nicht, er war zu einer Entscheidung für die aktuelle Lage gefordert, die einen Monat später nicht mehr möglich und sinnvoll gewesen wäre. Insofern waren die Prophetenworte von Mari Worte einer einzigen historischen Stunde: mit ihr vergangen und erledigt. Vielleicht hat der König den einen oder anderen Brief aufbewahrt, um in einer Konfliktlage noch einmal auf ihn zurückzugreifen oder eine Handhabe gegen den redenden Propheten zu haben. Die meisten Briefe wird er spätestens nach einigen Monaten vernichtet haben. Sie hätten zu viel Platz eingenommen, der für wichtigere Dokumente, besonders Rechts- und Wirtschaftsurkunden, benötigt wurde. So ist uns eine ganz zufällige Menge teils kurzer, teils langer Beamtenbriefe mit Prophetenworten bekannt geworden, die bei der Zerstörung des Königspalastes vom Schutt der herabfallenden Decken verborgen und vom Spaten der Archäologie wieder entdeckt worden sind.

IV. Das Problem der Schriftlichkeit

von

Prophetie

Wie anders die biblischen Prophetenworte! Ihre Kenntnis verdanken wir einem bewußten Auswahlprozeß und systematischer Sammlung. Dafür gibt es in der Tat keinerlei Analogie im Alten Orient. Alltagsworte wie in Mari kennen wir aus dem Alten Testament faktisch keine - natürlich nicht, weil es sie nicht gegeben hätte, sondern weil die Tradenten sie nicht für überlieferungswürdig hielten. Um noch einmal an das oben genannte Beispiel zu erinnern: Durch einen Propheten wie Jeremia hören wir zufällig von Prophetenworten seiner Zeit, die genau das Gegenteil von dem sagten, was Jeremia selber für richtig hielt. Wir kennen diese Aussagen aber nicht im Wortlaut, weil sie nicht überliefert worden sind; denn sie erwiesen sich den Späteren nicht wie die Worte des Jeremia als wahr. So war die Überlieferung von Prophetenworten ein Auswahlprozeß, der strengen Maßstäben folgte. Die Maßstäbe ihrerseits wurden vor allem den Erfahrungen der Zerstörung Samarias 722 sowie Jerusalems 587/6 und des jeweils folgenden Exils entnommen; die „wahren" Propheten hatten sie als Strafe Gottes für schwere Schuld Israels verstehen gelehrt (vgl. etwa die Klage über „falsche" Propheten in Thr 2,14).

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Dieser Sachverhalt ist besonders daran erkennbar, daß das Alte Testament aus der Zeit vor Arnos einerseits eine verwirrende Vielfalt von verschiedenen Prophetenfunktionen beschreibt, andererseits aber nur eine begrenzte Zahl an Prophetenworten mitteilt. Die Vielfalt der Funktionen wird am besten daran deutlich, daß es in vorexilischer Zeit ebenso Prophetengruppen wie Propheten als Einzelgänger gab. Die Prophetengruppen selber waren schon denkbar weit voneinander geschieden. Zur Zeit Sauls gab es Prophetengilden, die sich mit Musik in Ekstase versetzten und von den traditionsbewußten Israeliten verächtlich beurteilt wurden (1 Sam 10,5 ff.; 19,18 ff; N u m 11,26 ff). Im 9. Jh. hören wir von 400 Propheten, die im Nordreich Israel unter einem Leiter namens Zedekia am Hof des Königs angestellt waren (1 Kön 22). Zu gleicher Zeit gab es aber auch Prophetengruppen um den Propheten Elisa, die mit ihren Familien in klösterlichen Gemeinschaften lebten und von Elisa, den sie Vater nannten, Unterricht erhielten (2 Kön 2 ff). Bei den Einzelpropheten könnte ich ähnliche Differenzen aufzählen. Jedoch ist der Sachverhalt ein ganz anderer, wenn m a n die Verkündigung dieser Propheten betrachtet. Was uns hier aufbewahrt ist, ist sowohl formal als auch inhaltlich relativ einheitlich 15 . Es sind nahezu ausschließlich Worte, die kritisch gegen das Königtum gerichtet sind und die Könige am überlieferten Gotteswillen messen und beurteilen. Natürlich haben die Propheten keineswegs nur mit Königen geredet; aber ihre Worte gegen die Könige, die ja rechtlich nicht belangt werden konnten, erschienen den Überlieferern als das Wichtigste, was aufbewahrt werden mußte, weil es Entscheidungen enthielt, die auch für die folgenden Generationen von fundamentalem Gewicht waren. Noch gravierender wird der Unterschied zur Prophetie in Mari, wenn wir die Zeit der sog. Schriftprophetie ab Arnos betrachten. Jetzt hören wir gelegentlich, daß Propheten ihre eigenen Worte aus einer begrenzten Verkündigungsepoche niederschreiben (Jes8,16 18; 30,8; Hab 2,2 f.; Jer 36). Solche Niederschrift geschah nun aber aus ganz anderen Gründen als in Mari. Wo die Propheten ihr Schreiben erläutern, da begründen sie es insbesondere mit der Ablehnung, die ihre Worte bei den gegenwärtigen Hörern erfahren haben. Die Ablehnung aber - das soll die Schriftlichkeit der Worte verdeutlichen - bedeutete nicht, daß Gottes Wort durch den Propheten unwirksam war, sondern sie bedeutete, daß das Wort neue Hörer bzw. Leser suchen mußte, bei denen es zum Ziel kommen konnte. Ein gutes Beispiel für diesen Gedankengang ist die Erzählung von Jer 36. Sie berichtet, wie der König Jojakim am winterlichen Herd Kolumne nach Kolumne jener Buchrolle mit Worten des Propheten Jeremia vernichtet, die dieser seinem Schreiber Baruch diktiert und die ein Beamter dem König vorgelesen hatte. Der König meint, damit den Inhalt der Buchrolle vernichtet 15

Vgl. bes. C. WESTERMANN, G r u n d f o r m e n prophetischer Rede, BEvTh 31, 1960.

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zu haben. Da ergeht das Wort Gottes an Jeremia, alle Worte neu aufschreiben zu lassen: Nicht der König, sondern G o t t bestimmt, welche Gottesworte für die kommende Generation aufbewahrt werden sollen. Wenn der König dem Gotteswort durch Jeremia nicht gehorcht, so wird dieses Wort neue Leser finden, die sich durch es in Bewegung bringen lassen und bei denen es seine gewollte Wirkung ausübt. So sind es paradoxerweise gerade der Ungehorsam und die Hörunwilligkeit der ersten Adressaten gewesen, die die Niederschrift der ersten Prophetenworte herbeigeführt haben 1 6 . Damit ist bereits ein wesentlicher Unterschied zwischen mündlichem Prophetenwort und schriftlichem Prophetentext genannt. Das Wort zielt in eine nach mehreren Seiten hin offene Situation hinein und versucht, Menschen in ihrer Entscheidung zum Guten und Rechten zu beeinflussen. Der schriftliche Text kennt die Entscheidung dieser Menschen schon, und zwar als eine Entscheidung gegen das Prophetenwort. Diese negative Wirkung geht in die rückblickende Formulierung des Prophetenwortes ein. Das bekannteste Beispiel für diesen Sachverhalt ist die sog. „Denkschrift" Jesajas in Jes 6-8,18 1 7 . Wie ihre Logik zeigt, m u ß die mündliche Verkündigung des Propheten während des syrisch-efraimitischen Krieges eine Fülle an bedingungslosen Heilsangeboten für den König und das Volk enthalten haben. Im schriftlichen Text sind diese Angebote charakteristisch durch Warnungen verändert. Das Thema ist nicht mehr wie in der Situation des mündlichen Wortes die Furchtlosigkeit des Königs, sondern die Warnung an ihn, sein Heil zu verspielen („hüte dich" Jes 7,4); das Thema ist nicht und war nicht der Glaube des Königs - wie m a n Jesaja so häufig mißverstanden hat; er wäre für den Propheten das Selbstverständlichste gewesen - , sondern das Thema ist das Erschrecken vor der Möglichkeit des Unglaubens, durch den sich der König die Grundlage selber entzieht, auf der sein Königtum für den Propheten basiert. Andere Texte formulieren die Retrospektive des Prophetentextes auf das Prophetenwort unmittelbar, z. B. Jes 30,15: „In Umkehr und Ruhe hätte eure Hilfe gelegen, in Stillehalten und Vertrauen hätte eure Stärke bestanden - aber ihr habt nicht gewollt". Aber das gelegentliche Schreiben der Propheten war nur der Anfang. Denn die Schüler der Propheten nach Arnos haben nicht nur die Worte einer bestimmten Verkündigungsepoche niedergeschrieben, sondern die Worte ihrer Meister systematisch gesammelt. Sie wollten die volle Wirksamkeit der Propheten dokumentieren, wollten die Gesamtheit der Gottesworte ihrer Lehrer weitergeben. Eine solche systematische Sammlung aber ist nur 16 Vgl. dazu bes. CHR. HARDMEIER, Verkündigung und Schrift bei Jesaja. Zur Entstehung der Schriftprophetie als Oppositionsliteratur im alten Israel, ThGl 73, 1983, 119-134. 17 Vgl. bes. die Aufsätze von O. H. STECK ZU Jes 6 - 8 in: DERS., Wahrnehmungen Gottes im Alten Testament, TB 70, München 1982, sowie CHR. HARDMEIER, Jesajas Verkündigungsabsicht und Jahwes Verstockungsauftrag in Jes 6, in: J. JEREMIAS - L. PERLITT (Hrg.), Die Botschaft und die Boten, FS H. W. Wolff, Neukirchen 1982, 235-251.

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denkbar, wenn die Schüler der Meinung waren, daß auch die Glieder ihres Volkes, die die Stimme des Propheten nicht mehr hatten hören können, und die kommenden Generationen Lebensorientierung und Lebensweisung aus den Worten des Propheten schöpfen könnten und sollten. Die Worte der Propheten gingen nach diesem Verständnis also nicht in der Stunde ihrer ersten Verkündigung auf, sondern sie hatten eine Bedeutung weit über diese erste Stunde hinaus, die sich erst in den neuen Erfahrungen der späteren Generationen voll erweisen würde. Damit aber stehen wir vor dem eigentlichen Rätsel der biblischen Prophetenworte. Es besteht darin, daß diese Worte stets beides zugleich sind: Worte einer ganz bestimmten einmaligen geschichtlichen Stunde, in der unverwechselbare Menschen - ob sie nun Arnos, Hosea, Jesaja hießen zu unverwechselbaren Adressaten gesandt wurden, um ihnen Gottes Wort für diese eine Stunde zu sagen und zugleich Worte, die keineswegs in dieser einen Stunde aufgingen, sondern nach Meinung der Schüler Bedeutung weit über diese geschichtliche Stunde hinaus besaßen für spätere Generationen. „Theologische Einsicht in einer zeitgebundenen geschichtlichen Gestalt und nicht anders zu haben als in dieser Gestalt: aber eben darin doch mehr als ein nur zeitgebundenes und mit seiner Zeit vergangenes Wort - das ist der Geltungsanspruch prophetischer Texte über ihre Zeit hinaus." 18 Dieses Doppelgesicht macht das Geheimnis der biblischen Prophetenworte aus. Auf der einen Seite liegt auf der historischen Stunde, auf die sich ein Prophetenwort bezieht, hohes Gewicht. Ein Prophetenwort spricht niemals eine allgemeine zeitlose Wahrheit aus. Jesaja wird im Todesjahr Usijas berufen, Arnos tritt „zwei Jahre vor dem Erdbeben" auf (Am 1,1) auf, von dem jeder wußte, bei Ezechiel und bei Sacharja wird sogar nicht nur das Jahr ihres Sprechens, sondern vielfach auch Monat und Tag festgehalten. Ein Prophet bekommt zunächst von Gott einen zeitlich und räumlich begrenzten Auftrag zugewiesen. Er muß bestimmte Menschen mit seiner Gottesbotschaft konfrontieren. Es gilt für ihn, was Ezechiel über seine Wächterfunktion sagt (Ez3,16ff.; 33): Er ist verantwortlich für das Ausrichten der aufgetragenen Botschaft, nicht aber für den Erfolg. Alles liegt daran, daß das Prophetenwort in diese unverwechselbare geschichtliche Stunde hinein gesprochen wird. Aber andererseits gilt ebenso, daß das Wort des Propheten weit über diese Stunde hinausreicht. Dazu wird es aufgeschrieben. Weil es Wort des lebendigen Gottes ist, geben es die Schüler weiter an Menschen in anderen geschichtlichen Lagen und in andersartigen Konflikten. Mit dieser Weitergabe wächst der Anspruch des Prophetenwortes. War das mündliche Wort eines Propheten an eine begrenzte Gruppe von Menschen gerichtet, 18

98 f.

H . J. H E R M I S S O N ,

Zeitbezug des prophetischen Wortes, K u D 27, 1981/82, 96-110;

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z. B. an eine Berufsgruppe wie Bauern, Richter oder Priester, so erhebt das schriftlich weitergegebene Wort den Anspruch, auch für Leser außerhalb dieser Berufsgruppe zuständig zu sein. Hatte das mündliche Wort eines Propheten eine ganz bestimmte Schuld beim N a m e n genannt und angeklagt, so erhebt das schriftlich tradierte Wort den Anspruch, auch für Vergehen ganz anderer Art in einer zukünftigen Generation gültig zu sein. Hatte das mündliche Prophetenwort Hilfe in einer ganz bestimmten und einmaligen Not zugesagt, so erhebt das schriftliche Prophetenwort den Anspruch, auch für N ö t e ganz anderer Art, die später lebende Menschen erfahren, mit zu gelten. Die Ursprungssituation des mündlichen Wortes erhält durch die Schriftlichkeit Modellcharakter und vermittelt grundsätzliche Erkenntnisse über Gottes Handeln an Israel, die auf neue geschichtliche Stunden übertragbar sind 19 . Dazu m u ß das Prophetenwort allerdings in eine neue Zeit hinein „übersetzt" werden; es m u ß für neue Umstände aktualisiert werden, m u ß an neue geschichtliche Lagen adaptiert werden 2 0 . Es m u ß mit ihm sozusagen das gleiche geschehen, was wir mit ihm heute in der Predigt und im Unterricht tun. Die kritische Wissenschaft hat seit vielen Jahrzehnten, ja seit über zwei Jahrhunderten Spuren dieses Aktualisierungsprozesses aufgedeckt. Aber erst in neuerer Zeit hat sie die Spuren recht zu würdigen vermocht. Frühere Vertreter der kritischen Wissenschaft haben sich solcher Spuren eher geschämt. Ihr Ziel war, die Worte des historischen Jesaja aus dem 8. Jh. v. Chr. und die Worte des historischen Jeremia aus dem 7. Jh. v. Chr. möglichst lückenlos aufzudecken. Dabei fühlten sie sich durch die zahlreichen Worte in den Prophetenbüchern, die deutlich späterer Herkunft waren, gestört. Sie nannten diese Worte „sekundär" und hielten sie für weniger wichtig als die „echten" Prophetenworte, denen ihr primäres Interesse galt. Genau damit aber haben sie gerade die Besonderheit der altttestamentlichen Prophetie verkannt 2 1 . Denn diese Besonderheit besteht ''' Das gilt entsprechend auch für die Erfahrungen des Propheten bei der Verkündigung, die deshalb im Falle des Jeremia sorgsam festgehalten und später auf den Gottesknecht (bes. J e s 4 9 , l - 6 ; 50,4-9) übertragen werden. 211 Ein gutes Beispiel bietet die „Übersetzung" von Am 2,6 f. in Verhältnisse des 7. Jh.s durch Am 8,4-7; vgl. dazu den Beitrag „Am 8,4-7 - ein Kommentar zu 2,6 f.", u. S. 231 ff. - Die umfassendste und genaueste Beschreibung dieses Vorgangs hat jüngst in einem vorzüglichen Aufsatz O. H. STECK vorgelegt unter dem Titel „Prophetische Prophetenauslegung", in: H. F. GEISSER u. a. (Hrg.), Wahrheit der Schrift - Wahrheit der Auslegung. Eine Zürcher Vorlesungsreihe zu G. Ebelings 80. Geburtstag, Zürich 1993, 198-244. STECK fordert zu Recht, „Redaktionsgeschichte als literarische Rezeptionsgeschichte (zu) fassen" (210 f. Anm. 27). 21 Wesentliche Anstöße für diese Erkenntnis gaben H. W. HERTZBERG, Die Nachgeschichte alttestamentlicher Texte innerhalb des Alten Testaments, BZAW 66, 1936, 110121 (= DERS., Beiträge zur Traditionsgeschichte und Theologie des Alten Testaments, Göttingen 1962, 69-80), und W. ZIMMERLI, Ezechiel, BK XIII, 1969 fT.; DERS., Vom Prophetenwort zum Prophetenbuch, T h L Z 104, 1979, 481-496. Aber schon B. STADE

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vor allem anderen darin, daß sich zu biblischer Zeit Generation um Generation immer wieder an den Worten der Propheten orientiert hat, sie immer neu auf die eigene Gegenwart bezogen hat, obwohl für die später Geborenen diese Prophetenworte schon lange Zeit zurücklagen. Bis zum Abschluß des K a n o n s wurden diese Aktualisierungen als dem Prophetenwort gleichwertig betrachtet und bildeten mit ihm den Prophetentext. Die späteren Texte eines Prophetenbuches, die - wie im Falle des Jesajabuches ein volles halbes Jahrtausend nach dem Tod des Propheten niedergeschrieben wurden, sind Zeichen der Lebendigkeit der prophetischen Botschaft, Zeichen dafür, wie die späteren Generationen die Botschaft eines Jesaja nicht mit historischem Bewußtsein lasen, also nicht mit der Frage nach einer lang vergangenen Zeit und ihren Merkmalen, sondern mit der Frage, was die Prophetenworte für ihre eigene, viel jüngere Zeit besagen würden. Für die jüngsten prophetischen Ausleger, die in dem Buch Jesaja Niederschlag gefunden haben, war die Zeit des Jesaja wie für uns heute ferne Vergangenheit. Das Wort des Jesaja aber war lebendig und aktuell wie fünf Jahrhunderte zuvor, als es ein erstes Mal gesprochen wurde 2 2 .

V. Auf dem Weg zum Kanon Mit der Schriftlichkeit mündlicher Prophetenworte verband sich aber noch ein weiterer Prozeß, auf den die Forschung erst in allerjüngster Zeit aufmerksam geworden ist. Je jünger biblische Prophetentexte sind, desto mehr nehmen sie auf ältere Prophetenworte Bezug. Am deutlichsten läßt sich diese Entwicklung am Zwölfprophetenbuch verfolgen. Während sich anfangs nur jeweils zwei Prophetenbücher gegenseitig berühren - etwa Arnos und Hosea oder aber N a h u m und Habakuk - , greifen in nachexilischer Zeit die späteren Prophetenbücher schon die Worte vieler, wenn nicht aller älteren Propheten auf. D a r a u s geht deutlich hervor, daß die späteren Propheten ebenso wie die späteren Stimmen in älteren Prophekonnte 1888 formulieren: „Es haben die Überarbeitungen des Textes der prophetischen Bücher noch nicht in dem nöthigen Maaße die Aufmerksamkeit der Ausleger auf sich gezogen" (Geschichte des Volkes Israel II 207); vgl. ausführlich dazu H. BARTH, Die Jesaja-Worte in der Josiazeit, W M A N T 48, 1977, 303-305; R. E. CLEMENTS, Patterns in the Prophetic Canon, in: G. M. TUCKER U. a. (Hrg.), Canon, Theology, and OT Interpretation, FS B. S. Childs, Philadelphia 1988, 189-200. 22 Weil das prophetische Wort nur als ein vielfach aktualisiertes überliefert ist, haben in jüngerer Zeit manche Kommentatoren gemeint, in der Abhebung redaktioneller Schichten nicht mehr (R. P. CARROLL, Jeremiah, OTL, London 1986; DERS., Poets Not Prophets, JSOT 27, 1983, 25-31) oder nur noch ganz selten (O. KAISER in seiner Jesaja-Auslegung in A T D 17-18; Bd. 17 ab der 5. Aufl. 1981) die Zeit oder gar die Worte des historischen Propheten zu erreichen. Vgl. zur Grundsatzfrage F. DEIST, The prophets: are we heading for a paradigm switch? in: V. FRITZ U. a. (Hrg ), Prophet und Prophetenbuch, FS O. Kaiser, BZAW 185, 1989, 1-18.

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tenbüchern, von denen wir eben sprachen, nicht nur nach Gottes Willen fragten, wie er durch einen einzelnen der älteren Propheten ausgesprochen worden war, sondern nach dem, was alle älteren Propheten miteinander verband. Anders ausgedrückt: Sie fragten nach dem Gesamtwillen Gottes, wie er sich aus der Summe aller seiner Worte ergab. Sie taten das, was in unserer Tradition die Aufgabe der Disziplin einer Theologie der Propheten ist. Sie wollten ihren Zeitgenossen den Willen Gottes vermitteln, wie er bei keinem einzelnen Propheten allein, sondern nur bei allen Propheten gemeinsam greifbar ist 23 . Mit dieser Suche nach einem Gesamtwillen Gottes veränderte sich notwendigerweise das Verständnis von Prophetie im Alten Testament. Die späteren Propheten in der ausgehenden Perserzeit und noch mehr diejenigen im Hellenismus beriefen sich nicht so sehr wie die älteren Propheten auf unmittelbare Eingebung Gottes, sondern vielmehr auf das Gotteswort der früheren Propheten, das für die eigene Zeit auszulegen und zu aktualisieren war 2 4 . Die Prophetenbücher galten schon zu biblischen Zeiten selbst als heilige Schrift, längst bevor der K a n o n abgeschlossen war. Ja, die Sorge war in der Spätzeit des Alten Testaments primär, es könnten neue Propheten aufstehen und ihre eigene Eingebung als höherwertig als die überlieferte Prophetie betrachten. Sach 13 bestimmt, daß derartige Propheten getötet werden müssen. Die tradierte Prophetie ist verbindlich und ausreichend; sie kann nicht durch neue Prophetie überboten werden. Auch der Prophet Joel weissagt, d a ß es bald keine Propheten mehr geben wird. Wenn nämlich G o t t seinen Geist auf jung und alt, auf M ä n n e r und Frauen, auf Knechte und Mägde, kurz: auf alle ohne Ausnahme ausgegossen haben wird (Joel 3), wird die Prophetie als Institution überflüssig sein. Dann wird jeder einzelne sich selbst Prophet sein und die Wahrheit des künftigen Handelns Gottes kennen. Apg 2 berichtet, d a ß das von Joel verheißene Wunder zu Pfingsten wahr wurde. Zugleich wurde den mit dem Geist Begabten zu Pfingsten durch die Predigt des Petrus verdeutlicht, d a ß der Tod und die Auferstehung Jesu Christi Gipfel und Zielpunkt aller alttestamentlichen Prophetie sind. Von dieser Mitte und von diesem Ziel aus wird rückblickend noch einmal von neuem deutlich, wie die Besonderheit der biblischen Prophetie, die primär auf ihrer schriftlichen Niederlegung und ständigen Auslegung beruht, nicht ohne das bohrende Fragen nach einem Gesamtwillen Gottes beschrieben werden kann, das sich im Lauf der Geschichte der Prophetie immer mehr verstärkte. 23 Vgl. zu diesem Prozeß bes. O. H. STECK, Der Abschluß der Prophetie im Alten Testament, BThSt 17, 1991; DERS., aaO. [Anm. 20] 206 ff. STECK zeigt überzeugend, daß die späteren Redaktionen der Prophetenbücher den Problemhorizont eines Einzelbuches überschreiten. 24 Vgl. dazu bes. S. BERGLER, Joel als Schriftinterpret, BEAT 16, 1988; H. UTZSCHNEIDER, Künder oder Schreiber? Eine These zum Problem der „Schriftprophetie" auf G r u n d von Maleachi 1,6-2,9, BEAT 19, 1989; N. TAI, Traditionsgeschichtliche Studien zu Sach 9 - 1 4 , Diss. München 1993 (erscheint 1996 in den CThM).

3. Die Anfänge des Dodekapropheton: Hosea und Arnos In jüngster Zeit sind verstärkt B e o b a c h t u n g e n mitgeteilt worden, die d a r a u f hindeuten, daß das D o d e k a p r o p h e t o n weit mehr ist als eine zufällige Zusammenstellung von zuvor j e selbständigen Büchern. G a n z neu ist diese Erkenntnis nicht. M a n c h e literarische Beziehungen wie etwa diejenigen zwischen Joel 4 , 1 6 . 1 8 und A m 1,2 bzw. 9,13 oder diejenigen zwischen A m 9 , 1 2 und O b 19 waren seit langer Zeit im Bewußtsein der Ausleger. N u r wurden sie bisher üblicherweise allein dazu genutzt, die Reihenfolge der Z w ö l f Propheten, die a n e r k a n n t e r m a ß e n grundsätzlich nach chronologischen Gesichtspunkten erfolgt ist, im Einzelfall zu erklären 1 . Jedoch sind die literarischen Bezüge und Querverweise zwischen den einzelnen Büchern des D o d e k a p r o p h e t o n zu zahlreich und zu auffällig, als daß diese Erklärung zureichen könnte. Sie verlangen vielmehr nach einer redaktionsgeschichtlichen Deutung. A m konsequentesten hat sie jüngst - nach mancherlei verschiedenartigen Vorarbeiten anderer 2 - O. H. STECK durchzuführen versucht mit der These, die letzten redaktionellen Wachstumsstufen des Jesajabuches und des Zwölfprophetenbuches seien aufeinander bezogen erfolgt 3 . M i t einer solchen A n n a h m e tritt ein Zwölfprophetenbuch in den Gesichtskreis der Forschung, das, ungleich mehr als bislang vermutet, als ein eigenständiges Buch wahrgenommen werden will und nicht nur als eine lockere S a m m l u n g von separat auszulegenden kleineren Einzelbüchern. Die folgenden Überlegungen sind der Frage gewidmet, wann und unter welchen Umständen der Prozeß begonnen hat, daß ehedem eigenständige 1 U. CASSUTO, T h e Sequence and Arrangement o f the Biblical Sections, in: DERS.. Biblical and Oriental Studies, Vol. I, Jerusalem 1973, 1 - 6 ; 5 f. rechnet mit Stichwortanschlüssen als Gliederungsprinzip. 2 Ich nenne nur E. BOSSHARD, Beobachtungen zum Zwölfprophetenbuch, BN 40, 1987, 3 0 - 6 2 ; J. D. NOGALSKI, T h e Use o f Stichwörter as a Redactional Unification Technique in the Book o f the Twelve, Master-Thesis, Faculty o f the Baptist Theological Seminary, Riischlikon/Schweiz 1987 [masch.]; P. R . HOUSE, T h e Unity o f the Twelve, Bible and Literature Series 27, Sheffield 1990. 1 O. H. STECK, Der Abschluß der Prophetie im Alten Testament. Ein Versuch zur Frage der Vorgeschichte des Kanons, B T h S t 17, 1991. Nach STECKS Arbeit erschien: J. NOGALSKI, Literary Precursors to the B o o k o f the Twelve, B Z A W 217, 1993; DERS., Redactional Processes in the B o o k of the Twelve, B Z A W 218, 1993.

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Dodekapropheton

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Prophetenbücher aufeinander bezogen gelesen wurden und auf diese Weise einen neuen, übergreifenden hermeneutischen Kontext erhielten. Sie beschränken sich auf Beobachtungen an den Büchern der beiden ältesten Propheten im Dodekapropheton, Arnos und Hosea. Auszugehen ist dabei von gegenseitigen Bezugnahmen zwischen beiden Prophetenbüchern, die nur als literarische gedeutet werden können.

I. Es versteht sich von selbst, daß derartige literarische Bezüge streng zu trennen sind von Gemeinsamkeiten, wie sie zwischen zwei Propheten, die nahezu Zeitgenossen waren und beide im Nordreich auftraten, von vornherein zu erwarten sind. Entsprechendes gilt von den Bezugnahmen, die am ehesten aus der Kenntnis der Botschaft des älteren Propheten, Arnos, durch den etwas jüngeren, Hosea, herzuleiten sind. Bei näherem Zusehen sind die zuletzt genannten Gemeinsamkeiten zwischen beiden Propheten aber erstaunlich gering 4 . Zwar sprechen Arnos und Hosea ihre Unheilsbotschaft gegen Israel mit der gleichen uneingeschränkten Schärfe aus - man denke nur etwa an die 4. Vision des Arnos („das Ende ist gekommen zu meinem Volk Israel" A m 8,2) und an den N a m e n des jüngsten Hoseakindes („Nicht-mein-Volk" Hos 1,9) - ; zwar haben sie manche Themen gemeinsam - man denke etwa an die jeweilige Polemik gegen Wallfahrten (Am 4,4; 5,5; Hos 10,5; 12,5.13 f.) - ; aber die Differenzen zwischen den Worten beider Propheten überwiegen deutlich, selbst bei gemeinsamer Thematik. Diese Differenzen sind so tiefgreifend, daß sie m. E. nur damit erklärt werden können, d a ß Arnos im Südreich aufwuchs, Hosea aber im Nordreich. Ich nenne einige Beispiele: 1. Immer aufgefallen ist, wie verschieden beide Propheten das von ihnen gemeinsam erwartete nahende Ende Israels begründen. Im Mittelpunkt der Anklagen des Arnos gegen Israel steht das Zusammenbrechen der gesellschaftlichen Ordnungen Israels und damit die Sozialkritik - nicht zufällig belegt er gerade mit ihr, wieviel schuldiger das biblische Gottesvolk ist als alle noch so grausamen Nachbarvölker (Am 2,6 ff.). Bei Hosea fehlt diese für Arnos so zentrale Thematik nahezu völlig, wenn man von den summarischen Bezugnahmen in Hos 6,7-7,2 und 12,8 f. absieht. 2. Urteilt man aus der Perspektive des Amosbuches, so müßte als nächstgewichtiger Anklagepunkt die Rechtskritik genannt werden, die besonders in Kap. 5 entfaltet wird. Das Recht im Tor wird dort betont

4 Ein bekanntes Beispiel ist die Verballhornung des N a m e n s Bet-El in Bet-Awen in A m 4,5 und Hos 5,8 sowie 10,5. Auf Hos 4,15 ist noch zurückzukommen.

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als Gabe Gottes in den Blick genommen (Am 5,7; 6,12) 5 . Es hätte im Falle der Zerrüttung der Gemeinschaft die Funktion der Kontrolle und Streitbeseitigung einnehmen sollen, wurde aber durch massive Bestechung am Ausfüllen dieser Funktion gehindert (5,10.12). Wiederum gilt: Bei Hosea begegnet dieses Thema allenfalls am Rande; wo es einmal angesprochen wird, wird auf diesem Feld die Schuld des Königtums hervorgehoben wie nie bei Arnos (Hos 10,4) bzw. wird auf den Rechtsbruch an bestimmten Kultorten verwiesen (Hos 5,1). 3. Scheinbar ist damit ein Stichwort für eine wesentliche Übereinstimmung zwischen beiden Propheten gefallen: die Kultkritik. Sie spielt unbestreitbar in der Verkündigung beider Propheten eine tragende Rolle. Aber bei näherem Zusehen ist diese Rolle hier und dort je verschieden zu charakterisieren. Hosea übt inhaltliche Kritik am Gottesdienst seiner Zeit, wenn er die Vermehrung von Altären und Priestern als Zeichen kanaanäischer Überfremdung des Kults anprangert (4,7; 8,11-13; 10,1 f. u. ö.); er rügt damit, daß eine ritualisierte Opfermentalität an die Stelle dessen getreten ist, was er mit dem Stichwort „Gotteserkenntnis" (DTI^X n s n ) als wahren Gottesdienst bezeichnet: Orientierung an der Geschichte Gottes mit Israel und am überlieferten Gotteswillen 6 . Demgegenüber konzentriert sich Arnos ganz auf den Gegensatz zwischen einem Kult, der ein intaktes Gottesverhältnis vorspiegelt, und dem faktischen Unrecht in Gestalt der Unterdrückung der Armen im Alltag. Für Arnos dient der Kult in seiner Gegenwart zur Gewissensberuhigung; er verhindert Schulderkenntnis und fördert damit „Verbrechen" (Am 4,4 f.). Wo er praktiziert wird, obwohl Gottes Gaben in Gestalt von „Recht und Gerechtigkeit" mit Füßen getreten werden, hat sich G o t t diesem Treiben längst entzogen, und die Feste sind von Jahwes Festen zu Israels eigenen Festen pervertiert worden (5,21-24). 4. Wollte man die Differenzen zwischen Arnos und Hosea von letzterem aus entwerfen, müßte m a n etwa darauf verweisen, daß Hosea nirgends leidenschaftlichere und gefühlsbetontere Entrüstung über die Zustände seiner Zeit äußert als im Fall des Stierbildes von Bet-El, das er mit einem Abstraktplural als „Kalbszeug" (Hos 10,5) beschimpft und das ihm zum Symbol tödlicher Verirrung in der Gottesvorstellung Israels geworden ist (8,5; 13,2). Immer aufgefallen ist demgegenüber, d a ß Arnos zwar wie Hosea die Wallfahrten nach Bet-El verwirft, das Stierbild von Bet-El aber mit keiner einzigen Silbe erwähnt.

5 Diesen Aspekt hat insbesondere K. KOCH, Die Entstehung der sozialen Kritik bei den Profeten, in: H. W. WOLFF (Hrg.), Probleme biblischer Theologie, FS G. von Rad, M ü n chen 1971, 236-257; 250 ff. hervorgehoben. 6 Die beste Analyse bietet noch immer der vorzügliche Aufsatz von H. W. WOLFF, „Wissen um G o t t " bei Hosea als U r f o r m von Theologie, EvTh 12, 1952/53, 5 3 3 - 5 5 4 (= Ges. St., T B 22, 2 1973, 182-205).

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5. M a n müßte weiter daran erinnern, wie bei Hosea ganze Kapitel geprägt sind von intensiven Rückblicken in die Geschichte Israels, wie sie in der gesamten Prophetie singulär sind - letztlich ist Hosea von der Überzeugung geprägt, d a ß sich an der Beschäftigung mit seiner von Gott bestimmten Geschichte das Gottesverhältnis Israels entscheidet. Wiederum m u ß demgegenüber auffallen, daß bei Arnos dieses Thema so gut wie keinerlei Rolle spielt; die wenigen Ausnahmen 7 bestätigen nur diese Differenz. Über solchen Unterschieden zwischen der Verkündigung des Arnos und der des Hosea, die sich erheblich vermehren ließen, wird erkennbar, was es heißt, daß Hosea aus dem Nordreich stammt, Arnos aber aus dem Südreich. In der Auswahl seiner Themen hat Arnos viel gemeinsam mit Jesaja, dem Jerusalemer, auf den er zudem nachweislich eingewirkt hat 8 . Hoseas Einfluß ist ungleich stärker als auf Jesaja ein Jahrhundert später beim jungen Jeremia und - indirekter - beim Deuteronomium wahrzunehmen, was wiederum für Arnos weit weniger gilt. Kurz: M a n würde beide Propheten kaum für Zeitgenossen, die dazu noch im gleichen geographischen Raum aufgetreten sind, halten, verfügte m a n nicht über die Überschriften ihrer Bücher und vor allem über die zeitgeschichtlichen Anspielungen in ihren Worten. Jedoch sind es auffälligerweise nicht die soeben beschriebenen gewichtigen Unterschiede zwischen Arnos und Hosea gewesen, die sich den Auslegern durch die Jahrhunderte bis zur Aufklärung eingeprägt haben. Diese Ausleger gingen vielmehr nahezu ausnahmslos von dem Bewußtsein aus, die Propheten des Alten Testaments seien durch eine gesamtprophetische, d. h. sie untereinander verbindende Botschaft geprägt. Erst die historischkritische Forschung auf ihrem Höhepunkt 9 hat überzeugend nachgewiesen, daß die Vereinheitlichung der großen Propheten - sei es im Sinne der deuteronomistischen Theologie oder sei es später im Sinne der beginnenden Apokalyptik - erst das Werk Späterer war. Kann man dann formulieren, die Vereinheitlichung der Propheten untereinander habe im Exil eingesetzt, als die klassischen Propheten, die zu ihrer eigenen Zeit von ihren Hörern weitestgehend abgelehnt worden waren, als „wahre Propheten" erkannt wurden und den Menschen in der Katastrophe Orientierung boten? Diese These wäre plausibel, wenn die Vereinheitlichung der Propheten im Sinne der deuteronomistischen Theologie die älteste wäre. Es ist der Grundgedanke der folgenden Ausführungen, daß eine solche Vereinheitlichung - zumindest partiell - schon erheblich früher begann, freilich auch im Zusammenhang mit einer Katastrophe und ihrer Bewältigung: dem Fall Samarias 722. Ich beschränke meine Beobachtungen dabei 7

2,9 und 9,7, beide Verse stark umstritten. Zu 3,2 vgl. unten Abschnitt III. 1. Vgl. einstweilen R. FEY, Arnos und Jesaja. Abhängigkeit und Eigenständigkeit des Jesaja, W M A N T 12, 1963. Das Thema bedarf einer neuen Behandlung. 9 Als repräsentativ kann B. DUHM, Israels Propheten, Tübingen 21922, gelten. 11

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auf Beispieltexte aus den Büchern Arnos und Hosea, die gegenseitige literarische Bezugnahmen bieten.

II. Die Ausführungen zum Buch Hosea können kürzer ausfallen, weil die Fragestellung für dieses Prophetenbuch weniger austrägt als für das Amosbuch. Es ist seit längerer Zeit aufgefallen, daß sich im Hoseabuch einzelne Worte finden, die terminologisch klingen, als stünden sie im Amosbuch. Ich wähle zwei Beispiele 10 : 1. Hos 4,15. Im Kap. 4 beschreibt der Prophet Hosea den von ihm verabscheuten Gottesdienst auf den Höhen Israels so präzise wie sonst nie. Zusätzlich zu dem häufigeren Vorwurf, daß die Kultstätten, die Priester und die Opfer vermehrt werden und für Hosea damit der Sinn des Gottesdienstes auf die Sicherung des Wohlstandes reduziert wird (V. 7 f.)", nennt er diejenigen Elemente dieses Gottesdienstes, die ihm besonders fremd sind: a) den Alkoholkonsum, der für den Propheten das „Herz meines Volkes", d. h. seine Fähigkeit zu abgewogener rationaler Entscheidung raubt (V. 11); b) die Rhabdomantie, die für ihn besonders abwegig ist, da Israel doch Propheten besitzt (V. 12); c) am Höhepunkt (V. 13 f.) die Sexualriten, die die Fruchtbarkeit des Mutterschoßes sichern und mehren sollen, für den Propheten aber primär die Familienbande zerstören (V. 14a). Mit dem letztgenannten Vorwurf rundet sich der Gedanke, der in V. 11 mit der Klage über den Verlust der Urteilsfähigkeit des Volkes eingesetzt hatte; er endet in V. 14b wiederum mit einer Klage darüber, daß durch das Vorbild der Priester das unverständige Volk in die Irre geführt wird und zu Fall kommt. Auf diesen durch die genannte Inklusion abgeschlossenen Gedankengang folgt ein Vers, der eindeutig Amossprache widerspiegelt: Wenn d u , Israel, s c h o n U n z u c h t treibst, so soll sich d o c h J u d a nicht v e r s ü n d i g e n : K o m m t nicht n a c h Gilgal, zieht nicht h i n a u f n a c h Bet-Awen, schwört nicht (in Beerscheba) 1 2 : „ S o w a h r J a h w e lebt"! 10

Ein drittes, hier nicht behandeltes Beispiel, bietet Hos 11,10. Wie sehr für Hosea Vermehrung von Kultstätten, Opfern und Priestern zusammengehören, zeigen in Verbindung mit 4,7 f. etwa 8,11 f.; 10,1 f. und 13,4-6. 12 Der unlösliche Z u s a m m e n h a n g zwischen dem kultischen „Schwur" mit dem N a m e n Beerscheba ergibt sich sowohl aus Gen 26 wie aus A m 8,14. 11

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V. 15a fällt sogleich auf durch den plötzlichen und unvorbereiteten Wechsel von der Schilderung der vorangehenden Verse zunächst zur singularischen Anrede und dann über den Jussiv zur pluralischen Anrede, durch den sehr künstlich der Übergang der Adressaten vom Nordreich zum Südreich markiert wird. Die verneinten Imperative V. 15b ihrerseits bieten ein leicht erkennbares Mischzitat aus Am 4,4; 5,5 und 8,14. Alle drei Verse des Amosbuches haben gemeinsam, daß sie die Nutz-und Sinnlosigkeit von Wallfahrten zu den berühmten Heiligtümern des Nordreichs (Bet-El und Gilgal) sowie zu dem tief im Süden gelegenen Heiligtum von Beerscheba darlegen wollen. Was ist dann der Sinn des Verses Hos 4,15? Offensichtlich soll späteren judäischen Lesern unmöglich gemacht werden, die voranstehenden Hoseaworte „historisch" zu lesen. Von Höhengottesdiensten, die wie in Hos 4 von Rhabdomantie und Sexualriten geprägt gewesen wären, hören wir andernorts in Juda nichts 13 . Wohl aber muß es in Juda zur Zeit von Hos 4,15 den Wunsch nach Wallfahrten nach Bet-El und Gilgal gegeben haben, den berühmten Orten der Jakob-und Landnahmetradition, beide nur ca. zwanzig Kilometer von Jerusalem entfernt. Für Beerscheba, den Ort der Abraham- und Isaaktradition, in Juda selbst gelegen, ist Analoges noch evidenter. M. E. läßt sich die genannte Beobachtung zu Hos 4,15 generalisieren: Je konkreter einzelne Prophetenbücher Sachverhalte benennen, die an bestimmte lokale Traditionen und zeitliche Umstände gebunden waren, desto schwieriger war die Aktualisierung solcher Worte für spätere Tradenten, insbesondere dann, wenn sie wie im Falle von Hos 4,15 nicht nur in anderen Lebensumständen, sondern auch an anderem Ort (d. h. im Südreich statt im Nordreich) vollzogen werden mußte. Überkommene Prophetenworte wurden im Zuge der Überlieferung daher immer stärker auf das in ihnen enthaltene Grundsätzliche hin (im vorliegenden Falle im Blick auf grundsätzliche Verfehlungen im Gottesdienst) gehört und formuliert, um eben in solcher wachsenden Abstraktion Lebenshilfe auch für Menschen in anderen Lebensumständen bieten zu können. 2. Hos 8,14. Das Kapitel 8 im Hoseabuch ist sehr kunstvoll gestaltet, insofern in ihm die Hauptthemen der Kritik Hoseas zusammengestellt sind, die sich steigernd aneinanderfügen 1 4 , als Belege des Satzes: „Israel hat das Gute verworfen" (V. 3):

13 Bei den vielfältigen Anspielungen an hoseanische Sprache im Jeremiabuch, sonders in Jer 2. ist durchgehend mit übertragenem Sprachgebrauch zu rechnen; vgl. Beitrag „Hoseas Einfluß auf das Jeremiabuch", u. S. 122 ff. 14 Die kunstvolle Fügung der Worte tritt erst dann voll zutage, wenn man beachtet, Kap. 8 eine abgekürzte Parallel-Komposition zu 5,8-7,16 darstellt; vgl. J . J E R E M I A S , Prophet Hosea, A T D 24/1, 1983, 103 f.

beden daß Der

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a) anfangs die Kritik am Staat (die von Gottes Urteil und Willen gelöste Wahl von Königen im Zuge der wechselnden Revolutionen wird mit Götzendienst parallelisiert und gleichgestellt: V. 4), dann b) die Kritik am Staatskult (das Stierbild in Bet-El ist „dein Kalb, Samaria", mit dem Jahwe nichts zu schaffen hat: V. 5 f.), weiter c) die Kritik an der Außenpolitik (Hilfesuche bei Assur impliziert die Verwerfung Jahwes mit tödlichen Folgen: V. 8 - 1 0 ) und zuletzt d) als Höhepunkt die Kritik am Gottesdienst (die Vermehrung der Opfergottesdienste statt des Achtens auf die vielfältigen Willenskundgebungen Jahwes: V. 11-13). Diese vielfache Anklage führt zu der ungeheuer harten Folgerung, d a ß Jahwe die gesamte Heilsgeschichte revoziert und Israel in jene Unterdrückung „Ägyptens" zurückkehren muß, aus der es einst von Jahwe befreit worden war (V. 13b). Sachlich post festum und in auffällig anders gehaltenem Stil (Narrative) folgt ein abschließender V. 14, der in der Strafansage voller Anspielungen an die Völkerworte des Amosbuches ist: Israel vergaß seinen Schöpfer u n d e r b a u t e Paläste, und J u d a vermehrte befestigte Städte. D o c h ich sende Feuer in seine Städte, d a ß es deren Palastfestungen verzehrt.

Erneut wird, wie zuvor in Hos 4,15, vom Nordreich als Adressaten übergegangen zum Südreich, offensichtlich wieder in der Befürchtung, Juda könnte sich von den in Hos 8 genannten Schuldmerkmalen nicht betroffen fühlen. In der Tat ist keiner der vier Vorwürfe ohne weiteres und in gleicher Weise auf Juda anwendbar. Mit den nun in 8,14 zusätzlich genannten neuen Schuldgründen des Luxus und des Sicherungsbedürfnisses in den Palästen der Hauptstadt wird noch eindeutiger als in 4,15 ein Amosthema aufgegriffen (vgl. etwa A m 3,9-11; 6,8) und damit zugleich ein neues Strafgericht mit Hilfe von Zitaten der Völkersprüche des Arnos angefügt. Hier wird in der veränderten Strafankündigung gleichzeitig der zeitliche Abstand von V. 14 zum Rest des Kapitels Hos 8 erkennbar. Hosea kündigt vor dem Fall Samarias das Ende der Geschichte Gottes mit seinem Volk an; V. 14 verdeutlicht judäischen Lesern nach dem Fall Samarias, daß ihnen selber das Ende allen Luxus in der Stadt und das Ende allen Sicherungsstrebens in Gestalt des Baus von Palästen und Burgen noch bevorsteht. Aus den genannten Beobachtungen geht deutlich hervor, daß die Worte im Hoseabuch, die von Arnos beeinflußt sind, Nachtragscharakter besitzen. Sie sind leicht mit literarkritischen Mitteln aus ihrem Kontext ablösbar und setzen die schon abgeschlossene Komposition der Hoseakapitel voraus, also das schriftliche Hoseabuch oder doch zumindest Teile davon. Ihr Ziel besteht darin, die Judäer, die das Hoseabuch lesen, daran zu hindern, es mit einem historischen Bewußtsein als vergangenes Buch zu lesen und sie statt

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dessen zu nötigen, es auf sich selber zu beziehen. Aus solchem Gebrauch von Amoszitaten geht zugleich hervor, daß den judäischen Lesern der Prophet Arnos, obwohl er im Nordreich verkündete, sachlich näher stand als der Nordreichsprophet Hosea. Dabei setzen die judäischen Aktualisierungen den Fall Samarias voraus. F ü r eine genauere zeitliche Einordnung ergibt sich aus dem Vorwurf gegen den Luxus der Paläste (8,14) und noch deutlicher aus der Warnung vor einer Wallfahrt nach Bet-El (4,15), daß sie noch vor den Vollzug der Kultreform Josias anzusetzen sind. G r o b gesprochen gehören sie in das Jahrhundert zwischen 720 und 620 v. Chr.

III. Einen ganz anderen Sachverhalt findet man vor, wenn m a n nach literarischen Bezugnahmen des Amosbuches auf Hoseaworte fragt. Der Einfluß von Hoseaworten auf Formulierungen im Amosbuch ist viel breiter belegt, ja nahezu auf Schritt und Tritt zu spüren. Vor allem aber findet er sich nicht erst in aktualisierenden Zusätzen, die sich mit literarkritischen Mitteln isolieren lassen, sondern schon im ursprünglichen schriftlichen Textbestand. Obwohl die mündlichen Worte des Arnos noch nicht von Hosea beeinflußt sein können, da Arnos früher als Hosea auftrat, hat es m. E. ein schriftliches Amosbuch ohne diesen Einfluß nie gegeben. Seit m a n die Amosworte systematisch gesammelt hat, hat m a n sie offensichtlich sogleich auf die überlieferten Worte Hoseas hin gelesen, d. h. mit den Worten Hoseas im Ohr. Diese Beobachtung führt zu der Folgerung, daß das schriftliche Hoseabuch - bzw. ein Teil von ihm - älter ist als das Amosbuch, obwohl Arnos der ältere Prophet von beiden war 1 5 . Auch im Falle des Amosbuches beschränke ich mich zunächst auf zwei Beispiele und wähle sie bewußt aus verschiedenen Teilen des Buches. Wie ich andernorts in Weiterführung von Beobachtungen H. W. WOLFFS ZU zeigen versucht habe 1 6 , war das älteste für uns erkennbare Amosbuch aus zwei verschiedenen Teilen zusammengesetzt: a. einer Wortsammlung (Kap. 3-6), die jetzt den Mittelteil des Buches ausmacht, und b. zwei parallel gebildeten, strophenartigen Kompositionen, dem Völkerspruchzyklus (Kap. 1 - 2 ) und dem Visionenzyklus (Kap. 7 - 9 ) , die sich wie ein Rahmen um diese Wortsammlung legen, aber von vornherein aufeinander zu komponiert waren. Dabei ist der Mittelteil des Amosbuches, der zuerst 15 Vielleicht ist die ungewöhnliche Wortfügung in Hos 4 - 1 4 mit ihrem weitgehenden Verzicht auf Ein- und Ausleitungsformeln aus einer solchen relativ frühen Niederschrift erklärbar, während die Komposition der Kapitel 1 - 3 mit ihren zahlreichen späten Heilsworten erheblich jünger sein könnte; vgl. dazu den folgenden Beitrag. 16 „Arnos 3-6. Beobachtungen zur Entstehungsgeschichte eines Prophetenbuches", u. S. 142 ff.; „Völkersprüche und Visionsberichte im Amosbuch", u. S. 157 ff.

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betrachtet werden soll, in sich zweigeteilt; beide Teile werden durch eine ganz analoge Überschrift eingeleitet, wobei gerade aufgrund der Analogie die Differenzen deutlich ins Auge fallen 1 7 : 3,1: H ö r t dieses Wort, d a s Jahwe ü b e r e u c h redet, ihr Israeliten! 5,1: H ö r t dieses Wort, d a s ich über euch als Leichenklage anhebe, Haus

Israe!\

Beide Überschriften zeigen, daß die Kap. 3 - 4 und 5 - 6 aufeinander bezogen und doch voneinander unterschieden gelesen und verstanden werden sollen. Kap. 3 - 4 enthalten der Überschrift zufolge wesenhaft Jahwewort, Kap. 5 - 6 dagegen wesenhaft Prophetenwort; Kap. 3 - 4 betreffen Israel als Gottesvolk, Kap. 5 - 6 dagegen Israel als Staat 1 8 . Zusammengenommen besagen die beiden Überschriften, d a ß der Prophet den (damals bevorstehenden) Untergang des Nordreichs als Staat beklagen mußte, weil das Gottesvolk restlos am Gotteswillen versagt hatte. Die Reihenfolge der Kapitel ist unumkehrbar. So geht allein schon aus der überlegten Formulierung der Teilüberschriften hervor, daß die Tradenten mehr wollten, als nur Amosworte in relativ beliebiger Reihenfolge zusammenzustellen.

III. 1 Am 3,2. Wenden wir uns im folgenden dem Eingang des Gotteswortes Kap. 3 zu, so ist sogleich erkennbar, daß ab V. 9 typische Einzelworte gegen bestimmte Gruppen in Israel beginnen; näherhin handelt es sich in 3,9-4,3 um eine Sammlung von Worten gegen die Einwohner der Hauptstadt Samaria, die im Block Am 5 - 6 ihre Entsprechung in Kap. 6 findet. Voraus gehen dieser Sammlung zwei Worte ungleicher Länge, die aber beide von übergeordneten Gesichtspunkten bestimmt sind: a) Unmittelbar auf die Überschrift folgt ein kurzes Wort programmatischen Charakters, das eine Art Zusammenfassung der nachfolgenden Einzelworte bildet (V. 2). b) Danach folgt eine lange Kette von Fragen, die jeweils Ursache und Wirkung miteinander verbinden (V. 3 - 8 ) . Ihr Sinn geht aus den letzten

17 Im Unterschied zu 3,1 und 5,1 ist der Aufmerksamkeitsaufruf in A m 4,1, dem sowohl der Relativsatz als auch die nota accusativi fehlen, nur als Einleitung der Untereinheit 4,1 3 zu verstehen, wie schon K. KOCH und Mitarbeiter, Arnos. Untersucht mit den Methoden einer strukturalen Formgeschichte, AOAT 30, 1976, Teil II, 107 f. erkannt haben. 18 Auf den ersten Blick könnte man diese Differenz in der Charakterisierung der Adressaten für Zufall halten. D a s ist jedoch unmöglich, wenn man beachtet, d a ß A m 3 - 4 konsequent „ihr Israeliten" (3,1.12; 4,5), A m 5 - 6 noch konsequenter „ H a u s Israel" (5,1.3.4.25; 6,1.14) verwenden, der jeweils andere Begriff aber nie begegnet. Z u „ H a u s Israel" als Begriff für den Staat vgl. H. W. WOLFF, Dodekapropheton 2. Joel, Arnos, BK XIV/2, 2 1975, 199 f.

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Versen hervor, die am Höhepunkt G o t t als Subjekt nennen (V. 6.8) 19 . V. 8 zielt auf den Zwangscharakter der prophetischen Botschaft ab: Der Löwe brüllt wer m u ß sich nicht fürchten? (Der Herr) Jahwe redet wer m u ß nicht als Prophet auftreten?

Der voranstehende V. 6 zeigt aber, d a ß nicht prophetisches Verkünden allgemein im Blick ist, sondern speziell prophetische Unheilsbotschaft: Stößt ohne Trifft ohne

m a n ins H o r n in einer Stadt, d a ß die Leute aufschrecken? ein Unglück eine Stadt, d a ß Jahwe a m Werk war?

Zusammen legen V. 6 und V. 8 dar, daß Arnos nicht freiwillig Bote des strafenden und richtenden Gottes geworden ist. Die beiden zitierten Abschlußverse der Fragenreihe verdeutlichen somit, d a ß die Fragen in A m 3 , 3 - 8 im Kontext Legitimationsfunktion ausüben. Das Wort Jahwes, das die Überschrift V. 1 thematisch einführt, wird durch die Kette der Fragen in V. 3 - 8 mit dem Wort identifiziert, das dem Propheten aufgenötigt ist (V. 8) und das inhaltlich ein Unheilswort ist (V. 6). Bevor es aber in den Versen 9 ff. in Gestalt von Einzelsprüchen des Arnos näher ausgeführt wird, wird dieses Gotteswort zuvor in V. 2 zusammenfassend charakterisiert. F ü r das Verständnis von V. 2 ist seine Position wesentlich. Da der Vers unmittelbar auf die Überschrift folgt und noch vor der Legitimationsperikope V. 3 - 8 steht, ist deutlich, daß er mehr sein will als ein beliebiges Einzelwort des Arnos. Vielmehr bietet er die Quintessenz all jener Einzelworte, die in 3,9-4,3 genannt und zuvor in 3 , 3 - 8 als dem Arnos aufgenötigtes Gotteswort ausgewiesen werden. V. 2 lautet: Euch allein habe ich e r k a n n t aus allen Sippen der Erde; d a h e r a h n d e ich an euch alle eure Vergehen.

Bemerkenswert an V. 2 ist aber nun nicht nur, d a ß er so betont in seiner Zwischenstellung zwischen Überschrift und Legitimationsperikope als zentrales Gotteswort des Arnos hervorgehoben wird, sondern ebenso, daß für dieses programmatische Wort eine Sprache gewählt ist, die völlig untypisch für Arnos ist. Das gilt 1 ) für das Verb „erkennen" ( 5 7 T ) als Be-

19 Der Vers 3,7, der die Fragen mit einer These unterbricht, ist dtr Zusatz; vgl. W. H. SCHMIDT, Die deuteronomistische Redaktion des Amosbuches, ZAW 77, 1965, 168-193; 185-188.

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Zeichnung für G o t t e s erwählendes Handeln, das keine Parallele im A m o s buch findet, und d a r ü b e r hinaus für das E r w ä h l u n g s t h e m a generell, das im Buch Arnos nur noch in 9,7 begegnet, dort aber in ganz anderer Funktion, insofern in 9,7 mit ihm gerade ein Vorrecht Israels vor seinen N a c h b a r völkern bestritten wird 2 0 . Es gilt 2) für die Bezeichnung der Strafe mit dem Verb "TpS „ a h n d e n , heimsuchen", das im A m o s b u c h nur noch in 3,14 begegnet, dort aber literarisch von 3,2 abhängig ist 21 . Es gilt vor allem aber 3) für die Bezeichnung der Schuld mit dem Begriff 1117. Der Begriff begegnet auffälligerweise nirgends sonst im A m o s b u c h , obwohl in ihm nicht gerade selten von Israels Schuld die Rede ist. Aber das A m o s b u c h gebraucht zur Benennung der Schuld Israels und der Völker zumeist konsequent den von H a u s aus weisheitlichen bzw. politischen Begriff und nur gelegentlich Substantive der allgemeineren Wurzel Nün. Wenn A m 3,2 aber in einer für Arnos ganz untypischen Terminologie formuliert ist, woher s t a m m t d a n n diese Sprache? M . E. k a n n die A n t w o r t nur lauten: Sie verdankt sich im wesentlichen dem Hoseabuch. Z w a r wird der Begriff des „ E r k e n n e n s " (VT) für G o t t e s Erwählungshandeln auch im Hoseabuch nur einmal ( H o s 13,5 M T ) verwendet - er ist dort trotz der anders nuancierenden D e u t u n g von L X X und Pesch, durch das Wortspiel mit dem gleichen Verb in V. 4 fest verankert 2 2 - , aber der Begriff IpD f ü r Jahwes Strafe begegnet in breiter Streuung an zentralen Stellen (Hos 1,4; 2,15; 4,9.14; 8,13; 9,9; 12,3) und Entsprechendes gilt f ü r die Bezeichnung der Schuld Israels mit dem Begriff IIS?23. Wird f ü r die Z u s a m m e n f a s s u n g des Gotteswortes des Arnos in seiner programmatischen Gestalt in A m 3,2 somit eine Sprache gewählt, die stark von hoseanischer Theologie her geprägt ist, k a n n das k a u m etwas anderes heißen, als d a ß die Leser des Amosbuches aufgefordert werden, das Gottes20 Von den anerkannt dtr Stellen (2,10-12; 3,1b; vgl. SCHMIDT, ebd. 172 ff.) kann hier abgesehen werden. H. GESE, D a s Problem von Arnos 9.7, in: A. H. J. GUNNEWEG - O. KAISER (Hrg.), Textgemäß, FS E. Würthwein, Göttingen 1979. 33-38, hält auch A m 9,7 für dtr. 21 D a ß A m 3,13 f. insgesamt einer nachexilischen Redaktion zuzuschreiben sind, habe ich an anderer Stelle zu zeigen versucht; vgl. „Jakob im Amosbuch", u. S. 257 fT., bes. S. 265 fT., und A T D 24/2 z. St. Vgl. zuvor S. MITTMANN, Arnos 3,12-15 und das Bett der Samarier, Z D P V 92, 1976, 149-167; 150-152, sowie R. F. MELUGIN, The Formation of Arnos. A n Analysis of Exegetical Method, SBL 1978 Seminar Papers Vol. I, 1979, 369-391; 382. 22 In der kleinen Einheit H o s 13,4-6 bildet V. 5 einen Brückenvers, der durch Wortspiele mit V. 4 und V. 6 verbunden ist. Während M T (VT) das Wortspiel mit V. 4 verstärkt, legen L X X und Pesch, ( n s n ) den Ton auf die Verbindung mit V. 6. - Im übrigen ist die Erwählungsthematik im Buch Hosea reich belegt; vgl. etwa H o s 1,9; 2,16 f.; 9,10;

10,11; 11,1.

23 Weder vom Arnos- noch vom Hoseabuch aus erklärlich bleibt die Wendung „Sippen der Erde". Will m a n zur D e u t u n g nicht auf G e n 12,3; 28,14 rekurrieren, müßte m a n am ehesten an die Vorgeschichte des Sprachgebrauchs denken, der im Jeremiabuch (Jer 1,15; 2,4; 25,9; vgl. Ez 20,32) bzw. später in den Psalmen (Ps 96,7; 22,28) belegt ist.

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wort des Arnos nicht „historisch" zu begreifen, also nicht als das unverwechselbare und singulare Wort des Arnos, sondern es vielmehr von Hosea her zu verstehen und auf Hoseas Worte hin zu lesen. Mit dieser hermeneutischen Vorgabe wird den Lesern insbesondere eingeschärft, die im folgenden Amosbuch dargelegte Schuld des Gottesvolkes (und auch die je eigene Schuld) am Maßstab der unvergleichlichen Erfahrungen Israels mit G o t t in seiner Geschichte zu messen, wie sie Arnos voraussetzt (vgl. A m 2,9), Hosea sie aber breit dargelegt hat. Die Tradenten der Amosworte sind erkennbar der Meinung, daß das Gotteswort des Arnos und dasjenige des Hosea in einem letzten Sinne miteinander identisch sind, sich jedenfalls gegenseitig interpretieren.

III. 2 Am 7,9 (10-17). Das zweite Beispiel für die Beeinflussung eines Wortes aus dem Amosbuch durch Hoseasprache wähle ich aus dem Visionenzyklus. Wahrscheinlich haben die Visionsberichte des Arnos einmal eine separate Sammlung gebildet. Zumindest gilt das für die ersten vier Visionen 24 , da sie betont paarweise gestaltet sind und die beiden Visionenpaare im Kontrast zueinander gelesen werden wollen. In den ersten beiden Visionen sieht Arnos jeweils ein für Israel tödliches Unheil zum Zeitpunkt seiner Entstehung; in der ersten Vision ist es die Bildung eines Heuschreckenschwarms durch Jahwe, in der zweiten Vision steigernd eine kosmische Dürre. Beide Male bricht Arnos in eine spontane Fürbitte aus, die nahezu wörtlich gleich formuliert ist und auf Gottes Mitleid mit dem „kleinen Jakob" zielt, der den Schlag Jahwes nicht überleben könnte. Jeweils erreicht Arnos mit seiner Fürbitte das Überleben des Gottesvolkes: Jahwe nimmt das Unheil zurück, und zwar trotz Israels großer Schuld, die der Prophet kennt, der daher Jahwe anfangs um Vergebung bittet. Wollte m a n dieses Visionenpaar separat lesen - was vom Kontext nicht gestattet ist so müßte m a n formulieren: Israel überlebt nur, weil es Propheten hat, die wie Arnos in letzter Stunde Gottes strafendem Willen in den A r m gefallen sind. Auch die dritte und vierte Vision sind paarweise formuliert, aber sie haben einen völlig anderen Sinn. Jetzt sieht Arnos nicht mehr ein bevorstehendes Unheilsgeschehen, sondern ein statisches Bild: eine „Mauer aus Zinn", auf der Jahwe mit Zinn in seiner H a n d steht 25 , bzw. einen Korb mit 24

D a ß die fünfte Vision fest zu dieser Sammlung hinzugehört, habe ich an anderer Stelle zu zeigen versucht („Das unzugängliche Heiligtum", u. S. 244 ff.). 25 D a ß anfnjäku im Akkadischen und sein Lehnwort "IIS im Hebräischen „Zinn" und nicht „Blei" bedeuten, haben in jüngster Zeit viele Arbeiten gezeigt; vgl. grundlegend B. LANDSBERGER, Tin and Lead, J N E S 24, 1965, 2 8 5 - 2 9 6 sowie stellvertretend für andere W. BEYERLIN, Bleilot, Brecheisen oder was sonst? O B O 81, 1988, 18 ff.; vgl. ausführlicher dazu den in A n m . 24 genannten Beitrag (u. S. 246 f., A n m . 8).

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Sommerobst. Jeweils wird Arnos aufgefordert, das Geschaute zu benennen („Was siehst du, Arnos?"), und erst nachdem der Prophet das Bild präzise auf den Begriff gebracht hat, wird das Symbol ihm von G o t t gedeutet: „Ich bin dabei, Zinn (vermutlich Sinnbild für Waffen) mitten in mein Volk Israel zu legen" bzw. „ D a s Ende ist gekommen zu meinem Volk Israel". Beide Deutungen der Visionen führen eine Konsequenz herauf, die wörtlich gleich formuliert ist: „Ich kann nicht mehr (schonend) an ihm (gemeint ist Israel) vorübergehen" (Am 7,8; 8,2). Dieser letzte Satz zeigt eindeutig, wie eng die beiden Visionenpaare aufeinander bezogen gelesen werden sollen: Was Arnos in den ersten beiden Visionen gelang - die Rücknahme des geplanten Unheils durch Jahwe - , wird in der dritten und vierten Vision gerade als unmöglich ausgeschlossen. Diese letzteren Visionen schärfen dem Leser ein, daß es eine Grenze der göttlichen Geduld gibt; wenn sie erreicht ist, muß die Fürbitte des Propheten verstummen. Die beiden Visionenpaare wollen also einen Weg aufzeigen, den der Prophet Arnos von G o t t geführt worden ist. Hat er anfangs mit der Macht seiner Fürbitte erreicht, d a ß G o t t seinen Unheilsplan zugunsten Israels fallen ließ, so m u ß der Prophet danach erkennen, d a ß am Ende des Weges kein R a u m mehr für eine solche Fürbitte ist. Arnos muß sozusagen ganz auf die Seite des strafenden Gottes treten. Er darf ihn nicht mehr am vernichtenden Handeln gegenüber Israel hindern. Mit der Niederschrift dieses Weges will Arnos offensichtlich seine Unheilsverkündigung im Namen Jahwes vor seinen Hörern rechtfertigen. Er selber hat nie verkündigen wollen, was er jetzt verkündigen muß; aber als Bote seines Gottes hat er keine andere Wahl, als das Gotteswort zu sagen, das ihm aufgetragen ist. Auffällig ist nun, d a ß sich zwischen die dritte und vierte Vision, die so deutlich als ein Visionenpaar zusammengehören, die berühmte Erzählung von dem Zusammentreffen des Arnos mit dem Priester Amazja in Am 7,10 17 schiebt. Sie ist literarisch vielfältig mit der dritten Vision verknüpft 2 6 , ist also bewußt auf diese Vision hin gestaltet worden, um sie zu erläutern. Ihre Funktion im Kontext ist unschwer zu bestimmen. Sie will an der Nahtstelle der Visionsberichte, d. h. nach der ersten Erwähnung des Endes der göttlichen Geduld und des Endes der Möglichkeit des Propheten, Gott zu beeinflussen, erläutern, warum die Geduld Gottes am Ende war. Die Visionsberichte selber konstatieren ja nur das Faktum, daß Gottes Bereitschaft zur Strafrücknahme mit der dritten Vision aufhört, sie begründen es aber nicht. Sie setzen schwere Schuld Israels voraus - Arnos bittet schon in der ersten Vision um Vergebung benennen diese Schuld aber nicht. Auch aus dieser Beobachtung geht hervor, wie stark die Visionsberichte ursprünglich auf die Verkündigung des Arnos bezogen waren, sie voraus26

Vgl. d e n N a c h w e i s v o n H . UTZSCHNEIDER, D i e A m a z j a e r z ä h l u n g ( A m 7 , 1 0 - 1 7 )

zwischen Literatur und Historie, BN 41, 1988, 76-101.

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setzten und sie legitimieren wollten. Eine spätere Generation aber, die schon den Untergang des Nordreichs erlebt hatte, fühlte das Bedürfnis, die Grenzlinie genau bestimmt zu erhalten, an der Gottes Bereitschaft zur Verschonung Israels endet. Die Erzählung von Am 7 definiert im Kontext der Visionen diese Grenze, indem sie die Interessenbereiche des Staates, repräsentiert durch den treuen Staatsbeamten Amazja, und denjenigen Jahwes, repräsentiert durch den Propheten Arnos, in einer Konfliktsituation gegeneinander abgrenzt 2 7 . Auf ihren Kontext hin interpretiert, besagt die Erzählung, daß noch nicht Israels Schuld im sozialen Bereich Gottes Willen zur Bewahrung Israels vor der Vernichtung unmöglich macht, wohl aber die A n m a ß u n g des Staates, Gott das Reden durch seinen Propheten zu verbieten, der solche Schuld aufdeckt. Wo die Staatsräson, d. h. die Sorge des Staates um die von ihm definierte Ordnung am Reichsheiligtum, vor das Reden Gottes tritt, ist Gottes Unheil nicht mehr aufhaltbar (vgl. V. 16 f.: „ D u sagst...; darum hat Jahwe so gesprochen..."). Wesentlich für unsere Fragestellung ist nun, daß sich die genannte Erzählung nicht unmittelbar an die dritte Vision anschließt, sondern durch einen Verbindungsvers (Am 7,9) von der dritten Vision getrennt ist. Dieser Verbindungsvers hat Brückenfunktion: Er ist einerseits terminologisch stark auf die Erzählung 7,10-17 bezogen und insofern deutlich als deren Einleitung formuliert; er ist andererseits aber poetisch gestaltet und insofern deutlich von der Erzählung abgehoben. D a n n werden die H ö h e n I s a a k s verwüstet und die H e i l i g t ü m e r Israels verödet; d a n n stehe ich gegen d a s H a u s J e r o b e a m s mit d e m Schwerte auf.

Der Bezug des Brückenverses auf die Erzählung von Arnos und Amazja ist mit Händen zu greifen: a) Er redet von „Heiligtümern", die zerstört werden - wie Am 7,13 von Bet-El als Reichs-"Heiligtum". b) Er redet vom „Schwert", dem das Haus Jerobeams anheimfällt - wie Arnos in V. 11 Jerobeam im N a m e n Gottes mit dem „Schwert" bedroht. c) Er redet von „Isaaks Höhen", die verwüstet werden - wie V. 16 vom „ H a u s Isaaks". Diese Übereinstimmung ist die evidenteste und auffälligste, da beide Begriffe nie andernorts in der vorexilischen Prophetie begegnen und der N a m e „Isaak" jeweils anders als in der Regel geschrieben ist. Genauso deutlich wie die Gemeinsamkeiten mit 7,10-17 sind aber auch die Unterschiede. 7,9 redet eben a) von „Heiligtümern" im Plural; b) weiter 27 Wie sehr Arnos und Amazja als Repräsentanten ihrer Institution im Blick sind, geht schon daraus hervor, d a ß sie sich jeweils explizit auf die Autorität berufen, in deren Dienst sie stehen (V. 13 bzw. V. 14 f.). Dennoch mag die Erzählung als Einzeltext, d. h. bevor sie in den Kontext der Visionen gestellt wurde, viel stärker als ein Standeskonflikt (Priester und Prophet) gestaltet worden sein. Auf ein solches älteres Stadium könnte insbesondere das ausführliche Strafwort gegen den Priester und seine Familie in V. 17 deuten.

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vom „Königshaus", gegen das sich das Schwert richtet, und nicht mehr nur vom König persönlich; c) schließlich von den „ H ö h e n " Isaaks statt vom „ H a u s " Isaaks. Die Differenzen ergeben zusammengenommen, d a ß V. 9 die Aussagen der Verse 10-17 ausweitet („Haus Jerobeams"), generalisiert („Heiligtümer") und ihr Zentrum auf das kultische Gebiet verschiebt („Höhen Isaaks"). Diese offensichtlich bewußte Veränderung der Aussagen der Erzählung durch den ihr vorangestellten Brückenvers will deren Bedeutung für den Kontext im voraus festlegen. Sie wird aber erst voll erklärlich, wenn erkannt ist, daß A m 7,9 nicht von der Sprache des Arnos geprägt ist, sondern von der Sprache Hoseas: a) Die „ H ö h e n " Isaaks bezeichnen eine Thematik, die Arnos nirgends sonst berührt, die aber ganz geläufig im Buch Hosea ist. b) Die „Heiligtümer" in ihrer Vielzahl haben andernorts nie Arnos erregt, wohl aber auf Schritt und Tritt Hosea (vgl. oben Abschnitt I und II). c) A m bemerkenswertesten aber ist die in A m 7,9 betont herausgestellte Verbindung von kultischer und staatlicher Schuld. Diese Verbindung betrifft eine der charakteristischen Merkmale der Botschaft Hoseas. Es ergeben sich folgende Möglichkeiten der Entwicklung: 1. Wahrscheinlich haben die Visionsberichte einmal eine eigenständige Sammlung für sich gebildet, da die paarweise Gestaltung der ersten vier Visionen ihr H a u p t m e r k m a l ist. Sie hätten dann zur Legitimation der harten Botschaft des Propheten gedient. 2. Als Teil des Amosbuches haben die Visionsberichte kaum je ohne die Erzählung von Arnos und Amazja in 7,10-17 bestanden, die literarisch vielfach mit ihnen verknüpft ist, vielleicht aber auch nicht ohne den eng mit V. 10-17 verzahnten Brückenvers 7,9. Sowohl 7,9 als auch 7,10 17 wollen in ihrer Stellung unmittelbar nach der dritten Vision für Leser nach dem Fall Samarias die Schuldkategorie benennen, jenseits derer ein Verschonen Israels durch Jahwe - wie in den ersten beiden Visionen - nicht mehr möglich ist. Sie stehen damit wie Am 3,2 an entscheidender hermeneutischer Position innerhalb des Amosbuches. Wie A m 3,2 beziehen sie die Verkündigung des Arnos und des Hosea aufeinander, die als zwei Boten Gottes mit einer gemeinsamen Botschaft vorgestellt werden: Gottes Wille, Schuld in Israel zu ertragen, ist dort zu Ende, wo der Staat ihn am Reden hindert und der Gottesdienst einem baalisierten Jahwe gilt, der nicht mehr der Jahwe der Anfänge ist (7,9). 3. Aber auch wenn der poetische Brückenvers 7,9 spätere Interpretation der Verse 10-17 in ihrem Kontext sein sollte 28 , so gilt doch auch schon von 28 Die stilistische N ä h e von 7,9 zum Brückenvers 8,3, der die 4. Vision mit einer jüngeren, neuen Zusammenfassung der Amosbotschaft in 8 , 4 - 1 4 verbindet ( H . W .

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dieser Erzählung, daß sie zumindest in Kenntnis der Theologie Hoseas gestaltet ist. Weder die vorausgesetzte (aber nicht ausgeführte) Schuld des Königs noch die mit dem Begriff „Heiligtum" verbundenen Assoziationen noch gar die Verbindung von König / Staat und Heiligtum finden im älteren Amosbuch eine Parallele (vgl. später A m 9,8); wohl aber begegnen diese Merkmale vielfach im Hoseabuch. Auch die vorausgesetzte Funktion des Propheten als Jahwes letztes Mittel, Israel zu retten, kennt das Hoseabuch (Hos 6,5 f.) 29 . Unter dieser Voraussetzung hätte der dann jüngere V. 9 die Bezüge zur hoseanischen Theologie, besonders zu Hoseas Kultpolemik, die schon in 7,10-17 vorhanden waren, kräftig verstärkt und ausgeweitet.

III. 3 N u r anhangsweise seien in aller Kürze und ohne den Versuch, Vollständigkeit zu erreichen, einige weitere Beispiele literarischen Einflusses hoseanischer Theologie auf Amostexte genannt. 1. Am 2,8. In A m 2 , 6 - 8 erreicht die Komposition der Völkersprüche ihren Höhepunkt mit der Nennung der Schuld Israels, die alle Verbrechen der Völker überragt. Die Völker verüben grausamste Kriegsverbrechen gegen die wehrlose Bevölkerung der Feinde, in Israel behandelt man analog die Schwachen und Abhängigen im eigenen Volk. Bei den Völkern wird nur jeweils ein Verbrechen als das schlimmste unter vielen genannt, im Falle Israels wird der Zahlenspruch „wegen der drei und der vier Verbrechen" in seiner Gänze durchgeführt. Während aber die ersten drei Verbrechen in V. 6 f. den sozialen Bereich betreffen 3 0 , betont V. 8 auffällig die kultischen Orte, an denen sie geschehen: Auf gepfändeten Kleidern strecken sie sich aus 1 1 neben j e d e m Altar, und Wein von Bußgeldern trinken sie in ihrem Gotteshaus. WOLFF, aaO. [Anm. 18] 132: jeweils perf. cons.), könnte dafür sprechen, daß 7,9 und 8,3 gleichzeitig dem Amosbuch zugefügt wurden. 29 Sie gehört ins Vorfeld der geläufigen dtr Sicht, daß Jahwe „früh und spät" Propheten gesendet habe, die Israel abwies. Vgl. dazu O. H. STECK, Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten, W M A N T 23, 1967, sowie im Amosbuch die späteren Worte 8,11 f. und 9,8 zusammen mit 9 f. und dazu „Die Rolle des Propheten nach dem Amosbuch", u. S. 272 ff. - Auch die Gestalt der Verbannungsankündigung („fort von seinem Land": V. 11 und 17) klingt mit der Betonung des Landes hoseanisch (vgl. bes. H o s 9 , l - 4 ) , während Arnos üblicherweise die Richtung der Verbannung anzeigt (Am 4,3; 5,27). 10 Mit Ausnahme des Nachtrags in V. 7bß, der sich an die Sprache Ezechiels und des Heiligkeitsgesetzes anschließt. Er führt die sogleich zu nennende Tendenz in V. 8 fort. " Vermutlich elliptischer Sprachgebrauch für HOB H03 „ein Lager aufschlagen"; vgl. H A L 655.

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Schon vor einigen Jahrzehnten hat man beobachtet, daß diese Betonung kultischen Kontextes für soziale Vergehen hoseanisch klingt 32 . In der Tat verschieben die beiden Ortsbestimmungen die Tendenz der Anklagen erheblich. Sie setzen offensichtlich die typisch hoseanische Verurteilung der Vermehrung von Kultstätten und Priestern voraus (Hos 4,7 f.; 8,11-13; 10,1 f. u. ö.), wie es auch der zuvor behandelte Vers A m 7,9 tut. Wenn dabei in der Gottesrede distanzierend von „ihrem Gotteshaus" die Rede ist, mag eine Polemik gegen Bet-El im Blick sein, wie sie wiederum charakteristisch für hoseanische Theologie ist (Hos 8,5 f.; 10,5 f.; 13,2). So verschiebt V. 8 den Vorwurf sozialer Härte auf die Ebene exzessiver gottesdienstlicher Feiern. H. W. W O L F F hat vermutet, die beiden Ortsbestimmungen seien literarisch nachgetragen, und J. A. S O G G I N ist ihm in dieser Ansicht gefolgt. Aber typische Anzeichen literarischer Ergänzung fehlen, so daß die A n n a h m e näher liegt, d a ß die Tradenten des Arnos die Beziehung auf das hoseanische Thema des Gottesdienstes bewußt an das Ende der überlieferten Anklagen des Arnos stellten, um am Höhepunkt von 2 , 6 - 8 zu betonen, d a ß nur die Vorwürfe Hoseas und Arnos' zusammengenommen das volle Ausmaß der Schuld Israels widerspiegeln. 2. Am 5,25. Die harte Ablehnung des Kultes Israels in A m 5,21-24 durch Gott selber, weil ein von „Recht und Gerechtigkeit" gelöster Gottesdienst ihn nicht erreichen, sondern nur zur Selbstbeschwichtigung Israels dienen kann, endet in einer Frage, die ein sehr andersartiges Argument einführt: H a b t ihr m i r S c h l a c h t o p f e r u n d S p e i s o p f e r in d e r W ü s t e vierzig J a h r e d a r g e b r a c h t , H a u s Israel?

lang

Diese didaktische Frage ist früher häufig dahingehend mißverstanden worden, als solle Israel mit ihr historisch belehrt werden, daß die Mosezeit opferlos gewesen sei. In jüngerer Zeit ist diese Ansicht so oft bestritten worden, daß sich eine neuerliche Widerlegung erübrigt. Vielmehr greift Am 5,25 ein typisch hoseanisches Muster der Geschichtstypisierung auf und konfrontiert die ganz vom Opfergottesdienst bestimmte Gegenwart Israels mit seiner idealen Gottesgemeinschaft während der Wüstenwanderung 3 3 . Nicht der Automatismus der pünktlich und in großen Mengen

32

Vgl. den in Z D P V 67, 1945, 37 f. mitgeteilten Brief A. ALTS an K. Galling u n d später

d i e K o m m e n t a r e v o n H . W . W O L F F u n d J. A . SOGGIN s o w i e J. L . SICRE, C o n l o s p o b r e s d e

la tierra, 1984, 110. Vgl. den Beitrag „Tod und Leben in A m 5 , 1 - 1 7 " , u. S. 214 ff., bes. S. 220 f. Wahrscheinlich ist diese K o n f r o n t a t i o n in späterer Zeit doppelt erweitert worden: a) einmal durch die Zeitangabe „vierzig Jahre lang", wie sie charakteristisch für die dtr u n d die PTheologie ist, b) zum anderen durch Z u f ü g u n g des „Speisopfers" (Sg.) zu den „Schlachtopfern" (PI.), womit vermutlich das vegetabile O p f e r neben die blutigen gestellt wird, um den Opferkult als ganzen zu bezeichnen.

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dargebrachten Opfer (Hos 8,11-13; 10,1 f. u. ö.) bringt Israel die rechte Gottesgemeinschaft, sondern die Orientierung an den idealen Anfängen der Geschichte Gottes mit seinem Volk in der Wüste, als die G e f a h r der Überfremdung des Glaubens durch den Baalkult und dessen Opfermentalität noch nicht gegeben war (Hos 9,10; 2,16 f. u. ö.) 34 . So verschieden die Ansätze der Kultkritik des historischen Arnos und des historischen Hosea auch waren, so werden sie doch in A m 5,21-24.25 aus guten theologischen Gründen miteinander verbunden. 3. Am 6,8. Nachdem Arnos in einer formal abgerundeten Einheit die Selbstsicherheit der Oberschicht in der Hauptstadt, die in ihren ausufernden häuslichen Kultfeiem zum Ausdruck kommt, verurteilt hat (Am 6,1 7) 35 , folgt in Am 6 ein erschreckender Eid Jahwes, den Spätere mit vielfältigen Gottesprädikationen ausgeweitet haben: Geschworen hat der Herr, Jahwe, bei seinem Leben Spruch Jahwes, des G o t t e s der Heerscharen - : Ein A b s c h e u 3 6 ist mir der H o c h m u t Jakobs, und seine Paläste hasse ich; so liefere ich die Stadt mit allem in ihr aus.

Während Jahwes „ H a ß " das Thema der Kultkritik aus A m 5,21 aufgreift und noch deutlicher die Erwähnung der „Paläste", der Orte der häuslichen Kultfeiern, das Thema aus Am 3,9-11, bringt 6,8 die Schuld Samarias ein erstes Mal auf den Begriff: „Hochmut Jakobs". Er bleibt im Amosbuch singulär und wird nur noch einmal im Wortspiel („Hoheit Jakobs") im Anschluß an 6,8 weitergeführt (8,7). Dagegen ist der Vorwurf des „Hochmuts" Lesern des Hoseabuches sehr geläufig (Hos 5,5; 7,10; 12,8 f.; 13,6) als Bezeichnung eines Sicherheitsgefühles, das aufgrund von Wohlstand und regelmäßigem Gottesdienstvollzug mit keinem Unheil von G o t t rechnet. Wiederum wollten die Tradenten mit der Verwendung des Begriffs in A m 6,8 erreichen, d a ß Leser des Amosbuches die dortigen Vorwürfe mit den Vorwürfen des Hoseabuches in Z u s a m m e n h a n g brachten 3 7 . 4. Am 1,5. H. M . N I E M A N N hat jüngst auf einen weiteren Bezug eines Amostextes auf die Botschaft Hoseas aufmerksam gemacht, der uns bei der Behandlung der Völkerworte noch intensiv beschäftigen muß 3 8 . In der Tat

34 Für diese Opfermentalität stehen bei Hosea wie in Am 5,25 die „Schlachtopfer" (DTDT) repräsentativ; vgl. Hos 6,6; 8,13. 35 Vgl. den Exkurs „Das Kultmahl" in meinem Arnos-Kommentar z.St. 36 Die ungewöhnliche Schreibweise (N statt V) will möglicherweise eine allzu starke Emotion von Gott fernhalten (WOLFF). 37 Vgl. dazu ausführlicherden Beitrag „Jakob im Amosbuch", u. S. 257 ff, bes. S. 260 ff. 3S Vgl. dazu u. S. 157 ff. und zu NIEMANN speziell S. 179.

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ist die Ankündigung, d a ß die A r a m ä e r zurück nach Kir in die Verbannung ziehen müssen, woher sie Jahwe einst - wie Israel aus Ägypten herausgeführt hat (1,5b), kaum ohne die Theologie Hoseas verständlich. Hosea sagt mehrfach, Israel müsse „zurück nach Ägypten" (Hos 8,13; 9,3; 11,5), und bezeichnet damit das Ende der Geschichte Gottes mit seinem Volk. Ebendas wird in A m 1,5 im Anschluß an A m 9,7 den Aramäern angekündigt.

IV. Versuchen wir die Ergebnisse zusammenzufassen: 1. Historisch sind Arnos und Hosea sehr verschiedene Propheten gewesen mit im einzelnen sehr unterschiedlichen Thematiken in ihrer Verkündigung. In diesen Differenzen spiegelt sich am ehesten wider, d a ß Arnos und Hosea zwar beide in den Zentren des Nordreichs, Samaria und Bet-El, verkündeten, aber Hosea aus dem Nordreich, Arnos dagegen aus dem Südreich stammte. 2. Jedoch beziehen die Tradenten, und zwar offensichtlich schon seit der spätvorexilischen Zeit, die Verkündigung beider Propheten aufeinander. Sie verbieten ihren Lesern damit die theologische Isolierung eines der beiden Propheten. Diese Intention der Überlieferung kann auch dem modernen Ausleger nicht gleichgültig sein. So sehr für ihn nach der Aufklärung die Frage nach dem jeweilig Spezifischen der Verkündigung eines einzelnen Propheten notwendig und unumgänglich ist, so sehr muß er sich bei dieser Fragestellung im klaren sein, d a ß er an der theologischen Zielsetzung der Überlieferer der Prophetenbücher zumindest im Fall der Bücher des Arnos und Hosea - vorbeifragt, da dieses Ziel gerade darin bestand, das Gemeinsame der beiden Prophetenbücher herauszustellen. Daran wird deutlich, daß die nachgeborenen Generationen zu alttestamentlicher Zeit die Verkündigung des Arnos und Hosea nicht mit dem Interesse eines Historikers gelesen und weitergereicht haben, also nicht mit der Frage nach einem vergangenen Damals, sondern vielmehr mit aktuellem Interesse, d. h. mit der Frage nach der Bedeutung der Botschaft der beiden Propheten für ihre eigene Zeit und damit implizit mit der Frage nach dem Wesen des Wortes Gottes durch die Propheten schlechthin. Sie waren freilich weit davon entfernt, eine Propheten-Harmonie im Sinne Tatians anzustreben. 3. Allerdings ist nun bemerkenswert, daß dieser Prozeß bei beiden Prophetenbüchern verschieden eingesetzt hat. a) Beim Buch des Propheten Hosea ist die Frage nach dem Gemeinsamen mit der Botschaft des Arnos erst gestellt worden, als dieses Buch (in

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wesentlichen Teilen) schon fertig vorlag; die Berührungen mit dem Amosbuch sind als literarische Zusätze ablösbar. Offensichtlich ist das Hoseabuch aufgrund der frühen Bewahrheitung der Prophetenworte im Untergang des Nordreichs besonders früh niedergeschrieben worden. Der Prozeß der Annäherung der beiden Propheten ist im Falle des Hoseabuches vermutlich erst erfolgt, als man das Buch nach dem Fall Samarías in den Süden brachte, wo es bekanntlich auch (den jungen) Jeremia beeinflußte. Die literarisch zugefügten Anspielungen an Amosworte wollten primär vermeiden, daß die Judäer das ihnen fremde Buch aus dem Nordreich mit einer Zuschauerhaltung zur Kenntnis nahmen, statt es auf ihre eigenen Zustände in Jerusalem und im Land Juda zu beziehen. b) Im Gegensatz zu diesem Befund haben Hoseaworte anscheinend von allem Anfang an auf die Formulierung der schriftlichen Worte des Amosbuches eingewirkt, und zwar gerade an literarisch zentralen Stellen, d. h. an den hermeneutischen Weichenstellungen 39 . Aus diesem Vergleich ergibt sich mit großer Wahrscheinlichkeit, daß das Amosbuch später als das Hoseabuch niedergeschrieben wurde, zu einer Zeit, als das Hoseabuch in prophetischen Kreisen Judas schon Autorität gewonnen hatte. Insofern setzt das Dodekapropheton zu Recht mit dem Hoseabuch ein, obwohl Amos geschichtlich früher als Hosea gewirkt hat. 4. Der theologische Wille, zwei Prophetenbücher aufeinander zu beziehen, der offensichtlich im 7. Jh. v. Chr. einsetzte, hat eine lange Entwicklung eingeleitet. Am Ende dieser Entwicklung - knapp ein halbes Jahrtausend später - steht das fertige Zwölfprophetenbuch. D a ß die zwölf Propheten in einem Buch versammelt sind, daß nun am Ende der Entwicklung eine Fülle literarischer Querverbindungen, teilweise früher, teilweise späterer Herkunft, zwischen den Büchern besteht, macht deutlich, daß im Sinne derer, die alle zwölf Bücher auf eine Prophetenrolle schrieben, nicht zwölf verschiedene Botschaften Gottes vereinigt werden sollten, sondern die eine prophetische Botschaft im Mund von zwölf verschiedenen Zeugen zu verschiedenen Zeiten. Wenn O. H. STECK Recht hat mit seiner eingangs genannten Vermutung, daß die späteren Tradenten auch bei dieser Intention nicht stehenblieben, sondern im Prozeß des Abschlusses des Prophetenkanons die vielstimmige Botschaft des Buches Jesaja auf die vielstimmige Botschaft des Buches der Zwölf bezogen 40 , müßte man diese Aussage auf den gesamten Prophetenkanon ausweiten. Wir stehen heute erst ganz am Anfang der Aufgabe, den Prozeß des Werdens des Prophetenkanons nachzuzeichnen. Das eine aber ist schon sicher: Die mit einer „Theologie des 39 Analoges gilt später etwa f ü r 8,11 f. 14 (wie 7 , 9 - 1 7 ebenfalls in den Visionenzyklus eingeschoben) und f ü r 9,8.9 f. 40 Vgl. o. A n m . 3.

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Alten Testaments" gestellte Aufgabe, das eine Wort der Propheten hinter den vielen Wörtern der Einzeltexte in den Prophetenbüchern herauszustellen, ist ein Vorhaben, das schon seit dem 7. Jh. v. Chr. von den Tradenten der Prophetenworte als ihre wesentlichste Pflicht erkannt wurde.

Hosea

4. Hosea 4-7. Beobachtungen zur Komposition des Buches Hosea Bekanntlich besteht das Buch Hosea aus zwei Teilsammlungen sehr unterschiedlicher Art. Die Kapitel 1 - 3 setzen sich aus drei in sich gerundeten Einheiten zusammen, die jeweils von einem bzw. mehreren sachlich eng auf sie bezogenen Heilswort(en) abgeschlossen werden: dem Fremdbericht über Hoseas Heirat und die Benennung seiner Kinder (1,2-9 + 2,1-3), dem Gerichtswort gegen Israel in Gestalt des Ehegleichnisses (2,4-15 + 2,16-25) und dem Selbstbericht über den Kauf der Ehebrecherin (3,1-4 + 3,5). D a ß diese drei formal so unterschiedlichen Einheiten nicht einfach aus einer Feder stammen, liegt auf der Hand. - G a n z anders sind die Kapitel 4 ff. strukturiert. Sie enthalten keinerlei erzählende Elemente, sondern nur Worte Hoseas, die weithin nahtlos ineinander übergehen, unter nahezu völligem Verzicht auf Rahmenformeln. Gottes- und Prophetenrede, Anrede an Israel und Worte über Israel folgen einander, nur durch die Kopula oder durch ein ' 3 getrennt, häufig selbst ohne diese. Bis Kap. 9 sind es je neu ergehende Imperative, die die Worte gliedern (4,1; 5,1.8[6,1]; 8,1; 9,1 in Verneinung), dann fehlen auch sie, mit Ausnahme von 14,2. Einzig am Ende von Kap. 11 findet sich mit der Gottesspruchformel die deutliche Markierung eines Einschnitts, kaum zufällig als Abschluß des einzigen Heilswortes innerhalb von Kap. 4 - 1 1 . Da auch die verbleibenden Kapitel 12-14 in 14,2 ff. mit einem Heilswort schließen, ist die A n n a h m e H . W . WOLFFS, Kap. 12-14 hätten innerhalb von 4 - 1 4 ursprünglich eine eigene Überlieferungseinheit gebildet 1 , sehr wahrscheinlich. Wie ist diese auffällige Spruchfügung, die in alttestamentlichen Prophetenbüchern keine Parallele findet, zu deuten? Den gewichtigsten Erklärungsversuch hat WOLFF gegeben. Er rechnet mit „Auftrittsskizzen, die alsbald nach dem Verkündigungsvorgang angefertigt wurden", von Hosea eng verbundenen (Schüler-)Kreisen, die zusammen mit ihm eine „Oppositionsgemeinschaft" bildeten 2 . Einwürfe von Hörern und der Blickwechsel des Sprechers zu einer anderen G r u p p e wären dann für den Stilwechsel innerhalb der locker gefügten Einheiten verantwortlich. 1 2

Dodekapropheton. 1. Hosea, BK XIV/1, 3 1976, XXV f. 268 ff. Ebd. XXV (u. ö.).

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Hosea 4-7. Beobachtungen

zur Komposition

des Buches Hosen

Diese These impliziert im besonderen eine gewichtige Folge: Trifft sie zu, wären wir im Falle der Botschaft Hoseas in der ungewöhnlich glücklichen Lage, nahezu unmittelbaren Zugang zur mündlichen Verkündigung des Propheten zu besitzen. Denn die Auftrittsskizzen wären direkt nach dem Vorgang der Verkündigung abgefaßt und würden die lebendige Auseinandersetzung des Propheten mit der Reaktion seiner Hörer, ihren Einwänden und Verteidigungen, widerspiegeln. N u n wird auch von WOLFF nicht bestritten, d a ß das Hoseabuch in seiner Endgestalt für judäische Leser gedacht ist. Der starke Einfluß Hoseas auf die Botschaft des jungen Jeremia ist von hier aus gut verständlich. Aber wie WOLFF und der wenig später verfaßte Kommentar von W. RUDOLPH 3 erneut gezeigt haben, ist die judäische Redaktion relativ leicht von der älteren schriftlichen Fassung der Hoseaworte abzuheben; sie kann keinesfalls für diese selbst verantwortlich sein. Der Zeitraum zwischen mündlicher Verkündigung Hoseas und ihrer Niederschrift in Hos 4 ff. kann daher in der Tat nicht allzu groß gewesen sein. Er m u ß freilich auch keineswegs so kurz gewesen sein, wie WOLFF es annimmt. Er selbst rechnet mit guten G r ü n d e n noch vor der judäischen Redaktion mit Redaktionsvorgängen, durch die Hoseas Botschaft vereinheitlicht wurde, indem Gedanken eines Hoseawortes mit denen eines anderen kombiniert wurden 4 . Könnte die älteste Niederschrift hoseanischer Worte nicht diesen redaktionellen Tendenzen näher verwandt oder gar mit ihnen identisch sein? Eine Ü b e r p r ü f u n g der beiden ersten Groß-Einheiten innerhalb von Hos 4 - 1 4 soll diese Frage einer Klärung zuzuführen versuchen. Sie kann aus Raumgründen nur stark thesenartig erfolgen, unter weitgehendem Verzicht auf Auseinandersetzung mit der Literatur, und möchte nicht als fertige Lösung der schwierigen Frage, sondern nur als Diskussionsbeitrag verstanden sein, indem sie einige wesentliche Beobachtungen bereitstellt, die ihre Beantwortung erleichtern.

I. 4,1-3. Die ersten drei Verse in Hos 4 tragen Überschriftscharakter. D a ß sie von Anbeginn schriftlicher Art sind und nicht nur Kap. 4, sondern Kap. 4 11 einleiten wollen, erhellt aus folgenden Beobachtungen: 1. Das Thema des „Prozesses" ( 3 n ) Jahwes mit Israel dient ebenfalls überschriftartig zur Einführung der Kapitel 12-14, wo es zunächst die Vorwürfe gegen das „Jakobsvolk" einleitet (12,3). Sonst begegnet es nicht in Hos 4 - 1 4 5 , sondern nur noch - hier sachlich unentbehrlich - in 2,4. 3 4 5

Hosea, K A T XIII/1, 1966, 26 f. u. ö. AaO. XXIV. Auf die scheinbare Ausnahme 4,4 ist sogleich zurückzukommen.

Hosen 4-7. Beobachtungen

zur Komposition

des Buches

Hosea

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2. V. l b ß nennt mit den Termini „Hingabe" ("TOn) und „Gotteserkenntnis" (DTI^X n s n ) die beiden für Hosea zentralen Begriffe zur Beschreibung rechten Gottes- und Menschenverhältnisses. Jedoch wird in Kap. 4 nur das Thema der „Gotteserkenntnis" ausgeführt, während von „Hingabe" erstmalig wieder in 6 , 4 - 6 die Rede ist. Hinzu kommt, d a ß einzig in 4,1 die „Hingabe" durch den Begriff der „Zuverlässigkeit" ( n a s ) qualifiziert wird, wie oftmals außerhalb Hoseas, insbesondere in den Psalmen 6 . 3. Die dekalogartigen Infinitive in V. 2 werden in Hos 4 ff. ausnahmslos terminologisch oder doch sachlich mit verwandten Begriffen wieder aufgenommen, aber an sehr unterschiedlichen Stellen, gehäuft in 6,7 ff. und 7,1 f. Die Reihenbildung selbst findet im Hoseabuch keine Parallele. Somit spricht vieles dafür, daß 4,lb-2 als schriftliche Zusammenfassung der Verkündigung Hoseas durch Schülerkreise zu deuten sind. V. la und 3 bilden vermutlich spätere Erweiterungen 7 . 4,4-5,7. Die beiden Großeinheiten 4 , 4 - 1 9 und 5 , 1 - 7 sind auffällig parallel strukturiert. Der Gedankengang verläuft jeweils dreitaktig: 1. Im jeweiligen ersten Teil werden Hauptschuldige vom Volk als mitschuldigem unterschieden (4,4-10; 5,1 f.). N u r die Hauptschuldigen werden mit einem Gerichtswort in anredendem Gotteswort konfrontiert. Eine Steigerung besteht darin, daß in 4 , 4 - 1 0 nur das Priestertum als Schuldherd genannt wird, in 5,1 f. aber neben ihm zwei weitere Stände. 2. Der jeweilige Mittelteil beschreibt als Folge dieser schuldhaften Führung die totale Fehlorientierung des Volkes, wobei klagender G r u n d t o n vorherrscht. Das Thema wird hier wie dort mit dem zentralen Stichwort „Geist der Hurerei" benannt (4,12b; 5,4b). Unterschied und Steigerung liegen darin, daß 4,11-14 das fehlgeleitete gottesdienstliche Treiben Israels beschreiben (vorwiegend in Imperfecta), 5,3 - 4 dagegen nur noch die Quintessenz aus ihm ziehen: Umkehr zu G o t t ist unmöglich (vorwiegend Perfecta). 3. Der jeweilige Schlußteil erfolgt distanzierter 8 : ohne Gottesrede und ohne Anrede an die Hörer. Das Thema ist jeweils die totale Hoffnungs6

Den Anlaß bot vermutlich Hoseas Wort von der flüchtigen „Hingabe" in 6,4. Für V. la hat das WOLFF gezeigt. Zu V. 3 ist zu beachten, daß p *711 im Hoseabuch wie auch sonst zumeist nicht Zukünftiges, sondern Vergangenes oder Gegenwärtiges einleitet (4,13; 6,5; 13,6; vgl. RUDOLPH ZU 4,3). Jedoch wird in 4,3 nicht einfach eine erfahrene Dürre beschrieben, sondern das Endstadium eines schon im Vollzug begriffenen totalen Sterbens. Vorstellungsmaterial und Terminologie entstammen kultprophetischer Verkündigung (vgl. etwa N a h 1,4 f.; Jes 33,9; 24,3 f.), wie sie auch in die Bücher Arnos (1,2b; 8,8; 9,5), Jeremia (4,28; 12,4; 23,10a) und Zefanja (1,2 f.) Eingang fand. Nach ihr zeigt sich die Zerrüttung der Weltordnung aufgrund geschehener Schuld primär im Bereich der Natur, die ihre heilsamen Kräfte verweigert, so daß alle Lebewesen dahinsiechen. Vgl. schon K. 7

M A R T I z . S t . u n d K . BUDDE, J B L 4 5 , 1 9 2 6 , 2 8 0 fr. 8 Es ist schwerlich Zufall, daß sich literarische Zufügungen (4,15; 5,5bß), die von der Forschung seit langem als solche erkannt sind, gerade an dieser Nahtstelle finden.

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Hosen 4-7. Beobachtungen

zur Komposition

lies Buches

Hosea

losigkeit und U n v e r ä n d e r b a r k e i t des gegenwärtigen Z u s t a n d e s Israels (mit c h a r a k t e r i s t i s c h e m nni? eingeführt bzw. abgeschlossen: 4 , 1 6 b ; 5 , 7 b ) . W ä h rend aber 4 , 1 6 - 1 9 a u f die unlösliche V e r s t r i c k u n g Israels in S c h u l d d u r c h widerspenstiges B e h a r r e n a u f ihr a b h e b t , legt 5 , 5 - 7 steigernd den T o n a u f die endgültig zerrissene V e r b i n d u n g zu G o t t . N u n ist die B e o b a c h t u n g der Parallelität der beiden E i n h e i t e n in F o r m und G e d a n k e n g a n g bei gleichzeitiger S t e i g e r u n g in sich n o c h kein zwingender G e g e n g r u n d gegen die A n n a h m e zweier Auftrittsskizzen, die in sich ä h n l i c h e n Auftritten H o s e a s gegolten h a b e n k ö n n t e n . A b e r andere B e o b a c h t u n g e n treten hinzu. 4,4~10.

1. M i t d e m ersten Verb

knüpft V. 4 bewußt an das T h e m a w o r t

von 4 , 1 - 3 an. 4 , 4 ff. ist also deutlich in einem Z u g e mit 4 , 1 - 3 * entstanden. 2. 4 , 4 - 1 0 wiederholt die G e s t a l t u n g der G r o ß k o m p o s i t i o n im kleinen. D e r G e g e n s a t z H a u p t s c h u l d i g e - M i t s c h u l d i g e b e s t i m m t das G e r i c h t s w o r t a m E i n g a n g (V. 4 - 6 ) , K l a g e über das T r e i b e n der Priester den Mittelteil (V. 7 f.), Identifikation des G e s c h i c k e s von Priestern und Volk den Schlußteil (V. 9 f.). 3. W i e im G e f o l g e von WOLFF i n s b e s o n d e r e LOHFINK9 wahrscheinlich g e m a c h t hat, klagte das H o s e a w o r t in V. 4 - 6 ursprünglich einen einzelnen Priester an. D e r A n f a n g von V. 7 zeigt demgegenüber, d a ß der gegenwärtige K o n t e x t das S t i c h w o r t „ P r i e s t e r " aus V. 4 kollektiv verstanden wissen m ö c h t e . Diese B e o b a c h t u n g spricht eher dafür, d a ß in V. 4 - 6 . 7 f. zwei E i n zelworte H o s e a s z u s a m m e n g e f ü g t wurden, als für die A n n a h m e verschiedener S p r e c h r i c h t u n g e n w ä h r e n d eines Auftritts. 4. 4 , 4 - 6 steht m ü n d l i c h e r V e r k ü n d i g u n g n o c h relativ nahe, es ist eines der ganz wenigen S t ü c k e mit d u r c h g e h e n d e r A n r e d e im H o s e a b u c h . J e d o c h zeigt s c h o n der R h y t h m u s w e c h s e l n a c h V. 6 a z u s a m m e n mit der A u f n a h m e eines geprägten T r a d i t i o n s s t ü c k e s in V. 6 b (vgl. 1 S a m 15,23b. 2 6 b ) die reflektierte F a s s u n g des Wortes. Z u verweisen ist ferner a u f die nur hingeworfenen N e n n u n g e n von „ M u t t e r " und „ S ö h n e n " um der T o t a l i t ä t des G e r i c h t e s willen und die fehlende A u s f ü h r u n g zum doppelt verwendeten zentralen S t i c h w o r t „ E r k e n n t n i s " . Ä h n l i c h e s gilt für 5,1 f. 5. H i n z u k o m m t , d a ß V. 7 f. mit dem V o r w u r f der Verkehrung des von J a h w e verliehenen HDD in S c h a n d e 1 0 die A n k l a g e gegen die Priester in V. 4 6 ( V o r e n t h a l t u n g der „ G o t t e s e r k e n n t n i s " g e g e n ü b e r dem Volk) b e w u ß t steigert. (Aufs engste verdichtet finden sich beide Vorwürfe d a n n verbunden in 5,4b.)

Bib. 4 2 , 1961, 3 0 3 fr. D a s Verb in Schlußstellung von V. 7 ist mit T g und Pesch, in 3.Pers. pl. zu lesen; d a f ü r sprechen vor allem die Fortsetzung des Schuldaufweises in V. 8 sowie die a n a l o g e W e n d u n g in 9,11 ( T i q . soph.). 9

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Hosca 4-7.

Beobachtungen

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des Buches

Hosen

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6. Liegen V. 4 - 6 und V. 7 f. mit hoher Wahrscheinlichkeit mündliche Worte Hoseas zugrunde (V. 7 f. im Schülerkreis gesprochen?), so ist das für V. 9 f. so gut wie ausgeschlossen, a) In V. 9 fallen neben der üblichen Verknüpfungsformel r r m der Übergang zur singularischen Formulierung (aus Gründen des Stilzwangs in der Form von V. 9a!) auf, die Allgemeinheit der Strafankündigung und die enge Sprachparallele zu 12,3 (.15). b) V. 10 könnte an sich älter sein als V. 9 (WOLFF: V. 9 = Nachtrag; RUDOLPH: ursprünglich hinter V. 10), da mit dem Stichwort „essen" V. 8 aufgenommen und wieder zur pluralischen Formulierung übergegangen wird. Jedoch ist V. 10 mit dem neuen Themawort „huren" sachlich ganz stark von V. 11 ff. her geprägt und dient (wie V. 4a) zur Verknüpfung zweier Themen - ein Sachverhalt, der sich im Buch Hosea ständig am Schluß von Einzeleinheiten beobachten läßt. Zudem ist zu beachten, daß V. 10 - auch ohne V. 9 - in seinen geläufigen Fluchformulierungen, die V. 11 ff. vorwegnehmen, Volk und Priester gleichstellt. Schließlich sollte nicht übersehen werden, daß in V. 10b Schuld anders vorgestellt ist als im Hoseawort V. 12b: sozusagen „jeremianisch", wie die im Hoseabuch singulare Wendung „Jahwe verlassen" (DT57) und der erst bei Jeremia und Ezechiel gebräuchliche Begriff m i t (bei Hosea nur noch im „jeremianischen" Nachtrag 6,10) erweisen. 4,11-19. 1. Die Steigerung der Anklage gegen die Priester (Unterlassung V. 4-6/Vertauschung der Ehre V. 7 f.) wiederholt sich bei den Worten über das Volk. V. 11-14: Verwirrung durch den „Hurengeist'VV. 16-19: verstockte Widerspenstigkeit. 2. Dabei sind beide Einzelstücke miteinander in einer Weise verbunden, wie sie wohl nur bei bewußter schriftlicher Gestaltung denkbar ist: a) Der „Wind" ( i m ) in V. 19-wohl Umschreibung der drohender Assyrergefahr nimmt das zentrale Stichwort vom „Huren-Geist" ( n n ) aus V. 12b auf. b) Die Altäre ( m m i a ) V. 19 führen den Vorwurf abgöttischen „Opferns" (l"DT) aus V. 13a neu vor Augen, c) Das Stichwort des „Festmahls" in V. 18a faßt V. 11 zusammen, darüber hinaus d) das Verb „huren" die Verse 12b-14a (zusätzlich greift der Begriff „Schande" die Aussagen von V. 7 f. auf)Schließlich ruft e) der Begriff „Götzenbild" in V. 17 die Aussagen von V. 12a ins Gedächtnis. Die Verse 16-19 rechnen nach alledem mit Lesern, die V. 11-14 (und V. 7 f.) genau vor Augen haben. (Ganz Entsprechendes gilt für 5,3 f.) 3. Schließlich lebt die Gestaltung der dicht formulierten Verse 16-19 vom Wortspiel T10 (2x in V. 16) - 10 (V. 18) - I I S (V. 19), wie es in dieser Häufung wohl leichter bei schriftlicher Gestaltung als bei Wiedergabe mündlicher Verkündigung verständlich ist. 4. Unmittelbarer als V. 16-19 lassen V. 11-14 mündliche Verkündigung des Propheten erspüren. Die verzweifelte Klage des Propheten über das im abgöttischen Gottesdienst verfangene Volk läßt ein hohes M a ß an leiden-

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Hosea 4-7.

Beobachtungen

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des Buches

Hosca

schaftlicher und intensiver Anteilnahme des Propheten am Geschick seines Volkes erkennen 1 1 . Auch scheint das beziehungslose „sie selbst" in V. Maß vermutlich Hinweis auf die Priester 12 - leichter als Reflex mündlicher Verkündigung voll begreiflich zu werden. Aber die Tatsache, daß die - am ehesten im Kreis von Vertrauten geäußerte - Klage von der Anrede an die Väter der vom Sexualkult betroffenen Töchter unterbrochen wird, hier also ein Element öffentlicher Verkündigung greifbar wird, ist schwer als Reflex eines Auftritts des Propheten, eher von schriftlichem Gestaltungswillen her deutbar. Das zeigt deutlicher noch 5,3 f. Entsprechendes gilt für die kunstvolle Rahmung des Stückes mit zwei sprichwortartigen Klagen (V. 11.14b). 5,3 f . 1. Schriftliche Prägung wird in diesen sehr dicht formulierten Versen besonders klar erkennbar. Sie zeigen einen konzentrischen Aufbau, wie er nur einem Leser, nicht einem Hörer eines mündlichen Wortes voll sichtbar wird. Mit Jahwes „Kenntnis" Efraims beginnt das Stück, mit der fehlenden „Kenntnis" Jahwes seitens Efraims endet es. Der leidenschaftliche Vorwurf hurerischer Befleckung beherrscht die zweite Periode; der Hinweis auf den „Geist der Hurerei", voll begreiflich nur mit 4,11 ff. im Ohr, aber jetzt gesteigert durch Zufügung von „in ihrem Innern", steht an vorletzter Stelle. Künstlerisch gerahmt von diesen Klagen aber steht die zentrale Mittelperiode in V. 4a, die als einzige keine Aufnahme findet: Die Verstrickung Israels in seine Taten macht jegliche Erwartung einer Umkehr zunichte. 2. In diesem Stück wechseln Klagestil (Rede über Israel in 3. Pers.) und Anrede als Zeichen eines andringenden Gerichtswortes abrupt einander ab. Mag die isoliert stehende Anklage in V. 3ba, sogleich schon im Parallelglied von Klage abgelöst, auch Reflex eines mündlichen Wortes sein: Im Kontext dient sie der Hervorhebung ungeheuerlicher Verirrung, ist also kaum anders als aus literarischer Intention verständlich. 5,5-7. 1. Schriftlicher Gestaltungswille wird innerhalb von V. 5 - 7 vor allem in V. 5 erkennbar. In ihm deuten die Schüler Hoseas mit dem Stichwort „Hochmut" die Schuld Israels von einem Sachverhalt her, den Hosea offensichtlich erst in seiner späteren Verkündigung namhaft machte (vgl. 12,8 f.; 13,6; auch 10,2) 13 . Z u m anderen binden sie mit dem Begriff des „Straucheins" das Abschlußwort der Gesamtkomposition 4,4-5,7 eng an ihren Anfang zurück (vgl. 4,5). Auf diese Weise dient V. 5 als Brücke zwischen V. 3 f. und V. 6 f. 11 Die klagende W e n d u n g „mein Volk", die die Verse 4 - 1 4 so stark prägt, fehlt d a n n im folgenden b e w u ß t u n d wird nur später noch einmal (11,7; d a z u im N a c h t r a g 6,11) wieder aufgegriffen. 12 So WOLFF; a n d e r s RUDOLPH (die Familienväter). Z u r Diskussion ist besonders L. ROST, F S Bertholet, 1950, 451 ff. zu vergleichen. 13 E n g v e r w a n d t mit 5,5 ist das Schülerwort in 7,10.

Hosea 4-7. Beobachtungen

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Hosen

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2. Das Schlußwort der Komposition V. 6 f. nimmt - wie so oft im Hoseabuch - das Thema des folgenden teilweise schon vorweg, insofern V. 6 die Unerreichbarkeit Jahwes trotz allen - fehlgeleiteten - kultischen „Suchens" hervorhebt (vgl. 5,15 mit 6,1 ff.).

II. Deutlicher noch als in 4,1-5,7 ist bewußt gestaltender Aussagewille der Tradenten der Hoseaworte in der zweiten Groß-Einheit 5,8-7,16 zu greifen. Denn hier setzt die Überlieferung mit Worten Hoseas ein, die um ihrer Bezugnahme auf konkrete Ereignisse im Z u s a m m e n h a n g des sog. syrischefraimitischen Krieges willen noch mit einem hohen G r a d an Sicherheit datierbar sind. 1. In 5,8-11 finden sich kurze, schlaglichtartige Zusammenfassungen dreier formal ganz verschiedener Hoseaworte (V. 8 f. 10.11), die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu weit voneinander entfernt liegenden Zeitpunkten innerhalb der Jahre 734-32 gesprochen worden sind 1 4 . Was sich zu 4,4 ff. nur vermuten ließ, ist m. E. in 5,8 ff. mit Händen zu greifen: Die Tradenten der Hoseaworte haben von H a u s aus eigengewichtige mündliche Worte Hoseas, verkürzt auf ihre zentrale Aussage, in größere Sachzusammenhänge hineingestellt, in denen sie nur noch dienende Funktion ausüben. Auf diese Weise wollten sie die übergreifende thematische Gemeinsamkeit der Einzelworte Hoseas innerhalb einer Verkündigungsepoche aufweisen. 2. An 5,12-14, formal und rhythmisch sichtbar vom Vorangegangenen unterschieden, läßt sich in der Formulierung deutlich erkennen, daß die Nähe des Wortes zu den Ereignissen, auf die V. 13 anspielt, nur eine scheinbare ist: Das Wort zielt, fern aller Tagespolitik, ganz aufs Grundsätzliche, ist einzig von der Frage bestimmt, wem Israel und Juda Verursachung von N o t und Rettung aus der N o t zutrauen. Mit dem betonten „Ich" Jahwes setzt es ein, mit einem doppelten „Ich" Jahwes schließt es. Wie immer Israel und Juda sich in politischer Bedrängnis verhalten: Ein Vorbei an Jahwe ist nicht möglich; wird er als Arzt der „Krankheit", die er selbst herbeigeführt hat, abgewiesen, bringt er als Löwe rettungslose Verlorenheit herbei. Deutlicher als in 4,13 f. und 5,3b erweist sich in 5,13b der plötzliche, auf den ersten Blick unmotivierte Übergang zur Anrede in einem Stück mit klagend-beschreibendem Duktus als bewußtes Stilmittel, das die Leser 14

Die überzeugendsten grundlegenden Erwägungen zur Datierung dieser Worte bietet m. E. noch immer der glänzende Aufsatz von A. ALT aus dem Jahr 1919 zu „Hosea 5,8— 6,6" (Kleine Schriften II, 163 ff.). Die einzige größere Unsicherheit für eine historische Deutung besteht im Blick auf die textliche Beschaffenheit in V. 8b.

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Hosea 4-7. Beobachtungen

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Hosen

wachrütteln will, um ihnen die Ungeheuerlichkeit geschehener und potentieller eigener Verirrung vor Augen zu führen - so gewiß als auslösender Faktor solcher Anrede Erinnerung an die mündliche Verkündigung Hoseas eine Rolle gespielt haben mag. Die Einzelworte Hoseas in 5,8-11 konnten zusammen mit V. 13 darum auf äußerste Kürze verdichtet werden, weil sie im Rückblick nur verschiedene Paradigmen dieser einen Grunderkenntnis liefern, so unterschiedliche Gestalt die aufgewiesene Schuld in konkreter historischer Stunde auch annahm. So sicher die Jahwe-Gleichnisse und das Krankheitsbild in V. 12-14 auf Hosea zurückgehen werden: Die gegenwärtige Gestaltung des Wortes setzt einen deutlichen Abstand zu den Ereignissen voraus, auf die angespielt wird. 5,8 f. 10.11.12-14 wollen im gegenwärtigen Kontext nicht als Einzelworte verstanden werden, sondern nur als sachliche Einheit; freilich als eine Einheit, die in V. 14 nur einen vorläufigen Abschluß gefunden hat 15 . 3. Denn 5,15-6,6 führt nicht zufällig mit einer Fülle an Anspielungen 16 die Terminologie von 5,12-14 fort. Im Unterschied zu 5,8-14 weist dieses Stück, wiederum im Rückblick, nicht nur auf paradigmatisch geschehene Schuld hin, sondern zugleich und steigernd auf vertane Gelegenheit der Rettung aus Not. Jahwe will Israel und Juda nicht todbringender Löwe sein, sondern heilender Arzt; er wartet geduldig zu, ob Not zur Besinnung und Gottessuche anleitet (5,15). Aber wo alles Bemühen um Gotteserkenntnis nur zur Aufdeckung totaler Verstrickung in baalistisches Denken führt (6,1-3), wo alle Versuche zur „Hingabe" sich ebenso flüchtig erweisen wie die Erwartung automatischer göttlicher Hilfe (vgl. V. 4 mit V. 3), wo alle Gottessuche wieder auf den rituellen Opfergottesdienst beschränkt bleibt (V. 6; vgl. 8,11-13), da muß Jahwe töten, und er tut es durch die Propheten (V. 5). Dabei ist, wie seit langem erkannt, die dem Volk in den Mund gelegte Willenserklärung (6,1-3) so voll hoseanischer BegrifYlichkeit, dazu noch in äußerster Verdichtung und in unlöslicher Verzahnung mit 5,12-14, daß sie kaum als direkter Reflex mündlicher Verkündigung gedeutet werden kann. Der Übergang zu singularischer und dann pluralischer Anrede in V. 4, die alsbald in V. 5 wieder verlassen wird, ist wie in 5,3 leichter aus literarischer Intention verständlich. Der Grundton göttlicher Verzweiflung über fehlgeleitete Bemühung um Neuorientierung als solcher muß als ein Reflex von gesprochenem Wort verstanden werden, aber 5,8-6,6 sind in einem Zuge geschrieben, bilden eine unlösliche Einheit, während die zugrundeliegenden mündlichen Worte zeitlich weit auseinanderliegen.

15 Genaueres dazu bietet der Beitrag „,Ich bin wie ein Löwe für Efraim . . ( H o s 5,14)", u. S. 104 ff 16 Vgl. den A n f a n g von V. 15 mit V. 14ba und besonders 6,1 mit V. 14b. 13b. 13a.

Hosen 4-7. Beobachtungen

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Hosea

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Mit 6,6 endet die Einheit jedoch auch noch nicht. Vielmehr übt dieser Vers als Abschluß des G e d a n k e n g a n g e s wiederum B r ü c k e n f u n k t i o n z u m folgenden aus. Seine Stellung nach dem Aufweis der Notwendigkeit göttlichen Strafens in V. 5 und die eingängige Grundsätzlichkeit seiner Formulierung dienen zugleich als Z u s a m m e n f a s s u n g von 5,8 ff. und als Kontrast zu den Schuldaufweisen in V. 7 ff. 4. D e n n der lockere Anschluß von 6,7-7,16 mit „sie aber" ist unlöslich auf 6,6 bezogen. Es werden in 6 , 7 - 7 , 1 2 in einer thematischen Reihenbildung verschiedene Schuldgebiete genannt wie m e h r f a c h auch im folgenden, a m deutlichsten sogleich anschließend in 8,4 ff. Kultische und soziale ( 6 , 7 - 9 ' 7 ; 7,1 f.), innen- ( 7 , 3 - 7 ) und außenpolitische (7,8 f. 11 f. 18 ) Vergehen und Verirrungen werden nebeneinandergestellt, indem offensichtlich Einzelworte Hoseas aus der Zeit u m 7 3 4 - 7 3 2 sachlich geordnet werden. Dabei ist allen diesen Versen zugleich eine relative N ä h e zu den Ereignissen abzuspüren am eindeutigsten in den Anspielungen 6,7 ff. - wie erneut eine Verdichtung der mündlichen Worte auf äußerste Kürze. (Ob nicht schon hinter 6 , 7 - 9 mehrere mündliche Einzelworte Hoseas stehen wie eindeutig in 5,8-11?) Keiner der Vorwürfe darf aus dem Kontext gelöst werden: Erst z u s a m m e n begründen sie die abschließende Klage und Gerichtsansage in V. 1 3 - 1 6 im Vollsinn. Die H a n d der Tradenten wird besonders an zwei Stellen spürbar: a) a m Eingang von 7,1, wo mit dem Verweis auf die Unmöglichkeit göttlicher „Heilung" angesichts des H a n d e l n s Israels das T h e m a von 5 , 8 - 6 , 6 erneut angeschlagen wird; b) in 7,10, wo - den Kontext unterbrechend - mit bewußter W i e d e r a u f n a h m e von 5,5 das T h e m a von 5 , 3 - 7 wachgerufen wird. Im Sinne der Tradenten soll also nicht nur 5 , 8 - 7 , 1 6 als Einheit gelesen werden, sondern auch verbunden mit 4 , 1 - 5 , 7 . 5. Die abschließende Klage in 7 , 7 5 - / 6 , die über Verwünschung und Anklage zur G e r i c h t s a n k ü n d i g u n g übergeht, ist überaus kunstvoll aufgebaut mit einer Fülle von Rückverweisen und Hinweisen auf noch Folgendes. Zunächst ist in V. 13b die auffällige, plötzliche Frage ohne Fragepartikel mit Jahwe als Subjekt des Verbs steigernde E r i n n e r u n g an 4,16b. Wird in 7,13 mit dem Verb „ l o s k a u f e n " im Unterschied zu 4,16 schon die eingetretene N o t reflektierend einbezogen, so erhält die F o r m plötzlich unterbrechender Frage ohne Fragepartikel ihre letzte Steigerung in 13,14 („aus der M a c h t der Unterwelt sollte ich sie loskaufen?"). Weiter bringt 7,14 einen sachlich 17 6,10 f. erweisen sich mit ihrer sekundären Aktualisierung von 5,3, ihrer „jeremianischen" Formulierungsweise und ihrer Kontrastierung von Israel und Juda als Teil der judäischen Redaktion des Hoseabuches. ls Dabei steigert 7,11 f. die Klage von 7,8 f., indem hier auf eine ähnliche Klage Anklage und Gerichtsankündigung folgen, in V. 12b in terminologischem Anschluß an 5,2. Auf den dazwischenstehenden V. 10 ist sogleich zurückzukommen.

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Hosea 4-7. Beobachtungen

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des Buches Hosca

neuen Schuldaufweis zu den Klagen und Anklagen in 6,7 ff. hinzu, der auf 4,11 ff. zurückgreift und auf 9,1 f. vorwegweist. V. 15 bietet erstmals innerhalb von Hos 4 ff. einen die Klage verschärfenden Hinweis auf Jahwes Wohltaten an Israel, wie sie sich in Kap. 9 ff. häufig finden, am hervorgehobensten in Kap. 11. Auf Hos 11 aber spielt auch V. 16a schon im voraus an mit seiner verkürzten und entstellenden Kennzeichnung Baals als X1? (statt 'lj im Ugaritischen), nur daß im Zug der Überlieferung 7,16a durch Verwandlung des bv "7N in "757 X1? noch weiter verballhornt wurde als 11,7a 19 . Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß der Abschlußgedanke von 7,16 wieder unmittelbare Brückenfunktion ausübt. Die Nennung Ägyptens wirkt im Kontext zunächst unmotiviert, bekommt aber in 8,13 und stärker noch in 9,1 ff. themagebende Funktion: Die Heilsgeschichte wird revoziert, Israel m u ß „zurück nach Ägypten" (8,13; 9,3).

III. Was an Hos 4 - 7 erkennbar wird, ließe sich auch an den folgenden Kapiteln zeigen. 8 , 4 - 1 3 etwa läuft der Komposition von Kap. 7 weithin parallel in der Reihenbildung der Klagen und Anklagen zu den Bereichen Königtum Außenpolitik - Gottesdienst 2 0 . 8,13b (V. 14 ist Zuwachs) übt wieder Brückenfunktion aus: nicht nur am Schluß mit dem neuen Thema „zurück nach Ägypten", sondern auch am Anfang, wie die A u f n a m e von V. 13ba in 9,9b erweist. Umgekehrt bildet 9,9a mit der Anspielung auf die „Tage von Gibea" eine Brücke zu den mit 9,10 einsetzenden Geschichtsrückblicken (vgl. besonders 10,9 f.). Aus all dem läßt sich erkennen, d a ß die Tradenten Hoseas trotz relativer zeitlicher N ä h e zu den mündlich verkündeten Worten Hoseas mehr beabsichtigten, als nur in eiligen Auftrittsskizzen die Verkündigung der einzelnen Stunden festzuhalten. Unter dem Eindruck des Falles Samarias und des Untergangs des Nordreiches haben sie die Einzelworte Hoseas zur Gesamtdarstellung seiner Botschaft genutzt. Die im AT analogielose Fügung der Sprüche ohne Rahmenformeln ist Zeichen dafür, daß im Sinne der Tradenten die Einzelworte nicht isoliert für sich gelesen werden wollen, sondern als unablösbarer Teil der ganzen Botschaft Hoseas. Die Einzelworte selber, auf äußerste Kürze verdichtet, üben nur dienende Funktion in dieser übergreifenden Intention aus, häufig im Sinne von Paradigmen, wie 19 Vgl. ausführlicher den folgenden Beitrag, bes. S. 77 f., und H. S. NYBERG, Studien zum Hoseabuch, U U Ä 1935:6, freilich mit kühnen Hypothesen. 20 Zeichen steigernder Verschärfung der Anklage ist das neue Thema der Verehrung Gottes im Bild in V. 4b-6 (vgl. 10,5 f.; 13,2 f.), bei dem anfangs (8,5 f.) leidenschaftliche Verzweiflung des Propheten, später beißender Spott (10,5 f.), zuletzt Kopfschütteln über die Absurdität des Handelns (13,2b) in den Vordergrund tritt.

Hosea 4-7. Beobachtungen

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des Buches

Hosea

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besonders an 5,8-14 deutlich wird. Sie wurden entweder zu Klage- und Anklage-Reihen zusammengestellt (ab 5,8 ff.; vgl. 6,7 ff, 8,4 ff. u. ö.) oder aber zu Groß-Kompositionen, die die sich immer weiter vertiefende und verschärfende Schuld Israels aufweisen wollen (vgl. in 4 , 4 - 1 9 und 5,1-7 die anfängliche Trennung von Verführern und Verführten). Nicht aber nur die Schuld Israels steigert sich in der Darstellung von Einheit zu Einheit, auch die Gerichtsankündigungen werden immer schärfer: Sie führen von der göttlichen Verzweiflung über „mein Volk", das von seinen Führern verführt wird, über den Aufweis hoffnungslosen Hingegebenseins Israels an seine eigenen Taten (5,4; 7,2) und die gleichzeitige Ankündigung des vernichtenden Feindes (5,7; 7,16; 8,1-3) zur Revozierung der Heilsgeschichte („zurück nach Ägypten": 8,13; 9,3.15; 11,5) und zuletzt zur Aussage erbarmungslos grausamen Todes (13,12 ff.)21. Immer stärker tritt dabei ab 5,12-14 und 7,12.13-16 Jahwe als Verursacher und Vollstrecker des Unheils hervor. N u r am Ende von Kap. 11 mit dem überraschenden Einblick in Gottes Herz und der einzigen Heilsankündigung innerhalb von Kap. 4 - 1 3 wird dem Leser eine kurze Atempause gegönnt; sonst nötigen ihn am Ende jeder Einheit Worte mit deutlicher Brückenfunktion zum Weiterlesen, und nur bei kontinuierlichem Lesen kann er die Fülle bewußter Rück- und Vorverweise innerhalb der einzelnen Einheiten verstehen. Teilweise begnügen sich die Tradenten damit, innerhalb der aufs äußerste verdichteten Hoseaworte Reflexionsabschnitte zu setzen (etwa 5,5; 7,10), teilweise wird deutlich sichtbar, daß sie in hoseanischer Sprache Worte ganz neu formulieren (etwa 4,1 f. 9 f.; 5,12 ff). Bei den abrupten Übergängen von klagend-beschreibendem Stil zu kurzen Anreden an die Leser kann man zuweilen schwanken, ob sich hier Reflexe mündlicher Verkündigung Hoseas niederschlagen; sicher dagegen sind solche Anreden an Höhepunkten von Schulddarstellungen (zumindest auch) bewußt eingesetzte Stilmittel (vgl. 4,13 f.; 5,3; 5,13; 6,4). Entsprechendes gilt für die ohne Partikel plötzlich einsetzenden rhetorischen Fragen (4,16b; 7,13b; 13,14), die die Bereitschaft Gottes zu Heil und Rettung und die Verhinderung dieses hilfreichen Eingreifens durch Israels Taten aufzeigen wollen. Wir besitzen im Falle Hoseas so wenig wie etwa bei Jesaja einen unmittelbaren Zugang zur mündlichen Verkündigung des Propheten. Wie Jesaja selber seine vor und während des syrisch-efraimitischen Krieges gesprochenen Worte unter Einbeziehung der Wirkung auf die Hörer ganz dem großen Thema der Verstockung unterordnete (Jes 6 - 8 ) , so haben auch die Tradenten Hoseas nicht mehr die einzelne historische Stunde im Auge, 21

Dieser inhaltlichen Steigerung von Schuld und Strafe dient auch die von WOLFF und RUDOLPH beobachtete chronologische Ordnung der Worte nach Verkündigungsepochen Hoseas. Die Steigerung wird weiter in der Benennung Israels deutlich: 4 , 4 - 1 4 „mein Volk"; 4,16-5,7 „ E f r a i m " parallel zu „Israel"; ab 5,8 fif. „ E f r a i m " allein (Ausnahme: 7,1a).

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Hosea 4-7. Beobachtungen

zur Komposition

des Buches

Hosen

in der das Wort Hoseas erstmals im N a m e n Jahwes erging; sie ist für uns daher allenfalls in groben Umrissen rekonstruierbar. Vielmehr ging es den Tradenten der Hoseaworte entscheidend um das bleibend Gültige der Botschaft Hoseas 2 2 ; ihre Neuaktualisierung für judäische Leser war damit nur ein konsequenter Schritt, der in der Überlieferung der Hoseaworte selbst angelegt war. Sie wollen nicht mit historischer Neugier gelesen werden, sondern als Zeugnis dessen, der zu allen Zeiten für das Gottesvolk heilender Arzt und reißender Löwe (5,12 ff.), erzürnt-strafender und vernichtungsunfähiger Vater (Kap. 11) zugleich ist und als solcher das Geschick seines Volkes zum Guten und zum Bösen bestimmt.

22 Vgl. dazu insbesondere die sachliche Unterordnung von 5,8-11 unter 5,12-14 und von 5,8-14 unter 5,15-6,6 (s. o. II. sowie den in A n m . 15 genannten Beitrag).

5. Zur Eschatologie des Hoseabuches In seinem viel beachteten, scharf argumentierenden Aufsatz „Das Thema , U m k e h r ' i n d e r a l t t e s t a m e n t l i c h e n P r o p h e t i e " 1 k a m H A N S WALTER W O L F F

zu dem zunächst überraschenden Ergebnis, daß in der Prophetie des 8. Jh.s „das Thema ,Umkehr' überhaupt nicht in der Mahnrede erscheint". F ü r Jesaja beispielsweise gilt: „Umkehr ist keine reale Möglichkeit für Israel; sie gehört darum als Thema ausschließlich in die Gerichtsverkündigung." 2 Sogar bei dem klassischen Propheten, der am häufigsten von Umkehr redet und als der geistige Vater des frühen Jeremia gelten darf, Hosea, „hat das Thema seinen ersten Platz in der Scheltrede ... Hosea kann im Volk nur Unfähigkeit, Weigerung und - im günstigsten Falle - vergebliche Versuche der Umkehr feststellen." 3 Allerdings wird von ihm zum ersten Mal „das Thema Umkehr in den Heilsspruch hineingenommen", insofern die endzeitliche Umkehr Israels „als das Ziel des Gerichts" bzw. „als die Wirkung des Erbarmens Jahwes mitten im Gericht" erscheint; aber wo einmal der Ruf zur Umkehr im Imperativ begegnet (14,2 ff.), darf man „dies Wort ... nicht isoliert als M a h n u n g verstehen. Es ist ganz Einladung zu dem von Jahwe bereiteten Heil." 4 Auch nach drei Jahrzehnten hat dieses Ergebnis nichts an Aktualität verloren. Es ist sehr häufig bestätigt 5 , nur selten bestritten worden, und diese Bestreitungen reichten nie sehr tief 6 . Trifft es aber speziell für Hosea zu und m. E. kann daran grundsätzlich kein Zweifel bestehen - , dann stellt sich mit erhöhter Dringlichkeit die Frage, wie es zu dem ungewöhnlich differenzierten Sprachgebrauch bei der Verwendung der Wurzel 3 W und 1

Z T h K 48, 1951, 129-148, zitiert nach: Ges. St., T B 22, 2 1973, 130-150. Ebd. 138 f. ' Ebd. 140. 4 Ebd. 142 f. 5 Bes. kräftig beispielsweise von G . SAUER ZU Jesaja (Die U m k e h r f o r d e r u n g in der Verkündigung Jesajas, in: Wort - G e b o t - Glaube. F S W. Eichrodt, A T h A N T 59, 1970, 277-295). 6 D a s gilt etwa für TH. M . RAITT, wenn er aus d e m Vorkommen der U m k e h r t h e m a t i k in prophetischen Anklagen folgert, ein solcher Vorwurf sei nur denkbar, wenn zuvor die Propheten zur U m k e h r a u f g e r u f e n hätten (The Prophetie S u m m o n s to Repentance, Z A W 83, 1971, 3 0 - 4 8 ; 31 f.). Hier wird die Problematik prophetischer Überlieferungsbildung völlig außer acht gelassen. 2

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ihrer Derivate im Hoseabuch kommen konnte und wie es insbesondere möglich war, d a ß „das Thema U m k e h r " in der Eschatologie des Hoseabuches eine so schlechterdings beherrschende Rolle spielt. Es fehlt in keinem der vier Kapitel des Hoseabuches, in denen ausladende Hoffnungsaussagen begegnen: Hos 2.3.11 und 14, so daß 3 W geradezu zum zentralen, ja konstitutiven Stichwort der Eschatologie des Hoseabuches geworden ist. Bei näherem Zusehen geschieht dies allerdings in einer für jedes der genannten Kapitel so spezifischen Weise, d a ß immer wieder überraschend neue Nuancen im Sprachgebrauch der Wurzel zutage treten. Wenn ich recht sehe, kann m a n von der Verwendung des „Themas Umkehr" in keinem einzigen der genannten Kapitel unbedenklich auf ein anderes schließen, immer m u ß m a n die Terminologie selber und noch viel mehr den mit ihr beschriebenen Vorgang je neu bestimmen. Das heißt aber in der Konsequenz, daß sich in der Verwendung dieses Themas im Hoseabuch ein Stück Theologiegeschichte hoseanischer Kreise widerspiegelt. Seine Aufdeckung ist dadurch erschwert, daß sich die Eschatologie Hoseas selber im Verlauf der nahezu drei Jahrzehnte seines Wirkens gewandelt hat und seine Schüler in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum von (mit einer Ausnahme) wenigen Jahrzehnten die Worte des Meisters in neue Situationen hineingesprochen haben.

I. Die differenzierte Verwendung der Wurzel 3lüi im Hoseabuch tritt schon dann deutlich vor Augen, wenn m a n in einer ersten groben Annäherung an die Texte verschiedene Ebenen des Sprachgebrauchs unterscheidet, die freilich mannigfach miteinander verknüpft sind. Zunächst ist jedermann vertraut, daß 31V einerseits „Abkehr (von einem gegenwärtigen Verhalten)", andererseits „Rückkehr" zu diesem Verhalten, also sozusagen Abkehr von der Abkehr bedeuten kann. Ebenso deutlich ist, daß diese beiden Bedeutungen sachlich schärfstens voneinander zu trennen sind. So gewiß sie beide auf den totalen Wandel eines Bezugsverhältnisses zielen, so ist doch eben die Art dieses Wandels hier und dort genau die entgegengesetzte. Läßt man einstweilen Aussagen über Gottes Abkehr/Rückkehr außer Betracht und konzentriert sich nur auf Sätze mit Israel als Subjekt, unterscheidet aber zwischen positiven und negativen Aussagen, so ergibt sich folgendes vorläufige Bild: 1. Positive Aussagen: N u r ein einziges Mal bezeichnet 31$ als „Abkehr" ein schuldhaftes Verhalten Israels (Hinwendung zum Baal: 7,16), sonst ist immer „Rückkehr" gemeint, und zwar entweder a) Rückkehr „nach Ägypten" als ein Strafhandeln Gottes, das die Heilsgeschichte beendet (8,13; 9,3; 11,5), oder aber b) Rückkehr zu G o t t als ein erhofftes Verhalten

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der Zukunft (etwa 2,9; 3,5) oder schließlich c) Rückkehr „aus Ägypten" als Beendigung des Abbruchs der Heilsgeschichte, d. h. als Neubeginn der Geschichte (14,8; vielleicht 12,7; vgl. 11,11). Das bedeutet in der Konsequenz: Israels Schuld, seine Strafe, seine erhoffte Wandlung und seine endliche Rettung sind in einem Begriff ausgedrückt! 2. Negative Aussagen: Hier ist der Sachverhalt sehr viel einfacher, denn die Verneinung des Verbs bezieht sich ausnahmslos auf die unterbleibende Rückkehr Israels zu Gott, sei es, d a ß die Unwilligkeit Israels (7,10; 11,5), sei es, daß darüber hinaus seine Unfähigkeit (5,4) im Blick ist. Dieser letztgenannte Gedanke wird Hosea dabei so wichtig, daß er zu einer neuen Wortbildung und damit zugleich zu einer neuen Reflexionsebene führt. Die rmtTö Israels als seine Unfähigkeit, sich aus der Abkehr von G o t t zu lösen und wieder zu Gott zurückzukehren, wird zur Benennung unlöslicher Verfangenheit Israels in Schuld (11,7). Heil ist unter solcher Voraussetzung nur noch denkbar, wenn G o t t Israel aus dieser Verfangenheit löst und befreit, d. h. seine n a i t f a „heilt" (14,5). Erst dann ist Israel fähig zur Erneuerung des Gottesverhältnisses im Sinne von „Rückkehr" (14,2 ff.). 3. Voraussetzung für die Heilung der Rückkehr-Unfähigkeit bzw. Abkehr-Gebundenheit ( n a i t f a ) Israels, die zu seiner neuen Rückkehr (311?) führen soll, ist aber, d a ß zuvor Jahwe sich vom Strafen abkehrt (mttf), genauer: sein Zorn von ihm abkehrt (14,5). Spätestens hier ist es unmöglich, von Israels Abkehr/Rückkehr zu reden, ohne von Jahwes Abkehr/Rückkehr zu sprechen. Sie begegnet nur einmal verneint, aber in ganz anderer Aussagerichtung als die oben genannte mangelnde Rückkehrwilligkeit bzw. -fähigkeit Israels: Jahwe kann sich nicht so weit von seinem Heilshandeln abkehren, d a ß er Israel vernichten würde (11,9) 7 . In positivem Gebrauch aber zeigt auch die Rede von Jahwes Abkehr/Rückkehr ein weites Spektrum; sie reicht von der Rücknahme der Heilsgaben (2,11) über das Unterbrechen von Strafen in abwartendem Sich-Zurückziehen (5,15) bis zur genannten Abkehr des Zorns (14,5) und zur endgültigen Wiederherstellung Israels (6,11). Ich breche den Gedankengang ab, obwohl die ungewöhnliche Differenziertheit der Verwendung der Wurzel 311T im Hoseabuch erst zum Ausdruck käme, wenn göttliche und menschliche Abkehr/Rückkehr zueinander in Beziehung gesetzt würden. Aber auch so ist deutlich, wie der Begriff nicht nur mit Schuld, Strafe und Rettung völlig verschiedene Sachverhalte bezeichnen kann, sondern zugleich für überaus abgründige theologische Gedankengänge genutzt wird, indem ihm immer neue, einander vielfach 7

Im Unterschied zu Hos 2,11 ist 31» hier noch nicht zum verbum relativum abgeschwächt. Sachlich ist damit jedoch k a u m ein Unterschied gesetzt, da das Verb auch in 2,11 nicht die Wiederholung einer Tat bezeichnet, sondern die Rückkehr zu einem früheren Zustand durch Rückgängigmachen von Taten.

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konträre Aspekte entnommen werden. Undenkbar, daß diese Gedankengänge in ihrer Gesamtheit unmittelbar mündliche Rede widerspiegelten oder gar aus prophetischen Einfällen des Moments in aktuellen Auseinandersetzungen mit Hörern geboren wären! Nicht zu übersehen ist andererseits, d a ß die Überschneidungen der unterschiedlichen Gedankenebenen im Verlauf der Kapitel wachsen: Sie sind am stärksten in den beiden großen eschatologischen Abschlußtexten 11 und 14. Es ist nach alledem grundsätzlich mit einer zunehmenden Differenzierung zu rechnen: a) innerhalb der prophetischen Gedankengänge selber im Zuge der mehr als zwei vielleicht sogar drei - Jahrzehnte umfassenden Verkündigung; b) überlieferungsgeschichtlich: im Verlauf der Sammlung, Tradierung und Verschaffung der Hoseaworte 8 und c) redaktionsgeschichtlich: in der Neuaktualisierung der Botschaft Hoseas für das Südreich Juda nach dem Fall Samarias 9 . Nicht immer schließen sich die drei genannten Möglichkeiten zur Erklärung der komplexen Eschatologie des Hoseabuches gegenseitig aus; vielmehr ergänzen sie einander zuweilen in dem Sinne, daß komplizierte Gedankengänge des Propheten (besonders in Schülerkreisen) auch überlieferungs- und/oder redaktionsgeschichtliche Erweiterungen, Präzisierungen etc. zur Folge hatten, soweit m a n überhaupt in der Lage ist, diese verschiedenen Vorgänge mit einiger Sicherheit zu unterscheiden. Von hier aus versteht sich von selbst, daß nur von der Untersuchung einzelner Texte - in unserem Fall: der eschatologischen Texte in den Kapiteln 2, 3, 11 und 14 - neue Einsichten erwartet werden können. Dabei darf nach dem Kommentar zum Hoseabuch von H. W. WOLFF10, dem der jüngere Kommentar von W. RUDOLPH" in den entscheidenden Datierungsfragen folgt, als gesichert gelten, daß die Abfolge der Kapitel 4 - 1 4 im Hoseabuch einer chronologischen Ordnung entspricht. Nach grober Einteilung gehören Hos 4 - 5,7 in das Jahrzehnt vor dem sog. syrisch-efraimitischen Krieg, Hos 5,8-8,13 in den Zusammenhang dieses Krieges selber. Hos 9-13(14) in das Jahrzehnt danach. Viel ungewisser ist die zeitliche Einordnung von Hos 1 3; hier ist nur die Frühansetzung von Hos 2* einigermaßen gesichert. 8 Die planvolle Absicht der Schüler Hoseas in der Anordnung der Hoseaworte zu größeren Kompositionen habe ich andernorts an Hand von Hos 4 - 7 aufzuzeigen versucht; vgl. den vorausgehenden Beitrag. Für die Tradenten verlor die einzelne historische Stunde der mündlichen Verkündigung an Gewicht gegenüber einer zusammenfassenden Deutung der Prophetie. 9 Hat m a n bis vor einigen Jahren den Strom der Flüchtlinge aus dem Nordreich ins Südreich nach dem Fall Samarias nur aus dem Einfluß Hoseas auf den jungen Jeremia und aus der Redaktionsgeschichte des Hoseabuches erschließen können, so hat m a n ihn im letzten Jahrzehnt auch archäologisch nachweisen können im Wachstum Jerusalems und in der Neugründung judäischerDörfer; vgl. etwa M. BROSHI, The Expansion of Jerusalem in the Reigns of Hezekiah and Manasseh, IEJ 24, 1974, 21 ff. 10 Dodekapropheton 1. Hosea, BK XIV/1 (1961), 4 1990. 11 Hosea, K A T XIII/1, 1966.

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II. Was beim Vergleich der großen eschatologischen Kapitel des Hoseabuches als erstes auffällt, ist, daß die Kapitel 2 und 3 einerseits und 11 und 14 andererseits je für sich eng miteinander zusammenhängen. Sowohl in 2,8 f., als auch in 3,5 wird Israels Rückkehrwille zu Jahwe durch Entzugsmaßnahmen seines Gottes geweckt, durch Strafvollzüge, die doch nur den Zweck haben, alle künftigen Möglichkeiten des Abfalls von Jahwe zu unterbinden; kurz: Jahwe verfügt Züchtigungsmaßnahmen mit pädagogischer Absicht. In Kap. 11 und 14 dagegen liegen die Störungen des Gottesverhältnisses nicht außerhalb Israels in lockenden Angeboten eines widergöttlichen Vertrauens, sondern zutiefst in Israel selber: in seiner rDUPa, seinem wesensmäßigen Hang zur Abwendung von G o t t bzw. - das ist mit dieser Abstraktbildung gleichermaßen impliziert - seiner totalen Unfähigkeit zur Rückkehr zu ihm. N u r weil Jahwe trotzdem unfähig zur Vernichtung Israels ist (11,7 ff.) oder aber weil er diese rontfö „heilt" (14,5), kann Israel überleben. Könnte man sich auf den ersten Blick mit diesen Beobachtungen begnügen und eine frühe (Hos 2 f.) von einer späten (Hos 11.14) Eschatologie Hoseas unterscheiden wollen, so genügt doch diese Differenzierung bei näherem Zusehen keineswegs. U m bei den letztgenannten Kapiteln einzusetzen: Während Kap. 14 zentral von der göttlichen Einladung zur Umkehr bestimmt ist (V. 2-4), die eben mit der „Heilung" der Israels begründet wird, setzt Kap. 11 umgekehrt den Fortbestand dieser „Krankheit" voraus - und zwar trotz vernichtender göttlicher Schläge (V. 5 f.) - und verkündet den Herzensumsturz in Gott, der seinen Zorn bezwingt, als einzigen G r u n d für die Weiterexistenz Israels. Nicht ganz so gewichtig sind auf den ersten Blick die Differenzen zwischen Hos 2 und 3: Betreffen in 2,8 f. die göttlichen Entzugsmaßnahmen nur den „Weg" der Hure zu den Liebhabern, also den Höhenkult Israels, so in 3,4 weit umfassender das Königtum als Staatsform, den gesamten Opfergottesdienst und alle Orakelpraktiken. Trotz der eingangs genannten Parallelen zwischen Kap. 2 und 3 fällt es zumindest schwer, beide Texte aus ein und derselben geschichtlichen Stunde herzuleiten. Hinzu kommt, d a ß in beiden Kapiteln die für unsere Fragestellung zentralen Verse mit dem Thema Umkehr (2,8 f. und 3,5) umstritten sind, so daß W. RUDOLPH sich in seinem Hoseakommentar jeweils zu literarkritischen Eingriffen genötigt sieht. Nach alledem empfiehlt es sich, die genannten vier Kapitel in ihrer überlieferten Reihenfolge näher zu betrachten, freilich in notwendiger Beschränkung der Untersuchung auf die Verbindung von „ U m k e h r " und Eschatologie.

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III. Relativ kurz können wir uns bei Hos 2,8 f . fassen, da die entscheidenden Gesichtspunkte zur Interpretation des gedankenreichen und schwierigen Kapitels Hos 2 von H. W. WOLFF in seinem Kommentar bereitgestellt worden sind. Als wesentlich erscheint mir WOLFFS Erkenntnis, daß Hos 2 , 4 17 zwar aus einer großen Zahl selbständiger rhetorischer Einheiten zusammengesetzt, literarisch aber aus einem G u ß ist 12 . Die vergebliche Aufforderung an „Söhne", ihre ehebrecherische „Mutter" ultimativ zu verwarnen (2,4 f. 6), geht nahtlos über in eine anklagende Beschreibung des schändlichen Treibens der Frau (V. 7+10), das dreifache „darum"-Sätze (V. 8 f. 11-15.16 f.) mit den Folgen konfrontieren, die Jahwe verfügt. Diese drei „darum"-Teile liegen jedoch keineswegs auf einer Ebene. 1. Unlöslich mit der Anklage V. 7+10 ist V. 11-15 verbunden: Der Frau, die nicht mehr weiß, d a ß sie die Landesgaben als ihren reichen Unterhalt dem Ehegatten verdankt, die vielmehr statt dessen den „Liebhabern" dankt, werden die Gaben wieder entzogen; als Konsequenz muß im verödeten und versteppten Land jeglicher Gottesdienst aufhören, der zur Festfeier für „die Baale" verkommen war. Kurz: Jahwe muß die Heilsgeschichte mit Israel revozieren (21® V. 11), weil sie nur zum „Vergessen" Jahwes führte (V. 15b). 2. V. 16 f. dagegen ziehen mit „ d a r u m " nicht die Folgerung aus der Anklage V. 7 + 10, sondern aus der Strafe V. 11-15: Ist es durch die Verödung des Landes der Frau für alle Z u k u n f t unmöglich gemacht, weiterhin für „die Baale" statt für Jahwe Gottesdienst zu feiern, so kann ein neues Liebeswerben Gottes um die bislang so uneinsichtige Frau einsetzen. Da es „in der Wüste" stattfindet und es „von dort aus" zu einer neuen Landgabe kommt, ist die sachliche Bezogenheit von V. 16 f. auf V. 11 15 deutlich: Die revozierte Heilsgeschichte erhält einen neuen Anfang, der aber nun nicht wieder zum „Vergessen" des Gebers der Gaben führen kann 1 3 . Dieses Mal wird Gottes Geschichte mit Israel zum Ziel kommen. 3. Das „ d a r u m " in V. 8 f. ist am schwersten zu deuten, so gewiß es mit keinem der zuvor genannten „ d a r u m " einfach identisch ist. Es unterbricht den Z u s a m m e n h a n g der Anklage von V. 7+10, um einen wirkungsvollen Kontrast zur Willensäußerung der Frau in V. 7 zu bilden. Sie sagt: Ich will hinter meinen Liebhabern hergehen. (V. 7) Sie wird sagen: Ich will gehen u n d z u r ü c k k e h r e n zu meinem ersten M a n n . (V. 9)

12

BK XIV/1, 37 ff. " Diesen Gedanken führen die Verse 18 f. und 21 f. näher aus.

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Dabei laufen V. 8 f. deutlich V. 11-15 + V. 16 f. im ganzen parallel: Im Bild des verbarrikadierten Weges zu den Kulthöhen werden Israel Verwüstung des Landes, Entzug aller Erntegaben und Ende allen baalisierten Gottesdienstes angesagt, nun aber im Unterschied zu V. 11 ff. von vornherein im Sinne einer pädagogischen Maßnahme. Jahwe erreicht durch sein Strafhandeln die Einsicht Israels, zu der es selber nicht fähig ist (V. 4-6): daß nur in der Gemeinschaft mit G o t t Ursache und Heil seiner Existenz liegen. Sind diese Zusammenhänge zutreffend bestimmt, so ergibt sich eine doppelte Folgerung: 1. negativ: Die oft - zuletzt wieder im Kommentar von W. RUDOLPH14 vorgeschlagene Umstellung von V. 8 f. hinter V. 15 ist nicht nur deshalb abzuweisen, weil derartige Umstellungen immer nur ultima ratio sein können, sondern auch deshalb, weil mit ihr Israels „Rückkehr" (V. 9) wie nirgends sonst im Hoseabuch als etwas nur Vorläufiges hingestellt würde, als bloße Bereitschaftserklärung, auf die dann Gottes Führen in die Wüste folgen würde, das zudem noch als ein betörendes Verführen (nnD pi.) geschildert wird (V. 16). Die Verse 16 f. lassen sich nicht an V. 8 f. anschließen 1 5 . 2. positiv: Vielmehr besitzen V. 8 f. im Kontext wichtige Funktionen: zusammen mit V. 16 f. rahmen sie die harten Strafworte von V. 11-15 und zeigen von vornherein das Ziel der Wege Gottes mit Israel auf. Sie deuten die Strafmaßnahmen in V. 11-15 von dem intendierten Ziele Gottes her, wie es ähnlich auch V. 16 f. tun. N u r besteht darin der Unterschied, daß V. 16 f. bei der Vorstellung der revozierten Heilsgeschichte ansetzen und den Neubeginn dieser Heilsgeschichte ansagen, während V. 8 f. die Wandlung Israels (31$) erwarten, wenn ihm die Möglichkeiten schuldhaften „Vergessens" Gottes im Wohlstand genommen sind. Damit erweisen sich sowohl V. 8 f. als auch V. 16 f. als Interpretamente des schon vorgegebenen Sachzusammenhanges V. 7+10.11-15. Sehr wahrscheinlich, wenn auch nicht mehr sicher nachweisbar, ist, daß die beiden Stücke einmal selbständige rhetorische Einheiten bildeten. Jedenfalls gilt für beide, ganz besonders aber für die gedrängte Gestalt von V. 8 f., daß sie in ihrer gegenwärtigen literarischen Form nie ohne ihren Kontext bestanden haben; das nur angedeutete Bild in V. 8 vom Weg, den Dornen versperren, setzt die Ausführung der Verse 11 ff. voraus. Freilich erscheinen beim Abwägen V. 16 f. als in zwingenderer Weise unentbehrlich für den Kontext als die Verse 8 f., zumal diese ja V. 7 und 10 unterbrechen. Können V. 8 f. die 14 15

AaO. 68 f. Vgl. zur Widerlegung des Umstellungsversuches auch H. KRZYNA, Literarische

Struktur von Os 2,4-17, BZ N F

13, 1969, 4 1 - 5 9 ; f e r n e r : E . GALBIATI, L a

struttura

sintetica di Osea 2, in: Studi sull' Oriente e la Bibbia. FS G. Rinaldi, 1967, 317-328; D. J. A. CLINES, Hosea 2: Structure and Interpretation, in: Studia Biblica 1978 I. Papers on O T a n d Related Themes, JSOT.S 11, 1979, 83-103.

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Deutung von Schülern sein, die etwa dem theozentrischen Heilsaspekt von V. 16 f. (Jahwe beginnt die Geschichte von neuem) mit dem Thema Umkehr den anthropologischen entgegenstellen wollten? Nach allem, was sich in Behutsamkeit über die theologische Intention der Tradenten der Hoseaworte ausmachen läßt - die Verschärfung von Schuldaufweis und Strafansage, die Konzentration auf die Theozentrik aller Heilserwartungen - 1 6 , halte ich diese Vermutung für ausgeschlossen. Die inhaltlichen Parallelen zu V. 8 f. außerhalb von Kap. 2 weisen kaum zufällig auf Hoseas Frühverkündigung 1 7 . D a n n aber gewinnt H. W. W O L F F S Beobachtung neues Gewicht, d a ß die Aneinanderfügung der Sprüche in 2,4-17 sich deutlich von den späteren Kompositionen in Kap. 1 und 2,18 ff. unterscheidet. „Die Überlieferung geht hier wahrscheinlich auf Hosea selbst zurück." 1 8

IV. Ähnlich wie in 2,8 f. gründet auch in Kap. 3 die Hoffnung auf die Rückkehr Israels zu Jahwe (V. 5) in dem Entzug von Vertrauensobjekten, die Gott konkurrieren. N u r sind es jetzt nicht mehr wie in Kap. 2 allein die Kulthöhen mit ihrem baalisierten Festtreiben, die die Gemeinschaft Gott - Volk verhindern; die Vertrauensobjekte sind viel zahlreicher geworden: König, Beamte, Opfer, Mazzeben, Ephod und Teraphim (V. 4), d. h. - bei Auflösung der paarweisen Anordnung staatliche Organisation, Opfergottesdienst und Orakelwesen. Gewiß steht der Höhenkult weiterhin im Zentrum - auf ihn weisen schon eingangs die „Traubenkuchen", die Israel „liebt" als Antwort auf Jahwes Liebe (V. I)' 9 , ebenso in V. 4 die heiligen Steine und die technischen Orakel 2 0 - ; aber mit mT ist ein Terminus genannt, an H a n d dessen Hosea andernorts die Problematik des sich verselbständigenden Gottesdienstes grundsätzlich erörtert (etwa 6,6; 8,1113), und vor allem ist die Zusammenstellung von Königtum und Kult als Vertrauensgegenstand nie in Hoseas Frühzeit belegt, häufig dagegen ab dem syrisch-efraimitischen Krieg 2 1 , und das gleiche gilt für die Erwähnung der Beamten neben dem König (8,4; 13,10 u. ö.). Es kann daher m. E. kaum Zweifel daran bestehen, daß die prophetische Zeichenhandlung von Hos 3 in die Zeit nach dem syrisch-efraimitischen Krieg gehört. Das Königtum als 16

Vgl. dazu den vorausgehenden Beitrag. Zu vergleichen ist bes. das Wortspiel vom „Suchen" und „Finden", das auf kanaanäische Mythologie zurückzuführen ist, in V. 8b. 9a mit 5,6. 17

18

19

H . W . WOLFF, a a O . 39.

Ihre kultische Verwendung geht aus 2 Sam 6,19; 1 Chr 16,3 (vielleicht auch Jes 16,7) hervor. 20 Vgl. dazu bes. 4,12. 21 Vgl. 8,4 ff. und ganz bes. 10,1-8. In Kap. 1-5,7 wird das Königtum überhaupt nur noch zweimal erwähnt, und zwar an Stellen, die für 3,4 nichts austragen: 1,4 und 5,1.

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solches gilt Hosea wie der Kult durchaus als Gabe Gottes; daß es - wie der Gottesdienst - Anlaß zur Abwendung von G o t t bietet, ja an seine Stelle tritt, hat sich für den Propheten seit den Königsmorden nach Jerobeam II. (Hos 7,3 ff.), ¡ m syrisch-efraimitischen Krieg und zuletzt in den dramatischen Ereignissen des letzten Jahrzehnts des Nordreichs Israels immer deutlicher erwiesen. Trifft dieser zeitliche Ansatz von Hos 3 zu, so stellt sich neu die Frage, wie der heilvolle Schluß des Kapitels zu deuten ist: D a n a c h werden die Israeliten u m k e h r e n u n d werden Jahwe, ihren G o t t , suchen und David, ihren König, und werden zitternd Jahwe u n d seiner G ü t e n a h e n a m E n d e der Tage. (V. 5)

Er ist seit langem umstritten, weil er keine Analogie in der prophetischen Zeichenhandlung findet, in auffälligem Unterschied zum unheilvollen V. 4, der exakt parallel verläuft zur Rede des Propheten gegenüber der ehebrüchigen F r a u in V. 3. Hat der Prophet selber in neuer Lage seine Hoffnung aus der Frühzeit aufgegriffen und aktualisiert, Israel werde zu Jahwe zurückkehren, wenn ihm nur erst der abgöttische Gottesdienst unmöglich geworden sei (2,8 f.)? Taten dies die Tradenten? Oder ist der Vers, der ja auch von „David, ihrem König" spricht, den Israel „am Ende der Tage" suchen wird, einheitlich, was d a n n auf späte judäische Redaktion weisen würde? Folgende Gesichtspunkte sind zu berücksichtigen: 1. Während sich 2,8 f. vorzüglich in den Kontext der Frühverkündigung Hoseas fügen, fehlen für die Zeit nach 733 jegliche Hoffnungsaussagen Hoseas, mit Ausnahme von Kap. 11, das sehr anders geartet ist, wie sogleich zu zeigen ist. Liest man Hos 3 auf dem Hintergrund der engsten Sachparallele Hos 10, 1 - 8 , wird man V. 5 kaum als genuine Fortsetzung von V. 4 zu deuten vermögen. 2. In V. 5 steht ohne Präposition wie sonst nur in 11,5b und in 12,7. Zwei Möglichkeiten des Verständnisses bieten sich an: a) 31® meint die Rückkehr aus dem Exil 22 ; V. 5 würde damit V. 4 im Sinne der Exilierung präzisieren und festlegen, b) ist zum term. techn. für „ U m k e h r " geworden, bedarf der Explikation „zu Jahwe" nicht mehr; das ist bei Hosea sonst nur im Versteil 11,5b der Fall, der sicher sekundär ist (s. u.). 3. Während Hosea in seiner Frühzeit das Stichwort „suchen" pi.) nur mit negativen Nuancen versieht - Israel „sucht" die Liebhaber auf den Höhen (2,8 f.) bzw. „sucht" Jahwe mit den gleichen Mitteln wie die Baale (5,6) - , ist der mythologisch vorbelastete Begriff außer 3,5 nur einmal im Hoseabuch wertneutral bzw. positiv gebraucht: 5,15 erwartet der sich zurückziehende Jahwe Israels Gott-„Suche" in der Not, wird durch die 22 Diese Deutung hat H. UTZSCHNEIDER, Hosea. Prophet vor dem Ende, OBO 31,1980, 192.210 für 12,7 erwogen. Ich halte sie für sehr wahrscheinlich, auch wenn 12,7 damit einer sekundären Schicht zuzuweisen ist.

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Flüchtigkeit der „ U m k e h r " aber bitter enttäuscht (6,1-6). Offensichtlich will 3,5 mit der Zusammenstellung von „ U m k e h r " und „Suchen" verstanden sein als Erfüllung der Erwartung Gottes in 5,15. Diese Deutung konnte besonders durch V. 3b nahegelegt werden. Wenn dort der Prophet betont, d a ß auch er selber sich von der ehebrüchigen Frau zurückzieht, so war mit diesem überschüssigen Element der Zeichenhandlung, das in V. 4 nicht ausgedeutet wird, auf der Sachebene Gottes Ferne zu Israel analog zu 5,15 angezeigt. 4. Ähnliches mag für die ungewöhnliche Wendung „sich Jahwe zitternd nahen" "TIID) gelten. Als einzige Sprachparallele im Alten Testament müssen Jer2,19 (eventuell) 23 und Mi 7,17 gelten. Am ehesten wird diese Wendung als Interpretament des analogen, nahezu bedeutungsgleichen Terminus "Tin in 11,11 verständlich, der dort auch als Begriff der Bewegung verwendet wird. 5. Schließlich redet Hosea sonst auch nie von Jahwes Freundlichkeit und G ü t e als seinem 310; es ist ein Begriff, der typisch für Psalmensprache ist (Ps 25,7; 27,13 etc.). Ist H o s 3,5 somit schwerlich von Hosea herzuleiten, so ist er doch vermutlich auch nicht so spät anzusetzen, wie es bei A n n a h m e seiner Einheitlichkeit 24 der Fall wäre. Denn offensichtlich verbindet schon der junge Jeremia Hos 3,5 mit Hoseas Sprachgebrauch aus Hos 11 und 14 (nnntfa), wenn die soeben genannte Auffassung von Jer 2,19 im Recht ist 25 . Demgegenüber kann Hos 3,5 in seiner Endgestalt - also mit: „und David, ihren König"; „(Jahwe) und seine G ü t e " sowie „am Ende der Tage" - nicht ohne die exilische und frühnachexilische Ausgestaltung der jeremianischen Heilshoffnung verstanden werden, wie die sprachlichen Bezüge zu Jer 30,9 (Ez 34,23 f.) und Jer 31,12(.14) zwingend belegen 26 . Kurz: In Hos 3,5 sind eine frühe und eine späte nachhoscanischc Schicht zu unterscheiden. Auf die theologische Intention der ersteren wirft Hos 14 klareres Licht.

V. Mit Hos 11 wenden wir uns dem Kapitel zu, in dem am meisten und wohl auch am bewußtesten innerhalb des Hoseabuches mit der Wurzel 23 Falls in V. 19b, wie mir sehr wahrscheinlich ist, mit BHS nach Vetus Latina und Pesch, in Analogie zu H o s 3,5 das Verb in 2. Pers. f. sg. und die Präposition in 2. Pers. m. sg. zu lesen ist („und du dich nicht mit Zittern an mich gewandt hast"). 24 W. RUDOLPH, aaO. und ihm folgend I. WILLI-PLEIN, Vorformen der Schriftexegese innerhalb des AT, BZAW 123, 1971, 124-129. 25 Vgl. A n m . 23. 26 Vgl. dazu S. BÖHMER, Heimkehr und neuer Bund. Studien zu Jeremia 30-31, G T A 5, 1976, 59 f. 6 8 - 7 0 .

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gespielt wird. N i c h t weniger als viermal begegnet sie mit j e unterschiedlichen N u a n c e n . Alle vier Belege sind R e a k t i o n a u f die „geschichtstheologische A n k l a g e r e d e " (WOLFF) a m A n f a n g in V. 1 - 4 , in der J a h w e im - für das A l t e T e s t a m e n t ungewöhnlichen - Bild des Vaters die Uneinsichtigkeit und U n d a n k b a r k e i t des S o h n e s bitter beklagt: in aller Liebe, F ü r s o r g e und „ H e i l u n g " , Beweisen grundloser Z u n e i g u n g , hat der Vater nur ständige Zurückweisung durch den S o h n e r f a h r e n 2 7 . D i e Belege für die „ U m k e h r / A b k e h r / R ü c k k e h r " Israels (bzw. J a h w e s ) stehen a u s n a h m s l o s in V. 5 - 9 ; sie ordnen sich paarweise zueinander, und in der B e s t i m m u n g des Verhältnisses beider P a a r e liegt ein wesentliches Verständnisproblem. Z u n ä c h s t heißt es: Israel a) „kehrt zurück ins L a n d Ä g y p t e n " , weil es b) die „ U m k e h r " verweigert (V. 5); d a n n : E s bleibt gefangen c) in seiner „ A b t r ü n n i g k e i t " (V. 7), und trotzdem ist d) J a h w e unfähig, „sich zu kehren, um E f r a i m ins Verderben zu s t o ß e n " (V. 9). D i e Schwierigkeiten der D e u t u n g beginnen s c h o n beim ersten Beleg. S o sicher der Satz „ E r (der S o h n Israel) kehrt zurück ins L a n d Ä g y p t e n " bewußt in Antithese zu V. 1 formuliert ist ( J a h w e hat Israel aus Ä g y p t e n heraus „ g e r u f e n " und zum „ S o h n " adoptiert): Ist er vorwurfsvolle B e s c h r e i b u n g gegenwärtiger, eventuell ständig wiederholter H a n d l u n g e n („er wendet sich ans L a n d Ä g y p t e n " ) oder aber A n k ü n d i g u n g von Z u k ü n f t i g e m („er m u ß zurück ins L a n d Ä g y p t e n " = in die U n t e r d r ü c k u n g ) , das G o t t herbeiführen wird? Beide D e u t u n g e n werden in der F o r s c h u n g vertreten 2 8 , beide können sich a u f Parallelen im H o s e a b u c h berufen. Allerdings erlauben nun m. E . ebendiese Parallelen bei n ä h e r e m Z u s e h e n , eine nahezu eindeutige E n t s c h e i d u n g der Alternative zu treffen, die d a n n allerdings das Verständnis des gesamten K a p i t e l s mitbeeinflußt. Z u n ä c h s t m u ß auffallen, d a ß die Wurzel 31® nur zweimal im H o s e a b u c h schuldhafte A b k e h r von G o t t bezeichnet: in 7 , 1 6 und 1 1 , 7 2 9 . D i e Parallele 7 , 1 6 ist in m e h r f a c h e r Hinsicht von h o h e m G e w i c h t für die D e u t u n g von H o s 11; zum einen verläuft der G e d a n k e n g a n g des K o n t e x t e s erstaunlich parallel zu H o s 11, z u m anderen ist 7 , 1 6 teilweise bis in den W o r t l a u t hinein identisch mit 11,7. Z u n ä c h s t zum K o n t e x t . Auch in 7 , 1 5 geht ein Satz voraus, der G o t t e s fürsorgliche G ü t e gegenüber Israel beschreibt, und zwar wieder im ungewöhnlichen Bild des Vaters, der sich liebevoll seiner kleinen K i n d e r a n n i m m t . Auch hier freilich erntet die mühevolle H i n g a b e des Vaters nur die Z u r ü c k w e i s u n g durch die K i n d e r (V. 15b und 13 f.). M i t ihr 2 7 V. 1 - 4 ; umstritten ist, ob V. 4 das Vater-Sohn-Bild verläßt, um statt dessen vom Bauern und seinem Rind zu reden. 2 8 Vgl. zur erstgenannten Deutung neben H. W. WOLFF, BK. X I V / 1 Z. St. (anders noch Ges. St. 136) und H. DONNER, Israel unter den Völkern, VT.S 11, 1964, 84 ff, auch I. WILLI-PLEIN, aaO. [Anm. 24] 199 f.; die letztgenannte Deutung ist die übliche; vgl. zuletzt W. RUDOLPH, K A T X I I I / 1 z. St. 2 9 Zusätzlich noch (in Abhängigkeit von 11,7; s. u.) in 14,5.

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verbindet sich nun aber eine schuldhafte „Hinwendung" und zwar zu einer Größe, die bv genannt wird und einzig in 11,7 wiederkehrt 3 0 . Meiner Ansicht nach kann damit kaum etwas anderes gemeint sein als die in Ugarit belegte Prädikation Baals als '//', „der Erhabene" 3 1 . In richtigem Gespür für diesen Sachverhalt haben Ausleger mehrfach in 11,7 konjiziert 3 2 , allerdings ohne Anhalt in der Texttradition. N u r bei diesem Verständnis kommt auch das Wortspiel in 11,7 voll zum Tragen, das in Anlehnung an W O L F F prägnant zu übersetzen ist: A b e r m e i n Volk ist g e f a n g e n in d e r A b k e h r v o n m i r : 3 3 Z u m , H o h e n ' r u f e n sie, a b e r d e r b r i n g t sie nie u n d n i m m e r h o c h .

Einen sehr ähnlichen Spott bringt die Texttradition in 7,15f. zum Ausdruck: A b e r g e g e n m i c h s i n n e n sie Ü b l e s : Sie w e n d e n sich z u m , N i c h t - H o c h ' , sind wie ein t r ü g e r i s c h e r B o g e n ...

Wichtig ist nun die Fortsetzung der Gedanken in 7,16: Als Folge solchen Betrugs an Gott, der sich unter anderem in Klagen äußert, die nicht Jahwe, sondern dem ,Nicht-Hoch' gelten (V. 14), verfügt G o t t den Tod der politischen Führer, und zwar in Ägypten. A m Ende einer langen Überlieferungseinheit (5,8-7,16) wird damit in einem für die Hoseaüberlieferung typischen Brückenstück 3 4 erstmalig ein Thema berührt, das die folgenden Kapitel 8 f. beherrscht: D n x a 3 W „zurück nach Ägypten" (8,13; 9,3). Insbesondere die Verse 9,3 ff. machen unübersehbar deutlich, d a ß nicht weniger als die Revozierung der Heilsgeschichte und damit das Ende aller Geschichte Israels überhaupt gemeint ist. Insgesamt ist also zu urteilen, daß 11,1-7 und besonders 11,5 und 7 sehr enge sachliche Beziehungen zu 7,16 und seinem Kontext aufweisen; Gottes Wohltaten an Israel im Bild der liebevollen Fürsorge des Vaters für den 10 Dieser Sachverhalt, den H. S. NYBERG (Studien zum Hoseabuch, U U Ä 1935:6, 57 TT.; d a n a c h bes. M. DAHOOD, T h e N a m e ELI in the Psalms, T S 14, 1953, 4 5 2 - 4 5 7 ) deutlich erkannte, wobei er freilich diese Erkenntnis mit spekulativen G e d a n k e n über den C h a r a k t e r der G o t t h e i t belastete, ist insofern durch die Überlieferung verdunkelt worden, als sie 7,16 im Unterschied zu 11,7 bewußt verunstaltete: statt "717 "7N („zum H o h e n " : 11.7) in („nicht hoch"). 31 Vgl. U T 126 (= II K ) III 5 - 8 : lars mir b'l/wlsdmtr 'lj/rim hirs mir b'U wlsd mir Ij = „Auf die Erde regnete Baal, aufs Feld regnete der Erhabene; a n g e n e h m f ü r die Erde w a r der Regen Baals und fürs Feld der Regen des E r h a b e n e n . " 32 Zuletzt H. W. WOLFF u n d in seinem Gefolge J. L. MAYS (Hosea, OTL, 1969), je z. St. " Die Schwierigkeiten des Textes sind bekannt. Bes. gilt d a s f ü r d a s zweite Wort in V. 7. Die seit OETTLI oft befürwortete Ableitung von NN"7 bietet sich aber nicht an: 1. wegen der Fortsetzung in V. 7b; 2. weil NAILPH - trotz der B e h a u p t u n g NYBERGS u n d RUDOLPHS - nie positiv Umkehr, immer negativ „ A b k e h r " heißt. Wie Jeremia H o s 11,7 ein Jh. später verstand (unter H e r a n z i e h u n g von V. 5b), zeigt Jer 8,5. 34 Vgl. den Nachweis im vorausgehenden Aufsatz zu H o s 4 - 7 .

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Sohn, Israels unbegreiflicher Undank in der Flucht vor Jahwe und im „ R u f (11,2.7) zum Baal, Ägypten als Ort der Bestrafung durch Jahwe: diese Grundgedanken neben vielen Einzelheiten verbinden beide Texte miteinander. Liest man 11,5 von 7,16 her, kann kein Zweifel daran bestehen, daß hier die Bestrafung Israels angesagt wird: „Er muß zurück ins Land Ägypten", das heißt: zurück in ebenjene Unterdrückung, aus der die grundlose Zuneigung des Vaters zum Sohn diesen einst befreite (V. 1), mag diese Unterdrückung nun in der Gegenwart konkret wieder Ägypten (vgl. etwa 9,6) oder aber Assur (11,5a; vgl. 8,10; 10,6 u.ö.) heißen. Neben die auffällige Parallele in 7,16 treten andere Gründe, die für die Deutung von 11,5 als Gerichtswort sprechen: 1. Wo Hosea das Verb DW in Zusammenhang mit Ägypten gebraucht, bezeichnet es stets die Strafe der Zurücknahme der Heilsgeschichte (8,13; 9,3). 2. Wenn in V. 5 „das Land Ägypten" Ziel des Slttf ist, so ist damit eher der Ort der Verbannung charakterisiert als das Objekt politischen Taktierens (vgl. 7,11; 12,2). 3. Am wichtigsten: V. 5 bietet nicht nur einen deutlichen Gegensatz zum ersten Vers des Kapitels (zurück in die Knechtschaft, aus der Jahwe einst befreite), sondern auch zum letzten Vers. Dieser kündet im Bild flatternder Vögel die Rückkehr Israels aus Ägypten und Assur, das jetzt um der Variation willen die Charakterisierung „Land Assur" erhält, an. Sinnvoll ist diese überraschende Ankündigung, die sachlich die Konsequenz aus den berühmten Versen 11,8 f. zieht, doch wohl nur, wenn Ägypten und Assyrien Ort des Exils und der Verbannung waren. Als Folge dieser Überlegungen geben sich 11,1-6 als ein in sich abgerundetes Gerichtswort zu erkennen. Die ständige Undankbarkeit Israels gegenüber allen Wohltaten Jahwes (V. 1 - 4 ) führt den verzweifelten Vater zur Rücknahme der Heilsgeschichte und zur Exilierung Israels (V. 5), unter grausamer Herbeiziehung des kreisenden und „fressenden" Schwertes (V. 6). Als ein Sonderproblem stellt sich V. 5b dar: „Denn sie weigern sich umzukehren." Es ist aus einer Fülle von Gründen ausgeschlossen, daß er ursprünglicher Bestandteil von 11,1-6 war, trotz des eindrücklichen Wortspiels mit der Wurzel 31© (zurück nach Ägypten - weil die Rückkehr zu Gott verweigert wird), a) V. 5b unterbricht die Strafansage 5a. 6 um des Wortspiels willen, b) Der Nachtragscharakter zeigt sich im Numeruswechsel („er muß zurück ..., sie verweigern ..."). c) N u r in V. 5b (und in 3,5) wird im Hoseabuch als theologischer term. techn. absolut, ohne Präposition und Objekt gebraucht, d) Der Vorwurf der Gottesrede in V. 1 - 4 zielt einzig und allein auf Israels unverständliche Undankbarkeit gegenüber der großen Zahl erfahrener Wohltaten ab; V. 5b führt ein ganz neues Thema ein. e) Dieses Thema greift sichtlich V. 7 vor, aber unter

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deutlicher Akzentverschiebung: V. 7 hat die unlösliche Gefangenschaft Israels im Blick, V. 5b den mangelnden guten Willen. Ist aber 11,1 - 6 in sich geschlossenes Gerichtswort, wird die Fortsetzung in V. 7 zum Problem: „Aber mein Volk bleibt verstrickt in die Abkehr von mir." 3 5 Es ist dieser Vers gewesen, der um des eindeutigeren Zusammenhanges mit V. 5 f. willen die präsentische Deutung von V. 5 f. nahezulegen schien. An eine Strafankündigung schließt er sich schwerer an. Denn der adversative Beginn in V. 7 setzt voraus, daß entweder die Ankündigung von V. 5 f. zwischenzeitlich (partiell) erfahrbare Realität wurde oder der Prophet doch zumindest eine deutliche Reaktion des Volkes auf seine Verkündigung erwartete, die ausblieb. Meiner Ansicht nach genügt diese letztgenannte Annahme, zumal der formale wie inhaltliche Charakter der Verse 8f. dafür spricht, daß sie im engen Kreis der Vertrauten Hoseas gesprochen wurden 3 6 . Wie immer es sich damit verhält, zwischen V. 1 - 6 und V. 7 ff. m u ß einige Zeit verstrichen sein, präziser formuliert: Hos 11 ist wohl eine literarische Einheit, nicht aber eine überlieferungsgeschichtliche oder gar eine rhetorische; vielmehr setzen V. 7 ff. schon V. 1 - 6 als in sich geschlossene Einheit voraus und reagieren auf die Wirkung, die diese Worte beim Hörer erreicht haben. Für die Deutung von V. 7 ist dieser Sachverhalt von hohem Gewicht. Denn erst jetzt wird die große Verzweiflung des Propheten, die sich im „Aber mein Volk ist gefangen in der Abkehr von mir ..." ausspricht, voll erkennbar. Zunächst: als „mein Volk" hatte das prophetische Gotteswort Israel nur in Hoseas Frühzeit, literarisch gesehen: nur in Hos 4, angeredet, und zwar in Zusammenhängen, in denen von der Schuld der Priester die Rede, das Volk primär als verführtes - freilich damit nicht entschuldigtes im Blick war 3 7 . Ja, bald wurde auch der theologische Begriff „Israel" mehr und mehr vermieden, das Volk nur noch als „ E f r a i m " bezeichnet, d. h. als politische Größe angeredet 3 8 . Wenn nun in Hos 11,7 - und einzig hier in Hoseas Hauptwirkungszeit seit dem syrisch-efraimitischen Krieg - wieder von „meinem Volk" die Rede ist, so drückt sich die Hoffnungslosigkeit des Propheten in ihrer Totalität in diesem überraschenden Begriff der Nähe aus: Auch das unverständlich undankbare Israel hat nicht aufgehört, Gottes Volk zu sein. Die Verwandtschaft zu Worten der Frühzeit Hoseas kommt auch noch an einer weiteren Stelle zum Ausdruck: War die abgöttische

35

Vgl. zur Ü b e r s e t z u n g J. JEREMIAS, D e r P r o p h e t H o s e a , A T D 24/1, 1983, z. St.

36

V g l . d e n N a c h w e i s v o n H . W . W O L F F Z. S t .

37

H o s 4,6.8.12; d e m g e g e n ü b e r gehören Traditionsbildung an. 38

Vgl.

in

Weiterführung

von

2,3.25 u n d

Beobachtungen

UTZSCHNEIDER, a a O . [ A n m . 2 2 ] 1 3 0 f.

6,11

WOLFFS

späteren

(BK

XIV/1,

Schichten 144.212)

der H.

Zur Eschatologie des

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81

Gestalt des Gottesdienstes auf den Höhen in 4,11 ff. vom Propheten auf den Verlust jeglicher willentlich-rationaler Entscheidung Israels zurückgeführt worden, weil es von einer D'TiJT rrn, einem „Hurengeist", „irregeführt" war (4,12; 5,4), so werden auch in 11,7 mit der Gefangenheit des Gottesvolkes in seiner MUPO transrationale Argumente angeführt. Die nantfa nimmt die Stelle der D'JUT rrn aus der Frühzeit ein, verhindert wie diese Israels Hörund Entscheidungsfähigkeit. Erinnert sei nur an 5,4: Ihre Taten gestatten ihnen nicht, zu ihrem G o t t zurückzukehren; denn ein Hurengeist ist in ihnen, Jahwe kennen sie nicht.

Ich halte es für überaus wahrscheinlich, daß die Abstraktbildung naiwa „Abkehr-Wille" bzw. „Umkehr-Unfähigkeit", von Hosea selber geprägt wurde; sie ist außer (in deutlichem Anschluß an Hosea) bei Jeremia und Ezechiel nur einmal in einem späten Spruch belegt (Prv 1,32). Jedoch hängt nichts an solchem Plädoyer für Originalität, wohl aber viel an der Erkenntnis: Für Hosea ist Israel noch nicht verloren aufgrund seiner großen Schuld und unbegreiflichen Zurückweisung der Fülle an göttlichen Heilstaten; verloren ist es erst in seiner nantfö, d. h. in seiner Unansprechbarkeit und Unerreichbarkeit für das prophetische Wort. Hier kündet sich die Auffassung vom prophetischen Wort als letzter Überlebenschance für Israel an, wie sie später im D t r G ihre prägende Gestalt erfährt 3 9 . Wenn sich an ein solches Wort höchster Verzweiflung über die rettungslose Verlorenheit des Gottesvolkes ein Heilswort anschließt, so kann es nur ein irrational-theozentrisches sein wie in V. 8 f. Die einzige Hoffnung für Israels r m w » ist Jahwes in nichts als ihm selber begründete Unfähigkeit zum Denn ein „Sich Kehren, um zu verderben" (nnw1? 3 W ) in Gestalt ungehinderter Vollstreckung des auflodernden göttlichen Zorns (V. 9) wäre die „Preisgabe" Israels im Sinne seiner endgültigen Vernichtung, wie der Vergleich mit A d m a und Zeboim verdeutlicht; das „Sich Kehren" würde als Rückgängigmachen der göttlichen Heilstaten das Scheitern Gottes in seiner Beziehung zu Israel besiegeln. U m es zu verhindern, muß Gott gegen sich selbst eingreifen, muß im „Herzensumsturz" „Selbstbeherrschung" üben 4 0 , d. h. das Auflodern seines Zorns ersticken. N u r so kann die revozierte Heilsgeschichte (V. 5) eine Fortsetzung finden: im Neubeginn der Bewegung, die aus Ägypten herausführt (vgl. V. 11 mit V. 1).

19 Vgl. O. H. STECK, Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten, W M A N T 23, 1967 und zum analogen Befund im Amosbuch den Beitrag „Die Rolle des Propheten nach dem Amosbuch", u. S. 272 ff. 40 Vgl. zur Begründung dieser Begrifflichkeit (im Anschluß an J. HEMPEL) J. JEREMIAS, Die Reue Gottes, BSt 65, 1975 ( 2 1996), 46.52 ff.

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Nicht so sehr im Ergebnis, wohl aber in der theologischen Begründung ist diese Erwartung Hoseas aus seiner Spätzeit weit unterschieden von der seiner Frühverkündigung (vgl. u. VII.).

VI. Hos 14,2 f f . knüpft zwar in V. 5 terminologisch an Hos 11 an, spricht aber eine ganz andere Sprache als dieses Kapitel. Beherrscht ist der gesamte Abschlußteil des Hoseabuches von der Aufforderung zur Umkehr, wie sie betont am A n f a n g von V. 2 steht und nach erster Begründung nochmals in V. 3 aufgegriffen wird, wobei nur unterschiedliche Präpositionen verwendet werden und Israel einmal als Kollektiv, das andere Mal als Summe einzelner Glieder angesprochen ist. Ein freudiger, fast jubelnder Ton klingt in der Einladung zur Rückkehr zu Jahwe auf, die im Abrenuntiationsbekenntnis gipfelt: A s s u r soll uns nicht ( m e h r ) helfen, a u f Rossen wollen wir nicht ( m e h r ) f a h r e n , nicht m e h r , unser G o t t ' sagen z u m M a c h w e r k eigener H ä n d e . (V. 4)

Der verhaltene Ton göttlicher Verzweiflung über Israels Undankbarkeit und Verlorenheit in Kap. 11 bildet den denkbar härtesten Kontrast zu dieser volltönenden Freudenbotschaft neuer Rückkehrmöglichkeit zu Gott. Nun m u ß freilich sogleich auffallen, d a ß die Thematik des zitierten Abrenuntiationsbekenntnisses keineswegs fest im Hoseabuch verankert ist. Die Vorstellung von Assur als potentiellem „Helfer", d. h. Vertrauensgegenstand Israels, ist zwar gut belegt, aber ausschließlich in den Jahren um den syrischefraimitischen Krieg (5,13; 7,11; 8,9), aus naheliegenden historischen Gründen dagegen nicht mehr in den Jahren des Rumpfstaates auf dem Gebirge bis zu dessen Untergang, also gerade nicht in Hoseas Spätzeit, in die Kap. 14 gehören müßte 4 1 . Deutlicher noch ist der Befund beim zweiten Glied: Vertrauen auf militärisches Vermögen ist ein charakteristisch jesajanisches Thema, das bei Hosea überhaupt nur einmal, nahezu im Vorbeigehen anklingt (10,13b), nie aber mit seinem für Jesaja - und die Weisheit, an die er anknüpft - so charakteristischen Stichwort „Rosse", das einzig in einer nachweislich judäischen Erweiterung begegnet 4 2 . Schließlich ist der 41 12,2 bildet nur eine scheinbare Ausnahme, insofern dort die gleichzeitige Bindung an Assyrien und Ägypten zum T h e m a wird. 42 Hos 1,7. J. WELLHAUSEN (Die Kleinen Propheten, -M898, 133) bemerkt daher: „Verstehn kann das nur, wer Isa. 30 kennt." Auch sonst tritt das Thema Vertrauen auf militärische Macht nur noch in einer judäischen Aktualisierung auf (8,14). Hosea selber spricht den Sachverhalt ganz anders an: Er nennt den König einen Konkurrenten Jahwes, auf dessen „Hilfe" man hofft (13,9-11; vgl. 10,3).

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später in dtn-dtr Kreisen beliebte Vorwurf, das „Machwerk eigener H ä n d e " anzubeten, von Hoseas eigenen Anklagen gegen die Verehrung des Stierbilds in Bet-El merklich unterschieden, so gewiß auch dieser Vorwurf in zwei Zusätzen begegnet, die Hoseas Worte für judäische Leser aktualisieren 4 3 . Somit greifen zwei von drei Gliedern im Abrenuntiationsbekenntnis typisch judäische Sprache und Thematik auf, rechnen also mit Hörern bzw. Lesern im Südreich. D a n n aber wird man es schwerlich als Zufall bezeichnen wollen, daß die engste Parallele zu Hos 14,4 mit der verwandten Reihe Gold und Schätze - Rosse und Wagen - Götzen und Machwerk eigener Hände sich in einem Wort jesajanischer Frühzeit (Jes2,7f.) wiederfindet, dessen spätere Wirkungsgeschichte in Juda Mi 5,9ff. zu verfolgen ist. Wenn erkannt ist, daß Schuldbekenntnis und abrenuntiatio als „Frucht der Lippen" (V. 3) deutlich auf judäische Leser des Hoseabuches zielen, erscheint auch der einleitenden V. 2 im neuen Licht. Wird in ihm zur Umkehr eingeladen mit der Begründung: „denn aufgrund deiner Schuld bist du gestrauchelt", so ist daran zu erinnern, daß beide vorhergehenden Ankündigungen des „Straucheins" Israels im Hoseabuch (4,5; 5,5) eine judäische Aktualisierung erfuhren und noch der nachexilische Weisheitsspruch am Ende des Buches im Anschluß daran von den „strauchelnden Frevlern" spricht (14,10). Ich zitiere nur 5,5: „Israel und Efraim straucheln aufgrund ihrer Schuld; auch Juda strauchelt mit ihnen". So wird judäischen Lesern mit 14,2-4 eingeprägt: Nicht schon das „Straucheln" selber, das in 14,2 als schon erfolgt (vermutlich: in Gestalt des staatlichen Untergangs) vorausgesetzt wird, birgt die Katastrophe in sich, sondern erst das in dieser Lage verweigerte Schuldbekenntnis und die verweigerte Umkehr. Was ermöglicht die Umkehr? Mit aller gebotenen Dringlichkeit hat H. W. WOLIT in seinem Kommentar darauf verwiesen, daß die Einladung zur Rückkehr zu Jahwe in V. 2 - 4 von der Ankündigung in V. 5 herkommt, sie als unabdingbare Voraussetzung benötigt, nicht nur als potentielle Antwort: Ich heile ihre m i t f a , liebe sie aus freiem Antrieb; denn mein Z o r n hat sich von ihm abgewandt (31tt>).

Der sprachliche und sachliche Bezug zu 11,7-9 ist mit Händen zu greifen; die Unterschiede zwischen beiden Aussagen sind gewichtiger. Hos 11 verkündet angesichts bleibender, auch durch kein Strafhandeln aufzubrechender Undankbarkeit und mitten Israels die Unfähigkeit Gottes, seinem Zorn freien R a u m zu lassen und so Israel preiszugeben; Hos 14 sagt das Ende der rDlTO Israels und das Ende des göttlichen Zornes an 4 4 . Damit 4

' 8,6aß.y; 13,2aß.ba und das erste Wort in bß. Möglicherweise ist V. 5b aufgrund seines abweichenden Suffixes eine Erläuterung zu V. 5a (WOLFF Z. St.). Zwingend ist diese Annahme nicht, da in V. 5b das Sohnesbild aus 44

84

Zur Eschatologie

des

Hoseabuches

wird ein schlechterdings neues Gottesverhältnis erwartet mit einem menschlichen Partner, wie er noch nie in der Geschichte auftrat; denn das erfahrbare Israel war schon „im Mutterleib" Jakob, der Betrüger (12,4). Ein Israel mit „geheilter Abkehrneigung" ist ein Israel mit „neuem Herz" (Ez 36,26), ein eschatologisches Israel. Hier sprechen die Schüler Hoseas neue Worte in hoseanischer Sprache angesichts des 722 eingetroffenen Gerichts. Der Unterschied zu Hosea wird am deutlichsten in der je verschiedenen Verwendung der Vokabel KST („heilen"). Für Hosea ist „heilen" ein politischer Begriff. In militärischer Bedrängnis verspricht sich Israel „Heilung" von Assyrien und erst in äußerster N o t von Jahwe (5,13; 6,1); es verhindert durch verstärkte Schuld, daß Jahwe „heilt" (7,1), wie er es seit dem Auszug aus Ägypten in so vielfältigen Situationen getan hatte (11,3). Die Tradenten Hoseas erwarten mit dem Stichwort „heilen" die Schaffung des neuen Menschen. Hosea selber hatte sie zu dieser Hoffnung ermächtigt durch die Botschaft von Gottes bleibender Liebe trotz Israels mitten (11,7-9). Die Schüler Hoseas halten die illusionslose Sicht des Menschen beim Propheten durch, ja verschärfen sie eher noch. Aber sie lassen nach dem Gericht die verhaltene Aussage Hoseas, daß Jahwe nicht ein Gott des Zorns sein könne, auch wenn keine Hoffnung auf Wandlung Israels besteht, zu der jubelnden Ansage des neuen Israel werden, das ein Israel ohne mittfn sein wird. An diese volltönende Ankündigung können die Tradenten in Juda anknüpfen; sie wissen sich von Hosea ermutigt zur Einladung zur Umkehr, die schon als solche Ernst macht mit der Hoffnung auf göttliche Neuschöpfung. Denn nur weil G o t t unfähig ist zum 3Hi\ d. h. zur Vernichtung Israels, das er zum Sohn adoptierte (11,9), nur weil er Israels n a î t r a heilt, d. h. wieder ein ansprechbares Gottesvolk schafft (14,5), kann Israel zum eingeladen werden, zu neuer Gottcsgemeinschaft (14,2 4).

VII. Es ist ein Stück Weges einer Theologiegeschichte, das sich in den Hoffnungsaussagen des Hoseabuches zeigt. In dem hier behandelten Ausschnitt, zu dem insbesondere Hos 2 , 1 - 3 . 1 8 - 2 5 und 14,6-9 hinzuzunehmen wären, sind allein schon grob fünf Stationen dieses Weges zu unterscheiden. Die ersten beiden Stationen führen zu Hosea selbst zurück. Aber schon sie zeigen eine weite Spannbreite. Zunächst fällt auf, daß uns keinerlei Hoffnungsworte Hoseas überliefert sind, die mit einiger Wahrscheinlichkeit seiner öffentlichen Verkündigung zuzuweisen wären. Offensichtlich hat Kap. 11 nachwirken könnte. In jedem Fall aber liegen die Aussagen beider Versteile sachlich auf einer Ebene.

Zur Eschatologie des Hoseabuches

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Hosea über das letzte Ziel der Wege Gottes mit seinem durch und durch schuldigen Volk nur im Kreis der Vertrauten zu sprechen gewagt. In der Frühzeit seines Auftretens hat er Jahwes Gerichtshandeln pädagogische Wirkungen zugetraut: Würde das Gericht Israels abgöttischen Gottesdienst unmöglich machen, in dem es nur den eigenen Wohlstand statt den Geber der Gaben feiert, werde sich das äußerlich neu verarmte Gottesvolk umbesinnen und neue Gottesgemeinschaft suchen (2,8 f.). Solche kräftigen Erwartungen wagt der späte Hosea nicht mehr zu hegen. Denn er sieht ein Israel vor sich, das unverständlicherweise durch immer mehr Güteerweise Jahwes zu immer mehr Undankbarkeit und Abweisung Jahwes getrieben wird. Selbst die Ansage des Endes der Heilsgeschichte ändert daran nichts. Gerade die erkannte Unmöglichkeit allen Wandels in Israel ist es aber nun, die in Jahwe den „Herzensumsturz" herbeiführt, der die Ausschüttung des Zorns verhindert und die Revozierung der Heilsgeschichte nicht ihr Ende, sondern ihren N e u a n f a n g bilden läßt (11,8 f. 11). So stehen Hos 2 und Hos 11 in einem auffälligen Kontrast zueinander: Wo Hos 2 aus Jahwes s i w (der Rücknahme der Gaben durch den Geber, V. 11) den Beginn von Israels 3 IIP (der Rückkehr zu Gott, V. 9) erwartet, verkündet Hos 11 angesichts von Israels n3ltP0 (seiner Gefangenheit in der Abkehr von Gott, V. 7) die Unmöglichkeit des 31$ Jahwes (der Vernichtung Israels, V. 9). Die Botschaft von Jahwes Unfähigkeit, sein erwähltes Volk trotz aller Gebundenheit an Schuld preiszugeben, hat die Schüler Hoseas nach dem staatlichen Zusammenbruch zu neuer Heilshoffnung befähigt. War 722/1 Strafe Jahwes, so doch nicht Vernichtung Israels, vielmehr zugleich Beginn eines neuen Gottesverhältnisses, dessen Partner G o t t selber neu schaffen wird. Hos 14,5 nimmt die großen Worte vom neuen Bund in jeremianischen und vom neuen Herzen in ezechielischen Kreisen sachlich vorweg. Wie dort wird aller Ton auf den Akt göttlicher Neuschöpfung gelegt. Diese hohe Erwartung führt im Zuge der Neuaktualisierung der Hoseaworte in Juda zu einer freudigen Einladung und Ermutigung zur Rückwendung zu Jahwe. Worte Jesajas werden mit aufgegriffen, um zu verdeutlichen, von welchen Gefahren sich Juda lösen m u ß (14,4), zugleich wird ein großer Einfluß auf die Verkündigung des jungen Jeremia ausgeübt. Vor allem anderen wird eingeprägt, daß nicht schon die Schuld Israels selber, sondern erst die Uneinsichtigkeit gegenüber dem prophetischen Wort in die Katastrophe führt (vgl. 11,5b mit Jer 8,5). A m Untergang des Nordreichs ist zu lernen, daß Rückbesinnung auf Jahwe und sein Heil allein (in der Stunde der Not und zu aller Zeit) hilfreich ist (Hos 3,5*; Jer 2,19). Ein bis zwei Generationen später hat dieser Aufruf eine messianische Komponente erhalten; das Sich Halten an G o t t und an David sind nun untrennbar verbunden (Hos 3,5; Jer 30,9).

6. Der Begriff „Baal" im Hoseabuch und seine Wirkungsgeschichte I.

Wie wenig sichere Kenntnisse die Wissenschaft über die Eigenarten des frühen Jahwe-Glaubens besitzt, ist in der neueren religionsgeschichtlichen Diskussion sattsam bekannt. Die weit überwiegende Mehrzahl der alttestamentlichen Quellen schildert ihn aus der Retrospektive als eine Variante der Religion der eigenen Zeit. Die wenigen Texte aus vorstaatlicher und frühstaatlicher Zeit, allesamt nicht im Blick auf den Wissensdurst der Nachgeborenen verfaßt, ergeben kein einheitliches Bild. Daher ist es nicht überraschend, daß die - notwendig weithin hypothetischen - Rekonstruktionen dieses frühen Jahwe-Glaubens ihn in jüngerer Zeit mehr und mehr als eine Spielart der Religiosität der Umweltvölker dargestellt haben, d. h. ihn mit Zügen etwa Baals und Eis, wie wir sie aus ugaritischen Texten kennen, mit Zügen Kamoschs, wie sie die Mescha-Inschrift widerspiegelt, etc. gezeichnet haben. „Von Hause aus sind Jahwe und Baal nicht zwei verschiedene Gottheiten, sondern zwei N a m e n für ein und denselben G o t t " , formuliert MANFRED WEIPPERT, dem wir den kühnsten und wohl bedeutendsten Rekonstruktionsversuch der genannten Art verdanken, und unmittelbar zuvor: Jahwe war „von Hause aus eine Gottheit des HadadTypus" 1 . HERBERT NIEHR läßt seine Darstellung der Religion Israels sogar sogleich mit der Feststellung beginnen, „daß J H W H hinsichtlich seiner Herkunft aus dem edomitischen Bergland als eine Art Wettergott des Hadad-Typs zu verstehen ist" 2 , ein Ansatz, der für ihn näherer Begründung 1 M . WEIPPERT, Synkretismus und Monotheismus. Religionsinterne Konfliktbewältigung im alten Israel, in: J. ASSMANN u n d D. HARTH (Hrg.), Kultur und Konflikt, F r a n k f u r t / M . 1990, 143-178 (Lit.); 157 f. 2 H. NIEHR, D e r höchste G o t t . Alttestamentlicher J H W H - G l a u b e im Kontext syrischk a n a a n ä i s c h e r Religion des 1. J a h r t a u s e n d s v . C h r . , B Z A W 190, 1990, 43. Z u den z u g r u n d e liegenden methodologischen E r w ä g u n g e n dieser Sicht, die wesentlich von neueren Erkenntnissen zur „ L a n d n a h m e " Israels hervorgerufen ist, vgl. M. S. SMITH, T h e Early History of G o d . Yahweh and the O t h e r Deities in Ancient Israel, San Francisco 1990, X X I I f. u n d N. P. LEMCHE, T h e D e v e l o p m e n t of the Israelite Religion in the Light of Recent Studies on the Early History of Israel, in: J. A. EMERTON (Hrg.), Congress Volume Leuven 1989, VT.S 43, 1991, 9 7 - 1 1 5 . Schließlich ist an die jüngste Diskussion u m d a s

Der Begriff „Baal" im

Hoseabuch

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- außer dem Hinweis auf Theophanieelemente und den Sinai als Wohnort offensichtlich nicht bedarf 3 . Die im Hoseabuch breit dargestellte Baal-Polemik erscheint unter diesen Voraussetzungen als „religionsinterne Grenzziehung, die als Abgrenzung nach außen interpretiert wird" 4 . Zu dieser Grenzziehung kam es, weil Hosea „der erste im Alten Testament bezeugte Vertreter der ,Jahwe-allein'Theologie" war. Wie ist er dann zu seiner Erkenntnis gekommen? In der tödlichen Gefahr, die von der Expansionspolitik Tiglatpilesers III. und seiner Nachfolger ausging, sah Hosea „Sanktionen" Jahwes gegen Israels „Ehebruch", der seinerseits im Vollzug der „traditionellen israelitischen Religion" bestand: „in der Vielzahl der verehrten Gottheiten, den Heiligtümern, den Götterbildern" etc. „Aus diesem Denkansatz ergab sich für Hosea, d a ß all dies von den Völkern übernommen sein mußte, denen Israel bei seinem Eintritt ins Land begegnet war", und als Konsequenz, daß der Prophet „die traditionelle Vorstellung von Jahwe selbst in Frage stellen" mußte. „ D a s bedeutete, daß es sich bei dem Jahwe der Höhenheiligtümer in Wirklichkeit gar nicht um Jahwe handeln konnte." Auf der Suche nach „dem wirklichen Jahwe" begann Hosea, „Jahwe und Baal, ursprünglich ... einund dieselbe Gottheit", scharf voneinander zu unterscheiden 5 . In der Darstellung der Religionsgeschichte Israels wird dem Propheten Hosea die zentrale Schlüsselposition zugeschrieben. Diese ebenso anregende wie originelle Sicht des Hoseabuches im Kontext einer Religionsgeschichte Israels beinhaltet nach meinem Urteil sowohl einen wesentlichen Fortschritt als auch einen deutlichen Rückschritt gegenüber traditionellen Entwürfen. Der gewichtige Fortschritt ist darin zu sehen, daß hier mit aller Entschlossenheit die eher zaghaften Ansätze der Hoseaexegese aufgegriffen und systematisiert werden, die Polemik gegen Baal im Hoseabuch als eine wesenhaft innerisraelitische Auseinandersetzung zu interpretieren. D a ß diese Polemik nicht nach außen gerichtet ist und nicht die Attraktivität des Gottesdienstes der kanaanäischen Bevölkerung im Blick ist, ergibt sich allein schon daraus, d a ß diese Bevölkerung noch über lange Zeit darunter gelitten haben muß, daß die Ausrottung ihrer geistigen und geistlichen Führungsschicht im Zuge der Revolution Jehus eine pro-

Aufkommen des Monotheismus und die These einer „Jahwe-allein-Bewegung" (M. SMITH, B. LANG, H. VORLÄNDER) als Voraussetzung der religionsgeschichtlichen Frage zu erinnern; vgl. die kritische Darstellung von R. ALBERTZ, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit 1, A T D . E 8/1, 1992, 97 f. 3 Mit guten G r ü n d e n betont demgegenüber T. N. D. METTINGER, The Elusive Essence. Y H W H , El and Baal and the Distinctiveness of Israelite Faith, in: FS Rolf RendtorfT, Neukirchen 1990, 393-417; 411, d a ß Jahwe von Anbeginn Züge Baal-Hadads und Züge Eis miteinander verbunden habe. 4 WEIPPERT, aaO. [Anm. 1] 163 (gesperrt gedruckt). ' W E I P P E R T , a a O . 1 6 2 f.

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Der Begriff „Baal" im

Hoseabuch

duktive religiöse Entwicklung verhinderte und dem Synkretismus mit israelitischen Vorstellungen Vorschub leistete 6 . Eine noch weit deutlichere Sprache aber spricht die Tatsache, daß die Polemik gegen Baal im Hoseabuch auf eine Ebene mit Hoseas Polemik gegen das Kulturland, gegen „Opfer", gegen „ H o c h m u t " etc. zu stehen kommt, und zumindest im Fall der letztgenannten Themen ist eine Außenperspektive ausgeschlossen 7 . Der Rückschritt der geschilderten Sicht liegt m. E. darin, daß sie von ihrem Ansatz einer Identität „Jahwes" und „Baals" in der Zeit vor Hosea her diesem Propheten eine derart unvermittelte und plötzliche neue Erkenntnis im Gottesbild zuschreiben muß, daß er unter der Hand nahezu zum Religionsgründer, zu einem Mose der kritischen Wissenschaft wird. Eine solche Sicht ist aus vielfachen G r ü n d e n ganz unwahrscheinlich. Ich nenne nur die drei wichtigsten: 1. Hosea weiß sich als Glied einer prophetischen Bewegung, deren A n f a n g er bis zu Mose zurückführt (Hos 6,5; 12,11.13 f.). 2. Hosea greift erkennbar mehrfach vorgegebene prophetische Traditionen des Nordreichs auf; für die Verbindung zu den Elischa-Erzählungen erinnere ich nur an den für Hosea so zentralen Begriff der „Hurerei" (2 Kön 9,22) 8 , für die Verbindung zu den Samuel-Erzählungen an die Anspielungen an 1 Sam 15 in Hos 4,5 f. und 6,6 9 . Auch bei den letztgenannten Beispielen handelt es sich keineswegs um Randprobleme, sondern um für Hoseas Denken konstitutive Themen, die er im Vergleich mit der vorgegebenen Tradition erheblich vorantreibt und verschärft, wie besonders der Vergleich zwischen Opfer und Gehorsam bzw. Gotteserkenntnis in 1 Sam 15,22 und Hos 6,6 verdeutlicht. 3. Nirgends polemisiert Hosea gegen „die Vielzahl der verehrten Gottheiten" (WEIPPERT), so d a ß die Konzentration auf den einen Gott sein Anliegen sein könnte, sondern seine Intention richtet sich immer wieder auf die Gefahr, daß Israel seine Eigenart verlieren könnte, indem es Jahwe „vergißt" (Hos 2,15; 13,6 u. ö.) und durch seine Politik seine Besonderheit 6

Vgl. dazu unten V. mit Anm. 30. Ich würde nach wie vor den - zugegebenermaßen unscharfen - Begriff eines „baalisierten Jahweglaubens" verwenden wollen. Der Versuch von ALBERTZ, aaO. [Anm. 2] 269 ff., im Gefolge WEIPPERTS sämtliche im Hoseabuch begegnenden Kultbräuche schon im vorhoseanischen Jahweglauben zu belegen, kann von der Quellenlage aus nicht gelingen. „Es ist erst Hosea, der den ,ganz normalen Jahwekult' seiner Zeit unter Aufnahme des religiösen Feindbildes des 9. Jh. ... denunziert" (272): Dieser Satz täuscht ein Wissen vor („ganz normaler Jahwekult": also demnach genau identisch mit der Zeit Elias), über das wir gern verfügen würden, aber nicht verfügen. 8 Vgl. zum Nachweis bes. O. H. STECK, Überlieferung und Zeitgeschichte in den EliaErzählungen, W M A N T 26, 1968, 35 Anm. 1. 9 Vgl. J. JEREMIAS, Der Prophet Hosea, A T D 24/1, 1983, 66 mit Anm. 5 und 88. - Zu weiteren Rückgriffen auf prophetische Tradition vgl. H.-D. NEEF, Die Heilstraditionen Israels in der Verkündigung des Propheten Hosea, BZAW 169, 1987, und D. R. DANIELS, Hosea and Salvation History, BZAW 191, 1990. 7

Der Begriff,, Baal" im Hoseabuch

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einbüßt, ohne es selber zu spüren (7,8 f. u. ö.). N u n könnte es sich bei solchen Aussagen grundsätzlich natürlich um Sprachformen handeln, die eine neue Identität Israels im Sinne des Propheten erst herstellen wollen. Jedoch ist diese Verständnismöglichkeit dadurch ausgeschlossen, daß Hosea im Kontext der genannten Vorwürfe eine Baal-Polemik vorträgt, wie sie in ihrer Typisierung nur für Hörer bzw. Leser verständlich ist, die seit langem mit der Frage: Jahwe oder Baal? umgehen. „Baal" repräsentiert im Hoseabuch nicht die Vielzahl der Götter, sondern Israels kanaanisierten Gottesdienst. Die Frage nach rechter Gotteserkenntnis (DTl'TN DS7T; Hosea formuliert nicht „Jahwe-Erkenntnis", meint also für den Gottesbegriff generell konstitutive Elemente) ist für Hosea identisch mit der Frage nach dem rechten Gottesdienst (und - davon abgeleitet - nach der rechten Politik). „Jahwe" und „Baal" stehen einzig und allein für rechten und verfehlten Gottesdienst Israels. Eine solche Typisierung setzt eine längere Auseinandersetzung um das Wesen der rechten Gottesverehrung zwingend voraus.

II. Von A n f a n g an auffällig am Gebrauch des Baal-Namens im Hoseabuch ist, d a ß Baal scheinbar als einziger der zahlreichen männlichen und weiblichen Gottheiten Palästinas mit Eigennamen begegnet. Während Hosea in einer Fülle von Andeutungen und Wortspielen zu erkennen gibt, d a ß ihm und seinen Lesern die Vielzahl kanaanäischer Götter vertraut ist 10 , nennt er natürlich außer Jahwe - nur Baal bei N a m e n . Der Begriff „El" ist generisch verwendet (Hos 2,1 „lebendiger G o t t " ) und in 11,9 sowie in 12,1b unmittelbar als Qualifikation Jahwes g e b r a u c h t " . N i m m t man hinzu, d a ß der Baal-Name in der Hälfte der Fälle pluralisch begegnet, ist die Folgerung unabweisbar, daß Baal im Hoseabuch nicht für eine einzelne männliche Gottheit steht, sondern als Repräsentant aller Götter und Göttinnen, die für Hosea dem genuinen Jahweglauben entgegenstehen, diesen aber stark beeinflussen, überfremden und verändern. Es war von daher ein weitreichendes Mißverständnis, wenn Religionsgeschichtler in den vergangenen Jahrzehnten häufig in dem Baal des 10 Bekannt ist das Wortspiel mit (Anat und) Aschera in Hos 14,9, das J. WELLHAUSEN, Die kleinen Propheten, Berlin 1 1898, 134, zur entsprechenden Konjektur veranlaßte. Vgl. zuletzt zur Diskussion G. BRAULIK, Die Ablehnung der Göttin Aschera in Israel, in: M.-T. WACKER - E. ZENGER (Hrg.), Der eine Gott und die Göttin, QD 135, 1991, 106-136; 118123. Erinnert sei weiter an das Wortspiel mit Mot in Hos 13,1, an das mit Baal selber in 7 , 1 6 und 11,7 etc. 11 Wobei 2,1 und 12,1b anerkanntermaßen der nachhoseanischen Traditionsbildung zugehören. Vgl. zuletzt etwa G. A. YEE, Composition and Tradition in the Book of Hosea, SBL.DS 102, Atlanta 1987, 230 f. und T. NAUMANN, Hoseas Erben. Strukturen der Nachintcrpretation im Buch Hosea, BWANT 131, 1991, 104 ff.

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Der Begriff „Baal" im

Hoseabuch

Hoseabuches denselben G o t t zu erkennen glaubten, „mit dem Israel seit dem Seßhaftwerden in K a n a a n bis nach dem Exil in Berührung gekommen ist" und den sie gern mit Zügen gezeichnet haben, die aus den ugaritischen Texten gewonnen waren 1 2 . Für die Verwendung des Baal-Namens im Hoseabuch tragen die ugaritischen Texte schlechterdings nichts aus, so gewiß sie andererseits verschiedenartigste Anspielungen des Hoseabuches auf bestimmte Kultbräuche - z. B. in den Wendungen in Hos 2.9 oder in 7,14 - für uns Nachgeborene überhaupt erst verständlich gemacht haben 1 3 . Aber der „Baal" Hoseas hat mit dem Baal der ugaritischen Texte nur den N a m e n gemein. Er ist nicht ein G o t t unter vielen Göttern, sondern ihr Repräsentant und damit zugleich Chiffre für ein verfehltes Gottesverhältnis und insbesondere für einen verfehlten Gottesdienst. Als eine solche Chiffre ist er austauschbar mit anderen Chiffren, die für den analogen komplexen Sachverhalt der Verfehlung Jahwes stehen; ich nenne nur die Begriffe „Hurerei" (Hos 1,2 u. ö.) bzw. „Opfer" (Hos 6,6 u. ö.). 1. Aufs kürzeste gedrängt, sagt Hos 13,1, was Israels Umgang mit Baal bedeutet: Sooft E f r a i m redete, (entstand) Schrecken, überragend war er in Israel. D a verschuldete er sich mit dem Baal und starb 1 4 .

Auf jegliche Anschaulichkeit ist hier verzichtet. A u f w e i c h e Weise Verschuldung „mit dem Baal" sich ereignet, wird nicht erläutert, sondern vorausgesetzt. Dem Text geht es einzig und allein um den abgrundtiefen Fall Israels bzw. seines nach 733 verbliebenen Rest- und Rumpfstaates („Efraim") von einer herrlichen und bewunderten Position herab, der auf den Kontakt „mit Baal" zurückgeführt wird. Ja, die verwendeten Kategorien sind noch schärfer: nicht Pracht und Elend sind die Gegensätze, sondern Leben und Tod. „Baal-Schuld" ist prinzipiell tödlich und hat Israel daher zwingend zum Untergang geführt, ebenso wie die „Gotteserkenntnis" - so m u ß man aus anderen Hoseatexten (4,6; 6,6 u. ö.) ergänzen - es zum Leben geführt hätte 1 5 . 12

S o M . J. MULDER, Ba'al, ThWAT I, 1973, 706-727; 719; vgl. DI:RS„ Ba'al in het Oude Testament, Den Haag 1962, 87 fF. 110. Ähnlich etwa G. ÖSTBORN, Yahweh and Baal. Studies in the Book of Hosea and Related Documents, Lund 1956,16 fT. 26 ff. 13 Auch D. KINET, Ba'al und Jahwe. Ein Beitrag zur Theologie des Hoseabuches, EHS.T 87, Frankfurt/Bern 1977, 209 ff., der die Differenzen zwischen den BaalVorstellungen in Ugarit und im Hoseabuch klar erkennt, ebnet sie im Vollzug des Vergleiches zwischen Baal und Jahwe im Hoseabuch dann doch wieder harmonisierend ein und beurteilt Baal viel zu sehr „ugaritisch". 14 Die Übersetzungen sind dem o. Anm. 9 genannten Hoseakommentar entnommen, wo auch die wichtigsten textkritischen Begründungen geboten werden. 15 Vgl. zu diesem für Hosea zentralen Begriff bes. H. W. WOLFF. „Wissen um Gott" bei Hosea als Urform von Theologie, EvTh 12. 1952/53, 533-554 (= Ges. St., TB 22, : 1973,

Der Begriff „Baal" im

Hoseabuch

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So formuliert niemand, der seinen Lesern ein neues Problemfeld nahebringen möchte. Was „Baal" heißt und impliziert, steht für den Verfasser des Textes so fest, daß es auch bei seinen Lesern ohne jegliche Deutungshilfe vorausgesetzt werden kann. Das nicht mehr überbietbare Kürzel einer Verschuldung ^y^S, bei dem sich nicht einmal genau sagen läßt, ob es „mit Baal" oder „durch Baal" verstanden werden will, hat ein Jahrhundert später insbesondere auf den Propheten Jeremia stark gewirkt und konnte von ihm - weil es schon bei Hosea zu einer inhaltlich geprägten Chiffre erstarrt war - auf ein völlig neues Thema, die Wahrheit der Prophetie, übertragen werden, wie wir noch sehen werden (u. III.). 2. An einer einzigen Stelle, im Z u s a m m e n h a n g des ersten der zahlreichen Geschichtsrückblicke des Hoseabuches wird „Baal" nun doch mit einer konkreten Geschichtserfahrung verbunden (Hos 9,10), so d a ß man vermuten könnte, hier auf spezifischere Züge einer bestimmten Gottheit zu treffen. Wie T r a u b e n in d e r W ü s t e f a n d ich Israel, wie eine F r ü h f r u c h t a m F e i g e n b a u m erblickte ich eure Väter. Sie (aber) - k a u m n a c h Baal Peor g e k o m m e n , weihten w u r d e n Scheusale wie ihr Liebhaber. [sich schon der Schande,

Bei näherem Zusehen ist die Differenz zu Hos 13,1 im Gebrauch des BaalNamens aber nur eine sehr geringe. In Hos 9,10 geht es nicht anders als in 13,1 um die Gegenüberstellung von einem idealen Einst und einem verfehlten Jetzt, deren sachliche Eigenart nicht dargelegt, sondern beim Leser vorausgesetzt werden. In der durch und durch typologischen Geschichtsschau Hoseas repräsentiert Baal Peor die Situation des Umbruchs von der makellosen Vergangenheit zur schuldhaften Gegenwart, und zwar in doppelter Hinsicht: zum einen im geschichtlichen Sinn als die erste Kulturlanderfahrung Israels, zum anderen im religionsgeschichtlichen Sinn als Israels erste Baal-Erfahrung. Beide Sichten sind durch schillernde Begriffe unlöslich miteinander verbunden. Die „Wüste" in V. 10a ist in Hoseas typologischer Geschichtsbetrachtung sowohl der Ort, an dem sich Israel vor seinem Einzug ins Kulturland aufhielt, als auch der ideale Ort des glückenden Gottesverhältnisses. Ersteres kommt darin zum Ausdruck, d a ß die Wüste dem Kulturland vorgeordnet ist, letzteres darin, daß die Wüste in der Opposition zum Kulturland steht, aber nicht als realer Ort erscheint, sondern nur in einem Vergleich („wie Trauben in der Wüste"), der jede geschichtliche Erfahrung transzendiert, genannt ist. Dieser Vergleich bindet die schönste Kulturlanderfahrung („Trauben") an die Voraussetzung der ungetrübten und uneingeschränkten Gottesgemeinschaft („Wüste"), die 182-205), und zuletzt M. NISSINEN, Prophetie, Redaktion und Fortschreibung H o s e a b u c h , A O A T 2 3 1 , 1 9 9 1 , 1 5 7 ff.

im

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Der Begriff ..Baal" im

Hoseahueh

ganz vom Handeln Gottes („finden") bestimmt war. Ähnlich verbindet Hoseas Zukunftserwartung in 2,16 f. Israels neue Gottesbegegnung in der Wüste mit dem neuen Geschenk der Weinberge im Kulturland. G a n z entsprechend schillert der Begriff „Baal Peor": Er steht einerseits für den Ort, an dem Israel ein erstes Mal das Kulturland betrat, andererseits für die dort erstmals angetroffene Gefahr, den Gott der Geschichte mit „Baal" zu verwechseln, der das historische Israel in seinen Vätern auch sogleich erlag. Hos 9,10 ist so wenig wie 13,1 daran interessiert, Eigenarten „Baals" näher zu beschreiben. Dem Vers geht es wesentlich um ein Doppeltes: 1. die ungehemmte, intime und rückhaltlose Hingabe Israels an „Baal" zu beschreiben, die in den Begriffen „sich weihen" und „lieben" zum Ausdruck kommt; 2. die katastrophale Folge dieser Hingabe anzudeuten. Sie wird dadurch charakterisiert, d a ß Kennzeichnungen Baals („Schande", „Scheusal") auf Israel selbst übertragen werden. Israel wird wie „Baal". Der Oppositionsbegriff zur „Schande" steht in V. 11: Die „Ehre" Israels, die es sich nicht selbst verschaffen konnte, sondern die ihm Gott durch sein „Finden" verliehen hat, wandelt sich durch Baal-Kontakt zur „Schande", und damit ist weniger subjektives Sich-Schämen als vielmehr objektives Zuschanden-Werden gemeint, wie deutlich der folgende Kontext zeigt, der von Kinderlosigkeit und Tod handelt. Trotz seiner ungewöhnlichen Bilder und seiner reichen Sprache ist Hos 9,10 nicht weniger unanschaulich als 13,1. Wieder gehören „Baal" und Tod unlöslich zusammen, wieder liegt aller Ton auf dem Gegenüber von heilvollem Einst und hoffnungslosem Jetzt. Einzig die Verbindung von „Baal" und Kulturland wird zusätzlich hervorgehoben und die Leidenschaftlichkeit des Verhältnisses zwischen dem irregeleiteten Israel und „Baal" als dem Liebhaber, ohne daf3 über die mit dieser Intensität verbundenen Vorgänge auch nur die leisesten Andeutungen gemacht wurden. 3. Wie sehr „Baal" den gesamten Vorstellungskomplex eines verfehlten Gottesverhältnisses und Gottesdienstes repräsentiert, zeigt sich stärker noch in den Belegen, in denen er im Plural begegnet (Hos 2,15.19; 11,2). In Verbindung mit dem unmittelbar vorausgehenden Vers 2,18 (die Frau wird G o t t nicht mehr „mein Baal" rufen) erweist 2,19 („Ich rotte aus die N a m e n der Baale"), wie austauschbar Singular und Plural für die Überlieferer der Hoseaworte waren. Die beiden älteren Hoseabelege assoziieren „die Baale" mit dem Gottesdienst. Besonders instruktiv ist 11,1 f., weil hier „die Baale" dem wahren G o t t gegenübergestellt werden: Als Israel j u n g war, g e w a n n ich es lieb, h e r a u s a u s Ä g y p t e n rief ich m e i n e n S o h n . K a u m d a ß ich sie rief, liefen sie s c h o n fort von mir. D e n Baalen wollten sie o p f e r n , d e n G ö t t e r b i l d e r n r ä u c h e r n .

Der Begriff „Boa!" im

Hoseabuch

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Wie in Hos 9,10 ist der Kontrast zwischen idealem A n f a n g und gegenwärtiger Schuld schon in der Syntax erkennbar. Für das ideale Einst steht das Handeln Gottes: das „Finden" Israels (9,10a) bzw. das „Lieben" des Sohnes (11,1); für die schuldhafte Gegenwart steht das Handeln Israels: das „Sich-Weihen" gegenüber Baal (9,10b) bzw. das „Weglaufen" zu „den Baalen" (11,2). Wo G o t t handelt, ist in Kap. 11 von Israel als „mein Sohn" die Rede (V. 1); wo Israel reagiert und G o t t verwirft, „laufen sie fort" (V. 2): statt des Gottesvolkes eine amorphe Ansammlung einzelner Subjekte. Hos 11,1 f. verschärft die Sicht von 9,10 aber vor allem insofern erheblich, als kein zeitlicher Zwischenraum zwischen Gottes „Liebe" und Israels Hang zu „den Baalen" gelegt wird. Wo in 9,10 Baal Peor den Übergang von der Wüste zum Kulturland andeutete, da fallen in 11,1 f. die Handlungen Gottes („aus Ägypten") und Israels (im Kulturland) zeitlich zusammen. Die Zeit der Wüste wird übersprungen und damit die Periode eines glückenden Gottesverhältnisses geleugnet. Der ungehorsame Sohn reagiert schon auf den Ruf des liebenden Vaters „aus Ägypten heraus" mit seinem ungehemmten Hang zu „den Baalen". Die Verwerfung Gottes ereignet sich bereits beim Akt der Erwählung selber. Hos 12 kündigt sich an: „(Schon) im Mutterleib hinterging er seinen Bruder" (Hos 12,5). Der Kontrast zwischen glückendem und durch Baal zerbrochenem Gottesverhältnis ist zum Kontrast zwischen Gottes Liebe und Israels Verwerfung Gottes zugunsten „der Baale" zugespitzt worden. In einer doppelten Hinsicht ist 11,2 präziser als 9,10: die leidenschaftliche Hingabe Israels an Baal (9,10) wird in 11,2 durch Elemente des Gottesdienstes erläutert, und der Gebrauch des Plurals „Baale" wird durch die Parallelisierung mit den „Bildern" motiviert. Die beiden Verben „opfern" und „räuchern", die auch in 4,13 zusammen den Baalgottesdienst repräsentieren, wollen allerdings nicht primär hinsichtlich der Eigenarten einzelner Opferbräuche wahrgenommen werden - „Rauchopfer" für ganz dargebrachte Tiere und Vegetabilien, „Opfer" als Anlässe zum Gemeinschaftsmahl, das mit der Gottheit verbindet, der die besten Teile des Tieres vorbehalten bleiben sondern sie stehen stellvertretend für eine Mentalität, die Hosea andernorts mit der ungehemmten Vermehrung von Priestern und Altären kennzeichnet (4,7 f.; 8,11-13; 10,2 f. u. ö.). Sie ist dadurch geprägt, d a ß ein möglichst häufiger Vollzug des Opferritus als die Praxis eines glückenden Gottesverhältnisses gilt, für Hosea aber die Reflexion über rechtes Handeln ersetzt (vgl. besonders Hos 6,6, wo der Gegensatz zwischen Ritus und Ethik auf das Feld politischen Handelns übertragen ist). Die „Bilder", die „den Baalen" zugeordnet sind und andernorts (4,17; 8,4; 14,9) die Baale vertreten können, dienen in Gestalt von kleinen (Stier-)Figurinen der Vergewisserung des funktionierenden Ritus auch für den Alltag (vgl. 4,17; 8,4 u. ö.); für Hosea verschlingen sie wie die Opferstätten selber

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Der Begriff „Baal" im

Hoseabuch

alles „Gold und Silber", das doch als Jahwes große Gabe an Israel (2,10; 8,4) das Gottesvolk zum Handeln aus der Dankbarkeit führen sollte. Insofern ist also in der Tat zwischen dem pluralischen Sprachgebrauch „Baale" und dem Singular „Baal" zu unterscheiden: Ersterer wird durchgehend mit spezifisch kultischen Konnotationen verwendet 1 6 , letzterer nicht. Aber diese kultischen Konnotationen sind ihrerseits chiffriert. Wenn von „den Baalen" ausgesagt wird, daß man ihnen „opfert", so ist damit ebenso eine komplexe Konzeption auf den Begriff gebracht wie in 2,15, wo es heißt, daß man über Festtagen für „die Baale" den wahren Gott, Jahwe, „vergißt"; hier wird der Oppositionsbegriff zur Chiffre für den rechten Gottesdienst, „Gotteserkenntnis" (DTI^X nsn), verwendet. 4. Wo die begriffliche Abstraktion so weit vorangetrieben war, daß „Baal" für ein verfehltes Gottesverhältnis stand und im Plural „die Baale" einen irregeleiteten Gottesdienst repräsentierten, war der Schritt nicht weit, bis der gleiche Sachverhalt auch ohne „Baal" formuliert werden konnte. Im Hoseabuch ist dies in 13,4-6 der Fall: 4

5

6

Ich aber bin Jahwe, dein G o t t , v o m L a n d Ä g y p t e n her: Einen G o t t a u ß e r mir kennst d u nicht, einen R e t t e r a u ß e r mir gibt es nicht. Ich w a r es, der dich in der W ü s t e weiden ließ ( G ) [bzw. der dich in d e r W ü s t e e r k a n n t e (MT)], im a u s g e d ö r r t e n L a n d . Je m e h r sie weideten, d e s t o satter w u r d e n sie. Satt g e w o r d e n , e r h o b sich ihr Herz. So v e r g a ß e n sie mich.

Der Kontrast zwischen Jahwes erwählendem Handeln in Ägypten (V. 4; vgl. 11,1) zusammen mit seiner folgenden Fürsorge in der Wüste (V. 5; vgl. 9,10 und 2,16) und Israels Verwerfung Jahwes im Reichtum des Kulturlandes (V. 6) erinnert deutlich an die zuvor behandelten Texte mit ihrer „Baal"-Thematik. Auch in der typologischen Geschichtsschau von 13,4-6 ist dieser Kontrast so absolut formuliert, daß für die Epochen der Herausführung aus Ägypten und der Wüste das Handeln Gottes steht, bei dem Israel nur Objekt ist, für die Epoche des Kulturlands umgekehrt das Handeln Israels, so d a ß Jahwe Objekt wird. Noch deutlicher ist das abschließende Verb der „Baal"-Thematik entnommen; das „Vergessen" Jahwes geschah in 2,15 um der Festtage für die Baale willen, in 4 , 6 - 8 und 8,11-14 um der Vielzahl der Altäre und der auf 16 Zu diesem Sprachgebrauch fügt sich auch die Rede von „den Liebhabern" Israels in 2,7IT., die als Charakterisierung „der Baale" dienen und Israels verfehlten Gottesdienst repräsentieren. - Ältere Deutungen des Plurals „Baale" haben zumeist an eine Mehrzahl verschiedener lokaler Gottheiten gedacht; vgl. etwa MULDER, Ba'al, ThWAT I, 710; H. W. WOLFF, Dodekapropheton 1. Hosea, BK XIV/1, 1965 ( 4 1990) 47 f.

Der Begriff „Baal" im

Hoseabuch

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ihnen dargebrachten Opfer willen. Nichts anderes ist sachlich in 13,6 im Blick. Aber nicht mehr „Baal" oder „die Baale" sind in diesem gottesdienstlichen Treiben Gottes Widersacher, sondern Israels eigenes „Herz" in seiner Überheblichkeit und Selbstvergötterung. Die Urschuld des Menschen von Gen 3 kommt in den Blick. Im Reichtum seines Landes braucht Israel Jahwe nicht mehr, weil ihm sein eigenes Treiben und „Opfern" den Wohlstand garantiert. „Baal" ist als eine Konstante der Anthropologie entlarvt; er ist in anthropologischer Terminologie auflösbar. 5. Weiter als bis zur Auflösung des Begriffs ist die Baal-Polemik im Alten Testament nirgends vorangetrieben worden und kann sie schlechterdings nicht vorangetrieben werden. Aufgrund der Notwendigkeit, die Botschaft Hoseas, die durch den Fall Samarias so früh bestätigt worden war, zusammenzufassen, haben die Schüler des Propheten in einem für diese Zeit beispiellosen Abstraktionsprozeß die großen Themen Hoseas auf den Begriff gebracht. Eine solche Abstraktion der Tradenten ist undenkbar, ohne daß diese Tendenz schon in der Verkündigung des Propheten selber angelegt war. Sie wurde gefördert durch den Zwang, den Zeitgenossen den Untergang des Nordreichs als Konsequenz eines verfehlten Gottesverhältnisses verständlich zu machen. Vorbereitet war die Abstraktion insbesondere in Hoseas Geschichtsrückblicken. In dieser typologischen Geschichtsschau repräsentierten der Auszug aus Ägypten Jahwes Erwählungshandeln, die Zeit der N o t in der Wüste mit der Angewiesenheit Israels auf die Fürsorge Jahwes die ideale Gottesgemeinschaft, die Zeit des Kulturlands dagegen die Verwerfung Jahwes durch Israel. Während in anderen, hier nicht behandelten Geschichtsrückblicken des Hoseabuches Einzelheiten der Schuldgeschichte Israels wie etwa Rechtsbruch („in Gibea": 10,9) und Verwerfung Gottes durch das Königtum („in Gilgal": 9,14) thematisiert werden, geht es in den Gegenüberstellungen von Ägypten- bzw. Wüstenzeit und Kulturlandzeit um G r u n d konstellationen des Gottesverhältnisses, die für Hosea die soeben genannten besonderen Elemente der Schuldgeschichte Israels erst hervorriefen. Diese Grundkonstellationen können unterschiedlich benannt werden; stets aber sind sie auf den Begriff gebracht. In geschichtlicher Begrifflichkeit heißen sie Wüste und Kulturland (9,10; 13,5 f.). In personaler Begriff!ichkeit heißen sie von G o t t gesegnetes Leben und Tod „durch Baal" (13,1) oder Gottes Liebe und Israels Opfer an „die Baale" (11,1 f.), und in dieser Terminologie können die Geschichtsperioden so souverän verwendet werden, d a ß die Wüstenzeit einfach übersprungen wird. In kultischer Begrifflichkeit heißen sie „Gotteserkenntnis" (DTI^S n s n ) und Leidenschaft gegenüber „den Baalen" oder „Opfern und Räuchern" (2,15; 13,2 u. ö.) oder aber, wie im zuletzt behandelten Beleg, „Überhebung des Herzens" (13,6). Ein sachlicher Unterschied zwischen den genannten Ebenen besteht nicht; nur

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Der Begriff „Bua!" im

Hoseabuch

werden die Akzente in ihnen unterschiedlich gesetzt. Jedoch werden die verschiedenen chiffreartigen Begriffe in Überschreitung der aufgeführten Ebenen ständig miteinander vermischt und gegenseitig ausgetauscht. So sind in einem Abstraktionsverfahren ohnegleichen im Hoseabuch „die Baale" zum Begriff für verfehlten Gottesdienst und „Baal" im Singular den verschiedenen Betrachtungsebenen vorgeordnet - zum Synonym für verfehltes Gottesverhältnis generell geworden. F ü r Israel ist es entscheidend zu wissen, d a ß es „mit Baal" bzw. „durch Baal stirbt" (13,1).

III. Das Abstraktionsverfahren Hoseas und seiner Schüler bei der Rede über Baal hat im Alten Testament eine breite Wirkungsgeschichte gehabt. Sie beginnt beim Propheten Jeremia und fährt über die deuteronomistische Bearbeitung des Jeremiabuches, M O W I N C K E L S C-Schicht, bis hin zum DtrG. Ich beschränke mich im folgenden wesentlich auf ihre Anfänge beim Propheten Jerermia selber und ziehe die Linien zu den verschiedenen Spielarten der deuteronomistischen Theologie nur noch andeutend aus. Legt man für das Buch Jeremia der Einfachheit halber die Analyse W I N F R I E D T H I E L S 1 7 zugrunde, die zumindest im deutschsprachigen Raum am ehesten für die Jeremiaforschung konsensfähig ist, so stehen im Jeremiabuch einer Fülle von Belegen für den Begriff „Baal" in der deuteronomistischen C-Schicht nur vier Belege für die ältere Jeremiatradition gegenüber. Auffällig ist nun der Befund, d a ß drei von diesen vier Belegen im Problemfeld wahre und falsche Prophetie begegnen 1 8 . „Baal" ist bei Jeremia im Gefolge Hoseas zur Chiffre für falsche Prophetie geworden. Aber diese Aussage bedarf der Präzisierung. Für den Gebrauch des BaalN a m e n s in der älteren Jeremiatradition ist nämlich kennzeichnend, daß die Baal-Thematik weiterhin primär als Thematik des (längst untergegangenen) Nordreichs gilt, also mit einem deutlichen historischen Abstandsbewußtsein berührt wird 1 9 . Wenn sie dennoch von Jeremia aufgegriffen wird, dann mit dem Ziel, die noch ungleich größere Schuld des zeitgenössischen Südreichs steigernd von der „Baal"-Schuld abzuheben. Ein instruktives Beispiel bietet hierfür Jer 23,13 f.: 17

W. THIEL, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1-25, W M A N T 41, 1973; DERS., Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 26-45, W M A N T 52, 1981. 18 Jer 2,8; 23,13.27. Der vierte Beleg (2,23) greift das Thema leidenschaftlicher Hingabe Israels an „die Baale" aus Hos 9,10 bzw. 11,2 auf und steigert es in Tiervergleichen (Kamelstute, Wildeselin) bis zur vernunftvergessenen Brunst. 19 Das hat schon G. MÜNDERLEIN, Kriterien wahrer und falscher Prophetie, EHS.T 33, Frankfurt/Bern 1974, 49, erkannt, und neuerdings bes. M. SCHULZ-RAUCH, Die Rezeption der Verkündigung Hoseas durch Jeremia, Diss. München 1993, 99 ff. (erscheint 1996 in den CThM).

Der Begriff ..Baal" im

Hoseahuch

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13 Bei d e n P r o p h e t e n S a m a r i a s z w a r h a b e ich S c h l i m m e s gesehen: Sie p r o p h e z e i t e n ^ y a a u n d f ü h r t e n so m e i n Volk Israel in die Irre. 14 Bei d e n P r o p h e t e n J e r u s a l e m s a b e r h a b e ich W i d e r w ä r t i g e s gesehen: Ehebrechen und Wandeln so d a ß sie die H ä n d e d e r Ü b e l t ä t e r g e s t ä r k t h a b e n ...

Die Charakterisierungen des Nord- und Südreichs, beide durch ihre Hauptstädte vertreten, sind bewußt parallel vollzogen: Auf eine einleitende Bewertung folgen der inkriminierte Sachverhalt und zuletzt die von ihm hervorgerufene Wirkung. Auf allen Ebenen des Vergleichs schneidet das Südreich schlechter ab. War im Nordreich eine Orientierungslosigkeit des Volks schlimme Folge der „Baal-Prophetie", wie sie analog der Prophet Micha als Folge ertragssüchtiger Propheten im Jerusalem des 8.Jh. beklagt hatte (Mi 3,5), so ist im Südreich sogar Bestätigung und Stützung der Bösen Folge des prophetischen Wirkens. Wenn dieses prophetische Wirken „Wandeln ~ip>CO" heißt, so wird die andernorts bei Jeremia gebrauchte Wendung „Prophezeien (Jer5,31; 20,6), die der Qualifikation der Nordreichspropheten direkter entspräche, bewußt überschritten. Die Schuld der Südreichspropheten, die die genannte verheerende Wirkung zeitigt, ist also in doppelter Weise gegenüber den Nordreichspropheten gesteigert: Die Autorität, in deren Auftrag sie auftreten, ist nicht länger „Baal", sondern „Lüge, Betrug, Fälschung" 2 0 , und das schlimme Wirken betrifft nicht nur das Reden, sondern auch das Handeln 2 1 . Aus der Gegenüberstellung von „Baal" und „Lüge" wird unübersehbar deutlich, daß „Baal" nicht eine Gottheit meint, die in Konkurrenz zu Jahwe stehen könnte, sondern eine ganze Konzeption irregeleiteter Gottesverehrung. Der steigernd verwendete Begriff "ipttf wird in den folgenden Versen des Kapitels Jer 23 durch die Wendung „Gesicht des eigenen Herzens" (V. 16.26) aufgegriffen und meint das Unvermögen der Propheten, zwischen Jahwes machtvollem Willen von außen - durch den Jeremia selber „wie ein Trunkener" ist (V. 9) und den er „wie Feuer" und „wie einen H a m m e r " erfährt (V. 29) - und dem eigenen Wunschdenken zu unterscheiden. Charakteristisch für Jeremia und seinen Gebrauch des Baal-Namens ist, d a ß er als einziger der biblischen Autoren das Verb (ni. oder hitp.) „prophezeien" mit der Präposition 3 verwendet, d. h. die gegnerischen Propheten nach der hinter ihren Worten stehenden Autorität fragt 2 2 . 2(1

Vgl. die vorzügliche Monographie von M. A. KLOPFENSTEIN, Die Lüge nach dem Alten Testament, Z ü r i c h / F r a n k f u r t 1964; vgl. weiter SCHULZ-RAUCH, aaO. [Anm. 19] 108 fr. 21 Der vorausgestellte Begriff „Ehebrechen" kann dabei sowohl das zwischenmenschliche Handeln als auch - mir wahrscheinlicher - im übertragenen Sinn den Bruch des 1. Gebots bezeichnen. 22 Seine Tradenten sind ihm darin gefolgt und gebrauchen häufig (wie schon der Prophet selber) den GegenbegrifT „im N a m e n Jahwes prophezeien" (Jer 11,21; 14,14 f.; 26,9.20; 27,15; 29,9.21).

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Der Begriff „Baal" im

Hoseabuch

Freilich sieht er hier keine andere Gottheit als Jahwe stehen, wohl aber ein Jahwe entgegenstehendes Interesse: Im Falle des Nordreichs mag es Wohlstandssicherung durch Opferfülle heißen, im Falle des Südreichs heißt es Verwechslung des Gotteswillens mit eigener Sehnsucht. Der Unterschied in der Begrifflichkeit liegt wesentlich darin, d a ß Jeremia das religiöse Interesse des Nordreichs als ein von fremdem Denken geprägtes sieht („Baal"), während er bei den Propheten des Südreichs massives Eigeninteresse im Reden diagnostiziert. Allerdings ist bei näherem Zusehen das Anliegen des Propheten noch differenzierter. Denn "iptr „Lüge, Trug" als „Autorität" der Südreichspropheten bezeichnet bei Jeremia nicht nur das Wunschdenken der Propheten, sondern auch die illusionäre Wirkung ihrer Verkündigung auf die Hörer. Insofern können die Propheten „im N a m e n Jahwes prophezeien" (23,25; vgl. 27,15; 29,21.23) - so d a ß äußerlich Jahwe die Autorität der Verkündigung bleibt, sie inhaltlich aber nun "lpt2; übermittelt gleichzeitig aber trotz der Berufung auf Jahwe „bei meinem Volk meinen Namen in Vergessenheit bringen" (23,27). So entsteht das Paradox, d a ß die Propheten unter Berufung auf den N a m e n Jahwes durch ~iptt> ebendiesen Namen in Vergessenheit bringen. Mit diesem „Vergessen" ist dann allerdings nicht die Opposition zu intellektuellem Erinnern gemeint, sondern die Opposition zur inhaltlich gefüllten „Gotteserkenntnis", wie schon Hosea diesen Begriff geprägt hatte (s. o. II.). Jeremias "ip^-Begriff hat also zentrale Elemente des hoseanischen Baal-Begriffs übernommen bzw. beibehalten. Anders ausgedrückt: Die zeitgenössische "ip^-Prophetie des Südreichs ist für Jeremia die gegenwärtige Gestalt der Prophetie VJ733, die anfänglich Israels Kulturlandzeit (Jer 2,8) und später die staatliche Periode des Nordreichs (23,13) prägte. Deutlich ist aber, daß ein so weitgehend abstrahierter „Baal"-Begriff. wie ihn Jeremia gebraucht, ohne die Geschichte der Abstraktion des BaalNamens im Hoseabuch kaum denkbar wäre. Andererseits ist die theologische Problematik, die Jeremia mit dem Baal-Namen abdeckt, Hosea völlig fremd, weiß doch Hosea sich in einer ungebrochenen Kontinuität der Propheten stehen, die mit Mose begann (Hos 6,5; 12,11.13). Es ist die Abstraktion des Baal-Namens, die Jeremia von Hosea übernimmt und neu verwendet, nicht aber die Sicht der zeitgenössischen Prophetie.

IV. Eine markant gegensätzliche Tendenz im Gebrauch des Baal-Namens ist in den Ausführungen jeremianischen Denkens durch die dtr Prediger und Pädagogen zu beobachten. Sie schlagen - bei aller terminologischen A n k n ü p f u n g an Jeremia - den umgekehrten Weg ein: von der Abstraktion

Der Begriff „Bau!" im

99

Hoseabuch

fort hin zur Konkretion. Erkennbar wird diese Tendenz insbesondere an der häufig und stets formelhaft begegnenden anklagenden Wendung „dem Baal räuchern" ("lüp pi. Jer 7,9; 11,13.17; 32,29). Hatte Hosea den Begriff „Rauchopfer darbringen" in Parallele entweder mit „Gemeinschaftsopfer feiern" (Hos 4,13; 11,2) oder mit dem gottesdienstlichen Geschehen an Festtagen insgesamt (Hos 2,15) gebraucht und ihn insofern deutlich paradigmatisch für den Opfergottesdienst und die Opfermentalität seiner Zeit verwendet, so üben die erwähnten Jeremiabelege inhaltliche Kritik an einer fremdreligiösen Opferpraxis. „ D e m Baal räuchern" tritt jetzt in Parallele zum Vorwurf der Fremdgötterverehrung, sei es in der generellen Gestalt von „anderen Göttern nachlaufen" (7,9), sei es in der spezielleren Form von „anderen Göttern Trankopfer ausgießen" (32,29). Von hier aus ist es nur ein kleiner Schritt, bis die Wendung ganz umgestaltet wird zum „anderen Göttern räuchern" (1,16; 19,4; 44,5.8; vgl. 11,12; 19,13 u. ö.). Durch Räucheropfer an Baal wird Jahwe ebenso wie durch jegliche Form des Fremdgötterkults „beleidigt" (CJ/DH Jer 11,17), eine der gängigen Deutekategorien für den Bruch des 1. Gebotes in der dtr Theologie 2 3 . Die spätere Überlieferung ist diesen Weg konsequent weitergegangen, indem sie zwischen "lüp pi. für den Fremdgötterkult und ~lüp hif. für den legitimen Kult unterschied 2 4 . Ganz entsprechend werden in der C-Schicht des Jeremiabuches die Kinderopfer, indem sie als „Opfer für Baal" (Jer 19,5; vgl. 32,35) bezeichnet werden, als Götzenopfer qualifiziert. Das Heil der Nachbarvölker Israels wird sich daran entscheiden, ob sie weiterhin „beim Baal" schwören oder aber vom Gottesvolk lernen, bei Jahwe zu schwören (Jer 12,16). Die Baal-Thematik ist in der dtr Redaktion des Jeremiabuches also auf allen Ebenen zu einem Aspekt der Fremdgötterpolemik geworden und ist damit nicht länger wie bei Jeremia selbst ein Phänomen der Vergangenheit, sondern der bedrängenden Gegenwart. Allerdings wird nicht die Attraktivität der anderen Götter bekämpft, sondern immer wieder der Abfall von Jahwe als dem rechten G o t t ins Gedächtnis gerufen. Insofern bleibt der Charakter Baals als Chiffre für verfehlte Gottesverehrung, wie er im Hoseabuch vorgefunden wurde, erhalten. Ist in der C-Schicht des Jeremiabuches die Entwicklung der BaalThematik hin zur Fremdgötterpolemik noch beobachtbar, so setzen die klassischen Belege des D t r G diese Entwicklung in ihrer formelhaften Sprache schon voraus. Das übliche oppositionelle Verbpaar ist hier „Jahwe

21

Vgl.

THIKL,

WMANT

redaktionsgeschichtliche FRLANT :4

41,

120;

W.

Untersuchung

DIETRICH,

zum

Prophetie

und

deuteronomistischen

Geschichte.

Eine

Geschichtswerk,

1 0 8 , 1 9 7 2 , 9 0 f.

Vgl. E. JFNNI, D a s hebräische Pi'el, Zürich Differenzierung des OpferbegrifFs ebd. 205-207.

1968, 271 f. Vgl. zur

analogen

100

Der Begriff „Baal" im

Hoseabueh

verlassen" und „den Baalen (seltener: Sg.) dienen" 2 1 . Während aber die Richterzeit dadurch gekennzeichnet ist, d a ß man beim „Verlassen Jahwes" nicht nur den Baalen, sondern auch „den Astarten dient" (Ri 2,11; 3,7 [den Äscheren]; 10,6.10; 1 Sam 12,10) 26 und darin die dem späten Israel besonders problematisch erscheinende Vorstellung einer Geschlechterdifferenzierung der Gottheiten und ihre Zuordnung zu Götterpaaren in seiner Umwelt zum Ausdruck kommt, heißt es im Schuldregister einzelner Könige des Nordreichs, den Bezug auf das erste Gebot verdeutlichend: „Baal dienen und ihn anbeten" (Ahab: 1 Kön 16,31; Ahasja: 1 Kön 22,54). In letzter Steigerung wird beim Untergang des Nordreichs der Baal-Dienst in eine lange Reihe von Vergehen gegen das erste Gebot eingeordnet; sie lautet: alle Gebote Jahwes verlassen - sich zwei Stierbilder herstellen - sich eine Aschera herstellen - das ganze Himmelsheer anbeten - Baal dienen (2 Kön 17,16) bzw. in leichter Variation beim Gipfel der Schuld im Südreich, dem Handeln Manasses (2 Kön 21,3): Höhen wiederaufbauen - dem Baal Altäre errichten - sich eine Aschera herstellen - das ganze Himmelsheer anbeten - ihnen (gemeint sind alle genannten Fremdgötter) dienen. Entsprechend beseitigt dann Josia im Jerusalemer Tempel a) „Geräte, die für den Baal, die Aschera und das ganze Himmelsheer hergestellt waren" (2 Kön 23,4), und b) „Priester... die dem Baal, der Sonne, dem M o n d , den Planeten und dem ganzen Himmelsheer geopfert hatten" (2 Kön 23,5). In solchen Reihen wird versucht, aus der Sicht des Exils gegenwärtige Schuldtatbestände bzw. solche der jüngsten Vergangenheit („das ganze Himmelsheer anbeten") mit überlieferten älteren Formen des Bruches des ersten Gebotes zu verbinden und auf diese Weise einen ganzen Katalog potentieller Weisen der Fremdgötterverehrung zu erstellen. Anders als bei Hosea wird „Baal" auf diese Weise wieder - wie schon in der Zeit vor Hosea - zu einer Art und Weise unter mehreren, auf die Israel Jahwe verfehlt.

V. Die ältesten Baal-Erfahrungen, die die alttestamentlichen Texte widerspiegeln, sind lokal-partikularer Art. Die Überlieferung kennt etwa einen Baal Peor (Num 25; vgl. Hos 9,10), einen Baal-Berit von Sichern (Ri 8,33; 9,4), einen Baal von O p h r a (Ri 6,25 ff.*), einen Baal Karmel (1 Kön 18) und einen Baal Zebub (bzw. Zebul) von Ekron (2 Kön 1). Den Texten geht es u m die Attraktivität der lokalen Kulte für Israel, etwa aufgrund der üppigen 25 Ausnahmen, die noch unmittelbarer an Hoseas Sprachgebrauch anknüpfen, lauten: „hinter den Baalen herhuren" (Ri 8,33) bzw. „hinter den Baalen herlaufen" (1 Kön 18,18) und „Jahwe vergessen" (Ri 3,7). 26 Vgl. Baal im Sg. zusammen mit „den Astarten" in Ri 2,13. Der Gegensatz heißt dann: „die Baale und Astarten beseitigen und Jahwe allein dienen" (1 Sam 7,4).

Der Begriff

„Baal"

im

Hoseubuch

101

Opfermahlzeiten (Num 25), der Erkennbarkeit „Baals" in den Naturgewalten (1 Kön 18) oder seiner Heilkräfte (2 Kön 1). Mögliche Zusammenhänge oder Gemeinsamkeiten zwischen diesen Orts-Baalen werden nirgends dargelegt, sondern als den Lesern evident vorausgesetzt 27 . Die Sicht des DtrG, die in dem Plural „sie dienten den Baalen" zum Ausdruck kommt, hat hier Differenzierungen der älteren Zeit, wenn es sie denn gegeben haben sollte, um der generellen Problematik des ersten Gebotes willen getilgt. Eine wesentliche Veränderung der Sichtweise des Alten Testaments trat mit dem Bau eines „Baal"-Tempels in der Hauptstadt Samaria unter Ahab und mit der wenige Jahrzehnte späteren Entweihung und Zerstörung dieses Tempels durch die Revolution Jehus ein. Denn der Baal der Erzählungen von 1 Kön 18 und 2 Kön 10 ist mit seinem riesigen Kultpersonal und seiner ebenso riesigen Prophetenschar als Reichsgott geschildert, als der er (trotz seiner phönizischen Prägung) 2 8 primär für die kanaanäische Bevölkerung Israels zuständig war 2 9 . Mit der Entweihung des Heiligtums in Samaria und mit der Ausrottung des Kultpersonals hat Jehu dementsprechend auch „den Baal aus Israel vertilgt" (2 Kön 10,28). Die religionspolemischen Auseinandersetzungen der ein Jahrhundert späteren Epoche Hoseas setzen diese Entwicklungen voraus. Von einem neu geweihten oder gar neu gebauten Reichsheiligtum für Baal hören wir nichts im Alten Testament; die Hoseatexte lassen vermuten, daß die Vermischung zwischen Baal- und Jahwe-Verehrung, die in 2 Kön 10,23 hinsichtlich des Kultpersonals noch eindeutig unterscheidbar erschienen, erhebliche Fortschritte gemacht haben wird, gerade weil ein kultisches Zentrum für die kanaanäische Bevölkerung nicht mehr vorhanden war 3 0 . 27 D a r a u f beruht die Unsicherheit der F o r s c h u n g in der Frage, wie die vielen Baale d e m einen in Ugarit belegten Baal z u z u o r d n e n sind. Teilweise trennt m a n sie v o n e i n a n d e r (etwa H. GESE, Die Religionen Altsyriens, in: DERS., M . HÖFNER, K. RUDOLPH, Die Religionen Altsyriens, Arabiens und der M a n d ä e r , R M 10,2, 1970, 120: „Es versteht sich von selbst, d a ß diese Ba'al g e n a n n t e n G ö t t e r völlig verschiedener N a t u r sein k ö n n e n " ) , teilweise sieht m a n sie in enger Beziehung zueinander (etwa MULDER, Ba'al, T h W A T I). 28 Vgl. zu ihr S. TIMM, Die Dynastie O m r i , F R L A N T 124, 1982, 229 f. 302 f. 29 Diese klassische Ansicht A. ALTS (Der Stadtstaat S a m a r i a (1954): Kl. Sehr. III, M ü n c h e n 1959, 2 5 8 - 3 0 2 ) 258 ff., bes. 274 ff., die allerdings im Blick auf den C h a r a k t e r S a m a r i a s als „ S t a d t s t a a t " zu modifizieren ist, erscheint mir n a c h wie vor erheblich wahrscheinlicher als die Ansicht von ALBERTZ, a a O . [Anm. 2] 232, der „ D y o t h e i s m u s " der O m r i d e n z e i t sei von A h a b p r i m ä r aus außenpolitischen E r w ä g u n g e n gefördert worden. G a n z sicher zu weit aber geht ALBERTZS F o r m u l i e r u n g , die Jehu-Revolution habe sich „gegen den vom K ö n i g t u m aufoktroyierten phönizischen B a a l k u l t " gerichtetet (ebd. 244). Woher er die Sicherheit n i m m t , trotz der E r z ä h l u n g vom B a a l - Z e b u b zur Eliazeit (2 K ö n 1) rundweg generell und o h n e nähere B e g r ü n d u n g die „ A n n a h m e einer f o r t d a u e r n d e n Existenz von K a n a a n ä e r n in Israel" w ä h r e n d der Königszeit im N o r d r e i c h im soziologischen und religiösen Sinn zu bestreiten (232, A n m . 22), ist mir unklar. 1,1 Vgl. d a z u bes. die grundlegenden, allerdings bisweilen a u c h sehr hypothetischen Überlegungen von H. BALZ-COCHOIS, G o m e r . D e r H ö h e n k u l t Israels im Selbstverständnis

102

Der Begriff „Baal" im

Hoseabuch

Wie immer es sich damit verhalten mag, mehr als ganz vage Vermutungen für die realen religionsgeschichtlichen Verhältnisse lassen sich dem Hoseabuch nicht entnehmen. In ihm ist die Alternative Baal - Jahwe so stark in die Richtung des Gegensatzes zwischen dem vorfindlich-verfehlten und einem ideal-rechten Gottesdienst („Baal" im PI.) bzw. noch genereller zwischen gegenwärtig falschem und daher in den Tod führenden und einem rechten und Leben schenkenden Gottesverhältnis weitergedacht, d a ß der Begriff „Baal" ersetzt bzw. anthropologisch interpretiert werden konnte (Hos 13,6); alle kultischen Realia wurden hinter dieser Abstraktion in den Hintergrund gedrängt und tauchen allenfalls noch in den bei Hosea beliebten Wortspielen auf, von denen eingangs die Rede war 3 1 . Dieser souveräne Umgang mit der religionspolitischen Thematik läßt die zitierte Ansicht, Hosea sei der erste Vertreter einer sog. „Jahwe-allein-Theologie" gewesen 32 , ganz unwahrscheinlich erscheinen. Das Erstaunliche am Umgang der Hoseatexte mit der Baal-Begrifflichkeit ist vielmehr, d a ß auf die Seite „Baals" auch eine Fülle von Sachverhalten rücken, die nicht nur das ältere, sondern auch das nachhoseanische spätere Israel stets mit Jahwe verbunden hat. U m nur das evidenteste Beispiel zu wiederholen: Opfermentalität (Hos 4,7 f.; 6,6; 8,11-13; 10,1 f. u. ö.), d . h . die Suche nach Vermehrung von Heiligtümern, Kultpersonal und Opferdarbringungen, und „Baal" sind für Hosea letztlich ein und dasselbe. Natürlich denkt auch Hosea nicht an einen opferlosen Gottesdienst, aber anders als etwa seinem Vorgänger Arnos geht es ihm nicht nur um die Vorordnung der Gerechtigkeit vor den Kult (Am 5,21 ff. u. ö.), sondern um die Entlarvung einer grundsätzlichen Einstellung, die er gleicherweise auf dem Feld der Außenpolitik im Hoffen auf Assur und Ägypten („Hurerei" wie die Baal-Gottesdienste; 8,9 f.) und innenpolitisch im Vertrauen auf den König (13,9 11 u. ö.) entdeckt. So redet schwerlich jemand von „Baal", der ein erstes Mal Jahwe und Baal voneinander zu unterscheiden beginnt. Auch Hoseas typologische Geschichtsschau, die das rechte Gottesverhältnis in der Wüste oder bei Mose lokalisiert, um „Baal" ganz dem Kulturland zuzuordnen, ist als Beginn einer Wüsten- und Mosetradition unverständlich, setzt sie vielmehr in (wie auch immer geringen) Ansätzen voraus, wie allein schon der N a m e Baal Peor (Hos 9,10) verdeutlicht.

der Volksfrömmigkeit, E H S . T 191, 1982, 95 FT. - Bei der D e u t u n g WEIPPERTS [Anm. 1]

bleiben die religionspolitischen Maßnahmen Jehus kaum erklärlich. 31 Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet die Schilderung des Höhengottesdienstes mit seinen Sexualriten in Hos 4,11-14, dessen Kenntnis in den folgenden Kapiteln des Hoseabuches vorausgesetzt wird. Vgl. zu diesem umstrittenen Passus bes. die behutsam kritischen Erwägungen von C. GOTTFRIEDSEN, Die Fruchtbarkeit von Israels Land, EHS.T 267, 1985, 42-45. Kürzere Anspielungen bieten etwa Hos 3,1; 7,14; 9.1. 32 S.o. 1.

Der Begriff „Baal" im

Hoseabuch

103

Der Prophet Jeremia, der in vielfacher Hinsicht an die Theologie Hoseas anknüpft 3 1 , hat den Jahwe-Baal-Gegensatz Hoseas auf dasjenige Gebiet übertragen, auf dem im Alten Testament die Wahrheitsfrage am schärfsten und unerbittlichsten gestellt wird: auf die Botschaft der Propheten und die Frage nach ihrer Legitimation. In dieser Perspektive wird „Baal" zur Vorstufe dessen, was Jeremia für seine eigene Zeit „Lüge" nennt. Er meint damit ein Doppeltes: a) die fehlende Möglichkeit der gegnerischen Propheten, zwischen ihren eigenen Hoffnungen und Jahwes Willen zu unterscheiden, und b) die als Wirkung damit gegebene Stärkung der Illusionen und der ethischen Indifferenz bei ihren Hörern. Erst bei der Rezeption der Verkündigung Jeremias in dtr Kreisen der Exilszeit wird Baal wieder das, was er auch am A n f a n g war: eine Jahwe gegenüberstehende Gottheit im strengen Sinn. Allerdings wird er nicht wieder zum Lokalgott und auch nicht zum Reichsgott wie vor Hosea. Vielmehr umgreift er für die zurückliegende Zeit alle in Israel je geübte Fremdgötterverehrung. Dazu bekommt er (bzw. bekommen die Baale im PI.) in den Belegen des D t r G für die Richterzeit stereotyp die Astarten zugeordnet, die nun jegliche Weise der Verehrung weiblicher Gottheiten abdecken, bzw. in der Königszeit das Symbol der Aschera. Im Unterschied zu Hosea und Jeremia erwacht dabei - insbesondere in der C-Schicht des Jeremiabuches - das Interesse an den Realia, die die Baalverehrung prägen; dafür stehen insbesondere die Räucheropfer ("lüp pi.), daneben Trankopfer sowie kultisches Treiben auf den Dächern, im D t r G die Ausstattung der Höhen mit Mazzeben und Äscheren. In einer Hinsicht wird die differenzierende Intention Jeremias beibehalten. Wie er zwischen Baalpropheten des Nordreichs und Lügen-Propheten im Südreich steigernd unterschied, so unterscheidet das D t r G zwischen Baal-Verehrung in der älteren Vergangenheit und der Verehrung des „ganzen Himmelsheeres" in der jüngeren, die Gegenwart einschließenden Vergangenheit. Baal hat auch hier eine neue Gestalt angenommen. So ist durch die Abstraktion, die Hosea der Gottheit Baal widerfahren ließ, Baal im dtr Denken zum Oberbegriff für den Bruch des ersten Gebotes geworden. Die mit Baal verbundenen Göttinnen wandeln sich - in der Richterzeit heißen sie „Astarten", in der Königszeit „Aschera". Der mit ihnen verbundene Baal bleibt terminologisch stabil, und als solcher bleibt er kontinuierlich Israels zentrale G e f a h r der Verfehlung Gottes, so gewiß diese neue Formen annehmen kann.

" Vgl. dazu zwei Dissertationen der jüngsten Zeit: A. WEIHER, Ehemetaphorik in prophetischer Verkündigung. Hos 1 - 3 und seine Wirkungsgeschichte im Jeremiabuch, fzb 71,

1993, u n d

bes. SCHULZ-RAUCH [ A n m .

19].

7. „Ich bin wie ein Löwe für Efraim..." (Hos 5,14). A k t u a l i t ä t und Allgemeingültigkeit im prophetischen Reden von G o t t a m Beispiel von H o s 5 , 8 - 1 4

I. Besonderheiten

der Prophetie

Israels

Seit französische Archäologen in den Jahren nach 1933 auf dem teil hariri am mittleren Euphrat das riesige Briefarchiv der Könige von Mari mit über 20 000 keilschriftlichen Tontafeln aus dem 18. Jh. v. Chr. fanden, galt die Aufmerksamkeit einer großen wissenschaftlichen Öffentlichkeit dieser ungewöhnlichen Ausgrabung. Die Zahl der Interessenten vermehrte sich noch erheblich, als unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg eine Reihe von zunächst fünf, nach 1964 ca. dreißig (zuletzt nahezu fünfzig) Briefen mit „prophetischem" Inhalt ediert und kommentiert wurde 1 . Denn mit diesen Briefen waren dem Exegeten erstmals - über isolierte Einzelzeugnisse wie etwa den berühmten Reisebericht des W n - ' m n aus dem 11. Jh.~ hinaus eine größere Zahl von Texten aus dem altorientalischen Raum an die Hand gegeben, die Vergleichsmaterial zu dem bis dahin nahezu analogielosen Phänomen der frühen Prophetie in Israel boten. Aus mancherlei sprachlichen Gründen ist es nicht einmal ausgeschlossen, daß auch geschichtliche Bande zwischen Bewohnern des Reiches von Mari und den Ahnen der nachmaligen Stämme Israels bestanden 3 , wenn es auch unmöglich ist, diese Vermutung über die Beobachtung sprachlicher und soziologischer Bezüge hinaus zu verifizieren. Wie jeder Vergleich, so hat auch dieser über der Wahrnehmung von teilweise überraschenden Gemeinsamkeiten zugleich zur Schärfung des Bewußtseins der Eigenart der Vergleichsgröße, der israelitischen Prophetie, geführt. An auffälligen Gemeinsamkeiten seien hier nur formale Parallelen hervorgehoben wie die Sendungsformel („Jetzt geh! Ich sende dich hiermit. 1 In Übersetzung und mit K o m m e n t a r bietet die Mehrzahl dieser Texte F. ELLERMEIER, Prophetie in Mari und Israel, Herzberg 1968. 2 Vgl. etwa K. GALLING (Hrg.), Textbuch zur Geschichte Israels. Tübingen -1968, 41 ff. 1 So M. NOTH, Die Ursprünge des alten Israel im Lichte neuer Quellen (1961), in: DERS., Aufsätze zur biblischen Landes- und Altertumskunde (hrg. v. H. W. WOLFF), Neukirchen 1971, 245 ff.; A. MALAMAT, Mari and the Biblc. A Collection of Studies, Jerusalem 3 1977.

„Ich bin wie ein Löwe für Efraim ..." (Hos 5,14)

105

Zu Zimrilim sollst du so sprechen...", A 15, Z. 32f.) 4 , die sogenannte Botenformel („So spricht der Gott x/die Göttin y", etwa A R M X 7, Z. 7)5 oder die Verbindung von Forderungs- mit Verheißungssätzen und von Warnungen mit drohenden Sätzen. Auf phänomenologischer Ebene sind das Nebeneinander von Berufspropheten im strengen Sinne und von Laien unter den Offenbarungsempfängern in Mari anzuführen, das Nebeneinander von gesuchtem und ungesuchtem Gotteswort oder aber von verschiedenen Weisen, den Willen der Gottheit zu erfahren (Traum Befragung - technisches Orakel etc.) 6 . Die Unterschiede im Inhalt sind sehr früh beobachtet worden - die Worte der Maripropheten betreffen im wesentlichen entweder Fragen des Kultes (wie zum Beispiel die Ausstattung der Tempel) oder aber Probleme der Tagespolitik - , aber auch diejenigen im Formalen; um nur den wichtigsten zu nennen: Die Mariprophetie kennt nur bedingte Gerichtsworte an den König, das heißt Drohungen bzw. Ankündigungen potentieller Strafen für den Fall des Ungehorsams, oder aber unbegründete Unheilsträume; sie kennt dagegen nicht begründete Strafansagen („weil du ... getan hast, darum spricht der Gott x so: Du wirst ..."), wie sie für das überlieferte Wort der vorklassischen Propheten in Israel typisch sind. Es gilt also ein Doppeltes im Blick auf die sehr viel ältere Mariprophetie: Zum einen hat sie uns gezeigt, daß das Phänomen der Prophetie in Israel keineswegs global als singulär bezeichnet werden darf, zum anderen aber hat sie uns die Augen für die eigentlichen Besonderheiten der frühen Prophetie Israels geschärft, die zur klassischen Prophetie führten, die ihrerseits um Welten von der Prophetie in Mari getrennt ist. Ich beschränke mich im folgenden ganz auf einen Gesichtspunkt, der meines Erachtens in diesem Vergleich der entscheidende ist: die Überlieferung1. In Mari waren es im wesentlichen hohe Beamte, gelegentlich auch Palastdamen und die Königin, die dem König in Briefen Gottesworte übermittelten, die Propheten empfangen und in ihrer Gegenwart ausgesprochen hatten, und zuweilen darüber hinaus in persönlichem Einsatz die Dringlichkeit der Worte durch mündlichen Vortrag untermauert haben werden; jedenfalls werden sie von den Propheten mehrfach um solchen Einsatz gebeten. Dann wurden die Briefe mit Prophetenworten - wie andere Briefe auch - abgelegt, und nur ein archäologischer Zufallsfund hat ihren Inhalt nach 3 '/2tausend Jahren neu ans Licht gebracht. Es waren Worte für 4 5

V g l . F. ELLERMEIER, a a O . [ A n m . 1] 2 4 - 2 9 . V g l . F. ELLERMEIER, a a O . 5 6 - 5 9 .

6 Vgl. die kritische Sichtung der Literatur bei E. NOORT, Untersuchungen zum Gottesbescheid in Mari. Die „Mariprophetie" in der alttestamentlichen Forschung, AOAT 202, 1977, der die vergleichbaren Gemeinsamkeiten freilich m. E. um seiner Auseinandersetzung mit der Forschung willen zu sehr herunterspielt. 7 Genaueres dazu im Beitrag „Das Proprium der alttestamentlichen Prophetie", o. S. 20 ff.

106

„Ich bin wie ein Löwe für Efraim ..." (Hos 5.14)

den jeweiligen Tag, mit ihm erledigt oder unerledigt, in jedem Fall aber mit ihm vergangen. Von den israelitischen Prophetenworten haben wir auf ganz andere Weise Kenntnis erhalten. Sie wurden systematisch gesammelt, tradiert und ausgelegt. Das ist primär die singulare Seite der alttestamentlichen Prophetie: das auf den ersten Blick unverständliche Faktum, daß die Worte der Propheten, nachdem sie dem oder den Adressaten gegenüber ausgesprochen waren, nicht als abgetan galten, nicht - wie in Mari sozusagen in Akten abgeheftet wurden, sondern mündlich und schriftlich weitertradiert wurden mit dem Anspruch, auch für andere, spätere Adressaten gültig zu sein. Häufig genug wurden sie im Laufe dieses Vorgangs der Tradierung mit Erweiterungen und Ergänzungen versehen, um genauer in neue historische Situationen hineinsprechen zu können. Sie erfuhren dann im Prozeß der Überlieferung immer wieder eine aktualisierende Auslegung, die erst mit der Kanonbildung von der Überlieferung abgetrennt wurde, um sich seitdem in Exegesen, Kommentaren und dergleichen niederzuschlagen. Es liegt auf der Hand, daß auch in Israel nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz je ausgesprochener Prophetenworte in diesen Prozeß der Überlieferung aufgenommen wurde. Überlieferung war immer auch ein Ausleseprozeß. So wird man sich vorzustellen haben, daß etwa die Worte der großen klassischen Propheten - die von der Mehrzahl ihrer Zeitgenossen abgelehnt wurden, wie uns viele ihrer polemischen Sätze zeigen - erst nach dem Zusammenbruch des Staates, den sie ankündigten, als Lebenshilfe für weite Schichten des Volkes breit überliefert wurden, weil sie sich als wahr erwiesen hatten, während sie zuvor nur in kleinen Kreisen von Anhängern und Schülern am Leben erhalten wurden. Von anderen Propheten erfahren wir um die gleiche Zeit, daß ihre Worte von aller Überlieferung ausgeschlossen wurden, weil sie sich nicht bewahrheitet hatten: Deine Propheten haben dir geschaut Wahn und Unsinn. Sie haben deine Schuld nicht bloßgelegt, um dir Verbannung abzuwenden. Sie haben dir Sprüche geschaut voll Wahn und Verführung. (Thr 2,14)

Freilich sind die Gründe, die zur Überlieferung von Prophetenworten führten, ungleich vielfältiger und differenzierter, als sich aus den bisherigen Andeutungen ergibt. Wie allein Jes 8,16-18; Hab 2,1-3 und Jer 36 zeigen, reichen solche Gründe von der Ablehnung und Verfolgung der Propheten bis zu ihrem hohen Anspruch, im Namen Jahwes die gültige Wahrheit zu sagen, die über Leben und Tod des Volkes entscheidet, auch wenn die Bewahrheitung dieses Anspruchs noch aussteht; die Schriftlichkeit des Wortes garantiert sie. Überlieferung, Ablehnung durch das Volk und ein im Alten Testament selber parallelloser Wahrheitsanspruch gehören in der Prophetie unlöslich zusammen.

„Ich hin wie ein Löwe für EJraim ..." (Hos 5,14)

107

Wichtiger noch als die nur angedeuteten vielfältigen Gründe für die analogielose Überlieferung prophetischer Worte im Alten Testament ist in unserem Zusammenhang die Veränderung des Prophetenwortes im Zuge der Überlieferung. Zwischen dem an den Propheten ergangenen, mündlich auszurichtenden Wort und seiner späteren Niederschrift ist grundsätzlich zu unterscheiden. Das mündlich gesprochene Wort ergeht in eine unwiederholbare geschichtliche Stunde hinein, deren Jahr (Jes 6,1: „Im Todesjahr Usijas"), ja Monat und Tag (Ezechiel, Sacharja) festgehalten werden. Es will ja nicht wie das Wort des Weisheitslehrers ständig bewährte, allgemeingültige Wahrheit bieten, sondern die unverwechselbare aktuelle Wahrheit genau dieser einen geschichtlichen Stunde. Ohne diese Stunde gäbe es dieses Prophetenwort nicht; es ist von ihr unablösbar. Im Prozeß der Überlieferung und auch der schriftlichen Niederlegung geht die geschichtliche Stunde der Ursprungssituation, wie gesehen, nicht verloren; sie wird vielmehr beharrlich festgehalten als ein unverlierbares Wesensmerkmal des prophetischen Wortes. Aber sie erhält eine neue Funktion. Sie bleibt nicht länger alleiniger Zielpunkt des Wortes, sondern erhält Modellcharakter, wird zur Trägerin von grundsätzlichen Erkenntnissen über das Verhältnis Gott-Mensch, die auf andere geschichtliche Stunden übertragbar sind und auch in ihnen ihre prägende Kraft erhalten und erweisen. Jedes uns überkommene Prophetenwort hat auf diese Weise, schematisch ausgedrückt, einen doppelten Sinn und eine doppelte Funktion: als mündlich verkündetes, auf eine unwiederholbar-einmalige Situation hinzielendes Wort, und als tradiertes und in die Schriftlichkeit übergegangenes Wort, als das es - obwohl von der einmaligen geschichtlichen Situation nicht gelöst, also nicht transponiert in eine zeitlose allgemeine Wahrheit - nun den Anspruch erhebt, grundsätzliche Aussagen über das Gott-Mensch-Verhältnis zu machen 8 . Diese Differenzierung hat gewichtige Folgen für das Gottesverständnis der Prophetenbücher, ja ist meiner Ansicht nach konstitutiv für ihre Gottesaussagen. Freilich muß dabei vor Augen stehen, daß uns die Prophetenworte in ihrer Mehrzahl nur als schriftlich überlieferte zugänglich sind, selten die mündliche Verkündigung der Propheten mit einem gewissen Grad an Wahrscheinlichkeit rekonstruiert werden kann. Ich wähle ein Beispiel, bei dem die Rekonstruktion der mündlichen Botschaft mit einem relativ hohen Wahrscheinlichkeitsgrad gelingt: Hos 5,8-14.

s Bei näherem Zusehen reicht diese schematische Zweiteilung nicht aus; auch die späteren Ergänzungen und Kommentierungen des Prophetenwortes, die es für eine neue geschichtliche Stunde aktualisieren, und schließlich sein Übergang in die Kanonizität verändern und erweitern den Anspruch des Prophetenwortes erneut. N u r ist der oben genannte Wandel im Wesen des Prophetenwortes, auf den sich die folgenden Darlegungen beschränken werden, der gewichtigste.

108

.Ich bin wie ein Löwe für Efraim II. Zum

8

9

Gedankengang

(Hos 5,14)

von Hos

Stoßt ins Horn in Gibea in die Trompete zu Rama; erhebt in Bet-Awen den Kriegsruf: „Dir nach, Benjamin!" Efraim wird verwüstet am Tag des Strafgerichts. Unter den Stämmen Israels gebe ich Zuverlässiges kund.

10

Die Führer Judas haben wie Grenzverrücker gehandelt. Über sie gieße ich aus wie Wasser meinen Grimm.

11

Unterdrückt ist Efraim, zerschlagen ihm das Recht 10 ; denn es war bestrebt, dem ,Nichtigen'" nachzulaufen.

12

Ich aber bin wie Eiter 12 für Efraim, wie Knochenfraß fürs Haus Juda. Als Efraim seine Krankheit sah und Juda sein Geschwür, da lief Efraim zu Assur, sandte Botschaft zum Großkönig 1 3 . Aber er, er kann euch nicht heilen, kann euch das Geschwür nicht entfernen. Vielmehr bin ich (jetzt) wie ein Löwe für Efraim, wie ein Löwenjunges fürs Haus Juda: Ich, ich reiße und gehe davon, schleppe fort, und niemand kann retten.

13

14

5,8-149

Mit knappen militärischen Befehlen setzt die Einheit ein und läßt damit im H o s e a b u c h ein neues T h e m a beginnen; in den Texten zuvor war von Israels verfehltem Gottesdienst die Rede, das T h e m a Krieg begegnete nicht bzw. allenfalls in A n d e u t u n g e n . Wie weit reicht die Einheit? A u f typische Einleitungs- und Schlußformeln verzichtet das H o s e a b u c h nahezu vollstän9

Zur Übersetzung vgl. ATD 24/1, 1983, 78. Wörtlich: „zerbrochen am Recht". 11 IS ist vermutlich Sprach-Variante zu NW (LXX, Pesch.). Oft wird seit DUHM n s („sein Feind") konjiziert. 12 II tVV\ vgl. KBL s. v. 13 Wiedergabe des assyrischen Titels sarru rabbu wie in 10,6 (zur möglichen Ableitung von der Wurzel 3 T vgl. W. RUDOLPH, Hosea, KAT XIII/1, 1966, z. St. im Gefolge 10

DRIVERS).

„Ich bin wie ein Löwe für Efraim ..." (Hos

5,14)

109

dig, dem Leser wird kaum eine Pause gegönnt, er wird statt dessen ständig vorangetrieben zum Weiterlesen. Kein anderes Prophetenbuch verzahnt die einzelnen Einheiten so miteinander wie das Hoseabuch. Aber innere Indizien bieten sich an, um Einschnitte aufzuspüren. So ist ganz deutlich, daß V. 12-14 in einem eher bedächtigen, jedenfalls ruhigen und gleichmäßigen Rhythmus einhergehen (3+3 Hebungen), während der bewegte, sprunghafte Rhythmus des Anfangs (3+2/2+2) sich bis V. 10 durchhält, um in V. 11 noch kürzeren Satzteilen (2+2/2+2) Platz zu machen. Auch herrscht in den Versen 12-14 das übliche Erzähltempus (imperfectum consecutivum, V. 13) vor, im Unterschied zu V. 8 - 1 1 ; V. 12-14 blicken also schon zurück auf eine Reihe von Ereignissen. Unter formalen und inhaltlichen Gesichtspunkten wird freilich sogleich deutlich, daß auch V. 8 - 1 1 keine festgefügte Einheit ist. Denn während die militärischen Aufrufe in V. 8 deutlich mit V. 9 verbunden sind, der das Ziel des Waffenganges nennt („Efraim wird verwüstet"), erwähnt V. 10 überraschenderweise Schuldtatbestände einer ganz anderen Größe (Juda), die auch mit kommendem Unheil konfrontiert werden, das aber nun direkt von Jahwe ausgeht, nicht von den Heeren in V. 8. In V. 11 schließlich wird über eine schon erfolgte Bedrückung jener Größe (Efraim) geklagt, über deren Verwüstung V. 9 im Vorblick gesprochen hatte. Der auffällig sprunghafte Gedankengang in V. 8 - 1 1 zeigt sich also im schnellen Wechsel der gebrauchten Stämmebezeichnungen (Benjamin - Efraim - Juda - Efraim) ebenso wie auf der Ebene der verwendeten Formen (Imperative mit Zielangabe, V. 8 f. - Klage im perfektischen Verbalsatz mit Strafankündigung in der Ich-Rede Jahwes, V. 10 - Klage im partiziplalen Nominalsatz mit Begründung im perfektischen Verbalsatz, V. 11) wie schließlich im Blick auf die mit den Verben intendierten Zeitstufen (militärisches Vorhaben, dessen Ziel erstmalig angesagt wird, V. 8 f. erfolgte politische Vergehen, die mit Gottes künftiger Vernichtung konfrontiert werden, V. 10 - schon eingetretene Unterdrückung und Rechtsbeugung, deren Ursachen aufgezeigt werden, V. 11). Hinzu kommt endlich, d a ß V. 9 mit einem Satz der Gottesrede beendet wird („unter den Stämmen Israels gebe ich Zuverlässiges kund"), der wie ein Abschluß wirkt. Es gibt im wesentlichen zwei Wege, um die auffällige Sprunghaftigkeit im Gedankengang von V. 8 - 1 1 zu erklären. Der eine besteht im Versuch, den Sinn jeder Einzeleinheit (V. 8 f. 10.11) je für sich zu erfragen, um dann ihren Zusammenhang zu untersuchen; ihn hat A. ALT gewählt in einem seiner genialen großen Aufsätze 1 4 . Der andere Weg, der hier begangen werden soll, besteht im umgekehrten Versuch: von der größeren Komposition V. 8 - 1 4 zu 14 A. ALT, Hosea 5,8-6,6. Ein Krieg und seine Folgen in prophetischer Beleuchtung (1919), in: DERS., Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes Israel II, München 1959,

163-187.

110

„Ich hin wie ein Löwe für Efraim ..." (Hos

5,14)

den Einzeleinheiten zurückzufragen. Dabei versteht sich von selbst, daß beide Wege einander nicht ausschließen, sich vielmehr notwendig gegenseitig ergänzen. Beginnen wir mit dem Abschluß der untersuchten Einheit, V. 12-14. Er ist kunstvoll gerahmt: dem einleitenden „ich aber bin wie Eiter für Efraim" entspricht V. 14a „denn ich bin wie ein Löwe für Efraim". Beide Male handelt es sich um Nominalsätze, die die zuständlich-gültigen, bleibenden Voraussetzungen für die folgenden Verbalsätze ausdrücken, beide Male aber ist auch die - wiederum nominal formulierte - Fortsetzung analog gestaltet: „wie Knochenfraß fürs Haus Juda" bzw. „wie ein Löwenjunges fürs Haus Juda". Beim Vergleich dieser beiden Rahmensätze, die so deutlich aufeinander bezogen sind, fallen zwei Tatbestände ins Auge, die für die Deutung des Textes konstitutiv sind und unlöslich mit den Gottesaussagen zusammenhängen: a) In deutlichem Unterschied zu V. 8 - 1 1 werden in beiden Bildern für Gott „Efraim" und „Haus Juda" nebeneinandergestellt und sachlich einander gleichgeordnet. In V. 8 - 1 1 dagegen finden sich nur Aussagen, die entweder für „Efraim" (V. 8 f. 11) oder für „Juda" (V. 10) gelten. V. 12-14 wollen offensichtlich über „Efraim" und „(Haus) Juda" Aussagen machen, die für die verschiedenen einzelnen Sachverhalte in V. 8 - 1 1 gültig sind, und damit den ihnen allen übergeordneten Horizont aufweisen. b) Die beiden Doppelvergleiche für Gott liegen keineswegs sachlich auf einer Ebene. Denn während der erste („Eiter/Knochenfraß") in V. 13 ausgelegt und präzisiert wird, indem im Erzählstil auf Tatbestände der (jüngsten) Erfahrung zurückgegriffen wird, weist der zweite („Löwe/Löwenjunges") deutlich in die Zukunft, nennt Kommendes, das nicht nur in zeitlicher Hinsicht Israels Erfahrung transzendiert. Würde Israel Jahwe erleben, wie ihn V. 14 handelnd darstellt, vväic das unwicdcrbringlich sein Tod (V. 14b). Beiden Beobachtungen gilt es im folgenden nachzugehen. Die erste ist entscheidend für die Bestimmung des Verhältnisses von V. 8-11 zu V. 12-14 und zugleich von mündlicher zu schriftlicher Verkündigung Hoseas; die zweite ist entscheidend für Hoseas Gottesaussagen. Beide Beobachtungen sollen am Schluß auf andere Prophetenworte ausgeweitet werden.

III. Rückblick

auf die historische

Stunde

(V.

8-11)

Das Vorkommen des Begriffes „Juda" bzw. „Haus Juda" im Hoseabuch ist - wie längst gesehen 15 - normalerweise Hinweis auf redaktionelle Eingriffe 15

Vgl. etwa H . W . WOLFF, Dodekapropheton 1. Hosea, BK XIV/1, (1961)

X X V I f.; W. RUDOLPH, a a O . 2 5 - 2 7 .

4

1990,

„Ich bin wie ein Löwe für Efraim . . . " (Hos

5,14)

111

in den Text, genauer: auf Aktualisierung der Botschaft eines Propheten des Nordreiches im Südreich Juda nach dem Fall Samarias, im Zuge der Fluchtbewegung, die nach 722/21 in den Süden einsetzte 16 . Deutliche Beispiele sind etwa 1,7; 4,15; 5,5b; 6,11 a und 12,3a. Von daher lag es nahe, auch in 5,12-14 „(Haus) J u d a " als redaktionell zu deuten 1 7 . Aber das ist bei näherem Zusehen nur unter äußerster Gewaltsamkeit möglich: „(Haus) J u d a " ist nicht nur in 5,12-14 fest verankert, wie das Vorkommen in allen drei Versen belegt, sondern ebenfalls in V. 10 und in der folgenden Einheit; in 6,4 steht es erneut im parallelismus membrorum zu Efraim. Daraus folgt zum einen, daß unser Einschnitt in 5,14 letztlich künstlich ist, 5,15-6,6 vielmehr unlöslich sachlich zu 5,8-14 gehören; zum anderen, d a ß das sprunghafte Nebeneinander von Efraim - Juda - Efraim in 5,9-11 schon im Blick auf 5,12-14 zu lesen ist, genauer: im Blick auf 5,12-6,6. Das Thema „Bruderkrieg" beherrscht die gesamte Großeinheit 5,8-6,6, und zu ihm gehören notwendig beide kriegführenden Parteien, N o r d - ( „ E f r a i m " ) ' 8 und Südreich („Juda"). D a n n aber ist deutlich, daß 5 , 1 2 - 1 4 nicht nur - wie schon A. A L T gezeigt hat 1 9 - in eine fortgeschrittenere historische Stunde gehört als 5,8-11, sondern darüber hinaus auch in einen veränderten Typus prophetischer Sprache. Blicken 5,8-11 auf Nord- und Südreich unter je spezifischen Aspekten, greifen sie das jeweils charakteristische Handeln und Erleiden gerade Efraims und Judas heraus, so rücken 5,12-14 (und später 6,4) in einer weit grundsätzlicheren Weise beide Größen - vor Gott! - auf eine Ebene, lassen sie in gleicher Weise vor Gott schuldig werden, in gleicher Weise an Gott scheitern, in gleicher Weise auf G o t t verwiesen werden. Beide Textteile - 5,8-11 und 5,12-14 - haben geschichtliche Ereignisse des sogenannten „syrisch-efraimitischen Krieges" zum Thema, aber nur dem ersten Teil spürt man noch die Dramatik der historischen Stunde ab, der zweite Teil blickt auf sie schon als abgeschlossene zurück und zieht ein Fazit, bei dem beide Bruderreiche - vor G o t t - gleich abschneiden. Schärfer und zugleich thesenhafter formuliert: Die Verse 8 - 1 1 bieten im gegenwärtigen Zusammenhang nur noch schlaglichtartige Vergegenwärtigungen der prophetischen Verkündigung während der einzelnen Stadien des syrischefraimitischen Krieges, die aber nicht länger selbstgewichtig für sich stehen, Davon haben uns jüngere Ausgrabungen im Bereich des ehemaligen Südreichs Anschauungsmaterial geliefert; vgl. z. B. M . BROSHI, T h e Expansion of Jerusalem in the Reigns of Hezekiah and M a n a s s e h , IEJ 24, 1974, 21 ff. " So etwa K. MARTI, D a s D o d e k a p r o p h e t o n , K H C XIII, 1904, 49 f. 1K Die Tatsache, d a ß in 5 , 8 - 1 1 der Begriff „Israel" nur einmal fällt, und zwar im umfassenden Sinne (5,9: „ S t ä m m e Israels"), zeigt, d a ß der Begriff „ E f r a i m " hier rein politisch gebraucht wird. Vgl. dazu zuletzt H. UTZSCHNEIDER, Hosea. Prophet vor dem Ende, O B O 31, 1980, 129-132. 19 AaO. [Anm. 14] 177 ff.

112

.Ich bin wie ein Löwe für

Efraim

(Hos

5.14)

sondern nur dienende Funktion haben für das grundsätzliche theologische Fazit in V. 12-14. Die - wie zu vermuten ist - ursprünglich öffentlich gesprochenen Verse 8 - 1 1 dürfen im gegenwärtigen Kontext nicht mehr isoliert je für sich ausgelegt werden, sondern nur in ihrer dienend-vorbereitenden Funktion für die schwergewichtig-grundsätzlichen Nominalaussagen in V. 12-14. Sie bieten für letztere Paradigmen, mehr nicht. Das unvergleichliche, je spezifische Geschick der beiden Bruderreiche wird gerade noch gestreift, tritt aber ganz in den Hintergrund zugunsten des Verbindenden, das V. 12-14 thematisieren; und dieses Verbindende heißt wesentlich: Schuld zum Tode, zur unrettbaren Verlorenheit. D e r Historiker kann noch einzelne Stadien im Ablauf des Krieges rekonstruieren, wie A. ALTS meisterhafte historische Analyse gezeigt hat 2 0 . Aber er m u ß sich im klaren sein, daß er mit dieser Analyse den Hintergrund des mündlich gesprochenen (sehr viel ausführlicheren) Prophetenwortes erstellt, nicht aber unmittelbar den Hintergrund des tradierten schriftlichen Wortes, das Gesamtdeutung der Ereignisse um den Krieg von G o t t her sein will. Bei näherem Zusehen sind auch innerhalb von V. 8 - 1 1 die Verse 10-11 schon deutlich schriftlicher Art und lassen die hinter ihnen stehende mündliche Verkündigung nur noch erahnen, keinesfalls aber mit einiger Genauigkeit rekonstruieren. Beide Verse blicken schon zurück auf ein abgeschlossenes Geschehen: zwar nicht auf den gesamten Krieg wie V. 1214, wohl aber auf Teilereignisse - den Vormarsch Judas nach Norden bzw. die Zerschlagung des Nordreichs durch die Assyrer - und beurteilen sie abschließend. Beide Verse bereiten darin V. 12-14 vor, d a ß sie die Vergehen der beiden Teilreiche als Schuld, die direkt G o t t betrifft, beschreiben - nur daran sind sie interessiert, nicht an Einzelheiten der geschichtlichen Vorgänge. Mit der so beurteilten Schuld verwirken beide Teilreiche ihre Existenz, ob die Katastrophe nun in Gestalt verheerender kriegerischer Vernichtung kommt, die Jahwe herbeiführt (V. 9), oder aber in Gestalt brennend-verzehrenden Zornes Gottes, der in seiner unwiderruflichen Zerstörungsgewalt von G o t t selber wie eine Waffe unterschieden wird (V. 10); hier liegt kein Unterschied, denn beides sind nur gleich grausame Weisen, Jahwe als Löwen (V. 14) zu erfahren. Im Juda-Vers (V. 10) wird die 20 Freilich unter (zu) starken textkritischen Eingriffen (bes. in V. 8). Wesentlich erscheint mir persönlich für eine historische Deutung der Verse, daß a) V. 8 einen Angriff von Jerusalem nach Norden entlang der Wasserscheide des Gebirges beschreibt, der die Eroberung der Pufferzone nördlich Jerusalems durch die vereinigte Koalition aus Aramäern und Israeliten (2 Kön 16,5) voraussetzt und rückgängig machen will; daß b) Gibea und Rama als Repräsentanten Benjamins zum Kampf gerufen werden, Bet-El (BetAwen) als Tor zum Nordreich, als erste Stadt, die von diesem Angriff erreicht wird, genannt ist (W. RUDOLPH); daß c) V. 10 Judas späteren Gegenschlag impliziert, der für den Propheten mit dem Aufruf an Benjamin in V. 8 keineswegs gerechtfertigt ist; daß d) die Klage in V. 11 schon die Reduktion des Nordreichs auf das Kerngebiet im Gebirge durch Abtrennung der assyrischen Provinzen Megiddo, Dor und Gilead voraussetzt.

„Ich bin wie ein Löwe für Efraim ..." (Hos 5.14)

113

Theologisierung der politischen Schuld dadurch erreicht, daß der militärische Vorstoß gegen das Nordreich zur Erweiterung des Staatsgebietes auf eine Ebene gestellt wird mit dem Verbot der Änderung der Ackergrenzen des Nachbarn, wie sie das altisraelitische Recht unter Fluch stellt (Dtn 27,17; vgl. 19,14; Prv 22,28; 23,10): Land als Lebensgrundlage des einzelnen wie der Volksgemeinschaft ist nicht frei verfügbares Eigentum, sondern Lehensgabe Gottes („mir gehört das Land", Lev 25,23); Grenzverrückung ist daher Eingriff in Gottes (!) Eigentum. Noch viel grundsätzlicher hat das Nordreich Gott verfehlt. Es hat Politik und Theologie verwechselt und hat dabei das erste Gebot gebrochen. Es ist „hinter dem Nichtigen hergegangen" (V. 11), wie es früher als Dirne „hinter meinen Liebhabern (d. h. den Baalen) hergegangen" ist (2,7); in jedem Fall impliziert solches „Hergehen-hinter-jemand" ein „Sich-Halten-an-jemand", d. h. ein Vertrauen, wie es nur Gott zukommt. „Nichtiges" bedeutet dabei mehr als nur Nutzloses: „Nichtiges" macht „nichtig", führt in „Ver-nichtung", wie sie sich in Gestalt von Gewaltherrschaft und Außerkraftsetzung des Rechts durch die Assyrer (V. 1 la) schon zu realisieren beginnt. Gemeint ist mit dem „Nichtigen" offensichtlich der Koalitionspartner, die Aramäer, mit dessen Hilfe der Aufstand gegen die Assyrer gelingen sollte, der nun zu Unterdrückung und Teilbesetzung des Nordreichs geführt hat. Doch werden im Text die Aramäer bewußt nicht genannt, weil sie im Blick auf die Leser des Prophetenwortes austauschbarer Typos des „Nichtigen" sind, dem das Gottesvolk an Stelle Gottes selber vertraut, um so sein Leben zu verwirken.

IV. Das theologische

Fazit (V.

12-14)

V. 12 14 parallelisieren durchgehend Nord- und Südreich, „Efraim" und „(Haus) Juda" und machen darin unüberhörbar klar, daß V. 10-11 nicht die unverwechselbare spezifische Schuld je des Süd- bzw. Nordreichs meinten, sondern gleichgewichtige Weisen, Gott und das Leben zu verfehlen. Unterschieden sind sie geschichtlich im Ablauf der Kriegsereignisse, identisch in ihrer Auswirkung auf das Gottesverhältnis; und nur unter diesem Aspekt sind die Taten Efraims und Judas in 5,8-11 im Blick, wie V. 12-14 beweisen. In diesen Versen ist eine Ebene grundsätzlicher Reflexion erreicht, auf der noch weniger als in V. 10 f. die Einzelstadien kriegerischer Entwicklung in den Jahren 734/33 eine Rolle spielen; nur noch die totale Verfehlung Gottes im Bruderkrieg ist im Blick, und zwar als Modell für spätere Leser. An einer Stelle ist diese Ausrichtung auf die Späteren überdeutlich zu erkennen. Während V. 13a, auf den Krieg rückblickend, in Erzählstil Efraim und Juda nebeneinander nennt, ist in 13a nur noch Efraim erwähnt und in 13b schließlich weder Efraim noch Juda, sondern überraschend plötzlich ein „Ihr", bevor V. 14 wieder Efraim und Juda

114

„Ich bin wie ein Löwe für Efraim ..."

(Hos

5,14)

parallelisiert. M a n hat oft nach dem G r u n d dieses Wechsels gefragt und vielfach in den Text eingegriffen. Meines Erachtens ist nur eine Antwort möglich: Juda ist in 13a aus stilistischen Erwägungen ausgelassen; V. 12.13a und 14 sichern, daß es mitgemeint ist. Erst V. 13b aber zeigt den eigentlichen G r u n d der Abweichung: Im Blick sind hier weder Efraim noch Juda, sondern ein „Ihr", und hinter ihm verbergen sich die Leser, auf die gezielt, denen Geschichte vom Glauben her gedeutet, denen „gepredigt" wird 2 1 . Nicht nur in der plötzlich auftretenden Anrede zeigt sich das Verkündigungsinteresse von V. 13b, sondern auch im Tempuswechsel. Die Einheit V. 12-14 beginnt mit einem Nominalsatz, der „als Zustandsaussage zeitlich neutral ist" 2 2 , im Deutschen also sowohl mit „Ich aber bin wie Eiter für Efraim" als auch mit „Ich aber war wie Eiter für Efraim" übersetzt werden kann. V. 13a, für sich genommen, legt mit seinem üblichen Erzählstil deutlich die letztgenannte Fassung im Präteritum nahe: Jahwe wurde in den Ereignissen des syrisch-efraimitischen Krieges zur sich geschwulstartig voranfressenden Krankheit der beiden Teilreiche, doch diese selber stellten in ihrer Blindheit beim Gewahrwerden der N o t eine unsinnige und nutzlose Diagnose, indem sie die Krankheit immanent-politisch verstanden, und suchten ihr Heil unter diesen Voraussetzungen bei der stärksten politischen Macht im kriegerischen Geschehen, dem Weltreich Assyrien 23 . Konsequent fortgesetzt müßte der Text nun das Scheitern dieser Bemühungen im Berichtstil darstellen. Statt dessen aber springt er von der Schilderung der Ereignisse urplötzlich um in die Anrede von V. 13b und gebraucht mit der Präformativkonjugation ein Tempus, das im Hebräischen gemeinhin Dauer, Wiederholung oder die Möglichkeit einer Tat ausdrückt („aber er, er kann euch nicht heilen" 2 4 ). V. 13b will also auf eine grundsätzliche Erkenntnis der Angeredeten hinaus, die weit über die Ereignisse des syrisch-efraimitischen Krieges Geltung beansprucht. D a r u m darf auch der Nominalsatz in V. 12 im Kontext nicht einschränkend im Sinne eines Präteritums übersetzt werden. Die Generation der 734/33 Aktiven ist an Jahwe gescheitert, als er sich „wie Eiter" und „wie K n o c h e n f r a ß " für Israel erwies. Das Anliegen der eindringlichen Anrede in V. 13b ist, solches Scheitern bei den Lesern zu 21 Die Einsicht, d a ß die A n r e d e - wie oft im H o s e a b u c h an H ö h e p u n k t e n gebraucht auf den Leser zielt, schließt nicht aus, d a ß zugleich in solchen Versen ein unmittelbarer Reflex mündlicher V e r k ü n d i g u n g Niederschlag g e f u n d e n hat. N u r haben wir keine Mittel, um diese A n n a h m e zu ü b e r p r ü f e n . Vgl. d a z u den Beitrag „ H o s e a 4 - 7 . B e o b a c h t u n g e n zur K o m p o s i t i o n des Buches H o s e a " , o. S. 55 ff. 22 R. MEYER, Hebräische G r a m m a t i k III, Berlin 1972, § 90,5. 23 Angespielt ist wahrscheinlich auf den Hilferuf J u d a s an Assyrien angesichts der Belagerung Jerusalems durch die vereinigten A r a m ä e r und Israeliten (2 Kön 16,7 ff.; Jes 7), der z u m Einfall der Assyrer im N o r d r e i c h führte, bzw. an die folgende W e n d u n g des N o r d r e i c h s an Assyrien, um sich in dieser Situation als Vasall anzubieten und wenigstens einen R u m p f s t a a t zu retten (2 Kön 17,3). 24 Die V e r w e n d u n g eines m o d a l e n Verbs legt in V. 13b die Bedeutung definitiv fest.

,Ich bin nie ein Löwe für Efraim ..." (Hos

5,14)

115

vermeiden, wenn Jahwe in politischer Not erneut wie ein Krankheitsherd erfahren wird. Der abschließende V. 14 macht die Eindringlichkeit verständlich. Er führt einen neuen Vergleich für Gott ein, der wiederum Nord- und Südreich gleichermaßen betrifft. Nur ist er ungleich grauenhafter als der provozierende Vergleich Gottes mit der eiternden Krankheit und von ihm sachlich scharf zu trennen. Syntaktisch wird dies daran deutlich, daß die Zustandsaussagen des Vergleiches selber nicht wie in V. 13 im Erzählstil erläutert werden, also unter Berufung auf Erfahrung, sondern in Imperfecta, die um ihres Inhaltes willen nur futurisch aufgefaßt werden können. Hätte Israel schon einmal Jahwe „wie einen Löwen, wie ein Löwenjunges" im Sinne von V. 14 erlebt, würde es nicht mehr existieren. Eiter und Knochenfraß lassen den Ruf nach dem Arzt laut werden, der „heilen" und wieder zur Gesundheit führen kann (V. 13); beim Löwen kommt alle Hilfe zu spät: Er „reißt und geht davon, schleppt fort, ohne daß jemand retten kann". So enden V. 12-14 in absoluter Hoffnungslosigkeit. Der Grund liegt nicht in V. 12, nicht in der Krankheit, mit der Jahwe selber verglichen wird, sondern in V. 13, in der falschen Diagnose, die Efraim und Juda treffen und die sie dazu führt, den falschen Arzt aufzusuchen, der „nicht heilen kann". Wiederum zeigt sich, daß der Text nicht zufällig gerade und einzig in V. 13 in die direkte Anrede der Leser übergeht; V. 13 ist Dreh- und Angelpunkt des Gedankenganges. Erst die Fehldiagnose von V. 13 läßt Jahwe vom Krankheitsherd zum todbringenden Löwen werden - statt zum heilenden Arzt, der er im Gegensatz zum assyrischen Großkönig auch hätte sein können. Eine Krankheit heilen kann nur der, der sie kennt; wo diese Krankheit Gott selber ist, kann es nur Gott. Wird er als Arzt verworfen, tritt er als tötender Löwe neu in Israels Leben ein. Dem Löwen gegenüber ist eine Fehldiagnose nicht mehr möglich - dem dient das penetrant betonte, doppelt vorangestellte Ich Gottes: „Ich, ich reiße ..." - ; aber jetzt kommt alle Einsicht zu spät: In den Klauen des Löwen ist Rettung unmöglich.

V. Prophetie als Verschärfung des

Gotteswillens

Was an einem solchen Wort, das innerhalb der Prophetie keineswegs ungewöhnlich ist, als erstes auffällt, ist der hohe Anspruch, an dem Hosea alle politische Aktivität der beiden Teilreiche bewertet. Wo seinen Zeitgenossen als „aufgeklärten" Staatsbürgern wie uns die Wirklichkeit in eine Fülle von Teilbereichen zerfiel - einen außenpolitischen, wirtschaftlichen, rechtlichen, sozialen und religiösen Bereich die je nach ihnen angemessenen speziellen Maßstäben zu beurteilen waren, da leugnen die Propheten eine solche Eigengesetzlichkeit der Teilbereiche, beziehen vielmehr alles Handeln in ihnen unmittelbar auf das überlieferte Gottesverhältnis,

116

„Ich bin wie ein Löwe für Efraim ..." (Hos

5,14)

messen es an einem verschärften, auf die gesamte Wirklichkeit ausgeweiteten ersten Gebot. An diesem hohen Maßstab sehen sie ausnahmslos das Gottesvolk scheitern 2 5 . Wie Hosea in unserem Text das Bündnis des Nordreichs mit den Aramäern mit dem Stichwort „dem Nichtigen nachlaufen" (V. 11) als Vertrauensbruch an Jahwe wertet, wie er die Hilfegesuche der beiden Teilreiche beim assyrischen Großkönig als Verwerfung Jahwes als Arzt (V. 13) deutet, so kann er andernorts die Vermehrung der Priesterschaft (4,7 f.) und die Vervielfältigung der Altäre (8,11-13) als Verfehlung G o t t gegenüber beurteilen oder aber Wohlstandsseligkeit (13,6) bzw. Hoffen auf das Handeln des Königs (13,9-11) als Bruch des Gottesverhältnisses. Der wenig ältere Arnos hat aufgrund fehlender sozialer Gerechtigkeit geleugnet, daß G o t t für Israel überhaupt noch erreichbar sei (Am 4,4 f.; 5,21-24), und der wenig jüngere Jerusalemer Jesaja hat auf dem Feld der Außenpolitik wie unser Text Ägypten und G o t t als potentielle Vertrauensobjekte in sich gegenseitig ausschließender Alternative gesehen und wie „Fleisch" und „Geist" voneinander unterschieden (Jes31,3); er meinte damit mehr als nur den Gegensatz von O h n m a c h t und Macht: Wie der Kontext zeigt, führt „Fleisch" in den Tod, und nur „Geist" als Anteilhabe an Gottes Macht ermöglicht Überleben in der Katastrophe. Es ist der hohe Maßstab eines alle Lebensbereiche durchdringenden, radikalisierten Gottesverhältnisses, an dem die Propheten ihre Generation scheitern sehen. M a n täte den Propheten Unrecht, wenn m a n ihre Verkündigung nur als einen Rückruf zur vergessenen Tradition beurteilte. So gewiß sie ständig auf vorgegebene Tradition zurückgreifen: Sie verschärfen sie zugleich in einem so zuvor nicht vernommenen Maße. In unserem Text läßt sich diese aktualisierende Deutung etwa an dem schon genannten V. 11 zeigen, in dem M a ß s t ä b e der Fremdgötterpolemik („hinterhergehen hinter") vom Propheten ganz übcrraschcnd auf die Außenpolitik übertragen werden, oder aber an V. 10, wo überkommene Maßstäbe des Umgangs mit N a c h b a r n („Grenzverrückung") in kühner Ausweitung wiederum auf die Außenpolitik angewendet werden. Zeigen ließe es sich andernorts ebenso deutlich an der Neuverwendung von traditionellen Begriffen wie Dan („lebensbedrohende Gewalttat") oder („Blutschuld"), die von Haus aus Kapitalverbrechen bezeichnen, wie sie Jahwe als Geber des Lebens unmittelbar betreffen, bei den Propheten aber Lebensbedrohung auf den verschiedensten Ebenen der Daseinsbeschränkung, auch dort, wo das physische Leben direkt nicht tangiert ist; die Grenze zwischen Tötung und Lebenseinschränkung durch Bedrückung wird auf diese Weise nahezu aufgehoben. Erst angesichts dieser Traditionsverschärfung wird das illu25 Vgl. bei Hosea das dreimalige: „Sie müssen zurück nach Ägypten" (Hos 8,13; 9,3; 11,5), d. h. zurück in die Unterdrückung, aus der G o t t einst rettete (11,1); die Heilsgeschichte wird revoziert.

.Ich bin wie ein Löwe für Efraim ..." (Hos 5,14)

117

sionslose Menschenbild der späteren Propheten verständlich, wie es etwa in Jer 13,23 f. zum Ausdruck kommt: Vermag wohl ein Neger seine Hautfarbe zu ändern oder ein Panther seine Flecken? D a n n freilich könntet auch ihr Gutes tun, die ihr an das Böse gewohnt seid! So aber will ich sie zerstreuen, wie Stroh vor dem Wüstenwind zerstiebt.

Jedoch beruht die Härte der überlieferten prophetischen Gerichtsverkündigung und des prophetischen Menschenbildes keineswegs einzig auf Verschärfung der Maßstäbe des Gotteswillens durch Ausweitung der Tradition. Vielmehr ereignet sich eine nicht weniger gewichtige Verschärfung im Übergang vom mündlichen zum schriftlichen Prophetenwort. Das schriftliche Prophetenwort ist darin vom mündlichen wesenhaft geschieden, daß es schon die Wirkung des Wortes auf die Hörer kennt und in die Darstellung miteinbezieht. Berühmtestes Beispiel für diesen Sachverhalt ist die sogenannte „Denkschrift Jesajas" (Jes 6,1-8,18). Nach ihr kommt Jesaja seinem grauenhaften Auftrag zur Verstockung Israels (6,9 f.) dadurch nach, daß er seinen Hörern Jahwes Heilswillen vor Augen malt, den aber der König (Jes 7) und das Volk (Jes 8) ablehnen. Die mündliche Verkündigung Jesajas aus dieser Zeit m u ß viele helle, heilvolle Töne enthalten haben; die Denkschrift selber hat einzig das schon abgewiesene und verworfene Heilsangebot Gottes zum Thema 2 6 . In Hos 5 ist eine entsprechende Verschärfung nicht auf den ersten Blick erkennbar. Sie zeigt sich erst bei genauerem Hinblicken in einer gewissen Mehrtaktigkeit des Gotteswillens, die zunächst wie eine logische Inkonsequenz wirkt. Der G r u n d für den vernichtenden Strafwillen, wie ihn der Prophet anzusagen hat, verändert sich scheinbar im Verlauf des Prophetenwortes. V. 9 (+11) mit der Rede vom göttlichen Strafgericht und noch deutlicher V. 10 mit seiner Ankündigung des göttlichen Zornes sagen - für sich genommen - Untergang aufgrund geschehenen Unrechts an. V. 8 - 1 4 als ganzes aber verläuft gedanklich zweitaktig: Die Schuld der beiden Bruderreiche führt dazu, daß sie Jahwe als Krankheit erfahren; jedoch begreifen sie diese Ursache nicht, suchen Rettung in fehlgeleiteter Aktivität an G o t t vorbei und begegnen deshalb G o t t als tötendem Löwen. Noch nicht die Schuld gegenüber G o t t ist nach Hos 5,8-14 als ganzem todbringend sie führt zur „Krankheit"; todbringend ist erst das Übergehen Gottes als Helfer in der Krankheit, die damit - also keineswegs automatisch, sondern erst durch Gottes löwengleiches „Reißen" - zur Krankheit zum Tode wird.

26 Vgl. etwa O. H. STECK, Rettung und Verstockung. Exegetische Bemerkungen zu Jes 7,3-9, EvTh 33, 1973, 77-90; 86 f. (=TB 70, 1982, 171 ff.).

118

„Ich bin wie ein Löwe für Efraim ..." (Hos

5,14)

Die genannte logische Inkonsequenz ist nun alles andere als ein gedanklicher Unglücksfall. Mit ihr hängt das zentrale Anliegen prophetischer Verkündigung und Überlieferung zusammen. Das wird sogleich deutlich, wenn wir unseren Text über seinen nur sehr vorläufigen Abschluß in V. 14 hinaus weiterlesen. Eben noch war Jahwes Fortgehen als reißender Löwe angesagt, jetzt (V. 15) ist von einem ganz andersartigen „Fortgehen" Jahwes die Rede: Er zieht sich abwartend zurück, um zu sehen, ob ein Israel in äußerster N o t unter der Erfahrung der Gottesferne zur Suche nach Gott zurückfindet. Die folgende Willenserklärung des Gottesvolkes (6,1-3) zeigt in abgründiger Vermischung, wie neue Einsicht in Israel aufbricht, wie Israel aber so stark in kanaanäischem Denken verfangen ist, d a ß Jahwe in höchster Verzweiflung und Ratlosigkeit (6,4) nur auf den klaren Gotteswillen vom A n f a n g her verweisen kann, wie ihn die Propheten als seine Werkzeuge dem Volk Tag für Tag vorweisen und mit dem Ernst von Lebensverheißung und Todesdrohung versehen (6,5 f.). Noch einmal also wird in 5,15-6,6 im Vergleich mit 5,8-14 der Untergang des Gottesvolkes hinausgeschoben, obwohl Israel durch Schuld und Verwerfung Jahwes als Arzt sein Leben längst verwirkt hat. Wieder aber versagt das Gottesvolk als ganzes; Juda wird wie in 5,12-14 in 6,4 bewußt einbezogen. Die Verschärfung des Gotteswillens in Hos 5,8-6,6 ist sehr anderer Art als die eingangs besprochene Traditionsverschärfung in der mündlichen Botschaft der Propheten. Sie erweist sich in einem doppelten unbegründeten Hinausschieben der angesagten Vernichtung, in einem doppelten Warten auf Israels Einsicht, das aber nur zu einem erneuten doppelten Scheitern des Willens Gottes mit seinem Volk führt. Gott vollstreckt seinen zerstörerischen Zorn noch nicht aufgrund geschehener Schuld (V. 10), sondern hofft, daß Israel sich in der N o t an ihn als „Arzt" wenden werde (V. 13). Aber in dieser Situation verwirft Israel Jahwe als Arzt. Jetzt müßte Jahwe endgültig zum reißenden Löwen werden (V. 14), aber er schiebt ein weiteres Mal den Tod Israels hinaus. Er hofft noch immer, daß das Gottesvolk in der äußersten N o t und Gottesferne begreift, d a ß nur G o t t die N o t wenden kann, alle andere Hoffnung vergeblich ist (V. 15). Aber auch diese Erwartung trügt, so einfach auch das rettende Verhalten wäre (6,5 f.). Was immer Gott tut im K a m p f mit seinem eigenen Gerichtswillen, er kommt bei seinem Volk nicht zum Ziel. Er will retten, will Arzt und nicht Löwe sein, aber sein Volk hindert ihn daran. Mit der Betonung immer neuer, unbegründeter göttlicher Geduld wird zugleich die Hoffnungslosigkeit der Schuldverfallenheit Israels hervorgehoben. Auf diese Weise hat die Überlieferung durch Zusammenfassung mehrerer einzelner Prophetenworte auch zu neuen Gottesaussagen geführt. Eine der gewichtigsten erhebt den eben ausgeführten Sachverhalt ins Grundsätzliche: G o t t kann seinen eigenen Plan durchbrechen, kann „Reue empfinden", das heißt: Selbstbeherrschung üben, sich selbst am Strafhandeln hindern. Es ist

„Ich bin wie ein Löwe für Efraim ..." (Hos

119

5,14)

dies die Weise, in der er selbst seinen vernichtenden Zorn am Ausbrechen hindert, um sein zum „Sohn" adoptiertes Volk (Hos 11,1) nicht wieder preisgeben zu müssen (11,8 0- Das jüngere Jonabuch sagt später, daß er auf diese Weise auch die Heiden vom Untergang verschont 27 .

VI. Aktualitcit

des Wortes - Allgemeingültigkeit

des

Textes

Es bleibt das letzte Geheimnis der israelitischen Prophetie, daß sie schriftlich überliefert worden ist. Meiner Ansicht nach ist das nur im strengen Sinne theologisch, von Israels Gottesverständnis her, erklärbar. D a ß das Phänomen der Prophetie als solches keineswegs spezifisch israelitisch ist, wußte man grundsätzlich auch vor dem Fund der Maritexte aus dem Alten Testament selbst. Ich erinnere nur an Jer 27,9, wo die Zukunftsfachleute der Nachbarvölker aufgezählt werden, die die Könige zu einer außenpolitischen Konferenz mitbringen, um sich des göttlichen Willens zu vergewissern, und neben Vorzeichenspezialisten, Magiern, Traumkundigen etc. auch Propheten genannt sind. Ein Prophetentext wie Hos 5,8-14 hat mit den Worten dieser unterschiedlichen Typen von - großenteils wissenschaftlich geschulten - Wahrsagern so gut wie nichts gemein. In ihm wird ein komplexer geschichtlicher Sachverhalt, der syrisch-efraimitische Krieg, zusammenfassend im Rückblick vom Glauben her gedeutet mit Hilfe mündlich ergangener Prophetenworte, die bei ihren Hörern keine Annahme fanden. Nicht Geschichtsdeutung als solche ist allerdings das Ziel; vielmehr will der schriftliche Text beim Leser erreichen, was dem mündlichen Prophetenwort bei den Hörern nicht gelang: Einsicht zu wecken in Gottes umfassendes Handeln in allen Lebenslagen, zum Guten wie zum Bösen. Der schriftliche Text ist mit dieser Intention dem mündlichen Wort der Propheten weit voraus. Zum einen erhebt er einen weit höheren Anspruch, da er nicht nur Teile des Gottesvolkes (bestimmte Städte, Hos 5,8) oder nur eine Schicht in ihm (etwa die Heerführer, Hos 5,10) anredet, sondern alle Glieder des Gottesvolkes ohne Ausnahme (5,13b). Mit diesem ausgeweiteten und erhöhten Anspruch hängt zum anderen notwendig eine größere Grundsätzlichkeit der Aussagen über Gott zusammen. Denn der schriftliche Text kann nicht wie das mündliche Wort den Gotteswillen für nur eine unverwechselbare historische Stunde darlegen - die Leser stehen in unter27 Von anderen Heilsworten der Propheten, die hier nicht behandelt werden, unterscheiden sich diese Aussagen darin, d a ß die Propheten üblicherweise mit einem Festhalten Gottes an seinem Heilswillen rechnen, wie er sich nach dem Gericht in einem neuen Gotteshandeln an einem neuen Gottesvolk verwirklichen wird, während die hier genannten Texte von der Verhinderung des Gerichtes durch G o t t selber reden. Vgl. J. JEREMIAS. Die Reue Gottes. Aspekte alttestamentlicher Gottesvorstellung, BSt 65, 1975

(21996).

120

,Ich bin wie ein Löwe für Efraim ..." (Hos

5.14)

schiedlichen geschichtlichen Zusammenhängen - ; er muß darum das Übertragbare, Verallgemeinerbare der Einzelsituation aufweisen, in die das mündliche Wort erging. Das geschieht in Hos 5 auf mehrfache Weise: einmal durch die verstärkte Theologisierung der Schuldkategorien (Judas Landgewinn war „Grenzverrückung", Efraims Vertrag mit den Aramäern und die Hilfegesuche beider Teilreiche bei Assyrien waren Bruch des ersten Gebots), zum anderen durch die nominalen Jahwevergleiche, die Gotteserfahrungen ins Wort fassen, wie sie sich analog wieder einstellen („Eiter/ Knochenfraß") oder aber als äußerste Möglichkeit Jahwes erneut angedroht werden können („Löwe/Löwenjunges"); zum dritten durch Rückführung vieler geschichtlicher Einzelerlebnisse (V. 8 - 1 1 ) auf die hinter ihnen stehende zentrale Gotteserfahrung (V. 12-14). Mit all dem wird den Lesern eingeprägt, daß die Grundillusion der Politiker im syrisch-efraimitischen Krieg darin bestand, daß sie sich in ihrem Handeln an G o t t vorbeistehlen wollten, als existiere er für diesen Erfahrungsbereich nicht, während demgegenüber in Wahrheit einzig die Stellung zu G o t t über Leben und Tod entschied, über Heilung durch G o t t als Arzt oder Zerrissenwerden durch Gott als Löwen. Eine Not, die ohne G o t t entstanden wäre, gibt es so wenig, wie es in der N o t ein Vorbei an G o t t gibt; das Gottesvolk hat sich in analogen Situationen darauf einzustellen, daß es in politischer N o t immer mit ihm zu tun bekommt, wobei es vom eigenen Verhalten, Hoffen und Erwarten abhängt, welcher Art diese Begegnung ist 28 . So gewiß aber dieser Gesichtspunkt für das überlieferte Prophetenwort von hohem Gewicht ist, den letzten Ton trägt auch er nicht. Die entscheidende - vierte - Veränderung des mündlichen Prophetenwortes im Übergang zum schriftlichen Text besteht vielmehr darin, d a ß der schriftliche Text nicht nur eine zukünftige Handlung Gottes ankündigt, nicht nur einen Gotteswillen mitteilt, nicht nur eine Gotteserfahrung festhält, sondern im Kontext anderer schriftlicher Worte eine Fülle von Gottestaten, Gotteserfahrungen etc. in Worte faßt und damit so etwas wie den Gotteswillen als ganzen. Erst in diesem veränderten Horizont kommt zum Ausdruck, was wir zuvor die Inkonsequenz Gottes nannten. Im Verfolg von Hos 5,8-11 zu 5,12-14 zu 5,15-6,6 heißt das, daß Jahwe nicht dann schon seinen Zorn ausgießt, wenn ihn geschehenes Unrecht zur Ankündigung der Vernichtung führt, sondern erst dann, wenn er als Arzt verworfen wird, in der Not, die diese Schuld heraufgeführt hat; aber schließlich ist der Zeitpunkt auch mit dieser Verwerfung noch nicht erreicht, sondern erst mit der fehlgeleiteten Gottessuche in der sich anschließenden Zeit der Gottesferne: endgültiges Zeichen der absoluten Unfähigkeit Israels zur Rückwendung zu Gott. Immer wieder schiebt G o t t in seiner Geduld das 28 Vgl. hierzu H. W. WOLFF, Die eigentliche Botschaft der klassischen Propheten, in: Beiträge zur alttestamentlichen Theologie. FS W. Zimmerli, Göttingen 1977, 547-558.

, Ich bin wie ein Löwe für Efraim

(Hos 5,14)

121

angesagte Unheil hinaus, immer wieder erweist sich seine Güte als stärker als die Strafgerechtigkeit, immer wieder aber hindert Israel G o t t daran, sich voll und ganz als der Gütige zeigen zu können. Jahwe als Arzt (Hos 5,12 f.) und Jahwe als Löwe (V. 14) - das sind hiernach nicht zwei gleichgewichtige Möglichkeiten in Gott; vielmehr steht Gottes Erbarmen gegen Gottes lodernden Zorn auf, wenn er vernichten will, und das Ergebnis dieses Kampfgeschehens in G o t t selber besteht in der Unfähigkeit Gottes, sein schuldiges Volk preiszugeben (11,8 f.). Von dieser Inkonsequenz Gottes lebt Israel nach den Propheten - auch dort, wo es wie 733 oder mit der Exilierung Gottes Gericht erfuhr.

8. Hoseas Einfluß auf das Jeremiabuch - ein traditionsgeschichtliches Problem

I.

Wie seit langem bekannt ist, gibt es mancherlei Beziehungen zwischen einzelnen Prophetenbüchern des Altes Testaments, insbesondere zwischen Texten von Zeitgenossen; aber der Sachverhalt ist keineswegs auf sie beschränkt. Mit sehr unterschiedlichen Intentionen und Ergebnissen sind solche Beziehungen etwa von R. FEY für das Verhältnis zwischen Arnos und Jesaja, von D. BALTZER für das Verhältnis zwischen Ezechiel und Deuterojesaja, von D. VIEWEGER für das Verhältnis von Jeremia und Ezechiel und von J. M. BERRIDGE sowie W. BEYERLIN für das Verhältnis von Arnos und Jeremia untersucht worden 1 . Da die Bücher aller dieser Propheten im winzigen Juda redigiert wurden, ist die Möglichkeit von vornherein auszuschließen, die verschiedenen prophetischen Tradentenkreise hätten ohne jeden Bezug zueinander gestanden oder sogar nichts voneinander gewußt. Es versteht sich von daher von selbst, daß mit derartigen Bezugnahmen in allen Stadien der Traditionsbildung zu rechnen ist, anders ausgedrückt: daß die Beobachtung von Bezügen in sich noch nichts darüber besagt, ob die Bezugnahme in ein frühes oder aber ein spätes Stadium der Überlieferung verweist. So findet sich denn auch in der Tat hoseanische Tradition sowohl in frühen wie in späten Schichten des Jeremiabuches, wie noch zu zeigen ist. Aber es gibt noch ein größeres Problem, das die Auswertung von literarischen Bezügen zwischen Prophetenbüchern erschwert. Oft sind diese Bezugnahmen nur schwer zu unterscheiden von Fällen, in denen Texte verschiedener Propheten von einer ihnen gemeinsamen älteren Tradition abhängig sind. Ja, es hat nicht an Autoren gefehlt, die im Falle der terminologischen Berührungen zwischen Hosea- und Jeremiabuch direkte Ab1 R. FEY, Arnos und Jesaja. Abhängigkeit und Eigenständigkeit des Jesaja, W M A N T 12, 1963; D. BALTZER, Ezechiel und Deuterojesaja, B Z A W 121, 1971; D. VIEWEGER, Die literarischen Beziehungen zwischen den Büchern Jeremia und Ezechiel, F r a n k f u r t / M . Bern 1993; J. M . BERRIDGE, Jeremia und die Prophetie des Arnos, T h Z 35, 1979, 3 2 1 - 3 4 1 ; W. BEYERLIN, Reflexe der Amosvisionen im Jeremiabuch, O B O 93, 1989.

Hoseas Einfluß auf das

123

Jeremiabuch

hängigkeit ausschließen wollten. R. R. W I L S O N Z. B. erklärt diese Gemeinsamkeiten mit dem jeweiligen Rückgriff auf eine „Ephraimite tradition", von der her sowohl „stereotypical speech patterns" als auch das beide Bücher verbindende „distinctive vocabulary" und schließlich selbst „certain Standard behavioral patterns" zu erklären seien 2 . Auch W . S C H O T T R O F F möchte, statt literarische Abhängigkeit anzunehmen, lieber fragen, „ob hier nicht mit anders gearteten, wesentlich komplexeren und indirekteren traditionsgeschichtlichen Zusammenhängen zu rechnen ist" 3 . So wenig jedoch solche Erwägungen a limine abzuweisen sind, zumal sie sich mit Recht gegen die simplifizierende Sicht unmittelbarer literarischer Abhängigkeit einzelner Jeremia- von einzelnen Hoseaworten (s. u.) wenden, so taugen sie doch andererseits auch nicht als Generallösung. Zumindest für die Spätzeit der Prophetie läßt sich der Nachweis stringent führen, daß Bücher wie Joel oder Deuterosacharja in sensu stricto aktualisierende Auslegung älterer Prophetie sein wollen 4 . Sach 13 geht bekanntlich so weit, die Verkündigung neuartiger Gottesworte durch Propheten mit der Todesstrafe zu bedrohen, offensichtlich mit dem Ziel, die überlieferte Prophetie als die einzig wahre auszuweisen, die es für die Gegenwart zu übersetzen gilt. Und die berühmte Verheißung des Geistes Gottes für alle - jung und alt/arm und reich - in Joel 3 impliziert ebenfalls das Ende der Prophetie als Institution, insofern künftig jede Frau und jeder M a n n in Israel als Geistträger die Zeichen der Zeit zu deuten und daher den seit langem prophetisch angekündigten „Tag Jahwes" zu erkennen vermag. Gewiß sind das Elemente der prophetischen Spätzeit im Alten Testament. Aber die eingangs genannten zahlreichen Berührungen zwischen älteren Prophetenbüchern wie Arnos und Jesaja, Ezechiel und Deuterojesaja etc. lassen sich keinesfalls pauschal mit allgemeinen traditionsgeschichtlichen Erwägungen der genannten Art erklären. Sie haben W. Z I M M E R L I dazu geführt, in einer seiner letzten Arbeiten den Begriff einer „innerprophetischen Überlieferung" zu prägen, den er sowohl auf die Abhängigkeiten der Verkündigung eines Propheten von der eines anderen, als auch auf das Wachstum von prophetischen Wortsammlungen zu fertigen Prophetenbüchern anwendet 5 . Zudem sind die Berührungen zwischen Texten des 3

R. R. WILSON, Prophecy and Society in Ancient Israel, Philadelphia 1980, 226 ff.;

251. 1

W. SCHOTTROFF, Jer 2,1-3. Erwägungen zur Methode der Prophetenexegese, Z T h K 67, 1970, 263-294; 272. Ähnlich urteilt S. HERRMANN, Jeremia, BK XII/2, 1990, 105.113. 4 Vgl. in jüngerer Zeit bes. S. BERGLER, Joel als Schriftinterpret, BEAT 16, 1988; N. H. F. TAI, Traditionsgeschichtliche Studien zu Sach 9 - 1 4 , Diss. München 1993 (erscheint 1996 in den C T h M ) ; zu Maleachi: H. UTZSCHNEIDER, Künder oder Schreiber? Eine These zum Problem der „Schriftprophetie" auf G r u n d von Maleachi 1,6-2,9, BEAT 19, 1989. 5 W. ZIMMERLI, Die kritische Infragestellung der Tradition durch die Prophetie, in: O . H . STECK ( H r g . ) , Z u T r a d i t i o n u n d T h e o l o g i e i m A T , B T h S 2, 1 9 7 8 , 5 7 - 8 6 ;

82.

124

Hoseas

Einfluß

auf das

Jeremiahuch

Jeremia- und solchen des Hoseabuches eher enger als in all den genannten anderen Fällen. Sie sind daher auch seit vielen Jahrzehnten intensiv beobachtet worden. Aufgefallen ist besonders, daß sie sich in manchen Sammlungen (besonders Jer 2 - 6 und 30-31) häufen. Es gibt keinen Jeremiakommentar, der nicht auf sie einginge, und manche Kommentare wie diejenigen von J. A. THOMPSON und W . L. HOLLADAY widmen ihnen einen eigenen Paragraphen in ihrer Einleitung 6 . In ihm wird eine lange Liste an gemeinsamer Begrifflichkeit und gemeinsamen Themen zwischen Hoseaund Jeremiabuch ausgebreitet mit dem Ergebnis, daß Hosea einen beträchtlichen Einfluß auf Jeremia ausgeübt haben müsse. Ähnlich hatte schon zuvor etwa J. SKINNER Hosea als Jeremias „teacher" und „a spirit kindred to his own" bezeichnet 7 , und H. W. WOLFF hatte ihn Jeremias „geistlichen Vater" genannt 8 . Wie die Archäologie der letzten Jahrzehnte gezeigt hat, wären derartige Beziehungen historisch gut vorstellbar. Jerusalem hat seine Einwohnerschaft am Ende des 8. Jh.s weit mehr als verdoppelt 9 , und südlich von Jerusalem sind eine Fülle neuer kleiner Dörfer entstanden. Die nächstliegende Erklärung dieses erstaunlichen Wachstums sowohl der Hauptstadt als auch der benachbarten Dörfer ist, daß nach dem Fall Samarias Flüchtlinge des Nordreichs in großer Zahl nach Süden wanderten. Im Zuge dieses großen Flüchtlingsstroms m u ß ein frühes Stadium des Hoseabuches oder falls es noch nicht existiert haben sollte - zumindest die mündliche Überlieferung von Hoseaworten Jerusalem erreicht haben. Die bis vor kurzem einzige größere Arbeit, die zum genannten Problemfeld existierte und auf die sich daher nahezu alle zitierten Autoren berufen, ist eine Berliner Dissertation von KARL GROSS aus dem Jahr 1930: „Die literarische Verwandtschaft Jeremias mit Hosea" 1 0 , der noch ein zweiteiliger Aufsatz mit dem Titel „Hoseas Einfluß auf Jeremias Anschauungen" folgte". Sie ist mit der Schwächc belastet, d a ß GROSS im wesentlichen mit unmittelbarer literarischer Abhängigkeit Jeremias von Hosea rechnete und daher primär an solchen Belegen interessiert war, die Jeremia „bei Hosea las und die sich ihm dann so einprägten, daß er sie sich (unbewußt) aneignete" und die ihm „in ihrer Anschaulichkeit gewiß im Gedächtnis

6 J. A. THOMPSON, T h e B o o k of Jeremiah, N I C O T 17, 1980, 8 1 - 8 5 („The D e b t of Jeremiah to H o s e a " ) ; W. L. HOLLADAY, A C o m m e n t a r y on the Book of Jeremiah, Bd. 2, H e r m e n e i a , 1989, 4 5 - 4 7 („Jeremiah's D e p e n d e n c e on H o s e a " ) . 7 J. SKINNER, Prophecy a n d Religion. Studies in the Life of Jeremiah, C a m b r i d g e 1963, 21. 8 H . W. WOLFF, D a s T h e m a „ U m k e h r " in der alttestamentlichen Prophetie, Ges. St., T B 22, 2 1973, 143. 9 M . BROSHI, E s t i m a t i n g the Population of Ancient Jerusalem, B A R IV/3, 1978, 1 0 - 1 5 , rechnet sogar mit einer Verfünfifachung. 10 Im D r u c k : Leipzig 1930. 11 N K Z 42, 1931, 2 4 1 - 2 5 6 . 3 2 7 - 3 4 3 .

Hoseas Einfluß auf das Jeremiabuch

125

hafteten" 1 2 . Immerhin rechnete er grundsätzlich auch mit Fällen, in denen beide Propheten etwa von einer gemeinsamen Quelle wie z. B. dem elohistischen Geschichtswerk abhängig waren 1 3 . Traditionsgeschichtliche Erwägungen allerdings waren ihm in seiner forschungsgeschichtlichen Situation so gut wie unbekannt. Wesentliches Kriterium für die A n n a h m e literarischer Abhängigkeit war ihm die „Originalität" bestimmter Bilder und Begriffe Hoseas, die sich Jeremia bei der Lektüre zwangsläufig einprägten, während er davon „alltägliche" oder aber „naheliegende" Wendungen unterschied, deren Übereinstimmung zwischen beiden Propheten wenig besage 14 . Seitdem hat m. W. nur eine einzige kritische Auseinandersetzung mit GROSS stattgefunden, die freilich vom Autor A. DEISSLER selbst mit Recht als „eher skizzenhaft" bezeichnet wird 1 5 . DEISSLER betont einerseits, daß mancherlei Querverbindungen zwischen Hosea und Jeremia erst durch spätere Bearbeiter des Jeremiabuches, besonders deuteronomistische Kreise, verursacht sein können, d a ß andererseits Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit im Blick auf direkte Bezugnahmen des Jeremiabuches auf Hosea nicht so sehr auf der Ebene des Wortschatzes als vielmehr auf derjenigen übergreifender Themen und Gedankenkomplexe zu gewinnen sei. Erst vor kurzer Zeit ist nun eine Dissertation von M. SCHULZ-RAUCH erschienen, die m. E. schlüssig nachweist, daß direkte Hoseazitate im Jeremiabuch, wenn man überhaupt mit ihnen rechnen will, allenfalls ganz vereinzelt begegnen, daß auch nur in sehr seltenen Fällen wahrscheinlich zu machen ist, daß Jeremia ein Einzelwort Hoseas aufgegriffen und weitergedacht hat, in der weit überwiegenden Mehrzahl der Berührungen zwischen beiden Prophetenbüchern dagegen nicht ein einzelnes Hoseawort, sondern eine Kombination verschiedener Hoseaworte bzw. ein von Hosea entwikkeltes Argumentationsmuster oder aber eine Konzeption im Hintergrund der Jeremiaworte steht. Von diesen Bezugnahmen zu unterscheiden sind Fälle, in denen die Verwandtschaft zwischen Hosea- und Jeremiatexten eher durch beiderseitige Prägung von gemeinsamer Tradition zu erklären sind; sehr zahlreich sind sie aber nicht 1 6 .

12

AaO. [Anm. 10] 2 f. Ebd. 7. 14 Ebd. 7 - 9 . 15 A. DEISSLER, Das „Echo" der Hosea-Verkündigung im Jeremiabuch, in: L. R U P P E R T - P. WEIMAR - E. ZENGER (Hrg.), Künder des Wortes, FS J. Schreiner, Würzburg 1982, 6 1 75; 74. 16 M. SCHULZ-RAUCH, Die Rezeption der Verkündigung Hoseas durch Jeremia, Diss. München 1993, bes. 426-430 (erscheint 1996 in den CThM). 13

126

Hosecis Einfluß auf das

Jeremiakuch

II. Nach dieser methodischen Vorklärung, die in den vergangenen Jahrzehnten alle Gedanken der Forscher im genannten Problemkreis in Atem hielt, erscheint es nun endlich an der Zeit, die entscheidende theologische Frage zu stellen: Mit welcher Absicht und mit welchem Ziel knüpften Jeremia und seine Tradenten an Vorstellungen und Themen Hoseas an? Erst wenn diese Frage gestellt und beantwortet ist, tritt der sachlich entscheidende Gesichtspunkt ins Blickfeld: daß jede Bezugnahme auf ältere Texte und Themen notwendigerweise einen Prozeß der Übersetzung und Aktualisierung impliziert. Die große G e f a h r der Forschung im Gefolge der Dissertation von GROSS bestand darin, mit der Beobachtung von Bezugnahmen des Jeremiabuches auf hoseanische Begrifflichkeit Hoseas Theologie in das Jeremiabuch hineinzulesen, und es war wesentlich diese Gefahr, die die oben z i t i e r t e n F o r s c h e r w i e WILSON, SCHOTTROFF u n d HERRMANN a n k o m p l e x e r e

traditionsgeschichtliche Berührungen denken ließ. Wesentlich ist damit die Frage, auf welche Art und Weise Jeremia und seine Tradenten nach mindestens einem Jahrhundert zeitlicher Differenz und in einer geographisch anders gearteten Situation sich für ihre Zeit und ihre Lage die Gedanken Hoseas zunutze machten, d. h. sie als geeignete Interpretationshilfen empfanden trotz der veränderten Zeit und trotz der andersartigen Lebensumstände in Juda. Solange diese zentrale Frage unterbleibt, wird die traditionsgeschichtliche Methode bestenfalls unvollkommen, eher aber irreführend verwendet. Dennoch ist sie m. W. - außer ansatzweise in der zuletzt genannten Dissertation von SCHULZ-RAUCH - seltsamerweise im Verhältnis von Hosea- und Jeremiabuch nie gestellt worden. Die Erarbeitung oder aber Bestreitung von direkten Bezugnahmen nahm alles Denken und Urteilen gefangen. In einem kurzen Aufsatz wie diesem kann die beschriebene Aufgabe freilich naturgemäß auch nur exemplarisch wahrgenommen werden. Ich beschränke mich daher im folgenden - in lockerem Anschluß an SCHULZ-RAUCH - auf zwei Beispiele, ein ausführlicheres, genaueres als Grundlage und ein kürzeres, programmatisches, das in strittige Interpretationsversuche hineinführt, als Folge. Als erstes und längeres Beispiel soll die Vorstellung dienen, d a ß das biblische Gottesvolk an Jahwe entscheidend durch seine Zuwendung zu Baal gescheitert ist. Der Vorwurf, Israel habe sich durch (oder mit) Bau! versündigt, der beim ersten Lesen des Alten Testaments eine seiner grundlegenden Vorstellungen zu bilden scheint, ist faktisch auf drei theologische Entwürfe beschränkt: die Bücher Hosea und Jeremia sowie das D t r G 1 7 . 17 Z u den wenigen A u s n a h m e n zählt Zef 1,4. Ich übergehe die Beispiele des C h r G , die weithin Weiterbildungen der Belege im D t r G sind. Außer Betracht bleiben auch spezielle

Hoseas Einfluß auf das

Jeremiahuch

127

Vor-dtr Texte außerhalb der Bücher Hosea und Jeremia existieren nicht. Es ergibt sich damit eine Traditionslinie, die von Hosea über Jeremia zu den dtr Texten im Jeremiabuch und zuletzt zum DtrG läuft. Wesentlich für sie ist, daß die Konzeption der Schuld Israels mit/durch Baal in allen Stadien dieser Traditionslinie sehr unterschiedlich verwendet wird.

II. 1 Im Blick auf das Buch Hosea fällt als erstes eine auffällige Diskrepanz ins Auge. Während die zahlreichen Bilder, Vergleiche und Wortspiele, die der Prophet verwendet, deutlich zeigen, daß er mit einer Vielzahl kanaanäischer Gottheiten vertraut ist 18 , nennt er außer Jahwe einzig Baal mit Namen 1 9 . Nimmt man hinzu, daß die Hälfte der Belege Baal im Plural verwendet, ist der Schluß unabweisbar, daß Baal im Hoseabuch nicht nur - und nicht einmal primär - eine einzelne männliche Gottheit bezeichnet, sondern vielmehr alle diejenigen Gottheiten repräsentiert, die Hosea von „Jahwe" unterscheiden möchte, d. h. von dem, was für ihn genuiner Gottesglaube Israels ist. Frühere Versuche, Hoseas religionspolemische Äußerungen im Lichte der ugaritischen Texte zu deuten und „Baal" im Hoseabuch unbesehen mit „Baal" in den ugaritischen Texten zu identifizieren 20 , sind irreführend. Vielmehr ist „Baal" für Hosea ein genereller Begriff, vergleichbar anderen Begriffen, die die grundsätzliche Verfehlung des Gottesverhältnisses umschreiben, wie etwa D'ilJT („Hurerei") oder m t („Opfer"). Er ist geradezu zum Code für das verfehlte Gottesverständnis Israels geworden 21 . Besonders evident wird dieser Sachverhalt in der gedrängten Formulierung von Hos 13,1: S o o f t E f r a i m redete, ( e n t s t a n d ) Schrecken, ü b e r r a g e n d w a r er in Israel. D a verschuldete er sich mit d e m Baal u n d s t a r b 2 2 . Lokaltraditionen wie diejenigen am Berg Peor (Num 25,1 fT.) oder auf dem Karmel (1 Kön 18). 18 Es genügt hier, auf das bekannte Beispiel H o s 14,9 mit seiner Anspielung auf Aschera (und Anat) zu verweisen, die J. WELLHAUSEN (Die Kleinen Propheten, Berlin '1898, 134) zur entsprechenden Konjektur veranlaßte. 19 Der Begriff „El" wird dagegen nur generisch verwendet (Hos 2,1: „lebendiger G o t t " ) bzw. als Qualifikation Jahwes (11,9; 12,1b). 20 Vgl. etwa M. J. MULDER, B a a l in het Oude Testament, Den H a a g 1962, 87 fT.; G. OSTBORN, Yahweh and Baal. Studies in the Book of Hosea and Related Documents, LUÄ 51,6, Lund 1956, 16 ff. Vgl. ausführlicher den Beitrag „Der Begriff,Baal' im Hoseabuch", o. S. 86 ff. " Vgl. zur Begründung der Übersetzung J. JEREMIAS, Der Prophet Hosea, A T D 24/1, 1983, z. St.

128

Hoseas Einfluß auf das Jeremiabuch

Unter Verzicht auf jegliche Anschaulichkeit beschränkt sich der Vers auf die Beschreibung des abgrundtiefen Falles Israels (bzw. seines nach 733 verbliebenen Rumpfstaates „Efraim"). Der Vers ist einzig an dem Kontrast zwischen der anfänglichen herrlichen und bewunderten Stellung Israels und der notvollen Gegenwart interessiert, wobei die Kategorien innerhalb des Verses wechseln. Scheinen sie eingangs Pracht und Elend zu heißen, so werden sie am Ende zu Leben und Tod verschärft. Grund für den Wandel vom Leben zum Tod ist einzig „Schuld mit/durch (D) Baal". Was damit gemeint ist, wird dem Leser nicht erläutert; es wird vorausgesetzt, daß er es weiß. Deutlich ist nur, d a ß diese Schuld Israel in den Untergang geführt hat, während die Pflege der „Gotteserkenntnis" - so m u ß man aus anderen Hoseatexten (Hos 4,6; 6,6 u. ö.) ergänzen - es zum Leben geführt hätte. Das nicht mehr überbietbare Kürzel „Baal" bzw. „Schuld mit Baal" dient zur Zusammenfassung aller theologischen Vorwürfe, die Hosea je gegen Israel erhoben hat. „Baal" steht für Israels Gottesverirrung in ihren vielfachen Spielarten. Andere Belege, die die ideale Vergangenheit Israels mit seiner schuldbeladenen Gegenwart konfrontieren, sind ein wenig beredter. A m weitesten führt ein Beispiel, in dem Baal im Plural verwendet wird, Hos 11,1 f.: 1 2

Als Israel j u n g war, gewann ich es lieb, heraus aus Ä g y p t e n rief ich meinen Sohn. K a u m d a ß ich sie rief, liefen sie schon fort von mir. D e n Baalen wollten sie o p f e r n , d e n G ö t t e r b i l d e r n räuchern 2 3 .

Wie auch in anderen Belegen mit Geschichtsrückblicken Hoseas drückt sich der Kontrast zwischen idealer Vergangenheit und verfehlter Gegenwart Israels schon in der Syntax aus. Die ideale Vergangenheit ist geprägt von Gottes liebender Fürsorge für seinen Sohn, die Gegenwart durch Israels Undankbarkeit, mit der er sich sogleich von G o t t abwendet. Solange G o t t handelt, ist Israel eine einzelne Person in Gestalt des Sohnes; sobald Israel handelt, zerfällt es in eine amorphe Vielheit von Individuen, die Gott verlassen. Wo andere Texte des Hoseabuches zwischen der Wüste als Ort des idealen Gottesverhältnisses Israels und dem Land als Ort unmittelbarer Abwendung von Jahwe unterscheiden (vgl. etwa Hos 9,10; 13,5 f.), faßt Hos 11,1 f. beide Phasen zeitlich zusammen. Die Periode eines glückenden Gottesverhältnisses wird übersprungen. Schon im Vollzug der Erwählung ereignet sich Gottes Verwerfung. Gottes befreiende Liebe zu Israel wird unmittelbar mit Israels H a n g zu „den Baalen" beantwortet. Jedoch entfaltet Hos 11,2 die Schuld Israels in einer doppelten Hinsicht erheblich klarer als 13,1.

23

Vgl. die vorige Anm.

Hoseas Einfluß auf das Jeremiabuch

129

1. Die beiden Verben „opfern" und „räuchern" verweisen auf Israels Gottesdienst, den sie auch in 4,13 zusammen charakterisieren. Die Parallele verdeutlicht, d a ß primär nicht bestimmte Opferbräuche angeprangert werden - „Rauchopfer" (~iüp pi.) für ganz dargebrachte Tiere, Vegetabilien bzw. Weihrauch, „Opfer" ( r n t pi.) als Anlaß zum Gemeinschaftsmahl sondern d a ß beide Verben zusammen eine Mentalität charakterisieren wollen, die Hosea andernorts mit der ungehemmten Vermehrung von Priestern und Altären kennzeichnet (4,7 f.; 8,11-13; 10,2 f. u. ö.). Sie zielt ab auf einen möglichst häufigen Vollzug der Opferrituale, durch die ein glückendes Gottesverhältnis gewährleistet werden soll, was Hosea als Ersatz für jegliche Reflexion über rechtes Handeln betrachtet (4,6-8; 6,6 u. ö.). 2. Die „Götterbilder", die „den Baalen" zugeordnet sind und die sie andernorts (4,17; 8,4; 14,9) vertreten können, dienten - vermutlich in Gestalt kleiner (Stier-) Figurinen 2 4 - am ehesten dazu, die Kultteilnehmer auch im Alltag der M a c h t des Segens zu vergewissern, der den Opfern zugeschrieben wurde (vgl. 4,17; 8,4). Fassen wir den Sprachgebrauch Hoseas zusammen, so ist hervorzuheben, daß sich der Unterschied zwischen dem Singular und dem Plural von „Baal", der sich am Beispiel von Hos 13,1 und 11,2 zeigte, auch an den übrigen Belegen des Hoseabuches bewährt. Während der Plural stets mit spezifisch kultischen Konnotationen verwendet wird (2,15.19), gilt das für den Singular (2,10.18; 9,10) nicht. Jedoch sind auch die kultischen Konnotationen des Pluralgebrauchs ihrerseits schon codiert. Wenn Israel „den Baalen opfert", so ist damit ungleich mehr ausgedrückt als nur der kultische Vollzug als solcher; vielmehr ist eine komplexe Konzeption auf den Begriff gebracht, die andernorts via negationis „Vergessen Jahwes" (2,15; 13,6 u. ö.) bzw. via positionis „Hurerei" (4,13; 5,3 u. ö.) heißt. Der Oppositionsbegriff ist die „Erkenntnis Gottes" (D,n17S nsn), und damit ist ein Gottesdienst bezeichnet, der durch die Vergegenwärtigung der Geschichte Gottes mit Israel und die Frage nach dem Willen Gottes gekennzeichnet ist 25 . Demgegenüber wird der Singular „Baal" in noch weit umfassenderem Sinne gebraucht und schließt andere Weisen des „Vergessens Jahwes" als den Gottesdienst auf den Höhen mit ein, sei es das Stierbild in Bet-El, die Außenpolitik, das Vertrauen in den König als Repräsentant des Staates, die „Herzensüberheblichkeit" Israels (13,6) etc. In einem für die ältere Prophetie undenkbaren, kühnen Prozeß der Abstraktion ist „Baal" im

24 Vgl. zur Begründung H. W. WOLFF, Dodekapropheton 1. Hosea, BK XIV/1, (1961) "1990, 178 f. 25 Vgl. zu diesem zentralen Begriff der Theologie Hoseas bes. H. W. WOLFF, „Wissen um Gott" bei Hosea als Urform von Theologie, EvTh 12, 1952/53, 533-554 (= Ges. St., TB 22, 21973, 182-205), und zuletzt M. NISSINEN, Prophetie, Redaktion und Fortschreibung im Hoseabuch, AOAT 231, 1991, 157 ff.

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Hoseas Einfluß auf das

Jeremiabuch

Hoseabuch zur Bezeichnung jeglicher A r t von Verwerfung der „Gotteserkenntnis" geworden, ohne die Israel u n r e t t b a r verloren ist.

II. 2 Jeremia und seine Tradenten kennen und verwenden den C o d e Hoseas bzw. der Hoseatradition. Dieser Sachverhalt ist nur d a r u m schwer zu erkennen, weil er die literarkritische Scheidung des Sprachgebrauchs der älteren Jeremiatradition von den jüngeren dtr Aktualisierungen voraussetzt, die die H a u p t m a s s e der Belege prägen und sogleich mit einem kurzen Seitenblick betrachtet werden sollen. D e r Einfachheit halber schließe ich mich dabei an die Analysen von W. T H I E L an, die sich an diesem Material eindrucksvoll bewähren 2 6 . D a s Ü b e r r a s c h e n d e an den Belegen f ü r „ B a a l " in den älteren Schichten des Jeremiabuches ist nun, d a ß sie sich zwar sehr eng an den Sprachgebrauch H o s e a s anschließen - besonders gilt das f ü r die W e n d u n g Schuld „ m i t / d u r c h Baal" 07S73D) ihn zugleich aber auf einen völlig neuen Themenkreis übertragen 2 7 . Drei von vier Belegen behandeln unter d e m Begriff „ B a a l " das T h e m a wahrer u n d falscher Prophetie (Jer 2,8; 23,13.27), das der Hoseatradition völlig u n b e k a n n t ist. Allerdings fällt an allen drei Texten auf, d a ß Jeremia nie seine eigenen Gegner unmittelbar der „Schuld m i t / d u r c h Baal" bezichtigt, sondern die Baal-Terminologie weiterhin unter Bezug auf das zwischenzeitlich gefallene Nordreich verwendet. Er geb r a u c h t den Sprachgebrauch H o s e a s sozusagen „historisch", indem er den zeitlichen A b s t a n d der eigenen Generation zu den Problemen des N o r d reichs klar zu erkennen gibt. A m evidentesten k o m m t seine Absicht dabei in Jer 23,13 f. zum Ausdruck: 13 14

Bei d e n P r o p h e t e n S a m a r i a s h a b e ich zwar Scheußliches gesehen: Sie p r o p h e z e i t e n "75733 u n d f ü h r t e n so mein Volk Israel irre. Bei d e n P r o p h e t e n J e r u s a l e m s a b e r h a b e ich W i d e r w ä r t i g e s gesehen: Ehebrechen und Wandel so d a ß sie die H ä n d e d e r Ü b e l t ä t e r s t ä r k t e n ...

Die Parallelisierung der beiden Staaten, die jeweils durch ihre H a u p t s t ä d t e repräsentiert werden - des schon untergegangenen Nordreichs und des noch existierenden Südreichs geschieht nur zu einem einzigen Zweck: die ungleich größere Schuld Jerusalems aufzuweisen. Die Steigerung ist auf m e h r f a c h e Weise ausgedrückt: 26

W. THIEL, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1 - 2 5 , W M A N T 41, 1973. D a ß ich selber innerhalb der D-Schicht THIELS zwischen älteren und jüngeren H ä n d e n unterscheiden würde, ist für den hier verhandelten Problemkreis unerheblich. 27 D a s hat schon SCHULZ-RAUCH, aaO. [Anm. 16] 94-125, in aller Klarheit erkannt.

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Jeremiabuch

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1. Der Effekt fehlgeleiteter Prophetie im Nordreich war Orientierungslosigkeit (vgl. Mi 3,5), im Südreich besteht er in der Bestätigung und Unterstützung der Bösen. 2. Während die Propheten des Nordreichs ihre Verkündigung „auf Baal" gründeten, ist die Basis der Südreichspropheten "ipw „Lüge, Täuschung, Betrug" 2 8 . 3. Diese Basis aber tangiert nicht nur ihre Verkündigung - die übliche und V. 13 direkter entsprechende Charakterisierung der falschen Propheten lautet: „Sie prophezeien "Ipt^n" (Jer5,31; 20,6; 29,9) - , sondern ihren gesamten Lebenswandel. Dabei zeigt die Gegenüberstellung von „Baal" und „Lüge", daß „Baal" nicht eine bestimmte einzelne Gottheit bezeichnet, die in Konkurrenz zu Jahwe stehen könnte, sondern wie bei Hosea eine ganze Konzeption irregeleiteten Gottesverständnisses, "ipttf ist darum schlimmer als „Baal", weil die eigenen Sehnsüchte der Propheten an die Stelle Jahwes treten. Einige Verse später wird der Begriff durch die Wendung „Gesicht des eigenen Herzens" (V. 16.26) interpretiert. Jeremias Gegner werden damit angeklagt, nicht mehr unterscheiden zu können zwischen der Macht Jahwes, die den Propheten nötigt - Jeremia selbst ist unter solcher Wirkung „wie ein Trunkener" (V. 9) und dem eigenen Wünschen und Hoffen. Jeremia ist der einzige Prophet im Alten Testament, der das Verb i 0 3 ni. „prophezeien" mit der Präposition 3 verwendet und damit das Problem aufwirft, in wessen Autorität ein Prophetenwort ergeht 2 9 . Sowohl im Nordreich als auch im Südreich stößt er bei den irreführenden Propheten auf ein Interesse, das dem entgegengesetzt ist, was er von Jahwe weiß. Im Falle des Nordreichs könnte man es mit Wohlstandssicherung durch Opferfülle umschreiben, im Falle des Südreichs mit Verwechslung eigener Sehnsüchte mit dem Gotteswillen. Im Nordreich dringt fremdes Denken auf die Propheten ein („Baal"), im Südreich prägt Eigeninteresse ihr Denken. Allerdings ist das Anliegen Jeremias und seiner Tradenten bei näherem Zusehen noch differenzierter. Denn "ipttf „Lüge, Trug" bezeichnet nicht nur die „Autorität" der gegnerischen Propheten, also ihr Wunschdenken, sondern auch die illusionäre Wirkung der Verkündigung auf die Hörer. Insofern können die Propheten „im N a m e n Jahwes npttf prophezeien" (23,25; vgl. 27,15; 29,21.23), so d a ß äußerlich Jahwe die Autorität der Verkündigung bleibt, sie aber trotzdem nptf übermittelt. Auf diese Weise

2S Vgl. die vorzügliche Monographie von M . A. KLOPFENSTEIN, Die Lüge nach dem Alten Testament. Z ü r i c h - F r a n k f u r t / M . 1964. 29 Vgl. dazu SCHULZ-RAUCH, aaO. [Anm. 16] 105 ff. Jeremias Tradenten verwenden daher gern im Rückgriff auf diesen Sprachgebrauch des Propheten den positiven Gegenbegriff „im N a m e n Jahwes prophezeien" (Jer 11,21; 14,14 f.; 26,9.20; 27,15; 29,9.21).

132

Hoseas Einfluß auf das Jeremiabuch

entsteht das Paradox, d a ß die falschen Propheten unter Berufung auf den N a m e n Jahwes „mein Volk meinen N a m e n vergessen lassen" (23,27). Mit dem „Vergessen" ist nun freilich eine Problematik berührt, die Jeremia wiederum von Hosea kennengelernt hat. D a h e r wird sie auch in hoseanischer Begrifflichkeit ausgedrückt (V. 27b): ... wie ihre V ä t e r meinen N a m e n "75733 vergessen haben.

„Vergessen" bildet in beiden Sätzen nicht die sprachliche Opposition zu intellektuellem Erinnern, sondern zu Hoseas zentralem Stichwort der „Gotteserkenntnis" (s. o.), an der sich Leben und Tod Israels entscheiden. Anders ausgedrückt: F ü r Jeremia und seine Tradenten ist die zeitgenössische Ipt^-Prophetie des Südreichs zur modernen Form des „Baal" geworden, insofern „Baal" das „Vergessen Jahwes" herbeiführt. Jeremia und seine Tradenten greifen somit nachweislich Hoseas „Baal"Konzeption auf, ohne sie doch unmittelbar auf die andersgearteten Verhältnisse des Südreichs im 7./6. Jh. zu übertragen. Vielmehr belassen sie sie in ihrer spezifischen Eigenart, hinter der die theologischen Auseinandersetzungen des Nordreichs im 8. Jh. stehen, und nutzen sie als Folie, auf deren Hintergrund sie steigernd die neue "iptT-Begrifflichkeit entwickeln. D a s Erstaunliche und Kühne an dieser indirekten Neuverwendung der Baal-Konzeption ist nun aber, daß Jeremia sie auf ein Problemfeld überträgt, das seinem Vorgänger Hosea völlig fremd war, insofern er Propheten nur als Gesinnungsgenossen kannte und sich selber in einer Kontinuität der Propheten stehen sah, die bis zu Mose zurückreicht (Hos 12,11-14; vgl. 6,5; 9,7). „Baal" und das mit ihm implizierte „Vergessen Jahwes" sind somit in der Abstraktion Hoseas schon so sehr zu einem Code geworden, d a ß eine Übersetzung in ein total neues Problemfeld möglich wurde.

II. 3 Wenden wir uns kurz der weiteren Traditionsentwicklung und damit zunächst den Deutungen der Botschaft Jeremias durch die dtr Prediger und Pädagogen zu, die den Begriff „Baal" weit häufiger im Munde führen, so stoßen wir auf eine völlig andersgeartete Tendenz. Die Differenzierung zwischen N o r d - und Südreich (Jer 23,13 f. 27), zwischen früher und gegenwärtiger Geschichte (Jer 2,8), die die Aussagen der älteren Tradition im Jeremiabuch bei der Verwendung des Baal-Namens prägte, ist aufgehoben; „Baal" ist nicht länger nur ein Code für eine bestimmte Konzeption verfehlter Gottesdienst bei Hosea, falsche Prophetie bei Jeremia - , sondern er ist zur Chiffre für den Bruch des 1. Gebotes auf den verschiedensten Ebenen und damit geradezu zu einem diffamierenden Schimpfwort geworden. Jetzt sind es vornehmlich ganz bestimmte kultische Bräuche, die

Hoseas Einfluß auf das Jeremiabuch

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mit „Baal" verbunden werden. Hatte etwa Hosea den Begriff "lüp pi. (4,13; 11,2) und hif. (2,15) „Rauchopfer darbringen" in Parallele mit „Gemeinschaftsopfer feiern" (rDT) oder aber mit dem gottesdienstlichen Geschehen an Festtagen insgesamt (2,15) verwendet und ihn damit den Opfergottesdienst und die Opfermentalität in seiner Generation charakterisieren lassen, so bezeichnet im dtr geprägten Jeremiabuch die formelhaft gebrauchte Wendung „dem Baal räuchern" ("lüp pi. Jer 7,9; 11,13.17; 32,29) eine charakteristisch fremdreligiöse Opferpraxis. Mit ihr „läuft man fremden Göttern nach" (7,9). So kann denn auch „dem Baal räuchern" sogleich umformuliert werden in „anderen Göttern räuchern" (1,16; 19,4; 44,5.8 etc.). Die spätere Überlieferung ist diesen Weg konsequent weitergegangen, indem sie schon sprachlich zwischen "lüp pi. für den Fremdgötterkult und "lüp hif. für den legitimen Gottesdienst unterschied 3 0 . Ganz entsprechend gelten aus dieser Sicht etwa die Kinderdarbringungen im Hinnomtal als „Brandopfer für Baal" (Jer 19,5; vgl. 32,35) und damit als Götzenbrauch, und Analoges gilt von Trankopfern, insbesondere auf den Dächern der Häuser; was in 19,13 parallel dazu „dem ganzen Himmelsheer räuchern" hieß, lautet in 32,29 - ebenfalls in Parallele zu „anderen Göttern Trankopfer ausgießen" - nun „dem Baal räuchern". Die Baal-Thematik ist auf allen Ebenen zu einem Aspekt der Fremdgötterpolemik geworden. Allerdings tritt nie die verlockende Attraktivität Baals in den Vordergrund; Thema bleibt der Abfall von Jahwe und damit die verfehlte Gottesverehrung. Insofern ist die Grundtendenz der hoseanischen Theologie auch hier gewahrt geblieben.

II. 4 Die klassischen Belege des D t r G setzen in ihrer formelhaften Sprache diese - im Jeremiabuch noch beobachtbare Entwicklung - schon voraus. D a s übliche oppositionelle Verbpaar lautet hier: „Jahwe verlassen" und „den Baalen (seltener: Sg.) dienen". Allerdings werden jetzt wieder geschichtliche Epochen unterschieden. F ü r die Betrachtung der Richterzeit ist neu, daß Israel nun, wenn es „Jahwe verläßt", auch „den Astarten dient" (Ri 2,11; 10,6.10; 1 Sam 12,10; vgl. „den Äscheren" in Ri 3,7). D a m i t wird die dem späten Israel besonders problematische Geschlechterdifferenzierung in der Gottesvorstellung thematisiert. Von einzelnen Königen im Nordreich heißt es, d a ß sie „Baal dienten und ihn anbeteten" (Ahab: 1 Kön 16,31; Ahasja: 1 Kön 22,54). Damit wird der Bezug der Baal-Thematik zum 1. Gebot verschärfend herausgestellt. In letzter Steigerung wird beim Untergang des

30

Vgl. E. JENNI, Das hebräische Pi'el, Zürich 1968, 271 f.

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Husens Einfluß auf das

Jeremiabuch

Nordreichs der Baal-Dienst als Höhepunkt einer langen Reihe von Vergehen gegen das 1. Gebot genannt: alle Gebote Jahwes verlassen - sich zwei Stierbilder herstellen - sich eine Aschera herstellen - das ganze Himmelsheer anbeten - Baal dienen (2 Kön 17,16). Beim Gipfel der Schuld des Südreichs, in der Zeit Manasses, lautet die Reihe neu geordnet und leicht variiert: Höhen wiederaufbauen - dem Baal Altäre errichten - sich eine Aschera herstellen - das ganze Himmelsheer anbeten - ihnen (d. h. allen Fremdgöttern) dienen (2 Kön 21,3). Die von Josia im Jerusalemer Tempel beseitigten Geräte waren „für den Baal, die Aschera und das ganze Himmelsheer" hergestellt worden (2 Kön 23,4). In derartigen Reihen werden aus der Sicht des Exils gegenwärtige Schuldtatbestände („das ganze Himmelsheer anbeten") mit überlieferten älteren Formen des Bruches des 1. Gebotes verbunden. Baal ist auf diese Weise wieder - wie schon vor der Zeit Hoseas - zu einer unter vielen Weisen geworden, auf die der wahre Gott von seinem Volk verfehlt und verworfen wird.

III. Jedoch kann es in unserem Zusammenhang nicht um genauere Analyse der dtr Theologie gehen; der Seitenblick auf sie sollte nur zum Aufweis dienen, wieviel näher die ältere Jeremiatradition der Theologie Hoseas steht, obwohl sie Hoseas Baal-Konzeption auf ein Problemfeld überträgt, das Hosea selber ganz fremd war. Für derartige Übertragungen gibt es zahlreiche weitere Beispiele. Als ein zweites kürzeres und nicht so leicht eingrenzbares Beispiel habe ich die Bildwelt aus dem Ehe- und Sexualbereich gewählt, die mehrfach Israels Schuld in Jer 2 - 3 umschreibt und so eindeutig in Anknüpfung an hoseanischen Bildgebrauch entworfen worden ist. Die Erkenntnis dieser Anknüpfung hat nun freilich die Mehrzahl der Ausleger dazu verführt, Jeremia irrtümlich theologisch von Hosea her zu interpretieren, anders ausgedrückt: die Jeremiatexte zu lesen, als stünden sie im Hoseabuch. Jedoch sind die Jeremiatexte erst recht verstanden, wenn wiederum der Modus der Übersetzung hoseanischer Vorstellungen in die Zeit und Umstände das Südreichs im 1.16. Jh. erkannt ist.

III. 1 Schon das Hoseabuch verwendet den Begriff •'JUT („Hurerei") - ein künstlich gebildeter Abstraktplural - äußerst schillernd, d. h. mit einer Fülle von Assoziationen, die selten klar eingrenzbar sind. Die ersten fünf Kapitel des

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Buches (genauer: 1,2-5,7) summieren alle dort genannte Schuld Israels unter diesen Terminus, der den Gedankengang in seinen verschiedenen Verzweigungen eint, und Hos 5,3 f. macht gegen Ende der Darlegungen die gewichtige Feststellung, daß Israel so stark in seinem alles Handeln prägenden „Geist der Hurerei" gefangen ist, daß ihm jegliche Möglichkeit eines erneuten Gotteskontaktes genommen ist. Denn dazu wäre jene „Gotteserkenntnis" nötig (V. 4), ohne die Israel dem Tod geweiht ist und von der schon oben die Rede war, die aber eben der „Geist der Hurerei" a limine verhindert. Wo dieser „Geist der Hurerei" zuvor näher entfaltet wurde (4,11-14), war er als die Macht charakterisiert, die alle Teilnehmer am Gottesdienst auf den Opfer-Höhen in ihre Fänge nimmt. Jedoch ist der Gottesdienst auf den Höhen nicht nur von der Vielzahl der Opfer geprägt, die Hosea so oft verurteilt, sondern auch von den Sexualriten zwischen Priestern und jungen Frauen, deren genauer Sinn bis heute umstritten ist 31 . Offensichtlich hat Hosea also den Begriff „Geist der Hurerei" auch darum geprägt, weil die jungen Frauen im Zuge des Kultes für ihn „zu Huren werden" (V. 13 f.). Zugleich gehen in den Begriff aber auch Hoseas eigene Erfahrungen mit der ehebrüchigen Frau ein, die ihrerseits gleichnishaft Israels ehebrüchiges Handeln gegenüber Jahwe darstellen und widerspiegeln sollten (Hos 3). Nicht genug damit: Der schillernde Charakter des Begriffs „Hurerei" geht vor allem aus Hos 2 hervor, wo Hosea diesen Ehebruch der geliebten Frau Jahwes thematisiert. Hier ist zwar in der Mehrzahl der Verse deutlich Israel als diese Ehefrau erkennbar, teilweise aber, besonders in V. 5, ist sie auch Israels Land, und in vielen Versen sind beide Vorstellungen zu einer unlöslichen Einheit verbunden 3 2 . Der G r u n d besteht darin, daß Israels „Hurerei" die „Hurerei des Landes", mit der das Hoseabuch einsetzt (1,2), impliziert: Solange die Frau glaubt, d a ß sie ihren kostbarsten Besitz, das Land mit seinen Gaben, ihren „Liebhabern" verdankt, d. h. den Gottesdiensten auf den Opfer-Höhen, so lange hört das Land auf, Gabe Jahwes zu sein, für die ihm Israel Dank schuldet; es wird zum „Dirnenlohn" (2,14), den sich die Hure erworben hat und den der wahre Geber Jahwe daher verwüsten wird. Trotz des schillernden Charakters aber und trotz der vielfältigen Assoziationen, die dem Begriff „Hurerei" bei Hosea zu eigen sind - ob Israel oder das Land die Frau Jahwes bilden, ob der Begriff für den Höhenkult

11 Vgl. etwa einerseits H. W. WOLFF, BK XIV/1 z. St. und H. BALZ-COCHOIS, Gomer. Der Höhenkult Israels im Selbstverständnis der Volksfrömmigkeit, EHS.T 191, 1982, andererseits L. ROST, Erwägungen zu Hos 4,13 f., FS A. Bertholet, Tübingen 1950, 451 — 460, und W. RUDOLPH, Präparierte Jungfrauen? ZAW 75, 1963, 65-73, sowie zuletzt (mit wenig überzeugender Spätdatierung) NISSINEN, aaO. [Anm. 25] 216-219. 12 Vgl. dazu bes. C. GOTTFRIEDSEN, Die Fruchtbarkeit von Israels Land, EHS.T 267, 1985, 4 0 ff

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Jeremiahuch

allgemein oder speziell für seine Sexualriten steht - , bleibt der Begriff im Hoseabuch stets auf den Gottesdienst der Opfer-Höhen bezogen.

III. 2 Von diesem traditionsgeschichtlichen Hintergrund herkommend, haben die Kommentatoren des Jeremiabuches gemeinhin auch eine Fülle an Hinweisen auf den Kult der Opfer-Höhen in Jer 2-3 gefunden, weil Hoseas bildhafte Terminologie von Ehe, Ehebruch und Hurerei aufgegriffen wird. Diese Auffassung erscheint aber überaus zweifelhaft, sobald die neuen Akzente der Jeremiatexte gegenüber der aufgegriffenen Hoseatradition beachtet werden. Ich nenne drei Hauptunterschiede, die gewöhnlich übersehen worden sind: 1. D a s Gleichnis der Ehe Jahwes mit Israel ist für Hosea von höchstem sachlichen Gewicht, und zwar sowohl in seiner impliziten mythologischen Dimension, die das Schillern zwischen Volk und Land als Ehefrau ermöglicht, als auch in seiner anti-mythologischen und anti-kanaanäischen Funktion, um derentwillen Hos 2,4 ff. von Rechts- und Prozeßvorstellungen bestimmt ist. Die hier beobachtbare A u f n a h m e kanaanäischer Mythologie bei gleichzeitiger Polemik gegen sie prägt Hoseas Theologie auch sonst ständig (vgl. z. B. Hos 5,15-6,6). Demgegenüber vermeidet das Jeremiabuch das tiefgründige Gleichnis Hoseas bewußt. Obwohl die Kapitel Jer 2 3 die hoseanische Terminologie der „Hurerei" Israels vielfältig aufgreifen, formulieren sie das Gleichnis Hoseas stets zum bloßen Vergleich um, wo immer die dahinter stehende Vorstellung einer „Ehe" berührt wird 3 3 . Eindeutig ist das in Jer 3 , 1 - 5 der Fall: 1 Wenn ein M a n n seine Frau entläßt und sie von ihm geht und einen anderen heiratet, kann sie da wieder zu ihm zurückkehren? Würde da nicht völlig entweiht jenes Land? U n d du, die du mit vielen Buhlen gehurt, solltest zu mir zurückkehren dürfen? Spruch Jahwes. 2 Erhebe deine Augen zu den Höhen und sieh: Wo hast du dich nicht schänden lassen? A n den Wegen sitzend wartetest du auf sie wie ein Araber in der Wüste und entweihtest das Land durch deine Hurerei und Schlechtigkeit, 3 so daß der Regen versagt wurde und der Spätregen nicht kam...34.

33

Vgl. dazu ausführlich SCHULZ-RAUCH, aaO. [Anm. 16] 318 ff. - Sträflich übersehen wird dieser Sachverhalt zuletzt von A. WEIDER, Ehemetaphorik in prophetischer Verkündigung. Hos 1 - 3 und seine Wirkungsgeschichte im Jeremiabuch, fzb 71, 1993, 193 ff. 34 Übersetzung (und Textkritik) hier und im folgenden nach W. RUDOLPH, Jeremia, HAT 1/12, 3 1968, z.St. - Wesentlich ist, daß Jeremias Begriff für „Höhe", 'Dtf, in 3,2 keinerlei kultische Assoziationen beinhaltet.

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Die Erfahrung aus dem Rechtsbereich der Ehescheidung dient hier - im Unterschied zu Hos 1 - 3 - nur noch als Analogie und Modell für die Erwartung künftigen Gotteshandelns. Israels Verhalten gegenüber Gott wird steigernd von diesem Modell abgehoben, da G o t t Israel nie - wie der M a n n die Ehefrau im Fall der Scheidung - „entlassen" hat. Dennoch ist Israel nur auf „Hurerei mit vielen Buhlen" bedacht (s. u.), die in V. 2b allerdings sogleich durch den allgemeinen Begriff der „Schlechtigkeit" generalisiert wird. „Hurerei" aber macht Umkehr zu Jahwe unmöglich, wie 3,1 im Anschluß an Hosea 5,3 f., allerdings nun in rechtlichen Kategorien (Ehebruch), ausführt. Das Land ist wie bei Hosea in diese „Hurerei" von Anbeginn einbezogen, jedoch nur in dem allgemeinen und geläufigen Sinn, daß böses Handeln jeder Art das Ausbleiben der Fruchtbarkeit des Landes und damit eine Naturkatastrophe nach sich zieht 3 5 . Von einer gedanklichen Einheit von Volk und Land wie in Hos 2 (und H o s 9) kann keine Rede sein. Entsprechendes gilt noch eindeutiger für Jer 3,20: Wie eine Frau wegen ihres Buhlen die Treue bricht, so habt ihr mir die Treue gebrochen, H a u s Israel! - Spruch Jahwes.

Wieder ist die Erfahrung zerbrechender Ehe im zwischenmenschlichen Bereich deutlich als Modell für Israels Schuld gegenüber G o t t dargestellt. Der mythologische Hintergrund des Ehe-Themas bei Hosea klingt nicht einmal an. Der Hauptgrund ist wohl darin zu suchen, daß die „Buhlen" und „Liebhaber" der untreuen Ehefrau Israel, auf die sogleich zurückzukommen ist, auch nicht im entferntesten als Konkurrenten Jahwes erscheinen sollen. Sie werden charakteristischerweise nur in der Bildhälfte, nicht in der Sachhälfte des Vergleichs erwähnt; in letzterer steht nur die Verstoßung Jahwes zur Diskussion. Es geht in Jer 2 - 3 , wenn von Jahwe und „den Buhlen" die Rede ist, um die Differenz zwischen „lebendigem Wasser" und „rissigen Zisternen" (2,13) - darum wird jede sprachliche Wendung vermieden, die sie auf gleiche Ebene stellen würde. 2. D a die „Liebhaber" nicht mehr wie bei Hosea Rivalen Jahwes sind, haben sie auch jegliche Attraktion verloren. Unvorstellbar wäre in Jer 2 - 3 Hoseas zentraler Gedanke, d a ß die Hure Israel das Land ihren Liebhabern zuschreibt, insofern sie es sich im Liebesdienst erworben hat (Hos 2,14). In Jer 2 - 3 haben die „Liebhaber" Israel schlechterdings nichts anzubieten; sie heißen daher ^nn „Nichts", und wer sich mit ihnen einläßt, „verfällt dem Nichts" C?3n ni., Jer 2,5); oder sie heißen „Nichtsnutze" (2,8) bzw. „rissige Zisternen, die kein Wasser halten können" (2,13). Solche Begrifflichkeit ist

35 Vgl. Jer 5,25; 12,4; 23,10 u. ö. und zum Vorstellungshintergrund J. JEREMIAS, Kultprophetie und Gerichtsverkündigung in der späten Königszeit Israels, W M A N T 35, 1970, 129 ff.

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Hoseas Einfluß auf das

Jeremiabuch

umgekehrt im Hoseabuch ganz undenkbar. Die Konsequenz ist, daß aller Ton auf das unverständliche, ungehemmt-leidenschaftliche Verlangen der „ H u r e " Israel nach Kontakt mit den nutzlosen Liebhabern fällt (Jer 2,2325; 3,2 etc.). Jeremia ist der Form des Monotheismus, die bei Deuterojesaja ihren klassischen Ausdruck findet, weit näher gerückt als der ältere Vorgänger Hosea. 3. Obwohl Jer 2 - 3 ständig im Anschluß an Hosea von „Hurerei" und „Liebhabern" spricht, ist doch damit keineswegs ausgemacht, daß er wie Hosea auf den Opfergottesdienst der Höhen anspielt. Die formelhafte Wendung: „Auf jedem hohen Hügel und unter jedem grünen Baum legtest du dich als Dirne hin" (Jer 2,20), die stark an Hos 4,13 anklingt, ist schon deshalb kein schlüssiger Beweis, weil sie „sich klar dem dtr Sprachgebrauch zuordnet" 3 6 . „Die Funktion des D-Einsatzes (20b) ist wiederum die Konkretisierung der Verschuldung, die im Kontext in poetisch unbestimmter Weise metaphorisch ausgedrückt ist." 3 7 Wo Jer 2 - 3 innerhalb der poetischen Bildsprache spezifischer wird, wird insbesondere dreierlei über die „Hurerei" Judas ausgesagt: a) Judas sehnsuchtsvolles und die Frau verunreinigendes Einlassen mit den „Liebhabern", die hier ein einziges Mal in der älteren Jeremia-Überlieferung wie bei Hosea „die Baale" heißen (in der formelhaften Wendung „hinter den Baalen hergehen"), fand in ihrem „Treiben im Tal" ihren Ausdruck (2,23). Was immer damit konkret gemeint ist - „das Tal" ist vermutlich das Hinnomtal; gemeinhin hat man an Kinderopfer gedacht, SOGGIN38 hat Totenkult vorgeschlagen - , Opferkult auf den Höhen ist es gewiß nicht. Andere Anspielungen auf kultische Handlungen im Zuge der „Hurerei" gibt es nicht. b) Zweimal werden explizit Ägypten und Assyrien als Judas Ziel bezeichnet, wenn es den rechten Weg und damit Jahwe „verläßt" (2,18 f. 36). Damit wird die Übertragung der Hurerei-Thematik auf die Außenpolitik fortgeführt, die schon die Hoseatradition begonnen hatte; Hos 8,9 f. verspottet die Anbiederung des Nordreichs an Assyrien, indem die Tributleistung an die Großmacht als pervertierter Hurenlohn bezeichnet wird, den die Hure, statt ihn zu erhalten, aufwenden muß. Was bei Hosea aber nur am Rand anklingt, wird in Jer 2 breit ausgeführt. Zu den genannten Belegen sind vermutlich auch die Stellen zu rechnen, an denen Judas Hingabe und Liebe zu „den Fremden" genannt ist (2,25; 3,13). Wie „die Fremden" in der 36 W. THIEL, aaO. [Anm. 26] 82 mit Belegen; zu beachten ist besonders der Hinweis, daß die wörtlichen Entsprechungen der Formel sich gerade in den typisch dtr Versen I Kön 14,23 und 2 Kön 17,10 finden. 37 Ebd. - Zu den analogen Konkretisierungen der dtr Theologie bei der Baal-Thematik vgl. oben Abschn. II. 3 - 4 . Durch S. HERRMANNS Vermutung (s. u. Anm. 41), daß ähnliche Ergänzungen auch die folgenden Verse prägen, wird THIELS Analyse weiter gestützt. 38 R S O 36, 1961, 207-211 (= BibOr 29, 1975, 78-83).

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Hoseatradition die Feindmächte bezeichnen, die Israel seines Reichtums und seiner Eigenart berauben (Hos 7,9; 8,7), so gilt Entsprechendes anfangs wohl auch für Jer 2 - 3 . Verkannt worden ist dieser Sachverhalt vor allem darum, weil 3,13 in seiner dtr Endgestalt auf den Fremdgötterkult abzielt 39 . In der politischen Realität seiner Zeit ging es Jeremia vor allem um Judas illusionäre Hoffnung auf Ägypten; in 2,36 wird das Zuschandenwerden dieser Erwartung mit der zwischenzeitlich schon enttäuschten Hoffnung auf Hilfe durch Assyrien begründet und schon auf diese Weise das von Hosea überkommene Begriffspaar Ägypten-Assyrien aufgebrochen. In 4,30 schließlich werden die „Liebhaber", für die sich die Frau Juda schmückt, zu ihren Mördern. Die Intention all dieser Aussagen von Jer 2 - 3 führt damit sachlich näher an Jesaja (vgl. bes. Jes 30 f.) heran als an Hosea. c) Die dritte Aktualisierung des vorgegebenen Themenkomplexes der „Hurerei" und des „Hanges zu den Liebhabern" ist die kühnste: W i e fein weißt d u d e i n e n Weg, L i e b s c h a f t zu s u c h e n ! D r u m hast du auch ans Verbrechen deine Wege gewöhnt: f i n d e t sich d o c h a n d e i n e n S ä u m e n d a s Blut v o n e r s c h l a g e n e n U n s c h u l d i g e n . . . ! (2,33 f.)

Das fast schon geschmacklose Bild vom Blut am Hemd des liebestollen Mädchens 4 0 ist nur gewählt, um über das Stichwort des Bluts die Assoziation gewaltsam unterdrückten Lebens beim Leser wachzurufen. Blut schreit zu Jahwe als dem Geber des Lebens. Die „Liebschaft" des Mädchens ist die Sucht nach Macht und Reichtum durch Unterdrückung der Armen. Wie weit und kühn haben sich hier Jeremia und seine Tradenten von ihrer hoseanischen Vorlage fortbewegt! Es bleibt also zumindest höchst unsicher, ob Jeremia mit der sexuellen Sprache Hoseas auch seine Polemik gegen Gottesdienste auf den OpferHöhen aufgriff. Wenn S. H H R R M A N N mit seiner Vermutung im Recht ist, daß zahlreiche auf den Baalkult zielende Konkretionen der schillernden Bilder in Jer 2,20-28 erst prosaische Interpretationen eines poetischen Grundtextes sind 41 , wäre das Ergebnis noch weit eindeutiger.

IV. Natürlich ist mit diesen kurzen Notizen zu Jer 2 - 3 dem komplexen Problem von A n k n ü p f u n g an das Hoseabuch und Neuverwendung des Übernommenen nicht Genüge getan. Die Bilder in Jer 2 - 3 wechseln schnell und sind - 9 V g l . T H I E L , a a O . [ A n m . 2 6 ] 8 6 f. 40

Vgl. die sexuellen K o n n o t a t i o n e n des Begriffes in D t n 23,1; 27,20. S. HERRMANN, Jeremia - der Prophet u n d die Verfasser des Buches Jeremia, in: R M. BOGAERT (Hrg.), Le Livre de Jeremie, B E T h L 54, Louvain 1981, 197-214; DERS., Jeremia, B K XII/2, 1990, z. St. - Vgl. die produktive Weiterführung der Hypothese 41

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Hoscas Einfluß auf das

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selten eindeutig und eindimensional festzulegen. Fast immer überbrücken sie die Grenzen verschiedener Problemkreise. Wesentlich aber scheint mir die Feststellung zu sein, d a ß mit der Erkenntnis, daß Jer 2 - 3 vielfältig an Sprache und Bildwelt Hoseas anknüpft, noch wenig gewonnen ist. Bleibt es bei ihr, so besteht die große Gefahr, hoseanisches Denken und hoseanische Theologie unbesehen in das Buch Jeremia hineinzulesen und auf es zu übertragen. M. E. ist das besonders bei Hoseas Polemik gegen den Gottesdienst der Opfer-Höhen geschehen, und hier war diese Gefahr deshalb um so größer, als die dtr Theologie Hoseas Polemik im Rückblick auf die staatliche Zeit Israels und auf die josianische Reform generalisiert und pauschalisiert hat. Jedoch lebte Hosea im 8. Jh. und im Nordreich, Jeremia und seine Tradenten aber im 1.16. Jh. im Südreich unter sehr andersartigen Lebensumständen. Es bleibt Aufgabe einer verantwortungsvollen Traditionsgeschichte, den Gebrauch der überkommenen Sprache Hoseas, deren Kenntnis bei den Lesern offensichtlich vorausgesetzt wird, im Jeremiabuch zu untersuchen, d. h. die Frage zu stellen, für welche neuen Probleme die alte Sprache genutzt wurde 4 2 . Ein letztes Beispiel aus Jer 2 - 3 soll zeigen, wie weit Jeremiatexte von Hoseas Denken entfernt sein können, obwohl sie hoseanische Begrifflichkeit aufgreifen. In 3,23 bekennt Israel seine Schuld so: F ü r w a h r , trügerisch sind die H ö h e n u n d die M e n g e 4 3 der Berge; f ü r w a h r , n u r bei Jahwe, u n s e r e m G o t t , ist Heil f ü r Israel ...

Auch diesen Vers hat m a n üblicherweise wieder unbesehen auf den angeblich von Jeremia verurteilten Höhenkult bezogen. Bei näherem Zusehen besagt er, d a ß Israel irrig sein „Heil" (nS7Ttrn) von den Bergen erwartet habe, statt von seinem Gott, der allein es geben kann. Damit aber ist keineswegs auf eine hoseanische Vorstellung angespielt. D a ß Hilfe von den Bergen kommen könne, ist ein Gedanke verschiedener Psalmen (bes. Ps 121,1; vgl. etwa 68,16 f.; 87,1; 125,1 f.; 133,3), und das Bekenntnis zur alleinigen Hilfe Jahwes ist zentrale Thematik des 1. Gebots, insbesondere in seiner jesajanischen und noch mehr deuterojesajanischen Gestalt 4 4 . Die bewußt verschlüsselnde Sprache meint irregeleitete Heilserwartungen jeglicher Art. Die HERRMANNS bei R. LIWAK, Der Prophet und die Geschichte, BWANT 121, 1987. bes. 174 ff., und vor allem bei M . E. BIDDLE, A Redaction History of Jeremiah 2:1-4:2, A T h A N T 77, 1990, bes. 44 ff. 42 Diese Aufgabe bleibt auch bestehen, wenn die alte (und zuletzt im Blick auf Jer 2 - 3 neu von R . ALBERTZ, Jer 2 - 6 und die Frühzeitverkündigung Jeremias, ZAW 94, 1982, 2 0 47, begründete) Ansicht im Recht sein sollte, Jer 2 - 3 sei anfangs (mündlich!) an die Bewohner des ehemaligen Nordreichs gerichtet gewesen. 43 Hier trägt RUDOLPH Z. St. schon mit seiner Übersetzung von PAN mit „das Gelärm auf (den Bergen)" fremde G e d a n k e n in den Text ein. 44 Vgl. bes. Jes 45,24 u n d W. H. SCHMIDT, D a s erste Gebot, ThEx 165, 1969, 36 ff.; DERS. u. a., Die 10 Gebote im R a h m e n alttestamentlicher Ethik, E d F 281, 1993, 39 ff.

Hoscas Einfluß auf das Jeremiabuch

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beiden folgenden Verse unterscheiden dabei erneut - typisch für die ältere Jeremiatradition (vgl. oben II. 2) - zwischen der „Schande" (eine Verballhornung Baals), die das Nordreich in den Untergang führte, und der andersgearteten - „Schande", die Juda „bedeckt" (V. 24 f.). Die Erkenntnis, wie sehr die (ältere und jüngere) Jeremiatradition hoseanische Vorstellungen aufgreift, bleibt von hoher exegetischer Bedeutung. Aber sie darf nicht dazu führen, hoseanische Theologie in das Buch Jeremia einzutragen, sondern darf nur ein erster Schritt auf dem Wege sein, der zu dem Ziel führt, aufzudecken, wie Jeremia und seine Tradenten die überkommenen Konzeptionen für ihre eigene Zeit übersetzt und aktualisiert haben.

Amos

9. Arnos 3-6. Beobachtungen zur Entstehungsgeschichte eines Prophetenbuches. 1 In Lehrbüchern und Monographien zur Prophetie im Alten Testament aus jüngerer Zeit wird zumeist das Verhältnis zwischen (unheilvoller) Zukunftsaussage und begründeter (kritischer) Gegenwartsanalyse, zwischen Schuldaufweis und Gerichtsverkündigung als das zentrale Problem für die Deutung der klassischen Prophetie des 8. Jh.s genannt. In der Tat hängt von dieser Verhältnisbestimmung Wesentliches ab. Ob die Propheten primär scharfsinnige Analytiker ihrer Gegenwart waren und auf Wandel der Verhältnisse drängten oder aber die Ankündigung der feststehenden Zukunft Gottes als ihre Aufgabe wußten, ist für das Verständnis auch vieler Einzelworte der Propheten von zentraler Bedeutung 2 . Viel zu wenig reflektiert ist demgegenüber die Tatsache, d a ß wir das Selbstverständnis der klassischen Propheten den überkommenen Prophetentexten keineswegs unmittelbar entnehmen, sondern allenfalls in mühsamer redaktions- und überlieferungskritischer Analyse rekonstruieren können. Diese Rekonstruktion gelingt an manchen Stellen mit einiger Wahrscheinlichkeit, an anderen gar nicht mehr. Die Prophetenworte wurden eben nicht mit dem historischen Interesse an einem zurückliegenden „Damals" tradiert, sondern um ihrer jeweils neuen Gegenwartsbedeutung willen; die Prophetentexte spiegeln unmittelbar also das Prophetenverständnis der jeweiligen Tradenten wider und nicht dasjenige der redenden Propheten selber. A m geläufigsten ist dieser Sachverhalt für die dtr Propheteninterpretation 3 . Es ist deshalb ein kurzschlüssiges Vorhaben, „im Sinne einer grundsätzlichen methodologischen Forderung die konkrete Redesituation als Schlüssel zur Deutung der einzelnen Unheilsprophezeiung" erheben zu wollen 4 . Die Fälle, ' Überarbeitete Gastvorlesung an den Sektionen Theologie der Universitäten Greifswald und Rostock am 10. und 11.6.1987. 2 Vgl. etwa die Darstellung bei L. MARKERT - G. WANKE, Die Propheteninterpretation. Anfragen und Überlegungen, K u D 22, 1976, 191-220. 3 Vgl. W. H. SCHMIDT, Die deuteronomistische Redaktion des Amosbuches, ZAW 77, 1965, 168-193. 4 So J. M . SCHMIDT, Prophetie, in: H. J. BOECKER U. a., Altes Testament, Neukirchener Arbeitsbücher, 1983, 116.

Arnos 3-6.

Entstehungsgeschichte

eines

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Prophetenbuches

für die eine solche Forderung durchführbar wäre, sind insgesamt verschwindend gering. Nun gilt Arnos unter allen klassischen Propheten als derjenige, der uns hinter den auf ihn zurückgeführten Texten am unmittelbarsten in seiner mündlichen Verkündigung entgegentritt. Und das grundsätzlich sicher zu Recht. Es war ein großer Fortschritt innerhalb der Geschichte der Prophetenforschung, als H . G U N K E L und seine Freunde bzw. Schüler zu Beginn unseres Jh.s auf Gesetze der mündlichen Rede zu achten begannen und so den redenden Propheten wiederentdeckten. Sie beobachteten etwa, wieviele Redeformen anderer Berufsstände besonders von Arnos aufgegriffen und gegen die Erwartung der Hörer verfremdet werden, um deren Aufmerksamkeit in erhöhtem M a ß zu erreichen. Arnos kann beispielsweise den Ruf eines Priesters zur Wallfahrt anfangs stilecht aufnehmen („Kommt nach Bet-El!"), um diese den Hörern geläufige Aufforderung mit einer total konträren Zweckbestimmung zu versehen: „und übt Verbrechen" (Am 4,4). Er kann am hellichten Tage die getragene Weise der Klageweiber anstimmen („Gefallen ist, nicht steht mehr a u f . . . " ) , um plötzlich die beklagte Leiche mit der vor ihm stehenden, z. Zt. höchst lebendigen Hörerschaft zu identifizieren (5,2). Er kann in das Gewand eines Lehrers schlüpfen, um mit der Doppelfrage: Laufen Rosse über Felsen, oder pflügt m a n mit Rindern ,das Meer'?

die Sinnlosigkeit eines Verhaltens aufzuweisen (6,12) - mit dem Unterschied, daß das gerügte Verhalten in der üblichen Redeweise eine bestimmte Einzeltat gewesen wäre, während Arnos die Außerkraftsetzung des Rechtes als Ganzes beklagt, obwohl es rein äußerlich noch ausgeübt wird. In solchen Sätzen und vielen anderen tritt uns der redende Prophet noch nach 2'/2tausend Jahren unmittelbar entgegen. M a n glaubt, seinen Atem zu vernehmen, und braucht wenig Phantasie, um die Empörung der lauschenden Menge zu ahnen. Offensichtlich haben sich die bewußt schockierenden Worte unmittelbar dem Gedächtnis eingeprägt. Wer immer einen redenden Propheten des AT darstellen will, beginnt mit Arnos oder landet doch bald bei ihm. H. G U N K E L folgert: „Die Propheten sind ursprünglich nicht Schriftsteller, sondern Redner gewesen. Wer beim Lesen ihrer Schriften an Tinte und Papier denkt, hat von A n f a n g an verspielt ... Vor allem aber m u ß der gegenwärtige Leser, wenn er die Propheten verstehen will, völlig vergessen, daß ihre Schriften lange Jahrhunderte nach ihnen in einem heiligen Buche gesammelt worden sind. Nicht als Teile der Bibel lese er ihre Worte, sondern er versuche es, sie mitten in das Volksleben Israels hineinzusetzen, in dem sie einst gesprochen worden sind." 5 Er gibt dem Leser 5

H . GUNKEL, E i n l e i t u n g e n z u H . SCHMIDT, D i e g r o ß e n P r o p h e t e n , S A T I I / 2 ,

XXXVI.

2

1923,

144

Arnos 3~6. Entstehungsgeschichte

eines

Prophetenbuches

sodann Anweisungen, wie dies zu geschehen hat, indem er den Tempel mit seinen Toren schildert, die Stadttore als wichtigste öffentliche Plätze einer antiken Stadt und andere Orte prophetischen Auftretens. Wenn der Leser die äußeren Rahmenbedingungen eines Textes kennt - so ist die Meinung - , steht nichts mehr dem im Wege, d a ß er dem redenden Propheten begegnet, dessen Worte später sammelnde Schüler nur eben zusammenstellten. Dieser direkte Weg zum redenden Propheten - und sei es ein Arnos - ist uns heute verbaut.

I. Ich beginne mit einem relativ einfachen Beispiel. Wie seit langem erkannt, ist das Buch Arnos aus drei unterschiedlichen Teilen zusammengesetzt: einem Mittelteil, in dem die Mehrzahl der Worte des Arnos gesammelt und mit einem dreimaligen „Hört dieses Wort!" eingeleitet ist, und zwei Rahmenteilen, die größere Kompositionen zum Gegenstand haben: anfangs die strophisch gegliederten Völkerworte, am Ende die ebenfalls strophisch gegliederten Visionsberichte. Beide Rahmenteile bestanden sehr wahrscheinlich in ihrem Ursprungsstadium aus fünf Strophen, von denen je zwei paarweise angeordnet waren und die fünfte, isolierte - im Fall der Völkerworte: die Israelstrophe - den H a u p t t o n trug 6 . Diese beiden Rahmenteile waren auch im übrigen vielfältig aufeinander bezogen, wie ich an anderem Ort näher darlegen möchte 7 . Hier sollen nur kurz die fünf Visionsberichte gestreift werden. Zunächst zeigt die Tatsache, daß die ersten vier Visionen paarweise angeordnet sind - die Gemeinsamkeiten zwischen den Paaren reichen bis ins einzelne - , daß sie auch paarweise ausgelegt werden wollen. Zweimal bekommt Arnos anfangs ein furchtbares Unglück zu sehen, das Israel in seiner Existenz gefährdet: zunächst einen gefräßigen Heuschreckenschwarm, der die gesamte Ernte vernichtet, d a n n in deutlicher Steigerung einen Feuerregen kosmischen Ausmaßes, der die Äcker vertilgt. Beide Male bricht er in die spontane Fürbitte aus: Mein Herr Jahwe, vergib doch (beim zweiten Mal zaghafter: Halt doch ein)! Wie soll Jakob bestehen, er ist doch so klein!

Beide Male erreicht sein Appell Gottes Ohren: D a tat es Jahwe leid: Es (bzw. auch dies) soll nicht geschehen, hat Jahwe gesagt.

6 Vgl. zuletzt H. GESE, Komposition bei Arnos, VT.S 32, 1981, 74-95 (= Atl. Studien, Tübingen 1991, 94-115). 7 Vgl. den folgenden Beitrag.

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Doch dann folgt das zweite Visionenpaar, und es verläuft total anders. Beide Male bekommt Arnos von G o t t einen Gegenstand gezeigt; beide Male wird er nach dem Geschauten gefragt und m u ß über der Antwort den Symbolgehalt der Vision erkennen, die jeweils verheerenden Charakter hat. Beide Visionen lassen keinen Einspruch des Propheten mehr zu: Ich k a n n nicht m e h r (verschonend) an ihm (d. h. Israel) vorübergehen.

Die grauenhafte fünfte und letzte Vision zeigt Arnos dann, wie Jahwe selber sein Heiligtum zerstört und damit den Gotteskontakt zukünftig unmöglich macht. Alle Flucht - und sei es in Himmel und Hölle - führt in die strafende, tötende H a n d Gottes. Arnos ist in den Visionen einen Weg geführt worden, der für ihn ein unumkehrbarer Weg war. Er hat lernen müssen, d a ß es eine Grenze für seine prophetische Fürbitte gibt, wenn Israels Schuld übergroß geworden ist. Er hat die Visionen nacheinander empfangen, je einzeln, wie die verschiedenen Zeitangaben verdeutlichen. Aber sie sollen und dürfen nicht mehr einzeln ausgelegt werden, sondern nur noch als die Sacheinheit aus fünf Visionen, als die Arnos sie veröffentlichte, um seine Botschaft zu verteidigen. Mit dieser Veröffentlichung legt er dar, d a ß er selber sich nie nach dem unerbittlichen Gericht Jahwes, das er verkünden muß, gesehnt hat. Aber er hat lernen müssen, daß Gottes Geduld eine Grenze hat, jenseits derer auch ein Prophet G o t t nicht mehr umstimmen kann. Diesen Weg des Arnos wollen die Visionen belegen und nicht die jeweilige Einzelsituation, die allenfalls hinter dem Text erspürbar oder rekonstruierbar ist. U n d schon der Weg, den Arnos selber darstellen will, ist nur beschreibbar, wenn die Visionsberichte zuvor von den Aktualisierungen befreit sind, die ihr gegenwärtiges Verständnis prägen (Am 7, 9 ff.; 8,3 ff.). Aus Am 7 - 9 geht deutlich hervor, d a ß schriftliche Prophetentexte darin grundsätzlich von mündlichen Worten unterschieden sind, daß sie schon eine abgeschlossene Verkündigungsepoche überblicken, ob diese nun kurz oder lang ist. Jesaja schreibt seine berühmte Denkschrift nach Abschluß des syrisch-efraimitischen Krieges und reflektiert damit längst die Wirkung, die sein abgewiesenes Wort im Auftrag Gottes erzielt hat 8 . Jeremias Rolle, die der König Jojakim im Feuer verbrennt, ist eine Zusammenfassung aller seiner bisherigen Worte und wird als solche von ihm neu erstellt. Diese Sammlungen spiegeln Jahwes Willen gegenüber seinem Volk umfassender wider, als es ein Einzelwort je vermöchte. Hinzu kommt ein Zweites. Der schriftliche Text weitet den Adressatenkreis eines Prophetenwortes implizit aus. Nicht mehr nur die einzelne G r u p p e (z. B. Politiker, Priester oder Propheten), zu der sich der redende Prophet ursprünglich von G o t t gesandt wußte, ist jetzt vom Gotteswort betroffen, sondern in gleicher Weise Mens Nach O. KAISER (ATD 17, 5 1981, 122 f.) erstreckt sich die Reflexion des Textes auch auf das Exil als Ergebnis dieser Abweisung.

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sehen anderer Berufe, die schon in späteren Zeiten leben mit andersartigen Erfahrungen und jetzt das Prophetenwort lesen. Das mündliche Wort war zunächst für eine einzelne unverwechselbare geschichtliche Stunde gedacht; das schriftliche Wort beansprucht Geltung über diese Stunde hinaus. Das gilt insbesondere dann, wenn die Rede des Propheten bei ihren ersten Hörern ihr Ziel nicht erreicht hatte und Gottes Wort scheinbar vergeblich gesprochen worden war, im schriftlichen Text nun aber neue Hörer sucht. Aus diesen Überlegungen ergibt sich für eine theologische Deutung eines einzelnen Prophetentextes zwingend die Notwendigkeit, um seines Kontextes willen die Gestaltung eines Prophetenbuches in seiner Gesamtintention möglichst genau zu erhellen. Das soll hier nur ansatzweise für den Mittelteil des Amosbuches geschehen, der - wie schon erwähnt - von den beiden großen literarischen Blöcken der Völkersprüche und der Visionsberichte gerahmt wird. Die formale Ausprägung dieses Mittelteiles erscheint - im Unterschied zu den Rahmenblöcken - nur locker geordnet und wenig planmäßig gestaltet, wenn m a n sie oberflächlich betrachtet.

II.

N u n ist die Frage nach dem Kontext eines Amostextes allerdings dadurch erschwert, daß man keineswegs einfach beim fertigen Buch Arnos einsetzen kann. Das Buch Arnos hat nicht nur eine, sondern mehrere Ausgaben erlebt; die Amosworte müssen also nicht nur in einem, sondern in mehreren Zusammenhängen gedeutet werden. Schon beim flüchtigen Lesen lassen sich in A m 3 - 6 verschiedene Merkmale einer bewußten Grobgliederung unterscheiden: der Aufruf „Hört dieses Wort" als Einleitung der Kapitel 3 - 5 und die im Kontext so auffälligen „Doxologien" in 4,13 und 5,8(f.). Jedoch liegen beide Gliederungsprinzipien nicht auf einer Ebene. Bleibt das erste auf Am 3 - 5 beschränkt (und wird in 5,18 und 6,1 durch ein doppeltes „Wehe" fortgeführt 9 ), so zielt das zweite auf die Schlußdoxologie in 9,5 f. ab, mit der das Amosbuch aller Wahrscheinlichkeit nach einmal geendet hat. Die Doxologien gliedern also zumindest A m 3,1-9,6, eher aber, wenn man ihnen mit W O L F F und K O C H auch Am 1,2 zuordnen darf 1 0 , A m 1,2-9,6, also nicht nur den Mittelteil des Amosbuches, sondern auch die beiden Rahmenteile. Die Kapitel A m 3 - 6 haben demnach offensichtlich mindestens zwei verschiedene Ausgaben erlebt bzw. - da man den späteren Abschluß in 9 , 7 ' Die traditionelle Auflassung, schon in 5,7 liege ein erstes „Wehe" vor, beruht auf einer willkürlichen Konjektur; vgl. u. Anm. 16 zu KOCH. 10

Vgl. H . W. WOLFF, B K X I V / 2 , (1969) M985, z. St.; K . KOCH, D i e Rolle

der

hymnischen Abschnitte in der Komposition des Amos-Buches, ZAW 86, 1974, 504-537;

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15 gesondert zu rechnen haben wird - mindestens drei. N ä h m e m a n die aufgrund ihrer Sprache leicht isolierbaren deuteronomistischen Verse" als Anzeichen einer weiteren Ausgabe, wäre m a n schon bei deren vier. Ich selbst bin der Überzeugung, die ich andernorts begründen will 12 , daß die Doxologien und die mit ihnen zusammenhängende Bußliturgie in Am 4 , 6 - 1 2 den Fall Jerusalems voraussetzen. Zur Vereinfachung des Gedankenganges möchte ich daher für das Folgende im Sinne einer Arbeitshypothese die Doxologien und die deuteronomistische Redaktion des Amosbuches zusammennehmen als Bestandteile einer gemeinsamen exilischen Ausgabe des Amosbuches. Von ihr wäre sowohl die nachexilische Endfassung des Buches als auch die ältere Sammlung der „Worte des Arnos" (1,1) durch die Prophetenschüler zu unterscheiden, der sich dieser Aufsatz primär zuwenden möchte 1 3 .

III. Während die nachexilische Letztausgabe des Buches im wesentlichen nur den Anhang 9,7-15 zugefügt und im übrigen in die Gestalt der Kapitel 3 - 6 kaum eingegriffen zu haben scheint 14 , ist zunächst unklar, ob sich die ältere Sammlung der „Worte des Arnos" noch einigermaßen deutlich rekonstruieren läßt; die exilische Ausgabe des Amosbuches kann ja in ihre Ordnung eingegriffen haben. N u n braucht m a n sich allerdings mit dieser allgemeinen Erwägung nicht zufriedenzugeben. Einerseits lassen sich, wie im folgenden

530 ff; DURS, und Mitarbeiter, Amos. Untersucht mit den Methoden einer strukturalen Formgeschichte, AOAT 30, 1976, Teil 2, 1 ff. 11

Vgl. o. A n m . 3 s o w i e H . W. WOLFF, a a O . 137 f.

12

Vgl. „Die Mitte des Amosbuches", u. S. 198 ff. 11 Mit drei Stadien der Buchentstehung rechnet auch R. B. COOTE, Amos among the Prophets. Composition and Theology, Philadelphia 1981, wobei für ihn freilich zwei dieser Stadien noch in die vorexilische Zeit fallen. Vgl. an neueren redaktionsgeschichtlichen Studien zu A m o s im übrigen: R. E. MELUGIN, The Formation of Amos: An Analysis of Exegetical Method, SBL 1978 Seminar Papers, Vol. I, 369-391; C. COULOT, Propositions pour une structuration du livre d ' A m o s au niveau rédactionel, RevScRel 51, 1977, 169186; J. VERMEYLEN, DU prophète Isaïe à l'apocalyptique Bd. II, Paris 1978, 519 ff.; A. SPREAFICO, Amos: Struttura formale e spunti per una interpretazione, RivBib 29, 1981, 147-176; A. VAN DER WAL, The Structure of Amos, JSOT 26, 1983, 107-113; V. FRITZ, Amosbuch, Amos-Schule und historischer Amos, in: DERS. U. a. (Hrg.), Prophet und Prophetenbuch, FS O. Kaiser, BZAW 185, 1989, 29-43; H. RÖSEL, Kleine Studien zur Entstehung des Amosbuches, VT 43, 1993, 88-101. 14 Sieht m a n einmal von den häufiger diskutierten Versen bzw. Versteilen 5,9.13.22aa; 6,5ba und von plerophorischen Gottesprädikationen ab, kommt m. E. am ehesten 3,13 f. als nachexilische Deutung innerhalb von A m 3 - 6 in Betracht; vgl. den Beitrag „Jakob im Amosbuch", u. S. 257 ff., bes. S. 265 ff Zu 9 , 7 - 1 5 vgl. bes. P. WEIMAR, Der Schluß des Amos-Buches, BN 16, 1981, 60-100.

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Abschnitt darzulegen ist, deutliche Kompositionsmerkmale der älteren Sammlung ausmachen, andererseits lassen sich aber auch Gesichtspunkte benennen, nach denen in der exilischen Ausgabe Worte neu angeordnet wurden, also vermutlich schon IV2 Jahrhunderte nach der ersten schriftlichen Ausgabe. Vor allem zwei Textbereiche sind zu nennen, in denen Eingriffe der Neuausgabe der Amosworte zur Zeit des Exils in die ältere Anordnung vorstellbar sind, also nicht nur erläuternde Ergänzungen eines vorliegenden Textbestandes. Der erste Fall betrifft Am 4,4-5. Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, d a ß dieses kultkritische Wort, das formal in sich geschlossen ist und für zeitgenössische Leser erkennbar Priesterrede aufgriff und parodierte, mündliche Verkündigung des Arnos - allerdings komprimiert widerspiegelt. Jedoch ist es im gegenwärtigen Kontext unlöslich bezogen auf die jüngere Bußliturgie in 4,6 ff., und zwar sowohl formal als auch inhaltlich. Der Einsatz der Bußliturgie mit „Aber ich meinerseits habe euch blanke Zähne gegeben ..." kann keinen absoluten Anfang gebildet haben, ist vielmehr als Opposition zu V. 5b: „... denn so liebt ihr es, ihr Israeliten" gemeint. Auch inhaltlich bedarf die Liturgie einer solchen Vorgabe, will sie Israel doch vor Augen halten, d a ß die zahlreichen Schläge Gottes, die das Gottesvolk getroffen haben und zur U m k e h r führen wollten, verdient waren; zum Nachweis der Angemessenheit der göttlichen Strafen dient 4,4 f. O b dagegen A m 4,4 f. im älteren Amosbuch der Schüler schon auf 4 , 1 - 3 folgte, ist höchst ungewiß, ja eher unwahrscheinlich, da Am 3,9-4,3 ausschließlich Worte gegen die Bewohner Samarias anführen, die Thematik des Gottesdienstes im übrigen aber erst mit Kap. 5 eingeführt wird, hier aber sehr grundsätzlich und ausführlich. Möglich, aber weniger wahrscheinlich ist, daß auch in Kap. 5 eine Neuordnung vorliegender Amosworte stattgefunden hat. Wie man in jüngerer Zeit mit zunehmender Deutlichkeit erkannt hat, ist Am 5,1-17 als kunstvolle Ringkomposition gestaltet 1 5 . Die Leichenklage angesichts des unaufhaltsamen Todes Israels bildet in dieser Komposition den äußeren Rahmen (V. 1 - 3 . 1 6 f.), der Aufruf zum „Suchen" Jahwes bzw. des Guten einen inneren Rahmen (V. 4 - 6 . 1 4 f.); im äußeren Kern steht der Schuldaufweis (V. 7.10-12), im Zentrum aber, auf das alle Gedanken hinführen und von dem aus sie gedeutet werden wollen, steht die Doxologie (V. 8 f.); im Schema ausgedrückt: A (V. 1 - 3 ) - B (V. 4 - 6 ) - C (V. 7) - D (V. 8 f.) - C ' (V. 10-12) - B' (V. 14 f.) - A' (V. 16 f.) 16 . Fraglich ist hier, ob schon vor der 15 Zwei N a m e n mögen hier stellvertretend für andere stehen: J. DE WAARD, The Chiastic Structure of A m o s V 1 - 1 7 , V T 27, 1977, 170-177; N. J. TROMP, A m o s V 1 - 1 7 . Towards a Stylistic and Rhetorical Analysis, OTS 23, 1984, 5 6 - 8 4 . 16 Weil KOCH diesen Aufbau verkennt, vermag er die Funktion der zweiten Doxologie in 5,8 f. nur sehr unbefriedigend zu erklären. Auch die schon genannte traditionelle Konjektur eines „Wehe" in 5,7 oder gar die Umstellung ganzer Wortblöcke (W. RUDOLPH,

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Einführung der Doxologie eine aus den Gliedern A - B - C gebildete ältere Ringkomposition bestand, oder ob die Ringkomposition erst auf die exilischen Tradenten zurückzuführen ist. Auch wenn in dieser Frage keine letzte Sicherheit zu erreichen ist, sprechen die Argumente mehr für die erstgenannte Möglichkeit, wie ich in einem späteren Beitrag aufweisen möchte 1 7 . So zeigt also das Beispiel A m 4 , 4 - 1 3 (und eventuell zusätzlich 5,1-17), daß die exilische Ausgabe des Amosbuches nicht nur erläuternde Ergänzungen einem schon vorliegenden Textbestand zufügte, sondern zumindest einen Textbereich neu anordnete, um einem unbußfertigen Israel den Lobpreis des richtenden und strafenden Gottes als seine vornehmste Aufgabe vor Augen zu halten (vgl. 1 Kön 8,33 ff.).

IV. Trotz dieser Einschränkung lassen sich die älteren Ordnungsprinzipien der Amosschüler im Groben klar erkennen. Die drei anfänglichen Aufrufe „Hört dieses Wort", mit denen die Kapitel 3 - 5 einsetzen, sind bei näherem Zusehen nicht gleichgewichtig. Dem mittleren Aufruf in 4,1 fehlt nämlich einerseits der Relativsatz, der 3,1 und 5,1 kennzeichnet, und zum anderen sind die im Vokativ Angeredeten eine beschränkte G r u p p e - die vornehmen Frauen Samarias - im Unterschied zu der umfassenden Begrifflichkeit in 3,1 und 5,1 l 8 . Erst wenn man gesehen hat, daß 4,1 nur die kleine Einheit 4 , 1 - 3 einleiten will, wird der Weg frei zu einem Vergleich der Einleitungen 3,1 und 5,1 und damit der Kapitel 3 - 4 einerseits und 5 - 6 andererseits. Dieser Vergleich ist m. E. konstitutiv für das Verständnis des Amosbuches und insbesondere der Kapitel 3 - 6 in ihrer ältesten Gestalt. Zweierlei unterscheidet 3,1 und 5,1 voneinander. Hört dieses Wort, das Jahwe gegen euch geredet hat, ihr Israeliten! (3,1) Hört dieses Wort, das ich gegen euch als Leichenlied anhebe, Haus Israel\ (5,1)

Auffällig ist schon die verschiedene Anrede. Sie ist keineswegs auf das Bedürfnis nach stilistischer Variation zurückzuführen. Das geht zwingend aus der Beobachtung hervor, daß die Kapitel 3 - 4 ausschließlich „ihr Israeliten" 0?mtP'> '33: 3,1.12; 4,5), die Kapitel 5 - 6 ebenso ausschließlich „ H a u s Israel" OKltT'' rP3: 5,1.3.4.25; 6,1.14) als Bezeichnung des Gottesvolkes gebrauchen. Die L X X hat dieses Problem erkannt und gleicht 3,1 an den Sprachgebrauch von 5,1 ff. an. Wozu aber wird diese unterschiedliche Begrifflichkeit verwendet? KAT XIII/2 z.St.) sind Maßnahmen, die auf einen irrtümlich als gestört empfundenen Textbestand reagieren wollen. 17 „Tod und Leben in Am 5,1-17", u. S. 214 ff. 18 Dies hat schon KOCH, aaO. [Anm. 10] Bd. II 107 f., erkannt.

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Diese Frage wird erst beantwortbar, wenn die zweite Differenz hinzugenommen wird. A m 3,1 leitet Gotteswort ein, Am 5,1 Prophetenwort. Die im übrigen parallele Gestaltung der beiden Einleitungen bei je unterschiedlicher Anrede zeigt, d a ß hier eine programmatische Differenz vorliegt. Daraus folgt, d a ß A m 3 - 4 zwingend vor A m 5 - 6 gehört. Das Leichenlied des Propheten ist Antwort auf das Unheilswort Gottes. Dem entspricht die Beobachtung WOLFFS, daß „ihr (die) Israeliten" (wie einfaches „Israel" und „mein Volk Israel") Bezeichnung des Gottesvolkes ist, an dem G o t t gehandelt hat, während „Haus Israel", primär den Staat des Nordreichs benennt' 9 . Der Staat geht seinem Untergang entgegen, weil das Gottesvolk versagt hat; auch diese Reihenfolge ist nicht umkehrbar.

V. Die programmatische Unterscheidung zwischen Gottes- und Prophetenwort läßt auch eine Reihe von Einzelworten in neuem Licht erscheinen. Am deutlichsten erklärt sich aus ihr, d a ß A m 3 - 4 mit 3,3—820 eine längere Passage enthält, in der es um die Legitimation des Propheten geht, während ein entsprechender Passus in Kap. 5 - 6 fehlt, hier aber auch gar nicht zu erwarten ist. Hat m a n die Funktion von 3,3-8 als Legitimation des Propheten zum Aussprechen des Gotteswortes erkannt, wird die jüngst geäußerte Vermutung zur Gewißheit, d a ß der voranstehende Vers A m 3,2 N u r e u c h h a b e ich e r k a n n t u n t e r allen S i p p e n d e r Erde, d a r u m a h n d e ich a n e u c h alle e u r e Vergehen!

nicht als Einzelwort des Arnos gedeutet werden will, sondern als eine thematische Zusammenfassung des Gotteswortes in den Kapiteln 3 - 4 2 1 . Es gewinnt damit ein ungleich größeres sachliches Gewicht. Es faßt nicht nur die Einzelworte in 3,9 ff. zusammen, gibt nicht nur ihren gemeinsamen G r u n d t o n an, sondern legt zugleich dar, warum es der besonderen Legitimation des Propheten bedarf: nicht etwa, weil Arnos - wie jeder andere Prophet auch - beansprucht, Gottes Wort zu sagen, sondern weil er behauptet, die Stunde des göttlichen 7p>D sei gekommen, bzw., um es in der Sprache Hoseas auszudrücken, „die Zeit (wörtlich: die Tage) der m p D " (Hos 9,7). Dieser Begriff, der häufig neutral die „dienstaufsichtliche Ü b e r p r ü f u n g " bedeutet, bezeichnet bei den Tradenten von Arnos und Hosea stets nur das negative Ergebnis einer solchen Überprüfung und damit die sich aus ihr ergebenden Konsequenzen: G o t t ist genötigt, Schuld zu 19

AaO. 199 f. G e n a u e r : 3,3-6.8; V. 7 ist a n e r k a n n t e r m a ß e n Bestandteil der dtr Redaktion. 21 MELUGIN, aaO. [Anm. 13] 380 f. N ä h e r e s d a z u im Beitrag „Die A n f ä n g e des D o d e k a p r o p h e t o n " , o. S. 34 ff. 20

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„ahnden" 2 2 ; und diese Schuld ist um so unverständlicher, als ihr die exklusiv auf Israel gerichtete und in der Geschichte singulare Zuneigung Gottes gegenübersteht (V. 2a). Umgekehrt erfolgt Gottes t p 3 um dieser Zuneigung willen, die Israel verändern und in seinem Verhalten prägen wollte, nur um so härter. Es ergibt sich somit, daß A m 3 , 1 - 8 insgesamt als Überschrift für A m 3 - 4 gedacht ist: V. 1 (genauer: V. la) kündigt das Gotteswort an, V. 2 faßt es thematisch zusammen, und V. 3 - 8 bietet die Legitimation des Propheten zum Aussprechen dieses Wortes, bevor es in V. 9 ff. mit Einzelworten des Arnos belegt wird. Dieser überschriftartige Charakter von A m 3 , 1 - 8 läßt sich noch durch weitere Beobachtungen erhärten. 1. Wie schon mehrfach gesehen, bilden 3,1 und 3,8 eine Inklusion. Das „Wort" das Jahwe nach dem Anfangsvers 3,1 „geredet hat" (1D1), ist identisch mit jenem „Reden" Gottes ("DT 3,8), das der Prophet am Ende des Gedankenganges mit dem Löwengebrüll identifiziert. Diese Identifikation verdeutlicht, daß das Brüllen des Löwen die Weise ist, in der Israel das göttliche IpS, von dem 3,2 spricht, erfährt. Die Legitimationsperikope Am 3,3-8 will keineswegs nur - wie sie oft mißverstanden wurde - den Zwangscharakter prophetischer Verkündigung generell darlegen, sondern weit spezifischer den auf Arnos liegenden Zwang, Bote des göttlichen l p S zu • 21 sein '. Das mit dem Gotteswort verbundene Löwenbild von 3,8 ist umklammert von zwei weiteren Verwendungen des Bildes, die seinen Gebrauch in 3,8 festlegen. Vorwegnehmend ist schon innerhalb von 3 , 3 - 8 in 3,4 davon die Rede, daß der Löwe nicht ohne R a u b brüllt, und dieser Satz, der bei flüchtigem Lesen wie ein beliebiges Beispiel für Ursache-Wirkung-Zusammenhänge klingen könnte, gewinnt durch die Beziehung auf G o t t in 3,6 und 3,8 notwendig die Assoziation, daß jenes Israel, dem Jahwes IpD gilt, zum „ R a u b " des „Löwen" geworden ist, den er „gefangen hat" und nicht wieder preisgibt. Die dritte Verwendung des Bildes in 3,12 präzisiert das Bild in einer letzten Hinsicht: Wo der Löwe zuschnappt, als der Jahwe nun Israel erscheint, ist „Rettung" schlechterdings ausgeschlossen. „Wadenbein" und „Ohrläppchen", die „gerettet" werden, sind nach altem Hirtenrecht Beweisstücke dafür, daß ein Schaf vom Löwen gerissen wurde. Somit ist das Löwenbild in 3,4.8.12 die wesentliche Auslegung dessen, was Jahwes 7pD für Israel bedeutet, nämlich: den Tod. 22 Vgl. J. JEREMIAS, Der Prophet Hosea, A T D 24/1, 1983, 32 mit Literatur; anders im Blick auf die Ableitung G. ANDRÉ, Determining the Destiny. P Q D in the Old Testament, CB.OT 16, 1980. 21 Vgl. die Auslegung von WOLFF z.St. sowie S. MITTMANN, Gestalt und Gehalt einer

prophetischen Selbstrechtfertigung ( A m 3,3-8), T h Q

151, 1971, 1 3 4 - 1 4 5 ; B. RENAUD,

Genèse et Théologie d ' A m o s 3,3-8, FS H. Cazelles, hrg. von A. CAQUOT und M. DELCOR, A O A T 2 1 2 , 1981, 3 5 3 - 3 7 2 .

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2. Die gleiche Textbezogenheit wie das Löwenbild zeigt in der Legitimationsperikope das Bild der Stadt. Wo die doppelgipflige Legitimationsperikope A m 3 , 3 - 8 zu ihrem ersten Höhepunkt gelangt, bei dem der Bereich der Tierwelt (V. 4 - 5 ) verlassen wird und die menschliche Gemeinschaft berührt wird, fällt überraschend und unvorbereitet zweimal das Stichwort „Stadt" (V. 6a.b). In der Stadt geschieht Unheil, das Jahwe bewirkt, und deshalb wird in der Stadt das Alarmhorn geblasen, das die Menschen ebenso in Schrecken versetzt, wie es das Brüllen des Löwen tut (V. 4). Warum aber gerade „in der Stadt"? Die Antwort gibt der Kontext eindeutig. Die „Verschuldungen", die Jahwe als brüllender Löwe „ahnden" will, sind primär die Vergehen der Hauptstadt. Alle Einzelworte des Arnos, die unzweifelhaft von dem einleitenden Satz in 3,1 in der älteren Sammlung von Amosworten als Gotteswort eingeleitet wurden, sind Worte gegen Einwohner Samarias (3,9-4,3) 2 4 . Für A m 3,3-8 ergibt sich aus diesen Beobachtungen eine ganz analoge Folgerung wie für A m 3,2: So gewiß die rhetorische Gestaltung des Wortes dafür spricht, daß es auf mündliche Verkündigung des Arnos zurückzuführen ist, so gewiß ist diese mündliche Verkündigung nicht mehr rekonstruierbar. A m 3 , 3 - 8 soll nicht mehr als Einzelwort gelesen werden, sondern als ein Wort, das unlöslich auf die Ankündigung des 7pQ Jahwes (3,2) und auf dessen Durchführung in 3,9 ff. bezogen ist. Es definiert die Funktion des Propheten in diesem Kontext.

VI. Die analogen Beobachtungen zur Struktur des Prophetenwortes in Am 5 ( - 6 ) sind mit einem höheren G r a d an Unsicherheit belastet, weil der Aufbau des Kapitels möglicherweise die Amosdeutung der späteren Buchausgabe im Exil widerspiegelt, wie wir sahen. Mancherlei Beobachtungen können dennoch zumindest große Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen. 1. Wenn der Prophet sein eigenes Wort, das vom Gotteswort in Kapitel 3 - 4 unterschieden ist und auf dieses antwortet, als „Leichenklage" ( n r p ) einführt, so mag zwar in mündlicher Verkündigung eine solche Ankündigung speziell auf 5,2 bezogen gewesen sein, im gegenwärtigen Kontext aber gilt sie für das Ganze: insbesondere für die Totenklage der Landarbeiter auf den öffentlichen Plätzen (5,16 f.) und für die folgenden Weherufe, die formgeschichtlich der Leichenklage entnommen sind (5,18 ff.; 6,1 ff.), sowie für die Beschreibung der Häuser voller Leichen in 6,9 ff. Der Tod ist das beherrschende Thema von A m 5 - 6 , das dem göttlichen 7pD von A m 3 - 4 entspricht. 24

Zu 4,4 f. als Einleitung von 4 , 6 - 1 3 vgl. o. III.

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2. D a b e i dürfen die beiden W e h e r u f e im schriftlichen T e x t nicht nur a u f die u n m i t t e l b a r folgenden Verse bezogen werden, die sie f o r m a l b e s t i m m e n . V i e l m e h r sind 5 , 1 8 - 2 7 und 6 , 1 - 1 4 g a n z a n a l o g a u f g e b a u t , und z w a r jeweils vierteilig: A u f den W e h e r u f im engeren Sinne ( 5 , 1 8 - 2 0 ; 6 , 1 - 7 ) folgt 2 ) in der G o t t e s r e d e die sachliche B e g r ü n d u n g mit N e n n u n g dessen, was J a h w e zuwider ist („ich hasse . . . " , 5 , 2 1 - 2 4 ; 6 , 8 - 1 1 ) , um s o d a n n 3) in eine didaktische F r a g e zu m ü n d e n , die a u f E i n s i c h t der L e s e r aus ist ( 5 , 2 5 ; 6 , 1 2 f.), bevor der A b s c h l u ß z u m A n f a n g z u r ü c k k e h r t und J a h w e beim Vollstrecken des Todesurteils beschreibt ( 5 , 2 7 ; 6 , 1 4 ) . Auffällig ist bei diesem A u f b a u vor allem die zentrale Stellung der F r a g e n . D i e prophetischen L e i c h e n k l a g e n sind offensichtlich n o c h a u f E i n s i c h t aus, sei es, d a ß sie (in A n l e h n u n g an die B o t s c h a f t H o s e a s ) an die heilvollen A n f ä n g e G o t t e s mit Israel in der W ü s t e erinnern ( 5 , 2 5 ) , sei es, d a ß sie das A u g e n m e r k a u f die R e c h t s o r d n u n g richten, die a u ß e r K r a f t gesetzt wurde ( 5 , 2 4 ; 6 , 1 2 ) . 3. A n a l o g e s gilt a b e r a u c h für 5 , 1 - 1 7 , wo inmitten von L e i c h e n k l a g e n zweimal der A u f r u f zum „ S u c h e n J a h w e s " laut wird ( 5 , 4 - 6 ) , der durch den A u f r u f z u m „ S u c h e n des G u t e n " a u f g e n o m m e n wird. Dieses „ G u t e " ist seinerseits wesentlich mit d e m „ A u f r i c h t e n des R e c h t s im T o r " identisch ( 5 , 1 4 f.). S o b e h u t s a m die R e t t u n g s m ö g l i c h k e i t a u c h beschrieben wird - sie gilt unter dem V o r b e h a l t des göttlichen „ V i e l l e i c h t " (vgl. Z e f 2 , 3 ; J o n 3,9), und sie gilt nur einem „ R e s t J o s e f s " ( 5 , 1 5 b ) deutlich ist, d a ß für die S c h ü l e r des Arnos, die seine W o r t e z u s a m m e n s t e l l e n , die F o r m der prophetischen L e i c h e n k l a g e nicht ein absolutes und definitives E n d e m a r k i e r t , sondern zur Besinnung in letzter S t u n d e ruft. 4. B e a c h t u n g verdient in diesem Z u s a m m e n h a n g , d a ß die R e c h t s t h e m a tik im A m o s b u c h nicht im Z u s a m m e n h a n g des göttlichen "TpD begegnet als dessen B e g r ü n d u n g , sondern im u n m i t t e l b a r e n o d e r d o c h näheren K o n t e x t j e n e r Sätze, die n o c h a u f E i n s i c h t der B e t r o f f e n e n hoffen ( 5 , 7 . 1 0 . 1 2 ; 6 , 1 2 b ) . D e m g e g e n ü b e r gehört die A u f z ä h l u n g der Vergehen in der H a u p t s t a d t S a m a r i a , die G o t t e s w o r t ( K a p . 3 f.) und P r o p h e t e n w o r t ( K a p . 5 f.) miteina n d e r verbindet, in K a p . 3 f. zur B e g r ü n d u n g des göttlichen "TpD ( 3 , 9 - 4 , 3 ) , in K a p . 6 zur n ä h e r e n D a r l e g u n g der G e s t a l t des T o d e s ( 6 , 1 - 7 . 8 - 1 1 ) . Allerdings ist a u c h für die T r a d e n t e n der A m o s w o r t e sicher, d a ß ein Israel, das weiterhin das R e c h t mit F ü ß e n tritt, u n r e t t b a r verloren ist. S o l a n g e d a s G o t t e s v o l k , das d o c h „ G o t t e r k a n n t h a t " ( 3 , 2 ) , nicht „das T u n des R i c h tigen k e n n t " ( 3 , 1 0 ) , bleibt es gerichtet. R e t t u n g erfolgt eben weder aufgrund von E r w ä h l u n g ( 3 , 2 . 1 2 ; vgl. 9 , 7 ) n o c h durch v e r m e h r t e n G o t t e s d i e n s t ( 4 , 4 f.; 5 , 4 f.); a b e r wenn Israel das R e c h t verwirklicht, d a r f es hoffen - D e o volente ( 5 , 1 4 b ) - , als „ R e s t J o s e f s " weiterzuleben.

154

Amos 3-6.

Entstehungsgeschichte

eines

Prophetenbuches

VII. Mit der beschriebenen Intention ist die Sammlung der „Worte des Arnos" durch seine Schüler offensichtlich nicht unwesentlich unterschieden von der Ausrichtung der mündlichen Rede des Arnos selber. Das kann hier abschließend nur an jeweils einem Beispiel für die Kap. 5 - 6 bzw. 3 - 4 dargestellt werden, da eine Rekonstruktion der gesprochenen Worte des Arnos nur teilweise möglich ist, vielfach auch dann nur auf recht komplizierten Wegen und mit je unterschiedlichem G r a d an Wahrscheinlichkeit. 1. Die Möglichkeit, ja Notwendigkeit, A m 5,4 f. auf mündliche Verkündigung zurückzuführen, ergibt sich aus den Unterschieden dieses Wortes zu den analogen Gestaltungen in 5,6 und 5,14 f., wie sie schärfer als alle seine Vorgänger und Nachfolger H. W. W O L F F beobachtet hat. Die Aufforderung zum Suchen Jahwes bzw. des Guten an den beiden letztgenannten Stellen ergehen als Aufrufe zum Ergreifen einer letzten Chance für das „Haus J o s e f bzw. dessen „Rest" in höchster Dringlichkeit. Sie greifen dabei ständig Begrifflichkeit des umgebenden Kontextes auf 2 5 , mit dem sie unlöslich verwoben sind. A m 5,4 f. dagegen ist (wie 4,4 f.) ganz vom Gegensatz wahrer Gottessuche zum Suchen Gottes bei der Wallfahrt konzipiert; es legt (wie 4,4 f.) nicht das mögliche Heil näher dar, also nicht den Weg, auf dem noch Leben gewonnen werden kann - vermutlich ist mit dem „Suchen Jahwes" wie schon in älterer Zeit das Sich Wenden an den Propheten gemeint 2 6 sondern klagt ein gottesdienstliches Suchen Gottes an, das Gewissen beruhigt, statt Schulderkenntnis zu wecken (4,4). Der Hauptton liegt deutlich auf der Anklage. Somit spricht vieles dafür, d a ß in 5,6.14 f. Schüler des Arnos ein hartes Wort des Propheten über den verlorenen Gotteskontakt Israels 27 in einer veränderten geschichtlichen Lage, in der Gottes Gericht schon erfahren worden war 2K , neu auf seine heilvollen Implikationen hin hörten. Von der Heilsverkündigung des Arnos wissen wir also nichts unmittelbar; wir können sie nur erschließen aus der Aktualisierung der Schüler in späteren Jahren. 2. Die in Kap. 3,9-4,3 zusammengestellten Einheiten gegen Samaria spiegeln in ihrer formalen Geschlossenheit und thematischen A b r u n d u n g sehr wahrscheinlich großenteils unmittelbar mündliche Rede des Propheten 25 Vgl. im Falle von 5,15 zum Begriff des „ H a s s e n s " 5,10; z u m „Tor", in dem Recht aufzurichten ist, wieder 5,10 und 5,12b; z u m „ R e c h t " selber 5,7, schließlich zu „ J o s e f 5,6. 26 Vgl. zu dieser Bedeutung von Uh"T neben den neueren W ö r t e r b ü c h e r n besonders C. WESTERMANN, Die Begriffe f ü r Fragen und Suchen im AT, 1959, in: Ges. St. II, T B 55, 1974, 162 ff. 27 Die H ä r t e wäre noch evidenter, wenn 5,4 f. schon in mündlicher Verkündigung B e g r ü n d u n g für die Leichenklage in 5 , 1 - 3 gewesen wäre. 2S Wenn nicht Samaria selber schon gefallen war, so setzt der Begriff „Rest Josefs" in 5,15 doch wohl zumindest die Reduktion des Nordreichs auf einen Rumpfstaat im Jahr 733 voraus.

Amos 3-6.

Entstehungsgeschichte

eines

Prophetenbuches

155

wider; zumindest gilt das für 3,9-11 und 4,1-3. Diese Worte waren an eine überschaubare Oberschicht gerichtet, die in Palästen wohnte (3,11), auf luxuriösen Betten (3,12.15) und bei Weingenuß (4,1) feierte. Durch die Zusammenfassung des Kapitels in V. 2 wird nun aber diese Schuld zahlenmäßig Weniger dem gesamten Gottesvolk zur Last gelegt, weil es sie duldet. Die Unüberbietbarkeit des Maßes an Unterdrückung in Samaria, das nach V. 9 Asdod und Ägypten als Repräsentanten besonders palastreicher (und in Unterdrückungsmaßnahmen erfahrener) 2 9 N a c h b a r n und Großmächte erstaunt zur Kenntnis nehmen müssen (3,9), wird durch 3,2 mit der Exklusivität der Erwählung Israels konfrontiert. Auf diese Weise ist den Lesern der Amosworte jegliche entschuldigende Differenzierung zwischen Schuldigen und Unschuldigen, Tätern und Opfern unmöglich gemacht worden. Was die feiernde Oberschicht in Samaria mit ihrer Unterdrückung Armer tat, tat sie stellvertretend für Israel, das eben nicht „das Recht im Tor aufrichtete" (5,15). Wenn ich recht sehe, haben die Tradenten der Amosworte in fortgerückter Stunde beides zugleich getan: Sie haben einerseits die Anklagen des Arnos verschärft, ausgeweitet und mit Jahwes Heilstaten konfrontiert, und sie haben andererseits mit der Dringlichkeit der letzten Chance und unter Verweis auf Jahwes „vielleicht" noch immer gültigen Rettungswillen deutlicher zum Neuanfang der Rechtsverwirklichung zu rufen gewagt, als Arnos es allem Anschein nach (zumindest in seiner öffentlichen Verkündigung) zu tun wagte.

VIII. Kehren wir zu unserer Ausgangsdarstellung zurück, so ergeben die angestellten Beobachtungen, d a ß sich in der für alle vorexilische Prophetie zentralen Frage, wie das Verhältnis von prophetischer Zukunftsankündigung und Beurteilung der Gegenwart zu bestimmen sei, eine wesentliche Differenz zwischen Arnos selber und seinen Tradenten zu erkennen gibt, und zwar von allem A n f a n g der Tradierung an. Insbesondere die fünf Visionen in ihrem ältesten literarischen Stadium - also noch ohne ihre Auslegung in 7,9 ff. und 8,3 ff. - , die am ehesten den Anspruch erheben können, auch in ihrer schriftlichen Gestalt auf den Propheten selbst zurückgeführt zu werden, sprechen dafür, daß Arnos als Verkündiger in der Tat jener unerbittlich harte Gerichtsprophet war, als den ihn insbesondere H. W. W O L F F in seinem epochalen Kommentar dargestellt hat. Andererseits hat kein Späterer die Amosworte in diesem „historischen" Sinne gelesen. Die Sicht der klassischen Propheten als M a h n e r und Warner S o W. R U D O L P H , a a O . [ A n m . 16] z . S t .

156

Amos 3-6. Entstehungsgeschichte

eines

Prophetenbuches

setzt keineswegs abrupt mit dem deuteronomistischen Geschichtswerk ein, sondern hat ihre deutlich erkennbaren Wurzeln bei den Prophetenschülern, wenngleich sie weit behutsamer von Rettung und Leben sprachen als die jüngeren deuteronomistischen Interpreten. Sehr wahrscheinlich setzt die schriftliche Niederlegung der Amosworte die Erfahrung des Untergangs des Nordreichs schon voraus. Aufgrund dieser Erfahrung haben die Schüler hoffnungsvolle Akzente, die in der mündlichen Verkündigung des A m o s allenfalls Nebenakzente bildeten oder vielleicht auch auf die Reden unter den Schülern, abseits der Öffentlichkeit, beschränkt waren, zu betonten Akzenten erhoben. Sicher ist jedenfalls, daß die Schüler des Amos mehr taten, als nur die Worte des A m o s zusammenzustellen und möglichst situationsgetreu weiterzugeben. Die Einteilung der Amosworte in Gotteswort und Prophetenwort zeigt unübersehbar, daß sie ein Ganzes der prophetischen Botschaft erstellen wollten, in dem die jeweiligen Einzelworte nicht isoliert, sondern nur als Teil dieses Ganzen gelesen werden wollen. Die späteren Tradenten sind ihnen in dieser Tendenz gefolgt und haben darum auch nicht davor zurückgeschreckt, Amosworte neu anzuordnen. Wie sehr sie vom Gegenwartsinteresse und nicht von Gesichtspunkten wie „Werktreue" geleitet waren, wird daran überaus deutlich. Jeder Ausleger, der sich durch das Gestrüpp der Überlieferung zurücktastet zum verkündigenden Propheten, muß damit wissen, daß er gegen die Intention der Tradenten handelt. Er m u ß sich darüber hinaus des Grades der Sicherheit für die zu erreichenden Ergebnisse bewußt sein. Im Falle von Am 3 - 6 ist ein Rücktasten von der nachexilischen Gestalt des Buches zu seiner exilischen Vorform ohne große Schwierigkeiten möglich, ein Rücktasten zur schriftlichen Urgestalt des Buches schon nur mit erheblichen Unsicherheiten, zumindest was die Kapitel 4 - 5 betrifft, ein Rücktasten über diese Urgestalt hinaus in den mündlichen Bereich dagegen nur mit einem im einzelnen wechselhaften - G r a d an Wahrscheinlichkeit bzw. nur noch Möglichkeit. Doch hört dieses Rücktasten damit nicht auf, zu den Aufgaben des Exegeten als Theologe und nicht nur als Historiker zu gehören. So gewiß der Text alle Auslegung zu bestimmen hat und nicht die wissenschaftliche Hypothese, so gewiß spiegelt doch der schriftliche Text in seinen verschiedenen Entstehungsstufen einen Prozeß jeweils neuer Aktualisierung wider, der Zeichen für seine Lebendigkeit ist. Diese Lebendigkeit herauszustellen, ist vornehmste Aufgabe aller historischen Interpretation und m u ß um der bleibenden Aktualität des Textes willen so genau wie nur irgend möglich vorgenommen werden.

10. Völkersprüche und Visionsberichte im Amosbuch G r o b gegliedert ist das Buch des Propheten Arnos aus drei Teilen aufgebaut: den strophisch geordneten Völkersprüchen, die in der Israelstrophe gipfeln (1,3-2,16); der thematisch gestalteten Sammlung von Amosworten gegen Israel, die in 3,1 (4,1) und 5,1 mit „ H ö r t dieses Wort ..." eingeleitet werden (Kap. 3-6); und schließlich den wiederum strophisch gegliederten Visionsberichten, die, vielfältig erweitert und kommentiert, in 9,5 f. mit einer Doxologie abgeschlossen werden (7,1-9,6). Sehr wahrscheinlich hat die zuletzt genannte Doxologie einmal den Buchabschluß gebildet 1 . Die Letztausgabe des Buches hat mit einem A n h a n g (9,7-15) einen vierten Teil hinzugefügt erhalten, der im folgenden unberücksichtigt bleiben kann. Die Dreiteilung des Amosbuches ist ungewöhnlich und findet keinerlei Parallelen in anderen alttestamentlichen Prophetenbüchern. Zwar sind thematisch gegliederte Sammlungen wie der Mittelteil des Buches (Am 3 - 6 ) in sich nichts Unvertrautes 2 , wohl aber gilt dies für die R a h m u n g dieses Mittelteiles. Kein anderes Prophetenbuch beginnt mit einer Reihung von Völkersprüchen, und auch eine Gruppierung von Visionsberichten kennt zumindest in vorexilischer Zeit kein zweites Prophetenbuch, wenn m a n von dem Visionenpaar am A n f a n g des Jeremiabuches ( J e r l , l l f f . ) einmal absieht, dessen Stellung im Kontext des Berufungsberichts deutlich redaktionellen Ursprungs ist 3 . Vor allem aber läßt im Buch Arnos die bewußte strophische Gestaltung von Völkersprüchen und Visionsberichten diese beiden ungewöhnlichen Rahmenteile von vornherein aufeinander bezogen sein. Den Überlieferern der Amosworte scheint es wesentlich gewesen zu sein, daß spätere Leser die thematisch geordneten Worte des Propheten nicht ohne den Verstehenshorizont lesen würden, den Völkersprüche und Visionsberichte vermitteln. Die Tradenten rechnen offensichtlich nicht mit eiligen Perikopenlesern, sondern mit Menschen, die den Propheten Arnos aufgrund seines Buches im ganzen kennenlernen wollen. Deutlicher noch 1 So K. KOCH, Die Rolle der hymnischen Abschnitte in der Komposition des ArnosBuches, ZAW 86, 1974, 504-537; DERS. und Mitarbeiter, Arnos. Teil 2, AOAT 30, 1976, 90.92.96 u. ö. 2 Eigentümlich ist allerdings das Gliederungsprinzip nach Gotteswort und Prophetenwort; vgl. dazu den vorausgehenden Beitrag. 3 Vgl. W. THIEL, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1 - 2 5 , W M A N T 41, 1973, 72 f.

158

Völkersprüche

und Visionsberichte

im

Amosbuch

wird dies daran sichtbar, d a ß Völkersprüche und Visionsberichte auch über die strophische Struktur im allgemeinen hinaus keineswegs als selbständige Blöcke nur eben nebeneinanderstehen, sondern vielfältig aufeinander bezogen sind und einander sowohl formal (I.) als auch inhaltlich (II.) gegenseitig bedingen, ja, die Völkersprüche die Visionsberichte sachlich schon voraussetzen (III.).

I. Besonders auffällig ist bei näherem Zusehen, wie bewußt parallel die strophische Gliederung bei Völkersprüchen und Visionsberichten verläuft. 1. Evident und unbestritten ist zunächst die paarweise Gliederung der Strophen am A n f a n g beider literarischer Komplexe. Im Falle der Visionsberichte sind 7 , 1 - 3 und 7 , 4 - 6 einerseits und 7,7-8(9) und 8,1-2(3) derart betont bis in alle Einzelheiten parallel gebaut, daß evident ist, d a ß die Visionen nicht einzeln, sondern nur paarweise gelesen werden wollen, genauer: im Vergleich der beiden Visionenpaare miteinander. Während das erste Paar darin übereinstimmt, daß Jahwe den Propheten ein für Israel katastrophales Ereignis schauen läßt, dessen Ausführung er auf den leidenschaftlichen Einspruch des Propheten hin nicht durchzuführen verspricht, führt das zweite Visionenpaar in eine Situation, in der dem Propheten kein R a u m zur Fürsprache für Jakob-Israel gelassen wird, er vielmehr genötigt ist, auf die Frage Jahwes hin, was er schaut, das Unheil selber auszusprechen und von Jahwe zugleich zu hören, d a ß ein Verschonen Israels nicht mehr möglich ist. Beide Visionenpaare wollen dabei evidentermaßen nicht abstrakt zwei göttliche Handlungsmöglichkeiten einander gegenüberstellen, sondern zeigen, wie Arnos von Gott einen Weg der Erkenntnis geführt wurde, der unumkehrbar ist. Arnos ist nicht freiwillig zum Unheilspropheten geworden, sondern erst, nachdem Jahwe ihm die Fürsprache für sein Volk untersagt hat. Solange er sie ausüben durfte, hat er sie eingesetzt (1. Visionenpaar); danach mußte er ganz auf die Seite des zum Verschonen nicht mehr fähigen, Vernichtung planenden Jahwe treten (2. Visionenpaar). Genauso eindeutig ist die paarweise Gliederung der Strophen in A m 1,32,3, wenngleich sie sich wegen des noch starreren Formelgebrauchs in allen Teilen der literarischen Großeinheit sachlich weniger auswirkt als im Falle der Visionsberichte. Immerhin wird der prägende Charakter der paarweisen Gestaltung schon daran deutlich, d a ß auch die Ergänzungen der älteren Völkersprüche - vermutlich aus der Exilszeit - wiederum paarweise erfolgten, indem a) mit 1,9 f. 11 f. ein bewußt paarweise strukturiertes doppeltes Völkerwort gegen Tyrus und Edom hinzugefügt wurde, das sich auf das Thema „Bruderschaft" konzentriert, und b) mit dem Wort gegen Juda (2,4 f.) die ursprünglich betont isoliert stehende Israelstrophe (2,6 ff.)

Völkersprüche und Visionsberichte int

159

Amosbuch

ebenfalls zu einem Paar ausgebaut wurde 4 . Im übrigen genügt es für unseren Zusammenhang 5 , darauf zu verweisen, wie die beiden älteren Paare in 1,32,3* durch eine gemeinsame Terminologie zusammengehalten werden, die nur für sie spezifisch ist: 1 , 3 - 5 . 6 - 8 (Worte gegen Damaskus und Gaza) durch die Ankündigung der Ausrottung der „Thronenden" und der „Zepterträger" im Herrschaftsgebiet der Aramäer und Philister; 1,13-15; 2 , 1 - 3 (Worte gegen A m m o n und Moab) durch die Erwartung des Posaunenklanges als Kriegssymbol ( r w n n ) und der Ansage der Verbannung bzw. Ausrottung des Herrschers („König" bzw. „Richter") und seiner (des Königs oder Landes) „Beamten". 2. Wie A. W E I S E R schon 1929 beobachtet hat und wie in jüngerer Zeit H. W. W O L F F und insbesondere H. G E S E herausgestellt haben 6 , bilden Völkersprüche und Visionsberichte jeweils einen literarischen Komplex aus fünf Strophen, wenn m a n einmal die Sprüche gegen Tyrus, Edom und Juda als Zusätze erkannt hat. Auf die zwei Völkerspruch- bzw. Visionen-Paare, von denen zuvor die Rede war, folgt jeweils eine Schlußstrophe, die formal wie inhaltlich den Rahmen der vorhergehenden Strophen sprengt. Die Autoren jüngerer Zeit, die die Schlußstrophen gerade um solcher formalen Besonderheiten willen von den Strophenpaaren - zumindest für den Beginn der literarischen Überlieferung - abtrennen wollen, bewerten m. E. punktuelle Beobachtungen zu stark im Vergleich zum Sinn der Gesamtkonzeption, die sich weder im Falle der Völkersprüche noch der Visionsberichte leichter und besser mit redaktionskritischen Argumenten analysieren läßt. Im Falle der Völkersprüche ist die Israelstrophe (2,6 ff.) nicht nur darum nicht von den vorausgehenden Strophen zu isolieren, weil sie das anfängliche Formelwerk aller Strophen aufgreift - ein solches Aufgreifen ließe sich zur N o t auch redaktionsgeschichtlich erklären 7 - , sondern vor allem d a r u m , weil die Formel „So spricht Jahwe: Wegen dreier Verbrechen von ... und wegen vierer nehme ich es nicht zurück..." einzig in dieser Schlußstrophe ihre zu erwartende Ausführung findet. War in den voraus4

Der sekundäre Charakter von 1,9-12 und 2,4 f. ist oft nachgewiesen worden und weitestgehend anerkannt. Für die ältere Forschung hat, allerdings unter Einbeziehung von 1,6-8, K. MARTI, Zur Komposition von Am 1,3-2,3, FS W. W. Graf Baudissin, BZAW 33, 1918, 323-30, für die jüngere Forschung hat H. W. WOLFF, Dodekapropheton 2. Joel, Arnos, BK XIV/2, (1969) M985, die Gründe gebündelt zusammengestellt. Gegenwärtige Autoren, die dennoch an der Einheit des Völkerspruchkomplexes festhalten, nennen H. GESE,

Komposition

bei

Arnos,

VT.S

32,

1981,

8 6 f. A n m . 3 9

und

V.

FRITZ,

Die

Fremdvölkersprüche des Arnos, VT 37, 1987. 27 Anm. 4. 5 Vgl. die weiterreichenden Beobachtungen und Erwägungen von P. HÖFFKEN, Untersuchungen zu den Begründungselementen der Völkerorakel des AT, Diss. Bonn 1977, 48 sowie H. GESE, aaO. 88 f., und den folgenden Beitrag. 6 A . WEISER, D i e P r o f e t i e d e s A r n o s , B Z A W a a O . 184; H . GESE, a a O . 8 8 ff.

7

So K. KOCH, Arnos. Teil 2, 12.68 ff.

53,

1929, 57 ff. 9 8 ff; H . W .

WOLFF,

160

Völkersprüche

und Visionsberichte

im

Amosbuch

laufenden Völkersprüchen immer nur das schwerste der „drei bzw. vier Verbrechen" genannt, so werden in 2 , 6 - 8 nun in der Tat vier Vergehen Israels aufgezählt; streiten kann m a n allenfalls darüber, ob ihre Reihenfolge steigernd oder aber umgekehrt abnehmend gemeint ist. Im übrigen wird der weitere Verlauf der Darlegungen zeigen, d a ß 2,6 ff. auch darüber hinaus als bewußte Steigerung von 1,3-2,3* gestaltet ist. Aber auch im Falle der Visionsberichte hat m a n 9 , 1 - 4 zu Unrecht von den beiden Visionenpaaren literarisch isolieren wollen 8 . Nicht nur ist 9,1a terminologisch bewußt auf die 3. Vision (7,7) bezogen, sondern das „Ende Israels", wie es die 4. Vision ansagt, erfordert notwendig eine Explikation (wie sie im Übergangsvers 8,3 unter Anspielung auf 5,16 f. und 6,10 mit der großen Zahl der Leichen ausgeführt wird) und insbesondere ein Eingehen auf das Gottesverhältnis Israels, wie es im Blick auf die Zerstörung des Heiligtums bzw. der Heiligtümer eben 9,1 (ff.) vollzieht 9 . Gewichtiger ist freilich ein anderer Grund. 3. Beide Schlußstrophen enden in der Beschreibung der Totalität und Unentrinnbarkeit des kommenden Unheils. Beide benutzen dabei die aus der griechischen Literatur vertraute rhetorische Figur der Priamel 1 0 , die einen festliegenden Sachverhalt dadurch hervorhebt, daß er in einer Reihe von syntaktisch parallel oder analog formulierten Beispielen dargelegt wird. H. G E S E hat darauf verwiesen, d a ß außerdem in beiden Fällen die FünferStruktur des literarischen Gesamtkomplexes wiederkehrt", wobei die Analogie auch darin gültig bleibt, daß das jeweilige fünfte Glied den H a u p t t o n trägt; es erscheint im Unterschied zu den vorauslaufenden vier Beispielen nicht nur ohne Parallelglied, sondern ist im Falle von A m 2,16 nach der Großzahl von Negativaussagen positiv formuliert und im Falle von 9,4 inhaltlich dadurch herausgehoben, daß von mythischen Aussagen zuvor (Versteck in Unterwelt - Himmel - Gipfel des Karmel - Meeresgrund) zum geschichtlichen Sachverhalt übergegangen wird („Versteck" in der Gefangenschaft, wo dennoch das Schwert die so „Verborgenen" erreicht). Aber selbst wer nicht bereit wäre, die Fünfer-Struktur als verbindendes Element 8

So etwa V. MAAG, Text, Wortschatz und Begriffswelt des Buches Arnos, 1951, 46 f.; H.

GRAF REVENTLOW, D a s A m t d e s P r o p h e t e n b e i A r n o s , F R L A N T 8 0 , 1 9 6 2 , 4 9 f.; W. H . SCHMIDT, T h L Z 9 6 , 1 9 7 1 , 183; K . KOCH, a a O . 8 6 ; z u l e t z t H . UTZSCHNEIDER, B N 4 1 , 1 9 8 8 , 7 8 A n m . 2; E . - J . WASCHKE, Z A W 1 0 6 , 1 9 9 4 , 4 3 4 ff. 9 Das gilt insbesondere unter der unten (vgl. IV.) näher darzulegenden Voraussetzung, daß Visionsberichte und A m 3 - 6 (vgl. hier die 9,1 analogen Ankündigungen 3,14 und 5,5) auf verschiedene Hände zurückgehen. Die erste eindeutige Spur der Zusammenarbeitung bietet der soeben genannte Übergangsvers 8,3, der die Visionen mit der Auslegung von A m 5 - 6 in 8 , ( 4 - 7 ) 8 - 1 4 verbindet. - D a ß der Prophet in der 5. Vision nicht mehr zu Wort kommt, liegt in der Natur des Geschauten. 10 Daraufhat W. H. SCHMIDT, aaO. 184, für 9 , 2 - 4 , unter Nennung von Spezialliteratur, aufmerksam gemacht. 11

A a O . [ A n m . 4] 84.94.

Völkersprüche und Visionsberichte im

Amosbuch

161

anzuerkennen, weil sie in A m 2,14-16 literarkritisch durch Ausscheidung von V. 14b und 15aß wiederhergestellt werden muß 1 2 , m u ß die beide Einheiten verbindende Terminologie wahrnehmen. Ist im Falle der Priamel „Wenn sie sich verstecken wollten..." (9,2-4) der Themasatz vorangestellt: Kein Flüchtiger unter ihnen soll fliehen, kein E n t r i n n e n d e r unter ihnen entrinnen!

so bilden eben die beiden Verbwurzeln, mit denen hier wortspielerisch die Aussage geprägt wird, die Leitworte in 2,14-16: Die Wurzel „fliehen" (D13) bestimmt die beiden rahmenden Sätze am Anfang und Schluß (V.14aa.l6a): D a entschwindet d e m Schnellen die Z u f l u c h t . . . , auch der Tapferste unter den Helden - n a c k t flieht er a n j e n e m Tag,

während die Wurzel „retten, entrinnen" (ü^S nif. und pi.) gleich drei Sätze prägt, unter denen die beiden literarkritisch strittigen sind (V. 14b. 15aß): Auch der Held rettet sein Leben nicht... auch der Schnellfüßige rettet ,sich' nicht; selbst der mit Pferden fährt, rettet sein Leben nicht.

So sind die Schlußstrophen des Völkerspruch- und Visionenzyklus zumindest durch den Gebrauch der rhetorischen Figur, der Leitworte und der Thematik engstens miteinander verbunden und aufeinander bezogen.

II. 1. Mit den zuletzt angeführten Argumenten ist die Ebene der formalen Beobachtungen schon zugunsten der inhaltlichen verlassen worden. Die beiden so bewußt analog gestalteten literarischen Großkompositionen der Völkersprüche und Visionsberichte laufen auf ein gemeinsames Ziel zu: die Betonung der rettungslosen Verlorenheit Israels in einem umfassenden Unheil, das ausnahmslos jeden einzelnen betrifft und für alle unausweichlich ist. Die verwendeten Leitworte sind hier wie dort identisch. 2. Aber die Parallelen reichen ungleich weiter. A m auffälligsten ist wohl das in älteren Teilen des AT ungewöhnliche Bild der Ernte für das unmittelbar bevorstehende Gericht; es fehlt im Mittelteil des Prophetenbuches (Kap. 3 - 6 ) , steht dafür an zentraler Stelle in den Visionsberichten und Völkersprüchen. Es prägt insbesondere die berühmte 4. Vision, in der Amos einen Korb mit Sommerobst schaut und ihm beim Aussprechen des Geschauten ( f j ? ) von Jahwe das vorbereitete „Ende" ( f p ) des Gottesvolkes 12

Dabei ist der sekundäre Charakter dieser Versteile schon früh, etwa von D U H M und GRESSMANN, und unabhängig von der Behauptung einer Fünfer-Struktur beobachtet worden. Beide sind mit Hilfe des Wortbestandes im Kontext gebildet: V. 14b aus 16a+15b; V. 15aß aus 14aa + 15b.

162

Völkersprüche und Visionsberichte im

Amosbuch

deutend angekündigt wird. So gewiß m a n diese Vision mit F. HORST im Unterschied zum ersten Visionenpaar als „Wortspielvision" klassifizieren kann 1 3 , so wesentlich ist doch für die ersten Leser dieser Texte gewesen, daß sprachlichen Anklängen solcher Art auch eine mehrdimensionale Sinnwirklichkeit entspricht, die eben im Fall der 4. Vision des Arnos darauf beruht, daß die vordergründige Erfahrung der Ernte symbolhaft sinndurchlässig wird für das von G o t t geplante Gericht 1 4 . Diesen Zusammenhang setzt jedenfalls offensichtlich A m 2,13 voraus, die Strafankündigung gegenüber Israel im Kontext der Völkersprüche, unmittelbar vor der zuvor genannten Kette von Unausweichlichkeitsaussagen in V. 14-16. Sie führt für das bevorstehende Gericht das Bild eines mit abgeerntetem Getreide voll- und sogar überladenen Lastwagens ein, durch den Kontext nicht vorbereitet, wohl aber durch die Assoziationen des Erntebildes. Ist impliziert, daß der Erntewaqen zur Tenne fährt, d. h. zum Worfeln des Getreides, wie es überaus häufig das Gerichtshandeln Jahwes in Prophetenworten des AT symbolisiert? 3. Die große Nähe der Israelstrophe in den Völkersprüchen zu den Visionen wird aber erst voll deutlich, wenn hier wie dort die unlösliche Bezogenheit des Erntebildes auf die Ankündigung des Erdbebens gesehen wird, dessen Bedeutung für das Ganze schon die Überschrift des Prophetenbuches hervorhebt. In 2,13 ist dieser Bezug offenkundig; der mit Getreidegarben beladene Erntewagen ist ja mit seinen schmalen Rädern beim Vorgang des Zerfurchens und Aufreißens des Bodens gezeichnet 15 , und dieser Vorgang seinerseits symbolisiert das von Jahwe im futurum instans angekündigte Erdbeben, das mit demselben Verb im selben Stamm beschrieben wird 1 6 . Der gleiche Bezug zwischen Ernte und Erdbeben ist in den Visionsberichten durch die Abfolge von der 4. zur 5. Vision hergestellt. Wenn in 9,1 speziell vom Beben der Schwellen im Heiligtum als Folge des Schlages Jahwes erzählt wird, so ist damit nicht eine Eingrenzung des 15 F. HORST, Die Visionschilderungen der alttestamentlichen Propheten, EvTh 20, 1960, 193-205; 201 f. H. W. WOLFF z.St. greift diese Bezeichnung auf. HORST gebraucht gleichbedeutend den Begriff „Assonanzvision". 14 „Der symbolische Zusammenhang von Ernte und Gericht, Ernte und Tod (vgl. z. B. Am II 13) ist unverkennbar", formuliert H. GESE, aaO. [Anm. 4] 78 f. Wie sehr der Begriff r V den Vorgang der Ernte assoziiert, zeigt die Tatsache, wie selbstverständlich er mit TXp in Jes 16,9 zusammengestellt wird bzw. mit "l'SD, „Weinernte", in Jer 48,32 und Mi 7,1 oder mit „Wein und Öl", wenn es ums Einbringen geht (Jer 40,10.12). Für Jes 28,4 und Jer 8,20 schlägt H A L 1027 als Übersetzung mit Recht unmittelbar „Sommerernte" vor. 15 Vgl. H. GESE, VT 12, 1962, 417-24, bes. 421 f., zur Wurzel ¡71V, die Bild und Sache prägt. Etwas anders („schwanken" im Gefolge des Tg) W. RUDOLPH, KAT XIII/2, 1971, z. St. 16 In Verbindung mit Am 2,9 gelesen, dem ursprünglich wohl unmittelbar vorausgehenden Vers (vgl. die folgende Anm.), besagt das so gezeichnete Erdbeben zugleich, daß Jahwe die Gabe des Landes revoziert.

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Bebens auf die Heiligtümer oder gar auf Teile von ihnen gemeint - die bebenden Unterschwellen symbolisieren gerade eine bis an die Fundamente des Gebäudes reichende Erschütterung sondern ein Erdbeben, das das Gottesverhältnis Israels beendet und damit alle Bewohner dem Tode preisgibt. Insofern verwirklicht sich die tödliche „Ernte" im Erdbeben. 4. Die Parallelität des Gedankenganges ist noch zwingender, wenn die voranstehenden Beobachtungen zusammengenommen werden. In 2,13-16 wie in der 4. und 5. Vision werden „Ernte" und Erdbeben gefolgt von Elementen eines furchtbaren Krieges, der weder Flucht noch Rettung zuläßt. Die beiden einander jeweils ablösenden Vorstellungen verdanken sich keiner Sachlogik, als würde der Krieg durch ein zeitlich vorangehendes Erdbeben begünstigt, sondern einer traditionsgeschichtlichen Logik: Das Erdbeben steht für das alleinige Wirken Jahwes bei der „Ernte", der Krieg, der für niemand Rettung zuläßt, für die Totalität und Unentrinnbarkeit des „Endes meines Volkes Israel" (8,2). 5. In unserer bisherigen Argumentation sind wir faktisch der Israelstrophe im Völkergedicht rückwärtsgehend gefolgt: von 2,14-16 zu 2,13. Setzen wir diesen Gedankengang fort, so ist - über die m. E. eindeutig sekundären Verse 10-12 hinweg 1 7 - V. 9 zu betrachten. Dieser Vers ist das eigentliche Gelenk der Argumentation in der Israelstrophe 2,6-16; er verschärft im Sinne eines Kontrastes gleicherweise den vorauslaufenden Schuldaufweis (V. 6 - 8 ) - Israel unterdrückt die Schwachen, obwohl Jahwe zu Gunsten des ohnmächtigen Gottesvolkes die riesenhaften Amoriter vernichtet hat - als auch die oben behandelte, auf ihn folgende Strafankündigung (V. 13-16). In diesem Sinn besagt er, d a ß Israel die gleiche Macht Jahwes, die um seines Schutzes willen zur Vertilgung der Amoriter führte, nun in seiner eigenen Vertilgung erfahren wird. Wie die Analogie der Visionsberichte erweist, trägt der letztgenannte Gedanke den eigentlichen Ton. Die Visionen des A m o s zeigen im Kern, wie sich der Auftrag des Amos wandelt, weil Jahwe sich gewandelt hat. Sie legitimieren die - von den Hörern abgelehnte - Unheilsverkündigung des Amos mit einem Sinneswandel Jahwes I K . Sie begründen nicht die prophetische Tätigkeit des Amos als solche, bilden keinen Berufungsbericht, wohl aber begründen sie die ungewöhnliche und für die Hörer unerträgliche Gestalt seiner Verkündi17 Vgl. nur die überzeugenden G r ü n d e von W. H. SCHMIDT, Die deuteronomistische Redaktion des Amosbuches, ZAW 77, 1965, 106-193, bes. 178 ff, sowie H . W . WOLFF z.St. J. VERMEYLEN, Du prophète Isaïe à l'apocalyptique, Bd. II, 1978, 536 f., schließt auch V. 9 in die G r u p p e der dtr Verse ein. 18 Dies hat am schärfsten und überzeugendsten E. WÜRTHWEIN, Amos-Studien (1949) in: DERS., Wort und Existenz, 1970, 68 ff, herausgestellt. Seine oft angegriffene Folgerung, die ersten Visionen schilderten Arnos in seinem Anfangszustand als Heiisnabi, ist davon unabhängig zu betrachten.

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gung. Sie weisen das naheliegende Verständnis ab, des Arnos Verhältnis zu seinem Volk habe sich geändert, betonen demgegenüber, daß Arnos sich vor Jahwe für sein Volk eingesetzt hat, solange er dies eben konnte. Sie verweisen statt dessen auf einen Willenswandel Jahwes, dem Arnos sich nach erbitterter Gegenwehr in Gestalt der einredenden Fürbitte beugen mußte. Bei diesem Willenswandel Jahwes aber handelt es sich nicht um eine beliebige Nuancierung, sondern um das genaue Gegenteil seines bisherigen Verhaltens zu Israel. Wenn Jahwe nicht mehr „(schonend) an Israel vorübergeht" 0? "037 7,8; 8,2), dann „geht er (todbringend) durch seine Mitte hindurch" (3 "I3J7 5,17) 19 . Tertium non datur. Der Tempel als Ort der heilvollen Gegenwart Jahwes bebt (9,1); damit ist die Heilsgegenwart Gottes in Israel aufgehoben. Kurzum: sowohl die Israelstrophe mit ihrer Kontrastierung vom Schutz Israels in der Vergangenheit und kommender „Ernte" in Gestalt von Erdbeben und alle Menschen vernichtendem Krieg als auch die Visionen des Arnos in ihrer Abfolge von verschonendem „Vorübergehen" Jahwes zu wiederum „Ernte" in Gestalt von Erdbeben und Krieg meinen jeweils nichts anderes als die Revozierung der Erwählung Israels 20 . 6. Erst im Rückblick auf die sachlichen Gemeinsamkeiten zwischen Visionsberichten und der Israelstrophe innerhalb der Völkersprüche wird eine äußerlich unscheinbare Übereinstimmung sichtbar, die sachlich überaus gewichtig ist. Sie lautet schlicht X1? „nicht". Sie prägt den entscheidenden Wandel vom ersten Visionenpaar zum zweiten, insofern die göttliche Rücknahme des geplanten Unheils, die im Zentrum der ersten beiden Visionen steht, in den späteren „nicht", genauer „nicht mehr" möglich ist; und sie prägt das Rahmenwerk aller Völkersprüche, die ebenso wie die Israelstrophe mit einem N^ beginnen: „Ich nehme es nicht zurück" 2 1 . Sehen wir im M o m e n t einmal von den Völkern ab, auf die sogleich (III.) zurückzukommen ist, so besagt das N1? im Fall der Israelstrophe das gleiche wie in den letzten drei Visionen: das Ende der göttlichen Geduld und das Ende seiner Bereitschaft zur Vergebung oder genauer (Am 7,3.6): zur Strafrücknahme bzw. zum Strafaufschub 2 2 . Es besagt freilich, wie wir soeben (II. 5) gesehen haben, in beiden Fällen mehr und vor allem Grundsätzlicheres: das Ende der Erwähltheit Israels. Israel ist ein Teil der Völkerwelt geworden, der mit dem Ganzen unter der Erwartung der Strafe 19

W. BEYERLIN, Bleilot, Brecheisen oder was sonst? O B O 81, 1988, hat jüngst aufgewiesen, d a ß dieser Wandel Jahwes den Gedankengang der 3. Vision von Anfang bis Ende bestimmt. 20 Sie ist in den ersten beiden Visionen in der Fürbitte des Propheten mit dem N a m e n „Jakob" und dem Hinweis auf seine auf Hilfe angewiesene „Kleinheit" explizit angesprochen, in der Israelstrophe der Völkersprüche eben im Rekurs auf die Heilsgeschichte 2,9. 21 Vgl. weiter die exponierte Stellung der Negation in 2,14 f.; 9,1b. 4b. 22 Vgl. dazu im einzelnen J. JEREMIAS, Die Reue Gottes, BSt 65, 1975 ( 2 1996), 40 ff.

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Jahwes steht. Sein „Vorrang" besteht in der härteren, unerbittlicheren und bis zum letzten Glied des Volkes durchdringenden Strafe 23 .

III. Die Völkersprüche laufen aber nicht nur den Visionsberichten formal und inhaltlich parallel, sondern setzen diese auch schon sachlich voraus. D a s wird vor allem an einer Stelle sichtbar, der die bisherige Exegese m. E. zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat. Im Rahmenwerk aller Völkersprüche des Arnos erscheint das rätselhafte HS'WX „Ich nehme es nicht zurück" (WOLFF) bzw. „Ich k a n n es nicht widerrufen" (RUDOLPH). Viele Überle-

gungen sind über den Bezug des Suffixes angestellt worden, aber die Implikationen dieser Wendung, die in keinen Völkersprüchen anderer Propheten auch nur eine entfernte Analogie findet, und besonders ihre Funktion sind kaum bedacht worden 2 4 . Was zunächst das ohne direktes Bezugswort stehende Suffix betrifft, so ist sich die neuere Forschung weitgehend einig, daß es neutrisch aufzufassen ist und entweder die Abwendung der im folgenden angekündigten Strafe oder aber die Zurücknahme des vom Propheten im Auftrag Jahwes ausgerufenen Gerichtswortes bezeichnet 2 5 . Sachlich besteht zwischen diesen beiden Deutungen kaum ein Unterschied 2 6 . Könnte man nicht auf die Analogie der Visionsberichte (und auf wenige Sachparallelen) verweisen 2 7 , wäre eine Entscheidung zwischen ihnen überhaupt nicht zu treffen.

23 So wird m a n a m ehesten die oben noch nicht ausgewertete Parallele zwischen V ö l k e r s p r ü c h e n und Visionsberichten zu bewerten haben, die darin besteht, d a ß Jahwe in allen S p r ü c h e n gegen f r e m d e Völker (und im N a c h t r a g gegen Juda 2,5) „ F e u e r anlegt" an Paläste u n d S t a d t m a u e r n , das diese „ f r i ß t " , und er ebenso in der 2. Vision ein „ F e u e r " ruft, das die große U r f l u t und die Äcker „fressen wollte" (7,4). Jeweils ist d a s „fressende F e u e r " n o c h nicht das Äußerste, sondern Vorstufe f ü r „ E r n t e " , E r d b e b e n und Krieg, die keinen Rest übriglassen. 24 Die beiden einzigen mir b e k a n n t e n A u s n a h m e n bilden A. WEISER, aaO. [Anm. 6]

6 3 f. 110 f. u n d H . W. WOLFF, a a O . 184.187. 25

A n d e r s jüngst M . L. BARRÉ, T h e M e a n i n g o f / ' 'sybnw in A m o s 1:3-2:6, J B L 105, 1986, 6 1 1 - 6 3 1 : „Ich lasse es (d. h. d a s b e d r o h t e Volk) nicht (zu mir) z u r ü c k k e h r e n " . A b e r d a s „zu m i r " steht nicht im Text und k ö n n t e bei dieser A u f f a s s u n g nicht fehlen, die Jahwe z u m G r o ß k ö n i g der Völkerwelt m a c h e n möchte: eine A m o s fernliegende Idee. 26 D a s gilt letztlich a u c h f ü r die d u r c h R . KNIERIM, „I will n o t C a u s e it to R e t u r n " in A m 1 a n d 2, in: G . W. COATS u n d B. O . LONG ( H r g . ) , C a n o n a n d A u t h o r i t y , 1977, 1 6 3 -

175, erneuerte A u f f a s s u n g W. R . HARPERS, das Suffix stehe f ü r den Z o r n Jahwes. Jedoch ist KNIERIMS A r g u m e n t a t i o n wenig überzeugend u n d k a n n sich im A m o s b u c h nur auf den s e k u n d ä r e n Passus 4 , 6 - 1 3 (vgl. „ D i e M i t t e des A m o s b u c h e s " , u. S. 198 ff.) stützen. In A m 1 , 3 - 2 , 1 6 begegnet der Begriff des Z o r n e s G o t t e s nirgends. 27

V g l . H . W . W O L F F , a a O . 1 6 0 . 1 8 6 f. u n d i h m f o l g e n d A . D E I S S L E R , N E B z . S t . I n g l e i c h e r

R i c h t u n g weiter f ü h r t mit neuen B e o b a c h t u n g e n P. HÖFFKEN, a a O . [Anm. 5] 9 2 - 9 5 .

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Ungleich wichtiger als die Festlegung des drohend unbestimmt eingeführten Suffixes ist die Frage nach der Funktion der Wendung im Kontext. Wenn von den neueren Auslegern zu dieser Frage übereinstimmend darauf verwiesen wird, mit ihr solle die Unwiderruflichkeit und damit die zwingende Gültigkeit des göttlichen Entschlusses zur Strafe hervorgehoben werden, so ist dieser Auffassung gewiß uneingeschränkt zuzustimmen. Nur weckt sie die entscheidenden Fragen erst. Die Hervorhebung der Unwiderruflichkeit des göttlichen Beschlusses ist ja nur dort sinnvoll, wo mit einem potentiellen Widerruf gerechnet werden kann. Dergleichen ist bei vorexilischen Völkerworten nie belegt und auch schlechterdings nicht zu erwarten. Gottes Wort durch seine Propheten galt natürlich als gültig und bindend. Erst in nachexilischer Zeit wird ein Willenswandel Gottes gegenüber der Völkerwelt thematisiert (z. B. Jer 18,7-10; Jona 3-4); dieser Vorgang aber impliziert, daß von den Erfahrungen Israels auf das Geschick der Völker rückgeschlossen wird, d. h. die Frage gestellt wird, ob und wie die Völker am Geschick und besonders am Heil Israels Anteil haben. Entsprechendes ist - nur via negativa - in Am 1 - 2 der Fall. Die Betonung der Unwiderruflichkeit des angekündigten Strafhandelns Jahwes ist aus den Völkersprüchen selber ganz und gar unverständlich, ergibt sich vielmehr erst aus ihrer Verbindung mit der Israelstrophe. Sie ergibt sich aus der Gleichbehandlung der Völker mit Israel, wobei Jahwes Handeln an Israel die Maßstäbe setzt. Ein Völkergedicht mit der Unwiderruflichkeitsaussage, aber ohne die Israelstrophe ist ein Unding. Das hat K . K O C H in seiner redaktionsgeschichtlichen Analyse der Völkersprüche verkannt"*, in aller Deutlichkeit aber haben es schon A. W E I S E R und H. W . W O L F F gesehen 29 . Die Betonung der Unwiderruflichkeit des kommenden Gerichtes in Gestalt des „Ich nehme es nicht zurück" ist nichts anderes als die auf eine Formel gebrachte Quintessenz der Erkenntnis des Arnos, wie sie ihm in seinen Visionen aufgedrängt wurde. Solange Jahwe „zurücknahm", konnte der Prophet wie seine Vorgänger seit eh und je sich für sein Volk vor Gott in der Fürbitte einsetzen, wann immer ein Unglück es getroffen hatte oder aufgrund der Strafabsicht Jahwes bedrohte (Am 7,1-6). „Ich nehme es nicht zurück" hält die gleiche Erkenntnis des Absichtswandels Jahwes fest, die die 28

Vgl. o. A n m . 7; v o r K . KOCH gilt A n a l o g e s f ü r E . WÜRTHWEIN, a a O . [ A n m . 18] 9 5 f.,

u n d f ü r H . G R A F REVENTLOW, a a O . [ A n m . 8] 5 6 ff., n a c h

K O C H f ü r G . FLEISCHER,

Von

Menschenverkäufern, B a s c h a n k ü h e n und Rechtsverkehrern, BBB 74, 1989, 18 ff. 29 Vgl. o. A n m . 24. Merkwürdigerweise hat A. WEISER in seinem A T D - K o m m e n t a r , 1949, zitiert nach 4 1963, diese Einsicht zwar nicht aufgegeben, wohl aber sehr zurückgestellt; vgl. einerseits S. 134 zu 1,3 ff., andererseits die Einleitung S. 130. Eine sehr originelle biographische D e u t u n g der Unwiderruflichkeitsformel hat I. L. SEELIGMANN vorgeschlagen: Arnos habe aus der Abfolge der Visionen gelernt, d a ß G o t t ein- oder zweimal vergeben könne, nicht aber drei- oder viermal (EI 3, 1954, 129a; zit. nach M . WEISS, J B L 8 6 , 1 9 6 7 , 4 1 6 , A n m .

1).

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Visionsberichte mit „Ich k a n n nicht m e h r (verschonend) an ihm (d. h. Israel) vorübergehen" (7,8; 8,2) formulieren. Hier wie dort ist die Grenze der göttlichen G e d u l d markiert, allein in den Visionsberichten aber ist beschrieben, wie diese Grenze allmählich erreicht wird. Allerdings besteht zwischen beiden Formulierungen ein gewichtiger Unterschied. Die Visionsberichte setzen zwar von Anbeginn Israels Schuld voraus - schon die erste Einsprache des Propheten: „ M e i n Herr, Jahwe, vergib doch . . . " (7,2) ist d a f ü r ein unzweideutiger Beweis thematisieren sie aber nirgends 3 0 . Die theozentrische Begründung des Unheilshandelns Jahwes - bis hin zum programmatischen „ Z u m Unheil und nicht zum G u t e n " in 9,4b - ist überaus auffällig. D a s ist in den Völkersprüchen anders. D e m „Ich n e h m e es nicht z u r ü c k " geht sachnotwendig eine Begründung voraus: „wegen dreier und vierer Verbrechen von ...". Die Reihenfolge von Völkersprüchen und Visionsberichten in der E r f a h r u n g des Propheten ist d a m i t eindeutig gegeben: Die Visionen teilen mit, daß G o t t e s G e d u l d am E n d e ist und welche Konsequenzen sich d a r a u s f ü r Israel ergeben; die Völkersprüche legen dar, warum dies so ist und wie die Welt vom Willenswandel G o t t e s betroffen ist. Die gegenwärtige Abfolge von Völkersprüchen und Visionsberichten ist keine biographische. Sie ist vielmehr eine redaktionelle. Der R e d a k t i o n erschien es leichter erträglich, d a ß f ü r den Leser des A m o s b u c h e s die Unwiderruflichkeitsaussage unverständlich oder zumindest unexpliziert bleiben mußte, bis er zu den Visionsberichten des Propheten gelangte, als d a ß dieser Leser in den Visionsberichten Jahwes endgültigen und nicht revozierbaren Entschluß zur Vernichtung Israels erfahren hätte, ohne zuvor etwas von der konkreten Schuld Israels v e r n o m m e n zu haben. (Aus ebendiesem G r u n d wird ja auch in der gegenwärtigen Abfolge der Visionen der Z u s a m m e n h a n g zwischen vierter und fünfter Vision, also zwischen Ansage des „Endes Israels" (8,2) und dessen Explikation (9,1 ff.), unterbrochen und zuvor der Schuldaufweis der Israelstrophe nachgetragen, allerdings in leicht veränderter und aufs Wesentliche z u s a m m e n g e f a ß t e r Gestalt.) Sachlich geschah dies zweifellos zu Recht, denn es war die übergroße Schuld Israels, die die gedankliche Basis aller Visionen bildete; nur war deren Inhalt nicht G e g e n s t a n d des von Arnos G e s c h a u t e n und daher auch nicht G e g e n s t a n d seiner Visionsberichte. H i n z u k a m , d a ß mit Voranstellung der Völkersprüche auch die Universalität des göttlichen Gerichts als zentrales Anliegen der Verkündigung des Arnos z u m Ausdruck gebracht werden konnte. Jahwe sprach - durch Arnos - zu Israel und meinte doch die Welt; allerdings meinte er sie nicht so, wie es der Volksglaube erhoffte, d a ß er nämlich die Welt um Israels willen vernichten würde, sondern so, d a ß das Geschick Israels und das Geschick 30 Auch nicht in der 3. Vision, in der das Hapaxlegomenon " p s zu Vermutungen in dieser Richtung geführt hat; vgl. W . B E Y E R L I N , aaO. [Anm. 1 9 ] .

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der Welt unlöslich aneinander gebunden waren. Zwar wissen wir nicht, ob Arnos der Meinung war, d a ß auch die Welt zu retten wäre, wenn Israel gerettet werden könnte. Wohl aber ergibt sich aus den Völkersprüchen, daß für ihn die Endgültigkeit des Gerichtes an Israel die Endgültigkeit des Gerichtes an den Völkern zur Folge hatte. Gewiß m u ß sogleich an dieser Stelle betont werden, daß die Völker um ihrer eigenen schweren Schuld willen vernichtet werden, die zumindest im Fall von Am 2,1 nicht einmal Israel betraf oder auch nur berührte 3 1 . Aber die Unwiderruflichkeit des sie treffenden Gerichts basiert auf der Unwiderruflichkeit der Strafe Israels, weil allein diese Strafe hätte widerrufen werden können, gab es doch in Israel Propheten wie Arnos, die Jahwes Willen beeinflussen konnten solange er sich beeinflussen ließ. Die Visionen markieren die Grenze dieser Möglichkeit und damit, wie die Völkersprüche zeigen, eo ipso die Grenze der Möglichkeit, d a ß die Völker trotz ihrer Schuld dem Untergang entgehen könnten. Noch ein weiteres geht aus dem Schuldaufweis der Völkersprüche hervor. Die Wendung „wegen dreier und vierer Verbrechen von..." findet ebenso wie die Unwiderruflichkeitsformel ihre vom Leser erwartete Ausfüllung erst in der Israelstrophe; in den eigentlichen Völkersprüchen ist nur jeweils ein Schuldgrund genannt. Auch von hier aus ist deutlich, daß die Völkersprüche - zumindest in ihrer schriftlichen Gestalt - von vornherein auf die Israelstrophe als ihren Höhepunkt hin gelesen werden wollen. Wenn man allerdings häufig in der Vergangenheit aus dem Zusammenhang von Völkersprüchen und Israelstrophe geschlossen hat, Arnos habe seine Völkerworte unter großer Zustimmung der Hörerschaft gesprochen, habe deren Erwartung, mit den Völkerworten sei Heil für Israel impliziert, erst mit der abschließenden Israelstrophe bitter enttäuscht, die Schuld und Strafe noch wesentlich steigert 32 , so m u ß m a n sich im klaren sein, daß ein solcher Vorstoß in die mündliche Verkündigung des Propheten, mag er auch noch so plausibel sein, auf einen Rückgang hinter die schriftliche Ebene des Textes, d. h. auf Rekonstruktion, beruht und nicht auf Exegese 33 . Auf der 11 Vermutlich hat man sich diesen Sachverhalt so vorzustellen, daß die Tradition vom Jahwekrieg gegen die Fremdvölker, nach A m 2,9 in der Frühzeit Zeichen der Erwähltheit Israels, mit der Revozierung der Erwählung frei geworden ist für einen generelleren Gebrauch: die A h n d u n g menschlicher Vergehen. Gleichzeitig erfahrt Israel nun diese Macht Gottes gegen sich selbst gerichtet (2,13-16). 52 Hier wäre an den bekannten Sachverhalt zu erinnern, daß sich die genannten Vergehen der Völker ausnahmslos auf Kriegszüge beziehen, sich also nach außen gegen andere Völker richten, während Israels Schuld die eigenen Volksglieder betrifft, deren Schwachheit und Abhängigkeit zu eigenem Vorteil ausgenutzt wird. Die Israeliten verhalten sich sozusagen schon in Friedenszeiten „kriegerisch", und das gegen die eigenen Nachbarn. 33 Es bewährt sich also auch auf dieser Ebene das Urteil O. KAISERS, Einleitung in das AT, 5 1984, 222: „Entgegen der seit BENTZEN öfter wiederholten Behauptung läßt sich eine

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Ebene des Textes ist nicht der Überraschungseffekt der Israelstrophe das Entscheidende - Heil für Israel ist in keinem der Völkersprüche auch nur angedeutet; in ihnen werden Kriegsverbrechen vom Herrn der Welt geahndet sondern vielmehr der über sich selber hinausweisende Horizont der einzelnen Völkersprüche, die also auf eine Fortsetzung in der Israelstrophe warten. Das gilt sowohl für die sachlich nicht ausgefüllte Erwartung, die die Zahlenspruchformel „drei und/oder vier Verbrechen" in den Völkerworten weckt, als auch für die in der Gattung der Völkersprüche völlig ungewohnte Unwiderruflichkeitsaussage. Letztere hat für den aufmerksamen Leser längst das Bewußtsein eines - wie auch immer im einzelnen ausgeführten - Involviertseins Israels hervorgerufen.

IV. Insgesamt wird man urteilen müssen, d a ß Völkersprüche und Visionsberichte als schriftliche Kompositionen kaum unabhängig voneinander entstanden sein können, sondern sehr wahrscheinlich bewußt aufeinander zu gestaltet worden sind, um sich gegenseitig zu interpretieren. Ohne die Visionsberichte gelesen, bliebe an den Völkersprüchen insbesondere die je neu eingeschärfte Unwiderruflichkeit des göttlichen Strafgerichts unverständlich, letztlich aber auch das Ineinander von Erntebild und Erdbeben in der Israelstrophe. Ohne die Völkersprüche gelesen, bliebe an den Visionsberichten insbesondere das M a ß der Schuld Israels unverständlich, nicht weniger aber auch die Universalität des göttlichen Handelns, da die Schuld Israels eben als eine extreme Steigerung der Schuld der Völker herausgestellt wird. Vermutlich sollten Völkersprüche und Visionsberichte zusammen einmal eine abgeschlossene Ganzheit bilden. Darauf könnte weisen, daß die stereotype Rahmung der Völkersprüche stets mit der Botenformel: „So hat Jahwe gesprochen" beginnt, die R a h m u n g der Visionsberichte stets mit „So hat mich Jahwe schauen lassen" (in der letzten Vision steigernd: „Ich schaute den Herrn"). Hören und Sehen bilden die doppelte Weise des prophetischen Gotteskontaktes. Das Gehörte halten die Völkersprüche fest, das Geschaute die Visionsberichte. Rechnet man mit einer eigenen Sammlung von Völkersprüchen und Visionsberichten, so spricht allerdings, wie gesehen, alle Wahrscheinlichkeit dafür, d a ß die Reihenfolge beider literarischer Kompositionen ursprünglich umgekehrt war. Die Darlegung der ungeheuerlichen Schuld Israels und der Universalität des göttlichen Strafgerichts sind gut als Explikationen des „Endes Israels" (Am 8,2) vorstellbar, während umgekehrt die UnwiderAbhängigkeit dieser Komposition (seil.: der Völkerworte) von einem kultischen, gegen die Fremdvölker gerichteten Ritual ... nicht aufrechterhalten."

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ruflichkeitsformel in den Völkersprüchen und das Ineinander von Erntebild und Erdbebenankündigung in ihnen eher ein Vorangehen der Visionsberichte voraussetzen. Eindeutig erscheint mir, daß Völkersprüche und Visionsberichte von anderer H a n d verfaßt worden sind als die Kapitel Am 3 - 6 . Darauf weist nicht nur die völlig andersartige Aneinanderreihung der Sprüche in A m 3 - 6 als in der strophischen Gliederung mit formelhafter Wiederholung im Fall von A m 1 - 2 * und 7 - 9 * 3 4 , sondern auch mancherlei inhaltliche Gesichtspunkte deuten in diese Richtung. Insbesondere das Fehlen jeglichen Hinweises auf ein Erdbeben in A m 3 - 6 ist hier zu nennen, wie es in der Israelstrophe der Völkersprüche und in der letzten Vision die Strafankündigung gegen Israel prägt und in der Überschrift des Amosbuches betont als Zeichen der Wahrheit der Verkündigung des Arnos hervorgehoben wird. Umgekehrt findet die Konzentration auf die Schuld Samarias in Am 3 und 6 keinerlei Analogie in Völkersprüchen und Visionsberichten. Sollten Völkersprüche und Visionsberichte anfänglich eine eigene Sammlung gebildet haben, so ist nicht auszuschließen, daß sie auf Arnos selber zurückgeht (WOLFF). Darauf könnte insbesondere das betonte „Ich" in den Visionsberichten in Verbindung mit der Frage: „Was siehst du, Arnos?" (7,8; 8,2) deuten 3 5 . Jedenfalls zeigen sich in beiden Komplexen nicht jene Tendenzen zu interpretatorischer Darlegung, wie sie in Am 3 - 6 typisch für die Überlieferungsweise von Schülerkreisen erscheinen; man denke etwa an die Ausführung des Themasatzes in 3,2 durch einerseits die Legitimationsperikope 3,3-8, andererseits die Worte gegen Samaria in 3,94,3 oder an die Exegese der Kultkritik des Arnos in 5,4 f. durch 5,6 und 5,14 f. 36 Dennoch ist auch bei einer derartigen A n n a h m e eine komplizierte Genese der beiden Kompositionen in Anschlag zu bringen. Die schriftlichen Texte 14

Erst jüngere Ergänzer haben in A m 4,6 ff. diese strophische Gliederung imitiert. Nachdem V. FRITZ, aaO. [Anm. 4], eine redaktionsgeschichtliche Deutung der Fremdvölkersprüche insgesamt vorgeschlagen hat, wäre auch die Lösung zu erwägen, daß die Völkersprüche sekundär den Visionsberichten nachgebildet worden wären. Wahrscheinlich ist mir diese Lösung aufgrund des vorgelegten Materials nicht; N ä h e und Ferne beider Kompositionen zueinander sind zu komplex, als d a ß sie sich nahelegte. Außerdem hat FRITZ selber seinen Vorschlag gerade auch damit begründet, daß die Komposition der Fremdvölkerworte „in ihrer Zusammensetzung keinerlei Anhaltspunkte an den echten Worten des Arnos hat" (S. 28 f.). Er hat mit diesem Urteil allerdings vor allem A m 3 - 6 im Blick und läßt in seiner Argumentation die Visionsberichte und insbesondere auch die Israelstrophe 2 , 6 - 1 6 außer Betracht. M a n müßte im Verfolgen des Lösungsvorschlags von FRITZ eine eigenständige Israelstrophe rekonstruieren, die - nun in ihrer Isolation wesentliche Elemente der Aussage mit den Visionsberichten gemein hätte. - Jedenfalls aber wird m a n die Visionsberichte in ihrer Anfangsgestalt nicht analog dem Vorschlag von FRITZ herabdatieren können; sonst würden die komplizierten Deutungsprozesse in 7,9-16 und 8 , 3 - 1 4 unverständlich bleiben. 35

36

Vgl. dazu den vorausgehenden Aufsatz.

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spiegeln keineswegs die mündliche Verkündigung des Propheten unmittelbar wider; letztere kann vielmehr nur noch andeutungsweise hinter den Texten erahnt werden. Im Fall der Visionsberichte ist überhaupt fraglich, ob Arnos sie je mündlich - zumindest öffentlich - verkündigt hat. Die Visionen enthalten keinen Verkündigungsauftrag, und die fehlende Darlegung der Schuld Israels in ihnen lassen sie als unmittelbaren Verkündigungsinhalt in der Öffentlichkeit wenig geeignet erscheinen. Aber selbst wenn Arnos sie öffentlich und nicht nur im Kreis seiner Vertrauten mitgeteilt hätte, wäre die bis in Einzelheiten durchdachte paarweise Gliederung und Gegenüberstellung der Visionen, die jetzt entscheidendes Kennzeichen der schriftlichen Gestaltung ist, noch nicht zu erwarten. Die Schriftlichkeit setzt außerdem den Rückblick über alle Visionen und ihre reflektierende Aufarbeitung voraus; die mündliche Mitteilung könnte auch nur einen Teil der Visionen betroffen haben, die ja zu verschiedenen Zeiten empfangen wurden. Im Fall der Völkersprüche ist die Differenz zwischen mündlicher Verkündigung und schriftlichem Text nicht weniger gravierend spürbar. Mündlich könnten die Worte gegen die fremden Völker zu je verschiedenen Zeiten gesprochen worden sein. Aber auch wenn man annimmt, daß sie von vornherein zusammen und mit dem gegen Israel gewendeten Abschluß gesprochen wurden, so müßte man, wie schon oben dargelegt, in dieser Wendung gegen Israel eine überfallartige, überraschende Neuverwendung der Völkerworte gegenüber der Erwartung der Hörer vermuten; gerade diesem Gedankenduktus entspricht der überlieferte Text jedoch nicht, wie sich schon an der Unwiderruflichkeitsformel verdeutlichen läßt.

11. Zur Entstehung der Völkersprüche im Amosbuch D a s Amosbuch ist darin ohne Analogie unter den Prophetenbüchern, daß es mit Völkerworten einsetzt. Es versteht sich von selbst, daß die Funktion dieser Völkerworte für das Buch eine andere sein m u ß als in der Endgestalt zahlreicher anderer Prophetenbücher (Jesaja, Jeremia [LXX-Fassung], Ezechiel, Zefanja), in der sie in der Mitte zwischen den Sammlungen von Gerichts- und Heilsworten für Israel stehen und so etwas wie eine Brückenfunktion einnehmen: Die Völker sind wie Israel gerichtsreif, zugleich aber leitet das Gericht an ihnen das zukünftige Heil Israels ein. Hier spiegelt sich noch - trotz langer zeitlicher Entfernung - der Sachverhalt wider, daß Völkerworte in der Zeit vor der sog. Schriftprophetie explizit oder doch implizit Heilsworte für Israel waren 1 . So können und dürfen die Völkerworte des Arnos nicht gedeutet werden. Vor wenigen Jahren hat V. F R I T Z nachdrücklich darauf verwiesen, daß ihre Funktion im Amosbuch bisher kaum behandelt worden ist; er hat selbst dafür plädiert, sie als vaticinia ex eventu zu verstehen, d. h. als rückblickende Geschichtsdeutung der Konsequenzen des Falles Samarias 2 . Der Fortschritt einer solchen Deutung liegt vor allem darin, daß die Anfangskapitel des Amosbuches entschlossen als schriftlicher Text wahrgenommen werden und die naive Vorstellung älterer Forscher, Am 1 - 2 stünden dem Buch darum voraus, weil es sich um die erste Rede des Arnos gehandelt habe 3 , grundsätzlich aufgegeben wird. Inhaltlich vermag mich die Funktionsbestimmung von V. F R I T Z nicht zu überzeugen. I.

Auszugehen ist - vor jedem Versuch einer historischen Verortung - von der Komposition der Kapitel A m 1 - 2 . Sie erweist primär, daß die abschließende, 1

Vgl. zum konzeptionellen Hintergrund etwa J. H. HAYES, The Oracles against the Nations in the OT, Diss. Princeton 1964; D. L. CHRISTENSEN, Transformations of War Oracles in the O T Prophecy. Studies in the Oracles against the Nations, H D R 3, Missoula 1975. 2 V. FRITZ, Die Fremdvölkersprüche des Arnos, VT 37, 1987, 26-38. 3 So in jüngerer Zeit z. B. noch M. HARAN, The Rise and Decline of the Empire of Jeroboam ben Joash, V T 17, 1967, 266-297; 277 f.; DERS., Observations on the Historical Background of Arnos 1:2-2:6, IEJ 18, 1968, 201-212; 206.

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weit ausführlichere Israelstrophe alle vorausgehenden Völkersprüche vielfältig steigert: Unter den Nachbarvölkern Israels (auf sie beschränkt sich die Sicht; es geht nicht um die damals bekannte Welt) ist Grauenhaftes und Entsetzliches geschehen, vor allem, aber nicht ausschließlich (Am 2,1), gegenüber Israel; jedoch ist das Gottesvolk selber erheblich schuldiger als alle Nachbarvölker, indem es seine Gewalt nach innen gegen die eigenen Mitmenschen richtet. D a r u m m u ß von seiner Schuld und seiner Strafe auch viel ausführlicher geredet werden. Heil für Israel folgt in dieser Komposition aus dem Gericht gegen die schuldigen Völker eindeutig nicht. N u n hat m a n freilich, grundsätzlich zu Recht, gefragt, ob die Komposition der Kapitel 1 - 2 den ältesten Sinn der Völkerworte widerspiegele, diese also von Anbeginn dazu gedient hätten, Vorverweis auf die noch größere Schuld Israels zu sein. Bekannt ist und viel diskutiert wurde die A n n a h m e E. W Ü R T H W E I N S , zusammen mit den ersten beiden Visionen, in denen Arnos mit Erfolg fürbittend für Israel vor Jahwe eintritt, seien die Völkerworte Zeugnisse einer vorgängigen heilsprophetischen Phase im Leben des Arnos 4 . Diese inhaltlich begründete These setzt voraus, daß die Verbindung zwischen Völkerworten und abschließender Israelstrophe nicht von Anbeginn gegeben war. D a ß diese Verbindung literarisch sekundär sei, haben in jüngerer Zeit vor allem K. K O C H und G . F L E I S C H E R im Blick auf die Eigenarten der Israelstrophe zu begründen versucht 5 . Beide Autoren nehmen an, daß das von H a u s aus selbständige Israelwort erst nachträglich in 2,6 den Völkersprüchen angeglichen worden sei. Diese auf den ersten Blick plausible Erklärung der zahlreichen Besonderheiten der Israelstrophe 2,6-16 erweist sich bei näherem Zusehen als nicht haltbar. Vielmehr sprechen zahlreiche Indizien dafür, daß genau vom umgekehrten Sachverhalt auszugehen ist: d a ß die Völkersprüche literarisch von der Israelstrophe als ihrer Überbietung her konzipiert worden sind 6 . Zwei Formglieder im stereotypen Rahmen der Völkersprüche sind nämlich ganz von der Israelstrophe her entworfen: der gestaffelte Zahlenspruch („wegen der drei Verbrechen von ... und wegen der vier") und die Formel der Unwiderrufbarkeit („... kann ich es nicht zurücknehmen"). Der gestaffelte Zahlenspruch findet erst in der Israelstrophe seine Füllung, wo - wie nach 4 E. WÜRTHWEIN, Amos-Studien, ZAW 62, 1949/50, 10-52 (= Wort und Existenz, Göttingen 1970, 68-110; 93 ff.). 5 K. KOCH und Mitarbeiter, Arnos. Teil 2, AOAT 30, 1976, 12 f. 68 u. ö.; G. FLEISCHER, Von Menschenverkäufern, Baschankühen und Rechtsverkehrern, BBB 74, 1989, 18 ff. 6 So schon P. HÖFFKEN, Untersuchungen zu den Begründungselementen der Völkerorakel im AT, Diss. Bonn 1977, 56.65, dem wir eine der sorgfältigsten Analysen der Völkerworte des Arnos verdanken (ebd. 46-68.102-140), die leider selten zur Kenntnis genommen wird. Vgl. jüngst H. M. NIEMANN, Theologie in geographischem Gewand. Zum Wachstumsprozeß der Völkerspruchsammlung Arnos 1 - 2 , in: DERS. - M. AUGUSTIN - W. H. SCHMIDT (Hrg.), Nachdenken über Israel, FS K.-D. Schunck, BEAT 37, 1994, 177-196.

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ihm zu erwarten - vier Vergehen aufgezählt werden, während sich die Völkersprüche mit der Nennung eines einzigen, d. h. des wichtigsten von mehreren, begnügen. Die Formel der Unwiderrufbarkeit schließt in ihrer Negation eine Weise der Einflußnahme auf den göttlichen Willen aus, wie sie im AT vor dem Exil nur für Israel belegt ist, und zwar als Wirkung der prophetischen Fürbitte. Hinzu kommt drittens, daß die Schuldkategorie 57WQ, „Verbrechen", häufig eine politische ist und Revolte gegen bzw. Abfall von einem Oberherrn bezeichnet. Im übertragenen Sinne ist sie primär für Israel entworfen und erst nachträglich auf die Völker angewendet worden 7 . Ja, m a n wird in den Folgerungen noch weiter gehen müssen. Die Formel der Unwiderrufbarkeit schlägt sachlich für jeden aufmerksamen Leser des Buches Arnos den Bogen hinüber zu den abschließenden Visionsberichten, die kaum zufällig wie die Völkersprüche (in deren sogleich zu nennender ursprünglichen Gestalt) in fünf Strophen gegliedert sind; dabei bilden hier wie dort die ersten vier Strophen zwei Strophenpaare, während die letzte abgehoben und betont für sich steht. In den Visionsberichten aber wird vom ersten zum zweiten Visionenpaar ein Weg festgehalten, den der Prophet Arnos von G o t t geleitet wurde; er führte von der Bereitschaft Gottes, aufgrund der Fürbitte des Propheten, Strafe an Israel auszusetzen, zur Ansage des Endes der göttlichen Geduld: „Ich kann nicht mehr (schonend) an ihm (d. h. Israel) vorübergehen" (7,8; 8,2). Diese Wegstrecke liegt offensichtlich schon abgeschlossen hinter den Völkersprüchen. Die Formulierung: „Ich kann es nicht zurücknehmen" in den Völkersprüchen setzt demnach nicht nur die Israelstrophe sachlich voraus, weil (zumindest für alle vorexilischen Belege im AT) ein „Zurücknehmen" der göttlichen Strafe bzw. Strafankündigung für geschehene schwere Schuld nur aufgrund prophetischer Einsprache für Israel denkbar ist, sondern die Israelstrophe ihrerseits setzt sachlich die Visionsberichte des Arnos voraus, in denen das Ende einer derartigen Einspruchsmöglichkeit des Propheten beschrieben ist 8 . Die Völkersprüche des Arnos dürfen also nicht ohne die sie überbietende Israelstrophe ausgelegt werden wie diese ihrerseits nicht ohne die Visionsberichte, die sie voraussetzt. Die Frage, ob die Völkersprüche in der mündlichen Verkündigung des Arnos einmal eine andere Funktion hatten und etwa je für sich gesprochen wurden, ist damit allerdings noch nicht negativ beantwortet. Eher legt die Analogie der Visionsberichte eine positive Antwort nahe 9 . Bei den Visionsberichten kann nämlich kein Zweifel daran bestehen, d a ß sie einerseits literarisch in ihrer paarweisen Gestaltung mit zwei einander oppositionell zugeordneten Visionenpaaren und einer sie 7 Vgl. R. KNIERIM, Die Hauptbegriffe für Sünde im AT, Gütersloh 2 1967, 1 13 fT.; DERS., T H A T II 488-495; H. SEEBASS, T h W A T VI 793-810; bes. E. BEAUCAMP, Le pesha' d'Israel et celui des Nations, ScEs 21, 1969, 435-441. 8 Vgl. zum genaueren Nachweis den vorausgehenden Beitrag. 9 So urteilt nicht ohne G r u n d P. HÖFFKEN, aaO. [Anm. 6] 65-67.

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überbietenden Schlußvision als Einheit gedeutet werden wollen, dennoch aber biographisch je für sich und nacheinander von Arnos empfangen wurden. Natürlich ergibt sich aus dieser Beobachtung noch nicht die Notwendigkeit, damit zu rechnen, daß Arnos jede Vision dem Kreise seiner Vertrauten je einzeln mitgeteilt hätte, er kann ihnen auch erst im Rückblick den abgeschlossenen Erkenntnisweg, den Jahwe ihn führte, mitgeteilt (und ihn dann niedergeschrieben?) haben. F ü r die Völkersprüche ergibt diese Analogie, daß mit beiden Möglichkeiten gerechnet werden muß: Sie können wie der schriftliche Text auf die Israelstrophe hin gesprochen worden sein, sie können aber auch zunächst je einzeln verkündet worden sein. Es bedarf weiterer Indizien, um die Frage zu entscheiden.

II. Eine Beobachtung von m. E. entscheidender Bedeutung ist dabei diejenige der paarweisen Zuordnung je zweier Völker. Auch hierin zeigt sich die Komposition der Völkerworte als eine Nachbildung der Komposition der Visionsberichte. Ich setze dabei - mit H. GESE10- voraus, daß es durch zahlreiche sorgfältige Analysen als erwiesen gelten darf, daß die Sprüche gegen Tyros und Edom (1,9-12) und der Spruch gegen Juda (2,4 f.) mit seiner charakteristisch dtr Theologie erst (exilische) Nachträge s i n d " . Interessant ist freilich, daß auch die Nachträge paarweise vorgenommen wurden, insofern die Tyros- und Edomstrophe formal und inhaltlich (besonders die Vorstellung eines "Bruder"-Verhältnisses zu Israel) vielfach aufeinander bezogen sind und die Judastrophe die abschließende Israelstrophe zu einem neuen, vierten Paar ergänzt. Aber von den Nachträgen sei vorerst abgesehen. Dann ergibt sich, d a ß die ersten beiden Völkerstrophen (gegen A r a m ä e r und Philister) Gemeinsamkeiten aufweisen, die nur ihnen eigen sind - die wichtigste ist die bewußt identisch formulierte Ankündigung: „Ich vertilge den Herrscher (jeweils mit dem gewöhnlichen Terminus atPV) aus x und den Zepterträger aus y" wodurch sie deutlich aufeinander bezogen sind, wie ja A r a m ä e r und Philister in enger Gemeinsamkeit auch in Am 9,7 (sowie in Jes 9,11) begegnen. Noch enger sind die Strophen über die N a c h b a r n (und Vettern: Gen 19,30 ff.) A m m o n und M o a b miteinander 10

H . GESE, K o m p o s i t i o n bei A r n o s , V T . S 32, 1981, 7 4 - 9 5 . GESE n e n n t e b d . 86 f. d i e

relevanten Autoren, die pro und contra urteilen, in großer Breite; ergänzt wird diese Liste d u r c h FLEISCHER, a a O . [ A n m . 5] 19.

" Besonders genaue Begründungen der literarischen Schichtung liefern W. H. SCHMIDT, Die deuteronomistische Redaktion des Amosbuches, ZAW 77, 1965, 174— 183; H. W. WOLFF, BK XIV/2, (1969) M985, 170 ff.; HÖFFKEN, aaO. [Anm. 6] 112 ff.; B. GOSSE, Le recueil d'oracles contre les nations du livre d'Arnos et l'„histoire deuteronomique", V T 38, 1988, 22-40; zuletzt, J. NOGALSKI, Literary Precursors to the Book of the Twelve. BZAW 217, 1993, 8 9 - 9 7 .

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verbunden. Unter den Gemeinsamkeiten, die nur in diesen beiden Strophen begegnen, sind 1) die Umstände zu nennen, unter denen das stereotyp in allen Strophen genannte Feuer an die Paläste gelegt wird: a) Durch dreibzw. vierfache asyndetische Aneinanderreihung der gleichen Präposition 3 „bei, unter" werden sie in ihrer Plötzlichkeit umschrieben (1,14b; 2,2b); b) durch bewußte Wortwiederholung ( n i m n „Kriegsgeschrei") wird jeweils das Angriffssignal einer furchtbaren Schlacht hervorgehoben, die mehr als ein übliches Schlachtgeschehen ist 12 . 2) Des weiteren wird nur in diesen beiden Strophen die Beamtenschaft (jeweils D'-iiP) in das Geschick der Herrscher mit einbezogen. Aber die künstliche literarische Verzahnung der Strophen in ihrer paarweisen Zuordnung geht noch über das bisher Genannte hinaus. Wie im Falle der Visionsberichte werden die beiden Strophenpaare ihrerseits miteinander in Beziehung gesetzt. Allerdings geschieht das nicht antithetisch wie bei den Visionsberichten, wo die 3. und 4. Vision mit ihrem identischen göttlichen „Ich kann nicht mehr (schonend) an ihm (Israel) vorübergehen" (7,8; 8,2) das Ende der Strafrücknahme markieren, die in den ersten beiden Visionen im Zentrum stand. Wohl aber geschieht es so, daß die jeweils ersten und die jeweils zweiten Glieder der Strophenpaare sowohl in der Anklage als auch in der Strafansage parallel laufen: in der Anklage, insofern Aramäern wie Ammonitern an „Gilead" verübte Grausamkeiten zur Last gelegt werden, während die jeweils zweiten Strophen ihren Blick nach Süden auf Edom richten; in der Strafansage, insofern die jeweils erste Strophe der beiden Paare Verbannung (der Bevölkerung im Falle der Aramäer, des Königs und seiner Beamtenschaft im Falle der Ammoniter) ansagt, die jeweils zweite aber steigernd den Tod (der analogen Kreise). Hier herrscht kein Zufall vor, sondern bewußte künstlerische Gestaltung. Ihr Sinn wird erst deutlich, wenn beachtet ist, d a ß die beiden Strophenpaare jeweils eine Erfahrung des Nord- und eine Erfahrung des Südreichs zusammenbinden. Während es im Konflikt des Nordreichs mit den Aramäern und den Ammonitern um das mittlere Ostjordanland, eben „Gilead" ging, das erstere von Norden, letztere - vielleicht als Folge dessen - von Süden bedrohten, betrafen die Grenzkonflikte mit den Philistern, in deren Zusammenhang die in 1,6 genannten Verschleppungen ganzer Ortschaften geschahen, k a u m Israel, sondern weit eher Juda. N u r am A n f a n g seiner Geschichte als selbständiger Teilstaat hat unseres Wissens das Nordreich Israel Grenzkämpfe mit den Philistern um die Stadt Gibbethon (heute vermutlich teil el-meläP) geführt (1 Kön 15,27; 16,15-17), später hören wir nur von den Grenzkonflikten Judas mit den Philistern, in denen es vor allem 12 D a r a u f weisen bes. die geprägten Theophanieelemente in 1,14; vgl. etwa Jes 29,6; Ez 1,4; Hi 38,1. 13 Vgl. G. VON RAD, PJB 29, 1933, 30 ff.; anders K. ELLIGER, B H H 1, 566 f.: Tiqir.

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um den Besitz von Gath ging (2 Kön 12,18 f.; 2 Chr 26,6) 14 . Im Falle Moabs handelte es sich zwar um einen ehemaligen Vasallenstaat Israels (2 Kön 3,4 f.), jedoch spricht der Text von keinen Grenzstreitigkeiten mit Israel, von denen wir auch sonst nichts Näheres wissen, sondern von Auseinandersetzungen Moabs mit dem südlichen N a c h b a r n Edom in dessen Territorium, genauer: von einem Frevel an seinem toten König (2,1). Diese Freveltat aber hat weit eher die Gemüter der Judäer bewegt, deren unmittelbare N a c h b a r n die Edomiter waren, als die weit entfernt wohnenden Israeliten, wie ja auch später die zahlreichen emotional-haßerfüllten Texte gegen Edom, die Parallelen zu der nachgetragenen Edomstrophe in Am 1,11 f. bilden (Ps 137,7; Thr 4,21; O b 10-14; Jes 34), charakteristisch judäische Texte sind. N u r setzt A m 2,1 als älterer Text eine Verbundenheit mit Edom voraus, wie sie trotz vielfältiger Feindschaften über die Jahrhunderte vom Wissen um die gemeinsame Vorgeschichte (vgl. die JakobEsau-Erzählungen) gespeist war und in den charakteristisch judäischen Verfügungen von Dtn 23,8 f. und Dtn 2,4 f. ihren Widerhall fand. Dann aber ist die Wahrscheinlichkeit denkbar gering, d a ß die Komposition der älteren Völkerworte im Amosbueh unmittelbare Widerspiegelung der Verkündigung des Propheten ist, wie es die Amosforschung vor dem eingangs genannten Aufsatz von V. F R I T Z ganz selbstverständlich annahm 1 5 . Zumindest m u ß man sagen, daß sich der kritischen Forschung im übrigen Buch Anspielungen auf Juda (2,4 f.), den Zion (1,2; 6,1) bzw. die „Hütte Davids" (9,11) durchweg als Zeichen nachträglicher Aktualisierung der Amosbotschaft in Juda erwiesen haben 1 6 . Arnos war Judäer, wie besonders seine Differenzen zu Hosea wahrscheinlich machen 1 7 ; aber als Judäer trat er in Israel auf, und die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ihn zurückzuführenden Texte reden ausschließlich Menschen im Nordreich an und beschäftigen sich mit ihren Erfahrungen und Problemen. Eine Rückkehr des Arnos nach Juda infolge seiner Ausweisung aus Bet-El ist denkbar, aber durch nichts zu belegen. Damit legt sich die Vermutung nahe, daß die künstlerische paarweise Ordnung der Völkersprüche im Amosbueh, die so deutlich darauf abzielt, 14

Vgl. M. NOTH, Geschichte Israels, Göttingen M956, 218. Vgl. stellvertretend für andere A. WEISER, Die Profetie des Arnos, BZAW 53, 1929, 85-116: „Mit jeder Strophe steigt die Begeisterung und innere Zustimmung" der Hörer, so daß dann die Israelstrophe auf sie „wirken muß wie ein Blitz aus heiterem Himmel" (103); weiter J. BARTON, Arnos' Oracles against the Nations, SOTS.MS 6, Cambridge 1980, der in der Reihung der Völker einen „rhetorical trick" erkennt, der den Hörern jeden Ausweg versperre (3 f.). 16 Mit wenigen Ausnahmen: Unter den neueren deutschsprachigen Autoren ist neben S. WAGNER, ThLZ 96, 1971, 653-670, nur W. RUDOLPH ZU nennen; anders ist die Situation in der konservativen amerikanischen Forschung (vgl. etwa die Kommentare von J. H. HAYES, 15

1988; F. I. ANDERSON - D . N . FREEDMAN, 1989; SH. M . PAUL, 1991). 17

Vgl. den Beitrag „Die Anfänge des Dodekapropheton", o. S. 34 ff.

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Erfahrungen des Nordreichs mit solchen aus dem Südreich zu verbinden, weil Judäer die primären Adressaten der A m o s t o i e waren, erst Werk der Tradenten des Arnos ist, bei dem die - am ehesten wohl direkt auf Arnos zurückgehenden - Visionsberichte als Vorbild dienten. Literarisch ist hinter diese bewußte Komposition nicht zurückzukommen. Für die Rekonstruktion der mündlichen Verkündigung des Arnos geht aus ihr nur hervor, daß sich ihre Entstehung ungleich leichter verstehen läßt, wenn schon Arnos die Vergehen der Aramäer und Ammoniter an „Gilead" steigernd mit der ungleich größeren Schuld Israels verglich, als wenn m a n von der Alternative ausginge, daß Arnos einmal nur die Vergehen der N a c h b a r n je für sich verurteilt hätte und erst die Tradenten den Zusammenhang mit der Schuld Israels hergestellt hätten. Über derartige spekulative Erwägungen aber ist kaum hinauszukommen. Es ist also bei den Völkerworten des Arnos mit einem doppelten Wachstumsprozeß zu rechnen, wie ihn ähnlich, freilich aufgrund ungesicherter historischer Erwägungen, jüngst H. M. N I E M A N N postuliert hat 1 8 . Somit hätte Arnos in mündlicher Verkündigung die Grausamkeiten der Aramäer und Ammoniter mit der Schuld Israels verglichen, während die Tradenten diese Botschaft für judäische Leser zu einer künstlerischen Fünfer-Struktur ausgebaut hätten, bevor die Endgestalt des Textes durch Zufügung der Tyros-, der Edom- und der Judastrophe herbeigeführt worden wäre.

III. Was läßt sich über die historischen Hintergründe dieser Wachstumsstufen sagen? Auf relativ sicherem Boden steht man nur bei der letzten. Die charakteristisch dtr Terminologie der Judastrophe zeigt ebenso wie der Inhalt der Edomstrophe, daß frühestens an die Exilszeit zu denken ist. Die Edomstrophe unterscheidet sich allein schon dadurch von den älteren Völkerworten, daß sie nicht nur wie diese von zurückliegenden Erfahrungen spricht, sondern von fortwährender, die Gegenwart prägender Feindschaft (1,11). Gedacht ist an Edoms Beteiligung an der Eroberung Jerusalems in Gestalt von Auslieferungen Flüchtiger und von Plünderungen (Ob 10-14; Ps 137,7; Thr 4,21 u. ö.) und mehr noch an die Besetzung des Südens Judas in der Folgezeit 19 . Da die Tyrosstrophe durchgehend der Philisterstrophe nachgebildet ist, und zwar sowohl in der Anklage als auch in der Strafansage, und zudem den Gedanken des „Bruderbundes" der Edomstrophe 18 AaO. [Anm. 6], Er rechnet allerdings mit komplizierten Zwischenstufen und datiert die älteste Fassung der Völkerworte - m. E. zu Unrecht - erst in die Jahre nach dem Fall Samarias; vgl. dazu das Folgende. 19

Lit.

V g l . z u s a m m e n f a s s e n d M . WEIPPERT, E d o m u n d I s r a e l , T R E 9 , 1 9 8 2 , 2 9 1 - 2 9 9 m i t

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nachgestaltet hat, ist sie für sich weit schwerer einzuordnen. Immerhin gilt H. W . W O L F F S Hinweis, daß analoge Worte gegen die Inselfestung Tyros erst ab 604 v. Chr. im AT belegt, zumeist aber erheblich später sind 20 . Erheblich unsicherer sind die historischen Erwägungen zur Entstehung des ältesten schriftlichen Textes. D a ß er in 2,1 eine ganz andere Haltung zu Edom einnimmt als die Edomstrophe in 1,11 f., wurde schon erwähnt; insofern ist er erheblich früher als diese anzusetzen. Grenzstreitigkeiten zwischen Juda und den Philisterstädten sind während des gesamten 8. Jh.s denkbar und noch darüber hinaus, nachdem das Land Juda mit Ausnahme Jerusalems 701 für begrenzte Zeit an die Könige von Asdod, Gaza und Ekron gefallen war (vgl. für die noch spätere Zeit Ez 25,15-17). Entsprechendes gilt für Grenzkonflikte zwischen M o a b und Edom, über die wir natürlich noch weniger informiert sind. Hier kommt Hilfe von anderer Seite. N I E M A N N hat beobachtet, d a ß die Ankündigung in 1,5b, derzufolge die Aramäer zurück nach Kir in die Verbannung ziehen müssen, woher sie Jahwe einst nach Syrien geführt hat (9,7), ein Element der Botschaft Hoseas aufgreift; Hosea sagt Israel mehrfach an, es müsse „zurück nach Ägypten" (Hos 8,13; 9,3; 11,5)"'. Deutlich ist in beiden Fällen gemeint, d a ß Jahwe eine von ihm begonnene Geschichte mit einem Volk definitiv beendet. In der Tat ist dieser ungewöhnlich Gedanke in 1,5 kaum ohne den Einfluß Hoseas vorstellbar, d. h. in der Konsequenz: kaum vor dem Fall Samarias niedergeschrieben worden, als Damaskus von den Assyrern schon zerstört war. N u r schließt N I E M A N N - m. E. vorschnell - aus dieser Beobachtung, daß die Aramäer- (und Ammoniter-) Strophe als ganze den Fall Samarias voraussetzten. Jedoch ist die von ihm wahrgenommene Abhängigkeit eines Amostextes von einem Hoseawort oder -text keineswegs ein Einzelfall, sondern zusammenzusehen mit zahlreichen analogen Beispielen (z. B. A m 2,8; 3,2; 5,24; 6,8; 7,9), die zeigen, wie die Tradenten der Amosworte die Botschaft des Arnos auf die Botschaft des Hosea bezogen und beide Botschaften gemeinsam zu Gehör bringen wollten (vgl. o. S. 41 ff.).Sie sind ein Hinweis darauf, daß die älteste Gestalt des Amosbuches erst nach dem Fall Samarias anzusetzen ist, keinesfalls aber ein Beweis dafür, d a ß die entsprechenden Texte erst von den Tradenten geschaffen worden sind, ohne Anhalt an der Verkündigung des Arnos. Alle grundsätzlichen Erkenntnisse der Traditionsbildung der Prophetenbücher sprechen gegen eine solche Annahme. Die künstlerische literarische Struktur der Völkerworte wird jedoch erst nach 722 entstanden sein. 2 " BK XIV/2, 193. Vgl. auch die sorgfältigen historischen Erwägungen H.-P. MÜLLERS, Phönizien und Juda in exilisch-nachexilischer Zeit, WO 6, 1970/71, 189-204. 21 AaO. [Anm. 6] 180. Zu Unrecht zieht NIEMANN dagegen Hos 8,14 heran, einen jüngeren Text, der den umgekehrten Einfluß der Völkerworte des Arnos auf die Hoseaüberlieferung widerspiegelt (vgl. den A n m . 17 genannten Beitrag).

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Die Verkündigung des Arnos aber ist in ihnen vorauszusetzen. Das zeigt vor allem die erste Strophe gegen die A r a m ä e r (1,3-5), die als einzige unter allen Völkersprüchen des Arnos einige historisch verwertbare N a m e n enthält. 3

4 5

So hat Jahwe gesprochen: Wegen der drei Verbrechen von D a m a s k u s und wegen der vier k a n n ich es nicht z u r ü c k n e h m e n : weil sie Gilead mit eisernen Dreschschlitten zerdroschen haben. So sende ich Feuer an d a s H a u s Hasael, d a ß es die Paläste B e n h a d a d s frißt. Ich zerbreche den Riegel von D a m a s k u s und vertilge den H e r r s c h e r 2 2 aus Biq'at-Awen ( „ S ü n d e n t a l " ) sowie den Z e p t e r t r ä g e r aus Bet-Eden („Lusthausen"). D a n n m u ß das Volk von A r a m in die V e r b a n n u n g nach Kir -hat Jahwe gesprochen.

Damaskus wurde 732 v. Chr. furchtbar von den Assyrern verheert, das aramäische Reich sollte sich nie von diesem Schlag erholen; offensichtlich ist das der terminus ad quem der Aramäerstrophe. Ließe sich zur N o t für die Aramäerstrophe isoliert im Sinne von V. F R I T Z ( N I E M A N N erwägt die Möglichkeit) ein Verständnis als vaticinium ex eventu immerhin denken positive Indizien d a f ü r gibt es außer der genannten Erwähnung von Kir nicht - , so fällt diese Deutungsmöglichkeit im Blick auf die folgenden Strophen schlechterdings aus, weil analoge Beendigungen der Königtümer, wie sie die Völkerworte ansagen, nicht eintraten. Vor allem aber paßt die Aramäerstrophe vorzüglich in die Zeit der ausgehenden Aramäerkriege mit ihrer Erwähnung des „Hauses Hazael" (am ehesten Bezeichnung des Staates mittels der Dynastie, und zwar mit Angabe des Gründers, wie sie der Bezeichnung „Haus O m r i " für das Nordreich in assyrischen Inschriften entspricht 2 3 ) und mit ihrer Erwähnung Benhadads (wahrscheinlich Benhadad III., der als Sohn Hazaels 802 v.Chr. den Thron bestieg und mit dessen Herrschaft ein Erstarken des Aramäerreiches beobachtbar ist), wie mehrfach in gründlichen Untersuchungen nachgewiesen wurde 2 4 . D a ß damit am ehesten die Frühzeit der Herrschaft Jerobeams II. berührt ist, ohne daß die Zeit des unmittelbaren Auftretens des Arnos ausgeschlossen 22 Alle Vrs. fassen 3UH' als koll. Sg. „die Einwohnerschaft" auf. Aber der Parallelismus membrorum und vor allem der letzte Satz in V. 5 (und V. 8) sprechen für die Übersetzung „der Thronende". 23

24

Vgl. P. HÖFFKEN, Z A W 94, 1982, 4 1 3 - 4 1 5 . Vgl. etwa die A r b e i t e n von M . HARAN, a a O . [ A n m . 3]; J. BARTON, aaO. [ A n m . 15]

25 ff.; W. W. HALLO, From Qarqar to Carchemish, BA 23, 1960, 34-61; 41-46; J. A. SOGGIN, Amos VI:13-14 and 1:3..., in: Near Eastern Studies in Honor of W. F. Albright, Baltimore-London 1971, 433-441; zuletzt D. VIEWEGF.R, Zur Herkunft der Völkerworte im Amosbuch..., in: P. MOMMER - W . THIEL (Hrg.), FS H. Graf Reventlow, Frankfurt 1994, 103-119.

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Amosbuch

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wäre 25 , erscheint angesichts der mit dem Bild des Dreschschlittens (Holzbretter mit Eisenmessern auf der Unterseite, auf denen der Bauer beim Dreschen stand 26 ) angedeuteten Gemetzel (vgl. für die Aramäer auch 2 Kön 13,7) trotz des zeitlichen Abstands von 2 - 3 Jahrzehnten nicht verwunderlich. Auch der schwierige Name „Bet Eden" ist in dieser Zeit verständlich. Ist er sprachlich sehr wahrscheinlich mit dem assyrisch Bit Adini genannten Staat beiderseits des mittleren Euphrat gleichzusetzen (in welcher Beziehung dieser auch immer zum angeklagten Damaskus stand), so wurde er zwar schon 855 v. Chr. assyrische Provinz. Aber er erlebte ab ca. 800 für 5 Jahrzehnte die Herrschaft eines assyrischen Gouverneurs Samsi-ilu, der gleichzeitig Oberbefehlshaber des assyrischen Heeres (turtänu) war und sich wie ein selbstherrlicher Herrscher gerierte; in ihm wollen einige Ausleger im Gefolge A. MALAMATS den Herrscher von Am 1,5 erkennen 27 . Ob diese Annahme zutrifft oder nicht, die Namen Bet Eden und Biq'at Awen (wohl verballhornende Bezeichnung der heute el-Biqa genannten Ebene zwischen Libanon und Antilibanon) sind ohnehin primär um ihres schillernden Charakters als Schimpfwörter gewählt, was wiederum weit besser zu einer Weissagung als zu einem vaticinium ex eventu paßt. Beziehen sich die Aussagen der Aramäerstrophe historisch vermutlich auf die erste Hälfte der langen Herrschaft Jerobeams II., so mag Analoges auch für die vergleichbaren Grausamkeiten der Ammoniter an den Gileaditern (1,13) gelten; die Ammoniter waren für sich ein weit schwächerer Gegner als die Aramäer, und sie mögen insofern die Zeit der Stärke der Aramäer und der Bindung Israels im Norden Gileads ausgenutzt haben, um vom Süden her anzugreifen. Zwingend ist diese Erwägung allerdings nicht. Vielmehr gilt für alle älteren Völkerstrophen, daß auf die historischen Umstände der Grenzkriege keinerlei Augenmerk fällt, um so mehr aber auf die kriegerischen Exzesse, die Schwache und Hilflose (auch unter Nicht-Israeliten: 2,1) trafen. Sie können in ganz verschiedenartigen Auseinandersetzungen vorgekommen sein. In dieser Auswahl und Akzentsetzung die Auswahl des Propheten zu erkennen, der in der Israelstrophe 2,6 ff. so entschieden Partei für die Schwachen und Rechtlosen ergreift, fällt nicht schwer. Von der vorausgehenden Tradition der Völkersprüche her ist diese Akzentsetzung jedenfalls nicht gedeckt 28 . Andererseits war es ebendiese generelle Hervorhebung kriegerischer Exzesse, unabhängig von allen besonderen historischen Umständen, die die Fortschreibung der Völkerworte des Arnos ermöglichte und nahelegte. 25

Für diese Möglichkeit plädieren vor allem S. COHEN, The Political Background of the Words of Amos, H U C A 36, 1965, 153-160; H. W. WOLFF, BK XIV/2, 180 ff. 26 Vgl. H. WEIPPERT, BRL 2 64. 27 A. MALAMAT, BASOR 129, 1953, 35 f.; vgl. E. LIPINSKI, Jéroboam II et la Syrie, in: FS J. A. Soggin, Brescia 1991, 171-176; VIEWEGER, aaO. [Anm. 24] 110. 28 HÖFFKEN, aaO. [Anm. 6] 105 ff.

182

Zur Entstehung

der Völkersprüche

im

Amosbuch

Nicht auszuschließen ist natürlich, d a ß die mündlichen Amosworte präzisere Angaben (z. B. Nennung von Orten in Gilead, die besonders grausam verheert wurden) enthielten und erst die Verschriftung durch die Tradenten die Konzentration auf das Generelle und Verallgemeinerbare der Kriegsverbrechen mit sich brachte und damit die Voraussetzung zur Fortschreibung. Immerhin aber zeigt die Moabstrophe in 2,1, daß auch konkrete Einzelerfahrungen hinter den jüngeren Strophen standen. Letztlich freilich dienten alle Fortschreibungen dazu, die alle Völker überragende, unverständliche Schuld Israels gegenüber den eigenen Mitbewohnern nur immer stärker hervorzuheben.

IV. Kehren wir abschließend noch einmal kurz zur Ausgangsfrage zurück, warum die - in zwei Stufen gewachsenen - Völkersprüche des Arnos das Prophetenbuch einleiten. D a sie, wie wir sahen, die Visionsberichte des Propheten voraussetzen, hätte es nahegelegen, mit diesen Visionsberichten einzusetzen, zumal sie auch im Mittelteil des Buches (Am 3 - 6 ) durchweg implizit vorausgesetzt werden, dessen Worte nirgends eine prophetische Fürsprache zugunsten Israels (1.-2. Vision), sondern stets die Explikation des „Endes Israels" (3.-4. Vision) widerspiegeln. Der Beginn mit Visionsberichten ist außerdem in (späteren) Prophetenbüchern geläufig (Jer 1,11 ff.; Ez 1,4 ff., Sach 1,7 ff.). Wenn das Amosbuch diesen naheliegenden Weg nicht geht, sondern die Visionsberichte ans Ende stellt, so erscheint mir die plausibelste Erklärung dafür darin zu liegen, daß der ungeheure Wandel im Prophetenamt, den die Abfolge der Visionen widerspiegelt - vom fürbittenden Mittler zwischen G o t t und Volk zum Werkzeug des strafenden Gottes 2 9 im Sinne der Tradenten voraussetzt, daß zuerst von der übermächtigen Schuld Israels die Rede sein mußte, die allein diesen Wandel bedingt. Die Schuld Israels aber konnte nicht eindrücklicher eingeführt werden, als d a ß sie mittels der Völkersprüche komparativisch weit über jene grauenhaften und verabscheuungswürdigen Kriegsverbrechen an Wehr- und Hilflosen gestellt wurde, wie sie die Generation des Arnos - und ebenso nachfolgende Generationen, wie die Fortschreibungen zeigen - als das Schlimmste dessen erlebt hatten, was Menschen anderen Menschen antun können.

29

Vgl. dazu Näheres in „Die Rolle des Propheten nach dem Amosbuch", u. S. 272 fT.

12. „Zwei Jahre vor dem Erdbeben" (Am 1,1) Die kurze Zeitangabe „zwei Jahre vor dem Erdbeben" in der Überschrift des Buches Arnos (Am 1,1 bß) hat Interesse sehr verschiedener Art bei den Auslegern geweckt.

I. Vielfach hat man sie historisch auszuwerten versucht und hat mit ihr das Auftreten des Propheten und die Abfassung der Frühgestalt des Amosbuches möglichst genau datieren wollen. M a n hat ihr dann etwa entnommen, Arnos habe allenfalls ein Jahr als Prophet auftreten können 1 . Oder man hat aus ihr geschlossen, sie müsse niedergeschrieben worden sein, „solange man noch nichts tiefer Eingreifendes erlebt hatte". Diese Erwägung führt S E L L I N vor das Jahr 747, d. h. nicht nur vor die Einbrüche des sog. syrischefraimitischen Krieges und vor den Fall Samarias, sondern auch noch vor die Ermordung des Jerobeam-Sohnes Sacharja. Andernfalls wäre „im Volksmunde" die Erinnerung an ein Erdbeben nicht als das wichtigste Ereignis, das Arnos vorhergesagt hatte und das eingetroffen sei, stehengeblieben". Aber eine derartige moderne Werteskala täuscht ein Wissen vor, über das wir nicht verfügen; im Rückblick auf das Amosbuch hat sie alle Wahrscheinlichkeit gegen sich, wie noch zu zeigen ist. Überdies wäre eine solche Einschätzung auch erst dann sachlich weiterführend, wenn die Frage nach dem U m f a n g jenes angeblich vor 747 v. Chr. geschriebenen Amosbuches beantwortbar wäre. A m weitesten hat sich J. M O R G E N S T E R N in den R a u m purer Spekulation begeben. Aus der Kombination von Jahrhunderte jüngeren Angaben, die teilweise auf A m 1,1 (und 2,16) basieren, wie der Nachtrag in Sach 14,5 3 , 1

So etwa K. BUDDE, ZU Text und Auslegung des Buches Arnos, J B L 4 3 , 1 9 2 4 , 4 6 - 1 3 1 ; 49.

2

E . SELLIN, D a s Z w ö l f p r o p h e t e n b u c h ,

KAT

XII,

2 3

1929,

1 9 6 (SELLIN d a t i e r t

die

E r m o r d u n g Sacharjas ins Jahr 744). Ähnlich jüngst J. H. HAYES, Arnos, Nashville 1988, 46. 1

Vgl. j ü n g s t H . GRAF REVENTLOW, Die Propheten Haggai, S a c h a r j a und Maleachi, A T D 25/2, 1993, z. St. sowie W. RUDOLPH, J o e l - A m o s - O b a d j a - J o n a , K A T X I I I / 2 , 1971, 110 A n m . 6.

184

.Zwei Jahre vordem Erdbeben" (Am

1,1)

teilweise a u s n a c h b i b l i s c h e r Z e i t s t a m m e n und j u n g e alttestamentliche T e x t e ( 2 C h r 2 6 und S a c h 14,5) m i t e i n a n d e r v e r b i n d e n , w i e JOSEPHUS, A n t . I X , 10,4, schließt er a u f ein E r d b e b e n , d a s a m N e u j a h r s f e s t des Jahres 7 4 9 v. Chr. B e t - E l vernichtete. E r rechnet mit einer Z e r s t ö r u n g , die v e r h e e r e n d e r und v o l l k o m m e n e r g e w e s e n sei als die Z e r s t ö r u n g des Jerusalemer T e m p e l s l'/2 Jahrhunderte später. G e n a u z w e i Jahre zuvor, a u c h a m N e u j a h r s f e s t , habe A r n o s in B e t - E l seine f u r c h t b a r e U n h e i l s p r e d i g t gehalten, die a m T a g des g r o ß e n E r d b e b e n s die E r g ä n z u n g der 5. V i s i o n ( A m 9 , 1 ff.) d u r c h d e n P r o p h e t e n selbst erhalten habe. Wer sich so weit v o r g e w a g t hat, v e r m a g a u c h „ a l m o s t the e x a c t hour, a n d even minute, o f A r n o s ' u t t e r a n c e " a n z u geben 4 . K a u m w e n i g e r k ü h n ist die vergleichbare K o n s t r u k t i o n a u s einer K o m b i n a t i o n v o n S a c h 14,5; JOSEPHUS, A n t . I X , 10,4 (irrtümlich konseq u e n t I X , 1 0 , 1 4 zitiert) sowie der ( a n g e b l i c h fixierbaren) S o n n e n f i n s t e r n i s in A m 8 , 9 , die J. A . SOGGIN z u r D a t i e r u n g des E r d b e b e n s a u f d a s Jahr 7 5 8 / 5 7 bzw. 7 5 2 / 5 1 führt, j e n a c h d e m , o b m a n der C h r o n o l o g i e BEGRICH-JEPSENS oder aber der ALBRIGHT-Schule f o l g e 5 . W e r v o r solchen s p e k u l a t i v e n R e k o n s t r u k t i o n e n z u r ü c k s c h r e c k t , erhält aus der Z e i t a n g a b e a m E n d e v o n A m 1,1 keinerlei g e n a u e r e historische I n f o r m a t i o n . A u c h w e n n d a s in A m 1,1 (und S a c h 14,5) g e n a n n t e E r d b e b e n s c h o n d e s h a l b ein sehr schweres g e w e s e n sein m u ß , weil es d a s einzige ist, d a s im A l t e n T e s t a m e n t im R ü c k b l i c k als Ereignis der V e r g a n g e n h e i t g e n a n n t wird, sind d o c h E r d b e b e n in Palästina g r u n d s ä t z l i c h so g e l ä u f i g 6 , d a ß eine g e n a u e zeitliche F e s t l e g u n g allein s c h o n d e s h a l b u n m ö g l i c h ist. D a r a n w ü r d e sich a u c h nichts ä n d e r n , w e n n die A u s g r ä b e r v o n H a z o r w i r k l i c h a u f S p u r e n ebendieses E r d b e b e n s g e s t o ß e n sein sollten. D e n n die v o n ihnen mit k ü h n e r F e d e r g e g e b e n e e x a k t e D a t i e r u n g ( „ t h e date o f this great e a r t h q u a k e c a n be fixed at a b o u t 7 6 0 B. C . " 7 ) , die gern v o n E x e g e t e n zitiert wird, überschreitet die M ö g l i c h k e i t e n a r c h ä o l o g i s c h b e g r ü n d e t e r D a t i e r u n g e n bei w e i t e m und beruht a u f nichts a n d e r e m als a u f der Ü b e r n a h m e der ü b l i c h e n A n s e t z u n g der V e r k ü n d i g u n g des A r n o s .

4 J. MORGENSTERN, Arnos Studies II. The Sin of Uzziah, the Festival of Jerobeam, and the Date of Arnos, H U C A 12/13, 1937/38, 1-53, bes. 40 ff; Zitat: 47. MORGENSTERN findet Gefolgschaft in den Spekulationen von J. D. W. WATTS, Vision and Prophecy in Arnos, Leiden 1958, 34 f. (3. Vision: 752; 5. Vision zur Zeit des Erdbebens: 750). 5 J. A. SOGGIN, Das Erdbeben von Am 1,1 und die Chronologie der Könige Ussia und Jotham von Juda, ZAW 82, 1970, 117-21. 6 Vgl. die von J. MILGROM, VT 14, 1964, 179 f. zitierten Ergebnisse geologischer Forschung in unserem Jahrhundert sowie den Erdbeben-Katalog seit 64 v. Chr. bis heute bei D. H. KALLNER-AMIRAN, IEJ 1, 1950/51, 223-46; 2, 1952, 48-65; weiter F. M. ABEL, Géographie de la Palestine I, Paris 1933; 2 1967, 50 ff. 7

Y. A H A R O N I - R . A M I R A N , i n : Y. Y A D I N U. a . , H a z o r I I , J e r u s a l e m 1 9 6 0 , 3 6 .

185

„Zwei Jahre vor dem Erdbeben" (Am 1,1)

II. Erheblich ertragreicher waren die redaktionsgeschichtlichen Untersuchungen zu Am 1,1 bß. Sie nahmen stets ihren Ausgangspunkt von der Beobachtung, daß unmittelbar vor der Notiz „zwei Jahre vor dem Erdbeben" eine andersartige und viel ausführlichere Zeitangabe steht: „In den Tagen Usijas, des Königs von Juda, und in den Tagen Jerobeams, des Sohnes des Joasch, des Königs von Israel". Ein Unterschied zwischen beiden Informationen besteht zunächst darin, daß letztere ganz geläufig für vorexilische Prophetenbücher ist und daher in den Überschriften der Bücher Jesaja, Jeremia (Jer 1,2), Hosea, Micha, Zefanja ihre Entsprechung findet, während die knappere erstgenannte, der unsere Aufmerksamkeit gelten soll, in all diesen Überschriften ohne Analogie bleibt. Die längere und geläufigere hat offensichtlich auch eine andere Intention als die kürzere, ungewöhnliche. Sie will nachgeborenen Generationen die zeitliche Einordnung der Propheten in Regierungsepochen ermöglichen und rechnet - lange Zeit nach dem Fall Samarias 722/21 - mit judäischen Lesern, denen die Einordnung in die Regierungszeit der eigenen Könige leichter fällt. Daher steht in Am 1,1 der judäische König voran. Im Falle der Bücher der Zeitgenossen sind die Könige des Nordreichs ganz ausgelassen, wenn die Propheten im Südreich auftraten (Jesaja, Micha), im Falle des anderen Propheten, der im Nordreich verkündete, steht in der Überschrift des Buches vier judäischen Königen nur ein einziger König des Nordreichs gegenüber, der unter den eigentlich an dieser Stelle zu nennenden der bei weitem berühmteste war (Jerobeam II., Hos 1,1). Der Abstand zum 8. Jh. wird hier besonders deutlich. Ebenso unbestreitbar ist, daß die analoge Weise der Zuordnung von Propheten zu Regierungszeiten (judäischer) Könige voraussetzt, daß im (frühestens exilischen) Rückblick die Mehrzahl der Bücher von vorexilischen Propheten gemeinsam redaktionell überarbeitet wurde. Demgegenüber ist die Notiz „zwei Jahre vor dem Erdbeben" ein Spezifikum des Amosbuches und offensichtlich erheblich älter. Vielleicht engt die Formulierung, die Angabe sei „eindeutig nur in der Generation, die es (sc. das Erdbeben) erlebte" 8 , die Möglichkeiten zu sehr ein, aber über den Erfahrungshorizont der Großfamilie, d. h. über 3 - 4 Generationen, wird man in der Tat auch bei einem sehr schweren Erdbeben kaum hinausgehen dürfen, da jede nähere Charakterisierung der Zeitumstände fehlt. Strittig ist nun allerdings, über welche Texte Am 1,1 bß als Überschrift gestanden hat. Immerhin aber hat sich nach anfänglichem Tasten in letzter Zeit ein gewisser Konsens, zumindest bei der Mehrheit der Ausleger, herausgebildet. Übereinstimmung herrscht darüber, daß die Überschrift Am 1,1 nicht aus einem G u ß ist, auch abgesehen von der schon behandelten * H . W. WOLFF, D o d e k a p r o p h e t o n 2. J o e l , A r n o s , B K X I V / 2 ( 1 9 6 9 )

3

1 9 8 5 , 150.

186

„Zwei Jahre vor dem Erdbeben" (Am

1,1)

jüngeren Datierung nach Regierungsjahren von Königen. Übereinstimmung herrscht weiter bei der Mehrheit darüber, daß die Zeitangabe „zwei Jahre vor dem Erdbeben" nicht von dem Relativsatz getrennt werden darf, dem sie zugehört: „... welcher über Israel (Gesichte) schaute ..." 9 . Wenn das richtig ist, liegt die Verbindung dieses Teils der Überschrift zu den Visionen nahe, auch wenn letztere das Verb HX") und nicht wie Am 1,1 ntn für das prophetische Schauen verwenden 1 0 . Nicht so gewichtig ist, ob man sich die Entstehung im einzelnen dann so vorstellt, daß der Relativsatz die Überschrift über den Visionenzyklus widerspiegelt", oder so, daß der Relativsatz ein Stadium des Wachstums festhält, in dem die älteste Wortsammlung (Am 3 - 6 mit der Überschrift: „Die Worte des Arnos aus Thekoa") um den Visionenzyklus erweitert wurde 1 2 , oder schließlich so, daß dieser Relativsatz in einer zu rekonstruierenden Urform nur (mündlich) die 5. Vision, erst danach (schriftlich) den ganzen Visionenzyklus als eigene Sammlung eingeleitet habe 1 3 . So gut wie alle redaktionsgeschichtlich arbeitenden Forscher teilen aber die gut begründete Ansicht, daß die Sammlung der Amosworte und der Visionenzyklus ursprünglich unabhängig voneinander bestanden 1 4 . Ich selber habe darüber hinaus im Anschluß an H. W. WOLFF und H. GESEI5ZU zeigen versucht, daß die vielfachen Querbezüge zwischen Völkerspruch- und Visionenzyklus auf einen gemeinsamen literarischen Ursprung dieser beiden strophischen Textkomplexe deuten 1 6 . D a n n aber liegt es in der Tat nahe, die erkennbaren Spannungen schon in der älteren Überschrift des Amosbuches mit der Entstehung des Amosbuches aus (zwei) verschiedenen Teilen in Verbindung zu bringen. Für die Verbindung des Relativsatzes „... welcher über Israel (Gesichte) schaute ... zwei 9 Anders z. B. RUDOLPH, aaO. [Anm. 3] 111, der eine älteste Überschrift „Die Worte des Arnos aus Thekoa über Israel zwei Jahre vor dem Erdbeben" rekonstruiert, die ursprünglich den Völkerspruchzyklus eingeleitet haben soll. Aber sowohl die Rekonstruktion als auch die Zuweisung sind schwach begründet. 10 Vgl. dazu H. F. FUHS, Sehen und Schauen, fzb 32, 1978, 177 ff. 305 ff. u. 5., der zwischen nN~i als Bezeichnung punktuell-visionären Sehens und ntn als den Seher grundsätzlich legitimierendem Ausweis unterscheidet. Mit dieser These ließe sich die Verteilung der Verben im Amosbuch plausibel erklären. 11 A. WEISER, Die Profetie des Arnos, BZAW 53, 1929, 255 f. 12

11

W O L F F , a a O . [ A n m . 8 ] 1 4 9 f.

H. F. FUHS, Arnos 1,1. Erwägungen zur Tradition und Redaktion des Amosbuches, in: H. J. FABRY (Hrg.), Bausteine biblischer Theologie, FS G. J. Botterweck, Bonn 1977, 271-289. Die Rekonstruktion der mündlichen Urform („Spruch des Sehers Arnos aus Thekoa") ist freilich vom Vf. mehr herbeigewünscht als nachgewiesen. 14 Die wesentlichen Begründungen sind WEISER, WOLFF und FUHS zu verdanken, wobei letzerer allerdings der merkwürdigen und in den letzten zwei Jahrzehnten nicht mehr vertretenen Ansicht I. WILLI-PLEINS (Vorformen der Schriftexegese, BZAW 123, 1971, 61 f.) zuneigt, eine älteste Sammlung an Amosworten habe Am 1 - 4 umfaßt (aaO. 283). 15 H. GESE, Komposition bei Arnos, VT.S 32, 1981, 74-95 (= DF.RS„ Atl. Studien, Tübingen 1991, 94-115). 16 Vgl. den Beitrag „Völkersprüche und Visionsberichte im Amosbuch", o. S. 157 ff.

„Zwei Jahre vor dem Erdbeben"

(Am

1,1)

187

Jahre vor dem Erdbeben" mit dem Völkerspruch- und Visionenzyklus spricht entscheidend, daß nur in A m 2,13 und im Visionenzyklus sich die Ankündigung eines Erdbebens findet, nirgends dagegen in der Spruchsammlung A m 3 - 6 1 7 .

III. Sachlich gewichtiger als die historische und die redaktionsgeschichtliche Auswertung der Zeitangabe in A m 1,1b ist aber ihre traditionsgeschichtliche Dimension. Der Hinweis auf ein erfolgtes Erdbeben ist ja nicht eine beliebige zeitliche Verortung des Amosbuches, wie es z. B. in der eingangs genannten Argumentation S E L L I N S erscheint, der in solcher isolierter Betrachtung einen Königsmord als für eine Datierung geeigneter und aussagekräftiger beurteilt als ein Erdbeben. Vielmehr greift dieser Hinweis ein Thema auf, das im folgenden Amosbuch eine wesentliche Rolle spielt. Ein Leser des Buches, der es mit dieser Zeitangabe aus der Überschrift im Ohr liest, wird genötigt, die ihm bei der Lektüre begegnenden Ankündigungen eines Erdbebens auf das schon zwei Jahre danach erfolgte Erdbeben rückzubeziehen. Damit ist die Erfahrung des Erdbebens als eine Bestätigung der Wahrheit der Amosworte herausgestellt. U n d e n k b a r ist freilich aus vielen Gründen, daß das Erdbeben auch schon als Erfüllung der Amosworte insgesamt gegolten haben könnte. Allenfalls kann m a n vorsichtiger formulieren: Es galt als Beginn ihrer Erfüllung. Somit bedarf die Relation zwischen der Zeitangabe in der Überschrift des Amosbuches und dem Inhalt der Verkündigung des Arnos, die grundsätzlich nicht bestritten werden kann, der näheren Präzisierung. Im Amosbuch gibt es vier Anspielungen auf ein künftiges Erdbeben. Bei näherem Zusehen ordnen sie sich paarweise. Im Falle der beiden vermutlich jüngeren Belege in Am 8,8 und 9,5 ist die sachliche Zusammengehörigkeit evident, insofern die weithin wörtlichen Übereinstimmungen, die insbesondere den merkwürdigen Vergleich des Bebens mit dem Wandel des Nillaufes betreffen, eine - wie auch immer geartete - literarische Abhängigkeit der einen Stelle von der anderen (oder beider Belege von einer erschlossenen dritten Quelle) erfordern. Im Falle der beiden älteren Belege (9,1-4; 2,13-16) ergibt sich die Zusammengehörigkeit primär, aber keineswegs ausschließlich, aus der konzeptionellen Verbindung von Erdbeben und kriegerischer Niederlage.

17 Die idiomatische Sprache von 4,11 und 6,11 darf keineswegs auf ein Erdbeben eingegrenzt werden.

188

„Zwei Jahre vordem Erdbeben" (Am 1,1)

III. 1 Auszugehen ist von der 5. Vision des Arnos (Am 9,1-4), weil in ihr die Wurzel ttWI erscheint, die in der Überschrift 1,1 zur Bezeichnung des Erdbebens gewählt worden ist. Alle anderen Anspielungen auf ein Erdbeben im Amosbuch bieten keinen sprachlichen Bezug zur Zeitangabe der Überschrift. D a s Wesentliche an dieser in Einzelheiten schwer zu verstehenden letzten Vision ist nun für unsere Frage, daß in A m 9,1 - zumindest primär nicht die Erde bebt 1 8 , sondern der Tempel (in Bet-El). Ja, bei genauerem Zusehen bebt nicht einmal der Tempel selber, sondern es beben seine Türschwellen, hervorgerufen durch den Schlag (Jahwes selber oder aber eines himmlischen Boten 1 9 ) auf ein Säulenkapitell bzw. wahrscheinlicher, wenn der Singular distributiv gemeint ist, auf die Säulenkapitelle des Tempels. Damit ist nicht - wie in der phantasievollen Rekonstruktion mancher moderner Autoren - der am F u n d a m e n t einsetzende Zusammensturz des Tempelgebäudes gemeint 2 0 . Diese Deutung rechnet mit tragenden Säulen im H a u p t r a u m des Tempels, wie sie weder für Jerusalem noch für Arad belegt sind, d. h. für die einzigen Tempel, die - literarisch oder archäologisch - für die Zeit des Arnos in Palästina bekannt sind. F ü r beide Tempel ist vielmehr nur ein Säulenpaar am Tempeleingang überliefert. Ob sie frei standen oder aber das Dach der Vorhalle trugen, ist umstritten. In jedem Falle aber weist ihre Erwähnung, zusammen mit der Nennung der bebenden Türschwellen, d a r a u f h i n , daß für die letzte Vision des Arnos der Eingangsbereich des Tempels eine höchst gewichtige Rolle spielt. Der großen Bedeutung der Schwellen am Tempeltor ist für Mesopotamien vor a l l e m A . SALONEN 21 , f ü r A m 9,1 v o r a l l e m J. OUELLETTE 22 n a c h g e g a n g e n ,

letzterer freilich mit der abwegigen Deutung, die Erschütterung der Tempel18 Ein Beben der Erde hat man häufig im Gefolge von P. VOLZ, T h L Z 25, 1900, 291 durch Veränderung des schwierigen U>N"D (V. laa) in ein gewonnen. Auf das schwache Fundament einer solchen Konjektur sollte man keine Gebäude bauen. 19 Bleibt man bei M T (Imp.: „Schlage auf das Säulenkapitell, daß die Türschwellen beben!") wäre am ehesten an einen himmlischen Boten zu denken. H. GRAF REVENTLOW, Das Amt des Propheten bei Arnos, F R L A N T 80, 1962, 48 fT., läßt den Imperativ an den Propheten gerichtet sein und wagt die Deutung von 9,1 ff. als symbolische Handlung. Jedoch muß er dazu - wenig konsequent - den 2. Imp. (MT: „und beende ihr Leben am Kopf!") selber ändern, da dieser sich schwerlich als Zeichenhandlung eignet, und er mißversteht den Begriff "linSD „Säulenkapitell" (ähnlich der LXX: iXaaxripiov < mSD) als „Knauf des Altars" (49). - Seit B. DUHM (Anmerkungen zu den zwölf Propheten, 1911, 16) vermutet man zumeist, der Imp. IN sei durch Haplographie aus einem Inf.abs. nDn („Schlagen will ich") entstanden; das folgende Wort beginnt wieder mit n. 20 Vgl. z. B. W. RUDOLPH, aaO. [Anm. 3] 245: „Der Schlag Jahwes gegen die Säulen, ... auf den der Deckeneinsturz erfolgt..."; ähnlich, aber vorsichtiger in der Formulierung, schon J. WELLHAUSEN, Die kleinen Propheten, 3 1898, 94, und viele andere. 21 Die Türen des Alten Mesopotamien, A A S F B/124, 1961. 22 The Shaking of the Thresholds in Arnos 9:1, H U C A 43, 1972, 23-27.

„Zwei Jahre vor dem Erdbeben"

(Am

1,1)

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schwellen besage, daß Jahwe sich auf diese Weise seinen Zugang in den Tempel erzwingen wolle, um die dort Schutz suchenden Israeliten eigenhändig zu strafen. Jedoch hielten sich die Asylsuchenden nicht im Tempelgebäude auf, und in sein Wohnhaus mußte sich Jahwe schwerlich den Zugang erzwingen; wer hätte ihn daran hindern können? Wie ich an anderer Stelle zu zeigen versucht habe 2 3 , erschließt sich die Bedeutung der Vision erst aus ihren beiden inneralttestamentlichen Parallelen. Die eine ist die dritte Vision des Arnos (Am 7,7 f.). In ihr sieht Arnos, „wie Jahwe gerade auf einer Mauer aus Zinn steht", wobei die Terminologie die gleiche ist wie am A n f a n g von 9,1, wo Arnos sieht, „wie Jahwe gerade auf dem Altar steht" (jeweils ni. Ptz. mit der Präposition ^y). Ohne hier auf die Einzelheiten der 3. Vision eingehen zu müssen, deren Verständnis wesentlich an der Bestimmung des Metalles hängt, das mit "px bezeichnet wird, ist doch so viel festzuhalten, daß Jahwes „Stehen a u f . . . " in der 3. und 5. Vision jeweils die Beseitigung einer Schutzfunktion aussagt: Die unerschütterliche „ M a u e r aus Z i n n " bietet keinen Schutz mehr, wenn Jahwe entschlossen ist, „nicht länger (schonend) an Israel vorüberzugehen", und er selber „Zinn in die Mitte meines Volkes Israel" legt, d. h. zum furchtbaren Krieger gegen Israel wird (Am 7,8) 24 ; der Altar bietet keinen Schutz mehr, wenn Jahwe die Gottesbeziehung Israels beendet, indem er im Beben der Torschwellen den Zugang zum Heiligtum unmöglich macht (Am 9,1). Die Bewahrung des Staates und die Ermöglichung des Gottesdienstes sind einzig Gottes Werk. Wenn Jahwe beide beendet, ist Israel schutzlos und verloren. Ohne Staat (3. Vision) kann das Gottesvolk noch teilweise überleben, ohne Gottesdienst (5. Vision) nicht mehr. Insofern ist die 5. Vision die notwendige Explikation der dazwischenstehenden 4. Vision, die das „Ende Israels" ansagt (Am 8,1 f.). Weiter führt die zweite alttestamentliche Parallele zum Bild der 5. AmosVision. Es ist die bekannte Vision in Jes 6, die sich schon zu Beginn in so vielerlei Hinsicht eng mit A m 9,1 berührt 2 5 , d a ß ihr Wortlaut bereits als eine erste Stufe der Wirkungsgeschichte der letzten Vision des Arnos verstanden werden muß. Jes 6 verdeutlicht nun aber in der Sprache der Ziontheologie 2 6 , was in Am 9,1 nur impliziert ist: daß das Beben der Tempelschwellen (V. 4), mit der kosmischen Funktion des Heiligtums zusammenhängt. Der vom Propheten Geschaute ist als „ H e r r " zugleich der Weltenkönig, den das 21

Vgl. „Das unzugängliche Heiligtum. Zur letzten Vision des Arnos", u. S. 244 fF. Vgl. zur Begründung ebd. S. 246 ff. 25 In Am 9,1 und Jes 6,1 steht jeweils 1) anfangs ein erzählendes HNI in 1. Pers., das sich 2) auf Gott als Objekt richtet, der unter Vermeidung des Eigennamens ' H ü genannt wird; seine Tätigkeit ist 3) jeweils im Partizip gestaltet, und an sie schließt sich 4) mit der Präposition 'TS eine Ortsbestimmung an. 26 Vgl. etwa W. H. SCHMIDT, Jerusalemer El-Traditionen bei Jesaja, Z R G G 16, 1964, 302-313; O. H. STECK, Friedensvorstellungen im alten Jerusalem, ThSt 111, 1972, passim. 24

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irdische Heiligtum nicht zu fassen vermag, weil schon seine Gewandsäume es füllen (V. 1), vor dessen Heiligkeit sich selbst der himmlische Hofstaat mit zwei seiner drei Flügelpaare schützen muß, will er nicht vor ihm vergehen, und dem er ständig das dreimal „heilig" zusingt (V. 2 f.). Der Tempel dieses Königs garantiert die Stabilität der Welt; sie „kann nicht wanken" (Ps93,lf.), weil der Ort seiner weltüberlegenen Herrschaft über alle Mächte im Himmel mit dem irdischen Tempel identisch ist (Ps 93,4 f.). Wenn nun in Jes 6,4 (wie in Am 9,1) die Schwellen an diesem Tempel beben, in dem die Unterschiede zwischen Himmel und Erde aufgehoben sind und dessen Tore in Ps 24,7.9 „Tore der Ewigkeit" heißen, dann ist die kosmische Stabilität beendet: nicht weil Jahwe die Welt verlassen hätte, sondern weil er gerade machtvoll präsent ist - im Stehen auf dem Altar (Am 9,1) bzw. im Rauch (Jes 6,4b), einem Element geprägter Theophanieschilderungen, das auch in Ps 18,8 f. parallel zum Beben steht. Nur erbeben üblicherweise in den Theophanietexten die Berge und die Erde, wenn Jahwe erscheint, um gegen seine Feinde einzugreifen. Das Beben der Tempelschwellen zeigt an, daß Israel zum Feind Jahwes geworden ist. Die Folge der damit gegebenen Verkehrung des Kosmos in Chaos sind nach Jes 6 menschenlose Städte und Häuser (V. 11), nach Am 9 ist es ein Sterben, aus dem es keinerlei Rettung gibt. Die kosmische Funktion des Tempels und seiner Torschwellen wird in Am 9 daran deutlich, daß alle denkbaren Fluchtmöglichkeiten in der kosmischen Dimension (Himmel wie Unterwelt etc.) gedanklich aufgesucht werden, um als potentielle Fluchtorte ausgeschlossen zu werden (Am 9,2-4).

III. 2 Am Schluß des Völkerspruchzyklus und am Höhepunkt der Israelstrophe (Am 2,13-16) steht die andere - im Buchaufbau erste - Ankündigung eines Erdbebens. Auch sie ergeht alles andere als beiläufig, wenn man sie auch oft genug so verharmlosend ausgelegt hat, als ob auch jede andere Strafansage an ihrer Stelle stehen könnte 27 . Vielmehr muß sie im gedanklichen Ablauf der Völkersprüche als unüberbietbar harte Strafe angesehen werden. Daß die Schuld Israels als ungleich schwerer als diejenige der Völker zu gelten hat, liegt auf der Hand und ist stets gesehen worden: Nicht nur werden in der Israelstrophe nun wirklich „drei und vier Verbrechen" aufgezählt, wie 27 RUDOLPH, aaO. [Anm. 3] 148, denkt etwa daran, daß A m 1,1 als direkte Erfüllung der Ansage von 2,13 verstanden worden sei. K. KOCH und Mitarbeiter, Arnos. Untersucht mit den Methoden einer strukturalen Formgeschichte, AOAT 30, 1976, Teil 2, 13, formulieren sogar: „Die Unheilsweissagung Am 2,13-16 weicht von den übrigen Völkerreden ab und bringt gegenüber dem sonst angedrohten, Städte und Länder vernichtenden Feuer eine glimpflichere Katastrofe, nämlich bloß Niederlage des Heeres ..."!

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im Rahmenwerk aller Völkersprüche angekündigt, aber bei den Völkern nicht ausgeführt, da von ihnen stets nur ein einziges, freilich furchtbares Verbrechen genannt ist 28 ; sondern die Verbrechen Israels sind auch d a r u m viel grauenhafter, weil sie sich nicht wie im Fall der Völker gegen Angehörige anderer N a t i o n e n richten, sondern gegen die eigenen Volksgenossen. D a ß dagegen auch die Strafe Israels weit schwerer ist als diejenige der Völker, ist k a u m je beachtet worden. Die Völker erleben mannigfache Weisen der Vernichtung ihrer Herrscher, der Zerstörung ihrer Städte, der T ö t u n g der Einwohner etc. jeweils in einer katastrophalen Niederlage. D a s analoge Geschick ist in der großen, aber vergeblichen Fluchtbewegung a m Ende der Israelstrophe (2,14-16) impliziert. Die Steigerung der Strafe Israels liegt im Erdbeben (2,13), und weil damit nur ein N a t u r p h ä n o m e n gemeint zu sein scheint, ist sie fast durchweg als solche verkannt worden. Was A m 2,13 sachlich besagt, ist nur verständlich, wenn zwei H ü r d e n g e n o m m e n sind. Die eine, kleinere ist philologischer Natur, und zu ihrer Ü b e r w i n d u n g hat m. E. H. GESE29die entscheidende Hilfe geboten. Er führt den Nachweis, d a ß das hapax legomenon piy hif., das sowohl die Bild- als auch die Sachhälfte des Verses bestimmt, wie das arabische 'qq im Sinne von „(den Boden) spalten, aufschlitzen" zu verstehen ist und in der Bildhälfte das Zerfurchen und Aufreißen des weichen Ackerbodens durch einen schwerbeladenen Erntewagen meint, in der Sachhälfte ein Erdbeben, das den Menschen den Boden „unter (den F ü ß e n ) " aufreißt. Die zweite, größere H ü r d e besteht in der überraschenden und schwer verständlichen Nebeneinanderstellung von Erdbeben (V. 13) und der panischen, aber vergeblichen Flucht von - besonders heldenhaften - Kriegern (V. 14-16). Auf der Ebene unmittelbarer E r f a h r u n g lassen sich diese beiden Ankündigungen schwer vermitteln. Auch die von H . W . W O L F F gebaute konzeptionelle Brücke, die panische Flucht in V. 1 4 - 1 6 sei von einem Gottesschrecken hervorgerufen, also einem Element des Jahwekrieges, und das Erdbeben von V. 13 müsse entsprechend als Kriegswaffe Jahwes gedeutet werden 3 0 , trägt nicht, weil es für eine solche Vorstellung keine Parallelen gibt; die häufig in Theophanieschilderungen belegte Reaktion der bebenden Erde und Berge auf ein K o m m e n Jahwes hin ist mit A m 2,13 unvergleichbar 3 1 . Jedoch hat W O L F F selber mit seinem Hinweis auf die 5. Vision bereits den richtigen Weg gewiesen. M . E. gib es f ü r die unvermittelte und scheinbar unmotivierte Nebeneinanderstellung von Erdbeben und 28 Vgl. etwa H. W. WOLFF, aaO. [Anm. 8] 200; J. A. SOGGIN, The Prophet Arnos, London 1987, 50. 29 Kleine Beiträge zum Verständnis des Amosbuches, VT 12, 1962, 417-438; 421 f. RUDOLPH, aaO. [Anm. 3] 149 möchte lieber bei der Deutung „schwanken" durch das Targum bleiben. 10 AaO. [Anm. 8] 208. 31

A n d e r s SOGGIN, a a O . [ A n m . 28] 52.

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panischer Flucht nur eine einzige Erklärung: Sie ist konzeptionell von der 5. Vision abhängig und von ihr herzuleiten. Anders als in Am 2 ist die Verbindung von Beben und Flucht in Am 9 insofern sachlich vorbereitet, als Jahwes Stehen auf dem Altar zusammen mit dem Beben der Schwellen des Tempeltores primär die Beseitigung des Tempels als Stätte des Asyls beinhaltet 32 , so daß nun jede Flucht - auch wenn sie in die entlegensten Winkel des Weltgebäudes gelingen sollte - vergeblich ist (9,2-4). Am 2,13 redet dagegen nicht mehr vom Beben der Tempelschwellen, sondern vom Beben der Erde. Wenn die konzeptionelle Ableitung dieser Aussage aus der 5. Vision im Recht ist, kann damit nur das Zusammenbrechen der kosmischen Ordnung speziell im Blick auf den Lebensraum der Israeliten gemeint sein. Zwei Einzelheiten im ungewöhnlichen Bild von Am 2,13 stützen diese Deutung. Zum einen wird in der anfänglichen Sachhälfte des Verses auffällig betont, daß Jahwe im Begriff ist, den Boden „unter euch" aufzuspalten. Mit dieser Aussage kann kaum etwas anderes intendiert sein, als daß den Israeliten der Boden zum Leben unter den Füßen weggezogen wird, so daß sie ins Bodenlose stürzen. Zum anderen wird in der Bildhälfte mit dem Erntewagen, der den Boden aufspaltet, ein überschießendes Element eingeführt. Daß es nur der Anschaulichkeit des Bildes dienen sollte, ist ganz unwahrscheinlich. Schon H. GESE33hatte vermutet, daß die Ernte wie in der späteren Prophetie (Jer 9,21; Mi 4,12 u. ö.) als Symbol des Gerichts stünde. Dieser Gedanke verbindet Am 2,13 mit der vorletzten Vision, in der „das kommende Ende" im Wortspiel aus dem frisch geernteten Sommerobst (rt 1 ]?) hergeleitet wird. Wem diese Brücke zwischen Am 2,13-16 und den letzten beiden Visionen nicht tragfähig erscheinen sollte, der muß zumindest die unbestreitbare Parallele zwischen Am 2,14-16 und 9,lb-4 anerkennen. Denn die Gemeinsamkeiten der hier und dort beschriebenen rettungslosen Verlorenheit aller Flüchtigen sind keineswegs auf die Ebene des Inhalts beschränkt; sie betreffen gleicherweise die Form, insofern an beiden Stellen die im Alten Testament eher seltene Stilfigur der Priamel gewählt ist 34 , und zwar jeweils mit 5 Gliedern 35 , als auch die Terminologie, insofern hier wie dort die Leitworte identisch sind: DU „fliehen" und (verneintes) ü*7S nif. (und pi.) „sich retten, entrinnen". Die Israelstrophe der Völkersprüche und die Völkersprüche überhaupt sind zusätzlich noch weit über diese Beobachtungen hinaus sprachlich und konzeptionell auf die Visionen des Arnos

32

So mit Recht schon OUELLETTE, aaO. [Anm. 22] 24.26. AaO. [Anm. 29] 422. Auf sie hat W. H. SCHMIDT, ThLZ 96, 1971, 184 (mit Lit.) aufmerksam gemacht. 35 Vgl. dazu H. GESE, aaO. [Anm. 15] 84.94. Für 2,14-16 gilt die Fünfzahl allerdings erst, wenn die seit langem erkannten beiden Zuwachsglieder, die mit Hilfe des Wortbestandes des Kontextes gebildet worden sind (V. 14b. 15aß), abgetrennt worden sind. 33

34

,Zwei Jahre vor dem Erdbeben" (Am 1,1)

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bezogen, wie ich an anderer Stelle gezeigt habe 36 , wobei in der Sache nachweislich den Visionen die Priorität zukommt. Dann aber muß die Reihenfolge Am 1,1 (Erdbeben) - Am 2,13 (Erbeben: mit einigen aus sich nicht voll verständlichen Aspekten) - Am 9,1 (Beben der Tempelschwellen: mit dem traditionsgeschichtlich eindeutigen und in V. 2 - 4 explizierten kosmischen Aspekt) bewußt gewählt sein. Obwohl das Bindeglied 2,13 konzeptionell von Am 9,1 abzuleiten ist, steht es in vorbereitender Mittelstellung. Der Generation, die das Erdbeben zwei Jahre nach dem Verstummen der mündlichen Amosworte schon erlebt hat (1,1), wird in 2,13(-16) verdeutlicht, daß diese Erfahrung transparent ist für jenes furchtbare Geschehen, das die letzte Vision am Ende und Höhepunkt des Amosbuches ansagt: das Ende der Gottesbeziehung Israels und das Ende der Ordnung der Welt. IV. Die beiden jüngeren Belege für die Erdbebenthematik, die durch den gemeinsamen ungewöhnlichen Vergleich mit dem Steigen und Fallen des Nils eindeutig zusammengehören (Am 8,8; 9,5), bilden schon ein Element der Wirkungsgeschichte der Überschrift in 1,1. Sie setzen nach Meinung nahezu aller kritischer Kommentare zum Amosbuch die Erfahrung des in 1,1 genannten Erdbebens schon voraus. Beide Verse bieten nicht Zukunftsaussagen im strengen Sinn, sondern einen - in temporaler Hinsicht mehrdeutigen Fragesatz (Am 8,8) bzw. einen Konsekutivsatz, der von einem hymnischen Partizip abhängig ist, also einen generell gültigen Sachverhalt bezeichnet (Am 9,5). „Das Erdbeben wird nicht geweissagt, sondern begreiflich gefunden, daß es eintreten mußte", kommentiert schon J. WELLHAUSEN die ungewöhnliche Frage in Am 8,8 („muß deswegen nicht die Erde erbeben ...?") 37 , und R U D O L P H sekundiert ihm: In V. 8 „handelt es sich keineswegs um die Ankündigung eines Erdbebens ..., sondern, wie die Frageform zeigt..., um die Rechtfertigung eines schon eingetretenen", und er paraphrasiert: „Kein Wunder, daß ... die Erde erbebt" 38 . Aber diese Auslegung ist doch wohl zu einfach. Sie kann den universalen Horizont der Aussage nicht abdecken, der beide Verse prägt. Er erklärt sich am ehesten daraus, daß beiden Versen die älteren Amosworte schon vorgegeben waren, die von einem Erdbeben redeten und ihrerseits schon in universalen Kategorien dachten, wie wir sahen. Ja, es läßt sich zeigen, daß sowohl 8,8 als auch 9,5 im strengen Sinn Auslegungen von 2,13-16 bzw. von 9,1-4 sein wollen. Für die unmittelbar auf die letzte Vision folgende 36 37 38

AaO. [Anm. 16], AaO. [Anm. 20] 93. AaO. [Anm. 3] 264.

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Doxologie 9,5 f. ist dieser Nachweis leicht zu führen; für 8,8 bedarf es der Erkenntnis, daß die Verse 8 , 4 - 6 nichts anderes sind als eine jüngere Exegese von 2,6-8, also von jener Anklage, auf die die Erdbebenankündigung in 2,13-16 bezogen ist 39 . In der viel diskutierten Frage der Priorität gebührt vermutlich A m 9,5 f. der Vorrang vor 8,8, wie noch zu zeigen ist.

IV. 1 Über die hymnischen Verse des Amosbuches (4,13 f.; 5,8 f.; 9,5 f.) ist in den vergangenen Jahren häufig gearbeitet worden 4 0 , und in vielerlei Hinsicht wurde ein gewisser Grundkonsens erreicht. Für unsere Frage ist die Erkenntnis von Gewicht, daß diese sog. „Doxologien", die sehr wahrscheinlich einmal die Teile eines eigenständigen Hymnus gebildet haben, offensichtlich nicht beliebig, sondern sehr bewußt aus inhaltlichen Gründen in ihren jeweiligen Kontext im Amosbuch gestellt wurden. F ü r Am 9,5 f. ist allgemein anerkannt, daß der sachliche Anknüpfungspunkt das Beben in der 5. Vision ist. A m 9,5 kommentiert dieses Beben zunächst in geläufiger Sprache der Theophanietexte: der die Erde anrührt, d a ß sie bebt und alle ihre Bewohner trauern,

wobei nur an die Stelle des Erscheinens Gottes die bloße Berührung der Erde getreten ist wie in Ps 104,32 die Berührung der Berge bzw. der Anblick der Erde: der die Erde anschaut, daß sie zittert, die Berge anrührt, d a ß sie rauchen.

Mit diesem Satz ist nun jedoch ungleich mehr angesagt als nur die weltüberlegene Macht Jahwes. Von den Kommentaren fast durchweg übersehen, spielt nämlich auch V. 6 auf die 5. Vision an, und wiederum sind die Aussagen eng verwandt mit solchen aus Ps 104 (V. 2 f. 13): der sein Obergeschoß im Himmel baut, und sein Gewölbe (?) über der Erde gründet ... 4 1

39

Vgl. dazu den Beitrag „Am 8,4-7 - ein Kommentar zu 2,6 f.", u. S. 231 ff. Genannt seien nur F. CRÜSEMANN, Studien zur Formgeschichte von Hymnus und Danklied in Israel, W M A N T 32, 1969, 97 ff.; W. BERG, Die sog. Hymnenfragmente im Amosbuch, EHS.T 45, 1974; K. KOCH, Die Rolle der hymnischen Abschnitte des AmosBuches, ZAW 86, 1974, 504-537; J. L. CRENSHAW, Hymnic Affirmation of Divine Justice ..., SBL Diss. Series 24, 1975. 41 Von den unstrittigen Verben her müssen die unsichereren Objekte gedeutet werden. n^Sa muß demnach entweder aus n'1?» verschrieben sein, wie man zumeist annimmt, oder 40

„Zwei Jahre vor dem Erdbeben" (Am 1,1)

195

Ungewöhnlich an dieser Aussage ist vor allem die „Gründung" der göttlichen Himmelswohnung. So „gegründet" ("TO"1) wird normalerweise die Erde bzw. der Zion mit seinem Heiligtum 42 . Wird die „Gründung" der Erde „auf, über" (72) einem Gegenstand hervorgehoben, wird ihre Stabilität betont. Das kann geschehen, indem die Festigkeit der Fundamente herausgestrichen wird (Ps 104,5), oder aber so, daß durch die „Gründung" der Erde „über den Meeren" und „über den Strömen" ihr Halt trotz aller sie umgebender Gefährdungen ausgedrückt wird (Ps 24,2; vgl. 104,3). Wird nun der Himmel „über der Erde" gegründet, ist diese schwerlich als sein Fundament betrachtet; vielmehr wird die uneingeschränkte Überlegenheit des Himmels gegenüber der Erde zum Ausdruck gebracht. Nimmt man hinzu, daß das Verb „gründen" im Alten Testament fest mit der Konzeption des Heiligtums verbunden ist, läßt sich Am 9,6 (zusammen mit V. 5) im Kontext kaum anders deuten, als daß hier der Gott („Jahwe sein Name", 9,6bß) gerühmt werden soll, der mit dem bloßen Finger das scheinbar Unerschütterliche in der Erfahrung des Menschen zum Einsturz bringt (V. 5), dessen Wohnung und Heiligtum im Himmel aber auch dann fest besteht, wenn er seinen Tempel auf Erden entweiht, sein Volk verwirft (9,1 4) und über die Erde sintflutartig zerstörerische Wasser ausgießt (9,6b). Am ehesten ist dieser Lobpreis nach der Erfahrung der Zerstörung des Jerusalemer Tempels, also im Exil anzusetzen. Zumindest aber setzt er die Entweihung des Heiligtums von Bet-El durch Josia voraus. In jedem Fall wird das Ereignis als Einlösung des Wortes Jahwes durch Arnos in 9,1-4 gedeutet.

IV. 2 Die im Kontext überraschende Frage in Am 8,8: M u ß deswegen nicht die Erde erbeben und ihre gesamte Bewohnerschaft trauern, d a ß sie sich insgesamt hebt wie ,der Nil' (aufgewühlt wird) und ,sich senkt' wie der Nil Ägyptens? 4 3

hat die letzten drei ihrer vier Stichen fast wörtlich parallel mit Am 9,5. Da die kosmischen Vorstellungen der Aussagen im Hymnus 9,5 f. fest verankert aber dessen Bedeutung hier tragen; m i N (wörtlich: „Zusammengefügtes, Gebundenes, Bündel" etc.) muß eine sonst nicht belegte architektonische Bedeutung haben. 42 Die engste Sachparallele zur Himmels-„Gründung" bietet 2 Sam 22,8 (anders Ps 18,8!); vgl. Hi 26,11 („Säulen" des Himmels). 41 Vgl. BHS zu den textkritischen Schwierigkeiten. Das eingeklammerte Verb fehlt noch in der LXX und im Parallelvers Am 9,5; es fügt der Aussage des Verses Vorstellungen des Chaoskampfes hinzu.

196

„Zwei Jahre vordem Erdbeben" (Am 1,1)

sind, in 8,8 dagegen eher isoliert im Kontext stehen 44 , Am 8,3-14 darüber hinaus durchgehend in all seinen kleineren Einheiten zitathafte Bezugnahmen auf andere Amoskapitel bietet 45 , ist Am 8,8 vermutlich von 9,5 her zu interpretieren und nach 9,5 f. anzusetzen. Im Ablauf des Amosbuches bildet die Frage in 8,8 einen Vorverweis auf die letzte Doxologie. Wichtig für das Verständnis des Verses ist die Bestimmung des Anlasses für das Erdbeben in seiner kosmischen Dimension. Zumeist haben die Ausleger das „deswegen" (fiNT"1?^) des Textes auf den Gottesschwur des vorangehenden Verses bezogen. Aber das ist ganz unwahrscheinlich, denn der Schwur in 8,7 hebt nur die Unvergleichlichkeit und Unvergebbarkeit der Schuld Israels hervor, von der in V. 4 - 6 die Rede war. In analogen rhetorischen Fragen der Propheten (Jer 5,9.29; 9,8; Jes 57,6) ist der Bezugspunkt des Demonstrativpronomens stets die exzeptionell schwere Schuld Israels. Zahlreiche Sachparallelen in der späteren Prophetie belegen die Vorstellung, daß die Schuld Israels nicht nur die Menschen, sondern mit ihnen die Erde samt den Pflanzen und allem Gedeihen (Jer 12,4; 23,10; Hab 3,17), ja selbst die gesamte Tierwelt (Hos 4,3) in den Abgrund reißt, weil mit dieser Schuld die Weltordnung zerrüttet wird 46 . Das Verb, das in Am 8,8 das „Trauern" des Menschen bezeichnet C?3N), heißt auf die Natur bezogen „verdorren"; nicht ein subjektives Gefühl ist im Blick, sondern die zwanghafte Reaktion auf ausbleibende Segenskräfte der Natur 47 . Am 8,8 formuliert diesen traditionellen Gedanken auf das in der Buchüberschrift belegte Erdbeben hin um, indem dieses kosmisch gedeutet wird; diesem Zwecke dient vermutlich der vorstellungsmäßig merkwürdige Vergleich des Bebens mit dem Steigen und Fallen des Nils. So bedeutet die Inklusion zwischen Am 8,8 und 9,5, daß Israels Schuld, die die Weltordnung zerrüttet (8,4-8), ihre Antwort in der Entweihung des Tempels und damit in der Unzugänglichkeit Gottes und in der Aufgabe der Stabilität der Welt findet. Das kosmische Beben verbindet beides.

44 Jedenfalls gilt das im Blick auf die vorangehenden Verse 4-7, auf die V. 8 primär bezogen ist. 45 Vgl. den Nachweis in dem Anm. 39 genannten Aufsatz. 46 Vgl. zuletzt R. STAHL, „Deshalb trocknet die Erde aus und verschmachten alle, die auf ihr wohnen...", in: J. HAUSMANN - H . - J . ZOBEL (Hrg.), Alttestamentlicher Glaube und Biblische Theologie, FS H.-D. Preuß, Stuttgart u. a. 1992, 166-173, mit weiteren Belegen; J. JEREMIAS, Schöpfung und Verantwortung im AT, Glaube und Lernen 7, 1992, 103-116; 106-109. 47 Es handelt sich um ein und dasselbe Verb, wie J. SCHARBERT, Der Schmerz im AT, BBB 8, 1955, 47 ff. und E. KUTSCH, „Trauerbräuche" und „Selbstminderungsriten" im AT, 1965, in: DERS., Kl. Schriften zum AT, BZAW 168, 1986, 78-95; 88 f., gezeigt haben.

„Zwei Jahre vor dem Erdbeben"

(Am

1,1)

197

V.

Es ergibt sich aus alledem, daß die ältere Datierung in der Überschrift des Amosbuches: „... zwei Jahre vor dem Erdbeben" alles andere ist als eine reine Zeitangabe, geschweige denn eine Zeitangabe aus Verlegenheit, weil noch nicht mehr als gerade ein Erdbeben von den Ankündigungen des Arnos eingetroffen sei (SELLIN). Vielmehr ist das Erdbeben so etwas wie das geheime Thema des Amosbuches. Mit ihm beginnt sich die Botschaft des Arnos zu erfüllen (1,1), aber gemeint ist keineswegs nur ein erschreckendes Naturgeschehen. A m 2 , 1 3 ( - 1 6 ) verdeutlicht, daß dieses Erdbeben verborgen schon all jene Elemente in sich trägt, die erst voll zutage treten, wenn die Schwellen des Heiligtums in Bet-El beben und die Schuld Israels zum Ende seiner Gottesbeziehung und damit zum Ende der kosmischen Ordnung führen wird (Am 9,1-4.5 f.). Am 2,13-16 steht damit (zusammen mit 8,8) in einer gewissen Mittelund Brückenstellung zwischen A m 1,1 einerseits und A m 9 , 1 - 6 andererseits. Aus dieser Beobachtung ergibt sich zwingend, daß die Schüler des Arnos, die anfangs Völkersprüche und Visionsberichte aufeinander bezogen und wenig später die Wortsammlung A m 3 - 6 dazwischenstellten, nicht mit Lesern rechneten, die nur den Atem und die Geduld für eine einzelne Perikope des Amosbuches aufbringen würden, sondern mit solchen, die das Amosbuch (ob mit oder noch ohne die Wortsammlung) insgesamt lesen und die einzelnen Teile aufeinander beziehen konnten. A m 2,13-16 ist nach meiner festen Überzeugung aus sich selber nur teilweise verständlich; voll begreifbar wird die Ankündigung erst, wenn der Leser ihren Charakter als Vorverweis auf A m 9 , 1 - 4 wahrgenommen hat. Analoges gilt von A m 8,8 als Vorverweis auf A m 9,5 f. Konzeptionell ist A m 2,13-16 von A m 9 , 1 - 4 herzuleiten; nur in 9,1 4 ist der Bezug zwischen Beben und panischer Flucht der Menschen voll durchgeführt. Die Komposition des Amosbuches aber erfordert, daß Am 9 , 1 - 4 am Ende steht. Eine Steigerung dieser letzten Vision mit ihren kosmischen Implikationen ist schlechterdings undenkbar. D a s vorexilische Amosbuch wird vermutlich mit 9 , 1 - 4 geendet haben (wie das um die deuteronomistischen Deutungen und die Doxologien angereicherte exilische Amosbuch in 9,6 48 ). So legt sich die Erdbebenthematik wie eine K l a m m e r um das älteste Amosbuch, wobei A m 2,13 die wesentliche Brückenfunktion ausübt.

48

Vgl. K. KOCH und Mitarbeiter, aaO. [Anra. 27] Teil 2, 59.

13. Die Mitte des Amosbuches (Am 4,4-13; 5,1-17) Das Buch Arnos ist nach zwei verschiedenen Gliederungssystemen aufgebaut. In der ersten Buchausgabe der Tradenten nach dem Fall Samarias waren die beiden strophisch gegliederten und vielfach aufeinander bezogenen Kompositionen der Völkersprüche (Am 1-2*) und der Visionsberichte (Am 7-9*)' als ein Rahmen um die Sammlung der Amosworte gelegt, die ihrerseits in zwei etwa gleiche Teile zerfiel: das göttliche Gerichtswort (Am 3-4) und das ihm folgende prophetische Leichenlied (Am 5-6), wie aus den parallelen Überschriften 3,1 und 5,1 hervorgeht 2 . Die jüngere Buchausgabe aus exilisch-nachexilischer Zeit konnte an diesen Aufbau anknüpfen, modifizierte ihn aber erheblich. Primäres Indiz dafür sind die im Kontext so auffälligen „Doxologien" ( 4 , 1 3 ; 5,8[f.]; 9,5 f.). K. K O C H gebührt das Verdienst, ihre Funktion für die Gliederung des Buches grundsätzlich aufgewiesen zu haben, wobei er die letzte Doxologie plausibel als ehemaligen Buchschluß erklärt 3 , bevor der Anhang Am 9,7-15 dem Buch in seiner Letztausgabe zuwuchs. Demgegenüber ist seine Deutung der beiden anderen Doxologien mit Recht nicht aufgegriffen worden. Könnte man 4,13 - isoliert betrachtet - noch gut als Abschluß von Am 3 - 4 begreifen ( K O C H selber denkt an einen Abschluß nur von Kap. 4), so ist die Deutung von 5,8(f.) als Abschluß von Am 5,1-7 ganz unbefriedigend, da 5,10 nahtlos an 5,7 anschließt und das Thema von 5,7 weiterführt. So bedarf die auffällige Nähe in der Stellung von 4,13 zu 5,8(f.) einer anderen Erklärung. H . W . W O L F F hatte sie im Anschluß an E. S E L L I N darin zu finden gemeint, daß alle drei Doxologien des Amosbuches an ältere Texte anschließen, die Bet-El verurteilen (4,4 f.; 5,4-6; 9,l-4) 4 . Diese Nähe ist in 1 Vgl. H. OESE, K o m p o s i t i o n bei Arnos, VT.S 32, 1981, 7 4 - 9 5 (= Atl. Studien, T ü b i n g e n 1991, 9 4 - 1 1 5 ) ; „Völkersprüche und Visionsberichte", o. S. 157 ff. 2 Vgl. K. KOCH und Mitarbeiter, Arnos, Teil 2, 107 f.; „Arnos 3 - 6 . Beobachtungen zur Entstehungsgeschichte eines P r o p h e t e n b u c h e s " , o. S. 142 ff. 3 K. KOCH, Die Rolle der hymnischen Abschnitte in der Komposition des A m o s Buches, Z A W 86, 1974, 5 0 4 - 5 3 7 ; DERS., Arnos, Teil 2, 111 ff. Z u v o r hatte H. GUTHE die H y m n e n s t ü c k e als A b s c h l u ß von T e i l s a m m l u n g e n verstanden ( H S A T [K] II, 4 1923, 37) und A. WEISER als „ A b s c h l u ß liturgischer Leseabschnitte" im nachexilischen Gottesdienst ( A T D 24, 131; vgl. 156 f.). 4 BK X I V / 2 , 1 3 5 - 1 3 7 u. ö.

Die Milte des Amosbuches

(Am 4,4-13;

5,1-17)

199

der Tat frappant und von den meisten Autoren nach W O L F F ZU leichtfertig beiseite geschoben worden. Jedoch krankte WOLFFS Hypothese einer „Bethel-Interpretation zur Josiazeit" daran, daß er mit einer zu schematisch arbeitenden Redaktion rechnete, die die Doxologien nur gerade dorthin plazierte, wo sie Verurteilungen Bet-Els vorfand; am evidentesten wurde diese Schwäche in Kap. 5, wo W O L F F die Tatsache, d a ß die Doxologie 5,8 f. nicht direkt an das Bet-El-Wort 5,6, sondern an 5,7 anschließt, mit einem Abschreibeversehen erklären mußte. M. E. wird die Stellung der ersten beiden Doxologien erst dann verständlich, wenn man neben dem von W O L F F beobachteten Sachinteresse der Redaktion am Heiligtum von Bet-El ihre ästhetische Vorliebe für konzentrische Figuren bzw. Ringkompositionen in Rechnung stellt. Die Vorliebe kommt vor allem in der in jüngster Zeit häufig beobachteten zentralen Stellung der Doxologie 5,8(f.) innerhalb der Ringkomposition von 5,1-17 zum Ausdruck 5 . Nimmt man sie zum Ausgangspunkt der Erwägungen zur Komposition des Buches, so legt sich eine Gliederung des Buches nahe, die insofern an die erste Buchausgabe anknüpft, als sie wie diese Völkersprüche und Visionsberichte als äußeren Rahmen des Buches versteht, diesen Faden weiterführend nun aber die weitgehend parallel laufenden beiden Sammlungen von Worten gegen die Bewohner der Hauptstadt Samaria (3,9-4,3 und 6) zu einem inneren R a h m e n 6 gestaltet, so daß die beiden Perikopen 4 , 4 - 1 3 und 5,1-17 das Zentrum des Amosbuches bilden würden. Für diese Sicht spricht aber nicht nur, daß sie die Nähe der ersten beiden Doxologien zueinander erklären könnte: Beide zentralen Stücke des Buches würden durch Doxologien hervorgehoben, indem die eine betont den Abschluß eines längeren Gedankenganges bildet (4,13), die andere ebenso betont die Mitte einer Ringkomposition (5,8[f.]). Vor allem spricht für die vorgeschlagene Sicht die Tatsache, daß diese beiden im Zentrum des Buches stehenden Kompositionen als einzige im Amosbuch von Imperativen geprägt sind, d. h. von Aufrufen zum Sinneswandel. In diesen Imperativen fände dann das neue Verständnis des Amosbuches in exilisch-nachexilischer Zeit seinen charakteristischen Ausdruck; vom Gesamtverständnis des älteren Amosbuches, wie es oben angedeutet wurde, wäre es erheblich unterschieden. Die Relation zwischen 1) den Imperativen, 2) den Doxologien und 3) den überkommenen Anklagen und Unheilsaussagen des Arnos wäre der Schlüssel zur Deutung des jüngeren Amosbuches. 5 J. DF. WAARD, The Chiastic Structure of Amos V 1-17, VT 27, 1977, 170-177; N. J. TROMP, Arnos V 1-17. Towards a Stylistic and Rhetorical Analysis, OTS 23, 1984, 56-84; vgl. in Weiterführung dieser Ansätze bes. den folgenden Beitrag. 6 Beide Sammlungen haben einen jeweils etwas anders gearteten, aber ihnen formal fest zugeordneten Auftakt: 3,1-8 (mit dem Themawort 3,2 und der es legitimierenden Perikope 3.3 -8) und 5,18-27 (das erste Wehewort, das deutlich auf das zweite in Am 6 ausgerichtet ist).

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Es liegt nahe, dieses neue Verständnis des Amosbuches aus Am 4 zu erheben, weil die Redaktoren hier - im Anschluß an kultische Sprache, wie zu zeigen sein wird - viel freier formulieren konnten als in Am 5,1-17, wo sie einen schon vorgegebenen Kontext durch die zentral plazierte Doxologie anreicherten 7 . Wie Imperative und Doxologie zusammen zu verstehen sind, weiß der Leser schon aus Am 4, wenn er in seiner Lektüre Am 5 erreicht hat. Die Doxologie in 5,8(f.) ist eine Art Zitat der Doxologie in 4,13, die hier ausführlich vorbereitet wird.

I. Für Am 4 ist wesentlich, daß der gewichtige Imperativ, auf den das Kapitel zuläuft (V. 12), bevor es in der Doxologie V. 13 endet, fest verbunden ist mit einem ausführlichen Rückblick auf vergangene Gotteserfahrungen (V. 6 11). In ihm wird ein Israel (im Plural) angeredet, das eine Fülle von Schlägen Gottes entgegennehmen mußte, ohne doch deren Absicht zu begreifen; stereotyp heißt es fünfmal in V. 6 - 1 1 : „Aber ihr seid nicht zu mir zurückgekehrt, Spruch Jahwes". Die Schläge ihrerseits waren die Reaktion Gottes auf Israels verfehlten Gottesdienst. Wenn V. 4 f. mit der Feststellung endet: „... denn so liebt ihres doch, ihr Israeliten, Spruch des Herrn Jahwe", so beginnt der Rückblick in betonter Opposition dazu: „So habe ich euch meinerseits blanke Zähne in allen euren Städten gegeben" (V. 6). So gewiß V. 4 f., die Parodie eines Priesteraufrufs zur Wallfahrt nach Bet-El und Gilgal, in mündlicher Rede ein Einzelwort gebildet haben wird, so gewiß sind doch im gegenwärtigen Kontext alle vier formgeschichtlich zu unterscheidenden Einheiten untrennbar aufeinander bezogen: die Anklage gegen Israels verfehlten Gottesdienst (V. 4 f.), der Rückblick auf die vergeblichen Schläge Gottes (V. 6-11), die Aufforderung an Israel (im Singular), zur Gottesbegegnung bereit zu sein (V. 12), und die Doxologie (V. 13). Der Imperativ gilt also einem schuldig gewordenen Volk, das aus vielen harten Erfahrungen, die Reaktion Gottes auf seine Schuld waren, Gottes Pädagogik hätte begreifen müssen, sie aber nicht begriffen hat; es geht darum auf eine Gottesbegegnung zu, die letztgültigen Charakter hat, wobei das Ziel der Begegnung in einer noch zu präzisierenden Weise mit der Doxologie V. 13 zu tun hat. Schon bei flüchtiger Lektüre des Kapitels fällt auf, daß mit den zurückliegenden Schlägen Jahwes, die Israel hätten zur Einsicht führen sollen, nicht historisch belegbare Einzelereignisse gemeint sind, sondern vielmehr typische Plagen. Darin unterscheidet sich A m 4,6 ff. tiefgreifend von seiner engsten prophetischen Analogie in Jes 9,7 ff. A m 4 spiegelt einen gottes7

Vgl. den Nachweis im folgenden Beitrag.

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dienstlichen Kontext wider. Die engsten und teilweise bis in den Wortlaut identischen Sachparallelen finden sich, wie schon H. W. W O L F F gesehen hat, 1) in den sekundären Ausgestaltungen des großen (Segen- und) Fluchkapitels, mit dem das Heiligkeitsgesetz abgeschlossen wird (Lev 26), und 2) in der ebenfalls späteren Ausformung des Tempelweihgebetes Salomos (1 Kön 8).

II. Ich beginne mit einem Blick auf 1 Kön 8,33 f f , weil dieser Text in doppelter Hinsicht die evidentere Parallele bietet: Zum einen ist hier eine vergleichbare Aufzählung göttlicher Plagen wie in Am 4 jeweils mit der Erwartung der Umkehr Israels verbunden, zum anderen wird - wiederum analog zu Am 4 - vorausgesetzt, daß die göttlichen Schläge schon erfolgt sind. Allerdings geschieht letzteres nicht in der Perspektive des Rückblicks, sondern künstlicher - im 2. Futur; Salomo erwägt im Gebet die Möglichkeit, ein zukünftiges schuldiges und von Gott geschlagenes Israel möchte wieder zu Gott umkehren. Hilfreich für das Verständnis von Am 4 ist 1 Kön 8 aber vor allem darum, weil die erhoffte Umkehr eingebunden ist in einen liturgischen Ablauf, der bei den Lesern von Am 4,6 ff. offensichtlich als ihnen vertraut vorausgesetzt ist. In allen Strophen von 1 Kön 8,33 ff. (V. 33 f. 35 f. 37-40; vgl. die sprachlich jüngere und längere Strophe V. 46 ff.) ist eine nahezu identische Geschehensabfolge dargestellt: Verschuldung Israels - von Jahwe verfügte Strafe/Plage - Umkehr Israels - Lobpreis des Namens Jahwes - Bitte um Erbarmen, verbunden mit einem Schuldbekenntnis - göttliche Erhörung des Gebets, Vergebung und Wende der Not. Was von Israel erwartet wird, wenn eine Plage Jahwes es aufgrund von Schuld trifft, ist also ein Dreischritt: a) Umkehr, b) Lobpreis des Namens Jahwes, c) Flehen und Bitten um Erbarmen und Vergebung. Grundsätzlich könnte auch nur ein Zweischritt gemeint sein, so daß die Umkehr das Ganze bezeichnete und sich in Lobpreis und Flehen konkret vollzöge. Gegen eine solche Sicht spricht jedoch, daß die 2. Strophe in V. 35 die Reihenfolge Flehen - Lobpreis des Namens - Umkehr bietet und zugleich die Umkehr als „Umkehr von ihrer Schuld" präzisiert, während V. 33 von „Hinkehr zu dir" sprach. So müssen offensichtlich alle drei Akte voneinander unterschieden werden, auch wenn V. 38 in der 3. Strophe nur noch zusammenfassend vom Flehen um Erbarmen spricht und V. 47 von Umkehr und Flehen mit Schuldbekenntnis, ohne den Lobpreis des Namens Jahwes zu erwähnen. Andererseits ist deutlich, daß die drei Akte unlöslich zusammengehören; Umkehr als Handlungswandel ist nicht Sache privater Entscheidung, sondern Teil eines gottesdienstlichen Geschehens, das letztendlich zur Wende der Not führen soll.

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Dabei ist in 1 Kön 8,33 ff. durchgehend das Exil vorausgesetzt. Deutlich zeigt sich das in V. 35 ff., wo jeweils vom Gebet „zu diesem Ort hin" die Rede ist. Die andersartige Formulierung in V. 33 (Beten „in diesem Haus") erfolgt um des Kontextes, d. h. um der fiktiven Situation der Tempelweihe willen; denn auch hier schließt die Wende der Not die Rückkehr zum Land der Väter ein (V. 34). Von 1 Kön 8 herkommend, ist der analoge Dreischritt in Am 4 unschwer zu erkennen. Die in 1 Kön 8 vorausgesetzte Umkehr Israels ist in Am 4 ausgeblieben (V. 6-10), ja sie ist selbst dann noch ausgeblieben, als Jahwe zur äußersten Noterfahrung griff: zum „Umsturz" (V. 11). Nun steht Israel daraufhin vor einer „Begegnung mit G o t t " (V. 12), an der sich sein Leben entscheidet, und in der es - um mit 1 Kön 8 zu reden - den „Namen Jahwes preisen", d. h. die solenn mit dem Jahwe-Namen endende Doxologie sprechen muß, die V. 13 vorformuliert. An die Stelle der Aufforderung zum Flehen und Erbarmen (1 Kön 8) ist also der Aufruf getreten, zur Gottesbegegnung „bereit" zu sein (V. 12). Andererseits liegt der Unterschied zwischen 1 Kön 8 einerseits und A m 4 andererseits ebenfalls auf der Hand. 1 Kön 8 möchte der exilisch-nachexilischen Gemeinde für Notzeiten ein Ritual an die Hand geben, mit dem sie Nöten ganz verschiedener Art begegnen und deren Wende erhoffen kann. Die Plagen sind im strengen Sinne alternativ gemeint; daher wird das Ritual auch nur bei den ersten beiden Fällen durchgeführt (V. 33: „Wenn dein Volk Israel einem Feind unterliegt ..."; V. 35: „Wenn der Himmel verschlossen bleibt, so daß es keinen Regen gibt ..."), während die 3. Strophe die restlichen Plagen nur noch summierend aufzählt: „Wenn eine Hungersnot im Land auftritt, wenn Pest, wenn Kornbrand und Mehltau, wenn Heuschrecke und F r e s s e r . . . , irgendeine Plage oder irgendeine Krankheit ..." (V. 37). Am 4,6 ff. dagegen ist mit seinem Plagenschema erst dann recht verstanden, wenn es in seiner Logik vom ersten Fall bis zu seinem Höhepunkt verfolgt worden ist. Es spricht ein Israel an, das bisher die Umkehr kontinuierlich verweigert hat, ja, das sie selbst dann noch verweigert hat, als Jahwe zu einem Strafhandeln griff, das in keiner Plagenreihe vorgesehen war, zum „ U m s t u r z " (V. 11). Da es jene Chancen immer neu verspielt hat, die 1 Kön 8 seinen Lesern gerade lockend vor Augen stellt, und nun auch die extreme Steigerung des göttlichen Strafens nicht in ihrer Absicht erkannt hat, ist die bevorstehende Gottesbegegnung als letzte und einmalige Chance geschildert. Kurz: 1 Kön 8 ist an der Liturgie von Fastentagen orientiert, A m 4 treibt Geschichtstheologie. Angesichts der aufgegriffenen Wendung „wie G o t t Sodom und G o m o r r h a umstürzte" (V. 11) und ihrer Parallelen (Dtn 29,22; Jes 13,19; Jer49,18; 50,40) kann kaum ein Zweifel daran bestehen, wann diese Theologie anzusetzen ist: Sie setzt die Zerstörung Jerusalems (und nicht nur den Fall Samarias) voraus und ruft die Über-

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lebenden, die der Katastrophe „wie ein dem Brand entrissenes Holzscheit" entgingen, dazu auf, ihr Leben als ein Wunder zu begreifen (V. 11), es im Blick auf die bevorstehende lebensentscheidende Gottesbegegnung radikal zu ändern (V. 12) und die Doxologie zu sprechen (V. 13), die in diesem Kontext natürlich einen neuen Sinn gewinnt.

III. Lev 26 bietet eine andersartige Hilfe für das Verständnis von A m 4. Handelte es sich in 1 Kön 8 um eine form- und näherhin liturgiegeschichtliche Parallele, so sind die Berührungen zwischen Lev 26 und A m 4 teilweise so eng, daß sie wohl nur literarkritisch ausgewertet werden können. Das gilt nicht primär für die terminologischen Einzelheiten des Kapitels 8 , wohl aber für seine beherrschenden Strukturmerkmale. Ich zähle sie zunächst nur auf: 1. In Lev 26,14 ff. wird der Fluch in einem sich steigernden StufenSchema entwickelt, bei dem die jeweils nächste Plage erst erfolgt, wenn Israel auf die vorhergehende nicht reagiert hat. Es handelt sich um 5 Plagen, die den 5 Plagen im analogen Stufenschema von A m 4 entsprechen. 2. Eingeleitet wird es mit einem allgemeinen Satz: „... dann werde ich meinerseits euch dies (fiNT) a n t u n " (V. 16), der dem Abschluß des Plagenschemas in Am 4 auffällig entspricht: „ D a r u m will ich dir das (HD) antun, Israel! Weil ich dir dies (riKT) antun will ..." (V. 12). 3. Das Am 4,6 ff. betont einleitende göttliche „Ich meinerseits" („darum habe ich euch meinerseits blanke Zähne ... gegeben") ist in Lev 26 fest verankert und begegnet nicht weniger als 6 mal (V. 16.24[2x].28.32.41) 9 . 4. A m 4,12 ruft nach den Plagen Israel zu einer entscheidenden Gottesbegegnung auf; Lev 26 spricht wiederholt unter Rückgriff auf die gleiche Wurzel m p / i n p von einer mißlingenden Gottesbegegnung Israels (7 mal: V. 21.23.24.27.28.40.41). D a ß die Priorität bei diesen auffälligen Berührungen eher bei Lev 26 liegen wird, ergibt sich allein schon aus der Beobachtung, d a ß die zuletzt genannten beiden Fälle den Kern von Lev 26,14 ff., sein Gedankengerüst, treffen 1 0 . Der Fluch hat in Lev 26 längst eine andere Funktion erhalten als 8 Berührungen in Einzelheiten hat H. W. WOLFF, BK XIV/2, 252, tabellarisch festgehalten. A m auffälligsten ist die Verbindung von Pest und Schwert in einer Plage, wobei die Pest jeweils von Jahwe „gesandt" wird (Lev 26,25; A m 4,10). 9 Allerdings ist die Formel 'IlN'CUI „ich meinerseits" im Übergang von der Schuld zur Strafe in der Prophetie des 6. Jh.s auch sonst beliebt; vgl. Jer 13,25 f.; Ez 5,8; 16,43; 20,24 f. sowie Mi 6,12 f. (etwa die gleiche Zeit); Mal 2,9. Hinzu kommt für den 2.Fall, d a ß der Einleitungssatz „... dann werde ich meinerseits euch dies a n t u n " (Lev 26,16), der durch die folgenden Flüche seine Ausführung findet, weit plausibler ist als der entsprechende Abschlußsatz in A m 4,12, der als solcher mehrdeutig bleibt.

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der Fluch in altorientalischen Vertrags- und Gesetzestexten, von denen er letztlich herstammt und in denen die angerufenen Götter als Zeugen und G a r a n t e n des Vertragswerkes gegenüber potentiellen Gesetzesbrechern als Fluchvollstrecker fungierten. M . NOTH hatte schon 1938 betont, daß die Voranstellung eines Segenabschnittes vor den Fluchteil in Lev 26 (und Dtn 28) pädagogische Funktion hat, mit der sich das vorgegebene Fluchverständnis ä n d e r t " . Durch das oben beschriebene Stufen-Schema, das die Flüche schrittweise steigert, wird diese Entwicklung erheblich vorangetrieben, und zwar bewußt, wie die Steigerung vom ersten zum zweiten Fluch verdeutlicht: Ein ungehorsames Israel bedarf „weiterer Erziehung", d. h. „weiterer Züchtigung" ("1D1 pi.), die als 7-fache in ihrer uneingeschränkten Härte charakterisiert wird (V. 18). Für A m 4 wesentlich sind die Charakterisierungen der letzten beiden Steigerungen. Die vorletzte spricht von einer der Schuld Israels entsprechenden Reaktion Jahwes und führt dazu das Am 4,6.7 analoge „ich meinerseits" ein (V. 24); die Entsprechung ihrerseits wird durch eine nur in Lev 26 begegnende Wendung ausgedruckt, die wörtlich „in eine Begegnung ('*lp) mit jemand treten" heißt und im Kontext stets feindlich verwendet wird. Israels feindliche Begegnung mit Jahwe ruft Jahwes feindliche Begegnung mit ihm herauf (V. 23 f.). Im letzten Fluch wird diese göttliche Begegnung zur tödlichen „Zornes-Begegnung" gesteigert (V. 28). Beachtenswert ist, daß als Folge dieser letzten Steigerung neben dem traditionellen Fluch, das Fleisch der eigenen Kinder zu essen (V. 29), 1) die Zerstörung der Höhenheiligtümer und 2) die Zerstörung des Landes und die Zerstreuung unter die Völker genannt werden. Hier wird deutlich auf die josianische Kultreform, den Untergang des Staates Juda und das Exil zurückgeblickt. Läßt m a n die älteren Materialien in Lev 26 1 2 außer Betracht, ist das Kapitel frühestens ein exilischcr Text. Er treibt Gcschichtstheologie mit den Mitteln der Fluchtradition. Nicht nur in der Perspektive des (impliziten) Geschichtsrückblicks ist Lev 26 dem dtr Geschichtswerk zu vergleichen, sondern auch in der Hervorhebung kultischer Vergehen auf den Höhenheiligtümern als schlimmste Schuld Israels (V. 30). Geschichte ist eine pädagogische Institution Gottes, in der sich die Züchtigungen steigern. Das Exil ist in dieser Pädagogik ein unüberbietbarer Höhe- und Wendepunkt. Es dient dazu, dem Land die vorenthaltenen Sabbatjahre zu erstatten (V. 34 f. 43), und es dient dazu, Israel endlich zur Besinnung und zur Umkehr zu führen (V. 40 ff.). Jahwe ist in aller Pädagogik nicht der Gott, der verstößt und den Bund aufgibt, sondern der treue Gott, der des Bundes gedenkt (V. 44 f.). " M. NOTH, „ D i e mit des Gesetzes Werken umgehen, die sind unter dem F l u c h " (1938), Ges. St., T B 6, 1957, 155-171. 12 Ihnen ist bes. K . ELLIGER, Leviticus, H A T 1/4, 1966, nachgegangen.

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IV. A m 4 ist im Ton ungleich härter als Lev 26, an das es vielfältig anknüpft. Wie für Lev 26 ist auch für A m 4 Israels Schuld auf dem Feld des Gottesdienstes die schwerste; 4,6 ff. schließt sich aus diesem G r u n d e gerade an die kultische Polemik des Arnos gegen Bet-El an. Wie in Lev 26 wird die Geschichte mit den Mitteln der Fluchtradition als Feld des pädagogischen Handelns Gottes verstanden, das auf U m k e h r abzielt. Wie in Lev 26 fährt G o t t fort zu strafen, wenn er dieses Ziel mit einer Plage nicht erreicht. Wie in Lev 26 gipfelt diese Pädagogik Gottes in der Zerstörung Jerusalems, auf die in A m 4, wie gesehen, der mit Sodom und G o m o r r h a verglichene „Umsturz" Gottes hinweist. Aber anders als in Lev 26 wird Israel am Ende nicht vergewissernd die Treue Gottes vor Augen gehalten, sondern im Bild vom Holzscheit, das dem Brand entrissen ist, werden die Überlebenden der Katastrophe Jerusalems aufgefordert, ihre Rettung als unverdientes Wunder zu begreifen und aus dem Wunder Konsequenzen zu ziehen. Diese Aufforderung ist von einer dunklen, unheimlichen Drohung durchzogen. Die Einleitung des Fluchteils von Lev 26: " . . . dann werde ich euch meinerseits folgendes a n t u n " (V. 16) wird in Am 4,12 zur Beschreibung der Konsequenz beharrlicher Umkehrverweigerung: D a r u m will ich dir das (HD) a n t u n , Israel! Weil ich dir dies (riKT) a n t u n will, sei bereit, deinem G o t t zu begegnen, Israel!

Auffällig ist hier sogleich 1) die Einführung der sing. Anrede „du" nach vorherigem „ihr" sowohl in V. 4 f. als auch in V. 6 - 1 1 , gekoppelt 2) mit der doppelten feierlichen Anrede „Israel". U m das verschlüsselnde HD ist viel gestritten worden. Es hat drei grundlegend verschiedene Deutungen erfahren 1 3 . Entweder hat m a n an eine symbolische Handlung gedacht, die das Wort begleitete und auf die das H3 „so" des Sprechers verwiesen hätte 1 4 ; das Mißliche an dieser Deutung ist natürlich, daß das Entscheidende - die Handlung - spekulativ ergänzt werden muß und das HD schon früh für Leser der biblischen Texte unverständlich geworden wäre. Oder man hat das H3 auf das folgende bezogen, d. h. auf die Gottesbegegnung 1 5 ,

11

Eine vierte rechnet mit Textausfall (z. B. F. HORST, Die Doxologien des Amosbuches [1929], in: DERS., Gottes Recht, TB 12, 1961, 155-166; 166; H. GRAF REVENTLOW, Das Amt des Propheten bei Amos, F R L A N T 80, 1962, 77), eine Annahme, die allenfalls ultima ratio sein kann. 14 So bes. A. R. JOHNSON, The Cultic Prophet and Israel's Psalmody, Cardiff 1979, 183 f. Anm. 2, und WOLFF z.St., der sich die Liturgie am durch Josia zerstörten Heiligtum von Bet-El gesprochen denkt. 15

S o n a c h BUDDE, SELLIN, MORGENSTERN b e s . R U D O L P H z . S t . , d e m K O C H , A r n o s , T e i l

2, 27, folgt.

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hat dann aber entweder mit Textausfall oder Textverderbnis rechnen müssen, da V. 12b das angedrohte Handeln Gottes klar von der Gottesbegegnung unterscheidet. So bleibt als wahrscheinlichste Lösung die dritte Möglichkeit, das „So" auf das Vorangehende rückzubeziehen, also auf die erfahrene Zerstörung Jerusalems (V. 11), und mit „das gleiche", „(weiterhin) so" zu übersetzen 1 6 . D a n n würde den Überlebenden der Katastrophe Jerusalems verdeutlicht, daß eine nochmalige Verweigerung der Umkehr den Tod nicht nur einzelner wie zuvor, sondern des Gottesvolkes insgesamt bedeuten würde 1 7 . In seinem tiefen Ernst und in seiner großen Härte, die an die Stelle der lockenden Töne von Lev 26 treten, zeigt A m 4 seine große sachliche Nähe zur Theologie des um vieles älteren Propheten. Auch darin wird an Arnos angeknüpft, d a ß die Entscheidung über Leben und Tod in einer Gottesbegegnung Israels fällt. N u r wird sie nicht wie bei Arnos mit dem Verb "1357 (Am 5,17; 7,8; 8,2) bezeichnet, sondern im Anschluß an die Sinaitradition mit der adverbiellen Bestimmung DTt^N HNIp1? (vgl. Ex 19,17), und wie in der Sinaitradition wird zur Vorbereitung dieser Gottesbegegnung Israel zur „Bereitschaft" 0p3 nif., teils als verbum finitum, teils als Ptz. mit DTI) aufgefordert (Ex 19,11.15; vgl. Mose in Ex 34,2) wie sonst nur Kämpfer im Kontext des Krieges (Jos 8,4; Ez 38,7). Diese Anklänge an Ex 19 müssen wohl so gedeutet werden, daß in Israels Begegnung mit dem unnahbargefährlichen Gott (wer seinen Berg berührt, stirbt oder wird getötet: Ex 19,12 f.) die gleiche Grundsatzentscheidung fällt wie in Israels erster Begegnung mit ihm am Sinai. Wurde damals das Gottesverhältnis Israels begründet, so steht es jetzt in seinem Bestand auf dem Spiel. Gleichzeitig sind die kultischen Konnotationen unüberhörbar: In Ex 19 schließt Israels „Bereitschaft" Heiligungsriten wie Kleiderwaschen und sexuelle Enthaltsamkeit ein. Im Blick auf die Doxologie V. 13 (s. u.) erscheint es mir sehr wahrscheinlich, d a ß die spezielle Datierung der „Bereitschaft" auf den dritten Tag in Ex 19,11.15 mitbedacht werden soll, und zwar in Antithese zu dem von Arnos in 4,4 inkriminierten Gottesdienst von Bet-El (und Gilgal) am dritten Tag. Nicht der dritte Tag als solcher ist wichtig, sondern das Wissen Israels, wem es begegnet: dem Gott von Bet-El oder dem G o t t vom Sinai.

16 Vgl. ausführlich W. BERG, Die sogenannten H y m n e n f r a g m e n t e im A m o s b u c h , E H S . T 45, 1974, 242 ff. Ähnlich K. EBERLEIN, G o t t der Schöpfer - Israels G o t t , B E A T 5, 1 9 8 6 , 2 2 9 ff. 17 Z u m gleichen Ergebnis w ü r d e die V e r m u t u n g f ü h r e n , die geläufige Schwurformel „ D i e G ö t t e r / d i e G o t t h e i t tue mir dies und d a s (DD und HD), w e n n ich n i c h t . . . " (1 K ö n 19,2 u. ö.) stehe im H i n t e r g r u n d der D r o h u n g . A u c h hier bezeichnet das HD ein Äußerstes, den Tod.

Die Mitte des Amoshitches (Am 4.4-13; 5,1-17)

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V.

Auf ihn verweist der abschließende Hymnus

in V. 13.

Ja, seht: D e r die Berge 1 * bildet u n d d e n W i n d s c h a f f t u n d d e m M e n s c h e n v e r r ä t , w a s sein P l a n 1 9 ist; der Morgenlicht zur Dunkelheit20 m a c h t u n d a u f die H ö h e n d e r E r d e tritt: J a h w e , G o t t d e r H e e r s c h a r e n , ist sein N a m e !

Der Hymnus hat eine doppelte Funktion. Die eine wurde schon bei der Behandlung von 1 Kön 8 berührt, wo sie „den N a m e n Jahwes preisen" hieß. Es ist jener Akt, den F. HORST „Exhomologese" genannt hat, „die zugleich Confessio und Doxologie (Akklamation) angesichts der (strafende) Macht enthüllenden Gottheit war" 2 1 . Mit ihr anerkennt Israel öffentlich die Zerstörung Jerusalems und das Exil als gerechtes Gericht Jahwes, der am Schluß mit seinem solennen N a m e n „Jahwe, G o t t der Heerscharen" benannt wird. Die zweite Funktion geht über diese formale erste hinaus ins Inhaltliche. Der Hymnus schweigt von den Themen Schuld und Vergebung. Statt dessen wird Israel an der Grenze zwischen Leben und Tod (V. 12) neu vor Augen gehalten, wer dieser Jahwe ist, dem es gegenübertreten muß. In dieser Hinsicht sind nun insbesondere diejenigen Aussagen von Gewicht, bei denen begründet vermutet werden kann, daß das überkommene hymnische Gut, mit dem zu Recht allgemein gerechnet wird, im Kontext verändert oder implizit neu gedeutet wird"". D a s gilt bei näherem Zusehen für alle Aussagen, nur scheinbar mit Ausnahme der ersten, die Jahwes Macht preist, indem er als Schöpfer dessen vorgestellt wird, was in der Erfahrung des Menschen fest und unerschütterlich ist (die Berge), aber auch dessen, was dem Menschen besonders unberechenbar und unbeeinflußbar gilt (der Wind). Ihre eigentliche Absicht enthüllt sich erst von der letzten, vierten Prädikation her. Beim zweiten Stichos dagegen, der so deutlich aus dem Kontext von Naturerscheinungen und Machterweisen Jahwes herausfällt, wird zu Recht gemeinhin angeIK L X X bietet eine echte, von anderen Versionen nicht gedeckte Variante: „der den D o n n e r bildet". w D a s hap. leg. niP ist vermutlich N e b e n f o r m z u m geläufigeren rviP. 20 Einige hebr. Hss und L X X lesen: „der das Morgenlicht u n d die Dunkelheit m a c h t " , vielleicht unter Einfluß von 5,8. 21 A a O . [Anm. 13] 164. D e r terminus m i n „preisen" k a n n a u f g r u n d dieses Z u s a m m e n h a n g e s gelegentlich auch die Bedeutung „die Schuld b e k e n n e n " a n n e h m e n , bes. Ps 32,5. 22 Vgl. zur Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen ursprünglicher Bedeutung der Aussagen in der Tradition der H y m n e n und ihrer Applikation auf den Kontext des A m o s b u c h e s den Exkurs „Die Doxologien im A m o s b u c h " in meinem A m o s k o m m e n t a r ( A T D 24/2, 1995).

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5,1-17)

nommen, daß der vorgegebene Hymnus mit dieser Aussage bereichert wurde 2 3 . In sich ist sie doppeldeutig, weil grammatisch nicht zu klären ist, ob des Menschen oder aber Gottes „Sinnen" bzw. „Plan" gemeint ist. Der Kontext spricht entschieden für die zweite Möglichkeit. Nicht das menschliche Trachten soll aufgedeckt werden - das ist in V. 6 - 1 1 in der Umkehrverweigerung längst geschehen - , sondern Israel soll wissen, daß es vor einem Gott steht, der redet und es nicht im Ungewissen über sein Handeln läßt. Die engste Sachparallele bietet der dtr formulierte Vers Am 3,7: D e n n der H e r r J a h w e tut nichts, o h n e d a ß er seinen Plan seinen K n e c h t e n , den P r o p h e t e n , o f f e n b a r t hat.

Auch wenn die Sprache eine je verschiedene ist, die theologische Grundaussage ist analog: Israel hat Propheten, und deshalb steht es keinem undurchsichtigen Schicksal gegenüber, sondern einem Gott, der spricht, d. h. in Am 4: der die Geschichte als eine pädagogische Institution Gottes offenlegt, an der Israel bisher gescheitert ist. Israel ist deshalb unentschuldbar. Die letzten beiden Stichen vermitteln einen erheblich bedrohlicheren Klang. Der dritte Stichos ist freilich auch anders übersetzbar, weil das Verb „machen" in ihm mit doppeltem Akkusativ steht; von Wellhausen bis Rudolph ist er mit: „der die Dunkelheit zum Morgenlicht macht" wiedergegeben worden, mit der Begründung, daß andernfalls "der ganze helle Tag dazwischenliegt" 24 . Aber eben diese Begründung RUDOLPHS für seine Übersetzung zeigt, daß er nicht zwischen Tradition und Redaktion zu unterscheiden vermag; sie mag allenfalls - auch das ist mir zweifelhaft - ein Argument für die vorgegebene Tradition sein, die dann reine Schöpfungstheologie enthalten hätte; keinesfalls ist sie ein Argument für Am 4. Vielmehr geht es hier um anderes als um Naturerscheinungen. „Der Morgenlicht" - also den gerade beginnenden Tag - schon durch Wolken „zur Dunkelheit macht", ist der Gott, der unerbittlich Israels Ende herbeiführen wird, wenn es nicht jetzt - endlich - zu ihm „umkehrt". Noch sprechender im Kontext ist der letzte Stichos. Daß die Gottheit „auf die Höhen der Erde tritt", ist eine alte, tief in kanaanäischer Mythologie verwurzelte Aussage 25 , die eine Fülle an Assoziationen aus sich entlassen hat (z. B. kann Jahwe Menschen „auf Höhen treten lassen", Ps 18,34; Hab 3,19; Sir 46,9 f.; Israel kann „auf die Höhen [d.h. Rücken] der Feinde treten" Dtn 33,29 etc.). In Am 4,13 aber wird wie an der engsten Sach23 Freilich ist der Text deshalb nicht „verderbt" (so H. P. MÜLLER, Die hebräische Wurzel rrir, VT 19, 1969, 361-371; 369). Wenn MÜLLER begründet: „Der Gedanke einer göttlichen Mitteilung an den Menschen paßt nicht in den kosmologischen Hymnus", so unterscheidet er nicht zwischen Tradition und Redaktion. 24 RUDOLPH, K A T XIII/2, 171. 25 Vgl. etwa R. HILLMANN, Wasser und Berg. Kosmische Verbindungslinien zwischen dem kanaanäischen Wettergott und Jahwe, Diss. Halle 1965, 185-198; J. L. CRENSHAW, e „W dörek 'al-bämöte 'äres", C B Q 34, 1972, 39-53.

Die Mitte des Amosbuches

(Am 4,4-13:

5,1-17)

209

parallele Mi 1,3 auf die Zerstörung der Kulthöhen angespielt sein 26 , auf die, wie wir sahen, auch der Paralleltext Lev 26 zu sprechen kommt, und zwar ebenfalls am Abschluß der Flüche (V. 30 f.). D a n n ergibt sich für A m 4 eine doppelte Inklusion. Z u m einen wird innerhalb des Hymnus von V. 13 eine Antithese zwischen der ersten und der letzten Aussage erkennbar 2 7 : Der Schöpfer der Berge zerstört die Kulthöhen der Menschen. Z u m anderen, und bedeutsamer, wird der Bogen geschlagen zum anfänglichen Schuldaufweis der Perikope (V. 4 f.): In der Zerstörung Bet-Els unter Josia hat Jahwe ein unüberhörbares, eindeutiges Urteil über Israels verfehlten Gottesdienst gesprochen, von dem es sich in seiner „ U m k e h r " allererst losreißen muß.

VI. Die exilisch-frühnachexilischen Tradenten des Amosbuches verfolgen in A m 4 , 4 - 1 3 also eine doppelte Intention. Einerseits wollen sie mit allem Ernst an der unerbittlichen Härte der Schuldaufweise des Arnos und an Gottes Todesurteil über diese Schuld festhalten (V. 4-12a); andererseits aber im Rückgriff auf liturgische und geschichtstheologische Texte der jüngsten Vergangenheit (1 Kön 8; Lev 26) ihren Zeitgenossen die Möglichkeit eines Neubeginns des Gottesverhältnisses Israels eröffnen. In beiden Hinsichten konnten sie schon an das ältere Amosbuch anknüpfen. In Am 5,l-17*2g war ihnen von den älteren Tradenten der Amosworte eine sog. „konzentrische Figur" oder „Ringkomposition" vorgegeben, bei der sich mehrere Gedankenreihen wie Schalen um einen Kern legen; sie wird im folgenden Beitrag ausführlicher behandelt werden. Eine solche Kunstform verwendeten Überlieferer insbesondere dann, wenn sie unterschiedliche Gedanken der Propheten aufeinander beziehen wollten, um einen komplexen Gedankengang zu schaffen. In Am 5,1-17* geschieht das, indem zwischen die prophetische Anklage (V. 7.10-12) und die sie rahmende Totenklage (V. 1 3.16 f.) überraschend das Angebot des Lebens (V. 4 f. 14 f.) tritt; es unterbricht auf diese Weise die Logik von Schuld und zugehörigem Todesurteil, ohne sie doch aufzuheben. Wie die älteren Tradenten diese Spannung verstanden, zeigt am deutlichsten V. 15b, der den leidenschaftlichen Appell zum „Suchen Gottes" (V. 4) bzw. „Suchen des G u t e n " (V. 14) damit 26

S o a u c h W O L F F z . S t . ; CRENSHAW, a a O . 4 3 ; F. CRÜSEMANN, S t u d i e n z u r

Formge-

schichte von Hymnus und Danklied in Israel, W M A N T 32, 1969, 102 f., Anm. 5; und bes. K. KOCH, Die Rolle der hymnischen Abschnitte des Amos-Buches, ZAW 86, 1974, 5 0 4 537; 508-513. 27

28

KOCH, ebd. 509.

Genauer: V. 1 - 5 . 7 . 1 0 - 1 2 . 1 4 - 1 7 . Während V. 9 und V. 13 als nachexilische Zusätze zu gelten haben, gehen V. 6 und V. 8 auf die hier behandelte Redaktion zurück (s. u.).

210

Die Milte des Amosbuches

(Am 4.4-13;

5,1

17)

begründet, daß Jahwe „vielleicht" - auf ein bestimmtes Gotteswort wagten die Tradenten sich nicht zu berufen - noch einmal gnädig sein werde, allerdings allenfalls einem „Rest Josefs". Damit war implizit jeder einzelne angesprochen, aus dem bei Gott fest beschlossenen Todesgeschick für Israel (die rahmende Totenklage V. 1 - 3 . 1 6 f.) auszubrechen. Dabei zeigt der Ausdruck „ J o s e f , daß das Jahr 733 mit seiner Reduktion auf das Nordreich schon zurücklag 2 9 ; vermutlich war auch die Eroberung Samarias durch die Assyrer schon erfolgt. Wie die exilisch-nachexilischen Tradenten diesen Abschnitt verstanden haben, der schon im älteren Amosbuch durch seine Stellung und künstlerische Form hervorgehoben war, läßt sich aus einem Doppelten ablesen: 1) Sie haben der vorgefundenen „konzentrischen Figur" eine Verschärfung der M a h n u n g (V. 6) hinzugefügt und ihr zudem mit der Doxologie V. 8(f.) einen neuen Kern geschaffen, auf den nun der Gedankengang zuläuft, und haben 2) mit dem schon behandelten Abschnitt 4 , 4 - 1 3 eine Parallelkomposition gebildet, die 5,1-17 im voraus deutet. Beide Eingriffe hängen engstens miteinander zusammen. Beginnen wir mit V. 6. Der dringenden Warnung des Arnos, Jahwe nicht auf den Wallfahrten zu „suchen", weil ein solches „Suchen" in den Untergang führt (5,4 f.), haben die späteren Tradenten einen Kommentar hinzugefügt, der die ältere Gottesrede („Sucht mich, so werdet ihr leben!") in Prophetenrede überführt, die man paraphrasieren müßte: Ja, tut, wozu Arnos euch aufgefordert hat: „Sucht Jahwe, so werdet ihr leben!" Zugleich wird der ältere Imperativ des Propheten zu einer ultimativen Warnung („damit n i c h t . . . " ) umformuliert, die mit ihrer Betonung der letzten Chance ihre einzige Sachparallele in Am 4,12 findet. Zu dieser Parallele paßt, d a ß die in 5,5a auf eine Dreizahl ausgeweiteten Heiligtümer (Bet-El, Gilgal, Beerscheba) in V. 6 gegenläufig auf das eine widergöttliche Heiligtum beschränkt werden, das in 4,12 f., wie wir sahen, den Gegensatz zum wahren Gottesdienst am Sinai repräsentiert: Bet-El. Und wie die ultimative Warnung in 4,12 unmittelbar in die Doxologie 4,13 mündet, so gilt Entsprechendes auch für 5,6.8, nur daß beide Verse in der Logik der „konzentrischen Struktur" bzw. „Ringkomposition" durch den Vorwurf des Rechtsbruches (V. 7) getrennt sind 30 . Dieser Vorwurf nimmt für die exilischfrühnachexilischen Tradenten die Rolle ein, die in A m 4 das Kehrversgedicht V. 6 - 1 1 mit seiner Betonung der Unbußfertigkeit spielt. A m 5 , 4 - 8 wiederholt somit den viertaktigen Gedankengang von 4,4-13: Gottesdienstkritik (4,4 f.) - Vorwurf der Unbußfertigkeit ( 4 , 6 - 1 1 ) - ultimative Warnung (4,12) - Doxologie (4,13), allerdings mit der einen schon genannten U m 29

30

V g l . WOLFF Z. St.

Diese Logik verläuft so: A (Leichenlied, V. 1-3) - B (Imperativ: „Suchet", V. 4 - 6 ) C (Anklage des Rechtsbruches, V. 7) - D (Doxologie, V. 8[f.]) - C' (Anklage des Rechtsbruches, V. 10-12) - B' (Imperativ: „Suchet", V. 14 f.) - A' (Leichenklage).

Die Milte des Amosbuches

(Am 4.4-13;

5,1-17)

211

Stellung: Gottesdienstkritik (5,4 f.) - ultimative Warnung (5,6) - Vorwurf des Rechtsbruches (5,7) - Doxologie (5,8[f.]). Eher wichtiger als dieser Aufbau ist die Tatsache, daß die Ringkomposition in Am 5 durch die Zufügung der Doxologie in V. 8(f.) ein neues Zentrum erhalten hat. Der Gedankengang ist damit noch einmal komplexer geworden. War in der älteren Komposition, wie oben aufgezeigt, der Zusammenhang von Rechtsbruch und Todesgeschick (Glied A und C) durch das Dazwischentreten des Lebensangebotes als Folge des rechten „Suchen Gottes" (Glied B) aufgebrochen worden, so ist jetzt die zentrale Doxologie sowohl auf das Lebensangebot als auch auf die Todesdrohung bezogen, und zwar in dieser Reihenfolge. In der künstlerischen Form der Ringkomposition steht der Doxologie das Lebensangebot (Glied B) näher als die Todesdrohung (Glied A); sachlich entspricht dem, daß Jahwes „Umsturz" (IDn) 31 erst positiv, dann negativ entwickelt wird (5,8): Er (ist's), der Plejaden und O r i o n schuf und die Dunkelheit z u m M o r g e n u m s t ü r z t , den Tag aber zur N a c h t verfinstert; der den Wassern des Meeres ruft und sie ausgießt auf das Antlitz der Erde: Jahwe sein N a m e !

Im Kontext kann das wohl nur heißen, d a ß das Lebensangebot bei Jahwe Vorrang vor der Todesdrohung hat. Allerdings wird im folgenden nur letztere fortgeführt und damit der Ernst des älteren Amoswortes aufgegriffen, das ja ganz von der Todesthematik geprägt war (vgl. die Überschrift „Leichenlied" in 5,1). O b das Sammeln und Ausschütten des Wassers in der Tradition des aufgegriffenen Hymnus positiv, im Sinne des Fruchtbarkeit schaffenden Handelns Gottes, gemeint war, ist schwer zu sagen; im Kontext des Kapitels Am 5 ist es am ehesten als Anspielung auf die Sintflut zu deuten (KOCH), was noch sicherer für die letzte Doxologie Am 9,6 gilt, aus der dieser Satz vermutlich entnommen wurde 3 2 und mit der das exilischfrühnachexilische Amosbuch einmal geschlossen haben wird 3 3 . Auch die nachexilische Fortschreibung der Doxologie in V. 9, die die Schöpfungsterminologie des älteren Hymnus verläßt und den feierlichen Abschluß aller Doxologien im Amosbuch („Jahwe sein N a m e " : V. 8; 4,13; 9,6) außer Acht läßt, preist die destruktive Macht des Gotteshandelns, führt also die theologische Tendenz des älteren Amostextes weiter. Kurzum: die Doxologie in 5,8(f.) will die Überlebenden der Exilskatastrophe im Blick auf 11 Er erfolgt in der Komposition in Analogie zu Israels „Umsturz" Hsn) des Rechts (V. 7). 12 Darauf weist der Gebrauch des Artikels vor dem Partizip; vgl. F. CRÜSEMANN, aaO. [Anm. 26] 100. 11 Vgl. o. Anm. 3 und insbesondere die Inklusion zwischen dem Anfangshymnus 1,2 und der Schlußdoxologie (Verb vgl. den „Gipfel des Karmel" in 1,2 und 9,3).

212

Die Mitte lies Amosbuches

(Am 4,4-13.

5,1-17)

Jahwes ergangenes Gericht zur neuen Hinwendung zu ihm locken; sie nimmt aber darin des Arnos Botschaft auf, daß sie primär und in großer Dringlichkeit davor warnen will, das Überleben als solches schon für die Rettung zu halten.

VII. Wo Arnos verurteilt und seiner Generation Gottes hartes Zu Spät verkündet, da eröffnen die exilisch-frühnachexilischen Tradenten seiner Verkündigung im Zentrum des Amosbuches noch einmal die Möglichkeit eines Neubeginns im Gottesverhältnis Israels. Aber sie tun das gewiß nicht leichtfertig, sondern mit tiefem Ernst. Der Vergleich mit den etwa zeitgleichen Texten 1 Kön 8 und Lev 26 zeigt ihr intensives Bemühen, der Härte der überlieferten Amosworte Genüge zu tun. Wo 1 Kön 8 liturgische Modelle gottesdienstlicher Buße für die Bewältigung verschiedenartiger N ö t e bereitstellt, wo Lev 26 Israel mit dem Verweis auf Gottes G ü t e und Verläßlichkeit zur U m k e h r locken möchte, sprechen Am 4 und 5 von einer letzten und unwiederholbaren Chance Israels zur Buße. A m 4 redet Menschen an, die sich durch eine Fülle von Noterfahrungen nicht zur Buße bewegen ließen und die sich nun angesichts der Zerstörung Jerusalems als „ein dem Brand entrissenes Holzscheit" (V. 11) verstehen sollen: unverdient und ohne eigenes Zutun am Leben geblieben. Wenn sie jetzt immer noch nicht verstanden haben, was die Stunde geschlagen hat und welchem G o t t sie gegenüberstehen (V. 12 f.), sind sie endgültig verloren. A m 5 lockt analog zur Erkenntnis des rettenden wie richtenden Gottes (V. 8), wiederum aber mit dem Ernst der letzten Gelegenheit (V. 6). In mehrfacher Hinsicht ist diese Aktualisierung der Amosbotschaft ihrem Urheber kongenial. Z u m einen greift sie die unüberbietbar harte Ankündigung vom „Ende Israels" (8,2) im Sinne der Drohung unverkürzt auf (4,12; 5,6). Z u m anderen werden in Kap. 4 unterschiedliche Erfahrungen einzelner (Anrede „ihr" in 4,6-11) mit der Notwendigkeit verbunden, als Gemeinde (zweifache Anrede „du, Israel" in 4,12) Konsequenzen zu ziehen; eine individualistische Bußpredigt könnte sich weit schwerer auf Arnos berufen, der sich zu seiner Zeit unfähig fühlte, noch - wie die Priester - zwischen P'IX und 57EH zu unterscheiden. Vor allem aber halten die Tradenten drittens fest, daß die Entscheidung über Leben und Tod der Gemeinde in einer Gottesbegegnung fällt. Wo Arnos selbst im Anschluß an die Passa(Ex 12,12) und die Sinaitradition (Ex 33,22; 34,6) sowie die Erzählung von Elia am Horeb (1 Kön 19,11) von Gottes tödlichem „Hindurchschreiten durch" (D ~QS7 A m 5,17) bzw. seinem verschonenden „Vorüberschreiten a n " (*7 "1DS7 A m 7,8; 8,2) sprach, da verwenden auch die exilisch-nachexilischen Tradenten Sprache der Sinaitradition, wenn sie Israel zur „Bereitschaft" zu

Die Mitte des Amosbuches

(Am 4.4-13;

5,1-17)

213

einer entweder tödlichen oder aber lebenserneuernden „Gottesbegegnung" (Am 4,12; vgl. Ex 19,11.15.17; 34,2) auffordern. Schließlich fanden die Tradenten auch die Imperative, mit denen sie zur Hinwendung zu G o t t in letzter Stunde auffordern (4,12; 5,6), schon in der älteren Amosüberlieferung vor (vgl. 5,4 f. 14 f.). Aber diese jüngeren Tradenten der Amosbotschaft wollten nicht nur treu gegenüber der überkommenen Verkündigung des Arnos sein, sondern ihrer eigenen Generation in fortgeschrittener geschichtlicher Stunde aktuelle Hilfe bieten. Dazu diente ihnen nicht nur der Rekurs auf zeitgenössische Texte wie 1 Kön 8 und Lev 26, sondern auch die ab der Exilszeit geläufige Typisierung eines verfehlten Gottesverhältnisses und Gottesdienstes mit Hilfe der Chiffre „Bet-El" 3 4 . Die eingangs genannte, von SELLIN und WOLFF beobachtete Tatsache, daß die Doxologien des Amosbuches stets an Bet-ElWorte anschließen, findet von hier aus ihre Erklärung. Die Doxologien wollen keineswegs nur allgemein das in der Zerstörung Jerusalems ergangene Gericht Gottes als gerecht anerkennen (HORST), sondern Israel auch inhaltlich den G o t t vor Augen stellen, der als der Gott vom Sinai (4,12) dem in Bet-El verehrten G o t t diametral entgegengesetzt ist. Rückkehr zu G o t t (4,6-11) ist für die Tradenten dementsprechend Rückkehr zu den Ursprüngen der Gottesbegegnung am Sinai. So stehen im Zentrum des Amosbuches zwei Texte, die eng aufeinander bezogen sind. Genetisch wird 5,1-17* das Vorbild für die Komposition 4 , 4 13 gebildet haben, literarisch ist 5,1-17 jetzt jedoch als Parallelperikope von 4 , 4 - 1 3 her zu deuten, das ihm - wie Gen 1 für Gen 2 - 3 - den hermeneutischen Bezugsrahmen bietet. Beide Texte rufen Israel nach 587 mit tiefem Ernst auf, seine letzte Chance zur Entscheidung für das Leben nicht ungenutzt verstreichen zu lassen.

34 Vgl. nur die häufige Rede des D t r G von der „Sünde Jerobeams" und dazu J. Die Sünde Jerobeams, F R L A N T 93, 1967.

DEBUS,

14. Tod und Leben in Am 5,1-17 Die zentrale Stellung des Themas Tod fällt auch dem flüchtigsten Leser von Am 5 sogleich auf. Es bestimmt den A n f a n g von 5,1-17 mit der feierlichen Ankündigung und dem Zitat eines Leichenliedes wie das Ende dieser Komposition, wo zur öffentlichen Leichenklage aufgerufen wird. Es ist aber keineswegs auf die in diesem Beitrag behandelten Verse 1 - 1 7 beschränkt. V. 18-20 schildern den „Tag Jahwes" als einen Todestag und sind als Weheruf gestaltet, dessen einleitendes 'in der Leichenklage entstammt. Nach zwei ausführlichen Ankündigungen der Verbannung Israels (5,21-27; 6,1-7) auch sie nichts anderes als Präzisierungen der Todesthematik - beschreiben 6,8-14 den Zusammenbruch der Paläste und den Tod noch der letzten Hausbewohner (V. 9). Bis in die dunkelsten Winkel der Wohnung hinein wird das Sterben verfolgt (V. 10). Der Tod ist das beherrschende und alles andere umgreifende Thema in Am 5 - 6 . Auffällig tritt kontrastierend zu diesen düsteren Versen an zwei Stellen die Zusage von Leben hinzu, jeweils mit einem Aufruf zum Suchen Jahwes bzw. des Guten verbunden (5,4-6.14 f.). Damit wird die rechte Verhältnisbestimmung von Tod und Leben in Am 5 zum wesentlichen Problem. Allerdings kann von vornherein von einem gleichwertigen Nebeneinander keine Rede sein, wie die schon kurz gestreifte Fortsetzung von 5,1-17 zeigt; weitergeführt wird in ihr nur das Thema Tod und nicht mehr das Thema Leben. Andererseits stehen die lockenden Aufforderungen zum Lebensgewinn unmittelbar neben Leichenklagen - einmal nach ihnen (5,4-6) und einmal vor ihnen (5,14 f.) - und wollen daher deutlich auf sie bezogen gedeutet werden. Hinzu kommt, daß sich die Frage einer möglichen Heilsverkündigung des Arnos an den Perikopen über das Leben in A m 5 entscheidet, sofern man nicht entgegen dem nahezu einmütigen Forscherkonsens in neuerer Zeit mit W. RUDOLPH A m 9,8 ff. und insbesondere 9,11 ff. auf Arnos selber zurückführen möchte 1 . So kurz und isoliert das Thema Leben im Amosbuch anklingt, so erhält es doch für die Gesamtdeutung der Prophetie des Arnos ein großes Gewicht, weil es die einzigen hellen Akzente setzt, die die im übrigen so unerbittlich harte Verkündigung des ersten der sogenannten klassischen Propheten bietet, falls es seinerseits bis auf Arnos selbst zurückgehen sollte. Auch unabhängig von dieser über1

W. RUDOLPH, Joel - Arnos - Obadja - Jona, KAT XIII/2, 1971, 101 f. 271 ff.

Tod und Leben in Am 5.1-17

215

lieferungskritischen F r a g e bleibt aber die präzise B e s t i m m u n g des Verhältnisses v o n T o d und L e b e n in A m 5 eine wichtige A u f g a b e für die D e u t u n g des A m o s b u c h e s , z u m a l in ihm K a p i t e l 5 nicht nur äußerlich den M i t t e l p u n k t bildet, sondern auch unter redaktionsgeschichtlichen Gesichtsp u n k t e n an zentraler Stelle steht. Wird die S a m m l u n g der Worte a n Israel in A m 3,1 feierlich als G o t t e s w o r t eingeleitet, so A m 5,1 mit bewußt a n a l o g e r F o r m u l i e r u n g als Prophetenwort, d a s die K o n s e q u e n z des Propheten a u s d e m gehörten J a h w e w o r t zieht". A u f welchem Wege lassen sich d a n n aber T o d und L e b e n in A m 5 in der rechten Weise z u o r d n e n ? E s ist die G r u n d ü b e r z e u g u n g der folgenden A u s f ü h r u n g e n , d a ß d a s Verhältnis von T o d und L e b e n in A m 5 a u f verschiedenen E b e n e n des literarischen W a c h s t u m s des A m o s b u c h e s unterschiedlich zu b e s t i m m e n ist. Vor allem ist zwischen den Einzelworten und der K o m p o s i t i o n zu unterscheiden, mit deren A n a l y s e ich einsetze.

I. D i e F r a g e der K o m p o s i t i o n von A m 5 , 1 - 1 7 hat erst in j ü n g e r e r Zeit eine ü b e r z e u g e n d e A n t w o r t g e f u n d e n . D e m scheinbar s p r u n g h a f t e n G e d a n k e n g a n g , in d e m vor allem der H y m n u s V. 8 f. störend erschien, war m a n zuvor zumeist mit U m s t e l l u n g e n und K o n j e k t u r e n (insbesondere mit der Einsetzung eines ' i n a m A n f a n g von V. 7) begegnet, d a m a n mit mechanischen Abschreibefehlern rechnete. Wenngleich eine solche Möglichkeit nicht a limine abgewiesen werden darf, kann sie d o c h nur als ultima ratio Anerkennung finden, wenn alle anderen E r k l ä r u n g e n ausscheiden. D a s ist aber nicht der Fall. Vielmehr haben J. DE WAARD und S. BERGLER u n a b h ä n g i g voneinander in 5 , 1 - 1 7 eine sehr d u r c h d a c h t e R i n g k o m p o s i t i o n bzw. konzentrische S t r u k t u r a u f g e d e c k t , und insbesondere N . J. TROMP hat diese Erkenntnis a u f g e g r i f f e n und vertieft 3 . In der Tat wird m a n es schwerlich als Z u f a l l bezeichnen können, d a ß die T o d e s t h e m a t i k und die L e b e n s t h e m a t i k einander in A m 5 , 1 - 1 7 als ein äußerer und innerer R a h m e n z u g e o r d n e t sind. Wie d a s (in V. 3 begründete) Leichenlied über den frühzeitigen T o d der „ J u n g f r a u I s r a e l " in V. 1 - 3 die K o m p o s i t i o n einleitet und die A n k ü n d i g u n g der L e i c h e n k l a g e a u f allen Straßen, Plätzen und Arbeitsstellen - a u c h sie 2 Vgl. dazu den Beitrag „Arnos 3 - 6 . Beobachtungen zur Entstehungsgeschichte eines Prophetenbuches", o. S. 142 ff ' J. DK WAARD, The Chiastic Structure of A m o s V 1 - 1 7 , V T 27, 1977, 170-177; S. BERGLER, Die hymnischen Passagen und die Mitte des Amosbuches. Ein Forschungsbericht, Magisterschrift Tübingen 1978 [masch.]; N . J . TROMP, A m o s V 1 - 1 7 . Towards a Stylistic and Rhetorical Analysis, O T S 23, Leiden 1984, 5 6 - 8 4 . C. WESTERMANN, Arnos 5,4-6.14.15: Ihr werdet leben! Ges. St. III, T B 73, 1984, 1 0 7 - 1 1 8 ; 116 f., beobachtet die Ordnung der Einheiten und dekretiert gleichwohl: „ D i e Folge der Stücke beruht nicht a u f einem Plan - auch nicht dem eines R e d a k t o r s " (aaO. 116)!

216

Tod und Leben in Am

5,1-17

am Ende gewichtig begründet - die Komposition in V. 16 f. abschließt, so sind die analogen Aufrufe zum Suchen Jahwes (V. 4 - 6 ) und zum Suchen des Guten (V. 14 f.), die jeweils mit der Lebenszusage verbunden sind, einander ebenso deutlich strukturell zugeordnet. Von dieser Erkenntnis aus ist es nicht weit zur Beobachtung, d a ß der Schuldaufweis der Verkehrung des Rechts im Tor den innersten Rahmen bildet (V. 7 bzw. V. 10-12, mit V. 13 als späterem Zuwachs), während der Hymnus in V. 8 f. das Zentrum darstellt, auf dem in einer Ringkomposition das Hauptgewicht liegt. Im Schema ausgedrückt ist V. 1 - 1 7 demnach folgendermaßen zu gliedern: A (V. 1 - 3 ) - B (V. 4 - 6 ) - C (V. 7) - D (V. 8 f.) - C' (V. 10-12) - B' (V. 14 f.) A' (V. 16 f.). Eine solche Ringkomposition m u ß allererst von ihrem Zentrum aus gedeutet werden, um das herum sie gestaltet wurde. Der bis heute überzeugendste Versuch, den auffälligen Hymnus inmitten prophetischer Redeformen zu interpretieren, ist die These von F. HORST, daß er als „Gerichtsdoxologie" ausgelegt werden will, also als rückblickende Anerkennung der Gerechtigkeit Gottes im Blick auf das erfahrene Gericht 4 . Unterstützt wird diese Auffassung von den beiden Schuldaufweisen, die den Hymnus rahmen und die beide in einer für Arnos ungewöhnlich prinzipiellen Weise (vergleichbar ist einzig 6,12; vgl. u.) nicht einzelne Schuldtatbestände nennen, sondern den Bruch des Rechts im allgemeinen thematisieren. Dabei spricht der Stichwortanschluß: „Sie (die Israeliten) kehren Recht in Wermut" (V. 7) - „er (Jahwe) kehrt Finsternis zum Morgen" (V. 8) für die enge sachliche Verbindung von Schuldaufweis und Hymnus. Noch eindeutiger wird die innere Beziehung des Hymnus auf Schuld und ergangenes Gericht, wenn m a n die Schichtung innerhalb des Hymnus selber beachtet. Offensichtlich liegt in ihm ein vorgegebenes mehrstrophiges Lob des Schöpfers zugrunde, wie die Tatsache zeigt, d a ß V. 8 mit den anderen Hymnenpassagen im Amosbuch (4,13 und 9,5 f.) nicht nur Thema und Sprache, sondern auch den Kehrvers „Jahwe sein N a m e " gemein hat. Einzig 5,8 bietet nach dem Kehrvers mit V. 9 noch eine Fortsetzung im Stil des Hymnus, aber in ihr wird Jahwe mit charakteristisch andersartiger Terminologie, den vorgegebenen Hymnus weiterführend, als Zerstörer befestigter Städte gepriesen. Entweder ist V. 9 daher eine Ergänzung Späterer, oder er zeigt an, wie der bzw. die Verfasser der Ringkomposition den Hymnus in deren Zentrum verstanden wissen wollten 5 . Mithin entstammen V. 8 f. und mit ihnen die 4 F. HORST, Die Doxologien im Amosbuch, ZAW 47, 1929, 4 5 - 5 4 (= Gottes Recht, TB 12, 1961, 155-166). Eine große Anzahl von Auslegern ist HORST gefolgt, zuletzt A. DEISSLER, Zwölf Propheten. Hosea, Joel, Arnos, NEB, 1981, 110.112. Die mit dem Begriff verbundenen methodischen Probleme hat am schärfsten G. v. RAD, Gerichtsdoxologie, in:

F S A . J e p s e n , 1971, 2 8 - 3 7 ( = G e s . St. II, T B 48, 1973, 2 4 5 - 2 5 4 ) , 5

herausgestellt.

WAARD, aaO. [Anm. 3] 174, weist mit Recht darauf hin, daß die Aussagen des Hymnus in sich schillernd und mehrdeutig sind.

Tod und Leben in Am

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217

ganze Ringkomposition in ihrer gegenwärtigen Form am ehesten dem exilischen, eventuell dem frühnachexilischen Gottesdienst Israels und preisen Jahwes gerechtes Gericht, wie es in der Zerstörung Jerusalems und in der Verbannung des Gottesvolkes als Erfüllung des von Arnos angesagten Gotteshandelns erging. Allerdings ist die Aussage der Ringkomposition mit dieser Erklärung keineswegs erschöpft. Zwar geben Schuldaufweis (Glied C) und Leichenklage (Glied A) in ihrem Bezug auf die Anerkenntnis gerechten Gottesgerichts (Glied D) einen guten Sinn, aber die M a h n u n g zum Suchen Gottes (Glied B) ist nicht als Teil der Gerichtsdoxologie verständlich. Blickt letztere zurück, so die M a h n u n g voraus. Entscheidend für ihre Deutung innerhalb der Komposition scheint mir ihre Stellung zwischen Leichenklage und Schuldaufweis zu sein. Sie durchbricht den automatischen Zusammenhang von Schuld und Tod. Vom Zentrum der Komposition, der Gerichtsdoxologie, ausgehend, müßte man genauer sagen: Sie läßt die mit Schuld Beladenen (Glied C) im Angesicht des drohenden Todes (Glied A) noch einen letzten Appell zur Rettung hören, der das Todesgeschick vermeiden helfen soll. Die Mahnungen zum Suchen Gottes bzw. des Guten üben damit im fertigen Amosbuch die gleiche Funktion aus wie die exilischen Umkehraufrufe im Jeremiabuch: Sie verdeutlichen den Überlebenden der Exilskatastrophe, daß sie sich erst dann als gerettet empfinden dürfen, wenn sie jeder für sich - die prophetische M a h n u n g bzw. den prophetischen Bußruf für ihr eigenes Leben anerkennen. Andernfalls steht ihnen das gleiche Gericht bevor wie den schon in der Katastrophe Umgekommenen. D a ß dies in der Tat die Auffassung der Komposition Am 5,1-17 im ganzen ist, läßt sich vor allem an der mannigfachen terminologischen Bezogenheit von V. 14 f. (Glied B') auf V. 7.10-12 (Glied C + C') erkennen, die mit aller Klarheit H. W. WOI.FF herausgestellt hat 6 . Sie kann im Rahmen der Komposition nur bedeuten, daß allein die Vermeidung ebender Schuld, die Israel in das Unglück gestoßen hat, das die Gemeinde als Gottes gerechtes Urteil preist, die Überlebenden der Katastrophe retten kann. Für die Ringkomposition insgesamt gilt damit, d a ß sie zugleich auf schon ergangenes Gericht mit der Gerichtsdoxologie zurückblickt und bevorstehendes Gericht mit dem Aufruf zum Suchen Jahwes und des Guten im Vorblick vermeiden helfen möchte. Der Tod ist für sie Erfahrung und drohende Möglichkeit zugleich 7 , das Leben lockendes Angebot für die, die 6

III.

H. W. WOLFF, Dodekapropheton 2, BK XIV/2, '1985, 274 f. 294 f. Näheres dazu u.

7 Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß die Ankündigung Jahwes: „Ich schreite durch deine Mitte hindurch" (5,17) für die Ringkomposition die gleiche Rolle spielte wie die Ankündigung der Begegnung Israels mit Jahwe in 4,12b vor dem Hymnus 4,13. Der ultimativen Warnung in 4,12 entspricht zudem 5,6, so daß dieser Vers vermutlich zeitgleich mit der Einfügung der Doxologie anzusetzen ist; vgl. den voranstehenden Beitrag.

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aus der Erfahrung des Todes, d. h. aus der Zerstörung Jerusalems und der Verbannung des Gottesvolkes, gelernt haben.

II. N u n sind jedoch etwa der soeben gestreifte Schuldaufweis der Verkehrung des Rechts im Tor oder die Warnung vor Wallfahrten (V. 5) ganz untypisch für das Exil, und es spricht auch im übrigen alle Wahrscheinlichkeit dagegen, daß die bislang behandelte exilisch/frühnachexilische Redaktion des Amosbuches die terminologische Verbindung von V. 14 f. mit V. 7.1012, geschweige denn diese Verse selber erst geschaffen haben sollte. Vielmehr sind die oben erwähnten Versuche moderner Forscher, eine sinnvollere Ordnung der Versgruppen in A m 5 wiederherzustellen, insofern im Recht, als die Ringkomposition der exilisch/frühnachexilischen Redaktion in eine ältere Ordnung der Verse, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Amosschüler zurückzuführen ist 8 , eingegriffen hat. Diese ältere Ordnung ist für uns freilich nur hypothetisch rekonstruierbar. Sicher ist nur, daß 1) 5,1 um seiner Zuordnung zu 3,1 willen an der Spitze stand, 2) die von den Hymnen unterbrochenen Verse 7.10-12 zusammengehörten und 3) die Abfolge V. 7.10-12.14 f. um der soeben berührten terminologischen Bezüge willen schon zuvor bestand. Schließlich m u ß aus sachlichen Gründen der Aufruf zum Suchen Jahwes (V. 4 - 6 ) auch schon auf dieser Stufe der Überlieferung vor dem Aufruf zum Suchen des Guten, der seine Explikation bildet, gestanden haben. Alle diese Überlegungen führen zu dem Schluß, daß auch in der älteren Gestaltung des Kapitels durch die Schüler die Reihenfolge der Verse - natürlich ohne V. 8 f. und 13 - ähnlich wie im gegenwärtigen Text ausgesehen hat. Vermutlich existierte somit eine analoge Ringkomposition wie im gegenwärtigen Text ohne das Glied D, d. h. mit Glied C, dem Schuldaufweis, als Zentrum. Von diesem Zentrum aus fallen die Akzente des Textes anders. Im Unterschied zur (gottesdienstlichen?) Aktualisierung in der Exilszeit mit ihrem rückwärts gewandten Blick liegt aller Ton auf der Gegenwart und ihrer großen Schuld. An diesem Schuldaufweis muß dabei besonders auffallen, daß nicht - wie in allen voranstehenden Kapiteln des Amosbuches verschiedene einzelne Schuldtatbestände summierend aufgegriffen werden (2,6 ff.; 3,9 ff.), sondern eine einzige, nun allerdings schlechterdings grundlegende und übergreifende Schuld genannt wird, die im Amosbuch so etwas wie die Grundkategorie aller möglichen Einzelverschuldungen darstellt: die Verfälschung des Rechts im Tor. Der Mißbrauch Abhängiger und Verarmter um des Luxus willen, von dem 2 , 6 - 8 und 3,9-4,3 in Einzelbeispielen 8

Vgl. den Nachweis in dem oben Anm. 2 genannten Aufsatz.

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sprachen und von dem sogleich wieder Kapitel 6 spricht, wäre gar nicht möglich, wenn in der Torgerichtsbarkeit zuverlässige Rechtsprechung geschähe. Um ebendiesen Sachverhalt auszudrücken, ist mit V. 11 nun auch ein Beispiel der konkreten Sozialkritik des Propheten in die grundsätzliche Rechtsthematik aufgenommen worden. Es ist in sie aber nur sehr locker (mit einem p 1 ?) eingefügt und zeigt seine ursprüngliche Herkunft als separates Einzelwort noch deutlich an, da es einerseits formal abgerundet ist und zum anderen an der schon erwähnten bewußten terminologischen Verzahnung von V. 7.10-12 mit V. 14 f. keinen Anteil hat. Schon an diesem letztgenannten Tatbestand wird der Wille der Amosschüler zu bewußter Komposition hinter der Zusammenstellung von Einzelworten in 5,1-17 deutlich. Er wird noch greifbarer angesichts der Beobachtung, daß das Thema Recht in 5,1-17 eine völlig andere Behandlung erfährt als die sozialkritischen Anklagen in den anderen Kapiteln, auch im genannten Einzelfall 5,11. Schließt sich an die prophetische Sozialkritik jeweils eine Gerichtsankündigung an, die im einzelnen sehr unterschiedliche Gestalt annehmen kann (in 5,11 etwa ein geläufiges Fluchwort abwandelt), in jedem Fall aber für die Täter mit Erdbeben, Verbannung, Verwüstung der Stadt etc. schwerste Strafe beinhaltet, von der sie sich nicht erholen können, so führt die nur in Kapitel 5 so breit ausgeführte Rechtsthematik auffälligerweise nicht zu einer Verurteilung und Strafansage, sondern zu einer ultimativen Vermahnung in 5,14 f. Zur Verbindung von Anklage und M a h nung dient die erwähnte terminologische Verzahnung von V. 7.10.12 mit V. 15. Die Rechtsthematik wird also charakteristisch anders behandelt als die Sozialkritik. So behutsam und nahezu übervorsichtig das Heil, d. h. das in V. 14 in Aussicht gestellte Leben, in V. 15 auch ausgeführt wird - es steht unter der Einschränkung eines prophetischen „Vielleicht", ist also nicht durch ein fest zugesagtes Gotteswort gesichert, und es gilt allenfalls einem „Rest Josefs", der dem Untergang entrissen werden wird - , so auffällig bleiben doch im Vergleich mit der Sozialkritik des Arnos die - wenn auch noch so verhaltenen - Hoffnungstöne beim Thema Recht. Diese gesonderte Behandlung der Rechtsthematik scheint grundsätzlicher Art zu sein und ist nicht auf A m 5,1-17 beschränkt. Ein ganz analoger Sachverhalt zeigt sich bei der engsten Parallele zu A m 5,7 ff., nämlich A m 6,12. Auch innerhalb von Kapitel 6 steht die - ungleich kürzere Anspielung auf die Verfälschung des Rechts in ihrem Kontext ganz für sich, da alle anderen Anklagen, angefangen beim Luxus über die Palastbauten bis hin zum militärischen Sicherheitsgefühl, jeweils in Strafansagen münden, das Thema Recht aber in Gestalt einer verzweifelten Frage eingeführt wird, die auf Antwort aus ist: Rennen Rosse über Felsen, oder pflügt man mit Rindern ,das Meer'?

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Ihr aber wandelt Recht in G i f t , F r u c h t der Gerechtigkeit in W e r m u t ...!

Offensichtlich will dieses Wort kein endgültiges Fazit ziehen, sondern es wartet noch auf Einsicht, die es für naheliegend hält, und greift zu diesem Zweck Form (didaktische Frage) und Sprache weisheitlicher Argumentationsweise auf 9 . Hier ist eine noch grundsätzlich offene Situation gezeichnet. Mit diesen Beobachtungen stimmt schließlich auch der dritte und letzte Beleg für die Rechtsthematik im Amosbuch überein, A m 5,24. Er steht im Kontext der härtesten Kultkritik des Arnos (5,21 ff), mittels derer einem arglos Gottesdienste feiernden Israel schroff vor Augen geführt wird, daß sein Kult Jahwe längst nicht mehr erreicht, also zur reinen Selbstbefriedigung abgesunken ist, die Jahwe ein Greuel ist, weil im Gottesvolk Recht und Gerechtigkeit im Alltag mit Füßen getreten werden. Die Frage des rechten Gottesverhältnisses Israels entscheidet sich nach 5,21-24 nicht primär an seinem Kult, sondern an seinem Alltag, genauer gesagt: am Kult nur so weit, als er mit dem Alltag übereinstimmt 1 0 . Auf diese desillusionierende Analyse des Gottesverhältnisses Israels ist nur noch eine abschließende Verurteilung zu erwarten, wie sie in V. 27 in Gestalt der Ansage einer Verbannung „über Damaskus hinaus" auch erfolgt. Überraschenderweise schiebt sich aber mit 5,25 zwischen Anklage und Urteil wiederum eine 6,12 entsprechende didaktische Frage, jetzt allerdings in gehobener Prosa: H a b t ihr mir denn Schlachtopfer und pflanzliche Opfergaben w ä h r e n d (der) vierzig Jahre in der Wüste, H a u s Israel?

dargebracht

Auch dieser Vers will in dem Augenblick, in dem nur eben das Thema der Rechtsverletzung anklang, sogleich die Leser wieder zur Einsicht führen; er weigert sich sozusagen, sie im Stande der Verlorenheit, in dem V. 2 1 - 2 4 sie beschrieben haben, zu belassen. Allerdings bedient er sich dabei charakteristisch anderer Mittel, als es der weisheitlich geprägte Vers 6,12 tut. 5,25 greift in einer Weise in die Heilsgeschichte zurück, wie sie vielfältig bei Hosea (und bei dem von ihm abhängigen jungen Jeremia) belegt ist, nirgendwo aber sonst bei Arnos, indem er nämlich die Wüstenzeit als Zeit des idealen Gottesverhältnisses der Zeit nach der Landnahme gegenüberstellt (vgl. Hos 9,10 u. ö.), damit allerdings den älteren Gedankengang des Amoswortes insofern verändert, als nun - wie bei Hosea - die Opfer als solche und mit ihnen der (baalisierte) Kult als ganzer die G e f ä h r d u n g des Gottesverhältnisses darstellen (und zugleich der Weg für die jüngere Fortschreibung in V. 26 geebnet wird mit ihrer Akzentsetzung auf den 9

10

V g l . W O L F F Z. S t .

Vgl. zur Begründung dieser Deutung von Am 5,21 ff. J. JEREMIAS, Kultprophetie und Gerichtsverkündigung in der späten Königszeit Israels, W M A N T 35, 1970, 156-162. A. DEISSLER Z. St. gebraucht das Bild einer Ellipse, deren einer Brennpunkt der Kult, deren anderer „Recht und Gerechtigkeit" sei (aaO. [Anm. 4] 118).

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Fremdgötterkult 1 1 ). M. E. kann kein Zweifel daran bestehen, daß mit 5,25 ein älteres Amoswort (5,21-24.27) von hoseanischer Theologie her gedeutet wird. Allerdings wird man trotz der „vierzig Jahre" A m 5,25 kaum „deuteronomistisch" nennen dürfen 1 2 , da für eine solche Einordnung plausible Parallelen fehlen. Vielmehr spricht die formale Analogie zwischen den beiden Fragen 5,25 und 6,12, die jeweils im Zusammenhang der Rechtsproblematik begegnen, entschieden dafür, daß 5,25 Werk der Schüler des Arnos ist, denen wir auch die Komposition 5,1-17 (ohne V. 6.8 f. und V. 13) verdanken. Für die letztgenannte A n n a h m e spricht näherhin vor allem, d a ß die beiden Fragen 5,25 und 6,12 innerhalb größerer redaktioneller Einheiten an analoger Stelle stehen. 5,18-27 und 6 , 1 - 1 4 stellen zwei einander weithin parallel verlaufende Kompositionen dar. Sie beginnen jeweils 1) mit einem prophetischen „Wehe"-Oin-)Wort (5,18-20; 6,1-7), auf das 2) eine Gottesrede folgt, die es sachlich begründet, indem sie Sachverhalte nennt, die Jahwe zuwider sind („ich hasse ..." 5,21-24; 6,8-11), darauf werden 3) die genannten Fragen laut, die noch auf Einsicht aus sind (5,25; 6,12 f.), bevor 4) der Abschluß zum Anfangsgedanken zurückkehrt und Jahwe beim Vollstrecken des Todesurteils gezeigt wird (5,27; 6,14). Bemerkenswert an diesen Kompositionen ist ihre sachliche Entsprechung zu A m 5,1-17. Jeweils stehen Worte, die noch eine Chance des Überlebens eröffnen, innerhalb eines Rahmens, der von Leichenklagen gebildet wird; und jeweils ist die Chance des Überlebens mit der Rechtsthematik verbunden. Wie immer es sich mit der Deutung von 5,25 verhält, deutlich geht schon aus 5,7-15 und 6,12 f. hervor, daß das Thema „Recht im Tor" für die überliefernden Amosschüler einen völlig anderen Stellenwert hatte als die gesamte und weit mannigfaltigere Sozialkritik des Arnos im engeren Sinne. Ihre Hoffnung richtete sich exklusiv auf die Wiederherstellung einer unbeeinflußbaren, objektiven und insbesondere den Armen zu ihrem Recht verhelfenden Torgerichtsbarkeit. So gewiß sie die harten Urteile des Arnos über den Mißbrauch der sozialen Institutionen durch die Mächtigen (etwa 2,6-8) bzw. über den durch Gewalt herbeigeführten Luxus in der Hauptstadt Samaria (3,9-4,3; 6,1-11) gewissenhaft tradierten, ihr eigenes Herz schlug auf Seiten ihres Volkes, und mögliche Rettung vor dem endgültigen Untergang sahen sie einzig in der Wiederaufrichtung des Rechts. Das „Suchen Jahwes" (5,4-6) ist für sie konkret das „Suchen des G u t e n " , ja die 11

Der schwer zu deutende, weil teilweise vergangenheitlich (so die Mehrzahl der Versionen), teils futurisch aufgefaßte V. 26 ist aller Wahrscheinlichkeit nach jüngere Fortschreibung von V. 25 bzw. V. 27. Vgl. zur näheren Begründung bes. W. H. SCHMIDT, Die deuteronomistische Redaktion des Amosbuches, ZAW 77, 1965, 176-192; 188-191. 12 So WOLFFZ. St. Nicht u n d e n k b a r erscheint mir, d a ß die „vierzig Jahre" von A m 5,25, die sich nicht von hoseanischem Sprachgebrauch her erklären lassen, erst unter dem Einfluß von A m 2,10 in den Text geraten sind.

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„Liebe zum G u t e n " , und diese „Liebe" gewinnt konkrete Gestalt im Praktizieren des Rechts. Das Recht aber geht alle an. Die Unterdrückung der Armen war Sache der Einflußreichen, die Sorge für das Recht sollte die Sache jedes einzelnen sein. Es scheint demnach so, d a ß die Tradenten des Propheten ihre Hoffnung nicht mehr auf die Verantwortung tragenden Beamten am Königshof bzw. auf die wirtschaftlich Einflußreichen setzten, sondern einzig auf die Träger der alten Sippenordnung, die Ältesten, denen die lokale Gerichtsbarkeit anvertraut war, von der die Impulse einer Erneuerung ausgehen mußten, sollte der vom Propheten angesagte staatliche Untergang noch abgewendet werden. N u r mit einem praktizierten Recht ist der drohende Tod (5,1-3.16 f.) für Israel eventuell noch aufzuhalten. V. 15b schützt mit seinem berühmten „Vielleicht", das in der Geschichte der Prophetie - angefangen bei Zefanja bis hin zu Joel und Jona (Zef 2,3; Joel 2,14; Jona 3,9) - Schule machen sollte, gleichzeitig Gottes Treue zu seinem Wort, d. h. hier zu seiner Gerichtsankündigung durch Arnos, wie seinen gleichbleibenden Willen, Israel, wenn irgend möglich, auch in letzter Stunde noch vor dem Gericht zu retten. „Leben" ist für die Amosschüler im äußersten M a ß e bedroht und überhaupt nur im Sinne von Überleben in der Stunde des Zusammenbruchs denkbar. Möglich ist es, unter Einschränkung des göttlichen „Vielleicht", ohnehin nur noch für einen Teil, den „Rest Josefs". Die höchst ungewöhnliche Begrifflichkeit des Namens „ J o s e f , die bei keinem anderen klassischen Propheten des 8. Jh.s begegnet, wird in V. 6 von den exilischen Tradenten vorweggenommen. Sie wird auch hier für die Stunde höchster G e f a h r verwendet; das „ H a u s J o s e f steht im Begriff, vom unlöschbaren Feuer Jahwes verzehrt zu werden. In V. 15 setzt der Begriff „Rest Josefs" vermutlich voraus, daß die Mehrzahl der Bevölkerung schon rettungslos verloren ist. Der dritte und letzte Beleg im Amosbuch spricht nüchtern vom „Zusammenbruch Josefs", um den sich die feiernden Samarier nicht kümmern (6,6). Offensichtlich steht der Begriff „ H a u s J o s e f dabei für das Nordreich, wie er in diesem Sinn in O b 18 neben „ H a u s Jakob" (vgl. „Söhne Jakobs" neben „Söhne Josefs" in Ps 77,16) und in Sach 10,6 neben „ H a u s J u d a " erscheint (vgl. „ J o s e f neben „Juda" in Ez 37,16). „ J o s e f scheint damit in A m 5 - 6 eine ähnliche Rolle zu spielen wie „Efraim" in Hos 4 ff.; beide Begriffe sind politischer N a t u r und vermeiden die Doppelbödigkeit der Benennung „Israel" 1 3 , beide sind auf den N o r d e n beschränkt; beide können andernorts ja auch wechselseitig gebraucht werden wie etwa in Ps 78,67. Die Parallele scheint aber noch weiter zu reichen. Wie „ E f r a i m " bei Hosea für ein schuldiges und bedrohtes Volk steht, das zumeist erkennbar schon die Gestalt des von Tiglatpileser III. 733 13 Vgl. H. UTZSCHNEIDER, Hosea. Prophet vor dem Ende, OBO 31, 1980, 129FLF.,in Aufnahme und Weiterführung von Beobachtungen WOLFFS, sowie I. WILLI-PLEIN, Vorformen der Schriftexegese innerhalb des Alten Testaments, BZAW 123, 1971, 239 f.

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v. Chr. auf das Gebirge beschränkten Rumpfstaates trägt, so bezeichnet auch der Sprachgebrauch „ J o s e f im Amosbuch ein in seiner Existenz aufs äußerste gefährdetes Nordreich, das nicht erst durch die Ankündigung des Propheten, sondern schon durch die geschichtlichen Umstände vor dem „Zusammenbruch" steht, ja nach 5,15 anscheinend schon auf einen Restbestand seiner ehemaligen Ausdehnung reduziert ist 14 . Der Begriff „Josef' im Amosbuch wird somit am besten erklärlich, wenn er im Umkreis der Jahre des syrischefraimitischen Krieges verwendet wurde 1 5 , wobei 5,15 und 6,6 genauer auf das letzte Jahrzehnt der staatlichen Existenz des Nordreichs weisen. Ein letztes Beispiel mag noch einmal belegen, wie bewußt die Amosschüler ihre Komposition in 5,1-17 gestalteten. Es ist immer aufgefallen, daß in V. 5a drei verneinte Imperative vor dem Besuch der Heiligtümer Bet-El, Gilgal und Beerscheba warnen, aber nur die ersten beiden Warnungen in V. 5b mit expliziten Gerichtsworten begründet werden. H. W. W O L F F hat aus diesem Sachverhalt geschlossen, daß das 3. Glied in V. 5a - die Warnung „und nach Beerscheba zieht nicht hinüber" - als Erweiterung eines älteren Amoswortes durch die Schüler zu werten sei 16 . Ist diese A n n a h m e schon im Blick auf die zweite Erwähnung von Beerscheba in 8,14 und auf die mit diesem Ort verbundene Rede von den „Höhen Isaaks" und dem „Haus Isaak" in 7,9.16 wahrscheinlich, so findet sie ihre plausibelste Erklärung im Kontext von Kap. 5 darin, daß auch mit dieser Warnung ein Gerichtswort verbunden ist, das nur weiter entfernt steht: Warnt V. 5a vor einem „Hinüberziehen" (~OV) nach Beerscheba, so kündigt V. 17b am Ende der Komposition an, d a ß Jahwe „durch deine Mitte hindurchschreitet", und gebraucht für diese Ankündigung rettungsloser Verlorenheit Israels das gleiche Verb "OS7. Auf diese Weise wird die Wallfahrt nach Beerscheba von den Amosschülern im Anschluß an ein älteres Amoswort unmittelbar mit der zentralen Gerichtsansage des Kapitels 5 verbunden: Nicht die Abwesenheit Gottes, sondern seine wirksame Anwesenheit „in deiner Mitte" bringt Israel den Tod, wenn es nicht mit Leidenschaft Jahwe sucht, und das heißt nach V. 14 f. wesentlich: das Recht praktiziert und damit „das Gute sucht". Ein kurzer abschließender Blick auf das Jeremiabuch zeigt, daß die Identifikation vom „Suchen Jahwes" mit dem „Suchen des G u t e n " in Gestalt des praktizierten Rechts weitergewirkt hat. Das Gotteswort des Propheten Jeremia aus den letzten Jahren des Staates Juda: Praktiziert jeden M o r g e n rechtes Gericht, rettet den Bedrückten aus der H a n d des Unterdrückers, damit nicht wie Feuer mein Z o r n ausgeht, auflodert, und niemand kann löschen! (Jer 21,12) So schon J. WELLHAUSEN, Die kleinen Propheten, Berlin 41963 (= -M898) 82. " So auch WOLFF, aaO. 134.321 f. Nur ist V. 6 eher exilisch; vgl. o. Anm. 7. 16 AaO. 133.169, im Anschluß an ältere Ausleger wie v. GALL, MORGENSTERN, 14

N O W A C K , MEINHOLD, D U H M .

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klingt wie eine Kombination von A m 5,15 mit 5,6. Hier wird ein letzter Aufruf zum Verwirklichen des Rechts laut, das für Jeremia im Gefolge Hoseas unmittelbare Folge der Gotteserkenntnis ist (vgl. Jer 22,15 f. u. ö.), wie es für A m 5 Ausfluß des „Suchens Jahwes" ist.

III. Tasten wir uns vom ältesten schriftlichen Text, wie wir ihn wahrscheinlich den Schülern des Propheten verdanken, zurück zur Ebene der mündlichen Rede, so bewegen wir uns naturgemäß in ungleich unsichererem Gelände. Die beobachtbaren Verbindungen der einzelnen Sprüche im schriftlichen Text erfolgen um der Ringkomposition willen; ob und wie die Sprüche in mündlicher Rede miteinander verbunden waren, ist für uns selten mit Sicherheit auszumachen. Diese skeptische Eingrenzung gilt insbesondere gegenüber dem jüngsten Versuch von J. M. BERRIDGE, größere rhetorische Einheiten innerhalb von A m 5,1-17 neu zu konstruieren und 5,1-6.14 sowie 5,7.10.15 als solche Einheiten zu deuten 1 7 . Ein solches, formkritisch nicht wirklich kontrolliertes Verfahren, das sich nur auf denkbare Möglichkeiten stützt, gleicht letztlich einem Losverfahren. Es bleibt nichts anderes übrig, als grundsätzlich mit denjenigen Worten als rhetorischen Einheiten zu rechnen, die die Einzelglieder der Ringkomposition der Schüler bilden. Eine redaktionskritische Überprüfung dieser G r u n d a n n a h m e führt freilich sogleich zu notwendigen Modifikationen. Am eindeutigsten ist, daß das Glied A' (V. 16 f.) nicht für sich gesprochen worden sein kann. Vielmehr ist die Ankündigung der Leichenklage auf allen Straßen und Plätzen mit einem p 1 ? „ d a r u m " eingeleitet, das sich im Duktus der Komposition über das Mahnwort V. 14 f. hinweg auf die Anklage der Rechtsbeugung im Tor (V. 7 ff.) bezieht. Allerdings gilt dies analog für die beiden voranstehenden p 1 ? in V. 11 und V. 13. Jedoch haben V. 11 und V. 13 gegenüber V. 16 als sekundär zu gelten. Mit dem ersten p 1 ? (V. 11) wird, wie schon erwähnt, ein formal in sich geschlossenes und wahrscheinlich ursprünglich selbständiges Gerichtswort des Arnos gegen eine bestimmte Gruppe innerhalb der Oberschicht Israels 18 in die Komposition der Schüler aufgenommen, um exemplarisch die verheerenden Auswirkungen der Rechtsbeugung darzulegen; mit dem zweiten p 1 ? (V. 13) wird der jüngste Nachtrag im Kapitel eingeleitet, der in weisheitlicher Terminologie zum Schweigen während der kommenden bösen Zeit auffordert, in der sich der 17

J. M. BERRIDGE, Zur Intention der Botschaft des Arnos. Exegetische Überlegungen zu Am 5, ThZ 32, 1976, 321-340; ähnlich zuvor RUDOLPH, aaO. [Anm. 1] 189 ff. 18 So auch etwa BERRIDGE, ebd. 329 f., und mit sorgfältiger Begründung WOLFF, aaO. 273.

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Autor dieses Verses leben weiß 19 . Mithin sind die Glieder C und C' (ohne die Doxologie V. 8 f. sowie V. 11 und 13) + Ä (also V. 7.10.12.16 f.) als eine rhetorische Einheit zu deuten, wie immer das Partizip in Glied C (V. 7) auch eingeführt war 2 0 und wieviele sprachliche Modifikationen im einzelnen die Schüler auch vorgenommen haben mögen. Wie aber sind dann die dazwischen gerückten Verse 14 f. (B') zu interpretieren? Die naheliegende Annahme, hinter ihnen stehe eine eigene rhetorische Einheit, ist insbesondere von H. W. WOLFF mit gewichtigen Gründen in Zweifel gezogen worden 2 1 . In der Tat ist V. 14 f. nicht nur, wie allgemein zugestanden, Auslegung des Mahnwortes V. 4 f., was auch in mündlicher Rede denkbar wäre, sondern Auslegung dieses Mahnwortes mit den sprachlichen Mitteln der Verse 7 - 1 2 (der Begriff „hassen" verbindet V. 15 mit V. 10 Anfang, der Begriff des „Rechts" mit V. 7, die Lokalisierung „im Tor" mit V. 10a und 12b). V. 14 f. ist also offensichtlich für seinen Kontext, d. h. für die beabsichtigte Ringkomposition, geschaffen worden und von Anbeginn ein schriftlicher Text der Schüler. U m es vorsichtig auszudrücken: Wir haben nicht die methodischen Mittel, um V. 14 f. auf seine mögliche, vom gegenwärtigen (schriftlichen) Kontext noch unabhängige (mündliche) Urgestalt zurückzuführen. Allerdings spricht die formale Gestaltung der Verse auch über die Kontextverbundenheit hinaus für eine Abfassung durch die Schüler. Der charakteristische Argumentations- und Diskussionsstil in V. 14b 22 verbindet ihn in seiner Ausrichtung mit den schon behandelten Fragen in 5,25 und 6,12, die ihre Leser zur Nachdenklichkeit und zum Sinneswandel führen wollen. Der in der Prophetie ungewöhnliche Begriff „ J o s e f weist auf die Generation nach Arnos, wie wir sahen. Ist 5,14 f. von Anbeginn schriftlich formuliert, dann noch viel eindeutiger V. 6, der schon über die in der Prophetie so ungewöhnliche Bezeichnung Israels als „ J o s e f mit V. 15 verbunden ist. Er gestaltet den Aufruf zum Suchen Jahwes als Prophetenwort mit Jahwe in der 3. Person, wie es auch die Verse 14 und 15 tun, was im Z u s a m m e n h a n g mit V. 4 f., die als Gottesrede gestaltet sind, auffällt. Dieser Zusammenhang ist kaum anders zu deuten als so, d a ß für V. 6 die Verse 4 f. als Zitat gelten, also: „Weil Jahwe zum Haus Israel folgendermaßen gesprochen hat:,Sucht mich, daß ihr lebt! 19

20

V g l . RUDOLPH, a a O . [ A n m . 1] 185.

Das einleitende Partizip Plural in V. 7 hat seine Entsprechung am Ende des Schuldaufweises im Partizip Plural V. 12b, ist also festes formbildendes Element. Insofern ist für die mündliche Verkündigung der häufig in der Literatur vermutete Beginn des Wortes mit 1 in denkbar. 21 AaO. 274.276; vgl. zuvor A. WEISER, Die Profetie des Arnos, BZAW 53, 1929, 185188. 22 WEISER, ebd. 186, spricht von einem „merkwürdigen Entgegenkommen der Volksmeinung gegenüber", ähnlich F. HESSE von einer auffälligen „vorsichtig-positiven Aufnahme der Hörervorstellungen" (DERS., Arnos 5,4-6.14 f., ZAW 68, 1956, 11-17; 13).

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Sucht nicht . . . ' , so sucht nun Jahwe, daß ihr lebt , . . " 2 3 V. 6 will somit gar nicht als ein eigenständiges Wort mit neuem Inhalt begriffen werden, sondern als kommentierende Einschärfung des zuvor zitierten Gotteswortes V. 4 f. in der Prophetenrede, die a u f die Konsequenzen einer NichtBefolgung des Aufrufes hinweist. V. 6 ist also wie V. 14 f. als Auslegung gekennzeichnet, die aber - im Unterschied zu V. 14 f. - das Gotteswort des Propheten nicht „übersetzen", also in neue Bereiche transponieren will, sondern es nur einschärft, indem es auf die von G o t t her drohende G e f a h r hinweist 2 4 . Schließlich ist auch 5,1 erkennbar schriftlichen Ursprungs. Die Einleitung ist in genauer Entsprechung zur Eröffnung von 3,1 formuliert, wobei 3,1 (mit Kap. 3 - 4 ) als Wort Jahwes, und zwar an „die Israeliten", eingeführt wird, während 5,1 (mit Kap. 5 - 6 ) als Wort des Propheten, und zwar an „das Haus Israel", gestaltet ist 2 5 . D e m n a c h enthält A m 5 , 1 - 1 7 drei rhetorische Einheiten, in deren Mittelpunkt kaum zufällig jeweils die drei tradierten Gottesworte stehen: 5,2 f.; 5,4 f. und - als ausführlichstes Wort - 5,7.10.12.16 f 2 6 . Zwei unter ihnen handeln von Israels Tod, die mittlere von Leben und Tod. Ü b e r die beiden Einheiten zum T h e m a Tod braucht nach dem Vorangehenden nur wenig ausgeführt zu werden. Wie häufig beobachtet, beruht die schockierende Wirkung des Leichenliedes in V. 2 a u f dem überraschenden doppelten Fremdgebrauch einer vertrauten Gattung. Die beklagte „Leiche" ist wider Erwarten ein Kollektiv, nämlich die Hörerschaft selber, und sie ist zudem zum Zeitpunkt der Klage scheinbar noch sehr lebendig. Den gleichen Überraschungseffekt führt das begründende Gotteswort (V. 3) herauf: D a s soeben höchst erfolgreiche Heer Israels (vgl. 6,13) wird vernichtend geschlagen werden, so daß nur ein nicht handlungsfähiger Restbestand in der Schlacht zurückbleibt. 2 3 A u f diese Weise sind von den Tradenten das Wort zum Tod und das Wort zum Leben noch enger, nämlich künstlerisch chiastisch aufeinander bezogen worden. Auch V. 1 - 3 bringt das Zitat eines Gotteswortes, nur a m Ende in V. 3. Indem das Gotteswort V. 4 - 6 vorangestellt ist, stehen die beiden Gottesworte in der Mitte dieser sprachlichen Stilfigur einander gegenüber. 2 4 Die plausibelste Erklärung der schwierigen letzten beiden Worte in V. 6 („für BetE l " ) , die mit dem ebenso überschüssig wirkenden A b s c h l u ß von V. 3 („für das H a u s Israel") vergleichbar sind, verdanken wir W. H . SCHMIDT, der sie als Unterschriften zu V. 1 - 3 bzw. 4 - 6 deutet (DERS., D i e Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift, W M A N T 17, 3 1 9 7 3 , 9 2 A n m . 1; ausführlicher in: „Suchet den Herrn, so werdet ihr leben." Exegetische Notizen zum T h e m a „ G o t t s u c h e n " in der Prophetie, E x O r b e Religionum. Studia G. Widengren oblata I, S H R 2 1 / 1 , Leiden 1972, 1 2 7 - 1 4 0 ; 133 A n m . 1).

Vgl. zur näheren Begründung den in A n m . 2 genannten Beitrag. Überaus problematisch erscheint der Vorschlag K . KOCHS, in 5 , 4 b aus dem Gotteswort „suchet m i c h " ein Prophetenwort „suchet J a h w e " für die mündliche R e d e zu rekonstruieren (DERS. und Mitarbeiter, Arnos, Teil 2, A O A T 30, 1976, 32). Ihm folgt WESTERMANN, aaO. [Anm. 3] 112 f. (aus rhythmischen Gründen!). 25

26

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5,1-17

227

Erst 5,7-17* führt die allerorts einsetzende Leichenklage auf ihren zweifachen Anlaß zurück: 1) Mit der „Verwandlung des Rechts in Wermut" und dem „Zu-Boden-Stoßen der Gerechtigkeit" (5,7; vgl. 6,12) hat sich das Gottesvolk die eigene Existenzgrundlage entzogen, ist doch nach 5,21-24 ohne „Recht und Gerechtigkeit" jeder Gottesdienst nur Selbstfeier Israels („eure Feste", „eure Opfer" etc.), die Jahwe nicht erreichen kann („ich h a s s e . . . , lehne ab ..."). Israel hätte dabei „Recht und Gerechtigkeit" keineswegs erst zu schaffen, sondern nur in ihrer von Jahwe gewollten Geltung zu belassen, statt auf den Kopf zu stellen (5,7; 6,12), ihren Fluß nicht aufzuhalten, statt ihn zu unterbrechen (5,24) 27 . 2) D a s Gottesvolk kann seinen selbst herbeigeführten Tod nur so lange nicht wahrnehmen, wie Jahwe noch „an ihm vorüberschreitet" 0? 1 3 » Am 7,8; 8,2). Ist er dazu nicht mehr bereit, kündigt er an: „Ich schreite mitten durch dich hindurch" (3 "DS7 A m 5,17). Für ein grundlegend schuldiges, rechtloses Israel ist diese Konfrontation mit seinem Gott tödlich; jegliche Rettung ist ausgeschlossen. Wo Jahwes Volk die heilvolle Ordnung seines Gottes nicht gelten läßt, hat es sein Leben in der Weise verspielt, daß es mit Jahwe selbst konfrontiert wird. Die Gegenwart des Heiligen ist Israels Tod. Wie aber kann dann von Arnos unter Berufung auf Gottes Wort in 5,4 f. noch zum Ergreifen des Lebens aufgerufen werden? Wesentlich erscheint mir für die Beantwortung dieser Frage die Beobachtung, daß auch in A m 5,4 f. der Tod das beherrschende Thema ist 28 . Der kurze Lockruf „Sucht mich, dann werdet ihr leben!" wird sogleich zugunsten einer Warnung vor verfehltem „Suchen" Gottes auf den Wallfahrten zu den großen staatlichen Heiligtümern Bet-El und Gilgal 2 9 wieder fallengelassen, weil ein solches „Suchen" unweigerlich in den Tod führt, der diese Heiligtümer erreichen wird (vgl. 3,14; 9,1). Der Sinn dieser Warnung erhellt am ehesten aus Am 4,4: K o m m t nach Bet-El - um Verbrechen zu üben, nach Gilgal - um die Verbrechen zu vermehren ...

Hier werden priesterliche Aufrufe zur Wallfahrt parodiert, die von H a u s aus mit Jahwes Gebot begründet waren, jetzt aber von Israels selbstherrlicher Eigeninitiative aus gedeutet werden: „... denn so liebt ihr es ja, ihr Israeliten!" (V. 5b). Mit diesem Autoritätswechsel (wie in 5,21 ff. heißt es: 27

Vgl. dazu K. KOCH, Die Entstehung der sozialen Kritik bei den Profeten, in: FS G. v. Rad, München 1971, 236-257; 253 f. 28 Vgl. schon WEISER. Profetie [Anm. 21] 191: „Die eigentliche Färbung bekommt der Spruch erst durch die folgende Warnung und Drohung." WOLFF formuliert: „4b verliert sich fast in dem Schatten, den 5 genau wie die Gesamtverkündigung des Arnos wirft" (aaO. 279). 29 Der Begriff des „Suchens" (BH"T) Jahwes war den Hörern sowohl aus kultischen als auch prophetischen Zusammenhängen vertraut; vgl. zu ersteren zuletzt K. A. TÄNGBERG, Die prophetische Mahnrede, F R L A N T 143, 1987, 44, und zu letzteren das Folgende.

228

Tod und Leben in Am

5,1-17

„eure Opfer", „eure Zehnten", V. 4b) hängt zusammen, d a ß als das Ziel der Wallfahrtsgottesdienste „Verbrechen" (sttfs) genannt ist 30 . Die Meinung ist dabei kaum, daß der Gottesdienst selbst vor G o t t als „Verbrechen" gilt; seine näheren Charakterisierungen in V. 4 b - 5 a lassen von solcher Qualifikation nichts spüren. Vielmehr ist der Zusammenhang zwischen Gottesdienst und Verbrechen analog dem Zusammenhang zwischen Gottesdienst und fehlender Gerechtigkeit in 5,21-24 zu sehen: Wo Israel aus „Recht und Gerechtigkeit" herausgetreten ist, gleichwohl aber seine Gottesdienste feiert, als sei alles wie zuvor, da fördert dieser Gottesdienst die „Verbrechen", indem er das gute Gewissen verleiht, sie zu begehen. U m es zugespitzt auszudrücken: Der Wallfahrtsgottesdienst weckt nicht nur keine Kräfte zur Erneuerung Israels von G r u n d auf, sondern er verhindert Schulderkenntnis, indem er ein intaktes Gottesverhältnis vorspiegelt. Die Kultkritik des Arnos scheint unlöslich mit seiner Rechtskritik verbunden gewesen zu sein. D a n n aber m u ß der Aufruf zu einem Suchen Jahwes, das dem Aufsuchen der Heiligtümer entgegengesetzt ist, schon bei Arnos selber in der N ä h e der Aufforderung zum „Aufrichten des Rechts im Tor", wie sie die Schüler in V. 15 formulieren, gestanden haben 3 1 . Die engste Parallele für einen solchen Sprachgebrauch bietet der wenig jüngere Zeitgenosse des Arnos, Hosea, der in Bildern des bäuerlichen Alltags Israel für die Gewinnung neuen Akkerlandes zu einem Neubruch auffordert, bei dem „gemäß der Gerechtigkeit" gesät und „gemäß der Hingabe ("TOn)" geerntet wird, und diese Aufforderung mit der Begründung versieht, es sei „Zeit, Jahwe zu suchen" (Hos 10,12). Ohne „Recht und Gerechtigkeit" bzw. „Hingabe und Gerechtigkeit", ohne Realisierung rechter Gemeinschaft ist weder für Hosea noch für Arnos ein „Suchen Jahwes" denkbar. Allerdings ist es andererseits unwahrscheinlich, daß Arnos dem Aufsuchen der Heiligtümer ein Abstraktum (wie die Schüler: „Suchen des G u t e n " ) entgegensetzen wollte. Der Sprachgebrauch des „Suchens ( t t h l ) Jahwes", speziell in der Prophetie des Nordreichs, weist vielmehr d a r a u f h i n , daß die Wendung für ein Aufsuchen des Propheten - also des Arnos selber - stand, weil der Prophet in der Not über die Vollmacht des Gebets und der Weitergabe der Antwort Jahwes verfügte, der aktuelle Wille Jahwes für die Gegenwart somit nur über den Propheten zu erfahren war 3 2 . Freilich gilt umgekehrt, daß jeder, der sich an 30 Formal ist das Verb „Verbrechen üben" durch syndetische Imperative angeschlossen wie auch in 5,4 das Verb „leben", das das Ziel des „Suchens Jahwes" nennt; vgl. GK 2 S § 110 f. 31 Auf einem Mißverständnis beruht daher DEISSLERS Formulierung: „Der Ausweg, wenigstens die 5,4 verwandten Texte von 5,6 und 5,15 erst der Amosschule zuzuschreiben, führt zur Annahme, daß die Jünger den Meister in einem entscheidenden Punkt mißverstanden haben" (aaO. [Anm. 4] 90). 32 Den Vorgang der Befragung ( B n i ) Jahwes zeigen anschaulich Prophetenerzählungen aus dem Nordreich (z. B. 1 Kön 14,1 ff.; 2 Kön 1,2 ff.; 8,8 ff.) und aus dem Jeremiabuch (z.B. Jer 21,1 IT.; 37,3 fT; 42,1 ff); vgl. C. WESTERMANN, Die Begriffe für Fragen und

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5,1-17

229

den Propheten wandte, um bei ihm „Jahwe zu suchen", im verkündeten Gotteswort auf die „Rechtsordnung Gottes" traf, die das gegenwärtige Israel mit Füßen trat 3 3 . Wie aber kann das „Suchen Jahwes" beim Propheten „Leben" bringen, wenn doch der Prophet seit der 3. Vision von der Möglichkeit der Fürbitte und Einsprache (Am 7,1-6) abgeschnitten war, er also den Jahwe verkündigen mußte, der „nicht mehr an Israel vorüberschreiten" kann (7,8; 8,2), sondern „mitten durch dich hindurchschreitet" (5,17)? Letztlich können wir diese Frage nur noch gedanklich umkreisen, nicht aber mehr schlüssig beantworten. Sicher ist nur, daß alles andere „Suchen Jahwes" für den Propheten unmittelbar in den Tod, d. h. in die Konfrontation mit dem Heiligen führt, weil es einen Weg an der Schuldaufdeckung vorbei führt, also Schulderkenntnis verhindert. Letztere ist nur bei dem Propheten zu gewinnen; auch der jüngere Zeitgenosse Micha hat seine Funktion so verstanden (Mi 3,8). Ob aber Arnos noch so viel Kraft im Volk bzw. in einzelnen vermutete, daß über solcher Schulderkenntnis eine grundsätzliche Erneuerung - ein „Neubruch", um mit Hosea zu reden - einsetzen könnte, ist doch sehr fraglich. Die überaus behutsame Formulierung der Schüler in 5,15b („vielleicht"), die das Gericht Gottes vermutlich partiell, d. h. in den Ereignissen des sogenannten syrisch-efraimitischen Krieges, schon erfahren hatten, spricht eher dagegen. Sie rücken (vermutlich nach dem Tod des Propheten) an die Stelle des Propheten selber die Quintessenz des prophetischen Wortes, wenn sie zum „Suchen des G u t e n " auffordern und dieses „Gute" mit dem „Aufrichten des Rechts im Tor" identifizieren. Ohne Recht ist Leben für sie wie für Arnos selber unmöglich, mit Recht „vielleicht" nur deshalb, weil Jahwes Liebe zum Recht stärker ist als seine konsequente Erfüllung des prophetischen Gerichtswortes.

IV. So sehen die Bedingungen des Lebens für Arnos, seine Schüler und die exilischen Tradenten im einzelnen verschieden aus, ohne daß diese Verschiedenheiten doch gravierende Differenzen schaffen. Für Arnos selber ist die Schulderkenntnis, wie sie nur über den Propheten gewonnen wird, in einem korrupt gewordenen Gottesvolk konstitutive Voraussetzung für Suchen im Alten Testament, K u D 6, 1960, 2 - 3 0 (= Ges. St. II, TB 55, 1974, 162-190); J. Kultprophetie [Anm. 10] 140-149. W . H. S C H M I D T , „Suchet den Herrn" [Anm. 24] 131, formuliert treffend: „Die Mahnung ,Suchet Jahwe!' (5,4.6) ist dann als Befragen des Propheten und d. h. letztlich als Hören auf sein Wort zu verstehen." 33 Vgl. insbesondere Hos 6,5b, wonach Gott Propheten auftreten läßt, „damit meine Rechtsordnung (QDtPa) wie Licht hervorgeht" (Text nach LXX, Peschitta, Targum). Im Falle des Arnos wird diese Vollmacht allerdings durch das implizite Verbot der Fürbitte (Am 7,1-8) auf den Schuldaufweis reduziert.

JEREMIAS,

230

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5,1-17

„Leben", ohne d a ß er diese Größe noch näher zu explizieren vermag. Für die Schülergeneration tritt der leidenschaftliche, auf Einsicht zielende Aufruf, das Recht als „das G u t e " im Gefolge des prophetischen Wortes zu praktizieren, in die Bresche, die der Tod des Propheten riß, und wird zur conditio sine qua non eines möglichen Überlebens in der Katastrophe, die doch ganz in der Freiheit Gottes liegt. Für die exilischen Tradenten verbindet sich dieser Aufruf der Schüler mit der doxologischen Anerkennung der Gerechtigkeit Gottes im erfolgten Gericht. Mit dem Propheten aber sind sich alle späteren Tradenten darin einig, daß ein Gottesvolk, dem Gott sein Heil geschenkt hat (Am 3,2), dieses Heil verspielt, wo es Gottesdienste feiert, die keinerlei Impulse in den Alltag entlassen, sondern fördern, daß Israel „Recht und Gerechtigkeit" mit Füßen tritt. Insofern gilt in der Tat für Arnos: „Sein Eintreten für die ,Menschenrechte' ist ein einziges Engagement für G o t t und d a s , G o t t e s r e c h t ' . " 3 4

14 So DEISSLER, aaO.[Anm. 4] 92. Ihm sei dieser Gesprächsbeitrag, der an manchen Einzelaspekten von seinen eigenen Ansichten abweicht, im Dank für viele erfahrene Anregungen in den letzten Jahren gewidmet, vor allem aber in der Erinnerung an eine unvergeßliche gemeinsame Wanderung auf der Sinaihalbinsel, wo die Texte des Alten Testaments ganz von selber zu reden begannen.

15. Am 8,4-7 - ein Kommentar zu 2,6 f. Die Verse Am 8,4-7(8) werden gemeinhin als ein eigenständiges Amoswort betrachtet; ihre unübersehbaren Berührungen mit 2 , 6 - 7 gelten als Selbstzitate des Propheten 1 . U m nur eine jüngere Stimme zu zitieren: „If Arnos was facing a new audience at Bethel, it would be natural for him to support his vision reports with a summary of his earlier prophetic oracles." 2

I.

Aber diese Ansicht ist aus zahlreichen G r ü n d e n wenig wahrscheinlich. Die Verse 8,4-7(8) sind Bestandteil der Großeinheit 8,3-14, die die vierte Vision (8,1 f.) von der fünften und letzten (9,1-4) trennt. Diese Großeinheit zeigt mancherlei Eigenarten, die im vorausgehenden Amosbuch nicht auftreten. Ich nenne die beiden wichtigsten: 1. Sie ist geprägt von einer Fülle von gliedernden Rahmenformeln 3 , die das sonstige Amosbuch nur sehr sparsam verwendet - mit Ausnahme des allgemein als Zuwachs beurteilten heilvollen Schlußabschnitts 9,11-15. a) So ist die erweiterte Gottesspruchformel m n 1 DN3 im gesamten sonstigen Amosbuch nur zweimal (3,13; 4,5) belegt, in 8,3-14 aber gleich dreimal: V. 3.9.11. 1 Vgl. unter den neueren Kommentaren etwa J. L. MAYS, Arnos. A Commentary, O T L , 1969; W. RUDOLPH, Joel - Arnos O b a d j a - Jona, K A T XIII/2, 1971; J. A. SOGGIN, The Prophet Arnos. A Translation and Commentary, London 1987; J. H. HAYES, Arnos. The Eighth-Century Prophet: His Times and His Preaching, Nashville 1988; G. V. SMITH, Arnos. A Commentary, G r a n d Rapids 1989, je z. St. Zu den wenigen Ausnahmen, die 8 , 4 7 nicht direkt von Arnos herleiten, gehören A. WEISER, Die Profetie des Arnos, BZAW 53, 1929, 26-28.258 (anders dagegen in: D a s Buch der zwölf kleinen Propheten I, A T D 24, -1956, 193) und H. W. WOLFF, Dodekapropheton 2, Joel und Arnos, BK XIV/2, (1969) M985, 363 f. sowie, letzterem folgend, I. WILLI-PLEIN, Vorformen der Schriftexegese innerhalb des Alten Testaments, BZAW 123, 1971, 49 und L. MARKERT, Struktur und Bezeichnung des Scheltworts, BZAW 140, 1977, 185 f. D a ß die von H. GESE, A m 8,4-8: Der kosmische Frevel händlerischer Habgier, PS O. Kaiser, BZAW 185, 1989, 62 im Gefolge älterer Ausleger vorgeschlagene Lösung, V. 6 insgesamt als Glosse zu tilgen, um V. 4 f. 7 f. dann von Arnos herzuleiten, nicht möglich ist, werden die folgenden Oberlegungen zu zeigen versuchen. 2

G . V. S M I T H , a a O .

250.

' Vgl. dazu schon WOLFF, aaO. 174.366.373.

232

Am 8,4-7 - ein Kommentar

zu 2,6 f .

b) Ebenfalls dreimal begegnet die geläufige Rahmenformel „an jenem Tag", die wiederum im sonstigen Amosbuch nur zweimal belegt ist (2,16; 9,11), davon in Kap. 8 zweimal mit der zuvor genannten erweiterten Gottesspruchformel verbunden (8,3.9), einmal ohne sie (V. 13). Hinzu kommt noch in V. 11 die vergleichbare Formel „Seht, Tage kommen" (• 1 N3 run), die wiederum mit der erweiterten Gottesspruchformel verbunden ist. c) Die Verbindungen mit dem schon genannten heilvollen Schlußabschnitt in A m 9,11-15 sind dabei insofern unübersehbar, als die beiden letzten Rahmenformeln aus Kap. 8 - einerseits „seht, Tage kommen, Spruch des Herrn Jahwe" (V. 11), andererseits „an jenem Tage" (V. 13) in 9,11-15 chiastisch aufgegriffen werden: „an jenem Tage" in 9,11 und „seht, Tage kommen, Spruch Jahwes" in 9,13. Könnte m a n angesichts dieses Sachverhalts noch argumentieren, er betreffe A m 8,4-7(8) nicht selber, sondern nur seinen unmittelbaren Kontext (V. 3.9), in dem die Rahmenformeln gehäuft anzutreffen sind, so gilt Analoges nicht von der zweiten Eigenart in Am 8,3-14: 2. Die Großeinheit A m 8,3-14 zitiert bewußt und für jeden Leser mühelos erkennbar voranstehende Worte des Amosbuches bzw. spielt auf sie an, entnimmt diesen Worten freilich dabei neue und zusätzliche Gehalte. Dergleichen ist in den vorausgehenden sieben Kapiteln des Amosbuches nie - genauer: nur ansatzweise in 6 , 8 - 1 4 - der Fall. Offensichtlich soll mit 8 , 3 14 das unüberbietbar harte Urteil der vierten Vision: „Das Ende ist gekommen für mein Volk Israel" (8,2) noch einmal zusammenfassend begründet (8,4-7.8) und in seinen furchtbaren Auswirkungen ausgemalt werden (8,3.9-14). Ich nenne im folgenden nur die wesentlichen und evidenten Bezugstexte für 8,3-14: a) V. 3 und V. 7 sind dadurch sachlich aufeinander bezogen, daß sie jeweils auf 6,8-10 anspielen, und zwar so, daß zuerst 6,9 f. (die große Zahl an Leichen, die nicht mehr beerdigt werden kann; der apotropäische Kultruf: „Still!") durch 8,3 und erst danach 6,8 durch 8,7 aufgegriffen wird. Dabei verdeutlicht der letztgenannte Fall besonders handgreiflich, wie die Kombination zweier Aussagen aus dem Zitat (Schwur Jahwes; der „Stolz Jakobs") eine völlig neuartige Wendung entstehen lassen kann (Schwur Jahwes beim „Stolz Jakobs", 8,7) 4 . b) Wie die soeben genannten Verse 3 und 7 so sind auch V. 9 f. und V . l 3 f. eng miteinander verbunden, da sie jeweils wichtige Verse der zentralen Einheit des Amosbuches, A m 5,1-17.18-20, zitieren. Immer wahrgenommen worden ist die wörtliche A u f n a h m e des Leichenliedes 5,2 in 8,13.14b, nicht weniger eindeutig sind aber die Anspielungen auf 5,18-20 in 8,9 und auf 5,16 f. in 8,10 5 . 4

Vgl. den Beitrag „Jakob im Amosbuch", u. S. 257 ff., bes. S. 260 ff. Man vgl. zusätzlich das Stichwort „Leichenlied" aus 5,1 und das Stichwort „Feste" aus 5,21. 5

Am 8,4-7 - ein Kommentar

zu

2,6f.

233

c) Bieten somit sämtliche Einheiten in 8,3-14 zitathafte Bezugnahmen auf frühere Amoskapitel (außer dem Verspaar 11 f., das aber H. W. W O L F F längst unter rein sprachlich-konzeptionellen Gesichtspunkten als Zuwachs beurteilt hatte 6 ), so kann nicht überraschen, d a ß auch 8 , 4 - 6 wörtliche Aufnahmen früherer Amosverse (2,6 f.) enthält. Ihr Zitatcharakter erscheint völlig eindeutig. Er geht nicht nur daraus hervor, daß das ohnehin sehr seltene Verb HIB* in 2,7 und 8,4 im Partizip jeweils mit N geschrieben wird, sondern vor allem daraus, daß in beiden Passagen die genau gleichen Bezeichnungen für Arme, Gedemütigte bzw. Unterdrückte erscheinen, wobei jeweils die identischen beiden Begriffe im Plural stehen (D^JV und •,l?"T 2,7; 8,4.6), der dritte dagegen konsequent im Singular (1V3X 2,6; 8,4.6). Hier herrscht nicht der Zufall, sondern es findet eine höchst durchdachte Weise der A n k n ü p f u n g und Auslegung statt. Wie eng die unter Punkt a-c besprochenen Fälle zusammengehören, erhellt vor allem daraus, daß der zitierende Verfasser ein immer gleiches Verfahren wählt, das darin besteht, daß er die im Amosbuch später stehenden Verse zuerst zitiert, die Reihenfolge der Gedanken also umkehrt. Im Falle von 8,3.7 legt er zunächst 6,9 f. aus und erst danach 6,8, im Falle von 8,9 f. 13 f. zuerst 5,16 ff. und erst danach 5,2, im uns besonders interessierenden Falle von 8 , 4 - 6 zuerst 2,7 (in 8,4) und erst danach 2,6 (in 8,6). Auch daran wird deutlich, wie bewußt und künstlerisch die Weise des Kommentierens vollzogen wird 7 .

II. Was ist die Absicht der Auslegung? Im Groben läßt sie sich auf zwei Weisen ermitteln: aus Kap. 8 im Ganzen und aus einem Vergleich mit der kommentierten Passage in A m 2. 1. Die primäre Intention ergibt sich aus dem Kontext und wurde schon gestreift. A m 8 kündigt „das Ende für mein Volk Israel" an (V. 2), und die folgende vielfältige Rede vom Tod und vom Sterben (V. 3.9 f. 13 f.) will dieses „Ende" offensichtlich explizieren. Umschlossen von diesen Versen kann der Schuldaufweis 8 , 4 - 6 nur als eine erneute, konzentrierte Begründung des „Endes" verstanden werden. Zwei Beobachtungen unterstützen und präzisieren diese Deutung:

6

WOLFF, aaO. [Anm. 1] 374 f. Immerhin sind auch hier Anklänge an Am 4 wahrzunehmen - in V. 11 Anfang an 4,2, in V. 12 Anfang an 4,8 aber sie sind nicht annähernd so evident wie in den anderen Fällen. 7 Der noch nicht behandelte Vers Am 8,8 paßt sich diesem Verfahren an, indem er die (vermutlich exilische) Doxologie in 9,5 aufgreift; vgl. den Beitrag „,Zwei Jahre vor dem Erdbeben' (Am 1,1)", o. S. 183 ff.

234

Am 8,4-7 - ein Kommentar

zu 2,6 f .

a) Es fällt auf, d a ß die ausführliche Anklage in 8 , 4 - 6 ohne eigene Strafankündigung bleibt. Statt einer solchen erfolgt in V. 7 der feierliche Schwur Jahwes, daß Taten solcher Qualität von ihm für alle Zeiten „unvergessen" bleiben. Das Verb m w als Opposition zu "IDT „gedenken" meint dabei nicht einen potentiellen Gedächtnisverlust Gottes, sondern es bezeichnet diejenigen Sachverhalte, die das Handeln Gottes bestimmen bzw. nicht bestimmen 8 . Bleiben die in 8 , 4 - 6 genannten Taten „unvergessen", so prägen sie Gottes Handeln an den Tätern permanent. Offensichtlich ist mit dieser Ansage ein für die Betroffenen besonders schrecklicher Sachverhalt im Blick, der aber merkwürdigerweise im folgenden nicht expliziert wird. Verständlich ist die auffällig allgemeine Aussage, die solcher Explikation an sich bedarf, dagegen dann, wenn sie auf zuvor Genanntes rückbezogen ist, wenn also die Konsequenzen des ständigen „Gedenkens" Gottes schon zuvor dargelegt worden sind, was in Am 8 in Gestalt der Ankündigung des „Endes Israels" (V. 2) längst geschehen ist. b) A m 8,4 setzt ein mit einem Höraufruf mit unbestimmtem Objekt: „Hört dies ...!" Es gibt zwei Möglichkeiten, das „dies" sachlich zu füllen: Es kann voraus- und zurückweisen. Weist es voraus, müßte der eben genannte Schwur Jahwes in V. 7 gemeint sein. Das erscheint aber wenig wahrscheinlich, da V. 7 durch vier Perioden von V. 4 getrennt ist, die bemerkenswert ausführliche Qualifikationen der Adressaten des Höraufrufs enthalten. Die Ausführlichkeit dieser Qualifikationen steht in auffälligem Kontrast zur Kürze des Jahwe-Schwurs in V. 7. Viel eher weist das Demonstrativpronomen in „hört dies ..." zurück und ist dann auf das erheblich näher stehende, in V. 3 ausgemalte „Ende Israels" aus V. 2 bezogen. 2. Näherhin ergibt sich die Intention der Auslegung von Am 2,6 f. durch 8 , 4 - 6 aus den Veränderungen, die an dem voranstehenden Text 2,6 f. vorgenommen werden. Ich beschränke mich zunächst vor aller näheren inhaltlichen Argumentation auf die entscheidende formale Modifikation: 2 , 6 - 8 ist als Reihung von Vorwürfen zu deuten, nennt also mehrere Verschuldungen, 8 , 4 - 6 bildet dagegen ein einheitliches Satzgefüge mit nur einer einzigen, allerdings sehr differenziert entfalteten Anklage. 2,6-8 leitet die Schlußstrophe der formelhaft geprägten Völkersprüche (1,3 ff.) ein. Von diesen unterscheidet sich die Israel-Strophe 2,6 ff. vor allem darin, daß nicht nur ein einziger schwerwiegender Schuldtatbestand genannt wird wie bei den Völkern, sondern eine ganze Kette unterschiedlicher Unheilstaten aufgezählt wird. Vermutlich ist eine Vierzahl im Blick (WOLFF), wie sie im Zahlenspruch, der stereotyp alle Völkersprüche einleitet („wegen dreier Verbrechen von ... und wegen vierer nehme ich es nicht zurück: weil sie ..."), zwar angekündigt, aber in diesen nicht durchgeführt 8 Erinnert sei nur an Bitten wie: „Gedenke nicht der Verfehlungen meiner Jugend!" (Ps 25,7) oder: „Gedenke, daß mein Leben ein Hauch ist!" (Hi 7,7).

Am H,4 -7

ein Kommentar

zu

2,6f.

235

wird, sondern einzig in der Israelstrophe: Schuldsklaverei (V. 6), Rechtsbeugung (V. 7a), sexueller Mißbrauch Abhängiger (V. 7b) und Mißbrauch von Pfändungen (V. 8). Beachtung verdient, daß bei der Nennung der vier genannten Schuldtatbestände die Konstruktion gewechselt wird: vom Infinitiv (V. 6), wie er auch bei den anderen Völkersprüchen verwendet wird, über das Partizip (V. 7a) zum Imperfekt (V. 7a-8). Schon dieser Konstruktionswechsel deutet d a r a u f h i n , d a ß 2 , 6 - 8 als Aufzählung unterschiedlicher Sachverhalte zu verstehen ist, durch die Israels Schuld die Vergehen aller Nachbarvölker übertrifft. U m so deutlicher wird der Kontrast zu 8 , 4 - 6 spürbar. III. Im Unterschied zu Am 2 , 6 - 8 ist A m 8 , 4 - 6 als ein einziger Satz zu interpretieren. Er besteht aus dem genannten Imp.pl. „ H ö r t " , dem Akkusativ-Objekt „dies" und einem Vokativ im Ptz.pl., der die Adressaten des H ö r a u f r u f s nennt. Dieser Vokativ wird im folgenden - völlig singulär im Amosbuch - durch eine Kette von nicht weniger als sechs Infinitivi constructi in seinen Implikationen näher dargelegt, die einen einzigen zusammenhängenden Sinnzusammenhang bilden 9 . Ihre Funktion ist allerdings höchst unterschiedlich zu bestimmen. Tpax D'ss^n n N n s n w 4 f i x vmr r v a ^ i -Q-nnnsn rowm n-P3tt>:i uhnn - n y 'na nax1? 5 n a ^ vüpn1? Vpw ^-nn 1 ?! :nmn ^TKÖ r n ^ i ... D^y} -navn ivaxi D^T rmp1? 6 Schon ein erster Blick auf die Konstruktion dieser ausführlichen Adressaten-Charakterisierung ergibt, daß die sechs Infinitive syntaktisch nicht auf einer Ebene liegen, obwohl sie ausnahmslos mit der stets gleichen Präposition verbunden sind. Verwirrend erscheint allein schon die Tatsache, daß drei der Infinitive syndetisch, drei asyndetisch an das jeweils Vorangehende angeschlossen sind. 1. Was den ersten Infinitiv betrifft, so ist von hoher Bedeutung die grundsätzlich häufig beobachtete Zwischenstellung des Infinitivs zwischen Verb und Nomen 1 0 . Sie hat W. RICHTER, dem diese Ausführungen in 9 N u r der abschließende Stichos in V. 6b: „Auch Abfall von Getreide wollen wir verkaufen!" bildet einen eigenen Satz, der stilistisch aus dem R a h m e n der Infinitve bzw. Finalsätze (V. 5a) fällt. Wie längst e r k a n n t , greift er Terminologie aus V. 5 auf und ist als V. 5 verschärfender N a c h t r a g zu deuten. 10 Vgl. etwa W. GESENIUS - E. KAUTZSCH, Hebräische G r a m m a t i k , 2 8 1909, § 114; E. KÖNIG, Historisch-kritisches Lehrgebäude der hebräischen Sprache. Bd. III, 2. Hälfte,

236

Am 8,4-7

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zu 2,6 f .

Dankbarkeit für viele freundschaftliche Gespräche mit dem jüngeren Kollegen und in Verehrung gewidmet sind, aus guten G r ü n d e n zu der Konsequenz geführt, den Infinitiv (zusammen mit dem Partizip) als Wortart („Verbalnomen") zu definieren und damit nicht nur - wie allgemein üblich - vom N o m e n , sondern gleichfalls entschlossen vom Verb a b z u h e b e n " . Wie sehr in der Tat der nominale Gebrauch des Inf. es. gelegentlich verkannt worden ist, läßt sich am ersten Beispiel unseres Textes unschwer ablesen, wo eine große Zahl insbesondere der älteren Ausleger das Waw copulativum streicht 12 , um einen Finalsatz zu gewinnen, bei dem der Inf. es. dann in Vertretung eines Verbes stünde. Jedoch verdeutlicht die Konjunktion, d a ß der Infinitiv in V. 4b streng parallel zum Partizip in V. 4a verstanden werden soll und somit den Vokativ fortsetzt, den das Partizip in V. 4a ausdrückt. Der einzige Unterschied zwischen Partizip in V. 4a und Infinitiv in V. 4b, die einander durch die Syndese gleichgeordnet sind, besteht darin, daß V. 4a Taten der im Vokativ Angeredeten nennt, V. 4b dagegen ihre Intentionen kennzeichnet. Die Differenz zwischen Text und Konjektur, die den Text willkürlich verändert, reicht aber weiter. Im Text sind Tat (Partizip) und Intention (Infinitiv) durch die Syndese als gleichwertige, je eigene Aussagen formuliert, durch die Konjektur würde der Infinitiv einen dem Partizip untergeordneten Finalsatz ausdrücken. Sachlich ist diese Differenz so zu charakterisieren, d a ß V. 4b im hebräischen Text nicht einen dem Handeln der Angesprochenen schon inhärenten Zweck beschreiben will, wie es ein asyndetisch angeschlossener Infinitiv täte, sondern vielmehr dieses Handeln in seiner Verwerflichkeit dadurch bloßlegen will, daß er zusätzlich dessen innerste Absichten aufdeckt, die zu dem dargelegten Handeln selber als ein unabhängiges Zweites hinzutreten. Diese steigernde Tendenz der Syndese könnte eine Paraphrase etwa so zum Ausdruck bringen: H ö r t dies, die ihr den A r m e n tretet u n d (auf diese Weise) die Elenden im L a n d beseitigen w o l l t . . . 1 3

Leipzig 1897, §§ 215-16.226-34.397-407; P. JOÜON, Grammaire de l'Hébreu Biblique, Rom 1923, § 124 und besonders zuletzt J. M. SOLÂ-SOLÉ, L'Infinitif Sémitique, Paris 1961, 71 fT. 185 ff. sowie W. RICHTER, Grundlagen einer althebräischen Grammatik 1, ATS 8, St. Ottilien 1978, 169-171. 11

12

RICHTER, e b d . 1 6 8 ff.

Vgl. etwa J. WELLHAUSEN, Die kleine Propheten, Berlin 3 1898 (= 4 1963), 8.92; B. DUHM, Die zwölf Propheten. In den Versmaßen der Urschrift übersetzt, Tübingen 1910, 17; DERS., Anmerkungen zu den zwölf Propheten (Sonderabdruck aus der ZAW), Gießen 1911, 16; W. NOWACK, Die kleinen Propheten, H K A T III/4, 3 1922, 160; A. WEISER, aaO. [Anm. 1 (1956)] 193 sowie B H K und BHS; andere - wie E. SELLIN, Das Zwölfprophetenbuch, K A T XII, 2 3 1929, 257 - ändern aus dem gleichen Grunde V. 4a. 13 rPltP1? ist kontrahierter inf. estr. hif. von m t P ; das Verb ist um eines sehr künstlichen Wortspiels mit dem Sabbat in V. 5 willen gewählt.

Am 8,4-7

- ein Kommentar

zu 2,6 f .

237

2. Eine völlig andere, aber wiederum eher nominal zu charakterisierende Funktion kommt dem sich asyndetisch anschließenden erstarrten Infinitiv ^N 1 7 zu. M a n hat diese Funktion zu Recht mit derjenigen des lateinischen Gerundivums verglichen (dicendo = „durch das Sagen/Denken" = hier: „indem ihr denkt...") 1 4 , um auszudrücken, d a ß mit dem hebräischen Infinitiv die sprachlichen bzw. gedanklichen Mittel genannt werden, mit Hilfe derer die zuvor genannte Absicht in die Tat umgesetzt wird. In A m 8,5a leitet er über zur Formulierung von fiktiven Gedanken der Schuldigen, die in der äußeren Gestalt von Fragen geheime Wünsche ausdrücken („Wann geht der N e u m o n d / d e r Sabbat vorüber?" = Ach, daß doch endlich der N e u m o n d / d e r Sabbat vorüber wäre!) 15 , die ihrerseits mit Teil- bzw. Unterabsichten verbunden sind, wie sie in den folgenden Finalsätzen formuliert werden. Der Infinitiv "IÖX1? verdeutlicht, d a ß zwischen der eingangs in V. 4b genannten Absicht, „die Elenden im Land zu beseitigen", und den mit erneuten Absichten verbundenen geheimen Wünschen der Täter ein instrumentales Verhältnis herrscht. Die geheimen Wünsche und die mit ihnen verbundenen Absichten bilden das Mittel, um das in V. 4b genannte Ziel zu erreichen. 3. Schwieriger ist der folgende Gedankengang zu charakterisieren, in dem die Infinitive nun verbale Funktionen übernehmen. Die Absichten, die mit den geheimen Wünschen der Täter verbunden sind, werden einzig in V. 5a innerhalb von 8 , 4 - 6 mit Finalsätzen in finiten Verbformen ausgedrückt, und zwar offensichtlich zu dem Zweck, sie von jenen Zielen zu differenzieren, die durch die folgenden Infinitive in V. 5b und 6a ausgedrückt werden. Wenn unter diesen vier Infinitiven die beiden mittleren syndetisch angeschlossen sind, so besagt diese Tatsache nur, daß sie eng mit dem ersten Infinitiv zusammengehören, genauer: mit ihm eine Reihe bilden. Weit gewichtiger ist, daß diese Reihe von drei Infinitiven in V. 5b dank ihres ersten Gliedes mit den geheimen Wünschen von V. 5a asyndetisch verbunden ist, und das gleiche gilt für den letzten Infinitiv in V. 6a, der seinerseits asyndetisch an V. 5b anschließt. Zu unterscheiden ist demnach syntaktisch zwischen a) den mit finiten Verbformen gebildeten Finalsätzen in V. 5a, b) der Reihe von drei zusammengehörigen Infinitiven in V. 5b, die V. 5a asyndetisch fortsetzt, und c) einem letzten asyndetischen Infinitiv in V. 6. Hier herrscht offensichtlich eine Hierarchie der Ziele und Zwecke vor, die sämtlich von den geheimen Wünschen abhängig sind (die ihrerseits 14

V g l . b e s o n d e r s JOÜON, a a O . [ A n m . 10] § 1 2 4 o . S O L Ä - S O L £ , a a O . [ A n m . 10] 1 8 9 ff. h a t

gezeigt, d a ß mit dem gerundivischen Gebrauch üblicherweise eine zeitlich vorangehende H a n d l u n g bezeichnet ist. In unserem Fall geht der Gedanke bzw. Plan von V. 5 f. der Absicht von V. 4b logisch voraus. 15 Kaum: „Wann kommt der Neumond/Sabbat?" = Ach, d a ß doch endlich der N e u m o n d / S a b b a t käme! Gegen diese Deutung B. HALEVIS, When will the New M o o n be gone? (hebr.), BetM 66, 1976, 333 ff. vgl. M. GIVATI, The Shabbat of Prophet Arnos (hebr.), BetM 69, 1977, 194-198. 278 f. und H. GESE, aaO. [Anm. 1] 61, A n m . 8.

238

Am 8,4-7 - ein Kommentar

zu

2,6f.

wie wir oben sahen - das Mittel darstellen, um das eingangs genannte Oberziel zu erreichen). Wie ist diese Hierarchie der Ziele näherhin zu beschreiben? a) Die anfänglichen Finalsätze (V. 5a) sind im Parallelismus membrorum so unlöslich an die geheimen Wünsche der Täter gebunden, daß diese ohne sie gar nicht formulierbar sind. Das ersehnte Ende der Feier- und Ruhetage 1 6 ist demnach kein erstrebenswertes Ziel an sich; es wird erst dadurch Gegenstand geheimer Wünsche, daß mit ihm der Beginn des Getreidehandels ermöglicht wird. b) Aber auch der Getreidehandel als solcher ist nicht das erstrebte Ziel. Wesentlich für das Verständnis der folgenden Reihe von drei Infinitiven in V. 5b ist, daß sie asyndetisch angeschlossen ist, d. h. jene Zwecke und Absichten formulieren will, die mit dem Handeln als solchem gesetzt sind, nicht als ein zusätzliches Zweites zu ihm hinzutreten. Inhaltlich gilt demnach, daß erst die Manipulationsmaßnahmen an Maßen, Gewichten und an den Waagen den Getreidehandel für die Täter zum Objekt ihrer Sehnsüchte machen. Die Frage, ob dieser Handel auch ohne die Manipulationsmaßnahmen für sie erstrebenswert wäre, beantwortet der Text nicht bzw. allenfalls im negativen Sinne. c) Aus dem abschließenden und wiederum asyndetisch angeschlossenen Infinitiv in V. 6 geht hervor, daß auch das in V. 5b mit den drei Infinitiven, die die Manipulationen beschreiben, bezeichnete Ziel ein vorläufiges ist. Der Sache nach wird dieses vorläufige Ziel vielmehr als die Beschreibung des Mittels zum Zweck erkennbar 1 7 . Die Manipulationen an Gewichten, Maßen und Waagen sind nicht Selbstzweck, wie es bei den vorauslaufenden Finalsätzen, die den Getreidehandel bezeichnen, immerhin theoretisch denkbar wäre. Vielmehr dienen sie einem trügerisch gesteigerten Gewinn. Dieser Gewinn wird nun aber in V. 6 überraschenderweise nicht als ein materialer, sondern als ein personaler Gewinn bezeichnet. Erworben werden keine Güter, sondern mittels Geldes (sog. 3-pretii) „Geringe" und „Arme". Was kann mit dieser abschließenden Formulierung, die die Gedanken zum ersten Infinitiv in V. 4b zurücklenkt, gemeint sein? Spätestens hier muß der genauere inhaltliche Vergleich zwischen 2,6 f. und 8 , 4 - 6 einsetzen.

16

Die mit der Zuordnung des Neumondtages zum Sabbat verbundenen Fragen harren noch weithin einer überzeugenden Antwort; vgl. etwa A. CAQUOT, Remarques sur la fête de la „néoménie" dans l'ancien Israël, R H R 158, 1960 1 fT.; W. W. HALLO, New Moons and Sabbaths: A Case-Study in the Contrastive Approach, H U C A 48, 1977, 1 ff., bes. 16; G. F. HASEL, „New Moon and Sabbath" in Eighth Century Israelite Prophetic Writings ( I s a 1 : 1 3 ; H o s 2 : 1 2 ; A m o s 8 , 5 ) , i n : M . AUGUSTIN -

K . D . SCHUNCK ( H r g . ) ,

„Wünschet

Jerusalem Frieden". Collected Communications ..., BEAT 13, 1988, 37fif. 17 Vgl. zu dieser Möglichkeit SOLÂ-SOLÉ, aaO. [Anm. 10] 81; W. RICHTER, Grundlagen einer althebräischen Grammatik 3, ATS 13, St. Ottilien 1980, 150.

Am 8,4-7 - ein Kommentar zu 2,6f.

239

IV. Führt man sich den soeben rekonstruierten Gedankengang zusammenfassend vor Augen, so ist in Am 8 , 4 - 6 zwischen V. 4 einerseits und V. 5 f. andererseits zu unterscheiden. V. 4 nennt primär Taten (Partizip), V. 5 f. Gedanken und Wünsche ("lOX1?); an erstere sind die Infinitive syndetisch angeschlossen, an letzere asyndetisch, d. h. im ersten Falle bilden die Infinitive einen eigenen und unabhängigen Gedanken neben den Taten, im letzten sind die Wünsche ohne die in den Infinitiven genannten Absichten und Zwecke gar nicht formulierbar. Ein weiterer Unterschied besteht darin, d a ß V. 4 nur das Endziel (die „Beseitigung" der Armen) der Taten nennt, das diesen Taten (der Unterdrückung der Armen) nicht sogleich zu entnehmen ist, während die Wünsche und Gedanken der Täter in V. 5 f. einen komplizierten Weg mit Zwischenzielen und mit Bedingungen zeichnen, die zuvor erfüllt sein müssen. Zu den Zwischenzielen gehört die (möglichst ununterbrochene) Gelegenheit zum Getreideverkauf (V. 5a), die wesentlichen Bedingungen bilden die Manipulationen an den Handelsgeräten (V. 5b). Alles aber geschieht um des zuletzt genannten Zieles in V. 6 willen. Dabei ist die Relation zwischen V. 4 und V. 5 f. so zu charakterisieren, d a ß V. 5 f. mit den Gedanken und Wünschen der Täter umschreiben will, wie es in V. 4 von der Tat (der Unterdrückung, V. 4a) zum Endziel (der „Beseitigung", V. 4b) kommt. Diese Relation zwischen V. 4 und V. 5 f. wird durch "Vixb hergestellt. Das Endziel in V. 4b m u ß also mit dem letzten Ziel von V. 5 f. in V. 6 sachlich deckungsgleich sein. Innerhalb dieses Gedankenganges sind nun die beiden Rahmenglieder, die anfängliche Tat (V. 4a) und das abschließende Endziel (V. 6), durch modifizierte Zitate aus 2,6 f. gebildet. In beiden Fällen ist eine erhebliche Bedeutungsverschiebung zu beobachten, und zwar von einem präzisen und spezifischen Sprachgebrauch hin zu einem allgemeinen und unspezifischen. Für den anfänglichen Vokativ im Ptz. pl. „die ihr den Armen tretet" 1 8 war in der Bezugsstelle vermutlich ein juristischer Sinn vorgegeben; denn in 2,7 wird die mit dem „Treten" bezeichnete Unterdrückung der Abhängigen im poetischen Parallelglied durch den Begriff " p l „den Weg beugen" präzisiert, und mit diesem „Weg" ist aller Wahrscheinlichkeit nach der Rechtsweg gemeint 1 9 . Das „Beugen" dieses Rechtsweges zielt dann auf die Perver18

FLNTT* i m S i n n e v o n HUP; v g l . L X X ( £ K i p i ß o v T e < ; ) s o w i e WOLFF u n d RUDOLPH Z. S t .

Zum Bedeutungsumfang des Verbes vgl. W. VON SODEN, Zum hebräischen Wörterbuch, U F 13, 1981, 160 f., dem HAL IV, 1990, 1342 folgt. ^ Vgl. das Verb NUJ in Am 5,12 sowie Ex 23,6; Prv 17,23 und V. MAAG, Text, Wortschatz und Begriffswelt des Buches Arnos, Leiden 1951 88.142.229.234; I. L. SKELIÜMANN, Zur Terminologie für das Gerichtsverfahren im Wortschatz des biblischen Hebräisch, in: Hebräische Wortforschung. FS W. Baumgartner, VT.S 16, 1967, 269 mit A n m . 2; WOLFF, a a O . 1 6 3 . 2 0 1 f. ( m i t w e i t e r e n B e l e g e n ) . D e r E i n s p r u c h RUDOLPHS z . S t .

240

Am 8,4-7 - ein Kommentar

zu

2,6f.

sion des Prozeßverfahrens zum Schaden der Einflußlosen, wie sie in A m 5,7.10-12 näher ausgeführt wird. Demgegenüber fehlen in 8 , 4 - 6 Rechtsassoziationen völlig; das „Treten der A r m e n " bezeichnet offensichtlich überhaupt keine eigenständige Handlung, sondern ist am ehesten vorwegnehmende Charakterisierung der im folgenden beschriebenen betrügerischen Handelspraktiken der Getreidehändler. Sie werden auf diese Weise als gewalttätige Unterdrücker beschrieben, weil sich die Verarmten gegen sie nicht wehren können, sind sie doch auf den Erwerb von Getreide und sei es noch so überteuert - angewiesen. Einschneidender ist die Neudeutung des zitierten Versteiles 2,6b am Schluß unseres Abschnittes (8,6). A m 2,6b lautet: wbui T o m 1V381

p n x H033 ü-oa-^y

wobei die Infinitiv-Konstruktion vom einleitenden Zahlenspruch in den Völkersprüchen des Amosbuches abhängig ist. D a r a u s macht A m 8,6a: .D'1?*?: 113573 1V3K1

D^T ^033 JIUp1?

Der zweite Stichos wird identisch beibehalten, im ersten finden zwei charakteristische Änderungen statt: 1) Aus dem „Verkaufen" von A m 2,6 wird in 8,6 ein „Kaufen". 2) Die Frage der Schuld bzw. Unschuld der Betroffenen, die für 2,6 eine wichtige Rolle spielt, wird fallengelassen und statt des Begriffes p'TS ein allgemeiner Terminus für den Armen gewählt, der seinerseits aus 2,7a entnommen ist. Das Problem der Schuld bzw. Unschuld erscheint wesentlich für das „Verkaufen", nicht aber für das „ K a u f e n " . So spitzt sich alles auf die Frage zu, welcher Unterschied mit diesen beiden Verben gesetzt ist. A m 2,6b ist so oft untersucht worden, d a ß wir uns hier kurzfassen können und nicht alle erwogenen Möglichkeiten des Verständnisses diskutieren müssen 2 0 . Der Vorwurf des Arnos richtet sich am ehesten gegen einen zweifachen Mißbrauch einer Institution - der Schuldsklaverei - , deren sinnvolle Ordnung als solche von ihm nicht in Frage gestellt wird. Es geht a) um den Verkauf von Menschen, die „schuldlos" in Sklaverei geraten, für die also die Schuldsklaverei nicht eine Weise ist, mit der sie - wie etwa in Ex 22,2 vorausgesetzt - für eine begangene Straftat Ersatz leisten. Vielmehr werden diese Menschen verkauft HDD3, was wahrscheinlich „für Geld" (sog. 3-pretii) bedeutet, genauer: „um Geldes (d. h. Gewinnes) willen". Es geht b) um den Verkauf Verarmter schon angesichts einer lächerlichen Bagatellschuld, die von ihnen nicht beglichen werden kann. In diesem Mißbrauch wird der andere Aspekt der Institution erkennbar: Sie war auch als Schutzführt zu der wenig überzeugenden Deutung, die Wendung „den Weg vertreten" meine ein „Anrempeln" in der Gasse. 20

V g l . SOGGIN, a a O . [ A n m . 1] 4 6 - 4 8 , u n d b e s o n d e r s G. FLEISCHER, V o n

verkäufern, Baschankühen und Rechtsverkehrern, BBB 74, 1989, 47 ff.

Menschen-

Am 8,4-7 - ein Kommentar zu 2,6f.

241

Vorrichtung für Menschen in N o t gedacht, die anders nicht überleben konnten. "03373 bezeichnet in dieser Konstruktion vermutlich die Verschuldung, um deretwillen der Gläubiger den Verkauf des Schuldners erzwingt 21 . G a n z anders 8,6. Im Kontext des in V. 5 beschriebenen Getreidehandels spielen die Anlässe für die Schuldsklaverei auf Seiten des Schuldners Straftat oder materielle Verschuldung gegenüber einem Gläubiger - keinerlei Rolle. Die Mittel des „ K a u f e s " der Menschen sind j a gefälschte Maße, Gewichte und Waagen. G e m e i n t sein k a n n d a n n mit „ K a u f e n " schwerlich die direkte Opposition zu „Verkaufen" - der Vorgang eines Verkaufes von Menschen tritt nirgends in den B l i c k 2 2 - , sondern nur eine übertragene Bedeutung: D u r c h den Betrug im H a n d e l werden Verarmte wirtschaftlich „erledigt" (V. 4b), so d a ß sie sich in die Abhängigkeit vom Gläubiger als Schuldknecht begeben und dienstpflichtig werden müssen 2 3 . 1 0 3 3 in nup 1 ? 1 0 3 3 m u ß d a n n im strengen Sinne instrumental verstanden werden - „ u m sich Geringe mittels Geldes zu k a u f e n " , d. h. mit Hilfe des Geldes, das den Geringen im Handelsbetrug a b g e n o m m e n w u r d e das D'Vyj "P3173 im Parallelglied behält seine ältere Bedeutung aus 2,6 bei, allerdings in verallgemeinertem Sinne: Schon „ u m eines Paares Sandalen willen", d. h. schon bei geringfügiger Zahlungsunfähigkeit, verliert der A r m e seine eigenständige Existenz und wird billige Arbeitskraft. Es gibt im Alten Testament Parallelbelege, die diese D e u t u n g stützen. W ä h r e n d n : p „ k a u f e n " mit Personen als O b j e k t 2 4 üblicherweise beim Erwerb eines einzelnen Sklaven gebraucht wird (Ex 21,2; Lev 22,11; 25,44 f.; Koh 2,7; vgl. G e n 39,1), wird es außer in A m 8,6 noch dreimal f ü r eine Mehrzahl von Menschen verwendet. In G e n 47,19.23 verdingen sich die Ägypter in der N o t dem P h a r a o als Arbeitskräfte, u m überleben zu können, in Dtn 28,68 wird Analoges den Israeliten im Fluch angedroht, in N e h 5,8 Entsprechendes im Kontext der nachexilischen G e m e i n d e f ü r die A r m e n 21 Jedenfalls ist n a S 3 kaum analog zum 3-pretii auszulegen; vgl. gegen eine große Zahl von Kommentatoren M. KRAUSE, Das Verhältnis von sozialer Kritik und kommender Katastrophe in den Unheilsprophezeiungen des Arnos, Diss. Hamburg 1972, 35 f.; M. FENDLKR, Zur Sozialkritik des Arnos, EvTh 33, 1973, 38; B. LANG, Sklaven und Unfreie im Buch Arnos (II 6, VIII 6), VT 31, 1981, 482. 22 Wenn WOLFF, aaO. 373, V. 5 und V. 6a als zu unterscheidende Vorwürfe deutet und RUDOLPH, aaO. 262 f., V. 5 und 6a sogar gegen verschiedene Gruppen (Getreide- und Sklavenhändler) gerichtet sein läßt, um die genannte Schwierigkeit zu umgehen, so können sie das nur gegen die syntaktische Struktur des Satzgefüges tun. Aber auch aus sachlichen Gründen ist die Trennung nicht möglich; vgl. die Kritik von R. KESSLER, Die angeblichen Kornhändler von Arnos VIII 4 - 7 , VT 39, 1989, 15.20 sowie zuvor KRAUSE, aaO. 33-39;

L A N G , a a O . 4 8 2 ff. 23 LANG, aaO. [Anm. 21] 484 nennt eine interessante Parallele aus einem Alalach-Text, in dem das Verb „kaufen" ebenfalls verwendet wird, um die Übernahme eines insolventen Schuldners auszudrücken. 24 Vgl. dazu W. H. SCHMIDT, Art „rup/qnh", T H A T II, München, Zürich 1976, 653; E. LIPINSKI, Art. „rup/qänäh", ThWAT VII, Stuttgart 1990, 64.

242

Am 8,4-7

- ein Kommentar

zu 2,6 f .

nur durch das beherzte Eintreten Nehemias verhindert. Alle drei Belege rechnen damit, d a ß die Mehrzahl eines Volkes oder gar ein Volk als ganzes in der N o t zum Selbstverkauf schreiten muß. Es zeigt sich also, daß der abschließende Infinitiv in Am 8,6 sachlich eine Wiederaufnahme und gleichzeitig eine Präzision des die ganze Einheit thematisch einleitenden ersten Infinitivs in V. 4b ist. Die dazwischen stehenden vier Infinitive sind dieser Inklusion gegenüber untergeordnet, nennen die Mittel und Wege, mit denen das erstrebte Ziel der Täter, „die Elenden zu beseitigen" (V. 4b), erreicht wird.

V. Trotz teilweise gleicher Wortwahl bezieht sich A m 8 , 4 - 6 also auf einen völlig anderen Sachverhalt als Am 2,6 f. Mißbrauch der Schuldsklaverei und Verhinderung des geordneten Rechtswesens hier steht in Am 8,4-6 ein Betrug im Handel gegenüber, der Menschen reihenweise ihrer Eigenständigkeit beraubt. Da gleichzeitig in 8,3-14 eine planmäßige Methode der Zitation erkennbar wird, wie sie nur aus einem gewissen Abstand zu den Amosworten verständlich wird, die deutlich als schriftlicher Texte vorausgesetzt sind, stellt sich abschließend die Frage, aus welcher Zeit 8 , 4 - 6 am ehesten herzuleiten ist. Da weder ein spezifischer Sprachgebrauch noch eine eindeutig einzuordnende Konzeption vorliegen, helfen am ehesten Sachparallelen weiter. Von Betrug im Handel ist im Alten Testament ausführlicher außer in A m 8 , 4 - 6 vor allem in Dtn 25,13-16 und in Mi 6,9 ff. die Rede, sieht man einmal von kurzen Anspielungen in den Proverbien (z.B. 11,1; 16,11; 20,10.23 u. ö.) oder in Texten wie Hos 12,8; Lev 19,35 f. ab. N u n hat W O L F F Mi 6,9-16 in seinem Kernbestand mit m. E. überzeugenden Gründen in die letzten Jahrzehnte des Staates Juda datiert 2 5 , und in diese Zeit wird auch Dtn 25,13-16 gehören 2 6 . Beide Texte haben Tatbestände Jerusalems im Blick (vgl. bes. Mi 6,9.12), und m a n wird es kaum zufällig nennen wollen, daß uns aus dieser Zeit erstmalig ein Händlerviertel in Jerusalem belegt ist (Zef 1,10 f.). Auch die Präzisierung des Gebots der Sabbatruhe im Blick auf das Tragen von Waren nach Jerusalem stammt aus dieser Zeit (Jer 17,21 ff.). Sicherheit ist mit diesen Überlegungen nicht gewonnen. Jedoch wird man A m 8,3-14 allein schon um seiner literarischen Fügung willen ein gutes 25

H. W. WOLFF, D o d e k a p r o p h e t o n 4. Micha, BK X I V / 4 , 1982, 163 f. Die Prohibitive in D t n 25,13 f. werden - wie auch die g e n a n n t e n Sprüche - älter sein, aber eine vor-deuteronomische „Greuel"-Reihe, aus der 2 5 , 1 3 - 1 6 seit J. HEMPBL, Die Schichten des D e u t e r o n o m i u m s , Leipzig 1914, 234 ff., gern hergeleitet wird, hat es k a u m gegeben, wie G. SEITZ, Redaktionsgeschichtliche Studien z u m D e u t e r o n o m i u m , B W A N T 93, 1971, 185 f., nachgewiesen hat. 26

Am 8,4-7 - ein Kommentar zu 2,6 f .

243

Stück von Arnos selbst und auch von der Teilerfüllung seiner Botschaft in Gestalt der Zerstörung Samarias abrücken müssen. Andererseits verfolgen die exilischen und nachexilischen Bearbeiter der Prophetenbücher gemeinhin andersartige Interessen, wie im Amosbuch an den Doxologien und am Schluß des Buches zu lernen ist. Auch solche grundsätzlichen Erwägungen stützen insofern die Annahme, daß A m 8 , 4 - 6 die Amosbotschaft für das Jerusalem des ausgehenden 7. bzw. des beginnenden 6. Jh.s aktualisieren will, ohne Abstriche an der unerbittlichen Härte des Arnos zu machen, denn Am 8 , 4 - 6 ist mit der 4. Vision (Am 8,1 f.) durch den Brückenvers 3 unlöslich verbunden.

16. Das unzugängliche Heiligtum. Zur letzten Vision des Arnos (Am 9,1-4) Die fünfte und letzte Vision des Arnos ist in der Forschung im Vergleich zu den vorausgehenden vier Visionen stark vernachlässigt worden. Es gibt nur eine kleine Zahl an Spezialuntersuchungen zu ihr 1 . Das mag daran liegen, d a ß mit der 4. Vision unter der Ankündigung des „Endes meines Volkes Israel" (Am 8,2) ein unüberbietbarer Höhepunkt in den Visionen erreicht zu sein scheint. Zudem enthält die 5. Vision mit Ausnahme des einleitenden Satzes: „Ich habe den Herrn gesehen, wie er auf dem Altar stand", nur Gottesrede. Jedoch hängt an der Deutung der 5. Vision Entscheidendes für das Verständnis des Amosbuches als ganzen. Nirgends sonst im Amosbuch wird derart deutlich, daß Arnos ein Judäer war, wie in der 5. Vision. Die Vorstellungen von A m 9,1 - 4 stammen so deutlich aus Jerusalem, d a ß einige Ausleger vermutet haben, es müsse deshalb auch der Jerusalemer Tempel gemeint sein 2 ; davon ist jedoch mit keiner Andeutung die Rede. Wohl aber kann m. E. die Suche nach einem Ort Thekoa im Nordreich, aus dem der Prophet Arnos angeblich stammen soll (Am 1,1), wie sie zuletzt wieder K. KOCH aufgenommen hat 3 , eingestellt werden.

1 Außer J. MORGENSTERN, Amos-Studies I. H U C A 11, 1936, 107-129, sind nur zu nennen J. OUELLETTE, T h e Shaking of the Thresholds in Arnos 9:1, H U C A 43, 1972, 2 3 27, sowie drei Dissertationen: S. REIMERS, Formgeschichte der prophetischen Visionsberichte, Diss. H a m b u r g 1976, bes. 100 ff.; M . KUNTZ, Ein Element der alten T h e o phanieüberlieferung und seine Rolle in der Prophetie des Arnos, Diss. T ü b i n g e n 1968, 155-173; G. BARTCZEK, Prophetie und Vermittlung. Z u r literarischen Analyse u n d theologischen Interpretation der Visionsberichte des Arnos, E H S X X I I I / 1 2 0 , 1980, bes. 7 1 - 9 0 . N a c h der Erstveröffentlichung (1993) erschien: E. J. WASCHKE, Die f ü n f t e Vision des A m o s b u c h e s ( 9 , 1 - 4 ) - Eine Nachinterpretation, Z A W 106, 1994, 4 3 4 - 4 4 5 . 2 So schon T g u n d ihm folgend ausführlich C. F. KEIL, BC II1/4, M888, z. St. Weitere Vertreter dieser Ansicht nennt W. RUDOLPH, K A T XIII/2, 1971, 244, A n m . 4; vgl. zuletzt

M . K U N T Z , a a O . [ A n m . 1] 1 6 4 ff. 3 K. KOCH u n d Mitarbeiter, Arnos. U n t e r s u c h t mit den M e t h o d e n einer strukturalen Formgeschichte, Teil 2, A O A T 30, 1976, 2; DERS., Die Profeten I, U B 280, 2 1987, 82 f.

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Heiligtum.

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Vision des

245

Amos

I. Auffällig ist in der Tat die Kürze der eigentlichen Vision 4 : „Ich habe den Herrn gesehen, wie er auf 5 dem Altar stand". Schon die Tatsache, daß Arnos selbst Subjekt des visionären Sehens ist und nicht Objekt einer ihm von Jahwe gewährten Schau wie in allen vorausgehenden Visionen, zeigt, daß die letzte Vision von den ersten vier abgehoben werden soll. Der G r u n d dieses Wandels liegt am ehesten darin, d a ß nicht ein Ereignis geschaut wird wie im ersten Visionenpaar (7,1-6: das „Fressen" der Heuschrecken bzw. des kosmischen Feuers), auch nicht ein Gegenstand wie im zweiten (7,7 f.; 8,1 f.: Zinn in Gottes Hand bzw. ein Korb mit Sommerobst), sondern Jahwe selber. Damit ändert sich die innere Logik der Visionen entscheidend. Im ersten Visionenpaar liegt der Ton darauf, daß Jahwe ein Unheilsgeschehen in G a n g setzt, das er auf die Fürbitte des Propheten hin wieder zurückzunehmen bereit ist. Im zweiten Visionenpaar wird eine solche Einwirkungsmöglichkeit des Propheten nirgends auch nur angedeutet. Zwar findet auch hier ein Zwiegespräch zwischen Jahwe und Arnos statt, aber Arnos m u ß etwas lernen; er ist der Befragte und m u ß das Geschaute in Worte fassen, bevor ihm die vollen Implikationen seiner Worte in der harten Deutung Jahwes eröffnet werden. Die wesentliche Steigerung vom ersten zum zweiten Visionenpaar liegt darin, d a ß Arnos es im ersten nur mit einem (geplanten) Handeln Jahwes zu tun bekommt, im zweiten Visionenpaar aber jeweils im Endeffekt mit Jahwe selber. Aus dem Geschauten selbst geht das für Arnos selbst zwar noch nicht eindeutig hervor, wohl aber aus der jeweils identischen Quintessenz der Deutung Jahwes in der 3. und in der 4. Vision: „Ich kann nicht länger (schonend) an ihm (d. h. Israel) vorübergehen" (7,8; 8,2). Hier wird den Lesern in einem Wortspiel eine grauenhafte Wahrheit vermittelt: Wenn Jahwe nämlich nicht länger an Israel „vorübergehen" kann (1317 mit der Präposition *?), dann ist insofern zwingend „das Ende zu meinem Volk Israel gekommen" (8,2), weil Jahwe dann - und zwar unweigerlich tödlich - „durch deine (d. h. Israels) Mitte hindurchschreitet" ("D57 mit der Präposition 3 5,17) 6 , ein Geschehen, wie es jedem Israeliten 4 Die Kürze ist häufig von Kommentaren dadurch verändert worden, daß das folgende Beben der Schwellen noch zur Vision gerechnet wurde; vgl. zuletzt H. W. WOLFF, BK XIV/2, 3 1985, z.St. Aber dieser Texteingriff hat die gesamte Textüberlieferung gegen sich. 5 Die sogleich zu nennende Analogie der 3. Vision in 7,7 schließt die Übersetzung „am Altar", so die Mehrzahl neuerer Kommentare z.St., vgl. W. RUDOLPH [Anm. 2]; J. A.

SOGGIN

[1987];

F. I. A N D E R S E N

-

D. N.

FREEDMAN,

AncB

24

A

[1989];

S. M .

PAUL,

Hermeneia [1991], m. E. zwingend aus. 6 Vgl. dazu jüngst K. BALTZER, Bild und Wort. Erwägungen zu der Vision des Arnos in Am 7,7-9,

in: W. GROSS -

H.

IRSIGLER -

TH.

SEIDL (Hrg.), Text,

Methode

und

Grammatik, FS W. Richter, St. Ottilien 1991, 11-16; 12 f. Ihm sei dieser Beitrag als Zeichen des Dankes für nunmehr zwei Jahrzehnte währende warmherzige Kollegialität und Freundschaft gewidmet.

246

Das unzugängliche Heiligtum. Zur letzten Vision des Arnos

aus Passatexten (Ex 12,12.23) vertraut war. Wo Jahwes "Oy zu Ende ist und sein 3 "IDS; beginnt, klingt Leichenklage allerorts auf, auf Plätzen und Straßen und selbst an Orten der Freude wie z. B. Weingärten (5,16 f.). Von der 3. und 4. Vision her gelesen, ist die 5. und letzte die unüberbietbare äußerste Steigerung. Wenn Arnos hier Jahwe selber schaut, und dazu noch an diesem Ort, dann paßt hier kein Zwiegespräch zwischen G o t t und Prophet wie in allen vorangehenden Visionen, kein Einspruch des Propheten und keine göttliche Nachfrage nach dem Geschauten, die erst über die Antwort des Propheten deren Sinn offenlegen würde. Für einen Einspruch des Propheten ist schon seit der 3. Vision kein R a u m mehr, und die Schau von 9,1 ist (insbesondere nach 7,7; s. u.) nirgends mißverständlich oder deutebedürftig. Wie sehr die kurze letzte Vision als Steigerung der vorigen verstanden werden will, wird schließlich daran deutlich, daß Gott nicht mehr von „meinem Volk Israel" spricht wie noch in 7,8 und sogar in 8,2, sondern nur noch in denkbar weitem Abstand von „ihnen allen", die sterben müssen. Das „Ende meines Volkes Israel" (8,2) ist schon Ereignis geworden. II. Das Ungewöhnliche der 5. Vision wird erst auf dem Hintergrund ihrer Parallelen erkennbar. Wo Jahwe andernorts in Visionen direkt geschaut wird, geht es um eine Beauftragung des Propheten (bzw. „des Geistes") durch den himmlischen Hofstaat, der um den thronenden Himmelskönig Jahwe steht (1 Kön 22,19 ff.; Jes 6) 7 . Obwohl Am 9,1 viel mit Jes 6 gemein hat, wie noch zu zeigen ist, fällt eine solche Deutung für Am 9,1 allein schon deshalb aus, weil Arnos Jahwe stehend schaut. Ein himmlischer Hofstaat hat bei einem solchen Bild keinen Platz. Diese Aussage verbindet die 5. Vision vielmehr betont mit der 3. Vision, wo das gleiche Verb für Jahwes Stehen verwendet wird, mit der gleichen Präposition und ebenfalls im Partizip. Hier steht Jahwe auf einer Mauer aus Zinn. Der Sinn der Wortverbindung „Mauer aus Zinn" ist traditionsgeschichtlich vorgeprägt. Zwar ist die Wortververbindung als solche schon darum nicht andernorts zu erwarten, weil Arnos für das Metall ein ungebräuchliches Lehnwort aus dem Akkadischen ("PN8) verwendet, das im AT nicht mehr begegnet und 7

Vgl. zu dieser Gattung bes. H.-P. MÜLLER, Die himmlische Ratsversammlung, Z N W

54, 1963, 2 5 4 - 2 6 7 ; O . H . STECK, B e m e r k u n g e n z u J e s 6, B Z N F 16, 1972, 1 8 8 - 2 0 6 ( = T B 70, 1982, 1 4 9 - 1 7 0 ) . 8

Daß "IIS in Am 7,7 f. wie an(n)äku im Akkadischen „Zinn" bedeutet, haben in jüngerer Zeit eine Fülle von Arbeiten im Anschluß an den grundlegenden Aufsatz von B. LANDSBERGER, T i n a n d L e a d , J N E S 2 4 , 1965, 2 8 5 - 2 9 6 , d e m d a s C A D f o l g t , m i t i m m e r

neuen Argumenten nachgewiesen. Ich nenne nur: G. BRUNET, La vision de l'etain; reinterpretation d'Amos VII 7-9, VT 16, 1966, 387-395; W. L. HOLLADAY, Once more, '"nak = ,tin\ Arnos VII 7-8, VT 20, 1970, 492-494; J. OUELLETTE, La mur d'etain dans

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Heiligtum.

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Vision des Arnos

247

offensichtlich um des Wortspiels mit willen gewählt wurde 9 ; aber dieses Lehnwort vertritt nur geläufigere Metalle in anderen Texten. So wird bekanntlich der Prophet Jeremia von Jahwe zu einer „ehernen M a u e r " gemacht (Jer 1,18; 15,20) und Ezechiel zu einer „eisernen M a u e r " (Ez 4,3). Das Bild der ehernen bzw. eisernen Stadtmauer symbolisiert nicht nur in den genannten prophetischen Belegen verläßlichen Schutz und unerschütterliche Sicherheit, sondern auch außerhalb der Bibel, besonders in ägyptischen Texten und in der klassischen Antike. So preist sich z. B. der Pharao des Exodus Israels, Ramses II.: „Wißt ihr nicht, daß ich eure Eisenmauer bin?", und der Vasallenkönig Abimilki von Tyros bezeichnet den Pharao, seinen Oberherrn, in deutlicher Kenntnis dieses Sprachgebrauchs als eine „eherne Mauer, für,mich' (?) errichtet" 1 0 . S. H E R R M A N N hat jüngst wahrscheinlich gemacht, d a ß der traditionsgeschichtliche Ursprung dieser Aussagen in Prädikationen des Sonnengottes lag, genauer: in Beschreibungen seiner idealen Stadt, d a ß sie also „ein Teilstück der Jenseitsvorstellungen" bildeten, bevor sie auf den ägyptischen König übertragen w u r d e n " . Angesichts der jahrhundertelangen Prägung und der weiten Verbreitung dieses Sprachgebrauchs ist sehr gut verständlich, daß Arnos auch in sprachlicher Abwandlung mit dem Verständnis seiner Leser rechnet. Nun aber steht Jahwe in der 3. Vision „auf der Mauer aus Zinn" wie in der 5. Vision „auf dem Altar". In seiner kleinen Monographie zur 3. Vision, die deren Deutung erheblich gefördert hat, hatte W . B E Y E R L I N vermutet, mit dieser Aussage solle die Schutzfunktion der Mauer noch verstärkt werden 1 2 . Arnos V I I , 7 - 9 , R B 80, 1973. 3 2 1 - 3 3 1 ; C. van LEEUWEN, Quelques problèmes de traduction d a n s les visions d ' A m o s chapitre 7, in: FS A. R. Hülst, Nijkerk 1977, 103— 112; G . BARTCZEK, a a O . [ A n m . 1] 119 (T.; H . GESE, K o m p o s i t i o n bei A r n o s , V T . S 32, 1981,

80 f ; J. H. HAYES, Arnos, Nashville 1988, 204 f.; W. BEYERLIN, Bleilot, Brecheisen oder was sonst? O B O 81, 1988; CHR. UHHI INGER, Der H e r r auf der Z i n n m a u e r . Z u r dritten ArnosVision (Am. VII 7 - 8 ) , BN 48, 1989, 8 9 - 1 0 4 ; V. FRITZ, A m o s b u c h , Amos-Schule und h i s t o r i s c h e r A r n o s , in: V. FRITZ

K . F. POHLMANN - H . - C . SCHMITT ( H r g . ) , P r o p h e t u n d

Prophetenbuch, F S O. Kaiser, BZAW 185, 1989, 30 f.; K. BALTZER, aaO. [Anm. 6] 11 f. D a m i t findet eine alte Vermutung A. CONDAMINS aus dem Jahr 1900 ( R B 9, 5 8 6 - 5 9 4 ) ihre Bestätigung. - Seltsamerweise hat sich diese Erkenntnis zu den neuesten deutschsprachigen W ö r t e r b ü c h e r n ( H A L und N e u a u f l a g e von GESENIUS) nicht herumgesprochen, in denen LANDSBERGER nicht einmal zitiert ist! '' Vgl. zuletzt überzeugend K. BALTZER [Anm. 6]. Sein Vorschlag findet sich ein erstes Mal bei F. PRAETORIUS, Bemerkungen zu Arnos, Z A W 35, 1915, 23; vgl. auch R . B. COOTE, Arnos a m o n g the Prophets, Philadelphia 1981, 92 f.; H . G. M . WILLIAMSON, T h e Prophet and the P l u m b Line, O T S 26, 1990, 117 f., A n m . 69. 10 Vgl. J. OUELLETTE, a a O . [Anm. 8] 324 f., A n m . 2 2 - 2 3 . Vgl. die weiteren Belege schon bei A. ALT, Hic m u r u s aheneus esto, Z D M G 86, 1933, 3 3 - 4 8 , und zu den klassischen Belegen bes. H . GESE, a a O . [ A n m . 8] 80 f., A n m . 18. " S. H E R R M A N N , D i e H e r k u n f t d e r „ e h e r n e n M a u e r " , i n : M . OEMING - A .

GRAUPNER

(Hrg.), A T und christliche Verkündigung, F S A. H. J. G u n n e w e g , Stuttgart 1987, 3 4 4 - 3 5 2 ; 346. 12

W . B E Y E R L I N , a a O . [ A n m . 8] 4 6 f.

248

Das unzugängliche Heiligtum.

Zur letzten Vision des Arnos

Demgegenüber hat C H R . U E H L I N G E R sowohl mit semantischen als auch mit ikonographischen Vergleichen den Nachweis geführt, daß das „Stehen auf der M a u e r " ein vernichtendes, alle Sicherheit zugrunde richtendes Gotteshandeln erwarten lasse 13 . D a f ü r spricht nicht zuletzt, daß Jahwe ja schon das „Zinn in seiner H a n d " hält, das nach der göttlichen Deutung der Vision „mitten in mein Volk Israel hineingelegt werden" soll. Da hier Zinn vermutlich als pars pro toto für Waffen steht, wie häufig und mit besonderer Gründlichkeit von B E Y E R L I N wahrscheinlich gemacht worden ist, heißt das, d a ß Jahwe zum Krieger gegen Israel geworden ist; angesichts dessen ist jeglicher Versuch, Schutz zu gewinnen, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Dann aber ist der sprachliche Bezug zwischen der 3. und der 5. Vision deutlich. Ist Gottes Geduld mit seinem Volk am Ende, so daß er „nicht länger (schonend) an ihm vorübergehen k a n n " (7,8; 8,2), so ist damit gleicherweise der bevorstehende Zusammenbruch des Staates wie das Ende des Gottesverhältnisses angezeigt. Die „Mauer aus Zinn" symbolisiert jenen unerschütterlichen Schutz, den der Staat sich nicht selber vermitteln, sondern nur von G o t t empfangen kann; Jahwe als Krieger mit „Zinn in seiner H a n d " auf dieser Mauer stehend aber heißt nicht nur das Ende dieses Schutzes, sondern die Erfahrung der gleichen Macht, die bisher schützend am Werk war, in der Zerstörung. Analoges gilt für die 5. Vision. Für den gesamten Alten Orient war selbstverständlich, daß das Heiligtum als Zentrum der Gottesbeziehung jeden Volkes nicht von Menschen errichtet, sondern von G o t t gegründet war; man vergleiche im AT nur die Zionpsalmen. Jahwe „auf dem Altar stehend" bedeutet dann nicht nur das Ende dieser Gottesbeziehung, sondern das Ende allen menschlichen Lebens, das sich ja nur der Gottesbeziehung verdankt. Dem ist im folgenden näher nachzugehen. Die Trennung der beiden Aspekte (Staat und Gottesbeziehung) hat später die Tradenten der Amosworte stark beschäftigt. Ich erinnere nur daran, wie die Gliederung des Mittelteils des Amosbuches (Kap. 3 - 6 ) in den Überschriften 3,1 und 5,1 nach den Adressaten „die Israeliten" in Kap. 3 - 4 bzw. „das Haus Israel" in Kap. 5 - 6 erfolgt 1 4 , oder wie das in der 3. Vision angesagte Unheil „inmitten meines Volkes Israel" (7,8) in der angeschlossenen Erzählung 7,10-17 damit begründet wird, daß Arnos das Reden in Jahwes N a m e n „inmitten des Hauses Israel" untersagt wird (7,10.13) 15 . Vorgegeben aber war die sprachliche Unterscheidung zwischen Staat und Gottesvolk schon in den Visionen des Arnos.

13

14 15

C H R . UEHLINGER, a a O . [ A n m . 8] 9 4 f.

Vgl. den Beitrag zu „Arnos 3 - 6 " , o. S. 142 ff., bes. S. 149 f. Vgl. den Exkurs „Israel im Amosbuch" bei H. W. WOLFF [Anm. 4] 199 f.

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III. Ist das Bild der 5. Vision - Jahwe auf dem Altar stehend - somit in seiner bedrohlichen Bedeutung im Groben verständlich, so bedarf es doch zur präziseren Erfassung der näheren Explikation durch die Gottesrede. Freilich bleibt sie beim ersten Lesen in vieler Hinsicht unverständlich. Es erfolgt ein Schlag auf ein Säulenkapitell, ohne daß deutlich ist, wer schlägt 16 . Als primäre Wirkung des Schlages wird das Beben der Schwellen des Tempeltores genannt, dessen Sinn nicht sogleich einsichtig ist. Als Folge des Bebens der Schwellen wiederum erfolgt ein Töten mit dem Schwert, bevor zuletzt in großer Breite die Unmöglichkeit jeglicher Flucht ausgeführt wird. Offensichtlich liegt der Schlüssel zu dieser ungewöhnlichen Gedankenfolge in den erstgenannten Aussagen: dem Schlag auf das Kapitell und dem dadurch hervorgerufenen Beben der Schwellen. M a n hat diese Aussagen gemeinhin allerdings mißverstanden, indem man mit typisch westlicher Logik in Am 9,1 den Sturz des Tempelgebäudes beschrieben fand. „Der allgemeine Sinn ist klar: der Tempel Jahves (in Bethel) begräbt die zusammengeströmte Menge, die sich dort geborgen fühlt ..., unter seinen Trümmern." Schon WELLHAUSEN selbst, der so urteilt, hat jedoch der Phantasie seiner Nachfolger einen Riegel vorgeschoben, indem er darauf verweist, daß „der befohlene Modus der Zertrümmerung" im Dunkeln bleibe, da vom Beben der Türschwellen, nicht aber vom Bersten des Tempeldaches die Rede sei 17 . In der Tat ist vom Zusammenbrechen des Tempels mit keiner Silbe die Rede, während die folgenden Verse mit Schwert, Schlangenbiß etc. andersartige Weisen der Tötung beschreiben. Hinzu kommt, daß sich ohnehin nur die Priester im Tempel befinden würden, die Menge aber in seinen Vorhöfen stünde, wenn man nach den Maßstäben des Jerusalemer Tempels urteilen wollte. Der entscheidende Fehler dieser geläufigen Deutung liegt in der Deutung der Säule(n), auf die der göttliche Schlag erfolgt, mit der genannten Konsequenz, daß die Schwellen beben. „Der Schlag Jahwes gegen die Säulen auf den der Deckeneinsturz erfolgt, ist die Versinnbildlichung eines von Jahwe herbeigeführten Erdbebens." Wie R U D O L P H in diesem Zitat 1 8 , so verlieren auch die meisten anderen Kommentatoren kein Wort darüber, wo sie „die Säulen" vermuten und mit welcher Begründung sie das tun. Sie 16 Bleibt m a n beim MT, könnte nur der A u f t r a g an einen himmlischen Boten gemeint sein. Vielleicht ist der Imp. i n „schlage" aber a u s einem Inf. abs. r o n entstanden, wie m a n seit B. DUHM, A n m e r k u n g e n zu den zwölf Propheten, Gießen 1911, 16, oft vermutet hat, da das Folgewort wieder mit n beginnt. D a n n w ü r d e Jahwe wie im folgenden sein eigenes H a n d e l n ankündigen. 17 J. WELLHAUSEN, Die kleinen Propheten, Berlin 3 1898, 94. 18

W . RUDOLPH, a a O . [ A n m . 2] 2 4 5 .

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rechnen offensichtlich mit tragenden Säulen im H a u p t r a u m des Tempels, wie sie weder für Jerusalem noch für Arad belegt sind, d. h. für die einzigen beiden zur Zeit des Arnos - literarisch bzw. archäologisch - bekannten Tempel 1 9 . F ü r beide Tempel ist vielmehr nur ein Säulenpaar am Tempeleingang belegt. Dabei ist es für unsere Fragestellung ohne Gewicht, ob es sich bei dem Jerusalemer Säulenpaar um freistehende Säulen handelte, wie m a n aufgrund ihrer Ausführung in Bronze und ihrer Eigennamen (1 K ö n 7 , 1 5 f f . ) gern angenommen hat, oder aber - wahrscheinlicher - um funktionale Säulen, die das Dach der Vorhalle trugen bzw. wie in Arad (str. X) wohl ein Vordach über dem Eingang 2 0 . Wesentlich ist allein, daß das Beben der Türschwellen vom Zerbersten der Säulen hervorgerufen wird, die den Eingang flankieren 2 1 . Die Aussagen der göttlichen Ankündigung sind ganz auf den Eingangsbereich des Tempels konzentriert. Was aber besagt das Beben der Türschwellen? Die Bedeutung der Türschwellen für den Tempel mußte einem antiken Leser nicht erst erklärt werden. Schon in Privathäusern Mesopotamiens wurden gelegentlich bronzene Figuren von Hunden unter die Türschwelle gelegt 22 , die die gleiche Wächterfunktion innehatten wie die abschreckenden Löwen vor den Tempeltoren, etwa in Alalach oder Hazor, oder die „schrecklichen Wildochsen" aus mit Gold und Edelsteinen überzogenem Kupfer bzw. die furchterregenden Schlangen, die Nebukadnezar II. „an den Schwellen des Tempeltores aufstellen ließ" 23 . Aus dem AT ist die Polemik Zefanjas gegen den fremdländischen Brauch, über die Schwelle des Königspalastes zu hüpfen, bekannt (Zef 1,9), wie er ebenso für den philistäischen Tempel in Asdod belegt ist. Ein hohes Priesteramt in Jerusalem wurde „Schwellenhüter" genannt (2 Kön 12,10; 22,4 u. ö.). In Mesopotamien gab es ein spezielles Ritual für das Einfügen der Tempelschwellen 24 , unter die auch oft die Gründungsinschriften des Tempels gelegt wurden 2 5 . Von diesen Belegen aus überrascht es nicht mehr, wenn die Torschwellen des Tempels schon im Sumerischen in gewissen Kontexten den Tempel als ganzen vertreten können: Sie „leuchten", wenn das Heiligtum in all seiner Pracht steht, sie „weinen", wenn ihm Schaden zugefügt wird. Allerdings ist auch in 19 Unter den architektonisch vergleichbaren syrisch-palästinischen Tempeln würde einzig der Migdal-Tempel in Sichern (aus der M B Ii-Zeit!) eine entfernte Stütze für diese A n n a h m e bilden. 20 So V. FRITZ, Tempel und Zelt, W M A N T 47, 1977, 14 f. 67 f. Vgl. die Diskussion der G r ü n d e bei H. WEIPPERT, Palästina in vorhellenistischer Zeit, München 1988, 465 f. 21 So mit Recht schon H. W. WOLFF [Anm. 4] z.St. 22 Vgl. z. B. V. E. CRAWFORD, Archaeology XII/2, 1959. 81 mit Taf. XVII. 21 Z. B. V A B IV 158, Kol. VI 28; vgl. C A D „ E " 63a. Weitere Belege bei A. SALONEN, Die Türen des alten Mesopotamien, A A S F B/124, Helsinki 1961, 65. 24 Vgl. R. S. ELLIS, Foundation Deposits in Ancient Mesopotamia, Yale Near Eastern Researches 2, 1968, 5.33.127.131. 25 Ebd. 94 ff.

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solchen Fällen fast durchweg der Eingangsbereich des Tempels im Blick. Die Schwellen sind in Gedeih und Verderb als erste betroffen: Sie „küssen die F ü ß e " dem willkommenen Besucher; wer sich wie Ischtar in der Unterwelt den Zutritt zum Heiligtum gewaltsam erzwingen will, der droht für den Fall, daß der Türhüter nicht öffnet: „I will smash the sippu and I will remove the doors" 2 6 . Der großen Bedeutung der Schwellen am Tempeltor ist für A m 9,1 m. W. bislang einzig J. OUELLETTE nachgegangen. Aus Belegen wie dem letztgenannten hat er geschlossen, die Erschütterung der Schwellen deute darauf hin, daß Jahwe sich auf diese Weise seinen Eingang in den Tempel erzwingen wolle, um die dort Schutz suchenden Israeliten eigenhändig zu strafen 2 7 . Aber diese Interpretation ist schon darum wenig einleuchtend, weil sich die Asylsuchenden nicht im Tempelgebäude aufhielten. Es gäbe zudem für eine solche Vorstellung auch nicht die geringste Spur einer Analogie im AT, für das Jahwe - zumindest in Südreichtexten - auf dem Zion wohnt, im Tempel thront, sich aber nicht den Zugang zu - seinem eigenen! - Wohnhaus erst erzwingen müßte. Aber OUELLETTE hat darin Recht, daß die Zuspitzung des Gedankenganges auf das Beben der Tempelschwellen etwas mit dem Zugang zum Tempel zu tun haben muß. N u r handelt es sich nicht um den Zugang Jahwes, sondern um denjenigen der Israeliten.

IV. Die einzige alttestamentliche Parallele zum Beben der Schwellen des Tempeltores bietet die berühmte Vision Jesajas in Jes 6. Sie berührt sich nicht erst in V. 4, wo vom Beben der Tempelschwellen die Rede ist, sondern schon am Anfang in V. 1 bis in die einzelnen Formulierungen hinein so eng mit A m 9,1 2k , d a ß ein - wie auch immer gearteter - Zusammenhang zwischen beiden Texten bestehen muß. Offensichtlich hat Arnos mit seiner Vision traditionsbildend gewirkt 2 9 , wie das im Fall seines Einflusses auf die Visionsberichte des Jeremiabuches noch evidenter nachweisbar ist 30 . Was in 26 27

2S

B e l e g e bei A . SALONKN, a a O . [ A n m . 23] 6 4 f. J. OUELLETTE, a a O . [ A n m . 1] 2 4 . 2 6 .

Jeweils findet sich a) ein erzählendes ns~i in 1. Pers. zu Beginn mit b) G o t t als Objekt, und zwar unter Vermeidung des Eigennamens in der Bezeichnung '11K, c) seine Tätigkeit im Partizip formuliert, d) die Ortsbestimmung mit "7J7 angeschlossen. 29 Vgl. schon R. FEY, Arnos und Jesaja, W M A N T 12, 1963, 109 f. Die umgekehrte Möglichkeit, A m 9,1 von Jes 6 her zu deuten, führt G. BARTCZEK [Anm. 1] 89 f. zu der wenig überzeugenden Annahme, A m 9,1 sei aus drei literarischen Schichten zusammengesetzt. „ D a m i t ist der Visionsbericht als solcher liquidiert": eine merkwürdige Erfolgsmeldung einer Exegese! 30 Vgl. W. BEYERLIN, Reflexe der Amosvisionen im Jeremiabuch, O B O 93, 1989.

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Vision des Amos

A m 9,1 nur angedeutet ist, wird in Jes 6 unter Rückgriff auf typische Jerusalemer Ziontheologie 3 1 in aller Deutlichkeit ausgesprochen. Der vom Propheten geschaute „ H e r r " ('HN in Jes 6,1 wie A m 9,1) ist der Weltenkönig, und sein Heiligtum auf dem Zion besitzt kosmische Dimensionen. Der Streit der älteren Ausleger, ob in Jes 6 der irdische oder der himmlische Tempel gemeint sei, ist definitiv entschieden zugunsten der Auffassung, daß diese Alternative künstlich und unsachgemäß ist 32 . Vielmehr werden das Auge des Propheten in der Vision und dasjenige des Lesers im Text ständig zwischen himmlischem (Thron Gottes, Gesang der Seraphen) und irdischem Tempel (Gewandsaum des Himmelskönigs; Beben der Torschwellen; Entsühnung des Propheten) hin und hergeführt, weil es sich nicht um zwei verschiedene heilige Orte handelt, sondern um Dimensionen des einen Wohnortes Gottes, dem die himmlische Gemeinde zusammen mit der irdischen zujubelt. Aus diesem G r u n d heißen die Tempeltore in Ps 24,7.9 „Tore der Ewigkeit": Sie gehören wie der gesamte Tempel zur Welt Gottes und haben Anteil an deren Heiligkeit und unerschütterlichen Festigkeit. Von ihr abgeleitet, besitzt auch die Erde insgesamt von niemand zu gefährdende Festigkeit („sie kann nicht wanken"), die allein darauf beruht, d a ß Gottes Thron für ewig fest steht und nicht nur im Himmel, sondern zugleich inmitten Israels auf dem Zion errichtet ist (vgl. P s 9 3 , l f. mit V. 5) 33 . Wo aber die Schwellen der Tempeltore beben und mit ihnen die Türzapfen, die seitlich in Vertiefungen der Schwellen aufsitzen 3 4 , erschüttert werden, wie Jes 6,4 gegenüber A m 9,1 präzisiert, verlieren die Tempeltore ihre himmlische Qualität und mit ihnen der Tempel insgesamt. Darüber hinaus hat Jes 6,4 mit Am 9,1 gemein, daß die Außerkraftsetzung der heilvollen Funktionen des Tempels nicht etwa mit der Abwesenheit Gottes begründet wird wie z. B. in der berühmten Klage über die Zerstörung des Heiligtums von Ur 3 5 , sondern vielmehr gerade mit seiner machtvollen Präsenz. In Jes 6,4 füllt sich unter dem Beben der Torschwellen das Tempel-Innere mit Rauch. Damit wird, wie längst erkannt ist, ein Element vorgeprägter Theophanieschilderungen aufgegriffen, das auch andernorts (etwa Ps 18,8 f.) parallel zum Beben auftritt; in der Tradition ist es allerdings die Erde oder sind es die Berge, die beben, wenn Jahwe 31 Vgl. etwa W. H. SCHMIDT, Jerusalemer El-Tradition bei Jesaja, Z R G G 16, 1964, 302-313; O. H . STECK, Friedensvorstellungen im alten Jerusalem, ThSt (B) 111, 1972, passim. 32 Vgl. bes. M. METZGER, Himmlische und irdische Wohnstatt Jahwes, U F 2, 1970. 139-158. 13 Vgl. zum Vorstellungszusammenhang J. JEREMIAS, D a s Königtum Gottes in den Psalmen, F R L A N T 141, 1987, 14 ff. 34

35

V g l . e t w a K . G A L L I N G - H . RÖSEL, B R L 2 3 4 8 f.

Vgl. etwa W. BEYERLIN (Hrg.), Religionsgeschichtliches Textbuch zum AT, A T D . E 1, 1975, 140 ff, bes. 142.

Das unzugängliche

Heiligtum.

Zur letzten

253

Vision des Arnos

erscheint, um gegen seine Feinde einzugreifen 3 6 . Diese Feinde aber sind f ü r den Propheten - eine k ü h n e N e u v e r w e n d u n g der Tradition - die Israeliten selber! Jes 6,4 zeigt damit einerseits, d a ß das gesamte Gottesvolk gerichtsreif ist und Jahwe zum Eingreifen gegen es schreitet, zum anderen, d a ß der Tempel aufgehört hat, ein Ort der Festigkeit, d. h. des Schutzes und des heilvollen G o t t e s k o n t a k t e s zu sein. In A m 9,1 steht Jahwe, der „nicht länger an ihm (d. h. Israel) vorübergehen k a n n " (7,8; 8,2), „auf dem A l t a r " , der sich im Vorhof des Heiligtums b e f a n d . D a m i t hört dieser Altar nicht nur auf. Ort des Opfers f ü r Jahwe und d a m i t des G o t t e s k o n t a k t e s zu sein, sondern vor allem Ort des schützenden Asyls 3 7 , ergreifen doch Asylsuchende im A T „die H ö r n e r des Altars", u m vor d e m Bluträcher in Sicherheit zu sein. So jedenfalls ist A m 9,1 von den erheblich jüngeren, kommentierenden Versen A m 3,13 f. verstanden worden 3 8 , nach denen die H ö r n e r des Altars von Bet-El abgeschlagen werden. H ö r t aber der Tempel auf, Asylstätte zu sein, gelten alle Israeliten als Mörder, die bekanntlich vom Asyl ausgeschlossen waren (vgl. Ex 21,14 u. ö.). N o c h weiter in der D e u t u n g der Vision geht der abschließende H y m n u s in 9,5 f., der a m ehesten mit F. HoRST 39 als „Gerichtsdoxologie" zu deuten und aus dem G e b r a u c h des A m o s b u c h e s in exilischer Zeit herzuleiten ist. Er stellt das „Schwanken der E r d e " durch G o t t e s B e r ü h r u n g (V. 5) in einen Kontrast zur „ G r ü n d u n g " des H i m m e l s als seiner W o h n u n g (V. 6). D a z u nutzt V. 6 mit "TO1 ein Verb, das üblicherweise die G r ü n d u n g des Tempels bzw. des Zion und d a n n die G r ü n d u n g der Erde bezeichnet 4 0 . Er bringt d a m i t zum Ausdruck, d a ß die Unzugänglichkeit des Tempels eine G e f ä h r d u n g der gesamten Erde h e r a u f f ü h r t , die ihre Festigkeit j a nur der Festigkeit des Wohnortes Jahwes verdankt, d a ß aber zugleich die Erde nicht dem Weltenkönig entgleiten kann, der seine H i m m e l s w o h n u n g „über der Erde gegründet" hat. Wo er selbst die Erde „schwanken" läßt, ist sie allerdings ohne sein erneutes Eingreifen verloren. D e r Altar, „auf dem Jahwe steht", u n d der Tempel, „dessen Schwellen beben", sind in A m 9,1 d a m i t weit m e h r als Stätte des Opfers, des Asyls, der 16

Z u m T r a d i t i o n s z u s a m m e n h a n g v g l . J. JEREMIAS, T h e o p h a n i e , W M A N T

10,

2

1977,

passim (173 f. zu Jes 6,4) und speziell zu Jes 6 bes. O. H. STECK, aaO. [Anm. 7] 195, A n m . 2 2 , s o w i e H . WILDBERGER, B K X / l , u n d O . KAISER, A T D 1 7 5 z . S t . 17

38

S o m i t R e c h t J. OUELLETTE, a a O . [ A n m . 1] 2 6 .

D a ß nicht nur - wie häufig angenommen - A m 3,14b, sondern 3,13 f. insgesamt dem Amosbuch erst spät zugewachsen ist, habe ich im folgenden Beitrag („Jakob im Amosbuch") und in meinem A m o s k o m m e n t a r ( A T D 24/2) z.St. nachzuweisen versucht; vgl. zuvor S. MITTMANN, Arnos 3,12-15 und das Bett der Samarier, Z D P V 92, 1976, 149— 167; 150-152 sowie R. F. MELUGIN, The Formation of Amos; An Analysis of Exegetical Method, SBL 1978 Seminar Papers Vol. I, 1979, 369-391; 382. 39 F. HORST, Die Doxologien im Amosbuch, ZAW 47, 1929, 4 5 - 5 4 (= DERS., Gottes Recht, T B 12, 1961, 155-166). 40 Vgl. W. H. SCHMIDT, T H A T I, 736-738; R . Mosis, T h W A T III, 668-682.

254

Das unzugängliche

Heiligtum.

Zur letzten

Vision des

Amos

A n r u f u n g Gottes. Der Tempel ist der Ort, wo der Unterschied zwischen himmlischer und irdischer Welt aufgehoben ist, wo G o t t als „Herr (der ganzen Erde)" (Ps 97,5; Sach 4,14; 6,5 u. ö.; vgl. Ps 114,7) bzw. als „Herr (aller Herren)" (Ps 136,3) wohnend und thronend anwesend ist, wo damit der Ursprung aller Ordnung der Welt zu finden ist und alle Mächte, die diese Ordnung gefährden wollen, von G o t t als seine Feinde besiegt werden. N u r ist eben jetzt das Gottesvolk selber, indem es „Recht und Gerechtigkeit" zu Boden stößt (Am 5,7; 6,12), zu diesem Feind Gottes geworden. Damit aber hört der Tempel auf, Ort der Erfahrung der Stabilität der Weltordnung zu sein. Wo die Psalmen mit dem Schwanken der Erde das über die Menschheit hereinbrechende Chaos beschreiben (z. B. Ps 82,5; 75,4; 46,3.6), da stellt ein Arnos, dem Jesaja folgt, mit dem Beben der Schwellen des Tempeltores gerade die Gegenwart des richtenden Jahwe als Feind dar, vor dem es keine Zuflucht gibt.

V. Wenn Jahwe Israel die Möglichkeit des Asyls nimmt, ist es schutzlos seinem Feind preisgegeben; seit der 3. Vision ist deutlich, d a ß Jahwe selber dieser Feind ist. Wenn Jahwe die Schwellen des Tempeltores zum Beben bringt, ist die Sicherheit der Welt aufgehoben; die Weltordnung ist zerrüttet. Beide Aspekte des „Endes Israels" (8,2) führen die folgenden Sätze (Am 9,lb-4) aus, auf die hier nur in äußerster Kürze eingegangen werden kann. Jahwe als Feind Israels beherrscht den Gedankengang, repräsentiert von seinem Schwert, das in einer Inklusion A n f a n g und Ende der Aussagen prägt. Wird es anfangs von Jahwe als Instrument gehandhabt (V. la), so hat es sich am Ende zu einem selbständigen Werkzeug entwickelt, dem Jahwe wie einem Boten Befehl gibt (V. 4). Das „Töten" noch der letzten Überlebenden ist hier wie dort sein Auftrag 4 1 ; ein menschlicher Feind kommt nirgends in den Blick. Vor dem göttlichen Schwert aber ist jegliche Flucht undenkbar. Dieser Gedanke wird in V. l b thetisch dargelegt: Kein F l i e h e n d e r u n t e r ihnen k a n n fliehen, kein E n t r i n n e n d e r u n t e r i h n e n e n t r i n n e n .

41 Wie das vorgängige Sterben in 9,1 gedacht ist, bleibt aufgrund eines Textfehlers unklar. Liegt dieser im Substantiv, d a n n kommen „sie alle" wohl unmittelbar „im Beben" um: TFSN statt U>N"l, so viele Autoren seit P. VOLZ, T h L Z 25, 1900, 291; das Verb ist d a n n am ehesten mit W. RUDOLPH [Anm. 2] z.St. als ptc. pass. zu vokalisieren; liegt der Fehler im Verb, dann wird nicht wie im M T „(der Lebensfaden) abgeschnitten", sondern ein Schlag (?) trifft „sie alle auf den K o p f ' . In beiden Fällen ist eine ungesicherte Konjektur erforderlich.

Das unzugängliche

Heiligtum.

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Vision des

Amos

255

bevor V. 2 - 4 ihn in der Stilform einer Priamel in der ein festliegender Sachverhalt in einer Reihe von syntaktisch analog formulierten Beispielen erläutert wird, durchführen. Es ist nun freilich keineswegs zufällig, d a ß diese Durchführung bis in kosmische Dimensionen ausgreift, weil der künftig unzugängliche Tempel eben kosmische Dimensionen besitzt. Das gilt ganz unabhängig davon, ob man der gelegentlich ausgesprochenen Vermutung zuneigt, daß die Priamel Wachstumsspuren zeige, etwa weil V. 2 in kürzerem Rhythmus der Doppelzweier formuliert ist, V. 3 f. dagegen über dreitaktigen Rhythmus bis zum Doppelvierer voranschreitet, oder weil der spätnachexilische Ps 139 auf Am 9 eingewirkt habe 4 3 . Eher freilich wird m a n den Rhythmuswechsel für ein absichtlich steigerndes Stilmittel halten und mit dem umgekehrten Einfluß von A m 9 auf Ps 139 rechnen müssen 4 4 , so gewiß es prinzipiell denkbar ist, daß die Priamel Psalmensprache aufgreift; die bekannte enge Parallele des El-Amarnabriefes Nr. 264 zu A m 9,2 könnte ein Indiz dafür sein 45 . Zudem gilt es, einen auffälligen Sachverhalt wahrzunehmen, den im Gefolge von A. W E I S E R und H . W . W O L F F insbesondere H . G E S E 4 6 beobachtet hat: d a ß die Priamel in 9 , 2 - 4 ebenso bewußt fünfgliedrig gestaltet ist wie die analoge Stilfigur in 2,14-16 4 7 und im Großen die Visionsberichte sowie schließlich die Völkersprüche in ihrer ursprünglichen Gestalt. Da auch eine Fülle anderer Beobachtungen darauf hinweist, d a ß Völkersprüche und Visionsberichte aufeinander zu komponiert sind, um vom Leser miteinander und aufeinander bezogen aufgenommen zu werden 4 8 , ist ein literarischer Eingriff in dieses hervorstechende Kompositionsmerkmal ohne zwingende G r ü n d e besonders heikel. M. E. ist in all den genannten Fällen ein literarisches Stadium vor der Fünfer-Struktur nicht zu rekonstruieren. 42

W. H. SCHMIDT, T h L Z 96, 1971, 184. In älterer Zeit etwa M. LÖHR, Untersuchungen zum Buch Arnos, B Z A W 4 , 1901, 14; J. MORGENSTERN [Anm. 1] 109 f f ; in jüngerer Zeit H. F. FUHS, Sehen und Schauen. Die Wurzel hzh im Alten Orient und im Alten Testament, fzb 32, 1978, und bes. P. WEIMAR, Der Schluß des Amos-Buches, BN 16, 1981, 6 0 - 1 0 0 ; 66. Wenn zuletzt WASCHKE, aaO. [Anm. 1], die fünfte Vision als ganze A m o s aberkennt, so kann er das nur, weil er weder die zuvor behandelten traditionsgeschichtlichen Wurzeln der Vision beachtet noch ihre Auslegung in 9 , 8 - 1 0 und in 3,13 f. 44 Bes. gilt das für Ps 139,7 f.; vgl. etwa A. DF.ISSLER, Die Psalmen, III. Teil, Düsseldorf 43

1965,

192.

45

„Wenn wir hinaufsteigen zum Himmel, wenn wir hinabsteigen zur Erde, so ist unser H a u p t in deinen H ä n d e n " . J. A. KNUDTZ.ON (Hrg.), Die EL-Amarna-Tafeln I, Leipzig 1 9 1 5 , 8 2 6 f. V g l . W . BEYERLIN a a O . [ A n m . 8] 4 4 , A n m . 46

78.

H. GESE, aaO. [Anm. 8] 84.95; vgl. A. WEISER, Die Profetie des Amos, B Z A W 53,

1 9 2 9 , 6 3 f. 9 7 f.; H . W . W O L F F [ A n m . 4 ] 3 8 8 . 47

Wo die Satzglieder V. 14 und 15aß seit B. DUHM, aaO. [Anm. 16] 4 und H. GRESSMANN, Die älteste Geschichtsschreibung und Prophetie Israels, SAT I I / l , 2 1921, 335, längst als N a c h t r a g e r k a n n t sind. 48 Vgl. den Beitrag „Völkersprüche und Visionsberichte im A m o s b u c h " , o. S. 157 ff.

256

Das unzugängliche Heiligtum. Zur letzten Vision des Amos

Wie dem auch sei: Unabhängig von dieser literarkritischen Frage bleibt der universale Horizont der Aussagen in V. 2 - 4 bemerkenswert und bedarf der Erklärung 49 . M. E. kann eine solche Erklärung nur von der universalen Dimension des nunmehr außer Kraft gesetzten Heiligtums her gegeben werden. Die schon genannte exilische Deutung in V. 5 f. bestätigt diese Vermutung. „Das Böse", das Jahwe über Israel bringt (V. 4b), ist weit mehr als sein staatlicher Untergang (V. 4a); es ist eine gott-lose und damit heillose Welt. Sprechen diese Merkmale dann aber nicht doch dafür, daß der Prophet den Tempel zu Jerusalem im Blick hat? Aber wie sollte er dann gerade ins Nordreich gegangen sein und dort verkündet haben? Sowohl die schon genannte Deutung der 5. Vision in Am 3,13 f. sucht den Ort der 5. Vision in Bet-El als auch die Erzählung in Am 7,10-17, die die Tradenten des Arnos am ehesten dazu in den Visionenzyklus gestellt haben, um zu begründen, warum Jahwes Bereitschaft zur Unheilsrücknahme auf die prophetische Fürbitte hin nach der 2. Vision enden mußte. Dann aber ist damit zu rechnen, daß am Heiligtum von Bet-El prinzipiell vergleichbare Vorstellungen wie in Jerusalem zu Hause waren - die „Himmelsleiter" von Gen 28,10 ff. ist ebenso Indiz für den kosmischen Anspruch Bet-Els wie indirekt auch die Polemik Hoseas in Hos 10,5 - , und Arnos insofern ihm vertraute Jerusalemer Vorstellungen auf Bet-El übertragen konnte. Im Vergleich mit Jes 6 muß ohnehin auffallen, daß Arnos vor Nordreich-Lesern typische Begrifflichkeit der Jerusalemer Ziontradition vermeidet. Die jüngeren Tradenten des Buches, die ihm das „Motto" Am 1,2 voranstellten, sprachen vor ihren judäischen Lesern viel unbeschwerter vom Zion als Ausgangsort des Eingreifens Jahwes. So wird gerade bei der 5. Vision deutlich, wieviel näher Arnos traditionsgeschichtlich dem Jerusalemer Jesaja steht als dem Nordreichspropheten Hosea.

49 Von daher ist es konsequent, wenn I. W I L L I - P L E I N , Vorformen der Schriftexegese innerhalb des AT, BZAW 123, 1971, 52 f., V. 2 - 4 insgesamt Arnos abspricht, weil „Bilder derart kosmischen Umfanges" zur Zeit des Arnos noch nicht denkbar seien. Aber woher weiß sie das so genau, wenn sie doch Jes 6 nicht Jesaja abspricht?

17. Jakob im Amosbuch Der Name der drei alttestamentlichen Erzväter spielt in der Prophetie des AT eine höchst ungleichgewichtige Rolle. Abraham ist in ihr erst seit dem Exil - erstmalig bei Deuterojesaja - erwähnt, Isaak begegnet außerhalb einer Aufreihung der Erzväter (Jer 33,26) als eigenständiger Name einzig im Amosbuch, Jakob dagegen ist in den Prophetenbüchern von Anbeginn bis in die Spätzeit breit und in verschiedensten Zusammenhängen erwähnt. Die ungleichgewichtige Behandlung der Erzväter wirft mancherlei Fragen auf. Das gilt am wenigsten für Abraham. Da sich in der prophetischen Überlieferung mit seiner Gestalt ausschließlich seelsorgerlich-tröstende bzw. vergewissernde Zusagen Gottes verbinden1, sind die Bezugnahmen auf ihn in den jüngeren Texten leicht verständlich, und man kann allenfalls spekulieren, ob das totale Fehlen Abrahams in der vorexilischen Prophetie mit der Auswahl der prophetischen Überlieferung zu erklären ist, oder m. E. weniger wahrscheinlich - ob Abraham ihr aufgrund der jüngeren Überlieferungsbildung als Erzvater noch gänzlich unbekannt war. Dagegen ist die singulare Erwähnung Isaaks in Am 7 (V. 9 und 16) nach wie vor nicht voll verständlich2 und aufgrund des begrenzten Textmaterials auch schwerlich abschließend aufhellbar. Der dringlichsten Klärung aber bedarf die vielfaltige und facettenreiche Verwendung des Namens Jakobs in der Prophetie3. Für sie ist das Buch Arnos insofern ein geeignetes Beispiel, als sich in ihm an Hand der je verschiedenen Nuancen dieses Gebrauchs das Wachstum der Überlieferung widerspiegelt. Anscheinend hat man im Laufe der Geschichte der Prophetie mit dem Namen Jakob verschiedene Bedeutungsaspekte verbunden. Die sechs Belege für den Namen Jakob im Amosbuch lassen sich paarweise ordnen. Der Name allein begegnet in 7,2 und 5; der mehrdeutige, schillernde Begriff apS?' pfU „Hoheit/Hochmut Jakobs" in 6,8 und 8,7 und schließlich „Haus Jakob" in 3,13 und 9,8. Dieser Sachverhalt hat den Vor1 Vgl. bes. CHR. JEREMIAS, Die Erzväter in der Verkündigung der Propheten, FS W. Zimmerli, Göttingen 1977, 206-222. 2 Das gilt auch nach A. VAN SELMS, Isaac in Arnos, OTWSA.P 1964-65, 157-165; vgl. A T D 24/2 z. St. 3 Vgl. die gründliche Diskussion der Belege und Sekundärliteratur (bis 1981) bei H.-J.

ZOBEL, T h W A T III, 7 5 2 - 7 7 7 ; bes. 7 7 0 ff.

258

Jakob im Amosbuch

teil, daß sich durch den jeweiligen Parallelbeleg eine Kontrollinstanz für die vorgeschlagene Interpretation ergibt und letztere auf diese Weise einen relativ höheren Grad der Sicherheit erhält.

I. Der „kleine" Jakob Wenden wir uns als erstes dem absoluten Gebrauch von „Jakob" in den beiden ersten Visionen des Arnos zu, da sie mit der relativ höchsten Wahrscheinlichkeit auf Arnos selbst zurückzuführen sind. Für die Interpretation der Visionen ist m. E. entscheidend, daß ihre bis in die Einzelheiten reichende genaue paarweise Anordnung (mit der fünften Vision als Höhepunkt) es verbietet, die Visionen je für sich separat auszulegen. Zwar hat Arnos, wie die jeweiligen Eingangssätze der Visionsberichte belegen, die Visionen zu unterschiedlichen Zeiten, d. h. nacheinander empfangen. Aber um der methodischen Klarheit willen ist entschieden zwischen dem Empfang der Visionen als Erlebnis und ihrer schriftlichen Niederlegung zu unterscheiden. So gewiß die Visionen im Erlebnis des Propheten selber je ihre Eigenbedeutung besessen haben, die den Propheten zu bestimmten Reaktionen herausforderte, so hebt doch die schriftliche Fassung der Visionen gerade nicht eine solche Eigenbedeutung hervor; vielmehr bindet sie die Visionen durch die paarweise Anordnung so aneinander, daß dem Leser eine erste Erkenntnis des Propheten doppelt eingeschärft wird (Visionen 1-2), die in scharfem Kontrast zu der andersartigen Erkenntnis des zweiten Visionenpaares steht, die wiederum doppelt dargelegt wird, bevor die fünfte Vision die Konsequenz dieser Erkenntnis zieht. Die Visionenniederschrift will also einen Weg des Propheten belegen, den er von Jahwe geführt wurde und der erst mit der fünften und letzten Vision im Vollsinne abgeschritten ist; jedes Stadium dieses Weges gewinnt seinen Sinn erst vom Ende des Weges her 4 . Für die erste und zweite Vision, in denen der Name „Jakob" begegnet, bedeutet dies, daß beide Visionen 1) in ihrer gegenseitigem Bezogenheit aufeinander und 2) im Kontrast zum zweiten Visionenpaar gelesen werden wollen. Unter dem ersten Aspekt ist die deutliche Steigerung von der ersten zur zweiten Vision hervorzuheben. Zwar laufen beide Visionen insofern genau parallel, als Arnos jeweils ein grauenhaftes Unheil, das Jahwe vorbereitet, gezeigt erhält, das Israels Existenz bedroht, es Arnos aber aufgrund spontaner Einsprache und Fürbitte jeweils gelingt, Jahwe die Rücknahme des Geplanten abzuringen. Aber in allen Gliedern der Szenen, aus denen die ersten Visionen bestehen, ist eine Steigerung zu beobachten: 4 Genaueres dazu im Beitrag „Völkersprüche und Visionsberichte im Amosbuch", o. S. 157 ff.

Jakob im Amosbuch

259

a) Das Geschaute umfaßt in beiden Fällen eine Naturkatastrophe, die alles Wachstum „frißt"; sie nimmt aber in der zweiten Vision kosmische Ausmaße an; b) Arnos führt die visionär erkannte Not auf Israels Schuld zurück, wagt aber nur in der ersten Vision, um Vergebung zu bitten, in der zweiten nicht mehr; c) der Willenswandel Gottes, der ihn auf die Fürsprache des Propheten hin zur Zurücknahme des Unheilsplanes führt 5 , wird in der zweiten Vision mit einem DJ „auch" verschärft, das drohenden Sinn erhält („selbst dies soll nicht geschehen"). Von den späteren Visionen her rückwärts gelesen, besagt diese Verschärfung, daß sich das Ende der göttlichen Geduld (7,8; 8,2) schon verborgen ankündigt. Gleich bleibt dagegen der Argumentationsgang des Arnos, mit dem er die Bitte um Rücknahme des geschauten Unheils bekräftigt. In beiden Visionen verweist er zur Unterstützung seiner Bitte nicht auf Qualitäten Israels oder sein früheres Wohlverhalten, auch nicht auf seine Möglichkeiten zur Besserung, sondern allein auf seine Hilflosigkeit und Angewiesenheit auf Gott. Wie kann Jakob bestehen? Er ist d o c h so klein!

gilt schon für die geschaute Heuschreckennot, allemal aber für die kosmische Katastrophe. Der „kleine Jakob" würde nicht überleben können. „Klein" birgt generell die Nuance des Schwachen und Geringen in sich wie etwa in Prv 30,14 oder in 1 Sam 15,17. Man kommt mit dieser Erklärung aus; wahrscheinlicher aber erscheint mir, daß bei dem Begriff „klein" Aussagen wie beispielsweise Gen 27,15.42 im Blick sind, wo Rebekka von Jakob als ihrem „kleinsten", d. h. jüngsten Sohn spricht, wie er nach 1 Sam 16,11; 17,14 noch nicht zum Opfer und noch nicht zum Kampf mitgenommen wird, sondern die Schafe hüten muß. Gen 48,19 zeigt die Überraschung der Umstehenden, wenn der „kleinere", d. h. jüngere Bruder mächtiger werden soll als der „größere", d. h. ältere Bruder; es geht in solchen Zusammenhängen bei „klein" und „groß" stets um erheblich mehr als um geringeres oder höheres Lebensalter, nämlich um Stellung, Macht und Ansehen. Demnach zielt die Charakterisierung Jakobs als „klein" auf das fast dem gesamten Alten Testament geläufige Thema der „Erwählung des Geringen" 6 , wie es später seinen klassischen Ausdruck in Dtn 7,7 f. in sehr ähnlicher Terminologie („nicht weil ihr zahlreich ..., sondern weil ihr wenige gewesen seid ...") fand. Für Arnos scheint also der Begriff „Jakob" für das bedrohte Gottesvolk primär deshalb gewählt zu sein, weil sich mit ihm die Assoziation „klein" verbindet, in der die völlige Angewiesenheit des für sich hilflosen Volkes auf Gott und zugleich Gottes Bindung an das hilfsbedürftige Volk zum Ausdruck kommt 7 . 5

Vgl. dazu J. JEREMIAS, Die Reue Gottes, BSt 65, Neukirchen-Vluyn 1975 ( 2 1996), 40 ff. Belege im gleichnamigen Aufsatz von O. BÄCHLI, ThLZ 22, 1966, 385-395. 7 Einen analogen Akzent setzt A m 2,9: Die Amoriter, „die hoch waren wie Zedern und stark wie Eichen", konnte nur Jahwe für Israel besiegen. 6

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Jakob im Amosbuch

Eine zweite, tiefer reichende Beobachtung ergibt sich aus dem Vergleich der beiden Visionenpaare miteinander. Wo nämlich die beiden ersten Visionen „Jakob" sagen und mit dem Hinweis des Propheten auf Jakobs Angewiesenheit auf Gott dessen Willenswandel erreichen, dort konstatieren die dritte und vierte Vision das Ende der göttlichen Geduld und damit das Ende seiner Bereitschaft, die geplante und - wie die Bitte des Arnos um Vergebung impliziert - wohlbegründete Strafe von Israel fernzuhalten: Ich kann nicht nicht (schonend) an ihm vorübergehen 0? "1317).

ist die jeweilige Konsequenz (7,8; 8,2). An dieser Stelle fehlt die prophetische Fürbitte; der Prophet ist ganz auf die Seite des strafenden Jahwe getreten. Wo die Fürbitte aufhört, fällt auch der Name „Jakob" nicht mehr, der bei Arnos ganz in die prophetische Fürbitte gehört. Damit ist das „Ende" des Gottesvolkes gegeben (8,2), denn Jahwes „Hindurchschreiten durch" (213V 5,17) das Volk ist tödlich. Das Objekt der kommenden Vernichtung Gottes aber heißt nicht Jakob", sondern „mein Volk Israel" (7,8; 8,2). Das ist offensichtlich die präzisere und zugleich objektivere Bezeichnung, wie sie in der Negation („Nicht-mein-Volk") auch im Namen des jüngsten Hoseakindes verwendet wird; trotz oder gerade wegen des Possessivpronomens enthält sie weniger emotionale Potenz, als der Begriff „Jakob" markiert, negiert dafür aber um so unerbittlicher das Aufhören der Gott - Volk Beziehung, auf der Israels Existenz basiert. Die fünfte Vision zeigt in äußerster Zuspitzung, daß mit dem Ende der Gottesbeziehung auch der physische Tod jedes einzelnen Volksgliedes impliziert ist. Wenn es im Amosbuch keine weiteren Belege für diesen positiven Gebrauch des Jakob-Namens gibt, so hängt das vermutlich primär damit zusammen, daß sämtliche überlieferten Worte des Arnos den Erkenntnisweg schon voraussetzen, den Arnos von Gott geführt wurde und den die Visionenniederschrift belegen will. Das Gottesvolk, das seinem „Ende" entgegengeht, ist nicht mehr „Jakob"; wäre es noch „Jakob", könnte es der Bewahrung vor dem Äußersten gewiß sein8.

II. Die Hoheit und der Hochmut Jakobs Wie die beiden Erwähnungen des „kleinen" Jakob so gehören auch die beiden Belege für „die Hoheit/den Hochmut" bzw. „den Stolz" Jakobs (Am 6,8; 8,7) unlöslich zusammen, auch wenn sie im Amosbuch weit voneinander getrennt stehen und außerdem den bewußt schillernden Begriff 8 Um noch einmal die in der vorigen Anmerkung genannte Parallele zu bemühen: Die Macht Gottes, die das frühe Israel zu seinen Gunsten als Hilfe gegen überstarke Gegner und in der Landgabe erfahren hat (Am 2,9), richtet sich nun im Beben des Bodens und im vernichtenden Krieg gegen es selber (2,13-16).

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11X1 mit unterschiedlichen Nuancen verwenden. Die Bezogenheit beider Belege aufeinander erhellt aus der Tatsache, daß beide Erwähnungen des •pXJ Jakobs in Verbindung mit einer Gottesschwurformel (573$ nif.) begegnen, einer Sprachform, die in der vorexilischen Prophetie ungebräuchlich ist und nur noch ein einziges Mal, wiederum bei Arnos (4,2), bezeugt ist9. Um so auffälliger ist, daß die Verbindung zwischen Schwur Jahwes und "pKä Jakobs an beiden Stellen unterschiedlich vollzogen wird. Während Jahwe nach Am 6,8 angesichts des Jakobs bei seinem Leben schwört, schwört er nach Am 8,7 angesichts der Schuld Israels beim Jakobs. Dieser auffällige Sachverhalt ist angesichts der Tatsache, daß die Begrifflichkeit 3P3P fliC (nur noch Ps 47,5; Nah 2,3) der älteren Prophetie ebenso ungeläufig ist wie die Schwurformel als Einleitung der Gottesrede, wohl nur so zu erklären, daß eine der beiden Stellen die andere bewußt abwandelt. Leichter als 8,7 ist 6,8 zu deuten. Wenn Jahwe (wie in Jer 51,14) „bei seinem Leben" schwört, so ist das grundsätzlich gleichbedeutend mit einem Schwur „bei sich selbst" (Gen 22,16; Jes 45,23; Jer 22,5; 49,13), „bei seiner Rechten" (Jes 62,8), „bei seinem großen Namen" (Jer 44,26) oder „bei seiner Heiligkeit" (Am 4,2; Ps 89,36)10. In all diesen Formulierungen, die außer der letzten jünger als Arnos sind, wird gegenüber der reinen Zusage oder Ansage Gottes zum Ausdruck gebracht, daß Gottes Wort unwiderruflich ist oder, um mit Ps 110,4 zu reden, „es ihn nicht gereuen kann". Daß diese Thematik in der vorexilischen Prophetie nur und gerade bei Arnos begegnet, ist bei näherem Zusehen allerdings nicht zufällig, liegt doch auf der Unwiderruflichkeit des Gerichts der entscheidende Ton sowohl in den Visionsberichten („ich kann nicht mehr an ihm, d. h. Israel, vorübergehen" 7,8; 8,2) als auch in den Völkerworten, die auf die Israelstrophe zulaufen („... ich nehme es nicht zurück" 1,3; 2,6 u. ö.). Wo die Sprachform des Jahweschwurs wie im Amosbuch mit einer Strafansage verbunden ist, liegt notwendigerweise auf dem Anlaß, der Schuld-Ursache, wesentlicher Ton; die Schuld ist nicht vergebbar11. In Am 6,8 bringen außer dem Schwur selber auch die Verben diesen Sachverhalt zum Ausdruck: Jahwe „haßt" und „verabscheut", und zwar Jakobs "pKl und seine Paläste. Der pxa Jakobs ist also Ausdruck solcher unvergebbaren Schuld, und er gehört fest mit Samarias Palästen zusammen; er drückt sich in den Palästen aus, d. h. in Israels und speziell der Hauptstadt Samaria 9 Einziger möglicherweise vorexilischer (von vielen Autoren aber später datierter) Beleg in der Prophetie sonst ist Jes 14,24. Vgl. aber - ohne die Wurzel SDttf - Jes 22,14. - Die große Fülle der Belege spiegelt den dtr Sprachgebrauch wider, nach dem Jahwe den Vätern das Land zugeschworen hat. 10 Die spezielle Nuance des Schwurs „beim Leben" hat H. W. WOLFF, Dodekapropheton 2. Joel, Arnos, BK XIV/2, 3 1985, 326 f. unter Bezug auf altorientalische Schwurriten aufgedeckt. 11 Diesen Gedanken drückt explizit 1 Sam 3,14 mit Hilfe des Jahwe-Schwures aus.

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unerschütterlichem Sicherheitsgefühl (im überquellenden Luxus) 12 , wie es am Ende des Kapitels auf andere Weise neu V. 13 formuliert. Dieser Sprachgebrauch überrascht. So gewiß nämlich 11X1 ein in sich schillernder Begriff ist und etwa objektiv-positiv die Hoheit des Königs ebenso wie subjektiv-negativ die angemaßte Hoheit von Menschen bezeichnen kann, so scheint doch die Wendung DpS?' außerhalb des Amosbuches, auch wenn sie nur zweimal belegt ist 13 geprägten Sprachgebrauch widerzuspiegeln. In Ps 47,5 E r e r w ä h l t e uns u n s e r 1 4 E r b l a n d , d e n Stolz Jakobs, seines G e l i e b t e n

ist der yiXl Jakobs zunächst Israels Land und als solches Unterpfand der Erwählung. Aber damit ist der Begriff nur teilweise ausgeschöpft. Vorher (V. 3) und nachher (V. 6) ist vom universalen Königtum Gottes die Rede, das der Psalm besingt, und TliU sowie andere Substantive der Wurzel HXl gehören fest zum unmittelbaren Wortfeld dieses Königtums 1 5 . Jakobs Erwählung und dessen Unterpfand, das Land, sind also nach Ps 47 essentielle Merkmale dieses Königtums, um deretwillen die Völker dem Weltenkönig huldigen müssen (V. 2.10). - In dem schillernden und möglicherweise bewußt doppeldeutigen Vers Nah 2,3 J a h w e z e r b r a c h / s t e l l t wieder her d e n TiiU J a k o b s 1 6

ist offensichtlich ein ähnliches Verständnis vom Jakobs vorausgesetzt, wird doch in V. 3b zur Explikation der Aussage auf die Erfahrung der Verheerung des Landes und der Vernichtung von Weinreben Bezug genommen. Wie ist nun dieser Sprachgebrauch vom Land als „Hoheit Jakobs" im Vergleich mit dem Vorwurf gegen den „Hochmut Jakobs" in Am 6,8 zu beurteilen? Sind beide nur zufällig wortgleich, haben aber sonst nichts 12 M a n vergleiche, wie A m 3,11 die Paläste und Samarias TU „ K r a f t " in Parallele setzt. In Ezechiels Strafankündigungen werden fünfmal p s i und 15? in Verbindung gebracht, wobei Selbstvertrauen, Vertrauen auf fremde Mächte oder aber auch das als Stütze gedachte Heiligtum Ausdruck solcher frevelhafter „Stärke" sein können; vgl. D. KELLER-

MANN, T h W A T I, 8 8 4 . 11 Beide Belege gehören in die vorexilische Zeit. Für N a h 2,3 ist das unbestritten, für Ps 47 zumindest überaus wahrscheinlich; vgl. die neuere Literatur bei J. JEREMIAS, D a s Königtum Gottes in den Psalmen, F R L A N T 141, 1987, 68. 14 D a ß M T mit dieser Lesart gegenüber LXX, Pesch., Vg. („sein Erbteil") im Recht ist, zeigt die Tatsache, d a ß die Präposition V beim Verb " i m sonst stets denjenigen bezeichnet, dem eine Wahl zugute kommt (dativus commodi), nicht das Objekt der Wahl. Vom „ E r b l a n d " Jakobs ist auch Jes 58,14 die Rede. 15 Die wichtigsten Beispiele mögen genügen: niNJ ist Kleidung des Königs Jahwe (Ps 93,1); seine kriegerische m s j für Israel wird sichtbar, wenn er im Wagen über den Himmel fährt (Dtn 33,26; Ps 68,35); in seinem "piu wirft er seine Gegner nieder etc.; vgl.

D . KELLERMANN [ A n m . 12] 8 8 1 ff. u n d a u s f ü h r l i c h e r J. JEREMIAS, [ A n m . 13] 2 0 f. 1 0 2 f.

u. ö.

16

W.

RUDOLPH,

KAT XIII/3, 1975, 158 ff., hilft sich mit einer doppelten Übersetzung.

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miteinander zu tun? Das ist im Blick auf die zweite Amosstelle 8,7 wenig wahrscheinlich, derzufolge Jahwe angesichts übergroßer Schuld Israels „beim TINA Jakobs" schwört. Wenn H. W. W O L F F im Gefolge J. W E L L H A U SENS und K. B U D D E S d a f ü r plädiert, diese Aussage im Anschluß an 6,8 ironisch zu deuten („Jahwes Schwur gilt ebenso unabänderlich, wie die freche A n m a ß u n g Israels unverbesserlich erscheint") 1 7 , so spricht gegen diese sachlich sehr plausible Auffassung, wie W O L F F selber sieht, daß Jahwe im Amosbuch wie im gesamten Alten Testament sonst immer bei sich selber schwört. M u ß man deshalb aber d a n n eine sonst nicht belegte Gottesbezeichnung „Stolz Jakobs" annehmen 1 8 ? Eher sind doch wohl die zuvor genannten sprachlichen Assoziationen zum Königtum Jahwes in Anschlag zu bringen 1 9 ; danach würde Jahwe, wenn er bei der „Hoheit Jakobs" schwört, insofern bei sich selber schwören, als er auf Erfahrungen des Gottesvolkes mit seiner Weltlenkung zugunsten Israels verweist: So gewiß sich Jahwe in der Landgabe als König Israels und König der Welt erwies, so gewiß ist sein Wort gültig. Aber ganz befriedigen kann diese Deutung auch nicht, da sie zu wenig mit dem Kontext und mit A m 6,8 vermittelt ist. A m ehesten könnte ihre Kombination mit A m 6,8 die Intention des Wortes treffen, da ja seine Verbindung mit 6,8 sprachlich überaus eng ist, wie wir sahen. D a n n würde im Begriff „Stolz Jakobs" von 8,7 beides zum Ausdruck kommen: Die wahre „Hoheit Jakobs", die der Weltenkönig für sein Volk hätte sein können, hat dem angemaßten „ H o c h m u t Jakobs" Platz gemacht, der in Gestalt von trügerischer militärischen Sicherheit an seine Stelle getreten ist 20 . Ein derartiges Sprachspiel ist in der primären Amosüberlieferung, wenn ich recht sehe, nicht belegt 21 , d a f ü r sind Sprachspiele ähnlicher Art häufig in der Hoseaüberlieferung. Ich erinnere nur daran, wie die Priester „ihre Ehre" (DTQ3) zu Schanden machen, indem sie an Zahl zunehmen (D31D Hos 4,7), oder wie die Einwohner der Hauptstadt über der Pracht des Stierbildes den kultischen Jubel erklingen lassen (^"U), weil er in die Verbannung m u ß (n^l 10,5). Wollte man diese Beispiele als Analogie nicht anerkennen, da sie Wortspiele enthalten, die auf dem Gleichklang unterschiedlicher Wörter beruhen, so wäre an Hos 7 , 3 - 7 zu erinnern, wo das Bild des Bäckers (HDN) für die revolutionäre Leidenschaft (^N) gebraucht wird und suffigierte For17

18

V g l . WOLFF, [ A n m . 10] 3 7 7 .

So zuletzt J. A. SOGGIN, T h e Prophet Arnos, L o n d o n 1987, 135. K. KOCH und Mitarbeiter, Arnos, A O A T 30, Teil II, 1976, 43, vermuten die Bezeichnung eines Heiligtums (oder mehrerer Heiligtümer) hinter diesem Begriff. 19 Vgl. o. A n m . 15. WOLFF erinnert zu Recht auch a n Mi 5,3, wo der Messias im TU« des N a m e n s Jahwes herrscht. 20 Ähnlich RUDOLPH, aaO. [Anm. 16] 264. 21 M e h r f a c h belegt ist dagegen der ironisierte G e b r a u c h geprägter Termini; vgl. „retten" in A m 3,12 oder die Verbindung des A u f r u f s zur Wallfahrt mit dem Ziel des „Verbrechens" in A m 4,4.

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men gebildet werden, die die Bedeutung „ihr Bäcker" wie „ihre Leidenschaft" ergeben (V. 6b). Es wäre aber auch an das vielfältige Sprachspiel mit dem N a m e n Efraim zu denken, der einmal mit dem „Wildstier" (KID 8,9), ein anderes Mal mit der „Frucht" ( ' I S 9,16 u. ö.) bzw. mit dem Verb „Frucht bringen" ( m s 13,15), ein drittes Mal mit einer „Jungkuh" ( m s 4,16) in Verbindung gebracht wird. Vor allem müßte man an die k a u m auszulotende Fülle an Sprachspielen im Kapitel über Jakob in Hos 12 erinnern, wo die Doppeldeutigkeit von Begriffen den komplizierten und assoziationsreichen Gedankengang prägt (vgl. z. B. Jakobs fix als „ K r a f t " in V. 4 und als „Reichtum" in V. 9, der mit 1157 „Schuld" verbunden w i r d ) " . D a in A m 8,7 offensichtlich ein Sprachspiel in der Begrifflichkeit TINA DpSP vorliegt, halte ich es für kaum denkbar, daß es ohne die Kenntnis von Hos 12 entstanden ist. Es wird daher auch schwerlich auf Zufall beruhen, daß der Vorwurf des „Hochmutes", wie er A m 6,8 prägt, in der Hoseaüberlieferung fester als bei Arnos verankert ist: unter dem Stichwort fltf (allerdings: Israels, nicht Jakobs) in Hos 5,5; 7,10, in anderer Terminologie in 12,8 f. und 13,6. Es hat demnach den Anschein, daß A m 6,8 und 8,7 ein Traditionsstadium widerspiegeln, in dem die Arnos- und Hosea-Überlieferung einander beeinflußten und aneinander angeglichen wurden (vgl. dazu etwa Hos 4,15, 8,14; 11,10; A m 5,25; 8,14 etc.) 23 . Dieser Vermutung kommt der literarische Sachverhalt entgegen. Weder A m 6,8 noch A m 8,7 gehören zu dem Grundbestand des Amosbuches, der sich auf die mündliche Verkündigung des Propheten zurückführen läßt; beide Texte sind vielmehr von Anbeginn schriftlicher Natur. Am 6,8 ist so etwas wie die Fortschreibung von 6,1-7. Einerseits beginnt mit einer Schwurformel keine eigene Einheit 2 4 , andererseits ist 6 , 1 - 7 ein in sich gerundetes Wehewort gegen die „Spitze" der Gesellschaft in Samaria (V. 1), die sich mit „Spitzenöl" salbt (V. 6) und nun an der „Spitze" der Einwohner in die Verbannung ziehen m u ß (V. 7). 6,8 hat seinerseits Fortschreibung erfahren: in 6,9 f. durch erzählende Verse in Prosa und in 6,11 durch eine poetische Gottesrede in 3. Pers., während 6,8 selber Jahweschwur in 1. Pers. ist. Hinter dieser scheinbar beliebigen Aneinanderfügung steht bei näherem Zusehen gestaltender Wille, der für unseren Zusammenhang aber außer Betracht bleiben kann 2 5 . Erwähnung verdient allenfalls die Tatsache, d a ß inhaltlich sowohl die Vorwürfe gegen Samaria aus A m 3,9-4,3 die Fortschreibungen bestimmen (besonders die Verse 6,8 und 11) als auch die 22 A m genauesten ist ihnen M. GERTNER, An Attempt at an Interpretation of Hosea XII, VT 10, 1960, 272-284, nachgegangen. 23 Näheres zu diesem Problem im Beitrag „Die Anfänge des Dodekapropheton", o. S. 34 fT. (vgl. speziell zu A m 6,8 ebd. S. 51). 24

25

S o m i t R e c h t K . K O C H , a a O . [ A n m . 18] 4 3 .

Vgl. zu ihm den Beitrag „Arnos 3 - 6 " , o. S. 142 ff. Beachtung verdient auch die das Wachstum rahmende Formel „Spruch Jahwes, des Gottes der Heerscharen" in V. 8 und V. 14.

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T h e m a t i k von Tod und Rechtsbruch aus Kap. 5 (bes. 6,9 f. und 12). Es werden in A m 6,8 ff. also Aussagen aus Kap. 3 und Kap. 5 aufeinander bezogen. Ähnliches gilt f ü r A m 8,7. D e r Vers beendet die erste derjenigen Einheiten, die die vierte Vision des Arnos von der f ü n f t e n trennen und das „ E n d e meines Volkes Israel", wie es die vierte Vision unüberbietbar hart formuliert (8,2), begründen bzw. explizieren wollen. Die immer aufgefallene Blaßheit und Allgemeinheit der Formulierung im Jahweschwur von V. 7: „Nie will/kann ich ihre Taten vergessen" h ä n g t mit dieser kommentierenden F u n k t i o n des Textes z u s a m m e n ; sie wird auch in der aktualisierenden Weiterführung von A m 2,6 f. in 8 , 4 - 6 erkennbar, wo wie in 6,8 ff. älteres Spruchgut des A m o s b u c h e s verwendet und neu gedeutet wird 2 6 . Nicht auszuschließen ist allerdings die Vermutung, d a ß A m 6,8 älter ist als A m 8,7; denn 6,8 ist ohne 8,7 verständlich, während das U m g e k e h r t e nicht gilt. D e n n o c h aber k a n n zwischen beiden Versen a u f g r u n d des vergleichbaren literarischen Sachverhalts und der jeweiligen Berührung mit der Hosea-Überlieferung keine große zeitliche Differenz liegen. Jedenfalls sind sowohl A m 6,8 als auch 8,7 aber noch u n b e r ü h r t vom dtr Sprachgebrauch, wie er etwa A m 2 , 1 0 - 1 2 prägt 2 7 . Es bleiben letztlich das Zeitalter Jesajas oder Jeremias als Alternativen für eine erste B e r ü h r u n g der Arnos- mit der Hosea-Überlieferung, d. h. das ausgehende 8. oder 7. Jh., da wir aus der Zeit Manasses keine theologischen D e n k b e w e g u n g e n kennen.

III. Das Haus

Jakob

Nicht weniger als die eben behandelten Verse gehören die beiden Belege f ü r das „ H a u s Jakob" (Am 3,13 und 9,8) eng z u s a m m e n . Ihre Eigenart besteht - im Unterschied zu den anderen Jakob-Stellen - darin, d a ß das „ H a u s J a k o b " abgehoben wird von anderen G r ö ß e n und d a m i t auf die Identität „Jakobs" ein viel gewichtigerer Ton fällt. G e n a u e r m ü ß t e m a n sagen: D a s „ H a u s J a k o b " ist im A m o s b u c h d a d u r c h definiert, d a ß gewisse G r ö ß e n aus ihm ausgeschlossen werden. Eindeutig ist dieser Vorgang in A m 9,8 erkennbar. In ihm wird „das H a u s J a k o b " scharf gegenüber „dem sündigen K ö n i g t u m " abgegrenzt, letzteres wird der völligen Vernichtung preisgegeben, ersteres betont aus diesem Vernichtungsvorgang a u s g e n o m m e n 2 8 . N i m m t m a n V. 9 f. hinzu, ergibt sich 2,1

Vgl. den Beitrag „Arnos 8 , 4 - 7 " , o. S.231 ff. Vgl. W. H. SCHMIDT, Die dtr Redaktion des Amosbuches, ZAW 77, 1965, 168-193; 178 ff. 28 Seit langem aufgefallen ist, d a ß A m 9,8 zu den ganz wenigen (2-3) Ausnahmen gehört, an denen die Negation vor ein durch Inf.abs. verstärktes Verb tritt und nicht wie üblich zwischen Inf. und verbum finitum; vgl. GESENIUS-KAUTZSCH28 § 113 v. Vermutlich 27

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Amoshuch

eine weitere Abgrenzung, die jetzt aber im Bild eines Feinsiebes, das geschüttelt wird, als Sichtungsvorgang beschrieben wird: Alle „Sünder meines Volkes" werden dem Schwert übergeben. Offensichtlich gehören die beiden kleinen Einheiten V. 8 und V. 9 f. literarisch zusammen 2 9 . Sie gebrauchen für den Abgrenzungsprozeß die gleiche Begrifflichkeit („sündiges Königtum" - „Sünder meines Volkes", jeweils Wurzel Nül"l), und sie werden beide durch ein Aufmerksamkeit heischendes rnn „siehe" eingeführt, das allerdings im zweiten Fall von einem die Einheiten verbindenden und 9,8b erläuternden "O begleitet ist. Dieses 'S deutet an, daß m a n die Unterscheidung „sündiges Königtum" und „Haus Jakob" nicht recht verstehen kann, wenn m a n nicht sogleich auch Jahwes Urteil über „die Sünder meines Volkes" vernimmt. Die beiden Gedankengänge der Einheiten V. 8 und 9 f. sind auf diese Weise einander formal gleichgeschaltet; sachlich heißt das, daß die äußere Abgrenzung von V. 8 der inneren Scheidung von V. 9 f. gleichgeordnet wird. Ebendiese parallele Anordnung läßt die gelegentlich geäußerte Vermutung höchst unwahrscheinlich erscheinen, V. 8b bilde innerhalb von V. 8 einen Zuwachs, weil die Terminologie aus V. 8a so betont aufgegriffen, aber negativ verwendet wird 3 0 . Eine solche Einschätzung ist wohl häufig von der - expliziten oder impliziten - Erwartung beeinflußt, d a ß V. 8 dicht an die Verkündigung des Arnos heranzurücken oder gar von Arnos herzuleiten sei und insofern reine Unheilsansage enthalten müsse. Jedoch ist der zeitliche Abstand zwischen der Verkündigung des Arnos und Am 9,8-10 hoch anzusetzen. Das wird einmal daran deutlich, daß A m 9,8-10 weithin einen Kommentar zu vorliegenden Amostexten bildet, speziell zur letzten Vision (9,1-4) und zur Erzählung über die Auseinandersetzung zwischen Arnos und Amazja (7,10-17). Auf die fünfte Vision spielt die Erwähnung der „Augen" Jahwes (V. 8a; vgl. V. 4b) an, weiter die Formulierung eines Befehles Jahwes (V. 9a; vgl. V. 3b), die Nennung des Schwertes als Werkzeug Jahwes (V. 10a; vgl. V. la) und schließlich die Betonung des Unheils (nsn), das er plant (V. 10b; vgl. V. 4b). An A m 7,1017 erinnert die Formulierung „durchs Schwert sterben" (V. 10a; vgl. 7,11b und 7,9) in Verbindung mit dem Vertilgen „fort vom L a n d " ( n m x n ['JS] V. 8a; vgl. 7,1 lb. 17b). Hier wird nicht sklavisch, sondern frei zitiert, aber so, d a ß die Anspielungen deutlich erkennbar bleiben. D a s gilt nun aber auch ist mit dieser ungewöhnlichen Wortstellung eine Verstärkung intendiert: „Allerdings will ich keineswegs das H a u s Jakob vernichten"; vgl. H. GESE, D a s Problem von Arnos 9,7, in: A. H. J. GUNNEWEG - O. KAISER (Hrg.), Textgemäß, FS E. Würthwein, Göttingen 1979, 37 f. Anm. 13. 29 Vgl. zuletzt P. WEIMAR, D e r Schluß des Amos-Buches. Ein Beitrag zur Redaktionsgeschichte des Amos-Buches, BN 16, 1981, 60-100; 73 f., allerdings unter Ausscheidung von V. 8b, worauf sogleich einzugehen ist. 30 Vgl. bes. U. KELLERMANN, Der Amosschluß als Stimme der dtr HeilshofTnung, EvTh 29, 1969, 169-183; 171 f.

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für Texte außerhalb des Amosbuches. V. 8a ist nahezu wörtliches Zitat aus 1 Kön 13,34, worauf schon H. W. W O L F F Z. St. hingewiesen hat; hier wird außerdem unmittelbar zuvor ebenfalls von der „Sünde des Hauses Jerobeams" gesprochen, was im Blick auf „das sündige Königtum" (Am 9,8a) auffällig ist, auch wenn die dtr Formulierung von 1 Kön 13 Jerobeam I. und seine Errichtung der Stierbilder im Blick hat, 9 , 8 - 1 0 dagegen mit seinen Anspielungen an Am 7,11 primär auf Jerobeam II. abzielt und A m 9,8 insofern zur Vorgeschichte der geläufigen dtr Wendung 3 1 gehören könnte. Aber sicher ist das keineswegs; die bewußt schillernde Formulierung in 9,8 fordert gerade nicht zu solcher Differenzierung auf, will vielmehr in ihrer Allgemeinheit Schuld summieren. Weiter schließt V. 10b („... die da sagen: Uns läßt du das Unheil nicht erreichen und treffen") an Zitate des Volks aus anderen Prophetenbüchern an; besonders ist an Jes5,19 und Mi 3,11 zu denken. Schließlich ist zuletzt auch die Formmischung zu beachten; V. 8 geht aus der Rede über Jahwe nahtlos zur Jahwerede in 1. Person über, wie es das Amosbuch sonst nie tut. Zusammengenommen deuten diese Beobachtungen auf eine Entstehung der Verse in weitem Abstand zu Arnos selbst hin. In der Tat sind sie auch der Sache nach frühestens in die exilische, eher aber in die nachexilische Zeit anzusetzen. Sie stellen die Frage in den Mittelpunkt, wie denn die Größe aussehen muß, die nach der Katastrophe überleben und Partner Jahwes sein kann, wenn denn nicht die Katastrophe das Ende des Gottesverhältnisses für alle impliziert 32 . Sie antwortet auf diese Frage via negationis in zwei Stufen: Weder eine Fortsetzung des Staates mit seiner G e f ä h r d u n g zur „Sünde Jerobeams" im oben genannten zweifachen Sinn ist möglich, aber auch nicht die Fortsetzung eines Gemeinwesens ohne Beachtung der von Gott bestätigten prophetischen Botschaft des Arnos. Das „Unheil", das Arnos angesagt hat, betrifft auch die gegenwärtige Generation, und wer des Arnos Worte beiseite schiebt, kann nicht zum „Haus Jakob" gehören, sondern m u ß als einer der „Sünder meines Volkes" sterben. Z u m Verzicht auf den Staat gehört für das „ H a u s Jakob" unlöslich die bleibende Beschäftigung mit dem prophetischen Wort, das als abgeschlossen vorliegende schriftliche Größe vorausgesetzt ist. Im Sinne von 9,8-10 (oder besser: 9,7-10) im ganzen könnte man die Logik in der Reihenfolge auch umkehren: Ein „ H a u s Jakob", das nach und aufgrund der Katastrophe das Gotteswort des Arnos mit Verstand liest (V. 9 f.), kann gar nicht anders, als die staatliche Lebensform als ständige G e f a h r der Verführung zur Schuld zu verstehen (V. 8), mit der Jakobs Eigenart und Erwählung verspielt wird (V. 7). -' Vgl. J. DEBUS, Die Sünde Jerobeams, F R L A N T 93, 1967. Es bestätigt sich somit die These L. PF.RLITTS, Bundestheologie im Alten Testament, W M A N T 36, 1969, 170: „ H a u s Jakobs heißt es mit besonderem Gewicht da, wo die alte G e r i c h t s a n k ü n d i g u n g widerrufen und durch Heilsbotschaft neu interpretiert wird".

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Trifft diese Umschreibung der Intention von Am 9,8-10 auch nur einigermaßen das Richtige, so ist sie leicht analog beim ersten Auftreten des Begriffes „ H a u s Jakob" im Amosbuch wiederzuerkennen, in Am 3,13. Dieser Vers bildet zusammen mit V. 14 m. E. eine predigtartige Applikation, die in den älteren Kontext eingefügt ist 33 . In ihm sind mit 3,9-4,3 Worte gegen die Bewohner der Hauptstadt Samaria zusammengestellt, nachdem schon zuvor geheimnisvoll andeutend innerhalb der Legitimationsperikope 3 , 3 - 8 in V. 6 vom „Unheil in der Stadt, das Jahwe wirkt", die Rede war. Wegen des in der Stadt geschehenden Unrechts, das die Gewalttaten aller Hauptstädte der Nachbarstaaten weit übersteigt (3,9), wird Samaria Eroberung und Zerstörung (3,11), den vornehmen D a m e n Verbannung (4,3) und den reichen Einwohnern rettungslose Verlorenheit angesagt (3,12). Es ist dieser letztgenannte Gedanke, der die predigtartige Einfügung unmittelbar veranlaßt. Sie ist äußerlich dem Kontext insofern angepaßt, als ein Imp. plur. von der Wurzel 57DtP „hören" den Vers einleitet (vgl. „laßt es hören" in 3,9 und „hört" in 4,1). Während aber die Adressaten des Aufrufs zum Hören in 4,1 („ihr Basanskühe") im Vokativ genannt, in 3,9 („über den Palästen von Asdod ...") durch eine Ortsbestimmung umschrieben sind, bleiben sie in V. 13 ungenannt. Das hat guten G r u n d . M a n hat zu Unrecht häufig daran gedacht, d a ß wie in V. 9 die Bewohner der Paläste Asdods und Ägyptens gemeint sein müßten, hat dabei aber übersehen, daß es sich in V. 13 um etwas ganz anderes handelt als um die Begutachtung von geschehenem Unrecht in der Hauptstadt. Das Hören des Amoswortes gegen Samaria soll vielmehr zur Warnung des „Hauses Jakob" führen. Zu dieser Tätigkeit sind schlechterdings alle Glieder des Gottesvolkes aufgerufen; daher fehlt die Nennung der Adressaten nicht zufällig. Das „ H a u s Jakob" ist in Am 3,13 also wie in 9,8-10 eine Größe, die durch Abgrenzung definiert wird. In Am 3 ergibt sich dieser Sachverhalt eindeutig daraus, d a ß die Ankündigung der rettungslosen Verlorenheit Samarias zur Warnung an das „Haus Jakob" führt, das mit ebendieser Warnung vor einem analogen Geschick bewahrt werden soll. Dem entspricht die Tatsache, daß die Warnung gegenüber dem „Haus Jakob" nun auch nicht mit Schilderungen des Unrechts in der Hauptstadt begründet wird, sondern - einzig hier in Kap. 3 - mit der Möglichkeit, daß Jahwe durch Zerstörung des Heiligtums von Bet-El oder - wenn diese Präzisierung innerhalb von V. 14 aufgrund des Stilwechsels (Aktiv gegenüber Passiv in V. 14b) sekundär sein sollte - durch Zerstörung der Heiligtümer generell dem Gottesverhältnis Israels ein Ende bereiten könnte. Das ist das T h e m a der letzten Vision im Amosbuch (9,1; vgl. 5,4-6), woraus deutlich wird, wie A m 3,13 f. ganz analog zu 9 , 8 - 1 0 auf das schon vorliegende fertige Ähnlich u. a. S. MITTMANN, Arnos 3,12-15 und das Bett der Samarier, Z D P V 92, 1976, 149-167; 151.

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Amosbuch

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Amosbuch zurückgreift. Auch terminologisch läßt sich dieser Sachverhalt zeigen; die „Verbrechen Israels" bilden das zentrale Stichwort innerhalb der Israelstrophe in den Völkersprüchen (2,6), das Verb 7p2 „ahnden" ist das Themaverb der Kap. 3 - 4 3 4 . Mit Am 3,15 und 4 , 1 - 3 ist der Gedankengang dagegen wiederum völlig auf die Zustände in der Hauptstadt Samaria bzw. deren künftiges Geschick konzentriert. M a n hat diesen naheliegenden Sachverhalt wohl vor allem deshalb verkannt, weil man den zweiten Imperativ in Am 3,13 unpräzise gedeutet hat (typisch für viele M. BUBER: „Hörts und bezeugts wider Jaakobs Haus ..."). Es ist das Verdienst von O. H. STECK, deutlich aufgewiesen zu haben, d a ß "TIS? hif. im Alten Testament nie den Vorgang der Zeugenaussage bezeichnet 3 5 . Zwar kann es „zum Zeugen bestellen" heißen, aber nur dann, wenn es mit Akk. der Person, die als Zeuge eingesetzt wird, verbunden ist; viel häufiger dagegen bedeutet es allgemein „vermahnen", „warnen", wenn es ohne einen solchen Akk. gebraucht wird und nur die Betroffenen mit 3 eingeführt werden 3 6 . Der Mißerfolg einer solchen „Vermahnung" bzw. „Warnung", wie sie insbesondere im Umkreis der dtr Theologie mit 1117 hif. bezeichnet wird, heißt stets „nicht hören". Im Unterschied zu Am 3,13 sind allerdings im dtr Schrifttum die Weisungen und Gebote Jahwes Gegenstand der Vermahnung 3 7 , während Am 3,13 f. aufgrund des Amoswortes vor Unheil aus Gottes Hand warnen will. Die Imperative zu Beginn von Am 3,13 schärfen also jedem einzelnen, der Arnos' Worte gegen Samaria verstanden hat („hört"), ein, diese Worte auch anderen verständlich zu machen („... und warnt"), weil sie andernfalls das gleiche Geschick wie die Einwohner Samarias erleiden werden. Im Kontext dtr Theologie ist solches Vermahnen und Warnen selber eine prophetische Aufgabe. Am 3,13 führt also wie Am 9,8 in die N ä h e der dtr Theologie, ohne mit dieser voll identisch zu sein. Entscheidend geht es beiden Stellen darum, daß die Größe „ H a u s Jakob" von den Gefährdungen des Staates, der in Am 3 durch seine Hauptstadt repräsentiert ist, abgelöst wird, weil sie nur auf diese Weise überleben kann. Beide Stellen sind allerdings gleicherweise der Ansicht, d a ß ein solches Überleben nur durch einen Anschluß an das Gotteswort des Arnos erreicht werden kann, auf das sie als ein fertig abgeschlossenes - vermutlich in frühnachexilischer Zeit - zurückblicken. „Haus Jakob" ist also im Buch Arnos Bezeichnung für die Gemeinschaft, die auch nach der Katastrophe des Exils Partner Jahwes ist. Anders als „Haus Israel", wie es (außer in 9,9) speziell in A m 5 - 6 und in 7,10 den Staat des Nordreichs bezeichnet, ist es eine Gemeinschaft ohne staatliche Macht; !4

Vgl. A m 3,2b und den näheren Nachweis im A n m . 25 genannten Beitrag. ^ O. H. STECK, Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten, W M A N T 23, 1967, 69 f. A n m . 2. So im A n s c h l u ß an STHCK und weiterführend H. W. WOLFF, aaO. [Anm. 10] 238. " Vgl. STECK, aaO. [Anm. 35],

270

Jakob im Amoshuch

um mit Am 9,8-10 zu reden: Das „Haus Israel" (V. 9) muß erst vom „sündigen Königtum" und den „Sündern des Volkes" im Sichtungsverfahren getrennt werden, um „Haus Jakob" sein zu können. Es ist „Haus Jakob" nur im ständigen Hören auf das Gotteswort des Arnos (3,13; 9,10b).

IV.

Folgerungen

Der Begriff „Jakob" ist nach alledem für das Buch Arnos und für die Prophetie im allgemeinen in einem doppelten Sinne bedeutsam. Zum einen ist mit ihm mehr als mit allen anderen Namen des Alten Testaments die Frage nach der Identität, d. h. dem Wesen des Gottesvolkes verbunden. Das heißt zunächst negativ: Geographische Aspekte spielen - im Unterschied zur Bezeichnung „Isaak" in Am 7 - keinerlei Rolle. Daß „Jakob" in der Fürbitte des Arnos primär das Nordreich bezeichnet, kann man allenfalls dem weiteren Kontext entnehmen; daß der „Hochmut Jakobs" sich primär in den Palästen der Hauptstadt Samaria (bzw. Jerusalem) dokumentiert (Am 6,8), hängt nicht am Namen Jakob, sondern am Charakter des Hochmuts. Das „Haus Jakob" schließlich steht geographisch für Juda, ohne daß man doch mit Bestimmtheit sagen könnte, das Nordreich sei aus ihm grundsätzlich ausgeschlossen, wie es mir analog auch umgekehrt unmöglich erscheint, sicher zu sagen, ob Arnos mit dem „kleinen Jakob" nicht - gewiß in zweiter oder gar dritter Hinsicht - auch an das Südreich dachte, aus dem er immerhin stammte. Geographische Differenzierungen bestimmen das Gespräch zwischen Priester und Prophet in Am 7; der Begrifflichkeit Jakob liegen sie fern. „Der Name Jakob bei den at.liehen Propheten meint also eindeutig Israel als Gottesvolk, als Gemeinde J H W H s " 3 x . Wenn eine Teilgröße den Namen erhält, dann nur deshalb, weil sie unter dem Aspekt des Gottesvolkes im Blick ist. Zumindest im Buch Arnos geht es beim Begriff Jakob allein darum, was die Eigenart dieses Gottesvolkes ausmacht. Zum zweiten ist „Jakob" darum ein gewichtiger Begriff im Amosbuch, weil an ihm die frühe Wirkungsgeschichte der Botschaft des Propheten besonders deutlich ablesbar ist. Soweit es uns die Amosüberlieferung erkennen läßt, hat Arnos selber den Namen Jakob nur in der Fürbitte vor Jahwe gebraucht, in der öffentlichen Verkündigung aber nicht, weil sie die Erkenntnis der fünf Visionen und damit die Unmöglichkeit des weiteren Einsatzes der Fürbitte für Israel schon voraussetzt. „Jakob" ist nach Am 7,2.5 das Gottesvolk, insofern es ganz und gar auf Jahwes Hilfe und Schutz angewiesen ist. Eine von Jahwe im Alltag gelöste und getrennte Größe „Jakob" ist ein Widerspruch in sich und damit nicht lebensfähig. 58

ZOBEL, a a O . [ A n m . 3 ] 7 7 2 .

Jakob im

Amusbuch

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Die Tradenten der Amosworte, die wir in A m 6,8 und 8,7 kennenlernen, haben unter dem Einfluß der Botschaft Hoseas diesen Gedanken verschärft und präzisiert: Das von Arnos angeprangerte Sicherheitsdenken der Oberschicht speziell Samarias haben sie unter dem Stichwort „Hochmut Jakobs" als die Haltung benannt, die den eigentlichen Gegensatz zur Anerkenntnis Jahwes als Helfer bildet. Da nur entweder die Paläste oder aber Jahwe „Jakobs Hoheit" bilden können, ist sein Untergang schlechterdings unvermeidbar; das dokumentiert der Schwur Jahwes. Damit entsteht nach der Katastrophe die Frage, unter welchen Umständen ein Weiterleben Jakobs möglich ist. Es bewährt sich auch hier die These H.-J. ZOBELS: „Dabei ist dieser N a m e (seil. Jakob) offenbar deshalb bevorzugt worden, weil er nicht in der Gefahr stand, politisch mißverstanden zu werden ,.." 3 9 . Wie in den oben genannten Belegen „Jakob" dann seine Identität einbüßt, wenn er militärische Sicherheit zum Gegenstand seines Vertrauens erhebt, so wird jetzt (Am 3,13 f.; 9,8-10) als primäre Bedingung des Überlebens die Trennung Jakobs von allen Formen staatlicher Existenz genannt. Damit steht der Begriff „ H a u s Jakob" in bewußtem Gegensatz zu den politischen Begriffen „Haus Israel" (Am 5 - 6 ; 7,10) und „Haus Isaak" (7,16). Allerdings ist diese Trennung von aller staatlichen Macht nach Am 3,13 f. und 9,8-10 nicht genug, damit die nachexilische Gemeinde wieder „Haus Jakob" sein kann. Ein Überleben in der Katastrophe ist vielmehr nur durch das Hören auf das im Exil bestätigte Gotteswort des Arnos möglich 4 0 .

39

Ebd. 773. Mit diesem G e d a n k e n beschließt J. SCHARBERT, Die Propheten Israels bis 700 v. Chr., Köln 1965, 192 seinen Vergleich von Arnos u n d Hosea. Ihm sei dieser Beitrag als kleines Zeichen der D a n k b a r k e i t f ü r viele Jahre des kollegialen G e s p r ä c h s u n d in Verehrung gewidmet. 40

18. Die Rolle des Propheten nach dem Amosbuch Vergleicht man das Amosbuch mit den anderen Büchern klassischer Propheten des 8. Jh.s, so besteht eine seiner hervorstechenden Eigenarten darin, d a ß auffällig häufig über die Funktion und die Aufgabe des Propheten geredet wird. Das Hervortreten dieses Themas im Amosbuch m u ß um so mehr auffallen, als auch Hosea (etwa Hos 9,7), Jesaja (etwa Jes 5,19; vgl. 30,10) und Micha (bes. Mi 2,6 ff.) aufgrund der Härte ihrer Botschaft von ihren Hörern in ihrer Legitimität bestritten wurden. Dennoch hat keiner dieser anderen seine Legitimität so vehement verteidigt wie Arnos. Auch wenn als erwiesen gelten darf, d a ß die Mehrzahl der Texte, die über die Funktion des Propheten im Amosbuch reden, jünger als Arnos (Am 7,10-17) oder gar ganz erheblich jünger als er sind (Am 2,11 f.; 3,7; 8,11 f.; 9,9 f.), so ist doch diese ungewöhnliche Wirkungsgeschichte k a u m begreiflich ohne eine besondere Vorgeschichte. Auf sie treffen wir in den Visionsberichten des Arnos (7,1-8; 8,1 f.; 9,1-4) und in seinem Disputationswort 3,3 ff. I. Wie oben schon mehrfach hervorgehoben', ist für die Deutung der Visionsberichte des Arnos wesentlich, daß die ersten vier Visionen paarweise gestaltet sind, und zwar so, d a ß die beiden Visionenpaare in strikter Opposition zueinander stehen. So gewiß Arnos die Visionen nacheinander empfangen haben wird, wie die Steigerung des Unheils innerhalb der Visionenpaare und schon die jahreszeitlichen Anspielungen des Geschauten nahelegen 2 , so gewiß nötigt die literarische Gestaltung den Leser dazu, die Visionen als ein geschlossenes Ganzes wahrzunehmen. Der Prophet Arnos ist in den Visionen einen allmählichen Erkenntnisweg geführt worden; der Leser der Visionsberichte wird nicht so sehr mit den einzelnen Stufen dieses 1

Vgl. „Die Anfänge des Dodekapropheton", bes. S. 45 ff.; „Arnos 3 - 6 " , bes. S. 144 f.; „Völkersprüche und Visionsberichte", bes. S. 158 ff. 2 Die erste Vision betrifft mit der Spätsaat (l^pV) den 3. „ M o n a t " , die vierte Vision mit dem Sommerobst den 8. und letzten „ M o n a t " des bekannten Bauernkalenders aus Gezer (10./9. Jh. v. Chr.; vgl. K A I Nr. 182). Natürlich ist das Argument für sich allein nicht zwingend, da Arnos auch im F r ü h j a h r eine Herbstvision gehabt haben kann.

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Weges, sondern im Rückblick mit seinem Ergebnis konfrontiert, und dieses Ergebnis ist im zweiten Visionenpaar so gestaltet, daß es der früheren Einsicht, die in Gestalt des ersten Visionenpaares niedergelegt ist, diametral entgegengesetzt ist. Anders ausgedrückt: Prophet-Sein unter den Bedingungen des ersten Visionenpaares hieß etwas völlig anderes als Prophet-Sein unter den Bedingungen des zweiten Visionenpaares 3 . In den ersten beiden Visionen ist der Prophet an der göttlichen Willensbildung mitbeteiligt. Er schaut einen göttlichen Plan im Stadium seiner Realisierung und vermag jeweils, die Verwirklichung dieses Plans durch seine Fürbitte zu verhindern. N u n wäre es freilich sicher dem Text nicht angemessen, diese Aussage in der Weise zu generalisieren, d a ß Arnos anfangs Prophet gewesen wäre mit dem Bewußtsein, auf jegliches Vorhaben Gottes Einfluß nehmen zu können. Vielmehr ist für beide Anfangsvisionen des Arnos wesentlich, d a ß sie schwerste Schuld Israels voraussetzen - sie ist im Gebet des Arnos um Vergebung (7,2) deutlich impliziert - , der nicht irgendein beliebiges Strafhandeln Gottes entspricht, sondern ein so hartes, daß Israel Existenz gefährdet ist oder gar vernichtet wäre („Wie kann Jakob bestehen? Er ist doch so klein!" 7,2.5). Ließe sich nach dem Heuschrekkeneinfall der ersten Vision eine Weiterexistenz Israels immerhin noch denken, obwohl mit dem Spätwuchs das letzte Getreide vor der langen Dürrezeit des regenlosen Sommers vernichtet worden wäre, so gewiß nicht nach dem (kosmischen?) Feuer der zweiten Vision, das schon alle Grundwasservorräte des Landes vertilgt hätte, bevor es die Äcker selber verzehren würde. Offensichtlich ist in den Visionen von Anbeginn ein (sich immer noch steigerndes) M a ß an Schuld Israels vorausgesetzt, das eine Erfüllung der Ausgangsbitte des Arnos - „mein Herr Jahwe, vergib doch!" (7,2) - als nicht mehr realisierbar erscheinen läßt. Die prophetische Fürbitte in der 2. Vision lautet daher auch nur noch: „Mein Herr Jahwe, halt doch ein!" (7,5). Diese bewußte Abschwächung fällt um so stärker auf, als die doppelte Begründung der Bitte in beiden Visionen jeweils identisch ist: der Hinweis auf Jahwes Bindung an sein Volk im N a m e n „Jakob" und der Hinweis auf die Hilflosigkeit des „kleinen", d. h. aus sich heraus überlebensunfähigen Jakob. Die zaghaftere Formulierung der Fürbitte des Arnos setzt voraus, d a ß der Prophet eingesehen hat, d a ß eine Vergebung, wie er sie zunächst erbat, angesichts der Schuldverstrickung Israels G o t t schon nicht mehr möglich ist. Die prophetische Fürsprache bewahrt demnach in den ersten Visionen ein Israel vor dem Untergang, dessen Schuld schon nicht mehr getilgt werden kann. Gottes Entscheidung zur Verschonung Israels ist ein 1 Schärfer als alle späteren Ausleger hat E. WÜRTHWEIN, Amos-Studien, ZAW 62, 1949/50, 10-52 = DERS., Wort und Existenz, Göttingen 1970, 68-110; 86-93, diesen Sachverhalt erkannt.

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Äußerstes - schon jenseits seiner Vergebungsbereitschaft das im M o m e n t der eigentlich unumgänglichen Vernichtung Israels dieses Volk noch einmal überleben läßt. Begründet ist dieses Äußerste allein in Gott; das Verb Dn3 nif., das den Willenswandel in G o t t bezeichnet, meint von Haus aus eine Erleichterung, wie sie durch einen tiefen Atemzug gewonnen wird 4 . G o t t will Israel nicht vernichten, er möchte es bewahren; daher schiebt er seinen Vernichtungsbeschluß auf, solange er es irgend kann. Hervorgerufen ist dieser göttliche Willenswandel durch die prophetische Fürbitte. Wollte m a n die ersten beiden Visionen isoliert deuten, was der Kontext verbietet, müßte man sagen, d a ß das schuldige Israel nur überlebt, weil es Propheten wie Arnos hat 5 . Aber Gottes Entscheidung zur Verschonung Israels kennt eine Grenze. Sie ist im zweiten Visionenpaar vorausgesetzt, das jeweils identisch endet: „Ich kann nicht mehr (schonend) an ihm (Israel) vorübergehen" (7,8; 8,2) „nicht mehr", d. h. wie in den ersten Visionen. Es versteht sich von selbst, d a ß hier eine Veränderung beschrieben wird, die nicht nur G o t t betrifft - ein Willenswandel (nru nif.) zugunsten Israels ist ihm künftig nicht mehr möglich - , sondern ebenso den Propheten. D a die Fürbitte des Propheten grundsätzlich effektlos geworden ist, wird sie auch nicht mehr ausgesprochen 6 . Allerdings findet auch im zweiten Visionenpaar ein Zwiegespräch zwischen G o t t und Prophet statt - der Prophet ist also mit dem Aufhören der Fürbitte keineswegs funktionslos geworden - , und in diesem Gespräch wird die Aufgabe des Propheten neu definiert. Er schaut nicht länger wie im ersten Visionenpaar ein Geschehen, das auf Israel zukommen wird, sondern ein statisches Bild, ein Symbol. In der dritten Vision ist das Symbol noch direkt auf G o t t bezogen - ein Metall, vermutlich Z i n n 7 , in Gottes Hand in der vierten steht es für sich, ohne daß von G o t t explizit die Rede wäre. Entscheidend für beide Visionen ist aber nicht nur, daß das Symbol der Deutung bedarf, sondern auch, daß diese Deutung durch Gott erst erfolgt, als der Prophet, von G o t t befragt, das Symbol benannt hat, nachdem er zuvor von G o t t zur Benennung des Geschauten aufgefordert worden war. Nicht ist es der Prophet, der nach dem Symbol fragt und damit die Wißbegier des Lesers repräsentiert, wie es die Mehrzahl der Kommentatoren implizit voraussetzt, sondern umgekehrt ist es Gott, der den Sinn des 4

Vgl. J. JEREMIAS, Die Reue Gottes, BSt 65, 1975 ( 2 1996) 15 ff. Vgl. die Steigerung dieses Gedankens in Ex 32,10, wo Gottes Zorn Israel nur dann vernichten kann, wenn Mose zustimmt, aber auch etwa den Vorwurf Ezechiels an seine Berufskollegen, sie seien beim Angriff Gottes gegen die Mauer „nicht in die Bresche getreten" (Ez 13,5). 6 Vgl. das mehrfach belegte göttliche Verbot zur Fürbitte an Jeremia (Jer 7,16; 11,14; 14,11; vgl. 42,20). 7 Vgl. o. S. 246 f. mit Anm. 8. 5

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Symbols erst enthüllt, nachdem der Prophet es ausgesprochen hat. „Arnos is led in the dialogue to speak the name of the object, now pregnant with Potential meaning ... Arnos is shown a Symbol which he must translate into word before he knows its meaning." 8 Arnos muß, wenngleich ungewollt, das schreckliche Unheil herbeirufen, das sich hinter dem geschauten Symbol verbirgt. Damit ist der Prophet genötigt, ganz auf die Seite Gottes zu treten, auch ohne um seine Zustimmung zu Gottes Handeln gebeten zu sein. Ein Prophet wie Arnos in der 1. und 2. Vision steht als Mittler zwischen G o t t und Volk. Als Gottes Bote ist er eingeweiht in Gottes Pläne, als Vertreter des Volkes stellt er sich ihnen entgegen, wo immer sie das Volk in seiner Existenz gefährden. Ein Prophet wie Arnos in der 3. und 4. Vision steht nur noch auf der Seite Gottes, ist nur noch Gottes Werkzeug, auch wider Willen. Seine prophetische Vollmacht ist gleichzeitig verkürzt und erweitert. Verkürzt ist sie, insofern Arnos nicht mehr fürbittend auf die göttliche Willensbildung einwirken kann, erweitert ist sie, insofern das prophetische Reden aller Mehrdeutigkeit entnommen ist, die mit der Mittelstellung des Propheten zwischen Gott und Volk zusammenhing, und künftig unmittelbar mit Gottes Reden sachidentisch ist. Die großen Definitionen des prophetischen Wortes in der Folgezeit - „Feuer" und „ H a m m e r " (Jer 23,9), Gegenwirklichkeit zur menschlichen Vergänglichkeit (Jes 40,6) oder selbstwirkendes Werkzeug (Jes 55,10 f.) - haben in diesem Wandel des Verständnisses von der Funktion des Propheten ebenso ihre Wurzel wie die Betonung des Zwanges zur prophetischen Verkündigung, wie sie von A m 3,8 (s. sogleich) über Jeremia 9 bis zu Paulus (1 Kor 9,16) belegt ist. Die Propheten seit Arnos treten mit einem Wahrheitsanspruch auf, wie ihn die ältere Prophetie noch nicht kannte, ein Wahrheitsanspruch, nach dem sich Leben oder Tod einer ganzen Generation am Gehorsam oder aber Ungehorsam gegenüber dem prophetischen Wort entscheiden. Die Niederschrift der Visionen des Arnos hält den Wandel im Verständnis des Propheten vermutlich dazu fest, um den Lesern zu verdeutlichen, d a ß Arnos nicht freiwillig und schon gar nicht gern zum Boten der unerbittlichen und grenzenlosen (5. Vision: A m 9,1-4) Strafbereitschaft Gottes geworden ist. Für Arnos war es ein umumkehrbarer Weg. Alle überkommenen Worte des Arnos setzen ihn voraus 1 0 , kein einziges spiegelt noch das Stadium des ersten Visionenpaares w i d e r " . * J. L . MAYS, A r n o s , O T L , 1 9 6 9 , 1 3 2 . 9 Vgl. bes. den vergeblichen Versuch der Kündigung des prophetischen Auftrags in der letzten „Konfession" des Jeremia, Jer 20,9. 10 Am evidentesten gilt das für das stereotype: „Wegen der drei Verbrechen von x und wegen der vier kann ich es nicht zurücknehmen" in den Völkersprüchen von 1,3 bis 2,6. " Der Versuch des gegenteiligen Aufweises von E. WÜRTHWEIN, aaO. [Anm. 3], ist oft widerlegt worden.

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II. Eine weitere Verteidigung der Gerichtsbotschaft des Arnos liefert das Disputationswort Am 3,3~6.812. In ihm sind wahrscheinlich zwei verschiedene rhetorische Einheiten verbunden worden. F ü r V. 8 ist seit langem mit guten G r ü n d e n vermutet worden, d a ß er Kondensation einer eigenen Redeeinheit sei 13 , im Blick auf V. 3 - 6 verdanken wir der scharfsinnigen Analyse von R E N A U D die Erkenntnis, d a ß die im Hintergrund stehende Redeeinheit auf V. 4 - 5 . 6 b einzugrenzen ist, während V. 3 die literarische Brücke zu V. 2 und V. 6a die literarische Brücke zwischen beiden Redeeinheiten schlagen wollen 1 4 . Wie dem auch sei, die Deutung der rekonstruierten rhetorischen Einheiten bleibt aufgrund ihrer Kürze unsicher, während der literarische Befund erheblich klarer ist, und das vor allem in zweierlei Hinsicht: 1. Während ein isoliert gelesener V. 8 Hat wer Hat wer

der Löwe gebrüllt m u ß sich nicht f ü r c h t e n ? (der H e r r ) 1 5 J a h w e geredet m u ß nicht P r o p h e t sein?

als generelle Aussage über die prophetische Tätigkeit interpretiert werden könnte 1 6 , ist eine solche Deutung im Kontext nicht möglich, da V. 8 in ihm gedanklich eng mit V. 6 verbunden ist. Die Logik der Fragen zielt im Kontext vielmehr auf den Zwang zur Unheilsverkündigung, die der Prophet nicht aussprechen will, aber aussprechen muß. Z u m gleichen Ergebnis führt die Beobachtung, d a ß V. 8 durch eine Inklusion mit V. 1 verbunden ist (V. 1 und V. 8b gebrauchen mit mn 1 131 pi.eine Wendung, die sonst nicht im Amosbuch begegnet); denn das in V. 1 programmatisch angesagte Gotteswort wird in V. 2 mit der Ankündigung einer „ A h n d u n g " von Israels Schuld durch Jahwe schon inhaltlich negativ gefüllt, bevor V. 8 seinen Zwangscharakter herausstellt. 2. Durch die Verbindung der Verse 3 - 6 mit V. 8 gewinnen die Löwenbeispiele von V. 4 - keiner, der auf den Löwen trifft, entrinnt ihm; sein Brüllen ist untrügliches Indiz für Beute - Transparenz für Israels Stellung 12

Auf den jüngeren Prosavers 3,7 ist unten zurückzukommen. Vgl. etwa W. H. SCHMIDT, Die deuteronomistische Redaktion des Amosbuches, ZAW 77, 1965, 184; L. MARKERT, Struktur und Bezeichnung des Scheltworts, BZAW 140, 1977, 88 f.; H. W. WOLFF, BK XIV/2 z.St.; B. RENAUD (vgl. die folgende Anm.). 14 B. RENAUD, Genèse et Théologie d ' A m o s 3,3-8, in: A. CAQUOT - M. DELCOR (Hrg.), FS H. Cazelles, AOAT 212, 1981, 353-372; 358 f. 15 Vermutlich Zusatz unter dem Einfluß des jüngeren V. 7. 16 So - unter Mißachtung des Kontextes - irrtümlich für den schriftlichen Text W. WERNER, Studien zur alttestamentlichen Vorstellung vom Plan Jahwes, BZAW 173, 1988, 172 ff. 13

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vor Gott: Gottes „Löwengebrüll" erklingt, weil Israel seine „Beute" ist. Auf diese Weise werden die unheilvollen Töne, die die Fragenkette von Anbeginn charakterisierten, noch erheblich verstärkt. Am 3,3-8 legitimiert also die harte Botschaft vom „Ende Israels" (8,2) grundsätzlich ähnlich wie die Visionsberichte: vom aufgenötigten Zwang zur Unheilsverkündigung her. Aber die Akzente werden charakteristisch anders gesetzt. Indem das Gottesvolk im voranstehenden Jahwewort auf seine besondere Verantwortung innerhalb der Völkerwelt angesprochen wird, die es bislang gänzlich verkannt hat (3,2), wird grundsätzlich noch mit einer Ansprechbarkeit Israels gerechnet. Das zeigt auch das Disputationswort 3,3 ff. selber, wo die rhetorischen Fragen den Bereich menschlicher Erfahrung erreichen. Anders als in den Beispielen aus der Tierwelt gibt es nämlich bei akuter Lebensgefahr im Zusammenleben der Menschen, insbesondere in einer Stadt (Anspielung auf Samaria in 3,9 ff.), eine Verstärkung der instinktmäßigen Vorahnung: das H o r n des Wächters (V. 6a). Da Jahwe der Löwe ist (V. 8), von dem alles Unheil ausgeht (V. 6b), soll und muß vom Wächter-Propheten ins Horn gestoßen werden. Ezechiel (Ez 3,16-21; 33) drückt später klarer aus, was in A m 3 schon impliziert ist: Der Prophet als Wächter haftet dafür, daß seine Warnung alle erreicht; er haftet nicht für den Erfolg seiner Warnung. O b der historische Arnos sich schon als Wächter verstanden hat, ist höchst ungewiß; für die Tradenten nach dem Fall Samarias, die V. 3 - 6 * und V. 8 miteinander verbanden und in 3,2 die Botschaft des Arnos auf diejenige Hoseas bezogen 1 7 , erscheint es mir sicher. Vielleicht diente Hos 8,1 als Analogie: „An deinen M u n d das Horn!"

III. Gehört somit schon Am 3,3-6.8 letztlich in die Rezeptionsgeschichte der Amosbotschaft, insofern der Fall Samarias vorausgesetzt ist, so gilt Analoges weit evidenter noch für die folgenden Texte. Einen letzten vorexilischen, freilich jüngeren Beleg für die Darstellung der Funktion des Propheten bietet die bekannte Erzählung über die Auseinandersetzung zwischen dem Priester Amazja und Arnos in Am 7,10-17. Neuere Untersuchungen zu ihr haben zwei m. E. evidente Ergebnisse erbracht, die hier vorausgesetzt werden: 1) In ihrer gegenwärtigen literarischen Gestalt ist die Erzählung, ausweislich ihrer zahlreichen Kontextbezüge, auf ihren Kontext - d. h. die 3. und 4. Vision - hin gestaltet worden 1 8 . 2) Der Intention nach 17

Vgl. den N a c h w e i s o. S. 4 2 - 4 5 . Vgl. bes. die B e o b a c h t u n g e n von H. UTZSCHNEIDER, Die A m a z j a e r z ä h l u n g ( A m 7 , 1 0 - 1 7 ) zwischen Literatur und Historie, B N 41, 1988, 7 6 - 1 0 1 , sowie J. JEREMIAS, A T D 24/2, 1995, z.St. 18

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steht sie der wenig jüngeren dtr Theologie nahe, bildet aber eine Vorstufe zu ihr 1 9 . Beginnen wir mit dem gewichtigen ersten Ergebnis. Es gibt gute G r ü n d e für die Vermutung, daß die Erzählung Am 7,10-17 ein zumindest mündliches (wenn nicht sogar schriftliches) Eigenleben führte, bevor sie in ihren gegenwärtigen Kontext gestellt wurde; gewichtigstes Indiz dafür ist das ausführliche, dem Fluch nahestehende Gerichtswort gegen den Priester am Ende, das für den Kontext eine untergeordnete Rolle spielt. Als eine derartige Einzelerzählung ist A m 7,10-17 bis in allerjüngste Zeit auch stets ausgelegt worden. Viele wesentliche Einzelheiten bleiben allerdings auf dieser Ebene der Interpretation notwendig strittig und sind stets kontrovers betrachtet worden (z. B.: Was impliziert die priesterliche Anrede „Seher" für Arnos? Ist Amazjas Aufforderung zur Flucht wohlmeinend oder feindlich für Arnos gemeint?). Als Einzelerzählung zielte A m 7,10-17 vermutlich auf eine Auseinandersetzung zwischen Priester und Prophet ab, die wir nur noch teilweise rekonstruieren können, da wir viele Hintergründe nicht kennen, die den ersten Hörern bzw. Lesern geläufig waren. Als schriftlicher Text in seiner gegenwärtigen Position muß Am 7,10-17 dagegen in sachlichem Z u s a m m e n h a n g mit der rahmenden 3. und 4. Vision ausgelegt werden, wie die zahlreichen literarischen Bezüge zu ihnen besonders zur 3. Vision - verdeutlichen 2 0 (und zusätzlich V. 9, der den Versen 10-17 als hermeneutische Verständnishilfe vorangestellt wurde). In diesem Kontext interpretiert, ist das zentrale Anliegen der Erzählung, Nachgeborenen den Punkt präzise zu benennen, an dem Gottes Geduld mit seinem Volk (1.-2. Vision, Am 7,1-6) definitiv zu Ende ist und Israel nicht mehr verschont werden kann (3.-4.Vision: A m 7,7 f.; 8,1 f.). Die Visionsberichte selber setzen ein Anwachsen der Schuld Israels zwar voraus, wie wir sahen, benennen die Schuld aber nicht; sie beziehen sich auf Am 1 6 im Ganzen und stehen vermutlich deshalb am Ende des Amosbuches und nicht an seinem Anfang. Wie immer es sich damit verhält. Am 7,10-17 läßt Israels „Ende" (8,2) unabwendbare Gestalt annehmen, weil seine staatlichen Autoritäten Gottes Propheten am Reden hindern. Im Kontext stehen sich nämlich Amazja und Arnos nicht als Repräsentanten zweier religiöser Stände gegenüber, sondern als Repräsentanten jener Autoritäten, auf die sie sich explizit beziehen: Amazja handelt im N a m e n des Staates (V. 10-13), Arnos im N a m e n dessen, der ihn griff, obwohl er ein wohlhabender Bauer war (V. 14 f.). Wo der Staat Arnos am Reden hindert, ist Israel unrettbar verloren, weil G o t t am Reden gehindert wird 2 1 . Es ist noch nicht verloren, 19 H. G. M . WILLIAMSON, The Prophet and the Plumb-Line. A Redaction - Critical Study of Arnos VII, O T S 26, 1990, 101-121; 113 ff. 20 Vgl. die Belege in den A n m . 18 genannten Arbeiten. 21 Vgl. den sprachlichen Bezug von V. 8b (Gottesrede: „Ich kann nicht länger...") zu V. 13a (Amazjarede an Arnos: „ D u kannst nicht länger..."): Wo das prophetische Gotteswort dem Staat nicht mehr z u m u t b a r ist, ist Israel Jahwe nicht mehr zumutbar.

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wenn es schwere Schuld auf sich lädt, denn es hat ja Propheten, die ihm seine Schuld aufweisen und es auf diese Weise zum Sinneswandel bewegen können. Falls es aber auf sie nicht hört oder - wie im Falle von 7,10-17 - sie gar nicht erst reden läßt, wird Schulderkenntnis verhindert und die letzte Rettungsmöglichkeit beseitigt. Subjekt dieses gottwidrigen Verhaltens ist der im König verkörperte Staat. Wenn Ausleger häufig erstaunt festgestellt haben, daß in 7,11 dem König Jerobeam II. der Tod durch das Schwert angekündigt wird, ohne daß eine konkrete Schuld des Königs (hier oder andernorts im Amosbuch) genannt zu sein scheint, so haben sie m. E. verkannt, daß der schriftliche Text Jerobeam II. und seinen treuen Beamten A m a z j a unlöslich zusammenbindet in ihrer gemeinsamen Schuld, obwohl das prophetische Todesurteil für den König schon vor der Ausweisung aus Bet-El durch den Priester laut wird 2 2 . Zugespitzt formuliert gilt also: Einem schuldig gewordenen Israel wird mit der Ausweisung des Arnos seine letzte Rettungsmöglichkeit genommen. Nichts und niemand anderes kann es vor seinem Untergang bewahren als nur der Prophet. Er verkörpert - bei aller Härte seiner Schuldaufweise und Strafankündigungen - Gottes Rettungswillen gegenüber anderweitig längst verlorenen Menschen. So hoch ist die Funktion eines Propheten zuvor noch nicht eingeschätzt worden.

IV. Die Prophetenkreise, denen wir (vermutlich in Verfolgungssituationen des 7. Jh.s) die Formulierung von A m 7,10-17 verdanken, bereiten den Boden der dtr Propheten-Theologie der exilischen und nachexilischen Zeit. Drei Texte im Amosbuch spiegeln die Wirkungsgeschichte der Erzählung von Am 7 in dieser Zeit unmittelbar wider: 1. Am 2,11 f . Die mehrstufig gewachsenen Verse Am 2,6-12 versuchen, in drei verschiedenen gedanklichen Anläufen die ungleich größere Schuld des Gottesvolkes im Vergleich mit der Völkerwelt (Am 1,3-2,3) aufzuweisen. a) 2 , 6 - 8 vergleichen zunächst die Grausamkeiten der Völker auf ihren Kriegszügen mit den weit unbegreiflicheren Grausamkeiten der Oberschicht Israels gegenüber der eigenen, von ihr abhängigen Bevölkerung. b) Die jüngeren, sukzessiv entstandenen Verse 9 f. argumentieren sodann heilsgeschichtlich: Die Härte gegenüber den Schwachen ist um so weniger verständlich, als Israel Jahwes Einsatz gegen die riesenhaften Vorbewohner zugunsten des schwachen Israel erfahren hatte. 22 Indem der Erzählung mit dem poetischen V. 9 ein Text als Deutehilfe vorangestellt worden ist, der voller Anspielungen auf das Hoseabuch ist (vgl. o. S. 47 f.), sind für den Endtext gleichzeitig Hoseas Vorwürfe gegen ein von G o t t gelöstes Königtum mitzuhören.

280

Die Rolle des Propheten nach dem

Amosbuch

c) Die jüngsten Verse 11 f.~ schließlich versuchen, auch diesen Gedanken noch einmal zu steigern: Nur Israel hat von Jahwe die Gabe der Naziräer und Propheten erhalten, hat diese Gabe aber schändlich verschleudert. Es hat die Vorbildhaftigkeit der Naziräer ebensowenig ertragen wie das prophetische Wort, das es im lebenschaffenden Kontakt mit Gott hätte halten können. Das Gottesvolk hat vielmehr die Naziräer korrumpiert und den Propheten das Reden verboten. Mit diesem Schritt hat es sich selber seiner letzten Rettungsmöglichkeit beraubt. Die Erfahrung von Am 7,1017 wird hier generalisiert (wobei 7,16 in 2,12 zitiert wird), auf Israel insgesamt als Verursacher zurückgeführt und als dessen denkbar schwerste Schuld noch über alles gesellschaftliche Unrecht und über alles Versagen gegenüber dem Heilswillen Gottes gestellt. Wenn die Propheten zum Schweigen gebracht sind, ist Israel endgültig gott-los geworden. 2. Am 8,11 f . In Ausmalung der 4. Vision mit ihrer Ankündigung des „Endes Israels" (8,2) sind Am 8,3 und 8,9 ff. breit angelegte Beschreibungen des Todes der Israeliten, die sukzessive Fortschreibungen älterer Amosworte darstellen 24 . In ihnen spielen die Verse 11 f. insofern eine Sonderrolle, als sie den Lesern die Todeswirklichkeit weder in Gestalt der Verkehrung von Festfreude in bittere Klage (V. 3.10) bzw. durch die Anspielung auf Trauerriten (V. 10) noch durch die Darstellung von kosmologischen Veränderungen (V. 9) nahezubringen versuchen, sondern deren geistliche Dimension ausloten. Der Tod ist charakterisiert durch eine vergebliche Sehnsucht nach dem prophetischen Gotteswort (V. 12; PI. in V. 11), das allein den aufkommenden „Hunger" stillen könnte. Die Sprache ist voller Anspielungen. Die Vorstellung vom „Hunger nach dem Wort Jahwes" ist, wie seit langem vermutet, sehr wahrscheinlich durch Dtn 8,3 hervorgerufen, wo die Bedürftigkeit des Menschen nach dem Hören des Wortes Gottes seiner Bedürftigkeit nach Speise gleichgeordnet wird 25 . Wenn daneben die weltweit vergebliche Suche nach dem Wort Gottes betont wird, so werden Motive der 5. Vision des Arnos aufgenommen, derzufolge eine Flucht vor dem Gott, der sein eigenes Heiligtum erschüttert und unzugänglich macht, selbst in die entlegensten Winkel des Kosmos nicht gelingt. Wenn die Vergeblichkeit als ein „Suchen ohne Finden" ausgedrückt wird, so werden Motive des Baalmythos in der Gestalt aufgegriffen, wie sie Hosea auf das

23

V g l . z u r B e g r ü n d u n g b e s . W. H . SCHMIDT, a a O . [ A n m . 13] 1 7 8 ff.; H . W. W O L F F , B K

XIV/2 z.St.; zuletzt M. KÖCKERT, Das Gesetz und die Propheten in Arnos 1 - 2 , in: J. HAUSMANN - H . - J . ZOBEL ( H r g . ) , F S H . - D . P r e u ß , S t u t t g a r t 1 9 9 2 , 1 4 5 ff. 24 Unterbrochen sind diese Beschreibungen von einem summierenden Schuldaufweis, der seinerseits Am 2,6 f. kommentierend fortschreibt. Vgl. dazu o. S. 231 ff. 25 Vgl. neben H. W. WOLFF, aaO. [Anm. 23] z.St. bes. L. PERLITT, Wovon der Mensch lebt (Dtn 8,3b), in: J. JEREMIAS - L. PERLITT (Hrg.), FS H. W. Wolff, Neukirchen 1981, 403-426 = DERS., Deuteronomium-Studien, FAT 8, 1994, 74-96 (mit Lit.).

Die Rolle des Propheten nach dem

281

Amoshuch

Gottesverhältnis Israels übertragen hatte" ; danach bleibt ein „Suchen Gottes" durch ein von G o t t gelöstes Volk erfolglos und „ohne Finden", weil sich G o t t vor den Menschen verborgen hat. Sachlich knüpfen 8,11 f. so an 7,10-17 an, daß sie das Verbot des prophetischen Redens nicht nur zu einer Entwöhnung Israels vom Gotteswort führen lassen, sondern zu einem Entzug des Wortes durch Gott, dessen volle Wirkung Israel erst dann begreifen wird, wenn G o t t (!) die Sehnsucht nach seinem Wort aufbrechen lassen wird. Doch dann wird es für das Gottesvolk zu spät sein. Wie es ohne Gotteswort nicht leben kann (Dtn 8,3), so ist ihm dieses Wort nicht so in seine Verfügung gegeben, d a ß es es einmal verwerfen, dann wieder herbeiwünschen könnte. Wenn Israel stirbt, dann an seinem ungestillten „Hunger" nach dem prophetischen Gotteswort. 3. Am 9,9f. Wenn noch eine Steigerung dieser Hochschätzung des prophetischen Wortes denkbar ist, so steht sie im jüngsten Teil des Amosbuches, Am 9,7-15. In ihm spiegelt der relativ ältere Teil V. 7 - 1 0 eine lebhafte Diskussion um die fünfte und letzte Vision 9 , 1 - 4 (.5 f.) wider, wie sich besonders daran zeigt, d a ß die Verse 8 - 1 0 voller Anspielungen auf Formulierungen aus V. 1 - 4 sind 27 . Dabei entwickeln die Verse 8 - 1 0 die Vorstellung eines Läuterungsgerichtes. Wichtig für sein Verständnis ist, daß die Verse 8 und 9 f. parallel gestaltet sind, wie der analoge A n f a n g (run bzw. run 1D) und die Verwendung der gleichen Schuldkategorie (Wurzel Xün) verdeutlichen 28 . Zusammen besagen die so deutlich aufeinander bezogenen Verse, daß es zwei Arten von Schuld gibt, für die auch nach dem Exil die volle Härte der 5. Vision gilt: die Schuld des Staates (V. 8) und die Schuld derer, die leichtfertig mit dem prophetischen Gotteswort umgehen (V. 9 f.). Für beide Weisen der Schuld gibt es auch nach der schon erfolgten Katastrophe künftig keinerlei Rettungsmöglichkeit. Letztlich sind beide Arten von Schuld identisch. Beide werden terminologisch unter Anspielung auf A m 7,10-17 entwickelt 29 , beide bilden zwei Seiten einer Medaille. Von der Schuld des Staates ist ohnehin im Amosbuch nur in A m 7,10-17 die Rede, und d a ß in der Tat die Opposition des Staates gegen das Gotteswort der Propheten gemeint ist, verdeutlicht die A u f n a h m e von Formulierungen aus 1 Kön 13,34, dem dtr Fazit einer Erzählung, die um den Ungehorsam gegenüber Gottes Wort an einen Propheten kreist. Noch unbestreitbarer geht es im Zitat der Schuldigen (V. 10: „ D u wirst das Unheil an uns nicht heranbringen und uns treffen lassen") um eine

26

V g l . H o s 5 , 6 u n d d a z u J. JEREMIAS, A T D 2 4 / 1 , 1 9 8 3 , z . S t .

27

V g l . d i e N a c h w e i s e b e i W O L F F [ A n m . 2 3 ] u n d JEREMIAS, A T D 2 4 / 2 , 1 9 9 5 , z . S t .

28

V g l . e t w a P. W E I M A R , D e r S c h l u ß d e s A m o s - B u c h e s , B N

29

16, 1 9 8 1 , 6 0 - 1 0 0 ;

71-75.

Vgl. „vom Erdboden" vertilgen in V. 8 mit 7,11.17 und „durch das Schwert sterben" in V. 10a mit 7,11b (und 7,9).

282

Die Rolle des Propheten nach dem

Amosbuch

Selbstsicherheit, die auf der Mißachtung des Prophetenwortes basiert, wie die Anspielungen an Jes 5,19; Mi 3,11, aber auch Am 6,3 belegen. Sachlich gibt es also nur eine einzige Schuld in Israel, die unrettbar ins Verderben führt: die Gleichgültigkeit gegenüber dem Prophetenwort (primär des Arnos). Unterschieden sind V. 8 und V. 9 f. darin, daß diese Schuld einmal institutionell betrachtet wird 30 , einmal individuell (vgl. das Bild vom Sieb in V. 9). Gemeinsam besagen sie positiv, daß es nur eine Weise des Überlebens und des Lebensgewinnes im weiteren Sinne für Israel als Gemeinschaft und für jeden einzelnen gibt: die institutionelle Förderung und der praktische Vollzug der Lektüre des Amosbuches. Am Amosbuch vorbei ist Heil unmöglich, gibt es nur Untergang.

V. Die jüngeren Fortschreibungen der Erzählung Am 7,10-17 kreisen somit um ein und denselben Problemkreis: die Gefahr, daß ein Israel, das im Zusammenbrechen Samarias und Jerusalems die Wahrheit des prophetischen Gotteswortes handgreiflich vor Augen geführt bekam, noch immer leichtfertig und gleichgültig mit dem Gotteswort des Arnos umgehen und damit endgültig sein Heil verspielen könnte. Ohne Ernstnehmen des Amosbuches wird niemand Glied der Gemeinde sein können (9,9 f.), denn ohne Kontakt zum Amoswort ist Leben vor Gott unmöglich (2,11 f.), und eine schleichende Entfremdung von der Lektüre des Amosbuches kann dazu führen, daß das prophetische Gotteswort - trotz aller räumlichen und inhaltlichen „Nähe" (vgl. Dtn 30,14) - unerreichbar fern rückt und trotz allen noch so leidenschaftlichen Suchens unauffindbar bleibt (8,11 f.). Die Wirkungsgeschichte der Disputationsperikope Am 3,3-6.8 führt in V. 7 eine andere, inhaltlich komplementäre Problematik ein. Äußerlich ist Am 3,7 als ein Fremdkörper innerhalb der Fragenreihe von 3,3 ff. daran leicht erkennbar, daß er einen Aussagesatz in Prosa enthält, der seine entscheidenden Stichwörter dem vorausgehenden und dem folgenden Vers entnimmt (Verb und Subjekt in V. 7a; die Wurzel „Prophet-Sein" in V. 7b). Er klingt wie ein Lehrsatz, der die Funktion des Propheten Jahwes zeitlos gültig umschreiben will: Propheten als warnende Wächter, wie sie vom Kontext her vorausgesetzt werden (s. o.), sendet Jahwe regelmäßig, bevor er - bei vorausgesetzter Schuld des Gottesvolkes - Unheil heranführt. Die Nähe zur klassisch-dtr Prophetendeutung, derzufolge Jahwe „früh und

30 Die jüngere Verheißung von der wieder aufgerichteten „Hütte Davids" will das Gegenbild zum schuldigen Staat zeichnen.

Die Rolle des Propheten nach dem

Amoshuch

283

spät" Propheten sandte, um Israel vor seinem Unheilshandeln zu warnen 3 1 , ist ebenso deutlich wie die N ä h e zum Gottesbeweis Deuterojesajas, wie er exemplarisch in Jes 41,21-29 formuliert ist. Die einzigartige Würde der Propheten liegt nach Am 3,7 darin, d a ß allein sie Zugang zu Jahwes „himmlischer Ratsversammlung" haben (vgl. 1 Kön 22,19 ff.; Jer 23,18.22); dadurch sind sie für Israels Gottesverhältnis unentbehrliche Mittler. Die entscheidende Stoßrichtung des Lehrsatzes aber zielt auf den Aufweis, daß Israel unentschuldbar ist, weil es ja Propheten wie Arnos hat, die ihm Gottes Unheilspläne im voraus offenlegen. Freilich impliziert der Vers, was die vorangestellten Belege explizieren: Wo Israel auf seine Propheten nicht hört oder ihnen gar das Reden untersagt, ist es rettungslos verloren. Die Prophetentheologie des abgeschlossenen Amosbuches basiert auf einer doppelten Voraussetzung: 1) Das (mündliche oder schriftliche) Prophetenwort tritt in Aktion, wenn Israel oder einzelne Israeliten schuldig geworden sind. Damit ist im Sinne dieser Theologie jedoch kein Sonderfall bezeichnet, sondern die Stellung Israels vor Gott, wie sie generell und ständig gilt. Als schuldbeladenes Gottesvolk ist Israel von Gottes Strafe bedroht. 2) Derselbe Gott, der Israel bedroht und gefährdet, ist auf Israels Rettung aus und sendet ihm mit dieser Intention Propheten, die es vor der kommenden Strafe warnen. Auf diese Weise ist Israel unentschuldbar, wenn es sich nicht von seiner Schuld abkehrt (3,7), und es ist rettungslos verloren, wenn es seine Propheten abweist oder in ihrer Funktion behindert (2,11 f.; 7,10-17; 9,9 f.). Denn die Propheten verkörpern Gottes Willen zur Rettung, der seinem Strafwillen, der aufgrund geschehener Schuld unvermeidlich ist, an die Seite tritt und ihn beherrscht 3 2 . Israel ist noch nicht durch seine Schuld verloren - wäre das der Fall, gäbe es Israel nicht, denn ein schuldloses Israel ist der Prophetentheologie im Amosbuch undenkbar - ; wohl aber ist es verloren, wenn es seine Propheten von sich stößt. In diesem Sinne gilt: Extra verbum prophetae nulla salus. Diese Prophetentheologie ist weder mit der Auffassung von der Funktion des Propheten bei Arnos selber (Visionsberichte) bzw. bei seinen ältesten Tradenten (Am 3) noch mit derjenigen von A m 7,10-17 einfach identisch 33 . 31

Vgl. bes. O. H. STECK, Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten, W M A N T 23, 1967, bes. 60 ff. 32 Vgl. die enge Parallele der Prophetentheologie im Ezechielbuch: Ezechiel als Wächter m u ß jeden Israeliten vor lebensbedrohender G e f a h r warnen, deren Ursprung derselbe Gott ist, der den Propheten zum Wächteramt bestimmt (Ez 3,16 ff; 33,1-9). " Sie ist ähnlich, aber auch keineswegs identisch mit der Prophetentheologie im D t r G (vgl. zu ihr neben STECK, aaO. [Anm. 31], W. DIETRICH, Prophetie und Geschichte, F R L A N T 108, 1972); vgl. die sorgfältigen Beobachtungen von WILLIAMSON, aaO. [ A n m . 1 9 ] 1 1 5 ff. u n d U T Z S C H N E I D E R , a a O . [ A n m . 1 8 ] 9 8 ff.

284

Die Rolle des Propheten nach dem Amoshuch

Aber sie steht letzterer ungleich näher als ersteren, wobei A m 7,10-17 seinerseits dem Disputationswort Am 3,3 ff. näher steht als den Visionsberichten des Arnos. Ohne die in diesen Visionsberichten verdichtet festgehaltenen Erfahrungen des Arnos aber wäre die im Amosbuch überlieferte mehrstufige Entwicklung zu einer ausgereiften Prophetentheologie schwerlich vorstellbar.

Bibelstellenregister aufgenommen sind nur ausführlicher behandelte Texte der Bücher Hosea und Arnos

Hosea 1,9 2-3 2,8f.

10 71 71 ff., 7 5

2,11-15 2,16f. 3 3,5

5,1 5,3f. 5,4 5,5-7

72ff. 72ff. 74f. 75f. 55fT. 56f. 58f. 57f. 88 135 59f. 38f. 36 6 0 , 135 81 60f.

5,8-11 5,8-14 5,8-6,6

6 1 , 11 Off. i08fr. 118

4-7 4,1-3 4,4-10 4,4-5,7 4,5f. 4,11-14 4,11-19 4,15

5,12-14 5,15-6,6 6,5f. 6,7-7,16 7,13-16 7,15f. 8,4-13 8,13 8,14 9,9 9,10 10,4 11 li,ir. 11,5 11,7 11,8f. 12,11.13f. 13,1 13,4-6 13,5 14,2ff.

6 1 f , 6 6 , 113fT., 12C 62f. 88 63 63f. 77ff. 64 11,40 39ff. 64 91 ff., 1 0 2 36 7 1 , 76ff. 9 2 f f , 128f. 79f. 7 7 f f , 80f. 8 1 , 8 5 , 119f. 88 9 0 f „ 127f. 94f.

44 7 1 , 82ff.

Amos 183ff, 244

2,8

49f.

180fr.

2,1 ir.

i75fr. 158fr., 172fr. i57fr.

2,13 2,14-16 3-6

2,1 2,6f.

5 1 f „ 179 178f i75fr. 179 233ÍT., 2 3 9 f f .

2,6-16

1 5 9 f „ 173f.

3,1 3,2 3,3-8 3,6 3,7 3,8

279f 162., 190ÍT. i6ifr., i9ifr. i42fr. 42, 149Í 4 2 f f , 150f., 155 4 3 , 150, 152, 2 7 6 f . 43 208, 282f. 14, 4 3 , 2 7 6 f .

1,1 1,3-5 1,3-8 1,3-2,3 1,3-2,16 1,5 1,11 1,13-2,3

286 3,9-4,3 3,12 3,13 3,13f. 4,4 4,4f. 4,4-13 4,12 4,13 5,1 5,1-17 5,2 5,4f. 5,5 5,6 5,7 5,8f. 5,13 5,14f. 5,16f. 5,18-27 5,21-24 5,25 6,1-14 6,6 6,8 6,12 7,1-3 7,1-8

Bibelstellenregister 43, 154f. 151 265ff. 44 1 3 , 3 6 , 227f 148 148f„ 198ÍT. 205f„ 212f. 198f„ 207ff. 42, 149f. 148f„ 198f„ 209fT„ 214ff. 152, 226 12, 153f„ 214, 218, 227ÍT. 223 210, 212f„ 222, 225 36, 227 198f.,211f.,216f.,218 224 153f.,209f„ 214, 221ff., 225f„ 228f. 225f. 153 13, 36, 227

sor., 220r.

153 222f. 51, 260ÍT. 36, 143, 219fT„ 227 158 166f., 272fT.

7,1-9,6 7,2 7,3 7,4-6 7,5 7,6 7,7f. 7,8 7,9(-17) 7,10-17 8,1 f. 8,2 8,4 8,4-6 8,4-7 8,7 8,8 8,9f. 8,1 lf. 8,13f. 9,1 9,1-4 9,2-4 9,4 9,5 9,5f. 9,7-15 9,8 9,8-10 9,9f.

157fr. 144, 258fr. 144, 164 158 144, 258fr. 144, 164 45, 158, 189, 246ÍT. 145, 164, 229, 245f„ 260 45fr. 277ff. 158, 272ÍT. 10, 1 4 5 , 1 6 4 , 2 2 9 , 2 4 5 r „ 260 234, 236 235ÍT. 231fr. 260fr. 187, 193f„ 195f. 232 280Í 232 161 fr., 249fr. 160f„ 188fr., 244fr„ 272fr. 255f. 167 187, 193fr. 253 147 49 265fr. 281 f.

Sachregister Arnos/Amosbuch -

Asyl 251 ff. B e e i n f l u s s u n g d u r c h H o s e a 41ff., 263f. Bußliturgie 201 ff. D o x o l o g i e n 146f„ 194f„ 1 9 8 f f , 2 0 7 f f , 21 l f f , 216f„ 253 - E n t s t e h u n g 142ff. - E r d b e b e n 187ff. - G e t r e i d e h a n d e l 241 f. - I s r a e l s t r o p h e 1 5 9 f f , 173ff., 190ff. - J a k o b 257ff. - Josef 222f. - K o m p o s i t i o n 144ff„ 157f„ 1 6 9 f f , 1 7 2 f f , 182, 1 8 5 f f , 1 9 8 f f , 215ff. - Kultkritik 36, 4 7 f f , 154, 2 0 5 f f . 220, 227ff. - L e g i t i m a t i o n 4 2 f f , 150ff, 2 7 2 f f , 276ff. - M ü n d l i c h e V e r k ü n d i g u n g 143f., 154f., 170f., 177, 1 8 0 f f , 224ff. - P r o p h e t e n v e r s t ä n d n i s 283f. - Recht 35f„ 153, 219ff. - Schuldsklaverei 240f. - Tempel 249ff. - Tod u n d L e b e n 214ff. - T r a d e n t e n 149ff„ 155f„ 218ff., 248 - Ü b e r s c h r i f t 183ff. - U n t e r s c h i e d e zu H o s e a 53f. - W e h e r u f e 153 - W i r k u n g s g e s c h i c h t e bei H o s e a 38ff. - Visionsberichte 4 5 f f , 144f„ 157fiF„ 188ff, 244ff„ 2 5 8 f f , 272ff. - V ö l k e r s p r ü c h e 1 5 7 f f , 1 7 2 f f , 190ff. - Z i n n ("PN) 246ff.

Hosea/ Hoseabuch -

Baal 64, 78, 8 6 f f , 127ff. Beeinflussung d u r c h A r n o s 38ff. E h e / E h e b r u c h / H u r e r e i 81, 134ff. Eschatologie 67ff. G e s c h i c h t s r ü c k b l i c k e 37, 77ff„ 91ff„ 127fr.

-

J u d ä i s c h e R e d a k t i o n 56 K o m p o s i t i o n 55ff. Kultkritik 3 6 , 4 0 , 5 7 f f , 62,74f„ 81,88ff„ 9 4 f „ 102, 1 2 7 f f , 136ff. P r o p h e t e n v e r s t ä n d n i s 88 P r o p h e t i s c h e T r a d i t i o n 88 Schriftlichkeit 55ff. S e l b s t v e r s t ä n d n i s 88f. S y r i s c h - e f r a i m i t i s c h e r K r i e g llOff. T r a d e n t e n 64ff„ 84 U m k e h r ( T W ) 6 7 f f , 75fT., 82ff. U n t e r s c h i e d e zu A r n o s 53f. Wirkungsgeschichte: - A r n o s 4 l f f , 263f. - D t r G 81, 98ff„ 103. 133f. J e r e m i a 9 6 f f , 103, 122ff. W ü s t e 91 f., 94

Prophet ie/Prophetenbuch -

A k t u a l i t ä t 3 0 f f , 1 1 9 f f , 21 lff. A l t e r O r i e n t 20ff. D o d e k a p r o p h e t o n 32f., 34ff. Dtr. V e r s t ä n d n i s 201ff„ 279ff. E n t s t e h u n g 17f„ 2 7 f f , 144ff. F a l s c h e P r o p h e t i e 15f., 106, 130ff. F u n k t i o n 3 f f , 272ff G r u p p e n p r o p h e t e n 4f. K a n o n i z i t ä t 32f„ 52ff. Klassische P r o p h e t e n 9ff., 28ff. L e g i t i m a t i o n 14ff. M a r i 6f., 22ff„ 104ff. M ü n d l i c h e V e r k ü n d i g u n g 143f., 154f., 170f„ 224ff. - Schriftlichkeit 1 7 f f , 2 7 f f , 5 5 f f , 107, 117ff., 145f. - S e l b s t v e r s t ä n d n i s 142f„ 155f„ 272ff. - T h e o l o g i e 283f. - T r a d i t i o n s g e b r a u c h 12ff. - Ü b e r l i e f e r u n g 1 6 f f , 105ff. - Vergleich M a r i - Israel 2 5 f f , 105f. - Vergleich m i t P r i e s t e r t u m 8f.