Hermann Schulze-Delitzsch’s Schriften und Reden: Band 1 [Reprint 2020 ed.] 9783112387061, 9783112387054

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Hermann Schulze-Delitzsch’s Schriften und Reden: Band 1 [Reprint 2020 ed.]
 9783112387061, 9783112387054

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Hermann Schulze-Delitzsch's Schriften und Reden Herausgegeben im Auftrage des

Allgemeinen Verbandes der auf Selbsthilfe beruhenden deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenoffenschaften, e. V. von

F. Thorwart-Frankfurt a. M. unter Mitwirkung von

Dr. Hans Crüger-Charlottenburg, Professor Dr. G. Künhel-Frankfurt a. M., Dr. E. Lennhoff-Frankfurt a. M., Dr. F. Schneider-Potsdam,

Professor Dr. PH. Stein-Frankfurt a. M.

I. Band.

Berlin 1909.

I. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, G. m. b. Ä.

Vorwort. Im Januar 1907 wandten sich einige Verehrer Schulze-Delitzsch's

mit nachstehendem Aufrufe behufs Sammlung und Herausgabe seiner Schriften und Reden an die genossenschaftlichen Kreise Deutschlands:

„Am 29. August 1908 werden hundert Jahre verflossen sein, daß Schulze-Delitzsch geboren ward.

Unser Volk wird diesen Tag nicht

vorübergehen lassen, ohne sich mit Dankbarkeit des Mannes zu erinnern, der durch Übertragung des Genossenschaftswesens nach Deutschland und

Ausgestaltung

seine

Angehörigen

und

der

hunderttausenden

abermals hunderttausenden

und

des Arbeiterstandes, des Gewerbe- und Kaufmannstandes

Weg

den

Landwirtschaft

gewiesen

hat,

zur

wirtschaftlichen

Selbständigkeit zu gelangen und ihren Wohlstand zu fördern.

Und nicht

weniger werden diejenigen seiner gedenken, denen er die Anleitung gab,

in engem Zusammenschluß durch Warenbezug, durch Anschaffung von

Maschinen und Werkzeugen

sowie durch Verkauf der Arbeitserzeugnisse

auf gemeinschaftlicher Grundlage ihre Lebenshaltung zu verbilligen und

die Kosten ihrer Produktion zu ermäßige«.

Ist doch — um die Worte

Schmollers zu wiederholen — unter seiner Leitung das Genossenschafts­

wesen ,einer der großen Dämme geworden, welcher, in den Strom unserer

sozialen Entwicklung hineingebaut, mit dazu beigetragen hat und noch ferner

dazu

beitragen

wird,

die

Auflösung

unserer

Gesellschaft

in

Proletariat einerseits, Kapitalisten und Großunternehmer andererseits zu hemmen,

den

Mittelstand

zu

erhalten.

Und Deutschland kann

stolz

darauf sein, in diesem Punkt das leuchtende Vorbild für alle anderen

Kulturländer geworden zu fein'. Aber auf dieses Gebiet hat Schulze nicht seine Tätigkeit beschränkt. Schon vor Errichtung der ersten Genossenschaften in seiner Heimat hat

er dem Notstände seiner örtlichen Mitbürger in organisatorischer Arbeit entgegenzuwirken gesucht und er hat seit seinem Eintritt in das politische

Leben nicht aufgehört die Schranken zu bekämpfen, die der Freiheit der Arbeit entgegenstanden.

Gewerbefreiheit für die Arbeitgeber, Koalitions­

freiheit für die Arbeitnehmer — diese zwei Forderungen zu verteidigen,

ward er bis an seines Lebens Ende nicht müde.

Vorwort.

IV

Und in gleicher Weise hat er mit rastlosem Eifer an der wirt­

schaftlichen Gesetzgebung mitgearbeitet,

die in

dem Zeichen

der Jahre

1867 bis 1879 steht.

Was aber vor allem sein Herz bewegte, das war die Einheit, die

Freiheit, die Größe und das Glück unseres deutschen Vaterlands.

An begeisterter aufopferungsvoller Hingebung dafür steht er hinter den größten seiner Zeitgenossen nicht zurück; seine ungewöhnliche Arbeits­ kraft, seine volkstümliche Beredsamkeit hat er jederzeit in den Dienst

dieser Idee gestellt, und wenn

auch unsere innerpolitische Entwicklung

nicht seinen Idealen entsprach, wenn die zur Herrschaft gelangten An­

schauungen in manchen Fragen nicht die seinen waren: an seiner mit seinem Herzblut getränkten Liebe zu seinem Volke hat ihn dies niemals

irre gemacht. Seit einer Reihe von Jahren steht Schulzes ehernes Bildnis in

der Reichshauptstadt.

Lebendiger wird uns aber seine Persönlichkeit und

sein Wirken vor Augen treten, wenn diese aus seinen Schriften und Reden gezeichnet werden." Der 48. Allgemeine deutsche Genossenschaftstag in Leipzig — August

1907 — machte die Anregung zu der seinen und übertrug die Heraus­ gabe der Schriften und Reden Schulze-Delitzschs einem Ausschuß, be­ stehend

aus

Genossenschaftsanwalt Dr. Crüger - Charlottenburg,

Prof.

Dr. Fritz Schneider-Potsdam,

Prof.

Dr. Küntzel-Frankfurt a. M.,

Dr. PH. Stein-Frankfurt a. M. und F. Thorwart-Frankfurt a. M., welche ihrerseits, namentlich für den die politische Tätigkeit Schulze-

Delitzschs umfassenden Teil, noch Herrn Dr. Lennhoff-Frankfurt a. M.

heranzogen. Der erste von F. Thorwart bearbeitete Teil des Werkes liegt hier

vor; er enthält die genossenschaftlichen Schriften, Reden und Aufsätze Schulzes vom Jahre 1850 ab bis zu seinem Lebensende.

Die folgenden

Bände werden die sozialpolitischen und politischen Schriften und Reden bringen; eine biographische Skizze wird den Schluß der Sammlung bilden.

Im Frühjahr 1909.

Die Herausgeber.

Inhaltsangabe für Band L* Seite

Mitteilungen über gewerbliche und Arbeiterassoziationen. 1850 . .

1

Die allgemeinen Assoziationen der Arbeiter........................................... 6 Statut der Kranken- und Sterbekasse zu Delitzsch................................ 8 Statut des Vorschußvereins zu Delitzsch.............................................. 11 Die speziellen gewerblichen Assoziationen.............................................. 12 Statut der Assoziation der Schuhmacher zu Delitzsch .... 16

Assoziationsbnch für deutsche Handwerker und Arbeiter. 1853

. 19 Die soziale Bewegung und die Assoziationen....................................21 Das Assoziationswesen in England und Frankreich......................... 33 Deutsche Assoziationen. Zuruf an die deutschen Handwerker. . 49 Krankenunterstützungsvereine..................................................................57 Assoziationen für nötige Lebensbedürfnisse......................................... 66 Vorschußvereine.............................................................................................72 Assoziationen spezieller Gewerke..............................................................87

Gewerkschaftliche Assoziationen. 1854...................................... 103 Vorschußvereine als Volksbanken. 1855 112 Über Vorschußvereine und deren Grundlagen im allgemeinen.

Die in Eilenburg, Delitzsch und Umgegend bestehenden Vereine und daselbst erreichten Resultate.......................................................113 Die einzelnen für Organisation von Vorschußvereinen wesentlichen Punkte........................................................ 124 Mitgliedschaft............................................................................................ 124 Betriebskapital............................................................................................ 127

Höhe, Fristen und Sicherheit der Vorschüsse.....................................130 Verzinsung der Vorschüsse...................................................................... 135

Dividende und Guthaben...................................................................... 140

Reservefonds, Eintrittsgeld und Jahresbeiträge............................... 144 Ordnung und Verwaltung der Vereinsangelegenheiten.

Versammlungen.

General.

Vorstand und Ausschuß.....................................147

Kastenwesen und Buchführung................................................................ 151 Besoldungen und Kautionen der Beamten.......................................... 156 Klagen und Prozeßführung...................................................................... 160

Vorwort zur zweiten Auflage................................................................. 163 Vorwort zur dritten Auflage................................................................. 164 Vorwort zur fünften Auflage.................................................................167

Beherzigenswertes bei Gründung von Borschnßvereinen. 1858 . . m •) Bei der Wiedergabe der Schriften und Reden ist allenthalben die neue Ortho« graphie angewandt worden.

Seite

Vorschußvereine und Wohltätigkeitskassen.................................. ne Über Darlehnskassen und Vorschußvereine in Deutschland 1859 . 176 Der Kreditverein für Gewerbetreibende in Leipzig 1855 .... 183

Ausruf zur Bildung von Vorschußvereinen. 1857 ................... 186 Die arbeitenden Klassen und das Afsoziationswesen in Deutschland als Programm zu einem deutschen Kongreß. 1858 .................. i9i Der Notstand der Arbeiter und seine Quellen..................................193 Die Rückkehr zu den alten Gewerbsbeschränkungen....................... 202 Assekuranz und Almosen...........................................................................215 Die Assoziation.......................................................................................... 229 Die Arbeiterassoziationen in Deutschland............................................ 241 Der internationale Wohltätigkeitskongreh als Keim eines deutschen Kongresses für Assoziationswesen...................................................... 253

Ein deutscher Kongreß für die Arbeiterfrage. 1859 Die Entwicklung des Genossenschaftswesens inDeutschland . . .

267 .270

Das deutsche Assoziationswesen. 1858 ....................................... 270 Die Vorschußvereine in Hannover. 1859 ............................... 295 In Sachen der hannöverschen Vorschußvereine. 1860 ............... 311 Stand des Genossenschaftswesens in 1859 316 Stand des Genossenschaftswesens in 1860 327 Stand des Genossenschaftswesens in 1862 334 Stand des Genossenschaftswesens in 1863 341

Die gesetzliche Regelung des Genossenschaftswesens..................... 346 I. Die Assoziationen und das bürgerliche Recht. 1854 .... II. Entwurf eines Gesetzes zum Behuf der Erleichterung der Legi­ timation bei Prozessen und Rechtsgeschäften für die deutschen Vorschuß- und Kreditvereine. 1858 ................................... III. Forderung eines Genossenschaftsgesetzes. 1860 .................... IV. Zur Geschichte des preußischen Genossenschaftsgesetzes I. 1865 V. Der erste preußische Genossenschastsgesetzentwurf. 1866 . . VI. Zur Geschichte des preußischen Genossenschaftsgesetzes II. 1866 VII. Gegen die staatliche Konzessionierung wirtschaftlicher Organisa­ tionen. 1869 .................................................................. VIII. Staatliche Zwangsrevisoren für die Genossenschaften. 1883 . IX. Die gesetzliche Regelung der Revision der Geschäftsführung der Genossenschaften. 1883 ...................................................... X. Der Eintritt von Reichsbeamten in den Vorstand von Genossen­ schaften. 1872 ..................................................................

346

352 365 376

388 393

424 427 435

446

VII

Inhaltsangabe.

Seite

XL Die

Einführung

des Norddeutschen Genossenschaftsgesetzes in

Bayern und Sachsen.

XII. Anträge

1873 und 1874

.................................... 452

behufs Abänderung des Genossenschaftsgesetzes.

XIII. Die Zulassung der beschränkten Haftpflicht.

1883 466

1869 ..................... 483

Die Wahl der Haftart bei kommerziellen Gesellschaften ein­ schließlich der Genossenschaften durch deren Mitglieder*) . . 484 Das natürliche Fundament aller Haftbarkeit................................. 485 Feststellung der Haftart durch das Gesetz mit Ausschluß der Wahl der Beteiligten..................................................................................... 489 Bedingungen der Zulassung der beschränkten Haftbarkeit . . . 491 Die Art der Haftbarkeit bei den Personalgenossenschaften . . . 496 Die Zulassung der beschränkten Haft bei den Genossenschaften. 1881 503 Zu dem Anträge Mirbach. 1883**)............................................... 507

Das Zentral-Korrespondenzbureau der deutschen Vorschuß- und Kreditvereine und die Anwaltschaft deutscher Erwerbs- und Wirt­ schaftsgenossenschaften. 1860 ................................................. Die Blätter für Genossenschaftswesen. (Innung der Zukunft.) . . Den

deutschen Genossenschaften

Jahre.

1861

und ihren Freunden

513 520

zum neuen

............................................................................................. 521

Zum neuen Jahre!

1866

........................................................................ 525

Genossenschaftlicher Großbankkredit........................................... 529 Zum Neujahr 1864

529

I. Die deutsche Genossenschaftsbank.

1864 ........................................ 530

Die Geldkrisis und die deutsche Genossenschaftsbank.

1865

. 536

II. Das Projekt einer „Zentralstelle" zur Vermittlung des Geld­ verkehrs der Vorschußvereine in der Provinz Sachsen. III. Die Mitgliedschaft

nossenschaft.

187 4 539

einer Genossenschaft bei einer zweiten Ge­

1865

.............................................................................. 543

IV. Ein Wort zu den Statutentwürfen für eine preußische Grund­

kreditgesellschaft.

1872

........................................................................ 545

V.Die gleichzeitige Mitgliedschaft bei mehreren Vorschußvereinen. 1866 ............................................................................................................. 549

Die Genossenschaften und politische Fragen................................. 552 I. Aufruf an die deutschen Genossenschaften zu Beiträgen für die

deutsche Flotte!

1861

II. Für Schleswig-Holstein!

........................................................................ 552 1863 ......................................................... 555

♦) Aus „Die Gesetzgebung über die privatrechtliche Stellung der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften" (Berlin 1869). **) Aus „Material zur Revision des Geuossenschaftsgesetzes" (Leipzig 1883).

Inhaltsangabe.

VIII

Leite

III. Der Krieg von 1866 und die Württembergischen Kreditgenossen­

schaften.

.................................................................................. 557

1866

IV. Der Krieg von 1866 und der Allgemeine Genossenschaftsver­

band. V. Die

1866

............................................................................................ 560

Stellung

wesen.

der Sozialdemokratie

zu

dem Genossenschafts­

1877 ............................................................................................ 564

VI. Die Genossenschaften und das Sozialistengesetz.

VII. Das

liberum

wesen.

veto

1878

.

.

.

569

in der Politik und im Genossenschafts­

....................................................................................... 573

1869

VIII. Das Nationalitätsprinzip und die deutschen Genossenschaften in

der Provinz Posen.

1872

IX. Die nationale Aufgabe der Provinz Posen.

1874

.............................................................. 575 deutschen Genossenschaften

in

der

........................................................................ 578

X. Der internationale Genossenschaftstag in Paris. XI. „Die Genossenschaft ist der Friede!"

1867

.

. 579

............................... 585

1875

Die Genossenschaften und die Religion........................................ 588 I. Die Winzergenossenschaften im Ahrtal und die Dachauer Bank­ geschichte.

1873

................................................................................... 588

II. Der Ausschluß der Winzervereine Mayschoß und Walporzheim

aus

dem Allgemeinen Genossenschaftsverbande

montane Presse.

1873

und

die ultra­

........................................................................ 590

Die Genossenschaften und die Krisen in Kriegs- und Friedenszeiten I.

Die Kreditkrisis: Das Geld wird knapp!

II. Und noch einmal die Geldkrisis.

597

597

1864

1864 ......................................... 600

Vorsicht bei der Kreditgewährung! 1866

605

IV. Das Verhalten der Vorschußvereine während des Kriegs in 1870

607

III. Das Geld ist knapp.

620

V. Zum Neujahr 1872! VI. Auf der Wacht! 1873

........................................................................ 622

VII. Die Geld- und Kreditkrisis und die Genossenschaften.1873

. 625

VIII. Zum Neujahr 1875!

IX.

639

Zum Neujahr 1876!

641

X. Der preußische Abgeordnete Biesenbach und die deutschen Ge­

nossenschaften.

1878 ............................................................................. 644

XI. Zum neuen Jahre!

1879

652

Eine Assekuranz der Genossenschaften. 1882 ....................... . 656 Die Genossenschaften und die Beschränkung der allgemeinen Wechsel­ fähigkeit. 1879 ................................... 664 Zum Neujahr 1883!................................................................. 669

IX

Inhaltsangabe.

Leite

Der Streit mit Raiffeisen...................................................... 671 Die Raiffeisenschen Darlehnskassen in der Rheinprovinz und die

Grundkreditfrage für den ländlichen Kleinbesitz.

1875 .

.

.

. 679

Einleitung................................................................................................ 680 Wesen und Erfordernisse des Grundkredits.................................. 682 Die Raiffeisenschen Kassen und derGrundkredit.............................. 688 Die von Herrn Raiffeisen angewendeten Hilfsmittel und die Ab­ schaffung der Geschäftsanteile.......................................................... 701 Die erste Entstehung der Raiffeisenschen Vereine und der daraus in ihre spätere Entwicklung übergegangene charakteristische Zug 712 Über die Mittel zur Abhilfe................................................................. 724

.... 729

Anhang....................................................................

Interpellation im Reichstag 19. Januar 1876

............................. 734

Die Genossenschaften in einzelnen Gewerbszweigen. 1873

.... 748 Vorwort................................................................................................................749

Allgemeine Grundlagen und Erfordernisse für sämtliche Arten der

hierher gehörigen Genossenschaften....................................................... 750 Das Genossenschaftsprinzip, seine wirtschaftliche und soziale Be­ deutung ..................................................................................................... 752

Genossenschaften zu gemeinschaftlicher Beschaffung der Vorbedingungen

und

Hilfsmittel für den gewerblichenEinzelbetrieb...................... 754

Rohstoffgenossenschaften der Handwerker........................................... 756 Geschäftsanteile und Garantiekapitalien.

verteilung

Gewinn- und Verlust­

............................................................................................ 756

Einkauf in das Vereinslager................................................................ 762 Verkauf an die Mitglieder. Preisaufschläge zur Deckung der Dividende und Unkosten.

Besoldungen.............................................

Verkauf gegen Bar und

. 765

aufKredit......................................................769

Magazingenoss enschaften........................................................................... 783 Annahme und Preisbestimmung der für das Magazin bestimmten

Artikel..................................................................................................783 Bestellungen für das Magazin................................................................ 784

Aufbringung der Mittel zu den Vereinszwecken.

Lagergelder und

Verkaufsprozente................................................................................. 784

Der Verkauf aus dem Magazin mit Kreditierung des Kaufgeldes 786 Nebengeschäfte bei Magazingenossenschasten.......................................... 787 Gewerbehallen.............................................................................................788

Landwirtschaftliche Rohstoffgenossenschaften.......................................789 Einkauf in das Vereinslager................................................................ 792

Verkauf der Waren.

Preisaufschläge zur Deckung der Unkosten und

Dividende............................................................................................ 794

Landwirtschaftliche Werkgenossenschaften............................................ 796 Verschiedene Arten von Werkgenossenschaften.................................... 796

Der Geschäftsbetrieb der Werkgenoffenschasten im allgemeinen .

. 798

Inhaltsangabe.

X

Seite Vereinigung der Werkgenofsenschast mit der Rohstoffgenossenschaft 799

Kapitalbeschaffung für die Werkgenossenschaft. schäftsanteile.

Erhöhung der Ge­

Gewinnverteilung........................................................ 799

Innerer Geschäftsverkehr..........................................................................803

Genossenschaften zum Gewerbebetrieb auf gemeinsame Rechnung und Gefahr........................................................................................ 804 Geschichtliches................................................................................................. 804

Vorbedingungen bei der Gründung von Produktivassoziationen

. 805

Verhältnis der Produktiv- zu den anderen Arten der Genossenschaften 809

Stille Gesellschafter......................................................................................810 Einfluß der Produktivgenossenschasten auf die Arbeiterverhältniffe 811

Die Der

Genossenschaften für Handel und Produktion auf landwirtschaft­ lichem Gebiete................................................................................... 813 Schlußwort an alle Genossenschaften................................................ 815 Produktivgcnoffenschaften und die Vorschutzvereine. 1865 . . 819 Kleinhandel und die Konsumvereine..................................... 836 I. 1863 ................................................................................................... 836

II. 1875 ...................................................................................................

843

Über Baugenossenschaften..........................................................

846

I. 1872 ................................................................................................... 846 II. 1875 ................................................................................................... 853

Sachregister................................................................................ 855

Druckfehlerverzeichnis. Seite 22 Zeile 9 von oben statt „Anschauen" lies: „Ausschauen". 41 „men“. 3 „ unten „ „mens“ 47 6 „ „au nom“ „ „en nom“. „ „Grund" 234 „ 18 „ oben „Grad". „Alt-Döbern". 328 letzte Zeile „Alt-Döbeln" 446 Zeile 16 von unten VIII. „ X. 454 20 „ „Shares“. oben „Schecks" 484 „ 8 „Juni". „Mai" „ 585 22 „1875". „1873" unten „ „ 17 585 „1875". „1873" 585 1 „ „1873" „1875". 752 3 von oben fällt die Ziffer 1 weg.

Inhaltsangabe.

X

Seite Vereinigung der Werkgenofsenschast mit der Rohstoffgenossenschaft 799

Kapitalbeschaffung für die Werkgenossenschaft. schäftsanteile.

Erhöhung der Ge­

Gewinnverteilung........................................................ 799

Innerer Geschäftsverkehr..........................................................................803

Genossenschaften zum Gewerbebetrieb auf gemeinsame Rechnung und Gefahr........................................................................................ 804 Geschichtliches................................................................................................. 804

Vorbedingungen bei der Gründung von Produktivassoziationen

. 805

Verhältnis der Produktiv- zu den anderen Arten der Genossenschaften 809

Stille Gesellschafter......................................................................................810 Einfluß der Produktivgenossenschasten auf die Arbeiterverhältniffe 811

Die Der

Genossenschaften für Handel und Produktion auf landwirtschaft­ lichem Gebiete................................................................................... 813 Schlußwort an alle Genossenschaften................................................ 815 Produktivgcnoffenschaften und die Vorschutzvereine. 1865 . . 819 Kleinhandel und die Konsumvereine..................................... 836 I. 1863 ................................................................................................... 836

II. 1875 ...................................................................................................

843

Über Baugenossenschaften..........................................................

846

I. 1872 ................................................................................................... 846 II. 1875 ................................................................................................... 853

Sachregister................................................................................ 855

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I. Genossenschaftliche Schriften und Reden.

Mitteilungen über gewerbliche und Arbeiter-Assoziationen. Zur Beantwortung vielfacher Anfragen von H. Schulze, Mitglieds der auf­ gelösten Preußischen National-Versammlung und II. Kammer für Delitzsch. Leipzig, Ernst Keil & Comp. 1850.

^Abdruck des Originals mit Ausnahme der beigefügten Statuten, Formulare und der „Rechnung über die Kassen- und Lagerverwaltung bei der SchuhmacherAssoziation zu Delitzsch aus die Zeit vom 26. Dezember 1849 bis 5. April 1850".)

Die gegenwärtigen Mitteilungen verdanken ihre Entstehung einem rein praktischen Bedürfnisse. Nach dem allgemeinen Rückschläge der politischen Bewegung unserer Tage ist dieselbe zu ihrem eigentlichen Ausgangspunkte, auf das soziale Feld zurückgekehrt. Der schon ohnehin durch die neuere industrielle Entwickelung für die unbemittelten Gewerbtreibenden und Arbeiter herbei­ geführte Notstand steigert sich bei der Stockung aller Geschäfte, welche die schwankenden Zeitverhältnisse bedingen, zu unerträglicher Höhe. Von allen Seiten dringt man auf Abhilfe, und jemehr der Rausch über die Verheißungen von 1848 verfliegt, desto geneigter wird man, die Sache

selbsttätig in die Hand zu nehmen. Aber wo zeigt sich der Weg zum Ziele, wo ein Ufer, nach welchem man in diesen wirbelnden Fluten das Steuer richten soll? Freilich, Systeme und Pläne genug, ganz neue Welten fertig in den Köpfen der Denker. — Schade nur, daß die Brücke fehlt, welche von dem Boden der nackten Wirklichkeit zu ihnen hinüber führt. Wohin man auch die Blicke wendet, immer und immer wieder bleiben sie an den Assoziationen, als dem allein praktischen Mittel hängen, bei welchem man anknüpfen muß, um mindestens etwas auf diesem Felde zu erreichen. Auch im Wohnorte des Verfassers traten auf Anregung und unter

Leitung desselben seit dem vergangenen Sommer eine Reihe solcher Ver­ eine in das Leben. Die in verhältnismäßig kurzer Zeit erreichten Resultate verbreiteten sich, bei der Teilnahme, welche das Publikum

solchen Versuchen zollt, bald in so weiten Kreisen, daß eine Beantwortung Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden. I. 1

9

Schulze-Delitzsch.

der vielen Anfragen nur im Wege dieser öffentlichen Mitteilungen möglich wurde.

So sehr aber der Verfasser im Interesse der Sache wie in

seinem eignen gewünscht hätte, damit noch Anstand nehmen zu können,

bis bei längerer Erfahrung ein reicheres statistisches Material vorliege,

gelangten Wünschen doch ohne Verzug nach­

glaubt er, den an ihn

Zwar läuft er darüber Gefahr, bei Vielen das

kommen zu müssen.

Interesse für die Sache zu schwächen, wenn sie erfahren, wie die frag­

lichen Unternehmungen weder auf Originalität noch Großartigkeit Anspruch machen, vielmehr nur die praktische Ausführbarkeit bereits bekannter Sätze besser in das Licht zu stellen dienen, und sich in den

ziemlich

enge gezogenen Verkehrskreisen einer kleinen Provinzstadt

bewegen. Allein darüber kann kein Zweifel sein, daß die soziale Frage

niemals von einzelnen,

spekulierenden Köpfen auf dem Studierzimmer,

durch die Erfindung einer neuen Theorie, gelöst werden wird. Vielmehr gehört die gemeinsame Arbeit ganzer Generationen, das prak­

tische Erfassen von allen Seiten dazu, die Lösung allmählich anzu­ bahnen.

So hilft

denn

das Zuwarten,

sozialen Heiland zu nichts,

die

das

Ausschauen

nach

Gesellschaft muß sich selbst

dem

dieser

Heiland werden, und wie mangelhaft das erste Beginnen ausfallen mag,

es wird ihr nicht gespart.

Deshalb hielt es der Verfasser für seine

Pflicht, da der Zufall einmal die öffentliche Aufmerksamkeit auf die von ihm geleiteten Versuche gelenkt hat, durch Gegenwärtiges seinen Beitrag zu liefern, um vielleicht zu ähnlichen Unternehmungen und zum Austausch

der gemachten Erfahrungen anzuregen, indem nur auf diese Weise das Material des großen Baues nach und nach zusammengebracht werden kann.

Indem der Verfasser daher wiederholt dagegen sich verwahrt, in diesen Zeilen irgendwie eine soziale Theorie begründen zu wollen, wird

es zum Verständnis der detaillierten Notizen nur darauf ankommen, den Standpunkt, von welchem er ausging, die praktischen Erwägungen, welche ihn leiteten, vorher kurz anzudeuten. Zuvörderst ist nirgends bei den erwähnten Assoziationen auf

Beihilfe des Staats, teiligten gerechnet.

sondern lediglich

auf die Tätigkeit der Be­

Wohl vermag der Staat durch seine Institutionen

die soziale Entwickelung eben so wesentlich zu hemmen als zu fördern. Aber von der staatlichen Gestaltung allein die Lösung der Frage er­

warten, ist ein Irrtum, von welchem man immer mehr zurückkommt. Das Übel, um welches es sich handelt, frißt in den Tiefen der Gesell­ schaft, und dem Staate gestatten, in das Innerste dieser Zustände ein­

zugreifen, würde zu unerträglichem Despotismus führen.

Niemals reicht

Mitteilungen über gewerbliche und Arbeiter-Assoziationen.

3

die politische Gewalt aus, für sich allein hier das Heil zu schaffen,

wenn nicht die ganze sittliche Macht der Gesellschaft aufgeboten wird, ihr beizustehn.

Ohnedem ist auf die jetzigen Regierungen so lange

nicht zu rechnen, als dieselben alle ihre Mittel erschöpfen müssen, um sich auf ihrem Standpunkte über, das heißt außer der Gesellschaft zu behaupten.

Alles dies hat der praktische Takt der Engländer

längst erkannt. Während die sozialen Systeme, selbst eines Owen, wenig

Anklang bei ihnen fanden, warf sich die englische Arbeiterbewegung gerade auf die beiden Punkte, auf die es vorzugsweise ankam.

Zunächst

traten die einzelnen unter sich zu jenen großartigen Assoziationen

zusammen, um den Arbeitgebern gegenüber als Macht dazustehn, welche über das Interesse aller wacht.

Sodann aber richteten sie ihre Be­

strebungen im Chartismus dahin: durch das allgemeine Wahlrecht

teil an der Staatsgewalt zu erhalten, da sie von dieser in ihrer jetzigen Gestalt keinerlei Sympathien erwarteten. Was Umfang und Ziel der Assoziationen anlangt, so sind die

Forderungen einer Garantie der Arbeit und angemessenen Lohnes dafür bekannt. Da man in der Übermacht des Kapitals und der un­ beschränkten Konkurrenz den Hauptgrund der Entwertung der Arbeit er­ blickte, kam man dahin, vom Staate, als dem größten Kapitalisten, zu fordern:

Daß er sich an die Spitze der sämtlichen gewerblichen Unter­

nehmungen stelle, und den einzelnen dabei Beteiligten, die als­

dann nicht mehr für eigne Gefahr und Rechnung arbeiten, eine angemessene Existenz gewährleiste.

Daß dieser, zuletzt [in den Nationalwerkstätten zu Paris ge­ machte

Versuch,

wie

alle ähnlichen

mißlingen

mußte,

war

natürlich.

Anstatt dem Egoismus eine Schranke zu ziehen, forderte man seine völlige Ertötung, und bedachte nicht, daß man in ihm ein notwendiges Bestandteil unserer Natur, den Trieb zu selbständiger Lebensgestaltung,

und somit den besten Sporn zu Fleiß und Tüchtigkeit in jeder Unter­ nehmung antastete.*)

Dagegen war der Verfasser seinerseits vielmehr

darauf bedacht, den Arbeitern die Konkurrenz dem Kapitale gegenüber erst möglich zu machen, da das letztere bei dem jetzigen Stande der Dinge

allein diejenigen Bedingungen gewährt, welche notwendig sind, um mit *) Daß gerade hier die Hauptschwierigkeit der Frage liegt, bedarf wohl kaum einer Bemerkung. Die Berechtigung der Individualität gegenüber der Hingebung an die Gesamtheit, die Ausgleichung dieser beiden ein­ ander entgegenstehenden Forderungen ist das Problem, an dessen Lösung bisher alle sozialen Systeme scheiterten.

Schulze-Delitzsch.

4

Vorteil zu arbeiten.

Die vom Verfasser geleiteten Assoziationen ver­

folgten daher vorerst hauptsächlich den Zweck:

Den Mitgliedern diese Vorbedingungen einer lohnenden

Arbeit soviel als möglich zu gewähren, ohne die Resultate der Arbeit selbst zu garantieren, indem es vielmehr den einzelnen selbst überlassen blieb, wie sie die gebotenen Vorteile durch ihre

Tätigkeit und Geschicklichkeit benutzten. Weiter hielt der Verfasser stets den Gesichtspunkt inne:

Daß der Zweck der Assoziationen leicht faßlich, ihr Ziel dem gewöhnlichen Gesichtskreise nicht zu weit entrückt sein müsse, die

Früchte und Vorteile vielmehr als nahe und sichere jeder­ mann in die Augen fielen. Wie entschieden man auch in der Verbrüderung, in der Soli­ darität aller für alle die Losung der Zukunft, das alleinige Heil­

mittel für die Leiden der Zeit suchen mag, soviel bleibt doch gewiß: daß der Boden für diese Ernte erst im werden muß.

Menschen bereitet

Sinne der

Es läßt sich dies eben nicht auf dem Papiere dekretieren,

und wir können unmöglich mit einem Male aus der völligen Isolierung, dem Kriege aller gegen

gegenwärtig auf diesem Gebiete

alle, welcher

herrscht, in den ewigen Frieden jenes Prinzips hinüber springen.

Im

ganzen fehlt es im Publikum noch an der rechten Lust zu solchen Ge­

meinschaften, an der Einsicht in die außerordentlichen Vorteile derselben. Daher sehen wir überall, wo die Anlage zu großartig und weitaussehend

war, wo man den Leuten Opfer und Beisteuern anmutete, den Gewinn aber erst für die spätere Zukunft in Aussicht stellte, solche Unternehmungen

scheitern. Gerade hierin lag der Hauptgrund, weshalb der Organisations­ plan des im Spätsommer 1848 in Berlin zusammengetretenen Arbeiter­

kongresses

so wenig durchzugreifen vermochte.

oben nach unten,

und

Man organisierte von

und hielt die Sache durch Einsetzung von Zentral-

Bezirksbehörden

für

abgetan,

während

man

vor allem die

Gemeinschaften in den einzelnen Gewerken der Orte hätte in das Leben

rufen müssen, welche der Plan als die eigentlichen Elemente der ganzen Organisation voraussetzt.

So aber blieb die Idee einer allgemeinen

Assoziation aller Arbeiter aus den verschiedensten Fächern, welche durch Beiträge einen gemeinschaftlichen Fonds aufbringen,

Zentralstelle

verwaltet,

um nach

den eine entfernte

einer Reihe von Jahren großartige

Etablissements in das Leben zu rufen, dem Gesichtskreise der Mehrzahl

zu fern, als daß sie sich bei ihrem kümmerlichen Einkommen so leicht zu Beisteuern hätten entschließen sollen.

Der Verfasser hat daher die all-

5

Mitteilungen über gewerbliche und Arbeiter-Assoziationen.

gemeinen Verbindungen der Arbeiter eines Ortes vorerst auf solche Gegenstände beschränkt, bei denen alle gleichmäßig und unmittelbar

interessiert waren, wie Krankenpflege und dergleichen.

Im eigentlichen

Gewerbsfache aber wurden die Arbeiter der einzelnen Branchen zu

So blieb man

speziellen Assoziationen unter sich herangezogen.

zunächst mit den fraglichen Unternehmungen im Kreise der eignen Er­

des

fahrung, Plänen

um

nächsten

Verständnisses

der

welche solchen

Beteiligten,

so leichter Vertrauen schenkten,

als sie über die Zweck­

mäßigkeit derselben ein selbständiges Urteil hatten, und die Vorteile, die ihnen unmittelbar daraus zuslossen, evident waren.

hat der Verfasser bei den über die Ordnung und Ver­

Ferner

waltung der Assoziationsangelegenheiten zu treffenden Bestimmungen

soviel irgend möglich die erzielen über

gesucht.

unmittelbare Beteiligung der Mitglieder zu

Meistenteils

die wichtigsten und

ist

ihren Beschlüssen

daß die Ausschüsse und Vorstände

beschränkt bleiben.

die Entscheidung

wesentlichsten Angelegenheiten Vorbehalten, so auf die eigentliche Verwaltung

Mag dies in mancher Hinsicht unbequemer sein, und

bei Leitung des Ganzen durch die Ausschüsse Zeit und Weiterungen ge­ spart werden können, so erschienen die dadurch erlangten Vorteile doch überwiegend.

Zuvörderst

die

erhält

eigne

stete Beteiligung

in

den

einzelnen das Vertrauen und Interesse für die Assoziationsangelegenheiten bei weitem reger, als die ewige Bevormundung.

Sodann glaubte der

Verfasser aber auch durch Wahrung der möglichsten Selbständigkeit in diesen nächsten Lebenskreisen gerade die Erziehung für freiere Bewegung in Staat und Gemeinde am besten mit vorzubereiten.

Dieser Grundsatz

wird besonders dann im Auge zu behalten sein, wenn Kommunal­ wie dies hier und da der Fall ist, selbst zu dergleichen

behörden,

Assoziationen anregen, und vielleicht Zuschüsse dazu aus öffentlichen Mitteln gewähren.

Gewiß wird alsdann einigen Mitgliedern derselben

Sitz und Stimme in den Ausschüssen zu gewähren sein.

Nur hüte man

sich, etwa die ganze Sache nun sogleich als Kommunalangelegenheit

zu behandeln und alles der Behörde in die Hände zu geben, da dies, wie die Erfahrung lehrt, der sicherste Weg ist, die eigentliche Lebens­

fähigkeit solcher Vereine unwiederbringlich zu untergraben.

Würde sich

die Kommunalbehörde dagegen begnügen, durch ihre Beamten vielleicht

die Kassenverwaltung nebst der Einziehung der Beiträge, wie zum

Beispiel

bei

nehmen, so

der Regel

Krankenkassen,

würde zugunsten

Vorschußvereinen u. A.,

des

Unternehmens

zu

über­

nicht nur dieser in

kostspieligste Teil der Verwaltung erspart, sondern auch eine

6

Schulze-Delitzsch.

Garantie für dessen Solidität gewonnen, welche ihm nur förderlich sein

könnte. Da bei einigen

der wichtigsten Punkte, namentlich dem Austritte

aus der Assoziation und Abwickelung der Assoziationsgeschäfte auf die einschlagenden Vorschriften der bürgerlichen Gesetze über den Gesellschafts­ vertrag gerücksichtigt werden mußte, so darf man nicht vergessen, daß der

Verfasser

bei den von ihm eingeleiteten Unternehmungen zunächst die

Bestimmungen des in seiner Provinz geltenden Allgemeinen Preu­

ßischen Landrechts vor Augen hatte.

geteilte

auch

außerhalb Preußen

Insofern daher das hier Mit­

bei ähnlichen Unternehmungen zu

Rate gezogen werden sollte, wie es nach mehrfachen Anfragen den Anschein hat, würde bei den angedeuteten, das bürgerliche Recht berührenden Ver­ hältnissen auf die jeden Ortes geltenden Gesetze wesentlich zu achten feilt.

Endlich darf auch bei den in Rede stehenden Versuchen nie außer acht gelassen werden, daß dieselben für kleinere Städte berechnet sind

und daher für größere Orte nur teilweis passen.

Indessen hat der Ver­

fasser diese Eigentümlichkeit absichtlich nicht verwischen mögen, weil das Bedürfnis gerade für kleinere Städte, wo noch so wenig geschehen,

das dringendste ist. In größeren Orten hat man, bei der regeren Beteiligung der Arbeiter an der Zeitbewegung, bei dem Überflüsse von tüchtigen der Leitung vollkommen gewachsenen Kräften, die Sache meist

schon im Angriffe, mindestens mag sich dort alles erforderliche leicht von selbst fügen und einrichten.

Aus diesem Grunde ist es denn auch nicht

bei der Mitteilung der bloßen Statuten und

blieben,

vielmehr

sind

allerlei

Proben

und

statistischen Notizen ge­ Formulare

aus

dem

Rechnungs- und Geschäftswesen beigefügt, wobei den Verfasser die vielfachen

Anfragen, denen er durch das Schriftchen begegnen wollte, überall leiteten. Nach diesen Vorausschickungen kommen wir unverweilt zur Sache

selbst und beginnen zunächst

I. mit den allgemeinen Assoziationen der Arbeiter. Es gehören hierher zuvörderst die Vereine zur billigen Beschaffung der nötigsten Lebensbedürfnisse an Nahrung, Heizung, Wohnung, besonders in Form der Sparvereine, in denen durch Aufsammlung von Beiträgen in der Zeit, wo die Arbeiter voll beschäftigt sind, ein Fonds

zur Beschaffung der begehrten Gegenstände im großen zusammengebracht wird.

Diese werden sodann nach Höhe der Einlagen an die Teilnehmer

zu Preisen abgelassen, wie sie sonst beim Ankäufe im einzelnen nicht zu

erhalten sind.

Mitteilungen über gewerbliche und Arbeiter-Assoziationen.

Zu solchen Anstalten herrscht indessen in kleinern Städten kein Bedürfnis vor, indem hier die Preise der Lebensmittel auch für den Arbeiter, der sie zum Teil selbst erbaut, sich niemals wie in volkreichen

Orten zu steigern pflegen.

Wir verweisen deshalb insbesondere auf die desfallsigen Einrichtungen in Berlin und Frankfurt an der Oder, wo die Vereine für das Wohl der arbeitenden Klassen schon seit Jahren dergleichen mit gutem Erfolge in das Leben gerufen, auch Bedingungen und Resultate davon mehrfach veröffentlicht haben. Überaus wichtig sind sodann die Vereine zur Krankenpflege, denen sich gewöhnlich noch Sterbekassen anschließen. Es braucht wohl kaum hervorgehoben zu werden, wie schwer die Folgen der Erkrankung den Arbeiter treffen, wenn er, schon des Erwerbes für sich und die Seinen beraubt, auch noch die unerschwingliche Ausgabe an Arzt und Apotheker bestreiten soll. So hat der Delitzscher Verein, wie die meisten der Art, den Charakter­ einer Assekuranz. Vorzüglich kam es den Stiftern darauf an, die Folgen der Erkrankung für diejenigen, welche ihre eignen und ihrer Familien Versorger sind, so viel als möglich zu übertragen, weshalb bisher nur Männer ausgenommen wurden, gegenwärtig aber auch den Frauen der Beitritt verstattet werden soll. Die Kinder mit einzuschließen, wollte sich bisher noch nicht ermöglichen lassen, da die Beiträge alsdann für die betreffenden Familien zu hoch werden, wenn nicht, wie dies an

einigen Orten geschieht, Zuschüsse aus öffentlichen Fonds in die Kasse gelangen. Weil nun, sobald nur die Eltern gesichert sind, die Krank­

heiten der Kinder immer noch eher sich übertragen lassen, zog man es vor, für jetzt noch die nötigen Erfahrungen und einen Reservefonds zu sammeln, ehe man sich übereilt in Schwierigkeiten verwickelte, die leicht das ganze Unternehmen in Frage stellen konnten. Übrigens haben die in dem Statute enthaltenen Grundsätze bisher nur günstige Resultate gewährt. Der Verein fing im August 1849 mit 136 Mitgliedern an und zählt gegenwärtig über 300. Obgleich die Cholera im September und Oktober 1849 in Delitzsch herrschte, sind, bei übrigens günstigem Ge­

sundheitsstande, bis jetzt zirka 180 Taler erübrigt und zinsbar belegt, was namentlich den Eintrittsgeldern zu verdanken ist, welche als Ausgleichung zwischen den verschiedenen Altersstufen ja nicht außer acht

gelassen werden dürfen. Die mit der Krankenkasse verbundene Sterbekasse bezweckt lediglich die Übertragung der Beerdigungskosten der Mitglieder.

Schulze-Delitzsch.

8

Aus dem Statut der Kranken- und Sterbekaffe zu Delitzsch. § 1.

Zweck des Vereins.

Der Zweck des Vereins ist die Unterstützung der Vereinsmitglieder in Krankheitsfällen und zum Teil Gewährung einer Beihilfe an deren Hinterlassene nach erfolgtem Tode. Beide Zwecke und die betreffenden Kassenverwaltungen sind getrennt, so daß, wer zur Krankenkasse beisteuert, nicht unbedingt sich bei der Sterbekasse beteiligen muß, indem der Zweck der ersteren die eigentliche Grundidee bei Stiftung des Vereins abgab.

A. Krankenkaffe. § 2.

Fonds der Krankenkasse und Beitrittsberechtigung.

Der Fonds zur Krankenkasse wird durch regelmäßige Beiträge und Ein­ trittsgelder der Mitglieder gebildet. Jeder unbescholtene Einwohner des Ortes ist zum Beitritt berechtigt, mit Ausnahme derjenigen: a) die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und noch nicht aus der Schule entlassen sind; b) die das 55. Lebensjahr schon überschritten haben. Auch den Frauen steht der Eintritt offen, und zwar sowohl den Ebefrauen der Mitglieder als auch andern selbständigen Frauen, welche ihre eignen, nach Befinden auch die Versorger ihrer Familie sind. Die letzteren erhalten durch ihren Beitritt die vollen Rechte und Pflichten der Mitglieder, während für die ersteren besondere Bestimmungen Platz greifen. § 5.

Vorstand.

Der Vorstand leitet gemeinschaftlich die Vereinsangelegenheiten, und ver­ tritt den Verein nach außen, während er jedoch in allem an die Beschlüsse des Vereins und die Bestimmungen des gegenwärtigen Statuts bei eigener Ver­ antwortlichkeit gebunden ist, und die erstem über Eingehung von Verpflichtungen seitens des Vereins, Unterbringung und Aufnahme von Geldern und alle sonstige wesentliche Maßregeln einzuholen hat. Namentlich ist der Vorstand befugt, im Namen des Vereins: a) Verträge abzuschließen, b) Klagen anzustellen, sich auf solche einzulassen, die betreffenden Prozesse zu führen, Vergleiche abzuschließen, Rechtsmittel einzulegen und definitive Entscheidungen anzunehmen, Eide anzunehmen und zurückzuschieben und Bevollmächtigte sich unterzuordnen,

c) Geld und Geldeswert anzunehmen und darüber zu quittieren.

§ 6.

Ausschuß.

In den Ausschuß werden gewählt: 2 Arbeitgeber, 2 Arbeiter, 1 vom Vereine besoldeter Arzt, 1 rechtskundiges Mitglied.

Mitteilungen über gewerbliche und Arbeiter-Assoziationen.

9

Die Fälle, wo und wie das Gutachten des Arztes in Vereinsangelegen­ heilen entscheidet, bestimmt das gegenwärtige Statut, nur muß vom Vor­ stande mit demselben ein besonderer Kontrakt abgeschlossen werden, in welchem das Honorar, sowie die dagegen einzugehenden Verpflichtungen festgesetzt sind. Im Übrigen sind die Ausschußmitglieder bei allen der Entscheidung des Vorstandes unterworfenen Angelegenheiten mit beschließender Stimme zuzuziehen, bei Vertretung des Vereins nach außen und der eigentlichen Exekutive jedoch nicht beteiligt. § 12.

Rechte der Mitglieder auf Unterstützung.

Jedes Mitglied hat bei Erkrankung zu beanspruchen: a) unentgeltliche Behandlung durch den Vereinsarzt; b) unentgeltliche Verabreichung der von diesem verschriebenen Medikamente aus der Vereinsapotheke; c) endlich, mit alleiniger Ausnahme der Ehefrauen der Mitglieder, eine Unterstützung in barem Gelde aus der Vereinskasse, insofern es durch die Krankheit arbeitsunfähig geworden ist. Wenn der Ausgang der Krankheit eines Vereinsmitgliedes der Art ist, daß derselbe gänzlich oder teilweise auf längere, vielleicht auf Lebenszeit den Betroffenen an der Arbeit verhindern oder zu jeder Arbeit untauglich machen sollte (beispielsweise durch Verkrümmung der Gliedmaßen oder Verlust eines Sinneswerkzeuges), so macht sich die Gesellschaft nicht verbindlich, die angegebene Wochenunterstützung fortzuliefern, indem sie nur bis zum Ende der Kur einsteht. Doch kann in besondern Fällen und bei hinlänglichem Kassenbestande durch Gesellschaftsbeschluß ein besonderes Benefiz für einen solchen Invaliden der Arbeit bewilligt werden, ohne daß jedoch dem Vereine die mindeste Verpflichtung obliegt.

§ 13. Die Unterstützung beträgt, wenn die Krankheit des Mitgliedes in die ersten 5 Jahre seines Eintrittes in den Verein fällt, wöchentlich 20 Sgr.; nach Beginn des 6. bis zum vollendeten 10. Jahre der Mitgliedschaft wöchentlich 1 Tlr.; nach vollendetem 10. Jahre wöchentlich 1 Tlr. 10 Sgr.

Zunächst an die Vorsorge für die wegen Krankheit zeitweise zum Erwerb Unfähigen, schließt sich die für die alten, invaliden Arbeiter. Über den dringenden Notstand derselben, über die gebieterische Pflicht

der Gesellschaft zur Abhilfe nur ein Wort zu verlieren, wäre überflüssig. Dennoch müssen alle Bemühungen, aus Beiträgen der Arbeiter allein

einen hierzu nur einigermaßen ausreichenden Fonds zu bilden, eben an der Höhe dieser Beiträge scheitern, welche, bei dem jetzigen Stande der Löhne, für die Mehrzahl unerschwinglich ist. So lange daher nicht die Arbeitgeber hinzutreten — was im allgemeinen wohl schwerlich anders, als durch die Gesetzgebung bewirkt und geregelt werden kann — bleibt die Sache unausführbar. Deshalb haben sich solche Jnvalidenkassen

Schulze-Delitzsch.

10

bisher nur auf einzelne Etablissements, insbesondere Fabriken beschränkt,

wo die Arbeitgeber aus Humanität und eignem wohlverstandenem Interesse

aus ihren Mitteln beisteuerten. Indessen bleibt dies immer so lange ein Akt der Gnade, der in manchen Fällen nur dazu führt, die Abhängigkeit

der Arbeiter zu vermehren, bis das Recht derselben auf dergleichen Zu­ schüsse nicht irgendwie festgestellt ist.

Wollte es dem Verfasser aus diesen Gründen nicht gelingen, seinen Wohnort ein solches Institut hervorzurufen,

für

so trat dafür ein

anderes gleich notwendiges daselbst in das Leben, der Vorschußverein.

Die drückenden Zeitverhältnisse, welche den Mangel an Kredit und das

Verschwinden

des

baren Geldes

in

immer stärkerem Maße um sich

greifen lassen, treffen den Arbeiter, den unbemittelten Gewerbtreibenden am härtesten,

der auch früher schon Vorschüsse, die er zum Betriebe

brauchte, sehr schwer und meist nur gegen wucherische Zinsen erhalten konnte.

Wer es weiß, an wie kleine Summen oft Wohlstand und Existenz

ganzer Familien geknüpft sind, wie wenig in manchen Fällen dazu gehört, unt den redlichen Arbeiter empor zu halten, oder nicht selten für immer

in das Elend zu stoßen, der wird den Wert einer Einrichtung ermessen,

welche es diesen Leuten möglich macht, einen Vorschuß gegen mäßige Zinsen und diejenige Sicherheit zu erhalten, die sie zu bieten vermögen. Freilich wird dies in vielen Fällen nur eine moralische sein, die auf

ihre Rechtlichkeit, Geschicklichkeit, Fleiß gegründet ist, und in diesem Sinne ist die Sache bei kleineren Vorschüssen auch in dem betreffenden Statute aufgefaßt.

Bei größeren dagegen gebot das Interesse an Er­

haltung der Kasse die Vorsicht, Pfand oder Bürgen zu fordern, und ging man davon aus, daß für solide und rechtliche Arbeiter, im Fall ihnen die

Bestellung

von Pfändern

aus

ihren

Warenvorräten nicht

möglich sein sollte, sich immer unter ihren Genossen und selbst unter den ihnen bekannten wohlhabendern Vereinsgliedern einige zur Über­ nahme einer Bürgschaft bereit finden werden.

Daß durch die Bestimmungen des Statuts es auch Unbemittelten möglich gemacht ist, durch niedrige Monatsbeiträge sich bei dem Unter­ nehmen zu beteiligen, die ihnen, wenn sie selbst in den Fall kommen, einen Vorschuß zu beanspruchen, bei dessen Rückzahlung zugute gerechnet

werden, dürfte sich allgemein empfehlen. hierdurch

werden,

Nicht nur, daß für die Leute

die Vorteile eines Sparvereins an das Institut geknüpft gewinnt dieses selbst an seinen Kassenbeständen, wenn es die

eignen Beiträge der Kreditsuchenden zur Anfsammlung der erforderlichen

Summen benutzen kann. Eben durch diesen Zuwachs wurde es im Wohn-

Mitteilungen über gewerbliche und Arbeiter-Assoziationen.

11

orte des Verfassers möglich, obschon durch Zeichnungen von Geschenken und unverzinslichen Darlehnen vorerst nur die Summe von 160 Talern zusammengebracht war, die Wirksamkeit des Vereins zu eröffnen, wovon

mannigfache weitere Zusagen abhängig gemacht waren.

Aus dem Statut des Vorschußvereins zu Delitzsch. § 1. Zweck des Vereins.

Der Verein bezweckt, unbemittelten Einwohnern hiesiger Stadt und der Vorstädte nebst Gemeinde Grünstraße durch bare Vorschüsse zu Hilfe zu kommen, soweit dieselben dadurch im Nahrungsstande und Gewerbebetriebe erhalten werden können, ohne daß der Vorschuß den Charakter eines Alrnosens annimmt.

§ 2. Fonds. Der hierzu erforderliche Fonds wird durch a) freiwillige Geschenke, b) laufende Beiträge, c) zinsfreie Darlehne beschafft. Die laufenden Beiträge und Geschenke können niemals aus der Kasse des Vereins unter irgend einem Vorwande zurückgefordert werden. Wenn jedoch jemandem, der eine Zeitlang laufende Beiträge eingezahlt hat, ein Vor­ schuß aus der Kasse gewährt wird, weil die weiter unten festgesetzten Bedingungen dazu bei ihm vorhanden sind, so kann derselbe die Summe der eingezahlten Beiträge sich bei der Rückzahlung des Vorschusses zugute rechnen lassen und daran kürzen. Für die erhaltenen unverzinslichen Darlehne aber haftet die Vereinskasse, ohne Gewährung einer besondern Sicherheit, mit allen ihren Bar­ beständen und ausstehenden Forderungen, dergestalt jedoch, daß, wenn die darin befindlichen Fonds erschöpft werden und zur Befriedigung der Darleiher nicht ausreichen, weder die Mitglieder des Vereins, noch die verwaltenden Ausschüsse und Beamten gehalten sind, aus eignen Mitteln einen etwaigen Ausfall, den die Gläubiger erleiden, zu decken. § 3. Mitgliedschaft.

Um die Mitgliedschaft im Vereine zu beanspruchen, muß man zuvörderst auf eine der vorgenannten Arten zu dem Fonds des Vereins beitragen und zwar so, daß mindestens: a) das Geschenk 1 Tlr. ein für allemal beträgt, b) die Verpflichtung zu laufenden Beiträgen auf Höhe von 1 Sgr. all­ monatlich übernommen wird, c) das der Kasse gemachte unverzinsliche Darlehn die Summe von 5 Tlr. erreicht. Die Mitgliedschaft selbst kann bei Geschenken, auf 3 Jahre für jeden vollen Taler, bei laufenden Beiträgen für die Dauer ihrer Fortzahlung, bei Darlehnen aber auf so lange beansprucht werden, als dieselben der Kasse des Vereins vom Gläubiger belassen werden. Bei Geschenken und Darlehnen wird alsdann jeder durch die bloße in

12

Schulze-Delitzsch.

seinem Belieben liegende Unterschrift des Statuts stimmberechtigtes Mitglied, während diejenigen, welche monatliche Beiträge zeichnen, durch Beschluß des Ausschusses, gegen welchen die Berufung an die Generalversammlung offen steht, erst noch förmlich ausgenommen werden müssen, worauf sie aber erst dann anzutragen befugt sind, wenn sie 6 Monate hindurch ihre Beiträge richtig ab­ geführt haben.

§ 7. Erfordernisse auf Seiten der um Vorschuß Nachsuchenden. Um einen Vorschuß aus der Vereinskasse beanspruchen zu können, ist auf Seiten des Nachsuchenden erforderlich: a) daß er mindestens während dreier Jahre im hiesigen Orte nebst Vor­ städten und der Gemeinde Grünstraße gewohnt und ein selbständiges Gewerbe betrieben, oder einem solchen vorgestanden hat; b) daß er njcht durch entehrende Verbrechen oder Gewerbe in Hilfs­ bedürftigkeit versunken ist; c) daß er auf frühere Vorschüsse weder selbst im Rückstände geblieben, noch einen etwaigen Bürgen in Schaden gebracht hat; d) daß er, vernünftigem Ermessen nach, durch den Vorschuß wirklich im Nahrungsstande oder Gewerbebetriebe erhalten oder befördert werde, und daß er desselben zu diesem Zwecke bedürfe; e) daß er hinlängliche Sicherheit für Rückerstattung des Vorschusses darbietet.

§ 8. Sicherheit. Was die letztere anbetrifft, so hat der Ausschuß bei kleineren Vor­ schüssen bis inkl. 10 Tlr. darauf Rücksicht zu nehmen, ob die Persönlichkeit und die Verhältnisse des Gesuchstellers der Art sind, daß eine Rückerstattung mit Wahrscheinlichkeit zu verhoffen steht, und einzig hiernach zu entscheiden. Es ist dabei hauptsächlich auf Tätigkeit, Geschicklichkeit, Ordnungsliebe und Rechtlich­ keit zu sehen, und sollen jedesmal vom Ausschüsse zwei zuverlässige, mit den Verhältnissen bekannte Vertrauensmänner, wo möglich aus den Vereins­ mitgliedern, nach freiet Wahl zugezogen und gutachtlich über alles dieses gehört werden, von denen einer zu den Gewerbsgenossen, der andere zu den Nachbarn oder sonstigen nähern Bekannten des Gesuchstellers gehört. Bei höhern Vorschüssen muß der Nachsuchende Sicherheit durch Pfand oder Bürgen bestellen, deren Annehmlichkeit der Ausschuß lediglich zu beurteilen und darnach das Gesuch zu gewähren oder abzulehnen hat. Beschwerden über abgewiesene Vorschußgesuche gehören vor die nächste Generalversammlung.

Wir kommen nun

II. zu den speziellen gewerblichen Assoziationen, einem Felde, was verhältnismäßig noch weniger als das vorige, in kleinern Städten noch so gut wie gar nicht, bisher angebaut war. Wie schon oben angedeutet worden, würden sich diese hauptsächlich auf:

a) Beschaffung des Rohstoffes,

Mitteilungen über gewerbliche und Arbeiter-Assoziationen.

13

b) Herstellung solcher der Arbeit erleichternder Vorrichtungen, Werkzeuge oder selbst Maschinen, welche dem Einzelnen zu

teuer zu stehen kommen, c) Errichtungen von Magazinen fertiger Waren zum Verkauf,

beziehen. Soll der letztere Zweck mit Vorteil verfolgt werden, so setzt dies schon einen sehr regen Verkehr voraus, wie ihn vorzugsweise nur volk­ reiche Städte bieten, in denen dergleichen Magazine sowohl von einzelnen Gewerken, als auch, in Form der Gewerbehallen für sämtliche Gewerbtreibende bereits hier und da errichtet sind, oder doch erstrebt werden. In kleinen Orten ist dagegen in der Regel ein Bedürfnis dazu nicht vorhanden, weshalb im Wohnorte des Verfassers, außer einem Sarg­ magazine, welches die Assoziation der Tischler gegenwärtig zu er­ richten im Begriffe steht, nichts dieser Art bisher eingeleitet worden ist. Selbst die Herstellung gemeinschaftlicher Arbeitsvorrichtungen, so weit sie die frühern Innungen nicht schon darboten, blieb vorläufig aus­ gesetzt und alles für das Erste auf die Beschaffung des Rohstoffes im großen und ganzen beschränkt, da man es sich zum strengen Gesetz gemacht hatte: überall klein anzufangen, und die Unternehmungen anfänglich nur so weit auszudehnen, als es die vorhandenen Mittel mit voller Sicherheit erlaubten, und erst nach und nach aus dem Engen in

das Weite sich zu verbreiten. Und auf diesem Wege ist es denn in der Tat auch Emsern Asso­ ziationen gelungen, sich den Kredit zu sichern, worauf es, als die eigentliche Lebensfrage, hauptsächlich ankam. Denn hätte nian den gemeinschaftlichen Unternehmungen nur ein Betriebskapital, wie es die

Mitglieder aus ihren Mitteln bar zusammenzuschießen vermochten, zu Grunde legen können, so wäre dieses auch für das nächste Bedürfnis unzureichend gewesen. So aber, wo bei der Sicherheit und Übersichtlichkeit

des Planes, kein Mitglied Bedenken tragen konnte, sich für den auf­ zunehmenden Kredit zu verpflichten, und auch die Wohlhabenden sich nicht ausschlossen, war es leicht, gegen solidarische Schuldverschreibungen aller die erforderlichen Kapitalien zu erhalten. Dies hat sich denn durchaus bewährt, indem den hiesigen Assoziationen die Kapitalien, für welche stets 5 Prozent Zinsen gewährt werden, fvon Privatpersonen bereits von selbst offeriert werden, so daß in neuester Zeit kaum alle Anträge benutzt werden konnten.

Ganz besonders muß des Verhältnisses dieser speziellen gewerblichen

14

Schulze-Delitzsch.

Assoziationen zu den Innungen der Handwerker mit einigen Worten gedacht werden.

Es ist nämlich durchaus falsch, beide einander entgegen

zu setzen, da sich dieselben vielmehr gegenseitig fördern und ergänzen. Die Innung, insofern sie die Gliederung einer Gesamtheit von Ge-

werbtreibenden unter sich regelt und sie nach außen hin als ein Ganzes

darstellt, ist eben eine äußere Form, welche ohne bestimmte Tendenzen,

die mittelst der erzielten Organisation verfolgt werden, leer und inhalts­ los ist.

Daß manches von der früheren Form zeitgemäß umgeleitet,

die Tendenzen den jetzigen Gewerbsverhältnissen angepaßt werden müssen, haben die Handwerker selbst vielfältig anerkannt.

Denn daß man durch

die bloße Wiedereinführung solcher Einrichtungen, bei denen sich die Vor­ fahren der Handwerker vor einem halben Jahrhundert wohl befanden,

nicht zugleich die damaligen Zeitverhültnisfe wieder mit hervorzurufen vermag,

sagt

sich

ein

jeder.

Der einzig zeitgemäße Inhalt für die

Innungen, ist aber eben die Vergesellschaftung der Mitglieder im Ge­ werbebetriebe, wie sie die Assoziationen bieten.

Innungen vorfinden,

und suche

Körperschaften,

Wo sich daher noch

benutze man doch ja diese bereits organisierten

sie für die Assoziationen

zu gewinnen;

mindestens, wo dies nicht gleich vollständig durchzusetzen ist, lehne man

die Assoziationen an dieselben an.

Schon die Erwägung muß dahin

leiten, daß die Assoziationen, sobald sie Jnnungssache sind, der Korpo­

rationsrechte

mit

teilhaft

werden.

Die

Innungen dagegen werden

ihrerseits durch Aufnahme eines solchen neuen, jugendlichen Elements in ihren altehrwürdigen Schoß, die frische Lebenskraft wieder gewinnen,

und indem sie dahin gelangen, wohin sie schon ihr Name verweist, zu

inniger Gemeinschaft im Leben und Erwerb, erst so ihren wahren Beruf erfüllen.

Und gewähren sie dann ihren Mitgliedern jene wesent­

lichen Vorteile, dann wird das Interesse die Einzelnen weit wirksamer als irgend ein Zwangsgesetz ganz von selbst zum Beitritte treiben.

Den Anfang mit diesen gewerblichen Assoziationen machten in

Delitzsch gegen das Ende des vorigen Jahres die Tischler, denen bald die Schuhmacher folgten.

In der Tat gehören auch diese Gewerke

zu denen, bei welchen die Einleitung der Sache eben so leicht, als das

Resultat sicher und gewinnbringend ist, die Hilfe aber am meisten Not

tut.

Denn gerade bei ihnen findet man regelmäßig in kleinen Orten

eine Menge Unbemittelter, welche nicht imstande sind, sich ihr Material in größern Quantitäten anzuschaffen, und daher den Zwischenhändlern,

zum Teil ihren eignen wohlhabenderen Gewerksgenossen, in die Hände fallen, von denen sie ihr Bedürfnis zu den einzelnen Bestellungen mit

Mitteilungen über gewerbliche und Arbeiter-Assoziationen.

15

einem Aufschläge von 50 — 60 zuweilen 80—100 Prozent entnehmen, so daß dieser Mehraufwand

für das Material, da sie der Konkurrenz

halber die Preise nicht gleichmäßig steigern dürfen, nicht selten den besten

Teil des Arbeitslohnes verschlingt. Wir geben hierzu als Beispiel das Nähere über die Assoziation der Schuhmacher zu Delitzsch, weil hier bereits Resultate aus den

Rechnungsabschlüssen

vorliegen.

Da nämlich die Leipziger Messen

von den Schuhmachern hiesiger Gegend vorzugsweise zum Ledereinkaufe benutzt werden, so bildet deren Eintritt die natürlichen Rcchnungsperioden. Obschon daher die Assoziation erst Ende Dezember vorigen Jahres in

das Leben trat, mußte doch vor Beginn der Ostermesse der Kassen- und Rechnungsabschluß

erfolgen,

der

uns

hierbei

den

sichersten

Anhalt

gewährt.

Die Assoziation zählte 57 Mitglieder, denen

einige hinzugetreten find.

gegenwärtig noch

Als Einlage wurden von jedem Mitglieds nur

zwei Taler in die Kasse geschossen, und der ganze übrige Fonds durch Darlehne gegen solidarische Verhaftung sämtlicher Mitglieder beschafft.

Zum

ersten Einkäufe in der letztvergangenen Neujahrs messe wurden

einschließlich der erwähnten Einlagen zusammen 960 Taler aufgebracht, welche Summe den Betriebsfonds der Assoziationen für die

erwähnte Rechnungsperiode bildet.

räte den

Da jedoch die dafür eingekauften Vor­

Bedarf nicht deckten, mußte aus den Leipziger Handlungen

später nachgekauft werden, wodurch man zwar einen Teil des Betriebs­

kapitals — zirka 300 Taler — doppelt umsetzte, dafür aber auch der Vorteile der direkten Meßbeziehungen verlustig ging.

Kapitalzinsen,

Zur Deckung der

der Verwaltungskosten und Bildung eines Reservefonds

wurden die Assoziationsvorräte, mit einem Aufschläge von 8 Prozent

über den

Einkaufspreis an

die

gegen bare Zahlung, verkauft.

Mitglieder im einzelnen, jedoch nur Der Vorteil, welcher denselben da­

durch erwuchs, daß sie auch die kleinsten Quantitäten zu dem Ankaufs­ preise im großen und ganzen, der durch die geringen Prozente kaum

alteriert wurde, erhalten konnten, war trotz der erwähnten ungünstigen

Verhältnisse beim ersten Einkäufe noch immer so bedeutend, daß z. B. ein

einziges Paar Stiefelsohlen ihnen um 1% bis 2 Silbergr. geringer zu stehen kam als beim Ankauf einzelner Häute, oder gar nur von

Teilen derselben.

Von dem Aufschläge der 8 Prozent erhielten der Kassierer 11l2t der

Schulze-Delitzsch.

16

Kontrolleur % Prozent für ihre Mühwaltung, wofür der erstere zugleich das Lokal zum Verkauf und zur Aufbewahrung der Lagerbestände in

Da indessen sich diese Remuneration im

seinem Hause hergeben mußte.

Verhältnis zu der bedeutenden Arbeit dieser Beamten als unzureichend herausstellte, sind von jetzt ab dem Kassierer 2 Prozent, dem Kontrolleur

1 Prozent bewilligt.

volle 5 Prozent.

Demnach verbleiben der Assoziationskasse jedesmal

Da nun das Betriebskapital im Laufe eines Jahres

mindestens 3 Mal umgesetzt wird, macht dies

15 Prozent alljährlich,

wovon nur 5 Prozent Zinsen der aufgenommenen Darlehne und einige wenige in die erwähnte Verwilligung der 3 Prozent noch nicht ein­ geschlossene Verwaltungskosten abgehn, so daß der jährliche Reingewinn

der Assoziationskasse mindestens 8 Prozent des Betriebskapitals erreicht. Dies Resultat ist um deshalb ein so gewisses, weil der Absatz der Lager­

bestände vollkommen gesichert ist, ein Kredit dabei aber nicht gegeben, vielmehr alles bar bezahlt wird.

So ergibt denn die erste Rechnungs­

periode, trotz der mehrerwähnten nicht günstigen Umstände beim Be­ ginne des Geschäfts, trotzdem, daß beim Einkäufe noch manche Erfahrungen

gemacht werden mußten, auf ein bloßes Vierteljahr bei 960 Tlr. Betriebskapital einen Überschuß von 68 Tlr., von welchem 13 Taler zur bleibenden Einrichtung des Lokals, Ankauf nötiger Verkaufsutensilien,

Anlegung der Bücher verwendet, 55 Tlr. aber zum Reservefonds ge­

Dieser günstige Erfolg hatte natürlich die Vermehrung des

flossen sind.

Kredits zur Folge, und setzte die Assoziation durch Anerbieten von

Kapitalien

in

den

Stand,

in

2300 Talern bar anzulegen zu

letzter Oster messe können, wodurch

die Summe von

bei weitem vorteil­

haftere Preise, als beim ersten Einkäufe erzielt wurden.

Werden daher

die Assoziationsgeschäfte mit derselben Umsicht wie bisher fortgeführt, so kann es nicht fehlen, daß am Ende des Jahres, bei dem vermehrten

Absätze und

Betriebskapitale ein

Reingewinn von 200—300 Talern

erreicht wird.

Aus dem Statut der Assoziation der Schuhmacher zu Delitzsch. § 1. Zweck der Assoziation.

Die unterzeichneten Meister der Schuhmacherinnung zu Delitzsch vereinigen sich zu einer Assoziation, welche die Beschaffung der zum Betriebe ihrer Profession erforderlichen Gegenstände und Materialien für gemeinschaftliche Rechnung be­ zweckt, um dadurch den einzelnen Mitgliedern, so viel als möglich, die Vorteile des Ankaufs in großen Posten zu gewähren und ihnen die Konkurrenz zu erleichtern.

Mitteilungen über gewerbliche und Arbeiter-Assoziationen.

17

§ 5. Fonds der Assoziation.

Der Fonds der Assoziation wird vorläufig gebildet: a) durch unter solidarischer Verbindlichkeit der Mitglieder aufzunehmende Darlehne, deren Summe und Bedingungen besondere Gesellschafts­ beschlüsse bestimmen; b) durch die Eintrittsgelder der Mitglieder und c) durch die aus dem Erlös der anzuschaffenden Vorräte eingegangenen Gelder und gewonnenen Prozente.

Dies wäre denn das wesentliche, was sich über die im Wohnorte

des Verfassers bisher gegründeten Assoziationen mitteilen ließ, deren

ganzes Verdienst eben nur darin besteht, daß sie auf einem im ganzen noch wenig bebauten Felde mit haben Bahn brechen helfen.

Möchte es

mindestens den Beweis liefern, mit welchen geringen Mitteln, bei einiger

Umsicht und Beharrlichkeit, sich schon etwas leisten läßt.

Deshalb aber,

weil die geschilderten Resultate im Verhältnis zu der Größe der Aufgabe,

die es zu lösen gilt, gar ungenügend erscheinen, verschmähe man doch ja solche bescheidene Anfänge nicht, die jeder weitern Entwickelung un­

erläßlich vorangehn müssen.

Erst wenn man auf solchem Wege eine Zeit

lang von allen Seiten redlich von unten auf vorgearbeitet, und das

Volk an die Gemeinschaft in den nächsten Erwerbskreisen gewöhnt, ihm hier die segensreichen Erfolge dieses Prinzips mehr und mehr vor Augen geführt hat, wird der Boden für großartigere und umfassendere Schöpfungen

geeignet, wie sie erforderlich sind, wenn eine wirkliche, nachhaltige Abhilfe

erreicht werden soll.

Hat man nur erst den Beweis geliefert, daß die

materiellen Interessen, welche bisher die einzelnen feindlich von einander

isolierten, gerade im Zusammenschlüsse aller am besten gefördert werden,

so hat man gewonnen.

Der Geist der Verbrüderung, die Gewohnheit

der Selbstregierung, das Bewußtsein der ungeheuren Macht dieser Prinzipien

werden sich dann allmählich, aber unwiderstehlich im Volke entwickeln und Schöpfungen hervorrufen, wie wir sie jetzt kaum ahnen. Ist aber die soziale Frage die größte und dringendste Aufgabe der Zeit, so liegt es im gleichen Interesse aller politischen Parteien,

sich dabei zu beteiligen.

Hier ist das würdigste Feld für sie zum Kampfe,

hier mögen sie beweisen, daß und wie sie zu organisieren verstehn, hier mag jede die andere im edelsten Wetteifer zu überbieten suchen.

Zugleich

aber ist gerade hier, wo sich alle auf rein menschlichem Gebiete begegnen,

am ersten eine allmähliche Ausgleichung, eine dauernde Versöhnung möglich. Den Besitzenden insbesondere und allen, welche in dem Drange der Zeit

das Gespenst erblicken, welches das Bestehen der Gesellschaft

Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden. I.

2

18

Schulze-Delitzsch.

überhaupt, alle Kultur und Zivilisation gefährdet, kann man es nicht

eindringlich genug zurufen: daß sie dasselbe niemals auf die Dauer durch rohe Gewalt zu bannen vermögen.

Nur wenn sie aus allen Kräften

und mit allen ihren Mitteln dazu mitwirken, daß ein Ausweg aus dem

Labyrinth angebahnet werde, kann die Katastrophe, welche sie so sehr erschreckt, vielleicht vermieden werden. Die Gesellschaft, dieZivilisation — das möge

doch jeder

beherzigen! — sind nur so lange gefährdet,

als die Mehrzahl der Menschen von ihren Segnungen ausgeschlossen

wird.

Dagegen überwinden sie alle ihre Gegner, sobald sie sich den­

selben mitteilen.

Affoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter. Leipzig.

Verlag von Ernst Keil 1853.

(Abdruck des Originals mit Ausnahme der beigefügten Statuten, Formulare und der „Rechnung über die Kassen- und Lagerverwaltung der SchuhmacherAssoziation zu Delitzsch vom 6. Juli bis 1. Dezember 1852“.)

Vorwort. Seit der Veröffentlichung der „Mitteilungen über gewerbliche und ArbeiterAssoziationen (Leipzig. E. Keil. 1850.)“ durch den Verfasser, welche die ersten, rohen Anfänge der in Delitzsch von ihm, unter Mitwirkung gleichgesinnter Freunde, in das Leben gerufenen Affoziationen behandelten, sind beinahe 3 Jahre verflossen, innerhalb deren ein entschiedener Fortschritt, sowohl hinsichtlich der weitern Verbreitung als der innern Ausbildung dieser Vereine stattgefunden hat. Nicht auf die Nachbarstädte allein haben sich dieselben erstreckt, auch in der Ferne hat das Schristchen anregend gewirkt und eine Anzahl zum Teil be­ deutender Verbände, selbst in größern Städten, hervorgerufen. Unter diesen Umständen, und da die Aufmerksamkeit des Publikums sich allen solchen Ver­ suchen immer mehr zuwendet, hielt es der Verfasser für seine Pflicht, der von ihm ausgegangenen Anregung auch durch Mitteilung der seitdem gemachten Erfahrungen und getroffenen Verbesserungen Folge zu geben, um die neu ent­ stehenden Vereine soviel als möglich vor manchen Mängeln und Fehlgriffen zu bewahren, die man hier bereits erkannt und beseitigt hat. Der Hauptzweck der gegenwärtigen Schrift ist demnach noch unverändert, wie bei den frühern Mitteilungen: zum praktischen Angriff der Sache an­ zuregen, und das für die erste Organisation Dienliche beizubringen. Aber auch den in den drei ersten Kapiteln vorausgeschickten allgemeinen Teil möchte der Verfasser nur aus diesem Gesichtspunkte aufgefaßt wissen. Nicht auf eine wissenschaftliche Behandlung oder ein ebenso anmaßliches als voreiliges Urteil in dieser wichtigen und schwierigen Frage kann es hier abgesehen sein, was ohnehin der geringe Umfang des Merkchens verbietet, sondern lediglich auf Förderung des bezeichneten praktischen Zwecks. Wenn einerseits schon in den mitgeteilten Resultaten der einzelnen Affoziationen die hauptsächlichste Er­ mutigung zu gleichen Schöpfungen liegt, ist es doch andrerseits auch wichtig, daß die Beteiligten sich gewöhnen, dergleichen Unternehmungen nicht als etwas Vereinzeltes, Willkürliches, sondern als Glieder eines Ganzen, als notwendige Momente der allgemeinen sozialen Entwickelung, der großen Bewegung, welche gegenwärtig die zivilisierte Welt ergriffen hat, aufzufaffen. So wird namentlich der Hinblick auf England und Frankreich sicher nicht verfehlen, zur Nach­

LV

Schulze-Delitzsch.

20

eiferung anzuspornen, und besonders für diejenigen, denen die vom Verfasser dargelegten Ergebnisse eines engbegrenzten kleinstädtischen Verkehrs kaum der Beachtung wert erscheinen, den Nachweis liefern, welchen großartigen Auf­ schwungs die Sache überhaupt fähig ist. Freilich hätte der Verfasser gewünscht, über die englischen und fran­ zösischen Assoziationen ebenso aus eigner Erfahrung berichten zu können, wie über die deutschen. Indessen war ihm dies nicht vergönnt, weshalb er sich hiermit der Verpflichtung entäußert, die von ihm benutzten Quellen anzugeben. Dieselben beschränken sich für England, da die verhießenen Mitteilungen dortiger Freunde ausblieben, auf das Schriftchen von Huber, „über die koopera­ tiven Arbeiterassoziationen in England." (Berlin. Bessersche Buchhandlung 1852.), eine Reihe Aufsätze des Londoner Korrespondenten der Magdeburger Zeitung im letzten Quartal 1850 und den in der „Deutschen Gewerbezeitung" pr. 1852, Heft 8, mitgeteilten Auszug aus Chambers „Papers for the people.“ Den beiden erstem wären freilich mehr in das einzelne gehende Nachrichten zu wünschen, indessen ergänzen sie einander mindestens insofern, als ihre Verfasser, mit den englischen Zuständen beiderseits durch längern Aufenthalt vertraut, von entgegengesetzten Standpunkten ausgehen, indem in der erstem Schrift dem christlichen Sozialismus, in den Korrespondenzartikeln mehr einer radikaleren Anschauung gehuldigt wird. Für Frankreich dagegen ist der aus der Schrift von A. Cochut: Les associations ouvriöres (Paris 1851.) in der Tübinger Zeit­ schrift für Staatswissenschaften (Bd. VII, Jahrg. 1851, S. 728 ff.) gegebene, höchst schätzenswerte Auszug benutzt, der hinsichtlich der Genauigkeit in den Details nichts zu wünschen übrig läßt. Doch macht der Verfasser dabei über­ haupt nochmals geltend, daß es hier nicht um eine gründliche Abhandlung über das Assoziationswesen jener Länder zu tun war, zu welcher die angeführten Quellen und Studien gewiß höchst unzureichend gewesen wären, sondern bloß um einschlagende Notizen, für die Zwecke gegenwärtiger, der Förderung der Sache in Deutschland gewidmeten Schrift, wofür das Beigebrachte eher ge­ nügend erschien.

Über die spätern,

die einzelnen Assoziationen nach ihren verschiedenen

Zwecken und Arten im besonderen behandelnden Kapitel, welche sonach den Hauptteil dieser Schrift bilden, ist nur in bezug auf die Krankenhilfs­ vereine zu bemerken: daß erst neuerlich durch die Sorge des um Gründung der Delitzscher Krankenkasse und Förderung der übrigen Assoziationen da­ selbst besonders verdienten Dr. med. Fiebiger, Tabellen über die Erkrankungen in den einzelnen Altersstufen angelegt sind, deren Resultate späteren Mit­ teilungen vorbehalten bleibt.

Möge nun der Teil des Publikums, für welchen die Schrift hauptsächlich bestimmt ist, unsere Handwerker und Arbeiter, dieselbe ebenso freundlich auf­ nehmen, wie die früheren „Mitteilungen" des Verfassers, möge davon eine gleiche Anregung zu praktischen Gestaltungen auch in weitern Kreisen ausgehn! Vor allem aber: möchten doch bald die Erfahrungen über Gedeihen und Miß­ lingen, Mängel und Vorzüge solcher Unternehmungen von allen Seiten zur vollsten Öffentlichkeit gelangen, damit endlich der Anfang zur Beibringung des unerläßlichen statistischen Materials gemacht werde, ohne welches ein gültiges

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

21

Endurteil in der Sache nicht gesprochen werden kann. Das tätige Schaffen trägt das Korrektiv für alles Verfehlte in der eignen Praxis, und die Erfahrung wird feiner Zeit auch über die Versuche, denen der Verfasser diese Zeilen widmet, eine unerbittliche, aber gerechte Kritik liefern. Sie allein, und nicht die Schul­ weisheit irgend einer Partei erkennt derselbe an, und findet schon darin sein Genügen, wenn auf dem bezeichneten Wege mindestens ein Material zusammen­ gebracht wird, aus welchem dereinst manches dem großen Baue der Zukunft eingefügt werden mag.

Delitzsch, im März 1853.

Inhalt. Erstes Kapitel: Die soziale Bewegung und die Assoziationen. Zweites Kapitel: Das Assoziationswesen in England und Frankreich. Drittes Kapitel: Deutsche Assoziationen. Insbesondere die vorn Verfasser angeregten. Zuruf an die deutschen Handwerker. Viertes Kapitel: Krankenunterstützungsvereine. Fünftes Kapitel: Assoziationen für nötige Lebensbedürfnisse. Sechstes Kapitel: Vorschußvereine. Sieb entes Kapitel: Assoziationen spezieller Gewerke.

Erstes Kapitel.

Die soziale Bewegung und die Assoziationen. Mitten in den politischen Schwankungen der Gegenwart tritt die

soziale Bewegung mit jedem Tage entschiedener aus.

Die vielfachen

verfehlten Versuche auf diesem Felde, anstatt dieselbe zu schwächen, haben vielmehr dazu gedient, sie zu läutern, von leeren Träumereien, unaus­

führbaren Projekten abzuziehen und auf andere, mehr praktische Wege hinzuleiten, in welche allmählich der Strom der arbeitenden Bevölkerung einzulenken beginnt, um, wenn auch langsamer, so doch sicherer zum Ziele

zu gelangen. Es sind die Assoziationen. Die Systeme hatten sich erschöpft. Vergeblich hatten St. Simon, Fourier und Owen durch ihre Ideen eine dauernde, allgemeine Organi­ sation angestrebt.

Vergeblich arbeitete noch zuletzt die von der franzö-

22

Schulze-Delitzsch.

fischen Nationalversammlung eingesetzte Kommission des Luxembourg

in Paris zu gleicher Zeit mit den National Werkstätten an dem sozialen

Staate.

Die Ratlosigkeit stieg mit

der Not,

die Theorie war am

Ende, das Bedürfnis drängte zur Praxis, und die Arbeiter nahmen

den Gelehrten, den Staatsmännern

die Sache aus den Händen und

schritten zu jenen engern und weitern Verbänden, welche in neuester Zeit im sozialen Verkehr immer mehr Anerkennung finden. Hiermit sind die ersten Keime einer gesunden, lebenskräftigen Ent­

wickelung gelegt.

Das Anschaucn nach dem sozialen Heiland nützt zu

nichts, die Gesellschaft muß sich selbst dieser Heiland werden, und das alte: Hilf dir selbst, so hilft dir Gott! ist nirgends mehr als hier am Die Frage, um die es sich handelt, wird

Platze.

niemals

von speku­

lierenden Köpfen auf dem Studierzimmer gelöst werden. Mit neuen Formen ist da nichts getan, wo es zuvörderst gilt, einen neuen Geist zu erwecken,

und die Gesellschaft, als ein lebendiger Organismus, läßt sich keine neuen Zustände mit einem Male anoktroyieren, vielmehr muß sie nach und nach Nur die gemeinsame Arbeit, das selbst­

in dieselben hineinwachsen.

tätige Erfassen ganzer Generationen vermag daher die soziale Wieder­

geburt, welche die wichtigsten Lebensbeziehungen, die innerste Gesinnung der Menschen berührt, zu vermitteln, und die politische Gewalt so

wenig als ein System reichen da aus, wo die ganze sittliche Macht der Gesellschaft eingreifen muß, den Übergang zum Besseren anzu­ bahnen.

Fragen wir zuvörderst nach dem Prinzip der Assoziationen, so haben dieselben im wesentlichen die Grundforderung: der Garantie einer lohnenden

Tätigkeit für alle,

mit

dem Sozialismus gemein.

Auch fußen beide ferner, um sich diese Garantie zu verschaffen, auf dem

Grundsätze der Solidarität.

In der Art und Weise aber, die letztere

herzustellen, schlägt man auf beiden Seiten völlig entgegengesetzte Wege

ein.

Während der Sozialismus jene Garantie

der Gesellschaft in

ihrer Totalität, zumeist der Staatsgesellschaft, aufbürdet und zu diesem

Behufe deren sofortige Reorganisation auf ganz neuen Grundlagen ver­

langt: ziehen es die Assoziationen vor, nicht erst auf das Eintreffen so problematischer Voraussetzungen zu warten, sondern sogleich bei den

der Entwickelung fähigen Elementen des Bestehenden anzuknüpfen.

An­

statt also an eine in der erforderlichen Gestalt noch gar nicht existierende

Gesamtheit, Einzelnen

wenden

und ordnen

sie

sich

an

die

bei

der

dieselben in bestimmte,

Interesse unterschiedene Gruppen.

Frage

beteiligten

nach Tätigkeit und

Die zu jedem dieser Verbände ge-

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

23

hörigen Mitglieder unternehmen es sodann, durch das Einstehn Eines

sür Alle, und Aller für Einen, einander jene, für ihre Existenz so not­

wendige Sicherheit innerhalb ihres geschlossenen Kreises gegenseitig zu gewähren.

Und um was eine solche Garantie spezieller Genossenschaften

der allgemeinen des Staates iit extensiver Hinsicht auch nachstehen möchte,

das wird durch ihre größere Intensität, den engeren Anschluß der Mit­

glieder, die Konzentrierung ihrer Gemeinschaft auf bestimmte, für alle gleiche Zwecke, reichlich ausgewogen. Ferner macht es der eingeschlagene Weg den Assoziationen, trotz

des engen Verbandes unter ihren Mitgliedern möglich, die zarte Grenz­ linie der freien, individuellen Bewegung zu wahren, und hieraus legen wir besonderes Gewicht.

Das

gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen

dreht sich um

zwei Angelpunkte, welche, in der Menschennatur selbst begründet, einander polarisch entgegenstehn und notwendig bedingen:

die Individualität

— das Einzelleben — mit ihrer Abgeschlossenheit, mit dem Drange

nach Selbständigkeit, nach freiem Gebühren des Willens und der Kräfte:

und die Gemeinschaft — das Gattnngsleben — mit der Forderung der Unterordnung,

der Hingebung an die Gesamtheit.

Nun drängt

sich aber allen Unbefangenen die Wahrnehmung auf, daß die gelockerten Bande der alten Gesellschaft beide Elemente kaum noch äußerlich zu­

sammenhalten, daß vielmehr das eine davon, der Individualismus,

immer überwiegender auftritt.

Zu schrankenlosem Egoismus ausartend,

losgelöst von allem geistigen Lebenszusammenhange,

von dem Gefühle

gemeinsamer Menschheit, läßt er uns das Schreckbild des völligen sozialen

Schiffbruchs in nicht ferner Zukunft sehen, wo im Kampfe um das nackte Leben der Bruder den Bruder von der rettenden Planke stößt, nur um

sich selbst davon zu bringen.

Nach alledem beruht nur in der Ausgleichung, der wechselseitigen Durchdringung der beiden

bezeichneten Gegensätze

die Gesundheit der

sozialen Existenz, und nur diejenige Organisation kann als eine normale

gelten, in welcher die freie Selbstbestimmung des Individuums durch die Gesamtheit nicht aufgehoben

wird,

vielmehr der Gesamtwille lediglich

das Ergebnis der verschiedenen Einzelwillen ist, wie die Resultierende

beim Parallelogramm der Kräfte in der Physik.

In dieser Hinsicht

sind also die von den Sozialisten vorgeschlagenen Mittel zur Hebung des Übels insoweit zu verwerfen, als sie, anstatt die Ausschreitungen

des in der Gesellschaft gegenwärtig überwiegenden Elements, des In­ dividualismus, auf das gerechte Maß zurückzuführen, auf die völlige

Schulze-Delitzsch.

24 Ertötung desselben

hinauslaufen, und somit den entgegengesetzten Pol

einseitig zur Geltung zu bringen suchen.

Man hat hierbei nicht bedacht,

daß man in der Individualität der Grundform aller Wesenheit zu nahe tritt und so die Natur selbst gegen sich herausfordert, was den

derartigen Versuchen von Haus aus die Möglichkeit des Gelingens ab­

schneidet.

Diesen Fehler vermeiden

die Assoziationen durchaus.

Da

ist nicht von Eingriffen in das Familienleben, von Beschränkung in der

Wahl des Berufs, nicht von einem Zwang zum Eintritt, von Gründung

und Oberleitung der Etablissements durch den Staat die Rede; da erstickt

nicht die freie Regung mannigfacher individueller Kräfte und Beziehungen in kasernenmäßiger Disziplin; da wird nicht der geschickte und ungeschickte, der fleißige und unfleißige Arbeiter durch gleichen Tagelohn für alle in

eine Klasse geworfen, und somit ein Hauptsporn zur Tüchtigkeit und

Tätigkeit gelähmt.

Ganz

nach eignem Ermessen treten die Einzelnen

in die Verbände ein, welche nur der freien Entschließung der Mitglieder

ihre

Entstehung verdanken.

Durch gemeinsame Beschlüsse werden die

Unternehmungen bestimmt, das Verhältnis der Mitglieder geregelt, und nur solche an die Spitze gestellt, welche das allgemeine Vertrauen für die Tüchtigsten hält.

So vermag jeder Einzelne in der

Gesamtheit

bei gleichem Recht, leicht zu seiner vollen Geltung zu gelangen, und fände jemand bei dem Gange der gemeinschaftlichen Angelegenheiten im ganzen oder einzelnen seine Rechnung so wenig, daß er es nicht über sich ge­ winnen könnte, sich der Mehrheit unterzuordnen, so steht seinem Austritt

wie dem Anschluß an andere Vereine, die ihm besser zusagen, nicht das Mindeste entgegen.

Insbesondere wird auch bei der enggeschlossensten

Art der Assoziationen, denen zum Gewerbebetrieb

für gemein­

schaftliche Rechnung, durch das der Regel nach eingeführte Stücklohn die Arbeit nach Qualität und Quantität vergütet, und so auf der einen

Seite der Tätigkeit und dem Fleiße die gebührende Rechnung getragen, während andererseits

doch

auch

wieder durch angemessene Verteilung

der Arbeiten dem Schwächern und

weniger Geschickten

Beschäftigung,

sowie ein verhältnismäßiger Anteil am Gewinn gesichert wird. Für die Richtigkeit des von den Assoziationen eingehaltenen Ver­

fahrens sprechen am deutlichsten die bisher erzielten Resultate, welche,

trotz der Unzulänglichkeiten der ersten Anfänge, schon jetzt verhältnis­

mäßig bedeutend erscheinen.

Insbesondere kommt hier ihre Rückwirkung

auf die Konkurrenz, diese so verschrieene Quelle des sozialen Elends, in Betracht, welche wir, der Wichtigkeit des Gegenstandes halber, einen Augenblick näher in das Auge fassen wollen.

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

25

Es ist bekannt, wie die Sozialisten, zuletzt noch Louis Blanc in der erwähnten Kommission des Luxembourg, mittelst Erwerbung sämtlicher industrieller Etablissements durch den Staat, die Konkurrenz gänzlich beseitigen und aufheben wollten. Ob dies überhaupt möglich ist, mag hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls liegt eine so tief einschneidende Maßregel außerhalb der Macht, wie des Zweckes der Assoziationen, welche vielmehr einer ebenso natürlichen als unentbehrlichen Triebfeder ihre volle Geltung lassen, und den Übelständen, die man ihr gemeiniglich

zur Last legt, in ganz anderer Weise entgegentreten, indem sie davon ausgehn: daß dieselben nicht sowohl von der Konkurrenz, als vielmehr von deren Gegenteil, nämlich davon herrühren, daß der unbemittelte Arbeiter mit dem Kapitalisten eben nicht zu konkurrieren vermag; daß es also darauf ankommt, ihm die wirkliche Konkurrenz mit jenem erst zu ermöglichen. Die wahre Konkurrenz, der Weitkampf aus dem Felde der In­ dustrie, setzt so gut, wie der auf der Rennbahn oder der jeder andern Geschicklichkeit und Kraft, gleiche Bedingungen, eine gleich zngemessene Bahn für die Kämpfer voraus, sonst verdient sie diesen Namen nicht. Nun weiß aber jedermann, daß auch das kleinste industrielle Unter­ nehmen ohne ein gewisses Kapital mit Aussicht auf irgend einigen Erfolg so gut wie unmöglich ist. Der Mangel daran verdammt die bei weitem größere Zahl der Arbeiter zu ewiger Unselbständigkeit und läßt ihre Tätigkeit von fremder Spekulation ausbeuten, während solche, die mit unzureichenden Mitteln eigene Unternehmungen wagen, sehr bald von ihren reicheren Gewerbsgenossen erdrückt werden; nicht durch die Kon­ kurrenz, sondern weil sie nicht konkurrieren können, weil ihnen bei dem Wettkampfe von Haus aus die Voraussetzungen fehlen, die bei jenen zutreffen, und ohne welche das Gelingen unmöglich ist. So gewährt — um in das Einzelne einzugehn — sowohl bei Beschaffung der not­

wendigen Subsistenzmittel, als des Rohmaterials zur Arbeit, nur der Ankauf im ganzen und großen diejenigen Vorteile, welche bei den gegenwärtigen Preisen und Löhnen eine erträgliche Existenz des Arbeiters

möglich machen. Ebenso sind manche Arbeitsvorrichtungen zur Ersparung von Zeit und Kosten ohne ein Betriebskapital von gewisser Höhe nicht

herzustellen. Nun ist hier zwar nicht der Ort, die Grundsätze, nach welchen sich Kapitalgewinn und Arbeitslohn regulieren, zu entwickeln; soviel wird sich indessen schon aus dem Vorigen ergeben, daß das Kapital der Produktion bestimmte Grenzen zieht, daß es dieselbe also in gewisser

Schulze-Delitzsch.

26 Beziehung beherrscht.

Zwar bleibt im Grunde die Arbeit das schöpferische

Element, welches alle Werte im Haushalt der Gesellschaft hervorbringt,

während das Kapital, selbst nur das Ergebnis früherer Arbeit, ohne Verbindung mit derselben zum bloßen Konsumtionsmittel herabsinkt und völlig tot ist und sich verzehrt, wird es nicht wieder bei einem produk­

tiven Unternehmen mehr zugunsten

Allein das hindert nicht, daß sich das

angelegt.

Verhältnis zwischen beiden des

in unsern dichtbevölkerten Staaten immer

letztern

wendet.

Damit

geht

naturgemäß

die

Tendenz der Anhäufung des Kapitals in einem beschränkten Kreise, welcher alsdann die einschlagenden

Unternehmungen mehr und mehr in seine

Gewalt bekommt, Hand in Hand, so daß man nach dein bekannten Spruch:

„Wer da hat, dem wird gegeben" fast eine gewisse inetallische Anziehungs­ kraft anzunehmen versucht ist.

Immer seltener gelingt es dem mittellosen

Arbeiter, sich diesem exklusiven Kreise einzubürgern, da derselbe mit aller Eifersucht einer bevorzugten Klasse jeden von den Vorteilen des faktisch ausgeübten Monopols auszuschließen bemüht ist. daher

die

Gesamtheit

der

Kapitalisten

den

Fast immer sehen wir

Arbeitern

gegenüber

im

gemeinsamen, wohlverstandenen Interesse operieren: ein Bündnis, welches,

wenn auch nicht offen erklärt, mit tausend geheimen Fäden den ganzen

Verkehr umsponnen, ja sogar die bürgerliche Gesetzgebung sich dienstbar

gemacht hat. Bei diesem Stande der Sache wird es niemanden Wunder nehmen, daß von den sozialen Systemen, welche die letzte Zeit uns gebracht hat,

dem Kapitale so häufig der Krieg angekündigt ist.

Nur hat man dabei

übersehn, daß es sich hier nicht um etwas willkürliches handelt, was sich ebenso füglich anders einrichten läßt, daß vielmehr die Erscheinungen auf

volkswirtschaftlichem Gebiete ebenso gut bestimmten in ihrem eigensten Wesen begründeten Gesetzen unterliegen, wie die der organischen Natur.

Nicht also ein vergebliches Ankämpfen gegen diese Gesetze, sondern nur

deren richtige Auffassung und Benutzung kann unseren Bestrebungen den Erfolg sichern, und statt des unfruchtbaren Versuchs, dem Kapital seine

Bedeutung in der Volkswirtschaft zu entziehen, wird es sich vielmehr

darum handeln, die Vorteile desselben auch den Unbemittelten zugänglich zu machen.

Und das ist es eben, was die Assoziationen auf eine eben

so natürliche als einfache Weise bezwecken.

Auch der völlig Mittellose

repräsentiert immer noch einen ökonomischen Wert in der Gesellschaft:

seine Arbeitskraft.

Nun gilt freilich im gewöhnlichen Verkehr die

Arbeitskraft des Einzelnen nicht als genügende Sicherheit für die

Kapitalanlage, da sie zu

vielen Zufälligkeiten

ausgesetzt

ist und die

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

Resultate zu wenig in der Gewalt hat.

27

Aus diesem Grunde versagt sich

ihr der Kredit entweder ganz, oder wird ihr nur unter so lästigen Be­ dingungen zu Teil, daß die dadurch zu erzielenden Vorteile in vielen

Fällen gänzlich wieder ausgewogen werden. Allein dies ändert sich sofort, wenn sich die Arbeitskraft assoziiert. Sobald hier eine größere Gesamtheit von Arbeitern durch Übernahme der solidarischen Verbind­ lichkeit die Zufälle und das Mißlingen, welchen der Einzelne ausgesetzt ist, überträgt, und so die wechselseitige Garantie aller für einander organisiert, hebt sich der Grund, welcher dem Kredit entgegenstand, und

die erforderliche Sicherheit für den Gläubiger ist vorhanden. Der Einzelne fand keine Beachtung bei der Gesellschaft, weil sie ihn allenfalls ent­

behren konnte; allein die Arbeitskraft ganzer, großer Verbände von Arbeitern ist ihr eben so unentbehrlich, als Grund und Boden, und hat daher im Verkehr den Wert einer Hypothek. Doch wie wohltätig auch schon die zur Beschaffung des Lebens­ unterhaltes, der Rohstoffe und mancher Arbeitsvorrichtungen zusammen­

tretenden Assoziationen wirken, wird man dabei doch nicht stehen bleiben können, will man die Konkurrenz der Mitglieder mit dem Kapital

in allen Beziehungen sichern. Die solchergestalt gewonnene Ausgleichung hinsichtlich der Vorbedingungen der Arbeit setzt den Arbeiter wohl in den Stand, gut und billig zu Produzieren, genügt aber für sich allein nicht, ihm Absatz und angemessene Preise seiner Produkte zu schaffen. Da mangelt es zeitweis an Bestellungen, die Käufer fertiger Waren fehlen, Messen und Märkte fallen aus, und es gehört ein namhaftes Betriebskapital dazu, um solche flaue Perioden abwarten und etwa auf Vorrat fortarbeiten zu können. In den meisten Fällen, wo dies nicht

vorhanden ist, sieht sich der Arbeiter genötigt, um jeden Preis loszu­ schlagen, um nur seine Lebensnotdurft und den Verlag zur ferneren Produktion kümmerlich zu bestreiten.

Es kann nicht fehlen, daß dieses

fieberhafte Drängen um Absatz das Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage steigert und so notwendig zu einer größeren Entwertung der Arbeit, zu immer tieferem Sinken der Preise und Löhne führt. Mögen

sich auch solche Schwankungen mit der Zeit ausgleichen, so ziehen sie doch selbst während einer verhältnismäßig kurzen Dauer oft den völligen Ruin von Tausenden nach sich, da nur der Wohlhabende imstande ist, den Verlauf der Sache ruhig abzuwarten, während den Ärmern das augenblickliche dringende Bedürfnis hindert, die für die Zukunft in Aus­ sicht stehenden Konjunkturen zu benutzen. Sollen aber die Assozia­

tionen hier mit Erfolg eingreifen, so darf die Vergesellschaftung, wie

Schulze-Delitzsch.

28

wir schon sahen, nicht bei Beschaffung der Vorbedingungen zur Arbeit

stehen bleiben, vielmehr muß sie sich auf die Arbeit und deren Resultate Und dies geschieht in der Tat in den Assoziationen

selbst erstrecken.

zum Gewerbebetrieb für gemeinschaftliche Rechnung, welche die Spitze des ganzen Systems bilden.

Indem hier zuvörderst der Solidarität der

Mitglieder Kapital und Kredit zu Gebote

des

stehen, kann die Einrichtung

Geschäfts in großem Maßstabe erfolgen.

nicht mehr der Einzelne, sondern

Darin aber, daß nun

die Assoziation dem Publikum als

Produzent gegenübertritt, daß sie es ist, welche den Mitgliedern Arbeit und

Lohn

zuteilt,

und bie; Produkte

für

Rechnung der Gesamtheit

verwertet, liegt eben die gesuchte Garantie sowohl für ausreichende Be­ schäftigung aller,

wie

Nicht nur, daß ein

für Erzielung angemessener Löhne und Preise.

solches großartiges Assoziationsgeschüft seltener in

den Fall kommt, feiern zu müssen, da es mit seiner größeren Ausbreitung auch immer weitere Kreise, immer zahlreichere Verbindungen für

seinen

Absatz gewinnt, und es sogar bis zum eigentlichen Export bringen kann:

vermag dasselbe auch weit eher, als der isolierte Arbeiter, die günstigen Konjunkturen zum Ein- und Verkauf abzuwarten und flaue Perioden zu überdauern.

Während der Einzelne, sobald der Absatz stockt, des

fehlenden Verlags halber oft nicht einmal weiter zu arbeiten imstande ist, wird in der Assoziation alsdann den schwunghaften Perioden durch Bereitung der

Rohstoffe und sonst vorgearbeitet, und im schlimmsten

Falle trifft eine zeitweise verhältnismäßige Reduktion der Arbeiten und Löhne, welche sich auf alle verteilt, den Einzelnen weniger hart, da sie sich durch Vermittelung eines größeren Betriebsfonds ausgleichen läßt.

Auf solche Weise werden zunächst die Mitglieder der bezeichneten Ver­

bände vor der Lage, ihre Ware um jeden Preis losschlagen zu müssen, geschützt, und wird zwischen ihnen mindestens jene falsche Konkurrenz

ausgeschlossen.

Auch ist dieser

heilsame Einfluß der

nicht auf deren Grenzen beschränkt. selben noch

genug Arbeiter in

Denn bleiben auch außerhalb der­

allen Branchen

Assoziationen doch notwendig,

Assoziationen

übrig, so wirken die

je mehr sie sich verbreiten, eine je

größere Zahl der isolierten Arbeiter sie an sich ziehen, desto mehr durch

deren Verminderung, sowie durch ihren Vorgang, auf die Stellung der­ selben gegen die Konsumenten, auf Höhe der Preise und Löhne vorteil­ haft ein, da ja im schlimmsten Falle jedem Arbeiter der Anschluß zu jeder Zeit offen steht.

Und in der Tat drängt der Gang der

solchen großen Etablissements hin.

Dinge immer mehr zu

Abgesehen davon,

daß eine Menge,

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

29

früher nur von Handwerkern ausgeübter Industriezweige mehr und mehr in den fabrikmäßigen Betrieb übergeht, dessen Voraussetzungen von den

Arbeitern nur durch ihren Zusammentritt in Assoziationen verwirklicht

werden können: hat sich auch die kommerzielle Spekulation vieler dem Handwerk noch verbliebener Artikel bemächtigt.

Häufig errichten Kaufleute

Magazine fertiger Handwerkerwaren und geben für ihre Rechnung

kleinern Meistern und Gesellen Beschäftigung, welche, mit kümmerlichem Lohn abgefunden,

am Gewinn des Geschäfts keinen Teil haben.

Auch

hiergegen ist wirkliche und nachhaltige Abhilfe nicht durch Verbotsgesetze, welche stets umgangen werden, sondern

nur dadurch möglich, daß die

ihren Verkehr so aus­

betreffenden Gewerksgenossen durch Assoziierung

breiten, daß ihnen die Errichtung von solchen Magazinen ebenfalls gelingt. Infolge

hiervon

möchte

jenen

Magazinhaltern,

die

nicht selbst vom

Fache sind, die Konkurrenz auf die Dauer doch schwer werden, da ihre Lohnarbeiter niemals dasselbe Interesse für das Geschäft, denselben Sporn

für Fleiß und Tüchtigkeit haben, wie die Mitglieder der Assoziation, welche

den Gewinn

davon

unter

sich

teilen.

Vielmehr werden

die

Ersteren, je geschickter sic sind, desto mehr den Antrieb fühlen, zu einer Verbindung überzutreten, welche ihnen, außer angemessenem Lohn, An­ teil am Ertrage des Unternehmens gewährt.

Wie wenig aber die ge­

wöhnlichen Einwände gegen solche größere im Assoziationswege gebildete industrielle Etablissements stichhaltig sind, beweist schon deren Gedeihen

in Frankreich und England.

Das Interesse, das Auge des Herrn,

welches man bei Leitung und Beaufsichtigung eines solchen Geschäftes unentbehrlich achtet, ist ja hier verzehnfacht in jedem einzelnen Arbeiter

vorhanden, da jeder als Mitherr beim Gange desselben lebendig beteiligt', und von fremden Mietlingen, welche des Treibers bedürfen, keine Rede ist.

Auch wird es Leitern, welche durch freie Wahl an die Spitze gestellt

sind, nicht an der nötigen Energie fehlen, so daß sie, gestützt auf das

allgeineine Vertrauen, auch strengere Maßregeln im ganzen wie gegen

Einzelne durchsetzen mögen, wenn es das Wohl aller erheischt. den

großen, industriellen

Von

Kapital-Assoziationen mittelst Aktien

und deren überraschendem Emporkommen, obschon das Interesse der Leiter und Arbeiter in der Regel noch weniger direkt mit dem des Ganzen verknüpft ist, wollen wir ganz schweigen. Eine andere wichtige Seite der Sache aber ist mindestens hier noch

andeutungsweise zu berühren: die Altersversorgung der Arbeiter. So lange denselben, außer einem zum Unterhalt für sie und die Ihrigen hinreichenden Lohne, nicht noch ein überschießendev Gewinn in rüstigen

30

Schulze-Delitzsch.

Tagen bleibt, nützen alle Lebensversicherungs- und Rentenanstalten rc. rc. für diesen Zweck zu nichts.

Vielmehr liegt die einzige Möglichkeit, dem­

selben näher zu kommen, nur in den Assoziationen, da hier, mittelst der Dividenden aus dem gemeinschaftlich betriebenen Geschäft, allmählich

Aktien für die Mitglieder gebildet und so der Anfang zu einem kleinen

Besitz gemacht wird, ein Punkt, auf den wir noch später zurückkommen. Über diesen wichtigen, materiellen Vorteilen der Assoziationen dürfen wir aber die vielleicht weniger handgreifliche Einwirkung auf

Geist und Sinn der Mitglieder nicht übersehn, welche nach den ge­ machten Erfahrungen nicht hoch genug angeschlagen werden kann.

Wenn

schon durch Minderung des äußeren Notstandes für die innere Ent­

wickelung entschieden Raum gewonnen wird, so greift das Zusammentreten

in größere Gemeinschaften auch direkt höchst vorteilhaft in die intellektuelle

und sittliche Bildung der Arbeiter ein.

Durch den erweiterten Geschäfts­

betrieb der Gesellschaft, der über die enggezogenen nächsten Kreise, in welche die Tätigkeit des Einzelnen gebannt war, hinausgeht, weitet sich

der Blick, gewinnt die Umsicht der Mitglieder.

Der großartigere Verkehr

schärft die Spekulation, befeuert den Unternehmungsgeist und lehrt sie, sich aller der kaufmännischen Vorteile und Einrichtungen zu bedienen, ohne welche ein wirklich lohnender Betrieb in irgend einer Geschäfts­

branche je länger desto mehr unmöglich wird.

Beratungen und Beschlüsse

über die gemeinschaftlichen Unternehmungen veranlassen einen Austausch, einen Kampf der Meinungen, welcher zur Berichtigung der Ansichten

wesentlich beiträgt, den Tüchtigen Gelegenheit bietet, sich geltend zu machen,

den Unerfahrenen, zu lernen.

Alles dieses steht wieder in inniger Wechsel­

beziehung auf Sinn und Wesen der Mitglieder überhaupt.

Mit dem

erhöhten Selbstgefühl des Einzelnen, der sich als Glied einer mächtig

aufstrebenden Gemeinschaft weiß, geht die Selbstachtung Hand in Hand und bewahrt ihn vor manchen Ausschreitungen.

Zugleich führt die

Solidarität, als Grundlage der ganzen Vereinigung, eine gegenseitige

Kontrolle der Mitglieder untereinander von selbst mit sich, da jedes bei der Tüchtigkeit, Ordnungsliebe nnd Ehrlichkeit

des

andern im hohen

Grade interessiert ist, weil alle für einander, bis zu einem gewissen Punkte,

einstehen müssen, der Ruin des einen also die Verpflichtung der übrigen erschwert. Was aber als die eigentliche Blüte des Assoziationswesens erscheint, das ist die Hebung des Gemeinsinns, welche von ihnen aus sich auf das Erfreulichste auf alle Beziehungen der Mitglieder überträgt.

Durch die Vereinigung in den nächsten Berufs- und Erwerbskreisen ge­ wöhnen sich dieselben, das eigne Interesse mit dem der Gesamtheit zu

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

31

verknüpfen, und in dem Wohlstände der Andern eine Bürgschaft für den

eignen zu finden; denn je mehr wohlhabende Mitglieder einer Assoziation angehören, desto fördernder wirkt dies auf ihren Kredit, die Ausbreitung

ihrer Geschäfte ein.

Das Gefühl der Zusammengehörigkeit, der Gemein­

schaft in Zweck und Mitteln, des gegenseitigen Bedürfens und Förderns, welches jederr in dem Andern sich selbst respektieren lehrt, weckt den Sinn

für das

öffentliche

Wohl,

für

gemeinnütziges

Wirken,

welcher,

durch

gemeinsames Handeln innerhalb der Assoziation stets lebendigerhalten,

sich auch in weitern Kreisen bei jeder Gelegenheit betätigt.

Sollten aber die bisher gewonnenen Resultate der Assoziationen, im Vergleich mit der Größe der Aufgabe, zu unbedeutend erscheinen, so

möge man zweierlei dabei bedenken.

Zumeist sind dieselben noch in den

Stadien der ersten Anfänge begriffen. Die Mitglieder müssen Erfahrungen sich in

aller Art sammeln, und

den neuen Formen und Verhältnissen

bewegen lernen, ehe sie sich bereit Vorteile ganz aneignen. aber — iitib

das

ist

Sodann ist

die Hauptsache — die volle Entwickelung des

Assoziationswesens erst möglich, wenn sich die Assoziationen mehr verbreiten, und nicht mehr so vereinzelt dastehn, als es jetzt noch der Fall

ist.

Erst wenn sich eine größere Zahl von Assoziationen, jede Art

von Tätigkeit umfassend, über das Land verbreitet, wenn der größere Teil der Arbeiter in den einzelnen Branchen ihnen angehört, wird die

Macht ihres

Prinzips

vollständig

zur

Geltung

gelangen:

erst dann

werden sie auf die wichtigsten Verkehrsverhältnisse, auf die ganze, soziale Stellung der Arbeiter ihren unwiderstehlichen Einfluß üben.

Gewiß der

einzige Weg, um zu der so heißersehnten Organisation der Arbeit zu gelangen.

Denn nur wenn sich eine solche aus den gegebenen Zuständen

von innen heraus tatsächlich entwickelt, trägt sie die Gewährschaft ihres

Bestehens in sich und gelangt in der industriellen Welt zur Geltung, da auf diesem Gebiete nichts, als die Macht der

Tatsachen, sich An­

erkennung zu erringen vermag.

Ob man aber auch vorstehenden Andeutungen über die Zukunft der Assoziationen nicht beipflichte, und eine radikalere Umgestaltung für notwendig erachte, so möge man doch Folgendes bedenken.

Man spreche,

so viel man will, von Brüderlichkeit, von Humanität; solange man

nicht die Forderungen derselben mit den materiellen Interessen ver­ söhnt, bleiben dies fromme Wünsche, durch welche man dem Ziele um

keinen Schritt näher rückt.

liebe,

sind zwar

Die Regungen des Wohlwollens, der Menschen­

jedem von

Natur angeboren, werden aber von den

materiellen Bedingungen des Daseins niedergehalten und zurückgedrängt.

Schulze-Delitzsch.

32

Um daher obige Ideen zur Herrschaft zu bringen, muß man diesen Bann

brechen und durch die Tat zeigen, daß zwischen ihnen und dem materiellen Interesse

kein

Widerstreit

stattfindet,

daß

sie vielmehr

das

letztere

fördern, und daß der Einzelne im engen Zusammenschlüsse vieler am besten gedeiht.

Erst auf diese Weise wird es möglich, den Geist feind­

seliger Isolierung, vermöge dessen jeder nur aus dem Ruin des andern die Mittel der eigenen Existenz gewinnen zu können meint, allmählich zu

beseitigen, und hier ist eben durch die Assoziationen viel zu gewinnen.

Die durch dieselben zustande gebrachte Einigung in einzelnen Kreisen

der Tätigkeit hat unausbleiblich eine Näherung und Teilnahme auch

humanen Beziehungen zur Folge.

in andern, selbst rein

Gerade die

materiellen Bande, welche die Mitglieder verknüpfen, werden durch das in denselben rege erhaltene Bewußtsein der Solidarität dahin wirken,

daß keiner bei dem Wohl und Wehe des Andern überhaupt gleichgiltig bleibt, da beides, wie wir schon bemerkten, mittelbar auf ihn zurückwirkt.

So kann man

denn allen, welche Sinn für Gemeinwohl haben,

und die großen Fragen der Zeit, den Notruf von Millionen nicht völlig

unbeachtet vor tauben Ohren Verhallen lassen, nicht eindringlich genug an das Herz legen, das Assoziationswesen nach Kräften zu fördern. Verachte

doch niemand

diese kleinen und unscheinbaren Anfänge, die

unerläßlich sind, um den Boden für eine größere Ernte zu befruchten. Freilich gehören Geduld und Beharrlichkeit dazu, um mit den ersten

Anstalten durchzudringen, da man nicht selten in der Trägheit und Eng­

herzigkeit derer, denen man helfen möchte, die meisten Schwierigkeiten

findet.

Aber nur wenn auf

diese Weise von allen Seiten her redlich

von unten herauf vorgearbeitet wird, mag es geschehen, daß sich der Geist der Verbrüderung allmählich und unwiderstehlich im Volke ent­

wickelt und Schöpfungen und Zustände hervorruft, wie wir sie vielleicht kaum ahnen.

Ganz besonders ergeht aber die Aufforderung an die besitzenden Klassen, die in dem sozialen Drange der Gegenwart das rote Gespenst

erblicken, welches auf Umsturz alles Bestehenden hinarbeitet.

Die Grund­

lagen der Gesellschaft werden nicht erschüttert, wenn man den Löwen­

anteil,

welchen das

Arbeit zog,

Kapital

von der Produktion auf Unkosten der

dadurch zu beschränken bemüht ist,

daß man,

statt der

monopolistischen Ausschließlichkeit, womit eine gewisse Klasse sich desselben bisher bediente, dessen Vorteile allen zugänglich zu machen sucht.

Im

Gegenteil wird gerade so dem gefürchteten Bruche am ersten vorgebeugt, und dem sozialen Gebäude ein Halt in sich selbst gegeben, welcher die

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

33

künstlichen Stützen äußerer Gewalt entbehrlich macht und allein gesicherte Zustände für die Dauer zu verbürgen vermag.

Zweites Kapitel.

Das Affoziationswesen in England und Frankreich. So vielfach geteilt das alte Europa nach Volksstämmen, Nationen und Staaten ist, hat sich doch allmählich eine Industrie gebildet, welche, jene Schranken überflügelnd, mit ihren mannigfachen Wechselbeziehungen

die Völker verknüpft, und den wesentlichsten Einfluß auf alle sozialen Zustände ausübt. Schon in dieser Rücksicht müßte der Stand des Assoziationswesens in unseren Nachbarländern für uns von Interesse sein, weil die soziale Bewegung nicht als eine in den einzelnen Ländern abgeschlossene aufgefaßt, vielmehr nur in ihrer Gesamtentwickelung voll­ ständig erkannt und richtig gewürdigt werden kann. Dazu kommt aber noch die Anregung und Belehrung, welche uns die anderweit erzielten Resultate gewähren, so daß ein kurzer Hinblick darauf hier wohl am Platze sein mag. Wenn übrigens England und Frankreich allein dabei in Betracht kommen, so ist das, weil nur hier, wie in Deutschland die Bildung der niedern Gesellschaftsschichten eine solche Höhe erreicht hat, daß dieselben in die Bewegung eintraten, was bei den übrigen europäischen Nationen bisher noch weniger der Fall war. Der Vortritt hierbei gebührt England, der Wiege der neuern Industrie. Hier hat sich dieselbe am großartigsten entwickelt, und Zahl wie Tüchtigkeit der Arbeiter auf eine Höhe gebracht, wie nirgends sonst, womit bei eintretenden Verkehrsstockungen freilich auch eine Steigerung des Notstandes verknüpft ist. Da die politischen Institutionen des Landes den Bestrebungen dieser so wichtigen Klasse

zur Verbesserung ihrer Zustände den freisten Spielraum boten, so konnte es nicht fehlen, daß die Bewegung von Haus aus eine durchaus praktische, auf Selbsthilfe abzielende Richtung nahm. Bei dem praktischen Takte des englischen Volks, welcher leeren, theoretischen Spekulationen durchaus abgeneigt ist, behauptete sich dieser Charakter in den ersten derartigen Bestrebungen bis auf die neueste Zeit, was dem Aufkommen und der Geltung eigentlicher sozialistischer Systeme natürlich eher hemmend als fördernd entgegentrat.

Besonders bildeten sich seit 1824, wo alle bis

dahin bestehenden Beschränkungen von Verbindungen der Arbeiter zu Arbeiterzwecken gesetzlich aufgehoben wurden, zunächst unter den Arbeitern

der

Fabriks-

und

Bergwerksdistrikte

Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

I.

große

gewerkschaftliche 3

Schulze-Delitzsch.

34

Assoziationen mit einem durch Beiträge der Mitglieder ausgebrachten, ost sehr bedeutenden Fonds. Dieselben bezwecken hauptsächlich gegenseitige Hilfsleistungen bei Arbeitslosigkeit und Unglücksfällen, sowie Schutz gegen die Bedrückungen

der Arbeitgeber,

besonders

Ihr Hauptmittel zu diesem Zwecke,

Löhne.

gegen

der

Erniedrigung

die Arbeitseinstellung

in Masse, ist aus jenen häufig in den englischen Blättern erwähnten,

sogenannten Strike’s bekannt. Freilich hat es nur in den wenigsten Fällen dahin geführt, die geforderte Lohnerhöhung wirklich durchzusetzen,

da die Arbeitgeber als Kapitalisten eher im Stande waren, eine Geschäfts­

stockung auszuhalten, als die Arbeiter, den Lohn auf die Dauer zu ent­ behren, überdem auch — besonders durch den Zudrang der Irländer — sich außerhalb der Verbindung stehende Arbeiter, wenn auch in geringerer

Zahl,

ließen.

engagieren

Indessen

ist Einfluß

und

Macht

dieser

Assoziationen doch bedeutend gestiegen, seitdem sich durch Gründung der Nationalassoziation vereinigter Gewerke zu London (1845) ein

Zentralorgan für das Zusammenwirken der einzelnen Verbände gebildet hat, welches die gütliche Beilegung der Strike’s, und, im Falle diese an

der offenbaren Unbilligkeit der Arbeitgeber scheitert, die Vermittelung der der

Unterstützung

arbeitslosen

Genossen

durch sämtliche,

Assoziationen sich zur Aufgabe gestellt hat.

Jedenfalls

Assoziaüonen den Einzelnen gegen Bedrückungen

verbundene

gewähren die

und Willkür Schutz,

und haben dem Wucher- und Trucksystem gesteuert, indem alle dergleichen widerrechtliche Ausschreitungen der Arbeitgeber durch tüchtige, von der

Gesamtheit wurden.

besoldete Anwältej zur

gerichtlichen

Verfolgung

gebracht

Aber auch der Arbeiterklasse im ganzen kommen sie insofern

zugute, als sie bewirkt haben, daß die Arbeitgeber nicht ohne dringende

Not — wie etwa bei einer Handelskrise, wirklichen Verkehrsstockung — die Löhne herabsetzen, auch dieselben, sobald die Veranlassung wegfällt,

wieder erhöhen, da sie sonst durch einen Strike, während dessen Kapital

und Maschinerie mindestens zum größern Teile müßig liegen, weit mehr verlieren, als durch die fortgesetzte Lohnerniedrigung zu gewinnen ist.

Da

der

Stand

der

Gesetzgebung bei uns

dergleichen

Vereinen

(trades unions) zur Zeit noch im Wege steht, so gehen wir, ohne uns näher mit dem

wirtschaftlichen

Einzelnen

derselben

zu

beschäftigen,

Assoziationen (Store’s

welche zum Teil durch jene angeregt wurden.

Arbeitern

vereinigen

sich

hier

sogleich zu

den

— Magazine —) über, Größere Massen von

zur Beschaffung notwendiger Lebens­

bedürfnisse im großen, behufs deren Verabreichung

in kleineren Partieen zu dem Engrospreise.

an die Mitglieder

Die außerordentliche Teil-

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

35

nähme, welche diese Verbände sanden, hat es vielen davon möglich ge­ macht, nicht bloß den Umsatz, sondern allmählich auch zugleich die Produktion eines und des andern der wichtigsten Konsumtionsartikel an sich zu ziehen. Ganz besonders ist dies hinsichtlich des Mehls der Fall, zu welchem Behufe dergleichen Assoziationen eine förmliche Mehl­

sabrikation auf eigens dazu erworbenen Mühlen betreiben. Auch die Errichtung von Bäckereien und Schlächtereien tritt nicht selten

hinzu, und wie bedeutend sich der Geschäftsbetrieb solcher Vereine ge­ staltet, mögen die folgenden Einzelheiten dartun. So macht z. B. die 1844 gegründete Assoziation der Weber von Rochdale (equitable störe) mit 700 Mitgliedern für 19,000 Pfund Sterling (125,000 Taler zirka) Geschäfte; die zu Leeds 1847 ent­

flour mille and

standene (the peoples inill — die Volksmühle) mit 3400 Mitgliedern für 29,000 Pfd. Ferner verdienen besonderer Erwähnung die Store’s und Mühlen von Halifax mit 2000 Mitgliedern und 20,000 Pfund, die zu Bristol mit 650 Mitgliedern und 15,000 Pfund, die zu Bradford mit 1250 Mitgliedern und 12,000 Pfund ©tri. Umsatz, außer vielen andern. Besonders reich daran ist die Grafschaft Ayrshire, wo der Verein von Kilwinning, bereits vor 50 Jahren gegründet, wohl einer der ältesten dieser Art ist. Den wirtschaftlichen Verbänden stehen dem Zwecke nach die Assekuranzen (Friendly- oder Beneflt-Societies) am nächsten, welche sich unter dem englischen Mittelstände einer ungeheuren Aus­ breitung erfreuen, auf die eigentlichen Arbeiter aber erst in neuerer Zeit ausgedehnt worden sind. Die erste für dieselben berechnete Assoziation dieser Art war die United Patriot and Patriarchs Beneflt-Society, welche 1843 in London gestiftet wurde, Ende 1850

schon über 3000 Mitglieder zählte, und an Hilfsgeldern bis zum 2. Juli 1850 zirka 6000 Pfund an Kranke und Altersschwache, 1500 Pfund für Todesfälle gezahlt hat. Die Mitglieder sind in 4 Altersklassen

zwischen 15—45 Jahren eingeteilt, kaufen sich höchstens mit 1 Guinee ein und steuern monatlich 1—3 Schilling, wofür sie bei Krankheit 7 bis 18 Schilling, bei Altersschwäche 4—6 Schilling fortlaufend, bei Todes­ fällen ihre Hinterlassenen 2—20 Pfund ein für allemal erhalten. Ferner hat im Jahre 1850 endlich auch eine Lebensversicherungs-Gesell­

schaft die English and Cambrian Life-Assurance-Company ihre Wirksamkeit auf Arbeiter ausgedehnt und wirklich eine rege Beteiligung derselben erzielt. Es sind nämlich neuerlich Einzahlungen von unter einem Schilling bis zu einigen Schillingen die Woche zugelassen, wogegen



Schulze-Delitzsch.

36

man für sich oder seine Witwe eine Rente von gewissen Lebensjahren an oder auf den Todesfall, sowie auch ein Kapital zum Etablissement

auf einen bestimmten Termin versichern kann. Zuletzt von allen traten die gewerblichen Assoziationen auf.

Wenn man hier von den schon früher, besonders im Norden Englands, nicht selten vorkommenden Verbindungen kleinerer Meister und Fabrikanten absieht, welche mit ihren bereits bestehenden Geschäften, entweder nur zu

bestimmten Zwecken, z. B. den Gebrauch von Maschinen,

Produktion

von Rohstoffen 2C. 2C. zusammentreten, oder wohl auch sich zeitweise zu

einem größer» Sozietäts-Etablissement vereinigen, so datieren die eigent­ lichen

Arbeiterassoziationen

zum

Gewerbebetrieb

für

eigne

Rechnung erst aus den letzten Jahren und stehen deshalb an Mit­ gliederzahl

nach.

und

Geschäftsumfange

jenen

früher erwähnten

bedeutend

Dennoch zeigt sich bereits in dieser kurzen Frist, namentlich bei

denen,

welche sich mit handwerksmäßigen Industriezweigen

be­

schäftigen, ein verhältnismäßig rasches Gedeihen, was um so höher an­ zuschlagen ist, als sie ohne Ausnahme aus den kümmerlichsten Anfängen

hervorgegangen sind.

Da die englische Gesetzgebung einer sichern Kapital­

anlage bei dergleichen Unternehmungen entgegensteht — ein Umstand,

zu dessen Beseitigung bereits mehrfache Anträge beim Parlament gemacht sind — so müssen die Begründer, welche fast immer nur der Klasse der

eigentlichen Arbeiter (working men) nicht der Meister, angehören,

ein geringes Betriebskapital von einigen Pfunden sich erst mühsam von

ihrem Lohne abdarben,

ehe

kleinen anfangen können.

sie

unter tausend Entsagungen ganz im

In der Tat gehört die ganze eiserne Be­

harrlichkeit dazu, welche den englischen Arbeiter charakterisiert, um diesen

Hemmnissen gegenüber nicht zu verzagen, und sich am Ende doch siegreich emporzuarbeiten, wie dies

noch in den meisten

Fällen

geschehen ist.

Unter den hierher gehörigen Assoziationen werden besonders

die der

Schneider in

Castlestreet zu

London,

genannt:

welche mit

dem

kleinen Vorschüsse eines Gönners im Februar 1850 ihr Geschäft eröffnete,

und im Juni 1851 schon für 5770 Pfd. St. Arbeit geliefert, auch eine geräumige gesunde Werkstatt mit Laden, Lesezimmer und Badeanstalt eingerichtet hatte; die der Schneider in Manchester, lediglich mit den

Ersparnissen ihrer 28 Mitglieder im März 1850 gegründet, noch im Oktober 1850 mit 13 Pfd. St. in Schuld, im Juli 1851 aber, nachdem

alle Mitglieder während der ganzen Zeit Lohn und Unterhalt gefunden hatten, schon mit 35 Pfd. St. in Überschuß. Ferner sind zu erwähnen sechs Schneider-Assoziationen, zwei Assoziationen der Bäcker — deren

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

37

eine in London für 1650 Pfd. St. Geschäfte macht — drei von den

Baugewerken, je eine der Maurer, Drucker, Bandweber, Bürstenbinder, Holzhauer, Sägeschmiede, Schiffszimmerleute, Eisengießer und Nähterinnen, je zwei der Hutmacher, Weber und Maschinenbauer, drei der Pianofortemacher, deren eine mit

14 Mitgliedern 3000 Pfd. St. umsetzt. Am besten ergibt sich die große Bedeutung und das rasche Aufblühn der Assoziationen in England während der letzten Jahre daraus, daß — mit Ausnahme der trades unions — noch im Sommer 1850 die Zahl dieser Verbände kaum fünfzig erreichte, während sie gegen Ende 1851 auf etwa zweihundertfünfzig mit mindestens 150,000 Mitgliedern und 250,000 Pfd. St. Umsatz gestiegen war. Auch wird die Wichtigkeit der ganzen Bewegung selbst von den gebildeten und wohlhabenden Klassen in England mehr und mehr anerkannt. Hauptsächlich auf ihre An­ regung und unter ihrer Mitwirkung haben sich bereits mehrere Zentralvereine zur Förderung des Assoziationswesens gebildet, deren Einwirkung von ziemlichen Einfluß ist. So die Labour redemption Society zu Burg, mehr aus den Arbeiterklassen selbst, welche eine allgemeine Verbindung der einzelnen Assoziationen unter ein­ ander zum Zweck hat, und mittelst eines durch Psennigbeiträge gebildeten Fonds die Gründung von Ackerbaukolonieen beabsichtigt, auch be­ reits auf einem Pachtgute Getreide für ihren Bedarf baut. Sodann die im November 1850 zu London zusammengetretene Society for

the promotion of working men’s associations (Gesellschaft zur Beförderung von Arbeiterassoziationen) Rat die Gründung

und

welche

durch

Belehrung

und

das Gedeihen von dergleichen Assoziationen

und die ein Jahr später entstandene Central cooperativ Agency, welche die eigentlich geschäftlichen Vermittelungen und Ver­ fördert,

bindung der Assoziationen untereinander und mit dem Publikum durch Anschaffung von Kapital, Kredit, Absatz in Tausch und Handel und bergt, zu ihrer Aufgabe macht, so daß sich ihr zu diesen Zwecken Anfang 1852 bereits einige Assoziationen angeschlossen hatten. Die beiden zuletzt genannten Zentralvereine sind es übrigens, welche sich die Förderung des sogenannten christlichen Sozialismus zur speziellen

Aufgabe gestellt haben,

und das religiös-sittliche Moment in den von

ihnen angeregten Vereinen besonders pflegen, welche sie in demselben Grade in Abhängigkeit von sich zu erhalten wissen, als dieselben fernerer

Unterstützung zum Fortbestehn bedürfen.

Ganz anders trat die Bewegung in Frankreich auf.

Bei dem

38

Schulze-Delitzsch.

Hange der Franzosen zu schematisieren, nahmen gleich die ersten derartigen Ideen, welche im Gefolge der großen politischen Revolution von 1789 auftauchten, die Richtung, daß sie die Verbesserung der gesellschaftlichen Zustände mit den politischen Reformen verschmolzen, woraus sich allmählich die Theorie des sozialen Staates entwickelte. So wurde Frankreich die Wiege des eigentlichen Sozialismus, ein System drängte das andere, aber weil die ganze Bewegung nicht sowohl aus dem Schoße der arbeitenden Klassen, dem eignen, wirklichen Drange derselben hervor­ gegangen, sondern mehr von einzelnen, spekulierenden Köpfen angeregt war, so zog sie sich, sobald mit der politischen Aufregung das allgemeine Interesse daran erkaltete, in die engeren Kreise gewisser Schulen zurück

und verlor so die Macht einer großen und nachhaltigen Einwirkung auf die faktischen Zustände. Erst seit den letzten dreißig Jahren, wo auch in Frankreich sich das industrielle Proletariat in immer größerm Maß­ stabe entwickelte, machte der zunehmende Notstand die Arbeiter, vorzüglich in den größern Städten, für jene Ideen empfänglich, und der Sozialis­ mus drang in die Werkstätten, in denen Tausende den Lehren von einer gesellschaftlichen Wiedergeburt lauschten, und sich in öffentlichen und geheimen Gesellschaften organisierten, welche bei den neuesten französischen Staatsumwälzungen eine tätige Rolle spielten. Aber weil ihre An­ schauungen sich mehr großartigen, weitaussehenden Gestaltungen der Zukunft, als den praktischen Einzelheiten reeller industrieller Unter­

nehmungen zugewendet hatten, so gelangten sie zu keinem werktätigen Angriffe der Sache, zu keinem Anknüpfen an die gegebenen Verhältnisse, und harrten nur auf die Losung zur politischen Erhebung, von der sie die Erfüllung ihrer Hoffnungen und Wünsche allein erwarteten. Sie

kam, mit ihr der Sieg von 1848. Aber gerade dieser Sieg, der ihnen für die Erprobung ihres Systems eine Zeitlang freie Hand ließ, das Verunglücken der in den Nationalwerkstätten angestellten Versuche, der im Luxembourg gehaltenen Beratungen, der blutig unterdrückte Aufstand des Juni: Alles dies mußte endlich ein Einlenken auf dem be­ tretenen Wege, die Rückkehr von jenen Phantasien zur Mäßigung und Besonnenheit bewirken. Wirklich datieren erst von jener Zeit her die freien Arbeiterassoziationen in Frankreich, welche die Regierung selbst durch Verwilligung eines Gesamtkredits von 3 Millionen Franken zu ermuntern suchte, die jedoch nie ganz zu diesem Zwecke verausgabt, auch vielen der jetzt blühenden Verbände gar nicht zustatten gekommen sind. Wie man sich denken kann, verursachte dies Anerbieten einen be­ deutenden Zudrang von allen Seiten und schadete im ganzen mehr

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

39

als es nützte, da es, durch die künstliche Steigerung der Bewegung mittelst äußerer Motive, in deren innere Entwickelung aus eigener Kraft störend eingriff. Bei der Neuheit der Sache fehlte es an jedem Anhalt

zur Beurteilung der Zweckmäßigkeit und Würdigkeit der angemeldeten Versuche, Zufall und Willkür gaben den Ausschlag bei den Bewilligungen, und der dadurch begünstigte Schwindel rächte sich sehr bald, indem die meisten der ohne eigne Lebensfähigkeit nur durch solche Geldvorschüsse hervorgelockten Versuche verunglückten. Doch schätzte man noch im Sommer 1851 die Zahl der im Seine-Departement, in und um Paris, blühenden großen Manufaktur-Assoziationen auf 40, mit etwa 2000 Teil­ nehmern, neben denen 120—150 kleinere, mehr kommerzielle, von manchmal nur 5—10 Mitgliedern bestehen. An die großen, produktiven Assoziationen schlossen sich, außer den eigentlichen Mitgliedern, noch eine bedeutende Zahl — über 6000 — von sogenannten Adherents, an, d. h. Teilhabern am Geschäft, welche einen Beitrag zum Betriebs­ fonds einschießen, und bis es möglich ist, sie in die Werkstätten auf­ zunehmen, außerhalb Beschäftigung suchen. In den Provinzen sind ähnliche gewerbliche Verbände selten, und erreichen kaum die Zahl von 30, nicht weil es an Lust und Trieb dazu unter den Arbeitern fehlte, sondern weil kleinere Orte im allgemeinen nicht die erforderliche Kund­ schaft bieten, um größere Arbeitergruppen zu beschäftigen. Daher wirft sich die Assoziation hier mehr auf wirtschaftliche Zwecke, gemeinschaftlichen Ankauf von Gegenständen der Konsumtion im großen, unter wechselseitiger Garantie zur Schaffung von Kredit. Außerordentlichste leistet in dieser Beziehung die Sociöte de FHumanite zu Lille, bei welcher wir einen Augenblick verweilen Das

wollen.

Vom Frühjahre 1849 ab in Tätigkeit, zählte sie bereits im April 1851 1541 Mitglieder und versorgte gegen 8000 Personen mit fast allen

notwendigen Lebensbedürfnissen.

Die Mitglieder

bestimmen

in

Abteilungen und Unterabteilungen von je 20 und 100 geteilt, über ihre Bedürfnisse, welche die Abtheilungsvorsteher sodann zur Kenntnis des Zentral-Verwaltungsausschusses bringen, der wieder, nach den ein­ zelnen Verwaltungszweigen, in verschiedene Kommissionen zerfällt. Von ihnen sorgt eine Lebensmittelkommission für Brot, Fleisch, die übrigen Hauptnahrungsmittel, Heizungs- und Beleuchtungsmaterial; eine Bekleidungskommission für Kleidung und Schuhwerk, eine

Unterstützungskommission

für

gegenseitige

Hilfsleistung.

Mitglied hat wöchentlich 15 Centimes (1 Sgr. 3 Pf.) einzuzahlen,

Jedes

und

40

Schulze-Delitzsch.

seinem Abteilungsvorsteher annähernd anzugeben, was er für sich und die Deinigen bedarf. Sobald nun für einen Artikel der Gesamtbedarf feststeht, kauft die Gesellschaft im ganzen von dem, der den meisten Rabatt gibt, und der dadurch erreichte Abschlag am sonstigen Preise wird als Gewinn in 4 oder 5 Teile geteilt, von denen 3 oder 4 dem kaufenden Mitgliede, 1 der Gesellschaftskasse, zur Vermehrung des Be­ triebsfonds, zugute kommen. So akkordiert z. B. die Gesellschaft mit

einem Bäcker auf 2j bis 3 Centimen für das Kilograinm (2| Pfund circa) Brot unter der Taxe, d. h. auf einen Rabatt von ohngefähr 12£ Prozent. Ein verheiratetes Mitglied, welches ohngefähr für 5 Franken Brot die Woche braucht, kauft nun von seinem Abteilungs­ Vorsteher für 4| Franken Brotkarten, wofür es beim Backer für 5 Franken Brot nach der Brottaxe entnimmt. Das gibt für den Käufer 10 Prozent Ersparnis. Der Bäcker händigt sodann die empfangenen Karten der Lebensmittelkvmmission ein, welche ihn kontrakt­ mäßig mit 12| Prozent Abzug bezahlt; hat er für 100 Franken Brot nach der Taxe geliefert, so erhält er 87 Franken 50 Centimes; da nun die Gesellschaft ihrerseits von den Mitgliedern 90 Franken für die be­ treffenden Karten erhalten hat, so gewinnt sie noch 2| Franken bei dem Geschäft, welche den Betriebsfonds vermehren. So wurde bis Ende 1850 an 5 Bäcker infolge von solchen Akkorden 117,606 Franken bezahlt, und da seitdem der Brotbedarf auf 8000 Franken monatlich gestiegen ist, so muß man bis in den Sommer 1851 eine Gesamtausgabe für Brot von mindestens 160,000 Franken, mit einem Rabatt von 12| Prozent annehmen, was einen Gesamtgewinn von 20,000 Franken ergibt, wovon 16,000 den Mitgliedern als Ersparnis, 4000 der Gesellschaftskasse bar zugute gingen. Auf gleiche Weise, wie mit dem Brote, wird es mit andern Gegenständen, namentlich Kohlen, Butter, Öl, Kolonial­ waren, Arznei gehalten, ja, die Wirksamkeit des Vereins hat sich sogar auf ärztliche Hilfe ausgedehnt. Das bedeutendste Resultat in allen

Zweigen der Verwaltung ist aber bei der Fl ei sch Versorgung erreicht, wo die Gesellschaft ohne Mittelpersonen den Bedarf liefert, indem sie selbst eine Fleischbank für eigne Rechnung errichtet hat, welche

einen solchen Aufschwung genommen hat, daß die Blüte der Assoziation

vorzüglich darauf beruht, auch außer dem Hauptetablissement bereits 4 Hilfsbänke an verschiedenen Punkten der Stadt und Vorstädte errichtet werden mußten. Über den Umfang und Ertrag des Fleischgeschäfts möge folgende Übersicht über den Umsatz eines Monats, des November 1850 Auskunft geben:

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

Gekauftes Vieh.

75 Hammel 9 Schweine 151 Stück

NettoGewicht des Fleisches.

Gewicht der Häute.

Gewicht des Talges.

Franks.

Kilogramm.

Kilogramm.

Kilogramm.

11341

11134 1973

3386 740

2639 886

1508 273 — —

184

1661

75 529

17383

16164

1781

2449

Preis einschließl. i der Steuer.

36 Ochsen 31 Kälber

I i

41



Der Verkauf der Schaffelle brachte 525 Franks, und der Kostenpreis des Netto-Kilogrammes betrug durchschnittlich 77 Centimes für das Ochsen­ fleisch, 89 Cent, für das Kalb- und Hammelfleisch, 85 Cent, sür das Schweinefleisch. Vor Errichtung der Assoziation bezahlte man die schlechtesten Stücke Rindfleisch mit 1 Frank (100 Centimes) das Kilo­ gramm, was jetzt die Stücke erster Qualität kosten, denen sich die drei geringern Qualitäten, zu 85, 70 und 50 Centimes das Kilogramm anschließen, was einen Rabatt von 50 bis 100 Prozent ergibt. Außer­ dem sind mit den Fleischbänken Küchen verbunden, wo die Mitglieder Fleischbrühe, gekochtes Fleisch und Gemüse finden. Die Überschüsse der

Gesellschaft sind verhältnismäßig nicht sehr bedeutend, da das Ganze mehr

auf die billige Befriedigung des Bedürfnisses der Mitglieder als auf eine Dividende hinzielt. Doch blieb als Ergebnis der wöchentlichen Einlagen und des Kassengewinns bei den Lieferungen bis zu Ende Februar 1851 doch die Summe von 17,543 Fr. für den Betriebsfonds übrig. Von höherem Interesse sind indessen die größer« produktiven Assoziationen zum Gewerbebetrieb sür gemeinschaftliche Rechnung, von denen namentlich über die in Paris bestehenden uns viel detailliertere Nachrichten als über die englischen vorliegen, die hier in der Kürze eine Stelle finden mögen, da diese Art der Verbände, wie wir im frühern Kapitel bemerkten, als die Spitze des ganzen Systems anzusehn, bei uns aber fast noch gar nicht ausgebildet ist. Auch sie

sind vorzugsweise von eigentlichen ouvriers, selbständigen Arbeitern, welche, gleich den

freien bisher un­ englischen working

mens mehr mit unsern Gesellen als Meistern Übereinkommen, gegründet, obschon, besonders in den Departements, auch mannigfache Assoziationen

zwischen Meistern und Gesellen vorkommen.

Schulze-Delitzsch.

42

Eine

wichtigsten

der

der

Assoziationen

ersterwähnten

ist

die

Association fraternelle des ouvriers tailleurs zu Paris, welche aus den großen Werkstätten der frühern Schuldgefängnisse im Quartier

Clichy hervorging, wo eine große Anzahl Schneider die Fertigung der Uniformen der Pariser Nationalgarde für Rechnung der Stadt und der der Garde mobile für das Ministerium des Innern in Akkord über­

nommen hatte. Regierung

Als

fünfzig Arbeitern zurück,

Verteilung,

deren

nämlich

dieselben

geschlossen worden

waren,

nach dem Junikampfe von der blieb

ein

Stamm

von

einigen

die Liquidation der noch ausstehenden Löhne,

der

Berechnung

der

Dividenden

Teilnehmer

übernommenen Verbindlichkeiten

und

Tilgung

der von

besorgen,

welche sich entschlossen in eine Assoziation auf kommerziellen

der Gesellschaft

Grundlagen zusammcnzutreten,

zu

und im Januar 1849 in die Magazine

der Vorstadt St. Denis übersiedelten, welche sie noch inne haben.

1. September 1849 wurde die Assoziation eröffnet,

Am

und die von der

Liquidation übrig gebliebene Summe gab den ersten Fonds.

Manche, die

Anspruch auf Dividende hatten, gaben ihn zugunsten der alten Genossen

auf,

oder schossen

ihren Teil als Aktie ein,

sich mit monatlicheit Einlagen,

auch

Fremde

beteiligten

so daß sich den 54 aktiven Mitgliedern

300 Adhärenten zugesellten, und ein Betriebsfonds von 37,000 Franks

zusammen kam.

Die rechtliche Form der Gesellschaft ist diejenige einer

Soci^tö en nom collectif a l’4gard du gerant, die zugleich hin­ sichtlich der übrigen Teilhaber eine SociötG en commandite ist, d. h. die

Verantwortlichkeit

der

Geschäftsführer

ist

unbeschränkt,

die

übrigen Genossen, sowohl arbeitende als beisteuernde, sind nur bis auf Höhe ihrer Einlagen verpflichtet.

Generalversammlungen werden

Auf den zweimal int Jahre gehaltenen die

Rechnungen

geprüft,

neue

Unter­

nehmungen und Einrichtungen beschlossen, und auf der einen der Ver­ waltungsausschuß,

kommission gewählt.

und

d.

h.

die

der

Geschäftsführer,

brüderliche

Jury,

die

sämtlich

Aufsichts­

auf ein Jahr

Der Geschäftsführer, stets wieder wählbar, hat die Unter­

schrift, besorgt die Käufe unb Verkäufe, die Korrespondenz, verteilt die

Arbeit,

und

vertritt die

Gesellschaft

nach

außen.

Die

Aufsichts­

kommission, aus 5 Mitgliedern bestehend, kontrolliert die Geschäfts­ führung und setzt auf Antrag des Geschäftsführers die Preise der Fasson

und der Löhne fest, welche letztere stückweis, möglichst dem geleisteten

Dienste gemäß, bezahlt werden.

Die Jury, ebenfalls von 5 Mitgliedern,

urteilt über Tatsachen, welche das Wohl der Gesellschaft angehen, wie

Faulheit, Unfähigkeit, Unordnung und dergleichen, welche sie mit zeitlicher

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

43

oder gänzlicher Ausschließung bestrafen kann, von welchem Ausspruche indessen die Appellation an die Generalversammlung offen steht. Das Gesellschaftskapital auf 200,000 Franken normiert, ist teilbar in 4000 Aktien, jede zu 50 Franken, welche allmählich durch monatliche Ein­ zahlungen von 1 Fr. erworben werden können, und wovon jeder Gesell­

schafter mindestens eine besitzen muß. Die Aktien sind unveräußerlich und tragen fürerst keine Zinsen, damit der Betriebsfonds schneller die an­ gegebene Normalhöhe erreichen möge. Nach 17 monatlichem Bestehen hatte die Assoziation Magazin und Ateliers in der Vorstadt St. Denis für 6000 Franken jährlich gemietet, und zwei kleinere Filial-Magazine in Puteaux und St. Denis. Der Verkauf brachte schon im ersten Jahre 160,176 Franken, und der Aktivbestand des Gesellschaftsvermögens erreichte 66,482 Fr., wovon nur 21,000 Fr. Schulden an Fremde ab­ gingen, indem die Mehrheit der Gläubiger die Arbeiter selbst waren. Auch hatte die Assoziation bereits so viel Kredit gefunden, um bei dem

Comptoir national d’escompte sich laufende Rechnung für ihre Rimessen eröffnet zu sehen. Verglichen mit dem frühern Zustande ist die Lage der Arbeiter durch dieselbe wesentlich verbessert. Zuvörderst trifft auf jedes aktive Mitglied im Jahre wenigstens 900 Franken Lohn, und 100 Franken unverzinslich kapitalisierte Dividende. Sodann arbeiten dieselben, da an den Räumlichkeiten nicht gespart ist, unter sehr günstigen Gesundheitsverhältnissen, und sind hinsichtlich der Anschaffung ihrer notwendigen Bedürfnisse besser gestellt, weil die Assoziation für sie laufende Rechnung mit den hauptsächlichsten andern Gewerben hält; brauchen sie z. B. Hüte, Schuhe, Möbel, Brennmaterial, so erhalten sie

von der Verwaltung Anweisungen bis zu 50 Franken, um diese Gegen­ stände bei den andern Verbänden zu kaufen, welche wiederum für den Betrag Kleider von der Assoziation entnehmen, deren Rechnungsführer

die Summe der erteilten Anweisungen durch einen Abzug von 10 Prozent am Lohne der Arbeiter ausgleicht. Endlich wird auch noch für die Mitglieder eine Unterstützungskasse durch 2 Prozent Abzug an den

Löhnen und 10 Prozent Abzug von der Dividende gebildet, in welche vom Oktober 1849 bis Januar 1851 1980 Franken geflossen waren,

von denen man nur 408 Franken gebraucht hatte. Die Assoziation der Flaschner (des Ferblantierslampistes) wurde am 11. Dezember 1849 gegründet, und hat mehr als jede andere mit den kümmerlichsten Anfängen zu kämpfen gehabt, weshalb ihre Geschichte be­ sonders lehrreich ist. Das Gewerbe beschäftigt in Paris an 1800 Familien, und hat im Departement der Seine ungefähr 180 Etablissements, von

44

Schulze-Delitzsch.

denen 150 die eigentlichen Flaschner enthalten, welche Blech- und Küchengeschirr verfertigen, 30, die Lampenfabrikanten. Die Werkstätten

beschäftigen 1500 Gesellen, jedoch nur etwa 500 fest, die übrigen werden, wenn die Bestellungen drängen, als Gehilfen zeitweis herangezogen und

gehen der Arbeit nach von Haus zu Haus, von Ort zu Ort.

Als die

kleine Zahl der zur Verbindung entschlossenen Arbeiter zusammentrat, mußte man in den Versammlungen einen Monat lang einen mit der Mütze in der Hand das zum ersten Anfang nötige Kapital einsammeln lassen.

So kamen 300 Franken zusammen, einige Arbeiter liehen Werk­

zeug und Material im Wert zu 400 Franken, ein Schuppen ward in der Vorstadt St. Denis für 500 Franken gemietet, und als man so weit in Ordnung war, blieben 10 Franken in der Kasse. Eben so schlimm sah es mit der Kundschaft aus. Der Lohn, welcher für den Anfang 2 Franks täglich hatte betragen sollen, mußte am Ende auf 1 Frank die Woche reduziert werden, und Ende März 1850 bestand die Gesellschaft noch aus 3 Personen! Endlich siegte die Ausdauer doch, die Arbeit fand sich, und die drei Stammhalter riefen allmählich die alten Genossen zurück. Im Juli 1850 waren es schon wieder 14, welche ein bares Kapital von 710 Franken verdient hatten. Da finden sie, als sie den 13. Juli zur Arbeit kommen, das Fenster der Werkstatt eingeschlagen, die Kasse erbrochen und leer! Sie sahen sich nun als ruiniert, ihren Verband als aufgelöst an, allein die übrigen Assoziationen schossen über

500 Franken zusammen, welche anfangs mit 5 Franken wöchentlich, später mit mehr abgezahlt wurden und längst getilgt sind, und man zeichnete am 1. August einen neuen Gesellschaftsvertrag und mietete ein freundliches Lokal in der Vorstadt St. Martin für 2500 Franken Werkstatt und Magazinen. Die rechtliche Form und innere Organisation der Gesellschaft ist wesentlich dieselbe, wie bei den Schneidern. Der Betriebsfonds soll auf 50,000 Franken gebracht werden, die Arbeit wird stückweis bezahlt, und kann der tägliche Lohn nach Geschicklichkeit und Fleiß zwischen 3| bis 8 Franken wechseln, doch mit

bildet ein Lohn von 4£ bis 5 Franken die Regel. Das reine Ein­ kommen — der Überschuß der Einnahmen über alle Ausgaben inkl. der Löhne — soll nach Kompletierung des Gesellschaftsfonds dreifach ver­ wendet werden: 20 Prozent zu einem unteilbaren Reservefonds, 30 Prozent zu einer Hilfskafse, 50 Prozent zu der Dividende für die arbeitenden sowie die bloß zahlenden Mitglieder. In der letztern Bestimmung

liegt ein besondrer Vorzug dieses Verbandes vor den meisten andern,

die Anerkennung und Bewilligung der Kapitalrente, vermöge deren

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

45

das Kapital zur Teilnahme an solchen Assoziationen angeregt wird. Wer die bestimmten Monatseinzahlungen von 3 Franken macht, ist wirklicher Aktionär, wenn er auch nicht in der Werkstatt arbeitet, zu

Dividende, Anteil an der Hilfskasse, Sitz und Stimme in der General­ versammlung berechtigt. Aus diesem Grunde war die Mitgliederzahl nach Anschluß der Feinklempner auch einzelner Messingdreher, Ziseleure, Blei- und Röhrenarbeiter, welche seit Ausdehnung des Geschäfts auf Gasapparate, gebraucht wurden, im Juli 1851 auf

63 aktive und 200 Adhärenten gestiegen, und die Aktiva betrugen am

1. Januar 1851 bereits 22,075 Franken, wovon 5,869 Fr. Handels­ schulden und 4,683 Fr. Einlagen der Mitglieder abgingen, so daß ein Reinverdienst von 11,523 Fr. übrig blieb. Dabei sorgt die Verwaltungs­ kommission noch für die Kranken und die Begräbnisse, bis zur Gründung einer eigentlichen Hilfskasse nach Erfüllung des Gesellschafts­ fonds, durch Abzüge vom Lohne der Mitglieder, und erhielt ein Kranker niindestens 2 Franken täglich, außerdem daß er von zwei Genossen be­ sucht und besorgt werden muß. Die Assoziation der Sesselschreiner (menuisiers en sauteuils) zu Paris fing ebenfalls sehr im kleinen an, da die Regierung ihr an­ fangs einen Vorschuß aus dem Dispositionsfonds der 3 Millionen abschlug, und die Mitglieder nur für 369 Franken Werkzeuge und 135 Fr. 20 Cent. Barschaft aus ihren Mitteln zusammenzubringen vermochten. Aber gerade daß sie nun ganz auf ihren eignen Eifer und die Güte ihrer Produkte bauen mußten, gereichte der Verbindung zum Vorteil, und sie gelangten bald zu einem gesicherten Bestand, der danil am Ende die Regierung bewog, ihnen nachträglich 25,000 Fr. zu 3| Prozent auf 14 Jahre vorzustrecken. Ende Mai 1851 zählte der Verband 190—200 aktive Arbeiter, wovon jedoch nur 108 eigentliche Mitglieder, die übrigen Gehilfen.

Die rechtliche Form und innere Ein­

richtung der Gesellschaft stimmt mit den beiden vorigen im wesentlichen überein, und der stückweis gezahlte Lohn kann nach Befinden 3—6 Franken täglich erreichen. Die Inventaraufnahme am 1. Januar 1851 ergab ein Aktivvermögen von 76,182 Fr. 10 Cent, und 53,009 Fr. 40 Cent.

Schulden, einschließlich

die ersten Ware auf 20 Cent. arbeitslos indem in

12,000 Fr. Forderungen der Mitglieder.

vier Monate 1851

Für

belief sich der Betrag der abgegebenen

66,849 Fr. 65 Cent., der gezahlten Löhne auf 48,814 Fr. Während sonst die Sesselschreiner 3 Monate im Jahre waren, hat die Assoziation seit ihrem Bestehen nie gefeiert, den stillen Perioden das Holz gekauft und so weit aus dem

46

Schulze-Delitzsch.

Groben vorgearbeitet wird, daß es noch möglich bleibt, den einzelnen Stücken die Form zu geben, welche zur Zeit der Bestellungen die Mode verlangt, wodurch man in den Stand gesetzt wird, diese alsdann schneller zu effektuieren, was eine Hauptbedingung bei diesem Geschäft ist. So hat es die Assoziation binnen kurzem dahin gebracht, daß sie einen sehr geräumigen Hof in der Vorstadt St. Antoine ringsherum mit ihren

Werkstätten und Lagern einnimmt, wofür sie 5500 Fr. Miete zahlt.

Die Assoziation der Feilenhauer (Association fraternelle des ouvriers en limes) zu Paris wurde am 28. August 1848 von

14 Arbeitern eröffnet, welche für 2280 Frank. Material und 500 Fr. Barschaft zusammenbrachten, und sehr bald in zwei Raten, im November 1848 und Januar 1849, einen Vorschuß von 10,000 Fr. von der Regierung erhielten. Bei der Französischen Industrie-Aus­

stellung 1849 erhielt ihr Fabrikat eine Ehrenmedaille, ihr Ruf war ge­ macht, und ihr Absatz fing an sich in die Provinzen auszudehnen, so daß sie jetzt das erste Etablissement ihres Geschäfts in Paris bildet. Im Frühjahr 1851 waren 42 aktive Arbeiter, davon jedoch ungefähr 18 nicht eigentliche Mitglieder, vielmehr bloße Gehilfen, denen man jedoch ebenfalls außer dem Lohne eine Dividende gab. Der rechtlichen Form nach ist

die Assoziation eine Societä en nom collectif, d. h. einer haftet für alle und alle für einen; der Geschäftsführer hat jedoch die Unterschrift im Namen der Gesellschaft. Im Sommer 1851 hatte man bereits 2 Verkaufs-Kontore und eine Hilfswerkstätte in Paris, war aber im Begriff noch drei der letztern anzulegen. Die Assoziation der Pianofortemacher zu Paris wurde, nach­ dem die Regierung einigen Hundert Arbeitern dieser Art das Gesuch um Vorschuß abgeschlagen hatte, von 14 Männern am 10. März 1849 ge­ gründet, die an Werkzeug und Material für 2000 Franken und 229 Fr. 50 Cent. Barschaft zusammenbrachten. Zwei Monate lang arbeiteten die Teilhaber ohne Lohn, indem beschäftigte Kameraden mit ihnen teilten, und sie ihre geringe Habe verkauften oder in das Leihhaus

trugen. Am 4. Mai 1849 hatten sie die ersten Einnahmen, und es blieben nach Bezahlung der fälligen Schulden 6 Franken 61 Cent, für jeden übrig, von denen man 5 Fr. als Lohn rechnete, und den Rest zu einem gemeinschaftlichen Mahle mit Weib und Kind nach langer Ent­ behrung verwendete. Einen Monat länger mußte man sich noch mit 5 Franken Wochenlohn begnügen, doch kam man, bei der Tüchtigkeit der

Arbeiter, langsam vorwärts und vom August an stieg das Wochen­ einkommen der einzelnen auf 10, 15, 20 Franken, und mehr als das

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

ward zum Betriebsfonds geschlagen.

47

Die Gesellschaft ist in rechtlicher

Hinsicht, wie die der Feilenhauer, eine Sociötfe en nom collectif, der Lohn wird stückweis bezahlt, die Dividende aber nach Köpfen und Arbeits­

tagen gewährt, was gegenwärtig für den Arbeitstag von 10 Stunden 1 Franken austrägt. Jedem Mitgliede werden so lange Abzüge gemacht, bis seine Einlage 1000 Fr. beträgt, was er über diesen Betrag im Gesellschafts-Fonds läßt, wird mit 5 Prozent verzinst. Im Sommer 1851 zählte der Verband 35 aktive Mitglieder, (Gehilfen wurden nicht ver­

wendet) der seine ausgedehnten Werkstätten in der Vorstadt St. Denis für 2000 Fr. gemietet hat. Das Inventar vom 31. Dezember 1850 ergab 39,317 Fr. 88 Cent. Aktivvermögen, wovon 6387 Fr. 86 Cent. Schulden an Fremde, 30,880 Fr. Guthaben der Mitglieder abgingen, so daß 2050 Fr. Reingewinn übrig blieben. Es waren bis dahin 264 Pianos verkauft, 16 im Magazin, 24 beinahe vollendet, und 60 in Arbeit, so daß der Verein den ersten Etablissements zweiten Ranges in Paris beigezählt wurde. Auf der Londoner Industrie-Ausstellung be­ fanden sich 2 aufrechtstehende Instrumente von ihm, von höchst eleganter Fasson, im Katalog bei Frankreich Nr. 475 verzeichnet unter der Firma:

Detir et Co. (Piano-Workmen-Society). Die Assoziation der Stuhldrechsler zu Paris (A. fraternelle des tourneurs en chaises) wurde von 15 Arbeitern mit einem Gesamtfonds von 313 Fr. 1848 gegründet, ohne Staatsunterstützung, hatte, wie die früheren, mit schweren Anfängen zu kämpfen, und ist gegenwärtig eine der blühendsten. Sie hatte im Sommer 1851 große

geräumige Ateliers und Magazine, für welche sie mehr denn 2000 Fr. Miete zahlt, 85 Mitglieder nebst 50 Gehilfen, welche nicht ausschließlich für die Gesellschaft arbeiten, und gewährte schon Ende 1850 eine Dividende von 9,838 Fr. nach Abzug von 2459 Fr. für den Betriebs­ Sie unterscheidet sich besonders dadurch von den übrigen Assoziationen, daß sie nicht Stück­ lohn, sondern Taglohn gewährt, bei welchem man jedoch die Arbeiter nach ihrer Geschicklichkeit in 2 Klassen teilt, von denen die eine täglich 50 Cent, mehr als die andere erhält. Im Übrigen ist sie eine Sociötö

fonds, und ebensoviel für die Unterstützungskasse.

au nom collectif ä l’egard des gtirants. Schließlich verdient noch die Assoziation der Lederzurichter

(Corroyeurs) und Sattler zu Paris (A. des manufacturiers des cuirs et peaux) in mehrerer Beziehung besondere Erwähnung. Da diese Industrie, um zu lohnen, ebensowohl den Handel mit Rohstoffen

als

deren

Verarbeitung voraussetzt, so wird stets angenommen,

daß

Schulze-Delitzsch.

48

dieselbe ein Kapital von mindestens 1000 Fr. auf jeden Arbeiter er­ fordert.

Zwischen 500—600 Arbeiter baten daher die Regierung um

einen Vorschuß von 50,000 Fr., welcher ihnen aber verweigert wurde.

Da ermäßigten die 74 Personen, welche demungeachtet bei dem Unter­

nehmen beharrten, die Einlage auf 100 Fr. in Geld oder Werkzeugen, welche jedoch nicht von allen gleich bar gewährt wurde, vielmehr kamen

nur 3300 Fr., in Werkzeugen, 2700 in Geld zusammen.

Man ließ

daher einstweilen nur 4 Mitglieder mit den Arbeiten beginnen, zu denen andere 8 traten, als man Stiefelschäfte zu fertigen anhub.

Im Anfang

Januar 1851 war die Mitgliederzahl auf 80 gestiegen, welche jedoch nicht sämtlich fortwährende Beschäftigung in dem Etablissement finden,

von denen vielmehr ein Teil zeitweis auswärts arbeitet; glieder

traten 1851

Der

hinzu.

Umsatz

steigerte

sich

18 neue Mit­ in

folgender

außerordentlicher Weise:

1850.

1849. Verkauf des

II. III. IV.

rr

rr

I. Quartals: 14,051 Fr-

40,633 Fr.



29,860

ff

46,352



36,379

ff

68,542



44,531

ff

66,835

f,

124,851 Fr. 222,362 Fr.

Die Assoziation ist eine Society collective und, was schon in dieser Form mit liegt, die demokratischste von allen. werden durch

Sämtliche Entscheidungen

Stimmenmehrheit getroffen, und die Beamten nur auf

augenblicklichen Widerruf, nicht auf Zeit gewählt.

in

Verdacht kamen,

Majorität

sich

angemaßt zu

gewisse Einflüsse haben, wurden

Als 10 Mitglieder

auf die Bestimmung

der

sie deshalb in der General­

versammlung interpelliert, und auf ihre Erklärung, daß sie nicht gedächten, sich öffentlichen Tadel gefallen zu lassen, zum Austritt genötigt.

gleich ist diese Verbindung die einzige, bei welcher auch

schaftlichkeit

in

der

Konsumtion der

Zu­

für Gemein­

Mitglieder gesorgt ist.

Ein

Mitglied um das andere besorgt nämlich den Ankauf der Lebensmittel in Masse für alle, wodurch es möglich wird, täglich 2 Mahlzeiten und

eilte Kollation jedesmal mit

Liter Wein für 1 Fr. 40 Cent, zu liefern.

ungefähr 22, machen gemeinsame Tafel, die Ver­

Die Unverheirateten,

heirateten erhalten Wein und Fleisch zum Kostenpreise nach Hause.

ist der Vergleich,

mit den im

Noch

vorigen Jahrhundert bestehenden Be­

dingungen zum selbständigen Betrieb des Geschäfts als Corroyenr in Paris von Interesse.

Man mußte nämlich die Stelle eines solchen, wie

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

49

noch jetzt die eines Notars, kaufen, und dem Könige 650 Fr. für den Meisterbrief zahlen. Überdem durfte kein Meister mehr als einen Lehr­

ling halten, welcher 5 Jahre lernen mußte.

Drittes Kapitel.

Deutsche Assoziationen, insbesondere die vom Verfasser angeregten. Zuruf an die deutschen Handwerker. Daß wir in Deutschland gegen die Fortschritte des Assoziations­ wesens in England und Frankreich noch sehr zurückstehn, darüber kann, nach den im Vorstehenden gegebenen, wenn auch nur flüchtigen Notizen, kein Zweifel obwalten. Sowohl in der politischen, wie in der

industriellen Entwickelung waren uns jene Länder voraus, nur lang­ sam und allmählich lenkte man bei uns in die von jenen längst betretenen Bahnen ein, und so vermochten die neuen Ideen sich weniger in der Masse der Arbeiter zu verbreiten und sie aus der alten Indolenz zum Bewußtsein ihrer Zustände, zum selbständigen Handeln zu erwecken. Insbesondere hing die durch Bildung und moralische Tüchtigkeit bei

weitem ausgezeichnetste Klasse der Arbeiter, die einzige, welche eine bürgerliche Stellung und Einfluß besaß, die der Handwerker, mit Zähigkeit an den frühern Einrichtungen fest, welche ihr eine gewisse Behaglichkeit gesichert hatte, die durch den immer mehr um sich greifen­ den fabrikmäßigen Gewerbebetrieb gefährdet war. Doch wurde auch bei uns durch die Ereignisse von 1848 eine Wendung der Dinge vorbereitet. Als sich plötzlich dem Volke mit einem Male jene eben so lockenden als unbestimmten Aussichten eröffneten, da konnte es nicht fehlen, daß unter den mannigfachen Wünschen die Forderung einer Verbesserung des Loses der arbeitenden Klassen sich in den Vordergrund drängte, und daß, da der ganze Anstoß von Frankreich ausging, manche der dort verbreiteten sozialen Ideen auch in Deutschland Eingang fanden. Doch war die Bewegung über Ziel und Mittel durchaus im unklaren, und spaltete sich gleich im Anfänge in zwei verschiedene Lager. Das eine bildete der größere Teil der selbständigen Handwerksmeister, welche — zumal im südlichen Deutschland — noch Spuren einer,

wenn auch im Verfall begriffenen Organisation in Zünften und Innungen sowie gewisse Privilegien behaupteten. Dieselben wendeten sich in der Hauptsache nm Verstärkung dieses Schutzes an den Staat, indem sie eine Reorganisation des Zunftwesens mit einigen zeitgemäßen Änderungen forderten. Die andre Partei umfaßte, außer einer AnSckulze-Dclitzsch, Schriften und Reden. I. 4

Schulze-Delitzsch.

50

zahl kleiner Handwerksmeister, die große Menge der unselbst­ ständigen Arbeiter in den Handwerken und Fabriken, sowie dieHcndarbeiter und Tagelöhner. Auch sie trat mit manchen Anforderungen an die Gesetzgebung auf, vertrat jedoch im ganzen, wenn auch unter vielen Halbheiten und Widersprüchen, mehr das Prinzip der Gewerbe­ freiheit, und erkannte wenigstens so viel an, daß die Arbeiter selbst Hand an die Verbesserung ihrer Lage legen, und aus eigner Kraft zu einer einheitlichen Organisation gelangen müßten, ehe ihnen geholfen

werden könne. Die eigentliche Handwerkerbewegung, der es bei dem angegebenen

Zwecke hauptsächlich darum zu tun war, auf die Gesetzgebung Einfluß zu gewinnen, führte zur Bildung von lokalen und. provinziellen Hand­ werkervereinen, deren Deputierte, fast gleichzeitig mit den National­ versammlungen zu Frankfurt a. M. und Berlin, an diesen Orten zu­ sammentraten, um auf die Entwerfung der Staatsgrundgesetze wo möglich einzuwirken und jenen als sachverständige Körper beratend zur Seite zu stehen. Wirklich ist es ihnen gelungen — so namentlich durch das neue Gewerbegesetz vom 2. Januar 1849 für Preußen — manche ihrer Forderungen, z. B. die Abhängigkeit des selbständigen Gewerbebetriebes vom Bestehen einer Meisterprüfung, die Abgrenzung der Gewerke rück­ sichtlich der Fabrikate, die Errichtung von Gewerberäten und Gerichten re. durchzusetzen. Allein, wie vorauszusehn, erhielt das alte, ganz durch­

löcherte System durch solches einzelne Flickwerk keinen neuen Halt, da die Hauptübel, welche den deutschen Handwerkerstand niederdrücken, die Übermacht des Kapitals und der Druck der Konkurrenz, mit den allgemeinen Bedingungen der industriellen Entwickelung Zusammenhängen, und nimmermehr durch den Zunftzwang und andere dergleichen polizeiliche Maßregeln gehoben werden können. Die Lage der Hand­

werker hat sich daher um nichts gebessert, und die Unbehaglichkeit unter ihnen ist gegenwärtig allgemein.

Ebenso verfehlte die Partei der freien Arbeiter ihren Zweck. Zwar besandten viele Arbeitervereine, welche sich bald nach den

hatten, im August 1848 einen allgemeinen Arbeiter-Kongreß zu Berlin durch Deputierte, wo man selbständig die einschlagenden Fragen erörterte, und durch die mittelst der Presse veröffentlichten Beschlüsse die verlangte Organisation zu gründen unternahm. Da sollten sämtliche Arbeiter eines Orts nach ihren ver­ schiedenen Branchen zusammentreten, um ein Lokal-Komitee aus ihrer Mitte zu wählen, welches die örtlichen Arbeiter-Interessen zu vertreten

Märztagen

gebildet

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

hatte.

51

Diese Lokal-Komitees waren den Bezirks-Komitees in dazu

bestimmten größeren Städten, und alle einem Zentral-Komitee — für das erste in Leipzig — untergeordnet. Die Lokal-Komitees sollten Arbeitsnachweis-

und

Löhnungs-Büreaus

für

die

sämtlichen

unselbständigen Arbeiter des Orts sein, indem die Arbeitgeber nur durch Vermittelung derselben Arbeiter erhalten konnten, und nur an das

Komitee, nicht an die Arbeiter die Lohne einzuzahlen hatten, wovon ge­ wisse Prozentabzüge den gemeinschaftlichen Fonds bildeten, an welchen die Einzahler erst nach 10 Jahren Ansprüche wegen eines Gewinnstanteils machen konnten. Der Fonds selbst sollte teils als Kreditbank für die Arbeiter, teils zum Ankauf von Grundstücken benutzt werden.

Allein

trotz des durchaus gesunden Grundgedankens der Selbsthilfe, wollte doch die in obiger Weise angestrebte Organisation niemals rechte Wurzel

fassen. Einmal hatte man den großen Fehler begangen, von oben nach unten zu organisieren, wodurch das ganze System zwar eine Spitze, aber keine ausreichende Grundlage erhielt. Denn mit Einsetzung der Zentral- und Bezirks-Komitees war, so lange es an den LokalVereinen fehlte, so lange der Boden in der Arbeiterwelt selbst nicht bearbeitet war, sehr wenig getan. Und um bei der letzteren Anklang zu finden, hätte man sich für das Erste mehr an die einzelnen Gewerbs­ zweige anlehnen und denselben durch örtliche Verbände aufhelfen müssen, anstatt gleich von Haus aus so weit aussehende, dem Gesichtskreise der Teilnehmer entrückte Unternehmungen, wie Ankauf von Grundstücken ic.,

zu projektieren. Auch hieß es der Entsagung von Leuten, die, bei be­ schränkten Mitteln und Ansichten zum Teil von der Hand in den

Mund zu leben genötigt sind, doch zu viel angemutet, fortlaufende, ihnen sehr fühlbare Geldopfer auf eine Frist von 10 Jahren zu ver­ langen, ohne ihnen bis dahin irgend einen greifbaren Gewinnst oder Vorteil in Aussicht zu stellen. Zu diesen Mißständen gesellten sich nun noch Verbote der Regierungen, welchen eine so weit zielende Verbindung politisch gefährlich erschien, und so zerfiel das Ganze von 1848 an dergestalt, daß es nirgends zu dauernden Gestaltungen und eigentlichen Resultaten kam. Dennoch sind die in beiden Richtungen stattgehabten Bestrebungen

kein verlorenes Glied in der Kette der sozialen Entwickelung, und gerade in dem beiderseitigen Mißlingen liegt ein Einigungspunkt der zwie­ spältigen Bewegung. Indem dasselbe die Handwerker von der Eitelkeit ihrer auf den Staatsschutz gesetzten Hoffnungen überzeugte, näherte es sie dem leitenden Gedanken der übrigen Arbeiter, der Selbsthilfe, 4*

Schulze-Delitzsch.

52

während wiederum die letztern mehr in die Schranken des praktischen Und so kam man endlich auch bei

Ausführbaren zurückgeführt wurden.

beiden Seiten seit 1849

uns von zu

bestimmten

wirtschaftlichen

die speziellen

auf

und

deren Anfängen es unser Werk zu tun hat. in

Assoziationen Zwecken,

gewerblichen

mit

Noch bewegen sich dieselben

den ersten Stadien, indem namentlich die gewerblichen sich fast

nirgends über die Beschaffung der Rohstoffe hinauserstrecken, insbesondere

ein Gewerbebetrieb für gemeinschaftliche Rechnung nur erst in einigen Assoziationen der Schneider in größern Städten (so viel dem

Verfasser bekannt geworden, nur in Berlin) vorkommt. doch mindestens der Anfang gemacht,

und

das

Indessen ist

allgemeine Interesse,

welches sich derartigen Versuchen immer mehr zuwendet, läßt von vielen Seiten ein baldiges und energisches Angreifen der Sache hoffen, wozu

überdem

der

wachsende Notstand die

kleinen Gewerbtreibenden schon

von selbst drängt, welche bald nur in den Assoziationen ihr einziges

und letztes Rettungsmittel finden werden. Bei diesem eigentümlichen Stande der Sachen in unserm Vaterlande,

wird nun bei den ersten Versuchen mit großer Behutsamkeit verfahren Die Zersetzung der frühern Organisation ist noch nicht

werden müssen.

vollständig erfolgt, der Platz von dem alten Schutt und Trümmern noch

nicht so weit geräumt,

daß

man mit völliger

Freiheit zum Neubau

Im Gegenteil hat man sich von mancher Seite her­

schreiten könnte.

bemüht, einzelne Teile des alten, morschen Gebäudes zu erhalten und auszuslicken, und es wird mit Schonung Hand an das Werk gelegt werden

müssen, um für das Neue allmählich Raum zu gewinnen.

Hauptsächlich

hat man, um mit Erfolg zu wirken, den dem Deutschen eigentümlichen vermöge dessen er seine

Hang zur Absonderung zu berücksichtigen,

Vereinzelung für Selbständigkeit zu halten geneigt ist, und diese durch dergleichen Verbände gefährdet wähnt.

am

besten

tun,

mit

wirtschaftlichen

Man wird deshalb vorerst und

solchen

gewerblichen

Assoziationen zu beginnen, welche bei den Vorbedingungen der Arbeit stehen bleiben, ohne den Gewerbebetrieb der Einzelnen selbst zu berühren.

Erst wenn man ihnen durch jene Einigungen die großen Vorteile des Anschlusses im allgemeinen

Selbständigkeit

bewiesen

hat,

welcher,

anstatt die wahre

der Arbeiter aufzuheben, vielmehr allein imstande ist,

dieselbe dem Kapital gegenüber aufrecht zu erhalten, mag man allmählich

weiter gehn, und die erforderlichen Schritte einleiten, die Mitglieder auch

zum Gewerbebetrieb selbst in größeren Etablissements, zu assoziieren. Das Mißglücken, welches bisher fast immer eintrat, wo man zu dieser durch-

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

53

gebildetsten Form der Verbindung ohne weiteres zu schreiten unternahm, sollte erfahrungsmäßig jeden vor solchen ganz unvermittelten, übereilten

Versuchen, für welche nur ausnahmsweise bei einzelnen Gewerbsbranchen und in größern Städten die nötigen Elemente vorhanden sind, abmahnen, besonders da ein solches Mißlingen im einzelnen Falle meist die üble

Folge hat, die Sache überhaupt in Mißkredit zu bringen und den Boden für weitere derartige Unternehmungen auf geraume Zeit zu verderben. In diesem Sinne hat der Verfasser, mit Hilfe gleichgesinnter Freunde,

bei Anregung der in seinem Kreise in das Leben getretenen Assoziationen Ohne irgend eine Beihilfe haben sich die betreffenden Ver­

verfahren.

bände,

denen man nur beratend

und belehrend durch Entwerfung der

Statuten und bei den sonstigen ersten Einrichtungen, zur Seite stand, mit geringen Mitteln, durch die innere Kraft

emporge­

ihres Prinzips

Und diesen Charakter der Selbsthilfe war der Verfasser stets

arbeitet.

vorzugsweise zu wahren

Denn

bemüht.

so lange bei solchen Unter­

nehmungen aus eine Unterstützung von außen gerechnet werden muß,

so

lange

Bevormundung

eine

Lebensfähigkeit

und

niemals

fehlt

stattfindet,

wird

sich

wahrhafte

ihnen

die

innere

Selbständigkeit der

Mitglieder in ihnen entwickeln, ohne welche eine dauernde Verbesserung der Zustände undenkbar ist.

Weiter hatte man überall die Verkehrsverhältnisse kleiner Pro­

vinzialstädte im Auge, wobei man jedoch die einzelnen Verbände der­ gestalt

zu

organisieren suchte,

daß

sic

ein

ineinandergreifendes,

die

wichtigsten Beziehungen der arbeitenden Klassen so viel als möglich um­

fassendes System bildeten.

In demselben sind die speziellen gewerb­

lichen Assoziationen der Mittelpunkt, da sie die ausgesprochene Tendenz

des

ganzen:

Förderung lohnender

Tätigkeit für alle,

zunächst

und unmittelbar berühren, auch mit der Zeit, bei völliger Ausbildung, die meisten übrigen entbehrlich machen dürften.

wirtschaftlichen und Kreditvereine an,

An sie lehnen sich die

eine größere

deren Zwecke

Mitgliederzahl erfordern, um mit Vorteil angewendet zu werden, wes­

halb

sie als

gemeinschaftliche

Klassen behandelt sind.

Angelegenheit

der Arbeiter aller

Eben der Umstand, daß bei den meisten Ge­

werben die Zahl der Arbeiter in kleinen Städten selbst zur Gründung

der speziellen Gewerbs-Assoziationen nicht ausreicht, bewirkte, daß

dergleichen bisher nur in gewissen zahlreicher vertretenen Handwerken

zustande kamen. Vorteile des

Um daher möglichst dem ganzen Arbeiterstande die

Assoziationswesens

zu

sichern, sind jene

allgemeinen

Verbände sämtlicher Arbeiter eines Orts der einzige Weg.

Besonders

Schulze-Delitzsch.

54

sind hier die Vorschußvereine von der größten Wichtigkeit, weil durch

sie den isoliert stehenden, kleineren Gewerbetreibenden das zum Ankauf des Rohmaterials in größern Partieen und sonstigen, vorteilhaften Geschäfts­ betrieb unumgänglich erforderliche Kapital verschafft, und ihnen so der den Mitgliedern der gewerblichen Assoziationen erwachsende Vorteil

mindestens zum Teil gesichert wird.

Auf diese Weise sind seit dem

Sommer 1849 allmählich in den Nachbarstädten Delitzsch (5000 Einwohner),

Eilenburg (9—10,000 Einwohner) und Bitterfeld

(4000 Einwohner),

im ganzen genommen 12 Assoziationen in das Leben getreten, wovon 6 sich auf spezielle Gewerbe, 2 auf die Krankenpflege beziehen, 2 den Vorschußvereinen angehören und 2 für notwendige Subsistenz­ mittel sorgen.

Von kleinen Anfängen ausgegangen, sind sie fast sämt­

lich in erfreulichem Wachstum begriffen, gewähren den Mitgliedern nam­

hafte

Vorteile

und

haben

nebenbei

von

dem

baren

Gewinn

ihrer

Kassengeschäfte einen mehr oder minder bedeutenden Reservefonds auf­

gesammelt, so daß bei einzelnen gegenwärtig schon an eine Dividende ge­

dacht werden kann.

Durch den guten Fortgang ermuntert, beginnt ins­

besondere der kleinere Gewerbe- und Handwerkerstand sich immer all­ gemeiner zu beteiligen, und es ist Hoffnung, daß noch mehrere einzelne

Gewerke zu speziellen Assoziationen zusanimentreten werden, woran außer der zu kleinen Zahl der denselben angehörigen Arbeiter, bisher auch noch

die Nähe der großen Städte, Leipzig und Halle, hinderlich war, da viele

von dortigen Etablissements Beschäftigung erhalten und so für die lokalen Gestaltungen verloren gehn. Jedenfalls ist das hier durch die Assoziationen Geleistete um so mehr ein Beweis für die Macht und praktische An­

wendbarkeit des ihnen zugrunde liegenden Prinzips.

Denn außer den

angedeuteten ungünstigen örtlichen Verhältnissen war auch noch der durch

die enggezogenen Verkehrsschranken bedingte enge Gesichtskreis der hiesigen Arbeiterwelt keineswegs förderlich, wie es denn an Trägheit der eignen

Glieder, an kleinlichen Angriffen beschränkter Köpfe und

besonders an

heftiger Anfeindung solcher, deren wucherischer Ausbeutung die Mitglieder der Assoziationen sich entzogen haben, nicht gefehlt hat.

Was die rechtliche Form anlangt, welche bei Gründung der frag­

lichen Verbände innezuhalten war,

schlagenden

Vorschriften

des

in

so mußte natürlich auf die ein­

Delitzsch

und

Umgegend

geltenden

Ällgem. Preuß. Landrechts über Gemeinschaften durch Vertrag (Tl. 1, Tit. 17, Absch. 3) Rücksicht genommen werden. Dieselben bilden hiernach gewöhnliche Sozietäten, denen das Statut als Gesellschafts­ vertrag zugrunde liegt. Überall werden die Sozietütsgeschäfte nach

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

55

Majoritätsbeschlüssen geordnet, und sämtliche Mitglieder stehen für die

Schulden und sonstigen Verbindlichkeiten der Gesellschaft solidarisch ein. Die Ausführung der Beschlüsse sowie die eigentliche Verwaltung ist meist

Vorständen

oder

Ausschüssen,

auch

wohl

einzelnen

Beamten

Kommissionen übertragen, für welche die Statuten, oder

schlüsse die Vollmachten

und

besondere Be­

Diese, der französischen

enthalten müssen.

Societe en nom collectif entsprechende Form zeigte sich für den bisherigen

Geschäftskreis der Assoziationen vollkommen ausreichend. Insofern jedoch, bei

weiterer

Rechnung

Ausbildung,

Gewerbebetrieb

für

gemeinschaftliche

und eigentlicher Handel dem Publikum gegenüber hinzu­

treten, möchte vielleicht die Anwendung einer Firma und Beschränkung

der Verantwortlichkeit auf einige wenige Geschäftsführer, nach den Vor­ schriften

über

kaufmännische

Sozietätshandlungen,

angemessener

sein,

wie man dies in Frankreich bereits erprobt hat. Es wird nun in den folgenden Abschnitten eine vollständige Über sicht der bei den einzelnen Assoziationen beobachteten

Grundsätze,

ge­

troffenen Einrichtungen und gewonnenen Resultate gegeben werden. Doch

möge am Schlüsse der allgemeinen Erörterungen vorher noch ein Zuruf

„an die deutschen Handwerker" eine Stelle finden, zu welchem den Verfasser, außerdem, daß es sich um

eine Lebensfrage für diese wichtige Klasse handelt, noch die besondern Beziehungen drängen, in denen er zu ihnen während seiner öffentlichen Wirksamkeit gestanden hat.

Als Vorsitzender der für ihre Angelegen­

heiten von der Preußischen Nationalversammlung 1848 eingesetzten

Spezialkommission,

welcher

sich Deputierte

werkervereine angeschlossen hatten,

aller

größern

Hand­

trat er nämlich mit einer Anzahl

der tüchtigsten Männer aus ihrer Mitte in Verbindung, woher sich einige praktische Vertrautheit mit ihren Angelegenheiten und die lebhafte Teil­

nahme schreibt, welche ihn

noch jetzt,

Förderung ihrer Interessen

sich

als

Privatmann,

zu einer Lebensaufgabe

antreibt, zu

die

machen.

Möchten jene Männer, die treuen Genossen redlicher, wenn auch einseitiger Bestrebungen, möchten überhaupt alle, mit denen der Verfasser sonst noch

in dieser Sache in Berührung trat, sofern ihnen diese Zeilen zu Gesicht

kommen, einen Beweis darin finden, daß er, wie er gegen sie stets den

Fortschritt vertrat, auch seinerseits nicht stehen geblieben ist; möchten die darin überall auf praktische Resultate gestützten Erörterungen mit

dazu dienen, bei ihnen manche Befangenheit überwinden zu helfen, welche eine notwendige Folge ihrer bisherigen Lebensstellung, der herrschenden Verhältnisse war.

Schulze-Delitzsch.

56

Wohl ist das allgemeine Gefühl, welches den ganzen Handwerker­

stand gegenwärtig durchdringt: das Gefühl von der völligen Unhaltbarkeit

seiner Stellung

gegen

die

jetzt im Verkehr zur Geltung kommenden

Mächte, das Kapital und die Fabrikindustrie, nur allzubegründet. Alle sind darüber einig, daß es anders werden müsse, daß man nicht so

stehn

bleiben könne.

Allein anstatt vorwärts, jenen neuen Mitteln

und Bahnen, deren sich das Gewerbe zu bemächtigen beginnt, zugewendet,

will man zurück? — Das ist ebenso verkehrt als unmöglich.

Oder

könnte denn jemand im Ernste meinen, daß, wenn man wirklich die alten Formen und Ordnungen, bei denen sich die Vorfahren vor 40 bis 50 Jahren wohl befanden, wieder cinführen wollte, frühern Zustände der damaligen Welt wieder

dann auch zugleich die

mit zurückkehren würden,

auf welche jene allein paßten? — O nein! Anstatt sich über die Eingriffe der Fabrik und des Handels, über die Übermacht des Kapitals zu beklagen, sollte man

sich lieber selbst der Vorteile des

fabrikmäßigen,

des kaufmännischen Betriebs bemächtigen, und sich das Kapital dienstbar machen.

Wollt nur, und ihr könnt es! — Einer Zeit, in der es

vor allem gilt

um gleiches Recht und gleichen Raum zu freier

Tätigkeit für alle, der darf man nicht mit dem Geschrei um Schutz

und Privilegien entgegentreten, ohne die eigne Unreife zuzugestehen. Aber

das ist eben die üble Gewöhnung der langen polizeilichen Bevormundung, welche dem Deutschen

anklebt: überall,

wo sich ein umsichtiger Mensch

selbst zu helfen wissen soll, gleich nach der Polizei zu

rufen und den

Schutz der Obrigkeit zu verlangen, als sei der eigne Schutzgeist gewichen! Am meisten bedürfte so mancher deutsche Handwerker des Schutzes gegen

sich selbst.

Den alten Schlendrian abzutun, jenen

bequemen Meister­

dünkel, der am Ende aller Weisheit angekommen zu sein wähnt, das tut vor allem Not!

Täglich zuzulernen und sich frisch zu rühren gilt

es, um jeden neuen Fortschritt der Gewerksindustrie, jeden Vorteil in

Handel und Wandel abzupassen, wenn man jetzt fortkommen will. Eben

so ist es mit den Innungen. Auch dieser Forderung liegt ein richtiges Gefühl zugrunde, indem ohne Einigung an eine Verbesserung der Zu­

stände nicht zu denken ist.

Allein das alte Zunftwesen mit seiner

bloß formalen, beschränkenden Tendenz, ist ohne allen Inhalt und tot,

und es ist durchaus vergeblich, durch die Gewerbegesetzgebung von außen wieder ein Leben hineinbringen zu wollen, welches nicht aus der innern

Kraft des Organismus selbst heroorquillt. Nicht der Zwang, das eigne Interesse muß den Anschluß hervorbringen und den Verbänden Halt geben, wenn dieselben dauernd auf die Hebung des Arbeiterstandes ein-

Assoziotionsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter. wirken sollen.

57

Die Assoziationen, mit der ganzen Macht und Fülle

ihres Prinzips sind die Innungen der Zukunft! Und je unerschütterter

eine große Zukunft des deutschen Hand­

der Glaube des Verfassers an

werker-

und

Arbeiterstandes

fest steht,

desto

dringender

ergeht seine

Mahnung an alle Glieder desselben: die Fesseln und Banden veralteter Anschauungen, abgestorbener Zustände von

nur die freie Regung

von Hand

Brust hemmen, und sie hindern,

sich abzutun, da dieselben

und Kopf den frischen Mut in der

sich dieser Zukunft mit ganzer Seele

zuzuwenden und je eher je lieber zu bemächtigen. Viertes Kapitel.

Krankenunterstützungs-Verein. Unstreitig gehören die Vereine zur Übertragung der Krankenpflege,

wie sie schon vor längerer Zeit bei manchen Innungen und Gewerken

vorkamen und insbesondere mit dem Institut der Gesellenkassen ver­ bunden waren, zu den frühesten Arten der Assoziationen.

Wir be­

ginnen aber mit ihnen insbesondere deshalb die nähere Besprechung, weil sie in der Tat hier die Reihe derselben eröffneten. sämtlichen

machte

im

nämlich

Kreise die

des

Kranken-

und

Den Anfang unter

entstandenen

Verfassers

Assoziationen

Sterbekasse zu Delitzsch im

Sommer 1849, welchem der Krankenunterstützungs-Verein in Eilen­

burg gegen Ende desselben Jahres folgte.

Beide gehen bei Behandlung

der Sache von völlig entgegengesetzten Gesichtspunkten aus, weshalb es

notwendig und von Interesse sein wird, die von jedem angenommenen

Grundsätze und Einrichtungen, so wie die erreichten Resultate gesondert mitzuteilen.

Bei Stiftung des Delitzscher Vereins hatte man vorzugsweise

diejenige Klasse der Einwohner im Auge, welche ohne einen solchen An­ schluß die gehörige Krankenpflege entweder nur höchst unvollkommen, oder doch mit schweren, zu ihrem Einkommen nicht im Verhältnis stehenden

Opfern erlangen

kann,

die

kleinern

Auf die eigentlich Wohlhabenden

nahm

Handwerker und Arbeiter.

man dabei keine Rücksicht, weil

man sie, schon wegen des dauernden persönlichen Verhältnisses zu einem

bestimmten Arzte, welches bei ihnen gewöhnlich ist, nicht für geneigt hielt,

sich einem Vereine anzuschließen, Beschränkungen auferlegen mußte.

der ihnen in dieser Beziehung gewisse

Die

Pflichten und Rechte der Mit­

glieder wurden daher gleichmäßig für alle festgesetzt,

und

nur bei dem

Eintrittsgelde ein Unterschied gemacht, indem dasselbe zur Ausgleichung

Schulze-Delitzsch.

58

der

verschiedenen

Altersstufen

diente.

Von den wenigen Begüterten,

welche sich dem Vereine anschlossen, nahm man stillschweigend an, daß sie es mehr zur Förderung des gemeinnützigen Zweckes, als um unbillige Vorteile daraus für sich zu ziehen, täten; eine Voraussetzung, die bis­ her

noch

nicht getäuscht hat.

völlig sicher zu stellen,

Um

sich

wurden neuerdings

jedoch

in

dieser

Rücksicht

die Mitglieder nach ihrer

Wohlhabenheit in drei Klassen geteilt, hinsichtlich der bisherigen gleichen

Beitragspflicht aller

zwar

nichts

geändert,

wohl aber hinsichtlich der

Leistungen, welche ihnen der Verein in Krankheitsfällen gewährt.

Die

I. Klasse (höchstens 14—16 Köpfe) hat hiernach bloß die freie Medizin

aus der Vereins-Apotheke, die II. Klasse (etwa 8—10 Mitglieder) das und die unentgeltliche Hilfsleistung durch den Vereinsarzt, die III. Klasse

außerdem noch, bei Arbeitsunfähigkeit, eine bare Geldunterstützung zu beanspruchen.

Auf diese Weise erreicht man

obigen Zweck,

ohne das

Kassenwesen verwickelt zu machen, wie dies durch Normierung verschiedener Beitragsstufen geschehen sein würde, indem dasselbe, selbst in seiner gegen­

wärtigen, höchst einfachen Form, schon einen Aufwand von 30 Talern

jährlich verursacht, wovon 15 Tlr. der Kassierer, 15 Tlr. der Kassen­ bote erhält.

Die Annahme des letztem zeigte sich nämlich leider als

notwendig, da der gemachte Versuch, die Beiträge durch die Mitglieder selbst an die Bezirksvorsteher einzahlen zu lassen, die größten Unordnungen

und bedeutende Reste zur Folge hatte, deren Abzahlung den Einzelnen,

sobald erst größere Beträge aufgesummt sind, oft sehr schwer, zum Teil unmöglich wird.

Im übrigen hat sich für die beobachteten Grundsätze

durch die bisherige Verwaltung

ein ziemlich günstiges Resultat heraus­

gestellt. Der Verein, welcher im allgemeinen, ebenso wie der Eilenburger, den Charakter einer auf Gegenseitigkeit beruhenden Assekuranz trägt,

eröffnete seine Wirksamkeit im August 1849 mit 136 Mitgliedern.

nahm im

Anfänge nur

Er

selbständige Männer und Frauen auf,

welche ihre eignen, bezüglich ihrer Familien Ernährer waren, und sorgte

nicht nur für ärztliche Hilfe und Medizin, sondern gewährten auch seinen

Mitgliedern, bei Arbeitsunfähigkeit, eine bare, nach fünfjähriger Mit­

gliedschaft wachsende Geldunterstützung von vorläufig 20 Sgr. für die Woche, welche jedoch in keinem Jahre 10 Tlr.

übersteigen darf, wo­

gegen dieselben einen Monatsbeitrag von 3 Sgr. pro Person zahlten.

Schon gegen Ende 1850 war man dahin gediehen, die Ehefrauen der

Mitglieder, bei welchen es nur auf den Arzt und die Medizin, nicht auf eine Geldunterstützung ankam, gegen einen Monatsbeitrag von Vl„ Sgr.

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

59

zuzulassen, und seit dem zweiten Semester 1852 wurde es endlich möglich,

dasselbe, wie den Frauen, auch den Kindern der Mitglieder gegen einen monatlichen Beitrag von 1 Sgr. für den Kopf, zu gewähren.

Doch hat

nur der kleinste Teil der Mitglieder neuerlich erst angefangen, von dieser

Vergünstigung für die Kinder Gebrauch zu machen, da den Tagelöhnern

und vielen der kleinern Handwerker auch diese niedrigen Sätze zusammen­ genommen,

bei ihrem geringen Einkommen und dem hohen Preise der

nötigsten Lebensbedürfnisse, zu schwer fielen.

in

keiner

Es ist daher, um dieselben

Weise zu benachteiligen, und doch den

bessergestellten Mit­

gliedern die Möglichkeit zu sichern, mit ihrer ganzen Familie an den Wohltaten

des Vereins Teil zu nehmen, gegenwärtig die Einrichtung

getroffen, daß, bis sich die Angemessenheit des Satzes bei den Kindern

durch eine längere Erfahrung

erprobt hat, über die desfallsige Ein­

nahme und Ausgabe besondere Rechnung geführt und ein etwaiges Mehr der letztern von sämtlichen Vätern übertragen wird.

Sowohl mit dem Arzte, als den beiden hiesigen Apothekern, welche

in Lieferung der Medikamente gegen einen der Kasse zugute kommenden Rabatt von 10 Prozent, halbjährig abwechseln, bestehen noch dieselben

Kontrakte, wie beim Beginn des Vereins. Doch ist sämtlichen Mit­ gliedern gegenwärtig gestattet, sich noch zweier andern hiesigen Ärzte, außer dem Vereinsarzt, jedoch auf ihre Kosten, zu bedienen,

welche sich

verpflichtet haben, die erforderlichen Arbeitsunfähigkeitsatteste auszustellen,

dagegen ä Conto der Vereinskasse für deren Mitglieder rezeptieren dürfen.

9(n diese beiden und den Vereinsarzt sind namentlich die Mitglieder der

I. Klasse gewiesen, wenn sie den Genuß der freien Medizin nicht ent­ behren wollen.

Der Verein umfaßt gegenwärtig:

245 selbständige Mitglieder, mit Ausnahme weniger Frauen sämtlich Männer;

78 Ehefrauen von Mitgliedern; und 24 Kinder von Mitgliedern, und haben die im Vorstehenden erwähnten Beiträge nicht nur zur Deckung des sämtlichen Aufwandes vollkommen hingereicht, sondern noch einen Überschuß gewährt, der alljährlich zum

Kapital geschlagen werden konnte.

Während nämlich bei Gründung des

Vereins nur ein Fonds von 100 Talern, der Überrest einer während der Teuerung von 1846—1847

beläuft

sich das

Reservekapital

gestifteten Hilfskasse, vorhanden war, gegenwärtig

gegen 5 Prozent Zinsen ausgeliehen ist. geschlossene

Jahresrechnung

pro

1852

auf

380

Taler, welches

Die im letzten Januar ab­ ergab,

bei

einer

Gesamt-

Schulze-Delitzsch.

60

Einnahme von 358 Taler 29 Sgr. 10 Pf. und 12 Tlr.

10 Sgr.

Einnahme-Resten, folgende Hauptausgabeposten: 67 Tlr.

102

7 Sgr.

4 Pf. bare Geldunterstützu

1

,,

7







für Bruchbandagen,







Honorar des Arztes,









Verwaltungskosten,

28



6



insgemein,

8

20

100



30

tf

3

334 Tlr.

Medizinalkosten,

5 Pf. in Summa,

27 Sgr.

so daß auch von der Einnahme des verflossenen Jahres ein Uberschuß

zum Reservefonds geschlagen werden konnte, obschon dasselbe rücksichtlich

des

Gesundheitszustandes

seit

Stiftung des Vereins

weitab

das

un­

günstigste gewesen ist und sich bei den Beiträgen der Ehefrauen der Mit­

glieder ein Ausfall von nahe

15 Tlr. gegen den

durch

dieselben der

Kasse verursachten Aufwand herausstellte, der aus den übrigen Einnahmen übertragen

werden

mußte.

In der

Tat ist es auch notwendig, daß

dieser Fonds recht bald auf diejenige Höhe gebracht werde, welche die

Garantie für die Mitglieder bei unglücklichen Konjunkturen, wie Epidemien u. bergt

erfordert, und die es zugleich möglich macht, von den zu­

fließenden Zinsen den größten

Teil der Verwaltungskosten zu decken,

sowie die im Statut in Aussicht gestellte Erhöhung der Geldunterstützung für die ältern Mitglieder eintreten zu lassen.

Was die mit dem Verein verbundene Sterbekaffe anlangt, so be­ zweckt dieselbe nur, den Hinterbliebenen verstorbener Mitglieder eine kleine Summe in die Hände zu geben, mit welcher sie die Begräbniskosten und den sonst durch den Todesfall ihnen zunächst erwachsenden Aufwand decken können.

Die ganze Einrichtung ist höchst einfach, eine eigentliche Kassen­

verwaltung gar nicht damit verbunden, so

daß alles aus dem Statut

vollständig ersehen werden kann. In den bis jetzt vorgekommenen Fällen konnten an die betroffenen Familien doch jedesmal zirka 8 Taler bar

ausgezahlt werden.

Der in Eilenburg unter Leitung des durch sein wissenschaftliches

wie gemeinnütziges Wirken in weitern Kreisen bekannten dortigen Arztes,

Dr. Bernhardt sen., zusammengetretene Verein beabsichtigte, im Gegen­ satz zu dem Delitzscher, so viel wie möglich alle Stände und Klassen

der Gesellschaft in sich aufzunehmen.

Indessen mußte er die nur teil­

weise Ausführbarkeit dieser Tendenz gleich bei seiner Gründung anerkennen,

indem er seine Wirksamkeit für die Krankenpflege nach zwei Hauptzweigen

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

61

schied, und nur bei Beschaffung der ärztlichen Hilfe eine Beteiligung

für alle gegen eine Steuer ermöglichte.

nach dem Vermögen der einzelnen verschiedene Bei Übertragung des übrigen Aufwandes der

Krankenpflege dagegen wurden gleiche Beiträge von allen

und gleiche

Leistungen an alle eingeführt, also eine Gleichheit der Mittel und des Bedürfnisses vorausgesetzt, und die Sätze derartig normiert, daß unläugbar

daraus hervorgeht, wie man hauptsächlich die Beteiligung der arbeitenden

Klassen dabei im Auge hatte.

So zerfällt

denn

der

Verein in zwei ganz selbständige Unter­

vereine, welche verschiedene Mitglieder und getrenntes Kassenwesen haben,

und ebensogut getrennt bestehen würden, nämlich in den Arztsteuer­ verein und den Krankensteuerverein. Der Krankensteuerverein zählt 146 Mitglieder (natürlich nur

Erwerber, Familienväter, selbständige

Arbeiter), welche

sämtlich, wie

wir gleich oben andeuteten, dem Stande der Handwerker und Fabrik­ arbeiter angehören. Dieselben zahlten bis zum 1. Januar 1853 ä Person

2 Sgr. monatliche Beitrüge und ein Eintrittsgeld, welches bis mit

30 Jahren 10 Sgr., von 30—40 Jahren 20 Sgr., von 40—50 Jahren Vom 1. Januar 1853 ab wurden aber, um

1 Tlr. 10 Sgr. betrug.

die

Ausgaben

höht,

zu

das

und

Alters festgesetzt. bei

decken,

die

Monatsbeiträge

Eintrittsgeld Dafür erhielten

beschränkter

auf

1

Tlr.

auf

ohne

des

die Mitglieder in Krankheitsfällen

Arbeitsfähigkeit

2J/2

Sgr., bei völliger Ar­

beitsunfähigkeit 5 Sgr. pro Tag, wofür sie jedoch mit bestreiten müssen.

2*/2 Sgr. er­

Unterschied

die Medizin

Zur Aufsammlung eines Reservefonds ist es

bisher nicht gekommen, indem die Ausgaben nicht nur die Monatsbeiträge

sondern

auch

die Eintrittsgelder

der Mitglieder» bis auf einen ganz

geringfügigen Betrag absorbiert haben, weshalb eben die erwähnte Er­ höhung stattfinden mußte. Bei

dem

Arztsteuerverein

zerfallen

die Teilnehmer in zwei

Klassen, in versichernde, welche die eigentlichen stimmberechtigten Mit­

glieder

bilden,

und versicherte,

wozu die Versichernden selbst, ihre

Familienglieder, Dienstboten, Lehrlinge gehören können.

Für jedes ver­

sicherte Mitglied hat der Versicherer eine jährliche St en er in die Ver­

einskasse zu zahlen, welche dem Klassensteuersatze des erstern, resp, seines

Vaters rc.

in der Art entspricht, daß dabei die monatlichen Steuer­

einheiten (zu V[4 Sgr.) zugrunde gelegt und jede mit 2 Sgr. berechnet werden, welcher Satz, nach einem späteren Gesellschaftsbeschlusse, bei der

8.—12. Steuerstufe noch durch einen Zuschlag von 2 Sgr. erhöht wird.

Schulze-Delitzsch.

62

Beträgt z. B. der monatliche Klassensteuersatz eines Mitgliedes 5 Sgr.

(10te Klasse) so ergibt sich, nach 4 Steuereinheiten, ein Jahresbeitrag von 8 Sgr.

2 Sgr., also im ganzen von 10 Sgr.

Die Motive und

Berechnungen, worauf sich die Veranlagung gründet, sind dem Statute

ausführlich inseriert, der erwähnte Zuschlag in den 4 letzten Steuerklassen aber wurde dadurch notwendig, daß die erwartete Beteiligung der ersten

Klassen ausblieb. Gegen diese Steuer erhalten nun die Versicherten bei allen Krank­ heitsfällen ärztliche Hilfe, wobei ihnen die Auswahl unter den im Orte wohnhaften Ärzten und Chirurgen freisteht. Der Verein hat nämlich mit den 3 in Eilenburg Praktizierenden allopathischen Ärzten

so wie den 2 Chirurgen zweiter Klasse im ganzen kontrahiert, so daß

diese 5 Medizinalpersonen, dem Vereine gegenüber eine Einheit bilden, welche der Senior derselben, repräsentiert. An diesen zahlt der Kassierer

vierteljährlich die volle sich nach der Mitgliederliste ergebende viertel­

jährliche Steuersumme, welche die fünf sodann nach Verhältnis der von einem jeden bei Vereinsmitgliedern gehabten ärztlichen Bemühungen unter

sich teilen.

Jeder Arzt und Chirurg reicht zu diesem Zwecke am Schluffe

des Vierteljahres

seine

zugrunde

Medizinaltaxe

welcher

Liquidation,

gelegt

an

wird,

der

niedrigste Satz

den Senior

der

der die

ein,

Repartition anlegt, wonächst die Revision und Zahlung in einer all­

gemeinen Konferenz erfolgt. Der Verein,

Teilnehmern anfing, zählt gegen­

welcher mit 500

wärtig 900 Köpfe, und entwickelt eine die Mitglieder durchaus zufrieden­ stellende Wirksamkeit.

Eine

eigentliche

Doch drängt

Kritik

über

die

Motive und Tendenzen

eigentümlichen

verschiedenen

beiden

Vereinen

dürfte noch zu vorzeitig sein.

sich rücksichtlich des Zieles,

welches sich der Eilenburger

Verein gesteckt hat, schon jetzt die Bemerkung aus: daß das Verhältnis der dortigen Ärzte unter einander, welches den Teilnehmern der

Assoziation die freie Wahl unter ihnen gestattet, ein so außergewöhnliches ist,

daß es durchaus nicht als Norm aufgestellt werden kann.

Wenn

nun aber sogar bei so günstigen, lokalen Umständen die Beteiligung der

Reicheren

nicht

Durchführbarkeit

hat

erreicht werden

können,

so

möchte wohl an der

eines für alle Stände in dieser Beziehung berechneten

Vereins überhaupt zu zweifeln sein.

Wie in den frühern Abschnitten

ausgeführt worden, ist es wesentlich das Bedürfnis,

das Interesse,

welches unsern Assoziationen den Halt geben muß; ein Bedürfnis ist aber bei den reichern Klassen nicht vorhanden und ihr Interesse wider-

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

63

streitet eher dem Anschluß, da sie in der Regel, wie die dem Statut bei­

gedruckten Motive selbst besagen, abfinden können.

ohnedem sich mit dem Arzte billiger

Es dürfte also bei allen solchen Vereinen immer mehr

namentlich der arbeitenden

oder weniger auf den Beitritt bestimmter,

Klassen hinauslaufen. Wert

nicht,

Doch nimmt dies der Bernhardischen Arbeit den

da auch innerhalb dieser engern Grenzen eine Abstufung

nach Höhe der Löhne und des Verdienstes immer noch sehr zu wünschen ist.

In jedem Falle bleiben die zur Motivierung der Steuersätze an­

Berechnungen äußerst wichtig,

gestellten statistischen

indem anders für

Bemessung eines angemessenen ärztlichen Honorars so wie für die Höhe der Beiträge gar kein Anhalt gewonnen werden kann.

Dieselben wurden

daher auch dem von dem Delitzscher Verein dem Arzte bewilligten Honorar zugrunde gelegt, wenn dasselbe auf 100 Tlr. für 350 Köpfe

normiert, und für je 50 mehr 10 Taler zugelegt wurden.

Denn obschon

so der von Bernhardt berechnete durchschnittliche Normalsatz von 10 Sgr.

pro Kopf nicht ganz erreicht wird,

so mußte doch dabei in Anschlag

kommen, daß der Delitzscher Verein entschieden nur die am wenigsten

wohlhabenden Klassen umfaßt, dem Arzte also außerhalb desselben eine mehr

lohnende Praxis offen steht, während

waltung unter den

Vereinsgliedern, wenn

ihm seine sonstige Müh-

der

Verein nicht bestände,

erfahrungsmäßig weit niedriger, in manchen Fällen gar nicht remuneriert werden würde.

Eins

aber muß

bei

Betrachtung beider Institute

hervorgehoben

werden: daß bei allen solchen Vereinen der Aufwand mit der Dauer ihres Bestehens steigt, und daß es daher durchaus falsch ist, nach den Ausgaben der ersten Jahre einen festen Etat für die Zukunft

bestimmen zu wollen.

Erst mit der Zeit stellen sich mehr und mehr die

Fälle andauernder Kränklichkeit bei den einzelnen ein, und überhaupt

rückt die

Gesamtheit der Mitglieder in den Jahren

vor, was schon

allein eine Vermehrung der Krankheiten zur Folge hat.

Kann daher

von den laufenden Einnahmen der ersten Jahre nicht ein Reservefonds von einigem Belang zurückgelegt werden, so ist dies das sicherste Zeichen, daß die eingeführten Steuern für das Bedürfnis nicht ausreichen und

früher oder später erhöht werden müssen.

Namentlich sichere man die

Eintrittsgelder für den Reservefonds, und messe, wenn man nicht die

Existenz des Vereins in nächster Zukunft auf das Spiel setzen will, die laufenden Steuern so hoch ab, daß auch von ihnen, mindestens im An­ fänge, ein Überschuß zu jenem Fonds fließt. Doch ist es, um diesen

Zweck nicht zu verfehlen,

noch außerdem notwendig,

daß die aus der

Schulze-Delitzsch.

64

fließenden Geldunterstützungen

Kasse

auf

einen bestimmten

höchsten

Satz für jedes Jahr beschränkt werden, wenn anders das Prinzip fixierter Beiträge gewährt und, ohne Ruin der Kasse, die eventuelle Erhöhung

derselben bei besonders ungünstigen Verhältnissen, vermieden werden soll.

Ebenso muß die Verhaftung der Kasse für Zustände der Arbeitsunfähigkeit, welche sich

erst als

überstandener Krankheiten

unheibare Folgeübel

zeigen, ausgeschlossen werden, so lange nicht die Beiträge für den Auf­ einer

wand

solchen

Jnvalidenversorgung,

welche

außerhalb

des

eigentlichen Vereinszwecks liegt, besonders berechnet sind. So hart es scheinen könnte, daß in beiden Fällen der Verein seine Mitglieder nicht

überträgt,

so liegt doch,

Beiträge,

als

wenn die Steuerkraft derselben keine höheren

die in den hiesigen Vereinen

finanzielle Unmöglichkeit der Erhöhung

bestimmten,

zuläßt,

der Gegenleistungen

die

klar vor

Augen, und daß die hier eingeführten Sätze schon das äußerste sind, was ein großer Teil der Mitglieder gewähren kann, hat die Erfahrung Der

gelehrt.

Delitzscher

Verein

hat

fick

daher

für

beide

Be­

schränkungen entschieden, da er unmöglich gegen so geringe Steuern die

öffentliche Last der Armenpflege gegen alle seine Mitglieder übernehmen konnte, welcher diejenigen, welche lediglich von ihrer Hände Arbeit sich ernähren,

alsdann unsausbleiblich anheim fallen müssen, wenn sie auf

Jahre oder für immer dazu unfähig werden.

Genug, daß er sie in den

gewöhnlichen Füllen zeitweiser Erkrankung davor schützt, und sie nur bei

besonderm Unglück, wie es im ganzen nur selten vorkommt, der öffent­ lichen Fürsorge überläßt, indem er ihnen selbst dann noch ärztliche Hilfe und Medizin fortgewährt, irgend

eine Beihilfe aus

und die Last der Armenpflege auch so, den

dazu

bestimmten Fonds, bedeutend

ohne er­

leichtert. Höchst wichtig ist nach alledem trittsgelder stufen.

als

Da es

Ausgleichung

das richtige Verhältnis der Ein­ für die verschiedenen Alters­

als unbestrittene Erfahrung gilt, daß

sich mit dem

vorschreitenden Alter Krankheiten und Körperschwäche mehren, so würde man das dem

Vereine zugrunde liegende Affekuranzprinzip verletzen,

wollte man die verschiedene Lage der Mitglieder in dieser Beziehung bei

Abmessung ihrer Verpflichtungen unberücksichtigt lassen. Vermöge dieses Prinzips darf jemand im Augenblick der Versicherung gegen eine be­ stimmte Gefahr (in unserem Falle Krankheit) selbst davon noch nicht betroffen oder bestimmt und nahe gefährdet sein, d. h. er muß vollkommen

gesund, weder krank, noch

von solcher Körperbeschaffenheit sein,

Krankheiten

nahe

bestimmt und

bevorstehen.

daß

Je mehr sein Zustand

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

ß5

hierzu disponiert, je mehr Gefährlichkeit also bei ihm vorhanden ist,

desto höher muß die Prämie, die er für die Versicherung zahlt, berechnet wenn seine Aufnahme nicht das Interesse aller übrigen Mit­

werden,

offenbar benachteiligen soll.

glieder

Hiernach würde es durchaus ge­

rechtfertigt sein, verschiedene Sätze bei den fortlaufenden Steuern für die

verschiedenen Altersklassen festzusetzen, wie andere Assekuranzgesellschaften die Höhe der Prämie nach der höher» oder niedern Gefährlichkeit in den

einzelnen Versicherungen abmessen. um

Rechnungswesen

vieles

Allein dies würde das Kassen- und

verwickelter

und

schwieriger

und

machen

die Verwaltungskosten so vermehren, daß die etwa zu erreichenden Mehr­ einnahmen dadurch zum großen Teil wieder verloren gingen. schien

deshalb zweckinäßiger,

durch

eine

wirken.

beim Eintritt

Rur

muß

Altersstufen die

des

Es er­ Alters

ein für allemal festzusetzende Abgabe zu be­

diese hoch

genug sein

und für die verschiedenen

halten,

wenn sie den Zweck

was der Eilenburger Krankensteuerverein, wie

zu seinem Schaden erfahren hat,

da, bei höherem Eintritts­

die Erschöpfung der Kasse nicht so bald eingetreten sein würde.

gelde,

Daß

Ausgleichung hinsichtlich

richtige Steigerung inne

nicht verfehlen soll, wir sahen,

die

sich

höhern,

Alters,

dieser

Verein

aber

dadurch

zwar

aber gleichen Eintrittsgeldes für

hat bestimmen

zur

alle,

Einführung

eines

ohne Unterschied des

lassen, kann nach Vorstehendem durchaus nicht

gebilligt werden, und dürfte sich für die Zukunft schwerlich bewähren. Aus dem revidierten Statut der Kranken- und Sterbekasse zu Delitzsch seien nur einige gegen früher (Seite 8) abgeänderte Bestimmungen yervorgehoben:

§ 6.

Ausschuß.

In den Ausschuß werden gewählt: 1 Vereinsmitglied aus der ersten, 1 aus der zweiten, 3 aus der dritten Klasse (cf. § 12), 1 vom Vereine besoldeter Arzt.

§ 12.

Rechte der Mitglieder und Versicherten bei Erkrankungen.

Zum Behufe der Bemessung der von den Mitgliedern und Versicherten bei Erkrankungen zu beanspruchenden Leistungen werden dieselben mit Rücksicht auf ihre Vermögensverhältnisse in drei Klassen eingeteilt. In die erste Klasse gehören nur die Wohlhabendsten, welche ein be­ deutendes Gewerbe mit entsprechendem Kapital oder Grundbesitz, oder sonstiges höheres Einkommen haben. Die zweite Klasse bilden diejenigen, welche mit gutem, gesicherten Aus­ kommen angemessenen Besitz verbinden. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden. I.

Schulze-Delitzsch.

66

Die dritte Klasse umfaßt die große Mehrzahl der Vereinsglüder, welche, wenn auch nicht ohne Besitz, doch im wesentlichen von ihrer Arbeit sich zu nähren angewiesen sind. Darüber, welcher Klasse jedes Mitglied beizuzählen ist, entscheidet der Vor­ stand mit Zuziehung des Ausschusses und der Bezirksvorsteher, wogegen nur die Beschwerde an die Generalversammlung zulässig ist. Es haben aber in Erkrankungsfällen zu beanspruchen: a) die Mitglieder der 1. Klasse für sich und die von ihnen versicherten Familienglieder einzig und allein die freie Medizin aus der Vereins­ apotheke, wenn dieselbe von einem vom Vereine hierzu ermächtigten Arzte verschrieben ist; b) die Mitglieder der 2. Klasse für sich und ihre versicherten Familienglieder die unentgeltliche Behandlung durch den Vereinsarzt und freie Ver­ abreichung der Medikamente unter obigen Bedingungen; c) die Mitglieder der 3. Klasse außer Arzt und Medizin wie vorstehend ad b, für sich und die von ihnen Versicherten noch die freie Verabreichung der bei vorkommenden Brüchen erforderlichen Bandagen an sie und ihre Ehefrauen, und außerdem für ihre Person eine Unterstützung in barem Gelde, nach Maßgabe des folgenden Paragraphen.

§ 13.

Bare Unterstützung.

Außer vorstehenden Leistungen erhalten aber auch die Mitglieder der dritten Klasse, jedoch nur für ihre Person, nicht für ihre Familienglieder, wenn sie durch Erkrankung arbeitsunfähig werden, eine Unterstützung in barem Gelde aus der Vereinskaffe. Die Unterstützung beträgt, wenn die Krankheit eines Mitgliedes in die ersten 5 Jahre seines Eintrittes in den Verein fällt, wöchentlich 20 Sgr.; nach Beginn des 6. bis zum vollendeten 10. Jahre der Mitgliedschaft wöchentlich 1 Tlr., nach vollendetem 10. Jahre wöchentlich 1 Tlr. 10 Sgr.

Fünftes Kapitel.

Assoziationen für nötige Lebensbedürfnisse. Nächst den Vereinen zur Krankenpflege sind die zur gemeinschaftlichen

Beschaffung von Gegenständen

des

täglichen Bedürfnisses,

welche den

Mitgliedern auch bei Entnahme kleinerer Quantitäten die Vorteile des

Ankaufs

im

großen

sichern,

am weitesten verbreitet.

finden sich dieselben in größern Orten,

Vorzugsweise

weil einerseits hier der höhere

Preis der Lebensmittel dazu drängt, andererseits die Vorteile der Ver­ einigung,

bei

der

Sicherheit einer zahlreichen Beteiligung undj eines

starken Absatzes, mehr in die Augen fallen.

davon sind die

Eine sehr gewöhnliche Form

sogenannten Sparvereine,

bei welchen sich hier und

da selbst die Kommunalbehörden beteiligt haben, wie z. B. in Erfurts

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

wo

Magistrat im

der

der

Namen

67

sämtliche Vcr-

Stadtgemeinde

waltungskosten so wie die Garantie für die Kasse übernommen hat.

diesen Sparvereinen zugrunde liegende bekannte Tendenz

Die

ist einfach die: durch allmähliche meist wöchentliche Einlagen der Mit­

glieder während des Sommers, als der Zeit reichlicheren Arbeitsverdienstes, eine größere Summe zum Ankauf der nötigsten Bedürfnisse im ganzen

Bis zum Schluffe der Sammelperiode

haben

alsdann die Mitglieder diejenigen Gegenstände und Quantitäten,

welche

zusammen zu bringen.

sie für ihre Einlagen entnehmen wollen, anzumelden, wonächst der Ein­

des Vereins zur Deckung des auf diese Weise festgestellten

kauf seitens

Besonders ausgebildet finden sich diese und andere

Bedürfnisses erfolgt.

verwandte

bei

Anstalten

dem

Vereine

arbeitenden Klassen in Frankfurt a. O,

öffentlichte Berichte wir deshalb verweisen. gestattet indessen unser Zweck nicht,

ihre

Wirksamkeit

sein

mundende Leitung sind,

mag,

in

für

Hauptsache

und Unterstützung

sich nicht aus eigner Kraft erhalten,

der

Länger dabei zu verweilen,

da diese Institute,

der

Wohl

das

auf dessen mehrfach ver­

von

so löblich auch

auf

eine

bevor­

außen

her

berechnet

und also der vom Verfasser

als Gewährschaft wahren Gedeihens an die Spitze seines Systems ge­

stellten Grundbedingung der Selbsthilfe Widerstreiten.

Doch kann, wie

sich von selbst versteht, die Aufsparung allmählicher Einlagen, wo dieselbe zweckmäßig und wünschenswert erscheint, sehr füglich auch bei frei zu­ sammentretenden Assoziationen, wie sie im Folgenden behandelt sind,

in

Anwendung kommen.

Da, wie gesagt, in kleinern Orten Bedürfnis wie Aussicht für der­

gleichen Vereine im minderen Grade vorhanden ist,

ging eine besondere

Anregung dazu in Delitzsch vom Verfasser nicht aus.

Als aber von

den hiesigen Handwerkern und Arbeitern durch die Teilnahme an den übrigen

Vereinen

die

Wohltätigkeit des

Assoziationsprinzips

einmal

erkannt war, fielen sie neuerlich von selbst darauf, dasselbe auch auf die

Befriedigung ihres

notwendigen Bedürfnisses zum Leben und in der

Wirtschaft anzuwenden.

Im vergangenen Herbst traten für das Erste

36 Familienväter zusammen und im Oktober begann die Assoziation ihre Tätigkeit.

Der Fonds wurde durch gleichmäßige Einlagen der Mit­

glieder von 1 Tlr. ä Person, und durch unter solidarischer Verhaftung

Gesamtbeträge

100 Tlr.

derselben

aufgenommene

beschafft.

Wegen der in kleinern Orten allgemein für vorteilhaft ge­

achteten

Sitte,

vermöge

Darlehne

deren

im

die Hausfrauen das

von

Einmachen

und

Bereiten des Teigs zu Brot und Kuchen in den Haushaltungen selbst 5*

Schulze-Delitzsch.

68

besorgen, und dem Bäcker nur das Ausbacken auf ihre Kosten überlassen, hatte man vorerst hauptsächlich den Ankaus von Roggen und Weizen zu

bewerkstelligen,

Schmelzbutter

materials

vorüber war.

für

woran schloß,

Versorgung

die

sich

wogegen

für

bevorstehenden Winter

den

mit

die

Brennöl

und

des Feuerungs­

Anschaffung

günstige

Jahreszeit

Wegen des Mahlens des Getreides wurde mit einem

2 Meilen entfernt wohnenden Müller ein Akkord geschlossen, da in der

Nähe der Stadt nur kleine Bach- und Windmühlen sich befinden, welche feste Lieferungen größerer Quantitäten von Mahlgut schwer übernehmen,

und ohnehin der Assoziation, der Beeinträchtigung in dem von ihnen

betriebenen Mehlhandel halber,

nicht gewogen waren.

Der Müller be­

sorgte die Abfuhre des Getreides nach seiner Mühle, auch auf Verlangen den Ankallf,

sowie dessen Vermahlen nach Gewicht und

des Mahlgutes nach

hiesigcin Assoziationslager,

die Anfuhre

und erhielt für alles

dieses, einschließlich der von ihm mit abzuliefernden Mahlmetze, 6 Taler für

den Mispel Weizen,

5 Taler für den Mispel Roggen

5 Sgr. Aufläderlohn jedesmal aus der Assoziationskasse.

Verhältnisses,

sowie

Trotz dieses

wo größere Mühlen zur Hand

welches sich natürlich da,

und keine Transportkosten zu übertragen sind,

bei weitem günstiger für

die Konsumenten gestaltet, war das Resultat des Geschäfts doch durchaus

befriedigend,

indem

Januar c. nicht

in

nur

den

4 Monaten

der Hauptzweck,

vom Oktober pr.

bis

Ende

billigere und bessere Ware als

bisher beim Detaileinkauf möglich war, zu erhalten, vollkommen erreicht, sondern noch, nach Abzug aller Kosten, ohngeachtet des kleinen Umfangs

der Assoziation,

ein Reingewinn von 20 Talern 10 Sgr. gemacht

wurde, welchen man größtenteils zum Ankauf der nötigen Inventarien­ stücke an Mehlküsten, Säcken, Wage und Gewichten ?c. verwendete.

Der

Betriebsfonds von 136 Tlr. ist in dieser kurzen Zeit 4 mal umgesetzt,

indem davon für 531 Tlr. 10 Sgr. 3 Pf. Einkäufe für die Assoziation bestritten wurden. Bei dem Hauptartikel, denk Roggenmehl zum Brotbacken, konnte

| Zentner, als diejenige Quantität, welche durchschnittlich in einer Haus­ haltung

von 6—8 Personen

auf einmal verbacken wird,

unter dem Detailpreise abgelassen liefert werden, wie

um 2 Sgr.

und dabei so vorzügliche Ware ge­

sie von Müller

und Bäcker nie zu erhalten war.

Das Verhältnis beim Vermahlen stellte sich, indem dem Müller 5 Pfund Staub- oder Flug-Mehl pro Sack (ä 176—180 Pfund Körnergewicht = 2 Berliner Scheffeln)

folgendergestalt heraus:

zu

gut

gerechnet wurden, im Durchschnitt

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

69

Ein halber Mispel Roggen (6 Säcke) hatte an Körnergewicht netto 9 Zentner 87 Pfund. Davon wurden gewonnen: 8 Zentner 1Pfundfeines weißes Mehl, l 1 „ 56 „ Kleien, / netw’ —



30



Abgang in Flugmehl.

9 Zentner 87 Pfund wie oben. Der für den Ankauf des Roggens und die Bezahlung des Müllers

für Anfuhre, Vermahlen ?c. aufgewendete Preis wurde in der Regel ganz durch den Verkauf des Mehles gedeckt, und hiernach die Preise von der Assoziation den Konsumenten gestellt, so daß der Verkaufswerth der Kleien als Gewinn der Gesellschaftskasse zufiel. Beim Weizen stellte sich das Verhältnis in bezug auf das Flugmehl, wegen des feuchteren Vermahlens, noch günstiger. Hier gaben

z. B. 8 Säcke (| Mispel) ä 13 Ztnr. 10 Pfund Körnergewicht: 8 Zentner 79| Pfund feinstes weißes Mehl, 1 52| Hilfen- (Mittel-) Mehl, 2 Kleien, 90 Flugmehl-Berlust. sz

13 Zentner 10 Pfund wie oben. Einmal wurden, bei Vermahlung von 5 Säcken im Körnergewicht von 8 Zentner 5 Pfund, 1 Zentner 98z Pfund Kleien dem Müller zum nochmaligen Vermahlen zurückgegeben und daraus noch 85 Pfund Hilsenmehl gewonnen, so daß nur 123z Pfund Kleien verblieben. Übrigens galt für Stellung der Preise, und Gewinn an der Kleien

ebendasselbe wie Auch beim den genannten 4 Rüböl zu den

beim Roggen. Brennöl war der Vorteil evident. Es wurden in Wintermonaten 7 Zentner 42z Pfund bestes, raffiniertes marktgängigen Preisen ä 10|—11 Taler pro Zentner

von Leipzig gekauft, und 5 Sgr. pro Zentner Fracht gezahlt. Davon ließ man das Quart ä 2 Pfund, welches hier nicht unter 8 Sgr. von den Detaillisten, und zwar in weit schlechterer Qualität zu haben ist, den Mitgliedern mit 6 Sgr. 4 Pf. ab und machte noch 2 Tlr. 10 Sgr.

Gewinn für die Kasse. Als Abgang durch das Einwiegen

und Einmesfen

beim Verkauf

aus dem Assoziationslager, gingen im Durchschnitt verloren:

iz Pfund vom Zentner Mehl, 3 Pfund vom Zentner Kleien,

Schulze-Delitzsch.

70

1|—2 Pfund vom Zentner Ol,

1| Pfund vom Zentner Butter.

wird

Auch

während

der heißen Jahreszeit insbesondere auf das

Austrocknen beim Mehle etwas gerechnet werden müssen.

Sprechen schon die vorstehenden Resultate für die Zweckmäßigkeit

des Unternehmens,

so springt doch in die Augen, daß der Erfolg viel

bedeutender sein muß, sobald sich erst mehrere dabei beteiligen.

Man

beabsichtigt dann, nicht nur den Ankauf und die Anfuhre des hier sehr teuren

Brennmaterials

in

großen

Partieen zu bewirken,

sondern

auch einzelne Stücke Vieh zu akquirieren, um die Mitglieder mit gutem

und billigen Fleisch zu versorgen, da ein durch Ankauf und Verteilung

eines Ochsen vor Zusammentritt der Assoziation gemachter Versuch zu aller Befriedigung ausgefallen war.

Das Nähere über die Einrichtung

der Assoziation, insbesondere die Verwaltung ergibt übrigens das an­ gehängte Statut, zu welchem

nur

zu

noch

bemerken

daß

ist,

der

Kassierer f Prozent, der Lagerhalter 2| Prozent von dem Verkaufs­ erlös als Honorar erhalten, wofür der letztere zugleich für das Lager­

und Verkaufslokal zu sorgen hat. kapitals

(zirka

Bei dem raschen Umsatz des Betriebs­

12 mal im Jahre), war es

völlig

daher

ausreichend,

wenn durchschnittlich zur Deckung dieser Remuneration, und der Zinsen

ein Aufschlag von 5 Prozent über den Kostenpreis beim Verkauf der Lagerbestände zugrunde gelegt wurde, indem dadurch noch ein namhafter Gewinn

der Kasse

zur Bildung

und

eines Reservefonds

künftiger

Dividende für die Mitglieder verblieb. Ganz anderer Art, als die eben erwähnte, ist die in Eilenburg

ursprünglich zu demselben Zweck zusammengetretene Assoziation, welche allmählich zu einem gewöhnlichen für Rechnung der Gesellschaft geführten Kolonialwarengeschäft

geworden ist.

Anfänglich

für Lebensmittel

und lediglich für das Bedürfnis der Mitglieder bestimmt, gegenwärtig

von

eigentlichen

Lebensmitteln

nichts,

findet man

wohl

aber

alle

Kolonial- und Gewürzwaren nebst Tabak und Brennöl in ihrem Laden,

welcher dem gesamten Publikum eben so gut geöffnet ist, als den Mit­ gliedern, weshalb auch 30 Taler Gewerbsteuer entrichtet werden muß. Der Verkauf

wird

von einem Handwerker nebst Frau und

zwei er­

wachsenen Töchtern auf das Prompteste versehen, und der Laden bietet

den Anblick eines

Laden-

lebhaften

Detailgeschäftes.

Den Ankauf und

und Kassenkontrolle besorgt ein Ausschuß

und

die

die bisher ge­

machten Geschäfte waren für die Gesellschaft nur vorteilhaft,

obschon

manche der gangbarsten Artikel noch um einige Pfennige billiger pro

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

71

Pfund als bei den übrigen Materialisten abgelassen wurden. Man hatte bei den Großhändlern drei Monate Kredit, und legte im Durch­

schnitt bei Bestimmung der Verkaufspreise 8 Prozent Aufschlag über die Einkaufskosten zugrunde. Die Assoziation besteht seitdem 12. Juli 1850 und zählt 298 Mitglieder, von denen jedes 10 Sgr. Eintrittsgeld in den Gesellschaftsfonds gesteuert hat. Der bisherige Reingewinn beträgt nahezu 300 Taler, wovon 90 Taler auf das Ladeninventar verwendet, der Rest dem Betriebsfonds verblieben ist, so daß gegenwärtig die Auf­

nahme von Darlehnen ä Conto der Gesellschaft, behufs Ergänzung des anzulegenden Kapitals kaum mehr nötig ist. Der Kassierer (Verkäufer) erhält 2| Prozent, der Buchhalter und Kassenkontroleur 1| Prozent vom Verkaufserlöse als Remuneration, außerdem der Erstere 30 Tlr. jährliche Lokalmiete, und 1| Sgr. täglich für Lokalbeleuchtung; ein Vereinsbote endlich bezieht 6 Taler festes Jahreslohn. Wenn nun gleich gegen die Zweckmäßigkeit einer derartigen An­ wendung des Assoziationsprinzips sich vieles einwenden läßt, indem ins­ besondere beim Mangel kaufmännischer Kenntnisse und Erfahrungen und einer darauf gestützten die einschlagendeu Handelskonjunkturen be­ rechnenden Spekulation, nicht nur weniger Vorteil sondern auch erheb­ licher Schade bei den Ankäufen im großen herauskommen kann: so dient doch dieser Fall recht eigentlich, das von der Macht der Assoziation in den frühern Kapiteln im allgemeinen Gesagte zu bestätigen. Das bloße Zusammentreten einer größer» Anzahl meist den unbemittelten Klassen Angehöriger vermochte es, ohne Geldopfer, ja ohne eine besondere Tätigkeit von ihrer Seite, ein Etablissement in das Leben zu rufen, wie es keinem Einzelnen ohne entsprechendes Kapital möglich sein würde, wodurch sie sich nicht nur den billigen und reellen Bezug vielfacher Haus- und Wirtschaftsbedürfnisse, sondern auch verhältnismäßigen Geld­ gewinn sicherten. Aus dem Statut der Affoziation zur Anschaffuu- nötiger Lebensbedürfnisse zu Delitzsch:

§. 1.

Stiftung und Zweck der Affoziation.

Die Unterzeichneten vereinigen sich, behufs billiger und guter Beschaffung der nötigsten Lebensbedürfniffe, zu einer Affoziation, welche ihre Angelegenheit durch Mehrheitsbeschlüffe der Mitglieder ordnet, die Führung der Geschäfte aber einem aus ihrer Mitte zu erwählenden Ausschüsse überträgt.

§. 2. Fonds und Umfang. Der Betriebsfonds der Affoziation wird: a) durch Einlagen der Mitglieder,

72

Schulze-Delitzsch.

b) durch Darlehne, welche dieselben unter solidarischer Verhaftung aller aufnehmen, gebildet, und zum Ankauf der nötigsten Lebensbedürfnisse, hauptsächlich an Viktualien, im großen und ganzen verwendet, welche sodann den Mitgliedern in kleinern Partieen abgelassen werden. Auf welche Artikel sich hiernach das Assoziationsgeschäft erstrecken soll, muß nach dem vorwaltenden Bedürfnisse so wie dem disponiblen Kassenbestande jedesmal durch besondere Beschlüsse, ebenso wie die nähern Bedingungen des Einzelnvertriebes, festgestellt werden.

Sechstes Kapitel.

Vorschußvereine. Unter die dringendsten Bedürfnisse für die kleineren Gewerbtreibenden

Vorschußvereine.

Schon

im allgemeinen Teile wurde

gehören

die

bemerkt,

wie ohne ein gewisses Kapital gegenwärtig keinerlei Gewerbs­

betrieb mit einigem Vorteil noch möglich ist, und wie der großen Mehr­

zahl der Unvermögenden sich der zur Abhilfe dieses Mangels erforderliche

so lange sie vereinzelt auftreten.

Kredit fast stets entzieht,

Insoweit

daher die Bildung der speziellen gewerblichen Assoziationen, welche diesen Übelstand gründlich beseitigt, noch nicht hat durchgeführt werden können,

erscheint eine allgemeine Verbindung Gewerbtreibender

aus den verschiedensten Fächern unerläßlich, welche sich die Aufgabe stellt, durch ihren gemeinschaftlichen Kredit, die den Einzelnen nötigen Geld­

mittel zu beschaffen.

Da es in den meisten Fällen genügt,

den Mit­

zu

gewissen Zeiten eine angemessene Geldsumme in die

Hände zu geben,

die von ihnen meist sehr bald wieder zurückerstattet

gliedern

nur

werden kann, so wird eine im Verhältnis zum Gesamtbedürfnis sehr

mäßige Summe ausreichen, dasselbe durch raschen Umsatz zu decken, und

nirgends hat sich die Macht des Assoziationsprinzips mehr bewährt, als gerade bei diesen Vereinen,

Nachfolge nicht genug

welche wir der allgemeinen Beachtung und

empfehlen

können.

Denn wie

unwirksam

der

Schutz der Wuchergesetze in dieser Art des Verkehrs ist, davon mag sich jeder

leicht

vertraut

überzeugen,

macht.

Die

der

sich einigermaßen

Prozente,

die

beim

mit den Verhältnissen

augenblicklichen

Bedürfnisse

einer nur mäßigen Summe seitens der weniger Vermögenden gezahlt

werden müssen, sind enorm*), und sie werden obenein gern gezahlt, wenn *) So sind z. B. Fälle, wo jemand zu Meßkäufen 50 Tlr. gegen 1 Thlr. tägliche Zinsen auf einige Tage erborgt, nicht selten; macht auf das Jahr 730 pCt.!

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

nur immer Geld dafür zu erhalten wäre!

73

Auch wird man fast nie eine

öffentliche Klage oder Beschwerde der Betroffenen vernehmen, da sie ohne Vorstreckung jener Summen nicht bestehen können nnd sich das Wieder­ kommen

bei ihren Gläubigern sichern

müssen, so lange eine

andere

Quelle für sie nicht existiert. Und die Schwierigkeit, Geld zu erlangen, wächst für sie mit jedem Tage, da die durch die neuerlich fast überall gegründeten Sparkassen gebotene Gelegenheit, auch kleinere Summen

ganz sicher, zinsbar und auf jede beliebige Frist unterzubringen, zu lockend ist, als daß die Besitzer, wie dies bisher oft geschah, noch ferner das Geld für ihre Bekannten aus dem Gewerbestande aufheben sollten,

wo sie hinsichtlich der Rückzahlung und Sicherheit vielleicht manche Weiterungen haben konnten. Der in den Sparkassen zusammen­ fließende Fonds geht aber dem Bedürfnisse der kleinern Gewerbetreibenden völlig verloren, da diese Kassen als öffentliche auf Risiko der Kommunen gegründete Institute nur unter größtmöglicher Sicherheit negoziieren dürfen und daher in den meisten Fällen zu reinen Hypothekenbanken geworden sind, welche nur auf Grundstöcke Kredit geben. Wenn aber ja einmal ausnahmsweise ein Vorschußinstitut damit verbunden wird, so kann dies immer wieder nur, aus dem angedeuteten Grunde, gegen völlige Deckung durch Deposition sicherer Effekten ?c. geschehen, und die ganze Maßregel kommt solchergestalt nur den wirklich Wohlhabenden zu­ statten und nicht den weniger Vermögenden, die ihrer doch am meisten bedürfen. Es konnte nicht fehlen, daß zur Abhilfe eines fo allgemeinen, dringenden Bedürfnisses am Ende Hand angelegt wurde, besonders als

der im Jahre 1848 von allen Seiten erhobene Ruf nach Errichtung von Handwerkerbanken, welche vorzugsweise dem kleineren Gewerbe zu­

statten kommen sollten, seitens des Staats wenig oder keine Berück­ sichtigung fand. In mehreren, besonders größeren Orten traten seitdem Vorschußvereine zusammen, worinnen eine Anzahl wohldenkender Männer aus den wohlhabenden Klassen dadurch geschenkweise Beiträge und zinsfreie Darlehne eine Summe zusammenbrachten, aus welcher den

Bedürftigen Vorschüsse, teils gegen geringe Zinsen, teils ganz zinsenfrei gegeben wurden. Solcher Vereine bestehen besonders in Berlin mehrere für verschiedene Stadtbezirke noch gegenwärtig, über deren Wirksamkeit

von Zeit zu Zeit in den öffentlichen Blättern Nachricht gegeben wird. In einzelnen Fällen kommt es wohl auch vor, daß seitens der Kommunen

oder größerer Zentralvereine, z. B. des Vereins für das Wohl der arbeitenden Klassen in Berlin, solchen Anstalten durch Vorstreckung

Schulze-Delitzsch.

74

zinsfreier Darlehne unter die Arme gegriffen wird. wähnten Wege bildet sich nun

Auf dem zuerst er­

unter Leitung des Verfassers im

auch

Frühjahr 1850 ein Vorschußverein in Delitzsch, der durch geschenk­

weise Beiträge und zinsfreie Darlehne einen Fonds von 170 Tlr. zu­

sammenbrachte, und über den in den frühern Mitteilungen des Ver­ fassers näher berichtet ist.

andern

dieser Art,

als

wendungen herrührten,

Derselbe unterschied sich jedoch insofern von

von welchen die eigentlichen Zu­

außer denen,

auch die der Vorschüsse Bedürftigen durch fort­

laufende Monatsbeiträge von 1 Sgr. als Mitglieder herangezogen und

so angehalten wurden, den Vereinsfonds aus eignen Mitteln zu ver­ stärken, weil dem Verfasser auch bei dieser Assoziation von Haus aus der

Gedanke der

schwebte.

Selbsthilfe

richtige Grundlage,

der

seitens

dabei

Interessierten

vor­

auch für diese Vereine die allein

Und in der Tat ist dies

wie die Erfahrung bewiesen hat,

indem ohnedies

niemals wirklich Nachhaltiges und Genügendes auf diesem Felde geleistet

werden kann.

So lange dergleichen

Institute durch Beiträge,

gleich

Aümosen, gegründet werden, von der Gnade dritter, von fremdem guten

Willen abhängen,

also nicht durch eigne Kraft bestehen,

die wahre Lebensfähigkeit.

fehlt ihnen

Wenn schon die Empfänger der Vorschüsse

dieselben zurückzahlen, wohl auch verzinsen müssen, wirkt der angedeutete,

dem ganzen anklebende Charakter doch auch hierbei nachteilig ein. mehr

Vorschüsse

werden

Darlehne

bewilligt und

ebensowenig an

wie

Unterstützungen

empfangen.

als

wie

Die

eigentliche

Seitens der Geber denkt man

eine genaue Prüfung der Solvenz der Empfänger und

strenge Beitreibung, wie seitens der letztern an pünkliche Rückzahlung,

und es kann nicht fehlen,

daß die Masse mannigfache Ausfälle erleidet,

zu denen die fortlaufenden Zuwendungen der Gründer bald außer Ver­

hältnis treten, da, wie es in allen solchen nur auf Mildtätigkeit an­ gewiesenen Unternehmungen geht, das Interesse daran bald erkaltet und

die

dauernde

Beteiligung

lästig wird.

So

sind

denn manche dieser

Vereine bereits wieder eingegangen, bei anderen, die noch bestehen, mindert sich die

Wirksamkeit

mit

dem

schwindenden

ver­

Betriebskapitale

immer mehr, und selbst da, wo wie bei den Berliner Vereinen tüchtige Kräfte und eine regere Beteiligung von allen Seiten die Sache halten,

entspricht doch der Umsatz — der nach den öffentlichen Mitteilungen der

Tagespresse die Summe von

2000 Tlr. jährlich nicht leicht bei den

einzelnen Vereinen übersteigt — keineswegs dem Bedürfnis.

Auch der in

Delitzsch in

obiger

Weise

gestiftete Verein teilte

dieses Schicksal, indem durch die Monatsbeiträge der Beteiligten kaum

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

75

die Verwaltungskosten gedeckt wurden, einzelne Ausfälle bei ausgeliehenen Posten nicht ausblieben, der Abgang am Kapital aber durch keine neuen Zuwendungen ersetzt wurde. So fristete man sich kümmerlich und da von den vielen Vorschußgesuchen verhältnismäßig nur wenige berücksichtigt werden konnten, so zogen sich die Vorschußempfänger immer mehr zurück, und die Teilnahmlosigkeit wurde immer größer. Dies alles drängte darauf hin, auch die Vorschußvereine lediglich auf das allgemeine

Assoziationsprinzip, die Solidarität, zu gründen, welches sich in den speziellen gewerblichen Assoziationen so sehr bewährt hatte, und auf diese Weise dem Bedürfnis durch Selbsthilfe der Beteiligten abzuhelfen. Der erste Versuch wurde unter Leitung des schon erwähnten Dr. Bernhardt und Schneidermeister Bürmann zu Eilenburg am 1. Oktober 1850 ge­ macht, und hatte, Dank der Umsicht dieser beiden für das gemeine Wohl rastlos tätigen Männer, den außerordentlichsten Erfolg. Ohne daß von irgend einer Seite her dem Unternehmen die mindeste Beihilfe geleistet, oder auch nur das kleinste Opfer durch Beiträge oder zinsfreie Darlehne gebracht worden wäre, wurden einige hundert Handwerker und Arbeiter zum Teil aus der besitzenden Mittelklasse, welche fast ohne Ausnahme der Vorschüsse zu ihrem Gewerbebetriebe bedurften, zu einer Assoziation vereinigt. Durch Darlehne gegen landesübliche Zinsen und gegen solidarische Verhaftung der Mitglieder, sowie durch laufende niedrige Monatsbeitrüge (1 Sgr.) derselben beschaffte man den nötigen Fonds, welcher bei dem unbegrenzten Kredit, den der Verein im Publikum fand, und da man, wie in den Sparkassen, auch kleinere allmählich wachsende Einlagen annahnl und höher als diese verzinste, bald eine so bedeutende Höhe erreichte, daß alle eingehenden Gesuche selbst wenn sie Posten von mehr als hundert Talern betrafen, bei vorhandener Sicherheit gewährt werden konnten. Durch den für die einzelnen Vorschußempfänger sehr mäßigen, für den Verein im ganzen aber sehr lukrativen Zinssatz von 1 Münzpfennig für jeden Taler auf die Woche (— 14| Prozent pro

Jahr) gelang es, nach Deckung der dem Verein zur Last fallenden Kapitalzinsen und der nicht unbedeutenden Verwaltungskosten, noch einen Reservefonds für mögliche Ausfälle bei Insolvenz einzelner Schuldner zu gründen Dividende

und den Mitgliedern, auf ihre Monatseinlagen eine zu gewähren. Über die für eine Stadt von kaum

10,000 Einwohnern in der Tat bedeutende Wirksamkeit des Vereins

werden folgende Notizen den besten Belag liefern. Der Verein, 1851 mit 180 Mitgliedern gegründet, zählte Ende 1852 deren 586.

Die Rechnungsabschlüsse ergaben:

Schulze-Delitzsch.

76

Einnahme:

Tlr.

Monatsbeiträge der Mitglieder....................... Von dem Vereine aufgenommene Kapitalien Gezahlte Vorschußzinsen.............................

Zurückgczahlte Vorschüsse.......................

fr

1851

1852

193

234

5946

5914

260

610

5238

10482

Ausgabe:

Tlr. 8802

Vorschüsse an Mitglieder.............................

13366*)

Zinsen für aufgenommene Kapitalien

.

.

107

267

Vom Verein zurückgezahlte Kapitalien

.

.

1946

3522

.



158

Den Mitgliedern auf ihre Monatsbeiträge

aus 1851 gutgeschriebene Dividende

.

Daß die hiernach im Laufe eines einzigen Jahres unter den kleinen Gewerbetreibenden der Stadt von dem Verein in Umlauf gesetzte Summe

von

13,366 Tlr. eine sehr bedeutende

weises.

ist, bedarf wohl keines Nach­

Besonders wichtig und ersreulich ist aber dabei, daß ein für das

Gewerbe und

die Nahrung einer ganzen Stadt so erhebliches Resultat

durch die dabei Beteiligten selbst, ohne fremde Unterstützung hat erzielt werden

können,

ein

Umstand

der

dem

Dauer auch für die Zukunft verspricht.

Unternehmen Wachstum und Noch ist nicht eine einzige Post

von den gegebenen Vorschüssen verloren, obschon einigemale die gericht­

liche Klage gegen Säumige hat angestellt werden müssen, was namentlich dem Umstande mit zuzuschreiben ist, daß bei allen die Summe von 5 Tlr.

übersteigenden Vorschüssen, vom Empfänger Sicherheit durch Pfand oder Bürgen bestellt werden muß.

Hatte sich das auf die Vorschußvereine neu angewandte Prinzip in

Eilenburg so glänzend bewährt, so stand man nicht an, die Reorgani­ sation des Delitzscher Vereins im Sommer 1852 danach vorzunehmen,

so daß derselbe seine neue Wirksamkeit Mitte September 1852 unter Leitung des Verfassers begann. Wenn dieselbe nun auch nie so bedeutend

sich gestalten kann, als in der Nachbarstadt, da Delitzsch gegen jene nur die Hälfte der Einwohner und des Verkehrs hat, so breitet sich die Wirk­

samkeit des Vereins doch auch hier verhältnismäßig ebenso aus.

Die

auf 30 herabgesunkene Zahl der steuernden Mitglieder aus dem Gewerbe­

stande ist in den wenigen Monaten auf 150 gestiegen und wächst täglich. Dasselbe ist mit dem Kredit und Verkehr des Vereins der Fall, so daß

sowohl größere Kapitalien

wie

kleinere Einlagen, welche sämtlich mit

') In 717 Posten zu 1 bis 200 Taler.

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

77

5 Prozent verzinst werden, dem Vereinsfonds zur Genüge zufließen, und die Summe der aus demselben gegebenen Vorschüsse in der letzten Zeit durch­ schnittlich nahezu 500 Taler pro Monat erreichte, was sich in der nächsten

Zeit noch bedeutend steigern wird, da die vielen neu hinzugetretenen Mitglieder statutenmäßig 3 Monate warten müssen, ehe sie Vorschüsse beanspruchen können.

Freilich werden aus der frühern Zeit noch einige

kleine ausgeliehene Posten der Kasse verloren gehen, weil man damals aus dem oben angedeuteten Gesichtspunkte es mit Prüfung der Solvenz der

Schuldner nicht so genau nahm.

Doch wurden dafür andrerseits auch

aus der frühern Fundation an sichern Außenständen und Barschaft zirka

150 Taler mit herüber genommen, worunter 45 Taler unverzinsliche

Darlehne sich beftnden, das übrige aber Eigentum des Vereins ist, was zur Gründung eines Reservefonds höchst willkommen war.

Denn

so

wenig der Verein auch der Summe zu seiner Wirksamkeit benötigt war, da er sie augenblicklich durch Aufnahme eines gleich hohen Darlehns er­ setzen konnte, so ist doch die Folge ihres Vorhandenseins, daß die nor­

mierte Höhe des Reservefonds früher erreicht, den Mitgliedern also früher

und mehr auf Dividenden gewährt werden kann. Natürlich mußte aber, auch unter diesen Umständen, den Gebern der Zuwendungen, als Ehren­ mitgliedern, ihr Stimmrecht im Vereine mit gewissen Modifikationen noch für einige Zeit gesichert bleiben. Bei der erklärten Gründung des hiesigen Vereins auf die eigne

Kraft und Tätigkeit derer, welche der Vermittelung desselben zur Er­

langung der nötigen Barschaft

bedürfen,

mußte

schon allein deshalb

seine Wirksamkeit auf die eigentlichen Mitglieder beschränkt werden, welche auf der einen Seite die Gefahr, auf der andern den Gewinn des Unternehmens allein unter sich teilen. Der Verein bildet daher statuten­

mäßig keine Leihanstalt für das Publikum, wie dies vor seiner Reorga­ nisation der Fall war.

Vielmehr können nur die ordentlichen Mit­

glieder Vorschüsse aus der Kasse beanspruchen.

Außer der Wahrung

des Prinzips werden dadurch zugleich noch andere, bedeutende Vorteile

erreicht.

Zuerst verliert der Verein auf diese Weise den Charakter eines

solchen, welcher sich mit öffentlichen Angelegenheiten, wofür man etwa eine dem ganzen Publikum beschäftigt.

geöffnete Leihanstalt ansehn könnte,

Vielmehr gehören der Kredit und die Geldangelegenheiten

eines geschlossenen Kreises von Gewerbetreibenden, welche dieselben durch ihr gegenseitiges Haften für einander ordnen, ebenso wie die innern Ver­ hältnisse einer jeden kaufmännischen und gewerblichen Sozietät, zu den

allerprivatesten Angelegenheiten der Mitglieder. Dies hat nach den darüber

78

Schulze-Delitzsch.

hierorts bestehenden gesetzlichen Vorschriften die Befreiung von mancherlei

Weiterungen und Förmlichkeiten hinsichtlich der polizeilichen Kontrolle des Statuts und der Mitglieder, sowie der Versammlungen zur Folge, welche

dem Unternehmen nur förderlich sein kann, so sehr der Verein übrigens bei seinem ganzen Wirken im eignen Interesse die möglichste Öffentlichkeit

wünschen muß, da dieselbe seinen Kredit im Publikum zu fördern, und

ihm Teilnehmer zu gewinnen am besten geeignet ist. Weiter kann aber auch der zum Fortbestehn des Instituts nötige Zinsensatz nur den Mitgliedern, nicht füglich fremden Vorschußempfängern gegenüber durch­

geführt werden, worüber das Nähere weiter unten enthalten ist.

Und

endlich ist die an die Möglichkeit, Vorschüsse zu erhalten, geknüpfte Be­ dingung der Mitgliedschaft, wegen der damit verbundenen Verpflichtung

zur monatlichen Beisteuer in die Kasse des Vereins, besonders geeignet,

dieselbe vor Verlusten und vor dem Verkehr mit solchen Personen zu

schützen, mit welchen diese Verbindung den Zwecken wie dem Kredit der Gesellschaft nicht förderlich sein könnte. Denn das darf bei dergleichen Unternehmungen, wenn sie verbürgten

Bestand gewinnen sollen, keinen Augenblick außer Augen gelassen werden, daß

sie keine Almosenanstalten sein können, daß sie vielmehr auf Rückzahlung und Verzinsung ihrer Vorschüsse rechnen müssen.

Deshalb können solche,

welche bereits völlig heruntergekommen und voraussichtlich nicht imstande sind, etwas zu erstatten, und sich wieder emporzuhelfen, keine Ansprüche

an den Verein machen, müssen sich vielmehr nach wie vor an die desfallsigen Anstalten und

die Privatmildtätigkeit wenden.

Nicht Arme

zu unterstützen, sondern der völligen Verarmung vorzubeugen, ist der

Nur so lange daher jemand noch den eignen und der ©einigen Unterhalt durch Arbeit, sei es auch kümmerlich, erschwingen Zweck dieser Vereine.

kann, ist er zur Mitgliedschaft und Beanspruchung barer Summen ge­ eignet,

welche ihm in seinem Gewerbe förderlich und nicht höher sind,

als die Möglichkeit der Rückzahlung für ihn bedingt.

Und hier zieht

eben die Beitragspflicht am besten die nötige Grenze für den Bei­ tritt, da die normalen Sätze (2 Sgr. monatlich) so bemessen sind, daß sie höchstens den wirklich verarmten, nicht den unbemittelten Arbeiter ab­

halten, wie die Erfahrung hier zur Genüge bewiesen hat, da der hiesige

Verein eine große Anzahl Mitglieder aus der letztern Klasse zählt, welche

ihren Verpflichtungen in jeder Beziehung pünktlich nachkommen. Außer­ dem kommen gerade dieser Klasse die durch die allmähliche Aufsammlung ihrer Beiträge zu kleinen, eine Rente gewährenden Kapitalien gebotenen

Vorteile

eines

Sparvereins

sehr

zustatten,

besonders

weil

diese

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

Kapitalien

nicht,

wie bei den gewöhnlichen

Sparkassen,

ihrem

79

eignen

Gewerbsverkehr entzogen werden, vielmehr den Umschwung in demselben fördern, da sie ihnen als Vorschüsse aus dem gemeinschaftlichen Fonds zu jeder Zeit zu Gebote stehn.

Auch ist der durch die Beiträge dem

Vereinsfonds gewährte Zuschuß schon an sich bedeutend. Wenn man be­ denkt, daß

120 den niedrigsten Satz von 2 Sgr.

monatlich steuernde

Mitglieder alljährlich 100 Tlr. aufbringen; daß, bei dem vier- bis fünf­ maligen Umsatz des Geldes in einem Jahre, zu einem Gesamtbedürsnis von z. B. 6000 bis 7000 Tlr. — wie es für hiesigen Ort ungefähr ver­

anschlagt ist — höchstens 1200 bis 1500 Tlr. Betriebskapital gehören: so

ergibt sich, daß im Laufe von 6 bis 8 Jahren durch die aufgesammelten

Beiträge von nur 200 Mitgliedern nebst der denselben gutgeschriebenen Dividende und dem Reservefonds jenes Betriebskapital fast

und

dargestellt wird,

kaum

noch einige

hundert

allein

Taler darlehnsweise

dazu beschafft zu werden brauchen. Ist aber hiernach schon durch die Mitgliedschaft ungeeigneten Vor­ schußgesuchen im allgemeinen eine gewisse Schranke gesetzt, so darf dem-

ungeachtet die Prüfung der Sicherheit der Schuldner in keinem einzelnen Zwar versteht sich, daß diese Sicherheit der Haupt­

Falle unterbleiben.

sache nach, soll der Verein seinen Zweck der Aushilfe weniger Bemittelter nicht

verfehlen,

nur

eine moralische sein kann.

Rechtlichkeit im

Verkehr, Tüchtigkeit und Fleiß im Geschäft, Ordnungsliebe im Leben

und Haushalt sind dabei die entscheidenden Momente, und will man sich in dieser Hinsicht versichern, so wird man in dem Urteil der Standes-

und Berufsgenossen der Vorschußsucher stets einen untrüglichen Anhalt finden, sowie dieselben auch über Besitz und Geschäftsumfang gegenseitig die sicherste Auskunft zu gewähren vermögen, wie sie zur Bemessung der

Höhe des Vorschusses wünschenswert ist.

Deshalb werden nach dem

hiesigen Statut kleinere Vorschüsse bis zu

10 Talern, sobald sich der

Vorstand von dem Zutreffen der obigen Forderungen überzeugt hat, in der Regel ohne Weiteres an die Mitglieder gegeben, bei höhern Summen

jedoch,

und

zwar

sobald

dieselben

20

Taler

und

darüber betragen

unbedingt, Sicherheit durch Pfand oder Bürgen gefordert.

Diese Maß­

regel hat für die Beteiligten bisher noch keine Unzuträglichkeiten herbei­

geführt, da es bei einem tätigen und rechtlichen Manne, wenn ihn eine

Verpfändung geniert, doch nie unter seinen Bekannten an einem fehlen

wird, der bereit wäre, die Bürgschaft für eine den Verhältnissen an­

gemessene Summe zu übernehmen, da jeder selbst bald in den Fall kommen mag, dergleichen Gegengesälligkeit zu bedürfen. So gewinnt der Vereins-

80

Schulze-Delitzsch.

fonds einen Zuwachs von Sicherheit, ohne daß dadurch seine Zugänglich­ keit für die Vereinsmitglieder beeinträchtigt wird, da, wo sich die Bürgen

aussagen,

dies immer der sicherste Beweis ist,

daß es entweder an der

nötigen Solidität des Vorschußsuchers fehlt, oder die geforderte Summe seinen Umstünden nicht entspricht. Indessen wird trotz aller angewandten

Sorgfalt hier und da einmal

ein Ausfall

bei Rückzahlung

besonders

kleinerer, ohne alle Deckung gegebener Vorschüsse kaum zu vermeiden sein, da, wenn man bei den desfallsigen Anforderungen soweit gehen wollte, daß dergleichen gar nicht Vorkommen könnte, man, wie schon oben bemerkt, einen Hauptzweck des Vereins vereiteln würde. Man wird daher gleich bei der Einrichtung auf Übertragung solcher möglicher Ausfälle durch die Kassen-

revenüen Bedacht nehmen müssen.

Und hier kommen wir eben auf die statt

der Zinsen von den Vorschußempfängern zu gewährenden Kassenprozente.

Diese

Kassenprozente,

welche



im

zu den bloß

Gegensatz

kreditirten Einlagen der Mitglieder und aufgenommenen Kapitalien — das wirkliche Einkommen, den eigentlichen Erwerb der Kasse bilden, sind eben deshalb eine Lebensfrage für das ganze Institut, da von der richtigen

Bemessung ihrer Höhe das Fortbestehn desselben, die Erfüllung der Kassen­

verpflichtungen ohne Angriff des Betriebskapitals abhängen. für jenes

Maß

den

nötigen Anhalt zu

Um daher

finden, wird man sich den

Umfang der eigentlichen Kassenverpflichtungen, sowie der aus Gründen

der Zweckmäßigkeit gebotenen Verrechnungen und Auslagen

klar machen

müssen. Zu den ersteru gehören vor allem die Zinsen der vom Vereine ausgenommenen Kapitalien, im ganzen mit 5 Prozent zu veranschlagen

und die Verwaltung § ko st en,

namentlich die Besoldung der Kassen­

beamten, einschließlich eines Boten, die Kosten für Druckformulare, In­

sertionen, Anlegung

der Bücher rc.

Die bedeutendste

Post

darunter

bildet das Honorar des Kassierers und Kontrolleurs, da die Mühewaltung

derselben, wenn Buchführung und Kasse stets in Ordnung und übersichtlich

sein sollen, bedeutend ist, viel Zeit und die größte Pünktlichkeit dazu er­ fordert werden, und es — schon der unterlaufenden Vertretung halber — in der Regel wohl niemanden zugemutet werden kann, solche Ämter

ohne eine angemessene Remuneration zu übernehmen.

Da der Verkehr

bei der Vereinskasse, von dessen Höhe die Arbeit jener Beamten abhängt,

ungleich ist,

und bald steigt, bald fällt, so scheint es das angemessenste,

ihre Besoldung nicht zu fixieren, vielmehr von dem Umfange des Kassen­ verkehrs abhängig zu machen, indem man ihnen eine Quote von den

Prozenten der Vorschußempfänger anweist, wodurch zugleich ihr eignes Interesse an die Steigerung des Kassengeschäfts geknüpft wird.

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

81

Außer diesen notwendigen Ausgaben sind nun aber noch als zweck­ mäßige auf die Vorschußprozente angewiesene Verwendungen in Anschlag zu bringen: der Reservefonds und die Dividende.

Der erste, zur

Deckung etwaiger Kassenverluste durch Insolvenz der Schuldner bestimmt, ist, wie oben angeführt wurde,

zu einer geordneten Verwaltung und

Sicherung der Mitglieder gegen sonst unausbleibliche Vertretungen nicht Die letztere aber bildet im Grunde weiter nichts als den

zu entbehren.

Zins für die von den

Mitgliedern eingesteuerten Beitragssummen, in

steigender und fallender Rente, jenachdem die Vereinsgeschäfte mehr oder weniger abwerfen. Mit Rücksicht auf alle dies ist daher der zugleich hin­ sichtlich der Übersichtlichkeit für die Vorschußempfänger wie die Kassen­ beamten höchst zweckmäßig erscheinende Satz von Einem Münzpfennig

von jedem Taler auf die Woche, —■ 14-*/s pCt. jährlich, bei diesen Vor­ schußprozenten

zugrunde

hinreichend bewährt hat.

gelegt worden,

den die

bisherige Erfahrung

Einmal sind die Mitglieder mit diesem Zinsen­

satze durchaus zufrieden, da derselbe kaum */3 dessen beträgt, was sie sonst für solche Vorschüsse im Privatverkehr zahlen mußten, wo 30 bis 50 Prozent bei kürzern Fristen als eine sehr billige Forderung gelten.

dann ist aber auch die Kasse

imstande, mit diesen

obigen Anforderungen vollkommen zu genügen.

Prozenten

So­

allen

Was zunächst die Ver-

waltungskvsten betrifft, so nehmen dieselben, nach den bisherigen Er­

fahrungen, wenn man eine angemessene Remuneration der Kassenbeamten mit einrechnet,

ohngefähr

die Hälfte dieses Einkommens in Anspruch,

weshalb beim Eilenburger Verein dem Kassierer und Kontrolleur zusammen

il3 der fraglichen Prozente als Besoldung überwiesen ist. Bei dem Delitzscher Verein wurde dagegen, bis auf weiteres, gleich die Hälfte der Prozente den Kassenbeamten unter der Bedingung überlassen, daß sie sämtliche übrige Verwaltungskosten davon bestritten und den Über­

schuß als Remuneration für ihre Arbeit unter sich teilten.

So weit

sich vorläufig übersehen läßt, wird sich diese Prozenthälfte bei einem

Betriebsfonds

von 1000 Tlr.

bis 1200 Tlr., wenn

derselbe nur 50

Wochen im Jahre stetig umgesetzt wird, auf 60 bis 75 Tlr. jährlich be­

laufen, wovon höchstens 10 bis 12 Tlr. an Nebenausgaben abgehen, das Übrige aber für die Besoldung bleibt. Von der zweiten Prozenthälfte,

welche demnach für die übrigen notwendigen und nützlichen Ausgaben und Verrechnungen frei bleibt, und die wir, mit Weglassung des Bruches, auf

7 pCt. anschlagen, sind nun vor allem

Zinsen der

vom Verein

die

5 pCt. betragenden

aufgenommenen Kapitalien zu decken, wobei

jedoch der Betrag des Reservefonds und der aufgesammelten MonatsSchulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

1.

ß

Schulze-Delitzsch.

82

beiträge der Mitglieder ausscheidet, da sie keine Zinsenausgabe verursachen. Demnach fließen von dem Teile des Betriebskapitals, der durch Darlehne dritter gebildet wird, noch 2 pCt. Überschuß gegen die 5 Prozentigen

Zinsen; von dem Teile, den der Reservefonds und die Beiträge von Mit­ gliedern bilden (in Delitzsch gegenwärtig nahe 300 Tlr.f, die ganzen

7 Prozent der Kasse als Gewinn zu, welcher teils dem Reservefonds zu überweisen, teils als Dividende unter die Mitglieder, nach Höhe

der von den einzelnen beigesteuerten Summen, zu verteilen ist.

Dieser

Anschlag wird, wenn das Betriebskapital immer dem Bedürfnis ange­

liegenden

messen bleibt, bis auf einen geringen in der Kasse müßig

an den ganzen

Bestand, sicher zutreffen, was, wenn man

P/8

pCt.

und die

kürzt,

lP/3 pCt.

in Betracht kommende Hälfte anstatt

hier

auf 7 nur auf 6 ’/2 pCt. berechnet, sich völlig ausgleicht, indem jener Kassenbestand

elften Teil

den

niemals

des

Betriebskapitals erreicht.

Wird besonders seitens des Vorstandes dafür gesorgt, daß zu gewissen wo voraussichtlich viel bares Geld gebraucht wird, z. B. bei

Zeiten,

einfallenden

Hauptmessen

und

Märkten,

der

Fonds

für

stets

den

Augenblick verstärkt, für die stillen Zeiten aber durch Abzahlung eben

so rasch reduziert wird, was bei erst festgestelltem Kredit des Instituts mit einiger Umsicht leicht bewerkstelligt werden kann, so werden müssige Bestände von einigem Belang und ein dadurch der Kasse verursachter

Prozentverlust nicht leicht vorkommen.

Dies ist denn auch bei hiesigem

Verein noch niemals der Fall gewesen, da die eingehenden Gelder durch die schon

im voraus bewilligten weiteren Vorschüsse

spruch genommen wurden. von

den

Zinsensatz kann,

Vorschußempfängern zu ein

übersteigt,

bedarf wohl

sogleich in An­

Daß übrigens daraus, daß die Höhe dieser Prozente den

zahlenden

verbotener

Wucher

kaum einer Erwähnung.

nicht

gesetzlichen

gefolgert

werden

Nur Mitglieder des

Vereins zahlen diese Prozente, wozu sie sich statutenmäßig für den

Fall einer Entnahme von baren Summen aus der Vereinskasse wechsel­

seitig gegen einander verpflichtet haben.

Es

fehlt also an der Person

des Gläubigers, von welchem der Wucher gegen den Schuldner ausgehn

müßte.

Der ganze

Verein,

einschließlich

des

Vorschußempfängers,

kreditiert und empfängt die Prozente, welche einesteils dem letztern in

dem, dem gemeinschaftlichen Eigentume aller Mitglieder unterliegenden

Reservefonds kommen.

sowie

in

der

Dividende

selbst wieder mit zugute

Andernteils haben aber diese Prozente gar nicht den Charakter

reiner Kapitalzinsen,

vielmehr

sellschaftskasse,

dem

nach

den

von Beiträgen

Maßstabe der Benutzung

in

die Ge­

derselben

und

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

83

dazu bestimmt, die der Gesellschaft obliegenden Verbindlichkeiten — Ver­ waltungskosten, Kapitalzinsen — zu tilgen, wofür ohnehin jedes Mitglied

aus seinen Mitteln aufkommen müßte. Um den so wichtigen Reservefonds bald auf eine mit dem Verkehr

des Vereins in Verhältnis stehende Höhe zu bringen, ist die Einrichtung getroffen, daß so lange er nicht die Normalsumme von 200 Tlr. er­

reicht hat — er beträgt in Delitzsch gegenwärtig über

140 Tlr. —

keine Dividenden an die Mitglieder gezahlt werden, sondern der sämtliche Überschuß der Kassenprozente demselben hinzutritt. Diese Maßregel

konnten sich die Mitglieder um so eher gefallen lassen, als der Reserve­ fonds nicht aus dem Kassengeschäft gezogen ist, sondern das Betriebskapital vermehrt, seine Erhöhung also künftig auf die Steigerung der Dividende Aber auch wenn jene Summe erreicht ist, bleiben für diesen

zurückwirkt.

Fonds noch immer behufs der allmählichen Amortisation der vom Ver­ eine aufgenommenen Darlehne, außer gewissen von der Gewinnstdividende

abzuziehenden Prozenten, die Eintrittsgelder und Jahreszuschüsse

der neu aufgenommenen Mitglieder, von denen die letztern nichts weiter als ein auf Jahrestermine gesetzter Zuschlag zu den ersteren sind.

Daß

überhaupt solche Eintrittsgelder bei der Ausnahme in eine Gesellschaft, welche den Eintretenden sogleich einen Anteil an einem bestimmten Ver­

mögen gewährt, im Recht und der Billigkeit beruhen, bedarf wohl kaum

einer Erwähnung, doch sind dieselben so niedrig gehalten, damit nicht die Unbemittelten dadurch vom Beitritte abgehalten werden, was eben die

Motive abgab, einen Teil davon in der Form der Jahreszuschüsse zu fristen.

Natürlich werden aber dieselben mit dem Steigen des Re­

servefonds sich auch um etwas

erhöhen, wobei jedoch

Rücksicht gleichfalls zu wahren ist.

die angedeutete

Für jetzt sind sie auf 5 Sgr. fest­

gesetzt, was mit den dazutretenden 4 Jahreszuschüssen ä 2| Sgr., zu­ sammen 15 Sgr. ausmacht, ein Satz, der bisher hier noch niemanden, selbst aus der unbemittelten Arbeiterklasse, abgehalten hat, dem Vereine

beizutreten.

Die Dividende selbst wird nach der vorstehenden Berechnung ver­ hältnismäßig

nicht

unbedeutend

Assoziationsgeschäft angelegten

sein,

da

die

Gesamtsumme

Monatsbeiträge, auf welche

der

im

sie verteilt

wird, schon allein 6| pCt. Zinsüberschuß trägt, wozu noch die 6| pCt. vom Reservefonds und das Zinsenplus von 1| pCt. bei den vom Verein aufgenommenen Kapitalien kommen. Da voraussichtlich noch zirka 2 Jahre zur Erfüllung des Reservefonds notwendig sind, in denen dieselbe also

noch nicht gewährt wird, so ist das Nähere über ihre Zahlung im Statut

6*

Schulze-Delitzsch.

84

noch nicht festgesetzt, vielinehr einem zur gehörigen Zeit zu fassenden

Gesellschaftsbeschlusse Vorbehalten,

bei welchem man die bis dahin ge­

wonnenen Resultate und Erfahrungen benutzen kann.

Doch ist der vor­

läufige Plan der: diese Dividenden den Mitgliedern nicht sogleich bar

auszuzahlen, vielmehr nur im Beitragskonto mit gutzuschreiben und nebst den Beiträgen so lange aufzusammeln, bis für einen jeden ein Guthaben

von etwa 5 Tlr. zusammen erreicht ist, so daß erst das diesen Betrag Übersteigende von den einzelnen aus der Kasse entnommen werden kann. Natürlich wird sich durch eine solche Maßregel auch die den Mitgliedern

gegenwärtig gestattete Kompensationsbefugnis hinsichtlich der eingezahlten Beiträge modifizieren, welche aus der frühern Einrichtung für jetzt noch

beibehalten ist.

Allein sicher werden die Mitglieder diese unbedeutende

Erleichterung bei Rückzahlung der Vorschüsse gern aufgeben, sobald sie

erst die außerordentlichen Vorteile einsehen, welche durch diese Art der Aufsammlung eigentlicher Aktien ihnen für ihre Person wie dem Vereine

im ganzen entstehn, da es auf diese Weise, wie gesagt, dahin kommt, daß nach Verlauf einer sehr mäßigen Reihe von Jahren, wenn nicht un­

gewöhnliche Verluste eintreten, der größte Teil des Betriebskapitals den Mitgliedern gehört. In bezug auf die Rückzahlungsfristen ist, bei kleinern Summen,

zur Bequemlichkeit der Schuldner die wöchentliche Abschlagszahlung ge­

stattet, im ganzen aber der Grundsatz festgehalten, die Vorschüsse auf nicht länger, als ein Vierteljahr zu geben, und so einen rascheren Umsatz

und

dadurch die Deckung

Betriebsfonds

zu

erzielen.

eines größeren Bedürfnisses

Ohnedem

bedürfen

die

mit demselben

kleineren Gewerb-

treibenden das Geld in der Regel nicht auf lange Zeit, da es der eigne

Geschäftsumsatz ihnen bald wieder zuführt, obschon sie in vielen Fällen bald darauf wieder einer Summe benötigt sind.

Es liegt

daher in

ihrem eignen Interesse, sie zur möglichst baldigen Abzahlung anzuhalten,

und es ihnen lieber oft wenige Wochen darauf von neuem zu geben, weil sie

dadurch nicht nur die Zinsen der Zwischenzeit ersparen, sondern überhaupt ihren Geschäftsbetrieb regeln und auf einen bestimmten Etat bringen

lernen.

Doch wird, wenn ausnahmsweise einmal die Zahlung in der

gestatteten Frist nicht pünktlich geleistet werden kann, oder das Inne­ behalten des Geldes dem Schuldner offenbar vorteilhaft ist, die Pro­

longation

sofern

die Sicherheit

nur

nicht

gefährdet

erscheint,

ohne

Schwierigkeit bewilligt. Was die Geschäftsführung beim Vereine im allgemeinen anlangt, so ist natürlich das Kassenwesen der Hauptpunkt dabei, dessen Ein-

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

85

richtung die dem Statut beigedruckten Stücke: die Kassenordnung und

der Vertrag mit dem Kassierer und Kontrolleur ergeben. auch

die

Fassung

der

Schuldscheine,

nebst der

Weiter ist aber

damit

zusammen­

hängenden Bestimmung, in welcher Weise der Verein, der keine Kor­

porationsrechte hat, bei Prozessen vor Gericht vertreten werden soll, zu

bedenken.

Streng genommen wird dies nur durch ein in aller Form

beglaubigtes Syndikat geschehen können, welchem ein Attest der Ortsbehörde

über das Mitgliederverhältnis zugrunde zu legen ist.

Indessen genügt

auch schon das von sämtlichen Mitgliedern vollzogene Statut als Privat­ vollmacht mindestens zur Einbringung der Klage, und ist hier noch kein daß dessen Glaubwürdigkeit von den Beklagten an­

Fall vorgekommen, gefochten

worden wäre.

hier der Ausweg

Um indessen alle Weiterungen zu umgehn, ist

ergriffen, die Schuldscheine auf den Kassierer, als

Darlehnsgeber zu stellen, die Entnahme des Geldes aus der Vereinskasse

nur historisch dabei zu vermerken, und die Verpflichtung der Rückzahlung wiederum lediglich an die Person des Kassierers oder dessen Rechtsnach­

folgers zu knüpfen.

Tritt ein Wechsel im Amte des Kassierers ein, so

wird durch Zession an den Nachfolger die Sache abgemacht, in welcher

Beziehung das Interesse des

ausdrücklich gewahrt ist.

Vereins in dem abgedruckten Vertrage

Aus solchen Schuldscheinen wird der Kassierer

ohne weitere Legitimationsführung zur Klage zugelassen werden müssen, wenn auch über die Zulassung seines Zessionars seitens der

Gerichte

nicht überall gleiche Ansichten vorherrschen möchten, welchenfalls übrigens die Ergänzung der Legitimation alsdann noch immer auf die zweckdienlich

erscheinende Weise bewirkt werden kann.

Daß schließlich die bei dem Delitzscher Vereine noch vorkommenden Ehrenmitglieder, auf welche das Statut Rücksicht zu nehmen hatte,

eine durch die frühere Einrichtung bedingte Ausnahme sind, ist schon er­ wähnt.

Da sie weder am Risiko noch Gewinn des Vereins teilnehmen,

sind sie eben nicht wirkliche Mitglieder, und erhielten nur das Stimm­ recht und die Befugnis zur Annahme von Ämtern in Anerkennung der den Zwecken des Vereins bewiesenen Förderung.

Da die Dauer ihrer

Mitgliedschaft nur nach Höhe ihrer Zuwendungen bemessen ist und mit der Zeit aufhört, so ist schon jetzt ihre Zahl bis auf etwa 15 hier herab­

gesunken und in einigen Jahren werden sie völlig verschwinden.

Eine

Beeinträchtigung der Vereinsinteressen ist von ihrer Seite nicht zu fürchten, da sie bei den Vereinsschlüssen eine so entschiedene Minorität bilden.

Im Gegenteil scheint ihre Beteiligung bei den desfallsigen Beratungen, als völlig unbeteiligter, unparteiischer Männer, in manchen Fällen eher

Schulze-Delitzsch.

86

förderlich, wie denn z. B. hier der Verfasser selbst, dem von Anfang an

die Leitung des Vereins anvertraut wurde, zu ihnen gehört.

Wenn sie

und ihre Zuwendungen daher auch für das Bestehen der Vereine auf dieser Grundlage durchaus nicht notwendig sind, so liegt doch kein Grund

vor, sie da, wo sich dergleichen finden, abzuweisen, wenn nur die Interessen

des Vereins bei Abwägung ihrer Stellung, wie dies in unserm Statut

geschehen, gehörig gewahrt werden. Aus dem neuen Statut des Vorschußvereins zu Delitzsch seien nur einige gegen früher (Seite 11) abgeänderte Bestimmungen hervorgehoben:

§ 1.

Zweck des Vereins.

Die unterzeichneten Mitglieder bezwecken, sich durch den Zusammentritt zu diesem Vereine gegenseitig durch ihren gemeinschaftlichen Kredit die zu ihrem Gewerbs- und Geschäftsbetriebe erforderlichen baren Geldmittel zu verschaffen.

§ 2.

Fonds.

Der hierzu nötige Fonds wird aufgebracht durch:

a) Beiträge der Mitglieder,

b) Darlehne, welche dieselben, gegen solidarische Verhaftung aller aufnehmen.

§ 4.

Laufende Monatsbeiträge.

Das Eigentum der von den Mitgliedern einzuschießenden laufenden Monats beiträgen verbleibt den Einzahlenden, und hängt von der Höhe der von jedem Einzelnen aufgesammelten Summe dessen Dividende an dem Ge­ winnst der Gesellschaftskasse nach näherer Bestimmung des § 7 ab.

§ 7.

Verwalturrgs-, Zinsen und Reservefonds. Dividende. Amortisation.

Von dem nach § 5 und 6 gebildeten Fonds (aus den Eintrittsgeldern und den Zinszahlungen der Mitglieder für empfangene Vorschüsse) werden alljährlich:

a) die Hälfte von den Beiträgen der Vorschußempfänger (§ 6) zur Deckung der Verwaltungskosten vorweg abgezogen; b) von der andern Hälfte dieser Beiträge zuvörderst die Zinsen der vom Verein aufgenommenen Darlehne gedeckt;

c) der alsdann davon noch verbleibende Rest nebst den Einnahmen des § 5 dem Reservefonds zugeschlagen.

Sobald jedoch der letztgedachte Fonds, welcher das eigentliche Gesellschafts­ vermögen bildet, die Summe von zweihundert Talern übersteigt, wird d) der vorstehend Litt, c bezeichnete Überschuß von den Beiträgen dev Vorschußempfänger unter die ordentlichen Mitglieder als Gewinn verteilt;

e) die Einnahme des § 5 dagegen zur allmählichen Amortisation der vom Vereine aufgenommenen Darlehne verwendet.

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

87

Die Verteilung des Gewinns an die Mitglieder erfolgt nach Höhe ihres aus dem Kontobuche ersichtlichen Guthabens an laufenden Monatsbeiträgen, welches jedoch dabei nur soweit berücksichtigt wird, als es volle Taler beträgt, und sollen mindestens zehn Prozent von dieser Dividende den Mitgliedern ab­ gezogen und dem ad. e erwähnten Amortisationsfonds zugeschlagen werden. Sollte sich aber der Fall ereignen, daß der Reservefonds durch erlittene Ausfälle an den gegebenen Vorschüssen wieder unter 200 Taler herabsinkt, so muß die Zahlung der Dividende insoweit sistiert werden, als dies zur Er­ gänzung des Fonds auf die angegebene Normalsumme notwendig ist.

Siebentes Kapitel.

Assoziationen spezieller Gewerke. Wir kommen nun zu den

Assoziationen

spezieller Gewerke,

als dem Schlußstein des Ganzen, welche jedoch bei uns,

früher

im

bemerkten,

allgemeinen

bei

den

wie wir schon

Vorbedingungen

zur

Arbeit, insbesondere der gemeinsamen Anschaffung des Rohstoffes stehen sind,

geblieben

und

sich

noch

nicht

Gewerbebetrieb selbst erhoben haben.

bis

Gemeinschaft

zur

im

Dieselben beschränkten sich bis­

her auf eigentliche Handwerke und sind lediglich von Handwerksmeistern

gebildet.

Zu ihnen gehören hier und im nächsten Umkreise sechs, unter

denen die Assoziationen der Tischler in Delitzsch im Herbst 1849 den Anfang machte, welcher die der Schuhmacher daselbst Ende desselben Jahres folgte.

Im Frühjahre 1850 kam sodann die der Schuhmacher,

im Herbst 1850 die der Schneider in Eilenburg, im Sommer 1852 die

der

Schuhmacher

zu Bitterfeld

und im

zustande,

Laufe des

gegenwärtigen Monats (März 1853) die der Schneider zu Delitzsch, deren Statut vom Verfasser bereits entworfen ist und in den nächsten Tagen unterzeichnet wird, damit schon in der bevorstehenden Leipziger

Ostermesse mit den Einkäufen begonnen werden kann.

Noch war eine

Assoziation unter den Buchbindern zu Delitzsch in der Bildung be­

griffen,

auch

gesammelt.

bereits

durch

Monatsbeiträge

ein

kleines Kapital

auf­

Da aber die Zahl der Gewerbtreibenden in diesem Fache

sich nur auf 6 Meister belief, und einige davon wieder zurücktraten, so

zogen es

die bei

dem Unternehmen Ausharrenden

vor,

anstatt eines

dauernden Instituts, für das Erste nur ein zeitweises Kompagniegeschäft zum gemeinsamen Ankauf mehrerer Artikel, namentlich von Schulbüchern, zu gründen, welches seine Tätigkeit bereits begonnen hat.

Assoziationen sind

aber,

herausgegebenen Schriftchens,

auf Anregung

Außer diesen

des vom Verfasser früher

noch eine Anzahl in weitern Kreisen in

das Leben getreten, über welche, soweit sie sich mit demselben in Ver­ bindung gesetzt haben, im Folgenden ebenfalls berichtet werden wird. Sämtliche Assoziationen haben mit entschiedenem Erfolge operiert, und wo die Geschäfte unbedeutend blieben oder einzelne Verluste ein­ traten, lag dies in besonders ungünstigen Umständen, öfter noch in Fehlern bei der Geschäftsführung. Am meisten vorgeschritten in ihrer Ausbildung von allen im hiesigen Umkreise ist die Assoziation der Schuhmacher in Delitzsch, deren Einrichtungen und Resultate wir daher zunächst besprechen, und daran alles knüpfen wollen, was für die Einrichtung und Fortbildung ähnlicher Vereine überhaupt förderlich sein kann, indem dasselbe ebensogut auch aus andere Gewerke seine An­ wendung findet. Die Assoziation der Schuhmacher zu Delitzsch zählte bei der Stiftung 57 und gegenwärtig 71 Mitglieder, welchen in den beiden letztverflossenen Jahren gerade die wohlhabendsten beigetreten sind, »veil sie sich überzeugten, daß sie ihre Kapitalien, statt sie im eignen Geschäft anzulegen, füglicher in der Assoziationskasse nutzen, und ihr Bedürfnis doch ebenso wohlfeil aus dem Assoziationslager entnehmen könnten. Der Kredit der Gesellschaft ist seit der Stiftung nur gestiegen, und die ihr von allen Seiten zugehenden Kapitalsofferten können nicht sämtlich be­ nutzt werden, da die durch solidarische Verhaftung aller Mitglieder ge­ botene Sicherheit mehr als genügend, und der bisher gewährte Zinssatz von 5 pCt. höher war, als er in der Regel bei sichern Hypotheken und in den Sparkassen vorkommt. Man hat daher neuerlich schon an eine Ermäßigung der Zinsen gedacht, und wirklich einige Kapitale zu 4 und 4| Prozent erhalten. Der Betriebsfonds der Assoziation beträgt zirka 2500 Taler, wovon jedoch gegenwärtig nur zirka 2000 Taler darlehnsweise aus­ genommen sind, 114 Taler Einlagen den 57 Stiftern, und 414 Taler bisheriger Reingewinn, als ein im Geschäft angelegter Reservefonds, der Gesellschaft eigentümlich gehören. Derselbe wird mehr als dreimal alljährlich umgesetzt, was einen Materialeinkauf von 8000 Talern zirka ausmacht, der in der Hauptsache aus den drei Leipziger und der Braunschweiger Sommermesse bewirkt wird, da man zu Zu­ sendungen von Fabrikanten außer der Zeit nur im Notfälle seine Zuflucht nimmt, indem ohne vorherige Warenschau, besonders beim Leder, kaum auf preiswürdige, durchaus brauchbare Ware zu rechnen ist Zur Deckung der Zinsen und Verwaltungskosten sowie zur Bildung eines Reservefonds wurde beim Verkaufe der Vorräte aus dem Affoziations-

Asioziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

89

lager an die Mitglieder in den ersten Jahren ein Aufschlag von 8 Prozent

der jedoch

über den Kostenpreis genommen,

bei dem guten Fortgänge

der Geschäfte seit 1 Jahre auf 6| Prozent herabgesetzt ist.

fallen

Verkaufserlöse

1|

Prozent

Kassierer,

dem

|

Von dem

Prozent

dem

Kontrolleur für ihre Mühwaltung zu, wogegen der Erstere zugleich

das Lager- und Verkaufslokal

dem

Aufschläge hiernach

Aus den der Kasse von

beschaffen muß.

4T5T Prozenten,

verbleibenden

jedoch,

welche

wenn man selbst nur einen dreimaligen Umsatz des Betriebsfonds im Jahre annimmt, 13| Prozent betragen, sind dann nur noch die Zinsen

der aufgenommenen Kapitalien mit höchstens 5 pCt. zu decken, während der Überschuß als Reingewinn der Gesellschaft zufällt, und bisher lediglich den

Reservefonds

daher,

Derselbe war

vermehrte.

Herabsetzung der Prozente und mehrerer

trotz

der

Verluste beim Wareneinkauf,

die nie ganz zu vermeiden sind, und mitunter Preisreduktionen bei ein­

zelnen Lagerbeständeu nötig machen, bis Ende

bar und

inventars,

in

verkäuflichen

angewachsen,

Waren und

da

und

mit

eben

1852

dieser

auf 414 Taler

Wert

Taler

44

Lager­

des

Erhöhung

des

Gesellschaft eigentümlichen Fonds, von welchem sie keine Zinsen

und die ganzen 13{ Prozent bezieht,

Darlehne Hand

in Hand

so

geht,

steigender Progression vorschreiten,

der

zahlt,

die Verminderung der zinsbaren

würde

dies Wachstum

in immer

und in nicht zu langer Zeit dahin

führen, daß das ganze Betriebskapital der Gesellschaft gehörte.

Da nun

aber die Assoziation ihren Zweck, gleich den Innungen, als den eines bleibenden,

Instituts

die

nicht

bloß

für

umfaßt,

auch

nicht

Kreise nützen will,

genossen öffnet,

sondern

gegenwärtigen

Mitglieder

berechneten

exklusiv nur einem gewissen beschränkten

grundsätzlich sich

jederzeit allen

Gewerbs­

welche die statutarischen Bedingungen erfüllen,

welches

alles einen fortwährenden Wechsel in den Personen bedingt: so war es

den

bisherigen Mitgliedern durch

deren Einlagen

und Kundschaft der

fragliche Fonds gebildet worden ist, auf die Dauer nicht zuzumuten, sich jedes dadurch zu gewinnenden Vorteils zugunsten der tretenden zu begeben.

in Zukunft Bei­

Schon gegenwärtig erhielten daher die Witwen

verstorbener Mitglieder aus dem Reservefonds ein Benefiz, welches nach

Höhe desselben auf 1 Prozent von seinem jedesmaligen Betrage festgestellt

war, neuerlich also zirka 4 Tlr. betrug. mäßig gerecht zu werden,

ist,

Um aber hierbei allen gleich­

da die Höhe dieses Fonds zur Deckung

möglicher Unglücksfälle ausreichend erschien, gegenwärtig beschlossen,

daß

der, von dem Einkauf zur bevorstehenden Leipziger Ostermesse ab, sich aus dem Verkaufe der Lagerbestände ergebende Reingewinn den Mitgliedern

90

Schulze-Delitzsch.

als Dividende gewährt werden soll, von

welcher alsdann nur noch

geringe Prozente nebst den Eintrittsgeldern neuer Mitglieder in den Reservefonds fließen, um denselben allmählich bis auf 500 Taler zu er­ höhen. Natürlich schritt man bei diesem Beschlusse zugleich zu einer Erhöhung der Eintrittsgelder, weil die in den Verein von jetzt an Neu­

eintretenden dadurch, daß sie sofort zum Miteigentum eines inzwischen ziemlich angewachsenen Fonds und den sofortigen Genuß der Dividende gelangen, gegen die frühern Mitglieder sehr bevorzugt sind. Während

daher von den Stiftern nur 2 Taler eingelegt waren, deren Eigentum ihnen verblieb, hatten schon die später Eintretenden zwar ebenfalls nur diese Summe zu entrichten, mußten sie aber der Kasse, als ein förmliches Einkaufsgeld, für immer belassen. Die von jetzt ab Zutretenden aber

müssen, nach besonderem Beschlusse, 5 Taler Eintrittsgeld, ebenfalls ohne jemals die Erstattung fordern zu können, erlegen, nur ist, um die Un­ vermögenden durch eine solche Summe nicht abzuschrecken, nachgelassen, daß bloß ein Taler sofort, der zweite Taler beim nächsten Meßeinkauf zu zahlen ist, die übrigen drei Taler dagegen in den ersten drei Jahren durch Abrechnung auf die Dividende allmählich getilgt werden. Übrigens hoffte man durch die Dividende auch noch manchen Übelständen abzuhelfen und andere wesentliche Vorteile zu erlangen.

Noch immer pflegt nämlich ein Teil der Mitglieder bei weitem nicht seinen ganzen Bedarf aus dem Assoziationslager zu entnehmen, vielmehr beziehen die Wohlhabenderen im Anschluß an die Assoziationskäufe nicht unbeträchtliches Material noch für eigne Rechnung, die Unbemittelten aber, denen statutenmäßig nur bis zu dem Betrage von 3 Tlr. Kredit

vom Kassierer gegeben werden soll, suchen, wenn dieser Kredit erschöpft ist, noch aus andern Quellen Waren auf Borg zu erhalten. Ein Ver­ bot der Warenentnahme von anderwärts, als aus dem Assoziationslager, sowie eine Erhöhung des zu kreditierenden Betrags ohne entsprechende Deckung erscheinen aber nicht praktisch, weil man durch das erstere die wohlhabenden Mitglieder, deren Kredit der Assoziation besonders zu­ statten kommt, leicht hätte abschrecken können, durch die zweite Maßregel

aber die Kasse erheblicher Gefahr und großen Unordnungen ausgesetzt worden wäre. Die Errichtung der Dividende wurde deshalb, mit be­ sonderer Rücksicht hierauf, so getroffen, daß dadurch einerseits alle Mit­

glieder Lust erhalten möchten, ihr ganzes Bedürfnis von der Assoziation zu entnehmen, andererseits eine Erhöhung und Regelung des den Käufern zu gebenden Kredits ermöglicht würde. Die Dividende wird daher nicht nach Köpfen, sondern nach Verhältnis der von jedem Mitglied

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

in die Assoziationskasse für entnommene Waren in

91

der be­

treffenden Rechnungsperiode gezahlten Geldsumme berechnet, auch an die Mitglieder nicht bar aus der Kasse gewährt, sondern ihnen in einem besondern Konto nur gut geschrieben, so daß die Gelder nach

wie vor als ein Teil des Betriebskapitals von der Gesellschaft genutzt werden, indem erst, wenn das Guthaben jedes Einzelnen die Summe Yon 10 Talern übersteigt, die Herauszahlung des Überschusses verlangt

werden kann. Wenn auf diese Weise auf die Einzahlungen für entnommene Waren die Kasse eine Prämie setzt, so wird schon jeden das eigne Interesse treiben, seinen ganzen Bedarf ans dem Assoziationslager zu

entnehmen, um sich dieselbe nicht entgehn zu lassen. Andererseits aber wird durch die Aufsammlung der Dividenden die Gesellschaft nicht nur insofern gefördert, als sich binnen einiger Jahre ein großer Teil des

Betriebsfonds in Form von Aktien in den Händen der Mitglieder be­ findet, sondern es wird so auch der so schwierige Kreditpunkt geregelt. Das solchergestalt gewonnene Guthaben der Einzelnen bildet nämlich ebensowohl die erforderliche Deckung wegen des ihnen zu gestattenden Borgs, als die Entschädigung der Kasse wegen des ihr dadurch ent­ stehenden Zinsenverlusts, indem dasselbe ja auch den Mitgliedern nicht verzinst wird. Die Dividende selbst ist zudem verhältnismäßig nicht unbedeutend, wie die obige Berechnung ergibt. Danach wirft der Betriebs­

fonds, nach Abzug der Verwaltungskosten, doch immer 10 bis 12 Pro­ zent jährlich für die Kasse ab, wovon nur für den durch fremde Kapitalien gebildeten Teil desselben, der sich durch die Aufsammlung der Dividende, und das Wachsen des Reservefonds je länger je mehr verringert, die Zinsen mit 5 Prozent abzurechnen sind. Schon in 4 bis 5 Jahren wird daher bei allen, welche einigermaßen bedeutende Quantitäten von Material verbrauchen, das Guthaben die Normalhöhe erreicht haben, und denen, welche höhere Summen nicht schon eines höhern Kredits halber stehen lassen wollen, die Verzinsung des Überschusses zugebilligt werden können,

indem ja insoweit das dritten Personen, als Gesellschaftsgläubigern, zu verzinsende Kapital vermindert werden kann. Und hier ist es eben, wo wir auf die im ersten Kapitel gemachte Bemerkung wegen einer Alters­ versorgung für die Mitglieder zurückkommen. Ergibt sich schon bei

den gegenwärtigen höchst unvollkommenen Anfängen des Assoziations­ wesens ein solcher Gewinnanteil für die Teilnehmer, so wird, bei weiterer Ausbildung der Sache, insbesondere Assoziierung im Gewerbebetrieb selbst, diese Dividende allmählich eine Höhe erreichen, welche es möglich macht, für den angedeuteten Zweck mit Aussicht auf Erfolg zu wirken.

Schulze-Delitzsch.

92

Daß übrigens durch die Einrichtung der Dividende in der er­ wähnten Weise die Arbeit der Kassenbeamten nicht nnbeträchtlich ver­

da

mehrt wird,

müssen,

um die

notiert werden

die sämtlichen Abnehmer namentlich

zur Verteilung der Dividende nötigen Berechnungen

aufstellen zu können,

Natürlich muß dies eine

springt in die Augen.

Erhöhung ihrer Remuneration zur Folge haben, welche sowohl durch eine Erhöhung der ihnen vom Verkaufserlös zugebilligten Prozente, als auch

durch gewisse besondere Prozente von der Dividendensumme selbst ge­ schehen kann.

Für jetzt ist die Festsetzung darüber einem bei der Aus­

werfung der ersten Dividende zu fassenden Beschlusse Vorbehalten, wo sich

der Umfang der Arbeit besser übersehen läßt. Indessen bleibt, bei alledem, doch immer der billige Preis und die

vorzügliche Qualität des Rohstoffes der Hauptgrund, welcher die Mit­

glieder an die Assoziation kettet.

im großen,

Die bedeutenden Vorteile des Ankaufs

in welchem jedesmal

mehrere

bar angelegt

tausend Taler

werden können, kommen den Abnehmern auch bei den kleinsten Quan­

titäten, bis auf die Zutaten eines einzelnen Pares Schuhe oder Stiefeln,

zustatten, und der Aufschlag von 6 bis 8 Prozent ist so gering, daß er

im Detail gar nicht bemerkt wird.

Das Mehr, welches

besonders die

Unbemittelten bei Entnahme kleiner Partieen an die Zwischenhändler, zum Teil ihre wohlhabendern Gewerbsgenossen früher zahlen mußten, betrug

50 bis 80 Prozent, und verschlang oft den besten Teil des Lohnes, da

sie ihre Arbeitspreise deshalb, der Konkurrenz halber, nicht steigern durften. Natürlich haben diese Händler überall, nach Errichtung der Assoziationen,

von den frühern Preisen bedeutend nachlassen müssen, wenn sie nicht alle Kundschaft verlieren wollten.

Demungeachtet läßt die Assoziation auch

jetzt noch ihren Mitgliedern die Waren durchschnittlich um 20 Prozent wohlfeiler ab, als jene, indem Qualität

z. B. ein Pfund Sohlleder

gegenwärtig aus dem Assoziationslager

bester

für 8 Sgr. 6 Pf.

abgelassen wird, während es bei den hiesigen Lederhändlern in geringerer Güte 11 Sgr. 3 Pf. kostet. Und so ist es auch bei den übrigen Artikeln.

Das Lager der Assoziation umfaßt alle nur denkbar zum Betriebe der Schuhmacherprofession erforderlichen Gegenstände, Stoffe, Geräte, Schemel

und Handwerkszeug nicht ausgeschlossen,

und

sein

dem Bedürfnisse, so daß der Absatz der Waren in

Umfang

entspricht

den verschiedenen

Einkaufsperioden gesichert ist, und eher noch zwischen den Messen den

Fabrikanten

Nur bei

gewissen

ausgegangene Ledern

Häuten wegen Fehlern

Artikel

kommt

es

oder wenig

nachbezogen

vor, daß

werden

mitunter

gesuchter Qualität

von

müssen.

Stücke von

liegen bleiben.

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

93

auch für solche Ladenhüter durch Preisreduktionen

Indessen weiß man

bei den Lagerrevisiouen am Ende noch Abnehmer zu finden, wegen deren dann das Nötige in den Büchern und Rechnungen vermerkt wird.

Eines

der wichtigsten Geschäfte ist in dieser Beziehung das Sortieren

nebst

Leder

Preisbestimmung

der

hier bei Teilen einer

für

Qualität stattfindet.

im Werte und der

die

einzelnen

derselben Haut oft ein großer

und

Stücke,

der

da

Unterschied

Für die Arbeit dabei sowie

beim Ausschnitt wird daher das mit der Leitung beauftragte Vor­ standsmitglied

mit

15

Sgr.

täglich

entschädigt,

wogegen

die Kassen­

beamten und zwei Mitglieder der Assoziation nach der Reihenfolge zu

halben Tagen unentgeltlich Beistand leisten müssen.

Zu den Einkäufen

selbst werden dagegen stets besondere Kommissionen erwählt, welchen die gehabten Kosten erstattet werden. Übrigens sind die Lagerbestände

fortwährend gegen Feuersgefahr versichert, und zwar nicht nach dem Kostenpreise, sondern nach dem Vcrkaufswerte, da die Gesellschaft sonst,

bei eintretenden Unglücksfällen, die Zinsen der zum Einkauf verwendeten

Kapitalien und Verwaltungskosten verlieren würde. Einer

ganz

besondern

bedarf aber bei dieser Art der

Sorgfalt

Assoziationen das Rechnungswesen, welches insbesondere hinsichtlich der Lagerbestände einige kaufmännische Kenntnis und Übung voraussetzt. Da ohne die größte Piinktlichkeit hier Verwirrung und Defekte unausbleiblich

sind, wodurch die ganze Assoziation den empfindlichsten Stoß erleiden kann, erscheint es daher sehr rätlich,

lange,

bis

sich

bei der ersten Einrichtung und so

einzelne Mitglieder

gehörig

eingearbeitet

haben,

im

Rechnungswesen und der Buchführung geübte Männer zuzuziehn und eine desfallsige Ausgabe nicht zu scheuen.

Zunächst hält der Kassierer über die laufenden Einnahmen und Aus­ gaben an Gelde ein Kassenbuch, worin auch der Erlös der verkauften Materialien seinen Platz findet, so daß die Kontrolle der Kassenbestände

danach jeder Zeit stattfinden kann. In das Duplikat davon nimmt der Kontrolleur einige Mal in jeder Woche die getreue Übertragung vor, damit, wenn das eine Exemplar verloren geht, es nicht an der Grund­

lage des ganzen Rechnungswesens fehle. aber

die Lager büche r.

Gleich nach

Ganz unabhängig hiervon sind

dem Ankäufe

werden die ein­

gelieferten Quantitäten nebst Preisen summarisch in einem Lager-Konto

eingetragen. Sobald nun das Sortieren, die Preisbestimmung und

der Ausschnitt der zum Einzelverkauf bestimmten Stücke bewirkt sind,

werden die einzelnen Posten in der Form und Quantität, wie sie ver­ kauft werden sollen,

nach

den Hauptwarenbranchen,

von

denen

jede

Schulze-Delitzsch.

94

ihr besonderes Konto erhält, unter fortlaufenden Nummern mit Hinzu­

fügung des Preises in die Bücher eingetragen, und eine besondere Kolonne zur Vereinnahmung des Letzteren, wenn der Verkauf erfolgt ist, beigefügt.

Auf diese Weise werden sowohl die Lagerbestände als der aus dem Ver­ kaufe fließende Erlös kontrolliert, und die Details für den entsprechenden Teil der Geldrechnung gewonnen.

einer Rechnungsperiode

die

Nur übersehe man nicht, bei Abschluß

sämtlichen

Lagerkonten abzuschließen,

und

die unverkauften Bestände in das neue Konto überzutragen, weil sonst,

wenn man die alten Konten neben den neuen so lange, als Posten da­ von noch unverkauft sind, fortführen wollte, am Ende alle Übersicht ver­

loren gehen würde. hiesigen

Die Nechnungsperioden selbst sind übrigens bei der

Schuhmacher-Assoziation,

innerhalb eines Jahres,

mit

halbjährig, so

Rücksicht

auf

4

Haupteinkäuse

daß in der Regel zwei Haupt­

einkäufe in einer jeden begriffen sind, und

kann dabei nicht unbemerkt

bleiben, daß gerade in der großen Pünktlichkeit und Tüchtigkeit der hier zu Kassenbeamten gewählten Mitglieder ein Hauptgrund des vorzugsweise

guten Standes der Angelegenheiten dieser Assoziation liegt, vermöge deren man gegenwärtig noch einen weiteren wichtigen Fortschritt vorbereiten konnte.

Schon oben im dritten Kapitel haben wir im allgemeinen bemerkt, wie ungünstig der Boden bei uns gegenwärtig noch für die Assoziation zum Gewerbebetriebe für gemeinschaftliche Rechnung ist,

und

wie man nur allmählich und mit großer Behutsamkeit die Handwerker und

Arbeiter auf einen Standpunkt zu bringen vermag, der eine gesicherte Ent­

wickelung solcher die Spitze des ganzen Assoziationswesens bildenden Vereine verspricht. Die Anbahnung eines dahin zielenden Übergangs auf dem unter den gegebenen Umständen allein möglichen Wege ist nun eben hier im Werke.

Die Assoziation ist nämlich entschlossen, die Leipziger Messen

und einige Hauptmärkte mit einer Bude unter gemeinschaftlicher Firma zu beziehen, in welche jedes Mitglied Fabrikate zum Verkauf gegen feste Preise liefern kann, wenn dieselben durch eine dazu gewählte Kommission als tüchtig und preiswürdig anerkannt sind. Zwar werden diese Fabrikate

für Rechnung der Einlieferer verkauft und müssen von diesen, wenn sie

nicht abgehn, zurückgenommen werden.

Allein wenn es gelingt, für die

Assoziationsfirma Absatz zu finden und eine ausreichende Kundschaft zu

gewinnen, dann ist es Absicht, allmählich auch für Rechnung der Assoziation bei

weniger beschäftigten

Meistern Bestellungen

zu

machen,

und

die

Fabrikate zu verkaufen, ohne dabei jedoch den Verkehr der Einzelnen für

das Erste im mindesten dadurch beschränken zu wollen.

So wenig dies

auch an sich scheint, ist es doch ein Anfang, der, wenn erst der jüngere

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

95

den Zeitideen mehr zugängliche Nachwuchs' heraufkommt, auch weiter ver­ folgt werden wird. Jedenfalls empfiehlt sich die Maßregel schon an sich, Denn anstatt daß bisher 50 bis

der Zeit- und Kostenersparnis halber. 60 Meister

mit

ihren Waren

und Messen bezogen

Märkte

und

in

einzelnen Buden feil hielten, sendet man nunmehr höchstens 3—4 Ver­

käufer gegen angemessene Entschädigung aus, welche das Geschäft für

Rechnung aller besorgen.

Die übrigen in Delitzsch und den Nachbarstüdten bestehenden

ge­

werblichen Assoziationen sind auf gleichem Fuß wie die vorstehend be­ schriebenen eingerichtet, und haben im wesentlichen dasselbe Statut.

Die Assoziation der Tischler zu Delitzsch, welche mit 13 Mit­

gliedern und

einem durch Darlehne aufgebrachten Betriebskapital von

280 Talern anfing, und für 600 bis 700 Taler alljährlich Geschäfte Der Verkehr, der

machte.

vom Anfang an hauptsächlich in Brettern,

Fournieren, Leim, Kieuöl, Schellack und bergt nicht unbedeutend war, ist in

der

letzten Zeit lediglich

durch

das

im Statut ausdrücklich aus­

geschlossene unbeschränkte Kreditgeben gesunken, welches sich mit still­ schweigender Gestattung und Benutzung aller Mitglieder

dergestalt ein­

geschlichen hatte, daß einzelne mit Summen von 40 bis 70 Talern Jahre lang in Rest blieben, ohne Zinsen zu zahlen.

teiligsten Folgen.

Dies hatte die nach­

Nicht nur, daß gegen 40 Taler

von diesen Aus­

ständen durch Insolvenz der Schuldner der Kasse verloren gingen, wurden

auch von den solventen Mitgliedern keine oder nur geringe Zahlungen geleistet, indem sich dieselben auf den den Übrigen bewilligten Kredit

stützten.

So trat in der letzten Zeit eine bedeutende Stockung ein, da

die aufgenommenen Kapitalien verzinst werden mußten, und die Zahlungen

ausblieben, und

obschon man zur Deckung der Verwaltungskosten und

Zinsen, sowie Gründung eines Reservefonds bei den meisten Gegenständen den Zuschlag bis zu 20 Prozent über den Kostenpreis beim Verkauf er­

höhte, war doch der Umsatz nicht auf eine dem Bedürfnis der Mitglieder und dem Betriebskapital angemessene Höhe zu bringen,

und saük im

letzten Jahre auf 300 Tlr. zirka herab, so daß eine Reorganisation des Vereins notwendig wurde, sollte derselbe nicht in völlige Auflösung ver­ fallen. wobei

Bereits hat die unnachsichtliche Beitreibung der Neste begonnen, sich ergab, daß der trotz aller

ungünstiger Umstände gemachte

Kassengewinn von 30 Tlr. 24 Sgr. 2 Pf. zur Deckung des durch die

Insolvenz mehrerer Schuldner verursachten Defizits bis auf wenige Taler ausreichte, die bei vernünftiger Fortführung des Geschäfts binnen kurzer

Zeit der Kasse wieder zufließen.

Schulze-Delitzsch.

96

Die Schuhmacherassoziation

zu

Eilenburg zählt 54 dasige

Handwerksmeister als Mitglieder und setzt mit einem Betriebsfonds von nahe 2000 Talern wenig über 4000 Taler jährlich um.

Dieses nicht

eben günstige Verhältnis hängt wiederum mit dem zu hohen Kredit,

welcher bisher den Mitgliedern gegeben wurde und sich bei einzelnen auf

15 bis 20 Tlr. während einer halbjährigen Rechnungsperiode belief, zu­ sammen.

Da nämlich die kreditierten «Summen nur selten pünktlich bis

zu den Haupteinkaufsterminen vor den Messen zurückgezahlt wurden und

also in der Kasse fehlten, mußte man den Betriebsfonds um soviel durch Aufnahme von Darlehnen verstärken, woher es kommt, daß derselbe gegen den Umsatz so unverhältnismäßig hoch ist. Überhaupt aber war die Anzahl der Mitglieder und der Verkehr in der ersten Zeit stärker.

Als

aber bei den ersten Rechnungen lediglich durch unordentliche Buchführung sich ein Defizit von 60 Talern herausstellte, entstand Streit und Miß­

trauen unter den Mitgliedern, und obschon der Irrtum und das Geld ersetzt wurde, schieden doch fast 20

wohlhabendsten

Mitglieder aus und die

ersten Aufschwünge gehemmt.

Assoziation

nachgewiesen

und darunter die

wurde in

ihrem

Doch hat sich die Sache nunmehr wieder

ausgeglichen, es ist trotz des eben angegebenen

ungünstigen Umsatzver­

hältnisses, bei einem Aufschläge von nur 8 Prozent über den Kostenpreis beim Verkauf der Lagerbestünde, durch den bisherigen Reingewinn ein Reservefonds von 176 Talern gebildet und im Geschäft mit angelegt und

außerdem

108

ein

Taler

Lagerinventar

Einlagen

von

40

Talern

der Mitglieder kommen,

Zinsen von der Kasse genutzt werden.

wozu

noch

welche ebenfalls

ohne

beschafft,

Bereits ist die bei der Delitzscher

Assoziation getroffene Einrichtung mit der Dividende auch hier an­ genommen, und es steht mit Sicherheit zu hoffen, daß, wenn so erst der

Kreditpunkt geregelt ist, und die Mitglieder durch die Prämie bewogen

werden, ihren ganzen Bedarf aus dem gemeinschaftlichen Lager zu ent­

nehmen — woran es bisher sehr fehlte — der Verkehr und Gewinn der Assoziation sich in angemessenem Verhältnis vermehren wird.

Die Be­

soldung der Kassenbeamten stimmt mit der in der Delitzscher Assoziation überein. Ferner die Assoziation

der

Schneider in Eilenburg.

So

erfolgreich die Vereinigung in diesem Gewerbe in großem Orten erscheint,

so schwierig ist sie in kleinern,

besonders wenn

große Städte — für

unsere Gegend Leipzig — in unmittelbarer Nähe liegen, von welchen dann meist die Reicheren, um der neuesten Fasson gewiß zu sein, ihr Bedürfnis

entnehmen.

Die Ortsschneider bleiben dann hauptsächlich auf die mittlere

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

97

und ärmere Klasse angewiesen, welche in der Regel die Tuche und Haupt­ stoffe

zu

den

für

Kleidungsstücken

eigne Rechnung

Schneider nur die sogenannten Zutaten überläßt.

kauft und

dem

Indessen gewöhnen

sich auch diese Leute allmählich mehr an die Kleidermagazine, wo sie gleich die fertige Ware finden und nach Geschmack und Preis die Aus­

wahl haben.

Für diese Kleidermagazine,

welche teils von Kaufleuten,

gehalten werden,

teils von wohlhabenden Handwerksmeistern

arbeiten

daher viele der unbemittelten Meister, und sind in Eilenburg selbst 5

solcher Magazine größerer Meister.

Der anfängliche Plan, diese fünf

mit den übrigen Meistern zll vereinigen und ein einziges großes Magazin für gemeinschaftliche Rechnung herzustellen, wozu ein sehr bedeutendes

Kapital offeriert wurde, Magazinbesitzer.

Da

scheiterte an dem Widerspruch

nun

ohne gleichzeitige

der bisherigen

Gründung eines solchen

Magazins eine wirklich bedeutende Entwickelung von Assoziationen

in

diesem Gewerbe nicht möglich ist, die übrigen Meister aber die Konkurrenz

durch Anlegung eines sechsten Magazins in einer Stadt wie Eilenburg nicht noch mehr über das Bedürfnis hinaus steigern wollten, so

der

kleinern

auf Bestellung arbeitenden Zahl nur übrig, sich

gemeinschaftlicher Beschaffung der

blieb

wegen

bildenden

die sogenannten Zutaten

Hauptartikel, namentlich Futter- und Besatzstoffe, Knöpfe, Zwirne, Seide, Nadeln k. im großen und ganzen zu vereinigen. Dies geschah, indem 20 Manns- und Frauenschneider zur angegebenen Zeit und zu dem an­

gegebenen

Zwecke

zusammentraten,

welche

auch

noch

gegenwärtig

die

Assoziation bilden. Es wurde ein Fonds durch Einlagen der Mitglieder

(1 Tlr. pro Person) und ein unter solidarischer Verhaftung derselben aufgenommenes Darlehn von 300 Tlr. zusammengebracht, und damit

ein Waarenumsatz von 700—800 Tlr. jährlich erzielt, indem der Prozent­ aufschlag über den Kostenpreis bei den verschiedenen Artikeln von 3 bis

10 Prozent betrug. So hat man es seit den beiden Jahren des Bestehens trotz dieser so enge gezogenen Verkehrsgrenzen doch dahin gebracht, das

Bedürfnis

der Mitglieder

mit

entschiedenen Vorteilen zu befriedigen,

und noch einen kleinen Gewinn in der Kasse von zirka 40 Tlr. den­ selben als Dividende gleichmäßig nach Köpfen gutzuschreiben.

Da in­

dessen gegenwärtig auch von Kaufleuten Anstalten getroffen werden, neue

Kleidermagazine in Eilenburg anzulegen, so ist Hoffnung vorhanden, den egoistischen Widerstand der fünf bisherigen Magazinhalter zu besiegen,

da sie ihre durch die neue Konkurrenz gefährdeten einzelnen Etablissements alsdann

wohl eher zu einem großen, gesicherten Geschäft zu vereinigen

geneigt sein werden. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

I.

7

98

Schulze-Delitzsch.

Endlich die Assoziation der Schuhmacher zu Bitterfeld, mit 40 Mitgliedern, welche zum ersten Male in der vergangenen Michaelis­ messe zu Leipzig mit 960 Talern, wovon 880 Tlr. durch Darlehne, 80 Tlr. durch Einlagen der Mitglieder aufgebracht waren, ihre Einkäufe machte, und in dem Vierteljahre bis Weihnachten bei einem Aufschläge von 8 pCt. über den Kostenpreis, einen Umsatz von 800 Tlr. und Rein­

gewinn von 50 Thalern hatte. Dieselbe Summe wurde zur Neujahrs­ messe angelegt und steht zunächst, bei der Vermehrung der Mitglieder, eine weitere Verstärkung des Fonds bevor, was ohne Schwierigkeit zu bewirken ist, da es der Assoziation, wie allen vorerwähnten, an Kredit nicht fehlt. Bei der Lage Bitterfelds inmitten mehrerer sehr kleiner Städte, aus denen, sowie aus den umliegenden Dörfern, bereits einzelne Schuhmacher der Assoziation beigetreten sind, hat dieselbe für ihr Wachs­ tum, die Ausdehnung ihrer Geschäfte besonders gute Aussichten. Doch wurde für das Erste an eine Dividende noch nicht gedacht, da man den Reingewinn in den ersten Jahren zur Anschaffung eines Lagerinventars und Gründung eines Reservefonds benutzen will. Von den in weitern Kreisen unter Zugrundlegung des Delitzscher Statuts zustande gekommenen Assoziationen sind besonders die zu Braunschweig und Wolfenbüttel hervorzuheben, welche bei viel ver­ sprechenden Anfängen, dem regen, selbständigen Geist ihrer Mitglieder und der Tüchtigkeit ihrer Leiter eine bedeutende Entwickelung hoffen lassen. Die Assoziation der Schuhmacher in Wolfenbüttel wurde im August 1851 von 57 dortigen Mitgliedern gegründet und zählt gegen­ wärtig 85 Mitglieder. Sie brachten ihren ersten Fonds durch Eintritts­ gelder der Mitglieder ä 2 Tlr., ein Darlehn von 2500 Tlr. und zins­

freie Vorschüsse der beniittelten Mitglieder im Betrage von 1200 Talern auf und legten denselben in der einfallenden Braunschweiger Sommer­ messe 1851 in Waren an, von denen sie im ersten halben Jahre, bei einem Aufschläge von 7 Prozent über den Kostenpreis, für 3723 Tlr. 11 Sgr. 3 Pf. absetzte, und einen Reingewinn von 217 Tlr. 17 Ggr. zum Reservefonds schlug. Für die unverzinslich von den Mitgliedern eingeschossenen 1200 Tlr. nahmen dieselben Waren aus dem Lager; diejenigen Mitglieder, welche keine solchen Vorschüsse gemacht hatten,

zahlten mit einem eigens hierzu kreierten Papiergelde in Apoints von

1,5 und 10 Talern, welches sie mit einem Pfennig vom Taler pro Monat der Kasse verzinsen, und vor dem Beginn der nächsten Braun­ schweiger Messe durch Barzahlung einlösen mußten, indem diese halb-

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

jährig

einfallenden

Wintermesse

Tlr.

1900

Rechnungsperiode

Messendie

wurden von den

1853

und

für

Zur

abschließen.

Mitgliedern

zugeschossen

unverzinslich

99

in

obiger

5819 Tlr.

Weise

15 Ggr.

Waren

gekauft, so wie für 1050 Tlr. auf Kredit genommen, in dem

darauf

folgenden Halbjahre aber an

3 Ggr. 6 Pf. verkauft,

die

für

Mitglieder

Tlr.

5944

und der Reservefonds durch den zugeschlagenen

Reingewinn auf 500 Taler gebracht.

Die dritte halbjährige Rechnungs­

periode, von der Sommermesse 1852 bis zur Wintermesse 1853,

war

an den Verfasser noch nicht abgeschlossen,

der Notizen

bei Einsendung

doch war der Verkehr gewachsen, indem die Summe des eingegangenen

Papiergeldes, welche im 1. Halbjahr 700 Tlr., im 2. Halbjahr 1100 Tlr.

betragen hatte, sich bereits auf 1300 Tlr. belief.

Die Besoldung der Kassenbeamten ist durch anteilige Prozente am

wie

Verkaufserlöse,

bei

Delitzscher

den

Schuhmachern

und

reguliert,

wegen des Reingewinns für die Zukunft der Beschluß gefaßt: daß derselbe

bis zur völligen Abstoßung des aufgenommcnen Kapitals von 2500 Tlr. aufgesammelt,

den

aber als Dividende nach Verhältnis der von

alsdann

einzelnen

Mitgliedern

die Assoziationskasfe

an

für

entnommene

Waren gezahlte Beträge verteilt werden soll. Die

Assoziation

Schuhmacher

der

in

Braunschweig,

im

November 1851 durch 27 Mitglieder gegründet, ist gegenwärtig bis auf

87 angewachsen. wurden

Außer

Eintrittsgelde von 2 Tlr. pro Person

dem

von den Mitgliedern, da die Assoziation größtentheils aus den

weniger bemittelten Meistern bestand, zuerst nur 570 Taler bar zu­ sammen

freilich

gebracht, unter

doch

Wegfall

man bei den Fabrikanten ohne Mühe,

erhielt

Rabatts

des

Barzahlung

der

und

gegen

4 Prozent Zinsen, Kredit, so daß im ersten Halbjahre, von der Braun­

schweiger Winter- bis zur Sommermesse 1852, für 2306 Tlr. 15 Ggr.

10 Pf. Material angekauft, Mitglieder verkauft wurde.

und für 2196 Tlr. 5 Sgr. 1 Pf. an die Die Prozente welche man beim Verkauf über

den Kostenpreis aufschlug, wechselten zwischen 3—7, jenachdem man die Waaren

teurer

oder

billiger

akquirierte,

doch

Rechnungsperiode mehr das Erstere der Fall,

den Messen von

den Händlern

war

in

dieser

ersten

da man vieles zwischen

entnehmen mußte,

weshalb,

um den

Hauptzweck, die Billigkeit des Materials für die Mitglieder, zu erreichen, der Aufschlag von 3 Prozent vorherrschend war.

So betrug der Rein­

gewinn des ersten Halbjahrs, da man obenein mehrfach Jnventarienstücke

angeschafft hatte, nur 64 Tlr. 9 Ggr. 5 Pf., Gründung eines Reservefonds gemacht wurde.

womit der Anfang zur In dem zweiten bis zur

Schulze-Delitzsch.

100

Wintermesse 1853 reichenden Halbjahre, über dessen Rechnungsabschluß

dem Verfasser noch keine detaillierten Notizen vorliegen, hatte sich bei

steigender Mitgliederzahl, Verkehr und Kredit der Assoziation bedeutend gehoben, die Einkäufe hatten mit mehr Vorteil bewirkt werden können,

und

Reingewinn

der

Doppelte.

betrug gegen das

1.

Semester mindestens das

Zu einer Dividende war es jedoch hier noch nicht gekommen,

um

noch

vielmehr

eines

Aufsammlung

Reservefonds

angemessenen

zu tun. Die Assoziation der Weber zu Braunschweig,

Ende 1851

zusammengetreten, zählt 19 dortige und 4 auswärtige Meister zu Mit­ Da sich mehrere der wohlhabenden Meister des Ortes, welche

gliedern.

selbst größere Warenlager halten, ausgeschlossen haben, und deshalb das

Gildevermögen nicht benutzt werden konnte, so vermochte man nicht ein

so großes Betriebskapital auszubringen, als nötig war, um den gemein­ schaftlichen Gewerbebetrieb für Rechnung der Assoziation einzurichten, was in

gerade

diesem Fache,

wegen

der

Fabrikanten, eine Hauptsache ist.

vorherrschenden Konkurrenz

der

So hat man sich darauf beschränken

müssen, die Rohstoffe in großen Partieen anzuschaffen, und ein gemein­

schaftliches Lager zum Verkauf einzurichten,

ihre fertigen Waren einliefern,

bewirkt

Verkauf

sehen,

nebenbei

ist, noch

in welches die Mitglieder

für welche sie jedoch erst,

Zahlung

weshalb

erhalten,

wenn deren

viele sich

genötigt

für Fabrikanten zu arbeiten, welche ihnen solche

daß ihnen ein großer Teil ihres Verdienstes verloren

Preise zahlen,

Der Hauptvorteil, den die Assoziation bis jetzt den Mitgliedern

geht.

gewähren konnte, besteht daher in der billigern Beschaffung des Rohstoffs,

indem man namentlich die Garne direkt von Manchester bezieht und sie um 1 Ggr. pro Pfund billiger, als früher in Braunschweig erhielt, was immer schon von Bedeutung ist.

Mit dem von den Mitgliedern der

Association selbst aufgebrachten Betriebskapitale, für welches 4 Prozent Zinsen

gewährt

umgesetzt,

und

werden,

hat man im verflossenen Jahre 2040 Tlr.

einen Reingewinn

von

62 Tlr. 22 Ggr. 4 Pf. als

Reservefonds zurückgelegt. Endlich

ist

noch

die

Assoziation

der

Nagelschmiede

zu

Braunschweig besonders zu erwähnen, welche jedoch nicht durch die

Mitteilungen über die Delitzscher Versuche hervorgerufen ist, vielmehr schon seit 1847 und aus ganz andern Grundlagen besteht.

Durch die

Tätigkeit und den Gemeinsinn des dortigen Nagelschmiedemeisters Kraatz wurden 20 Gewerksmeister, zum Teil in

in

den

umliegenden

Stadien,

zur

Braunschweig,

gemeinschaftlichen

zum Teil

Beziehung

des

Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter.

101

Eisens in der Art vereinigt, daß der Kraatz das volle in einer Zusammen­

kunft

Mitglieder

der

festgestellte Jahresbedürfnis

derselben

für seine

Rechnung im Ganzen ankauft und aus seinen Mitteln bezahlt, die

die

Einzelnen

bestellten

mit

Quantitäten

einem

hat

6000

Tlr. betragen,

von

Der Umsatz

2 Prozent von ihm gegen Barzahlung wieder entnehmen. des vorigen Jahres

worauf

Aufschlag

und der Kraatz durch

direkte Bezüge aus den Belgischen Eisenhütten bewirkt, daß die inländischen Eisenhütten den Zentner gegenwärtig um mehrere Taler billiger ver­

kaufen als früher. daß

das

für

Bei diesen günstigen Resultaten ist nur zu wünschen,

alle

Teilnehmer

so

ersprießliche

Unternehmen,

welches

gegenwärtig allein durch die Persönlichkeit des Kraatz getragen wird, nicht mit dessen dereinstigem Abgänge scheitert. Ferner sind von gewerblichen Assoziationen, nach dem Muster

der Delitzscher, neuerlich errichtet: die der Schuhmacher zu Halle a. S.,

zu Celle im Hannoverschen, zu Hamburg und zu Frankenhausen in Thüringen,

über welche jedoch,

teils

ihrer Neuheit

wegen,

teils

weil

dem Verfasser noch keine speziellen Nachrichten darüber zugegangen sind, nicht weiter

berichtet

werden

kann.

Eben

so

sind Assoziationen

der

Schuhmacher in Magdeburg und Halberstadt seit 1850 oder 1851

im Gange, über welche ihm ebenfalls die nähern Data fehlen.

So wäre denn mit alledem vorerst wenigstens so viel gewonnen, daß Versuche in den verschiedensten Gegenden auftauchen,

von welchen

jeder irgend gelungene in seinem Kreise weitere Propaganda macht.

ist sehr natürlich und darf

auch manches Mißlingen dabei unterläuft,

niemand

entmutigen.

Außer

Daß

auf diesem Felde noch herrschenden

der

Unkenntnis, dem Mangel an tüchtigen Leitern, mischen sich hier und da

wohl

auch eigennützige Absichten,

leichtsinnige Spekulationen ein,

und

suchen sich der ersten Einleitungen und Führung der Sache zu bemächtigen. Doch weiß der gesunde Sinn der Beteiligten in den meisten Fällen die

rechten Leute, denen man die Verwaltung anvertrauen kann, schon heraus zu finden, und allmählich arbeitet man sich mehr und mehr hinein.

falls dienen

die

gemachten

Erfahrungen,

den "Boden

Jeden­

für dergleichen

Organisationen immer mehr zu ebnen, und hier ist es eben die öffent­ liche Mitteilung Verfaffer allen,

möchte.

über

jede

einschlagende

Unternehmung, welche der

die damit in Berührung kommen, zur Pflicht machen

Wohl wäre es an der Zeit, einer so wichtigen Angelegenheit

regelmäßige Mitteilungen in der Tagespresse zu widmen, und von allen

Seiten, fördern.

statt müßiger Erörterungen, Die Not,

die äußerste,

solche praktischen Bestrebungen zu

bitterste Not

drängt

immer näher

102

Schulze-Delitzsch.

heran, und das ist das Üble des langen Aufschiebens, daß, wenn man

erst im letzten Augenblicke wo sofortige Hilfe verlangt wird, zu dein

Mittel greift, dasselbe nicht sogleich anschlägt. Denn wie alles in der Welt, will auch das Assoziationswesen erst eine Zeit der Pflege, ehe es die geforderten nachhaltigen Früchte zu tragen vermag. Der Verlauf der Dinge ist in unsern Tagen rascher und kritischer als je; möchten sich, wir wiederholen es nochmals, unsere Handwerker und Arbeiter und alle, denen es ernstlich darum zu tun ist, ihr Wohl zu fördern, nicht davon überholen lassen.

Gewerkschaftliche Assoziationen. (Aus der „Innung der Zukunft", Jahrg. 1854 Seite 293.) Über die Entwickelung und Verbreitung, welche die Assoziationen einzelner Gewerke bei uns erreicht haben, bezieht sich der Unterzeichnete

auf das von ihm in seinem Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter (Leipzig 1853 bei E. Keil) ausführlich Beigebrachte, um nicht in unnütze Wiederholungen zu verfallen.

Obgleich die Bewegung in

unserm Handwerkerstande mit der wachsenden 9’cot immer größere Kreise gewonnen

und

an verschiedenen Orten

unseres engeren und weiteren

Vaterlandes neue derartige Gestaltungen hervorgerufen hat, so sind diese doch, ebensowenig wie ihre Vorgängerinnen, über welche früher berichtet ist, über die ersten Anfänge, „die gemeinschaftliche Anschaffung der

Rohstoffe", hinausgegangen.

Namentlich ist eine gemeinschaftliche Pro­

duktion, ein eigentlicher Gewerbetrieb für gemeinschaftliche Rechnung fast

noch

nirgends in das Leben getreten, was übrigens denjenigen, der den

Teil

unserer

industriellen

Bevölkerung kennt, um den es sich hierbei

handelt, nicht befremden wird. Wir befinden uns auf diesem Gebiete in einem Übergangszustande. Den dringenden Forderungen der neuern

Industrie, welche auch die dem eigentlichen Handwerk angehörigen Zweige, sollen sie lohnend betrieben werden, mehr ünd mehr in den fabrikmäßigen

Betrieb hinüberzuziehen sucht, stehen noch immer die Trümmer der früheren

Zunftorganisation bei uns hemmend gegenüber, hinter welche sich die in diesen beengenden Formen Herangewachsenen ängstlich gegen die alles bewältigende Zeitbewegung zu verschanzen suchen, wie unhaltbar sich auch solche verfallene Bollwerke gegen den hereinbrechenden Strom erweisen. Da fehlt es denn gleich von vornherein an den ersten Bedingungen einer

Aufhilfe, und, statt eines frischen Versuchs aus eigener Kraft, hören wir blos das Geschrei nach Schutz, nach dem Einschreiten der Gewerbepolizei, als ob diese den Zauberstab besäße, Steine in Brot zu verwandeln, das

Tote und Abgestorbene wieder zu beleben, und uns in die Kindheit des gewerblichen Lebens zurückzuversetzen.

Wirklich bedarf es einer neuen

Generation, um den einzigen Rettungsweg mit Mut und Geschick einzu­ schlagen, und den entscheidenden Schritt zu tun, um in Aneignung des tech-

104

Schulze-Delitzsch.

nischen Fortschritts und kaufmännischen Betriebs, sowie aller Vorteile großer,

fabrikmäßiger Etablissements, wie sie den Unbemittelten einzig die Asso­ ziation bietet, mit der Allmacht des großen Besitzes die Konkurrenz auszuhalten. Indessen

verdienen

die

gewerklichen Assoziationen

auch

auf

ihrer jetzigen Stufe, nicht bloß als Anfänge zu jeder weitern Entwickelung,

sondern

auch

um der positiven, beträchtlichen Vorteile willen, welche sie

den Beteiligten bieten, alle Beachtung.

Es kommt daher darauf an,

durch Besprechung derjenigen Punkte, welche sich nach den bisherigen Erfahrungen

dem Aufblühen der Assoziation besonders hinderlich gezeigt

haben, sowie der am zweckmäßigsten dagegen anzuwendenden Mittel und zu

treffenden Einrichtungen, die neuerlich sich bildenden Vereine so viel

wie möglich vor ähnlichen Klippen zu bewahren.

Zunächst heben wir nochmals hervor, daß es vor allen Dingen

tüchtiger Leiter,

insbesondere

redlicher

und

geschickter Kassen-

und

Rechnungsbeamter bedarf, wenn eine solche Assoziation irgend ge­ deihen soll, da Unordnungen hierin das Fortbestehen derselben auf das

ernstliche gefährden.

Die Schwierigkeit der Buchführung und eines ge­

ordneten Kassen- und Rechnungswesens ist nicht gering, wie das Asso­

ziationsbuch ausweist, und man wird, besonders in kleinern Städten, kanm einzelne unter den zusammentretenden Handwerksgenossen finden, welche demselben, insbesondere der ersten Einrichtung, gewachsen sind.

Solange

daher die Tüchtigkeit einzelner Mitglieder nicht ganz entschieden feststeht,

scheue man doch ja die etwaigen geringen Mehrkosten nicht, einen er­ fahrenen Rechnungsverständigen etwa aus dem Kaufmanns- oder Beamten­

stande als Kontrolleur und Buchhalter zuzuziehen lohnen.

kurzer Frist, müssen.

und angemessen zu

Wo dies nicht gleich im Anfang geschieht, wird man meist nach oft

durch empfindliche Verluste genötigt,

dazu

schreiten

Ebenso ist die Bestellung einer Kaution seitens des Lagerhalters

und Kassierers in doppelter Hinsicht unerläßlich, sowohl um sich vor be­ trügerischer oder fahrlässiger Verbringung der in seinen Händen befind­

lichen Lager- und Kassenbestände zu schützen, als um eine Deckung wegen

des von ihm den Mitgliedern zu erteilenden Kredits zu haben, worüber

unten weiter gehandelt wird.

Da nun aber gerade die zu der fraglichen

Verwaltung tüchtigen Personen nicht immer eine Kaution werden aus­

bringen können, welche im Verhältnis zu der ihnen nach der bisherigen Einrichtung obliegenden Vertretung steht, so empfiehlt sich, die zuerst bei

der Schuhmacherassoziation zu Magdeburg und neuerlich auch hier

und

anderwärts

getroffene Maßregel,

die Kassen-

und

Lagerver­

waltung zu trennen und sie zwei verschiedenen Personen in die Hände

Gewerkschaftliche Assoziationen.

zu geben.

105

Der Lagerhalter hat alsdann zwar nach wie vor die Ver­

wahrung und den Verkauf der Lagervorräte unter Aufsicht des Kon­

trolleurs allein über sich, allein er muß den baren Kauferlös all­ wöchentlich oder auch alltäglich, je nach dem Umfang der Geschäfte, an Auf

den Kassierer,

diese Weise

unter Führung doppelter Gegenbücher, abliefern.

wird er nicht nur von Aufbewahrung beträchtlicher

Geldbestünde befreit und seine Vertretung hauptsächlich auf die Lager­

bestände beschränkt, sondern es tritt auch eine stete und höchst zweckmäßige Kontrolle zwischen beiden Beamten ein, welche, in Verbindung mit den weiter unten bei dem Kreditgeben zu berührenden Vorsichtsmaßregeln,

Defekte von

irgend einigem Belang nicht aufkommen läßt, und es auf

diese Weise möglich macht,

niedriger zu bestimmen.

den Betrag der Kaution bei Beiden etwas

So ist beispielsweise derselbe bei der hiesigen

Schuhmacherassoziation gegenwärtig auf 250 Taler festgesetzt, womit man,

bei gehöriger Aufsicht und Buchführung, recht füglich ohne Gefährdung der Assoziation wird durchkommen können.

Kautionen bestelle, ist

Daß man übrigens diese

in barem Gelde oder auf den Inhaber lautenden Papieren dringend anzuraten.

Freilich wird es in vielen Fällen den

Verpflichteten, die, namentlich in den kleinern Städten, meist mit Grund­

stücken angesessen sind, lieber und leichter sein, die Kaution durch hypo­

thekarische Eintragung zu bestellen. nicht Korporationsrechte

genießen,

Allein solange die Assoziationen

entstehen

aus

einer solchen hypo­

thekarischen Kaution, sobald dieselbe gelöscht oder realisiert werden soll, mannigfache Schwierigkeiten und Weiterungen, weil dann ein gerichtlicher

Akt nötig wird, wobei sämtliche Mitglieder zugezogen werden müssen, von

denen oft manche wieder ausgeschieden oder verstorben sind. Ist daher eine solche zur Übernahme eines Kassenamtes bestimmte Person nicht im Besitze barer Mittel, wohl aber eines geeigneten Grundstücks, so ist der

beste Weg der, daß dieselbe auf eigenen Namen von einem dritten Gläu­ biger, gegen Hypothezierung des Grundstücks, ein bares Kapital erborgt

und dasselbe sodann der Assoziation als Kauüon einzahlt.

So wurde

hier mehrfach die angedeutete Schwierigkeit umgangen. Muß man aber hiernach sowohl rücksichtlich der Befähigung und

Mühwaltung, als der Vertretung an die Kassenbeamten so bedeutende Ansprüche machen, so werde man ihnen auch wiederum durch eine an­

gemessene Besoldung gerecht. Geschieht dies nicht, so werden sich einmal nicht so leicht Tüchtige zu jenen Ämtern finden, und sodann kann man auch sicher darauf rechnen, daß, sobald die Beamten das Mißverhältnis

des Lohns zu dem Umfang ihrer Verwaltung fühlen, sie diese nicht mit

106

Schulze-Delitzsch.

Lust und der nötigen Sorgfalt fortführen werden, wovon die Asso­ ziation den überwiegenden Schaden zu tragen hat. Daß und weshalb die Regulierung der Besoldung am füglichsten von dem Umsatz im Asso­

ziationsgeschäft abhängig gemacht und nach gewissen Prozenten vom Verkaufserlös der Lagervorräte bestimmt wird, weil man so das Inter­ esse der Beamten an die Schwunghaftigkeit des in ihren Händen liegenden Betriebes knüpft, ist im Assoziationsbuche näher ausgeführt.

Allein der dort erwähnte, bei der hiesigen Schuhmacherassoziation und nach deren Vorgänge bei vielen andern eingeführte Satz von l*/2 0/o von dem erwähnten Verkaufserlös für den Lagerhalter, wofür dieser

noch das Lokal zur Aufbewahrung und zum Verkauf der Lagerbestände aus seinen Mitteln beschaffen muß, hat sich in jeder Hinsicht als zu

niedrig gezeigt. So wurde z. B. bei dem Verkehr in der hiesigen Asso­ ziation von ca. 7000 bis 7500 Tlr. alljährlich die ganze Tätigkeit des Lagerhalters in Anspruch genommen, so daß ihm fast gar keine Zeit zum Verdienst im eigenen Geschäft blieb, während sein Lohn nach obigem Satze zwischen 100—120 Tlr. pro Jahr schwankte, wovon noch ein Mehraufwand an Miete von 12—15 Tlr. wegen des Assoziationslokals abging. Die Unzulänglichkeit dieser Remuneration hatte hier sogar einen Kaffendefekt zur Folge und mußte von der Assoziation anerkannt werden, weshalb der Lohnsatz auf 2 °/0 des Umsatzes erhöht wurde, was sich im allgemeinen ohngefähr als die angemessene Norm Herausstellen

dürfte. Rechnet man nun auch noch 8/4 °/0 für den Kontrolleur und etwa 1!a °/0 für den Kassierer und Lederausschneider zusammen (der erstere ist gegenwärtig hier mit 8 Tlr., der letztere mit 12 Tlr. jährlich fixiert), so nehmen die Verwaltungskosten mit Hinzutritt der übrigen geringen Spesen im ganzen ohngefähr 3‘/2 °/„ des Verkaufserlöses in Anspruch, wo­ nach, wie wir unten sehen, noch ein hübscher Gewinn für die Kasse übrig bleibt. Ein zweiter Hauptpunkt, an welchem einzelne der gewerkschaft­ lichen Assoziationen ganz gescheitert, viele andere in ihrem Aufschwung gehemmt worden sind, ist das Kreditgeben an die Mitglieder bei Entnahme der Materialien aus dem Lager. Da man fast überall das Geschäft ganz mit fremden, darlehnsweise aufgenommenem Geld anfing, so war es notwendig, daß in den ange­

nommenen Statuten alles Kreditgeben ohne Deckung streng untersagt werden mußte, wollte man nicht, bei eintretender Zahlungsunfähigkeit einzelner Restanten, die lästigsten Vertretungen für die wohlhabenderen Mitglieder herbeiführen. Allein trotz dieser von Allen als notwendig anerkannten Bestimmung machte sich doch die durch die wirtschaftlichen

Gewerkschaftliche Assoziationen.

107

Zustände unserer kleinern Handwerker bedingte Form des Verkehrs, wie dieselbe sich außerhalb der Assoziation einmal festgestellt hat, auch in derselben geltend, daß nämlich der Handwerker das zu verarbeitende Rohntaterial meist erst dann zu bezahlen imstande ist, wenn er den Lohn für die gelieferte Arbeit erhält, daß er es also entweder bis dahin auf Kredit erhalten muß, oder es gar nicht zu entnehmen imstande ist. Dies machte die Durchführung obiger Bestimmung fast unmöglich, wollte man nicht das Assoziationsgeschäft auf einen höchst geringen Belang herabdrücken. Da nun fast sämtliche Mitglieder auf der einen eben­

sowohl wie der Lagerhalter (dessen Provision vom Absätze abhängt)

auf der andern Seite ein gleich starkes Interesse hatten, die Bestimmung zu umgehen, so wurde sie fast nie beachtet und stand so gut als müßige

im Statut. Verluste durch Zahlungsunfähigkeit mancher Schuldner blieben nicht aus, und obschon der Lagerhalter statutenmäßig dafür verantwortlich hätte sein müssen, so konnte man ihm doch nicht Wohl die Vertretung ansinnen, da der Kredit in stillschweigender Übereinkunft

von allen Mitgliedern benutzt worden war. Man verfiel daher darauf, den Lagerhalter zu ermächtigen, bis zu einem geringen Betrag sämmt­ lichen Mitgliedern ohne Deckung zu kreditieren, dessen Überschreitung als­ dann nur unter seiner Verantwortlichkeit gestattet war. Wenn dies dem Kreditieren nun auch gewisse Grenzen setzte, so daß größere Verluste

nicht leicht vorkamen, so verlor das Assoziationsgeschäft doch in doppelter Hinsicht dabei. Einmal sammelte sich eine Menge von Außenständen, die der Kasse keine Zinsen trugen, und zur Zeit des Ankaufs fehlten, so daß man den Ausfall an der Barschaft alsdann durch Allfnahme neuer, verzinslicher Darlehne decken mußte. Sodann wendeten sich nicht selten diejenigen, welchen der Lagerhalter nur bis zu dem erlaubten, geringen Satz Kredit

gab, da ihr Bedarf weiter ging, an fremde Händler, was die Assoziations­ kundschaft schwächte. Kurz, es zeigte sich, daß, wenn man das Assoziations­ geschäft wirklich zu dem Aufschwung bringen wollte, der mit dem Gewerbs­ betriebe seiner Mitglieder in Verhältnis stände, man das Kreditgeben an dieselben bis zum wirklichen Bedarf innerhalb vernünftiger, die Kräfte der

Einzelnen nicht übersteigender Grenzen ermöglichen müsse. Um zu diesem Ziele zu gelangen, sind verschiedene Mittel angewendet, welche in ihrer

Zusammenwirkung allerdings hierbei Erhebliches zu leisten imstande sind. Einmal suchte man durch Eröffnung eines Kredits außerhalb der Assoziation deren Mitglieder in den Stand zu setzen, ihre Ver­ pflichtungen gegen dieselbe durch Barzahlung zu rechter Zeit zu erfüllen, vermittelst der vom Unterzeichneten angeregten Vorschußvereine.

In

Schulze-Delitzsch.

108

der That ist die Rückwirkung dieser Vorschußvereine, wo dieselben in solchem Umfange wirken, wie in Eilenburg und Delitzsch, auf die ge­

werkschaftlichen

einigermaßen

nicht zu

Assoziationen

kommen sie denjenigen

Am

verkennen.

meisten

Meistern zustatten, welche ihr Gewerbe schon betreiben und

schwunghaft

in

Messen oder

bestimmten

Märkten Absatzguellen für bedeutendere Quantitäten Ware haben.

Da

der Lagerhalter in der Regel diesen, als seinen besten Kunden, gern

einen größeren Kredit auf seine Gefahr eröffnet, bis das Geld in der

Kasse selbst zu Einkäufen gebraucht wird,

alsdann

die

gleich

ganze

auf,

vom Vorschußvereine

mäßigen

einen

Summe,

Zinssatz

und

zu

oft

zahlen

ihnen

so nehmen solche Restanten bis

sie

100

Tlr.

diesem

passenden

und

alsdann

Zeiten

drüber,

gegen

terminweise

zurück. Sodann

ist man aber auch bedacht gewesen, die Gewährung eines

angemessenen Kredits innerhalb der Assoziation zu ermöglichen, was frei­

lich, nach Obigem, nur durch allmähliche Bildung einer Deckung für die

einzelnen Mitglieder erreicht werden kann, soll nicht das Bestehen der Assoziation

erheblich gefährdet werden.

Schon im Assoziationsbuch

sind Vorschläge zur Ansammlung eines Guthabens für die Mitglieder in der Assoziationskasse, durch Gewährung einer denselben

nach Höhe

ihres Materialienkonsums aus dem Lager gutzuschreibenden Dividende

enthalten, welche bei der Delitzscher und einigen andern, namentlich Schuhmacher-Assoziationen eingeführt sind.

Doch stand der Durch­

führung dieser höchst zweckmäßigen Maßregel, welche auch insofern zur Hebung des Absatzes im Assoziationsgeschäft beiträgt, als die in obiger

Weise regulierte Dividende den Charakter einer Prämie für den Ab­

nehmer hat, bisher die Schwierigkeit bei der Buchführung entgegen, welche

dadurch entstand, daß der ganze bis auf Pfennige herabgehende Detail­ verkehr unter namentlicher Aufführung der Käufer und Summen bei jeder

Post ausgeschrieben werden mußte.

Um diese Schwierigkeit zu beseitigen,

ist daher gegenwärtig bei der hiesigen Assoziation der Beschluß gefaßt,

daß nur Kaufsposten von mindestens 5 Sgr. zu buchen und den Einzelnen bei Verteilung der Dividende anzurechnen sind, kleinere Beträge aber dabei nicht berücksichtigt werden.

Auf diese Weise ist die Sache, ohne

die Schreiberei allzu sehr zu vermehren, leichter ausführbar und hier vollständig im Gange.

Und wenn man bedenkt, daß jener minutiöse

Verkehr eben die meiste Zeit und Arbeit kostet, und so eine damit in Verhältnis

stehende Erhöhung der Besoldung der Kassen- und Lager­

beamten herbeiführt,

so wird man es durchaus billig finden, wenn die-

Gewerkschaftliche Assoziationen.

109

jenigen, welche davon Gebrauch machen, den anteilig darauf fallenden

Geschäftsgewinn der Kasse als Entschädigung inne lassen.

Soll indessen die Bildung des Guthabens als Deckung für Kredit

nicht allzu langsam vonstatten gehn, so wird man jedenfalls wohltun, wie bei

den Vorschußvereinen, monatliche Beisteuern der Mit­

glieder in die Assoziationskasse, wenn auch in noch so geringem Betrage,

einzuführen, welche sich überall da, wo sie bereits bestehen, bewährt haben Außer der Förderung des raschern Anwachsens des Guthabens ist ein

solches

mit der Assoziation verbundenes Sparsystem auch sonst noch in

vieler Hinsicht segensreich und dem gewöhnlichen Sparkassenwesen bei

weitem vorzuziehn, da das letztere die aufgesparten Summen dem kleinen Verkehr ganz entzieht.

Besonders wird auf diese Weise auch bei solchen

Mitgliedern, welche sich vom Gewerbebetrieb bereits mehr zurückziehen,

das Interesse an

der Assoziation rege erhalten, indem man ihnen eine

Gelegenheit zu vorteilhafter Nutzung ihrer Ersparnisse bietet.

Denn daß

das ganze in der vorgeschlagenen Weise zu bildende Guthaben nicht nur

Zinsen tragen

sondern auch einen Vorteil am Gewinn erhalten muß,

folgt daraus von selbst, weil es beim Assoziationsgeschäft als ein Einsatz

(ganz im Charakter eigentlicher Aktien) gewagt wird, ebenso wie bei den Vvrschußvereinen.

Freilich erhalten wir so bei den gewerkschaftlichen

Assoziationen ein zwiespältiges Prinzip für Verteilung des Geschäfts­

gewinns, da, wie wir schon sahen, es höchst wichtig und durch die Sache

geboten ist, daß die Mitglieder auch

nach Höhe ihrer für entnommene

Waren gemachten Einzahlungen in der Kasse daran Teil haben sollen. Indessen wird man beide Interessen, den Geschäftsabsatz und die Bei­

steuern in der Kasse, nach Maßgabe dessen, was jede Assoziation leistet, ohne Schwierigkeit mit einander in das rechte Verhältnis setzen können,

und empfiehlt sich hierzu

seiner Einfachheit wegen der folgende Weg,

wonach der auf das Guthaben der Mitglieder, zn welchem die Bei­

steuern fließen, kommende Anteil fixiert wird, und der Rest den Waren­

abnehmern nach Höhe ihrer Einzahlung zugute geht.

Wenn man hier­

bei erwägt, daß die Assoziation an ihre Gläubiger 5 °/0 Zinsen zahlt,

so würde dieser Satz für das ebenso, wie die aufgenommenen Darlehne, von ihr genutzte Guthaben, jedoch mit Hinzutritt eines mäßigen Auf­ schlags von ohngefähr 1—2 Prozent, zur Abfindung wegen der Dividende,

angemessen sein.

Der leichteren Berechnung halber schlägt der Unter­

zeichnete daher im ganzen 6% Prozent als Zins und fixierte Dividende für

das Guthaben der Mitglieder

vor, was gerade 2 Sgr. alljährlich auf

jeden vollen Taler desselben ausmacht, und das Doppelte von dem ist,

Schulze-Delitzsch.

110

was z. B. die hiesige Sparkasse ihren Einlegern gewährt.

Ein Punkt,

der zur Förderung solcher Beisteuern in die Kasse sehr in Anschlag zu

bringen ist. Natürlich kommt es zu dieser Vergütung nur, wenn über­ haupt das Geschäft Überschüsse über die Zinsen und Verwaltungskosten

abwirft, indem andernfalls auf das Guthaben gar nichts verteilt wird. Daß aber das erstere bei ordnungsmäßigem Betriebe, und wenn nicht ganz besondere Unglücksfälle eintreten, stets der Fall ist, hat die bisherige

Erfahrung überall bestätigt, und es bleibt nach derselben auch für die Abnahme der Assoziationsvorräte trotz jenes Abzuges immer noch eine

nicht unbedeutende Prämie übrig, wenn man nur die mäßigsten Ansätze zugrunde

legt.

Bei

einem

Geschäft

von

7500 Tlr.

jährlich z. B.

besteht der Betriebsfonds aus 2000Tlr. zinsbaren Darlehnen, 300 Tlr. Reservefonds und 200 Tlr. Guthaben der Mitglieder.

schlag beim Verkauf beträgt

7°/a

Der Auf­

im Durchschnitt, wovon 31/» °/0 für

Verwaltungskosten abgehen, sodaß der Assoziation zur Deckung der Zinsen

und Dividende 31/, °/0 bleiben, welche, bei einem mindestens dreimaligen Umsatz im Jahre, 10'/, % ausmachen gleich 262V, Tlr.

Werden hier­

von noch 30 Tlr. auf Preisreduktion wegen der dem Lager verbleibenden Ladenhüter und vorkommenden Verluste abgerechnet, und 100 Tlr. Zinsen zu

5 °/0

für

2000 Tlr.

aufgenommenes Kapital gezahlt,

132'/, Tlr. Geschäftsgewinn.

so

bleiben

Hiervon 62/8 °/0 für 200 Tlr. Guthaben

gleich 13 Tlr. 10 Sgr.. bleibt für die Abnehmerder Lagervorräte immer noch eine Prämie von 118Tlrn. 25 Sgr., von welcher dann 5— 6°/0 dem Reserve­ fonds überlassen werden können.

Daß diese Ansätzein keiner Weise über­

trieben, vielmehr niedrig sind, ergeben die bereits früher vom Unterzeichneten

mitgeteilten Rechnungsabschlüsse vieler Assoziationen, wonach bisher z. B. bei der hiesigen Schuhmacherassoziation der jährliche Gewinn mehrmals

150 Tlr. erreichte. In solcher Weise wird sich,dadieDividendeundZinsen

des Guthabens nicht bar an die Empfangsberechtigten ausgezahlt, sondern ihnen nur weiter gutgeschrieben und in der Kasse inne behalten werden, mit der fortlaufenden Beisteuer dieses Guthaben sehr rasch, bei zahlreichen

Vereinen um mehrere Hunderte jährlich, vermehren und bald einen bedeuten­

den, ja am Ende fast den größten Teil des Betriebsfonds ausmachen. Ehe man jedoch zu diesem Ziele gelangt, wird man dem Lagerhalter,

um diese Kundschaft der Mitglieder möglichst an das Asfoziationsgeschäft

zu fesseln und ihm selbst eine auskömmliche Einnahme zu verschaffen, das Kreditgeben über die bei den einzelnen vorhandene Deckung hinaus

nicht völlig wehren und das Gesellschaftsinteresfe nur dadurch sichern können, daß man von ihm eine angemessene Kaution bestellen läßt,

Gewerkschaftliche Assoziationen.

111

welche eben zur Ergänzung der bei den einzelnen fehlenden Deckung dient.

Denn natürlich muß derselbe das Risiko für die von ihm kreditierten

Beträge übernehmen, und es ist seine Sache, die gehörige Vorsicht dabei anzuwenden, daß er nicht zu Schaden kommt, da kein Mitglied Kredit

über sein Guthaben hinaus von ihm zu fordern berechtigt, vielmehr der

Grundsatz der Barzahlung als Regel nach wie vor festzuhalten ist,

es

also ganz in seiner Willkür steht, inwiefern er sich bei den Einzelnen weiter zu gehen getraut.

Das Interesse seiner Mehreinnahme, welches

ihn von der einen Seite antreibt, möglichst viel abzusctzen, wird eben

durch dieses Risiko in den nöthigen Schranken gehalten, und er hat in

dieser Beziehung dieselbe Stellung, wie der auf eigne Hand negoziierende

Kaufmann.

Sobald nun

regelmäßig jeden Monat genaue Kassen- und

Lagerrevisionen stattfinden, und dabei, was wegen Kontrolierung des Ver­ kaufserlöses ohnehin unerläßlich ist, die Summe des gegebenen Kredits, unter spezieller Aufführung sämtlicher Restanten,

festgestellt wird,

läßt

sich leicht beurteilen, ob der Lagerhalter mit Rücksicht auf die gestellte

Kaution, etwa durch einen höchsten zulässigen Satz beim Kreditgeben noch weiter zu beschränken ist.

Und um völlig sicher zu gehen, bewirke

man bei diesen monatlichen Revisionen jedesmal zugleich ein schriftliches Anerkenntnis der Restanten in bezug auf die von ihnen auf Kredit ent­

nommenen Summen, wodurch man einerseits wegen Einziehung der Reste

gegen den Schuldner selbst einen festen Anhalt gewinnt, andererseits es dem Lagerhalter unmöglich macht, unter dem Vorwande von nicht exi­

stierenden Ausständen sich der vollständigen Ablieferung des eingenommenen Kauferlöses zu entziehen.

In dieser Weise, indem der Lagerhalter eine

gewisse Summe von gegebenem Kredit vorschützte, welche man zu kontrolieren unterließ, waren bei den Schuhmacherassoziationen zu Halle,

Delitzsch und Bitterfeld wirklich Kassendefekte entstanden, wenn auch in den beiden letzteren Orten deren Betrag größtenteils aus dem Vermögen

des Lagerhalters erstattet ist, oder erstattet werden wird.

Wenn aber bei Gestattung von Kredit seitens der Assoziation an die Mitglieder die Notwendigkeit der Anrufung gerichtlicher Hilfe gegen

die Säumigen nach dem Laufe der Dinge mehrfach eintreten muß, so empfiehlt es sich schließlich, den Vollmachtspunkt zur Wahrnehmung

des Assoziationsinteresses gleich mit im Statut zu berücksichtigen, indem

es wohl nicht zweifelhaft sein kann, damit die Vorstandsmitglieder, den Obmann und beide Beisitzer zu betrauen, und zwar alle zusammen,

sowie jeden einzelnen, für den Fall, daß einer unter ihnen Abhaltung hätte.

Vorschußvereine als Volksbanken. Praktische Anweisung zu deren Gründung und Einrichtung. ^Leipzig bei Ernst Keil. 1855.] (Abdruck des Originals mit Ausnahme der Statuten, der Formulare und der Kassenordnung des Delitzscher Vorschußvereins und des Eilenburger Darlehnskassen-Vereins.)

Vorwort. Eine vorzugsweise praktische Anweisung, welche alle einigermaßen in den Geschäften des bürgerlichen Lebens Erfahrene in den Stand setzen sollte, Vor­ schußvereine nach den Mustern der hier und in der Umgegend bestehenden zu gründen, wollte der Verfasser in diesem Schriftchen dem Publikum vorlegen. Das immer steigende Bedürfnis nach solchen Kreditinstituten, welches sich durch eine Menge von Anfragen kundgibt, die entschiedenen Fortschritte und über­ raschenden Resultate, welche sich bei den, nach den hier befolgten Grundsätzen gerierenden Vereinen zeigen, ließen die früheren Mitteilungen darüber als unge­ nügend erscheinen, und verlangten ein tieferes Eingehen in die Details. Wegen der Stelle, welche die genannten Institute in dem ganzen zusammenhängenden System von Handwerker- und Arbeiter-Verbänden einnehmen, welche sich auf Anregung und zum Teil unter Leitung des Verfassers seit 1849 gebildet hat, wird dabei auf das von ihm veröffentlichte Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter, Leipzig, 1853, bei C. Keil, verwiesen. Möge das Schriftchen seiner Bestimmung entsprechen und die Verbreitung so gemeinnütziger Anstalten möglichst befördern.

$er g)ctfaffcr.

Delitzsch, im März 1855.

Inhaltsverzeichnis. Kapitel I.

Über Vorschußvereine und deren Grundlage im allgemeinen. Die in Eilenburg, Delitzsch und Umgegend bestehenden Vereine und daselbst erreichten Resultate.

Kapitel II. Die einzelnen für Organisation von Vorschußvereinen wesentlichen Punkte 1. Mitgliedschaft. 2. Betriebskapital. 3. Höhe, Fristen und Sicherheit der Vorschüsse. 4. Verzinsung der Vorschüsse. 5. Dividende und Guthaben.

Vorschußvereine als Volksbanken.

113

6. Reservefonds, Eintrittsgeld und Jahresbeiträge. 7. Ordnung und Verwaltung der Vereinsangelegenheiten, General­ versammlungen, Vorstand und Ausschuß. 8. Kassenwesen und Buchführung. 9. Besoldungen und Kautionen der Beamten. 10. Klagen und Prozeßführung.

Erstes Kapitel.

Über Vorschußvereine und deren Grundlage im allgemeinen. Die in Eilenburg, Delitzsch und Umgegend bestehenden Vereine und daselbst erreichten Resultate. So dringend und so allgemein anerkannt ist das Bedürfnis nach Kreditinstituten

für unsern Handwerker-

und

kleinen

Gewerbe­

stand, daß die tiefere Begründung, die wirtschaftliche Berechtigung des­

selben, gegenüber der Bankbewegung des Großhandels und der Fabrik­ industrie, keiner besondern Ausführung bedarf.

Von den verschiedensten

Seiten hat man zur Verwirklichung der Sache Hand angelegt, namentlich

seit 1848, wo der Ruf nach Volksbanken nach allen Seiten

erscholl.

Eine ziemliche Anzahl von Vorschußvereinen und Darlehnskassen

traten infolge dessen, zunächst in den größeren

Städten, hervor, von

denen jedoch viele nach kurzer Zeit wieder eingingen, andere aber sich meist nur kümmerlich hinfristeten, ohne dem vorhandenen Bedürfnis im

mindesten zu entsprechen.

Ein solcher Erfolg war aber bei dem Fundament, auf welchem die­

selben fast überall beruhten, unausbleiblich. Es war dies nämlich, genau genommen, kein anderes, als die Mildtätigkeit.

Durch Geschenke,

durch Darlehne ohne Zinsen brachte man den Betriebsfonds zusammen,

und wie man denn mit solchen Geldern zu wirtschaften pflegt, so geschah es auch hier.

Wenn schon die Empfänger der Vorschüsse dieselben zurück­

zahlen, auch wohl verzinsen mußten, machte sich doch der dem Ganzen anklebende

Charakter,

der

Aushilfe

Bedürftiger

mögenderen Mitbürger, überall geltend.

seitens

ihrer

ver­

Die Vorschüsse werden dann

meist mehr als Unterstützungen bewilligt und empfangen, bei denen man eben so wenig seitens der Geber an eine genaue Prüfung der Zahlungs­ fähigkeit, wie seitens der Empfänger an pünktliche Rückzahlung denkt.

Es kann daher nicht fehlen, daß der Fonds mannigfache Ausfälle erleidet, welche mit den fortlaufenden Zuwendungen bald außer Verhältnis treten,

da das Interesse an solchen mehr oder geringer auf Almosen gegründeten Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

I.

g

Schulze-Delitzsch.

114

Instituten um so eher erkaltet, und die dauernde Beteiligung dabei lästig wird, als sie den Gründern und Leitern anstatt Dankes meist nichts als

getäuschte Erwartungen und immer gesteigerte Anforderungen einbringt. Halte

man doch

bei

allen dergleichen,

dem

volkswirtschaftlichen

Felde angehörigen Instituten fest: daß, so lange dieselben von der Gnade dritter, von fremdem, gutem Willen, abhängen, ihnen notwendig die echte

Lebensfähigkeit fehlen muß, welche sie nur erlangen, eigne Kraft bestehen.

wenn

sie durch

Gewiß ist es ein sehr beachtenswertes Zeichen

der Zeit, daß man von so vielen und verschiedenen Seiten her in Werk

und Tat den

Notstand der

arbeitenden

Hand anlegt, ihn zu mildern. ein

Klassen

anerkennt,

und

Wollte man bei solchen Versuchen nur

für allemal das ewige Geschrei nach Staatshilfe und Privat-

Mildtätigkeit vermeiden, von denen die erstere auf dasselbe hinaus­ läuft, als die letztere, indem der Staat, der ja weiter nichts ist, als die

Gesamtheit der ihm Angehörigen, keiner Klasse derselben etwas geben kann, ohne es den Übrigen zu nehmen. „Die Massen daran gewöhnen" — sagt der Franzose Bastiat mit Recht — „den Staat für alles ver­

antwortlich zu halten, was ihnen Gutes und Böses begegnet, dabei kann keine Regierung bestehn."

Bedenkt man denn gar nicht, wie gefährlich

es ist, wenn man der zahlreichsten, der physisch tatkräftigsten Klasse der

Staatseinsassen so recht systematisch die Lehre beibringt, daß sie sich, ohne Unterstützung seitens ihrer wohlhabenderen Mitbürger, allein nicht zu

helfen vermögen, also ohne Almosen nicht bestehen können? Nichts in der Welt müßte mehr dahin führen, diese Leute zu entsittlichen, als wenn

sie sich auf solche Weise selbst aufgäben, und nichts wäre in seinen Kon­ sequenzen bedenklicher für die, auf deren Unterstützung man sie verweist, da nicht abzusehen ist, wie dies auf die Dauer durchgeführt werden sollte.

Gewöhne man die Menschen doch, statt dessen, ihre Hilfsmittel lediglich

in

sich

selbst zu

suchen,

und

wer

leugnen

wollte,

daß

es

unsern

arbeitenden Klassen daran gebräche, dem fehlt alle und jede Kenntnis der Verhältnisse und Zustände.

Sie die in ihnen liegenden Hilfsmittel

gehörig erkennen und ergreifen zu lehren, und so ihr Selbstgefühl, das Vertrauen in die eigne Kraft zu stärken, das ist der einzige, der größte Dienst, den ihnen besonders diejenigen, welchen eine glücklichere Lebens­

stellung den Weg zu umfassenderer Geistesbildung bahnte, zu leisten vermögen. Das Probehaltige dieses Grundsatzes haben denn auch die Unter­ nehmungen,

über

welche

glänzendste bewährt.

sich

dieses

Dazu ^bestimmt,

Schriftchen

verbreitet,

auf

das

den persönlichen Kredit, den

Geldpunkt bei den unbemittelten Gewerbetreibenden und Arbeitern zu

Vorschußvereine als Volksbanken.

115

vermitteln, hatten sie es gerade mit einem Felde zu nach

allgemein

der

verbreiteten

Ansicht,

ohne

welchem,

tun, auf

Dazwischenkunft

von

Kapitalisten, oder öffentliche Garantiern und Subventionen, nichts ge­ leistet werden kann.

teiligung

Und sie haben diese Aufgabe ohne irgend eine Be­

von dieser Seite, durch den bloßen Zusammentritt von meist

wenig bemittelten Handwerkern und Arbeitern, in einem Umfange gelöst,

der das volle Bedürfnis aller ihrer Mitglieder deckt, wünschen in dieser Hinsicht übrig läßt.

in der Form der Solidarität, des Einstehens aller

jedes

und nichts zu

Indem man die Selbsthilfe

für einen, und

für alle, organisierte, gewann man den nötigen Mittelpunkt, in

welchem nicht nur die kleinen Ersparnisse aller Einzelnen, sondern auch fremde Gelder zusammenslossen.

Der Kredit,

der sich dem

einzelnen

versagt hätte, wendete sich unbedenklich einer Gesamtheit zu, in welcher ihm jeder für das Ganze verantwortlich war, und nach wenigen Jahren

ivar der Bestand und das Renommee der Vereine dergestalt gesichert, daß sie von den ihnen gemachten Geldofferten nicht mehr überall Ge­

brauch machen konnten. Erst nachdem dies erreicht war, und gegenwärtig noch eine ansehnliche Dividende hinzutrat, begannen auch die Wohl­

habenderen

sich

zu beteiligen, um

der Vorteile der von ihren

un­

bemittelten Genossen gegründeten Institute sich zu bedienen. So wachsen

dieselben an Mitgliederzahl, Geschäftsverkehr und Kredit von Tage zu Tage, und schon findet ihr Beispiel in der Umgegend

weitern Kreisen Nachfolge.

sowohl wie in

Auch ist ihre Gründung und Einrichtung

auf dem vorerwähnten Fundament überall ohne Ausnahme leicht aus­ führbar, indem sich die Elemente dazu aller Orten vorfinden.

Gehört

doch dazu einfach der Zusammentritt, also der bloße ernste Wille der

dabei unmittelbar Interessierten, sonst aber keine Bewilligung oder Be-

günstigung von irgend einer Seite.

Auch liegen die Details der Orga­

nisation und Geschäftsführung in den bei den hiesigen Vereinen erprobten

Beispielen dem Publikum bereits offen vor, und, trotz der Einheit und Unverrücktheit ihres Prinzips,

sind dieselben doch der Ausbildung nach

den verschiedensten Richtungen hin fähig, weshalb sie sich den jedesmaligen lokalen Bedürfnissen leicht anpassen lassen.

Um alles vorstehend Gesagte zu erproben, mögen nun die bisherigen

Rechnungsabschlüsse

unserer Vorschußvereine hier

ihre

Stelle

finden, ehe wir zur Besprechung der einzelnen bei ihrer Einrichtung zu berücksichtigenden Hauptpunkte im folgenden Abschnitte übergehen.

Der Vorschußverein in Eilenburg (10,000 Einwohner), unter

Leitung der Herren Or. Bernhardt I. und Bürmann Ende 1850 mit

8*

Schulze-Delitzsch.

116

180 Mitgliedern von diesen um ihre Mitbürger vielfach verdienten Männern gegründet, begann seine Wirksamkeit mit dem 1. Januar 1851, indem er von seinen Mitgliedern eine Monatssteuer von 1 Sgr. erhob, und brachte, unter solidarischer Verhaftung derselben, den nötigen Fonds teils durch Darlehne Dritter, teils durch freiwillige Einlagen, welche er beiderseits mit 5 Prozent verzinste, zusammen. Er nahm anfänglich von

den

Vorschußempfängern

an

einen

Zins:

preußischen

Pfennig

(= 1lli

Neugroschen) vom Taler auf die Woche (14*/3 Prozent auf das Jahr), welcher Satz gegenwärtig dahin reduziert ist, daß auf das Jahr

nur berechnet werden:

a) 5 Prozent eigentlicher Zins in jedem Falle, und außerdem b) 3, 4 oder 5 Prozent Beitrag zu den Verwaltungskosten, je nachdem die Vorschüsse auf länger oder kürzer als 3 Monate, und im letztern Falle wieder, je nachdem sie bei Beträgen bis zu 20 Tlr. in wöchentlichen Raten zurückgezahlt werden, oder nicht. Die Mitgliederzahl

stieg zusehends und betrug:

396 Ende 1851, 582 1852, ff 650 1853, 714 1854. Folgende, den früheren Jahresrechnungen entnommene Hauptposteu ergeben Umfang und Wachstum des Verkehrs:

In der Einnahme: Monatssteuern der Mitglieder

.

Tlr.

Vom Verein aufgenommene Dar­ lehne ............................................ Von den Vorschußempfängern ge­ zahlte Zinsen........................... Zurückgezahlte Vorschüsse . . .

1851

1852

1853

193

234

282

342

5945

5914

13434

26686

1854

260

610

968

1364

5238

10482

15250

14570

107

267

285

412

talien ...................................... Hinausgegebene Vorschüsse an Mit­

1946

3521

6262

13028

glieder ...................................... Verwaltungskosten und Botenlöhne

8802 138

13366 ?

In der Ausgabe: Zinsen für vom Verein

aufge­ nommene Kapitalien .... Vom Verein zurückgezahlte Kapi­

Tlr.

21621 25661 ? 1978

Vorschußvereine als Volksbanken.

117

Um die eigentliche, dem Verkehr vom Verein geleistete Hilfe im Jahre 1854 zu übersehen, ist zu bemerken, daß:

12,862

Tlr.

18 Sgr. 3 Pf. ältere Vorschüsse, welche Anfang 1854 noch ausstanden, aus 1853 nach 1854

mit herüber genommen, dazu 25,661



4



5 „

neue Vorschüsse im Laufe 1854 aus­

8,000





„ — „

ca. auf weitere Fristen prolongiert sind.

gegeben, und

Das Guthaben der Mitglieder an eingesteuerten Monatsbeiträgen und früheren Dividenden betrug Ende 1853: 718 Tlr. 10 Sgr. 10 Pf.,

der Reservefond 47 Tlr. 3 Sgr., wozu 73 Tlr. 27 Sgr. 31/,2 Pf. Rein­ gewinn des Geschäfts pro 53 trat, welche mit 60 Tlr.

5

5 Sgr.

Pf. als Dividende

dem

Guthaben

der

Mit­

glieder zugeschrieben, mit 13



21



10*2 „

zum Reservefonds geschlagen wurden.

Da im Jahr 1854 von den Mitgliedern ferner 326 Tlr. 9 Sgr.

7 Pf. eingesteuert und außerdem 15 Tlr. 25 Sgr. Eintrittsgelder (zur Reserve) gezahlt sind, außerdem aber der Reingewinn, welcher sich un­

gefähr eben so hoch beläuft wie 1853, weil der größere Umsatz durch

die Zinsenreduktion ausgewogen wird, so stellt sich der Geschüftsfonds des

Vereins Ende 1854 heraus auf zirka:

26,500Tlr. —Sgr.

— Pf. fremde Kapitalien,

1,200

„ —



— „ Guthaben

27,700

„ —



— „ Summa.

Aus dem Angeführten verfolgt, von selbst.

der Mitglieder und Reserve.

ergibt sich die Richtung, welche der Verein

Nicht mehr bloß das Bedürfnis des kleinen Ge­

werbes, von welchem er ausging, sondern den ganzen bürgerlichen Ver­ kehr zu umfassen, hat er sich zur Aufgabe gestellt, deren Lösung ihm auf

eine so überraschende Weise gelingt.

Um auch bedeutende Geschäfte nicht

zurückzuweisen, bedurfte man vor allen ansehnlicher, immer vorrätiger

Barbestände, und suchte deshalb die Vereinskasse allmählich zu einem

Mittelpunkte zu machen für zinsbare Anlage aller müßigen Gelder in

einem gewissen Kreise, weshalb man dergleichen Offerten niemals zurück­

weist, auch wenn das augenblickliche Bedürfnis dadurch bei weitem über­ stiegen wird. Vielmehr ist man mit einigen Bankiers in stehende Ver­ bindung getreten, bei welchen man die Überschüsse zeitweilig gegen

4 Prozent Zinsen und 1]e Prozent Provision so unterbringt, daß man

Schulze-Delitzsch.

118

sie ohne besondere Kündigung jederzeit wieder erheben kann.

Da man

nun für alle auf unbestimmte Zeit in die Kasse eingelegte Gelder höchstens 4 Prozent, meist noch weniger zahlt, und nur für Kapitale, welche dem

Vereine auf mindestens 1 Jahr fest zugesichert werden, oder die man bei wirklichem Bedürfnisse förmlich als Darlehne aufnimmt, 4x/a aller-

höchstens 5 Prozent zahlt, so wird bei den durch die zuströmenden Ein­ lagen gebildeten Überschüssen nichts verloren. Vielmehr hat man den Vorteil, auf diese Weise zu jeder Zeit über bedeutende Summen ver­

fügen zu können, und kommt nicht leicht in schäfte von Belang abzuweisen.

die Lage, vorteilhafte Ge­

Während der ersten Jahre, ehe man

das Vertrauen des Publikums in dem Grade gewonnen hatte, wie es

jetzt der Fall ist, und die Einlagen noch nicht in so reichem Maße zu-

flossen, war man in dieser Beziehung

oft

genötigt, sich bei plötzlichem

Bedürfnis an den Bankier zu wenden, von dem man zum Beispiel noch

im vorigen Jahre 5000 Tlr. zu 5*/a Prozent

auf 6 Monate, außer

‘/(j bis '/s Prozent Provision zu entnehmen genötigt war. Dagegen konnte man im Januar 1855 6000 Tlr. Überschüsse auf die erwähnte

Art zinsbar beim Bankier anlegen. Bei dieser Ausdehnung der Geschäfte mußte man natürlich von dem

raschen Umsätze, wie er im Kleingewerbe einer Landstadt sonst vorkommt,

absehen, und die Vorschüsse auf längere Fristen geben, indem 3—6 Monate dabei am häufigsten, wohl auch 9 Monate bis auf 1 Jahr vorkommen.

Einerseits wies auch dieser Umstand auf die Notwendigkeit eines größern Betriebsfonds hin, wie er denn besonders auf die Zinsen und Dividende

der Vorschußempfänger einwirkte.

Bei höhern Vorschüssen auf längere

Zeit mußte man nämlich auf einen niedrigern Zinsfuß zurückgehn, wenn man überhaupt Geschäfte machen wollte, und dies mußte wiederum die

Dividende verringern.

Der vom Verein zu diesem Zwecke eingeschlagene

Weg, die in dem frühern Zinssätze enthaltenen beiden Elemente, eigent­

liche Zinsen und Verwaltungskosten oder Provision in obiger Weise zu trennen, erscheint daher eben so zweckmäßig, als die Abmessung der letztern, je nach dem durch die längere oder kürzere Bewilligung der Vorschüsse, deren Höhe und Rückzahlungsmodalitäten den Beamten ver­ ursachten Mehr oder Minder von Arbeit, billig.

Einen ganz andern Verlauf nahmen die Dinge in dem zu Delitzsch (4000—5000 Einwohner), seit dem Herbst 1852 reorganisierten Vor­

schußverein,

der

aus seiner frühern, verfehlten,

auf

unverzinsliche

Darlehne usw. gegründeten Organisation (seit 1850) durch die wenigstens zugleich mit eingeführten Monatssteuern der Mitglieder und sonstige Zu-

Vorschußvereine als Volksbanken.

119

Wendungen einen kleinen Fonds von ca. 100 Tlr. hatte, und in seine neue Wirksamkeit mit herüber nahm. Die Monatsbeiträge der Mitglieder

wurden sofort auf mindestens 2 Sgr. erhöht, der erforderliche Fonds durch Darlehne gegen solidarische Verhaftung aller ausgenommen, welche man Anfangs mit 5 Prozent, von 1854 an meist nur noch mit 4*/2 Pro­ zent verzinste. Ferner wurde der Satz von 1 Pfennig Preußisch vom Taler auf die Woche (= 141/2 Prozent auf das Jahr) als Zins für die Vorschüsse eingeführt, jedoch von Anfang 1854 an auf 3 Pfennige vom Taler auf den Monat (= 10 Prozent aus das Jahr) reduziert. Bis Ende 1852 stieg die Mitgliederzahl, die bis auf 30 gesunken war, bis über 100, erhob sich im Jahre 1853 bis 175 und beträgt gegen­ wärtig zirka 210. Eine Steigerung der Mitglieder und des Verkehrs, wie wir sie in Eilenburg gesehen haben, konnte in Delitzsch teils wegen der geringern Einwohnerzahl, teils um deshalb nicht stattfinden, weil gegen Ende 1853 die Errichtung einer zweiten Vorschußkasse seitens des Magistrats mit einem Kapital von 3000 Tlr. aus den Gewinn­ überschüssen der Städtischen Sparkasse gegründet wurde, welche, da sie keine Zinsen von ihrem Betriebsfonds zu zahlen hat, und von den Kommunalbeamten ohne besondere Remuneration mit verwaltet wird, natürlich die Vorschüsse zu dem geringern Satz von 5 Prozent zu geben imstande ist. Weil indessen ein aus öffentlichen Fonds gegründetes ^Institut besonders auf Sicherheit zu sehen hat, so werden die Vorschüsse nur unter Garantie zweier notorisch vermögender Bürgen gegeben. Hier­ durch ist der bei weitem größte Teil des kleinen Gewerbestandes so gut wie ausgeschlossen, und die Kasse kann meist nur von den wohlhabendern Einwohnern benutzt werden. Gerade dadurch erhielt nun unser Verein einen eigentümlichen, scharf abgegrenzten Charakter, und seine Wirksamkeit wird für den Beobachter um so interessanter, als sie den schwierigern Teil der Aufgabe, den Verkehr der am wenigsten bemittelten Klasse,

besonders unter den Handwerkern und unselbständigen Arbeitern um­ faßt. Der wesentlich verschiedene Gang, den man in der Einrichtung und Verwaltung deshalb einhielt, wird sich am Besten nach vorgängiger Mitteilung der Rechnungsabschlüsse der letzten Jahre übersehen und kurz andeuten lassen, weshalb diese hier folgen. Mit einem, wie schon bemerkt, durch zinsfreie Darlehne und geschenk­ weise Zuwendungen etwa auf 160 Tlr. gebrachten Stammfonds, in welchen sodann noch die regelmäßigen Monatsbeiträge von 75 Mitgliedern ä 1 Sgr. flössen, wurde das Kassengeschäft im Mai 1850 eröffnet, sank

jedoch, da mehrfache Verluste durch Insolvenz der Schuldner eintraten,

Schulze-Delitzsch.

120

auch die Verwaltungskosten die Einnahmen überstiegen, mit jedem darauf folgenden Jahre mehr, und konnten in der Zeit vom Mai 1850 bis zum 1. Juli 1852 nicht mehr als zusammen 520 Tlr. 14 Sgr. an Vor­ schüssen hergegeben werden, während in dem Halbjahr vom 1. Juli bis

Ende 1852, in welches die Reorganisation des Vereins fiel, schon 645 Tlr. 5 Sgr. Vorschüsse gewährt wurden. Ende 1852 bestand der

Betriebsfonds aus: 280 Tlr. — Sgr. — Pf. vom Verein aufgenommenen zu 5 °/0 ver­ zins!. Darlehnen, 44 „ unverzinslichen Darlehnen, 47 " „ Guthaben der Mitglieder an eingesteuerten 3

Monatsbeiträgen, 129



3 „ Reserve, als eigentlichem Gesellschafts­

8

vermögen, gebildet aus den Resten des früheren Stammkapitals, den Eintritts­ geldern und Vorschußzinsen der Mitglieder, 500 Tlr. 11 Sgr.

3 Pf. Summa.

Die Einnahme und Ausgabe der beiden folgenden Jahre beträgt aber, ohne die Einnahmereste: Einnahme: Kassenbestand aus voriger Rechnung . Vom Verein aufgenommene Darlehne*) Zurückgezahlte Vorschüsse ...

Monatssteuern der Mitglieder Eintrittsgelder der Mitglieder Zinsen der Vorschußempfänger

.

.

. Tlr.

.

....

t!

Verschiedene Einnahmen...........................

tt

1853

1854

51 3261 5663 146 30

130 2936'

196 10

10647 298 32 334

7

Ausgabe:

An die Mitglieder gewährte Vorschüsse Vom Verein zurückgezahlte Darlehne .

7167 1790

12039 2018

Kapitalien................................................. Zurückgezahlte Guthaben an ausgeschiedene

57

111

Mitglieder................................................. Verwaltungskosten und anderes ....

6 112

22 142

.

Zinsen für die vom Verein aufgenommenen

') In 1853 zu 5%, in 1854 meist zu 4*/2 °/0 ausgenommen.

Vorschußvereine als Volksbanken.

121

Das Guthaben der Mitglieder an Monatssteuern und Dividende

berechnet sich dahin: 47

Tlr. 3 Sgr. — Pf. Monatssteuern bis Ende 1852,

145



24



— „ desgl. pr.

1853,

298



13



— „ desgl. pr.

1854,

491

Tlr. 10 Sgr. — Pf. Hiervon ab die an ausgeschiedene Mitglieder

1853 und 1854 zurückgezahlten Beiträge mit 28

2



463 Tlr.



6



7 Sgr.

verbleibt:

6 Pf. Summa.

Die Dividende, als der eigentliche Reingewinn des Kassengeschäfts, ergibt sich aus dem Überschuß der für die ausgegebenen Vorschüsse ein­

kommenden Zinsen gegen den Betrag der für die aufgenommenen Kapi­

talien zu zahlenden Zinsen, der Verwaltungskosten und etwaigen Aus­ fälle bei Rückzahlung der Vorschüsse, zu welcher letzteren Deckung übrigens

ein besonderer Reservefonds gebildet ist, dem außer den Resten des alten Stammkapitals die Eintrittsgelder der Mitglieder überwiesen sind.

Es waren nun an Vorschußzinsen eingekommen

1853

Hiervon aber zu decken:

Zinsen

der

1853

1854

Tlr.

196

334

ff

164

242

32

92

1854

aufgenommenen

Kapitalien .

.

.

Tlr.

Verwaltungskosten

.



57

111

107

131

verbleiben:

Tlr.

Davon dem Reservefonds zugeschlagen Als Dividende gutgeschrieben .

24

5

8

87

Sonach bestand das Guthaben aus:

463

95 558

Tlr.



7 Sgr.

6 Pf. eingezahlten Monatssteuern,

7

6 „



zugeschriebener Dividende,

Tlr. 15 Sgr. — Pf. Summa.

Der Reservefonds, das eigentliche Vereinsvermögen, ergab sich aus dem Überschuß der Aktiva über die Passiva der Kasse, oder des Credit

über das Debet

Der Betriebsfonds des Vereins stellte sich Ende 1854 daher in

solgender Gestalt heraus:

Schulze-Delitzsch.

122

a) 2583 Tlr. 14 Sgr. -Pf. b)

14

c)

558

d)

235

n



ff



n

15





18

3



vom Verein aufgenommene, nach 41/a und 5 Prozent verzinsliche Kapitalien, unverzinsliche Darlehne, Guthaben der einzelnen Mitglieder an Monatssteuern u. Dividende, Reserve, als Überschuß der Aktiva über

die

Passiva

und

eigentliches

Vereinsvermögen. 3 Pf-

3391 Tlr. 17 Sgr.

Summa.

Um für die damit pro 1854 gemachten Geschäfte einen Anhalt zu

gewinnen, muß man berücksichtigen, daß 1931 Tlr. 13 Sgr.

12039

2973













9 Pf. Ende 1853 noch ausstehende Vorschüsse —







in das Jahr 1854 mit hinübergenommen, neue Vorschüsse im Laufe 1854 und zwar bis zum Belaufe von 3 Monaten ausgegeben, endlich ältere Vorschüsse auf fernere Fristen bis zu 2 Monat prolongiert sind.

Der bei dem hiesigen Verein im Vergleich mit dem Eilenburger verfolgte ganz verschiedene Weg ist aus diesen Rechnungsabschlüssen deutlich zu ersehen. Während es dem Eilenburger Verein darum zu tun war, einen möglichst großen Fonds, selbst über das zeitweilige Be­ dürfnis, zusammenzubringen, um stets in der Lage zu sein, auf jedes sich darbietende Geschäft einzugehn, war es bei dem Delitzscher Verein

Grundsatz, sich nie mehr Barschaft in der Kasse aufhäufen zu lassen, als der Bedarf des Augenblicks erfordert. Da derselbe hauptsächlich dem Kleingewerbe einer nicht bedeutenden Landstadt dient, bei welchem im ganzen ein rascher Geschäftsumsatz stattfindet, so braucht er seine Vor­ schüsse nicht auf lange Zeit zu geben, was schon allein einen geringern

Betriebsfonds im Verhältnis zum Verkehr bedingt. Treten auch einmal plötzlich höhere und ungewöhnlicheAnforderungen seitens der Vorschuß­ suchenden ein, so belaufen diese sich doch nicht sofort auf Tausende, und konnten, bei dem Kredit, den das Institut sich allgemein erworben hat, noch immer durch darlehnsweise Aufnahme von 400— 600 Tlr. auf kürzere Frist, augenblicklich befriedigt werden. Es werden deshalb die vielfach vorkommenden Offerten von Geldern Dritter nur dann an­ genommen, wenn man die Summen voraussichtlich bald bedarf. Doch ist zugunsten der Mitglieder und deren Angehörigen die Einrichtung

Vorschußvereine als Volksbanken.

123

getroffen worden, daß man kleinere Spareinlagen derselben, außer den

Monatssteuern, stets zuläßt und lieber allmählich mit anwachsendem Fonds die älteren Darlehne kündigt und abzahlt.

Ferner treten, ans denselben

Gründen, bei dem Delitzscher Verein auch die Monatssteuern der Mitglieder und die Dividende mehr in den Vordergrund und erklärt sich daraus, daß dieselben, trotz der bei weitem geringern Mitgliederzahl

und des viel schwächern Verkehrs, die Beträge beim Eilenburger Verein fast erreichen, ja übersteigen.

Eben weil er es vorzugsweis mit Hand­

werkern und Arbeitern zu tun hat, begünstigt der hiesige Verein über­

wiegend das Sparsystem, indem er es für die größte Wohltat achtet, diesen Leuten allmählich ein kleines Kapital zu

bilden.

Das

Endziel,

welches er sich dabei gesteckt hat, ist: durch die allmähliche Ansammlung der Steuern und Dividende den ganzen Betriebsfonds des Geschäfts zu­

sammenzubringen, und am Ende der Anlehen dritter nicht mehr zu be­

dürfen.

Man

hat zu diesem Zwecke einen gewissen Betrag (16 Tlr.)

normiert, bis auf welchen das Guthaben der einzelnen gebracht werden

muß, und bildet den Mitgliedern auf diese Weise nach und nach förm­

liche Aktien.

Hierzu ist die möglichste Erhöhung der Monatssteuern

wünschenswert, und diese zu bewirken, liegt in einer ansehnlichen, auf

dieselben fallenden Dividende der größte Reiz.

Sobald Ende 1853

beim Delitzscher Verein die erste Dividende bekannt wurde, ver­

doppelten sich nahezu die Monatssteuern pr. 1854, und als man im Januar 1855 die wirklich bedeutende Dividende pr. 1854 gewährte und

zugleich gestattete: daß alle zur Abrundung und Erfüllung des Normal­ guthabens im Januar gemachte Zahlungen an der Dividende pro 1855

Monats,

Teil haben sollten, wurden sofort im Laufe des genannten

außer den regelmäßigen etwa 25 Tlr. betragenden Steuern, zu obigem

Zwecke über 200 Tlr. bar eingezahlt.

Das Guthaben der einzelnen

Mitglieder überstieg daher im gegenwärtigen Februar bereits

800 Tlr.,

wozu der Reservefonds, als Eigentum der Gesamtheit, tritt,

so daß

bereits über 1000 Tlr., also mehr als ein Viertel des in diesem Jahre etwa auf 4000 Tlr. anzuschlagenden Betriebsfonds,

nach

so

kurzem

Bestehen des Vereins, den Mitgliedern gehören. Durch die vorstehende Nebeneinanderstellung der

von den beiden

Vereinen verfolgten Richtungen, welche im folgenden Abschnitt noch näher

erörtert werden, soll, wie wohl kaum zu erinnern nötig ist, keine der andern irgendwie vorangestellt werden.

Beide finden in den lokalen

Verhältnissen ihre vollkommene Begründung als gleichberechtigt, und es ist eben der schönste Beleg für die Tüchtigkeit der ihnen gemeinsamen

Schulze-Delitzsch.

124

Grundlage, daß dieselbe sich so verschiedenartigen Bedürfnissen mit gleichem Erfolg anzuschmiegen fähig ist.

Das aber wird jeder Unbefangene, mit

den Verkehrsverhältnissen, wie sie in Orten, gleich den genannten, gegen­

wärtig bestehn, nur einigermaßen vertraute zugestehn, daß beide Vereine unter den gegebenen Umständen das Mögliche leisten und ohne Anmaßung als Muster in ihrer Art aufgestellt werden dürfen.

Nach ihrem Vorgänge und Beispiel sind in ihrer Nachbarschaft noch

zwei

Vorschußvereine

gegründet,

in

den

Städten

Zörbig

und

Bitterfeld. Der Verein in Zörbig (3500 Einwohner) wurde im September 1853 unter Leitung des für das gemeine Wohl überaus

tätigen Amt­

mann Krause daselbst nach dem Muster des Delitzscher gestiftet, und war die anfänglich nur 14 betragende Mitgliederzahl Ende 1854 erst bis auf 45 gestiegen, was seinen Grund darin hat, daß man den Bei­

tritt von Einzahlung einer Aktie von 5 Tlr. abhängig machte, und so die Mehrzahl der Unbemittelten ausschloß; eine Bestimmung, deren baldige Änderung zu verhoffen steht. Im Übrigen hat man in allen Punkten

das Delitzscher Statut angenommen. In Bitterfeld (4500 Einwohner), ist die Gründung des Vereins

erst im Januar gegenwärtigen Jahres, unter Beitritt von 161 Mit­

gliedern, erfolgt und das Delitzscher Statut angenommen, weshalb etwas Weiteres vorerst nicht zu berichten ist. Eben so kann von den in Halle

und

Eisleben im

verflossenen

Jahre,

unter

Zugrundelegung

des

Delitzscher Statuts entstandenen Vereinen näheres nicht mitgeteilt werden.

So wäre denn hier und in den Nachbarstädten die Sache überall in gedeihlichem Angriff, und die von den verschiedensten Seiten her ein­

gehenden

Anfragen

und Nachrichten

lassen hoffen, daß der Vorgang

unserer kleinen Städte bald in den weitesten Kreisen Nacheiferung und Nachfolge erwecken wird.

Zweites Kapitel.

Die einzelnen, für Organisation von Vorschußvereine» wesentlichen Punkte. 1. Mitgliedschaft. Der erste wichtige, bei Gründung eines Vorschußvereins in das Auge zu fassende Punkt ist der der Mitgliedschaft und der durch die­

selbe bedingten Stellung.

Auf wen will man die Wirksamkeit des Ver-

Vorschußvereine als Volksbanken.

125

eins ausdehnen? — Will man ein Leihinstitut für das Publikum daraus machen? — Will man seine Geschäfte auf die Mitglieder be­ schränken? — und in beiden Fällen, an welche Anforderungen knüpft man die Zulassung eines Mitgliedes? Über diese Fragen muß man mit sich zuvörderst im klaren sein, ehe man an die weitere Organisation Hand anlegt.

Schon das im allgemeinen Vorausgcschickte über die Hilfe, welche die Vorschußvereine dem Handwerker- und kleinen Gewerbestande, gegen­ über den kaufmännischen Banken, zu bringen bestimmt sind, sowie das über ihre Grundlage, Selbsthilfe und Solidarität, Gesagte enthalten die Beantwortung der erstem Frage für die Klasse von Kreditinstituten, um die es uns hier zu tun ist. Öffentliche Leihinstitute zu gründen,

möge denjenigen überlassen bleiben, welche das dazu erforderliche Kapital übrig haben, und für sich selbst keiner Aushilfe in dieser Beziehung be­ dürfen. Bei Leuten aus dem Handwerker- und kleinen Gewerbestande aber, welche ihrem eignen Bedürfnis nach Barschaft durch den Beitritt zu einem solchen Vereine abhelfen wollen, und, wie wir oben sahen, eben nur durch die Solidarität, das gegenseitige Einstehn für einander sich

den wer des dies für

nötigen Kredit schaffen können, verbietet sich das von selbst. Nur für das gemeinsam aufzunehmende Kapital mit haftet, also Mitglied Vereins ist, kann Summen daraus für sich in Anspruch nehmen, liegt schon im Prinzip. Wird sonach der Charakter einer Leihanstalt jedermann gleich von vornherein ausgeschlossen, so fallen damit

zugleich manche Weiterungen und Beschränkungen weg, die sich an jenen knüpfen. Der Verein hat es nun nicht mit öffentlichen Angelegen­

heiten, sondern lediglich mit dem Privatkredit eines geschlossenen Kreises

von Mitgliedern zu thun, weshalb es, mindestens nach Preußischen Ge­ setzen, weder einer anitlichen Konzession seiner Statuten, noch Kontrolle seiner Wirksamkeit bedarf, die der freien Bewegung überall nur hemmend

in den Weg treten würde.

Daher bleibt für uns nur die Frage zu be­

antworten, wovon man die Zulassung zur Mitgliedschaft abhängig machen will. Natürlich kann man hier, nach den vorwaltenden Lokalverhältnissen, einen sehr verschiedenen Standpunkt einnehmen, und es lassen sich Er­ fordernisse mannigfacher Art denken, je nachdem man die Teilnahme auf

gewisse Klassen beschränken will, wovon wir im Zörbiger Verein ein Beispiel sehen, dessen Forderung einer Einlage von 5 Tlr. beim Ein­ tritt die weniger Bemittelten von selbst abhielt. Eine solche ausschließliche Richtung widerspricht aber nicht bloß dem oben vorangestellten Zweck,

sondern sogar dem Interesse eines solchen Vereins, welches an eine zahl-

Schulze-Delitzsch.

126

reiche Beteiligung, des lebendiger« Verkehrs halber, gar sehr geknüpft

ist.

Halten wir daher die einzige Schranke im Auge, welche die Natur

der Sache selbst ergibt.

Um einem Verein anzugehören, der auf Selbst­

hilfe, die eigne Kraft der Mitglieder, gegründet ist, muß man aber noch in der Lage sein, sich selbst helfen zu können.

Auf den Kreditpunkt an­

gewendet will dies sagen, daß die Verhältnisse des Aufzunehmenden von

der Art sein müssen, daß ihm Vorschüsse von irgend welchem Belang

mit der wahrscheinlichen Aussicht auf Wiedererstattung anvertraut werden können.

Wer soweit heruntergekommen ist, daß er sich durch einen ver­

hältnismäßigen Vorschuß, unter der Bedingung der Verzinsung und Rück­

zahlung, nicht wieder emporzuhelfen vermag, dem muß die Mitgliedschaft

versagt werden. Denn die Vorschußvereine dürfen, wenn sie dauernden Bestand gewinnen

sollen, durchaus nicht mit Almosenanstalten ver­

mengt werden, da sie nicht bestimmt sind, Arme zu unterstützen, sondern — was viel wichtiger ist — der Verarmung vorzubeugen.

jemand noch den

eigenen

und

der

kümmerlich, durch Arbeit zu erschwingen imstande ist,

So lange sei

©einigen Unterhalt,

es

auch

nehme man ihn

auf, sobald ihm aber diese Eigenschaft abgeht, ist eine solche Person in wirtschaftlicher Hinsicht für die Gesellschaft tot,

lichen oder Privatmilde anheim,

und fällt der öffent­

deren Organisation

nicht

in

unsern

Bereich gehört.

Das beste Mittel, die Wahrung dieser Grenze bei der Aufnahme zu

sichern, und ein eben so mißliches als unsicheres Urteil in jedem einzelnen Falle zu sparen, ist die Einführung regelmäßiger Monatsbeiträge in die Kasse, als Bedingung der Mitgliedschaft, auf welche wir bei Auf­

bringung des nötigen Fonds noch besonders zurückkommen.

Wer es

noch vermag, in solchen kurz wiederkehrenden Terminen eine kleine Er­

sparnis einzulegen, der wird im allgemeinen für die Zwecke des Vereins nicht verloren sein, und einen, wenn auch noch so kleinen Kredit be­

anspruchen können, der natürlich allmählich mit der Summe seiner Bei­ steuern steigt.

Der Verfasser weiß mehrere Fälle, wo solchen ganz un­

vermögenden Arbeitern anfangs im hiesigen Verein jeder Kredit ver­

weigert wurde, allein dieselben steuerten regelmäßig fort und gehören jetzt, freilich immer nur mit kleineren, ihren Verhältnissen angemessenen

Summen, zu den pünktlichsten Kunden, indem mehrere ihr Guthaben in den wenigen Jahren auf 5—6 Taler gebracht haben.

Daß übrigens

weiter von jedem Mitgliede die juristische Selbständigkeit erfordert

werden muß, versteht sich von selbst, und würde hier gar nicht besonders erwähnt werden, wenn nicht verschiedene Anfragen große Mißverständnisse

Vorschußvereine als Volksbanken.

127

in dieser Beziehung bekundeten. Natürlich muß man gesetzlich befähigt sein, Darlehne aufzunehmen, wenn man einem solchen Vereine beitreten will, denn sonst könnte einem weder ein Vorschuß gegeben werden, noch

wäre man imstande, sich für die vom Verein aufzunehmenden Darlehne

solidarisch zu verpflichten. Minorenne und Kinder unter väterlicher Gewalt können daher nicht Mitglieder werden, sondern sich nur durch Spareinlagen als Gläubiger beteiligen. Auch Ehefrauen können nur mit ausdrücklicher Genehmigung ihrer Männer eintreten, welche diese Genehmigung sowohl bei Unterschrift des Statuts wie der Schuldscheine besonders beisetzen müssen. In Fällen, wo das Gewerbe auf den Namen der Frau betrieben wurde, ist hier sogar deren Beitritt stets erfordert worden, indem man nur ihr mit Sicherheit kreditieren konnte. Endlich ist noch des in dem Delitzscher Vereine aus dessen

früherer Organisation mit herübergenommenen Instituts der Ehren­ mitglieder kurz Erwähnung zu tun, worunter solche Personen ver­ standen werden, welche die Zwecke des Vereins durch Einlagen oder zinsfreie Darlehne fördern, ohne auf dessen Vorteile Anspruch zu machen.

Daß dasselbe für das Bestehn des Vereins ganz unwesentlich ist, ergeben die mitgeteilten Rechnungsabschlüsse. Deshalb hat man ihnen auch eine besondere Einwirkung auf die Vereinsangelegenheiten im Statut nicht beigelegt, doch war andrerseits auch kein Grund vorhanden, ihre wohl­

gemeinten Zuwendungen geradezu abzuweiseu, und da sie mindestens ein Interesse für den Verein bekunden, so hat man sie zur Verwaltung ihnen etwa durch das Vertrauen der Mitglieder zu übertragender Ämter für fähig geachtet.

2. Betriebskapital. Der Grundsatz der Selbsthilfe ergibt zur Beschaffung der nötigen Geldmittel bei einem Vorschußvereine zwei Wege: a) das Zusammen­ schießen der Barschaft durch die Mitglieder selbst; b) die Aufnahme von Kapitalien auf gemeinschaftlichem Kredit.

Daß das Letztere in der Regel gegen solidarische Verpflichtung sämtlicher Mitglieder wird zu bewerkstelligen sein, ist bereits im Ein­ gänge erwähnt. Die Mehrzahl derselben gehört den unbemittelten Klassen an, deren Hauptbcsitz in ihrer Arbeitskraft besteht. Mit Recht gilt aber die Arbeitskraft des Einzelnen nicht als genügende Sicherheit für die Kapitalanlage, weil sie einer Menge von Zufälligkeiten unterworfen ist,

und die Resultate zu wenig in der Gewalt hat. Nur wenn eine größere Gesamtheit von Arbeitern die Zufälle und das Mißlingen Einzelner

128

Schulze-Delitzsch.

überträgt und gegenseitig für einander einsteht, ist die erforderliche Garantie gegeben, von welcher der Kredit abhängt, und der Gläubiger, der sich nun an jeden auf das Ganze halten kann, läuft keine Gefahr.

Auch

ist eine solche Bedingung für die Vereinsglieder als Schuldner nur in

der Ordnung.

Auch der einzelne Gewerbetreibende, zumal der unbemittelte,

sobald er allein für sich Geschäfte macht, setzt nicht weniger als seine ganze Existenz ein, ein Risiko, woran die Teilnahme am Verein also im Grunde wenig ändert, ohne welche er eine für seinen Geschäftsbetrieb so

wesentliche Förderung nur sehr schwer oder gar nicht erlangen könnte.

Daß aber bei irgend vernünftiger Organisation auf solche Weise stets das

erforderliche Geld zu erhalten ist, beweisen die

sämtlichen

durch

Anregung des Verfassers an verschiedenen Orten in das Leben gerufenen Assoziationen, namentlich auch die gewerkschaftlichen, über welche

das Assoziationsbuch berichtet, von denen die meisten mit fremden Kapitalien von mehreren Tausenden wirtschaften, so daß das im ersten

Abschnitt von unsern Vorschußvereinen Berichtete keineswegs als ver­ einzeltes Beispiel dasteht. zuhalten.

Dabei hat man hauptsächlich zweierlei fest­

Zuvörderst geize man nicht mit den Zinsen, und gebe stets

etwas mehr, als bei sicheren Hypotheken gebräuchlich ist, damit nur die

Leute erst Lust bekommen, ihr Geld bei dergleichen, bis daher wenig be­

kannten Instituten anzulegen.

Sodann aber setze man sich so viel als

möglich in den Stand, hinsichtlich der Rückzahlungen nicht auf langen

Kündigungsfristen zu bestehen, sondern, bei kleinern Einlagen mindestens,

dieselben auf jedesmaliges Verlangen sofort zu leisten.

Tut man dies,

so wird man sehr bald diejenigen, welche bisher ihre kleinen allmählichen Ersparnisse in den Sparkassen anzulegen pflegten, wo sie das Geld jeden Augenblick wieder erhalten konnten, an sich ziehen, sofern man ihnen

namentlich einen höher» Zins bietet, woraus dann ein nicht unbedeutender

Zufluß erwächst. Wenn aber auch auf diesem Wege das ganze Kassenbedürfnis bald

und mit Leichtigkeit gedeckt werden kann, so daß es hierzu an sich einer andern Quelle gerade nicht bedürfte, so lasse man die Beisteuern der

Mitglieder doch ja nicht außer acht.

Zunächst gelangt dadurch nach

und nach ein beträchtlicher Zuschuß zu dem Betriebsfonds, welcher mit der Zeit sogar den

Hauptbestandteil desselben

bilden

kann, und das

Institut gewinnt eine größere Sicherheit für seine Operationen, da das Guthaben der Mitglieder die beste Deckung für die auszugebenden Vor­ schüsse bildet.

Sodann wird aber noch ein anderer Vorteil erreicht, der

weit höher anzuschlagen ist.

Der ausgesprochene Zweck des Vereins, dem

Vorschußvereine als Volksbanken.

129

Kapitalmangel in unserm Kleingewerbe abzuhelfen, kann nämlich nicht besser erreicht werden, als wenn der Verein, außer der Abhilfe des augen­

blicklichen Bedürfnisses mittelst Vorschüsse, auch noch dahin wirkt, seinen Mitgliedern ein eigenes Kapital bilden zu helfen. Hierzu sind die regel­

mäßigen Monatssteuern die Grundlage, welche durch die Dividende, wie lveiter unten gezeigt wird, verstärkt werden. Welche außerordentliche

Kräftigung aber für den Arbeiterstand in sittlicher wie in wirtschaft­ licher Hinsicht, aus der Gewöhnung zum Sparen, aus einem kleinen Be­

sitz erwächst, ist gar nicht zu sagen, und hat man hier nur erst die An­ fänge hinter sich, so hat man gewonnen, indem die sich bald zeigenden

Erfolge, wie wir an den Beispielen unserer Vereine sehen, das Streben

der Mitglieder in dieser Richtung von Tage zu Tage mehr beleben, und einen wahren Wetteifer erzeugen.

Bei den gewöhnlichen Sparkassen

tritt diese Wirkung in bei weitem mindern Grade ein, weil die von ihnen gegebenen Zinsen zu gering und die Sparer weder bei der Ver­

waltung noch

bei

dem Gewinn des Geschäfts beteiligt sind.

Zudem

stehen dieselben unsern Vorschußvereinen auch noch in einer andern höchst wichtigen

wirtschaftlichen Rücksicht nach, denn während sie, als

öffentliche von Kommunen oder dem Staat garantierte Institute, beim Ausleihen ihrer Bestände auf die größtmögliche Sicherheit sehen müssen,

und schon aus diesem Grunde, sowie aus Bequemlichkeit, meist zu reinen Hypothekenbanken

werden:

steht

der

in

den Vorschußvereinen

von Handwerkern und Arbeitern eingesteuerte Fonds den Sparern in der

Form von Vorschüssen jederzeit bei ihrem Gewerbebetriebe wieder zu

Gebote, und geht nicht, wie bei jenen, dem kleinen Verkehr ganz verloren. Was die Höhe der Beiträge anlangt, so dürfen dieselben einer­ seits nicht zu hoch gegriffen werden, damit sie nicht die Unbemittelten vom Beitritt abhalten, während andrerseits wieder ihre Beschränkung das

so wünschenswerte Anwachsen des Sparfonds hemmt.

Es erscheint da­

her am zweckmäßigsten, wenn man einen bestimmten niedrigen Satz, wie er nur dem wirklich Verarmten aufzubringen unmöglich ist, als Mindest­ betrag, welchen ein Mitglied steuern muß, feststellt, und es jedem über­ läßt nach Belieben mehr einzulegen, wozu die Dividende, von der noch

besonders die Rede sein wird,

den nötigen Anreiz enthält, da sie eben

nach Höhe der eingesteuerten Beiträge an

die Einzelnen verteilt wird.

So sind in Delitzsch 2 Sgr. monatlich, in Eilenburg gar nur 1 Sgr., als das Geringste, was jemand beisteuern

muß,

festgestellt, Summen

die ohne Frage auch der unbemittelte Arbeiter aufbringen kann, die aber

fast stets überschritten werden, so daß man bereits an eine Grenze dieses Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

I.

9

130

Schulze-Delitzsch.

Einsteuerns hat denken müssen, wovon beim Guthaben weiter unten gehandelt werden wird. Wenn sich daher auch jenes niedrigste Beitrags­ maß selbst nach örtlichen Verhältnissen überall modifizieren muß, so ist

doch die vorstehende Einrichtung, ihrer größern Elastizität halber, der Fixierung jedenfalls vorzuziehen. Schließlich wird hierbei wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß man ja nicht bloß die Mitglieder, rücksichtlich ihrer Monatssteuern, sondern auch Dritte, welche vielleicht am Beitritte irgendwie verhindert sind, als Sparer bei der Vereinskasse zuläßt, z. B. Dienstboten, Frauen, Minorenne u. a. Natürlich können solche, da sie das Risiko des Geschäfts nicht mit tragen, auch auf keine Dividende Anspruch machen. Vielmehr erhalten sie für ihre Einlagen, welche man jederzeit in kleinen Betrügen zulassen muß, als Gläubiger des Vereins, Zinsen. Gibt man hier mehr, als die meist sehr niedrigen, bei den Sparkassen eingeführten Sätze, und gestattet man jederzeitige Rückforderung ohne vorgängige lange Kündigung, so wird man diese Leute binnen kurzem heranziehn, da sie ohnehin, vermöge der natürlichen Sympathien ihres Standes, Vereinen, wie die unsern, geneigt sind. So werden in Delitzsch Einlagen von 10 Sgr. ab angenommen und mit 4 */2 Prozent verzinst, während die hiesige Sparkasse nur 3% Prozent gewährt, und besonders machen die Angehörigen und Bekannten der Mitglieder, ihre Kinder und Dienstboten, von dieser vorteilhafteren Gelegenheit zur Anlegung ihrer Ersparnisse Gebrauch, wodurch der Kasse nicht unbeträchtliche Zugänge erwachsen.

3. Höhe, Fristen und Sicherheit der Vorschüsse. Die Höhe der Vorschüsse wird einerseits vom Bedürfnis derjenigen Klassen, welchen hauptsächlich die Mitglieder angehören, andrerseits vom Betrage des Fonds abhängen, über welchen die Kasse zu disponieren hat, und wird hierbei auf die vorwaltenden lokalen Verhältnisse und den

allmählichen Aufschwung des Instituts zu sehen sein. So ging man anfangs in Delitzsch nicht über 50 Taler hinaus, während jetzt bis zu

200 Taler auf eine Post gegeben werden. In Eilenburg sind die Beträge natürlich weit bedeutender, und kommen Geschäfte zum Belange von 1000 Tlr. und darüber vor. Am rätlichsten wird es daher sein, wenn man im Anfänge keine zu hohe Summe setzt, jedoch sich die Hände frei hält, die Beträge allmählich, je nach dem Gange der Geschäfte, zu erweitern. Dasselbe gilt von den Fristen und Rückzahlungsmodalitäten,

welche durchaus den lokalen Bedürfnissen angepaßt werden müssen. Dient

Vorschußvereine als Volksbanken.

ein

Verein

hauptsächlich

131

dem Kleingewerbe, wie der Delitzscher, so

reichen 3 Monate auf das höchste in der Regel aus, und wenn man

für besondere Fälle noch

auf

gleiche Frist Prolongation erteilt, so ist

allen billigen Anforderungen entsprochen, da der Umsatz in den hierher gehörigen Geschäften während dieser Zeit sich vollzieht, wenn nicht geradezu

Stockungen eintreten.

Will man aber den größeren bürgerlichen und

ländlichen Verkehr mit heranziehen, wird man sich, wie in Eilenburg, zu

6 bis 9 Monaten entschließen müssen, wobei jedoch immer zu berück­ sichtigen bleibt, daß zu

festen, auf Jahre stehenden Darlehnen sich ein

solcher Vorschußverein schon deshalb nicht eignet, weil die Zinsen, welche er zu seinem Bestehen fordern muß, sich alsdann zu hoch belaufen,

und nur für ein kürzeres Bedürfnis und einen rascheren Umsatz im Ge­ werbe oder Wirtschaft

bemessen sind.

In den hiesigen Vereinen haben

sich denn auch die erwähnten Fristen als ausreichend erwiesen, und ist dabei stets die stückweise Abzahlung in 2, 3 Terminen, etwa allmonatlich

ein Drittel oder die Hälfte des Vorschusses re. rc., nachgelassen und viel­

fach benutzt. Die Gestattung von wöchentlichen Abzahlungen bei kleinern Posten kommt dagegen fast nie mehr in Anwendung, weil die pünktliche Innehaltung hier nur selten möglich ist, und alsdann große Weiterungen

in der Zinsberechnung entstehen.

Auch bei solchen kleinen Posten zieh»

es daher die Empfänger meist vor, in monatlichen Terminen zu zahlen, wo sie der Mittel dazu eher versichert sind.

Außer den erwähnten, für möglichst raschen Uinsatz des Betriebs­

kapitals sprechenden Gründen, verbieten auch einige andere sehr wesent­ liche Rücksichten die Erteilung längerer hältnisse durchaus erfordern.

Fristen, als die Verkehrsver­

Einmal leistet man den Vorschußempfängern

aus dem kleinen Gewerbestande eher einen Dienst, wenn man sie durch die Notwendigkeit baldiger Abzahlung in die Lage versetzt,

Abschlüsse in ihrem Geschäft zu machen.

öfter einmal

Ihnen auf lange Zeit hinaus

vorschießen, heißt nur der Nachlässigkeit und Unordnung Vorschub tun,

und es ist für sie weit besser, wenn man sie anhält, mit den eingegangenen Geldern, sobald als möglich die aufgenommene Schuld abzuzahlen, da sie

ja zu neuen Geschäften jeden Augenblick die erforderliche Summe aus der Vereinskasse von neuem erhalten können.

Sodann — und dies ist

vor allem zu bedenken — brächte man die Bürgen durch lange Frist­ erteilung, innerhalb deren sich die Verhältnisse der Schuldner leichter zu

ihrem Nachteil ändern

könnten, in eine schlimmere Lage, als dies

bei

kürzern Rückzahlungsterminen der Fall ist, die mit Rücksicht auf sichere

Einnahmequellen der Schuldner, wie Messen, Märkte und dergleichen

9*

Schulze-Delitzsch.

132

reguliert sind.

Auf 6 Monat, auf 1 Jahr hinaus wird jemand viel

weniger geneigt sein, eine Bürgschaft zu übernehmen, als auf 1

bis

höchstens 3 Monate, wo der Schuldner voraussichtlich in seinem Nahrungs­

stande nicht leicht in einem Grade zurückkommen kann, daß der Bürge Gefahr läuft.

Und wird dann der Vorschuß prolongirt, so ist dies eben

die beste Gelegenheit einer seitens des Bürgen vorzunehmenden Prüfung, da die weitere Fristerteilung ohne seine Genehmigung nicht erfolgt. Bei der Wichtigkeit des Instituts der Bürgen für das Vereinsgeschäft ist aber

alles hierauf bezügliche besonders zu bedenken, und jede Erschwerung der

Pflichten derselben möglichst zu vermeiden. Der wichtigste und schwierigste Punkt, mit dem wir es hier zu tun

haben, ist indessen unstreitig die Sicherheit der gegebenen Vorschüsse. Wenn auch durch die eingeführten Steuern ganz ungeeignete Mitglieder

meist schon vom Beitritt abgehalten werden, so bleibt doch die gewissen­ hafte Prüfung der Vorschußgesuche in dieser Hinsicht eine der ersten

Pflichten der Vorstände und Ausschüsse, indem oftmalige durch Insolvenz der Schuldner herbeigeführte Verluste nicht nur die Erschütterung des

Kredits nach außen, sondern auch die Gefährdung der Existenz des Ver­

eins in sich zur Folge haben.

Allerdings wird man zumeist auf die

moralische Tüchtigkeit der Vorschußsucher sehn müssen, wenn man den Zweck, den Unbemittelten zu dienen, nicht verfehlen will, da sich von

diesen eine bestimmte Deckung nicht immer verlangen läßt.

Redlichkeit

im Verkehr, Geschicklichkeit und Fleiß im Geschäfte, Ordnungsliebe

im Leben und in der Wirtschaft, das sind die hauptsächlichsten Anhalts­

punkte hierbei.

Viel kommt daher auf eine genaue Kenntnis der Ver­

hältnisse der Mitglieder an, was bei Wahl des Ausschusses zu berück­

sichtigen ist, weshalb in größern Orten eine Teilung nach

Bezirken,

behufs der Prüfung und Befürwortung der Vorschußgesuche, zweckmäßig erscheint, ohne dabei die einheitliche Oberleitung des ganzen aufzugeben.

Wie sorgfältig man aber auch hierbei verfahre, so steht eine so genaue Einsicht in die ökonomische Lage der Mitglieder, wie sie erforderlich ist,

um über Gewährung eines Vorschusses in jedem einzelnen Falle, ins­ besondere auch über die Angemessenheit der Summe desselben zu urteilen,

höchstens den nächsten Bekannten und Berufsgenossen zur Seite.

Um

abtzr deren Stimme hierüber zu hören und zugleich ihr Interesse an Abgabe derselben zu knüpfen, ist nichts so geeignet, als das Institut der

Bürgen.

Nichts garantiert dem Vereine ein richtiges Urteil über die

Zahlungsfähigkeit der Vorschußempfänger besser, durch nichts übt er eine solche Kontrolle über die in ihren Umständen etwa vorgehenden Ver-

Vorschußvereine als Volksbanken.

133

änderungen, welche ein strengeres und schleunigeres Einschreiten erfordern. Nie wird es einem ordentlichen, tüchtigen Handwerker und Arbeiter, der durch einen Vorschuß wirklich gefördert wird, bei dem wahrscheinliche Aussicht auf Wiederbezahlung vorhanden ist, an einem Bürgen unter

seinen Genossen fehlen, 'da ja die Aushilfe in dieser Beziehung eine gegen­ die Lage kommt, selbst

seitige ist, und der Bürge meist sehr bald in wieder des Bürgen zu bedürfen.

ist dies der sicherste Beweis, des Vorschußsuchers gebricht,

hältnisse zu

hoch ist, und

Sagen sich daher die Bürgen aus, so

daß es entweder an der nötigen Solidität

oder die verlangte Summe für seine Ver­ muß ihm daher für solche Fälle überlassen

bleiben, die Kasse durch ein Pfand sicher zu stellen, ein Weg der natürlich

Dabei können wir nicht umhin,

von Haus aus jedem offen gelassen ist.

einer Erfahrung zu erwähnen, die hier mehrfach gemacht wurde.

Nichts

hält man nämlich in unsrer Arbeiter- und Handwerkerklasse für schimpf­ licher, als einen Bürgen, einen nahen Freund und Genossen, für seine

'Dienstwilligkeit in Schaden zu bringen, und opfert lieber das letzte; eine Gesinnung, die sich, dem Vereine selbst, sowie einem Gläubiger aus den wohlhabenden Ständen gegenüber, nicht immer in demselben Grade be­ währt.

So kamen im verflossenen Jahre zwei Fälle in Delitzsch vor,

wo zwei Schuldner, von denen jeder 50 Tlr. erhalten hatte, in Konkurs

gerieten, und die Forderungen geradezu,

nach Lage der Masse, für ver­

loren geachtet werden mußten; allein in beiden Fällen traten die Ehe­ frauen der Schuldner ein, und deckten die Bürgen aus ihrem Eingebrachten, woran

sie,

den

andern

Gläubigern

gegenüber,

nicht im entserntesten

dachten.

Von mehreren Seiten ist in der Form

der von den Vorschuß­

empfängern einzugehenden Verpflichtung eine Garantie gesucht worden,

indem man die Ausstellung von Wechseln

seitens derselben erforderte.

Allein wenn man hierdurch auch eine raschere gerichtliche Prozedur gegen

die Schuldner erhält, so wird man doch leichtsinnige Borger, durch die Aussicht auf den unmittelbar drohenden Personalarrest, nur höchst selten

abschrecken, und ist das Vorschreiten zu diesem äußersten Exekutionsmittel auch ohne Wechsel,

nach dem Stande der heutigen Preußischen Gesetz­

gebung mindestens, durchaus nicht erschwert. Nur bei eigentlichem Handels­

verkehr, wo bei nicht pünktlicher Zahlung von Wechseln der ganze Kredit in der

kaufmännischen Welt auf dem Spiele steht, möchte deren An­

wendung von einigem Erfolg und anzuraten sein.

Bei dem Handwerker­

und Arbeiterstande, namentlich kleinerer Städte, verfehlen sie meist ihren Zweck, und führen obenein die Schwierigkeit herbei, Bürgen zu erlangen,

Schulze-Delitzsch.

134

insofern zu

diese

Eis leb en

wechselmäßige

die

in

einzutreten

mit

gegründeten

für gewöhnlich bloß

einfache

nur

vorigen

im

In

den

und

hat.

und verfuhr

angewendet,

Schuldscheine

nach

Jahre

ausnahmsweise,

gezeigt

bereits

Wechsel

Regel

der

dem

in

sich

Vereine

werden daher

hiesigen Vereinen

Verpflichtung

werden, wie

haben

man bisher, in Berücksichtigung aller erörterten Umstände, in der Art: daß bei

allen

5 Taler

übersteigenden Vorschüssen

stellung

durch

Pfänder

oder

Summen

dagegen

Doch

dies

ist

bedeutend

wenn

bloß,

jetzt,

Bürgen

da

der

es

sich das

zu heben beginnt, und

erfordert

Ausschuß

Guthaben bei

unbedingt Sicher­ bei kleinern

wurde, für

nötig befand.

der einzelnen Mitglieder

mehreren bereits 5 Tlr. über­

steigt, dahin geändert: daß jedem Mitgliede auf Höhe seines Guthabens in der Kasse uu-

bedingt, und sodann auch

Ausschüsse

bis auf 4 Taler darüber hinaus, tiom

besondere Sicherstellung kreditiert

ohne

werden kann,

wenn es derselbe sonst nicht für bedenklich hält. Bei

bedeutenderen

Summen,

etwa

von

50,

100—200 Talern,

forderte man häufig mehrere Bürgen, oft stellten die Vorschußsucher die ­

selben von freien Stücken, zur Erleichterung der zu übernehmenden Ge­ fahr, und richtete sich dies alles natürlich in jedem Falle nach den vor­

waltenden Vermögensnmständen der Schuldner selbst, sowie der Bürgen. Dabei lasse man

ja nicht außer acht, daß bei jeder Prolongation

eines Vorschusses stets die ausdrückliche schriftliche Erklärung des Bürgen erforderlich ist, daß er die Erteilung der

erbetenen Frist

genehmige,

widrigenfalls durch eine einseitig vom Verein erteilte Prolongation der

Bürge seiner Verpflichtung enthoben wird.

Noch ist zu bemerken, daß bei Vereinen, wo der Pfandverkehr häufig ist, die Einrichtung einer

besondern

Pfandkammer, eines zur Auf­

bewahrung der Pfänder geeigneten Lokals, zweckmäßig ist, ebenso wie die

Versicherung

der

deponierten Effekten

gegen Feuersgefahr,

wofür die

Deponenten eine kleine Gebühr billigerweise zu entrichten haben werden.

Beobachtet man die im Vorstehenden angegebenen Vorsichtsmaßregeln,

so wird man, mit wenigen Ausnahmen, Verluste durch Insolvenz der Schuldner abzuwenden vermögen.

Die bei unsern Vereinen gemachten

Erfahrungen bestätigen auch das zur Genüge. So sind in Delitzsch bisher

im ganzen, wie wir sahen, nicht mehr als zirka 10 Taler

verloren,

in Eilenburg noch weniger,

ein Betrag, der

Institute kaum in Betracht

kommt, und ihrein Bestände und Kredit

keinen Abbruch tut.

bei dem Verkehr beider

Denn das muß man hierbei festhalten, daß, trotz

Vorschußvereine als Volksbanken.

135

aller Sorgfalt, doch einmal ein solcher Ausfall, besonders bei kleinen,

ohne Deckung gegebenen Posten vorkommen kann, da, wenn man rück­

sichtlich der Anforderungen auf Sicherheit so weit gehn wollte, um jeder Möglichkeit eines Verlustes von vornherein vorzubeugen, man die Zwecke

des Vereins zum

großen Teil vereiteln würde.

Es

ist deshalb die

Bildung eines Reservefonds zum Behuf der Deckung solcher möglicher Ausfälle für die gesicherten Bestand solcher Vereine durchaus notwendig,

und wird über die dazu gehörigen Hilfsquellen im folgenden besonders gehandelt.

4. Verzinsung der Vorschüsse. Da die von den Vorschußempfängern

zu

zahlenden Zinsen die

Hauptrevenüen des Kassengeschäfts sind, dasjenige darstellen, was das­ selbe eigentlich abwirft, so liegt ihre Wichtigkeit für Bestand und Ge­

deihen

der Vorschußvereine klar vor Augen, und die Höhe des Fußes,

nach welchem

sie zu erheben sind, wird dem reiflichsten Ermessen zu

unterstellen sein. Zunächst wird man dabei in das Auge zu fassen haben, daß von diesen Zinsen alle durch das Vereinsgeschäft bedingten Ausgaben gedeckt

werden müssen, wenn man nicht deshalb das Stammkapital angreifen

und allmählich vernichten will.

Es kommen also hierbei zunächst in An­

schlag als Ausgaben, welche in keinem Falle erspart werden können und

also notwendig sind:

a) die vom Verein selbst für die zum Betriebs­

fonds aufgenommenen Darlehne zu

zahlenden

Zinsen,

b) die Ver­

waltungskosten, unter denen namentlich die Gehalte der Beamten eine bedeutende Stelle einnehmen.

Sodann muß aber auch noch auf folgende

Aufwendungen mindestens als zweckmäßig gerücksichtigt werden, welche

ebenfalls auf die Höhe der Vorschußzinsen von Einfluß sind, weil sie nur aus deren Überschuß über die davon zu bestreitenden notwendigen

Auslagen entnommen werden können, nämlich: c) Beiträge zum Reserve­

fonds

und d)

Dividende,

über

welche

beide

besonders

gehandelt

werden wird.

Wenn hiernach die Bedürfnisse des Vereins einerseits ein gewisses mindestes Maß von Zinsen vorschreiben, so fordert andrerseits das In­

teresse der Mitglieder, welche wir in dieser Beziehung zu gleicher Zeit als Vorschußempsänger aufzufassen haben, daß dieselben nicht überbürdet

und ein gewisses höchstes Maß nicht überschritten werde, wo eine vorteil­ hafte Beteiligung am Vereine für sie ein Ende hat.

Die Nachteile

einer solchen Zinsübersetzung würden ohnehin auf den Verein insofern

136

Schulze-Delitzsch.

zurückfallen, als dessen Verkehr dadurch geschwächt und sein Aufschwung gehindert wird. Um einen Anhalt für diesen so wichtigen Punkt zu erhalten, sehen wir zuförderst einmal zu, wie sich die Sache bisher für die Klassen,

deren Hilfe unsere Vorschußvereine zumeist bezwecken, beim gewöhnlichen

Verkehr in der Wirklichkeit gestaltete. Freilich haben wir Wuchergesetze, welche den Zinsfuß, mit Ausnahme von eigentlich kanfmännischeu Ge­ schäften, auf 5 Prozent für das Jahr beschränken.

Allein, wie wenig

diese im praktischen Verkehr durchgreifen, weiß ein jeder einigermaßen damit Vertraute.

Man gehe nur hin und frage unsere Handwerker und

die kleinen Gewerbetreibenden, was sie an Zinsen zahlen müssen, wenn sie einmal auf einige Zeit eine mäßige Summe in ihren: Geschäft gegen

Haben

bloße Handschrift leihen wollen.

sie nicht zufällig einen Ver­

wandten oder Freund, der ihnen aushelfen kann, — und dies wird immer

seltener, je allgemeiner die durch die Sparkassen gebotene Gelegenheit zur

zinsbaren Anlegung müßiger Geldbestände benutzt wird — so müssen sie Prozente zahlen, welche, wenn man sie auf das Jahr berechnet, enorm sind.

Kurz vor Errichtung des Delitzscher Vorschußvereins brauchte

ein hiesiger Handwerker, für den Augenblick zu

der

ein lebhaftes

Geschäft

hat,

50 Taler

notwendigen Einkäufen von Rohmaterial in der

Leipziger Ostermesse, nur auf einige Tage, da mehrere Rechnungen für

von ihm gelieferte Arbeiten nicht eingegangen waren, die Zahlung jedoch

sicher in kürzester Frist erwartet werden konnte. einen Taler Zinsen geben,

Er mußte pro Tag

was auf das Jahr 730 Prozent ausmacht!

Mag nun dies auch als ein Ausnahmefall dastehen, insbesondere die ein­ fallende Messe mit in Anschlag kommen, so gelten dagegen Sätze wie

1 Tlr. Zins für ein Darlehn von 20 Tlr. auf einen Monat für höchst

billig, was immer noch 60 Prozent auf ein Jahr austrägt.

In den

meisten Fällen gäben die Leute gern noch mehr, wenn sie überhaupt nur

Geld erhalten könnten, was aber, wie gesagt, ohne ausreichende Sicherheits­ bestellung, immer schwieriger wird.

Willig unterwirft man sich daher

dem Vorwegabziehn des Zinses und einer Menge anderer Maßregeln, welche von Seiten der Geldnegozianten zur Verdeckung des Wuchers und

Erhöhung ihres Gewinns angewendet werden, und hütet sich wohl, sich über die dadurch erlittenen Verluste zu beschweren, um sich nur das Wiederkommen bei ihnen zu sichern, weil man ja ohne ihre Vorschüsse

das Geschäft gar nicht betreiben kann. — Daß dies übrigens auf solche

Gewerbetreibende, welche sich einen Kredit beim Bankier eröffnet haben, nicht Anwendung findet, da diese zu 5—6 Prozent Zins und die ge-

Vorschußvereine als Volksbanken.

137

wöhnliche Provision von V6 bis */2 Prozent ihren Bedarf an Barschaft entnehmen, was übrigens bei Vorschüssen auf kurze Zeit auch schon 8 bis 12 Prozent ausmachen kann, bedarf wohl kaum einer Erwähnung. Auf

diese Klasse sind aber auch unsere Kreditinstitute nicht berechnet. Hiernach wird es nicht schwer fallen, die Interessen des Vereins mit denen der Vorschußempfänger hinsichtlich der Zinsen zu vereinigen, da

dieselben, auch wenn man sämtliche notwendige und zweckmäßige Verwendungen dabei in Anschlag bringt, doch noch immer weit billiger gestellt werden können, als sie den Schuldnern außerhalb des Vereins zu stehen kommen. So wurde in unsern Vereinen anfangs der Satz von 1 Preuß. Pfennig (= 1ili Neu- oder Silbergroschen) vom Taler auf die Woche festgehalten, was für das Jahr 141/3 Prozent beträgt. Als sich aber der Verkehr hob und größere Summen vorgestreckt werden konnten, auch das Guthaben der Mitglieder und mit ihm der unzinsbare Fonds wuchs, ging man zuerst in Delitzsch auf 3 Preuß. Pfennige vom Taler auf den Monat, d. i. 10 Prozent pro Jahr zurück, und behielt den frühern Satz von 1 Pfennig vom Taler auf die Woche nur für die Verzugszinsen und die auf Fristen unter 1 Monat gesuchten Vor schüsse bei, welche letzter« jetzt fast nie mehr Vorkommen. Der Eilen­ burger Verein traf hiernächst, da er noch auf höhere Beträge und längere Fristen kreditierte, die ebenfalls schon erwähnte Einrichtung, die Zinsen und die Beiträge zu den Verwaltungskosten zu trennen, so daß auf das Jahr zu zahlen waren: a) 5 Prozent Zinsen von jedem Vorschüsse, und außerdem

b) 3, 4 oder 5 Prozent Provision, je nachdem der Vorschuß nur bis 20 Tlr. betrug und in wöchentlichen Raten abgezahlt wurde (5 pCt.), oder je nachdem er, außer diesem Falle, unter (4 pCt.) oder über (3 pCt.) 3 Monate ausgeliehen war. Bei Ausleihung von Kapitalien auf Hypothek wird jedoch nur 1 Prozent Provision berechnet, obwohl diese Fälle bisher fast noch gar

nicht vorgekommen sind. Daß diese Sätze, welche sich innerhalb 8—141/3 pCt. auf das Jahr bewegen, int Vergleich mit dem, was die Mitglieder außerhalb des Ver­

eins opfern müssen, höchst mäßig sind, darüber höre man die Leute nur selbst. Auch beim höchsten Satze von 1 Pfennig vom Taler auf die Woche, beträgt der Zins von 20 Tlr. auf 4 Wochen nur 6 Sgr. 8 Pf., und bei dem Satze von 3 Pfennigen auf den Monat, welcher die Regel bildet, gar nur 5 Sgr. Nun frage man einmal den Handwerksmann,

Schulze-Delitzsch.

138

den Arbeiter, ob er diesen Betrag nicht gern und willig zahlt, gegen den für ihn nicht hoch genug zu veranschlagenden Vorteil, jeden Augenblick

eine für seinen

Geschäftsbetrieb nötige

Summe erhalten zu können?

Wie groß ist oft der Gewinn, den er sich dadurch zu rechter Zeit ver­ schaffen kann, und wie mußte er, ohne den Verein, stets in Sorgen sein,

ob er das Geld auch auftreiben werde! Man bedenke dabei nur, daß es sich nicht um stehende Darlehne auf lange Zeit, sondern immer nur um

kürzere Fristen handelt, und daß der durch den Vorschuß zu erreichende Vorteil,

bei dem im Kleingewerbe bedingten raschen Umsatz, ebenfalls

nie lange auf sich warten läßt. Daß nun mit diesem Satze allen Anforderungen an den Verein zur

Genüge entsprochen werden kann, läßt sich leicht übersehn.

Selbst wenn

wir 5 Prozent als die vom Vereine durchweg zu zahlenden Zinsen und 3 Prozent für die Verwaltungskosten setzen, was nach den früher mit­

geteilten Rechnungen sehr reichlich ist, so bleibt uns, bei 10 Prozent durch­ schnittlicher Einnahme aus den Kassenprozenten der Vorschußempfänger, immer noch ein beträchtlicher Überschuß für die Dividende, wovon selbst nock etwas dem Reservefonds zugeschlagen werden kann.

Unstreitig

lassen sich diese Prozente der Vorschußempfänger ganz füglich auf 7—8 auf das Jahr herabsetzen, ohne dem eigentlichen Vereinsbedürfnis Abbruch

zu tun, indem nur die Höhe der Dividende davon affiziert wird.

Um

sich daher für einen niedrigern oder höhern Satz zu entscheiden, muß

man sich vorher darüber klar werden, welche von den im ersten Kapitel

an den beiden Vereinen in Eilenburg und Delitzsch gezeigten Richtungen man einschlagen will.

Ist es auf ein weit ausgebreitetes eigentliches

Bankgeschäft abgesehen, welches den ganzen bürgerlichen Verkehr umfaßt, dann wird der niedrigere Zinssatz der höhern Dividende vorzuziehen sein.

Will man umgekehrt mehr dem Kleingewerbe aufhelfen, wobei die Kapital­

bildung für die Mitglieder durch ihre Beisteuern ein Hauptmittel ist, so erscheint 1—2 Prozent mehr an Zinsen, da die Vorschüsse weder so hoch sind, wie im erstem Falle, noch so lange ausstehn, weniger lästig, der

Reiz einer ansehnlichen Dividende aber, wie wir sahen, so wirksam, daß man sich lieber für einen Satz von 10—12 Prozent entscheiden, und

denselben erst, wenn der unverzinsbare Fonds eine bedeutende Höhe er­ reicht hat, in etwas mindern mag.

Es ist hierbei für unsern Zweck

durchaus falsch, zu sagen, daß die höhere Dividende durch die höheren Zinsen ausgewogen würde, und die Mitglieder daher mit der einen Hand

empfingen, was sie mit der andern gäben.

Das Mehr an Zinsen, was

ihnen in Form der Dividende wieder zu gut geht, ist eine Spar-

Einlage, die sie in die Bereinskasse machen, zu der es sonst in den meisten Fällen schwerlich kommen würde, und sodann ist es eben vor allem eine beträchtliche Dividende, welche sie überhaupt zu Entrichtung möglichst hoher Monatssteuern bewegt, also auch in dieser Beziehung das Sparen fördert. Noch sind einige Vorteile zu erwähnen, welche man der Kasse hierbei sichern kann. Der erste ist die Entrichtung des Zinses im voraus gleich bei Erhebung des Vorschusses. Dieselbe hat das Gute, daß die Vorschußempfänger, welche den geringen Abzug beim Empfange des Geldes kaum bemerken, später, wo sie die Mittel zur Zahlung oft sehr allmählich aufbringen müssen, bloß noch die Kapitalsumme im Auge zu haben brauchen. Auch schafft sie der Kasse durch den frühern und sichern Eingang der Gelder einen nicht unbedeutenden Gewinn im ganzen, der, aus die einzelnen verteilt, die ihn zu übertragen haben, saunt in An­ schlag kommen sann, und kommt selbst in der Wirkung einer geringen Erhöhung des Zinsfußes gleich, ohne das Abschreckende einer solchen zu haben. Der zweite Vorteil ist die Erhöhung der Verzugszinsen. Die Pünktlichkeit bei Rückzahlung der Vorschüsse auf jede Weise zu fördern, liegt sowohl int Interesse des Vereins und einer geordneten Verwaltung, tuie in dem der Mitglieder selbst, und als eines der wirt samsten Mittel hat sich hier die Erhöhung der Zinsen vom Tage der Säumigkeit an gezeigt, als eine Art Konventionalstrafe, welche erfahrungsntäßig die Schuldner oft wirksamer als die Klagandrohung zur Inne­ haltung der Zahlungstermine bewogen hat. Auch ist diese Erhöhung nur billig, da mit dem Ausbleiben von solchen Zahlungen die Kasse oft zur Aufnahme von Darlehnen genötigt werden kann, die sonst ganz zu ver­ meiden oder unter bessern Bedingungen zu negoziieren waren. Dagegen erscheint wieder in einem andern Falle eine Herabsetzung der Zinsen im Interesse der Sache geboten, bann nämlich, wann ein Bürge eintritt um die Schuld eines zahlungsunfähigen Empfängers zu decken. Schon mehrfach ist auf die Wichtigkeit der Bürgen für unsere Vereine aufmerksam gemacht und die Pflicht daraus hergeleitet, alles zu deren Erleichterung dienende anzuwenden. Erreicht man von ihnen die völlige Schadloshaltttng, so ist der Zweck erfüllt; einen Gewinn ans ihren Leistungen für die Kasse machen zu wollen, rechtfertigt sich auf keine Weise. Sobald daher der Bürge eine Schuld zahlt, werden ihm sämt­ liche rückständige Zinsen des ursprünglichen Schuldners nur zu 5 Prozent auf das Jahr im ganzen berechnet, und dasselbe geschieht auch fortlaufend, wenn er die Deckung etwa dadurch bewirkt, daß er dem Vereine selbst über den Betrag der Post einen Schuldschein ausstellt, worin er sich zur

Schulze-Delitzsch.

140

Abzahlung nach einer bestimmten Frist ganz oder in Raten verpflichtet. Durch diese 5 Prozent ist der Verein, wegen der von ihm selbst zu

zahlenden Zinsen gedeckt, und mehr verlangt er vom Bürgen nicht, der

ohnehin schon, da ihn ja auch die zur Einklagung verwendeten Prozeß­ kosten treffen, genug zu leisten hat.

Schließlich ist noch ein bei Ordnung des Zinspunktes in der vor­

geschlagenen Weise von manchen Seiten angeregtes Bedenken kurz zu be­

richtigen:

daß nämlich durch die

das gesetzliche Maß überschreitenden

Sätze ein strafbarer Zinswucher verübt werde.

Allein hierzu fehlt es

an den erforderlichen Voraussetzungen gänzlich. Nur Mitglieder eines

geschlossenen Vereins zahlen diese Zinsen, nach gegenseitigem im Statut getroffenem Übereinkommen in eine gemeinschaftliche Kasse, indem sie

dadurch

zugleich

die nötigen Verwaltungskosten

mit aufbringen.

fehlt also zunächst an der Person des Gläubigers,

Wucher ausgeht.

von

Es

welchem der

Der ganze Verein, einschließlich der Vorschußempfänger,

welche als Schuldner die Zinsen zahlen, empfängt dieselben und streckt das Darlehn vor, und was, nach Deckung aller notwendigen Ausgaben der gemeinschaftlichen Kasse, von diesen Zinsen übrig bleibt, erhalten die

Mitglieder, also die Schuldner selbst wieder in der Form der Dividende zurück.

5. Dividende und Guthaben. Das Guthaben der einzelnen Mitglieder, der Anteil derselben an der Vereinskasse, wird gebildet durch ihre monatlichen Beisteuern und die

auf sie fallende Dividende vom Reingewinn des Vorschußgeschäfts, welche ihnen nicht bar herausgezahlt sondern, wie jene Beiträge, gut geschrieben

wird.

Das Guthaben

bildet

sonach einen Teil des Betriebsfonds,

und wird im Geschäft gewagt, indem es vor den Forderungen der Vereins­ gläubiger zurücktreten muß, wenn bei erlittenen Verlusten die Schulden

des Vereins dessen Außenstände und Barschaft übersteigen.

Beziehung hat es daher den Charakter von Aktien,

In dieser

und es erscheint,

sowohl um den Kredit des Vereins zu heben, wie um die solidarische Verantwortlichkeit der Mitglieder für die Vereinsschulden zu vermindern, zweckmäßig, die Bestimmung zu treffen:

a) daß

erst nach

Erschöpfung

des

sämtlichen Guthabens aller

Mitglieder die Verpflichtung derselben, aus ihrem sonstigen Ver­ mögen für die Vereinsschulden aufzukommen, eintrete; b) daß kein Mitglied wegen eines etwaigen höheren Guthabens,

welches er bei einer solchen Gelegenheit geopfert, an die übrigen Ansprüche machen könne.

141

Vorschußvereine als Volksbanken.

Wenn sonach die einzelnen Mitglieder mit ihrem Guthaben vorzugs­ weise die Gefahren des Kassengeschäfts tragen, so wird auch bei Ver­ teilung von dessen Gewinn auf dasselbe Rücksicht zu nehmen sein, und

hier kommen wir auf die Dividende. Wie wir sahen, bestand dieser Reingewinn in dem Überschuß der von den Vorschußempfängern zu zahlenden Kassenprozente über die laufenden Geschäftsausgaben, und es ist nicht mehr als billig, daß er unter die einzelnen Mitglieder, je nach

Höhe ihres Guthabens verteilt werde.

läßt sich nur

unter alle verteilen,

Ihn gleichmäßig nach Köpfen

da rechtfertigen, wo gleichmäßige,

fixierte Monatsbeiträge eingeführt sind, wie dies früher in Eilenburg der

Fall war.

Auch würde man durch eine solche gleichmäßige Verteilung

einen Hauptzweck der Dividende verfehlen, über den schon früher ge-

svrochen ist, nämlich

natürlich

den Anreiz zur Verstärkung der Beisteuern, der

nur vorhanden ist, wenn

zur Folge haben.

höhere Beisteuern höhern Gewinn

Wie außerordentlich heilsam für die Bildung von

Sparkapitalien dieser Anreiz wirkt, ergibt der Bericht über den Delitzscher

Verein zur Genüge. Über den Zeitpunkt,

von welchem

ab

das Guthaben bei der

Dividende in Ansatz kommt, ist jedoch einiges zu bemerken. Da näm­ lich dasselbe durch die Monatssteuern allmählich anwächst, so kommt in

Frage:

ob

und

inwieweit

die

in

dem Jahre,

um dessen Gewinn­

überschüsse es sich handelt, eingesteuerten Beiträge mit in Ansatz kommen,

ob

also z. B. bei Verteilung der Dividende pro

1854 die im Laufe

1854 eingelegten Monatssteuern dem Guthaben schon mit zugerechnet

werden, oder nicht. Im Delitzscher Statut ist diese Frage verneint, im Eilenburger

bejaht, doch dürfte für die erste Alternative die Natur der Sache sprechen. Da nämlich die Dividende für das Guthaben die Stelle der Zinsen

vertritt, so ergibt sich der Satz von selbst, daß sie eben nur für den Zeitraum zu gewähren ist, innerhalb dessen die Kasse den Betrag des

Guthabens nutzte.

Wollte man hier nun ganz streng zu Werke gehn,

so müßte man eigentlich am Ende jeden Monats Rechnung legen

nnd

den auf den Monat fallenden Geschäftsgewinn ermitteln und verteilen, weil allmonatlich die Zuzahlungen auf das Guthaben geschehen, dasselbe also irit jedem Monat sich verändert und wächst. Da dies aber mit zu vielen

Schwierigkeiten

und

Kosten

verknüpft

sein

würde,

und

das

Rechnrngswerk nur alljährlich abgeschlossen wird, so kann nur das zu

Anfang des Jahres bereits in der Kasse stehende Guthaben, nicht das

hn Laufe desselben erst allmählich dazu Gesteuerte,

bei Verteilung des

Schulze-Delitzsch.

142

Jahresgewinns in Ansatz kommen, eben weil das Letztere nicht das ganze

Jahr über von der Kasse genutzt ist. Was z. B. erst im November oder

Dezember eingesteuert ist,

frühern Monate

doch unmöglich an dem Gewinn der

kann

einen Anteil

beanspruchen, und da eben nur der Ge­

winn des ganzen Jahres ungetrennt zur Verrechnung kommt, so geht daraus hervor: daß nur das am Schlüsse des Vorjahres in der Kasse

bereits vorhandene Guthaben der einzelnen die Teilungsnorm für die Gewinnüberschüsse des darauf folgenden Jahres abgeben kann, da nur

dieses das ganze Jahr über genutzt ist.

Eine andere zur Vereinfachung der Dividenden-Rechnung zweck­ mäßige Bestimmung ist die, daß nur die im Guthaben enthaltenen

vollen Taler als Einheiten bei Verteilung des Gewinnes berücksichtigt

werden, nicht die überschießenden Groschen und Pfennige.

Doch ist bis­

her beim Delitzscher Verein stets durch Gesellschaftsbeschluß bei Gelegen­

heit der Rechnungslegung im Januar nachgelassen worden, das bei dem Guthaben jedes einzelnen am Jahresschlüsse fehlende, während des Januars

zu vollen Talern

abzurunden,

mit

derselben Wirkung, als wäre der

Nachschuß im

verflossenen Jahre

eingezahlt,

Dividende des

laufenden

teil

Jahres

hat.

so

daß er also an der

Hatte z. B. jemand bis

Ende 1854 4 Tlr. 18 Sgr. durch Einsteuern und frühere Dividenden gut, so durfte er die fehlenden 12 Sgr. zur Abrundung im Januar 1855 noch einzahlen und wurden sie seinem Guthaben am Schlüsse 1854 noch zugeschrieben,

nach vollen

so daß er nun bei Verteilung des Gewinns pro

5 Tlrn. in Ansatz kommt.

1855

Die regelmäßig fortlaufenden

Monatssteuern pro 1855 treten dagegen erst Ende 1855 seinem Gut­ haben zu und werden erst bei der Dividende von 1856 mit berücksichtigt. Nach alledem wird nun die Beschränkung des Guthabens auf einen

höchsten Satz, auf welche wir schon früher, bei Besprechung der Monats­

beiträge

hindeuteten,

verständlich werden.

Bei dem Ansammeln des

Guthabens kann dem Vereine nicht wohl ein weiteres Endziel vor­ schweben, als den ganzen zu seinem Geschäftsbetriebe notwendigen Fonds

allmählich durch diese Sparkapitalien der Mitglieder darzustellen.

Schon

dies allein bedingt aber eine Grenze dieses Sparens, indem man nicht mehr an Geldern annehmen wird, als im Kassengeschäft überhaupt ge­

braucht, angelegt werden können.

Andernfalls würde man ja ein totes

Kapital häufen, und durch solche müßige Bestände den Geschäftsertrag unnützer Weise herunterbringen.

Wie aber diese Grenze des Sparens

im ganzen in der Natur der Sache liegt, so wird man auch dem Gut­ haben der einzelnen ein gewisses Ziel setzen müssen, will man nicht ein

Vorschußvereme als Volksbanken.

Mitglied vor dem andern begünstigen.

143

Tut man dies nicht, so wird

es den Wohlhabenderen möglich, durch höhere Beisteuern ihr Guthaben so hoch zu bringen, daß die Kasse bald außer Stand kommt, weitere Ein­ lagen anzunehmen, und die Unbemittelten weit hinter ihnen zurückbleiben.

Da sich aber die Dividende nach der Höhe des Guthabens richtet, so

würden

die

Letzteren

auf diese Weise

benachteiligt.

entschieden

Die

zweckmäßigste Art, diesem Nachteile vorzubeugen, ohne doch das rasche

Anwachsen des Guthabens durch Fixierung der Beiträge zu hemmen, ist daher: daß man nach den gemachten Erfahrungen die Höhe des erforder­ lichen Betriebsfonds im Verhältnis zur Mitgliederzahl veranschlagt, und

dann den Anteil eines jeden Mitgliedes berechnet, welchen es aufbringen

müßte, wenn dieser Fonds ganz durch die Mitglieder hcrgestellt werden

Dieser Betrag, der den Vollanteil eines Mitgliedes am Betriebs­

sollte.

fonds bei gleicher Verteilung ausmachen würde, bildet nun die natürliche

Grenze, über welche hinaus das Guthaben der einzelnen nicht anwachsen

darf,

gleichsam die Normalaktie, mit welcher sich jeder beim Geschäft

beteiligen kann.

Wenn es daher den Wohlhabenden, int wohlverstandenen

Interesse des Vereins, auch nachgelassen ist, diesen Anteil durch höhere

Monatssteuern, oder selbst durch sofortige Vollzahlung früher sich zu

sichern,

so

schmälern

weniger Bemittelten,

sie

dadurch

doch

nicht

das

gleiche

Recht

der

welche vielmehr für sich ganz freien Spielrauni

behalten, dasselbe Ziel, wenn auch später und mehr allmählich zu er­

reichen, und nicht etwa den Platz von den früher Angekommenen schon besetzt finden. So ist denn durch diesen für das Guthaben der Einzelnen

festgesetzten Höchstbetrag jeder desfallsigen Befürchtung vorgebeugt, und

die Beschränkung der Monatssteuern im einzelnen, welche manche Miß­ stände herbeiführt,

unnötig

geworden, da,

sobald jene Normalsumme

erreicht ist, weitere Steuern auf das Guthaben nicht mehr angenommen, auch die ferner darauf fallende Dividende bar herausgezahlt wird. In Erwägung aller dieser Umstände hat man für den Delitzscher

Verein das Guthaben für jeden einzelnen bis auf 16 Taler fixiert.

Nach den gemachten Erfahrungen bedurfte man zu einem Umsatz von 12—15,000 Taler jährlich, wie er bei einer Mitgliederzahl von zirka

210—220 hier stattfindet, einen stehenden Betriebsfonds von 3500 bis 4000 Talern, welche Summe, wenn sämtliche Mitglieder obige Voll­

anteile eingeworfen hätten,

unter Hinzurechnung

des Reservefonds

ungefähr herauskommen würde.

Auf diese Weise kommen wir am Ende mit unsern Vorschußvereinen

gewissermaßen in die Lage von Aktiengesellschaften, die korporativen

Schulze-Delitzsch.

144

Privilegien der letztern abgerechnet.

Ein bestimmter Fonds zu einem be­

stimmten geschäftlichen Zweck durch Einlagen der Mitglieder von gewisser

Höhe aufgebracht — nur daß die letzteren in der Mehrzahl nicht die Mittel besitzen, die Aktien gleich bar einzuzahlen, daß ihnen vielmehr

dieselben durch allmähliche kleine Beisteuern und Anteile am Geschäfts­ gewinn erst, während des Bestehens des Bereins, gebildet werden müssen.

Eine

Aufgabe,

die, wenn

sie

einerseits

schwieriger

erscheint,

als

die

Organisation von Gesellschaften, deren Mitglieder im Besitze der vollen Geldmittel sind, doch gewiß die Aufmerksamkeit und das tätige Eingreifen

jedes Menschenfreundes verdient.

6. Reservefonds, Eintrittsgeld und Zahresbeiträge. Wenn, nach vorstehendem, das in der Vereinskasse stehende, einen Teil des Betriebsfonds bildende Guthaben der Mitglieder den Vereins­

gläubigern für ihre Forderungen mit haftet, so vertritt es diesen gegen­ über eigentlich schon die Stelle des Reservefonds, und würde eine

besondere Ansammlung in der Kasse zu dem Zwecke der Sicherheit der Gläubiger nicht weiter erforderlich sein.

Dagegen erscheint die Aus­

scheidung eines besondern Fonds als Reserve, den Mitgliedern mit ihrem

Guthaben selbst gegenüber höchst zweckmäßig. Im Falle nämlich, worauf man stets gefaßt sein muß, die Kasse durch Zahlungsunfähigkeit einzelner Vorschußempfänger Ausfälle erleidet, würden diese zunächst von den Zins­ überschüssen gedeckt werden müssen, wodurch die Dividende des betreffenden

Jahres entweder ganz ausfällt oder mindestens geschmälert wird.

Dabei

ist selbst die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß man, bei beträchtlichen

Verlusten, mit diesen Zinsüberschüssen gar nicht einmal auskommt, sondern das

Guthaben der Mitglieder selbst angreifen

und

reduzieren

muß,

welches diese einmal als ihr Eigentum anzusehen sich gewöhnt haben. Die Deckung auf die Überschüsse späterer Jahre anweise», ist nicht wohl

tunlich, da in jedem Jahre Mitglieder ausscheiden und

eintreten, die

man auf solche Weise, ohne zureichenden Grund, entweder oder benachteiligen würde.

begünstigen

Nun ist aber leicht zu ermessen, wie hinderlich

und lähmend auf die Beteiligung am Vereine dergleichen Ausfälle der Dividende, oder gar Reduktionen des

welches,

Guthabens wirken

müssen,

wenn die Mitglieder es nicht mehr als etwas festes und ihnen

sicher verbleibendes betrachten können, allen Reiz zum beisteuern für sie

verliert.

Nach alledem erscheint es also geraten, allmählich mittelst ge­

wisser Revenüen einen besondern Fonds aufzusammeln, der, zunächst zur Deckung

solcher Ausfälle bestiinmt,

zugleich

das

der Gesamtheit des

Vorschußvereine als Volksbanken.

Vereins

gehörige, das

Gegensatz zu dem Mitglieder.

eigentliche

145

Gesellschaftsvermögen bildet, in

als den Kassenanteilen der einzelnen

Guthaben,

Auch abgesehen von dem eben erwähnten Hauptzweck, ge­

winnt man durch Fundation einer solchen

der Verfügung der einzelnen

Mitglieder entzogenen Kapitalsumme für den Fortbestand wie den Auf­ schwung

des Vereines erst

eine

sichere Garantie,

der alsdann

flaue

Perioden, welche ihm möglicher Weise einen großen Teil seiner Mitglieder entziehen, leichter zu überdauern vermag.

Unter den, dem Reservefonds zu überweisenden Einnahmen kommt vor allem das Eintrittsgeld neuer Mitglieder in Betracht.

Sobald

nämlich mit der begonnenen Bildung dieses Fonds ein Gesamteigentum des Vereins vorhanden ist, in welches die neuaufgenommenen Mitglieder mit eintreten, erscheint es durchaus gerechtfertigt, von ihnen, nach Ver­ hältnis

des ungefähren Anteils an diesem Stammkapital, welchen sie

bei Auflösung des Vereins davon erhalten würden, ein Eintritts- oder

Einkaufsgeld zu erheben.

Natürlich fällt

dies weg, so lange eine

Reserve überhaupt nicht vorhanden ist, weshalb die Stiftungsmitglieder der Regel nach davon frei sein werden, wenn sie nicht etwa selbst der

rascheren Bildung des für das Institut so nützliche» Fonds halber sich

dazu entschließen.

Aus demselben Grunde wird man auch keinen festen

Satz durchzllführen haben, vielmehr, je nach Höhe und Wachstum des

Fonds, von niedrigern Sätzen allmählich zu höheren fortschreiten müssen, wobei jedoch stets im eigenen Interesse des Vereins als Grenze zu wahren bleibt, daß man nie bis zu solchen Beträgen sich versteigt, welche die

weniger Bemittelten ganz vom Beitritt abschrecken.

In mehrfacher Hin­

sicht empfiehlt sich daher hierbei die Stundung eines Teiles des Ein­

trittsgeldes auf geraume Termine hinaus, wie sie im Delitzscher Verein in

der

Form der

sogenannten Jahresbeiträge stattfindet,

von denen jedes Mitglied vier, alljährlich mit 2x/2 Sgr., zu entrichten hat, was zusammen 10 Sgr. ausmacht.

Nicht nur, daß diese Terminal-

Zahlungen den Unbemittelten leichter fallen, haben sie auch noch das Gute: daß diejenigen, welche wegen besonderer Umstände, z. B. einer Ver­ änderung des Wohnorts oder gar durch den Tod, aus dem Vereine bald

wieder ausscheiden,

und

daher der Vorteile desselben nur

kurze Zeit

genießen, durch Aufopferung des ganzen Eintrittsgeldes doch keinen so beträchtlichen Verlust erleiden, da mit dem Ausscheiden wenigstens die

Verpflichtung zur Entrichtung der ferneren Jahresbeiträge aufhört.

Unter Berücksichtigung alles dessen haben sich im Delitzscher Ver­

ein

die

Stiftungsmitglieder, welche vom eigentlichen Eintrittsgelde

Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

I.

10

146

Schulze-Delitzsch.

frei waren, um das raschere Anwachsen des Reservefonds zu fördern,

zur Zahlung der vier Jahresbeiträge ä 2% Sgr. verpflichtet. Außerdem wurden aber für die ferner Eintretenden an eigentlichem sofort bei der

Aufnahme zu zahlenden Eintrittsgelde festgesetzt: 2*/.2 Sgr. für den Eintritt vom Jahre 1852 ab,

5



1853 „

10



1854 „



1855 „

15

so daß also gegenwärtig 15 Sgr. sofort und

10 Sgr. in vier Jahres­

beiträgen, zusammen also 25 Sgr. für die Aufnahme zu entrichten sind, was

mit Rücksicht

darauf, daß der Reservefonds Anfang 1855

über

235 Tlr. die Mitgliederzahl aber zirka 210 betrug, nach obigem an­

gemessen erschien.

Doch lag es nicht in Absicht, diesen Satz, selbst bei

weiterm Anwachsen des Fonds, zu erhöhen, da er eben schon das Mög­

liche enthält, was von unsern Handwerkern und Arbeitern, namentlich bei jetzigen Zeitverhältnissen gefordert werden kann.

Beim Eilenburger

Verein sind die Jahresbeiträge bisher nicht eingeführt und

das Ein­

trittsgeld überhaupt, unter Berücksichtigung des geringeren Betrags des

Reservefonds und der größern Mitgliederzahl, weit niedriger, gegen­ wärtig auf 5 Sgr. normiert.

Daß übrigens die Rückerstattung dieser

Eintrittsgelder und Jahresbeiträge aus der Kasse niemals gefordert werden kann, versteht sich von selbst, indem der Reservefonds, in den sie fließen, als Gesellschaftsvermögen, statutenmäßig nur bei Auf­

lösung des Vereins unter die alsdann vorhandenen Mitglieder geteilt wird.

Soll indessen der Reservefonds die angemessene Höhe erreichen, und darauf erhalten werden, so wird man sich entschließen müssen, noch einige

Prozent vom Reingewinn des Kassengeschäfts, je nach Bedürfnis ein­

zuwerfen.

Ganz besonders ist dies im Anfänge rötlich, um recht bald

ein kleines Stammkapital zu erhalten, und hier wird es namentlich der

Zinsüberschuß des ersten Jahres sein, welchen man ganz dahin überweisen kann, da ohnehin die Mitglieder eine Dividende davon nicht zu be­

anspruchen haben, sobald man die für deren Verteilung oben aufgestellten

Grundsätze annimmt, nach welchen erst seit Ende des ersten Jahres ihr Guthaben seinen Anfang nimmt. Was die Höhe des Reservefonds anlangt, so muß sich dieselbe

natürlich nach dem Umfange des Kassengeschäfts richten und wird daher am füglichsten mit dem Betriebskapital in Verhältnis zu setzen sein. Die

Annahme von 5 bis höchstens 10 Prozent des Betriebskapitals dürfte vollkommen

genügen.

Eine höhere Ansammlung, als der Zweck not-

Vorschußvereine als Volksbanken. wendig erheischt,

147

liegt insofern nicht im Interesse des Vereins, als die

ohne Not dem Genuß der Mitglieder entzogen

dahin fließenden Gelder

werden, und dies auf Verminderung der Dividende zurückwirkt. Andrer­ seits wird aber auch der einmal bestimmte Satz, wenn er durch ein­

getretene Verluste unter seinen Betrag herabgesunken ist, vor allem durch anteilige Prozente

am Reingewinn wieder

auf seine Normalhöhe zu

bringen sein, ehe die sämtlichen Zinsüberschüsse den Mitgliedern wiederum überlassen werden können.

Von

diesen

Grundsätzen

geleitet,

ist

der

Reservefonds

beim

Delitzscher Verein, bei einem ohngefähren Betriebskapital von 3500

bis 4000 Tlr., auf mindestens 200 Taler normiert, eine Summe, die gegenwärtig, wie wir sahen, bereits überschritten wird, weshalb von nun

an keine Prozente vom Reingewinn des Geschäfts mehr dazu geschlagen

werden, wenn er nicht einmal durch unvorhergesehene Verluste unter jenen Betrag wieder heruntersinken sollte.

7. Ordnung und Berwaltnng der Vereinsangelegenheiten. Generalversammlungen. Vorstand und Ausschuß. Das dem ganzen Verein zu Grund gelegte Prinzip der Selbst­

hilfe bedingt die möglichst tätige Beteiligung der Mitglieder bei Ordnung und

Verwaltung

der

Bestimmungen über zu

Abänderung, über

Vereinsangelegenheiten.

Deswegen stehen

treffende Einrichtungen im Verein

alle

oder deren

einzugehende Verpflichtungen, sowie die Wahlen der

Vereinsbeamten, mit einem Worte die beschließende Gewalt, in der Regel der Generalversammlung zu, zu welcher alle Mitglieder, unter

Bekanntmachung mit den Gegenständen der

jedesmaligen Verhandlung

(der Tagesordnung), gehörig eingeladen werden müssen.

Und wenn die

Ausführung des Beschlossenen, die eigentliche Exekutive, besondern

Beamten anvertraut werden muß, so wird sich die Gesamtheit der Mit­

glieder doch ferner auch die Oberaufsicht hierbei, die stetige Kontrolle

vorbehalten müssen, so daß z. B. Beschwerden über die Geschäftsführung der Beamten und alles derartige der Entscheidung der Generalver­ sammlung als der obern Instanz ebenfalls unterliegen.

Es ist daher

zweckmäßig, diese Versammlungen regelmäßig in gewissen Zwischenräumen stattflnden zu lassen, auch wenn gerade nicht immer besonderes Material

vorliegt, da man sie mindestens zu einer Darlegung des Standes der Vereinsangelegenheiten wird benutzen können, von denen die Mitglieder

stets in Kenntnis zu halten, den Vereinszwecken höchlichst förderlich ist.

Daß natürlich auch außerdem, sobald eine hinreichende Veranlassung dazu 10*

Schulze-Delitzsch.

148

vorhanden ist, dergleichen Versammlungen anberaumt werden können und

oft sogar müssen, versteht sich von selbst, und es ist zu empfehlen, auch

aus den Antrag einer Anzahl von Mitgliedern in dieser Hinsicht vor­ zugehn, wenn schon in der Regel dem Vorstande die dessallsigen An­ ordnungen zu überlassen sind.

Von den nach diesen Grundsätzen der Entscheidung der General­ versammlung unterliegenden Angelegenheiten müssen jedoch einige, aus

Gründen der Zweckmäßigkeit, jedenfalls ausgenommen und den Beamten oder Ausschüssen übertragen werden.

Hierher gehören insbesondere:

1) die Aufnahme von Darlehnen oder Einlagen für die Vereinskasse, 2) die Bewilligung von Vorschüssen an die Mitglieder,

3) die Aufnahme neuer Mitglieder. Zunächst würde man, um die Erledigung aller dieser Angelegenheiten herbeizuführen, welche in der Regel nicht lange Anstand haben kann, fast

täglich

Generalversammlungen halten

raubend

und

lästig

für die Mitglieder

müssen,

sein

was überaus zeit­

würde.

Sodann

wäre

aber auch die Verhandlung solcher den Kredit des Vereins wie der Einzelnen berührenden Angelegenheiten, in so großer Öffentlichkeit nicht

einmal zuträglich, und in vielen Fällen den Wünschen und Interessen

Wenn man daher den Vereinsbeamten nur

der Beteiligten zuwider.

die in dieser Hinsicht zu stellenden Bedingungen und Erfordernisse ent­ weder im Statut oder durch besondere Gesellschaftsbeschlüsse im allgemeinen

vorzeichnet, und deren Beobachtung überwacht, so ist das Vereinsinteresse

hinlänglich dabei gewahrt.

Was namentlich die znm Betriebsfonds auf­

zunehmenden Darlehne und Einlagen betrifft, so erscheint es hinreichend,

wenn in den Generalversammlungen, auf gehaltenen Vortrag über

den Stand der Geschäfte und den Umfang des Bedürfnisses, dem Vor-

stande eine Summe gestattet wird, bis zu welcher er den Fonds durch

fremde Kapitalien verstärken kann, da ohnehin die Mitglieder durch ihre den

Vereinsgläubigern auszustellenden

Unterschrift

unter die

scheine, im

allgemeinen Kenntnis

erhalten.

von den

Schuld­

dessallsigen Negoziationen

Ja, sobald der Verein nach einiger Zeit des Bestehens sich

erst das Vertrauen des Publikums erworben hat, wird man selbst von dieser Unterschrift der Schuldscheine seitens der Mitglieder in den meisten

Fällen absehn können; denn wollte man dieselbe

bei jeder kleinen Ein­

lage von einem und einigen Talern, oder auch bei Darlehnen, deren man nur auf Wochen und Monate bedarf, einholen, so entständen dadurch nicht nur viele unnütze Weiterungen, sondern in manchen Fällen hätte

der Schuldschein den Umlauf unter sämtlichen Mitgliedern, behufs der

Vorschußvereine als Volksbanken.

149

Unterschrift, vielleicht noch gar nicht vollendet, während die Rückzahlung

des Kapitals bereits erfolgt wäre.

Es ist daher jedenfalls nützlich, den

Vorstand oder Ausschuß womöglich gleich im Statut zu ermächtigen, bei kleineren Einlagen bis zu einem gewissen Betrage, und selbst bei größeren

Darlehnen

auf

sämtlicher Vereinsglieder

kürzere Frist die Schuldscheine im

Namen

mit der Wirkung zu vollziehen, daß letztere

dadurch ebenso verpflichtet werden, als ob sie eigenhändig unterzeichnet

hätten. Im Delitzscher Verein hat der Vorstand und Ausschuß diese Er­ mächtigung bei allen Beträgen bis zu 50 Talern und selbst bei größer»,

wenn sie aus nicht länger als 3 Monate ausgenommen werden.

Von verwaltenden Beamten sind unbedingt notwendig: a) ein

Vorsitzender oder Direktor, welchem die Leitung der

Geschäfte wie der Versammlungen obliegt, b) ein Kassierer und Buchführer, der die Kassenangelegenheiten besorgt. Außerdem wird es aber, besonders wegen der von der Generalver­ sammlung zu verweisenden Geschäfte, dringend geboten erscheinen, noch

c) einen weitern oder engern Ausschuß jenen beiden Beamten mit beschließender oder doch mindestens beratender Stimme an die

Seite zu setzen, teils um ihre Verantwortlichkeit zu vermindern, teils um sie genauer zu kontrollieren. Hierbei sind von deck Vereinen in Eilenburg und Delitzsch wiederum,

je ihrer Hauptrichtung gemäß, verschiedene Wege eingeschlagen worden. In Eilenburg sind, der alleinigen Entscheidung des Direktors die meisten

dieser Angelegenheiten,

z. B. Bewilligung der Vorschußgesuche bis zu

100 Tlr. anheim gegeben, indem er den Ausschuß — das Kuratorium, von 12 resp. 6 Personen — nur bei höhern Summen mit beschließender

Stimme, zuzuziehen braucht.

Daher hat man denselben, da ihm zugleich

die spezielle Kassenkontrolle obliegt, der dadurch vermehrten Mühe­

waltung und Verantwortlichkeit halber besoldet, und sucht überhaupt, da auch der kaufmännische Verkehr sich mehr und mehr dem Verein zu­ wendet, die Kreditbewilligung soviel als möglich der Öffentlichkeit zu ent­

ziehen, so daß selbst,

wenn Abstimmungen darüber vorkommen,

schriftlich durch Zirkulare vorgenommen werden.

diese

In Delitzsch dagegen

ist zwar die eigentliche Exekutive, sowie die Vertretung des Vereins nach außen auch einem engern Vorstande von 3 Personen, einem Vorsitzenden,

einem Kassierer

und einem

Protokollführer, welcher zugleich

die

Kassenkrntrolle hat, übertragen, dagegen muß von diesen Vorstehern

Schulze-Delitzsch.

150 bei allen

die Beschlußnahme eines Aus­

innern Angelegenheiten

schusses von 9 Personen eingeholt werden, wohin namentlich die Auf­

nahme neuer Mitglieder, die Kontrahierung von

willigung von Vorschüssen

Darlehnen und Be­

Diese Beschlußnahme

gehört.

geschieht

in

regelmäßigen allwöchentlich stattfindenden Sitzungen des Ausschusses,

über welche Protokolle gehalten und darin die gefaßten Beschlüsse kurz

eingezeichnet werden.

Außerdem wird die Bewilligung und Ablehnung

von Vorschüssen durch den Vorsitzenden gleich auf das schriftliche Gesuch

gesetzt,

und dies dem Kassierer als Zahlungsanweisung ausgehändigt,

oder dem Mitgliede als Bescheid zurückgegeben.

Beratung der Vorstands- und

Eine solche gemeinsanie

Ausschußmitglieder,

welche ja sämtlich

als Vertrauensmänner des Vereins zu betrachten sind, hat das Gute, daß die Einzelnen sich gegenseitig die ihnen bekannten Tatsachen, welche

einen Schluß auf die Vermögensverhältnisse und Persönlichkeit der Vor­ schußsucher zulassen,

mitteilen und so einander die Vorlagen für Be­

willigung oder Ablehnung der Gesuche ergänzen können, was bei einzelter, schriftlicher Abstimmung nicht möglich ist.

gemeinsame, doch stets auf einen engern

ver­

Auch hat hier diese

Kreis beschränkte Besprechung

der Kreditverhältnisse der Vorschußsucher noch zu keinen Mißständen ge­ führt, indem sich die Ausschußmitglieder zu unverbrüchlichem Verschweigen

der einschlagenden Notizen dritten gegenüber verpflichteten. Die Zahl der Ausschußmitglieder

wird überall nach dem Umfange

des Verkehrs, namentlich der Zahl der Vereinsglieder zu bestimmen, und

dabei hauptsächlich von dem Gesichtspunkt auszugehen sein, daß man dazu

Leute wählt, welchen einerseits die möglichste Kenntnis von den Ver­ hältnissen der Mitglieder oder wenigstens gewisser Klassen derselben bei­ wohnt, und welche andrerseits volles Vertrauen rücksichtlich ihrer Solidität

genießen.

In größern Orten,

wo eine so allgemeine Bekanntschaft

nicht vorausgesetzt werden kann, ist es, wie schon erwähnt, zweckmäßig, eine Anzahl Lokalbezirke einzurichten, und 2 bis 3 Vertrauensmänner

in jedem derselben wählen zu lassen, welche die Vorschußgesuche der be­

treffenden Mitglieder zu begutachten haben, ehe der Zentralausschuß darüber entscheidet. Daß die Vorsteher und Ausschußmitglieder übrigens an Be­

obachtung

des

Gesellschaftsstatuts

und

der

Gesellschaftsbeschlüsse

eigner Vertretung gebunden sind, versteht sich von selbst.

bei

Dagegen er­

scheint es zweckwidrig, ihnen ein bei Beurteilung der Zahlungsfähigkeit

der Vorschußsucher oder Bürgen etwa begangenes Versehen anzurechnen. Die ihnen hierbei gestellte Aufgabe ist so vielseitig und schwierig, daß.

151

Vorschußvereine als Volksbanken.

wenn man ihnen jeden möglichen Verlust hierbei anrechnen wollte, dies

nur zur Folge hätte, daß sie mit der äußersten Peinlichkeit bei Bewilligung

der Vorschüsse verfahren und am Ende nur ganz vermögenden Personen

würden, was dem Zweck des Vereins zuwiderliefe.

Gelder bewilligen

Sie sind selbst Mitglieder und nehmen als solche am Gewinn und Ver­

des Kassengeschäfts Teil,

lust

dies ist Garantie genug gegen wirklich

leichtsinnige Bewilligungen, die ja ihrem eignen Interesse Widerstreiten. Was schließlich die Dauer der Amtierung

der Vereinsbeamten

anlangt, so wird dieselbe bei denjenigen, welche keine Besoldung erhalten,

nicht auf lange Zeit, am füglichsten auf 1 Jahr zu bemessen, jedenfalls aber ihre Wiederwahl zu gestatten sein.

Bei dem Kassierer und Kon­

trolleur,

erscheint

sowie dem Vorsitzenden,

freilich

ein oftmaliger

Wechsel den Interessen des Vereins nicht zuträglich, weshalb nach dem Eilenburger Statut ihre Funktion auf 10 Jahre bestimmt ist.

Da hier

das Amt eines Kassierers, wie wir sahen, die ganze Arbeitszeit und Kraft

eines Mannes in Anspruch nimmt, und als einzige, selbst den Erwerb

bedingende Beschäftigung desselben anzusehen ist, in welche sich einzuarbeiten geraume Zeit erfordert, so würde eine öftere Änderung nicht wohl durch­

zuführen sein.

Dagegen hatte man in Delitzsch, wo die Mühwaltung

der Kassenbeamten bei weitem weniger von Belang und eine bloße Neben­

beschäftigung derselben ist, diese Rücksicht weniger zu nehmen, und sie nur auf ein Jahr fest engagiert, so jedoch, daß sie bisher immer wieder gewählt sind, da man die Jnkonvenienz unnötiger Änderungen seitens

der Mitglieder recht gut einsah, sich aber in dieser Wiederwahl ein Ver­ trauensvotum vorbehielt,

von

welchem man,

sobald sich Gründe zur

Unzufriedenheit oder zum Mißtrauen zeigen, jederzeit leicht wieder ab­

gehen

kann,

was bei einem

langen Engagement großen Weiterungen

unterworfen sein würde.

8. Kaffenwesen nnd Buchführung. Dem Kassenwesen und der Buchführung, welche den wichtigsten und schwierigsten Teil der Verwaltung

ausmachen, widmen wir einen

besondern Abschnitt.

Sollen dieselben mit der nötigen Garantie, wegen der Sicherheit sowohl, als wegen der Ordnung geführt werden, so ist außer dem eigent­ lichen Kassierer auch ein zweiter Aufsichtsbeamter, em Kontrolleur,

notwendig, welcher das ganze Kassengeschäft überwacht und die Duplikate der betreffenden Listen sowie die Gegenbücher führt.

Schulze-Delitzsch.

152

Wegen der speziellen Einrichtung der Buchführung werden sich

ganz durchgreifende Regeln kaum aufstellen lassen, indem man überall auf den Umfang der Geschäfte und die Art des Verkehrs, wie die jedes­

maligen

lokalen

müssen.

Wird der Verkehr so großartig und nimmt er die Richtung

Verhältnisse beides

bedingen,

wird

Rücksicht

nehmen

wie im Eilenburger Verein, so wird man nicht umhin können, die Buch­

einzurichten.

haltung ganz auf kaufmännischem Fuße

Hierzu wird

man aber jedenfalls Männer von Fachkenntnis und gereifter Erfahrung zuziehen müssen, für welche es nicht erst einer besondern Anweisung

bedarf.

Nur der Notiz wegen zählen wir daher hier die in der Eilen­

burger Kasfenverwaltung, welche in dieser Hinsicht wegen ihrer strengen Ordnung und Übersichtlichkeit als Muster gelten kann, eingeführten

Bücher ganz kurz auf, weil dies als Fingerzeig für Männer vom Fache

genügt, welche bei der ersten Einrichtung mindestens doch nicht umgangen werden können.

Es sind dies:

1. ein Kassen-Journal oder Kassen-Rechnungsbuch, in welches

sämtliche bei der Kasse vorkommende Einnahmen und Ausgaben nach der Zeitfolge unter verschiedenen Hauptrubriken eingetragen werden,

2. ein Kontobuch mit Kredit und Debet über die von der Per­ einskasse aufgenommenen Kapitalien, 3. ein Conto-current über die an die Mitglieder aus der Kasse gegebenen Vorschüsse, die darauf geleisteten Rückzahlungen, und

abgeführten Zinsen und Verwaltungskosten, 4. ein Mitgliederverzeichnis mit den erforderlichen Kolonnen zur Eintragung der Monatssteuern und Dividende,

5. ein Vermögens-Aktiv-Verzeichnis,

sowie Gewinn- und

Verlustbuch,

6. ein

Geld-Scontrobuch behufs

Übertragung

der jährlichen

Kontoabschlüsse, aus den Büchern sub 2. und 3,

6. ein Lagerbuch über deponierte Pfänder.

Man wird hiernach leicht abnehmen können, wie mühsam und zeit­ raubend eine solche Kassenverwaltung ist, und welche Kenntnisse und Ge­

läufigkeit im Schreib- und Rechnungswesen dazu gehören. In Eilenburg

nimmt dieselbe die ganze Zeit und Kraft des Kassierers ausschließlich in Anspruch, so daß derselbe nur bei angestrengter Arbeit die laufenden

Geschäfte zu erledigen imstande ist; ein Umstand, der bei der Besoldung

besondere Berücksichtigung verdient.

Vorschußvereine als Volksbanken.

153

Bewegt sich dagegen der Verkehr in kleinern Verhältnissen, so wird eine Vereinfachung der Buchführung, ohne dadurch der Ordnung und Übersichtlichkeit des Kassenwesens Eintrag zu tun, zu ermöglichen sein.

Fehlt es insbesondere unter den Mitgliedern an einem Manne von kauf­ männischer Bildung, welcher zur Übernahme des Amtes als Kassierer geneigt wäre, so erscheint eine solche Vereinfachung doppelt wünschens­ wert, damit wo möglich ein anderes, im Rechnen und Schreiben nicht unerfahrenes Mitglied, vielleicht aus dem Handwerkerstande, sich der Sache

unterziehen kann. So ist in Delitzsch einer unserer tüchtigsten Hand­ werker schon seit 1852 Kassierer, und hat sich unter Leitung des Ver­ fassers, welcher den Vorsitz führt und die Buchführung selbst eingerichtet hat, zur Genüge eingearbeitet, so daß, mit Hilfe eines mit dem Rechnungswesen vertrauten Kanzlisten, als Kontrolleur, Bücher und Kasse in strengster Ordnung sich befinden. Zur besseren Handhabung ist im Delitzscher Verein eine ausführliche Kassenordnung ausgearbeitet worden. In

ihr

ist

man

davon

ausgegangen,

daß

alle

wesentlichen

Rechnungsunterlage» doppelt geführt werden müssen, sowohl der Kon­ trolle halber, als auch wegen eines möglichen Verlustes einer der­ selben, welcher, wenn kein Duplikat vorhanden wäre, eine sehr üble Verwirrung zur Folge haben würde. Das Kassenjournal, als die Grundlage des ganzen, wird daher vom Kontrolleur im Duplikat geführt, und besonders aufbewahrt, und wird es die Übersicht des

ganzen Rechnungswesens ungemein erleichtern, wenn die verschiedenen Hauptrubriken der Einnahme und Ausgabe darin in getrennten Kolonnen ausgefüllt werden. Ebenso wird ein Duplikat der die Stelle des Eilenburger Conto-current vertretenden Vorschußliste dadurch her­ gestellt, daß der Kontrolleur auf den von ihm aufzubewahrenden Schuldscheinen der Vorschußempfünger alle von denselben auf Kapital und Zinsen geleisteten Zahlungen vermerkt. Das Kontobuch über die Vereinsschulden würde leicht aus den den Gläubigern erteilten Schuld­ scheinen, das Konto über das Guthaben der Mitglieder aus den den einzelnen erteilten Extrakten ergänzt werden. können.

In bezug auf das letztere findet nämlich die Einrichtung statt, daß dem Statutenexemplare, welches jedes Mitglied erhält, einige leere

Seiten mit den nötigen Kolonnen beigefügt sind, in welche das Gut­

haben des Inhabers an eingesteuerten Monatsbeiträgen und Dividende vom Kontrolleur an jedem Jahresschlüsse unter seiner Namensunterschrift eingezeichnet

wird.

Diese Einrichtung dürste der allmonatlichen Ein-

Schulze-Delitzsch.

154

tragung der Steuern in das Konto vorzuziehen sein, weil die letztere

dasselbe mit einer Menge kleiner Beträge überfüllt, und besser in einer auf jedes Jahr anzulegenden, mit den erforderlichen Monatskolonnen

versehenen Einnahmeliste geschieht, aus welcher am Jahresschlüsse als­

dann der von den einzelnen gesteuerte Gesamtbetrag

in das Konto

übertragen wird. Doch dient es zur Bequemlichkeit der Mitglieder, wenn den er­

Statutenexemplaren

wähnten

auch

noch

Quittungsformulare

für die

Monatssteuer beigedruckt werden, welche der Bote bei der Einziehung

ausfüllt. In dem Kontobuch« über die Bereinsschulden, welches mit Kredit

und Debet geführt wird, müssen am Schlüsse sowohl für das Gesamt­ guthaben der Mitglieder, wie für den Reservefonds einige Folien

bestimmt und darin jedesmal am Jahresschlüsse Zu- und Abgang ver­

merkt werden.

So gehören in das Debet des Guthabens

zahlungen an ausscheidende Mitglieder, wogegegen

die Ab­

man in dem Debet

des Reservefonds, wohin die Ausfälle wegen Insolvenz der Schuldner

und

Bürgen

gebucht

werden,

zugleich

das unumgängliche

Verlust­

konto erhält. Zur Beförderung einer leichten Übersicht ist noch als dienlich zu

empfehlen: a) aus der Vorschußliste beim Jahres- und Rechnungsabschlüsse

sämtliche

noch nicht völlig abgezahlte Posten in die Liste auf

das neue Jahr zu übertragen; b) derselben ein fortlaufendes Mitgliederverzeichnis vorzuheften, mit

doppelten Kolonnen, wo bei den Namen des Mitgliedes die ent­ nommenen Vorschüsse in die eine, und geleisteten Bürgschaften in die andere einfach durch Einrückung der betreffenden Nummer der Vorschußliste vermerkt werden;

c) in einem gewöhnlichen Kontorkalender mit etwa 2 Zoll breitem

Zwischenräume bei jedem Tage, an welchem ein Vorschuß ganz oder terminweise zurückzuzahlen ist, ganz einfach ebenfalls die

Nummer der

betreffenden Post aus der Vorschußliste ein­

zurücken. Wird ein Vorschuß abgezahlt, so wird die Nummer in den betreffenden Kolonnen zu b und bei dem bezeichneten Tage zu c durchstrichen, und

man ist auf diese Weise stets

imstande zu übersehen, ob ein Mitglied

Schuldner des Vereins, sowie ob es mit Bürgschaften bereits belastet

Vorschußvereine als Volksbanken.

155

ist, worauf bei neuen Vorschußgesuchen und Übernahme weiterer Bürg­ schaften Niel ankommt.

Auch ist die pünktliche Auszahlung der verfallenen

Reste behufs bereit Einziehung und Einklagung ohne den Fälligkeitskalender

schwer möglich, ein Geschäft von großer Wichtigkeit, da bei Unordnungen hierbei der Verein unter Umständen Gefahr läuft, sein Anrecht an die Bürgen

zu

verlieren.

Restantenlisten

den

Deshalb

ist

auch

Kassenbeamten

die Aufstellung

zur

strengsten

monatlicher

Pflicht gemacht,

welche jedesmal mit den monatlichen Kassenübersichten über Ein­

nahme und Ausgabe verbunden werden.

Läßt man dann noch, am Ende

jeden Vierteljahres, einen Nachweis der Ausstände und Schulden des

Vereins

mit einer kurzen Geschäftsübersicht beifügen, so wird dies aus­

reichen,

um zunächst den Ausschuß und mittelbar auch den Verein in

steter Kenntnis des Verkehrs- und Vermögensstandes zu erhalten.

Ferner

ist hinsichtlich der auflaufenden Verzugszinsen bei versäumten Rück­ zahlungsterminen auf eine, zur Verhütung von Unordnungen im Rechnungs­

wesen,

abzielende Maßregel aufmerksam zu machen.

Während die be­

dungenen, statutenmäßigen Zinsen bei Ausleihung der Gelder auf be­

stimmte Zeit, oder Prolongation der Zahlungsfristen, sich jedesmal leicht zum voraus berechnen lassen

und ihr Betrag sofort in die betreffende

Kolonne der Vorschußliste eingetragen werden kann, ist dies bei den

Verzugszinsen

um

deswillen

nicht

der

Fall,

weil sich hier,

mit

der Dauer der Säumigkeit, auch die Frist, für welche die Zinsen zu be­ rechnen sind, nicht im voraus übersehen läßt.

ist daher in

Die Feststellung derselben

jedem einzelnen Falle erst dann möglich, wenn die völlige

Abzahlung des Restes erfolgt ist, weshalb es, der Kontrolle der Kassen­ beamten halber, und weil diese Feststellung bei verschiedenen Terminal­ zahlungen nicht immer so einfach ist, rätlich erscheint, am Schluffe jeden

Monats

eine

Liste der Verzugszinsen

von

denjenigen Restposten

aufzustellen, welche im Laufe des Monats vollständig abgemacht sind.

Diese Liste unterliegt der Prüfung und Feststellung des

Vorstandes,

worauf erst die Eintragung der festgesetzten Zinsbeträge im Soll der Zinsenkolonne in der Vorschußliste erfolgt. Zum Schluß möge noch die Annahme eines besondern Vereins­

boten empfohlen werden, wodurch man den geordneten Eingang der Monatsbeiträge ungemein fördert. Überläßt man nämlich deren Ein­ lieferung den Mitgliedern selbst, so laufen erfahrungsmäßig eine Menge

von Resten auf, deren Abzahlung vielen alsdann schwer ja zum Teil

unmöglich wird, und man verfehlt so den Zweck der Kapitalsbildung gerade für die unbemittelten, welchen man den wesentlichsten Dienst da-

156 durch

Schulze-Delitzsch.

erzeigt.

Zugleich hat der Bote die Unterschriften der Mitglieder

unter die den Vereinsgläubigern

auszustellenden Schuldverschreibungen

und die Einladungen zu Ausschußsitzungen und Generalversammlungen

zu besorgen, und man wird selbst bei den Ausschußsitzungen von seiner Bekanntschaft mit den Mitgliedern manchen Vorteil zieh» und manche

Wege und Besorgungen ihm anvertrauen können.

Wegen seiner Kassen­

funktionen hat man in Delitzsch seine Auswahl den Kassenbeamten über­ lassen, welche für die richtige Ablieferung der von ihm einkassierten Gelder

haften müssen, und deshalb die Kontrolle über ihn sich besonders an­ gelegen sein lassen.

9. Besoldungen und Kautionen der Beamten. Wie wir im Vorstehenden sahen, ist eine angemessene Belohnung

der Kassen beamten, bei deren großer Verantwortlichkeit und Müh-

waltung nicht

zu

umgehen.

Zunächst

würden

sich

nur höchst selten

geeignete Leute finden, die ein solches Amt unentgeltlich übernehmen.

Und

wäre dies wirklich einmal ausnahmsweise der Fall, so wäre es nicht rötlich, auf ein solches Anerbieten einzugehen, da man gegen solche Personen, welche mit ihrer Amtierung dem Vereine recht eigentlich eine Wohltat

erzeigen, unmöglich alle die Anforderungen

der strengsten Pünktlichkeit

und einer steten Kontrolle durchsetzen könnte, welche ein geordneter Ge­ schäftsgang erheischt, ohne ihren guten Willen sehr bald in Mißmut zu

verwandeln, und ihre Tätigkeit zu lähmen.

Ob sodann auch noch dem

Vorsitzenden oder Direktor ei» Gehalt zu verwilligen ist, hängt vom

Umfange der Vereinsgeschäfte und der demselben übertragenen Funktionen ab, sowie davon, ob sich ein der Leitung des Ganzen gewachsener Mann ohne dies findet, und kann dasjenige, was wir vom Eilenburger Vereine

desfalls anführten, als Beispiel gelten.

Daß natürlich der Kassenbote

besoldet werden muß, versteht sich von selbst.

Wegen der Aussetzung dieser Besoldungen ist es nun ohne Frage

in jeder Beziehung das Zweckmäßigste, daß man sie von dem Ertrage

des Kassengeschäfts abhängig macht, mit andern Worten: auf einen An­

teil von

den

Zinsen der Vorschußempfänger anweist.

Einmal

wird man sie nur auf solche Weise mit dem Umfange der Arbeiten, welche sie belohnen sollen, in ein richtiges Verhältnis setzen können, indem mit dem Steigen des Ertrages, der mit der Zunahme des Verkehrs im not­

wendigen Zusammenhänge

mehren, und umgekehrt.

steht,

auch

die Arbeiten

der Beamten sich

Sodann knüpft man aber auch durch diese

Vorschußvereine als Volksbanken. Maßregel das Interesse

157

der Beamten an den Aufschwung des Kassen­

geschäfts, welche sich um so mehr bemühen werden, denselben auf jede Weise zu

fördern,

je

mehr

sie

an

einem

günstigen

Erfolge

beteiligt

sind.

Freilich ist die Bestimmung der Höhe dieses Anteils nicht ganz ohne

Schwierigkeit, so lange nicht durch Erfahrungen mehrerer Jahre der Ver­ kehr und

die Einnahmen eines Vereins einigermaßen festgestellt sind,

und ungefähre Anschläge zulassen.

Doch möchten folgende Punkte einigen

Anhalt gewähren.

Trennt

man, wie in Eilenburg, die eigentlichen Zinsen der Vor­

schußempfänger von deren Beiträgen zu den Verwaltungskosten, so ist die Aufgabe einfacher, indem die letzter« einen besonderen Fonds

bilden, welchen man zunächst zur Deckung der übrigen Verwaltungskosten außer den Gehalten verwendet, den Überschuß aber geradezu, etwa nach Abzug eines kleinen Anteils für die Reserve oder Dividende, den Be­ amten als Besoldung überweist, wie dies im 1. Kapitel bei der Rechnung

des Eilenburger Vereins speziell mitgeteilt ist.

Sind aber diese beiden

in den Kassen beiträgen der Vorschubempfänger enthaltenen Elemente, der einfachern Buch- und Rechnungsführung halber, nicht getrennt, wie in Delitzsch, so wird nian in jedem Falle ganz besonders darauf Rücksicht

nehmen müssen,

ob ein unzinsbarer Fonds — als Reserve

und

Guthaben — in der Kasse vorhanden ist, und wie hoch er sich im

Verhältnis zu dem zinsbaren Fonds verhält.

Da nämlich von den

eingehenden Vorschußzinsen zunächst die Zinsen der vom Verein auf­ genommenen Kapitalien gedeckt werden müssen, ehe etwas davon für Be­ soldungen und sonst im Interesse des Vereins verwendet werden kann, so ändert sich die Höhe dieses verwendbaren Überschusses je nach dem

Verhältnis jener beiden Teile des Betriebskapitals zu einander.

Je mehr

Reserve und Guthaben der Mitglieder wachsen, einen je bedeutenderen Anteil davon sie ausmachen, desto weniger zinsbare Kapitale werden gebraucht. ganzen als

Man nehme z. B. ein Betriebskapital von 3000 Talern im

erforderlich für das Bedürfnis eines Vereins.

Im An­

fänge, wo man dasselbe ganz durch zinsbare Darlehne beschaffen mußte, stellte sich

die

Rechnung,

vorausgesetzt,

daß

dasselbe

beständig

im

Umlaufe war, so:

Einnahme an Vorschußzinsen zu 10K...................................

300 Tlr.

Zins-Ausgabe an die Vereinsgläubiger zu 5K .... 150 Tlr. verwendbarer Überschuß......................................................................150 Tlr.

Wenn aber nach einigen Jahren Reserve

und Guthaben

die

Höhe von 1000 Tlr. erreicht haben, so daß nur noch 2000 Tlr. fremde

Schulze-Delitzsch.

158

Darlehne gebraucht werden, vermindert sich jene Ausgabe bis auf 100 Tlr., während die Einnahme dieselbe bleibt, so daß 200 Tlr. disponibel werden.

Es leuchtet hiernach ein, daß bei Gründung und in den ersten Jahren

eines Vereins

der Besoldungsanteil der

Quote nach höher

bestimmt

werden muß, als später, und daß man in den folgenden Jahren mit dem

Wachstum des unzinsbaren Fonds, allmählich damit herunter gehn kann. So erhielten

die Kassenbeamten in Delitzsch anfangs die Hälfte der

sie

Brutto-Einnahme an Vorschußzinsen, wovon

sämtliche übrige Ver­

waltungskosten bestreiten mußten und den Rest unter sich teilten; von der andern Hälfte wurden die Zinsen an die Vereinsgläubiger gezahlt und der Überschuß zur Reserve und Dividende verwendet. Gegenwärtig zieht

man die Zinsen der Vereinsgläubiger sowie die übrigen Verwaltungs­

kosten von dem Betrage der eingehenden Vorschußzinsen ab, und überlaßt die Hälfte des verbleibendes Restes, also der Nettoeinnahme, als Gehalt

an

die beiden Kassenbeamten, dem

Zuschlag von

man jedoch pro

der unzinsbare Fonds

so bedeutend gestiegen ist, wegfällt.

Wachstum des unzinsbaren Fonds an

1854 noch einen

10 Prozent des Betrags zulegte, welcher pro 1855, wo

fernere Reduktionen

wird

sein, und

denken

zu

Bei fernerm

weitere Jahre natürlich

für

darf man

allen

nach

bisherigen Erfahrungen so viel als Resultat annehmen: daß bei einem Vereine mit der Art des Geschäftsbetriebes und den dadurch bedingten

Arbeiten

der

wie in

Kassenbeamten,

Delitzsch,

man

angemessene Remuneration gewährt, wenn dieselbe 1 erreicht.

Summe der gewährten Vorschüsse

durchaus

eine

Prozent von der

So waren in Delitzsch

im Jahre 1854 zusammen ca. 12,000 Taler neue Vorschüsse ausgegeben, wovon 1 Prozent, 120 Taler

Die Kassenbeamten erhielten

ausmacht.

aber nur 111 Taler, womit sie durchaus zufrieden waren. daher unter jenem Satze zu

Es würde

1 Prozent nach Befinden auch noch der

Gehalt des Boten begriffen werden können, welcher im Delitzscher Verein 1854 12 Taler betrug. Über das Verhältnis, wie sich

die

Kassenbeamten

ein­

unter

ander in den auf sie gemeinsam kommenden Betrag zu teilen haben, wird man ihnen selbst am füglichsten das Übereinkommen überlassen. Wird die Kassenordnung

des Delitzscher

beiden

Geschäftsverteilung

zwischen

des

Kassierer

sicht

Betrags dem

darauf

lästigen

zuzubilligen

Verantwortlichkeit

festgehalten,

|

und

sein,

wegen

Vereins

daß

dem der

so

hinsichtlich

wird

Kontrolleur Kassierer,

Aufbewahrung

etwa mit

außer

der

•£

Rück­ der

der Kassenbestände,

mindestens noch einmal so viel Arbeit als der Kontrolleur, und außer-

Vorschußvereine als Volksbanken.

dem

große

die

ihm

Einnahme

durch

und

159

Ausgabe

der

Gelder

er­

wachsende Versäumnis hat.

Der Gehalt des Boten richtet sich natürlich nach der fallenden und steigenden Mitgliederzahl und der Menge der ihm obliegenden Geschäfte.

So erhielt er gegenwärtig hier, bei circa 210 Mitgliedern, für Ein­ kassierung der Monatsbeiträge, Einladung zu den Generalversammlungen, Umtrag der solidarischen Schuldverschreibungen, behufs deren Unterschrift, jährlich 12 Tlr., was, sobald die Zahl von 225 Mitgliedern erreicht ist, um 1 Tlr. und je auf weitere 25 ferner um 1 Tlr. erhöht werden soll.

Außer den Gehalten der Kassenbeamten, sind nun aber noch die von ihnen zu bestellenden Kautionen in das Auge zu fassen, wobei der

Kassierer vorzugsweise heranzuziehen ist,

allein

Kasse

Kaution

in

seitens

seinen Händen

desselben

da er die Barbestände der

Daß von der Bestellung einer

hat.

nicht abgegangen werden kann, wenn man

anders den Verein vor dem Ersatz möglicher Kassendefekte,

Mitglieder vor den schützen

und dessen

unangenehmsten Vertretungen und Verwickelungen

will, bedarf keiner weiteren Ausführung.

Und wenn auf der

einen Seite bei entschiedener Wohlhabenheit und Redlichkeit eines Kassen­

beamten, die Stellung besonderer Sicherheit weniger dringend erscheint, so fällt sie ja einem solchen andererseits auch weit leichter, als dem Un­

bemittelten, und es ist, schon des bedenklichen Vorgangs halber, und weil die angewendeten Sicherungsmittel selbst auf den Kredit des Vereins beim

Publikum von Einfluß sind, durchaus nicht anzuraten, in irgend einem

Falle davon abzustehn.

Wegen

der Art und Weise der Kautionsbestellung ist zuvörderst

darauf Rücksicht

zu

nehmen,

Korporationsrechte haben.

daß solche Vereine in der Regel

keine

Aus diesem Grunde würde es zu großen

Weiterungen und Kosten führen, wollte man die Kautionen durch Hypothek auf Grundstücke oder Verpfändung von Hypothekenforderungen bestellen

lassen, weil bei Einziehung oder Löschung solcher Hypotheken, der Legiti­

mation

halber,

sämtliche Vereinsglieder

vor

dem

Gericht oder dem

Notar auftreten müßten.

Es ist deshalb besser, entweder auf jeden In­

haber

oder bare

lautende

Papiere,

Geldsummen dazu zu verwenden,

welche letztere in der Vereinskasse zinsbar angelegt werden können.

daher

eine zum Kassierer

besonders

geeignete Person

außer

Sollte

sichern

Grundbesitz keine andern Mittel zur Kautionsbestellung haben, so mag

dieselbe lieber ein Kapital auf ihren Namen von einem dritten Gläubiger aufnehmen

und damit die Kaution bestellen,

das Hypothekenbuch eintragen läßt.

als daß sie diese selbst in

160

Schulze-Delitzsch.

Die Höhe der Kautionen bestimmt sich nach dem Umfange des

Kassengeschäfts, wobei ein ungefährer Durchschnitt der erforderlichen Bar­ bestände in das Auge zu fassen ist, welche natürlich stets ab- und zufließen, und zu keiner Zeit dieselben sein können. Kann vielleicht eine der Höhe nach angemessene Kaution vom Kassierer nicht sogleich aufgebracht werden, so bedinge man deren allmähliche Verstärkung, wozu ein Teil des Jahres­

gehalts füglich verwendet werden kann. Beim Delitzscher Verein ist die Kaution des Kassierers, der übrigens durch sichern Grundbesitz und

anerkannte Rechtlichkeit und Tüchtigkeit hinlängliche Garantieen bot, auf solche Weise bisher auf 80 Taler gebracht, wozu jährlich weitere 50 Taler ca. traten, und denkt man sie allmählich bis auf 300 Tlr. zu erhöhen, was mit Rücksicht auf die durchschnittlichen Kassenbestände und die fortwährende Kontrolle genügend erscheint. Dabei hat auch noch der Kontrolleur eine Kaution von fünfzig Talern gestellt, und sind beide Summen in die Kasse bar eingezahlt, welche dieselben als Darlehne verzinst und im Geschäft mit angelegt hat. Außerdem scheint nun bloß noch beim Vereinsboten, dem die Einkassierung der Monatsbeiträge anvertraut ist, eine Kautionsbestellung zweckmäßig, ja notwendig, da hier die Versuchung zu kleinen Unter­ schleifen um so größer ist, je leichter dieselben eine Zeitlang durch Ver­ rechnung auf spätere Einnahmen, verheimlicht werden können. Doch wird hier die Aufbringung der nötigen Summe von Haus aus noch seltener zu ermöglichen sein, weshalb der Ausweg der allmählichen Bildung einer Kaution durch Jnnehalten eines Teiles vom Gehalte meist wird ein­ geschlagen werden müssen. So werden im Delitzscher Verein dem Boten jährlich 2 Tlr. von den ihm zugebilligten 12 Tlr. innebehalten, indeni man ihm monatlich nur 25 Sgr. auszahlt, bis man die Summe von 10—12 Tlr. erreicht hat, welche genügend erscheint. Denn wenn auch der Betrag der monatlichen Steuern 20 Tlr. übersteigt, so ist die Unterschlagung dieser Summe auf einmal, wenn die Kassenbeamten die Ablieferung nur einigermaßen überwachen, nicht wohl möglich. 10. Klagen und Prozetzführung.

Es kann nicht fehlen, daß gegen säumige Schuldner in manchen Fällen die gerichtliche Hilfe wird in Anspruch genommen werden müssen, und es ist deshalb in den Statuten zugleich die Vollmacht zur Klage­

anstellung und Prozeßführung auf die Vorstandsmitglieder, und zwar in der Art enthalten, daß jedes derselben für sich allein Namens des Vereins hierbei vor Gericht auftreten kann, damit, bei Behinderung eines

Vorschußvereine als Volksbanken.

davon, das andere seine Stelle einnehmen kann.

161 Doch gilt als Regel,

daß zunächst der Kassierer sich der Anfertigung und Einreichung der Klagen und Abwartung der Termine unter Aufsicht des Vorsitzenden zu unterziehen hat. Da die Vorsch-ußvereine, worauf wir schon mehrfach zurückkamen, in der Regel nicht im Genuß von Korporationsrechten sich befinden,

so ist dieser Punkt der Legitimation der Vereinsbevollmächtigten in Prozessen, nicht ohne Bedenken, und werden sich voraussichtlich ver­ schiedene Ansichten bei den einzelnen Gerichten geltend machen. Freilich wird überall zunächst auf die jeden Ortes geltenden Landesgesetze dabei Rücksicht zu nehmen sein, weshalb der Verfasser sich ausdrücklich ver­ wahrt, wenn er bei dem Folgenden ganz besonders vom Standpunkte des Preußischen Rechts ausgeht, welches in Delitzsch und den Nachbar­

städten gilt. Natürlich können die in den Statuten enthaltenen Voll­ machten, wenn man nicht etwa die Statuten selbst in beglaubigter Form vollziehen läßt, nur als Privaturkunden gelten, und brauchen vom Gegner nicht anerkannt zu werden, welchenfalls man die gerichtliche oder notarielle Nekognition würde nachzuholen haben. Doch ist dies hier noch nie vor­ gekommen, und dürfte der Fall, daß ein Mitglied die auf den klaren Schuldschein gestützte Klage nicht anerkennte, zu den überaus seltenen gehören. Will man ganz sicher gehen, so lasse man von sämtlichen Vereinsgliedern auf einen Rechtsanwalt eine gerichtliche General- und Spezialvollmacht zur Einklagung aller Reste, Abschluß von Vergleichen, Einlegung von Rechtsmitteln usw. ausstellen, wobei ein Attest der

Ortspolizeibehörde die Mitgliedschaft bescheinigen kann, und die nötigen Formalitäten wegen Zusammenberufung aller Mitglieder unter Bekannt­ machung mit dem Zweck der Verhandlung zu beobachten sind. In Eilenburg hat man sich auf Erfordern des Königl. Kreisgerichts zur Ausstellung einer solchen beglaubten Urkunde entschlossen, in Delitzsch war dies noch nicht nötig, da vom hiesigen Kreisgericht sämtliche Klagen auf Grund der im Statut enthaltenen Vollmacht für den Vorstand,

und Abschrift des letzten Wahlprotokolls zur Konstatierung der in den Vorstand gewählten Personen, zugelassen sind. Eine fernere Aushilfe hierhierbei wäre, die Schuldscheine auf den Namen des Kassierers, als

Gläubigers zu stellen, mit einem Zusatze, daß das Darlehn aus den Mitteln des Vorschußvereins entnommen sei. Hiernach würde der Kassierer

für seine Person, ohne weitere Legitimation als den Schuldschein, zur Einklagung der Reste befugt sein, und müßte dann in dem mit ihm abzuschließenden

Vertrage

Schulze-Delitzsch, Schriften und Neben.

einem I.

etwaigen

Mißbrauche

vorgebeugt, 11

Schulze-Delitzsch.

162

und die Abtretung der Rechte an

die

Bevollmächtigten

des Vereins,

für den Fall, daß der bisherige Kassierer aus seiner Stellung ausscheidet, gesichert werden.

Ob und welcher von diesen Wegen nun mit Aus­

sicht auf Erfolg einzuschlagen ist, muß, wie gesagt, nach den Gesetzen

und der Gerichtsterfassnng des Ortes beurteilt lverden.

Somit wärm

denn

diejenigen

Punkte

erschöpft,

auf

welche

hauptsächlich bei Gründung solcher Vorschußvereine ankommt. glaubt

Verfasser

der

merksamkeit geschenkt die Vorteile,

demjenigen,

hat,

welcher

unwiderleglich

diesen

Zeilen

welche dem kleinen Gewerbestande aus

entstehen, von hchem Belang sind.

zu

nachgewiesen

es

So viel

seine haben:

Auf­

daß

solchen Vereinen

Denn, um es kurz, zusammenzu­

fassen wird derselbe:

1. dadurch in den Stand gesetzt, jeden Augenblick eine den Verhält­ nissen angemessene, bare Geldsumme zu erhalten; 2. werden ihm die hohen, wucherischen Zinsen, die er bisher bei solcher

Aushilfe, wenn er sie überhaupt fand, opfern mußte, gespart;

3. fließt der Gewinn des Vorschußgeschäfts, bisher das tatsächliche Monopol der Kapitalisten, in seine eignen Taschen zurück und bewirkt, nebst den kleinen ihn nicht belästigenden Beisteuern, die

Anfänge einer eignen Kapitalbildung zu seinen Gunsten.

Daß hierin eine Lebensfrage für den kleinen Gewerbestand liegt,, darin sind alle Kundigen einig.

Nur auf solche Weise läßt sich ein

vernünftiger, praktischer Ausgangspunkt bei Handhabung der sozialen

Frage auffinden, der auch von der allerkonservativsten Seite die Probe hält.

Der systematischen Entzweiung von Arbeit und Kapital, zum großen

Teil der

Frucht

bittrer Not und des Unverstands,

ihren Konsequenzen, als wenn

kann

wohl nicht

besser

so gefürchtet in

entgegengetreten werden,

man den Arbeiter selbst der Vorteile des Kapitals teilhaft

werden läßt, ihm die Bildung eines eignen Kapitals ermöglicht.

unendlich

klein diese Anfänge

Wie

auch im ganzen erscheinen mögen, der

vollen Größe der Frage, um die es sich handelt, gegenüber:

das bloße

Einlenken in beit rechten Pfad, der bloße Anfang ist in sittlicher, wie in

wirtschaftlicher

Hinsicht

Schritt, ein wichtiger Sieg.

auf

diesem

Felde schon

ein

bedeutender

Vorschußoereine als Volksbanken.

163

Der ersten Auflage des Vorschußvereinsbuches, dessen Text 83 Seiten umfaßte, folgte (859 die zweite Auflage, gleichfalls und wie alle folgenden Auflagen bei Ernst Keil in teipzig, unter dem Titel „vorfchuß-

und Kreditvereine als Volksbanken" — 9H Seiten Text — deren Vor­ wort sich also verbreitete:

Vorwort zur zweiten Auflage. Das Vergreifen der ersten Auflage dieses Werkchens ging mit der Verbreitung der darin vorgeführten Vorschuß- und Kreditvereine Hand in Hand: ein Zeichen, daß dasselbe dem praktischen Zweck, dem es gewidmet war, entsprochen hat.

Indessen ist mit der äußern Verbreitung auch die innere Ausbildung der gemeinnützigen Institute vorgeschritten, so daß, statt des bloßen Wiederabdrucks, eine völlige Umarbeitung des Buchs erforderlich war, sollte dasselbe dem jetzigen Standpunkte unserer Organisation entsprechen. Dies bedingte zugleich eine andere Anordnung des Stoffes, weshalb die gegenwärtige Auflage das Merkchen in ganz neuer Gestalt gibt.

Möge dasselbe auch in dieser neuen Gestalt fortfahren, die zukunfts­ reichen Keime genossenschaftlichen Strebens in unserm gewerblichen Mittel­ stände immer mehr einbürgern, insbesondere den befruchtenden Strom des Kapitals unsern weniger bemittelten Handwerkern und Arbeitern zuführen zu helfen. Viel ist in kurzer Zeit geschehn, unendlich mehr bleibt noch zu tun übrig, faßt man die Aufgabe in ihrer ganzen Größe in die Augen.

Anstatt also zum Stillstand, mögen die bisherigen Resultate vielmehr zu desto regerem Fortstreben anspornen, indem das bereits gegenwärtig, im Anfang der Bewegung, bei mancher Ungunst der Zeiten Geleistete uns das in Zukunft zu erreichende Ziel wiederspiegelt, welchem

wir, gestützt auf die allmählich erstarkten Kräfte, auf die geläuterten Er­ fahrungen, zustreben. Dies allen wackern Genossen und Mitkämpfern für die deutsche Genossenschaft in Nähe und Ferne, denen das Büchlein freundlich

empfohlen sein mag. Delitzsch, im Mürz 1859.

Der Verfasser.

Jn der neuen Auflage erfuhr der frühere Text int ersten Kapitel eine Erweiterung, indem die rechtlichen Verhältnisse der Vorschußvereine 11*

Schulze-Delitzsch.

164

und die Bevormundungsversuche der preußischen und der hannoverschen Regierungen geschildert wurden. Das zweite Kapitel fand eine Erweiterung in der Besprechung der solidarischen Haftpflicht der Mitglieder und der Einrichtung in dem Meißner Kreditverein, die Gefahr der sofortigen Inanspruchnahme der Mitglieder bei Zahlungsunfähigkeit des Vereins zu beseitigen, eine Ein­

richtung, welche auf Grund der dem Vereine von der sächsischen Regierung verliehenen Korporationsrechte ermöglicht wurde.

Lerner ward nach

Meißner Muster die Anlegung von Kreditfähigkeitslisten der Mitglieder

empfohlen. In einem dritten Kapitel wurden „die bei den Vorschußvereinen von ihrer ersten Entstehung bis jetzt erreichten Resultate" zusammen­ gestellt. Den Schluß bildeten die Statuten und Formulare des Vorschußvereins

zu Delitzsch, der Eislebner Diskonto-Gesellschaft und des Kreditvereins zu Meißen.

*

*

*

(862 erschien mit (66 Seiten Text die dritte Auflage des Buches mit folgendem Vorworte:

Vorwort zur dritten Auflage. Wenn seit dem Erscheinen der zweiten Auflage dieses Buches die Zahl und die Bedeutung der Vorschuß- und Kreditvereine in außer­ ordentlicher Weise und ohne Unterbrechung zugenommen, die Bewegung sich über ganz Deutschland ausgebreitet hat, so ist rücksichtlich der innern Ausbildung der immer solideren Begründung dieser nützlichen Institute geradezu eine neue Epoche seitdem für sie eingetreten. Die größeren Verhältnisse, welche der Verkehr bei den meisten annahm, der gesteigerte Kredit beim Publikum, ließen das Risiko mehr in den Vordergrund treten, und führten zu größeren Anforderungen einmal an die organischen Einrichtungen und geschäftlichen Garantiern, sodann an die Befähigung und Geschäftsgewandtheit der Führer und Leiter. Die gegenwärtige

Auflage ist daher wiederum vollständig umgearbeitet, um ein ganz neues

Buch, wie es notwendig war, um dem neuen Sachstande zu entsprechen. Dabei genügt der Verfasser einer Ehrenpflicht, wenn er hierbei öffentlich ausspricht, daß ein besonderes Verdienst um die ganze Entwickelung, durch Sichtung und gründliche Durcharbeitung des Materials, welches die mehr­ jährige Erfahrung unserer Vereine angesammelt hat, dem Vereinstage

Vorschußvereine als Volksbanken.

165

deutscher Vorschuß-, Kredit- und Rohstoffvereine gebührt, über welche das dritte Kapital näher berichtet.

seine

alljährlich

Namentlich hat derselbe durch

wiederkehrenden Verhandlungen,

durch die Gründung

einer Zentralstelle in der Anwaltschaft deutscher Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und der von dieser ausgehendenMonats schrift

„Die Innung der Zukunft"

Berichtigung

der

Ansichten

einen gegenseitigen Austausch und

ermöglicht

und

ein

Organ

zur

Wahr­

nehmung gemeinsamer Interessen geschaffen, wodurch die Bewegung erst

den nötigen Anhalt- und Richtpunkt erhält, der sie dem gedeihlichen

Ziele zuführt. Allen den wackern Genossen der Vereinstage, den treuen Mit­

arbeitern

an

unserm

nationalen Werk

mit

diesen Zeilen Gruß und

Handschlag.

Potsdam, im Mai 1862. Schulze-Delitzsch.

Sehr viel ausführlicher als früher wurden hier die wirtschaftliche Grundlage und soziale Bedeutung der Vorschußvereine, die gesetzlichen Bedingungen zu ihrer Errichtung und ihre privatrechtliche Stellung so­ wie die rechtliche Form der Ausleihungen — Schuldscheine und wechsel, laufende Rechnung — besprochen. Zn dem der Entwickelung der Vereine gewidmeten Kapitel wurden die inzwischen stattgefundenen Genossenschafts­ tage in Weimar 1859, Gotha 1860, Halle J861 und Potsdam 1862 und unter den Früchten ihrer Besprechungen die Errichtung des „Zentral­ korrespondenz-Bureaus deutscher Vorschuß-, Kredit- und Rohstoffvereine (jetzt

Anwaltschaft deutscher Erwerbs- und wirtschaftsgenoffenschaften)" und die Herausgabe eines eigenen Organs, der „Innung der Zukunft" erwähnt. Das Buch, dem ein von Schulze ausgearbeiteter Gesetzentwurf über die privatrechtliche Stellung der Genossenschaften und verschiedene Statuten und Formulare beigegeben sind, schließt mit den Worten: Indem wir mit diesen Notizen über die Geschichte und Wirksamkeit

unserer Vorschußvereine schließen, dürfen wir wohl die hohe Bedeutung derselben für den kleinen Gewerbestand als erwiesen annehmen, da sie,,

wie kein anderes ähnliches Institut, alles, was für den Zweck, um den

es sich handelt, irgend wünschenswert ist, in sich vereinigen.

Denn,

um es kurz zusammenzufassen, setzen sie ihre Mitglieder in den Stand:

1. jeden Augenblick eine ihren Verhältnissen angemessene bare Geld­

summe zu erhalten, und

Schulze-Delitzsch.

166 2. die

hohen Zinsen, die sie bisher bei solcher Aushilfe, wenn sie

dieselbe überhaupt fanden, opfern mußten, zu sparen; endlich

3. fließt der Gewinn des Vorschußgeschäfts, bisher das tatsächliche Monopol der Kapitalisten, in ihre eigenen Taschen zurück und bewirkt, nebst den kleinen sie nicht belästigenden Beisteuern, die

Anfänge einer eigenen Kapitalbildung. Wie wichtig aber hier der erste Schritt ist, wissen alle Kundigen, und daß auch unser Volk dies wohl begreift, davon ist das allgemeine Interesse an unsern Vereinen, ihre rasche Verbreitung, ihr beispielloses Wachstum der beste Beweis.

Schon ist das vom Verfasser bei einer

früheren Berichterstattung (für 1855) gesprochene Wort: „daß es in nicht

ferner Zeit keine Stadt in Deutschland geben werde, welche nicht ein

solches Institut aufzuweisen haben würde", durch den genommenen An­ lauf seiner wirklichen Erfüllung entgegengeführt.

Und um so mehr Aus­

sicht hat die hoffnungsvoll begonnene Bewegung, durchzudringen, je mehr auch die gebildeten und besitzenden Klassen, ja selbst unsere regierenden

Kreise das wahrhaft Konservative derselben würdigen lernen.

Gewiß,

der systematischen Entzweiung von Arbeit und Kapital, worin man

das vielgefürchtete rote Gespenst, den Umsturz alles Bestehenden, den Untergang von Wohlstand und Bildung erblickt, kann nicht wirksamer entgegengetreten werden, als wenn man den Arbeiter selbst der Vorteile

des Kapitals teilhaftig werden läßt.

Wohlstand und Bildung, das präge

man sich doch ja ein, sind nicht gefährdet, wenn sie ihre Segnungen auf

solche ausdehnen,

die

bisher

davon

ausgeschlossen waren.

Vielmehr

triumphieren sie am sichersten über alle ihre Feinde, indem sie sich ihnen

mitteilen.

*

*

*

Die vierte Auflage des Buches erschien — mit 22\ Seiten Text — {867 nach Erlaß des preußischen Genossenschaftsgesetzes und sie besprach ganz wesentlich die durch dieses erforderlich gewordene Neuordnung der Verhältnisse der Vorschußvereine. Nicht geringere Verwertung fanden die inzwischen bei letzteren praktischen Erfahrungen z. B. die Einführung

des Scheckverkehrs bei den Vereinen in Frankfurt a. 217., Wiesbaden

und Rostock usw. Von den organischen Ausgestaltungen des Genoffenschastswesens wurde die Gründung der „Unter- d. h. provinzial- oder engeren Landesverbände" erwähnt, „gebildet aus den Genossenschaften

einzelner deutscher Länder, Provinzen oder auch gemeinsamer Gewerbs­ branchen, welche die Wahrnehmung der Sonderintereffen und den engeren

Vorschußvereine als Volksbanken.

167

Verkehr der einbezirkten Vereine sowie die Vermittlung mit den Zentral­ stellen (Anwaltschaft u. a. m.) zum Zweck haben." Ebenso wird von der Berufung alljährlich wiederkehrender Unterverbandstage neben dem

Allgemeinen Genoffenschaftstage und dem aus den Vorständen der Unterverbände gebildeten und dem Anwälte zur Seite getretenen „Engeren

Ausschüsse" sowie endlich von der Gründung der Deutschen Genossenschafts­

bank in Berlin — mit einem eingezahlten Kapital von 270000 Tlr. — berichtet, die sich die Gewährung bankmäßigen Kredits an die Vorschuß­ vereine zur Aufgabe gestellt hatte. Unter den Formularen findet sich u. a. zum ersten Male ein von Schulze ausgearbeitetes „Musterstatut für diejenigen

Vereine, welche sich unter das preußische Genoffenschaftsgesetz stellen wollen." Bemerkenswert ist noch die Energie, mit welcher Schulze in der

neuen Auflage sich abermals für die solidarische Haftpflicht der Mitglieder aussprach, trotzdem die Gesetzgebung in England diese gerade damals aufgegeben hatte und Frankreich im Begriffe stand, sich das englische Beispiel zu eigen zu machen. Immer wieder sah er in der unbeschränkten Haftpflicht die Kreditbafis der vereine und deren Bekämpfung wegen ihrer möglichen Gefahren erinnerte ihn an „die bekannte Geschichte von dem Mann, der ein stumpfes Messer einem scharfen vorzieht, damit er sich nicht in die Finger schneidet." Und im Gegensatze zu den auf der solidarischen Haft aufgebauten vereinen, die er als „persönliche oder Arbeits-Genossenschaften" bezeichnet, sieht er in den Vereinen mit be­ schränkter Haftpflicht „Kapitalgenoffenschaften, wie sie in der Form der

Aktiengesellschaft bestehen." *

(Seite \2 u. f.) *

*

Aus den 22H Seiten Text der vierten Auflage des Buchs wurden in der fünften — |876 — der letzten von Schulze besorgten 308. Das preußische Genossenschaftsgesetz hatte inzwischen dem Deutschen platz ge­ macht und der Geschäftsverkehr der Vorschußvereine eine vorher kaum geahnte Ausdehnung gewonnen. Diesen Verhältnissen suchte das neue Buch Rechnung zu tragen wie die Vorrede ausführte.

Vorwort zur V. Auflage. Seit dem Erscheinen der IV. Auflage, gleichzeitig mit dem Erlaß des ersten Genossenschaftsgesetzes, des Preußischen, im Jahre 1867, welchem

im Jahre 1868 das deutsche folgte, ist beinahe ein Jahrzehnt verflossen. Es konnte daher nicht fehlen, daß eine völlige Umgestaltung in der Or-

168

Schulze-Delitzsch.

ganisation und Geschäftsführung der Kreditgenossenschaften angebahnt werden wußte, wollten dieselben mit dem Überkommen der großen, ihnen

durch die neue Gesetzgebung verliehenen Rechte, auch den daran geknüpften Pflichten genügen. Dieser Übergang hat sich soweit vollzogen, daß sich allmählich in den Hauptpunkten bestimmte Normen für die Einrichtung

und Verwaltung unserer sich immer mehr bankmäßig entwickelnden Kredit­

institute herausgebildet haben.

Die Sichtung und übersichtliche Ordnung

des neu gewonnenen Erfahrungs-Materials war daher eine dringende Forderung, welcher der Verfasser als Anwalt des deutschen Genossen-

schaftsverbandes nachzukommen um so mehr verpflichtet war, als das völlige Vergreifen der IV. Auslage des Buches damit Hand in Hand ging, welche bisher bei den betr. Organisationen als Leitfaden gedient hatte. Wesentlich gestützt bei den vorliegenden, wie bei den früheren Arbeiten wurde der Verfasser durch die Verhandlungen der Allgemeinen Vereins­

tage der in dem bez. Verbände stehenden Vereine, wo unter dem Bei­ rate von deren tüchtigen Leitern die wichtigsten Fragen zur Erörterung gelangten.

Dazu traten in den letzten Jahren noch die Entscheidungen

des Reichsoberhandelsgerichts zu Leipzig, als eines deutsch-nationalen Gerichtshofes in den Angelegenheiten unserer wahrhaft nationalen über

ganz Deutschland verbreiteten Institute.

Wie viel damit für die richtige

Handhabung, sowie die weitere Fortbildung des Genossenschaftsrechts ge­

wonnen ist, welche in letzter Instanz nunmehr der verschiedenartigen Gerichtspraxis in den deutschen Einzelstaaten entrückt wurden: davon geben die bisher ergangenen vom Verfasser mehrfach besprochenen Erkenntnisse

das beste Zeugnis. War durch die erwähnten Umstände eine wesentliche Veränderung

des Inhalts der Auflage bedingt, so wirkte dies natürlich auf die ganze Ökonomie und Anlage derselben zurück, da die Aufgabe in einem Haupt­ punkte eine andere geworden war.

Wenn in den drei ersten Auflagen

lediglich die Kreditgenossenschaften alten Stils zu behandeln waren,

so mußte auch in der IV. Auflage noch von ihnen, als dem eigentlichen Stamme der Vereine, ausgegangen werden, da die Unterstellung unter das soeben erst erschienene Gesetz nur in sehr kleinen Dimensionen begann. Die auf den Übergang in die durch dieses Gesetz bedingten Fornien be­

züglichen Fragen sind daher nur beiher, anhangsweise bei den einzelnen Abschnitten behandelt. Das weitere Fortschreiten des Übergangs machte daher, besonders nachdem das

Deutsche

Genossenschaftsgesetz

mit

seinen wichtigen Verbesserungen erlassen war, mehrere Nachträge in Form

von Anweisungen zur Unterstellung unter die Gesetze nötig, welche in

169

Vorschußvereine als Volksbanken.

demselben Verlage wie das Hauptbuch erschienen.

Inzwischen ist aber

die Sache dahin gediehen: daß die Zahl der nach dem Gesetze eingetragenen Genossenschaften die weitaus überwiegende ist, daß man sich insbesondere

bei Neubegründung von Vereinen gleich dazu entschließt, und daß der noch verbliebene Restbestand des alten Systems durch Übergang sich von Jahr zu Jahr vermindert.

Unter diesen Umständen mußte bei der neuen

Auflage die Unterstellung unter das Genosseuschaftsgesetz, als die dem Sachbestande entsprechende Voraussetzung bei Bearbeitung des

Stoffes zugrunde gelegt werden, so daß die nicht eingetragenen Ge­ nossenschaften direkt dabei nicht in Frage kamen.

Daß dieselben aber

dennoch bei den meisten Fragen sich aus dem Buche Rats erholen können,

ist damit durchaus nicht ausgeschlossen.

Vielmehr mögen auch sie die

darin behandelten großen Fortschritte in der Genoffenschaftsorganisation, wie sich dieselben ja vielfach unabhängig von der Gesetzgebung und unter

ihrer eigenen Mitarbeit heransgebildet haben, recht wohl für sich nutzen,

und ihre Einrichtungen danach vervollkommnen.

Ist dies freilich rück­

sichtlich der außerordentlichen Gcwährschaften des Gesetzes bei Geltend­

machung der Solidarhaft, bei der Verjährung, sowie der Rechts­ fähigkeit und Rechtsverfolgung, wie sie das Buch darlegt, nicht der

Fall: so sind sie ja mit den Hilfsmitteln, welche ihnen in dieser Beziehung

bleiben,

durch

die

bisherige Praxis,

besonders in Beziehung auf die

Legitimation bei Rechtsgeschäften, bereits vertrant, so daß mehr als eine

allgemeine Hindeutung darauf

in

dem Buche nicht

erforderlich

war.

Gerade das Ungenügende derselben, die vielfachen Unzuträglichkeitcn, welche ihnen dabei aufstoßen, werden aber durch die Vergleichung mit dem, was

das Gesetz dafür bietet, sie um so mehr bestimmen, die zur Eintragung

erforderlichen Schritte zu tun, als ohnedem an einen gesicherten Bestand und eine den Forderungen der Gegenwart entsprechende geschäftliche Ent­

wickelung nicht zu denken ist.

So möge denn das Buch in seiner neuen Gestalt, gleich seinen Vor­

gängern zu der äußern Ausbreitung, wie zu der innern Kräftigung unseres

echt

volksmäßigen Kreditwesens

das seine beitragen.

Nicht die wirt­

schaftlichen Interessen allein, nein, unsere gesamte nationale Entwickelung

fordern dringend, daß das Volk mehr und mehr selbsttätig für alles was eine würdige Gestaltung des Privat- wie des öffentlichen Lebens

erfordert, eintreten lerne.

Und indem die Genossenschaften mit dem be­

ginnen, was die Menschen am ersten erfaßt, mit dem materiellen Be­ dürfnis, mögen

sie zugleich

eine Vorschule sein für Autonomie und

Selbstverwaltung in Gemeinde und Staat, deren Anfänge bereits gewonnen

Schulze-Delitzsch.

170

sind, und deren immer bewußteres Erfassen allein zu einem dem Wesen und der Bestimmung der deutschen Nation gemäßen Ausbau unseres jungen Staatswesens führt.

Potsdam, im Juni 1876. Der Verfasser.

wieder waren es die in der Zwischenzeit gemachten praktischen Er­

fahrungen, welche zur Bereicherung des Stoffes und dessen Verwertung Leigetragen hatten. Fast alle Fragen waren eingehender behandelt, nament­

lich aber die Befugnisse der Drgane der Vereine — Generalversamm­ lung, Vorstand, Aufsichtsrat usw. — erläutert und scharf voneinander abgegrenzt worden. Ferner wurde eine Anweisung zur Buchführung und zum Bücherabschluß am Jahresschluß gegeben. Endlich hatte sich notwendig erwiesen, Anleitungen zur Errichtung und Verwaltung von Zweigvereinen und Agenturen der Kreditgenossenschaften zu geben. In einem Nachtrag „Gebrauch der wechsel bei den Kreditgenossenschaften" — (8?9 — teilte Schulze noch eine Reihe von Urteilen mit, die vom ReichsoberHandelsgericht in Wechselsachen ergangen waren. Die regelmäßig fort­ geführte Tabelle über die Ergebniffe der Vereine, deren Abschlüsse bei der Anwaltschaft eingingen, zeigten in ihren Hauptzahlen:

der Vereine

MitgliedcrZahl

Gcwähric Vorschüsse in Talern

aufgenommene Anleihen in Talern

Angesammelte MiigliederGulhaben in Talern

Reserve­ fonds in Talern

1

2

3

4

5

6

! Zahl Jahr |

i!

1854 4 1855 6 18561) 9 1857 25 80 1859 1864 455 1869 | 735 18742) 815

Betriebsfonds in Talern 4—6

7

29862 2434 408 1019 1 54384 32704 38857 593 1532 4124 43574 78051 1359 12437 32578 1728 124750 46374 5541 57094 217403 5380 643879 279938 30845 1014145 246001 18676 4131436 1290991 293461 16009339 135013 48147495 12756582 2959296 304772 181602109 42702383 12078464 1175138 55955985 411443 451918394 101811930 25711589 2479783 129303302

x) Zu beachten ist, daß in der Statistik des Jahres Eilenburg (1855: 750 Mitglieder, 34024 Taler gewährte Reingewinn, 29684 Taler aufgenommene Anleihen, 1343 Mitgliederguthaben, 77 Taler Reservefonds, 31104 Taler

1856 der Verein in Vorschüsse, 60 Taler Taler angesammelte Betriebsfonds) fehlt.

2) Die bis jetzt fortgeführten Zahlen (Jahrbuch des Allgemeinen Verbandes der auf Selbsthilfe beruhenden deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften

Beherzigenswertes bei Gründung von Vorschußvereinen. (Aus der „Innung der Zukunft", Jahrg. 1858 S. 53.)

Der erfreuliche Fortgang, welchen die Assoziationsbewegung in Deutschland, namentlich in bezug auf die für kleine Gewerbetreibende so unerläßlich notwendigen Vorschußvereine, seit den letzten Jahren ge­

wonnen hat, veranlaßt einen solchen Drang brieflicher Anfragen an mich, daß mir eine eingehende Beantwortung derselben unmöglich wird, und ich statt dessen den Weg ergreife, in diesen Blättern, als dem eigentlichen Organ für das deutsche Assoziationswesen, der Sache ein für allemal zu begegnen. Was zuförderst die Statuten, sowie deren Motive, die Buch- und Geschäftsführung, sowie die Details der Verwaltung anlangt, so kann ich nur wiederholt auf mein Büchelchen, „Vorschußvereine als Volksbanken", Leipzig 1855, bei E. Keil, verweisen, indem sich das darin Gegebene auch jetzt noch als probehaltig bewährt hat. Wegen anderer bei der Gründung solcher Vereine zu nehmender Rücksichten hebe ich hauptsächlich,

mit Rücksicht auf die an mich gerichteten Anfragen, folgendes hervor. 1. Soll ein Kreditinstitut gedeihen und das Vertrauen des Publikums

gewinnen, so muß es sich ganz frei und selbständig bewegen, nicht von Einmischung dritter, nicht von dem Erfolg anderer, ihrer Natur nach für 1907, herausgegeben von H. Crüger, Berlin, I. Guttentag 1908) sind die folgenden: Jahr !

1879 1884 1889 1894 1899 1904 1907

Zahl

Gewährte Vorschüsse in Mark

Aufgenommene Anleihen tn Mark

1

2

3

4

899 879 1002 1047 980 1010 1016

459033 451779 490627 509723 553734 570026 606085

Zahl der Vereine

Mitglicder-

Angesammelte Mitglieder. Guthaben in Mark

i

6

Reserve­ fonds in Mark

Betriebsfonds in Mark 4-6

!

7 1398120830 347165475 100996248 15117802 463279525 1516952618 393166540 106349385 20169599 519685524 1514364905 425110853 108751327 26102734 559964914 1550012619 457734531 120512467 35168231 613415229 2257945122 612604042 143313923 46331896 802249861 2859379831 859843346 174910071 66915653,1101669070 3645653243 1017396067 204141114 82145316 1303682497 6

Schulze-Delitzsch.

172

fremdartiger Unternehmungen abhängen, nicht in Verluste solcher hinein­ gezogen werden.

Es ist deshalb durchaus nicht geraten,

einen Vor­

schußverein mit andern ähnlichen Instituten — z. B. wie es hier und da geschehen, mit einem Konsumverein — zu verbinden und solche ganz fremdartige Geschäfte, wie größere Ankäufe von Getreide, Mehl u. a.

damit zu verbinden.

sich

Vielmehr muß das Kredit-Bankgeschäft ganz für

bestehen, in sich selbst gegründet

sein, seine besondere Verwaltung,

seine besonderen Fonds haben, und wo man sich nicht in dieser Weise einrichlet, lvird das Geschäft niemals den rechten Aufschwung nehmen

und sich zu dem erheben, was es sein kann und soll, weil von Haus aus der rechte Zuschnitt verfehlt ist und auf das Zufließen größerer Geldmittel in die Vereinskasse verzichtet werden muß, weil jene Einrichtung in den

Augen aller Kundigen die vom Vereine sonst gebotene Garantie verringert. 2.

Nach

keiner

mir

bekannten

Gesetzgebung

eines

deutschen

Staates bedarf ein solcher Vorschußverein einer Konzession der Behörde,

namentlich nicht in Preußen,

wo diese Frage in

diesem Jahre durch

die Gerichte und im Verwaltungswege entschieden ist, worüber ich das Nähere in meinem in diesem Frühjahr erstatteten Bericht über Vorschuß­ vereine pro 1856 in Heft 2, dieses Blattes 1857 beigebracht habe.

Da

nun eine solche Konzession nur dann von Nutzen sein könnte, wenn sic

mit Erteilung von Korporationsrechten verbunden wäre, was bisher nie

der Fall war, so ist sie schon deshalb völlig zwecklos.

Bedenkt man aber,

daß durch Einführung des Konzessionswesens in die vom Gesetz frei ge­ gebene Bewegung man der Behörde auch das Recht zugesteht, die erbetene Konzession zu versagen, die bereits erteilte zurückzunehmen, oder die Er­

teilung an Bedingungen zu knüpfen — wie letzteres bei mehreren Ver­

einen, welche darum nachsuchten, in Preußen namentlich vorkam — welche die freie geschäftliche Bewegung hemmen, so wird man sich hoffent­

lich von dem Gefährlichen einer unnötigen Konzessionsnachsuchung über­

zeugen

und sie unterlassen.

gehemmter

Nur in voller Verkehrsfreiheit und un­

geschäftlicher Wirksamkeit

können

solche Institute gedeihen,

und jede Einmischung und Beaufsichtigung einer Behörde benimmt ihnen die eigentliche Lebenslust, darüber kann vernünftiger Weise bei keinem

Einsichtigen ein Zweifel obwalten. — Das Einzige, was demnach bei der

Gründung eines Vorschußvereins zu tun bleibt, ist, daß man der Be­

hörde

von

der zur Konstituierung

etwa

berufenen

öffentlichen

Ver­

sammlung Anzeige macht, und alsdann eine Abschrift des angenommenen Statuts zur Kenntnisnahme einreicht, weil das von jeder ertaubten

Privatgesellschaft gefordert werden kann.

Beherzigenswertes bei Gründung von Vorschußvereinen.

173

3. Vielleicht ist die Frage, ob Wechsel oder Schuldscheine der Vorschußempfänger zweckmäßiger seien, aufgeworfen,

den bereits bestehenden Vereinen verschiedenen

und wir finden bei

Brauch,

und

das mit

Recht, eben weil die Entscheidung darüber lediglich von lokalen Ver­

hältnissen abhängt. Verkehre selbst

In größeren Orten mit vorherrschend kaufmännischem

unter den Handwerkern, mag sich wohl der Wechsel be­

währen, in kleineren Landstädten entschieden nicht.

Der Vorteil, der in

der raschern Rechtsverfolgung für den Verein etwa aus dem Wechsel

erstehen möchte, wird aber durch die

Schuldscheinen

überall

größere Sicherheit der mit den

verbundenen Bürgschaft

reichlich ausgewogen

welche bei Wechseln, wo der Bürge mit in die wechselmäßige Verpflichtung

tritt, allemal schwerer

zu beschaffen ist.

Am zweckmäßigsten ist es ge­

wiß, wenn man auch in größer» Orten Schuldscheine mit Bürgschaft

neben den Wechseln zuläßt, und ist nur noch zu

erwähnen, daß nach

der neuern Preußischen Prozeßgesetzgebung der Unterschied in der Rasch­

heit des Verfahrens und der Leichtigkeit, zum Personalarrest zu gelangen,

zwischen

einer Wechselklage

und

einer Klage

aus

einem schriftlichen

Schuldschein nicht so groß ist, daß er sehr in Anschlag kommen könnte. 4. In bezug auf die Sicherheit, welche der Verein für die gegebenen

Vorschüsse fordern muß, hat sich die Bürgschaft überall als die zweck­ mäßigste Einrichtung betvährt.

In der Tat bietet sie, als die einzige

mögliche verantwortliche Kontrolle des Vorschußempfängers durch seine nächsten Bekannten und Fachgenosfen, den unentbehrlichen Schluß­ stein bei Organisation des persönlichen Kredits, wie ja im Grunde auch die großen kaufmännischen Banken anerkenne», wenn sie nur Wechsel

diskontieren, welche die Unterschriften mehrerer guten Firmen tragen. Deshalb rate ich in keinem Falle von der Bürgschaft nachzulassen, da

die kleinen Unbequemlichkeiten, welche aus der Beschaffung von Bürgen

den Mitgliedern hier und da im Anfänge verursacht werden, nach kurzer Eingewöhnung wegfallen, und verweise übrigens wegen der wohltätigen

Folgen dieser Einrichtung auf das in meinem Buche Beigebrachte.

Insbesondere aber möchte ich von einer Einrichtung abraten, welche auf den ersten Anblick viel für sich zu haben scheint, in ihren weitern

Folgen aber sehr bedenklich ist, die nämlich, daß die Vorstände und Aus­ schüsse der Vereine gleich bei Aufnahme neuer Mitglieder die Summe bestimmen, bis zu welcher jedem einzelnen Kredit ohne Sicherstellung

gewährt werden kann.

Allerdings mag ein Bankier, ein Privatmann

auf diese Weise operieren, welcher niemandem Rechenschaft über seine

Verfügungen in seinem eigenem Geschäftschuldig ist, und den, der sich

174

Schulze-Delitzsch.

seinen Bedingungen nicht fügt, einfach abweist.

Allein in unsern Vor-

schußvereincn ist der Vorschußempfänger zugleich Mitglied, Mitinhaber

des Geschäfts, dessen Risiko er mitträgt, bei dessen Verwaltung er eine Stimme hat,

und

aus

schon

diesem

Grunde

allein

stehen

die

un­

angenehmsten Zwistigkeiten unter den Mitgliedern über deren verschiedene Abschätzungen zu erwarten, welche das Fortbestehen gefährden können.

des Vereins selbst

Noch mißlicher wird aber die Sache, sobald, was

nicht ausbleiben kann, der Ausschuß wegen veränderter Vermögens- oder Geschäftsverhältnisse eines Mitglieds in die Lage kommt, den bis dahin

bewilligten Kredit ganz oder teilweise zurückzuziehen.

Daß solche Ver­

änderungen oft genug vorkommen werden, und daß der Ausschuß daher die ursprüngliche Klassifikation häufigen Revisionen unterwerfen muß,

liegt auf der Hand. Wie unendlich schwierig und mißlich ist aber eine solche Überwachung der Mitglieder in ihrer Kreditwürdigkeit, da jeder die hier einschlagenden Beziehungen soviel als möglich geheim hält, und

man in vielen Fällen außer vagen, wohl selbst böswilligen Gerüchten, gar keinen rechten Anhalt für ein Urteil hat, welches, wie die Kredit­

entziehung eines öffentlichen Bankinstituts, den Betroffenen so schwer be­

rührt und die Lage, die es bei ihm vielleicht irrtümlich voraussetzt, oft erst herbeiführt.

Nein, anstatt dem Vorstande und Ausschüsse eine so

mißliche Aufgabe, eine so schwere Verantwortlichkeit aufzubürden, empfiehlt

es sich doch bei weitem mehr, wenn an alle Mitglieder, sobald sie Kredit suchen, eine und dieselbe Anforderung gestellt wird, daß sie nämlich an­

nehmbare Bürgen stellen.

Schlagen diese aus, so ist dies der beste

Beweis, daß es mit der Solvenz des Vorschußsuchers mißlich steht, und dies Urteil, welches auf der Kenntnis von Leuten beruht, welche in der

Regel zu den nächsten Freunden und Berufsgenossen des Vorschußsuchers gehören, ist weit verlässiger, als eine Beurteilung durch den Ausschuß,

und jeder Reklamation über ungleiche Behandlung der Mitglieder wird vorgebeugt.

Daß es dem wirklich Wohlhabenden nie schwer fallen wird,

Bürgen zu erhalten, selbst bei größer» Summen, ist klar, aber auch bei

minder Bemittelten, wenn sie nur als solid und tüchtig in ihrem Geschäft bekannt sind, schlagen sich die Bürgen nicht aus, weil sich die Leute gegenseitig diesen Dienst erweisen.

Den ganz mittellosen Arbeitern aber,

die, weil sie noch nicht genug bekannt sind, nicht sogleich Bürgen erhalten, bietet

die

Ansammlung

eines Guthabens

in

der Vereinskasse durch

allmähliche Monatssteuern die beste Gelegenheit, sich als kreditwürdig auszuweisen, und wir haben viele solche in unsern Vereinen, denen bei ihrem Eintritt

gar kein Kredit gewährt werden konnte,

und die nach

Beherzigenswertes bei Gründung von Vorschußvereinen.

175

2—3 Jahren jederzeit 10—20 Taler erhielten, weil sie durch regelmäßiges

Einsteuern und ordentliche Wirtschaft sich Vertrauen erworben haben. 5. Bei dem wichtigen Punkte der Honorarbestimmung für die Kassen­

beamten ist der Grundsatz, daß das Honorar nicht zu fixieren, vielmehr durch Ueberlassen eines Anteils an dem Ertrage des Kassengeschäfts, d. h. an den eingehenden Zinsen und Provisionen der Vorschußempfünger zu

bemessen ist, aus den in meinem Buche entwickelten Gründen auch ferner festgehalten und hat sich überall bewährt.

fahrungen

über

Doch haben die weiteren Er­

die Höhe dieses Anteils ergeben,

Zinsen nebst Provision zusammen

daß, insofern diese

noch auf 8 bis 10°/o auf das Jahr

bemessen sind — wie dies bei allen unsern Vereinen der Fall

ist —

ein Viertel derselben zum Gehalt der Kassenbeamten genügt und als an­

gemessene Entschädigung ihrer Mühwaltung erscheint,

wobei die Ver­

teilung der Sunime unter sich ihnen überlassen bleiben kann.

Erreicht

der Umsatz im Kassengeschäft die Höhe von 30—40 0ü0 Tlr. jährlich, so kann nach Befinden selbst noch das Gehalt des Kassenboten, welches

man am besten alljährlich nach der Mitgliederzahl feststellt, darauf mit

angewiesen werden.

So betrug beispielsweise der zinstragende Verkehr

beim Delitzscher Vorschußverein im Jahre 1856 an ausgegebenen neuen Vorschüssen

Provision

und Prolongationen 576 Tlr.

abwarfen.

(Kassierer und Kontrolleur)

auf 300 Mitglieder noch

24 532 Tlr., Davon

welche an Zinsen und

erhielten

die Kassenbeamten

ein Viertel mit 144 Tlr.,

extra

16 Tlr. Fixum.

der Bote aber

Hierbei ist es int

laufenden Jahre, wo der Verkehr zirka 30 000 Tlr. erreichen wird, ver­ blieben; sobald wir aber 30—40 000 Tlr. erreichen, soll das Fixum

des Kassenboten,

welches für nächstes Jahr bei 320

Mitgliedern auf

mindestens 17 Tlr. erhöht wird, von jenem Viertel abgezogen, und nur der Rest desselben den Kassenbeamten überlassen werden.

6. Natürlich gehört zur Anpassung der gemeingültigen Statuten an das lokale Bedürfnis jedes Ortes Erfahrung und Übung, sowohl um das Bedürfnis in seinen weitverzweigten Beziehungen kennen zu lernen, als auch um die rechten Wege zur Abhilfe zu treffen.

Ebenso natürlich

ist eS aber, daß diese Erfahrung und Kenntnis den Gründern von solchen Vereinen bei der Stiftung noch gebricht.

Fällen zumeist bewährt, wenn

Es hat sich daher in allen

man eins der schon erprobten Statute

gleich möglichst im ganzeu annahm und dabei dessen Revision nicht vor Ablauf eines Jahres festjetzte, wo man zu den nötigen, durch die Ver­ hältnisse jedes Ortes gebotenen Änderungen durch die inzwischen ge­

machten Erfahrungen bei weitem mehr befähigt war als im Anfänge.

Vorschußvereine und Wohltätigkeitskaffen. Über Darlehnskaffen und Vorschußvereine in Deutschland. (Rede, gehalten vor dem Zentralverein für das Wohl der arbeitenden Klaffen und der Zentralvereinigung der Berliner Darlehnskassenvereine in Berlin am 27. April 1859.) (Aus der Zeitschrift des Zentralvereins für das Wohl der arbeitenden Klassen, 2. Jahrgang, 1. Heft.)

Jn Berlin waren größtenteils in dem Drange der Jahre (848 und (849 weit über 100 Bezirks - Darlehnskaffen gegründet worden, deren Fonds aus Geschenken, fortlaufenden milden Beiträgen und zins­ freien Darlehen gebildet wurden, welche aus Sammlungen wohldenkender Männer der bemittelten Klaffe herrührten. Die Wirksamkeit dieser auf der reinen Wohltätigkeit aufgebauten Kaffen war eine von Jahr zu Jahr geringere geworden; um ihr eine größere Ausdehnung zu geben, versuchte der Vorstand des Allgemeinen Darlehnskaffenvereins der Bezirke (02 A bis D, Bureauvorsteher Bensemann, Anfang (858 eine Zentralisierung der Kassen herbeizuführen. Es gelang auch, etwa 4 ( Kaffen zu bestimmen, daß sie eine allerdings ganz lose Zentralvereinigung bildeten. Aber während der Verhandlungen über das Statut, das die Selbständigkeit der einzelnen Kaffen unangetastet lassen wollte, hatte sich Bensemann mit Schulze-Delitzsch in Verbindung gesetzt und auf dessen Rat seinen verein nach den Prinzipien der Selbsthilfe umgewandelt.

Die sofort erzielten Erfolge — in dem Jahre (858 wurden 66?7 Taler mit (0 Prozent zu verzinsende Darlehen gewährt gegen 2557 Taler zinsfreie im Jahre zuvor — gaben Bensemann Veranlassung, den „Zentralverein in Preußen für das Wohl

der arbeitenden Klassen"

für seine Bestrebungen zu interessieren. Dessen Präsident Lette, der mit Schulze schon auf dem Internationalen Wohltätigkeitskongreß in Frank­ furt a. 2TL — (857 — bekannt geworden war, trat an die Spitze der Bewegung; er übernahm den Vorsitz der Zentralvereinigung, welche

am 27. April (859 Schulze zur Darlegung seiner Grundsätze vor einer zahlreichen Versammlung von Vertretern der verschiedenen dabei beteiligten vereinen einlud.

Schulzes Rede wurde in der Zeitschrift des Zentral-

Vorschußvereine und Wohltätigkeitskassen.

177

Vereins, Jahrgang 2 (Leipzig bei Hemrick» Hübner) abgedruckt; sie be­ schäftigt sich zunächst mit den Grundsätzen der Subvention und dann mit denen der Selbsthilfe. Die wesentlichen Ausführungen sind die folgenden: Ich gehe, wie billig, bei meiner Erörterung der Grundlagen und

Resultate der verschiedenen Kreditvereine, unter welchem Namen sie auch

Vorkommen, und die wesentlich darauf hinauslaufen, das Kreditbedürfnis des mittleren und kleineren Gewerbestandes, namentlich der Handwerker, zu befriedigen, von Berlin selbst aus, wo wir uns besinden.

Sie wissen,

wie die Einrichtung dieser Kassen ist, es bedarf hierüber keiner weitläuftigen

Auseinandersetzung.

Eine Anzahl wohldenkender Männer, meist aus den

höheren, gebildeteren, wohlhabenderen Gesellschaftsklassen, die nicht selbst

innerhalb des Bedürfnisses stehen, dem sie abhelfen wollen, tritt znsammen, bringt durch Sammlungen und Geschenke, durch zinsfreie Darlehne einen Fonds auf, aus dem man nun dem Kreditbedürftigen Vorschüsse teils

ohne,

teils gegen geringe Zinsen

dieser Kassen sind

verabreicht.

Die Resultate einzelner

häufig durch die hiesige Lokalpresse zur allgemeinen

Kenntnis gebracht worden.

Um

einen

rechten Anhalt zu haben, ihre

Wirksamkeit zu beurteilen, dazu dienen indessen wohl am füglichsten die amtlichen Zusammenstellungen der hiesigen Behörde, welche nach Einreichung der jährlichen Rechnungsabschlüsse gefertigt und zum Teil auch veröffentlicht

werden. Ich habe Gelegenheit gehabt, hier namentlich die Abschlüsse von 1857 bei einigen achtzig hiesiger Kassen (so viel ich weiß, bestehen über 100 Kassen), Die Hauptzahlen stellten sich dahin: diese Kassen hatten am

einzusehen.

Schlüsse des Jahres 1857 ein Gesamtvermögen von 85000 Tlr. auf-

zuweisen.

Von diesem Kapital hatten sie in demselben Jahre ungefähr

66000 Tlr.

Vorschüsse an Bezirksgenossen verabreicht.

Ich glaube nicht,

daß die Veröffentlichungen der übrigen Kassen die Sache wesentlich anders gestalten werden; sie dürften sich wohl durchschnittlich ungefähr in dem­

selben Verhältnisse bewege»; die eine wird vielleicht mehr, die andere

weniger geleistet haben.

Ich kann aber wohl voraussetzen, daß jedem der

hiesigen Verhältnisse Kundigen diese Zahlen zu manchen Betrachtungen Veranlassung geben müssen.

Zunächst sehen wir das Kapital an.

Es ist an sich bedeutend, es

ist aber höchst ungenügend, wenn es sich darum handelt, das Kredit­ bedürfnis derjenigen Klassen in einer Stadt wie Berlin zu befriedigen,

die eben vorzugsweise in diesen Kassen Hilfe fachen müssen, weil ihnen

der große Bankverkehr abgeschnitten ist.

Ich habe in mehreren einzelnen

kleineren Landstädten für eine einzelne Kasse mehr Kapital und in weit Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

I.

12

Schulze-Delitzsch.

178

kürzerer Zeit eine viel bedeutendere Wirksamkeit angetroffen.

indes noch sein;

Dies möchte

das Auffallendste und was uns zu den ernstesten Be­

denken Stoff gibt, ist das Verhältnis der gegebenen Vorschüsse zu dem Kapital, der geringe Umsatz.

Sie finden nämlich, daß das an sich für

Berlin ungenügende Kapital nicht einmal umgesetzt, daß es nicht einmal gebraucht worden ist, und daß viele Kassen in der Lage waren, für eine

anderweitige zinsbare Belegung und Unterbringung der im Vorschußgeschäft

müßig liegenden Bestände sorgen zu müssen. Man möchte beinahe fragen: brauchen denn die Berliner kein Geld?

Wie steht es denn, sind sie denn in den untern Ständen so ausgezeichnet mit Barschaft versorgt, oder fehlt es ihnen etwa an Unternehmungsgeist,

daß sie das Kapital, welches sie haben könnten, nicht zu würdigen und zu gebrauchen verstehen? Oder endlich, ist die Leitung dieser Kassen in

so untauglichen, ungeschickten Händen, daß man mit

den vorhandenen

Mitteln nicht zu verkehren wüßte? Gewiß, in. H., jedem, der Einsicht in die Dinge hat, kann es kein Zweifel sein, daß wir diese Fragen unbedingt

zu verneinen haben.

Gerade in Berlin, in einer Stadt von einer halben

Million Einwohner, wo sich die Arbeiter-Elite aus einem ganzen Lande zusammendrängt, gibt es tüchtige und geschickte Leute genug, denen nur

das nötige Betriebskapital fehlt, um ihre Geschäfte entweder neu ein­ zurichten oder sie

auf gedeihliche Weise auszndehnen.

Und gerade in

Berlin wiederum ist die Leitung dieser Kassen in den Händen von so intelligenten, geschäftsgewandten und tüchtigen Männern, wie nimmermehr

in unsern kleinen Landstädten, wo oft ganz einfache Handwerker, die sich erst mühsam in die Formen der Kassenverwaltung einzulernen hatten, sich der Führung der Geschäfte unterziehen müssen. Also keine jener 'Voraussetzungen kann uns jene auffallende Erscheinung erklären.

Da bleibt denn wohl nur eine dritte Annahme übrig, und wir

fragen: sind nicht vielleicht diese Kassen in ihrer Richtung,

in ihrer ge­

schäftlichen Grundlage dem Kreditbedürfnis in Berlin nicht entsprechend?

ist nicht irgendwo in der Einrichtung dieser Kassen ein ungesunder Punkt,

der

uns

jemandem

jene Erscheinung der

erklärt,

ohne daß wir die Schuld irgend

dabei Beteiligten zur Last zu legen hätten?

Und hier

komme ich auf das Hauptthema unserer heutigen Unterhaltung. Ja, m. H., ich bin der festen Überzeugung, es ist so: der Grund jener Erscheinung liegt in der Basis, dem Prinzip der Kassen selbst, dieses ist aber kein anderes, als die Subvention, die Unterstützung! Und beide,

m. H., darüber haben Wissenschaft und Erfahrung entschieden, sind auf volkswirtschaftlichem Gebiete nicht die Grundlage, auf der sich derartige,

Vorschußvereine und Wohltätigkeitskassen.

179

zur Hebung der arbeitenden Klassen bestimmte Institute halten und nach­ haltig wirken können. Man wende mir seitens der Leiter der Berliner Kassen hiergegen nicht ein: das ist ja doch keine Unterstützung, die wir

geben; die Leute, welche die Vorschüsse bekommen, müssen sie zurückzahlen, ja sie müssen auch wohl zum Teil Zinsen dafür geben. Ja, in. H., in so ganz grober und gewöhnlicher Forin tritt Ihnen allerdings das Almosen hier nicht entgegen, wenigstens nicht vom Standpunkt der Vorschuß­ empfänger aus. Aber ich bitte einmal die andere Seite der Sache zu betrachten und

die Ausbringer der Fonds, die Geber ins Auge zu fassen.

Nun, wenn

eine Anzahl Männer Geschenke macht, Sammlungen veranstaltet, Gelder unverzinslich hergibt, was tun sie? ein Geschäft machen sie damit doch nicht! sie geben vielmehr eine Unterstützung zu einem bestinimten Zweck, sie widmen diese Gelder, welche sie sich abbrechen und ihren Geschäften entziehen, einem guten Zweck; sie sind sich auch bewußt, hierbei nicht eine Zwangspflicht, nicht eben eine Leistung im geschäftlichen Leben, zu der sie verbunden wären, zu erfüllen, sondern ein Liebeswerk zu tun. Sie geben etwas ohne Entgelt, und sie sind die Gönner und also auch die Wohltäter dieser Anstalten, ohne deren Unterstützung dieselben gar nicht existieren würden. So erhalten Sie, m. H., folgende Stellung der beiden Parteien, welche hier konkurrieren: auf der einen Seite eine Anzahl Gönner, welche Mittel und Kraft aufwenden, ohne Entschädigung um eines guten Zweckes willen; auf der andern Seite eine Schar von Leuten, denen dadurch aufgehvlfen werden soll, und die ohne jene freie Liebesgabe nicht zu dem Zwecke kämen, ihr Kreditbedürfnis aus diesen Kassen zu befriedigen. Man drehe die Sache wie man will, man komnit von der Subvention, von der Unterstützung nicht los. Daß aber auf diese Weise seitens der Vorschußempfänger nicht eine wirkliche geschäftliche Selbständigkeit ihres Kreditbedürfnisses erreicht werden kann, das springt doch in die Augen. Eine selbständige, eine gesicherte Existenz kann sich der Mensch überall nur durch eigene Kraft, indem er sich auf sich selbst

verläßt, auf sich allein stützt, verschaffen; auf eine Hilfe von außen her, auf Beihilfe von dritten rechnen, heißt eben auf seine Selbständigkeit

im Felde des Erwerbes ein für alle Mal verzichten, und sich von fremder

Gnade abhängig machen. Der Gegensatz der Subvention und Unterstützung also, die Selbst­ hilfe, sie ist allein, wie seit jeher durch viele Erfahrungen erprobt ist, und wie auch wir wiederum durch unsere zahlreichen Organisationen im Lande bewiesen haben, die richtige Grundlage, auf welcher alle derartige 12*

Schulze-Delitzsch.

180

Unternehmungen nur gedeihen können, die Selbsthilfe und ein für alle­

Es gibt nichts anderes auf diesem Gebiete, was

mal die Selbsthilfe!

den Namen verdiente, nur die Selbsthilfe ist hier nachhaltige, wirkliche Glauben Sie deshalb nicht, m. H., ich wollte den Wert von

Hilfe.

solchen Handlungen

der Wohltätigkeit,

der

Unterstützung anderer aus

freier Liebe und mit eigenen Opfern irgendwie verkennen.

die Wohltätigkeit

ihre

hohe sittliche Berechtigung,

Gewiß hat

ihren menschlichen

Aber sie soll sich auf ihre Aufgabe beschränken, die ihr von der

Wert.

Natur gesetzten Grenzen innehalten.

Wenn es gilt, vorübergehendes oder

sonst vereinzelt auftretendes Elend, das der Selbsthilfe der davon Be­ troffenen spottet,

zu lindern, dann ist die Wohltätigkeit an ihrem Platz,

dann mag sie ihr Liebeswerk üben und sich den Dank verdienen, der ihr gebührt.

Aber den dauernden Notstand zahlreicher Bevölkerungsklassen

auf dem Wege der Mildtätigkeit heben zu wollen, die soziale Frage dem Almosen in die Hände spielen, das ist ein übles Ding und hat in seinen

Konsequenzen die verkehrtesten und allerverderblichsten Folgen. Ich sage zuerst, ein verkehrtes Beginnen, wobei

man das alte

wahre Wort ganz beiseite setzt: Almosen demoralisiert! Der Mensch

ist einmal so geartet, daß sich seine volle Leistungsfähigkeit nur da ent­

wickelt, wo man ihn ganz auf eigene Kraft verweist.

Ihm mit Subvention

zu Hilfe kommen, ihn an die Vorstellung gewöhnen, er könne sich ja doch nicht selbst helfen, er sei bei seiner Existenz ans Unterstützung an­

gewiesen, heißt: ihm alle Selbstachtung, jeden Sporn zu tüchtigem Tun nehmen, das stumpft Intelligenz und Tatkraft, lähmt das Vertrauen

auf sich selbst, und überliefert ihn völlig der Trägheit und bent Leichtsinn. Worauf läuft dies nun anders hinaus, als auf vollständige Demoralisation?

Man

hebt aber

niemanden

auf

die

Dauer,

wenn man ihn

demoralisiert! Dies die einfache Wahrheit, welche leider sowenig beherzigt Und weiter: abgesehen von diesem Verkehrten, in sich selbst Wider­

wird.

sprechenden, was die Anwendung der Wohltätigkeit auf sozialem Gebiet

bei solchen Aufgaben, wie sie uns hier vorliegen, zur Folge hat, geht

daraus auch das verderblichste Resultat, das ich mir denken hervor.

kann,

Denn, indem man die Massen an die Vorstellung gewöhnt, sie

könnten sich selbst durch eigene Kraft nicht helfen, sie seien auf die Unter­

stützung ihrer wohlhabenderen und besser gestellten Mitbürger angewiesen, tastet man an die Grundlage aller Gesellschaft.

als

die

Selbstverantwortlichkeit,

Diese ist keine andere

das Haften

und

Einstehen

des

Menschen für seine Existenz, für sein eigen Tun und Lassen, das Tragen

der Folgen davon.

Den Menschen dieser Selbstverantwortlichkeit ent-

Vorschußvereine und Wohltätigkeitskassen.

181

heben, ihn mit seiner Subsistenz auf andere Hinweisen, gleichsam als auf

Berpflichtete, würde die ganze Staats- und Menschen-

moralisch

Gesellschaft in ihrem Fundamente erschüttern, — denn es heißt nichts

weniger als: die Zurechnungsfähigkeit aufheben! Und ohne diese Zurechnungsfähigkeit des Einzelnen, ohne dieses Einstehen Jedes für sein

Tun

gibt es kein gesellschaftliches Zusammenleben, da ist

Lassen,

und

keine Verbindung der Menschen zu gemeinsamen Zwecken, kein geselliger

überhaupt denkbar.

Zustand

Beziehungen,

Und

besonders in den uns vorliegenden

m. H., ist dies vor allem mißlich,

Erwerbe zu tun

haben,

mit der

Notdurft des

wo wir es mit dem nackten

Daseins, den

materiellen Bedürfnissen unserer Natur, die uns mit den Tieren gemein

Gerade hier

sind.

höhere,

ist der Punkt, wo in der menschlichen Natur das

geistige Element mit dem niederen, tierischen sich berührt, der

Grenzpunkt zwischen Mensch und Bestie, die Stätte, wo die niedrigsten

Leidenschaften

entspringen.

Nun mag es wohl unter Umständen leicht

genug sein, den Bann zu brechen, diese wilden Leidenschaften zu entfesseln

- aber

den Spruch zu finden, der die empörten unsauberen Geister

wieder zu beschwören vermag, das hat oft ganze Ströme von Blut gekostet. Übrigens ist die Durchführung eines solchen Unterstützungssystems

auch in materieller Hinsicht unmöglich, denn die Klassen, die Unterstützung erhalten sollen, sind unendlich zahlreicher als diejenigen, welche sie geben

müßten.

Deshalb wird ein solches Verhältnis auf die Dauer geradezu

unmöglich;

wenn man auch den besten Willen seitens der besitzenden

Klassen voraussetzen dürfte, indem diese den zu machenden und notwendig immer steigenden Ansprüchen gar nicht gerecht werden können.

Wir haben

in

neuerer Zeit ein recht schlagendes Beispiel gehabt,

wie sich solche Fragen praktisch beantworten, ein Beispiel aus einem Musterlande dieser tadelnswerten Richtung.

In Belgien, m. H., haben

Sie das Stück sich abwickeln sehen, als die bekannten Unruhen toegeu des Wohltätigkeitsgesetzes ausbrachen, da bekamen wir eine

durch

die

Regierung Belgiens garantierte Statistik über diese Verhältnisse in jenem

Lande zu Gesicht.

Darnach betrugen die öffentlichen Fonds zu öffent­

lichen Unterstützungen, namentlich der arbeitenden Klassen, bei einer Bevölkerung von kaum vier Millionen Seelen, ein so ungeheures Kapital,

daß ihre Jahresrente über 14,000,000 Francs ausmachte! Unterstützung aus

öffentlichen Mitteln erhielten 25%

vier Einwohnern einer.

der ganzen Bevölkerung, von

Ich sage „Unterstützung aus öffentlichen Mitteln";

denn es liegt natürlich außer aller Möglichkeit, auch die Leistungen der Privatmildtätigkeit dabei zu kontrollieren.

Nun bedenken Sie, wohin das

182

Schulze-Delitzsch.

führt: ein solcher ungeheuerer Kapitalstock der Industrie, dem Verkehr­

entzogen und auf diese Weise verwendet! Eine solche Summe in Almosen vergeudet, welche, wenn sie in der Form von Arbeitslöhnen verausgabt

lvorden wäre, einen Strom fruchtbringender Tätigkeit über das ganze Land hätte ergießen können! Das Verhängnisvolle dieser Richtung über­ ist, daß, je mehr sie herrscht, sie notwendig immer größere Dimensionen

annimmt, immer unentbehrlicher wird, daß die Zahl derer, die auf Unter­ stützung, auf solche trefflich dotierten Sinekuren der Faulheit Anspruch machen, sich in erschreckender Weise vergrößert, die Zahl derer dagegen, die Unterstützungen geben können, immermehr sich verringert, weil einer nach dem andern

von ihnen durch die immer steigenden Forderungen

der Armenverwaltung selbst mit in jenen allgenieinen Strudel hinab­

gerissen wird. Das einzige wahrhaft Konservative auf diesem Felde ist daher

die Verweisung der Leute auf ihre eigene Kraft.

Von dem Satze, das;

jeder sich wohl selbst helfen könne, wenn er es nur recht anfängt, wenn er nur seine Kraft recht braucht und seine Mittel zusamniennimmt,

von diesem Satz allein und seiner strengen Durchführung darf mau bei Organisationen wie die sind, um welche es sich handelt, ausgehen, wenn

man nachhaltig und auf die Dauer etwas Gutes damit stiften will.

Selbsthilfe auf dem

Die

Gebiete des Erwerbes, m. H., ist der Friede, die

Selbstverantwortlichkeit ist die Ordnung.

Und ich

glaube, man kann

den Zwiespalt zwischen Arbeit und Kapital, von dem man so ent­ setzliche Folgen, den Umsturz alles Bestehenden, alles Wohlstandes fürchtet,

nicht versöhnlicher, nicht gedeihlicher lösen, als wenn man den Arbeiter­ selbst,

aber nur auf dem Wege

Kapitals teilhaftig macht.

der Selbsthilfe,

der

Wohltaten des

Denn das beherzige doch jeder: die Zivilisation

und der Wohlstand besiegen alle ihre vermeintlichen oder wahren Feinde am sichersten, wenn sie sich ihnen als Errungenschaften ihres eigenen

Tuns mitteilcn.

liier folgen noch Darlegungen über die auf die Selbsthilfe beruhenden Vorschußvereine, welche in ausführlicherer weise in den Büchern „Vor­ schußvereine als Volksbanken" und „Die arbeitenden Klaffen und das

Assoziationswesen in Deutschland" wiederkehren. Die Zentralvereinigung selbst scheint keine Erfolge erzielt zu haben;

wenigstens ist in der erwähnten Zeitschrift, welche über die vorbereitenden Schritte im Jahrgang 859 sehr ausführlich — Seite 309 bis 3fH und Seite H5? bis ^63 — berichtete, nicht mehr von ihr die Rede.

Vorschußvereine und Wohltätigkeitskassen.

183

Der Kreditverein für Gewerbetreibende in Leipzig. (Aus der „Innung der Zukunft" Jahrgang 1855. Sd?on charakter

Seite 53.)

bevor Schulze mit energischen Worten den Wohltätigkeits­

der

Berliner Darlehnskassen verurteilte,

hatte er in ganz

gleicher weise sich gegen eine Neuschöpfung in teipzig, den Rreditverein für Gewerbetreibende, gewandte, der allerdings derart auf dem Boden

der Selbsthilfe aufgebaut werden sollte, daß die Mitglieder sich zum

Erwerbe von mindestens einer „Aktie" von (0 Talern durch Monatsbeiträge von 5 Sgr. verpflichteten, und Vorschüsse wiederum nur Mit­

gliedern gewährt wurden.

Mochten deren Beiträge von vornherein auch

zu niedrig gegriffen sein — höchstens 50 Taler — und Einzelheiten des

Statuts zu Bemängelungen Anlaß geben,

so erkannte Schulze an,

den Plan

besprach,

in der „Innung der Zukunft"

der

daß „das Projekt

seiner Hauptanlagen gemäß sich als ein solches empfehlen dürfte, welches bei gehöriger Organisation und Verwaltung seinem Zwecke mit großer

Wahrscheinlichkeit entsprechen

aber

dürfte".

Um so lebhafter bekämpfte er

die Bemühung des Gründungsausschusses, die Betriebsmittel

Vereins

neben

des

den Monatsbeiträgen der Mitglieder durch Geschenke

seitens des großen Publikums und unverzinsliche nach Ablauf mehrerer

Jahre kündbare Darlehen, und zwar der Hauptsache nach, aufzubringen.

Mit diesem Aufruf an die Beihilfe der Mitbürger — sagte Schulze — wird die Grundlage der Selbsthilfe verlassen,

die Mildtätigkeit Dritter,

und an ihre Stelle tritt

wie später in Berlin, so scheute er auch hier

vor starken Worten nicht zurück, um diesen versuchen entgegenzutreten.

Ja, das ist der Kern der Sache, die Wohltätigkeit, das Almosen ruft man an, weil man an der Fähigkeit der kleinen Gewerbe, des Hand­ werkerstandes, sich selbst zu helfen, verzweifelt.

Oder ist es etwas anderes

als eine Bitte um eine milde Gabe, wenn man das Publikum um Ge­ schenke

und Erlaß

des Zinses bei vorzustreckenden Darlehnen angeht,

gleichviel in welcher guten Absicht und für wen gebeten wird? Es liegt durchaus kein Grund vor, an dem guten Willen der Ausschußmitglieder, an deren Opferfähigkeit für den guten Zweck zu zweifeln.

Aber haben

diese Männer auch bedacht, welches traurige Zeugnis sie den Zuständen der Handwerker und kleinen Gewerbtreibenden, dieser so wichtigen Klasse in ihrer Vaterstadt, deren sittlicher und geschäftlicher Tätigkeit dadurch

ausstellen?

Ja freilich, wenn so und so viel tausend Taler geschenkweise

einkommen oder ohne Verzinsung vorgestreckt werden, da läßt sich die

Schulze-Delitzsch.

184 Sache schon machen. die Listen

aller

Aber warum da nicht lieber gleich dem Publikum

solcher mitteilen,

denen mit Vorschüssen

gedient ist,

mit der Aufforderung, jedem unter ihnen eine bestimmte Summe zu

schenken oder ohne Zinsen auf einige Jahre vorzuschießen? Da ersparte man doch wenigstens die Kosten und Mühe der Organisation und Ver­

waltung des Vereins, und die Wohltäter können sich gleich ihre Benefiziaten nach Gefallen aussuchen.

Wird man denn nie anerkennen, wie

überaus gefährlich es ist, in den arbeitenden Klassen und gar noch der über ihnen stehenden Gesellschastsschicht die Idee anzuregen, daß sie sich

ohne

Unterstützung ihrer wohlhabenderen Mitbürger nicht helfen, also

nicht ohne Almosen bestehen können? Nichts in der Welt müßte mehr demoralisierend auf jenen so zahlreichen und nützlichen Stand wirken, als

wenn er so sich selbst aufgäbe,

und nichts wäre bedenklicher in seinen

Konsequenzen für die, auf deren Unterstützung man ihn verweist, da sie dies ohnmöglich auf die Dauer durchzuführen vermöchte.

Aber, Dank der Kernhaftigkeit und Tüchtigkeit der beteiligten Klassen selbst, noch ist es nicht so weit, und wird niemals dahin kommen, daß

sie alle Selbstachtung verlieren finden glauben werden.

und nur noch im Almosen Hilfe zu

Es ist ein Irrtum des Ausschusses, zu welchem

sich derselbe in seinem rühmlichen Eifer, zu Helsen, hat hinreißen lassen.

Die Handwerker und kleinen Gewerbtreibenden einer Stadt, wie Leipzig,

von europäischer Bedeutung des Verkehrs, durch ihre sittliche Tüchtigkeit

und Intelligenz

keinem im gemeinsamen deutschen Vaterlande weichend,

— sie vor allem können nicht mit solchen Maße gemessen werden.

Ihre

die Unbill, die sie dadurch erleiden würden,

beste Verteidigung gegen

ist der in der Mitte ihres Jnnungsmeistervereins, ihrer natürlichen Ver­ trauensmänner, selbst beratene frühere Plan, dessen gesunde und würdige

Haltung jedermann anerkennen muß.

Möchten sie doch ja recht bald

denselben wieder ausnehmen und frisch und ohne weitere Bedenken an

die Ausführung gehen.

Der Segen des Unternehmens würde sich gar

bald betätigen, und sein Gelingen ihre Mühe lohnen, da sie der tüchtigen

und redlichen Männer, welche der Leitung gewachsen sind, in Menge in ihrer Mitte haben.

Blicken sie nur, um sich Lust und Mut zu machen,

auf die kleinen Städte ihrer nähern Umgebung, nach Delitzsch, Eilenburg, Zörbig, Düben,

Eisleben.

Wenn dort bei den geringen Mitteln, den

beschränkten Verkehrsverhältnissen dieser Orte binnen weniger Jahre ver­ hältnismäßig so bedeutendes, ohne Mithilfe der Behörden, Kapitalisten u. A.

nur durch Zusammentritt derer, die der Vorschüsse bedurften,

geleistet

werden konnte, wie muß ein solches Unternehmen erst in Leipzig gedeihen,

Vorschußvereine und Wohltätigkeitskassen.

185

einem der Hauptmittelpunkte deutscher Industrie und Intelligenz, in Leipzig, zu dessen Handwerkerstande die Handwerker des ganzen Landes als leitend

und

maßgebend

für ihre Interessen, ihre technische Vervollkommnung

empor zu blicken gewohnt sind!

Schulze hatte die Genugtuung, daß dank dieser Kritik neben dem

Rreditverein für Gewerbetreibende sehr bald ein sich ausschließlich auf die Selbsthilfe stützender Vorschußverein in Leipzig in das teben trat,

wie dies auf Seite (89 und (90 dieses Buches näher erwähnt wird.

Aufruf zur Bildung von Vorschußvereinen. (Aus der „Gartenlaube" Jahrg. 1857 S. 493.)

Geld und Kredit

im Überfluß für die Handwerker und kleinen

Gewerbetreibenden! Kann denn niemand von ihnen Geld brauchen? — Fast klingt es wie ein schlechter Spaß, wie die Anpreisung eines Marktschreiers, wenn man in diesen Tagen eine solche Frage an die Leute richtet und sie ordentlich bittet, daß sie die Gefälligkeit haben möchten, znzugreifen; und noch dazu diejenige Klasse, welche beides am meisten bedarf und am seltensten erlangt. Und doch ist es so, von dem obigen Worte geht kein Buchstabe ab. Wie viele sonst wackere Männer über­ sehen noch das nächste dargebotene Mittel zur Rettung aus unleugbarem

Notstände, die Aushilfe durch eigne Kraft, und erwarten von irgend einer unerfindbaren Gewerbeorganisation de» Schutz vor der ihre kleinen

Geschäfte erdrückenden Großindustrie. Und doch müßte nach den vielen vergeblichen Versuchen eigentlich ein Blinder es begreifen, daß ihnen nichts weiter übrig bleibt, als auch ihrerseits mit der Zeit fortzugehen, sich der neuen Erfindungen, der Vorteile, der neueren Betriebsweisen zu bedienen, wenn sie auf die Länge bestehen wollen. Dazu aber ist vor alle» Dingen Geld und Kredit nötig und zwar inehr als ihnen unter den bisherigen Umständen zu Gebote stand. Und wäre es nur, um die Rohstoffe im großen besser und billiger zu beziehen, die in fast allen Branchen so ungeheuer im Preise gestiegen sind, daß, wer dieselben in kleinen Quan­ titäten vom Zwischenhändler zu entnehmen genötigt ist, schon deshalb allein nicht Konkurrenz halten kann. Beides aber, Geld und Kredit, ist da, sobald die Handwerker nur tvollen, das ist keine Chimäre, sondern

eine durch unsere Vorschußvereine seit mehreren Jahren vor den Augen aller Welt erprobte Tatsache. Während die großen Banken ihr Diskonto

in der letzten Zeit erhöhen mußten, ist die ohne viel Geräusch neben ihnen fortgeschrittene Bewegung ihrer bescheidenen Schwestern, der Vorschuß­ vereine, binnen kurzem dahin gelangt, ihren Mitgliedern den Kredit von Jahr zu Jahr billiger gewähren zu können, da ihnen an Barschaft soviel zufloß, daß sie nicht immer von allen Offerten Gebrauch machen konnten. Und dabei gehen diese Vereine lediglich von den Handwerkern und Ar-

Aufruf zur Bildung von Vorschußvereinen. beitem selbst aus, als reiner Ausdruck der

187

Selbsthilfe, ohne daß es

etwaiger Wohltäter unter den wohlhabenden Klassen, fremder Hilfe, des guten Willens Dritter, bedürfte.

Die Organisation, die Wirksamkeit der

schon seit mehreren Jahren bewährten Institute liegt offen vor aller Augen da, so daß mau die Einrichtung der Mustervereine mit wenigen Modi-

sikationen fast immer auf die neu zu gründenden Institute übertragen kann, was in vielen gelungenen Fällen von Handwerkern ganz allein,

ohne Zuziehung von

eigentlichen Geschäftsleuten, in das Werk gesetzt

Die erforderlichen Kapitalien finden sich dann, sobald nur

worden ist.

Leute, welche als solid und rechtlich im Publikum bekannt sind, die Sache

in die Hand nehmen, von selbst.

Da sind manche unter den kleinen

Leuten, die Geld in den Sparkassen haben, was sie weit lieber den In­

stituten ihrer Genossen zuwenden, wo sie besseren Zins erhalten; da gehen von den Mitgliedern selbst in der Form geringer Monatsbeiträge Summen

ein, welche allmählich schon in das Gelvicht fallen.

Die Sicherheit für

die Gläubiger aber wird auf das Vollständigste durch die solidarische Haft sämtlicher Mitglieder gewährt, worin wir den eigentlichen Hebel

erblicken, welcher der ganzen Organisation ihre Macht verleiht.

Denn

wir haben es meist mit unbemittelten Gewerbetreibenden zu tun, deren wirtschaftliche Bedeutung zum großen Teil nicht in einem gesicherten

Besitz,

sondern in ihrer Arbeitskraft

Verkehr

liegt; eine Eigenschaft, welche im

nicht als Sicherheit für Kapitalanlage gilt, weil sie

Einzelnen

bei dem

zu vielen Zufälligkeiten unterworfen ist, die derselbe nicht in

der Gewalt hat.

Dieser Mangel wird aber sofort gehoben, sobald eine

größere Menge von Arbeitern zusammentritt und gegenseitig für ein­ ander einsteht, Zufälle und Unglück, die den Einzelnen betreffen können,

übertrügt, wie dies eben bei der solidarischen Verhaftung dem Gläubiger

gegenüber geschieht, der sich alsdann wegen seiner ganzen Forderung an

jedes Vereinsmitglied zu halten berechtigt ist. Daß die aus der Vereinskasse den Mitgliedern vorgestreckten Summen verzinst werden müssen, daß man dabei auf die Bildung eines Reserve­

fonds, wegen

Rücksicht

möglicher Verluste

und Deckung der Verwaltungskosten

zu nehmen hat, versteht sich von selbst.

Deshalb können die

Zinsen, wie bet einem Bankier, wenn man dessen Provision hinzurechnet,

nicht unter 8—10 °/0 auf das Jahr bemessen werden, wobei jedoch der Überschuß, welchen die Zinseinnahme nach Abzug sämtlicher Geschäfts­ unkosten gewährt, den Mitgliedern in der Form einer Dividende wieder-

iint zu Gute kommt.

Sie zahlen also in jenen höheren Zinsen nur das,

was das Bestehen des Instituts durchaus erfordert, und wie gering dieser

188

Schulze-Delitzsch.

Zinssatz überhaupt ist, einmal gegen den Vorteil, den sie sich mit dem so erhaltenen Kapital schaffen können, sodann gegen diejenigen Zinsen, welche sie außerhalb des Vereins bei unseren Geldleuten in der Regel zahlen mußten, weiß jeder, der praktische Erfahrungen hierin gemacht hat, nur zu gut. Welcher Segen ist es für die Handwerker, in jedem Augen­ blick 50—100 Thlr. und mehr erhalten zu können, und wie können hier­ gegen die 121/2—25 Neugroschen in Anschlag kommen, die er dafür auf

einen Monat zahlen muß! Schon sind die meisten Vereine selbst in unsern kleinen Städten dahin gelangt, daß sie bis 300, ja 500 Taler auf eine Post geben, sobald die Verhältnisse des Vorschußempfängers die nötige Garantie bieten, und noch niemals — dies ist wörtlich wahr — ist wegen mangelnden Kassenbestandes bei uns ein Gesuch abgewiesen worden, weil der Kredit unserer Vereine es möglich machte, den Betriebs­ fonds jeden Augenblick beliebig zu verstärken. Außerdem gewähren aber die Vorschußvereine auf der von uns empfohlenen Grundlage noch ein Resultat, auf welches wir besonderen Wert legen und welches kein anderes ähnliches Institut in dieser Weise bietet: daß sie nämlich den Mitgliedern die Anfänge einer eignen Kapitalbildung ermöglichen. Der große Anreiz hierzu liegt nämlich in der Dividende, die den Einzelnen nach Höhe ihres Guthabens in der Vereinskasse gewährt wird, welches sie sich durch das Einsteuern fort­ laufender kleiner Monatsbeträge gebildet haben, und dem die jedesmalige Dividende selbst wiederum zugeschrieben wird. Die Wirkung der ersten den Mitgliedern gewährten Dividenden überstieg alle Erwartungen, indem, trotz der einfallenden für die Handwerker unserer kleinen Städte so drückenden Notjahre, sich die Monatssteuer auf das Doppelte ja Drei­ fache des früheren Betrages erhoben, weil auch die Ärmsten jeden Groschen, den sie sich abdarben konnten, in die Kasse trugen, um ihre Berechtigung an der Dividende zu erhöhen. So erhielt man das außerordentliche

Resultat: daß schon nach wenigen Jahren ein sehr bedeutender Teil des Betriebsfonds (in Delitzsch zum Beispiel nach 4 Jahren die Hälfte) den

Mitgliedern eigentümlich gehörte, und die sichere Aussicht vorhanden ist, daß die Vereine in 8—10 Jahren ungestörter Wirksamkeit ihren Geld­ bedarf lediglich unter ihren eignen Mitgliedern aufbringen. Um die volle Bedeutung dieses Resultats zu ermessen, erwäge man wohl — daß die Mehrzahl der Mitglieder, gegenwärtig Inhaber eines für ihre Verhält­ nisse immerhin bedeutenden Bankgeschäfts, in ihrer früheren Isolierung

es selten oder nie zum Erwerb eines eignen Kapitals brachte, und wenn sie den ihr unentbehrlichen Kredit ansprach, mit großer Mühe oft

Aufruf zur Bildung von Vorschußvereinen.

nur wenige anheimfiel.

Taler

189

aufbrachte und dabei dem schmählichsten Wucher

Nach alledem ist die Möglichkeit tatsächlich nachgewiesen, daß die unbemittelten Gewerbetreibenden, sich durch eigne Kraft Barschaft und Kredit ermitteln können, sobald sie nur ernstlich Hand anlegen. Ebenso steht fest, daß nur auf die vorbeschriebene Weise dem Kreditbedürfnis derselben sein volles Genüge auf die Dauer verschafft werden kann, indem die eigne Kapitalbildung mit ihm Hand in Hand vorschreitet und ein

wohltätiges Gegengewicht bildet.

Wie viel wir auch von Darlehnskassen

u. a. hören und lesen, welche von wohldenkenden Personen und Vereinen gegründet und durch Subventionen, sei es auch nur durch die zinsfreie Vorstreckung des Betriebskapitals, erhalten werden — immer ist ihr Um­ satz ein kümmerlicher, der mit dem vorwaltenden Bedürfnis nicht im Ver­ hältnis steht, während wir nur bedauern, daß in unseren kleinen Land­ städten der Verkehr sich in so engen Grenzen bewegt, da wir doppelten und dreifachen Ansprüchen zu begegnen imstande sein würden. Und außer dem offenbar Ungenügenden muß man bei dergleichen Almoseninstituten — denn das sind alle nicht auf die eigne Kraft der Beteiligten gegründeten — auch noch die offenbar verderbliche Wirkung in Anspruch bringen, die sie in sittlicher wie in wirtschaftlicher Hinsicht ausüben. Jemanden daran gewöhnen, auf den guten Willen, die Gnade eines Dritten sich bei seinen geschäftlichen Operationen zu stützen, ja ganze Volksklassen geflissentlich zu der Vorstellung heranerziehen, daß sie sich ohne die Hilfe ihrer wohlhabenden Mitbürger nicht im Nahrungsstande erhalten können — wozu soll dies am letzten Ende führen? Dagegen predigen wir mit Wort und Tat unaufhörlich den Satz: „daß jeder durch den richtigen Gebrauch seiner Kräfte recht wohl sich selbst zu helfen die Macht wie die Pflicht habe, und nur ein Bettler aus fremdem Beutel um Unterstützung anspricht;" und Vernunft und Erfahrung mögen zwischen beiden Systemen richten. Dabei können wir nicht umhin, des glänzenden Beispiels zu erwähnen, welches ganz neuerlich durch das rasche Gedeihen des erst im vorigen Jahre gestifteten Vorschußvereins zu Leipzig nach unseren Prinzipien als Gegenstück zu der dortigen Darlehnsanstalt für Gewerbetreibende geliefert ist. Obschon nämlich die letzteren durch angesehene Kaufleute und Kapitalisten in wohlmeinender Fürsorge für die unbemittelten Handwerker gegründet, mit bedeutenden meist un­ verzinsbaren Kapitalien ausgestattet und mit großer Aufopferung geleitet wird; obschon sie ihre Darlehne an alle um geringere Zinsen gewährt,

so blühte doch neben ihr unser Vorschußverein

unter

der

tüchtigen

190

Schulze-Delitzsch.

Leitung der Herren Winter, Kreutzer, G. Meyer, Wieck und andere so

überraschend auf, daß seine Resultate schon nach einem Jahr darauf

fchließen lassen, daß er jene Darlehnsanstalt statt ihres anfänglichen großen Vorsprungs, durch die Überlegenheit seines Prinzips binnen wenigen Jahren überholen wird. So fassen wir denn die durch unsere Vereine erreichten wichtigen

Vorteile kurz dahin zusammen, daß: a) der kleine Gewerbestand dadurch in den Stand gesetzt wird, jeden Augenblick eine seinem Bedürfnis angemessene bare Geldsumme

zu erhalten;

b) daß ihm die hohen wucherischen Zinsen erspart werden, welche er sonst dafür opfern mußte; c) daß der Gewinn des Vorschußgeschäfts, bisher das Monopol der Kapitalisten, in seine eigne Tasche fließt und nebst den kleinen

ihn nicht belästigenden monatlichen Beisteuern, die Anfänge einer eignen Kapitalbildung zu seinen Gunsten bewirkt.

Gewiß wesentliche Bedingungen zum Gedeihen, an deren Mangel

schon manches wackere Streben gescheitert ist.

Die arbeitenden Klaffen und das Affoziationswesen in Deutschland als Programm zu einem deutschen Kongreß. Leipzig.

Verlag von Gustav Mayer.

1858.

Vorwort. Schon war mit dem Drucke dieser Blätter begonnen, da fand die am Schlüsse angedeutete Vereinigung des Kongresses deutscher Volkswirte mit dem vom Verfasser befürworteten für die praktischen Bestrebungen aufsozialem Gebiet von einer Seite Zustimmung, welche beweist, daß sich derselbe in seinen Hoffnungen nicht getäuscht hat. Das in Bremen zur Verbreitung volkswirt­ schaftlicher Kenntnisse von einer Anzahl deutscher Volkswirte eingesetzte pro­ visorische Komitee, dessen Aufruf zur Bildung volkswirtschaftlicher Vereine fast durch alle deutschen Zeitungen ging, kam nämlich dem Verfasser in dem obigen Gedanken entgegen und wird die weitern Einleitungen deshalb durch seinen Geschäftsführer, Herrn Dr. Böhmert — Redakteur des Bremer Handels­ blattes — in die Hand nehmen und die erforderlichen Einladungen zu der Zusammenkunft vorbereiten. Soweit wäre der Wunsch um ein gutes Teil seiner Erfüllung näher gerückt, in welchem sich eine große Zahl deutscher Mitglieder des internationalen Wohltätigkeitskongresses zu Frankfurt a. M. im vergangenen Herbst be­ gegnete: sich im Laufe des Jahres wieder zusammenzufinden auf deutschem Boden, sich mit den hochwichtigen Fragen vom deutschen Standpunkte aus zu beschäftigen, den Bestrebungen zur Hebung des Loses der arbeitenden Klassen in unserm Vaterlande einen Mittelpunkt, die nationale Anerkennung zu sichern. Lediglich, um von seiner Seite den Anstoß hierzu mit geben zu helfen, hat der Verfasser sich zur Herausgabe dieser Blätter entschlossen, zu denen eine Folge von Artikeln in einer geachteten deutschen Zeitschrift (die Grenzboten, 16. Jahrgang S. 210, 255, 401, 441, 448) die geeignete Veranlassung bot, indem darin die praktischen Versuche, um die es sich handelt, ihre Würdigung finden. Als ein vorläufiges Programm sollten sie zur Formulierung einiger auf die Tagesordnung des künftigen Kongresses gehörigen Fragen beitragen, welchem, findet der Gedanke überhaupt Anklang, hoffentlich andere folgen werden, um das Material nach allen Seiten hin zu vervollständigen und abzugrenzen. Denn das verhehlt sich der Verfasser keinen Augenblick, daß er in dem hier Mitgeteilten, überhaupt in seiner ganzen Wirksamkeit, nur eine vereinzelte Richtung, eine Spezialität, wenn man so will, vertritt, welche der Ergänzung bedarf, soll etwas irgend Befriedigendes auf dem weitumfassenden und schwierig zu bearbeitenden Felde geleistet werden, mit dem wir es zu tun haben. Doch hält er diese bewußte Einseitigkeit von seinem Standpunkte für keinen Vorwurf, vielmehr erblickt er in der Wahl

192

Schulze-Delitzsch.

eines solchen beschränkten Wirkungskreises das Grunderfordernis jeder energischen nach praktischen Zielen, nach wirklicher Frucht ringenden Tätigkeit. Auf keinem Gebiete tut die Teilung der Gesamtarbeitsaufgabe unter viele so Not, wie hier, und wenn der Einzelne nicht seine Kraft in einem bestimmten Zweige derselben konzentriert, wird er schwerlich irgend etwas von Belang vor sich bringen. Möchten daher auch andere, besonders von den in Frankfurt versammelt gewesenen Gästen, ihre Stimme erheben für das gemeinsam Erstrebte, möchten vorzugsweise jene Männer darunter, welche zu den Zierden der deutschen Wissen­ schaft gehören, oder sonst durch ihre Stellung und Wirksamkeit sich eines wohl­ verdienten Ansehns unter ihren Mitbürgern erfreuen, das Gewicht ihrer Namen dafür einsetzen, damit die Sache mehr und mehr Gestalt und dem Publikum gegenüber diejenigen Bürgschaften gewinne, welche so wesentlich zu Ihrem Gelingen beitragen. Nicht wenig wird dabei von den bereits bestehenden Assoziationen selbst abhängen, unter denen die Vorschußvereine, Darlehnskassen oder Kreditanstalten, und wie sie sich sonst nennen, bereits eine große Mitglieder­ zahl und ziemlichen Einfluß besitzen. Gerade sie haben dringendE Veranlassung zu lebhafter Beteiligung, wollen sie anders zeigen, daß sie soweit gelangt sind, auf solcher Versammlung über ihre eignen Interessen ein Wort mitzusprechen. Das Meiste von allem jedoch hängt davon ab, welche Haltung die deutsche Tagespresse unserm Projekt gegenüber einnimmt, und ob sie die Sympathie, welche sie der schon länger angeregten Zusammenkunft deutscher Volks­ wirte bewiesen hat, ihr auch in dieser neuen Kombination bewahren wird. Da diese Kombination der Sache der Volkswirtschaft insofern beim Publikum den größten Dienst leistet, als sie dem wissenschaftlichen Interesse das praktische hinzufügt, und die noch lange nicht genug gewürdigte Lehre zur Richterin über die brennendste Frage unserer Zeit proklamiert, so haben wir keinen Grund, hieran zu zweifeln. Außer der Verbreitung volkswirtschaftlicher Kenntnisse einerseits, werden daher, nach dem für jetzt nur in den Grundzügen bestehenden Plan, hauptsächlich einige Themata aus dem praktischen Leben von hervorragender Tragweite dem Kongresse vorzulegen sein, als welche man vorläufig die Gewerbefreiheit und die auf Selbsthilfe gegründeten Bestrebungen zur Hebung der arbeitenden Klassen, insbesondere die Assoziationen — Dinge,, die sich gegen­ seitig einander ergänzen — bezeichnete, ohne jedoch hiermit Vorschläge von anderer Seite irgendwie zu präjudizieren. Das Nähere hierüber mitzu^teilen, Ort und Zeit der Zusammenkunft zu bestimmen, muß der eigentlichen Crnladung vorbe­ halten bleiben, zu welcher erst dann geschritten werden kann, wenn die Teil­ nahme an der Zusammenkunft genugsam gesichert erscheint. Daß dies überhaupt, und daß es bald geschehe, liegt, wie gesagt, hauptsächlich in den Händen unserer Tagespresse. Ihr vor allen legen wir daher dieses durchaus Deutsche Unter­ nehmen an das Herz. Möge sie dabei ihrer hohen Ausgabe, als Hüterin der wichtigsten Interessen des gemeinsamen Vaterlandes, eingedenk sein, und das durch einen solchen Kongreß bei unserm Volke geförderte natiomale Bewußtsein in einer Sphäre nicht zu gering anschlagen, von welcher aus aucf Gestaltung der europäischen Geschicke ein bedeutender Einfluß vielleicht in nichit ferner Zukunft geübt werden dürfte. Delitzsch im Juni 1858.

Der Verfasser.

Die arbeitenden Klaffen und das Affoziationswesen in Deutschland.

193

Inhalt. I. II. III. IV. VI. VII.

Der Notstand der Arbeiter und seine Quellen. Die Rückkehr zu den alten Gewerbsbeschränkungen. Assekuranz und Almosen. Die Assoziation. Die Arbeiterassoziationen in Deutschland. Der internationale Wohltätigkeitskongreß als Keim eines deutschen Kongresses für Assoziationswesen.

I. Der Notstand der Arbeiter und seine Quellen. Die Geschichte hat ihre Tagesordnung so gut wie irgend ein Par­ lament, nach welcher sie den Jahrhunderten ihre großen Fragen vorlegt, und daß es die soziale Frage ist, deren Lösung eine der Hauptauf­ gaben der Gegenwart bildet, darüber hat die öffentliche Meinung längst entschieden. Wie die vulkanische Materie im Innern des Erdkörpers, gährt es in den Tiefen der Gesellschaft und erschüttert dieselbe von Zeit zu Zeit durch gewaltige Ausbrüche, deren Wiederkehr regelmäßig droht, sobald der sich ansammelnde Stoff die Spannung erreicht hat, welche er­ forderlich ist, um den Druck der obern Schichten zu sprengen. Und so nahe ist uns das Unheil schon getreten, daß man sich längst nicht mehr mit unfruchtbaren, theoretischen Untersuchungen und leeren Utopien be­ gnügt, sondern von allen Seiten Hand anlegt, seinen Quell zu verstopfen. Nicht bloß die unmittelbar von der Frage berührten Arbeiter sehen wir in Bewegung, namentlich sind es die gebildeten, die besitzenden Klassen, welche dem drohenden Übel zu steuern eifrig bemüht sind, und selbst die Regierungen fast aller zivilisierten Staaten wenden sehr erhebliche An­ strengungen und Mittel zu diesem Zwecke auf. Wer von den Lesern hätte sich nicht irgend einmal näher oder entfernter bei der Sache be­ teiligt? — Wer nicht von einem Vereine vernommen, der dafür wirkt,

wer nicht zu einem solchen Zwecke einmal beigesteuert, nicht einer Ver­ sammlung dafür beigewohnt? — Indessen, wie sehr alle Welt über die

Wichtigkeit und Dringlichkeit der Frage einverstanden sein mag, so viel­ fach gehen doch die hier und da eingeschlagenen praktischen Wege zur Abhilfe auseinander. So sehen wir eine Menge gutgemeinter Bestrebungen sich kreuzen, eine Menge aufgewendeter Mittel sich zersplittern, bei einer Aufgabe, deren Größe das innigste Zusammenwirken aller erfordert, wenn ihre Lösung nur annähernd erreicht werden soll. Sicher ist es daher für Regelung dieser so vielseitig betätigten Teilnahme, welche sich, fast möchte man sagen instinktiv, auf das vorliegende Gebiet geworfen hat, Schulze-Deli-sch, Schriften und Reden. I. 13

194

Schulze-Delitzsch.

von Interesse, die Hauptrichtungen derselben einer Prüfung zu unter­ werfen, um den nötigen Halt- und Einigungspunkt zu finden. Gelingt es hier nur, gewisse allgemeine Hauptgrundsätze zur Geltung zu bringen, von wo aus man an die Sache gehen muß, und die Beteiligten anzu­ regen, sich hierüber erst ein eignes Urteil zu bilden, ehe sie zu handeln beginnen, so ist schon viel gewonnen. Denn nirgends machen sich hohle Worte und beliebte Tagesphrasen, die zum Teil die Stichworte politischer Parteien geworden sind, so breit wie hier, und nirgends tut es mehr Not, diesem nichtigen Treiben durch Zurückführung der verworrenen Meinungen auf klare Begriffe und erfahrungsmäßig erprobte Tatsachen entgegenzutreten. Zunächst wird man uns wohl einen weitläufigen Nachweis erlassen, daß überhaupt Mißstände der allgemeinsten, tiefgreifendsten Art in der Lage der arbeitenden Bevölkerung bei uns vorhanden sind. Es ist an dem von allen Seiten beigebrachten Material bereits genug und bedarf

keiner neuen Schilderungen von der Not und Demoralisation, welche z. B. unter den Fabrikarbeitern an vielen Orten herrschen, von der immer steigenden Verkommenheit, unter der das Kleingewerbe, der sonst so blühende Handwerkerstand, leidet. Nur die Grundursache und den Gang des Übels im allgemeinen sei uns vergönnt, einmal genauer in das Auge zu fassen, weil gerade hier, wie so häufig, viele geneigt sind, einzelne Symptome für die Sache selbst zu nehmen. Erst seit dem außerordentlichen Aufschwung der Industrie, insbe­ sondere der Fabriken in diesem Jahrhundert kennen wir bei uns das industrielle Proletariat, mit dem wir es zu tun haben und welches mit der steigenden Blüte und Vervollkommnung jener Etablissements gleichen Schritt hält. Um dieselben häufen sich Massen mittelloser Arbeiter, welche, zu ganz speziellen mechanischen Verrichtungen herange­ bildet, einzig in ihnen Beschäftigung finden. Von dein bei dem größern Teile niedrig bemessenen Lohne, der ihre einzige Existenzquelle bildet

und meist nur zur dringenden Lebensnotdurft hinreicht, können sie nichts oder nur sehr wenig sparen. Sobald daher durch Unglücksfälle, Krankheit, Alter ihre Arbeitsfähigkeit geschwächt oder vernichtet wird, sind sie dem

Elend preisgegeben. Außer diesem Endziel ihrer Laufbahn, das ihnen stets vor Augen schwebt, bedroht aber auch noch jede Handelskrise, jeder Unglücksfall des Fabrikunternehmers, welche ihre gänzliche oder teilweise Entlassung, sei es für immer oder auf Zeit, und somit die Reduktion

der Löhne, die Schließung des Etablissements nach sich ziehen, ihre Existenz. Daß ein so unsicheres und kümmerliches Los, bei schwerer Arbeit und

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

195

harter Entbehrung die endliche Aussicht auf das Almosen, nicht geeignet

ist, die Masse der Arbeiter in sittlicher und wirtschaftlicher Hinsicht auf einer nur leidlichen Stufe zu erhalten, wird niemanden Wunder nehmen. Und wenn dann zu diesen in ihrer Stellung liegenden Übelständen, deren Abstellung nicht in ihrer Macht liegt, sich noch die Folgen der eignen dadurch bedingten Demoralisation gesellen, so ist das Maß des

Elends voll, das immer größere Ausdehnung gewinnt, den Einzelnen die Kraft, sich jemals wieder emporzuarbeiten, je länger je mehr entzieht, und in der Fäulnis der hinwelkenden zugleich die Keime der künftigen Generation mit vergiftet. Weiter bringt es aber die 9?atur dieser Verhältnisse mit sich, daß sich ihre Rückwirkung nicht auf die in den Fabriken beschäftigten Lohn­ arbeiter beschränkt, sondern sich auch auf die bisher selbständigen Pro­ duzenten, welche ein kleines Geschäft für eigne Rechnung treiben, ins­

besondere die Handwerker, erstreckt. So viel steht nämlich unbestreitbar fest: daß der fabrikmäßige Geschäftsbetrieb die Produktionsfähigkeit, die Ergiebigkeit der Arbeit außerordentlich erhöht, und daß, wo er zur An­ wendung kommt, alle Produkte weit rascher, billiger, meist auch besser gefertigt werden können, als dies auf handwerksmäßigem Wege möglich ist. Die Fabrik verdrängt daher das Handwerk in denjenigen In­ dustriezweigen, die sie in ihren Bereich zieht, vom Markte, indem sie ihm auf die Dauer die Konkurrenz unmöglich macht. Da sie sich nun einer nach der andern von den bisher von Handwerkern betriebenen Geschäfts­ branchen bemächtigt, wie wir fast täglich erleben, so wird, wenn dies fort­ geht, in nicht zu ferner Zeit den letztern kein einziger Schlupfwinkel mehr übrig bleiben, in welchen sie sich vor jener übermächtigen Konkurrenz zurückziehen können. Und wenn schon jetzt nicht wenige früher selbst­ ständige Meister sich in den Fabriken nach Arbeit umzusehen genötigt sind, so liegt die Befürchtung nahe, daß die ganze Masse der Handwerker allmählich zu bloßen Lohnarbeitern der großen Etablissements herabsinken

und jenes unselige Fabrikproletariat vermehren wird. Schon die eben vorgetragenen Tatsachen führen zu dem Schluffe: Daß der Notstand der arbeitenden Klassen die Folge des Entwickelungsganges der neuern Industrie ist. In der Tat wird dies auch in jeder Hinsicht bestätigt, sobald man das eigentümliche Wesen dieser Industrie, die charakteristischen Merkmale, durch welche sie sich vom Handwerk unterscheidet, und denen sie ihre Überlegenheit verdankt, einer nähern Betrachtung unterwirft. Vorzüglich sind es drei Faktoren, mittelst deren sie ihre wunderbaren Erfolge sichert,

13*

Schulze-Delitzsch.

196

und die bei der ältern Betriebsweise wenn nicht ganz unbekannt, doch

nur in sehr schwachem Grade entwickelt waren.

Es sind dies 1) bei

den Vorbedingungen und dem Endziel der Produktion, insbesondere dem Bezug der Rohstoffe und Absatz der Produkte, der kaufmännische Be­ trieb; sowie 2) bei der Produktion selbst die Arbeitsteilung und

die Benutzung der Naturkräfte zu Arbeitszwecken. Ein kurzer Hinweis auf die Macht dieser Hebel, die von manchen

noch viel zu gering angeschlagen wird, dürfte nicht überflüssig sein. Schon bei Beschaffung des Rohstoffes also kommt der kaufmännische Betrieb

dem Fabrikanten die

außerordentlich zustatten, weil nur

vorteilhafteste Beziehung

von

ein

solcher ihm

den Originalproduktionsstätten

möglicht, ihm die besten und billigsten Bezugswege kennen lehrt.

er­ Daß

dies eine Sache von der äußersten Wichtigkeit ist, springt in die Augen. Wenn ein Produzent das von ihm verarbeitete Material 20—30 Prozent teurer bezahlen muß, wie der andere, und es noch dazu schlechter dafür bekommt, so kann er mit dem ersteren entweder nicht Preis halten, oder vertiert so viel an seinem Verdienst.

großer

Teil der kleinen

In solcher Lage befindet sich ein

Gewerbtreibenden den Fabrikanten gegenüber.

Bei den unbemittelteren Handwerkern insbesondere, welche das Rohmaterial

von den Zwischenhändlern und Detaillisten in ganz kleinen Quantitäten beziehen und noch dazu Kredit dabei beanspruchen müssen, sind jene Mehr­

kosten nicht selten so enorm — 20 bis 50 Prozent bei Holz- und Leder­ arbeitern sind uns fast regelmäßig vorgekommen — daß der beste Teil

des knappen Verdienstes dadurch verschlungen wird. verhält es

Und wie hiermit,

sich auch mit dem Absatz der fertigen Waren.

Ungemein

schlimm ist der Handwerker mit seiner meist auf den Kreis seines Wohn­

orts und der nächsten Dörfer sowie auf einige nahe Märkte beschränkte Kundschaft dran.

Läßt das Bedürfnis dieses enggemessenen Kreises ein­

mal periodisch nach,

setzt sich ein Konkurrent neben ihn, so gerät er bei

seinem geringen Kapital, welches nur bei raschem Umsatz allenfalls zu­

reicht, in die größte Verlegenheit.

Zeit- und Arbeitsversäumnis und

mancherlei Unkosten erwachsen ihm überdies von dem Herumziehen auf

den Märkten, wo der Erlös bisweilen kaum zur Deckung Auslagen ausreicht.

Absatzquellen

der baren

Dagegen stehen dem Fabrikanten, wenn die nächsten

stocken, die entferntesten, selbst überseeische Märkte offen.

Bei seinen kaufmännischen Erfahrungen

und Verbindungen ist er im­

stande, zu beurteilen, wo und wann er am besten ein- und verkauft, wann er losschlagen, wann er zurückhalten soll.

Auch macht es ihm sein

größeres Kapital und sein größerer Kredit eher möglich, eine flaue Periode

Die arbeitenden Klassen und daS Assoziationswesen in Deutschland.

zu überstehen,

197

wo er dann auf Vorrat arbeitet und seine Magazine

füllt, bis bessere Konjunkturen ihm gestatten, seine Waren mit Vorteil auf den Markt zu bringen.

Und wo sein Kapital zu solchen Operationen

nicht ausreicht, wendet er sich an die großen Banken und Kreditin­ stitute, welche auf seine Vorräte die erforderlichen Summen vorstrecken:

alles Vorteile, wie sie dem Handwerker selten oder nie geboten werden. Als ein weiteres gewaltiges Hilfsmittel der Fabrikindustrie bei der Produktion

selbst macht sich die Arbeitsteilung

geltend,

d. h. die

Zerlegung der Verfertigung eines Artikels in eine Anzahl einzelner Ver­

richtungen,

und

deren Verteilung

unter verschiedene Arbeitergruppen.

Die Steigerung der Arbeitsergiebigkeit, der Leistungsfähigkeit der Arbeiter durch diese Maßregel ist so groß, daß manche Fabrikzweige derselben

allein ihre großen Resultate verdanken.

Während im Handwerk meist

jeder Arbeiter den betreffenden Artikel der Hauptsache »ach vollständig

und

allein

richtungen

fertigt,

muß er eine Menge höchst verschiedenartiger Ver­

durchmachen, welche die mannigfaltigsten Kräfte und Fertig­

keiten erfordern, wie man sie selten oder nie gleichmäßig bei einer einzigen Person

vereint

Verrichtungen

findet.

Ferner gehören zu

jeder dieser verschiedenen

besondere Werkzeuge und sonstige Arbeitsanstalten, und

indem sich jeder einzelne Handwerker aus alle einrichten muß, braucht er ein größeres Kapital.

Viel leichter und billiger haben es da die Arbeiter

in einer Fabrik, von denen jeder nur gerade mit der speziellen Verrichtung

beschäftigt wird, wozu ihn seine Kräfte, Anlagen, Fertigkeiten am meisten befähigen.

Ein jeder arbeitet sich hier in seinem engern Fache ein und

lernt den kleinsten

Vorteil

benutzen, während eine

beträchtliche

Zeit­

ersparnis schon darin liegt, daß die Einzelnen nicht im steten Wechsel zu

unter sich ganz verschiedenen Beschäftigungen übergehen und bei jeder erst

die unvermeidlichen Vorkehrungen treffen müssen, ehe sie nur damit be­ ginnen können.

Daß die Arbeit auf diese Weise besser und rascher, also

billiger geliefert werden kann, ist klar, ja manche Gegenstände des all­

gemeinsten Verbrauchs lassen sich gar nicht anders herstellen.

Das be­

kannte Beispiel von der Stecknadelfabrikation, die in ohngefähr 18 bis 20 einzelne Verrichtungen zerfällt, deren jeder sich verschiedene Per­ sonen unterziehen, ist besonders lehrreich. derlichen 20 Arbeiter, so verteilt,

Während hier die etwa erfor­

an einem Tage zirka 24 Pfund d. i.

ohngefähr 96000 Stück Nadeln mittlerer Größe (eher noch mehr) fertigen können, so daß auf einen zirka 4800 Stück kommen, würde jeder Einzelne

darunter, wenn er für sich allein die Nadeln vollständig fertig machen wollte, kaum 100 vollenden.

198

Schulze-Delitzsch.

Das wichtigste endlich unter den Elementen, welche die Fabrik­ industrie in ihren Dienst genommen hat, welches überhaupt erst der neuern Industrie das unterscheidende Gepräge aufdrückt, sind die außerordentlichen Entdeckungen dieses Jahrhunderts in den Naturwissenschaften und deren Anwendung auf gewerbliche Zwecke. Wie die erweiterten Kenntnisse in

der Chemie ganz neue, ebenso leichte als billige Methoden in Zerlegung, Verbindung und Umwandlung der Stoffe hervorriefen, so lehrten die Fortschritte in der Physik und Mechanik die Menschenarbeit immer mehr durch Naturkräfte ersetzen und verstärken, indem sie namentlich in den Maschinen dem Fabrikanten gleichsam ein Heer stets williger Sklaven zu Gebot stellte, deren eiserne Niesenglieder Dinge bewältigen, an die sich

die Kraft von Menschenhänden niemals wagen könnte. Ein Arbeiter, mit solchen Hilfsmitteln ausgerüstet, leistet hier so viel, wie sonst zwanzig, ja fünfzig. Ein Beispiel von allen wird dies am besten anschaulich machen. Während es noch im Jahre 1842 nur zwei Dampfmaschinen mit 32 Pferdekraft in den Gewehrwerkstätten der englischen Regierung zu Woolwich gab, sind jetzt darin 68 mit 1170 Pserdekraft im Gange, welche zusammen 16,540 Fuß treibendes Zeug zu 18 Hämmern, 64 Wasser­ pressen und 2773 Maschinen in Bewegung setzen. Alle und jede Ver­ richtungen sind in die größtmögliche Zahl einfacher Operationen zerteilt,

deren jede durch eine besondere Maschine verrichtet wird, so daß das Gelingen, die gleiche Güte jedes Stückes mit mathematischer Genauigkeit vorhergesagt werden kann, da die Formgebung und Ausprägung nicht

von der Akkuratesse, dem besondern Geschick menschlicher Hände abhängt, sondern von der Tätigkeit einer Maschine, deren Handhabnng anch ein mittelmäßiger Arbeiter bald mit vollkommener Sicherheit erlernt. So kommen z. B. die Metallteile von der Schmiede- in die Ausglüh-, dann in die Beizabteilung, endlich in die für Vollendungsarbeiten, und das

Bajonett einer Muskete allein unterliegt vom Anfang bis zum Ende 76 verschiedenen Operationen, der Kolben einigen 20, worauf für die Handarbeiten alsdann nur das Polieren und die Zusammensetzung übrig

bleibt.

Die Folge dieser Methode ist denn aber auch nicht nur die er­

höhte Schnelligkeit und verhältnismäßige Billigkeit in der Herstellung der Gewehre, sondern eine solche Genauigkeit sämtlicher einzelnen Teile, daß dieselben — was bisher unerhört war — bei der Zusammensetzung auf gut Glück unter Haufen von Tausenden herausgegriffen werden können und keinerlei Nacharbeit beim Anpassen mehr notwendig ist, weil die Stücke bis auf den tausendsten Teil eines Zolles stimmen und an Güte alles übertreffen, was die bisherige Methode zu liefern imstande war.

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

199

Daß so gewaltige Faktoren, von denen jeder einzelne schon solche

Erfolge zu erzielen vermag, wenn sie vereint wirken, um so viel mehr der Industrie, in deren Dienste sie stehen, eine ungeheure Überlegenheit sichern

müssen, wird aus diesen Andeutungen zur Genüge hervorgehn.

Ebenso unbestreitbar steht aber auch andrerseits fest: daß ihre Anwendung notwendig zum Großbetriebe drängt, daß man sich ihrer nur bei groß­ artigen gewerblichen Anlagen, niemals aber bei Geschäften von dem Um­

fange bedienen kann, wie er etwa bei unsern Handwerkern bisher gewöhn­

lich war.

So bedingt z. B- der kaufmännische Betrieb, wie wir sahen,

beim Bezug des Materials und dem Absatz der Produkte den An- und

Verkauf im großen, wenn er wirklich Nutzen schaffen soll.

Ebenso setzt

die Arbeitsteilung eine größere Zahl von Arbeitern voraus,

und dies

alles, so wie die Anwendung teurer Maschinen kann sich nur lohnen, wenn die Produktion im größten Maßstabe getrieben wird, und die be­

deutenden

Geschäftsunkosten

sich

auf

große

Warenmengen

verteilen.

Grade in dieser Tendenz zum Großbetrieb, welche mit dem innersten Wesen der neuern Industrie verwachsen ist, liegt aber das für die Lage

der Lohnarbeiter ebenso, wie für den Bestand des Kleingewerbes ver­

hängnisvolle, ja

bei dem gegenwärtigen Sachstande entschieden feind­

Denn um ein Geschäft in diesem großartigen Maß­

selige Element.

stabe einzurichten und zu leiten, dazu gehören Voraussetzungen, welche

bei jenen nicht zutreffen: einmal ein bedeutender Grad von Intelligenz, llnternehmungsgeist und Erfahrung, und sodann vor allen Dingen ein

großes Kapital.

Daß sich beides bei der großen Mehrzahl der Hand­

werker nicht vorfindet, wird nicht erst eines Erweises bedürfen. raten denn

solche

So ge­

Unternehmungen ganz natürlich in die Hände der

wenigen, welche Besitz und Tüchtigkeit dazu befähigen, und werden tat­

sächlich gewissermaßen das Monopol einer durch großes Vermögen und

sorgsame Ausbildung bevorzugten, wenig zahlreichen Klasse, oft einzelner Familien, welche die Ausbeutung solcher industriellen Fundgruben, gleich

einer Domäne, auf mehrere Generationen vererben.

Welche Folgen dies

auf die Stellung der Arbeiter äußern muß, ist leicht zu ermessen.

Je

weniger dieselben Aussicht haben, jemals selbständig zu werden, selbst ein eignes Geschäft begründen zu können, je weniger sie also ihren Arbeits­

gebern Konkurrenz machen können, desto mehr sind sie, ihres Brotes

halber, von den Unternehmern jener großen Etablissements, die ihnen

allein Beschäftigung geben können, abhängig; und je geringer die Zahl dieser Unternehmer ihnen gegenüber ist, je unverhältnismäßiger ihre eigene

Zahl anwächst, desto mehr drückt dies die Löhne herunter.

Bekanntlich

Schulze-Delitzsch.

200

unterliegt der Wert der Arbeit und demgemäß die Höhe der Arbeits­ löhne auf dem Markte des Verkehrs demselben Gesetz, wie der Wert,

beziehentlich der Preis jeder andern Ware, dem Gesetz von Angebot und Nachfrage.

Je zahlreicher die industriellen

Etablissements sind,

je mehr Arbeiter in ihnen gesucht werden, desto besser für die letztern. Denn übersteigt die Nachfrage nach Arbeitern seitens der Unternehmer das Angebot solcher, die Beschäftigung suchen, so gehn die Löhne in die

Höhe, die Unternehmer treiben sich mit ihren Lohngeboten hinauf, um nur Arbeiter zu erhalten, weil die letzteren bei mehrfachen Gelegenheiten zum Unterkommen die Wahl unter den Bedingungen haben.

Im um­

gekehrten Falle dagegen, wenn das Angebot von Arbeitern stärker ist als die Nachfrage nach ihnen, wenn mehr Arbeiter da sind als Beschäftigung finden können,

diktieren die Unternehmer

die Lohubedingnngen um so

sicherer, als sie weit eher zeitweis von einer Unternehmung abstehn, als

die Arbeiter sich der Arbeit entschlagen können.

Somit ist es klar, daß

die Erschwerung des Etablissements, welches die Tendenz der neuern In­ dustrie zum Großbetrieb mit sich führt, weil es die Zahl der Arbeitgeber

beschränkt, schon im allgemeinen einen Druck auf die Löhne üben, bei sonst gleichen Bedingungen also das Sinken der letztern eher als ihr Steigen befördern muß.

Dieser Einfluß wird aber noch durch die Rück­

wirkung verstärkt, welche der beschriebene Gang der Dinge auf die bisher selbständigen Kleingewerbetreibenden, insbesondere die Handwerker,

notwendig ausübt.

Wir haben gesehn, wie sehr dieselben durch

großen Etablissements in ihrer Existenz bedroht wurden.

Mangel

jene

Wie nun der

der Bedingungen des Großbetriebes die Lohnarbeiter abhält,

selbst ein dergleichen Geschäft für eigne Rechnung zu gründen, so hindert

er die Kleinmeister, bei denen er sich in demselben Grade zeigt, wie bei

jenen, ihr bisher betriebenes kleines Geschäft in ein fabrikmäßiges von dem Umfange, wie es der neuere Zuschnitt verlangt, umzugestalten. Daher sehen wir dieselben je länger je mehr in die Lage versetzt, ihre Geschäfte

und somit ihre Selbständigkeit aufgeben und sich den Fabriken ebenfalls zur Verfügung stellen zu müssen.

Dadurch erhält die Masse der Lohn­

arbeiter, deren Vermehrung schon bei dem gewöhnlichen Bevölkerungs­

fortschritt eine außerordentlich starke ist, noch einen Zuwachs von außen-

her, der um so ungünstiger auf ihre Lage wirkt, als derselbe aus den

Reihen der bisherigen Arbeitgeber selbst zu ihnen übertritt,

und so ein

doppeltes Gewicht zu ihren Ungunsten in die Wagschale wirft.

Wenn

beispielsweise bisher 800 Arbeiter von 10 Fabrikanten, deren jeder zirka 50 im Durchschnitt lohnte, und 200 Kleinmeistern, deren jeder für seine

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

201

Person 1—2 Gehilfen hielt, beschäftigt wurden, so hatten sie offenbar hinsichtlich ihres Arbeitsmarktes einen bessern Stand, als es dann der Fall ist, wenn die 200 Kleinmeister ihre Werkstätten schließen und zu ihnen übertreten. Dies trifft sogar in dem besonders günstigen Falle zu, wo die ganze auf 1000 verstärkte Arbeiterzahl bei den 10 Fabrikanten, oder einigen mehr, die seitdem sich etabliert haben, ein Unterkommen findet, weil jeder derselben mehr Leute beschäftigt als früher. Zwar ist alsdann für Beschäftigung gesorgt, aber die Wahl unter den Arbeitgebern, und somit deren Anfrage, ist beschränkter als vorher. Während die frühern Kleinmeister ihren einzigen, oder ihre wenigen Gehilfen nicht füglich ent­

behren konnten und sich bemühen mußten, sie zu halten oder schleunigst wieder zu ersetzen, können die großen Fabrikherrn von ihren Hunderten von Leuten bei weitem eher einige missen, und außerdem macht es ihnen ihre geringere Zahl leichter, sich wegen der Annahme der Arbeiter und der zu stellenden Lohnbedingungen untereinander im gemeinschaftlichen Interesse zu verständigen. Ziehen wir nach alledem die Summe unserer Betrachtungen, so haben wir besonders den wichtigen Satz als Anhalt für unsere weitern Er­ örterungen gewonnen: daß die bedrängte Lage der arbeitenden Klassen, als die unleugbare Folge der großartigen Fortschritte der neuern Industrie, keine zufällige, bloß vereinzelte Er­ scheinung ist, daß sie keiner bloß momentanen Ursache beige­ messen werden kann, sondern einer stetig sortwirkenden, weil sie der Gesamtheit der Bedingungen angehört, welche die Basis des heutigen Verkehrs, der wirtschaftlichen Entwickelung

unserer Lage bilden. Zugleich werden wir aber auch bei dieser Lage der Dinge es begreiflich finden, wie von vielen, zumeist aus den Reihen der bisher selbständigen Handwerker, die Frage aufgeworfen werden konnte: „Ob dieser Aufschwung der Fabrikindustrie überhaupt als etwas wünschenswertes zu betrachten, und nicht im Gegenteil, als die Quelle großen Unheils für so viele, möglichst zu hemmen und die Sache auf den frühern Stand zurückzuführen sei?" So verbreitet ist diese Ansicht, und so viele praktische Abhilfeversuche, sogar mittelst der Gesetzgebung in mehren deutschen Staaten, fußen darauf, daß wir nicht umhin können, ihr eine genauere Betrachtung zu widmen, wobei wir dann zugleich das Verhältnis des industriellen zu dem Kulturfortschritt der Menschheit überhaupt in das Auge zu fassen haben werden. Demgemäß wird uns im nächsten Abschnitte die Rückkehr

Schulze-Delitzsch.

202

zum Alten, zur frühern Gewerbsverfassung, insbesondere zur Beschränkung

der Gewerbefreiheit durch das Zunftwesen, beschäftigen, worin ein großer Teil der Handwerker noch immer das einzige Heil erblickt, und die frühere Blüte ihres Standes wieder zu erleben hofft.

II. Die Rückkehr zu den alten Gewerbsbeschränkunge». Hören wir zunächst diejenigen selbst, welche in der Wiedereinführung

der frühern Gewerbsverfassung mit ihren Beschränkungen die einzige Hilfe für das Kleingewerbe, insbesondere den Handwerkerstand, erblicken.

Läuft

doch die ganze Frage bei den Kleinmeistern lediglich darauf hinaus, daß

sie ihre Produkte schwerer und zu schlechteren Preisen absetzen, wie ihre Vorfahren. Diesen beiden Übelständen, deren tieferen Grund zu unter­

suchen sie sich nicht weiter aufhalten, ist aber, nach ihrer Ansicht, sofort dadurch abzuhelfen, daß man die Zahl der Handwerker vermindert, die

Fertigung

von Handwerkerwaren

durch andere,

als zünftige Meister,

Allerdings

und die Einfuhr solcher Waren vom Auslande verbietet.

muß man die Verbindung dieser drei Forderungen von jenem Stand­ punkte aus als folgerichtig zugeben.

Denn kommen dieselben nicht gleich­

zeitig und vereint in Ausführung, so läßt sich in Wirklichkeit kein Effekt

davon erwarten, weil das Zugeständnis nur einer einzelnen davon stets durch Umgehung zunichte gemacht werden kann.

werkern

die Beschränkung

Was nützt den Hand­

ihrer Zahl, wenn das Publikum sich ihre

Waren aus den Fabriken oder vom Auslande verschaffen kann?

jede Halbheit, jede nur teilweise Konzession in dieser Hinsicht

Gewiß führt zu

nichts, das haben die durch mehrere neue deutsche Gewerbeordnungen an­

gestellten

Versuche

bereits

sattsam

ergeben,

von

denen

wir nur

die

preußischen vom 3. Januar 1845 und 9. Februar 1849 erwähnen, welche zwischen jenen Forderungen und den Bedürfnissen der Neuzeit vergebens zu vermitteln sich abmühen.

Denn fragt man, was mit allen diesen

Maßregeln, mit denen man einzelnen Wünschen der Handwerker auf

halben! Wege entgegenkam, gewonnen worden ist, so antworten die Hand­

werker selbst bloß mit immer weitergehenden Forderungen, und niemand,

der

mit den einschlagenden Verhältnissen vertraut ist, wird behaupten,

daß sich ihre Lage seitdem im mindesten gebessert hätte.

Und doch ist

keine Regierung, kein noch so verbissener Anhänger des Alten beim besten Willen imstande, so wie die Sache zur praktischen Ausführung gelangt,

es zu mehr als zu solchen vereinzelten Zugeständnissen zu bringen, weil er sonst mit einer Menge der wichtigsten Interessen, welche inzwischen

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland. 203 ebensogut, wie die der Handwerker, im bürgerlichen Leben Geltung und Anerkennung gewonnen haben, in Widerstreit geraten und einen Zu­ sammenstoß herbeiführen würde, dessen Folgen gar nicht abzusehen wären. Ein kurzer Hinblick auf die einzelnen Forderungen wird dies sofort klar machen. Zuerst Verininderung der Zahl der Handwerker. Schwerlich kann diese Maßregel auf die gegenwärtig bereits vorhandene angebliche Über­ zahl sich erstrecken, indem man sonst den ausgeschlossenen Teil der Leute entweder versorgen oder verhungern lassen müßte. Man wird also nur darauf zu denken haben, den Andrang für die Zukunft zu beschränken. Direkt ließe sich dies nur dadurch bewirken, daß man einen Teil der jungen Leute, die sich dem Handwerk widmen wollen, zurückwiese und sie nötigte, einen andern Beruf zu ergreifen; welchen, das bleibt freilich sehr fraglich, da die Fabriken ja auch reduziert werden sollen, der Acker­ bau aber seine natürlichen Grenzen in der räumlichen Ausdehnung des Bodens findet. Überdem könnte die Maßregel nur von einer mit öffentlicher Autorität bekleideten Behörde ausgeführt werden, und wohin man gelangt, wenn man den einzelnen die freie Selbstbestimmung über die Wahl ihres Lebensberufs entzieht, mag jeder selbst ermessen. Die Unausführbarkeit dieses Verfahrens ist denn auch von den Beteiligten dadurch anerkannt, daß sie fast durchgängig einen andern Weg zu dem vorgesteckteu Ziele Vorschlägen, der bereits früher bei den geschlossenen Zünften des Mittelalters vorkam. Darnach gibt man zwar die Erlernung des Handwerks allen frei, beschränkt aber die Zulassung der Meister, welche dasselbe für eigne Rechnung treiben dürfen, an jedem Orte, je nach dem Bedürfnis, auf eine gewisse Zahl. Allerdings läßt sich hier­ durch erreichen, daß sich eine günstig gestellte Minderheit auf Unkosten der Mehrheit bereichert, welche letztere im Gesellenstande zu dauernder Unselbständigkeit verdammt und daher gezwungen ist, der erstem um geringen Lohn zu dienen. Da man aber auf solche Weise die Zahl der Handwerker eben nicht vermindert, sondern nur eine bevorzugte Klasse unter ihnen schafft, so kann dies niemand im Ernste für eine Lösung der Frage ausgeben, indem wir im Gegenteil nur das Zugeständnis darin erblicken, daß die Frage im Interesse der Gesamtheit eben keine Lösung zuläßt, da man ja für nötig hält, einen Teil von der ganzen Masse zu opfern, um dem Rest eine leidliche Existenz zu sichern. Noch mißlicher steht es mit der zweiten Forderung: „Dem Ver­ bot der Fertigung von Handwerkerwaren durch andere als Handwerksmeister, insbesondere durch Fabrikanten." Wo ist

Schulze-Delitzsch.

204

hier die Grenze zwischen Handwerk und Fabrik, welche Artikel eignen wir dem ersteren, welche der letztern zu? — Nach dem gegenwärtigen Sachstande sind eine ganze Menge von Gewerbszweigen, welche früher nur von Handwerkern betrieben wurden, in die Fabrikproduktion über­ gegangen, mit der Folge, daß der handwerksmäßige Betrieb entweder ganz

aufgehört hat, oder kaum noch das Brot abwirft.

damit?

Wie steht es nun

Will man den gegenwärtigen Stand der Dinge bei der Scheidung

der beiden Arbeitsgebiete zugrunde legen, der Fabrik die bisher eroberten Gebiete belassen, und ihr nur verbieten, weiter um sich zu greifen? Oder

will man gar auf irgend einen frühern Zeitpunkt zurückgehen, die Fa­ brikation von Waren, welche irgend einmal von Handwerkern

gefertigt

worden sind, überhaupt verbieten, und die damit beschäftigten Fabriken

schließen? — Jedenfalls werden die Handwerker, die sich bei dem gegen­ wärtigen Stand der Dinge nicht halten können, es auch nicht dabei belassen wollen, also die Schließung einer Menge von Fabriken fordern. Was soll aber dann ans der Menge entlassener Fabrikarbeiter werden, die doch so gut wie jeder andere das Recht, von ihrer Hände Arbeit zu

leben,

beanspruchen dürfen? — Und wollte man auch hiervon absehen,

wie will man mit dem Auslande Schritt halten, wenn man alle neue Erfindungen und verbesserte Produktionsmethoden, wie sie der fabrik­ mäßige Betrieb in Anwendung bringt, von einer so großen Menge von Industriezweigen ausschließt? — Die notwendige Folge würde sein, daß die gewaltsam gehemmte Industrie über die Grenzen zieht, daß ein solches

Land in gewerblicher und kommerzieller Hinsicht zurückkommt, und daß die Nachbarländer den Markt mit ihren Produkten überschwemmen.

Und hier kommen wir zur dritten Forderung: zur Absperrung gegen das Ausland, zur industriellen Kriegserklärung der Staaten gegeneinander, ohne welche das System in keiner Weise aufrecht zu er­ halten ist.

Allerdings bestände«! solche Zustände im Mittelalter und bis

tief in das 18. Jahrhundert hinein, ein Zeitraum, welcher die größte

Blüte des Handwerks umfaßt.

Nicht bloß eine Anzahl von Reichsstädten

und Reichsritterr« bildeten dazumal in Deutschland mit ihren Besitzungen völlig abgeschlossene Gebiete: jeder Ort war durch die Schwierigkeit und

Kostspieligkeit der Kommunikation, die Menge von Fehden und Privat­

kriegen, von Zöllen und Geleiten, durch die überaus schlechte Beschaffen­

heit sowie die Unsicherheit der wenigen Verkehrsstraßen tatsächlich bis zu einem gewissen Grade abgesperrt, so daß die Einwohner nicht leicht in Versuchung kamen, was irgend daselbst zu haben war, von anderswoher

kommen zu lassen.

Allein wie will man ein solches Sperrsystem jetzt

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

205

durchführen, wo jene politische Zerrissenheit der Bildung großer geordneter

Staaten Platz gemacht hat, und die ungeheure Steigerung aller Verkehrs­

mittel die fernsten Länder mit einer Leichtigkeit verbindet, wie dies früher bei Ortschaften

wenige Meilen Entfernung kaum

auf

der Fall war?

Wenn auch ganze, große Länderkomplexe noch gewisse Zolllinien gegen­ einander

aufrecht erhalten, so schwinden diese doch täglich mehr und

schließen überhaupt die Einfuhr auswärtiger Produkte nicht in der Art aus, wie dies erforderlich wäre, um Produzenten und Konsumenten orts­

weise

aufeinander zu

beschränken.

Ohnehin wäre das in unsern dicht­

bevölkerten Staaten unausführbar und würde die Existenz der Einwohner ganzer großer Distrikte und Provinzen gefährden, welche nur beim Ab­ satz ihrer Produkte in entfernte Gegenden bestehen können, der ihnen durch

obige Maßregel entzogen werden würde. Denn natürlich geht die Hemmung

der Einfuhr mit der Hemmung der Ausfuhr Hand in Hand und die eine erzeugt notwendig die andere.

Nicht bloß daß die Abschließung des

einen Staates in der Regel von den andern, die davon betroffen werden, erwidert wird: das Land, dessen Produkte in dem Nachbarlande nicht zu­

gelassen werden,

auch aus dem erstern nichts beziehen, weil ihm

kann

die Zahlungsmittel fehlen, indem volkswirtschaftlich aller solcher Verkehr am letzten Ende auf einen Produktenaustausch hinausläuft.

Schon

diese

bei

einer bloß oberflächlichen Betrachtung sich dar­

bietenden Gesichtspunkte sollten hinreichen, jeden Unbefangenen von der

Unausführbarkeit der obigen Forderungen zu überzeugen.

Dennoch ver­

schließt sich eine große Zahl von Handwerkern und Handwerkerfreunden

dagegen, indem sie hauptsächlich von zwei Seiten her Einwendungen da­

gegen erheben, auf die wir näher eingehen müssen, weil sie gleich folgen­

schwere Irrtümer in sich schließen. Das erste, so zu sagen historische Argument, welches sie beibringen,

ist daher entnommen: „daß noch vor nicht zu langen Jahren die geforderten Einrichtungen ziemlich allgemein bestanden, daß sich die Vorfahren der

Handwerker

ganz

wohl

dabei

befunden haben."

Wie scheinbar dies

Räsonnement den Leuten klingen mag, so läßt sich doch kaum ein größerer

Fehlschluß denken.

Denn wenn sich die Vorfahren der Handwerker vor

einer Reihe von Jahren bei jenen Einrichtungen wohl befunden haben, so kann man daraus vernünftigerweise weiter nichts folgern, als daß

eine solche Gewerbeverfassung den damaligen Verhältnissen entsprach, daß sie für jene Zeit paßte.

Muß das aber deshalb auch in bezug auf die

Gegenwart der Fall sein?

Vermag man mit jenen alten Formen, mit

jenen Einrichtungen einer vergangenen Zeit, auch diese Zeit selbst wieder

206

Schulze-Delitzsch.

zurückzurufen, nebst dem ganzen damaligen Zuschnitt des bürgerlichen und häuslichen Lebens, den mäßigen Ansprüchen des Publikums, den be­ schränkten Hilfsmitteln der Produktion und des Verkehrs? Das hieße,

einen erwachsenen Menschen dadurch, daß man ihm seine Kinderkleider aufzwängte, wieder zum Kiude machen wollen. Die Handwerker selbst, es ist nicht zuviel gesagt, haben sich im Lause der Zeit an tausend Be­ dürfnisse gewöhnt, welche nur die Fabrikindustrie zu befriedigen vermag. Verbiete man ihnen einmal das Öl und Photogen in ihren Lampen,

das Stearin auf ihren Leuchtern, und verweise sie auf die trübselige Flamme der Talglichter, das Produkt der ehrsamen Seifensiederzunft; nehme man ihnen und ihren Frauen doch einmal jene billigen, zweck­ mäßigen und kleidsamen Gewebe und Bekleidungsstoffe, sowie hundert andere Dinge, welche zu dem Preise, wie sie ihn zahlen können, nur die Fabrik zu liefern vermag, und wir wollen sehen, was sie dazu sagen. Das Handwerk läßt sich nun einmal nicht so vereinzelt als ein Institut auffassen, welches nur dazu da ist, einer Klasse von Leuten ihr Brot zu geben. Vielmehr bildet es nur einen einzelnen Zweig derjenigen Be­ schäftigungen, welche die Bestimmung haben, die menschliche Gesellschaft mit allerlei nötigen und nützlichen Dingen zu versorgen, mit einem Worte der Industrie. Die Industrie selbst aber ist wiederum nur eine einzelne Seite der menschlichen Tätigkeit, nur eine der verschiedenen Richtungen, nach welchen hin der Menschengeist sich versucht, und welche mit den übrigen, als Teil eines Ganzen, in untrennbarem Zusammen­ hänge steht. Schon im vorigen Abschnitte fanden wir, daß die haupt­ sächlichsten Hilfsmittel der neuern Industrie auf Anwendung der neuer­ lich gewonnenen Kenntnisse in den Naturwissenschaften beruhten. Die Wahrheit zu erkennen, und seine Erkenntnis in allen Ver­ hältnissen des praktischen Lebens anzuwenden, das sind zwei von den Grundtrieben der Menschennatur, mittelst deren sie sich über die Tierheit

erhebt,

die Wurzeln

aller Intelligenz und Sittlichkeit,

auf

welchen die Zivilisation beruht. Der industrielle Fortschritt ist da­ her mit dem Kulturfortschritt eins, beide bedingen einander, fallen in

ihrem Ausgangspunkte, wie in ihrem Endziel zusammen.

Unaufhaltsam

und notwendig, wie das Wachstum in der organischen Natur, kann man sie im Einzelnen periodisch wohl hemmen, aber niemals im ganzen und auf die Dauer zum Stillstand bringen. Den Menschen verbieten, das, was sie aus den neuern Entdeckungen der Wissenschaft erlernt haben, zu praktischen Zwecken anzuwenden, hieße die Wissenschaft zu einem leeren Spiel, zu einer Anhäufung toten, völlig unnützen Apparats erniedrigen,

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

207

und ihren höchsten, letzten Zweck alles Sein und Tun der Menschen zu

läutern und zu sittigen, verkennen.

Wie der einzelne Mensch von der

Kindheit bis zur Reife, hat auch die Menschheit im großen und ganzen verschiedene Entwickelungsstufen durchlaufen und jeder empfängt in dem

Bildnngsstände derjenigen Periode, in welche sein Leben fällt, das Erbe

der vorangegangenen Geschlechter.

Dieser Stand der allgemeinen Zeit­

bildung, welcher für alles Tun und Denken der Zeitgenossen, also auch

für ihre industrielle Tätigkeit maßgebend ist, stellt so zu sagen die geistige Lebenslust vor, in welcher alle athmen und sich bewegen, und der sich niemand zu entziehen vermag, ohne geistig abzusterben, aus dem Leben

seiner Zeit

auszuscheiden.

Wohin

es führt, gegen diese im Wesen des

Menschen begründete Bedingung, gegen den Verlauf des geschichtlichen

Entwicklungsprozesses anzukäinpfen, dafür liegen traurige Erfahrungen vor. Überall wo man an früheren Industriezweigen und Betriebsweisen, die von neuern Erfindungen überflügelt waren, hartnäckig festhielt, statt

des gehofften Aufschwungs sichtlicher Verfall.

In

manchen Gegenden,

sonst blühenden Provinzen — man denke an die Spitzen­

in ganzen

klöppler des sächsischen Erzgebirges, die Handleinenindustrie in

Ober­

schlesien und Flandern u. a. in. — Hunger und Elend chronisch, so daß

den Leuten am Ende selbst die moralische Kraft ausgeht, einen andern

Nahrungszweig zu ergreifen: alles die Frucht jenes unseligen Ankämpfens gegen das Unvermeidliche, gegen die Übermacht der neuen Industrie, in

welchem die Beteiligten ihre letzten Mittel fruchtlos zersplittern, die sie so nötig hätten, um in die rechte Bahn einzulenken.

Wie hiernach dieser erste Irrtum auf falschen Folgerungen aus an sich richtigen Tatsachen, auf unklaren Vorstellungen über den Grund des Übels beruht, und von den traurigsten Folgen für die Beteiligten

begleitet ist, so enthält der zweite ein vollständiges Verkennen der Grund­

bedingungen

aller menschlichen Arbeit, des Verhältnisses zwischen

Arbeit und Lohn, und rührt somit unmittelbar an die Grundlagen der Gesellschaft, die er mit den verderblichsten sozialistischen Träumereien

bedroht.

„Wenn wir arbeiten" — sagen die Handwerker — „so haben

wir auch den Anspruch auf angemessenen Lohn, auf einen Preis unserer

Produkte, bei welchem wir bestehen

können.

Das ist das Recht des

Arbeiters, und deshalb die Pflicht des Staats, einer solchen Konkurrenz, wie der der Fabrikanten Einhalt

zu tun, mit denen wir beim besten

Willen nicht Preis halten können, und die in uns eine ganze Klasse von Bürgern ruinieren." — Hiergegen bleibt uns nur übrig, die Forderungen

der Handwerker, nachdem wir deren Unausführbarkeit gezeigt haben, auch

208

Schulze-Delitzsch.

noch von Seiten ihrer Gerechtigkeit zu prüfen, und zugleich ihre Rück­ wirkung auf die wirtschaftlichen Zustände des ganzen Volkes, auf das

Wohlbesinden aller Klaffen der Gesellschaft in das Auge zu fassen.

Daß

in dieser Hinsicht für die Handwerker kein anderer Maßstab angelegt werden kann, wie für alle übrigen Arbeiter, welchem Fache sie auch an­

gehören, versteht sich von selbst, weil jeder Unterschied hierbei, jede Be­ vorzugung

einer Klasse vor der andern, eben eine Ungerechtigkeit wäre.

Dieser einzig gerechte, für alle gleiche Maßstab, wonach sich der Lohn jeder Arbeit, der Preis jedes Produktes bestimmt, ist aber kein anderer

als der Wert derselben für die menschliche Gesellschaft.

Bei

der großen praktischen Wichtigkeit dieses Satzes und der Masse verworrener

Vorstellungen darüber, wird es notwendig, der Sache auf den Grund zu gehen und etwas länger dabei zu verweilen.

Das Dasein der Menschen ist an vielfache Bedürfnisse geknüpft, welche zu befriedigen eine zahllose Menge von Dingen erfordert wird, die

zu

unserer Existenz entweder

sind.

notwendig, oder nützlich

oder angenehm

Diese Dinge herzustellen ist die Aufgabe der menschlichen Arbeit,

und nur in dem Grade, in welchenl sie diesen Zweck erfüllt, hat die Arbeit überhaupt einen Wert für die Gesellschaft.

Nach diesem obersten

Grundsatz, aus dessen Verkennung sich fast alle Verkehrtheiten auf dem vorliegenden Felde ableiten lassen,

kann es niemals darauf ankommen,

wie tätig jemand überhaupt ist, sondern nur darauf, was er mit seiner Tätigkeit schafft: auf das Resultat der Arbeit also, nicht auf den

Akt des Arbeitens.

Denn nur die Produkte der Arbeit dienen zur

Befriedigung unserer Bedürfnisse, nicht das bloße Beschäftigtsein jemandes an sich.

Dadurch z. B. daß der Bäcker seinen Ofen heizt, den Teig

knetet usw. wird noch niemand satt, sondern

nur erst durch das Brot,

das er liefert, und wenn ihm dieses Brot vor der Vollendung verunglückt, so wird ihm niemand etwas für seine gehabten Kosten und Mühe bezahlen.

Daß jemand also nicht müßig gehe,

seine

Kräfte

übe,

etwas

lerne

(ein Schüler z. B.), mag für ihn selbst von Nutzen sein, aber für die

Gesellschaft hat es keinen Wert, weil durch eine solche Tätigkeit nichts geschafft wird, was zur Befriedigung eines Bedürfnisses, d. i. zum Ge­

brauch eines andern dient.

Nur dann, wenn ein Dritter das Erzeugnis

des Arbeiters für seinen Bedarf in Anspruch nimmt, hat der Arbeiter das Recht auf eine Gegenleistung, auf Lohn und nur bei diesen» Aus­ tausch von Leistung und Gegenleistung, auf welchen sich der ganze mensch­

liche Verkehr zurückführen läßt, kann von einem Werte der Arbeit die Rede sein.

Die Dinge, die jemand fertigt, müssen tauschbar sein, es muß

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

ein anderer haben wollen, das ist das erste Erfordernis.

sie

209

Wer also

mit allein seinen Tun gar nichts, oder nur Gegenstände hervorbringt,

nach denen niemand verlangt, die keines Menschen Bedürfnis befriedigen, dessen Arbeit ist wertlos, der hat keinen Anspruch darauf, dafür bezahlt

zu werden, mag er sich noch so sehr geplagt, noch so viel an Zeit und

Kosten aufgewendet haben.

Das zweite Erfordernis aber ist, daß er beim

Austausch solche Bedingungen stellt, welche für den andern annehmbar

Denn daß dieser Austausch nur im freien Einvernehmen der Be­

sind.

teiligten vor sich gehen kann, versteht sich von selbst.

„Gib oder tue

mir dies, ich gebe oder tue dir das dafür," sagt der eine, und es ist

Sache des andern, sich darüber zu bedenken und zustimmend oder ab­

lehnend zu erklären. an

Denn darüber, was jemand bedarf, und was er

die Befriedigung seines Bedürfnisses setzen will, ist, als über etwas

seinem

eigensten Begehrungs-

und Empfindungskreise Angehöriges, kein

dritter außer ihm zu entscheiden imstande und befugt.

Sobald daher

dein Einvernehmen über die Annahme einer Leistung die Einigung über die Gegenleistung, über den Preis Hinzutritt, ist alles abgemacht und

wir erhalten in der Forderung von der einen, und in deren Bewilligung

von der andern Seite, in Angebot und Nachfrage, die beiden Faktoren, welche

über den

Wert einer Sache oder Arbeit entscheiden.

hiernach dem Produzenten zu

Wie es

frei stehen muß, zu verkaufen an wen und

welchem Preise er will, so muß auch der Konsument die volle Frei­

heit haben, zu kaufen von wem und zu welchem Preise ihm ansteht.

Das

entgegenstehende Interesse beider Teile, vermöge dessen der eine so teuer als möglich verkauft, der andere so billig als möglich einkauft, findet

eben nur in dieser Freiheit des Verkehrs aller mit allen, in der Kon­ kurrenz, seine einzig gerechte Ausgleichung, insofern die Konkurrenz bei

jedeni Geschäft ja nicht bloß auf einer, sondern auf beiden Seiten statt findet.

Während sein Interesse den Produzenten antreibt, den möglichst

hohen Preis zu fordern, nötigt ihn die Konkurrenz seiner Mitproduzenten,

sich vor Ausschreitungen zu hüten,

damit nicht ein anderer ihn unter­

fordere, und er mit seiner Ware sitzen bleibe.

Und während anderer­

seits das Interesse den Konsumenten bestimmt, den möglichst niedrigen

Preis zu bieten, hindert ihn wiederum die Konkurrenz der übrigen Kon­ sumenten, zu weit zu gehen, weil sonst ein anderer Liebhaber ihm die

Sache vorweg kauft.

Also nicht dasjenige, was der oder jener einzelne Produzent an Mühe und Kosten aufwendet, um eine Sache herzustellen, bestimmt deren Wert,

wenn es auch auf seine Forderung von Einfluß sein mag, sondern die Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

I.

14

Schulze-Delitzsch.

210

größere oder geringere Schwierigkeit für den Konsumenten, jene Sache Mag die Forderung des Produzenten mit Recht auf das,

zu erhalten.

was ihm seine Ware an Zeit, Mühe und Auslagen kostet, noch so niedrig

sein, der Konsument wird sicher nicht darauf eingehen, so lange er die­ selbe Ware anders

woher wohlfeiler bekommen kann.

Und so billig es

auf den ersten, flüchtigen Hinblick erscheinen mochte, wenn jedes Arbeits­ produkt seinem Verfertiger nach Verhältnis der von ihm bei dessen Er­

zeugung aufgewendeten Zeit, Mühe und Kosten

bezahlt werden müßte,

so wäre dies doch nicht nur die größte Ungerechtigkeit, sondern auch das

entsetzlichste Unglück für die ganze menschliche Gesellschaft, denn dadurch würde allein der Trägheit, Beschränktheit, und Ungeschicklichkeit Vorschub

getan, und aller und jeder Antrieb zu tüchtigem, fleißigem, umsichtigem

Geschäftsbetrieb vernichtet, was am Ende zur unausbleiblichen Folge hätte,

daß die zur Befriedigung des Gesamtbedürfnisses der Menschheit erforder­ lichen Güter in immer geringerer Menge und immer schlechterer Beschaffen­

heit erzeugt werden würden.

Man nehme nur auf der einen Seite einen

fleißigen, geschickten und umsichtigen Arbeiter, der eine Sache anzugreifen

weiß, die rechten Bezugs- und Absatzquellen kennt, auf gute Werkzeuge

und Material hält — und auf der andern Seite einen trägen, unge­ schickten,

der

nötigsten

Gcschäftskenntnis

entbehrenden, mit schlechtem

Werkzeug, schlechtem und teurem Material versehenen.

Was der erste

in wenigen Tagen mit mäßigen Kosten herzustellen imstande ist, dazu

braucht der andere Wochen und hat ungleich mehr Unkosten, weil er nicht alle Vorteile im Betriebe zu nutzen weiß, und vieles an Material unnütz

verwendet und verdirbt.

Schließlich aber sind die Erzeugnisse beider auch

noch in ihrer Qualität himmelweit verschieden.

Was wäre nun die Folge,

wenn der obige scheinbar so billige Grundsatz über den Preis der Arbeit

entschiede?

Offenbar die: „daß der schlechte Arbeiter für sein schlechtes

Erzeugnis einen

zwei- bis dreimal höher» Preis in Anspruch nehmen

könnte, als der tüchtige für sein besseres," weil ersterer mehr an Zeit

und Kosten aufgewendet, es herzustellen!

Nein, was alsdann gilt, wenn

jemand durch seine Tätigkeit gar nichts oder völlig unnütze Dinge, die kein Mensch mag, hervorbringt:

Daß nämlich eine solche Tätigkeit für

die Gesellschaft wertlos ist und keinen Anspruch auf Lohn gibt: das muß

natürlich auch für den Fall gelten, wo einer zwar etwas an sich Brauch­ bares hervorbringt, allein ein Mehr an Zeit und Kosten

darauf ver­

wendet, als bei vernünftigem Betriebe dazu erforderlich ist.

Denn dieses

von ihm verwendete Mehr ist für den eigentlichen Arbeitszweck ebenso verloren, als bei jenen völlig nutzlosen Beschäftigungen das Ganze.

Das

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

Publikum ist daher in seinem vollen Recht, wenn es

211

niemals danach

fragt, was ein Erzeugnis diesem oder jenem Produzenten an Zeit und

Auslagen gekostet

hat, sondern die Waren nur

danach bezahlt, was

ihre Herstellung nach dem derzeitigen Stande der Industrie, unter Be­ nutzung aller Hilfsmittel der Produktion und des Verkehrs,

bei ein­

sichtigem, tüchtigem Betriebe im allgemeinen zu stehen kommt.

Was wir demnach von der Gerechtigkeit der fraglichen Handwerker­ sorderungen zu halten haben, ist klar.

Keinem Menschen kann das Recht

beigelegt werden, eine vollkommnere Betriebsmethode zu verbieten, weil er mit seiner weniger vollkommnen neben ersterer nicht Schritt zu halten

imstande ist. umkehren:

Es hieße dies den von uns an die Spitze gestellten Satz

„daß jede Tätigkeit nur nach dem, was sie schafft, nicht

nach dem, was sie kostet, gewürdigt werden kann": was zu den un­ sinnigsten Konsequenzen führen müßte.

Wenn sich daher jemand beklagt,

daß er Kundschaft verliere und mit den Preisen nachlassen müsse, weil ein

anderer seine Produkte billiger herstelle — und so liegt die Frage

zwischen

den Handwerkern und Fabrikanten — so kann man ihm nur

raten, daß er sich dieselben Vorteile im Geschäft aneigne, wie sein Kon­ kurrent, und es ebenso gut mache, daß er sich also zu der Stufe desselben emporschwinge.

Dem Konkurrenten dagegen befehlen zu wollen, er solle,

damit der andere mit ihm Schritt halte, es künftig nicht mehr so gut,

sondern schlechter machen, und zu der niedrigen Stufe, welche jener ein­ nimmt, herabsteigen, das wäre doch gradezu Tollheit.

Und daß eine so

offenbar unbillige Zumutung, wie sie in der Tat in dem angeführten Argumente der Handwerker liegt, dadurch keinen bessern Stützpunkt erhält, daß man hinzufügt:

„man könne bei den durch die Konkurrenz der

Fabriken herabgedrückten Preisen nicht leben:" ergibt das von uns ent­

wickelte unumstößliche Gesetz über den Wert der Arbeit ebenfalls.

danach tut derjenige, welcher einen

den

Denn

Wert seiner Leistung über­

steigenden Preis von dem andern verlangt, und dies dadurch beschönigt, daß er sonst nicht leben, nicht bestehn könne, nichts anderes, als daß er bettelt.

Ob jemand

eine Gabe,

unter

einem solchen

das

Mitleid

erregenden Vorwande, von dem andern ohne alle Gegenleistung anspricht, oder gegen eine im Wert weit geringere, bleibt sich dabei gleich. Wie im erster« Falle das Ganze, was er erhält, so ist im letztern der Über­ schuß über den Wert des von ihm

dafür Gewährten ein Almosen, das

man ihm seiner bedrängten Umstände halber gibt.

Mit dergleichen hat

aber die Volkswirtschaft ein für allemal nichts zn tun, indem sie einzig

und allein die Ausgleichung zwischen Leistung und Gegenleistung in freier 14*

212

Schulze-Delitzsch.

Konkurrenz als legitim anerkennt, und dem Mitleid keinen Einfluß hierauf gestatten kann, indem dergleichen sympathische Regungen, deren sittliches

Verdienst hier nicht weiter in Frage gestellt wird, niemals eine Grund­ lage für Regelung der Beziehungen im Haushalt der Gesellschaft abgeben können, ohne über kurz oder lang den allgemeinen sozialen Bankerott

nach sich zu ziehen. Unausführbar also und ungerecht, so stellten sich uns die Forderungen der Handwerker, mit denen sie die Rückkehr zum Alten, die Wiedereinführung der frühern, beschränkenden Gewerbeverfassung ein­ zuleiten suchen, bei genauerer Prüfung dar. Sobald wir daher nur noch bei dem schon oben angedeuteten Satz etwas länger verweilt haben werden: daß ihre Verwirklichung, wenn sie überhaupt möglich wäre, von den gemeinverderblichsten Folgen für die ganze Gesellschaft, die Handwerker selbst mit eingeschlossen, begleitet sein würde, können wir den gegen­ wärtigen Abschnitt schließen. Wenn man die verschiedenartigen Bedürfnisse der Menschen ins Auge faßt, so drängt sich einem die zwar trivial erscheinende, aber doch höchst folgereiche Wahrheit auf, die jeder im täglichen Leben an sich und andern, so wie in der Geschichte aller Zeiten und Völker erproben kann: daß die Tätigkeit der Menschen zunächst von der Befriedigung der zu ihrer Existenz unumgänglich notwendigen Bedürfnisse in Anspruch ge­ nommen wird, und daß erst, wenn diesen genügt ist, andere Bestrebungen an die Reihe kommen. Ganz natürlich. Zuerst muß die Existenz selbst gesichert sein, ehe man dazu kommen kann, sie seinen Wünschen und Neigungen gemäß auszuschmücken. So folgt dem Notwendigen das Nützliche, diesem das Angenehme. Erst muß für Nahrung, Kleidung und Wohnung notdürftig gesorgt sein, ehe man an den Wohlgeschmack, die Bequemlichkeit, das Schöne in diesen Dingen denken kann. In solcher natürlichen Stufenfolge ringt sich die Tätigkeit des einzelnen Menschen zu immer höhern Aufgaben hinauf; in ihr sehen wir zugleich das Leben der Völker sich aus den rohesten Anfängen zu kultivierten Zuständen emporarbeiten, weshalb wir in ihr den untrüglichen Kulturmesser be­ grüßen. So beruht denn aller Fortschritt in Wissenschaft und Kunst, in Bildung und Gesittung, wesentlich auf dem Überschuß an Kräften,

welcher der Menschheit nach Befriedigung der dringenden mate­

riellen Bedürfnisse für jene höhern Aufgaben übrig bleibt, in deren Lösung sie erst ihre volle Bestimmung erfüllt. Denken wir uns beispielshalber 1000 Menschen zu einem Gemeinwesen vereinigt, so können unter denselben, sobald die Kräfte von 950 ausreichen, die Gesamtheit

Die arbeitenden Klassen'und das Assoziationswesen in Deutschland.

mit allen zu ihrem

Dasein erforderlichen

213

notwendigen und nützlichen

Gegenständen und Dienstleistungen zu versorgen, wenn die 950 in sämtlichen Industriezweigen

mit andern

Worten:

so viel produzieren, daß

alle daran genug haben, die übrigen durch diese Produktion nicht in An­

spruch genommenen 50 sich den angedeuteten nicht produktiven Bestrebungen

widmen,

als Gelehrte und Künstler, Lehrer und Beamte, die

Interessen und Güter der Gesellschaft wahrnehmen und hüten.

geistigen

Hieraus

geht hervor, wie wesentlich jeder nachhaltige Fortschritt auf industriellem

Gebiet auf die Zivilisation und deren höchste Aufgaben zurückwirkt. In­ der Betriebsweise eine Menge Arbeit und

dem durch Vervollkommnung

Kapital gespart wird, indem also mit immer weniger Kosten, mit einem immer

geringeren

Verbrauch

menschlicher Kräfte, immer größere und

vollkommnere Gütermengen hergcstellt werden, die Menschheit immer reichlicher mit allem versorgt wird, wird ein immer größerer Überschuß

von Kräften, der vorher bei jener Produktion gewissermaßen gebunden war, frei, und kann sich auf rein geistigem Gebiete beschäftigen. Sv ge­ winnt der gewerbliche Fortschritt für uns eine doppelte Bedeutung. Ein­ mal verschafft er uns die Notdurft und die Annehmlichkeiten des Lebens

reichlicher und billiger, und macht sie immer größeren Konsumentenkreisen zugänglich; sodann ist er die Bedingung, an welche die Beteiligung am höhern Kulturleben

der Menschheit für den Einzelnen wie für ganze

Völker geknüpft ist. So stehen beide, das materielle und geistige Element, in reger Wechselwirkung.

Wie Wissenschaft und Kunst der materiellen

Basis nicht entbehren können, so spenden sie dagegen derselben wiederum freigebig, als ihrer Ernährerin, ihre reichsten Schätze.

Diesem so tief­

sinnig verknüpften natürlichen Laufe der Dinge entgegentreten, heißt der

Menschheit ihr schönstes Eigentum, die mühsamen Errungenschaften von

Jahrhunderten streitig machen.

Und bilde

sich doch niemand ein, eines

dieser gewaltigen, ineinandergreifenden Triebräder hemmen

zu wollen,

ohne zugleich das andere zum Stehen zu bringen. Die Vervollkommnung der industriellen Produktion verbieten, hat zugleich den Stillstand im

geistigen

Lebensgebiet

zur

Folge

und

umgekehrt.

Indem man dem

Menschen wehrt, die gewonnene Erkenntnis praktisch anzuwenden, indem

man seine mühsamen Forschungen verdammt, resultatlos zu bleiben, nimmt man ihm einen Hauptsporn seiner Erkenntnis.

zu solchen Forschungen, zur Ausbreitung

Ein so herbeigeführter Stillstand in dem allgemeinen

Entwicklungsprozesse aber ist so gut wie Rückschritt, mit seinem unaus­

bleiblichen Gefolge der Verkommenheit aller Zustände des öffentlichen wie Privatlebens.

Und daß dies auf alle Klassen der Gesellschaft ohne

Schulze-Delitzsch.

214

Ausnahme verderblich zurückwirken muß, steht unabwendbar fest.

sehe

nur einmal die Zustände

Neapel, der Türkei u. a.

in

Spanien und Portugal,

Man

in Roni,

Ueberall mit den Eingriffen in die eine Seite

freier menschlicher Regsamkeit zugleich die andere gehemmt; überall neben der niedrigsten Stufe der Industrie zugleich die niedrigste Stufe der

Bildung, bei allgemein gesunkenem Wohlstände tiefe Gesunkenheit sittlichen Gefühls.

des

Statt des Fleißes und der Tüchtigkeit Trägheit und

Beschränktheit an der Tagesordnung; Bettelei, Raub und Elend überall.

Und was dabei insbesondere aus den Handwerkern selbst wird, dafür

mögen ihnen ihre wahrlich nicht beneidenswerten Kollegen der genannten

Länder als abschreckendes Beispiel dienen. Somit wäre denn der Rückkehr zum Alten das Urteil gesprochen. Nicht in der Wiederaufnahme von Formen, welche längst überwundenen

Zuständen angepaßt waren, liegt das gesuchte Heil.

Wer in einer be­

stimmten Zeitepoche bestehn will, der muß ihr vor allen gerecht werden, und es gilt daher, sein Tun

und Lassen, also auch seinen Gewerbs­

betrieb, den Forderungen der Gegenwart anzubequemen.

niemals still, und wer es tut,

schreitenden notwendig zurück.

Die Zeit steht

der kommt neben der unaufhaltsam fort­

Freilich hat es

seine großen Schwierig­

keiten, besonders für ältere und unbemittelte Arbeiter, zu einer neuen

Betriebsweise überzugehn, und es ist nicht zu leugnen, daß, ehe sich ein solcher Übergang ausgleicht, mannigfache Not und Elend die Arbeiter­ bedrohen.

Allein so lange die Welt steht, so lange wir einen Fortschritt

in der Geschichte beobachten, ist es niemals anders gewesen, auch voll­ ziehen sich solche Übergänge selten so plötzlich, daß nicht den Beteiligten

hinreichende Frist zum Einlenken bliebe.

Die unvermeidlichen Übel einer

solchen Übergangsperiode, welche das hartnäckige Beharren

beim Alten

nur verlängert, müssen daher, der unendlichen Vorteile willen, welche für das allgemeine Wohl daraus hervorgehn, überwunden werden. Welcher

Lärm

entstand nicht seiner Zeit bei Erfindung

der

Buchdruckerkunsr.

Ganze Scharen von Abschreibern, die sich bis dahin sehr gut von der Vervielfältigung der schriftstellerischen Produkte genährt hatten, wurden

brotlos, und die neue Kunst sollte absolut ein Werk des Teufels sein.

Unleugbar gerieten viele dieser Leute durch das Stocken der Beschäftigung, für welche sie sich ausschließlich vorgebildet hatten, in bittre Not.

wie, wenn man nun deshalb das Drucken wollen?

Aber

der Bücher hätte verbieten

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

215

III. Assekuranz und Almosen. Unter denen, welche von der Umiiöglichkeit einer Rückkehr zu der

frühern

Gewerbeverfassung überzeugt sind und die Notwendigkeit, sich

dem Gange der industriellen Entwickelung unsrer Tage zu

fügen, an­

erkennen, unterscheiden sich wiederum hinsichtlich der Stellung, welche man

den Arbeitern dem Gange der Dinge gegenüber anweisen will, zwei ent­ gegengesetzte Richtungen.

Die eine, mit der wir es hier zu tun haben, geht mehr oder weniger bewußt davon ans: daß den bisherigen Kleingewerbetreibenden und Hand­

werkern einmal nicht zu helfen sei, da sich bei ihnen die Bedingungen des für die Zukunft allein lohnenden Großbetriebes nicht vorfinden, wes­ halb man jede Bestrebung, ihre gewerbliche Selbständigkeit zu erhalten, als

unnütz

aufgeben

und

sich

lediglich

dem Lose

mit

der

unselbst­

ständigen Arbeiter beschästigeli müsse (denn andere gibt es für sie, der Klasse der großen Unternehmer gegenüber, nicht), zu denen die Kleinmeister über lang oder kurz doch übergehen würden.

Im Besondern faßt man

die Aufgabe dahin, die Arbeiter vor den vielen von ihnen

nicht ver­

schuldeten Zwischenfällen zu sichern, welche ihre Arbeitskraft und ihren

allein aus dieselbe gegründeten Erwerb zeitweis oder auf die Dauer be­

drohen

und sie in unvermeidliches Elend stürzen, wie z. B. Krankheit,

Alter, Invalidität.

Namentlich sucht man dies durch mancherlei Kassen

und Vereine, wie Kranken-, Invaliden-, Witwen- und Altersversorgungs­ kassen, zu bewirken, welche sämtlich auf dem Assekuranzprinzip beruhen. Der Arbeiter steuert in den Tagen rüstiger Kraft und voller Beschäftigung

in diese Kassen, welche dagegen ihm und seinen Hinterbliebenen,

beim

Eintritt der vorgesehenen Fälle, eine Rente gewähren, deren Bestimmung ist, den alsdann wegfallenden Arbeitslohn zu ersetzen.

Da

nach dieser

Richtung hin von sehr einflußreicher Seite, von vielen Inhabern großer Etablissements,

wie von manchen Regierungen, zum Teil auch von den

Arbeitern selbst gewirkt wird, das System auch in einigen vorzugsweise industriellen Distrikten eine ziemliche Ausbildung erfahren hat, so liegen

bereits Proben über seine Erfolge vor, die uns bei der Beurteilung

desselben, die wir hier folgen lassen, leiten sollen. Zuvörderst müssen

wir,

wie schon angedeutet wurde, die

bisher

selbständigen Kleingewerbtreibenden hier beiseite lassen und uns haupt­

sächlich an die Klasse der Lohnarbeiter halten.

Denn die Natur der

Sache bringt es mit sich, daß die erster« alles, was sie von ihrem ohne­

hin knappen Einkommen nach Bestreitung ihres Lebensunterhaltes er-

216

Schulze-Delitzsch.

übrigen,

wieder

dasselbe

bestehen soll.

müssen

Ihrigen

diese

werbend

Leute

suchen,

ihr

ihrem

in

Nur

Heil,

und wenn

so

dieses

Sicherstellung

die

sie

viel

müssen,

anlegen

Geschäft

im Aufschwungs

für

erschwingen

wenn

eignen Geschäfts

und

sich

können,

die

daß sie

außerdem höchstens noch einer Krankenkasse beitreten, ist dies bereits das Mögliche.

Aber auch in bezug auf die eigentlichen Lohnarbeiter in den Fabriken und sonst stößt die Durchführung des Systems auf erhebliche Schwierig­

keiten und Bedenken. Zweck entsprechen,

Soll

die

Assekuranz

nur

einigermaßen

den Arbeiter und dessen Familie

ihrem

in den bestimmten

Fällen gegen Mangel schützen, so müssen die Beisteuern zu den fraglichen Kassen schon ziemlich hoch gegriffen werden.

Denn natürlich können die

letzter« nichts in der Form von Renten wieder herauszahlen, was sie nicht in der Form von Beisteuern erst empfangen haben, und verursachen obenein Verwaltungskosten.

Im Grunde vermitteln dieselben, wie alle

auf Gegenseitigkeit gegründete Assekuranzen, doch nichts anderes: als daß die Gesamtheit der steuernden Mitgliedern denjenigen Einzelnen unter ihnen, welche in den Fall kommen, der Unterstützung zu bedürfen, die

fraglichen Renten aus ihren Mitteln zahlt.

Insofern daher einige Ver­

sicherte durch solche Renten mehr erhalten, als sie selbst eingesteuert haben,

muß dies durch ein Minder bei andern ausgewogen werden, indem die­ selben entweder gar nicht oder nur in geringem Maße in die Lage ge­ raten, für welche die Kassen

einstehen müssen.

Soll daher die Kasse

in den Stand gesetzt werden, ihren Verpflichtungen dauernd zu genügen,

so muß bei Berechnung der Prämien

so

verfahren

werden, daß man

mittelst der Wahrscheinlichkeitsrechnung, je nach dem Alter, Gesundheits­ zustand, Gefährlichkeit der Beschäftigung :c., bei jedem Einzelnen das,

was er der Kasse im Durchschnitt kosten und danach die von

dürfte, herauszufinden sucht,

ihm zu erlegende Steuer,

wiederum

unter Be­

messung der wahrscheinlichen mittleren Zeitdauer, in welcher Beisteuern überhaupt von ihm zu erwarten sind, normiert.

Wie schwierig es ist,

die nötigen Anhaltspunkte für eine solche Rechnung zu erhalten, weiß

jeder Kundige, ja für einige der einschlagenden Momente fehlt es bisher an jeder statistischen Begründung.

So hat man wohl über die mittlere

Lebensdauer eines Menschen, je nach dem Altersjahre, in welchen! er sich grade befindet, so wie über die durchschnittlichen Krankheitstage in jedem

Lebensjahre, genügende Beobachtungen, besonders bei den Engländern und Franzosen gesammelt, die neuerlich besonders gewissenhaft und fruchtreich

von dem durch seine Leistungen auf diesem Felde bekannten Mathematiker

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

217

Dr. Heym in Leipzig auf Deutschland angewendet sind*), und auf denen sich bei Kranken-,

Witwen- und Altersversorgungskassen mit ziemlicher

Sicherheit fußen läßt; allein für die durch Unglücksfälle außer der Regel

eintretende Invalidität, welche nach der minderen oder größeren Gefähr­ lichkeit bei den einzelnen Arbeitsbranchen sich verschieden gestaltet, fehlt

es noch so gut wie an jeder irgend auf wahrscheinliche Zahlen zurück­ zuführenden Grundlage**).

Grade die Schwierigkeit der zu lösenden Auf­

gabe, verbunden mit dem Umstande, daß manche unerläßliche Vorbedingung

derselben

bei

dem

betreffenden

Arbeiterpublikum

gar nicht oder nicht

genügend vorhanden ist, hat aber, anstatt davon abzuschrecken, dahin geführt, daß man es nicht selten sehr leicht damit genommen hat.

So versprechen

einige dieser Anstalten einerseits sehr hohe Renten, um Mitglieder anzulvcken, und setzen die Beisteuern im Verhältnis damit viel zu niedrig,

weil entsprechend hohe Beiträge es den meisten Arbeitern unmöglich machen

würden, sich zu

beteiligen; ein Verfahren, welches über kurz oder lang

die Insolvenz solcher Institute herbeiführen muß***).

diese Klippe zu vermeiden,

Andre wieder, um

fallen auf den Ausweg, die Steuern zwar

ebenfalls niedrig zu fixieren, dagegen die Höhe der von ihnen zu gewährenden

Renten entweder ebenfalls auf einen höchst niedrigen Betrag festzustellen

oder gar ihre Summe ganz unbestimmt zu lassen, und vom jedesmaligen Kassenbestande abhängig zu machen****).

Aber wie der erstere Weg am

letzten Ende unausbleiblich zum Bankerott, und somit zum Verluste der

vom Schweiße der Arbeiter abgedarbten Steuern führt, so erscheint der

letztere als eine bloße Pränumeration auf das Almosen.

Denn wenn

der Arbeiter für sich und seine Familie in Tagen der Arbeitsunfähigkeit, bei Alter und Krankheit, wo alle seine Erwerbsquellen stocken, eine Unter­

stützung von etwa — 10 bis 25 Ngr. die Woche erhält, wovon er seine sämtlichen Bedürfnisse bestreiten

soll, so hat er wirklich nur die Wahl,

zu verhungern oder zu betteln. Hier aber stehen wir eben an dem schwachen Punkte des Systems.

Denn gehen wir von der unerläßlichen Bedingung aus:

daß die Bei-

*) Die Einrichtung der Krankenkassen mit Rücksicht auf die in Leipzig bestehenden Verhältnisse von Dr. Carl Heym. Als Manuscript gedruckt, Leipzig 1855. **) Programm des Prof. Dr. Hiilße zur Frühjahrsprüfung in der poly­ technischen Schule zu Dresden 1856. Gedr. bei Teubner in Dresden. ***) Der Aufsatz über die Invaliden- und Witwenpensionskasse für Maschinen­ bauer in Chemnitz in der deutschen Gewerbezeitung 1855. Heft 5. ****) Der Aufsatz über die Unterstützungs- und Pensionskasse für Arbeiter in der Mühlsteinsabrik des Herrn A. Jüngst zu Dresden. Ebendaselbst Heft 4.

Schulze-Delitzsch.

218

träge der Arbeiter zu den von der Kasse zu gewährenden Leistungen, und

diese letzteren wiederum zu dem vorhandenen Bedürfnisse in Verhältnis stehen müssen, so erhalten wir so hohe Prämien, daß ihre Zahlung die Kräfte des bei weitem größten Teils der Leute übersteigt.

Natürlich

kann der Arbeiter nur den ihm von seinem Lohn, nach Befriedigung der laufenden Bedürfnisse für sich und seine Familie, verbleibenden Über­ schuß zu solchen Steuern verwenden, und daß bei der Masse der Arbeiter im ganzen ein solcher Überschuß vorhanden sei, aus welchem der bei

Einzelnen durch andauernde oder zeitweise Vernichtung ihrer Arbeitskraft entstehende Lohnausfall

gedeckt werden könne, ist grade eine der not­

wendigsten Voraussetzungen zum Bestehen der ganzen Institute, an welcher

bisher

es

tatsächlich gebricht.

wenn wir den Lohn der

Denn selbst

Fabrik- und sonstigen Tagarbeiter durchschnittlich auf — also

auf 3

Tlr.

17*4 Ngr.,

die Woche, Jahr aus Jahr ein annehmen — was

eher zu hoch als zu niedrig ist — so wird damit der Haushalt einer

nur

auf

das Notwendige

beschränkten Arbeiterfamilie,

bestehend aus

Mann, Frau und 2—3 Kindern, kaum gedeckt, obschon wir nur folgende

ungefähre,

bei den jetzigen Preisen nicht

ausreichende Sätze auf das

Jahr annehmen: 16

Tlr. für Wohnung,

10



„ Heizung und Beleuchtung,

4



„ Steuern und Schulgeld,

18



„ Kleidung, Schuhwerk, Wäsche, Betten ?c.

8



„ Haus- und Küchengerät, Möbel, Reparaturen :c. ’c.

124*4 „ 2

„ Beköstigung (pro Tag — 10 Ngr. —)

„ unvorhergesehene Ausgaben, Vergnügen rc.



182*4 Tlr. auf das Jahr — 3*4 Tlr. auf die Woche, wobei der wichtige Ansatz für die Kost offenbar unzureichend ist.

Da­

nach bleibt einem so gestellten Arbeiter zu den erforderlichen Beiträgen eigentlich gar nichts übrig, und es ist nicht daran zu denken, daß er so

viel steuern könnte, als das Institut bedarf, wenn es seinen Zweck nicht

verfehlen soll.

Nur in einigen Gewerbszweigen verdienen einzelne fähige

und besonders tüchtige Arbeiter dauernd mehr, z. B. beim Maschinenbau, in den Glashütten u. a., welche dann aber auch in der Regel andere Ansprüche für ihren Haushalt machen, als die bei obiger Berechnung zu­

grunde gelegten.

Für die große Menge der Arbeiter aber, auf die es

uns ankommt, beschränkt sich eine weitere Lohnsteigerung nur auf vorüber­

gehende besonders glückliche Konjunkturen, denen auf der andern Seite

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

219

wiederum fast regelmäßig flaue Perioden folgert, wo, wegen mangelnden, Absatz,

auch

die Fabrikunternehmer den

Arbeitern bei halber Beschäftigung

nur den halben Lohn zu gewähren imstande sind.

Und

wenn

wir gegenwärtig eine fast allgemeine Steigerung aller Arbeitslöhne er­

leben, welche mit der Belebung des Unternehmungsgeistes, dem Zuströmen

des Kapitals zur Industrie, wodurch sich die Nachfrage nach Arbeitern vermehrt, unleugbar zusammenhängt, so dürfen wir dabei nicht außer

Anschlag lassen,

daß diese Lohnerhöhung teilweis eine bloß scheinbare

ist, weil der Wert des Geldes seit einigen Jahrzehnten nicht unbeträcht­

lich gesunken ist, und eine weitere Neigung zu sinken zeigt, wie sich aus der

allgemciuen

Preissteigerung

aller,

insbesondere

der

notwendigen

So geht der Mietpreis der Wohnungen mit

Lebensbedürfnisse ergibt.

der Preissteigerung der Baumaterialien stetig in die Höhe, und Brot

und Fleisch bleiben nicht zurück, obschon die Ernten im ganzen, bei den großen Fortschritten

der

ökonomischen Betriebsweise,

bebauten Ackerflächen größer geworden

sind,

so

daß

einträglicher, die

man

selbst dem

Steigen der Bevölkerung keinen überwiegenden Einfluß hierauf beimessen kann.

Vielmehr ist es der sinkende Wert der Metalle, ihre verminderte

Tauschfähigkeit, vermöge deren

man gegenwärtig für dieselben weniger

an Waren erhalten kann, wie sonst.

Denn daß das Geld selbst tut

Verkehr nur als Metall, als Ware, in Betracht kommt, und daß das

Münzgepräge weiter

nichts tut, als daß es den Metallgehalt nach

Quantität und Qualität, Gewicht und Mischung (Schrot und Korn)

feststellt, dabei aber der Schätzung des handelnden Publikums überläßt, wie viel man für ein solches geprägtes Metallstück an Ware austauschen

mag, dürfen wir hier als bekannt voraussetzen.

Insofern daher die jetzige

Lohnsteigerung nur in einer Erhöhung der Geldsumme besteht, hat es damit seine eigne Bewandtnis, und der Arbeiter, der mit dein erhaltenen

Mehr an Geld sich keineswegs ein Mehr für seinen Bedarf, sondern immer nur dasselbe Maß wie früher mit der geringern Lohnsumme ver­ schaffen kann, ist sicher nicht besser daran tote vorher.

Doch kommen wir auf den Kern der Sache zurück, so steht nach allem so viel fest: daß die Lohnsätze unsrer Arbeiter bei der großen

Mehrzahl zu niedrig sind,

als daß dieselben

imstande wären,

so viel

in jene Kaffen zu steuern, als zu deren Erhaltung erforderlich ist, wenn

ihr Zweck überhaupt erreicht werden soll. hat man

daher

nur

die Alternative:

Um das System durchzuführeit entweder

eine dauernde Lohn­

erhöhung zu bewirken, oder, wenn man dies nicht will oder nicht kann, die Beiträge ganz oder teilweise,

soweit sie die Arbeiter aufzubringen

Schulze-Delitzsch.

220 außerstande sind,

aus andern Mitteln zu beschaffen.

Daß der letztere

Ausweg allemal, direkt oder indirekt, auf Almosen hinausläuft, versteht

sich von selbst. Was zunächst die Lohnerhöhung anlangt, so wird das Wohltätige einer solchen, wenn sie nur überhaupt zu erzielen wäre, wohl von keiner Dennoch bieten die dahin zielenden Bestrebungen fast

Seite bestritten.

nur eine Geschichte frommer Wünsche und verfehlter Versuche und zwar

hauptsächlich aus dem Grunde, weil man dabei die Grundbedingungen, welche Wissenschaft und Erfahrung zur Erreichung

aufstellen, außer Augen

ließ.

des gesteckten Zieles

Wie wir in einem frühern Abschnitte

zesgten, unterliegt der Wert der Arbeit, und davon abhängig die Höhe

des Lohns, auf dem Markte des Verkehrs demselben Gesetz, wie der Wert resp, der Preis jeder andern

und Nachfrage.

Ware,

dem Gesetz

von Angebot

Sind mehr Arbeiter da als gebraucht werden, so sinkt

der Lohn, im umgekehrten Falle steigt er, und über das Zutreffende,

die innere Notwendigkeit dieses in der Natur der Dinge selbst beruhenden Gesetzes kann nicht füglich jemand in

Zweifel sein.

Auch hat man

wirklich in neuerer Zeit Versuche, durch äußeren Zwang in diese natür­

liche Lohnregulierung einzugreifen, und durch Staats- und Polizeiver­ ordnungen ein Lohnminimum und Maximum zu bestimmen, mindestens auf direktem Wege aufgegeben, weil es vollkommen unausführbar ist und

zu den unsinnigsten und verderblichen Konsequenzen führt. unternehmer gesetzlich auferlegen, seinen

Dem Fabrik­

Arbeitern einen der

Summe

nach bestimmten Lohn zu zahlen, führt notwendig dahin, daß man auch

die Preise der von ihm zu beziehenden Rohstoffe, wie der von ihm ab­ zusetzenden Fabrikate im richtigen Verhältnis dazu bestimmen muß, weil

er sonst leicht in den Fall kommen kann, daß die Einnahmen aus seinem Geschäft die Unkosten nicht decken, was das Bestehn desselben unmöglich

machen würde.

So ineinandergreifend ist hier alles, daß ein willkürlicher

Eingriff hier stets den andern, die zwangsmäßige Regulierung des einen Punktes stets die aller andern nach sich zieht, weil sie sonst gar nicht

aufrecht zu erhalten ist.

Man rufe sich nur die Geschichte des berühmten

Maximum aus der französischen Revolution in Erinnerung.

im

April 1793

dekretierten Zwangskurs

Von dem

des Staatspapiergeldes,

der

Assignaten, sah man sich schon anfangs Mai zur wirklichen, gesetzlichen

Festsetzung eines Maximum, eines

höchsten Preises anfangs nur beim

Getreide, bald aber auch bei den

übrigen zum unmittelbaren Konsum

dienenden Artikeln hingedrängt.

Da man damit unmöglich auskam, wenn

man nicht die Rohstoffe und Arbeitslöhne mit in diese Preisfixierung

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

221

hereinzog, wurde die Maßregel auch auf diese ausgedehnt, und als die Detailhändler infolge dessen, weil sie nicht'bestehen konnten, ihre Geschäfte schlossen, wurden sie unter der Androhung: als verdächtig vor das Revolutionstribunal gestellt zu werden — was so ziemlich mit der Todes­ strafe auf eins hinauslief — gezwungen, ihre Läden wieder zu öffnen und unter dem Einkaufspreis zu verkaufen! Und dennoch, trotz der furchtbaren revolutionären Energie, womit diese Maßregeln von dem

dazu eingesetzten Approvisionskomitee, namentlich seitens der pariser Kommune gehandhabt wurden, trotz der Haussuchungen, Einkerkerungen, Hinrichtungen, wußte man sich jenen unsinnigen Dekreten auf mannig­

fache Weise zu entziehen, und sie dienten nur dazu, die Not zu steigern und neben dem Ruin von Tausenden einzelner Bürger am Ende den öffentlichen Bankerott herbeizuführen*). Daß nun eine Einwirkung auf dauernde Erhöhung der Arbeits­ löhne auf dem allein möglichen natürlichen Wege mittelst der erwähnten Assekuranzen erzielt werde, haben selbst dessen Anhänger nirgends be­ hauptet. Wir unsererseits sind so weit von einer solchen Annahme ent­ fernt, daß wir vielmehr dem System bei seiner völligen Durchführung einen Druck auf die Lohnhöhe, eine auf das weitere Sinken der Löhne yinzielende Tendenz beimessen. Denn während es die für eigne Rechnung arbeitenden kleinen Produzenten, wie wir zeigten, ganz Preis gibt, und so das unheilvolle Anwachsen der Arbeitermaffen durch den Übertritt

eines Teiles der bisherigen Arbeitgeber zu ihnen eher fördert als hindert, schließt es nicht ein einziges Moment in sich, welches einen Gegendruck hiergegen zugunsten der Arbeiter ausübte. Im Gegenteil wirkt es auf die Stellung derselben den großen Unternehmern gegenüber im all­ gemeinen eher deprimierend ein. Sicher war es für die ganze Arbeiter­ klasse die möglichst günstige Chance, wenn es einzelnen unter ihnen, sei es auch noch so selten, durch besonderes Talent, Glück und Sparsamkeit gelang, sich allmählich selbst zu Unternehmern größerer Etablissements auszuschwingen, aus der Reihe ihrer Brüder herauszutreten und, anstatt

gleich ihnen, Beschäftigung zu suchen, wie bisher, nun selbst einem Teile derselben Beschäftigung zu geben, weil dies nicht bloß die Konkurrenz auf feiten der Arbeiter vermindert, sondern, was weit höher anzuschlagen

ist, aus feiten der Arbeitgeber vermehrt. angehalten werden,

jeden

von den

Allein je mehr die Arbeiter

notwendigsten Ausgaben mühsam

*; Man vergleiche über das Einzelne Thifers Histoire de la Revolution Fran?aise Tom. I. chap. XVIII, XXV, XXVI, XXIX u. a.

222

Schulze-Delitzsch.

ersparten Pfennig in jene Kassen zu tragen, um so mehr schwindet die Aussicht, durch Ansammlung eines kleinen Kapitals jemals ihre eignen

Herren zu werden.

So wird die Garantie,

in

alten und

schwachen

Tagen nicht zu darben, nur durch die geopferte Möglichkeit, jemals zur gewerblichen Selbständigkeit zu gelangen, erkauft, und die vollständigste

Resignation nach dieser Richtung hin ist die Folge des Systems.

Denke

man hierüber wie man wolle, und sehe man auch von dem Bedenken ab, daß man so das Interesse der Arbeiter von den nächsten, unmittel­

baren Früchten ihres Tuns loslöst, so wird man doch so viel auf jeden Fall eingestehen müssen, daß dieser Gang der Dinge nicht geeignet ist,

eine Lohnerhöhung nach sich zu ziehen, indem dadurch grade die Arbeit­ geber von einer den Arbeitern günstigen Konkurrenz mindestens von einer Seite her geschützt werden.

So wird es erklärlich, wenn die eifrigsten Anhänger des Systems selbst von der Aussicht,

die erforderlichen Mittel durch Beiträge der

Arbeiter zu decken, überall abstrahiert haben und die Forderung stellen: daß dazu Beiträge von anderer Seite her gewährt werden.

Zu diesem

Zwecke wenden sie sich entweder an die Arbeitgeber oder die öffentliche

Wohltätigkeit.

Daß die Arbeitgeber, die Inhaber der großen Etablissements, bei der bedeutenden

Prosperität, deren sich ihre Unternehmungen in den

meisten Fällen zu erfreuen haben,

im allgemeinen wohl imstande sind,

etwas für ihre Arbeiter zu tun, ja daß sie dazu eine moralische Ver­

pflichtung haben, läßt sich nicht in Abrede stellen.

Fast immer würden

sie nur einen kleinen Teil der bedeutenden Gewinne zu diesem Zwecke zu opfern haben, welche sie doch ohne die Mithilfe ihrer Arbeiter nicht zu realisieren vermocht haben würden; und dieselben nach ausgenutzter

Arbeitskraft der öffentlichen Mildtätigkeit in die Arme werfen, muß in jeder Hinsicht großes Bedenken erregen.

In der Tat bricht sich auch

die Ansicht, daß hier etwas geschehen müsse,

mehr und

unter den Fabrikbesitzern

mehr Bahn, und hat schon manche sehr anerkennenswerte

Anstalten und Einrichtungen in das Leben gerufen.

Außer den Rück­

sichten wahrer Humanität und Gerechtigkeit, welche viele dieser einfluß­

reichen Männer unleugbar beseelen, Interesse dahin.

Denn daß

wirkt

selbst ihr wohlverstandenes

mit dem Sinken

der Arbeiter

in

ihrem

Wohlstände auch ihre physischen, intellektuellen und sittlichen Zustände

sich verschlimmern, somit ihre Arbeitsfähigkeit, ihre Redlichkeit, ihr Fleiß abnehmen, kann den Arbeitgebern am allerwenigsten verborgen bleiben.

Wenn also ihr eigenes Geschäft durch ein solches kümmerliches Los ihrer

Die arbeitenden Klassen und das Asioziationswesen in Deutschland.

223

Leute leidet, dagegen Tüchtigkeit und wahres Interesse der letztem für den Vorteil des Unternehmens mit

der Verbesserung ihrer Stellung

Hand in Hand gehen, so ist nur zu verwundern, daß diese Wahrheit noch keine allgemeineren Praktischen Früchte getragen hat.

Denn

daß

ihrerseits die Arbeiter ein solches wohlwollendes Entgegenkommen ihrer Fabrikherrn zu würdigen wissen, hat die Erfahrung noch stets bewährt.

Wahrhaft glänzende Beispiele aus England, dem Vaterlande der neuern

Industrie, liegen hierüber vor, und gleich rühmlich bestrebt sich eine Anzahl

deutscher Fabrikanten, nicht hinter jenen zurückzubleiben: ein Thema, was wir uns einmal zur besonderen Behandlung vorbehalten*).

Allein wie

viel auch bei uns und anderwärts von dieser Seite für das Wohl der Arbeiter geschieht, so bleiben diese Bestrebungen doch nicht bloß vereinzelt,

sondern auch ihrer Quelle nach prekär, von dem guten Willen, dem Be­ lieben der Herren abhängig, welcher letztere Umstand schon allein hindert,

davon eine wirkliche Hebung des Arbeiterstandes zu erwarten.

So lange

die Arbeiter auf solche außerordentliche Zuwendungen und Opfer der

Arbeitgeber kein Recht haben,

behalten diese den Charakter einer milden

Spende, und was der jetzige Fabrikherr mit Liebe pflegte, mag der Nach­

folger jeden Augenblick wieder umstoßen. Mißstandes hat man sich von

Im Gefühl dieses unleugbaren

vielen Seiten daher auch nicht hierbei

beruhigt, und die wohlgemeinte Forderung gestellt: „daß die Arbeitgeber

durch das Gesetz verpflichtet werden sollten,

außer dem Lohn an ihre

Arbeiter noch einen Beitrag zu den oben genannten Kassen zu geben,

der die zu niedrigen Steuern, welche den Arbeitern allenfalls angemutet

werden können, ergänzt."

Natürlich, die Arbeitgeber durch das Gesetz

direkt zu höheren Löhnen verpflichten zu lassen, das ging nicht wohl an,

so weit haben denn

doch Wissenschaft

und Erfahrung

die öffentliche

Meinung bereits aufgeklärt, und da blieb nur dieser Ausweg übrig, der sogar in die Gesetzgebungen einiger deutschen Staaten übergegangen ist. ♦) Man vergleiche die Berichte über die große Kerzen- und Nachtlichter­ fabrik Price & Comp. in Belmont bei London mit 4000 Arbeitern, darunter 1500 Kinder; über die Wollenwarenfabrik des Hr. Galt in Saltaine (Uo'rkshire) in Hubers Reisebriefe aus Belgien, Frankreich und England. 2 Bände. Hamburg 1855. Bd. JI. Brief 4—6 und Br. 17; ein Werk, welches wir allen, die sich über das vorliegende Feld gründlich unterrichten wollen, nicht genug empfehlen können. In Deutschland aber verweisen wir auf die weitbekannte Glasfabrik der Gebrüder Müllensiefen in Crengeldanz bei Witten in Westfalen, wo durch die Fürsorge der Inhaber jeder der länger beschäftigten Arbeiter einen kleinen Grundbesitz erhält, um sich anzubauen, und in jeder Hinsicht wahrhaft mustcrgiltige Einrichtungen getroffen sind.

Schulze-Delitzsch.

224

So verordnet z. B. das preußische Gewerbegesetz vom 9. Februar 1849, daß mittelst der Ortsstatuten die Fabrikherrn verpflichtet werden können, zu den Arbeiterunterstützungskassen aus eignen Mitteln Zuschüsse zu geben, welche bis zur Hälfte der von den Arbeitern selbst gezahlten Steuern gesteigert werden dürfen. — Aber läuft denn die ganze Maßregel, bei

Licht besehen, ihrer Tendenz nach nicht ebenfalls auf eine durch das Gesetz dekretierte Lohnerhöhung hinaus?

Ob man dem Arbeitgeber direkt

auferlegt, mehr Lohn zu zahlen, oder ihn zwingt, außer dem Lohn noch einen Extrabetrag für jeden Arbeiter zu zahlen, ist das nicht im Grunde einerlei?

In der Tat liegt der ganze Unterschied zwischen beiden Arten

des direkten

und

indirekten Eingriffs durch das Gesetz in die Lohn­

regulierung nur darin, daß die nach obigem beliebte Maßregel von dem

die Absicht des Gesetzes,

Arbeitgeber jederzeit beliebig zunichte gemacht,

dem Arbeiter außer dem Lohn eine Wohltat zuzuwenden, beliebig um­

gangen werden kann, so lange nicht eben der Lohn selbst auf ein Minimuni

fixiert wird.

Gesetzt, die in einem be­

Dies ist mit Händen zu greifen!

stimmten Etablissement übliche Lohnhöhe betrage bisher 15 Sgr. für den Arbeiter täglich.

Kraft jenes Gesetzes soll der Unternehmer — ohne daß

anderweite Gründe

zu

einer Lohnerhöhung

in

den Verhältnissen des

Arbeitsmarktes vorliegen — mit einem Male für jeden Arbeiter 1 Sgr. extra für die erwähnten Kassenzwecke entrichten.

Wo kann er das Geld

anders hernehmen, als aus seinem Lohnfonds, welcher nach einem solchen Abzug natürlich

zu salarieren.

nicht mehr zureicht, ebenso viele Arbeiter ebenso hoch

Wer hindert ihn nun, den Arbeitern von jetzt ab bloß

noch 14 Sgr. täglich an Lohn zu zahlen, und so

Extragroschen für die Kassen den Schultern

den ihm auferlegten

der Arbeiter aufzubürden?

Das Gesetz, wie es bis jetzt existiert, wahrhaftig nicht, denn dem ist genügt, wenn nur der

Groschen in die Kassen fließt, und wenn es zu dem

niedrigeren Preise überhaupt Arbeiter gibt, was in den meisten Fällen

nicht zu bezweifeln ist, so ist dasselbe so gut wie gar nicht in der Welt. Um eine so leichte Umgehung zu verhüten, wird sich daher der Gesetz­

geber entschließen müssen, zu verfügen: „daß ein bestimmtes Lohnminimuni, oder, was dasselbe besagt, ein zu einer gewissen Zeit gestandener Lohnsatz festgehalten und nicht erniedrigt werden dürfe;" denn erst dann ist die

Erreichung seiner Absicht, dem Arbeitgeber eine Beisteuer für den Arbeiter über den Lohn hinaus aufzulegen und so den Lohn indirekt zu erhöhen,

gesichert.

Freilich durch einen Eingriff in die Regulierung dieses Ver­

hältnisses mittelst der natürlichen Faktoren;

und zu welchen Schritten

man auf diesem schlüpfrigen Pfade von da noch weiter gedrängt werden

Die arbeitenden Klaffen und das Affoziationswesen in Deutschland.

würde, indem der eine stets die anderen nach sich zieht,

225

und ein Still­

stand überhaupt gar nicht, sondern nur Umkehr oder Vorschreiten möglich

ist, das haben wir an dem verhängnisvollen Beispiele des Maximum gesehen.

Ohne somit bei

auf indirektem Wege eine Lohn­

dem Versuche

erhöhung mittelst gesetzlichen Zloanges zu bewirken, den wir als ebenso vergeblich und verwerflich, wie einen direkten Eingriff zu diesem Zwecke, erachten müssen, länger zu verweilen, wenden wir uns den Forderungen

derjenigen

zu,

das

welche

gradezu in Anspruch

Einschreiten

der

öffentlichen

Mildtätigkeit

nehmen, um das Los des Arbeiters, sobald er

über kurz oder lang arbeitsunfähig wird, zu erleichtern, und somit das Ziel, welchem die obige Richtung auf verdecktem Wege zustrebte, offen

verfolgen.

Da sollen Rettungshäuser und Spitäler geschafft, Schulen

und Kosthäuser gegründet, Wohnungen gebaut, Lebensmittel und Heiz­ material unter dem Marktpreise abgelassen werden, entweder auf gemeine Kosten, oder aus den Erträgen von Sammlungen und Subskriptionen,

durch

die

Wirksamkeit

gemeinnütziger

Vereine.

begegnet

Dabei

man

ziemlich allgemein der naiven Vorstellung, als könne man durch Anrufung

der Staatshilfe das Almosen von dem Lästigen für die Geber, wie von

dem Erniedrigenden für die Empfänger entkleiden, und bedenkt nicht, daß der Staat keiner Klaffe seiner Bürger etwas geben kann, ohne es den andern zu nehmen, indem sich seine Einnahmequellen stets aus die Taschen seiner Angehörigen reduzieren.

am letzten Ende

Wie

notwendig

und ehrenwert nun auch die erwähnten Anstalten und Maßregeln sein

mögen, wenn es sich darum handelt, wirklich schon vorhandene Not zu lindern, der vereinzelten oder vorübergehenden Hilflosigkeit beizuspringen, so wenig taugen sie dazu, die Quelle des Elends selbst zu verstopfen,

der fortschreitenden Massenverarmung entgegenzutreten, und als Mittel

bei Lösung der sozialen Frage in Betracht zu kommen, welche es ihrem Hauptkerne nach bei weitem mehr mit Verhütung der Verarmung, mit

Erhaltung der Arbeitermassen in wirtschaftlich gesunden Zuständen, als mit Organisation der Mildtätigkeit gegen bereits Verarmte zu tun hat.

Im Gegenteil, insofern man jene humane Fürsorge nicht als Ausnahme,

sondern als Regel,

als

etwas hinstellt, was mit den Zuständen der

arbeitenden Klassen einmal unabänderlich verwachsen ist;

insofern man

den Arbeitern die Aussicht darauf,

Endziel

Laufbahn eröffnet, ihnen

als das

natürliche

ihrer

eine solche eventuelle Bettlerpfründe als ihr

Recht zugesteht: so wird man die Quelle des Elends, anstatt sie zu ver­ stopfen, nur noch mehr verstärken. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

I.

Denn wenn schon die leider nur zu 15

226

Schulze-Delitzsch.

oft gehegte und begründete Vorstellung demoralisierend auf den Arbeiter

wirkt: daß ihm seine Anstrengung,

sein Fleiß doch höchstens nur die

Mittel zur Befriedigung des augenblicklichen Bedürfnisses, aber nicht die

mindeste Sicherung für alte und kranke Tage gewährt:

so müßte die

Gedankenlosigkeit, das blind in den Tag Hineinleben bei ihm sich in er­

schreckendem Maße steigern, wenn man jener Vorstellung durch Ver­

allgemeinerung

der

fraglichen

Anstalten

öffentliche Sanktion und

die

zugleich eine höchst bequeme Unterlage erteilte.

Bald würde die Masse

der Unterstützungsbedürftigen einen Hauptteil der Bevölkerung ausmachen

und die für sie erforderlichen Mittel den Wohlstand des ganzen Landes verschlingen, wovon uns das schon gegenwärtig ungeheure Anwachsen der Armentaxen

in

manchen Ländern ein schwaches Vorspiel bietet.

Am

besten aber können wir uns über die unheilvollen Folgen dieser Richtung in dem Lande unterrichten, wo bisher das Meiste dafür geschehen ist, in Belgien.

Eine blühende Fabrikindustrie verbunden mit dem Darnieder­

liegen des Kleingewerbes hat hier große Massen von Lohnarbeitern an­

gehäuft, und trotz der technischen Brauchbarkeit der Leute, zeigen dieselben,

im Verhältnis zu den englischen,

französischen und deutschen Arbeitern,

in ihren Bestrebungen sich aufzuhelfen, wenig Energie, nicht den vor­

herrschenden Drang zur Selbständigkeit, wie jene.

So hören wir aus

Belgien fast nur von Unternehmungen der Regierung, der Vereine und Stiftungen, um der Not und Entsittlichung der Arbeiter vorzubeugen, aber selten oder nie von einer Tat der Arbeiter selbst aus diesem Felde.

Vielmehr scheinen dieselben jene Bevormundung des Staats,

der

be­

sitzenden Klassen und der Kirche — wie viel namentlich die unter den niederen Volksklassen

allmächtige Kirche zu

dieser Lebenshaltung bei­

getragen, kann hier nur angedeutet werden — als etwas Selbstverständ­

liches nur so hinzunehmen.

Dies macht denn den Boden für die ganze

Organisation besonders geeignet.

Auf der einen Seite Leute, welche die

fragliche Obsorge, als Stütze ihrer gesellschaftlichen, politischen und geist­

lichen Superiorität, als Recht und Pflicht in Anspruch nehmen, und nebst der Macht auch mit den Mitteln dazu reichlich ausgestattet sind, auf der andern Seite eine für jede solche Einwirkung empfängliche Masse, welche die Leitung von oben, insofern sie namentlich die Kosten trägt,

bestens akzeptiert.

Aber was war bisher das Resultat aller dieser im

In- und Auslande so sehr zur Schau getragenen Bienfaisance, welche den Mittelpunkt jener jährlichen großen Kongresse bildet, zu welchen sich

wohlmeinende Männer aus ganz Europa vereinen, um von der belgischen

Musterorganisation zu profitieren? — daß der Pauperismus in so ent-

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

227

setzlichem Maße zunimmt, daß die vorhandenen kolossalen Mittel immer

weniger, selbst für das allerdringendste Bedürfnis, zureichen.

Bei den

vorhandenen genauen statistischen Nachweisen hierüber, welche namentlich die Kammerdebatte über das neue Wohltätigkeitsgesetz jüngst zur öffent­

lichen Kenntnis 1853

brachte, läßt sich das Verhältnis auf das schlagendste

Die Einwohnerzahl Belgiens betrug nach der Zählung von

nachweisen.

3,830,000 Köpfe,

welche

sich

auf

908,630

Familien verteilen.

Von diesen letzteren lebten:

89,630 in guten oder behäbigen, 373,000 in mehr oder weniger gedrückten Umständen, und 446,000, also etwa die Hälfte, im Elend.

Von den letztern em-

psingen 226,000 (nahezu ein Vierteil der ganzen Bevölkerung) Unter­

stützung aus öffentlichen Mitteln.

wohlhabende,

Also auf 100 Menschen: 9 reiche oder

42 unbemittelte, zum Teil dürftige, 49 im Elend, unter

denen, abgesehen von der sicher stark in Anspruch genommenen Privat­ mildtätigkeit, 25 aus öffentlichen Mitteln Unterstützung erhalten.

Die

zu letzterem Zwecke verwendete Sumine, zum großen Teil aus geistlichen Korporationen und milden Stiftungen, beträgt nicht weniger als 14 Mil­ lionen Franken alljährlich! Wenn man bedenkt, welcher ungeheure Kapital­ stock erforderlich ist,

um eine solche Rente zu gewähren, und daß das

produktive Kapital des Landes, der Fonds, aus welchem die arbeitenden

Klassen ihre Löhne zu ziehen haben, um so viel geschmälert wird; ferner

daß das Wachsen dieses toten Kapitals mit bem steigenden Defizit des Lohnfonds Hand in Hand geht; so eröffnet sich eine Perspektive, welche die sozialen Zustände, die nächste Zukunft des gepriesenen Landes wahrlich

nicht beneidenswert erscheinen läßt.

Und daß das Bewußtsein der von

dieser Seite drohenden Gefahren unter dem intelligenten Teile der Be­ völkerung sich mehr und mehr verbreitet, dahin dürften doch wohl die

jüngsten Volksbewegungen gedeutet werden gegen das von den Kammern votierte erwähnte Wohltätigkeitsgesetz, nach welchem die Stiftungen zu

solchen Zwecken künftig von der Kontrolle des Staates ganz befreit, das Anwachsen der todten Fonds (mortua manus) befördert, und insbesondere

der Einfluß der Kirche auf dieses ganze Gebiet verstärkt worden wäre. Besonders

hat

sich

die

entschiedenste Reaktion

gegen

die

unheimliche

Vormundschaft der Hierarchie bei jenen Bewegungen kund gegeben, welche die belgische Regierung zwar durch energisches Einschreiten in die Schranken

der Ordnung zurückweisen mußte, in denen sie jedoch die Manifestation

der öffentlichen Meinung zu erkennen und ihr durch Zurückziehen der

gehässigen Gesetzvorlage gerecht zu werden, weise genug war. 15*

Schulze-Delitzsch.

228

Drängen wir nach alledem das Resultat unserer Erörterungen kurz

zusammen, so ergibt sich für uns ungefähr Folgendes.

Zunächst ist die Notwendigkeit und das Verdienstliche von Anstalten öffentlicher Wohltätigkeit zur Linderung des Elends im Einzelnen, als Mittel gegen die sporadische und periodische Verarmung unbedingt an­

zuerkennen.

Noch mehr wird man gewissen Bestrebungen von einzelnen

Arbeitgebern oder gemeinnützigen Vereinen zur Abstellung schreiender Übelstände unter den arbeitenden Klassen, insbesondere sofern sie es ver­

stehen, die Färbung des Almosens zu vermeiden, und auf ein wirkliches Rechtsverhältnis

zwischen

den

Beteiligten

hinzuwirken,

eine

heilsame

Wirkung zuzugestehn und sie nach Kräften zu fördern haben, z. B. Arbeiter­

schulen und Bildungsvereine, Baugesellschaften zur Beschaffung gesunder und billiger Wohnungen, Magazine für nötige Lebensbedürfnisse und dgl. Allein für die eigentliche Aufgabe:

die dauernden, habituell gewordenen

Zustände großer, zahlreicher Bevölkerungsklassen zu heben, dazu ist die Mildtätigkeit das allerverkehrteste Mittel.

Werden hier nicht die Quellen

des Elends in den verarmenden Massen selbst verstopft, nicht Wille und Kraft, sich emporzuarbeiten, in ihnen selbst geweckt, so

nützt das Ein­

schreiten der übrigen Gesellschaftsklassen ebensowenig, als man in einen dahinsiechenden Organismus von außen neue Lebenskraft einhauchen kann.

Diese innere Kräftigung, welche notwendig auf sittlichem und wirtschaft­ lichem Grunde

beruhen muß,

kann nun unmöglich durch

ein Mittel

herbeigeführt werden, welches seinem Wesen nach, gleich dem Almosen,

sittliche und wirtschaftliche Verkommenheit nach sich zieht, indem es den

Menschen gewöhnt von der Aufhilfe durch eigne Kraft abzusehn, und sich jeder Verantwortlichkeit für die Folgen des eignen Tuns und Lassens zu entschlagen. Überall wo das Almosen in großem Maßstabe organisiert ist, sehen wir daher mit dem Sinken des Wohlstandes das Sinken der

Intelligenz und Moralität in der

Arbeiterwelt gleichen Schritt halten,

woraus sich dann weiter die Verringerung der gewerblichen Tüchtigkeit

der Leute, des Lohnwertes ihrer Leistungen ergibt.

Wie hierdurch einer­

seits die Produktionsfähigkeit der ganzen Industrie geschwächt wird, wächst

andrerseits die Not und das Bedürfnis der Unterstützung in den Arbeiter­ schichten immer reißender, und mit den gesteigerten Ansprüchen des Almosen­ fonds sinkt das produktive Kapital des Landes, bis endlich

der ganze

Bau im allgemeinen Ruin zusammenbricht. Ebensowenig, wie die Mildtätigkeit, vermag die Assekuranz in dem oben entwickelten Sinne die Frage zu lösen. Abgesehen davon, daß man

auf diesem Wege auf die Konservierung der Selbständigkeit der bisherigen

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

kleinen Gewerbtreibenden ganz verzichten muß,

229

ermangelt dieselbe, wie

wir sahen, der ersten, allernotwendigsten Voraussetzung zu einer frucht­

bringenden Durchführung, indem es an dem unerläßlichen Fonds

Bestreitung der Prämien auf Seiten der Arbeiter fehlt.

eine

zur

Unfähig, auf

dauernde Erhöhung der Löhne hinzuwirken, wodurch dieser Fonds

allein beschafft werden könnte, mußten wir ihr eher eine sinkende Tendenz in dieser Beziehung beimessen, und so geriet sie mit sich selbst in Zwie­

spalt, indem sie die Zahlungsfähigkeit der Arbeiter mit den Forderungen, die sie an sie stellt, immer mehr außer Verhältnis bringt.

Und wie

man sich, um aus diesen innern Widersprüchen herauszukommen, immer

tiefer darin verwickelt: wohin die Versuche führen, die erforderliche Lohn­ höhe, anstatt durch die natürlichen Gesetze des Arbeitsmarktes, auf dem Weg willkürlicher Verordnung zu dekretieren; und wie man zuletzt doch

die eigne Impotenz durch den Appell an die Wohltätigkeit, als letzte

Konsequenz des Systems einzugestehen genötigt ist,

das haben wir im

Vorstehenden näher darzulegcn versucht.

IV. Die Assoziation. Wenn die bisherigen Erörterungen zunächst nur zu einem negativen Resultate führten, insofern

sich die Unmöglichkeit oder Unzulänglichkeit

der diskutierten, zu deni vorgesteckten Ziel eingeschlagenen Wege heraus­

stellte, so sind wir doch den Forderungen um ein gutes Teil dadurch näher gekommen, die wir an die Mittel zur Abhilfe zu stellen haben, wenn durch dieselben das Übel wirksani bekämpft werden soll. Als Grund desselben erkannten wir die Tendenz der neuern Industrie zum

Großbetrieb, als der durch den gewerblichen Fortschritt unserer Tage

notwendig bedingten Geschäftsform, und verwarf die Rückkehr zum Alten ebenso, wie die Assekuranz, von denen jede nur einen Bruchteil der Arbeiter berücksichtigt. Überdem zeigt sich die erstere jenem industriellen Fortschritt gegenüber als unmöglich und verderblich, die letztere konnte

schon der vorwaltenden Lohnverhältnisse wegen nicht durchgesührt werden.

In der Aushilfe und Unterstützung aus fremden Mitteln endlich, in dem Almosen fanden wir den allergefährlichsten Feind der Arbeiter, weil es das Übel nur verstärkt, statt ihm abzuhelfen, und zum völligen wirt­

schaftlichen und sittlichen Ruin führt. Hiernach fordern wir zuerst von dem einzuschlagenden Wege, daß derselbe nicht bloß einseitig das Wohl einer einzelnen Klasse der Arbeiter verfolge, vielmehr die ganze arbeitende Bevölkerung umfasse, und ganz

230

Schulze-Delitzsch.

die gewerbliche Selbständigkeit der bisherigen Kleinmeister aufrecht zu erhalten, sowohl um deren selbst willen, als auch besonders dahin ziele,

weil ihr Herabsinken zu bloßen Lohnarbeitern zugleich auf die Zustände dieser letztern einen 'entschieden ungünstigen Einfluß ausüben würde.

Sodann darf dabei der industrielle Fortschritt nicht aus dem Auge gelassen werden, vielmehr muß man sich hüten, im vergeblichen Ankämpfen dagegen Zeit und Mittel unnütz zu vergeuden, und dafür lieber die großen Hilfsmittel, die er bietet, dem Zwecke dienstbar zu machen suchen. Endlich aber müssen alle Bestrebungen zum Wohl der arbeitenden Klassen auf die innere sittliche und wirtschaftliche Stärkung derselbe», auf die Erweckung und Hebung der eignen Kraft, auf die Selbsthilfe der Beteiligten gegründet fein, wenn die Aufgabe ernstlich der Lösung zugeführt werden soll. Von allen bisher praktisch in Anwendung gebrachten Mitteln gibt es nun bloß ein einziges, welches die vorstehenden Requisite in sich ver­ einigt und den Widerspruch löst, in dem wir uns zu befinden scheinen, wenn wir einerseits nur dem Großbetriebe eine gewerbliche Zukunft vindizierten, andrerseits das Vorhandensein der Bedingungen dazu bei den Arbeitern bestritten. Faßt man freilich die Aufgabe so, daß jeder einzelne Handwerker oder Arbeiter in einen großen Unternehmer um­ gewandelt werden solle, so fehlt es bei der großen Mehrzahl dieser Leute an nicht weniger als allen Erfordernissen dazu, das ist sicher. Allein diese Sachlage ändert sich sofort, sobald sich die Leute entschließen, die Vereinzelung aufzugeben, welche sie den großen Etablissements gegenüber zu solcher Ohnmacht herabdrückt. Und dies geschieht mittelst der Assoziation, der Vergesellschaftung im Erwerb. „Mehre kleine Kräfte vereint bilden eine große, und was man nicht allein durch­ setzen kann, dazu soll man sich mit andern verbinden" dies der einfache, uralte Satz, auf welchem sie beruht, dessen Anwendung wir, seitdem es eine Geschichte gibt, überall, wo Menschen auftreten, eine Menge der großartigsten Schöpfungen verdanken. Und dieser Weg ist es auch allein, der die Handwerker und Arbeiter in den Stand setzt, zur Selbständigkeit in geschäftlicher Beziehung zu gelangen und die Schranken der Dienstbarkeit, wenn sie allzuhart werden, zu durchbrechen.

Denn das, woran es den Einzelnen unter ihnen, wie wir sahen, hierzu gebricht, das erforderliche Maß von Intelligenz und Kapital, wird durch ihren

Zusammentritt zu einer engverbündeten Gesamtheit alsbald ergänzt. Zunächst findet sich unter der Menge meist einer oder der andere, welcher die nötige Kenntnis und Umsicht besitzt, dem Ganzen oder einzelnen

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

Geschäftsbranchen vorzustehn.

Schlimmstenfalls kann

231

man aber, beim

Mangel solcher Persönlichkeiten, andere im kaufmännischen oder Fabrik­ fache selbst gebildete Männer entweder als Teilnehmer gewinnen, oder

gegen angemessenes Honorar engagieren, sobald nur das nötige Betriebs­ Die Erreichung dieses ersten und letzten Requisits

kapital vorhanden ist.

für jede derartige Unternehmung ermöglicht aber die Assoziation Handwerkern und Arbeitern in

den

so genügender, wahrhaft überraschender

Weise, wie kein anderer der bisher eingeschlagenen Wege. Erst sie macht die Arbeiter eigentlich kreditfähig, ein Punkt, bei dem wir, seiner großen

Wichtigkeit halber, da er den Haupthebel bildet, welchem die Arbeiter­ assoziation ihre Erfolge verdankt, ein wenig verweilen müssen. In seiner

Vereinzelung erhält der mittellose Arbeiter seine soziale Bedeutung, seinen

wirtschaftlichen Wert so zu sagen, nur durch seine Arbeitskraft, welche allein ihm selbst die Existenz, der Gesellschaft die Erfüllung seiner Ver­ pflichtungen garantiert. Nun ist aber die Verwertung dieser Arbeitskraft

mittelst lohnender Beschäftigung teils von mancherlei persönlichen Eigen­

schaften, welche sich leicht der Kontrolle entziehen, teils von einer Menge

von Zufällen abhängig, die der Arbeiter nicht in seiner Gewalt hat. Aus diesem Grunde gilt die Arbeitskraft des Einzelnen im Verkehr nicht als Sicherheit für die Kapitalanlage.

Dem wird aber abgeholfen, sobald

sich eine größere Zahl von Arbeitern assoziiert, und in der Form der Solidarität die Gefahr für einander übernimmt, so daß, dem Gläubiger gegenüber, einer für den

haftet.

andern und jeder für das Ganze der Schuld

Kommen dann auch einzelne darunter, infolge zufälligen oder

verschuldeten Mißgeschicks, außer Stand, ihre Verpflichtungen zu erfüllen,

so werden sie von den andern mit übertragen, und die Verteilung des Ausfalls auf viele macht

lästig.

dessen Deckung leichter möglich und weniger

Daß eine solche größere Menge mit einem Mal durch Unglücks­

fälle oder sonst arbeitsunfähig werden könnte,

ist ebensowenig zu be­

fürchten, als daß sie auf die Dauer ohne Beschäftigung bleiben sollte,

da die Gesellschaft wohl des einzelnen, niemals aber der Arbeiter im großen

und

ganzen

zu

entbehren vermag.

Auf diese Weise gewinnt

die solidarische Haft solcher verwandter Arbeitergruppen im Verkehr den

Wert

einer Hypothek,

und die Kapitalisten

verschließen

ihre Kassen,

welche sie dem Einzelnen zu öffnen Bedenken trugen, nicht länger vor

einer so organisierten Gesamtheit, wie die Erfahrung bei den vielfach gemachten Versuchen bewährt hat, über welche später an der geeigneten Stelle die speziellen rechnungsmäßigen Belege beigebracht werden sollen.

Zur Assoziation also drängt alles, sie ist das einzige Rettungs-

232

Schulze-Delitzsch.

mittel für die unbemittelten Arbeiter und Handwerker. In ihr muß sich insbesondere für die letztern die alte Zunft verjüngen, welche in unsern Tagen völlig zweck- und inhaltlos geworden ist. Die Zeiten sind vorbei, wo es besonderer Garantieen bedurfte, wie man sie nur im Schoße solcher genossenschaftlicher Korporationen fand, um dem Einzelnen seine politische Stellung, Sicherheit und Rechtsschutz zu gewähren. Die freie Bewegung

im bürgerlichen Leben und Erwerb wird von dem Staate der Neuzeit nicht mehr bloß den Mitgliedern bevorrechter Verbände als ein Privilegium, sondern seinen sämtlichen Bürgern als allgemeine Befugnis gewährleistet. Das, um was es sich gegenwärtig handelt, ist keine politische, sondern eine rein wirtschaftliche Aufgabe. Nicht die kleinen Gewerbetreibenden durch polizeiliche Verbote gegen die Konkurrenz des Großbetriebs schützen, sondern sie zur Konkurrenz mit demselben selbst befähigen; nicht jene zu dem niedrigern industriellen Standpunkt der letztern herabziehen, sondern die letztern zu dem höhern Standpunkt ihrer bisherigen Gegner empor­ heben, darauf kommt es an. Dies vermag aber nur die Assoziation mit ihren außerordentlichen Hilfsmitteln, indem sie die in ihrer Vereinzelung Schwachen zum großen, mächtigen Ganzen einigt, in welchem jeder den sichern Boden für die günstigste Verwertung seiner Arbeitskraft findet. Daher begrüßen wir in ihr die wahre und einzig mögliche Innung der Zukunft, welche bestimmt ist, den in unsern Arbeitern lebenden Drang nach Verbesserung ihres Loses durch engern Anschluß aneinander, der schon zu so manchen Auswüchsen Anlaß gegeben hat, unter Schonung aller berechtigten Interessen zu realisieren. Indem sie dem Eigeninteresse der Einzelnen, dem eigentlichen Motor für alle Erwerbstätigkeit im Haus­ halt der Gesellschaft, die Gruppierung der zusammentretenden Verbände lediglich überläßt, in welche jeder ein- und austritt, jenachdem er seine Rechnung dabei findet, lehnt sie sich überall an das Bestehende an, und gewinnt so einen festem Halt in den natürlichen Trieben und Syni-

pathieen der Menschen, als ein äußerer Zwang, wie bei der alten Zunft, je zu gewähren vermochte. Doch wozu noch viel Worte über die Macht der Assoziation ver­ schwenden, da sie uns das tägliche Leben in tausend Beispielen vor Augen führt. In diesem Augenblicke ist ja die Assoziation bereits eine der

Hauptmächte im Verkehr und beherrscht den Weltmarkt. Was sind denn jene ungeheuern Aktienunternehmungen, welche den Bau und Betrieb von Eisenbahnen, Bergwerken, Fabriken, Gasanstalten, die Errichtung von Banken und Handelsgesellschaften u. a. bewirken, anders als Asfoziationen? freilich Assoziationen von Kapitalisten, welche der Natur der Sache nach leichter

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

233

in das Werk zu setzen sein mögen, als die der Arbeiter, aber doch im

Das kleinere Kapital erreicht

Grunde auf demselben Prinzip beruhen.

durch seine Vereinigung die Möglichkeit, sich an Unternehmungen zu be­

teiligen und Dinge durchzusetzen, Assoziation

an welche seine Inhaber,

Ja,

nicht hätten denken können.

ohne

so

noch mehr:

wirkt diese Vereinigung, daß auch die größten Kapitalisten

die

gewaltig

sich damit

nicht messen, nicht Unternehmungen in so großartigem Stil anlegen können und daher sich gedrungen sehen, selbst als Aktionäre hinzuzutreten. Folgen daher die Arbeiter dem

gegebenen Beispiele, und die Früchte werden

nicht ausbleibcn, wie schon die ersten noch sehr vereinzelten Versuche be­ weisen.

Natürlich haben jene großen Aktienunternehmungen einen Er­

fahrungsschatz von mehren Jahrzehnten

voraus,

an

denen

es

unsern

trotz der Identität des Prinzips,

Versuchen noch fehlt, auch wird sich,

die Organisation bei beiden Arten der Assoziation, wegen der Verschieden­

heit der Zwecke und Mittel auf Seiten der bei ihnen Betheiligten, höchst So ist der Zweck der Mitglieder einer Kapital­

verschieden gestalten.

assoziation hauptsächlich: das Kapital, welches sie bereits besitzen, so hoch wie möglich zu nutzen.

Um sich daher einen höhern Ertrag, als die

gewöhnlichen Zinsen, zu verschaffen, legen sie es in einem Gewinn ver­ sprechenden Unternehmen an, dessen Risiko sie dafür trifft, bei welchem sie

aber durch

eigne Bemühungen

sich

nicht

beteiligen

zu

brauchen.

Anders bei den Arbeiterassoziationen, denen es nicht um die Nutzung

eines Kapitals, welches die meisten ihrer Mitglieder gar nicht besitzen, sondern um Verwertung der Arbeitskraft derselben, um Sicherung einer lohnenden Beschäftigung für sie zu tun ist. Allerdings wird bei beiden Arten

ein

Geschäft

für gemeinsame

Rechnung

getrieben,

ein Kapital angelegt, eine Anzahl Arbeiter beschäftigt.

in

beiden

Allein bei der

Kapitalassoziation sind lediglich die Kapitalisten, welche die gezeichneten Anteile des Betriebsfonds hergeben, Mitglieder, und haben allein das

Risiko wie den Gewinn; die im Geschäft nötigen Arbeiter aber werden von ihnen bloß gegen Lohn angenommen.

Bei der Arbeiterassoziation

dagegen sind wiederum die Arbeiter allein die eigentlichen Träger des

ganzen Unternehmens, dessen Gewinn und Verlust sie allein tragen, und

denjenigen, von welchen man das Kapital dazu aufnimmt, stehen, als bloßen Gläubigern, nur Zinsen und der Anspruch auf Rückzahlung ihres Vorschusses zu.

Während ferner bei der ersteren Art der Assoziation

die nötigen Geldmittel von Haus aus vorhanden

sind,

muß bei der

letztern erst eine Garantie geschaffen werden, welche die Mitglieder kredit­

fähig und fremdes Kapital geneigt macht, sich ihnen anzuvertrauen, was,

234

Schulze-Delitzsch.

wie wir sahen, mittelst der solidarischen Haft derselben erreicht wurde.

In der Tat können sich die Arbeiter nicht bedenken, ihre ganze Existenz bei einem Unternehmen einzusetzen, von welchem sie selbst erst die Mittel

zur Existenz erwarten, wogegen die Kapitalisten, welche nur einen Gewinn

von

einer bestimmten Summe zu ziehen beabsichtigen, schlimmstenfalls

nicht mehr, als diese Summe selbst dran zu wageu geneigt sein werden. Es ist daher natürlich, daß die letztern sich der persönlichen, solidarischen

Haft bei solchen Unternehmungen auf jede Weise entziehen, und so kommt es, daß das, lvas, wie die Solidarität für die Arbeiterassoziationen, für

die einen gradezu Lebensbedingung ist, von den andern als ein ihnen feindliches Element heftig perhorresziert wird.

Bekanntlich sind die In­

teressen der Kapitalisten in dieser Hinsicht durch die neuern Gesetze über

die

beschränkte Haftbarkeit

bei Aktienunternehmungen

in

den

meisten

Staaten respektiert.

Unter den Arbeiterassoziationen selbst haben wir ihrer Grundrichtung, dem Zwecke nach, welchen sie zumeist verfolgen, zwei Hauptarten zu unter­ scheiden, welche wohl auseinander gehalten werden müssen.

Die erste Klasse, gewissermaßen den niederen Grund der Vergesell­

schaftung, bilden die wirtschaftlichen oder Distributivassoziationen,

deren Zweck es ist, den Mitgliedern in Verschaffung irgend eines not­ wendigen Bedürfnisses die Vorteile des Bezugs im großen, eine billigere

und bessere Versorgung zu gewähren, wie sie sonst nur der Kapitalist

hat.

Hierher gehören z. B. die Vereine zum gemeinschaftlichen Ankauf

notwendiger Konsumartikel, die Assoziationen einzelner Gewerke (Schuh­ macher, Tischler, Schmiede u. a.) zur

gemeinschaftlichen Beziehung der

Rohstoffe. Die Assoziation hält ein Lager der im großen und möglichst direkt von den Produktionsstätten bezogenen Waren, welche sie mit Über­ gehung der Zwischenhändler an die Mitglieder in kleinen Partien zu

dem Engrospreise überläßt.

Auch die neuerlich so bedeutend gewordenen

Vorschußvereine nach dem System des Verfassers gehören hierher, welche das Bedürfnis ihrer Mitglieder aus dem Handwerker- und Arbeiterstand nach der zu ihrem Gewerbebetriebe erforderlichen Barschaft decken und sich besonders in den kleinen und mittleren Städten Deutschlands bereits

einer außerordentlichen Verbreitung erfreuen.

In sämtlichen angeführten

Fällen wird das Betriebskapital, außer etwaigen kleinen Beisteuern der

Mitgliedern, durch Darlehen gegen deren solidarische Verhaftung auf­ gebracht.

Doch treten die Mitglieder, außer zu dem erklärten speziellen

Zweck der Assoziation, in keine weitere Gemeinschaft, und selbst bei den gewerklichen und Kreditassoziationen, obschon dieselben ihnen für gewerb-

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

liche Bedürfnisse dienen,

235

beschränkt sich die Vergesellschaftung doch nur

auf die Vorbedingungen zum Gewerbebetriebe, nicht auf den letztern selbst, vielmehr bleibt in dieser Beziehung ein jeder nach wie vor für sich, und führt sein Geschäft für alleinige Rechnung weiter.

Das letztere, der gemeinsame Betrieb eines Gewerbes selbst durch eine Anzahl von Handwerkern und Arbeitern für Rechnung und Gefahr der Gesamtheit, geschieht erst in der zweiten Klasse der Assoziation, der

eigentlich

gewerblichen oder produktiven.

In ihr begrüßen wir

den Gipfelpunkt des Systems, und sie hatten wir hauptsächlich bei der Lösung der schwierigen Aufgabe, mit welcher wir uns beschäftigen, im Sinne.

Während jene ersterwähnten Assoziationen niederer Stufe ihren

Mitgliedern nur in einzelnen Beziehungen die Vorteile eines größern Kapitals in ihren kleinen Geschäften und Haushalt sichern — freilich

schon immer eine

erhebliche Verbesserung der bisherigen Sachlage —

setzt erst die Produktivassoziativn die ihrigen in den Stand, ein

Etablissement auf großem Fuß, mit allen Vorteilen der neuern Betriebs­

weise zu errichten und so die unermeßliche Kluft auszufüllen, welche den

Arbeiter

und Kleinmeister bisher von

der Klasse der großen

Unter­

nehmer schied. Was die rechtliche Form und geschäftliche Einrichtung der Arbeiter­

assoziationen anlangt, ihre bisherige Ausbreitung so wie die von ihnen erzielten Resultate, so wird darüber in den folgenden Abschnitten besonders

gehandelt werden.

Dagegen haben wir hier der heilsamen Einwirkung,

welche sie nach den verschiedensten Richtungen hin aus die Hebung der

arbeitenden Klassen ihrem Wesen nach ausüben können und müssen, eine eingehende Betrachtung zu widmen. An der Spitze steht hier, wie wir schon andeuteten, die Ermöglichung

der gewerblichen Selbständigkeit, welche von Tag zn Tag einen immer

größern Kapitalbesitz erfordert, auch für die unbemittelten Arbeiter. Hier­

bei sind die Handwerker ebenmäßig wie die Fabrikarbeiter interessiert, da

sich beide Klassen den großen Etablissements gegenüber, welche die kleinen Geschäfte der erstern erdrücken und die letztern in ewiger Dienstbarkeit

sesthalten, in gleicher Lage befinden.

Von dieser ungünstigen Stellung

werden sie durch die Assoziation erlöst, und es ist durch mehrfache ge­

lungene Versuche, welche lediglich von unbemittelten Arbeitern ausgingen, dargetan, daß sowohl die dem bisherigen Handwerk angehörigen, als die von jeher fabrikmäßig betriebenen Gewerbezweige bei Umsicht, Tüchtigkeit

und

beharrlichem Sinn

der Mitglieder in der Assoziationsform vor­

trefflich gedeihen, und ihren Teilhabern

die erheblichsten Vorteile

ab-

236 werfen.

Schulze-Delitzsch.

Schon die Aussicht auf ein solches Ziel muß höchst vorteilhaft

auf die ganze Lebenshaltung der Arbeiter, ihre geschäftliche Tüchtigkeit und Sittlichkeit zurückwirken.

Sicher wird der Einzelne darin einen weit

größern Sporn zur Sparsamkeit, Enthaltsamkeit, Fleiß und Ausbildung in seinem Fache finden, wenn er weiß, daß er durch alle diese Dinge

sein eigner Herr werden, eine zugleich würdigere und lohnendere Stellung in Zukunft einnehmen kann.

Auch wird

dadurch das

Verhältnis zu

seinem Arbeitgeber ein besseres, dem er durch die Möglichkeit, wohl noch selbst einmal zu seinem Range emporzusteigen, menschlich und geschäftlich

näher tritt.

Gerade hierin lag ein Hauptsegen des alten Handwerks,

dem wir die Kernhaftigkeit unseres Bürgerstandes zum Teil mit ver­ danken: daß die geschäftliche Unselbständigkeit, der Lohndienst bei einem Andern,

notwendiger Durchgangspunkt

nur als

zur endlichen

eignen

Selbstständigkeit galt, daß Lehrling und Geselle in ihrem Brotherrn nur die ihnen selbst mit der Zeit zufallende Würde ehrten, an seinem Familien­ leben Teil nahmen,

und

nicht, als Angehörige

einer niedrigern, tief

unter ihm stehenden Kaste, ganz von fern scheu zu ihm aufblickten. was die im Lohndienst verbleibenden Arbeiter anlangt,

Und

so ist die Kon­

kurrenz, welche die Assoziationsgeschäfte ihrer bisherigen Genossen den

Arbeitgebern machen, auch für sie von den günstigsten Folgen.

Denn

muß nicht die solchergestalt vermehrte Nachfrage seitens der Unternehmer zum Vorteil der Arbeiter rücksichtlich der Lohnbedingungen ausschlagen? Sind nicht die Inhaber

ihren Arbeitern

der

großen

Etablissements dadurch

genötigt,

möglichst gute Bedingungen zu bieten, weil sie sonst

riskieren, daß dieselben zu einer der bestehenden Assoziationen übertreten oder gar selbst eine dergleichen gründen, wozu natürlich die geschicktesten

und strebsamsten Arbeiter am Ersten geneigt sein werden?



Gewiß,

nur auf diese Weise: indem die Arbeiter selbst den Arbeitgebern Konkurrenz bieten, läßt sich ein dauernder Einfluß auf die Lohn­

erhöhung, auf eine günstigere Stellung der Arbeiter im ganzen ausüben, den man mittelst gesetzlicher Zwangsmittel, wie wir früher gesehen haben, oder durch die Appellation an die Humanität niemals allgemein und mit

Sicherheit erreicht. Nur auf diese Weise wird man auch am Ende zur Ver­

wirklichung desjenigen Verhältnisses zwischen Arbeitern und Unternehmern gelangen, welches von den Sachkundigen entschieden als das in jeder

Hinsicht den beiderseitigen Interessen gemäßeste, den Forderungen der

Gerechtigkeit und

Humanität

gleich

entsprechende

anerkannt

ist,

und

welches unter den bisherigen Umständen ein frommer Wunsch blieb: daß nämlich der Arbeiter, außer dem gewöhnlichen nach den markt-

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

237

gängigen Sätzen regulierten Lohne, einen wenn auch noch so

bescheidenen

Anteil

am

Reingewinn

des

Geschäfts

erhalte.

Die großen Vorzüge einer solchen Einrichtung gegen bloße Lohnerhöhungen

springen in die Augen.

Eben weil das Maß der Löhne von dem Gange

der Geschäfte, den Konjunkturen des Marktes und allen Umständen, welche auf die Höhe des disponiblen Lohnfonds influieren, notwendig berührt

wird, und man z. B. dem Unternehmer nicht zumuten kann, in flauen Perioden, ivv ihn schon ohnehin empfindlichste Verluste treffen, den kaum

halb beschäftigten Arbeitern die volle Gage zu gewähre»: eben deshalb ist es billig, daß, wenn jene Perioden durch andere von desto reichlicherem

Gewinn aufgehoben werden, dem Arbeiter auch von dieser Gunst der

Umstände etwas zugute kommt, wie er von der Ungunst derselben mit betroffen wurde.

die letztern

Nicht nur, daß er dadurch in den Stand gesetzt wird,

eher mit zu

übertragen,

ist

auch nichts so geeignet, sein

Interesse mit dem des Arbeitgebers zu verschmelzen, als indein man den Geschüftsgewinn, den Gewinn des letztern zu seinem eignen macht.

Es

tarnt nicht fehlen, daß dies seinen Eifer, seine Wachsamkeit und Umsicht bei seinen geschäftlichen Operationen außerordentlich steigern muß, und

dem Unrernehmer wird das gebrachte Opfer mit guten Zinsen vergütet,

und die Unbequemlichkeit oder das Unliebsame, das für ihn in der Dar­ legung seines Geschäftsstandes vor den Arbeitern etwa liegen möchte,

reichlich ausgewogen. Daß sich die Stellung der Handwerker und Arbeiter durch Gründung

eines Assoziationsgeschästs nicht dergestalt ändert, daß aus jedem Einzelnen

nunmehr ein Fabrikherr, ein großer Unternehmer wird, brauchen wir wohl

kaum anzudeuten.

Im Gegenteil bleibt

jeder für seine Person

Arbeiter und erhält aus der Geschäftskasse den gewöhnlichen Lohn, und selbst die an die Spitze des Ganzen

oder

einzelner Geschäftsbranchen

gestellten Personen stehen immer nur im Dienste der Assoziation, von

welcher

sie

besoldet werden.

Allein da die Gesamtheit der Genossen

Inhaberin des Geschäfts ist, so trägt sich ein Teil dieser Jnhaberschaft

auch wieder auf die Einzelnen über, und jeder erhält demgemäß seinen Anteil am Geschäftsgewinn in Gestalt einer Dividende noch über den

Lohn für die wirklich geleistete Arbeit, wie er denn eben deshalb auch

bei dem Risiko, bei eintretenden Verlusten mit haften muß, zu welchem

Zwecke diese Dividenden in der Regel bis zu einem gewissen Betrage in der gemeinsamen Kasse zurückbehalten

werden,

um

daraus Geschäfts­

antheile für die Einzelnen zu bilden und so allmählich einen eignen Fonds

anzusammeln.

Grade in dieser Doppelstellung, vermöge deren jeder als

Schulze-Delitzsch.

238

Unternehmer und Arbeiter, als Herr und Diener zugleich in Betracht kommt, finden wir den größten Segen, indem einzig dadurch die wahre

Versöhnung zwischen Arbeit

und Kapital,

die gerechte Verteilung der

Indem sie die

Früchte der Produktion zwischen beiden angebahnt wird.

beiden Gegensätze, zwischen denen sich das Leben des Menschen bewegt, Mühe und Genuß, deren Trennung und willkürliche Verschiebung sich hier durch Blasiertheit, dort durch Verkümmerung rächt, wiederum in dem einen und ganzen Menschen, als sich gegenseitig bedingend, zur Erscheinung

bringt, entfernt sie eine der Hauptursachen des blutigen Bruderzwistes

und stellt uns die Annäherung an die höchsten Ziele unseres Geschlechts in friedlicher Aussicht hin.

Insbesondere wird auf solche Weise aber

des Industrialismus

auch einer schlimmen Konsequenz

vorgebeugt, auf

welche Proudhon in seiner Weise aufmerksam gemacht hat.

Unleugbar

wirkt die von der Großindustrie unzertrennliche Arbeitsteilung insofern

sittliche Haltung der Arbeiter ein,

ungünstig auf die intellektuelle und

als sie dieselben auf wenige, ganz spezielle mechanische Verrichtungen beschränkt, bei denen sie ihre Fertigkeit nur

höchst einseitig ausbilden,

die Totalität der Produktion völlig aus dem Auge

verlieren und sich

gewöhnen, ohne weiteres Nachdenken, gleich den seelenlosen Rädern einer

Maschine ihr Tagewerk zu verrichten.

.Von einer solchen Apathie kann

bei einer Assoziation gar nicht die Rede sein, indem das Unbewußte, Blindmechanische, wozu den Arbeitern sonst wohl die Wiederholung einer

und derselben Geschäftsoperation inklinieren könnte,

durch das lebhafte

Interesse desselben für das Geschäftsganze ausgewogen wird, für dessen Prosperität

ja

ein jeder

mit durch Rat und Tat zu

ganze Existenz mit eingesetzt hat.

sorgen,

seine

Dadurch entsteht ein ganz neuer Impuls,

in den Geist so wie alle Details der Unternehmung einzudringen und

sich so bei dem höhern, geistigen Teile der Gesamtarbeitsaufgabe zu be­

teiligen, worauf die Beratung, die Debatte unter den Genossen fördernd einwirkt.

Es kann aber nicht fehlen, daß die Erweiterung des geschäft­

lichen Gesichtskreises

die Einsicht

und Erfahrung

des Einzelnen,

sein

ganzes intellektuelles Niveau erhöht, und ebenso vorteilhaft auf seinen

sittlichen Standpunkt zurückwirkt.

Denn mit dem gesteigerten Selbst­

gefühl einer gehobenen Stellung wird zugleich das Bewußtsein dessen,

was er sich und Andern schuldig ist, mehr und mehr rege, und der ganze Mensch nimmt in einem solchen Läuterungsprozesse allmählich eine andere

Gestalt an.

Daß die Früchte einer solchen Hebung der arbeitenden Klassen für die ganze Gesellschaft, für alle übrigen Klassen der Bürger nicht aus-

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

bleiben, versteht sich von selbst.

239

Zunächst werden durch ein solches System,

wo die Arbeiter das lebhafteste Interesse an den Erfolgen des Geschäfts

haben, die Leistungen derselben außerordentlich gesteigert und dadurch die der Güter natürlich immer reichlicher und billiger

Gesamtmasse

gestellt,

was dem

ganzen

her­

Publikum zustatten kommt.

konsumierenden

Sodann aber gewinnen wir auch auf diesem Wege die Erhaltung und

Kräftigung eines tüchtigen Mittelstandes, dieses unentbehrlichen Trägers jeder gesunden politischen wie sozialen, geistigen wie materiellen Entwicke­ lung.

Ist nur erst eine Anzahl solcher Assoziationsetablissements von

den Arbeitern errichtet, und das bisherige Monopol der Großunternehmer hierbei durchbrochen, so kann es nicht ausbleiben, daß sich die enormen

Gewinne derselben, welche sie früher ausschließlich zogen, vermindern,

weil sie den Arbeitern ihr Teil davon zukommen lassen müssen.

Während

also der Reichtum von der einen Seite etwas bescheidenere Dimensionen

annehmen wird, schwindet auf der andern Seite der Notstand mehr und mehr, und

die Zustände beginnen sich

Wohlstandes zu nähern.

dem Niveau eines allgemeinen

Damit ist sowohl dem Mammonismus wie dem

Pauperismus eine Grenze gezogen, diesen unseligen Auswüchsen unsrer

Industrie, in denen wir zwei gleich feindliche Mächte wahrer Kultur er­

blicken.

Denn so ist einmal der Mensch geartet, daß er nur da wahrhaft

gedeiht, wo ihm einerseits nicht Not und Mangel Zeit und Kraft zu jedem

höhern

Streben

rauben,

wünschenswerter Zustände

als

aber

andrerseits

ein

durch

doch

das

seine Tätigkeit

Erreichen

erst zu

ge­

winnendes Ziel vor Augen schwebt und sein Streben immer rege hält.

Wie das Elend seine Kraft verzehrt, seinen Gedankenflug in die niedere Fessel der gemeinsten Notdurft schlägt, so erschlafft dagegen sein Streben nur gar zu leicht im faden Genügen des Überflusses, und jedes edlere

Gefühl wird in geiler Genußsucht erstickt.

Darum ist auch in Deutschland

insbesondere von jeher das Bedeutendste und Tüchtigste in Wissenschaft

und Kunst, wie auf den praktischen Lebensgebieten,

des Mittelstandes hervorgegangen,

aus dem Schoße

und ihm fast ausschließlich gehören

die wahrhaft großen Männer an, die im 16. wie im 18. Jahrhundert die gewaltigen Bewegungen auf geistigem und materiellem Gebiete leiteten

und unserm Volke den Rang sicherten, den noch jetzt unter den gebildeten

Nationen Europas einzunehmen sein Stolz ist.

So mag, was dem Mittel­

stände zugut kommt, dem ganzen Volke frommen, und wir dürfen hoffen, sobald wir ihn wieder in jeder Hinsicht gesichert und gekräftigt sehen,

daß aus ihm heraus der Genius Deutschlands unaufhaltsam seinen er­ habenen, durch die Ungunst der Zeiten gehemmten Flug wieder aufnimmt,

Schulze-Delitzsch.

240

um zu dem materiellen Besitz alle die idealen Güter zu erobern, die uns

bisher noch vorenthalten worden sind. Zum Schlüsse fügen wir dem Gesagten noch eine Verwahrung bei, indem wir gegen das Mißverständnis protestieren, als gehe unsre Meinung

dahin: daß künftig die Assoziation die allein herrschende industrielle Be­ Sicher ist jede anmaßliche Prophe-

triebsform zu werden bestimmt sei.

zeihung über die Zukunft höchst überflüssig, allein das wird niemandem einfallen, dem Kapital, der Intelligenz, wenn sie dem Einzelnen in ge­

nügender Weise zu Gebote stehen, ihre große Bedeutung absprechen zu

wollen, obenein da die Anlage eines gewerblichen Etablissements durch einen solchergestalt günstig gestellten Einzelnen allemal leichter als die Organisierung eines tüchtigen Assoziationsgeschäfts ist.

solcher Unternehmer,

auch

wenn

letzterer Art

mit

Erfolg

schäfte

genüg finden,

die es

ein eignes Risiko mit

bereits

vorteilhafter

in

konkurrieren, finden,

zu übernehmen,

Sicher wird ein

der gleichen Branche Ge­ immer

noch

Arbeiter­

anstatt in der Assoziation

im Lohnverhültnis zu bleiben,

besonders wenn dasselbe in der oben angedeuteten Weise angemessener

geregelt wird.

ziation

auf

Ebensowenig ist es unsre Meinung, daß sich die Asso­

Arbeiter

schränken müsse.

oder

Vielmehr

Handwerker ist

gewisser

es im Interesse

Gewerbszweige

be­

aller wünschenswert,

daß sich bei ihrer Gründung Leute aus allen Fächern beteiligen, daß Kapitalisten, Kaufleute,

Techniker

und eigentliche Arbeiter

gleich

von

Haus aus zusammentreten und so die verschiedene Vorbildung und Be­

gabung, ja selbst einen Teil der materiellen Mittel mitbringen, welche

zu einem schwunghaften Angriff der Sache so förderlich sind.

Nur darauf

kommen wir immer wieder zurück: daß, ehe nicht die Arbeiter sich aus eigner Kraft und aus eignem Triebe an dergleichen Unternehmungen wagen

und tatsächlich die Möglichkeit dartun, daß sie es allenfalls auch allein,

ohne Beteiligung der übrigen Klassen durchzusetzen vermögen, man sich von Seiten dieser wohl hüten wird, ihnen dabei entgegenzukommen, toeil

man viel zu sehr dabei interessiert ist, sie in der bisherigen Abhängigkeit zu erhalten.

Erst wenn dieser Beweis bis zu einem durch die Konkurrenz

fühlbaren Grade von ihnen geliefert ist, erst nachdem sie den Unter­ nehmern einmal selbst als Unternehmer entgegengetreten sind, dürfen sie

auf Beachtung ihrer Wünsche, auf das Entgegenkommen des Publikums, insbesondere der Kapitalisten rechnen, welche sie erst dann als Leute zu

betrachten anfangen werden, welche im Verkehr auch mit zählen, während

sie ihnen bis dahin für bloße Nullen galten, die beim Exempel selbst­ ständig für sich gar nicht in Ansatz kamen.

Auf dem Gebiete des Erwerbs

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

241

hat einmal das Eigeninteresse die unbestrittene Herrschaft, und Ansprüche und Strebungen, mögen sie noch so gerecht und billig sein, finden nur dann erst Geltung, wenn sie in sich selbst so weit erstarkt sind, daß sie in

tatsächlichen, lebenskräftigen Gestaltungen sich unabweisbar hervor­

drängen.

So weit meinen wir den von uns aufgestellten Satz begründet zu haben: daß keines der zur Hebung der arbeitenden Klassen bisher an-

gelvendeten Mittel sich hinsichtlich seiner Tendenz so umfassend, hinsicht­ lich seiner Wirksamkeit so durchgreifend erweise, und doch überall den

wissenschaftlich und erfahrungsmäßig begründeten ewigen Gesetzen, welche den Haushalt der Gesellschaft regeln, so durchaus anpasse, das Bestehende

überall schone, als die Assoziation, welche bereits in den ersten Stadien

ihrer Entwickelung

einen so heilsamen Einfluß auf die Zustände der

Arbeiter zu bewähren vermochte. Das Letztere durch spezielle Tatsachen näher darzutun und dem

im allgemeinen aus dem Wesen der Sache Entwickelten die Erprobung durch die Erfahrung beizugesellen, ist die Aufgabe der nächsten Abschnitte. Das folgende fünfte Kapitel enthält die Darstellung des Assoziations­ wesens in England

und

Frankreich,

wesentlich

nach 5. A. Huber's

„Reisebriefen aus Belgien, Frankreich und England",

Samburg (855,

2 Bände, welche, weil veraltet, hier des Abdrucks nicht bedarf.

VI. Die Arbeiterassoziationen in Deutschland. Wenn wir in Deutschland rücksichtlich der Ausbildung des Assoziations­

wesens namentlich gegen England zurückstehen, so sind die Gründe bereits von uns angedeutet.

Wie bei uns die politische Mündigkeit der arbeiten­

den Klassen und mit ihr das Bewußtsein ihrer Zustände so wie das Streben, sie zu verbessern, durch die staatlichen Verhältnisse zurückgehalten wurde, vermochte auch die neuere Industrie und in ihrem Gefolge das

Proletariat, erst später festen Fuß in Deutschland zu fassen.

Das Klein­

gewerbe besonders, repräsentiert durch einen in der alten Zunftverfassung»

fußenden, sich einer ziemlichen Bedeutung im Gemeindeleben, einer gewissen

Wohlhäbigkeit und Bildung erfreuenden Handwerkerstand, leistete äußerst zähen Widerstand, und wurde erst während der letzten drei Dezennien dergestalt überflügelt, daß es vor den gesteigerten Anforderungen der

Konsumenten einerseits,

und

den

gesteigerten Leistungen

der

großen

Produzenten andrerseits, endlich eine Position nach der andern als unSchulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

I.



Schulze-Delitzsch.

242

haltbar aufzugeben genötigt war.

So war es erst dem Jahre 1848

vorbehalten, eine allgemeine Bewegung mit wirklich praktischen Zielen unter dem deutschen Arbeiterstande hervorzurufen, welcher von den frühern doktrinären Versuchen eines Weitling und anderer, die, nach dem Muster

der Franzosen, mit fertigen sozialistischen Systemen einer sogenannten Gesellschaftsorganisation auftraten, wenig berührt worden war.

Auch

jetzt vermochten die französischen Ideen der sozialen Republik,

ob sie

schon mit dem ersten Anstoß der ganzen Bewegung von Frankreich aus

zu uns herüberdrangen, bei der großen Mehrheit keine rechte Wurzel zu fassen, vielmehr nahm die Sache, wegen der schon berührten spezifisch deutschen Verhältnisse, ihren eignen Gang.

sich nämlich

die Arbeiter

in zwei

Gleich vom Beginn schieden

einander

gegenüberstehende Haupt­

richtungen, von denen die eine in den Handwerkermeistern, die andere in der Masse der Lohnarbeiter ihren vorzüglichsten Stützpunkt fand.

Die erste Partei, welche besonders in Süddeutschland noch eine, wenn auch im Verfall begriffene Organisation und manche Privilegien behauptete,

strebte im Wesentlichen die Rückkehr zu den alten Zuständen an, und wandte sich an den Staat um den erforderlichen Schutz.

Die andere

Partei vertrat mehr das Prinzip der Gewerbefreiheit, und versuchte eine

Organisation von Arbeiterverbänden, welche mittelst der Selbsthilfe der

Beteiligten eine Verbesserung von deren Lage anstrebte. Die eigentliche Handwerkerbewegung

ging, ihrer

angedeuteten

Tendenz nach, hauptsächlich darauf aus, Einfluß auf die Regierungen und die gesetzgebenden Versammlungen,

namentlich

in Frankfurt und

Berlin, zu gewinnen, und organisierte sich in lokalen und provinziellen

Handwerkervereinen, welche Petitionen und Deputierte an jene National­ versammlungen einsendeten, um dieselben bei Beratung der geforderten

Gesetze zu influieren.

Wirklich gelang es ihnen in dem überstürzenden

Drange jener Zeit, manche ihrer Forderungen — z. B. in der von uns

bereits angeführten preußischen Gewerbeordnung vom 2. Januar 1849 —

durchzusetzen.

Doch erhielt das alte, zerbröckelte, mit dem unabweisbaren

Zeitbedürfnis im zu schroffen Widerspruch stehende System durch solches

einzelne Flickwerk keinen neuen Halt, und die Lage der Dinge hat sich für den

Handwerker

dadurch

um nichts

gebessert,

so

daß

die

nach

dieser Richtung gemachten Anstrengungen als verfehlt angesehen werden

müssen.

Nicht besser ging es den Lohnarbeitern.

Nach den Beschlüssen

ihres im Sommer 1848 zu Berlin zusammengetretenen Kongresses wurde

zwar ein Organisationsplan entworfen.

Da sollten sämtliche Arbeiter

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

243

eines Ortes nach ihren verschiedenen Branchen zusammentreten und Lokal­ komitees bilden, welche den Bezirkskomitees in passend gelegenen größern Städten, und diese wieder einem Zentralkomitee — vorläufig in Leipzig

— untergeordnet waren.

Die Lokalkomitees galten als Arbeitsnachweis-

und Löhnungsbureaus für alle Arbeiter eines Orts, nur durch ihre Ver­ mittelung konnte man Arbeiter erhalten, nur an sie wurden die Löhne

bezahlt, von denen sie gewisse Prozente zu einem gemeinschaftlichen Fonds zurückbehielten,

an

Ansprüche hatten. teils zum Ankauf

dessen Erträge

die Arbeiter

erst nach 10 Jahren

Der Fonds sollte teils als Kreditbank für die Arbeiter, von Grundstücken

benutzt werden.

Doch wollte die

ganze Organisation nicht Platz greifen, weil man von oben nach unten

organisiert, dem Ganzen eine Spitze,

aber keine Basis

gegeben hatte.

Denn mit Einsetzung der Komitees war nichts getan, so lange es an den Lokalvereinen fehlte und die Arbeiter sich nicht allgemein beteiligten.

Um aber bei den letztern Anklang zu finden, hätte man

sich, statt die

Sache in dieser Allgemeinheit anzugreifen, mehr an die speziellen Arbeits­ zweige anlehnen und nicht gleich von Haus aus so weit aussehende, dem

Gesichtskreise der Teilnehmer so fern stehende Unternehmungen projektieren

müssen.

Wirklich hieß es der Resignation von Leuten, die bei beschränkten

Mitteln von der Hand in den Mund zu leben gewöhnt sind, zuviel zugemutet, fortlaufende, ihnen sehr fühlbare Lohnabzüge auf die Dauer

von 10 Jahren zu verlangen, ohne ihnen bis dahin einen irgend fühl­ baren Vorteil zu gewähren.

Zu diesen Mißständen gesellten sich noch

Verbote der Regierungen, welchen eine so weit zielende, so allgemeine politische Verbindung politisch gefährlich schien, und so zerfiel das Ganze

schon 1849 dergestalt, daß es nirgends zu dauernden Gestaltungen und

bleibenden Resultaten kam. Aber gerade in dem beiderseitigen Mißlingen der zwiespältigen Be­ wegung fand sich für dieselbe ein Einigungspunkt, an welchen sich mit

praktischen Organisationen anknüpfen ließ.

Indem ein Teil der Hand­

werker zu der Einsicht gelangte, daß die Rückkehr zum Alten und der Schutz

des Staates

im Gewerbebetriebe von

Tage

zu

Tage immer

unmöglicher werde, näherte er sich dem leitenden Gedanken der übrigen

Arbeiter, der Selbsthilfe, während wiederum die letzteren von jenen zu

vagen und weitaussehenden Unternehmungen sich zur Wahrnehmung ihrer unmittelbaren und nächsten Interessen hingedrängt fühlten.

So wurde

der Boden erst für die lokalen Genossenschaften zu speziellen Zwecken,

die wirtschaftlichen und gewerkschaftlichen Assoziationen vorbereitet, und

es bedurfte nur eines Anstoßes, um die allgemeine, in der Zeitströmung 16*

Schulze-Delitzsch.

244

liegende Disposition der arbeitenden Klassen dahin zu lenken.

Daß dieser

Anstoß von einer Anzahl nicht bedeutender Landstädte der preußischen Provinz Sachsen, namentlich der Stadt Delitzsch, ausging, lag in dem

zufälligen Umstande, daß der hier wohnende Verfasser, als Deputierter der ehemaligen preußischen Nationalversammlung zu Berlin, mit Leitung

der zur Ordnung der Handwerkerverhältnisse eingesetzten Fachkommission

betraut gewesen war, sich der Sache persönlich annehmen und die ersten Organisationen leiten konnte, auch, besonders seit seinem Austritt aus

dem Staatsdienste, die Förderung des Assoziationswesens in Deutschland zu seiner Lebensaufgabe machte, so daß noch gegenwärtig die hier und in den Nachbarstädten blühenden Assoziationen als Muster gelten, und

ihre Anregung weithin über das gemeinsame Vaterland verbreiten.

Doch

ist die ganze Bewegung insofern noch in den ersten Stadien, als sie sich

zuni Gewerbebetrieb für gemeinsame Rechnung

bisher noch

nicht

erhoben hat,

obschon man dies seitens der leitenden Personen selbst als

bis

Vielmehr hat man sich bisher auf die

das eigentliche Ziel anerkennt.

eigentlich wirtschaftlichen Assoziationen beschränkt, und es mit den Ver­ bänden zu gewerblichen Zwecken meist bei der gemeinsamen Beziehung

der Rohstoffe, Doch haben

so wie Beschaffung barer

diese Assoziationen

Geldmittel bewenden lassen.

im Gegensatz zu den

französischen vieles Eigentümliche,

englischen und

wie sie denn von Haus aus ganz

selbständig und gleichzeitig mit jenen, im Sommer 1849 begannen, wo

man die Einrichtung und die Resultate jener in Deutschland noch so gut Um dies darzutun, lassen wir hier zunächst den

wie gar nicht kannte.

Grundgedanken der ganzen Organisation, wie ihn die Schriften des Ver­

fassers, welche beinahe ausschließlich das betreffende Material enthalten, insbesondere:

Das

Assoziationsbuch

für

deutsche Handwerker

und Arbeiter (Leipzig, 1853, bei E. Keil), und die Broschüre:

Vor­

schußvereine als Volksbanken (Leipzig, 1855, bei demselben), offen darlegen, hier in der Kürze folgen, worauf wir zu den erreichten Resultaten selbst übergehen werden.

Nach des Verfassers Ansicht muß gerade in Deutschland bei dem ersten

Angriffe

der

Sache

mit

einer

gewissen

Zurückhaltung

vor­

gegangen werden, weil die Zerstörung der frühern Gewerbsorganisation

noch nicht vollständig genug erfolgt, der Platz noch nicht von den alten Trümmern so weit geräumt ist, um mit völliger Freiheit zum Neubau

zu schreiten.

Insbesondere hat man mit dem

den

Deutschen

eigen­

tümlichen Hange zur Absonderung zu kämpfen, der in der Isolierung die Selbständigkeit opfern zu müssen meint, obschon diese letztere der

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

245

Wahrheit nach nur durch jenen innigen Anschluß der Einzelnen aneinander Daher tat man am besten, vorerst mit den wirt­

gerettet werden kann.

schaftlichen und beschränkteren gewerblichen Verbänden der vor­

bemerkten Art zu beginnen, welche die Vorbedingungen eines lohnenden Gewerbebetriebes den Mitgliedern sichern, ohne dieselben im Gewerbe­

betriebe selbst vorläufig zu assoziieren, der vielmehr von jedem Einzelnen

wie bisher für seine eigne ausschließliche Rechnung fortgesetzt wird.

Erst

wenn man ihnen auf diese Weise die außerordentliche Macht der Assoziation augenfällig

sie gewissermaßen so für die höheren Stufen der­

bewiesen,

selben erst empfänglich und reif gemacht hat,

soll man allmählich zur

Bildung großer gemeinsamer Etablissements mit ihnen vorschreiten, sich aber ja vor unvermittelten und übereilten Versuchen dieser Art hüten, welche bisher meist mißlungen sind, was jedesmal die üble Folge hat, daß dadurch

der Boden

verdorben wird.

auf

längere

Zeit für

jede

derartige

Saat

In diesem Sinne hat der Verfasser ein ineinander­

greifendes System von Assoziationen zu organisieren versucht, welches die wichtigsten Beziehungen der arbeitenden Klassen umfaßt und überall auf

die früher besprochenen Grundsätze der Solidarität und Selbsthilfe ge­ gründet ist.

Zunächst suchte er die Arbeiter aller Branchen in lokale

Verbände zu solchen wirtschaftlichen Zwecken zu vereinen, deren vorteil­ hafte Verfolgung eine möglichst große Mitgliederzahl bedingt, wie bei den Vereinen zur Krankenpflege und Anschaffung notwendiger Lebensbedürfnisse

im großen.

Sodann

aber

ging

sein

Bestreben

dahin,

die

Arbeiter

einzelner Gewerke, besonders die kleinen Meister (Schuhmacher, Tischler, Weber u. a.)

in spezielle,

die sogenannten

gewerkschaftlichen

Ge­

nossenschaften zu vereinigen, welche für gemeinschaftliche Rechnung die

zum Gewerbebetriebe der Einzelnen erforderlichen Rohstoffe anschaffen und manche andere gemeinsame Anstalten treffen, wie zum Gebrauch für den Einzelnen zu kostspieliger Arbeitsvorrichtungen und zum Verkauf ihrer

Produkte in gemeinschaftlichen Magazinen.

Hand in Hand damit gehen

aber ganz besonders die Kreditverbände, die Vorschußvereine oder Darlehnskassen,

welche

wieder

die Gesamtheit der Arbeiter

eines

Orts umfassen, mit der Aufgabe, die Einzelnen mit der nötigen Bar­

schaft zu lebhafterm Geschäftsbetriebe zu versehen und

sie so viel als

möglich der Vorteile eines größern Kapitals teilhaft zu machen.

Diese

Vorschußvereine kommen ganz besonders solchen Arbeitern zustatten, in deren Gewerk am Orte keine spezielle gewerkschaftliche Genossenschaft

besteht, doch werden sie auch von den Mitgliedern der letztern ebenso

häufig benutzt, um ihr Konto in dem Assoziationslager zur rechten Zeit

Schulze-Delitzsch.

246

zur Barzahlung zu vereinigen, wenn sie

einmal mit dem Absatz ihrer

Produkte ein wenig ins Stocken gekommen sind. Was die rechtliche Verfassung der fraglichen Assoziationen betrifft, so entspricht dieselbe, mit wenigen Ausnahmen, der Soci6te en nom collectif des französischen Code de commerce, der Societas des römischen, in

Deutschland

noch

vielfach

geltenden gemeinen Rechts,

vorigen Abschnitte gedachten.

deren wir im

Als erlaubte Privatgesellschaften

stehen

die Assoziationen, wie das preußische Landrecht insbesondere das Ver­

hältnis auffaßt, ihren Gläubigern und Schuldnern mit den Rechten und Pflichten einer Sozietät gegenüber, d. h. ihre Mitglieder haften Dritten

solidarisch und haben unter

sich gleiche Rechten und Pflichten.

Die

innern Angelegenheiten werden daher durch Mehrheitsbeschlüsse geordnet und die Verwaltung ist gewissen Beamten und Ausschüssen nach Inhalt des

Statuts

oder Gesellschaftsvertrages übertragen, in welchem die nötigen

Vollmachten enthalten sein müssen, für die Fälle, wo Beamte Namens der Gesellschaft zu

handeln

befugt sein sollen.

Mit dieser Verfassung ist

man bei den bisherigen Assoziationen im allgemeinen durchgekommen, doch dürfte, sobald man zur Produktion für gemeinschaftliche Rechnung übergeht, eine mehr einheitliche Leitung erfahrungsmäßig Bedürfnis werden,

in welchem Falle man in der auch dem deutschen Handelsrechte bekannten

Kommanditgesellschaft die geeignetere Form finden wird. Was die Wirksamkeit und Verbreitung der berührten Verbände be­

trifft, so sind die Vorschußvereine nebst den Assoziationen specieller

Gewerke weitaus die bedeutendsten und erblicken wir in ihnen zugleich die eigentümlich deutsche Form der Assoziation, wie sie in unsern vater­

ländischen Zuständen am besten Wurzel fassen konnte. Insbesondere haben

a) die Vorschußvereine seit den wenigen

Jahren ihres Bestehens (seit 1850) eine Ausbreitung und einen Auf­

schwung genommen, wie dies bei unserm etwas bedächtigen Volke fast ohne Beispiel ist.

Nur verwechsle man dieselben nicht mit jenen wohl

schon früher vorkommenden, auf Geschenke und unzinsbar vorgestreckte Kapitalien

einzelner

Wohltäter

gegründeten,

kümmerlichen Almosen­

instituten, die hier und da unbemittelten Gewerbetreibenden kleine Beträge von

5—20 Talern

vorstrecken,

Entferntesten zu genügen.

ohne

dem Bedürfnis auch

nur im

Wie die Vorschüsse bei ihnen, wegen des dem

Ganzen anklebenden Charakters der Mildtätigkeit, mehr

als eine Art

Unterstützung bewilligt und angenommen wurden, bei denen man weder seitens der Geber es mit Prüfung der Zahlungsfähigkeit, noch seitens

der Empfänger mit der Rückzahlung so genau nahm, konnten solche An-

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

247

statten meist nur auf kurze Frist ein kümmerliches Dasein hinschleppen, da das Interesse der Gründer, welche davon, statt des Dankes, nur immer gesteigerte Anforderungen an ihre Beutel ernteten, sehr bald erkaltete, und die unverantwortlich zersplitterten Mittel nicht wieder ersetzt wurden. Im direkten Gegensatz hiermit fußen die von uns gedachten Vorschuß­ vereine lediglich auf der Selbsthilfe, der eignen Kraft der Mitglieder, welche der Vorschüsse bedürfen. Gegen solidarische Verhaftung derselben und landesüblichen Zins werden die erforderlichen Anlehen für die Ver­ einskasse ausgenommen, in welche außerdem Alle gewisse, ihnen nicht lästig fallende Steuern von einigen Groschen monatlich einlegen müssen, aus welchen ihnen, in Verbindung mit den auf sie fallenden Dividenden vom Gewinn des Vorschußgeschäfts, allmählich ein Guthaben, eine Art Aktie gebildet wird. Obschon der größte Teil der Mitglieder zu den Un­ bemittelten gehört, hat es den Vereinen bei Anwendung der erwähnten Maßregeln, über deren außerordentliche Wirksamkeit wir uns früher ver­ breiteten, noch nie an Geld gefehlt, vielmehr konnten sie die ihnen ge­ machten Offerten nicht einmal immer benutzen. Besonders übten die Dividenden, welche nach Höhe des jeweiligen eingesteuerten Guthabens den Mitgliedern gutgeschrieben wurden, einen außerordentlichen Reiz auf dieselben, ihre Beisteuer möglichst zu verstärken, um ihr Guthaben höher zu bringen, und selbst die Ärmsten trugen jeden mühsam ab­ gedarbten Groschen in die Kasse, indem sie auf diese Weise zum ersten Male der Wohltat eines wenn auch noch so kleinen Besitzes froh wurden, den sie von Tag zu Tag wachsen sahen. So gehört bei den meisten Vereinen schon nach wenigen Jahren ein großer Teil — in Delitzsch gegenwärtig fast die Hälfte — des Betriebsfonds als Guthaben den Mit­ gliedern, und grabe daß mit den Vorteilen eines stets bereiten Kredits für ihr Geschäft die Anfänge einer eigenen Kapitalbildung, mit allen ihren wohltätigen wirtschaftlichen und sittlichen Folgen, Hand in Hand gehen, zu welcher es die meisten der beteiligten Arbeiter sonst niemals gebracht hätten, gehört mit zu den größten Segnungen dieser Vereine. In dieser Hinsicht tun sie es namentlich den Sparkassen weit zuvor, da die letztem den Sparern keinen Kredit und nur äußerst geringe Zinsen geben, während die Dividenden der Vorschußvereine fast noch nie unter 10 Prozent aus­ gefallen sind. Zudem sind die Sparkassen den Interessen des Arbeiter­ standes auch insofern feindlich, als die in ihnen angehäuften Summen dem Kleinverkehr verloren gehen, und nur gegen ganz sichere Hypothek ober Pfänder ausgeliehen zu werden pflegen. Daß natürlich, um die Zinsen der Vereinsgläubiger und Verwaltungs-

Schulze-Delitzsch.

248

kosten zu decken, und noch einen Überschuß zur Dividende zu

behalten,

die Vorschußempfänger angemessene Zinsen und Provision zahlen müssen, versteht sich von selbst, und ist beides im Durchschnitt zusammen auf 8 bis

10 Prozent auf das Jahr normiert. Da die Vorschüsse, des raschen Um­ satzes halber, der im Kleinverkehr die Regel bildet, meist nur auf Monate genommen werden, so findet niemand diesen Zinsfuß lästig, der etwa dem

des Bankiers entspricht, welcher bei kürzern Anlehen auch jährlichen Zins und % bis

pflegt.

6 Prozent

Prozent Provision pro Monat zu berechnen

Jedenfalls ist er unendlich niedriger als der Zins, welchen die un­

bemittelten Gewerbetreibenden, wenn sie überhaupt Geld erhielten, bei denen, die hieraus ein Geschäft machten, zahlen mußten, wo der Verfasser Fälle kennt bei Darlehnen auf kurze Frist, für welche der Zins, auf das Jahr

gerechnet, mehrere hundert Prozent betrug, und 40—50 Prozent (z. B.

1 Taler von 20 Taler Kapital auf den Monat) als höchst billig galten. Dagegen

haben

die Mitglieder

Vereine nur 20—25 Silber­

obiger

groschen monatlich für 100 Taler Kapital an Zins und Provision zusammen

zu zahlen und erhalten obenein alles, was davon nach Deckung der un­ vermeidlichen Geschäftsunkosten übrig bleibt, in Gestalt der Dividende

Wer es aber weiß, welchen Vorteil es für den Gewerbe­

wieder zurück. treibenden hat,

die

jeden Augenblick

benötigte Barschaft erhalten zu

können; welchen Nutzen er sich mit 50—100 Talern zur rechten Zeit

schaffen kann, der wird obigen Zinssatz in keiner Weise zu hoch finden. Die Höhe der Vorschüsse richtet sich nach den Mitteln der Kasse und

dem lokalen Bedürfnisse und ist bei den einzelnen Vereinen verschieden.

Doch wird in den kleinern Landstädten gegenwärtig meist bis zu 300, ja 500

Taler, in den Mittelstädten

und

größern Orten schon

bis zu

1000 Taler auf einmal kreditiert, was das Bedürfnis des Kleingewerbes eigentlich schon übersteigt, und daher kommt, daß auch wohlhabendere Gewerbtreibende den Vereinen beizutreten anfangen. Darin aber stimmen alle Berichte überein, daß wegen Mangel an Barschaft wohl noch nie

ein sonst annehmbares Vorschußgesuch abgewiesen werden brauchte, indem

die meisten

Vereine bereits

imstande

waren,

wegen

mehr als aus­

reichenden Geldofferten sich ihren vollen Bedarf gegen 4 oder höchstens 4*/2 Prozent Zinsen zu verschaffen.

Die Sicherheit der Vorschüsse endlich konnte, der Natur der Sache nach, nur eine persönliche sein, wollten die Institute nicht ihren Haupt­

zweck, dem Kleingewerbe aufzuhelfen, verfehlen.

liche Tüchtigkeit

und

Solidität

sind

zunächst

Moralische und geschäft­ die Eigenschaften,

auf

welche man sieht, und um hierüber ein sicheres Urteil von den nächsten

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

249

Bekannten und Berufsgenossen des Schuldners zu erhalten, welche genaue

Einsicht in den Geschäfts- und Vermögensstand desselben haben, erwies sich die Bürgschaft als der beste und sicherste Anhalt, welche man (alternativ mit Pfand) stets da forderte, wo der verlangte Kredit das Guthaben eines Mitgliedes um ein Namhaftes überstieg. Da der Dienst, den sich die Mitglieder als Bürgen leisten, ein gegenseitiger ist, indem der Bürge bald selbst wieder in die Lage kommt, des Bürgen zu bedürfen, so hat sich das richtige Verhältnis in dieser Beziehung bald von selbst

wieder unter den Mitgliedern reguliert, und wo die Bürgen sich aussagen, ist dies stets das sicherste Zeichen, daß der Vorschußsucher, mindestens auf Höhe der geforderten Summe, kein Vertrauen verdient. Für welche Schande es aber unter den beteiligten Klassen geachtet wird, einen Bürgen in Schaden zu bringen, davvn enthalten die angeführten Bücher bemerkens­ werte Beispiele. Kurz, ohne die Bürgschaft, als die einzige mögliche ver­ antwortliche Kontrolle der Schuldner, ist die Organisation des persönlichen jkredits auf dauerhaften Grundlagen, für dergleichen Institute mindestens, nicht möglich, wie ja selbst die großen Banken anerkennen, welche keinen

Wechsel ohne einige Giros von guten Firmen diskontieren. Nur ihrer Einführung ist zu danken, daß bei unsern Vereinen Verluste von irgend einigem Belang bisher glücklich vermieden sind, für deren Übertragung übrigens durch Bildung eines Reservefonds überall gesorgt ist, in welchen gewisse Eintrittsgelder der Mitglieder und Gewinnanteile fließen. Hier folgt Ergebnisse

der

im

Original eine ausführliche

Verfasser

dem

bekannten

die

über

Mitteilung

Vorschußvereine

sowie

eine

tabellarische Zusammenstellung und der Geschäftsergebnisse im Jahre (85?. Gleiche Mitteilungen hatte Schulze seit (85^ in der „Znnung der Zukunft", Beilage

der

Deutschen Gewerbezeitung (Leipzig)

gemacht.

Der Voll­

ständigkeit wegen fügen wir hier diese den Ergebnissen für (85? an.

Jahr

1854 1855 1856') 1857

Zahl der Ver­ eine

1. 4 6 9 25

Gewährte Mit­ glieder­ Vorschüsse in zahl Talern

2.

1019 1532 1728 5380

3.

Erhobene Zinsen und Provisionen in Prozenten

4.

54 384 8-14V4 78 051 813—13'/'s 124 750 71/2-16 643 879 6-13V3

AufgcAn­ Rein­ nommene gesammelte Reserve­ Betriebs­ gewinn Anlehen Mitglieder- fonds fonds in in in Talern in Guthaben Talern 6-8 Talern in Talern Talern

5.

6.

7.

8,

204 488 1378 4723

29 862 38 857 32 578 217 403

2 434 4124 12 437 57 094

408 593 1359 5541

9.

32 43 46 279

704 574 374 938

J) Daß in den Ziffern des Jahres 1856 der Darlehnskaffen-Verein zu Eilenburg fehlt, ist schon S. 170 dieses Buches erwähnt worden. Dort sind auch die Eilenburger Zahlen des Jahres 1855 des Vergleichs wegen mitgeteilt.

250

Schulze-Delitzsch.

Jedenfalls wird das Beigebrachte genügen, die Bedeutung dieser

Vereine für unsern Arbeiterstand, sowie die Macht der Assoziation nach­ zuweisen, da dieselben gerade den mißlichsten Teil der Aufgabe: die unbeniittelten Arbeiter kreditfähig zu machen, ihnen das zum gewerblichen Aufschwünge unentbehrliche Kapital zu schaffen, in so überraschender Weise zu lösen begonnen haben. Sicher ist in des Verfassers Schriften nicht

zu viel behauptet, daß diese Volksbanken binnen kurzem als finanzielle Macht den Banken des Großverkehrs zur Seite stehen und es keine Stadt in Deutschland geben werde, welche nicht ein solches Institut aufzuweisen hätte. Daß sic zum Mindesten ihre Bestimmung: „Die kleinen Gewerbe­ treibenden in den Stand zu setzen, jeden Augenblick eine angemessene bare Summe in ihr Geschäft zu erhalte«, ihnen die hohe», wucherischen Zinsen davon zu sparen, endlich den Gewinn des Vorschußgeschästs, bisher das tatsächliche Monopol der Kapitalisten, in ihre eignen Taschen fließen zu lassen und ihnen so den Anfang einer eignen Kapitalbildung zu erleichtern" schon jetzt vollständig erfüllen, wird kein Einsichtiger bestreiten. Was sodann b) die Assoziation spezieller Gewerke zum gemeinschaftlichen Bezug der Rohstoffe anlangt, so kann darüber nicht in so detaillierter Weise, wie bei den Vorschußvereinen berichtet werden, weil die jährlichen Rechnungsabschlüsse hier nur von verhältnismäßig wenigen veröffentlicht vorliegen, doch möge das Folgende, als durch authentische Nachrichten verbürgt, mindestens eine allgemeine Übersicht gewähren. Von allen Gewerken hatte sich bisher das der Schuhmacher am meisten bei der Assoziationsbewegung beteiligt, einerseits tvohl weil es das zahlreichste ist und sehr viele unbemittelte Mitglieder zählt, andrer­

seits weil die Preise des von ihnen hauptsächlich verarbeiteten Materials, des Leders, seit einigen Jahren die enorme Steigerung von 200 Prozent erfahren haben, so daß der Unbemittelte, der das Material in kleinen Partieen vom Zwischenhändler entnehmen muß, ohne die Assoziation kaum noch mehr bestehen kann. So mögen ungefähr 30 solcher Schuh­ macherassoziationen in verschiedenen Gegenden Deutschlands mit zirka 1000—1600 Meistern als Mitglieder vorhanden sein. Von andern Gewerken kommen dagegen bisher wohl nicht über 20 solcher Verbände vor, worunter wir namentlich Tischler, Weber, Nagelschmiede, Buchbinder und Schneider bemerken. Die Vorteile der Verbindung sind evident. Erstlich erlangen die Mitglieder das zu den Einkäufen im großen erforderliche Kapital, wie bei den Vorschußvereinen, sofort gegen ihre solidarische Haft, ebenso wie den Kredit bei den Fabrikanten. So­ dann aber wird ihnen bei der Entnahme kleinerer Partieen aus dem

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

251

Assoziationslager der enorme Aufschlag der Zwischenhändler erspart, der nicht selten 40—50 Prozent über den Engrospreis beträgt.

liier folgen im Original einige Mitteilungen über die Schuhmacher­ assoziation in Delitzsch und andere, welche im wesentlichen nur eine Wiederholung des in dem „Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter" Gesagten find. Was

nun die Anbahnung des angedeuteten Übergangs von den

lediglich auf Beschaffung des Rohstoffs berechneten Assoziationen spezieller Gewerke zur gemeinschaftlichen Produktion betrifft, so ist der nächste Schritt, gemeinsame Maßnahmen zum Absatz der Produkte, bereits bei

So verkaufen die

einigen der bestehenden Vereine erster Art eingeleitet. Mitglieder

der

Delitzscher

Schuhmacherassoziativn

ihre

Waren,

mit denen sie die Messen und Märkte beziehn, in einer gemeinschaftlichen

Verkaufsbude unter der Assoziationsfirma, jedoch so, daß sie jeder einzelne für eigne Rechnung und gegen festen Preis hinein gibt und dem Ver­

käufer nur gewisse Prozente für seine Mühewaltung zahlt.

Sobald aber

Reservefonds und Guthaben der Mitglieder höher gebracht sind, wird be­

absichtigt:

daß die Assoziation für Rechnung ihrer Kasse

bei den Mit­

gliedern Bestellungen macht, die bestellten Waren aus der gemeinschaft­

lichen Kasse bezahlt und sie dann für Rechnung der Gesamtheit verkauft. Daß von da zur wirklichen Produktion für gemeinschaftliche Rechnung, dem Endziel

Augen.

der Bewegung, nur noch ein Schritt ist, springt in die

Einen interessanten Versuch dieser Art bildet die durch die Be­

mühungen des äußerst intelligenten und tüchtigen Schneidermeisters und Magistratsassessors Düll

in Gotha

Schneiderassoziation.

Mit nur 6 Mitgliedern

in

das

Leben

gerufene

dortige

unter den dasigen

Meistern hat dieselbe seit Anfang laufenden Jahres ein „Vereinsmagazin für Hcrrengarderobe" gegründet, und bewirkt einesteils den Ankauf von Rohstoffen für die Mitglieder im großen, andernteils den Verkauf der von den Einzelnen für ihre Rechnung gefertigten Artikel in einem bestens

assortierten Kleiderladen in guter Lage, wobei jedes Mitglied übrigens in

seinem Geschäft ganz selbständig bleibt.

Der Magazinhalter nnd außer­

dem ein zur Buchführung besonders engagierter Kaufmann erhalten Prozente

am Verkaufserlös als Salär.

Den Betriebsfonds brachten sie dadurch

zusammen, daß jedes Mitglied 300 Taler sukzessive bar und in fertigen Kleidern einlegte, und wird der Umsatz des laufenden ersten Geschäfts­ jahres voraussichtlich 5000 Taler erreichen und ein

durchaus befriedigendes Resultat gewähren.

für die Mitglieder

252

Schulze-Delitzsch.

Kommen wir schließlich zu c) den Konsumvereinen, welche die

Anschaffung notwendiger Lebensbedürfnisse im ganzen und großen und den Ablaß kleinerer Quantitäten an die Mitglieder zum Engrospreise bezwecken, so ist in dieser Hinsicht in Deutschland, namentlich im Ver­

gleich zu England, noch äußerst wenig geleistet. Zwar wirken beispiels­ weise die sogenannten Liedtkeschen Sparvereine in Berlin und ähnliche an verschiedenen Orten (Frankfurt a/O., Erfurt, Leipzig u. a.) durch Vereine, Behörden oder einzelne wohldenkende Männer getroffene Einrichtungen, wonach unbemittelte Arbeiter bei guter Jahreszeit Bei­ steuern in eine gemeinschaftliche Kasse entrichten, aus welcher Vorräte im großen angekauft und ihnen alsdann ihr Bedarf zum Engrospreise abgelassen wird, unleugbar höchst wohltätig. Allein zu den Arbeiter­ assoziationen in unserem Sinne gehören sie nicht, da sie nicht selbständig durch die eigne Kraft derer, für welche sie wirken, bestehen, sondern einer Stütze von außenher bedürfen. Wirklicher selbständiger Konsumvereine nach dem Muster der englischen Stores, die in dem einen oder andern Zweige wohl auch zur eignen Produktion schreiten, sind aber bisher nur äußerst wenige bei uns gegründet, und ihre Wirksamkeit beschränkt sich auf sehr geringe Dimensionen. So setzte die seit Ende 1852 bestehende Assoziation zur Beschaffung notwendiger Lebensbedürfnisse zu Delitzsch mit 80 Mitgliedern im Jahre 1855 nur für 1710 Tlr. 7 Sgr. 5 Pf., im Jahre 1856 für 2501 Tlr. 8 Sgr. 2 Pf. Waren (größtenteils Mehl, aber auch Brennöl, Schmelzbutter u. a.) aus ihrem Lager ab, und schaffte außerdem ihren Mitgliedern durch Ankauf und Schlachten von Vieh, namentlich Schweinen, billiges und gutes Fleisch. Trotz ihrer Geringfügigkeit beweisen aber diese Resultate, wieviel auf diesem Felde schon mit einem ganz unbedeutenden Kapitale geleistet werden kann, weil dasselbe in solchen Artikeln augenblicklicher Lebensnotdurft oft 10—12 Mal in einem Jahre umgesetzt wird. Zur eignen Produktion übergegangen ist bis jetzt nur die einzige, allerdings bedeutendste dieser Assoziationen, die in Erfurt, welche, mit der

bloßen Lieferung des Heizmaterials im vorigen Jahre beginnend, seit Anfang dieses Jahres zwei Assoziationsbäckereien errichtete, und im ersten Geschäftsjahre vom Mai 1856 bis Mai 1857 für 30,055 Tlr. Waren (hauptsächlich Brot, Mehl und Heizmaterial), jedoch nicht bloß an ihre Mitglieder, sondern an das ganze Publikum verkaufte; ein Umsatz der sich im gegenwärtigen zweiten Jahre mindestens verdoppeln wird. Sie fing ihre Geschäfte mit einem von den Mitgliedern eingelegten Kapitale von 2040 Talern an, welches sich im Mai 1857 auf 4570 Taler

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

253

erhöht hatte. Außer einem Reservefonds von 200 Talern, den man aus dem Ertrage des Geschäfts zurücklegte, brachte dasselbe einen Reingewinn von 870 Taler, von welchem die Mitglieder noch über die ihnen mit

6"/z Prozent gewährten Zinsen ihrer Einlagen, 19 Prozent Dividende zogen. Nach diesen Mitteilungen bleibt nur noch zu zeigen, was bei uns zur Förderung des Assoziationswesens am Zweckmäßigsten geschehen kann, wozu wir den letzten Abschnitt bestimmen, in welchem wir zugleich die Stellung des internationalen Wohltätigkeitskongresses zur vor­ liegenden Frage ins Auge fassen werden.

VII. Der internationale Wohltätigkeitskongreß als Keim eines deutschen Kongresses für Affoziationswesen. So waren die deutschen Assoziationen im Verlauf weniger Jahre, unbeirrt von manchen Gegenströmungen einer vielfach schwankenden Zeit, imstillen vorgeschritten und schon zeigte sich bei ihnen der Drang, von einander zu hören und zu lernen, vor die Öffentlichkeit, vor das große Publikuni zu treten, um das zunächst in eigenen Schranken Ge­ pflegte gemeinnützig, weitere Verkehrskreise sich zugänglich zu machen und durch rückhaltlose Darlegung ihrer Prinzipien ein Mißtrauen nach manchen Seiten hin zu beseitigen, welches ihnen feindlich entgegengetreten war. Da trat der Congres international de bienfaisance im September 1857 und zwar diesmal zu Frankfurt a. M. zusammen, und wohl durfte man von demselben den regsten Anteil und gründliche Erörterungen über die hochwichtige Frage erwarten. Denn nicht bloß das eigentliche Armen­ wesen, die Mildtätigkeit (charite, nicht bienfaisance bei den Franzosen) gehören zu den Gegenständen, mit denen er sich beschäftigt. Vielmehr hat er seine Wirksamkeit, außer den eigentlich Bedürftigen, der Hebung des Loses der arbeitenden Klassen, also der sozialen Frage in ihrer ganzen Ausdehnung gewidmet. Nach dem von ihm veröffentlichten Statut der Association internationale de bienfaisance, in welcher er

eine dauernde Verbindung seiner Mitglieder zu erreichen strebt, wird als

Aufgabe hingestellt: „de mettre en rapport les hommes, qui dans les

divers pays s’occupent de l’amelioration du sort des classes ouvrieres et indigentes;“ und in dem angefügten Bulletin einer internationalen Korrespondenz sind als Gegenstände, worüber man Mitteilungen wünscht, aufgeführt: „Banques ou caisses de prets ou d’avances, pour achats

d'outils, de machines, matieres premieres; associations cooperatives pour la production et la consommation.“

Zudem war auf dem ersten

Schulze-Delitzsch.

254

Kongreß in Brüssel (1856) auf Antrag des von uns mehrfach erwähnten

Professor Huber ausdrücklich beschlossen worden:

„daß die wirtschaft­

liche (distributive) Assoziation unbedingt zu empfehlen; über die pro­

duktive dagegen weitere Erfahrungen abzuwarten seien, ehe man sich für ihre Zweckmäßigkeit aussprechen könne."

Trotz alledem befand sich

aber auf der Tagesordnung in Frankfurt von Assoziation keine Silbe,

vielmehr war die. geschäftliche Einrichtung der Art, daß nicht wohl eine geeignete Stelle sich darbot, mit den einschlagenden Erörterungen an­

zuknüpfen. Um das ungeheuer reichhaltige Material, welches zur Beratung vorlag, in der kurzen Frist einer Woche zu bewältigen, hatte sich die

Versammlung in Sektionen für die einzelnen Hauptfächer geteilt, welche den Plenarsitzungen vorarbeiteten und fertige Berichte und Anträge über

die ihnen zugeteilten Gegenstände zur Beschlußfassung in den letztcrn vorlegten: eine Einrichtung, über deren Zweckmäßigkeit kein Zweifel ob­

walten kann.

Im ganzen waren drei solcher Sektionen eingerichtet, die

erste für das eigentliche Armenwesen, die zweite für Volksunterricht, die dritte für Strafanstalten und Gefängniswesen.

So wenig nun

jemand verkennen wird, wie hochwichtig und tief eingreifend diese Dinge

für die sozialen Zustände der Gegenwart sind, wie sehr ihre Erörterung

an der Zeit ist und unter die Hauptaufgaben einer solchen Versammlung

ausgenommen werden muß: ebensowenig läßt sich auf der andern Seite in Abrede stellen, daß mit ihnen die großen dem Kongreß vorliegenden

Fragen nicht erschöpft sind.

Vielmehr ist eine der hauptsächlichsten, und

gerade diejenige, von deren Lösung

zum großen Teil die Möglichkeit

einer gedeihlichen Lösung der übrigen abhängt, durch diese Einteilung

der Arbeiten ausgeschlossen.

Es ist dies die über die Konservierung der

zahlreichen, bereits mehr oder weniger bedrängten Elemente des Arbeiter­ standes,

welche um ihre Existenz noch aus eigner Kraft,

wenn auch

kümmerlich, zu ringen vermögen, aus denen sich das Proletariat un­ aufhörlich neu rekrutiert.

Zu diesem Behufe wäre es eigentlich dringend

geboten gewesen, für alle auf vernünftige Selbsthilfe der arbeitenden Klassen abzielendcn Bestrebungen eine besondere Sektion zu

bilden, in

welcher auch unsere ganz in diese Kategorie fallenden Assoziationen einer

genauen Erörterung hätten gewärtig sein dürfen.

So aber fand sich,

bei der Beschränkung der Sektionen auf die obengenannten Fächer, kein Raum dazu, und den Wünschen einer Anzahl Mitglieder in dieser Richtung

stellten sich allerlei Schwierigkeiten entgegen, obschon sich der Vorsitzende

des Preußischen Zentralvereins für das Wohl der arbeitenden Klassen, Präsident Dr. Lette von Berlin, der Angelegenheit auf das

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

255

Der Verfasser, von vielen Seiten um Mitteilungen

Wärmste annahm.

über den Stand der von ihm angeregten Assoziationen angegangen,

hielt es daher für das Geeignetste, eine besondere Zusammenkunft zu diesem

veranstalten, welche

Zwecke zu

besonders von den

deutschen

Kongreßmitgliedern besllcht wurde, unter denen wir nur die Namen eines

Rau, Mittermaier, Welcker, Friedländer von Heidelberg, eines Schubert von Königsberg, Lette von Berlin, herausheben.

Auf einen über Wesen,

Zweck und Resultate der Assoziationen nach dem von ihm vertretenen

System sich verbreitenden Vortrag wurde die Wichtigkeit derselben zur

und Hebung

Erhaltung

des

kleinen

und

Gewerbs-

Arbeiterstandes,

sowie ihre wirtschaftlich gesunde Grundlage von allen Seiten anerkannt,

und war man von den bereits jetzt schon so erheblichen Resultaten der noch in den ersten Anfängen begriffenen Bewegung wahrhaft überrascht.

Infolgedessen ist sodann auch von den Anwesenden noch

in der letzten

Kongreßsitzung der Antrag eingebracht und durchgesetzt worden: „daß das Prinzip und die fortschreitende Entwickelung der auf verständiger Selbst­

hilfe und eigner Kraft beruhenden ökonomischen Assoziation, insbesondere gewerkschaftlichen Genossenschaften,

der Vorschußvereine und

zur gemeinschaftlichen Anschaffung der Rohstoffe re., sowie der Vereine zur

Anschaffung

Handwerkern

und

notwendiger

Arbeitern,

auf

Lebensbedürfnisse

dem

unter

den

gegenwärtigen Kongresse

zum

der Beratung gemacht, demnächst aber auch unter die Be­

Gegenstände

ratungsgegenstände der folgenden Kongresse ausgenommen werde." Indessen ist mit dieser Konzession so wenig wie mit der früher an Huber gemachten für die Sache der Assoziation beim Kongreß etwas

gewonnen, bisher.

solange dessen

Es

Leitung denselben Personen

verbleibt,

wie

sind dies wesentlich die belgischen und französischen

Mitglieder, denen allerdings niemand das Verdienst der Stiftung dieser

Zusammenkünfte sowie eine ausgezeichnete Wirksamkeit in den von ihnen,

wie wir oben

zeigten, bevorzugten Teilen der

großen Gesamtausgabe

bestreiten wird, namentlich dem Armen- und Gefangenwesen, der Be­ handlung sittlich Verwahrloster und Verbrecher, unter ihnen insbesondere

der verdiente Ducpetiaut, Direktor der belgischen Armen- und Straf­ anstalten.

Doch

üben

sie

dafür

auch

die ihnen

stillschweigend ein­

geräumte Obmacht nicht selten auf eine ziemlich einseitige dem Zweck der

Kongreßverhandlungen wenig förderliche Weise aus. So wußten sie z. B.

diesmal jede Diskussion mehrerer hochwichtiger Prinzipiensragen, wie über

die Zuständigkeit und Verpflichtung zur Armenpflege, über die Zweck­ mäßigkeit der Einzelhaft, ganz auszuschließen, indem sie ihre eigne An-

Schulze-Delitzsch.

256 sicht

hierüber,

Autoritäten

zur

großen

Unzufriedenheit

einer

Anzahl

erprobter

und Fachmänner in diesen Zweigen, als maßgebend und

präjudiziell hinstellten, von welcher bei den weitern Kongreßverhandlungen

ausgegangen werden müsse.

Und daß das Assoziationswesen, über­

haupt alle auf Selbsthilfe der arbeitenden Klassen fußenden Bestrebungen sich keiner Sympathie von ihrer Seite zu erfreuen haben, sondern als

lästig nnd bedenklich auf jede Weise bei Seite geschoben werden, ist nur zu

gewiß und sowohl aus der persönlichen wie nationalen Stellung leicht zu erklären, welche sie zur sozialen Frage überhaupt eingenommen haben.

In ersterer Hinsicht muß in Anschlag gebracht werden, daß diese

wahrhaft verdienten Männer seit Jahren ihre Kraft vorzugsweise der Heilung der eigentlichen schon an den Tag getretenen sozialen Krankheits­

erscheinungen, den eiternden Schäden der Gesellschaft, gewidmet, daß sie

fast ausschließlich die Verkommenen und Bedürftigen, die vom Elend und dem ganzen wirtschaftlichen und sittlichen Ruin in dessen Gefolge bereits Ergriffenen in ihre Obsorge genommen haben. Dabei ergeht es ihnen denn wie den Ärzten in einer Epidemie, welche über der Sorge um die

Kranken, die

ihre Zeit und Tätigkeit völlig in Anspruch nimmt, nur

gar zu oft das Interesse für die Gesunden, für den Schutz der von dem Übel noch nicht Befallenen hintansetzen. Durchaus tüchtig und tätig

in ihrem Fach, großer Aufopferung fähig, wo es gilt, der bereits Ver­

sunkenen sich anzunehmen, sind sie weniger in ihrem Elemente, sobald es sich darum handelt, das weitere Umsichgreifen des Übels zu verhüten, die

wirtschaftlich noch gesunde

armung zu schützen.

Arbeitermenge vor

der Pest der Ver­

Gewöhnt, alles selbst zu ordnen, was zum Besten

derer dient, denen geholfen werden soll, fordern sie von denselben, wie der Arzt vom Paüenten, daß sie sich ihren Geboten fügen, die Heilmittel

von ihnen erwarten, aber auf eine eigne Stimme bei ihrer Behandlung verzichten.

Aus diesem Grunde sind sie wenig geneigt, die Leute auf die

eigne Kraft zu verweisen, sie zur Selbsthilfe, zur selbständigen Erfassung

der Sache anzuhalten, ohne welche doch, wie wir früher dargetan zu

haben meinen, keinerlei wirksame,

dauernde Abhilfe möglich ist.

So

kommt es, daß sie diesen Teil der Aufgabe sichtlich vernachlässigen. Und doch ist derselbe, möchten wir behaupten, eher wichtiger,

als der andere

von ihnen erwählte, schon um deshalb, weil ihre einseitigen Bemühungen

hierin, werden sie von einem gleichzeitigen Vorgehen nach der andern

Richtung hin nicht unterstützt, nie zum Ziele gelangen.

So lange der

fortschreitenden Massenverarmung nicht Einhalt getan wird, so lange ihnen unaufhörlich eine bei weitem größere Zahl der von der herrschenden

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

257

Pest Befallenen zugeführt wird, als sie zu heilen oder gar als geheilt

zu entlassen vermögen — und das Verhältnis von I zu 10 ist hier viel zu günstig — kommen sie auf ihrem Wege nicht vorwärts und haben sich zu wahrer Sisyphusarbeit verdammt. Vielmehr gelangen sie früher oder später an einen Punkt, wo ihnen der Andrang über den Kopf wächst, und wo man entweder einlenken oder den Bankerott erklären muß; eine Alternative, welcher man in Belgien, wie wir oben zeigten, schon ziemlich nahe gerückt zu sein scheint. Sodann haben aber auch jene Männer, und dies erklärt ihren Standpunkt weiter, zu wenig Gelegenheit, die Assoziation in unserm Sinne auf der allein richtigen wirtschaftlichen Grundlage des Eigeninteresses und der Selbsthilfe und Selbständigkeit, bei ihren Landsleuten praktisch kennen zu lernen. Namentlich haben sie aus der Menge verunglückter Versuche in Frankreich, von denen nur eine verhältnismäßig kleine Zahl ihren Bestand zu retten und sich von sozialistischen Beimischungen sowie der Staatshilfe völlig frei zu mache» wußte*), ein verzeihliches Vorurteil gefaßt, welches sich sehr bezeichnend in der naiven gegen Huber getanen Äußerung in Brüssel: „ah mais,

c’est le phalanstSre!“ kundgab. Es streitet nun einmal wider alle ihre nationalen Anschauungen und Traditionen, die Arbeiter, wie die Eng­ lischen und unsre Assoziationen dies tun, sich selbst zu überlassen, den Geist der eignen Kraft, der Selbständigkeit, der Bildung autonomischer Genossenschaften unter ihnen zu fördern, da dies, ihrer Ansicht nach, nur zum Kommunismus führen würde. Vielmehr muß alles bei ihnen von oben, von einem leitenden sozialen Mittelpunkt, sei es der Staat, die Kirche oder wenigstens Vereine der herrschenden Klassen, gegängelt

werden, möglichst mit amtlicher Autorität bekleidet sein, und jeder Ver­ such, von welchem sie die Fäden nicht in der Hand haben, erscheint ihnen unmöglich und gefährlich. So tief verbreitet im ganzen französischen Volke (und ihm nähern sich die Belgier in dieser Rücksicht) ist diese Richtung, daß wir sie sofort in dem Arbeiterstande selbst zum Vor­ schein kommen sehn, sobald derselbe, wie infolge der letzten großen Revolutionen, einmal zum Wort über seine eignen Interessen gelangt. Es ist eine merkwürdige und höchst charakteristische Erscheinung: Nicht Freiheit, nicht Autonomie für ihre Bestrebungen, sich emporzuarbeiten — nein, Schutz und Hilfe des Staats, eine Existenz auf Kosten der übrigen

*) Man vergleiche hierüber, außer den Huberschen, das interessante Werk Etudes sur les Associations ouvriferes par le Vicomte A. Lemercier, Paris 1857, welches dem Verfasser erst, während er gegenwärtigen Abschnitt schrieb, zuging. Schulzc-Dclitzsch, Schriften und Reden. I. 17

Schulze-Delitzsch.

258

Klassen, die ja ebenfalls so lange auf ihre Kosten gezehrt, das war stets

die Losung der französischen Arbeiter in solchen kurz vorübergehenden Perioden, darauf liefen ihre Deklamationen, ihre praktischen Versuche hinaus, wie dies ihrer Phantasie durch die sozialistischen Schulen lange vorher systematisch eingeprägt war. Und kaum sind die durch solche ein-

seitige und gefährliche Projekte zum Kampf auf Leben und Tod heraus­

geforderten besitzenden Klassen der Bewegung Meister, so

zeigt sich

dasselbe Experiment, nur in umgekehrter Weise. Anstatt der Freiheit und

Selbstverantwortlichkeit auf dem Felde des Erwerbs, dekretieren sie Staats­ einmischung jeder Art, Hilfsinstitute und Zuschüsse auf öffentliche Kosten, Maßregelei und Überwachung jeder selbständigen Regung, kurz: Sozialismus von oben statt von unten, im Prinzip eben so ver­ werflich, in seinen Wirkungen eben so verderblich und obenein weit ge­

hässiger durch den Zwang, welchen er gegen die Beteiligten übt.

Trotz

der furchtbaren Erfahrungen, denkt niemand daran, wie man auf solche

Weise das kaum niedergeworsene blutige

Gespenst immer von

neuen:

heraufbeschwört, den verderblichen Hang, die Verantwortlichkeit für die eigne Existenz von sich ab und dem Staate — das heißt den andern

Gesellschaftsklassen — aufzuwälzen, fortwährend nährt und somit die

Revolution, den sozialen Kriegszustand verewigt.

Da ist nicht mehr die

Frage vom Recht, sondern bloß noch von der Gewalt, und die ewigen

Naturgesetze des menschlichen Verkehrs sinken zu willkürlichen Dekreten herab, deren Geltung davon abhängt, ob und wie lange sich die jeweiligen

Machthaber zu behaupten vermögen.

Von dem Kongresse in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung also, wir wiederholen es, haben die Assoziationen nicht viel zu erwarten,

das steht bei den Vorurteilen der leitenden Personen wohl so ziemlich fest. Dennoch und

gerade darum, hat die Zusammenkunft in Frankfurt der

Sache der Assoziation gute Früchte getragen. Eben die einer Erörterung

darüber in den Kongreßsitzungen bereiteten Hindernisse brachten die er­

wähnte

Separatversammlung

zu Wege,

welche bewirkte,

daß

sich die

deutschen Mitglieder, die den Kern derselben bildeten, ihrer besondern,

auch

ihrerseits

nationalen

Stellung zu der Frage bewußt wurden.

Denn das kann man sich bei näherem Hinblick wohl kaum verhehlen,

daß sich der Zwiespalt der großen Prinzipien, welche unter den gebildeten Völkern der Neuzeit um die Herrschaft streiten, des Romanischen und Germanischen, auch in Auffassung und Handhabung der sozialen

Frage kundgibt.

Auf der einen Seite kirchliche oder staatliche Zentra­

lisation, jede selbständige Regung der Massen überwacht und verpönt.

Dis arbeitenden Klassen und das Assoziationswejen in Deutschland.

259

alles von oben geregelt, alles, mit Ertötung jedes individuellen Unter­ schiedes,

in

einem

wohldressierten

Mechanismus eingezwängt.

hirarchischen

oder

bureaukratischen

Auf der andern Seite dagegen die mannig­

faltigste Gliederung in freien, je nach der Gemeinschaft der Interessen wechselnden

Gruppen, von

denen jede ihre

besondern Angelegeitheiten

selbst ordnet und auf die eigne Kraft gestützt fremde Hilfe und Leitung

weder verlangt noch duldet: und alles dies unbeschadet des gemeinsamen alle umschlingenden Bandes, der höhern organischen Einheit, der sie sich,

ohne

die

Selbständigkeit

in

ihrer

individuellen

Sphäre

aufzugeben,

sämtlich einordnen, und der sie gerade hierdurch erst die echte Lebens­

fähigkeit mitteilen.

Daher waren denn auch die deutschen Kongreß­

mitglieder nicht einen Augenblick zweifelhaft, für welche von den beiden Richtungen sie sich erklären sollten, und erhoben die Sache der auf der

Basis vernünftiger Selbsthilfe beruhenden,

Verhältnisse anknüpfenden Assoziation der ihrigen.

überall an die bestehenden

mit allgemeiner Beistiinmung zu

Und wohl dürfen wir in dieser Haltung von Männern,

die aus den verschiedensten Gegenden des gemeinsamen Vaterlandes zu­

sammengetroffen waren, und von denen viele durch ihre literarische und sonstige Bedeutung, wie durch ihre bürgerliche Stellung zu den Notabilitäten gehören, eine bedeutungsvolle Kundgebung der nationalen Sympathien

für unsre Sache erblicken.

Während dieselbe beim eigentlichen Volke in

vielfachen praktischen Gestaltungen immer mehr Eingang findet, während sich auch die Presse fast allgemein dafür erklärt hat, fehlte es eben nur

noch an einem öffentlichen Ausspruch solcher Männer, abgegeben bei solcher

Gelegenheit, um das Assoziationswesen, tote es sich bei uns gestaltet, als

Nationalangelegenheit

erscheinen

zu lassen.

Ja noch mehr, wir

sehen in diesem entschiedenen und besondern Vorgehen der deutschen Kongreß­ mitglieder die Bürgschaft und den Vorläufer eines dieser Angelegenheit

gewidmeten besondern deutschen Kongresses.

Daß ein solcher der Sache die größten Dienste leisten würde, ist gewiß.

Abgesehen von der Vermittelung näherer Beziehungen unter den

Assoziationen selbst, würde schon der Austausch der Ideen und Erfahrungen unter deren Vertretern im lebendigen Wort, too jedes Bedenken sofort

seine Erledigung, jeder Vorschlag seine Berichtigung findet, wo die per­

sönliche Berührung endlich die Berichte über die einschlagenden Tatsachen unmittelbar beglaubigt, von der

wohltätigsten Wirkung

sein.

Außer

diesem Einfluß auf die bei der Sache bereits Beteiligten, schlagen wir aber die Anregung, welche ein solcher in vollster Öffentlichkeit ver­

handelnder Kongreß den nach außerhalb der Bewegung Stehenden mit17'

Schulze-Delitzsch.

260

teilen würde, fast noch höher an. Indem er die ganze Wucht der öffent­

Meinung

lichen

in

die Wagschale der Assoziationen

legte, würde er

namentlich die größere Beteiligung der gebildeten und besitzenden Klassen dabei Hervorrufen, welche überall als die eigentlichen Leiter in den sozialen

Bestrebungen voranzugehen den Beruf haben.

So dürften wir endlich

hoffen, für die vielen zersplitterten und planlos sich einander kreuzenden

Tätigkeiten auf diesem Felde einen einheitlichen klar erkannten Ausgangs­ und Zielpunkt zu erhalten, an dem es

bisher

noch so sehr mangelte.

Denn versteht eine solche Versammlung es nur irgend, durch das wohl­ begründete Ansehn ihrer Miglieder, durch Gehalt und Form ihrer Er­

örterungen das allgemeine Interesse des Publikums zu fesseln, so vermag

kein

noch

so

tüchtiges Wirken einzelner

in Schrift

und Wort ihre

Aussprüche zu ersetzen, welche vielmehr mit der Sanktion eines Urteils von Vertrauensmännern der Nation,

als Verdikt einer Jury auftreten,

deren Zuständigkeit sich niemand so leicht entzieht. Fassen wir die Ausgabe, welche wir der so geweckten Teilnahme, insbesondere der gebildeten Stünde, in der ganzen Angelegenheit zuteilen

mochten, näher in das Auge, so ist zuerst hervorzuheben, daß es sich

nicht um materielle Opfer, nicht um Unterstützungen an Geld oder der­ gleichen handelt,

welche

zum Zweck der Verbesserung

des

Loses der

arbeitenden Klassen erfordert würden, sondern vielmehr um geistige An­ regung

und

Anleitung

auf

dem

Wege

zur

Selbsthilfe.

Die

eigne

schlummernde oder mißleitete Kraft der Leute wecken, ihnen vor allem Vertrauen zu sich selbst einflößen, ihnen den Grundsatz einprägen, daß

jeder für sein eignes Wohl und Wehe ganz allein verantwortlich und

daß es unwürdig und unsinnig sei, nach Hilfe von außen sich umzu­ schauen, da jeder die Kraft dazu in sich selbst trage und die andern eben auch mit sich zu tun hätten: damit erzeigt man den Leuten einen

bessern Dienst, als mit jeder milden Gabe, welche nur die Vorstellung

von der eignen Hilflosigkeit bei ihnen nährt, sie in Stumpfheit und Trägheit versenkt, aus denen sie sich je länger desto weniger heraus­ zuarbeiten vermögen.

bewenden

können,

Doch wird es in den meisten Fällen hierbei nicht vielmehr

mit

dieser

Anregung

und

allgemeinen

Kräftigung des Willens auch die spezielle Anleitung verbunden werden müssen, auf welche Weise man die Sache demnächst praktisch anzufassen

habe, um dem entweder schon hereinbrechenden oder doch drohenden Not­ stände zu begegnen und sich emporzuarbeiten.

Besonders wird dies er­

forderlich, wenn die Beteiligten, wie zumeist, nicht den Grad von Intelligenz besitzen, um Ziel und Mittel klar zu überschauen und die geschäftliche

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

Organisation selbst in die Hand zu nehmen. bisher

über die Assoziationen

261

Allerdings liegen, mit den

veröffentlichten

vollständige

Resultaten,

durch die Praxis erprobte Pläne und Anweisungen über die zu treffenden

Einrichtungen vor, so daß die Organisation gleicher oder ähnlicher solcher Institute danach immer weniger schwierig wird.

Wirklich sind auch uns

eine Anzahl Fälle bekannt, wo lediglich und allein, namentlich von Hand­

werkerkreisen, ohne alle Mitwirkung anderer die Sache in die Hand ge­ nommen und unter Zugrundelegung der erwähnten Schriften des Ver­ fassers mit günstigem Erfolg dnrchgeführt worden ist. Allein meist fehlt

es doch, namentlich an kleinern Orten, an so tatkräftigen und geschäfts­ gewandten Leuten in den Arbeiterkreisen, und die Beihilfe und Anleitung

erfahrener und gemeinnütziger Männer aus dem höhern Gewerbs- und

Kaufmannsstande, sowie die Mitwirkung von Rechts- und Geschäftskundigen jeder Art ist bei dergleichen praktischen Organisationen doch noch entweder

unerläßlich, oder mindestens höchst fördernd und erwünscht, selbst wenn man von den so

nötigen,

ebenfalls im Vereinswege zu beschaffenden

Sonntags- und Fortbildungsschulen ganz absieht, welche der Mitwirkung

von Gelehrten und Künstlern gar nicht entbehren daher

können.

Es bleibt

überall ein weites und lohnendes Feld zur Wirksamkeit für alle

günstiger Gestellte, welche den Willen und die Einsicht dazu haben, und selbst solche, welche sich nur durch Gewährung von Geldmitteln bei der

großen Aufgabe beteiligen können und wollen, finden dazu eine bessere Gelegenheit als bei jenen milden Sammlungen und Spenden, durch welche

nur selten einem wahren,

berechtigten Bedürfnis Genüge geleistet wird.

Wenn sie sich nämlich entschließen, den Assoziationen durch Vorstreckung mäßiger Darlehen gegen die üblichen Zinsen entgegenzukommen, so riskieren sie

ihrerseits,

bei

der

großen

durch

die solidarische Hast sämtlicher

Mitglieder gebotenen Sicherheit, nicht das mindeste, ziehen

von ihrem

Kapital eine gute Rente und leisten obenein den Leuten einen guten

Dienst, indem diese nun rascher ihren Geschäften die gehörige Ausdehnung

geben können,

als es in manchen Fällen

ohne solche Beihilfe möglich

wäre, wo sie durch allmähliche Aufsammlung kleiner Beiträge und Gewinnste

sich erst allmählich ein größeres Kapital bilden, einen größern Kredit an­ bahnen müssen. Wie hiernach die von uns befürwortete Mitwirkung bei Verbesserung

des

Loses

der

arbeitenden Klassen

seitens

Besitz günstiger Gestellten von den letztern

der

durch

Bildung

und

keine materiellen Opfer ver­

langt, ob sie schon den größten Dienst in sich schließt, den ein Mensch

dem andern erzeigen kann:

so stellt sie sich auch in Beziehung auf biet

262

Schulze-Delitzsch.

denen sie zugute kommt, nicht als ein Almosen dar.

Ist es doch die

eigne Anstrengung, auf welche man sie verweist, wird ihnen doch nichts geschenkt, was sie nicht selbst verdienen müßten, und wenn auch die Auf­ munterung, der Rat, ja sogar die anfängliche Leitung ihrer Bestrebungen

seitens ihrer erfahreneren und vermögenderen Mitbürger nötig wird, liegt doch in einer solchen Unterstützung nichts von dem Demütigenden eines Almosens. Vielmehr gereicht eine solche Näherung den bisher durch eine schroffe Kluft getrennten Klassen zu gemeinsamem Vorteil. Beide lernen von einander, gewinnen zu einander Vertrauen, und indem die höher» Stände durch solche Betätigung ihrer Teilnahme zur Ver­ besserung des Loses der niedern beitragen, machen sie die letzteren die Ungunst des Schictsals, welche jenen so viel vvransgab, vergessen, und bewirken, daß jeder, bei der Möglichkeit sich emporzuarbeiten, zufriedner und eifriger auf der ihm angewiesenen Stelle seine Pflicht tut, was notwendig in seiner letzten Folge dem Gesamtwohl zu statten kommt. Und weit gefehlt, daß dadurch eine das Wesen der Selbsthilfe, das wir so hoch anschlagen, ertötende Bevormundung entstünde. Denn müssen wir auch bei der ersten Gründung der Assoziationen die Einwirkung von Beratern und Leitern außerhalb des Kreises der Mitglieder zulassen, so ist eine solche Schule, eine solche Erziehung zur Selbsthilfe ja ein bloßer Durchgangspunkt zur künftigen vollständigen Selbständigkeit, welcher die letztere mit wirklicher Frucht und gesichertem Erfolge überhaupt erst möglich macht. So wenig wie jemand bei jungen unerfahrenen Menschen die Lehre, die Unterweisung in irgend einer Kenntnis oder Beschäftigung

für eine Beeinträchtigung ihrer Selbständigkeit halten wird, zu der sie gerade dadurch erst gelangen wollen, so wenig kann in unserm Falle beim Einlernen in noch ungewohnte Geschäfts- und Verkehrsformen, über­ haupt bei Überwindung der vielfachen Schwierigkeiten dieser, wie aller­

ersten Anfänge, die nöthige Anleitung dazu als Bevormundung betrachtet

werden. Das ist einer der wesentlichsten Unterschiede zwischen der von uns geforderten Beihilfe von der andern, wie sie in der Form der Mild­ thätigkeit austritt. Während die letztere den Charakter des Bleibenden, der Dauer annimmt, sich durch ihre eignen Folgen immer unentbehrlicher­ macht, immer größere Dimensionen annimmt, und genötigt ist, sich als eine ins Unendliche wachsende Last der Gesellschaft am Ende für permanent zll erklären: zeigt die erstere vielmehr die stetige Tendenz, sich immer entbehrlicher zu machen, indein allmählich die belebende Strömung der wirkenden Kräfte von den Helfern sich mehr und mehr denen mitteilt, denen geholfen werden soll, und so zu deren eigenster Tat, zur Selbsthilfe

Die arbeitenden Klassen und das Asioziationswesen in Deutschland.

263

wird. Dort also ein ewig sich hinschleppendes stets anwachsendes Siechtum, tiiid die angewendeten Mittel, ohne Aussicht zur Heilung, zur bloßen Fristung

eines elenden, verkümmerten Daseins vergeudet, und zwar in einer Weise, daß von den Gesunden eben dadurch immer mehr der entsetzlichen An­ steckung verfallen; hier dagegen ein unausgesetzt fortschreitender natürlicher Heilungsprozeß aus

dem Innern des erstarkenden Organismus

selbst

heraus, welcher täglich der Pflege weniger bedarf und davon fortwährend andern von dem Übel Ergriffenen abgeben kann.

Dasselbe, wie der Privattätigkeit, möchten wir auch dem Einschreiten

der Regierungen gegenüber auf sozialem Gebiete geltend machen, von

denen wohl kaum eine die große Bedeutung der einschlagenden Fragen verkennt, und die ivir fast in allen zivilisierten Ländern mittelst der Gesetz­ gebung

und durch sonstige

Notstände anstreben

sehen.

Hilfsmittel die Linderung

der schreienden

Nach allein, was wir bereits

erörterten,

kommt es hier weit mehr darauf an, jenen auf Selbsthilfe abzweckenden Bereinen und Organisationen die freie Bewegung, den günstigsten Spiel­

raum zu sichern, als selbst mit Staatsmitteln helfend, einzugreifen, in­

sofern es nicht etwa gilt, einem außerordentlichen, plötzlich eingebrochenen und vorübergehenden Notstände

zu

begegnen.

Denn macht man

die

Staatssubvention für gewisse Klassen zur Regel, so gesellt sich zu den schon erwähnten Übelstünden, dem Demoralisierenden des Almosens für

die Empfänger, noch das Gehässige und durchaus Ungerechte eines Zwanges gegen die Geber, von denen viele gerade genug zu tun haben, um sich selbst im Nahrungsstande zu erhalten.

Denn die Staatsmittel müssen

ja doch stets von der Gesamtheil aller Bürger aufgebracht werden, und eine

stehende Belastung des Budgets

zu

solchen Zwecken,

welche

die

allgemeine Steuerlast erhöht, fällt für sämtliche Steuerpflichtige um so

drückender ins Gewicht, als sie, wie wir sahen, das weitere Umsichgreifen der Verarmung fördert, anstatt derselben vorzubeugen, aus der Klasse der Steuerzahler also immer mehrere in die der Subventionierten herüber­ zieht.

Eine erleuchtete, wirklich auf der Höhe der Frage stehende Gesetz­

gebung wird sich daher begnügen, den neuen Verkehrsformen, welche die Selbsthilfe besonders in den Assoziationen hervorgerufen hat, diejenigen

Schwierigkeiten, welche etwa der Rechtsverfolgung ihrerseits, der Legitimation ihrer Vertreter bei Vertragsabschlüssen,

und Forderungen u. bergt ans dem Wege zu

der Erwerbung von Eigentum

nach den bisherigen Gesetzen entgegenstehen,

räumen, ohne eine Konzessionierung der fraglichen

Institute, eine Oberaufsicht über dieselben, überhaupt eine Einmischung

in ihre Angelegenheiten zu beanspruchen.

Höchstens

könnte man, wie

264

Schulze-Delitzsch.

dies in England bei ganz freiem Vereinsrecht, durch die von uns früher erwähnte industrial and provident societies act vom 30. Junius 1852 geschehen, von einer Prüfung der Statuten durch einen Hof von Sach­

verständigen die Verleihung der angedeuteten gesetzlichen Vorteile ab­ hängig machen. Eine solche Behörde, wäre sie nur sonst zweckmäßig aus praktischen Geschäftsmännern und anerkannten Autoritäten auf dem vor­ liegenden Felde zusammengesetzt, und von aller bureaukratischen Beimischung

frei, könnte ganz von selbst einen höchst wohltätigen Einfluß auf die Organi­ sation der fraglichen Vereine ausüben, insofern sie gewisse unerläßliche Grundforderungen an deren Einrichtungen stellte, von deren Zutreffen die Erteilung jener Gerechtsame abhängig gemacht würde. Da ihre Ein­ wirkung hierbei immer nur eine begutachtende, eine beratende bleibt, und auch die Existenz der Vereine, welche sich ihr nicht fügen, keineswegs angetastet wird, so wird die Freiheit der ganzen Bewegung dadurch nicht im mindesten alteriert. Aber freilich weiter dürste man mit der ganzen Einmischung auch nicht gehn und müßte alles andere der Tätigkeit der Privaten überlassen, wo dann nur noch die Frage entstünde, ob nicht vielleicht, ebenfalls nach englischem Vorgänge, ein stehendes Komilee von Promotoren im Vereinswege, vielleicht als Ausfluß der projektierten Kongresse, zu bilden wäre, welches die Angelegenheit während der Pausen zwischen denselben nicht aus den Händen ließe und ihnen gewissermaßen vorarbeitete.

Seine Aufgabe wäre: nach allen Seiten hin anzuregen, zu

fördern, aufzuklären, bei Konstituierung der Vereine mit Rat und Tat an die Hand zu gehen, die Statuten zu begutachten, den Verkehr der

Assoziationen unter einander zu vermitteln, vielleicht sogar für den Geld­ kommerz einen Halt- und Mittelpunkt zu bieten, endlich die gemachten Er­ fahrungen und gewonnenen Resultate, kurz das ganze statistische Material zu sammeln und zu sichten und sodann in gehöriger Weise zur öffent­ lichen Kenntnis zu bringen. Was man aber auch von allen diesen Vorschlägen halten mag, so ist es jedenfalls an der Zeit, sich für irgend etwas zu entscheiden. Die Agitation auf sozialem Gebiete ist da, sie braucht nicht etwa erst gemacht

zu werden, und Heil oder Unheil hängen davon ab, auf welche Bahnen sie sich wirft. Unter den arbeitenden Klassen rührt es sich überall und ebenso allgemein ist der Drang zu helfen unter den höhern Gesellschafts­ schichten, da sich die Notwendigkeit, daß etwas geschehen must, immer greller hervordrängt. Und um den Einigungspunkt für die vielfach aus­

einandergehenden Bestrebungen zu finden, wie ihn die Größe der Aufgabe erfordert, was ist, wir wiederholen es immer wieder, hierzu wohl geeigneter

Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen in Deutschland.

als ein Kongreß, ein Kongreß mit allen

265

seinen Hilfsmitteln, seiner

Autorität, als der Repräsentant der aufgeklärten, öffentlichen Meinung? Ein nationaler freilich, ein deutscher Kongreß muß es sein, wir sagten es schon, da die Bewegung eben in Deutschland einen eigentümlichen und, wie wir nachgewiesen zu haben glauben, einen wahrhaft nationalen Charakter angenommen hat. Fern von aller sozialistischen Beimischung, vollständig der industriellen und humanen Entwickelungsstufe des deutschen Handwerkers und Arbeiters entsprechend, möchten wir ihr vor allem diesen Charakter rein erhalten wissen. Wie dadurch den haltlosen Be­ fürchtungen der besitzenden Klassen vor dem roten Gespenst kein halbwegs gegründeter Vorwand geboten wird, hat sich der eingeschlagene Weg auch

der wissenschaftlichen Zustimmung unsrer Volkswirte zu erfreuen, ein Moment, welches gerade in Deutschland sehr in Anschlag zu bringen ist. Und hier kommen wir beiläufig zu einem Anknüpfungspunkte in bezug auf den vorgeschlagenen Kongreß, der vielleicht für sein Zustandekommen eine Chance mehr bietet. Seit einiger Zeit bereitet sich nämlich eine Zusammenkunft der deutschen Volkswirthe vor. Wohl ließen sich beide Kongresse ganz füglich vereinen, und die Zwecke beider würden durch eine solche Vereinigung nur gewinnen. Verweist doch die Volks­ wirtschaftslehre die Menschen in ihrem Erwerb und ihren wirtschaft­ lichen Zuständen stets und ausschließlich auf die eigne Tätigkeit und Kraft. Die Assoziationen, als die organisierte Selbsthilfe, verhalten sich also zu ihr wie die Praxis zur Theorie. Nun tut aber nirgends die innigste Verschmelzung beider, der Theorie und Praxis, mehr not, als auf dem Gebiete dieses vorzugsweise der materiellen Lebenstütigkeit der Menschen zugewendeten Erkenntniszweiges, und nur dem Mangel hieran war es zuzuschreiben, daß derselbe bisher beim großen Publikum, dem er als unfruchtbare Spekulation erschien, so auffallend vernachlässigt wurde. Diesen Mißkredit würde die Wissenschaft zum großen Teil überwinden,

wenn sie jenen gemeinnützigen Instituten und praktischen Gestaltungen, welche bereits tief in den Volksverkehr eingreifen, ihre Teilnahme durch

die Tat bezeugte und sie als Verkörperung ihrer Lehren öffentlich an­ erkennte. Denn nur indem sie die ganze soziale Frage als das ihr gehörige Gebiet offen vor der Nation anspricht, erhebt sich die Volks­ wirtschaftslehre zur Höhe ihrer Sendung, und es kommt ihr zu, alle hier einschlagenden Schöpfungen und Bestrebungen vor ihren Richterstuhl zu ziehen, das Gesunde und Probehaltige von der bloßen Spreu zu sondern, und mit fester Hand und klarem Blick das Schiff der Zivilisation durch Klippen und Untiefen dem Hafen zuzusteuern. Diese Erwägungen

Schulze-Delitzsch.

266 liegen

so nahe,

daß nicht anzunehmen ist,

die

deutschen Volkswirte

würden ihre Interessen so sehr verkennen, um eine solche Vereinigung

mit den Praktikern ihres Faches, der Männer des Gedankens mit den Männern der Tat, von sich zurückzuweisen.

Ohnedies bürgt für das

Gegenteil bei vielen von ihnen die Sympathie, welche sie der Assoziations­ sache bereits offen betätigt haben, wovon die frankfurter Versammlung

das erfreulichste Zeugnis gab.

Und so wünschen wir nur noch, daß unser

Vorschlag eine freundliche Ausnahme und Besprechung in weitern Kreisen,

besonders seitens der Tagespresse finden möge, und fassen schließlich die Aufgabe eines solchen Kongresses, wie wir ihn iin Sinne haben, dahin zusammen:

Daß derselbe neben der wissenschaftlichen Pflege der Volkswirtschafts­ lehre und deren Verbreitung int Publikum, auch alle praktisch daraus

fußenden Versuche, die angewandte Wissenschaft also, in

den Kreis

seiner Erörterungen ziehe, insbesondere aber der Organisation der ans

vernünftiger Selbsthilfe

beruhenden Bestrebungen

Sicherung des Loses der

zur Hebung und

arbeitenden Klassen sein Hauptaugenmerk

zuwende. Sicher ein Ziel, wert, daß sich Herz und Kopf der Nation dabei

beteilige, und dem wir auch noch insofern eine große Bedeutung vindizieren, als es dazu führen

würde,

das Gefühl der Einheit

und Zusammen­

hörigkeit unsres politisch so zerrissenen Volks zu stärken, wenn deinselben,

außer der Verwandtschaft humaner Bildungsstrebungen, auch noch in dem Zusammengehen auf diesem mehr materiellen Boden, in der Gleichmäßig­ keit sozialer Entwickelung und Zustände, ein neues festeres Band gegeben würde.

Ein deutscher Kongreß für die Arbeiterfrage. (Aus der Zeitschrift des Zentralvereins für das Wohl der arbeitenden Klassen, I. Band 1859. Leipzig, H. Hübner.)

Gleichzeitig mit dem Buche über „Die arbeitenden Klaffen und das Assoziationswesen in Deutschland" machte Scbulze in einem zweiten Auf­ sätze Propaganda für einen deutschen Kongreß zur Erörterung der

wissenschaftlichen Grundlagen des Genossenschaftswesens. Der Verlauf des Internationalen Wohltätigkeitskongresses in Frankfurt a. M., im gerbst (85?, hatte seinen Erwartungen so wenig entsprochen, daß ihm notwendig schien, dessen Eindrücke bei dem großen Publikum zu verwischen. In der Zeitschrift des Zentralvereins für das Wohl der arbeitenden Klaffen faßte er nochmals die Gegensätze zusammen, in denen sich die teiter der französischen und belgischen Wohltätigkeitsvereine und der deutschen auf Selbsthilfe beruhenden Genossenschaften bewegten. Ebenso wie in dem erwähnten Buche betonte er von neuem die nationale Eigenart der letzteren, und in noch schärfer zugespitzter Form als dort trat er für ihre Ausbildung ein. Dies war auch der Grund, warum er neben dem in Vorbereitung

begriffenen Kongreß deutscher

Volkswirte einen deutschen Kongreß für die Arbeiterfrage forderte, um die Männer der Praxis an die Seite der Männer der Theorie treten zu lassen. Die Vertreter der Wissenschaft aber mahnte er: Wie gegen den Sozialismus, mit seinem völligen Verkennen der dem Wesen des Menschen eingebornen dessen Aktion im Erwerb allein

bestimmenden Motive,

so muß auch gegen den

mißverstandenen Phil-

aurhropismus Front gemacht werden, der durch seine Pfuscherei fast noch mehr verdirbt, weil

er mehr Boden bei uns hat.

Denn dadurch wird

die Sache immer verwirrter, wenn man den sympathischen Regungen

unserer Natur wie Mitleid, Liebe u. a., welche nur

bei einem kleinen

Teile der Aufgabe wohltätig einzugreifen vermögen, das Ganze in die Hände spielt, und in der Organisation des Almosens für zahlreiche Be­

völkerungsklassen das Heil suchen will.

Darum

beeile sich die Volks­

wirtschaft, den ihr gebührenden Richterstuhl einzunehmen, um das endgültige

Schulze-Delitzsch.

268

Wort zu sprechen und jene Economie charitable, welche man auf den

internationalen Zusammenkünften

eigens

erfunden

hat und

die

alles

Mögliche, nur keine Economie ist, in die ihr gebührende Schranken zurück­ zuweisen.

Ja wollte sich dieselbe mit Lösung der Frage begnügen, wie mit

gegebenen Mittel bestimmte milde Zwecke in bester wirtschaftlichster Weise zu erreichen seien, kurz mit Ordnung der Mildtätigkeit innerhalb des

derselben vernünftiger Weise zuzusprechenden Gebiets, so möchte es sein. Das aber erscheint geradezu verkehrt, sie den aus dem Wesen der Dinge selbst fließenden, den wirtschaftlichen Verkehr der Menschen bedingenden Naturgesetzen, wie sie die Volkswirtschaft aufstellt, mit der Folge entgegenzustellen daß die letztere davor wie vor einem höheren Prinzip zurück­

treten könnten und sollten, was ihre Verkündiger ziemlich unverhohlen aussprechen.

Hierin können wir nur die unselige Vermischung zweier

ganz verschiedener Seiten unserer Natur erblicken, die man wohl aus­

einanderhalten muß, will man anders beiden gerecht werden.

Denn so

hoch wir auch die idealen Bestrebungen der einen Richtung anschlagen,

weil sie dem Leben des Menschen erst den rechten

Wert, die höhere

geistige Bedeutung verleihen: für den Haushalt der Gesellschaft bieten sie

uns keine Basis, auf welcher das Gebäude unserer materiellen Existenz

irgend mit Sicherheit errichtet werden könnte.

„Arbeite oder hungere,

denn nichts erhältst du ohne Entgelt" das muß hier die Losung bleiben,

so lange es Menschen gibt, wie sie nun einmal sind; Wesen, denen die Natur das Eigeninteresse als Sporn aller Tätigkeit in den Busen gelegt hat; eine Eigenschaft, deren segensreiche Wirksamkeit für die Zivilisation

uns erst die Volkswirtschaft völlig begreifen und ermessen lehrt.

Wie hiernach die Praktiker die Männer der Tat auf diesem Felde, so

sind

auch

andererseits

die

gelehrten Volkswirte die Männer der

Wissenschaft eben so sehr bei der vorgeschlagenen Vereinigung interessiert.

Weit gefehlt daß sie dadurch auf ein fremdes Feld gerieten, vielmehr

die

eigensten

Grundsätze ihrer

sind es

Wissenschaft, angewendet

wirkliche Lebensverhältnisse, denen sie hier begegnen.

auf

Und diesen Raum

für die Praxis, Teilnahme beim größeren Publikum zu gewinnen außer

den eigentlichen Fachmännern, ist vielleicht noch mehr der eigentliche Zweck solcher Gelehrtenkongresse, als die bloße Förderung der wissenschaftlichen

Forschung an sich, wozu die literarische Wirksamkeit geeigneter ist.

Die

Wissenschaft soll populär werden, in das Leben eingreifen, sich Anerkennung bei den Laien gewinnen, dies der ausgesprochene Zweck von dergleichen

Versammlungen mit ihren öffentlichen Verhandlungen vor einem großen ungelehrten Auditorium.

Wie könnte dies aber die bisher von dieser

Ein deutscher Kongreß für die Arbeiterfrage.

Seite so

269

vernachlässigte Volkswirtschaft sicherer erreichen, als wenn sie

Fragen von so allgemeinem Interesse, von so hervorragender Wichtigkeit vor sich zieht, und dem Publikum klar macht, daß sie allein den leitenden

Faden besitzt, der in diesem Labyrinth vor Irrwegen zu schützen vermag

und am Ende zum Ziele führt?

Gewiß wenn irgend etwas so ist die

hier vorgeschlagene Vereinigung im Interesse beider Teile geboten, von

denen keiner ohne den andern seine Intentionen erreicht.

Nie wird ein

bloßes prinziploses Experimentieren auf dem großen schwierigen Felde zu dauerndem praktischen Resultate führen, wenn man sich nicht der innern

leitenden Gesetze dabei bewußt ist; und nie wird die bloße vom Leben

abgezogene Spekulation das Interesse des Publikums fesseln, wenn sie sich nicht bestrebt, die gewonnene Sätze an tatsächlichen Vorgängen, an prak­

tischen Einrichtungen

zu erproben.

Wissenschaft und Erfahrung lassen

sich getrennt auf dem Gebiete der materiellen Interessen am wenigsten

denken und wenn der Kongreß seine Aufgabe dahin faßt: außer der Pflege

und Verbreitung der Wissenschaft sich zugleich mit der Anwendung ihrer Grundsätze auf die größten Fragen der Gegenwart, ans die wichtigsten Interessen des Volkes zu

beschäftigen, so leistet er zugleich diesem wie

der Wissenschaft selbst den besten Dienst.

Der von Schulze angeregte deutsche Kongreß für die Arbeiterfrage kam nicht zustande; wohl aber räumte der Kongreß der deutschen Volkswirte der Erörterung des Genossenschaftswesens Jahre hindurch einen breiten Raum in seinen Erörterungen ein.

Die Entwickelung des Genossenschaftswesens in Deutschland. Schulze-Delitzsch hatte seit (855 in der Deutschen Gewerbezeitung — Innung der Zukunft — Berichte über die ihm bekannt gewordenen

Vorschußvereine veröffentlicht, indem er die Tätigkeit eines jeden einzelnen in ausführlicher Weise besprach.

Line statistische Zusammenstellung der

Ergebnisse brachte er zuerst in dem Berichte für (857, welche er alsdann auch in seinem Buche „Die arbeitenden Klassen" (Seite (70 dieses

Buches) wieder abdruckte.

Der volkswirtschaftliche Kongreß bot ihm

bei seinem ersten Zusammentritt in Gotha Gelegenheit, vor Männern der Wissenschaft die Grundgedanken seiner Bestrebungen in mündlicher

Rede zu entwickeln und sie mit deren Erfolgen bekannt zu machen.

Der

volkswirtschaftliche Kongreß machte

sich Schulzes Anschauungen durch-

aus zu eigen und Jahre hindurch

war der Stand des deutschen Ge­

nossenschaftswesens ein regelmäßiger Punkt seiner Tagesordnung, obgleich

Schulze seit (858 selbständige im Buchhandel erscheinende Jahresberichte über die Fortschritte der Genossenschaften herausgab, auf welche er denn auch bei seinen Referaten auf den volkswirtschaftlichen Kongressen Bezug

nahm.

Sind in ihnen Wiederholungen auch unvermeidlich, so wird sich

der Abdruck einzelner in diesem Sammelwerk wegen der Behandlung von

Spezialfragen

um

so

mehr

rechtfertigen,

als Schulze

bei deren Be­

antwortung mehrfach die Autorität des Kongresses ausdrücklich anrief.

Das Deutsche Affoziationswesen. Rede auf dem Volkswirtschaftlichen Kongresse zu Gotha.

22. September 1858.

(Aus dem Frankfurter „Arbeitergeber" Jahrgang 1858, Beilage zu Nr. 110.)

Der erste volkswirtschaftliche Kongreß hatte eine Kommission —

Sektion — zum Studium des Affoziationswesens niedergesetzt, welche der

Die Entwicklung des Genossenschaftswesens in Deutschland.

271

Hauptversammlung eine Reihe von Leitsätzen zur Annahme vorschlug*) und worüber Schulze Bericht erstattete.

Die Aufgabe, Ihnen, meine Herren, das Assoziationswesen, wie es in Deutschland sich gebildet hat, in seinen Hauptbeziehungen vorzu­ legen und Sie, so viel als möglich, in den Stand zu setzen, ein selbst­

ständiges Urteil

über die

wirtschaftliche Berechtigung

und Bedeutung

desselben zu fällen, bedingt zweierlei: zunächst die Darlegung der Prin­ zipien der Assoziation und die dabei angewandte Organisation, sodann die Vorführung der gewonnenen Resultate. Bloße Ergebnisse darzubieten, ohne zugleich den Weg anzudeuten, wie man dieselben in der Wirklichkeit

gewonnen hat, wäre ein müßiges Beginnen, und solches tote Zahlen­ wesen möchte wohl kaum ein lebendiges Interesse an der Sache zu er*) Die Sektion schlägt dem Kongresse vor, öffentlich zu erklären: I. daß der den Grundsatz anerkenne, es könne eine Regulierung und Organisation des Assoziationswesens nicht durch den Staat erfolgen, sondern es müsse dieselbe aus der freien und eigenen Tätigkeit der gewerbetreibenden und arbeitenden Klassen hervorgehen; II. daß er nach den in Deutschland, England und Frankreich angestellten Erhebungen und den bisher gemachten Erfahrungen die Bildung a) von Vorschußvereinen und Darlehenskassen, b) von Assoziationen spezieller Gewerbe zum gemeinschaftlichen Bezug von Rohstoffen, c) von Konsumvereinen zur Anschaffung notwendiger Lebensbedürfnisse im Ganzen, als vorzügliche Mittel zur Selbsthebung der unbemittelten Gewerbetreibenden und der arbeitenden Klaffen empfehle: d) daß nach den gemachten Erfahrungen bei den Vorschußvereinen und den Assoziationen zum gemeinschaftlichen Bezug von Rohstoffen als vorzügliches Mittel zur Beschaffung des erforderlichen Betriebsfonds das Prinzip der un­ bedingten solidarischen Haftbarkeit aller Mitglieder für die von dem Vereine als solchem von dritten Personen aufgenommenen Kapitalien und Spareinlagen sich praktisch bewährt habe. III. Daß übrigens durch Empfehlung spezieller Arten des Assoziationswesens keineswegs einer weiteren Entwickelung desselben vorgegriffen werden solle, son­ dern auch die nach anderen Richtungen hin gemachten Versuche, sobald positive Erfahrungen hierüber vorliegen, den künftigen Erörterungen des Kongresses vorbehalten bleiben. Endlich trägt die Sektion darauf an — IV. daß der Kongreß seine ständige Deputation beauftrage, die nötigen Schritte zur Beschaffung des statistischen Materials über die in unserem gemein­ samen Vaterlande auf dem Gebiete des Assoziationswesens gemachten Erfahrungen zu tun und so den geeigneten Mittelpunkt für die zerstreuten Notizen auf diesem

wichtigen Felde zu bilden.

272

Schulze-Delitzsch.

wecken vermögen.

Ich habe versucht, in einer kleinen Schrift mir wesent­

lich hierin vorzuarbeiten, und was ich in so kurzer Zeit nur höchst un­

vollständig andeuten

kann,

ausführlicher darin

Die deutsche

erörtert.

Presse hat sich in der erfreulichsten Weise der Sache angenommen und die einzelnen Teile des Buches kritisch gewürdigt und erläutert.

Darin

bitte ich nachzulesen, insofern sich, besonders in statistischer Hinsicht, hier Lücken fühlbar machen sollten.*)

Zunächst

habe

ich anzuführen,

was wir unter dem Begriff der

Assoziation eigentlich verstanden haben.

Wir möchten vor allem das

deutsche Wort „Genossenschaft" dafür substituieren, können aber nicht ver­

hehlen, daß das Wort „Assoziation" ein terminus technicus geworden

ist und sich eine festbegrenzte und sehr bestimmte Auffassung daran ge­ knüpft hat.

Wir können nicht gemeint sein, als Genossenschaft in unserem

Sinne jede beliebige Verbindung zu gemeinschaftlichen Zwecken

zu be­

zeichne», sondern fassen den Begriff dahin auf, daß wir unter Assoziation oder Genossenschaft eine Verbindung unter den wenig bemittelten, vor­

zugsweise arbeitenden Klassen verstehen, welche dahin strebt, bei wirt­ schaftlichen Ztvecken den einzelnen, kleinen und int Verkehr verschwinden­

den Kräften durch ihre

Vereinigung soviel als

einer Großkraft zu Gebote zu stellen.

möglich

die Vorteile

Die Voraussetzung eines solchen

Unternehmens ist, daß man sich irgend wie in einer ungünstigen Stellung

dem großen Kapital gegenüber fühlt, sei es in der Konsumtion, sei es in der Produktion,

und aus dieser

ungünstigen Stellung wollen sich die

Mitglieder eben durch ihre Verbindung emanzipieren.

beteiligt ist aus diesem Grunde hierbei der

bisher

Ganz vorzüglich selbständige kleine

Gewerbestand, der Handwerkerstand, der durch die Konkurrenz der neuen

hauptsächlich der Fabrik-Industrie, welche auf den Großbetrieb hingewiesen ist, in seiner Existenz sich gefährdet sieht.

Daher

erklären

sich

jene

so

ganz

verfehlten

unglücklichen

Be­

strebungen der wackeren Leute, sich die große Industrie vom Halse zu schaffen, indem

man Staatsverbote gegen sie zu erwirken sucht.

Der

Handwerkerstand beginnt indessen bereits einzulenken und einzusehen, daß, anstatt jene andere übermächtige Betriebsweise anznfeinden, es darauf an­ kommt, sich selbst so viel als möglich allmählich ihre Bedingungen zu ver­ schaffen und in dieselben überzugehen.

Er erfaßt als einziges Mittel, um

diesen Zweck zu erreichen, die freie Genossenschaft, die Assoziation.

*) „Die arbeitenden Klassen und das Assoziationswesen Leipzig 1858.

Das

in Deutschland",

Die Entwicklung des Genossenschaftswesens in Deutschland.

273

Wesen der Assoziation ist also die Selbsthilfe, das Verweisen ouf die eigne Kraft, ihr Element die Freiheit. Unterstützung von fremder Seite her, Sub­

ventionen aus öffentlichen Mitteln, Zwang und Einmischung der Staats­ behörden, wird unbedingt abgewiesen.

Nur in der Selbstbetätigung der

eignen Kraft, in dem, was jeder leisten kann, wenn er es geschickt an­

fängt, in der freien Gruppierung je nach gemeinschaftlichem Interesse zu

gemeinschaftlichen Zwecken, sieht man das Heil. keit

im Erwerb,

wicklung

für

die

»veil

sie

Man will Selbständig­

einzige Möglichkeit wirtschaftlicher Ent-

die

Gesamtheit

für

wie

den

einzelnen

und

ist,

das

Das beginnen die Mit­

Gegenteil zum allgemeinen Ruin führen muß.

glieder aller Genossenschaften mehr und mehr einzusehen.

Wo sollten sie

auch sonst den Mut hernehmen, vor einer Versammlung von Volks­

wirten hinzutreten, um auf Ihr Urteil sich zu berufen, tvenn sie nicht auf die einzig wirtschaftlich gesunde Basis der Selbsthilfe sich stützten! Die Einrichtung der Assoziationen Ihnen speziell vorzuführen, kann kaum meine Aufgabe sein; sie ist verschieden, je nach den verschiedenen

Aufgaben, nach den verwaltenden Lokalverhältnissen und Bedingungen.

Gerade daß sie sich nicht in schablonenmüßiger Egalität entwickeln, spricht für die Tüchtigkeit ihres Prinzips.

Dasselbe hat sich als so elastisch er­

wiesen, daß es sich allen Gestaltungen anpaßte und nach den verschiedenen Seiten hin sich bewährt hat.

Im allgemeinen kann ich über die Form,

in welcher die Selbsthilfe in den Assoziationen sich zu organisieren be­ strebt war, nur etwa folgendes andeuten:

Daß es bei der ganzen Sache praktisch zunächst darauf ankam, den Assoziationen ein Geschäftskapital zu verschaffen, werden Sie selbst er­

messen.

Nun wurden in dieser Hinsicht verschiedene Richtungen ein­

geschlagen.

Das einfachste war das Zusammenschießen kleiner Geldmittel

in eine gemeinschaftliche Kasse durch die Mitglieder selbst, wodurch natürlich nur sehr beschränkte Beträge zusammenkommen.

Dies ist bei mehreren

Vereinen, die nur kleiner Kapitalien bedürfen, wie die meisten Konsum­ vereine, durchgeführt ivorden und hat sich als ausreichend bewährt.

Bei

den allermeisten Vereinen war dies aber ungenügend und es mußte ein Waren die Mitglieder vorzugsweise

anderer Weg eingeschlagen werden.

aus der Klasse der schon Wohlhabenden, so war freilich die Aufnahme von Darlehen und Kredit sehr leicht, indem nicht selten einzelne unter ihnen

waren.

selbst

größere

Summen

Doch gelten solche

als

Fälle

Gläubiger vorzuschießen

mehr als

Ausnahmen,

imstande

indem,

wie

gesagt, sich natürlich in der Regel mehr die unbemittelte Arbeiterklasse zu den Assoziationen drängt, die ja eben in deren Aufhilfe ihre Haupt» Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

I.

18

274

Schulze-Delitzsch.

setzen. In dieser Rücksicht war aber der Haupthebel des Assoziationswesens, — und ich kann dies aus meiner eigenen Erfahrung mit Bestimmtheit sagen, weil ich bei der Gründung einer großen Zahl

aufgabe

derselben beteiligt war, — wo es zu irgend etwas Erheblichem gekommen

ist, die solidarische Haft der sämtlichen Mitglieder für die von der Genossenschaft aufgenommenen Kredite. Ein paar Worte werden dies klar machen. Der unbemittelte Arbeiter in seiner Vereinzelung, meine Herren, hat im Verkehr nur vermöge seiner Arbeitskraft ökonomischen Wert. Da aber die Arbeitskraft des einzelnen einer großen Masse von Zufällen preisgegeben ist, die nicht in seiner Gewalt stehen, so bietet sie keine Sicherheit für die Kapitalanlage. Diesen Mangel kann der einzelne nur ergänzen, wenn er sich assoziiert, wenn er sich einer größeren Gruppe von

Arbeitern zugesellt, welche ihn eintretendenfalls übertragen. Erst durch die Assoziation wird also der unbemittelte Arbeiter eigentlich kredit­ fähig. Denn was auch den einzelnen treffen und ihn außer Stand setzen kann, seine Verpflichtungen zu erfüllen, Krankheit, Not, oder Zu­ fälle anderer Art: daß dem ganze Massen von Arbeitern unterliegen sollten, spricht gegen alle Erfahrung. Sobald also die Solidarität der Genossen dem einzelnen zur Seite steht, ist der Gläubiger gegen solche Unfälle gesichert. Nur dieses strenge Zusammenschließen, die Über­ tragung und Verteilung des durch den Ausfall eines einzelnen ent­

stehenden Defekts auf alle, mit einem Wort: die solidarische Haft gibt den Arbeitern diejenige Kreditfähigkeit, mit der sie der Wohltaten des großen Kapitals teilhaftig werden. Der Erfolg dieser Maßregel in der Praxis hat alle meine Erwartungen überstiegen. Wir haben noch niemals Mangel an den erforderlichen Kapitalien gehabt, und in der letzten Zeit, namentlich im Kreise unserer kleinen Gewerbetreibenden, die verhängnisvolle Geldkrisis so wenig empfunden, daß wir, während die Großindustrie in solcher Verlegenheit war, beinahe in Verlegenheit ge­ rieten, wie wir das uns zufließende Geld unterbringen sollten und mehrere Vereine genötigt waren, bei größeren Bank- und Handels­ häusern zu ziemlich niedrigen Zinsen müßige Summen zu hinterlegen (Hört! hört!) Die Solidarität, dieses Lebenselement der eigentlichen Arbeiterassoziation, hat sich daher als Haupthebel bei unseren Organi­

sationen bewährt, und dahin rechtfertigt sich der Passus in den Anträgen der Sektion, worin wir darauf aufmerksam machen, daß das Prinzip der unbedingten solidarischen Verpflichtung aller Mitglieder für die von dem Verein als solchem von dritten Personen aufgenommenen Kapitalien und

Die Entwicklung des Genossenschaftswesens in Deutschland.

Spareinlagen sich als vorzügliches Hilfsmittel bewährt habe. jedoch natürlich mit der Maßgabe zu verstehen, daß,

275 Dies ist

je nach dem ob­

waltenden Bedürfnis und nach Verhältnissen, wie wir schon anführten,

auch einzelne Assoziationen — und es gibt deren — nicht nötig haben mögen, zu jenem Mittel zu greifen, wobei es sich von selbst versteht,

daß, wenn überhaupt Geld ohne solidarische Haft zu bekommen ist, man ohne Bedenken zugreifen soll.

Bei Genossenschaften, die durch längeren

Bestand sich Kredit im Publikum und einen hinlänglichen Reservefonds

erworben haben,

kommt es öfter vor, und ich erlaube mir hierbei noch

mit wenigen Worten aus den Gegensatz der Arbeitergenossenschaften zu

den Kapitalsassoziationen aufmerksam zu machen, der in dieser Beziehung Für die letzteren, die >vir in der Form von Aktiengesellschaften

obwaltet.

kennen, ist nämlich die solidarische Hast ein entschieden feindliches Element,

und wird nicht

leicht mit Erfolg angewendet werden.

Der Kapitalist

will von einer bestimmten Summe einen größeren Gewinn ziehen, als den gewöhnlichen Zins und beteiligt sich deshalb bei einem produktiven

Unternehmen.

Er wird sich aber hüten, ein über sein Antheil hinaus

gehendes Risiko zu übernehmen, er wird höchstens seine Aktie als Einsatz

riskieren, von weiterer Verhaftung aber nichts wissen wollen.

Was also

der einen Art der Assoziation förderlich, ist das größte Hemmnis für die

andere, und was für die eine als Haupthebel ihres Gelingens gilt, wird von der anderen auf das strengste perhorresziert.

Was nun die einzelnen Arten der Genossenschaften betrifft, so lassen sie sich ihrem Hauptzwecke nach in sogenannte wirtschaftliche oder dis­

tributive unterscheiden, denen die produktiven gegenüber stehen.

Die einen

beschränken sich wesentlich auf die gemeinschaftliche Anschaffung gewisser

Bedürfnisse

im

großen

und ganzen,

um

die

einzelnen Mitglieder in

Stand zu setzen, sich die Vorteile des Großbetriebs für ihren Bedarf auch bei kleineren Quantitäten zu sichern. Die anderen wollen schon einen Schritt weitergehen, sie wollen die große Frage der Überleitung des kleinen

Betriebs in den Großbetrieb direkt erfüllen und große produktive Eta­

blissements

für

gemeinschaftliche

Rechnung

gründen.

In Deutschland,

meine Herren, hat sich vorzugsweise nur die erste Klasse der Assoziationen weiter

entwickelt, im Gegensatz zu England und Frankreich, wo auch

Produktive

Assoziationen

sich

gebildet haben.

In Deutschland konnte

nicht so verfahren werden, da mußte die erste Anregung, das erste Ein­

lenken in die Bewegung mit großer Mäßigung und Zurückhaltung ge­

schehen.

Die Elemente in Deutschland waren durchaus nicht derart, daß

man gleich weit aussehende und zweifelhafte Unternehmungen beginnen 18»

Schulze-Delitzsch.

276

Im Gegenteil mußte man durch die erste Stufe der Assoziation

konnte.

erst das Feld zu weiterer Entwicklung der Sache vorbereiten.

Wir sehen

deshalb die Assoziationen in Deutschland nicht in der gemeinschaftlichen Gründung großer Etablissements, sondern in der Errichtung von Kredit-

und Konsumvereinen, sowie in Vereinen zur gemeinschaftlichen Anschaffung von Rohstoffen und zum gemeinschaftlichen Verkauf von Gewerbserzeug­

Nur diese hat daher die Sektion zunächst direkt empfehlen

nissen tätig.

zu können geglaubt, indem

die eigentlich produktive Genossenschaft sich

aus

mehr

deutschem

Boden

erst

einbürgern

sich

und

unter unsern

Arbeitern erst noch bewähren muß, wie sie es in England und Frank­ reich

entschieden

getan

hat.

Betrachten wir von

diesen drei Klassen,

welche sich bei uns eingebürgert haben und in vielen Städten bereits in Sie haben sich, im Vergleiche

Blüte stehen, zunächst die Konsumvereine.

zu dem außerordentlichen Umfange der englischen „Stores", bei uns bis­ her freilich nur in geringem und unbedeutendem Umfange entwickelt. gibt viele

dergleichen Konsumvereine in

unseren Städten,

Es

über deren

In dem Städtchen,

Geschäfte ziemlich schwer Genaueres zu erfahren ist.

welches ich selbst vertrete, in Delitzsch, werden nur zwei bis dreitausend Taler jährlich umgesetzt, indem nur zirka 90 Familien die Mitglieder

bilden,

Geschäft, was

ein

Roggenmehl, Kapital

von

etwa

sich hauptsächlich

auf

Brot,

Schmelzbutter usw. beschränkt

Brennöl,

250

Talern

betrieben

wird.

Weizen-

und

Ein

und

mit

einem

solcher

klein­

städtischer Betrieb kann nicht so vorteilhaft im großen vor sich gehen, wie in volkreichen Ortschaften, weil nicht so viele Mitglieder beitreten, denn einer ist von dem andern in seinem Erwerb abhängig.

Hier hat

der Bäcker, Schuhmacher, Klempner usw. seine bestimmten Kunden, von

denen er selbst wieder seinen Bedarf nehmen muß,

verlieren.

will er sie nicht

Der Bäcker hat einen Fleischer zum Kunden und umgekehrt.

Wenn der Fleischer sein Brot nicht vom Bäcker nimmt, so nimmt der

Bäcker sein Fleisch nicht von ersterem.

Es ist das ein bemerkenswertes

Verhältnis, welches im kleinstädtischen Verkehr, wo sich die Leute sozusagen

in den Magen sehen,

den Konsumvereinen hemmend entgegentritt.

großen Städten ist das nicht in dem Grade möglich.

In

So besteht die

bedeutendste dieser Assoziationen, welche ich kenne, in Hamburg, — und ich sehe schon darin eine Frucht unseres Kongresses, daß ich jetzt erst hier Kenntnis davon erhielt.

Dieser bedeutende erst im Jahre 1856 gegründete

Konsumverein, der in Zukunft einer noch weit größeren Ausdehnung ent­ gegengeht, hat, nach den mir gewordenen Notizen, bereits im letzten Jahre

allein folgenden Umsatz gehabt:

Einnahme des Jahres 100556 Mark

Die Entwicklung des Genossenschaftswesens in Deutschland.

277

Von einzelnen Waren

wurden

Banko, Ausgabe 98748 Mark Banko.

konsumiert Butter, Speck, Schmalz, Weizenmehl, Roggenmehl, Brot, Reis, Kaffee, Zucker. Der Wert der aus dem Geschäftsgewinn angeschafften

Utensilien betrug 2400 Mark Banko. Beteiligt sind ungefähr 800 Familie», und das Betriebskapital wird durch Einlagen der Mit­ glieder ä 1 Mark Banko und durch mit 31/a °/0 verzinsliche Darlehen aufgebracht. Die Waren werden nur mit einem Aufschlag von 4 °/0 über den Einkaufspreis, jedoch nur an die Mitglieder, abgelassen. In Leipzig, wo seit 1855 ebenfalls ein Konsumverein durch eine

Anzahl tüchtiger Männer gegründet wurde, ist der Geschäftsumfang weniger bedeutend. Er setzt kaum acht- bis zehntausend Taler jährlich um, was für Leipzig ein sehr geringes Resultat ist, — und überall stellen sich demselben Hindernisse entgegen. Es fehlt eben noch an dem rechten Assoziationsgeiste unter den arbeitenden Klassen, an der rechten Bekannt­ schaft mit der Sache und ihren Vorteilen. Allein trotz dieses kleinen Resultates war der Erfolg doch schon recht erfreulich. So werden den Mitgliedern nicht allein Mehl, Brot, Fleisch, Heizung und Brennmaterial entschieden unter den Marktpreisen und unter den Preisen der Detaillisten gegeben, sondern auch in besserer Qualität; und überdies bekommen die Mitglieder noch eine kleine Dividende, die in der Vereiuskasse bleibt, um daraus ein Guthaben für die einzelnen zu bilden, das als Pfand für den Kredit gilt, der häufig in Anspruch genommen wird. Sie beträgt z. B. in Delitzsch, je nachdem jemand sich beteiligt hat, nicht selten einen Taler jährlich; sie kaun wohl auch bis zu zwei Taler sich erheben, wenn jemand viel Ware entnimmt, und zwar ohne daß die Leute den geringen Aufschlag von 4 bis 6 °/0 über den Engrospreis bei Entnahme ihrer Bedürfnisse im Detail merken. Sie erwerben sich dadurch in ein paar Jahren ohne Mühe einige Taler, was immerhin schon ein Not­ pfennig ist. Ein sehr eigentümlicher und bedeutender Verein dieser Art, den ich Ihnen näher vorsühren möchte, weil er einen ganz eigenen, neuen und originellen Weg einschlügt, ist die sogenannte Assoziation in Erfurt. Der Verein, der keine eigentliche Assoziation, sondern eine reine Sozietäts­ handlung war, indem sein Hauptbestreben in billiger und guterBeschaffung notwendiger Lebensbedürfnisse für das gesamte Publikum bestand, hat

nun zwei Jahre gewirtschaftet und bedeutende Erfolge erzielt. Es wurden im ersten Jahr, vom 1. April 1856—1857, umgesetzt für mehr als 30000 Tlrn. an Brot, Mehl, Fleisch und Heizmaterialien, mit

einem Geschäftskapital von zirka 4000 Tlrn., welches den zehn Gesell-

Schulze-Delitzsch.

278 25

schaftern

°/0

Dividende

abwarf,

Jahre auf 40000 Tlr. anzuschlagen.

und ist

Umsatz im zweiten

der

Durch diese Erfolge angespornt,

hat man seit dem 1. April 1858 sich bestrebt, einen mehr genossenschaftlichen

Charakter anzunehmen.

Die zehn Stifter,

sämtlich den wohlhabenden

Klassen, nicht den arbeitenden Klassen angehörig, haben noch zwei, einen Bankier und einen pensionierten höheren Staatsbeamten hinzugenommen

und

einen

geschossen.

Fonds

von

zehn-

bis

zwölftausend

Talern

zusammen­

Sie bilden nach wie vor den Kern des Ganzen, über dessen

Verwaltung und Leitung durch Geschäftsführer aus ihrer Mitte sie allein

verfügen, sind jedoch, um den Handwerker- und Arbeiterstand beim Ge­ schäfte zu interessieren, auf einen eigentümlichen Auskunftsweg verfallen. Man handelt zwar nach wie vor mit dem gesamten Publikum, gestattet

aber eine Beteiligung der Kunden» indem man von ihnen Einlagen zum

Geschäftsfonds annimmt und einen Anteil an der Dividende gibt und sie so an das Geschäft fesselt.

Diese sehr eigentümliche Form der Asso­

ziation, die mit den von uns befürworteten insofern nicht übereinstimmt, als sie die Selbsthilfe der beteiligten Klassen nicht als Prinzip voran -

stellt, und gegen welche in der Sektion einige Stimmen ernste Bedenken erhoben,

wissen

weil sie

die Spekulation von der Genossenschaft ferngehalten

wollen, — verdient

doch

ernste Beachtung und

Anerkennung.

Nicht nur hat sie sich in Beziehung auf ihre Geschäftsführung glänzend bewährt und die Gewerbetreibenden durch ihre Konkurrenz gezwungen,

das Publikum besser und billiger zu versorgen, wie denn z. B. die Semmeln der Erfurter Bäcker, als die Assoziation anfing, sich auf das

Weißgebäck zu verlegen, über Nacht gewachsen sein sollen; (Heiterkeit) ganz

besonders aber sehen wir in der gewählten Form eine neue und

höchst

fruchtbringende Phase für diejenigen Bestrebungen der höheren Gesell­

schaftsklassen zum Besten des Arbeiterstandes, welche bisher meist im

Almosen wurzelten, indem, wenn auch nicht eine eigentliche Selbsthilfe, doch

eine verständige Beteiligung der unbemittelteren Klassen auf der

Basis des gemeinsamen

Interesses erzielt

und

die

Sache somit

der

Sphäre der eigentlichen Wohltätigkeit entrückt ist.*) *) Über die Assoziation zu Erfurt verbreitete sich Schulze in einem Auf-

satze in dem „Grenzboten" Jahrg. 1859 Nr. 14 sehr ausführlich. Zur Er­ gänzung des oben Gesagten sei daraus noch folgendes hervorgehoben: Zweck der Assoziation war „Detailhandel mit Landesprodukten, Kolonial- und anderen Waren, sowie mit Rohmaterialien der Handwerker (Holz, Leder usw.); Engros- und Kommissionshandel mit alledem;

Die Entwicklung des Genossenschaftswesens in Deutschland.

279

Die zweite Art der Genossenschaften sind die Vereine zur gemein­ schaftlichen

Beschaffung

von

Rohstoffen,

Verkaufsgelegenheiten u. dgl.

Handwerker einer speziellen Branche treten zusammen und beziehen für

gemeinschaftliche Rechnung nicht allein ihre Rohstoffe, sondern auch manche Maschine zu gemeinsamem Gebrauch, oder sie treffen auch Anstalten zum gemeinschaftlichen Vertrieb ihrer Produkte und sind so auf dem besten eine Sparkasse und Vorschußbank, die Anlegung von Bierbrauereien, Ziegelbrennereien und was sich sonst noch als vorteilhaft ergeben möchte." Nach einer Abrechnung mit der rechtlichen Grundlage des Unternehmens, das Eigentum der zwölf Gründern blieb und seinen Kunden nur gewisse Rechte gleichsam als stillen Gesellschaftern zugestand — eine Grundlage, welche in einer Schrift der Erfurter Assoziation als ein Vorzug gegenüber den Schulze­ schen Vereinen bezeichnet worden war — wandte sich Schulze gegen die Ver­ quickung der geplanten verschiedenen Geschäftszweige. Hierüber sagte er: „Ein weiteres Bedenken gegen die Erfurter allerdings zum Teil erst projektierten Ein­ richtungen liegt in dem Hereinziehn einer solchen Menge höchst verschiedenartiger Unternehmungen in das Assoziationsgeschäft, wie sie der mitgeteilte Plan ergibt, der nichts, was in den Bereich des Handelsverkehrs schlägt, ausgeschlossen wissen will und völlig in das Schrankenlose geht. Insofern zur Leitung so fremdartiger Geschäfte eine Menge fast nie in einer und derselben Person zusammentreffender Kenntnisse und Erfahrungen, eine höchst verschiedene Begabung gehört, hat deren Vereinigung in einer Hand (Direktor und Kassierer), auch wenn der Beirat eines Komitees der Stifter usw. zur Seite steht, immer etwas Mißliches. Besonders gewagt erscheint ferner die Übernahme eines so vielfachen Risikos nach den verschiedensten

Seiten bei einem Unternehmen, welches wesentlich auf fremde Gelder berechnet ist. Indessen kommt dabei freilich viel auf lokale Verhältnisse, auf die Bedürf­ nisse des Publikums an, mit dem man zu tun hat, und eine vorsichtige und geschickte Leitung, die nur bei gesichertem Erfolg sich auf neue Verkehrszweige ausdehnt, mag wohl, wenn die allgemeinen Konjunkturen nicht ausnahmsweise ungünstig sich gestalten, gute Resultate erzielen. Ohne daher hier im voraus absprechen zu wollen, besonders da die leitenden Personen in Erfurt ihre Tüchtig­ keit bisher so glänzend bewährt haben, können wir doch nicht umhin, vor einem entschieden zu warnen: der Verbindung einer Vorschußbank mit einer solchen Assoziation. Die Vermischung eines Geld- und Bankgeschäfts mit Warenhandel und Fabrikation wird nämlich nach den erprobten Grundsätzen der Handels­ wissenschaft für durchaus unzuträglich gehalten, weil die Voraussetzungen hin­ sichtlich der soliden Begründung wie des zu übernehmenden Risikos bei beiden zu verschieden sind. Besonders erachtet man ein Bankinstitut für gefährdet, sobald es mit in das Risiko ganz fremdartiger Geschäfte, wie Mehl- und Getreidehandel, Bierbrauerei, Ziegelbrennerei usw. verwickelt wird. Und dies mit Recht, da die Chancen für ein reines Vorschuß- oder Diskontogeschäft, welches sich nicht auf Börsenspiel und Effektenhandel einläßt, sondern nur gegen die gehörige Sicherheit Gelder herleiht und Wechsel diskontiert, weit günstiger als für jeden andern

Schulze-Delitzsch.

280 Wege,

sich

allmählich

hinüberzuführen in

Assoziationen

zur

gemein­

schaftlichen Produktion, indem schon jetzt von einigen unter ihnen Auf­ träge an einzelne Meister gegeben werden, gewisse Waren für Rechnung

der Assoziation zu fertigen,

welche die Genossenschaft weiter ausführt.

Ganz besonders von allen Handwerkern sind in dieser Bewegung beteiligt die deutschen Schuhmacher, das der Zahl nach größte aber zuProduktions- und Handelszweig liegen, dessen Waren und Fabrikate bei der umsichtigsten Leitung großen Wertschwankungen ausgesetzt sind, wie dies beim Geld niemals der Fall ist. Mehrere der in den letzten Jahren gegründeten großen Kreditinstitute sehen wir daher neuerlich bemüht, ihre Geschäfte so viel als möglich auf eigentlichen Bankverkehr zurückzuführen, welcher sie in den Tagen der großen Krise allein aufrecht erhielt, wogegen ihre übrigen Engagements sie ernstlich gefährdeten. Fehlt es hiernach bei der Erfurter Assoziation selbst noch an den nötigen Erfahrungen als Grundlage zu einem definitiven Urteil, so wird es von Interesse sein, die Einrichtungen und Resultate ähnlicher Institute anderwärts damit zu vergleichen. Indessen können in Deutschland von bedeutenderen Versuchen dieser Art nur erst die beiden großen Konsumvereine in Hamburg angeführt werden, von denen jeder im letzten Jahre für mehr als 100 000 Mark Banko an Waren unter seinen Mitgliedern abgesetzt hat, wobei sich indessen das Geschäft auf Artikel allgemeinen Verbrauchs, wie Kolonial- und Fleischwaren, Mehl, Brot, Hülsen­ früchte, Butter und Heizmaterial beschränkte, ohne bei diesen Branchen zur Produktion überzugehn. Einen mehr zutreffenden Vergleichungspunkt mit Erfurt bieten uns dagegen die großartigen Cooperative-Stores in England, wo wir den Vorgang des bedeutendsten von allen, des zu Rochdale besonders bezeich­ nend finden. Von 40 unbemittelten Fabrikarbeitern im Jahre 1843 gegründet, mit etwa 50 Pfd. St. allmählich und kümmerlich aufgesammelten Kapitals begonnen, zählte es Ende 1858 1900 Mitglieder, welche im Jahre 1857 mit einem Betriebsfonds von 15 142 Pfd. für 79 788 Pfd. Geschäfte und 5470 Pfd. Gewinn machten, worin die Betriebsresultate einer Mahlmühle und einer Weberei noch nicht inbegriffen sind. Man betreibt folgende Geschäfte: 1. Handel mit Mehl, Kohlen, Fleisch- und Kolonialwaren und Kleiderstoffen; 2. eine Schuhmacherei, eine Schlächterei und Schneiderei; 3. eine Mahlmühle; 4. eine Weberei. Fonds und Verwaltung jedes dieser Geschäfte sind getrennt, und trotz ihrer Verschieden­ artigkeit beziehen sich doch alle im Grunde auf einen und denselben Zweck: die Versorgung mit allgemein notwendigen Konsumartikeln, wie Nahrung, Heizung und Kleidung, wobei man denn freilich bis zur Produktion der Rohstoffe zurück­ gegangen ist. Nirgends sehen wir aber ein Bank- oder Kreditgeschäft hereingezogen, und der erste Grundsatz beim Warenverkauf ist die Barzahlung, wogegen man in Erfurt gleich von Haus aus den Mitgliedern den Borg verspricht. Und nicht bloß hierin stehn diese Stores im Gegensatz zu der Erfurter Affoziation, sondern auch besonders in ihrer Verfassung. Von Arbeitern gegründet, werden sie auch von denselben verwaltet, und sämtliche Mitglieder, indem der gleichen Be­ rechtigung aller die gleiche Verpflichtung entspricht, stehen in unbeschränkter Haft

Die Entwicklung des Genossenschaftswesens in Deutschland.

gleich auch das unbemitteltste Gewerk.

281

Wir haben eine ziemliche Anzahl

von solchen Assoziationen, und ich freue mich, daß deren fortwährend neue hinzukommen, zufolge den Nachrichten und Rechnungsabschlüssen, die mir zugekommen sind und wovon mir einige sogar erst hier bekannt ge­

worden sind.

allgemeinen

Ich führe sie nicht einzeln vor, da ihre Verfassung im überall

dieselbe

ist,

und

sie

sämtlich

mit wenigen

un-

gegen die Geschäftsgläubiger. Ein Beweis zürn mindesten, daß die Existenz und der Aufschwung solcher Vereine durchaus nicht mit Notwendigkeit an Initiative und Leitung von Männern aus den höhern Gesellschaftsschichten geknüpft ist, wie in Erfurt. Es fällt niemandem, am wenigsten dem Unterzeichneten ein, das Wohl­ tätige von Konsumvereinen zu bestreiten, zu deren Gründung er ja mehr­ fach aufgefordert und tätig nütgewirkt hat. Nur will er sie mit Vorschußkassen und Rohstoffassoziationen nicht vermengt wissen, und hatte seine Gründe dafür den leitenden Personen in Erfurt auf deren ausdrückliches Verlangen mitgeteilt. Die wohltätige Wirksamkeit eines Vorschußvereins aber danach bemessen wollen, ob er seinen Mitgliedern billiges Brot, Heizmaterial und dgl. liefert, enthält eine Folgerung, welche logisch etwa mit derjenigen auf einer Stufe steht, wonach man die Tüchtigkeit eines Professors der Chemie für um so größer achten wollte, je besser der Mann sich auf die Tanzkunst verstände. Der Handel mit den erwähnten Waren und die Lieferung barer Geldsummen auf Kredit sind ganz verschiedene Dinge, und eine Vorschußbank hat sich eben ihrem Begriff wie ihrer Bestimmung nach mit letzterer Aufgabe zu befassen und wirkt um so tüchtiger und nützlicher, in je höheren! Grade sie dieselbe erfüllt, d. h. je mehr sie das Kreditbedürfnis ihrer Mitglieder so vollständig und mit so großem Vorteil für sie als möglich befriedigt. Hierzu gehört aber grade, daß sie sich dieser Aufgabe ganz und mit ungeteilter Aufmerksamkeit hingebe, und sich nicht durch Aufnahme ganz fremdartiger Geschäfte davon abziehn, ja sogar durch das damit verbundene Risiko in ihrem Bestehen gefährden läßt. Nach der Erfurter Schrift sieht es so aus, als ließen sich die obigen in sich ganz verschiedenartigen Zwecke eben nur vereint in einer solchen Assoziation für alles erreichen, und als wolle der, welcher nicht für eine solche Vermengung ist, überhaupt davon nichts wissen. Nun findet aber in der Wirklichkeit das gerade Gegenteil statt. Denn wie das Vorschuß­ geschäft seinerseits, so gedeihen auch die andern Geschäftszweige besser getrennt, wenn für jedes die speziell berechneten Einrichtungen getroffen und die speziell tauglichsten Personen ausgewählt werden, und das große Prinzip alles geordneten Verkehrs, die Arbeitsteilung, ist wohl nirgends mehr, wie hier, am Platze. Gegen­ über der Erfurter Schrift widerrät daher der Unterzeichnete auf das entschiedenste allen Vorschußvereinen, die bereits bestehen, oder in der Gründung begriffen sind, sich auf das Hereinziehen von Warenhandel und Produktion einzulassen. Viel­ mehr schreite man, wo das Bedürfnis zu einer derartigen Vermittlung von Konsumartikeln stattfindet, zur Bildung besonderer Vereine dafür, welche ihrer­ seits wiederum, wie dies bei uns längst geschieht, sich der Vorschußbanken vor­ kommendenfalls als Kunden bedienen können."

Schulze-Delitzsch.

282

wesentlichen Abweichungen das Statut der schon vor Neujahr 1850 ge­

gründeten Assoziation der Schuhmacher zu Delitzsch angenommen haben. Sie bilden sämtlich

Gesellschaften en nom collectif mit solidarischer

Haftung, und kenne ich keine einzige, die nicht auf solidarischer Haftbarkeit Die Geschäfte werden, nach den Beschlüssen der Mitglieder, durch

beruht.

selbstgewählte Vorstände aus ihrer Mitte und besoldete Lager- und Kassen­ Ich selbst hatte anfangs Bedenken darüber, ob nicht

beamte geführt.

das Rechnungswesen und die Lagerverwaltung bei dieser Art der Ge­ nossenschaften zu große Schwierigkeiten für die Mitglieder bereiteten; —

allein ich muß Ihnen bemerken, es ist überraschend, mit welcher Leichtig­ keit sich die einfachen Handwerker in die Buchführung und Lagerhaltung

gefunden haben, welche hier bei weitem schwieriger ist, als in einem ge­ Da kann meist nicht nach

wöhnlichen kaufmännischen Dctailgeschäfte.

Maß und Gewicht verkauft und gerechnet werden, vielmehr wird jedes Stück Leder, jedes Stück Holz nach seiner besonderen Qualität austaxiert

und

gebucht,

und

die

einzelnen

Stücke

zweckmäßig

zu

verteilen,

numerieren und darüber Bücher zu führen, ist keine Kleinigkeit.

zu Ich

habe tüchtige Kaufleute hingeführt; sie haben sich die Bücher und die

ganze Geschäftsführung angesehen,

und

sie sind erstaunt,

mit welcher

Tüchtigkeit und Ordnung die ganze Sache von einfachen Handwerkern betrieben wird.

Das Betriebskapital ist diesen Leuten mit Leichtigkeit

zugeflossen, und ich weiß kein Beispiel, wo man um Geld in Verlegenheit

gewesen wäre.

Nur bei der ersten Gründung der Assoziationen, ehe man

im Publikum die Sache kannte, war eine desfallsige Anregung zweck­ mäßig, damit der eine oder der andere das erste Anlehen gab.

den ersten Rechnungsabschlüssen aber, welche den günstigen

Nach

Gang der

Dinge zeigten, bekamen die Genossenschaften so viel Geld, als sie nur

wollten.

Die Vorteile,

welche der kleine Handwerker aus dieser Ein­

richtung zieht, sind viel bedeutender, als man glaubt.

Sie mache« sich

keine Vorstellung davon, meine Herren, wie sehr die ärmeren Handwerker von dem Zwischenhändler in den Preisen heraufgesetzt werden.

Leider

bedürfen sie fast alle des Kredits und dieser wird ihnen keineswegs auf

billige Weise zu teil, da der Kreditgeber jedesmal Verluste riskiert und die Assekuranz dagegen

mit auf die Preise der Waren schlägt.

Ich

erhielt gleich nach den ersten Anfängen der Assoziation den Beweis, wie

sehr z. B. die Zwischenhändler die Leute übersetzten.

Ein einziges Paar

Stiefelsohlen z. B. kam in der Assoziation 25 % billiger, war das Material weit besser.

hohen

Lederpreise,

welche

und obenein

Als nun gar in den letzten Jahren die

1857

bis

auf

100 °/0

gegen

früher ge-

Die Entwicklung des Genossenschaftswesens in Deutschland.

283

stiegen waren, eintraten, war für viele Mitglieder die Assoziation die einzige Rettung. Der Aufschwung des ganzen Schuhmachergewerks in Delitzsch, welches ich zuerst assoziierte, war sehr bald so bedeutend, daß die Schuhmacher aus den Nachbarstädten, welche mit den Delitzsch'schen die Märkte bezogen, zu mir kamen und sagten, wir können mit den Schuh­ machern von Delitzsch nicht mehr konkurrieren, sie haben ihren Markt bis nach Magdeburg ausgedehnt, wir wünschen uns auch zu assoziieren. Bald kamen die Schuhmacher der umliegenden Städte in Bewegung und in mehreren wurden Assoziationen gegründet. Die bisher gewonnenen Re­ sultate sind überaus günstig und die Vorteile in die Augen springend. Zuerst haben die Leute besseres und billigeres Material, wodurch eben ihr ganzes Geschäft eilten besseren Aufschwung nimmt. Hierzu kommt aber noch, daß die Assoziationsgeschüfte eine nicht unbedeutende Dividende abwerfen. Bei den Verkaufspreisen werden nämlich im ganzen 6 bis 7 % gegen den Einkaufspreis im großen zugeschlagen. Davon müssen die Zinsen, Spesen und Verwaltungskosten gedeckt werden. Aber, meine Herren, wenn Sie auch 5 °;0 Zinsen des Betriebskapitals und 3 % Verwaltungskosten, also im ganzen 8 % abziehen, so bleibt doch ein hübscher Gewinn übrig, denn das Betriebskapital in diesen Genossenschaften wird jährlich drei- bis viermal umgesetzt. Rechnen Sie nach. Wir wollen 10 % Geschäftsunkosten alljährlich im ganzen annehmen (was sehr hoch ist), weil hier und da noch kleine Verluste zu decken sind, wenn man für manche Lagerbestände, die nicht abgehen, die Preise reduzieren muß. Die 6 bis 7 °/0 Aufschlag beim Verkauf machen aber bei nur dreimaligen Umsatz im Jahre 18 bis 21%, so daß, wenn nicht besonders ungünstige Konjunkturen dazwischen kommen, ein sicherer Gewinn in Aussicht steht. Dieser wird verteilt unter die Mitglieder nach dem Verhältnis, wie ein jeder sich am Geschäft beteiligt hat, nach den Summen, welche jeder in der betreffenden Rechnungsperiode für entnommene Ware in die Assoziationskasse gezahlt hat. Doch wird diese Prämie nicht bar herausgezahlt, sondern in der Kasse zurückbehalten, und den einzelnen in einem besonderen Konto gutgeschrieben, bis auf dessen Höhe sie Kredit bei Entnahme aus den Lagerbeständen beanspruchen können. Dieses Guthaben der Mitglieder wächst allmählich zu einem sehr bedeutenden Teil des Betriebsfonds an, indem es die Stelle einer Spar­ kasse vertritt und die Assoziation teilweise der Notwendigkeit überhebt, fremde Kapitalien heranzuziehen. Erleichtert wird dabei, wie ich noch erwähnen muß, den Assoziationen die Sache noch dadurch, daß sie bei dem Großhändler, bei dem Fabrikanten sich eines Kredits erfreuen. Für

Schulze-Delitzsch.

284

meine Heimat ist die Ledermesse in Leipzig der Hauptbeziehungsmarkt. Die Leute hatten kaum ein paar Messen lang eingekauft — und bedenken Sie, meine Herren, daß der Lederfabrikant vor allen anderen den Vor­

teil hat, daß man sich um seine Ware reißt, daß er alles per comptant verkauft —, als die Fabrikanten unseren Assoziationen erklärten, wenn es ihnen nicht Paßte, bar zu zahlen, so könnten sie Kredit in Anspruch

soviel sie wollten!

nehmen, bedeutende

Summen,

denn

jede

der

bares

Geld auf die Messe.

den

um

benachbarten

Genossenschaften

wegen

Und, die

meine

es

sich

Genossenschaften Die Fabrikanten

des

glatten

es sind nicht un­

Herren,

10—12000

handelt,

haben aber

Geschäfts

Taler,

2—3000

bringt

zu

Taler

lieber

mit

als

mit

tun,

vielen, wenn auch wohlhabenden einzelnen, die ihnen jedesmal höchstens für einige Hunderte abnehmen, lvenn sie auch sogleich bezahlen.

Tie

Fabrikanten kennen schon den Zeitpunkt, wo die Genossenschaften zum Einkauf

kommen

und

verständigen

sich

rasch

mit ihnen.

auf die Messe selbst einen großen Einfluß aus.

übt

Dies

Bold hatte» indessen

unsere Delitzscher Schuhmacher entdeckt, daß ihnen außer den drei Leipziger Messen, welche zwischen Ostern und

Michaelis eine

halbjährige

Lücke

ließen, namentlich die Braunschweiger Sommermesse eine gute Bezugs­

quelle bot, als sie regelmäßig auch auf diese zum Ledereinkauf gingen

und so einen viermaligen Einkauf und Umsatz ihres Betriebskapitals im Jahre ermöglichten, was natürlich einen größern Geschäftsgewinn abwarf. Sobald dies den andern Assoziationen in der Umgegend bekannt wurde, sandten auch diese zum Einkauf Deputierte hi«.

Diese

zum ersten Male nicht genug mit Geld versehen.

fache Erklärung der Deputierten

hatten sich aber

Da genügte die ein­

der Delitzscher Assoziation, daß jene

anderen auch Abgeordnete von Assoziationen seien, und im Augenblick

erhielten sie für 8—900 Taler Ware auf Kredit.*) Die

dritte

und

bisher

(Hört! Hört!)

bedeutendste Art der Genossenschaften in

Deutschland sind die Kredit- und Vorschußvereine oder Darlehnskassen. Der Hauptzweck eines solchen Vereins besteht darin: den kleinen Gewerbe­

treibenden, die an und für sich keinen oder nur geringen Kredit genießen,

den nötigen Betriebsfonds auf die für sie fruchtbringende Weise zu verschaffen.

vorteilhafte

und

möglichst

Die Verfassung der allermeisten

Vorschußvereine ist der des zuerst im Jahre 1850 von mir in Delitzsch gegründeten nachgebildet,

mit einzelnen größeren

oder geringeren Ab-

*) Hier folgen zahlenmäßige Angaben Uber die Erfolge einiger SchuhmacherAfsoziationen.

Die Entwicklung des Genossenschaftswesens in Deutschland.

285

Weisungen, wie sie das verschiedene lokale Bedürfnis erforderte.

Ein

Ausschuß von 9 bis 24 Personen, bei manchen Vereinen auch ein einzelner Direktor, leitet nebst besoldeten Kassenbeamten (Kassierer und Kontrolleur) die Geschäfte, und die Mitglieder, welche Vorschüsse beanspruchen, bestellen Sicherheit durch Bürgschaft oder Pfand.

Wird ein Darlehen voin Verein ausgenommen, so geschieht dies in

der Regel durch Schuldverschreibungen, wobei sämtliche Genossen solidarisch für die

ganze Schuld haften.

Geld zu erhalten.

Anfangs war dies durchaus nötig, um

Indessen haben sich manche Vereine, die zuerst mit

der solidarischen Haftbarkeit anfingen, allmählich so viel Kredit im Publikum

erworben, daß gegenwärtig eine solche nicht mehr von ihnen gefordert

wird.

Außerdem

sind die Mitglieder

selbst durch

monatliche Einlagen kleiner Betrüge gehalten,

regelmäßige,

meist

das Betriebskapital

zu

vermehren. Die Vorteile eines solchen in

folgendem:

Vorschußvereines bestehen hauptsächlich

Zunächst wird jedes Mitglied in den Stand gesetzt, zu

jeder Zeit eine seinen Verhältnissen angemessene bare Geldsnmnie gegen

mäßige Zinsen zu erhalten,

Gewinn

des

und

Vorschnßgeschüfts,

dies auf

bisher

eine Weise, daß der ganze

das

tatsächliche Monopol der

Kapitalisten, in seine eignen Taschen in Form der Dividende zurückfließt. Wer es

aber weiß, welchen Nutzen sich der Geschäftsmann, durch eine

bare Summe zur rechten Zeit verschaffen kann, und wie der Besitz eines

ausreichenden Betriebsfonds mehr und mehr eine Lebensfrage für unsere Gewerbetreibenden wird, der wird schon dies allein sehr hoch anschlagen. Sie werden sich aus meiner statistischen Übersicht*) dabei überzeugen,

wie in wenigen Jahren den Vereinen die Gelder von allen Seiten zuflossen und wie dieselben imstande waren, Posten von mehreren Hundert,

ja

1000 Talern auszuleihen,

obschon die Mehrzahl ihrer Mitglieder

vorher als einzelne wenig oder keinen Kredit hatten, und wie die Ver­ eine sich bereits ein ansehnliches Kapital aus den Beiträgen der Mit­

glieder und ihrem Reingewinn gespart haben.

Der Delitzscher Verein

z. B. hat bis jetzt ein eigenes Vermögen von über 4000 Taler in seiner Kasse, was sich bis zum Jahresbeschlusse aus 5000 Taler erhöhen wird. Zu der Leichtigkeit, den nötigen Kredit zu verschaffen, an der es

bis jetzt den unbemittelten Arbeitern ganz fehlte, und die wir so hoch

anschlugen, kommt noch ein anderes ebenso wichtiges Moment in unseren

Vorschußvereinen: die Bildung eines eigenen Kapitals für die einzelnen

*) Es ist dies die bereits auf Seite 170 wiedergegebene Tabelle.

Schulze-Delitzsch.

286

Mitglieder.

Es

ist

nämlich für einen

ganz unbemittelten

Gewerbe­

treibenden, so unumgänglich er auch des Kredits bedarf, die Leichtigkeit Kredit zu erhalten in manchen Fällen ein zweischneidiges Schwert, das sich gegen ihn selbst kehrt, insofern nicht die gewissenhafte Sorge für die

Deckungsmittel damit Hand in Hand geht.

Dies vor allem haben unsere

Vorschußvereine ins Auge gefaßt und darauf gehalten,

daß

für

jedes

einzelne Mitglied ein Guthaben in der Vereinskasse gebildet wird, das einesteils

für

Erfüllung

Verpflichtungen

seiner

haftet,

ihn der Vorteile eigenen Kapitals teilhaftig macht.

andernteils

Dazu dienen die

monatlichen Beiträge, die man, um niemand auszuschließen, sehr gering

fixiert.

Man hat dieselben auf mindestens zwei bis acht Groschen monat­

lich festgesetzt, aber dabei nachgelassen, daß jeder mehr einzahlen kann.

Um nun die möglichste Steigerung dieser Einlagen zu erreichen, bewährte sich die an diese Beisteuern geknüpfte Dividende als ganz außerordentlich

wirksam in einem Grade, der alle Erwartungen übertraf.

Wir verteilten

nämlich den Geschäftsgewinn bei diesen Vereinen nach Höhe des Gut­

habens, das jeder in den Vereinskassen durch seine Beiträge erworben hat, und dies mit Recht.

Denn mit diesem Guthaben haftet jeder zunächst

beim Risiko, und erst nach dessen Erschöpfung tritt die solidarische Haft

ein,

weshalb

auch

der

Gewinn

danach

verteilt werden muß.

Wirkung dieser Maßregel auf die Verstärkung

niedrigst zulässige Maß war außerordentlich.

Die

der Beiträge über das

Sowie nur erst einmal

eine Dividende gewährt war, welche man übrigens ebenfalls nicht

bar

herauszahlt, sondern dem Guthaben zuschreibt, stiegen die Monatssteuern auf

das

Drei-

12—20 °/0

und Vierfache,

da

des Guthabens betrugen,

diese

und

Dividenden

noch

nie

unter

ganz unbemittelte Arbeiter

trugen jeden ersparten Groschen in die Kasse, um nur an jenem lockenden Gewinn ihr Teil zu haben.

Bald — und so steht die Sache jetzt überall

— mußte dem Einsteuern eine Grenze gezogen und ein Maximum statt

des Minimums festgesetzt werden, über welches hinaus man keine Steuern mehr annahm, damit die Wohlhabenderen den andern nicht zu sehr voraus­ kämen.

So hat sich überall für das Guthaben der einzelnen eine gewisse

Normalsumme gebildet, über welche hinaus man nichts mehr annimmt, so

daß die Vereine allmählich in Aktiengesellschaften übergeführt werden. Ich gebe nun die statistische Übersicht nach meinem Buche von einer An­

zahl von Vorschußvereinen, die freilich noch manches zu wünschen übrig läßt.*)

•) Es ist dies die auf Seite 249 wiedergegebene Tabelle, nur in ausführ­ licherer Form.

Die Entwicklung des Genossenschaftswesens in Deutschland.

287

Außerdem bin ich erst hier in den Besitz von Notizen über einige neuere Genossenschaften — Karlsruhe, Heidelberg u. a. — gelangt, welche

in

der Tabelle noch

nicht enthalten sind und deren Zahlen sich ent­

sprechend vergrößern werden.

Fragen Sie nach der Verbreitung der Assoziationen bei uns,

so

lassen sich von Genossenschaften spezieller Handwerke zur Nohstofsbeziehung u. a. in Deutschland etwa 30 bis 40 bestimmt nachweisen; indessen glaube ich, es sind deren weit mehr,

denn

im Augenblick erst erhielt ich die

Nachricht von mehreren mir bisher ganz unbekannten, Zeit schon

Schrift

operieren.

bei

25

wenigstens 80.

die

die seit einiger

Die Vorschußvereine, von denen ich in meiner

Rechnungsabschlüsse

mitteilte,

belaufen

sich

auf

Könnte man die Geschäftsübersichten von allen geben,

so würde schon gegenwärtig, wo sich die meisten noch in den ersten An­ fängen befinden, die Summe ihres Umsatzes in die Millionen gehen; da bloß bei jenen 25 die Summe der gegebenen Vorschüsse im laufenden

Jahre, nach den Abschlüssen der ersten Quartale, eine Million weit über­

Am meisten entwickelt ist das Assoziationswesen in Nord­

steigen wird.

Die erste Bewegung ging hier, unter meiner unmittelbaren

deutschland.

Leitung, Ende 1849 von der preußischen Provinz Sachsen aus, erfaßte

jedoch bald auch unsere Nachbarländer, vorzugsweise hat es Wurzel gefaßt in Braunschweig und Hannover.

Süddeutschland war bisher weniger bei

der Bewegung beteiligt; indessen haben in der neuesten Zeit die Kvedit-

vereine in Heidelberg und Karlsruhe für Baden, die zu Stuttgart und Oehringen für Württemberg die Sache in die Hand genommen. den

letzten

fünf Jahren

Förderung der Sache,

insbesondere,

nach

während

welcher

meinem Austritt aus dem

ich

mich

Seit der

Staatsdienste,

lebhafter annehmen konnte, ist die Zahl dieser Genossenschaften überall

gestiegen.

Gegenwärtig kommen etwa von den bekannten Vorschußvereinen

33 auf Preußen, davon allein 18 auf die preußische Provinz Sachsen;

während

von

den

übrigen

deutschen

Staaten Hannover und Braun­

schweig 13, das Königreich Sachsen 8, Württemberg und Baden je 2,

Anhalt 3 aufzuweisen haben, die übrigen aber sich im einzelnen verteilen. Außer der materiellen Bedeutung, welche Sie, meine Herren, nach dem vorgeführten den Assoziationen zugestehen werden, erlaube ich mir

aber noch gerade vor einer Versammlung deutscher Volkswirte auf den

intellettuellen und sittlichen Einfluß, den die Genossenschaften auf ihre

Mitglieder ausüben, aufmerksam zu machen (Beifall); denn ich darf vor­ aussetzen, daß eine solche Versammlung deutscher Männer, das materielle

Element, wenn auch zunächst Gegenstand ihrer Beratungen, nicht als

Schulze-Delitzsch.

288

das letzte Ziel menschlichen Strebens, sondern nur als die unumgänglich

notwendige, allein

gesunde Basis zu jeder höheren intellektuellen und

sittlichen Entwicklung auffaßt, und über dem erstrebten äußeren Wohl­ stand die idealen Güter des Lebens nie aus den Augen verlieren wird.

(Stürmischer Beifall.)

Das erste, was hier in Anschlag kommt, ist, daß

die Leute allmählich sich der Vorteile des Großbetriebs mehr und mehr

bedienen lernen.

So treten z. B. die Mitglieder der gewerkschaftlichen

Genossenschaften mehr und mehr aus ihrer bisherigen Bezugs- und Absatz­

weise heraus, indem sie sich um die Preise der großen Märkte kümmern, sowie um die vorteilhaftesten Bezugs- und Absatzwege.

Daß ihr ganzer

Gesichtskreis sich dadurch erweitern muß, daß sie durch die fortwährenden

Berührungen mit Auswärtigen einen ganz neuen Sporn zur Vervoll­

kommnung der eigenen Produktion erhalten, versteht sich von selbst; wie könnten sie sonst auf fremden Märkten konkurrieren'?

Man besucht von

feiten solcher Assoziationen entfernt gelegene Messen, an die sonst nie­

mand dachte, ja man sandte von feiten der Delitzschschen Schuhmacher und

Mützenmacher sogar mehrere Gegenstände auf die Industrieausstellung in

New Aork — der Katalog führt die wackeren Leute ausdrücklich auf — und man

zu liefern.

hat eine

besondere Ehre darein

gesetzt, etwas recht

Gutes

Sie sind als Assoziationen von Schuhmachern usw. unter

den Ausstellern förmlich aufgeführt, und haben ihre hingesendeten Waren

ganz vorteilhaft verkauft.

Von dieser allmählichen Auslösung aus den

engbegrenzten, kümmerlichen Zuständen

kleinstädtischen Verkehrs ist es

aber eine der nächsten Folgen, daß eine höchst günstige Rückwirkung auf die sittliche Haltung, auf das Selbstgefühl der Leute, diese Wurzel aller Sittlichkeit, gar nicht ausbleiben kann.

Ein Mann, der sich bis dahin

in der kläglichsten Lage befand, und oft in herabwürdigender Weise sich behandelt sah, wenn er fremden guten Willen in Anspruch nahm,

der

den Kredit, dessen er nicht entbehren konnte, als eine Gnade erbetteln und

froh sein mußte, wenn er nur die Ladenhüter bekam, fängt allmählich an, sich als Mitglied einer großen Genossenschaft zu fühlen, die int Verkehr

eine Macht ist.

Er tritt nicht kläglich als Bittsteller wie in früherer

Weise auf, er braucht nicht stundenlang zu warten,

bis man ihn ab­

fertigt, er wird in allem als ebenbürtig mit jedem anderen behandelt. In dem Gefühle der Möglichkeit einer Existenz aus eigener Kraft, gewinnt

er erst den echten moralischen Halt in sich selbst, den jede Abhängigkeit auf diesem Felde erschüttert, und in der Selbstachtung, welche hiervon

unzertrennlich ist, wird allmählich eine Läuterung seines ganzen Wesens

angebahnt, die nicht bloß seiner gewerblichen Energie, sondern schließlich

Die Entwicklung des Genossenschaftswesens in Deutschland.

humanen Sittigung des

der

ganzen Menschen

sich merkwürdige Züge hierzu mitteilen.

ließen

289

zustatten kommt.

So erhielt ich

Es z. B.

von der sehr tüchtigen Schuhmacher-Assoziation in Wolffenbüttel in diesen

Tagen

einen Brief, worin man mich benachrichtigte,

enormen

Steigerung

Braunschweigischen habe,

der

die

Assoziation

einem

Konvent

Lederpreise

zu

Schuhmacher

daß

infolge der

die

sämtlichen

zusammenberufen

um sich über eine der Teuerung des Rohmaterials angemessene

Erhöhung der Preise des Schuhwerks zu verständigen, weil das Publikum

bei solcheit Gegenständen des täglichen Gebrauchs sich gar nicht dareinsinden könne, wenn man damit aufschlage: wodurch der einzelne Produzent

in eine höchst ungünstige Lage gegen seine Kunden komme, wenn nicht

alle gemeinsam aufträten.

Der Konvent habe denn auch die gewünschte

Verständigung im gemeinsamen Interesse herbeigeführt.

Hieran knüpften

sodann die wackeren Männer den Wunsch, auf ihre Kosten und Risiko

ein besonderes Preßorgan zu gründen,

dessen Leitung ich

übernehmen

möchte, und worin, nächst allgemeiner Belehrung und Unterhaltung, ganz besonders die mannigfachen Interessen des deutschen Schuhmachergewerks

vertreten werden sollten.

An solche Einsicht über die Wichtigkeit einer

besseren Bildung und den hohen Wert der Tagespressc, und das; man nicht unbedeutende Geldopfer dafür zu bringen bereit ist, war vor den

Assoziationen schwerlich zu denken.

Und solcher Züge gibt es noch viele.

Ich gehe zu der Stellung der gebildeten und besitzenden Klassen zu

unsern Assoziationen über.

Wenn wir bei den Assoziationen auf Selbst­

hilfe bestanden, so ist eine eigentliche Unterstützung von anderer Seite von selbst damit ausgeschlossen.

Die Assoziationen wollen demgemäß keine

Kapitalvorstreckung ohne Zinsen, keine Aushilfe, keine Bevormundung und Leitung von feiten der gebildeten Klassen, insofern nicht ein gemeinsames

Interesse einzelne daraus in ihre Reihen führt. dies

ihr Prinzip

aufgeben.

Aber

eines

ist

Sie würden durch all wünschenswert

für

sie,

wenn auch nicht notwendig: die Anregung, die erste Anleitung, die erste

Belehrung jener in Bildung und Erfahrung günstiger Gestellten.

Wir

sind nämlich noch im Falle, daß die arbeitenden Klassen im allgemeinen zur Erlernung in die neuen Geschäftsformen noch der Belehrung und

Anleitung meist bedürfen.

Damit soll durchaus keiner wirklichen Vor­

mundschaft stattgegeben werden.

Der Unterschied zwischen unserer Methode

und dem offiziellen Beglückungssystem in Frankreich und Belgien liegt darin, daß dort die Regierungsbehörden, Kirche und mächtige Vereine der

herrschenden Klassen die Sache in die Hand nehmen, die einschlagenden Organisationen gründen und verwalten, und deshalb auch für immer die Schulze-Delitzsch, Schriften und Steden.

I.

19

Schulze-Delitzsch.

290

oberste Leitung behalten wollen; daß es ihnen also nicht darum zu tun ist, die Leute jemals selbständig zu machen, sondern im Gegenteil sie

daran zu hindern, weil ihnen eine solche Selbständigkeit gefährlich, als eine Erschütterung ihrer eigenen Autorität erscheint.

Unsere Einwirkung

ist aber diesem Verfahren direkt entgegengesetzt, und

unterscheidet sich

namentlich dadurch, daß sie sich sobald als möglich überflüssig zu machen sucht.

Während jene ihre Beteiligung als permanent in Anspruch nehmen,

betrachten wir sie als einen Durchgangspunkt, eine bloße Lehrzeit und

wünschen in unserem eigenen Interesse, daß diese so kurz als möglich sei, daß die Genossenschaften die Sache sobald als möglich selbst in die Hand nehmen können.

Daß dies bei den meisten unserer Assoziationen meist

schon nach den ersten Jahren und noch früher der Fall war, ja, daß

nicht wenige überhaupt ohne alle Beihilfe ihrer Mitbürger sich organisierten und ihre Angelegenheit trefflich verwalten, unserer

Auffassung.

Wohin

aber

die

beweist

ständige

für die Richtigkeit

Bevormundung

der

arbeitenden Klassen führt, welche durch ihre eigene Dauer sich immer­

notwendiger macht, immer größere Dimensionen anzunehmen genötigt ist,

bis sie endlich unter der eigenen Last zusammenbricht, davon können uns

die Zustände in Frankreich und Belgien belehren, die ich in meinem Buche näher erörtert habe.

Nächst der Stellung der höheren Gesellschafts­

schichten ist aber auch die des Staates zur ganzen Frage in das Auge zu fassen.

Es herrscht darüber Streit, ob es zweckmäßig ist, die Staats­

hilfe und Staatsunterstützung für die Genossenschaften in Anspruch zu nehmen oder nicht.

die

Unterstützung

Seit dem Jahre 1848 ist immer und immer wieder des Staats,

die

Vorstreckung

von Barmitteln

aus

öffentlichen Kassen usw. von feiten der Arbeiter selbst angerufen worden. Ich glaube, meine Herren, da haben wir nicht viel Worte übrig.

Mit

der Staatsunterstützung verlieren wir die Selbständigkeit, also gerade das Lebenselement der Genossenschaft.

Die Staatsunterstützung führt auf die

Einmischung des Staates, und mit Recht, denn, will der Staat gewissen­ haft verwalten, so kann er nicht ins Blaue hinein Mittel bewilligen, ohne

den Vorbehalt, zu kontrollieren, wie die Mittel verwendet worden.

Wenn

er hilft, so muß er kontrollieren, das geht nicht anders, meine Herren, da müssen wir gegen unsere Staatsmänner gerecht sein.

Um aber die

Mühe dieser Kontrolle, diese lästige Verantwortlichkeit sich möglichst vom

Halse zu halten, werden die mit der Aufsicht betrauten Beamten immer lieber ablehnen und verbieten, wo sie das mindeste Risiko mit irgend­ einer noch so unschuldigen und notwendigen Operation verbunden glauben;

und dies macht die Sache sofort tot, weil es die unumgängliche freie

Die Entwicklung des Genossenschaftswesens in Deutschland.

Bewegung hindert, und den Geschäftsgang lähmt.

291

Also, meine Herren,

keine Staatseinmischung und Subvention, sondern Initiative, wie Leitung

von feiten der Arbeiter, der Gewerbe, welche die erforderlichen Mittel, mit der nötigen Umsicht und Energie recht gut aufzutreiben vermögen!

Denn darauf müssen wir ein für allemal fußen, daß in dem Grundsatz der Selbstverantwortlichkeit, vermöge dessen jeder einsteht für das, was er tut, die Grundlage und die einzige Möglichkeit der menschlichen Gesell­

schaft überhaupt gegeben ist, und daß der Staat die Grundsätze der Gesell­

schaft selbst verletzt, wenn er, wie in Frankreich, hier organisierend eingreist.

Die Verantwortlichkeit für die materielle Existenz ganzer Klassen

der Staatsangehörigen zu übernehmen — das vermag keine Regierung auf der Welt durchzuführen; das heißt den

gesellschaftlichen Gebäudes verrücken, der Sozialisten.

ganzen Schwerpunkt des

und führt direkt zu

den Utopien

Zudem enthält die Unterstützung einzelner Gesellschafts­

klassen auf Kosten des Staats auch noch eine große Ungerechtigkeit gegen die übrigen, indem sie nichts weiter ist als ein aus deren Taschen be­

willigtes Almosen.

Was die faktische Behandlung der Genossenschaften,

ihre gesetzliche Stellung in den verschiedenen deutschen Ländern anbelangt, so läßt die Gesetzgebung ihnen überall völlig freien Spielraum, indem

man sie als freie Vereine, die keinen Politischen Zweck verfolgen, nur den

allgemeinsten Bedingungen, denen die Vereine überhaupt unterworfen sind, zu unterordnen hat. Bei uns in Preußen, dem für die Assoziationsbewegung bedeutendsten deutschen Staate, ist von feiten der Regierung das loyalste Verfahren beobachtet worden.

Die Regierung war nämlich anfangs der

Ansicht, daß die bestehende Gesetzgebung die Gründung der Assoziationen, namentlich der Vorschußvereine, an eine Konzession der Behörde knüpfe,

und forderte von den Vereinen, die sich der Konzessions-Erteilung ent­ ziehen wollten, die Schließung.

Allein mehrere dieser Vereine, zuerst der

in Königsberg in Preußen, fügten sich nicht, so daß die Frage vor die

Gerichte kam, indem man die Ungehorsamen wegen Polizeikontravention zur Untersuchung zog.

Die Gerichte in Preußen haben aber in allen In­

stanzen zugunsten der Genossenschaften entschieden und erkannt, daß die­ selben einer Konzession nicht zu unterwerfen seien.

Sowie dieser Aus­

spruch gefallen war, hat die preußische Regierung sich jeder Hinderung

der Sache enthalten und sind vom Ministerium den Unterbehörden In­

struktionen dahin erteilt:

man möge die derartigen Vereine gewähren

lassen, weil man sich überzeugt habe, daß dieselben zu der Kategorie derer, welche einer Konzession bedürften, nicht gehörten, vielmehr die Stellung

freier Handelsgesellschaften einnähmen.

Der einzige Staat, wo neuerlich 19*

Schulze-Delitzsch.

292

wirkliche Hemmungen vorgekommen sind, ist Hannover.

Es ist dies um

so mehr zu bedauern, als unter dem dortigen Gewerbestand ein reger Sinn

für die Sache sich bekundet, eine Anzahl der blühendsten Genossenschaften, zum großen Segen des kleinen Gewerbestandes, im Gange sind, deren

Existenz bedroht ist.

In Hannover verlangt die Regierung, daß die Vor-

schnßvereine um Konzession einkommen, und hat sie einigen bereits ver­ weigert.

Ja, sie macht selbst das Recht geltend, die Statuten zu revidieren

und dieselben nach ihrem Gutdünken abändern zu lassen.

Und daß dies

alles nur Konsequenz des Konzessions-Systems ist, haben wir gesehen. Auch in Preußen hatten mehrere Regierungsbehörden bis zu jener neueren

So wurde dem Vorschußverein in Eis­

Entscheidung ähnlich verfahren.

leben ein Polizeibeamter zur Aufsicht bestellt,

dessen Genehmigung er­

forderlich war, so oft der Verein ein Darlehen aufnehmen wollte.

Die

Folge war, daß sich derselbe sofort auflöste und neu als Diskontogesell­ schaft organisierte, womit er der

lästigen Kontrolle

ledig war.

Dem

Vorschußvereine in Luckau wurde gar die Bedingung bei der Konzession gemacht, daß dieselbe von der Regierung zu jeder Zeit nach deren Er-

niessen zurückgezogen

werden könne.

Der ganze Bestand eines solchen

Instituts wird dadurch in Frage gestellt, und es ist also nicht eine bloße Ansicht von mir, wenn ich sage, den Assoziationen wird im Augenblick, wo sie unter Konzessionierung gestellt werden, die Lebensfähigkeit entzogen.

Daß nach allem Vorgebrachten die Assoziationsbewegung ihre wohl­ begründete volkswirtschaftliche Berechtigung hat, brauche ich einer Ver­

sammlung nur

von Volkswirten

noch eines

Seite der Sache,

andeuten,

nicht weiter auseinanderzusetzen.

Ich will

durchaus

nationale

die

hinsichtlich

französischen Bestrebungen

in

deutsche,

die

deren wir uns

mit

echt

direkten!

Gegensatz

den

belgischen

befinden,

wie

und

deren

romanistisches und germanisches Wesen in allen Verhältnissen des öffent­ lichen Lebens bekunden.

Da muß alles von

bestimmten Zentralstellen

von oben veranlaßt und gemaßregelt werden, in alles mischt

sich die

Behörde, sonst geht es nicht, und es gilt für gefährlich und untunlich,

die arbeitenden Klassen sich selbst zu überlassen; vielmehr läuft das ganze Wesen auf Ertötung der Selbständigkeit, auf die Erstarrung des freien

Tätigkeitsbetriebes von unten hinaus.

Die Regierung bewilligt die Fonds,

es wird eine Unmasse von milden Stiftungen gegründet, zweckmäßige Anstalten für Verwahrloste — man nimmt die Sache, seitens der Be­

hörden, sowie der herrschenden Stände vollständig in die Hand, aber in der Regel erst dann, wenn die Leute von den Nachteilen schon unrettbar befallen sind, welche man von ihnen abwehren sollte.

Sie zu halten,

293

Die Entwicklung des Genossenschaftswesens in Deutschland.

bevor sie fallen, ihnen in der Selbsthilfe die eigene Widerstandskraft zu stärken, das fällt jenen Staatsweisen bei weitem weniger ein.

Und die

jetzigen Zustände in jenen Ländern mögen wohl zum Teil der Art sein, daß die Unterstützung, jene vielgerühmte Wohltätigkeit, wohl immer not­ wendiger wird.

Die Arbeiter scheinen sich das bestens gefallen zu lassen.

Wir hören nicht viel von selbständigen Bestrebungen derselben, und die Assoziationsbewegung beschränkt sich in Frankreich auf eine verhältnis­

mäßig geringe Zahl Pariser Genossenschaften, welche, die Arbeiterelite des ganzen Landes vereinigend, eine Ausnahmestellung in dieser Beziehung einnehmen.

Aus den Provinzen und den kleineren Orten hören wir so

gut wie nichts.

Die einzig sich bewährende Auffassung

der Sache

ist

daher die

deutsche, — die germanische, worin unser Schwestervolk jenseits des Kanals uns vorangeht.

Wir wollen die arbeitenden Klassen befähigen, sich aus

sich selbst herauszuarbeiten, wir wollen freie Genossenschaft derselben, je

nach dem Interesse der Mitglieder erwachsen

und gruppiert.

Wie wir

in der Gemeinde und deren Autonomie die Grundlage eines gesunden Staatslebens erblicken, so wollen

wir auch in der Genossenschaft die

Selbständigkeit und freie Bewegung zum Grundsatz erhoben wissen.

Die­

selbe respektiert die Rechte Dritter, die individuelle Freiheit der einzelnen,

kurz alle Bedingungen einer geordneten Staatsgesellschast; sie schont das Bestehende, erkennt insbesondere das Privateigentum als notwendigen

Ausfluß der freien Persönlichkeit, als Hort der Kultur und der Zivilisation. Und — wir können dies

nicht genug hervorheben — dieser nationale

Standpunkt ist zugleich der echt konservative im besten Sinne, der, fern von

aller

sozialistischen Beimischung, der

industriellen

und

humanen

Entwicklungsstufe des deutschen Handwerkers und Arbeiters entspricht,

und den wir uns doch um alles von

jenem welschen Wesen frei zu

erhalten trachten, und jede Neigung dahin, komme sie von oben oder unten, mit aller uns zu Gebote stehenden Macht bekämpfen sollen.

Schließlich habe ich, indem ich auf die Anträge der Sektion über­ gehe, mit einer Verwahrung zu beginnen.

Wie entschieden wir uns auch

für die Wichtigkeit und hohe Bedeutung unserer Genossenschaften erklärt

haben, so sind doch sowohl die Abteilung als ich selbst, weit entfernt davon, der großen Frage, vor der wir uns befinden, der sozialen Frage gegenüber, in der Assoziation allein das Heil zu sehen, oder gar in ihr die einzige Verkehrsform der Zukunft erblicken zu wollen.

Das wäre

grundfalsch und von praktischen Männern eben geradezu lächerlich.

Viel­

mehr betrachten wir sie nur als ein Glied, aber als ein notwendiges in

294

Schulze-Delitzsch.

der großen Kette wirtschaftlicher Entwicklung. Und das, was wir von ihnen wollen, zielt nicht auf Ausschließlichkeit, sondern nur auf An­

erkennung der wirtschaftlichen Berechtigung, mit dieser sich von selbst verstehenden Maßgabe. In dieser Hinsicht dürfen Sie es aber nicht zu gering anschlagen, daß die Assoziationen vor Sie treten, die bereits eine Stellung im Verkehr errungen haben. Ich bin von einer ganzen Zahl

beauftragt, vor Sie zu treten. Sie sehen hierin die erste und bedeutungs­ volle Huldigung, die Ihnen, als Vertreter der deutschen Volkswirtschaft

das Vaterland zollt, indem die Assoziationen nichts eiliger zu tun hatten, als Ihre Kompetenz auf sozialem Felde anzuerkennen, das von denselben Geschaffene Ihrer Prüfung zu unterwerfen und Ihre Entscheidung als äußerst wichtig und folgenreich zu betrachten. Eine Hilfe von Ihnen wollen sie nicht, meine Herren, denn sie sind die verkörperte Selbsthilfe. Aber daß es denselben so eifrig darum zu tun ist, aus Ihrer Prüfung die Sanktion der praktisch befolgten Grundsätze vor dem Richterstuhl der unbestechlichen Wissenschaft zu empfangen, das möge Ihnen, meine Herren, ein hoffnungsvolles Unterpfand dafür sein, daß die der hohen Lehre, deren Kultus uns hier vereinigt, so lange vorenthaltene Herrschaft, in unserem Volke mindestens, das der wahren Wissenschaft von je die bereite Heimat geboten hat, in nicht ferner Zeit ihre Segnungen ver­ breiten wird. (Lebhafter Beifall.)

Die Vorschußvereine in Hannover?) "Aus „Zeitschrift des Zentral-Vereins in Preußen für das Wohl der arbeitenden Klassen" I. Band, Leipzig 1859 (H. Hiibner).

Der Angriff der „Neuen Hannöverschen Zeitung" auf die Vorschuß­ vereine nach meinem System im Oktober d. I. hat sich als Vorläufer von Kundgebungen der hannoverschen Regierung erwiesen, welche in solgenden an den Gewerbeverein des Königreichs gerichteten Reskripten ihren Ausgang finden. „Wir erwidern der Direktion des Gewerbevereins, daß wir die Bildung von Vorschußvereinen durchaus erwünscht erachten, jedoch unter der Voraussetzung, daß sie auf angemessenen Grundsätzen beruhen und eine zweckmäßig entsprechende Verwaltung derselben statutenmäßig gesichert ist. Daher sind auch bisher namentlich diejenigen Vorschußvereine, welche aus dem Grundsätze der Wohltätigkeit beruhen, unbedenklich von uns bestätigt worden, wenn deren Genehmigung beantragt ward. Die in neuerer Zeit nach dem Muster des Vereins in Delitzsch, Eilenburg usw. entstandenen Vorschußvereine verwerfen jenen Grundsatz unbedingt und

sollen lediglich auf die Prinzipien der Selbsthilfe und Solidarität ge­ gründet werden. Wenn wir gleich dafür halten, daß mit der unbedingten

Ausschließung des Wohltätigkeitsprinzips zu weit gegangen werde, so finden wir doch an und für sich nichts dagegen zu erinnern, daß den Vorschußvereinen auch die letzterwähnten Prinzipien zugrunde gelegt werden. Allein wir halten dabei erforderlich, 1. daß, weil solche Vereine vorzugsweise auf die Hebung der kreditlosen Klassen der Gewerbetreibenden und auf den massenweisen Beitritt von Leuten berechnet sind, die sich schon wegen ihrer Unkunde der Kreditverhältnisse nicht selber zu helfen

wissen, der Gefahr vorgebeugt wird, daß eine solche Anstalt zum Mittel *) über die Schwierigkeiten, welche die Hannoversche Regierung den Vorschuß­

vereinen machte, hatte Schulze schon auf dem volkswirtschaftlichen Kongreß in Gotha im September 1858 Mitteilung gemacht. Zwar modifizierte jene darauf­ hin ihre Haltung; indessen riefen die von ihr zu Ende des gleichen Jahres den Genossenschaften angesonnenen neuen Bedingungen abermals den energischen Widerspruch Schulzes wach.

Schulze-Delitzsch.

296

der Ausbeutung der kreditlosen Masse werden kann; 2. daß die Bei­

tretenden, soweit die Anstalt nicht den Charakter des Wohltätigkeitszwecks

hat und daher auch auf die Sicherstellung der Einlagen durchaus kein Wert gelegt wird, wegen

ihrer

Einlagen

genügende

und Ersparnisse

Sicherheit haben; 3. daß der Verein seinen Statuten und den sonstigen dabei eintretenden Umständen nach irgend Aussicht auf Bestand gewährt;

4. daß die bestehenden

Gesetze und Verordnungen den Vereinsstatuten

als Richtschnur dienen.

Da diesen Grundsätzen in den Statuten der

neuerdings bzw. beabsichtigten und ins Leben getretenen Vorschußvereine zu

Hannover,

Göttingen,

Einbeck,

Lüneburg,

Celle,

Emden,

Lüchow,

Alfeld und Hildesheim nicht Genüge geleistet war, so hat diesen Vereinen

aus diesen Gründen die erforderliche Genehmigung nicht erteilt werden können.

Wenn dagegen jenen Grundsätzen entsprochen und daneben die

Verwaltung angemessen geregelt wird, so werden wir sehr gerne die er­

forderliche Genehmignng erteilen, da wir den großen Nutzen der Vorschuß­ vereine in keiner Weise verkennen.

Bei Mitteilung des Vorstehenden

machen wir die Direktion zugleich auf den Kreditverein in Meißen und

die über diesen Verein von dem Advokaten Hallbauer in Meißen heraus­

gegebene Schrift aufmerksam, da den Meißner Kreditverein die gegen die sog. Schulzeschen Vereine mit Recht erhobenen Einwendungen am wenigsten zu treffen scheinen."

Bei dem allgemeinen Interesse, welches dieses Vorgehen eines so

wichtigen deutschen Mittelstaats für die Assoziationssache hat, nehmen wir den Angriff der genannten Zeitung — des treuen Abklatsches unserer Kreuzzeitung —, dem wir bereits in der Zeitung für Norddeutschland

begegnet

sind,

nochmals

auf,

um

ihn,

in Verbindung

mit

Regiernngsreskript angegebenen Motiven näher zu beleuchten.

den

im

Der Her­

gang der Sache ist kürzlich folgender: Die hannoversche Regierung

hat

bereits im vergangenen Sommer das Bestehen der im Lande in viel­ versprechendem Aufblühen begriffenen Vorschußvereine an eine obrigkeit­

liche Konzession geknüpft, diese darauf mehreren Vereinen verweigert, und dadurch

diese Institute,

obschon

deren

wohltätige Wirksamkeit durch

mehrjährige Erfahrungen erprobt war, unterdrückt.

Sie steht in dieser

Beziehung bisher in Deutschland einzig da, indem die zuletzt in Kurhessen von einer Spezialregierung erhobenen Schwierigkeiten bei Gründung eines solchen Vereins (in Eschwege) durch das dortige Ministerium vollständig

beseitigt sind, und die Einrichtung derartiger Institute neuerlich,

sobald

man sich mit deren Einrichtung genauer bekannt gemacht hatte, sogar

regierungsseitig empfohlen ist.

297

Die Vorschußvereine in Hannover.

Seit dem volkswirtschaftlichen Kongresse zu Gotha im letzten September nun, an welchem ein höherer Regierungsbeamter von Hannover teilnahm, hat man zwar von dieser völligen Beseitigung der nützlichen Institute auch in Hannover insoweit einzulenken begonnen, als man sie in nicht wesentlich modifizierter Gestalt nach

stehenden,

dem Muster des in Meißen be­

über welche sich eine besondere Schrift des Herrn Advokat

Hallbauer*) daselbst verbreitet, natürlich unter Konzession und Kontrolle der Behörden, zulassen zu wollen scheint.

Wenn zunächst die hannoversche Regierung solche Vorschußvereine unbedingt bestätigt und für angemessen erachtet, welche auf dem Grund­

satz der Wohltätigkeit beruhen, so mag sie das mit Wissenschaft und Er­

Wer nicht einsieht, daß die sittliche und wirtschaft­

fahrung ausmachen.

liche Hebung der unbemittelten Klassen unmöglich durch ein Mittel er­ reicht werden kann, welches, gleich dem Almosen, das sittliche Gefühl ab-

stumpst, alle Tatkraft lähmt und zum sichern Ruin führt — mit einem

Worte wer sich nicht darüber klar ist, daß man niemand hebt, wenn man ihn demoralisiert, mit dem streiten wir nicht.

Die ferner in

dem Reskript

aufgestellten Grundforderungen sind,

bis auf die letzte, nicht recht verständlich, und insbesondere bei keiner der

Nachweis auch nur

versucht, inwiefern unsere Vereine

damit

im

Widerspruch stehen. Wie die Vereine namentlich auch nur im entferntesten jemals ein Mittel der Ausbeutung für die kreditlose Masse werden können,

ist wahrhaft unbegreiflich.

Wir sehen ganz davon ab, was bei Aus­

beutung einer kredit- weil besitzlosen Masse eigentlich herauskommen und

wie dieselbe sich überhaupt der Mühe verlohnen soll, und heben von unsern

Vereine

Einrichtungen

erhalten

nur

folgende hervor:

Vorschüsse.

Diese

Nur

Mitglieder

Mitglieder verwalten

unserer

aber

alle

Vereinsangelegenheiten ganz allein, wählen die Beamten, über welche sie die

Oberaufsicht führen, und beschließen in allen Vereinsangelegenheiten mit

voller Gewalt durchaus selbständig.

Ebenso fällt der ganze Ertrag des

Vorschußgeschäfts — dasjenige, was nach Deckung aller Geschäftsunkosten

von den Zinsen und Provisionen der Vorschußempfänger übrig bleibt — den Mitgliedern ausschließlich zu.

Wie daher irgendein Mensch letztere

soll ausbeuten können, wenn sie es nicht selbst tun, darüber

bleibt die

hannoversche Regierung den Ausweis schuldig.

Ebenso hütet sich das Reskript sehr wohl, anzugeben, weshalb unsere

*) Über Vorschuß- und Kredilvereine mit besonderer Rücksicht auf den Kredit­ verein in Meißen von Advokat G. M. Hallbauer.

Meißen 1857.

Schulze-Delitzsch.

298

Vereine den Beitretenden wegen ihrer Einlagen und Ersparnisse keine genügende Sicherheit geben sollen.

Die Sicherheit bei solchen nicht von

einer öffentlichen Behörde garantierten Privatvereinen kann der Natur der Sache nach nur beruhen: a) in der Redlichkeit der verwaltenden Kassenbeamten;

b) in der

gehörigen

Vorsicht

bei

den

Kassen-

und

Geschäfts­

operationen. In bezug auf die ersteren wird allerdings viel von der Wahl der

geeigneten Personen in jedem einzelnen Falle abhängen, und daß hier nicht einmal ein Mißgriff Hütte vorkommen

können,

wäre gegen den

Charakter aller menschlichen Einrichtungen, wie wir ja auch gar nicht

selten von Defekten der Staats- und Kommunalbeamten hören, die trotz

aller Vorsicht hier und da unterlaufen.

Das, was hierbei geschehen kaun:

strenge Kontrolle des Kassen- und Rechnungswesens durch den Vorstand,

doppelte Buchführung, häufige Revisionen, ist in unsern Statuten vor­ gesehen.

Besonders aber wird auf Kautionsbestellung seitens der Kassen­

beamten und des Kassenbote» gehalten und aus deren allmähliche Ver­

stärkung mit wachsendem Geschäft.

Da der Betriebsfonds fast beständig

zirkuliert und das ganze Vorschußgeschäft in der Regel nicht derart ist, daß große Summen

in den Kassen vorrätig gehalten werden müßten,

so genügen als Kaution meist schon 400 bis 600 Taler.

die Einrichtung

Besonders da

getroffen ist, daß müßige Bestünde über den voraus­

sichtlichen nächsten Bedarf in den am Orte befindlichen Sparkasse» oder Bankinstituten belegt werden, wo sie, im Fall des Bedürfnisses, sogleich wieder abgehoben werden können. Zu alledem kommt aber noch zu unsern

Vereinen der besondere aus ihrer ganzen Stellung hervorgehende Umstand, daß, wenn sie nicht Personen von allgemein bekannter Solidität und Zuverlässigkeit an ihre Spitze stellen, sie überhaupt nach

außen

beim

Publikum, von welchem sie in der Regel Anlehen zur Verstärkung ihres Betriebsfonds in Anspruch nehmen, keinen Kredit genießen: ein Antrieb mehr, bei der Auswahl der Kassenbeamten mit größter Umsicht zu Werke zu gehen, dem man es wohl mit zu danken hat, daß bisher bei mehr­

jährigem Bestehen einer ziemlichen Zahl von Vereinen noch nicht ein einziges Mal einer davon durch Untreue seiner Beamten in Schaden

gekommen ist. Ebenso wichtig ist der zweite von uns erwähnte Punkt:

die Vor­

sicht bei den geschäftlichen Operationen des Vereins, namentlich dem Aus­

leihen der Vorschüsse an die Mitglieder, weil, wenn irgendwie beträchtliche Verluste durch Insolvenz der Schuldner herbeigeführt werden, dies nicht

Die Vorschußvereine in Hannover.

299

nur jeden Geschäftsgewinn, sondern auch die Einlagen der Mitglieder

verschlingen, ja die letztere selbst den Vereinsgläubigern gegenüber ver­

antwortlich machen kann.

So gewichtig sind nun unsern Vereinen alle

diese Rücksichten erschienen, daß sie, abweichend von den meisten Bankund Kreditinstituten, ihre Vorschüsse stets nur gegen besondere Sicher­ stellung an die Mitglieder gewähren, und, sobald das Kassenguthaben des einzelnen durch die beanspruchte Summe überschritten wird, Pfand oder Bürgschaft verlangen.

Sie gehen hierin sogar noch weiter als der von

der hannöverschen Regierung zugelassene Meißener Verein, welcher nach

Maßgabe eines vom Vorstand entworfenen Kreditmessers über die einzelnen

Mitglieder, jedem bis auf Höhe seiner ohne Sicherstellung Vorschüsse gibt.

darin normierten Kreditfähigkeit

Sollte aber ja einmal trotz aller an­

gewandten Vorsicht ein Ausfall bei Wiedereinziehung der ausgeliehenen

Gelder vorkommen, so ist durch Bildung eines Reservefonds, dem besondere

Revenuen, wie Eintrittsgelder

und dergleichen zugewiesen

sind, überall

dafür gesorgt, daß er ohne Gefährdung des Vereinsgeschäfts und einzelnen Mitglieder übertragen werden kann.

Diese Maßregeln

der

haben

sich denn auch überall vollkommen ausreichend gezeigt, unsere Vereine

nach mehrjährigem Bestehen bisher vor Verlusten jeder Art zu behüten,

was wohl der Hauptgrund ist, der ihnen außer dem Vertrauen ihrer

Mitglieder auch

einen so außerordentlichen Kredit beim Publikum er-

worben hat.

Hiermit erledigt sich eigentlich auch schon das dritte Bedenken, daß die Vereine eine Aussicht auf Bestand gewähren sollen.

Wenn dieselben

mit jedem Jahr — und der erste, der Delitzscher, besteht seit 1850 in seiner jetzigen regenerierten Gestalt seit 1852, während in jedem der

darauffolgenden Jahre eine Anzahl anderer hinzutreten — an Mitglieder­ zahl, Umfang ihrer Geschäfte, Kredit beim Publikum so außerordentlich

zunehmen, wie die alljährlich

veröffentlichten Rechnnngsabschlüsse dies

nachweisen, so spricht dieser Erfolg wohl am besten dafür, daß, wenn die Vereine bei den angenommenen Grundsätzen beharren, und dieselbe Be­

sonnenheit und Umsicht bei ihren Geschäften auch künftig bewähren, sie

um so sicheren Bestand

haben werden als das Bedürfnis, welches sie

befriedigen, im Laufe der Zeit

eher zu- als abnimmt.

Außer diesen

wichtigen Garantien, wie sie keine andere Gattung solcher Institute in höherem Maße bieten kann, sind aber unsere Vorschußvereine mit großem Erfolge bemüht, noch eine andere Bürgschaft in sich selbst dafür zu ge­

winnen, welche allen anderen derartigen Instituten abgeht.

Es geschieht

dies durch die Bildung eigner Kapitalien für die Mitglieder, einer so-

Schulze-Delitzsch.

300

genannten Stammeinlage oder Kassenguthabens für jeden mittels fort­

laufenden Monatssteuern und Zuschreiben der auf die einzelnen fallenden Anteile

am

Reingewinn,

Dividenden, welche

ihnen

nicht

ausgezahlt,

sondern bis dieses Guthaben einen gewissen festnormierten Betrag erreicht

hat — gleichsam die Aktie, mit der sich jedes Mitglied beim Geschäft beteiligt — in der Kasse zurückbehalten werden.

Dadurch nun, daß man

den Reingewinn eben nach Höhe dieses Guthabens in der Vereinskasse

unter die einzelnen verteilt,

gewährt man allen

monatlichen Einsteuern, d. h. zum Sparen den

zur Erhöhung ihrer

stärksten Reiz, und die

Folge davon ist überall, daß diese von den Mitgliedern selbst zusammen­

geschossenen und im Geschäft gewonnenen Summen bald einen sehr erheb­ lichen Teil des Betriebsfonds ausmachen Gelder immer entbehrlicher wird.

und die

Bei einigen

Aufnahme

fremder

der älteren Vereine ge­

hören ’/4 ja über */8 ihres Fonds bereits den Mitgliedern

und es er­

scheint recht wohl möglich, daß man in 12 bis 15 Jahren dahin gelangt,

gar keine Anlagen von Dritten mehr zu bedürfen.

Welche Garantie ein

solches Kreditinstitut für seine Lebensfähigkeit und Dauer

aber dadurch

gewinnt, daß seine Mitglieder, die zugleich ausschließlich seine Kundschaft

bilden, auch ganz oder zum großen Teil seine Gläubiger sind, das Geld

aus ihren Mitteln aufgebracht haben, springt in die Augen. Was die unter Nr. 4 im Reskript geforderte Übereinstimmung der Vereinsstatuten mit den Landesgesetzen

anlangt,

so versteht sich

dies

eigentlich von selbst, und es ist nur zu bedauern, daß das Reskript es wiederum vergißt,

die Punkte anzugeben,

bei welchen

ein

desfallsiger

Widerspruch, der nach dem Muster des Delitzscher gearbeiteter Statuten der hannöverschen Vereine vorhanden sein soll.

Aus den Enthüllungen

der Neuen Hannöverschen Zeitung und sonstigen Andeutungen wissen wir indessen, daß dieser Zwiespalt mit den Landesgesetzen

lediglich

in

dem Zinsfuß gesucht wird, der bei unsern Vereinen im Durchschnitt mit

der Provision zusammen 8 bis 10°/0 oder, wenn man beides, wie viele tun, trennt, 5 bis 6 °/0 jährlich am eigentlichen Zins und J/4 bis s/s %

Provision auf den Monat ausmacht.

Wie nach dem Vorausgeschickten

hierin, nach hannöverschen oder sonstigen

deutschen Gesetzen, ein ver­

botener Zinswucher gefunden werden kann, soll noch nachgewiesen werden.

Jeder Bankier

hat das Recht für seine Bemühungen

und Geschäfts­

unkosten, außer den zulässigen Zinsen noch eine Provision zu erheben, welche wohl nirgends gesetzlich abgegrenzt werden kann,

sich gleich dem

Diskonto nach den Verhältnissen des Geldmarkts und der Konkurrenz regelt und zum mindesten bei Geschäften auf kurze Frist, wie bei den

Die Vorschußvereine in Hannover.

301

fraglichen Vereinen, welche nicht über drei Monate ausleihen und prolongieren,

von den bei uns eingeführten Sätzen wenig differiert.

Nun tritt aber

bei uns noch hinzu, daß nur Mitglieder Vorschüsse erhalten und Zinsen und Provisionen zahlen, welche ohnedem die Geschäftsunkosten des Ver­ müßten, denen also nicht gewehrt

eins aus ihren Mitteln aufbringen

werden kann, diese Kosten statutengemäß durch einen Aufschlag auf den

Zins unter sich so zu verteilen, daß sie jedem einzelnen nach dem Maße, in welchem er sich der Vorteile des Vereins durch Entnahme von Vor­

schüssen bedient, auferlegt

Schließlich erhalten aber die Mit­

werden.

glieder gar den nach Abzug aller Geschäftsunkosten von den gezahlten Zinsen verbleibenden Überschuß in Form der Dividende selbst wieder

zurückgewährt, so daß auch der letzte Schatten eines Bedenkens schwindet. Insbesondere gebricht es gänzlich an einer Person, der man den Zins­ wucher zur Last legen könnte.

Die gezahlten Zinsen und Provisionen

fließen in die Vereinskasse und kommen somit sämtlichen Vereinsmitgliedern zugute, den, welcher sie zahlt, selbst mit eingeschlossen,

so daß nian

die

sämtlichen Mitglieder in jedem solchen Falle ohne Ausnahme, also auch

denjenigen, an tvelchen das Verbrechen des Wuchers begangen selbst tvieder

mit

zur

Lächerlichkeit wird sich sich

einem

Verantwortung

ziehen

müßte.

sein soll,

Einer

solchen

so leicht kein Gerichtshof schuldig machen, und

so monströsen Verfahren

unterziehen, in welchem Jnkulpat

und Damnifikat in einer Person zusammenfallen!

Dieser Fall wäre in

der Tat in den Annalen der Kriminaljustiz unerhört und die preußischen Gerichte zum mindesten stehen einer solchen Auffassung so fern, daß sie im Gegenteil, obschon auch in Preußen die Überschreitung eines Zins­

fußes von 5 und bei Kaufleuten von 6 °/0 verboten ist, bei ausgeklagten Vorschußrückständen die Restanten

zu den erwähnten Zinsen und Pro­

visionen unbedenklich mit verurteilen und Exekution daraus vollstrecken;

daß die hannoverschen

oder

sonstige

deutsche Gerichte anders handeln

würden und könnten, halte ich für unmöglich.

Auch bei dem am Schluß des Reskripts befindlichen Hinweise auf

beit Meißener Kreditverein und die darüber veröffentlichte Hallbauersche Schrift*) erfahren wir wiederum nicht, weshalb dieser Verein, der sich in keinem einzigen wesentlichen Punkte von den unserigen unterscheidet,

von den Bedenken, die man gegen die letzteren hat, weniger betroffen

werden soll.

Und wieder sehen wir uns an

die „Neue Hannöversche

*) Der Inhalt der Schrift des Gründers des Vorschutzvereins in Meißen, Rechtsanwalt Hallbauer, geht aus den Ausführungen Schulzes zur Genüge hervor.

Schulze-Delitzsch.

302

Zeitung" verwiesen, welche es übernimmt, etwas zu beweisen, von dem sie weiß, daß es sich anders verhält, ein sonst mißliches und undankbares

Geschäft, bei dem sie sich aber sonst ganz leidlich befindet. So stellt sie denn wirklich mit anerkennenswertem Mute Behauptungen auf, woraus sich ergeben soll, daß der Meißner Verein auf ganz anderen Prinzipien

beruhe wie die unsern, obschon sich Herr Hallbauer in der angezogenen darüber veröffentlichten Schrift selbst gleich im Vorwort vollständig zu den von mir vertretenen Grundsätzen bekennt, und seine von mir in Neben­

punkten abweichende Organisation als den Anfang bezeichnet: Vereine auf den Boden des Sächsischen Rechts zu verpflanzen.

unsere

Bei der ersten Ausstellung, „wir wähnten ein kreditloses Volk plötzlich kreditfähig zu machen und verlangten doch genau hingesehen einige

Fonds bestens, nehmen schaffen

und Garantien wie jeder Bankier," akzeptieren wir das letztere da wir durchaus nicht die Rolle von Wundertätern zu über­ Beruf fühlen, sondern, um Geld vorstrecken zu können, erst Geld müssen, und es uns, sowohl den Gläubigern tote den Schuldnern

des Vereins gegenüber, gar sehr um Garantien, um eine solide geschäft­ liche Grundlage zu tun ist; daß sich aber beides vereinigen läßt, daß auch die unbemittelteren Gewerbetreibenden durch ihre Assoziierung solche Garantien erlangen, und sich das, woran es den einzelnen in ihrer Isolierung gebrach, Kredit im genossenschaftlichen Wege verschaffen können, das haben eben unsere Vereine seit einer Reihe von Jahren durch die Tat bewiesen.

Wohlhabenden Leuten, die von selbst schon und für sich

allein Kredite haben, durch dergleichen Vereine ihr Kreditbedürfnis er­ leichtern, ist gewiß der weniger schwierige und verdienstliche Teil der

Aufgabe, und es heißt den Meißner Verein unverdienterweise verkleinern,

wenn man seine Tendenz als allein hierauf beschränkt darzustellen suchtWenn daher Herr Hallbauer seinen Verein als für verarmte und kredit­ lose Personen nicht bestimmt, bezeichnet, so will er ihn damit nur dem Bereiche der Wohltätigkeit entrücken und wiederholt nur, was ich in

meiner Schrift*) S. 29 sage, daß die Vorschußvereine nicht mit Almosen­ anstalten vermengt werden dürfen und daß daher niemand ausgenommen werden und einen Vorschuß erhalten kann, bei dem nicht die wahr­ scheinliche Aussicht auf Wiedererstattung vorhanden ist. Wirkliche Ver­ armte, die sich und die Ihrigen nicht mehr durch eigne Kraft zu erhalten vermögen, sind übrigens schon bei allen unseren Vereinen durch die Ver­ pflichtung, ein Eintrittsgeld und fortlaufende Monatssteuern in die Kasse *) Vorschußvereine als Volksbanken.

Leipzig.

C. E. Keil.

1855.

Die Vorschußvereine in Hannover.

303

zu zahlen, an welche die Mitgliedschaft geknüpft ist — und nur Mit­

glieder erhalten Vorschüsse — tatsächlich ausgeschlossen.

Nur in dem

Ausdruck „kreditlos" hat sich hiernach Herr Hallbauer vergriffen, indem er dafür „nicht kreditwürdig" hätte sagen sollen.

Denn wie der weitere

Inhalt seiner Schrift ergibt, setzt auch er eine Aufgabe des Vereins, so

gut wie wir, darin, den bisher Kreditlosen, wenn sie sich nur durch Fleiß

und

kreditwürdig zeigen, Kredit zu verschaffen, wenn er

Sparsamkeit

Seite 20 sagt:

„Das ärmere Mitglied, welches allmählich seine Stamm­

einlage aussteuert, benutzt den Verein als Sparkasse und gewinnt endlich

das Mittel, dadurch kreditfähig zu werden" usw. Ein prinzipieller Unter­

schied also zwischen ihm und unseren Vereinen liegt nicht vor, wenn auch so viel richtig ist, daß derselbe vorzugsweise dem Bedürfnis des wohl­

habenden Mittelstandes dient, während die meisten der unsrigen sich mehr aus der weniger bemittelten Handwerker- und Arbeiterklasse rekrutiert

haben;

dies geht schon daraus hervor, daß die von der Kasse mittels

Anleihe aufzunehmenden Gelder in Meißen fast gänzlich durch freiwillige Einlagen der Mitglieder gedeckt werden, während wir meist unsern Bedarf

durch Darlehen von dritten Personen decken

müssen.

Wer nns

aber

daraus, daß trotz der offenbar schwierigen Aufgabe und den ungünstigeren

Verhältnissen, mit denen wir es zu tun haben, so bedeutende Resultate erzielt sind, jenen unter leichteren und günstigeren Umständen arbeitenden

Vereinen gegenüber znrücksetzen will, der muß — zur „Neuen Hannöverschen

Zeitung"

gehören.

Unkenntnis

des

Im höchsten Grade lächerlich und auf vollständige

Wesens

unserer Vereine

berechnet sind die ferneren

Deklamationen gegen den bei uns angeblich zu hoch gegriffenen Zinsfuß, wo die „Neue Hannöversche Zeitung" mir schuld gibt, „es habe mir in

der Zeit der Dividendensucht daran gelegen, durch möglichst hohe Dividende anzulocken"; wie es mit dieser Dividende steht, und daß dieselbe von uns

mit Vorbedacht so eingerichtet ist, daß sie den größtmöglichsten Reiz zum Sparen

für die

Mitglieder enthält, haben wir oben gezeigt.

Wenn

durchaus von einer Sucht auf unserer Seite die Rede sein soll, so kann

es nur die Sparsucht sein, zu der ich mich hiermit ungescheut bekenne,

indem ich wiederholt

und bei jeder Gelegenheit auf Bildung eigener

Kapitalien für die Arbeiter im Wege allmählichen Einsteuerns und Zu­

schreibens des Geschäftsgewinns dringe und ohne diese Einrichtung unseren Volksbanken nur eine höchst prekäre und untergeordnete Einwirkung auf

dauernde Hebung ihrer Mitglieder zuschreibe, weil die Leichtigkeit, Kredit zu erhalten, für den Unbemittelten gar leicht zur Waffe wird, die sich gegen ihn selbst kehrt, geht die Sorge für die Deckungsmittel damit nicht

Schulze-Delitzsch.

304 Hand in Hand.

Die „Neue Hannöversche Zeitung" weise doch einmal

eine Einrichtung nach, welche dies in

unserer Vereine;

gleichem Maße förderte als die

bis dahin hülle sie sich in ihre hohe Staatsweisheit

und störe uns nicht in Gestaltungen nach unserm beschränkten Unter­

tanenverstande, in denen die praktischen Lebensbedürfnisse mit den Grund­

sätzen

der

Wissenschaft zusammentreffen,

welche die Beteiligten

wollen und bei denen sie sich wohl befinden. nicht anders verfahren wird,

selbst

Und daß auch in Meißen

namentlich der dortige Zinsfuß sich von

dem unsrigen ällßerst wenig unterscheidet, hätte die „Neue Hannöversche

Zeitung" leicht finden können, wenn sie sich die Mühe gab, nachzurechnen. Wie bemerkt, beträgt derselbe in der Regel 8 bis 10 % einschließlich der Provision.

Allerdings wird nicht selten für das erste Jahr nach der

höherer Satz bis zu 12 bis 141/8 °/0 angenommen, um von dem dadurch gesteigerten Geschäftsertrage die Kosten der ersten Ein­

Gründung ein

richtung zu bestreiten und gleich einen Stamm zum Reservefonds zu gewinnen, dem man den ganzen Überschuß zuweist. Allein sobald dies geschehen und der Reingewinn den Mitgliedern mit allmählichem An­

wachsen von deren Guthaben zufließt, werden die Sätze überall reduziert. In Delitzsch, wo sie gegenwärtig bei den ersten 100 Talern jedes Vor­

schusses mit 10 °/o, bei dem übersteigenden Teile des Betrages mit 8 °/0

berechnet werden, sieht für das nächste Jahr eine weitere Reduktion in der Art in Aussicht, daß künftig nur

5°/o Zins auf das Jahr, '/«°/o Provision auf den Monat

bei allen Vorschüssen ohne Unterschied des Betrags genommen werden soll, was zusammen 8 °/0 jährlich in allen Fällen beträgt.

Was nun

die Regulierung dieses Punktes in Meißen anlangt, so ist die Abgabe der Vorschußempfänger dort verschieden bemessen, je nach der Frist, für welche der Vorschuß entnommen wird, denn wenn auch hier die Zinsen

nur mit 5 °/o auf das Jahr in Ansatz kommen, so wird doch die Provision noch außerdem mit % °/0 nicht auf das Jahr, sondern von jedem Vor­ schuß und von jeder Prolongation ohne Rücksicht auf die Frist, für welche

er bewilligt ist, dazugeschlagen.

Da nun aber niemals ein Vorschuß oder

eilte Prolongation auf länger als 3 Monate gegeben wird, so beträgt

diese Provision auf das Jahr berechnet a) bei Vorschüssen oder Prolongationen auf 3 Monate */.2 °/o vom

Vierteljahr — 2 % auf das Jahr das mindeste; b) bei Fristen von 2 Monaten, x/8 °/0 von 2 Monaten — 3 °/0 auf

daS Jahr als Mittelsatz;

Die Vorschußvereine in Hannover.

305

c) bei Fristen von 1 Monat % 7o auf 1 Monat = 6 °/0 auf

das Jahr.

Dies mit den Zinsen zusammengeschlagen, zahlen also die Vorschuß-

empianger in Meißen auf das Jahr ad a) bei

Vorschüssen

3 monatlichen

.

longationen

und

Pro­

5 °/0 Zins

.

2 % Provision

7 °/o ad b) bei

Vorschüssen

2 monatlichen

und

Pro-

5 °/o Zins

longationen

3 °/0 Provision s oi 8

ad c) bei

Vorschüssen

1 monatlichen

I

o

und Pro-

5

longationen 6 °/o Provision

11 7. Die S. 54 der Hallbauerschen Schrift aufgestellte Zinsen- und Pro­

visions-Skala weist dies näher nach und sind demnach beispielsweise in Meißen an Zinsen und Provision zusammen zu entrichten.

a) bei einem Vorschuß von 21 bis 25 Tlr. auf 1 Monat 7



2



3



13 7. „

b) bei einem Vorschuß von 200

Tlr.

1 Tlr. 25 Sgr.

auf 1 Monat

rr

Sgr.

io7» „

2



2

3



3

20



15

wogegen man in Delitzsch zahlt

ad a) bei einem Vorschuß von 21 Tlr. auf 1 Monat 51/. Sgr. künftig 41/. Sgr.



2



10*/3





3



15b/.



81/., 12b/.

„ „

ad b) bei einem Vorschuß von 200 Tlr. dagegen

auf 1Monat 1 9U Q U W °

Tlr. fl

15 Sgr. künftig 1 Tir. 10 Sgr. tf

tf

2

15

4 8 ,, 4 „ 15 „ H Die Geringfügigkeit dieses Unterschiedes besonders bei mäßigen Vor­ ff

schüssen von 20 bis 25 Tlr., wie sie namentlich von den unbemittelten

Gewerbetreibenden in der Regel entnommen werden, springt in die Augen, Scbulje-Trlitzsch, Schriften und Reden. 1.

20

Schulze-Delitzsch.

306

und da das geringe Mehr, was bei dreimonatlichen Fristen bei unsern Vereinen erhoben wird, den Charakter einer Spareinlage für den Vor­

schußempfänger annimmt, insofern

es ihm in der Form der Dividende

wieder zugute kommt, so ist der dadurch erzielte Vorteil offenbar be­ deutender als das dafür gebrachte Opfer.

Noch absurder ist es, wenn man unsere Vereine dem Meißner um

deshalb nachstellen will, weil sie nicht das in dem Meißner Statut vor­ geschriebene Liquidationsversahren angenommen haben, für den Fall, wo wegen Zahlungsunfähigkeit der Vereinskaffe von der solidarischen Haft der Mitglieder, zur Befriedigung der Vereinsgläubiger Gebrauch gemacht

werden muß.

In Meißen wird nämlich in einem solchen Falle der durch

die gemeinschaftliche Haft der Mitglieder aus deren Privatvermögen auf­ zubringende Defekt von dem Direktor unter Mitwirkung des Gerichts unter sämtliche Mitglieder verteilt und von ihnen eingezogen.

Gewiß

ist dieser Teil der Hallbauerschen Arbeit, wodurch gewissermaßen ein

besonderes Konkursverfahren für den Verein geregelt wird, welches die allgemeinbestehenden gesetzlichen

Vorschriften

über Geltendmachung der

solidarischen Haft wesentlich modifiziert, seiner Klarheit und Zweckmäßig­ keit halber nur anzuerkennen.

Dennoch lassen sich die betreffende» Be­

stimmungen der Natur der Sache nach nur solchen Vereinen zur An­ nahme empfehlen, die sich mit dem Meißner in rechtlicher Hinsicht in gleicher Stellung befinden, d. h. Korporationsrechte haben, als moralische

Personen vom Staate anerkannt sind, was bisher bei keinem anderen unserer Vereine der Fall ist.

Diese befanden sich daher durchaus nicht

in der Möglichkeit, die gesetzlichen Wirkungen der solidarischen Haft in ihren Statuten zu modifizieren.

Auch bei uns werden, wenn der Verein

Verlust erleidet, wie in Meißen zuerst der Reservefonds, dann das Gut­ haben (die Stammeinlagen) der Mitglieder zur Deckung der Ausfälle herangezogen, und erst wenn diese erschöpft sind, müssen die Mitglieder

mit ihrem anderweitigen Vermögen aufkommen.

Im letzteren Falle aber

müssen sich die Mitglieder den gesetzlichen Folgen der von ihnen über­ nommenen solidarischen Haft unterwerfen, weil eine Abänderung derselben eben nur mittels eines von der höchsten Staatsbehörde bei Erteilung der

Korporationsrechte genehmigten Statuts zulässig und denkbar ist.

Wollten

unsere bloßen Privatvereine dergleichen dem gemeinen Landrecht wider­ strebenden Folgen in ihre Statuten oder Gesellschastsverträge aufnehmen,

mit der Prätension, daß sich die Gläubiger sowie die Gerichte vorkommenden­

falls danach richten sollten, so wären dergleichen Bestimmungen ebenso wirkungslos als lächerlich, da weder den Gerichten dergleichen Exemtionen

307

Die Vorschußvereine in Hannover.

durch Privatabkommen zu beachten gestattet ist, noch dritte Personen außer dem Kontrahenten, d. h. den Mitgliedern, dadurch gebunden werden können.

Statt dessen blieb unsern Vereinen nur übrig, wie sie getan,

die Art der Geltendmachung der solidarischen Haft den Landesgesetzen zu

überlassen.

Und daß aus diesem ungeschwächten Bestehen der solidarischen

Haft weder den Gläubigern noch den Mitgliedern unserer Vereine be­ sondere Nachteile entstehen, dafür ist auf ausreichende Weise gesorgt.

Was zunächst das Publikum anlangt, welches sich mit den Vereinen, besonders indem es ihnen Gelder anvertraut, in Geschäfte einläßt, so bedarf es nicht erst einer Ausführung, daß dessen Interessen durch die allgenieinen gesetzlichen Vorschriften über solidarische Haft besser gewahrt

Denn die Gesetze

sind, als durch die Maßgabe des Meißner Statuts.

gestatten dem Gläubiger in solchem Falle, sich nach seiner Wahl an jeden

einzelnen der solidarisch Verhafteten wegen der ganzen Schuld bis zu seiner vollen Befriedigung zu

halten und es

dann

dem

Jnanspruch-

genommcnen zu überlassen, an die übrigen Mitverpflichteten anteilig seinen

Regreß zu nehmen.

Gerade hierin liegt die außerordentliche Gewähr

dieses Rechtsinstituts, welche es für jeden Gläubiger so annehmlich macht,

daß er nicht nur möglichst sicher — weil alle für das Ganze hafte» —, sondern auch möglichst rasch — weil er sich den besten Zahler aussuchen kann — zu seiner Befriedigung gelangt.

Dem Gläubiger dieses Wahl­

recht entziehen, wie das Meißner Statut tut, und ihn

nötigen, seine

allmähliche Befriedigung durch Ausschreiben und Einziehen der Beiträge

von einer großen Zahl Mitglieder abzuwarten, eigentlich die Spitze abbrechen.

heißt der Einrichtung

Wenn dies in Meißen ganz angemessen

war, weil dort die Mitglieder meist die nötigen Geldmittel selbst aufbringen, so könnte es möglicherweise bei Vereinen, deren Mehrzahl nicht zu den

Bemittelten zählt, hier und da einen Gläubiger eher abhalten, die ge­ wünschten Gelder vorzuschießen, in keinem Falle aber ein Gewicht für die Bewilligung in die Wagschale werfen.

Man vergleiche damit einmal

den ganz analogen Fall im Wechselverkehr: wenn dem Wechselinhaber das Recht genommen werden sollte, sich beliebig an jeden seiner Vor­ männer unter den Giranten für das Ganze zu halten, und wenn er statt dessen eine anteilige Einziehung von allen abwarten müßte — wer

würde sich dann noch auf Annahme solcher Papiere einlassen? So bliebe dann nur noch

die Rücksicht auf

die Mitglieder als

Schuldner selbst übrig, welche bei einer Einrichtung wie in Meißen dem, daß ein einzelner möglicherweise das Ganze vorschießen muß, nicht aus­ gesetzt sind.

Indes, wie gesagt, handelt es sich hierbei um ein Privilegium, 20*

Schulze-Delitzsch.

308 eine Exemtion von

den Landesgesetzen, welche nur die Staatsbehörde

erteilen kann, deren Annahme also dem Belieben unserer Vereine entrückt

war.

Und sodann kann nicht nur dies Privilegium, wie wir schon an­

deuteten, der Erlangung der nötigen Kapitalien unter Umständen im Wege stehen, so daß mit Rücksicht auf die Vereinszwecke die Übernahme des Risikos in eigenem Interesse der Mitglieder geboten erscheint, sondern

es knüpfen sich auch allerlei wohltätige Folgen für die Behandlung der Vereinsangelegenheiten an diese strenge Gebundenheit aller in der Haft für die Gesamtschuld.

Zunächst werden sich sämtliche Mitglieder um die

Verwaltung der Vereinsgeschäfte, für die sie persönlich einstehen müssen,

z. B. bei Aktiengesellschaften geschieht, und man

mehr bekümmern, als

wird sämtliche Einrichtungen, den ganzen Geschäftsgang möglichst so zu

ordnen suchen, daß jede Gefahr vermieden wird.

In der Tat läßt sich

durch vernünftige Einrichtungen, über welche wir ausführlich bereits oben gesprochen haben, unter denen die Bildung eines Reservefonds und eines

möglichst bedeutenden eigenen Kapitals der Mitglieder in der Vereinskassc oben austehen, die Gefahr der solidarischen Haft für den einzelnen in

einem solchen Grade beseitigen, daß sie gegen die dadurch für die Gesamt­ heit erreichten Vorteile gar nicht in Anschlag kommt.

Denn das ist doch

nun einmal nicht anders in Geschäften und kann nicht anders sein, daß

man

sich

den

unerläßlichen Bedingungen

allen

Verkehrs

unterwirft.

Dazu gehört aber für eine größere Anzahl von Personen für eine Privat­

gesellschaft, welche, ohne besondere Sicherstellung, auf den persönlichen Kredit ihrer Mitglieder hin Kapitalien aufzunehmen in dem Falle ist, mit absoluter Notwendigkeit die solidarische Verhaftung.

Denn welcher

Gläubiger soll sich wohl entschließen, eine Geldsumme solchen Vereinen gegen Teilhaft der Mitglieder vorzuschießen mit der Wirkung, daß er nun,

wenn die Vereinskasse ihre Zahlungen einstellt, von jedem Mitgliede einen bestimmten, oft winzig kleinen Anteil seiner Forderung

einziehen muß.

Er müßte dann Hunderte von Klagen anstellen und bei vielen noch dazu

gewärtig sein, Ausfälle zu erleiden, weil es unter so vielen an einzelnen insolventen

Schuldnern

nicht

fehlen

würde, und

keiner

den

anderen

überträgt. Nach allem glaube ich den Standpunkt des Meißner Vereins und

seiner tüchtigen und verdienten Leiter, der Herren Hallbauer, Dr. Böhmert und Kaufmann Schröer gegen die „Neue Hannöversche Zeitung" gewahrt und öffentlich in meinem und meiner sämtlichen Freunde und Genossen Namen bewiesen zu haben, welchen Wert wir darauf legen, dieselben die

Nnsrigen zu nennen.

Ich füge daher schließlich nur noch einige Worte

Die Vorschußvereine in Hannover.

309

bei über die Stellung der hannöverschen Vereine, der in Aussicht stehenden

an die Annahme der Meißner Einrichtungen ihrer Regierung gegenüber.

Ob

geknüpften Genehmigung

nach dem hannöverschen Landesgesetze

die Vorschußvereine wirklich einer Konzession bedürfen, darüber vermag

ich kein apodiktisches Urteil zu fällen.

Insofern das hannöversche Vereins­

gesetz vermöge seiner gleichen Wurzel in der

deutschen Zentralbehörde

von denen der übrigen deutschen Staaten kaum

möchte ich es bezweifeln. wenig etwas

verschieden sein kann,

Aus dem Gewerbegesetz aber dürste sich ebenso­

für jene Forderung entnehmen

lassen.

Wenn sich eine

Anzahl Handwerker, Kaufleute und Arbeiter, von denen jeder schon sein besonderes Gewerbe treibt, behufs Aufbringung der dazu nötigen Geld­

mittel genossenschaftlich vereinigen, zusammen Geld borgen oder aufsammetn

und es dann unter sich verteilen, so dient dies eben zu dem bereits von jedem betriebenen Gewerbe, ist aber kein neues besonderes Gewerbe; das würde es nur, sobald man auch andern als liehe.

den Vereinsgliedern Geld

Und auch daun wäre cs nicht anders als ein gewöhnliches Bankier­

geschäft in Kompanie, zu dem man doch wahrhaftig nirgends Konzession bedarf, indem ja der rechtliche Begriff einer Sozietätshandlung nirgends

ans eine bestimmte Mitgliederzahl beschränkt ist.

Wohl läge es daher

ganz gleichmäßig im Interesse der Behörden wie der Vereine, insofern

der Stand der Gesetzgebung die Frage zweifelhaft ließe, sie durch Ent­ scheidung der zuständigen Gerichte zum Austrage zu bringen, wie dies in Preußen geschehen ist.

Wenn man indessen seitens der Vereine hiervon

Abstand nehmen zu müssen glaubte, und somit die Konzessionsbefugnis der Administrativbehörde unbestritten vorliegt,

so bleibt natürlich nur

übrig, entweder die Vereine in der bisherigen Form aufzugeben oder die

von der Regierung ausgestellten Bedingungen, an welche die Konzessions­ erteilung geknüpft ist, zu erfüllen.

Bestände die Regierung, wie verlauten

will, daher wirklich nur auf Annahme des Meißner Statuts ganz oder

in seinen Hauptzügen, so könnte es den

hannoverschen Vereinen wohl

kaum schwer fallen, sich dem zu fügen, da, wie wir zeigten, sie dadurch

die leitenden Grundprinzipien ihrer bisherigen Organisation keineswegs

aufzugeben, sondern sich nur in Nebendingen zu akkommodieren brauchten, wogegen ihnen die immerhin nicht gering anzuschlagende Verleihung der

Korporationsrechte zustatten käme.

Aber freilich wird dabei eins voraus­

gesetzt: daß nämlich die hannoversche Regierung die von dieser Einrichtung unzertrennliche Aufsicht der Behörden in derselben liberalen Weise ordne

wie dies die Königlich sächsische Regierung in so anerkennungswerter Weise bei dem Meißner Verein getan hat.

Nach § 36 des bestätigten

310

Schulze-Delitzsch.

Meißner Statuts ist nämlich der bei dem Verein fungierende Regierungskommissar darauf beschränkt:

an den Generalversammlungen teilzunehmen und darin ohne auf das Material der Sache einzugehen, darüber zu wachen, daß den

formellen Vorschriften der Statuten

gehörig nachgegangen,

und

nichts beschlossen wird, was den Statuten, Gesetzen und sonst be­ stehenden Anordnungen zuwiderläuft.

Denn würde eine solche amtliche Einmischung in die Vereinsange­ legenheiten weiter ausgedehnt, so sind alle nur erdenklichen Vorteile der zu erlangenden Korporationsrechte dagegen viel zu teuer erkauft, indem

durch eine Hemmung der freien Bewegung im Verkehr ein solches Bank-

institut sein eigentliches Lebenselement verliert, weil es nur in voller Freiheit und Selbständigkeit der geschäftlichen Operationen zum gedeih­ lichen Aufschwünge gelangen kann, wie die täglichen Erfahrungen in der

Geschäftswelt

beweisen.

In

diesem

letzteren Falle würde

daher den

hannoverschen Vereinen kaum zu raten sein, sich um eine solche Konzession mit Hindernissen zu bewerben, vielmehr würden sie alsdann weit besser­

tun, nach dem Vorgänge des früheren Vorschnßvereins jetzt der Diskonto­

gesellschaft in Eisleben, welcher vor gerichtlicher Entscheidung der Frage in Preußen auch mit einer solchen Konzession beglückt wurde, worin

unter anderem die Aufnahme von Darlehen an die Genehmigung des

Magistrats geknüpft war! — sich aufzulösen und in Form einer freien Handelssozietät allenfalls einer Kommanditgesellschaft zu reorganisieren, je nachdem die Landesgesetze dies gestatten, wie denn der Eislebener

Verein auch in seiner neuen Gestalt die Lebenskraft seines Prinzips

glänzend bewährt hat und im letzten Rechnungsjahre vom 1. Juli 1857 bis 1858 über 300000 Taler Vorschüsse in Form von Wechseldiskon­ tierungen ausgeliehen hat. Indessen wird dieser äußerste Fall, nach dem was wir oben an­

deuteten, wohl nicht eintreten, da die deutschen Regierungen mehr und mehr zu der Überzeugung hingedrängt werden, daß es nicht staatsgefährlich

ist, den Leuten auf dem Felde des Erwerbs zu erlauben, sich selbst zu

helfen, und daß, auf welchem politischen Standpunkte man sich auch be­ finde, der Staat jedenfalls Leute braucht, die Steuern zahlen: eine Wahr­

heit, die sicher auch bei den regierenden Kreisen in Hannover durchzudringen Aussicht hat.

Die Großindustrie hat ihre Banken, und viele

Regierungen halten es für Pflicht, ihr durch Staatsmittel und Garantien dabei noch entgegen zu kommen; warum will man den kleinen Gewerbe­

treibenden, bei denen die Beschaffung des nötigen Betriebskapitals mehr

Die Vorschußvereine in Hannover.

und

311

mehr zur Lebensfrage wird und die gar nichts vom Staate dazu

verlangen, wehren, ihre eigenen Bankiers zu sein? Warum, ja warum? — doch genug der unbequemen Fragen; sonst

erleben wir nächstens,

daß die

„Neue hannöversche Zeitung"

bei

der

hannoverschen Regierung nach dem Vorgang der Kaiserlich französischen

das Verbot der Verbreitung volkswirtschaftlicher Wahrheiten in Anregung bringt, was bei dem Programm ihrer Partei von der Umkehr der Wissen­

schaft und den entschiedenen Gelüsten nach französischer Staatsbeglückung

ohnehin niemand wundernehmen würde.

Was man aber auch an un­

bequemen Fragen alsdann vielleicht beseitigt, so ist doch so viel sicher,

daß man

auf der anderen Seite

noch

weit

mehr unbequemere

stets

wachsende Forderungen a» die Staatsmittel dadurch hervorrufen würde,

an

deren endlicher Befriedigung das beliebte System noch immer ge­

scheitert ist. Delitzsch im Dezeinber 1858.

Auch noch auf dem volkswirtschaftlichen Kongreß in Frankfurt a. ZU. im September 1859 — Seite 3(6 dieses Buches — klagte Schulze über die Haltung der hannoverschen Regierung gegenüber den Vorschußvereinen; über den weiteren Fortgang der Angelegenheit berichtete er,

nachdem er sich auch in der „Innung der Zukunft", Iahrg. (859, 5. 53, nochmals mit der „Neuen hannöverschen Zeitung" auseinander­ gesetzt hatte, in dem zweiten Hefte (860 der „Innung der Zukunft". Erst mit der Einverleibung Hannovers in Preußen (866 gewannen die

Vorschußvereine ihre gesetzliche Freiheit.

3n Sachen der hannöverschen Vorschnßvereine. (Aus der „Innung der Zukunft" 1860, Heft II.)

Das Verhältnis der auf der Selbsthilfe der Kreditbedürftigen des kleineren und mittleren Gewerbestandes im genossenschaftlichen Wege ge­ gründeten Vorschuß- und Kreditvereine im Königreich Hannover zu der

hannoverschen Regierung hat zu mehrfachen Besprechungen in der Presse

und einer eingehenden Verhandlung auf den beiden volkswirtschaftlichen Kongressen zu Gotha und Frankfurt Anlaß gegeben.

Die entschiedene

Verwerfung des von der erwähnten Regierung eingenommenen Stand­ punktes auf jenen Kongressen scheint denn auch wenigstens nicht ganz ohne Wirkung geblieben und insofern eine neue Phase für die Hannover-

Schulze-Delitzsch.

312

scheu Vorschußvereine eingetreten zu sein.

Freilich hat man immer noch

in der Konzessionierung der Vereine und in der direkten Einmischung in ihre Angelegenheiten mittels der Regierungsaufsicht das ganz unhaltbare

Bevormundungsprinzip auf dem Felde des Erwerbs beibehalten und somit

die Existenz und geschäftlichen Operationen der gemeinnützigen Institute von bureaukratischen Vorstellungen abhängig gemacht.

In einigen anderen

wichtigen Fragen dagegen, insbesondere rücksichtlich der solidarischen Haft der Mitglieder gegen die Vereinsgläubiger als Kreditbasis und rücksicht­ lich der Höhe der Zinsen und Provisionen ist man von früheren Vor­

urteilen zurückgekommen und hat sich hierin wie in allen übrigen Punkten unseren Einrichtungen angeschlossen.

Nur die Forderung, „daß die vom

Verein darlehns- und sparweise aufzunehmenden fremden Gelder nicht das Fünffache des Guthabens oder der Stammanteile der Mitglieder

übersteigen dürfen", welche sich in allen von der Regierung genehmigten Statuten vorfindet, ist neu.

Indes ändert sie prinzipiell nichts und ist

praktisch nur insofern hemmend, als die Vereine dadurch gehindert werden, gleich in den ersten Jahren ihres Bestehens, wo die durch allmähliches

Einsteuern der Mitglieder sich bildenden Stammanteile natürlich noch gering sind, ihr Geschäft durch Aufnahme fremder Gelder so sehr zu

verstärken, als es das Bedürfnis wünschenswert macht.

Bei Vereinen

dagegen, welche bereits mehrere Jahre bestehen, bildet sich ein solches

Verhältnis der Stammanteile zu den von Dritten aufgenommenen Kapi­

talien von selbst, und es kommen Fälle vor, wo die letzteren nur s/4, ja nur */8 des gesamten Betriebsfonds bilden.

Jedenfalls ist das Erstreben

eines solchen Verhältnisses, die Förderung eigener Kapitalbildung seitens der Mitglieder durch Anwachsen ihrer Stammanteile, ebenso wichtig für

den Verein wie für die einzelnen Mitglieder, und wir haben vielfach aus­ geführt, daß ohne dies die ganze Organisation eine verfehlte in unseren Augen ist.

Dies erkennend, hat denn auch der Vereinstag deutscher Vor­

schußvereine in Weimar bei Beratung einer an die deutschen Regierungen

zu bringenden Gesetzesvorlage wegen einer für die Vereine herbeizuführen­

den

Legitimationserleichterung

bei Rechtsgeschäften

und Prozessen im

Juni d. I. selbst die Forderung aufgestellt: daß das eigene Vermögen

des Vereins, an Reserve und Stammanteilen der Mitglieder, mindestens 5 Prozent des aufzunehmenden Anlehens betragen muß.

Dabei war die

angedeutete Schwierigkeit, in welche man die Vereine bei ihren Anfängen

durch eine höhere Normierung jenes Fußes gebracht haben würde, maß­ gebend, und man glaubte eine weitere günstigere Entwicklung des Ver­

hältnisses dem eigenen Interesse der Vereine, welches sie

wegen ihres

Die Vorschußvereine in Hannover.

313

Kredits nach außen, sowie wegen der Sicherheit ihrer Mitglieder gegen

die Gefahren der solidarischen Haft dabei hätten, dürfen.

getrost überlassen zu

In der Tat hat dies auch die Erfahrung überall bewährt, ja

der Geist, welchem unsere Vereine ihre Entstehung verdanken, der Geist der Selbsthilfe führt schon allein auf die möglichste Steigerung der eigenen Kapitalien, besonders wo man dem Sparen und Einlegen der Mitglieder­

steuern, wie dies durchgängig geschieht, den mächtigen Sporn der Divi­

dende hinzufügt, indem man den Geschäftsgewinn nach Höhe ihrer Stamm­ einlagen unter die einzelnen verteilt.*)

Aber nimmermehr wird ein stich­

haltiger Grund dafür aufgestellt werden können, eine Forderung, wie sie

bei völlig entwickeltem Geschäftsstande nach mehrjährigem Bestehen allen­ falls angemessen erscheinen könnte, den Vereinen gleich bei ihrem Anfang aufzudringen.

Offenbar hat man dieselben dabei mit Kapitalassoziationen,

Aktiengesellschaften und dergleichen auf eine Linie gestellt und nicht bedacht,

daß, während in den letzteren über bestimmte Geldsummen von den Aktionären von Haus aus verfügt wird, in unseren Vereinen die Geschäftsanteile

erst mühsam und allmählich durch Spareinlagen gebildet werden müssen, deren Anwachsen wesentlich von einem gedeihlichen Geschäftsverkehr ab­ hängt, welchen man, wie wir nachgewiesen haben, ganz unzweckmüßiger­ weise durch eine solche Beschränkung hemmt. Doch, wie dem auch sei, wir würden uns mit dieser Modifikation,

welche das Gedeihen der Vereine höchstens aufhält, sonst aber in keiner Weise gefährdet, leicht zufriedengeben, hinge sie nur nicht mit der nicht

genug zu beklagenden Staatseinmischung zusammen, gegen welche wir im

Namen der Wissenschaft wie der Erfahrung immer und immer wieder

Protest einlegen.

Die Vereine sind eine echte Schöpfung aus dem Volks­

leben heraus, dem Bedürfnis des Volkes dienend, auf seine eigene Leistungs­

fähigkeit berechnet, unter strenger Durchführung des auf dem Felde des

Erwerbs einzig gesunden Prinzips der Selbsthilfe, und überall, wo man

sie sich selbst überlassen hat, gedeihen sie und unsere Handwerker zeigen sich durchaus dem Geschäfte gewachsen.

Anstatt dies auf alle Weise zu

fördern, scheint einer gewissen Klasse von Staatsmännern, welche bei allem die Hände im Spiel haben wollen, schon das bedenklich, wenn die

arbeitenden Klassen ohne die Regierungsleitung sich zu einem mäßigen Wohlstände aufzuschwingen suchen.

Ohne die ungeheure Verantwortlich­

keit zu bedenken, die man sich dadurch aufbürdet, ohne imstande zu sein,

*) Hier folgen im Original die zahlenmäßigen Geschäftsergebnisse einiger Vorschußvereine.

314

Schulze-Delitzsch.

den Leuten auch nur den mindesten Ersatz für die Lähmung der eigenen Tätigkeit zu bieten, wird die Überwachung angeordnet und eine beliebige

Schablone dekretiert, welche das wahre Bedürfnis, die notwendigen Ent­ wicklungsbedingungen solcher Institute in den meisten Fällen mißkennt.

Wie man das Eingreifen der Behörden in der fraglichen Angelegen­ heit in Hannover geordnet hat, darüber geben die neuesten uns vorliegenden

regierungsseitig bestätigten Statuten der Vereine von Einbeck und Lüne­ burg genügenden Aufschluß.

Zunächst ist schon die Existenz des Vereins

vollständig von der Behörde abhängig.

Nur durch ihre Konzession kann

er in das Leben treten und durch deren Entziehung jederzeit wieder be­

Ebenso unterliegt konsequenterweise jede Statutenänderung

seitigt werden.

der obrigkeitlichen Genehmigung.

Endlich ist der Regierung aber auch

die Oberaufsicht nicht über den Verein im allgemeinen, sondern ins­

besondere auch

über dessen Geschäftsführung ausdrücklich beigelegt, und

zwar ohne jede nähere Begrenzung.

Hiermit ist nun in Ermangelung

aller gesetzlichen Schranken jeder verkehrten Ansicht der Beamte»! Tor

und Tür geöffnet und die Garantie für die freie Beweglichkeit der ge­

schäftlichen Operationen, welche diesen allein das Gedeihen sichert, völlig

untergraben.

Schon daß der Verein jede Minute ohne Angabe eines

Grundes durch Konzessionsentziehung geschlossen werden kann, muß seinen Kredit in hohem Grade benachteiligen, da er somit vielleicht gerade zur ungünstigsten Zeit zum Liquidieren genötigt »verden kaun.

Und daß damit

in Hannover nicht bloß gespaßt wird, dazu bilden die vielen geschlossenen Vereine einen traurigen Beleg.

Und was die Regierung selbst vielleicht

gar nicht einmal will, das können die mit der Aufsicht bei den einzelnen

Vereinen betrauten Beamten verfehlen, da Maß und Grenzen dieser Aufsicht ihrer Diskretton gänzlich anheimgestellt sind, sie also vollkommen freie Hand haben, dem beschränkten Untertanenverstande ihre amtliche Überlegenheit

fühlbar zu mache» und mit Zumutungen jeder Art aufzutreten.

Jede

Aufnahme eines Anlehns, die Annahme freiwilliger Spareinlagen zur Vergrößerung des Betriebsfonds, ja selbst die Ausleihung und Sicher­ stellung der Vorschüsse kann der Auffichtsbeamte demnach seiner Prüfung

unterwerfen und sie verbieten, so daß unter Umständen das ganze Ge­ schäft sttll zu stehen gezwungen ist: Eventualitäten, mit denen gedeihliche

Kassenoperattonen nicht vereinbar sind.

Man versichert uns nun zwar:

die Regierung werde von diesen Befugnissen keinen Gebrauch machen.

Aber weshalb legt sie dann überhaupt solchen Wert darauf, daß sie die Konzession niemals ohne dieselben erteilt?

Die Gesamtheit der Vereins­

glieder bildet einen so bedeutenden Kern unter den Gewerbetreibenden

315

Die Vorschußvereine in Hannover.

einer kleinen Stadt, daß ein auf sie geübter Druck in dieser Beziehung

immer sehr in das Gewicht fällt, zumal da es keine Kleinigkeit für diese wackern Leute ist, wenn man sie plötzlich mit Schließung der ihnen un­ entbehrlichen Kreditquelle bedroht. Den Schluß des Aufsatzes bildet die Vergleichung der Haltung der

Regierung des Königreichs Sachsen mit derjenigen der hannoverschen Regierung gegenüber den Genoffenschaften, wie sie schon in dem Aufsatze „Die Vorschußvereine in Hannover"

gegeben ist.

— Seite 309 dieses

Buches



Stand des Genossenschaftswesens in 1859. Rede auf dem volkswirtschaftlichen Kongreß zu Frankfurt a.M. 14. September 1859. (Aus dem stenographischen Berichte des Kongresses, S. 34.)

Meine Herren!

Die Aufgaben,

Genossenschaftswesen gestellt

waren,

welche

bestanden

der

Abteilung

für

das

teils in Anträgen von

Mitgliedern, teils in einigen Fragen, welche die ständige Deputation des früheren Kongresses auf die Tagesordnung gesetzt hatte.

Der von mir

zu vertretende Antrag der Abteilung, durch welchen jene Vorlagen erledigt

werden sollen, lautet:

1. „Der Kongreß erklärt:

daß sich, nach den gemachten Erfahrungen, in denjenigen Genossen­ schaften, welche des Kredites von außen bedürfen, die solidarische

Haft in Verbindung mit der

eigenen Kapitalbildung als

Kreditbasis vom geschäftlichen Standpunkte bisher durchgehend

bewährt hat.

2. Der Kongreß erblickt ferner die der Entwicklung der Genossen­ schaften bisher noch entgegenstehenden Hemmungen a) in dem Stande der Gesetzgebung in sämtlichen deutschen Staaten;

b) in der unrichtigen Auffassung der ganzen Bewegung seitens ein­

zelner deutscher Regierungen. In ersterer Hinsicht ist es namentlich die Schwierigkeit der Legitimation bei Rechtsgeschäften und Prozessen, welche nur in dem

Wege der Gesetzgebung abgestellt werden kann. In zweiter Hinsicht ist es die Verkennung richtiger volks­

wirtschaftlicher Grundsätze, welche hier und da in den leitenden

Kreisen herrscht, verbunden mit dem Mißtrauen in jede selbständige

Regung des Volkes, selbst in der Erwerbsfrage. In Erwägung jedoch: daß die deutschen Genossenschaften bereits selbst Schritte ein­

geleitet haben, um eine angemessene Stellung in der Gesetzgebung

zu erstreben; und

Stand des Genossenschaftswesens in 1859.

317

daß eine direkte Einwirkung auf die betreffenden Regierungen nicht in der Stellung des Kongresses liegt, spricht der Kongreß nur: zu a) den Wunsch aus, von dem weiteren Vorgehen der Genossen­ schaften in bezug auf die wünschenswerten gesetzlichen Er­ leichterungen seinerzeit Kenntnis zu erhalten;

zu b) aber sein Bedauern über die durch die Maßregeln der hannoverschen Regierung, besonders durch die Nötigung der Vereine zur Konzessionsnachsuchung und Versagung dieser Konzession bei mehreren, sowie durch die Einmischung der Verwaltungsbehörden in die Vereinsangelegenheiten im Auf­ sichtswege herbeigeführte Schließung so vieler im gedeihlichsten Aufblühen begriffener Institute.

3. Endlich hält es der Kongreß für durchaus geboten: daß bei der vorliegenden hochwichtigen Aufgabe der Hebung der unbemittelten Arbeiterklasse im Erwerb, die beiden Gebiete, das der Wohltätigkeit und das der wirtschaftlichen Organisation, streng auseinandergehalten und nicht, wie bisher vielfach geschehen, miteinander vermischt werden, weil auf solche Weise niemals Er­ sprießliches geleistet, niemals dem vorhandenen Bedürfnisse genügt werden kann." Ter dritte Punkt dieser Ihnen vorgeschlagenen Beschlüsse bezieht sich nun zwar nicht auf eine der erwähnten speziellen Vorlagen, wohl aber auf die gemachten statistischen Erhebungen, welche von der Versammlung der Abteilung überwiesen waren. Diese letztere hat ihre Aufgaben in dieser Beziehung nämlich so aufgefaßt, daß sie dieses Material zu prüfen und dasjenige, was sich etwa an wichtigen Folgerungen daraus ergab, der Versammlung zur Fassung eines definitiven Entscheides zu unter­ breiten sich verpflichtet hielt. In diesem Sinne bitten wir die Abteilungs­

vorschläge auszufassen. Was den ersten Antrag über die Bewährung der solidarischen Haft und der eigenen Kapitalbildung als Kreditbasis betrifft, so befinden sich die gedruckten Belege dazu in meinem Jahresbericht in Ihrer Hand. Sämtliche dort genannten Ver­ eine, mit Ausnahme des Darmstädter und Laibacher, beruhen auf der solidarischen Haft, in Verbindung mit der eigenen Kapitalbildung für die Mitglieder durch monatliche Beiträge und Gutschreibung des Geschäfts­

gewinnes. Ihre Resultate sind so schlagend und so bedeutend, daß ich kaum glaube, daß über die Frage eigentlich ein Zweifel obwalten kann.

318

Schulze-Delitzsch.

Nur mancherlei Bedenken treten dabei auf feiten solcher hervor, welche praktisch mit der Sache noch nichts zu tun gehabt haben; Bedenken, die

ich kurz erörtern werde und die besonders gegen die Gefährlichkeit des Rechtsinstitutes der Solidarität in Rückwirkung auf die Mitglieder bei

etwa herbeigeführtem Verluste gerichtet sind.

Daß eine solche Gefahr an

sich recht wohl in der Möglichkeit liegt, wird niemand in Abrede stellen.

Indessen, sehen wir uns einmal die Sache näher an.

Zunächst ist die

solidarische Haft nach deutschen Gesetzen für diese Vereine Regel, und ihre Abänderung liegt nicht in der Macht der letzteren.

Aber außer

dieser gesetzlichen liegt, was weit wichtiger ist, eine geschäftliche Not­ wendigkeit vor.

Natürlich kann bei der Frage nicht von jeder Genossen­

schaft iin allgemeinen, sondern nur von denen, welche sich in der Lage

befinden, von dritten Personen Geld aufnehmen zu müssen, die Rede sein, was meist

für die Rohstoff- und Vorschußvereine zutrifft.

Denn wo

man überhaupt kein fremdes Geld braucht, vielmehr die Mitglieder selbst

den ganzen Fonds zusammenschießen, da tritt ja überhaupt gar keine Ver­

haftung der Assoziationen nach außen ein.

Im entgegengesetzten Falle

aber, wo Geld von den Assoziationen durchaus ausgenommen werden muß, stellen wir uns einmal rein auf den geschäftlichen Standpunkt, da

wir

ja

grundsätzlich

jede

Unterstützung

und

jede

Gönnerschaft

Förderung aus gutem Willen ein- für allemal zurückweisen.

oder

Die Sache

stellt sich dann einfach so: der Kapitalist will sein Geld unterbringen gegen

guten Zins,

aber

sicher.

z. B. ein Verein

Es soll nun

von

200 Mitgliedern 200 Taler borgen wollen, so würden, wenn anstatt der

solidarischen die Teilhaft einträte, dem Gläubiger jedes Mitglied gerade auf die Höhe von einem Taler verhaftet sein.

Wenn er nun auch viel­

leicht sämtliche 200 Mitglieder zugleich in einer einzigen Klage würde

belangen können, im Falle der Verein nicht Zahlung leistet, so müßte er doch alsdann 200 verschiedene Exekutionsgesuche, gegen jeden einzelnen

auf einen Taler, anbringen, und würde obenein, wenn der eine oder der andere nicht zahlen könnte, diesen Betrag bei jedem insolventen Schuldner

verlieren, weil die übrigen nicht mit dafür haften.

Geschäftlich ist dieses

absolut unmöglich, und kein Kapitalist wird und kann sich auf solche Bedingungen einlaffen.

Wenn ich Geld brauche, so kann ich die Be­

dingungen nicht diktieren, sondern muß mich denen des Geldmarkts im

allgemeinen fügen und zugreifen.

Die beste Sicherung gegen die Ge­

fahren der solidarischen Haft ist eine tüchtige Kontrolle, eine gute Ver­

waltung,

Kaution

der Beamten,

Sicherstellung

seitens der Vorschuß­

nehmer und vor allem die eigene Kapitalbildung der Mitglieder.

Stand des Genossenschaftswesens in 1859.

319

Ich bin allerdings selbst der Ansicht, das; die Leichtigkeit, Kredit zu er­

langen,

für

unsere kleinen

Gewerbetreibenden nicht selten zum zwei­

schneidigen Schwert werden kann, welches sich gegen sie selbst kehrt, so lange nicht die Sorge für die Deckungsmittel damit Hand in Hand geht.

Allein das letztere ist eben durch die Bildung eigener Stammanteile der

Mitglieder im Geschäftsfonds erreicht, worauf ich und meine Freunde den höchsten Wert legen. Zu diesem Behufe steuern auch die unvermögendsten

Mitglieder bei, denn zwei bis drei Groschen monatlich vermag auch der Ärmste aufzubringen; besonders aber wird der Reiz zum Sparen durch die Art, den Geschäftsgewinn unter die Mitglieder zu verteilen, geweckt.

Wir tun dies nämlich nicht gleichmäßig nach Köpfen, nach der Zahl der Mitglieder, sondern nach der Höhe der Stammanteile, welche die ein­

zelnen eingelöst haben,

und dadurch steigt

sammlung außerordentlich.

die Lust an der Kapital­

Es sind mehrere Leiter von Assoziationen

unter Ihnen, die mir das bestätigen können.

Herr Holzmann aus Karls­

ruhe, Herr Miller aus Dresden können Ihnen ganz neue Beispiele da­

von anführen, wußten,

wie Leute,

sobald sie von

die bisher nie etwas von einer Dividende

ihren eingezahlten Geschäftsanteilen

die

ersten

Dividenden erhalten hatten, ihre kleinen Einzahlungen darauf sofort ver­ doppelten, wobei übrigens zu bemerken ist, daß diese Dividenden, solange nicht der Stammanteil eines Mitgliedes die normale Höhe erreicht hat,

diesem zugeschrieben und nicht ausgezahlt werden, wodurch deren An­

wachsen beschleunigt wird. kommt hiergegen

Die Wirksamkeit der gewöhnlichen Sparkassen

gar nicht in Betracht, da der von denselben gewährte

Zins viel zu gering ist,

um den Antrieb zum Aufsammeln kleiner Er­

sparnisse in solchem Maße zu wecken, wie unsere Vereine, welche selten

unter 8 bis 10% Dividende gewähren, und bei denen man sich infolge­

dessen bereits

genötigt

sah,

statt wie

früher ein Minimum jetzt

ein

Maximum der Stammanteile vorzuschreiben, über das hinaus keine Bei­

steuern mehr angenommen werden dürfen.

Durch die Verbindung dieser

beiden Elemente wird sich demnach die Gefahr der solidarischen Haft leicht vermeiden lassen.

Je mehr das eigene Vermögen wächst, um so weniger

braucht man fremdes Geld, und die dafür zu gewährende Sicherheit, die

Möglichkeit einer Vertretung der Mitglieder dafür, tritt immer mehr

zurück.

Und wie die so gewonnene Garantie dem Gläubiger gegenüber

die Gesamtheit schützt, so schützt sie dieselbe auch ihrem Schuldner, dem Vorschußnehmer gegenüber, wobei man zu berücksichtigen hat, daß die

Schuldner

stets Mitglieder sind, weil nur solche Vorschüsse erhalten.

Indem jedes Mitglied ein Guthaben in der Kasse besitzt, leistet es damit

Schulze-Delitzsch.

320

die beste Garantie für seinen Kredit, und

nainentlich wird es dadurch

möglich, mit wachsenden Stammanteilen allmählich von der Bürgschaft abzugehen, besonders bei Leuten, die wegen Armut selten einen Bürgen

zu stellen vermögen oder sonst heruntergekommen waren und keinen Kredit

hatten, jetzt aber, nachdem sie ein paar Jahre beigesteuert haben, leicht auf ihr Guthaben 10 bis 30 Taler vorgestreckt erhalten.

So erreichen

wir durch diese Einrichtung unserer Genossenschaften nichts Geringeres, wie man neuerdings in der französischen Presse anerkannte, als daß auch

der unbemittelte Arbeiter durch Solidität und fortdauernde kleine Bei­

steuern allmählich in einem Grade kreditfähig wird, wie dies auf keine andere Weise bisher ermöglicht wurde.

Hinsichtlich des zweiten Punktes liegt Zuerst soll ermittelt werden:

Bewegung entgegenstehen", seitigung derselben tun

eine doppelte Frage vor.

„welche Hindernisse der genossenschaftlichen und sodann:

kann".

„was der Kongreß zur Be­

Die Hindernisse, welche sich in dieser

Hinsicht wirklich vorfinden, sind nun keineswegs unüberwindlich und auch

nicht so bedeutend, daß sie der Bewegung wesentlich Abbruch getan Hütten;

vielmehr möchte ich beinahe behaupten, daß es der Bewegung gut ge­

wesen sei, daß man es ihr nicht zu leicht gemacht hat.

Zunächst liegen

dieselben in der Gesetzgebung und den Verkehrsformen, auf welche sich das Wesen der Genossenschaft nicht gut zurückführen läßt.

Hierher ge­

hört z. B. die Schwierigkeit der Legitimation bei Rechtsgeschäften

Prozessen.

und

Die Genossenschaft hat keinen festen Stamm von Mitgliedern,

die ihre Vertretung wie eine Privatgesellschaft

ordnen

können.

Sie

wechselt vielmehr ihre Mitglieder, ihre Beamten und ihre Vertreter fort­

während, welche sich erst bewähren müssen, weshalb man dieselben nur aus kurze Frist wählt. Überdem ist die Volllnacht für die Beamten zwar regelmäßig in den Statuten enthalten, indessen lautet aus den oben

angeführten Gründen diese Vollmacht nicht auf eine bestimmte Person, sondern nur auf die Funktionäre (Vorsitzenden, Direktor, Kassierer usw.)

im allgemeinen.

Es ist also notwendig, stets das Wahlprotokoll bei­

zufügen, welches die Person des Funktionärs feststellt, und ich brauche Ihnen nicht zu entwickeln, was für Verdrießlichkeiten und Weitläufig­ keiten dies nicht selten nach sich zieht, da alles dies Privaturkunden sind,

denen der andere Teil die Anerkennung versagen kann, wonächst eine weitläufige Beweisführung eintreten muß. dem Wege der Gesetzgebung zu beseitigen,

Dieser Mißstand ist nur auf denn wenn wir über jede

Statutenvollziehung oder Wahl einen notariellen oder gerichtlichen Akt aufnehmen lassen müßten, so kämen wir gar nicht von der Behörde weg.

Stand des Genossenschaftswesens in 1859.

321

Der Vereinstag in Weimar*) hat sich daher ebenfalls mit dieser Frage

beschäftigt und den Beschluß gefaßt, wonach ein Attest der Ortsbehörde über das Bestehen eines Vereins und die Personen seiner V ertreter jene

Ich verliere kein Wort weiter darüber und

Formalitäten ersetzen sollen.

beschränke mich darauf, Ihnen mitzuteilen, daß nach der Meinung der Abteilung der Kongreß für jetzt abzuwarten und seinerzeit davon Kenntnis

zu nehmen hat, was die Genossenschaften selbst in der Sache weiter aus­ wirken werden, die sie doch einmal, ganz ihrem Grundcharakter der Selbst­

hilfe getreu, selbst in die Hände genommen haben.

Außer den ebenerwähnten, auf die neue Verkehrsform der Genossen­

schaften nicht passenden Gesetzen sehen wir auch noch speziell durch ein­

zelne deutsche Regierungen der Bewegung, Hindernisse in den gelegt.

Weg

Es ist schon auf dem vorigen Kongresse von der Schädlichkeit

der Staatseinmischung in den Erwerb die Rede gewesen, und ich glaube

nicht nötig zu haben, Ihnen das vielfach von Ihnen selbst sanktionierte Prinzip der freien Bewegung, als des Lebenselements aller Bestrebungen auf diesem Felde, nochmals vorzuführen.

Indessen

hat sich vieles hier

in der letzten Zeit zum Bessern gewendet, und gegenwärtig nimmt die

hannoversche Regierung der Genossenschaftsbewegung gegenüber fast allein noch eine feindliche Srellung ein.

Ich habe bereits neulich ermähnt, daß

eine Menge von Vorschußvereinen in Hannover eingegangen sind, weil

sie die Konzessionserteilung von der Regierung nachsuchen mußten und diese

entweder

rund abgeschlagen

oder

an

Forderungen

wegen

ihrer

innern Einrichtung geknüpft wurde, unter denen sie nicht gedeihen zu können mit Recht glaubten.

Es ist nicht Sache des Kongresses, über den

zwischen den Behörden und Vereinen streitigen Rechtspunkt,

mäßigkeit der Konzessionsforderung zu entscheiden.

die Gesetz­

Das aber hielt die

Abteilung an der Zeit, daß die Versammlung ihr Bedauern ausdrücke,

daß in solcher Weise gegen so blühende Anstalten ist.

eingeschritten worden

Allerdings scheint der Standpunkt der hannoverschen Regierung sich

neuerlich zugunsten der Vereine ein wenig zu ändern.

Wenigstens bin

ich kürzlich in den Besitz eines Statuts gekommen, das als Norm dessen

gelten kann, was man dort regierungsseitig zu genehmigen gedenkt und

das sich fast ganz unseren Grundsätzen anschließt.

Namentlich hat man

von dem uns früher dort gemachten Vorwurf des Zinswuchers ganz ab*) In den Junitagen 1859 hatten sich Vertreter der deutschen Genossen­ schaften zum ersten Male zur gemeinschaftlichen Beratung ihrer Angelegenheiten zu einem „Vereinstage deutscher Vorschuß- und Kreditoereine" in Weimar zu­ sammengefunden. Schulze-Delitzsch, Schriften und Reden.

I.

21

322

Schulze-Delitzsch.

gesehen und dasselbe Zinsmaß eingeführt, wie in

den meisten unserer

Vereine, nämlich 5% Zins jährlich und 1/4 °/0 monatliche Provision, also

zusammen 8°/0 auf das Jahr.

Ferner hat man die solidarische Hast

beibehalten, welche früher ganz verworfen wurde.

Allein der Kardinal­

punkt, weshalb wir dieses Vorgehen verwerfen müssen, bleibt immer, daß

man nach wie vor die Bestätigung der Vereine von feiten der Regierung

fordert und ihre Gründung sowie ihr Fortbestehen von dem jederzeitigen

Belieben der Behörde abhängig macht.

Es haben daher mehrere Ver­

eine, deren Vertreter hier anwesend sind, es für unmöglich erklärt, unter

einem solchen Damoklesschwert fortzuarbeiten.

Dies ist aber ganz be­

sonders zu bedauern, weil Hannover sowohl wegen seines Umfanges, als auch dadurch so wichtig ist, daß in wenig andern Ländern ein so kcrn-

hafter und tüchtiger Handwerkerstand existiert wie dort, und nirgends die Bewegung mit mehr Ernst und mehr Liebe ergriffen wird wie dort.

Wir haben deutsche Staaten, wo die Regierung weiter ist als wohner;

hier

aber

stehen

die

Einwohner auf

die Ein­

einem freieren,

weit--

blickenderen Standpunkte, als man in den höheren Kreisen ihnen zugute kommen lassen will.

Sie sind gestern Zeuge gewesen, mit welcher Ge­

wandtheit und Mannhaftigkeit zwei Vertreter des Handwerkerstandes aus jenen Gegenden ihre Ansichten in unserer Versammlung geltend machten^ die Herren Schmidt und Asendorpf von Bremen.*)

Wenn wir dieselben

auch nicht teilen, so werden Sie mir doch zugeben, daß ein Volk, dessen Handwerker in einer Versammlung von Autoritäten der Wissenschaft und

der Praxis aus Nähe und Ferne so auftreten können, für die Genossen­ schaft und jede Freiheit auf diesem Felde vollkommen reif ist.

Ja, ich

verfehle nicht, die genannten Herren bei dieser Gelegenheit zu versichern, daß ihr Erscheinen, ihr Austreten unter uns den erfreulichsten Eindruck auf die ganze Versammlung gemacht und vor dem ganzen deutschen

Publikum

gezeigt hat,

daß sie für die von dem Kongresse erstrebten

Reformen für die von ihnen mit ganz unbegründeter Scheu gefürchtete Gewerbefreiheit vollkommen reif sind.

(Lebhafter Beifall.)

Was den dritten Antrag betrifft, so zeigen die Tatsachen, daß alle Vereine, welche auf der Wohltätigkeit beruhen, im Verhältnis zu den ihnen gebotenen Mitteln, sowie dem vorhandenen Bedürfnis äußerst wenig

leisten, sowie, daß die arbeitenden Klassen selbst die ihnen auf solche

Weise dargereichte Hand mit dem mehr oder weniger verschleierten Almosen im gerechten Selbstgefühl zurückweisen.

Diese Vereine behielten von ihrem

*) In der tags zuvor stattgchabten Debatte über Gewerbefreiheit.

Stand des Genossenschaftswesens in 1859.

ZZZ

Fonds meist mäßige Bestände übrig, weil trotz des dringenden Bedürfnisses die Leute nicht zu ihnen kommen.

Gewiß, meine Herren, wird niemand

unter uns die Mildtätigkeit, dem Aufhelfen derer, welche aus eigener

Kraft sich nicht mehr helfen können, eine hohe sittliche Berechtigung ab­

sprechen.

Sie wissen,

daß vor zwei Jahren

eine Versammlung

von

Männern aus ganz Europa sich hier zu dem sog. Wohltätigkeitskongresse vereinigt, mit dieser Frage beschäftigt hat.

Die Organisation der Mild­

tätigkeit ist eine hohe, bedeutungsvolle Aufgabe, welche auch ihre wirt­ schaftliche Seite hat, weil der gute Wille des einzelnen,

bei vereinzeltem

planlosem Auftreten seinen Zweck meist gar sehr verfehlt und es nötig ist, ein wohldurchdachtes Zusammenwirken zu erzielen, wenn anders der

Zweck der Heilung der hier auftretenden Notstände, besonders der im Elend begründeten Demoralisation erreicht werden soll.

Weit entfernt

also, daß die Volkswirtschaft eine feindselige Stellung der Wohltätigkeit

gegenüber einnähme, erkennt sie vielmehr dieselbe in ihrem Gebiete, wo

es sich um Unterstützung wahrhaft Hilfloser, dem Elend Verfallender handelt, vollständig an.

Sobald es aber darauf ankommt, nicht einem

einzelnen Versunkenen die Hand zu bieten, sondern den Notstand ganzer großer Bevölkerungsschichten, zahlreicher Klassen von Gewerbetreibenden, welche die neue Entwicklung der Industrie hart bedrängt, auf die Dauer

zu heben, da wäre die Mildtätigkeit, das Almosen, das allerverkehrteste

und verderblichste Mittel und seine Durchführung unmöglich.

Deshalb

müssen die Grenzen beider Gebiete streng auseinander gehalten werden. Sie wenden mir nun vielleicht ein, daß dieses Auseinanderhalten nicht leicht sei, und dies mag in manchen Fällen richtig sein.

Für unsere

Aufgabe indessen lassen sich recht wohl die Grenzen angeben.

Der Zins­

fuß, den die auf Subvention beruhenden Vereine von ihren Vorschußnehmern fordern, steigt vielfach einschließlich der Provision von 5°/0 bis zu 9°/0.

Ich meine nun, wenn jemand für Darlehen außer der Rückzahlung des

Kapitals solche Zinsen zahlen kann, dann hat er wahrhaftig kein Almosen

nötig, dann kann er sich recht füglich den Kreditbedürftigen unserer Ver­ eine anreihen, die durch ihre Organisation ihrem Bedürfnis aus eigener

Kraft abhelfen.

Geben Sie also diesen Leuten Vorschußvereine unserer

Art, wo sie Kapital gegen nicht höhere Zinsen erhalten können und

durch Bildung von Geschäftsanteilen mittels geringer Monatssteuer zu

eigenem Kapital gelangen, auf eigenen Füßen stehen lernen.

Ich erkenne

es vollkommen an, daß wir nebenbei immer noch Rettungskassen, Hilfs­ kassen, Unterstützungskassen

für die eigentlich Verarmten brauchen, die

dann eben keine Zinsen fordern dürfen und von Gönnern und Wohl21*

324

Schulze-Delitzsch.

tätern verwaltet werden müssen, denn daß Darlehen ohne Zinsen eine

Unterstützung, ein Geschenk sind, darüber will ich in einer Versammlung

von Volkswirten kein Wort verlieren.

Wir müssen also beide Richtungen

streng voneinander scheiden, indem man durch ihre Vermengung weiter nichts erreicht, als daß den Bedürfnissen und Zwecken keiner von beiden genügt wird.

Bei wem noch irgend Kraft zu eigener Regsamkeit vor­

handen ist, wer arbeiten kann,

kann auch einen Beitrag von wenigen

Groschen allmonatlich leisten, den halte man an, sein Kreditbedürfnis

durch Beitritt zu

unseren Vereinen zu

befriedigen.

Auf der anderen

Seite überlasse man aber den Rettungskassen und anderen wohltätigen Anstalten solche, die nicht mehr imstande sind, den Bedingungen des ge­

wöhnlichen Verkehrs zu genügen, und ohne fremde Hilfe dem Untergange verfallen.

Dann können beide Arten von Instituten zweckmäßig wirken

und ihre Aufgabe selbständig nebeneinander verfolgen.

Welche heillose

Begriffsverwirrung aber auf diesem Gebiete herrscht, darüber ist mir vor wenigen Tagen ein Aktenstück in die Hände gekommen, woraus ich Ihnen

einiges mitteilen will.

Es ist dies ein Vortrag, den ein sehr wohl­

denkender Mann in dem Zentralverein der Darlehnskassen in Berlin, der Stadt der Intelligenz, gehalten und dem Druck übergeben hat.

Der­

selbe geht von den Grundsätzen des von dem israelitischen Armenkollegium in Hamburg (schon 1816 Vorschußinstitut) aus, welches einen Zweig der dortigen Armenpflege

bildet und schon

deshalb

vollkommen

auf

dem

Standtpunkle einer Hilfs kaffe steht, welche Hilfsbedürftige durch zinslose

Darlehen unterstützt.

Hierin sieht nun der Verfasser merkwürdigerweise

„die wahre Selbsthilfe", da er ein Almosen, soweit man dem Kredit­

bedürftigen das Kapital nicht schenkt, sondern bloß die Zinsen, nicht darin findet — ein volkswirtschaftlicher Standpunkt, über den man sich nicht

wundern wird, wenn ich die Autorität zitiere, der er allein hier folgt. Es ist dies nämlich Eugen Sue, besonders dessen „Geheimnisse von Paris",

die der Verfasser als Quelle seiner Anschauungen voranstellt, und wobei

er sich nur wundert, wie das Armenkollegium in Hamburg und Eugen

Sue auf dieselbe Theorie verfallen konnten, ohne voneinander zu wissen. Das Fabelhafteste bleibt dabei der Begriff der Selbsthilfe, wie ihn der

Verfasser aufstellt.

Gewiß wird

niemand,

wir wiederholen es,

gegen

solche Unlerstützungskassen etwas haben, wenn dieselben innerhalb ihres

Bereichs bleiben; aber daß, wie es in der Schrift weitläufig ausgeführt und wörtlich zu lesen ist, Selbsthilfe sein soll, „wenn sich jemand mit Hilfe anderer forthilft"; oder daß „den hilfsbedürftigen Brüdern durch

diese Vorschußvereine Kredit gegeben werde und dadurch diejenige Selbst-

Stand des Genossenschaftswesens in 1859.

325

Hilfe, welche sie sich selbst nicht zu schaffen imstande waren" — das ist

zum

Die Selbsthilfe muß sich eben jeder selbst

mindesten Unsinn.

angedeihen lassen und kann sie von keinem Dritten erhalten, sonst ist es

keine,

und der Verfasser kommt so zu dem lächerlichen Resultat einer

Selbsthilfe für diejenigen, die

(Heiterkeit).

sich nicht selbst helfen können

Dabei möchte man ihn in Gottes Namen lassen, ebenso wie

bei seinem Unterschied zwischen sozialen und humanen Zwecken, über

den er sich ebenso unklar ist, läge nur nicht in diesen

und ähnlichen

Gemütlichkeiten vieler wackeren Leute, die, gleich ihm, den besten Willen

haben, für das Wohl ihrer Brüder zu wirken, eine so gefährliche Klippe,

an der eine Menge von Mitteln und Kräften scheitern, mit denen sich Darum dringen wir wiederholt darauf, keine Ver­

Tüchtiges leisten ließe.

mischung dessen, was nicht zueinander gehört!

Nettungsinstitute, Hilfs kaffen

Auf der einen Seite:

mit der Aufgabe

von Geldunter­

stützungen, Darlehen ohne Zins an solche, welche ohne dergleichen Subvention

verloren sind und genügen

können.

nicht Dies

mehr

den

gewöhnlichen Berkehrsbedingungen

als Ausnahme.

Auf

der

anderen

Seite

als

Regel: Vorschuß- oder Kreditvercine mit der Forderung der Selbst­ hilfe an die Kreditbedürftigen, ihres Eintretens in Risiko und Gewinn

des Vorschußgeschäfts

als dessen Mitglieder, Träger und Leiter.

Nur

so kann nach beiden Richtungen die zweckentsprechende Organisation ge­ troffen und dem vorhandenen Bedürfnisse wahrhaft genügt werden.

Und

nun,

Wissenschaft.

meine Herren,

noch

ein

Die Begriffsverwirrung, die

Protest im ich

Ihnen

Namen

unserer

vorführte,

diese

heillose Konfusion macht sich nämlich, wie Sie täglich hören können, mit dem Namen der Humanität breit und setzt sich als etwas Höheres,

Edleres der Volkswirtschaft entgegen, als ob diese sich je feindlich oder

auch nur fremd dagegen verhielte und verhalten könnte! — Humanität!

— Darf sich wirklich etwas mit diesem hohen Namen schmücken, was auf völlige Verkennung der Gesetze der menschlichen Natur hinausläuft?

— Wahrhaftig, nicht dieses

unklare Gefühlswesen,

nein,

die Volks­

wirtschaft ist die wahre Humanität auf sozialem Gebiet, die Volks­ wirtschaft, als die Anwendung der aus dem Wesen des Menschen selbst abgeleiteten ewigen Naturgesetze des Verkehrs auf wirtschaftlichem Felde.

Und diese weisen unverkennbar zur Gegenseitigkeit der Leistungen, zur

Selbsthilfe.

Die Natur gab dem Menschen Bedürfnisse, zugleich aber

auch Kräfte, durch deren Gebrauch er jenen zur Befriedigung verhilft.

Nur wo man den Menschen ganz auf die eigene Kraft verweist, ent­

wickelt sich seine volle Leistungsfähigkeit.

Einzig auf diesem Wege ge-

326

Schulze-Delitzsch.

langt der einzelne zur Selbständigkeit und sittlichen Würde, und die

Menschheit im ganzen zu immer leichterer Beschaffung der ihr unent­ behrlichen materiellen Güter, wodurch sie befähigt wird, sich ihren höheren

geistigen Aufgaben, ihrer idealen Bestimmung mehr und mehr zuzuwenden,

um endlich das Reich der Humanität herbeizuführen, dem wir im Laufe

der Jahrhunderte langsam entgegenreifen.

Indem Sie also diesen, letzten

Teile der Abteilungsanträge zustimmen, dürfen Sie nicht fürchten, der Wissenschaft, in derem Dienste wir hier versammelt sind, den ihr ge­

bührenden Rang zu vergeben, und das deutsche Volk, das humanste

von allen, wird Ihrem Ausspruch seine Anerkennung nicht versagen. (Lebhafter Beifall.)

Stand des Genossenschaftswesens in 1860, Rede auf dem Volkswirtschaftlichen Kongreß zu Köln, 10. September 1860. (Aus dem stenographischen Bericht des Kongresses 1860, S. 13.)

Vom Jahre (860 ab übergab Schulze regelmäßig den Mitgliedern des Volkswirtschaftlichen Kongresses seinen Jahresbericht über die deutschen Genossenschaften und begleitete ihn mit mündlichen Erläuterungen. Auch in Köln — (860 — begann er zunächst mit der Darlegung der Struktur der auf Selbsthilfe beruhenden Genossenschaften, der Ansammlung des eigenen Kapitals durch Monatssteuern und Dividenden und der Aus­ nutzung der solidarischen Haft zur Aufnahme fremder Gelder, woran er die Mitteilung knüpfte, daß allein 80 Vorschußvereine im Vorjahre (3( V welche die im £ ( des Gesetzes vom 4. Juli (868, betreffend die privatrechtliche Stellung der Erwerbs« und wirtschaftsgenossenschaften, bezeichneten Zwecke verfolgen, ist Den Genossenschaften,

gestattet, die unbeschränkte Haftung der Genossenschafter für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft nach Maßgabe dieses Gesetzes auszuschließen.

S 2. Die Firma muß die Bezeichnung „eingetragene Genossenschaft nut beschränkter Haftung" enthalten.

8 5. Der Gesellschastsvertrag muß außer dem in § 3 Nr. ( bis 11 des Gesetzes vom q.. Juli (868 angegebenen Jnhalt enthalten:

Die gesetzliche Regelung des Genossenschaftswesens.

505

\2, den in einer bestimmten Summe anzugebenden Betrag, in

über ihre Ge­

Kühe dessen die einzelnen Genossenschafter

schäftsanteile hinaus die solidarische Bürgschaftsverpflichtung für

die

Verbindlichkeiten der

übernehmen;

Genossenschaft

die Summe darf nicht niedriger als

der Betrag der

Geschäftsanteile (Nr. 5) bemessen werden. (3. die höchste Zahl der Geschäftsanteile, welche die einzelnen

Genossenschafter zu erwerben berechtigt sind.

8 6. An die Stelle des £ (0 Abs. 2 des Gesetzes vom

Juli (868

tritt folgende Bestimmung:

Genossenschafter hat hierbei so

Jeder als

er

vertrag

besitzt,

Geschäftsanteile

ein

anderes

wenn

nicht

viel

Stimmen,

Gesellschafts -

der

fest setzt.

> 7An die Stelle des £ (2 des Gesetzes vom

Juli (868 tritt

folgende Bestimmung: Jnsoweit die Genosjenschaftsgläubiger ans

dem Genossen­

schaftsvermögen nicht befriedigt werden können, haften alle Ge­

nossenschafter, ohne daß diesen die Einrede der Teilung znsteht, für die Ausfälle

solidarisch in

Höhe der gemäß § 5 Nr. (5

festgesetzten Summe. Für

Genossenschafter,

welche

mehrere

Geschäftsanteile

haben, erstreckt sich die Haftung auf das der Zahl ihrer Ge­ schäftsanteile entsprechende vielfache dieser Summe.

8 8. Der Betrag der Geschäftsanteile (£ 3 Nr. 5) und der Bürg­

darf

schaftssumme (§ 3 Nr. (2) noffenschaft

nicht

herabgesetzt

während

der

Dauer

der Ge-

werden.

8 io. An die Stelle des £ 38 Abs. ( tritt folgende Bestimmung:

Jeder Genossenschafter hat,

auch wenn der Gesellschafts­

vertrag auf bestimmte Zeit geschlossen ist, das Recht,

aus der

Genossenschaft auszutreten oder einen durch Gesellschaftsvertrag

zu bestimmenden Teil seiner Geschäftsanteile zu kündigen.

Schulzc-Dclitzsch.

506

8 lb An die Stelle des § 39 tritt folgende Bestimmung: Die aus der Genossenschaft ausgetretenen oder ausge­ schlossenen Genossenschafter, sowie die Erben verstorbener Ge-

nossenschafter, ingleichen Genossenschafter, welche Geschäftsanteile gekündigt haben, bleiben den Gläubigern der Genossenschaft für alle bis zu ihrem Ausscheiden oder dem Inkrafttreten der Kündigung (§ JO) eingegangenen Verbindlichkeiten bis zum Ablauf der Verjährung (§ 65 des Gesetzes vom 4,. Juli {868) verhaftet.

wenn der Gesellschaftsoertrag nichts anderes bestimmt, haben sie an den Reservefonds und an das sonst vorhandene vermögen keinen Anspruch, sind vielmehr nur berechtigt, zu verlangen, das; ihnen ihr Geschäftsanteil, wie er sich aus den Büchern ergibt, binnen drei Monaten nach Ablauf der Verjährung 65 des Ge« setzes vom Juli {868) ausgezahlt werde. Gegen diese Verpflichtung kann sich die Genossenschaft nur da­ durch schützen, daß sie ihre Auflösung beschließt und zur Liquidation schreitet.

8 12. Die Abtretung von Geschäftsanteilen ist nur zulässig, wenn der Erwerber gleichzeitig Genoffenschafter wird (§ 3 Nr. H) oder bereits Genossenschafter ist. Der Abtretende bleibt für alle von der Genossenschaft bis zu dem Zeitpunkte, in welchem die Abtretung ihr mitgeteilt ist, eingegangenen Verbindlichkeiten bis 511m Ablaufe der Verjährung (S 63 a. a. M.) verhaftet.

8 13. All die Stelle des Schlußsatzes

des Gesetzes vom

in $

üom H. Juli {868 tritt folgende Bestimmung:

In Ermangelung anderer vertragsbestimmungell erfolgt die Verteilung weiterer Überschüsse unter die Genossenschafter nach Ver­ hältnis derjenigen Summen, in Höhe deren sie bei Auflösung der Genossenschaft für die Verpflichtung hafteten (§ ?).

Seine

Stellungnahme zu

den im

Anträge Mirbach

eilthaltenen

Vorschlägen legte Schulze, der sich schon in einer ausführlichen Rede

im

Deutschen Reichstage am

{8. Mai

{88 {

im ganzen zustimmend

dazu ausgesprochen hatte, dann eingehend dar in den Seilen 65ff. der

Die gesetzliche Regelung des Genoffenschaftswesens.

507

Schrift: Material zur Revision des Genossenschaftsgesetzee. Leipzig (885;

aus der wir entnehmen: Bereits mehrfach hat der Anwalts sich über Zulassung von Genossen­

schaften mit

beschränkter Haftpflicht,

wo die Mitglieder über die

Geschäftsanteile hinaus mit einer bestimmten Summe aus ihrem Privat­ vermögen für die Genossenschaftsschulden solidarisch eintreten müssen, znstimmend ausgesprochen. Zuerst in dem Österreichischen Genossenschaftsgesetz

von

1873

in

freier Wahl neben der

Genossenschaft mit

voller Solidarhaft zugelassen, bewährten sie sich derartig, daß auch in

unseren Kreisen die Aufmerksamkeit darauf gelenkt wurde.

Doch konnte

erst in den letzten Jahren daran gedacht werden, die Einrichtung unseren Vereinen näher vorzuführen, da ein Vorgehen damit von diesen als Er­

schütterung ihrer Rechts- und Kreditbasis zurückgewiesen wurde. So noch

1880 auf dem Allgemeinen Vereinstage in Altona dem Anwalt gegenüber, dem es jedoch im nächsten Jahre, 1881, in Kassel gelang,

seinen Ansichten für die Zulassung der Genossenschaften mit beschränkter Haft neben

denen

Boden zu gewinnen. gegenüber.

mit

unbeschränkter

im Allgemeine» Vereinstage

Und so steht der Anwalt rückhaltlos der Frage

Was er stets auf das Entschiedenste bekämpft hat und noch

bekämpft, war die Beschränkung der Haft auf die Geschäftsanteile,

welche die Genossenschafter jederzeit beim Austritt zurückziehe» so das; überhaupt die Gläubiger das Nachsehen hatten.

konnte»,

Dem wird ent­

schieden ans dem Wege der beschränkten Garantiehaft vorgebeugt, für welche praktisch zuerst Herr Professor Goldschmidt auf dem Deutschen Juristentage in Heidelberg — Ende August 1869 — auftrat, indem bis dahin von deren Anwendung bei Genossenschaften nirgends die Rede war.*) **)

Und so handelt es sich für de» Anwalt nicht um das Aufgeben einer alten Gegnerschaft gegen die bezügliche Haftbeschränkung.

So ent­

schieden wir in den 50 er und 60 er Jahren bei Beginn der Bewegung durch die wirtschaftliche und Vermögenslage der Beteiligten an die un­ beschränkte Haft gebunden waren und von der Gesetzgebung nichts anderes

zu erwarten stand, so entschieden drängt die ganze Entwickelung der letzten Jahre zur Zulassung der beschränkten Haft als einer gewissen Kon­ sequenz hin.

Würde man doch sonst einen Teil der alten Vereine und

Vereinsgenossen dem Genossenschaftswesen geradezu entfremden, wie wir dies durch Übergänge zu Aktiengesellschaften bereits mehrfach erlebt haben.

*) d. h. Schulze-Delitzsch. **) Siehe S. 456 dieses Buches.

Schulz«--Delitzsch.

508

Die wirtschaftliche Entlvickelung im großen und ganzen und infolgedessen

die Stellung einer ansehnlichen Zahl von Mitgliedern in unseren Ver­ einen hat sich seit dem letzten Jahrzehnt allmählich verändert und und

gerade einen Teil wohlhabender Mitglieder verschafft, welche an Leistu ngen und Garantien der Vereine weitere Forderungen

stellen.

sehr wir anch durch Vervollkommnung unserer Organisation

gegenseitige strenge Kontrolle und Anforderungen

Und wie und die

an die mit uns ver­

bundenen Vereine die Gefahren der Solidarhaft mit Erfolg zu mindern

bemüht sind, so greifen doch wenn auch nur vereinzelte Vorkommnisse, wie die

neuerlichen

Baukbrüche,

störend in

unsere

Entwickelung ein.

Regelmäßig wird daun besonders in der Nachbarschaft eine Anzahl dieser

wohlhabenden Mitglieder

bedenklich,

ohne feste Begrenzung des Risikos

auf eine bestimmte Summe in die Genossenschaften einzutreten, resp, darin zu verbleiben.

Und hier bleibt die Zulassung der beschränkten Haft

das sichere Mittel, die Betreffenden der Teilnahme an der genossenschaft­ lichen Bewegung zu erhalten und sie nicht zum Übergang in Aktien­ gesellschaften zu drängen, wo die in sozialer Hinsicht so wertvollen Be­ ziehungen zwischen den wohlhabenden und unbemittelten Klassen völlig

zurücktreten.

Werden doch dieselben bei den Genossenschaften mit be­

schränkter ebenso wie bei denen mit unbeschränkter Haft gepflegt, und müssen bei beiden die wohlhabenden Mitglieder vermöge der beiden zugrunde liegenden Solidarhaft im Falle der Insolvenz für die

un­

vermögenden mit einstehen — natürlich bei beschränkter Haft nur bis

zur Garantiesumme. Gewiß hätte der Anwalt den lichtvollen Ausführungen des Herrn

Professor Goldschmidt*) gegenüber für die Zulassung der beschränkten Haft bei den Genossenschaften nicht des näheren einzugehen brauchen, mußte es ihm nicht darum zu tun fein, den Vereinen seine Überzeugung von dem Gange der Dinge mitzuteilen, welchen die gesamte Genossenschafts­

entwickelung nach Zulassung der beschränkten Haft nehmen wird.

Und

als solche steht bei ihm fest:

*) Es handelt sich neben der Berichterstattung Goldschmidts auf dem achten deutschen Juristentag (Heidelberg 1869) um dessen Schrift: „Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften" Stuttgart 1882. Goldschmidt trat auch in dieser dafür ein, daß die unbeschränkte solidarische Haftbarkeit als die Regel erhalten bleiben müsse, daß aber daneben auch die Bildung von Genossenschaften mit be­ schränkter Haftpflicht zu gestatten sei, „sofern dafür Sorge getragen wird, daß den Genossenschaftsgläubigern ein jederzeit bestimmtes und bekanntes Minimalkapital haftet".

Die gesetzliche Regelung des Genossenschaftswesens. daß der

509

Stamm der Genossenschaften nach wie vor der be-

währten, unbeschränkten Haftpflicht treu bleiben wird. Dafür spricht

nicht nur die Haltung derselben bei den betreffenden Verhandlungen, ivo sich mit seltenen Ausnahmen die entschiedensten Antipathien gegen den Übergang znr beschränkten Hast zeigten, wozu noch die

durch

die

Umleitung

in

die neue Gesellschaftsform

Weiterungen und Kosten treten.

entstehenden

Was aber vor allem für die Be­

hauptung der Stellung unserer alten Vereine den Ausschlag gibt,

das

sind

beiden

die

bei seinen

Anwalt

vom

angebahnten und fast von allen Seiten,

Nevisionsanträgen

insbesondere von Herrn

Professor Goldschmidt, entschieden befürworteten Anträge: 1. auf Aufhebung des Einzelangrifss der Genoffenschaftsgläubiger gegen die Genossenschafter im

der

Falle

Insolvenz der Ge­

nossenschaft;

2. betreffend die Einführung selbständiger Revisoren, welche nicht der Genossenschaft angehören.

Wirklich ist durch die erstere Maßnahme ein besonderes Schreckmittel bei unbeschränkter Hast dadurch reduziert, daß bei sofortigem Vorgehen mit Umlage des Ausfalls bei Endigung des Konkurses den Mitgliedern die Übersicht über den Betrag der ihnen obliegenden Leistungen und

die

Sicherstellung

gegen

unverhältnismäßige

Ansprüche dabei gewährt

wird.

Und das; und welche Wirkungen wir ferner zur Verhinderung der­ artiger Katastrophen

dem Eingreifen sachverständiger

schreiben müssen, fällt in die Augen.

Schon

Revisoren

zu­

hat sich eine große Zahl

unserer Verbände zur Anstellung solcher Revisoren entschlossen, die bereits

mit bestem Erfolge bei Hunderten von Vereinen in erfolgreicher Tätigkeit sind und der Einrichtung täglich Boden gewinnen.

Kommen wir nun zur Besprechung des von Mirbachschen Antrages selbst, so müssen wir uns der bereits gegebenen Andeutung gemäß auf

nachstehende Hauptpunkte beschränken. Offenbar Teil,

setzt

anlehnende

Gesetz*)

welcher

beide

der

wesentlich

sich

Entwurf

wie

Haftarten

in

an

diesem

behandelt,

das einen

voraus,

Österreichische allgemeinen

an

welchen

er

sich dann mit Behandlung der beschränkten Haft als besonderer Teil anschließt.

*) Gemeint ist das Österreichische Genossenschaftsgesetz vom 9. April 1873.

510

Schulze-Delitzsch.

Eine wichtige Änderung des Österreichischen Gesetzes finden wir

in der Bestimmung des Entwurfs, daß die höchste Zahl der Geschäfts­ anteile, welche die einzelnen Genossenschafter zu erwerben berechtigt sind, durch das Statut bestimmt sein muß, wobei namentlich in Anschlag kommt, daß die Haftpflicht und das Stimmrecht der Genossen­

schafter wesentlich durch die Zahl der Anteile eines jeden bedingt ist. Im Österreichischen Gesetz ist eine solche Beschränkung nicht enthalten und kommen die größten Gegensätze unter den Mitgliedern in Ausnutzung

dieser Zulassung vor. Die Möglichkeit einer verschiedenen Bemessung der Haftpslicht unter den Mitgliedern je nach der Zahl der von den einzelnen über­ nommenen Geschäftsanteile, welche sich hieran knüpft, finden wir besonders als Vorzug dieser Haftart betont. Unleugbar spricht vieles dafür, daß man von Mitgliedern mit starkem Kreditbedürfnis und dem damit ver­ bundenen Risiko eine größere Zahl von Geschäftsanteilen — durch deren

jeden die Haftung sich auf das Vielfache des Betrages erhöht — fordert und so eine Verstärkung der Garantien anstrebt! Nimmt man dadurch doch zugleich das Interesse der weniger Bemittelten tvahr, deren Ver­ antwortlichkeit man dadurch für den Fall schwerer Krisen mindert. Trotz­ dem erscheint aber eine unbegrenzte Befugnis der einzelnen hierin der soliden Entwickelung der Vereine nicht förderlich, indem sie unter Um­ ständen nicht nur zur Steigerung der Kreditsorderungen iiber das Maß benutzt werden, sondern auch in förmlichen Klassengegensätzen der genossen­ schaftlichen Gliederung wesentlichen Abbruch tun kann. — Daß auch bei

Genossenschaften mit unbeschränkter Haft die Vereinigung mehrerer Geschäftsanteile in einer Hand vorkommt, ist bekannt. Da dies aber auf die Haftpflicht ohne allen Einfluß ist, tritt die Frage der Beschränkung dieser Zulassung zurück, wiewohl der Anwalt derselben vorkommendenfalls nicht entgegentreten würde. Die Hauptfrage, die sich aber hieran unmittelbar knüpft, bleibt doch immer, wie vom Anwalt schon so vielfach betont ist, daß der Entwurf nach dem Vorgänge des Österreichischen Gesetzes die Kündigung der Geschäftsanteile

während

der Mitgliedschaft

ausdrücklich

(§ 10 des Entwurfs) statuiert! Steht dies schon mit bem Begriff eines Geschäftsanteils, der schon als bloße Kapitalseinlage an die Mitgliedschaft gebunden ist, in Wider­

spruch, wie in aller Welt kann man hier daran denken, wo die sub­ sidiäre Haftpflicht, die Grundlage des ganzen Gesetzes, au die Geschäftsanteile geknüpft ist! Kann doch dadurch der Betrag der

Die gesetzliche Regelung des Genossenschaftswesens.

511

subsidiären Vermögenshaft auf ein Minimum herabgemindert Freilich

werden, insoweit dieselbe an die Geschäftsanteile geknüpft ist.

tritt nach den §§ 78 bis 80 des Gesetzes*) das Herausziehen der Geschäfts­ anteile mit dieser Folge erst ein Jahr nach Ablauf des Kündigungs­

jahres in Geltung. — Indessen schlitzt dies die Genossenschaft nicht vor dem Zusammenbruch. Denn ist erst mit solchen Kündigungen von einzelnen Mitgliedern begonnen, so werden die übrigen zur Nachfolge geradezu gedrängt, nm nicht die Entlastung jener auf ihre Schultern zu nehmen.

Mit dieser Entziehung eines Hauptteiles der Anteile verliert aber die Genossenschaft den Boden unter den Füßen, woran der Ansschub der Rückzahlung nichts ändert. Kann man doch auf die gekündigten Anteile keine Geschäftsoperationen mehr gründen, muß ntoit vielmehr an Mittel zur Deckung denken, zu einer Zeit, wo man voraussichtlich obendrein vom Andrange der Gläubiger bedroht ist. Denn wenn diese schon aus den Kündigungen an sich, luic sie bei geordneten Verhältnissen nicht zu er­ warten sind, die Zeichen einer ungünstigen Geschäftslage entnehmen, so

werden sie ja durch die damit verbundene Minderung der Haftpflicht der Mitglieder geradezu genötigt, ihre Forderungen geltend zu machen. Die Liquidation vor Ablauf der Frist ist daher alsdann das einzige, was einem Verein übrig bleibt, um sich aus der Lage zu retten, in welche ihn die gesetzliche Zulassung unter den angeführten Umständen gebracht hat: — Rettung durch Sclbstvcrnichtung also das letzte Mittel, aus welches er angewiesen bleibt! Welchen Wert man daher auch der Regelung der beschränkten Hast nach dem Österreichischen Gesetze für die Genossenschastsbildung beilegen mag: in Verbindung mit Kündigung

der Geschäftsanteile während der Mitgliedschaft gefährdet sie die Existenz der Vereine und leitet sie auf abschüssige Bahnen!

Die Beseitigung dieser unseligen Gestattung ist daher das erste, was beim Eingehen in die bezüglichen Bestimmungen des bezeichneten Gesetzes

vorgenoinmen werden muß. Die vorstehenden Ausführungen Schulzes bedeuten seine letzte ab. schließende Stellungnahme

zu der vielumstrittenen Frage der Zulassung

der beschränkten Haftpflicht.

Denn noch in demselben Jahre, in welchem

seine Schrift bezüglich der Revision des Genoffenschaftsgesetzes erschien, rief ihn auch der Tod ab.

zu dem

Anträge

Jedoch nicht nur rein äußerlich bilden die

gegebenen Ausführungen

Schulzes

d. f). des Österreichischen Genvssenschaftsgesetzes.

ein Schlußwort,

512 sondern auch inhaülich.

Schulze-Delitzsch. 3n enger Anlehnung an die darin nieder«

gelegten Anschauungen ist einige 3ahre später ((889) die endgültige, beute noch in Kraft stehende Regelung erfolgt; namentlich ist dabei die

von Schulze stets so energisch bekämpfte Kündigung der Geschäftsanteile während der Mitgliedschaft (§ (0 des Mirbachschen Entwurfes) ge­

strichen worden. Den gerechtfertigten Erfordernissen der sich allmählich verändernden wirtschaftlichen tage entgegenkommend, dabei aber stettz sorglich vor jeden gewagten versuchen warnend und peinlich auf die Er­ haltung der soliden Kreditbasis der Genossenschaften bedacht, hat Schulze

in seinen letzten Darlegungen zu diesen schwerwiegenden Fragen, auch deren befriedigender tösung — soweit solche überhaupt möglich erschien — den weg gebahnt.

Das Zentral-Korrespondenzbureau der deutschen Vorschuß- und Kreditvereine und

die Anwaltschaft deutscher Erwerbs- und Wirtschastsgenoffenschasten. Der Natur der Sache nach war Schulze seit Beginn der genossen­ schaftlichen Bewegung deren Führer und Berater. Bei ihm liefen alle Mitteilungen und Anfragen zusammen; alle wünsche und Klagen ver­ einigten sich bei ihm. Anfang (859 waren ihm ((( Dorschußvereine bekannt, und diese Zahl schien groß genug, einen engeren Zusammen­ schluß unter ihnen herbeizuführen. So trat der erste Vereinstag deutscher Vorschuß- und Kreditvereine in der pfingstwoche (859 in Weimar zu­ sammen, welcher sich u. a. dahin aussprach: ,, Jn Berücksichtigung, daß der Wunsch allgemein ist, die ver­

eine untereinander näherzubringen, erscheint es wünschenswert, daß ein Zentralbureau errichtet werde, welches die Verbindung der vereine anbahnt und die Korrespondenz mit den vereinen führt. Die Kosten für das Bureau sollen dadurch aufgebracht werden, daß jeder verein erlegt.

°/0 seines Reinertrags an das Zentralbureau

Der Vereinstag ersucht den Herrn Assessor Schulze zu Delitzsch,

das Bureau zu übernehmen, und stellt die dessen freier Verfügung."

erlangten Mittel zu

Ende des Jahres (859 waren es 50 vereine, welche sich dem

Zentral-Korrespondenzbureau angeschlossen hatten; indessen reichten die in Aussicht genommenen Beiträge nur zur Deckung der notwendigsten

selbst erwachsenden Kosten. Der Verwaltungsrat des tuckenwalder Vorschußvereins ergriff daher im Dezember (859 die Initiative, um Schulze eine Lebensstellung zu schaffen, welche ihm ermöglichen sollte,

seine Tätigkeit ausschließlich dem Genossenschaftswesen zu widmen.

Zu

diesem Zweck schlug er die Erhöhung der in Weimar beschlossenen BeiSchulze-Delitzskh, Schriften und Reden.

I.

33

Schulze-Delitzsch.

514

träge auf 3 bis H °/o des Reingewinns und zwar sowohl der Rreditvereine

als auch der Rohstoffgenossenschaften usw. vor. Schulze antwortete darauf in der ,,Jmwng t>er Zukunft", zweites lieft Jahrgang f860, mit der folgenden

Erklärung. Von

den

deutschen Gewerbsgenossenschaften, welche

sich

seit den

letzten zehn Jahren nach den von mir vertretenen Grundsätzen gebildet

haben,

sind

mehrere zusammengetreten,

um

eine Einigung,

besonders

unter den Vorschuß- und Kreditvereinen und den Rohstoffassoziationen zustande zu bringen, welche bezweckt, mir durch ein gemeinschaftlich ans-

zusetzendes Gehalt es zu ermöglichen, meine Tätigkeit ausschließlich der Förderung der Genossenschaftssache zu widmen, und die mehrfachen An­

erbietungen

und

Aussichten,

welche

mir

neuerlich

Stellung anderweit eröffnet sind, auszuschlagen.

auf

eine

lohnende

Es ist an mir, mich

über dieses Vorhaben zu erklären.

Bei dem Umfange, den die Genossenschaftsbewegung bei uns er­ reicht hat, und der sich mit jedem Jahre erweitert, sehe ich mich schon

jetzt außerstande, den von allen Seiten an mich gestellten Anforderungen um Rat und Auskunft zu genügen, will ich nicht meine ganze Arbeits­

zeit opfern.

Kommt es nun gar noch darauf an, die Bewegung weiter

fortzuführen, das bisher Geleistete weiter auszubilden, so wird es un­ erläßlich, daß jemand seine ganze Zeit und Kraft dieser wichtigen An­

gelegenheit widme.

Was mich anlangt, so müßte ich namentlich allen

juristischen Arbeiten entsagen, auf welche ich meiner Subsistenz halber

größtenteils angewiesen bin, weshalb es mir ohne eine mindestens teil­ weise Remuneration allerdings nicht möglich sein würde, mich der Auf­

gabe in ihrem ganzen Umfange zu unterziehen.

Bei Regelung der mir

zugedachten, ganz außergewöhnlichen Stellung dürften daher etwa folgende

Hauptgesichtspunkte ins Auge zu fassen sein:

1. Vor allem muß dieselbe eine durchaus würdige sein, da ich bei meiner Wirksamkeit des moralischen Einflusses, eines auf freies Vertrauen gegründeten Ansehens nicht entbehren kann.

Die Hebung der Erwerbs­

zustände der am meisten beteiligten Klassen greift überall in das sittliche

und intellektuelle Gebiet zurück, und die hier anklingenden Saiten können

von mir nur dann mit Erfolg angeschlagen werden, wenn ich selbst un­

antastbar in dieser Beziehung dastehe.

Dazu gehört namentlich die vollste

Selbständigkeit meinerseits, sowohl in Beziehung auf das, was man mir bietet, als auf das, was man von mir verlangt.

hältnis muß

Das ganze Ver­

daher rein geschäftlich auf der allein gesunden Grundlage

Das Zentral-Korrespondenzbureau der deutschen Vorschuß-usw. -Vereine. von Leistung und Gegenleistung

515

begründet werden, indem nur

so

jeder Teil dadurch, daß er sich selbst, wie dem andern vollkommen ge­ recht wird, sein Selbstgefühl, seine innere Freiheit und Charakterwürde wahrt.

Aber wie ich jede Remuneration,

die

ich nicht durch

meine

Arbeiten verdiene, ablehnen müßte, so würde ich es auch in Beziehung auf

alle und jede Anmutungen, in der mir zugedachten Stellung irgend etwas gegen meine Überzeugung zu tun und zu vertreten. Niemals werde ich

mich zum bloßen Lohndiener von Ansichten und Bestrebungen hergeben, die etwa unter den Mitgliedern der Genossenschaften sich geltend machen

könnten, im Fall ich von deren Verderblichkeit und Verkehrtheit überzeugt wäre.

Das, was ich den Genossenschaften biete, ist der redliche Wille,

ihren und ihrer Mitglieder wahren Interessen mit meiner besten Kraft — und das heißt bei mir eben nach meiner besten Überzeugung — zu

dienen.

Meine Grundsätze in dieser Hinsicht sind bekannt,

von unsern

Vereinen bereits erprobt und bewährt gefunden, und auf diesem von uns

betretenen Wege, welchem Wissenschaft und Praxis zur Seite stehen, weiter vorzuschreiten, das bereits Erreichte zu festigen und fortzubilden und für

manches sich hervordrängende weitere Bedürfnis die weiteren genossen schaftlichen Formen zu finden, das ist es, wozu ich mich allein verpflichten kann und will.

2. Um das erforderliche Honorar in einer auch die unvermögenden

Mitglieder der Assoziationen nicht belästigenden Weise aufzubringen und den letzteren selbst kein irgend nennenswertes Opfer zuzumuten, ist der

allein mögliche Weg bei Aufnahme des gegenwärtigen Projekts schon ein­ geschlagen.

Nur

diejenigen

bereits

in

Tätigkeit

begriffenen

Vereine,

welche außer den ihren Hauptzweck bildenden geschäftlichen Vorteilen für

ihre Mitglieder, noch einen Reingewinn in barem Gelde in einem be­

stimmten Rechnungsjahre zurücklegen, sollen einen geringen Prozentsatz von diesem Gewinne zu dem Gehalte beisteuern,

mal bei weniger günstigen Geschäften

so daß sie, wenn ein­

ein solcher Reingewinn in einem

Jahre nicht erzielt wird, von jedem Beitrage befreit bleiben. stehen gegenwärtig in Deutschland etwa

Nun be­

140 bis 150 Vorschuß- oder

Kreditvereine und 50 bis 60 Rohstoffassoziationen in einzelnen Hand­

werken (z. B. der Schuhmacher, Tischler, Schneider usw.), welche fast durchgängig sehr gute Geschäfte machen, und man wird nicht fehlgreifen,

wenn man den Reingewinn

den

eines Vorschußvereins etwa auf 200 Tlr.,

einer Rohstoffassoziation etwa auf 100 Tlr. im jährlichen Durch­

schnitt annimmt.

Gelänge es, ungefähr 50 Vorschußvereine und 10 Roh­

stoffassoziationen mit einer Bewilligung von etwa 2°/0 ihres jährlichen

33*

Schulze-Delitzsch.

516

Reingewinns zunächst zusammenzubringen



und diese Annahme ist

schon eine sehr günstige — so würde dies einen Jahresgehalt von 200 bis

300 Talern für den Anfang ergeben, der hoffentlich im Laufe der Zeit

durch den Zutritt neuentstehender Genossenschaften sich steigern würde.

Daß überhaupt mehr zu erlangen sein wird, glaube ich auf keinen Fall, besonders würde ein höherer Prozentsatz die bei dieser Rechnung an­ genommene Beteiligung unter den Genossenschaften höchstwahrscheinlich noch vermindern, weshalb davon abzuraten ist.

Im Gegenteil ist noch

eine andere Sicherungsmaßregel in bezug auf die größeren und älteren

Vereine notwendig, will man diese nicht zurückschrecken, indem man ihnen zu viel, den kleineren und neueren zu wenig zumutet.

Es ist dies die

Feststellung eines Minimum und Maximum der Beiträge, welches man der Summe nach etwa auf mindestens 2 bis höchstens 12 Taler für

das Jahr normieren könnte, so daß kein Verein darunter oder darüber hinaus beizutragen hätte, möge sein Reingewinn so groß oder so klein

sein, als er wolle.

Wenn man so die großen Vereine, welche sich bereits

zu bedeutendem Verkehre aufgeschwungen haben, gegen ein zu hohes Maß

von Beisteuern sichert, scheint die Heranziehung der kleineren, erst ent­ stehenden Vereine mit jenem Normalsatze, auch wenn ihr Gewinn noch

unter 100 Tlr. beträgt, doch nur billig, weil sie gerade im Anfänge

Rat und Förderung am allermeisten in Anspruch nehmen. 3. Gegen Gewährung einer solchen teilweisen Remuneration würde

man von mir zu erwarten haben, daß ich keine Anstellung im öffent­ lichen Dienste oder in einem Privatunternehmen annehmen würde, welche mich hinderte, der bezeichneten Aufgabe so viel von meiner Zeit und

Kraft zu widmen, als mir die Sorge um die eigene Subsistenz dazu übrig läßt — ein Maß, welches natürlich durch

die Höhe der zu ge­

währenden Remuneration einigermaßen bedingt wird.

Die Hauptgegenstünde, auf welche ich sodann meine Tätigkeit zu

richten haben möchte, würden etwa in folgendem bestehen:

a) Vertretung und weitere Ausbildung des Genossenschaftswesens im allgemeinen, in der Presse, auf den volkswirtschaftlichen Kongressen

und sonst im öffentlichen Leben, besonders Wahrnehmung der Inter­ essen unserer Vereine in bezug aus die Gesetzgebung der deutschen Einzelstaaten;

b) Förderung mit Rat und Tat, sowohl bei Gründung neuer Genossen­ schaften, als auch

bei Erhaltung und Weiterführung

bereits be­

stehender, insbesondere durch Auskunftserteilung und Belehrung auf

ergehende Anfragen;

Das Zentral-Korrefpondenzbureau der deutschen Vorschuß-usw. -Vereine.

517

c) Vermittelung gegenseitiger Beziehungen zwischen einzelnen Genossen­

schaften, zum Behufe des Austausches der gemachten Erfahrungen und

gewonnenen

bindungen

Resultate,

untereinander,

und

Anknüpfung

von

Geschäftsver­

sowie von Veranstaltungen zur Wahr­

nehmung gemeinschaftlicher Interessen mit vereinten Kräften und Mitteln.

Hält man die vorstehenden Gesichtspunkte fest, so wird jeder unserer Vereine danach leicht zu ermessen vermögen, inwieweit ihm und der ge­ meinen Sache mit dem, was man von mir billigerweise erwarten darf,

gedient, und waS man andererseits daran zu setzen

meine ausschließliche Tätigkeit

bereit ist, um sich

für die Zukunft zu sichern.

Was mich

selbst anlangt, so wird so viel wohl auch dem Befangensten einleuchten,

daß ich bei Annahme der fraglichen Stellung die Rücksicht auf mein per­ sönliches Interesse gänzlich beiseite setzen muß.

Nicht nur, daß das Ver­

hältnis, von welchem jedem Teile, der Natur der Sache nach, der be­ liebige Rücktritt jederzeit freisteht, ein höchst unsicheres ist, erreicht mein

Honorar im günstigsten Falle nicht den dritten oder vierten Teil dessen, was jeder Rechtsanwalt in Preußen in einer gewöhnlichen Mittelstadt

bei sehr mäßiger Praxis einnimmt.

Dennoch bin ich entschlossen, auf

die Sache einzugehen und tue es gern.

Ich bin von der Wichtigkeit der

Assoziationen für den deutschen Handwerker- und Arbeiterstand auf das

innigste überzeugt, ich sehe so reichliche Früchte bereits aus den mühsam gepflegten Saaten erwachsen, daß schon die Rücksicht auf das, was jeder

dem Gemeinwohl schuldet, mich bestimmen muß, der Aufgabe, soviel an mir ist, auch in Zukunft meine Tätigkeit zu widmen.

Dazu kommt, daß

wohl jedem ein solcher frei erwählter, der Befähigung und dem ganzen

Streben

eines Menschen gemäßer Beruf, wie ich ihn in der Anregung

und Förderung der deutschen Genossenschaftsbewegung gefunden teuer wird, und er sich nur schwer davon trennt.

habe,

Ich bin dadurch in

so viele Verbindungen mit tüchtigen Männern getreten, die mit mir Hand in Hand ans diesem Felde arbeiten, und vor allem — ich habe die wackeren Leute, um deren Interessen es sich handelt, im langen per­

sönlichen Verkehre lieb gewonnen, bin vielen schönen Zügen bei ihnen begegnet, einem so regen Treiben, sich zu bilden, sich durch eigene Kraft

emporzuheben, daß ich zu dem gebotenen Wirkungskreise auch schon des­ halb mich mit dem Zuge herzlicher Neigung hingezogen fühle.

Weiter erblicke ich aber noch in dem gegenwärtigen ersten Versuche dieser Art in Deutschland, wenn er gelingt, Bedeutsamkeit für das öffentliche Leben.

einen Vorgang von hoher

Haben es unsere Handwerker

Schulze-Delitzsch.

518

und Arbeiter in den Genossenschaften erst dahin gebracht, einen Anwalt, einen Vertreter ihrer Interessen aufzustellen und zu besolden, so wird

dies auf ihre soziale Stellung, ihr Verhältnis zu den übrigen Gesellschafts­

klassen günstig zurückwirken.

Die Probe von der Macht, zu welcher sie

sich im Verkehre durch eigene Kraft, durch ihren Zusammenschluß empor­ geschwungen haben, vermöge deren ihnen Intelligenz und Kapital so gut wie den höheren Gesellschaftsschichten dienstbar sind, kann auf die Er­

weckung

ihres

Tüchtigkeit

Selbstgefühls,

als

der

ersten

Bedingung

sittlicher

und wirtschaftlichen Gedeihens, nicht ohne Einfluß bleiben.

Und das von ihnen gegebene Beispiel mag sich das ganze deutsche Volk zur Lehre nehmen.

Nirgends verlangt man von Männern, die sich dem

gemeinen Wohle widmen, so viel und leistet ihnen dafür so wenig, wie bei uns.

Daß zu jeder Art von Wirken zunächst eine materielle Existenz Sind sie nicht

gehört, das scheint ihnen gegenüber niemand zu bedenken. zufällig einmal mit äußern Glücksgütern ausgestattet, so

tritt in den

meisten Füllen zu der Anfeindung und Verfolgung, die ihnen ihr Streben ohnehin

einbringt, Mangel und Entbehrung als sichere Zugabe.

Ehe

wir es daher in Deutschland nicht dahin gebracht haben, daß das Volk solchen Vorkämpfern für humanen, sozialen und politischen Fortschritt,

insoweit es den Bestrebungen derselben seine Anerkennung zollt,

eine

unabhängige, wenn auch noch so bescheidene Existenz gewährt, so werden wir gegen andere Völker — z. B. die Engländer — in Entwicklung unserer öffentlichen Zustände stets im Nachteil stehen, weil sich oft die

besten Kräfte entweder jenen schwierigen, die höchste Hingebung fordernden

Aufgaben

alsdann

ganz entziehen,

oder

sich

im sorgenvollen

ihnen,

Kampfe um des Lebens Notdurft, nur mit halber Seele widmen können. In diesem Sinne hat das jetzige Projekt unserer Assoziationen eine wahr­

haft nationale Bedeutung, eine Tragweite, welche weit über die Personal­

frage hinausreicht.

Nicht sowohl mir, demgegenüber für die noch in

Aussicht stehenden Jahre seiner Wirksamkeit sich die Ausführung besten­ falls wohl kaum über die Grenzen eines Versuchs erheben dürfte, sondern

denen nach uns, dem folgenden Geschlechte, wird das gegebene Beispiel

vielleicht einmal zustatten kommen, und es mag leicht geschehen, daß als­ dann, solchem Vorgänge gemäß, ganz andere Männer,

durch die reell

betätigten Sympathien des Volks über das niedere Bedürfnis erhoben, zu Ehren und Frommen des Vaterlandes mit ihrer vollen Kraft den

edelsten Aufgaben und Bestrebungen zugeführt und erhalten werden.

Und deshalb darf und will ich die Assoziationen bei ihrem Vor­

haben nicht hemmen, sondern mich ihnen darbieten.

Es ist eben nicht

Das Zentral-Korrespondenzbureau der deutschen Vorschuß- usw. -Vereine.

519

mehr als ein Versuch, über dessen große Schwierigkeiten sich die Männer, die ihn angeregt haben, doch ja nicht täuschen mögen.

Indessen, schon

daß man ihn wagt, gilt als ehrenvolles Zeugnis von dem Geiste, der in vielen Leitern und Mitgliedern unserer Genossenschaften lebt.

bin ja imstande,

den Verlauf der Sache ruhig mit

Und ich

anzusehen, indem

weder meine materielle Existenz, noch meine öffentliche Wirksamkeit an

das Gelingen des Planes geknüpft sind.

fall sein mag, eins bleibt ja doch

Wie ungewiß auch der Aus­

über jeden Wandel sicher und fest:

daß ich selbst, auch wenn der Plan scheitert, soweit mich die notwendige

Fürsorge um das eigene Bedürfnis nicht abzieht, meine Tätigkeit der Sache der Genossenschaften in unveränderter Gesinnung erhalten werde. Was dieselben daher auch tun und beschließen,

ich bleibe doch der Ihre.

Delitzsch, im Januar 1360.

Der zweite Vereinstag der deutschen Vorschuß- und Kreditvereine in Gotha — (860 — nahm Schulzes Vorschläge an und bestimmte die Beitragslast der Vereine auf 2°/0 des jährlichen Reingewinns unter Innehaltung eines Mindest- und Höchstbeitrages von 2 und (2 Tlr. Im Jahre darauf — (86( — beschloß der Vereinstag der deutschen Vorschuß-, Kredit- und Rohstoffvereine in Halle, das Zentral-Korrespondenz­ bureau in eine Anwaltschaft deutscher Erwerbs- und Wirt­

schaftsgenossenschaften umzuwandeln, deren Rechte und pflichten gegenüber den Genossenschaften durch ein organisches Statut — zuerst (86^ — geregelt wurden. Letzteres erfuhr späterhin mehrfache Ab­ änderungen; Schulzes Iahresgehalt als Genossenschaftsanwalt wurde (866 in Kassel auf 2000 Tlr., später auf 2^00 Thr. festgesetzt und ist so bis zu seinem Tode geblieben.

Die Blätter für Genossenschaftswesen (Innung der Zukunft). Unmittelbar nach Erscheinen des Schulzeschen

„Assoziationsbuchs

für deutsche Handwerker und Arbeiter" — (855 — warb die von Friedr. Georg Wieck in Leipzig herausgegebene ,,Deutsche Gewerbe­

zeitung" um die Mitarbeiterschaft Schulzes und sammelte seit (85^ unter dem Untertitel ,Innung der Zukunft", deren Redaktion später förmlich von Schulze übernommen wurde, in einer besonderen Abteilung des Blattes alle auf das Genossenschaftswesen bezüglichen Mitteilungen und Aufsätze. Bei der Anzeige dieser Neuerung (Deutsche Gewerbe­ zeitung Iahrg. (85^, S. ((3) sagte sie — und man kann hier wohl Worte Schulzes erkennen —: ,,wir bieten unsere Gabe den deutschen Handwerkern und Arbeitern mit warmer Teilnahme und regem Interesse, und wenn wir manchem verjährten Vorurteile nicht schmeicheln und zur Heilung alter Schäden Sonde und Messer nicht scheuen, so mögen sie darin die Bewährung des redlichen Arztes nicht verkennen. Nicht rückwärts in alte längst beseitigte Zustände, die zu der übrigen Welt um uns nicht passen, die ja unterdessen auch nicht stillegestanden ist, sondern vorwärts führt der weg zum Ziel . . . Nicht der Zwang,

das Interesse muß die einzelnen zu den Verbindungen führen, in denen das alte schöne Wort 'Innung*, das heißt innige Gemeinschaft im bürgerlichen Leben und Erwerb, endlich zur Wahrheit wird.

Die Assoziationen aber: sie eben sind die Innungen der Zukunft!" Der erste Vereinstag deutscher Vorschußvereine — (859xn Weimar — erhob das achtmal im Jahre erscheinende Blatt in seiner Sonderabteilung

,,Innung der Zukunft" zum ,,Amtlichen Mrgan der deutschen vorschußund Rreditvereine" und empfahl diesen ausdrücklich, darauf zu abonnieren. (860 ging nach Wiecks Tode das Blatt in den Verlag von Gebrüder Baensch in Leipzig über, welche es zehnmal im Jahre zur Ausgabe brachten. Aber schon im Dezember des gleichen Jahres übernahm Schulze das Blatt im Selbstverlag und unter eigener redaktioneller

Verantwortlichkeit.

Die Blätter für Genossenschaftswesen.

521

So erschien seit Anfang (86 ( die „Innung der Zukunft" mit dem Untertitel „Blätter für Genossenschaftswesen (Assoziationen), Organ des

Zentral-Korrespondenzbureaus deutscher Vorschuß-, Kredit- und Rohstoff­

vereine" in Kommission bei G. Mayer in Leipzig.

Schulze machte

hiervon den Lesern Mitteilung mit der Ansprache:

Den deutschen Genossenschaften und ihren Freunden

zum neuen Jahre. Alt und doch neu, unter dem früheren dlomeit, aber nicht in der

früheren Form, tritt

heute „Die Innung

der Zukunft", welche wir

im eifrigen Ringen erblicken zur „Innung der Gegenwart" zu werden, vor ihre Leser.

Nicht länger, wie bisher, an das gesicherte Unternehmen

wohlmeinender Männer sich anlehnend — gleichsam von fremder Firma

gedeckt — drängt es sie, ganz selbständig ihren Weg zu gehen.

Als laute

Mahnerin an die eigene Kraft, als Herold der Selbsthilfe im Erwerb

in unserer Arbeiterwelt, stand es ihr ferner nicht wohl an, anders als

in vollster Unabhängigkeit, nur allein auf sich selbst gegründet, vor dem Publikum aufzutreten. Es steht aber in dieser Beziehung mit dem Blatte, wie mit unsern

Genossenschaften und Vereinen selbst, welche sich durch Gründung und Erhaltung eines solchen, ihnen eigends angehörigen Organs in der Tages­ presse das Mündigkeitszeugnis ausstellen.

Die Geschichte des Blattes

fällt mit der Geschichte der Vereine innig zusammen.

Aus dem Engen

heraus, im Kampfe mit Schwierigkeiten und Hemmnissen aller Art mußten sie beginnen, ehe sie zu der jetzigen Ausbreitung und Bedeutung zu ge­

Es sind mehr als 11 Jahre verflossen, seitdem die

langen vermochten.

ersten Anfänge der Bewegung in den Rohstoffaffoziationen der Tischler und Schuhmacher zu Delitzsch, unter unmittelbarer Leitung des Heraus­

gebers, gegen Ende 1849 begannen, denen sich 1850 die Vorschußvereine in Delitzsch und Eilenburg anschlossen, über welche der Verfasser in seinen ersten „Mitteilungen über gewerbliche und Arbeiterassoziationen", Leipzig

1850 bei

E. Keil, berichtete.

Nachfolge,

besonders

Allerdings rief, dieses Büchlein einige

mehrere Rohstoffaffoziationen der

Handwerker in

verschiedenen Gegenden des nördlichen Deutschlands hervor, unter denen

die 1851 gegründete der Schuhmacher zu Wolfenbüttel die bedeutendste

Stelle einnimmt.

beachtet.

Indessen blieb die Sache noch immer ziemlich

un­

Erst als der Herausgeber, der inzwischen (1851) den Staats­

dienst aufgegeben und sich der weiteren Ausbildung der Assoziationen in seiner Vaterstadt-Delitzsch angenommen hatte, mit den weiter gewonnenen

Schulze-Delitzsch.

522

Resultaten in seinem „Afsoziatiansbuch für Deutsche Handwerker und

Arbeiter", Leipzig 1853, bei E. Keil, auftrat, nahm das Publikum und die Presse mehr Notiz von diesen Bestrebungen, und im Anfänge des folgenden Jahres forderte endlich der verstorbene Fr. G. Wieck den

Herausgeber für die von ihm redigierte Deutsche Gewerbezeitimg in Leipzig zu stehenden Referaten darüber auf. So entstand durch Über­ einkommen

zwischen beiden,

als

Organ

der

Bewegung,

zuerst

„Die

Innung der Zukunft" als besondere Abteilung der genannten Zeitung, indem dem wackeren, wärmstem Eifer

bis an seinen Tod dem Genossenschaftswesen mit

zugetanen Wieck der Mahnruf des Herausgebers an

unsere Handwerker im Assoziationsbuche: „daß die Assoziation, die freie

Genossenschaft, die Innung der Zukunft sei", zum Titel des Blattes Anlaß gab.

Trotz alledem verbreiteten sich die Vereine nur sehr all­

mählich, und es mögen bis gegen Ende 1855 von allen Arten zusammen nicht über 30 bis 40 in Tätigkeit gewesen sein.

Erst das 1855 in erster

Auflage erschienene Büchlein des Herausgebers

über Vorschußvereine

als Volksbanken gab zunächst dieser wichtigen Art der Genossenschaften und sodann mittelbar der ganzen Genossenschaftsbewegung einen

schiedenen

Anstoß.

ent­

Infolgedessen wuchsen nämlich die Vorschuhvereine

von etwa 12 bis 15 zu Ende 1855 bis auf zirka 220 zu Ende des verflossenen Jahres mit einem Umsätze von zirka 10 Millionen Talern pro

1860 an, und die RohstoffassoziationtN in einzelnen Handwerken

von etwa 12 bis auf mehr als 100, von denen zirka 20 bis 25 zur

gemeinsamen Magazinierung fertiger Waren vorgeschritten sind. Bei diesem Stande der Sachen wird es nicht vorzeitig erscheinen,

wenn wir, dem auf dem letzten Vereinstage zu Gotha von den dort

versammelten Vertretern einer größern Anzahl von Vorschußvereinen ge­ äußerten Wunsche zufolge, an ein ganz selbständiges und ausschließliches Blatt für das deutsche Genossenschaftswesen gedacht haben, dessen Heraus­

gabe und Leitung, namentlich mit dem von den Vereinen vor P/2 Jahren gegründeten Zentral-Korrespondenzbureau verbunden, dieses Institut selbst erst zu einem wirklichen Abschluß in sich zu bringen imstande ist, da es

demselben ohne dies an dem Hauptorgan für eine weiterreichende nach­ haltige Wirksamkeit völlig gebrechen würde. näher, den

Der Zeitpunkt rückt immer

der Herausgeber schon in seinem Anfang 1856 erstatteten

Jahresberichte über die Resultate der Vorschußvereine im Jahre 1855 vorherzusagen wagte: Verkehr zu fühlen

„wo die Genossenschaften sich als eine Macht im

beginnen, welche der Großindustrie mehr

und mehr

ebenbürtig zur Seite tritt, und wo es keine Stadt in unserm Vaterlande

Dic Blätter für Genossenschaftswesen.

523

geben wird, welche nicht einen oder mehrere solcher Vereine aufzuweisen hätte."

Darum dürfen wir hoffen, daß die Vereine weit genug vor­

geschritten sind, um die Bedeutung einer solchen speziellen Vertretung in der Presse für ihren

ferneren Aufschwung genugsam zu würdigen, und

sind entschlossen, es auf die Probe ankommen zu lassen. Der von uns im allgemeinen angedeuteten Bestimmung gemäß wird

unser Blatt eine doppelte Aufgabe zu lösen haben. Einmal wird es im allgemeinen: a) die volkswirtschaftlichen Prinzipien, auf denen unsere

beruhen,

klar zu entwickeln

und

nach

allen Seiten

Vereine

hin zum

Bewußtsein wie zur Geltung zu bringen suchen;

b) sich mit der inneren Einrichtung, der geschäftlichen Organisation der verschiedenen Arten der Genossenschaften beschäftigen, um die­

selbe möglichster Vervollkommnung zuzuführen; e) die erzielten Resultate, als den besten Prüfstein der Zweckmäßigkeit

des an den einzelnen Orten angewendeten Verfahrens, in genauen statistischen Mitteilungen aus dem Vereinsleben zur öffentlichen Kenntnis bringen; d) die gemeinsamen Interessen der Vereine besprechen,

Mittel und

Wege zu ihrer Wahrnehmung anbahnen, und dieselben vor der öffentlichen Meinung wie vor den Staatsbehörden vertreten.

Insbesondere soll aber das Blatt auch noch, wie schon bemerkt, dem ZentralKorrespondenzburean der deutschen Genossenschaften, dessen Leitung gegen auf dem Vereinstage in Gotha gefaßten Beschlusse gemäß, dem

wärtig sich in den Händen des Herausgebers befindet, zum Organ dienen. In dieser Beziehung wird es die Geschäftsverbindungen zwischen den im

Verbände befindlichen Vereinen in Gang zu bringen sich bemühen, die

Beantwortung eingehender Anfragen von allgemeinerer Bedeutung ver­ öffentlichen, und überhaupt alles tun, um einen lebendigen Verkehr der

Vereine untereinander und mit dem Bureau, sowie des letzteren mit dem auf dem Vereinstage ihm an die Seite gesetzten engern Ausschüsse zu fördern. Um aber alles dies zu ermöglichen und billigen Forderungen dabei

zu genügen, sowie die gestellte Aufgabe auf die Dauer und mit Frucht zu verfolgen, ist die regste Beteiligung und Mitwirkung der Genossen­

schaften und Vereine ihrerseits

bei unserer Unternehmung in doppelter

Hinsicht unentbehrlich.

Zunächst muß eine lebhafte Korrespondenz aus dem Schoße der Vereine selbst, namentlich von den bei der Geschäftsleitung beteiligten praktischen Männern, der Redaktion zu Hilfe kommen, um das Blatt in

Schulze-Delitzsch.

524

den Stand zu setzen, stets an das praktische Bedürfnis anzuknüpfen, und

ihm alle wichtigern, tatsächlichen Vorkommnisse, besonders auch statistische Erhebungen zu Gebote zu stellen, damit nicht in bloßen Abhandlungen

des Herausgebers und anderer Mitarbeiter irgendwie eine einseitige und doktrinäre Richtung vorherrschend werde.

Sodann aber müssen sich freilich auch die Vereine beim Abonnement vorzugsweise

beteiligen, wenn das von ihnen selbst ausgehende Unter­

nehmen Bestand haben soll.

Der Stoff, den das Blatt zu behandeln,

die Fragen, mit denen es sich zu beschäftigen hat, sind, das dürfen wir

uns nicht verhehlen, keineswegs von so allgemeinem Interesse, daß eine irgend erhebliche Beteiligung des außerhalb der Genossenschaften stehenden

Publikums zu erwarten ist.

Ja selbst von den einzelnen Vereinsgliederu

wird sich kaum eines oder das andere entschließen, das Blatt für sich zu halten.

Deshalb sollte dasselbe als recht eigentliches Vereinsblatt

betrachtet, seine Haltung zur Vereinssache gemacht und mindestens ein Exemplar für die Vorstände und Ausschüsse aus der Vereinskasse bezahlt

werden.

In dieser Rücksicht sind die beim Zentral-Korrespondenzbureau

beteiligten Vereine, indem sie das Blatt zu ihrem Organ erwählten und sich dadurch zur Haltung

mindestens eines Exemplars

desselben aus

Vereinsmitteln verpflichteten, den übrigen vorangegangen, und nur wenn allgemein so verfahren wird, kann die zur Deckung der Kosten erforder­

liche Abonnentenzahl beschafft werden. das Zirkulieren der Blätter unter den

Veranstaltet man alsdann noch

Vereinsgliedern, so wird man

deren Einsicht in die Bedeutung des Genossenschaftswesens schärfen, ihr Interesse dafür verstärken und durch das wachsende geistige Verständnis aller erst denjenigen Aufschwung des Vereinslebens erzielen, der für das Gedeihen der gemeinsamen Geschäfte die beste Bürgschaft bietet.

So erhebe denn unser kleines Blatt seine Stimme mutig und über­ zeugungstreu in einer der Hauptfragen für unsern kleinen Gewerbsstand,

unsern Handwerker und Arbeiter, und es wird ihm an einer bescheidenen

Existenz nicht fehlen.

Denn was auch an der vorausgesetzten Beteiligung

der Genossenschaften vielleicht im Anfänge noch

zu

wünschen bleiben

möchte — die wachsende Bedeutung derselben an Zahl und Verkehr, ihre

eigentümliche Stellung zur industriellen Bewegung der Gegenwart, machen die Existenz eines solchen Preßorgans für sie täglich mehr zum unab­

weisbaren Bedürfnis. 5&r [865 war das Erscheinen des Blattes in [2 Alonatsnummern an dem Wohnsitze Schulzes — Potsdam — vorgesehen worden; da

Die Blätter für Genossenschaftswesen.

525

aber die polizeidirekrion in Potsdam die Stellung einer Kaution von 1500 Taler für das Blatt verlangte, weil es soziale Fragen bespreche, kehrte es zur Ausgabe von ff Nummern im Jahre zurück. In (86^ ging es mit (2 Nonatsnummern in den Verlag von Ernst Keil in Leipzig über, wo es (865 monatlich zweimal und (866 wöchentlich er­ schien. ZHit Januar (866 nahm es den Titel „Blätter für Genossen­ schaftswesen (Innung der Zukunft XIII. Jahrgang), Organ des All­

Verbandes

gemeinen

deutscher

Erwerbs-

und

Wirtschaftsgenossen­

schaften" an. Diese Neugestaltung veranlaßte Schulze zu einem Rückblick und

Ausblick in der ersten Nummer des Blattes, Jahrgang (866:

Zum neuen Jahre! Zu den entschiedenen Erfolgen, die wir seit den letzten Jahren in dem durch unsern Verband konsolidierten deutschen Genossenschaftswesen

zu registrieren hatten, tritt mit Beginn des Jahres die Erweiterung unseres Organs in der Tagespresse zu einem

Wochenblatte. Gewiß ist die Erreichung dieses von der Anwaltschaft in Überein­

stimmung mit den Wünschen der Vereine angestrebten Zieles als ein Zeugnis der Erstarkung der Bewegung freudig zu begrüßen.

Wer es

weiß, welche Schwierigkeiten der Begründung eines solchen Fachblattes

entgegenstehen, besonders in einer politisch so aufgeregten Zeit, wo der Kampf um große öffentliche Interessen die allgemeine Aufmerksamkeit fast

ausschließlich in.Anspruch nimmt, der wird dem unbedingt beistimmen. Hand in Hand mit der Ausbreitung der Vereine und ihrer steigendeit

Bedeutung sind wir ruhig aber stets mit Ausdehnung des Blattes vor­ gegangen, wie es das Wachstum des Stoffes erheischte, und die Zunahme

der Abonnentenzahl

möglich machte,

wobei

von Haus aus

auf jede

Subvention aus dem Genossenschaftskreise, dem das Blatt als Organ diente, verzichtet und dennoch eine, wenn auch sehr bescheidene Gegen­

leistung an die Mitarbeiter ermöglicht wurde. auch ferner

einhalten

und

durch

Diesen Weg werden wir

die immer weitere Verbreitung des

Blattes hoffentlich recht bald in den Stand gesetzt werden, ohne jede Er­

höhung des Abonnements an die fernere Erweiterung zu denken und in kurzer Zeit unsern Lesern ganze anstatt der halben Bogen in jeder Wochen­

nummer zu bieten. Ist hiernach schon an sich für die Mitglieder und Freunde unserer

Genossenschaften die Geschichte des Blattes, weil sie mit der Geschichte

Schulze-Delitzsch.

526

der ganzen Bewegung zusammenfällt, von Interesse, so erscheint es bei

dem neuen Stadium, in welches wir mit heute eintreten, an der Zeit, unsern Lesern die Haupldaten davon in Erinnerung zu bringen, indem

wir dabei an den Artikel anknüpfen, mit welchem wir, zum ersten Male

selbständig, den Jahrgang 1861 eröffneten.

Durch sein Wirken in Delitzsch seit 1849, und besonders seitdem er

sich nach seinem Austritt aus dem Staatsdienst Ende 1851 ganz der Sache widmen konnte,

sowie durch seine ersten Veröffentlichungen auf

diesem Felde hatte der Verfasser einen Stamm von Assoziationen zunächst in den Nachbarstädten und in der heimischen Provinz hervorgerufen, die

in kleinen, engbegrenzten Anfängen und mit sehr bescheidenen Mitteln die

Organisationspläne erprobten,

ehe die Sache in weitere Kreise drang.

Erst durch sein Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter, Leipzig 1853 bei E. Keil, wurde das Publikum auf die

Sache aufmerksam, und der Redakteur der Deutschen Gewerbezeitung in Leipzig,

der verstorbene Wieck, forderte ihn zu regelmäßigen Mit­

teilungen in dieseni Blatte auf.

Dies benutzte der Verfasser zur Gründung

des ihm so erwünschten Organs, welches bei seiner völligen Mittellosig­ keit und Isolierung in anderer Weise, als durch Anlehnen an ein bereits

gesichertes Unternehmen nicht zu beschaffen war.

So erschien Anfang 1854

„Die Innung der Zukunft", als stehende Abteilung der Gewerbezeitung, welche auch getrennt bezogen werden konnte in acht Nummern zu einem Bogen

alljährlich, und noch war die Zahl der Assoziationen so klein, daß kaum 20 auf das Blatt in den beiden ersten Jahren abonniert hatten.

die

in

mehreren

Auflagen

hintereinander

erschienenen

Durch

Schriften

des

Verfassers über Vorschußvereine als Volksbanken'Zvurde aber seit 1855

die Bewegung in Deutschland zuerst in diesem Genossenschaftszweige, und

infolge davon auch in den andern lebhafter, und wuchsen die Genossen­ schaften in immer rascherer Folge von etwa 30 bis 40 Ende 1855 bis auf ihren jetzigen Bestand von zirka 1300 mit einem Gesamtverkehr von

mindestens 60 Millionen Talern bereits im Jahre 1864, über welchen

in dem

Jahresbericht*) des Verfassers

das Nähere

nachzulesen ist.

Schon in seinen Mitteilungen über die Resultate der Vorschußvereine im Jahre 1855 konnte es daher der Verfasser wagen, in der Innung der Zukunft (Frühjahr 1856) es auszusprechen: „daß die Zeit bald kommen werde, wo die Genossenschaften sich als

eine Macht im Verkehr zu fühlen beginnen, welche der Großindustrie

*) Jahresbericht für 1864 über die auf Selbsthilfe beruhenden deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften. Leipzig 1865. Bei G. Mayer.

Die Blätter für Genossenschaftswesen.

527

mehr und mehr zur Seite tritt, und wo es keine Stadt in unserm

Vaterlande geben werde, welche nicht einen oder mehrere solcher Vereine aufzuweisen haben werde". Als daher im Jahre 1859 der Allgemeine Verband der deutschen

Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften auf dem ersten Vereinstage zu Weimar, durch Deputierte einer Anzahl von Genossenschaften gegründet, dem Verfasser als Anwalt die Geschäftsführung bei demselben übertragen

hatte, und die Deutsche Gewerbezeitung nach dem Tode Wiecks seit 1860 in andere Hände überging, entschloß sich derselbe zur Auslösung der bisherigen Verbindung und zur selbständigen Herausgabe der „Innung

der Zukunft". Und der Erfolg hat das Sach- und Zeitgemäße dieses Entschlusses bestätigt. Einmal war die Bewegung so weit durchgedrungen und hatte so viele Organisationen überall ins Leben gerufen, welche zugleich als Träger eines selbständigen journalistischen Unternehmens in Rechnung gezogen werden konnten, und sodann bedurfte vor allem der neugegründete Verband selbst eines derartigen Organs, sollte irgend planmäßig und sruchtreich von der Zentralstelle aus ans die zugehörigen Vereine gewirkt und unter diesen selbst ein reger Austausch von Er­ fahrungen und lebendigen Geschäftsverbindungen angebahnt werden. So war denn das Bedürfnis entschieden auf feiten des Unternehmens, und von Jahr zu Jahr konnte eine verhältnismäßige Erweiterung desselben stattfinden. Seit dem Jahre 1861, mit welchem die Selbständigkeit des Blattes be­ gann, sind wir von 10 Bogen jährlich bis zu 26 Bogen gegenwärtig vor­ geschritten, und die Monatsnummern sind zu Wochennummern geworden.

Eine Zahl tüchtiger Mitarbeiter hat sich um den Anwalt gruppiert, welche immer neue Kräfte an sich zieht und für Mannigfaltigkeit des Inhalts in belehrender und anregender Weise sorgt, wozu das immer mehr gesichtete Material in den Mitteilungen erfahrener Vereinsleiter und in den Verhandlungen der allgemeinen, sowohl wie der Unterverbandstage, an denen sich die Vereinsdeputierten aus ganz Deutschland oder einzelnen

deutschen Ländern und Provinzen beteiligen, den wertvollsten Anhalt bietet. Von zirka 550 Abonnenten im Jahre 1861 sind wir zu zirka 1250 Ende 1865 angelangt, und wächst nun im Verhältnis mit der Zahl der Vereine und Vereinsmitglieder das Verständnis für die Notwendigkeit

und Nützlichkeit des Unternehmens, so müssen wir schon in den nächsten Jahren imstande sein, uns in Umfang und Inhalt vollkommen ebenbürtig den größern Blättern auf volkswirtschaftlichem Gebiete anzureihen. Daß wir mit der Umformung des Blattes noch eine Berichtigung

Schulze-Delitzsch.

528

des Titels vornehmen wollten, zeigten wir den Lesern an.

Gewißlich ist

die Genossenschaft nicht mehr bloß in die Zukunst verwiesen, sondern in

voller Entfaltung zur Innung der Gegenwart begriffen.

Indessen

kam es uns doch bei der ferneren Bezeichnung darauf an, die Kontinuität, den ununterbrochenen Fortbestand unseres Blattes unter schwierigen An­

fängen die Reihe von Jahren her zu wahren.

Indem wir daher den

Zweck des Blattes, ein Organ des deutschen Genossenschaftswesens zu sein, an die Spitze, und den bisherigen Namen als historisch bezeichnend in zweite Linie setzten, glaubten wir,

netsten Weise Genüge zn tun.

beiden Rücksichten in der geeig­

Ist es doch der XIII. Jahrgang, den

das Blatt seit seiner Entstehung im Jahre 1854 antritt, und der VI. seines selbständigen Erscheinens, was ihm jedenfalls eine Stelle über den

bloßen Eintagsschöpfungen auf diesem Felde sichert. Und dieser an unserm Genossenschaftsblatte, als dem Banner der Be­

wegung, bewährte stete, ruhige und unaufhaltsame Fortschritt von sicherem

solidem Grunde aus, im Gegensatz zu dem die naturgemäßen Entwick­ lungsstufen überspringenden Vorgehen ohne Halt und rechte Stütze: dieser

Fortschritt, in welchem allein die Garantie wahren, dauernden Gedeihens liegt, ist es, welchen der Verfasser den deutschen Genossenschaften in ihrer geschäftlichen Entwicklung aus vollem Herzen zum neuen Jahre wünscht.

Seit

(892

ist das Blatt

in den

Verlag

Verlagsbuchhandlung in Berlin, übergegangen.

von 3-

Guttentag

Genossenschaftlicher Großbankkredit. Das Bedürfnis der Vorschußvereine nach Bankkredit trat schon früh­ zeitig auf; bereits auf dem ersten deutschen Vereinstag (859 in Weimar wurde die Möglichkeit seiner Befriedigung erörtert, die Frage aber, weil

verfrüht, zurückgestellt, indem man sich begnügte, als wünschenswert zu bezeichnen, ,,daß die Vorschuß- und Kreditvereine nach Maßgabe der gebotenen Sicherstellung und nach gegenseitiger Vereinbarung unter­ einander in direkte Geschäftsverbindung treten". Schon im darauffolgenden Jahre beschäftigte sich der Vereinstag in Gotha mit demselben Gegenstände, und es wurde das ZentralKorrespondenzbureau ,,mit der Vermittelung des Geldverkehrs der einzelnen im Verein stehenden Vereine betraut, zu welchem Behufe sich sowohl diejenigen, welche Gelder müßig liegen haben, wie diejenigen, welche Gelder suchen, an dasselbe wenden sollen". Ebenso erging das Ersuchen an das Zentralbureau, ,,Kredite für die einzelnen vereme bei namhaftere Bankhäusern, vorläufig in Leipzig und Berlin, zu eröffnen". Zwar gelang dies auch in ausreichendem Maße und in der „Innung der Zukunft" als auch auf den Vereinstagen berichtete Schulze regel­ mäßig über den Erfolg seiner hierauf gerichteten Bemühungen. Trotz­ dem wollte der Wunsch nach einer eigenen von den Genoffenschaften zu gründenden Zentralbank nicht verstummen, und Schulze unternahm es mit seinem Freundeskreise, den Boden dafür zu bereiten. (863 auf

dem Vereinstage in Görlitz könnte er versichern, daß, „wenn auch die Sache noch nicht so weit gediehen sei, um bestimmte Anträge zur Beschlußfassung zu unterbreiten, doch die Gründung einer genossenschaft­ lichen Zentralbank gesichert sei".

Auch

die drohenden kriegerischen Verwicklungen mit Dänemark

lähmten seinen Eifer zur Lösung der Aufgabe nicht.

Die „Innung der

Zukunft" eröffnete den Jahrgang (86H mit einer Ansprache, aus welcher einige Sätze wiedergegeben seien:

Zum Neujahr. Ernster wie je, tritt der Gruß des neuen Jahres an die deutschen Genossenschaften heran.

Was von politischem Zündstoff sich angehäuft I. 34

Schulze Delitzsch, Schriften und Reden.

Schulze-Delitzsch.

530

hat in den Vorjahren, scheint in nächster Zeit sich entladen zu wollen,

und

unserm Vaterland droht der Krieg mit

Folgen für den

allen

seinen lähmenden

Verkehr, mit der Aussicht auf Handels- und Kredit­

stockungen, welche sich gewiß auch für die Genossenschaften fühlbar machen werden.

Mögen dieselben dem kommenden Sturme, der ein Prüfstein sein wird für sie und alle andern Unternehmungen auf gleichem Gebiete, ge­ faßt und vorbereitet entgegensehen; sie haben unter den drohenden Ver­

wicklungen Zeit gehabt, zu erstarken.

Mögen sie in der vielleicht sehr bald

nahenden Krise den Beweis ihrer wirtschaftlich gesunden Grundlage geben. Doch darf diese Mahnung an die Gefahr und die nötige Vorsicht unseren Mut nicht lähmen.

Vieles ist erreicht, der Stand der meisten

Genossenschaften derart, daß sie den kommenden Dingen nicht angstvoll cntgegenzusehen brauchen.

Die Zentral-Genossenschaftsbank für Deutschland ist ihrer

Prüfung ein Stück nähergerückt.

Bleiben alle bisherigen Freunde dem

Unternehmen treu, und beteiligen sich die Genossenschaften selbst dabei,

so dürfte dasselbe

was ihnen in jeder Weise erleichtert werden wird, vielleicht schon mit diesem Frühjahr ins Leben treten

und in kritischer

Zeit eine gute Stütze bieten.

Sehr rasch folgten die weiteren Schritte. Die „Innung der Zukunft" berichtete im gleichen Jahrgang Seite darüber.

I. Die deutsche Genossenschaftsbank. Ein größeres Zentralbankinstitut zu besitzen, welches als seinen Hauptzweck die Aufgabe betrachtet:

„den

Deutschen

auf dem Prinzip

der Selbsthilfe beruhenden Erwerbs- und Wirtschaftsgenossen­ schaften den ihnen wünschenswerten Bankkredit zu gewähren", ist schon

seit mehreren Jahren, ja eigentlich seit Gründung der Anwaltschaft und seit der dadurch herbeigeführten geregelten, gegenseitigen Kapitalvermitt­ lung der Wunsch dieser Genossenschaften gewesen.

Zwar hat sich ein

besonders dringendes Bedürfnis dazu bis in die letzte Zeit gerade nicht

gezeigt.

Außer den reichen Geldquellen, welche sich die Vereine in ihren

unmittelbaren Umgebungen selbst zu öffnen wußten, kamen die Groß­ banken einem Extrabedürfnis ihrerseits im ganzen mit anerkennenswerter

Bereitwilligkeit entgegen, und es gelang dem unterzeichneten Anwalt, ab­

gesehen von dem einzelnen Genossenschaften eröffneten derartigen Kredit, in

den

namhaftesten Handelsplätzen Deutschlands, wie Berlin, Leipzig,

531

Genossenschaftlicher Großbankkredit.

Frankfurt a. M. und Elbing, renommierte Bankhäuser zu gewinnen, welche

nach

vorgängiger Prüfung

und Empfehlung der

eingehenden Gesuche

seinerseits, den Genossenschaften im allgemeinen zu sehr mäßigen Be­ dingungen Gelder vorschossen.

Indessen hat sich doch in Aussicht einer

durch die politischen Verwicklungen in Europa bedingten Handels- und

Kreditkrisis, wie sie in ihren ersten Stadien bereits sich fühlbar zu machen beginnt, dieses Verhältnis als nicht überall für das Bedürfnis unserer Vereine ausreichend herausgestellt.

Schon an sich gehört der Verkehr,

wie ihn die Genossenschaften suchen, im allgemeinen für die Banken, mit denen sie ihre Geschäfte machen, nicht zu den sehr lukrativen und bequemen, weil die beanspruchten Kredite meist auf längere Fristen und geraume Kündigung gestellt werden müssen, was den Bankier am raschen Umschlag

des bei ihm angelegten Kapitals hindert, in welchem sein Hauptvorteil liegt.

Weiter kamen zu dieser Rücksicht noch die Vorzeichen einer heran­

nahenden Krise, welche die Kapitalisten überhaupt zurückhaltender machen, insbesondere aber die Scheu des Bankiers vor einer längeren Anlage

seiner Gelder vermehren, und so kann es nicht fehlen, daß dies sofort ungünstig aus den Verkehr mit den Genossenschaften zurückwirkt, wie sich

dies in einigen Fällen bereits jetzt geäußert hat.

Trotzdem, daß noch

niemals eines der mit unseren Vereinen in Geschäftsverbindung stehenden

Bankhäuser in die Lage gekommen ist, auch nur einen Pfennig bei ihnen zu verlieren, werden bei Eröffnung neuer Verbindungen dennoch Schwierig­ keiten erhoben und nur die bereits eingegangenen festgehalten.

Da nun

aber gerade den den Verkehr bedrohenden Eventualitäten gegenüber eine

bereite,

im

entscheidenden

Augenblick

nicht

versagende

Hilfe

doppelt

wünschenswert erschien, so fand der unterzeichnete Anwalt gerade darin

Veranlassung, den Versuch der schon länger vorbereiteten Gründung eines Bankinstitutes durch die Genossenschaften selbst und für deren eigenste Bedürfnisse unverzüglich in die Hand zu nehmen. Er tritt damit hier­ durch vor die Öffentlichkeit, mit um so größerer Hoffnung für das Ge­ lingen, als die immer großartigere Ausdehnung der Genossenschaften ihm die lebhafteste Beteiligung von dieser Seite verspricht, und er außerdem

durch die Mitglieder des von ihm gegründeten Bürgschaftsvereins in Berlin*) bei dem Unternehnien eine kräftige Unterstützung erwarten darf, da die Überleitung dieses Vereins in eine solche Bank gleich bei dessen

Gründung ausgesprochenermaßen in der Absicht der Stifter lag.

*) Schulze hatte eine Anzahl seiner Freunde veranlaßt, zu einem Verein beizutreten, der sich für die von Kreditgenossenschaften bei bestimmten Berliner Bankfirmen aufgenommenen Darlehen verbürgte.

Schulze-Delitzsch.

532

Nach dem Statutenentwurf bestehen die Grundzüge des Projekts

in folgendem:

Die

rechtliche

gesellschaft auf

Form

Aktien,

der

Bank

ist

die

einer Kommandit­

bei welcher neben den

für die Geschäfts­

verpflichtungen mit ihrer Person und ihrem Vermögen einstehenden

persönlich haftenden Gesellschaftern die anderen Teilhaber sich als

Kommanditisten bloß mit Geldeinlagen als Aktien beteiligen und nur bis zu deren Betrag haften.

Und in der Tat ist dies eine Lebensfrage

für ein solches Unternehmen.

Eben weil die persönliche solidarische Haft

die

unerläßliche Kreditbasis

für die

Genossenschaften

selbst ist, ihren

Gläubigern gegenüber, wird es geradezu untunlich sein, ihnen, d. h. den

Hunderttausenden ihrer Mitglieder, dieselbe persönliche Haft außer für das eigene, auch noch für das ihrer Mitleitung und Einwirkung wie

ihrem

geschäftlichen

zuzumuten.

Gesichtskreise gänzlich entrückte Zentralbankgeschäst

Vielmehr können sie sich hierbei nur mit einer bestimmten

Summe als Aktionäre beteiligen, welche sie, ohne das eigene Geschäft zu

gefährden, allenfalls daranzusetzen und zu riskieren imstande sind.

Und

um dies auch den kleineren, noch in den ersten Anfängen des Verkehrs

sich bewegenden Genossenschaften zu ermöglichen, ist der Betrag der zu

zeichnenden Aktien

auf

das

niedrigste

gesetzlich zugelassene Maß von

200 Talern angenommen, wovon für das erste nur 25 °/0, also 50 Taler,

einzuzahlen

sind.

Danach würden diese Aktien oder Kommandit­

anteile sich besonders dazu eignen, daß von unseren Vereinen ein Teil

des Reservefonds darin angelegt würde.

Und erwägen dieselben nur

die Wichtigkeit des zu begründenden Instituts für sie, so läßt sich wohl annehmen,

daß

nicht nur der größte Teil von ihnen sich mit einer

solchen Aktie beteiligen, sondern daß die bedeutenderen hoffentlich mehrere

zeichnen. Und in der Tat steht ein irgend zu befürchtendes Risiko dabei nicht

in Aussicht, wenn man die Zwecke des Instituts bedenkt, wie sie das

Statut angibt.

Wie der Verkehr mit den Genossenschaften selbst wohl

zu den sichersten gehört, die es überhaupt gibt, so ist auch das ferner

mit hereinzuziehende einfache Bankgeschäft, mit Ausschluß aller gewagten

Börsenspekulationen, wenn irgend solide Fundamente dafür

gewonnen

werden, eins von denen, welche bei stetem sicheren Verdienste wohl am wenigsten Schwankungen von Erheblichkeit unterliegen.

Daß aber ein

solches reines Bankiergeschäft mit dem gesamten Publikum dem Unter­

nehmen notwendig beigegeben werden muß, darüber kann niemand im Zweifel sein, der die Verhältnisse näher kennt. Die bloße Geldvermittelung

Genossenschaftlicher Großbankkredit.

533

für die Genossenschaften würde nämlich, besonders in der nächsten Zeit

und noch auf Jahre hinaus, die Gesellschoftsunkosten nicht decken und eine solche Beschränkung dem Geschäfte sogar die Mittel entziehen, den Ge­

nossenschaften selbst vorkommendenfalls mit nachhaltiger Kraft zur Seite

zu stehen. Von

besonderer Wichtigkeit für das Gedeihen des Vorhabens ist

weiter die Wahl des Platzes und

der

Geschäftsleiter.

Hinsicht sprechen durchgreifende Gründe für Berlin.

In erster

Als Mittelpunkt

desjenigen deutschen Staates, dem gut die Hälfte sämtlicher Genossen­ schaften augehört, bietet es zugleich für den Geldverkehr und ein lohnendes Platzgeschaft jeden wünschenswerten Anhalt. Überdem aber gestattet die

Nähe seines Wohnortes dem derzeitigen Anwalt die bei Verwaltung der

Bank im Interesse der Genossenschaften gewiß wünschenswerte persönliche Einwirkung.

Und ebenso sind wir, was den zweiten Punkt anbelangt,

in der günstigen Lage, daß auch hierbei die Entscheidung nicht schwer werden wird.

Denn sind nur erst

in einer hinlänglichen Beteiligung

seitens der Genossenschaften die Hauptgrundlagen gewonnen, so ist ge­

gründete Aussicht vorhanden,

den Direktor

der

Eislebener Diskonto­

gesellschaft, Herrn Sörgel, für die Leitung der Bank als einen der

persönlich haftenden Gesellschafter zu gewinnen, für den es wohl bei keinem der Teilnehmer unserer Vereinstage

wie

bei keinem der Leser dieser

Blätter eines Wortes der Empfehlung bedarf.

Was endlich die Wirksamkeit der Bank für die Genossen­

schaften anlangt, so wird sich diese hauptsächlich nach zwei Seiten hin zu betätigen haben. Einmal wird sie die Geldvermittelung unter den Vereinen selbst,

wiewohl erst in zweiter Linie, wie sie bisher durch die Anwaltschaft statt­

fand, übernehmen. Denn wenn auch die immer fortschreitende Organisation

der Unterverbäude der Genossenschaften die Vermittelung des Angebots

von Barschaft und der Nachfrage danach zwischen den Vereinen ihres

Bereichs zunächst regeln wird, so bleibt doch die Aushilfe zwischen ganzen Bezirken oder Vereinen verschiedener Bezirke immer noch an die Zentral­

stelle gewiesen.

Das

Eintreten

einer vollständig

eingerichteten

Bank

anstatt der Anwaltschaft hat dabei aber auch noch den Vorteil, daß die­

selbe sich imstande befindet, für den Augenblick müßig daliegenden Kapitalien in einzelnen Bereinskassen, auch wenn seitens anderer Vereine gerade einmal keine Nachfrage stattfindet, eine zinsbare Anlage zu bieten.

Sodann aber soll die Bank, außer dieser Mitwirkung bei Zirkulation

der den Vereinen selbst zu Gebote stehenden Mittel, ihnen im Wege des

Schulze-Delitzsch.

534

Großbankkredits neue Geldquellen eröffnen, indem sie als selbständiger

Sammelpunkt

von

ihrer

Mitglieder,

diese

in

Kapitalien,

teils

teils mittels des

geeigneter Weise zu

in

den

von ihr

Gebote

stellt.

eingezahlten

Anteilen

benutzten Kredits Ohne

uns

hier

ihnen

schon

über die verschiedenen Formen der bankmäßigen Kreditgewährung aus­

zulassen, sind,

welche erst

nach

Gründung des

Instituts

bekanntzumachen

und ohne hier auf das von uns früher über die Schranken der

Benutzung von Bankkredit für die Genossenschaften, besonders die Vor­ schuß- und Kreditvereine Erörterte wiederholt zurückzukommen, bemerken wir hier nur, daß das durch die Aktien aufzubringende Kapital der Bank

etwa auf ein- bis zweimalhunderttausend Taler wird angeschlagen werden müssen, wozu

also

die Zeichnung von 500 bis 1000 Aktien

ä 200 Taler erforderlich sein würde.

Abgesehen von den übrigen Arten

der Genossenschaft existieren nun in diesem Augenblick in Deutschland sicher 650 Vorschuß- und Kreditvereine, von denen 610 der Anwaltschaft

namentlich bekannt sind, eine Zahl, die im Laufe dieses Jahres noch be­ trächtlich steigen wird.

Beteiligte sich hier nur die Hälfte, und träte von

dieser Hälfte nur etwa der vierte Teil mit mehr als einer Aktie bei, so

würde sich ein hinreichendes Kapital recht wohl beschaffen lassen, da ja auch außerhalb der Genossenschaften eine nicht unansehnliche Beteiligung

von solchen in Aussicht steht, welche die Bank als eine gute und sichere Kapitalanlage betrachten. Und so ergeht denn die Aufforderung an die Genossenschaften, sich

bei der Anwaltschaft sobald als möglich über ihre Beteiligung bei unserer

Bank auszusprechen und vorläufig die Anzahl der von ihnen zu zeichnenden

Aktien zu bestimmen, während die bindende Erklärung und

eigentliche

Zeichnung natürlich erst nach der Konstituierung der Gesellschaft erfolgt. Doch hängt von dieser vorläufigen Erklärung die Bemessung der Zahl

der zu kreierenden Aktien ab, welche nach Einregistrierung des Vertrags beim Gericht nicht mehr geändert werden kann, weshalb späteren An­

meldungen keine bestimmte Aussicht auf Beteiligung eröffnet werden kann. Sehen wir nun, ob Einsicht und Verständnis der Sache bei unseren Vereinen so weit gediehen sind, daß der Verwirklichung des Unternehmens,

welche sie ihrem Anwalt so oft ans Herz gelegt haben, nicht aus ihrer eigenen Teilnahmlosigkeit Hindernisse entgegentreten.

Tie Macht haben

sie dazu, das wissen wir; ob auch den rechten Willen, das wollen wir sehen!

Die nächste Gelegenheit, den Fortgang der Angelegenheit zu be» schleunigen, bot sich für Schulze auf dem Vereinstage in Alainz im

Genossenschaftlicher Großbankkredit.

535

August (86^, wo er den Antrag einbrachte, „es sei den Genossenschaften eine

möglichst

rege

Beteiligung

bei der

gegenwärtig in Berlin

zu

gründenden deutschen Genossenschaftsbank mittels Zeichnung von Aktien zu empfehlen". Zur Unterstützung führte er sprechenden Gründe an, indem er hinzufügte:

nochmals

dafür

alle

„Er wolle zuletzt noch auf die moralische Seite des Unternehmens Hinweisen: Einer der Hebel des Genossenschaftswesens bestehe darin, daß

den Genossenschaften bisher alles gelungen

sei, was sie unternommen;

das Scheitern dieses Unternehmens würde deshalb eine sehr bedenkliche Niederlage sein.

Die Aufgabe selbst sei auch großartig, sie übersteige

weit die in Zahlen zu veranschlagende Erleichterung des Kredits für die

Genossenschaften; vielmehr reihe sie dies Unternehmen ebenbürtig in den großen Verkehr ein, und sie würden zeigen, daß sie durch ihren Zusammen­

halt sich eine Stellung auf dem Geldmarkt erzwingen könnten. ein

Brescheschießen

Es sei

in das tatsächlich bestehende Monopol des Groß­

kapitals, dem die Genossenschaften zurufen: ,Du sollst doch mit uns ver­

kehren müssen, denn wir können aus uns heraus eine Großbank schaffen'/ Also möchten alle Vereine mithelfen, dieses Resultat zu erringen.

Er

habe schon 1856 gesagt, daß die Genossenschaften in zehn Jahren so weit

sein würden, die Bedingungen des Geldmarkts mitzuregeln.

Mögen sie

zeigen, daß sie nicht nur wünschen, sondern auch wollen und durch­ führen,

was

sie

mit Bedacht

und

wohlerwogen

in

die

Hand

ge­

nommen haben!"

Nochmals rief er in der „Innung der Zukunft" gleichen Jahres

5. H5 zur Aktienzeichnung auf.

in der Rheinprovinz,

}

„ St. Pauli Hamburg, „ Laichingen (Württemberg). Dazu treten noch die Diskontogesellschaft in Eisleben, derDarlehnsverein in Artern in der preußischen Provinz Sachsen, welche schon im Jahre 1861 vor Erlaß des Genossenschaftsgesetzes, um der damaligen Maßregelung der Behörden zu entgehen, sich in Kommanditgesell­ schaften auf Aktien umwandelten. In der Umwandlung sollen begriffen sein ferner: der Kreditverein zu Neviges (Rheinprovinz),

der Spar- und Darlehnsverein zu Döbeln (Königreich Sachsen). Wäre aber selbst in einem vereinzelten Falle der Übergang einmal nicht

zur Kenntnis gekommen, oder bereitete sich ein solcher auch bei anderen Genossenschaften noch vor: wo bleibt Herr Biesenbach mit der behaupteten Zahl? Wo bleibt er damit namentlich den mitgeteilten Rechnungs­

abschlüssen pro 1877 nebst Bilanzen im Jahresbericht von 929 Kredit­ genossenschaften gegenüber, denen dann dort noch fünf dergleichen von den in Aktiengesellschaften umgewandelten gegenübergestellt sind? — Und wie unverantwortlich ist der fernere Ausspruch, mit welchem der geehrte Herr das ihm im Hause entgegentretende „Oho" zurückwies: „Ja, meine Herren, beinahe sämtliche, die gut geleiteten wenigstens, haben es getan" (die Umwandlung vollzogen)!

So tritt zu der schweren Unwahrheit nun noch die Anschuldigung gegen die Verwaltung der vielen Hunderte von nicht umgewandelten Kredit­

genossenschaften: daß dieselben schlecht geleitet sind! Was weiß Herr Biesenbach von der guten oder schlechten Leitung dieser

Vereine, daß er eine derartige Behauptung von solcher Stelle in das

Land schleudert, welche auf die Diskreditierung von Jnstttuten hinaus­ läuft, deren gerade jetzt die ungünstiger situierten Volksklassen weniger wie je entraten können? — Vergleiche man doch die Zahlen in den Ab-

Die Genossenschaften und die Krisen in Kriegs- und Friedenszeiten.

schlüssen der verbliebenen Genossenschaften mit denen

647

der in Aktien­

gesellschaften umgewandelten, und man wird finden, daß sich viele der ersteren, im Geschäftsumfange, der Ansammlung von eigenem Kapital und dessen Verhältnis zu den ihnen kreditierten Depositen wohl sehen lassen können. Was aber vor allem die Biesenbachschen Ausführungen in der ganzen Angelegenheit zunichte macht, ist einfach: daß nur eine längere genossenschaftliche Praxis den um­ gewandelten Vereinen den Übergang zu Aktiengesellschaften

überhaupt erst möglich machte, indem es ihnen von Haus aus an den hierzu nötigen Mitteln gänzlich gebrach. Weiß denn Herr Biesenbach nicht, daß der Hauptstamm der Genossenschafter, um dessen Willen in diese ganze Bewegung eingetreten

wurde, aus den sogenannten kleinen Leuten, den weniger bemittelten Ge­ werbetreibenden und Arbeitern besteht, die eben nicht in der Lage sind, Einzahlungen, wie sie zu Aktien erforderlich sind, beim Eintritt in den Verein zu machen? — Vielmehr mußten ihnen die Mittel dazu erst allmählich durch kleine Wochen- und Monatseinlagen sowie Zuschrift von Dividenden im Laufe der Jahre angesammelt werden. Frage er nur bei den umgewandelten Vereinen nach, von denen er ja Krefeld, Zolingen u. a. in seiner Nähe hat, ob sie bei ihrer Gründung hätten daran denken können, sich als Aktiengesellschaften zu konstituieren, ob sie nicht vielmehr erst mittels der genossenschaftlichen Praxis im Laufe der Jahre in die Lage gelangt sind, dies zu tun? — Aus Kapitalisten rekrutiert man die Genossenschaften nicht. Vielmehr hat man es in der Hauptsache mit Leuten zu tun, welche nicht imstande sind, in den Tagen ihres Eintritts bereits Kapitalien, die Früchte ihres Tuns aus der Vergangenheit, bei dem Unternehmen einzuwerfen, und daher den Einsatz durch Anweisung

auf die Resultate künftiger Leistlingen machen und bei deren Unsicherheit im einzelnen füreinander einstehen müssen. Und wie gerade das Bewußtsein von der sozialeir Bedeutung der Aufgabe, diesen Leuten den Weg zum wirtschaftlichen Emporkommen zu eröffnen, eine wertvolle Mitgliedschaft in solchen, welche der Aushilfe wenig oder nicht bedürfen, den Genossen­

schaften zuführt, so hält es auch eine große Anzahl der letzteren, die jeden Augenblick sich als Aktiengesellschaften zu konstituieren in der Lage wären, davon ab, den Schritt zu tun. Man will eben den weiteren Zutritt von Elementen, welche den alsdann zu stellenden Forderungen nicht würden genügen können, nicht von sich weisen, dieselben vielmehr mit den günstiger gestellten, wie mit denen, welche das Mittel der Aus­ hilfe bereits erprobten, Hand in Hand gehen lassen und so den gehässigen

Schulze-Delitzsch.

648

Klassengegensätzen entgegentreten.

Und wo man sich nicht durch solche

Erwägungen leiten ließ, bewährt sich die Notwendigkeit der Genossenschast doch meist sehr bald, indem alsdann an der Stelle der zur Aktienform

übergegangenen eine Genossenschaft von neuem ersteht, wie dies z. B. in

Krefeld, Barmen, Hamburg und Rostock bereits geschehen ist.

Kommen völligen

wir sodann

das

auf

Kreditlosigkeit der

provinz Gesagte, was er dann Düsseldorf beschränkte,

so

von Herrn

Biesenbach

Genossenschafter

in

der

von

der

Rhein­

unter der Heiterkeit des Hauses auf

verdient

dies

keine

ernstliche Widerlegung.

Gewiß ist die Zugehörigkeit zu einer so schwer belasteten falliten Ge­

nossenschaft, wie die Düsseldorfer Gewerbebank, für Kreditgewährung.

Aber

keine Empfehlung

ebenso gewiß erhöht die Angehörigkeit bei

einem gut situierten Vorschußverein, Volks- oder Gewerbebank und dgl., welche ihre Mitglieder zu pünktlicher Zahlung bei ihren zu gewerblichen

oder sonstigen wirtschaftlichen Zwecken eingegangenen Verpflichtungen in den Stand setzt, deren Kredit nach außen, wie die Bedingungen der

Kapitalbildung mittels der genossenschaftlichen Geschäftsanteile demselben nach innen einen Halt gibt.

So bleibt nur noch ein Hinweis auf den Bruch der Düssel­ dorfer Gewerbebank übrig, aus welchem der ganze Angriff herstammt, mit dem wir es zu tun haben.

So schwer aber auch dessen Folgen für

die zahlreichen Mitglieder sind, so liegt doch der Fehlgriff des geehrten

Abgeordneten, wie sich leicht nachweisen läßt, darin klar zutage, daß er

den aus dem Wesen der Genossenschaft sich ergebenden wirtschaftlichen und rechtlichen Prinzipien dasjenige zuschreibt, was nur durch deren

gröbliche Verletzung möglich wurde. In der Tat sind die Vorkommnisse in der Düsseldorfer Gewerbe­ bank einzig in ihrer Art, und deren Einrichtungen, verbunden mit denr unerhörten Gebaren der Verwaltung, schon vielfach erörtert.

Bereits

im Jahre 1869 wurde die widersinnige mit dem Gesetz wie der

an­

erkannten genossenschaftlichen Praxis im vollsten Widerspruch stehende

Organisation der Bank, welche eine solche Verwaltung möglich gemacht,

von mir ernstlich

moniert

und

vor

das Gericht

Vereinstages zu Neustadt a. Haardt gestellt.

des Allgemeinen Trotzdem dieser die

Organisation in öffentlicher Verhandlung verwarf, wurde doch in Düssel­

dorf, dessen Deputierte gegenwärtig waren, nicht das mindeste an den gerügten Einrichtungen geändert, welche zum großen Teil die schweren Verluste nach sich gezogen haben.

Durch die sowohl gegen

das Genossenschaftsgesetz wie gegen alle

Die Genossenschaften und die Krisen in Kriegs- und Friedenszeiten.

649

Grundsätze einer geordneten Geschäftseinrichtung verstoßenden Statuten­ bestimmungen waren die Funktionen der betreffenden Organe, des Vor­ standes und Verwaltungsrates, derartig verschoben, Verwaltung

und Kontrolle derartig ineinandergemengt, daß namentlich jede Kontrolle tatsächlich wegfiel, weil außerdem noch die Kompetenz der General­

versammlung auf ein so niedriges Maß beschränkt war, daß auch von dieser Seite keine Abhilfe stattfand. Von den bei der obersten Leitung der Geschäfte beteiligten vielen Personen — drei Vorstands-, dreizehn Verwaltungsratsmitgliedern, zwei Prokuristen — wußte daher niemand recht, was ihm eigentlich zu tun oblag, und so herrschte bald die größte Konfusion, aus welcher sich ganz von selbst die Diktatur eines einzelnen,

des Gründers und Direktors des Vereins, des Herrn Spiethoff, ent­ wickelte, welcher diese Verhältnisse geschaffen und sich mit völliger Offenheit selbst darüber ausspricht. In der von ihm nach Ausbruch der Krisis veröffentlichten Druckschrift*) sagt er wörtlich: „Die tötliche Krankheit in der Gewerbebank war der Vertrauens­ dusel. Der Verwaltungsrat vertraute mir, ich vertraute wieder blindlings den Beamten usw. usw., und so verließ sich einer auf den andern. Ein derartiges blindes Vertrauen korrumpiert nach allen Seiten. Es ist eine Gefahr für den, der es genießt. Haben der­ artig absolut regierende Herren einmal Mißerfolge, so werden sie einfach gesteinigt. Es wird nachträglich ein Quantum von Energie gegen sie aufgeboten, dessen zwanzigster Teil früher ausgereicht haben würde, um allen Ausschreitungen

vorzubeugen!" Daß dies alles zutrifit und sonach nicht nur die Mitglieder der bezüglichen Organe, sondern auch sämtliche Mitglieder der Gewerbebank in dem verderblichen Vertrauensdusel eine Mitschuld an dem Unheil trifft, läßt sich nicht bestreiten, wenn auch für Herrn Spiethoff, von dem so­ wohl die verkehrten Einrichtungen wie die Initiative zu jenen „Aus­

schreitungen" ausgingen, daraus kein Grund erwächst, die Hauptschuld von sich abzuweisen. In der Tat liegen die Ausschreitungen in einem

Maße vor, wie dies nirgends weiter vorgekommen ist. Anstatt nach dem Statut sich auf die Beschaffung der in Gewerbe und Wirtschaft der Mitglieder nötigen Geldmittel zu beschränken, hat man sich, weit

über die Kräfte der Bank hinaus, auf die gewagtesten, den Zwecken der

*) „Aufklärung in Angelegenheiten der Gewerbebank von F. Spiethoff." Düsseldorf. Druck von Gebr. Spiethoff.

«50

Schulze-Delitzsch.

Bank durchaus fremdartigen industriellen Unternehmungen eingelassen. So war die Bank bei Eröffnung des Falliments in Besitz von zehn Häusern in Düsseldorf und einer Baustelle, welche mit 185 000 Talern unter den Aktiven figurierten; so hatte sie der Rhein-Ahr-Tal-Gesellschaft (zur Ausbeutung von Tonund Braunkohlenlagern) «6000 Taler aus Wechsel kreditiert und 15000 Taler Aktien derselben

in Besitz; eine Bierbrauerei (in Hitdorf) stand mit 98000 Talern, ihr Gründer, ein gewisser Behmer, mit 70000 Talern im Debet, und für 130000 Taler Aktien derselben sollten vorhanden sein; dazu mußte noch eine Seifenfabrik mit 52000 Talern übernommen werden, welche Herr Spiethoff der Bank für diese Summe zwar wieder abnahm, die letztere aber schuldig blieb. Und mit diesen teils sehr schwer realisierbaren, teils geradezu wertlosen Aktiven stand man, abgesehen von anderen bedenklichen Ansprüchen, allein mehr als 800000 Talern Spareinlagen und Anlehen gegenüber, zu deren Deckung die vorhandenen verfügbaren Mittel, auch bei Aufopferung der Reserven und Geschäftsanteile der Mitglieder, nicht entfernt ausreichten! Aber rechtfertigt es sich hiernach, wenn Herr Biesenbach, aus einen

solchen vereinzelten Fall gestützt, wo die Beteiligten trotz erhaltener Warnung die gesetzlichen Schutzmaßregeln so sehr vernachlässigt haben, das ganze Institut angreift? Ja, möchten selbst unter den Tausenden von Genossenschaften noch einzelne Fälle vorliegen, wo der von jeher von uns auf das äußerste bekämpfte Vertrauensdusel ähnliche Katastrophen hervorgerufen hätte, so ist dies kein Grund, die deutschen Genossenschaften im ganzen für unfähig zu erklären, sich der von ihnen als Kreditbasis erprobten Solidarhaft zu bedienen. Gewiß muß noch manches zur Pflege der wirtschaft­ lichen und sittlichen Grundlagen in unsern Vereinen geschehen, im Be­ wußtsein der großen Verantwortlichkeit bei der fraglichen Haftbarkeit. Aber sehe man sich doch um, wie eifrig die Vereine bestrebt sind, ihre Organisation auszubilden, in strenger Kontrolle, in der Erhöhung der eigenen Kapitaleinlagen in Geschäftsanteilen und Reserven —

wovon der Jahresbericht erfreuliche Kunde gibt — sich die wirksamsten Garantien für solide Geschäftsführung und gegen die erwähnten Gefahren zu schaffen. Gerade daß durch mangelhafte Einrichtungen, wie sie den ersten Anfängen bei einer so jungen Bewegung zu eigen sind, es an

Verlusten nicht fehlte, hat die gute Wirkung erzielt, daß man durch die gemachten Erfahrungen um so williger wurde, jene Mängel abzustellen, wozu die Beratungen in den regelmäßigen Zusammenkünften der Ge-

Die Genossenschaften und die Krisen in Kriegs- und Friedenszeiten.

651

nossenschaftsverbände, sowie die Veröffentlichungen in meinen Büchern und unsern Blättern den stetigen Anhalt bieten.

Aber daß Vereine bei

solchen Vorkommnissen zur Auflösung geschritten wären, so lange das

Einlenken irgend möglich war, und nicht andere ganz besondere Gründe

Vorlagen, welche einer gesunden Entwicklung entgegenstanden, ist

nicht bekannt.

mir

Im Gegenteil hat man sogar — wie der Jahresbericht

ergibt — in ganz eklatanten Fällen, wo Verluste Vorlagen, welche nicht nur das ganze eigene Vereinsvermögen verschlangen, sondern, ähnlich wie in Düsseldorf, noch bedeutende Zuschüsse aus den Privatmitteln der Mit­

glieder zur Deckung erforderten, sich zu den größten Opfern entschlossen, um nur den Verein zu erhalten, stünden entbehren wollte.

dessen Stütze man unter keinen Um­

So haben z. B. die Mitglieder des Darlehns-

vereins zu Freiberg i. S. zur Vermeidung des Konkurses mehr als

eine Million Mark in Zuschüssen zu den Geschäftsanteilen unter sich zur

Deckung des Defizits aufgebracht, und der Verein besteht nach wie vor, ohne das; man daran dachte, sich der Solidarhast zu entziehen. wie die Dinge in Düsseldorf gehen werden, steht dahin,

Ob und

besonders, ob

das sich Drücken durch Scheingeschäfte und dgl., wovon Herr Biesenbach bei einer gewissen Klasse von Mitgliedern spricht, so ganz ohne Gefährde abgehen und dadurch die Solidarhast zum Teil für die Betreffenden un­

wirksam werden könnte.

Zum Schlüsse bedauere ich nochmals, zu der ganzen Auseinander­ setzung genötigt worden zu sein.

Aber wenn Institute, wie die Genossen­

schaften, gegen Angriffe, welche deren Kredit zu schädigen geeignet sind,

sich sonst durch Anrufung der Gerichte schützen können, blieb eben ein anderes, als die Zurückweisung vor der Öffentlichkeit hier nicht übrig.

Daß Schulze unter gegebenen Verhältnissen der Umwandlung von Genossenschaften in Aktiengesellschaften durchaus zustimmte, erhellt aus einem Briefe vom 9. Januar (880 an die Würzburger Volksbank, die ihn wegen dieses Schrittes um Rat fragte: „