Strategische Unternehmensplanung und ethische Reflexion [1 ed.] 9783896448057, 9783896730350

Die wachsende Bereitschaft vieler Unternehmen zu einer kritischen Auseinandersetzung mit unternehmensethischen Fragen ge

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Strategische Unternehmensplanung und ethische Reflexion [1 ed.]
 9783896448057, 9783896730350

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Strategische Unternehmensplanung und ethische Reflexion

Schriftenreihe Unternehmensführung Herausgeber: Prof. Dr. Hartmut Kreikebaum Band 17

Michael Behnam

Strategische Unternehmens­ planung und ethische Reflexion

Verlag Wissenschaft & Praxis

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Behnam, Michael: Strategische Untemehmensplanung und ethische Reflexion. / Michael Behnam. - Sternenfels; Berlin : Verl. Wiss, und Praxis, 1998 (Schriftenreihe Unternehmensführung ; Bd. 17) Zugl.: Frankfurt (Main), Univ., Diss. 1997 ISBN 3-89673-035-5 NE: GT

ISBN 3-89673-035-5 © Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH 1998 Nußbaumweg 6, D-75447 Sternenfels Tel. 07045/930093, Fax 07045/930094

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Printed in Germany

Geleitwort

Im 17. Band dieser Schriftenreihe behandelt mein langjähriger Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationales Management an der EUROPEAN BUSINESS SCHOOL, Michael Behnam, ein bisher nur am Rande gestreiftes Problem: die ethische Reflexion der Strategischen Untemehmensplanung. Er verknüpft damit zwei Gebiete, die zu meinen engsten Forschungsfeldem zählen. Im Mittelpunkt der Dissertation stehen die strategischen Implikationen unterschiedlicher Ansätze der Unternehmensethik, die Betrachtung der strategischen Untemehmensführung als geeigneter Ort ethischen Nachdenkens und die Möglichkeiten einer Implementierung ethischer Überlegungen in diese Planung.

Die vorliegende Publikation besticht durch die auf hohem theoretischen Niveau stehende Auseinandersetzung mit einem aktuellen, auch für die Untemehmenspraxis wichtigen Thema. Sie ist dazu in einem Stil verfaßt, der auch komplexe Zusammenhänge sehr gut nachvollziehen läßt. Ich wünsche der Arbeit die ihr von den stets anregenden und interessanten Aussagen her zukommende gute Aufnahme in der Fachwelt.

Hartmut Kreikebaum

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Januar 1997 am Fachbereich Wirtschaftswissen­ schaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main, als Dissertation eingereicht. Sie ist entstanden während meiner Tätigkeit als Assistent von Prof. Dr. Hartmut Kreikebaum am Lehrstuhl für Internationales Management der European Business School, Schloß Reichartshausen, Oestrich-Winkel. Mein besonderer Dank geht an meinen verehrten akademischen Lehrer Prof. Dr. Hartmut Kreikebaum, der mich durch sein praktisches Beispiel lehrte, was Reflexion, Einsicht und konsequentes Handeln im alltäglichen Leben ausmachen. Seine stetige Ermutigung und Unterstützung, gepaart mit einem enormen wissenschaftlichen und zeitlichen Freiheitsgrad waren wichtige Voraussetzungen zur Entstehung dieser Arbeit. Herm Prof. Dr. Gerd Fleischmann danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens. Natürlich entsteht eine solche Arbeit nicht ohne die Mithilfe anderer, ihnen allen sei aufrichtig gedankt. An vorderster Stelle ist hier mein Freund und Kollege am Lehr­ stuhl, Dr. Dirk Ulrich Gilbert, zu nennen. Die unzähligen Stunden des konstruktiven Diskutierens werde ich immer in bester Erinnerung behalten.

Die kritische Durchsicht des Manuskriptes haben Dr. Dirk Ulrich Gilbert, Dipl.-Kfm. Andre Kleinfeld, Dipl. Soz.-Päd. Mathias Neubauer und Dr. Marco Steih übernom­ men, herzlichen Dank für die viele Arbeit und Anregungen! Meiner Frau Astrid kann ich gar nicht genug danken. Sie hat mir stets die „lebensweltliche Perspektive“ offen gehalten und durch ihre liebevolle Geduld und Unterstützung den notwendigen Ausgleich geboten.

Meine Eltern haben mir durch ihre großzügige ideelle und finanzielle Unterstützung ein sorgenfreies Studium ermöglicht und nahmen regen Anteil am Entstehen der Disser­ tation. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet!

Mühltal, im November 1997

Michael Behnam

Inhaltsverzeichnis

7

Inhaltsverzeichnis Seite

Abbildungsverzeichnis............................................................................................... 13 Tabellenverzeichnis....................................................................................................15

1 Einführung....................................................................................................... 17 1.1

1.2

1.3

Die Erweiterung der Strategischen Untemehmensplanung um ethische Reflexion als Problemstellung........................................................ 17 Begriffsklärungen............................................................................................. 19 1.2.1 Ethische Reflexion.................................................................................. 19 1.2.2 Strategische Untemehmensplanung...................................................... 20 Gang der Untersuchung..................................................................................23

2 Eine Konzeption der Strategischen

Unternehmensplanung...................................................................27 2.1 2.2

2.3

2.4

Zum Zusammenhang von StrategischerUnternehmensplanung, strategischem Planungssystem und strategischem Plan.......................... 27 Strategische Konzepte.................................................................................... 30 2.2.1 Systematisierungsrichtungen................................................................. 30 2.2.2 Systematisierungsübersicht....................................................................35 2.2.3 Formen strategischer Konzepte............................................................. 36 2.2.3.1 Systemisches Paradigma.........................................................36 2.2.3.2 Deskriptives Paradigma..........................................................48 2.2.3.3 Konstruktivistisches Paradigma............................................ 51

Anforderungen an ein strategisches Konzept zur Erweiterung um ethische Reflexion.......................................................................... 64 Ausgewähltes Konzept der Strategischen Unternehmensplanung........ 66

Inhaltsverzeichnis

8

3

Wirtschafts- und Unternehmensethik als Ausdrucksformen ethischer Reflexion ÖKONOMISCHER ZUSAMMENHÄNGE.......................................... 75 3.1

3.2 3.3

3.4

3.5

3.6

4

Ökonomie und Ethik..................................................................................... 75 3.1.1 Das Verhältnis von Ökonomie und Ethik bei den Klassikern............. 75 3.1.2 Das Verhältnis von Ökonomie und Ethik bei den Neoklassikern...... 78 3.1.3 Das Verhältnis von Ökonomie und Ethik bei den modernen Ökonomen..............................................................................................81 Wirtschaftsethik als Ausgangspunkt unternehmensethischer Überlegungen....................................................................................... 83 Zur Möglichkeit einer Unternehmensethik in der Marktwirtschaft.... 86 3.3.1 Die Voraussetzung unternehmerischer Handlungsfreiräume............. 86 3.3.2 Die realen Handlungsfreiräume von Unternehmen unter marktwirtschaftlichen Bedingungen......................................... 88 Zur Notwendigkeit einer Unternehmensethik in der Marktwirtschaft .91 3.4.1 Die Berücksichtigung ethischer Normen als systematische Aufgabe der Rahmenordnung..................................................... 91 3.4.2 Die inhärenten Defizite der Rahmenordnung als Ausgangspunkt der Aufgaben einer Untemehmensethik...........................................94 Die Aufgaben der Unternehmensethik......................................................... 97 3.5.1 Die Ergänzungsfunktion......................................................................... 97 3.5.2 Die Ersatzfunktion..................................................................................98 3.5.3 Die Verbesserungsfunktion................................................................... 99 3.5.4 Die Entdeckungsfunktion....................................................................... 100 Konsequenzen aus der eigenständigen Rolle der Unternehmensethik .101

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Unternehmensethik......................................... 103 4.1

Die amerikanische Business Ethics-Bewegung........................................... 103 4.1.1 Ausgangspunkt: Die sozio-kulturellen und philosophischen Grundlagen der Business Ethics-Bewegung.............................. 103 4.1.2 Hauptströmungen der Business Ethics-Bewegung............................... 106 4.1.3 Strategische Implikationen..................................................................... 116

Inhaltsverzeichnis

4.2

9

Unternehmensethik als Ausgleich der defizitären Rahmenordnung.... 121 4.2.1 Ausgangspunkt: Ökonomische Theorie der Moral............................... 121

4.2.2 Verwirklichung moralischer Normen durch unternehmerisches Handeln in der Marktwirtschaft..................................................123

4.3

4.4

4.5

4.2.3 Strategische Implikationen..................................................................... 126 Unternehmensethik als situatives Korrektiv................................................ 128 4.3.1 Ausgangspunkt: Republikanische Ethik............................................... 128 4.3.2 Situative Beschränkung des Gewinnprinzips in Konfliktsituationen.. 132 4.3.3 Strategische Implikationen..................................................................... 135 Der dialogische Ansatz der Unternehmensethik......................................... 138 4.4.1 Ausgangspunkt: Die Erweiterung der ökonomischen Rationalität im Unternehmen als Konsequenz des diskursethischen Programms....... 138 4.4.2 Drei Rationalisierungsebenen und die regulative Leitidee des untemehmenspolitischen Dialogs............................................... 147 4.4.3 Strategische Implikationen..................................................................... 150 Die Eignung der alternierenden unternehmensethischen Ansätze zur Erweiterung der Strategischen Unternehmensplanung...................155

5 Strategische Unternehmensplanung als geeigneter

Ort ethischer Reflexion...................................................................163 5.1

5.2

Der informationsverarbeitende Prozeßcharakter von Strategischer Unternehmensplanung und ethischer Reflexion als Ausgangspunkt..... 163 Der Anwendungsbezug ethischer Reflexion............................................... 165 5.2.1 Die Bedeutung der Ethik als praktische Philosophie.......................... 165 5.2.2 Voraussetzungen ethischer Reflexion.................................................. 166 5.2.3 Konkretisierungsstufen ethischer Reflexion.........................................168 5.2.3.1 Normative Ebene...................................................................... 168 5.2.3.2 Entscheidungs- und Handlungsebene.................................... 170 5.2.4 Normenhinterfragung und Zukunftsorientierung ethischer Reflexion.......................................................................................170

Inhaltsverzeichnis

10

5.3

Konzeptionelle Zusammenhänge zwischen Strategischer Unternehmensplanung und ethischer Reflexion.............................. 171 5.3.1 Formale Zusammenhänge......................................................................171 5.3.1.1 Zusammenhang der konzeptionellen Rahmenbedingungen .171 5.3.1.2 Systematisch-methodische Gemeinsamkeiten........................ 173 5.3.2 Funktionale Zusammenhänge................................................................ 174 5.3.2.1 Integrationscharakter von Strategischer Unternehmensplanung und ethischer Reflexion........ 174 5.3.2.2 Sicherheitsfunktion von Strategischer Unternehmensplanung und ethischer Reflexion........ 176

5.3.3 Inhaltliche Zusammenhänge................................................................... 178 5.3.3.1 Bedingungen für ethisch reflektierte Absichten................... 178 5.3.3.2 Bezugspunkte zwischen ethischer Reflexion und strategischer Analyse................................................... 180 5.3.3.3 Der Stellenwert der Ethik bei der Strategiebestimmung......182 5.3.3.4 Strategieimplementierung und ethische Reflexion................184 5.3.3.5 Die Bedeutung der ethischen Reflexion im Rahmen der strategischen Kontrolle...............................................185

5.4 5.5

Ethische Reflexion als komplementärer Prozeß zur Strategischen Unternehmensplanung........................................................................187 Die Interdependenz von ethischer Reflexion und Strategischer Unternehmensplanung........................................................................189 5.5.1 Durchdringung ethischer Positionen durch die Strategische Untemehmensplanung................................................................. 189 5.5.2 Öffnung und Schließung strategischer Perspektiven durch ethische Reflexion.............................................................. 191 5.5.3 Konsequenzen einer ethisch-strategischen Dilemmasituation............ 192

6 MÖGLICHKEITEN DER IMPLEMENTIERUNG ETHISCHER Reflexion in die Strategische Unternehmensplanung......................................................................... 195 6.1 6.2

Schaffung der organisatorischen Voraussetzungen durch kulturbewußtes Management.............................................................195 Schaffung der personellen Voraussetzungen.............................................. 204

Inhaltsverzeichnis

6.3

11

Möglichkeiten der Implementierung ethischer Reflexion in einzelne Bereiche der Strategischen Unternehmensplanung........210 6.3.1 Ethische Orientierung unternehmerischer Absichten.......................... 210

6.3.2 Unternehmens- und Umfeldanalyse aus ethischer Perspektive.......... 214

6.3.3 Formulierung konsensfähiger Strategien.............................................. 222 6.3.4 Entwicklung konsensfähiger Maßnahmen und Ziele........................... 226 6.3.5 Die Doppelrolle der strategischen Kontrolle....................................... 228

7 SCHLUßBETRACHTUNG: Die Notwendigkeit und Möglichkeit einer um ethische Reflexion erweiterten Strategischen Unternehmensplanung........................................................................ 231 Literaturverzeichnis................................................................................................. 233

13

Abbildungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis Seite Abbildung 1 -1: Gliederung der Ethik............................................................................ 20 Abbildung 1-2: Gang der Untersuchung....................................................................... 26 Abbildung 2-1: Der Zusammenhang von Strategischer Untemehmensplanung, strategischem Planungssystem und strategischen Plänen................. 27

2-2: Klassisch-konstruktivistischer Planungsablauf.................................31 2-3: Ausgewählte strategische Konzepte.................................................. 36 2-4: Die geplante Evolution.......................................................................37 2-5: Modell einer Gesamtarchitektur von Managementsystemen.......... 39 2-6: Die Unternehmung als lebensfähiges System.................................. 41 2-7: Die Problemlösungsschritte der Methodik des vernetzten Denkens........................................... 45 Abbildung 2-8: Strategiemuster nach MlNTZBERG...................................................... 48 Abbildung 2-9: Das formale Verfahren der Untemehmensstrategieplanung bei Hax/ Majluf..................................................... 57 Abbildung 2-10: HINTERHUBERS Gesamtkonzeption der Strategischen Untemehmensführung.............................................. 59 Abbildung 2-11: Die Triebkräfte des Branchenwettbewerbs nach PORTER................ 61 Abbildung 2-12: Das Grundmodell der Strategischen Untemehmensplanung............66 Abbildung 2-13: Klassifizierung von Umweltbedingungen.......................................... 67 Abbildung 2-14: Strategische Analyse der Untemehmenssituation............................. 68 Abbildung 2-15: Der Zusammenhang von Absichten und Zielen................................ 69 Abbildung 2-16: Zielvorstellung eines um ethische Reflexion erweiterten Grundmodells der Strategischen Untemehmensplanung nach Kreikebaum.......................................................................................74 Abbildung 3-1: Die Zwei-Weltenkonzeption von Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsethik............................................... 80 Abbildung 4-1: Philosophischer Hintergrund der Business Ethics-Bewegung......... 106 Abbildung 4-2: Der triadische Ansatz zur Entwicklung einer Verfahrensethik........ 109 Abbildung 4-3: GOODPASTERS Konzept der Business Ethics..................................... 110 Abbildung 4-4: Velasquez' Konzept der Business Ethics........................................ 112 Abbildung 4-5: EPSTEINS Konzept des Corporate Social Policy Process.................. 116 Abbildung 4-6: Das Unternehmen und seine Anspruchsgruppen............................... 118 Abbildung 4-7: Das URJC-Ablaufdiagramm zur Entwicklung ethischer Entscheidungen......................................................... 119 Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung

14

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 4-8: Homanns zweistufige Konzeption der Wirtschafts- und Unternehmensethik................................................... 124 Abbildung 4-9: Das Vier-Quadranten-Schema nach Homann................................... 127 Abbildung 4-10: Der Prozeß der praktischen Normenbegründung nach Steinmann 131 Abbildung 4-11: Steinmanns Konzept der republikanischen Handlungsorientierung des Unternehmens.............. 133 Abbildung 4-12: Die Rolle der Ethik-Kommission nach STEINMANN......................... 137 Abbildung 4-13: Der prozedurale Charakter der Diskursethik..................................... 139 Abbildung 4-14: Die 'Verortung' unternehmerischen Handelns bei Ulrich............. 147 Abbildung 4-15: Konsequenzen der systematisch defizitären Rahmenordnung für Homanns Konzeption der Wirtschafts- und Untemehmensethik.... 158 Abbildung 5-1: Prozeßphasen ethischer Reflexion...................................................... 171 Abbildung 5-2: Cross-Impact-Matrix........................................................................... 182 Abbildung 5-3: Komplementarität von ethischer Reflexion und Strategischer Untemehmensplanung......................................................................... 188 Abbildung 5-4: Die Ableitung und Einbettung der ökonomischen in die gesamtgesellschaftliche Rationalität....................... 189 Abbildung 6-1: Gestaltung und Ergebnisse des internen Strukturwandels............... 203 Abbildung 6-2: Mögliche Phasen und Zielsetzungen eines Schulungsprozesses..... 207 Abbildung 6-3: Der Zusammenhang von Persönlichkeitsfaktoren und Gemeinschaftszielen................................................ 209 Abbildung 6-4: Ablaufdiagramm des Normenfindungsprozesses zur Festlegung von Absichten........................................................... 213 Abbildung 6-5: Bedeutungskriterien von Interessengruppen..................................... 216 Abbildung 6-6: Strategieimplementierung unter Einbezug der Interessengruppen ...227 Abbildung 6-7: Die Doppelrolle der strategischen Kontrolle......................................229

Tabellenverzeichnis

15

Tabellenverzeichnis Seite Tabelle 2-1: ANSOFFS Entwicklungsstufen der Managementsysteme......................... 51 Tabelle 2-2: Produkt-Markt-Matrix nach Ansoff......................................................... 52

Tabelle 2-3: Tabelle 2-4: Tabelle 4-1: Tabelle 4-2:

Relevante Bereiche des Strategie-Konzepts nach DRUCKER.................. 52 Überblick über mögliche Arten von Strategien........................................ 70 Diskursregeln nach HABERMAS.................................................................. 141 Sozialökonomische Konzeption betriebswirtschaftlicher Rationalisierungsebenen....................................................... 148 Tabelle 4-3: Konzeption einer offenen Untemehmensverfassung................................ 152 Tabelle 4-4: Zusammenhang von Strategischer Planung und konsensorientiertem Management........................................ 154 Tabelle 5-1: Kohlbergs Stufen der Moralentwicklung............................................... 167

Tabelle 5-2: Gemeinsamkeiten von Strategischer Untemehmensplanung und ethischer Reflexion........................................................ 178 Tabelle 6-1: Verbindungslinien zwischen strategischer Systemsteuerung, Kulturentwicklung und dialogischer Untemehmensethik.. 200 Tabelle 6-2: Mögliche Schulungsinhalte im Rahmen des kulturellen Mitarbeitertrainings.............................................................. 206 Tabelle 6-3: Anforderungen an Organisationsstruktur, Untemehmenskultur und Persönlichkeitsstruktur.................................................. 209 Tabelle 6-4: Aspekte der Interessengruppen................................................................. 217 Tabelle 6-5: Erfassungsformblatt "Anliegen - Interessengruppen"............................... 219 Tabelle 6-6: Erfassungsformblatt "Importance-Index".................................................. 220 Tabelle 6-7: Erfassungsformblatt "Chancen-Bedrohungs-Matrix"............................... 221 Tabelle 6-8: Strategiebewertungsformblatt................................................................... 224 Tabelle 6-9: Feststellung der aktuellen Diskurssituation............................................... 230

Einführung

17

1 Einführung 1.1 Die Erweiterung der Strategischen Untemehmensplanung um ethische Reflexion als Problemstellung Die Beschäftigung mit Fragen der ethischen Reflexion in der betriebswirtschaftlichen Forschung und unternehmerischen Praxis ist aus zwei Gründen relativ neu. Erstens wird von Teilen der Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmer immer noch Skepsis gegen eine normative - also wertorientierte - Auseinandersetzung mit der Disziplin gehegt, und zweitens ist es der Wissenschaftstheorie und Philosophie lange Zeit nicht gelungen, einen dritten Weg rationaler kritischer Wertorientierung zwischen wert­ freiem Objektivismus einerseits und Ideologie andererseits aufzuzeigen.1 Da aber die Funktionsrationalität des Wirtschaftssystems nicht mehr allseits unhinterfragt akzep­ tiert wird, geraten die lebenspraktischen Auswirkungen der wirtschaftlichen Eigenlogik in den Blick.2 Durch die Erosion des Vertrauens in eine solche wirtschaftliche Eigen­ logik gerät die Wirtschaft in eine Legitimationskrise, und ein humanistisches Para­ digma zur Erklärung und Begründung wirtschaftlichen Handelns gewinnt zunehmend an Notwendigkeit.3 Im Zuge dieser Entwicklung verstärkt sich das wissenschaftliche und unternehmerische Interesse an Wirtschafts- und Untemehmensethik. Dabei ist un­ ter Wirtschaftsethik auf die Wirtschaft allgemein bezogene und unter Untemehmens­ ethik auf das unternehmerische Wirtschaften bezogene ethische Reflexion zu verste­ hen.

In der Wissenschaftsgenese wurde der Versuch unternommen, die ökonomische Theorie zugunsten ihrer Eigenständigkeit weitgehend von ihrem lebensweltlichen Be­ zug und ihren philosophischen Wurzeln zu befreien und eine Vorstellung von Ethik zu schaffen, die sich außerhalb ökonomischer Rationalität befindet. Ethische Reflexion bezüglich ökonomischer Rationalität wurde als vor-, neben- oder nachgelagerte Ak­ tivität verstanden, in jedem Falle aber als eine von ökonomischer Rationalität abge­ spaltene Frage. Das vergangene Jahrzehnt der Diskussion um Wirtschafts- und Unter­ nehmensethik hat gezeigt, daß die Vorstellung eines Dualismus von Ethik und Öko­ nomie immer noch wirkungsmächtig ist.4 Trennt man aber ökonomische Rationalität und ethische Reflexion derselben, so entsteht die Gefahr, moralische Überlegungen in den Trivatbereich' des einzelnen abzudrängen und wirtschaftliches Handeln einer la­ tenten Irrationalität im Sinne praktischer Vernunft auszusetzen.5 Der Tatsache, daß menschliches Handeln eine Einheit darstellt und vom Handlungssubjekt auch als Ein­ 1 2 3 4

5

Vgl. Ulrich 1993, S.269. Vgl. Ulrich 1990, S. 179-180. Vgl. Bleicher 1994, S.28-30. Vgl. Ami 1990, S.291-302; Schneider 1990, S.869-891; Schneider 1991, S.537-543; Starke 1991, S.43-50; Steinmann/Löhr 1991c, S.524-541; Ulrich 1991, S.529-536; Hax 1993, S.769779; Hax 1995, S.180-182; Pies/Blome-Drees 1993, S.748-767; Pies/Blome-Drees 1995, S. 175179; Homann 1995, S. 178-179. Vgl. Höffe 1985, S.12-13.

Einführung

18

heit empfunden wird, muß in der theoretischen Beschäftigung mit Ökonomie und Ethik Rechnung getragen werden. „Alles menschliche Handeln weist gleichzeitig und un­ trennbar ökonomische und moralische Aspekte auf. Es ist zwar legitim, wenn Einzel­ wissenschaften diese Aspekte analytisch unterscheiden und separat erforschen; aber nicht mehr legitim ist es, wenn die analytische Unterscheidung (...) die Einheit des Handelns in Vergessenheit geraten läßt: Das fuhrt meistens dazu, daß nur noch ein Aspekt gesehen und dann verabsolutiert wird, was entweder zu einem Moralismus oder zu einem Ökonomismus führt. (...) Die philosophische Ethik braucht die Wirt­ schaftswissenschaft, und umgekehrt braucht die Wirtschaftswissenschaft, wenn sie ihren Beitrag zur Reflexion über das 'gute Leben' des Aristoteles leisten soll und will, die ethische Reflexion.“6 Die Beschäftigung mit Untemehmensethik entwickelte sich in Deutschland vor dem Hintergrund der Sozialen Marktwirtschaft, wobei das Interesse von immer mehr Un­ ternehmen an ethischen Aspekten ihres Handelns stetig zugenommen hat, u.a. wegen der seit Ende der siebziger Jahre gestiegenen Sensibilität einer breiten Öffentlichkeit für ethische Fragestellungen und externe Effekte, insbesondere im Bereich der Öko­ logie.7 Die wachsende Bereitschaft vieler Unternehmen zu einer kritischen Auseinan­ dersetzung mit untemehmensethischen Fragen geht einher mit einem steigenden Ver­ ständigungsbedarf mit untemehmensintemen und -externen Interessengruppen.8 Dies läßt ethische Konflikte sowohl bei strategischen Führungsentscheidungen als auch im operativen Management offener und zahlreicher zu Tage treten, mit der Folge einer steigenden Wichtigkeit erfolgreicher Konfliktbewältigung.

Als Orientierungsgrundlage unternehmerischer Aktivitäten gerät daher die Strategische Untemehmensplanung in den Blickpunkt der Betrachtung. Ethische Ansprüche an Art, Inhalt und Ergebnis unternehmerischer Planungs- und Entscheidungsprozesse sind nur denkbar, wenn eine doppelte Kontingenz dieser Entscheidungen besteht. Zum einen ist ein genereller Handlungsspielraum von Unternehmen in marktwirtschaftlichen Syste­ men notwendig, und zum anderen muß im unternehmerischen Planungs- und Entschei­ dungsprozeß Raum für ethische Reflexion geschaffen werden. Damit stellt sich die Frage nach dem Potential, ethische Erwägungen im Rahmen unternehmerischer Pla­ nungs- und Entscheidungsprozesse anstellen zu können, unabhängig davon, ob dieses Potential faktisch genutzt wird.9 Aufgrund der bereits erwähnten Einheit des Handelns und der eminenten Bedeutung der Strategischen Untemehmensplanung für die Handlungen des Unternehmens, ent­ steht die Notwendigkeit, die möglichen Zusammenhänge zwischen ethischer Reflexion und Strategischer Untemehmensplanung zu untersuchen. Diese Zusammenhänge ver­ leihen der Frage nach einer um ethische Reflexion erweiterten Strategischen Unter­

6 7 8 9

Homann et al. 1989, S.29. Vgl. Kreikebaum 1993, S. 124-125; Kreikebaum 1996, S.III. Vgl. Burkart 1993, S.22. Vgl. Schreyögg 1991a, S.258.

Einführung

19

nehmensplanung und den Implementierungsmöglichkeiten einer Untemehmensethik ihre besondere Aktualität.

1.2 Begriffsklärungen 1.2,1 Ethische Reflexion Grundlegend für die begriffliche Bestimmung ethischer Reflexion ist die Unterschei­ dung von Ethik, Ethos und Moral.10 Ethik als praktische Philosophie befaßt sich mit menschlichen Handlungen und deren Beurteilung bezüglich ihrer moralischen Bedeu­ tung.11 Moral versteht sich als die aus der allgemeinen Anerkennung hervorgegange­ nen Handlungsmuster einer Gemeinschaft. Sie stellt somit einen durch das Verhalten der jeweiligen Mitglieder der Gemeinschaft nach außen sichtbaren Ordnungsrahmen dar.12 Ethos bezeichnet hingegen das gedankliche Konstrukt von verinnerlichten Ge­ wohnheiten und Wertvorstellungen und die daraus resultierende innere Verpflichtung zur Erfüllung derselben.13 Ethos und Moral beeinflussen sich gegenseitig und stehen daher in einer Wechselbeziehung zueinander.14 Ethische Reflexion ist die (wissenschaftliche) Beschäftigung mit Ethos und Moral und versucht, für diese Be­ gründungen zu finden.15 Sie soll damit helfen, Aussagen über gutes und gerechtes Handeln machen zu können. Während ethische Reflexion das (Nach-)Den^n über bestehende und mögliche Handlungsnormen sowie deren Begründungsfähigkeit leisten soll16, haben Ethos und Moral stärker anwendungsorientierte Bezüge, da sie sich mit moralischem Handeln befassen.17 Ethische Reflexion läßt sich somit als normative Ethik auffassen. Davon abzugrenzen ist die deskriptive Ethik, deren Inhalt die situa­ tive, kulturabhängige Beschreibung und der Vergleich bestehender Moralsysteme und Wertordnungen ist. Die deskriptive Ethik versucht, über eine Erklärung der Moralsy­ steme und Wertordnungen zur Theoriebildung beizutragen.18 Weiterhin abzugrenzen ist die Metaethik, oft auch als analytische Ethik bezeichnet, die sich mit den möglichen Methoden der Normenbegründung beschäftigt, also selbst eine Reflexion über Ethik darstellt.19 Bei aller Bemühung um eine kritische Reflexion bestehender Moralsysteme und damit verbundener Begründungsversuche bleibt zu beachten, daß zwar eine An­

10 11 12 13 14 15 16 17 18 19

Zur ausführlichen sprachlichen Herleitung vgl. Pieper 1991, S.25-28. Vgl. McCoy 1985, S.41. Vgl. Lay 1991, S.56-57. Vgl. Kerber 1986, S. 125. Vgl. Anzenbacher 1992, S.l 13-115. Vgl. Apel 1984a, S.146; Brause 1994, S.l 18. Vgl. Spaemann 1994, S.14. Vgl. Kreikebaum 1996, S.9-10. Vgl. Höffe 1992b, S.62. Vgl. Kutschera 1982, S.39-46.

20

Einführung

näherung an die 'Wahrheit' möglich sein mag, aber sicheres Wissen uns versagt bleibt.20

Die folgende Abbildung zeigt Abgrenzungs- und weitere Untergliederungsmöglich­ keiten der normativen Ethik auf.

Abbildung 1-1: Gliederung der Ethik

Quelle: Eigene Darstellung

1.2.2 Strategische Unternehmensplanung

Die Strategische Untemehmensplanung21 wird dem Aufgaben- und Verantwortungs­ bereich des Top-Managements zugeschrieben und betrifft das gesamte Unternehmen sowie einzelne Geschäfts- und Funktionsbereiche.22 Im Mittelpunkt der Strategischen Planung stehen die Schaffung und Erhaltung von Handlungsspielräumen und Erfolgs­ potentialen, d.h. die Sicherung der Effektivität und letztlich des Überlebens eines Un­ ternehmens.23 Im Gegensatz dazu hat die operative Planung die Effizienzsteigerung zur Aufgabe, indem sie die durch die Strategische Planung geschaffenen Potentiale bestmöglich ausnutzt.24 Hofer/ Schendel drücken dieses Verhältnis recht anschau­

20 Vgl. Enderle 1987b, S.616-618; Anzenbacher 1989, S.43; Popper 1994, S.XXV. 21 Im folgenden werden die Begriffe Strategische Unternehmensplanung und Strategische Planung synonym verwendet. 22 Vgl. Kreikebaum 1993, S.27. 23 Vgl. Wild 1981, S.15; Gälweiler 1990, S.6; Hammer 1992, S.8. 24 Vgl. Ulrich/Fluri 1995, S.l 10 und 132-133.

Einführung

21

lieh aus: Effektivität bedeutet, die richtigen Dinge zu tun ("to do the right things"), während Effizienz heißt, die Dinge richtig zu tun ("to do things right").25

Die zunehmende Komplexität und fortschreitende Dynamik der Umweltentwicklungen können sich als Bedrohungen für ein Unternehmen herausstellen.26 Zu den wesentli­ chen Aufgaben der Strategischen Untemehmensplanung zählt aus diesem Grund das rechtzeitige Erkennen von Veränderungen, um die Flexibilität des Unternehmens zu sichern.27 Dadurch lassen sich zukünftige Handlungsspielräume offen halten, und die Gefahr von unsystematischen ad hoc-Entscheidungen aufgrund unerwarteter Ereignisse wird gemindert. Diese Zukunftsorientierung bedeutet auch, daß geltende Ziele und Strategien zu untersuchen und in bezug auf ihre Rationalität in Frage zu stellen sind.28 Die Strategische Untemehmensplanung trägt dazu bei, die Stabilität der Untemehmensentwicklung dadurch zu erhöhen, daß sie administrative und operative Einzelent­ scheidungen integriert und in längerfristigen Perspektivenplänen zusammenschließt.29 Dadurch lassen sich ansonsten doppelt ausgeführte Arbeiten vermeiden, und die Ko­ ordination von interdependenten Einzelmaßnahmen wird durch das Verfolgen gemein­ samer Ziele sowie durch die Konzentration der Untemehmensressourcen besser er­ reichbar.30 Strategische Untemehmensplanung hat folglich eine Orientierungsfunktion für alle Mitarbeiter und bedeutet zugleich Kontinuität. Sie soll dadurch die Aufeinan­ derfolge von ungeplanten und widersprüchlichen Einzelschritten verhindern.31 Außer­ dem erhöht das geplante Sammeln und Auswerten von internen und externen Informa­ tionen als weiteres wesentliches Kennzeichen der Strategischen Untemehmensplanung die Handlungssicherheit und mindert zugleich die Komplexität sowie das Risiko der Untemehmenstätigkeit.32 Die einzelnen Phasen des strategischen Planungsprozesses sind sachlogisch und zeit­ lich miteinander verknüpft, wobei die sequentielle Darstellung des Prozesses nicht zu der Annahme führen darf, daß es sich um eine strikte Abfolge der Phasen handelt.33 Der Prozeß verläuft vielmehr zyklisch und iterativ.34 Die aufgrund der Mehrfachdurch­ läufe erzeugten Wiederholungen und zusätzlich erworbenen Informationen erweitern das Wissen der gesamten Organisation wie das ihrer einzelnen Mitglieder, so daß der Planungsprozeß auch einem Lernprozeß gleichkommt.35

25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Hofer/Schendel 1978, S.2-3. Kreikebaum 1989, Sp. 1877. Rabl 1990, S.26. Kreikebaum 1993, S.33. Schreyögg 1984, S.80. Hammer 1992, S.127-128. Schreyögg 1984, S.80. Wild 1981, S.16-17. Hammer 1992, S.l 19; Kreikebaum 1993, S.120. Wild 1981, S.40-41. Wieselhuber 1983, S.57; Riedl 1995, S.99.

22

Einführung

Die Strategische Planung steht im Unternehmen nicht als ein isoliertes Gebilde da, in dem sich die Planung allein zum Selbstzweck und nach eigenen Gesetzen vollzieht.36 Sie ist vielmehr nach bestimmten organisatorischen Regeln strukturiert und in das strategische Planungssystem eingebettet.37 Das Planungssystem ordnet die zur Planung notwendigen Komponenten und legt ihre Beziehungen zueinander fest. Hierdurch erhält jedes Planungssystem eine charakteristische Struktur. Da sich die Strategische Untemehmensplanung in der Regel als arbeitsteiliger Prozeß erweist, erwächst daraus die Notwendigkeit der Koordination einzelner Planungsträger über Informations- und Kommunikationsbeziehungen, die ebenfalls konstituierend für ein Planungssystem sind.38 Diese Regelungen, die den Aufbau und die Funktionsweise des Planungssy­ stems bestimmen, wirken normierend und standardisierend. Die Strategische Unter­ nehmensplanung als Prozeß der Informationsgewinnung, -analyse und -Verarbeitung sowie der Entscheidungsfindung benötigt zur Erfüllung dieser Aufgaben Hilfsmittel in Form von Planungsinstrumenten und -verfahren als weitere Bestandteile des Planungs­ systems.39 Die Anforderungen an eine Strategische Untemehmensplanung leiten sich aus dem hier vertretenen allgemeinen Unternehmensverständnis ab. Die Grundfunktion des Unter­ nehmens ist die Schaffung von Werten durch Leistungserstellung. Als gesellschaftli­ chem Subsystem kommen ihm aber gleichzeitig sozialökonomische Funktionen zu.40 Diese beziehen sich in erster Linie auf die Berücksichtigung der Wirkungszusammen­ hänge der Leistungserstellung und der Interessen der von den Unternehmensaktivitäten direkt und indirekt Betroffenen.41 Zwei wichtige Aspekte sollen hier hervorgehoben werden. Erstens ist eine verstärkte kooperative Willensbildung wünschenswert, die den von der Planung Betroffenen ein direktes oder indirektes Mitwirken an geeigneter Stelle im Planungsprozeß ermöglicht.42 Der zweite Aspekt richtet sich an die indivi­ duelle Bewußtseinshaltung der Planungsträger, die durch Offenheit für neue Entwick­ lungen geprägt sein sollte.43

36 37 38 39 40 41 42 43

Vgl. Hammer 1992, S.l8. Vgl. Bea/ Haas 1995, S.56. Vgl. Wild 1981, S.154. Einen Überblick wichtiger Instrumente gibt Kreikebaum 1993, S.62-104. Zur ausführlicheren Diskussion dieses Verständnisses vgl. Ulrich 1981, S.61-68. Vgl. Steinmann/Gerhard 1992, S.l62. Vgl. Kreikebaum 1992, S.848; Bleicher 1995, S.61. Vgl. ausführlich zu dieser Auffassung Kreikebaum 1993, S. 160-164; Bleicher 1995, S.23-30 und S.85.

Einführung

23

1.3 Gang der Untersuchung Zu Beginn des zweiten Kapitels wird die Eingebundenheit der Strategischen Unter­ nehmensplanung in ein strategisches Planungssystem und der Zusammenhang mit dem strategischen Plan als wesentlichem Teilergebnis des Planungsprozesses erläutert, um zu verdeutlichen, daß die Strategische Untemehmensplanung - wie bereits erwähnt nicht losgelöst im Unternehmen steht. Die Beschäftigung mit Strategischer Untemeh­ mensplanung aus unterschiedlichen Blickrichtungen hat zu einer Vielzahl von strategi­ schen Konzepten geführt. Deshalb wird eine Systematisierungsübersicht vorgenommen mit einer anschließenden Darstellung strategischer Konzepte, die als stellvertretend für die diversen Strategieschulen gelten können. Die Fülle der vorgestellten strategischen Konzepte erklärt sich aus mehreren Gründen. Die einzelnen Konzepte sind voneinan­ der beeinflußt und ergänzen sich teilweise. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit er­ scheint es deshalb geboten, den Stand der Diskussion um die Strategische Untemeh­ mensplanung zumindestens schlaglichtartig wiederzugeben, um nicht von vornherein ein bestimmtes Konzept zu favorisieren. Die Spezifika der einzelnen Konzepte lassen sie daher auch nicht als generell 'gut' oder 'schlecht' erscheinen, sondern für ganz bestimmte Fragestellungen als vorzugswürdig oder nicht erscheinen. Ein Konzept, das beispielsweise als Partialmodell auf die Wettbewerbsdynamik fokussiert, erscheint als ein um ethische Reflexion erweiterungsfähiges Konzept nicht sonderlich geeignet, während es sich für spezifische Fragen der Entwicklung von Wettbewerbsstrategien besser eignen mag als andere. Erst die spezifischen Anforderungen an ein Konzept der Strategischen Untemehmensplanung, das sich für eine Erweiterung um ethische Re­ flexion eignet, führt zur Auswahl eines Konzeptes für den weiteren Verlauf der Arbeit. Dabei bleibt das ausgewählte Konzept offen für Anregungen anderer Ansätze der Strategischen Untemehmensplanung. Im dritten Kapitel werden die Wirtschafts- und Untemehmensethik als Ausdrucksfor­ men ethischer Reflexion ökonomischer Zusammenhänge vorgestellt. Nachdem im zweiten Kapitel die Strategische Untemehmensplanung sozusagen stellvertretend für den ökonomischen Bereich vorgestellt wurde, vollzieht sich hier der Übergang zur ethischen Reflexion. Die kurzen Betrachtungen zum Verhältnis von Ökonomie und Ethik in der Wissenschaftsgenese führen zur Wirtschaftsethik als Ausgangspunkt untemehmensethischer Überlegungen. Dabei wird deutlich, daß Wirtschafts- und Unter­ nehmensethik ihre jeweils eigenständige Rolle haben und sich als Komplemente zuein­ ander verhalten. Die Möglichkeit untemehmensethischer Überlegungen ergibt sich - wie in der Problemstellung bereits angedeutet - aber erst unter der Voraussetzung unternehmerischer Handlungsfreiräume, weshalb die realen Handlungsfreiräume von Unternehmen unter marktwirtschaftlichen Bedingungen erläutert werden. Die Not­ wendigkeit einer Untemehmensethik in der Marktwirtschaft ergibt sich aus den Über­ legungen zum Verhältnis von Wirtschafts- und Untemehmensethik. Während die Wirt­ schaftsethik die Berücksichtigung ethischer Normen als systematische Aufgabe der Rahmenordnung im Blick hat, sind die inhärenten Defizite jeglicher Rahmenordnungen der Ausgangspunkt eigenständiger untemehmensethischer Aufgaben.

24

Einführung

Das vierte Kapitel ist als Pendant zum zweiten Kapitel zu verstehen. Hier werden die amerikanische Business Ethics-Bewegung und drei prominente deutschsprachige An­ sätze der Untemehmensethik vorgestellt, wobei diese wiederum stellvertretend für die momentane Diskussion um die Untemehmensethik stehen. Eine vordergründige Be­ trachtung der untemehmensethischen Diskussion würde zunächst die gemeinsamen Merkmale alternierender Ansätze der Untemehmensethik erkennen. Letztlich geht es allen Ansätzen um die Frage nach dem 'richtigen Handeln' in ökonomischen Zusam­ menhängen. Erst eine vertiefte Untersuchung ermöglicht es, die - auf den zweiten Blick erkennbaren - doch ganz wesentlichen Unterschiede herauszuarbeiten. Es er­ scheint daher notwendig, auf den jeweiligen philosophischen Ausgangspunkt der ein­ zelnen Ansätze einzugehen, um dann die wesentlichen Inhalte zu erläutern. Schließlich werden alle Ansätze auf ihre strategischen Implikationen hin untersucht. Analog zur Untersuchung der strategischen Konzepte auf ihre Erweiterungsfähigkeit um ethische Reflexion wird - sozusagen im Umkehrschluß - eine Untersuchung der alternierenden untemehmensethischen Ansätze bezüglich ihrer Eignung vorgenommen, die Strategi­ sche Untemehmensplanung um ethische Reflexion zu erweitern. Dies führt zur Aus­ wahl eines untemehmensethischen Ansatzes für den weiteren Verlauf der Arbeit. Das fünfte Kapitel beschäftigt sich mit der Strategischen Untemehmensplanung als geeignetem Ort ethischer Reflexion im Unternehmen. Der informationsverarbeitende Prozeßcharakter von Strategischer Untemehmensplanung und ethischer Reflexion bil­ det den Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen. Der Anwendungsbezug ethischer Reflexion wird aus mehreren, verbundenen Gesichtspunkten verdeutlicht. Die Bedeu­ tung der Ethik als praktische Philosophie zeigt bereits den Anwendungsbezug auf. Die Voraussetzungen ethischer Reflexion führen zu den Konkretisierungsstufen, die sich in eine normative sowie in eine Entscheidungs- und Handlungsebene unterscheiden las­ sen. Die Aspekte der Normenhinterfragung und Zukunftsorientierung ethischer Refle­ xion schließen die Überlegungen zum Anwendungsbezug ethischer Reflexion ab. Die Strategische Untemehmensplanung erscheint insofern als geeigneter Ort ethischer Re­ flexion, da sich aus drei Blickwinkeln konzeptionelle Zusammenhänge zwischen bei­ den erkennen lassen. Formale Zusammenhänge ergeben sich bezüglich der konzeptio­ nellen Rahmenbedingungen und systematisch-methodischen Gemeinsamkeiten. Funk­ tionale Zusammenhänge zeigen den Integrationscharakter und die Sicherheitsfunktion von Strategischer Untemehmensplanung und ethischer Reflexion auf. Die inhaltlichen Zusammenhänge werden für die einzelnen Phasen des strategischen Planungsprozesses untersucht. Die Untersuchung der formalen, funktionalen und inhaltlichen Zusammen­ hänge führt dazu, daß man von ethischer Reflexion und Strategischer Untemehmens­ planung als komplementären Prozessen sprechen kann. Diese Komplementarität be­ dingt schließlich eine Interdependenz beider Konstrukte.

Im sechsten Kapitel geht es um die Möglichkeiten der Implementierung ethischer Re­ flexion in die Strategische Untemehmensplanung. Als Voraussetzungen für die Imple­ mentierung werden die drei Aspekte der formalen Organisationsstruktur, Untemehmenskultur und Persönlichkeitsstruktur herausgearbeitet, die in einem interdependen­ ten Verhältnis zueinander stehen. Die Interdependenz wird dadurch deutlich, daß die

Einführung

25

Schaffung der organisatorischen Voraussetzungen von einem kulturbewußten Mana­ gement abhängig ist und sich zwangsläufig ein Bezug zu den personellen Vorausset­ zungen ergibt. Die betriebswirtschaftliche Forschung hat sich dem Thema Unterneh­ mensethik - zumindestens im deutschsprachigen Raum - bislang hauptsächlich theore­ tisch genähert. Pragmatische Vorschläge zur Implementierung von Untemehmensethik, die sich auch für die betriebliche Praxis eignen, sind nur sehr vereinzelt zu finden. Die­ ser Mangel entsteht durch das unvermeidliche Spannungsfeld, das sich bei einer Um­ setzung der Untemehmensethik in die Praxis ergibt. Im Bewußtsein dieses Spannungs­ feldes wird dennoch der Versuch unternommen, operationalisierbare Vorschläge zur Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Untemehmensplanung zu ma­ chen. Die in weiten Teilen eigenentwickelte Methodik versucht, das ausgewählte Kon­ zept der Strategischen Untemehmensplanung mit dem gewählten Ansatz der Unter­ nehmensethik zu verknüpfen und dabei den realiteren Bedingungen von Unternehmen gerecht zu werden. Das siebte Kapitel beendet die Arbeit mit einer kurzen Schlußbetrachtung über die Notwendigkeit und Möglichkeit einer Erweiterung der Strategischen Untemehmens­ planung um ethische Reflexion.

Die folgende Abbildung gibt den Aufbau der Arbeit schematisch wieder.

Einführung

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1. Kapitel: Einführung

7. Kapitel: SCHLUßBETRACHTUNG

Abbildung 1-2: Gang der Untersuchung Quelle: Eigene Darstellung

Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

27

2 Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung 2.1 Zum Zusammenhang von Strategischer Unternehmens­ planung, strategischem Planungssystem und strategischem Plan Bevor eine Konzeption der Strategischen Untemehmensplanung erfolgen kann, muß der Zusammenhang von Strategischer Untemehmensplanung, strategischem Planungs­ system und strategischem Plan geklärt werden.1 Das strategische Planungssystem gibt die Rahmenbedingungen der Strategischen Untemehmensplanung vor. Als wesentli­ ches Teilergebnis der Strategischen Untemehmensplanung resultieren strategische Pläne. Die Strategische Untemehmensplanung und die strategischen Pläne sind somit eingebettet in das strategische Planungssystem.

Abbildung 2-1: Der Zusammenhang von Strategischer Unternehmensplanung, strategischem Planungssystem und strategischen Plänen

Quelle: Eigene Darstellung

Die Beziehung zwischen Planungssystem und Planung ist nicht als starr anzusehen, weder bezüglich ihrer qualitativen noch bezüglich ihrer quantitativen Konzeption. Die bestehende Interdependenz zwischen Planungssystem und Planung führt dazu, daß die Anforderungen der Planung auch das System verändern können.2 1

2

Die Begriffe strategischer Plan, Strategie und Unternehmensstrategie werden im folgenden synonym verwendet. Vgl. Reese 1989, S.227; Hahn/Bleicher 1992, S.336-337; Kreikebaum 1993, S. 106-107.

28

Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

Als Rahmenbedingungen, die durch das strategische Planungssystem vorgegeben werden, lassen sich beispielhaft folgende nennen: • Art und Menge der zur Verfügung stehenden Informationen. Diese beziehen sich auf Umfeldsituation (gesetzliche, ökonomische, technologische, soziokulturelle und ökologische Umwelt) und Untemehmenssituation (Werte und Grundeinstellungen der Führungskräfte, Potentiale und Lücken bzw. Stärken und Schwächen).3 Die In­ formationsgenerierung erfolgt anhand verschiedener Methoden und Instrumente.4 • Planungsträger. Darunter sind diejenigen Personen oder organisatorischen Einhei­ ten zu verstehen, die mit Planungs- und Kontrollaufgaben betraut sind.5 Dabei lassen sich Planungsträger mit Entscheidungskompetenz (z.B. Unternehmens-, Geschäfts­ bereichs- oder Funktionsbereichsleiter) von denen ohne Entscheidungs- aber mit Be­ ratungskompetenz (z.B. zentrale Planungsstäbe) unterscheiden.6 • Formalisierungsgrad. Dieser ist abhängig von der Größe, der Komplexität und den Planungsproblemen des Unternehmens und drückt sich im Organisationsgrad des Systems aus. Formalisierung versteht sich als explizite Regelung der Bestandteile des Planungssystems und der Planungsprozesse.7 • Dokumentierung. Besondere Bedeutung kommt der Dokumentierung der Pläne so­ wie deren Bestandteilen und Grundlagen zu. Sie stellt eine wichtige Vorbedingung für Koordination, Kontrolle und Fortschreibung von Plänen dar und berührt die Frage, was in welcher Form schriftlich fixiert wird.8 • Koordination und Integration. Diese Aspekte beziehen sich sowohl auf die Zuord­ nung der Planungsaufgaben an die einzelnen Planungsträger als auch auf die Ab­ stimmungsprozesse bezüglich der entworfenen Pläne.9 Strategische Unternehmensplanung als eine systematische und prozessuale Planung in und von Unternehmen stellt ein unentbehrliches Führungsinstrument dar.10 Sie ist typischerweise in mehrere Phasen unterteilt11, die sich mit dem zukunftsbezogenen Durchdenken und Festlegen von qualitativen und quantitativen Zielen, Strategien so­ wie Mitteln und Wegen zukünftiger Zielerreichung befassen.12 Dies geschieht unter Einbezug der tatsächlichen Unternehmens- und Umfeldsituation und ihrer potentiellen Veränderung.13 Eine permanente Kontrolle begleitet diesen Prozeß.14

4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Vgl. Kreikebaum 1993, S.34-47; Schreyögg bezeichnet die Zusammenführung externer und interner Informationen als Absteckung des Raums effizienter Strategiealtemativen (was ist möglich und was ist erwünscht?), vgl. Schreyögg 1984, S.84. Zu den Methoden und Instrumenten der Informationsgenerierung vgl. Borrmann 1983, S.206218; Hoffmann 1983, S. 183-205; Bühner 1985, S.69-137; Elbling/Kreuzer 1994, S.73-183. Vgl. Wild 1981, S.153. Vgl. Bleicher 1992, S.529-534; Kreikebaum 1993, S.108-113. Vgl. Wild 1981, S. 158; Kreikebaum 1993, S.l 17-118. Vgl. Kreikebaum 1980, S. 168-174; Wild 1981, S.158. Vgl. Kreikebaum 1993, S.123-125; Staehle 1994, S.515. Vgl. u.v.a. Wild 1981, S. 12; Hahn 1989, S. 159-160; Hahn 1992, S.3-4. Vgl. Hammer 1988, S.108. Vgl. Wild 1981, S.13; Elbling/Kreuzer 1994, S.24-39. Vgl. Hahn 1992a, S.39; Hammer 1992, S.49; Riedl 1995, S.20-21.

Eine Konzeption der Strategischen Untemehmensplanung

29

In einer weiten Fassung läßt sich Strategische Untemehmensp/anang auch als Strate­ gische Untemehmens/üTzrwng verstehen, wenn nicht nur die Phase der Maßnahmenplanung15, sondern auch die der Maßnahmendurchführung miteinbezogen wird.16 Diese Sichtweise rechtfertigt sich insbesondere, wenn man Planung und Kontrolle als zusammengehörig ansieht und Kontrolle sich sowohl auf die Prämissen als auch auf die Durchführung bezieht.17 Durchführung kann sich demnach nicht nur auf die Er­ stellung der Strategien beziehen, sondern muß auch die praktischen Maßnahmen be­ treffen.18 Intendierte Entscheidungen führen dann anhand strategischer Pläne zu ab­ gestimmtem Handeln im Hinblick auf strategische Ziele.19

Der strategische Plan stellt ein wesentliches Teilergebnis der Strategischen Unter­ nehmensplanung dar. In ihm kommt zum Ausdruck, wie sich die Unternehmung einen zukünftigen Zielzustand vorstellt. Da der Plan bereits berücksichtigt, anhand welcher Maßnahmen dieser Zielzustand erreichbar wäre - jedoch ohne bereits konkrete Maß­ nahmen zu induzieren -, läßt er sich als gedankliche „...Vorwegnahme von Handlungen unter Unsicherheit bei unvollkommener Information“20 charakterisieren.

Als veranschaulichendes Beispiel für den Zusammenhang von Planung und Plan läßt sich der Bau einer neuen Firmenzentrale heranziehen. Am Anfang steht die Absichts­ erklärung, überhaupt ein neues Bürohaus bauen zu wollen, mit einer vagen Beschrei­ bung der qualitativen Form (z.B. hell, arbeits- und umweltfreundlich). Daran schließt sich die Phase der Informationsbeschaffung an (z.B. Größe und Lage des zu kaufenden Grundstücks, Preise, Finanzierungsmöglichkeiten, geeigneter Architekt). Der Architekt entwirft nun gemeinsam mit den Bauherren einen Plan, wie das zu bauende Bürohaus aussehen soll, so daß es in Übereinstimmung steht mit den Absichtserklärungen, unter Beachtung der Nebenbedingungen bezüglich Grundstück und Finanzierungsmöglich­ keiten. Es ist unmittelbar einsehbar, daß dieser Plan, auf dem das Bürohaus ja bereits existiert, noch der praktischen Umsetzung bedarf, also der materiellen Errichtung des Hauses. Selbst wenn der Plan bereits detailliert beschreibt, welche Steine, Fenster, Fußboden­ beläge und Dachziegel verwendet werden sollen (also die zu ergreifenden Maßnahmen bereits anspricht) und das Haus damit eine konkret vorstellbare Form angenommen hat, ist der Prozeß des Hausbauens damit nicht abgeschlossen. Dennoch ist die Erstel­ lung des Plans, als wesentliche Aufgabe und Teilergebnis des Prozesses des Haus­ bauens anzusehen.

Abgeschlossen ist der Prozeß erst dann, wenn planentsprechende Maßnahmen ergrif­ fen (z.B. Beauftragung eines Bauunternehmers, Errichtung von Mauerwerk und Dach­ 14 15 16 17 18 19 20

Vgl. Steinmann/Schreyögg 1986, S.747-763. Auch Maßnahmen müssen geplant werden, bevor sie durchführbar sind, man kann also von Planung der Planung sprechen. Vgl. Kreikebaum 1993, S.26. Vgl. Staehle 1994, S.512. Vgl. Steinmann/Schreyögg 1991, S.202. Vgl. Riedl 1995, S.37. Staehle 1994, S.512.

Eine Konzeption der Strategischen Untemehmensplanung

30

Stuhl, Tapezierung), konkrete Zielvorstellungen (z.B. Datum des Einzugs) formuliert wurden und das Bürohaus schließlich steht und einzugsbereit ist.

Mit der Erstellung des strategischen Plans ist folglich die Strategische Untemehmens­ planung noch nicht abgeschlossen, da sie der praktischen Umsetzung durch Maßnah­ men bedarf. Der strategische Plan ist aber als Ausgangsgrundlage weiterer Teilschritte anzusehen.21 Zu beachten bleibt, daß Strategien selbst immer noch Pläne darstellen und nicht etwa mit pragmatischen Umsetzungsmöglichkeiten zu verwechseln sind, auch wenn diese bei der Strategieformulierung bereits miteinzubeziehen sind.22

Das strategische Planungssystem, die Strategische Untemehmensplanung und die strategischen Pläne bilden die Hauptbestandteile eines umfassenden strategischen Konzeptes.

2.2 Strategische Konzepte 2.2.1 Systematisierungsrichtungen

Die Konzepte zur Strategischen Untemehmensführung/ -planung bzw. zum Strategi­ schen Management oder der Führungstheorie unterscheiden sich z.T. ganz erheblich voneinander. Diese Konzeptvielfalt ist in zweierlei Hinsicht positiv zu bewerten. Zum einen kann durch die unterschiedliche inhaltliche und methodische Schwerpunktset­ zung Rücksicht auf die situativen Rahmenbedingungen der Unternehmen und deren spezifische Entscheidungssituationen genommen werden. Zum zweiten ist die Vielfalt der Konzepte auch aus wissenschaftlicher Sicht zu be­ grüßen. Die diversen Fragestellungen bezüglich Strategischer Planung lassen sich nicht anhand eines einzigen 'allgemeingültigen' Konzeptes bearbeiten, vielmehr erscheinen einige Konzepte für bestimmte Fragestellungen besser geeignet als andere, die für wie­ derum anders gelagerte Fragestellungen einen höheren Erklärungswert bereitstellen.23

Zum besseren Verständnis der Vielzahl der Konzepte lassen sich mehrere Systemati­ sierungsrichtungen einschlagen. Eschenbach/Kunesch schlagen vier Richtungen zur Einordnung vor, die sich jedoch nicht gegenseitig ausschließen, sondern nur eine Schwerpunktzuweisung ermöglichen sollen:24 1. 2. 3. 4.

21 22 23 24

Konstruktivistisches, systemisches oder deskriptives Paradigma, synoptisches oder inkrementales Vorgehen, Total- oder Partialmodelle, Wissenschaftsziel.

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Welge/Al-Laham 1992, S.5. Hahn 1992, S.6. Eschenbach/Kunesch 1994, S.5. Eschenbach/Kunesch 1994, S.6-11.

Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

31

Diese Vorgehens weise ist anderen Systematisierungs Vorschlägen m.E. vorzuziehen, da sie eine reine Dichotomisierung vermeidet und auch nicht lediglich den Zeitbezug der Konzepte betrachtet.25

Unter den vier Einordnungsrichtungen ist im einzelnen folgendes zu verstehen: ad 1) Das konstruktivistische Paradigma läßt sich unterteilen in eine klassisch-kon­ struktivistische und eine radikal-konstruktivistische Richtung. Im klassisch-kon­ struktivistischen Paradigma werden Modelle unter Berücksichtigung bewiesener Zusammenhänge schrittweise konstruiert, wobei vorhandene Methoden und Theo­ rien benutzt werden. Diese Modelle resultieren in Reflexions- und Erklärungshil­ fen, die das Verständnis der beschriebenen Zusammenhänge verbessern sollen, was letztlich zu einer Erhöhung der Entscheidungsqualität führt. Unter der An­ nahme der Möglichkeit objektiver Erkenntnis und ausreichender Informationsver­ sorgung wird durch zweckgerichtete Planung und ein Präferenzsystem der Zieler­ reichung die bestehende Komplexität beherrscht. Klassisch-konstruktivistische Strategiekonzepte verstehen sich demzufolge als Planungshilfen und basieren typischerweise auf dem gleichen Prinzip.26 Definition der grundlegenden Unternehmensziele

I Umfeld- und Unternehmensanalyse Strategiefindung

l l

Operationalisierung Durchsetzung Abbildung 2-2\ Klassisch-konstruktivistischer Planungsablauf Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Wieselhuber 1983, S.58

Der strategische Planungsprozeß wird als Hilfe für das Management verstanden, um sich in neuen Situationen zurechtzufinden und geht von folgenden Prämissen

25

26 27

Insbesondere Malik, Staehle und Macharzina haben solche Systematisierungsvorschläge erar­ beitet. Malik unterscheidet in eine 'systemisch-evolutionäre' und in eine 'konstruktivistischtechnomorphe' Richtung der Managementtheorie. Staehle nimmt eine Untersuchung der histo­ rischen Entwicklung der Managementforschung vor und unterscheidet in traditionelle und mo­ derne Ansätze. Letztere unterteilt er weiter in 'disziplinäre', 'systemtheoretische', 'situative' und 'Konsistenz-Ansätze'. Macharzina unterteilt die Konzepte zur Führungstheorie in 'untemehmensbezogene'und 'umweltbezogene'Ansätze. Vgl. Malik 1992, S.48-73; Macharzina 1993, S.43-67; Staehle 1994, S.21-64. Vgl. Schreyögg 1984, S.l33; Macharzina 1993, S.69; Eschenbach/Kunesch 1994, S.6. Vgl. Schreyögg 1984, S.133-134; Eschenbach/Kunesch 1994, S.7; Mintzberg 1994, S.l 10-112.

32

Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

• Die Strategiefindung muß gesteuert und strukturiert werden. • Strategische Entscheidungen bauen auf einer ausführlichen und gewissenhaf­ ten Analyse der Ist-Situation auf • Das Top-Management ist für die Strategische Planung verantwortlich. • Die umzusetzende Strategie muß kreativ sein und einen eigenständigen Cha­ rakter haben, um sich von der Konkurrenz, abzuheben. • Strategien müssen vollständig erarbeitet und formuliert sein. • Im letzten Schritt müssen die Strategien umgesetzt werden. Das radikal-konstruktivistische Paradigma lehnt die klassisch-konstruktivistische Annahme objektiver Erkenntnis ab, da objektive Erkenntnis für Menschen in ihrer Eigenschaft als Subjekte nicht zu erlangen sei. Das Umfeld wird nicht als objek­ tive Wirklichkeit erfaßt, sondern diese Erfassung verläuft als eine subjektive Be­ deutungszuweisung der Wirklichkeit. Ein System konstruiert sich nach dieser Sichtweise seine eigene Wirklichkeit.28 Auch in der Literatur zur Strategischen Planung ist eine Fokussierung auf die sub­ jektive Erfahrungswelt der handelnden Personen erkennbar, statt auf eine Objektivierbarkeit der Erkenntnisse. Die Interaktion der handelnden Personen führt zu gemeinsamen Ordnungsmustem und läßt dadurch bei ihnen den Eindruck geringe­ rer Komplexität entstehen.29 Die Abstimmungswirkung innerhalb des Manage­ ments rückt damit in den Vordergrund, um eine gemeinsame Wirklichkeit zu schaffen, die dann als Basis der Strategiefindung und -implementierung dient.30 Im systemischen Paradigma stehen die Interdependenzen des Systems Unterneh­ mung mit dessen Umfeld im Mittelpunkt der Betrachtung.31 Systeme versuchen durch die Bildung einer inneren Struktur, ein Komplexitätsgefälle zum Umfeld zu erzeugen und anhand der gewählten Systemstruktur zu geringer wahrgenommener Umfeldkomplexität und damit zu leichterem Umgang mit dem Umfeld zu kom­ men.32 Monokausale Mittel-Ziel- bzw. Ursache-Wirkungs-Ketten werden als reali­ tätsfremd eingestuft.33 Die Lenkung des Gesamtsystems steht im Vordergrund, weil eine isolierte Betrachtung von Detailausschnitten aufgrund des damit einher­ gehenden Komplexitätsverlustes als nicht sinnvoll erachtet wird.34 Unvollständig­ keit der Information wird als gegeben gesehen, woraus folgt, daß die innere Struktur prinzipiell nicht unter Beachtung aller Zusammenhänge gestaltbar ist.35 Das systemische Paradigma läßt sich weiter unterteilen in eine radikal-systemische und eine gemäßigt-systemische Richtung. Die radikal-systemisch orientierten 28

29 30 31 32 33 34 35

Vgl. als herausragende Vertreter des Radikalen Konstruktivismus Watzlawick 1985; Watzlawick 1994, S.192-228; Watzlawick 1995, S.89-107; Maturana/Varela 1987; Glasersfeld 1994, S. 1638; Glasersfeld 1995, S.9-39; Varela 1994, S.294-309; Foerster 1995, S.41-88. Vgl. Macharzina 1993, S.83; Eschenbach/Kunesch 1994, S.7. Vgl. Kreikebaum 1993, S. 149-150. Vgl. Macharzina 1993, S.58-60. Vgl. Hofbauer 1991, S.ll. Vgl. Probst 1987, S.32-33. Vgl.Staehle 1994, S.43. Vgl. Malik 1992, S. 173-174.

Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

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strategischen Konzepte postulieren eine Unmöglichkeit der Steuerung, Regelung und Kontrolle strategischer Prozesse. Strategie wird auf die Steuerung der operati­ ven Anpassungsbereitschaft an sich verändernde Situationen reduziert.36 Die gemäßigt-systemisch orientierten strategischen Konzepte lehnen nur die Mög­ lichkeit einer detaillierten, zentralen Steuerung, Regelung und Kontrolle des Ge­ samtsystems ab. Stattdessen fordern sie kleine Schritte dezentraler Subsysteme unter Beachtung der jeweils wirksam werdenden Rückkoppelungen.37 Das (empirisch geleitete) deskriptive Paradigma geht von einem Auseinanderklaf­ fen theoriegeleiteter strategischer Modelle und tatsächlich vorfindbarer betriebli­ cher Praxis aus.38 Zwar kann aus dieser Diskrepanz nicht unbedingt auf ein Versa­ gen der Theorie geschlossen werden, dennoch gilt es, diese empirischen Ergeb­ nisse zu berücksichtigen. Das deskriptive Paradigma verweist darauf, daß ein Großteil der traditionellen strategischen Konzepte zwar einen logischen Aufbau habe, das Wesen der strate­ gischen Planung aber aufgrund der folgenden Mängel nicht gut genug wieder­ gebe:39 • Glaube an die Möglichkeit der Formalisierung der Strategischen Planung, • Illusion der Steuer- und Kontrollierbarkeit strategischer Prozesse, • Glaube an die Vorhersehbarkeit der Zukunft, • Trennung von strategischem und operativem Management, • Probleme der Motivation, Akzeptanz und Durchsetzbarkeit.

Die deskriptive Strategieforschung bemüht sich, diese Mängel durch empirische Forschung zu beseitigen. Daraus resultiert eine Fülle empirischer Ergebnisse, „...die sich nur schwer systematisieren lassen und in der Regel zu wenig aussage­ kräftigen Konzepten führen“40. Allen deskriptiven Forschungsergebnissen ist je­ doch gemeinsam, daß das tatsächlich vorfindbare Verhalten von Personen, Grup­ pen und Organisationen andere Ausprägungen aufzeigt, als sie von traditionellen Planungsmodellen unterstellt werden.41 Daher definiert die deskriptive Strategie­ forschung Strategie als ein Muster in einem Strom von Entscheidungen, um die Unterschiede zwischen tatsächlich verfolgten und analytisch geplanten und ange­ ordneten Strategien aufzeigen zu können.42 Die dargestellten Paradigmen sind aus Anschauungsgründen als Extreme geschil­ dert worden. Die einzelnen Konzepte sind aber im Regelfall nicht ausschließlich konstruktivistisch, systemisch oder deskriptiv, sondern tendieren unterschiedlich stark in die eine oder andere Richtung.

36 37 38 39 40 41 42

Vgl. Macharzina 1993, S.63. Vgl. Eschenbach/Kunesch 1994, S.8. Vgl. Schreyögg 1984, S.l39. Vgl. Schreyögg 1984, S.213-229; Mintzberg 1994a, S.l59-165. Eschenbach/Kunesch 1994, S.9. Vgl. Schreyögg 1984, S.215. Vgl. Mintzberg/Waters 1985, S.257-272; Hofbauer 1991, S.106.

34

Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

ad 2) Synoptisches oder inkrementales Vorgehen43 ist als zugrundeliegende Pla­ nungsphilosophie zu verstehen. Im Vordergrund eines synoptischen Planungsan­ satzes steht die Bestimmung eines konsistenten Systems strategischer Ziele, wobei die Umsetzungsmöglichkeiten bzw. die Machbarkeit diesem Ziel untergeordnet werden. Beim inkrementalen Vorgehen dominiert hingegen die Machbarkeit und somit die Frage danach, ob eine bereits verfolgte Strategie aufgrund neuer Er­ kenntnisse modifiziert werden sollte. Der inkrementale Ansatz spaltet das Ge­ samtproblem in mehrere Teilprobleme, die dann schrittweise abgearbeitet werden, anstelle des Versuchs einer ganzheitlichen Erfassung des Planungsproblems.44 In­ krementales Vorgehen wird daher oft auch als 'Durchwursteln' oder 'Politik der kleinen Schritte' bezeichnet.45 ad 3) Die Unterscheidung der diversen strategischen Konzepte in Total- oder Par­ tialmodelle entsteht aufgrund der unterschiedlichen Schwerpunktsetzung. Total­ modelle behandeln alle Phasen des strategischen Planungsprozesses von der Ana­ lyse bis zur konkreten Umsetzung. Insbesondere Instrumente der Unternehmensund Umfeldanalyse, Methoden der Strategiefindung und -durchsetzung sowie Formen der strategischen Kontrolle werden betrachtet. Totalmodelle können kon­ struktivistisch geprägte Phasenkonzepte sein, bei denen die Systembestandteile in einer Schrittfolge aufeinander aufbauen, oder auch systemisch geprägte Konzepte, bei denen die einzelnen Aufgabengebiete simultan bearbeitet werden. Partialmodelle fokussieren auf einzelne Ausschnitte des strategischen Planungs­ prozesses, die mehr oder weniger ausführlich behandelt werden. So kann die Schwerpunktsetzung auf der Untemehmensanalyse und Strategiefindung liegen oder auf der Durchsetzung und Kontrolle von Strategien.46

ad 4) Die Wissenschaftsziele der einzelnen strategischen Konzepte bieten ein weiteres Unterscheidungsmerkmal. Einige Konzepte versuchen das Wesen Strategischer Planung analytisch und konzeptionell aufzuarbeiten, wobei das Interesse wissen­ schaftlich dominiert ist, aber dennoch Ausgangspunkt für weitere eher praxis­ orientierte Arbeiten sein kann. Andere Konzepte orientieren sich in ihrem An­ spruch stärker an den Praxisbedürfnissen und versuchen, möglichst konkrete Gestaltungsanweisungen zu geben.

44 45

46 47

Eine ausführliche und instruktive Diskussion synoptischen versus inkrementalen Vorgehens findet sich bei Schreyögg 1984, S.222-229. Vgl. Kreikebaum 1993, S.12L Vgl. Kreikebaum 1993, S.121. Der Ausdruck des T)urchwurstelns' (muddling through) geht auf Lindblom zurück, vgl. Lindblom 1959, pp.79-88. Vgl. Eschenbach/Kunesch 1994, S.lO-l l. Vgl. Eschenbach/Kunesch 1994, S. 11.

Eine Konzeption der Strategischen Untemehmensplanung

35

2.2.2 Systematisierungsübersicht Die Vielfalt strategischer Konzepte erlaubt es nicht, auf jedes einzelne detailliert ein­ zugehen. Ein solches Unterfangen erscheint auch vor dem Hintergrund der konkreten Aufgabenstellung nicht als hilfreich. Eine ausführlichere Betrachtung sowie eine Be­ gründung der Vorzugswürdigkeit erfolgt daher nur bezüglich des ausgewählten Ansat­ zes der Strategischen Untemehmensplanung.

Dennoch erscheint die Vorstellung einiger Strategie-Konzepte in ihren wichtigsten Grundzügen aus mehreren Gründen sinnvoll. Zum einen wird das ausgewählte Kon­ zept auch von anderen Ansätzen geprägt. Zum anderen werden einzelne Elemente der im folgenden dargestellten Konzepte im weiteren Verlauf der Arbeit übernommen, um dadurch den gewählten Ansatz für die spezifische Problemstellung zu erweitern. Hinzu kommt, daß diese Darstellung in Verbindung mit der folgenden Abbildung eine Ein­ ordnung der Konzepte gemäß der oben vorgestellten Systematisierungsrichtungen er­ möglicht sowie einen Überblick über den Stand der gegenwärtigen Strategiediskussion gibt.48 Die Auswahl der schlaglichtartig vorgestellten Konzepte orientiert sich an ihrem Einfluß auf die Strategiediskussion und ihrer Stellvertreterrolle für die diversen 'Strategieschulen'. Die einzelnen Konzepte werden gemäß ihrer Zuordnung zum systemischen, deskripti­ ven oder konstruktivistischen Paradigma in alphabetischer Reihenfolge vorgestellt. Die folgende Abbildung gibt alle vorgestellten Systematisierungsrichtungen wieder und ordnet die nachfolgend dargestellten Konzepte ein.

48

Für eine breite Literaturübersicht vgl. Hofbauer 1991, S.l 10.

36

Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

Abbildung 2-3: Ausgewählte strategische Konzepte

Quelle: Eigene Darstellung

2.2.3 Formen strategischer Konzepte 2.2.3.1 Systemisches Paradigma

Kirsch Kirsch unterscheidet drei Generationen Strategischer Planung. Die erste Generation ist geprägt durch 'Management of Allocation' und folgt einer Philosophie des 'optimizing', die zweite Generation ist geprägt durch 'Management of Adaptive

Eine Konzeption der Strategischen Untemehmensplanung

37

Change' und folgt einer Philosophie des 'satisfying'.49 Die dritte Generation ist durch das Modell der fortschrittsfähigen Organisation geprägt, in der die Strategische Pla­ nung als 'Management of Progressive Change' oder 'Management of Evolution' auf­ gefaßt wird und einer Philosophie des 'adaptivizing' folgt. KIRSCHS Auffassung der Strategischen Planung bzw. des Strategischen Managements entspricht der dritten Ge­ neration.50 Zusätzlich zur effizienten Allokation von Mitteln und der Sicherung des Überlebens der Unternehmung rückt er nun verstärkt die Fähigkeit zu fortschreitender Befriedigung der Bedürfnisse und Interessen interner und externer Anspruchsgruppen in den Vordergrund51 und nennt dies die regulative Idee der fortschrittsfähigen Orga­ nisation.52

Kirsch hebt die Wichtigkeit einer Orientierung an Erfolgspotentialen und der Einrich­ tung eines Frühwarnsystems zur Entdeckung schwacher Signale hervor. Insbesondere betont er aber die Notwendigkeit eines 'evolutionären Denkens', da strategische Über­ raschungen (Diskontinuitäten) eben nicht prognostizierbar seien und daher ein Konzept der geplanten Evolution vonnöten sei, das die Entwicklung eines Unternehmens als eine Folge überschaubarer Schritte begreift.53

Quelle: Kirsch/ Trux 1983, S.55

Die konzeptionelle Gesamtsicht der Untemehmenspolitik soll die langfristige KoEvolution des Unternehmens und seines sozio-ökonomischen Umfelds steuern und bleibt dabei einer ständigen, kritischen Überprüfung unterworfen, die wiederum zu ei­ ner evolutionären Fortentwicklung der konzeptionellen Gesamtsicht selbst führen 49 50 51 52 53

Vgl. Kirsch 1991, S.l 1. Vgl. Kirsch 1991, S.l2 Vgl. Kirsch 1985, S.347; Kirsch 1988, S.501-502. Zu Bedürfnissen und Interessen insbesondere externer Interessengruppen vgl. Behnam/Muthreich 1995, S.10. Vgl. Kirsch/Knyphausen 1988, S.490;Kirsch 1989, S.l33; Kirsch 1993, S.321. Vgl. Kirsch 1985, S.331; Kirsch 1991, S.12-13.

38

Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

soll.54 Diese evolutionäre Fortentwicklung ergibt sich aus der regulativen Idee der fort­ schrittsfähigen Organisation.55 Die Überlegungen bezüglich der Erfolgspotentiale eines Unternehmens - wo sie liegen und wie sie entwickelt werden können - sollten explizit angestellt und in der konzep­ tionellen Gesamtsicht des Unternehmens und seines Umfelds verdichtet werden.56 Die hierbei niedergelegten Vorstellungen über die Entwicklung des Systems sind global, bleiben daher zum Großteil eher vage und sind als offene Beschränkungen51 für die einzelnen Schritte zu verstehen.58 Neue Ideen und Konzeptionen sowie die Erfahrun­ gen, die im Rahmen der Problemlösungsbemühungen der einzelnen Schritte und ihrer Implementierung gemacht wurden, führen zu einer ständigen Modifikation der kon­ zeptionellen Gesamtsicht. Da hierin auch Gefahren der Degeneration der geplanten Evolution liegen, betont Kirsch die Notwendigkeit einer permanenten Kontrolle.59 Dabei bezieht sich die Kontrolle sowohl auf die in der konzeptionellen Gesamtsicht niedergelegten Prämissen als auch auf deren Umsetzung.60

Bevor Kirsch seine Sicht des Strategischen Managements als einer Gesamtarchitektur von Managementsystemen entwickelt, klärt er die Frage, worin das 'typisch Strate­ gische' in entsprechendem unternehmerischen Handeln zu sehen sei. Er erschließt das 'typisch Strategische' anhand der beiden Schlüsselbegriffe 'Handlungsmöglichkeiten' und 'Erfolgspotentiale'. Strategisches Handeln zielt danach zum einen auf die Nutzung und Erweiterung bestehender Handlungsmöglichkeiten ab und zum anderen auf die Entfaltung von Erfolgspotentialen, die sich in der verbesserten Fähigkeit zur Nutzung der Erfolgspotentiale niederschlägt. Strategische Maxime thematisieren diese Entfal­ tung und implizit oder explizit auch die jeweilige Erfolgsdefinition.61 Strategische Führung - als umfassender 'Controlling Overlayer' - bezieht sich auf die Entwicklung und Umsetzung strategischer Maxime. Strategisches Management wird hingegen als spezifische Führungskonzeption, als umfassende Führungsphilosophie verstanden, die sich in einer Systemkonzeption der Gestaltung von Managementsyste­ men ausdrückt.62

•4 55 56 57

58 59 60 61 62

Vgl. Kirsch 1991, S.13; Trux et al. 1991, S.718-719. Vgl. Kirsch 1991, S.13-14. Vgl. Kirsch 1991, S.20. Unter offenen Beschränkungen versteht Kirsch Vorgaben, die erheblichen Interpretationsspiel­ raum lassen und eher 'Soll'-Vorgaben als 'Soll-Nicht'-Vorgaben darstellen, vgl. Kirsch 1988, S.59. Vgl. Kirsch 1991, S.22. Vgl. Kirsch 1991, S.23. Vgl. Kirsch 1991, S.24. Vgl. Kirsch 1993, S.274-275. Vgl. Kirsch 1993, S.275.

Eine Konzeption der Strategischen Untemehmensplanung

39

Philosophie des Strategischen Managements

Strategische Managementsysteme Untemehmenspolitische Rahmenplanung

Strategische Programmplanung Projektplanung und -kontrolle

Mitarbeiterbezogene Planung und Kontrolle

Investitionsobjekt­ planung und -kontrolle

Langfristige operative Planung und Kontrolle - Programme und/oder Bereiche Kurzfristige operative Bereichs­ planung und -kontrolle Feinsteuerungssysteme

Operative Managementsysteme

Abbildung 2-5: Modell einer Gesamtarchitektur von Managementsystemen Quelle: Kirsch 1991, S.16

Aus der Notwendigkeit, das strategisch Gewollte im operativen Planungsablauf ent­ sprechend zu berücksichtigen, ergibt sich die inhaltliche und konzeptionelle Zusam­ menführung kurz- und langfristiger operativer Planungs- und Kontrollsysteme mit den strategischen Managementsystemen.63

Die strategischen Managementsysteme dienen der Gewinnung von Erkenntnissen über mögliche Erfolgspotentiale und der konzeptionellen Gesamtsicht über deren Entfal­ tungsmöglichkeiten. Die operativen Managementsysteme befassen sich mit der kon­ kreten Steuerung und Umsetzung des Geschehens anhand geeigneter Projekte und Maßnahmen.64 In KIRSCHS Konzeption des Strategischen Managements schließt das strategische Handeln das operative Handeln ein, wobei sowohl operative als auch strategische Managementsysteme von wiederum eigenständigen flankierenden Syste­ men unterstützt werden. Die flankierenden Systeme dienen der Information und Do-

63 64

Vgl. Kirsch 1983, S.305-306. Vgl. Kirsch 1991, S. 18.

Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

40

kumentation, dem Management Development und der Anreiz- und Sanktionsfunktion über den gesamten Prozeß des Strategischen Managements hinweg.65 Kirsch sieht seine Konzeption des Strategischen Managements als Ausdruck einer evolutionären Führungskonzeption an, die dem Umstand Rechnung trägt, daß die Un­ ternehmung und ihr Umfeld prinzipiell in eine offene Zukunft evolvieren, die Unter­ nehmung dem aber nicht machtlos ausgesetzt ist, sondern als aktives entwicklungsfä­ higes System zu begreifen ist.66

Malik Malik versucht eine Weiterentwicklung der von Hans ULRICH geprägten systemi­ schen Managementlehre. Er versteht das Unternehmen als dynamisches, offenes und komplexes System und geht von selbst-generierenden, spontanen Ordnungen aus.67 Diese entstehen zwar durch menschliches Handeln, müssen jedoch nicht unbedingt den zugrundeliegenden menschlichen Absichten und Plänen entsprechen.6* Daher sollte das Top-Management nur generelle Verhaltensweisen der Untemehmensmitglieder durch allgemeine Regeln versteuern.69

Der systemische Ansatz geht von der Idee der Lebensfähigkeit von Unternehmen aus, womit die Struktureigenschaft des Systems Unternehmen beschrieben wird, seine ei­ gene Existenz (unbefristet) aufrechtzuerhalten.70 Wenn ein Unternehmen also auf ver­ änderte Umfeldsituationen trifft, muß es die eigene Struktur an die veränderten Bedin­ gungen anpassen, um zu überleben.71 Da in Großunternehmen mit tiefen Hierarchien bei solchen Veränderungsprozessen auch Probleme der Delegation, Kompetenz und Verantwortung auftreten, entwickelt Malik das Modell des lebensfähigen Unterneh­ menssystems. Darin sieht er die Möglichkeit, erstarrten hierarchischen Strukturen zu entgehen.72 Das menschliche Zentralnervensystem einschließlich des Gehirns stellt Ausgangspunkt und Bezugsobjekt des Modells dar, da gewisse funktionelle Zusammenhänge auch auf Unternehmen übertragbar erscheinen. Maliks Ansatz beschreibt präskriptiv die Len­ kungsstruktur von Großunternehmen und gliedert sich in fünf Subsysteme. Die einzel­ nen Subsysteme vollziehen Aktivitäten in ihrem jeweils relevanten Umfeld, wobei die Umfelder miteinander verknüpft sein können und einen Teil des für die Gesamtunter­ nehmung relevanten Umfeldes bilden.73

65 66 67 68 69 70 71 72 73

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Kirsch 1991, S.19. Kirsch 1993. S.325. Malik/Probst 1981, S.l22. Malik/Probst 1981, S.l26-127. Malik 1992, S.22-35; Eschenbach/Kunesch 1994, S.123. Beer 1981; Beer 1985, S.393. Malik 1985, S.206-207. Malik/Probst 1981, S.128; Malik 1992, S.75-79. Malik 1992, S.80-92.

Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

41

Abbildung 2-6: Das Unternehmen als lebensfähiges System Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Malik 1986, S.84

• SUBSYSTEME Eins™ Die Kreise A bis D stehen für die operativen Aktivitäten eines

Systems, wobei die einzelnen Aktivitäten den Geschäftsbereichen eines Unterneh­ mens entsprechen und als quasi-autonome Einheiten gesehen werden. Die Subsy­ steme 1A bis ID stellen die Führung der Geschäftsbereiche dar. • Subsystem Zwei15 koordiniert die Verhaltensweisen der Subsysteme Eins, die ihre Leistungen unabhängig voneinander zu optimieren versuchen. Deren prinzipielle Verhaltensfreiheit wird durch Richtlinien eingeschränkt, die aus der Sicht des Ge­ samtsystems notwendig erscheinen. Durch Konferenzen, Planungssysteme und Kommunikationsbeziehungen zwischen den Führungskräften und den Mitarbeitern der Subsysteme Eins soll Übereinstimmung erreicht werden. • Subsystem Drei™ arbeitet einen operativen Gesamtplan aus, der sicherstellen soll, daß durch die Koordinierung der Subsysteme Eins eine größere Effektivität erzielt wird als durch einfache Kumulation der Einzelaktivitäten. In diesen operativen Ge­ samtplan werden sämtliche Informationen der anderen Subsysteme eingearbeitet, da Subsystem Zwei zwar die Aktivitäten koordinieren, die Informationssuche und -Verarbeitung aber nicht gewährleisten kann. • Subsystem Vier11 hat zur Aufgabe, alle für das Gesamtuntemehmen relevanten Um­ feldinformationen zu beschaffen, da das Gesamtsystem ohne Informationen über das

74 75 76 77

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Malik Malik Malik Malik

1992, 1992, 1992, 1992,

S. 115-127. S. 128-131. S. 131-140. S.140-149.

42

Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

gesamte Umfeld nicht lebensfähig ist. Die ersten drei Subsysteme sind vorrangig nach innen gerichtet und können das nicht sicherstellen. Die SUBSYSTEME EINS neh­ men zwar Umfeldinformationen auf, aber immer nur im Bereich ihrer jeweils rele­ vanten Umfelder. SUBSYSTEM Vier beurteilt Informationen bezüglich ihrer Bedeu­ tung, selektiert und faßt sie zusammen und entscheidet schließlich darüber, ob sie weitergegeben werden oder nicht. Das Zusammenspiel der SUBSYSTEME Drei und Vier soll die Balance von internem und externem Gleichgewicht gewährleisten. Die gefilterten Umfeldinformationen werden an SUBSYSTEM FÜNF, die oberste Entschei­ dungsinstanz, weitergegeben. • Subsystem Fünf78 obliegt die Planung und Vorausschau künftiger Entwicklungen sowie die Formulierung der Untemehmenspolitik. Durch die Festlegung grundle­ gender Normen und Regelungen wird ein Rahmen definiert, innerhalb dessen die anderen Subsysteme handeln. Dieser Rahmen wird in enger Zusammenarbeit mit den Subsystemen Drei und Vier erarbeitet. Da Subsystem Fünf relativ isoliert und ohne direkten Informationszugriff über interne und externe Entwicklungen agiert, erhält die Informationsfunktion von Subsystem Vier eine überragende Bedeutung für die Lebensfähigkeit des Gesamtsystems.

Die Hauptaufgabe des Managements sieht Malik in der Beherrschung von Komplexi­ tät, die durch die Vielfalt der Beziehungen zwischen den Elementen eines Systems entsteht.79 Die Varietät eines lenkenden Systems muß daher dem Ausmaß zu bewälti­ gender (potentieller) Störungen entsprechen.80 Diese Konzeption des Strategischen Managements basiert auf dem Grundgedanken der geplanten Evolution, wonach sich strategische Veränderungen in einer Folge überschaubarer kleiner Schritte vollziehen sollen. Malik schlägt einen evolutionären Problemlösungsprozeß vor, der auf dem Versuch-Irrtum-Schema aufbaut und folgende Strukturkomponenten aufweist:81 • Probleme als Ausgangspunkt, • versuchsweise Problemlösungen, • Elimination von Fehlern und Schwächen, • neue Problemstellungen. Der Problemlösungsprozeß wird nicht als Ziel-Mittel-Prozeß, sondern als Mittel-ZielProzeß gesehen: Nur jene Ziele werden gewählt, von denen man annehmen kann, daß sie mit dem bestehenden Wissen über Mittel und Möglichkeiten realisierbar sind. Malik beschreibt vier Strategiealtemativen und untersucht sie auf ihre Fähigkeit zur Lenkung und Erhaltung lebensfähiger Untemehmenssysteme:82 1. Konstruktivistische Problemlösung / Toxische Ordnung*3: Menschen schaffen so­ ziale Systeme zur Erfüllung bestimmter Zwecke. Straffe hierarchische Organisati­ 78 79 80 81 82 83

Vgl. Malik 1992, S. 149-156. Vgl. Malik/Probst 1981, S.130-132; Malik/Helsing 1988, S. 183; Malik 1992, S.l69-177. Vgl. Malik 1985, S.210; Malik/Helsing 1988, S.177-178; Malik 1992, S.191-198;. Vgl. Malik/Probst 1981, S.137; Malik 1992, S.265. Vgl. Malik 1992, S.345-351; Eschenbach/Kunesch 1994, S.130. Unter taxischer Ordnung wird gemachte oder bewußt geplante Ordnung verstanden. Spontane Ordnungen sind hingegen gewachsene Ordnungen, vgl. Hayek 1969, S.209.

Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

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onsformen implizieren eindeutige Informations- und Befehlskanäle. Die Problemlö­ sungsprozesse folgen einem Routineverfahren. 2. Konstruktivistische Problemlösung / Spontane Ordnung: Spontane Ordnungen so­ zialer Systeme setzen sich gegen ursprünglich beabsichtigte taxische Ordnungen durch. Mit konstruktivistischen Problemlösungsprozessen wird in diese Ordnungen eingegriffen, um sie 'nachzubessem'. Die spontanen Ordnungen werden dadurch behindert und degenerieren letztlich. 3. Evolutionäre Problemlösung / Taxische Ordnung: Evolutionäre Problemlösungs­ prozesse können hier nicht durchgesetzt werden, da die gesamte Denkweise aller Organisationsmitglieder an der konstruktivistischen Methode orientiert ist. 4. Evolutionäre Problemlösung / Spontane Ordnung: Zweckorientierte Handlungen sind hier möglich, da das selbst-generierende System durch eine übergeordnete Ebene, die Meta-Ebene, organisiert wird. Die Meta-Ebene setzt die Strukturen und Regeln des Geschehens, die Rahmenbedingungen, fest, innerhalb der die Objekt­ ebene selbständig agiert. Die Objektebene soll dadurch in die Lage versetzt werden, die erforderlichen Strategien innerhalb der Rahmenordnung zu entwerfen. Die Or­ ganisation eines selbst-generierenden Systems auf der Meta-Ebene wird als me­ tasystemische Lenkung bezeichnet. Die Meta-Ebene überwacht die Aktivitäten in­ nerhalb eines Unternehmens und leitet bei Bedarf metasystemische Problemlö­ sungsmaßnahmen ein.

Malik sieht vor allem die vierte Strategiealtemative als adäquate Form eines Strategi­ schen Managements lebensfähiger Unternehmen. Unklar bleibt allerdings, ab welchem Zeitpunkt oder Organisationsstadium ein Unter­ nehmen als lebensfähig zu bezeichnen ist. Die direkte praktische Umsetzbarkeit wird nicht nur durch den hohen Abstraktionsgrad des Modells erschwert, sondern auch da­ durch, daß Malik keine konkreten Instrumente beschreibt.84

Ulrich/ Probst/ Gomez Ulrich/Probst/Gomez beschäftigen sich mit der systemorientierten Methodik des vernetzten Denkens zur Lösung komplexer Probleme. Insbesondere Hans Ulrich gilt als der führende Protagonist des systemorientierten Managementansatzes im deutsch­ sprachigen Raum.85 Er befaßt sich vorrangig mit der Gestaltung, Lenkung und Ent­ wicklung zweckorientierter sozialer Systeme86 und versteht Unternehmen als dynami­ sche, zielorientierte, soziale, offene und komplexe Systeme.87 Probst/Gomez, als ULRICHS Schüler, haben seine grundlegenden Gedanken aufgenommen und gemeinsam mit ihm weiterentwickelt. Unter komplexen Problemsituationen verstehen sie hochgradig vernetzte und dynami­ sche Umfeld- und Untemehmenssituationen.88 Sie propagieren ein integrierendes, ge84 85 86 87 88

Vgl. Eschenbach/Kunesch 1994, S. 131-132. Vgl. Staehle 1994, S.41-42. Vgl. Staehle 1994, S.131. Vgl. Ulrich, H. 1970, S. 158. Vgl. Probst 1985, S. 184.

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Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

neralistisch orientiertes Denken, das eine 'moderne' Form der Gestaltungs- und Len­ kungsphilosophie verlangt und dazu führt, daß nicht auf das System eingewirkt, son­ dern mit dem System gearbeitet wird.89 Sie versuchen die Erkenntnisse der biologi­ schen Kognitionstheorie, der Theorie der Wissenschaftskonstruktion und der Unter­ suchungen zur Selbstorganisation und Selbstreferenz analytisch-konzeptionell zu ver­ binden und in praxisorientierter Form auf Unternehmen anzuwenden.90

Die Methodik des ganzheitlichen, systemischen Denkens wird über sieben Bausteine aufgebaut: 1. Das Ganze und die Teile. Ganzheiten (Systeme) bestehen aus Teilen und sind von ihrer Umwelt abgrenzbar. Werden verschiedene Ganzheiten untereinander ver­ knüpft, führen sie zu einem größeren Ganzen und bilden eine Hierarchie von Syste­ men.91 Systeme sind nicht objektiv vorgegeben, sondern werden durch das subjek­ tive Betrachtungsinteresse abgegrenzt.92 Somit läßt sich ein System definieren als Ganzheit, bestehend „aus Teilen, die so miteinander verknüpft sind, dass kein Teil unabhängig ist von anderen Teilen und das Verhalten des Ganzen beeinflusst wird vom Zusammenwirken aller Teile“93. 2. Vernetztheit. Auch die Systeme selbst sind auf vielseitige Weise miteinander ver­ knüpft.94 Um das dynamische Ganze zu verstehen, ist es notwendig, die Verbindun­ gen zu kennen. In Unternehmungen herrschen üblicherweise Netzwerke statt linea­ rer Kausalketten als Verbindungen vor.95 3. Offenheit. Die Offenheit des Systems führt dazu, daß nicht nur innerhalb des Sy­ stems, sondern auch mit dem Umfeld Interdependenzen bestehen.96 4. Komplexität. Komplizierte Systeme sind nicht automatisch auch komplex.97 Kom­ plexität entsteht erst, wenn komplizierte Systeme aufgrund ihrer Eigendynamik in einem bestimmten Zeitraum eine Fülle verschiedener Zustände annehmen können.98 5. Ordnung. Wenn Systeme ein erkennbares Muster aufweisen, kann man von Ord­ nung sprechen. Regeln, die die Verhaltensfreiheit der Teile und des Ganzen ein­ schränken, lassen Ordnungsmuster entstehen.99

89 90 91 92 93 94 95 96 97 98



Vgl. Gomez 1985, S.238; Probst 1992, S.206-209; Probst/Gomez 1992, S.903-904. Vgl. Probst 1987, S.26-45; Eschenbach/Kunesch 1994, S. 195-196. Vgl. Probst/Gomez 1992, S.906. Vgl. Ulrich/Probst 1991, S.28. Ulrich/Probst 1991, S.30. Vgl. Probst/Gomez 1992, S.906. Vgl. Ulrich/Probst 1991, S.36-38. Vgl. Ulrich/Probst 1991, S.50; Probst 1992, S.209. Vgl. Probst 1985, S.186. Vgl. Ulrich/Probst 1991, S.58. Kompliziertheit ist abhängig von der Anzahl und Verschiedenheit der Elemente und ihrer Beziehungen zueinander. Der Komplexitätsgrad ist abhängig von der Veränderlichkeit im Zeitablauf. Diese wiederum hängt ab von der Vielfalt der Verhaltens­ möglichkeiten der Elemente und der Veränderlichkeit der Wirkungsverläufe zwischen den Ele­ menten, vgl. Ulrich/Probst 1991, S.61. Vgl. Ulrich/Probst 1991, S.66-77; Probst/Gomez 1992, S.906.

Eine Konzeption der Strategischen Untemehmensplanung

45

6. Lenkung. Soziale Systeme besitzen die Fähigkeit, bestimmte Vorzugszustände an­ zustreben. Diese Fähigkeit, sich selbst unter Kontrolle zu halten, wird als Lenkung(sfähigkeit) bezeichnet.100 7. Entwicklung. Zweck und Ziele eines Systems sind durch dessen innere und äußere Interdependenz im Zeitablauf veränderlich.101 Entwicklung umfaßt die bewußte und unbewußte Erweiterung des Verhaltenspotentials sowie die Neuformulierung von Zwecken und Zielen. Entwicklungsprozesse sind Lernprozesse, wobei dies auch die Verbesserung der Lernfähigkeit einschließt.102

Ulrich/Probst/Gomez sehen in der Problemlösungsmethodik des vernetzten Den­ kens die Möglichkeit, mit komplexen Situationen sicherer umzugehen. Sie beschreiben sechs Vorgehensschritte, die den Umgang mit Dynamik und Komplexität erleichtern sollen, indem Wirkungszusammenhänge, Verhaltenspotential, Lenkungsmöglichkeiten und -grenzen sowie die Entwicklungsfähigkeit besser erkannt werden können.103 Die folgende Abbildung zeigt die sechs Vorgehensschritte auf, die selbst durch eine Viel-

Abbildung 2-7: Die Problemlösungsschritte der Methodik des vernetzten Denkens Quelle: Probst/Gomez 1989, S.6; Ulrich/Probst 1991, S.114

Bei den sechs Vorgehensschritten handelt es sich um einen iterativen und in sich selbst vernetzten Prozeß: 1. Da Probleme subjektiv wahrgenommen werden, gibt es eine Fülle von Abgren­ zungsmöglichkeiten für Problemsituationen. Der Versuch, verschiedene Sichtweisen zu integrieren, führt dazu, daß sich die ürsprüngliche, subjektive Perspektive bezüg­ lich der Grenzen, Elemente, Beziehungen und Wirkungseinschätzungen von Pro­ 100 Vgl. Probst 1987, S.38-40; Ulrich/Probst 1991, S.78. 101 Vgl. Probst/Gomez 1991, S.906. 102 Vgl. Probst/Gomez 1992, S.906; Ulrich/Probst, 1992, S.90-94; Gomez 1993, S.36-50; Probst/Büchel 1994, S. 177-184. 103 Vgl. Probst/Gomez 1989, S.6.

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blemen verändert.104 Um Probleme abgrenzen zu können, müssen Ziele sichtbar sein, was in komplexen Situationen oft nur schwer möglich ist, da es hier meistens mehrere, z.T. widersprüchliche Ziele gibt. Dennoch müssen in diesem ersten Schritt die Prämissen für den Problemlösungsprozeß festgelegt werden.105 2. Hier stellt sich die Frage danach, welcher Einfluß (welche Einflüsse) welche Wir­ kungsrichtung bei einer anderen Größe erzeugt (erzeugen).106 Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die korrekte Erfassung der zeitlichen Aspekte. Die Analyse der Wirkungsverläufe erfolgt anhand der Netzwerktechnik.107 3. In diesem Schritt geht es um die Entwicklung von Szenarien, indem Entwicklungs­ pfade und Verhaltensmöglichkeiten simuliert und in ihren Auswirkungen beurteilt werden.108 Da es sich um vernetzte Gebilde handelt, dürfen in diesen Szenarien nicht nur Einzelgrößen betrachtet werden. Ausgehend von dem wahrscheinlichsten Szenario werden Altemativszenarien (optimistisch, pessimistisch) entwickelt.109 4. Ausgehend von der Prämisse, daß Problemsituationen sich nur begrenzt beeinflus­ sen lassen und nicht völlig beherrschbar sind, geht es nun darum, die eigenen Len­ kungsmöglichkeiten zu bestimmen.110 Demzufolge unterscheiden UlRICH/Probst/Gomez in lenkbare und (eher) nicht-lenkbare Größen. Erstere eignen sich für direkte Eingriffe und Maßnahmen, während letztere besondere Beachtung verdienen, um vorbeugende Maßnahmen ergreifen zu können.111 5. Nun müssen die Strategien der Gestaltung und Lenkung in einem kreativen Prozeß entworfen werden.112 Hier geht es darum, grundsätzliche Handlungswege zu ent­ wickeln, aus denen die notwendige Vielzahl aufeinander abgestimmter und konkre­ ter Maßnahmen abgeleitet werden kann.113 Dabei steht weniger die Erringung von Wettbewerbsvorteilen, als vielmehr die Steigerung des Untemehmenswertes im Vordergrund.114 6. Die konkrete Umsetzung der Problemlösung verlangt klare Realisierungspläne und Projekte, Instrumente sowie motivierte Menschen.115 Problemlösungen sind so fle­ xibel zu realisieren, daß sie sich an Situationsveränderungen anpassen und somit weiterentwickeln können.116

104 Vgl. Probst 1985, S.183-185. 105 Vgl. Probst/Gomez 1989, S.7-9. 106 So kann eine Erhöhung der Innovationsfähigkeit zu einer Vergrößerung der Produktpalette und diese wiederum zu höherer Kundenzufriedenheit führen, vgl. Probst/Gomez 1992, S.911. 107 Vgl. Probst/Gomez 1989, S.9-12. Die Autoren illustrieren anschaulich die Bedeutung der zeitli­ chen Aspekte am Beispiel eines Zeitschriftenverlags, vgl. Gomez/Probst 1989, S.26-29. 108 Vgl. Probst 1985, S.l89-199. 109 Vgl. Probst/Gomez 1989, S.l2-13. 1,0 Vgl. Gomez 1985, S.251. 111 Vgl. Ulrich/Probst 1991, S.185; Probst/Gomez 1992, S.915-918. 112 Vgl. Probst/Gomez 1992, S.918; Gomez/Zimmermann 1993, S.216-218. 113 Vgl. Probst 1985, S.l99-202; Ulrich/Probst 1991, S.196. 114 Vgl. Gomez 1993, S.30; Gomez/Zimmermann 1993, S.214. 115 Vgl. Probst/Gomez 1989, S.16. 116 Vgl. Gomez/Probst 1989a, S.146.

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Die Komplexität von System und Umfeld erfordert in jeder Phase des Problemlö­ sungsprozesses das Verständnis für die Einführung und Aufrechterhaltung der adäqua­ ten Varietät.117 Die organisatorische Anforderung liegt daher in der Gestaltung mög­ lichst einfacher Strukturen, verbunden mit Anpassungs- und Lernfähigkeit.118 Daher wird ausgehend von dem Untemehmensleitbild, das den zukünftig gewollten Charakter des Unternehmens ausdrückt, das Untemehmenskonzept entwickelt.119 Das Untemehmenskonzept ist aus Konkretisierungsgründen dreigliedrig angelegt, damit vor allem die Führungskräfte der mittleren Managementebene mit operationalisierbaren Vorgaben arbeiten können.120 Die Dreigliedrigkeit des Gesamtkonzepts drückt sich in den folgenden Einzelkonzepten aus:121 • Leistungswirtschaftliches Konzept: Festlegung der Produkt-Markt-Ziele. • Finanzwirtschaftliches Konzept: Formulierung der Liquiditätsziele mit der Vorgabe von Liquiditätskennzahlen. • Soziales Konzept: Festlegung gesellschafts- und mitarbeiterbezogener Ziele (Übergang vom shareholder approach zum stakeholder approach).

Der Systemansatz und das ganzheitliche Denken zur Überwindung komplexer Pro­ bleme bilden die wesentlichen Merkmale dieses Ansatzes. Die Schwierigkeit bei der direkten Anwendung des Konzeptes im Untemehmensalltag liegt in der Komplexität des Konzeptes selbst und in der Forderung nach hoher Abstraktionsfähigkeit der Füh­ rungskräfte.122 In den neueren Werken spielt daher auch der Aspekt der Schulung ganzheitlichen Denkens eine stärkere Rolle.123 Kritik des systemischen Paradigmas Bezüglich der Erweiterungsfähigkeit um ethische Reflexion der drei vorgestellten Konzepte des systemischen Paradigmas läßt sich folgendes feststellen. 1. Als Totalmodelle berücksichtigen die drei Konzepte alle Phasen des Planungspro­ zesses und würden daher auch die Implementierung ethischer Reflexion über den Prozeß als Ganzes ermöglichen. 2. Alle drei Konzepte gehen inkremental vor, was insofern als vorteilhaft erscheint, als sie dadurch ein iteratives und rekursives Vorgehen ermöglichen. Dies entspricht ei­ ner Form der Reflexion über bereits eingeschlagene Wege. 3. Die beschriebenen Konzepte sind analytisch-konzeptionell ausgerichtet und bieten sich daher für eine Untersuchung der Gemeinsamkeiten ethischer und strategischer Prozesse an. 4. Allerdings führt die - vor allem in radikal-systemischen Konzepten - postulierte Unmöglichkeit der Steuerung strategischer Prozesse letztlich auch zu einer Unmög­ 117 118 119 120 121 122 123

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Probst 1992, S.206; Ulrich, H. 1992, S.802-803. Probst 1987, S.l 19; Probst/Büchel 1994, S.179. Ulrich, H. 1981, S.l 1-23; Ulrich, H. 1990, S.91 -97. Ulrich, H. 1990, S.100. Ulrich, H. 1990, S. 108-180. Eschenbach/Kunesch, S.271-272. Probst/Büchel 1994.

Eine Konzeption der Strategischen Untemehmensplanung

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lichkeit der Steuerung ethischer Prozesse. Da strategische Prozesse aufgrund ihrer Komplexität als nicht steuerbar angesehen werden und sich die Komplexitätspro­ blematik für ethische Prozesse noch drastischer darstellt, erscheint eine Verbindung ethischer Reflexion mit strategischen Konzepten des systemischen Paradigmas zu­ mindest sehr schwer, wenn nicht sogar unmöglich.

2.2.3.2 Deskriptives Paradigma

Mintzberg Ausgangspunkt von MlNTZBERGS Überlegungen zum Strategischen Management ist seine Kritik an der Diskrepanz traditioneller theoretischer Strategiekonzepte und tat­ sächlich vorfindbarer Untemehmenspraxis.124 Aus dieser Kritik und eigenen empiri­ schen Untersuchungen zum Planungsverhalten von Unternehmen heraus entwickelt er sein Konzept des Strategischen Managements.

Strategische Ansätze implizieren üblicherweise, daß Strategien bewußt geplant werden und beschreiben daher Planungsinstrumente und ideale Planungsabläufe. MlNTZBERGS empirische Untersuchungen weisen darauf hin, daß nur ein Bruchteil der vorfindbaren Strategien tatsächlich geplant ist. Daher unterscheidet er in 'intended strategies', die, wenn sie umgesetzt wurden, als 'deliberate strategies' bezeichnet werden, und 'emergent strategies', die ungeplant aus dem Tagesgeschehen hervorgegangen sind und ebenfalls umgesetzt wurden. 125Die beiden Formen sind nicht als Gegensätze zu verste­ hen, sondern gehen beide in die realisierte Strategie ein.

_ Emergent Strategy / Emergent Strategy /

Abbildung 2-8: Strategiemuster nach MINTZBERG

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Mintzberg 1994a, S.24

Die Hauptaufgabe des Strategischen Managements sieht Mintzberg in der Verbin­ dung von analytischen Planungsverfahren und einer Synthese deren Ergebnisse zu 124 Vgl. Mintzberg 1994a, S. 159-322. 125 Vgl. Mintzberg 1994a, S.23-29. Emergente Strategien beschreibt Mintzberg als wachsend „...wie Unkraut im Garten. Sie schlagen an allen möglichen Stellen Wurzeln, wo immer die Menschen die Fähigkeit zum Lernen haben (...) und die Ressourcen dazu haben, diese Fähigkei­ ten zu pflegen.“ Mintzberg 1991, S.47.

Eine Konzeption der Strategischen Untemehmensplanung

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Strategien.126 Strategisches Denken muß in strategisches Handeln münden, um die Kombination von Stabilität und Wandel zu gewährleisten. Daher steht für ihn nicht so sehr die Strategieentwicklung im Vordergrund, sondern eher das Managen, das rich­ tige Umgehen mit Strategien.127 Hierzu beschreibt er bestimmte Anforderungen:128 • Stabilität managen. Strategien zu managen bedeutet nicht um jeden Preis die För­ derung des Wandels, sondern zu erkennen, wann er nötig ist. • Diskontinuitäten erkennen. Umfelder verändern sich nicht auf eine reguläre und ge­ ordnete (vorhersagbare) Weise. Bedeutende Diskontinuitäten lassen sich auch als Gestaltwandel in der Umwelt verstehen, bei denen sich alles Wichtige gleichzeitig zu ändern scheint. Die Herausforderung besteht im Erkennen der subtilen Diskonti­ nuitäten, die eine Unternehmung im Laufe der Zeit unterminieren können. • Die Branche kennen. Hierbei geht es weniger um das intellektuelle, faktische Wis­ sen über die Branche, sondern um „...persönliches Wissen, genaue Kenntnis, das dem Gefühl der Kunsthandwerkerin für den Ton gleicht“129. • Strategiemuster managen. Außer der Entwicklung und Umsetzung von 'intended strategies' muß ein Manager fähig sein, emergente Strategien an allen möglichen Stellen im Unternehmen zu entdecken und angemessen aufzugreifen. • Versöhnung von Wandel und Kontinuität. Manager, die einseitig auf Wandel oder auf Kontinuität setzen, schaden langfristig dem Unternehmen. Als Manager von Strategiemustem müssen sie ein Gespür dafür haben (bzw. entwickeln), wann eta­ blierte Strategien zu verfolgen und wann neue zu unterstützen sind, die die alten er­ setzen.

Die Strategiealtemativen, die MlNTZBERG vorschlägt, lassen sich als Erweiterung der Normstrategien nach PORTER und ANSOFF auffassen. Das Hauptaugenmerk liegt auf dem Kemgeschäft einer Unternehmung, das es als erstes zu definieren hat. Die Posi­ tionierung und Entwicklung desselben führt im Anschluß zur Notwendigkeit der Kon­ solidierung des Kemgeschäfts, das nach dieser Phase ausgeweitet werden sollte.130 Von Interesse ist für MlNTZBERG auch der Zusammenhang von Strategie, Organisa­ tionsstruktur und Umfeldfaktoren. Da seines Erachtens die typische Unterscheidung in beeinflussende Situationsvariablen und beeinflußte Strukturvariablen nicht gilt, ver­ sucht er nicht eine Idealorganisation zu definieren, sondern entwickelt fünf mögliche Umfeld-Struktur-Konfigurationen:131 1. Die Einfachstruktur. Sie zeichnet sich aus durch eine minimale Differenzierung der Einheiten, lose Arbeitsteilung, kleine Führungshierarchie und kaum vorhandene V erhaltensformalisierung.132 Vgl. Mintzberg 1991, S.88. Vgl. Mintzberg 1994, S.l08-109. Vgl. Mintzberg 1991, S.51-54. Mintzberg 1991, S.53. Vgl. Mintzberg 1985, S.257-272. Vgl. hierzu auch Mintzbergs grundlegende Organisationsuntersuchungen in Mintzberg 1983, pp.334-466. 132 Vgl. Mintzberg 1992, S.213-222.

126 127 128 129 130 131

50

Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

2. Die Maschinenbürokratie. Charakteristisch sind hier äußerst spezialisierte Routi­ neaufgaben, hohe Verfahrensformalisierung, Gruppierung von Aufgaben auf funk­ tionaler Ebene, zentralisierte Entscheidungsbefugnisse und eine scharfe Trennung zwischen Linie und Stab.133 3. Die Profibürokratie. Kennzeichnend ist die Standardisierung von Qualifikationen und damit verbundener Gestaltungsparameter der Ausbildung und Indoktrination'. Daraus resultiert ein erhebliches Maß an Selbstkontrolle.134 4. Die Spartenstruktur. Die hervorstechendste Eigenschaft ist die Ausrichtung und Gruppierung der Einheiten an den jeweils relevanten Märkten. Dadurch wird die Abhängigkeit der Sparten untereinander reduziert, und es entsteht eine Quasi-Auto­ nomie bezüglich der Aktivitäten. Daraus resultiert eine große Leitungsspanne bei der Führung des Gesamtuntemehmens.135 5. Die Adhokratie. Hier herrscht eine ausgeprägte Tendenz zu gleichzeitig funktionsund marktorientierter Gruppierung im Sinne einer Matrixstruktur. Die verschiedenen Experten schließen sich in multidisziplinären Teams für jeweils ganz bestimmte In­ novationsprojekte zusammen.136 Die Integration strategischer und organisationstheoretischer Überlegungen führt zu ei­ ner situativen Relativierung der Strategischen Planung. Dadurch entwickelt Mintzberg eher situativ sinnvolle Denkmodelle als ein vollständiges Strategie-Kon­ zept.137

Kritik des deskriptiven Paradigmas Zur Erweiterungsfähigkeit des deskriptiven Paradigmas läßt sich folgendes festhalten. 1. Wie für das systemische Paradigma gilt auch hier die inkrementale Vorgehens weise als vorteilhaft, da es durch das schrittweise Vorgehen die Verbindung zum ebenfalls schrittweisen Prozeß ethischer Reflexion schafft. 2. Das stärker analytisch-konzeptionelle Vorgehen ermöglicht das Aufdecken von Gemeinsamkeiten ethischer und strategischer Prozesse. 3. Da das deskriptive Paradigma als Partialmodell konzipiert ist, blendet es Teile des strategischen Planungsprozesses (bewußt) aus und verhindert damit eine durchgän­ gige Verknüpfung mit allen Phasen eines Prozesses ethischer Reflexion. 4. Die stärkste Kritik ist allerdings bezüglich des Strategiebegriffs selbst zu formulie­ ren. Das deskriptive Paradigma definiert Strategien als Muster in einem Strom von Entscheidungen und beraubt damit in letzter Konsequenz den Strategiebegriff seines Inhaltes. Wenn man Strategien nur als überdauernde Handlungsmuster begreift und nicht auf ihre Intentionalität oder Zielorientierung hin untersucht, dann ließen sich permanente Liquiditätsprobleme ebenfalls als Strategie auffassen. Auf den Bereich der Philosophie übertragen, würde dies bedeuten, sich nur mit den Moralvorstellun­ 133 Vgl. Mintzberg 1992, S.223-254. 134 Vgl. Mintzberg 1992, S.255-286. 135 Vgl. Mintzberg 1992, S.287-334. 136 Vgl. Mintzberg 1992, S.335-372. 137 Vgl. Eschenbach/Kunesch 1994, S. 166-167.

Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

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gen zu beschäftigen - also den faktisch verfolgten Werten und Nonnen - und nicht auch mit ihrer Intentionalität. Bei der ethischen Reflexion geht es aber gerade um die Untersuchung der Intentionalität und Vernünftigkeit bestehender Moralvorstel­ lungen.

2.2.3.3 Konstruktivistisches Paradigma

Ansoff Das besondere Verdienst von ANSOFF ist darin zu sehen, daß er auf die Notwendigkeit des aktiven Aufspürens und Erkennens schwacher Signale im Untemehmensumfeld hingewiesen hat.138 Die Umfeldveränderungen führten seiner Ansicht nach zu einer Weiterentwicklung strategischer Managementsysteme, die durch vier Entwicklungsstu­ fen gekennzeichnet ist.139 Diese Entwicklungsstufen korrespondieren mit einem typischen Grad der Umfeld­ komplexität und bevorzugten Managementsystemen/ -instrumenten.140

Managementtypus Management by Control

Umfeldkomplexität stabiles Umfeld

Bevorzugte Management­ systeme/ -INSTRUMENTE * Richtlinien/Vorschriften * Finanzkontrolle

Management by Extrapolation

instabile Märkte

* Budgetierung

* Management by Objectives

* Langfristplanung Management by Anticipation

vorhersehbare und hand­ habbare Veränderungen

* Strategische Planung

Management by Flexible / Rapid Response

un vorhersehbare Überraschungen/

* Strategie Issue Management

Diskontinuitäten

* Strategisches Management

* Weak Signal Management * Surprise Management

Tabelle 2-1: Ansoffs Entwicklungsstufen der Managementsysteme

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Ansoff 1984, S.14; Staehle 1994, S.581-586

Im Rahmen der dritten Entwicklungsstufe entwickelt ANSOFF für die Strategische Pla­ nung ein Schema, das die Ableitung von Normstrategien ermöglichen soll.141

138 Vgl. Ansoff 1965; Eschenbach/Kunesch 1994, S.15. 139 Aufgrund empirischer Untersuchungen zur Weiterentwicklung strategischer Planungssysteme äußert sich Kreikebaum kritisch zu der historisch datierbaren Abfolge von Strategischer Planung und Strategischem Management, vgl. Kreikebaum 1989, Sp. 1876-1885; Kreikebaum 1993, S.29. 140 Vgl. Ansoff 1990; Staehle 1994, S.581; Perlitz 1995, S.253-254. 141 Vgl. Ansoff 1988, S.131.

Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

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Markt Produkt alt

neu

neu

alt Marktpenetration

Marktentwicklung

Konzentration auf den bestehenden Markt

Erschließung neuer Märkte

Produktentwickiung

Diversifikation

Erstellen neuer Produkte für den bestehenden Markt

horizontale, vertikale oder laterale Diversifikation

Tabelle 2-2: Produkt-Markt-Matrix nach ANSOFF Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Ansoff 1957, p,114

Die vierte Entwicklungsphase wirft drei neue Aufgabenfelder des Managements auf: 1. Beim Strategic Issue Management erfolgt eine real time-Reaktion auf Umfeldver­ änderungen. Eine permanente strategische Überwachung dient dazu, auftretende Probleme sofort von einer task force bearbeiten zu lassen.142 2. Weak Signal Management soll das frühzeitige Erkennen von Trendbrüchen ermög­ lichen, um Probleme bereits im Entstehungsstadium aufgreifen zu können. 3. Surprise Management läßt sich als institutionalisiertes Krisen-Management verste­ hen, das greift, wenn nicht genügend Zeit verbleibt, auf die Probleme mit 'üblichen' strategischen Maßnahmen zu reagieren.143

Drucker Die Schwerpunkte in DRUCKERS Konzept liegen auf Managementfähigkeiten, strate­ gischen Analysen/ Entscheidungen und Innovationen sowie deren Bedeutung für das Strategische Management.

Relevante Aufgabengebiete des Managements

Relevante Bereiche der Strategischen Planung

Relevante Strategien zur Erhöhung der Innovationsfähigkeit

Leitung des Unternehmens

Unternehmens- und Umfeldanalyse

'Schnellstens und Stärkstens'

Leitung der Führungskräfte Entwicklung von Produktver­ besserungsstrategien

'In die Lücke stoßen'

Leitung der Mitarbeiter und Organisation des

Ökologische Nischen

Entwicklung von Innovations­ strategien

Untemehmensaufbaus

Veränderung der Wert- und Wirtschaftlichkeitsmerkmale

Tabelle 2-3: Relevante Bereiche des Strategie-Konzepts nach DRUCKER Quelle: Eigene Darstellung 142 Vgl. Ansoff 1980, pp. 131-148. 143 Vgl. Ansoff 1981, S.233-264.

Eine Konzeption der Strategischen Untemehmensplanung

53

DRUCKER entwickelt einen Bezugsrahmen für strategische Entscheidungen, in wel­ chem drei Aufgabengebiete bezeichnet werden, die für das Management von Relevanz sind.

1. Die Leitung des Unternehmens. Sie zielt darauf ab, das Wirtschaftshandeln aktiv mitzugestalten, statt bloß auf Umfeld Veränderungen zu reagieren.144 Strategisches Denken kommt dabei vor allem auf zwei Teilgebieten zum Tragen:145 • Der Absatz bestehender Produkte ist auf die aktive Schaffung eines Marktes gerichtet. Latente Wünsche und Bedürfnisse der Kunden aufzuspüren und zu be­ friedigen wird als die zentrale Aufgabe des Marketings gesehen. Absatzerhöhung ist somit nicht mehr nur die Aufgabe des klassischen Verkaufs, sondern das ge­ samte Marketing-Mix ist von Interesse.146 • Der Aufbau neuer Produkte dient der Zukunftssicherung des Unternehmens durch permanente Neuerungen. Die bewußte Schaffung von Neuem bzw. An­ dersartigem zielt auf Innovationen in ökonomischen und sozialen Kategorien. In­ novation wird nicht als technische Neuerung verstanden und mit dem Begriff der naturwissenschaftlichen Forschung verknüpft, sondern an der Veränderung des gesellschaftlichen und insbesondere wirtschaftlichen Umfelds ausgerichtet bzw. an den Verhaltensänderungen von Menschen.147 2. Die Leitung der Führungskräfte. Drucker definiert diesbezüglich vier Anforde­ rungen:148 • Führung durch Zielvereinbarung und Selbstkontrolle. Führungskräfte sollen auf die Erreichung der Untemehmensziele 'eingeschworen' werden; Kontrolle wird als Hilfe zur Selbstkontrolle verstanden. • Kongruenz von Kompetenz, Fähigkeit und Zielen. Die übertragenen Kompe­ tenzen (und Aufgaben) müssen sowohl den Fähigkeiten des Ausführenden als auch den vereinbarten Zielen entsprechen. • Schaffung der Unternehmenskultur. Die Visionen, Werte und Vorstellungen, die sich in der Untemehmenskultur niederschlagen, prägen sowohl Führungskräfte als auch nachgeordnete Mitarbeiter und bestimmen daher zu einem bestimmten Grade auch das unternehmerische Gesamtergebnis. DRUCKER fordert eine Kultur, die zu Höchstleistungen anspomt und sich an den Stärken des Unternehmens orientiert. • Ausbildung des Managements. Dabei sollte das Schwergewicht auf die Flexibi­ lisierung der Führungskräfte gelegt werden, um die Bereitschaft für stetigen Wandel und die Suche nach Innovationen zu erhöhen.

3. Leitung der Mitarbeiter und Organisation des Unternehmensaufbaus. Eine fö­ deralistische Dezentralisation ist nach DRUCKER der funktionellen Spezialisierung

144 145 146 147 148

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Drucker Drucker Drucker Drucker Drucker

1970, 1985, 1970, 1985, 1968,

S.22. pp.103-108. S.52. pp.782-786. pp. 150-230; Drucker 1970, S. 151-237.

54

Eine Konzeption der Strategischen Untemehmensplanung

vorzuziehen, da letztere immer wieder zu Ressortegoismen und Problemen bei der Zielvereinbarung führt.149 Daraus leitet er drei Organisationsanforderungen ab:150 • Förderung des Managementnachwuchses, • Ausrichtung am Wirtschaftlichkeitspostulat und • flacher Hie rare hie aufbau.

Eine eingehende Unternehmens- und Umfeldanalyse nimmt DRUCKER zum Ausgangs­ punkt der Strategischen Untemehmensplanung und analysiert dabei folgende Berei­ che:151 • • • •

'Result Areas' (Produkt, Markt, Distribution), Kosten und Kostenstrukturen, Kunden und Fähigkeiten.

Die Strategische Planung sollte sich laut DRUCKER auf die Bereiche Produktverbesse­ rung und Innovation konzentrieren, wobei der Prozeß der Strategiefindung die Phasen Tormulierung eines Leitbildes', 'Suche nach Spitzenleistungen', und 'Setzen von Prioritäten' durchläuft. Als typische Strategiealtemativen schlägt er 'Spezialisierung', 'Diversifizierung'und 'Integration'vor.152 Wie bereits erwähnt, ist die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens für DRUCKER von besonderem Interesse. Er schlägt daher vier Innovationsstrategien vor:153 • Schnellstens und Stärkstens}54 Diese Strategie beabsichtigt, eine eigene, pionier­ hafte Innovationschance zum Aufbau eines neuen Industriezweiges bzw. zur Schaf­ fung eines neuen Marktes zu nutzen. • In die Lücke stoßen}55 Das Unternehmen versucht als kreativer Nachahmer, die In­ novationschancen besser zu nutzen als der Innovator. • Ökologische Nischen}56 Ziel dieser Strategie ist die Erreichung eines Quasi-Mo­ nopols in einem kleinen Markt, um dort relativ wettbewerbsimmun agieren zu kön­ nen. • Veränderung der Wert- und Wirtschaftlichkeitsmerkmale}51 Während die drei erst­ genannten Strategien zum Ziel haben, Innovationen hervorzurufen, stellt hier die

Vgl. Drucker 1968, pp.247-259; Drucker 1985a, pp. 164-175. Vgl. Drucker 1968, pp.347-377. Vgl. Drucker 1993. Vgl. Drucker 1993, pp. 131-212; Eschenbach/Kunesch 1994, S.62-63. Vgl. Drucker 1985b, pp.2O7-252. Vgl. Drucker 1985b, pp.209-219. Eschenbach/Kunesch übersetzen Druckers Termini „Fustest with the Mostest“ und „Hit Them Where They Ain 4“ mit „Schnellstens und Stärkstens“ sowie „In die Lücke stoßen“, vgl. Eschenbach/Kunesch 1994, S.65. Dieser Übersetzung wird sich hier angeschlossen. 155 Vgl. Drucker 1985b, pp.220-232. 156 Vgl. Drucker 1985b, pp.233-242. 157 Vgl. Drucker 1985b, pp.243-252.

149 150 151 152 153 154

Eine Konzeption der Strategischen Untemehmensplanung

55

Strategie selbst die Innovation dar. Nicht das Produkt oder die Dienstleistung ver­ ändert sich (physisch), sondern die Strategie macht daraus etwas Neues.158 DRUCKER hat in seinem Werk über vier Jahrzehnte hinweg immer wieder darauf ver­ wiesen, daß das Unternehmen als offenes System zu verstehen ist, das in einer Wech­ selwirkung mit seinem spezifischen Umfeld steht. Bei der Formulierung der Unter­ nehmensstrategien geht das Management vom Umfeld aus (insbesondere den Kunden­ bedürfnissen) und wirkt über seine Innovationen wiederum selbst auf das Umfeld ein.

Gälweiler Gälweiler unterscheidet die Untemehmensführung in zwei Großbereiche: • Strategische Führung und Planung. Ihre Aufgabe ist die Suche und Schaffung neuer Erfolgspotentiale sowie der Aufbau und die Erhaltung bestehender Erfolgspotentiale unter Berücksichtigung der langfristigen Liquiditätswirkungen.160 Unter Erfolgspo­ tential versteht er „das gesamte Gefüge aller jeweils produkt- und marktspezifischen erfolgsrelevanten Voraussetzungen, die spätestens dann bestehen müssen, wenn es um die Erfolgsrealisierung geht“161. • Operative Führung. Hier geht es um eine bestmögliche Umsetzung der in der Nah­ periode liegenden Erfolgspotentiale, ohne eine Gefährdung der zeitlich dahinterlie­ genden Erfolgspotentiale aus einem kurzfristigen Gewinndenken heraus.

Strategische und operative Führung benötigen Orientierungsgrundlagen, die Sicherheit schaffen sollen, um den Entscheidungsträgem eine zukunftsorientierte Vorsteuerung von Erfolg und Liquidität zu ermöglichen.162 So, wie der Erfolg (im Sinne von Gewin­ nen) als Vorsteuergröße für die nachfolgende Liquidität fungiert, benötigt auch der Er­ folg selber Vorsteuergrößen. Diese Funktion der Erfolgs-Vorsteuergröße übernehmen die bereits erwähnten Erfolgspotentiale. GÄLWEILER versteht darunter konkret:163 • Marktanteile und Erfahrungskurve, • präzise Erfassung des Anwenderproblems und • Kenntnis der Substitutionszeitkurve. Die eigene Marktposition dient dabei als Orientierungsgrundlage für bestehende Er­ folgspotentiale, während durch die Berücksichtigung der Kundenprobleme neue Er­ folgspotentiale aufgebaut werden können. Dadurch entstehen neue technische Lösun­

158 Drucker nimmt das Beispiel des Postdienstes, bei dem die Dienstleistung 'Zustellung' fast zweitausend Jahre alt ist. Die nicht-öffentlichen Paketdienste haben durch Veränderung des Kundennutzens, Anpassung an die soziale und ökonomische Situation der Kunden und aggres­ sive Preispolitik eine veränderte (subjektiv anders wahrgenommene) Dienstleistung erstellt, vgl. Drucker 1985b, pp.243. 159 Vgl. Eschenbach/Kunesch 1994, S.68. 160 Vgl. Gälweiler 1990, S.28; Gälweiler 1992, S.209. 161 Gälweiler 1990, S.26. Zu strategischen Erfolgspositionen vgl. Pümpin 1992, S.28-76. 162 Vgl. Gälweiler 1990, S.240-241. 163 Vgl. Gälweiler 1990, S.37-51.

Eine Konzeption der Strategischen Untemehmensplanung

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gen, die die Substitutionszeit beeinflussen. Diese beeinflußt wiederum Marktposition und Erfahrungskurve.

Aus der Vorsteuerfunktion von Erfolgspotentialen leitet GäLWEILER folgende Wech­ selbeziehungen zwischen strategischer und operativer Führung ab:164 • Strategische Führung hat die Aufgabe, Erfolg und Liquidität vorzusteuem. Vorsteuem bedeutet ein frühzeitiges Bemerken von Veränderungen anhand der Orientie­ rungsgrundlagen und eine entsprechende Verhaltensausrichtung. • Die Strategische Führung kann durch Erfolgspotentiale nur Voraussetzungen mit hohen Erfolgschancen schaffen, ohne gleichzeitig Sicherheiten für tatsächliche spä­ tere Erfolge zu gewährleisten. • Die tatsächliche Umsetzung der Erfolgspotentiale in Erfolg ist Aufgabe der opera­ tiven Führung. Auch die sich an den Erfolg anschließende Liquiditätssteuerung ist Aufgabe der operativen Führung. • Da sich die Steuerungsgrößen Erfolgspotential, Erfolg und Liquidität stets entge­ gengesetzt verändern können, ist eine permanente und separate Steuerung notwen­ dig. Dies führt zu eigenständigen Aufgaben bei gleichzeitiger Parallelität von stra­ tegischer und operativer Führung.165 Aus diesen Überlegungen heraus entwickelt GäLWEILER eine Grundsystematik stra­ tegisch relevanter Problemfelder.166 Im Zentrum stehen Strategische Geschäftseinhei­ ten, deren Zweck die Erarbeitung langfristig tragfähiger Ziele ist. Dazu werden die ge­ samten Untemehmensaktivitäten in jeweils strategisch homogene Aufgabenfelder ge­ bündelt.167 Ausgangspunkt ist das Kundenproblem, das in enger Beziehung zu beste­ hender Technologie und künftig erforderlicher Innovation steht, wobei diese die künf­ tige Marktentwicklung beeinflussen. Das Unternehmen muß nun Marktanteilsziele formulieren und aus diesen Marketing- und Wachstumsziele ableiten. Dieses Wachs­ tum basiert auf Einsparungspotentialen (Erfahrungskurveneffekte) und Investitionen, die schließlich in den Mittelflußsaldo münden. Dieser freie Cash Flow steckt den fi­ nanziellen Rahmen der operativ durchführbaren Maßnahmen ab.168

Der Planungsprozeß gliedert sich in die vier Phasen 'Analyse', 'Zielbildung', 'Strategiebildung' und 'Ausführungsplanung'169 und wird durch die strategische Kon­ trolle ergänzt und permanent begleitet.170

Hax/ Majluf Hax/ Majluf entwickeln ihr Konzept des Strategischen Managements als eine Ver­ bindung von Geschäftsbereichsstrategien und Gesamtuntemehmensstrategie, um so auf das Unternehmen als Ganzheit als auch auf die Individualität der einzelnen Geschäfts­ 164 165 166 167 168 169 170

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Gälweiler 1990, S.29-33. Gälweiler 1992, S.210-218. Eschenbach/Kunesch 1994, S.79. Gälweiler 1990, S.273-277. Gälweiler 1990, S.31 und 33-35. Gälweiler 1986, S. 187-193. Gälweiler 1986, S.208.

Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

57

bereiche Rücksicht nehmen zu können.171 Daher umfaßt das Strategische Management drei Planungsebenen, die aufgrund ihrer Wechselbeziehungen gleichzeitig zu betrach­ ten sind:172 • Die Ebene der Gesamtuntemehmung (corporate strategy), • die Ebene der Geschäftsbereiche (business strategies) und • die Funktionsebene (functional strategies). Der formale Planungsablauf bezieht alle wichtigen Entscheidungsträger sämtlicher Ebenen in die Strategische Planung ein, mit dem Ziel eine große Vielfalt an Meinungen und Wissen zu erhalten. Die dadurch auftretenden Interaktionen über alle Unterneh­ mensebenen hinweg sollen eine harmonische Abstimmung zwischen den strategischen Vorstellungen der einzelnen Bereiche und den Erfordernissen anderer Bereiche sowie des Gesamtuntemehmens ermöglichen.173 Der Planungsprozeß ist ein formal-organisa­ torischer Ablauf, der von der Vision bis zur Ausformulierung operativer Programme reicht und sich in zwölf Schritten vollzieht.

Abbildung 2-9: Das formale Verfahren der Unternehmensstrategieplanung hei

Hax/ Majluf

Quelle: Hax/Majluf 1991, S.61

Im einzelnen beschreiben Hax/ Majluf diese zwölf Schritte folgendermaßen:174 1. Die Vision des Unternehmens. Festlegung der Untemehmensphilosophie, des Un­ ternehmensauftrags und der Bestimmung der Strategischen Geschäftsbereiche und ihrer Wechselwirkungen. 2. Strategische Grundhaltung und Planungsrichtlinien. Definition der strategischen Stoßrichtungen sowie der Leistungsziele und Planungsanforderungen.

171 172 173 174

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Eschenbach/Kunesch 1994, S.91. Hax/Majluf 1991, S.55-59. Hax/Majluf 1991, S.61. Hax/Majluf 1991, S.63-86.

58

Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

3. Der Geschäftsauftrag. Bestimmung des Geschäftsbereichs und der Produkt-Markt­ segmente. 4. Formulierung der Geschäftsstrategie und allgemeiner Aktionsprogramme. Die Ge­ schäftsstrategie besteht aus einer Reihe von Zielen, die zu einem langfristig zu be­ wahrenden Vorteil gegenüber der Konkurrenz führen sollen. Aktionsprogramme unterstützen die Geschäftsstrategie und werden mit einem klaren Implementierungs­ zweck definiert. 5. Formulierung der Funktionsstrategie. Beteiligung an der Planung sowie Zustim­ mung oder Ablehnung der Geschäftsstrategie mit anschließender Formulierung der daraus resultierenden allgemeinen Aktionsprogramme für alle Funktionen. 6. Konsolidierung der Geschäfts- und Funktionsstrategien. 7. Definition und Bewertung spezifischer Aktionsprogramme auf Geschäftseinheits­ ebene. 8. Definition und Bewertung spezifischer Aktionsprogramme auf Funktionsebene. 9. Zuweisung der Ressourcen und Definition der Leistungsmaßstäbe der Führungs­ kontrolle. 10. Budgetierung auf Geschäftseinheitsebene. 11. Budgetierung auf Funktionsebene. 12. Budgetierung und Genehmigung der operationalen und strategischen Mittel. Der strategische Planungsprozeß stellt zwar den Mittelpunkt des Strategischen Mana­ gements nach Hax/ Majluf dar, ihr Konzept des Strategischen Managements verlangt darüber hinaus aber auch die Integration folgender Bestandteile:175 • Organisationsstruktur, • Untemehmenskultur, • Kommunikations- und Informationssystem, • Führungskontrollsystem sowie • Motivations- und Belohnungssystem. Durch den strukturierten Ablauf des Planungsprozesses und die Verbindung der ein­ zelnen Tätigkeiten erfolgt eine permanente und explizite Auseinandersetzung mit stra­ tegischen Grundfragen. Dadurch bleiben langfristige strategische Überlegungen im Vordergrund und werden nicht durch die Probleme des Tagesgeschehens verdrängt.

Hinterhuber Für Hinterhuber stellt die Strategische Untemehmensplanung den wesentlichen Teil der Strategischen Untemehmensführung dar. Letztere muß nicht nur die Entwicklung umfassender Planungssysteme mit langfristiger Ausrichtung, sondern insbesondere auch deren Integration in das Führungssystem der Unternehmung gewährleisten.176 Dazu entwickelt Hinterhuber ein siebenstufiges Strategiekonzept, wobei die Kon­ kretisierung auf jeder Stufe zunimmt und diese durch Rückkoppelungsprozesse in In-

175 Vgl. Hax/Majluf 1991, S.97-117; Kreikebaum 1993, S.27-28. 176 Vgl. Hinterhuber 1984, S.35.

Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

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terdependenzbeziehungen gebracht werden. Die folgende Abbildung verdeutlicht den Zusammenhang.

Abbildung 2-10:

Hinterhubers Gesamtkonzeption der Strategischen

Unternehmensführung

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Hinterhuber 1984, S.37; Hinterhuber 1989, S.103

• Die Vision kommt einem unternehmerischen 'Sendungsbewußtsein' gleich und muß sich dazu eignen, neue Horizonte zu erschließen, neue Märkte zu schaffen und ver­ krustete Strukturen aufzubrechen. Diese Vision muß von den obersten Führungs­ kräften vorgelebt werden und richtet dadurch die Tätigkeit der Mitarbeiter und des Unternehmens als Gesamtheit an den vereinbarten Zielen aus. Diese Ziele sollten herausfordernd und außergewöhnlich sein.177 • Aufgabe der Unternehmungspolitik ist die Verbreitung der Vision innerhalb des Unternehmens. Sie ist so auszugestalten, daß sie dem Unternehmen eine innere und äußere Struktur gibt. Dies geschieht durch verbale und/oder schriftliche Kommuni­ kation der Werte, Normen und Ideale, denen sich das Unternehmen verpflichtet J77

Vgl. Hinterhuber 1992, S.41 -54.

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Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

fühlt. Dazu werden relativ allgemein gehaltene Untemehmensgrundsätze formuliert, die durch praktische Leitsätze präzisiert werden.178 Die Strategie soll die von der Untemehmungspolitik gesetzten Aufgaben unter bestmöglicher Ausnutzung der verfügbaren Mittel erreichen und dient dem Ziel der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Dabei erfolgt zuerst eine Analyse der Aus­ gangsposition mit Umfeld- und Untemehmensanalyse und dann die Strategieent­ wicklung auf der Ebene der Geschäftseinheiten und des Gesamtuntemehmens.179 Die Ausarbeitung von Direktiven für die Funktionsbereiche dient der Konkretisie­ rung der strategischen Vorgaben. Es werden Entscheidungsrichtlinien für die Leiter der einzelnen Funktionsbereiche formuliert, innerhalb derer sie selbständig entschei­ den können.180 Die Gestaltung der Organisationsstruktur sieht HINTERHUBER als entscheidende Voraussetzung für den optimalen strategischen Ressourceneinsatz. Daher muß fort­ laufend die Stimmigkeit von Untemehmungspolitik, Gesamtuntemehmensstrategien, Geschäftsbereichsstrategien und Organisationsstruktur überprüft werden.181 Dies ermöglicht die 'Sekundärorganisation', in der strategische Geschäftseinheiten ihre eigene Form der Organisation innerhalb einer divisional gegliederten Unternehmung finden.182 Auch die Auswahl geeigneter Führungskräfte sieht HINTERHUBER als ent­ scheidende Aufgabe bei der Organisationsgestaltung.183 Die Durchführung der Strategien erfolgt anhand spezifischer Aktionspläne, die von einer Fortschrittskontrolle begleitet werden. Die Strategieüberwachung wird durch eine Durchführungskontrolle gewährleistet, die sowohl als Überwachung sowie als Revision bestehender Strategien und Aktionspläne angelegt ist.184 Die Unternehmungskultur stellt das integrative Element der Strategischen Unter­ nehmungsführung dar, da sie über Rückkoppelungsmechanismen mit allen Stufen verbunden ist. HINTERHUBER unterscheidet in eine zIst-Untemehmungskulturz und eine zSoll-Untemehmungskulturz, um anhand der feststellbaren Diskrepanzen ent­ sprechende Eingriffe der Untemehmungsleitung zu fordern. Diese würden typi­ scherweise in den Bereichen Personalpolitik, Organisation, Finanzplanung und Kontrolle erfolgen.185

Das Konzept versucht, die einzelnen Geschäftseinheitsstrategien zu einer konsistenten Gesamtuntemehmensstrategie zu koordinieren. Durch diese Zusammenführung sollen Synergien ermöglicht und gleichzeitig dem Ressort- oder Bereichsegoismus entgegen­ gewirkt werden.186 Vgl. Hinterhuber 1992, S.55-72. Vgl. Hinterhuber 1984, S.43-64; Hinterhuber 1992, S.l43-240. Vgl. Hinterhuber 1989, S.3-102. Vgl. Hinterhuber 1989, S. 105-1 11. Vgl. Hinterhuber 1989, S. 124-129. Vgl. Hinterhuber 1989, S.l38-145. Hinterhuber spricht dort explizit von der Auswahl geeigneter Führungskräfte als der wichtigsten unternehmerischen Aufgabe. Vgl. Hinterhuber 1989, S. 181-214. 185 Vgl. Hinterhuber 1989, S.220-231. 186 Vgl. Eschenbach/Kunesch, S. 116.

178 179 180 181 182 18'

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Porter Prägend für PORTERS Strategievorschläge ist seine Beschäftigung mit Wettbewerbs­ analysen. Ausgehend von dem Marktstruktur-Marktverhalten-Marktergebnis-Para­ digma der Harvard School187 untersucht er die unternehmerischen Chancen, die gege­ bene Wettbewerbssituation zu ändern und davon zu profitieren.

Da sich ein Unternehmen im Regelfälle nicht mit allen existenten Unternehmen im Wettbewerb befindet, geht es zunächst um die Festlegung der relevanten Branche und der Triebkräfte des Branchenwettbewerbs, um somit eine Branchenstrukturanalyse zu ermöglichen.188

Abbildung 2-11: Die Triebkräfte des Branchenwettbewerbs nach PORTER

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Porter 1992, S.26

• Die Gefahr des Markteintritts neuer Konkurrenten hängt von den existierenden Eintrittsbarrieren und den möglichen Reaktionen der etablierten Wettbewerber ab. Eintrittsbarrieren sind bestehende 'economies of scale', Produktdifferenzierung, Kapitalbedarf, Umstellungskosten und (fehlender) Zugang zu Vertriebskanälen. Die VergeltungsWahrscheinlichkeit hängt hauptsächlich von dem bisherigen Verhalten der etablierten Wettbewerber und deren Liquidität ab.189 • Der Rivalitätsgrad unter den bestehenden Wettbewerbern entsteht durch den Zwang oder die Möglichkeit einer Positionsverbesserung. Die Faktoren, die zu ei­ nem hohen Rivalitätsgrad führen, sind zahlreiche oder gleich ausgestattete Wettbe­ werber, langsames Branchenwachstum, hohe Fix- und Lagerkosten, fehlende Diffe-

ls7 Das Struktur-Verhalten-Ergebnis-Paradigma impliziert, daß das Marktergebnis vom Marktver­ halten abhängt und dieses sich aus der Marktstruktur heraus ergibt. Vgl. dazu Kantzenbach 1967; Bain 1968. I8h Vgl. Porter 1992, S.25. Vgl. Porteri 992, S.29-38.

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Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

renzierung oder hohe Umstellungskosten, große Kapazitätserweiterungen, hohe strategische Einsätze sowie hohe Austrittskosten.190 • Der Druck durch Substitutionsprodukte begrenzt das Gewinnpotential einer Bran­ che, da durch Produkte einer anderen Branche, die die gleiche Funktion erfüllen, eine Preisobergrenze gesetzt wird.191 • Die Verhandlungsstärke der Abnehmer und Lieferanten ist abhängig von deren Machtposition. Die Machtposition ist umso größer, je höher der Konzentrationsgrad der Abnehmer oder Lieferanten sowie deren Anteil an den Gesamtumsätzen des Unternehmens ist und je glaubwürdiger sie mit Rückwärts- bzw. Vorwärts-Integration drohen können.192

Porter schlägt zwei Analyseinstrumente vor: Die Konkurrentenanalyse umfaßt die Einschätzung der Konkurrenten bezüglich deren Ziele für die Zukunft, ihrer Fähigkeiten und gegenwärtigen Strategien.193 Die Analyse der Wertschöpfungskette eines Unternehmens stellt den wesentlichen Ge­ genstand der Untemehmensanalyse dar. Die detaillierte Analyse der Wertschöpfungs­ kette wird damit begründet, daß sie mehr Aussagen über den Untemehmenszustand bereithält, als es die einfache Differenz zwischen Erlös und Kosten vermag. Die Wert­ aktivitäten in der Kette unterscheidet PORTER in primäre und unterstützende Aktivitä­ ten.194 Erstere befassen sich mit der physischen Herstellung des Produkts, dem Ver­ kauf sowie dem Kundendienst und sind unmittelbar an der Wertschöpfung beteiligt. Unter unterstützenden Aktivitäten versteht er Beschaffung, Technologieentwicklung, Personalwirtschaft und Infrastruktur, die die Ausführung der primären Aktivitäten ge­ währleisten.195 Die Querverbindungen zwischen den Aktivitäten untereinander sind von besonderer Wichtigkeit, da die Umsetzung einer Aktivität üblicherweise die Effektivität einer an­ deren beeinflußt.196 Auch die Schnittstellen zu den Wertschöpfungsketten der Liefe­ ranten und Abnehmer sind von besonderem Interesse.197 PORTER entwickelt schließlich drei Strategietypen: 1. Umfassende Kostenführerschaft. Diese Strategie erfordert den umfassenden Aufbau von Produktionsanlagen effizienter Größe, das entschlossene Ausnutzen erfahrungs­ bedingter Kostensenkungen und strenge Kostenkontrolle in allen Funktionsberei­

Vgl. Porter 1992, S.42-46. Vgl. Porter 1992, S.49. Vgl. Porter 1992, S.50-56. Vgl. Porter 1992, S.78-101. Vgl. Porter 1992a, S.62. Im amerikanischen Original nennt Porter dies „support activities“, Porter 1985, p.37. In den deutschen Übersetzungen seiner Werke finden sich unterschiedliche Begriffe, so wird sowohl von 'unterstützenden Aktivitäten', 'Stützungsaktivitäten' als auch von 'flankierenden Maßnahmen' gesprochen, vgl. Porter 1991, S.63; Porter 1989, S.23. 195 Vgl. Porter 1992a, S.59-76. 196 Vgl. Porter 1989, S.24. 197 Vgl. Porter 1992a, S.76-81.

190 191 192 193 194

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chen. Das Ziel dieser Strategie ist es, ein niedrigeres Kostenniveau als die Konkur­ renten zu erlangen, ohne Qualität und Service außer acht zu lassen.198 2. Differenzierung. Diese Strategie besteht darin, das Produkt derart zu differenzieren, daß es in der ganzen Branche als einzigartig angesehen und vom Kunden auch ent­ sprechend wahrgenommen wird. Die Differenzierung kann dabei in den verschie­ densten Dimensionen erfolgen, so z.B. Design, Markenname, Technologie, Kun­ dendienst oder Händlemetz.199 3. Konzentration auf Schwerpunkte. Hier erfolgt eine Konzentration auf Marktnischen, das Unternehmen agiert nicht mehr branchenweit. Diese Konzentration kann sich auf eine bestimmte Abnehmergruppe, einen bestimmten Teil der Produktpalette oder einen geographisch abgegrenzten Markt beziehen.200

Porter stellt in seinem Konzept zwar ein Analyseinstrumentarium vor und wendet es auch auf typische Branchensituationen an, verzichtet aber auf eine Operationalisierung der Wertaktivitäten und die Gewichtung der Wettbewerbsfaktoren.201 Kritik des konstruktivistischen Paradigmas Auch bei den hier vorgestellten Konzepten des konstruktivistischen Paradigmas stellt sich die Frage nach ihrer Erweiterungsfähigkeit um ethische Reflexion. Dabei ist fol­ gendes festzustellen. 1. Grundsätzlich ist das konstruktivistische Paradigma dem systemischen und deskrip­ tiven Paradigma vorzuziehen. Es berücksichtigt bei der Modellbildung explizit Re­ flexions- und Erklärungshilfen zum besseren Verständnis von Zusammenhängen und damit einer verbesserten Entscheidungsqualität. Die zu verzeichnende Entwicklung einer immer stärker werdenden Fokussierung auf die subjektive Erlebniswelt des einzelnen, erhöht die Möglichkeit der individuellen Reflexion und des verständnis­ vollen Austauschs mit anderen über strittige Normen. 2. Die strategischen Konzepte von ANSOFF, DRUCKER und PORTER eignen sich zur Verknüpfung mit ethischer Reflexion vor allem deshalb nicht, da sie als Partialmo­ delle nicht alle Phasen des strategischen Planungsprozesses betrachten. Die Kon­ zepte von Drucker, Hax/Majluf, Hinterhuber und Porter sind außerdem eher praxisorientiert angelegt und eignen sich auch deshalb nicht für eine systematische Verknüpfung mit ethischer Reflexion. 3. Diese vier letztgenannten Konzepte haben alle synoptischen Charakter, was dem 'großen einmaligen Wurf' entspricht, bei dem Denken und Nachdenken (also Re­ flexion) vorverlagert ist und sich weniger während des Prozesses selbst vollzieht. Ethische Reflexion verlangt jedoch das stetige Vergewissern über die Richtigkeit des zuletzt gemachten Schrittes, um sich von einer sicheren Basis aus zum nächsten Schritt hin zu bewegen. Diese vier Konzepte erscheinen auch daher nicht als geeig­ net zur Verbindung mit ethischer Reflexion. 198Vgl. Porter 1992, S.63-65. 199Vgl. Porter 1992, S.65-66. 200Vgl. Porter 1992, S.67-69. 201Vgl. Kreikebaum 1993, S.95.

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Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

Eine kritische Beurteilung der Erweiterungsfähigkeit des strategischen Konzeptes von Gälweiler läßt sich erst vornehmen, wenn auch Kreikebaums Konzept vorgestellt wurde, da beide die gleichen Systematisierungsmerkmale aufweisen.

Die kritische Überprüfung der Erweiterungsfähigkeit um ethische Reflexion der bisher vorgestellten strategischen Konzepte führt zu den Anforderungen, die an ein geeigne­ tes Konzept zu stellen sind. Eine entsprechende Übersicht erfolgt im nächsten Ab­ schnitt.

2.3 Anforderungen an ein strategisches Konzept zur Erweiterung um ethische Reflexion Ein strategisches Konzept, das offen ist für eine Erweiterung um ethische Reflexion, muß bestimmten Anforderungen genügen. Diese Anforderungen und eine Bewertung entsprechend der anfänglichen Systematisierungsübersicht werden im folgenden erläu­ tert. 1. Zunächst ist zu fordern, daß es als Totalmodell alle Phasen der Strategischen Pla­ nung beschreibt und sich nicht als Partialmodell vorrangig mit einem bestimmten Ausschnitt des Planungsprozesses beschäftigt. Nur wenn alle Phasen einbezogen sind, entsteht die Möglichkeit, sowohl über den Prozeß als Ganzes hinweg als auch in seinen Teilen ethische Reflexion zu implementieren. 2. Ein inkrementales Vorgehen erweist sich gegenüber dem synoptischen ebenfalls als vorteilhaft. Es ermöglicht ein iteratives und rekurrierendes Vorgehen in ^kleinen Schritten', was zu einer leichteren Korrektur von Fehlern führt, die auf vorgelager­ ten Stufen gemacht wurden. Beim synoptischen Vorgehen dagegen stellt sich die Änderung eines bereits eingeschlagenen Weges als wesentlich schwieriger dar, da davon das System als Ganzes betroffen ist.202 Ein inkrementales Vorgehen berück­ sichtigt implizit das wiederholte 'über die Schulter zurückschauen' als eine Form der Reflexion über bereits eingeschlagene Wege. Das synoptische Vorgehen entspricht dem 'großen einmaligen Wurf', bei dem Denken und Nachdenken (also Reflexion) vorverlagert ist und sich weniger während des Prozesses selbst vollzieht.203 Ethische Reflexion verlangt aber gerade das stetige Vergewissern über die Richtigkeit des zuletzt gemachten Schrittes, um sich von einer sicheren Grundlage aus zum näch­ sten Schritt hin zu bewegen. Dies entspricht auch der Forderung Poppers nach ei­ nem 'piecemeal engineering' statt des großen Systembruchs.204

3. Das konstruktivistische Paradigma berücksichtigt bei der Modellbildung explizit Reflexions- und Erklärungshilfen zum besseren Verständnis von Zusammenhängen, um so zu einer verbesserten Entscheidungsqualität zu gelangen. Die stärker wer­ dende Fokussierung auf die subjektive Erlebniswelt des einzelnen erhöht die Mög20- Vgl. Hayes 1986, S.52. 203 Vgl. Scherer 1995, S.30-31; Steinmann/Kustermann 1996, S.L 204 Vgl. Popper 1995, S.160 und S.174-175.

Eine Konzeption der Strategischen Untemehmensplanung

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lichkeit der individuellen Reflexion und des verständnisvollen Austausches mit an­ deren über Normen. Die insbesondere in radikal-systemischen Konzepten postulierte Unmöglichkeit der Steuerung strategischer Prozesse impliziert dagegen auch eine Unmöglichkeit der Steuerung ethischer Prozesse. Strategische Prozesse werden aufgrund ihrer Kom­ plexität als nicht steuerbar gesehen. Die Komplexitätsproblematik gilt für ethische Prozesse eher noch stärker. Aufgrund der Komplexitätsproblematik den ethischen Prozeß nicht steuern zu wollen, hieße aber auch, erst gar nicht den Versuch zu wa­ gen und damit eine Verbindung ethischer und strategischer Prozesse von vorneherein zu negieren. Der deskriptive Ansatz definiert Strategien als ein Muster in einem Strom von Ent­ scheidungen und beraubt in letzter Konsequenz den Strategiebegriff seines Inhalts. Wenn Strategien nur 'überdauernde Handlungsmuster' sind und nicht auf Intentio­ nalität oder Zielorientierung hin untersucht werden, so könnte man auch andauernde Zahlungsprobleme oder Lieferschwierigkeiten als Strategie interpretieren. Übertra­ gen auf den Bereich der Philosophie hieße das, man beschäftigte sich mit der Moral, also den tatsächlich verfolgten Werten und Normen und nicht auch mit ihrer Inten­ tionalität. Ethische Reflexion betreibt aber gerade eine Untersuchung der Intentio­ nalität und Sinnhaftigkeit bestehender Moralvorstellungen. 4. Um einen präskriptiven Ansatz der Verbindung von ethischer Reflexion und Stra­ tegischer Untemehmensplanung erarbeiten zu können, bietet sich eine analytisch­ konzeptionelle Ausrichtung stärker an als eine praxisorientierte. Die analytisch­ konzeptionelle Vorgehens weise versucht die systematischen, strukturellen und in­ haltlichen Gemeinsamkeiten ethischer und strategischer Prozesse aufzudecken und für die Praxis präskriptiv zu verknüpfen. Dennnoch sollte auch hier auf Gesichts­ punkte einer pragmatischen Umsetzung nicht verzichtet werden.

Die Fülle der in ihren wichtigsten Grundzügen vorgestellten strategischen Konzepte läßt die Auswahl eines Konzeptes zur Erweiterung um ethische Reflexion schwierig erscheinen. Es bieten sich daher zwei grundlegende Vorgehens weisen an: Zum einen ließe sich aus der Vielzahl strategischer Konzepte eklektisch ein neuer An­ satz entwickeln, der die Vorzüge der verschiedenen Konzepte vereinigt. Gerade die Fülle der bereits bestehenden strategischen Konzepte läßt ein solches Vorgehen jedoch nur dann als sinnvoll erscheinen, wenn keines der Konzepte als vorzugswürdig zu er­ achten ist. Zum anderen wäre also der Frage nachzugehen, ob nicht bereits ein Konzept besteht, das weitestgehend die Voraussetzungen erfüllt, die eine Erweiterung um ethische Re­ flexion möglich erscheinen lassen und nur einiger Modifikationen seitens der anderen Konzepte bedarf. Ein solches Konzept müßte außerdem auch gegenüber dem Konzept von Gälweiler vorzugswürdig sein, da dieses ja bereits die genannten Anforderungen erfüllt. Im folgenden soll daher das strategische Planungskonzept nach Kreikebaum vorgestellt werden, welches allen genannten Voraussetzungen entspricht und zudem gegenüber dem Ansatz von GÄLWEILER weitere Vorteile aufweist.

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Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

2.4 Ausgewähltes Konzept der Strategischen Unternehmensplanung Kreikebaum definiert Strategische Untemehmensplanung in präskriptiver Sicht als einen „... Prozeß, in dem eine rationale Analyse der gegenwärtigen Situation und der zukünftigen Möglichkeiten und Gefahren zur Formulierung von Absichten, Strategien, Maßnahmen und Zielen führt. Absichten, Strategien, Maßnahmen und Ziele geben an, wie das Unternehmen unter bestmöglicher Ausnutzung der vorhandenen Ressourcen die durch die Umwelt bedingten Chancen wahmimmt und die Bedrohungen ab­ wehrt“205.

Abbildung 2-12: Das Grundmodell der Strategischen Unternehmensplanung Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Kreikebaum 1993, S.26

Die Strategische Untemehmensplanung erstreckt sich in diesem Konzept sowohl auf das Unternehmen als Ganzes als auch auf Geschäftsbereiche und Funktionen und fällt vor allem in den Aufgaben- und Verantwortungsbereich der Unternehmensleitung.206 Den Hauptschwerpunkt der Strategischen Untemehmensplanung sieht KREIKEBAUM in der Sicherung der Unternehmenseffektivität, während er der operativen Planung die Aufgabe der Effizienzverbesserung zuweist.207

Als typische Aufgaben der Strategischen Untemehmensplanung nennt er:208 • Verminderung des Risikos von Fehlentscheidungen, • Erzeugung zukünftiger Handlungsfreiräume, um Sach- und Zeitzwänge zu vermei­ den, -°'5 206 207 208

Kreikebaum 1993, S.26. Vgl. Kreikebaum 1992a, S.679-680. Vgl. Grimm 1983, S.7-10; Kreikebaum 1993, S.27. Vgl. Kreikebaum 1993, S.33.

Eine Konzeption der Strategischen Untemehmensplanung

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• Stabilisierung von Verhaltensweisen und -erwartungen zur Komplexitätsreduktion und • Erstellung eines Gesamtplans durch Integration der Einzelhandlungen.

Die Inhalte der Strategischen Untemehmensplanung ergeben sich in KREIKEBAUMS Konzept aus seiner Definition:209 1. Analyse des Unternehmens und seiner Umwelt, 2. Absichten, 3. Strategien, 4. Maßnahmen, 5. Ziele, 6. strategische Kontrolle. Darunter versteht er im einzelnen: Analyse des Unternehmens und seiner Umwelt. Ein konstitutives Merkmal der Stra­ tegischen Untemehmensplanung ist deren Ausrichtung auf die spezifischen Umwelt­ bedingungen.210 Ein divisional organisiertes Unternehmen sieht sich mehreren spezifi­ schen Umweltsegmenten mit jeweils eigenen Chancen und Risiken gegenüber und nicht einer einheitlichen Umwelt. Mit der Festlegung auf externe Umweltbedingungen wird eine enge Fassung des Begriffs vorgenommen. Die strategische Analyse der Untemehmenssituation umfaßt dabei sowohl eine vergangenheits- und gegenwartsbezo­ gene Analyse als auch eine zukunftsorientierte Prognose der einzelnen Arten von Um­ weltbedingungen.211

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Kreikebaum 1993, S.36 209 Vgl. Kreikebaum 1993, S.34. 2,0 Vgl. Höhn/Kreikebaum 1993, Sp. 1335-1336; Kreikebaum 1994, p.848. 211 Vgl. Kreikebaum 1993, S.34-40.

Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

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Die Analyse der Untemehmenssituation ergänzt die der externen Umweltbedingungen. Untersuchungsgegenstand sind dabei vor allem die Werte und Grundeinstellungen der Führungskräfte, die vorhandenen Ressourcen und eine umfassende Einschätzung der gegenwärtigen und zukünftigen Stärken und Schwächen des Unternehmens.212

Abbildung 2-14: Strategische Analyse der Unternehmenssituation

Quelle: Kreikebaum 1993, S.41

Absichten. Die langfristige Ausrichtung der Untemehmenspolitik spiegelt sich in den schriftlich fixierten Absichten wider und bezieht sich auf ökonomische, technologische und soziale Aspekte.213 'Generelle Absichten' machen Aussagen über den Unternehmenszweck und die Ein­ stellungen gegenüber den Mitarbeitern und dem Umfeld und definieren somit die Vor­ stellungen des Unternehmens über seine Aufgaben in Wirtschaft und Gesellschaft.214 'Spezielle Absichten' hingegen machen Aussagen über den Zielinhalt und beschreiben somit Art und Richtung der Ziele. Sie leiten sich aus den generellen Absichten ab und präzisieren diese. KREIKEBAUM begreift den Zielbegriff als Zielausmaß im Sinne des Zielerfüllungsgrades gegenüber der Art und Richtung der Zielinhalte, wie sie durch spezielle Absichten beschrieben werden.215

212 2,3 214 215

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Kreikebaum Kreikebaum Kreikebaum Kreikebaum

1993, S.40-47. 1995, Sp.2OO8. Eine Fülle von Beispielen findet sich in Huber 1987. 1993a, S.86-87. 1993, S.48-50.

Eine Konzeption der Strategischen Untemehmensplanung

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Kreikebaums Konzept

Generelle Absichten

Absichten Spezielle

Absichten

Ziele als Zielerfüllungsgrad

(qualitativ)

(qualitativ)

(quantitativ)

r Philosophie Grundsätze Zweck y

Zielinhalt

Herkömmliche Terminologie Abbildung 2-15: Der Zusammenhang von Absichten und Zielen Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Kreikebaum 1993, S.50

Die zentralen Elemente der Untemehmenskultur - Werte und Grundeinstellungen der einzelnen Untemehmensmitglieder und des Unternehmens als Ganzem - bilden den Orientierungsrahmen für die Suche nach qualitativen, langfristigen Zielen, um den ent­ sprechenden Rückhalt für die nachfolgend zu formulierenden Strategien zu schaffen.216 Die Formulierung von Absichten hat einen ambivalenten Charakter. Einerseits müssen sie einen genügenden Konkretisierungsgrad aufweisen, um nicht inhaltsleer zu bleiben, andererseits dürfen sie nicht zu eng gefaßt werden, um nicht zu stark einengend für die daraus abzuleitenden Strategien zu wirken.217

Strategien. In ihnen kommt zum Ausdruck, wie die bestehenden und potentiellen Stär­ ken des Unternehmens genutzt werden sollen, um die Absichten umzusetzen und den Umweltbedingungen und ihren Veränderungen zu begegnen.218 Strategische Pläne dienen der Erreichung und Bewahrung eines nachhaltigen Wettbe­ werbsvorteils und einer langfristigen Profitabilität.219 Strategische Überlegungen sind gekennzeichnet durch ihre langfristige Wirksamkeit und Zukunftsorientierung, insbe­ sondere bezüglich der künftigen unternehmerischen Erfolgspotentiale.220 Kreikebaum nimmt eine Klassifizierung der verschiedenen möglichen Arten von Strategien vor, um die Vielfalt der Untemehmensstrategien ordnen und zuordnen zu können.

216 217 218 219 220

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Kreikebaum Kreikebaum Kreikebaum Kreikebaum Kreikebaum

1995a, S.77. 1993, S.50. 1993, S.52; Kreikebaum 1994, p.847. 1994, p.848. 1995b, S.83.

Eine Konzeption der Strategischen Untemehmensplanung

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Unterscheidungskriterium/ Gegenstand Organisatorischer Geltungsbereich

Bezeichnung Untemehmensgesamtstrategien

Geschäftsbereichsstrategien

Funktionsbereichsstrategien

Funktion

Absatzstrategien Produktionsstrategien

Forschungs- und Entwicklungsstrategien Investitionsstrategien Finanzierungsstrategien Personalstrategien

Entwicklungsrichtung/ Mitteleinsatz

Wachstumsstrategien Stabilisierungsstrategien

Schrumpfungsstrategien

Marktverhalten

Angriffsstrategien

Verteidigungsstrategien

Produkte/ Märkte

Marktdurchdringungsstrategie Marktentwicklungsstrategie

Produktentwicklungsstrategie Diversifikationsstrategie

Wettbewerbsvorteile/ Marktabdeckung

Strategie der Kostenführerschaft

Differenzierungsstrategie

Konzentrationsstrategie

Tabelle 2-4: Überblick über mögliche Arten von Strategien Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Kreikebaum 1993, S.52

Bei der Auswahl von Strategien unterscheidet KREIKEBAUM sowohl bezüglich einer streng rationalen und einer rein intuitiven Vorgehens weise als auch nach den zwei Stu­ fen der Suche nach Strategien und deren Bewertung, ohne dabei alle organisatorischen Aspekte und Durchsetzungsaktivitäten zu behandeln.221 Nicht nur akute spezifische Problemsituationen können die Strategiensuche induzieren, sondern auch potentielle Probleme. Eine intuitive Vorgehens weise orientiert sich dabei an den gesammelten Erfahrungen des Unternehmens und der einzelnen Entscheidungs­ träger. Die Erkenntnisse aus der Unternehmens- und Umweltanalyse führen zu einer Überprüfung der bisher verfolgten Strategie(n) und im Falle ihrer Verwerfung zur ei­ gentlichen Suche nach neuen. Eine rationale Vorgehensweise bedient sich hingegen 121 Vgl. Kreikebaum 1993, S.57.

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einer expliziten Umwelt- und Untemehmensanalyse anhand bestimmter Instrumente als Grundlage der Strategiensuche.222 Kreikebaum legt den Schwerpunkt dabei deutlich auf eine rationale Vorgehensweise, was sich u.a. in der ausführlichen Behandlung di­ verser strategischer Instrumente widerspiegelt. Strategisches Handeln umfaßt daher immer auch das vorausschauende und ableitende Denken in komplexen Wirkungszu­ sammenhängen und die Abwägung alternativer Vorgehens weisen.223 In jedem Falle sind die kreativen Fähigkeiten aller Mitarbeiter des Unternehmens gefordert, um an­ hand strukturierter Verfahren das manifeste und latente Know-how zu nutzen.224

Strategiealtemativen, die sich aus dem Suchprozeß ergeben, müssen nun anhand ge­ eigneter Bewertungs^merzen auf ihre Vorzugs Würdigkeit untersucht werden. Die spe­ ziellen Absichten stellen diese Kriterien dar, da mittels der Strategien deren strategi­ sche Vorgaben realisiert werden sollen. Bewertungsm^rd'^e sind die Zielerrei­ chungsgrade, die die Strategiealtemativen und die sie begleitenden Maßnahmen erwar­ ten lassen. Um eine sinnvolle Bewertung der Strategiealtemativen vornehmen zu kön­ nen, stellt Kreikebaum in Anlehnung an Hofer/ Schendel und Day einen Anforde­ rungskatalog bezüglich der Eigenschaften von Strategiealtemativen auf:225 • Strategien sollten problembezogen statt produktbezogen und möglichst genau for­ muliert sein. • Es muß eine vollständige Beschreibung der einzelnen Elemente jeder Strategie er­ folgen. • Es muß deutlich herausgearbeitet werden, in welcher Art und Weise die Strategie zur Erreichung der Absicht(en) beiträgt. • Realistische Planannahmen sind zugrunde zu legen. • Allokationsfehler bezüglich der Ressourcen sind zu vermeiden. • Hohes Commitment der Führungskräfte, also Wille und Fähigkeit zur tatsächlichen Umsetzung, ist zwingend erforderlich. • Die Strategie muß zum Aufbau eines nachhaltigen Wettbewerbs Vorteils beitragen. • Die Konsistenz der Strategie muß gewährleistet sein. • Eine gewisse 'Robustheit' der Strategie gegenüber internen und externen Verände­ rungen ist zu verlangen, was sich in ihrer Anpassungsfähigkeit ausdrückt.

Maßnahmen. Auf der Ebene der operativen Untemehmenseinheiten werden die Stra­ tegien durch Maßnahmen konkretisiert.226 Dabei werden nur diejenigen Operationen, die explizit in Zusammenhang mit gewählten Strategien stehen, als Maßnahmen be­ zeichnet, womit die alltäglichen, geschäftlichen Aktivitäten im Rahmen der operativen Planung ausdrücklich ausgeschlossen werden.227

222 223 224 225

Vgl. Kreikebaum 1993, S.57. Vgl. Kreikebaum 1995b, S.88. Vgl. Kreikebaum 1992a, S.677-680. Vgl. Hofer/Schendel 1978, pp.42-43; Day 1986, pp.60-68; Day 1986a, pp.60-63; Kreikebaum 1993, S.58. 226 Vgl. Kreikebaum 1995, Sp.2011. 227 Vgl. Kreikebaum 1993, S.59.

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Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

Die Bestimmung der Maßnahmen ist notwendig zur tatsächlichen Umsetzung der vor­ gelagerten Strategien. Diese gedankliche und sachliche Verknüpfung impliziert, daß bei der Formulierung von Strategien bereits Überlegungen hinsichtlich geeigneter Maßnahmen angestellt werden. Die Entscheidung bezüglich einer zu verfolgenden Strategie „...ist abhängig von der Überlegung, welche Maßnahmen im Einzelfall dazu erforderlich sind und welchen Zielerreichungsgrad diese Maßnahmen aufweisen“228. Ziele. Die bereits angedeutete Trennung zwischen Absichten und Zielen führt dazu, Ziele als Zielerreichungsgrade erst relativ spät zu setzen. Dadurch soll deutlich wer­ den, daß es als nicht sinnvoll erachtet wird, bereits zu Anfang des Planungsprozesses quantifizierte Ziele zu setzen.229

Kreikebaum weist nachdrücklich auf die Notwendigkeit hin, zunächst die grundsätz­ lichen Entwicklungsrichtungen des Unternehmens in den generellen Absichten festzu­ legen und auf dieser Grundlage Aussagen über die anzustrebenden Veränderungen grundlegender Erfolgsgrößen in den speziellen Absichten zu machen. Die Gründe für die Unmöglichkeit, bereits zu Beginn des Planungsprozesses quantifizierte Ziele zu setzen, sieht er insbesondere in der zunehmenden Dynamik und Komplexität der Um­ weltbedingungen, die es verhindern, die Konsequenzen aller Einflußgrößen auf die Zielgrößen auf einmal zu erfassen und zu bewerten.230 Sind die Erfolgsdeterminanten und ihre Interdependenzen in ihren relevanten Bereichen analysiert, so gibt diese Analyse den Entscheidungsträgem eine sichere Grundlage der späteren Zielquantifizie­ rung. Die Quantifizierung von Zielen ergibt sich dann 'quasi-automatisch' als Resultat der Strategien- und Maßnahmenbestimmung.231

Strategische Kontrolle. Strategische Entscheidungen sind aufgrund der Komplexität und Unsicherheit der Umwelt im Regelfall mit hohen Risiken behaftet. Um diese Risi­ ken zu verkleinern und durchschaubarer zu machen, erfolgt eine fortlaufende und re­ kurrierende strategische Kontrolle über den gesamten Planungsprozeß hinweg. Sie dient dazu, Bedrohungen im weiteren Sinne frühzeitig zu erkennen, um rechtzeitig Ge­ genmaßnahmen ergreifen zu können.232

Es geht folglich nicht so sehr um eine ex post-Kontrolle oder die Sicherung der prak­ tischen Umsetzung strategischer Pläne, sondern um eine umfassende Kontrolle aller Annahmen und Aktivitäten im Rahmen der Strategischen Untemehmensplanung.233 Somit lassen sich drei Kontrollfunktionen unterscheiden: 1. strategische Überwachung. 2. strategische Prämissenkontrolle. 3. strategische Durchführungskontrolle.

228 229 230 23‘ 232 233

Kreikebaum 1993, S.59. Vgl. Kreikebaum 1993, S.59. Vgl. Kreikebaum 1993, S.60. Vgl. Kreikebaum 1993, S.60. Vgl. Steinmann/Schreyögg 1986; Höhn/Kreikebaum 1993, Sp. 1336; Kreikebaum 1993, S.60-61. Vgl. Kreikebaum 1995b, S.92.

Eine Konzeption der Strategischen Untemehmensplanung

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Die strategische Überwachung soll kritische Ereignisse aufspüren, die bisher überse­ hen oder falsch eingeschätzt wurden und den Fortbestand des Unternehmens mögli­ cherweise gefährden könnten. Die strategische Prämissenkontrolle untersucht die expliziten Planannahmen. Die strategische Durchführungskontrolle vergleicht die tat­ sächliche Umsetzung der Strategie mit deren geplanter Umsetzung und versucht zu erkennen, inwiefern das Nichterreichen strategischer Ziele auf eine Gefährdung des geplanten Kurses hindeutet.234 Die richtige Einschätzung bezüglich der Relevanz neuer Informationen stellt sich in der Praxis allerdings als recht schwierig dar. Eine beson­ dere Schwierigkeit ergibt sich durch die Tatsache, daß Planungsentscheidungen im Regelfall mehrperiodig sind und daher intertemporale Interdependenzen auftreten kön­ nen, die infolgedessen fortlaufende Planrevisionen erfordern.235 Wird strategische Kontrolle partizipativ organisiert und im Team durchgeführt, so ergibt sich durch die gemeinsame Einschätzung von Risikopotentialen eine verbesserte Wirksamkeit der Kontrollfunktion.236 Kreikebaum weist aufgrund eigener empirischer Untersuchungen darauf hin, daß strategische Planungssysteme nicht im 'Elfenbeinturm' entworfen werden können, sondern aus einer praktizierten Strategischen Planung heraus schrittweise entwickelt werden müssen.237 Die Unternehmensleitung muß daher während des gesamten Pla­ nungsprozesses wiederholt als Fach-, Macht- und Prozeßpromotor wirken.238 Die Darstellung des Konzeptes der Strategischen Untemehmensplanung nach Kreikebaum hat gezeigt, daß es alle im letzten Abschnitt geforderten Voraussetzun­ gen zur Erweiterung um ethische Reflexion erfüllt. Es weist darüber hinaus noch wei­ tere Vorteile auf, welche es Vorzugs würdig gegenüber dem Konzept von Gälweiler erscheinen lassen.

So nimmt Kreikebaum eine weite Fassung der Strategischen Untemehmensplanung vor, bezieht also Ansätze des Strategischen Managements mit ein, ohne dadurch ori­ ginäre Planungsaufgaben zu vernachlässigen.239 Die Neigung vieler Manager, die Be­ schäftigung mit Routinetätigkeiten zu bevorzugen, statt sich langfristigen Planungsauf­ gaben zuzuwenden, nimmt KREIKEBAUM zum Anlaß einer Kritik am Vorrang des Han­ delns vor strategischem Planen.240 Diese Kritik und die Aufforderung zu expliziter Be­ schäftigung mit Planungsaufgaben als reflexiver Betätigung erhöht auch die Chance der Implementierung ethischer Reflexion. Insbesondere die Trennung in qualitative Absichten und quantitative Ziele und die Festlegung quantitativer Größen erst zum Schluß des Planungsprozesses erweitern den Spielraum ethischer Reflexion und damit die Möglichkeit ihrer Implementierung auf 234 235 236 237 238 239 240

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Kreikebaum 1993, S.61. Höhn/Kreikebaum 1993, Sp.1335. Kreikebaum 1995b, S.93. Kreikebaum/Grimm 1978; Kreikebaum/Suffel 1981; Kreikebaum 1983. Kreikebaum 1995, Sp.2010. Kreikebaum 1993, S.27-29; Kreikebaum 1995, Sp.2008. Kreikebaum 1993, S.145; Kreikebaum 1995, Sp.2008.

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Eine Konzeption der Strategischen Unternehmensplanung

den vorgelagerten Stufen des Prozesses.241 Dabei betont Kreikebaum, daß der Zweck der Strategischen Untemehmensplanung nicht in der unhinterfragten Hinnahme gege­ bener Absichten und Ziele besteht, sondern ihr auch die Aufgabe zukommt, „...die Be­ rechtigung oder die Rationalität der Absichten und Ziele selbst zu untersuchen“242. Die Zielvorstellung einer um ethische Reflexion erweiterten Strategischen Untemeh­ mensplanung, wie sie in der folgenden Abbildung zum Ausdruck kommt, scheint folg­ lich mit dem Planungskonzept nach Kreikebaum zu harmonieren. Die Abbildung soll aufzeigen, daß es dabei um eine ethische Erweiterung und Durchdringung aller Aspekte der Strategischen Planung geht.

Abbildung 2-16: Zielvorstellung eines um ethische Reflexion erweiterten Grundmodells der Strategischen Unternehmensplanung nach KREIKEBAUM

Quelle: Eigene Darstellung

Nachdem nun verschiedene strategische Konzepte vorgestellt wurden und aufgrund der Anforderungen an ein erweiterungsfähiges strategisches Konzept dasjenige von Kreikebaum gewählt wurde, muß es nun darum gehen, den Handlungskontext auf­ zuzeigen, in dem sich Unternehmen bewegen. Erst wenn die Notwendigkeit und Mög­ lichkeit einer Untemehmensethik geklärt ist, kann eine Untersuchung alternierender Ansätze der Untemehmensethik erfolgen. Im nächsten Kapitel geht es daher - ausgehend vom Verhältnis von Ökonomie und Ethik in der Wissenschaftsgenese - um die Rolle und die Aufgaben von Wirtschafts- und Untemehmensethik als Ausdrucks­ formen ethischer Reflexion ökonomischer Zusammenhänge.

241 Vgl. Kreikebaum 1993, S.50-51, S.152 und S.155. 242 Kreikebaum 1993, S 33

Wirtschafts- und Unternehmensethik als ethische Reflexion der Ökonomie

3

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Wirtschafts- und Unternehmensethik als Ausdrucksformen ethischer Reflexion ÖKONOMISCHER ZUSAMMENHÄNGE

3.1 Ökonomie und Ethik1 3,1.1 Das Verhältnis von Ökonomie und Ethik bei den Klassikern

Wenn man sich mit der Entwicklung der Beziehungen zwischen ökonomischer Theorie und Ethik beschäftigt, muß man zunächst zwischen ökonomischem Denken und öko­ nomischer Theoriebildung unterscheiden, auch wenn es hier keine strenge Abgrenzung gibt. Ökonomisches Denken im weitesten Sinne, also das Nachdenken über Tatbestände des Wirtschaftens oder Wirtschaftslebens, geht bis in die Antike zurück und reicht bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts. Erst die Arbeiten der Physiokraten und vor allem Adam Smiths „Reichtum der Nationen“ (1776 erschienen) etablieren die National­ ökonomie als eine eigenständige, analytisch-theoretische Spezialdisziplin.2 In all den Jahrhunderten davor galt das Wirtschaftsleben als relativ einfach und durch­ schaubar. Die ökonomische Diskussion wurde vor allem von Philosophen geführt, die sich ganz allgemein mit Fragen des Lebens, der Politik und der Gesellschaft befaßten und natürlich von Wirtschaftspraktikem. Plato, Aristoteles, Augustinus, Locke und HUME - um nur einige sehr bekannte Namen zu nennen - waren schließlich keine Wirtschaftsethiker, sondern beschäftigten sich mit Fragen der Praktischen Philosophie und insofern eben auch mit der Wirtschaft oder Wirtschaftspraxis als Teil der gesam­ ten Lebenswelt.3 In dieser Zeit gab es keine deutliche oder bewußte Trennung von 'Ist'- und 'Soll'-Fragen, d.h., es gab keine Betrachtung der Wirtschaft wie sie 'ist' (Funktionsweise, Gesetzmäßigkeiten etc.) auf der einen und wie sie sein 'sollte' auf der anderen Seite.4

Vor diesem Hintergrund entwickelte sich im 18. Jahrhundert dann eine theoretische Nationalökonomie. Die rasche Ausbreitung von Arbeitsteilung, überregionalem Gü­

1

2 3 4

Die Darstellung der Sichtweisen bezüglich des Verhältnisses von Ökonomie und Ethik im ideengeschichtlichen Ablauf kann im Rahmen dieser Arbeit nur in komprimierter Form gesche­ hen. Dadurch gehen einige Aspekte verloren, die lediglich in einer breit angelegten Untersuchung entsprechend gewürdigt werden könnten. Dennoch erscheint es wichtig, zumindest schlaglichtartig wesentliche Punkte zu beleuchten, da sie für das Verständnis der heutigen Dis­ kussion von Wirtschafts- und Untemehmensethik bedeutsam sind. Vgl. Rothschild 1987, S.l2. Vgl. Tietzel 1986, S.l27; Ulrich, 1993, S.l73. Zur ökonomischen 'Lehre' des Aristoteles vgl. Bien 1990, S.33-64. Vgl. Rothschild 1987, S.l3. So ging beispielsweise Aristoteles in der Nikomachischen Ethik von der Einheit von Politik, Ethik und Ökonomie aus.

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Wirtschafts- und Unternehmensethik als ethische Reflexion der Ökonomie

teraustausch und frühkapitalistischen Produktionsverhältnissen waren neue, erklä­ rungsbedürftige Phänomene.5 Die Verwurzelung in der philosophischen Herkunft tritt bei den frühen Vertretern der klassischen Nationalökonomie noch sehr deutlich in Erscheinung.6 Aus der Gedan­ kenwelt des 18. und 19. Jahrhunderts heraus erschien es den Klassikern nicht beson­ ders schwer, die beiden Aspekte von Ist- und Soll-Aussagen in einem recht einheitli­ chen Gedankengebäude zusammenzuführen.7

Die Basis für diese Verbindung von positiven und normativen Aussagen besteht aus mehreren Elementen. Zu den Einsichten in den Mechanismus der neuen Ökonomie kamen die Einflüsse der Naturphilosophie, des Individualismus und der Aufklärung. Ein wichtiger Gedanke, der der aufklärerischen Naturphilosophie entnommen ist und Smith und seine Zeitgenossen prägte, ist, daß es 'natürliche' Zustände gibt und diese, weil sie 'natürlich' sind, auch 'gut' sind.8 Hinzu kam die Sicht des Menschen als sou­ veränen Individuums, dessen 'natürliches' Streben auf Selbsterhaltung und eine egoi­ stische Berücksichtigung seiner Interessen ausgerichtet ist. Im ökonomischen Bereich sieht dann der 'natürliche' und damit auch der 'begrüßenswerte' Zustand so aus, daß jedes Individuum als homo oeconomicus nach möglichst großer Ansammlung von Gütern strebt.9

Daran schließt sich die Frage an, ob nun aus dem natürlichen Instinkt Egoismus10, der als ökonomisches Ordnungsprinzip begrüßt und empfohlen wird, nicht eine soziale Disharmonie entstehen muß, da die individuellen Egoismen miteinander in Konflikt geraten. Da dies aus gesellschaftsphilosophischer Sicht nicht akzeptabel erscheinen kann, hat die klassische Nationalökonomie Ethik, Naturphilosophie und ökonomische Theorie zu einem einheitlichen Ganzen verbunden." Der 'natürliche' Trieb des Indivi­ duums, in Verfolgung der Eigeninteressen zu produzieren, zu akkumulieren und zu tauschen, führt zu einem makroökonomischen Gleichgewicht. Jeder ist aufgrund seines

7 * 9

10

Vgl. Recktenwald 1985a, S. 161. Adam Smith hatte den Lehrstuhl für Moral Philosophy in Glasgow inne, und die Moral Philo­ sophy war zuständig für alle Richtungen der Sozialwissenschaften, im Gegensatz zu der Natural Philosophy, die eine naturwissenschaftliche Ausprägung hatte. Bevor Adam Smith 'Reichtum der Nationen' verfaßte, hatte er eine Abhandlung über 'Moral Sentiments' geschrieben. Auch spätere klassische und nachklassische Ökonomen befaßten sich mit philosophischen Fragen, die mit ihren ökonomischen Hauptinteressen vielfach verknüpft waren (z.B. Bentham, Mill, Marshall, Pigou, Ricardo). Vgl. dazu Vaubel 1990. Vgl. Ulrich 1993, S.180-182. Vgl. Rothschild 1987, S. 14. Vgl. Rich 1990, S.229-233; Löhr 1996, S.66. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß es sich sowohl um materielle als auch um immaterielle Güter handeln kann, also grundsätzlich um alles Nutzenstiftende. Smith selbst hat den Begriff des Egoismus relativiert: So spricht er vom wohlverstandenen Ei­ geninteresse, vgl. Rich 1990, S.23O. Smith hat in seiner 1759 erschienenen „Theory of Moral Sentiments“ von 'sympathy' gesprochen, der spezifisch menschlichen Befähigung zu einem 'fellow feeling', vgl. Brühlmeier 1985; Seifert 1991, S.69. Zum Einheitsgedanken von Ethik, Ökonomie und Politik in Smiths Werken vgl. Recktenwald 1985, S.144; Pieper 1990, S.92.

Wirtschafts- und Unternehmensethik als ethische Reflexion der Ökonomie

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Eigeninteresses gezwungen, so gut wie möglich für die Konsumwünsche der anderen (und damit makroökonomisch für den allgemeinen Reichtum) zu arbeiten. Die "invisible hand' führt dazu, daß aus den egoistischen Einzelhandlungen ein harmoni­ sches, soziales Gesamtergebnis resultiert.12 Der oft gehörte Vorwurf, Smith habe keinen Sinn für die sozialen Disharmonien, In­ teressenkonflikte oder Widersprüche gehabt, entstammt seinem anthropologischen und ökonomischen Optimismus. Dieser Vorwurf ist übertrieben, denn SMITH war sich dar­ über im klaren, daß Disharmonien und Interessenkonflikte real vorhanden sind und war insofern auch offen für institutionalisierte Regelungen der Wirtschaft.13

Im Laufe des 19. Jh. wurden von verschiedenen Seiten Einwände gegen das nun schon umfangreiche Gedankengebäude der klassischen Ökonomie geäußert. Insbesondere das Verteilungsproblem bot einen entscheidenden Ausgangspunkt für kritische Posi­ tionen. Während für SMITH Akkumulation und Wirtschaftswachstum noch die ent­ scheidenden, zentralen Themen waren, hat Ricardo im Gegensatz dazu darauf hin­ gewiesen, daß das Problem der Verteilung ein, wenn nicht das Hauptproblem der Na­ tionalökonomie sei. Die Vernachlässigung des Verteilungsproblems bei SMITH, spe­ ziell der unterschiedlichen Anfangsausstattung und Möglichkeiten, mit denen Indivi­ duen in den Markt eintreten, war ein wesentlicher Grund dafür, daß die Ergebnisse des Marktprozesses als ein harmonisches und sozial optimales Resultat interpretiert wer­ den konnten. Sobald das Verteilungsproblem und die ungleiche Stellung der Subjekte stärker in den Vordergrund gerückt wurde, traten die Möglichkeiten von Konflikten und Gruppengegensätzen auf. Die utilitaristische Vorstellung einer Harmonie von in­ dividuellem eigennützigem Verhalten und gleichzeitig 'größtem Glück der größten Zahl', die bis dahin unterstellt wurde, schien keineswegs mehr gesichert.14 Dennoch war ein Gedankengebäude geschaffen, in dem 'natürliches' egoistisches, in­ dividuelles Streben in einem 'natürlichen' System freier Konkurrenzwirtschaft zu grö­ ßerem Wohlstand führt. „Ökonomisch 'gutes' Handeln wird zugleich zum allgemein 'guten' Handeln.“15 Ökonomie und Ethik waren also von Ansatz und Analyse her eng miteinander verknüpft.

12

13 14 15

Rothschild 1987, S.14. Dies wird in den berühmten Sätzen Smiths deutlich: „Nicht vom Wohl­ wollen des Metzgers, Brauers oder Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, daß sie ihre eigenen Interessen wahmehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil“, Smith 1978, S.17. Diese Sichtweise gründet auf Aussagen, die bereits die Stoiker, insbesondere Epiktet formulierten. So schreibt Epiktet: „Ist doch so die Natur jedes Wesens; es tut alles mit Rücksicht auf sich selbst. Zeus hat aber gleichzeitig die Natur der vernünftigen Wesen so eingerichtet, daß sie keins der ihnen eigentümlichen Güter erlangen können, wenn sie nicht zugleich etwas zum allgemeinen Nutzen beitragen. Daher ist es auch keine Sünde wider das Gemeinwohl, wenn man alles um seiner selbst willen tut“, Lageile 1948, S.l23-124. Vgl. dazu auch Miles 1993, p.223; Novak 1993, S.56-59. Vgl. Wilson 1989, pp.66-70; Rich 1990, S.232. Vgl. Rothschild 1987, S.15-16. Rothschild 1987, S. 14.

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Wirtschafts- und Unternehmensethik als ethische Reflexion der Ökonomie

Die neueren Ansätze der Wirtschafts- und Untemehmensethik, vor allem PETER ULRICHS, greifen diesen Gedanken einer Einheit von ökonomischer Theorie und Ethik wieder auf, allerdings - und das ist ganz wesentlich - um den Gedanken einer kriti­ schen Grundlagenreflexion erweitert.

3.1.2 Das Verhältnis von Ökonomie und Ethik bei den Neoklassikern In der ökonomischen Theorie Ende des 19. Jh. und vor allem des 20. Jh. (also der Neoklassik und kritischen Theorien wie Keynesianismus, Post-Keynesianismus, Mar­ xismus) hat sich die Querverbindung zu ethischen Fragestellungen grundlegend verän­ dert. Die herrschende Meinung unter der Mehrzahl der Wissenschaftler war und ist zu einem beträchtlichen Teil auch noch heute die Forderung nach einer möglichst weitge­ henden Wertfreiheit, einer Ausmerzung von Werturteilen aus der theoretischen Ana­ lyse. Sie soll als positive Wissenschaft nur 'Ist'-Aussagen enthalten und normative 'Soll'-Aussagen streng davon trennen.16

Diese Entwicklung wurde insbesondere durch zwei Einflüsse eingeleitet und nachhal­ tig gefördert. Zum einen wurden die Methoden und exakten 'Naturgesetze' der Na­ turwissenschaften, insbesondere der Physik, zum Vorbild wissenschaftlichen Denkens. Zum anderen die Forderung von Max Weber, daß Wissenschaftler sich um 'Wertfreiheit' in ihren Aussagen zu bemühen haben, sofern sie 'wahre' Wissenschaftler sein wollen.17

Die Erfolge der naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung machten starken Ein­ druck auf die Ökonomen. So wie die Physiker der Natur, der Naturgesetzlichkeit auf die Spur kamen, wollten auch die Ökonomen die 'Gesetzmäßigkeiten des Wirtschaf­ tens' erforschen.18 Seit der Zeit der sogenannten 'marginal revolution', also des Beginns der neoklassi­ schen Theorien, herrscht die Idee vor, die 'Mechanik' des Wirtschaftsprozesses mög­ lichst exakt und allgemeingültig zu erfassen.19 Nicht mehr eine lebensweltlich-prakti­ sche Sozialökonomie bildete den Denkhintergrund,20 sondern das Vorbild der mecha­ nischen Physik.21 Die neoklassische Ökonomie wollte nicht mehr den normativen An­

16 17

Vgl. Dlugos 1988, S.123; Albert 1992, S.86-89; Meran 1992, S.48-50. Vgl. Lattmann 1985, S.493-498; Biervert/Wieland 1990, S.7-10. Zu den Aussagen Max Webers vgl. Weber 1973. Weber ist bezüglich seiner Aussagen zur Wertfreiheit der Wissenschaft m.E. vielfach falsch interpretiert worden. So ging es ihm vorrangig um die Trennung von Erfah­ rungswissen und wertender Beurteilung, also der Zurückhaltung der eigenen Beurteilungen in der wissenschaftlichen Analyse. Mit Wertfreiheit ist also nicht die Abwesenheit von Werten in der wissenschaftlichen Analyse gemeint, sondern die Aufforderung Werturteile nicht implizit oder verdeckt mit der 'objektiven' Analyse zu vermischen. Für eine kritische Würdigung Webers vgl. Jaspers 1988; Hagel 1993, S.39-72. 18 Vgl. Rothschild 1992, S.17; Ulrich 1993, S.176-177. 19 Vgl. Rothschild 1987, S.17; Koslowski 1988, S.16. 20 Vgl. Ulrich 1993, S. 175. 21 Vgl. Rothschild 1987, S.l7.

Wirtschafts- und Untemehmensethik als ethische Reflexion der Ökonomie

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Sprüchen einer Moralphilosophie verhaftet bleiben, sondern sich zu einer wertfreien Wirtschaftstheorie nach naturwissenschaftlichem Muster emanzipieren.22 Dieser sich verstärkende Trend ermöglichte große analytische Fortschritte, führte aber auch zu einer 'Enthumanisierung' der ökonomischen Theorie. So geriet der Tiomo oeconomicus' zu einer nützlichen und vereinfachenden Abstraktion des Handelns von Wirtschaftssubjekten.23 Der homo oeconomicus und die Folgen seines Handelns waren nun nicht mehr länger ethisch zu hinterfragen und zu bewerten.24

Auch in der Neoklassik ergibt sich das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht aus indi­ viduellem Handeln, aber es hat nun keinen ethischen Aspekt mehr. Es wird lediglich als funktionsfähige und effiziente Allokation von Mensch und Kapital im Pro-duktionsprozeß angesehen. Die Verteilungsergebnisse sind Folgen der Mechanik des Wirt­ schaftsprozesses, und daher fällt ihre Beurteilung nicht mehr in den Bereich der Öko­ nomie.25

Rothschild verweist auf die Unmöglichkeit der Trennung von Ethik und Ökonomie, indem er deutlich macht, daß die (ethisch relevanten) Folgerungen aus ökonomischer Forschung niemals losgelöst von ihr betrachtet werden können. „Denn das Marktsy­ stem, wie es die ökonomische Analyse untersucht, ist nur ein Teilsystem eines größe­ ren sozioökonomischen Gesamtsystems, und 'effiziente' Lösungen in diesem Teilsy­ stem haben weitreichende Rückwirkungen auf Einkommensverteilung, ökonomische Macht, sozialen Status und viele andere ethische und humane Probleme, die bei 'rein ökonomischer' Betrachtung unter den Tisch fallen.“26 Rothschild verweist auch darauf, daß bestimmte Termini der neoklassischen Öko­ nomie, wie 'allokative Effizienz', 'Gleichgewicht' oder 'Pareto-Optimum', bereits deutlich einen normativen Charakter haben, jedoch die impliziten ethischen Folgewir­ kungen verschleiern, die im weiteren Umfeld entstehen, da sie unter dem Mantel der Wertfreiheit nicht behandelt bzw. bewertet werden.27 Auch anhand des 'Selbstbestimmungsaxioms' und der 'Präferenztheorie' läßt sich die normative Grund­ lage der allgemeinen Gleichgewichtstheorie aufzeigen.28 ALBERT weist darauf hin, daß ökonomische Theorien grundsätzlich sowohl eine explikative als auch eine normative Struktur aufweisen.29

Noch schärfere - fast polemische - Kritik an der Trennung in reine ökonomische Ra­ tionalität und außerökonomische Moralität wird von ULRICH geübt. „Die moderne 22 23 24 25

26 27 28 29

Vgl. Ulrich 1987, S.128; Koslowski 1989a, S.266. Vgl. Binswanger 1993, S.l 1. Vgl. Kapp 1967, S.307-330; Rothschild 1992, S.22-24. Vgl. Hosmer 1984, pp.317-324; Koslowski 1988, S. 16-17; Koslowski 1989, S.369-370; Kötter 1991, S.l30-135; Binswanger 1993, S.15. Die Beurteilung der Verteilungsergebnisse steht zu­ mindest nicht mehr im Mittelpunkt der ökonomischen Betrachtung. Ausschlaggebend ist die Ansicht, daß kein Eingriff in Allokationsprozesse erfolgen sollte. Rothschild 1987, S.19. Vgl. Rothschild 1987, S.19. Vgl. Weimann 1987, S.223. Vgl. Albert 1972, S.l 1; Albert 1979.

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Wirtschafts- und Unternehmensethik als ethische Reflexion der Ökonomie

Ökonomie ist stolz darauf, daß ihr im Laufe ihrer fortschreitenden Purifizierung von den Restbeständen traditionaler Metaphysik die Entwicklung zur wertfreien, "reinen" ökonomischen Theorie gelungen sei. Die von Schumpeter so genannte "reine Ökono­ mik" gilt seither als ethisch neutralisierte Wirtschaftswissenschaft.“30

Die unbestrittene analytische Leistungsfähigkeit der neoklassischen Ökonomie ist nur durch die Abkopplung der Wirtschaftstheorie von deren lebenspraktischen Ausgangs­ fragen nach den Grundsätzen vernünftigen Wirtschaftens möglich geworden.31 Wie oben erwähnt, zeichnet sich das Wissenschaftsverständnis der Neoklassik durch die Überzeugung aus, daß Werturteile zwangsläufig der Irrationalität verhaftet bleiben und nur wertfreie Argumente wirklich rational seien. Apel hat die totale Ausgrenzung ethischer Fragen aus der Welt der reinen Wissenschaft als "Komplementaritätssystem" gekennzeichnet.32 Dieses Komplementaritätssystem hat die in der folgenden Abbildung wiedergegebene "Zwei-Welten-Konzeption" von Wirtschafts/heone und Wirtschaftsethik zur Folge.

Abbildung 3-1: Die Zwei-Weltenkonzeption von Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsethik Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Ulrich 1987, S.123

Wichtig sind m.E. die wissenschaftlichen Rollen, die in der Zwei-Welten-Konzeption sowohl der Wirtschaftstheorie als auch der Wirtschaftsethik zugewiesen werden: •

Die Wirtschaftstheorie wäre als Vertreterin eines rationalen, aber tendenziell in­ humanen Standpunkts anzusehen, von dem aus sie im Interesse der ökonomischen Sachlogik gelegentlich gezwungen wäre, gegen Einsichten ethisch-praktischer Ver­ nunft zu argumentieren, also eine vom "Menschengerechten" abgespaltene

Ulrich 1987, S.122. Vgl. Ulrich 1987, S. 122. Vgl. Apel 1980, S.279-280.

Wirtschafts- und Untemehmensethik als ethische Reflexion der Ökonomie

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'Sachgerechtigkeit" zu vertreten.33 Das ökonomische Rationalitätsprinzip, dem zu wenig lebenspraktische Vernunft innewohnt, bedürfte dann einer moralischen Außenkontrolle.34 •

Die moralische Außenkontrolle fiele dann der komplementären Wirtschaftsethik zu. Sie wäre Vertreterin eines ethisch-humanen, aber tendenziell "sachfremden" - d.h. der ökonomischen Sachlogik fremden - Standpunkts. Von hier müßte sie immer wieder gegen die ökonomische "Sachlogik" argumentieren. „Ihre Aufgabe wäre es dann, die sachzwangartig aufgefaßte ökonomische Rationalität von außen mit "moralischen Gartenzäunen" in ihrem Geltungs- und Wirkungsbereich einzugren-

3.1.3 Das Verhältnis von Ökonomie und Ethik bei den modernen Ökonomen

In den letzten 20 Jahren haben sich die vordringlichen sozioökonomischen Fragen ver­ ändert. Sie haben sich von der internen Effizienz des ökonomischen Systems zu seinen externen Effekten auf die gesellschaftliche Lebenswelt und auf die natürliche Umwelt hin verschoben.36 Was lange Zeit als ökonomisch rational galt, droht zunehmend sei­ nen vernünftigen Sinn für die Lebenspraxis und Lebensqualität als Ganzes zu verlie­ ren.37 Anfang der 70er Jahre dieses Jahrhunderts ist eine Entwicklung in Gang gekommen, die seit Albert als "institutionalistische Revolution" bezeichnet wird.38 Die ihr zu­ grundeliegende Erkenntnis ist, daß zur echten Bewertung von Lebensqualität die öko­ nomische Systementwicklung und ihre Rationalitätsmaßstäbe wieder in gesellschaftli­ che Interaktionsprozesse eingebettet werden müssen. Das soziale Vakuum, das bei den neoklassischen Denkmodellen vorherrscht, muß mit der Idee einer rationalen politisch­ ökonomischen Willensbildung über praktische, normative Wertvorstellungen aufgefüllt werden. Die institutioneilen Voraussetzungen, in deren Rahmen ökonomisches Han­ deln stattfindet, geraten somit in den Vordergrund.39

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34 35

36 37 38 39

Vgl. Rich 1984, S.76-80. Rich wendet sich entschieden gegen die Zwei-Welten-Konzeption indem er postuliert, „...daß nicht wirklich menschengerecht sein könne, was nicht sachgemäß ist, und nicht wirklich sachgemäß, was dem Menschengerechten widerspricht“; Rich 1984, S.80. Vgl. Ulrich 1987, S. 124. Ulrich 1987, S.l25. Statt einer solchen Zwei-Welten-Konzeption fordert Ulrich: „Es geht in einer wissenschaftlich fruchtbaren Konzeption von Wirtschafts- und Untemehmensethik nicht um die moralisierende Begrenzung einer als solche nicht hinterfragten (...) ökonomischen Ra­ tionalität von aussen her, sondern gerade umgekehrt um ihre philosophisch-ethische Erweite­ rung von innen her. Mit anderen Worten: Es geht um eine methodische Versöhnung von öko­ nomischer Rationalität und ethischer Vernunft.“ Ulrich 1987a, S.6-7. Vgl. Koslowski 1990, S. 12-14. Vgl. Steinmann/Gerum 1978, S.469 und S.471; Ulrich 1987a, S.14; Dönhoff 1996, S.7. Vgl. Albert 1977, S.203. Vgl. Ulrich 1987a, S.15.

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Wirtschafts- und Untemehmensethik als ethische Reflexion der Ökonomie

Die grundlegende Einsicht der New Institutional Economics ist die, daß das Problem der ökonomischen Rationalität (Effizienz) nicht vom Problem der rationalen Gestal­ tung der institutioneilen Rahmenbedingungen losgelöst betrachtet werden kann. Die Bestimmung einer kollektiven Präferenzordnung wirtschaftlichen Handelns, die seitens der neoklassischen Wohlfahrtstheorie nicht zu leisten ist, muß gesellschaftlich organisiert und praktisch durchgeführt werden.40

Buchanan macht den vertragstheoretischen Zusammenhang von Effizienz und freier Konsensfindung wieder einsichtig. Sein besonderes Verdienst ist es, daß er die - unter damaligen Ökonomen übliche - Verkürzung von Freiheit als Tauschfreiheit auf dem Markt überwunden hat. Dies erfolgt durch seine systematische Unterscheidung zwi­ schen den institutioneilen Ebenen des Tauschvertrags und des übergeordneten Gesell­ schaftsvertrags.41

Ein privater Tauschvertrag am Markt bringt zuerst einmal nur den freien Konsens der Marktpartner zum Ausdruck. Dritte, die von externen Effekten betroffen sind, werden nicht um ihre Meinung gefragt. Der Gesellschaftsvertrag ist hingegen ein gemein­ schaftsbegründender Grundvertrag aller Gesellschaftsmitglieder, der überhaupt erst die gesellschaftlich legitimierten Freiräume für private Tausch Verträge regelt.42 Auf der Ebene dieses vor- und übergelagerten Gesellschaftsvertrags in einer freien Ge­ sellschaft, muß die Rationalität kollektiver Entscheidungen durch die freie Zustimmung aller Beteiligten definiert werden, zu denen auch die von individuellen Handlungen 'extern' Betroffenen gehören43 Aus dieser grundsätzlichen Einsicht heraus entwickelten im Grunde alle 'modernen' Ökonomen ihre Ansätze zur Wirtschafts- und Untemehmensethik.44

40

41 " 4,3

Damit wird die Frage danach gestellt, was wir als Gesellschaft von der Wirtschaft wollen (z.B. Versorgung, Arbeitsplätze) und was nicht (z.B. Umweltverschmutzung, hohe Arbeitslosigkeit), aber auch die scheinbar lapidare Frage danach, wie wir es wollen und wie nicht. Vgl. dazu auch Abschnitt 3.4.1.Vgl. in ähnlichem Zusammenhang Dürr 1988, S.83-86. Vgl. Buchanan 1977. Zum Moralbegriff aus Sicht der Neuen Institutionenökonomik vgl. Aufderheide 1995. Vgl. Ulrich 1987a, S. 16; Leipold 1989, S.363-369; Hodapp 1990, p. 130. Dieser Gesellschaftsvertrag (Verfassung, Grundgesetz) erfährt in einer freien Gesellschaft seine Zustimmung schon durch die Tatsache, daß die Menschen innerhalb seines Geltungsbereichs leben (möchten). Die freie, demokratische Gesellschaft zeichnet sich u.a. dadurch aus, daß Menschen, die diesen Gesellschaftsvertrag ablehnen, entweder seinen Geltungsbereich verlassen können (was nicht selbstverständlich ist, wie man am Beispiel der ehemaligen Ostblock-Staaten sehen konnte) oder über demokratische Wege (aktive und passive Wahl, Bildung von Interes­ sengruppen o.ä.) versuchen können, seine Änderung zu veranlassen. In Kapitel 4 werden die amerikanische Business Ethics-Bewegung und die Ansätze dreier pro­ minenter deutschsprachiger Vertreter zur Wirtschafts- und Untemehmensethik vorgestellt.

Wirtschafts- und Untemehmensethik als ethische Reflexion der Ökonomie

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3.2 Wirtschaftsethik als Ausgangspunkt unternehmens­ ethischer Überlegungen Die Unterteilung in Wirtschaftsethik und Untemehmensethik folgt der Aufteilung des Handelns auf verschiedenen Ebenen.45 Wenn Wirtschaftsethik im Sinne NellBreunings umfassend als 'Ethik der Wirtschaftsgestaltung' und 'Ethik des Wirtschaf­ tens' verstanden wird, umfaßt sie sowohl die Ebene der i.w.S. politisch gesetzten Rahmenordnung und die Ebene des unternehmerischen Wirtschaftshandelns.46 Diese Definition ist m.E. nicht hilfreich, da sie den unterschiedlichen Handlungsbedingungen und Handlungsfreiräumen der verschiedenen Ebenen nicht gerecht wird.

Wirtschaftsethik, wie sie hier verstanden wird, ist als System- oder Ordnungsethik an­ gelegt und beschäftigt sich mit der ethisch-normativen Ausgestaltung der gesamtwirt­ schaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere der Wirtschaftsordnung, der Wirt­ schafts- und Sozialpolitik oder auch der internationalen Wirtschaftsbeziehungen.47

Unternehmensethik hingegen wird in dieser Arbeit als formale und normative Ethik verstanden, die sich auf die produktive und soziale Dimension, die formellen und in­ formellen Zusammenhänge sowie die Innen- und Außenbeziehungen des Unterneh­ mens bezieht. Das Unternehmen wird dabei als produktive und soziale Ganzheit gese­ hen, ist also nicht nur eine rechtliche Einheit, sondern moralischer Akteur und juristi­ sche Person zugleich.48 Sowohl die Wirtschafts- als auch die Untemehmensethik beschäftigen sich damit, wie und welche moralischen Normen in der Wirtschaft von wirtschaftenden Unternehmen zur Geltung gebracht werden können.49 Dabei unterscheiden sie sich nicht bezüglich des grundsätzlichen Vorgehens - nämlich ethischer Reflexion und anschließender Normenvorgabe50 -, sondern bezüglich des Betrachtungsgegenstandes. Bei der Wirt­ In der Literatur findet sich keine einheitliche Definition der beiden Begriffe, sie sind zum Teil recht unterschiedlich und auch widersprüchlich. Daher soll hier der Versuch unternommen werden, aufgrund der spezifischen Aufgabengebiete, die eigenständige Rolle und Funktion der Wirtschaftsethik und der Untemehmensethik herauszuarbeiten. Vgl. DeGeorge 1987; Enderle 1988; Enderle 1993; Luijk 1990; Mahoney 1990; Steinmann/Löhr 1991. 46 Vgl. Nell-Breuning 1963, S.780; Nell-Breuning 1992, S.36-41. 47 Vgl. Enderle 1991, S.l80. 48 Vgl. Enderle 1991, S.l83. Zur Unternehmung als produktive und soziale Ganzheit, vgl. Ulrich, H. 1970. Eine intensive Diskussion zur Frage, ob Unternehmen moralische Akteure sein können, nimmt Enderle vor. Er postuliert, daß ein Unternehmen als zielorientiertes und sich selbst organisierendes Gebilde eine spezifische Eigenständigkeit seines Handelns aufweist und daher als moralischer Akteur bezeichnet werden könne. Dies rechtfertige sich vor dem Hinter­ grund, daß innerhalb des Unternehmens zwar Individuen handeln, das Unternehmenshandeln aber nicht voll identisch mit dem Handeln der Individuen sei, das Ganze also mehr oder zumin­ dest anders sei als die Summe seiner Teile. Vgl. Enderle 1987, S.439-440; Enderle 1992, S. 143158. Vgl. auch Grcic 1985, pp. 145-149; Logsdon/Palmer 1988, pp. 194-196; French 1993, pp.228-235; Meyers 1993, pp.251-260. 49 Vgl. Homann 1991, S. 100; Wieland 1993, S.13. 50 Diese Sicht unterscheidet sich von der Homanns, der vorgibt, daß Wirtschafts- und Untemehmensethik sich mit der Geltendmachung von Normen und Idealen unter den Bedingungen einer

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schaftsethik steht die Gesamtheit der Wirtschaftsakteure im Zentrum, bei der Unter­ nehmensethik das einzelne Unternehmen (z.T. auch einzelne Unternehmer und Mana­ ger).51 Wenn es um die Gesamtheit der Wirtschaftsakteure geht, rücken die für alle geltenden Regelungen in den Blickpunkt der Betrachtung. Wirtschaftsethik als Systemoder Ordnungsethik fällt damit in den Bereich der Institutionenethik. Diese will über eine entsprechende Gestaltung der Institutionen (Regelungen) ein ethisch erwünschtes (annehmbares oder unbedenkliches) Verhalten erreichen.

Institutionen sind kein starres, unveränderliches System, das die Verhältnisse zwischen Individuen untereinander oder gegenüber Gesellschaft und Staat rein funktional be­ stimmt. Sie bilden die Regelmäßigkeiten sozialen Handelns und entlasten damit den einzelnen von dem Prüfungszwang bewußter Entscheidungen bzgl. bestimmter, sich wiederholender Handlungsweisen, ohne jedoch das subjektive Bewußtsein und die prinzipiell mögliche Reflexion der Handlungsnorm aufzuheben.52

Der Wirtschaftsethik geht es um die kritische Reflexion der bestehenden und (Weiter-)Entwicklung neuer Institutionen, die für das wirtschaftliche Handeln aller gelten sollen.53 Homann bezeichnet diese Aufgabe der Wirtschaftsethik als Aufstel­ lung von 'Spielregeln', in deren Rahmen sich individuelle 'Spielzüge' entfalten kön­ nen.54 Spielregeln regeln nicht das Verhalten in einem deterministischen Sinne, so daß nur bestimmte, von vornherein festgelegte Spielzüge daraus resultieren können, son­ dern geben die Handlungsbedingungen vor. Diese Handlungsbedingungen lassen Handlungsfreiräume offen,55 aufgrund derer sich Unternehmen kreativ unterschiedliche Spielzüge ausdenken können. Wirtschaftsethik zeichnet also im besten Falle nur eine bestimmte Rahmenordnung - die Handlungsbedingungen - als ethisch aus, aber auf­ grund der Individualität der Spielzüge nicht auch zweifelsfrei die Folgen letzterer.56 Hier kommt die Untemehmensethik zum Zuge und damit Fragen der Individualethik. Individualethik setzt beim Individuum an und untersucht die Pflichten des Individuums gegen sich selbst und seine Mitmenschen.57 Wenn das Unternehmen wie hier als mo­ ralischer Akteur verstanden wird, setzt Individualethik beim Unternehmen selbst und

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modernen Wirtschaft und Gesellschaft beschäftigen, vgl. Homann 1991, S.100; Homann 1993, S.39. Stattdessen wird hier die Ansicht vertreten, daß sich ethische Reflexion nicht von vorn­ herein unter bestimmte Handlungsbedingungen (der Wirtschaft und Gesellschaft) stellen lassen kann, da ihr ja die Aufgabe und damit die Freiheit zugestanden wird, gerade auch diese Bedin­ gungen kritisch zu hinterfragen. Ähnlich argumentieren auch Enderle und Ulrich, vgl. Ulrich 1988, S.l 1-21; Enderle 1993, S.18. Vgl. Homann/Blome-Drees 1992, S.14. Vgl. Vossenkuhl 1992, S. 131. Vgl. Werner 1991, S.133. Homann trifft in einer Vielzahl von Veröffentlichungen diese Unterscheidung, vgl. z.B. Homann 1992, S.77. Zum Zusammenhang von Handlungsbedingungen und Handlungsfreiräumen vgl. Abschnitt 3.3. Vgl. Enderle 1991a, S.l59. Enderle weist der Unternehmensethik eine souveräne Rolle zu: „Auch wenn die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen ethisch gerechtfertigt sind, behält die Untemehmensethik ihre eigenständige Bedeutung.“ Enderle 1991a, S.l59. Vgl. Höffe 1992, S.128-129.

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bei den in ihm handelnden Individuen an.58 Der Zusammenhang von individueller und kollektiver Verantwortung besteht darin, daß der einzelne in interdependenten Hand­ lungszusammenhängen (in denen die Resultate seines Handelns also nicht nur von ihm beeinflußt sind) nicht in dem Sinne verantwortlich gemacht werden kann, wie er das in Handlungszusammenhängen ohne relevante Interdependenzen ist. Dieser Gedanke läßt sich insofern weiterführen, daß zwar nicht der einzelne allein verantwortlich ist, wohl aber alle einzelnen gemeinsam - mit der Folge, daß kein einzelner aus seiner Verantwortung entlassen wird“59. Untemehmensethik als Individualethik setzt also nicht nur auf ethische Reflexion und moralische Appelle der einzelnen Untemehmensangehörigen, sondern auch des Unternehmens als systemische Ganzheit.60

Der Sinn der Untemehmensethik wäre m.E. verfehlt, wenn man Untemehmensethik als Lückenbüßer für wirtschaftsethische Verfehlungen einsetzen wollte. Das hieße, daß Untemehmensethik nur dann einsetzt, wenn die Rahmenordnung Defizite aufweist61 und somit die Wirtschaftsethik Versagtz habe. Selbstverständlich stellen die Defizite der Rahmenordnung zumindest erste Ansatzpunkte der Aufgaben einer Unterneh­ mensethik dar.62

Darüber hinaus wird hier aber die Ansicht vertreten, daß Wirtschafts- und Unterneh­ mensethik ihre jeweils eigenen Aufgabengebiete haben. Wirtschaftsethik und Unter­ nehmensethik sind als Komplemente zu verstehen, die ihre jeweils eigenständige Rolle und Funktion haben.63 Dabei kommt die eine ohne die andere nicht aus. Die Wirt­ schaftsethik hat es - wie mehrfach erwähnt - mit den Institutionen auf der Ebene der Rahmenordnung zu tun. Alles, was auf dieser Ebene regelbar ist, fällt somit in den Be­ reich der Wirtschaftsethik. Da aber aus systematischen Gründen nicht alles auf dieser zentralen Ebene regelbar ist,64 setzt die Untemehmensethik dezentral ein und befaßt sich mit Fragen der moralischen Untemehmensführung innerhalb der Rahmenord­ 58

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Die hier erfolgte Aufgabenzuweisung der Institutionen- und Individualethik auf Wirtschafts­ rahmenordnung und Unternehmen soll nicht als Ausschließlichkeit der Aufgabenbereiche ange­ sehen werden. So kann sich ein Unternehmen mittels bestimmter Unternehmensleitlinien selber Institutionen setzen, die dann als Spielregeln für die Spielzüge der einzelnen Unternehmensan­ gehörigen gelten. Diese Unternehmensspielregeln wären wieder im Bereich der Institutionenethik anzusiedeln. Vgl. in diesem Zusammenhang Homann/Blome-Drees 1992, S.l 18-123. Homann 1989a, S.59. Enderle führt als dritte Ebene die Führungsethik ein, unterscheidet somit in Makroebene (Wirtschaftsethik), Mesoebene (Unternehmensethik) und Mikroebene (Führungsethik). Er ver­ anschaulicht die jeweils unterschiedlichen Aufgaben am Beispiel der ökologischen Herausforde­ rung: Die Frage nach der Umweltpolitik des Staates unterscheidet sich von der Frage nach einer ökologieorientierten Untemehmenspolitik und diese wiederum von der Frage nach dem um­ weltfreundlichen Verhalten des einzelnen Wirtschaftssubjekts, vgl. Enderle 1993, S.17-18. Die Mikroebene soll hier nicht betrachtet werden, da dies vor dem Hintergrund der konkreten Fra­ gestellung nicht als wichtig erscheint, ohne jedoch die grundsätzliche Sinnhaftigkeit einer solchen Differenzierung zu bezweifeln. Vgl. Homann 1991, S. 105-109, Homann/Blome-Drees 1992, S.l 14-118. Vgl. Abschnitte 3.4.2 und 3.5. Vgl. Enderle 1993, S.20-21. Vgl. Enderle 1991a, S.152 und Abschnitt 3.4.2.

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nung.65 Sie betrifft die Anwendung traditionellen ethischen Argumentierens in der Praxis der Unternehmung.66 Insofern ist die Wirtschaftsethik der Untemehmensethik nicht über- oder vorgeordnet, sondern stellt den Ausgangspunkt untemehmensethischer Überlegungen dar.67 Die Wirtschaftsethik stellt eher (nicht ausschließlich) die Frage nach der Legalität des wirtschaftlichen Handelns (durch das Setzen geeigneter Rege­ lungen), während die Untemehmensethik eher (nicht ausschließlich) die Frage nach der Legitimität des unternehmerischen Handelns stellt.68

3.3 Zur Möglichkeit einer Unternehmensethik in der Marktwirtschaft 3.3.1 Die Voraussetzung unternehmerischer Handlungsfreiräume Die Handlungsfreiräume von Unternehmen innerhalb der Wirtschaftsordnung bestim­ men laut Kreikebaum generell die Wirkungsmächtigkeit einer Untemehmensethik.69 Unter Handlungsfreiraum soll die Möglichkeit der freien Wahl unterschiedlicher Handlungsvarianten verstanden werden, also eine relative Freiheit von der Befolgung bloßer Sachzwänge.70 Die freie Wahl unternehmerischer Handlungsvarianten wird durch Regeln (z.B. Ge­ setze, Moral, marktliche und kulturelle Bedingungen) eingegrenzt, die im folgenden als Handlungsbedingungen bezeichnet werden, wobei noch gezeigt werden soll, inwiefern solche Handlungsbedingungen seitens der Unternehmen aktiv verändert werden kön­ nen.71 Für untemehmensethisches Handeln ist die Unterscheidung von Handlungsfrei­ räumen und Handlungsbedingungen von eminenter Bedeutung. Wenn kein diskretionä­ rer Freiraum besteht und Handeln lediglich auf Reaktion oder Befehlsvollstreckung reduziert ist, liegt keine unmittelbare Verantwortung vor. In solchen Situationen ist die ethische Fragestellung vorverlagert, indem danach zu fragen ist, ob diese restriktiven Handlungsbedingungen noch ethisch verantwortbar sind oder nicht.72

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Vgl. Löhr 1991, S.291-292. Vgl. Hoffmann/Rebstock 1989, S.667; in ähnlichem Zusammenhang Dierkes 1993, S.l. Wieland ist der Ansicht, daß die diskretionären Freiräume, die sich aus den Handlungsbedingungen ergeben (sollen), nicht als Ansatzpunkt einer eigenständigen Untemehmensethik zu sehen sind, da es der Unternehmensethik seines Erachtens um die Schaffung zusätzlicher Handlungsoptionen der Unternehmensführung geht, vgl. Wieland 1993, S.l5-16. Vgl. in ähnlichem Zusammenhang Molitor 1989, S.99-103. Steinmann/Löhr sprechen in diesem Zusammenhang von Unternehmensethik, die als wissen­ schaftliche Lehre derjenigen idealen Normen zu begreifen sei, die in der Marktwirtschaft zu ei­ nem friedensstiftenden Gebrauch der unternehmerischen Handlungsfreiräume anleiten, vgl. Steinmann/Löhr 1991a, S.95. Vgl. Kreikebaum 1992, S.839-840. Vgl. Enderle 1987, S.437. Vgl. Abschnitte 3.4 und 3.5. Vgl. Enderle 1987, S.436-437.

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Trotz der prinzipiellen Veränderbarkeit von Handlungsbedingungen, ist ihre Existenz in einem System der freien oder sozialen Marktwirtschaft unabdingbar.73 Um ethische Kriterien in Entscheidungsprozessen berücksichtigen zu können, ist aber auch die Existenz von unternehmerischen Handlungsfreiräumen unentbehrlich. Unter der Voraussetzung, daß die Wirtschaftsordnung unternehmerisches Handeln nicht vollständig determiniert, entstehen Handlungsfreiräume, die ethisches Handeln nicht nur ermöglichen, sondern sogar erforderlich machen.74 Soll eine realistische und durchsetzbare Konzeption einer Untemehmensethik entstehen, müssen sowohl die durch die Wirtschaftsordnung vorgegebenen Handlungsbedingungen erfaßt, als auch die existierenden Handlungsfreiräume wahrgenommen werden.75 An Enderle anknüpfend muß das Verhältnis von Handlungsbedingungen und Hand­ lungsfreiräumen auf seine Implikationen bezüglich der Verantwortung (und der Mög­ lichkeit zur Übernahme von Verantwortung) untersucht werden. Wenn in einer Wirt­ schaftsordnung die Handlungsbedingungen derart gestaltet sind, daß keine Handlungs­ freiräume gegeben sind, folgt daraus, daß Verantwortung seitens der Unternehmen in­ nerhalb dieser Wirtschaftsordnung nicht übernommen werden kann.76 Kaiser ist der Ansicht, daß in einer solchen Situation der Wirtschaftsethik die primäre Aufgabe zu­ kommt, „...von aussen Handlungsbedingungen zu fordern, die Handlungsfreiräume gewährleisten und die Ausübung von Verantwortung ermöglichen“77, wobei er die Frage offen läßt, wie und vor allem durch wen dies geschehen sollte.

Festzuhalten bleibt die Aufgabe für jedes Unternehmen, das ethisch verantwortlich agieren will, seine spezifischen Handlungsbedingungen und Handlungsfreiräume her­ auszufinden.78

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Homann spricht in ähnlichem Zusammenhang von der „...immanenten Logik marktwirtschaftli­ cher Ordnungen“, Homann 1994, S. 114. Vgl. Enderle 1987a, pp.659-66O; Enderle 1991, S. 181-182; Heller 1991, S. 131; Ulrich 1991, S.532; Kreikebaum 1992, S.839. Vgl. Fleischmann 1988, S. 135; Homann 1994, S. 114-115. Diese Schlußfolgerung knüpft als Umkehrung an die Aussage Enderles an, daß „...je größer der Handlungsfreiraum ist, desto größer ist auch die ethische Verantwortung“, Enderle 1988, S.54. Vgl. dazu auch Ulrich 1977, S.212. Kaiser 1992, S.95. Jedes Unternehmen hat seine spezifischen Handlungsbedingungen und entsprechend auch spezifische Handlungsfreiräume, was bei international tätigen Unternehmen besonders deutlich wird, die in verschiedenen Kulturkreisen agieren und daher mit unterschiedlichen kulturellen Gegebenheiten, Moralvorstellungen und ordnungspolitischen Rahmenbedingungen konfrontiert sind. Tippelt/ Zimmermann betonen zudem neben den Restriktionen, die von der Konstruktion und Konstitution des Wirtschaftssystems ausgehen, auch die branchenspezifischen Handlungs­ bedingungen und Handlungsbedarfe einzelner Unternehmen, vgl. Tippelt/Zimmermann 1991, S.341-348.

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3.3.2 Die realen Handlungsfreiräume von Unternehmen unter marktwirtschaftlichen Bedingungen

„Verantwortung setzt Wahlfreiheit voraus und entsteht dort, wo Entscheidungen ge­ troffen werden.“79 Um konkrete Möglichkeiten einer Untemehmensethik zu erfassen, müssen die realen Handlungsbedingungen und die davon abhängigen Handlungsfrei­ räume von Unternehmen in einer Marktwirtschaft geklärt werden. Bei der Erörterung der realen Handlungsfreiräume von Unternehmen kann es nicht um die Aufstellung eines Kataloges gehen, der im einzelnen beschreibt, was Unternehmen tun dürfen oder nicht. Dies würde eher in den Bereich einer wirtschaftsjuristischen Ar­ beit fallen. Es sollen vielmehr auf einer höheren Aggregationsebene Typologien von Handlungsbedingungen betrachtet werden. Handlungsfreiräume ergeben sich aus die­ sen Typologien nach dem Konzept der 'Negativen Freiheit'.80 Handlungsbedingungen lassen sich kategorisieren81 in die: • des Marktes, insoweit als er die Konditionen der Untemehmensentscheidungen dik­ tiert (z.B. Preise, Quantitäten). Im Falle der vollkommenen Konkurrenz gäbe es keine diskretionären Freiräume für Handlungen,82 wobei es sicherlich nicht reali­ stisch ist, von diesem Falle auszugehen und dahingehend zu argumentieren, daß das Handeln von Unternehmen vollständig durch den Wettbewerb determiniert wäre.83 • des Gesetzes, insoweit es die Untemehmensentscheidungen durch Gesetze und Re­ gelungen kontrolliert. Nur in einem Staat „totaler Regulierung“ wäre die Freiheit ökonomischer Entscheidungsprozesse vollständig eliminiert.84 Aber selbst totalitäre Staaten linker und rechter Provenienz haben es trotz einer Fülle von (mehr oder weniger sinnvollen) Einzelregelungen realpolitisch nicht vermocht, buchstäblich alle Entscheidungsspielräume zu beseitigen. Hier ist also die Frage nach den durch das Wirtschaftssystem bedingten Handlungsfreiräumen zu stellen. 79 80

Küpper 1988, S.318. Vgl. Ami 1990, S.294; Ami definiert dieses Konzept als Idee negativer Freiheitsrechte, die dem einzelnen Freiräume garantieren, indem sie anderen Individuen oder dem Staat verbieten, in diese Freiräume einzugreifen. Der Freiraum des einzelnen findet seine Grenze an den in gleicher Weise ausgedehnten Freiräumen der anderen. Diese Konzeption der Negativen Freiräume findet sich auch in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland wieder. Vgl. in diesem Zusammenhang Homann 1987, S.l 14. 81 Die vorgenommene Kategorisierung erfolgt ohne Anspruch auf Vollständigkeit. So ließen sich beispielsweise Handlungsbedingungen auch im Persönlichkeitsprofil des Entscheiders suchen oder in der jeweiligen Untemehmenskultur, Untemehmenspolitik oder Untemehmensorganisation, insoweit sie die Freiräume ihrer Entscheidungsträger determinieren. Auch hier wäre nur im Falle einer durchgängigen Vorgabe aller Entscheidungen durch das Top-Management jeglicher Entscheidungsspielraum in der Weise aufgehoben, als untere Management- und Mitarbei­ terebenen nur noch Ausführende oder Erfüllungsgehilfen wären, was jedoch kaum als realitäts­ nah einzustufen ist. An dieser Stelle soll nur versucht werden, die m.E. relevanten Kategorien zu beschreiben, wobei sich die Auswahl am Kriterium der für alle geltenden Handlungsbedingungen in einer Marktwirtschaft orientiert. 82 Vgl. Enderle 1987a, p.660. 83 Vgl. Koslowski 1984, S.52; Schreyögg 1984, S.8-25. 84 Vgl. Enderle 1987a, p.660.

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• der Moral, sofern sie als allgemein gültig anerkannt ist und in der Art eines unge­ schriebenen Gesetzes (Gewohnheitsrecht) zum Ausdruck kommt. Legales und legi­ times Verhalten können dabei durchaus auseinanderfallen85 (nicht alles was legal ist, ist auch legitim). Gesellschaftliche Norm- und Wertvorstellungen stellen Hand­ lungsbedingungen dar, die unternehmerisches Handeln mitbestimmen. Diese Norm­ und Wertvorstellungen sind jedoch im Zeitablauf Änderungen unterworfen und zumindest im Prinzip - auch seitens der Unternehmen selbst beeinflußbar.86

Dies führt zu der Frage, ob nicht vom jeweiligen Wirtschaftssystem vorgegeben wird, welche Ziele das einzelne Unternehmen zu verfolgen habe. „Kann ein Unternehmen in unserem marktwirtschaftlichen System anders handeln, als nach Gewinn zu streben?“87 Wenn dem so wäre, bezögen sich ethische Diskussionen zunächst auf die Rechtferti­ gung des Wirtschaftssystems und würden somit an die Wirtschaftsethik und/oder Poli­ tische Ethik delegiert.88 KÜPPER stellt dem entgegen, daß die Entscheidungstheorie einen zentralen Bereich der neueren Betriebswirtschaftslehre bildet und diese die Exi­ stenz von Entscheidungsspielräumen in Marktwirtschaften zum Ausgangspunkt nimmt und zwar nicht nur bezüglich der einsetzbaren Mittel, sondern auch bezüglich der Ziele. Innerhalb gegebener marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen besteht also die Wahlmöglichkeit von Zielend

Trotz der prinzipiellen Wahlmöglichkeit von Zielen läßt sich erkennen, daß bestimmte Ziele für die meisten Unternehmen in marktwirtschaftlichen Ordnungen von großer Bedeutung sind. In erster Linie gilt dies für das Gewinnziel.90 Ausgehend von Milton Friedmans These, daß es die ethische Pflicht und oberste Handlungsbedingung von Unternehmen in Marktwirtschaften sei, ihre Profite zu steigern,91 ist in der betriebs­ wirtschaftlichen Literatur eine rege Diskussion um Begriff und Inhalt der 'Gewinnmaximierung' in Gang gekommen.92 Diese Diskussion bezieht sich gerade auf die Frage, inwiefern das Ziel der Gewinnmaximierung als Handlungsbedingung durch eine marktwirtschaftliche Ordnung vorgegeben sei und es unternehmerisches Handeln determiniere. Ohne die Diskussion in ihrer Vielschichtigkeit wiedergeben zu wollen, sollen kurz die Aspekte beleuchtet werden, die für die konkrete Fragestellung interes­ 85 86

Vgl. Homann/Blome-Drees 1992, S.l 15, S.l23 und S.l26. Vgl. Thommen 1990, S.307-308. Grundsätzlich muß festgehalten werden, daß im Prinzip gegen jede Kategorie von Handlungsbedingungen verstoßen werden kann. Entscheidend ist hierbei, daß dieser Verstoß nicht sanktionsfrei bleibt, egal ob die Sanktion marktlich, gesetzlich oder moralisch erfolgt. 87 Küpper 1988, S.322. 88 Vgl. Küpper 1988, S.322; Kaiser 1992, S.95. 89 Vgl. Küpper 1988, S.322. In ähnlichem Zusammenhang verweist Porter auf die Ergebnisse der industrieökonomischen Untersuchungen, die unter dem Aspekt der Unternehmensstrategie we­ sentliche unternehmerische Handlungsspielräume zur Beeinflussung von Marktstrukturen er­ kennen. Vgl. Porter 1981, p.609-622. 90 Vgl. Küpper 1988, S.329. 91 Vgl. Friedman 1970, pp.32-34; Friedman 1984, S. 175-179. 92 Vgl. u.v.a. Baumöl 1975; Ulrich 1977; Bronner/Greinke 1984; Koslowski 1984; Staehle 1985; Mulligan 1986; Fritz et al. 1988; Nunan 1988; Ullmann 1988; Schneider 1990; Gümbel 1991; Steinmann/Löhr 1991.

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sant sind, inwiefern das - näher zu explizierende - Gewinnziel eine marktwirtschaftli­ che Handlungsbedingung darstellt. Thommen stellt dazu fest, „... dass die Gewinnmaximierung nur auf dem Papier be­ steht. Es handelt sich dabei um ein mathematisches Verfahren, bei dem - ausgehend von bestimmten mathematischen Funktionen - ein maximal möglicher Gewinn berech­ net wird. In der Praxis wird man dagegen keinen Unternehmer finden, der entweder seinen maximalen Gewinn prognostizieren kann oder im nachhinein feststellen kann, ob er einen maximalen Gewinn erzielt hat. Der Gewinn ist eine Resultante einer Viel­ zahl von unternehmerischen Entscheidungen und externer Einflussfaktoren. Von Gewinnnmaximierung kann man eigentlich (...) nur dann sprechen, wenn ein Unternehmer seine Unternehmung verkauft, um damit einen maximalen Gewinn zu erzielen.“93

Daraus läßt sich folgern, daß eine letztlich nicht durchführbare Gewinnmaximierung auch keine reale Handlungsbedingung darstellen kann. Vielmehr ist Gewinn als solcher und nicht ein maximaler Gewinn die Voraussetzung, um in einem marktwirtschaftli­ chen System erfolgreich und dauerhaft überlebensfähig zu sein.94 Folgerichtig kann man stattdessen von unternehmerischem Gewinnstreben als einem zentralen Element unserer Wirtschaftsordnung sprechen95, das jedoch nicht eindeutig konkretisiert ist.96 Unternehmen können wählen, welche Gewinngröße als Kriterium für ihre Entschei­ dungen herangezogen wird. „Das Gewinnziel ist in inhaltlicher, zeitlicher und perso­ neller Sicht wie im angestrebten Ausmaß nicht durch die Wirtschaftsordnung vorgege­ ben.“97

Die Marktwirtschaft soll über den Mechanismus Wettbewerb effiziente Lösungen be­ reitstellen, wozu durchaus auch der Untergang einzelner Unternehmen gehören kann. Dies verdeutlicht nochmals, daß das Gewinnziel nicht als Handlungsbedingung einer Marktwirtschaft in dem Sinne zu verstehen ist, daß gegen dieses Ziel seitens der Un­ ternehmen nicht verstoßen werden dürfe. Im Gegenteil gibt gerade die Marktwirtschaft keine Bestandsgarantie für Unternehmen ab. Gewinn und das Streben danach stellt wie erwähnt - die notwendige Bedingung für das Überleben des Unternehmens dar. In dem Wort 'Streben' kommt zum Ausdruck, daß dies aber nur aus unternehmerischer

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Thommen 1990, S.306. Vgl. Thommen 1990, S.307. Manfred Gentz, Vorstandsmitglied der Daimler Benz AG, erklärt den gewinnbezogenen Auftrag an den Vorstand folgendermaßen: „Der Auftrag an den Vorstand heißt nicht Gewinnmaximierung und darf nicht kurzfristig gesehen werden. Die von einem Vorstand geforderte Gewinnoptimierung ist langfristig orientiert (...). Hier sind wertende Ent­ scheidungen eines Vorstandes vollkommen legitim. Der bestehende Handlungsspielraum ist be­ achtlich und sollte nicht zu gering geschätzt werden.“ Gentz 1993, S.102 Vgl. z.B. §§ 120, 167 und 242ff. HGB. Vgl. in diesem Zusammenhang Lenz/Zundel 1989, S.322-323; Ulrich 1994a, S.26-28. Vgl. Küpper 1988, S.329. Küpper erläutert diesen Tatbestand, indem er darauf verweist, daß Unternehmen durch Rechtsvorschriften gezwungen sind, mehrere Gewinngrößen zu ermitteln, nämlich sowohl den steuerlichen Periodengewinn als auch den handelrechtlichen Jahresüber­ schuß. Hinzu kommt, daß viele Unternehmen das Betriebsergebnis in der Kosten- und Leistungsrechnung ermitteln. Küpper 1988, S.330.

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Sicht eine Handlungsbedingung - oder genauer gesagt: wünschenswerte Handlungs­ richtung - darstellt und nicht aus der Sicht der marktwirtschaftlichen Ordnung, im Sinne einer gesetzlichen und unhintergehbaren Vorgabe. Das Gewinn- und Konkurrenzprinzip, wie sie sich aus dem marktwirtschaftlichen Me­ chanismus des Wettbewerbs ergeben, sind folglich nicht als Handlungsbedingungen interpretierbar, die keine diskretionären Freiräume für untemehmensethisches Handeln lassen. Vielmehr steht gemäß den zentralen Prinzipien der Marktwirtschaft das Schaf­ fen von Freiräumen für den einzelnen, Eigenverantwortlichkeit, das Streben nach effi­ zienten Lösungen und Wirtschaftlichkeit statt Verschwendung im Vordergrund der Betrachtung.98 Durch die politisch vermittelte Rahmenordnung wird die 'freie' Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland zur 'Sozialen Marktwirtschaft'.99 Die Soziale Marktwirt­ schaft ist - zumindest in der Konzeption Ludwig Erhards und Alfred MüllerArmacks - den zwei sittlichen Zielen der Freiheit und der sozialen Gerechtigkeit ver­ pflichtet.100

Im Ergebnis stehen also zentrale Prinzipien unserer marktwirtschaftlichen Ordnung nicht von vornherein untemehmensethischen Handlungsmöglichkeiten negativ gegen­ über. Stattdessen lassen sie dem einzelnen Unternehmen nicht nur genügend Frei­ räume, die Untemehmensethik ermöglichen, sondern fordern das Unternehmen zu untemehmensethischem Handeln geradezu auf.

3.4 Zur Notwendigkeit einer Unternehmensethik in der Marktwirtschaft 3.4.1 Die Berücksichtigung ethischer Normen als systematische Aufgabe der Rahmenordnung

Unter den Bedingungen einer modernen Marktwirtschaft ist die Frage nach der nor­ mativen Ausgestaltung der Rahmenordnung zu stellen.101 Hier wird der Standpunkt vertreten, daß bereits bei der Gestaltung der Rahmenordnung ethisch-normative Ge­ sichtspunkte zu berücksichtigen und zu implementieren sind. Die Rahmenordnung als handlungsleitendes Regelwerk muß aus deontologischer und teleologischer Sicht Nor­ men zur Verfügung stellen, die als Bewertungskriterien für Handlungsalternativen die­ nen.

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Vgl. Guth 1988, S.17; Küpper 1988, S.330-331. Vgl. Wagner 1990, S.300-301; Steinmann/Schreyögg 1991, S.72. Vgl. Guth 1988, S.17; Schlecht 1988, S.16-18. Unter Rahmenordnung wird ein Regelwerk verstanden, das allgemeingültige, relativ dauerhafte Handlungsregeln enthält, deren Nichteinhaltung sanktioniert wird. Zusätzlich zur Verfassung sind dies für die Wirtschaft insbesondere folgende: Öffentliches Recht, Privat- und Strafrecht, Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht, Arbeits- und Tarifrecht, Wettbewerbsrecht sowie Mitbestimmungs- und Haftungsregeln.

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Damit wird nicht eine Verantwortungsverschiebung von Unternehmen weg, hin zur Rahmenordnung propagiert, wie dies m.E. bei Homann implizit der Fall ist.102 Zwar bestreitet er keineswegs die Existenzberechtigung einer Untemehmensethik, läßt sie jedoch nur in engen Grenzen gelten.103 HOMANN/BLOME-DREES sprechen von der Rahmenordnung als dem "systematischen Ort der Moral" und wollen vor allen Dingen in ihr moralische Vorstellungen verwirklicht sehen.104 Dem steht solange nichts entge­ gen, wie diese Argumentation nicht zur "ethischen Denk-Entschuldigung" von Unter­ nehmen gerät. Hinzu kommt, daß gerade aus ordnungspolitischen Gründen heraus eine dezentrale Regelung ethischer Konflikte "vor Ort" der zentralistischen Regelung durch die Rahmenordnung vorzuziehen ist.105 ULRICH spricht von letzterem als dem „großen interventionsstaatlichen Umweg“106. Dennoch bleibt festzuhalten, daß die Rahmenordnung unverzichtbar ist für das Gelin­ gen einer Marktwirtschaft107 und daß trotz der systematischen Imperfektion jeglicher Rahmenordnung108 alles, was sinnvoll regelbar ist, auch geregelt werden sollte. Nach Homanns Unterscheidung in "Spielregeln" (Institutionen, Rahmenordnung) und "Spielzüge" (individuelle Handlungen innerhalb der Rahmenordnung) geben erstere die verbindlichen, konsensualen Regeln vor, in denen sich die individuellen Spielzüge ent­ falten können.109

Die Unterscheidung zwischen Institutionen- und Individualethik bedeutet ja nicht die Aufhebung der einen durch die andere, sondern weist ihnen lediglich unterschiedliche Aufgabenbereiche zu.110 Regeln oder Institutionen, die das wirtschaftliche Geschehen auf der Ebene der Rahmenordnung koordinieren sollen, fallen also in den Bereich der Institutionenethik. Eine Vielzahl tatsächlicher oder potentieller ethischer Probleme in der Wirtschaft sind durch eine Rahmenordnung aufgreifbar und regelbar. Die Rahmenordnung hat Ver­ bindlichkeitscharakter für alle Wirtschaftssubjekte und nimmt damit eine herausra­ gende Koordinationsfunktion ein.111 Daher ist ihr systematisch die Aufgabe zuzuord­ 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111

Vgl. Homann 1991, S.99-102; Homann/Blome-Drees 1992, S.20-38. Vgl. Homann 1991, S.l05-114; Homann/Blome-Drees 1992, S.53-54 und S.l 12-131. Vgl. Homann/Blome-Drees 1992, S.35. Dies entspricht im übrigen auch dem verfassungsmäßigen Grundsatz der Subsidiarität. Ulrich 1987, S.143. Homann gesteht diese Sinnhaftigkeit auch ein, jedoch wiederum in engen Grenzen, vgl. Homann 1991, S.106. Vgl. Homann/Blome-Drees 1992, S.24. Siehe dazu Abschnitt 3.4.2. Vgl. Homann 1991, S. 101; Homann 1994, S.l 11; Homann/Blome-Drees 1992, S.23. Vgl. Zimmermann 1995, S.64. Vgl. Homann/Blome-Drees 1992, S.24-25. Die Leistungsfähigkeit des Koordinationsmechanis­ mus bemißt sich an dessen Koordinationseffizienz, welche die güterwirtschaftliche Effizienz si­ chern soll. Dies zielt darauf ab, in der Rahmenordnung auch den Zusammenhang von Wirt­ schafts- und Sozialpolitik explizit zu regeln, denn wie die Forschungsergebnisse Olsons zeigen, schädigen Verteilungskämpfe auf Dauer die allgemeine Wohlfahrt nachhaltig, wenn Vertei­ lungskoalitionen mehr mit der Umverteilung als mit der Produktion des Wohlstandes beschäftigt sind, vgl. Olson 1985. Vgl. in ähnlichem Zusammenhang auch Fleischmann 1986, S.89-90.

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nen, bereits auf dieser hohen Aggregationsebene ethischen Ansprüchen der Gesell­ schaftsmitglieder zu genügen. Gründe hierfür liegen u.a. in der Vermeidung von Wett­ bewerbsnachteilen, der Notwendigkeit allgemeinverbindlicher ethischer Normen oder dem mangelnden Problembewußtsein mancher Unternehmer bzw. Manager.112 „Dies hat den präzisen Sinn, daß dem einzelnen Wettbewerber aus der Erfüllung moralischer Normen kein Nachteil gegenüber seinen Konkurrenten erwächst, da die Normen jetzt auch für diese gelten.“113

Die normative Ausgestaltung der Rahmenordnung ist mithin Aufgabe der Wirtschafts­ politik. Die letzten Ziele der Wirtschaftspolitik werden aber nicht aus der Wirtschaft selbst heraus gesetzt, sondern „vom Leben gestellt“114. Die aus diesen Zielen abgelei­ tete Aufgabenerfüllung soll der Verbesserung bzw. Sicherung der Existenzgrundlagen eines jeden Menschen dienen.

Mit anderen Worten: Das Gesamtsystem Gesellschaft gibt dem Subsystem Wirtschaft die Aufgaben vor.115 Allerdings gibt die Gesellschaft der Wirtschaft nicht nur die Auf­ gaben vor, wie beispielsweise Versorgung mit Nahrung, Kleidung, Wohnung oder Ar­ beitsplätzen, sondern auch die Nebenbedingungen. So soll die o.g. Versorgung ge­ schehen, ohne die natürlichen Lebensgrundlagen der jetzigen oder zukünftiger Gene­ rationen zu zerstören.116 D.h. die Aufgabenzuteilung erfolgt gleichzeitig mit normati­ ven Vorgaben, welchen ethischen Ansprüchen die Aufgabenerfüllung zu genügen habe.

Diese Sicht hebt sich von der Buchanans ab, der die Notwendigkeit einer materialen Normativität für die Rahmenordnung nicht explizit gegeben sieht: „Das was für die Begründung der "Legitimität' eines Set von sozialen Institutionen wichtig ist, ist weniger irgendeine positive Bewertung dieser Institutionen im Sinne von Moralitäts- oder Gerechtigkeitskriterien, als vielmehr die Abwesenheit einer ne­ gativen Bewertung, welche die 'Spielregeln' als unfair oder ungerecht verurteilt. (...) Ein konstruktiver Entwurf sollte den Schwerpunkt darauf legen, zu sichern, daß das 'Spiel' ein faires ist.“117 Vgl. Thommen 1990, S.304. Homann 1994, S.l 11-112. Wünsche 1991, S.255. Luhmann geht im Rahmen der soziologischen Systemtheorie von der Ausdifferenzierung des Systems Gesellschaft in Teilsysteme aus. Teilsysteme, die über jeweils eigene binäre Codes in Verbindung zueinander treten, können beispielsweise Politik, Wirtschaft oder Recht sein. Binäre Codes kanalisieren die Resonanz der Teilsysteme auf ihre Umwelt, indem sie als Beob­ achtungsschemata fungieren. Im Wirtschaftssystem werden beispielsweise die binären Codes 'Haben - Nichthaben', 'Zahlung - Nichtzahlung', im Rechtssystem beispielsweise der Code 'Recht - Unrecht' verwendet, vgl. Luhmann 1988; Luhmann 1990; Luhmann 1994. 116 Vgl. dazu grundlegend Löffelholz 1955, S.26-30; Fürst 1966, S.474-475; Raffee 1974, S.76; Jonas 1979; Kreikebaum 1988, S. 11-15. 117 Buchanan 1984, S.83. Buchanan kommt das Verdienst zu, den Zusammenhang des übergeord­ neten, gemeinschaftsbegründenden Gesellschaftsvertrags (Verfassung) und des Tausch Vertrags einsichtig gemacht zu haben. Zwar hat er den Zusammenhang von Effizienz und freier Kon­ sensfindung verdeutlicht, aber ihm fehlt die Begründung einer vernünftigen politisch-ökonomi­

112 113 114 115

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Im letzten Satz scheint mir der Widerspruch zu liegen: Die Vorgabe, Regeln für ein 'faires' Spiel zu entwerfen, ist zum einen eine gesellschaftliche und zum anderen eine eindeutig normative. Die normative Gestaltung einer wirtschaftlichen Rahmenordnung läßt sich folglich nicht abgespalten von der Gestaltung anderer Teilordnungen des Le­ bens betrachten.118 „Es besteht also nicht nur eine ökonomische Interdependenz, son­ dern auch eine Interdependenz der Wirtschaftsordnung mit allen übrigen Lebens-ordnungen.“119 Die Ordnung der Teilbereiche des Lebens (Ordnung der Wirtschaft, des Staates, der Gesellschaft) ist auf der Grundlage menschlicher Einstellungen bzgl. Mo­ ral, Werten, Normen, Recht und ihrer ethischen Reflexion zum Wohl der Menschen zu begründen. Dies ist eine Aufgabe, die nur dann lösbar ist, wenn sich für jegliche Teil­ bereiche des Lebens funktionierende institutioneile Abkommen finden lassen und diese Abkommen als Gesamtheit miteinander vereinbar sind. Nur wenn sie sich einem Leitbild, oder anders gesagt, einer ordnungsstiftenden Leitidee zu- oder unterordnen lassen, ist dies gegeben.120 Die Soziale Marktwirtschaft umfaßt gemäß MÜLLERArmack nicht nur eine marktlich koordinierte Wirtschaftsordnung, sondern das Bei­ wort 'sozial' gibt den Hinweis darauf, daß diese Ordnung in hohem Maße gesell­ schaftspolitische Ziele verfolgt.121 Abschließend läßt sich festhalten: Ethische Normen (oder Leitbilder als Bündelung mehrerer Werte) sind als meta-ökonomische Bewertung von Handlungsalternativen nicht überflüssig, sondern vielmehr in der ökonomischen Rahmenordnung zu interna­ lisieren.122 3.4.2 Die inhärenten Defizite der Rahmenordnung als Ausgangspunkt der Aufgaben einer Unternehmensethik

Es gibt einen breiten Konsens darüber, daß keine real-existierende (also nicht nur in der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie ceteris paribus gedachte) Rahmenordnung perfekt ist. Interessanter ist jedoch die Frage, ob eine real-existierende Rahmenord­ nung überhaupt - also von ihrem Wesen her - perfekt sein kann. Meines Erachtens sind jeder real-existierenden Rahmenordnung bestimmte Defizite inhärent.123 Auch von ju­ ristischer Seite werden Zweifel an der Wirksamkeit der Steuerung ökonomisch-ethi­

118 119 120 121 122 123

schen Praxis durch eine regulative Idee ethisch-praktischer Vernunft. Vgl. dazu Buchanan 1975; Buchanan 1977; Ulrich 1989, S.82-84; Ulrich 1990, S.202; Ulrich 1993, S.254-257; Homann 1990a. Vgl. Krüsselberg 1989, S.102-106. Eucken 1968, S.l4. Vgl. Krüsselberg 1989, S.l 17. Vgl. Müller-Armack 1966, S.301. Vgl. Horn 1996, S.133-135. Hierbei geht es nicht um die Frage des „Marktversagens“, also ob der Markt aufgrund eigener Funktionsschwäche, Einwirkung von außen oder zu hoher Erwartungen versagt. Vgl. dazu Enderle 1993, S.95-114 und die grundlegenden Arbeiten von Samuelson 1954 und Bator 1958 zu diesem Thema.

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scher Probleme durch Staatseingriffe geäußert und eine Überschätzung dieser Wirk­ samkeit postuliert.124 Grundsätzlich lassen sich - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - mehrere Kategorien von Defiziten in einer Rahmenordnung unterscheiden:125

• Unzureichende Geltung bestehender Gesetze: Hierunter sind Auslegungsspielräume bestehender gesetzlicher Regelungen zu ver­ stehen. Diese können dazu führen, daß (unethische) Unternehmen diese Ausle­ gungsspielräume in einer Weise nutzen, daß sie dem Buchstaben, aber nicht der Intention des Gesetzes entsprechen. • Unvollständigkeiten der gesetzlichen Regelungen: Damit sind fehlende gesetzliche Regelungen gemeint, die dadurch entstehen, daß bestehende Lücken übersehen wurden. Dieses Problem wird im Falle Multinationa­ ler Unternehmen (MNU) besonders deutlich. MNU werden durch die Internationa­ lisierung der Wirtschaft zunehmend mit defizitären Rahmenordnungen von Ent­ wicklungsländern konfrontiert. Diese reichen für die heimische Wirtschaft mögli­ cherweise noch aus, aber weisen meist unzureichende gesetzliche Regelungen auf, auch das Vorgehen von MNU hinreichend zu kontrollieren.126 • Verzögerungen bei der Rechtsentwicklung: Diese Verzögerungen entstehen dadurch, daß gesetzliche Regelungen oft erst dann geschaffen werden, wenn Probleme bereits sichtbar und schwerwiegende negative Auswirkungen spürbar geworden sind.127 Verzögerungen bezüglich der Regelung von Entwicklungen im sozialen und technischen Bereich liegen auch darin begrün­ det, daß sie bis dato nicht regelbar waren, da man diese Möglichkeiten ganz einfach noch nicht kannte (Bsp. Gentechnologie). Problematisch ist die Tatsache, daß diese Verzögerungen der Rechtsentwicklung zu neu entstehenden Lücken führen. • Unzureichendes Kontroll- und Sanktionssystem: Darunter sind mangelhafte Möglichkeiten der Sanktionierung von Gesetzesver­ stößen (Vollzugsdefizite) zu verstehen. Zum einen ist es nicht möglich (und auch nicht erwünscht), jegliche Handlung auf ihre eventuelle Illegalität überprüfen zu lassen.128 Zum anderen führt die permanente Überlastung der Gerichte zu einer Verschleppung von Sanktionen und Bagatellisierung der Verstöße. • Unmöglichkeit der Regelung aller potentiellen Handlungssituationen: Darin ist vielleicht das entscheidendste Defizit einer jeglichen Rahmenordnung zu sehen. Der - aussichtslose - Versuch der Regelung aller potentiellen Handlungssi­ tuationen würde in dem unerwünschten Ergebnis eines unüberschaubaren Räder­

l2< Vgl. Thommen 1990, S.305. 125 Eine ähnliche Kategorisierung nimmt auch Homann vor, vgl. Homann 1991, S.l06-107. Vgl. dazu ebenfalls Thommen 1990, S.3O5. 126 Vgl. DeGeorge 1990, S.399-425. 127 Vgl. Prosi 1989, S.26-28. 128 Man denke nur an das Horrorszenario eines Staates vollkommener Überwachung, wie es George Orwell in seinem Buch „1984“ beschreibt.

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werks von Vorschriften enden. Hinzu kommt, daß aufgrund der Unvorhersagbarkeit der Zukunft ein solcher Versuch sowieso müßig wäre. Selbst eine (theoretisch vorstellbare) perfekte Rahmenordnung zum Zeitpunkt T, wird im Zeitpunkt T+l bereits defizitär sein, da jede Rahmenordnung starr ist in Relation zur Dynamik des Wirtschaftsprozesses. Die Schlußfolgerung lautet also: Die Dynamik des Wirtschaftsprozesses verhindert aus systematischen Gründen eine perfekte Rah­ menordnung.

Diese Kategorisierung von Defiziten stellt keineswegs die prinzipielle Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit gesetzlicher Regelungen in Frage. Die diesbezüglich entscheidende Frage lautet vielmehr, ob staatliche Maßnahmen allein überhaupt genügen können, um ein ethisch erwünschtes Verhalten der Wirtschaftssubjekte zu erreichen.129 Der Versuch, ex post aufgetretene Probleme durch staatliche Maßnahmen zu regeln, läßt sich als eine vergangenheitsorientierte Ethik deuten, während es bei einer zu­ kunftsorientierten Ethik darum geht, solche Probleme möglichst gar nicht erst auftreten zu lassen bzw. zu versuchen, mögliche Entwicklungen antizipativ zu erfassen. „Für eine zukunftsorientierte Ethik sind Gesetze aber ein untaugliches Instrument. Eine sol­ che Aufgabe muss primär eine Untemehmungsethik (...) übernehmen.“130

Keine Rahmenordnung - und sei sie noch so gut gedacht und gemeint - kann also per­ fekt sein; jede real-existierende Rahmenordnung ist systembedingt defizitär. Diese Einsicht führt zu den Aufgaben der Untemehmensethik, die darin bestehen, diese De­ fizite komplementär und in intentionaler Übereinstimmung mit der politisch gesetzten Rahmenordnung zu schließen.131

129 Vgl. Thommen 1990, S.304-305. 130 Thommen 1990, S.305-306. 1 1 Auch dies entspricht wiederum dem verfassungsmäßigen Grundsatz der Subsidiarität.

Wirtschafts- und Unternehmensethik als ethische Reflexion der Ökonomie

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3.5 Die Aufgaben der Unternehmensethik 3.5.1 Die Ergänzungsfunktion

Da der Rahmenordnung im Idealfall (bei Nichtvorliegen von Defiziten) eine ethische 'Richtigkeitsvermutung'132 zukommt, ergibt sich für das Unternehmen in diesem Falle als ethische Pflicht, sich systemkonform zu verhalten.133 Bei Vorliegen von Defiziten ist jedoch die Durchsetzung von Gesetzen aufgrund von Vollzugsdefiziten und Ausle­ gungsspielräumen aut das ethische Verhallen der einzelnen Anwender (Bürger, Un­ ternehmen) angewiesen.134

Demzufolge kann die Anwendung von gesetzlichen Regelungen gemäß ihrer ethischen Intention als Aufgabe einer Untemehmensethik in Form einer Ergänzung verstanden werden.135 Dieses rechtfertigt sich insbesondere vor dem Hintergrund, daß die in der Gesellschaft herrschende Moral häufig schon denjenigen als Idealisten bezeichnet, der die gesetzlichen Vorschriften strikt befolgt, und somit die Vernachlässigung von Ge­ setzen als Kavaliersdelikt legitimiert wird.136 Die Ergänzungsfunktion der Untemehmensethik bezieht sich vor allem auf die Fälle, in denen Unternehmen eine konsequente Ausnutzung der Interpretationsspielräume des Gesetzes (Bsp.: Umweltschutz- und Arbeitsschutzgesetze) in einer Art und Weise be­ treiben könnten, daß dies der Intention des Gesetzes widersprechen würde.137

Hinzu kommt, daß bei einem Auseinanderfallen von Legalität und Legitimität unter­ nehmensethisches Verhalten gefragt ist. Insbesondere Großunternehmen, die im Ram­ penlicht der Öffentlichkeit stehen, sind für eine wirtschaftlich erfolgreiche Tätigkeit auf gesellschaftliche Akzeptanz angewiesen.138 Eigene Legitimationsanstrengungen von 132 Im Gegensatz zu Steinmann/Löhr und Homann, die von einer Richtigkeitsvermutung der Rah­ menordnung im Normalfall ausgehen, kann es m.E. diese Vermutung nur im Idealfall geben. Daß es selbst im Idealfall bei einer Vermutung bleibt, liegt darin begründet, daß sogar bei Nichtvorliegen von Defiziten, die Rahmenordnung systematisch hinterfragbar bleibt und keinen Anspruch auf Dauergültigkeit erheben kann. Eschenburg zeigt auf, daß empirische Legitima­ tionsverfahren von einem systematischen Legitimationsdefizit gekennzeichnet sind und daher unaufhebbar einen hypothetischen Charakter besitzen, vgl. Eschenburg 1977, S.l89; Eschenburg 1980, S.32 und S.38. Vgl. zur Position von Steinmann/Löhr und Homann, Steinmann/Löhr 1991, S.8; Homann/Blome-Drees 1992, S.l 14. 133 Vgl. Homann 1991, S. 105-106. Homann versteht darunter, das Ziel der Gewinnmaximierung unter Berücksichtigung der gesetzlichen Regelungen zu verfolgen und darüber hinaus auf ethi­ sche Handlungen vollkommen zu verzichten und allein der 'ökonomischen Rationalität' folgend zu handeln. 134 Vgl. Gerum 1989, S.146-147; Homann 1991, S.107-108. Vgl. in ähnlichem Zusammenhang auch Enderle 1987, S.434. Vgl. Gerum 1989, S.146; Gröschner 1991, S.l 18-122; Thommen 1990, S.305. 136 Vgl. Weizsäcker 1990, S.5-6. 1,7 Vgl. Brantl 1985, S.478. Gentz schreibt dazu: „Mit dem Auftrag der wirtschaftlichen Unternehmensführung durchaus vereinbar ist ein Verhalten, das die gesetzlichen Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns in vollem Umfang respektiert und nicht ständig - zur Maximierung von Gewinnen - nach Schlupflöchern und Umgehungsmöglichkeiten sucht.“ Gentz 1993, S.l02. 138 Vgl. Homann 1991, S.l 10.

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Wirtschafts- und Untemehmensethik als ethische Reflexion der Ökonomie

Unternehmen sind daher auch als Ergänzung zu bestehenden Gesetzen interpretier­ bar.139

Die Ergänzungsfunktion einer Untemehmensethik ergibt sich zudem aus der Tatsache, daß es gar nicht erwünscht sein kann, allen potentiellen ethischen Konfliktfällen durch staatliche Regelungen zu entsprechen, da es in dem bereits erwähnten unüberschauba­ ren Räderwerk von Vorschriften resultieren würde. 3.5.2 Die Ersatzfunktion

In den Fällen von bestehenden und neu entstehenden Regelungslücken müssen die Unternehmen die Verantwortung für eine Vermeidung von ethischen Konflikten über­ nehmen, die idealerweise eigentlich auf der Ebene der Rahmenordnung wettbewerbs­ neutral zu regeln gewesen wären.140 Diese fehlenden Gesetze sollen von Unternehmen durch untemehmensethische Reflexion und Handlung ersetzt werden. Das Regelungs­ defizit der Rahmenordnung bezüglich einer ethischen Forderung wird somit auf Untemehmensebene substituiert.141 In Situationen, die zu irreversiblen oder nicht wiedergutzumachenden Schäden führen, wird die Wichtigkeit dieser Ersatzfunktion besonders deutlich.142 Bei technologischen Entwicklungen im Bereich der Gentechnologie oder Nukleartechnologie, die durchaus irreversible Schäden globalen Ausmaßes zur Folge haben können, reicht es oftmals nicht aus, nur den bestehenden Gesetzen zu folgen, in denen die weitreichenden Fol­ gen eines Störfalls meist noch nicht berücksichtigt sind.

Beim Vorliegen von Defiziten in der Rahmenordnung führt systemkonformes Verhal­ ten also nicht automatisch zu ethisch positiven Ergebnissen. Dies bedeutet, daß Un­ ternehmen ethischen Anforderungen begegnen müssen, die durch eine defizitäre Rah­ menordnung entstehen. „Nach außen wie nach innen entwickeln diese Unternehmen so etwas wie eine Kultur der Begründbarkeit: Nicht jede Maßnahme muß begründet wer­ den, aber sie muß bei Bedarf begründet werden können.“143

139 Vgl. in ähnlichem Zusammenhang Abels 1985, S.97-100; Gröschner 1991, S.l22; Homann verweist auf das Beispiel des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Daimler Benz AG, Edzard Reuter. Dieser hat im Zuge des Golfkrieges für eine Vereinheitlichung der Richtlinien für Waf­ fenexporte und deren gleichzeitige Verschärfung plädiert, was nicht nur von der Bundesregie­ rung, sondern auch vom Ministerrat der EG und dem damaligen US-Präsidenten George Bush aufgenommen wurde. Vgl. dazu Homann 1991, S.l 12. 140 Vgl. Homann/Blome-Drees 1992, S. 114. Allerdings bleibt zu hinterfragen, ob Regelungen auf der Ebene der Rahmenordnung tatsächlich immer 'wettbewerbsneutral' sind. Beispielsweise ha­ ben ökologieorientierte Regelungen, die den Energieverbrauch reduzieren sollen, völlig unter­ schiedliche wettbewerbliche Auswirkungen für Unternehmen in energieintensiven Industrie­ zweigen gegenüber Unternehmen in energiearmen Industriezweigen. Daher wäre es m.E. zu­ treffender, von Gleichbehandlung zu reden. 141 Vgl. Hengsbach 1988, S. 131; Homann 1991, S.106. 142 Vgl. Homann/Blome-Drees 1992, S.115. 143 Homann 1991, S.l 11.

Wirtschafts- und Unternehmensethik als ethische Reflexion der Ökonomie

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Die Ersatzfunktion der Untemehmensethik ist allerdings eine zeitlich begrenzte, da sie nur vorübergehend zum Zuge kommen soll, bis die Verbesserungsfunktion eine dies­ bezügliche Vervollständigung der Rahmenordnung erreicht hat und somit die Ersatz­ funktion hinfällig macht. 3.5.3 Die Verbesserungsfunktion

Da Unternehmen in einer Marktwirtschaft nur bedingt in der Lage sind, im Rahmen der Ergänzungs- und/oder Ersatzfunktion auf Gewinne zu verzichten, ist es ebenfalls Aufgabe einer Untemehmensethik darauf hinzuwirken, daß die Rahmenordnung ver­ vollständigt wird. Unter Vervollständigung ist nicht etwa Vervollkommnung zu ver­ stehen, die - wie bereits gezeigt - sowieso nicht zu erreichen ist. Vielmehr geht es dämm, die tatsächlich entdeckten Lücken gegenüber der Öffentlichkeit und den politi­ schen Instanzen aufzuzeigen und ihre (politische) Schließung anzumahnen.144

Prinzipiell ist die Schließung von Regelungslücken auch ohne staatliche Mitwirkung denkbar. Kollektive Selbstbindungen in Form von Branchenkodizes bzw. Berufs- oder Standeskodizes können ähnliche Erfolge aufweisen, wie eine staatliche Anpassung der Rahmenordnung.145 Homann spricht in diesen Fällen von einer Dauersubstitution der staatlichen Ordnungspolitik durch Untemehmenspolitik.146 Die Verbesserungsfunktion einer Untemehmensethik bezieht sich aber nicht nur auf Fälle bestehender Regelungslücken. Im Rahmen einer Untemehmensethik ist es auch notwendig, die Berechtigung von bestehenden Gesetzen immer wieder in Frage zu stellen, indem auf verfehlte Rechtsentwicklungen hingewiesen wird, um dadurch eine Verbesserung der Rahmenordnung zu erwirken.147 Obwohl die Verbesserung der Rahmenordnung primär Aufgabe der Wirtschaftsethik ist, kommt den Unternehmen als den Experten der Situation eine demokratische, ordnungspolitische Mitverantwortung zu.148 Dies bedeutet, daß die oft beträchtlichen Einflußmöglichkeiten von Unternehmen auf die Ordnungspolitik verantwortungsvoll genutzt werden sollten. Hier zeigt sich er­ neut die Komplementarität und gleichzeitige Eigenständigkeit von Wirtschafts- und Untemehmensethik.

Es wird ersichtlich, daß im Zeitablauf ein nicht bloß re-aktives Handeln der Unterneh­ men die Weiterentwicklung der Rahmenordnung beeinflussen kann.149 In diesem Zu­ sammenhang ist von den Unternehmen zu fordern, daß sie ihre Bereitschaft erklären, Kollektivregelungen nicht nur zu fordern bzw. an ihnen mitzuwirken, sondern auch deren Einhaltung versprechen.150 Die Verbesserungsfunktion hat somit zur Aufgabe, 144 145 146 147 148 149 150

Vgl. Homann 1991, S.107. Vgl. die Studien von Claypool/Fetyko/Pearson 1990 und Cottrill 1990. Vgl. Homann 1991, S.109-110. Vgl. Gröschner 1991, S.122. Vgl. Ulrich/Fluri 1995, S.68. Vgl. Enderle 1991, S.186. Vgl. Arni 1990, S.299; Homann 1991, S.107. Homann fügt an dieser Stelle im Hobbes'sehen Sinne noch hinzu: „...vorausgesetzt, daß auch andere dazu bereit sind“.

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Wirtschafts- und Untemehmensethik als ethische Reflexion der Ökonomie

Anreize in einer Marktwirtschaft dahingehend zu beeinflussen, daß ethisches Verhal­ ten möglich wird.151

3,5.4 Die Entdeckungsfunktion

Unternehmensethik, wie sie in dieser Arbeit verstanden wird, begnügt sich nicht damit, ein Korrektiv zu unbegrenztem unternehmerischem Erfolgsstreben zu sein.152 Vielmehr ist Untemehmensethik als „ein permanenter Prozess der umfassenden Reflexion über tragfähige und verantwortbare Grundlagen und Sinnbezüge (...) unternehmerischen Wirtschaftens“153 aufzufassen. Eine Untemehmensethik hat daher auch die Funktion, Notwendigkeiten und Möglichkeiten für untemehmensethisches Handeln wahrzuneh­ men.154 Beispielsweise stellt die Schaffung institutioneller Voraussetzungen im Unter­ nehmen selbst, die ethisches Handeln von Individuen oder Gruppen ermöglichen, eine solche Notwendigkeit dar.155 Strukturelle Mißstände im eigenen Unternehmen syste­ matisch zu suchen und sie zu beheben, ist offensichtlich eine Entdeckungsaufgabe.156 Die Entdeckungsfunktion der Untemehmensethik hat somit die Aufgabe, die Schnitt­ menge ethischer und zugleich ökonomischer Handlungsmöglichkeiten von Unterneh­ men zu vergrößern.157 Dazu gehört auch die Suche nach Möglichkeiten, ökonomische Nachteile bestimmter ethischer Handlungsaltemativen zu kompensieren.158 Ökonomische Nachteile ethisch orientierter Handlungen des Unternehmens im Rah­ men der Ersatz- und Entdeckungsfunktion können also zum einen außerhalb des Un­ ternehmens, durch eine staatliche Regelung innerhalb der Rahmenordnung kompensiert werden (Verbesserungsfunktion) und zum anderen, innerhalb des Unternehmens durch selbständiges, innovatives Vorgehen (Entdeckungsfunktion). Eine Untemehmensethik, die diese Aufgaben bzw. Funktionen so versteht und aktiv aufnimmt, „...begreift moralisch motivierte Notwendigkeiten und Erfordernisse nicht als Zumutung, sondern als Herausforderung an das Management“159.

Vgl. Ulrich/Fluri 1995, S.68. IS“ Vgl. Ulrich/Fluri 1995, S.67. Ulrich/Fluri sprechen in diesem Zusammenhang davon, daß Un­ ternehmensethik nicht nur als Gegengift" zu grenzenlosem ökonomischen Erfolgsstreben zu sehen sei. 153 Ulrich/Fluri 1995, S.67. 154 Vgl. Enderle 1987, S.438. 155 Vgl. Thommen 1990, S.311. 156 Vgl. Enderle 1987a, p.658. 157 Vgl. Thommen 1990, S. 310; Ulrich/Fluri 1995, S.66-68. 158 Vgl. Ruh 1991, S.214-216. Thommen verweist darauf, daß es keine empirische Belegung für die weitverbreitete Annahme gibt, ethisches Handeln führe zu einem gewinnschmälemden Ergebnis. Er führt weiter aus, daß es im Gegenteil zahlreiche Untersuchungen gibt, die zum Ergebnis kommen, daß gerade verantwortungsvoll handelnde Unternehmen sehr erfolgreich sind, vgl. Thommen 1990, S.306. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Ibrahim et al. 1991. 159 Homann 1991, S. 114.

Wirtschafts- und Unternehmensethik als ethische Reflexion der Ökonomie

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3.6 Konsequenzen aus der eigenständigen Rolle der Unternehmensethik Für das Verständnis heutiger Ansätze zur Wirtschafts- und Untemehmensethik ist de­ ren Einordnung in den ideengeschichtlichen Zusammenhang wichtig. Insbesondere bei der Betrachtung der deutschsprachigen Ansätze wird die Verbindung zu den Vorstel­ lungen der klassischen Ökonomie deutlich. Dadurch, daß sich die in der Neoklassik vorherrschenden Fragen der internen Effizienz des ökonomischen Systems verschoben haben - hin zu einer Betrachtung der externen Effekte auf Gesellschaft und natürliche Umwelt -, sind bei allen Ansätzen Gedankengänge der New Institutional Economics wiederzufinden.

Um die strategischen Implikationen der untemehmensethischen Ansätze untersuchen zu können, war es notwendig, grundlegend das Verhältnis von Wirtschaftsethik und Untemehmensethik zu klären. Nur eine klare Aufgabenverteilung ermöglicht die ei­ genständige Rolle der Untemehmensethik und damit eine Vorgabe für die Untemehmenspolitik. Die Handlungsbedingungen, die sich aus der marktwirtschaftlichen Rah­ menordnung ergeben, ermöglichen es den Unternehmen, die institutionellen Freiräume zu nutzen, um Untemehmensethik wirksam werden zu lassen. Diese Freiräume, die Untemehmensethik nicht nur ermöglichen, sondern sogar verlangen, führen in Verbin­ dung mit den inhärenten Defiziten jedweder Rahmenordnung zu den Aufgaben, denen sich eine praktische Untemehmensethik stellen muß. Es bedurfte der Klärung dieser Aspekte, um im folgenden die alternierenden Ansätze der Untemehmensethik auf ihre Eignung zu überprüfen, diesen Aufgaben gerecht zu werden. Herauszuarbeiten sind nun die damit verbundenen strategischen Implikatio­ nen, die für eine Erweiterung der Strategischen Untemehmensplanung um ethische Reflexion relevant sind.

Die Glaubwürdigkeit und gesellschaftliche Legitimierung der Unternehmen wird davon abhängen, inwiefern sie in der Lage sind, dieser Herausforderung zu begegnen.160

Vgl. Enderle 1987, S.435.

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

103

4 Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Unternehmensethik 4.1 Die amerikanische Business Ethics-Bewegung 4.1.1 Ausgangspunkt: Die sozio-kulturellen und philosophischen Grundlagen der Business Ethics-Bewegung Die amerikanische Business Ethics-Bewegung befaßt sich mit moralischen Aspekten sowohl der Wirtschaftsgestaltung als auch der Untemehmensführung.1 Motive und Ur­ sachen der Berücksichtigung moralischer Aspekte in Wirtschaft und Unternehmen lie­ gen in der sozio-kulturellen Situation der USA begründet. Hierbei lassen sich insbe­ sondere zwei Ursachenkomplexe ausmachen:

1. Die zunehmende Realisierung, daß eine Fülle tradierter Werte der amerikanischen Gesellschaft nicht mehr tragen oder rapide verfallen, hat zu einer Art 'moralischer Krise' geführt. Die sozio-ökonomische Existenz von Familien und die Entfaltungs­ möglichkeiten des einzelnen stehen im Mittelpunkt der Betrachtung, wobei aber letztlich keine individuelle oder gesellschaftliche Sphäre aus der Diskussion ausge­ nommen ist.2 Die Ausgangspunkte der moralischen Krise sind vielfältig:3 • • • • • •

Unsicherheit der Lebensumstände bis in die Mittelklassen hinein, rapide steigende urbane Kriminalität, mangelnde soziale Sicherungssysteme, mangelnde Leistung des Ausbildungssystems, soziale Dekomposition und Inkompatibilität multikultureller Wertesysteme.

Dieser Prozeß der abnehmenden Bindekraft tradierter Werte bei gleichzeitiger Di­ versifizierung neuer Wertemuster hat zu Reaktionen seitens politischer und staatli­ cher Institutionen sowie Unternehmen geführt. Unternehmen mit ethischem An­ spruch sehen ihre Existenz und Kultur gefährdet und übernehmen Verantwortung für ihr gesellschaftliches Umfeld, da sie erkennen, daß sie nur in einem 'gesunden' ge­ sellschaftlichen Umfeld überleben können.4 Insbesondere in einer multikulturellen Gesellschaft wie den USA ist nicht von vomeherein klar und gesichert, wie beste­ hende Wertemuster von Mitarbeitern aussehen und welche Wertemuster ein neuer Mitarbeiter mitbringt.5 Amerikanische Unternehmen begründen ihr Engagement in Ethik-Programmen daher auch oft damit, daß sie 'gute Bürger' sein wollen.6

1 2 3

4 5 6

Vgl. DeGeorge 1992, S.302. Vgl. Andrews 1989, p.100; Wieland 1993a, S.19. Vgl. Wieland 1993a, S.l9-20. Diese Aufzählung ist nicht als vollständig anzusehen, sondern gibt nur einige prominente Stichworte der z.T. erbittert geführten politischen Diskussion wieder. Vgl. Dahm 1989, S.128; Andrews 1990, S.29. Vgl. Wieland 1993a, S.20. Vgl. Schöllhammer 1977, p.29; Epstein 1989, pp.586-587.

104

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2. Die steigende Beschäftigung mit Business Ethics läßt sich auch auf das Rechtssy­ stem der USA zurückführen. Nicht allein die Existenz von Wirtschaftsskandalen, sondern insbesondere deren juristische und finanzielle Konsequenzen führten zu ei­ nem erhöhten Problembewußtsein.7 Die seit dem 1. November 1991 gültigen Tederal Sentencing Guidelines' mit dem Schwerpunkt 'Chapter Eight: Sentencing of Organizations' zielen ab auf einen Zuwachs der finanziellen Verantwortlichkeit aller Arten von Organisationen für ungesetzliches Handeln ihrer Akteure. Die Stra­ fen können sich auf mehrere hundert Millionen Dollar belaufen, sofern das Unter­ nehmen nicht nachweisen kann, daß es institutionalisierte Maßnahmen ergriffen hat, die ein gesetzeskonformes Handeln ihrer Mitglieder sicherstellen sollen. Für den Nachweis eines installierten Ethik-Programms, das in den 'Sentencing Guidelines' detailliert beschrieben ist, kann ein Richter auf eine Strafverminderung zwischen 20% und 60% sowie bei Selbstanzeige des Unternehmens auf eine Verringerung um 80% bis 95% erkennen.8 Die Business Ethics-Diskussion wird in den USA auf mehreren Ebenen geführt. Die praktischen Erfahrungen und Erfordernisse der Unternehmen fließen ebenso mit ein, wie die Arbeit von Wissenschaftlern aus den Unterschiedlichsten Disziplinen oder der Beitrag von nicht-akademischen 'Centers for Ethics'. Die Erörterung moralischer Aspekte des Wirtschaftens wird auf so breiter Basis geführt, daß sich ein durchgängi­ ger, einheitlicher philosophischer Ausgangspunkt nicht klar definieren läßt.9 Bei Durchsicht der Literatur wird jedoch ein Übergewicht teleologischer, insbesondere utilitaristischer Ansätze erkennbar.10

Nach teleologischer Auffassung bestimmt sich der Wert einer Handlung allein aus den damit verbundenen Konsequenzen, die anhand eines höchsten Ziels bewertet werden. Somit sind nicht die Ziele und Mittel entscheidend, sondern die mit einer Entscheidung verbundenen Wirkungen.11 Je nachdem, worauf sich die Konsequenzen beziehen, las­ sen sich zwei Formen innerhalb des teleologischen Ansatzes unterscheiden, der Ego­ ismus und der Utilitarismus. Der egoistisch-teleologische Ansatz spielt in der Business Ethics allerdings keine Rolle und soll hier deshalb nicht weiter betrachtet werden. Der Utilitarismus hat seit Bentham und später J.S. Mill im angelsächsischen Sprachraum eine große moralphilosophische Bedeutung erlangt, die auch heute noch für die Busi­ ness Ethics-Bewegung gilt.12 Laut Bentham werden menschliche Entscheidungen und Handlungen durch das Nützlichkeitsprinzip bestimmt, demzufolge Handlungen allein nach ihrem Nutzen beurteilt werden. Maßstab des Nutzens ist das 'größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl'.13 Mill bezieht neben der Quantität des Glückskal­ 7 8 9 10 11 12 13

Vgl. Hencke et al. 1987; Dalton/Kesner 1988; Brooks 1989, pp.31-33; Stead/Worrell/Stead 1990, p.233; Vogel 1992, pp.30-37;. Vgl. Wieland 1993a, S.21-22. Vgl. Bahm 1983, p. 107; Hansen 1992, pp.523-526; Puffer/McCarthy 1995, p.31. Vgl. Beauchamp/Bowie 1988, p.27; DeGeorge 1990, pp.43-61; Reidenbach/Robin 1990, p.649. Vgl. Kutschera 1982, S.63, Buchholzl989, pp.48-49. Vgl. Hoffmann 1910; Fritsch 1983, S.26-30; Beauchamp/Bowie 1988, p.25. Vgl. Anzenbacher 1992, S.34; Nill 1993, S.l 17; Cavanagh 1994, p. 141; Kreikebaum 1996, S.76. Zur Kritik an Benthams Position vgl. Rusche 1996.

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105

küls (das Mehr oder Weniger der Tust'), auch die Qualität (das Besser oder Schlech­ ter der 'Lust') mit ein.14 Hinter beiden Konzeptionen stehen vier konstitutive Teilprin­ zipien:15

• das Konsequenzenprinzip der teleologischen Theorie, • das Utilitätsprinzip, das die Folgen einer Handlung anhand des Nutzens des 'in sich Guten' beurteilt, • das Hedonismusprinzip, welches das 'in sich Gute' als die Befriedigung menschli­ cher Bedürfnisse und Interessen - also der Lust, der Freude und des Glücks - defi­ niert, und • das Sozialprinzip, das den egoistischen Hedonismus ablehnt und das Glück aller von der Handlung Betroffenen fordert. Neben dem teleologisch geprägten Utilitarismus finden auch deontologische Theorien Berücksichtigung in der Business Ethics-Diskussion.16 Deontologische Theorien rich­ ten ihr Augenmerk nicht auf die Konsequenzen einer Handlung, sondern auf den mo­ ralischen Wert einer Handlung an sich, losgelöst von deren Folgen.17 Auch hier lassen sich zwei Richtungen, der absolut- und der konditional-deontologische Ansatz, unter­ scheiden. Zu den Hauptvertretem der absolut-deontologischen Ethik zählt Kant, des­ sen 'Kategorischer Imperativ' den Grundgedanken dieser Richtung prägnant darstellt.18 Zwar sind Kants philosophische Theorien insbesondere im deutschen Sprachraum vertreten, aber auch bei einigen Ansätzen der Business Ethics-Bewegung finden sich entsprechende Verbindungen.19 Vor allem konditional-deontologische Ansätze, die unter gewissen Umständen eine Verletzung des Moralprinzips zulassen, finden in der Business Ethics-Bewegung in Form von Gerechtigkeitstheorien Anklang. Hierbei ste­ hen die Theorien des amerikanischen Philosophen Rawls im Vordergrund. Aus der Kritik am nutzenmaximierenden Kalkül des Utilitarismus heraus, welches Fra­ gen der distributiven Gerechtigkeit außer acht läßt, entwickelte Rawls die Theory of Justice', in der er Gerechtigkeit als Fairneß begreift.20 Rawls entwickelt seine Posi­ tion in ausdrücklichem Gegensatz zu den Utilitaristen, die Handeln dann als gerecht auszeichnen, wenn dadurch der Nutzen (bzw. das Glück) der Allgemeinheit steigt. Nach Rawls Auffassung sei Handeln nicht dann gerecht, wenn es das Gute maxi­ miere, sondern es sei dann gut, wenn es gerecht sei.21 Um Gerechtigkeitsmaßstäbe festlegen zu können, greift Rawls zu dem Kunstbegriff des 'Schleiers des Nichtwis­ sens', der sich über das Wissen der Menschen bezüglich ihrer realen sozialen Stellung 14 15 16 17 18

19 20 21

Vgl. Goodchild 1986, pp.493-494; Rohls 1991, S.346-347. Vgl. Anzenbacher 1992, S.32-33. Vgl. Brady 1988; Byron 1988. Vgl. Bowie 1982, p. 10; Buchholz 1989, p.52; Etzioni 1994, S.39-40. Vgl. Störig 1993, S.411-413 und S.435. Kants Kategorischer Imperativ lautet: 'Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne'. Kant 1989, S.35. Vgl. DeGeorge 1990, pp.58-60; Velasquez 1992, pp.79-87. Vgl. Rawls 1958, ppi64-194; Rawls 1988, p.560; Rawls 1991, S.336. Vgl. Rawls 1975, pp.537-552; Rawls 1991, S.42.

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106

legt. In diesem Zustand werden Regeln des Zusammenlebens festgelegt, denen alle Beteiligten zustimmen könnten, unabhängig davon, welche soziale Stellung der ein­ zelne dann tatsächlich einnimmt. Da jeder einzelne daran interessiert sein wird, die Regeln so festzulegen, daß er sie auch im realen Leben als gerecht empfinden kann und er schließlich nicht weiß, welche Stellung er dort einnimmt, werden auf diese Weise Partikularinteressen und Privilegien ausgeschlossen.22 Mit anderen Worten: Der 'Schleier des Nichtwissens' sorgt für Unparteilichkeit und somit für gerechte Regeln. Die folgende Abbildung faßt den philosophischen Hintergrund der Business EthicsBewegung noch einmal zusammen. Teleologische Ansätze

Egoismus

Prinzipien

Vertreter

# # # #

Utilitarismus

Konsequenzenprinzip Utilitätsprinzip Hedonismusprinzip Sozialprinzip

Bentham/Mill

Deontologische Ansätze

absolutdeontologisch

konditionaldeontologisch

# Kategorischer Imperativ

# Gerechtigkeitsprinzip

Kant

Rawls

Abbildung 4-1: Philosophischer Hintergrund der Business Ethics-Bewegung

Quelle: Eigene Darstellung

4.1.2 Hauptströmungen der Business Ethics-Bewegung Die Business Ethics-Bewegung entwickelte sich aus dem Social Responsibility-Ansatz, der sich in den 60er Jahren in den USA etablierte und sich im wesentlichen mit der sozialen Verpflichtung der Wirtschaft gegenüber der Gesellschaft befaßte.23 Mitte der 80er Jahre setzte sich 'Business Ethics' als selbständiges Forschungsgebiet und universitäres Lehrfach in den USA durch.24 Seitdem ist die Beschäftigung mit Business Ethics stetig angewachsen. Zahlreiche amerikanische Lehrbücher, eigenständige Fach­ zeitschriften, Seminarangebote, Gründungen akademischer Forschungszentren, kirchli­ cher und universitärer Ethikzentren und die Institutionalisierungsbemühungen vieler amerikanischer Unternehmen zeugen von der großflächigen Verbreitung der Business

22 23 24

Vgl. Rawls 1991, S.34-39. Vgl. auch die Erläuterungen zu Rawls in Kley 1983 und Kreikebaum 1996, S.78-81. Vgl. Meznar/ Chrisman/ Carroll 1991, pp.49-52. Vgl. Dyllick 1986; DeGeorge 1987, pp.202-203.

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107

Ethics-Bewegung.25 Eine Folge dieser intensiven Entwicklung ist die Vielzahl von Vorstellungen über den Gegenstand und Zweck der Business Ethics, ohne daß bislang ein zusammenhängendes wissenschaftliches Fachgebiet existiert.26 Hoffman/Mills Moore geben eine Definition der Business Ethics, die den in allen Ansätzen vorfindbaren Pragmatismus und die starke Anwendungsorientierung zum Ausdruck bringt: „Business ethics is a branch of applied ethics; it studies the re-lationship of what is good and right to business“27. Der Fokus liegt dabei auf der individuell-personalen (Mikroebene) und der organisationalen Handlungsebene (Mesoebene), während die gesamtwirtschaftliche und gesellschaftliche Ebene (Makroebene) weniger Beachtung findet.28

Aufgrund der herrschenden Vielfalt an theoretischen Ansätzen zum Thema Business Ethics und einer nicht vorhandenen Systematisierung29 sollen nun vier Ansätze ausge­ wählter Autoren dargestellt werden. • • • •

Management of Values - der Ansatz von McCoy. Ethics of Organization - der Ansatz von GOODPASTER. Moral Rights - der Ansatz von VELASQUEZ. Corporate Social Policy Process - der Ansatz von EPSTEIN.

Die vier genannten Ansätze können als stellvertretend für die Hauptströmungen der Business Ethics angesehen werden, da in fast allen anderen Veröffentlichungen Kemgedanken dieser Ansätze aufgegriffen werden.30 Management of Values - Der Ansatz von McCoy

McCoy begreift Ethik als einen integralen Bestandteil untemehmenspolitischer Ent­ scheidungsprozesse: „Making decisions and shaping policies in a business (...) involve choosing among competing purposes and values“31. Dahinter steht die Überzeugung, daß Ethik und ökonomische Sachrationalität nicht voneinander zu trennen sind und es mithin nur eine praktische Vernunft gibt. McCoy definiert Ethik im unternehmerischen Kontext daher folgendermaßen: „Reflecting on the choices to be made and developing criteria for ordering priorities among values and goals is what we mean by ethics in corporate policy“32. Ziel des Ansatzes ist die Berücksichtigung verschiedener Werte und Interessen im Rahmen der Untemehmenspolitik, um dadurch den Aufbau einer gemeinsam erarbeiteten und geteilten Untemehmenskultur zu ermöglichen. Bei den zu 25 26 27 2K

29 30 31 32

Vgl. Klein 1985, pp.71 -72; DeGeorge 1986, pp.421-425; Schlegelmilch 1990, S.366; Kreikebaum 1996, S.39-41. Vgl. Lewis 1985; Goodchild 1986, pp.488-491; Staffelbach 1994, S.201. Hoffman/Mills Moore 1990, p. 1. Vgl. Brummer 1985, pp.82-90; Beversluis 1987, pp.83-87. Zu einer Kritik an dieser Position vgl. DeGeorge 1989. Vgl. Randall/Gibson 1990; Brenner 1992, pp.393-394. Vgl. u.v.a. Buchholz 1989; Dahm 1989; Tsalikis/Fritzsche 1989; Salbu 1993; Nicholson 1994; Staffelbach 1994, S.201-213; Kreikebaum 1996, S.l45-151. McCoy 1985, p.8. McCoy 1985, p.40.

108

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berücksichtigenden Werten handelt es sich nicht nur um rein quantitative Werte wie z.B. Gewinnorientierung, sondern um eine Vielzahl unterschiedlicher Werte.33 McCoy unterteilt diese Werte in sogenannte Wertegruppen, die 'goal related values', 'operational values' und 'fundamental core values', die wiederum aus mehreren Ein­ zelwerten bestehen. 'Goal related values' beinhalten z.B. competition, creativity, inno­ vation, risk taking, planning und survival.34 Ausgehend von einer Absichtserklärung der Untemehmensführung werden die Mitar­ beiter in Form von Diskussionsgruppen an der Entwicklung von gemeinsamen Wert­ vorstellungen beteiligt.35 Diese partizipative Form des 'Wertemanagements' sieht McCoy als Voraussetzung dafür an, daß auf allen Untemehmensebenen das Ver­ ständnis, die Akzeptanz und die Verinnerlichung der Werte erfolgen kann. Ein partizi­ pativer Managementstil ermöglicht den Aufbau einer Untemehmenskultur, mit der sich die Mitarbeiter aller Bereiche identifizieren, wobei Partizipation jedoch nicht bedeutet, daß die Unternehmensleitung dadurch von ihrer Verantwortung für die Implementie­ rung einer Ethik entbunden sei.36

Die Untemehmenskultur als gemeinsames Wertesystem ermöglicht erst ethische Re­ flexion im Unternehmen, die McCoy als 'Corporate Ethics' bezeichnet. Für die Ent­ wicklung, Implementierung und kontinuierliche Pflege der Untemehmensethik werden drei Faktoren benötigt, die McCoy in einem triadischen Ansatz darstellt:37 1. Policy-Making Arena'. Die Entscheidungsträger des Unternehmens mit ihren per­ sönlichen, praktischen Erfahrungen bilden den untemehmenspolitischen Erfah­ rungshintergrund. 2. Social Sciences: Erkenntnisse aus den Sozialwissenschaften, insbesondere der Or­ ganisationstheorie. 3. Ethical Studies: Philosophische Erkenntnisse, insbesondere solche mit direktem Be­ zug zum unternehmerischen Kontext (Theorie der Untemehmensethik).

Die sozialwissenschaftlichen und ethischen Erkenntnisse sollen dabei durch Experten repräsentiert werden, die zusammen mit der Unternehmensleitung eine Arbeitsgemein­ schaft bilden.38 Die Aufgabe besteht darin, den einzelnen Mitarbeiter für die Wahr­ nehmung und Berücksichtigung ethischer Aspekte im alltäglichen Entscheidungspro­ zeß zu sensibilisieren und somit eine Verfahrensethik ('Policy Ethics') zu ermögli­ chen.39

33 34 35 36 37 38 39

Vgl. McCoy 1985, p.9. Vgl. McCoy 1985, pp. 102-120; Center for Ethics and Social Policy 1986. Vgl. McCoy 1992, S.9. Vgl. McCoy 1985, pp.220-221; Dreilinger 1996, pp.2 und 6. Vgl. McCoy 1985, pp.23-24; Kreikebaum 1996, S.149. Vgl. McCoy 1985, p.7. Vgl. McCoy/Juergensmeyer/Twining 1975. Das Ziel der ethischen Sensibilisierung erfordert, daß man ethische Sachverhalte nicht nur wahmehmen, sondern auch sprachlich ausdrücken kann. Da die Mitarbeiter damit in der Regel nicht vertraut sind, benötigen sie Unterstützung durch Schulungen. Vgl. McCoy 1985, pp.39-40.

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Ethical Studies

Abbildung 4-2: Der triadische Ansatz zur Entwicklung einer Verfahrensethik Quelle: McCoy 1985, p.23

Eine wesentliche Aufgabe, die mit der gezielten Beeinflussung der Untemehmenskultur einhergeht, besteht für die Unternehmensleitung darin, die Wertvorstellungen der externen und internen Anspruchsgruppen einer kontinuierlichen Analyse zu unterzie­ hen. Dies ermöglicht es dem Management, mögliche Gefahren zu antizipieren und Konsequenzen möglicher Entscheidungen besser abzuschätzen.40 Als Unterstützung für die Analyse der Werte, Interessen und Forderungen der Anspruchsgruppen schlägt McCoy die 'Social Values Systems Analysis' vor. Nach seiner Auffassung lassen sich die verschiedenen Wertvorstellungen einzelnen 'Values Systems' zuordnen, die sich jeweils durch eine bestimmte gesellschaftliche Perspektive auszeichnen.41 Dabei be­ steht die Aufgabe des Managers zunächst einmal in der Analyse der Werte, die er in einem nächsten Schritt einem bestimmten Values System zuordnet, um abschließend die wesentlichen Charakteristika dieser Wertesysteme zu beschreiben. Diese Systema­ tisierung soll ihm helfen, aus den jeweiligen Wertvorstellungen die für die Untemehmenspolitik relevanten Werte und ihre möglichen Folgen für das Unternehmen zu er­ mitteln.42 Ethics of Organization - Der Ansatz von GOODPASTER

Im Mittelpunkt dieses Ansatzes steht die Frage, ob Unternehmen als Organisationen ein Gewissen besitzen können.43 Goodpaster bejaht dies und vollzieht damit einen Perspektivenwechsel von der Mikro- zur Mesoebene.44 Die Mesoebene konzentriert sich auf das Handeln des Unternehmens, das sie als institutionelle Handlungseinheit Vgl. McCoy 1985, pp.2O8-211 und 244. Vgl. McCoy 1985, pp. 174-175. McCoy hebt dabei insbesondere drei Wertesysteme mit ihren jeweiligen Spezifika heraus: das 'Smithian', das 'Humanitarian' und das 'Communitarian Values System'. 42 Vgl. McCoy 1985, p. 161. 43 Vgl. Abschnitt 3.3. 44 Vgl. Goodpaster/Matthews 1982, p.132.

40 41

no

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versteht. Goodpaster teilt somit die Auffassung von Enderle, wonach das Gesamtuntemehmen mehr als nur die Summe seiner Elemente ist und als moralischer Akteur eine eigenständige Organisationsmoral besitzt.45

Der Begriff der individuellen Verantwortung ist fur GOODPASTER der Ausgangspunkt bei der Frage nach dem moralischen Status eines Unternehmens. Aufgrund ihrer Fä­ higkeit zum 'moral reasoning', dem Durchdenken von Handlungsaltemativen auf der Grundlage eines bestimmten 'moral point of view', tragen Manager Verantwortung für ihr Handeln. Goodpaster unterscheidet dabei bezogen auf die Komplexität des mora­ lischen Problems zwei Arten des 'moral reasoning': zum einen den 'moral common sense' und zum anderen das 'critical thinking'. Der 'moral common sense' basiert auf anerkannten moralischen Regeln, so daß seine Anwendung bei einfachen moralischen Konflikten ausreicht. Bei mehrdeutigen komplexen Konflikten versagt er jedoch, so daß das 'critical thinking' erforderlich wird.46

Abbildung 4-3: GOODPASTERS Konzept der Business Ethics Quelle: Eigene Darstellung

45 46

Vgl. Goodpaster 1991, pp. 100-101; Enderle 1987, S.439. Vgl. Goodpaster 1985, p.496.

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111

Auch Unternehmen können nach GOODPASTER im übertragenen Sinne einen 'moral point of view' einnehmen, was sich z.B. in Umweltschutzmaßnahmen oder einer par­ tizipativen Personalpolitik äußert. Da das Unternehmen als eigenständiger Verantwor­ tungsträger betrachtet wird, fordert GOODPASTER, daß das Unternehmen als institu­ tionelle Einheit überindividuelle Normen festlegt (corporation as a moral agent) und überdies einen institutioneilen Rahmen schafft, in dem individualethisches Handeln möglich ist (corporation as a moral environment).47 Die Verantwortung beschränkt sich nicht ausschließlich auf die Ausrichtung an den Erfordernissen des Marktes oder der Gesetzgebung, sondern setzt eine darüber hinausgehende (Teil-) Autonomie vor­ aus. Die moralische Verantwortung liegt also nicht in der unsichtbaren Hand des Marktes, sondern in 'the hand of management'.48 Nach diesem Verständnis ergeben sich drei Aufgaben für die Unternehmensleitung:49

1. Orienting: Die Ausrichtung der Untemehmensstrategien an ethischen Wertvorstel­ lungen. Dazu müssen die im Unternehmen bereits existierenden Werte durch Beob­ achtung, Kommunikation und Analyseinstrumente erfaßt und gegebenenfalls geän­ dert werden. 2. Institutionalizing: Die Werte müssen institutionalisiert werden, um ihre Verinnerli­ chung bei allen Untemehmensmitgliedem zu erreichen. Hierfür muß die Unterneh­ mensleitung eine Leitbildfunktion mit Visionen und klaren ethischen Vorstellungen übernehmen. Außerdem müssen moralische Standards bzw. Kodizes eingeführt und in regelmäßigen Abständen überprüft werden. 3. Sustaining: Die Aufrechterhaltung ethischer Leitlinien über die nachfolgenden Ma­ nagergenerationen hinweg. Eine wesentliche Rolle spielen dabei die Auswahl und Weiterbildung von Führungskräften, Akquisitionen und Desinvestitionen in be­ stimmte Geschäftseinheiten sowie die Öffentlichkeitsarbeit.

Goodpaster fordert eine 'ethical awareness' der Unternehmensleitung, die zur Über­ nahme von externer und interner Verantwortung führt. Unter externer Verantwortung versteht er dabei z.B. Aktionen in den Bereichen Umweltschutz, Produktsicherheit oder Wahrheit in der Werbung. Interne Verantwortung bezieht sich u.a. auf die Per­ sonalpolitik, die Schaffung von Anreizen und Strukturfragen.50 Moral Rights - Der Ansatz von VELASQUEZ

Im Gegensatz zu GOODPASTER lehnt VELASQUEZ eine Institutionenethik ab. Für ihn umfaßt Verantwortung im wesentlichen den Aspekt, jemanden für die Folgen seiner Entscheidungen und Handlungen zur Rechenschaft zu ziehen. Wird jedoch entspre­ chend der Institutionenethik das Unternehmen als Institution für die Folgen eines Fehl47 48 49 50

Vgl. Goodpaster 1985a, p.494; Goodpaster 1989, pp.89-99. Zur Kritik an dieser Forderung vgl. Gilbert 1991. Vgl. Goodpaster/Matthews 1982, p. 135; Derry 1991, pp. 130-135. Vgl. Goodpaster 1991, pp.99-106. Vgl. Goodpaster 1987, pp.3-5; Goodpaster 1994, pp.58-60.

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verhaltens sanktioniert, besteht die Gefahr einer Wiederholung, da nicht die eigentlich verantwortliche Person zur Rechenschaft gezogen wurde.51

Quelle: Eigene Darstellung

Ausgangspunkt bei VELASQUEZ sind 'moral standards', die die Grundlage des 'moral reasoning' darstellen, welches darüber entscheidet, was als gut bzw. schlecht anzuse­ hen ist.52 Bevor ein Mensch jedoch überhaupt moralische Normen versteht und be­ folgt, muß er eine moralische Entwicklung durchmachen. VELASQUEZ stützt sich hier­ bei auf das Phasenschema nach KOHLBERG, das die moralische Entwicklung des Men­ schen vom Kleinkind bis zum Erwachsenen darstellt. Es beschreibt die Entwicklung moralischer Kompetenz als Ablauf auf drei Niveaus, die jeweils in zwei Phasen unter­ teilt sind. Erst auf der letzten Ebene, dem postkonventionellen Level, ist das Indivi-

1 2

Vgl. Velasquez 1988, pp.70 und 75. Vgl. Velasquez 1992, p. 16.

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duum in der Lage, erlernte Normen zu hinterfragen und nach zugrundeliegenden Theorien zu untersuchen.53

Velasquez unterscheidet drei grundlegende Typen von 'moral standards': den 'utilitarian moral standard', den 'moral rights standard' und den 'standard of justice'.54 Der 'utilitarian standard' soll vom Entscheidungsträger hinzugezogen werden, wenn keine Möglichkeit besteht, die Interessen jedes Betroffenen in Erfahrung zu bringen. Die Entscheidung orientiert sich dann am Wohlergehen der Gesamtheit.55

Sind die betroffenen Personen jedoch identifizierbar, findet der 'moral rights standard' Anwendung. Er überprüft, ob die grundlegenden moralischen Werte respektiert wur­ den und das eigene Verhalten mit Vereinbarungen und speziellen Pflichten überein­ stimmt. Unter moralischen Rechten versteht VELASQUEZ Rechte, die auf moralischen Normen und Prinzipien beruhen und zu bestimmten Handlungen ermächtigen. Die wichtigsten moralischen Rechte sind mit Forderungen bzw. Verboten für andere Per­ sonen verbunden, damit der einzelne seine Interessen frei verfolgen kann. Es handelt sich dabei z.B. um die Verpflichtung, die Freiheit seiner Mitmenschen zu respektie­ ren.56 Der 'standard of justice' sollte Vorrang bei Fragen der Verteilung von Nutzen und Schaden unter den Mitgliedern einer Gruppe haben. Im Vordergrund stehen dabei Fra­ gen der distributiven Gerechtigkeit.57 Da die distributive Gerechtigkeit Grundlage ver­ schiedener Kategorien von Gerechtigkeit ist,58 kommt ihr besondere Bedeutung im Rahmen der Gerechtigkeitstheorien zu. In der Literatur findet sich eine Fülle an Vor­ stellungen über Gegenstand und Prinzipien distributiver Gerechtigkeit. Velasquez greift auf den Ansatz von Rawls zurück, da es ihm seiner Meinung nach gelungen ist, die zahlreichen Aspekte zu einem logischen Ganzen zu verknüpfen.59 Wie bereits er­ wähnt, begreift Rawls Gerechtigkeit als Fairneß und unterscheidet dazu zwei grund­ legende Prinzipien. Das erste Prinzip verlangt die größtmögliche gleiche Freiheit für alle. Das zweite Prinzip betrifft soziale und ökonomische Ungleichheiten und umfaßt zwei weitere Prinzipien: das Differenzprinzip, das Ungleichheiten nur soweit zuläßt, wie den am schlechtesten Gestellten der höchstmögliche Vorteil verschafft wird, und das Prinzip fairer Chancengleichheit in sozialen und wirtschaftlichen Fragen.60

53

54 55 56 57 58

59 60

Vgl. Kohlberg 1976, pp.31-53; Velasquez 1992, pp.26-31; Behnam/Würthner 1996, S.l 1-12 und Abschnitt 5.2.2. Vgl. Velasquez 1992, p. 103; Velasquez 1994. Vgl. Velasquez 1992a, pp.28-30; Velasquez 1992, pp.60-72. Vgl. Velasquez 1992, pp.73-79. Vgl. Velasquez 1992, p.104. Distributive Gerechtigkeit kommt auch in kompensatorischen, kommutativen und retributiven Gerechtigkeitsvorstellungen zum Ausdruck. Unter kompensatorisch ist 'ausgleichend', unter kommutativ ist 'ersetzend' und unter retributiv ist 'wiedererstattend' zu verstehen. Vgl. Velasquez 1992, pp.88-103; Kreikebaum 1996, S.150-151. Vgl. Rawls 1988, pp.562-563; Rawls 1988a, pp.260-268.

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Obwohl die 'moral standards' von unterschiedlicher Bedeutung für das jeweilige mo­ ralische Problem sein können, betont Velasquez die Notwendigkeit, alle drei im Rahmen des 'moral reasoning' zu berücksichtigen.61

Corporate Social Policy Process - Der Ansatz von EPSTEIN In den USA stehen seit den 60er Jahren die Konzepte der 'Corporate Social Respon­ sibility' bzw. 'Corporate Good Citizenship' und der 'Corporate Social Responsive­ ness' im Fokus der Diskussion über die soziale Verantwortung von Unternehmen.62 Epstein fügt in seinem Ansatz des 'Corporate Social Policy Process' wesentliche Ge­ danken dieser Konzepte mit Kemgedanken der Business Ethics zusammen.63

Die genannten Konzepte betonen durchgängig, daß die Gesetzgebung alleine nicht ausreicht, um die Einhaltung elementarer gesellschaftlicher Werte und moralischer Standards im Wirtschaftsalltag zu gewährleisten.64 Es handelt sich um normative Kon­ zepte, die das Management dazu auffordem, die moralischen Wertvorstellungen des Umfeldes zu analysieren, zwischen eventuell konfligierenden Werten abzuwägen und schließlich das gewählte Wertesystem in ihre Entscheidungsfindung einzubeziehen.65 Die Ansätze berücksichtigen dabei die Dynamik von WertVorstellungen, die konti­ nuierlichen Veränderungen unterliegen und daher ein permanentes Beobachten und Anpassen seitens der Unternehmensleitung erfordern.66

Um Epsteins Konzept zu verstehen, seien die einzelnen Bausteine aus seiner Sicht kurz erläutert. So versteht er Business Ethics als „...value based reflection and choice concerning the moral significance of individual and organizational action by business decision makers“67. Der Corporate Social Responsibility-Ansatz befaßt sich mit der sozialen Verantwortung der Unternehmen. Dabei werden Untemehmensaktivitäten verfolgt, deren Ziel es ist, sich positiv auf die von Untemehmensentscheidungen Be­ troffenen auszuwirken.68 Damit knüpft der Corporate Social Responsibility-Ansatz an die Konzeption des Corporate Good Citizenship an, in dessen Vordergrund die Ver­ antwortung für das gesellschaftliche Umfeld steht, das nicht direkt von Untemehmens­ entscheidungen betroffen ist.69 Der Schwerpunkt liegt dabei auf kommunalem Enga­ gement wie z.B. Schulspenden oder Finanzierung öffentlicher Gebäude.70 Im Vorder­ grund des Corporate Social Responsiveness-Ansatzes steht die Fähigkeit des Mana­ 61

62 63 64 65 66 67 68 69 70

Vgl. Velasquez 1992, pp. 104-105. Zu praktischen Konsequenzen am Beispiel der Produktver­ antwortung vgl. Velasquez 1988a, pp.204-213. Vgl. Frederick 1986, pp. 130-136. Vgl. Epstein 1989, p.586. Vgl. Epstein 1989, p.584. Vgl. Epstein 1986, p. 14. Vgl. Epstein 1989, p.584. Epstein 1986, p.33. Vgl. Epstein 1987, p. 104. Vgl. Epstein 1989, p.588. Vgl. Epstein 1989, pp.591-593. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Schöllhammer 1977; Kraft/Hage 1990, pp. 12-18; Michalos 1995, pp. 149-151.

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gers, für die Interessen der von unternehmerischen Aktivitäten Betroffenen offen zu sein und sie gegebenenfalls auch zu erfüllen. Dabei konzentriert sich der Ansatz auf die Frage, wie Unternehmen gesellschaftliche Anforderungen berücksichtigen bzw. erfüllen können. Instrumente wie Issue Management', 'Codes of Ethics' oder 'Environmental Scanning' sollen ein proaktives moralisches Verhalten ermöglichen.71 Epstein greift die Schlüsselelemente dieser Ansätze auf und entwickelt den Corporate Social Policy Process, der als gesellschaftspolitischer Prozeß innerhalb des Unterneh­ mens zu verstehen ist. Dabei betont er die strukturellen, personellen, prozessualen und instrumenteilen Voraussetzungen, die für eine Integration der verschiedenen Konzepte notwendig sind und fordert das Management zu proaktivem Verhalten und einem par­ tizipativen Managementstil auf.72 Anhand seiner Wortbestandteile läßt sich der Corporate Social Policy Process folgen­ dermaßen beschreiben:73 • Corporate bedeutet, daß nicht nur das Verhalten des Unternehmens als Ganzes, sondern auch die Summe der Handlungen der einzelnen Entscheidungsträger be­ rücksichtigt werden. • Social bezieht sich auf sämtliche ökonomischen, politischen und sozialen Folgen unternehmerischer Handlungen. • Policy wird in diesem Zusammenhang als Verhaltensrichtlinien verstanden. • Process bezieht sich auf das System zur Festlegung, Implementierung und Bewer­ tung der Untemehmenspolitik.

Grundlage des Corporate Social Policy Process sind acht Schlüsselelemente, deren Beachtung die Unternehmensleitung besondere Aufmerksamkeit schenken sollte. Die folgende Abbildung zeigt die Prozeßelemente auf.

71 72 73

Vgl. Epstein 1986, p.25. Vgl. Epstein 1987a. Vgl. Epstein 1989, p.588; Kreikebaum 1996, S.146.

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Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

Abbildung 4-5: Epsteins Konzept des Corporate Social Policy Process

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Epstein 1986, pp.34-37

4.1.3 Strategische Implikationen

Eine Konsequenz, die sich aus der Diskussion um Business Ethics für Unternehmen ergibt, besteht darin, daß die Untemehmensführung neben den ^klassischen' Aufgaben um einen weiteren Aspekt erweitert wird.74 „Den Unternehmen wächst hier eine völlig neue Aufgabe zu. Sie müssen selbst Normativität produzieren, und das heißt, klarzu­ stellen, was die Werte des Unternehmens sind und deren Durchsetzung und Einhaltung betreiben.“75

Die mehrfach erwähnte Tatsache, daß keine klare Systematisierung der Business Ethics-Bewegung vorliegt, führt weniger zu konkreten als vielmehr zu eher allgemei­ nen Aussagen über Implikationen der Business Ethics-Bewegung für die Untemeh74 75

Vgl. Arthur 1987, pp.65-67; Freeman/Gilbert 1991, S.39-40. Wieland 1993a, S.21.

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

117

mensführung. Dennoch lassen sich aus der Fülle der Literatur einige Tendenzen erken­ nen, welche Aspekte für die Strategische Untemehmensführung Bedeutung erlangen und zwar unabhängig vom jeweils gewählten Ansatz der Business Ethics.

Die Entwicklung konsensfähiger Untemehmensstrategien ist wesentlich von der Wahrnehmung des Managements bezüglich gesellschaftlicher Entwicklungen abhän­ gig. Da gesellschaftliche Werte auch über Mitarbeiter des Unternehmens repräsentiert werden und die eigene Untemehmenskultur ebenfalls wertgebunden ist, gerät die stra­ tegische Analyse der Umweltbedingungen und Untemehmensaktivitäten in den Mittel­ punkt des Interesses.76 Entsprechend der vorgestellten Ansätze muß die herkömmliche Umweltanalyse um eine systematische Analyse der Issues bzw. Interessen und Forde­ rungen der unterschiedlichen Anspruchsgruppen des Unternehmens erweitert werden. Als Grundlage dafür bietet sich das "Stakeholder-Konzept" an. Für den Begriff des "stakeholder" hat sich die Definition von FREEMAN/ Reed in der englischsprachigen Literatur durchgesetzt: „Any individual group or individual who can affect the achie­ vement of an organization"s objectives“77. FREEMAN unterscheidet in seinem Konzept eine "Stakeholder Analysis", "Value Analysis" und "Societal Issues Analysis".78 Die Analyse beschränkt sich also nicht nur auf die Identifizierung der Anspruchsgruppen und ihrer Forderungen, sondern beinhaltet auch die Berücksichtigung der Werte ein­ zelner Anspruchsgruppen und gesellschaftlicher Entwicklungen.79 Die folgende Abbil­ dung zeigt die Fülle möglicher Beziehungen zwischen Anspruchsgruppen und Unter­ nehmen auf, wobei zu beachten ist, daß auch unter den Anspruchsgruppen selbst Be­ ziehungen bestehen können.80

76 77

78 79 80

Vgl. Robin/Reidenbach 1989, pp.81-84. Freeman/Reed 1983, p.91. In der deutschsprachigen Literatur wird der Begriff des Stakeholders u.a. mit Bezugsgruppe, Anspruchsgruppe oder Interessengruppe übersetzt. Vgl. hierzu Behnam/Muthreich 1995, S.4-5. Vgl. Freeman 1984, p.92; Freeman/Gilbert/Hartman 1988, pp.830-831. Vgl. Paul 1987, p.102; Cavanagh/McGovem 1988, pp.22-23; Behnam/Muthreich 1995, S.l6. So können Mitarbeiter z.B. gleichzeitig Kunden des Unternehmens sein und Aktivisten in einer Umweltschutzgruppe.

118

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

Abbildung 4-6: Das Unternehmen und seine Anspruchsgruppen Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Freeman 1984, p.25

Im Rahmen der Strategiensuche und -bewertung ist es Aufgabe des Managers, auf der Grundlage des 'moral reasoning' eine ethisch vertretbare Strategie zu entwickeln. Um den Manager sowohl in fachlicher als auch in zeitlicher Hinsicht zu unterstützen, bietet die pragmatisch orientierte Business Ethics mehrere Instrumente an. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Entscheidungsmodellen, die für die Strategiebewertung bezüglich ihrer ethischen Unbedenklichkeit hin angewendet werden können.81 Ein Entscheidungsmo­ dell, das versucht das 'moral reasoning' zu operationalisieren und Manager im Rahmen der ethischen Reflexion zu unterstützen, ist das URJC-Entscheidungsmodell von Cavanagh/Moberg/Velasquez.

81

Vgl. Nash 1990, p.80.

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

119

Abbildung 4-7: Das URJC-Ablaufdiagramm zur Entwicklung ethischer Entscheidungen Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Cavanagh/Moberg/Velasquez 1995, p.404

Nachdem die erforderlichen Informationen in der strategischen Analyse gesammelt wurden, muß die Strategiealternative im URJC-Modell auf vier Fragen hin überprüft werden, wobei die "moral standards" als Grundlage dienen. Die erste Frage bezieht sich auf den "utilitarian standard" und prüft, ob die Strategiealtemative die Interessen aller Anspruchsgruppen maximiert. Die zweite Frage betrifft den "moral rights Stan­ dard" und überprüft, ob die Rechte und Pflichten der einzelnen Interessenträger be­ rücksichtigt wurden. Im Unterschied zu ihrem ursprünglichen Modell82 erwähnen Cavanagh/Moberg/Velasquez hier explizit die moralischen Pflichten aufgrund der Erkenntnis, daß moralische Rechte unabdingbar mit Pflichten verknüpft sind.83 Die 82 83

Vgl. Cavanagh/Moberg/Velasquez 1981, pp.363-374. Vgl. Cavanagh/Moberg/Velasquez 1995, pp.401-402.

120

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

dritte Frage basiert auf dem 'standard of justice' und prüft, ob die Strategie dem Grundsatz der Gerechtigkeit entspricht. Die letzte Frage stellt eine wesentliche Ergän­ zung zum ursprünglichen Modell dar. Hierbei geht es darum, ob die Strategie aus dem Impuls heraus entstanden ist, 'Sorge tragen' zu wollen bzw. 'fürsorglich' zu sein. Diese Ergänzung soll der zunehmenden Bedeutung interpersoneller Beziehungen im wirtschaftlichen Umfeld Rechnung tragen.84

Erfüllt die Strategiealtemative jede dieser Anforderungen, kann ihre Implementierung erfolgen, da sie dann als ethisch vertretbar gilt. Wird allerdings nur eines der Kriterien nicht erfüllt, so muß in einem weiteren Schritt überprüft werden, ob es erstens heraus­ ragende Faktoren und/oder zweitens einschränkende Faktoren für die Nichterfüllung gibt oder schließlich drittens das nicht erfüllte Kriterium in konfliktärer Beziehung zu einem anderen Kriterium steht. Die Bejahung einer dieser Fragen ermöglicht, das Kri­ terium unbeachtet zu lassen und die Strategie mithin als ethisch vertretbar anzusehen. Kann allerdings keine der Fragen bejaht werden, gilt die Strategiealtemative als ethisch bedenklich und sollte daher auch nicht durchgeführt werden.85 Die ethische Ausrichtung der Untemehmensaktivitäten ist jedoch nicht nur eine Frage des moralischen Urteils und der moralischen Motivation einzelner Manager, sondern erfordert auch strukturelle und personelle Bedingungen, um ethisch sensibles Verhal­ ten zu ermöglichen und zu fördern.86 Die bereits erwähnten 'Sentencing Guidelines' haben bei den allermeisten amerikanischen Unternehmen zur Institutionalisierung von Ethik-Programmen geführt, die allerdings unterschiedlichste Intensitäten im prakti­ schen Unternehmensalltag aufweisen.87 In den meisten Ethik-Programmen lassen sich jedoch die folgenden fünf Bausteine finden, die sich zumindest vom grundsätzlichen Inhalt, oft auch vom Namen her ähneln. 1. Codes of Ethics. Sie beschreiben das untemehmensspezifische Wertesystem, for­ mulieren entsprechende Organisationsziele und geben auch Umsetzungsrichtlinien vor. Dabei unterscheiden sie sich je nach Unternehmen in ihrer konkreten inhaltli­ chen und formalen Gestaltung.88 2. Ethics Committee of the Board of Directors. Üblicherweise besteht es aus je einem internen und externen Direktor des Unternehmens89 und dem Leiter des Corporate

84 85 86 87

88

89

Vgl. Cavanagh/Moberg/Velasquez 1995, p.402. Vgl. Cavanagh/Moberg/Velasquez 1995, p.400. Allerdings bleibt unklar, was unter herausra­ genden oder einschränkenden Faktoren zu verstehen ist. Vgl. Fleming 1985, pp.137-144; Hosmer 1987, pp.441-446; Buchholz 1989, pp.143-149. Vgl. Center for Business Ethics 1986, pp.85-9O; Center for Business Ethics 1992, pp.863-866; Badaracco/Webb 1995. Vgl. Molander 1987; Weller 1988, pp.392-394; Gellerman 1989, pp.74-77; Brooks 1989a, pp. 120-124; Donaldson 1989, pp.35-39; Oliverio 1989; L'Etang 1992; Weeks/Nantel 1992, pp.756-758. Das amerikanische Board-System basiert darauf, daß sowohl ranghohe Manager des eigenen Unternehmens als auch ranghohe Manager verbundener Unternehmen Mitglieder des Boards sind.

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

121

Business Ethics Office. Die Aufgabe des Komitees besteht vor allem darin, die 'ethische Frage' durch Ansiedlung auf höchster Ebene zu legitimieren.90 3. Corporate Business Ethics Office. Der 'Ethics Officer' sorgt als Leiter dieser Ab­ teilung für die Umsetzung der entwickelten Codes of Ethics auf allen hierarchischen Ebenen. Dazu muß er Kommunikations-, Implementierungs- und Beobachtungsin­ strumente entwickeln.91 4. Ethics Training and Audit Programs. Hierbei geht es um die Schulung im Bereich des ethischen Wissens und um konkrete Umsetzungsanleitungen der Untemehmenswerte auf Abteilungsebene.92 Dazu gehört auch das 'Ethical Audit', welches das Unternehmen nach ethisch fragwürdigen Bereichen durchleuchtet.93 5. Ethics Hot Line. Dies ist in der Regel eine innerbetriebliche und/oder eine national gültige gebührenfreie Telefonnummer. Dies soll sowohl Untemehmensintemen als auch -externen die Möglichkeit bieten, vermutete oder beobachtete Unregelmäßig­ keiten sowie Beschwerden anonym zu melden.94 Wie im folgenden noch zu sehen sein wird, liegt die Stärke der amerikanischen Busi­ ness Ethics-Bewegung in ihrer pragmatischen Anwendungsorientierung im Vergleich zu den deutschsprachigen Ansätzen.95 Während die Business Ethics-Bewegung sich eher als moralisches Korrektiv der wirtschaftlichen Realität sieht, setzen sich die deutschsprachigen Ansätze stärker mit der Frage der ökonomischen Rationalität aus­ einander, um erst in einem nächsten Schritt nach den praktischen Konsequenzen zu fragen.96

4.2 Unternehmensethik als Ausgleich der defizitären Rahmenordnung 4.2.1 Ausgangspunkt: Ökonomische Theorie der Moral

Der Ansatz einer Untemehmensethik als Ausgleich der defizitären wirtschaftlichen Rahmenordnung wird hauptsächlich von Homann vertreten.97 Er nimmt die ökonomi­ sche Theorie der Moral zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen zur Rationalität und seiner Konzeption einer Wirtschafts- und Untemehmensethik. Bevor Homann auf die ökonomische Theorie der Moral eingeht, stellt er fest, daß sich die Grenze der ökonomischen Vernunft in den letzten Jahren nicht nur verschoben hat, 90 91 92 93 94 95 96 97

Vgl. McCoy 1985, p.23; Giacalone/Rosenfeld 1987, pp.405-409;Wieland 1993a, S.31. Vgl. Eilbirt/Parket 1977; Payne 1991; Wieland 1993a, S.33. Vgl. Paine 1991, pp.77-79; Hall 1993, pp. 153-165. Vgl. Vallance 1995, p.153. Vgl. Wieland 1993a, S.34-35. Vgl. Robin/Reidenbach 1988, pp.38-55. Vgl. Staffelbach 1994, S.214. Das hier vorgestellte Konzept der Untemehmensethik wird von Homann und Mitarbeitern ver­ treten. Der besseren Lesbarkeit wegen wird im folgenden aber nur Homann als Vertreter ge­ nannt.

122

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

sondern viele traditionelle Grenzen der ökonomischen Rationalität gefallen sind. So sind Phänomene, die früher metaökonomischen Bereichen zugeordnet wurden und somit jenseits der Grenze ökonomischer Vernunft lagen, sukzessive der ökonomischen Analyse unterzogen worden. Als Beispiele nennt er u.a. die Fragen bezüglich Demo­ kratie, Politik, Kooperation, Heiraten, Institutionen oder Bevölkerungsentwicklung.98

Homann folgert daraus, daß sich die Grenze der ökonomischen Vernunft nicht mehr an der Grenze möglicher Gegenstände der ökonomischen Analyse festmachen läßt. Seiner Ansicht nach hat sich die ökonomische Analyse in den letzten drei Jahrzehnten zu einer allgemeinen Theorie menschlichen Handelns entwickelt, unter Anwendung des Erklärungsschemas 'Akteure maximieren ihren Nutzen unter Nebenbedingungen Dadurch hat sich die Ökonomik zu einer imperialistischen Wissenschaft gewandelt.99 Homann hält es daher für gerechtfertigt, die ökonomische Analyse auch auf Fragen der Einhaltung moralischer Wertvorstellungen anzuwenden.100 Er bezieht sich auf die im Entstehen begriffene ökonomische Theorie der Moral, die aufzuzeigen versucht, daß sich moralische Normen wie auch moralische Dispositionen ökonomisch rekon­ struieren lassen.101 Eine Kemaussage der ökonomischen Theorie der Moral ist: „Moralische Normen las­ sen sich als standardisierte Kurzfassungen langer ökonomischer Kalkulationen begreifen“™2. Moral läßt sich somit als Fähigkeit zu kooperativem Verhalten verstehen und wird begriffen als ein Arrangement zur Entfaltung von (neuen) Ertragsmöglichkei­ ten, die es ohne Moral nicht geben könnte.103 . Damit ist gemeint, daß sich durch die Befolgung der Moral Handlungsmöglichkeiten ergeben, die einen höheren Nutzen ver­ sprechen, als die übernommenen Handlungsbeschränkungen an Kosten mit sich bringen. im Moral und Moralbefähigung können als gesellschaftlich relevante Phänomene nur dann erwartet werden, wenn die Anreize zur Übertretung moralischer Normen in Form des Free-Rider-Verhaltens durch (prohibitiv hohe) Sanktionen systematisch gemindert werden können.105 Eine Moral, die sich durch die Vorteile begründet, die nur sie er­ möglicht, muß daher durch eine entsprechende Ausgestaltung der Anreize institutionell gestützt sein.106 Vgl. Becker 1982; Homann 1994, S.123. Vgl. Homann 1989, S.240; Homann 1990, S.106; Homann 1993, S.43-44. Vgl. Homann 1993, S.42-43. Vgl. Homann 1989, S.230. Vgl. auch als kritische Position dazu bereits Baier 1974, S.l78-196. Homann 1990, S. 107. Hervorhebung im Original. Vgl. Gauthier 1987, pp.l 17-133; Hegselmann 1992, S.171-175; Homann 1990, S.l 12; Homann 1992, S.84. 104 Vgl. Homann 1989, S.228. Vgl. dazu auch Harsanyi 1987, pp.339-373 und Steinmann/Löhr 1995, S. 145-152 als kritische Positionen des liberalistischen und neo-institutionalistischen Kon­ zepts. 105 Vgl. Homann 1989b, S.59. 106 Vgl. Homann 1990, S.l 16; Homann 1993, S.35; Homann 1994a, S.34. Moral begründet sich durch eine intersubjektiv geteilte Einsicht in die Gültigkeit der Normen, d.h. auf dem begründe-

98 99 100 101 102 103

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

123

Die Produktivität einer moralisch fundierten sozialen Ordnung stellt das Argument dar, die einzelnen Gesellschaftsmitglieder zur Zustimmung zur sozialen Ordnung und damit zur Befolgung der so akzeptierten moralischen Normen zu bewegen. Grundlegend ist hier die Idee der Aneignung von möglichen Erträgen, die andernfalls nicht zu realisie­ ren wären.107 Der herausragende Vorteil, den eine allgemein akzeptierte Moral hervor­ bringt, besteht in der Stabilität der wechselseitigen Verhaltenserwartungen und der daraus resultierenden Senkung der Transaktionskosten.108

Der zentrale Gedanke ist hierbei, daß die Akteure sich freiwillig Handlungsbeschrän­ kungen unterwerfen - also auf gewisse Handlungsmöglichkeiten verzichten -, um an­ dere, subjektiv wichtiger erscheinende Handlungsmöglichkeiten zu schaffen.109 Diese moralische Selbstbindung ist allerdings weniger als Methode zur Überwindung eigener Schwäche zu sehen, sondern soll viel eher die Verläßlichkeit des Verhaltens für die anderen garantieren. „Nicht Selbstbindung ist daher der entscheidende Gesichtspunkt, sondern kollektive Selbstbindung.“110

Diese kollektive Selbstbindung erfolgt über allgemein akzeptierte und somit verbindli­ che Institutionen, die typischerweise im Gesellschaftsvertrag und der daraus abgeleite­ ten wirtschaftlichen Rahmenordnung ihren Ausdruck finden.111

4.2.2 Verwirklichung moralischer Normen durch unternehmerisches Handeln in der Marktwirtschaft Prägend für Homanns Konzeption der Wirtschafts- und Untemehmensethik ist sein Verständnis der Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaft in gesellschaftliche Subsysteme gemäß ihrer funktionalen Erfordernissen. Demnach konstituieren sich au­ tonome Subsysteme, die nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten funktionieren und nur die Aufgaben erfüllen können und sollen, auf die hin sie 'konstruiert' sind. Die Lei­ stungsfähigkeit moderner Gesellschaften resultiert daraus, daß die gesellschaftlichen Probleme hochspezialisiert bearbeitet werden.112 Homann konstatiert dies auch für das autonome Subsystem Wirtschaft, das seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten bzw. sei­ ner eigenen Rationalität folge und gerade aufgrund dieser Spezialisierung so außeror­ dentlich leistungsfähig geworden sei.113 ten Vertrauen, daß die Legitimität der Normen bei Bedarf mit "guten' Gründen belegt werden kann. Vgl. Homann 1990, S.l 14. 107 Vgl. Homann 1990, S.l 15; Homann 1993, S.49. 108 Vgl. Buchanan 1984a, S.179; Homann/Suchanek 1987, S.l 14; Homann 1989, S.226-230; Gäfgen 1989, S.93-94;. 109 Vgl. Homann/Suchanek 1987, S.l 15; Homann 1989, S.230. Popper nennt dies 'das Paradox der Freiheit'. Vgl. Popper 1980, Bd.2, S.l56 und Bd.l, S.l56-158. Als kritische Position vgl. Hengsbach 1996, S.32-33. 110 Homann 1989, S.231. Hervorhebung im Original. 111 Vgl. Homann 1989a; Homann 1992, S.78. 112 Vgl. Homann 1994b, S.l6-17; Homann 1995, S.l87. Zur Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaft in autonome Subsysteme, vgl. Luhmann 1993, S.134-147; Luhmann 1994. 113 Vgl. Homann 1992, S.77; Homann/Blome-Drees 1992, S.12-13.

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Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Unternehmensethik

Aus dem Grundgedanken der funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft folgert Homann, daß Moral nicht gegen die Ökonomie, sondern nur in ihr und durch sie zur Geltung gebracht werden kann.114 Die Ausrichtung HOMANNS an der 'ökonomischen Rationalität' und der wirtschaftlichen Rahmenordnung wird durch seine Aufgabenbe­ stimmung der Wirtschafts- und Untemehmensethik deutlich: „Wirtschaftsethik (und Untemehmensethik) befaßt sich mit der Frage, wie moralische Normen und Ideale un­ ter den Bedingungen der modernen Wirtschaft und Gesellschaft (von den Unter­ nehmen) zur Geltung gebracht werden können“115.

Homanns Ansatz der Wirtschafts- und Untemehmensethik ist durchgängig zweistufig aufgebaut. Er unterscheidet zunächst zwischen dem Gesellschaftsvertrag und der dar­ aus abgeleiteten wirtschaftlichen Rahmenordnung. Die relevante Unterscheidung be­ trifft die zwischen der Rahmenordnung und den unternehmerischen Handlungen in­ nerhalb der Rahmenordnung. Die Zweistufigkeit setzt sich auf Untemehmensebene fort. Eine unternehmerische Handlung innerhalb der Rahmenordnung könnte sein, daß ein Unternehmen sich selbst - in Form einer schriftlich fixierten Untemehmensverfassung - eine Rahmenordnung gibt, die dann wiederum bindend ist für die Handelnden innerhalb des Unternehmens. Wie bereits erwähnt, vergleicht HOMANN die Rah­ menordnung mit konsensuell festgelegten Spielregeln und die Handlungen innerhalb der Rahmenordnung mit Spielzügen. Die Festlegung einer Untemehmensverfassung wäre somit als Spielzug innerhalb der Rahmenordnung zu verstehen, aus der sich dann die Untemehmensspielregeln für die Spielzüge der Mitarbeiter ergeben.116

Abbildung 4-8: Homanns zweistufige Konzeption der Wirtschafts- und Unternehmensethik Quelle: Eigene Darstellung 114 Vgl. Homann 1993, S.39; Homann 1994b, S. 14-15; Homann/Blome-Drees 1992, S.19. 115 Homann 1991, S.100. Hervorhebung durch den Verfasser. In anderen Fassungen wird auch danach gefragt, 'welche' Normen zur Geltung zu bringen sind, vgl. Homann/Blome-Drees 1992, S.14; Homann 1992a, S.7-8; Homann 1994, S.109. 116 Vgl. Homann/Blome-Drees 1992, S.23-28 und S.120; Homann 1994, S.l 11.

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

125

Die zwei Ebenen des Handelns ermöglichen nach HOMANN die Koexistenz von Moral und Wettbewerb in Marktwirtschaften. Moralische Forderungen an das Handeln gehen in die Rahmenordnung ein, was dazu führt, daß Moral nun nicht mehr nach den Moti­ ven der Handlungen fragt, sondern sich in den allgemeingültigen - also für alle ver­ bindlichen und sanktionsbewehrten - Restriktionen für das Handeln ausdrückt. Unter diesen Bedingungen kann sich in den Spielzügen der Wettbewerb entfalten und seine Produktivität zum Wohl des Konsumenten genutzt werden.117

HOMANNS grundlegende These lautet daher: „Der systematische Ort der Moral in der Marktwirtschaft ist die Rahmenordnung“ 118. Nun läßt sich mit Recht fragen, ob bei einer solchen Konzeption eine eigenständige Untemehmensethik überhaupt noch Sinn macht, da die Moral ja wirtschafts- oder ord­ nungsethisch über die Rahmenordnung zur Geltung gebracht wird. Den Sinn einer ei­ genständigen Untemehmensethik sieht HOMANN durch die Tatsache begründet, daß die Möglichkeit unzureichender Spielregeln immer besteht, und er konstatiert, daß dies in unserer Zeit aufgrund schwindenden ordnungspolitischen Bewußtseins und der In­ ternationalisierung der Wirtschaft zunehmend häufiger auftritt.119 Obwohl dies eigent­ lich ein ordnungspolitisches Problem darstellt, kommt es auf der Untemehmensebene zum Tragen. Dies bedeutet für die Unternehmen, daß sie mit 'systemkonformem' Ver­ halten nicht auch quasi-automatisch moralisch richtig handeln, da das System defizitär geworden ist.120 Für diese Fälle stellt HOMANN folgende These auf: „Die in der klassischen Konzeption an die Rahmenordnung delegierte Legitimationsverantwortung wirtschaftlichen Han­ delns fällt bei Defiziten in der Rahmenordung an die Unternehmen zurück“n\ Daraus folgt, daß die Untemehmensethik im Falle einer unzureichenden Rahmenord­ nung eine subsidiäre Legitimationsrolle zur Wirtschaftsethik einnimmt.

Die Legitimationsverantwortung ließe sich nun aus zwei Argumentationsrichtungen angehen. Zum einen könnte individualethisch und zum anderen institutionenethisch argumentiert werden:122 • Unternehmensethik als Individualethik versucht, über moralische Appelle an das Gewissen des einzelnen, eine direkte Beeinflussung der Spielzüge durchzusetzen. • Unternehmensethik als Institutionenethik hingegen konzentriert sich auf die insti­ tutioneilen Rahmenbedingungen des unternehmerischen Handelns. In den institutio­ nellen Rahmenbedingungen soll die Moral in der Wirtschaft zur Geltung gebracht

117 Vgl. Homann/Pies 1991, S.611; Homann 1993, S.34-35; Homann 1994, S.l 11-112; Homann 1995, S.184-185. 118 Homann 1994, S.l 12. Hervorhebung im Original. 119 Vgl. Homann 1992, S.81; Homann 1994, S.l 14-115; Homann/Blome-Drees 1992, S.l 14-116 und S.126. 120 Vgl. Homann 1991, S.107. Vgl. dazu auch Abschnitt 3.4. 121 Homann/Blome-Drees 1992, S.l26. Hervorhebung im Original. 122 Vgl. Homann/Blome-Drees 1992, S. 118-119.

126

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

werden. Es geht folglich um eine indirekte Beeinflussung der Spielzüge durch die Rahmenordnung, die dann eine Beurteilung der Spielzüge ermöglicht.

Da das Ergebnis des unternehmerischen Handelns nicht ausschließlich durch die eige­ nen Aktionen bestimmt ist, sondern auch von den Reaktionen der anderen Unterneh­ men beeinflußt wird123, lautet Homanns These in diesem Zusammenhang: „ Unter den Bedingungen der modernen (Markt-) Wirtschaft läßt sich eine Untemehmensethik sinnvoll nur aus ordnungstheoretischer Perspektive entwickeln“124.

Der Wirtschaftsethik geht es um die Ausgestaltung der Rahmenordnung und mithin um die Legitimation auf der Institutionenebene. Untemehmensethik hingegen befaßt sich laut HOMANN mit den Handlungen innerhalb der Rahmenordnung und ist somit um die Legitimation auf der Handlungsebene bemüht. Davon ausgehend kann das Unter­ nehmen zwei unterschiedliche untemehmensethische Vorgehens weisen einschlagen. Zum einen kann es eine Wettbewerbsstrategie verfolgen und versuchen, moralische Aspekte gewinnfunktional einzusetzen. Zum anderen kann das Unternehmen im Falle einer defizitären Rahmenordnung auch eine ordnungspolitische Strategie verfolgen. Das politische Handeln des Unternehmens zielt dann auf eine für alle Akteure ver­ bindliche institutioneile Regelung.125 Durch dieses zweistufige Legitimationskonzept sollen die Unternehmen in der Marktwirtschaft vor einem ständigen moralischen Dauerbegründungsstreß bewahrt werden. Sie sollen im Normalfall darauf vertrauen können, daß ihr rein an wirtschaft­ lichen Gesichtspunkten orientiertes Handeln gleichzeitig auch moralischen Kriterien genügt. Erst wenn ökonomische und moralische Ziele aufgrund von Defiziten in der Rahmenordnung nicht mehr vereinbar erscheinen und somit zu einem Konfliktfall füh­ ren, sollen die Unternehmen ihre Handlungen einer kritischen Überprüfung unterziehen und gegebenenfalls ändern.126 4.2.3 Strategische Implikationen Da ein rein gewinnorientiertes Verhalten seine moralische Rechtfertigung nur im Falle idealer ordnungspolitischer Voraussetzungen erhält, ergibt sich bei Defiziten ein untemehmensethischer Handlungsbedarf auf Untemehmensebene. In diesen Fällen ist ein Untemehmensverhalten gefordert, das auf die Veränderung der politisch gesetzten wirtschaftlichen Rahmenordnung zielt. Diese Spielzüge lassen sich nicht mehr als Handlungen nach dem marktwirtschaftlichen Konzept deuten, sondern stellen Versu­ che dar, die bestehenden Spielregeln zu verändern.127

Vgl. Homann/Blome-Drees 1992, S.121. Homann/Blome-Drees 1992, S.121. Hervorhebung im Original. Vgl. Homann 1992, S.82; Homann/Blome-Drees 1992, S.122 und 136. Vgl. Homann/Blome-Drees 1992, S. 126-127. Allerdings erläutern Homann/Blome-Drees nicht, wie und wann ein solcher Konfliktfall zu erkennen ist. 127 Vgl. Homann/Blome-Drees 1992, S. 126-127.

123 124 125 126

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

127

Um die veränderte Handlungssituation strukturieren zu können, entwickelt Homann das folgende Vier-Quadranten-Schema. hohe moralische Akzeptanz

III.

ökonomischer Konfliktfall

positiver Kompatibilitätsfall

geringe Rentabilität

hohe Rentabilität negativer Kompatibilitätsfall

moralischer Konfliktfall

IV. geringe moralische Akzeptanz Abbildung 4-9: Das Vier-Quadranten-Schema nach HOMANN

Quelle: Homann 1994, S.116

• Quadrant l zeigt eine Situation auf, in der eine gleichzeitige Verfolgung von mora­ lischen und ökonomischen Zielen konfliktfrei möglich ist, da die Moral den Gewinn fördert oder zumindest nicht beeinträchtigt. • Quadrant 11 bildet eine Situation ab, in der die Verfolgung des Gewinnziels nicht den moralischen Anforderungen genügt. Legales unternehmerisches Handeln er­ scheint in der Öffentlichkeit fragwürdig und ist daher nicht automatisch legitimiert. Im moralischen Konfliktfall entscheidet sich das Unternehmen zu Lasten der Moral. • In Quadrant III stellt sich eine Situation dar, in der das unternehmerische Verhalten eine hohe moralische Akzeptanz aufweist, aber mit ökonomischen Nachteilen ver­ bunden ist. Spiegelbildlich zu Quadrant II entscheidet sich das Unternehmen im ökonomischen Konfliktfall zu Lasten des Gewinns. • Quadrant IV ist von eher untergeordneter Bedeutung, da in solchen Fällen in der Praxis aufgrund fehlender moralischer Akzeptanz bei gleichzeitig niedrigen Gewin­ nen in der Regel eine Marktaustrittsstrategie verfolgt wird.128

Für die Fälle von moralischen und ökonomischen Konflikten schlägt Homann wie be­ reits erwähnt zwei Handlungstypen vor. Er bezeichnet den ersten als Wettbewerbsstra­ tegie und den zweiten als ordnungspolitische Strategie. Im Rahmen der Wettbe­ werbsstrategie versucht das Unternehmen, durch verstärkte Forschungs- und Entwick­ lungs-Aktivitäten Produkte und Produktionsverfahren zu entwickeln, die eine höhere moralische Akzeptanz erwarten lassen. Es geht folglich um die Entdeckung neuer

128 Vgl. Homann 1994, S.l 16-120; Homann/Blome-Drees 1992, S.l32-135.

128

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

Möglichkeiten zur Harmonisierung moralischer und ökonomischer Ziele.129 Die Ver­ folgung einer ordnungspolitischen Strategie führt dazu, öffentlich auf die bestehenden Defizite hinzuweisen und eine politische Lösung anzumahnen. Bei Großunternehmen, die eine hohe volkswirtschaftliche Bedeutung haben, besteht eine höhere Wahrschein­ lichkeit, entsprechende Aufmerksamkeit zu erlangen. Kleineren und mittelständischen Unternehmen empfiehlt Homann ein Engagement im politischen Prozeß über die ver­ schiedenen Verbände.130 Für den Fall, daß sich allerdings keine kostenneutrale (ordnungspolitische) oder gewinnfördemde (Wettbewerbs-) Strategie finden läßt, schlägt Homann eine sog. 'Doppelstrategie' vor. Das Unternehmen sollte in seinem tatsächlichen Verhalten den bisherigen, derzeit gültigen Spielregeln folgen und gleichzeitig eine politische Verän­ derung der Spielregeln fordern, wobei es seine Bereitschaft erklärt, diese dann auch einzuhalten.131 „Dieses Verhalten mag aussehen wie 'doppelte Moral', es kann sich aber um das durch die Situation geforderte sittlich richtige Verhalten handeln. Nie­ mand kann von einem Unternehmen verlangen, daß es schwere ökonomische Nachteile aufgrund moralischen Verhaltens hinnimmt, während die weniger moralischen Wett­ bewerber die Gewinne einstreichen.“132

4.3 Unternehmensethik als situatives Korrektiv 4.3.1 Ausgangspunkt: Republikanische Ethik Die Vorstellung einer Untemehmensethik als situativem Korrektiv in konfliktären Si­ tuationen wird von STEINMANN vertreten.133 Ausgangspunkt des untemehmensethi­ schen Konzepts bildet eine republikanische Ethik, die dem Friedensziel verpflichtet ist und sich auf die konstruktivistische Wissenschaftstheorie der 'Erlanger Schule' grün­ det.1’4 Steinmann grenzt die Auffassung einer republikanischen Ethik zunächst von 129 Vgl. Homann 1991, S.l 12-113; Homann/Blome-Drees 1992, S.l36-137 und 141-145. 130 Vgl. Homann 1994, S.l 18-119; Homann/Blome-Drees 1992, S.l38-139; Homann/Habisch 1994, S.36. Homann konstatiert für Unternehmen das legitime Recht, ihren moralischen Einsatz auf ordnungspolitische Aktivitäten zu begrenzen. Seiner Ansicht nach schließt dies nicht aus, daß Unternehmen der von Axelrod vorgeschlagenen Tit-for-Tat-Strategie folgen und im Sinne eines kooperativen Spielzugs zeitlich begrenzte 'moralische Vorleistungen' erbringen. Vgl. Homann 1992, S.82; Homann/Blome-Drees 1992, S.147. Zur Tit-for Tat-Strategie vgl. Axelrod 1991. 13‘ Vgl. Homann 1991, S.l08. !32 Homann 1991, S.108. Insbesondere bezüglich der letzten Aussage scheint m.E. ein Begrün­ dungsdefizit vorzuliegen. Die apodiktische Feststellung, niemand könne von einem Unternehmen verlangen, auf Gewinne zu verzichten, wenn die Wettbewerber dies nicht auch tun würden, fordert die Frage heraus, warum niemand dies verlangen könne. Zu einer ausführlicheren Kritik an Homanns Ansatz vgl. Abschnitt 4.5. 133 Das hier vorgestellte Konzept der Untemehmensethik wird von Steinmann und Mitarbeitern vertreten. Der besseren Lesbarkeit wegen wird im folgenden aber nur Steinmann als Vertreter genannt. 134 Vgl. Steinmann/Olbrich 1994, S.l 19-120; Lattmann 1993, S.221. Vgl. als Vertreter der 'Erlanger Schule' Kambartel 1974; Kambartel 1975; Lorenzen 1978; Lorenzen 1987; Lorenzen 1991.

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

129

sozialistischen135 und insbesondere von liberalistischen Positionen ab136, indem er dar­ auf verweist, es gehe in den beiden letztgenannten Positionen um die Frage Treiheit oder Einheit', während es der republikanischen Ethik um Treiheit und Einheit' gehe.137 Statt einer (willkürlichen) Setzung der Freiheit des einzelnen als obersten Wert - wie in liberalistischen Positionen - mit dann folgenden Deduktionen, wie diese Freiheit in einer Gesellschaft durchzusetzen sei, versucht STEINMANN eine vortheoretische Fun­ dierung des Friedenszieles als obersten Wert.138 Laut Steinmann drückt sich im Frie­ densziel die methodische Versöhnung von Freiheit des einzelnen und Einheit aller aus. Im Rahmen der Normenfindung und -begründung soll es durch eine Transzendierung der eigenen Subjektivität zum rationalen Konsens - als praktischem Ausdruck des Friedenszieles - kommen und damit das Resultat allgemein nachvollziehbarer Bera­ tungen darstellen.139 Der verantwortliche Gebrauch der Freiheit des einzelnen besteht dann im Grunde darin, bei jeder Entscheidung auch immer das öffentliche Interesse mitzureflektieren.140 Diese systematische Rückbindung der individuellen Autonomie an die öffentliche Sache (res publica) führt nach STEINMANN zu einem republikanischen Rollenverständnis des einzelnen innerhalb der Gesellschaft.141

Da sich aus dem faktischen Zustandekommen von Normen (Ordnungen) nicht auch automatisch auf ihre Richtigkeit bzw. Berechtigung schließen läßt, fordert STEINMANN die systematische Unterscheidung zwischen faktischen Normen und der Einsicht in ihre Richtigkeit.142 Dadurch soll der sog. "naturalistische Fehlschluß" vermieden wer­ den, vom Sein auf das Sollen zu schließen.143 Es sollten daher nicht-deduktive Be­ gründungsleistungen angestrengt werden, um das Rechtfertigungsproblem von Normen nicht-willkürlich zu lösen.144 Der Anfang ethischer Reflexionsbemühungen soll an le­ benspraktisch schon verfügbare Erfahrungen (also vortheoretisch) anschließen und damit erste ethisch relevante Unterscheidungen ermöglichen. Diese Unterscheidungen der Praxis werden in der Wissenschaft aufgegriffen und in Form von Theorien weiter bearbeitet.145 „Das Programm einer Fundierung der Ethik besteht also letztlich darin, ein ethisches Prinzip begrifflich zu präzisieren, das ansatzweise im Leben schon Be­ rücksichtigung findet.“146 135 136 137 138 139 140 141 142 143

144 145 146

Vgl. Lenin 1925; Lenin 1943. Vgl. als Vertreter des (Wirtschafts-) Liberalismus Hayek 1952. Vgl. Steinmann/Löhr 1995, S. 143-145. Vgl. in ähnlichem Zusammenhang Keeley 1987. Vgl. Steinmann/Löhr 1995, S.144 und S.146. Vgl. Steinmann/Olbrich 1994, S. 120-121. Vgl. Steinmann/Löhr 1995a, S.81. Vgl. Steinmann/Löhr 1995, S. 143-144. Vgl. dazu auch Pieper 1990, S.96-97. Vgl. Steinmann/Oppenrieder 1985, S.172; Steinmann 1990, S.419; Steinmann/Löhr 1995, S.152-153. Vgl. Steinmann/Löhr 1991a, S.62; Vgl. dazu auch Kutschera 1982, S.29-31; Ricken 1989, S.4751. Vgl. Steinmann/Löhr 1991a, S.63. Vgl. Steinmann/Löhr 1988, S.310-312; Steinmann/Löhr 1995, S.153. Steinmann/Löhr 1991a, S.63.

130

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

Als zentrale lebenspraktische Erfahrung in post-traditionalen Gesellschaften bezeich­ net Steinmann die Erkenntnis, daß traditionale Werte keine einheitsstiftende Wirkung mehr entfalten und somit Konflikte über gemeinsame Orientierungen unseres Handelns entstehen. Damit verbindet sich die - aus der Beteiligung an Konfliktregelungsversuchen - ebenfalls lebenspraktische Erfahrung, daß Konflikte nur dann friedlich beigelegt werden, wenn es zu einem freien Konsens aller Beteiligten kommt. Unter freier Zu­ stimmung ist also weder eine willkürliche oder erzwungene Zustimmung zu verstehen, sondern eine, die sich aus der Einsicht in die Vernünftigkeit der vorgetragenen Argu147 mente ergibt. Die praktische Vorzugs Würdigkeit des Konsenses gegenüber dem Kompromiß erklärt Steinmann mit dem Vorläufigkeitscharakter eines Kompromisses, der sich willkürli­ chen oder erzwungenen Zustimmungen verdankt. Kompromisse stehen unter dem Vorbehalt der jederzeitigen Aufkündigung, entweder aufgrund von Veränderungen der willkürlichen individuellen Präferenzen oder weil sich Machtpositionen in der Weise verschieben, daß einzelne eine Verbesserung ihrer individuellen Position erreichen können.148 STEINMANN geht es zur Erreichung eines freien Konsenses um die praktische Begrün­ dung von Normen, was er als eine komplexe argumentative Handlung versteht. Dieser Prozeß vollzieht sich in mehreren Phasen, in denen Geltungsansprüche erhoben, Gründe dargelegt, Einwände ausgeräumt und Thesen abgesichert werden sollen, wobei 'Proponenten' und 'Opponenten' bestimmten Argumentationsverpflichtungen folgen.149

Diese Argumentationsverpflichtungen entnimmt STEINMANN den Vorstellungen der Diskursethik und nennt explizit die folgenden:150 • • • •

Unvoreingenommenheit gegenüber Vororientierungen, Nicht-Persuasivität, Zwanglosigkeit und Sachverständigkeit.

Als Ergebnis dieser Dialogprozesse aller Betroffenen sollen freiwillige Selbstverpflich­ tungen auf situationsgerechte Handlungsorientierungen resultieren, die im potentiellen Konfliktfall befriedend wirken sollen.151 147 Vgl. Steinmann/Löhr 1988, S.300-301; Steinmann/Löhr 1991a, S.64. 14K Vgl. Steinmann/Löhr 1991a, S.64. Kritisch anzumerken bleibt, daß auch ein frei gefundener Konsens prinzipiell zeitgebunden ist und sich aufgrund neuer Einsichten die Notwendigkeit er­ neuter Argumentationsbemühungen ergibt. Dennoch ist weiterhin die Tatsache festzuhalten, daß Konsense eine höhere friedensstiftende Wirkung als Kompromisse haben. Vgl. dazu auch Steinmann/Löhr 1995, S.l54. 149 Vgl. Steinmann/Oppenrieder 1985, S.172; Steinmann/Löhr 1995, S.153; Lueken 1992, S. 151188. 150 Vgl. Steinmann/Löhr 1991a, S.69. Vgl. dazu auch Kambartel 1974, S.66-67; Habermas 1992, S.98-101. 151 Vgl. Steinmann/Oppenrieder 1987, S.500-501; Steinmann/Löhr 1995, S.144. Steinmann grenzt diese Auffassung deutlich von der sog. 'Idee der gesellschaftlichen Verantwortung der Unter­ nehmensführung' ab, da er in diesem Konzept ein Verbleiben in monologischen Gesprächs­

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

131

Die folgende Abbildung veranschaulicht den Prozeßcharakter des STEINMANN'SCHEN Beeründuneskonzentes.

Argumentationsverpflichtungen * Unvoreingenommenheit gegenüber Vororientierungen * Nicht-Persuasivität * Zwanglosigkeit * Sachverständigkeit

Abbildung 4-10: Der Prozeß der praktischen Normenbegründung nach Steinmann

Quelle: Eigene Darstellung

Im Rahmen dieses praktischen Begründungskonzeptes sieht STEINMANN die Möglich­ keit nicht-willkürlicher Begründungsanfänge 'von unten', statt axiomatischer Begrün­ dungsanfänge 'von oben'.152 „Im Ergebnis läuft alles darauf hinaus, auf diese Weise den allgemeinen freien Konsens, der sich auch kurz gefaßt als 'Frieden' definieren läßt, als das oberste ethische Prinzip zur Lösung von Zweckkonflikten auszuzeich­ nen.“153 Der Begründungsanfang in der Lebenspraxis statt einer theoretischen Deduk­ tion aus einem willkürlichen Letztwert entsteht aus der Einsicht, daß eine nicht-meta­ physische Letztbegründung immer wieder am sog. 'Münchhausen-Trilemma' schei­

situationen sieht. Vgl. Steinmann 1973; Steinmann/Oppenrieder 1985, S.l72; Steinmann/Löhr 1988a, S. 11. Vgl. auch Kreikebaum 1991, S.215. 152 Vgl. Steinmann 1990, S.419-420. 153 Steinmann/Löhr 1995, S.154. Hervorhebungen im Original.

132

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Unternehmensethik

tert.134 Steinmann schließt sich daher dem Vorschlag von Mittelstrab an, bezüglich des Friedenszieles als oberstem Wert einer republikanischen Ethik, von einer Fundie­ rung in der Lebenspraxis statt von absoluter Letztbegriindung zu sprechen.155

Der Vorschlag des Friedens durch Konsens verkörpert somit ein ethisches Leitbild, welches nicht die herrschende Praxis beschreibt, sondern als Orientierungshilfe über diese hinaus weisen soll. In STEINMANNS Verständnis der Untemehmensethik kommt das öffentliche Interesse als Friedensimperativ zum Ausdruck, indem der Frieden als höchstes Kennzeichen des öffentlichen Interesses verstanden wird und sich im allge­ meinen freien Konsens aller Betroffenen ausdrückt.156 4.3.2 Situative Beschränkung des Gewinnprinzips in Konfliktsituationen

Im Hinblick auf die Untemehmensethik, geht es STEINMANN darum, den philosophi­ schen Ansatz der Diskursethik mit dem Wirtschaftssystem zu verknüpfen und dadurch das Verständnis von Untemehmensethik zu präzisieren.157 Dazu unterscheidet er sechs Ebenen, auf denen es jeweils gilt, die Friedensnorm als Kriterium umzusetzen. Die fol­ gende Abbildung verdeutlicht den Zusammenhang.

154 Vgl. Albert 1982, S.58-94; Albert 1991, S.l3-18 und S.257-264. Unter dem MünchhausenTrilemma ist die Unmöglichkeit eines deduktiven Normenableitungsverfahrens zu verstehen. Bei der Suche nach einer Normenbegründung hätte man nur die Wahl zwischen einem infiniten Regreß, einem logischen Zirkel oder einem Abbruch des Verfahrens. 155 Vgl. Steinmann/Löhr 1995, S.l55. Vgl. dazu auch Mittelstraß 1989, S.277. I>6 Vgl. Steinmann/Löhr 1995, S.144. I>7 Vgl. Steinmann/Olbrich 1994, S.123.

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

1. Lebenspraxis

133

Erfahrung sinnvoller Konfliktregelung

fundiert

2. Ethisch-politische Prinzipien

Prinzipien der Konfliktregelung: Zweckkonflikte: Frieden Mittelkonflikte: Effizienz

Friedensnorm als Kriterium

orientiert

Wirtschaftsordnung: Kapitalistische Marktwirtschaft mit Konnexinstituten

3. Politische Ebene regelt Strukturkonflikte

Legitimierte bedingte Aufforderung: Gewinnmaximierung (Regelfall), soweit im Einzelfall nicht friedensgefährdend (Ausnahmefall)

Revision der Regeln

orientiert

4. Verbandsebene

5. Unternehmens­ ebene regelt adhoc-Konflikte

orientiert

6. Handlungsebene

Abbildung 4-11: STEINMANNS Konzept der republikanischen Handlungsorientierung des Unternehmens Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Steinmann/Löhr 1995, S.l58

Auf der ersten Ebene findet sich die lebenspraktische Erfahrung sinnvoller Konfliktre­ gelungen, die auf der zweiten Ebene zu ethisch-politischen Prinzipien der Konfliktre­ gelung führt. Auf der dritten Ebene gibt die Politik Spielregeln für Strukturkonflikte vor, indem sie die Wirtschaftsordnung festlegt und hier auch das Gewinnprinzip für

134

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

den Regelfall legitimiert. Die Branchenverbände leiten daraus auf der vierten Ebene Kodizes ab. Auf der fünften Ebene, der Untemehmensebene, kommt die Untemeh­ mensethik schließlich zum Zuge, die konkrete Untemehmensstrategien auf ihre Frie­ densgefährdung hin untersucht. Auf dieser Ebene stellt das Unternehmen Spielregeln für ad-hoc-Konflikte auf. Sofern durch die konkrete Strategie keine Friedensgefähr­ dung entsteht, wird auf der Handlungsebene, der sechsten Ebene, die Strategie tat­ sächlich realisiert. Entsteht jedoch eine solche Friedensgefährdung und eine Strategie­ änderung ist nicht möglich, ohne das Überleben des Unternehmens zu gefährden, schlägt Steinmann ein 'ethical displacement' vor. Damit ist gemeint, daß auf der Ver­ bandsebene zu überprüfen ist, ob eine wettbewerbsneutrale Revision des Verbandsko­ dex möglich ist. Sollte auch dies nicht der Fall sein, ist erneut ein 'ethical displace­ ment' notwendig, indem eine Revision der Spielregeln auf der politischen Ebene er­ folgt.158 Um das ökonomische System mit dem gesellschaftlichen Friedensziel zu verknüpfen, entwirft Steinmann zwei gedankliche Verbindungslinien.

Erstens geht Steinmann bei seinem Verständnis von Untemehmensethik davon aus, daß eine Markt- und Wettbewerbswirtschaft das geeignete Mittel ist, um ökonomische Effizienz zu erreichen. Da ökonomische Effizienz der Beseitigung von Mangelsituatio­ nen dient, hält er sie für ein unverzichtbares Mittel zur Erreichung des gesellschaftli­ chen Friedens.159 „Die ökonomische Effizienz läßt sich also im Prinzip selbst als ein ethischer Wert ausweisen, dessen Verwirklichung nach heutigem Wissen untrennbar mit der Markt- und Wettbewerbswirtschaft und der Freistellung zum ökonomischen Handeln verbunden ist.“160 STEINMANN schließt daraus, daß den Handlungen von Un­ ternehmen, die die langfristige Rentabilität und damit die Überlebensfähigkeit im Wettbewerb sicherstellen, bereits eine ethische Qualität zukommt, da die Unternehmen ja zu effizientem Wirtschaften angehalten sind.161 Die Legitimation des Gewinnprin­ zips im Regelfall führt für STEINMANN aber nicht automatisch dazu, daß damit auch jede einzelne Entscheidung auf Untemehmensebene, die sich am Gewinnprinzip ori­ entiert, bereits legitimiert ist.162

Zweitens ist nach den Mitteln zu fragen, mit denen das geforderte Formalziel der langfristigen Rentabilität erreicht werden soll.163 Es geht mithin im Rahmen des gel­ tenden Rechts zum einen um die Festlegung der Sachziele der Unternehmung und zum anderen um die Wege, diese Sachziele auch zu erreichen. Diese Wege der Sachzieler­ 158 Vgl. Steinmann/Löhr 1995, S.l57-159. 159 Vgl. Steinmann/Löhr 1995a, S.84. Steinmann/Olbrich verweisen auch auf den Systemvergleich, der deutlich gemacht habe, daß ökonomische Ineffizienzen zu gravierenden gesellschaftlichen Dauerkonflikten führen, vgl. Steinmann/Olbrich 1994, S.l23. Zum Systemvergleich vgl. Hoppmann 1990; Ritter 1995, S.230-240. 160 Steinmann/Olbrich 1994, S.l23. Hervorhebung im Original. 16' Vgl. Steinmann/Olbrich 1994, S. 123-124. 162 Vgl. Steinmann/Oppenrieder 1985, S.174; Steinmann/Löhr 1988, S.314-315; Steinmann/Löhr 1988a, S.l2; Steinmann/Löhr 1995a, S.84. 163 Vgl. Steinmann 1990a, S.5-6.

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

135

reichung finden nach STEINMANN ihren Ausdruck in der gewählten Untemehmensstrategie. Er fordert daher, daß die unternehmerische Freiheit bei der Wahl der Untemehmensstrategie mit der Verantwortung einhergeht, eine friedensstiftende Wahl der Mit­ tel vorzunehmen.164 Wie bereits erwähnt, setzt STEINMANN das Gewinnprinzip im Re­ gelfall als bereits legitimiert voraus, dieses muß aber im Konfliktfall - der für ihn die Ausnahme darstellt - durch die Untemehmensethik auf seine Friedensgefährdung hin untersucht werden.165 Der von ihm geforderte Untemehmensdialog kann sich daher nur noch auf die Konsensfähigkeit der gewählten, konkreten Untemehmensstrategie bezie­ hen.166 Das Gewinnprinzip stellt für STEINMANN mithin eine bedingte Aufforderung dar, das immer wieder am unbedingten Prinzip der Friedenssicherung überprüft werden muß. Mit anderen Worten: Das Gewinnprinzip ist als eine notwendige Bedingung für die Steuerung des Subsystems Wirtschaft anzusehen. Aber erst das Gewinnprinzip in Verbindung mit dem gesellschaftlichen Friedensziel stellt die hinreichende Bedingung für erfolgreiches und vernünftiges Handeln des Subsystems Wirtschaft innerhalb des Gesamtsystems Gesellschaft dar.167

Dies schlägt sich schließlich in STEINMANNS Definition der Untemehmensethik nieder. „Untemehmensethik umfaßt alle durch dialogische Verständigung mit den Betroffenen begründeten bzw. begründbaren materialen und prozessualen Normen, die von einer Unternehmung zum Zwecke der Selbstbindung verbindlich in Kraft gesetzt werden, um die konfliktrelevanten Auswirkungen des Gewinnprinzips bei der Steuerung der konkreten Untemehmensaktivitäten zu begrenzen.“168 Daher fordert Steinmann für die Untemehmensethik eine „...situationsgerechte friedensstiftende Anwendung des Gewinnprinzips“^. Untemehmensethik soll nach dieser Auffassung zu einem Ord­ nungselement in der Marktwirtschaft werden.170

4.3.3 Strategische Implikationen

Die von Steinmann propagierte Untemehmensethik im Sinne eines wohlverstandenen Republikanismus, drückt sich in ihrem Beitrag zur gesellschaftlichen Friedensstiftung aus, um das Konfliktpotential der Marktwirtschaft zu begrenzen und auf diesem Wege zusätzliche Erfolgsvoraussetzungen für deren Funktionsfähigkeit und gesellschaftliche Legitimation zu leisten. Für die Untemehmensführung bedeutet dies, daß untemehmensethische Reflexion auf die Entwicklung konsensfähiger Strategien abzielt.171 Der 164 Vgl. Steinmann/Löhr 1991c, S.526 und S.528; Steinmann/Olbrich 1994, S.l24. 165 Vgl. Steinmann/Oppenrieder 1985, S.173; Steinmann/Oppenrieder 1987, S.499; Steinmann/Löhr 1987, S.455-456; Steinmann/Löhr 1988a, S.l2-13. 166 Vgl. Steinmann/Olbrich 1994, S.124; Steinmann/Löhr 1995, S.l55. 167 Vgl. Steinmann/Löhr 1995, S.l56-157 und S.l67. 168 Steinmann/Löhr 1988, S.310. 169 Steinmann/Olbrich 1994, S.l24. Hervorhebung im Original. 170 Vgl. Steinmann/Löhr 1995, S.l64. 171 Vgl. Steinmann/Löhr 1995, S.159.

136

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

Begriff der Untemehmensethik wird bei STEINMANN in dem Sinne präzisiert, daß er nur für diejenigen praktischen Problemsituationen gilt, in denen eine gewinnorientierte Untemehmensstrategie tatsächlich zu moralischen Konflikten führt. Daher muß die Untemehmensführung für genau diese Fälle vorsorgen und entsprechend auf die Untemehmensstruktur und -kultur einwirken. STEINMANN fordert zunächst die Erstellung von Kriterien, die es dem Unternehmen ermöglichen zu entscheiden, auf welcher Ebene innerhalb des Unternehmens der Ver­ such einer Konfliktregelung zu erfolgen hat. Gerade in sehr großen oder international tätigen Unternehmen müssen nicht alle Konflikte zentral durch die Muttergesellschaft geregelt werden, sondern lassen sich besser dezentral 'vor Ort' bearbeiten.172 Es soll­ ten dann prozedurale und institutioneile Vorschläge einer praktischen Umsetzung for­ muliert werden. Hierzu gibt STEINMANN mehrere Anregungen:173

1. Es sollten organisatorische Maßnahmen durchgeführt werden, die der Gewinnung sinnvoller handlungsleitender Normen dienen. Dabei ist darauf zu achten, daß es sich hier nicht um einen einmalig festgelegten und abschließenden Katalog an Nor­ men handeln kann. Vielmehr müssen diese Normenkataloge eine zeitliche Offenheit aufweisen, um eine Anpassung an die sich ständig verändernden situativen Bedin­ gungen zu gewährleisten. Begleitend dazu sind Vorgehensweisen zu entwickeln, um diese Normenkodizes auch tatsächlich durchzusetzen und zu kontrollieren. Bei­ spielsweise ließen sich positive Sanktionen im Leistungsbeurteilungssystem und Vorschlagswesen174 installieren, um die Normenbefolgung und -Verbesserung anzu­ regen. 2. Die Schaffung spezialisierter Stellen, die der ethischen Sensibilisierung des Mana­ gements dienen, kann dazu führen, die Entscheidungsträger von der Notwendigkeit einer ethischen Orientierung des Unternehmens zu überzeugen. 3. 'Ethische Frühwarnsysteme' sollten analog zu strategischen Frühwarnsystemen ge­ schaffen werden, wobei auf eine dezentrale und multipersonale Ausgestaltung ge­ achtet werden sollte. Diese 'ethischen Frühwarnsysteme' stehen in Interdependenz mit der prinzipiellen Grundhaltung des Unternehmens, allen Interessengruppen ge­ genüber offen zu sein. 4. Die Entwicklung von Trainingsmaßnahmen zur ethischen Sensibilisierung der Mit­ arbeiter sollte in die Weiterbildungsmaßnahmen der Unternehmen integriert werden. Dazu gehört auch die Aufgabe, (zukünftige) Führungskräfte in ethisch-normativen Argumentationsprozessen zu schulen.

Einen vieldiskutierten Vorschlag, den auch STEINMANN aufgreift, stellen Ethik-Kom­ missionen dar. Hier sollen neben Unternehmensangehörigen auch externe Fach- und Prozeßexperten mitwirken können. Diese Kommissionen beschreibt Steinmann als 172 Vgl. Steinmann/Olbrich 1994, S.l28-129 und S.l36; Steinmann/Scherer 1996, S.4. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Hinterhuber/Nill 1993. 173 Vgl. Steinmann/Oppenrieder 1985, S.l78-179; Steinmann/Löhr 1987, S.452-453; Steinmann/Gerhard 1992, S.163-164; Steinmann/Olbrich 1994, S.136-137; Steinmann/Löhr 1995a, S.86-87. 174 Vgl. dazu Steih 1995, S.56-70.

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

137

'Hüter des Dialogs', die unabhängig vom Druck des Managements arbeiten sollen und - mit anerkannten Fachleuten besetzt - für eine Legitimation des unternehmerischen Handelns nach innen und außen sorgen können.175. Die folgende Abbildung zeigt die Rolle der Ethik-Kommission im Unternehmen auf.

Abbildung 4-12: Die Rolle der Ethik-Kommission nach STEINMANN

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Steinmann/Oppenrieder 1985, S.l80

Abschließend macht Steinmann auf die Barrieren aufmerksam, die sich einer erfolg­ reichen Implementierung untemehmensethischer Maßnahmen in den Weg stellen kön­ nen. So nennt er zeit-, organisations- und personenbezogene Barrieren.176

Um dem Zeitdruck zu entgehen, unter dem unternehmerische Entscheidungen vielfach getroffen werden müssen, ist eine rechtzeitige Planung und Vorschau wichtig. Dies 175 Vgl. Steinmann/Löhr 1991b, S.274-278. Steinmann verweist in diesem Zusammenhang auch auf die erfolgreiche Arbeit der 'Muskie-Kommission' im Nestle-Fall sowie auf den Cabora BassaFall, vgl. Steinmann/Oppenrieder 1985, S. 171-172; Steinmann/Löhr 1988, S.301-307; Steinmann/Löhr 1988a, S.5-10; Steinmann/Schreyögg 1982, S.515-531. Vgl. dazu auch Muskie/Greenwald 1986. 176 Vgl. Steinmann/Löhr 1988, S.314; Steinmann/Olbrich 1994, S.l36. Für eine ausführlichere Betrachtung möglicher Barrieren vgl. Nielsen 1984, pp. 191-201; Oppenrieder 1986; Löhr 1991, S.315-329.

138

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

führt zu den notwendigen organisatorischen Maßnahmen, die in die Herstellung einer kommunikationsfreundlichen Struktur münden müssen. STEINMANN sieht in diesem Zusammenhang den Abbau stark hierarchischer Strukturen als unerläßlich an. Um Or­ ganisationen ethisch sensibilisieren zu können, sind neben strukturellen Maßnahmen auch solche zu ergreifen, die die Rollen der Organisationsmitglieder stärker in Rich­ tung eines autonomen Handelns öffnen. STEINMANN fordert daher eine individuelle Sensibilisierung für ethische Probleme, die institutionell organisiert werden muß.177

4.4 Der dialogische Ansatz der Untemehmensethik 4.4.1 Ausgangspunkt: Die Erweiterung der ökonomischen Rationalität im Unternehmen als Konsequenz des diskursethischen Programms

Der dialogische Ansatz der Untemehmensethik wird vornehmlich von Peter Ulrich vertreten.178 Dabei greift er in seinem Konzept auf die Diskursethik der Frankfurter Schule, insbesondere auf Habermas, zurück. Da im weiteren Verlauf dieser Arbeit das Konzept von Ulrich zugrunde gelegt wird und er auf die philosophische Orien­ tierung der Diskursethik rekurriert, erscheint ein Exkurs bezüglich des diskursethi­ schen Programms an dieser Stelle sinnvoll. Das Programm der Diskursethik ist aller­ dings so umfänglich, daß der hier erfolgende Exkurs nur unvollständig sein kann und notwendigerweise einige Punkte ausgeklammert werden müssen. Daher sollen nur die für das Verständnis zwingend notwendigen Aspekte der Diskursethik vorgestellt wer­ den. Diese Abgrenzung begründet sich vor dem Hintergrund, daß in dieser Arbeit die auf Unternehmen bezogene ethische Reflexion im Rahmen der Strategischen Unter­ nehmensplanung im Vordergrund steht und nicht die unter Philosophen geführte Dis­ kussion um die Vorzugswürdigkeit alternativer ethischer Theorien.179

Exkurs: Das diskursethische Programm nach Habermas Habermas geht es um die Allgemeingültigkeit von Grundsätzen. Er nimmt dabei eine Abgrenzung zu Kant vor, da er dessen Kategorischem Imperativ die Position des So­ lipsismus vorwirft. Damit ist gemeint, daß die Entscheidung über die Allgemeingültig­ keit von Grundsätzen nicht vom einzelnen alleine, sondern nur von allen Betroffenen gemeinsam gefällt werden kann. Wird in einem Diskurs, an dem alle faktisch oder po­ tentiell Betroffenen teilnehmen, ein Konsens über den fraglichen Grundsatz erzielt, gilt dieser als allgemeingültig und mithin als Norm.180 Der Diskurs bildet einen Willens-, 177 Vgl. Steinmann/Löhr 1988a, S. 19-25; Steinmann 1990a, S. 10-27. 178 Das hier vorgestellte Konzept der Untemehmensethik wird von Ulrich und Mitarbeitern vertre­ ten. Der besseren Lesbarkeit wegen wird im folgenden aber nur Ulrich als Vertreter genannt. 179 Für eine ausführliche Vorstellung der Diskursethik vgl. Apel 1980; Apel 1986; Apel 1992; Habermas 1973; Habermas 1984; Habermas 1988; Habermas 1988a; Habermas 1992; Habermas 1992a; Habermas 1992b; Habermas 1993; Gripp 1984; Horster 1990; Anzenbacher 1992, S.244254; Ulrich 1993; Schönrich 1994; Teppe 1994. 180 Vgl. Habermas 1988, S.39.

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

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Forderungs-, Meinungs- und Argumentationsaustausch, an dessen Ende der Konsens stehen muß, damit ein Grundsatz als Handlungsnorm gelten kann.181 Dabei gibt die Diskursethik keine materialen Normen vor, sondern versteht sich als prozedurale Ethik, die formale Regeln der Normenentwicklung vorgibt. „Das Medium, in dem (...) geprüft werden kann, ob eine Handlungsnorm, sei sie nun faktisch anerkannt oder nicht, unparteiisch gerechtfertigt werden kann, ist der praktische Diskurs, also die Form der Argumentation, in der Ansprüche auf normative Richtigkeit zum Thema ge­ macht werden.“182

Quelle: Eigene Darstellung

Im Diskurs sollen „...problematisch gewordene Geltungsansprüche zum Thema ge­ macht und auf ihre Berechtigung hin untersucht werden“183. In diesem Zusammenhang sind vier verschiedene Formen von Geltungsansprüchen zu unterscheiden:184 • • • •

Geltungsanspruch der Verständlichkeit, Geltungsanspruch der Wahrhaftigkeit, Geltungsanspruch der Richtigkeit und Geltungsanspruch der Wahrheit.

Dabei ist zu beachten, daß nicht alle Geltungsansprüche in Diskursen überprüft werden können. Verständlichkeit der Rede ist die Bedingung jeder gelingenden Kommunika­ tion. Auch der Geltungsanspruch der Wahrhaftigkeit - also ob ein Sprecher das meint, was er sagt - kann nicht diskursiv überprüft werden. Zur Einlösung von Wahrhaftig­ keitsansprüchen müßte auf Handlungszusammenhänge zurückgegriffen werden. Da 181 182 183 184

Vgl. Habermas 1992, S.l03. Habermas 1988, S.39. Habermas 1973, S.214. Vgl. Habermas 1988, S.149 und S.439.

140

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

Diskurse jedoch handlungsentlastet sind und nur eine durch Argumentation gekenn­ zeichnete Form der Kommunikation darstellen, ist der Wahrhaftigkeitsanspruch nicht diskursfähig.185 Als diskursfähig gelten nur die Geltungsansprüche der Richtigkeit und der Wahrheit. Als wahr gilt eine Aussage dann, wenn sich deren Inhalt auch in der Realität so verhält, und als richtig, wenn sie einem geltenden normativen Kontext ent­ spricht oder der zu erfüllende Kontext legitim ist.186

Habermas unterscheidet weiterhin zwischen dem theoretischen und dem realen oder praktischen Diskurs. Dem theoretischen Diskurs liegt eine 'ideale Sprechsituation' zugrunde. HABERMAS erläutert dieses Phänomen damit, daß in jedem Diskurs wechselseitig eine ideale Sprechsituation unterstellt wird. Die ideale Sprechsituation ist dadurch charakterisiert, daß jeder Konsens, der unter ihren Bedingungen erzielt werden kann, als wahrer Kon­ sens gelten darf. Dieser - bei einer Kommunikation faktisch ablaufende Vorgriff auf die ideale Sprechsituation - sorgt dafür, daß mit einem faktisch erzielten Konsens der Anspruch des wahren Konsenses verbunden werden kann.187 Habermas zeigt dies auch anhand des 'performativen Widerspruchs' auf, den jeder begehen muß, der die Argumentationsregeln bestreiten will. Im gleichen Augenblick, in dem er seine Kritik sprachlich formuliert, nimmt er genau diese Argumentationsregeln für sich in An­ spruch. Schließlich würde er nicht zu argumentieren anfangen, wenn er nicht davon ausgehen würde, daß eine Verständigung über konfliktäre Sachverhalte grundsätzlich möglich wäre und zumindest prinzipiell ein Konsens erzielt werden könnte.188 Für das Zustandekommen eines Diskurses nennt Habermas in Anlehnung an Alexy folgende Diskursregeln, die aufgrund des sonst erfolgenden performativen Wider­ spruchs nicht als Konventionen, sondern als Präsuppositionen aufzufassen sind.189

Vgl. Habermas 1984, S. 131; Horster 1990, S.42. Vgl. Kirsch 1992, S.33. Vgl. Habermas 1992, S. 101-102. Vgl. dazu auch Horster 1990, S.45. Vgl. Habermas 1992a, S.l35; Habermas 1992, S.91, S.95 und S.l05. Zur Erläuterung des Un­ terschieds zwischen 'Sprechen' und 'kommunikativem Argumentieren' mag ein einfaches Bei­ spiel genügen: Mit meinem Hund spreche ich, aber ich argumentiere nicht mit ihm. 189 Vgl. Alexy 1978, S.40-41; Habermas 1992, S.99.

185 186 187 188

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

Regel

Inhalt

Beteiligung aller Betroffenen

• jeder von einem Konflikt Betroffene muß am Diskurs teilnehmen können, d. h. Betroffene müssen zu Beteiligten gemacht werden

141

• Garantie der unbeschränkten Bedürfniseinbringung für jeden

Chancengleichheit

• der Diskurs ist herrschaftsfrei, d.h., es zählt nur der Zwang des

besseren Arguments • weder die Person, Position, Institution noch die Tradition darf den Diskurs beeinflussen

Zwanglosigkeit

• Verzicht auf Überredungen und Sanktionen

Handlungsentlastung

• Diskurse müssen von einem unmittelbaren Zeit- und Handlungs­ druck entlastet sein

unbeschränkte Information

• allen Beteiligten müssen alle vorhandenen relevanten Informationen zugänglich gemacht werden

Uni versalisierbarkeit

• nur allgemein akzeptierbare Argumente sind gültig

Mündigkeit

• alle Diskursteilnehmer müssen vernünftig, urteilsfähig und aufrichtig in den Diskurs eintreten

rationale Motivation

• alle Diskursteilnehmer müssen gewillt sein, vernünftig zu argumentieren und alle Gegenargumente unvoreingenommen zu prüfen

• der erzielte Konsens muß für alle Beteiligten annehmbar sein

Tabelle 4-1: Diskursregeln nach

Habermas

Quelle: Kreikebaum/Behnam/Gilbert 1996, S.12; Habermas 1992, S.99-100

Da theoretische Diskurse aufgrund empirischer Restriktionen nicht durchführbar sind, geraten praktische Diskurse in den Vordergrund. Praktische Diskurse sind nicht im gleichen Maße von gesellschaftlichen Konflikten entlastet wie theoretische Diskurse. Sie sind weniger handlungsentlastet, da mit strittigen Normen das Gleichgewicht der intersubjektiven Anerkennungsverhältnisse angetastet wird. „Der Streit um Nonnen bleibt, auch wenn er mit diskursiven Mitteln geführt wird, im 'Kampf um Anerken­ nung' verwurzelt.“190 Hinzu kommt, daß Diskurse nun mal nicht in der Theorie, son­ dern in der Praxis stattfinden, was bedeutet, daß sie in einer Realität ablaufen, in der die konsensuelle Beilegung von Handlungskonflikten nicht dominiert.191 Im praktischen Diskurs geht es darum, daß die Teilnehmer tatsächlich zu einem ge­ meinsamen Beschluß gelangen. Sie müssen daher versuchen, einander davon zu über­ zeugen, daß es im Interesse eines jeden einzelnen von ihnen liegt, daß alle entspre­ 190 Habermas 1992, S.l 16. 191 Vgl. Habermas 1992, S.l 16.

142

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

chend der festzulegenden Norm handeln. In diesem Prozeß nennt einer dem anderen die Gründe dafür, warum er wollen kann, daß eine Handlungsweise sozial verbindlich gemacht wird.192 Wenn sich jeder Betroffene davon überzeugen kann, daß die vorge­ schlagene Norm unter den gegebenen Umständen 'für alle gleichermaßen gut' ist, gilt sie als gerechtfertigt, weil der argumentativ herbei geführte Beschluß anzeigt, daß die Norm als 'gleichermaßen gut für jeden Betroffenen' ausgezeichnet ist.

Der Individualität des einzelnen wird dabei kein Abbruch geleistet, da die rational zu entscheidende Frage, ob eine Handlungsweise jeweils im eigenen Interesse liegt, jeder einzelne für sich selber entscheiden muß.193 Vielmehr ist die intersubjektive Argumen­ tation dazu notwendig, die individuellen Absichten zu koordinieren und darüber zu einem gemeinsamen Beschluß zu gelangen, um somit eine kollektive Handlungsweise festlegen zu können. Dadurch ist sichergestellt, daß jeder Betroffene die Möglichkeit hatte, seine Zustimmung freiwillig zu geben. „Die Form der Argumentation soll ver­ hindern, daß einige anderen bloß suggerieren oder gar vorschreiben, was gut für sie ist. Sie soll nicht die Unparteilichkeit des Urteils, sondern die Unbeeinflußbarkeit oder Autonomie der Willensbildung ermöglichen. (...) Diskursregeln (...) neutralisieren Machtungleichgewichte und sorgen für eine chancengleiche Durchsetzung jeweils ei­ gener Interessen.“194

Habermas betont damit noch einmal die Abgrenzung zu Kant, da die Begründung von Normen und Geboten die Durchführung eines praktischen Diskurses verlangt, der dann auch nicht monologisch ist in Form einer im Geiste hypothetisch durchgeführten Argumentation.195 Habermas entfaltet die Diskurstheorie, um damit der von ihm postulierten Entkoppe­ lung von System und Lebenswelt sowie den daraus resultierenden gesellschaftlichen Fehlentwicklungen Einhalt zu gebieten.196 Diese These der Entkoppelung von System und Lebenswelt sei im folgenden kurz erläutert. Jegliches soziale Handeln findet in der Lebenswelt statt, die als 'soziales Netz' seitens der kommunikativ Handelnden selbst geknüpft wird.197 Kommunikatives Handeln er­ folgt dabei unter drei Aspekten:198 • Unter dem funktionalen Aspekt der Verständigung dient es der Bewahrung der Tradition und der Erneuerung kulturellen Wissens. • Unter dem Aspekt der Handlungskoordinierung dient es der Herstellung von Soli­ darität und der sozialen Integration. • Schließlich dient es unter dem Aspekt der Sozialisation der Ausbildung von perso­ nalen Identitäten. 192 193 194 195 196 197 198

Vgl. Habermas 1992, S.81. Vgl. Habermas 1992, S.79 und S.81. Habermas 1992, S.81-82. Hervorhebungen im Original. Vgl. Habermas 1992, S.78; Habermas 1996, S.46. Vgl. Habermas 1992b, S.48. Vgl. Habermas 1992b, S.42. Vgl. dazu auch Gripp 1984, S.94. Vgl. Habermas 1988a, S.2O8.

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

143

Die drei strukturellen Komponenten der Lebenswelt - Kultur, Gesellschaft und Per­ son - entsprechen den vorgenannten Vorgängen der kulturellen Reproduktion, sozialen Integration und Sozialisation. Unter 'Kultur' ist dabei der Wissensvorrat einer Gesell­ schaft und unter 'Gesellschaft' sind die legitimen Ordnungen, über die die Kommuni­ kationsteilnehmer ihre Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen regeln, zu verstehen. Mit 'Person' sind die Kompetenzen gemeint, die ein Individuum sprach- und handlungsfä­ hig machen und somit befähigen, an Verständigungsprozessen teilzunehmen und dabei die eigene Identität zu bewahren.199

Habermas betont nun, daß Lebenswelt nicht mit Gesellschaft gleichgesetzt werden darf, da dies nur möglich wäre, wenn die Integration von Gesellschaft allein unter den Prämissen verständigungsorientierten Handelns stattfände. Gesellschaft ist daher nicht nur eine kommunikativ strukturierte Lebenswelt, sondern zugleich auch System, da gesellschaftliche Integration auch über die funktionale Vernetzung von Handlungsfol­ gen stattfindet.200 Habermas unterscheidet deshalb explizit zwei Formen gesellschaft­ licher Integration:201 • Sozia/integration, die an den Handlungs^ri^nnerwngen ansetzt, und • Sysremintegration, die an den Handlungs/o/gen ansetzt.

Gesellschaft läßt sich somit heuristisch als System und Lebenswelt konzipieren und die Gesellschaftstheorie muß daher den Rationalitätsstrukturen in beiden Dimensionen nachgehen.202 Damit verbunden sind zwei unterschiedliche Handlungsformen: 'verständigungsorientiertes Handeln' bei der Sozialintegration und 'erfolgsorientiertes Handeln' bei der Systemintegration.203 HABERMAS verdeutlicht die Verlagerung von verständigungsorientiertem Handeln hin zu erfolgsorientiertem Han­ deln anhand der gesellschaftshistorischen Entwicklung. Ausgehend von egalitären Stammesgesellschaften, in denen über Verwandschaftsstruk­ turen die system- und sozialintegrativen Mechanismen noch zusammengehalten wur­ den, entwickelte sich über mehrere Stufen hinweg die heutige 'ökonomisch konstitu­ ierte Klassengesellschaft'.204 In dieser erfolgt die gesellschaftliche Integration über das formale Steuerungsmedium des bürgerlichen Privatrechts (bzw. über Macht und Geld), was zugleich bedeutet, daß nun eine Systemdifferenzierung stattgefunden hat. Der ent­ scheidende Aspekt für die These der Entkoppelung von System und Lebenswelt ist darin zu sehen, daß Habermas annimmt, daß jeder evolutionär auftretende Mecha­ nismus der Systemdifferenzierung in der Lebenswelt verankert werden muß, da jede neue Ebene der Systemdifferenzierung zugleich einen Eingriff in die Lebenswelt be­ deutet.205 Erfolgt also im Zeitablauf über die verschiedenen gesellschaftshistorischen 199 Vgl. Habermas 1988a, S.209. 200 Vgl. Habermas 1988a, S.226. 201 Vgl. Habermas 1988a, S.228. 202 Vgl. Gripp 1984, S.95. 203 Vgl. Habermas 1992, S.l44-152. 204 Vgl. Habermas 1988a, S.246-249. 205 Vgl. Habermas 1988a, S.249. Vgl. dazu auch Gripp 1984, S.98.

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

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Stufen hinweg eine Umwandlung bis dato verständigungsorientierter Handlungsko­ ordination zu erfolgsorientierter Handlungskoordination, so muß dies in der Lebens­ welt institutionell verankert werden. Dies hat zur Folge, daß auch die Lebenswelt im­ mer abstraktere Formen des verständigungsorientierten Handelns institutionalisieren muß, bevor sie in der Lage ist, diese neue Ebene der Systemdifferenzierung verankern zu können.206 Die Systemdifferenzierungen stehen somit in einer wechselseitigen Be­ ziehung zu der Entwicklung von Rationalitätsstrukturen in der Lebenswelt, sie sind ohne diese gar nicht möglich.

Habermas postuliert nun eine mit der gesellschaftlichen Entwicklung fortschreitende Wertgeneralisierung, die schließlich zu einer tatsächlichen Trennung von erfolgs- und verständigungsorientierten Handlungskomplexen führt.207 Dies hat zur Folge, daß die Handlungskoordinierung auf entsprachlichte Kommunikationsmedien (eben formale Steuerungsmedien) umgestellt wird, was dann zu jener Abkoppelung der Subsysteme zweckrationalen Handelns (System) von der Lebenswelt führt, die Habermas die Ent­ koppelung von System und Lebenswelt nennt. 'Macht' und 'Geld' sind dabei die wichtigsten formalen Steuerungsmedien.208

Diese Umstellung der Handlungskoordinierung von Sprache auf entsprachlichte Steue­ rungsmedien, die die Abkoppelung eines Teils der gesellschaftlichen Interaktion von ihren lebensweltlichen Kontexten bewirkt, bringt einerseits eine Entlastung lebens­ weltlicher Kommunikationszusammenhänge, andererseits bewirkt sie aber auch eine 'Technisierung der Lebenswelt'.209 Die Entkoppelung von System- und Sozialintegra­ tion bewirkt eine Differenzierung verschiedener Typen der Handlungskoordinierung. In dem einen Fall erfolgt diese Koordinierung über den Konsens der Beteiligten, im anderen Fall über systemintegrative Mechanismen, die an den Handlungsfolgen anset­ zen. Sobald nun die Mechanismen der Systemintegration in die Formen der sozialen Integration selbst eingreifen, findet nach Habermas eine 'Kolonialisierung der Le­ benswelt' seitens des Systems statt.210 „Die Deformationen, die der Rationalisierungs­ prozeß der modernen Welt mit sich gebracht hat, (...) sind das Resultat des Eindrin­ gens von Imperativen der Subsysteme zweckrationalen Handelns in Bereiche, in denen die Handlungskoordinierung genuin über kommunikatives, also verständigungsorien­ tiertes Handeln stattfindet und auch nur stattfinden kann. Dieses Eindringen der über die Kommunikationsmedien Macht und Geld vermittelten Imperative von Bürokratie und Wirtschaft in die Lebenswelt zerstört deren Strukturen gleichsam ersatzlos.“211

Ende des Exkurses

206 207 208 209 210 211

Vgl. Gripp 1984, S.98-99. Vgl. Habermas 1988a, S.268-269. Vgl. Habermas 1992b, S.44-46. Vgl. Habermas 1988a, S.273. Vgl. Habermas 1988a, S.452. Vgl. als kritische Position dazu Kitschelt 1980, S.420-422. Gripp 1984, S. 102-103.

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

145

Neben der Diskursethik ist ein weiterer Ausgangspunkt des untemehmensethischen Ansatzes von ULRICH in der Kritik am herkömmlichen betriebswirtschaftlichen Ratio­ nalitätsverständnis zu sehen, da es seiner Ansicht nach das 'Gewinnmaximierungsprinzip' als unhinterfragten Sach- und Denkzwang voraus­ setzt.212 Stattdessen sollte sich die Betriebswirtschaftslehre zunächst grundlegend mit den normativen Voraussetzungen sozialökonomisch rationaler Untemehmensführung beschäftigen.213 Im herkömmlichen Verständnis wird eine der entscheidenden unter­ nehmensethischen Grundfragen, die nach dem Verhältnis von unternehmerischem Gewinnstreben zu Kriterien gesamtgesellschaftlicher Lebensqualität, für den 'Normalfall' als positiv beantwortet unterstellt.214 ULRICH ist hingegen der Auffassung, daß der zeittypische Normalfall eher in der Universalität von externen Effekten unter­ nehmerischen Handelns auf die Lebensqualität Dritter zu sehen ist.215 Untemehmens­ ethik sollte dieser Realität unbefangen entgegentreten und nicht mit Korrekturbemü­ hungen des Gewinnprinzips an den die Realität dominierenden Sachzwängen der insti­ tutionalisierten betriebswirtschaftlichen Rationalitätsimperative 'vorbeimora-lisieren'.216 Wenn demgegenüber Ökonomik als praktische Disziplin im umfassenden, philosophi­ schen Sinne verstanden wird, dann stellt vernünftiges Wirtschaften sowohl normative als auch technische Probleme. Damit umfaßt es ebenso Probleme der ethisch-prakti­ schen Vernunft wie auch der instrumentellen und strategischen Rationalität. Ökonomik als Wissenschaft sollte daher nicht nur Verfügungswissen (für die effiziente Verwirkli­ chung vorgegebener Zwecke), sondern auch Orientierungswissen (über vernünftige Zwecke des Wirtschaftens) beinhalten.217 Eine zeitgemäße Untemehmensethik muß deshalb als kritische Untemehmensethik zuallerst den betriebswirtschaftlichen Rationalitätsanspruch aus ethisch-praktischer Sicht zur Diskussion stellen und „...eine ökonomische Leitidee von rationaler Unter­ nehmensführung bieten, die in sich schon den Ansprüchen ethischer Vernünftigkeit genügt“218. Sozialökonomisch 'effizientes' unternehmerisches Handeln setzt somit die Funktionalität des Wirtschaftens im Hinblick auf im vorhinein geklärte lebensprakti­ sche Werte und Bedürfnisse voraus.219 Als sozialökonomisch rational sind jene Insti­ tutionen und Handlungen zu verstehen, die freie und mündige Bürger in einer politisch­ ökonomischen Verständigung unter allen Betroffenen als 'wertschaffend' bestimmt haben.220 Damit verkörpert die sozialökonomische Rationalitätsidee im Anschluß an die Diskursethik einen prozeduralen Rationalitätstyp, dessen Praxisbezug nicht in einer 212 Vgl. Ulrich 1990a, S.l 11-112. Ulrich spricht in diesem Zusammenhang vom „...ökonomistischen Selbstmissverständnis der Betriebswirtschaftslehre“, Ulrich 1987, S.134. 213 Vgl. Ulrich 1987a, S.24; Ulrich 1989, S.88-89. 214 Vgl. Ulrich 1991a, S.193 und S.195-196; Ulrich 1993a, S. 14-15; Ulrich 1994, S.91-92. 215 Vgl. Ulrich 1988, S.17; Ulrich 1990a, S.129. 2,6 Vgl. Ulrich 1989a, S.l38-139; Ulrich 1990b, S.33. 217 Vgl. Ulrich 1993a, S.l. 218 Ulrich 1987, S.l35. Hervorhebung im Original. 219 Vgl. Ulrich 1996, S. 166. 220 Vgl. Ulrich 1990a, S.l33; Ulrich 1994, S.84.

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Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

materialen Vorwegnahme inhaltlicher Ergebnisse des politisch-ökonomischen Kom­ munikationsprozesses zu sehen ist. Vielmehr liegt der Praxisbezug in der 'kommunikativ-vernünftigen' Festlegung der institutioneilen und individuellen Voraus­ setzungen, was als ökonomisch rational zu gelten hat.221 Ulrichs grundlegende These lautet daher: „Es geht in einer wissenschaftlich frucht­ baren Konzeption von Wirtschafts- und Untemehmensethik nicht um die moralisie­ rende Begrenzung einer als solche nicht hinterfragten (...) ökonomischen Rationalität von außen her, sondern gerade umgekehrt um ihre philosophisch-ethische Erweite­ rung von innen her. Mit anderen Worten: Es geht um eine methodische Versöhnung von ökonomischer Rationalität und ethischer Vernunft.“222

Um sich nicht dem Vorwurf einer 'ökonomistischen Scheinrationalität' auszusetzen, muß ökonomische Rationalität also in Einklang mit lebenspraktischer Vernunft ge­ bracht werden. Es ist daher zunächst eine Idee von vernünftigem Wirtschaften zu entwickeln, die in sich schon den ethischen Ansprüchen einer modernen Gesellschaft genügt und dadurch eine kritisch-rationale Reflexion auf den Sinn ökonomischen Han­ delns für unsere Lebenspraxis - das gute Leben und Zusammenleben - als Ganzes er­ möglicht.223 Daher kann es keine vernünftige Konzeption von Wirtschaftsethik jenseits der ökonomischen Rationalität geben und somit auch keine wohlverstandene ökonomi­ sche Rationalität diesseits praktischer Vernunft.224

Damit ordnet ULRICH unternehmerisches Handeln in einen übergeordneten mensch­ lich-gesellschaftlichen Sinnzusammenhang ein. Die instrumentelle Mittelebene wird zwar auch angesprochen, in erster Linie geht es aber um die übergeordnete Zweckebene wirtschaftlichen Handelns, in die die Mittelebene eingebaut ist.225

221 222 223 224 225

Vgl. Ulrich 1990b, S.37. Ulrich 1987a, S.6-7. Hervorhebungen zum Teil im Original. Vgl. Ulrich 1987a, S.7; Ulrich 1987c, S.412. Vgl. Ulrich 1993a, S.6. Vgl. Neugebauer 1994, S.83.

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

147

Abbildung 4-14: Die 'Verortung' unternehmerischen Handelns bei ULRICH

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Ulrich 1993b, S.24

Betriebswirtschaftslehre als anwendungsbezogene Untemehmensführungslehre wird dann nicht mehr nur als erfolgsorientierte (optimierende) Managementtechnik gesehen, sondern als menschenbezogene, sinnerfullte und damit legitimierte Ressourcenverwer­ tung, die als ökonomischer Beitrag zu einer ganzheitlichen lebensweltlichen Daseins­ gestaltung gilt.226 Ulrich definiert das untemehmensethische Grundproblem daher folgendermaßen: „Wie sind die Erfordernisse der unternehmerischen Erfolgserzie­ lung und -Sicherung mit den ethischen Anforderungen, derer sich Unternehmer und Führungskräfte als verantwortliche Personen bewusst sind oder bewusst werden sollten, in Einklang zu bringen?“221

4.4.2 Drei Rationalisierungsebenen und die regulative Leitidee des unternehmenspolitischen Dialogs

Aus Ulrichs Kritik an der konventionellen untemehmensethisehen Zwei-WeltenKonzeption folgt für ihn keineswegs zwingend die Rückkehr zu einer traditionellen Einheitskonzeption der klassischen Ökonomen im Sinne der vollständigen Moralisie226 Vgl. Ulrich 1981, S.63. 227 Ulrich 1993a, S.l2. Hervorhebung im Original.

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Strategische Implikationen, alternierender Ansätze der Untemehmensethik

rung allen betriebswirtschaftlichen Handelns. Stattdessen entwickelt er eine dreistufige Konzeption sozialökonomischer Rationalisierungsaufgaben der Untemehmensführung, die er dem modernen Management für angemessen hält. Es ergibt sich die in der fol­ genden Tabelle dargestellte Systematik von drei betriebswirtschaftlichen Rationalisie­ rungsebenen. 1. Rationalitätsebene:

Rationalisierungs­ gegenstand

Perspektive des Unternehmens Sozialökonomisches Erfolgskriterium

II. Rationalitätsebene:

III. Rationalitätsebene:

Unternehmenspolitische Strategische Systemsteuerung Verständigung

Operativer Ressourceneinsatz

(Normatives Management) kollektive Präferenzordnung des Unternehmens (Zwecke, Ziele, Normen)

(Strategisches Management) Funktionsprinzipien (Strategien, Strukturen, Führungssysteme)

(Operatives Management) Produktionsfaktoren (Ressourcen, Verfahren)

Das Unternehmen als quasi­ öffentliche Institution

Das Unternehmen als soziotechnisches System

Das Unternehmen als Kombination von Produktionsfaktoren

Effizienz

Grundlegende Managementaufgabe

Responsiveness Effektivität (Wertberücksichtigungspotential des Unternehmens) Aufbau unternehmenspolitischer Aufbau strategischer Verständigungspotentiale Erfolgspotentiale

Rationalisierungstyp

strategische (System-) kommunikative Rationalisierung Rationalisierung

instrumentelle (Faktor-) Rationalisierung

Aufbau operativer Produktivitätspotentiale

Tabelle 4-2: Sozialökonomische Konzeption betriebswirtschaftlicher Rationalisierungsebenen Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Ulrich 1987, S.136; Ulrich 1994, S.87

Die ökonomische Funktion der strategischen Systemsteuerung liegt in der Festlegung der Steuerungsprinzipien des Unternehmens als eines soziotechnischen Systems. An­ stelle einer unmittelbaren Ergebnis- und Erfolgsorientierung tritt die Anforderung, die qualitativen Erfolgsvoraussetzungen sozialtechnologisch zu gestalten. Es müssen sy­ stematisch diejenigen Fähigkeiten des Unternehmens aufgebaut werden, die es ihm ermöglichen, bestmöglich auf strategische Überraschungen zu reagieren und über er­ folgversprechende Handlungsoptionen zu verfügen.228 Auf der Ebene des operativen Ressourceneinsatzes geht es um den Aufbau und die Ausschöpfung betrieblicher Pro­ duktivitätspotentiale durch die optimale Kombination der Produktionsfaktoren.229

Der wesentliche Aspekt ist darin zu sehen, daß eine moderne Managementkonzeption unbedingt ein relativ autonomes Führungssystem benötigt, das von permanenten Wertund Interessenkonflikten um die Funktionsprinzipien des Unternehmens zumindest für bestimmte Perioden entlastet bleibt. Hierin läßt sich die Analogie zum relativ autono­ men Wirtschaftssystem auf gesamtgesellschaftlicher Ebene sehen. Diese relative Au­ tonomie ist aufgrund der heutigen Komplexität der strategischen und operativen Füh­ 228 Vgl. Ulrich 1988a, S.206. 229 Vgl. Ulrich 1988a, S.207.

Strategische Implikationen alternierender Ansätze der Untemehmensethik

149

rungsaufgaben notwendig, die sich durch eine hochgradige interne Arbeitsteiligkeit bei gleichzeitiger Turbulenz der externen (Markt-)Bedingungen ergibt.230 Um diese Auto­ nomie zu ermöglichen, sind diejenigen Wert- und Interessenkonflikte bezüglich des unternehmerischen Handelns, die aufgrund der zunehmenden externen Effekte privaten Wirtschaftens an Häufigkeit und Konfliktstoff gewinnen, systematisch auf der vor- und übergeordneten Ebene des normativen Managements auf der Basis einer kommunikati­ ven Rationalisierung zu regeln.231 ULRICH plädiert daher für die regulative Leitidee des unternehmenspolitischen Dialogs. Die Ansatzpunkte dieser regulativen Leitidee seien im folgenden entfaltet.

Ulrich ist der Ansicht, daß in einer Welt, in der unternehmerisches Handeln immer wieder negative externe Effekte auf die Lebensqualität unbeteiligter Dritter erzeugt, das Unternehmen zwar nicht de jure aber de facto seinen Charakter als 'Privatangelegenheit' verliert und daher das 'erwerbs wirtschaftliche Prinzip' nicht mehr als ein 'interessenneutrales Formalziel' der Unternehmung gelten kann.232 Un­ ternehmerisches Gewinnstreben ist vielmehr als ein personengebundenes Interesse an­ zusehen, das mit den legitimen Interessen anderer Beteiligter oder extern Betroffener konfligieren kann. Da nur Personen Ziele haben können, sollte die Fiktion eines an­ onymen, 'rein betriebswirtschaftlichen' Untemehmensziels aufgegeben werden.233 „Es gibt kein 'Untemehmensinteresse' an sich, sondern nur verschiedene personen- oder gruppenspezifische Interessen am Unternehmen.“234 Wenn das Unternehmen also für verschiedene interne und externe Interessengruppen unterschiedlichste sozialökonomische Funktionen und Dysfunktionen (negative externe Effekte) erfüllt, zwischen denen partielle Interessenkonflikte bestehen, dann ist es unabhängig von seinem üblicherweise privatrechtlichen Status - zunehmend als 'quasi­ öffentliche Institution' zu verstehen.235 Da keine dieser Interessengruppen die 'reine betriebswirtschaftliche Vernunft' auf ihrer Seite hat, plädiert ULRICH für die Bestim­ mung einer kollektiven Präferenzordnung des Unternehmens.236 Darunter versteht er ein konsistentes System oberster Untemehmensziele und Handlungsgrundsätze. Die Entwicklung dieser kollektiven Präferenzordnung ist als untemehmenspolitisches Verhandlungs- und Verständigungsproblem anzusehen, an dem alle an Untemehmensent­ scheidungen Beteiligten oder von ihnen Betroffenen mitwirken.237

Das Verfahren der Entwicklung einer kollektiven Präferenzordnung hat Kriterien for­ maler Verfahrensrationalität zu genügen (prozedurale Rationalität). Es darf also selbst 230 Vgl. Ulrich 1987a, S.29; Ulrich 1987d, S.108. 231 Vgl. Ulrich 1987a, S.29. 232 Vgl. Ulrich 1981, S.59; Ulrich 1990a, S.l30. Vgl. dazu auch Kosiol 1972, S.226-227; Gutenberg 1983, S.452;. 233 Vgl. Ulrich 1981, S.61. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die schon früh geäußerte Kritik am 'Ökonomismus' in Myrdal 1932; Weisser 1934; Albert 1972. 234 Ulrich 1987a, S.30. Hervorhebungen im Original. 235 Vgl. Ulrich 1977, S.29 und 225-227; Ulrich 1987d, S.97; Ulrich/Fluri 1995, S.60-61. 236 Vgl. Ulrich 1987c, S.420. 237 Vgl. Ulrich 1987b, S.22; Ulrich 1988a, S.203; Ulrich 1993, S.424.

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noch keine substantiellen Wertprämissen voraussetzen, um nicht von vornherein be­ stimmte personengebundene Interessen zu privilegieren. In Anlehnung an die vorge­ stellte Diskursethik fordert ULRICH daher die Idee der kommunikativ-ethischen Ratio­ nalität als die diesem Problemtyp angemessene Rationalitätsidee: „...es soll eine argu­ mentative Verständigung unter allen Beteiligten bzw. Betroffenen angestrebt werden, die sich gegenseitig als mündige Subjekte anerkennen und gewillt sind, zu einem ver­ nünftigen, fairen Konsens zu kommen“238. Sämtliche Wert- und Interessenkonflikte bezüglich des unternehmerischen Handelns gilt es idealerweise durch die Beteiligung aller Betroffenen in vernunftorientierten Verständigungsprozessen zu lösen.

ULRICH betont, daß damit erst eine regulative Idee formuliert ist und es ein Kurzschluß wäre, diese mit einer bereits pragmatisch anwendbaren Führungskonzeption zu ver­ wechseln.239 Dennoch hat die regulative Leitidee des untemehmenspolitischen Dialogs auf der Ebene des normativen Managements auch Auswirkungen auf die Ebene der strategischen Systemsteuerung. Im Rahmen der Leitidee geht es nun um die 'Responsiveness' des Unternehmens, statt einer 'Social Responsibility'. Letztere im­ pliziert, daß die Ermittlung und Berücksichtigung der Bedürfnisse extern Betroffener eine Aufgabe ist, die das Management in einsamer Eigeninitiative erfüllen kann.240 Demgegenüber erfordert Responsiveness den Dialog und das Eingehen auf sich ver­ ändernde Werte- und Bedürfnisstrukturen der Interessengruppen.241 Damit ist gemeint, daß nicht eine paternalistische Entscheidung für die Betroffenen, sondern eine dialogi­ sche Entscheidung mit den Betroffenen erfolgen sollte. Mit anderen Worten: Betrof­ fene sind zu Beteiligten zu machen. Es geht mithin um den systematischen Aufbau strategischer Erfolgspotentiale nicht nur am Markt, sondern auch bezüglich der über­ geordneten kollektiven Präferenzordnung, die für die Untemehmenspolitik bestimmend ist. Sozio-politische Strategien, die die sozialen Interaktionen des Managements unter strategischer Erfolgsorientierung und nicht unter einer Verständigungsorientierung er­ arbeiten,242 sind nur dann legitim und rational, sofern sie im Rahmen einer Untemehmensverfassung (Präferenzordnung) erfolgen, die im Sinne der sozialökonomischen Rationalitätsidee funktioniert.243 4.4.3 Strategische Implikationen Die regulative Leitidee des untemehmenspolitischen Dialogs führt auf zwei Ebenen zu Konsequenzen für die Untemehmensführung. Auf der institutioneilen Gestal­ tungsebene ist dies die Leitidee der offenen Unternehmensverfassung und auf der per­ sonellen Handlungsebene ist es die Leitidee des konsensorientierten Managements. Ulrich bezeichnet dies als „../regulative Ideen zweiter Ordnung', die die Richtung 238 239 240 241 242 243

Ulrich 1987a, S.31. Vgl. Ulrich 1987d, S. 106; Ulrich 1993, S.429. Vgl. Ulrich 1981, S.63; Ulrich 1987c, S.422. Vgl. Ulrich 1987,5.139. Vgl. in diesem Zusammenhang Achleitner 1985. Vgl. Ulrich 1988a, S.206.

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für pragmatische Umsetzungskonzepte des untemehmungspolitischen Dialogs wei­ sen“244. Im folgenden werden beide Leitideen vorgestellt.

Die regulative Leitidee der offenen Unternehmensverfassung Unter einer Untemehmensverfassung wird hier eine Verfahrensordnung verstanden, welche die Regeln und die Verfahrensweise des untemehmenspolitischen Interessen­ ausgleichs für alle Beteiligten verbindlich festlegt.245 ULRICH versteht die Idee der offenen Untemehmensverfassung als betriebswirtschaft­

liches Pendant zum politisch-ökonomischen Gesellschafts vertrag. Bei beiden ist die Einbeziehung der von externen Effekten Betroffenen konstitutiv, während das privat­ rechtlich konzipierte Gesellschaftsrecht dem Muster des Tauschvertrags unter den kapitalgebenden 'Gesellschaftern' entspricht und alle anderen Betroffenen ausgrenzt. Die in der prozeduralen Diskursethik festgelegte Bedingung der wechselseitigen An­ erkennung der Beteiligten als mündige Gesprächspartner führt zu der argumentativen Verständigung über die kollektive Präferenzordnung. Dies impliziert einen „...konstitutionellen Basiskonsens über ein rechtswirksames System von Grundnormen und unentziehbaren Grundrechten aller Beteiligten oder Betroffenen zur Wahrung ihrer legitimen Interessen im untemehmungspolitischen Willensbildungsprozess“246. Ulrich postuliert, daß deshalb so viele 'externe Effekte' entstehen, weil es unter dem heute geltenden Untemehmensrecht so viele Externe bei untemehmenspolitischen Ent­ scheidungen gibt.247 Wenn diese Externen im Rahmen der untemehmenspolitischen Willensbildung im Wortsinn 'nichts zu sagen haben', können sie sich gezwungen se­ hen, den interventionsstaatlichen Umweg zu gehen, um ihre Interessen zu wahren. „Dieser Weg hat nicht nur den schwerwiegenden Nachteil, daß externe Effekte regel­ mässig erst ex post vom reagierenden Staat in die 'Rechnung' der Verursacher inter­ nalisiert werden, sondern führt auch zur fortlaufenden bürokratisch-zentralistischen Aushöhlung der Grundlagen einer freiheitlich-dezentral organisierten Gesellschaft.“248 Die Unternehmensleitung sollte daher die Untemehmensverfassung in einer Weise ge­ stalten, die die legitimen Interessen aller Beteiligten und Betroffenen berücksichtigt. Wesentlich sind hierbei m.E. die Stichworte 'legitime Interessen' und 'Beteiligte und Betroffene'. Das Problem der Konstitution der untemehmenspolitischen Verständi­ gungsgemeinschaft liegt in der Abgrenzung personal identifizierbarer extern Betroffe­ ner. Es kann allerdings nicht durch einen 'erschöpfenden' oder 'ausschließenden' Ka­ talog relevanter externer Interessengruppen behoben werden, da es potentiell so viele extern Betroffene geben kann, wie externe Effekte auftreten.249 Vielmehr zeichnet sich eine offene Untemehmensverfassung dadurch aus, daß sie 'in die Zukunft hinein' offen 244 245 246 247 248 249

Ulrich 1987a, S.33. Vgl. Vanberg 1983, S.l79. Ulrich 1987, S.38. Hervorhebung im Original. Vgl. Ulrich 1987, S.143. Vgl. hierzu auch Kappler 1977, S.80. Ulrich 1987a, S.38. Hervorhebung im Original. Vgl. Behnam/Muthreich 1995.

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ist, und daher in einer grundrechteorientierten Untemehmensverfassung nicht ab­ schließend festgelegt wird, wer als Betroffener anzusehen ist.250

Hiermit werden zentrale Fragen der praktischen Umsetzung einer dialogisch konzipier­ ten Untemehmensethik angesprochen: • Wie werden Betroffene definiert, und wer tut dies? • Welche Kriterien werden herangezogen, um Betroffene auch als solche anzuerken­ nen? • Darf die Anzahl der Diskursteilnehmer an praktischen Diskursen begrenzt werden, und wenn ja, wie begrenzt man diese sinnvoll?

Diese Fragen werden sicherlich nicht abschließend beantwortet werden können, da die Betroffenheit in einem Konflikt letztlich auf subjektiven Wahrnehmungen von Betrof­ fenheit beruht.251 Auch sind nicht grundsätzlich jegliche Interessen der Betroffenen legitim und damit verhandlungsfähig, sondern nur solche, bei denen sich ein Zusammenhang zu den un­ ternehmerischen Aktivitäten und deontologisch-ethischen Voraussetzungen vernünfti­ gen Wirtschaftens herstellen läßt.252 Die folgende Tabelle zeigt die wesentlichen Merkmale einer solchen dialogischen Untemehmensverfassung im Vergleich zu einer monologisch konzipierten auf

Monologische V E RANTWORTUNGSKONZEPTION Sozial verantwortliche Unternehmensleitung (Social Responsibility)

Dialogische Verantwortungskonzeption Konsensorientierte Untemehmenspolitik (Responsiveness)

Utilitaristische Ethik: Sozialnutzenmaximierung Kommunikative Ethik: Wechselseitige Anerkennung als mündige Personen Entscheiden für die Betroffenen

Entscheiden mit den Betroffenen

Paternalistische Interessenberücksichtigung (Sozialmarketing)

Dialogischer Interessenausgleich (Partizipation)

Strukturkonservativ: Beibehaltung asymmetrischer Kommunikationssituationen

Strukturkritisch: Schaffung symmetrischer Kommunikationssituationen

Abhängigkeit und 'Verantwortungslosigkeit' der Betroffenen

Mündigkeit und Verantwortungsfähigkeit aller Beteiligten

Tabelle 4-3: Konzeption einer offenen Unternehmensverfassung Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Ulrich 1994, S.96 250 Vgl. Ulrich 1993, S.426-427. Vgl. dazu auch Kappler 1980. 251 Ein Versuch der pragmatischen Bestimmung relevanter Interessengruppen des Unternehmens wird in Kapitel 6 dieser Arbeit vorgenommen. 252 Vgl. Ulrich 1990, S.206; Ulrich 1990b, S.31-32.

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Die regulative Leitidee des konsensorientierten Managements Die Leitidee des konsensorientierten Managements fordert den systematischen Aufbau und die permanente Pflege von unternehmenspolitischen Verständigungspotentialen zwischen der Unternehmensleitung und allen internen sowie externen Interessengrup­ pen. Die Vorstellung einer Responsiveness des Unternehmens erfordert ein aktives Eingehen auf die Wertvorstellungen, Bedürfnisse und Ansprüche der betroffenen Inter­ essengruppen.253 Das Managementinteresse liegt dabei in der Schaffung von tragfähi­ gen Beziehungen zu allen Gruppen, von deren Unterstützungs- und Kooperationsbe­ reitschaft die langfristige Existenz- und Erfolgssicherung des Unternehmens ab­ hängt.254

Ulrich verweist darauf, daß sich der Aufbau kommunikativer Verständigungspoten­ tiale auf Dauer auch für den Aufbau strategischer Erfolgspotentiale als funktional er­ weisen kann.255 Die Beteiligung der Betroffenen am untemehmenspolitischen Wil­ lensbildungsprozeß wirkt sich um so günstiger aus, je geringer die Konsensbildungs­ kosten im Vergleich zu den dadurch vermiedenen Folgekosten eines Dissenses oder manifesten Widerstands sind.256 Einige Ansätze der modernen Managementlehre und praktischen Unternehmensführung greifen Elemente dialogischer Interaktion als Me­ thode der Handlungskoordination bereits auf. Als Beispiele lassen sich nennen:257 • Partizipative Führung. Die Mitarbeiter werden an argumentativen Prozessen be­ teiligt, von deren Ergebnissen sie betroffen sind oder potentiell sein können. • Organisationsentwicklung. Eine kommunikationsfreundlichere Unternehmenskultur und -Struktur wird in Kooperation mit den Betroffenen angestrebt. Hierfür wird auch der Begriff 'Internal Relations' gewählt. • Teilautonome Arbeitsgruppen. Aus der hier erfolgenden Gruppen-Selbstorganisation ergibt sich eine Gruppen-Selbstverantwortung. • External Relations. Ein regelmäßiger Dialog mit extern Betroffenen wird institutio­ nalisiert und ist somit im Gegensatz zur monologischen Konzeption der Public Re­ lations zu sehen.

Mögliche Zusammenhänge von Strategischem Management oder Strategischer Unter­ nehmensplanung und konsensorientiertem Management gibt folgende Tabelle wieder.

253 Vgl. Ulrich 1987e, Sp.2055-2056. 254 Vgl. Ulrich 1987a, S.33-34. Diese Gruppen können Mitarbeiter, Kunden, Kapitalgeber, Liefe­ ranten, der Staat oder die kritische Öffentlichkeit sein, ohne daß damit ein erschöpfender Katalog aufgestellt wäre, vgl. Behnam/Muthreich 1995. 255 Vgl. Ulrich 1989b, S.22-23. 256 Vgl. Ulrich 1984, S.317-322; Ulrich 1993, S.438. 257 Vgl. Ulrich 1983, S.81-82; Ulrich 1988b, S.18; Ulrich 1991b, Ulrich 1992, S.204-213; Ulrich 1993, S.434.

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Strategische Planung

Konsensorientiertes Management

Problemtyp der Ungewißheit

Problemtyp der Uneinigkeit

Informationsverarbeitung als Faktenanalyse

Willensbildung als Normenentwicklung

'objektive' Information über Wirkungszusammenhänge

intersubjektiver Konsens über Sinnzusammenhänge

Aufbau von strategischen Erfolgspotentialen

Aufbau von kommunikativen

Verständigungspotentialen funktionale Systemintegration (Systemsteuerung)

normative Sozialintegration (lebensweltliche Legitimation)

Tabelle 4-4: Zusammenhang von Strategischer Planung und konsensorientiertem Management Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Ulrich 1983, S.80; Ulrich 1993, S.439

Die Qualität und Belastbarkeit der aufgebauten Verständigungspotentiale erweist sich insbesondere, wenn es zu untemehmenspolitischen Konflikten und Krisen kommt. In diesen Fällen wird erkenntlich, ob sich die aufgebauten Verständigungspotentiale be­ währen oder aber überfordert sind. Im letzteren Falle kommt es dann zu anscheinend überraschend auftretenden Kooperations- oder Akzeptanz Verweigerungen, zu Wider­ stand, Protest oder Konsumentenboykott. Im Regelfall helfen dann auch raffinierteste Formen des 'Krisenmanagements' oder der 'Public Relations' nicht mehr, um nachhal­ tige Schädigungen des Untemehmensimages zu verhindern, die sich häufig auch in Er­ tragsschwächungen niederschlagen.258 Dabei ist zu beachten, daß der Aufbau von tragfähigen Verständigungspotentialen ein langfristiger Entwicklungsprozeß ist, der nicht ad hoc nachgeholt werden kann.259

In den Fällen, in denen eine dialogische Situation nicht oder zumindestens nicht inner­ halb eines sinnvollen Zeitraums geschaffen werden kann, kommt ein Entscheidungs­ träger nicht um eine 'einsame' Entscheidung herum. Hier kommt die 'Situationsethik der stellvertretenden Entscheidung' zum Tragen. Sofern eine einseitige Verantwortungsübemahme unabwendbar ist, gilt es, in der 'einsamen' Reflexion die nicht reali­ sierbare dialogische Verantwortung stellvertretend in Gedanken vorzunehmen und das 'Rede-und-Antwort-Stehen' vor den Betroffenen, also deren denkbare kritische Ein­ wände, selbstkritisch zu überprüfen.260 Um solche Situationen zu vermeiden und die strukturellen Voraussetzungen für den Dialog zu schaffen, entsteht die Notwendigkeit, die realen Kommunikationsbedingungen immer wieder strukturkritisch zu überprüfen 258 Vgl. in diesem Zusammenhang die diskursiv gestaltete Theorie der Unternehmenskommunikation bei Zerfaß 1996, S.287-318. 259 Vgl. Ulrich 1987a, S.34. Zur empirischen Bedeutung eines konsensorientierten Managements vgl. Ulrich/Thielemann 1991; Ulrich/Thielemann 1992; Ulrich/Thielemann 1993. 260 Vgl. Ulrich 1987, S.142; Ulrich 1987d, S.l 13. Vgl. dazu auch Apel 1973, S.428-430.

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und letztlich symmetrische Kommunikationschancen zu kreieren. Die strukturkritische Verantwortungsethik untersucht immer wieder die Bedingungen des Entscheidens im Unternehmen und schließt damit den Kreis zu der Leitidee der offenen Untemehmens­ verfassung.261 Es geht Ulrich letztlich darum, Ethik und Untemehmenserfolg weder von vornherein in einen Gegensatz zu stellen noch in eine automatische Harmonie. Vielmehr sollte die Untemehmensführung versuchen, die möglichen Wertkonflikte wahrzunehmen, sich um eine Harmonisierung ethischer und ökonomischer Kriterien bemühen und dies als unternehmerische Herausforderung sehen.262

4.5 Die Eignung der alternierenden untemehmensethischen Ansätze zur Erweiterung der Strategischen U nternehmensplanung Im Anschluß an die Überlegungen, die in Abschnitt 2.3 angestellt wurden bezüglich der Anforderungen, die ein Konzept der Strategischen Untemehmensplanung erfüllen muß, um sich für eine Implementierung ethischer Reflexion zu eignen, werden im fol­ genden - sozusagen im Umkehrschluß - die vorgestellten Ansätze der Untemehmens­ ethik und die amerikanische Business Ethics-Bewegung auf ihre systematische Eig­ nung hin untersucht werden, die Strategische Untemehmensplanung um ethische Re­ flexion zu erweitern. Die amerikanische Business Ethics-Bewegung

Die amerikanischen Business Ethics-Ansätze eignen sich aus eher wissenschaftstheo­ retischen Gründen nicht als Ausgangsgrundlage einer Erweiterung der Strategischen Untemehmensplanung. Die Kritikpunkte liegen stärker in der grundlegenden Konzep­ tion der Ansätze und nicht so sehr in ihrer Verknüpfungsfähigkeit mit der Strategischen Planung. Ein elementarer Kritikpunkt an den amerikanischen Ansätzen ist darin zu se­ hen, daß - aus der Vielfalt der Ansätze heraus - keine eindeutig identifizierbare philo­ sophische Grundlage erkennbar ist. Sofern explizit auf eine philosophische Schule zu­ rückgegriffen wird, ist es der Utilitarismus. Dies führt dazu, daß in der Auseinander­ setzung mit der ökonomischen Rationalität Business Ethics vorrangig als Korrektiv zum 'Gewinnprinzip' verstanden wird, statt als eine grundlagenkritische Reflexion über vernünftige Zwecke des Wirtschaftens.263 Anders ausgedrückt: Den amerikani­ schen Ansätzen geht es weniger um die Frage der ethischen Reflexion, als vielmehr um die praktischen Möglichkeiten der Durchsetzung einer calvinistischen Gesellschafts­ moral im Wirtschaftsleben. Die wirtschaftsethische Diskussion wird, von wenigen Ausnahmen abgesehen, den Vertretern der Philosophie, Soziologie, Theologie oder 261 Vgl. Ulrich 1987a, S.37. 262 Vgl. Ulrich 1988, S.29; Ulrich/Fluri 1995, S.67. 263 Vgl. Ulrich 1987d, S.98; Meyer 1989, S.28-29.

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Politikwissenschaften überlassen.264 Auf die philosophische Absicherung wird auch deshalb verzichtet, um unmittelbar zu pragmatischen Umsetzungsschritten überzuge­ hen. Die Business Ethics-Ansätze verzichten somit auf eine theoretische Durchdrin­ gung des Themas im Sinne einer 'Grundlagenforschung'. Der starke Fokus auf Fall­ studien ethischen oder unethischen Verhaltens impliziert damit auch die verstärkte Su­ che nach pragmatischen Lösungen.265 Dabei wird es als relativ unerheblich betrachtet, ob diese Lösungsvorschläge konsistent mit der Konzeption des jeweiligen An-satzes sind. Durch die fehlende reflexive Vorgehens weise ergeben sich daher auch keine oder nur wenige Ansatzpunkte zur Verknüpfung mit den frühen Phasen des Planungsprozesses, insbesondere der Festlegung der unternehmerischen Absichten. Die entscheidende Stärke der Business Ethics-Ansätze im Vergleich zu den deutschsprachigen Ansätzen liegt in der pragmatischen Ausrichtung. Diese Vorschläge pragmatischer Umsetzungs­ schritte mit ihren bereits vorliegenden Erfahrungen sollten zur praktischen Gestaltung untemehmensethischer Maßnahmen im Rahmen der Strategischen Untemehmenspla­ nung überall dort genutzt werden, wo sie mit dem gewählten Ausgangspunkt einer Untemehmensethik kompatibel sind (also nicht zu Inkonsistenzen führen). Unternehmensethik als Ausgleich der defizitären Rahmenordnung Auch bei Homanns Ansatz der Untemehmensethik lassen sich zunächst methodische Kritikpunkte feststellen, insbesondere an der ökonomischen Theorie der Moral. Dieser Ansatz ist paradigmatisch so angelegt, daß jegliche Handlungskoordination restlos aus dem eigeninteressierten Handeln von Wirtschaftssubjekten innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen erklärt wird.266 Der Gesellschaftsvertrag legt in diesem Sinne die Restriktionen fest, unter deren Bedingungen dann die marktlichen Transaktionen statt­ finden können. Dadurch stellt sich die Frage, wie dieser vorgeordnete Gesellschafts­ vertrag konstituiert wird. Homann argumentiert, daß der Gesellschaftsvertrag als für alle zustimmungsfähig konstruiert ist, da zweckrational kalkulierende Individuen im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Analyse all jene Zwangsnormen akzeptieren würden, die für die Zukunft mehr individuelle Freiheit garantierten. In dieser Konzeption stellt die individuelle Freiheit als Ziel nicht den Ausgangspunkt der Theoriebildung dar, sondern deren Endpunkt.267 Im sog. Inversionsparadigma wird Freiheit als Endpunkt der Theo­ riebildung „...aus einem Zustand der Nicht-Freiheit ('Naturzustand') mit Hilfe aus­ schließlich ökonomischer Zweckmäßigkeitsüberlegungen hergeleitet und auf diese Weise begründet“268.

Die Kritik bezieht sich nun darauf, daß in diesem Paradigma auf individuelle Vorteils­ kalkulationen nach dem Schema des methodologischen Individualismus abgestellt 264 265 266 267 268

Vgl. DeGeorge 1990, pp.89-107; Löhnert 1996, S.99. Vgl. Brown 1996; Löhnert 1996, S. 101. Vgl. Homann 1989b, S.60-61. Vgl. Homann/Pies 1993, S.310. Homann/Pies 1993, S.310.

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wird, aus denen heraus aber kein verbindlicher gesellschaftlicher Ordnungsanspruch abgeleitet werden kann. „Ökonomische Zweckmäßigkeitsüberlegungen als oberstes Begründungsprinzip greifen systematisch zu kurz, weil sie einen jederzeitigen persön­ lichen Kündigungsvorbehalt gegenüber Institutionen implizieren.“269 Es wird also jen­ seits reiner Nutzenkalkulation ein moralisch gehaltvoller Anfang der Argumentations­ kette benötigt, um die verpflichtende Kraft gesellschaftlicher Spielregeln gegenüber allen Individuen überzeugend begründen zu können.270 Andernfalls kann nicht einsich­ tig gemacht werden, wie aus einer lediglich individuell-zweckrational motivierten Zu­ stimmung zum Gesellschaftsvertrag eine situationsunabhängige, also unbedingte Verpflichtung zur Einhaltung der Vertragsnormen entstehen soll.271 Für die strategische Untemehmensführung entstehen aus Homanns Konzeption zu­ mindestens drei - letztlich nicht lösbare - Probleme. Wenn die Verpflichtung zur Ein­ haltung des Gesellschaftsvertrags aus rein nutzenmaximierenden Kalkülen heraus ent­ steht, so gilt dies natürlich auch für die Einhaltung der daraus abgeleiteten ordnungs­ politischen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die HOMANN die Spielregeln nennt. Die Rahmenordnung greift dann deterministisch durch den Marktmechanismus hin­ durch und 'fremddiszipliniert' den Unternehmer, so daß die Notwendigkeit seiner ethi­ schen Selbstdisziplinierung gänzlich entfällt.272 Wenn dem so ist, die Rahmenordnung - wie weiter oben ausgeführt - jedoch systematisch defizitär sein 'muß', dann läßt sich in den Fällen unzureichender oder fehlender Spielregeln nicht erkennen, warum und wie ein Unternehmer ethisch reflektieren und handeln könnte oder auch nur sollte. Es stellt sich also die Frage, wie Defizite in der Rahmenordnung zu erkennen sind, und warum das Management die ethische Kompetenz zur Problemlösung überhaupt auf­ bringen soll.273 Geht man nun dennoch von dem 'verantwortungsbewußten Unternehmer' aus, entsteht das nächste Problem. Indem Homann den systematischen Ort der Moral in der Rah­ menordnung sieht, um den Unternehmer vom 'ethischen Dauerbegründungsstreß' zu entlasten und ihm nur in den - angeblichen - Ausnahmefällen defizitärer Rahmenbedin­ gungen diesen 'ethischen Streß' zumutet, fällt er hinter seine eigene Konzeption zu­ rück. Selbst wenn die Rahmenbedingungen nur in Ausnahmefällen und nicht systema­ tisch defizitär wären, sähe sich der 'verantwortungsbewußte Unternehmer' gezwungen, permanent nach diesen Ausnahmefällen Ausschau zu halten, um dann ethisch verant­ wortungsvoll handeln zu können. Das bedeutet letztlich nichts anderes, als in einem Zustand des 'ethischen Dauerbegründungsstresses' zu verharren, da diese Ausnahme­ fälle jederzeit und an nicht vermuteten Stellen auftauchen können.

269 Steinmann/Löhr 1995, S. 149. 270 Aus der 'Freiheit zum Gesetz' und den 'Freiheiten unter dem Gesetz' wird somit die 'moralische Freiheit zur Selbstgesetzgebung', vgl. Gröschner 1992, S.72. 271 Vgl. Harsanyi 1987, pp.343-344; Steinmann/Löhr 1995, S.150. 272 Vgl. Homann 1990b, S.39. 273 Vgl. Brune/Böhler/Steden 1995, S.53.

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Abbildung 4-15: Konsequenzen der systematisch defizitären Rahmenordnung für Homanns Konzeption der Wirtschafts- und Unternehmensethik Quelle: Eigene Darstellung

Das dritte Problem ergibt sich im Zusammenhang mit der von HOMANN vorgeschla­ genen 'Doppelstrategie'. Die Doppelstrategie, die immer dann anzu wenden ist, wenn sich keine kostenneutrale oder gewinnfördemde 'Ethik-Strategie' finden läßt, fordert Unternehmen dazu auf, den defizitären Rahmenbedingungen zu folgen und gleichzeitig eine Verbesserung derselben zu verlangen. Streng genommen ist der Ausgangspunkt der Doppelstrategie immer gegeben, da ethisches Reflektieren immer 'kostet' (z.B. Zeit oder materielle Ressourcen).274 Ein konsequentes Verfolgen der Doppelstrategie führt dann dazu, bewußt eine Inkompatibilität in die Strategische Untemehmenspla­ nung einzubauen. Zwar besteht die Absicht, die Rahmenbedingungen zu verbessern, dies soll aber dennoch zu der Maßnahme führen, das Alte beizubehalten (oder sich zumindest daran zu orientieren). Im Rahmen der Doppelstrategie wird also trotz des Erkennens eines Defizits entgegen der eigenen moralischen Überzeugung gehandelt. Dies widerspricht aber genau der Intention der Strategischen Planung, die ja gerade darauf abstellt, daß sich Strategien und Maßnahmen an den geäußerten Absichten ori­ entieren, um so gemäß den eigenen Einstellungen zu handeln. Das hieße außerdem, trotz der Einsicht in das Bessere, weiterhin bewußt das Falsche zu tun. Es erscheint 274

Vgl. Kreikebaum 1996, S.142.

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zweifelhaft, ob ein solches Verhalten zu der von Homann ausdrücklich als notwendig erachteten gesellschaftlichen Legitimation unternehmerischen Handelns führt.

Hinzu kommt, daß die in diesem Zusammenhang getroffene Aussage „Niemand kann von einem Unternehmen verlangen, daß es schwere ökonomische Nachteile aufgrund moralischen Verhaltens hinnimmt, während die weniger moralischen Wettbewerber die Gewinne einstreichen“215, eindeutig ein Begründungsdefizit aufweist. Warum sollte man das nicht verlangen können?

Unternehmensethik als situatives Korrektiv Die Vielzahl an Koordinations- und Integrationsvorgängen im Rahmen der Strategi­ schen Planung - als arbeitsteiligem Prozeß - deutet schon von sich aus auf die Not­ wendigkeit sprachlicher Verständigung hin. Für eine Erweiterung um ethische Refle­ xion sind kommunikativ orientierte Ansätze der Untemehmensethik daher eher geeig­ net.

Es entspricht dem langfristigen Charakter der Strategischen Planung, so früh wie mög­ lich alle potentiellen Konfliktquellen einzubeziehen, um nicht kurzfristig unter Hand­ lungsdruck zu geraten. Da auch STEINMANNS Ansatz letztlich für den Ausnahmefall konstruiert ist, in dem das Gewinnprinzip mit dem vorgeordneten Friedensziel konfligiert, entspricht der ad-hoc-Charakter der Konfliktregelung nicht dem vorausschauen­ den Prinzip der Strategischen Planung. Zwar kann die Strategische Planung auch kurzfristig notwendig werden, ist aber vom Prinzip nicht so angelegt, sondern möchte gerade antizipativ die künftigen Handlungsspielräume erweitern. Eine dauerhaft ange­ legte Berücksichtigung potentieller Konflikte und deren Regelung, wie es der Natur der Strategischen Planung entspricht, läßt sich mit STEINMANNS Konzept der Unter­ nehmensethik als situativem Korrektiv nicht im angestrebten Maße verwirklichen. Während es vom Ansatz her um die ex ante-Internalisierung möglicher Interessen­ konflikte gehen muß, läßt sich dies bei STEINMANN erst beim tatsächlichen Auftreten der Probleme oder gar erst ex post erreichen. STEINMANN fällt mit der Vorstellung ei­ ner Regelung von ad-hoc-Konflikten auch insofern hinter sein eigenes Konzept zurück, da er schließlich die organisatorische Veränderung von Untemehmensstruktur und kultur fordert, was einen langfristigen Charakter besitzt. Dabei ist langfristig nicht nur bezüglich der Zieldauer zu verstehen (die Ziele sollen für eine lange Dauer gelten), sondern auch der Prozeß der Veränderung selbst ist ein langfristiger im Sinne der Langwierigkeit. Zudem findet ein 'ethical displacement' statt, falls durch eine ethisch adäquate Strate­ gieänderung das Überleben des Unternehmens gefährdet wäre. Hier entsteht die Pro­ blematik zu entscheiden, durch welche Art von Strategieänderungen das Überleben des Unternehmens gefährdet wäre (langfristige/kurzfristige Betrachtung). Auch wenn Steinmanns Ansatz im Prinzip sehr ähnlich zu dem von ULRICH aufge­ baut ist - da er auf kommunikativer Verständigung beruht -, läßt sich mindestens ein 275 Homann 1991, S.108.

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entscheidender Unterschied festmachen: Mit der Forderung, Untemehmensethik ziele auf die situative Beschränkung des Gewinnprinzips, fällt STEINMANN erneut hinter seine eigene Argumentation zurück, da er das Gewinnprinzip als im Normalfall ge­ rechtfertigt ansieht und dies - wenn überhaupt - eine empirische, jedoch keinesfalls eine zwingend logische Feststellung ist. Die Aussage, Gewinnprinzip und Untemeh­ mensethik widersprächen sich nicht systematisch (der grundsätzlich zuzustimmen ist), weil man Untemehmensethik sonst nicht als situatives Korrektiv sehen könne, stellt dann eine Tautologie dar.276 Der dialogische Ansatz der Unternehmensethik Bei ULRICHS Ansatz der Untemehmensethik läßt sich zunächst ein grundsätzlicher Vorteil herausarbeiten, nämlich die Betonung eines einheitlichen Rationalitätsver­ ständnisses und dementsprechend auch die Betonung der Notwendigkeit einer Einheit des Handelns. Kant hat durch den hypothetischen und den kategorischen Imperativ genau diese Einheit des menschlichen Handelns verdeutlicht. Der hypothetische Impe­ rativ spaltet sich in zwei auf: In den problematischen Imperativ, der sich auf das tech­ nische Handeln bezieht, und den assertorischen Imperativ, der das pragmatische Han­ deln betrifft. Der kategorische Imperativ schließlich bezieht sich auf moralisches Han­ deln. Dabei läßt sich eine Hierarchie feststellen, die mit einer Kathedrale vergleichbar ist. Problematisch ist das Fundament, assertorisch sind die Säulen und Wandkonstruk­ tionen und kategorisch ist das Dachgewölbe, das alles zusammenhält und zu einer Einheit fügt.277 Im praktischen Agieren fließen die drei Imperative also zu einer Ein­ heit zusammen. In Anlehnung an die drei Ebenen menschlichen Handelns bei Kant läßt sich für die Unternehmensführung folgende Aussage treffen: Führungskräfte in der Unternehmung benötigen zur Organisation und Lenkung des Unternehmens Fachwissen, Führungs­ fähigkeit und Verantwortungsbewußtsein. Das Fachwissen dient dem technisch ge­ schickten Handeln, die Führungsfähigkeit dem pragmatisch klugen Handeln und das Verantwortungsbewußtsein dem moralisch weisen Handeln. Diese drei Ebenen finden ihr Pendant in den drei Ebenen sozialökonomischer Rationalisierungsaufgaben nach Ulrich.

• Bei Kant bezieht sich das technische Handeln stets auf Objekte, auf Materie oder Maschinen. Technisches Handeln erfordert demzufolge Geschicklichkeit. Bei Ulrich findet sich dies in der Ebene des operativen Ressourceneinsatzes wieder. • Das pragmatische Handeln betrifft bei Kant immer die Menschen und ihr Zusam­ menwirken. Pragmatisches Handeln verlangt somit Klugheit. Bei ULRICH entspricht dies der Ebene der strategischen Systemsteuerung.

276 Vgl. Steinmann/Oppenrieder 1987, S.498-499. 277 Vgl. Müller-Merbach 1989, S.308. Müller-Merbach beschäftigt sich hier mit der Dreiteilung menschlichen Handelns bei Kant und den Implikationen für die Betriebswirtschaftslehre.

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• Moralisches Handeln zielt bei Kant auf die sittlichen Normen und ethischen Werte. Moralisches Handeln bedarf der Weisheit. Dies findet sich in der Ebene der unter­ nehmenspolitischen Verständigung bei ULRICH.

Auf der Ebene des normativen Managements geht es um den Aufbau langfristiger Verständigungspotentiale, und das entspricht genau der Idee des Aufbaus langfristiger Erfolgspotentiale durch die Strategische Untemehmensplanung. Bei Ulrich nimmt die Untemehmensethik nicht nur eine subsidiäre Funktion bei auftretenden Defiziten wahr, sondern führt über eine ganzheitliche Ausrichtung des unternehmerischen Handelns an ethischen Aspekten dazu, daß der Graben zwischen ökonomischer und außerökonomi­ scher Rationalität geschlossen werden kann. In der zunehmenden Komplexität der Umwelt, dem sich vollziehenden Wertewandel und der ansteigenden Relevanz externer Effekte liegen eminente Herausforderungen für die Strategische Planung, die Anleitungen zu deren erfolgreicher Bewältigung ge­ ben soll.278 Durch seine Konzipierung trägt der Ansatz von ULRICH der Forderung, daß die Strategische Planung der Akzeptanz der Beteiligten und Betroffenen bedarf,279 au­ tomatisch Rechnung. Der in dieser Arbeit gewählte inkrementale Ansatz der Strategi­ schen Planung verdeutlicht auch noch einmal die Vorzugs Würdigkeit des dialogischen Ansatzes, da er permanente Anpassungen an neue Gegebenheiten erlaubt und damit zu einer größeren Zufriedenheit bei den Beteiligten und Betroffenen führt.280

Für die erfolgreiche Gestaltung einer Strategischen Planung ergibt sich die Notwen­ digkeit, Chancen und Risiken frühzeitig aufzuspüren, um die erforderlichen Schritte einleiten zu können. Der kontinuierliche Dialog mit allen Betroffenen in Ulrichs Konzept, ist als geeignete Informationsquelle über akute und potentielle Konflikte an­ zusehen und dient damit auch der Erarbeitung von Lösungs- bzw. Regelungsmöglich­ keiten. Der Ansatz der dialogischen Untemehmensethik stellt durch seine offene Aus­ richtung und die permanente Auseinandersetzung mit den Interessen aller Betroffenen von sich aus eine Erweiterung wichtiger Instrumente der Strategischen Planung - wie beispielsweise der Strategie Issue Analysis - dar.

Durch die eindeutige Privilegierung des Gewinnziels scheinen die Ansätze von Homann und Steinmann den Suchraum der Strategischen Planung für Untemehmensabsichten und Strategien schon im vorhinein stark einzuengen. Diese Vorzugs­ stellung der Kapitaleigner und die Ausrichtung am Gewinnziel als einem Formalziel des Unternehmens entsprechen nicht dem Merkmal einer grundsätzlich offenen Stra­ tegischen Planung281 und auch nicht zwingenderweise der tatsächlichen Ausrichtung der Untemehmensführung.282 ULRICHS Betrachtungsweise des Unternehmens als quasi-öffentlicher Institution, die in starkem Maße der gesellschaftlichen Legitimation 278 279 280 281

Vgl. in ähnlichem Zusammenhang Brauchlin 1985. Vgl. Kreikebaum 1993, S.141. Vgl. Kreikebaum 1993, S.120-122. Ein Merkmal der Offenheit einer Strategischen Planung ist darin zu sehen, daß im Grunde jede Frage gestellt werden kann, es also keine im vorhinein tabuisierten Fragestellungen gibt. 282 Vgl. Gentz 1993, S.l02.

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bedarf, entspricht zumindest bei Großunternehmen eher der Realität als die strikte Ausrichtung an den Interessen der Kapitaleigner.283 Damit eine Strategische Planung ihren eigenen Ansprüchen gerecht wird, sind daher ebenfalls die legitimen Interessen der anderen Stakeholder rechtzeitig zu berücksichtigen,284 so wie es im dialogischen Ansatz geschieht.

Im anschließenden Kapitel soll nun dargelegt werden, inwiefern die Strategische Un­ temehmensplanung als geeigneter Ort ethischer Reflexion anzusehen ist. Es geht also darum, die konzeptionellen Zusammenhänge von Strategischer Planung und ethischer Reflexion zu erörtern, bevor im sechsten Kapitel untersucht wird, welche Möglichkei­ ten der Implementierung ethischer Reflexion in einzelne Bereiche der Strategischen Planung sich durch den dialogischen Ansatz der Untemehmensethik ergeben.

Strategische Untemehmensplanung als geeigneter Ort ethischer Reflexion

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Strategische Unternehmensplanung als GEEIGNETER ORT ETHISCHER REFLEXION

5.1 Der informationsverarbeitende Prozeßcharakter von Strategischer Unternehmensplanung und ethischer Reflexion als Ausgangspunkt Die Bedeutung der Strategischen Untemehmensplanung ergibt sich aus der ständig zu­ nehmenden Komplexität und Dynamik der Untemehmensumwelt, die sowohl Chancen als auch Risiken für das Unternehmen darstellen. Im Mittelpunkt der Strategischen Un­ temehmensplanung steht die Überwindung dieser Problematik, indem sie sich mit dem Aufbau langfristiger Erfolgspotentiale und der Sicherung von Wettbewerbsvorteilen befaßt. Daher beschränkt sich das Rationalitätsverständnis der Planung oftmals auf die ökonomisch-strategische Dimension. Überlegungen, die der ethischen Rationalitätsdi­ mension zuzuordnen sind, werden dabei häufig als idealistisches Denken empfunden, das im strategischen Planungskontext aufgrund seiner angeblich gegensätzlichen Aus­ richtung keinen Platz habe oder höchstens als außerökonomische Nebenbedingung zu beachten sei.1 Diese Vorstellung wird damit begründet, daß sich ethische Reflexion auf normative Fragen des menschlichen Zusammenlebens sowie die Anerkennungs­ würdigkeit von Handlungsorientierungen und Handlungsfolgen in der Gesellschaft be­ ziehe und somit außerhalb direkter Fragestellungen der Strategischen Untemehmens­ planung liege. Auf den ersten Blick scheint es also keinen Zusammenhang zwischen Strategischer Untemehmensplanung und ethischer Reflexion zu geben. Dabei wird jedoch vernach­ lässigt, daß es sich in beiden Fällen um informationsverarbeitende Prozesse handelt, die sich mit der Vorbereitung und Begründung von Handlungen auseinanderzusetzen haben.2 Nicht umsonst faßte Aristoteles Ethik, Ökonomie und Politik zur prakti­ schen Philosophie zusammen.3 In terminologischer Anlehnung an HOMANN, der von der Rahmenordnung als dem systematischen Ort der Moral spricht, wird hier die Stra­ tegische Planung als geeigneter Ort ethischer Reflexion im Unternehmen gesehen. Der Begriff 'geeigneter Ort' unterstreicht dabei, daß es sich bei der Strategischen Planung keineswegs um den einzig möglichen oder auch nur einzig sinnvollen Ort ethischer Reflexion im Unternehmen handelt, wie es m.E. durch die Begriffsverwendung 'systematisch' bei HOMANN zum Ausdruck kommt. Würde man die Strategische Pla­ nung oder gar eine 'Untemehmensabteilung Strategische Planung' als einzig sinnvollen Ort ethischer Reflexion im Unternehmen sehen, so wäre dies m.E. zutiefst unethisch, denn es hieße Reflexion in eine Spezialistenabteilung zu verlagern und alle anderen Untemehmensmitglieder davon zu 'befreien', was letztlich nichts anderes als aus­ Vgl. Ulrich 1981, S.57; Ulrich 1993, S.343-344; Gerum 1992, S.253-254; Vossenkuhl 1992b, S.189-191; Lenk/Maring 1996,S.4-6. 2 Vgl. Steinmann/Gerhard 1992, S.161. 3 Vgl. Aristoteles 1987. 1

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Strategische Unternehmensplanung als geeigneter Ort ethischer Reflexion

schließen bedeuten würde. Hierbei ist zu beachten, daß Strategische Untemehmens­ planung und ethische Reflexion bereits insofern verbunden sind, als Reflexion eine unhintergehbaren Bestandteil der Planung ausmacht. Im Rahmen der Strategischen Untemehmensplanung fällen die Planungsträger Entscheidungen. Wann immer es um Entscheidungen geht, geraten automatisch Werturteile in das Blickfeld, da Entschei­ dungen grundsätzlich - implizit oder explizit - aufgrund von Werturteilen gefällt wer­ den, nämlich bezüglich der Vorzugs Würdigkeit unterschiedlicher Handlungsalternati­ ven.4 Die Erfahrung der Reflexion bei Entscheidungen stellt für den Planungsträger also eine Erfahrung der Lebenspraxis dar und ist insofern unhintergehbar. Es kann mithin keinen 'ethik-freien' Raum geben. Im Rahmen der Betrachtung der Strategi­ schen Untemehmensplanung als geeignetem Ort ethischer Reflexion, geht es folglich vorrangig darum, diese lebenspraktische Erfahrung bewußt zu machen. In der Strategischen Planung werden die wichtigsten unternehmerischen Entscheidun­ gen vorbereitet und gefällt, die das Gesamtuntemehmen betreffen, Langfristcharakter haben und sich mit der proaktiven Gestaltung der Zukunft befassen. Der Sinn ethischer Reflexion liegt ebenfalls in der Beschäftigung mit der Zukunft, nämlich wie wir als Gesellschaft die zukünftigen Lebensbedingungen zu einem vernünftigen und friedli­ chen Zusammenleben miteinander gestalten wollen. Aus diesem Grund geht es in einer ethisch erweiterten Strategischen Planung um die unternehmerische Beschäftigung mit der Zukunft unter gleichzeitig ökonomischen und ethischen Aspekten.5 Ein wesentli­ cher Aspekt ist darin zu sehen, daß in Unternehmen - insbesondere im Rahmen der Strategischen Planung - eine systematische und methodische Zusammenführung einer Gegenwartsaufnahme mit Visionen über die Zukunft erfolgt. Genau deshalb erscheint die Strategische Planung auch als geeigneter Ort ethischer Reflexion auf Untemeh­ mensebene. Dieser Gedanke ließe sich auch drastischer formulieren, indem man die Strategische Planung nicht nur als geeigneten Ort ethischer Reflexion ansieht, sondern als ihren 'notwendigen' Ort. Dies ist ebenfalls nicht im Sinne der Exklusivität gemeint, sondern ethische Reflexion im Rahmen der Strategischen Planung ist im Sinngehalt des Wortes als not-wendend anzusehen, da ansonsten die Sinnhaftigkeit strategischer Untemehmensführung gefährdet wäre. „Ohne ethische Reflexion greift das Führungsverständnis zu kurz. Strategische Untemehmungsführung (...) verlangt, daß alle Komponenten der Führung einer diskursiven ethischen Reflexion unterzogen werden. (...) Fehlt der ethi­ sche Legitimationsnachweis, so kann dies zu einer Destabilisierung des gesamten Untemehmungssystems führen.“6

Aufbauend auf diesen Gedanken soll im folgenden untersucht werden, inwiefern sich zwischen Strategischer Planung und ethischer Reflexion konzeptionelle Zusammen­ hänge aufzeigen lassen. Dabei ist zunächst nicht die Vermittlung konkreter Handlungs­ anweisungen oder Implementierungsmöglichkeiten das Ziel, vielmehr sollen Denkan­ 4 5 6

Vgl. in ähnlichem Zusammenhang Kreikebaum 1996, S.4-5 und S.l76. Vgl. Kreikebaum 1996a, S.126. Hinterhuber 1996a, S.52.

Strategische Untemehmensplanung als geeigneter Ort ethischer Reflexion

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stoße gegeben werden, in welchem Bereich der Untemehmensführung ethische Refle­ xion als systematischer Bestandteil zum Tragen kommen kann und welche Vorausset­ zungen hierfür notwendig sind.

Die Untersuchung möglicher Ähnlichkeiten oder Gemeinsamkeiten von Strategischer Untemehmensplanung und ethischer Reflexion erfolgt aus drei Perspektiven. Anknüp­ fend an die bereits erfolgte begriffliche Definition ethischer Reflexion sollen Zusam­ menhänge der theoretischen Hintergründe und der Vorgehens weise mit der Strategi­ schen Planung unter formalen Gesichtspunkten analysiert werden. Im Anschluß daran werden die Funktionen verglichen, die die ethische Reflexion und die Strategische Untemehmensplanung zu erfüllen haben. Die Überprüfung der inhaltlichen Zusam­ menhänge geht der Frage nach, inwiefern der Gegenstand der einzelnen Phasen der Strategischen Untemehmensplanung ethische Reflexionen ermöglicht, benötigt oder bereits implizit enthält. Nach einer schrittweisen Überprüfung der Zusammenhänge auf den unterschiedlichen Ebenen erfolgt eine grundsätzliche Gegenüberstellung von Stra­ tegischer Untemehmensplanung und ethischer Reflexion, um ihr Verhältnis im Ge­ samtkontext menschlicher Handlungen darzustellen.

5.2 Der Anwendungsbezug ethischer Reflexion 5,2.1 Die Bedeutung der Ethik als praktische Philosophie

Im Mittelpunkt ethischer Reflexion steht im Gegensatz zur theoretischen Philosophie der moralische Anwendungsbezug. Ethik gibt dabei keine direkten, situationsbezoge­ nen Handlungsanweisungen, sondern versucht zu vermitteln, wie gehandelt werden soll, damit Handlungen als moralisch gelten können.7 Da Menschen als Mitglieder ei­ ner Gemeinschaft nicht isoliert von ihrer Umwelt willkürlich entscheiden und handeln können, muß die Beurteilung von Handlungen diesem Umstand Rechnung tragen.8 Aufgabe der Ethik ist es, durch Normen einen Orientierungsrahmen zu sichern oder zu schaffen, der die Interessen der Mitglieder einer Gesellschaft, insbesondere deren Wertorientierungen sowie deren Willens-, Entscheidungs- und Handlungsfreiheit re­ spektiert und damit weitere ethische Reflexion zuläßt.9 Die Garantie dieser Freiheiten ist jedoch nur möglich, wenn die durch das Moralsystem festgelegten Regeln des Zu­ sammenlebens gleichzeitig den Aufbau sozialer Beziehungen und die Integration der einzelnen Teile einer Gesellschaft ermöglichen und fördern, so daß Individuen, Grup­ pen oder Organisationen ihre Freiheit nicht auf Kosten der Freiheit anderer ausnutzen können.10

Ethische Aussagen werden dann zu gesellschaftlich akzeptierten Normen und damit zu einem Bestandteil des Moralsystems, wenn sie eine intersubjektive Anerkennung fin­ 7 8 9 10

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Pieper 1991, S.97. Nill 1993, S.142-143. Anzenbacher 1992, S.74-75. Höffe 1984, S.246-248.

Strategische Unternehmensplanung als geeigneter Ort ethischer Reflexion

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den.11 Sie stellen dadurch einen allgemeinen moralischen Maßstab für individuelle Handlungen und somit eine entsprechende Verläßlichkeit für alle Mitglieder einer Handlungsgemeinschaft dar. Moral bzw. die Interpretation moralischer Handlungen und damit auch ethische Reflexion sind immer von Erfahrungen, kulturellen Hinter­ grundüberzeugungen und dem jeweiligen Freiheitsverständnis einer bestimmten Le­ benswelt abhängig.12 Diese Faktoren sind im Laufe der Zeit inhaltlichen Veränderun­ gen unterworfen, denen sich das Moralsystem anpassen muß. Aus diesem Grund setzt ethische Reflexion bestimmte formale und unbedingt geltende Prinzipien und mensch­ liche Fähigkeiten voraus, um im Zuge gesellschaftlicher Veränderungen kein morali­ sches Vakuum entstehen zu lassen.

5,2,2 Voraussetzungen ethischer Reflexion

Die Fähigkeit zur ethischen Reflexion kann nicht für alle Menschen und Kulturen als gegeben vorausgesetzt werden. Dies läßt sich am Stufenschema der Moralentwicklung von Kohlberg veranschaulichen. Er kategorisiert die aufgrund empirischer Untersu­ chungen identifizierten sechs Stufen der Moralentwicklung in drei Ebenen. Auf der vorkonventionellen Ebene erfolgt die Akzeptanz von Normen und Regeln des Zusam­ menlebens aufgrund von Strafe und Belohnung oder aufgrund strategischer Überlegun­ gen. Auf der konventionellen Ebene steht die Orientierung an der Erfüllung von inhalt­ lichen Erwartungen und fixierten Regeln im Zuge der Loyalität zu und Identifikation mit bestimmten Referenzpersonen, -Institutionen oder -gruppen im Vordergrund, ohne dabei deren Autorität und Geltungsansprüche in Frage zu stellen. Die höchste, die postkonventionelle Ebene der Moralentwicklung weitet den Geltungsbereich der mo­ ralischen Betrachtung aus, da nun allgemeine moralische Werte und Prinzipien not­ wendig sind, die unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Gruppe für die gesamte Menschheit gelten.13 Diese Moralentwicklung geht mit der Veränderung der morali­ schen Kompetenz des einzelnen einher, die einen Lernprozeß darstellt.14 Die folgende Tabelle verdeutlicht den Zusammenhang.

11 12 13 14

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Kutschera 1982, S.45; Anzenbacher 1992, S.l 10-113. Herms 1991, S.90. Kohlberg 1976; Apel 1984, S.60-61; Brause 1994, S.134-139. Habermas 1992, S.l35.

Strategische Untemehmensplanung als geeigneter Ort ethischer Reflexion

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1. VORKONVENTIONELLE EBENE

Stufe 1: Die Orientierung an Strafe und Gehorsam Die physischen Konsequenzen der Handlung bestimmen ihr Gut- oder Bösesein ohne Rücksicht auf den menschli­ chen Sinn oder Wert dieser Konsequenzen. Vermeidung von Strafe und fragloses Nachgeben gegenüber der Macht werden als Selbstzweck bewertet und nicht etwa im Sinne des Respekts vor der moralischen Ordnung, die durch Strafe und Autorität gestützt wird (die letzte Orientierung gehört zu Stufe 4).

Stufe 2: Die instrumentell-relativistische Orientierung Rechthandeln besteht in der Handlung, die die eigenen Bedürfnisse und gelegentlich die von anderen als Mittel (instrumentell) befriedigt. Die menschlichen Beziehungen werden im Sinne von Austauschbeziehungen des Marktes verstanden. Elemente von Fairneß, Gegenseitigkeit und Gleichheit des Teilens sind vorhanden, doch sie werden stets in physisch-pragmatischer Weise verstanden. Gegenseitigkeit ist eine Angelegenheit des 'Kratz' Du meinen Rücken, dann kratz' ich Dir Deinen', nicht aber der Loyalität, Dankbarkeit und Gerechtigkeit.

2. Konventionelle Ebene

Stufe 3: Die interpersonale Konkordanz oder ’’good boy - nice girl’’- Orientierung Gutes Verhalten ist das, was anderen gefällt oder ihnen hilft und von ihnen gebilligt wird. Es herrscht weitgehende Konformität gegenüber stereotypen Vorstellungen vom "natürlichen" oder Mehrheitsverhalten. Es wird außerdem häufig aufgrund der zugehörigen Intention beurteilt - die Formel "Er meint es gut" wird zum ersten Mal wichtig. Man gewinnt die Zustimmung der anderen durch Nett-Sein ('being nice').

Stufe 4: Die Orientierung an ’’Gesetz und Ordnung” Auf dieser Stufe herrscht die Orientierung an Autorität, fixierten Regeln und an der Aufrechterhaltung der sozia­ len Ordnung. Das rechte Verhalten besteht darin, daß man seine Pflicht tut, Respekt vor der Autorität zeigt und die gegebene soziale Ordnung um ihrer selbst willen aufrechterhält.

3. Nachkonventionelle Ebene

Stufe 5: Die legalistische Orientierung am Sozialvertrag Rechthandeln wird bestimmt im Sinne allgemeiner Individualrechte und im Sinne von Maßstäben, die von der gesamten Gesellschaft kritisch überprüft und akzeptiert worden sind. Es herrscht ein deutliches Bewußtsein der Relativität persönlicher Wertungen und Meinungen und eine entsprechende Forderung nach Regeln für Verfahren der Konsensbildung (übereinstimmende Meinungsbildung). Sofern das Rechte nicht auf verfassungsmäßiger und demokratischer Übereinkunft beruht, ist es eine Angelegenheit persönlicher "Werte" und "Ansichten". Daraus er­ gibt sich eine Betonung des "rechtlichen Standpunkts" ("legal point of view"), aber unter Berücksichtigung der Möglichkeit, das Recht im Sinne vernünftiger Erwägungen des gesellschaftlichen Nutzens zu ändern (jedenfalls eher, als im Sinne der Formel "Gesetz und Ordnung" der Stufe 4 einzufrieren). Abgesehen vom rechtlichen Be­ reich sind freie Übereinkunft und Vertrag das verbindliche Element der Verpflichtung. Dies ist die "offizielle" Mo­ ral der amerikanischen Regierung und Verfassung.

Stufe 6: Die Orientierung am universalen ethischen Prinzip Das Rechte wird bestimmt aufgrund der Gewisscnsenlscheidung im Einklang mit selbslgcwählten ethischen Prinzpien, die sich auf logischen Zusammenhang, Universalität und logische Widerspruchslosigkeit berufen. Diese Prinzipien sind abstrakt und ethisch (wie beispielsweise der Kategorische Imperativ Kants); es handelt sich nicht um konkrete moralische Regeln wie die Zehn Gebote. Im Kern geht es um universale Prinzipien der Gerechtigkeit, der Gegenseitigkeit (Reziprozität) und Gleichheit menschlicher Rechte sowie der Achtung vor der Würde des Menschen als individuelle Person.

Tabelle 5-1: KOHLBERGS Stufen der Moralentwicklung Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Kohlberg 1981, pp.101-189; Apel 1984, S.60-61

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Strategische Untemehmensplanung als geeigneter Ort ethischer Reflexion

Moralisches Bewußtsein bzw. Moralität gelten als Grundvoraussetzung ethischer Re­ flexion.15 Insofern kann im angesprochenen Schema erst ab der zweiten Ebene von ethischer Reflexion gesprochen werden. Auf der präkonventionellen Ebene beschränkt sich Moral auf das kognitive Erkennen des grundlegenden Prinzips der Gegenseitig­ keit. Die Motivation des Handelns ist strategischen Ursprungs, und nur das eigene In­ teresse zählt. Andere Individuen dienen lediglich als Mittel zur Erreichung der eigenen Ziele und zur Abwehr von negativen Folgen. Mit dem Bewußtsein und der praktischen Anerkennung des menschlichen Daseins als nichthintergehbarer Voraussetzung und damit als Bestimmungsgrund jeder Handlung ist die Kompetenzstufe ethischer Refle­ xion erreicht.16 Eine Person hat nach Kohlberg dann ein moralisches Bewußtsein er­ langt, wenn nicht mehr nur das subjektive Wollen die individuellen Handlungen beein­ flußt. Damit ist die Einsicht verbunden, daß auch die Ziele anderer Menschen not­ wendigerweise Beachtung finden müssen.17 Dazu muß ein Individuum nicht nur den Willen anderer anerkennen können, sondern muß auch in der Lage sein, seine eigenen Gedanken sowie die daraus resultierenden Interessen und deren Einfluß auf die Um­ welt kritisch zu reflektieren, um dann aus dieser erweiterten Betrachtungsperspektive eine rationale Entscheidung abzuleiten.18 Die Möglichkeit des Denkens internalisiert die Rekonstruktion eigener Erfahrungen. Die Freiheiten der Selbsterkenntnis und der Reflexion sind dem Menschen eigen und machen ihn somit zu einem vernunftbegabten Wesen.19

5,2,3 Konkretisierungsstufen ethischer Reflexion

5.2.3.1 Normative Ebene

Die Bereiche lebensweltlicher Interaktion und damit auch ethischer Reflexion bedürfen einer Aufgliederung in unterschiedliche Abstraktionsebenen sowie der Bestimmung ihrer Verhältnisse untereinander.20 Gegenstand ethischer Reflexion auf der normativen Ebene ist zunächst die Überprüfung und Begründung der Anerkennungswürdigkeit von Handlungsnormen.21 Zum einen bedeutet dies die Hinterfragung bestehender Normen, insbesondere beim Auftreten von sozialen Konflikten, zum anderen die Normenfin­ dung für bisher konfliktfreie Handlungsfelder oder für neue Praxisbereiche.22 Unter Normen werden allgemeine Beurteilungsprinzipien und gesellschaftliche Grundmuster verstanden, die inhaltlich relativ abstrakt sind und sich auf die Regelung ganzer Le­

15 16 17 18

19 20 21 22

Vgl. Pieper 1991, S.46. Vgl. Herms 1991, S.87. Vgl. Lattmann 1988, S.13. Vgl. Harris/Brown 1990, pp.858-861; Jensen/Wygant 1990, pp.217-225; Anzenbacher 1992, S.45-47. Vgl. Höffe 1992a, S.23-27; Anzenbacher 1992, S.60-61. Vgl. Höffe 1992a, S.65. Vgl. Habermas 1992, S. 173. Vgl. Anzenbacher 1992, S. 117-118.

Strategische Unternehmensplanung als geeigneter Ort ethischer Reflexion

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bensbereiche beziehen.23 Sie spiegeln in ihrer Gesamtheit als gesellschaftliche Moral kollektive Werte wider und ergeben sich durch längerfristige Entwicklungsprozesse.24

Dabei kann sich die Normenbegründung auf unterschiedliche Weise vollziehen. Bei­ spielsweise kann sie autoritär festgesetzt werden oder verständigungsorientiert im Dis­ kurs erfolgen. Die Normenbegründung durch Autorität erfolgt auf der Grundlage der Weltreligionen, individuellen Wertvorstellungen oder Traditionen.25 Damit werden bereits materielle Normen vorgegeben.26 Ethische Reflexion bezieht sich in diesem Fall nicht auf die Normenbegründung, sondern auf die Anerkennungswürdigkeit dieser Normen als Grundlage rationaler Entscheidungen. Normenbegründung im Diskurs er­ fordert eine argumentative Auseinandersetzung mit möglichen Normenaltemativen. Diese sind anhand des gewählten Moralprinzips in Abhängigkeit von der jeweiligen Argumentationsform27 hinsichtlich ihrer Verallgemeinerungsfähigkeit zu überprüfen. Das Moralprinzip, wie z.B. der Kategorische Imperativ bei Kant oder die Glückse­ ligkeit bei ARISTOTELES, kann nicht empirisch nachgewiesen werden. Es ist im Zusam­ menhang mit der Anerkennung des menschlichen Daseins als Bestimmungsgrund jeder Handlung zu sehen. Auf der nächsten Reflexionsstufe geht es um die situationstypenbezogene Ausgestal­ tung der begründeten Normen als Handlungsregeln.28 Die Handlungsregeln entstehen dadurch, daß sich die Normen auf unterschiedliche Situationsarten der Lebenswelt be­ ziehen. Ihr Inhalt ist somit sowohl normen- als auch handlungskontextbezogen.29 Da­ durch wird eine möglichst genaue Kenntnis potentieller Situationstypen vorausgesetzt und erfordert aus diesem Grund sorgfältige Analysen der Lebensweltkontexte.30 Eine weitere Aufgabe ethischer Reflexion muß auf dieser Stufe die kritische Hinterfragung der als Maßstab verwendeten Normen bezüglich ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz sein, denn nur so sind die darauf basierenden Handlungen als ethisch-moralisch zu be­ zeichnen. Der hier erläuterten Vorgehens weise liegt also ein deduktives Verständnis der Normenbegründung und -findung zugrunde.31 Da der präskriptive Gehalt der Handlungsbedingungen zwar eine Aufforderung, aber keinen Zwang zur Erfüllung be­ deutet, kommt dem zweiten Teil der Legitimation von Handlungsnormen - der fakti­ schen Anerkennung und Befolgung - ebenfalls eine wesentliche Bedeutung zu.32

23 24 25 26 27 28 29 30 31 32

Vgl. Herms 1991, S.90. Vgl. Enderle 1987, S.443. Vgl. Anzenbacher 1992, S.l 19. Vgl. Staffelbach 1987, S.464. Die bekanntesten Argumentationsformen sind der Utilitarismus, Gerechtigkeits- und Diskurs­ theorien oder das klassische Naturrecht. Vgl. hierzu Anzenbacher 1992, S.126. Vgl. Herms 1991, S.75; Anzenbacher 1992, S.68-69. Vgl. Herms 1991, S.90. Vgl. Anzenbacher 1992, S.69. Vgl. Lay 1991, S.55. Vgl. Kuhlmann 1984, S.509; Lattmann 1988, S.l3.

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Strategische Unternehmensplanung als geeigneter Ort ethischer Reflexion

5.2.3.2 Entscheidungs- und Handlungsebene Die relativ weit gefaßten Normen und Handlungsregeln lassen Entscheidungs- und Handlungsfreiräume offen. Ihre faktische Umsetzung und Befolgung sind rein subjek­ tiv und hängen vom moralischen Bewußtsein des Individuums ab, so daß die Verant­ wortung für diese Handlungen bei ihm liegt.33 Handlungsfreiheit bedeutet die Auswahl zwischen verschiedenen Handlungsaltemativen, um Zielvorstellungen des eigenen Le­ bens zu erreichen.34 Normen beeinflussen einzelne Personen somit nicht direkt, son­ dern nur über deren Willen. Dazu muß jedoch die Bereitschaft vorliegen, die Freiheit in konkreten Entscheidungssituationen zu nutzen und Handlungsaltemativen im Hin­ blick auf ihre Übereinstimmung mit Ethos und Moral zu reflektieren, um daraufhin ei­ ne begründete Wahl für einen bestimmten Weg zu treffen.35 Diese Überlegungen müs­ sen sich in den konkreten Handlungen eines Menschen niederschlagen, um seine Wahrhaftigkeit zu dokumentieren.36 Ethisch-moralische Handlungen sind dann auch rationale Handlungen, da sie nicht auf­ grund willkürlicher Entscheidungen vollzogen werden.37 Es ist zu beachten, daß sich aufgrund dieser Anforderungen an eine Entscheidung Probleme ergeben können. Oft sind Situationen durch ein hohes Maß an Komplexität gekennzeichnet, was eine ge­ naue Beurteilung erschwert. Außerdem besteht die Möglichkeit der Inkompatibilität von Handlungsorientierungen, d.h., daß unterschiedliche Normen und Handlungsregeln in einer spezifischen Handlungssituation miteinander kollidieren.38 Daher ist die Fä­ higkeit zum Abwägen zwischen einzelnen Prinzipien in Abhängigkeit von der jeweili­ gen Situation erforderlich. Diese Fähigkeit sieht ARISTOTELES in der Tugend der Klug­ heit.39

5.2.4 Normenhinterfragung und ZukunftsOrientierung ethischer Reflexion Die Abfolge ethischer Reflexion über verschiedene Konkretisierungsstufen hinweg bedeutet nicht, daß Normen nur auf der obersten Ebene der Normenbegründung be­ züglich ihrer Anerkennungswürdigkeit hinterfragt werden können. Gerade auf den nachgelagerten Stufen bedeutet ethische Reflexion im wesentlichen, Handlungsregeln und Handlungen nicht fraglos am bestehenden Ethos oder der bestehenden Moral zu orientieren. Vielmehr ist in einem ersten Schritt zu überprüfen, ob überhaupt noch eine Übereinstimmung mit den gegenwärtigen Wertorientierungen einer Gesellschaft vor­ liegt. Im nächsten Schritt führt dies dazu, kontrafaktische Zukunftsentwürfe im Sinne von möglichen Zuständen der gesellschaftlichen Praxis durchzu spielen und daraufhin 33 34 35 36 37 38 39

Vgl. Enderle 1987, S.437. Vgl. Höffe 1984, S.247. Vgl. Höffe 1984a, S.523; Herms 1991, S.77-78. Vgl. Gilbert/Würthner 1995, S.l3-14. Vgl. Herms 1991, S.78. Vgl. Anzenbacher 1992, S.69. Vgl. Rusche 1992, S.43-44.

Strategische Untemehmensplanung als geeigneter Ort ethischer Reflexion

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u.U. individuelle und gesellschaftliche Werte abzuändem. Diese Zukunftsorientierung ethischer Reflexion drückt sich auch darin aus, daß eine Berücksichtigung erwarteter Folgen und Nebenwirkungen stattfindet, die sich bei der Befolgung von Normen erge­ ben.40 Dabei beziehen sich die Konsequenzen nicht nur auf gegenwärtige, sondern auch auf zukünftige Generationen.41

Die folgende Abbildung verdeutlicht graphisch die bisher angestellten Überlegungen zum Anwendungsbezug ethischer Reflexion.

Abbildung 5-1: Prozeßphasen ethischer Reflexion

Quelle: Eigene Darstellung

5.3 Konzeptionelle Zusammenhänge zwischen Strategischer Unternehmensplanung und ethischer Reflexion 5.3,1 Formale Zusammenhänge 5.3.1.1 Zusammenhang der konzeptionellen Rahmenbedingungen Strategische Untemehmensplanung und ethische Reflexion erfolgen jeweils unter be­ stimmten konzeptionellen Rahmenbedingungen. Hier sind bei zumindest drei Aspekten Zusammenhänge festzustellen.

Als erstes läßt sich die Handlungsorientierung von Strategischer Untemehmenspla­ nung und ethischer Reflexion festhalten. Strategische Planung zielt auf die Sicherung des Fortbestandes eines Unternehmens ab, während ethische Reflexion auf die Siche­ rung eines friedlichen gesellschaftlichen Zusammenlebens abzielt. Beides sind jedoch 40 Vgl. Habermas 1992a, S. 134. 41 Vgl. Apel 1993, S.425.

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Strategische Untemehmensplanung als geeigneter Ort ethischer Reflexion

keine aus sich selbst gewachsenen 'natürlichen Phänomene', sondern ihnen liegen je­ weils theoretische Grundlagenüberlegungen und -Überzeugungen zugrunde. Daher läßt sich letztlich auch weder von der Konzeption der Strategischen Planung noch von dem Ethik-Ansatz42 sprechen. Es kommt vielmehr bei beiden vor ihrer praktischen Anwen­ dung zur Setzung von Annahmen und Vorschriften.43 So beinhaltet die in dieser Arbeit gewählte Konzeption der Strategischen Untemehmensplanung aufgrund ihrer Anwendungsbezogenheit normative Aussagen. Die oben erfolgte Darstellung der Konkretisie­ rungsstufen ethischer Reflexion beschreibt nur deren allgemeine Charakteristika. Eine normative Vorgabe erfolgt dann erst mit der Auswahl eines bestimmten Moralprinzips. Beide Konstrukte weisen somit realiter eine präskriptive Komponente auf.

Der zweite Aspekt betrifft die praxisorientierten Zusammenhänge der konzeptionellen Rahmenbedingungen, die sich in umweltbezogene und individuelle Einflüsse auf die Strategische Planung und ethische Reflexion unterteilen. Sowohl die Ethik als auch die Strategische Planung orientieren sich an den Realitäten der Kultur- und Naturwelt.44 Die Strategische Planung ist in das Planungssystem eingebettet und dieses wiederum in die Strukturen des Gesamtuntemehmens. Unternehmen bzw. die entsprechenden Pla­ nungsträger müssen - auch als Teil einer Gesellschaft - die strategischen Pläne unter Berücksichtigung der jeweiligen Gegebenheiten dieses Umfeldes entwerfen. Andern­ falls entzöge sich ein Unternehmen der Akzeptanz interner und externer Interessen­ gruppen und damit seiner Legitimation. Aber auch die dauerhafte Existenz im Wett­ bewerb wäre gefährdet, wenn die Interessen von Kunden oder Lieferanten und die Aktionen und Reaktionen der Konkurrenz keine Beachtung in den Strategien fänden. Genauso sind einzelne Personen immer ein Teil in einem gemeinschaftlichen System. Daher erfolgen die Reflexionen von Individuen oder Institutionen immer mit Bezug auf die eigenen und die kulturellen Hintergründe und Erfahrungen einer Handlungsgemein­ schaft.45

Das Moralsystem an sich geht aus der intersubjektiven Anerkennung von Handlungs­ weisen hervor und wird damit Bestandteil des kulturellen Systems. Es besteht aber auch eine Interdependenz zwischen den eigenen Wertorientierungen und denen einer Gesellschaft. Die individuellen Wertüberzeugungen und damit das Ethos der reflektie­ renden Person werden aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft von den Erfahrungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens beeinflußt, diese geäußerten und gelebten individuellen Wertvorstellungen beeinflussen aber wiederum die gesellschaft­ liche Moral.46 Diese persönlichen Überzeugungen sind allerdings aufgrund der Zuge­ hörigkeit zu verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen bei keinem Menschen völlig identisch, so daß ethische Reflexion auch immer die individuellen Erfahrungen einer Person widerspiegelt. Genauso wie ethische Reflexion neben dem gesellschaftlichen 42 43 44 45 46

Unter Ethik-Ansatz ist hier die Form der Nonnenbegründung zu verstehen. Eine Beschreibung der wichtigsten ethischen Argumentationsformen findet sich bei Wyk 1990. Vgl. Lay 1991, S.7. Vgl. Ulrich 1993, S.296-297. Vgl. Maturana 1982, S.3O8; Hejl 1994, S.319.

Strategische Unternehmensplanung als geeigneter Ort ethischer Reflexion

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Einfluß auch durch den spezifischen individuellen Rahmen determiniert wird, sind der Prozeß und die Ergebnisse der Strategischen Planung von den einzelnen Planungsträ­ gem und damit vor allem von den Werten und Grundeinstellungen der Mitglieder der Untemehmensspitze geprägt.47

Als dritte Rahmenbedingung ergeben sich die zeitlichen Dimensionen ethischer Re­ flexion und Strategischer Untemehmensplanung. Dabei läßt sich feststellen, daß beide Prozesse vergangenheits-, gegenwarts- und zukunftsbezogen zugleich sind. Aus den oben beschriebenen Einbindungen in das jeweilige Umfeld, mit den dadurch erfolgen­ den Vororientierungen, ergibt sich für beide Prozesse ein Vergangenheitsbezug. Gleichzeitig sind die Konstrukte aufgrund ihrer Praxisorientierung gegenwartsbezogen, wobei als deren Orientierungsgröße die Zukunft fungiert.48 Zur Beurteilung der sinn­ vollen Länge eines Planungszeitraumes lassen sich allerdings genausowenig allgemein­ gültige Aussagen machen 49 wie auch die Geltungsdauer einer Norm nicht genau fest­ legbar ist. Erst die Reflexion über den jeweils eingeschlagenen Weg - die verfolgte Strategie bzw. die einzuhaltende Handlungsregel - in Verbindung mit den Anforde­ rungen des spezifischen Handlungskontextes zeigt die eventuelle Notwendigkeit einer Veränderung auf.

5.3.1.2 Systematisch-methodische Gemeinsamkeiten Unternehmerisches Handeln ist ein Sonderfall des menschlichen Handelns.50 Damit ist gemeint, daß sich unternehmerisches Handeln zwar mit einer ganz spezifischen inhalt­ lichen Thematik befaßt, sich deshalb aber nicht aus dem gesamtmenschlichen Hand­ lungszusammenhang herauslösen läßt. Somit folgen die Strategische Untemehmens­ planung, die sich mit Untemehmensaktivitäten befaßt, und ethische Reflexion, die all­ gemein menschliche Handlungen zum Gegenstand hat, der gleichen Systematik und Vorgehensweise.

Strategien sind die gedankliche Antizipation von Untemehmensaktivitäten einschließ­ lich ihrer erwarteten Ergebnisse, die in strategischen Plänen festgehalten werden. Ebenso lassen sich Handlungsregeln als gedankliche Vorwegnahme möglicher Hand­ lungsfolgen sowie potentieller zukünftiger Handlungssituationen verstehen.51 Strategi­ sche Untemehmensplanung und ethische Reflexion erweisen sich somit beide als in­ formationsverarbeitende, ergebnisorientierte Prozesse. In diesem Sinne sind beide Konstrukte handlungsvorbereitend und/oder -beurteilend und stecken den Rahmen für instrumentelle Handlungen ab. Es handelt sich also jeweils um bewußte Vorgänge der Steuerung von Untemehmensaktivitäten bzw. des menschlichen Handelns. Sie sind das Ergebnis eines Begründungsprozesses und lassen sich insofern als rational bezeich­ 47 48 49 50 51

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Kreikebaum 1996, S.l70-178. Wild 1981, S.13; Henzler 1988, S.1300. Kreikebaum 1993, S.126-127. Herms 1991, S.71. Rüegg 1989, S.419.

Strategische Unternehmensplanung als geeigneter Ort ethischer Reflexion

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nen.52 Ein gemeinsames Kennzeichen beider Prozesse ist deren Gleichgerichtetheit, die durch ihren ergebnisorientierten und antizipativen Charakter zum Ausdruck kommt. Sowohl die Strategische Planung als auch ethische Reflexion sind - durch die auf jeder Stufe gegebene Notwendigkeit der Hinterfragung bestehender Vorgaben - zyklisch angelegt. Die einzelnen Teilschritte der Prozesse können mehrfach und auch simultan durchlaufen werden. Dies erleichtert es, flexibel und gezielt auf Veränderungen zu reagieren und handlungskontextbezogene, situationsadäquate Entscheidungen zu tref­ fen, ohne daß unbedingt der gesamte Prozeß durchlaufen werden muß. Normalerweise verändern sich nicht alle Gegebenheiten innerhalb einer Gesellschaft oder im internen und externen Untemehmenskontext gleichzeitig. Die Mehrfachdurchläufe implizieren deshalb, daß die problemrelevanten Tatbestände aufgrund wiederholter Wahrnehmun­ gen immer genauer beurteilt werden können.53 Durch diese Erhöhung der Wissensba­ sis ergibt sich eine zunehmende Verbesserung der Entscheidungsqualität. Strategische Untemehmensplanung und ethische Reflexion sind somit gleichermaßen auch als Lernprozesse aufzufassen.54

5.3.2 Funktionale Zusammenhänge

5.3.2.1 Integrationscharakter von Strategischer Unternehmensplanung und ethischer Reflexion Untemehmensaktivitäten sind von einer Vielzahl einzelner Entscheidungen und Maß­ nahmen geprägt. Sie stehen in der Regel in einer wechselseitigen Abhängigkeit zuein­ ander. Diese Interdependenzen können personellen, zeitlichen oder sachlichen Ur­ sprungs sein. Eine Nichtbeachtung der Wirkungszusammenhänge, d.h. ungeplantes Vorgehen, kann zu erheblichen Effizienzverlusten und zu einem widersprüchlichen Auftreten des Unternehmens nach innen und außen führen.55 Die Strategische Unter­ nehmensplanung versucht, dieses zu verhindern, indem sie einen Bezugsrahmen setzt und die einzelnen Entscheidungen und Maßnahmen zu einem Gesamtkonzept des Un­ ternehmens zusammenfügt.56 Der Erfolg der Integration hängt von der Akzeptanz der im Rahmen der Strategischen Planung getroffenen Entscheidungen ab und zeigt sich in der operativen Umsetzung von Strategien und Maßnahmen sowie der Erreichung der Zielsetzungen. Er dürfte umso höher liegen, je konkreter die unterschiedlichen Interes­ sen der Unternehmensmitglieder in einer konsensuellen Entscheidungsfindung berück­ sichtigt werden.57

52 53 54 55 56 57

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Herms 1991, S.77-78. Rüegg 1989,S. 58-59. Rabl 1990, S.85; Kirsch 1992, S.316-319 Gälweiler 1990, S. 104. Göbel 1992, S. 102. Rüegg 1989, S.287; Wüthrich 1990, S.194.

Strategische Unternehmensplanung als geeigneter Ort ethischer Reflexion

175

In gleicher Weise beeinflussen sich Handlungen einzelner Personen innerhalb einer Gesellschaft wechselseitig, entweder im Rahmen direkter, bewußter Austauschbezie­ hungen (z.B. Verträge) oder durch indirekte und unbeabsichtigte Auswirkungen (externe Effekte).58 Gegenstand ethischer Reflexion ist es, diese auf individuellen Werturteilen basierenden Einzelentscheidungen und -handlungen einer Überprüfung hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz zu unterziehen. Entsprechen sich die Werte der Mitglieder einer Gesellschaft, erfolgt die Integration zu gemeinschaftlichen Handlungsmustem und einem kollektiven Wertesystem und somit zu einer gesell­ schaftlichen Moral.59 Das Ethos des einzelnen Menschen wird u.U. über mehrere ge­ sellschaftliche Subsysteme wie Familie, Beruf und Unternehmen in eine gesellschaftli­ che Moral integriert.60 Strategische Planung und ethische Reflexion tragen aufgrund ihres Integrationscharakters dazu bei, die Identität von Unternehmen bzw. Gesellschaft zu stärken, wobei gleichzeitig die Identität jedes einzelnen Mitglieds anerkannt wird.61

Um Einzelentscheidungen aus Sicht der Allgemeinheit treffen zu können und damit die Integrationsleistung zu erfüllen, erfordert die Beurteilung von Handlungen oder Nor­ men, Distanz zur eigenen Person zu gewinnen. Als ethisch reflektierender Mensch nimmt jeder einzelne eine Art 'Adlerperspektive' ein 62 Auch eigene Handlungen müs­ sen in dieser Weise bewertet werden, wenn sie als moralisch und ethisch gelten sollen. Diese Position hat die Strategische Untemehmensplanung im übertragenen Sinne durch ihre Einordnung in den Verantwortungsbereich des Top-Managements ebenfalls inne. Sie sollte aus diesem Grund und auch wegen des weiten Aufgabenfeldes die Integra­ tion der Untemehmensaktivitäten sowie die Einordnung des Unternehmens in seinem Umfeld überblicken und steuern. Strategische Planung repräsentiert einen 'ControllingOverlayer' für alle Einzelentscheidungen im Unternehmen.63

Eine Gefahr der Integration ergibt sich allerdings, wenn die aktuellen Absichten und Strategien bzw. Normen und Handlungsregeln einzelne Entscheidungen soweit deter­ minieren, daß eine kritische Reflexion sowohl bezüglich des unternehmerischen als auch hinsichtlich des moralischen Handelns nicht mehr möglich ist. Diese Einschrän­ kung von Kreativität und Offenheit führt dazu, daß Handlungen routinemäßig durch­ geführt werden.64 Da für weitere Überlegungen zu diesem Problem eine vorherige Be­ trachtung der Sicherheitsfunktionen der Ethik und der Strategischen Planung notwen­ dig ist, wird hierauf im nächsten Teilabschnitt noch einmal näher eingegangen.

58 59 60 61 62 63 64

Vgl. Malik/Probst 1981, S. 126. Vgl. Enderle 1987, S.443. Vgl. Ulrich/Fluri 1995, S.69. Vgl. Kirsch 1992, S.l34. Vgl. Anzenbacher 1992, S.46-47. Vgl. Kirsch 1992, S.340-345. Vgl. Rüegg 1989, S.419.

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Strategische Untemehmensplanung als geeigneter Ort ethischer Reflexion

5.3.2.2 Sicherheitsfunktion von Strategischer Unternehmensplanung und ethischer Reflexion

Bei einer Einzelbetrachtung von individuellen und institutioneilen Entscheidungen führt die Vielzahl ihrer Ausprägungsmöglichkeiten und Kombinationen zu Komplexität und Unsicherheit des gesellschaftlichen Zusammenlebens bzw. der Untemehmensführung. Erst die aggregierte Betrachtung der Einzelentscheidungen und -handlungen leistet ei­ nen Beitrag zur Reduktion dieser Komplexität.65 In Verbindung mit der damit einher­ gehenden Risiko Verminderung bedeutet dies die Erzeugung von Sicherheit, sowohl für jeden einzelnen Menschen als auch für das Überleben des Unternehmens. Aus Sicht eines Unternehmens erfolgt die Komplexitätsreduktion in zweifacher Hinsicht. Die in­ nere Komplexität wird durch die oben beschriebene interne Integrationsleistung der Strategischen Planung zum Gesamtuntemehmenskonzept reduziert. Gleichzeitig ist ein Unternehmen als organisatorische Einheit ein Teil der Gesamtgesellschaft. Insofern leistet es durch Berücksichtigung moralischer Normen - im Rahmen seiner genuin ökonomischen und außerökonomischen Aktivitäten - einen Beitrag zur Existenz gesell­ schaftlicher Moral und damit zur Reduktion der - aus Untemehmenssicht - Außen­ komplexität. Da die Untemehmensaktivitäten über die strategischen Pläne festgelegt werden, beinhaltet die Strategische Planung letztlich immer auch ethische Reflexionen der Planungsträger. Wie bereits zuvor angesprochen, schafft Integration nicht nur Sicherheit, sondern birgt auch die Gefahr, daß auf Wandel nicht mehr reagiert wird, d.h., die Entwicklung neuer Gegebenheiten der Untemehmensum- und -inwelt sowie der individuellen Wertesy­ steme finden aufgrund einer zu starken Einbindung in das bestehende System zu wenig Beachtung,66 In diesem Falle entsteht eine 'moralische Lücke' zwischen den indivi­ duellen bzw. Untemehmenswerten und gesellschaftlichen Werten. Wenn eine solche Lücke besteht, dann tragen Untemehmensstrategien nicht mehr dazu bei, Erfolgspo­ tentiale zu schaffen, da sie nicht den aktuellen Erfordernissen genügen. Will man diese moralische Lücke schließen, stehen grundsätzlich drei Entwicklungswege offen.

1. Die bestehende gesellschaftliche Moral paßt sich dem individuellen Ethos an. 2. Das bestehende Ethos paßt sich der gesellschaftlichen Moral an. 3. Neue, konsensuelle Werte werden entwickelt.

Diesen Alternativen tragen die dargestellten Prozesse der ethischen Reflexion und der Strategischen Untemehmensplanung durch ihre Rekursivität und iterative Vorgehens­ weise Rechnung. Die Tatsache, daß die strategische Kontrolle bzw. die Hinterfragung von Normen prozeßbegleitend angelegt sind, ermöglicht das flexible Eingehen auf Veränderungen. Auf diese Weise wird neben der Reduktion von Komplexität auch der Aufbau neuer Komplexität unterstützt. Dieser ist notwendig, um die gesellschaftliche und organisatorische Weiterentwicklung nicht zu beeinträchtigen, ohne dabei die Integrationsfunktion zu vernachlässigen. Als eine Sicherheitsfunktion ethischer Reflexion 65 Vgl. Probst/Gomez 1992, S.906. 66 Vgl. Wüthrich 1990, S.l89.

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und Strategischer Planung läßt sich daraus die erfolgreiche Steuerung des Wechsel­ spiels zwischen komplexitätsreduzierender Stabilität und komplexitätserhöhender Ver­ änderung ableiten.67

Sowohl das Unternehmen als auch die Gesellschaft und ihre einzelnen Mitglieder er­ halten durch dieses Wechselspiel eine gegenseitige Verläßlichkeit bezüglich der jewei­ ligen Handlungen. Diese Erwartungssicherheit bezieht sich ebenso auf aktuelle Ereig­ nisse wie auf zukunftsbezogene und zukünftige Entscheidungen. Die Strategische Pla­ nung und ethische Reflexion sollen jeweils Vorsorge dafür tragen, daß einzelne Hand­ lungsspielräume nicht miteinander kollidieren. Für den Fall, daß diese Konfliktvermei­ dung versagt hat, bilden sie dennoch den gemeinsamen verläßlichen Bezugsrahmen, innerhalb dessen gegenläufige Interessen in konstruktiver Weise einander angepaßt werden können.68 Die inkrementale Gestaltung ethischer Reflexion und Strategischer Untemehmenspla­ nung gewährleistet in einem weiteren Punkt Sicherheit. Trotz oder gerade wegen ihres Integrationscharakters lassen sie einzelnen Individuen Handlungsspielräume, wodurch diese Verantwortung übernehmen. Dies entlastet das gesellschaftliche Rechtsystem und sichert es vor Überforderung.69 Im gleichen Maße gewährleistet die Aufteilung der Strategischen Planung in einzelne Schritte und in einzelne Bereiche eine Entlastung der Führung des Gesamtuntemehmens und stellt eine Möglichkeit zur Verringerung der Regelungsdichte dar.70 Der offene Charakter der Strategischen Planung bleibt dabei ganz wesentlich. So wie die Ergebnisse der einzelnen Phasen der Strategischen Pla­ nung nicht für immer feststehen, sondern - insbesondere durch die Strategische Kon­ trolle - einem permanenten Überprüfungsprozeß ausgesetzt bleiben, sind auch morali­ sche Normen nicht unbedingt dauerhaft gültig. Diese permanente, prozeßbegleitend angelegte Überprüfung der Strategischen Planung stellt letztlich also nichts anderes als kritische Reflexion dar. Die folgende Tabelle gibt die wesentlichen Überlegungen zu den formalen und funk­ tionalen Zusammenhängen von Strategischer Planung und ethischer Reflexion sche­ matisch wieder.

67 68 69 70

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Bleicher 1995, S.21-23. Lay 1991, S.53-54. Thommen 1990, S.305. Wüthrich 1990, S.198; Braun 1993, S.162.

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Merkmal

Strategische Unternehmensplanung

Ethische Reflexion

Präskriptiver Charakter

Annahmen und Vorschriften

Annahmen und Vorschriften

Handlungsorientierung

Ziel: Sicherung des Fortbestandes des Unternehmens

Ziel: Sicherung des gesellschaftlichen Zusammenlebens

Individuelle Einflüsse

Werte und Grundeinstellungen

Ethos

Umweltbezogene Einflüsse

Umwelt

Kultureller Hintergrund / Moral

Zeitliche Dimension

Vergangenheits bezug, Gegenwartsbezug, Zukunft als Orientierungsgröße

Vergangenheitsbezug, Gegenwartsbezug, Zukunft als Orientierungsgröße

Interne und externe strategische Analyse Analyse der individuellen und (informalionsorientiert) institutioneilen Innen- und Außenwelt (informationsorientiert) Systematik / Vorgchcnsweisc Strategien als gedankliche Antizipation von Unternehmensaktivitäten einschließlich ihrer Ergebnisse (ergebnisorientiert)

Ethische Reflexion als gedankliche Vorwegnahme möglicher Handlungsfolgen sowie potentieller zukünftiger Handlungssituationen (ergebnisorientiert)

Formulierung

Allgemeine und abstrakte Strategieformulierung

Allgemein und abstrakt gehaltene Wertvorstellungen

Lernprozeß

Iterative Annäherung an die richtige Strategie

Iterative Annäherung an konsensfähige Normen

Minderung des Risikos von Fehlentscheidungen

Durch Planung

Durch Einbeziehung der Werte der Innenund Außenwelt

Reduzierung von Komplexität

Planung reduziert Komplexität durch Durch die Auseinandersetzung mit Ethos/ Stabilisierung von Verhaltensweisen und Moral der Innen- und Außenwelt werden -erwartungen beide Welten transparenter und die Verhaltensweisen anderer berechenbarer

Tabelle 5-2: Gemeinsamkeiten von Strategischer Unternehmensplanung und ethischer Reflexion Quelle: Eigene Darstellung

5.3.3 Inhaltliche Zusammenhänge 5.3.3.1 Bedingungen für ethisch reflektierte Absichten Im Rahmen der Untersuchung der inhaltlichen Zusammenhänge zwischen den Prozeß­ phasen der Strategischen Untemehmensplanung und der ethischen Reflexion geht es darum, festzustellen, inwieweit bei der Festlegung von Absichten, Strategien, Maß­ nahmen und Zielen dem Gegenstand nach ethische Reflexion zum Tragen kommt. Die

Strategische Unternehmensplanung als geeigneter Ort ethischer Reflexion

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folgenden Überlegungen beziehen sich daher nicht auf den konkreten Inhalt von Ab­ sichten, der als ethisch gelten könnte, oder auf operationale Handlungsregeln zur For­ mulierung der Absichten, sondern auf konstitutive Bedingungen des Inhalts, die er­ füllt sein müssen, damit eine Absicht ethisch reflektiert ist.

Bereits die terminologische Gleichsetzung von Untemehmensabsichten mit Untemehmensphilosophie deutet auf mögliche Querverbindungen zur Ethik als praktischer Phi­ losophie hin. Die Absichten geben neben dem Untemehmenszweck die Einstellung des Unternehmens zu seinen internen und externen Interessengruppen wie Mitarbeiter, Kapitalgeber, Kunden, Lieferanten, Konkurrenten, die Gesellschaft und auch die na­ türliche Umwelt an. Sie begründen die Stellung des Unternehmens in der Gesellschaft und sollen seine Tätigkeit legitimieren. Verglichen mit dem zuvor beschriebenen Pro­ zeß ethischer Reflexion lassen sich Parallelen zwischen der Normenbegründung und der Formulierung der Absichten ziehen. Normen vermitteln eine allgemeine Rechtfer­ tigung menschlichen Handelns, während die Absichten diese Aufgabe für die Aktivitä­ ten des Unternehmens übernehmen sollen. Die in den Grundsätzen festgehaltenen normativen Überlegungen werden oft als "pseudo-normative Leerformeln" bezeich­ net.71 Zur Verwirklichung einer allgemeinen Akzeptanz ist bei der Formulierung der Absichten eine umfassende Kenntnis der Interessen notwendig, die die verschiedenen Interessengruppen an das Unternehmen herantragen. Als ethisch reflektiert gelten die Absichten dann, wenn sie an den individuellen bzw. unternehmerischen und gesell­ schaftlichen Normen überprüft worden sind, also eine Orientierung an Geltungsan­ sprüchen vorgenommen wurde.72 Eine Absicht gilt mithin nicht als ethisch reflektiert, nur weil sie einen (zufällig entstandenen) faktischen Konsens zum Ausdruck bringt.73

Die im Zusammenhang mit den Absichtserklärungen oft erwähnte Dokumentation ei­ ner "außerökonomischen sozialen Verantwortung"74 im Untemehmensleitbild als Be­ weis einer ethisch-moralischen Einstellung des Unternehmens, bzw. seiner Führungs­ kräfte und Mitarbeiter, greift damit zu kurz. Ethisch reflektierte Untemehmensabsich­ ten bedürfen der bereits erwähnten "Responsiveness"75 gegenüber den Interessengrup­ pen, um ihrem Anspruch gerecht zu werden. Erst daraus kann dann die unternehmeri­ sche Verantwortung abgeleitet werden. Um die Ansprüche möglichst genau ermitteln zu können, kann es hilfreich sein, einen Dialog mit den jeweiligen Interessengruppen anzustreben, womit der Forderung nach einer verstärkten kooperativen Willensbildung bereits an dieser Stelle nachgekommen wäre.76 Zuzuordnen ist diese Ermittlung dem Aufgabenbereich der im folgenden Punkt behandelten strategischen Analyse.

71 Vgl. Steinmann 1973, S.470. 72 Ein praktischer Umsetzungsschritt im Rahmen der Absichtsformulierung bestände dann darin, den Versuch zu unternehmen, diese differierenden Geltungsansprüche in Einklang zu bringen. 73 Vgl. Brewing 1995, S.227. 74 Vgl. Ulrich 1987c, S.422. 75 Vgl. Epstein 1987, p. 101. 76 Vgl. Dwiggins 1986, pp.216-218; Göbel 1992, S.130; Kreikebaum 1993, S.161-162.

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Strategische Unternehmensplanung als geeigneter Ort ethischer Reflexion

Die Ausführungen machen deutlich, daß Absichten das normative Fundament der Stra­ tegischen Planung, d.h. der gesamten Untemehmenstätigkeit, konstituieren und dazu beitragen, Wert- und Interessenkonflikte zu vermeiden oder konstruktiv auszutragen, im gleichen Maß wie Normen die Grundlage eines friedlichen gesellschaftlichen Zu­ sammenlebens bedeuten. Da die in den Untemehmensabsichten vermittelten Wertvor­ stellungen von allen Untemehmensmitgliedem geteilt werden (sollten), sind sie förder­ lich für das Entstehen eines Unternehmensethos.77 Sie lassen sich zum einen als insti­ tutionalisiertes Ergebnis ethischer Reflexion bezeichnen, zum anderen schaffen sie aufgrund ihrer allgemeinen Formulierung auch die notwendigen Handlungsfreiräume für weitere ethische Reflexion. Dabei bleiben Absichten selbst immer hinterfragbar. Es erfolgt also nicht nur ein iterativer und rekursiver Prozeß der Strategischen Planung bezüglich der Absichts- und Plankontrolle, sondern auch bezüglich der Hinterfragung des Status Quo der Absichten auf seine Sinnhaftigkeit.78 Auch Ethik ist dadurch ge­ kennzeichnet, daß nicht nur eine Reflexion im Sinne der Hinterfragung bestehender Moralvorstellungen und Zusammenfügung einer "neuen Moral" entsprechend den ge­ äußerten individuellen Moralvorstellungen (methodologischer Individualismus) erfolgt, sondern eine Hinterfragung letzter Wertprämissen prinzipiell möglich bleibt.

5.3.3.2 Bezugspunkte zwischen ethischer Reflexion und strategischer Analyse Um eine rationale Entscheidungsfindung vornehmen zu können, benötigen sowohl die Strategische Planung als auch ethische Reflexion eine Untersuchung der situativen Bedingungen des Entscheidungstatbestandes. Die Analysen sind dabei nach innen auf das Unternehmen bzw. die reflektierende Person oder Institution und nach außen auf die Umwelt gerichtet. Dabei beziehen sie sich auf die jeweilige Ist-Situation und mög­ liche Soll-Zustände.79 Diesbezüglich sind bestimmte Kriterien der Untemehmensanalyse zu beachten. Die Analyse der Werte und Grundeinstellungen der Untemehmensspitze soll dazu beitragen, ihre Wahrnehmung zu beeinflussen, um so den Blick für Neues zu öffnen, einen Perspektivenwechsel zu erleichtern und die Sensibilität für ethisch-moralisches Denken zu erhöhen. Außerdem müssen im Rahmen der Stärken/Schwächen-Analyse neben den "normalerweise" betrachteten ökonomischen Kri­ terien auch außerökonomische Kriterien in die Auswertung miteinbezogen werden. Ein weiterer Schwerpunkt der Untemehmensanalyse besteht darin, die Interessen der in­ ternen Interessengruppen in Erfahrung zu bringen und mit den Ergebnissen der exter­ nen Analyse zu einem Gesamtbild zu verdichten, woraus sich anschließend die allge­ meine Anerkennungswürdigkeit von Absichten, Strategien und Maßnahmen ableiten läßt. Die strategische Analyse wird neben ihren eigenen Erhebungen gleichzeitig mit Informationen seitens der strategischen Kontrolle versorgt, die vor allem als Anstoß für weitere Untersuchungen gelten.

77 Vgl. Göbel 1992, S.l29. 78 Vgl. Kreikebaum 1993, S.33. 79 Vgl. Hinterhuber 1996, S.l 13-122.

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Da im Mittelpunkt die Beurteilung der Moralität von Handlungen steht und diese sich wiederum auf die Anerkennung seitens der Untemehmensmitglieder und durch das ge­ sellschaftliche Umfeld bezieht, bedeutet dies für das Unternehmen in erster Linie die Untersuchung der Beziehungen zu seinen Interessengruppen.80 Diese sozio-kulturelle Analyse bildet den Rahmen für die Betrachtung weiterer Bereiche.81

Als erste Aufgabe sind die relevanten Interessengruppen zu erfassen, wobei aus Sicht der Strategischen Planung hier nicht nur ökonomische Interessengruppen, mit deren Umgang das Management weitgehend vertraut ist, zu berücksichtigen sind.82 Diese selektive Wahrnehmung gilt es, für eine ethische Reflexion zu überwinden.83 Zusätz­ lich zur Betrachtung der generellen Bedeutung der jeweiligen internen und externen Interessengruppen für die Zukunftsentwicklung des Unternehmens besitzt in dieser Phase die Wirkungsanalyse der gegenwärtig verfolgten Absichten, Strategien und Maßnahmen auf die Interessengruppen einen hohen Stellenwert. Sie können u.U. Auf­ schluß über notwendige Änderungen geben. Die Strategische Planung bietet in diesem Zusammenhang gegenüber einer allgemeinen ethischen Reflexion den Vorteil, daß sie den mit der strategischen Analyse beauftrag­ ten Untemehmensinstanzen Instrumente an die Hand gibt. Damit kann das Vorgehen übersichtlicher gestaltet werden, was aufgrund der komplexen Umweltbeziehungen eines Unternehmens hilfreich ist und so eine umfassende und genauere Untersuchung erleichtert.

Daß einige Instrumente der Strategischen Planung sich auch für Fragestellungen der ethischen Reflexion eignen, soll am Beispiel der Cross-Impact-Analyse gezeigt wer­ den. Ihr Ziel ist die systematische Verbindung von Einzelereignissen, indem sie diese einander gegenüberstellt und deren Interdependenzen aufzeigt.84 Die Analyse wird in Form einer Matrix veranschaulicht. Für den speziellen Fall ethischer Reflexion lassen sich in den Zeilen die Ansprüche der Betroffenen und in den Spalten die aktuellen Strategien oder Handlungen abtragen. Anschließend werden positive und negative Auswirkungen der Strategien oder Handlungen auf die Interessengruppen und umge­ kehrt in die entsprechenden Felder der Matrix eingetragen. Die herkömmliche CrossImpact-Analyse geht an dieser Stelle quantitativ vor, indem sie Skalen bildet und diese für die Bewertung des Ausmaßes der Interdependenzen verwendet.85 Für die behan­ delte Problemstellung erscheint dieses Verfahren allerdings weniger angebracht und eine verbale Beschreibung sinnvoller. Auf diese Weise kann abschließend für jede

80 81 82 83

Vgl. Behnam/Muthreich 1995. Vgl. Hinterhuber 1996, S.135-139. Vgl. Achleitner 1985, S.81. Vgl. Göbel 1992, S.144. Die beschriebene Selektion ist ein Grund dafür, daß rationales Handeln im Rahmen der Untemehmensführung häufig mit ökonomisch rationalem Handeln gleichgesetzt wird. Vgl. Achleitner 1985, S.82. 84 Vgl. Elbling/Kreuzer 1994, S.86-87. 85 Vgl. Elbling/Kreuzer 1994, S.88.

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Strategie und Handlung eine Gesamtbeurteilung ihrer Anerkennungswürdigkeit ermit­ telt werden.86

Abbildung 5-2: Cross-Impact-Matrix Quelle: Eigene Darstellung

Durch das Einsetzen zukünftig beabsichtigter oder potentieller Absichten, Strategien und Maßnahmen kann die Cross-Impact-Analyse zur Szenario-Analyse weiterentwikk61t werden. Sie hilft bei der Projektion möglicher Zukunftsbilder unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklungen der gesellschaftlichen oder gruppenspezifischen Moral sowie möglicher Folgen und Nebenwirkungen aktueller und potentieller Hand­ lungen. Der Vorteil der Szenario-Analyse ist, daß sie sowohl quantitative als auch qualitative Daten verarbeitet, ihre Aussagen jedoch qualitativ sind. Sie beschreibt Richtung, Ausmaß und Intensität zukünftig erwarteter Situationen einschließlich ihrer Entwicklungswege.87 In der Regel werden zwei Extremszenarien und ein Trendszena­ rio durchgespielt, in denen auch mögliche Störereignisse Berücksichtigung finden, was der Forderung nach kontrafaktischen Zukunftsentwürfen im Rahmen der ethischen Re­ flexion entspricht.

5.3.3.3 Der Stellenwert der Ethik bei der Strategiebestimmung

Entsprechend der Gegenüberstellung der ersten zwei Planungsphasen mit den jeweili­ gen Phasen der ethischen Reflexion kann die Strategiebestimmung mit der Festlegung von Handlungsregeln für bestimmte Kontexttypen verglichen werden. Der Zusammen­ hang ist darin zu sehen, daß auch die Strategiebestimmung kontextspezifisch erfolgt, wie z.B. Produkt/Markt-Strategien, Wettbewerbsstrategien oder Funktionsbereichs­

86 Vgl. dazu Abschnitt 6.3.2. 87 Vgl. Bea/Haas 1995, S.91.

Strategische Untemehmensplanung als geeigneter Ort ethischer Reflexion

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Strategien.88 Weiterhin beinhaltet sowohl strategisches als auch ethisches Denken, sich in die Situation der vom eigenen Handeln Betroffenen hineinzuversetzen und umge­ kehrt auch zu überlegen, wie diese in der gleichen Situation entscheiden würden.89

Zu unterscheiden ist jedoch die hinter dieser Vorgehens weise stehende Motivation. Hintergrund der Strategiebestimmung ist die Bewältigung komplexer und dynamischer Umweltbedingungen, um für das Unternehmen Erfolgspotentiale zu schaffen und zu sichern. Das Tn-den-anderen-Hinein versetzen' ist in diesem Fall also oft nur Mittel zum Zweck des Untemehmenserfolges. Dieser Zweck sollte dem Unternehmen nicht aberkannt werden, da er unabdingbar für dessen Fortbestand und zudem die Voraus­ setzung zur Erfüllung der an das Unternehmen gestellten Ansprüche ist.90 In diesem Sinne muß auch Friedmans Ansicht „the social responsibility of business is to in­ crease its profits“91 nicht widersprochen werden. Insbesondere Kapitalgeber und Mit­ arbeiter haben sicher ein diesbezügliches Interesse - hinsichtlich einer hohen Einkom­ menserzielung - am Unternehmen. Kritisch ist hingegen eine mögliche Implikation von Friedmans Aussage, daß es keine Rolle spiele, wie dieser Gewinn zustande komme, solange er unter den gegebenen Annahmen der höchstmögliche ist.92 Gerade dieses Wie' ist jedoch aus ethischer Sicht im Rahmen der Strategiebestimmung ausschlag­ gebend. Die Interessen anderer dürfen danach nicht nur als Mittel betrachtet werden, sondern auch als Zweck, wie er in den unternehmerischen Absichten festgehalten wurde. Die Untemehmenspolitik sowie die in ihrem Rahmen aufgestellten Grundsätze sind die koordinierende Instanz für die Bestimmung von Strategien, Maßnahmen und Zielen, indem sie strategische und zweckorientierte ökonomische Handlungen einer ethischen Reflexion unterziehen.93 Ethische Reflexion bezieht sich in dieser Phase der Strategischen Untemehmenspla­ nung folglich darauf, eine Übereinstimmung der Strategien einschließlich ihrer bekann­ ten bzw. erwarteten Folgen und Nebenwirkungen mit den Absichten und den Informa­ tionen der strategischen Analyse herzustellen. Die Überprüfung der Erfüllung dieser Anforderungen sowie die weitere Überwachung der Auswirkungen sind Aufgaben der strategischen Kontrolle. Die Hinterfragung der Gültigkeit von Analysedaten und Ab­ sichten käme der auf jeder Konkretisierungsstufe im Ablaufschema der ethischen Re­ flexion geforderten Normenhinterfragung gleich. Dieser Aufgabenbereich wird eben­ falls der strategischen Kontrolle zugeordnet. Die strategische Kontrolle führt dazu, daß bei der Festlegung von Strategien, Maß­ nahmen und Zielen immer wieder die Kompatibilität mit den generellen und speziellen Absichten überprüft wird. Genau dies ist auch für moralische Normen zu fordern, die als Kriterien für konkrete Handlungssituationen dienen sollen. Sie müssen ebenfalls 88 89 90 91 92 93

Vgl. Kreikebaum 1993, S.52. Vgl. Apel 1992, S.350. Vgl. Hinterhuber 1996, S.98-101. Friedman 1970, p.33. Vgl. Thommen 1990, S.306-307. Vgl. Nill 1993, S. 148.

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Strategische Untemehmensplanung als geeigneter Ort ethischer Reflexion

immer wieder auf ihre Kompatibilität mit ethischen Maximen auf einer höheren Ab­ straktionsstufe hin überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden. Auch ethische Maxime unterliegen einer Verfeinerung und praktischen Ausgestaltung auf nachfol­ genden Ebenen. So wie eine generelle Absicht auf der Ebene der Strategien oder Maß­ nahmen eine Konkretisierung in pragmatische Handlungsanweisungen erfährt, bedarf auch die Formulierung einer ethischen Maxime der Konkretisierung in moralische Normen als echte Handlungsanweisung für spezifische Situationen. Abschließend sei noch bemerkt, daß die im allgemeinen Sprachgebrauch als ethisch oder sozial verantwortlich bezeichneten Strategien wie z.B. Umweltprodukt- oder Re­ cyclingstrategien nicht automatisch als ethisch reflektiert gelten, sofern sie lediglich dem Ausnutzen einer günstigen Wettbewerbssituation oder des Abschöpfens zusätzli­ cher Gewinne dienen.94 Als ethisch können sie erst gelten, wenn sie den bisher be­ schriebenen Prozeß der Strategischen Untemehmensplanung aus der Perspektive ethi­ scher Reflexion durchlaufen haben und konsensfähig sind.

5.3.3.4 Strategieimplementierung und ethische Reflexion

Wie bereits erwähnt, hängen die Ansatzpunkte der Strategieimplementierung in großem Maße von der Auswahl einer bestimmten Strategie ab. Überlegungen bezüg­ lich geeigneter Maßnahmen werden in die Auswahl einer Strategie bereits miteinbezo­ gen, da sie in der Regel erheblichen Einfluß auf die Zielerreichung haben. Dement­ sprechend ist die Strategieimplementierung von einer 'originären' Reflexion entlastet. Die Maßnahmen sind wiederum im Rahmen der Vorgaben von Absichten, strategi­ scher Analyse und Strategien sowie im Hinblick auf ihre operative Durchführbarkeit festzulegen.

Analog zu den bisherigen Gegenüberstellungen der Phasen der Strategischen Unter­ nehmensplanung und der ethischen Reflexion weisen auch die Strategieimplementie­ rung und die Ebene der Handlungsentscheidung Parallelen auf, da sie sich beide auf praktische Handlungssituationen beziehen. Die Maßnahmen liegen gewissermaßen an der Schnittstelle zwischen der Erstellung und der praktischen Umsetzung der strategi­ schen Pläne. Um so wichtiger ist die Reflexion der Maßnahmen im Lichte ihrer Über­ einstimmung mit dem vorgegebenen Bezugsrahmen und vor allem auch bezüglich ihrer Konsistenz untereinander. Widersprüchliche Maßnahmen und Handlungen fuhren zu einem inkonsistenten Auftreten gegenüber den Interessengruppen, gefährden die all­ gemeine Akzeptanz und Legitimation der Untemehmensaktivitäten und können da­ durch Konflikte auslösen. An dieser Stelle entscheidet sich, ob ethisch verantwor­ tungsvoll gehandelt wird oder nicht. Nur anhand der konkreten Handlungen der Insti­ tution und ihrer Mitglieder läßt sich feststellen, ob sie 'Wahrhaftigkeit' aufweisen, d.h., ob sie neben der Fähigkeit zur ethischen Reflexion auch die tatsächliche Bereitschaft zur Übernahme ethischer Verantwortung aufweisen. 94 Im amerikanischen Sprachgebrauch hat sich für ein solches Verhalten der Begriff des 'window dressing' durchgesetzt.

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Eine Betrachtung der Zielsetzung im Zusammenhang mit ethischer Reflexion scheint etwas weit hergeholt. Erstens ergibt sich das Zielausmaß gewissermaßen zwangsläufig aus der Formulierung von Absichten, Strategien und Maßnahmen95, und zweitens läßt sich die ethisch-moralische Rechtfertigung von Handlungen schlecht anhand von Zah­ len messen.

5.3.3.5 Die Bedeutung der ethischen Reflexion im Rahmen der strategischen Kontrolle

Der strategischen Kontrolle wächst im Rahmen dieser Arbeit eine verstärkte Bedeu­ tung und Verantwortung zu, da die Phasen der Strategiebestimmung und -implementierung teilweise von einer ethischen Reflexion befreit sind, im Sinne der umfassenden Überprüfung von Strategien und Maßnahmen hinsichtlich der allgemei­ nen gesellschaftlichen Akzeptanz, also ihrer Konformität mit der gesellschaftlichen Moral. In Verbindung mit der strategischen Analyse kommt der strategischen Kon­ trolle die Aufgabe zu, den gesamten Prozeß ethischer Reflexion, der sich bisher nur bei den jeweiligen Planungsträgem und -ausführenden vollzogen hat, für das Unternehmen als Ganzes kontinuierlich nachzuvollziehen. Bei der Formulierung der Untemehmensabsichten bezieht sich die Untemehmensfüh­ rung auf die gesellschaftliche Moral einschließlich der eigenen Wertvorstellungen. Da zu diesem Zeitpunkt keine gesicherten Erkenntnisse darüber vorliegen, ob das beste­ hende unternehmerische Wertegefüge die Anerkennung der Interessengruppen findet, muß die Untemehmensführung diesbezügliche Plausibilitätsüberlegungen anstellen. Sie setzt folglich Prämissen bezüglich der Anerkennungsfähigkeit des normativen Unter­ nehmensfundaments bei den Interessengruppen. Die Aufgabe der strategischen Prä­ missenkontrolle liegt in der Überwachung des Beziehungsgefüges in Unternehmen und Umwelt sowie zwischen beiden Systemen begründet, um auf Veränderungen von Ein­ flußgrößen in bezug auf die Prämissen aufmerksam zu machen.96 Diese Variablen werden anschließend im Rahmen der strategischen Analyse - wie oben beschrieben daraufhin untersucht, ob sie eine Strategieänderung notwendig machen, wenn anson­ sten die allgemeine Anerkennungsfähigkeit des Unternehmens nicht mehr gewährlei­ stet wäre. Die strategische Analyse ist folglich ebenfalls auf die Unterstützung der strategischen Kontrolle angewiesen. Gleiches gilt in besonderem Maße für die Phase der Strategiebestimmung.

Die Kontrollfunktion kann hier in zweifacher Hinsicht als ethische Reflexion bezeich­ net werden. Sie prüft einerseits die Übereinstimmung der Strategien mit den Absichten und den Ergebnissen der strategischen Analyse. Andererseits übernimmt die strategi­ sche Prämissenkontrolle auch die Aufgabe der Beurteilung der Akzeptanz aktueller Strategien aus Sicht der von ihnen direkt oder indirekt Betroffenen. Dies entspricht gleichzeitig einer erneuten Hinterfragung der bestehenden Absichten. Eine mangelnde 95 Vgl. Kreikebaum 1993, S.60. 96 Vgl. Steinmann/Schreyögg 1991, S.203.

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Strategische Untemehmensplanung als geeigneter Ort ethischer Reflexion

Akzeptanz ist u.U. auch auf Differenzen zwischen dem gesellschaftlichen Werte- und Normensystem und den in den Untemehmensabsichten zugrundegelegten Werten und Normen zurückzuführen. Weiterer Bestandteil der Prämissenkontrolle ist die Beob­ achtung sonstiger - in der strategischen Analyse nicht berücksichtigter - Folgen und Nebenwirkungen der gewählten Absichten und Strategien.97

Mit der Strategieimplementierung durch die Maßnahmen setzt die Durchführungskon­ trolle ein.98 Ihr kommt die gleiche Funktion für die Maßnahmen zu wie der Prämissen­ kontrolle für die Strategien, wobei zusätzlich die Überprüfung der Realisierung der Strategien und die Einhaltung der Maßnahmenkonsistenz anfällt. Da die Maßnahmen die praktische Strategieumsetzung beinhalten und diese wiederum durch konkrete Auswirkungen bei den Betroffenen offensichtlich werden, entspricht die Durchfüh­ rungskontrolle im Ablaufprozeß der ethischen Reflexion der Entscheidungsebene. Um einer der Aufgaben ethischer Reflexion - der Vermeidung gesellschaftlicher Konflikte gerecht zu werden, ist die Kontrolle hier zu besonderer Sorgfalt verpflichtet. Aufgrund ihrer Schnittstellenposition können unzureichend reflektierte Maßnahmen schnell zu einer Ursache von Konflikten werden, wenn ihre Auswirkungen in Form der unter­ nehmerischen Leistungserstellung oder anderer Nebenwirkungen gesellschaftlich nicht akzeptiert werden und damit Konfliktauslöser sind. Die strategische Überwachung nimmt im Rahmen der strategischen Kontrolle eine Doppelfunktion wahr. Sie überwacht den gesamten Prozeß der Strategischen Planung und ist gleichzeitig dafür zuständig, die selektiven Kontrollaktivitäten der Prämissenund Durchführungskontrolle abzusichem." Die allgemeine Überwachungsfunktion betrifft im betrachteten Zusammenhang das ungerichtete Suchen nach neuen Entwick­ lungen, die für die Zukunft mögliche Konfliktpotentiale beinhalten, wie z.B. die An­ wendung neuer Technologien, Anzeichen für Werteverschiebungen innerhalb der Ge­ sellschaft oder das Auftauchen neuer Interessengruppen. Gegenstand der allgemeinen Überwachung ist auch das Sammeln von Informationen über mögliche langfristige Auswirkungen von Absichten, Strategien und Maßnahmen. Im Rahmen der Absiche­ rung der Prämissen- und Durchführungskontrolle sollen kritische relevante Ereignisse, die bisher übersehen oder falsch interpretiert wurden bzw. unvorhergesehen auftraten, in den Planungsprozeß eingebracht werden. Durch diese zusätzliche strategische Überwachung geht die strategische Kontrolle über das vorgestellte Schema der ethi­ schen Reflexion noch hinaus, da sie ein zusätzliches Element zur Absicherung ethi­ schen Handelns darstellt. Die Verlagerung der kontinuierlichen Überwachung der allgemeinen Anerkennungs­ würdigkeit von Absichten, Strategien und Maßnahmen auf die Ebene der strategischen Kontrolle bietet den Vorteil, daß diese gewissermaßen die Perspektive innehat, die eine ethische Reflexion erfordert: die 'Adlerperspektive'. Sie überblickt zusammen­ hängend den gesamten Prozeß der Strategischen Planung, der aus pragmatischen 97 Vgl. Epstein 1987, p. 111. 98 Vgl. Steinmann/Schreyögg 1991, S.204. 99 Vgl. Steinmann/Schreyögg 1991, S.204.

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Gründen in einzelne Phasen untergliedert ist, die wiederum unterschiedlichen Pla­ nungsträgem und -ausführenden zugeordnet sind. Aus diesem Grund stellt insbeson­ dere die strategische Kontrolle eine umfassende Reflexion auf der Untemehmensebene dar. Um die ethischen Implikationen der Strategischen Planung in ihrer ganzen Breite und Tiefe erkennen, beurteilen und bewerten zu können, werden besonders von den mit diesen Aufgaben betrauten Planungsträgem eine hohe moralische Sensitivität, ein breites fundiertes Wissen im Bereich der Ethik und die Bereitschaft zur Selbstverant­ wortung gefordert.100

5.4 Ethische Reflexion als komplementärer Prozeß zur Strategischen Unternehmensplanung Die vorangegangenen Ausführungen sollten vermitteln, daß die Strategische Untemeh­ mensplanung ein geeigneter Ort ethischer Reflexion im Unternehmen ist. Eine Gleich­ setzung im Sinne einer Wiederherstellung der aristotelischen Einheit von Ökonomie und Ethik ist damit allerdings nicht gemeint. Ethische Reflexion und Strategische Pla­ nung sind vielmehr durch ihre Komplementarität gekennzeichnet. Die Verbindungs­ stellen sind insbesondere die Formulierung der Absichten, die strategische Analyse und die strategische Kontrolle. Die Komplementarität darf aber auch nicht als paralle­ ler Verlauf zweier voneinander unabhängiger Prozesse verstanden werden. Es sollte deutlich geworden sein, daß die Komplementarität der ethischen Reflexion zur Strategischen Untemehmensplanung im Sinne einer Überlagerung sämtlicher Fra­ gestellungen im Planungsprozeß zu sehen ist. Strategische Planung kann als auf die Untemehmensebene heruntergebrochene ethische Reflexion bezeichnet werden, die als Rahmen ein integrativer Bestandteil der planungsbezogenen Entscheidungsprozesse ist und im Einklang mit den spezifischen Gegebenheiten und Aufgaben des Unternehmens steht.101 Die Überlagerung des Planungsprozesses bedeutet, daß ethische Reflexion über den inhaltlichen Rahmen der Strategischen Untemehmensplanung hinausgeht. Der Grund hierfür ist darin zu sehen, daß sich die beiden Prozesse auf unterschiedlichen Abstrak­ tionsstufen der Reflexion befinden. Ethische Reflexion befaßt sich mit sämtlichen Ka­ tegorien menschlichen Handelns und legt hierfür allgemeine Normen des gesellschaft­ lichen Zusammenlebens fest, während in der Strategischen Planung zunächst nur eine Reflexion über spezifisch ökonomische Kategorien erfolgt. Die allgemeinen Normen werden in Handlungsregeln für Kontexttypen, wie es das unternehmerische Handeln darstellt, konkretisiert, wobei sich dies im Rahmen gesellschaftlichen Handelns voll­ zieht.

100 Vgl. Staffelbach 1987, S.477. 101 Vgl. Ulrich 1987c, S.412.

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Abbildung 5-3: Komplementarität von ethischer Reflexion und Strategischer Unternehmensplanung Quelle: Eigene Darstellung

Die dargestellten einzelnen Zusammenhänge zwischen ethischer Reflexion und Stra­ tegischer Untemehmensplanung auf verschiedenen Ebenen zeigen, daß ein konzeptio­ neller Zusammenhang zwischen beiden Prozessen besteht. Anstatt der häufig postu­ lierten gegensätzlichen Ausrichtung läßt sich vielmehr eine Gleichgerichtetheit feststel­ len. Die ethisch-normative und die strategische Dimension der Untemehmensfiihrung müssen im Konzept der Strategischen Planung zusammengefaßt und nicht als getrennte Ebenen betrachtet werden. Dadurch werden die Interdependenzen zwischen morali­ schen und strategischen Handlungen eines Unternehmens sichtbar. Die beschriebene Konstruktion bietet den Vorteil, daß sie die unterschiedlichen Ratio­ nalitätsebenen menschlichen und speziell unternehmerischen Handelns als eine zu­ sammenhängende Einheit berücksichtigt. Ethische Rationalität findet sich primär bei der Absichtsformulierung wieder. In der Phase der strategischen Analyse und bei der strategischen Kontrolle bildet sie den Rahmen für von der strategischen Rationalität dominierte Überlegungen. Die Strategiebestimmung und -Implementierung sind primär durch strategische Rationalität gekennzeichnet, die in komplexen Gesellschaften ebenso unabdingbar ist.102 Ökonomische Rationalität beherrscht den operativen Be­ reich des Unternehmens.103 Die strategische Kontrolle schließt dann den Verbindungs­ kreis zwischen der untemehmensbezogenen und der generellen ethischen Reflexion. 102 Vgl. Herms 1991, S.98. 103 Zu einer genauen Darstellung des Zusammenhangs der unterschiedlichen Rationalitätstypen vgl. Ulrich 1990, S.210-213.

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5.5 Die Interdependenz von ethischer Reflexion und Strategischer Unternehmensplanung 5.5.7 Durchdringung ethischer Positionen durch die Strategische Unternehmensplanung In dieser Arbeit wird grundsätzlich von dem Verständnis ausgegangen, daß ethische Reflexion und Strategische Untemehmensplanung nicht in einem Gegensatzverhältnis zueinander stehen. Wenn man wie in der Diskursethik von einem einheitlichen Ratio­ nalitätsbegriff ausgeht, dann darf es nicht ökonomische Rationalität auf der einen Seite und ethische Vernunft auf der anderen Seite geben. Dieser einheitliche Rationalitäts­ begriff kann zwar unterschiedliche Gegenstandsbezüge aufweisen, indem z.B. nach der Rationalität bestimmter Handlungsaltemativen unter politischen, kulturellen oder eben unter ökonomischen Gesichtspunkten gefragt wird. Diese ökonomische Rationalität steht dann aber nicht abgespalten von der gesamtgesellschaftlichen Rationalität da, sondern ist aus ihr abgeleitet und in sie eingebettet.

Abbildung 5-4: Die Ableitung und Einbettung der ökonomischen in die gesamtgesellschaftliche Rationalität Quelle: Eigene Darstellung

Wenn also über die ökonomische Rationalität von unternehmerischen Handlungsalter­ nativen nachgedacht wird, dann muß zeitgleich eine Reflexion darüber erfolgen, inwie­ fern die potentiell gewählte Handlungsaltemative auch aus gesamtgesellschaftlicher Sicht als rational zu bezeichnen ist.104 Dieses Rationalitätsverständnis führt dazu, daß eine Handlungsaltemative nicht als (rein) ökonomisch vernünftig gelten kann bzw. 104 Vgl. Cadbury 1988, S. 123; Ulrich 1992, S.186.

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gelten darf, wenn sie aus gesamtgesellschaftlicher Sicht als unvernünftig gilt.105 Dis­ kursethisch gesprochen bedeutet dies, daß das System sich zwar seine eigenen Rationalitätsbezwge schaffen oder wählen kann, aber dabei nicht gleichzeitig auch seine ei­ genen - im Sinne von unverbundenen - Rationalitätsmö/fctö/?e entwerfen kann.106 Zur Beurteilung von Rationalität innerhalb des Systems muß, aufgrund der lebensweltli­ chen Folgen systemischer Handlungen, notwendigerweise immer wieder auch die Rückkoppelung des Systems an die Lebenswelt erfolgen.107 Für den Zusammenhang von ethischer Reflexion und Strategischer Untemehmenspla­ nung bedeutet dies, daß die Strategische Untemehmensplanung nicht permanent aus einer falsch verstandenen ökonomischen Rationalität heraus gegen gesamtgesellschaft­ liche Vemunftkriterien argumentieren muß und umgekehrt. Das Gegenteil ist der Fall: Gesamtgesellschaftliche Vemunftkriterien können so durch die Strategische Unter­ nehmensplanung zur Geltung gebracht und durchgesetzt werden.

Der Begriff der Durchsetzung ist untrennbar mit dem Begriff der Entscheidung ver­ bunden. Die Durchsetzung ethischer Positionen im ökonomischen Bereich ist daher ebenfalls untrennbar mit ökonomischen Entscheidungen verbunden.108 Die Tatsache, daß die Strategische Untemehmensplanung auf oberster Untemehmensebene angesie­ delt ist, heißt nicht nur, daß Strategische Planung Aufgabe der obersten Führungsebene ist, sondern bedeutet auch, daß die hier getroffenen Entscheidungen das GesamZunternehmen betreffen. Bei einer Einheitskonzeption von gesamtgesellschaftlicher und öko­ nomischer Vernunft lassen Entscheidungen, die im Rahmen der Strategischen Unter­ nehmensplanung getroffen werden, auch die Durchsetzung ethischer Positionen zu.109 Es lassen sich drei Komponenten von Untemehmensethik als Ausdrucksform ethischer Reflexion unterscheiden, die auch auf den gleichzeitig reflexiv-nachdenkenden und gestaltend-handelnden Charakter der Strategischen Planung zutreffen. Ausgehend von der Überzeugung, daß die Frage nicht lauten kann, ob es Untemehmensethik gibt, son­ dern wie diese ausgestaltet wird, handelt es sich hierbei um die Frage, „...what one should do in one's business relationships? Thus defined it is trivially true that there is such a thing as business ethics, since everyone has business (i.e. economic) relation­ ships, and everyone must decide how to behave in those relationships. The important question is not whether there is business ethics but how to go about answering the question (...) in a responsible manner.“110 So kann Untemehmensethik 1. sich deskriptiv auf das beobachtbare Verhalten von Wirtschaftssubjekten beziehen und/oder 105 Vgl. Akers 1989, p.69. 106 Zum Zusammenhang von systeminternen und -externen Maßstäben vgl. Bierich 1995. 107 Vgl. Bauer 1988, S.3; Brewing 1995, S.230. Vgl. in ähnlichem Zusammenhang Lachmann 1989, S.285-286. 108 Vgl. Cadbury 1988, S.l23. Kreikebaum verknüpft daher auch Ethik und Ökonomik zum Kon­ zept der Entscheidungsethik, vgl. Kreikebaum 1996. 109 Vgl. in diesem Zusammenhang Steinmann/Gerhard 1992, S.l62-164. 110 Beversluis 1987, p.84. Hervorhebung im Original.

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2. einen Reflexions- und Entscheidungsprozeß bedeuten bezüglich dessen, was zu tun ist, und/oder 3. sich auf die Objekte bzw. Ergebnisse eines solchen Reflexions- und Entscheidungs­ prozesses beziehen.111

Zu beachten ist, daß die drei Komponenten interdependenten Charakter aufweisen und sich analog im Rahmen der Strategischen Planung ergeben. Die erste Komponente er­ gibt sich bei der strategischen Analyse, die zweite Komponente bei der Bestimmung der Absichten und Strategien und die dritte Komponente bei der Strategieimplementie­ rung und -kontrolle.

5.5,2 Öffnung und Schließung strategischer Perspektiven durch ethische Reflexion

Unternehmensethische Überlegungen können die Eröffnung neuer strategischer Per­ spektiven für das Unternehmen bedeuten. Die ethische Reflexion potentieller Handlungsaltemativen kann dazu führen, daß das Unternehmen Strategiealtemativen ent­ deckt, die es ohne diese nicht gefunden hätte, weil die Reflexion zu erneutem Nach­ denken oder Umdenken zwingt.112 Stellt ein Unternehmen im Laufe einer ethischen Reflexion seiner ökonomischen Handlungen fest, daß es bestimmte Handlungen als ethisch bedenklich einstuft, so verlangt dies nach einer Änderung. Diese Handlungsän­ derung muß aber nicht zwangsläufig zu einem ökonomisch schlechteren Ergebnis füh­ ren, das Gegenteil kann der Fall sein.113 Crain ist der Ansicht, daß „...business ethics makes good business sense (...) ethical business conduct is a pragmatic, no-nonsense, bottom-line way of running your business for the long-term welfare of everybody in­ volved“114. Am Beispiel des Umweltschutzes läßt sich dies verdeutlichen.115 Elimi­ niert ein Unternehmen im Rahmen einer ethischen Reflexion seiner Produktpolitik umweltschädigende Produkte und ersetzt sie durch umweltgerechte Produkte, so ver­ ursacht dies zunächst eine Verschlechterung der ökonomischen Position.116 Falls die nun umweltgerechten Produkte dem gestiegenen Umweltbewußtsein der Verbraucher entsprechen, so kann dies einen handfesten finanziellen Vorteil bedeuten, der die kurzfristige Verschlechterung der ökonomischen Position langfristig überkompen­ siert.117

Vgl. Beversluis 1987, pp.84-88. Ähnlich argumentieren auch Bird/Westley/Waters 1989. Vgl. Cooke 1990, p.251. Vgl. Solomon/Hanson 1985; Friedman/Friedman 1988, p.220. Crain 1983, p.50. Vgl. Windhorst 1985, S. 19; Wimmer 1988, S.49. Z.B. könnten sich Kostenerhöhungen durch die Umrüstung des bisherigen Produktionsprozesses ergeben oder auch Absatzverluste entstehen, vgl. Stitzei 1987, S.389. 117 Als Beispiel ließen sich Putzmittel anführen, die bei gleichem Reinigungseffekt (Grundnutzen des Produktes) den ökologischen Zusatznutzen der biologischen Abbaubarkeit bieten. Vgl. Behnam 1995, S.161.

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Ethische Reflexion kann aber natürlich auch dazu führen, daß sich - vorhandene oder potentielle - strategische Perspektiven für das Unternehmen schließen. Wenn Unter­ nehmen dazu aufgefordert sind, ihre Strategien immer wieder dahingehend zu über­ prüfen, ob sie ethisch unbedenklich sind, kann eine solche Überprüfung bewirken, daß im negativen Falle Strategien auch aufgegeben werden (müssen).118

Bei der Öffnung oder Schließung strategischer Perspektiven durch ethische Reflexion, geht es also um die Gewinnung einer Handlungsorientierung für das Unternehmen, die die Handlungsfolgen berücksichtigt und die sich daran anschließende Realisierung. Diese sehr allgemeine Aufgabenstellung läßt sich präzisieren, indem eine Verknüpfung mit den Begriffen 'Selektion', 'Konkretion' und 'Reflexion' erfolgt. Eine Orientierung zu gewinnen ist als selektiver Akt zu sehen, da aus der potentiell unbegrenzten Menge an Handlungsmöglichkeiten eine Option auszuwählen ist, die einen (dauerhaften) un­ ternehmerischen Erfolg verspricht. Diese allgemein gehaltene strategische Orientierung muß dann konkretisiert werden, um sich im täglichen Handlungsvollzug niederzu­ schlagen. Die einmal gewählte strategische Orientierung muß aber korrigierfähig blei­ ben, um auf Veränderungen der In- und Umwelt adäquat reagieren zu können. Aus diesem Grund muß im Unternehmen bzw. in der Strategischen Planung ein Refle­ xionspotential angelegt werden, welches die kritische Distanzierung vom Status Quo ermöglicht.119 Dieses kritische Reflexionspotential wird durch eine um ethische Re­ flexion erweiterte Strategische Planung gewährleistet, wobei zum Zeitpunkt der Re­ flexion das Ergebnis noch völlig offen ist, sich also sowohl eine Öffnung als auch eine Schließung strategischer Perspektiven ergeben kann.

5.5.3 Konsequenzen einer ethisch-strategischen Dilemmasituation

Als ethisch-strategische Dilemmasituation wird hier eine Situation verstanden, in der die Berücksichtigung ethischer Aspekte bei der Beurteilung einer Handlungsaltemative strategisch unerwünschte Folgen hätte und vice versa. Daraus ergeben sich zumindest zwei mögliche Konsequenzen. Die ethische Reflexion kann zu einer Strategieänderung in der Form führen, daß ein kurzfristiger Nachteil aufgrund eines erwarteten langfristi­ gen und überkompensierenden Vorteils hingenommen wird. Diese Konsequenz einer ethisch-strategischen Dilemmasituation kann in der Verfolgung des langfristigen Klug­ heitsarguments begründet liegen (Kants Hypothetischer Imperativ). Dies bedeutet, daß man trotz eines kurzfristigen finanziellen Nachteils Strategiealtemativen aufgibt, die aufgrund ethischer Überlegungen bedenklich erscheinen. Dabei ergibt sich eine Strategieänderung nicht unbedingt aus der Einsicht in die ethischen Überlegungen, sondern kann darin begründet liegen, daß die Verfolgung ethischer Kriterien einen 118 Vgl. Koch 1989, S.752. So haben einige Chemieuntemehmen die Dünnsäureverklappung in der Nordsee bereits zu der Zeit aufgegeben als dies noch legal war, da sie diese Form der Entsor­ gung als nicht legitim erkannten. Vgl. International Council of Chemical Associations 1996. Die Darstellung des 'Pinto-Case' durch einen Insider verdeutlicht einen ähnlichen Zusammenhang, vgl. Gioia 1992. Eine Fülle weiterer Fallbeispiele findet sich bei Dichtl 1991. 119 Vgl. Steinmann/Kustermann 1996, S.4.

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echten langfristigen Vorteil ergibt.120 „Ökonomisch gesehen vernünftige Ziele erwei­ sen sich langfristig gesehen dann als vernünftig, wenn sie an ethisch gesehen vernünf­ tige Ziele rückgekoppelt sind.“121

Der Fall Brent Spar verdeutlicht solch eine Situation. Die Versenkung der Ölplattform war durch die britische Regierung zwar genehmigt, aber die öffentlichen Reaktionen zeigten, daß legales Handeln nicht unbedingt auch legitimes Handeln ist. Dieser Fall zeigt auf, wie nützlich eine rechtzeitige Auseinandersetzung mit allen Betroffenen zur Findung einer allseits akzeptierten Lösung gewesen wäre. So hätte ein offener Dialog Fehleinschätzungen hinsichtlich der Ladung der Brent Spar vermeiden können. In ei­ nem solchen Rahmen hätte Shell auch seine Argumente vortragen und für eine gemein­ same Informationsbasis sorgen können. Die für das Image von Shell unzuträglichen spektakulären Aktionen von Greenpeace, wären bei einem frühzeitigen Dialog zu vermeiden gewesen. Das Eingehen der Unternehmensleitung von Shell auf die Forde­ rungen von Greenpeace ist dann letztlich unter dem wachsenden Druck der Öffent­ lichkeit und deren Konsumboykott erfolgt. Zwar bestand ein kurzfristiger ökonomi­ scher Nachteil durch höhere Entsorgungskosten, aber durch die Erhaltung eines RestGoodwill entstand in dieser spezifischen Situation ein langfristiger ökonomischer Vorteil. Die Alternative der höheren Entsorgungskosten wurde gewählt, ohne daß man annehmen kann, die Unternehmensleitung hätte dies aus Einsicht in umweltethische Forderungen getan.122 Eine zweite mögliche Konsequenz ergibt sich dann, wenn aus einer ethisch-strategi­ schen Dilemmasituation nicht nur kurzfristige, sondern auch langfristige ökonomische Nachteile resultieren (Nichtgeltung des langfristigen Klugheitsarguments). Aus dem Verständnis heraus, daß ökonomische Rationalität nicht eigengesetzlich dasteht, son­ dern aus der umfassenderen gesamtgesellschaftlichen Vernunft abgeleitet und in diese eingebettet ist, ergibt sich das ethische Primat. Dieses verbietet oder schließt strategi­ sche Alternativen aus, die ethisch unvernünftig sind, auch wenn dies zu langfristigen ökonomischen Schädigungen führt. „...Ziele und Normen individuellen und staatlichen wirtschaftlichen Handelns und des Verhältnisses zwischen beiden (...) sind den forma­ len und materialen Zwecken des ökonomischen Handelns übergeordnet und lassen sich nicht aus diesen ableiten.“123

Aufgrund der bisher vorgestellten Überlegungen sollte gezeigt werden, daß sich Stra­ tegische Untemehmensplanung und ethische Reflexion systematisch verknüpfen las­ sen. Pragmatische Vorschläge für eine Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Untemehmensplanung sehen sich allerdings dem Spannungsfeld ausge­ setzt, die Vorstellungen einer dialogischen Untemehmensethik mit den realiteren Be­ dingungen von Unternehmen zu verbinden. Operationalisierbare Implementierungs­ 120 Vgl. Maucher 1988, S.20; Mancher 1990, S.l 16. 121 Hoffmann 1991, S.288. 122 Vgl. Möhrle 1995, S.4; Kratz/Piper 1995, S.19. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Brune/Böhler/Steden 1995, S.57. 123 Vossenkuhl 1992a, S.282.

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Vorschläge müssen daher die (auch sprachliche) Abstraktionsebene wechseln, um für Unternehmen handhabbar zu sein. Das heißt allerdings nicht, daß man die Ausgangs­ grundlagen einer dialogischen Untemehmensethik verlassen muß, da die Diskursethik selbst den Unterschied zwischen idealen und praktischen Diskursen macht und sich somit des Spannungsfeldes bewußt ist. Es muß folglich darum gehen, Vorschläge zu entwickeln, die für die unternehmerische Praxis geeignet sind, in dem Bewußtsein, daß diese immer nur Annäherungen an die - faktisch nicht zu erreichende - Zielvorstellung des idealen Diskurses sein können. Ausgehend von den organisatorischen, unternehmenskulturellen und personellen Vor­ aussetzungen einer Implementierung werden deshalb im anschließenden Kapitel prag­ matische ImplementierungsVorschläge gemacht. Dadurch soll die praktische Verknüp­ fung des strategischen Planungskonzeptes von KREIKEBAUM mit dem dialogischen An­ satz der Untemehmensethik von ULRICH geleistet werden.

Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Unternehmensplanung

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6 Möglichkeiten der Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Unternehmensplanung 6.1 Schaffung der organisatorischen Voraussetzungen durch kulturbewußtes Management Stellt man Überlegungen bezüglich einer Implementierung von ethischer Reflexion in die Strategische Untemehmensplanung an, so rückt die Bedeutung von formaler Or­ ganisationsstruktur, Untemehmenskultur und Persönlichkeitsstruktur in den Vorder­ grund. Diese drei Aspekte sind aufgrund ihrer Verwobenheit nur schwer getrennt zu betrachten.1 Hier soll zunächst auf die beiden erstgenannten Aspekte und ihre Verbin­ dung eingegangen werden, um dann im nächsten Abschnitt die personellen Vorausset­ zungen zu betrachten. In der Betriebswirtschaftslehre wird die formale Organisationsstruktur als die Gesamt­ heit aller formalen Regelungen zur Differenzierung und Integration der Untemehmensgesamtaufgabe verstanden.2 Gutenberg bezeichnet sie als gestaltend-vollziehende Kraft, in der sich das unternehmerisch Gewollte durchsetzen und verwirklichen soll.3 An der unternehmerischen Zielsetzung orientiert, soll sie die zentralen Organisations­ elemente, Aufgaben, Informationen und Macht funktionsadäquat verteilen und deren zielgerichtete Koordination gewährleisten.4 Daher werden den Organisationsmitgliedem bestimmte Positionen sowie damit verbundene Aufgaben zugewiesen, Rechte und Pflichten bestimmt und somit die Basis für die Beurteilung einzelner Handlungen fest­ gelegt.5 Die Organisationsstruktur definiert und begrenzt also notwendigerweise die individuellen Handlungsspielräume der Mitglieder in der Organisation.6 Wenn die Or­ ganisationsstruktur zwar bestimmte Aufgaben, Rechte und Pflichten bestimmt, aber nicht deterministisch jegliches Einzelhandeln von Organisationsmitgliedem festlegt, dann gerät die Untemehmenskultur als gemeinsame Handlungsorientierung in den Vordergrund.7 Im Hinblick auf eine Implementierung ethischer Reflexion in die Stra­ tegische Planung sind also organisationsstrukturelle Aspekte insofern interessant, als sie die Rahmenbedingungen für ethisches Verhalten der Organisation und ihrer Mit­ glieder darstellen. In diesem Zusammenhang lassen sich zumindest drei relevante or­ ganisatorische und kulturelle Blockierungen identifizieren, die ethisches Verhalten in­ nerhalb der Organisation erschweren.8 1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. Staehle 1994, S.538. Vgl. Kieser/Kubicek 1992, S. 17. Vgl. Gutenberg 1983, S.7-8. Vgl. Staehle 1994, S.528. Vgl. Oppenrieder 1986, S.24. Vgl. Kieser/Kubicek 1992, S. 17-18. Vgl. Staerkle 1985, S.549-550; Bleicher 1986, S.100; Murphy 1988, p.910. Vgl. Waters 1978, p.5; Oppenrieder 1986, S.30-35; Bird/Waters 1989, pp.76-83; Adelman 1991, pp.673-677; Steinmann/Löhr 1991, S.31.

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Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Untemehmensplanung

1. Durch die in Unternehmen üblicherweise herrschende Befehlshierarchie werden Filter eingebaut, die die Weitergabe 'unbeliebter' Informationen verhindern und in der Folgewirkung das Verantwortungsgefühl senken sowie zur Tolerierung unethi­ schen Verhaltens führen. 2. Einen weiteren Filter stellen die durch horizontale Arbeitsteilung entstehenden Pro­ zesse dar. Wenn der Gesamtzusammenhang für den einzelnen nicht mehr ersichtlich ist oder gar verloren geht, dann führt dies zur Konzentration auf die eigene Arbeit, ohne deren Konsequenzen zu bedenken. Durch Ressortegoismus und -denken sowie eine zunehmende Spezialisierung werden Entscheidungen systematisch ausgeblen­ det, die außerhalb des direkten Zuständigkeitsbereichs des einzelnen Mitarbeiters liegen. 3. Auch die vertikale Arbeitsteilung kann zu einer Erschwerung ethischen Verhaltens führen, wenn durch die Unternehmensleitung getroffene Entscheidungen von den nachgelagerten Ebenen bezüglich ihres Inhaltes nicht mehr hinterfragt werden kön­ nen (oder dürfen).9 Durch die Verwendung rein ergebnisorientierter Managementund Anreizsysteme liegt der Schwerpunkt auf effizienter Mittelwahl statt auf der Setzung richtiger (effektiver) Ziele, wodurch die beschriebenen Filtereffekte noch verstärkt werden.10 Die Organisationsstruktur ist in doppelter Weise selektiv: Sie definiert den Aufgaben­ bereich und grenzt den Verantwortungsbereich ab. Eine vorschriftsmäßige Befolgung der Handlungsaufforderungen für einen Bereich sieht die ethische Reflexion von Pro­ blemen, die außerhalb des Kompetenzbereichs liegen, nicht vor. Ethische Ansprüche kommen nicht zur Sprache, weil sie den unmittelbaren Aufgabenbereich nicht betreffen oder die Überwindung seiner Grenzen problematisch erscheint. Wie rigide die Aufga­ benbereiche gestaltet sind, hängt von der Art der Organisationsstruktur ab. In einer mechanistischen Organisation sind Aufgaben und Verantwortungsbereiche stark diffe­ renziert, während eine organische Struktur durch weitere und flexiblere Kompetenzbe­ reiche auch die Verantwortungsbereiche ausweitet.11

Waters/ Bird argumentieren, daß konventionelle Beziehungsstrukturen, formale Budgetierung und Kontrolle oder Kostenrechnungs-Audits aufgrund ihrer mangelnden Reichweite, Flexibilität und Sensitivität nicht in der Lage sind, mit den „'soft' que­ stions of morality“12 umzugehen. Stattdessen plädieren sie für eine Betonung der Un­ temehmenskultur13, als der Gesamtheit von Werten und Normen, die sich in den Handlungsweisen und Symbolen einer Organisation konkretisiert.14 Dadurch soll auf eine subtil durchdringende Weise Einfluß auf die Verhaltenskoordination ausgeübt und diese kontrolliert werden. Wenn sich moralische Normen in konkreten Handlungssi­ 9

10 11 12 13 14

Daher ist an das Top-Management insbesondere die Anforderung des Überzeugens zu richten, vgl. Gasser 1985, S.577-578. Vgl. Steiner 1975, p.9. Vgl. Steinmann/Löhr 1994, S.29-31; Steinmann/Olbrich 1994, S.136; Kreikebaum 1996, S.273. Waters/Bird 1987, p.20. Vgl. Waters/Bird 1989, pp.494-497. Vgl. Dülfer 1991, S.4; Osterloh 1991, S.155.

Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Untemehmensplanung

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tuationen bewährt haben, gewinnen sie an Klarheit und Autorität und können zu Präzendenzfällen für die jeweilige Organisation werden. Diese Präzedenzfälle werden durch soziale Interaktion dann Teil der Untemehmenskultur, wenn sie immer wieder erzählt, diskutiert sowie eventuell ausgeschmückt werden und schließlich den Status und die Kraft einer 'Legende' erhalten, welche ein organisatorisch erwünschtes Verhalten signalisiert.15 Solche Untemehmenskulturen werden als 'starke Kulturen' bezeichnet, da sie in ho­ hem Maße die normative Sozialintegration der Mitarbeiter beeinflussen, indem eine klare gemeinsame Handlungsorientierung entsteht und im Anschluß daran auch höhere Motivation und effiziente Kommunikation.16

Das Verhältnis von Untemehmenskultur und Untemehmensethik läßt sich folgender­ maßen charakterisieren. Beide beschäftigen sich mit Normen und Werten, allerdings mit unterschiedlichen Fragestellungen. Bei der Beschäftigung mit Untemehmenskultur geht es um das deskriptive Erfassen gemeinsamer Normen und Werte mit dem Ziel, unternehmerische Problemlösungsprozesse positiv zu beeinflussen. Auch die Unter­ nehmensethik - als die Begründungslehre von Normen im Unternehmen - ist auf die deskriptive Feststellung von faktisch geltenden Normen angewiesen, erschöpft sich aber nicht darin, sondern benutzt diesen ersten Schritt als Voraussetzung zur Imple­ mentierung.17 Allerdings erschöpft sich die Beschäftigung mit Untemehmenskultur ebenfalls nicht nur in der empirischen Beschreibung bestehender Kulturen, sondern will auch zur aktiven Gestaltung von Untemehmenskulturen beitragen. Osterloh sieht aus zwei Gesichtspunkten heraus in der Untemehmenskulturforschung ein Mittel zur Implementierung einer dialogisch angelegten Untemehmensethik:18 1. Die Untemehmenskultur bildet den Rahmen, innerhalb dessen sich die Entwicklung moralischer Urteilsfähigkeit vollzieht, also sowohl gefördert als auch behindert wer­ den kann. Dahinter steht die Auffassung, daß nicht nur in der Kindheit, sondern auch im Erwachsenenalter eine moralische Entwicklung möglich ist und das Berufs­ leben persönlichkeitsbildend wirkt.19 In Anlehnung an LEMPERT lassen sich einige generelle Bedingungen aufweisen, die die moralische Entwicklung fördern:20 ♦ offene Konfrontation mit sozialen Konflikten, ♦ Teilnahme an relativ symmetrischen Kommunikationsprozessen, ♦ Mitwirkung an kooperativen Entscheidungsprozessen. 2. Um einen allgemeinen und freien Konsens aller Betroffenen (hier der Untemehmensmitglieder) zu erreichen, muß ein hinreichendes Wissen über lebensweltliche Denk- und Handlungsgewohnheiten bestehen, welches ein gegenseitiges besseres

15

16 17 18 19 20

Vgl. Waters/Bird 1987, p.21. Wieland spricht in ähnlichem Zusammenhang von living docu­ ments', vgl. Wieland 1993a, S.30. Vgl. Schreyögg 1989, S.97. Vgl. Osterloh 1991, S.155. Vgl. Osterloh 1991, S.159-160. Vgl. Rogers/Rosenberg 1980; Rogers 1990; Arm 1984, S.85. Vgl. Lempert 1988, S.71-72; Lempert 1988a.

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Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Untemehmensplanung

Verstehen überhaupt erst ermöglicht.21 Da die Diskursregeln formalen Charakter tragen, enthalten sie nicht auch zugleich Regeln ihrer Anwendung. Diese Anwen­ dungsregeln entstehen erst aus dem praktischen Diskurs, der seine Inhalte - strittige Normen - aus der Lebenswelt erhält. In diesem Zusammenhang ist in der gegebenen Untemehmenskultur der gemeinsame Ausschnitt aus der gesamten Lebenswelt zu sehen.22

Starke Untemehmenskulturen können jedoch auch zu negativen Folgen führen, die sich vor allem in Tendenzen zur Abschottung gegenüber externen Einflüssen und Wider­ stand gegen Veränderungen niederschlagen.23 Starker Gruppenzusammenhang kann die Kommunikation und Kooperation mit anderen Gruppen erschweren und damit auch die Durchsetzung von Entscheidungen. Vor allem bei grundlegenden Veränderungen innerhalb des Unternehmens entwickeln starke Kulturen Widerstandskräfte, da u.U. ihre gesamte Wertebasis in Frage gestellt wird.24 Problematisch ist auch der Einfluß starker Untemehmenskulturen auf die Wahrneh­ mung der relevanten Umwelt. Die 'Scheinwerferfunktion' starker Kulturen engt die Auswahl von Alternativen auf bereits bekannte Lösungen ein,25 wodurch sich bietende Chancen ausgeblendet werden und das Unternehmen u.U. seine Reflexions- und Re­ aktionsflexibilität verliert.26 Bei der Implementierung einer dialogisch angelegten Un­ temehmensethik wird die Bedeutung starker Untemehmenskulturen in zweierlei Hin­ sicht deutlich: Erstens können die faktischen Werte und Normen der herrschenden Untemehmenskultur mit den zu implementierenden diskursethischen Normen konkur­ rieren, und zweitens behindern untemehmenskulturen geprägte Denkhaltungen even­ tuell die Implementierung mittelbar (sofern z.B. eine kommunikationsunfreundliche oder stark hierarchisch geprägte Untemehmenskultur vorherrscht).27 Wenn sich also Organisationsmitglieder unreflektiert von der Untemehmenskultur bei ihren Handlun­ gen leiten lassen, kann es dazu kommen, daß dieses Handlungsfeld kollektiver Moral die individuelle ethische Reflexion verdrängt.28

Bezüglich der Beeinflußbarkeit der Untemehmenskultur können drei Sichtweisen un­ terschieden werden:29 1. Die Untemehmenskultur wird als eine exogene, nicht steuerbare Größe angesehen, und es besteht keine Möglichkeit der Beeinflussung im Sinne ethischer Gesichts­ 21 22 23 24

25 26 27 28 29

Vgl. Lorenzen 1987, S.267. Vgl. Ulrich 1989b, S.l9. Vgl. Drake/Drake 1988, p. 121. Vgl. Waters 1978, p.7; Schreyögg 1989, S.104; Sinclair 1993, pp.66-67. Ein Problembereich ist der von Managern empfundene moralische Streß, der durch den Zwiespalt zwischen quantitati­ ven Leistungsvorgaben und ethischen Verhaltenserwartungen entstehen kann, vgl. Toffler 1986, p.26. Vgl. Waters 1978, p.6; Ferrell/Gresham 1985, p.90. Vgl. Schreyögg 1989, S. 103. Vgl. Oppenrieder 1986, S.36. Vgl. Stead/Worrell/Stead 1990, p.235; Kaiser 1992, S.69; Weßling 1992, S.162-165. Vgl. Smircich 1983.

Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Untemehmensplanung

199

punkte. Das Management paßt sich dem Kontextfaktor Kultur deterministisch an, um eine effiziente Zielerreichung zu gewährleisten, und verzichtet völlig auf eine aktive Gestaltung. Wenn alles Handeln funktional der Zielerreichung dient, dann ist ein Diskurs über die Richtigkeit dieses Handelns überflüssig.30 2. Andere Untersuchungen sehen die Untemehmenskultur als weichen, gestaltbaren Erfolgsfaktor, der für die unternehmerischen Zwecke instrumentalisiert werden kann.31 Wenn man wie hier davon ausgeht, daß ein Unternehmen eine Kultur hat, ist Kultur nur noch eine von mehreren (beliebig) gestaltbaren internen Variablen des Unternehmens. Die postulierte 'Machbarkeit' der Kultur kann jedoch auch dysfunk­ tional wirken, wenn die Mitarbeiter sie als zusätzlichen Zwang empfinden.32 „Gewachsene Untemehmenskulturen entfalten nämlich einen spezifischen Eigen­ sinn, der sich manipulativen Eingriffen widersetzt.“33 Wird Untemehmenskultur nur noch als Verordnung fester Werte verstanden, erscheint die diskursethisch gefor­ derte unvoreingenommene Verständigung über strittige Normen unmöglich und Kulturen werden dann zu 'stahlharten Gehäusen'.34 3. Die dritte Sichtweise geht davon aus, daß ein Unternehmen eine Kultur ist35 Dieses sog. interpretative Paradigma versteht das Unternehmen nicht mehr länger als ein System, das von seiner Umwelt abgetrennt ist, sondern als ein Konstrukt in den Köpfen der Untemehmensmitglieder, wodurch die Umwelt zum 'enacted environ­ ment' wird.36 Die Umwelt ist also nicht mehr unbeeinflußbar vorgegeben, sondern wahmehmungsbezogen veränderbar. Man geht hier von der grundsätzlichen Ände­ rungsfähigkeit von Kulturen aus, allerdings ohne eine 'Dompteurpose' einzuneh­ men.37 Untemehmenskultur wird als 'root metaphor' verstanden, die das Nicht-Sy­ stemische - also die Lebenswelt des Unternehmens - verkörpert und unerläßlich für eine funktionsfähige normative Sozialintegration ist. Das interpretative Paradigma ermöglicht damit einen Perspektivenwechsel vom 'Management von Untemehmenskulturen' zu einem 'kulturbewußten Management', das keine Kulturrevolutionen, sondern Kurskorrekturen beabsichtigt.38 Diese Kurskor­ rektur vollzieht sich in drei Schritten. Erstens geht es um die Beschreibung und Bewußtmachung der bestehenden Kultur. Zweitens kommt es zu einer 'reflexiven Bre­ chung', also einer kritischen Diskussion mit allen Untemehmensmitgliedem über die bestehende Unternehmenskultur. Drittens wird es dann möglich, Änderungsprozesse einzuleiten, deren Konsequenzen darin liegen, die oben beschriebenen organisatori30 31

32 33 34 35 36 37 38

Vgl. Osterloh 1991, S. 161. Vgl. Heinen/Dill 1986, S.204-205; Dierkes 1990, S.24-32; Dierkes/Marz 1992, S.234-238. Zur Kritik an der 'Machbarkeit' von Untemehmenskulturen vgl. Ulrich 1984; Ulrich 1989b; Heinen 1987; Greipel 1988; Bendixen 1989; Schein 1991; Schein 1995. Vgl. in ähnlichem Zusammenhang Bihl 1987, S.59-60. Osterloh 1991, S. 161. Vgl. Habermas 1992, S.44; Peters/Waterman 1994, S.364. Vgl. Osterloh 1988, S.16. Vgl. Weick 1995. Vgl. Neuberger/Kompa 1993, S.255. Vgl. Osterloh 1991, S.l64; Schreyögg 1991, S.165.

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Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Untemehmensplanung

sehen und kulturellen Blockierungen abzubauen. Ein solches Konzept wird als geeig­ net angesehen, um eine dialogisch konzipierte Untemehmensethik zu implementie­ ren.39 Die Aufgabe besteht darin, die bestehenden Grundüberzeugungen aufzuzeigen, zum Nachdenken anzuregen und mit einer langfristigen Perspektive zu verändern.40 Die Verbindungslinien zwischen strategischer Systemsteuerung, Kulturentwicklung und dialogischer Untemehmensethik werden in der folgenden Tabelle verdeutlicht. Problem­ perspektive

Systemsteuerung

Kulturentwicklung

Ethikbezug

Unternehmenskonzept

soziotechnisches System

soziokulturelle Institution

quasi-öffentliche Institution

Rationalisierungs­ dimension

Systemrationalisierung

dialogische Rationalisierung

dialogische Rationalisierung

Problemlösungsbezug

Informationssammlung und -Verarbeitung

Traditionsentwicklung

Willensbildung

Managementproblem

Komplexitäts­ beherrschung

Sinnvermittlung

Konsensentwicklung

Handlungskoordination

Systemintegration

soziale Interaktion

normative Sozialintegration

Leitidee

strategische Erfolgspotentiale

symbolische Sinnpotentiale

kommunikative Verständigungspotentiale

Tabelle 6-1: Verbindungslinien zwischen strategischer Systemsteuerung, Kulturentwicklung und dialogischer Unternehmensethik Quelle: Eigene Darstellung

Die Diskussion um die Bedeutung der Untemehmenskultur für das Handeln der Untemehmensangehörigen darf allerdings nicht die weiterhin bestehende Wichtigkeit der formalen Organisationsstruktur außer acht lassen. Um ethische Reflexion in die Stra­ tegische Planung implementieren zu können, muß also das Ziel verfolgt werden, dem Unternehmen eine 'ethikfreundliche' Struktur zu geben.41 Es gilt daher, Strategie, Or­ ganisationsstruktur und -kultur aufgrund ihrer Interdependenz zu synchronisieren.42

Obwohl die formale Organisationsstruktur - wie weiter oben ausgeführt - nicht alle Bereiche individuellen oder institutioneilen Handelns bestimmen kann, ist sie von we­ sentlicher Bedeutung für die Entfaltung ethischen Handelns in und von Unternehmen. Die besondere Bedeutung der formalen Organisationsstruktur für die systematische und wirksame Entfaltung der ethischen Steuerungsfunktion macht auf die Wichtigkeit aufmerksam, die ethischem Handeln unter institutioneilen Rahmenbedingungen zu­ kommt.43 Hübig stellt an die Entwicklung der Organisationsstruktur daher die Auffor­ derung, daß „...die institutioneilen Handlungen daraufhin überprüft werden müssen, ob

39 40 41 42 43

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Osterloh 1991, S.l64. Sims 1991, p.503. Kreikebaum 1996, S.274. Benölken/Greipel 1989, S.16. Oppenrieder 1986, S.34.

Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Unternehmensplanung

201

sie (positiv) moralisches individuelles Handeln ermöglichen und (negativ) ein Handeln, das an die 'Existenzbedingungen" von Menschheit rührt, ausschließen“44.

Es kann in diesem Rahmen nicht darum gehen, einer ganz bestimmten Organisations­ form das Wort zu reden - als der idealen Organisationsform unter allen Bedingungen sondern konstitutive Bedingungen der Organisation aufzuzeigen.45 Die Frage, was letzlich die "richtige" Organisationsstruktur in diesem Zusammenhang ist, läßt sich mit folgender Aussage TURNHEIMS beantworten: „... weder groß noch klein, weder zentral noch dezentral, weder funktional noch divisional, weder hybrid noch monolithisch, sondern (...) lebensfähig. Lebensfähigkeit bedeutet im wesentlichen, sich sehr flexibel den Umweltveränderungen anzupassen und ja nicht komplexer werden als das Um­ feld.“46 Im Rahmen dieses - sehr weiten und nicht operationalisierten - Konzeptes ist der ungehinderte und stetige Informationsfluß durch das Unternehmen von enormer Bedeutung. Aus diesem Grunde ist es wichtig, eine kommunikationsfördemde Organi­ sationsstruktur mit flachen Hierarchien zu etablieren und ein enges Netz von formellen und informellen Kontakten zwischen den verschiedenen Abteilungen und Hierarchie­ stufen zu flechten.47 Unter Berücksichtigung der besonderen Anforderungen, denen sich ein Unternehmen gegenübergestellt sieht, wenn es eine volatile Untemehmensin- und -umweit in den Prozeß der Strategischen Planung miteinbezieht, scheint jegliche Organisationsform annehmbar, solange sie über drei Hauptmerkmale verfügt: Stabilität, Flexibilität und Offenheit.48 Stabil ist eine Organisation dann, wenn die Entscheidungskompetenzen klar verteilt sind und für jeden Organisationsteilnehmer einsichtig ist, wann wo welche Entschei­ dungen wie getroffen werden. Ebenso muß die Befugnis der Zuweisung von Zustän­ digkeiten eindeutig erkennbar sein.

Flexibel bedeutet, daß das Unternehmen über eine einfache Grundstruktur im Sinne einer flachen, durchlässigen Hierarchie verfügt und deshalb in der Lage ist, problemlos und unbürokratisch auf Veränderungen zu reagieren bzw. antizipativ auf diese einzu­ gehen. Im Idealfall heißt dies, eine notwendige Anpassung der strategischen Stoßrich­ tung ohne intraorganisatorische Widerstände durchzuführen. Da ein gewisses Span­ nungsverhältnis zwischen einer stabilen und gleichzeitig flexiblen Organisationsstruk­ tur besteht, muß eine Organisation schließlich offen sein, um diese Spannung zu re­ duzieren.

44

45

46 47 48

Hubig 1982, S.74. Unter 'Existenzbedingungen von Menschheit' sind nicht nur die materiellen Aspekte zu verstehen, sondern die weitergehende Kant'sehe Intention, Mensch in seiner umfas­ senden Bedeutung sein zu können, vgl. Hubig 1982, S.73-74. Vgl. Burns/Stalker 1996, p. 125. Bums/Stalker sind der Ansicht, daß „...the beginning of admi­ nistrative wisdom is the awareness that there is no one optimum type of management system“, Bums/Stalker 1996, p.125. Turnheim 1990, S.54. Vgl. Dyllick 1985, S.41-42. In Anlehnung an die 'Struktur der 80er Jahre', vgl. Peters/Waterman 1994, S.359-361.

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Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Unternehmensplanung

Offenheit zeichnet sich durch einen hohen Grad an formeller sowie informeller Kom­ munikation durch alle Bereiche, Funktionen und Hierarchien des Unternehmens hin­ weg aus. Diese Offenheit erlaubt es, durch intensive Kommunikation sowohl die Ent­ scheidungen der Untemehmensführung besser zu verstehen als auch die flexiblen An­ passungen auf Veränderungen zu akzeptieren, da man durch den Kontakt mit Mitar­ beitern der verschiedensten Funktionen und Hierarchien die Gründe einer solchen An­ passung vor Augen geführt bekommt. Offenheit bei der Entscheidungsfindung gibt al­ len, die an einer bestimmten Entscheidung Interesse haben, die Möglichkeit, ihre An­ sichten vorzubringen, und deckt dadurch die Argumentationsgrundlage für Entschei­ dungen auf. Dieses Verfahren ermöglicht den Entscheidungsträgem, aus Erfahrungen zu lernen und ihr Urteilsvermögen zu stärken.49

Institutionelle oder organisatorische Voraussetzungen sind überall dort zu schaffen, wo ethische Reflexion tatsächlich auch stattfinden soll. Auf den ersten Blick so triviale Forderungen wie die nach genügend Zeit und Raum erweisen sich in der Untemehmenspraxis oft als entscheidende Hindernisse für ethische Reflexionsprozesse. Die Errichtung eines 'Ethik-Komi tees' kann beispielsweise nur dann erfolgen, wenn auch entsprechende zeitliche und räumliche Ressourcen bereitgestellt werden.50 Die Forde­ rung nach institutionellen Voraussetzungen für ethische Reflexionsprozesse darf dabei allerdings nicht an der Untemehmenspraxis vorbeigehen.

Das Konzept der 'ethischen Insel' erscheint als eine Möglichkeit, den ethischen Be­ wußtseinswandel in der Organisation voranzutreiben.51 Eine ethische Insel ist ein in­ formelles Kommunikationsnetzwerk, das ethische Probleme dialogorientiert zu lösen versucht und dessen Mitglieder ein gemeinsames Wertesystem verbindet. Eine passive ethische Insel entsteht aufgrund der Unzufriedenheit eines einzelnen oder einer Gruppe (unabhängig von Hierarchiestufen) mit einer moralischen Situation im Unternehmen52, wobei dieser innovative Kem als Motor der langsam wachsenden ethischen Insel die Aufdeckung anderer Mißstände betreibt und Lösungsmöglichkeiten vorschlägt. Aus einer passiven ethischen Insel entsteht eine aktive, wenn sich einzelne Mitglieder des bisherigen sternförmigen Netzwerkes um den innovativen Kem lösen und aktiv das Netzwerk durch Ansprache weiterer Mitarbeiter erweitern. So kann allmählich ein ge­ meinsames Wertesystem entstehen, das die Grenzen einzelner Organisationseinheiten überschreitet und untemehmensweit diffundiert. Die Mitglieder der ethischen Insel fungieren dabei als Multiplikatoren des Diffusionsprozesses und Promotoren des Wertesystems.53 Durch die Einbeziehung des Top-Managements gewinnt das Werte­ system schließlich hierarchische Legitimation. Versteht man das Unternehmen als ler­ nende Organisation mit offener Untemehmensverfassung ergibt sich notwendigerweise

49 50 51 52 53

Vgl. Hohl/Knicker 1987, S.84-87; Cadbury 1988, S.125. Vgl. Steinmann/Löhr 1991, S.274-278. Zum Konzept der ethischen Insel vgl. Wämser 1993; Kreikebaum 1996, S.277-284. Vgl.Coye 1986, p.46. Vgl. in ähnlichem Zusammenhang Gemünden/Walter 1994.

Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Unternehmensplanung

203

immer wieder die Auseinandersetzung mit den Werten einzelner Organisationsmitglie­ der und des Unternehmens insgesamt.54 Problematisch kann das System der ethischen Insel dann werden, wenn die dort ver­ tretenen Wertvorstellungen, die bisher noch nicht diskursiv mit anderen Betroffenen überprüft und anerkannt worden sind - und somit rationale Geltung erlangt haben -, der Strategie oder den Vorstellungen des Top-Managements widersprechen. Bei noch un­ zureichender ethischer Sensibilisierung wird der Diffusionsprozeß von der Unterneh­ mensleitung erst in fortgeschrittenem Stadium erkannt und ist dann kaum noch beein­ flußbar.55 In diesem Fall erscheint ein untemehmensintemer ethischer Konflikt unaus­ weichlich. Der große Vorteil ethischer Inseln liegt hingegen darin, daß die so gewach­ senen Wertvorstellungen direkt im Bewußtsein der Netzwerkmitglieder verankert sind sowie Unternehmenskultur auf ideale Weise "von unten" entsteht und sich im Zuge des Diffusionsprozesses selbst implementiert. Das Modell der ethischen Insel kann inso­ fern als realitätsnah eingestuft werden, da ethische Diffusionsprozesse typischerweise von einzelnen oder kleinen Gruppen ausgelöst werden.

Ziel der strukturellen Gestaltung der Unternehmung muß es also sein, demokratische, kommunikations- und partizipationsfördemde Strukturen zu schaffen.56 Dezentralisie­ rung durch Delegation von Aufgaben und Verantwortung, Abflachung von Hierarchien sowie die Bildung von teilautonomen Arbeitsgruppen dienen dazu, gleichberechtigte, faire Bedingungen zur Kommunikation zu institutionalisieren.57 Strukturen müssen so gestaltet werden, daß sie Entfaltung, Initiative und Verantwortungsbereitschaft der Mitarbeiter fördern.58

Dieser interne Strukturwandel muß in einen gemeinsamen Lernprozeß eingebettet sein, in dem Mitdenken und Mitgestalten des einzelnen erwünscht ist. Betroffene

Markt- und Wettbewerbs­ dynamik

Ressourcen

Gemeinsame Lernprozesse

Strategische Neugestaltung und Neuausrichtung

Beteiligung an Verantwortung und Umsetzung

Gemeinsam geschaffenes Untemehmensmodell

Aggregierte und differenzierungsfähige Leistungsprozesse

Neues Verhalten und neue Formen der Kommunikation und Kooperation y

Abbildung 6-1: Gestaltung und Ergebnisse des internen Strukturwandels Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Arthur D. Little 1995, S.205 54 55 56 57 58

Vgl. Arthur D. Little 1995, S. 198. Vgl. Moberg/Meyer 1990 und die Studie von Harris 1990. Vgl. Gilbert 1986, pp. 147-148; Pieper 1988, S.262; Andrews 1989, p. 101; Kaiser 1992, S.300. Vgl. Ulrich 1994, S.98; Vahs 1994, S.309-310. Vgl. Walton 1986, S.64; Fürstenberg/Strümpel 1987, S.21; Brill 1990, S.170; Bickenbach/Soltwedel 1994, S.13.

204

Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Untemehmensplanung

Mitbestimmungsmodelle, die über die Gesetzgebung hinausgehen, sollen die aktive Partizipation von Mitarbeitern an den Untemehmensentscheidungen ermöglichen.59 Die Institutionalisierung solcher Modelle muß Regelungen für Formen, Ebenen, Grad und personellen Umfang der Mitbestimmung aufstellen.

6.2 Schaffung der personellen Voraussetzungen Einer der häufigsten Gründe für das Scheitern von Strategien ist die Tatsache, daß sich die Werte der Mitarbeiter nicht mit der vorherrschenden Untemehmenskultur decken.60 Für die erfolgreiche Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Unter­ nehmensplanung ist also ein besonderer Mitarbeitertyp mit ganz bestimmten Werten und Grundeinstellungen von Bedeutung.61 Wichtig ist insbesondere, daß sich Mitarbeiter aus Überzeugung einbringen, Informa­ tionen freiwillig und frühzeitig weitergeben und eine rege Kommunikation durch alle Hierachieebenen hinweg betreiben. Toleranz, Offenheit auch gegenüber abweichenden Meinungen oder die Fähigkeit, Konflikte offen und konstruktiv auszutragen, sind wichtige Anforderungen an die Mitarbeiter.62 Da die Veränderungen der Untemehmensin- und -umweit oftmals eine schnelle sowie mehrmalige Anpassung von Strate­ gien und Maßnahmen erfordern und den Mitarbeitern der Kurs der Untemehmensfüh­ rung manchmal 'chaotisch' erscheinen kann, ist es notwendig, daß diese flexibel im Denken und Handeln sind und über eine ausgeprägte Wandlungsbereitschaft sowie Lernfähigkeit verfügen, um so die eventuell auftretenden Widersprüche auszuhalten.63

Aufgrund der erfolgten Ausführungen zur Komplementarität von Strategischer Unter­ nehmensplanung und ethischer Reflexion erscheint es plausibel, daß sich auch gemein­ same Anforderungen an die Planungsträger und an allgemein ethisch reflektierende Personen ergeben, die zur Sicherstellung der Ablaufprozesse, zur Erfüllung der Funk­ tionen und vor allem zur inhaltlichen Bewältigung komplexer Aufgaben notwendig sind.

Aus der Aufteilung ethischer und strategischer Prozesse in Wahmehmungs- und Denk­ phasen ergeben sich zwei grundlegende Anforderungen, wobei das Denken im Vor­ dergrund steht. Die Wahrnehmungsfähigkeit ist insofern von Bedeutung, da sie die Offenheit für sämtliche relevanten Geschehnisse in Unternehmen und Umwelt, beson­ ders gegenüber neuen, für die bisherige Unternehmenspolitik u.U. unbekannten oder irrelevanten Angelegenheiten, sichert und dadurch einen Anstoß zum Denken gibt. Der Denkvorgang läßt sich aus zwei Blickrichtungen betrachten: Beim sogenannten 'Gewohnheitsdenken' handelt es sich um bereits erfolgreich angewandte Ideen, die in

60 61 62 63

Vgl. Cullen/Victor/Stephens 1989, pp.52-57; Nitschke 1991, S.273-279; Treier 1991, S.220222; Sauer/Schlüter 1994, S.583. Vgl. Müller 1984, S.l09-110; Liedtka 1989, pp.808-812; Posner/Schmidt 1993, pp.344-346. Vgl. Bommer et al. 1987, pp.265-267; Bartlett/Ghoshal 1994, p.81. Vgl. Dyllick 1985, S.42. Vgl. Dyllick 1985, S.41-42; Amett 1988, pp. 157-159; Meran 1996, S.72-73.

Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Unternehmensplanung

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ähnlichen Situationen ohne weiteres Nachprüfen wieder eingesetzt werden.64 Bewuß­ tes oder reflexives Denken hingegen beinhaltet die kritische und umfassende Untersu­ chung der Handlungsgegebenheiten, um ein situationsadäquates Handeln zu gewähr­ leisten. Darin eingeschlossen ist die Fähigkeit zur Selbstkritik und zur Situationsbe­ trachtung aus den Perspektiven unterschiedlicher Betroffener.

Während sich ethische Reflexion auf sämtliche Ausprägungen menschlicher Handlun­ gen bezieht, umfassen Überlegungen im Rahmen der Strategischen Untemehmenspla­ nung neben der auf die Untemehmensebene heruntergebrochenen ethischen Reflexion noch weitere spezifische Reflexivitätsdimensionen.65 Zu nennen wären etwa das 'finanzielle Denken' (z.B. in Kosten- und Leistungsgrößen oder Kennzahlen) oder das 'strategische Denken' (z.B. in Wettbewerbsvorteilen, Erfolgspotentialen, Kundenbe­ dürfnissen).66 Wesentlich ist nun, daß es nicht nur bei diesen Gedanken bleibt, sondern daß sie ihren Niederschlag in einer konkreten Realisation durch Handlungen finden. Weitere wichtige Kategorien des Denkens sind Langfristigkeit, Ganzheitlichkeit und aktive Eigenständigkeit.67 Langfristiges Denken ist erforderlich, um eine ausreichende Zukunftsorientierung der Tätigkeiten zu sichern. Hierfür ist ein gewisses Maß an Ab­ straktionsvermögen und Kreativität zu fordern, um mögliche - auf den ersten Blick auch weniger plausibel erscheinende - Zukunftsentwicklungen durchspielen zu können. Ganzheitliches, vernetztes Denken steht im Zusammenhang hierzu und meint die Be­ rücksichtigung und das Zusammenfügen eines breiten Horizonts und zahlreicher Ein­ flußvariablen sowie deren vielfältige Verknüpfungen.68 Die aktive Eigenständigkeit be­ zieht sich darauf, daß auf Um- und Inweltveränderungen nicht mehr nur Reaktionen folgen dürfen, sondern daß an der Gestaltung der Zukunft aktiv mitgewirkt werden muß. Aus diesen Denkkategorien lassen sich weitere Anforderungen ableiten, die im direkten Zusammenhang dazu zu sehen sind, wie z.B. Kommunikationsfähigkeit, Be­ reitschaft zur Verantwortungsübemahme und Lernfähigkeit. Hervorzuheben ist vor allem noch die Selbstverpflichtung zur ethischen Reflexion und zur Umsetzung der Vorgaben der Strategischen Untemehmensplanung, da die Folgen der Nichtbeachtung oft erst einige Zeit später sichtbar werden.69 Da der beschriebene Wahmehmungs- und Denkprozeß entscheidend von den kulturel­ len Determinanten geprägt wird,70 entsteht die Notwendigkeit einer entsprechenden Schulung der mit Planungsaufgaben betrauten Manager.71 Die Entwicklung kultureller Sensibilität und Kommunikationsfähigkeit wird daher zu einer entscheidenden Vor­ aussetzung für die Konzeption einer um ethische Reflexion erweiterten Strategischen 64 65

66 67 68 69 70 71

Vgl. Rüegg 1989, S.417. Zum Konzept der reflexiven Untemehmensführung als umfassende unternehmerische Rationalität vgl. Bühring-Uhle 1995. Vgl. Rüegg 1989, S.216-217. Vgl. Wüthrich 1991, S.175-177. Vgl. Probst/Gomez 1992, S.901. Vgl. Kreikebaum 1993, S.151. Vgl. Keller 1982, S.l65-166. Vgl. Kreikebaum/Behnam/Gilbert 1996, S.l6.

Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Untemehmensplanung

206

Untemehmensplanung. Die Schulung dieser Kompetenz muß in geeigneter Weise or­ ganisatorisch verankert werden.72 Seminare und Trainings sollen die Fähigkeit zur kri­ tischen (Selbst-) Reflexion und den Aufbau moralischer Kompetenz unterstützen. Gleichzeitig werden Anreize benötigt, die zu solchem Verhalten motivieren, wobei in vielen Fällen zeitaufwendige Überzeugungsarbeit zu leisten ist.73 Im Bereich der Per­ sonalentwicklung muß daher gleichzeitig an Wissen, Verhalten und Fähigkeiten der Organisationsmitglieder gearbeitet werden.74 Mögliche Inhalte adäquater Schulungs­ inhalte finden sich in der folgenden Tabelle. Vermittlungsebene

Schulungsinhalte der kulturellen und kommunikativen Entwicklung Screening des firmenspezifischen Ethik-Profils

Unternehmensebene

Interaktionspädagogische Aktivitäten Einübung von proaktivem Management bezogen auf Gruppenplausibilität Erkennen von Normen, die soziale Situationen regulieren

Einsichten in die kulturabhängige Rollenstruktur Entwicklung eines Spürsinns für erwünschtes und unerwünschtes Verhalten in sozialen Interaktionssituationen

Individualebene

Kenntnisse über die Bedingungen und Wirkungen beobachteten Verhaltens zwischen (fremdkulturellen) Interaktionspartnem

Kenntnisse über den als angemessen betrachteten Verhaltensspielraum in sozialen Situationen Entwicklung kommunikativer Kompetenz

Kooperationstraining Vernetzung von 'personal growth' und 'corporate growth'

Einübung in Perspektivenwechsel

Tabelle 6-2: Mögliche Schulungsinhalte im Rahmen des kulturellen Mitarbeitertrainings

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Dahm 1989, S.131; Kammel/Teichelmann 1994, S.125

Die Phasen und möglichen Zielsetzungen eines solchen Schulungsprozesses werden in der nachfolgenden Abbildung verdeutlicht. 72 73 74

Vgl. Brause/Rath 1991, S.241. Vgl. Murphy 1989, p.84; Ulrich 1994, S.100. Vgl. Kreikebaum 1996, S.277.

Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Untemehmensplanung

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Generelle Ziele: Stärkung der kommunikativen und moralischen Kompetenz Sensibilisierung der Wahrnehmung gemeinsame Handlungsorientierung Anstreben der Bedingungen der idealen Diskurssituation

Abbildung 6-2: Mögliche Phasen und Zielsetzungen eines Schulungsprozesses Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Dahm 1994, S.9

Eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen solcher Maßnahmen ist die Grundan­ nahme, daß solche kommunikativen Führungsfähigkeiten nicht sozusagen naturgege­ ben sind, sondern daß der eigenverantwortlich proaktive Umgang mit Wertmaßstäben und eine entsprechende ethische Güterabwägung erlernt, trainiert sowie erneuert wer­ den kann und muß.75 Ethische Verantwortungsbereitschaft und Orientierungskraft kön­ nen sich in den Prozessen des Alltags ebenso abnutzen wie technisches Vorsprungs­ wissen oder untemehmenspolitische Führungsstärke.76 Sie können aber auch wie an­ dere menschliche Fähigkeiten durch neue Impulse und Schulungsmaßnahmen aufge­ frischt und rekonstruiert werden oder sich zu neuen Wertkonstellationen formen.77 Da Organisationen gemeinschaftliche Einrichtungen sind, die durch Individuen errich­ tet und am Leben gehalten werden, ist in untemehmensethischer Hinsicht die gegen­ seitige Anerkennung der Menschen in ihrer Subjektqualität und als Argumentations­ partner Voraussetzung für personales Handeln.78 Auf den Einsatz von Macht zur Ver­ haltensbeeinflussung und -Steuerung sollte daher konsequenterweise verzichtet wer­ den. Partizipation in Unternehmen darf nicht nur strukturell möglich sein, sondern soll auch praktiziert werden.79 Mitarbeiter müssen insofern zu eigenständigem verantwort­ lichen Denken und Handeln fähig sein, wobei moralisch selbstverantwortliches Verhal-

75 76 77 78 79

Vgl. Avishai 1994, pp.46-47. Vgl. Boyd 1987, pp.146-148. Vgl. Dahm 1989a, S.2. Vgl. Dyllick 1981, S.88; Schanz 1982, S.5. Vgl. Pieper 1988, S.264; Nelson/Obremski 1990, pp.732-733. Sashkin spricht in diesem Zu­ sammenhang von Partizipation als einem 'ethischen Imperativ', vgl. Sashkin 1984, pp. 16-17.

208

Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Unternehmensplanung

ten entsprechende Handlungsfreiräume voraussetzt.80 Kommunikationssysteme haben somit einen umfassenden, ungehinderten Informationsfluß sicherzustellen und können auf diese Weise gegenseitiges Verständnis und Vertrauen fördern.81

Die Möglichkeit einer Konfrontation mit moralisch relevanten Konflikten ist eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung moralischer Kompetenz. Konfrontation um­ faßt dabei Reflexion, Diskussion und die Erarbeitung geeigneter Lösungsansätze. Konflikte können auftreten, wenn ein Individuum bei der Lösung moralischer Pro­ bleme überfordert ist (intraindividueller Aspekt) oder wenn das eigene Wertesystem mit einem fremden in Wettstreit tritt (interindividueller, intra- oder interorganisatori­ scher Konflikt).82 Moralische Urteilskraft wird also in erster Linie durch ein pluralisti­ sches Umfeld gefördert, in dem unterschiedliche Denkstrukturen und Werthaltungen nebeneinander existieren können.83 Durch das Treffen gemeinsamer Entscheidungen (Kooperation) wird die Auseinandersetzung mit fremden Wert Vorstellungen intensi­ viert.84

Die Bemühung um die Eingliederung von Individuen mit anderen Wertauffassungen und unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründen in die UnternehmensOrganisation wird somit zu einer Voraussetzung der Entwicklung moralischer Kompe­ tenz. Die Kommunikation von Individuen mit unterschiedlichen Hintergründen inner­ halb ein und derselben Organisation garantiert damit auch die Veränderbarkeit der Untemehmenskultur und verringert die Gefahr einer bürokratischen Verkrustung.85 Die folgende Graphik zeigt exemplarisch den Zusammenhang von Persönlichkeitsfak­ toren und Gemeinschaftszielen auf.

80 81 82 8' 84 85

Vgl. Nielsen 1988, p.727. Vgl. Andrews 1989, p. 103; Martini 1992, S.563. Vgl. Kreikebaum 1996, S.229-233. Vgl. Dachler/Enderle 1989, p.603. Vgl. Rebstock 1992, S. 109-110. Die mengenmäßige Zunahme kommunikativer Beziehungen - also verständigungsorientierter Interaktion - erhöht die Chance zur Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Denkstrukturen. Eine auf die Steigerung verständigungsorientierter Interaktionen abzielende Umstrukturierung sollte sich daher um die Schaffung informeller Kommunikationsbeziehungen und die Gleichbe­ handlung der Kommunikationspartner bemühen. Vgl. in diesem Zusammenhang Rebstock 1992, S.108.

Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Unternehmensplanung

209

Abbildung 6-3: Der Zusammenhang von Persönlichkeitsfaktoren und Gemeinschaftszielen Quelle: Eigene Darstellung

Die Verwobenheit von Organisationsstruktur, Untemehmenskultur und Persönlich­ keitsstruktur und ihre Bedeutung für die Implementierung einer dialogisch konzipierten Untemehmensethik sollte deutlich geworden sein. Abschließend werden die jeweiligen Anforderungskriterien in der folgenden Tabelle systematisiert. Anforderungskriterien

Vermittlungsebene

Organisationsstruktur

♦ ♦ ♦ ♦ ♦ ♦ ♦ ♦ • ♦

Grundlegende Anforderung der Stabilität, Flexibilität und Offenheit Strukturelle Integration von Interessengruppen Abbau von Kommunikationsbarrieren Schaffung von Kommunikationsgelegenheiten Abbau von Hierarchieebenen Aufbau von Handlungsfreiräumen Aufbau gruppenorienlierter Strukturen Möglichkeiten unternehmensweiter Mitbestimmung Möglichkeit der Entscheidungspartizipation Gestaltung von Anreizsystemen

Unternehmenskultur

♦ ♦ • ♦ ♦ ♦

Offenheit für verschiedene Meinungen Aufbau von Verständigungspotentialen Konsensorientierung Aulbau eines kollektiven Ziel- und Wertesystems Förderung des Dialogs Förderung von Verständnis und Vertrauen

Persönlichkeitsstruktur

♦ ♦ ♦ ♦

Anerkennen der Menschen in ihrer Subjektqualität Gegenseitige Anerkennung der Argumentationspartner Förderung eigenverantwortlichen Denkens und Handelns Aufbau kommunikativer Kompetenz

Tabelle 6-3: Anforderungen an Organisationsstruktur, Unternehmenskultur und Persönlichkeitsstruktur Quelle: Eigene Darstellung

210

Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Unternehmensplanung

6.3 Möglichkeiten der Implementierung ethischer Reflexion in einzelne Bereiche der Strategischen Unternehmensplanung 6.3.1 Ethische Orientierung unternehmerischer Absichten

Absichten konstituieren das normative Fundament der Strategischen Untemehmenspla­ nung bzw. der gesamten Untemehmenstätigkeit und tragen dadurch dazu bei, Wertund Interessenkonflikte nicht zu unterdrücken, sondern konstruktiv auszutragen.86 Sie sind als institutionalisiertes Ergebnis ethischer Reflexion zu verstehen, bei deren Aus­ gestaltung idealerweise alle Betroffenen zu beteiligen sind. Im Sinne des dialogischen Ansatzes der Unternehmensethik muß an dieser Stelle eine ökonomische Leitidee ra­ tionaler Untemehmensführung entwickelt werden, die bereits den Ansprüchen ethi­ scher Vernünftigkeit entspricht. Dadurch stellen Absichten Orientierungswissen über vernünftige Zwecke des Wirtschaftens für alle Untemehmensangehörigen bereit. Absichten schaffen aufgrund ihrer noch nicht zu engen Formulierung die notwendigen Freiräume für ethische Reflexionen auf den folgenden Stufen des Planungsprozesses. Es wäre also eine Fehlinterpretation, von einem Determinismus in dem Sinne auszu­ gehen, daß ethisch reflektierte Absichten automatisch zu ethisch unbedenklichen Stra­ tegien, Maßnahmen und Zielen führen würden. Der Mehrfachdurchlauf der Strategi­ schen Planung signalisiert, daß auch dialogisch gefundene Untemehmensabsichten re­ vidierbar sind, da sie weiterhin den Veränderungen der Zukunft unterworfen bleiben und mithin selber nachhaltige inhaltliche Veränderungen erfahren können.

Wie bereits erläutert, deutet die terminologische Gleichsetzung von Untemehmensab­ sichten mit Untemehmensphilosophie auf eine mögliche Verbindung zur Ethik als praktischer Philosophie hin. Die Absichten geben neben dem Untemehmenszweck die Einstellung des Unternehmens zu seinen internen und externen Interessengruppen wie­ der. Sie begründen damit die Stellung des Unternehmens in der Gesellschaft und sollen seine Tätigkeit legitimieren.87 Es ist auch denkbar, die Einstellung gegenüber den wichtigsten, bereits identifizierten Gruppen von Betroffenen explizit in Form von spe­ ziellen Absichten zu formulieren.88 Dazu gehört auch die Notwendigkeit, den Kem ei­ ner kommunikativen Ethik - den Willen zur dialogischen Verständigung mit allen Be­ troffenen - in der unternehmerischen Absicht explizit zu formulieren. Dadurch erfüllt der Dialog eine doppelte Funktion: Zum einen ist er konstitutiv für die legitime Formu­ lierung der Absichten, und zum anderen soll er durch seine explizite Berücksichtigung in den Absichten im Planungsprozeß 'festgeschrieben' werden. Ethisch reflektierte Untemehmensabsichten bedürfen einer 'social responsiveness' ge­ genüber den Gruppen von Betroffenen, wobei ein Diskurs mit den jeweiligen Gruppen anzustreben ist, um deren Ansprüche möglichst genau feststellen zu können und auf ihre 'Vernünftigkeit' hin überprüfbar zu machen. Dies entspricht auch der Forderung nach einer verstärkten kooperativen Willensbildung im Rahmen der Strategischen Un86 87 88

Vgl. Guerrette I988,p.376. Vgl. Kirsch/Knyphausen 1988, S.492. Vgl. Attenhofer 1990, S.29.

Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Untemehmensplanung

211

temehmensplanung.89 Statt einer einsamen Verantwortungsübemahme der Entschei­ dungsträger wird daher die Forderung nach einer ethischen Reflexion angewandter bzw. anzuwendender Nonnen im Dialog mit den Betroffenen gefordert. Wenn vom Grundsatz her Situationen präferiert werden, in denen Entscheidungsträger nur für sich den normativen Gehalt der Entscheidungen überprüfen, wird die Erkenntnis übersehen, daß Reflexion in der Praxis subjektiv und von Eigeninteressen bestimmt bleibt.90 Nur über einen verständigungsorientierten Dialog unter Beteiligung aller Betroffenen wird ein transsubjektives Urteil möglich. Verständnis im Sinne von "verstehen" und "verstanden werden" erfordert eine langfristige Orientierung, da die Interaktion und Auseinandersetzung mit anderen erst erfahren werden muß, bevor man verstehen bzw. verstanden werden kann. Loyalität als das Einstehen für andere, das sich aufgrund kompatibler Wertesysteme ergibt, bewirkt einerseits Engagement für andere, unterliegt aber andererseits der permanenten Gefahr der Enttäuschung.91 Die Berücksichtigung der dialogischen Untemehmensethik bei der Absichtsfestlegung ergibt sich aus dem Zweck, über methodisch begründete bzw. begründbare Normen die Untemehmensaktivitäten so zu steuern, daß damit zusammenhängende Konfliktsi­ tuationen verhindert, beseitigt oder minimiert werden können.92 Für eine funktionsge­ rechte Implementierung von Unternehmensethik lassen sich daher zwei Anforderungen ableiten:

1. Es müssen Normen gefunden werden, die aus einer methodischen Begründung her­ vorgehen (Diskursprinzip). 2. Diese Normen müssen in der Lage sein, die Entscheidungsträger zu einem normen­ konformen, verantwortlichen Verhalten zu bewegen. Insbesondere die zweite Anforderung zeigt auf, daß es nicht "nur" darum gehen darf, in den Dialog mit den Betroffenen einzutreten und einen verbalen Konsens über die un­ ternehmerischen Absichten zu erzielen, sondern, daß sich daraus drei Dimensionen des tatsächlichen unternehmerischen Handelns ergeben:93 1. Rollenverantwortung. Als Subsystem innerhalb des Gesamtsystems Gesellschaft übernimmt das Unternehmen die Aufgabe, bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen, wobei es sich an den Ansprüchen der verschiedenen Interessengruppen zu orientie­ ren hat. 2. Fähigkeitsverantwortung. Das Unternehmen ist verantwortlich für diejenigen Pro­ bleme, für die es auch eine Problemlösung anbieten kann. 3. Kausale Verantwortung. Unter diesem Aspekt ist das Unternehmen für sein eigenes Handeln verantwortlich. Dabei trägt es die Verantwortung sowohl für das, was es getan hat, als auch für die Art und Weise der Problemlösung.

89 90 91 92 93

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Göbel 1992, S.l30; Kreikebaum 1993, S. 161-162. Störk 1987, S. 193. Bleicher 1994, S.236. Steinmann/Oppenrieder 1985. Thommen 1996, S. 196.

212

Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Unternehmensplanung

Damit ist die Verantwortung des Unternehmens gegenüber seinen Interessengruppen als wesentliche Einflußgröße bei der Formulierung der Untemehmensabsichten zu verstehen. Bei der Festlegung der Absichten ist daher eine individuelle Offenheit zu fordern, die sich in der kritischen Hinterfragung bisher als richtig erachteter Ansichten (Absichten) dokumentiert.94 Ohne eine Auseinandersetzung mit wünschenswerten ge­ sellschaftlichen Funktionen und Wertorientierungen des unternehmerischen Handelns würde das Unternehmen riskieren, langfristig nicht nur gegen die eigenen Überzeugun­ gen zu handeln, sondern auch unerwünschte externe Effekte zu erzeugen, die ebenfalls negative Rückwirkungen auf das Unternehmen haben können.95 Die Erstellung einer kollektiven Präferenzordnung als Orientierungsgröße des unternehmerischen Handelns bietet somit eine geeignete Erweiterungsmöglichkeit bei der Formulierung von Unter­ nehmensabsichten.

Eine konfliktorientierte Formulierung von Untemehmensabsichten im Rahmen der Strategischen Untemehmensplanung nimmt wahrgenommene Konflikte zum Anlaß, einen diskursiven Normenfindungsprozeß auszulösen. Dieser Normenfindungsprozeß ist als Entwicklung einer kollektiven Präferenzordnung zu verstehen, weshalb alle an Unternehmensentscheidungen Beteiligten oder von ihnen Betroffenen daran mitwirken. Im folgenden wird daher ein Vorschlag zur Ausgestaltung eines diskursiven Normen­ findungsprozesses vorgestellt.

Betrifft der wahrgenommene Konflikt das Gesamtuntemehmen, so ist davon auszuge­ hen, daß die Entwicklung einheitlicher Leitlinien die effiziente Lösung darstellt. Dieses Vorgehen ermöglicht es dem Unternehmen, ein konsistentes Auftreten nach außen hin zu gewährleisten. Eine relevante Unterscheidung besteht darin, ob es sich bei einem Konflikt um einen bereits bekannten Konflikt (Wiederholungsfall) oder einen bisher unbekannten Kon­ flikt (Erstmaligkeit) handelt.96 • Bei bereits bekannten Konflikten erfolgt zunächst eine Überprüfung, ob bestehende Leitlinien zu dessen Regelung Anwendung finden können. Ist dies problemlos mög­ lich, erfolgt umgehend die Umsetzung der Leitlinie. Ist die vorhandene Leitlinie al­ lerdings als überholt anzusehen, muß ihre Modifikation erwogen werden. Die Mo­ difikation erfolgt in einem Normenfmdungsprozeß (Diskurs), an den sich die Auf­ nahme der modifizierten Leitlinie in den Leitlinienkatalog anschließt. Mittels der angepaßten Leitlinie erfolgt dann die Konfliktregelung. • Ist der analysierte Konflikt bisher noch nicht aufgetreten, handelt es sich um einen erstmaligen Konflikt. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit zum Eintritt in den Normenfmdungsprozeß zur Regelung des Konfliktes. Am Ende des Diskurses steht die neue Leitlinie, die ebenfalls in den Leitlinienkatalog aufgenommen wird.

94 95 96

Vgl. Kreikebaum 1993, S.163. Vgl. Ulrich/Fluri 1995, S.54. Vgl. Kreikebaum 1996, S.239-243.

Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Untemehmensplanung

213

Es erscheint plausibel, daß derart gefundene Untemehmensabsichten zum langfristigen Aufbau von Verständigungspotentialen dienen. Als lebendige, öffentliche Dokumente müssen die kodifizierten Absichten durch das Unternehmen gelebt und kommuniziert werden.97 Die folgende Abbildung veranschaulicht schematisch den Normenfindungs­ prozeß.

Abbildung 6-4: Ablaufdiagramm des Normenfindungsprozesses zur Festlegung von Absichten

Quelle: Kreikebaum/Behnam/Gilbert 1996, S.20

91

Vgl. Murphy 1989, p.909.

214

Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Untemehmensplanung

6.3.2 Unternehmens- und Umfeldanalyse aus ethischer Perspektive

Die strategische Unternehmens- und Umfeldanalyse aus ethischer Perspektive ver­ sucht, die Anliegen der Betroffenen im Dialog zu ermitteln, um die gewonnenen In­ formationen in den Prozeß der Strategischen Planung einbauen zu können. Betroffene von Untemehmensentscheidungen sind deshalb Betroffene, weil die Untemehmensentscheidungen in irgendeiner Form (positiv oder negativ) ihre originären Interessen berühren. Da es im dialogischen Ansatz der Untemehmensethik zentral um die Betrof­ fenen von Untemehmensentscheidungen und deren diskursive Einbindung geht, soll im folgenden der Analyse der Betroffenen und ihrer Ansprüche besondere Aufmerksam­ keit geschenkt werden. In der Literatur finden sich verschiedene Bezeichnungen für diese Betroffenen, so ist von Bezugsgruppen, Interessengruppen, Anspruchsgruppen oder strategischen Anspruchsgruppen die Rede.98 Der allgemeine Ausdruck Interes­ sengruppen bezeichnet soziale Gruppen, die über eine tatsächliche, direkte oder indi­ rekte Beziehung zu einem Unternehmen verfügen und deshalb ein unmittelbares Inter­ esse an dem Unternehmen und dessen Verhalten haben. Diese Gruppen bringen ihr Interesse am Unternehmen entweder selbst oder durch Dritte zum Ausdruck und erhe­ ben konkrete Ansprüche gegenüber dem Unternehmen. Unter Umständen ist das Un­ ternehmen dermaßen auf die Interessengruppen angewiesen, daß eine Nichterfüllung ihrer Ansprüche wesentlichen Einfluß auf das Untemehmensgeschehen haben könnte.99 Im folgenden soll von Betroffenen als Interessengruppen gesprochen werden, wobei diese demnach diejenigen sozialen Gruppen oder Individuen sind, die die Errei­ chung der unternehmerischen Absichten beeinflussen können bzw. die durch die Ab­ sichtsverfolgung des Unternehmens selbst betroffen sind. Zur Abgrenzung externer und interner Interessengruppen soll der bei StöRK vorge­ nommenen Unterscheidung gefolgt werden: Hier werden interne Interessenten als Be­ teiligte am unternehmerischen Entscheidungsprozeß, externe Interessenten als Betrof­ fene dieses Prozesses aufgefaßt. Eindeutig abgegrenzt werden die beiden Gruppen je­ doch erst durch die faktische Mitgliedschaft im Unternehmen, welche durch eine bei­ derseitige Vereinbarung zwischen Unternehmen und Interessent begründet wird.100 Interne Interessengruppen sind dabei direkt auf Basis einer beiderseitigen Vereinba­ rung (Vertrag) mit dem Unternehmen an den relevanten Entscheidungsprozessen be­ teiligt, während externe Gruppen ohne entsprechende vertragliche Vereinbarungen aufgrund der Leitidee der offenen Untemehmensverfassung daran zu beteiligen sind. Dabei ist zu beachten, daß Mitglieder der einen Interessengruppe auch Mitglieder ei­ ner oder mehrerer anderer sein können, so könnten z.B. Mitarbeiter Eigenkapital-, Fremdkapitalgeber und Kunden zugleich sein. Aufgrund der zuvor dargestellten Definition kommt den Interessengruppen eine bedeu­ tende Rolle zu. Jede Interessengruppe stellt dem Unternehmen direkt oder indirekt eine Vgl. u.a. Grabatin 1981, S.66; Achleitner 1985, S.76; Dyllick 1988, S.197-199; Dyllick 1989, S.74; Hill 1991, S. 10-14; Steinmann/Schreyögg 1991, S.65-66; Janisch 1993, S.126-128. 99 Vgl. Achleitner 1985, S.76. 100 Vgl. Störk 1987, S.57-58.

98

Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Unternehmensplanung

215

gewisse Leistung zur Verfügung und erhebt aus diesem Grund im Gegenzug Forderun­ gen und Ansprüche an das Unternehmen.101 Werden diese Forderungen und Ansprüche der Interessengruppen zufriedenstellend erfüllt, so werden sie u.U. ihre Leistung erhö­ hen, was sich positiv auf den wirtschaftlichen Erfolg oder die Erzielung von Wettbe­ werbsvorteilen auswirken kann.102 Zum anderen können sie durch den Besitz von Macht eine Bedrohung für das Unter­ nehmen darstellen. So wird eine Interessengruppe um so bedeutender, je mehr Macht sie gegenüber dem Unternehmen besitzt und je größer der Wille ist, diese Macht in Form von Sanktionen auch einzusetzen.103 Die Macht der Interessengruppen drückt sich sowohl in der Abhängigkeit des Unternehmens von ihnen als auch in ihrem Ein­ flußgrad aus.104

Die Abhängigkeit wird insbesondere von dem Grad der Substituierbarkeit einer Inter­ essengruppe bestimmt. Ebenso ist die Zentralität (Intensität der Beziehung) einer In­ teressengruppe ein Indikator von Macht.105 Der Einflußgrad einer Interessengruppe wird vor allem durch ihre Ressourcen, durch den Grad der Organisation der Gruppe, durch die Zusammensetzung der Gruppe (Meinungsführer, Bekanntheitsgrad der Mitglieder) sowie durch das Ansehen der Gruppe in der Öffentlichkeit bestimmt.106

Schließlich kommt den Interessengruppen im Prozeß der Strategischen Untemeh­ mensplanung eine hohe Bedeutung zu, da von ihnen nicht nur Macht ausgeht, sondern auch Unsicherheit.107 Je besser ein Unternehmen die erhobenen Ansprüche kennt, de­ sto zielgerechter kann es diese befriedigen.108 Gerade jedoch gesellschaftliche Ansprü­ che ändern sich im Zeitablauf.109 Je genauer ein Unternehmen solche Entwicklungen beobachtet, desto höher ist der Vertrautheitsgrad mit den Ansprüchen, und die von diesen Gruppen ausgehende Unsicherheit bezüglich des Untemehmensgeschehens re­ duziert sich.

Die vorangegangene Beschreibung der Interessengruppen beinhaltet immer wieder den Aspekt der Macht dieser Gruppen, was als Widerspruch zu einer dialogischen Unter­ nehmensethik erscheinen mag. Auch wenn es im Rahmen einer dialogischen Unter­ nehmensethik um den machtfreien Diskurs geht, darf m.E. eine pragmatische Imple­ mentierung realer Diskurse die faktisch gegebenen Machtverhältnisse nicht außer acht lassen. Hinzu kommt, daß diejenigen Interessengruppen, die sich 'machtvoll' an das Unternehmen wenden, um auf ihre Ansprüche aufmerksam zu machen, für eine dialo­ gische Untemehmensethik insofern interessant sind, als sie ihre Identifikation im Rah­ men der strategischen Analyse erleichtern und damit auch ihr Einbezug in dialogische 101 102 101 104 105 106 107 108 109

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Dyllick 1984, S.76. Janisch 1993, S.l22. Dyllick 1984, S.76-77. Freeman/Reed 1983, p.93; Mendelow 1983, p.73. Grabatin 1981, S.100-103; Mendelow 1983, p.72. Grabatin 1981, S.104-107; Göbel 1992, S.162-165. Achleitner 1985, S.77. McAdam 1977, pp.210-213. Mahon/Waddock 1992, pp.22-23.

216

Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Unternehmensplanung

Prozesse erleichtert wird. Mit anderen Worten: Man übersieht sie nicht so leicht! Der Aspekt der von Interessengruppen ausgehenden Unsicherheit verdeutlicht zudem die Ökonomie des Dialogs. Gruppen, mit denen man sich im Dialog befindet, Argumente austauscht, Ansprüche prüft und Möglichkeiten der Berücksichtigung ihrer Interessen sucht, stellen aufgrund des höheren Bekanntheitsgrades - des sich besser Kennens und Kenneniemens - eine geringere Bedrohung für das Unternehmen dar als Gruppen, die nicht beteiligt sind. Dabei darf allerdings nicht die Gefahr übersehen werden, daß ein selektives Vorgehen bezüglich der 'Anhörungs Würdigkeit' von Interessengruppen u.U. Betroffene ausklammert, die ihre Betroffenheit gerne äußern würden. Eine solche Se­ lektion wäre wohl kaum diskursiv legitimiert. Die folgende Abbildung verdeutlicht nochmals mögliche Bedeutungskriterien von In­ teressengruppen aus Sicht des Unternehmens. Dabei darf 'Bedeutung' nicht im Sinne von 'anhörungswürdig' mißverstanden werden. Die Einschätzung der Bedeutung von Interessengruppen trägt lediglich dem Umstand Rechnung, daß das Unternehmen im Rahmen der Komplexitätsverarbeitung ein möglichst realistisches Bild der Interessen­ gruppen benötigt.

Abbildung 6-5: Bedeutungskriterien von Interessengruppen Quelle: Eigene Darstellung

Mit Blick sowohl auf die zuvor herausgearbeitete Definition der Interessengruppen als auch auf empirische Studien über die Interessengruppenorientierung von Führungskräf­ ten sind in der folgenden Tabelle relevante Interessengruppen und ihre Ansprüche, Leistungen sowie Sanktionsmöglichkeiten wiedergegeben.110

10 Vgl. u.a. Dyllick 1984, S.75; Wang/Dewhirst 1992, pp.l 18-120; Kreikebaum 1993, S.165; Macharzina 1993, S.9; Lemer/Fryxell 1994, pp.70-76.

Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Unternehmensplanung Interessen­

Mitglieder

Ansprüche

Leistungen

Sanktions­ möglichkeiten

gruppe

EK-Geber

217

♦ Banken und Versicherungen ♦ private Investoren

♦ angemessene und gesicherte Kapitalrendite ♦ Entscheidungsbeteiligung

♦ Eigenkapital

♦ Rückzug des Kapitals

♦ Vertrauen und Loyalität

♦ institutioneile Anleger

MITARBEITER

FK-Geber

♦ alle hierarchischen Ebenen einschließlich des Top-Managements

♦ Banken und Versicherungen ♦ private Investoren ♦ institutionelle Anleger ♦ Roh-,Hilfs- und Betriebsstofflieferanten

Lieferanten

♦ Halb- und Fertig­ fabrikatlieferanten

♦ Konsumenten

Kunden

Wettbe­ werber

♦ Existenzsicherung ♦ Arbeitsplatzsicherung

♦ Arbeitsleistung ♦ Führungs- und Kulturpotential

♦ Arbeitsgerichtsverfahren ♦ offene und versteckte Leistungsverweigerung

♦ Aufstiegsmöglichkeiten ♦ Selbstverwirklichung ♦ angemessene und gesicherte Investitionsrendite ♦ pünktliche Tilgung der Schulden ♦ u.U. Ausübung von Macht ♦ günstige und stabile Lieferbedingungen

♦ Organisationspotential

♦ Kündigung

♦ Fremdkapital

♦ Rückzug des FK

♦ Vertrauen und Loyalität ♦ u.U. Kontakte ♦ Sicherheit, Zuverlässigkeit und Qualität der gelieferten Produkte ♦ termingerechte Lieferung ♦ Anpassung des Produktionsprogramms ♦ Abnahme der angebotenen Produkte und Dienstleistungen ♦ Einhaltung von vereinbarten Konditionen ♦ Markentreue

♦ Nichtgewährung oder -Verlängerung von Krediten ♦ Veränderung der Konditionen ♦ Liefervertragsau flösungen

♦ stabile Preise ♦ Zahlungsfähigkeit des Unternehmens ♦ qualitativ und quantitativ befriedigende Marktleistung

♦ Großhändler

♦ günstige Preise

♦ Einzelhändler

♦ Service und Beratung

♦ industrielle Abnehmer ♦ Konkurrenten im gleichen Markt

♦ Sicherheit der Marktleistung ♦ fairer Wettbewerb

♦ Parlament

♦ Erreichung der obersten Staatsziele ♦ Sicherung eines funktionierenden Wettbewerbs ♦ öffentliche Verwaltung ♦ Erhaltung der Umwelt- und Lebensqualität ♦ Gerichte ♦ Förderung industriell vernachlässigter Regionen ♦ Notenbank

♦ Regierung

Staat

♦ Forschungs- und Bildungseinrichtungen ♦ Bürgerinitiativen

♦ Umweltschutzgruppen ÖFFENT­

♦ Vereine und Verbände

LICHKEIT

♦ Sicherung der zukünftigen Lebensbedingungen ♦ Förderung des Gemeinwohles ♦ Einhaltung allgemeiner Moral- und Sittlichkeitsvorstellungen

♦ kirchliche Organisationen

Tabelle 6-4: Aspekte der Interessengruppen Quelle: Eigene Darstellung

♦ Lieferstops ♦ Mindestabnahme­ vereinbarungen ♦ Nicht-Kauf, Umtausch, Rückgabe, Kaufeines Konkurrenzproduktes ♦ Erzwingung von Zusatzleistung ♦ Veranlassung gesetzlicher Sanktionen

♦ Zusammenarbeit (Joint ♦ Marktmachtmißbrauch Ventures) ♦ unfairer Wettbewerb (legal, illegal) ♦ Infrastruktur ♦ Steuererhöhungen, -Senkungen ♦ öffentliche Ruhe ♦ Abgaben und Auflagen ♦ Sicherheit und Ordnung ♦ Investitionsanreize

♦ Haftungsvorschriften

♦ Chancen durch Deregulierung von Märkten ♦ Chancen durch industriefreundliche Raumplanung ♦ Akzeptanz

♦ Strafen

♦ Vertrauen

♦ Besetzungen (Gebäude, Fabriken) ♦ Negativberichte in Medien

♦ Legitimität

♦ Unternehmens-Schließungen

♦ Verhängung von Zöllen

♦ Demonstrationen

♦ Boykottaufrufe

218

Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Unternehmensplanung

In der strategischen Analysephase haben strategische Frühaufklärungssysteme einen hohen Stellenwert. Strategische Frühaufklärungssysteme sollen die Wahrnehmung, Beurteilung und Weiterleitung externer sowie interner schwacher Signale ermöglichen, die Hinweise über einen eventuell veränderten Zustand des unternehmerischen In- und Umfeldes geben.111 So sollen Chancen und Bedrohungen frühzeitig erkannt und die Reagibilität des Unternehmens gesteigert werden. Im Rahmen der Früherkennung auf Basis interner und externer Interessengruppen werden bestimmte Frühwamindikatoren und deren Abweichung von zuvor festgelegten Sollgrößen analysiert.112 Strategisch erheblich wichtiger sind jedoch sämtliche Informationen, die durch „...Abtasten und Rastern des sozio-ökonomischen Umfeldes (...) des Unternehmens“113 gewonnen werden.

Die formale Suche auf der Basis von Interessengruppen soll zusätzliche Informationen über bereits bekannte Anliegen dieser Gruppen geben und so eventuelle Informations­ lücken schließen. Die informale Suche hingegen versucht, die Anliegen von Morgen zu antizipieren. Die gerichtete Suche eignet sich, um das Informationsnetz über bereits bekannte Interessengruppen dichter zu flechten und so eventuelle Lücken zu schließen. Die ungerichtete Suche hingegen dient dem Aufspüren neuer relevanter Interessen­ gruppen. Ein so gestaltetes Frühaufklärungssystem zeigt zudem Informationslücken auf, die eine weiterführende und vertiefte problemorientierte Datensuche erforderlich machen. Da die Ressourcen eines Unternehmens begrenzt sind und man nicht allen Problemen das gleiche Engagement entgegenbringen kann, dient die strategische Ana­ lyse dazu, auf der oberen Führungsebene die wirklich relevanten Anliegen der Interes­ sengruppen zu identifizieren.114 Im folgenden soll eine eigenentwickelte Methodik zur Priorisierung von Anliegen der Interessengruppen vorgestellt werden. Hierbei sei erneut auf die notwendige Pragmatik bei einer Implementierung der dialogischen Untemehmensethik verwiesen. Realiter werden sich immer wieder Situationen ergeben, in denen Entscheidungsträger nicht um eine 'einsame Entscheidung' herumkommen. Die Gründe dafür liegen in zeitlichen, sachlichen, räumlichen und personellen Restriktionen, die die Einberufung eines Dis­ kurses nicht erlauben.115 Insbesondere für diese Fälle ist die folgende Methodik ent­ wickelt, wobei versucht wurde, dialogische Elemente - wo immer möglich - einzu­ bauen. Ziel ist die Erstellung einer Rangliste, die sowohl die unmittelbare Relevanz der verschiedenen Anliegen erfaßt, als auch die von den Interessengruppen diesbezüglich ausgehenden Chancen und Bedrohungen berücksichtigt. Hierzu werden für die einzel­ nen Schritte Formblätter entwickelt, die eine Formalisierung im Rahmen der Strategi­ schen Untemehmensplanung ermöglichen sollen.

111 Vgl. Ansoff 1976, S.133; Carroll 1977, p. 157; Hammer 1988, S.179-180; Krystek 1992, S.284303. 112 Vgl. Arrington/Sawaya 1984, pp.153-155; Hahn/Klausmann 1992, S.268. 113 Krystek/Müller-Stewens 1993, S.175. 114 Vgl. Göbel 1992, S.216. 115 Vgl. Steinmann/Löhr 1994, S.86-93.

Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Unternehmensplanung

219

In einem ersten Schritt werden die identifizierten Anliegen aufgelistet, um daraufhin die Interessengruppen auszumachen, auf die sich diese Anliegen in irgendeiner Weise auswirken könnten. Die Zuordnung erfolgt durch Dialog, oder wenn dies nicht möglich ist, im stellvertretenden Diskurs durch einen Vergleich mit ähnlichen Erfahrungen der Vergangenheit, durch Sachverstand oder durch Intuition. Interessengruppen ♦

Anliegen EK-Geber Mitarbeiter

Fk-Gebf.r

Lieferanten

Kunden

Wettbew

Staat

Öffentl.

Neu?

* Für jedes Anliegen werden die Interessengruppen durch Ankreuzen markiert, auf die sich das jeweilige Anliegen in irgendeiner Weise auswirken könnte. Tabelle 6-5: Erfassungsformblatt 'Anliegen - Interessengruppen' Quelle: Eigene Darstellung

In einem zweiten Schritt wird für jedes Anliegen der sog. Importance-Index berech­ net, der durch Multiplikation der Eintrittswahrscheinlichkeit eines Anliegens mit dem Maß der Dringlichkeit dieses Anliegens eine Aussage darüber macht, wie wichtig die Bearbeitung eines Anliegens für sich genommen ist. Auf das Problem der Ermittlung von Eintrittswahrscheinlichkeiten sowie von Dringlichkeiten sei an dieser Stelle hin­ gewiesen: Da eine Vielzahl von qualitativen Determinanten beurteilt und gewichtet werden muß, kann es trotz eines hohen Kompetenz- und Erfahrungsgrades der bewer­ tenden Personen zu unterschiedlichen - grundsätzlich subjektiven - Einschätzungen kommen, die zu einer Minderung der Aussageeindeutigkeit des Indexes führen kön-

116 Die Entwicklung eines Systems zur Gewichtung der verschiedenen Determinanten mit dem Ziel, aussageeindeutige Eintrittswahrscheinlichkeiten sowie Dringlichkeiten zu ermitteln, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und wird deswegen nur angeregt. Vgl. in diesem Zusammenhang die Kritik der Strategie Issue Analysis bei Kreikebaum 1989, Sp. 1876-1885.

Implementierung ethischer Reflexion in die Strategische Untemehmensplanung

220

Anliegen: Informationsquellen: Eintrittswahrscheinlichkeit*

(p)

Dringlichkeit des Anliegens (zeitlich)**

niedrig (1)

mittel (2)

hoch (3)

Krise (4)

niedrig (p £ 0.3) mittel (0.3