Hilde Domin: Dichtungstheoretische Reflexion und künstlerische Verwirklichung 9783412508166, 9783412507756

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Hilde Domin: Dichtungstheoretische Reflexion und künstlerische Verwirklichung
 9783412508166, 9783412507756

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Irmgard Hammers

Hilde Domin Dichtungstheoretische Reflexion und künstlerische Verwirklichung

2017 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Hilde Domin 1981, Zeichnung von Irmgard Hammers © 2017 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Anja Borkam, Jena Druck und Bindung: Prime Rate, Budapest Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-50775-6

Inhalt Vorwort

Dichterin des Dennoch.......................................................................

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Zu dieser Ausgabe................................................................................ 11 Einleitung. . ............................................................................................. 21 Rezeption des Dominschen Werkes.......................................... 21

Vorbemerkungen zur Themenstellung und zum methodischen Vorgehen.............................................................. 38 1

Dichtungstheoretische Reflexion.............................................. 41 41 41 47 51 56

1.1 Die kunstapologetische Position Hilde Domins. . ........... 1.1.1 Der reflektierende Dichter......................................... 1.2 Soziales Umfeld für Lyrik.................................................... 1.3 Die Krise der Sprache als Bewußtseinskrise. . ................... 1.4 Das „Benennen der Wirklichkeit“..................................... 1.4.1 Der theoretische Begriff der unspezifischen Genauigkeit.. ................................................................ 1.5 Das Gedicht als magischer Gebrauchsgegenstand. . ........ 1.5.1 Exkurs: „Doppelinterpretationen“: Zur Praxis des rezeptionsästhetischen Ansatzes.... 1.6 Die Trias Musterhaftigkeit – Authentizität – Besonderheit.......................................................................... 1.7 Der Epiphaniecharakter der Kunst. . .................................. 1.8 Die erzieherische Funktion von Lyrik. . ............................. 5

61 63 67 71 77 79

Inhalt

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Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung. . ............ 84

2.1 Vorbemerkung: Kurzer biographischer Abriß................. 84 2.2 Das Exiltrauma...................................................................... 89 2.3 Die zwiespältige Erfahrung der Rückkehr....................... 105 2.4 Hilde Domins neuer Humanitätsgedanke....................... 114 2.5 Das dichterische Wort als Rettung aus der existentiellen Not.................................................................. 122 2.6 Simultaneität als Konstante moderner Lyrik................... 126 2.6.1 Die Funktion der Erinnerung in der Tradition.... 126 2.6.2 Erinnerung in der Moderne und bei Hilde Domin.. ......................................................................... 126 2.7 Die soziale Komponente in der Lyrik Domins............... 129 2.8 Das öffentliche Gedicht....................................................... 140 2.8.1 „Nachkrieg und Unfrieden“..................................... 140 2.8.2 Die appellative Form der späten Gedichte............ 145 2.9 Traditionelle Elemente und mythische Referenzen in den Gedichten Hilde Domins............................................ 158 3 Ergebnisse...................................................................................... 166 Anhang: Schema „Parallelen und Bezüge“..................................... 173 Abkürzungen. . ....................................................................................... 176 Literaturverzeichnis............................................................................. 177 Quellen........................................................................................... 177 Hilde Domin......................................................................... 177

Theorie: Nachweis über die Veröffentlichung der einzelnen Beiträge................................................................. 186 Autobiographisches: Nachweis über die Veröffentlichung der einzelnen Beiträge. . ......................... 187 Darstellungen................................................................................ 188 Personenregister.................................................................................. 194 6

Vorwort Dichterin des Dennoch Gedichte hat Hilde Domin (1909–2006) stets zweimal gelesen: einmal für die Mitwelt, einmal für die Nachwelt. Mit Erfolg. Ihre Lesungen waren sehr beliebt, vor allem bei jungen Hörern. Längst ist ihre Lyrik in Anthologien und Schullesebüchern angekommen. Warum wohl? Was Hilde Domin ihren Zeitgenossen zu sagen hatte, gilt auch heute: Es ist nicht umsonst, sich souverän und notfalls mit Humor einzumischen, aufzubegehren gegen den Vorauskonformismus („wenn man heute so gebettet sein möchte, wie man morgen liegen möchte“) und sich wie Sisyphos den Unbrüderlichkeiten und fortgesetzten Inhumanitäten in aller Welt entgegenzustemmen. Unbequem zu sein, das war Hilde Domins Sache. Gerne saß sie zwischen den Stühlen. Dort war Platz für ihren „Mut zum Dennoch“ (Ulla Hahn). „Der Baum blüht trotzdem“, so heißt ihr letzter Lyrikband (1999). An dem Geburtshaus in der Riehler Straße in Köln erinnert heute eine Plakette an Hilde Domin. Schon in der Schule fiel die Frühbegabte auf. Sie verfasste Aufsätze in Reimen, hielt im Talar des Vaters, eines jüdischen Rechtsanwalts, eine kritische Abiturrede und schrieb so vorwitzige Gedichte, dass die Schulleitung ihr das Abschlusszeugnis wieder aberkennen wollte. Als sie im März 1929 am Merlo-MevissenGymnasium unter dem Vorsitz des damaligen Oberbürgermeisters Konrad Adenauer ihr mündliches Abitur ablegte und vom Schulrat für ihr Paneuropa-Engagement gerügt und eine Note herabgestuft wurde, zerriss sie zuhause aus Zorn ihr taubenblaues Samtkleid. Den 7

Vorwort

ersten Bundeskanzler Deutschlands würdigte sie 1995, bei der Verleihung des Literaturpreises der Konrad-Adenauer-Stiftung in Weimar, als Versöhner der Völker und Freiheitsdenker. Hilde Domins Lebenslauf ist untrennbar mit ihrem Exil verbunden. 1932 verließ die Studentin der Rechtswissenschaft und Nationalökonomie, die bei Karl Jaspers hörte, mit ihrem späteren Mann, dem Hispanisten Erwin Walter Palm, Deutschland. Ihr Vater war von den Nazis öffentlich gedemütigt worden. Über Rom und Südengland gelangte Hilde Löwenstein in die Dominikanische Republik, ein zweischneidiges Paradies. Der Diktator Trujillo hoffte dort mit den Emigranten aus Europa sein Land „aufzuweißen“, verfolgte aber unbarmherzig alle Andersdenkenden. Im Exil wurde Hilde Domin zur Dichterin – und sie gab sich mit dem Ort des Exils einen neuen Namen. In den postum edierten Briefen an ihren Mann kann man lesen, wie schwer diese dichterische Selbstgeburt war. Nicht nur in fremden Sprachmilieus, auch gegen die Ignoranz ihres Mannes, der selbst gerne ein weltberühmter Poet geworden wäre und sich bei Thomas Mann andiente, setzte sich Hilde Domin durch. 1961 kehrte Hilde Domin nach Deutschland zurück. Sie kam mit einer „Rose als Stütze“ (so der Titel des vielgelobten Debütbandes, 1959). Die „Rose“, das war die deutsche Sprache, in der Hilde Domin eine zerstörte, aber aufbauens- und lebenswerte Heimat, ein „zweites Paradies“ (so der Titel ihres einzigen, allerdings nicht sonderlich erfolgreichen Romans) fand. Einfache Wortgewichte mit starken Bildern aus der europäischen Literatur: Hilde Domin verhalf der deutschen Nachkriegslyrik zum Wiederanschluss an die Moderne. Hilde Domin schrieb lyrische Depeschen aus der Agentur der kritischen Vernunft. Ihre Gedichte sprechen den politisch wachen, den brüderlich denkenden Menschen im Leser an. Sie erinnern an Flucht und Vertreibung, mit dem Mut zum Dennoch und dem Plädoyer für eine zweite Chance. Und das immer, wie Domin im berühmten

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Dichterin des Dennoch

FAZ-Fragebogen sagte, „auf der Kippe zwischen Furcht und Zuver-

sicht. Balancierstange die ratio“. Hilde Domins Lyrik entzieht sich jeder gängigen Einordnung. Sie hat sich der Negativität der Weltuntergangsliteratur ebenso verweigert wie der politischen Tendenzdichtung. Als der Krieg zu Ende war, warnte sie vor „Nachkrieg und Unfrieden“ (so heißt die von ihr 1970 herausgegebene, 1995 erweiterte Anthologie). Als die Dichter 1968 auf die Barrikaden gingen und nicht mehr Gedichte, sondern „Analysen und Steine“ in die Hand nahmen, da war sie den einen zu links und den anderen nicht links genug. Als Mitte der 1990er Jahre die Atomkriegs- und Kalte-Kriegs-Angst verflogen zu sein schien, erinnerte sie an das Vernichtungspotenzial des technischen Fortschritts: „Der übernächste Krieg / sagt Einstein / wird wieder mit Pfeil und Bogen geführt“. Marcel Reich-Ranicki hat über Hilde Domin gesagt, sie stehe „außerhalb jeder Regel“. Das galt auch für die Germanistik. Wer zeitlebens mit ihr forschend zu tun hatte, kann davon ein Lied singen. Als ich Anfang der 1990er Jahre an meiner Dissertation über ihre Lyrik und Poetik arbeitete, hat sie bereitwillig ihre Archive geöffnet und Einblicke in ihre Werkstatt ermöglicht. Einerseits. Auf der anderen Seite stehen Telefonanrufe am frühen Sonntagmorgen: „Diese Interpretation geht gar nicht!“ – „Enzensberger ist gut, Rühmkorf nicht.“ Gleichwohl war Hilde Domin ihren Interpreten stets gewogen. Sie schätzte den Menschen im Leser. Und war dankbar für jede aufmerksame Aufnahme ihrer Gedichte. Inzwischen gibt es eine Reihe anregender Studien (von Nikola Herweg und von Margret Karsch), eine Ausgabe des Ehebriefwechsels (2009) und Einzelbriefwechsel (mit Hannah Arendt in Sinn und Form 2010, Heft 3), Vertonungen und den Film von Anna Ditges („Ich will dich. Begegnungen mit Hilde Domin“, 2007). Und auch weitere Dissertationen entstehen. Lorenzo Bonosi promoviert 2016/17 an der Universität Verona über „Das Unbehagen an der Rückkehr.

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Vorwort

Probleme des ‚zweiten Paradieses‘ in Hilde Domins Korrespondenz mit Heinrich Böll, Günter Eich und Erich Fried“. Die Kölner Doktorarbeit von Irmgard Hammers aus dem Jahr 1984 steht am Anfang der Forschung über Hilde Domin. Sie war (um dankbar aus meiner eigenen Dissertation, 1992, zu zitieren) „der erste wichtige Forschungsbeitrag zu Domins Werk“, umsichtig in der lyriktheoretischen Grundlegung und treffsicher in der Einzeldeutung von Gedichten. Man muss sich vor Augen halten, dass es damals kaum Interpretationen, keine Poetik-Vorlesungen gab, und schon gar keine Monographien. Zu Irmgard Hammers’ Arbeit gehört ihr Doktorvater. Walter Hinck ist selbst einer der Gründerväter der Domin-Forschung. Er hat ihre Gedichte in der „Frankfurter Anthologie“ kommentiert, über sie Aufsätze geschrieben und Vorträge gehalten, Dichterlesungen angeregt. Das „Dennoch“ und die „Hoffnung“ sind die Lebensdevisen von Hilde Domin, schreibt Walter Hinck in seinem Buch „Stationen der Lyrik“ (2000). Als 1997 die kleine Monographie „Hilde Domin – ,Hand in Hand mit der Sprache‘“ erschien, die Birgit Lermen, Ulrike Pohl-Braun und ich verfasst hatten, ließ er es sich nicht nehmen, die Dichterin bei der Buchvorstellung als stimmstarke Anwältin der Literatur zu würdigen. Es gibt Dissertationen, die die Zeiten ihres Entstehens überdauern. Manche werden Standardwerke, wie die von Eberhard Lämmert über die „Bauformen des Erzählens“ (1955) oder die von F. C. Delius über den „Helden und sein Wetter“ (1971). Einige öffnen neue Wege oder gehen als Quellenuntersuchungen in die Geschichte der jeweiligen Autorenphilologie ein. Andere wiederum schöpfen so reiche Einsichten, dass sie es verdienen, auch nach drei Jahrzehnten wiedergelesen zu werden. Dazu gehört das Buch von Irmgard Hammers. Es zeigt das Werk einer bedeutenden Autorin am Anfang seiner Erforschung. Und zeichnet Linien für künftige Deutungen vor, die nachgezogen, verlängert oder umgestellt werden können. Prof. Dr. Michael Braun 10

Bergaufwärts gerollt die Steine werden Quelle und Brot

Zu dieser Ausgabe

Die vorliegende Untersuchung zu Hilde Domins Lyrik und Poetologie wurde 1984 als Doktorarbeit, betreut von Professor Dr. Walter Hinck, von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln angenommen. In dieser Arbeit werden die kunstapologetische Position und die ästhetische Vermittlung der Themen untersucht sowie die Frage erörtert, inwieweit Dichtung und Poetik eine Einheit bilden, wobei beide auch als je eigenständige Werke betrachtet werden. Als Einleitung wird ein kurzer Abriss über die – bis auf wenige Ausnahmen – positive Rezeption gegeben, die die ersten Gedichte in „Hochland“ sowie der erste Gedichtband „Nur eine Rose als Stütze“ 1959 nach Hilde Domins Rückkehr aus dem Exil in ihre Heimat sowohl bei der professionellen Kritik als auch beim Lesepublikum erzielten. Diese Rezeption des Werkes von Hilde Domin ist bis heute ungebrochen sowohl im In- als auch im Ausland. Die Lyrik wurde in viele Sprachen übersetzt, die theoretische Abhandlung „Wozu Lyrik heute“ kann als Standardwerk gelten. Gedichte erscheinen in Schulbüchern, in Anthologien, selbst in den USA. Zu ihrem Tod im Jahre 2006 erschienen in allen überregionalen, namhaften Zeitungen sehr positive Nachrufe. So schrieb Marcel Reich-Ranicki am 24. Februar 2006 11

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in der FAZ, ihre Dichtung sei „Widerspruch und Rebellion – gegen Hartherzigkeit und Gleichgültigkeit, gegen Opportunismus und Konformismus“. Er rühmt in ihren Gedichten „die Vorliebe für die knappe und prägnante, die schmucklose und weitgehend auf Metaphern verzichtende Sprache“, verbunden „mit gedanklicher Klarheit“. Michael Braun setzt den Akzent auf Hilde Domins Vertrauen in die Sprache, die für sie „stets die heile Gegenwelt“ gewesen sei (Frankfurter Rundschau am 24. Februar 2006). Es erschienen Biographien, Magisterarbeiten und Dissertationen, Gedichte wurden vertont, zahlreiche Ehrungen und renommierte Literaturpreise wurden ihr zuteil. Auch der wunderbare Dokumentarfilm von Anna Ditges, der 2007, also ein Jahr nach Domins Tod, gezeigt wurde, sei hier angeführt. Die Gedichtbände werden regelmäßig neu aufgelegt: „Hier“ 2014, 9. Auflage, „ich will Dich“ 2011, 11. Auflage, „Nur eine Rose als Stütze“ 2014, 16. Auflage, „Gesammelte Gedichte“ 2013, 12. Auflage, „Sämtliche Gedichte“ 2016, 7. Auflage; im selben Jahr erschien eine kleinformatige Ausgabe in 2. Auflage. 2009 brachte der S. Fischer Verlag „Die Liebe im Exil“, Hilde Domins Briefe an ihren Ehemann, heraus. Auch die theoretischen und autobiographischen Schriften finden weiterhin große Beachtung, und selbst der nicht so erfolgreiche Roman „Das zweite Paradies“ erfuhr 2006 die 6. Auflage. 1987/88 hielt Domin die berühmten „Frankfurter Poetik-Vorlesungen“, an denen über tausend Menschen teilnahmen. Die gedruckte Ausgabe „Das Gedicht als Augenblick von Freiheit“ erschien im November 2009 bei S. Fischer in 11. Auflage. Die Frauenbewegung beachtet und würdigt Domin ebenfalls. Anlässlich der Ehrengabe der Heinrich-Heine-Gesellschaft an Alice Schwarzer am 17. Februar 2006 entstanden von der Fotografin Bettina Flittner zwei schöne Portraits von Schwarzer mit Domin, der Preisträgerin des Jahres 1972. 2006 fertigte die Bildhauerin Ursula Stock eine Portraitzeichnung in Mischtechnik an. Auf den regelmäßig stattfindenden Stadtrundgängen des Kölner Frauengeschichtsvereins stand am 20. August 2016 Leben und Werk Hilde Domins im Mittelpunkt. Ulla Hahn nimmt das Gedicht „Freiheit / ich will 12

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dich“ in ihre Anthologie „Stechäpfel. Gedichte von Frauen aus drei Jahrtausenden“, auf. Es gehe ihr nicht um einen Geschlechtsbonus der Quotenregelung, betont Hahn im Nachwort, sondern darum, „dass die Abwesenheit von Autorinnen in den Anthologien überhaupt zur Kenntnis genommen und thematisiert“ werde. Im Nachwort zur erweiterten Neuausgabe 2008 hebt sie hervor, dass inzwischen Autorinnen in der Öffentlichkeit genauso präsent seien wie Autoren, und schreibt diesen Erfolg der Frauenbewegung zu, die die Voraussetzungen für diese Veränderung geschaffen habe. Zum 100. Geburtstag von Hilde Domin erscheint in der Zeitschrift Emma eine Laudatio von Ulla Hahn mit dem Titel „Schreiben war das Unverlierbare“. Darin würdigt Hahn auch „Wozu Lyrik heute“ und betont, hätte ein männlicher Theoretiker dieses Buch geschrieben, hätte es längst gebührende Beachtung gefunden. Der Theoretikerin werde diese leider erst mit der zeitlichen Verzögerung zukommen, „mit der die Öffentlichkeit in Deutschland noch immer auf Frauen reagiert, die beides vereinen: Gefühl und analytischen Verstand“. Inzwischen hat diese Abhandlung einen festen Platz in der Literaturwissenschaft. 2011 erscheint die erfolgreiche Biographie von Marion Tauschwitz „Dass ich sein kann, wie ich bin“. Sie erreicht 2015 die 4. Auflage. Das Buch ist flott und spannend geschrieben. Aber erfüllt es auch die Kriterien an eine fundierte Biographie? Man erfährt viel Wissenswertes über Domins Werdegang und Leben, vor allem auch über die Beziehung zu ihrem Mann, die nach Tauschwitz von Unterwürfigkeit und Abhängigkeit bestimmt gewesen sei. Dabei setzt die Biographin Kunst und Leben unreflektiert gleich. Ulla Hahn geht zum 100. Geburtstag von Domin in ihrem Artikel „Neue Bücher zu Ehren der großen Poetin“ (Zeit online, 23. Juli 2009), auf diese Biographie ein. Sie schreibt: „Die Biografie […] rückt eine bis zur Hörigkeit dienstbare Ehefrau in den Mittelpunkt, die von einem bis zur Gewalttätigkeit eifersüchtigen Ehemann an der eigenen Entwicklung gehindert wird.“ Hahn kritisiert ebenfalls, dass die Biographin reale Person und lyrisches Ich unmittelbar aufeinander 13

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bezieht, es keine „ästhetische Umwandlung der Lebenserfahrungen“ gebe. Für sie degradiert „die Biografie das Werk Hilde Domins zur Datenbank“. Die fachlichen Versäumnisse hätte Tauschwitz vermeiden können, hätte sie sich an Hilde Domins Definition des Gedichts als „magischem Gebrauchsgegenstand“ orientiert. Hier distanziert sich die Dichterin ganz klar von einer solchen Gleichsetzung von realer Person und lyrischem Ich. Nach ihrer Definition sind Gedichte dazu da, „dass sie benutzt werden können, für die Modellsituation“. Für sie haben Gedichte „Folgen […] [,] insofern sie ja aus zwingenden Gründen entstanden sind und Modellcharakter haben, entkleidet sind vom Zufall der Einzelerfahrung, die sie ausgelöst hat“. „Gedichte machen sich selbständig, immer schneller“ („Von der Natur nicht vorgesehen“, S. 19). „Worte drehen nicht den Kopf / sie stehen auf / sofort / und gehn“ („Ich will dich“, S. 40). Dies nennt Domin den Prozess der Objektivierung, also der Ablösung von der subjektiven hin zur allgemein menschlichen Erfahrung. Formal drückt sich dies aus in der Tendenz zum fragmentarischen Gedicht durch Auflösung der Syntax (bereits ab Band III), Fehlen der Interpunktion ab Band IV. Ein lyrisches Ich ist kaum noch zu erkennen, das Aussagesubjekt tritt hinter das Aussageobjekt zurück. Die maßgebende Biographie, die das Verhältnis der historischen Situation und der daraus resultierenden ganz eigenen Strukturen des Denkens und Schreibens dieser großen Lyrikerin in Beziehung zueinander setzt und analysiert und die Fähigkeit der Autorin hervorhebt, vom eigenen Schicksal zu abstrahieren hin zur conditio humana, ist noch nicht geschrieben worden. Ich habe Hilde Domin im persönlichen Gespräch nicht als Opfer wahrgenommen, sondern als eine sehr zielstrebige, souveräne Person, die genau wusste, was sie wollte, und dies auch durchsetzte. Auch die Briefe, die Domin an Palm schrieb, zeigen ein differenzierteres Bild. Sie weisen auf eine schwierige Beziehung in einer äußerst schwierigen Lebenslage hin, aber – wie mir scheint – handelte es sich um eine symbiotische Beziehung, in der eine Art gegenseitiger 14

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Abhängigkeit bestand; ganz abgesehen davon, dass wir nur eine Perspektive kennen. In dem Film von Anna Ditges ist der 1988 verstorbene Ehemann sehr präsent, spricht die Dichterin ständig von ihm, von Erwin, der einzigen großen Liebe ihres Lebens, zeigt seine Bücher, seinen Arbeitsplatz und bezeichnet ihr Leben ohne Erwin als leer. Auch Irma Hildebrandt, die in ihrem Buch „Frauen setzen Akzente. Prägende Gestalten der Bundesrepublik“ (München 2009) ein objektives Portrait von Domin zeichnet, stellt sie keineswegs als hilflos dar, sondern als durchsetzungsfähige Verhandlungspartnerin gegenüber Lektoren, Journalisten, Veranstaltern von Lesungen. Auch sei sie „bei aller Liebenswürdigkeit“ stets auf Distanz bedacht gewesen. Im ersten der drei ihrem verstorbenen Mann gewidmeten Gedichte heißt es: „Mein Herze / wir sind verreist / nach verschiedenen Weltteilen“ („Sämtliche Gedichte“, S. 255). Nach endgültigem Abschied klingt das nicht. Der Text „Über die Schwierigkeiten, eine berufstätige Frau zu sein“ („Von der Natur nicht vorgesehen“, S. 42–46) zeigt recht objektive Beobachtungen über die öffentliche Wahrnehmung von Männern und Frauen. Hilde Domin war sich der Benachteiligung, die Frauen allein durch ihr Geschlecht erfahren, bewusst, aber eine Feministin war sie eher nicht. Sie spricht übrigens von sich immer in der männlichen Form: Ich bin ein Dichter, Exilant, Rufer usw. Hilde Domins Gedichte sind heute aktueller denn je: „[…] Gedichte ändern sich, verwandeln sich laufend der Wirklichkeit an. Deswegen bleiben Gedichte lebendig und können immer neu und immer anders gelesen werden“ („Von der Natur nicht vorgesehen“, S. 28). Vertreibung aus der Heimat, Angst vor Identitätsverlust, Unsicherheit der Existenz – diese Erfahrungen eines Lebens im Exil werden in den frühen Gedichten thematisiert, sehr deutlich in „Graue Zeiten“ („Ich will dich“, S. 14): „Es muss aufgehoben werden / als komme es aus grauen Zeiten / Menschen wie wir wir unter ihnen / fuhren auf Schiffen hin und her / und konnten nirgends landen“. Als 1978 die sogenannten boat people (2500 vietnamesische Flüchtlinge auf einem kleinen Frachter) nirgends Aufnahme fanden, lancierte Domin einen 15

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Aufruf zur Rettung dieser Menschen und erinnerte an „Judenschiffe“, die von Land zu Land fuhren und ebenfalls keine Aufnahme fanden. Wer dächte nicht auch heute an die Flüchtlingsboote vor Europas Küsten, an die Menschen, die im Mittelmeer ertrinken, weil sie gewissenlosen Schleppern ausgeliefert sind. In den 1980er Jahren prangerte Domin bereits den Primat der Ökonomisierung und Technisierung der Gesellschaft an, in der der Mensch wie ein Automat funktioniert. „Der ‚Halbtote‘ [Begriff von Herbert Marcuse] ist der programmgerecht funktionierende Mensch, der nur noch auf Störung seines Konsums reagiert“ („Poetik-Vorlesung“, S. 63). In dem Gedicht „Geh hin“ ist von Menschenattrappen die Rede („Sämtliche Gedichte“, S. 186). Die großen Krisen des 21. Jahrhunderts hat Hilde Domin nicht erlebt: Globalisierung, Finanzkrise, Digitalisierung, Flüchtlingsbewegungen, Terrorismus. Sie konnte nicht wissen, dass die Digitalisierung aller Lebensbereiche die Gesellschaft völlig verändern würde. Die Vision des Internets war Wohlstand und Freiheit für alle. Stattdessen führt die ungesteuerte Informationsgesellschaft, die ungebremste und unreflektierte Nutzung der sozialen Netze zu Kontrollverlust über das eigene Leben. Der chinesische Philosoph Byung-Chul Han nennt in Anlehnung an Julian Assange das Internet ein „ausgeklügeltes Massenüberwachungssystem“, das zu einer Kontrollgesellschaft führe. Diese „vollendet sich dort, wo ihr Subjekt nicht durch einen fremden Zwang, sondern aus einem selbst generierten Bedürfnis heraus sich entblößt, wo also die Angst davor, seine Privat- und Intimsphäre zu verlieren, dem Bedürfnis weicht, sie schamlos zur Schau zu stellen. […] Die Selbstausleuchtung ist effizienter als die Fremdausleuchtung, weil sie mit dem Gefühl der Freiheit einhergeht.“ Der Philosoph sieht darin einen ökonomischen Imperativ: „Wer ganz ausgeleuchtet ist, ist der Ausbeutung schutzlos ausgeliefert.“ Damit fallen für Han Freiheit und Kontrolle in eins (Byung-Chul Han: Transparent ist nur das Tote, DIE ZEIT vom 12.1.2012). Wer sich heute nicht entblößt, nicht alles preisgibt, nicht alles teilt, erregt Verdacht. Ich denke an ein Wort des früheren 16

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Google-Chefs Eric Schmidt: „Wenn Sie etwas machen, von dem Sie nicht wollen, dass es irgendwer erfährt, dann sollten Sie es vielleicht gar nicht tun.“ Können in einem solchen Umfeld Gedichte noch „bewusstseinsverändernd“ sein? Diese Frage hat Enzensberger bereits verneint. Hilde Domin aber ist fest davon überzeugt. Sie sagt von sich, sie sei „ein politischer Mensch, vom Scheitel bis zur Sohle. Dafür hat das Schicksal gesorgt. Meine Gedichte sind ein Aufruf zur Verantwortungsbereitschaft. Verantwortung muss immer neu mobilisiert werden. Ich bin ein Rufer. Wer würde rufen, ohne den Glauben, dass Kommunikation möglich ist?“ („Von der Natur nicht vorgesehen“, S. 129/30). Diese Überzeugung thematisiert sie in den Liedern zur Ermutigung („Rückkehr der Schiffe“, S. 108 f.). Sie glaubt an die Kraft des Menschen, sich trotz großer Schicksalsschläge wieder aufzurichten, und sie glaubt an das Wort des Dichters, den Menschen in seinem Ringen zu unterstützen. Deshalb stellen ihre Gedichte einen Appell an die Menschlichkeit dar („Abel steht auf“. In: „Ich will Dich“, S. 28). „Das A und O ist für mich der immer mögliche Neuanfang: die zweite Chance. Daß sie jedem Menschen gegönnt sei. Darum geht es in Abel steh auf : Ein Gedicht, das mein letztes Wort ist, nicht nur heute“ („Poetik-Vorlesungen“ S. 99/100). Ein Lebensmotto Hilde Domins ist das „Dennoch“, „diese aus dem Nichts aufsteigende Zuversicht – der Augenblick von Freiheit […], die das Gedicht dem Schreibenden und dem Lesenden gibt. Von immer zu immer“ („Poetik-Vorlesungen“, S. 81). In diesem Zusammenhang seien auch die Sisyphus-Gedichte genannt, „Wer es könnte“, „Sisyphus 1967“. Domin nennt Sisyphus „eine andere Metapher für mein Lebensmotto Dennoch […]. Eine Metapher der Widerständigkeit“ („Poetik-Vorlesungen“, S. 85). Sie möchte durch ihre Gedichte erreichen, „daß etwas zumindest durch dies stete Bemühen geändert werden könnte. Daß es versucht werden muß“ („PoetikVorlesungen“, S. 93). Ob die Kunst, hier das poetische Wort, das Bewusstsein des Menschen verändert? Diese Frage lässt sich nicht beantworten. Dass Kunst, 17

Zu dieser Ausgabe

vor allem die Bildende Kunst, heute sehr präsent ist, ist eine Tatsache. Hilde Domins theoretische Essays werden jedenfalls bis heute diskutiert, ihre Gedichte gelesen! Irmgard Hammers, im Dezember 2016

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Mein Dank gilt meinem Lehrer, Herrn Professor Dr. Walter Hinck, für die sorgfältige Betreuung der Arbeit und manch wertvolle Anregung. Dank aber auch Hilde Domin, die keine Mühe scheute, mir bei der Beschaffung, Sichtung und Einordnung von Material behilflich zu sein!

Einleitung Rezeption des Dominschen Werkes

Das Bild der deutschen zeitgenössischen Lyrik wird weitgehend durch Kritiker bestimmt, die Maßstäbe und Normen formulieren und Wirkungen dadurch kanalisieren. Deshalb soll hier kurz die Aufnahme der Dominschen Lyrik und theoretischen Äußerungen in der Öffentlichkeit anhand von Rezensionen und Besprechungen, die den breitesten Anteil einnehmen, skizziert werden. Die Wirkung von Hilde Domins Lyrik setzt sofort nach dem Erscheinen des ersten Bandes Nur eine Rose als Stütze im Jahre 1959 ein. Die literarische Kritik nimmt das schmale Bändchen begeistert auf. In dieser ersten Wirkungsphase erscheint der Gedichtband als antihermetisches Zeugnis. Einstimmig werden als Reaktion auf die hermetische Lyrik, deren absolute Chiffren und Metaphern keine Neuheit mehr darstellen, d. h. die der Leser vielmehr jetzt durchschaut, die Klarheit und Einfachheit der Dominschen Lyrik gepriesen. Als durchgängige Konstante tritt von Anfang an die sehr positive Bewertung der „Überwindung der apokryphen Lyrik“ auf, „[…] man schreibt wieder Gedichte, die klar und präzise, einfach und vollkommen sind: vorbei die Stunde des Surrealismus! Man nimmt zur Kenntnis, man konstatiert und beschwört, man stammelt nicht mehr und man schreit nicht“, so Walter Jens.1 Oder Horst Bienek: „Nach der Originalitätssucht und den metaphorischen Wucherungen 1

Walter Jens: Vollkommenheit im Einfachen. In: Die Zeit vom 27.11.1959. 21

Einleitung

der letzten Jahre erscheinen hier Gedichte in bewußt einfacher, klarer, ,naiver Sprache‘“.2 Hilde Domin wird sofort mit anerkannten Lyrikerinnen wie Nelly Sachs, Ingeborg Bachmann, Christine Busta, Marie-Luise Kaschnitz verglichen. Auffällig auch, daß sich von Anfang an die großen überregionalen Zeitungen ihrer annehmen. Weniger bekannte Kritiker nehmen den Topos von der Überwindung der apokryphen Lyrik und den Triumph des Einfachen unreflektiert auf, so daß er bald zu einem Etikett Dominscher Lyrik wird. Überall fehlt eine Begründung dafür, wie gesellschaftliche Erfahrungen der Dichterin in Form und Inhalt ihrer Lyrik eingehen und wie diese Erfahrungen, durch Lyrik vermittelt, auf den Leser wirken. Es fehlt jeder Hinweis darauf, daß es sich hier um eine höchst verinnerte Lyrik handelt, die, losgelöst vom deutschen Sprachraum und Publikum, in der Einsamkeit entstand. Die Kritiker verfahren rein werkimmanent, womit ja auch die Struktur eines Textes erfaßt wird, die gesellschaftliche Begründung aber nicht. So wie die Kritik Wirkungen kanalisiert und eine bestimmte Rezeption vorbereitet, so hat die tatsächliche Rezeption wiederum Auswirkungen auf das Werk. Der zweite Band Hilde Domins wird mit der gleichen Begeisterung und den gleichen Reaktionen bedacht. Kurt Pinthus schreibt in der Zeit: „Eine in vielen Ländern viel umgetriebene reifende Frau veröffentlichte 1959 ihr Erstlings-Gedichtbuch, aus dem ein neuer, doch lange erwarteter Ton hörbar war: […] der Ton der Einfachheit und Klarheit. […] drei Jahre später folgt jetzt ihr zweites [Buch]. Aus der reifenden Frau ist eine reife Dichterin geworden […]. Einfachheit und Klarheit sind in diesen neuen, neuartigen Gedichten zu beispielloser Konzentration und Kondensation gelangt […]. Vielleicht ist sie ein Stern in der düsteren Wirrnis unserer Zeit.“3 Karl Krolow betont die Empfindsamkeit und Feinfühligkeit: „Nun hat die Dichterin einen 2 3

Horst Bienek: Abkehr von der Metapher. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 7.4.1960. Kurt Pinthus: Die Schiffe können wiederkommen. Zu Hilde Domins neuen Gedichten. In: Die Zeit vom 13.7.1962. 22

Rezeption des Dominschen Werkes

neuen Band folgen lassen […] und wir erkennen zunächst einmal die Autorin von damals wieder: ihre Sensibilität, ihre Fähigkeit, mit Worten Leitern in die Luft zu legen in einen Himmel empfindlicher Poesie. […] Diese Poesie dieser Frau ist eine Versuchung unserer Feinfühligkeit.“4 Da die Literaturwissenschaft sich in diesen Jahren noch stark an Benn orientiert, führt eine dem Dominschen Werk gegenüber falsche Erwartungshaltung andererseits dazu, auch ihre Lyrik in die hermetische, schwer verständliche einzureihen oder gar von der Beschwörung des Wortes zu sprechen. „Die Sprache der Verse ist einfach und genau und bleibt immer in der Schwebe zwischen der Wirklichkeit und ihrer poetischen Verzauberung.“5 Büttner behauptet sogar, sie folge „der zeitgemäßen Poesie, vor allem der surrealen Tendenz und [liebe] es, ihre verschlüsselten Gedichte selbst zu interpretieren“.6 Man sieht, wie hier die Begriffe „surreal“ und „verschlüsselt“ in die Vorerwartung des Kritikers eingehen, so daß er Gedichte damit zu erfassen sucht, auf die dieses Vokabular nicht zutrifft. Der dritte Band Hier, erschienen 1964, ruft ebenfalls große Zustimmung hervor. In Echo der Zeit vergleicht Peter Jokosta7 Domin erneut mit Bachmann, Kaschnitz, Borchers, Scharpenberg. Er hebt den Verzicht von Metaphern und die kühne Verwendung von Alltagsvokabeln hervor und lobt wieder einmal die Einfachheit der Verse. Daß der dritte Band sich außerordentlich, zumindest formal, von den beiden ersten Bänden unterscheidet, bleibt zunächst unerwähnt. Dagegen stellt Elisabeth Endres fest,8 daß Hilde Domin sich erst mit ihrem dritten Band endgültig ihren literarischen Platz gesichert habe: 4 Karl Krolow: Unaufhaltsame Reise nach oben. In: Deutsche Zeitung vom 28.7.1962. 5 Wilhelm Duwe: Ausdrucksformen deutscher Dichtung vom Naturalismus bis zur Gegenwart. Eine Stilgeschichte der Moderne. Berlin 1965, S. 303. 6 Ludwig Büttner: Von Benn zu Enzensberger. Nürnberg 1971. S. 86. 7 Peter Jokosta: Die richtigen Namen nennen. In: Echo der Zeit vom 29.2.1964. 8 Elisabeth Endres: Den Ton des Exils nie verlernt. In: Welt der Literatur vom 21.1.1965. 23

Einleitung

„[…] von den mitunter redseligen Gedichten des Bandes ,Nur eine Rose als Stütze‘ kam sie konsequent zu jenen kurzen, in sich völlig geschlossenen Gebilden, deren lyrischer Gehalt keiner Unterstützung bedarf.“ Manfred Seidler entdeckt die Gedichte von Hilde Domin für Schüler, die sie „lieben, weil sie sie verstehen“.9 Sogar in der Neuen Rundschau werden dem Band sechseinhalb Seiten eingeräumt. Wieder taucht der viel strapazierte Begriff vom „Beschwörungszauber“ auf: „Wer erinnerte sich nicht beim Lesen dieser […] Zeilen an Mallarmés Ausdruck vom Beschwörungszauber, an Sätze Valérys oder an Benns bekannte Formulierungen über den Vorgang beim Schaffen eines Gedichts.“10 Die Frage erhebt sich, ob man dieser gedanklich präzisen Lyrik gerecht wird, wenn man sie mit fast Diltheyschen Kategorien paraphrasiert. „Es ist die Tradition des europäischen Dichtens, die im Wort, in der Konstellation der Worte, in den rhythmischen, tönenden Elementen der Sprache die Kräfte der Aussage sucht, bei deren Vernehmung der Mensch vibriert, auch wenn er in Landschaften des Dunkels und der Verzweiflung geführt wird.“11 Für die Kritik scheint es inzwischen eine „feste Größe“ Hilde Domin zu geben. Sie wird stilisiert mit den Worten einfach, klar, nicht esoterisch einerseits, dunkel, verschlüsselt andererseits, je nach der Position des Kritikers. Das Beunruhigende auch in den angeblich so leicht verständlichen „verinnerlichten“ Gedichten der ersten Bände sowie die Zuwendung zu öffentlichen Themen im dritten Band werden kaum vermerkt. Eine Ausnahme macht Joachim Günther, der zumindest die formale Entwicklung zu Wortökonomie und Reduktion hervorhebt, d. h. einen Fortschritt darin sieht, daß „das Übergewicht des Weggelassenen zum Gesagten, der negativen Rhetorik zur unmittelbaren Rede größer“ sei. Er schließt mit den Worten: „Der dritte Band ist wieder nur ein kleines Buch mit 56 Gedichten, doch eine große Gabe im Doppelsinn des 9

Manfred Seidler: Aus Anlaß des dritten Gedichtbandes: Hilde Domin. In: Die Pädagogische Provinz 19 (1965), S. 122–133, hier S. 122. 10 Edgar Lohner: Hilde Domin/Hier. In: Neue Rundschau 76 (1965), S. 339–345, hier S. 339. 11 Lohner, a. a. O., S. 339. 24

Rezeption des Dominschen Werkes

Wortes.“12 Der vierte Gedichtband Ich will Dich, 1970 erschienen, wird zwar wiederum mit Enthusiasmus, aber nicht mehr so einheitlich rezipiert. Auf den politischen Gehalt wird nunmehr hingewiesen, trotzdem gibt es so widersprüchliche Äußerungen wie die beiden folgenden: „Das sind zarte Wortbilder, zaghafte, vorsichtige Verse. […] Hilde Domins Gedichte haben nicht nur politische Bedeutung, sie sind auch noch schön.“13 – „Das scheinbar mühelos Geglückte, das am Gedicht entzückt, fehlt weitgehend. Absicht oder Unvermögen, das ist hier wohl nicht die Frage. Eine Antwort könnte lauten: absichtliches Unvermögen, noch weiter Schönes herzustellen.“14 Hier wird Hilde Domins Lyrik so zurechtgebogen, wie es dem einzelnen Kritiker in seine Weltanschauung paßt. Der „Erwartungshorizont“, wie ihn Jauß definiert, konstituiert sich 1.  aus der literarischen Tradition, d. h. aus den bekannten Normen oder der immanenten Poetik der Gattung, 2.  aus der Autorerwartung, d. h. der Erwartung, die man aufgrund früherer Werke des Autors bildet, 3.  aus den impliziten Beziehungen zu bekannten Werken der literarischen Umgebung, 4.  aus dem Gegenstand zwischen Fiktion und Wirklichkeit.15 Nach dieser Definition trifft auf Kritiker, die immer noch die schwebende Schönheit Dominscher Verse rühmen, Punkt 2 zu. Auch die ansonsten sehr positive und zutreffende Kritik aus der Neuen Zürcher Zeitung enthält Sätze wie: „Es gehört zur Eigenart der Lyrik Hilde Domins, daß im Gedicht die datierbaren Tatsachen und Verhältnisse 12 Joachim Günther: Mein Kopf liegt nach Süden. Hilde Domins dritter Gedichtband „Hier“. In: FAZ vom 26.9.1964. 13 Jutta von Tilburg: Worte haben Angst. In: Basler Nachrichten vom 25.11.1970. 14 Karl Alfred Wolken: Trauerarbeit. Neue Gedichte von Hilde Domin. In: Rheinischer Merkur vom 26.3.1971. 15 Hans Robert Jauß: Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft. In: Rainer Warning (Hrsg.): Rezeptionsästhetik. München 1975, S. 126–162. 25

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dem registrierenden Reden entzogen werden; erfahrenes Leid und Mitleiden erwirken ein sorgendes Reden, Mahnen, Bitten und beschwörendes Zeigen, fast ein Zug des Betens.“16 Begeisterte Zustimmung findet Hilde Domin mit ihrem vierten Band bei ihrem Dichterkollegen Wolfgang Weyrauch, der auch das Neue an ihm erkennt: „Gedichte wären schummrig? Wenn sie schlecht sind, können sie ruhig schummrig sein: dann diskutiert man nicht darüber. Die hier aber sind gut. Kann man gut steigern? Man kann das Ja nur erläutern. […] Das neue Buch insgesamt versetzt mich in die Situation eines Lichtenbergschen Anglers, der gefragt wird, ob er etwas gefangen habe, und er antwortet: Nichts als einen Fluß. […] Hilde Domins zweiundzwanzig neue Gedichte […] sind Verdinglichungen der Wörter, Verwörtlichungen der Dinge: real, überreal und beides ineinander. […] Gedichte, zumal solche wie diese hier, sind wirksamer als Starfighter, denn ihre Methode ist moralisch, und ihr Ziel ist die Vernunft.“17 Nichts von Schönheit und schwebender Empfindsamkeit. Auch Werner Ross beschwört nicht mehr den „Zauber des Wortes“. Er verweist vielmehr auf die Politisierung und die Hinwendung zum Mitmenschen: „Die in sich gekrümmte Reflexion erweitert sich zu den Mitmenschen, zum öffentlichen Gedicht hin. Die alte Du-Lyrik, damals ziemlich beredt, die alte Vogel-, Blumen-, Wolken-Lyrik, die alte Exillyrik, Nachklänge und Zusammenklänge mit Nelly Sachs, Ingeborg Bachmann, Else Lasker-Schüler, ist so gut wie weggeblasen […]: äußerste Konzentration.“18 Sehr treffend wird der neue Band von Krolow rezensiert: „Die neuen, aus Angst, aus Depression aggressiven Gedichte […] ziehen die Kraft der direkten, der gezielten poetischen Aussage aus jenem ,Benennen‘ von Zuständen, wie es für alle Gedichte dieses Buches charakteristisch, lebensnotwendig ist; denn nur mittels solchen Benennens finden sie ihre Sprache […]. Von der 16 Neue Zürcher Zeitung vom 22.11.1970. 17 Wolfgang Weyrauch: Worte mit Glassplittern. Die neuen Gedichte Hilde Domins. In: Die Zeit vom 13.11.1970. 18 Werner Ross: Wort und Ding eng aufeinander. Neue Gedichte von Hilde Domin. In: Süddeutsche Zeitung vom 31.10.1970. 26

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Existenzberechtigung des Gedichts […] ist in diesen unruhigen, auffordernden Gedichten, die dabei nicht plakativ wirken, ausgesprochen oder unausgesprochen die Rede. Es sind widersetzliche Verse, […] die aber in ihrer Widersetzlichkeit nicht die Hoffnung aufgeben, etwas zu erreichen, was erreichbar sein müßte: die Aufmerksamkeit des Menschen.“19 Es wird jetzt, bedingt durch die gesellschaftliche Realität der zunehmenden Politisierung, der politische Gehalt der letzten Dominschen Verse erkannt. Jerry Glenn schreibt: „Whereas the early poems are most without exception intensely personal, […] her most recent work has lost almost all traces of an ,ich-du‘-relationship, a relationship seen in her first two collections and to some extense even in the collection ,Hier‘.“20 Die Rezeption des ersten Bandes in der Öffentlichkeit hat Rückwirkungen auf das Schaffen einer reflektierenden Autorin. Bei der neuen, literarischen Form des politischen Gedichts in Ich will dich handelt es sich nicht um eine autonome individuelle Entwicklung, sondern vielmehr steht diese in Interdependenz zur gesellschaftlichen Strömung. Die wird jetzt auch von der Autorin erkannt und anerkannt. „Ihre [Hilde Domins] neuen Gedichte sind von jeder metaphorischen Verschleierung befreit. Aber ihre Lyrik hat dabei nichts von ihrer Bildhaftigkeit eingebüßt, ja, sie hat einen neuen Höhepunkt erreicht, von dem aus die passionierte und im positiven Sinn engagierte Autorin ihre Landschaft übersehen kann. Sie erkennt und bekennt, daß es auf Grund ihrer Erfahrungen seit ihrer Rückkehr aus dem Exil 1954 eine eminent politische Landschaft geworden ist.“21 Oder Hans Peter Keller: „Der Band ,Ich will dich‘ gibt zwischen dem Anachronismus einer esoterisch-monologischen Ich-Poesie und den lettristischen Ausflüchten einerseits und dem zu flachen Engagement

19 Karl Krolow: Widersetzliche Verse. „Ich will dich“. Ein neuer Gedichtband von Hilde Domin. In: FAZ vom 22.9.1970. 20 Jerry Glenn: Books Abroad. Juli 1971. 21 Peter Jokosta: Mit Glassplittern gespickt. In: Rheinische Post vom 5.12.1970. 27

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der ,aktuellen‘ Agitprop-Verskunst andererseits taktsicher den Einsatz an, nach dem Lyrik in unserer Zeit zu intonieren ist.“22 1977 erscheint an der Universität von Indiana eine Dissertation von Dagmar C. Stern über Hilde Domin mit dem Titel „From Exile to Ideal“. Ziel dieser Arbeit sei es, Hilde Domins Werk einzuordnen unter Zeitgenossen und Vorgängern, wie sie es verdiene.23 Dieser Anspruch wird aber in der Arbeit nicht eingelöst. Da Domins poetologische Arbeiten überhaupt keine Beachtung finden, ja z. T. mit Argumenten zurückgewiesen werden, die darauf schließen lassen, Frau Stern habe „Wozu Lyrik heute“ nie gelesen, die Arbeit also für meine Themenstellung irrelevant ist, soll auch keine Auseinandersetzung mit ihr erfolgen. Ihre Erwähnung hier hat nur den Zweck, die breite Rezeption des Dominschen Werkes auch im Ausland aufzuzeigen. Eine in Bezug auf die Themenbereiche subtile Magisterarbeit wurde an der Universität von Toronto geschrieben. Der Autor McConnell24 vernachlässigt allerdings wichtige Bereiche. An dieser Arbeit läßt sich zeigen, wie ein falscher Erwartungshorizont den Blick für das Wesentliche verstellen kann. Der Autor analysiert mit großem Einfühlungsvermögen die beiden ersten Bände, lehnt den dritten aber mit der Begründung ab, Hilde Domin sehe auch die allgemeinen sozialen Themen nur durch sich selbst, anstatt sich selbst durch die allgemeinen Probleme. Dieser Vorwurf ist aber insofern nicht stichhaltig, als die Dichterin ihre subjektiven Erfahrungen ins Allgemeine transzendiert und nicht eine allgemeine Erfahrung auf die eigene Person fokussiert. McConnell legt die Kategorien der „Erlebnislyrik“, 22 Hans Peter Keller: Hilde Domin: Ich will dich. In: Neue deutsche Hefte 17 Nr. 128 (1970), S. 138–140, hier S. 139 f. 23 Dagmar C. Stern: From Exile to Ideal. Diss. Department for Germanic Languages. Indiana University. Juni 1977. S. Vi: „The study to follow undertakes to place Domin as she deserves to stand among contemporaries and predecessors.“ 24 G. Robert McConnell: Hilde Domin: A Study in Contemporary Poetry. A Thesis Presented to the Faculty of the Department of German.University of Toronto. Nov. 1966 (unveröffentlichte Magisterarbeit). 28

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die seinen Erwartungshorizont steuern, an die Dominschen Gedichte an, und wo diese versagen, versucht er nicht, eine neue Methode zu entwickeln, sondern stellt fest, daß Hilde Domin nur da spontan und überzeugend sei, wo sie sich auf ihr Inneres zurückziehe. Die dichtungstheoretischen Äußerungen Domins werden von der deutschen Kritik stark beachtet und zum Streitpunkt diametral entgegengesetzter Meinungen über die Kunst gemacht. Gadamer schreibt: „Frau Domin beschreibt überzeugend, wie das Geschaffene hier [im Band] auf die Schaffenskurve hin befragt wird. […] Ich unterdrücke ungern die Versuchung, noch andere Glossen zu dem kleinen Buch der Verfasserin hinzuzufügen. Es ist für jeden eine anregende und belehrende Lektüre.“25 In der Neuen Zürcher Zeitung erscheint die Besprechung von Schorno: „Die Schriftstellerin Hilde Domin hat ein blitzgescheites Buch geschrieben […] [,] ein Buch für den Fachmann, den Gelehrten, den Akademiker. […] im übrigen hat das Buch alle Aussicht, ein Standardwerk unter den theoretischen Abhandlungen über die Lyrik zu werden.“26 Inzwischen kann man den Band wirklich als Standardwerk betrachten, das in fast allen Bibliotheken, Germanistischen Seminaren, ja sogar Schulbüchereien anzutreffen ist. Die Beachtung, die das Werk findet, ist zunächst darauf zurückzuführen, daß zur Zeit seines Erscheinens die Lyrik ins Abseits geraten ist. An Schulen wird sie kaum noch beachtet, die aufrührerische Generation von ’68 möchte die Gesellschaft mit radikaleren Mitteln verändern. Kunst und noch dazu Lyrik erscheinen ihr ungeeignet dazu. Die Notwendigkeit von Lyrik ausgerechnet jetzt gesellschaftlich zu begründen, ruft deshalb gereizten Widerstand oder begeisterte Zustimmung hervor. Jürgen Jacobs, der ansonsten die soziale Funktion im Buch von Domin verkennt,27 findet es trotzdem wichtig, „weil es das Selbstverständnis einer 25 Hans Georg Gadamer: Hilde Domin. Wozu Lyrik heute. In: Philosophische Rundschau vom 10.11.1970. 26 Paul Schorno: Hier Vers- und Reimlehre dort Lyrik in Frage gestellt. In: Neue Zürcher Zeitung vom 14.12.1968 und Basler Volksblatt vom 13.12.1968. 27 Vgl. S. 82, Fußnote 72. 29

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zeitgenössischen Lyrikerin spiegelt und weil es die Schwierigkeiten, unter denen die Literatur heute steht, gerade auch dort demonstriert, wo es Kritik herausfordert“.28 Joachim Günther ergeht sich in Superlativen: „Etwas so Geist-Bestimmtes und Geist-Getrimmtes wie dies unfragmentarische Fragment moderner Poetik und Ortsbestimmung des ,Gedichts heute‘ hat es bis dato noch nicht gegeben, wird es so rasch nicht wieder geben. Ein Buch, viel breiter Interessen steuernd, als der Titel andeutet; eine so kleine wie wesentliche Veröffentlichung.“29 Auch Wallmann verteidigt Domins Standpunkt: „Die Sammlung, ein ebenso vehementes wie sachlich fundiertes Plädoyer für die Lyrik ist eine allerdings weitgehend unpolemische Streitschrift, die hilft, Begriffe und Positionen zu klären und die Diskussion zu versachlichen. […] Die Essays Hilde Domins sind ein wesentlicher Beitrag in der heutigen Diskussion über die Aufgaben und Möglichkeiten der Kunst. Sie enthalten gewichtige Argumente wider alle jene, die dafür plädieren, der Kunst den Abschied zu geben.“30 Keller stellt Domin in die Reihe der reflektierenden Dichter von Baudelaire bis Valéry und hebt besonders den Mut der Autorin hervor, „unbehelligt und unbeschattet auch von den Parolen einer dem Tagesgeschehen verhafteten Oberflächenrealistik zeitgenössischer Poetologen“ diese Frage überhaupt anzuschneiden. Er schließt: „Hilde Domin, poeta docta, die mit so leidenschaftlichem Elan wie wissenschaftlicher Sorgfalt die Chancen ausmacht, Einsicht und Klarheit zu stiften, legt hier ein Manifest vor, an dem sich die literarische und soziologische Diskussion der Zeitgenossen orientieren kann.“31 In das gleiche Horn bläst Reitz: „Ein eminent wichtiges Buch ist […] das essayistische Werk der Hilde Domin über die Lyrik heute. […] Wenn man demnächst für die Lyrik nach Benn und Brecht die Koordinaten [für die Lyrik 28 Jürgen Jacobs: Hilde Domin/Wozu Lyrik heute. In: Neue Rundschau 4 (1968), S. 745. 29 Joachim Günther: Erziehung zum Mut. In: Tagesspiegel Berlin vom 4.8.1968. 30 Jürgen P. Wallmann: Keine schlechte Zeit für Lyrik. In: Die Welt der Literatur vom 29.8.1968. 31 H. P. Keller: Ruhig weiter dichten. In: Christ und Welt vom 12.7.1968. 30

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neue Koordinaten] aufstellen muß, wird man nicht umhin können, auf das Buch von Hilde Domin zurückzugreifen. Die Richtung der Achsen ist bei ihr schon angedeutet. Sobald eine Antwort auf die Frage, wozu Lyrik heute zu treiben sei, zu geben möglich ist, ist für die Lyrik ein Standort, ein vorläufiger Standort fixiert. Der Marsch dorthin bringt Veränderungen mit sich.“32 Am Thema vorbei rezensiert Lothar Baier. Er wirft der Autorin Vernachlässigung linguistischer Erkenntnisse vor, mit deren Hilfe das einzelne Gedicht „durchschaubarer“ zu machen sei, „als es die feinsinnigste akademische Interpretation vermag“.33 Abgesehen davon, daß die Textlinguistik bis heute den Beweis für eine solche Behauptung schuldig geblieben ist, geht Baier von einer falschen Prämisse aus. Das Ziel der Dominschen Arbeit ist der Nachweis künstlerischer Notwendigkeit. Auf die Problematik der Lyriktheorien von Dichtern selbst, nämlich objektive Kriterien für eine Theorie aus subjektiver Dichtererfahrung zu gewinnen, geht Hamburger ein: „In einer besonders prägnanten und aspektreichen Weise tritt uns dies Phänomen in dem Buch Hilde Domins entgegen. Eine Lyrikerin, deren Werk zu den gültigen der gegenwärtigen deutschen Lyrik gehört, spricht hier zugleich als eine Theoretikerin, die in der zeitgenössischen Lyrik und Lyriktheorie ungewöhnlich beschlagen ist.“ Sie nennt Domins Buch „ein besonders aufschlußreiches Beispiel“ für das Problem der Lyriktheorien von Lyrikern, „weil sie [Domin] in höherem Grade als die zahlreichen Äußerungen anderer Lyriker subjektive Dichtererfahrung und objektive (reich dokumentierte) Kenntnisse verbindet.“34 Werner Ross lobt an Hilde Domins Theorie vor allem die präzisen und gedanklichen Schritte und die Einbeziehung von Lyrik in das gesellschaftliche 32 Rainer Reitz: Dichtung und Gesellschaft. In: Aachener Nachrichten vom 23.10.1968. 33 Lothar Baier: Wozu Lyrik heute? Hilde Domin über den Poeten, seine Gesellschaft und den Markt. In: FAZ vom 22.6.1968. 34 Käte Hamburger: Hilde Domin. Wozu Lyrik heute. In: Poetica. Zeitschrift für Sprache und Literaturwissenschaft. 3. Bd. 1970, S. 310–315. 31

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Umfeld: „In dem pistolenartig auf die Brust gerichteten Titel wie ein Manifest wirkend, im Untertitel an eine modisch-soziologische Abhandlung erinnernd, als Essaysammlung deklariert, ist das Buch tatsächlich eine sorgfältig und systematisch aufgebaute moderne Poetik mit einem soliden gesellschaftlichen Sockel.“35 Diesen „soliden gesellschaftlichen Sockel“ wollen jene Kritiker nicht anerkennen, die Kunst nur aus der Perspektive soziologischer Relevanz betrachten. In den Marburger Blättern schreibt ein mit „worie“ unterzeichnender Rezensent: „Ebenso […], wie sich die Titelfrage für den als Betrug entlarvt, der eine Analyse des Stellenwertes von Lyrik heute erwartet hatte, ebenso gelingt es der Autorin nicht, die sattsam bekannten Nebelsphären germanistischer Mystik hinter sich zu lassen. […] die innige Begegnung mit Lyrik in der ungestörten Abgeschiedenheit vom Trubel der Welt, was hier nur ein Wegwenden von der Gesellschaft heißen kann, wird gar noch, als die einzig mögliche, empfohlen. Eine Vokabel wie Verdinglichung kann in diesem Zusammenhang nur noch zynisch klingen.“36 Hier wird Domins Ziel – wie mir scheint – absichtlich mißverstanden. Die positiven Kritiken überwiegen aber bei weitem. So schreibt Kurz: „Hilde Domin hat sehr exakt ihren eigenen Standpunkt zwischen einer ekstatischen und innerlichen Lyrik einerseits und einer bloß machbaren, rhetorischen und politisch äußerlichen Lyrik andererseits beschrieben. Sie ist zwischen den Tätern hier und den Betrachtern dort eine Lyrikerin, die reflektiert und Reflexion darbieten kann, eine Lyrikerin, die sachlich (gesellschaftlich und literarisch) informiert ist und dennoch ,Herz‘ sagen kann, eine, die schöpferisches Wissen in den denkerischen Prozeß einläßt, eine, die nicht buhlt um die Gunst des Publikums und nicht um die Gunst oder Zugehörigkeit zur literarisch etablierten Gruppe. Hilde Domin hat lyrisch und analytisch eine eigene Stimme: im umstellten Raum Freiheit.“37 35 Werner Ross: Lyrik als Selbstverteidigung. Hilde Domins neue Poetik. In: Die Zeit vom 20.9.1968. 36 Marburger Blätter. November 1969. 37 Paul Konrad Kurz: Lyrik heute? Ein Bericht zur gegenwärtigen Lyrik-Diskussion. In: Stimmen der Zeit 182 (1968), S. 274–278, hier S. 278. 32

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Eine der negativsten Kritiken, diesmal über die „Doppelinterpretationen“, stammt aus der Feder von Oskar Seidlin. Der Einleitungsessay zu „Doppelinterpretationen“, ein Jahr früher als „Wozu Lyrik heute“ erschienen und später in diese Sammlung aufgenommen, wurde insgesamt von der Kritik mit begeisterter Zustimmung aufgenommen. So schreibt Fringeli: „Eine erste aus dem immensen Haufen der Sekundärliteratur hervorstechende Studie über das zeitgenössische Gedicht legte Hilde Domin 1966 mit der Edition des Bandes ,Doppelinterpretationen‘ vor.“38 – „Die Lyrikerin und Essayistin Hilde Domin hat mit Enthusiasmus einen Buchplan verwirklicht, der tatsächlich etwas Neues darstellt.“39 – „Der Leser ist selten so in die Probleme der Lyrik eingeführt worden wie hier.“40 – „Ein erregendes, nie vorher versuchtes Experiment ist Hilde Domin – selbst eine profilierte Lyrikerin – gelungen.“41 – „Das sehr gründlich gearbeitete Buch gehört in die Hände aller, die mit Gedichten ,zu tun‘ haben, aber auch derer, die Gedichte ,nur‘ lieben.“42 Die Beispiele wären fast beliebig fortzusetzen. Wie kommt nun Oskar Seidlin dazu, eine höchst polemische Kritik zu schreiben, die überhaupt nicht auf die Absichten der Autorin eingeht, sondern kleinlich jeden Fehler rügt. Eine Kostprobe: „Wir schlagen Frau Domins Einleitung auf und lesen den ersten Satz: ,Der Band ist keine Anthologie im üblichen Sinne.‘ Gut – eine klare Information. Es handelt sich also um eine neuartige, unübliche Anthologie, und inwiefern sie unüblich ist, verrät nun die Autorin in den nächsten vier Zeilen. Aber dann kommt der zweite Absatz, und er beginnt so: ,Dieser Band ist überhaupt keine Anthologie.‘ Auch gut – aber wieso? Wenn es sich um überhaupt keine Anthologie handelt, warum mußte uns dann erklärt werden, worin sich diese Anthologie, die jetzt also überhaupt keine ist, von anderen, 38 Dieter Fringeli: Warum schreibt man Gedichte? Basler Nachrichten vom 24.8.1969. 39 Herbert G. Göpfert: Hilde Domin. In: Neue Rundschau. Jg. 78, Nr. 4 (1967). 40 Mitteilungen des Philologen-Verbandes, Nr. 1 (1967). 41 Die Barke, Nr. 4 (1966). 42 Mitteilungen des Deutschen Germanisten-Verbandes, Jg. 14, Nr. 3 (1967). 33

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üblichen, unterscheidet? Der Leitsatz, dem diese Poetik untersteht, wird in ihren ersten sechs Zeilen schon deutlich: ein Ding ist etwas: aber wenn man will, ist es dieses Etwas auch wieder nicht.“43 In diesem Tenor ist der ganze sieben Seiten lange Aufsatz geschrieben. Auf Domins Gedankengänge wird überhaupt nicht eingegangen. Betrachtet man den Titel von Seidlins Aufsatz „Betrachtungen zu einer neudeutschen Poetik“ und den ersten Satz genauer, wird klar, daß der Autor sich mit Domin gar nicht auseinandersetzen will, sondern sie dazu benutzt, gegen eine vermeintliche Avantgarde zu Felde zu ziehen: „Vor kurzem erschien in Deutschland ein Buch, das, dernier cri der sich überschlagenden Moderne, in dem für das Allerneueste zuständigen Blätterwald hingerissenes Beifallsrauschen ausgelöst hat.“ Dann wird noch hämisch vermerkt, „das deutsche Weltblatt“, DIE ZEIT, habe der Autorin attestiert, „ihre Einleitung sei nicht weniger als der Kern einer neuen Poetik“. Man sollte eigentlich eine solche polemische Schrift, die nicht ernsthaft an ihrem Gegenstand interessiert ist, sondern diesen, um eine ganze Strömung zu treffen, für deren Vertreterin der Autor fälschlicherweise Domin hält, nicht weiter beachten, wären da nicht zwei Gesichtspunkte, die dagegen sprechen: Sowohl der Name des Autors wie der der Zeitschrift werden manchen dazu verführen, diese Meinung unreflektiert zu übernehmen und auf eine eigene Auseinandersetzung zu verzichten. Dies vermerkt auch Rosenfeld, der nach einer sehr positiven Kritik über „Wozu Lyrik heute“ schließt: „After O. Seidlin’s scathing indictment of the language and style (and logic) of Domin’s essay ,Über das Interpretieren von Gedichten‘ […], one cannot help but read ,Wozu Lyrik heute‘ with a – healthily – preconditioned critical awareness, and regret that this presentation, because it is highly specialized in approach and language, will not win the wide audience her publisher obviously hoped to attract by printing a cheaper edition along with the

43 Oskar Seidlin: Bemerkungen zu einer neudeutschen Poetik. In: The German Quarterly. Bd. XLI, Sept. 1968, S. 505–511. 34

Rezeption des Dominschen Werkes

hardback.“44 Diese Voraussage hat sich nicht erfüllt. Das Buch kam 1981 in 4. Auflage, 14.-17. Tausend, neu heraus. Auch Dagmar Stern scheint die Theorie Domins aufgrund der negativen Kritik Seidlins, den sie mehrfach anführt, außer acht gelassen zu haben. Unreflektiert urteilt sie darüber: „Hilde Domin should be remembered by literary critics and historians for her art, not her theory of poetry. […] Much as the substantiate Seidlin’s assessment of her reflections on poetry, the flaws in Domin’s theory do not surpass, in gravity or frequency, the inadequacies poets often exhibit when explaining their craft. The difficult questions she addresses – What is a poem? How is a poem composed? What does a poem do? – have been answered no more satisfactorily by literary scholars than by poets. To avoid belaboring or justifying her deficiencies, the reader and the scholar truly inquiring into Domin’s work must, then, turn to her art.“45 Wie schon erwähnt, wird Hilde Domins Werk von Beginn an von der professionellen Kritik gefeiert und findet von da aus auch sofort den Weg zum Leser. Das heißt aber, daß die Rezeption eines Werkes keine unmittelbare Kommunikation zwischen Werk und Leser darstellt, sondern daß sie geprägt und gesteuert wird durch die vermittelnden Kategorien der professionellen Kritik. Diese selbst werden aber nicht unbedingt aus dem Werk abstrahiert, sondern nach vorgeprägten Mustern an das Werk angelegt. Auch die Jaußsche Rezeptionsästhetik wird dem Dominschen Werk nicht gerecht. Jauß definiert ästhetische Qualität als „ästhetische Distanz“: „Die Distanz zwischen Erwartungshorizont und Werk, zwischen dem schon Vertrauten und bisherigen ästhetischen Erfahrung und dem mit der Aufnahme des neuen Werkes geforderten ,Horizontwandel‘, bestimmt rezeptionsästhetisch den Kunstcharakter eines literarischen Werks: in dem Maße wie sich diese Distanz verringert, dem rezipierenden Bewußtsein keine Umwendung auf den Horizont noch unbekannter 44 Sidney Rosenfeld: (Oberlin College). Hilde Domin. Wozu Lyrik heute. In: Books abroad. An International Literary Quarterly. Bd. 43, 1969. 45 Stern, a. a. O., S. 127. 35

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Erfahrung abverlangt wird, nähert sich das Werk dem Bereich der ,kulinarischen‘ oder ,Unterhaltungskunst‘“.46 Damit ist die Rezeption des Kunstwerkes von Domin nicht zu erfassen, die bis heute ungebrochen ist. Es wurde inzwischen ins Italienische, Japanische, Lettische, Portugiesische, ins Englische, Französische, Spanische und Rumänische übersetzt. 1979 erscheinen Gedichte von Domin und Eich, Fried, Kunert in einer amerikanischen Anthologie „Four German Poets“. Ein Lied zur Ermutigung sowie „Wen es trifft“ wurden vertont, Hilde Domin erhielt folgende Literaturpreise: Meersburger Drostepreis 1971, Heine Medaille der Heinrich-Heine-Gesellschaft Düsseldorf 1972, Roswitha-Preis der Stadt Gandersheim 1974, IdaDehmel-Preis der Gemeinschaft deutscher und österreichischer Künstlerinnen und Kunstfreunde 1968 und 1976 den begehrten Rilke-Preis.

Hilde Domin im Hause von Irmgard Hammers in Bensberg, 1981. Foto: Heinz W. Hammers.

46 Jauß, a. a. O., S. 133. 36

Rezeption des Dominschen Werkes

Hilde Domin vor ihrem Elternhaus, Riehler Straße 23, in Köln, zusammen mit Irmgard Hammers, 1981. Foto: Heinz W. Hammers.

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Vorbemerkungen zur Themenstellung und zum methodischen Vorgehen

Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf zwei Bereiche von Hilde Domins Werk, die, soweit bekannt, noch nicht systematisch untersucht worden sind: die theoretischen Essays und die Lyrik. Die Prosakurzschriften und der Roman werden bewußt ausgelassen, einmal weil sich Hilde Domins Begabung eindeutig in der Lyrik voll entfaltet, dann weil sich die theoretischen Äußerungen zur Kunst ausschließlich auf Lyrik beziehen. Wo es zur Aufhellung eines Sachverhaltes oder zur Stützung einer These notwendig erscheint, werden jedoch die autobiographischen Schriften und stellenweise der Roman herangezogen. Da Hilde Domin Kunst gesellschaftlich begründet, ihr eine anthropologische Dimension verleiht, wird die Frage erörtert, wie der Ertrag ihrer Studien in das dichterische Schaffen eingeht, d. h. wie sich bestimmte poetische Kategorien auf die künstlerische Gestaltung auswirken. Eine Poetik ist aber darüber hinaus immer ein eigenständiges Werk. Deshalb scheint es nicht sinnvoll, das theoretisch-ästhetische Konzept der Autorin zur Interpretation der Lyrik heranzuziehen, zumal es nach dem Erscheinen der ersten Gedichtbände entstanden ist. Ihm gewaltsam konkrete Interpretationshinweise entnehmen zu wollen, würde die Gefahr von Fehldeutungen in sich schließen. Die Untersuchung von Hilde Domins theoretisch-ästhetischem Konzept erfolgt in phänomenologisch-deskriptiver Weise. Dabei darf ihre Historizität nicht aus den Augen gelassen werden, da die Bedeutung eines Dichters nur in seinem Verhältnis zur Tradition und auf dem Hintergrund des zeitgenössischen literarhistorischen Horizontes voll zu erfassen ist. Der zweite Teil der Arbeit ist dem lyrischen Schaffen gewidmet. Hier steht die Frage im Vordergrund, welche Bildvorstellungen die Dichterin mit ihren Existenzerfahrungen verknüpft und wie sie ihre Absichten in Sprache faßt. Es wird herauszufinden sein, wie sich Bild- und Sachsphäre zueinander verhalten, ob die Sache durch das Bild eine qualitative Veränderung erfährt, wie sich die Wirklichkeit in Sprache konstituiert. Die Motivuntersuchung 38

Vorbemerkungen zur Themenstellung und zum methodischen Vorgehen

orientiert sich dabei an Signalwörtern, die leitmotivisch wiederkehren und die als Konstanten in einem variablen Bedeutungskontext angesehen werden können. Die Untersuchungsmethode soll eine Synthese von biographischer und werkimmanenter Betrachtungsweise beinhalten. Die Analyse einzelner Gedichte soll exemplarisch erfolgen. Diese von einzelnen Phänomenen ausgehende induktive Betrachtungsweise kann sich als Methode nur legitimieren, wenn sie keine Struktur isoliert, sondern Häufigkeitsnormen abstrahiert, die eine Generalisierung zulassen. In den Ergebnissen sollen dann die Fragen beantwortet werden: Bilden die Gedichtbände eine thematische Einheit? Bilden sie eine strukturelle Einheit? Das heißt, finden sich korrespondierende Grundtöne und Motivverschränkungen? Wie ist die Grundstruktur der dichterischen Sageweise? Hat sie im Verlauf der Lyrik eine Veränderung erfahren?

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Dichtungstheoretische Reflexion

1.1 Die kunstapologetische Position Hilde Domins „Alles Gescheite ist schon einmal gedacht worden, man muß nur versuchen, es noch einmal zu denken.“ (Johann Wolfgang Goethe)

1.1.1 Der reflektierende Dichter

Der reflektierende Dichter der Moderne,1 der nicht mehr singt, „wie der Vogel singt“, sondern der sich über sein künstlerisches Tun genau Rechenschaft ablegt, ist seit Ende des 19. Jahrhunderts ein internationales Phänomen. Bei aller Ungleichheit verbindet die Dichter der verschiedenen Nationalitäten der Zweifel daran, ob literarisches Schaffen überhaupt sinnvoll und die Sprache als Vehikel dichterischer Absicht geeignet sei. Bestimmt der aristotelische Mimesisbegriff bis ins 19. Jahrhundert hinein aufgrund der Kongenialität von sittlichen und ästhetischen Normen jegliche poetologische Reflexion, so verliert er 1

Mit „modern“ bezeichne ich in Anlehnung an Hugo Friedrich die Dichtung seit der Romantik zur Unterscheidung von der „zeitgenössischen“ Dichtung des 20. Jahrhunderts. Hugo Friedrich: Die Struktur der modernen Lyrik. Hamburg 1977. 41

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jetzt seine dominierende Rolle,2 weil der Dichter, dem seine Aufgabe spätestens seit dem französischen Symbolismus fragwürdig geworden ist, Erfahrungen einer komplexen inkohärenten Realität nicht mehr in seinem Werk nach den Regeln einer normativen Poetik transzendieren kann. Wirklichkeit ist nicht mehr in ungebrochener Totalität erfahrbar, löst sich vielmehr in Einzelphänomene auf, die mit den bisher üblichen Formen dichterischer Aussage und Gestaltung nicht adäquat wiedergegeben werden können. Das ut pictura poesis als Aufgabe des Dichters wandelt sich in den Versuch, die Natur, die als sinneserfahrbare Erscheinung fragwürdig geworden ist, wenigstens in Bruchstücken zu erfassen, zu durchdringen und zu gestalten. Ästhetisch-theoretische Praktiken leitet der Dichter dann deskriptiv aus seinem Werk ab, wobei nunmehr der Akzent von der dichterischen Phantasie auf die Technik verlegt wird. Edgar Allen Poe ist der erste, der diesen in den Vordergrund gerückten technischen Vorgang des „Machens“ in seinem 1856 erschienenen Aufsatz „The Philosophy of Composition“ akribisch analysiert und den schöpferischen Akt des Dichtens bewußt macht, indem er die technischen Entstehungsprozeduren nachzeichnet.3 Sein Beispiel macht zunächst Schule bei den französischen Symbolisten. Beeinflußt von Poes Aufsatz, schreibt 2

3

Z. T. wird der Mimesisbegriff auch verworfen als Antwort auf den Positivismus, der eine platte Nachahmung der Natur fordert, während Aristoteles Nachahmung als Ideal versteht, also nicht Nachahmung der Natur, wie sie ist, sondern wie sie sein soll. Edgar Allen Poe: The Philosophy of Composition. In: The Complete Works. Bd. 14. New York 1965, S. 193–208., hier S. 195: „It is my design to render it manifest that no one point in its composition [gemeint ist die Abfassung des Gedichts „The Raven“] is referrible either to accident or intuition that the work proceeded, step by step, to its completion with the precision and rigid consequence of a mathematical problem. […] for centuries, no man, in verse, has ever done, or ever seemed do think of doing, an original thing. The fact is, that originality […] is by no means a matter, as some suppose, of Impulse or intuition. In general, to be found, it must be elaborately sought, and although a positive merit of the highest clan, demands in its attainment less of invention than negation.“ 42

Die kunstapologetische Position Hilde Domins

Baudelaire: „[…] tous les grands poëtes [!] deviennent naturellement, fatalement critiques. Je plains les poëtes [!] que guide le seul instinct; je les vois incomplets. Dans la vie spirituelle des premiers, une crise se fait infailliblement, où ils veulent raisonner leur art, découvrir les lois obscurs en vertu desquelles ils ont produit, et tirer de cette étude une série de préceptes dont le but divin est l’infaillibilité dans la production poétique. Il serait prodigieux qu’un critique devint poëte [!], et il est impossible qu’un poëte [!] ne contienne pas un critique.“4 Dichtung soll nicht mehr nur die Wirklichkeit abbilden, sondern eine hinter den Dingen liegende, neue Wirklichkeit evozieren. Bei Baudelaire fällt diese Aufgabe der Phantasie des Dichters zu, die er die Königin der menschlichen Fähigkeiten nennt. „Elle décompose toute la création, et, avec les matériaux amassés et disposés suivant des règles dont on ne peut trouver l’origine que dans le plus profond de l’âme, elle crée un monde nouveau, elle produit la sensation du neuf.“5 Hugo Friedrich spricht deshalb von der Zertrümmerung der Welt, wo diese doch nur Voraussetzung für die Schaffung einer neuen ist. Den Gesetzen des Schaffens gilt es also nachzuspüren, sie ins Bewußtsein zu heben. Dem schöpferischen Vorgang kommt deshalb eine überragende Bedeutung zu, weil das reine kreative Vermögen der Kunst unmittelbar Welt selbst offenbart. Den Zweck trägt die Dichtung 4

Charles Baudelaire: Œuvres complètes. Bibliothèque de la Pléiade. Hrsg. von Y. G. Dantec, Paris 1954, S. 1059/60. Übers.: „Alle großen Dichter werden natürlich fatalerweise zu Kritikern. Ich bedaure die Dichter, die sich nur vom Instinkt leiten lassen, ich glaube, daß ihnen etwas fehlt. Im geistigen Leben der ersten wird sich unfehlbar eine Krise anbahnen, wo sie ihre Kunst begründen und die geheimnisvollen Gesetze, nach denen sie geschaffen haben, aufdecken wollen. Aus diesem Studium wollen sie eine Reihe von Regeln ableiten, deren göttliches Ziel die Unfehlbarkeit des dichterischen Werkes ist. Es wäre wunderbar, wenn ein Kritiker Dichter würde, es ist unmöglich, daß ein Dichter nicht den Kritiker in sich birgt“ (Übers. I. H.). 5 Baudelaire, a. a. O., S. 773. Übers.: „Sie zerlegt die ganze Schöpfung; nach Gesetzen, die auf dem tiefsten Grund der Seele ihren Ursprung haben, sammelt und gliedert sie die Teile und schafft daraus eine neue Welt“ (Übers. I.H.). 43

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in sich selbst, ihr kommt absolute Autonomie zu; Vermittlung eines Inhalts kann nicht ihr Ziel sein. Auch diesen Standpunkt werden wir bei Dichtern des 20. Jahrhunderts wiederfinden. In diesem Zusammenhang verwendet Baudelaire den später in die Literaturgeschichte eingehenden Begriff der poésie pure, den Mallarmé aufgreift, indem er – in diesem Sinne Platoniker – fordert, Abbilder dürften nicht Gegenstand reiner Dichtung sein, vielmehr müsse der Dichter den direkten abstrakten Begriff in ein Symbol transzendieren. Die sich hieraus ergebende Problematik einer esoterischen Dichtung, zu der nur noch wenige Eingeweihte Zugang finden, wird deutlich in dem oft zitierten Ausspruch Mallarmés: „[…] après avoir trouvé le Néant, j’ai trouvé le Beau.“6 Eine solche Auffassung führt im eigentlichen Sinne die Aufgabe des Dichters ad absurdum. Valéry spricht vom Dichter als einem ingénieur. Auch für ihn steht der Prozeß des Schaffens, des Bewußtmachens des künstlerischen Vorganges, im Vordergrund. „Wenn man mich also befragt oder sich Gedanken darüber macht […], was ich in diesem oder jenem Gedicht habe sagen wollen, so antworte ich, daß ich nicht etwas habe sagen, sondern machen wollen, und daß eben diese Absicht zu machen das gewollt hat, was ich gesagt habe“.7 Von Mallarmé und Baudelaire führt eine Querverbindung zu dem deutschen Dichter Benn, der, wie die französischen Symbolisten, den Selbstzweck von Dichtung betont. Form ist ihm wichtiger als Inhalt, ja Form ist einzig möglicher Inhalt von Dichtung. „Aber die Form ist ja das Gedicht. Die Inhalte eines Gedichtes, sagen wir Trauer, panisches Gefühl, finale Strömungen, die hat ja jeder […], aber Lyrik wird daraus nur, wenn es in eine Form gerät“.8 Über den 6

Aus einem unveröffentlichen Brief (coll. Henri Monder.), zit. nach E. Noulet: L’Œuvre poétique de Stéphane Mallarmé. Paris 1940, S. 97. 7 Paul Valéry: Zur Theorie der Dichtkunst. Frankfurt am Main 1975, S. 184. 8 Gottfried Benn: Probleme der Lyrik. Wiesbaden 1951, S. 20. Die französischen Dichter haben diese Forderung nie in solcher Weise problematisiert, da sich in der romanischen Tradition die Form-Inhalt-Dichotomie von selbst versteht und ihr deshalb nicht dasselbe Gewicht beigelegt wird wie in der deutschen Diskussion. 44

Die kunstapologetische Position Hilde Domins

Vorgang des Schaffens äußert sich Benn wie folgt: „[…] die Öffentlichkeit lebt nämlich vielfach der Meinung: da ist eine Heidelandschaft oder ein Sonnenuntergang, und da steht ein junger Mann oder ein Fräulein, hat eine melancholische Stimmung, und nun entsteht ein Gedicht. Nein, so entsteht kein Gedicht. Ein Gedicht entsteht überhaupt sehr selten – ein Gedicht wird gemacht.“9 Eine Wirkung spricht er Gedichten ab: „Kunstwerke sind phänomenal, historisch unwirksam, praktisch folgenlos. Das ist ihre Größe.“10 Eine solche Auffassung resultiert daraus, daß Benn die existentielle Erfahrung des Realitätszerfalls in extremis macht. Diese Erfahrung des Nichts führt ihn, wie Mallarmé, zur absoluten Kunst. […] Die Welt zerdacht. Und Raum und Zeiten und was die Menschheit wob und wog, Funktion nur von Unendlichkeiten – die Mythe log. (Aus: Verlorenes Gedicht, 1943)

Für Hofmannsthal ist es nach einer solchen existentiellen Erfahrung unmöglich, überhaupt noch zu schreiben. Im sogenannten Chandos-Brief erläutert er seine extreme Haltung: „Es zerfiel mir alles in Teile, die Teile wieder in Teile, und nichts mehr ließ sich mit einem Begriff umspannen.“11 Brecht, Benns berühmter Antipode, nimmt eine radikale Gegenposition ein. Er löst die Kunst aus dem Absoluten und verankert sie im sozialen Bereich. Aufgrund seines Verständnisses von Geschichte als dialektischer Prozeß, der auf den Menschen einwirkt, auf den der Mensch seinerseits aber auch Einfluß nehmen kann, konzipiert 9 Benn, a. a. O., S. 6. 10 Benn. Frühe Prosa und Reden. Wiesbaden 1950, S. 193. 11 Hugo von Hofmannsthal: Ein Brief. In: Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Prosa II. Hrsg. von Herbert Steiner. Frankfurt am Main 1951, S. 14. 45

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er eine neue Ästhetik, die er nichtaristotelisch nennt. Entgegen der griechischen Dramenkonzeption, nach der der Konflikt des Menschen auch immer als ein Konflikt mit den Göttern dargestellt wird und nach der der Mensch seinem Schicksal gegenüber teleologisch handelt, lehnt der Marxist Brecht solche Gesetzmäßigkeiten im Ablauf eines menschlichen Schicksals ab. Zwar ist der Mensch nach Brecht determiniert durch ökonomische Strukturen und soziales Milieu, jedoch keine feste Größe innerhalb dieses Systems, vielmehr eine Variable der determinierenden Faktoren, diese wiederum seien beeinflußbar durch ihn. Damit stellt sich für Brecht zwangsläufig die Frage nach der Veränderbarkeit der Wirklichkeit durch Kunst, und damit rückt natürlich der Rezipient in den Mittelpunkt seiner theoretischen Reflexionen. Da die Wirklichkeit marxistisch also sowohl bedingende Grundlage jeder künstlerischen Produktion wie auch als deren Gegenstand begriffen wird, muß jede ästhetische Reflexion ihren Ausgang von der Erkenntnis der bestimmenden Faktoren der Wirklichkeit nehmen. Für Brecht ist die Wirklichkeit nicht vom menschlichen Bewußtsein geschiedene Objektivität, sondern Bewußtsein ist für ihn selbst konstitutiver Teil der Wirklichkeit. Eine Erkenntnis der Wirklichkeit in ihrer Substantialität ist für Brecht allerdings aufgrund der verdinglichten menschlichen Beziehungen nicht mehr im Totalen, sondern nur noch als Funktionszusammenhang möglich, d. h. die eigentlich treibenden Kräfte der Wirklichkeit können nur durchsichtig und der Beobachtung zugänglich gemacht werden, indem ihre gesellschaftlichen Funktionen durchsichtig gemacht werden. Aus dieser Einsicht resultiert der Modellcharakter der künstlerischen „Nachahmung“. Brechts Ästhetik zielt also nicht auf eine bloße Abspiegelung der sozialen Verhältnisse in der Kunst, sondern auf ihre wissenschaftliche Durchdringung. Brecht intendiert nicht den Abbau der Ästhetik, sondern deren Neugewinnung, indem er die Kunst in die gesellschaftlichen Prozesse einordnet. Der offenen Dramaturgie,12 die er daraufhin für die Bühne entwickelt, entspricht 12 Vgl. dazu Walter Hinck: Die Dramaturgie des späten Brecht. Göttingen 1971. 46

Soziales Umfeld für Lyrik

in der Lyrik der dialogische Charakter, der an den Leser appelliert. Auch in ihr ist die Wirkung auf die Gesellschaft intendiert. Brechts Lyriktheorie ist nur als Teil seiner ganzen Kunsttheorie zu verstehen, was aus der folgenden Äußerung über die Kunst im allgemeinen deutlich wird: „Das Kunstwerk erklärt die Wirklichkeit, die es gestaltet, es berichtet und überträgt die Erfahrungen des Künstlers, die er im Leben gemacht hat, es lehrt die Dinge der Welt richtig sehen. Die Künstler verschiedener Zeitalter sehen natürlich die Dinge sehr verschieden, ihr Sehen hängt nicht nur von ihrer individuellen Eigenart ab, sondern auch von dem Wissen, das sie und ihre Zeit von den Dingen haben. Es ist eine Forderung unserer Zeit, die Dinge in ihrer Entwicklung, als sich verändernde, von andern Dingen und allerhand Prozessen beeinflußte, veränderbare Dinge zu betrachten. Diese Betrachtungsart finden wir in unserer Wissenschaft ebenso wie in unserer Kunst.“13 Mit Brecht, der die Dominanz Benns bricht, vollzieht sich endgültig die Wende zur politisch engagierten Kunst. Sowohl Benns wie auch Brechts Kunstauffassungen finden teilweise, wie noch zu zeigen sein wird, ihren Niederschlag in den poetologischen Reflexionen Hilde Domins.

1.2 Soziales Umfeld für Lyrik Hilde Domin setzt die Reihe der reflektierenden Dichter fort. Mit ihrem Band „Wozu Lyrik heute“14 legt sie kunsttheoretische Essays vor, erweitert durch den Abdruck von Vorträgen an den Universitäten von München und New York. Ein Zweifel an der Notwendigkeit von Kunst und insbesondere von Dichtung besteht für sie nicht. Sie 13 Bertolt Brecht. Gesammelte Werke in 20 Bänden, hier: Band 18, S. 276, Frankfurt am Main 1967. 14 Hilde Domin: Wozu Lyrik heute. Dichtung und Leser in der gesteuerten Gesellschaft. München 1975, im folgenden kurz Lyrik genannt. 47

Dichtungstheoretische Reflexion

ist mit Marcuse darin einig, der, nachdem viele Lyriker, unter ihnen Enzensberger,15 nach 1968 keine Gedichte mehr schreiben zu dürfen glauben, sagt: „Auch in einer befreiten Gesellschaft fallen Kunst und Realität nicht zusammen. Das Ende der Kunst wäre ein Weltzustand, wo Menschen nicht mehr unterscheiden können zwischen dem, was ist, und dem, was möglich wäre: in anderen Worten, die vollendete Barbarei. Wer die Kunst als angeblich bürgerlich aufgibt, verfällt dem schlechten Bestehenden und ist in objektivem Sinne reaktionär.“16 So ist der syntaktisch schwebende Titel „Wozu Lyrik heute“ auch nicht in die Form einer Frage gekleidet, wie manche Kritiker irrtümlich anzunehmen scheinen,17 sondern hat vielmehr den Tenor eines Manifestes. Hilde Domin setzt sich zwar mit der Frage nach der Notwendigkeit von Lyrik auseinander, zweifelt diese Notwendigkeit im Grunde aber nicht an: „Lyrik, wie alle Kunst, ist Selbstzweck“ und daher „unnütz und unverzichtbar zugleich“ (Lyrik/11). 15 „Als wir […] auf die Straßen gingen, waren wir immer noch schwach, aber keine Einzelnen mehr, und wir hatten keine Gedichtbände in der Hand, sondern Analysen und Steine. Das Gedicht ist überflüssig geworden. Umso besser für das Gedicht.“ So Enzensberger zu seinem Gedicht „bildzeitung“, abgedruckt in „Nachkrieg und Unfrieden“, hrsg. von Hilde Domin. Neuwied und Berlin 1970, S. 36. 16 Dieses Zitat von Marcuse ist einem Artikel von Georg Jappe entnommen mit dem Titel „Die Verstörung der Anvantgarde.“ Es handelt sich um einen Bericht über die Kölner Konferenz zur Kunsttheorie, der am 18.6.1971 in der FAZ erschienen ist. 17 Z. B. Beate Brechbühl: Wozu Lyrik heute; Rez. in: Zürcher Woche vom 30.8.1968: „[…] sie gibt in ihrem Buch ,Wozu Lyrik heute?‘ […] auf eben diese Frage eine Reihe versteckter oder offener bejahender Antworten […].“ Werner Hehl: Wozu Lyrik heute? Rez. in: Stuttgarter Nachrichten vom 7.9.1968: „,Wozu Lyrik heute?‘ lautet ihr Thema. Dahinter verbirgt sich die weitergehende Frage: Spielt Literatur […] heute noch eine Rolle?“ Emi Ehm: Da sitzt der Wurm drin. Rez. in: Die Presse, Wien, vom 28.2.1970: „ ,Wozu Lyrik heute?‘ Diese Frage ist für jeden mit irgendeiner Kunst und in irgendeiner Weise Befaßten empörend. […] Denn ein Gedicht braucht keine Gesellschaft welcher Art auch immer.“ Man beachte, daß das im Originaltext nicht vorhandene Fragezeichen immer selbstverständlich gesetzt wird. 48

Soziales Umfeld für Lyrik

Nimmt sie auch nicht mehr so selbstverständlich die Vorrangstellung des Dichters für sich in Anspruch, wie dies z. B. die Dichter der Pléiade tun, so stellt sie ihre Aufgabe doch keineswegs infrage. Vielmehr entwickelt sie eine präzise und kritische Poetologie unter Berücksichtigung der Produktionsbedingungen, unter denen Lyrik entsteht, und des sozialen Umfeldes, in dem Dichtung sich heute behaupten muß. Hier kann die Dichterin, die politische Wissenschaften und Soziologie studiert hat, auf ihre Kenntnisse auf diesen Gebieten zurückgreifen. Hilde Domin analysiert zunächst ihren eigenen historischen Standpunkt, wobei sie sich der Tatsache bewußt ist, daß dieser von sozioökonomischen Faktoren gesteuert wird. Aus dieser Tatsache resultiere ein mehrfach gesteuerter Verhaltensmechanismus. Sie unterscheidet zunächst zwischen diachronischer und synchronischer Gesellschaft und ordnet die heutige Zeit der synchronischen zu. In der diachronischen Gesellschaft erfolgt Außensteuerung durch vorgegebene traditionelle und fraglos übernommene Muster und Modelle; fraglos deshalb, weil das Bezugsgefüge einsichtig ist und die Internalisierung freiwillig geschehe. Das Bezugsgefüge ist ein überschaubarer Orientierungsrahmen. Diese Muster ermöglichten dem einzelnen genügend Freiraum zu seiner Selbstverwirklichung, so daß ein Gleichgewicht zwischen ethisch-gesellschaftlichen und individuellen Normen herrsche, das Individuum also vorwiegend innengesteuert sei. In der synchronischen Gesellschaft bestehe die Innensteuerung darin, daß der Mensch die Anpassungszwänge der spätkapitalistischen Leistungs- und Konsumgesellschaft (cf. Lyrik/21) internalisiere. Arnold Gehlen spricht von dem extremen, absoluten Subjektivismus, den der moderne Mensch entwickelt, weil er von den Institutionen im Stich gelassen, auf sich selbst verwiesen wird. Aus dieser Tatsache resultiere seine Kontaktlosigkeit.18 Eine Verständigung sei nicht mehr mit Hilfe von Ideensystemen, die in den Institutionen verankert sind, möglich. Die synchronische Gesellschaft ist also laut Domin vorwiegend außengesteuert, wobei diese Außensteuerung von 18 Arnold Gehlen: Anthropologische Forschung. Reinbek 1961, S. 74. 49

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einem „System von Vorder-, Hinter-, Nebenmännern“ (Lyrik/21) geschehe. Diese unpräzise Terminologie entspricht der Undurchsichtigkeit von Mechanismen der Warengesellschaft. In ihr würden sogar ideelle und kulturelle Güter vermarktet; auch Lyrik komme wie eine Ware auf den Markt, unterliege dem Gesetz von Angebot und Nachfrage. Schlimmer noch, ihr Stellenwert richte sich nach den Interessen ganz bestimmter Personengruppen, von Hilde Domin die „Meinungsmacher“ genannt. Sie seien es, die über den Geschmack bestimmten, in einem solchen System könne der Mensch nur Objekt sein, Hilde Domin spricht von der „Verapparatung“ des Menschen. Ein Wertesystem, an dem er sich orientieren könne, gebe es nicht oder sei zumindest dadurch relativiert, daß es sich ständig ändert. Werte und Normen würden nach kurzer Zeit umgedeutet und nicht den Bedürfnissen des Menschen, sondern den undurchschaubaren Automatismen und Mechanismen der Umwelt angepaßt. Daraus zieht die Dichterin den Schluß, daß in diesem sozialen Bezugssystem Dichtung notwendiger sei denn je. Sie schreibt ihr eine bedeutende gesellschaftliche Funktion zu, nämlich dem Menschen dazu zu verhelfen, sich der Steuerung von außen bewußt zu werden, ihn zum Widerstand aufzurufen, ihm die Möglichkeit zu bieten, die Diskrepanz zwischen Innen und Außen, d. h. zwischen Verdinglichung und Selbstverwirklichung zu überwinden und nicht unbewußt seine Ziele „mit der sich verändernden Steuerung durch die von außen empfangenen Signale“ diesen anzupassen.19 Es sei hier auf einen Widerspruch in der Argumentation von Domin hingewiesen. Ihren Beobachtungen der modernen Gesellschaft, die für den Einzelnen undurchschaubar geworden ist, ist durchaus zuzustimmen. Man denke hier nur an die Großindustrie, in der automatisch ablaufende Prozesse sich fast 19 Hilde Domin beruft sich hier auf David Riesman: „The lonely Crowd“, der die Begriffe „außengesteuert“ und „innengesteuert“ zum erstenmal in die Forschung einbrachte.Das Schema, das Riesman seiner Untersuchung zugrunde legt, ist die Dreiteilung der Verhaltensformen in traditionsgeleitete, innengeleitete und außengeleitete Individuen, vgl. David Riesman: Die einsame Masse. Neuwied 1956, hier S. 55. 50

Die Krise der Sprache als Bewußtseinskrise

verselbständigen, der Mensch den „Sachzwängen“ unterworfen ist, an die seit kurzem auf jedem Gebiet neu auf den Markt kommenden Mikroprozessoren, die einen tiefen Eingriff in sämtliche Funktionen des menschlichen Lebens bedeuten, die der Mensch selbst aber nicht mehr beherrschen kann. Daraus ergibt sich eine völlige Entfremdung des Menschen in der Welt, das Gefühl des „Geworfenseins“ eher im Heideggerschen Sinne des „Geworfenseins in das Da“,20 ohne daß ihm in dieser Lage die Gewißheit des Menschen der Barockzeit zuteil würde, nämlich Heilserlösung durch den Glauben zu finden. Vielmehr wird das Gefühl des Geworfenseins noch verstärkt durch die Erkenntnisse der Akausalität und Alogik in der modernen Physik und Psychologie. In der diachronischen Gesellschaft erfolge Außensteuerung durch vorgegebene Muster, die transparent sind und die fraglos übernommen werden. Daraus folge, so Domin, vorwiegend Innensteuerung. Hier scheint Domin die Dinge etwas zu vereinfachen. Ein Ausbrechen aus dem gesellschaftlichen Wertesystem oder dessen Infragestellen war Sanktionen ausgesetzt, so daß es sich hier doch nur um eine relative Innensteuerung handelt. Ebenso wenig ist der Begriff Innensteuerung in der synchronischen, also modernen Gesellschaft angebracht, wenn diese durch Internalisierung der spätkapitalistischen Leistungs- und Konsumgesellschaft geschieht. Wenn dem Menschen das Bezugsgefüge, in dem er lebt, nicht mehr durchschaubar ist, kann man nicht mehr von Innensteuerung reden, da diese einen bewußten Aneignungsprozeß voraussetzt.

1.3 Die Krise der Sprache als Bewußtseinskrise Soviel zur Notwendigkeit von Lyrik, wie Hilde Domin sie versteht und verteidigt. Nun besteht ein Gedicht aus Sprache; wie der Dichter Wirklichkeit durch Sprache konstituiert, ist entscheidend. Dieser Sprache aber stehen viele Dichter skeptisch oder sogar ablehnend 20 Martin Heidegger: Sein und Zeit. Tübingen 1967. 51

Dichtungstheoretische Reflexion

gegenüber. Ihre Skepsis wurzelt in der Erkenntnis, daß die Sprache die Dinge nicht mehr meint, die sie nennt. Die Beziehungen, die früher eindeutig waren, sind heute nicht mehr erkennbar.21 Diese Haltung macht sich zu Beginn unseres Jahrhunderts in den verschiedensten Gebieten bemerkbar und führt z. B. in den Naturwissenschaften zu einer Neudefinition,22 in der Philosophie zu einer genauen Überprüfung, so daß hier ein ganz neuer Zweig entsteht: die Sprachphilosophie. In der Philosophie spiegelt diese Krise vor allem den metaphysischen Zweifel wider, aus dem ein Zweifel an der Semantik der Wörter resultiert. So begreift Wittgenstein Sprache in erkenntnisphilosophischem Sinne als absolute Grenze der Wirklichkeitserfahrung: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“23 Konsequenterweise fordert er, man habe zu schweigen, wenn die Diskrepanz zwischen Wort und Ding zu groß sei: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.“24 Für Wittgenstein und die neueren Sprachphilosophen25 rückt damit die Sprachverwendung in den Vordergrund. Nur daraus sei ihre Bedeutung zu ermitteln. Wittgenstein versucht diese Sprachverwendung anhand von sogenannten 21 In den Frühzeiten des abendländischen Denkens, so weist Heidegger nach, waren Wort und Sein unter einen Begriff gefaßt: λόγοϛ. Wort und Ding waren also nicht getrennt, cf. Martin Heidegger: Unterwegs zur Sprache. Pfullingen 1959, S. 237. 22 Vgl. dazu Werner Heisenberg: Physik und Philosophie. Stuttgart 1960. Hier besonders das Kapitel „Sprache und Wirklichkeit in der modernen Physik“, S. 160–180 und S. 106: „In der Quantentheorie mußten die Physiker schon früh lernen, daß die Begriffe der klassischen Mechanik die Natur nur ungenau beschreiben, daß ihre Anwendung durch die Quantengesetze begrenzt ist und daß man deswegen bei ihrer Anwendung sehr vorsichtig sein muß.“ 23 Ludwig Wittgenstein: Tractatus philosophicus. § 7, S. 188, London 1955. 24 Wittgenstein, a. a. O., § 5.6, S. 148. Vgl. dazu auch die Parallele zu Stefan George: „Kein Ding sei wo das Wort gebricht.“ Zum erstenmal erschienen 1919, später aufgenommen in dem Gedichtband „Das neue Reich“, S. 134. 25 Eine Einführung in die Sprachphilosophie gibt Eike von Savigny: Die Philosophie der normalen Sprache. Frankfurt am Main 1974. 52

Die Krise der Sprache als Bewußtseinskrise

Sprachspielen, die nach konventionellen Regeln ablaufen, zu erfassen. Die poetische Sprache könne mit solchen Regeln allerdings nicht erfaßt werden, da sie zwar eine Mitteilung an den Leser enthalte, diese jedoch in einem Medium übermittelt, das sich selbst zum Gegenstand habe, der Sprache: „[…] vergiß nicht, daß ein Gedicht, wenn auch in der Sprache der Mitteilung abgefaßt, nicht im Sprachspiel der Mitteilung verwendet wird.“26 Sprache konstituiert Realität, wird zum Gegenstand des Gedichts.27 Die solchermaßen im Gedicht selbst Wirklichkeit werdende Sprache erschwert das Problem der Bedeutung. Diese ist auch mit den Methoden der modernen Linguistik nicht zu entschlüsseln. Eine Grammatik der poetischen Sprache müßte viel zu viele Selektionsbeschränkungen enthalten, so daß eine Generalisierung über sie nicht mehr möglich wäre.28 Der Dichtung ist daher auch die Reflexion über Sprache, deren geistesgeschichtliche Voraussetzung im Historismus zu suchen ist, inhärent. Das historische Bewußtsein, die Einsicht des Menschen in seine eigene Geschichtlichkeit, bringt ihn zu einer veränderten Haltung gegenüber der Tradition. Er wird sich seiner Einmaligkeit, seiner Originalität bewußt, übernimmt nicht mehr fraglos traditionelle Muster, sondern integriert sie auf ganz individuelle Weise in sein eigenes Werk. Diese Reflexion über Sprache beginnt deshalb schon mit der Romantik. So schreibt Novalis: „Der Poet braucht die Dinge und Worte wie Tasten und die ganze Poesie beruht auf tätiger Ideenassoziation auf selbsttätiger, absichtlicher idealischer

26 Ludwig Wittgenstein: Zettel. Oxford 1967, § 160, S. 28. 27 Hieraus entwickelt sich dann die „Konkrete Poesie“. Hinzuweisen ist auch auf Cézanne, der in der Malerei die Stilmittel zum Gegenstand seiner Bilder machte. 28 Die Textlinguistik, die sich darum bemüht, die Bedeutung von Dichtung und Literatur allgemein zu systematisieren, konnte bisher noch keine überzeugenden Ergebnisse vorlegen. Eine Einführung in die Textlinguistik geben Kallmeyer et al.: Lektürekolleg zur Textlinguistik. Bd. 1 und 2, Frankfurt am Main 1974. 53

Dichtungstheoretische Reflexion

Zufallsproduktion (zufällige freie Katenation).“29 Das bedeutet aber Auflösung der Verbundenheit der Dinge. Die Einzelelemente sollen dann im Sinne des Zufalls neu zugeordnet werden, um den hieroglyphischen Charakter des Weltalls zu verdeutlichen. Hier wird die Moderne bereits in formaler Hinsicht vorweggenommen. Es darf über diesen Parallelen natürlich nicht die unterschiedliche Absicht übersehen werden. Eine Sprachkrise liegt bei Novalis noch nicht vor. Der romantische Dichter verfolgt mit der Neuschöpfung der Sprache eine Synthese von Gegensätzen, womit er eine neue, eine poetische Existenz, aufbauen will.30 Hier kommt der Sprachmagie, einem viel strapazierten Terminus in deutscher und europäischer Dichtung der fünfziger Jahre, große Bedeutung zu: „Jedes Wort ist Beschwörung.“ Die Sprache ist wichtiger als der Inhalt eines Gedichts, „Gedichte, bloß wohlklingend, aber auch ohne allen Sinn“.31 Solche Aussagen weisen Novalis als den Begründer der alogischen Dichtung in Deutschland aus, immer gesehen auf dem Hintergrund romantischen Dichtungsverständnisses. Expressionismus, Dadaismus, Surrealismus nehmen die Gedanken der romantischen Dichter zwar auf, vernachlässigen aber die wichtigste, nämlich ideale Seite: den Aufbau einer neuen Welt aus der Zertrümmerung. Novalis wurde in Frankreich rezipiert und hatte sicher Einfluß auf die Symbolisten, der bis zur Schöpfung der absoluten Metapher, der chiffre bei Rimbaud, führte.32 Die Emanzipation der Sprache vom Inhalt setzt also schon früh ein. Bei dem spanischen Dichter Jiménez führt die im Gedicht zu sich selbst kommende Sprache in die Absurdität des Schweigens. Er kommt zu der Erkenntnis, daß der Dichter Unaussprechliches auch nicht 29 Novalis: Schriften. Hrsg. von J. Minor. Jena 1923, S. 300. 30 Vgl. dazu Friedrich Nietzsche, der Dasein und Welt nur als ästhetisches Phänomen rechtfertigt. Kunst sei die eigentliche metaphysische Tätigkeit des Menschen, nicht die Moral. 1871 „Geburt der Tragödie“, 1886 „Wille zur Macht“. 31 Novalis, a. a. O., S. 308. 32 Zum Einfluß von Novalis auf die französischen Symbolisten vgl. Werner Vortriede: Novalis und die französischen Symbolisten. Stuttgart 1963. 54

Die Krise der Sprache als Bewußtseinskrise

mehr schreiben solle.33 In seinem „Diario poético“ spricht er von seinem Wunsch, ein Buch zu schreiben, „un libro blanco“ mit dem Titel „Poesía no escrita“.34 Durch die kunstfeindliche Atmosphäre im Dritten Reich und die Isolierung der Dichter von den europäischen Geistesströmungen wird die moderne Lyrik in Deutschland erst nach 1945 rezipiert. Sie erschließt sich dem entwöhnten deutschen Leser nur schwer, von den deutschen Lyrikern wird sie aufgenommen und zunächst nachgeahmt, so daß die dunkle hermetische Lyrik hier vorherrscht.35 Die verunsicherten deutschen Dichter wagen es nicht, sich auf eine neue, individuelle Weise der mißbrauchten Muttersprache zu bedienen. Sprache, selbst ein historisches Phänomen, ist dem geschichtlichen Wandel unterworfen. Die Wörter bedeuten nicht an sich etwas, sondern nur in Bezug auf etwas; sie haben Verweisungscharakter. Und in diesem Sinne enthält die deutsche Sprache nach dem Kriege Wörter, die mit einem ganz bestimmten Inhalt, ja einer Weltsicht, die sich immer auch in Sprache manifestiert, verbunden sind, und deshalb nicht mehr unbefangen benutzt werden können. Die Einsicht in die Ohnmächtigkeit des Wortes, das Unfaßbare faßbar zu machen, führt deshalb Paul Celan an den Rand des Verstummens, inspiriert ihn aber andererseits zu Gedichten, die ohne diese Erfahrung nicht möglich gewesen wären. Bei den deutschen Dichtern resultiert also die Sprachkrise vorwiegend aus dem ideologischen Mißbrauch der Wörter im Nationalsozialismus, der die Dichter zur Schöpfung 33 Vgl. hierzu Wittgenstein, Fußnote 24, S. 52. 34 Zit. nach Guillermo de Torre: Problematica de la Literatura. Buenos Aires 1966, S. 136, Übers.: „Ein Buch in Weiß“ mit dem Titel „Dichtung, die nicht geschrieben werden konnte“. Cf. dazu Mallarmé, der glaubt, daß das Wort verstumme, wenn man die Anwesenheit der Idee erfahren habe. Er begeistert sich deshalb für das „schweigende Gedicht, aus lauter Weiß“: „Tout devient suspens, disposition fragmentaire avec alternance et vis-à-vis, concourant au rythme total, lequel serait le poème tu, aux blancs.“ In: Œuvres completes. Bibliothèque de la Pléiade. Paris 1945, S. 367. 35 Dieser Begriff wurde in Analogie zu dem um 1930 von der Literaturkritik geschaffenen Begriff der „poesía ermetica“ in Bezug auf die Dichtung Ungarettis übernommen. 55

Dichtungstheoretische Reflexion

einer neuen Sprache führt. In der Moderne ganz allgemein liegt dem Phänomen der Unsagbarkeit und des Verstummens als Ursache vor allem das Unvermögen der Sprache zugrunde.

1.4 Das „Benennen der Wirklichkeit“ Hilde Domins Verhältnis zur Sprache ist wesentlich positiver. Sie hat nicht dieselben Erfahrungen gemacht. Anstatt Skepsis gegenüber der Sprache zu empfinden, nimmt sie Zuflucht zu ihr. Schreiben wird für sie zu einem Akt der Befreiung: „Schreiben ist für mich wie Atmen: man stirbt, wenn man es läßt“ (Natur/37). In einer unlebbar gewordenen Wirklichkeit dient die Sprache der Orientierung. Sie setzt deshalb der Sprachkrise als Bewußtseinskrise und der daraus resultierenden esoterischen Lyrik klare, transparente Gedichte entgegen, die durch ihre Einfachheit bestechen. Man lasse sich allerdings nicht täuschen: Es handelt sich um eine höchst komplexe Einfachheit,36 auf die im Laufe der Arbeit noch eingegangen wird. Deutscher Expressionismus und Nachkriegsunsicherheit gehen an dieser Dichterin, die zwanzig Jahre in romanisch sprechenden Ländern gelebt hat, fast spurlos vorüber. Lediglich im ersten Band finden sich leicht surrealistische Anklänge in der Bildstruktur einzelner Gedichte: Mutter, du zärtlich im Sarg mit dem roten Halstuch (I/42)

36 Walter Hinck schreibt über die Metaphorik von Hilde Domin, sie bewege sich „auf jenem schmalen Grat, wo das Poetische des Bildes voll zur Entfaltung gelangt, aber noch nicht zur Schwerverständlichkeit hinüberneigt“.W. H.: Rückkehr. Hilde Domin wird siebzig. In: FAZ vom 27.7.1982. 56

Das „Benennen der Wirklichkeit“

Sein entlaubter Freudenbaum treibt neue Knospen (I/48, mit Freudenbaum ist der Körper des Verfolgten gemeint)

Hilde Domin steht unter dem Einfluß des spanischen Dichters Aleixandre, der Sprache wieder Mitteilungsfunktion zuspricht: „Angesichts der Vergöttlichung des Wortes, angesichts der fast obszönen Wonne der Meisterschaft oder Sprachbeherrschung des Herrgottschnitzers, der sein Bildnis bearbeitet und den Spiegelglanz des Scherbens, den er in der Hand hält, mit dem tiefen Licht der Schöpfung verwechselt, muß man bekräftigen, muß man in Wahrheit ausrufen: ,Nein, die Dichtung ist nicht eine Angelegenheit der Worte‘“.37 Bei Aleixandre ist die inhaltliche Komponente ausschlaggebend, erst von da aus ergibt sich der Unterschied zwischen notwendigen und nicht notwendigen Worten. Domin übernimmt diese Forderung und leitet daraus auch den Unterschied zwischen notwendigem und nicht notwendigem poetischem Bild ab. Natürlich ist auch die Sprache Gegenstand ihrer Dichtung, nimmt sogar einen bedeutenden Platz darin ein, aber nicht als Selbstzweck, sondern als Vermittlerin eines bestimmten Inhalts und im Hinblick auf die Wirkung auf den Rezipienten. Aber auch hier steht sie nicht allein da in deutscher Dichtung, denn selbst ein Autor wie Enzensberger abstrahiert nicht vom Inhalt: „[…] auch der Gegenstand […] ist ein unentbehrliches Material der Poesie.“ „Ich kann, wenn ich einen Vers mache, nicht reden, ohne von etwas zu reden.“38 Das genaue Benennen der Wirklichkeit ist für Hilde Domin die wichtigste Aufgabe des Dichters, und hier beruft sie sich expressis verbis auf den altchinesischen Philosophen Konfuzius. „Für mich gibt es im Leben zwei Hauptgebote, die alle anderen 37 Aleixandre, zit. nach Siebenmann, Gustav: Die moderne Lyrik in Spanien. Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1965, S. 221. 38 Hans-Magnus Enzensberger: Scherenschleifer und Poeten. In: Hans Bender: Mein Gedicht ist mein Messer. München 1961, S. 144 f. 57

Dichtungstheoretische Reflexion

einschließen: beide untrennbar verbunden. Das eine das Gebot des Konfuzius, die Dinge der Welt beim richtigen Namen zu nennen; eine Eckschale nicht rund, selbst wenn die Ecken ein wenig abgeschliffen sind. Wenn die Namen der Dinge nicht stimmen, weiß der Mensch nicht, woran er sich halten soll.“39 Diesen Gedanken verdichtet sie später in den folgenden Zeilen: Die Eckenschale sagt er muß Ecken haben sagt er Oder der Staat geht zugrunde Nichts weiter sagt er ist vonnöten Nennt das Runde rund und das Eckige eckig. (IV/8)

Das Benennen der Wirklichkeit baut der Verschleierung und Manipulation vor: Dies ist unsere Freiheit die richtigen Namen nennen furchtlos mit der kleinen Stimme einander rufend mit der kleinen Stimme

39 Hilde Domin: Menschenblindheit. Unsere Abkehr von der Nächstenliebe. In: Nürnberger Zeitung. Sonderbeilage zum Kirchentag 1979. 58

Das „Benennen der Wirklichkeit“

das Verschlingende beim Namen nennen mit nichts als unserm Atem (III/16)

In diesem Sinne versteht sich Hilde Domin als Sprachhygienikerin. Jedes Wort muß überprüft werden, ob es in einem bestimmten Zusammenhang geeignet ist, eine subjektive Erfahrung wahrheitsgemäß wiederzugeben. Dies entspricht in etwa dem „objektiven Korrelat“ bei Eliot, das eine Figur darstellt, die in ihrer Suggestiv- und Evokationskraft der inneren Emotion äquivalent ist. Aber man kann auch eine Parallele zu dem amerikanischen Lyriker Ezra Pound ziehen, der folgende Grundsätze für den Lyriker aufstellt: 1.  Die Sache selbst wiedergeben Domin: Wahrheit in Bezug auf die Konkretheit der subjektiven Erfahrung 2.  Sparsamkeit der Worte, das genaue Wort40 Domin: Wortökonomie, das notwendige Wort „Ein guter Autor sagt genau das, was er meint; er sagt es mit vollkommener Klarheit und Schlichtheit; er kommt mit der kleinstmöglichen Anzahl von Worten aus“ (Lyrik/73). Zwar ist auch Hilde Domins Wirklichkeitserfahrung dadurch geprägt, daß die einzelnen Elemente sich nicht mehr zu einem durch die Sinne erfahrbaren Ganzen verbinden und daß es ein seltener Augenblick ist, wenn Referent und Referendum zwar nicht identisch werden, sich aber so weit wie möglich annähern: Wort und Ding lagen eng aufeinander

40 motz el son – wort und weise. The literary Essays of Ezra Pound. Zürich 1957, S. 51. 59

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die gleiche Körperwärme bei Ding und Wort. (IV/40)41

Trotzdem ist sie grundsätzlich davon überzeugt, daß der Dichter fähig ist, das Wesen der Dinge zu erfassen und in Sprache zu transzendieren. Aber auch die Sprache ist als historisches Phänomen der ständigen Umprägung gemäß dem Wandel der Gesellschaft unterworfen. Als gesellschaftlich und historisch vermittelt, ist sie genau wie das poetische Bild mit Bedeutung überladen.42 Daraus folgt für Hilde Domin, daß auch das „notwendige Wort“ ein relativer Begriff ist, und zwar relativ zu der in ihm auszudrückenden Wahrheit. Verbraucht sei nicht das Wort als solches, es werde nur im Kontext klischeehaft. Für den Lyriker bedeutet dies, daß er einen neuen Kontext schaffen muß, will er die historische Wahrheit im notwendigen Wort einfangen.43 Das gelinge ihm, wenn er Worte wieder in ihrer ursprünglichen und nicht in ihrer übertragenen Bedeutung verwende und indem er das Wort nicht mehr einenge, sondern ihm die Möglichkeit lasse, in allen seinen Bedeutungen zu schillern. Hierzu prägt Hilde Domin den Begriff der unspezifischen Genauigkeit.

41 Cf. dazu Eich: „Ich bin Schriftsteller, das ist nicht nur ein Beruf, sondern die Entscheidung, die Welt als Sprache zu sehen. Als die eigentliche Sprache erscheint mir die, in der das Wort und das Ding zusammenfallen.“ Günter Eich: Trigonometrische Punkte. In: Hans Bender: a. a. O., S. 23. 42 Cf. dazu Benn: „Diese Sprache mit ihrer Jahrhunderte alten Tradition, ihren von logischen Vorgängern geprägten Sinn und stimmungsgeschwängerten, seltsam geladenen Worten. […] Worte, Worte – Substantive: Sie brauchen nur die Schwingen zu öffnen – und Jahrtausende entfallen ihrem Flug.“ Gottfried Benn, Gesammelte Werke Bd. 1, Wiesbaden 1959, S. 513. 43 Hofmannsthal weist schon darauf hin, daß sich die wahre Welt dem Dichter entziehe, weil der abgenutzte Gebrauch der Sprache sie nicht mehr erfassen könne: „Die Worte haben sich vor die Dinge gestellt. Das Hörensagen hat die Welt verschluckt.“ Hugo von Hofmannsthal: Prosa I, Frankfurt am Main 1951, S. 265. 60

Das „Benennen der Wirklichkeit“

1.4.1 Der theoretische Begriff der unspezifischen Genauigkeit

Dieser von Hilde Domin in die Literaturgeschichte eingeführte Terminus technicus scheint zunächst widersprüchlich. Dabei zielt die Autorin auf einen Urzustand der Sprache, in dem jedes Wort sein Gegenwort in sich einschließt. Sie grenzt den Begriff gegen den der spezifischen Genauigkeit in den Wissenschaften ab. Diese spezifische Genauigkeit richte sich auf den Einzelfall, versuche diesen in seiner Realität zu fassen und zu analysieren. Der Dichter hingegen lasse in einem Wort ein Stück Wahrheit erscheinen. Das genaue Benennen ist also nicht gleichzusetzen mit banaler Abbildung, vor der Rilke sich so fürchtet,44 sondern sie zielt auf den Kern des Wortes. Die Wortbedeutung soll nicht durch schmückende, festlegende Beiwörter eingeengt werden, so daß die Rückführung auf den Kern des Wortes die Erschließung semantischer Wortfelder und damit neue Bedeutungen ermögliche, die nicht unbedingt vom Autor intendiert sind. Damit zielt aber die unspezifische Genauigkeit nicht auf den Einzelfall, sondern auf das alle Einzelfälle Verbindende, auf den Kern der Wahrheit. Hilde Domins vielgerühmte Einfachheit stellt sich somit als höchste Abstraktion heraus, Reduktion der Kunst auf das Wesentliche. Alles, was nicht ausdrücklich in den Versen steht, muß mitgedacht werden, nichts ist endgültig definiert, festgelegt, die unbeleuchtete Seite des Wortes kann durch den aktiven Leser je nach Bedarf, d. h. aufgrund einer ähnlichen Erfahrung, konkretisiert werden. Hilde Domin nennt diesen Prozeß die „Hinwendung zu einer neuen Archaik“ (Lyrik/142). Der dritte Band Hier verdichtet gleichsam diesen Gedankengang in den Versen, die dem Buch als Motto vorangestellt sind:

44 Rainer Maria Rilke: „Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort. Sie sprechen alles so deutlich aus: Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus, und hier ist Beginn und das Ende ist dort.“ Frühe Gedichte, 21.11.1897. 61

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Lyrik das Nichtwort ausgespannt zwischen Wort und Wort (III/7)

Ein Bezug zu Ungaretti ist unverkennbar: Tra un fiore colto et 1’altro donato l’inesprimibile nulla. Zwischen einer gepflückten Blume (fiore colto) und einer geschenkten (fiore donato), d. h. dem Wort des Dichters, schwebt das unaussprechliche Nichts. Edgar Lohner45 zieht eine Parallele zu Mallarmés Ausdruck vom „Beschwörungszauber“ des Wortes. Ich glaube nicht, daß dies ganz gerechtfertigt ist. Mallarmés Worte sollten ja unmittelbar eine Idee evozieren. Hilde Domins Intention ist eine andere: Das Nichtwort soll evoziert werden, also alles, was im ausgedrückten Wort mitschwingt, aber nicht explizit gesagt wird.

45 Edgar Lohner: Hilde Domin: Hier, a. a. O., S. 339. 62

Das Gedicht als magischer Gebrauchsgegenstand

1.5 Das Gedicht als magischer Gebrauchsgegenstand Les livres anciens sont pour les auteurs; les nouveaux pour les lecteurs (Charles Louis Montesquieu) Ich halte Wirkung für die Seele der Kunst, wenn sie nicht wirkte, wüßte ich nicht, wozu sie da wäre (Hugo von Hofmannsthal)

Domins ästhetische Reflexionen sind eindeutig auf den Leser bezogen. Man kann sagen, daß sie in ihrer Theorie einen rezeptionsästhetischen Ansatz vertritt. Die Wirkung auf den Leser steht im Vordergrund, was ja auch aus der Definition der unspezifischen Genauigkeit hervorgeht. Diese verlangt einen aktiven, ja kreativen Rezipienten, der sich das Gedicht nicht nur passiv aneignet, sondern es aktiv neu erschafft. Ein solcher Ansatz ist latent schon bei Novalis vorhanden, wenn er von „Ideenassoziationen“ spricht, die der Leser zu leisten habe. Die These vom Gedicht als Gebrauchsgegenstand klingt heute etwas abgegriffen. Sie wird bereits von Brecht 1927 postuliert, indem er seiner Gedichtsammlung „Bertolt Brechts Hauspostille“ eine „Anleitung zum Gebrauch der einzelnen Lektionen“ voranstellt und geraume Zeit später explizit von Lyrik fordert, daß sie Gebrauchswert haben müsse.46 Enzensberger greift diese Forderung auf, indem er seinem Gedichtband „Landessprache“ in einer Fußnote eine „Gebrauchsanweisung für unerschrockene Leser“ hinzufügt.

46 Bertolt Brecht: Über Lyrik. Ffm 1964, S. 8: „[…] gerade Lyrik muß zweifellos etwas sein, was man ohne weiteres auf den Gebrauchswert untersuchen können muß.“ Man vergleiche dazu auch Brechts Gedicht „Von allen Werken die liebsten sind mir die gebrauchten …“. 63

Dichtungstheoretische Reflexion

Nun könnte man bei dem Adjektiv „magisch“ mit Büttner auf den Gedanken kommen, Hilde Domin strebe mit ihrer Wortschöpfung eine Synthese der beiden Antipoden Brecht und Benn an, wenn man unreflektiert darunter die Sprache als Beschwörerin versteht. Auf Domins Definition trifft dies aber nicht zu. In ihrer Theorie erhält „magisch“ eine andere Bedeutung. Ein Gedicht ist nicht magisch, weil es durch Sprache eine andere Wirklichkeit beschwört, sondern vielmehr, weil ihm durch wiederholten Gebrauch durch den Leser „wie durch Zauberkraft“ potentielle Bedeutungen zuwachsen. Nach Domins Definition nutzt sich das Gedicht dabei nicht ab wie ein gewöhnlicher Gebrauchsgegenstand, sondern gewinnt an Substanz. Daß das Gedicht diese magische Kraft besitzt, verdankt es der unspezifischen Genauigkeit. Je mehr Bedeutungen ihm zuwachsen, um so größer ist sein ästhetischer Wert. Insofern ist Domins Definition nicht „widersinnig“, wie Büttner fälschlicherweise feststellt, weil er zu sehr auf den literaturgeschichtlichen Begriff der Sprachmagie fixiert ist.47 Eine solche Lyrik kann nicht mehr mit der hermeneutischen Methode des „Verstehens“ von Dilthey analysiert werden. Sie erschließt sich vielmehr nur dem aktiven Rezipienten, der das Gedicht durch „Weiterdichten“ sich aneignet. Dies gilt übrigens für die ganze moderne Literatur. Bei Domins poetologischem Entwurf handelt es sich also sowohl um eine Wirkungspoetik, deren Grundgedanke die Wirkung der Dichtung auf den Leser ist, wobei das Werk im Mittelpunkt steht, als auch um eine Rezeptionsästhetik, die leserbezogen ist. Der wichtigste Wirkungsfaktor, die unspezifische Genauigkeit, entspricht in gewissem Sinne dem von Wolfgang Iser48 etablierten Begriff der Unbestimmtheit. Iser sieht die Aufgabe des Literaturwissenschaftlers in der Beschreibung des Verhältnisses von 47 Ludwig Büttner: Von Benn zu Enzensberger. Nürnberg 1971, S. 204: „Hilde Domin nennt das heutige Gedicht einen magischen Gebrauchsartikel. Das klingt nach Brecht und Enzensberger. Ein ,magischer‘ Gebrauchsartikel ist der Formulierung nach widersinnig.“ 48 Wolfgang Iser: Die Appellstruktur der Texte. Konstanzer Universitätsreden. Konstanz 1970. 64

Das Gedicht als magischer Gebrauchsgegenstand

Text und Leser, da „Bedeutungen literarischer Texte […] überhaupt erst im Lesevorgang generiert“ werden.49 Ein Text als solcher hat keine Bedeutung, diese wird erst im Lesevorgang aktualisiert. Bei Domin heißt es entsprechend, daß ein Gedicht durch seinen Gebrauch virulent wird. Der literarische Text, der Wirklichkeit nicht banal abbildet, sondern diese durch Sprache erst konstituiert, bietet dem Leser Möglichkeiten, auf Welt zu reagieren, indem er im Rezeptionsvorgang seine eigenen Erfahrungen auf die im Text transzendierte und objektivierte Erfahrung des Autors projiziert.50 In der Dominschen Poetologie verhindert die unspezifische Genauigkeit eine Eins-zu-eins-Zuordnung des Textes zu den Objekten der Realität bzw. den Erfahrungen des Lesers. Wird sich dieser der Diskrepanz bewußt, wird er versuchen, sie auszugleichen. Führt die Ausgleichung dazu, daß der Text die Realität widerspiegelt, so verliert er nach Iser seine literarische Qualität.51 Auf Domins Poetologie angewandt, bedeutet dies: Ist die unspezifische Genauigkeit so groß, daß sie dem Leser ein breites Spektrum an Auslegungsmöglichkeiten bietet, wird er die im Text konstituierte Realität mit der extratextualen, ihn umgebenden vergleichen. Dies hat insofern Rückwirkung auf die reale Welt, als sie als nicht absolut gegebene, sondern als eine Möglichkeit unter vielen erkannt wird und ihre Voraussetzungen durchschaubar werden. Kann der Leser den Text auf seine eigenen Erfahrungen reduzieren, d. h. erfolgt Wiedererkennen im aristotelischen Sinne, empfindet er dies als Selbstbestätigung; fordert der 49 Iser, a. a. O., S. 7. 50 Hinck untersucht die Rolle des Lesers in der Lyrik von Brecht und stellt fest: „Das literarische Werk wird nicht ausschließlich als das Produkt des Individuums begriffen, sondern als ein von anderen vielfach angeregtes, genauer: als das durch einen einzelnen vermittelte und künstlerisch geformte Ergebnis des Gesprächs, der Diskussion.“ „In der Dialektik von Werk und Wirkung ist ,alle Macht den Lesern‘ gegeben.“ Walter Hinck: Alle Macht den Lesern, in: W. H.: Von Heine zu Brecht. Lyrik im Geschichtsprozeß. Frankfurt am Main 1978, S. 107 bzw. 122. 51 Iser, a. a. O., S. 12 ff. 65

Dichtungstheoretische Reflexion

Text seinen Widerspruch heraus, hat er zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren: Entweder lehnt er ihn ab oder er überprüft seine eigene Einstellung und korrigiert diese gegebenenfalls, baut also nach Iser die Unbestimmtheit im Text ab.52 Diese letzte Möglichkeit vor allem wird von Hilde Domin angestrebt, nämlich das Auffüllen der unspezifischen Genauigkeit durch den aktiven Leser, der sich erst solchermaßen einen Text aneignet und die daraus sich ergebende Identifikation mit der durch den Text konstituierten Realität. Autor Intention Text

Unspezifische Genauigkeit Bedeutung 1

Bedeutung n Leser Reaktion Welt

Graphik 1 Bedeutungsstruktur von Lyrik (Quelle: Verfasserin)

52 Iser, a. a. O., S. 12 ff. 66

Das Gedicht als magischer Gebrauchsgegenstand

1.5.1 Exkurs: „Doppelinterpretationen“: Zur Praxis des rezeptionsästhetischen Ansatzes

Mit „Doppelinterpretationen“ werden die in der Theorie niedergelegten rezeptionsästhetischen Reflexionen in die Praxis überführt. Es handelt sich hier um ein methodisch neues Unternehmen, um den „lebendigen Umgang mit Gedichten“. Einunddreißig Gedichte der Nachkriegslyrik werden einmal von ihren Autoren („Interpretation von innen“), einmal von „kompetenten Lesern“, d. h. meist Literaturwissenschaftlern („Interpretation von außen“), gedeutet. Beide Deutungen erfolgen unabhängig voneinander. Nicht nur, daß so ein repräsentativer Querschnitt der Nachkriegslyrik entsteht, wichtiger sind die in einem groß angelegten Vorwort von 42 Seiten geäußerten grundlegenden Gedanken „Über das Interpretieren von Gedichten“. Es handelt sich hier um eine Poetik des modernen Gedichts oder besser Gedichtverständnisses, eine Bestimmung seiner Seinsweise. Im Gedicht objektiviert der Autor eine subjektive Erfahrung, indem er Wirklichkeit exemplarisch ausdrückt. Domin bestimmt die Paradoxien des Gedichts dadurch, daß es sowohl an Einfühlungs- wie an Abstraktionsvermögen appelliere, woraus sich ein Spannungszustand zwischen Erregung, Identifikation (Atem) und Intellekt/Distanz (optische Gruppierung des Sinnträgers) ergebe (DI/21), aus denen Hilde Domin den sogenannten Simultanbegriff ableitet (DI/23). Dieser entspricht nach Domins Definition nicht dem dialektischen Begriff von These – Antithese – Synthese, den man nur auf gesellschaftliche Phänomene anwenden könne. Vielmehr sei dem Simultanbegriff die Gegensätzlichkeit (nicht umschlagbar) bereits inhärent. Die Paradoxien des Gedichts beziehen sich aber, so Domin, noch auf andere Phänomene. Einmal wird ja ein kurzer Augenblick im Gedicht perpetuiert, die Zeit zum Stillstehen gebracht, zum anderen wird dieser Augenblick im Nachvollzug aktualisiert, die Zeit zum Fließen gebracht. Die im Gedicht als Identifikationsmodell objektivierte Erfahrung des Dichters wird durch Assoziationen je nach historischsozialen und individuellen Faktoren immer wieder neu konstituiert. 67

Dichtungstheoretische Reflexion

Die sich daraus ergebenden neuen Bedeutungsvarianten verweisen das Gedicht in die Vieldimensionalität. Domin beruft sich hier auf Gadamers geschichtsphilosophische Betrachtungsweise.53 Gadamer ist der Begriff der „Horizont-Theorie“54 für den Verstehensprozeß bedeutsam. Dadurch rückt die Text-Leser-Beziehung in den Vordergrund. So wie das Werk ein Produkt seiner Entstehungszeit ist, so ist der „Verstehenshorizont“ des Rezipienten geprägt von historischen Bedingungen. Gadamer bezieht historische Werke ein, was die Quintessenz der Theorie einleuchtender macht. Bei der Auseinandersetzung eines zeitgenössischen Lesers mit einem historischen Werk erweitere sich sowohl der Verstehenshorizont des Lesers als auch die Bedeutung des Werkes, da in dieses neue Deutungsweisen eingehen. Das Werk müsse deshalb sowohl in seiner zeitgenössischen Bedeutung als auch aus der geschichtlichen Perspektive des Rezipienten erfaßt werden. Die Interdependenz beider Perspektiven konstituiert nach Gadamer die Geschichtlichkeit des Verstehensprozesses. Domin sieht die Beziehung Autor/Text – Text/Rezipient ebenfalls historisch relativiert. Für die vorliegende Anthologie bedeutet dies, daß „ein Gedicht […] mehr als die Summe seiner Interpretationen“ ist (DI/19). Hier zeigt sich einmal die Interpretierbarkeit des Gedichts, zum anderen die Kommunikationsstruktur von Literatur überhaupt. Der Interpret wird zum „Mithandelnden“ (DI/30), der das Bedeutungspotential aufgrund seiner Vorerfahrung auf seine ganz individuelle Weise ausschöpft. Er fügt dem Gedicht unter Umständen eine Bedeutungsvariante hinzu, die vom Autor nicht mitgedacht, dem 53 Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Tübingen 1960. 54 Bei Jauß, dessen rezeptionsästhetische Theorie auf Gadamer beruht, „Erwartungshorizont“, vgl. Hans Robert Jauß: Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft. In: Rainer Warning (Hrsg.): Rezeptionsästhetik. München 1975. Hinck weist bei der Auseinandersetzung mit Jauß noch einmal darauf hin, daß der „Erwartungshorizont“ nicht nur durch die literarische Tradition konstituiert werde, sondern vor allem „durch die historischgesellschaftliche Situation, aus der jeweils bestimmte neue Erwartungen der Literatur entgegengebracht werden“. Hinck: Alle Macht, a. a. O., S. 106. 68

Das Gedicht als magischer Gebrauchsgegenstand

Gedicht aber inhärent ist, „weil die Sprache mehr mitführt, als der Autor selber weiß“ (DI/30). Ausgehend von dieser Bestimmung der Seinsweise des Gedichts ergeben sich im Hinblick auf das vorliegende Buch verschiedene Interpretationsweisen. Vom Fremdinterpreten, bei dem Abstraktionsvermögen vorausgesetzt wird, wird aber auch Einfühlungsvermögen verlangt. Beide Komponenten sind insofern im Gedicht angelegt, als ein emotionales Ereignis mit gedanklicher Präzision objektiviert wird. Interpretierendes Lesen ist also sowohl ein emotionaler als auch gedanklicher Vorgang, d. h. der Leser muß zu identifizierendem wie auch zu distanzierendem Lesen fähig sein. Für das identifizierende Lesen gilt, daß Verstehen durch Projizierung des eigenen Erlebnisstandes in das Erlebte erfolgt. Dort wo sich beide überlappen, erfolgt Verstehen. Ausschließlich identifizierendes Lesen leistet Textverfehlungen durch nur emotionalen Zugang Vorschub, verhindert so Einsicht in ästhetische Strukturen und kritisches Weltverständnis. Kommt kritische Distanz hinzu, so erfolgt die Möglichkeit, eine Beziehung zum eigenen Erfahrungsbereich herzustellen. Hilde Domin weist darauf hin, daß ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Eigen- und Fremdinterpretation besteht. Der Autor bewege sich von seinem Werk weg. Er identifiziere sich nicht mehr damit, stehe ihm vielmehr distanziert gegenüber. Sein Interesse verlagere sich mehr auf das künstlerische Tun; die Reflexion über den Prozeß des Schaffens gewinne nunmehr für ihn Erkenntnisfunktion. Der Fremdinterpret dagegen fühle sich zur Auseinandersetzung mit dem Inhalt und zur Stellungnahme herausgefordert. Die Leistung dieses Vorwortes besteht vor allem im Aufzeigen der Unabgeschlossenheit, der Polyvalenz des Gedichts, dessen „Reserve an Ungesagtem“ (DI/18) unendlich ist. Der Vergleich der Interpretation durch den Autor mit der des Fremdinterpreten wird dem Leser vor Augen führen, daß Kunstwerke nicht eindeutig sind, daß vielmehr das Verständnis gesteuert wird durch die Vorerwartung und den Standort des jeweiligen Interpreten. Diese Erkenntnis wird vielleicht ein Anreiz für den Leser sein, das Werk selbst zu deuten. Weicht sein Ergebnis von dem der anderen 69

Dichtungstheoretische Reflexion

Interpreten ab, wäre dies ein weiterer Beweis für die Unausschöpfbarkeit eines Kunstwerkes. Was diese Unausschöpfbarkeit des Gedichts angeht, so haben sich vor allem Valéry und Eliot theoretisch dazu geäußert. Da der Dichter keine Bilder und Symbole mehr verwendet, die auf dem Hintergrund eines geschlossenen Traditionszusammenhanges für den Leser entschlüsselbar sind, d. h. deren Bedeutung einem konventionellen Inventar entnommen werden kann, muß der Leser die Worte wörtlich nehmen, auf ihre Grundbedeutung reduzieren und Bedeutungen aufgrund von mitschwingenden Assoziationen für sich erschließen. Auch für Valéry folgt daraus ein Interpretationspluralismus, da jede Annäherung an ein Gedicht durch subjektive Vorerfahrungen des jeweiligen Lesers mitbestimmt wird. Valéry betont, daß Texte zum subjektiven Gebrauch des Rezipienten bestimmt sind: „Mes vers ont le sens qu’on leur prête. Celui que je leur donne ne s’ajuste qu’à moi, et n’est opposable à personne. C’est une erreur contraire à la nature de la poésie, et qui lui serait même mortelle, que de prétendre qu’à tout poème correspond un sens véritable, unique, et conforme ou identique à quelque pensée de l’auteur.“55 In den theoretischen Essays reflektiert auch Eliot56 über den nicht eindeutigen Sinn des Gedichts. Er glaubt, wie nach ihm Domin in „Doppelinterpretationen“, daß ein Gedicht viel mehr an Sinn enthalten kann, als dem Dichter selbst bewußt ist, und daß die Bedeutungsvariante des Lesers sogar von der Intention des Autors wegführen könne. Er schreibt, daß die Gefahr, der die Literaturkritik ausgesetzt sei, in der Annahme liege, „es könne nur eine einzige richtige Deutung des Gedichtes im ganzen geben. 55 Paul Valéry: Commentaire de „Charmes“. In: Œuvres complètes. Bd. I. Hrsg. von Jean Hytier. Paris 1957, S. 1509. Übers.: „Meine Verse haben den Sinn, den man ihnen gibt. Der, den ich ihnen gebe, gilt nur für mich und steht in keinem Gegensatz zu dem eines anderen. Es ist ein Irrtum, der gegen die Natur der Dichtung ist und der selbst tödlich für sie wäre zu behaupten, jedem Gedicht entspräche ein wahrer, einziger Sinn, der mit irgendeinem Gedanken des Autors übereinstimmt oder identisch ist“ (Übers. I.H.). 56 T. S. Eliot: Dichter und Dichtung. Essays. Frankfurt am Main 1958, S. 394 f. 70

Die Trias Musterhaftigkeit – Authentizität – Besonderheit

[…] Der Sinn des Gedichtes im ganzen aber läßt sich überhaupt durch keine Erklärung ausschöpfen, denn der Sinn ist eben jeweils der, den das Gedicht für verschiedene empfängliche Leser hat.“ Eine weitere Gefahr sieht Eliot in der Annahme des Lesers, „daß die Interpretation eines Gedichtes wenn sie gültig sein soll, notwendig eine Darstellung der bewußten und unbewußten Absichten des Dichters sei.“ Auch Hilde Domin weist darauf hin, daß das Ergründen der Autorenabsicht nur eine reproduzierende Analyse zustande bringt, während das Erforschen des Sinns aufgrund eigener Erfahrungen einen kreativen Akt darstellt.

1.6 Die Trias Musterhaftigkeit – Authentizität – Besonderheit Verse sind nicht, wie die Leute meinen, Gefühle […], es sind Erfahrungen. (Rainer Maria Rilke)

Um dem Leser Identifikation zu ermöglichen (wobei Identifikation nicht verstanden wird als unkritisches Sicheinfühlen, sondern als aktives Nachvollziehen und Erkennen), muß Dichtung Modellcharakter haben, exemplarisch sein. Diese Forderung Domins ist nicht neu, sie zieht sich wie ein roter Faden seit der Antike durch die abendländische Literatur und verbindet Hilde Domin mit der Tradition. Relativ neu ist dagegen die psychologische Begründung, wie zu zeigen sein wird. Ausgangspunkt für Dichtung ist nach Domin die subjektive Erfahrung, die im Kunstwerk ins Allgemeine transzendiert wird. Ihre Definition von „Erfahrung“ berührt sich mit der Auffassung der angelsächsischen Literaturpsychologie, die sich in den zwanziger Jahren in einem Abriß Richards57 niederschlägt. Richard 57 I. A. Richard: Prinzipien der Literaturkritik. Frankfurt am Main 1972. Horst Meller stellt ebenfalls eine Parallele fest. Vgl. seinen Artikel „Hilde Domin“. 71

Dichtungstheoretische Reflexion

weist ganz wie Domin aufgrund der Dissuasion von sittlichen und ästhetischen Normen und der sich daraus ergebenden Relativierung beider der Kunst eine eminent wichtige gesellschaftliche Funktion zu, nämlich dem Individuum eine Hilfe der Orientierung zu bieten. Seinen Ansatz nennt er insofern materialistisch, als nach seiner Auffassung Kunstwerke konkretisierte Erfahrungen sind, wobei er Erfahrungen als geistige Prozesse, mentale Verfassungen definiert, die Rückschlüsse auf eine bestimmte Struktur des menschlichen Geistes zulassen. Er baut daraufhin eine Literaturkritik auf, die sich einerseits auf das behavioristische Reiz-Reaktions-Modell, andererseits auf die Gestaltpsychologie stützt, da dem menschlichen Nervensystem eine Tendenz zur Organisation von Impulsen zu einem Ganzen inhärent sei. In seiner Hierarchie von Erfahrungen steht die ästhetische an der Spitze, denn Kunstwerke seien Niederschriften (Hervorbringungen) der besten Erfahrungen der fähigsten Menschen.58 Richard bestimmt das Ästhetische als Eigenschaft einer Erfahrung, die das Individuum mit dem Kunstwerk macht, und nicht als Kennzeichen eines Objektes. Damit lenkt er das Augenmerk nicht nur auf die Produktion von Kunst, sondern auch auf deren Rezeption. Dem produktiven Künstler, sensibler und mit einem subtileren Wahrnehmungsvermögen ausgestattet als der normale Sterbliche, sind seine relevanten Erfahrungen (geistigen Zustände) jederzeit verfügbar. Die Fähigkeit, einen besonderen Geisteszustand durch Assoziationen jederzeit wiederbeleben zu können, ist nach Richard ein besonderes Merkmal des Künstlers. Hier handelt es sich nicht um eine bloße Erinnerung der zeitlichen und räumlichen Umstände eines Ereignisses. Er könne vielmehr alle zu In: Benno von Wiese (Hrsg.): Deutsche Dichter der Gegenwart. Düsseldorf 1973, S. 358. 58 Richard, a. a. O., S. 72: „In dem Künstler haben wir Belege in der einzigen Form vor uns, in der solche Erfahrungen belegt werden können, die zu machen die sensibelsten und urteilsfähigsten Menschen für wert hielten.“ S. 102: „Der Künstler ist der Mensch, der noch am ehesten darstellungswürdige wertvolle Erfahrungen hat. Er ist die Stelle, an der sich das Wachstum des Geistes zeigt.“ 72

Die Trias Musterhaftigkeit – Authentizität – Besonderheit

einer Einheit organisierten Elemente seiner Erfahrung im Kunstwerk konkretisieren und mit diesem in Einklang bringen. Der Rezipient reagiert, so Richard, auf das Kunstwerk, indem er versucht, seine Erfahrungen der im Kunstwerk konkretisierten anzunähern.59 Sein zunächst durch das Kunstwerk aus dem Gleichgewicht gebrachter Geist findet dabei zu einem Equilibrium höherer Ordnung. Die Konfrontation mit dem Kunstwerk läßt den Menschen verändert zurück. Auch Hilde Domin sieht im Dichter nicht mehr den poeta vates, den Propheten, durch dessen Mund sich ein höheres Wesen manifestiert,60 sondern zeichnet ihn als einen Menschen, der die Gabe besitzt, ungeordnete Elemente einer archetypischen Erfahrung zu erkennen, zu einem Ganzen zu ordnen und stellvertretend für die Menschheit in einem exemplarischen Kunstwerk zu objektivieren. Diese Fähigkeit setze einen Moment höchster Identifikation voraus, die durch das Benennen der Erfahrung im Gedicht und durch das Wiedererkennen durch den Leser zu einer Kommunikation mit den anderen Menschen führe: „Durch das Nadelöhr seines Ich muß er [der Lyriker] hindurch ins Allgemeine: in die punktuelle, die paradoxe Wahrheit der unwiederholbar einmaligen und zugleich doch beispielhaften Erfahrung, in die ,wirklichere‘ Wirklichkeit“ (Lyrik/17).61 Für die deutschen Romantiker bedeutet z. B. der Rückzug des Individuums auf das eigene Ich Selbstverwirklichung durch Poetisierung des Lebens. Hilde Domin macht aus der statischen, auf sich bezogenen Verinnerlichung einen dynamischen Prozeß: Aus der Selbstbegegnung mit dem eigenen Ich – ein Moment höchster Verinnerlichung – folgt eine Hinwendung zum anderen. Der Rückzug auf das eigene Ich, das Sich-selbst-Erkennen, ist in ihrer Theorie Voraussetzung für Kommunikation überhaupt. Dies ist nur möglich durch die Musterhaftigkeit von Dichtung, die dem Leser Identifikation mit einer archetypischen Erfahrung und 59 Vgl. Iser, a. a. O., Fußnote 51, S. 65. 60 Die vates-Vorstellung findet sich z. B. bei Klopstock, Hölderlin, George. 61 Selbst der Realist und Naturalist Maupassant fordert diese ,wirklichere Wirklichkeit‘ in dem Vorwort zu seinem Roman „Jean et Pierre“, d. h. auch er mochte von der Wirklichkeit nur das auswählen, was exemplarisch ist. 73

Dichtungstheoretische Reflexion

damit Identitätsfindung durch Wiedererkennen ermöglicht, denn „Selbstbegegnung des Lyrikers [ist] zugleich Modell von Begegnung überhaupt“ (Lyrik/14). Auch beim Leser erfolgt, so Domin, durch die Konfrontation mit Lyrik zunächst eine Rückbesinnung auf das eigene Ich. Durch die Musterhaftigkeit der eigenen Erfahrung, die er im Kunstwerk erkennt, versteht er die Grundsituation des menschlichen Lebens und findet aus seiner Isolation heraus: „Die benannte Erfahrung tritt dem Menschen gegenüber als etwas Objektives und wird auf eine neue Weise vollzogen: als sein Eigenstes, das aber doch auch anderen widerfährt, ihn mit der Menschheit verbindet, statt ihn auszusondern“ (Lyrik/15). Die Wirkung ist eine kathartische: „Das Erkennen der Musterhaftigkeit, der Modellhaftigkeit, ist auch das, was einen angeht, erregt und ,glücklich‘ macht oder zumindest befreit, gleichgültig wie tragisch die Gestalt und wie verhängnisvoll die Regel ist, die in ihr verlebendigt ist“ (Lyrik/61). Schon Richard sieht die Relevanz von Kunst in der geglückten Kommunikation zwischen Künstler und Rezipient, wenn er es auch im Gegensatz zu Hilde Domin nicht als Aufgabe des Künstlers sieht, diese Kommunikation anzustreben. Kommunikation könne aber nur zustande kommen, wenn die Erfahrung des Künstlers in ihrer Quintessenz sich der Erfahrung des Rezipienten annähere: „Der Erfolg der Kommunikation hängt davon ab, inwieweit man auf die Ähnlichkeiten in vergangenen Erfahrungen zurückgreifen kann. Ohne solche Ähnlichkeiten ist Kommunikation nicht möglich.62 Hilde Domin spricht in diesem Zusammenhang von der Erfahrung erster Ordnung, nämlich derjenigen des Dichters, und der Erfahrung zweiter Ordnung, derjenigen des Lesers. Die Forderung nach Modellhaftigkeit von Kunst wird nicht von außen an das Kunstwerk herangetragen, sondern ergibt sich aus der zu transzendierenden subjektiven Erfahrung des Künstlers, der, wie schon erwähnt, diese Erfahrung stellvertretend für die Menschheit macht und durch „Benennen“ dem Individuum ermöglicht, eine musterhafte Erfahrung 62 Richard, a. a. O., S. 121. 74

Die Trias Musterhaftigkeit – Authentizität – Besonderheit

als eigene erkennen zu können. Die Nähe zu C. G. Jungs Definition vom kollektiven Unbewußtsein ist unverkennbar.63 Es sei an dieser Stelle deshalb kurz darauf eingegangen. C. G. Jung nennt allgemeine Erfahrungsmuster Archetypen, d. h. archaische Bilder und Symbole, die als kollektive Inhalte des menschlichen Unterbewußtseins stets wiederkehren.64 Die Ergebnisse autochthoner Mythenformen und -motiven in den unterschiedlichen Kulturen erhärten Jungs These. Der Ursprung eines Archetyps bleibt im Dunkeln. Er ist so verwurzelt im Unbewußten, daß man nur Zugang zu seinen Manifestationen in der Psyche, nicht zum Archetypen selbst haben kann. Den Literaturwissenschaftler interessiert dabei vor allem die Frage, wie ein Archetyp hier und jetzt wahrgenommen werden kann. Nach Jung manifestiert sich ein Archetyp in einem Symbol, und deshalb versteht er Dichtung als einen der bedeutendsten und ersten Manifestationsbereiche für Archetypen, durch den wir Zugang zu dem geheimnisvollen Bereich des Menschseins finden. Der Archetyp ist also Energie, das Symbol Verdinglichung des Archetypen. Dichtung ist deshalb nach Jung nie etwas nur Persönliches, sondern wird von einem Einzelnen für die ganze Menschheit geschrieben. Ein konkreter Bezug liegt in Domins entsprechender Forderung, daß der Dichter stellvertretend eine Erfahrung für die Menschheit macht. Jeder schöpferische Mensch ist eine solche Synthese aus persönlichem und unpersönlichem Prozeß. Soweit die Parallele zu Jung. Die Kategorie der Authentizität bezieht sich auf Punkt 2. Dem Kunstwerk ist Wahrheit in bezug auf die konkrete Wirklichkeit einer Erfahrung inhärent, und damit hilft „das Kunstwerk […] zu erkennen und zu erleben, wie die Dinge wirklich sind, wie man selbst ist, wie die konkrete Wirklichkeit ist“ (Lyrik/62). Das Gedicht, durch die Musterhaftigkeit ein Vehikel der Erkenntnis, erhebt sich dadurch in den dreidimensionalen Bereich. Alle drei Begriffe sind als dynamische 63 C. G. Jung: Bewußtes und Unbewußtes. Frankfurt am Main 1971. 64 C. G. Jung geht hier über seinen Lehrer Sigmund Freud hinaus, der von den persönlichen Inhalten des menschlichen Unbewußten spricht. 75

Dichtungstheoretische Reflexion

gedacht, die ebenfalls der historischen Wandlung unterworfen sind. Die Paradoxie des Gedichts als Einmaliges und Muster zugleich verlangt vom Lyriker sowohl kühle Ratio, mit der er das Exemplarische der Erfahrung erkennt, und Emotion gegenüber der Einmaligkeit dieser Erfahrung. Diese beiden psychologischen Voraussetzungen muß auch der Rezipient erfüllen, will er das Gedicht in einem kreativen Prozeß sich aneignen; dabei appelliere der optische Sinnträger an seine Ratio, die Atemeinheiten der Zeilen an seine Emotion.

Dichter

Erfahrung erster Ordnung

emotio

Kommunikation mit sich selbst

Kommunikation mit sich selbst

Objektivierung im Gedicht

ratio Gedicht

Kommunikation ratio

Leser

Erkennen des Musters

Einfühlen

emotio

Erfahrung zweiter Ordnung

Kommunikation mit sich selbst

Graphik 2 Kommunikationsstruktur von Lyrik (Quelle: Verfasserin)

76

Der Epiphaniecharakter der Kunst

1.7 Der Epiphaniecharakter der Kunst Über meinem Hause ändert sich täglich die Wahrheit. (Karl Krolow)

Hilde Domin teilt Brechts Auffassung, daß die Elemente, die Einzelphänomene, die anstelle der Totalität der Realität erfaßt werden können, modellhaft in Sprache gekleidet werden sollen. Eine verbindliche Wahrheit lasse sich in einem System ohne feste ethische Normen nicht darstellen, auch nicht aus Kunst wie aus philosophischen Systemen deduzieren. Sie werde vielmehr sichtbar, d. h. sie erscheint, indem kleinste wahrnehmbare Erlebniseinheiten die Abbilder metaphysisch entgrenzen, so daß die hinter ihnen liegende „wirklichere Wirklichkeit“ (Lyrik/62) evoziert wird. Die Wahrheit, objektiviert im Werk und transzendiert ins Allgemeine, wird für den Rezipienten durch Erkennen des Musters zu einer archetypischen Erfahrung. Hier tangiert Hilde Domins Definition von der erscheinenden Wahrheit teilweise die Epiphanielehre von James Joyce.65 Joyce versteht eine Epiphanie als das Erkennen des Wesens eines Objektes. Dieses Erkennen wird ausgelöst in einem Moment geschärfter Wahrnehmung durch die unterschiedlichsten materiellen Gegenstände, die simultan im Aufnehmenden eine Idee evozieren. Nur weil die Epiphanie als wahrgenommener Augenblick selbst Erscheinung wird, kann durch das wahrgenommene einzelne Element ein Ganzes aufleuchten. James Joyce entwickelt seine ästhetische Theorie in „Stephen Hero“. Sie beruft sich auf Thomas von Aquins Lehre von der Schönheit, welche

65 Cf. hier Höllerer, der bis ins Einzelne die Epiphanie bei Joyce anhand der Romane „Stephen Hero“, „Ulysses“ und „Finnegan’s Wake“ analysiert. Walter Höllerer: Die Epiphanie als Held des Romans. Teil I in: Akzente 3 (1961), S. 126–136, Teil  II S. 275–285. 77

Dichtungstheoretische Reflexion

aus Integrität, Symmetrie und Strahlen (claritas) besteht. Danach unterscheidet Joyce drei Elemente einer Epiphanie: 1.  In der Epiphanie erkennt man das Wesen des Objektes. 2.  Dieses Wesen erkennt man im gegenwärtigen Augenblick, indem man in den Anblick des Objektes versunken ist (also keine Erinnerung oder früher Erlebtes). 3.  Das Wesen des Dinges manifestiert sich durch einen besonderen Glanz, der die empirische Realität transzendiert.66 Punkt 2 dieser Definition unterscheidet die Epiphanie von der Erkenntnis der erscheinenden Wahrheit bei Domin. Bei Domin verdichten sich Vergangenheit und Gegenwart zu einem intensiven Augenblick, zu einem wahren Kairos, in dem das Wesen eines erschauten Dinges oder die Quintessenz einer Erinnerung sich dem Dichter offenbaren in jäher Erkenntnis und er mit der geistigen Wirklichkeit unmittelbar konfrontiert wird. Hier liegt auch eine Parallele zu Prousts Assoziationstechnik in seinem Roman „A la recherche du temps perdu“ vor. Nur in solchen Augenblicken, in denen sich in der Intensität der Anschauung die Wesentlichkeit der Objekte offenbart und ins Symbolische gesteigert wird, kann die fragmentarische Realität überwunden werden. Eine Reihe solcher Epiphanien, die eine reale Gegebenheit transzendieren, verschafft dem Dichter Einsicht in die Zusammenhänge der Welt. In diesem mentalen Zustand ist er fähig, an archetypische Menschheitserfahrungen anzuknüpfen. Den Epiphanien bei James Joyce entsprechen die glimpses bei William Carlos Williams, in denen innere Momentaufnahmen genau wahrnehmbarer Gegenstände poetische Empfindungen evozieren, in etwa entspricht ihnen auch das image bei Ezra Pound, das „einen 66 Vgl. hierzu Theodore Ziolkowski: James Joyces Epiphanie und die Überwindung der empirischen Welt in der modernen deutschen Prosa. In: Deutche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 35 (1961), S. 594–616, hier S. 602. 78

Die erzieherische Funktion von Lyrik

intellektuellen und emotionalen Komplex innerhalb eines Augenblicks darstellt“.67 Hilde Domins Erkenntnis von der in einem Kunstwerk aufleuchtenden Wahrheit hat Konsequenzen für die künstlerische Praxis, denn Epiphanien wollen in Sprache gefaßt werden. Damit das Wort im Leser selbst eine Epiphanie bewirken kann, darf die Sprache so wenig wie möglich mit belastenden Definitionen befrachtet sein, so daß die Worte in ihrer Bedeutung nicht eingeengt sind, sondern der Assoziierung durch den Rezipienten keine willkürliche Grenze gesetzt ist. Die Theorie von der erscheinenden Wahrheit verlangt die „unspezifische Genauigkeit“ des Wortes. Das Prinzip der Reduktion des Wortes auf seine Grundbedeutung, der Wortökonomie und des Fragmentarismus beherrschen folgerichtig Hilde Domins Lyrik.

1.8 Die erzieherische Funktion von Lyrik Die einzelnen Essays des Bandes „Wozu Lyrik heute“ sind untereinander verbunden durch die Frage nach der Freiheit der Kunst, die ja immer auch eine Frage nach der Freiheit des Menschen ist. Das interpretierende Lesen eines Gedichts, d. h. das Sichaneignen im Vollzug des Erkennens und Nachvollziehens befreit den Menschen aus der Manipulation, schafft ihm einen „Atemraum für Freiheit“ (Lyrik/31). Kunst als letzter Zufluchtsort für Freiheit wird hier verstanden als Mittel zur Erkenntnis der Wirklichkeit. In diesem Augenblick der Freiheit ist der Mensch Subjekt der Geschichte, nicht manipuliertes und manipulierendes Objekt. Es geht hierbei um eine Neugewinnung von Freiheit. Hilde Domins Frage geht dahin, wie Kunst, hier vor allem Lyrik, auf eine Verbesserung des Menschen zu beziehen sei. Zunächst fordert sie, daß Kunst zwecklos zu sein habe; sie sei eo ipso nutzlos, aber unverzichtbar in ihrer Nutzlosigkeit, indem sie nämlich eine Höherlegung der Bewußtseinsschwelle bewirke, dem 67 motz el son, a. a. O., S. 50. 79

Dichtungstheoretische Reflexion

Menschen somit Freiheit für moralische Entscheidungen einräume. Hier liegt eine Umdeutung des aristotelischen Katharsisbegriffes vor. Die durch Kunst bewirkte Katharsis bedeutet bei Domin Reduzierung der Außensteuerung, Überwiegen der Innensteuerung, und damit die Fähigkeit, Individuum zu sein und seinem Gewissen gemäß zu handeln, nicht in Passivität zu verharren. Legt man jedoch die Schadewaldtsche68 Auslegung des Katharsisbegriffes im Sinne einer „Staatshygiene“ zugrunde, so nähern sich die beiden Begriffe wieder an. Die Dominsche Bestimmung zielt darauf, den Menschen durch Kunsterziehung der Manipulierbarkeit gegenüber zu sensibilisieren und in ihm die Fähigkeit zum Gebrauch von Freiheit auszubilden. Von hier aus kann dann eine unmittelbare Wirkung auf die Umgebung erfolgen. Ichfindung und Gewinnung von Freiheit, darauf zielen die dichtungstheoretischen Reflexionen Domins. Die Dichterin befindet sich damit in partiellem Einklang mit dem moralischen Idealismus Schillers. Wie nach ihm Domin, so analysiert auch Schiller im ersten Teil der „ästhetischen Briefe“ seinen geschichtlichen Standort, die gesellschaftliche Wirklichkeit im ausgehenden 18. Jahrhundert. Den Umbruch vom Feudalstaat in eine bürgerlich-kapitalistische Ordnung nennt Schiller die Ablösung des Not- durch den Vernunftstaat. Durch ästhetische Erziehung soll der Mensch zur Bildung eines solchen Vernunftstaates befähigt werden. Die moralische Aufgabe der Kunst ist die Hinführung zur politischen Freiheit. Die Kunst soll ein „Werkzeug“ zur „Veredlung des Charakters“ sein. Diese hinwiederum ist Voraussetzung für „alle Verbesserung im Politischen“.69 Schiller ist der Überzeugung, daß dies der Französischen Revolution mißlang, weil das französische Volk sittlich und moralisch nicht reif dazu gewesen sei (Brief vom 13.7.1793). Sich auf Kant berufend, definiert Schiller Schönheit als Freiheit in der Erscheinung, d. h. daß dem 68 Wolfgang Schadewaldt: Furcht und Mitleid? Zu Lessings Deutung des aristotelischen Tragödiensatzes. In: Hermes. Zeitschrift für klassische Philologie 83 (1955), S. 129–181. 69 Friedrich Schiller: Sämtliche Werke in 5 Bänden. Hrsg. von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert, München 1980, 9. Brief, S. 592. 80

Die erzieherische Funktion von Lyrik

Menschen im Kunstwerk Freiheit, Grund der Sittlichkeit, anschaubar werde. „Durch die ästhetische Gemütsstimmung wird also die Selbsttätigkeit der Vernunft schon auf dem Felde der Sinnlichkeit eröffnet, die Macht der Empfindung schon innerhalb ihrer eigenen Grenzen gebrochen und der physische Mensch so weit veredelt, daß nunmehr der geistige sich nach Gesetzen der Freiheit aus demselben bloß zu entwickeln braucht.“70 „[…] es gibt keinen andern Weg, den sinnlichen Menschen vernünftig zu machen, als daß man denselben zuvor ästhetisch macht.“71 Die kantischen Gegensätze des sinnlichen und des vernünftigen Menschen will Schiller durch die ästhetische Erziehung aussöhnen. Auch bei Domin soll der Mensch durch Kunst zu moralischen Entscheidungen befähigt werden, weil sie ihn der Zeit enthebe, ihn zu sich selbst kommen läßt, ihm einen Moment „höchster Identifikation“ gewähre und somit einen Atemraum für Entscheidungen. Leistung und Funktion von Lyrik sieht Domin in der Gewinnung von Freiheit und schöpferischer Subjektivität, weil sie allein dem Menschen die Möglichkeit biete zu Ichfindung und dem Erleben seiner Ursprünglichkeit. Hier handelt es sich nicht, wie Jacobs kritisiert, um eine Flucht in die Innerlichkeit, „um einen Verlust der sozialen Funktion der Kunst“, deren „durch sie gerettete Freiheit […] ohne jede allgemeine soziale Bedeutung ist“72. Vielmehr ist der gerügte angebliche Eskapismus der Versuch der Dichterin, sich auf ihrem ureigenen Gebiet, der Kunst, zu engagieren. Hilde Domin ist der Überzeugung, daß eine Erneuerung des Menschen nur von einer Erneuerung seiner ganzen Denkweise ausgehen könne, die schließlich in einer neuen Humanität münde. Die Kunst soll dem Menschen Einsicht gewähren, diese wiederum ihn zu humanitärem, im Sinne Schillers sittlichem Handeln, befähigen. Bei Schiller erfolgt zum Schluß der Briefe eine Flucht in die 70 23. Brief, S. 642. 71 23. Brief, S. 641. 72 Jürgen Jacobs: Hilde Domin/Wozu Lyrik heute. A. a. O., S. 743. 81

Dichtungstheoretische Reflexion

Utopie. Es wird kein realer politischer Staat entworfen, sondern ein „Staat des schönen Scheins“.73 Der Vorsatz Schillers, wie er sich in den ersten Briefen manifestiert, den Menschen durch Kunst zu erziehen, wandelt sich am Schluß der Briefe zu einer Erziehung zur Kunst. Domins vorrangige Forderung bleibt die Erziehung durch Kunst. Nur ein Mensch, dem durch Kunst, d. h. hier vor allem durch Lyrik, die Diskrepanz zwischen gegebener und idealer Realität bewußt wird, wird danach streben, die ideale Welt zu verwirklichen. „Das Kunstwerk hilft zu erkennen, und zu erleben, wie die Dinge wirklich sind, wie man selbst ist, wie die konkrete Wirklichkeit ist, in der man sich bewegt, und wie sie sich zur Wirklichkeit aller Zeiten verhält, auch wie sie sein sollte, im Idealfall“ (Lyrik/62, Kursivierung von mir). Diesen Optimismus teilen allerdings heute wenige Schriftsteller. Sartre schreibt am Ende seiner Autobiographie: „J’écris toujours. Que faire d’autre […]. C’est mon habitude et puis c’est mon métier. Long­ temps j’ai pris ma plume pour une épée: à présent je connaîs notre impuissance. N’importe: je fais, je ferai des livres; il en faut; cela sert tout de même. La culture ne sauve rien ni personne, elle ne justifie pas. Mais c’est un produit de l’homme: il s’y projette, s’y reconnaît; seul, ce miroir critique lui offre son image.“74 Der letzte Satz vertritt, trotz zunächst zur Schau getragenem Pessimismus, die Ansicht Domins. Daß der Mensch sich in Dichtung erkennt, erscheint ein wesentlicher Gesichtspunkt zu ihrer Verteidigung. Ob der von Domin zur Schau getragene Optimismus von 73 Schiller: a.a.O. 27. Brief, S. 669. 74 Jean Paul Sartre: Les mots. Editions Gallimard. Paris 1964, S. 211. Übers.: „Ich schreibe immer noch. Was soll ich sonst tun […]. Es ist meine Gewohnheit, und außerdem ist es mein Beruf. Lange habe ich meine Feder für mein Schwert gehalten: Heute kenne ich unsere Ohnmacht. Trotzdem schreibe ich und werde ich Bücher schreiben; das ist nötig; das ist trotz allem nützlich. Die Kultur vermag nichts und niemanden zu retten; sie rechtfertigt nicht. Aber sie ist ein Erzeugnis des Menschen: Er projiziert sich darin, und er erkennt sich darin wieder, dieser kritische Spiegel allein zeigt ihm sein Bild“ (Übers. I.H.). 82

Die erzieherische Funktion von Lyrik

der Veränderbarkeit des Menschen durch Kunst gerechtfertigt ist, sei dahingestellt. Ein Zweifel an dieser Auffassung regt sich, wenn man an die Korrumpierung des Menschen unter Hitler denkt, dem ein kultiviertes Volk bedingungslos folgte. Lyrik ist immer noch nur wenigen Menschen zugänglich. Ihre Wirkung kann aus diesem Grunde nur begrenzt sein. Aber selbst, wenn ihre Auswirkungen in der Praxis, wie Hilde Domin sie in ihrem „Offenen Brief an Nelly Sachs“, der ihre autobiographischen Schriften abschließt, beschreibt, nicht verallgemeinert werden können, hat sie schon deshalb ihre Berechtigung, daß der Mensch sich darin projiziert und erkennt. In dem „Offenen Brief“, in dem es um das Problem der Exildichtung geht, beschreibt sie die Wirkung von Lyrik auf sich selber. Wir erfahren, daß Hilde Domin auf ihrer Insel in der Karibischen See zum erstenmal Bilder aus einem Konzentrationslager sah: „Am schlimmsten waren mir die Leichenhaufen: all diese nackten, hilflosen Körper, wie ein Lager von verrenkten Puppen übereinander gestapelt. Ich konnte keine nackten Körper mehr sehen, besonders keinen Schlafenden […], ohne mich zu ängstigen vor den Leichenpuppen, diesen hilflosen Opfern von Anderer Tun. Jeder Liegende wurde mir sofort zur Leiche, zog Trauben von Leichen an. Das habe ich damals nie ausgesprochen, das hätte ich niemandem sagen können, mein Entsetzen war nicht mitteilbar. […] Als ich Deine Gedichte las, im Winter 59/60, also fast 15 Jahre später, da hast Du meine Toten bestattet, all diese fremden furchtbaren Toten, die mir ins Zimmer kamen. […] Ich breche in Tränen aus, wie ich dies schreibe, aber ich will es trotzdem aussprechen, und auch öffentlich. […] Du hast diesen Toten die Stimme gegeben. Mit Deinen Worten sind sie – klagend aber doch – gegangen, den Weg, den die Toten gehen“ (Natur/136). In dem abgehackten, zusammenhanglosen Stil dieses Briefes spiegeln sich die Angst und das Entsetzen der Autorin wider.

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Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

2.1 Vorbemerkung: Kurzer biographischer Abriß Wenn hier auf einige biographische Daten eingegangen wird, so soll damit keinem profanem Biographismus gehuldigt werden. Vielmehr sind diese bedeutsam zur Erhellung der Besonderheit einer Begabung, die erst spät zum Durchbruch gelangte. Hilde Domin,1 geboren am 27. Juli 1909 in Köln, wuchs als Tochter eines jüdischen Rechtsanwalts in großbürgerlichem Milieu auf. Nach einer behüteten Kindheit2 studierte sie in Heidelberg und Berlin zunächst Jura, „aus Begeisterung für meinen Vater“ (Natur/36), dann politische Wissenschaften und Soziologie. Ihre Lehrer waren u.a. Karl Jaspers und Karl Mannheim. Obwohl die Familie keine jüdischen Bräuche pflegte, sondern sich vielmehr in die deutsch-christliche

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„Domin“ ist ein Pseudonym, abgeleitet aus Santo Domingo, der Stadt, in der Hilde Domin zur Dichterin wurde. „Links fuhr die Linie 16, in der meine Mutter mitgefahren war, monatelang, als ich begann auf dem Fahrrad zur Schule zu fahren. Sie überwachte die Expedition von der Straßenbahn aus und schätzte die Risiken ab. Man sieht daraus schon, was für eine Sorte Kindheit ich hatte“ (Natur/10). „Ich hatte keine ,repressive‘ Kindheit, im Gegenteil. Mein Vater warf keine dunklen Schatten. Ich durfte lesen, soviel ich wollte, ich bekam, nach einigen Kämpfen, die Tiere, die ich wollte“ (Natur/11). 84

Vorbemerkung: Kurzer biographischer Abriß

Umgebung integriert hatte,3 muß der Autorin als Kind ihre Sonderstellung doch früh, vielleicht unbewußt, klar gewesen sein. Warum sonst hätte sie sich verletzt gefühlt von der fast zärtlich klingenden Bezeichnung „Jüdchen“ durch die Mutter einer Freundin.4 Als Hilde Domin 23 Jahre alt war, gehörten Ausschreitungen gegen die jüdischen Mitbürger durch die Nationalsozialisten bereits zur Tagesordnung. Sensibler für historische Gegebenheiten als viele andere, verließ sie 1932 Deutschland.5 Ihre geistige Heimat hatte sie bei Karl Mannheim und vor allem bei Karl Jaspers gefunden. Er lehrte sie, daß jede menschliche Existenz immer einmalig ist im Schnittpunkt von Raum und Zeit. Von hier aus resultiere die Verantwortlichkeit jedes einzelnen Menschen. Die Würde der Person, so Jaspers, zeige sich gerade dort, wo der Mensch die Widersprüche jeder menschlichen Existenz überwinde (aufheben könne er sie sowieso nicht), indem er nicht in den Nihilismus verfalle, sondern trotz dieser Antinomien von Dasein und Sein sich zum verantwortlichen Handeln bekenne. Immer wieder scheiternd, solle der Mensch im Hier und Jetzt zum geistigen Selbstsein finden. Darin bestehe seine Freiheit.6 Diese Haltung des 3 „Aus der Gemeinde waren meine Eltern sowenig ausgetreten, wie es die meisten Christen tun, die von der Religionsgemeinschaft ebenfalls keinen Gebrauch machen. Jüdische Feste und der jüdische Gottesdienst kamen in meiner Kindheit nicht vor, sondern nur Weihnachten, Ostern, Nikolaus: diese Kinderfeste, mit allem Zubehör, das Kinder glücklich macht. Dabei wußten wir von klein auf, daß wir Juden waren.“ In: „Mein Judentum“. Hrsg. von Hans Jürgen Schultz. Berlin 1979, S. 104–117, hier S. 106. 4 In einem Gespräch mit der Autorin in Heidelberg am 23.3.1981 erzählte sie, daß sie eine kranke Mitschülerin besuchte und von der Mutter mit dieser Anrede begrüßt wurde, was sie sehr schockiert habe. 5 „Da entschloß ich mich, vor der Machtübernahme auszuwandern, die ich ,kommen sah‘, was mir den Vorwurf des ,Schwarzsehers‘ eintrug“. Dieser Vorwurf kam von Alfred Weber, Arnold Bergsträsser und Karl Mannheim. (Natur/70 und 145). 6 Karl Jaspers: Die geistige Situation der Zeit. Berlin 1931. Über diese Schrift äußert sich Jaspers selbst wie folgt: „Daher kommt so viel darauf an, wofür der Einzelne leben und wirken will. Er muß wissen, wo er steht. Sein eigenes 85

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

„Dennoch“ zeigt sich in allen Werken Hilde Domins. Sie schützte sie vor der totalen Verzweiflung auf ihrer langen Wanderung, die mit ihrem Aufenthalt in Italien begann und erst endete, als sie 22 Jahre später in ihre Heimat zurückkehrte. Als Emigrantin fühlte sich Hilde Domin aber erst, als ihre Eltern 1933 Deutschland verließen. Durch sie kam sie zum erstenmal unmittelbar, wenn auch nur brieflich, mit nationalsozialistischen Praktiken in Berührung. Die Nationalsozialisten hatten in Köln jüdische Rechtsanwälte in schimpflicher Weise auf Lastwagen durch die Stadt gefahren. Hilde Domins Vater, gewarnt, verließ Köln, um dieser Demütigung zu entgehen.7 Während ihrer Studienzeit war die Autorin aktives Mitglied einer sozialistischen Studentengruppe. Aber auch nationalsozialistische Versammlungen besuchte sie. Eine solche Versammlung in der Hasenheide scheint der Auslöser für ihr Weggehen gewesen zu sein.8 In Italien, wo sie den Doktorgrad der politischen Wissenschaften erwarb, wurde sie zum erstenmal selbst mit antisemitischen Praktiken konfrontiert.9 Wie

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Wesen und der Gang der Dinge hängt davon ab, daß er es belangreich findet, was er, auch in seinen winzigen Entscheidungen, tut. Er ist von ewiger Bedeutung vor der Transzendenz, der hingegeben er erst er selbst wird, dort unbedroht von Gelingen und Scheitern. Er ist von zeitlicher Bedeutung durch sein Wirken in der Welt. Die Welt geht nicht von selbst ihren einen durch Gesetze nach Analogie von Naturgesetzen bestimmten, unveränderlichen Gang, ist nicht ein irgendeinem Denken zugänglicher, vorherbestimmter oder durch uns fremde Entscheidungen gelenkter Schicksalsprozeß, sondern was wird, hängt ab von jedem einzelnen Menschen in einer für ihn im Ganzen unberechenbaren Weise. In: Karl Jaspers: Werk und Wirkung. Zum 80. Geburtstag von Karl Jaspers. „Über meine Schriften im Ganzen“, S. 115–129, hier S. 128. „An ihrem Silbernen Hochzeitstag machten meine Eltern einen Ausflug an die belgische Grenze, mit der Straßenbahn. Dann ein kleiner Spaziergang, und sie waren draußen.“ (Natur/14) „Als ich gesund war, ging ich in viele Versammlungen, auch die der Nazis in der ,Hasenheide‘ in Berlin“ (Natur/70). „In immer kürzeren Abständen kam die Polizei und ließ sich die Papiere zeigen. Und morgens auf der Piazza Venezia begrüßte der Geheimpolizist meinen Mann mit der Bemerkung: ,Professore, Sie haben heute nacht ja wieder lang 86

Vorbemerkung: Kurzer biographischer Abriß

groß die Ausschreitungen in Deutschland waren, wußte sie nicht. Unter dem Druck in Italien verließ sie mit ihrem Ehemann, Erwin Palm, 1939 das Land und fuhr zu ihren Eltern nach England. Vorbereitet auf diese Auswanderung waren sie schon lange.10 In England arbeitete Hilde Domin wie schon in Italien als Sprachlehrerin. Aus Angst vor einer Invasion Hitlers verließ das Paar 1940 Europa. Nach einer abenteuerlichen Flucht auf einem Munitionsschiff erreichten sie Santo Domingo, wo sie bis 1953 lebten; Hilde Domin als Übersetzerin, Mitarbeiterin ihres Mannes, Lektorin für Deutsch an der Universität. Sie lebten zwar auch hier in einer Diktatur, konnten jedoch einigermaßen unbehelligt bleiben, weil Trujillo alle Weißen, Intellektuelle wie Handwerker, zum Aufbau seines Staates aufnahm.11 Die Eltern hatten Asyl in New York gefunden. Hier starb ihr Vater 1950,12 ihre Mutter 1951. Wie stark ihre Bindung an die Eltern, vor allem an die Mutter gewesen war, beweist ja schon die Tatsache, daß sie sich als Exilierte betrachtete in dem Moment, als ihre Eltern aus Deutschland emigriert waren. Jetzt traf der Tod der Mutter sie in

gearbeitet‘, denn unser Haus war sehr exponiert, und bei offiziellen Feiern auf der ,Via dell’Impero‘ wurde der Dachschlüssel eingezogen“ (Natur/76). 10 „In der Wohnung gab es einen kleinen schlauchartigen Abstellraum, […] ein Katzenloch, wie das auf italienisch heißt. Dort standen im Schrank die kleinen Handkoffer, gepackt und fertig, mehrere Wochen. Oder war es eine Woche. Endlose Tage“ (Natur/76). „Wir entschlossen uns in einer Stunde, ließen alles im Stich und fuhren nach Sizilien, spät in der Nacht. Pünktlich am nächsten Morgen kamen sie, um uns ins Gefängnis abzuholen, wohin alle Hitlergegner und Hitleropfer versammelt wurden, während Hitlers Rombesuch.“ 11 „Der Diktator hieß beides, Trujillo Molina […]. Viele hat er umgebracht, im großen Haitianerschlachten, aber auch laufend. Viele Flüchtlinge verdanken ihm das Leben. Er nahm sie auf, um sein Land aufzuweißen, ohne Ansehen ihres politischen Glaubens oder der Religion und ,Rasse‘. […] Er nahm Intellektuelle wie Handwerker und Bauern, er beschäftigte sie, und er überwachte sie (Natur/83). 12 „Er hat kein Grab. Darüber kann ich nicht sprechen (Natur/16). 87

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

einer persönlichen Krise, die sie sogar an Selbstmord denken ließ.13 Um überleben zu können, nahm sie Zuflucht zur Sprache, wie Nelly Sachs. Das Schreiben half ihr, die „unlebbar gewordene Wirklichkeit“ zu ertragen. Es stellte einen Akt der Befreiung dar, ließ die Dichterin zu ihrer Identität zurückfinden.14 1954 kehrte Hilde Domin nach Deutschland zurück. Im selben Jahr wurde in Hochland das Gedicht „Schale im Ofen“ veröffentlicht. So brach sich spät eine außergewöhnliche Begabung Bahn, eine Begabung, die vielleicht in einem „normalen“ Leben nie zutage getreten wäre, wie Hilde Domin selbst erkennt: „Warum ich schreibe? Das war nicht vorgesehen. Es hätte nie passieren brauchen. Man lebt nicht alle Leben, die man leben könnte“ (Natur/17). Das Schicksal der Verfolgten und Vertriebenen teilt Hilde Domin mit drei unserer bedeutendsten jüdischen Dichterinnen: Nelly Sachs, der kurz vor der Internierung in ein Arbeitslager 1940 noch die Flucht nach Schweden gelang, Gertrud Kolmar, die, wie ihr Vater, verschleppt und 1943 in einem Lager ermordet wurde, und Else Lasker-Schüler, die 1933 Berlin überstürzt verlassen mußte und zwischen der Schweiz und Palästina hin und her irrte und, noch bevor der Zweite Weltkrieg beendet war, in Jerusalem starb.

13 „Als ich nach dem Tode meiner Mutter, über den ich hier nichts sage, an eine Grenze kam, da hatte ich plötzlich die Sprache, der ich so lange gedient hatte. Ich wußte, was ein Wort ist. Ich befreite mich durch Sprache. Ich schrieb deutsch, natürlich“ (Rede Hilde Domins bei der Aufnahme in die Akademie). 14 „Ich schrieb nicht für ein Publikum, sondern aus innerer Notwendigkeit. Ich schrieb nicht um zu, sondern weil.“ „Lyrik ist notwendig.“ In: Emuna 3 (1968). 88

Das Exiltrauma

2.2 Das Exiltrauma Im Fremden ungewollt zuhaus (Max Herrmann Neiße)15

Das Werk Hilde Domins ist ein autobiographisches. Eigenes Erleben wird in Lyrik benannt und durch Benennung zum Allgemeinen geläutert. Das persönlich durchlittene Schicksal erweist sich insofern als allgemeinverbindlich, als die Massenvertreibungen symptomatisch für unser Zeitalter sind. Die Zahl der Betroffenen als Verfolgte, Verfolger und jener, die dem Grauen ängstlich schweigend zusahen, ist unermeßlich. Für Hilde Domin wird aber darüber hinaus das jüdische Schicksal zur conditio humana schlechthin; sie sieht in Ahashver den Menschen in seiner Unbehaustheit, seiner Unverankertheit in dieser Welt: „Das Exil ist die Extremerfahrung der conditio humana. Am Exilierten, vornehmlich dem aus rassischen Gründen Vertriebenen wird das Wort vom ,Gast auf Erden‘ sichtbar vollzogen.“16 Das jüdische Schicksal dient der Dichterin deshalb als Paradigma für das menschliche Schicksal überhaupt: du, der Wandrer  von Tag zu Tag und von Land zu Land, 15 Bernd Jentzsch, Schriftsteller aus der DDR, seit er nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann für diesen Partei ergriff, im Schweizer Exil, nimmt diese Zeile zum Anlaß für ein Gedicht mit dem Titel „Gedächtnis“, in dem das persönliche Schicksal des Exilierten ins Exemplarische gehoben wird: „Im Fremden ungewollt zuhaus. / Wer schrieb das? Ich, oder du, / Als gingst durch Zürichs Hügelgassen. / Du hast es aufgeschrieben, / Wo ich jetzt gehe, / Im Fremden ungewollt zuhaus.“ Bernd Jentzsch: Quartiermachen. Gedichte. München 1978. 16 Hilde Domin: Exilerfahrungen. In: Von der Natur nicht vorgesehen. München 1974, S. 156, im Folgenden kurz Exil genannt. 89

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

an dem das Wort von der Flüchtigkeit allen Hierseins  Fleisch ward. (I/10)

Diese archetypische Grunderfahrung menschlicher Existenz steht vor allem in den frühen Gedichten im Vordergrund, wird aber auch in den späteren sporadisch aufgegriffen. Das Grundthema der ziellosen Wanderschaft wird in den Gedichten variiert, exotische Orte und Namen werden heraufbeschworen: Andalusien, die Tropen, Madrid, der Palatin in Rom, die Alhambra oder der Guadalquivir. Mit dem Thema des Exils sind vor allem zwei Bildkreise eng verknüpft: Das Ziehende, für das die Elemente „Wind“, „Luft“, „Wolken“, „Flugzeug“, „Schiff“, „Füße“, „Rauch“, „Vogel“, „Taube“, „Wasser“, „Koffer“ stehen, und das Verharrende, das sich in so erdverbundenen Dingen manifestiert wie „Herdfeuer“, „Tassen und Teller“, „Tisch“, „Stuhl“, „Apfelbaum und Olive“, „Baum“, „Haus“, „Hausschlüssel“, „Bett“, „Zimmer“, „Stein“, „Grab“. In dem Gedicht „Bau mir ein Haus“ (I/21/22) sind beide Bildkreise motivisch miteinander verknüpft. Die „unspezifische Genauigkeit“ des poetischen Wortes hat als Grundfigur allen poetischen Sprechens bei Hilde Domin die Synekdoche zur Folge. Das Ausgesprochene, das nur einen Teil eines Phänomens genau benennt, suggeriert dabei das Unausgesprochene. Im Bild des Hauses verkörpern sich Heimat und Geborgenheit. Der Wind repräsentiert Verfolgung und Verfolger.17 Die erste Zeile des genannten Gedichts führt unvermittelt die Angstmetapher „Der Wind kommt“ ein. Kein schmückendes Epitheton engt die Vorstellungskraft ein. Der Wind tritt als handelnde Person auf, er kämmt die Blumen, macht die Blüten 17 Vgl. hierzu auch Margot Scharpenberg: „Ich klage wider den Sturm / der holt mir mein Dach / der setzt meine Ziegel / anderen Häuptern aufs Haupt“. Aus Vermeintliche Windstille“, o. O. 1969 (Leserbrief bei Katastrophen). In: Vermeintliche Windstille. o. O. 1969. 90

Das Exiltrauma

zu Schmetterlingen, d. h. er zerrupft sie, er zerschellt die Zugvögel an den Wolkenkratzern. Das Bedrohliche des Bildes liegt darin, daß eine sich ihrer Kraft unbewußte Naturgewalt wahllos zerstört, was ihr begegnet. In griechischer und ägyptischer Mythologie werden dem Wind böse Kräfte zugeschrieben. Auch Nietzsche verwendet das Bild des Windes im „Zarathustra“ als Kraft der Zerstörung, dem kein starker Baum standhält. Angstauslösend ist im vorliegenden Gedicht das Bild des zerschellten Zugvogels. Dem Verb, im allgemeinen intransitiv gebraucht, ist hier ein Akkusativobjekt zugeordnet, das dem Akt des Zerstörens ausgesetzt ist. Auch passen Verb und Substantiv nicht zueinander, beide evozieren unterschiedliche Bedeutungskreise. Der Vogel gilt als Symbol der Geistigkeit. Nach C. G. Jung verkörpert er „Geister“ oder „Engel“, in der Hindutradition symbolisiert er einen höheren Zustand des Lebens. Hier wird also ein geistiges Prinzip durch rohe Kraft zunichte gemacht. Die zweite Strophe führt ein „uns“ ein, das das Schicksal eines einzelnen mit dem aller Verfolgten verbindet. Die dem Wind zugeordneten Verben unterstreichen den Eindruck des Ausgeliefertseins der Vertriebenen: er treibt, wirft, zerschellt. Wie in cinematographischer Technik verengt sich das Bild in der letzten Zeile der zweiten Strophe auf das lyrische Ich, auf ein Einzelwesen. Die erste Zeile wiederaufnehmend „Der Wind kommt“ schließt sich parataktisch der Imperativ „Halte mich fest“ an. Im Bild des „hellen Körpers aus Sand“ drückt sich die Schutzlosigkeit des Opfers aus. Der formbare Sand ist widerstandslos Wind und Wellen ausgesetzt, die ihre Spuren auf ihm hinterlassen. Das Bild des zerschellten Zugvogels wird verstärkt aufgenommen im Bild des Menschen als Gottes Ebenbild: „mein heller Körper aus Sand, / nach dem ewigen Bilde geformt“. In der Vernichtung des Menschen wird ebenfalls Gott verwundet. Parallel dazu wird die Macht des Windes durch die Kraft des Wassers intensiviert. Hier gilt das Wasser nicht als Sinnbild des Lebens, sondern als weitere destruktive Naturkraft. In dem zweigliedrigen Parallelismus „Der Wind kommt / und nimmt einen Finger mit, / das Wasser kommt / und macht Rillen auf mir“ wird so eine tiefere Dimension der Vernichtung angesprochen, verstärkt noch durch die 91

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

Alliteration in „Wind“ / „Wasser“. Der Wind zerstört nicht nur die physische, sondern auch die moralisch-psychische Existenz; „er legt das Herz frei und brennt die Herzhaut mit Salpeteratem“. Hier wird schon das im Verlauf der beiden ersten Bände verstärkt auftretende Problem der Zerstörung der Persönlichkeit durch die Erfahrung des Exils angedeutet. Dem strukturellen Prinzip der verstärkenden Wiederholung entsprechend, gültig für die gesamte Lyrik Domins, wird im dritten Teil des Gedichts der Imperativ „Halte mich fest“ aufgenommen und intensiviert durch: „Laß uns landeinwärts gehen, / bau mir ein Haus“. Das Streben nach Sicherheit und die Suche nach einer Heimat verdichten sich im Bild des Hauses. Das Haus soll stehen neben einem Apfelbaum oder einem Ölbaum, wobei der Apfelbaum als Pars pro toto für den Norden, die Heimat, der Ölbaum für den Süden, das Exil, steht. Beide werden akzeptiert, wenn sie nur Schutz vor dem Wind bieten. Kurze Zeilen und vorwiegend einsilbige Worte sowie der schnelle, abgehackte Rhythmus sind ein stilistisches Analogon für das Gefühl der Angst. Die parataktischen Strukturen spiegeln Bindungslosigkeit und Flüchtigkeit einer Existenz im Exil. Apfelbaum und Olive stehen in dem Gedicht gleichen Titels als Synonyme für Kastanie und Mangobaum. Auch diese bedeuten Heimat und Exil. Hier verkörpern die hellen Kugeln des Löwenzahns, die dem Wind ausgeliefert sind, das Schicksal der Vertriebenen. Die Verknüpfung des persönlichen Exilschicksals mit dem Schicksal der menschlichen Existenz ist exemplarisch dargestellt in „Das goldene Seil“ (I/58/59). Das Gedicht hebt an mit dem Aphorismus „Nichts ist so flüchtig / wie die Begegnung“, so einen, in der ersten Strophe weiter ausgeführten Aspekt zusammenfassend. Die vier parataktischen, parallel gebauten Sätze, mit denen die erste Strophe beginnt, unterstreichen die Parallelität der Aktivitäten. Das Adverb „noch“ in Zeile 7 impliziert das „schon“ in den Zeilen 9 und 11. Es beschleunigt den Vorgang so, daß er fast gleichzeitig mit den Ereignissen „Da wird schon der Name / gerufen / Da ist schon die Pause / vorbei“ erfolgt. Die Simultaneität wird noch durch die anaphorischen Eingänge „Da wird / Da ist“ betont. Das Wort „Pause“ spielt auf das 92

Das Exiltrauma

provisorische Leben an, dem Abschied inhärent ist. Um die zentrale Zeile der zweiten Strophe „Wir treiben hinaus“ sind symmetrisch je fünf Zeilen angeordnet, sie solchermaßen betonend. Die ersten vier Zeilen thematisieren die vergeblichen Versuche, dem Vertriebenwerden zu entgehen: „Wir halten / uns bange fest / an dem goldenen Seil / und widerstehen dem Aufbruch“. Die Vergeblichkeit gipfelt in dem Vers „Aber es reißt“, wobei die adversative Konjunktion die Gegensätzlichkeit hervorhebt. Das „goldene Seil“ bedeutet hier Leben. Sein Reißen weist auf das Zerreißen aller Bindungen durch die Vertreibung hin. Es erinnert aber auch an das Abschneiden des Lebensfadens durch die Parzen. Die fast identischen Sätze „hinweg aus der gleichen Stadt, / hinweg aus der gleichen Welt“ unterstreichen eine solche Auslegung. So wie der Vertriebene einen Ort, an dem er vorübergehend in Sicherheit war, verlassen muß, so scheidet der Mensch aus dem Leben. Daß das Schicksal des Exilierten als Paradigma für das Schicksal des Menschen überhaupt dient, liegt in den Zeilen begründet: „Wir treiben hinaus: / […] unter die gleiche, / die alles vermengende / Erde“. Das Verb „hinaustreiben“ akzentuiert die Ziellosigkeit und Unaufhaltsamkeit des Schicksals. Leitmotivisch durchziehen die Signalwörter „flüchtig“, „Abschied“, „Aufbruch“, „hinaustreiben“, Konstanten der Dominschen Lyrik überhaupt, auch dieses Gedicht. Nicht in der Diktion, jedoch von der Vorstellung her finden sich hier Anklänge an die Literatur und die geistesgeschichtliche Situation des Barock. Widersprüchlichkeit prägt die von den Glaubenskriegen verwüstete und zerrissene Epoche im 17. Jahrhundert. Polarität und innere Spannungen sind deshalb die Grundformen allen Denkens. Ein aus dem Chaos resultierender Wunsch richtet sich auf die Beständigkeit in dieser Welt, die der Mensch letzten Endes nur in Gott finden kann, denn auf dieser Erde ist er dem Zufall anheimgegeben, woraus seine Objekthaftigkeit resultiert. Der Topos vom Spielball der Fortuna findet sich deshalb häufig in der Kunst. Auch Hilde Domin erlebt das Chaos, die Auflösung ethischer Werte und Normen, empfindet die Objekthaftigkeit, dieses Sich-nicht-wehren-Können vor irrationalen 93

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Mächten. Auch bei ihr stehen Lebensfreude und Jenseitssehnsucht einander gegenüber. Die Erfahrung des Exils als Erfahrung von der Hinfälligkeit des irdischen Lebens bringt auch die Erkenntnis seiner Flüchtigkeit: Auch du bist sehr leicht. Auch du wirst nicht dauern. (I/72)

Im Gegensatz aber zum Menschen der Barockzeit, der daran glaubte, daß die Welt sinndurchwaltet sei, er diesen Sinn nur nicht erkennen könne, haben die Menschen unseres Zeitalters den Glauben an einen Sinn des Lebens verloren. Der Reim, der Klang und Bedeutung zu harmonisieren sucht, findet sich deshalb bei Domin nicht. Er entspricht in seiner geschlossenen Form nicht der fragmentarischen Wirklichkeit, die vielmehr das „offene Gedicht“ verlangt. Trotzdem fallen die Gedichte nicht auseinander; die poetische Ordnung wird hergestellt durch regelmäßigen Strophenaufbau, Rhythmus und Wiederholung sogar einzelner Wörter. Es ist auffallend in der frühen Lyrik Domins, daß die Bilder vorwiegend der Natur entnommen sind. Trotzdem schreibt Domin keine Naturlyrik, wie z. B. Lehmann oder der frühe Eich. Als zentrale Tiermetaphern erscheinen durchgehend der „Vogel“, der „Schmetterling“, die „Taube“. Der „Vogel“ kann in den frühen Gedichten zwei Bedeutungskreisen zugeordnet werden: Einmal ist er ein Zeichen der Entgrenzung und Verwandlung, ein Zeichen der Gedankenfreiheit, ja der Freiheit überhaupt, oder des geistigen Prinzips, wie in „Bau mir ein Haus“. Dann wird er verknüpft mit der dunklen Seite des Lebens, hier erscheint er als böses Omen: „Die Vögel, schwarze Früchte / in den kahlen Ästen“ (II/17). „Immer wieder die schwarzen Vögel / über mich wegfliegend. / Diese Frühaufsteher, / wenn ich die Augen öffne. // Und des Abends / – ich zu müd mich zu wehren – / ein verspäteter, / der in meinem Haar übernachtet“ (II/38). In dieser Bedeutung ist dem Zeichen immer das Farbadjektiv „schwarz“ zugeordnet. 94

Das Exiltrauma

In „Vogel Klage“ (I/68) wird das Zeichen des Vogels in paradoxaler Weise verwendet. Symmetrisch umrahmt wird das Gedicht von einem Distichon und einem erklärenden Spruch: „Ein Vogel ohne Füße ist die Klage, / kein Ast, keine Hand, kein Nest. / […] / Ein stummer Vogel, / den niemand hört“. Diese literarischen Kleinformen treten in den späteren Gedichten häufiger auf. Der dreigliedrige Parallelismus im Innern des Gedichts verstärkt als Mittel rhetorischer Steigerung die Eindringlichkeit des Gedankens: „Ein Vogel der sich wundfliegt / im Engen, / ein Vogel, der sich verliert / im Weiten / ein Vogel der ertrinkt / im Meer“. Durch Zusammenfügen zweier heterogener Bereiche, einem Konkretum „Vogel“ mit einem Abstraktum „Klage“, erfolgt eine Bedeutungserweiterung durch nicht eingegrenzte Assoziationsfelder. Das Gedicht gerät so in einen dynamischen Prozeß. Verstärkt wird dies noch durch den absoluten paradoxen Vergleich im Stile Gertrude Steins des Vogels mit dem toten Stein, der schreit: „Ein Vogel, der ein Vogel ist, / der ein Stein ist, / der schreit“. Das Gleichsetzen von Vogel und Stein evoziert den Gedanken an einen Schmerz, der so unermeßlich ist, daß der Mensch versteinert, seine Klage nicht nach außen dringen kann. Das Bild des schreienden Steins verfremdet den natürlichen Kontext. Heterogene Erfahrungen der Wirklichkeit werden so neu geordnet zu einer subjektiven Realität in der poetischen Sprache. In fester symbolischer Bedeutung wird das Motiv des Schmetterlings verwendet. In der Tradition symbolisiert er die nach dem Licht strebende Seele und Metamorphose. „In einem alten Mann / der umfällt in Hamburg oder Manhattan / stirbt ein Schmetterling / die blauen Flügel öffnend …“ (II/24). „Flügel“ und „blau“ gehören häufig dem transzendenten Bereich an: „Weiße Flügelsignale im Blau, / Auferstehung / all unserer toten // Blumen / im Osterwind / eines Lächelns “ (II/23). „Mich ruft der Gärtner. // Unter der Erde seine Blumen / sind blau. // Tief unter der Erde / seine Blumen / sind blau.“ (III/56). Schmetterling und Vogel stehen in den frühen Gedichten aber auch für die Leichtigkeit und Flüchtigkeit der Existenz. Die Unsicherheit 95

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

dieser Existenz führt in den frühen Gedichten von Band I zu einer „Als-ob-Haltung“: „Man muß weggehen können / und doch sein wie ein Baum / als bliebe die Wurzel im Boden, / als zöge die Landschaft und wir ständen fest. / […] / Man muß den Atem anhalten, / und niedersitzen können und uns anlehnen, / als sei es an das Grab / unserer Mutter“ (I/9). Hinter dieser grammatischen Konstruktion steht die Angst, als Fremder und Gezeichneter erkannt und verjagt zu werden. Die Erfahrung des Exils führt zu einer kontinuierlichen Identitätskrise, mündend in Resignation und der Erkenntnis der eigenen Bedeutungslosigkeit. Diese Erkenntnis läßt die Dichterin eindringliche Worte finden: Wie wenig nütze ich bin ich hebe den Finger und hinterlasse nicht den kleinsten Strich in der Luft. Die Zeit verwischt mein Gesicht, sie hat schon begonnen. […] Ich war hier. Ich gehe vorüber, ohne Spur (I/23)

Angst um den Verlust der Identität ist auch das Thema des Gedichts „Angsttraum“ (II/26). Es ist der strenge fugale Aufbau des Gedichts – es kreist um die Worte „weggeführt“ und „um die Ecke biegt“ –, der einen Eindruck der Unentrinnbarkeit erzeugt. Die Identitätskrise erreicht einen Höhepunkt in den Zeilen „Von Herberge zu Herberge / Vergessenheit. / der eigene Name / wird etwas Fremdes“ (II/47). Wenn der Name fremd wird, ist die höchste Phase der Entfremdung des eigenen Ich erreicht. Der Name erhält von Land zu Land einen 96

Das Exiltrauma

anderen Klang, weil seine Aussprache verstümmelt wird, bis man ihn nicht mehr wiedererkennt. In den späteren Gedichten tritt das Exilthema allmählich in den Hintergrund. Wo es noch einmal aufgenommen wird, geschieht dies in der grammatischen Zeit der Vergangenheit: „Meine Füße, die viel gegangen sind“ (II/28). Das Trauma aber bleibt und beeinflußt weiter die Lyrik Domins. Ein Gefühl der Sicherheit will sich nicht einstellen. Die Angst vor erneuter Vertreibung bleibt. Die Dichterin drückt dies im Bild des Fesselballons aus, dessen Schnur der Kinderhand entgleitet (II/31), aber auch im Gebrauch der Verben, die das Flüchtige des Umherirrens unterstreichen: „fliegen“, „hinausgeschwemmt werden“, „vorbeigleiten“, „hinaustreiben“, „hinabfließen“, „forttreiben“, „hinwegschwemmen“, „fortschwimmen“. In den späteren Gedichten wird das Exilthema variiert und erweitert aufgenommen. Die Heimat wird in ihrer Veränderung beschrieben. Das Gedicht „Die versunkene Stadt“ (III/19) evoziert die Geburtsstadt Köln. Sie bleibt fremd, weil alles neu ist – „neue große Türen aus Glas“ – und weil die vielen Kriegstoten eine unbekannte Stadt heraufbeschwören: „Die Toten und ich / wir schwimmen / durch die neuen Türen / unserer alten Häuser“. Andererseits aber ist diese Stadt urvertraut, das Wort „versunken“ assoziiert Atlantis und Ninivee, wunderbare Städte, die mit all ihren Schätzen auf den Meeresgrund sanken. So ist auch die Stadt der Kindheit mit ihrer Vergangenheit und allen Erinnerungen versunken. Das Gedicht evoziert in einer Epiphanie simultan Vergangenheit und Gegenwart. Wurde in den frühen Gedichten das Exil in teilweise exotischen Bildern aus der Erinnerung heraufbeschworen und damit in der Gegenwart greifbar, ist es jetzt nach innen verlagert als Symbol für die allgemeine Befindlichkeit des Menschen: Unverlierbares Exil du trägst es bei dir du schlüpfst hinein gefaltetes Labyrinth 97

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

Wüste einsteckbar. (III/28)

Aus dem Grundtenor Dominscher Lyrik, dem Unbehaustsein des Menschen, ergeben sich als Korollarien die Motive des Entsagens und der Vergeblichkeit, die Suche nach dem Vertrauten im Fremden, das Wissen um die Vergänglichkeit, die Hoffnung ohne Hoffnung, die Erkenntnis, daß der Tod allein einen unverlierbaren Zufluchtsort bietet. Es ist vor allem Angst um erneuten Verlust, die zu Verzicht und Entsagung führt. Als Beispiel sei das Gedicht „Rufe nicht“ (I/72) angeführt. Aufforderungen an die eigene Person und syntaktische Parallelismen bestimmen formal das Gedicht und unterstreichen die Parallelität der Gedanken. Das Gedicht ist nach dem Prinzip der linearen Steigerung aufgebaut: Die Aufforderung, sich absolut still zu verhalten, endet in der Aufgabe aller Wünsche, unterstützt durch den zweigliedrigen grammatischen Parallelismus im Nebensatz: „Es geht sich leichter fort, / wenn du liegst als wenn du stehst, wenn du schweigst als wenn du rufst.“ Es schließt sich die Erkenntnis von der Flüchtigkeit und Bedeutungslosigkeit der menschlichen Existenz an, formal ausgedrückt durch die unverbundene Abfolge der parataktischen Sätze: „Sieh die Wolken ziehn. / Sei bescheiden, halte nichts fest. / Sie lösen sich auf. / Auch du bist sehr leicht. / Auch du wirst nicht dauern“. So wird eine Beziehung hergestellt zwischen der sich auflösenden Wolke und der flüchtigen menschlichen Existenz. Das Gedicht endet in völliger Resignation vor der unentrinnbaren Verfolgung und der Bedrohung durch die physische Vernichtung. Dieser Gedanke manifestiert sich in dem Bild des schon aufsteigenden Windes, der die Wolke verwehen wird. Verzicht und Resignation sind vollkommen in den Zeilen „Ich fahre / nach Inseln ohne Hafen, / ich werfe den Schlüssel ins Meer / gleich bei der Ausfahrt. / Ich komme nirgends an“ (I/67). Die parataktisch aneinandergereihten, gleichgebauten Sätze spiegeln auch hier Bindungslosigkeit des Exilierten wider. Wieder wird der Gedanke 98

Das Exiltrauma

bis zum „nirgends ankommen“ gesteigert. Das Ethos der Entsagung spricht aus solchen Versen. Es wurde mühsam aufgebaut und entwickelt, um die Lebensordnung neu zu begründen. Für die kaum zu bewältigenden Probleme einer durch Vertreibung gezeichneten Existenz, durch das Herausgerissensein aus vertrauten Bindungen ist die Lösung der Entsagung eine Schutzhaltung, die vor erneuter Verletzung durch Verlust bewahrt: Die wir keinen Baum in unseren Garten pflanzten, um den Stuhl in seinen wachsenden Schatten zu stellen. (I/13)

Es ist aber auch die Erkenntnis der Vergeblichkeit, gewonnen durch fast stoische Einsicht, die zu Verzicht und Entsagung führt. Diese zeitweise Haltung ethischen Rigorismus’, nämlich Emotionen und begründeten Wünschen gegenüber von vornherein zu entsagen, schafft vorübergehend Freiheit, steigert die Innerlichkeit äußeren Dingen gegenüber zur höchsten Kraft. Hieraus schöpft die Autorin die Fähigkeit zu überleben. Es hieße allerdings, eine solche ethische Strenge bis zur Unmenschlichkeit steigern, würde nicht immer wieder der Wunsch nach Heimat, nach „Zur-Ruhe-Kommen“ durchbrechen. Ich habe Heimweh nach einem Land in dem ich niemals war, wo alle Bäume und Blumen mich kennen, in das ich niemals geh, doch wo sich die Wolken meiner genau erinnern (I/67)

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Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

Der langsam fließende Rhythmus unterstreicht die melancholische Grundstimmung, die aus der Erkenntnis rührt, daß es ein solches Land in naher Zukunft nicht geben wird. Durch Zeilenbrechung rücken die Wörter „mich kennen“ und „meiner“ an exponierte Stelle, d. h. sie beanspruchen jeweils eine ganze Zeile, wodurch ihre Bedeutung im Kontext hervorgehoben wird. Der Tatsache, daß die Sehnsucht nach der Heimat nicht gestillt werden kann, verdanken wir einige der schönsten Liebesgedichte. Da das Zuhause fern ist, ja verweigert wird, ein Heimischwerden in der Fremde aber nicht vollkommen gelingt („Ich bin der Fremde, / der ihre Sprache spricht“ (II/50)), sucht das lyrische Ich Geborgenheit und ein Zuhause in der Liebe. Der Partner muß die verweigerte Heimat ersetzen. Diese der Liebe gewidmeten Gedichte sind von großer Einfachheit und Schönheit. Wenn auch ein resignativer Grundton nicht zu überhören ist, verfällt die Autorin doch nie in Sentimentalität. „Wo steht unser Mandelbaum“ (I/19) ist exemplarisch für die Reihe dieser Liebesgedichte. Es ist Liebesgedicht und Exilgedicht in einem. Der Mandelkern in der Mandel versinnbildlicht die Sicherheit, die einer im anderen findet. Aber ist eine Frucht nicht zum Sterben verurteilt, sobald sie nicht mehr am Baum hängt? Die Zugehörigkeit zu einem größeren Gebilde – der Heimat – fehlt. Auch die Geborgenheit des Schiffes, hier Zeichen für Freude und Glück, ist nur vordergründig, da das Schiff richtungslos auf dem Wasser treibt, nie einen Hafen anlaufen wird: „Ich liege in deinen Armen / wie in einem Schiff, / ohne Route noch Hafen …“. Aber – und hier erweist sich der Existenzort im anderen als dem der Heimat überlegen – das Schiff hat Delphine, Sinnbild der Liebe, am Bug. Dem Delphin sagt man nach, daß er des Menschen Freund sei und ihn vor dem Ertrinken auf See rette. Dem entspricht das Erretten vor Identitätsverlust im Partner. Außerdem ist er mit dem Zeichen des Ankers verbunden, ein Zeichen der Rettung für ein ankerloses Schiff.18 Hier dürfte aber noch eine andere Bedeutung 18 Vgl. hierzu: J. E. Cirlot: A Dictionary of Symbols. London 1962, S. 80. 100

Das Exiltrauma

mit hereinspielen, nämlich so wie der Delphin den Menschen vor dem Ertrinken rettet, so hat das Schreiben die Verfasserin vor der Selbstaufgabe gerettet. Der Delphin ist also hier auch mit dem dichterischen Wort verknüpft. Für Augenblicke intensiven Glücks findet die Dichterin überraschende Bilder: Wolken von Zärtlichkeit fangen mich ein, und das Glück beißt seinen kleinen Zahn in mein Herz. (I/45)

Das Glück ist kein Flugzeug, […] Ein großer Vogel, der einen kleinen auf seine Fittiche nimmt. (II/9)

Dieses Glück, kurz und selten, ist um so stärker, weil es auf dem Hintergrund ständiger Bedrohung erfahren wird. Das Wissen um die Vergänglichkeit steigert die augenblickliche Freude sogar an einem heimatlosen Leben. Ist die Heimat unerreichbar, wird zumindest der Versuch gemacht, Vertrautes in fremder Umgebung zu finden: Wohin wir kamen – wohin wir kommen, Liebster, alles ist anders, alles ist gleich. Überall wird das Heu auf andere Weise geschichtet zum Trocknen 101

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

unter der gleichen Sonne. (I/19)

Das Paradoxon in dem zweigliedrigen Parallelismus wird durch die nachfolgende Erklärung aufgehoben. Dem Dominschen Bild vom Menschen entspricht es, daß nur in der Liebe und im Tode Ganzheit möglich ist. Ich weiß nicht, warum die Welt sich mir in zwei Hälften teilt. […] Die andere Hälfte immer die Deine. (II/32)

In dieser Auffassung finden sich Anklänge an den Polaritätsbegriff in der chinesischen Tradition, der zufolge Yin und Yang, das männliche und das weibliche Prinzip, zwar Gegensätze bilden, die aber einander bedingen und ergänzen und so doch eine untrennbare Einheit bilden. Droht Verlust der Ganzheit durch Verlust der Liebe, verliert auch die Welt ihre Geschlossenheit Alles teilt sich in zwei Teile. […] Berge, wollen nicht mein sein, ohne auch dein zu sein. (II/32)

An diesem Beispiel zeigt sich deutlich Domins Auffassung von der Interdependenz von Mikrokosmos und Makrokosmos.

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Das Exiltrauma

Die Liebesgedichte werden später spärlicher und resignierter. Das lyrische Ich macht die Erfahrung, daß auch die Liebe keinen sicheren Zufluchtsort bietet und nicht mehr so fraglos besteht, wie es in den frühen Gedichten des ersten Bandes ausgedrückt wird. Neben der Liebe gewährt auch der Tod Ganzheit. Er nimmt deshalb einen bedeutenden Stellenwert in der Lyrik Domins ein. Die Dichterin weiß um die Todesbestimmtheit, sieht den Tod als unverlierbaren Zufluchtsort an. Ihre Haltung zu diesem widersprüchlichen Phänomen menschlicher Existenz ist positiv. Fast finden sich hier, zumindest in den frühen Gedichten, Anklänge an die romantische Gestaltung des Todesmotivs. Für einen heimatlosen Menschen ist der Gedanke an den Tod tröstlich. Hier findet sein Herumirren ein Ende. Damit schloß ich den Hügel auf, den nächsten der vielen spitzen Hügel am Meer, und ging hinein und hatte eine Wohnung bei den Wurzeln der Blumen. (I/27)

Die Elemente „Hügel“, „Wohnung“, „Wurzeln“ konstituieren das Bild von der Geborgenheit im Tode, wobei „Hügel“ „Grabhügel“ assoziiert. Der Tod bietet Sicherheit. Er ist gewiß. In ihm hat der Mensch, Spielball politischer Mächte, dem die Selbstbestimmung verwehrt wird, die Möglichkeit, er selbst zu sein. Der Tote ist unser sichrer Verlaß. Er sitzt in uns, […] Dem Toten ist Ganzheit erlaubt. Beeile dich ein Toter zu sein,

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Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

dem Toten wird das Versprechen gehalten. (I/40/41)

Und ohne zu fragen und ohne verletzt zu sein, sind sie [die Toten] immer nur der Kern, nie die Schale. (I/69)

Hier liegt ein Bezug zu Rilke vor; der Gedanke vom Tod, der in jedem Menschen sitzt und wächst, manifestiert sich in dem Roman „Malte Laurids Brigge“, wie auch in den folgenden Zeilen: „Denn wir sind nur die Schale und das Blatt / Der große Tod, den jeder in sich hat, das ist die Frucht, um die sich alles dreht“.19 Im Verlauf der Gedichte nimmt aber die Möglichkeit, im Tode Ruhe zu finden und damit die Ganzheit der Person, ab. Denn der Tod, Ort der Zuflucht bisher, ist als solcher nicht mehr verbürgt: Du darfst einen Löffel haben, eine Rose, vielleicht ein Herz und, vielleicht, ein Grab (II/49)

Beide Phänomene, die dem Menschen Ganzheit garantieren, verlieren an Sicherheit. Die Ungewißheit drückt sich in dem Adverb „vielleicht“ aus. Dabei ist die Ungewißheit, durch den Tod zur Ruhe zu kommen, noch größer, formal ausgedrückt dadurch, daß das Adverb durch Kommata abgetrennt und durch Endstellung hervorgehoben wird. 19 Rainer Maria Rilke: Stundenbuch, Frankfurt am Main 1962, S. 92. 104

Die zwiespältige Erfahrung der Rückkehr

2.3 Die zwiespältige Erfahrung der Rückkehr Mit der Rückkehr in die Heimat kommt ein langes Wanderleben an sein Ende, mündet das Ende sozusagen in den Anfang. Dies geschieht aber nicht in Form eines Kreises, sondern einer Spirale, weil eine Entwicklung stattgefunden hat, die mit einer Erkenntnis endet, nämlich daß man die Erfahrungen des Exils nicht abstreifen kann, daß diese vielmehr in die Rückkehr miteingehen. Beispiele dafür sind: „Abzählen der Regentropfenschnur“ (II/16), „Fesselballon“ (II/31), „Behütet“ (II/40), „Mit leichtem Gepäck“ (II/49). Nicht nur die Vertriebene kommt, verändert, zurück. Auch die Dinge kommen, verwandelt, wieder: „Aber die Wege feierten / Wiedersehen / mit meinen schüchternen Füßen“ (II/12). Damit weist sich die Rückkehr als Neubeginn aus. Das Titelgedicht „Rückkehr der Schiffe“ (II/55) thematisiert dieses Motiv am eindringlichsten. Es hat einen regelmäßigen Aufbau. Je zwei Strophen von sechs Zeilen sind um die ebenfalls sechszeilige zentrale Strophe symmetrisch angeordnet. Die beiden ersten Strophen thematisieren das Weggehen, denn Rückkehr setzt ja dieses voraus. Zurück bleibt ein völlig entkleideter Mensch in seiner existentiellen Not: „Du hast alles fortgehen lassen / was dir gehörte. / Auch die Erwartung“. Den mit dem Exil verbundenen Identitätsverlust evoziert die Zeile „Du vergißt dein Gesicht“, denn das ausfahrende Schiff ist beladen mit der Vergangenheit und den Erinnerungen an sie. Diese Zeile steht in Verweisungszusammenhang mit dem Vers „Der eigene Name / wird etwas Fremdes“ in dem Gedicht „Unterwegs“ (II/47). Kein Ort der Ankunft, kein Ziel wird genannt. So wird einerseits die Vorstellung von einem auf einem unendlichen Ozean irrenden Schiff geweckt. Das Zeichen des Schiffes ist aber polyvalent. Zu der Bedeutung der Ausfahrt, der Reise, assoziiert es einen schützenden, geschlossenen Raum, der an eine der Zeit enthobenen Insel erinnert. So wird andererseits Rückkehr, thematisiert im dritten Teil des Gedichts, mit der ganzen Fracht der Erinnerungen und der neuen Erkenntnis von der Wandlung aller Dinge möglich. Die Wandlung ist in der zentralen Strophe angedeutet: „Aber nichts stirbt ganz. / 105

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

Schläft nur in dir, dem fast Toten. / Alles kann wiederkommen. / Nicht so. / Aber doch, auf seine Art, / wieder-kommen“. Die Heimkehr des Schiffes ist verbunden mit dem Wachsen hoher Bäume. In dieser Verknüpfung werden die Motive des Ruhenden (Baum) und des Ziehenden (Schiff) miteinander versöhnt. Wenn das Schiff in den heimatlichen Hafen zurückkehrt, zur Ruhe kommt, alle Erinnerungen gewandelt durch neue Erfahrungen zurückbringt, „heben hohe Bäume sich aus dir“. Auch das Bild des Baumes ist ambivalent. Einerseits verwurzelt in der dunklen Erde, der Erde der Heimat, die die Vertriebene immer in sich getragen hat, ragt seine Krone andererseits ins Licht, Zeichen für Erkenntnis, und zwar die Erkenntnis, daß Rückkehr Neubeginn in der gewandelten Heimat bedeutet. Der Baum ist auch ein Symbol des Lebens; als Lebensbaum erhebt er sich in der semitischen Legende20 in der Nähe des Meeres oder eines Brunnens. Das unterstreicht das Motiv des neu beginnenden Lebens. Die Zeile „heben hohe Bäume sich aus dir“ muß in Zusammenhang gesehen werden mit dem Vers „Aber nichts stirbt ganz“. Hier manifestiert sich der Gedanke, daß Sterben Voraussetzung für ein neues Leben in einer durch Erkenntnis geläuterten Form (hohe Bäume) möglich ist. Das Goethesche „stirb und werde“ klingt hier an, explizit ausgedrückt in dem Gedicht „Selige Sehnsucht“: „Und so lang du das nicht hast, / Dieses: Stirb und werde! / Bist du nur ein trüber Gast / Auf der dunklen Erde“.21 Für Goethe ist es notwendig, das Alte abzustreifen, um Neues wachsen zu lassen. Es wird ihm nicht von außen aufgezwungen, ist vielmehr ein Ausdruck seiner Vorstellung, daß alles Sterben Voraussetzung für neues Leben ist. Auch in der Lyrik Domins ist dieser Gedanke durchgängig zu finden, etwa in: „Die Zweige müssen die Blüten verlieren, / damit die Bäume grünen“ (I/59), oder im Roman: 20 Gilbert Durand: Les Structures anthropologiques de l’Imaginaire. Paris 1969, S. 391. 21 Johann Wolfgang Goethe: Westöstlicher Divan. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Bd. II. München 1976, S. 19. 106

Die zwiespältige Erfahrung der Rückkehr

„Jedes Ausgestoßensein in Fremde ist Geburt, jedes aus dem Traum Vertriebenwerden“ (Paradies/114). Daß die Schiffe zurückgekehrt sind, zeigen „Weite und Licht“ „in deiner unendlichen Brust“. Hier hat das Motiv des Schiffes die Bedeutung, die Existenz zu transzendieren, angedeutet im Bild der „unendlichen Brust“. Diese Entgrenzung wird noch verstärkt durch die Steigerung von „Weite“ zu „unendlich“. Licht ist ein Symbol für Erleuchtung. Seine Helligkeit und sein Strahlen geschehen aus einem Zentrum, es ist auch ein Symbol für Göttlichkeit, man spricht vom göttlichen Licht. Die letzte Strophe knüpft thematisch an die erste an. Das Ende mündet auf einer höheren Ebene in den Anfang. Die große Wunde – die Entblößung der Existenz durch das Exil – steht voll mit einem süßen Wasser, Wasser hier als Sinnbild des Lebens. Es ist süß, d. h. es schmerzt nicht mehr. Die Idee von der Wiederherstellung des durch das Exil beschädigten Bildes ist eng mit dem der Rückkehr verknüpft. Rückkehr kann nur gelingen, wenn das Bild wieder seine Ganzheit erhalten hat. Das Ausgestoßensein durch die eigenen Landsleute beeinflußt das Bild, das der Ausgestoßene von sich selbst hat: „Es verletzt die Würde, sich zuzugeben, daß man mißhandelt worden ist […]. Der Mensch wird angetastet […]. Das Bild von sich selber, das jeder in sich trägt, zerbricht dabei“ (Paradies/130). Deshalb spielt der Gedanke, das Bild zu erhalten oder, falls es bereits Schaden genommen hat, auf jeden Fall zu einer Einheit zurückzufinden, eine große Rolle in der Dichtung Domins. Dazu wieder ein Zitat aus dem Roman Das zweite Paradies: „Solange das Bild nicht hergestellt ist, das des Geliebten, das der Heimat, nützt alles Wiederaufgenommensein nicht“ (Paradies/100). In der Lyrik ist der Begriff des Bildes explizit in dem Gedicht „Flut“ (II/37) angeführt. Zunächst handelt es sich um ein Liebesgedicht. Das lyrische Ich ist bereit, sich an den Partner zu verlieren: „das unruhige Wasser deines Herzens“ „ertrinken“. Die Bitte an den Partner lautet, er möge trotz dieser Bereitschaft das Bild unangetastet lassen, d. h. nicht die Persönlichkeit zerstören, sondern den anderen so annehmen, wie er ist. Zieht man den Roman hinzu, in dem die Widerrufbarkeit der 107

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

Liebe in der Widerrufbarkeit der Heimat gespiegelt wird, kann die hier persönliche Angst vor Identitätsverlust durch Verlust der Liebe gleichgesetzt werden mit der Identitätskrise, die aus dem Verlust der Heimat resultiert. Nie wird das Bild mehr geschädigt als im Exil. Die Abhängigkeit des Individuums von dem Bild, das sich seine Umgebung macht, zeigt sich selten offener als hier.22 Auch Frisch gibt in „Andorra“ ein Beispiel dafür, wie die Meinung der anderen die Persönlichkeit beeinflussen kann. Andris Abhängigkeit von der Umgebung geht so weit, daß er sich mit dem falschen, von außen aufgezwungenen Bild so vollständig identifiziert, daß das Verhängnis seinen Lauf nehmen kann. Das Neuankommen geschieht unter dem Zeichen der Wandlung. Wiedererkennen der veränderten Heimat und Nichtwiedererkennen halten sich die Waage. Wiedererkennen wird auch durch die eigene Veränderung erschwert. Die Rückkehr vollzieht sich als ein Akt der Erkenntnis, die Heimat wird bewußt erlebt, aber nicht als selbstverständlich hingenommen:

22 Cf. hierzu Theodor W. Adorno: Minima Moralia. Frankfurt am Main 1951 (geschrieben 1944!), S. 37 f.: „Jeder Intellektuelle in der Emigration, ohne alle Ausnahme, ist beschädigt und tut gut daran, es selber zu erkennen, wenn er nicht hinter den dicht geschlossenen Türen seiner Selbstachtung grausam darüber belehrt werden will. […] Enteignet ist seine Sprache und abgegraben die geschichtliche Dimension, aus der seine Erkenntnis die Kräfte zog. Die Isolierung wird um so schlimmer, je mehr feste und politisch kontrollierbare Gruppen sich formieren, mißtrauisch gegen die Zugehörigen, feindselig gegen die abgestempelten anderen. […] All das hinterläßt Male in jedem Einzelnen. […] Alle Gewichte werden falsch, die Optik verstört. Das Private drängt ungebührlich, hektisch, vampyrhaft vor sich, eben weil es eigentlich nicht mehr existiert und krampfhaft sein Leben beweisen will. Das Öffentliche wird zur Sache des unausgesprochenen Treueids auf die Plattform. […]. Nichts hilft als die standhaltende Diagnose seiner selbst und der anderen, der Versuch, durch Bewußtsein wenn schon nicht dem Unheil zu entweichen, so ihm doch seine verhängnisvolle Gewalt, die der Blindheit, zu entziehen.“ 108

Die zwiespältige Erfahrung der Rückkehr

Meine Füße wunderten sich daß neben ihnen Füße gingen die sich nicht wunderten. Ich, die ich barfuß gehe und keine Spur hinterlasse, immer sah ich den Leuten auf die Schuhe. (II/12)

Daß Heimat etwas Selbstverständliches ist, das immer da war und dessen Besitz einem gar nicht bewußt wird, drückt sich im Bild des Beschuhten, Besitzenden, aus, während sich die Unsicherheit des Exilierten, der sich die Heimat neu erwerben muß, im Bild der Barfüßigkeit manifestiert.23 Rückkehr kann nur gelingen, wenn man Veränderungen akzeptiert, denen die Heimat unterworfen war, und den Wandel, den man selbst erfahren hat, d. h. wenn man das Bild wiederherstellt unter Berücksichtigung der neuen Tatsachen. Viele können das nicht. Sie „kehren nicht zurück, nie wieder, in den verlassenen Garten, den angestammten. Ein doppelköpfiges Glück, das zweite Glück, das mit den offenen Augen“ (Paradies/87). Der stark autobiographische Roman, der zur gleichen Zeit wie die Gedichte entstand, hat auch die Exilerfahrung und die Vertreibung aus dem ersten Paradies zum Thema. Heimat und Liebe, beide als selbstverständlich erfahren und hingenommen, „das beste Bett […], in dem ich je gelegen“ (Paradies/9), erkennen die beiden Hauptpersonen jäh als Paradies in dem Augenblick, als sie daraus vertrieben werden. Der Verlust der Heimat geschieht durch andere, den Verlust der Liebe führen sie selbst herbei, indem beide aus der Gemeinsamkeit ausbrechen und sich einem anderen Partner zuwenden. Beide möchten die Heimat wiedergewinnen, indem sie in das Deutschland der fünfziger 23 Dazu Margot Scharpenberg, die Barfüßigkeit als Bild für Vergeblichkeit verwendet: „Barfuß fragt ich / die Dornenspur nach dem Weg. / Bekam eine Antwort. / Ich wüßte wohin, / Könnt ich noch gehen“. Contemporary German Poetry. Connecticut 1962, S. 122. 109

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Jahre zurückkehren. Auch eine Rückkehr in die verlorene Liebe streben beide an. Sie wissen auch, daß dies nur durch Verzicht möglich ist. Mit diesem Wissen bemühen sie sich um den Aufbau eines zweiten Paradieses, eines Paradieses nach der Erkenntnis: „Das eben ist das Merkmal des ersten Paradieses, daß man darin natürlich zuhause ist“ (Paradies/123). Im Roman wird Ithaka als Symbol für die doppelte Rückkehr genannt, eine Anspielung auf Odysseus, der in die Heimat zurückkehrt und in die Ehe, indem er die Freier vertreibt. Durch die Erfahrung der Widerrufbarkeit auch der Liebe bestimmen Melancholie, Verlorenheit, Trauer nun die Liebesgedichte. Formal wird die Situation der Hoffnungslosigkeit und die Monotonie des Wartens durch einen langsam strömenden Rhythmus konstituiert, so in „Magere Kost“ (II/18), wo stellenweise die parallele parataktische Struktur und der fast stehende Rhythmus geradezu lähmend wirken: Ich lege mich hin, ich esse nicht und ich schlafe nicht, ich gebe meinen Blumen kein Wasser. Es lohnt nicht den Finger zu heben, ich erwarte nichts. Auch in dem Gedicht „Abzählen der Regentropfenschnur“ (II/16) ist es vor allem der Rhythmus, der bedeutungskonstituierend wirkt. Er fließt auch hier langsam durch die Zeilen, dem sein Schicksal reflektierenden Ich entsprechend. Zusätzlich wirken die bukolischen Elemente durch Einfügung in einen der bukolischen Dichtung diametral entgegengesetzten Kontext stark verfremdend. Die zweite Strophe beginnt mit den Zeilen: „Ich sitze auf einem Berg / und habe alles“. Diese Aussage wird durch den modalen Gebrauch des Konditionals infrage gestellt: „Und die Postfrau / die den Brief bringen würde“; die Schlußzeilen heben sie ganz auf: „Ich sitze auf meinem Berg. / Ich habe nichts“. Daß dieser letzten Aussage größeres Gewicht zukommt, zeigt sich formal im Wechsel vom unbestimmten Artikel „einem“ zum 110

Die zwiespältige Erfahrung der Rückkehr

Possessivbegleiter „meinem“ sowie durch die Unverbundenheit der Sätze, Signal für die Bindungslosigkeit des lyrischen Ich (es kommt nicht einmal ein Brief an!). In den Rückkehrgedichten erfolgt zum erstenmal eine Hinwendung zu Kargheit und Bildprägnanz, wie z. B. in den haikuähnlichen Versen: Die Wiesen, die Augen früh und spät so naß Dazwischen ist Tag. (II/39)

Hier wird der Vergleich sprachlich nicht mehr signalisiert, sondern ist absolut gesetzt. Das Bild wird auch in den folgenden Zeilen verwendet: „Die Wiese sieht mich an / mit großen Augen aus Wasser“ (II/16). Die Bildlichkeit ist vereinfacht. Traditionelle „wie-Vergleiche“ dienen hier der Intensivierung der Atmosphäre: „Bescheiden wie die Tiere der Armen / die am Wegrand / die schütteren Halme zupfen / und denen nichts gestreut wird“ (II/18), so hat das lyrische Ich tagelang von der Erinnerung an die Stimme des Geliebten gelebt. Die „Vertreibung aus dem ersten Paradies“ rückt die Angst um erneuten Verlust in den Vordergrund: Gewöhn dich nicht Du darfst dich nicht gewöhnen. Eine Rose ist eine Rose. Aber ein Heim ist kein Heim. (II/49)

Die Montage der Zeile von Gertrude Stein „Eine Rose ist eine Rose“ dient stilistisch dazu, durch den Gegensatz der fraglosen und selbstverständlichen Identität der Rose mit sich selbst zu der Fragwürdigkeit 111

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

der Heimat, die eben nicht selbstverständlich ist, wie die Erfahrung gelehrt hat, sondern widerrufbar, diese Nichtidentität zu betonen. Diese neu gewonnene Erkenntnis verstärkt aber auch das Bewußtsein von der Vergänglichkeit, wofür das Gedicht „Herbstaugen“ (II/7) als Beispiel dienen soll. Es beginnt mit einer Aufforderung, in der eine unheilvolle Stimmung mitschwingt: „Presse dich eng / an den Boden“. Solche Aufforderungen finden sich häufig in der Lyrik Domins, z. B.: „Mach ein Kreuz auf den Boden: / Hier war ich glücklich“ (II/9), „Lege den Finger auf den Mund. / Rufe nicht. / Bleibe stehen“ (I/72). Es folgen drei regelmäßige volksliedhafte Strophen. „Sommer“ und „Liebe“ evozieren eine Zeit des Glücks, die aber bereits durch das Adverb „noch“ infrage gestellt ist. Die zweite Strophe bringt, eingeleitet durch die adversive Konjunktion „aber“ den Umschlag von Sommer zu Herbst, ausgedrückt in den Bildern vom „gelben Gras“, vom „kalten Wind“, von den „Distelsamen“. In der dritten Strophe weitet sich das Bild zu einer allgemeinen Endzeitstimmung. Der Traum ist „schattenfüßig“, hat „Herbstaugen“, d. h. der Traum bietet nicht die Möglichkeit, sich in ihn vor der Wirklichkeit zu flüchten. Er ist vielmehr bedrohlich, „schattenfüßig“. Der Schatten figuriert in der Tradition als Alter ego, und zwar immer in Verbindung mit dem Unheilvollen. Auch das Reich der Schatten der griechischen Mythologie wird beschworen. Der Traum bedeutet hier also Bedrohung vor der Vernichtung. Antithetisch zu der Angst vor dem Tod wird in „Lilie“ (II/27) Todessehnsucht thematisiert. Der Wunsch nach Ruhe entspringt einer als ausweglos empfundenen Situation, die sich formal in den folgenden Paradoxien ausdrückt: „Alle Farbe ist leer, / auch das Nahe so fern“ (II/27). Sie vermitteln eine subjektive Wahrnehmung der Wirklichkeit. Die lähmende Reglosigkeit, die aus den Zeilen spricht, wird in der zweiten Strophe intensiviert durch das Bild des Kuckucks und der still stehenden Zeit. An den Kuckucksrufen kann man die Lebensjahre abzählen, die man noch vor sich hat. Desgleichen besagt ein alter Aberglaube, daß eine plötzlich stehenbleibende Uhr den Tod ankündigt. In Verbindung mit dem Titel „Lilie“, eine Totenblume, liegen hier deutliche Anspielungen auf 112

Die zwiespältige Erfahrung der Rückkehr

den Tod vor. Das beklemmend Statische des Gedichts wird formal auch durch die Regelmäßigkeit der Strophen und der Verse bewirkt: Fast alle Zeilen umfassen vier oder sechs Silben, wodurch auch der Rhythmus schwer und langsam strömt. Relativiert wird die Anspielung auf den Tod jedoch durch das Aufleuchten der Lilie „lila im Grün“. Das führt von der Lilie als Totenblume wieder weg. Das Farbadjektiv „grün“ ist bei Domin immer mit Blühen und Wachsen verbunden. Dadurch erhält der Todeswunsch, der sich in dem sprachlich nicht explizit ausgedrückten Vergleich, verstärkt noch durch die Parallelität, manifestiert, etwas Natürliches. So wie die Lilie lebenskräftig in leuchtenden Farben aufblüht, so natürlich vergeht ein Leben. Auch Angst vor der Zukunft mag diesen Todeswunsch provoziert haben, Angst vor der Wiederholung der jetzt vergangenen Ereignisse. Solche Zukunftsangst spricht sich in dem Gedicht „Bitte an einen Delphin“ (II/53) aus. Die Zeilen 3 und 5: „schwimme ich weiter fort“ – „in diesem Meer von Herzklopfen“ konstituieren das Bild von der existentiellen Zukunftsangst, die sich „jede Nacht“ einstellt. Hier nun finden wir abermals den Delphin als Zeichen der Rettung vor dem Ertrinken. Wenn man die Widmung an eine Dichterkollegin miteinbezieht, könnte man den Delphin auch hier mit dem Wort in Verbindung bringen. Dann würde die kühne Fügung vom „gütigen Strand“ auf die Wirklichkeit anspielen, die sich in Sprache konstituiert und die von der Zukunftsangst wegführt „Fern der Küste von morgen“. Aus der Erfahrung der willkürlichen und plötzlichen Veränderlichkeit der persönlichen Umstände resultieren tiefer Pessimismus und großes Mißtrauen. In „Warnung“ (II/25) wird zweimal die Kondition zu höchstem Glück genannt, an Gewicht zunehmend: „Wenn die kleinen weißen Straßen / im Süden / […] sich dir öffnen wie Knospen“, „Wenn die Welt, / frischgehäutet, / […] dir ein Einhorn / […] / zur Tür schickt“. Das sagenumwobene mythische Fabeltier gilt in der Tradition allgemein als Symbol der Reinheit und der Liebe. Bei Domin verkörpert es höchste Freude; sie nennt es an anderer Stelle „mein Haustier / Freude“ (III/8). Auf diesem Gipfel höchster Freude erfolgt in der dritten Strophe von „Warnung« der Umschlag: 113

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„Dann solltest du hinknieen …“. Die letzten drei Zeilen fassen die Gesamtaussage des Gedichts in Form einer moralité – durchgängiges Kompositionsprinzip in der Lyrik Domins – zusammen: Wenn alles dich einlädt, das ist die Stunde wo alles dich verläßt. Antizipiert wird diese Quintessenz des Gedichts schon mit dem Wort „Einhorn“ (ein Geschöpf der Phantasie und nicht der Wirklichkeit). Antithetisch zu diesem Gedicht ist „Asternfeld“ (II/44) aufgebaut. Hier steigern regelmäßig gebaute, sechszeilige Strophen die Kondition zur völligen Resignation, jeweils gefolgt von einer Parenthese, die die Ausweglosigkeit noch ausdrücklich unterstreicht. Und doch leuchtet ein schwacher Hoffnungsschimmer in dem Satz auf, der die Folge enthält: „Vielleicht hebst du dann / den Kopf ein wenig, / weil in einem Asternfeld / alle Blüten / die rosa und lila Köpfe / zur Sonne drehn“. Gedämpft, ja relativiert wird dieser Ton der Hoffnung jedoch durch die Adverbien „vielleicht“ und „ein wenig“ sowie durch das Substantiv „Asternfeld“. Die Aster ist eine Herbstblume, und mit dem Herbst verbindet man im allgemeinen den Gedanken an Abschied und Tod. Auch hier läßt sich Domin nicht eindeutig festlegen.

2.4 Hilde Domins neuer Humanitätsgedanke Der Erfahrung von der Polarität des Lebens entspricht formal die Antithese.24 Sie ist ein durchgängiges Kompositionsgesetz der frühen Gedichte. Die existentielle Erschütterung durch das Exil läßt die Dichterin nicht resignieren. Trotz Angst und Bedrohung verläßt 24 Den antithetischen Aufbau in der Lyrik Domins erwähnt auch Rudolf Lange: Herztöne zeitgenössischer Lyrik. Hannoversche Allgemeine. Sonnabend/ Sonntag 27./28.7.1963. 114

Hilde Domins neuer Humanitätsgedanke

sie nie die Hoffnung. Das eine wird durch das andere immer wieder negiert, wenn es auch scheint, als gewänne zunächst die bittere Erfahrung die Oberhand, wie in dem Gedicht „Bittersüßer Mandelbaum“ (I/5). Die unaufhebbaren Gegensätze im menschlichen Leben, die dunkle und die helle Seite manifestieren sich hier im Bild der süßen und bitteren Mandel: Das Rosa und Weiß der süßen und bitteren Mandel mischt sich am Boden […] Doch wenn erst das Laub die doppelte Krone vereint, […] wird dann das Bittere bitter. (I/59)

Ähnlich gewinnt in dem in der Tradition Albertis stehenden Gedicht „Landschaft bei Cádiz“ (II/8) das Salz des Meeres Oberhand über das süße Wasser des Flusses. Hier zeigt sich die Antithese sogar in einzelnen Worten: „hinabfließt / heraufkommt“, „süßes / salziges Wasser“. Das Wort „Salz“ erscheint explizit in jeder Strophe, in der zweiten beansprucht es als sinntragendes Element eine Zeile allein „Salz- / beete“; in der dritten Strophe beschließt es das Gedicht, so den Akzent setzend. Aber es erscheint auch ungenannt in „Tränengärten“, die Salzgärten Cádiz’ evozierend. Dort, wo an der Mündung des Flusses ins Meer Süß- und Salzwasser aufeinanderstoßen, gewinnt das Salz: „Flüsse, Gärten, / Träume aus Salz“. Hier bewirkt die Dreigliedrigkeit eine emotionale Steigerung. Wenn sogar die Träume aus Salz sind, so besagt dies, daß der Mensch kein Refugium mehr hat, wohin er sich vor der Bedrohung zurückziehen kann. Auf dem Hintergrund traumatischer Exilerlebnisse glimmt hier und da jedoch ein schwacher Schimmer der Hoffnung, so in dem zunächst den Eindruck völliger Ausweglosigkeit hervorrufenden 115

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Gedicht „Makabrer Wettlauf“ (II/38). Ein verschränkter dreigliedriger Parallelismus bestimmt den ersten Teil des Gedichts, zwei verschiedene Positionen einander gegenüberstellend: die des angesprochenen Du, beflügelt vom Wunsch nach Neubeginn („Schiffe–Verbrennen“, „Anker–Lichten“, „Heimat im Neuen Land“), die des lyrischen Ich mit seiner Erfahrung des Scheiterns. Die beiden Antipoden erreichen ihren Höhepunkt in den Zeilen 5 und 6, wobei „begraben“ noch durch seine Endstellung im Vers und Zeilenbrechung akzentuiert wird, der Position des Scheiterns also vordergründig der Primat eingeräumt wird. An dieser Stelle aber, auf dem Gipfel der Resignation, erfolgt ein bei Domin häufiges dialektisches Umschlagen: „und ein Baum mit seltsamem Namen, / ein Baum wie alle Bäume, / wuchs aus mir, / wie aus allen Toten“. In diesem Bild manifestiert sich der Gedanke an Neubeginn. So wie in den einzelnen Gedichten antithetische Haltungen und Erfahrungen gegenübergestellt werden, so bilden die Bände I und II insgesamt einen Gegensatz zu den „Liedern zur Ermutigung“, die den zweiten Band beschließen. In diesen Liedern triumphiert die Hoffnung, und der Leser fragt sich verwundert, woher die Dichterin so viel Kraft schöpft nach all ihren negativen Erfahrungen. Zur Beantwortung dieser Frage ist das Motto nach Pico della Mirandola, das Domin ihrem dritten Gedichtband voranstellt, aufschlußreich: „Den Kopf hochzuhalten ist das Merkmal / des Menschen“. Es ist der Glaube, zwar nicht der Glaube an eine höhere Macht, wie der religiöse Kontext in einigen Gedichten nahelegen könnte, sondern der Glaube an die Kraft des Menschen, an sein Vermögen, nicht zu resignieren, sondern sich auch nach den größten Schicksalsschlägen wieder aufzurichten, der die Dichterin in ihren Liedern so zuversichtlich sein läßt. Aber auch der Glaube daran, daß das Wort des Dichters die Kraft und Wirksamkeit hat, den Menschen in seinem Ringen, „den Kopf hochzuhalten“, zu unterstützen. Dieser säkularisierte Glaube wird im Verlauf der frühen Gedichte schon vorbereitet, z. B. in „Osterwind“ (II/23). Die Struktur des Gedichts wird bestimmt durch die antithetische Bewegung des Fallens und 116

Hilde Domins neuer Humanitätsgedanke

Steigens, die in einer Synthese die Todesverfallenheit des Menschen, das Bewußtsein von seinem Untergang symbolisiert: „Wir versinken in Schwermut. / Der Tod steigt im Stengel unseres Traums, / alle Blüten werden dunkel / und fallen“. Gleichzeitig wird aber die Bedeutung unwillkürlich mitgedacht, daß im Stengel einer Pflanze der steigende Lebenssaft Blüten hervortreibt. So akzentuieren diese Zeilen den Unterschied des Menschen zur übrigen Natur. Die Erlösung aus der Schwermut erfolgt so unvermittelt, wie der Vogel jäh und grundlos in seinem Flug innehält. In einem einzigen Satz zeichnet der steigende Rhythmus diese Wende nach. An dieser Stelle wird auch deutlich, was „wir“ (d. h. die Menschen) den Blumen und Bäumen voraushaben und was zunächst zum Widerspruch herausfordert, nämlich daß es von Vorteil sein soll, wenn unsere Jahreszeiten schneller sind. Der Mensch ist den Gesetzmäßigkeiten der Natur nicht so völlig unterworfen wie Blumen und Bäume: „Doch da ist keine Wartezeit, / sicheres Warten / für kahle Zweige“. Das Wunder bewirken „Weiße Flügelsignale im Blau“ und der „Osterwind / eines Lächelns“. Hier weist das Gedicht eindeutig in eine tiefere Dimension. Flügel haben in der traditionellen Bildvorstellung die Engel. „Flügelsignale“ ist deshalb eine Metapher der Transzendenz. Sie symbolisiert in Verbindung mit der Metapher des Osterwindes jene Bewegung, die das lyrische Ich aus den Bedingungen der existentiellen Begrenztheit hinausführt in eine höhere Wirklichkeit, eine Wirklichkeit, die sich durch Sprache im Gedicht konstituiert. Erinnert sei hier auch an eine Zeile aus dem Buch Sohar, dem Hauptwerk der jüdischen Kabbala, die Nelly Sachs einem ihrer Gedichte aus den „Wohnungen des Todes“ voranstellt: „Und das Sinken geschieht um des Steigens willen.“ Die „Lieder zur Ermutigung“ am Ende des zweiten Bandes sind insofern folgerichtig, als Hilde Domin die Rettung durch Schreiben kam. Gadamer nennt sie die „Dichterin der Rückkehr“ und meint damit vor allem ihre Rückkehr zur Sprache: „Das Verhalten des Dichters zur Sprache ist für uns alle Rückkehr zur Sprache, Abschied und

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Erkenntnis zugleich.“25 In den „Liedern zur Ermutigung“ manifestiert sich ein neuer Humanitätsgedanke, der des Durchhaltens trotz aller Leiden.26 Diese neue Definition von Humanität wird nicht programmatisch verkündet, sondern überzeugt durch ihre unaufdringliche Verhaltenheit. Die erste Strophe von Lied I zeigt den Menschen in seiner Hilflosigkeit: „Unsere Kissen sind naß / von den Tränen / verstörter Träume“. Die zweite Strophe bringt die Wende, eingeleitet durch die adversative Konjunktion „aber“. Die leeren, hilflosen Hände stehen als Synekdoche für das Schicksal der Vertriebenen, die ohne Rechte in einem fremden Land leben. Aber aus diesen leeren, hilflosen Händen steigt die Taube auf. Das Bild der Taube eröffnet ein weites Bedeutungsspektrum. Zunächst ist sie Sinnbild des Friedens, dann ist sie aber auch der Vogel der Venus, d. h. sie verkörpert den sublimierten Eros. Nach Durand27 zeichnet sich sogar Isomorphismus mit der Reinheit selbst ab. Die aus den leeren hilflosen Händen aufsteigende Taube bedeutet also eine Botschaft der Liebe, des Friedens und der Brüderlichkeit. Das zweite Lied thematisiert Vertrauenskrise als Sprachkrise. Es besteht inhaltlich aus drei Teilen, von denen der Mittelteil die zentrale Aussage enthält: „Vertrauen, dieses schwerste / ABC /“. Aus dem Verlust des Vertrauens zur Sprache resultiert eine Lebenskrise, da Verlust des Sprachvertrauens Desorientierung in der Welt zur Folge hat. Eine Integration in die vorher vertraute Umgebung ist dann nicht mehr möglich: Die Mauern der Stadt sind türelos. Die Evozierung der großen Szene aus der „Ilias“, in der Achill den todesbangen 25 Hans-Georg Gadamer: Hilde Domin, Dichterin der Rückkehr. In: Poetica. Ausgewählte Essays. Frankfurt am Main 1977, S. 135–144, hier S. 141. 26 Dazu schreibt Walter Hinck: „Die Wirklichkeitserfahrungen der Vergangenheit und der Gegenwart haben Hilde Domin weder in naive Zuversicht und blanken Optimismus noch in die Resignation getrieben. Die Hoffnung wird nicht widerstandslos, sie wird über das „Dennoch“ gewonnen.“ Walter Hinck: Rückkehr. Hilde Domin wird siebzig. In: FAZ vom 27.7.1982. 27 Durand, a. a. O., S. 145. 118

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Hektor um die Stadtmauern von Troja jagt, enthebt die Aussage der Zeit und verleiht ihr Allgemeingültigkeit.28 Das „Du“ im ersten Teil des Liedes drückt das Fremdsein der eigenen Person aus. Diesen beiden ersten Teilen als These steht unverbunden der zweite Teil als Antithese gegenüber: „Ich mache ein kleines Zeichen / in die Luft, / unsichtbar, / wo die neue Stadt beginnt, / Jerusalem, / die goldene, / aus Nichts“. Diese Unvermitteltheit einer gegensätzlichen Aussage ist stilbildend für die Lyrik Domins. Da, wo eine Erfahrung unerträglich zu werden beginnt, setzt sie ihr eine antithetische dagegen. Das kleine Zeichen, das das lyrische Ich in die Luft macht, entspricht in seiner Aussage der Zeile „Ich setzte den Fuß in die Luft, / und sie trug“ (I/51). Die Luftmetapher wird auch hier verstanden als Gegenwelt zur Realität. Da, wo der einzelne einen kleinen Versuch zur Änderung unternimmt, geschieht das Wunder: Jerusalem, die goldene Stadt, steigt empor aus dem Nichts. Das Wunder geschieht durch und in Sprache und bewirkt Identitätsfindung des Subjekts, formal ausgedrückt durch den Wechsel vom fremden „Du“ im ersten Teil zum selbstbewußten „Ich“ im zweiten.29 Der Bezug zu Jerusalem ist nicht zufällig. In der Bibel wird sie die Freie und die zukünftige Stadt genannt: „Aber das Jerusalem, das droben ist, das ist die Freie, die ist unser aller Mutter“ (Galater 4/26). In Hebräer 13/14 ist es die „zukünftige Stadt, die gesucht werden muß“. Für das vorliegende Gedicht bedeutet dies, daß der Neubeginn – „wo die neue Stadt beginnt“ – Freiheit garantiert durch „ein kleines Zeichen / in die Luft“, d. h. durch bewußtes Herstellen dieser Freiheit. Farbadjektive sind bei Domin selten, hier wird Jerusalem „die goldene“ genannt. Gold darf in diesem Zusammenhang als die Wirklichkeit transzendierende Farbe verstanden werden. Auch in der Apokalypse wird die Himmelsstadt“ als „goldleuchtend“ beschrieben. Jerusalem 28 Vgl. hierzu das Gedicht „Die Mauern sortierend“, in dem es heißt: „Die türelosen Mauern / für Hektor / und die Passlosen“. 29 Vgl. auch die Interpretationen zu Lied II von Domin selbst sowie von Gadamer. In: Doppelinterpretationen, S. 145–148 bzw. 149–151. 119

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ist bekannt als Stadt mit den vielen offenen Toren, im Gegensatz zu der türelosen Stadt im Gedicht. So gesehen wird man Jerusalem als Utopie verstehen müssen, die aber eine Möglichkeit der Verwirklichung hat, wenn alle ihr Teil dazu tun (ein kleines Zeichen machen). Das zweite Lied ist im Tenor wesentlich optimistischer als das erste. In diesem kippt zwar die Erfahrung der existentiellen Erschütterung auch dialektisch um in das Geschehen eines Wunders. Dieses ereignet sich jedoch ohne ein Zutun des Subjekts. Seine Hände sind leer und hilflos, sie handeln nicht, haben jedoch die Fähigkeit, daß aus ihnen die Taube aufsteigt. Aus Lied I geht nicht deutlich hervor, ob das Angebot der Liebe und des Friedens bewußt gemacht und bewußt angenommen wird und ob es etwas bewirkt. Lied III entwickelt die Motive der beiden ersten weiter. Der erste Teil des antithetisch aufgebauten Gedichts evoziert ein Bild der selbstverständlichen Freiheit, für die bezeichnenderweise wieder das Bild des Vogels gewählt wird. Stellt sich schon dadurch der Gedanke an Freiheit ein, wird er verstärkt durch die Attribute „ohne Schmerzen“, „leicht“, „golden“, „ohne Sehnsucht“, „sich mischend“, „sich trennend“. Das Bild des leichten Dahingleitens wird vor allem durch die Präsenspartizipien realisiert. Diesem freien Schweben der Vögel, für das die Dichterin zwölf Zeilen aufwendet, wird konzentriert auf drei Zeilen das Schicksal des Menschen entgegengesetzt. „Diese Vögel / ohne Schmerzen, / diese leichtesten goldenen / Vögel / dahintreibend / über den Dächern“ (Zeile 1 bis 6) wird aufgenommen in Zeile 13/14: „Wir, / unter den Dächern“, wobei diese letzten drei Worte eine Gedankenverbindung zu dem Schicksal all der Vertriebenen herstellt, die sich verstecken mußten, deren Freiheit beschnitten war. Zeile 12, „sich mischend, sich trennend“, spiegelt sich in „uns anklammernd“ (Zeile 15). Der dritte Teil leitet unvermittelt die Antithese ein. Das Prinzip der Antithese ist hier bis zum Paradoxon ausgeführt: „Die fallende steigt. / Es tagt heute zum zweiten Mal“. Die Sonne gilt als lebensspendendes Element. Die aufsteigende Sonne, oft auch mit einem Vogel verglichen, besiegt die Nacht, folglich bedeutet das Paradoxon der fallenden Sonne, die steigt, daß Hoffnungslosigkeit besiegt 120

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wird durch Hoffnung und Zuversicht. Auch hier das Farbadjektiv „golden“, diesmal in Verbindung mit Rauch, der ja immer aufsteigt, als die Existenz transzendierend gemeint. Das Schlüsselwort „Hiob“ eröffnet dem Gedicht eine weitere Dimension ins Allgemeine hinein. Hiob, eine alttestamentarische Figur, versteht das Unglück nicht, das über ihn hereinbricht. Er lehnt sich vorübergehend auf, verflucht den Tag, an dem er geboren wurde, verliert aber in seiner ausweglosen Lage nicht den Glauben an die Gerechtigkeit Gottes. Wie wäre es möglich, daß Gott einen Gerechten leiden ließe? Seine verzweifelten Aufschreie und Anklagen richtet er an Gott, weil er versucht, den Sinn seines Leidens zu verstehen. Obwohl er sein Schicksal als ungerecht empfindet, leitet ihn die Überzeugung, Gott werde ihn erlösen. Es darf nicht vergessen werden, daß Hiob auf die Probe gestellt werden soll. Satan zerstört sein Leben, um ihn von Gott zu trennen. Hiob jedoch besteht die Probe und bewährt sich, indem er sich nicht von Gott abwendet. Im Leiden sich bewähren verheißt Erlösung. Hier erst kann das Wunder geschehen: „Die fallende steigt. / Es tagt heute zum zweiten Mal“. Diese Gewißheit manifestiert sich nun auch im finiten Gebrauch der Verben im Gegensatz zum infiniten des ersten Teils. Nun wird auch deutlich, daß „diese Vögel“, die keine Schmerzen und keine Sehnsucht kennen, nicht zu beneiden sind, denn erst durch das Unglück wird der Mensch geläutert und erhält die Möglichkeit zur Bewährung. Der dritte Teil des Liedes, der das Wunder und die Gewißheit bringt, ist in feierlichem Hölderlinschem Ton gehalten: „Sieh, / die Sonne kehrt / wieder / als goldener Rauch. / Die fallende steigt. / Steigt aus den Dächern Hiobs. / Es tagt / heute / zum zweiten Mal“. Ob allerdings Hilde Domin von Hölderlin beeinflußt ist oder von der Bibel, läßt sich nicht ohne weiteres sagen. Viele Hölderlin-Gedichte fangen mit „sieh“ an, aber Hölderlin war beeinflußt von der Bibel. Der strömende, ausgeglichene Rhythmus sowie der Gebrauch warmer, dunkler Vokale unterstützen den Eindruck der Zuversicht.

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2.5 Das dichterische Wort als Rettung aus der existentiellen Not Für Hilde Domin bedeutete Schreiben Überleben: „Ich war ein Sterbender, der gegen das Sterben anschrieb. Solange ich schrieb, lebte ich“ (Natur/18). Lange bevor sie endgültig in die Heimat zurückkehrte, hatte sie die Rückkehr innerlich vollzogen als „Heimkehr in das Wort“: „[…] da stand ich auf und ging heim, in das Wort. […] Das Wort aber war das deutsche Wort“ (Natur/34). Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn das Dichten selbst zum Gegenstand ihres Schreibens wird. Die Reflexion über die Wirkung des dichterischen Wortes bildet folglich ein konstantes Element ihrer Lyrik. Im ersten Band Nur eine Rose als Stütze ist die Rose Sinnbild für das Wort.30 Nach der Erfahrung, daß sichere materielle Güter der Vernichtung anheimfielen, sucht die Dichterin Halt im Immateriellen. Das Titelgedicht von Band I thematisiert diese Rettung durch das dichterische Wort. Poetische Ordnung wird hergestellt durch vier gleichgebaute Strophen zu je fünf Zeilen. Das lyrische Ich löst sich aus der zweifelhaften Realität und sucht Halt bei den Luftgestalten: „Ich richte mir ein Zimmer ein in der Luft / unter den Akrobaten und Vögeln“. Die Unsicherheit dieser neuen Existenz manifestiert sich in den Bildern: „Zimmer aus Luft“, „Bett auf dem Trapez des Gefühls“, „Nest im Wind auf der äußersten Spitze des Zweigs“. Der Akrobat kann auf den Händen gehen und so die Ordnung der Welt im wahrsten Sinne des Wortes auf den Kopf stellen. Ein motivischer Bezug liegt hier vor zu „des Zirkuskinds fahrbarer Höhle“ (I/10/11). Die Flucht aus der Realität in eine absolute Gegenwelt wird nicht lange vorbereitet, sondern erfolgt unmittelbar und plötzlich. Aber diese Flucht in das Reich des Absoluten löst auch Angst aus, nämlich den Boden unter den Füßen zu verlieren und ins Nichts zu fallen: „Mir schwindelt“, „hoch ins Leere gewiegt“. Die nach einem Halt 30 Walter Jens war der erste, der der Rosenmetapher diese Deutung gab. Vgl. Fußnote 1, S. 21. 122

Das dichterische Wort als Rettung aus der existentiellen Not

greifende Hand findet nur eine Rose als Stütze. Die Rose, Symbol für die Muttersprache, rettet vor dem Absturz ins Leere. Motivisch finden sich hier auch Anklänge an die Zeilen „Und eine große Blüte stieg / leuchtend blaß / aus meinem Herzen“; denn auch die „Blüte“ ist ein Zeichen für das rettende Wort.31 Mehrere Bedeutungsfelder öffnet das Wort „Luft“. In der Lyrik Gryphius’ ist es Metapher für die flüchtige Existenz. Diese Bedeutung kann auf das vorliegende Gedicht Domins übertragen werden. Daneben evoziert es aber die Vorstellung einer absoluten Wirklichkeit durch das Gedicht. Die Luft ist in ihrer Transluzenz geeignet, mit dem immateriellen Wort in Verbindung gebracht zu werden. Auch in der indischen Tradition ist die Luft eng an das Wort gebunden. Durand weist nach, daß hier sogar Isomorphismus zwischen Luft und Wort besteht.32 Für diese Deutung spricht, daß Hilde Domin die Zeile „Ich setzte den Fuß in die Luft, / und sie trug“ als Motto vor den entsprechenden Teil des ersten Bandes setzt. Dieses Motto kann als gleichbedeutend angesehen werden mit den Zeilen: „Meine Hand / greift nach einem Halt und findet / Nur eine Rose als Stütze“. Auch das Motto zum ersten Band stützt diese These: „Dando voy pasos perdidos / por tierra, que todo es aire“ („Verlorene Schritte tu ich / auf Erden, denn alles ist Luft“). Wirklichkeit konstituiert sich in Sprache und nur als sprachliches Phänomen. Hier manifestiert sich ein Verständnis von Dichtung, das für die ganze Moderne gültig ist. Dichtung wird nicht mehr verstanden als Ausdruck einer inneren Gefühlsregung, als Erlebnislyrik, sondern als Möglichkeit, eine Gegenwelt in Sprache zu konstituieren. Hilde Domin, für die Sprache zum einzigen Mittel wurde, dem drohenden Identitätsverlust vorzubeugen, findet hier zu sich selbst.33 Der Sinn, 31 Hölderlin spricht von der Sprache als „Blume des Mundes“. Und auch Brecht vergleicht das Gedicht mit der Rose, wenn er über das Interpretieren sagt „Zerpflücke eine Rose, und jedes Blatt ist schön“. 32 Durand, a. a. O., S. 199 f. 33 Hier liegt eine Parallele zu Ingeborg Bachmann vor. „Ich mit der deutschen Sprache / dieser Wolke um mich / die ich halte als Haus / treibe durch alle Sprachen“. Identitätsfindung geschieht auch bei ihr durch Reflexion über 123

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

der ihrem Leben fehlt, wird in der sprachlichen Ordnung gestiftet. Ihre Gedichte nehmen damit ontologischen Charakter an. Mit Hilfe der Sprache sucht sie sich in einer undurchschaubaren Wirklichkeit zu orientieren, Angst zu überwinden. „Gedichteschreiben“ stellt den Versuch dar, eine „wirklichere Wirklichkeit“ hinter den Oberflächenerscheinungen zu erkennen, eine geistige, abstrakte. Außer Nelly Sachs hat auch die aus Czernowitz stammende jüdische Dichterin Rose Ausländer Zuflucht zu dieser geistigen Erscheinungswelt gesucht und gefunden. Sie schreibt, daß es für sie zwei Verhaltensweisen gegeben habe, als 1941/44 die Nazis ihre Heimatstadt besetzten: „Entweder man gab sich der Verzweiflung preis, oder man übersiedelte in eine andere Wirklichkeit, die geistige. Wir zum Tode verurteilten Juden waren unsagbar trostbedürftig. Und während wir den Tod erwarteten, wohnten manche von uns in Traumworten – unser traumatisches Heim in der Heimatlosigkeit. Schreiben war Leben. Überleben.“34 Als Jüdin ohne jüdische Tradition, die folglich keine Zuflucht zur Religion nehmen konnte, ist auch Hilde Domin von der Identitätskrise bedroht: „Der rassisch Verfolgte ist […] arm daran, zumindest soweit er keinerlei ausgesprochene Zugehörigkeit zu der ethnischen Gruppe empfunden hat, als deren Mitglied er plötzlich verfolgt und vor die Tür gesetzt und aller Rechte beraubt ist. Gerade bei den emanzipierten deutschen Juden war die Identifikation mit dem Deutschen vielfach stärker als mit dem Judentum“ (Natur/147/148). Hier ist es besonders tragisch und paradox, daß die Verfolgung und Ermordung in diesem Augenblick der totalen Assimilation einsetzt. Die Frage nach dem menschlichen Sein, dem Ich, ist die Folge. Die Wirklichkeit wird als Transpersonales erlebt. Die Entfremdung manifestiert Sprache: „Wo erscheinen uns ganz begreiflich / Blatt und Baum und Stein? / Zugegen sind sie in der schönen Sprache, / im reinen Sein …“. Dies gibt sowohl ihrem wie dem Werk von Domin eine soziale Dimension. Ingeborg Bachmann: Sämtliche Gedichte. München 1982, S. 163 bzw.102. 34 Aus einem Interview, das in der Zeit vom 27.6.1980 unter dem Titel „Schrei­ ben gegen Sterben“ erschienen ist. 124

Das dichterische Wort als Rettung aus der existentiellen Not

sich besonders eindringlich da, wo das lyrische Ich sich selbst mit „Du“ anredet, sich nicht mit seinem „Ich“ identifiziert: „Du hast ein volles Jahr / mit einem toten Traum geschlafen“ (II/43), „Du mußt mit dem Obstbaum reden“ (II/22), „Du hast an der falschen Stelle gewartet. / Das Kennwort für die Abfahrt / war dies Jahr anders“ (II/9). Die Sprache hilft, dieser Entfremdung zu entgehen. Indem sie sich in Sprache ausdrückt, wird das Gedicht zu einem Prozeß, innerhalb dessen sich Identität erst konstituiert. Versteht man sozialpsychologisch das Ich als „die Reaktion des Organismus auf die Haltung der anderen“,35 so kann die Krise verstanden werden als Reaktion der Exilierten auf die Abweisung und das Ausgestoßensein durch die eigenen Landsleute. Ichfindung wird dann möglich, wenn man wie Mead die Konstituierung im Interaktionsprozeß versteht, wobei hier das Gedicht als Interaktionsprozeß gilt, wodurch das Ich die Möglichkeit der Interaktion (Hilde Domin spricht von Kommunikation) mit sich selbst schafft. Von hier aus ist auch zu verstehen, daß die Sprachskepsis der Hilde Domin zumindest in den frühen Gedichten nicht die Ausmaße angenommen hat, wie z. B. bei Celan, dessen Gedichte sich am Rande des Verstummens bewegen. Ungebrochen ist ihr Glaube an die Wirkung des Wortes, das deshalb mit äußerster Vorsicht verwendet werden muß: Lieber ein Messer als ein Wort. Ein Messer kann stumpf sein. Ein Messer trifft oft am Herzen vorbei. Nicht das Wort. (II/19)36

35 George Herbert Mead: Sozialpsychologie. Neuwied/Rh. und Berlin 1969, S. 294. 36 Vgl. hierzu auch Ingeborg Bachmann: „Komm nicht aus unsrem Mund, / Wort, das den Drachen sät.“ Rede und Nachrede, a. a. O., S. 126. 125

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

Die Unfehlbarkeit der tödlichen Verwundung durch das Wort wird formal durch lineare Steigerung auf die letzte Zeile hin, die gleichzeitig Höhepunkt ist, vermittelt. Die Gewichtigkeit der Aussage wird dabei noch durch Betonung jeden Wortes akzentuiert.

2.6 Simultaneität als Konstante moderner Lyrik 2.6.1 Die Funktion der Erinnerung in der Tradition

Da auch die überwiegende Zahl der frühen Gedichte nach der Rück­ kehr nach Deutschland geschrieben wurde, handelt es sich um Gedichte der Erinnerung. Nun sieht selbst ein sogenannter realistischer Autor in der Erinnerung die Wirklichkeit nicht so, wie sie war oder ist, sondern wie er sie erinnert, d. h. er interpretiert vergangene Ereignisse, gibt ihnen eine Bedeutung, die sie in der Vergangenheit vielleicht gar nicht hatten; er sieht sie aus seiner heutigen veränderten Perspektive. Dabei siedelt er sie in Raum und Zeit an, die er ebenfalls, gemäß seinen Absichten, verändert erinnert. Die erinnerten Fakten können keine Unmittelbarkeit anstreben, da der Erinnerung vermittelnder Charakter zukommt. 2.6.2 Erinnerung in der Moderne und bei Hilde Domin

Wie bereits im ersten Teil dieser Arbeit nachgewiesen wurde, sieht Domin die wesentliche Begabung des Dichters im Wiederbeleben einer musterhaften Erfahrung. Dieses Phänomen der Erinnerung erfährt in der Moderne eine Umfunktionierung. Nicht mehr Situation, Zeit oder Raum werden erinnert und finden als erinnerte Eingang in die Dichtung, sondern ein ganz bestimmter, mentaler Zustand der Vergangenheit wird durch gegenwärtige Assoziationen wiederbelebt. Irgendein Augenblick im Leben wird plötzlich zu einem auslösenden Moment, in dem die empirische Zeit aufgehoben wird, und die Kategorien Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft zu einem einzigen Punkt 126

Simultaneität als Konstante moderner Lyrik

verschmelzen,37 zu einer modellhaften Situation.38 Es ist einsichtig, daß die Art, wie die Erinnerung funktioniert, um so wichtiger ist, als das erinnerte Erlebnis gegenwärtig wird. Mit Hilfe der Assoziation kann ein Stück der in ihrer Totalität sinnlich nicht mehr erfahrbaren Wirklichkeit erfaßt werden. Die Realität wird nicht mehr aus der Erinnerung geschildert, sie bietet vielmehr Stimuli für das Erkennen und Knüpfen von Bezügen durch ein wahrnehmendes Subjekt. Die Dinge entfalten ihre Vieldimensionalität in einem Augenblick durch die Verflechtung verschiedener Vorstellungsebenen. Auf diese Weise werden Elemente der in Stücke gefallenen Realität zu einem Modell zusammengefügt, in dem ein Stück Wahrheit aufleuchtet.39 Zeitliche und räumliche Kategorien werden aufgehoben. An ihre Stelle treten Erscheinungsbilder, in denen Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart koinzidieren. Dichtung wird damit phänomenal. Friedhöfe in der Landschaft, wie Felder bestellt mit Blumen aus Stein, endgültige Saat. Spielzeugstädte von Toten, erkennbar am deutlichen Plan, hell den Reisenden ladend am Fenster des Flugzeugs, der betroffen den Fallschirm betastet, als scheid er den Vogel vom Stein beim Fall ohne Aufschub.

37 Cf. dazu Helmut Heißenbüttel: „der unkontinuierliche Ablauf der Zeit / Gestern war vor drei Wochen / Trauben von Tagen hängen außen an der Vergangenheit.“ In: Textbuch I. Olten und Freiburg 1960, S. 11. 38 Marcel Prousts Roman „A la recherche du temps perdu“ besteht nur aus solchen wiederbelebten Erfahrungen. 39 Vgl. dazu Abschnitt 1.5 „Der Epiphaniecharakter der Kunst“. 127

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

Mutter, du zärtlich im Sarg mit dem roten Halstuch, als lägest du in einem Boot und könntest nicht ausfahrn aus meinem Herzen. (I/42)

Der Blick aus dem Flugzeug auf einen Friedhof, „Blumen aus Stein“, „Spielzeugstädte von Toten“, evoziert den Tod der Mutter, der sich in den Bildern konstituiert „Mutter […] im Sarg“, „rotes Halstuch“, „Boot“, macht ihn in diesem Augenblick greifbar; „könntest nicht ausfahrn / aus meinem Herzen“. Gleichzeitig wird der eigene zukünftige Tod aktualisiert: „hell den Reisenden ladend […] der betroffen den Fallschirm betastet“. Diese Simultaneität, d. h. die Verschmelzung von zeitlich verschieden situierten Ereignissen zu einem einzigen Augenblick, ist einer der wichtigen Merkmale der Moderne. Es geschieht nur noch selten, daß Ereignisse zeitlich als Kontinuum geschildert und durch eine Bewegungsmetapher verbunden werden. Bei Domin hat die Erinnerung einmal erlösende Funktion, nämlich mit dem ihr Zugestoßenen fertig zu werden, indem sie die Ereignisse dem Vergessen entreißt und benennt und ihnen dadurch ihre irrationale, angstauslösende Kraft nimmt. Diese erlösende Funktion der Erinnerung hat eine Parallele in den Worten Horkheimers. „Zwischen der bewußten Gestaltung jeder gesellschaftlichen und individuellen Einheit durch die Vergangenheit und ihrem ordnenden Gedächtnis, das die früheren Erfahrungen formuliert und in den Dienst ihrer bewußten Arbeit an der Zukunft stellt, herrscht Wechselwirkung […]. Jetzt, wo das Vertrauen auf das Ewige zerfallen muß, bildet die Historie das einzige Gehör, das die gegenwärtige und selbst vergängliche Menschheit den Anklagen der vergangenen noch schenken kann.“40 40 Max Horkheimer: Kritische Theorie, Bd. I, hrsg. von A. Schmidt, Frankfurt am Main 1968, S. 198 f. 128

Die soziale Komponente in der Lyrik Domins

Dann aber sieht Domin zunehmend ihre Aufgabe darin, das irrationale Geschehen den heute Lebenden gegenwärtig zu machen, da Vergessen dessen Wiederholung ermöglichen könnte.

2.7 Die soziale Komponente in der Lyrik Domins Nachdem die Euphorie der Rückkehr verflogen ist, wendet sich Hilde Domin mehr und mehr der politischen und gesellschaftlichen Realität in der Bundesrepublik der sechziger Jahre zu. Waren in den frühen Gedichten persönliche Erfahrungen Ausgangspunkt für die Gestaltung, so sind es jetzt konkrete öffentliche Ereignisse. „Was bedeutet es, heute und hier Zeitgenosse zu sein? […] Ich empfinde als das wesentliche Erlebnis unserer Zeit die entblößte Hilflosigkeit, mit der der Einzelne als Einzelner in einen Zusammenhang gestellt ist, den er weder überschauen noch lenken kann, und innerhalb dessen er – und das ist das Ärgste – auf die Tröstungen von Ideologie und Utopie verzichten muß. Durch das Benennen der Erfahrung erlöst uns das Gedicht aus dieser Vereinzelung und hält uns eine neue, prekäre Zugehörigkeit hin: Die Zugehörigkeit im Wort“ (Hilde Domin: Klappentext zu Hier). Solche Erkenntnis hat Folgen für den Inhalt der Gedichte, soziale Problematik findet Eingang in ihnen. Die Produktionsbedingungen haben sich für die Autorin geändert. Es werden nun ganz konkrete Lesererwartungen an sie herangetragen. Zwar ist ein großer Teil ihrer frühen Gedichte, wie schon erwähnt, ebenfalls erst nach der Rückkehr entstanden, kreisen aber als Erinnerungsgedichte um das persönliche Schicksal. Außerdem stehen die ersten Jahre in Deutschland unter dem Zeichen des Neubeginns, den sie für möglich hält und der sie die Wirklichkeit nur unter eben diesem Gesichtswinkel sehen läßt. Davon künden sowohl der lyrische Roman als auch die Gedichte um die Rückkehr. Jetzt zeugen die Gedichte von ihrem Versuch, mit der veränderten bundesrepublikanischen Wirklichkeit fertig zu werden. Die Publikationsgeschichte des Romans ist in diesem Zusammenhang aufschlußreich. Der in 129

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

den fünfziger Jahren entstandene Roman wird dem Lektorat des Fischer-Verlages vorgelegt, aber nicht publiziert. Erst ungefähr zehn Jahre später erscheint er dann bei Piper. Inzwischen steht die Autorin der bundesrepublikanischen Wirklichkeit wesentlich kritischer gegenüber. Die wiedergefundene Heimat ist durch gesellschaftliche und politische Ereignisse infrage gestellt, die Euphorie der Heimkehr verflogen. Um der veränderten Wirklichkeit Rechnung zu tragen, aktualisiert Hilde Domin den zu lyrischen, zu verinnerlichten Roman, indem sie die Ereignisse durch Montagezitate aus dem Spiegel der Jahre 1967/68 distanziert, verfremdet, ironisiert, ja infrage stellt. Das zweite Paradies des Romans, wiederherstellbar durch bewußte Erkenntnis und Annahme der geänderten, aber ganzen Persönlichkeit der Protagonisten, stellt sich in der politischen Wirklichkeit anders dar: „Dutschke in heller Verheißung: noch nie sei die Möglichkeit ,so groß‘ gewesen, den Garten Eden zu schaffen - die phantastische Erfüllung des uralten Traumes der Menschheit“ (Paradies/165). „Das Zuhause sind wir. Die Freude sind wir“ (Paradies/151). Zwei gegensätzliche Konzeptionen des Paradieses werden hier kommentarlos gegenübergestellt und damit fragwürdig. Im Roman lautet die Aussage, daß der Mensch das Paradies in sich trägt, daß es von ihm abhängt, es zu verwirklichen. Das Spiegel-Zitat hingegen meint ein anderes Paradies, ein Paradies des Wohlstands. Dieses Paradies ist gewonnen durch den gewaltigen technischen Fortschritt im 20. Jahrhundert. Die Erkenntnis, daß die Technik zwar zu einer sehr komfortablen Lebensweise beigetragen hat, nichts jedoch zur Lösung der existentiellen Frage nach dem Sinn des menschlichen Daseins, ja daß sie mehr und mehr dieses bedroht, führt zu einer Abwendung von der modernen Technologie und zu einer Hinwendung zur Natur und zu metaphysischen Fragen. Die geänderte Problematik in den Gedichten hat Auswirkungen auf ihre formale Gestaltung. Sie werden knapper und karger, Formen der lehrhaften Dichtung, wie Aphorismus und Epigramm, finden Eingang in ihnen. Das Gedicht „Seids gewesen, seids gewesen!“ (III/14) thematisiert das Problem der Selbstzerstörung des Menschen durch die Technik. 130

Die soziale Komponente in der Lyrik Domins

Die machtvolle Diktion wäre wohl weder in den Exil- noch in den Rückkehrgedichten schon möglich gewesen. Äußerste Wortökonomie zeichnet es aus sowie Reduzierung auf das Wesentliche, hier die Einsicht, daß der Mensch die Geister, die er rief, nicht mehr los wird. Mit dem Titel, der eine Zeile aus Goethes „Zauberlehrling“ zitiert, ist der motivische Umkreis des Ganzen bestimmt. Der Mensch hat die Kontrolle über eine Sache verloren, auf die er sich zunächst voller Vertrauen und Begeisterung einließ, die er aber bald nicht mehr überblickt und die seinen Untergang verursacht. Das Gedicht kreist um wenige, aber kunstvoll aufeinander bezogene Signalwörter. Der machtvolle Auftakt wird bewirkt durch die insistierende viermalige Wiederholung des Adjektivs „letzt“, gesteigert noch durch die Inversion der Genitive in den Zeilen 2 und 4, ein Element der gehobenen Sprechweise, übernommen aus der lateinischen Rhetorik, hier als archaisierendes Element bewußt zur Intensivierung der Endzeitstimmung verwandt: Die letzte Erde der Erde letzter Tag die letzte Landschaft die eines letzten Menschen Auge sieht Die eindringliche Wirkung wird noch dadurch erhöht, daß sich der Parallelismus auch auf die semantische, syntaktische und rhythmische Ebene erstreckt. Beschrieben wird dieser Tag vorwiegend durch aneinandergereihte negative Kategorien oder durch unvermittelt einander gegenübergestellte Kontraste: „unerinnert“, „nicht weitergegeben“, „an nicht mehr Kommende“, „ohne Namen ihn zu rufen“, „ohne Rufende“, „nicht grüner“, „nicht weißer“, „nicht blauer“, „unbegrüßt“, „oder schwarz // oder feuerfarben“, „er wird einen Abend haben / oder er wird keinen Abend haben“, „seine Helle sein Dunkel“, „Die Sonne die leuchtet falls sie leuchtet“. Sehr eindrucksvoll und typisch für die Lyrik Domins ist der paradoxale Schluß: „Werden wir // als Staunende / wieder herausgegeben / unter einem währenden Licht? // 131

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

Zünder der letzten Lunte“. Dieser Schluß ist um so unerwarteter als bis dahin die apokalyptische Vision vollkommener Vernichtung heraufbeschworen wurde, verstärkt durch die sprachliche Kargheit. Vielleicht will die Dichterin sagen, daß die Erfahrung vor endgültiger Auslöschung den Menschen der Natur wieder näherbringt. Er begegnet ihr wieder „als Staunender“, ehrfürchtig und fügt sich ihr als Teil wieder ein „unter einem währenden Licht“. Das Gedicht, das sich jeder metaphorischen Verschleierung enthält, endet doch mit einer absoluten Genitivmetapher: „Maden der Ewigkeit“, in der zwei völlig disparate Elemente miteinander verbunden werden. Dies provoziert beim Leser anstelle diskursiven Denkens äußerste Denkanweisung, denn die Offenheit des Zeichens relativiert alle eindeutigen Versuche der Entschlüsselung. Es handelt sich um eine Augenblickskonstellation, die das Geschichtskontinuum aufsprengt und in der die Dinge durch die Selbständigkeit der divergierenden Bestandteile ihre Vieldeutigkeit entfalten. Angst vor der Mechanisierung des modernen Lebens ist Thema des Gedichts „Beklemmung“ (III/22). Der Mensch funktioniert wie ein Automat, er denkt nicht mehr selbst, er wird fremdbestimmt: „fischherzig / wie die Fische in Schwärmen / hinter dem Leitwort / flitzend“. Die Gefahr, die er selbst heraufbeschwört durch unkontrolliertes Ausnutzen der Natur, ist ihm nicht bewußt: „die Arroganz / diese Sicherheit / ohne Sicherheit / derer die beim Gasometer / wohnen / und den Flieder hassen“. Diese Angst wird im zweiten Teil gesteigert durch die Erkenntnis, daß der Mensch fähig ist, auf biochemischem Wege direkt in die Persönlichkeit des Menschen einzugreifen und ihn zum Manipulandum zu machen, der gefühllos ist und nicht aufgrund selbstgesetzter sittlicher Normen handelt, sondern nur reagiert: „ich ängstige mich / vor der Kathode / im Gehirn / vor dem Druck dieses Knopfs / der den Hahn (einen Hahn in New York, / einen Hahn in Frankfurt) / zur gleichen Minute / krähen macht“. Als stilistisches Analogon zur inhaltlichen Aussage ist im ersten Teil die Sprache auf das Notwendigste reduziert, sinntragende Wörter werden zum Teil nur aneinandergereiht: „Finger / 132

Die soziale Komponente in der Lyrik Domins

ohne Fingerspitzen / immer in Tuchfühlung / Staunen / künstlich / produzierend / fischherzig“. Der abgehackte Rhythmus spiegelt die Beklemmung, die den Atem benimmt. Offenheit wird hergestellt durch das Aufbrechen der syntaktischen Einheit sowie durch die Apokoini „künstlich“ und „fischherzig“. Finger ist hier Pars pro toto für den ganzen Menschen, ja die Menschheit überhaupt. Obwohl „immer in Tuchfühlung“, die Distanz zwischen den Menschen also aufgehoben ist, kann menschliche Wärme auf diese Weise nicht erzeugt werden, denn die Finger sind „ohne Fingerspitzen“ und gehören einem Menschen, der „fischherzig“ ist. Das verbindende Moment ist das gemeinsame Anbeten des Götzen Technik, der die Menschen in Wirklichkeit voneinander entfernt; „wie die Fische in Schwärmen / hinter dem Leitwort / flitzend“. Sie hassen den Flieder, d. h. die Natur, die dem Menschen, z. B. bei Rousseau, als Instanz der Selbstvergewisserung und Selbstfindung verhelfen könnte, denn sie fürchten sich vor der Leere in ihrem Innern. Die Isolation des modernen Menschen ist auch Thema des aus fünf Gedichten bestehenden Zyklus „Entfernungen“ (III/45–49). Gemeint ist die Entfernung zum Mitmenschen, aber auch zu sich selbst. Antithetisch verknüpft ist das Motiv der Entfernung mit dem Zeichen der Hand oder Fingerspitze , die als Organ geschärfter Wahrnehmung versucht, die Entfernung zu überwinden: „Dein einmaliger Finger / deine Hand / voll einmaliger Finger / deine sterbliche Hand / unterwegs / zu dem Anfaßbaren / streichelnd / seine Außenseite“. In diesen späteren Gedichten entwirft Hilde Domin zum erstenmal eine utopische Welt, die nicht mehr in erster Linie auf sie selbst bezogen ist, sondern in der die Menschheit im ganzen angesprochen wird und in der die Entfernung zwischen den Menschen aufgehoben sein wird. In dem Gedicht „Die Botschafter“ (III/36) ist dieser Gedanke knapp formuliert. Die Annäherung geschieht nur zögernd, da die Distanz noch unüberwindlich scheint. Die Botschafter kommen von „weither“, von „jenseits der Mauer“, müssen einen „weiten Weg“ zurücklegen, tragen „ferne Kleider“. Einer gibt sich zu erkennen, „er bringt das Wort Ich“. Der Höhepunkt liegt in der elften Zeile: „er 133

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

breitet die Arme aus“, symmetrisch umrahmt von den Zeilen „er bringt das Wort Ich“ und „er sagt das Wort Ich“. Die ausgebreiteten Arme deuten auf Christus hin, die Botschaft ist demnach eine Botschaft der Liebe und Brüderlichkeit. Das Wort „Ich“, das die Menschen trennt, solange es nur auf die eigene Person gerichtet ist, eint die Menschen, wenn sie ihr „Ich“ einander öffnen: „mit diesem trennenden Wort // eben saht ihr euch an / ist er nicht mehr // geht / in dir weiter“. Der Gedanke der Brüderlichkeit weitet sich zu einer fast mystischen Vereinigung aller Menschen, „Ganzheit“ des Einzelnen anstrebend. Der inhaltlichen Aussage entsprechend drängt das aus fünf Strophen zu je drei Zeilen regelmäßig aufgebaute Gedicht formal zu der letzten Zeile, die als Höhepunkt drucktechnisch von den anderen abgesetzt ist: „geht in dir weiter“. Das heißt, das Angebot der Liebe – „er breitet die Arme aus“ – schlägt Wurzeln im anderen, der wiederum die Botschaft weitertragen wird. Der Rousseausche Glaube, daß jeder Mensch von Natur aus den Keim des Guten in sich trägt, manifestiert sich exemplarisch in dem Gedicht „Fingernagelgroß“ (III/37). Der „große Veränderer“, der „Neuordner“ ist in jedem Menschen angelegt, wenn diese Anlage auch nur winzig ist. Vier Strophen zu je zwei Zeilen, die diese Aussagen enthalten, umrahmen symmetrisch den längeren Mittelteil, in dem knapp angedeutet wird, was der Veränderer bewirken könnte, wenn der Mensch ihn in sich mobilisieren würde. In dem irrealen Optativ „könnte“ wird die Hoffnung real gesetzt, daß die „fingernagelgroße“ Anlage sich zu dem großen Veränderer entwickelt. Diesen Keim des Guten im Menschen will die Autorin mit ihren Worten erreichen. Das Thema von der Unvergänglichkeit der Kunst wird deshalb wieder in veränderter Form aufgenommen. Viel selbstbewußter und viel umfassender als in den frühen Gedichten ist jetzt von ihrer Wirkung die Rede. Domin stellt sich an die Seite von Pablo Neruda, erkennt in ihrer Gegensätzlichkeit die gemeinsamen Absichten. „Bei der Lektüre Pablo Nerudas“ (III/35). Die Zeilen 1 bis 9 stellen die Fähigkeiten beider antithetisch gegenüber: „Ich tanze / du gehst mit breitem Schritt / ich fliege / du bist ein Flußgott. / Dieser große Strom // 134

Die soziale Komponente in der Lyrik Domins

deiner Worte / Wasser und Erde, / meine der Atem / der das Blatt bewegt“. Die letzte Strophe stellt in einer Synthese die Gemeinsamkeit heraus „Deine einfachen / deine unverfälschten Worte / ganz wie meine / einfachen Worte / riechen nach Mensch“. Der alte, magische Glaube, daß durch Benennen eine Gefahr gebrochen, weil die Bedrohung erkannt wird, die lähmende Angst schwindet, manifestiert sich in den Gedichten „Salva nos“ I und II (III/15/16). Die zweimalige Wiederholung – semantischer, grammatischer, rhythmischer Parallelismus im jambischen Versmaß – des ersten Gedichts intensiviert die Entschlossenheit zum Handeln. Dies geschieht in Sprache: „mit nichts als unserm Atem / Vokale und Konsonanten / zu einem Worte fügend“. Zwischen Atem und Wort besteht hier wieder Isomorphismus. Die Handlung in Sprache bewirkt Erkenntnis eines Dinges durch Sprache und nimmt ihm das Bedrohliche, „es zähmt / das Unzähmbare / es zwingt / einen Herzschlag lang / unser Ding zu sein“. Das zweite Gedicht nimmt das Thema auf und variiert es. Neu hinzu kommt der Gedanke, daß der Mut, die Dinge furchtlos zu benennen, Freiheit garantiere. Die Stilfigur des vor- und rückbezüglichen Apokoinus, „die richtigen Namen nennend“, „mit der kleinen Stimme“, erschließt dem Gedicht jeweils zwei Dimensionen. Die beiden ersten Strophen variieren und steigern das Thema: „die richtigen Namen nennend“, „das Verschlingende beim Namen nennen“. Durch die Steigerung des Gedankens, formal durch Wiederholung, verbunden mit Enjambement, ausgedrückt, erfolgt eine Beschleunigung, die in der Conclusio gipfelt: „den Rachen offen halten / in dem zu wohnen / nicht unsere Wahl ist“. Wenn man den Titel Hier des dritten Bandes mit dem Motto des Buches „Den Kopf hochzuhalten ist das Merkmal / des Menschseins“ verbindet, so kann man ihn auch verstehen als das hic et nunc, den Ort, wo sich der Mensch nach Jaspers im Schnittpunkt von Raum und Zeit zu bewähren hat. Für die Dichterin bedeutet das in Hier, sich der sozialen und politischen Wirklichkeit zu stellen, einen Teil im Gedicht zu aktualisieren. 135

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

Das den Aphorismus „ars longa“ von Horaz aufnehmende Gedicht ist ein Höhepunkt des Bandes Hier. Es wird wohl kaum Zufall sein, daß es als solcher den Band beschließt: Der Atem in einer Vogelkehle Der Atem der Luft in den Zweigen. Das Wort wie der Wind selbst sein heiliger Atem geht es aus und ein. Immer findet der Atem Zweige Wolken Vogelkehlen. Immer das Wort das heilige Wort einen Mund. (III/61)

Der Titel evoziert sofort den zweiten Teil des Horazschen Aphorismus „vita brevis est“ und öffnet so den Bezug zu der unaufhebbaren Wirkung der Kunst, die das Leben überdauern wird.41 In diesem Aphorismus drückt sich eine lange Tradition aus. Das Gedicht zeichnet sich durch äußerste Sprachökonomie aus: Nur wenige Substantive sind motivisch miteinander verknüpft. „Atem“ muß hier im Sinne der Stoa verstanden werden als Prinzip des Lebens, als beseelende 41 Vgl. dazu Ingeborg Bachmann: „Doch das Lied überm Staub danach / wird uns übersteigen“ (Lieder auf der Flucht XV), a. a. O., S. 157. 136

Die soziale Komponente in der Lyrik Domins

Kraft. Identität von Atem und Wort wird durch das einzige Adjektiv, „heilig“, das beiden zugeordnet ist, hergestellt. Das Gedicht gipfelt in einer Apotheose der Kunst. Hat das Wort solche Wirkung, muß es mit Bedacht gehandhabt werden: Das Gefieder der Sprache streicheln Worte sind Vögel mit ihnen davonfliegen. (III/39)

Der Sinnlichkeit des Bildes, „Gefieder der Sprache“, folgt unvermittelt die Quintessenz: Die Aufgabe des Dichters ist es, die Sprache geschmeidig zu machen, sie seinen Absichten anzupassen, damit sie wirken kann. Das Bild des Vogels hat im Verlaufe der drei Bände eine Umdeutung erfahren. Es wird jetzt immer häufiger mit dem Wort des Dichters verknüpft: Meine Worte sind Vögel mit Wurzeln immer tiefer immer höher (III/41)

Das Zeichen des Vogels mit Wurzeln ist eine discordia concors. Eine solche Verflechtung total entgegengesetzter Vorstellungsebenen bewirkt eine Erweiterung des Bedeutungsspielraums. In der Beweglichkeit des Vogels wird die Überzeugung ausgedrückt, daß das dichterische Wort jeden Menschen erreichen kann und sei er noch so fern (nicht im räumlichen Sinne): „immer höher“. Das Zeichen Wurzel bedeutet, daß das dichterische Wort in jedem Menschen Wurzeln schlagen wird, den es erreicht hat: „immer tiefer“.

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Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

Auch das Zeichen des Windes ist nicht mehr fest mit der Vorstellung des Verfolgers verbunden. In den späteren Gedichten wird es ebenfalls dem Wort zugeordnet: Wer es könnte die Welt hochwerfen daß der Wind hindurchfährt. (III/32)

Der Gebrauch des irrealen Optativs weist die Bedingung objektiv als nicht erfüllbar aus. Es manifestiert sich hier aber der Glaube, daß eine notwendige Erneuerung der Welt möglich ist, und zwar im Gedicht. Um die zentrale Zeile „hochwerfen“ sind die anderen Zeilen symmetrisch angeordnet, Welt und Wind als Gegensätze für das Schwere und das Leichte. Die Alliteration durch das „w“, „Welt“, „werfen“, „Wind“, unterstützt klanglich das Bild. Der Wind steht hier in der Bedeutung des Reinigers. Das Verschwinden des diskursiven Elementes und damit einhergehend die Tendenz zu immer größerer Reduktion auf einen Gedanken zeigt sich vor allem in den haiku- und epigrammähnlichen Gedichten: Es knospt unter den Blättern das nennen sie Herbst. (III/59)

Formal liegt die Ähnlichkeit zum Haiku darin, daß der Gegenstand der Natur entnommen ist, daß eine einmalige Situation geschildert und gegenwärtig dargestellt wird. Das japanische Haiku setzt aber ein geschlossenes Weltbild und Kontinuität der geschichtlichen Tradition voraus, so daß die Dinge in ihrer Eindeutigkeit nachvollzogen werden

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Die soziale Komponente in der Lyrik Domins

können.42 In dem vorliegenden Gedicht ist zwar auch eine sinnliche Wahrnehmung der Natur, nämlich das Knospen unter den Blättern, Auslöser für eine Erkenntnis: „Das nennen sie Herbst“. Aber diese Erkenntnis enthält einen Widerspruch zu der Wahrnehmung. Das Knospen, das das nicht explizit genannte lyrische Ich wahrnimmt, vermittelt vielmehr die Einsicht der Diskrepanz zwischen dem Wahrgenommenen und der Interpretation durch die anderen. Wer „sie“ sind, erfahren wir nicht. Vielleicht sind damit diejenigen gemeint, die das Knospen unter den Blättern, nämlich das heimliche Aufbrechen neuer Gedanken, verhindern wollen, indem sie es falsch benennen. Es erfolgt also keine Erfahrung der Einheit der Welt, wie im japanischen Haiku, es offenbart sich vielmehr hier deren Fragwürdigkeit. Durch das Auffüllen einer traditionellen Form mit einem konträren Inhalt wird gleichzeitig die Gattung infrage gestellt. Die Tendenz zum lakonischen Sprechen nimmt in den späteren Gedichten zu, so z. B. in dem folgenden Epigramm, das vor allem durch den Wechsel von Artikel zu Personalpronomen bestimmt wird: Schneide das Augenlid ab: fürchte dich. Nähe dein Augenlid an: träume. (III/11)

Lakonismus beherrscht auch „Aktuelles 2“ (III/13), in dem dialektisch zwei Positionen gegenübergestellt werden, ohne daß eine Lösung erfolgt: „Knochen und Steine / Steine / nicht werfen / Steine nicht nicht werfen. / Mauern mit Steinen bau’n. / Mauern / nicht bau’n. // Die Arme / sinken lassen / Die Arme heben / sich weinend / umarmen“. Es endet mit der lakonischen Feststellung: „Gebrauchsanweisung / 42 Vgl. hierzu „Haiku“. Bedingungen einer lyrischen Gattung. Übersetzungen und ein Essay von Dieter Krusche. Tübingen/Basel 1970. 139

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

für Arme“, die ironisch gebrochen ist durch ihre Zweideutigkeit. Die subjektlosen Infinitive verschleiern das Beziehungssystem der Sprache. Die Sprachreduktion geht hier so weit, daß reale Bezüge nicht mehr erkennbar sind. Subjektiv-emotionale Elemente sind ausgeschaltet. Die Liebesgedichte sind in diesem Band selten geworden, Glück kann sich nicht mehr so bedingungslos entfalten, deshalb können Gedichte des Glücks nicht geschrieben werden: Schöner sind die Gedichte des Glücks. […] die ich nicht schreiben werde. (III/18)

2.8 Das öffentliche Gedicht43 2.8.1 „Nachkrieg und Unfrieden“ Toute œuvre engagée est une œuvre de valeur; toute œuvre, si c’est une œuvre de valeur, est engagée! (Danilo Kiš)

Bei einer Umfrage der Wochenzeitschrift Le Nouvel Observateur,44 ob die sogenannte engagierte Literatur heute noch Erfolg verspreche, antworteten die meisten Schriftsteller, daß dieser Begriff ein Pleonasmus sei; Literatur sei eo ipso engagiert. 43 Krolow führte den Begriff des „öffentlichen“ Gedichts in die Debatte um das politische Gedicht ein. Er versteht darunter solche Verse, in denen der Dichter „etwas vom Bestand, von den Verhältnissen und Mißverhältnissen der menschlichen Gesellschaft“ sagt. Cf. Karl Krolow: Aspekte zeitgenössischer deutscher Literatur. 1963, S. 78. 44 Le Nouvel Observateur. Special Littérature. Mai 1981, S. 42: „Engagez-vous … Rengagez-vous?“ 140

Das öffentliche Gedicht

So Pierre Bourgeade, der lakonisch antwortet: „On peut dire: ,J’écris, donc je m’engage‘ (fût-ce à ne pas m’engager)“,45 oder Jérôme Charyn: „La meilleure écriture est toujours ,engagée‘. Il doit y avoir un sentiment de politique […] sans tomber dans la propagande.“46 Darauf, daß Literatur nichts mit Propaganda zu tun haben darf, beharrt auch Jeanne Champion: „Dans ,la littérature engagée‘, l’engagement ne doit, en aucun cas, faire oublier la litterature“;47 ebenso Juan Goytisolo: „Le caractère ambivalent de l’écriture, basée toujours dans le choc d’idées, de sentiments et d’émotions opposés, ne favorise pas, a priori, la tentative de la mettre au Service de quelque chose.“48 Ionesco betont die Freiheit, die uns durch Kunst zuteil wird: „Finalement, l’art est absolument inutile, mais cette inutilité est absolument nécessaire. On pourrait beaucoup parier sur l’utilité de l’inutilité. Après toutes les contraintes, malgré les catastrophes, et les événements tragiques de notre histoire, l’art nous apprend la liberté.“49 Damit ist kurz die Position umrissen, die auch Hilde Domin eindeutig einnimmt im Nachwort einer von ihr herausgegebenen 45 „Ich schreibe, also engagiere ich mich (und wäre es, mich nicht zu engagieren)“ (Übers. I. H.). 46 „Die beste Literatur ist immer engagiert. Es muß in ihr ein politisches Bewußtsein vorhanden sein […] [,] ohne daß sie in Propaganda verfällt.“ (Übers. I. H.) 47 „In der ,engagierten Literatur‘ darf das Engagement in keinem Fall die Literatur vergessen machen.“ (Übers. I. H.) 48 „Der zwiespältige Charakter der Literatur, die immer auf einem Ideenschock und entgegengesetzten Empfindungen beruht, begünstigt a priori nicht den Versuch, sie in den Dienst irgend einer Sache zu stellen.“ (Übers. I. H.) 49 „Schließlich ist die Kunst absolut unnütz, aber diese Nutzlosigkeit ist absolut notwendig. Man könnte viel sagen über die Nützlichkeit des Unnützen. Nach allen Zwängen und trotz der Katastrophen und tragischen Ereignisse unserer Geschichte, lehrt uns die Kunst die Freiheit“ (Übers. I. H.). Vgl. hierzu auch die Parallele im Gedankengang Domins. Die „Unverzichtbarkeit des Unnützen“ ist Ausgangspunkt für ihre Argumentation über die Notwendigkeit von Lyrik. 141

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

Anthologie politischer Gedichte mit dem Titel „Nachkrieg und Unfrieden“. Diese originelle Variante eines Tolstoi-Titels bezeichnet die Zeit, die unmittelbar dem Kriegsende folgt und in der zwar kein offener Krieg herrschte, man aber wirklich nicht von Frieden sprechen konnte. In dieser programmatischen Anthologie – ein Novum wie „Doppelinterpretationen“ – sind öffentlichen Themen gewidmete Gedichte in der Reihenfolge ihrer Entstehung versammelt. Der von den Autoren zu jedem Gedicht kurz umrissene Entstehensanlaß stellt den unmittelbaren Bezug zur Wirklichkeit her. Aufgenommen wurden Gedichte, die ein öffentliches Thema behandeln, gleichzeitig aber dem Kriterium der Kunst entsprechen. Nun muß aber gerade auf diesem Gebiet eine Inkongruenz von politischem Engagement und ästhetischer Qualität festgestellt werden. Deshalb schließt Hilde Domin rein programmatische Verse und Agitproplyrik aus, die mit Aufhebung ihres aktuellen Anlasses jede Wirkung verlieren. Nur durch Übereinstimmung von ästhetischer Struktur und politischer Aussage werde das Gedicht zu einem Erfahrungsmodell, das beliebig von der Vergangenheit in die Gegenwart transponiert werden könne und „damit Geschichte zu entgeschichtlichen und Literatur zu entliterarisieren“ imstande sei (Nachkrieg/127 f.). Um den Begriff der politischen Lyrik hat es kontroverse Auseinandersetzungen gegeben. Die eine Seite betont den sinnkonstituierenden sozialen und politischen Aspekt. Gerade aus diesem Grunde könne es sich eben nicht um Kunst handeln, betonen Adorno und Enzensberger, da diese sich der Wirklichkeit verweigere. Es sei hier auf Hinderer verwiesen, der diese Kontroverse reflektiert.50 Er kommt dabei zu dem Schluß, daß politische Lyrik auf jeden Fall das Objekt in den Vordergrund rücke, da die eindeutig politischen Intentionen des Autors sinnkonstituierend seien. Der Darstellungsaspekt habe dienende Funktion. Er hält deshalb eine Trennung von Agitproptexten und politischer Lyrik nicht für angebracht. 50 Walter Hinderer. Probleme politischer Lyrik heute. In: Wolfgang Kuttenkeuler (Hrsg.): Poesie und Politik. Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1973, S. 91–136. 142

Das öffentliche Gedicht

Domin greift die Forderung Adornos und Enzensbergers auf. Sie unterscheidet sich von diesen aber dadurch, daß sie die ästhetische Seite nicht verabsolutiert, sondern darauf hinweist, daß diese eine wichtige Funktion habe, indem sie den kommunikativen Aspekt unterstütze. Sowohl ästhetische wie politische Aspekte konstituieren nach ihrer Auffassung die Mitteilung an den Rezipienten. Domin greift deshalb den von Krolow geprägten Begriff des „öffentlichen Gedichts“ auf. Das „öffentliche Gedicht“ soll ein Text sein, der eine politische Erfahrung exemplarisch in Sprache umsetzt. Die gesellschaftliche Aufgabe eines jeden Gedichtes sei es, „den Menschen zu mobilisieren, ihn von Rollenzwängen zu befreien“ (Nachkrieg/125). Das Wichtigste, ja überhaupt das Politische eines öffentlichen Gedichtes ist es demnach, daß es sich für keinen Zweck einspannen läßt, sondern autonom bleibt. Die Nähe zu Adorno und Enzensberger ist hier unverkennbar. In den Noten zur Literatur schreibt Adorno: „Lyrik zeigt sich dort […] am tiefsten gesellschaftlich verbürgt, wo sie nicht der Gesellschaft nach dem Munde redet, wo sie nichts mitteilt, sondern wo das Subjekt, dem der Ausdruck glückt, zum Einstand mit der Sprache selber kommt.“51 Daß der politische Gehalt in der Sprache liegt, betont auch Enzensberger 1962: „Freilich, Ansichten sind den selbstbestallten ideologischen Wächtern seit Platons Tagen immer wichtiger gewesen als der objektive gesellschaftliche Gehalt der Poesie, der nirgends sonst als in ihrer Sprache zu suchen ist.“52 Enzensberger nennt den Begriff des politischen Gedichts fragwürdig, weil sich unter seinen Auspizien fast nur Texte agitatorischen oder repräsentativen Inhalts finden. Dabei liege der politische Auftrag des Gedichts gerade in seiner Unverfügbarkeit, nämlich „sich jedem politischen Auftrag zu verweigern und für alle zu sprechen noch dort, wo es von keinem spricht, von einem Baum, von einem 51 Theodor W. Adorno. Noten zur Literatur I. Frankfurt am Main 1978, S. 85. 52 Hans-Magnus Enzensberger: Poesie und Politik, In Einzelheiten, Ffm 1962, S. 348. 143

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Stein, von dem was nicht ist“.53 Das war 1962, nach 1968 sagte sich Enzensberger völlig von der Lyrik los, sprach von der absoluten Überflüssigkeit des Gedichts. Er geriet in Konflikt mit dem Prinzip des l’art pour l’art und der engagierten Lyrik, gab schließlich beide auf zugunsten der Faktographie: „[…] für ,literarische Kunstwerke‘ läßt sich eine wesentliche gesellschaftliche Funktion in unserer Lage nicht angeben.“54 Dabei verkennt Enzensberger ganz, daß es sich nie, weder bei ihm noch bei Adorno, um das Prinzip der reinen Kunst gehandelt hat, daß immer gemeint war, durch ästhetische Innovation in Form von Sprachexperimenten, Entlarvung von Sprachritualen, ideologieabweisend zu wirken. Deshalb ist auch der Vorwurf Hinderers nicht berechtigt, die modernen Lyriker und damit auch Domin würden sich auf die ästhetische Autonomie zurückziehen und damit von der „profanen Praxis“ in eine „schwerelose Gegenwelt“ fliehen. Bei der Abgrenzung zur Agitproplyrik spricht Hilde Domin vom Gebrauchswert der Lyrik, nämlich von ihrer Fähigkeit, sich durch Gebrauch kontinuierlich zu erneuern, während Programmgedichte verbraucht würden. Mit Überholung ihres konkreten historischen Anlasses verblaßten sie und gerieten in Vergessenheit. Überdies seien sie Teil der Zustände, die sie bekämpften, indem sie sich zum „Instrumentar der Steuerung“ machten, d. h. „indem sie Emotionen benutzen und Kritik ausschalten, erhöhen sie nicht Bewußtsein, sondern engen die Sphäre der Freiheit ein“ (Nachkrieg/148). Sich der Methoden der Werbung bedienend, degradieren sie den Leser, der in Richtung auf eine bestimmte Ideologie überredet werden soll, zum Objekt, anstatt ihn zum Subjekt eines Erkenntnisprozesses zu machen. Von hier aus gesehen wird auch Hilde Domins Paradoxon vom Gedicht, das unnütz und unverzichtbar zugleich ist, verständlich. In der modernen Gesellschaft ist unnütz, was nicht an die Mechanismen des Funktionierens angepaßt ist. Daraus folgt aber, daß die 53 Ders., a. a. O., S. 353. 54 Ders., Gemeinplätze, die neueste Literatur betreffend. In: Kursbuch 15, Frankfurt am Main 1968, S. 353. 144

Das öffentliche Gedicht

Nutzlosigkeit des nicht angepaßten Gedichts in Wahrheit nützlich und darum unverzichtbar ist. Gerade diesen Aspekt betont auch Marcuse. Die technologischen Fortschritte der modernen Industriegesellschaft führen nach Marcuse zu einer „Entsublimierung“ der „höheren Kultur“. Die Wirklichkeit übertreffe die Kultur und nehme ihr damit ihre „oppositionellen und transzendenten Elemente“, die eine „andere Dimension“ der Wirklichkeit zu schaffen imstande waren.55 In der modernen Industriegesellschaft verliert die Kunst die Fähigkeit, Alltagserfahrung zu transzendieren, weil sie selbst angepaßt und zum Konsumartikel degradiert wird. Sie verliert damit die „Kraft der Negation“ und damit das Humane. „Sie kann ihre eigene Sprache nur so lange sprechen, wie die Bilder lebendig sind, welche die etablierte Ordnung ablehnen und widerlegen.“56 Kunst kann sich somit nur legitimieren, wenn man sie als engagierte Kunst versteht, die diesen Prozeß der Enthumanisierung durch sprachliche Innovation bewußt macht. 2.8.2 Die appellative Form der späten Gedichte A poem should not mean but be. (Archibald MacLeish)

Mit dem 1977 erschienenen Band Ich will dich schlägt Hilde Domin völlig neue Wege ein. Das Aussagesubjekt tritt in diesen Gedichten gänzlich hinter das Aussageobjekt zurück. Weil die Dichterin Verfolgung und Vertreibung am eigenen Leibe erfahren hat, reagiert sie mit verschärfter Wahrnehmung auf politische und gesellschaftliche Zustände. Sie sagt: „Ich habe hier in Deutschland mehr Vertrauen

55 Herbert Marcuse: Der eindimensionale Mensch. Neuwied und Berlin 1967, S. 76. 56 Ders., S. 82. 145

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verloren als je zuvor in meinem Leben. Hier kommt die gesteuerte Gesellschaft besonders gut ans Ziel, weil die Widerspenstigkeit fehlt.“57 Der Titel in Verbindung mit HAP Grieshabers Umschlagvignette – eine Taube, Vogel der Venus – lassen sofort an Liebesgedichte denken. Diese Lesererwartung wird durch die Gedichte selbst ganz und gar enttäuscht. Es handelt sich hier um Verse, die von öffentlichen, konkreten Ereignissen ausgehen. Das ist neu in der Lyrik Domins. So zielt das subjektiv klingende „Ich will dich“ des Titelgedichts nicht auf das Persönliche, sondern auf das Allgemeine: Freiheit! Nach Domin ist Dichtung Ausdruck geistiger Freiheit, weil sie Unabhängigkeit von politischen Machtinstanzen demonstriert. Es handelt sich also im Sinne von Adorno und Enzensberger um politische Gedichte. Freiheit kann nur erreicht werden, wenn die Sprache nicht mehr mißbraucht, wenn jedes Wort verantwortet wird. Als Rezeptionshaltung verlangt das politische Gedicht vom Leser nicht die des delectare, sondern kritische Distanz und Auseinandersetzung. Hilde Domins späte Gedichte zielen weit mehr auf direkte Kommunikation als die frühen. Das jetzt öffentliche Gedicht wird schon mit dem im ersten Band erschienenen „Wen es trifft“ (I/46–52) vorweggenommen, das seinerzeit großes Aufsehen erregte und das Meller58 gleichberechtigt neben Celans „Todesfuge“ und Nelly Sachs’ „Chor der Geretteten“ stellt. 1953 geschrieben, wurde es inzwischen mehrfach vertont.59 Es spricht von der graduellen Desintegration des Opfers unter wachsender 57 Emuna, a. a. O., S. 157. 58 Horst Meller, a. a. O., S. 362. 59 Enthalten als Madrigal I, II und III in dem „Kammeroratorium nach dem Alten Testament und Texten von Hilde Domin für Alt, Tenor, Chor und Instrumente“ mit dem Titel „Historie vom Propheten Jonas“, von Hans Vogt geschrieben zwischen Oktober 1978 und Januar 1979 in der Villa Massimo in Rom. 1980 vertonte Neidhard Bethge es unter unter dem Titel „Appell“. 1981 fand es sogar Anklang bei einer Rockgruppe, „soma“, die es für einen Jugendgottesdienst vertonte und es später auf dem Hamburger Weltkirchentag vor fast fünftausend Zuhörern aufführte, Titel „Hiob heute“. 146

Das öffentliche Gedicht

Verfolgung. Zunächst beraubt man den Verfolgten seiner persönlichen Dinge: „Die Knöpfe, der Schmuck und die Farbe / werden wie mit Besen / von seinen Kleidern gekehrt“; dann greift man in seine Intimsphäre ein: „dann wird er entblößt / und ausgestellt“. Er wird so lange gedemütigt, bis er die Selbstachtung verliert. Es ist aufschlußreich, daß die Autorin hierfür sich einer Metaphorik aus dem „Küchenbereich“ bedient, die nichts Poetisches oder Erhabenes an sich hat: „Er wird unter Druck / in Tränen gekocht / bis das Fleisch auf den Knochen weich wird. / […] Er wird durch die feinsten / Siebe des Schmerzes gepreßt / und durch die unbarmherzigen Tücher geseiht“. Hat man so seine Persönlichkeit zerstört, wird er ermordet: „und weil Herbst ist / soll sein Blut / die großen Weinreben düngen / und gegen den Frost feien“. Aber so wie es ihn, obwohl ohne Schuld, trifft, so entkommt er zufällig „aber durch kein erkennbares / Verdienst“ den Verfolgern. Er verliert langsam die Angst und faßt wieder Vertrauen. Dies wird in ein surrealistisches Bild gefaßt: „Sein entlaubter / Freudenbaum / treibt neue Knospen“. Das Gedicht endet mit der Warnung, auf der Hut zu sein, nie auf die Seite des Jägers zu geraten. War bis jetzt immer von einem neutralen „er“ die Rede, wendet sich das lyrische Ich nun direkt an ein „Du“: „Du aber / […] bücke dich und streichle, / ohne es zu knicken, / das zarte Moos am Boden / oder ein kleines Tier, / ohne daß es zuckt / vor Deiner Hand“. „Hand“ steht hier wieder als Pars pro toto für „Menschlichkeit“. Halte diese Hand rein, bewahre deine Menschlichkeit, darin gipfelt die Aussage des Gedichts, damit du am Ende deines Lebens sagen kannst „Lebe wohl, / meine Hand. / Du warst ein liebendes / Glied / zwischen mir und der Welt“. Dem Ziel nach direkter Kommunikation entsprechend, wendet sich die Autorin in ihrer späten Lyrik von solchen beschreibenden Gedichten ab. Sie bedient sich immer häufiger der Spielarten des Gnomischen, wie des Spruchs, des Aphorismus, des Epigramms; eine Tendenz, die schon in Band III beginnt. Die neuen Gedichte sind spröde, sie wollen provozieren. Der Forderung nach Freiheit wird Priorität eingeräumt. Voraussetzung für Freiheit sieht Domin im richtigen Benennen. Das Titelgedicht thematisiert diese Forderung, 147

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wobei der Anspruch auf Freiheit durch die Verwendung des Apokoinus „ich will dich“ doppeldeutig ist: Einerseits klingt er wie ein Bekenntnis: „Freiheit / ich will dich“; andererseits soll dem Wort die ursprüngliche Bedeutung zurückgegeben werden: „ich will dich / aufrauhen mit Schmirgelpapier“. Die Abgegriffenheit des Wortes wird in der zweiten Strophe durch Zitieren eines geflügelten, inzwischen inhaltleeren Wortes von Schenkendorf unmittelbar dargestellt durch Verbindung der ersten mit der fünften Zeile: „Freiheit / die ich meine“. Der Begriff der Freiheit wird jedermanns Absichten entsprechend zurechtgerückt, so daß er heute bedeutungslos ist: „Modefratz // Du wirst geleckt / mit Zungenspitzen / bis du ganz rund bist / Kugel / auf allen Tüchern“. Aus dieser Verschüttung soll das Wort nun mit allen Mitteln befreit werden, so daß es wieder in seiner ursprünglichen Bedeutung gebraucht wird: „ich will dich mit Glassplittern spicken / daß man dich schwer auf die Zunge nimmt / und du niemandes Ball bist“. Die scharfen Versbrüche, das Staccato des Rhythmus verleihen der Forderung ihre Dringlichkeit, unterstützt noch von dem spröden Klangbild. Vorherrschend sind das spitze „i“ und eine Häufung von Konsonanten. In der fünften Strophe verleiht die Autorin ihrer Forderung Gewicht, indem sie sich auf Konfuzius beruft. Die dreimalige insistierende Wiederholung „sagt er“ wirkt suggestiv wie eine Litanei: „Die Eckenschale sagt er / muß / Ecken haben / sagt er: Oder der Staat geht zugrunde // Nichts weiter sagt er / ist vonnöten“. Das sinntragende Hilfsverb „muß“ beansprucht eine Zeile für sich allein, so der Forderung Nachdruck verleihend. Auch „Nennt“ wird durch Isolierung hervorgehoben, d. h. erst mit dem richtigen Gebrauch des Wortes wird auch Freiheit möglich. Forderungen und Aufrufe herrschen in der späten Lyrik vor. So ist das dritte Gedicht des Triptychons „Drei Arten Gedichte aufzuschreiben“ (IV/11) ursprünglich sogar unter dem Titel „Postulat“ 1968 in der FAZ veröffentlicht worden. Auch hier drückt sich formal das Wollen, durch Lyrik gesellschaftliche Tugenden im Menschen zu mobilisieren, in der vorwärts drängenden Bewegung des Verses, dem Daktylos ähnlich, aus: „Ich will einen Streifen Papier“. Der Daktylos 148

Das öffentliche Gedicht

wird aber nicht durchgehalten, vielmehr ist der Rhythmus variabel mit Betonung der Satzanfänge, so daß die Signalwörter „Zivilcourage“, „Mit-Schmerz“, „Solidarität“ den Akzent tragen. Die Bewegung des Gedichts drängt zu dem zentralen Vers „heimisch zu machen im Tun“. Hier hat Lyrik direkt die Funktion, zum Handeln aufzurufen. Im zweiten Teil des Gedichts, der mit dem Auftakt „Mensch“ beginnt, ist der Rhythmus durch die Kürze der Zeilen noch drängender. „Mensch“, „Tier“, „Gedicht“ beanspruchen als sinntragende Elemente jeweils eine Zeile für sich und werden so aus dem Kontext herausgehoben. Auffällig ist das dreimalige Gegenüberstellen von „Mensch“ und „Tier“. Die nominale Wortgruppe in Zeile 19 entspricht einer Tendenz zum Absoluten: „Mensch Fremdwort-Tier Wort-Tier“. Eine dramatische Zuspitzung erfolgt in den Zeilen 20/21 „Tier / das Gedichte schreibt“. Der letzte Teil (Zeile 22 bis 28) besteht aus einem einzigen, syntaktisch durchkonstruierten Satz, der in einem Werbeslogan ausschwingt: „Trink Coca-Cola“. „Zivilcourage“ und „Solidarität“ erschließen dem Gedicht eine politische Dimension. Sie sind nicht nur Fremdwörter im grammatischen Sinne, sondern sie bezeichnen gleichzeitig Eigenschaften, die dem Menschen fremd sind und denen er die Fremdheit nehmen soll, indem er sie heimisch macht im Tun. Auffällig sind die paradoxen, zu einer neuen Bedeutungseinheit zusammentretenden Wortverknüpfungen „WortTier“, „Fremdwort-Tier“. Der Bindestrich weist beide Elemente als gleichberechtigt aus. Solche alogischen Wortverbindungen stellen die abendländische Ontologie infrage. „Mit-Schmerz“ ist lediglich eine Intensivierung des Wortes „Mitleid“, das durch automatischen und unreflektierten Gebrauch zu abgegriffen wäre. Durch den überraschenden Schluß in Form eines zitierten Werbespruches, der das Gedicht in den Bereich des Trivialen rückt, wird die dringende Forderung relativiert und ironisch gebrochen und wirkt damit schockierend auf den Leser. Gedichte können Handeln nicht ersetzen, können die Wirklichkeit nicht unmittelbar verändern. Sie können jedoch die Menschen mobilisieren, ihr Bewußtsein für die unvollkommene Realität sensibilisieren, 149

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

die Wahrnehmung schärfen. Sie können etwas bewirken, „damit es anders anfängt / zwischen uns“. Diese Zeilen, die dem Buch als Motto mitgegeben werden, sind einem der stärksten Gedichte entnommen, das einen Appell an die Brüderlichkeit unter den Menschen enthält: „Abel steh auf“ (IV/28/29). Kain und Abel dienen hier paradoxerweise als Symbol für die vollkommene Brüderlichkeit. Sie sollen ihren Nachfahren ein Vorbild sein. Der Bibelmythos vom Brudermord dient der Autorin dazu, Angst und Hoffnung auszudrücken; Angst, daß der Mythos sich zwangsläufig wiederholen könnte. Dagegen soll der Appell „Abel steh auf“ wirken. Dieser Anruf steht am Anfang einer Utopie, in der gilt: wir können alle Kirchen schließen und alle Gesetzbücher abschaffen in allen Sprachen der Erde wenn du nur aufstehst und es rückgängig machst die erste falsche Antwort auf die einzige Frage auf die es ankommt. Im Hebräer-Brief 11/4 heißt es: „Durch den glauben hat Abel Gott ein grösser Opffer gethan/denn Kain“ (!). Auf die Frage des Herrn: „Wo ist dein bruder Habel?“ (!), antwortet Kain: „Ich weis nicht / Sol ich meines Bruders Hüter sein“ (!) (1 Mose 4,2). Aus dieser Antwort leitet die Autorin einen neuen Ansatz ab. Der Mensch muß der Hüter seines Bruders sein. Denn nur dann hätten Machtinstanzen ihren Sinn verloren. Es handelt sich mitnichten um den Aufruf zur gewaltsamen revolutionären Veränderung der Gesellschaft. Vielmehr soll der Einzelne als zoon politicon sozial handeln. Er soll in seinem unmittelbaren Umkreis Verantwortung übernehmen:

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Das öffentliche Gedicht

steh auf damit Kain sagt damit er es sagen kann Ich bin dein Hüter Bruder Hilde Domin entwirft keine Welt, in der der Mensch nur gut ist, sondern eine, in der er gut werden kann, wenn er bei sich selbst ansetzt, „Mit-Schmerz“, „Zivilcourage“ zeigt, „Solidarität“ beweist, wie es das Gedicht „Postulat“ fordert. Die Brüderlichkeit ist um so vollkommener, als sie sich in einer Welt verwirklichen soll, in der der Brudermord, Symbol für die Massenmorde unserer nahen Vergangenheit, bereits geschehen ist. Daß die Dichterin den Abel-Kain-Mythos zum Ausgangspunkt des Entwurfs zu einer neuen Menschheit unter dem Zeichen der Brüderlichkeit und Nächstenliebe wählt, zeigt deutlich, daß sie ihre Utopie auf der Angst aufbaut. Ausgangspunkt ist der Mensch im Zustand der Schuld, für den es nur zwei Möglichkeiten des Neuanfangs gibt: Entweder er verfällt in Hoffnungslosigkeit und Resignation oder er bringt den Mut auf zur Veränderung. Das Gedicht „Abel steh auf“ ist nicht mehr assoziativ, sondern gezielt direkt. Monoton kreist es um den Grundgedanken, den Neubeginn unter den Menschen, und variiert ihn. Die thematische Engführung, konstitutiv für die späten Gedichte, hat Anklänge an die musikalische Fuge. In „Graue Zeiten“ (IV/14–18), einem Zyklus aus vier Gedichten, wird diese Kompositionstechnik verfeinert. Die Gedichte evozieren noch einmal die Leiden des Verfolgtwerdens. Es sind Warngedichte, die von vergangenen Ereignissen sprechen, und von der Angst, sie könnten sich wiederholen. Anlaß waren antisemitische Äußerungen in der Deutschen National- und Soldatenzeitung. Eine Forderung, die Lyrik ganz generell die Funktion zuschreibt, dem Vergessen vorzubeugen, eröffnet das erste Gedicht: Es muß aufgehoben werden als komme es aus grauen Zeiten 151

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Vier regelmäßig gebaute Strophen und ein Zweizeiler evozieren Simultaneität von Ereignissen, nämlich: „fuhren auf Schiffen hin und her / und konnten nirgends landen / durften nicht bleiben / und konnten nicht gehen / grüßten unsere Freunde nicht / und wurden nicht gegrüßt / standen an fremden Küsten / um Verzeihung bittend daß es uns gab / wurden bewahrt“, durch zum Schluß immer kürzer werdende Wiederholung „Menschen wie wir wir unter ihnen“. In den Zeilen 17 und 18 erfolgt ein Übergang von „wir“ zu „ihr“: „Menschen wie wir wir unter ihnen / Menschen wir ihr ihr unter ihnen“, dadurch den Gedanken der Willkürlichkeit unterstreichend. Diese beiden Motive verschmelzen in Zeile 19 miteinander zu „jeder“, Zäsur wie vorläufiger Höhepunkt des Gedichts, Zäsur, weil von diesen Zeilen an das Grundthema breiter ausgeführt wird. Die letzte Strophe mündet wieder in die erste: „Die grauen Zeiten / ich spreche von den grauen Zeiten / als ich jünger war als ihr jetzt“. Diese Aussage steht jedoch im Widerspruch zum Anfang. Glaubte man zu Beginn, Ereignisse aus der Vorzeit der Menschengeschichte zu vernehmen, was der Ausdruck „graue Zeiten“ impliziert, so enthüllt der paradoxale Schluß, daß diese Zeiten kaum vergangen sind, ja daß ihre entsetzlichen Folgen bis in die Gegenwart hineinreichen. Wie beklemmend aktuell das Gedicht heute sein würde, konnte die Autorin damals nicht ahnen: „Menschen wie wir wir unter ihnen / fuhren auf Schiffen hin und her / und konnten nirgends landen“. Wer würde beim Lesen dieser Zeilen nicht an die mit einem Euphemismus umschriebenen boat people denken, die auf dem südchinesischen Meer trieben und nicht ans rettende Land durften. So wurde in den dreißiger Jahren den Menschen, die auf den sogenannten Judenschiffen auf den Ozeanen trieben, die Landung ans rettende Ufer verwehrt. Im zweiten Gedicht wird der konkrete Anlaß für diesen Zyklus explizit genannt „Die Köpfe der Zeitungen / das Rot und Schwarz / unter dem Worte ,Deutsch‘“. Daß das Morgen schon im Heute aufgehoben ist, daß es nur einer Kleinigkeit bedarf, um die entsetzlichen Ereignisse der Vergangenheit zu wiederholen, drückt sich in 152

Das öffentliche Gedicht

den letzten Zeilen aus: „Montag viel Dienstag nichts / zwischen // uns und den grauen Zeiten.“ Das dritte Gedicht evoziert die Angst, für die es noch keine konkreten Gründe gibt, nur Anzeichen, die aber gefährlich genug sind, die Existenz von „Menschentieren“ in einer noch sorglosen Zeit zu ahnen, „wir lachen vielleicht“. Die Bewegung der Gedichte läuft hier in einem „Du“ aus. Das letzte Gedicht des Zyklus verschränkt und konzentriert in kunstvoller Verfugung alle Themen der drei vorhergehenden. Es erfolgt jetzt eine Gegenbewegung von „Du“ über „ihr“ zu „wir“. Die fugale Kompositionstechnik ermöglicht es hier, die vielfältigen nebeneinander existierenden Bezüge der Wirklichkeit zu erfassen und darzustellen.60 Die syntaktischen Verläufe sind teilweise stark gekürzt, isolierte Worte und Wortgruppen werden immer enger zusammengezogen: „dich / und den / und den / Menschen wie wir / […] / Die Köpfe der Zeitungen / das Rot und das Schwarz“. Die Verschränkung der Themen schwingt aus in dem nun durchkonstruierten Satz, der ein neues Motiv einführt: „Die Toten fürchten sich“. Der aktuelle Zeitbezug für dieses neue Motiv, das aber als Höhepunkt alle anderen in sich vereinigt, waren die Schändungen jüdischer Friedhöfe in Heidelberg, Domins jetziger Heimatstadt, und in anderen deutschen Städten. In ihren autobiographischen Schriften gesteht die Dichterin, daß sie beim Lesen der entsprechenden Nachrichten außer sich geriet und daß die Angst vor erneuter Verfolgung sie zu einer überstürzten Flucht aus ihrer Heimat veranlaßte. Diese Angst drückt sich eindrucksvoll in den letzten Zeilen des Gedichts aus, die Zusammenfassung und Höhepunkt in einem sind: „Dies ist ein Land / in dem die Toten sich fürchten“. 60 Hier liegt sicher ein konkreter Einfluß von Paul Celan vor, der in seiner „Todesfuge“ das Grundthema „schwarze Milch der Frühe“ und die Variationen „ein Mann wohnt im Haus“/„dein goldenes Haar Margarete“ immer enger zusammenzieht und dadurch die Gleichzeitigkeit von Sterben und Leben stilistisch bewirkt. 153

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Die Nachricht, daß in einer Fabrik in den Vereinigten Staaten Tauben das Sortieren am Fließband übernehmen, löst in Hilde Domin einen solchen Schrecken aus, daß sie durch Schreiben des Gedichtes „Abschaffung des Befehlsnotstands. Perspektive“ (IV/23–25) versucht, sich davon zu befreien. Die Taube ist in diesen Versen Symbol für die ausgebeutete Natur und die mißbrauchte Kreatur: „die unwissende Taube“. Esau, Abel und Kain eröffnen den Bezug zu einer Welt des Betrugs und des Totschlags, in der niemand die Verantwortung übernimmt: „Elektronenbefehl“, „wo keiner die Hand hebt“, und in der die Menschen wie Automaten funktionieren: „lösen Kontakt aus“, „Hebel lösend“. Um diese Worte und Wortgruppen kreist das Gedicht. Die Zeile „Ihr Hals war kupfergrün“, Zitat aus einem Liebesgedicht von Ali ben Hism, ruft als Antithema die Taube in ihrem Naturzustand hervor. Das Bild der automatisch reagierenden Kreatur weitet sich zu einem Angsttraum, daß auf diese Weise mißbrauchte Geschöpfe ebenfalls automatisch den Tod anderer herbeiführen werden: „die arbeitende Taube / genau / scharfäugig / lidlos“. Ausgelöst wird dieser Gedanke durch das Wort „Fließband“, und die Zeilen „Blut kann fließen Gas kann fließen“. Das Aufzeigen der Widersprüche dieser Welt erfolgt durch wechselndes Gegenüberstellen der Welt Abels und der Welt Kains. Aber auch Abels Welt ist nicht mehr rein: „Abels Opfertauben / gemästet an Kains Korn“. Diese letzte Zeile der ersten Strophe wird verstärkend als erste Zeile von Strophe 2 aufgenommen. Nach dem langsam strömenden Rhythmus der beiden ersten Zeilen, „Nichts hat mich so verwirrt wie eine Taube / Ein Taubenschnabel drückt den Hebel nieder“, wird der Rhythmus drängend und abgehackt durch die Kürze der Zeilen und das bruchstückhafte Nebeneinanderstellen von sinntragenden Wörtern, so die Angst des lyrischen Ich spiegelnd: „Taube / den Schnabel senkt / blaue Taube schillernd / Taubenschnäbel / lösen Kontakt aus // Fließband / alles fließt / Blut kann fließen Gas kann fließen / Taube / gurrender Täter / pickend / Hebel lösend / Kains Korn / Taube …“. Ein scharfer Versbruch zwingt dazu, das Wort „Elektronik“ besonders stark zu akzentuieren „der Elek / tronik“, wodurch inhaltlich die Bedeutung von 154

Das öffentliche Gedicht

der Technologie, die den Menschen in Abhängigkeit bringt, in den Vordergrund rückt. Schwache Zeichen der Hoffnung „alle Abel kein Kain“ werden sofort durch die folgende Zeile relativiert: „alle Kain“. In den Zeilen 54 bis 56 werden antithetische Werte beschworen „Taube / Heiliger Geist / Botschafter Taube“. Heiliger Geist bedeutet Erleuchtung und steht hier vielleicht für die Hoffnung, daß der Mensch sich selbst der Gefahr bewußt wird, in die er sich hineinmanövriert hat. „Botschafter Taube“ in Verbindung mit „Liebesvogel“ gesehen (Zeile 31), signalisiert „Botschafter der Liebe“. Diese beiden Bedeutungen bereiten den Boden vor für den Aufruf, der das Gedicht beschließt: „Friß das Korn nicht Bruder Taube“. Damit ist auch impliziert: „damit es anders anfängt zwischen uns“ aus „Abel steh auf“. Die Problematik dieses Gedichts wird aufgenommen in dem ein Jahr später entstandenen „Das ist es nicht“ (IV/12/13). Hier ist es ein Mensch, der als gefühlloser Automat handelt. War der Tod in den frühen Gedichten Symbol der Zuflucht vor der Bedrohung in der Welt, so wird er hier zu einem Bild des Schreckens, weil der willkürlich einem Mitmenschen zugefügte Tod gemeint ist. Der Aufseher in einem KZ, der sich fatalistisch mit den politischen Zuständen abfindet, keine „Zivilcourage“ hat, keine „Solidarität“ beweist, begibt sich seiner Menschlichkeit. Sein menschliches Versagen löst gerade durch die lakonische Sageweise im Gedicht beim Leser Entsetzen aus: Auf dem großen Trichter auf dem wir alle hinuntermüssen seid ihr nur näher unten ich bin noch weiter oben am Rand sagte ein Aufseher im KZ zu noch lebenden Menschen Menschen die ihre Grube gruben vor ihrer Erschießung er der Schießende Ihr seid näher am Rand Wie nah wir am Rand sind weiß keiner daß es sich dreht 155

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

es dreht sich er war oben und stieß sie hinunter mit diesem Trost Trotzdem ist „Abschaffung …“ letzten Endes makabrer, weil das stilistische Prinzip der aufgelösten Syntax, der Reduktion auf einzelne Wörter, das Ausschwingen mitten im Satz alle nicht niedergeschriebenen Schrecken mit anschlägt. Es entsteht dadurch der Eindruck, die Autorin habe ob des Entsetzens den Satz nicht zu Ende führen können. Der Angst vor Rechtsradikalismus und Neofaschismus entspricht die Angst vor dem Verstummen des Dichters. Dieses Verstummen wird dem Tod überhaupt gleichgesetzt: dem Wortetod dem Tod meinem Die Angst, die den Atem benimmt, findet auch in „Angsttraum I“ (IV/37) ihr stilistisches Analogon in der aufgebrochenen Syntax und dem abgehackten Rhythmus. Aber auch hier wird die Angst relativiert und ironisiert durch Einfügen eines trivialen Elementes aus der Kindersprache: „tiptap / meine Worte“. Der einzige durchkonstruierte Satz in der Mitte des Gedichts zeigt sich als bedrohliches Retardando vor dem beschworenen Tod. Das Gedicht endet in einem paradoxen Bild, durchgehendes Stilprinzip in der Lyrik Domins: „ihr Kolibrifüße // Fußstapfen fußloser Vögel“. Als Antithese stehen diesen Angstgedichten die gegenüber, in denen der Kunst eine unmittelbare Wirkung zugeschrieben wird. Der Vorgang des Dichtens wird in „Geburtstage“ (IV/40) mit dem kreatürlichen Vorgang des Gebärens verglichen: Ich habe niemand ins Licht gezwängt nur Worte Worte drehen nicht den Kopf 156

Das öffentliche Gedicht

sie stehen auf sofort und gehen Schreiben ist mühevoll, aber die Mühe wird durch die fast mystische Wirkung der Worte belohnt: Bergaufwärts gerollt die Steine werden Quelle und Brot (IV/21)

Die Tendenz zum fragmentarischen Gedicht – wie sie in „Abschaffung …“ verwirklicht wird – ist bereits im dritten Band vorhanden, auf engstem Raum z. B. in „Nicht müde werden“ (III/60). Nicht müde werden sondern dem Wunder leise wie einem Vogel die Hand hinhalten Formal wird dieser Fragmentarismus sichtbar im Gebrauch von isoliert stehenden Infinitiven. Das Nichtabgeschlossene liegt hier nicht im semantischen, sondern im grammatischen Bereich. Durch die nicht an ein Subjekt gebundenen Infinitive bleibt offen, ob die Zeilen an ein „Du“ oder an das lyrische Ich selbst gerichtet sind, ob sie eine Aufforderung oder einen Wunsch beinhalten. Dadurch gerät das Gedicht in einen nicht abgeschlossenen Bedeutungsprozeß. In den Gedichten aus Band IV verzichtet die Autorin darüber hinaus auf jegliche Interpunktion. Das erfordert Konzentration auf das einzelne Wort, weil syntaktische Grenzen nicht mehr zu erkennen sind. Die Folge sind gewollte Sinnverschiebungen und Bedeutungsambivalenzen, die noch durch die stilistische Figur des Apokoinu begünstigt wird. 157

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

Daß diese Offenheit gewollt ist, geht aus den Zeilen hervor, in dem die Autorin das Weglassen der Interpunktion begründet: Weil sich die Neger fürchten weil sich die Weißen fürchten fürchten meine Worte ein einfaches Komma eingesperrt zwischen Satzzeichen offene Fenster offene Zeilen meine Worte haben Angst vor dem Verrat des Menschen an dem Menschen versuche ihn nicht lasse alle Türen offen presse uns nicht uns Wolken (IV/26)

2.9 Traditionelle Elemente und mythische Referenzen in den Gedichten Hilde Domins Die traditionellen Elemente in der Dominschen Lyrik beziehen sich einmal auf die Übernahme von Motiven und Stoffen,61 zum anderen auf den Stil. Bewußte Übernahme von Motiven aus der Antike, 61 Vgl. hierzu Karl Otto Conrady: Moderne Lyrik und die Tradition. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 41 (1960), S. 287–304. Conrady weist nach, 158

Traditionelle Elemente und mythische Referenzen

der Bibel oder der Literatur werden in einen neuen Zusammenhang gestellt und brechen damit automatisierte Wahrnehmungsschemata auf. Das Leben als Kahnfahrt, der Tod als Ankunft, sind Topoi, die von der Antike bis in die Moderne reichen. In dem Gedicht „Nacht“ (III/21) wird er mit dem Ophelia-Motiv verknüpft und erfährt dadurch eine Umdeutung. „Man hat mich Tote aufs Wasser gelegt / ich fahre die Flüsse hinunter // die Rhône den Rhein den Guadalquivir / den Haifischfluß in den Tropen“. Ein Bild des Untergangs wird hervorgerufen durch die Parallele zu der unselig geopferten Ophelia. Das Motiv wurde in der Lyrik zum erstenmal von Rimbaud aufgenommen: „Sur l’onde calme et noire où dorment les étoiles / La blanche Ophélia flotte comme un grand lys, / Flotte très lentement, couchée en ses longs voiles … / – On entend dans les bois lointains des hallalis.“62 Durch Anklänge an Brechts Ballade „Vom ertrunkenen Mädchen“63 wird dieses Bild des Untergangs noch intensiviert: „Als sie ertrunken war und hinunterschwamm / Von den Bächen in die größeren Flüsse“. Eine Flucht in den Tod wird verhindert, weil die Charonsmünze, die man den Toten vor der Bestattung in den Mund legte, nicht bereitgehalten wird: „Ich ohne Münze zwischen den Zähnen“. Das lyrische Ich kann sich der existentiellen Bedrohung nicht durch Flucht in den Tod entziehen, muß sich vielmehr der Wirklichkeit stellen: „ich treibe in meinem Bett / an den barmherzigen // Bewahrern / geliebter Toter vorbei // überzählig / unnützer als Treibholz // in den Tag“. Daß Ankunft generell nicht möglich ist, wird vertieft durch die Zeilen „Auf keine Weise / ist Ankunft“ aus dem Gedicht „Vertrackt“ (III/34). Diese Aussage wird aber relativiert durch die Nähe daß die Übernahme von einzelnen traditionalen Elementen, die zu Mustern werden, bei der gesamten Moderne zu finden ist. Er spricht in diesem Sinne von „Eindeutung“ (S. 435). Er hebt ferner hervor, daß traditionalistische Elemente darüber hinaus schon deshalb wirksam bleiben, weil die Sprache aus Wörtern mit einem überlieferten Bedeutungsgehalt besteht. 62 Rimbaud, a. a. O., S. 46. 63 Bertolt Brecht: Gesammelte Werke in 20 Bänden. Gedichte I. Frankfurt am Main 1967, S. 252. 159

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

zu den Versen von Nelly Sachs: „O keine Ankunft / ohne Tod“.64 Das Gedicht „Nacht“ steht auch in einem Verweisungszusammenhang mit „Treulose Kahnfahrt“ (I/56). Das Motiv der Kahnfahrt ist hier verknüpft mit dem Traum. Aber auch der Traum führt nicht zum Ziel, bringt nur böses Erwachen: „du bist noch unterwegs nach der Wiese im Licht, / wenn der Sand schon unter dem Kies knirscht, / im Schatten der Weiden“. Der Topos vom Leben als Traum wurde aufgrund seiner Moral von der Nichtigkeit des irdischen Lebens in der Barockdichtung bevorzugt variiert. Bei Hilde Domin tritt er auch noch an anderer Stelle auf: „Dies Jahr ein Sarg. / Du hast ein volles Jahr / mit einem toten Traum geschlafen. // Du lebst / und bist so unbeschützt, / so unbeschützbar, // wie alle Lebenden / die lange im Grab / eines Traums gelegen haben“ (III/43). Häufig sind die Anklänge an die Bibel, sowohl was die Motive als auch was den Stil angeht. Biblische Gestalten werden heraufbeschworen, einmal um einer Aussage Nachdruck zu verleihen: „Der Bruder wird nie / das Feuer wie Abel richten / Und doch immer gekränkt sein“. Vor allem aber, um die Geschichte neu zu begründen wie in „Abel steh auf“. Durch das Herauslösen aus dem überlieferten Zusammenhang werden neue Verweisungsfelder geschaffen und die Möglichkeiten der Bedeutung erweitert. Dies wurde bereits an den „Liedern zur Ermutigung“ nachgewiesen. Häufig werden Zitate eingebaut, in den nachfolgenden Zeilen auch, um einen Sachverhalt zu akzentuieren: „Denn wir essen Brot, / aber wir leben vom Glanz“ (Die Heiligen, I/30). Die Heiligen, die müde geworden sind, widerstehen der Versuchung, aus den Kirchen zu emigrieren, weil Kinder Wunder brauchen: „Und darum gehen sie nicht: / damit es eine Tür gibt / eine schwere Tür / für Kinderhände, / hinter der das Wunder / angefaßt werden kann“. Die Parallele in der Versuchungsgeschichte lautet: „Da ward Jheses vom Geist in die Wüsten gefurt / Auff das er von dem Teuffel versucht würde. Und da er vierzig tag und vierzig nacht gefastet hatte / hungert in. Und der Versucher trat zu im / und 64 Nelly Sachs: Fahrt ins Staublose. Gedichte. Frankfurt am Main 1961, S. 311. 160

Traditionelle Elemente und mythische Referenzen

sprach / Bistu Gottes son / so sprich / das diese stein brot werden. Und er antwortet / und sprach / Es steht gechrieben / Der Mensch lebet nicht vom Brot alleine / sondern von einem iglichen Wort / das durch den Mund Gottes gehet“ (Math. 4, 1–4). Eine andere Funktion der Bibelzitate liegt darin, über die geschichtliche Zeit hinweg einen neuen, säkularisierten Zweck einzubinden, wie in dem Gedicht „Tunnel“ (III/57): „Zu dritt / zu viert / ungezählte, einzeln // allein / gehen wir diesen Tunnel entlang / zur Tag- und Nachtgleiche // drei oder vier von uns sagen die Worte / dies Wort: // ,Fürchte dich nicht‘ / es blüht / hinter uns her“. Der Tunnel bedeutet Dunkelheit, Unwissenheit, er impliziert das Licht an seinem Ende, welches im Gegensatz zur Dunkelheit Aufklärung bedeutet. Diese Aufklärung geschieht durch das Wort: „,Fürchte dich nicht‘“, das Hilde Domin durch Anführungszeichen explizit als Zitat kenntlich macht. Diese Worte spricht der Engel Gabriel zu Maria, die vor seinem Erscheinen erschrickt: „Fürchte dich nicht Maria / Du hast gnade bey Gott funden. Sihe / Du wirst schwanger werden im Leibe / und einen Son geberen / des Namen Soltu Jheses heissen. Der wird gros. / und ein Son des Höhesten Genennet werden. Und Gott der Herr wird im den Stuel seines Vaters David geben. Und er wird ein König sein über das Haus Jacob Ewiglich / Und seines Königreichs wird kein Ende sein“ (Lk. 1, 29–33). Aber auch Jesus befreit mit diesen Worten die Menschen von der Furcht: „Fürchte dich nicht / Gleube nur“ (Mk. 5, 36). Im Gedicht geht die Botschaft auf: „es blüht / hinter uns her“. In Verbindung mit den Bibelzitaten gesehen, weist diese Zeile einmal auf eine Erneuerung der Menschheit hin, zum anderen, daß diese Erneuerung nur möglich ist, wenn jeder Einzelne seine Furcht überwindet und im Glauben an eine neue Menschheit sich aktiv am Aufbau einer Gegenwelt beteiligt. Die Erneuerung der Menschheit wird auch in „Osterwind“ durch christliche Symbolik angedeutet.65 Es zeigt sich bei Domin ein säkularisiertes, aber grundlegend christliches Weltbild. Christus ist ihr Ideal, auf ihn wird deshalb indirekt 65 Vgl. S. 116/117. 161

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

häufig verwiesen: „mit ausgebreiteten Armen“ (III/53), „dies Ja ich bin hier“ (IV/28). In „Ecce Homo“ (IV/19) weist der Titel direkt auf Christus hin. Er wird dem „Mängelwesen“ Mensch als Ideal gegenübergestellt: „Weniger als die Hoffnung auf ihn // das ist der Mensch / einarmig / immer // Nur der gekreuzigte / beide Arme / weit offen / der Hier-Bin-Ich.“ Der „Hier-Bin-Ich“ deutet auf die Offenbarung des Jahwe-Namens an Moses hin, die ausgebreiteten Arme aber auf Christus, in dem sich Gott wiederum offenbart. Hilde Domin will sich aber nicht eindeutig festlegen lassen; sie relativiert die Aussage, indem sie „gekreuzigte“ klein schreibt. Im zweiten Teil des Gedichts „Die schwersten Wege“ wird das Abendmahl evoziert als Zeichen der Hoffnung im Gegensatz zu einer ausweglos scheinenden Situation im ersten Teil: „und in deinem Haus / dir der Tisch weiß gedeckt ist. / Und die verlierbaren Lebenden / und die unverlierbaren Toten / dir das Brot brechen und den Wein reichen“ (I/60/61). Der religiöse Kontext konstituiert sich in den Worten „Kerze“, „Katakomben“, „Licht“, „Wunder“, „Gnade“. Hier wird das Schicksal der frühen Christen, die ihres Glaubens wegen verfolgt wurden, mit dem der aus rassischen Gründen Verfolgten in Verbindung gebracht. Daneben liegt ein Bezug zu Trakls „Ein Winterabend“ vor, in dem es heißt: „Wanderer tritt still herein; / Schmerz versteinerte die Schwelle. / Da erglänzt in reiner Helle / Auf dem Tische Brot und Wein“.66 In „Vorsichtshalber“ (IV/27) finden sich antike,67 biblische und Bezüge aus der Weltliteratur vereint. Diese rücken einerseits das Gedicht ins Vieldimensionale, relativieren andererseits die einzelnen Aussagen: Der Herbst kommt wir müssen Löwen an die Leine nehmen 66 Georg Trakl: Die Dichtungen. Salzburg 1938, S. 120. 67 Die Besprechung in „Frau und Beruf“ vom 2.1.1971 erwähnt ebenfalls diese Bezüge, allerdings sehr ungenau. 162

Traditionelle Elemente und mythische Referenzen

Niemand kommt uns zu nah wenn wir die richtigen Haustiere haben Größeres als der Mensch wenn es auf den Hinterbeinen steht Wer den Hund zurückbeißt wer auf den Kopf der Schlange tritt wer dem Kaiman die Augen zuhält der ist in Ordnung Die Eingangszeile assoziiert Herbstgedichte von Trakl und Storm: „Der dunkle Herbst kehrt ein voll Frucht und Fülle, / Vergilbter Glanz von schönen Sommertagen. / Ein reines Blau tritt aus verfallener Hülle. / Der Flug der Vögel tönt von alten Sagen. / Gekeltert ist der Wein, die milde Stille / Erfüllt von leiser Antwort dunkler Fragen“.68 „[…] / Herbst ist gekommen, Frühling ist weit – / Gab es denn einmal selige Zeit?“69 Gedanken an Abschied, an das Ende des Lebens, an Einsamkeit stellen sich ein. So schließt das großartige Gedicht „Herbsttag“ von Rilke mit den Zeilen: „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. / Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, / wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben / und wird in den Alleen hin und her / unruhig wandern, wenn die Blätter treiben“.70 Solche Erwartungen werden von Domin enttäuscht durch die Zeile „wir müssen Löwen an die Leine nehmen“, die zur ersten „Der Herbst kommt“ in Widerspruch steht und sie verfremdet. Droht Gefahr „Der Herbst kommt“, dann soll sich der Mensch nicht der Resignation und Tatenlosigkeit überlassen, sondern ihr kämpferisch begegnen „wir müssen Löwen an die Leine nehmen“. 68 Trakl, a. a. O., S. 117. 69 Theordor Storm: „Über die Heide“. In: Gedichte. Leipzig o. J. 70 Rainer Maria Rilke: „Herbsttag“. In: Ausgewählte Gedichte. Frankfurt am Main 1982, S. 28. 163

Themenbereiche und ihre ästhetische Vermittlung

In der zweiten Strophe wird eine Zeile aus Sophokles’ „Antigone“ aufgegriffen und gleichzeitig ironisiert und verfremdet: „Nichts ist gewaltiger als der Mensch“, ironisiert bei Domin durch „Größeres als der Mensch / wenn es auf den Hinterbeinen steht“. Die dritte Strophe stellt einen Bezug zur Bibel her, und zwar zu der Verheißung, daß durch eine Frau das Böse in der Welt vernichtet wird, indem sie den Erlöser gebiert, der der Schlange den Kopf zertreten wird: „Da sprach Gott der Herr zu der Schlangen / Weil du solches gethan hast / Seistu verflucht fur allem Vieh und fur allen Thieren auff dem felde / Auff deinen Bauch soltu gehen / und erde essen dein leben lang / Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe / und zwischen Deinem Samen und irem Samen / Der selb sol dir den Kopf zertreten“ (1. Mose 3, 14/15). Für die Nachahmung des Psalmenstils gibt es viele Beispiele in der Lyrik Domins, exemplarisch seien hier zwei herausgegriffen: „Wer wie die Biene wäre / […] / dem lägen die Felder in ewigem Glanz“ (I/64), oder: „Für uns, denen der Pfosten der Tür verbrannt ist / […] / Die wir keinen Baum / in unseren Garten pflanzten / […] / Die wir am Hügel niedersitzen […] / Für uns, die stets unterwegs sind“ (I/13). Hier steht der tradierte Stil bewußt im Widerspruch zu dem Inhalt der Gedichte, in denen vom Verlust der Tradition die Rede ist. In „Makabrer Wettlauf“ (I/38) hat der anaphorische Eingang im Stil der Bibel die Aufgabe, Simultaneität zu evozieren: „da waren meine schon Asche –, da war ich auf hoher See –, da war ich schon lange begraben“. Auch der Stil der kirchlichen Litanei wird angewandt, z. B. in den „Variationen auf einen Imperativ von Mallarmé“ (IV/20/21). Das Gedicht ist ein einziger Aufruf zum Handeln: „rufe / mit nie ermüdendem Atem / die nie ermüdenden Hände“. Durch die litaneihafte Wiederholung der Zeile „mit unermüdlicher Hand“, die leicht abgewandelt wiederholt erscheint, werden auch ungewohnte Sprachkonstellationen – durch Wortstellungen, die nicht den Regeln der deutschen Grammatik entsprechen, durch Trennung von Substantiv und zugehörigem Adjektiv – noch betont: „aufgestellt in allen Ländern / und riesige Herzen neue Totems“, „Tritte der Kreuzfahrer 164

Traditionelle Elemente und mythische Referenzen

unermüdliche“, „mit den Handflächen unermüdlichen“. Die Forderung wird relativiert durch das Prädikatsnomen „die argen“, das so unterschiedliche Substantive wie „Vögel“, „Kreuzfahrer“, „Flugzeuge“ modifiziert. Die insgesamt ironische Darstellung des Gedichtes wird ihrerseits gebrochen durch die zusammenfassende Maxime am Schluß, in der eine mystische Note unverkennbar ist: „Bergaufwärts gerollt / die Steine / werden Quelle und Brot“. In „Gegenwart“ (I/57) wird der 91. Psalm sowohl stilistisch wie motivisch aufgenommen, allerdings seine Aussage völlig ins Gegenteil verkehrt. Heißt es im Psalm: „Wer unter den Schirm des Höhesten sitzt / Und unter dem schatten des Allmechtigen bleibt, Der spricht zu dem Herren / Meine Zuversicht / und meine Burg / Mein Gott / auff den ich hoffe. Denn er errettet mich vom strick des Jegers“, so steht im Gedicht: „Wer auf der Schwelle seines Hauses geweint hat / […] / Wer die Nacht auf den Dielen / neben dem eigenen Lager verbrachte. / Wer die Toten bat / sich wegzuwenden von seiner Scham. // Dessen Sohle betritt die Straße nicht wieder, sein Gestern und Morgen / sind durch ein Jahrhundert getrennt / und reichen sich nie mehr die Hand“: Ausgeliefertsein, das Zerreißen aller Bindungen, der Bruch mit der Tradition anstelle von Geborgenheit und Gottvertrauen. „Der Pfeil trifft ihn nie“ besagt, daß seine Lage so aussichtslos ist, daß nichts ihn mehr verwunden kann, wohingegen es im Psalm heißt: „Seine Wahrheit ist Schirm und Schild, das du nicht erschrecken müssest für dem grawen des Nachts. / Für den Pfeilen die des tages fliegen“, denn „Er wird dich mit seinen Fittichen decken / und deine Zuversicht wird sein unter seinen Flügeln“. Hilde Domin wendet die Zuversicht, die der Schutz Gottes und der Glaube an ihn gewähren, ins Gegenteil: „Doch fast erschrickt ihn der Trost / wenn sich ein sichtbarer Flügel wölbt, / sein zitterndes Licht / zu beschützen“. Der Verfolgte hat den Glauben verloren. Mißtrauen kennzeichnet seine Reaktion. Das archaisierende Element wird hier bewußt eingesetzt als Mittel der Verfremdung und zur Aufdeckung von Antagonismen.

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3 Ergebnisse Hilde Domins Poetik ist nicht normativ, sondern deskriptiv. Sie entstand schrittweise in einzelnen Abhandlungen, nachdem die ersten Gedichte bereits geschrieben waren. Poetische Kategorien werden aus der künstlerischen Praxis abstrahiert. Poetik und lyrisches Werk bilden insofern eine Einheit, als das künstlerische Werk Ausgangspunkt für die kunstapologetische Position der Dichterin wird und als die dieser Poetik innewohnende Forderung nach „totaler“ Wirkungsästhetik sich aus den Gedichten selbst herleitet. Hilde Domin fühlte sich aufgerufen, in einer Zeit der Abkehr von der Lyrik diese in den sozialen und gesellschaftlichen Bereich zu verankern, sie als Prozeßhaftes in den gesellschaftlichen Prozeß zu integrieren. In dieser Absicht liegt ihre Nähe zu Brecht, für den ein Kunstwerk, das nicht die Kraft der Erneuerung in sich birgt, wertlos ist: Wie lange Dauern die Werke? So lange Als bis sie fertig sind. So lange sie nämlich Mühe machen Verfallen sie nicht. Einladend zur Mühe Belohnend die Beteiligung Ist ihr Wesen von Dauer, so lange Sie einladen und belohnen1 1

Bertolt Brecht: aus „Über die Bauart langdauernder Werke. WA 8, S. 387. 166

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Hilde Domin nimmt mit ihren ästhetischen Reflexionen eine Stellung zwischen Tradition und Moderne ein, wobei die Anverwandlung traditioneller poetologischer Kriterien, gebrochen durch das historische Bewußtsein, durchaus eigenständig erfolgt. In einer Zeit, in der die poetologische Diskussion auf dem Hintergrund der politischen und sozialen Situation intensiv geführt wird, setzen in ihrer Theorie von der Funktion und Leistung von Lyrik anthropologische und soziale Kriterien den Akzent. Die psychologische Begründung dieser modernen Poetik erfolgt in Anlehnung an die in den zwanziger Jahren sich ausbildende angelsächsische Literaturpsychologie. Jegliche Reflexion über Kunst geht von ihrer Wirkung aus. Das führt in der künstlerischen Darstellung zu dem Versuch, ein Gespräch zwischen Leser und Autor bzw. zwischen Leser und Gedicht herbeizuführen. Vor allem die späten Gedichte weisen eine dialogische Struktur auf: häufige Verwendung des Imperativs, räsonierende Substruktur. Die geschichtliche Erfahrung von der Relativierung aller Werte führt zum Prinzip des Fragmentarismus im künstlerischen Werk. Durch die Rückführung auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes, dem jeweils sein Gegenbegriff innewohnt, gerät die Sprache in eine dialektische Spannung. Aus ihr resultiert die Prozeßhaftigkeit des Gedichts, seine Unabgeschlossenheit. Nur solange das Gedicht auch für den zukünftigen Leser offen ist, behält es seine appellative Kraft. Inhaltlich bilden von den besprochenen Gedichtbänden I, II und partiell III insofern eine Struktureinheit, als sie durchgehend von den Erfahrungen des Exils und seinen Auswirkungen auf das gesamte weitere Leben geprägt sind. Was die Formalia angeht, so läßt sich von Band I zu Band IV eine Entwicklung zu starker Verknappung feststellen. Diese Tendenz zur Einfachheit des dichterischen Ausdrucks setzt bereits in Band II ein. Die starke Diskursivität, die noch die ersten Gedichte bestimmt, birgt die Gefahr des Mißlingens in sich. Als Beispiele seien „Ich lade dich ein“ (I/47) oder „Jenseits des Bergs“ (II/13) genannt. Hier wird das Nichtwort mit ausgesprochen, wodurch die Gedichte in die Nähe des Banalen geraten. Das gleiche 167

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gilt für „Anstandsregel für allerwärts“ (III/31), in dem ein wichtiges Thema aufgrund des direkten Aussprechens vertan wird. Zum Prinzip der Reduktion gehört in den Gedichten Hilde Domins die seltene Verwendung schmückender Adjektive bis zum fast gänzlichen Fehlen in Band IV. Besonders gut nachweisen läßt sich dies an dem sparsamen, dafür aber um so aufschlußreicheren Gebrauch von Farbwörtern. Es sei deshalb an dieser Stelle kurz darauf eingegangen. Die Verwendung von Farbwörtern in der expressionistischen Lyrik, die aus ihrem konkreten, an den Gegenstand gebundenen Beziehungsfeld gelöst werden, also nicht mehr beschreiben, ist schon bei Rimbaud vorgeprägt: L’étoile a pleuré rose au cœur de tes oreilles, L’infini roulé blanc de ta nuque à tes reins; La mer a perlé rousse à tes mammes vermeilles Et l’Homme saigné noir à ton flanc souverain.2 In Deutschland geht diese subjektive Farbgebung von der Malerei aus. Vor allem die Dichter Heym und Trakl greifen die Farbgebung der Maler der Dresdner „Brücke“ und des „Blauen Reiters“ auf. Dies führt zur Verselbständigung der Farbe in der Dichtung. Sicher steht Hilde Domin nicht in dieser Tradition expressiver Verwendung von Farben und Farbmetaphorik, dazu verwendet sie getreu ihrem Prinzip von der unspezifischen Genauigkeit zu selten und zu wenige Farbwörter und diese teilweise noch deskriptiv: „Das tiefe Rot der Hyazinthe“ (I/65), „Weiter unten am Weg / glühten drei rote Mohnblumen“ (I/27). Meist aber hat das selten gebrauchte Farbadjektiv in ihren Gedichten subjektive Ausdrucksqualität. Es tauchen in der Lyrik Domins überhaupt nur die Farben „grün“, „blau“, „gold“, „weiß“, „schwarz“, selten „rot“ und einmal „gelb“ auf. Diese Farbadjektive dienen nicht der Konkretisierung des wahrgenommenen Phänomens, grenzen also den Vorstellungshorizont nicht ein, sondern öffnen ihn vielmehr 2

Rimbaud. Œuvres, hrsg. von S. Bernard. Editions Garnier Frères. Paris 1960. 168

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durch Verwendung der Farben in affektiver subjektiver Bedeutung für neue Assoziationen. Die Farbwörter werden häufig auf Abstrakta angewandt, wobei „grün“ durchgängig positiven Ausdruckscharakter hat. Es ist einmal mit dem Bereich des Vegetativen verbunden, zum anderen evoziert es die Erinnerung an die Heimat: „Dann gehn wir nachhause, und du schläfst Siesta, / und für mich steht bei der Terrasse ein Baum / mit dem unentbehrlichen grünblauen Muster …“ (I/34); „Ich glaube, daß sie blühen werden / innen ist grün“ (II/17). In dem Gedicht „Von Grün zu Gold“ (II/29) wird durch die fast identische Wiederholung und das Gegenüberstellen von „grün“–„gold“ das beharrliche Warten in Sprache gefaßt und die Möglichkeit geschaffen, das Vergehen der Zeit anzudeuten. Aus den grünen Birkenblättern des Frühlings werden die goldenen des Herbstes: Werd ich es lassen auf dich zu warten an den hellen Wegen, vom grünen Zittern zum goldenen Zittern der Birkenblätter?3 Am häufigsten werden die Farbadjektive „blau“ und „golden“ verwendet, und zwar in einem komplexen, vieldeutigen Assoziationsfeld. Beide haben vor allem metaphorisch evozierende Funktion und können somit als eigenwertige expressive Farbchiffre betrachtet werden: „… Bahnen von hellblauem Nichts / über meinem Kopf“ (I/27), „Viele Tage werden auch blau sein, / es gibt immer / blaue Tage / wo Lachen leichter ist“ (I/80), „Weiße Flügelsignale im Blau, Auferstehung / all unserer toten // Blumen“ (II/23), „In einem alten Mann / der umfällt in Hamburg oder Manhattan / stirbt ein Schmetterling / 3 Vgl. B. Brecht „Kaukasischer Kreidekreis“, S. 2019: „Ich werde warten auf dich unter der grünen Ulme / Ich werde warten auf dich unter der kahlen Ulme / Ich werde warten, bis der letzte zurückgekehrt ist / Und danach.“ 169

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die blauen Flügel öffnend“ (II/24). Ähnliche Verwendungen finden sich bei Trakl: „Ein blauer Falter aus silbernen Puppen kroch“,4 und Else Lasker-Schüler: „Nie blüht es blau über ihrem Tode“.5 Das Zeichen „blau“ steht hier für das Absolute, Göttliche. Daneben kann es auch negative Ausdrucksqualität annehmen: „Das blaue / mein Leben // der blaue Blutfleck / ausgegossen // […] ich träume / von einem großen blauen Blutfleck // dem Wortetod / dem Tod“ (IV/37). Die Farbe Gold, die als transzendenter Grundton die mittelalterliche Kunst bestimmt, deutet auch in der Lyrik Domins Transzendenz und Verwandlung an: „und das tote Meerkraut am Strand / zu goldenen Bäumen wird“ (I/44), „Wir halten / uns bange fest / an dem goldenen Seil“ (I/58), „Sieh, / die Sonne kehrt / wieder / als goldener Rauch“ (II/61), „Auf der andern Seite des Monds / gehen / in goldene Kleider gehüllt / deine wirklichen Tage“ (III/9). Die uneigentliche Farbe „weiß“ kann verbunden sein mit dem Gefühl der Hoffnung „Weiße Flügelsignale im Blau“ (II/23), weist aber auch auf den Tod hin: „Die kahlen Birken am Weg, / glatte weiße Finger, / kennen das Ziel / besser als ich“ (I/75). Die Komplementärfarbe „schwarz“ ist nur negativ besetzt: „Die Vögel, schwarze Früchte / in den kahlen Ästen“ (II/17); „Das Wort ist schneller, / das schwarze Wort“ (II/19). Was über die Verwendung von Farbadjektiven gesagt wurde, trifft verallgemeinernd auf die Verwendung des Adjektivs überhaupt zu. Selten tritt es als schmückendes Epitheton auf, sondern fast immer als den Gegenstand entgrenzend. Der Tendenz zur lakonischen Ausdrucksweise entsprechend, kommen in Band IV fast überhaupt keine Adjektive mehr vor. Indem durch die Reduktion die Wortbedeutung auf ihren Ursprung zurückgeführt wird, wird sie zur Voraussetzung für eine gesteigerte Anschaulichkeit des wahrgenommenen Phänomens. Das ohne schmückende Attribute verwendete Wort bietet den Impetus zur Imaginierung ergänzender Assoziationsfelder und stellt das Gedicht jeweils in neue 4 5

Georg Trakl: Die Dichtungen. Salzburg 1938, S. 100. Else Lasker-Schüler: Sämtliche Gedichte. München 1966, S. 162. 170

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Zusammenhänge. Diese Sprachreduktion hat das Auflösen realer Bezüge bis zur Alogik und Groteske zur Folge. Das Paradoxon ist deshalb konstitutiv für die Lyrik Domins. Der Verzicht auf den problematisch gewordenen Reim und feste rhythmische Figuren birgt die Gefahr des „Auseinanderfließens“ in sich. Deshalb setzt Domin an ihre Stelle das poetische Ordnungsprinzip der Wiederholung und garantiert damit strenge strukturelle Einheit, so in dem Gedicht „Traumwasser“ (II/46): Traumwasser voll ertrunkener Tage. Traumwasser steigt in den Straßen. Traumwasser schwemmt mich hinweg. In der Bildlichkeit zeigt sich ebenfalls, daß die Dinge sich weitgehend in der individuellen Wahrnehmung individuell konstituieren. Wieder sei hierfür „Traumwasser“ angeführt. In Anlehnung an Celans „Sprachgitter“ wird in dieser Verbindung von Konkreta und Abstrakta, in der sich Intellekt und Phantasie verbinden, ein metaphorisches Bild mit einer realen Benennung gekreuzt, so daß sich in ihm zwei Dimensionen öffnen. Die Zeit wird insofern aufgehoben, als im Traum vergangene Ereignisse Gegenwart werden. Daß die Bildlichkeit in der Lyrik Domins keinen Symbol-, sondern Zeichencharakter hat, dafür spricht ihre Polarisierung. Dies wird besonders deutlich an der Verwendung des Zeichens „Vogel“, das sowohl positiv wie negativ besetzt sein kann. In den späten Gedichten haben auch gehäufte Alliterationen gruppierende strukturbildende Funktion, so in der Alliterationssequenz „Alle Abel / Kein Kain“. In diesen Gedichten erfolgt die Reduzierung selten auf ein Bild, sondern eher auf eine poetische Sentenz, eine gewonnene 171

Ergebnisse

Einsicht. Dem flüchtigen Hintupfen von Impressionen folgt lakonisch eine Schlußfolgerung, z. B. in „Kalender“ (III/23). Ob sich in der Schlußfolgerung das lyrische Ich in dem Possessivpronomen „deiner“ manifestiert, oder ob dieses Pronomen allgemein verbindlichen Charakter hat, wird in der Sprache nicht kenntlich gemacht. „Geprügelte Tage“ ist kein poetisches Bild mehr, sondern die auf knappeste Form gebrachte, räsonierende Auseinandersetzung über einen Zustand. Hilde Domins Werk ist bestimmt von Dualismus und Relativierung, was keine endgültige Interpretation zuläßt. Immer wieder hebt die Dichterin dialektisch das Gesagte durch eine diametral entgegengesetzte Wendung auf oder stellt es zumindest durch die Stilfigur der Antithese infrage. Das Sprachproblem ist konstitutiv in ihrem Werk. Schon dadurch verleiht sie ihm eine soziale Dimension. Ihr Mißtrauen gegenüber der Sprache hat aber, wie schon erwähnt, nicht ihren Ursprung in der „Sprachkrise als Bewußtseinskrise“, sondern vielmehr in der Tatsache, daß Sprache zur Identitätsfindung dient, daß Sinn in der sprachlichen Ordnung gestiftet wird. Alle von der Dichterin angewandten Mittel wirken dahin, der Sprache ihre Dynamik zu erhalten. Es lassen sich keine Voraussagen über eine weitere Entwicklung machen. Zu bemerken ist lediglich, daß Hilde Domin der Lyrik einen immer geringeren Stellenwert einräumt. In einer Zeit, in der wieder Gedichte geschrieben und gelesen werden, scheint es für Domin das Gebot der Stunde zu sein, sich durch offene Briefe und Stellungnahmen zu aktuellen politischen und sozialen Ereignissen gesellschaftlich direkt zu engagieren. Man mag dies bedauern, sollte aber auch diese Tendenz als Folge ihrer durch das Exil geprägten Lebenshaltung respektieren.

172

Anhang: Schema „Parallelen und Bezüge“

174 Verse = Erfahrungen Dinggedicht: Das lyrische Ich tritt in den Hintergrund

Imagist Simultaneität von Bild und Wort Wortökonomie

A philosophy of composition (bewusste Konstruktion, die von Effekt ausgeht)

Rimbaud 1854 - 1891

Stark beeinßusst von MallarmŽ. IngŽnieur, Text = Apparaturen, deren sich jeder auf seine Weise bedienen kann. Äußerste Abstraktion, strenge Formgebung. Ideal: la poŽsie pure, Vieldeutigkeit: „Meine Verse haben den Sinn, den man ihnen gibt“

W. Carlos Williams 1883 - 1964

glimpses = innere Momentaufnahmen, ≈ Epiphanie bei Joyce

poeta vates. Erneuerung dichterischer Inspiration in neuer Sprache: Synästhesie. Erfassung transzendentaler RealitŠt, Außšsung der Formen. Keine Identität zwischen realer Person und Dichter: „Je est un autre“

Wegbereiter der literarischen Moderne. Wille zur Form über Wille zum Ausdruck. Dualistisches Weltbild: Spannung zwischen Satanismus und Idealität (Hugo Friedrich). Nicht mehr Mimesis, CORRESPONDANCES

A. E. Poe 1809-1849

Valéry 1871 - 1945

Baudelaire 1821 - 1867

Rilke 1875 - 1926

Mallarmé 1842 - 1898

Novalis 1772 - 1801 deutsche Romantik

Ezra Pound 1885 - 1972

setzt NICHTS (das Absolute) + LOGOS (die Sprache) in Beziehung zueinander. - Symbiose von Intellekt und Fantasie - IDEE Das Idealgedicht von allen Inhalten gelöst: „Poème tout en blanc“

Außšsung der Verbundenheit der Dinge. Neuschaffung der Sprache. Novalis Begründer der alogischen Dichtung, gesehen auf dem Hintergrund des romantischen Dichtungsverständnisses. Ideenassoziationen durch den Leser

PARALLELEN UND BEZÜGE

Seite 1

Anhang

Quelle: Verfasserin

andalusische Folklore Gongorismus

Popularismus surrealist. Stil Gongorismus

175 marxistische Ideologie gesellsch. Funktion von Kunst

Neopopularismus surreal. Elemente Gongorismus gesellsch. Funktion von Kunst

Hilde Domin 1909 - 2006

Pablo Neruda 1904 - 1973

Mitteilungsfunktion von Lyrik

Seite 2

Beruft sich zu Unrecht auf Baudelaire und die französischen Symbolisten. Überwindung des Logisch-Rationalen durch Gestaltung von Visionen, Halluzinationen, Träumen, des Unbewussten

französischer Surrealismus Höhepunkt 1925

Vicente Aleixandre 1898 - 1984

zweckgebundene, politisch engagierte Kunst. Didaktische Absicht. Marxist

Brecht 1898 - 1956

Rafael Alberti 1902 - 1999

Formalismus. Monologische Kunst. ≠ Zweck, Artistik Autonomie

poesia ermetica; persönliche Erfahrung zu allgemeiner Erfahrung

Verdichtung von inneren Erfahrungen. ≠ bloße Erinnerung

Féderico García Lorca 1899 - 1936

Reaktion auf Naturalismus und Impressionismus. Zertrümmerung der traditionellen Formen und ästhetischen Vorgaben, Aufhebung der Sprachlogik, Politisierung

Juan Ramón Jiménez 1881 - 1958

deutscher Expressionismus 1910 - 1925

Gottfried Benn 1886 - 1956

Ungaretti 1888 - 1970

T. S. Eliot 1888 - 1965

Schema „Parallelen und Bezüge“

Abkürzungen

I: Nur eine Rose als Stütze II: Rückkehr der Schiffe III: Hier IV: Ich will dich DI: Doppelinterpretationen Lyrik: Wozu Lyrik heute Nachkrieg: Nachkrieg und Unfrieden Natur: Von der Natur nicht vorgesehen

176

Literaturverzeichnis

In den Quellen werden die gesamte Lyrik sowie die wesentlichen theoretischen Arbeiten Hilde Domins berücksichtigt. Aus dem Prosawerk werden lediglich die Titel angeführt, die zu der vorliegenden Arbeit unmittelbar in Beziehung stehen. Die Sekundärliteratur umfaßt nur die Darstellungen, die für die Themenstellung wesentlich sind. Es sei auf eine jetzt vorliegende vollständige Bibliographie verwiesen (im Anhang zu dem Buch „Heimkehr ins Wort“, in den Darstellungen genau angegeben), die zwar lückenhaft ist, auf die ich mich aber teilweise stütze.

Quellen Hilde Domin Lyrikbände Nur eine Rose als Stütze. Gedichte. Frankfurt am Main 1959. 91981. Rückkehr der Schiffe. Gedichte. Frankfurt am Main 1962. 51982. Hier. Gedichte. Frankfurt am Main 1964. 41979. Ich will dich. Gedichte. München 1970. 41981. Höhlenbilder. Gedichte 1951–52. Mit drei Ätzungen und einer Titelätzung von Heinz Mack. Duisburg 1968. Hundertdruck IV. 100 nummerierte und signierte Exemplare. Abel steh auf. Gedichte, Prosa, Theorie. Hrsg. von Gerhard Mahr. Stuttgart 1982. 177

Literaturverzeichnis

Nichtgesammelte Gedichte Unsere langen Schatten. In: Hochland 48 (1955/56), S. 307. Wir werden eingetaucht. Glanz der nicht ruht. In: Hochland 51 (1958), S. 358, 371. Die Flügel der Lerchen. In: Frankfurter Rundschau vom 10.1.1959. In voller Fahrt. Wahl. In: Jahresring 1959/60, S. 165/166. Schlimmes Bündnis. In: Die Zeit vom 16.12.1960. Vorwurf. In: Almanach S. Fischer Verlag 74 (1960), S. 85. Wege. In: Hochland 53 (1960/61), S. 348. Nur der Eigensinnige. In: Das Schönste. März 1961, S. 63. Traum im Winter. In: Wort in der Zeit 8 (1962), H. 7, S. 26. Versprechen an eine Taube. In: Almanach S. Fischer Verlag 76 (1962), S. 107/108. Gefährlicher Löffel. In: Almanach S. Fischer Verlag 77 (1963), S. 107. Element. In: Semesterspiegel Universität Münster 10, Nr. 65 (Mai 1963). Magie. In: Almanach S. Fischer Verlag 78 (1964), S. 109. Der Baum blüht trotzdem. Ich bewahre mich. In: Der Bogen 14 (1964), H. l, S. 7. Picara. In: Hortulus 13 (1964), H. 64, S. 37. Die Mauer. In: Jahresring 19 (1964/65), S. 223. Und in: G. Kunert (Hrsg.): Jahrbuch für Lyrik 3. Königstein/Ts. 1981, S. 37/38. Die Sehnsucht. Gespräch mit meinen Pantoffeln, In: Schweizer Monatshefte 46 (1966), S. 1019/1021. Gespräch. Mit den gleichen Augen. Anfang. In: Neue deutsche Hefte 114 (1967), H. 2, S. 3–6. Der Augenturm. In: Jahresring 20 (1973/74), S. 125. Das gleiche Gedicht erschien unter dem Titel „Geburtstagsgedicht“ in: K. H. Bender und M. Wandruszka (Hrsg.): Festschrift zum 60. Geburtstag von Fritz Paepcke. „Imago Linguae“. München 1977. Geh hin I–III. Wie ein Tokaidoexpreß. In: Ensemble 6 (1975), S. 196–198. Das Seil. Für Christa Reinig, die Unbestechliche. In: F. Reske (Hrsg.): Gratuliere. Düsseldorf: Eremiten-Presse 1976, S. 21. Das gleiche Gedicht ist erschienen unter dem Titel „Flucht. Für Paul Celan, Peter Szondi, Jean Améry, die nicht weiterleben wollten“. In: Sonderheft Jean Améry. Stuttgart 1978, S. 49. Die brennende Stadt. In: FAZ vom 6.9.1976. Älter werden. Antwort auf Christa Wolf. In: H. Bender (Hrsg.): In diesem Lande leben wir. München 1978, S. 23. Das Gedicht erschien auch in: P. Conrady und 178

Quellen

H. F. Hugenroth (Hrsg.): Expedition Literatur. Festschrift für Hedwig Klüber. Münster 1979, S. 357/358. Ich möchte. Mauern sortierend. In: Günter Kunert (Hrsg.): Jahrbuch für Lyrik 3. Königstein/Ts. 1981, S. 37/38. „Mauern sortierend“ ist auch erschienen in: Jahresring 19 (1965), S. 223.

Prosa, auch Aufsätze, Reden und Interpretationen Das zweite Paradies. Eine Rückkehr. Roman in Segmenten. Frankfurt am Main 1968. Das zweite Paradies. Eine Rückkehr. Roman. Veränderte Neuausgabe. Frankfurt am Main 1980. Fischer-Taschenbuch. Von der Natur nicht vorgesehen. Autobiographisches. München 1974. 21980. Abel steh auf. Gedichte, Prosa, Theorie. Hrsg. von Gerhard Mahr. Stuttgart 1979. Aber die Hoffnung. Autobiographisches. Berichte aus und über Deutschland. München 1982. Rede zur Verleihung des Ida-Dehmel-Preises. In: Neue Deutsche Hefte 119 (1968), S. 227–233. Kann Literatur noch etwas bewirken? Rede zur Verleihung des Meersburger DrostePreises. In: Der Literat, 13. Jg. (1971), S. 161–162. An Eich denkend. In: Günter Eich zum Gedächtnis. Hrsg. von S. Unseld. Frankfurt am Main 1973, S. 18–21. Eine besondere Totenklage. Christoph Meckel: „Gedicht für meinen Vater“. In: FAZ vom 7.12.1974. Auch in: M. Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Antholo-

gie. Frankfurt am Main 1976, S. 259–263. Vorschlag, es anders zu lesen. Wilhelm Lehmann: „Amnestie“. In: FAZ vom 29.3.1975. Auch in: M. Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Frankfurt am Main 1976, S. 222–224. Zur Rilke-Rezeption im Jahre 1975. Rilke, Fragezeichen? In: Rilke? München: edition text + kritik 1975, S. 60–66. Variationen eines romantischen Themas und seine Umformulierung ins Paradox – Versuch einer Rechenschaftslegung am Beispiel meines Gedichts „Köln“. In: E. Köhler (Hrsg.): Sprachen der Lyrik – Festschrift für Hugo Friedrich zum 70. Geburtstag. Frankfurt am Main 1975, S. 86–93. Beantwortung einer Umfrage über Mittel und Bedingungen schriftstellerischer Arbeit. In: P.A. Bloch (Hrsg.): Gegenwartsliteratur. Bern 1975, S. 205–208. 179

Literaturverzeichnis

Dank bei der Entgegennahme des Rilke-Preises. In: Die Horen 22 (1977), S. 72–74. Ebenfalls abgedruckt in: M. Fülleborn und M. Engel (Hrsg.): Rilkes Duineser Elegien. Bd. 3. Frankfurt am Main 1982, S. 290. Wohnen nach der Rückkehr. B. Brecht: „Ein neues Haus“. In: Walter Hinck (Hrsg.): Ausgewählte Gedichte Brechts mit Interpretationen. Frankfurt am Main 1977, S. 123–128. Mein Judentum. In: H. J. Schultz (Hrsg.): Mein Judentum. Stuttgart 1978, S. 104–117. Humanität bei Lebzeiten eine Utopie? 5. Römerberggespräche. Frankfurt am Main 19.5.1978: Humanität und Utopie. Gekürzt in: Süddeutsche Zeitung vom 29./30.7.1978. Vollständig abgedruckt in: Neue Deutsche Hefte 25, H. 4 (1978), S. 752–760. Leben als Sprachodyssee. Selbstvorstellung neuer Mitglieder (Frühjahrstagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Wolfenbüttel 19.5.1979). In: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Jahrbuch II 1979, S. 103–108. Erweitert in: LiK 12 „Literatur in Köln“. Hrsg. von Uta Biedermann. Stadtbücherei Köln 1.12.1980. Erster Sonntag im Advent. Röm. 13, 8–12. Assoziationen. In: Walter Jens (Hrsg.): Gedanken zu biblischen Texten. Bd. 2, Stuttgart: Kreuz Verlag 1979, S. 10–13. Zu „Abel steh auf“. In: A. Gehlhoff-Claes (Hrsg.): Bis die Tür aufbricht. Mit Worten unterwegs. Literatur hinter Gittern. Düsseldorf 1982, S. 171–174.

Theorie Wozu Lyrik heute. Dichtung und Leser in der gesteuerten Gesellschaft. München 1968. Neuausgabe 1975. Über das Interpretieren von Gedichten. In: Hilde Domin (Hrsg.): Doppelinterpretationen. Das zeitgenössische Gedicht zwischen Autor und Leser. Frankfurt am Main 1966. Neuausgabe 1969. Das politische Gedicht und die Öffentlichkeit. In: Hilde Domin (Hrsg.): Nachkrieg und Unfrieden. Gedichte als Index 1945–1970. Neuwied und Berlin 1970. Als überarbeitete Fassung auch in: W. Kuttenkeuler (Hrsg.): Poesie und Politik. Zur Situation der Literatur in Deutschland. Stuttgart 1973, S. 375–390. Abel steh auf. Gedichte, Prosa, Theorie. Hrsg. von Gerhard Mahr. Stuttgart 1979.

180

Quellen

Zu den Gedichten der Bände I–IV: Titel, Anfangszeilen, Entstehungsjahr. Die Seitenzahlen beziehen sich auf die in den QUELLEN angegebenen Lyrikbände. Nur eine Rose als Stütze (I) Abschied aus Andalusien, Der Ginster stand voll silberner Schoten, 1957, S. 26. Apfelbaum und Olive, Ein Trost ist, zu wissen, 1955, S. 10. Aufbruch ohne Gewicht, Weiße Gardinen, leuchtende Segel, 1957, S. 20. Auf Wolkenbürgschaft, Ich habe Heimweh nach einem Land, 1958, S. 67. Banges Neujahr, Das tiefere Rot der Hyazinthe die stirbt, 1958, S. 65. Bau mir ein Haus, Der Wind kommt, 1957, S. 21. Bittersüsser Mandelbaum, Die Zweige müssen die Blüten verlieren, 1957, S. 59. Buchen im Frühling, Wir gehen zu zweit hinein, 1958, S. 71. Das goldene Seil, Nichts ist so flüchtig, 1957, S. 58. Die Heiligen, Die Heiligen in den Kapellen, 1959, S. 28. Die schwersten Wege, Die schwersten Wege, 1957, S. 60. Erste Reihe, Friedhöfe in der Landschaft, 1952, S. 41. Eskimovogel, Oft, 1953, S. 43. Es kommen keine nach uns, Es kommen keine nach uns, 1958, S. 76. Frage, Nach dem kleinen Zusammenstoß, 1952, S. 39. Geborgenheit, Morgens in der weißen, 1958, S. 70. Gegenwart, Wer auf der Schwelle seines Hauses geweint hat, 1958, S. 57. Gleichgewicht, Wir gehen, 1955, S. 14. Haus ohne Fenster, Der Schmerz sargt uns ein, 1957, S. 63. Herbst, Das Haus der Vögel entlaubt sich, 1957, S. 62. Herbstzeitlosen, Für uns, denen der Pfosten der Tür verbrannt ist, 1955, S. 13. Ich lade dich ein, Liebster, ich lade dich ein, 1957, S. 32. Im Regen geschrieben, Wer wie die Biene wäre, 1958, S. 64. Inselmittag, Wir sind Fremde, 1953, S. 44. Makabrer Wettlauf, Du sprachst vom Schiffe-Verbrennen, 1952, S. 38. Mit Meinem Schatten, Ich gehe mit meinem Schatten, 1959, S. 75. Möwe zu dritt, Diese drei Möwen, 1959, S. 82. Neues Land, Es war leicht zu sein wie neues Land, 1958, S. 69. Noch gestern, Dies Frühjahr ist wie ein Herbst, 1959, S. 80. 181

Literaturverzeichnis

Nur eine Rose als Stütze, Ich richte mir ein Zimmer ein in der Luft, 1957, S. 55. Rückzug, Meine Rechte (wer glaubt es ihr heut?), 1955, S. 15. Rufe nicht, Lege den Finger auf den Mund, 1958, S. 72. Sämann, Der große Sämann, 1958, S. 66. Schale im Ofen, Schale im Ofen, 1951, S. 37. Treulose Kahnfahrt, Aber der Traum ist ein Kahn, 1957, S. 56. Unterricht, Jeder der geht, 1959, S. 79. Vademecum, Der Tote ist unser sichrer Verlaß, 1953, S. 40. Vogel Klage, Ein Vogel ohne Füße ist die Klage, 1958, S. 68. Vorsichtige Hoffnung, Weiße Tauben, 1957, S. 24. Wen es trifft, Wen es trifft, 1953, S. 46 . Wie wenig nütze ich bin, Wie wenig nütze ich bin, 1957, S. 23. Willkürliche Chronologie, Die Totenmaske jedes Tages, 1957, S. 73. Windgeschenke, Die Luft ist ein Archipel, 1953, S. 45. Winterbienen, Die Berge zwischen uns, 1959, S. 83. Wo steht unser Mandelbaum, Ich liege, 1957, S. 19. Ziehende Landschaft, Man muß weggehen können, 1955, S. 9.

Rückkehr der Schiffe (II) Abzählen der Regentropfenschnur, Ich zähle die Regentropfen an den Zweigen, 1959, S. 16. Angsttraum, Ich muß mich von mir trennen, 1959, S. 26. April, Die Welt riecht süß, 1960, S. 48. Behütet, Ich schlafe im Schutz, 1960, S. 40. Bitte an einen Delphin, Jede Nacht, 1960, S. 53. Dienstpflichtig, Dies Jahr ein Sarg, 1960, S. 43. Fahrt durch Kastilien I, Ich weiß nicht, warum die Welt, 1959, S. 32. Fahrt durch Kastilien II, Bei den Männern aus grauem Stein, 1959, S. 33. Fahrt durch Kastilien III, Dein Name auf meinen Lippen, 1959, S. 34. Fesselballon, Alleinsein wird verlangt, 1959, S. 31. Flucht, Es flieht das Herz, 1961, S. 21. Flut, Ich fühle, wie das unruhige, 1959, S. 37. Fremder I, Ich falle durch jedes Netz, 1960, S. 50. Fremder II, Vor mir wird aufgebaut, 1960, S. 51. 182

Quellen

Herbstaugen, Presse dich eng, 1959, S. 7. Indischer Falter, Vielleicht sind wir nichts als, 1960, S. 24. Jenseits des Bergs, Die Zeit, 1958, S. 13. Kindersarkophag, Die Kinder tragen im Spiel, 1961, S. 36. Knospe, Die Knospe einer Liebkosung, 1958, S. 15. Landschaft bei Cadiz, Wie der Fluß zum Meer hinabfließt, 1959, S. 8. Letzte Mitteilung, Mein Bett ein Blatt, 1960, S. 42. Lilie, Alle Farbe ist leer, 1959, S. 27. Linguistik, Du mußt mit dem Obstbaum reden, 1961, S. 22. Losgelöst, Losgelöst, 1959, S. 11. Magere Kost, Ich lege mich hin, 1959, S. 18. Manuskripte ordnend, Im Weinkeller, 1959, S. 35. Mit leichtem Gepäck, Gewöhn dich nicht, 1960, S. 49. Morgens und abends I, Immer die schwarzen Vögel, 1960, S. 38. Morgens und abends II, Die Wiesen, die Augen, 1960, S. 39. Nachmittags am Guadalquivir, Mach ein Kreuz auf den Boden, 1959, S. 9. Nur Zeugen, Diese entblätternde Blume, 1960, S. 41. Orientierung, Mein Herz, diese Sonnenblume, 1961, S. 52. Osterwind, Wir haben es den Blumen und Bäumen voraus, 1958, S. 23. Rückkehr, Meine Füße wunderten sich, 1960, S. 12. Rückkehr der Schiffe, Du hast alles fortgehen lassen, 1959, S. 55. Tauben im Regen, Meine Füße die viel gegangen sind, 1959, S. 28. Traumwasser, Traumwasser, 1960, S. 46. Unaufhaltsam, Das eigene Wort, 1959, S. 19. Unterwegs, Von Herberge zu Herberge, 1959, S. 47. Von grün zu gold, Die Wege werden leer sein, Bruder, 1959, S. 29. Warnung, Wenn die kleinen weißen Straßen, 1959, S. 25. Warte auf nichts, Vom Baum des Himmels, 1959, S. 30. Winter, Die Vögel, schwarze Früchte, 1958, S. 17. Zärtliche Nacht, Es kommt die Nacht, 1960, S. 54. Lieder zur Ermutigung: I: Unsere Kissen sind naß, 1960, S. 59. II: Lange wurdest du um die türelosen, 1960, S. 60. III: Diese Vögel, 1960, S. 61. 183

Literaturverzeichnis

Hier (III) Aktuelles I, Und immer der Garten, 1963, S. 12. Aktuelles II, Knochen und Steine, 1963, S. 13. Alternative, Ich lebte auf einer Wolke, 1960, S. 44. Anstandsregel für allerwärts, Man spuckt dir ins Gesicht, 1963, S. 31. Anweisung, Lade die Toten zu Gast, 1963, S. 54. Ars longa, Der Atem, 1963, S. 61. Auf der andern Seite des Monds, Auf der andern Seite des Monds, 1964, S. 9. Bei der Lektüre Pablo Nerudas, Ich tanze, 1963, S. 55. Beklemmung, Mich ängstigt, 1963, S. 22. Das Gefieder der Sprache, Das Gefieder der Sprache streicheln, 1963, S. 39. Das Wachsen von Träumen, Das Wachsen von Träumen, 1963, S. 43. Die Botschafter, Die Botschafter, 1964, S. 36. Einhorn, Die Freude, 1963, S. 8. Entfernung, Die Entfernung, 1964, S. 50. Entfernungen I, Der Mensch dies Haustier, 1964, S. 45. Entfernungen II, Entfernungen, 1964, S. 46. Entfernungen III, Die sanfte Kuppe, 1964, S. 47. Entfernungen IV, Dein einmaliger Finger, 1964, S. 48. Entfernungen V, Die Dinge, 1964, S. 49. Es knospt, Es knospt, 1963, S. 59. Fingernagelgross, Auf einer Wiese, 1964, S. 37. Frage, Wenn der Vogel ein Fisch wird, 1963, S. 38. Fünf Ausreisebilder: I: Hier, Ungewünschte Kinder, 1963, S. 24. II: Ausreisegedicht, Die Gegenstände sehen mich kommen, 1963, S. 25. III: Ich flüchte mich zu dem kleinsten Ding, Ich flüchte mich zu dem kleins-

ten Ding, 1963, S. 26. IV: Keine Zeit für Abenteuer, Wenn die Enden der Welt dir Vorstädte sind,

1962, S. 27. V: „Silence and Exile“, Unverlierbares Exil, 1964, S. 28. Gegen die Botmässigkeit, Auch hier die Bäume, 1963, S. 30. Heimkehrer, Alle Erinnerung weggelitten, 1963, S. 10. Immer kreisen, Immer kreisen, 1963, S. 40. 184

Quellen

Irgendwann, lrgendwann, 1963, S. 58. Kalender, Die geprügelten Tage, 1963, S. 23. Katalog, Das Herz eine Schnecke, 1964, S. 33. Köln, Die versunkene Stadt, 1963, S. 19. Lyrik, das Nichtwort, 1963, S. 7. Marionette, Der Regenbogen, 1963, S. 53. Nacht, Man hat mich Tote aufs Wasser gelegt, 1962, S. 21. Nächtliche Orientierung, Mein Kopf liegt nach Süden, 1959, S. 42. Nicht müde werden, Nicht müde werden, 1964, S. 60. Rückwanderung, Gerade verlern ich, 1961, S. 29. Ruf, Mich ruft der Gärtner, 1962, S. 56. Salva nos I, Heute rufen wir, 1959, S. 15. Salva nos II, Dies ist unsere Freiheit, 1959, S. 16. Schneide das Augenlid ab, Schneide das Augenlid ab, 1964, S. 11. Schöner, Schöner sind die Gedichte des Glücks, 1959, S. 18. „Seids gewesen, seids gewesen!“, Die letzte Erde, 1964, S. 14. Tunnel, Zu dritt, 1964, S. 57. Unterwegs, Über mir, 1963, S. 55. Vertrackt, In welch, 1964, S. 34. Vögel mit Wurzeln, Meine Worte sind Vögel, 1963, S. 41. Von uns, Man wird in späteren Zeiten von uns lesen, 1962, S. 17. Wer es könnte, Wer es könnte, 1963, S. 32. Wir nehmen Abschied, Wir nehmen Abschied, 1964, S. 51.

Ich will dich (IV) Abel steh auf, Abel steh auf, 1969, S. 28. Abschaffung des Befehlsnotstandes. Perspektive, Nichts hat mich so verwirrt wie eine Taube, 1968, S. 23. Änderungen, Neben meinem Kopf, 1966, S. 43. Angsttraum I, Das blaue, 1959, S. 37. Angsttraum II, Ein Zug fuhr vor, 1965, S. 41. Das ist es nicht, Das ist es nicht, 1969, S. 12. Der grosse Luftzug, Das Wort neben mir, 1969, S. 36.

185

Literaturverzeichnis

Drei Arten Gedichte aufzuschreiben: I: Ein trockenes Flußbett, 1967, S. 9. II: Kleine Buchstaben, 1967, S. 10. III: Ich will einen Streifen Papier, 1968, S. 11.

Ecce homo, Weniger als die Hoffnung auf ihn, 1967, S. 19. Filter, Die engste Tür, 1965, S. 44. Geburtstage, Sie ist tot, 1969, S. 40. Graue Zeiten, Es muß aufgehoben werden, 1966, S. 14. Ich will dich, Freiheit, 1967, S. 7. Immer mit den vollen Händen, Immer mit den vollen Händen, 1966, S. 42. Monologe, Die Monologe, 1969, S. 43. Nach dem Fernsehbericht: Napalm-Lazarett, Am Rande des Schlafs, 1967, S. 22. Senkblei, Das Senkblei wanderte mit uns, 1966, S. 38. Sisyphus 1967, Die großen blauen Löcher, 1967, S. 20. Viele, Viele liegen dort, 1966/67, S. 39. Vorsichtshalber, Der Herbst kommt, 1959, S. 27. Wort und Ding, Wort und Ding, 1969, S. 33. Zur Interpunktion, Weil sich die Neger, 1965, S. 26.

Theorie: Nachweis über die Veröffentlichung der einzelnen Beiträge Wozu Lyrik heute Zur Lyrik heute. In: Merkur 182 (1963) H. 4, S. 387–398. Die unspezifische Genauigkeit als Merkmal der Lyrik. Unspezifische Genauigkeit. In: Neue Zürcher Zeitung vom 20.2.1965. „Lyriker“ und „Text“: Zur Terminologie. In: Almanach S. Fischer Verlag 79 (1965), S. 81–82. Über das Interpretieren von Gedichten. In: Doppelinterpretationen. Frankfurt am Main 1966 (Vorwort). Lyriktheorie, Interpretation, Wertung. Eine Abgrenzung. In: Neue deutsche Hefte 116 (1967), H. 4, S. 113–123. Der Ruf nach den Maßstäben. Zum Dilemma literarischer Urteilsbildung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.1.1968. 186

Quellen

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Autobiographisches: Nachweis über die Veröffentlichung der einzelnen Beiträge Von der Natur nicht vorgesehen Die andalusische Katze. Unter dem Titel: Mißverständnis mit einer andalusischen Katze. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.1.1961. Unter Akrobaten und Vögeln. Ein Selbstporträt. In: Welt und Wort 17 (1962), H. 3, S. 79–80. Bücher-„Grillen“. In: Merkur 198 (1964), H. 8, S. 797–800. „Und keine Kochbananen mehr“. In: 1945 Ein Jahr in Dichtung und Bericht. Hrsg. von H. Rauschning. Frankfurt am Main 1965, S. 152–154. Erste Begegnung mit meinem Verleger. In: Begegnungen (1965/66). Berlin: Elwert und Meurer 1966, S. 20–23. Die Insel und der einohrige Kater. Unter dem Titel: Bericht von einer Insel. In: Dichter erzählen Kindern. Hrsg. von G. Middelhauve. Köln 1966, S. 196–199. Offener Brief an Nelly Sachs. In: Nelly Sachs zu Ehren. Zum 75. Geburtstag. Frankfurt am Main 1966, S. 191–197. Mein Vater. Wie ich ihn erinnere. In: Die Väter. Hrsg. von P. Härtling. Frankfurt am Main 1968, S. 137–144. Ich schreibe, weil ich schreibe. In: Motive oder warum ich schreibe. Selbstdarstellungen deutscher Autoren. Hrsg. von R. Salis. Tübingen 1961, S. 62–68. Bei der Entgegennahme des Droste-Preises in Meersburg. In: Der Literat, 13. Jg. (1971), S. 161–162. Hilde Domin interviewt Heinrich Heine 1972 in Heidelberg. Unter dem Titel: Interview mit Heinrich Heine in: Geständnis. Heine im Bewußtsein heutiger Autoren. Hrsg. von W. Gössmann. Düsseldorf 1972, S 62–67. Interview von W. A. Bauer. In: Die Horen 17 (1972), H. 88, S. 70–73. 10 erprobte Mittel zur Verhinderung des Fortschritts. In: Schaden spenden. Hrsg. von D. Hülsmann, F. Reske. Sierstadt 1972, S. 137–138. 187

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188

Darstellungen

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189

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Darstellungen

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Literaturverzeichnis

Mitteilungen des Philologen-Verbandes: Rezension zu „Doppelinterpretationen“. Nr. 1 (1967). Neue Zürcher Zeitung: Rezension zu „Ich will dich“. Vom 22.11.1970. Novalis: Schriften. Hrsg. von J. Minor. Jena 1923. Pinthus, Kurt: Die Schiffe können wiederkommen. Zu Hilde Domins neuen Gedichten. In: Die Zeit vom 13.7.1962. Poe, Edgar Allen: The Complete Works. Bd. 14. New York 1965. Pound, Ezra: motz el son - wort und weise. The literary Essays of Ezra Pound. Zürich 1957. Proust, Marcel: A la recherche du temps perdu. Bibliothèque de la Pléiade. Paris 1954. Reitz, Rainer: Dichtung und Gesellschaft. In: Aachener Nachrichten vom 23.10.1968. Richard, I. A.: Prinzipien der Literaturkritik. Frankfurt am Main 1972. Riesman, David: Die einsame Masse. Neuwied 1956. Rilke, Rainer Maria: Ausgewählte Gedichte. Frankfurt am Main 1982. Ders.: Frühe Gedichte. o. O. 1897. Ders.: Stundenbuch. Frankfurt am Main 1962. Rimbaud, Arthur: Œuvres. Hrsg. von S. Bernard. Editions Garnier Frères. Paris 1960. Rosenfeld, Sidney: Hilde Domin. Wozu Lyrik heute. In: Books abroad. An International Literary Quarterly. Bd. 43. 1969. Ross, Werner: Lyrik als Selbstverteidigung. Hilde Domins neue Poetik. In: Die Zeit vom 20.9.1968. Ders.: Wort und Ding eng aufeinander. Neue Gedichte von Hilde Domin. In: Süddeutsche Zeitung vom 31.10.1970. Sachs, Nelly: Fahrt ins Staublose. Gedichte. Frankfurt am Main 1961. Sartre, Jean Paul: Les mots. Editions Gallimard. Paris 1964. Schadewaldt, Wolfgang: Furcht und Mitleid? Zu Lessings Deutung des aristotelischen Tragödiensatzes. In: Hermes. Zeitschrift für klassische Philologie 83 (1955). Scharpenberg, Margot: Contemporary German Poetry. Hrsg. von Gertrude Closius Schwebell. Connecticut 1962. Dies.: Vermeintliche Windstille. Gedichte. o. O. 1969. Schiller, Friedrich: Sämtliche Werke in 5 Bänden. Hrsg. von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert. München 1968. Schorno, Paul: Hier Vers- und Reimlehre – dort Lyrik in Frage gestellt. In: Neue Zürcher Zeitung vom 14.12.1968 und Basler Volksblatt vom 13.12.1968. 192

Darstellungen

Seidler, Manfred: Aus Anlaß des dritten Gedichtbandes: Hilde Domin. In: Die Pädagogische Provinz 19 (1965). Seidlin, Oskar: Bemerkungen zu einer neudeutschen Poetik. In: The German Quarterly. Bd. XLI, Sept. 1968. Stern, Dagmar C.: From Exile to Ideal. Diss. Department for Germanic Languages. Indiana University. Juni 1977. Storm, Theodor: Gedichte. Leipzig, o. J. Tilburg, Jutta von: Worte haben Angst. In: Basler Nachrichten vom 25.11.1970. Trakl, Georg: Die Dichtungen. Salzburg 1938. Valéry, Paul: Commentaire de „Charmes“. In: Œuvres complètes. Bd. I. Hrsg. von Jean Hytier. Paris 1957. Ders.: Zur Theorie der Dichtkunst. Frankfurt am Main 1975. Vortriede, Werner: Novalis und die französischen Symbolisten. Stuttgart 1963. Wallmann, Jürgen P.: Keine schlechte Zeit für Lyrik. In: Die Welt der Literatur vom 29.8.1968. Wangenheim, Bettina von: Heimkehr ins Wort. Materialien zu Hilde Domin. Frankfurt am Main 1982. Weyrauch, Wolfgang: Wort mit Glassplittern. Die neuen Gedichte Hilde Domins. In: Die Zeit vom 13.11.1970. Wittgenstein, Ludwig: Tractatus philosophicus. London 1955. Ders.: Zettel. Oxford 1967. Wolken, Karl Alfred: Trauerarbeit. Neue Gedichte von Hilde Domin. In: Rheinischer Merkur vom 26.3.1971. Ziolkowski, Theodore: James Joyces Epiphanie und die Überwindung der empirischen Welt in der modernen deutschen Prosa. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 35 (1961).

193

Personenregister A

Charyn, Jérôme  141

Adorno, Theodor W.  108, 142, 143,

Conrady, Otto  158

144, 146 Aleixandre, Vicente  57

D

Ausländer, Rose  124

Ditges, Anna  9, 12, 15 Durand, Gilbert  118, 123

B

Duwe, Wilhelm  23

Bachmann, Ingeborg  22, 23, 26, 123, E

136 Baier, Lothar  31

Eich, Günter  9, 36, 60, 94

Baudelaire, Charles  30, 43, 44

Eliot, T. S.  59, 70, 71

Benn, Gottfried  23, 24, 30, 44, 45, 47,

Endres, Elisabeth  23

60, 64

Enzensberger, Hans-Magnus  9, 17, 48,

Bethge, Neidhard  146

57, 63, 142, 143, 144, 146

Bienek, Horst  21 Braun, Michael  10, 12

F

Brechbühl, Beate  48

Flittner, Bettina  12

Brecht, Bertolt  30, 45, 46, 47, 63, 64,

Friedrich, Hugo  41, 43

65, 77, 123, 159, 166, 169

Fringeli, Dieter  33

Büttner, Ludwig  23, 64

Frisch, Max  108

Busta, Christine 22 G

Byung-Chul Han  16

Gadamer, Hans Georg  29, 68, 117 C

Gehlen, Arnold  49

Celan, Paul  55, 125, 146, 153, 171

George, Stefan  52 194

Personenregister

Glenn, Jerry  27

K

Goethe, Johann Wolfgang  106, 131

Kaschnitz, Marie Luise  22

Gryphius, Andreas 123

Keller, Hans Peter  27, 30

Günther, Joachim  24, 30

Kolmar, Gertrud  88 Krolow, Karl  22, 26, 140, 143

H

Krusche, Dieter  139

Hahn, Ulla  7, 12, 13, 132

Kurz, Paul Konrad  32

Hamburger, Käte  31 Heidegger, Martin  51, 52

L

Heisenberg, Werner  52

Lasker-Schüler, Else  26, 88, 170

Heißenbüttel, Helmut  127

Lohner, Edgar  62

Hildebrandt, Irma  15 Hinck, Walter  10, 11, 56, 65, 68, 118

M

Hinderer, Walter  142, 144

Mallarmé, Stéphane  44, 45, 62, 164

Hofmannsthal von, Hugo  45, 60

Mannheim, Karl  84, 85

Hölderlin, Friedrich  121, 123

Marcuse, Herbert  16, 48, 145

Höllerer, Walter  77

Maupassant de, Guy  73

Horkheimer, Max  128

McConnell, G. Robert  28 Mead, George Herbert  125

I

Meller, Horst  71, 146

Ionesco, Eugène  141 N

Iser, Wolfgang  64, 65, 66

Neruda, Pablo  134 J

Nietzsche, Friedrich  54, 91

Jacobs, Jürgen  29, 81

Novalis  53, 54, 63

Jaspers, Karl  8, 84, 85, 135 Jauß, Hans Robert  25, 35, 68

P

Jens, Walter  21, 122

Palm, Erwin  8, 14, 87

Jentzsch, Bernd  89

Pinthus, Kurt  22

Jiménez, Juan Ramón  54

Poe, Edgar Allen  42

Jokosta, Peter  23

Pound, Ezra  59, 78

Joyce, James  77, 78

Proust, Marcel  78, 127

Jung, C. G.  75, 91

195

Personenregister

R

T

Reich-Ranicki, Marcel  9, 11

Tauschwitz, Marion  13, 14

Richard, I.A.  71, 72, 73, 74

Tilburg von, Jutta  25

Riesman, David  50

Torre de, Guillermo  55

Rilke, Rainer Maria  61, 104, 163

Trakl, Georg  162, 163, 168

Rimbaud, Arthur  54, 159, 168 Rosenfeld, Sidney  34

U

Ross, Werner  26, 31

Ungaretti, Giuseppe  55, 62

Rousseau, Jean-Jacques  133, 134 V S

Valéry, Paul  30, 44, 70

Sachs, Nelly  22, 26, 83, 88, 117, 124,

Vogt, Hans  146

146, 160

Vortriede, Werner  54

Sartre, Jean Paul  82 Savigny von, Eike  52

W

Schadewaldt, Wolfgang  80

Wallmann, Jürgen P.  30

Scharpenberg, Margot  23, 90, 109

Weyrauch, Wolfgang  26

Schiller, Friedrich  80, 81, 82

Williams, William Carlos  78

Schorno, Paul  29

Wittgenstein, Ludwig  52

Schwarzer, Alice  12

Wolken, Karl Alfred  25

Seidler, Manfred  24 Seidlin, Oskar  33, 34, 35

Z

Siebenmann, Gustav  57

Ziolkowski, Theodore  78

Stern, Dagmar C.  28, 35 Stock, Ursula  12 Storm, Theodor  163

196

VOLKER BÜHN

ALFRED GRÜNEWALD WERK UND LEBEN

Alfred Grünewald (1884–1942) war ein Vertreter der Wiener Moderne und wandte sich schon als Student Balladen und Lyrik zu, später auch Dramen und Aphorismen. Anfänglich von der Neuromantik angezogen, wechselte er zum Expressionismus, hielt aber an der strengen Form fest. Der 1884 in Wien geborene Dichter wuchs in einer bürgerlichen Familie auf, studierte Architektur und gilt als Schüler von Adolf Loos. Kurz nach dem »Anschluss« Österreichs floh er nach Frankreich, wo er seine literarische Arbeit fortsetzte. Sie wurde erst vor kurzem entdeckt und wird hier erstmals vorgestellt. 2016. 432 S. 19 S/W-ABB. GB. 155 X 235 MM | ISBN 978-3-205-20305-6

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(1866–1946)

DIRK OSCHMANN (HG.)

WEIBLICHE‌AUTORSCHAFT,‌ZEITGEIST‌

LITERATUR‌&‌LEBENSWELT

UND‌LITERATURMARKT

2012. 242 S. 8 S/W-ABB. GB.

2015. 507 S. 2 S/W-ABB. GB.

ISBN 978-3-412-20950-6

ISBN 978-3-412-22400-4

BD. 83 | CHRISTOPHER DIETZ

BD. 88 | SYLVIA PAULISCHIN-HOVDAR

ALEXANDER‌LERNET-HOLENIA‌UND‌

DER‌OPFERMYTHOS‌BEI‌‌

MARIA‌CHARLOTTE‌SWECENY‌

ELFRIEDE‌JELINEK

BRIEFE‌1938–1945

EINE‌HISTORIOGRAFISCHE‌‌

2013. 462 S. 19 S/W-ABB. FRANZ. BR.

UNTERSUCHUNG

ISBN 978-3-205-78887-4

2017. 323 S. 3 S/W-ABB. GB.

TC244/RB043

ISBN 978-3-205-20325-4

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